Springer-Lehrbuch
Gerhard Thews † Peter Vaupel
Vegetative Physiologie Fünfte, aktualisierte Auflage Mit 178 vierfarb...
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Springer-Lehrbuch
Gerhard Thews † Peter Vaupel
Vegetative Physiologie Fünfte, aktualisierte Auflage Mit 178 vierfarbigen Abbildungen und 64 Tabellen
123
Professor Dr. Dr. Gerhard Thews † Univ.-Professor Dr. med. Peter Vaupel, M. A./Univ. Harvard Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Johannes Gutenberg-Universität Duesbergweg 6 55099 Mainz Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-540-24070-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 1981, 1990, 1997, 2001, 2005 Printed in Germany Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Martina Siedler Projektmanagement: Rose-Marie Doyon Copyediting: Karoline Kalmbach, Ulm Umschlaggestaltung & Design: deblik Berlin Titelbild: Eye of Science SPIN 10854037 Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck- und Bindearbeiten: Stürtz, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier. 15/2117 rd – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur fünften Auflage Die 4. Auflage der »Vegetativen Physiologie« wurde von den Lesern sehr freundlich aufgenommen und fand so großes Interesse, dass eine Neuauflage erforderlich wurde. In dieser ist der Inhalt aktualisiert und das Layout neu gestaltet, ohne die didaktischen Ziele, nämlich durch eine kompakte, aber trotzdem umfassende und exakte Darstellung eine gute Möglichkeit zur Aneignung des Stoffes und zur Examensvorbereitung zu bieten, aufzugeben. Auf eine übersichtliche Gliederung, die Abstimmung auf die neue ÄAppO und den neuen Gegenstandskatalog durch Hervorhebung pathophysiologischer/klinischer Bezüge, die Zusammenfassung der wichtigsten Sachverhalte durch Merktexte sowie auf die drucktechnische Hervorhebung von Schlüsselbegriffen wurde besonderer Wert gelegt. In der Vorbereitungsphase der Neuauflage verstarb mein Koautor, akademischer Lehrer, Mentor und hochgeschätzter Kollege Gerhard Thews, der über 20 Jahre dieses Lehrbuch wesentlich geprägt hat. Ich schulde ihm großen Dank und werde bemüht sein, das gemeinsame didaktische Konzept fortzuführen. Es ist mir ein Anliegen, dem Verlag, insbesondere Frau Martina Siedler und Frau Rose-Marie Doyon für ihre kompetente und engagierte Unterstützung bei der Herausgabe der Neuauflage zu danken. Dank gebührt auch Frau Karolin Kalmbach für ihr ausgezeichnetes Lektorat. Nicht zuletzt danke ich Frau Anne Deutschmann-Fleck für ihre wertvolle redaktionelle Mitarbeit. Autor und Verlag hoffen, dass dieses Lehrbuch auch in der 5. Auflage die bisherige große Akzeptanz und Zustimmung weiterhin finden wird. Mainz, im Januar 2005
Peter Vaupel
VII
Peter Vaupel
geboren 1943 in Lemberg/Pfalz, studierte Medizin an der Universität Mainz. 1974 folgte die Habilitation im Fach Physiologie und die Ernennung zum Professor, 1977 Wissenschaftlicher Rat und Professor. Als Gastprofessor für Strahlenbiologie wechselte er 1979 an das Henry Ford Hospital in Detroit, USA. 1983 übernahm er die C3-Professur für Angewandte Physiologie und die Leitung der Abteilung. 1986 erlangte ihn der Ruf an die Harvard University als Full Professor. 1987–1989 Andrew Werk Cook Professor of Radiation Biology/Physiology an der Harvard Medical School in Boston, USA. 1989 wechselte er als C4-Professor für Pathophysiologie an das Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität in Mainz, dessen Leitung er seit 1994 inne hat. Peter Vaupel ist Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Seine wichtigsten Arbeitsgebiete sind die Pathophysiologie und experimentelle Therapien solider Tumoren. Er erhielt zahlreiche Wissenschaftspreise und Auszeichnungen.
Vegetative Physiologie: Das neue Layout
Leitsystem: Orientierung über die Sektionen und Anhang
III
Merke: fokussiert alles Wichtige
Schlüsselbegriffe sind fettkursiv hervorgehoben
Über 170 farbige Abbildungen veranschaulichen komplizierte und komplexe Sachverhalte
100
Kapitel 5 · Herzfunktion
5
Herzfunktion
Das Herz (⊡ Abb. 5.1) stellt ein vierkammeriges, muskuläres Hohlorgan dar, dessen Pumpwirkung auf der rhythmischen Erschlaffung und Kontraktion der Herzmuskulatur beruht. Merke
In der Diastole füllen sich die Herzkammern (Ventrikel) mit Blut, in der Systole werfen sie es unter Druckentwicklung in die angeschlossenen großen Arterien aus. Dabei pumpt der rechte Ventrikel das Blut über den Truncus pulmonalis in den Lungenkreislauf, der linke Ventrikel über die Aorta in den Körperkreislauf.
Ein Rückstrom wird durch die Ventilwirkung der Herzklappen verhindert. Jeder Herzkammer ist ein Vorhof (Atrium) vorgeschaltet, der das Blut aus den zuleitenden Venen (Vv. cavae bzw. Vv. pulmonales) aufnimmt. Die Sys-
⊡ Abb. 5.1. Frontalansicht des eröffneten Herzens und der angeschlossenen Gefäße. Die Richtung der Blutströmung ist durch Pfeile gekennzeichnet
Navigation: Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
101 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
tole der Vorhöfe geht jeweils der Ventrikelsystole voraus und unterstützt in geringem Maße die Füllung der Kammern. Dieser gesetzmäßige Kontraktionsablauf wird durch die Erregungsausbreitung über die Herzmuskulatur (Myokard) gesteuert.
5.1
Erregungsprozesse im Herzen
5.1.1
Erregungsbildung und Erregungsausbreitung
5
Inhaltliche Struktur: klare Gliederung durch alle Kapitel
Morphologisch und funktionell unterscheidet man zwei Typen von Herzmuskelfasern: ▬ Fasern des Arbeitsmyokards für die Pumparbeit (Hauptmasse), ▬ Fasern des spezifischen Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems für die Herzerregung.
⊡ Tabelle 5.1. Formen der Erregungsleitungsstörung und ihre Folgen (Auswahl) Erregungsleitungsstörung
führt infolge
zu
AV-Block I. Grades
verzögerter Überleitung im AV-Knoten (> 0,2 s)
verspätet einsetzenden Ventrikelkontraktionen
AV-Block II. Grades (partieller AV-Block)
Ausfall einzelner AV-Überleitungen
unregelmäßiger Folge der Ventrikelkontraktionen
AV-Block III. Grades (totaler Herzblock)
vollständiger Unterbrechung der AV-Überleitung
Dissoziation von Vorhofkontraktionen (im Sinusrhythmus) u. Ventrikelkontraktionen (im Kammerrhythmus)
Schenkelblock
Unterbrechung der Erregungsleitung in einem Kammerschenkel
untypischer Erregungs- und Kontraktionsausbreitung in den Ventrikeln
Störungen der Erregungsausbreitung Die Erregungsleitung kann unter pathologischen Bedingungen an bestimmten Orten verzögert ablaufen oder auch partiell bzw. total unterbrochen sein. Eine solche Erregungsleitungsstörung , die allgemein als Block bezeichnet wird, führt u. U. zu einer Herzrhythmusstörung (Arrhythmie). In ⊡ Tabelle 5.1 sind verschiedene Formen des Leitungsblocks und ihre Auswirkungen zusammengestellt.
Tabelle: Lernhilfe durch Übersicht der wichtigsten Fakten
Prüfungsrelevante klinische Begriffe werden durch den roten Äskulapstab markiert. Sie sind auch im Sachverzeichnis hervorgehoben
Verweise auf Abbildungen und Tabellen: deutlich herausgestellt und leicht zu finden
XI
Inhaltsverzeichnis I Allgemeine Physiologie 1
Stoff- und Flüssigkeitstransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 1.2 1.3 1.4
Aufbau der Zellmembran Stofftransport. . . . . . . . Membranpotential . . . . Flüssigkeitstransport . . .
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2
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2 4 14 16
2
Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
2.1 2.2 2.3
Aktivierung von G-Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrazelluläre Botenstoffe der G-Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enzymgekoppelte Transduktionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 20 23
3
Regelprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
3.1 3.2
Grundbegriffe der Regeltechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologische Regelkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 27
II Blut und Abwehr 4
Blut und Abwehrfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9
Blutvolumen und Hämatokrit . . . . . . . Blutplasma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erythrozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämoglobin. . . . . . . . . . . . . . . . . . Leukozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämatopoietische Wachstumsfaktoren Abwehrfunktionen des Blutes . . . . . . Blutgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . Thrombozyten und Hämostase . . . . .
31 33 39 47 53 58 58 80 86
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XII
Inhaltsverzeichnis
III Herz und Kreislauf 5
Herzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
5.1 5.2
Erregungsprozesse im Herzen . . . . . . . . . . . . . Elektromechanische Kopplung und Beeinflussung der Herzaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrokardiogramm (EKG) . . . . . . . . . . . . . . . Mechanik der Herzaktion . . . . . . . . . . . . . . . . Energetik der Herzaktion. . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 5.4 5.5
. . . . . . . . . . . . . 101 . . . .
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114 123 135 151
6
Blutkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9
Aufbau des Gefäßsystems und Strömungsgesetze . . . . . Arterielles Gefäßsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrozirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venöses System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Organisation des kardiovaskulären Systems . Organdurchblutung und Durchblutungsregulation . . . . Regulation des Blutkreislaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plazentarer und fetaler Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . .
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157 164 174 181 186 192 207 223 225
IV Atmung 7
Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7
Funktionelle Morphologie des Respirationstrakts . Ventilation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atmungsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Austausch der Atemgase. . . . . . . . . . . . . . . . . Lungenperfusion und Arterialisierung des Blutes . Zentrale Rhythmogenese und Atmungsregulation Atemgastransport des Blutes . . . . . . . . . . . . . .
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229 237 243 254 262 265 275
XIII Inhaltsverzeichnis
7.8 7.9
Gewebeatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Höhenphysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
V Stoffwechsel und Arbeit 8
Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . 295
8.1 8.2
Energiehaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Arbeitsphysiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
9
Wärmehaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
9.1 9.2 9.3 9.4
Grundlagen des Wärmehaushalts . . . . . Wärmebildung und innerer Wärmestrom Wärmeabgabe an die Umgebung . . . . . Thermoregulation . . . . . . . . . . . . . . .
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322 326 329 334
10
Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Energetische Aspekte der Ernährung . . . . . . . . . . . . Makronährstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasser, Salze (Mengenelemente) und Spurenelemente Ernährung und Körpergewicht . . . . . . . . . . . . . . . .
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345 348 354 358 359
11
Epitheliale Transportprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
11.1 11.2
Barrierefunktion der Epithelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Resorption und Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
12
Funktionen des Magen-Darm-Kanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6
Allgemeine Grundlagen der gastrointestinalen Funktionen Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leber und Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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367 380 388 399 404 411
XIV
Inhaltsverzeichnis
12.7 12.8 12.9 12.10
Kolon und Rektum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absorption von Elektrolyten und Wasser . . . . . Verdauung und Absorption der Makronährstoffe Darmgase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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414 417 423 430
VI Regulation des Inneren Milieus 13
Nierenfunktion und Miktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6
Grundlagen der Nierenfunktion . . . . . . . . . . . . . . Glomeruläre Filtration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tubuläre Transportprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . Harnkonzentrierung und -verdünnung . . . . . . . . . Niere als Bildungstätte und Zielorgan von Hormonen Funktion der Harnblase und Miktion . . . . . . . . . . .
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433 443 449 468 473 474
14
Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . 477
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Wasserhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrolytverteilung in den Körperflüssigkeiten . Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts . Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts . Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . .
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477 480 483 488 492
VII Regulation vegetativer Funktionen 15
Hormonale Regulationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6
Aufgaben und Wirkungsweisen der Hormone Hypothalamisch-hypophysäres System . . . . Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . Nebennierenrindenhormone . . . . . . . . . . Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone des Nebennierenmarks . . . . . . . .
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508 513 526 530 536 547
XV Inhaltsverzeichnis
15.7 15.8 15.9 15.10
Pankreashormone und Blutzuckerregulation . . Hormonale Kalzium- und Phosphat-Regulation Weitere Hormonsysteme . . . . . . . . . . . . . . Gewebehormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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550 557 561 562
16
Sexualfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
16.1 16.2
Kohabitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
A Anhang A1
Maßeinheiten der Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
A2
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
A3
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581
I
Allgemeine Physiologie
Kapitel 1
Stoff- und Flüssigkeitstransport
Kapitel 2
Signaltransduktion
Kapitel 3
Regelprozesse
– 25
– 19
–2
I
2
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
1
Stoff- und Flüssigkeitstransport
Die Funktionen der Zellen und Gewebe – Stoffwechsel, Reproduktion, Wachstum, Regeneration, Sekretion, Resorption, Kontraktion und Erregbarkeit – erfordern einen ständigen Transport von Stoffen und Flüssigkeiten innerhalb des Organismus. Sauerstoff und Nährstoffe müssen laufend den Zellen zugeführt, Kohlendioxid und andere Stoffwechselendprodukte an die Umgebung abgegeben werden. Voraussetzung für den kontrollierten Ablauf der Stoffwechsel- und Erregungsprozesse sind ferner Konzentrationsgradienten bestimmter Ionen zwischen Intra- und Extrazellularraum. In Abhängigkeit von der Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung vollzieht sich schließlich der Flüssigkeitstransport im Organismus in enger Kopplung an den Stoffaustausch. Größere Wegstrecken innerhalb des Körpers werden in der Regel durch konvektiven Transport überwunden, wobei glatte oder quer gestreifte Muskulatur die Transportarbeit leistet. Diese Transportprozesse, zu denen der Blutkreislauf, der Lymphtransport, die Lungenbelüftung, die Passage im Magen-Darm- und Urogenitaltrakt sowie die Gallenblasenentleerung gehören, werden bei den entsprechenden Organsystemen behandelt. Im Gegensatz hierzu vollziehen sich die spezifischen Transportprozesse, die der differenzierten Verteilung von Stoffen und Flüssigkeiten dienen, im mikroskopischen Bereich an Zellmembranen und Epithelien.
1.1
Aufbau der Zellmembran
Die den Zellleib umschließende Plasmamembran hat eine Dicke von 7–10 nm. Trotz erheblicher Unterschiede in Bau und Funktion der verschiedenen Zellen besitzen ihre Membranen doch bestimmte, allen gemeinsame Charakteristika. Merke
Die Zellmembran besteht aus einer weitgehend flüssigen Lipiddoppelschicht, die von globulären Proteinen (integralen Proteinen) durchsetzt ist.
3 1.1 · Aufbau der Zellmembran
1
⊡ Abb. 1.1. Prinzipieller Aufbau der Zellmembran (Plasmamembran). In eine Phospholipiddoppelschicht sind Proteine eingelagert, die teils die Membran durchsetzen, teils mit dem Zytoskelett innenseitig verankert sind, nach Dudel (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Ein Teil der Proteine liegt der Außen- oder Innenseite der Lipidschicht an (assoziierte oder periphere Proteine). Die Membranproteine bilden kleine, mosaikartig angeordnete Inseln in der bimolekularen Lipidschicht (FluidMosaik-Modell, ⊡ Abb. 1.1). In der Lipiddoppelschicht, die vor allem aus Phospholipiden besteht, finden sich die hydrophilen Gruppen an den Außenbzw. Innenseiten der Membran. Die nichtpolaren, hydrophoben Enden weisen jeweils in das Innere der Membran. Neben den Phospholipiden gehören auch Glykolipide und Cholesterol zu den Membranlipiden. Ein Teil der Lipide und Proteine in der Zellmembran tragen Kohlenhydratketten, die stets zur Außenseite der Membran orientiert sind. Die Oberfläche kann so dicht mit Zuckerketten besetzt sein, dass diese eine geschlossene Schicht bilden (Glykokalyx). Zuckerreste, die als »verzweigte Antennen« bis zu 20 nm in den extrazellulären Raum ragen, bilden u. a. die strukturelle Basis der gewebespezifischen Rezeptoren für Peptidhormone oder dienen der Erkennung fremder Zellen.
I
4
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
1.2
Stofftransport
1.2.1
Diffusion
Freie Diffusion Unter Diffusion versteht man den Transport gelöster Teilchen auf Grund ihrer thermokinetischen Energie. Voraussetzung für den Ablauf einer gerichteten Teilchenbewegung ist dabei das Bestehen eines Konzentrationsgradienten, d. h. einer Konzentrationsdifferenz pro Wegeinheit bzw. eines elektrischen Gradienten. Die gelösten Teilchen kollidieren auf Grund der BROWNMolekularbewegung nach statistischen Gesetzen miteinander, wobei jedoch die Zahl der Zusammenstöße in Richtung der abnehmenden Konzentration geringer ist als in allen anderen Richtungen des Raumes. Merke
Angetrieben von einem Konzentrationsgradienten, findet eine Teilchenbewegung vom Ort der höheren zum Ort der niedrigeren Konzentration solange statt, bis ein Konzentrationsausgleich erreicht ist.
Quantitativ wird dieser Vorgang durch das Fick-Diffusionsgesetz beschrie˙ der Konzentraben. Es besagt, dass der Diffusionsstrom (Teilchenfluss) m tionsdifferenz ∆C und der Austauschfläche A direkt proportional und dem Diffusionsweg ∆x umgekehrt proportional ist (⊡ Abb. 1.2): ∆C ˙ = –D · A · 6 m ∆x
(1.1)
Der Proportionalitätsfaktor D ist eine vom Diffusionsmedium, von der Art der diffundierenden Teilchen und von der Temperatur abhängige Konstante, die man als Diffusionskoeffizient bezeichnet. Sie wird in der Regel in der Einheit cm2/s angegeben (⊡ Tabelle 1.1). Ein typisches Beispiel für einen Transportprozess, der nach den Gesetzmäßigkeiten der freien Diffusion abläuft, ist der Austausch der Atemgase Sauerstoff und Kohlendioxid ( Kap. 7). Für diese Gase, die in den Flüssigkeiten der Zellen und des extrazellulären Raums in gelöster Form transportiert werden, stellen die Zellmembranen und Zellorganellen praktisch keine zusätzlichen
5 1.2 · Stofftransport
⊡ Abb. 1.2. Schema zur Erläuterung der den Diffusionsprozess bestimmenden Größen. Zwei Räume sind durch eine ebene Schicht mit großem Diffusionswiderstand (Fläche A, Dicke ∆x) voneinander getrennt. Der Diffusionsstrom ist der Konzentrationsdifferenz (C1 – C2) proportional
⊡ Tabelle 1.1. Diffusionskoeffizienten D für Atemgase bei 37°C Diffundierendes Gas
Diffusionsmedium
D (cm2/s)
O2
Blutplasma Hirnrinde Muskulatur Erythrozyt
2,2 1,6 1,2 0,8
CO2
Blutplasma Hirnrinde Muskulatur Erythrozyt
⋅ 10—5 ⋅ 10—5 ⋅ 10—5 ⋅ 10—5 1,9 ⋅ 10—5 1,5 ⋅ 10—5 1,2 ⋅ 10—5 0,8 ⋅ 10—5
1
6
I
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
Diffusionshindernisse dar. Daher folgt der O2- bzw. CO2-Diffusionsstrom in der Lunge und in den anderen Organen stets auf direktem Wege der Richtung der abnehmenden Konzentration; die einzelnen Gewebe stellen also für die Atemgase weitgehend homogene Diffusionsräume dar, die sich lediglich in ihren Diffusionskoeffizienten ein wenig voneinander unterscheiden (⊡ Tabelle 1.1).
Erleichterte Diffusion Merke
Unter erleichterter Diffusion (Facilitated Diffusion) versteht man einen Transportprozess, der durch einen Konzentrationsgradienten angetrieben wird, wobei die Geschwindigkeit jedoch gegenüber freier Diffusion durch Transportproteine erhöht wird.
Einige der in die Zellmembran integrierten Proteine besitzen eine solche diffusionsbeschleunigende Eigenschaft. Diese als Carrier bezeichneten Transportproteine ( Kap. 1.2.2) erleichtern den Durchtritt bestimmter Stoffe durch die Membran (z. B. Zucker, Harnstoff). Bewegliche Transportvermittler sind in bestimmten Fällen auch an intrazellulären Transportvorgängen beteiligt. Beispielsweise beschleunigen die Hämoglobinmoleküle den Sauerstofftransport in den Erythrozyten: Sauerstoff, der in die Erythrozyten eintritt, wird an oberflächennahe Hämoglobinmoleküle locker gebunden. Diese sauerstoffbeladenen Moleküle bewegen sich nun zum Zentrum der Zelle und transportieren auf diese Weise Sauerstoff in die inneren Zellregionen ( Abb. 7.12). Die hämoglobinvermittelte Transportrate addiert sich zu dem Effekt der freien Diffusion. Ähnliches gilt für die Sauerstoffdiffusion in den Muskelfasern, die durch bewegliche Myoglobinmoleküle beschleunigt wird.
Permeation Merke
Lipidmembranen stellen für viele hydrophile Stoffe und Elektrolyte ein mehr oder weniger großes Diffusionshindernis dar. Diffusionsprozesse durch eine Zellmembran bezeichnet man als Permeation.
1
7 1.2 · Stofftransport
Da die diffusionsbestimmenden Membrangrößen (Diffusionskoeffizient D und Diffusionsweg ∆x) vielfach nicht mit ausreichender Genauigkeit bekannt sind, fasst man sie zu einer neuen Konstanten P = D/∆x zusammen. Die Diffusionsgleichung (1.1) erhält dann für Nichtelektrolyte die Form ˙ = –P · A · ∆C . m
(1.2)
P wird als Permeabilitätskoeffizient bezeichnet und in der Einheit cm/s angegeben. Gleichung (1.2) besagt, dass der Diffusionsstrom von der Größe der Membranfläche und der Differenz der Substanzkonzentrationen im Extraund Intrazellularraum abhängt. Da Zellmembranen im Wesentlichen aus einer Lipiddoppelschicht (⊡ Abb. 1.1) bestehen, ist es verständlich, dass lipophile Stoffe relativ leicht passieren können. In einer homologen Reihe kleiner Moleküle erhöht eine (lipophile) CH2-Gruppe die Permeabilität etwa um den Faktor 2. Arzneistoffe mit einem intrazellulären Angriffsort müssen, damit sie schnell in die Zellen gelangen können, bis zu einem gewissen Grade lipophil sein.
1.2.2
Transportproteine
Eigenschaften der Transportproteine Eine Reihe von Stoffen ist in der Lage, die Zellmembranen zu passieren, obwohl sie nur eine geringe Lipidlöslichkeit besitzt. Dies gilt insbesondere für viele Ionen, Glukose, Aminosäuren, Nukleotide u. a. Merke
In diesen Fällen treten die Ionen und hydrophilen Moleküle mit integralen Membranproteinen in Wechselwirkung und werden auf diesem Wege in die Zelle hinein- oder aus ihr heraustransportiert. Auf Grund ihrer speziellen Eigenschaften unterscheidet man drei Arten von Transportproteinen: Kanäle, Carrier und Pumpen (⊡ Tabelle 1.2).
Diese besitzen allerdings einige gemeinsame Merkmale: ▬ Transportspezifität, d. h. sie sind auf den Transport bestimmter Substanzen oder Substanzgruppen, die eine hohe Affinität zu dem Transportprotein
8
I
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
⊡ Tabelle 1.2. Einteilung der Transportproteine Bezeichnung
Symbol
Typische Eigenschaft
Kanäle Ionenkanäle Aquaporin-1 Aquaporin-2
passiver Transport Gating permanent offen durch ADH aktivierbar passiver Transport
Carrier Uniporter Symporter Antiporter
○ ○ ○
Pumpen Uniporter Antiporter
● ●
冧
feste Stöchiometrie aktiver Transport (ATP-Hydrolyse) feste Stöchiometrie
besitzen, spezialisiert; Substanzen einer Gruppe mit ähnlichen Strukturmerkmalen konkurrieren um das Transportprotein, ▬ Aktivierbarkeit durch bestimmte physikalische oder chemische Parameter (z. B. Potentialdifferenz) oder Hormone (Aldosteron, Kap. 15.4.2, ADH, Kap. 15.2.1), ▬ selektive Hemmbarkeit, d. h. bestimmte Hemmstoffe (Inhibitoren) können das Transportsystem besetzen und damit den Substrattransport verhindern, ▬ Sättigungskinetik, d. h. mit steigender Substratkonzentration nimmt der Zuwachs der Transportleistung ab, bis eine weitere Konzentrationserhöhung nicht mehr zu einer Steigerung der Transportrate führt. Die Kinetik des selektiven Transports lässt sich für den Fall, dass die Substratkonzentration auf einer Seite der Membran, z. B. im Zellinneren, zu vernachlässigen ist, durch eine Beziehung beschreiben, die der MichaelisMenten-Gleichung für unidirektionale Enzymreaktionen analog ist. Wird die äußere Substratkonzentration mit C bezeichnet, so gilt für den Substratstrom ˙ , d. h. für die in die Zelle transportierte Substratmenge pro Zeiteinheit: m C ˙ =m ˙ max 02 m C + Km
(1.3)
˙ max den maximalen Substratstrom und Km die äußere SubHierin bedeuten m ˙ max/2), entsprechend stratkonzentration bei halbmaximaler Transportrate (m
9 1.2 · Stofftransport
1
⊡ Abb. 1.3. Erleichterte und freie Diffusion. Einstrom von D-Glukose (erleichterte Diffusion) und L-Glukose (freie Diffusion) in den Erythrozyten in Abhängigkeit von der Außenkonzentration bei vernachlässigbar kleiner Innenkonzentration. Der durch Membranproteine (Glukosetransporter) vermittelte Transport der D-Glukose (Einsatzbild) zeigt eine Sättigungskinetik
˙ bei großen Substratder Michaelis-Konstanten. Man erkennt, dass sich m ˙ max nähert, d. h. Gleichung (1.3) eine konzentrationen dem Maximalwert m Sättigungskinetik beschreibt. Als Beispiel für einen Transportvorgang mit einer solchen Kinetik ist in ⊡ Abb. 1.3 der Einstrom von D-Glukose in Erythrozyten in Abhängigkeit von der äußeren Glukosekonzentration dargestellt, wobei im Zellinneren eine vernachlässigbar kleine Glukosekonzentration vorliegt.
10
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Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
Kanäle Merke
Diese Proteine bilden einen wassergefüllten Kanal mit einem Durchmesser von weniger als 1 nm, durch den bei Öffnung Ionen und Wasser diffundieren können. Der Antrieb erfolgt dabei durch einen Konzentrationsgradienten und – sofern die Teilchen geladen sind – durch eine Potentialdifferenz zwischen den beiden Seiten der Membran. Es handelt sich also um einen passiven Transportprozess.
Die Membrankanäle (Poren) weisen eine relativ hohe Selektivität für den Durchtritt bestimmter Ionen auf. Es gibt z. B. Natrium-, Kalium-, Kalziumund Chloridkanäle, die vielfach nur die eine Ionenart passieren lassen. Ursache für diese Selektivität sind Ladungen oder Bindungsstellen in den Wänden der Kanäle, die den Durchtritt bestimmter Ionen erleichtern und andere Stoffe von der Passage ausschließen. Die Kanäle sind nicht ständig frei passierbar; sie können vielmehr ihre Durchlässigkeit sprunghaft ändern. Diese als Gating bezeichnete Zustandsänderung, beruht auf einer Konformationsänderung der Kanalproteine. Eine Aktivierung, durch die geschlossene Kanäle geöffnet werden, kann durch Potentialänderung, Dehnung oder Ligandenbindung erfolgen. Auch im aktivierten Zustand kommt es durch spontane, hochfrequente Konformationsänderungen zu kurzfristigen Unterbrechungen des Ionenstroms. Die Sättigungskinetik der Kanäle ist dadurch bedingt, dass ihre »Offen«Wahrscheinlichkeit mit steigendem diffusionsbestimmendem Ionengradienten abnimmt. Außerdem ist die Durchlässigkeit vieler Känale in beiden Transportrichtungen verschieden (Rektifikation). Auf Grund ihrer Struktur, ihrer Permeabilität und ihres Schaltverhaltens lassen sich die Kanalproteine noch weiter differenzieren. So sind z. B. bisher mehr als 20 verschiedenartige Kaliumkanäle nachgewiesen worden. In fast allen Zellmembranen finden sich Wasserkanäle, die permanent geöffnet sind. Diese Membranproteine tragen die Bezeichnung Aquaporin-1. Daneben gibt es in den Sammelrohren der Niere eine zweite Art von Wasserkanälen mit der Bezeichnung Aquaporin-2, die erst unter der Einwirkung des Hormons Adiuretin (ADH) aktiviert werden (⊡ Tabelle 1.2).
11 1.2 · Stofftransport
1
Carrier Ebenso wie die Kanäle dienen die Carrier dem passiven Transport. Sie unterscheiden sich jedoch von diesen in einigen Merkmalen. Carrier ▬ haben eine geringere Transportrate als Kanäle, ▬ weisen nicht das Phänomen des Gating (s. oben) auf, ▬ transportieren vielfach in Flusskopplung. Merke
Viele Carrier sind in der Lage, 2 oder sogar 3 verschiedene Teilchenarten in einem festen (stöchiometrischen) Zahlenverhältnis zu befördern. Dabei unterscheidet man Symporter, die mehrere Teilchenarten in gleicher Richtung transportieren (positive Flusskopplung) und Antiporter, die verschiedene Teilchenarten jeweils in entgegengesetzter Richtung befördern (negative Flusskopplung). Einfache Carrier ohne Flusskopplung heißen Uniporter (⊡ Tabelle 1.2).
Zwei Beispiele aus der Vielzahl von Carriern mögen den passiven Transport erläutern (⊡ Abb. 1.4): Angetrieben von einem Natriumgradienten, wird durch einen Symporter zusammen mit 1 Na+ je 1 Glukosemolekül in die Zelle befördert. Bei einem bestehenden Natriumgradienten können aber auch durch einen Antiporter 3 Na+ in die Zelle hinein- und in Gegenrichtung 1 Ca2+ aus der Zelle heraustransportiert werden.
⊡ Abb. 1.4. Beispiele für Membranproteine mit Transportfunktion. Angetrieben durch den Na+-Gradienten, werden Ca2+-Ionen im Antiport und Glukose im Symport durch die Zellmembran befördert, nach Dudel (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
12
I
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
Pumpen Eine Sonderform der Carrier stellen die Pumpen oder ATPasen dar. Diese Transportproteine hydrolysieren an der Innenseite der Membran Adenosintriphosphat (ATP) zu Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat und nutzen die dabei freiwerdende Energie für den aktiven Transport. ATPasen, die den primär-aktiven Transport vermitteln, sind also sowohl Enzyme als auch Transporter. Merke
Der wichtigste aktive Transporter ist die Na+/K+-ATPase, die praktisch in allen Zellmembranen vorkommt. Sie transportiert bei jedem Pumpzyklus 3 Na+ aus der Zelle heraus und im Sinne eines Antiports 2 K+ in die Zelle hinein (⊡ Abb. 1.5). Dieses Zahlenverhältnis bedeutet, dass die Na+/K+-ATPase im Nettoeffekt 1 positive Ladung aus der Zelle hinausbefördert, also einen Strom erzeugt, der das Membranpotential ( Kap. 1.3) um 5–10 mV negativer macht. Daher bezeichnet man die Na+/K+-ATPase als elektrogene Pumpe.
Die Na+/K+-ATPase hat eine hohe Transportleistung; sie kann 150–600 Na+Ionen pro Sekunde befördern. In Abhängigkeit vom Zelltyp und dem Aktivitätszustand der Zelle werden 30–70 % des zellulären Energieverbrauchs für diesen Transportmechanismus aufgewendet.
⊡ Abb. 1.5. Funktion der Na+/K+-ATPase in schematischer Darstellung. Mit jedem Pumpzyklus werden 3 Na+ gegen den Konzentrationsgradienten nach außen befördert und gleichzeitig 2 K+ in die Zelle transportiert. Die Energie für diesen aktiven Transportprozess liefert die Spaltung von ATP in ADP und anorganisches Phosphat (Pi), nach Dudel (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
13 1.2 · Stofftransport
1
Die Na+/K+-Pumpe bewirkt, dass intrazellulär eine niedrige Na+- und eine hohe K+-Konzentration aufrechterhalten wird, und schafft damit eine wichtige Voraussetzung für die Erregungsprozesse ( Kap. 5). Sie unterhält aber auch andere Transportvorgänge ( Kap. 11) und sorgt für die Regulation des Zellvolumens. Die Na+/K+-Pumpe lässt sich durch herzwirksame Glykoside, z. B. Ouabain (g-Strophanthin), spezifisch hemmen. Weitere in den Zellmembranen vorkommende Pumpen sind die Ca2+-ATPase, die H+-ATPase und die H+/K+-ATPase. Eine Arzneimittel-Resistenz-ATPase (= P-Glykoprotein) kann chemisch sehr unterschiedliche Substanzen auch gegen ein Konzentrationsgefälle aus der Zelle herausschaffen. Diese vor allem in der Leber, im Dünndarm und in der Niere vorkommende Pumpe dient der Elimination von Fremdstoffen. Da sie in der Membran von Tumorzellen häufig eine verstärkte Aktivität aufweist, ist sie eine der Ursachen für die Resistenz dieser Zellen gegen zytostatische Medikamente.
1.2.3
Transport in Vesikeln
Stoffe, die nicht die Zellmembran passieren können, werden in manchen Fällen durch Einstülpung der Membran in die Zelle ein- oder aus ihr ausgeschleust. Diese Vorgänge bezeichnet man als Endo- bzw. Exozytose. Bei der Endozytose reagieren die zu transportierenden Makromoleküle häufig mit spezifischen Membranrezeptoren und lösen dadurch eine Einstülpung der Plasmamembran aus. Dieser Membranbezirk schnürt sich dann ab, sodass eine intrazelluläre Vesikel entsteht, die neben den Makromolekülen extrazelluläre Flüssigkeit enthält. Bei der Exozytose verschmelzen intrazelluläre Vesikel, die z. B. mit Hormonen oder Enzymen beladen sind, mit der Plasmamembran und geben dabei ihre Inhaltsstoffe in den Extrazellularraum ab. Auch innerhalb der Zelle kann der Transport von Makromolekülen unter Vermittlung von Vesikeln erfolgen. ⊡ Abbildung 1.6 zeigt, wie ein Stoff, der auf der einen Seite durch Endozytose in die Zelle gelangt, in Vesikeln durch die Zelle transportiert (Transzytose) und auf der anderen Seite durch Exozytose wieder ausgeschleust wird. An der Bewegung der Vesikel sind Elemente des Zytoskeletts beteiligt. Die Axone von Nervenzellen erreichen eine Länge von bis zu 1 m. Eine solche Strecke ist viel zu lang, als dass Stoffe innerhalb von Stunden oder Tagen durch Diffusion vom Zellkörper zu den Nervenendigungen gelangen könnten. Der Stofftransport erfolgt in diesem Fall ebenfalls in Vesikeln oder Zellorganellen. Deren Bewegung kann vitalmikroskopisch beobachtet werden. Dabei erkennt man, wie sich die Partikel kurzzeitig schnell vorwärts bewegen, dann ein Stück zurück- oder seitwärts laufen, um schließlich wieder in der Vorzugsrichtung voranzuschießen. Auf diese Weise erreichen sie eine mittlere
14
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
I
⊡ Abb. 1.6. Schema zur Erläuterung des transzellulären Transports in Vesikeln. Extrazelluläres Material wird am rechten Zellpol durch Endozytose aufgenommen, in Vesikeln durch die Zelle transportiert und am linken Zellpol durch Exozytose wieder ausgeschieden, nach Dudel (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Transportgeschwindigkeit von ca. 0,4 m/Tag. Neben diesem schnellen axonalen Transport beobachtet man in Axonen noch einen langsamen Transportprozess, der etwa mit der Wachstumsgeschwindigkeit übereinstimmt.
1.3
Membranpotential
1.3.1
Diffusionsgleichgewicht
Die aktive, d. h. durch Stoffwechselenergie angetriebene Na+/K+-ATPase sorgt dafür, dass im Inneren der Zelle eine hohe K+-Konzentration und im Extrazellularraum eine hohe Na+-Konzentration aufrechterhalten werden. In Nerven- und Muskelzellen ist die K+-Konzentration intrazellulär rund 30-mal höher als extrazellulär. Da die Membran in Ruhe für K+-Ionen relativ gut permeabel ist, diffundieren K+-Ionen ihrem Konzentrationsgefälle folgend, nach außen. Infolge der mit der Auswärtsdiffusion verbundenen Ladungsverschiebung wird die Membran wie ein Kondensator (außen positiv) aufgeladen, wodurch sich die K+-Auswärtsdiffusion solange vermindert, bis sie mit der K+-Einwärtsdiffusion im Gleichgewicht steht. Es baut sich also über der Membran eine Potentialdifferenz auf, die dem Diffusionsbestreben entgegengerichtet ist.
1
15 1.3 · Membranpotential
Merke
Das elektrische Potential, bei dem sich die beiden entgegengerichteten Diffusionsströme die Waage halten, d. h. der Nettoausstrom der K+-Ionen zum Stillstand kommt, wird als Gleichgewichtspotential bezeichnet. Da die Membran in Ruhe für Na+-Ionen fast undurchlässig (impermeabel) ist, wird das Ruhemembranpotential im Wesentlichen durch das Diffusionsgleichgewicht der K+-Ionen bestimmt. Das Ruhepotential ist also überwiegend ein K+-Diffusionspotential.
1.3.2
Berechnung des Ruhemembranpotentials
Für die Berechnung des elektrochemischen Gleichgewichtspotentials gilt ganz allgemein die Nernst-Gleichung. Sie besagt, dass das Potential E, das durch die Konzentrationsdifferenz eines Ions I erzeugt wird, dem natürlichen Logarithmus des Verhältnisses von äußerer Konzentration [I]a zu innerer Konzentration [I]i proportional ist: R·T [I]a E = 8 · ln 6 z·F [I]i
(1.4)
Hierin bedeuten: R die allgemeine Gaskonstante, T die absolute Temperatur, z die Wertigkeit des Ions und F die Faraday-Konstante. Fasst man diese Größen zusammen, dann gilt (nach Umwandlung des natürlichen in den dekadischen Logarithmus, ln x = 2,3 log x) für die K+-Ionen: [K+]i E = –61 · log 8 = –61 · log 30 = –90 mV [K+]a
(1.5)
Das nach der Nernst-Gleichung berechnete K+-Gleichgewichtspotential stimmt näherungsweise mit dem an Muskelzellen gemessenen Ruhepotential überein. Eine kleine Abweichung ist auf die Potentialbeiträge der Na+- und Cl–-Ionen zurückzuführen, für welche die Membran ebenfalls (wenn auch in geringerem Maße als für K+) permeabel ist. Das Cl–-Gleichgewichtspotential beträgt etwa –70 mV, das Na+-Gleichgewichtspotential ca. + 65 mV.
I
16
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
1.4
Flüssigkeitstransport
1.4.1
Osmose
Merke
Unter Osmose versteht man den Lösungsmitteltransport durch eine semipermeable Membran, die zwei Lösungen unterschiedlicher Teilchenkonzentration trennt. Dabei diffundieren die Lösungsmittelmoleküle durch die für die gelösten Teilchen undurchlässige Membran in die Richtung der höheren Teilchenkonzentration, bis ein Konzentrationsausgleich erreicht ist.
Treibende Kraft für den Wassertransport ist der osmotische Druck, der folgendermaßen definiert ist: In einem osmotischen System, das keine Volumenzunahme auf der Seite der höheren Teilchenkonzentration zulässt, steigt der hydrostatische Druck mit dem Einstrom des Lösungsmittels bis zu einem Gleichgewichtswert an. Der hydrostatische Gleichgewichtsdruck, der sich in einem solchen System einstellt, wird als osmotischer Druck π bezeichnet. Er ist der Differenz der Teilchenkonzentration beiderseits der semipermeablen Membran ∆C proportional: π = R · T · ∆C
(1.6)
In dieser van‘t-Hoff-Gleichung bedeuten R die allgemeine Gaskonstante und T die absolute Temperatur. Die wässrige Lösung eines Nichtelektrolyten, z. B. Glukose, in einer Konzentration von 1 mol/l weist gegenüber Wasser bei 37 °C einen osmotischen Druck von 25,45 atm (2,57 MPa) auf. In VielkomponentenLösungen, wie sie biologische Flüssigkeiten darstellen, ist der osmotische Druck der Gesamtkonzentration aller gelösten Teilchen proportional. Diese osmotische Wirkkonzentration wird als (temperaturabhängige) Osmolarität bezeichnet und in der Einheit osmol/l Lösung angegeben. Im Blutplasma ist der Lösungsraum für kleine Moleküle und Ionen dadurch eingeschränkt, dass die Makromoleküle, insbesondere Eiweiße, einen nicht unbeträchtlichen Raum einnehmen. Daher bezieht man häufig die Konzentrationsangaben für kleine Moleküle und Ionen auf den tatsächlich vorhandenen Lösungsmittelanteil, speziell auf 1 kg Lösungswasser. Die osmotische Konzentration in der Einheit osmol/kg wird dann als (temperaturunabhängige) Osmolalität bezeichnet.
1
17 1.4 · Flüssigkeitstransport
Zellmembranen und Epithelien sind für kleinmolekulare Substanzen, u. a. für bestimmte Ionen, Harnstoff sowie Glukose, mehr oder weniger durchgängig und stellen aus diesem Grunde keine idealen semipermeablen Membranen dar. Allerdings besitzen sie oft eine höhere Permeabilität für Wasser als für alle gelösten Teilchen. Dies hat zur Folge, dass in der Regel ein Stoffaustausch durch Membranen und Epithelien von einem entsprechenden osmotisch bedingten Wasserstrom begleitet ist. Kommt es bei Störungen des Wasserhaushalts zu Veränderungen des extrazellulären osmotischen Drucks, so treten Wasserverschiebungen zwischen dem extra- und dem intrazellulären Raum ein, bis jeweils der osmotische Druckausgleich erreicht ist. Bei erhöhtem osmotischen Druck im Extrazellularraum strömt Wasser aus den Zellen ab, während sie bei einem erniedrigten osmotischen Druck im Extrazellularraum Wasser aus der Umgebung aufnehmen. Kapillarwände sind für kleinmolekulare Stoffe in der Regel leicht passierbar. Als semipermeable Membranen wirken sie nur für die im Plasma gelösten Proteine, die eine Molekularmasse von mehr als 60 kDa haben. Daher beeinflusst im Bereich der Kapillaren und kleinsten Venolen der osmotische Druck der Plasmaproteine, der kolloidosmotische Druck (ca. 25 mm Hg), die Wasserverteilung zwischen dem intra- und extravasalen Raum.
Filtration
1.4.2
Merke
Bei der Filtration wird unter dem Einfluss einer hydrostatischen Druckdifferenz ∆P Flüssigkeit durch ein Porenfilter gepresst und dabei von grobdispersen Teilchen befreit.
Der Volumenfluss F bei einem solchen Filtrationsprozess durch eine Porenmembran ergibt sich aus F
= KF · ∆P.
(1.7)
Der Proportionalitätsfaktor KF wird als Filtrationskoeffizient bezeichnet und stellt ein Maß für Fläche und die Filtereigenschaften der jeweiligen Membran (Größe und Anzahl der Poren) dar (⊡ Tabelle 1.3).
18
I
Kapitel 1 · Stoff- und Flüssigkeitstransport
⊡ Tabelle 1.3. Filtrationskoeffizient KF für verschiedene biologische und künstliche Membranen bei 22°C, nach Bader Membran
KF (cm · s–1 · mm Hg–1)
Kapillarendothelien Muskel Mesenterium Glomerulus
3,5 70–100 400–800
Künstliche Membranen Dialysemembranen Zellophan
150–250 500–1300
Bei den Filtrationsprozessen im Bereich der Kapillaren und kleinsten Venolen werden nicht nur grobdisperse Teilchen – wie etwa Blutzellen – an den Gefäßwänden zurückgehalten, sondern auch gelöste Moleküle nach Maßgabe ihrer Größe voneinander getrennt. Einen solchen Vorgang bezeichnet man als Ultrafiltration. Wie bereits erwähnt, sind die Kapillarwände für kleinmolekulare Stoffe permeabel, für Plasmaproteine dagegen weitgehend impermeabel, sodass hier ein Siebeffekt eintritt. Berücksichtigt man, dass dem Flüssigkeitstransport durch die Kapillarwand unter dem Einfluss der hydrostatischen Druckdifferenz ∆P die kolloidosmotische Druckdifferenz ∆π entgegenwirkt, so beträgt der effektive Filtrationsdruck Peff = ∆P – ∆π. Der Volumenfluss F lässt sich dann aus F
= KF · (∆P – ∆π)
(1.8)
berechnen. Diese Beziehung bildet die Grundlage für die Beurteilung des Wassertransports im Bereich der Gewebekapillaren und der Ultrafiltration in den Glomeruli der Niere ( Kap. 13.2.2). Da bei der Ultrafiltration Proteinanionen im Blutplasma zurückgehalten werden, stellt sich auch ein anderes Gleichgewicht, das sog. GIBBS-DONNANGleichgewicht, für Ionen ein. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die frei diffusiblen Kationen im Lösungsraum mit der höheren Konzentration der anionischen Proteine anreichern, diffusible Anionen dagegen im proteinarmen Lösungsraum. Mit diesen ungleichmäßigen Konzentrationsverteilungen der diffusiblen Ionen ist auch eine veränderte Ladungsverteilung verbunden, die zu einer elektrischen Potentialdifferenz, dem Donnan-Potential, zwischen dem proteinreichen (negativ) und dem proteinarmen Raum (positiv) führt.
19 2.1 · Aktivierung von G-Proteinen
2
Signaltransduktion
2.1
Aktivierung von G-Proteinen
2
Der Funktionszustand von Zellen kann durch extrazelluläre Signalstoffe (z. B. Hormone, Neurotransmitter, Wachstumsfaktoren, Arzneistoffe) gesteuert werden. Während lipophile Substanzen bzw. Signalstoffe leicht durch freie oder erleichterte Diffusion über die Zellmembran in das Zellinnere gelangen können, sind hydrophile Stoffe nicht ohne weiteres in der Lage, die Plasmamembran zu durchdringen. Um ihr Signal dennoch in das Zellinnere übertragen zu können, binden sich diese Liganden zunächst an spezifische Rezeptoren in der Zellmembran. Die Bindung des Signalstoffs (erster Botenstoff) löst nach einer Konformationsänderung des Rezeptors häufig eine Aktivierung sog. G-Proteine (GTP-bindender Proteine) aus. Merke
G-Proteine sind in die Innenseite der Membran integriert (⊡ Abb. 2.1). Nach ihrer Aktivierung wird an der α-Untereinheit Guanosindiphosphat (GDP) durch Guanosintriphosphat (GTP) ersetzt und die βγ-Untereinheit abgetrennt. In dieser Konfiguration erfolgt entweder eine enzymatische Bildung von intrazellulären Botenstoffen (Second Messenger) oder eine direkte Beeinflussung von Ionenkanälen (z. B. K+-Kanäle im Sinusknoten des Herzens).
Neben stimulierenden gibt es auch inhibitorische G-Proteine, die nachfolgende Enzymreaktionen hemmen. Die geschilderte Transduktionskette wird in der Regel in wenigen Sekunden bis Minuten durchlaufen und dient nicht nur der Signalübertragung, sondern auch der lawinenartigen Signalverstärkung. Die Bindung eines Liganden an den Rezeptor erzeugt nämlich eine große Zahl von Second-Messenger-Molekülen. Die Wirkung der G-Proteine wird durch die Hydrolyse des gebundenen GTP zu GDP bzw. durch die Dissoziation von Ligand und Rezeptor zeitlich begrenzt.
20
Kapitel 2 · Signaltransduktion
I
⊡ Abb. 2.1. Vereinfachte schematische Darstellung der intrazellulären Signaltransduktion durch zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP). RS = stimulierender Membranrezeptor, Ri = hemmender Membranrezeptor, GS = stimulierendes G-Protein, Gi = hemmendes G-Protein, AC = Adenylatzyklase, GTP = Guanosintriphosphat, GDP = Guanosindiphosphat, ATP = Adenosintriphosphat, PDE = Phosphodiesterase, AMP = Adenosinmonophosphat
2.2
Intrazelluläre Botenstoffe der G-Proteine
2.2.1
Zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP)
An den intrazellulären Reaktionsketten sind verschiedene Second Messenger beteiligt. Ein Weg führt über cAMP (⊡ Abb. 2.1).
21 2.2 · Intrazelluläre Botenstoffe der G-Proteine
Merke
Die aktivierte α-Untereinheit eines stimulierenden G-Proteins aktiviert ihrerseits eine membranständige Adenylatzyklase, welche die Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP) aus ATP katalysiert. Intrazellulär steuert der Second Messenger cAMP als allosterischer Effektor der Proteinkinase A die Phosphorylierung von Proteinen.
Auf diese Weise werden Enzyme und Ionenkanäle (z. B. Ca2+-Kanäle in den Myokardfasern) entweder aktiviert oder inaktiviert. Diese Effekte werden dadurch begrenzt, dass die cAMP-Moleküle durch eine Phosphodiesterase abgebaut und/oder die Phosphoproteine dephosphoryliert werden. Beispiele für extrazelluläre Signalstoffe, die unter Vermittlung von cAMP physiologische Effekte auslösen und in späteren Kapiteln behandelt werden, sind in ⊡ Abb. 2.1 mit den zugehörigen Rezeptortypen (in Klammer) angegeben.
2.2.2
Inositolphospholipid-Metabolite
Eine Reihe von extrazellulären Signalstoffen löst nach Bindung an entsprechende Membranrezeptoren intrazelluläre Wirkungen über Inositolphospholipid-Metabolite als Second Messenger aus (⊡ Abb. 2.2). Merke
In diesem Fall führt die Aktivierung der G-Proteine zur Stimulation des membranständigen Enzyms Phospholipase C. Dieses bewirkt die hydrolytische Spaltung von Phosphatidylinositolbisphosphat (PIP2) in die beiden Signalmoleküle 1,4,5-Inositoltrisphosphat (IP3) und 1,2-Diacylglycerol (DAG).
Das wasserlösliche IP3 setzt als Second Messenger nach Bindung an einen Ca2+-Kanal-Rezeptor Ca2+-Ionen aus intrazellulären Kalziumspeichern (endoplasmatisches Retikulum, Calcisomen) frei (⊡ Abb. 2.2). Ca2+ als tertiärer Botenstoff kann dann intrazelluläre Enzyme, Ionenkanäle und Transportproteine aktivieren oder hemmen, wobei ein Teil dieser Wirkungen erst nach
2
22
Kapitel 2 · Signaltransduktion
I
⊡ Abb. 2.2. Vereinfachte schematische Darstellung der intrazellulären Signaltransduktion durch die Inositolphospholipid-Metabolite IP3 und DAG. R = Membranrezeptor, G = G-Protein, PLC = Phospholipase C, PIP2 = Phosphatidylinositolbisphosphat, IP3 = Inositoltrisphosphat, DAG = Diacylglycerol, PKC = Proteinkinase C, ER = endoplasmatisches Retikulum, CaBP = Ca2+-bindendes Protein; bzgl. weiterer Erklärungen vgl. Legende von Abb. 2.1
Bindung an ein Ca2+-bindendes Protein (z. B. Calmodulin) erfolgt. So steuern Ca2+-Ionen über Calmodulin beispielsweise die Aktivität von Protein-Kinasen und Ionenkanälen sowie die Glykolyse, die Kontraktion des glatten Muskels, die Bewegung der Spermien, die Exozytose und das Zellwachstum. IP3-Metabolite können auch den Ca2+-Einstrom über die Zellmembran steuern. Auch das andere Spaltprodukt, Diacylglycerol (DAG), dient als Second Messenger. Als lipophile Substanz verbleibt DAG in der Membran und stimuliert Ca2+-abhängig eine Proteinkinase C, die wiederum die Phosphorylierung von Proteinen fördert. Beispiele für extrazelluläre Signalstoffe, die über die Inositolphospholipid-Kaskade wirken, sind in ⊡ Abb. 2.2 angegeben.
23 2.3 · Enzymgekoppelte Transduktionssysteme
2
Aus Phospholipiden der Zellmembran können durch Rezeptor- und G-Protein-vermittelte Aktivierung einer membranständigen Phospholipase A2 weitere hochaktive Metabolite entstehen, die als Second Messenger wirken. Eine dieser Substanzen ist die Arachidonsäure. Eine große Bedeutung bei der intrazellulären Signaltransduktion haben ihre hochaktiven Metabolite, die Eikosanoide (Prostaglandine, Prostazykline, Thromboxane und Leukotriene). Neben ihrer Rolle als intrazelluläre Botenstoffe sind die Eikosanoide auch noch hochaktive Mediatoren, die von Zellen in den Extrazellularraum abgegeben werden und dort eine Vielzahl parakriner Wirkungen ( Kap. 15.10) entfalten können.
2.3
Enzymgekoppelte Transduktionssysteme
Die Reiztransduktion von Atriopeptin (ANP) und Stickstoffmonoxid (NO) wird durch zyklisches Guanosinmonophosphat als Second Messenger vermittelt (⊡ Abb. 2.3). Die Bindung von Atriopeptin an das transmembranale Rezeptorprotein führt zur Aktivierung einer membranständigen Guanylatzyklase (GC) in der Enzymdomäne auf der zytoplasmatischen Seite des Rezeptors und damit zur Bildung von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) aus Guanosintriphosphat (GTP). NO als gut diffusibles Gas kann die Memb-
⊡ Abb. 2.3. Vereinfachte schematische Darstellung der intrazellulären Signaltransduktion durch zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) bzw. Aktivierung einer Tyrosin-spezifischen Proteinkinase. R = transmembranäres Rezeptorprotein, GC = Guanylatzyklase, GTP = Guanosintriphosphat, TK = Tyrosinkinase, NO = Stickstoffmonoxid
24
I
Kapitel 2 · Signaltransduktion
ran passieren und aktiviert dann eine zytoplasmatische Guanylatzyklase. In beiden Fällen werden die physiologischen Wirkungen von cGMP durch eine Proteinkinase G vermittelt. Letztere bewirkt u. a. eine Abnahme der Ca2+Konzentration im Zytosol glatter Muskelzellen und damit eine Erniedrigung des Gefäßtonus. Insulin und viele Wachstumsfaktoren binden sich extrazellulär an transmembranäre Rezeptorproteine mit Tyrosinkinase-Aktivität. Auf der zytoplasmatischen Seite dieser tetrameren Rezeptor-Glykoproteine befindet sich eine Enzymdomäne, die sich bei Aktivierung des Rezeptors selbst phosphoryliert (Autophosphorylierung). Diese Phosphorylierung stellt das Signal dar, das Zellwachstum und -differenzierung steuert, indem es bestimmte Genabschnitte über regulierende Proteine zur Transkription freigibt. Außerdem bewirkt der aktivierte Rezeptor die Phosphorylierung von Tyrosinresten anderer Zielproteine. ▬ Zur Wirkungsvermittlung der lipophilen Schilddrüsen- und Steroidhormone über intrazelluläre Rezeptoren Kap. 15.3–15.5.
25 3.1 · Grundbegriffe der Regeltechnik
3
3
Regelprozesse
Biologische Regulationen dienen vor allem der Homöostase, also der Aufrechterhaltung eines konstanten inneren Milieus im Organismus. Solche Regulationsprozesse waren bereits bekannt, bevor in der Technik Regelprozesse systematisch untersucht und beschrieben wurden. Nachdem jedoch die technische Regelungslehre entwickelt war, erwies es sich als zweckmäßig, eine solche Betrachtungsweise auch auf biologische Vorgänge zu übertragen. Zwar ist es nicht möglich, grundsätzlich neue Erkenntnisse auf diese Weise zu gewinnen, doch führt die Übertragung technischer Prinzipien auf lebende Systeme (Biokybernetik) zu einer besonders übersichtlichen, häufig auch quantitativen Beschreibung biologischer Funktionen. Im Folgenden werden nur die Grundbegriffe der Regelungslehre dargestellt, Anwendungen auf die Probleme der physiologischen Regulation finden sich in den nachfolgenden Kapiteln.
3.1
Grundbegriffe der Regeltechnik Merke
Das wesentliche Kennzeichen einer Regelung ist ein Funktionsablauf in einem geschlossenen Wirkungskreis, durch den jede Störung einer Regelgröße selbsttätig korrigiert wird.
Anhand des Blockschaltbildes für einen Regelkreis (⊡ Abb. 3.1 A) soll zunächst die Terminologie der Regeltechnik erläutert und gleichzeitig an dem Beispiel einer Raumthermostatisierung (⊡ Abb. 3.1 B) konkretisiert werden. Die Regelgröße bezeichnet einen Zustand, der konstant zu halten ist (im Beispiel die Raumtemperatur). Der abgegrenzte Raum, in dem dies geschieht, wird als Regelstrecke bzw. als geregeltes System (Zimmer mit Ofen) charakterisiert. Eine Messeinrichtung, Fühler genannt (Thermometer), registriert den momentanen Wert der Regelgröße, den Istwert. Dieser wird an den Regler (Thermostat) übermittelt und dort mit dem Sollwert einer Führungsgröße (gewünschte Temperatur) verglichen. Sind Soll- und Istwert voneinan-
26
Kapitel 3 · Regelprozesse
I
⊡ Abb. 3.1. Regelkreise. A. Allgemeines Schema eines Regelkreises, B. Beispiel eines Regelsystems für die Raumtemperatur
der verschieden, dann liegt eine Regelabweichung vor, die den Regler zu einer Korrektur der Regelgröße veranlasst. Der Korrekturbefehl wird als Stellgröße bezeichnet (Steuersignal für die Brennstoffzufuhr). Dieser veranlasst das Stellglied (Ofen) zur Veränderung seiner Leistung, sodass die Regelabweichung vermindert wird. Die Stellwirkung besteht solange fort, bis Istwert und Sollwert übereinstimmen. Eine äußere Einwirkung, die eine Abweichung des Istwertes vom Sollwert verursacht, bezeichnet man als Störgröße (z. B. Wärmeverlust des Zimmers). Das Regelsystem sorgt dann durch eine der Störung entgegenwirkende Änderung des Stellgliedes für die Korrektur des Istwertes. Eine solche Rückwirkung wird negative Rückkopplung (Negative Feedback) genannt. Der Vergleich von Ist- und Sollwert innerhalb des Reglers stellt eine Rechenoperation dar, deren Ergebnis von der Verstärkung der Regeleinrichtung abhängig ist. In ⊡ Abb. 3.1 ist die Möglichkeit einer variablen Verstär-
27 3.2 · Physiologische Regelkreise
3
kung angedeutet. Die Regelverstärkung bestimmt die Empfindlichkeit, mit welcher der Regler auf Regelabweichungen reagiert.
Physiologische Regelkreise
3.2
Die Regelprozesse im menschlichen Organismus lassen sich im Prinzip durch das gleiche Regelkreisschema beschreiben, das in der Technik angewandt wird. Die Charakteristika der einzelnen Glieder physiologischer Regelkreise sind in ⊡ Abb. 3.2 zusammengefasst.
3.2.1
Regelgrößen und Sensoren
Merke
Regelgrößen, die durch einen negativen Rückkopplungsprozess im Körper konstant gehalten werden, können sowohl chemische als auch physikalische Parameter sein.
Als Beispiele für die ersteren seien genannt: die osmotische Gesamtkonzentration, die Na+- und die Glukose-Konzentration im extrazellulären Flüssig-
⊡ Abb. 3.2. Allgemeines Schema für biologische Regelkreise. Die möglichen Regelgrößen, Stellgrößen und Stellglieder sind zusammengefasst
28
I
Kapitel 3 · Regelprozesse
keitsraum, der pH-Wert und die Atemgaspartialdrücke im arteriellen Blut sowie die basale Stoffwechselgröße (Basisumsatz) in den Körperzellen. Zu den geregelten physikalischen Parametern gehören u. a.: die Körpertemperatur, der arterielle Blutdruck, das Blutvolumen und der Tonus (Spannungszustand) der Muskulatur. Jede dieser Regelgrößen wird von spezifischen Sensoren (»physiologischen Rezeptoren«), die den Fühlern des technischen Regelsystems entsprechen, fortlaufend kontrolliert. Es handelt sich dabei um Zellen oder Zellmembranbereiche, die für die Aufnahme von Reizen und ihre »Übersetzung« in nervale Erregungen spezialisiert sind. Die Sensoren sind im Körper jeweils dort lokalisiert, wo sich Veränderungen der betreffenden Regelgröße besonders stark auswirken. So finden sich beispielsweise die Blutdrucksensoren (Pressosensoren) an bestimmten Orten des arteriellen Gefäßsystems, während das Blutvolumen von Sensoren im venösen Gefäßsystem, dem Kreislaufabschnitt mit der größten Volumenkapazität, kontrolliert wird.
3.2.2
Regelzentren
Jedes der genannten Regelsysteme besitzt ein eigenes Regelzentrum (Regler), das auf Grund der ständig einlaufenden Informationen eventuelle Regelabweichungen registriert und die notwendigen Korrekturen veranlasst. Die Regelzentren sind hauptsächlich im Zentralnervensystem (ZNS) und hier insbesondere im Hirnstamm und im Hypothalamus lokalisiert. Es kommen aber auch Regelzentren in anderen Organen vor. So wird beispielsweise die Na+-Konzentration u. a. von bestimmten Zellen in den Nieren und in der Nebennierenrinde reguliert ( s. Kap. 15.4.3).
3.2.3
Stellgrößen und Stellglieder
Die Steuerbefehle, die von den Regelzentren ausgehen, werden über zwei verschiedene Stellgrößensysteme, über das nervale und das hormonale System, an die Peripherie übermittelt. Als Stellglieder, die auf Grund solcher Befehle ihre Aktivität verändern und damit die jeweilige Regelgröße auf den Sollwert zurückführen, können
29 3.2 · Physiologische Regelkreise
3
ganz verschiedenartige Funktionseinheiten wirken. Im Wesentlichen lassen sich dabei vier Arten von Stellgliedern unterscheiden: Regelgrößen können beeinflusst werden durch Änderung der ▬ Muskelaktivität (z. B. Zunahme der Herztätigkeit bei Blutdruckabfall oder Aktivitätssteigerung der Atmungsmuskulatur bei Abfall des arteriellen pH-Werts), ▬ Sekretionsaktivität (z. B. Schweißsekretion bei Anstieg der Körpertemperatur), ▬ Membranpermeabilität (z. B. Zunahme der Membranpermeabilität für Glukose bei Insulinfreisetzung durch Blutzuckeranstieg oder Veränderung der Membranpermeabilität in bestimmten Abschnitten des Harn bildenden Systems bei der Regulation des Wasserhaushalts), ▬ Stoffwechselaktivität (Veränderung der enzymatisch gesteuerten Stoffwechselabläufe für Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette durch hormonale Beeinflussung). Die hier unter systematischen Aspekten zusammengefassten Regelprozesse lassen sich in ihrem genauen Funktionsablauf und in ihrer vollen Bedeutung erst dann verstehen, wenn die physiologischen Grundlagen hierfür bekannt sind. Daher muss an dieser Stelle auf die Ausführungen in den folgenden Kapiteln verwiesen werden, wobei das dargestellte Regelkreisschema als Orientierungshilfe dienen kann.
II
Blut und Abwehr
Kapitel 4
Blut und Abwehrfunktionen
– 31
31 4.1 · Blutvolumen und Hämatokrit
4
4
Blut und Abwehrfunktionen
Blut stellt aus funktioneller Sicht ein »flüssiges Körpergewebe« dar. Es besteht aus Zellen, die in einer elektrolyt- und eiweißhaltigen Lösung, dem Plasma, suspendiert sind. Das Blut, dessen Zusammensetzung und Volumen normalerweise nur geringen Schwankungen unterliegen, dient vor allem als Transportmittel innerhalb des Organismus. Daneben ist es an der Aufrechterhaltung eines konstanten inneren Milieus (Homöostase) und an der Abwehr eingedrungener Fremdstoffe und Krankheitserreger beteiligt.
4.1
Blutvolumen und Hämatokrit
4.1.1
Blutvolumen
Merke
Die Gesamtblutmenge des Menschen beträgt etwa 7–8 % seines Körpergewichts. Für den Erwachsenen entspricht das einem Blutvolumen von 4–6 l (Normovolämie).
Das Blutvolumen kann auch beim Gesunden unter besonderen Bedingungen, z. B. nach längerdauerndem starken Schwitzen oder Wasserentzug, erniedrigt sein (Hypovolämie). Dagegen findet man bei Säuglingen, Schwangeren, ausdauertrainierten Hochleistungssportlern und bei Menschen, die im Hochgebirge leben, eine Zunahme des relativen, auf das Körpergewicht bezogenen Blutvolumens (Hypervolämie). Ein akuter Blutverlust, der durch eine innere oder äußere Blutung eintreten kann, führt infolge unzureichender Füllung der Gefäße u. U. zu einem kritischen Blutdruckabfall im arteriellen Gefäßsystem. Bei einem gesunden Erwachsenen bewirkt ein Verlust von 10–15 % des Blutvolumens noch keine wesentliche Funktionsstörung im Herz-Kreislauf-System; bei einem akuten Blutverlust von mehr als 30 % treten dagegen erste Symptome eines Volumenmangelschocks ( Kap. 6.8.2) auf. Ein plötzlicher Verlust von mehr als 50 % der Gesamtblutmenge ist ohne therapeutische Maßnahmen lebensbedrohlich.
32
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Nach kleineren Blut- bzw. Plasmaverlusten stellt sich die normale Blutmenge innerhalb von zwei Tagen dadurch wieder ein, dass interstitielle Gewebeflüssigkeit in Kapillaren und Venolen einströmt und die Na+- und Wasserrückresorption in der Niere ( Kap. 13.3) gesteigert wird. Die Plasmaproteine werden innerhalb von 3–5 Tagen ersetzt. Die Blutzellen regenerieren sich weitaus langsamer; nach stärkeren Blutverlusten ist der Ersatz der Blutzellen erst nach einem Monat abgeschlossen. Bestimmung des Blutvolumens. Das Volumen des zirkulierenden Blutes kann auf indirektem Wege mit Hilfe des Indikatorverdünnungsverfahrens bestimmt werden. Hierbei injiziert man eine bestimmte Menge eines Indikators in die Blutbahn. Geeignet sind Stoffe, die auf Grund ihrer Molekülgröße oder der Bindung an Plasmaeiweiß während der Messperiode nur schwer die Blutbahn verlassen oder in die Blutzellen eindringen können (z. B. 131I-Albumin bzw. die Farbstoffe Cardiogreen oder Evans Blue). Nach vollständiger Verteilung des Indikators im Plasmaraum entnimmt man eine Blutprobe zur Bestimmung der Indikatorkonzentration. Bezeichnen C1 die Konzentration und V1 das Volumen der Indikatorlösung vor der Injektion sowie C2 die Konzentration nach der Verdünnung und VPL das zirkulierende Plasmavolumen, so ergibt die Massenbilanz folgende Beziehung: C1 · V1 = C2 · VPL
(4.1)
Daraus lässt sich VPL und mit Hilfe des Hämatokritwertes (s. unten) auch das gesuchte Gesamtblutvolumen ermitteln. Entsprechend lässt sich das Blutvolumen auch aus dem Erythrozytenvolumen unter Verwendung von 51Cr-markierten Erythrozyten bestimmen.
4.1.2
Hämatokrit
Merke
Der Volumenanteil der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) am Gesamtblutvolumen wird als Hämatokritwert (Hkt) bezeichnet. Im Kubitalvenenblut beträgt er im Mittel beim Mann 0,46 und bei der Frau 0,42, d. h. die Erythrozyten nehmen knapp die Hälfte des Blutvolumens ein.
Eine Erhöhung dieses Wertes findet man normalerweise bei der Höhenanpassung und bei Neugeborenen; Kleinkinder weisen dagegen häufig einen erniedrigten Hämatokrit auf. Der Hämatokrit kann dazu dienen, um aus dem gemessenen Plasmavolumen VPL das Blutvolumen VB über die Beziehung VB = VPL/(1 – Hkt) zu bestimmen.
(4.2)
33 4.2 · Blutplasma
4
Hämatokritbestimmung. Zur Bestimmung des Hämatokritwertes wird eine ungerinnbar gemachte Blutprobe in einer Glaskapillare zentrifugiert. Nach Beendigung der Zentrifugation haben sich die spezifisch schwereren Erythrozyten unter dem Blutplasma abgesetzt, sodass ihr relativer Volumenanteil mit Hilfe einer Skala abgelesen werden kann. Automatische Analysegeräte ermitteln den Hämatokritwert rechnerisch aus dem mittleren Erythrozytenvolumen (MCV) und der Erythrozytenkonzentration ( Kap. 4.3.1).
Blutplasma
4.2
Merke
Blutplasma, der extrazelluläre Anteil des Blutes, ist eine klare, gelbe Flüssigkeit. Es enthält pro Liter etwa 0,9 l Wasser, 9 g Elektrolyte, 72 g Proteine und 20 g niedermolekulare organische Substanzen.
Die Flüssigkeit, die sich nach einer Blutgerinnung ( Kap. 4.9.3) von den Blutzellen und dem als Gerinnungsprodukt entstandenen Fibrinnetz absetzt, wird als Blutserum bezeichnet. Serum unterscheidet sich vom Plasma durch das Fehlen von Fibrinogen und anderen Gerinnungsfaktoren, die bei der Gerinnung verbraucht werden.
4.2.1
Plasmaelektrolyte und Osmolalität
Milieufunktion des Blutplasmas Die Konstanz des »inneren Milieus« d. h. der physikalischen und chemischen Bedingungen im extrazellulären Flüssigkeitsraum, ist eine Grundvoraussetzung für die normale Funktion der Körperzellen. Dabei kommt dem Blutplasma als dem Bindeglied zwischen den am Stoffaustausch beteiligten Organen und dem interstitiellen Raum (Zwischenzellraum) eine entscheidende Bedeutung zu ( Kap. 6.3.2). Bei der Zirkulation wird das Blutplasma in seiner Zusammensetzung ständig kontrolliert und – wenn notwendig – korrigiert. Wie in Kap. 14 näher ausgeführt wird, sorgen mehrere Regelprozesse insbesondere für die Konstanz des osmotischen Drucks (Isotonie), der ionalen Zusammensetzung (Isoionie) und des pH-Werts (Isohydrie). Mit dem Plasma steht die interstitielle Flüssigkeit, welche die Umwelt für die Masse der Körper-
34
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
zellen bildet, in enger Verbindung. Über die große Oberfläche des Endothels der Kapillaren und Venolen können Wasser und Elektrolyte leicht ausgetauscht werden, sodass sich auch die Zusammensetzung der interstitiellen Flüssigkeit trotz variierender Stoffaufnahme und -abgabe durch die Zellen wenig ändert. Versuche mit schwerem Wasser (D2O) haben gezeigt, dass die Plasmaflüssigkeit innerhalb einer Minute etwa 20 mal gegen interstitielle Flüssigkeit ausgetauscht wird. Daher ist die konstante Zusammensetzung des Blutplasmas eine wichtige Voraussetzung für die Homöostase des gesamten Organismus.
Konzentration der Plasmaelektrolyte, Osmolalität Eine Übersicht über die wichtigsten im Plasma enthaltenen Elektrolyte und deren Konzentrationen gibt ⊡ Tabelle 14.4. Im Blutplasma entfällt der größte Konzentrationsanteil in der Kationengruppe auf Na+, in der Anionengruppe auf Cl–. Danach liefern Bikarbonat (Hydrogenkarbonat) und Proteinate die nächst größeren Beiträge zur Gesamtkonzentration. Die im Plasmawasser gelösten Elektrolyte üben einen osmotischen Druck von etwa 7,4 atm (747 kPa) aus. Demnach sind dem Blutplasma Lösungen mit einer Osmolalität von etwa 290 mosmol/kg Lösungsmittel isoton. Lösungen mit höherem osmotischen Druck werden als hyperton, solche mit niedrigerem Druck als hypoton bezeichnet. Die nichtionisierten Substanzen im Plasma tragen nur zu etwa 4 % zur Gesamt-Osmolalität bei.
4.2.2
Plasmaproteine
Merke
Das Blutplasma enthält ein Gemisch von etwa 100 unterschiedlichen Proteinen, die vor allem in der Leber synthetisiert werden. Ihre Gesamtkonzentration liegt normalerweise im Bereich zwischen 66 und 82 g/l; die molare Konzentration beträgt etwa 1,5 mmol/l.
Fraktionierung der Plasmaproteine. Für analytische Zwecke kommt der Träger-Elektrophorese die größte Bedeutung zu. Hierbei erfolgt die Trennung der Serum- bzw. Plasmaproteine auf Grund ihrer unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeit im elektrischen Gleichspannungsfeld. Die Proteine wandern bei einem schwach alkalischen pH-Wert zur Anode, und zwar umso schneller, je größer ihre negative Ladung ist. Außerdem haben die jeweiligen Molekülgrößen und -formen einen Einfluss auf die Wanderungsgeschwindigkeit. Nach der elektrophoretischen Trennung lassen sich fünf Hauptfraktionen unterscheiden, die Albumine sowie die α1-, α2-, β- und γ-Globuline.
4
35 4.2 · Blutplasma
Eine noch weitergehende Auftrennung der Serum- bzw. Plasmaproteine gelingt mit der Immunelektrophorese, bei der physikochemische und immunologische Methoden kombiniert werden. Mit Hilfe dieser Methode oder anderer Trennverfahren ist eine noch weitergehende Auftrennung der Hauptfraktionen möglich.
Allgemeine Funktionen der Plasmaproteine Der Hauptanteil der Plasmaproteine entfällt auf das Albumin mit etwa 43 g/l, während die Globuline in einer Gesamtkonzentration von etwa 30 g/l im Plasma vorliegen (⊡ Tabelle 4.1). Die Fibrinogenkonzentration beträgt etwa 3 g/l. Die Eiweiße des Plasmas erfüllen eine Reihe wichtiger Aufgaben für den Gesamtorganismus, die folgendermaßen charakterisiert werden können: ▬ Unspezifische Trägerfunktion: Plasmaproteine binden unspezifisch eine Reihe niedermolekularer Substanzen (s. unten) sowie einen bestimmten Anteil der Kationen, die dadurch nicht am freien Austausch zwischen dem Plasma und der interstitiellen Flüssigkeit teilnehmen können. So sind beispielsweise 47 % der Ca2+-Ionen unspezifisch vor allem an Albumin gebunden, während 53 % in diffusibler Form vorliegen. Diese Kalziumbindung an Proteine ist pH-abhängig. ⊡ Tabelle 4.1. Proteinfraktionen des Serums Elektrophoretisch trennbare Hauptfraktionen
Immunelektrophoretisch differenzierbare Unterfraktionen (Auswahl)
Albumin
Prä-Albumin Albumin
⎫ ⎬ ⎭
43
6,1 6,9
α1-Globulin
α1-Lipoprotein (HDL) α1-Antitrypsin Transkortin
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
3
20 5,4 5,1
α2-Makroglobulin α2-Haptoglobin Zöruloplasmin α2-Glykoprotein
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
7
82 10 16 4,9
β-Lipoprotein (LDL) Transferrin Hämopexin
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
9
320 9 8
IgG IgA IgM IgD IgE
⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭
11
15 16 90 17 19
α2-Globulin
β-Globulin
γ-Globulin
Mittlere Konzentration (g/l)
Molekularmasse (×104 Da)
36
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
▬ Vehikelfunktion: Viele kleinmolekulare, hydrophobe Stoffe (z. B. Hormone, Lipide) werden beim Transport im Blut spezifisch an Plasmaproteine gebunden. ▬ Erzeugung des kolloidosmotischen Drucks: Da dichte Endothelien für Eiweißmoleküle nur gering durchlässig sind, üben die kolloidal gelösten Proteine im Bereich der Kapillaren und Venolen einen osmotischen Druck aus. Obwohl dieser sog. kolloidosmotische (onkotische) Druck wegen der geringen molaren Konzentration der Eiweiße nur einen kleinen Wert (von 20–25 mm Hg) hat, kommt ihm für die Wasserverteilung zwischen dem intravasalen und interstitiellen Raum eine entscheidende Bedeutung zu ( Kap. 6.3.2). ▬ Pufferfunktion: Alle Plasmaproteine leisten einen Beitrag zu den Pufferungsvorgängen und damit zur Aufrechterhaltung eines konstanten pH-Werts im Blut. ▬ Blutgerinnung: Zu den Plasmaproteinen gehören die meisten Gerinnungsfaktoren. ▬ Abwehrfunktionen ( Kap. 4.7). ▬ Nährstofffunktion: Im Plasma des Erwachsenen sind etwa 200 g Protein kolloidal gelöst. Diese Menge stellt eine Proteinreserve dar, die bei Bedarf – nach Endozytose durch Makrophagen und anschließender hydrolytischer Spaltung in Aminosäuren – sehr schnell verfügbar ist.
Eigenschaften und spezielle Funktionen des Albumins Albumin, das eine elliptische Molekülform besitzt, gehört zu den kleinsten Plasmaproteinen. Wegen ihrer kleinen Molekularmasse und ihrer relativ großen Konzentration tragen die Albuminmoleküle etwa 80 % zum kolloidosmotischen Druck bei. Außerdem erfüllen sie durch die temporäre Bindung von niedermolekularen Substanzen (freie Fettsäuren, Bilirubin, zweiwertige Kationen, Vitamin C, Steroid- und Schilddrüsenhormone, Arzneimittel u. a.) eine Reihe von unspezifischen Transportaufgaben. Auf Grund seiner relativ hohen Konzentration im Plasma dient Albumin auch als wichtigste Eiweißreserve des Organismus.
Eigenschaften und spezielle Funktionen der Globuline (⊡ Tabelle 4.1) In der Gruppe der α1-Globuline steht α1-Lipoprotein (HDL), das in erster Linie dem Phospholipid-Transport dient, mengenmäßig im Vordergrund.
37 4.2 · Blutplasma
4
α1-Antitrypsin besitzt eine besondere Bedeutung als Proteasenhemmstoff. Das saure α1-Glykoprotein ist ein relativ niedermolekulares Akute-PhaseProtein mit einem hohen Kohlenhydratanteil von etwa 40 %. Ebenfalls zur Gruppe der α1-Globuline gehören Transkortin, das den Transport des Hormons Kortisol vermittelt, und der Gerinnungsfaktor Prothrombin. In der Gruppe der α2-Globuline finden sich das α2-Makroglobulin, ein hochmolekulares Protein mit einer Proteasenhemmfunktion, und das α2-Haptoglobin, das die charakteristische Fähigkeit besitzt, nach eingetretener Hämolyse freies Hämoglobin zu binden. Ferner enthält diese Gruppe das α2-Glykoprotein sowie das Zöruloplasmin, dessen hoher Kupfergehalt für seine Oxidaseeigenschaft verantwortlich ist. Zur Gruppe der β-Globuline gehören wichtige Trägerproteine: Dem Transport von Cholesterol dient das β-Lipoprotein (LDL). Transferrin transportiert Fe3+-Ionen vom Absorptionsort (Darmschleimhaut) zu den Speicherorganen (Leber und Milz) sowie zum roten Knochenmark, wo Eisen für die Hämsynthese benötigt wird. Das Hämopexin ist ein Glykoprotein, das freies Häm binden kann. In dieser Fraktion finden sich auch mehrere Komponenten des Komplementsystems ( Kap. 4.7.1), das Transkobalamin für den Vitamin B12-Transport und das C-reaktive Protein. Die γ-Globuline, die bei der Elektrophorese am langsamsten wandern, sind Glykoproteine. Da die γ-Globuline der Schutz- und Abwehrfunktion dienen ( Kap. 4.7.3), werden sie auch als Immunglobuline (Ig) bezeichnet. Immunelektrophoretisch lassen sich neben drei großen Gruppen (IgG, IgA und IgM) noch zwei weitere Gruppen von Immunglobulinen (IgD und IgE) in geringer Konzentration nachweisen.
Eigenschaften und Funktion des Fibrinogens Bei der Elektrophorese des Plasmas (von nicht geronnenem Blut) wandert Fibrinogen mit der β-Globulinfraktion. Es wird in der Leber gebildet und stellt die gelöste Vorstufe des bei der Blutgerinnung ausfallenden Fibrins dar.
4.2.3
Weitere Plasmabestandteile
Außer den bisher genannten Bestandteilen finden sich im Blutplasma noch weitere Stoffe, die innerhalb ihrer physiologischen Konzentrationsbereiche
38
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
⊡ Tabelle 4.2. Konzentrationen wichtiger organischer Bestandteile des menschlichen Plasmas (Referenzbereiche)
II
g/l
mmol/l
Glukose
0,6–1,0
3,3–5,6
Milchsäure
0,09–0,16
1,0–1,8
Brenztraubensäure
0,005–0,017
0,057–0,192
Harnpflichtige Substanzen Harnstoff Harnsäure Harnsäure Kreatinin
0,1–0,5 0,036–0,082 0,023–0,061 0,005–0,011
1,8–9,1 0,21–0,49 0,14–0,36 0,04–0,10
Gesamt-Cholesterol HDL-Cholesterol LDL-Cholesterol
<2,4* >0,55 <1,5
<6,2* >1,45 <3,9
Triazylglyzerole (Triglyzeride)
<2,0
<2,3
Freie Fettsäuren
0,08–0,12
0,25–1,0
Bilirubin
<0,01
<0,02
* altersabhängig
keinen wesentlichen Einfluss auf die physikochemischen Eigenschaften des Plasmas ausüben und daher manchmal auch als transportierte Plasmabestandteile bezeichnet werden. Hierzu gehören: ▬ Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente (»Mikronährstoffe«), ▬ Produkte des Intermediärstoffwechsels (Milchsäure, Brenztraubensäure u. a.), ▬ stickstoffhaltige Ausscheidungsprodukte des Protein- und Purinstoffwechsels (Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin u. a.), die gemeinsam mit den Aminosäuren unter der Bezeichnung Rest-N-Substanzen zusammengefasst werden, ▬ Hormone und Enzyme. Die Konzentrationen einiger wichtiger Plasmabestandteile sind in ⊡ Tabelle 4.2 angegeben.
39 4.3 · Erythrozyten
4
Erythrozyten
4.3
Die Hauptmasse der zellulären Blutbestandteile bilden die Erythrozyten, deren Funktionen (O2-Transport, Mitwirkung bei CO2-Transport und bei der Regulation des pH-Wertes) überwiegend an den intraerythrozytären roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) gebunden sind.
4.3.1
Zahl und Morphologie der Erythrozyten
Erythrozytenkonzentration Merke
Bei Männern finden sich im Mittel 5,1 Mio. Erythrozyten in 1 µl Blut (5,1 ⋅ 1012/l) mit dem Referenzbereich 4,5–6,0 ⋅ 1012/l. Bei Frauen ist die Erythrozytenkonzentration geringer und beträgt im Mittel 4,6 Mio. pro µl Blut (4,6 ⋅ 1012/l) mit dem Referenzbereich 4,1–5,2 ⋅ 1012/l. Eine Zunahme der Erythrozytenkonzentration über den jeweils oberen Wert des Normbereichs hinaus wird als Polyglobulie (bei intakter Erythropoiese) oder Polyzythämie (bei gestörter Erythropoiese) bezeichnet (⊡ Tabelle 4.3).
Für die traditionelle Bestimmung der Erythrozytenkonzentration wird Blut in eine Spezialpipette aufgenommen und durch Zusatz einer isotonen Elektrolytlösung (HAYEM-Lösung) im Verhältnis 1 : 200 oder 1 : 100 verdünnt. Nachdem man die so gewonnene Erythrozytensuspension in eine Zählkammer mit vorgegebener Flächeneinteilung und Kammerhöhe (Volumen unter einem kleinen Quadrat: 1/4000 µl = 0,25 nl) eingebracht hat, erfolgt die Auszählung der Erythrozyten unter dem Mikroskop. In der Regel werden die Zellen in 80 kleinen Quadraten gezählt, sodass (bei einer Verdünnung von 1 : 200) das Ergebnis mit 200 ⋅ 4000/80 = 104 zu multiplizieren ist, um die Erythrozytenzahl pro µl Blut zu erhalten. Zeit sparender ist die heute bevorzugte Messung mit Hilfe automatischer Zählgeräte. Sie arbeiten entweder nach dem Prinzip der optischen Trübungsmessung (Streulichtmethode) oder zählen die einzelnen Zellen der Suspension während deren Passage durch eine enge Öffnung mittels Messung der auftretenden elektrischen Leitfähigkeitsänderungen (Impedanzmethode).
Form und Größe der Erythrozyten Im nichtströmenden Blut haben die kernlosen Erythrozyten die Form von runden, beiderseits in der Mitte eingedellten Scheiben. Ihr mittlerer Durchmesser beträgt 7,5 µm, ihre Randdicke etwa 2 µm und ihre zentrale Dicke ca. 1 µm. Die gesamte Oberfläche der Erythrozyten eines erwachsenen
40
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
⊡ Tabelle 4.3. Normwerte für den Blutstatus und Kennzeichnung der Funktionszustände bei Unteroder Überschreiten des Referenzbereichs
II
Größe
Bezeichnung (Einheit)
Hämatokritwert
Mittelwert
Referenzbereich
Kennzeichnung der Abnahme
Zunahme
Hkt
0,46 0,42
0,42–0,50 0,36–0,45
Hämodilution
Hämokonzentration
Erythrozytenkonzentration
ZE (106/µl)
5,1 4,6
4,5–6,0 4,1–5,2
Oligozythämie
Polyglobulie, Polyzythämie
Hämoglobinkonzentration
cHb (g/l)
158 140
140–175 123–153
Anämie
Erythrozytenvolumen MCV = Hkt/ZE
MCV (fl)
92
80–96
Mikrozytose
Makrozytose
Hb-Konzentration im Erythrozyten MCHC = cHb/Hkt
MCHC (g/l)
335
330–360
Hb-Masse/Ery. MCH = cHb/ZE
MCH (pg)
31
28–33
hypochrom
hyperchrom
Leukozytenkonzentration
ZL (103/µl)
7
4–10
Leukopenie
Leukozytose
Thrombozytenkonzentration
ZT (103/µl)
250
140–400
Thrombozytopenie
Thrombozytose
Menschen wird auf 3800 m2 geschätzt. Die Gestalt der Erythrozyten (großes Oberflächen-Volumen-Verhältnis) stellt eine günstige Voraussetzung für die Verformung bei der Kapillarpassage dar. Merke
Das mittlere Zellvolumen (MCV), das sich durch Division des Hämatokritwerts (Hkt) durch die Erythrozytenkonzentration (ZE) ergibt, beträgt etwa 92 fl (92 ⋅ 10–15 l).
Für die Diagnostik von Blutkrankheiten stellen Größen- und Formänderungen der Erythrozyten ein wichtiges Kriterium dar. Die Größenveränderungen lassen sich am besten beurteilen, wenn man die Häufigkeitsverteilung der
41 4.3 · Erythrozyten
4
⊡ Abb. 4.1. PRICE-JONES-Kurven. Häufigkeitsverteilungen der Erythrozytendurchmesser für den Gesunden (Normozytose), beim Vorliegen einer Mikro- bzw. Makrozytose sowie einer Anisozytose
ausgemessenen Erythrozytendurchmesser eines Blutausstrichs graphisch darstellt (Price-Jones-Kurve, ⊡ Abb. 4.1). Treten im Blut gehäuft Erythrozyten mit großen Durchmessern auf (Makrozytose), wie dies beispielsweise bei der perniziösen Anämie der Fall ist, so findet man eine nach rechts verlagerte Price-Jones-Kurve. Überwiegen dagegen kleine Erythrozyten (Mikrozytose), so ist die Price-Jones-Kurve nach links verschoben. Bei starker Variation der Erythrozytengröße ergibt sich eine gegenüber der Norm verbreiterte und abgeflachte Price-Jones-Kurve; in diesem Fall spricht man von einer Anisozytose. Als Poikilozytose bezeichnet man eine pathologische Blutveränderung, bei der gehäuft unregelmäßig geformte Erythrozyten vorkommen (z. B. Sichelzellen, Sphärozyten). Erythrozytenmembran. Wie jede Zelle besitzt der Erythrozyt eine 10 nm dicke Membran aus einer fließfähigen Lipiddoppelschicht, in die mosaikartig integrale Proteine eingelagert sind. An der Innenseite der Zellmembran findet sich ein Gitternetz aus verdrillten Proteinfäden (Spektrin). Letztere sind untereinander durch Aktin und mit der Membran durch sog. Ankerproteine (z. B. Ankyrin) fest mit integralen Membranproteinen (z. B. Glykophorin, HCO3– /Cl–-Austauscher) verbunden. Diese Vernetzung der Zellmembran mit dem Zytoskelett ist entscheidend für die Ruheform und die gute Verformbarkeit der Erythrozyten im strömenden Blut.
II
42
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.3.2
Osmotische Formänderungen und Hämolyse
Osmotische Hämolyse Auf Grund der hohen intraerythrozytären Eiweißkonzentration ist der kolloidosmotische Druck im Erythrozyten etwas höher als im Blutplasma. Dagegen wird die Ionenkonzentration etwas unter derjenigen des Plasmas gehalten. Dies geschieht durch aktiven Ionentransport, vor allem durch die Na+/K+-ATPase in der Erythrozytenmembran. Eine Hemmung des aktiven Ionentransports führt zum Konzentrationsausgleich der kleinen Ionen und wegen der höheren Eiweißkonzentration im Zellinneren zu einem starken osmotischen Überdruck. Wasser strömt in die Zelle, und der Erythrozyt schwillt an, bis die Membran für Hämoglobin durchlässig wird und später aufreißt. Dieser Übertritt von Hämoglobin in das Plasma wird als Hämolyse bezeichnet. Merke
Zu einem Wassereintritt in die Zelle kommt es auch, wenn der Erythrozyt in eine Lösung eingebracht wird, deren osmotischer Druck niedriger als der des Blutplasmas ist (hypotone Lösung). Führt der osmotisch bedingte Wassereinstrom nur zu einer mäßigen Volumenzunahme, so nimmt der Erythrozyt Kugelgestalt an (Sphärozyt). Bei einem größeren osmotischen Gefälle zwischen dem Inneren des Erythrozyten und seiner Umgebung tritt (osmotische) Hämolyse ein.
Auch isotone Lösungen können u. U. eine osmotische Hämolyse hervorrufen, wenn die darin gelösten Substanzen die Erythrozytenmembran leicht passieren. Werden beispielsweise Erythrozyten in einer isotonen Harnstofflösung suspendiert, so diffundieren die Harnstoffmoleküle rasch in das Innere der Zellen. Dadurch erhöht sich der intrazelluläre osmotische Druck, sodass ein Wassereinstrom die Folge ist. Umgekehrt kommt es bei einem erhöhten osmotischen Druck im Suspensionsmedium (hypertone Lösung) zu einem Wasserausstrom aus der Zelle, wobei der Erythrozyt unter Faltung der Membran Stechapfelform annimmt. Osmotische Resistenz. Die Widerstandsfähigkeit der Erythrozytenmembran kann durch schrittweise Verminderung des osmotischen Drucks im Suspensionsmedium geprüft werden. Verwendet man zur Prüfung NaCl-Lösungen, so werden bei normaler osmotischer Resistenz 50 % der Erythrozyten hämo-
43 4.3 · Erythrozyten
4
lysiert, wenn die NaCl-Konzentration auf 4,0–4,4 g/l, d. h. auf etwa die Hälfte der dem Plasma isotonen NaCl-Konzentration (9 g/l) gesenkt ist. Bei bestimmten Blutkrankheiten wird dieser Hämolysegrad bereits bei höheren NaCl-Konzentrationen erreicht.
Weitere Hämolyseursachen Neben der osmotischen Druckerhöhung im Erythrozyten können auch andere Mechanismen zur Zerstörung der Zellmembran und damit zur Hämolyse führen. Chemische Hämolyse kann durch organische Lösungsmittel (z. B. Chloroform oder Äther) oder durch Seifen sowie synthetische Waschmittel, die Lipide aus der Membran herauslösen, verursacht werden. Tierische oder bakterielle Gifte (z. B. Schlangen- bzw. Spinnengifte oder Gifte der hämolysierenden Streptokokken) bewirken eine toxische Hämolyse. Bei Transfusionszwischenfällen tritt vielfach eine serologische Hämolyse auf ( Kap. 4.8.3). Schließlich können auch mechanische und thermische Einwirkungen sowie genetische Defekte (z. B. Enzymdefekte, Membrandefekte, abnorme Hämoglobine) und Infektionskrankheiten (z. B. Malaria) eine Hämolyse auslösen.
4.3.3
Bildung, Lebensdauer und Abbau der Erythrozyten
Erythropoiese Merke
Die Erythrozyten werden nach der Geburt ausschließlich im roten Knochenmark gebildet, das beim Erwachsenen in den platten Knochen und in den Epiphysen der langen Röhrenknochen vorkommt. (Unter pathologischen Bedingungen können allerdings auch die fetalen Blutbildungsstätten in Leber und Milz wieder aktiviert werden.)
Die roten Blutkörperchen entstehen aus einem Pool pluripotenter Stammzellen, aus denen alle Blutzelltypen hervorgehen (⊡ Abb. 4.2). Zunächst entstehen aus den sich ständig selbst erneuernden pluripotenten Stammzellen determinierte Stammzellen, die sich auf einem definierten Entwicklungsweg in sog. Erythroid-determinierte Vorläuferzellen im Knochenmark umwandeln. Letztere sind Bestandteil des sog. Proliferationspools, der alle determinierten Vorläuferzellen (= CFU-Zellen, Colony forming Unit Cells) umfasst.
44
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.2. Vereinfachte Darstellung der Hämatopoiese mit regulierenden Wachstumsfaktoren (Auswahl). Die Pfeile bezeichnen die Differenzierungsrichtung. CFU = determinierte Stammzellen (Colony forming Units), IL = Interleukine, SCF = Stammzellfaktor, CSF = koloniestimulierender Faktor, GM = Granulozyten und Monozyten, G = Granulozyten, EPO = Erythropoietin, TPO = Thrombopoietin
Diese Entwicklung wird durch hämatopoietische Wachstumsfaktoren (IL-3, CSF, ⊡ Tabelle 4.5) stimuliert. Die Differenzierung und Proliferation der erythroiden Vorläuferzellen im »Reifungspool« des Knochenmarks in Proerythroblasten, Erythroblasten und Normoblasten dauert etwa 4–6 Tage und wird durch Erythropoietin gesteuert (⊡ Abb. 4.2). Mit der Ausstoßung des pyknotischen Zellkerns (Enukleation) aus den Normoblasten, ist die Erythropoiese abgeschlossen. Die in das strömende Blut eintretenden kernlosen Erythrozyten haben die Fähigkeit zur DNA- und
45 4.3 · Erythrozyten
4
RNA-Synthese und damit auch zur Zellteilung verloren. Der Zellstoffwechsel wird von oxidativem Abbau auf Glykolyse umgeschaltet. In einigen Erythrozyten (0,5–2 %) lassen sich in den ersten beiden Tagen ihres Aufenthaltes im Gefäßsystem noch netzartige Strukturen erkennen (Substantia granulo-reticulofilamentosa), die vermutlich Reste ausgefällter ribosomaler RNA und DNA enthalten. Diese unmittelbaren Vorstufen der reifen Erythrozyten werden Retikulozyten genannt. Jede Steigerung der Erythropoiese führt zu einer Zunahme der Retikulozytenzahl im strömenden Blut. Einen wirksamen Reiz für die Neubildung der Erythrozyten stellt der Sauerstoffmangel im Gewebe dar, der vor allem in der Niere die Produktion von Erythropoietin anregt. Dieses Hormon, ein Glykoprotein, gelangt auf dem Blutweg zum roten Knochenmark und stimuliert dort spezifisch die Erythropoiese.
Lebensdauer und Abbau Merke
Die ausgeschleusten Erythrozyten zirkulieren für die Dauer von 110–120 Tagen in der Blutbahn. Dann werden sie oder ihre Fragmente von den Zellen des Mononukleären Phagozytensystems (Retikuloendothelialen Systems) in Milz, Leber und Knochenmark phagozytiert.
Wie das Beispiel der Resorption eines Blutergusses zeigt, ist allerdings auch jedes andere Gewebe zum Blutkörperchenabbau befähigt. Rund 0,8 % aller Erythrozyten werden normalerweise in 24 Stunden abgebaut und durch neu gebildete ersetzt. Das bedeutet, dass beim Erwachsenen in jeder Minute eine Neubildung von 160 Mio. Erythrozyten stattfindet. Ursachen für das Altern der Erythrozyten sind die Abnahme von Enzymaktivitäten sowie Funktionsänderungen und Flexibilitätsverlust der Zellmembran. Solche gealterten Zellen werden, wenn sie im Mononukleären Phagozytensystem in engen Kontakt mit Makrophagen kommen, entweder in toto oder nach Fragmentierung phagozytiert. Von den Abbauprodukten des Hämoglobins gelangt Bilirubin auf dem Blutweg zur Leber und von dort über die Gallenwege und den Darm zur Ausscheidung, während die Proteinbestandteile und Eisen einer erneuten Verwertung zugeführt werden.
II
46
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.3.4
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit
Messung und diagnostische Bedeutung In einer nicht gerinnungsfähigen Blutprobe sinken die Blutzellen infolge ihrer höheren Dichte (1,10 kg/l) gegenüber dem Plasma (1,03 kg/l) langsam zu Boden. Dadurch trennen sich die korpuskulären Bestandteile vom Blutplasma. Bei der Bestimmung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG oder BKS) nach Westergren wird mit 3,8 %iger Natriumzitratlösung ungerinnbar gemachtes Venenblut in senkrecht stehende 200 mm lange Spezialpipetten aufgezogen und nach 1 und 2 Stunden die Höhe der erythrozytenfreien Plasmasäule (in mm) abgelesen. Merke
Normalerweise beträgt die BSG bei einem gesunden Mann in der ersten Stunde maximal 5 mm, bei einer gesunden Frau maximal 8 mm. Der 2-Stundenwert soll 15 mm bzw. 20 mm nicht überschreiten.
Eine Erhöhung der BSG über die genannten Normwerte ist meist als unspezifisches und unempfindliches Zeichen eines krankhaften Prozesses zu werten, wobei das Ausmaß der Erhöhung jedoch nicht immer mit der Schwere des Krankheitsbildes korreliert. In der Diagnostik wird die BSG-Bestimmung vor allem als Krankheitssuchtest und in bestimmten Fällen als Hilfsmittel bei der Verlaufsbeobachtung eingesetzt. Ursache für eine Erhöhung der BSG ist die reversible Zusammenballung von Erythrozyten zu sog. Agglomeraten, die eine höhere Sedimentationsgeschwindigkeit aufweisen als einzelne Erythrozyten. Die Agglomeration zu geldrollenartigen oder klumpigen Gebilden wird durch die Wechselwirkung von bestimmten Plasmaproteinen mit Strukturelementen der Erythrozytenmembran hervorgerufen. Senkungsbeeinflussende Faktoren. Plasmaproteine, die zu einer erhöhten Senkungsgeschwindigkeit der Erythrozyten führen, werden als Agglomerine bezeichnet. Vor allem die Zunahme der Konzentration von normal vorkommenden Akute-Phase-Proteinen, von Fibrinogen in einer Konzentration >10 g/l, von α2-Makroglobulin sowie von IgM und das Auftreten von pathologischen, senkungsaktiven Plasmaeiweißen (z. B. Paraproteinen) können eine BSG-Erhöhung verursachen. Die physiologische Bedeutung des vermehrten Auftretens der Agglomerine bei bestimmten Krankheitsprozessen (z. B. bei Entzündungen oder malignen, gewebedestruierenden Tumoren) beruht darauf, dass diese Eiweiße bei der Eindämmung von entzündlichen Gewebeuntergängen oder bei der
47 4.4 · Hämoglobin
4
Vorbereitung der Wundheilung mitwirken (Gerinnungsförderung durch Fibrinogen, Oxidase-Wirkung von Zöruloplasmin, Anregung der Kollagenbiosynthese durch Haptoglobin-Hämoglobin-Komplexe). Ein Anstieg der Plasmakonzentration von Albumin wirkt dagegen senkungsstabilisierend. Auch erythrozytäre Faktoren sind für die Höhe der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit von Bedeutung. Abweichungen von der bikonkaven Form (z. B. bei Sichelzellenanämie, bei perniziöser Anämie oder beim Vorliegen geschrumpfter Erythrozyten) erschweren eine Agglomeration ebenso wie Formveränderungen durch entzündungshemmende Pharmaka. Der Anteil der Erythrozyten am Blutvolumen hat ebenfalls einen Einfluss auf die Sedimentationsgeschwindigkeit: Eine Erhöhung des Hämatokritwerts bewirkt eine Verlangsamung der Senkung, ein niedriger Hämatokritwert eine Senkungsbeschleunigung.
Hämoglobin
4.4
Der bedeutsamste Funktionsbestandteil des Erythrozyten ist der rote Blutfarbstoff Hämoglobin. Er ist sowohl am Sauerstoff- und Kohlendioxidtransport als auch an der Pufferfunktion des Blutes maßgeblich beteiligt.
4.4.1
Aufbau und spektrale Eigenschaften des Hämoglobins
Aufbau des Hämoglobinmoleküls Merke
Hämoglobin (Hb) ist ein Chromoprotein. Das Molekül besteht aus vier Polypeptidketten mit je einer Farbstoffkomponente, dem Häm. Die Molekularmasse beträgt etwa 64 500 Da, sodass jeder der vier Grundeinheiten eine Molekularmasse von etwa 16 100 Da zukommt. Auf Grund der Tertiär- und Quartärstruktur hat das Hb-Molekül eine angenähert kugelförmige Gestalt, wobei die Häm-Gruppen in oberflächliche Nischen eingelagert sind (⊡ Abb. 4.3).
Die vier gleichartigen Farbstoffkomponenten eines Hämoglobinmoleküls enthalten ein Protoporphyringerüst mit komplex gebundenem Eisen als Zentralatom, das formal zweiwertig positiv geladen ist (⊡ Abb. 4.4). Jedes Protoporphyringerüst besteht aus vier Pyrrolringen, die über Methinbrücken miteinander verbunden sind und charakteristische Seitenketten tragen. Durch den Einbau des Eisens mit je zwei Haupt- und Nebenvalenzen wird das
48
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.3. Modell des Hämoglobinmoleküls, nach PERUTZ
Protoporphyrin zum Häm. Die gesamte Hämstruktur hat man sich in einer Ebene liegend vorzustellen. Auf die Eiweißkomponente entfällt der Hauptanteil des Hämoglobinmoleküls. Beim Hämoglobin des Erwachsenen (HbA) liegen zwei α-Polypeptid-Ketten (mit jeweils 141 Aminosäuren) und zwei β-Polypeptid-Ketten (mit jeweils 146 Aminosäuren) in symmetrischer Anordnung vor. Der rote Blutfarbstoff des Feten (HbF) unterscheidet sich in der Primärstruktur vom HbA dadurch, dass anstelle der β-Ketten so genannte γ-Ketten mit einer anderen Aminosäuren-Sequenz eingebaut sind.
Verbindungen des Hämoglobins Merke
An das zweiwertige Eisen der Hämgruppen kann molekularer Sauerstoff locker koordinativ angelagert werden. Das Hämoglobin (Hb) geht dabei in das Oxyhämoglobin (HbO2) über.
49 4.4 · Hämoglobin
4
⊡ Abb. 4.4. Struktur des Häm
Um anzudeuten, dass die O2-Anlagerung ohne Wertigkeitsänderung erfolgt, bezeichnet man diese Reaktion als Oxygenierung; entsprechend ist die O2-Abspaltung eine Desoxygenierung. Ähnlich wie molekularer Sauerstoff kann auch Kohlenmonoxid reversibel und ohne Wertigkeitsänderung an das Häm angelagert werden, wobei das Reaktionsprodukt Kohlenmonoxidhämoglobin (Carboxyhämoglobin, HbCO) entsteht. Da beim endogenen Abbau von Hämoglobin und anderer Hämoproteine CO gebildet wird, liegen immer 0,5–1 % des gesamten Hämoglobins als HbCO vor. Eine Oxidation, bei der das zweiwertige in dreiwertiges Eisen übergeht, führt zur Bildung von Methämoglobin (MetHb, Hämiglobin). Normalerweise liegen nur 0,5–1 % des gesamten Hämoglobins in oxidierter Form vor, da spontan gebildetes MetHb durch die NADH-abhängige Methämoglobinreduktase reduziert wird. Bei bestimmten Vergiftungen (z. B. mit Nitriten in Fleischkonservierungsmitteln) wird Hämoglobin in größerem Umfang in Hämiglobin umgewandelt, das dann für die reversible O2-Bindung und damit für den O2-Transport nicht mehr zur Verfügung steht.
Lichtabsorption des Hämoglobins Die rote Farbe des arteriellen Blutes ist dadurch bedingt, dass das Hämoglobin das kurzwellige Licht, d. h. den Blauanteil des Spektrums, relativ stärker absorbiert als den langwelligen Rotanteil (⊡ Abb. 4.5). Außerdem weist das
50
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.5. Absorptionsspektren des Oxyhämoglobins (HbO2) und des desoxygenierten Hämoglobins (Hb) im sichtbaren Spektralbereich
Absorptionsspektrum des Oxyhämoglobins (HbO2) zwei charakteristische Absorptionsmaxima im gelbgrünen Spektralgebiet bei λ = 577 nm und λ = 541 nm auf. Das desoxygenierte Hämoglobin (Hb) absorbiert Licht im langwelligen Spektralgebiet etwas stärker und im kurzwelligen Gebiet etwas schwächer als das Oxyhämoglobin. Daher erscheint das venöse Blut dunkler und bläulich-rot gefärbt. Bei der Spektralanalyse beobachtet man im gelbgrünen Gebiet ein einziges, breiteres Absorptionsmaximum bei λ = 555 nm. ⊡ Abbildung 4.5 zeigt die Absorptionsspektren des Oxyhämoglobins und des desoxygenierten Hämoglobins im sichtbaren Spektralgebiet. Auf der linken Ordinate ist die Lichtabsorption (I0-I)/I0 angegeben, wobei I0 die Intensität des in die Farbstofflösung eintretenden Lichtes und I die des austretenden Lichtes bedeuten. Es ist vielfach vorteilhaft, als Absorptionsmaß die (auf der rechten Ordinate angegebene) Extinktion E = log I0/I zu verwenden, weil diese Größe nach dem Lambert-Beer-Gesetz der Konzentration c des gelösten Farbstoffes direkt proportional ist: E = log I0/I = ε · c · d .
(4.3)
Hier bezeichnet d die Dicke der durchstrahlten Schicht und ε den wellenlängenabhängigen Extinktionskoeffizienten. Die unterschiedlichen spektra-
51 4.4 · Hämoglobin
4
len Eigenschaften von Hb und HbO2 werden zur Bestimmung der relativen O2-Beladung des Hämoglobins in vivo und in vitro sowie zur Identifizierung und quantitativen Bestimmung der Hämoglobinderivate ausgenutzt.
4.4.2
Hämoglobinkonzentration des Blutes und Erythrozyten-Kenngrößen
Hämoglobinkonzentration Merke
Die Hämoglobinkonzentration (cHb) des menschlichen Blutes beträgt im Mittel beim Mann 158 g/l und bei der Frau 140 g/l.
Wie fast alle biologischen Größen sind diese Werte nicht genau fixiert, sondern können auch beim Gesunden begrenzten Schwankungen unterliegen (⊡ Tabelle 4.3). Beim Neugeborenen findet man im Mittel einen Wert von 200 g/l, wobei im Einzelfall erhebliche Abweichungen hiervon vorkommen können. Im Laufe des ersten Lebensjahres fällt die Hämoglobinkonzentration auf etwa 115 g/l ab, um dann langsam auf den Wert des Erwachsenen anzusteigen. Um die mittlere korpuskuläre Hb-Konzentration (MCHC) zu erhalten, hat man jeweils den Wert der Hämoglobinkonzentration durch den Hämatokritwert zu dividieren (⊡ Tabelle 4.3). Dabei ergibt sich (geschlechtsunabhängig) für Männer und Frauen ein Mittelwert von 335 g/l. Ebenso wie beim Feten findet man eine relativ hohe Hämoglobinkonzentration im Blut von Personen, die sich längere Zeit in großen Höhen aufhalten. In beiden Fällen handelt es sich um eine sinnvolle Anpassung, durch die bei vermindertem O2-Angebot die Sauerstoffversorgung der Organe sichergestellt wird. Ein Absinken der Hämoglobinkonzentration im Blut unter den Referenzbereich, d. h. beim Mann unter 130 g/l und bei der Frau unter 120 g/l, wird als Anämie bezeichnet. Bestimmung der Hämoglobinkonzentration. In der Regel erfolgt die Bestimmung der Hämoglobinkonzentration auf spektralphotometrischem Wege. Da verdünntes Hb wenig beständig ist und zudem seine Extinktion mit der O2-Beladung ändert, ist zunächst die Umwandlung in eine farbstabile Verbindung erforderlich: Das in eine Kapillarpipette aufgenommene Blut wird mit einer Lösung verdünnt, die Kaliumferrizyanid, Kaliumzyanid und ein Detergens enthält. Dabei findet eine Hämolyse und eine
52
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Umwandlung des Hämoglobins in das stabile Zyanhämiglobin HbCN (mit dreiwertigem Eisen) statt. Photometrisch wird dann meist bei der Wellenlänge 546 nm die Extinktion bestimmt und daraus nach Kalibrierung mit einer Standardlösung die Konzentration ermittelt.
Mittlere zelluläre Hämoglobinmasse Für die Beurteilung der Blutbildung und die Differenzierung der Anämieformen stellt die mittlere zelluläre Hb-Masse (MCH) eine wichtige diagnostische Größe dar. Diese traditionell auch als Färbekoeffizient (HbE) bezeichnete Kenngröße wird dadurch ermittelt, dass man die Hämoglobinkonzentration durch die Erythrozytenzahl im gleichen Blutvolumen dividiert. Legt man die Normwerte für Männer bzw. Frauen zugrunde (⊡ Tabelle 4.3), 158 g/l : MCH = 07 = 31 · 10–12 g 5,1 · 1012 /l (4.4) 140 g/l : MCH = 07 = 31 · 10–12 g 4,6 · 1012 /l so ergibt sich in beiden Fällen ein MCH-Wert von 31 pg. Merke
Erythrozyten, bei denen die zelluläre Hämoglobinmasse im Referenzbereich liegt, werden als normochrom bezeichnet. Bei Erniedrigung des MCH-Werts spricht man von hypochromen, bei der Erhöhung von hyperchromen Erythrozyten.
Ist bei einem Eisenmangel die Hämoglobinbildung reduziert, so tritt in der Regel eine hypochrome Anämie auf, während eine durch Vitamin-B12-Mangel hervorgerufene Erythropoiesestörung zu einer hyperchromen Anämie führt.
53 4.5 · Leukozyten
4
Leukozyten
4.5
Merke
Die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) sind kernhaltige Zellen, die nach morphologischen und funktionellen Gesichtspunkten in Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten unterteilt werden. Sie erfüllen unterschiedliche Aufgaben im Dienste der Abwehrfunktionen des Organismus.
4.5.1
Leukozytenkonzentration und Differenzialblutbild
Leukozytenkonzentration Merke
Im Mittel sind 7800 Leukozyten in 1 µl Blut enthalten. In Abhängigkeit von der Tageszeit und dem Funktionszustand des Organismus variiert jedoch die Leukozytenkonzentration in weiten Grenzen (4000–10 000/µl).
Bei einer Reihe von Erkrankungen, insbesondere bei bakteriellen Infektionen, steigt die Zahl der Leukozyten oft weit über die obere Grenze des Referenzbereiches an. Ein solcher Funktionszustand wird als Leukozytose (> 10 000/µl) bezeichnet. Bei einem Absinken unter die untere Grenze des Referenzbereiches spricht man von einer Leukopenie (< 4000/µl). Bei diesen Angaben ist zu berücksichtigen, dass nur ein kleiner Anteil (ca. 5 %) der im Körper vorhandenen Leukozyten vorübergehend im Blut zirkuliert. Der überwiegende Teil dieser Zellen befindet sich im Knochenmark sowie in Geweben und Organen, in denen sie spezielle Aufgaben erfüllen. Die traditionelle Bestimmung der Leukozytenkonzentration erfolgt in ähnlicher Weise wie im Falle der Erythrozyten. Wegen der geringeren Zahl der Leukozyten ist jedoch nur eine Verdünnung der entnommenen Blutprobe im Verhältnis 1 : 10 erforderlich. Als Verdünnungsflüssigkeit verwendet man TÜRK-Lösung, die Essigsäure für die Hämolyse der Erythrozyten und Gentianaviolett für die Anfärbung der erhalten gebliebenen Leukozytenkerne enthält. Nach dem Einbringen in die Zählkammer werden die Zellkerne im gesamten Zählfeld, d. h. in einem Volumen von 1/10 µl, ausgezählt. Das Ergebnis ist in diesem Fall mit 10 ⋅ 10 = 100 zu multiplizieren, um die Leukozytenzahl pro µl Blut zu erhalten. Zeit sparender sind auch hier die heute bevorzugten Messungen mit Analyseautomaten, die entweder nach dem Prinzip der elektrischen Leitfähigkeitsänderungen oder über eine Streulichtmessung arbeiten.
54
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
⊡ Tabelle 4.4. Leukozyten-Differenzialblutbild bei Erwachsenen (Referenzbereiche)
II
Relativ % Granulozyten Neutrophile Segmentkernige Stabkernige Eosinophile Basophile Lymphozyten Monozyten
Anzahl/µl 2000–7700
55–70
1900–7000 100–700
50–66 3–6 2–4 <1
80–450 0–100
25–40
1000–4600
2–6
80–800
Differenzialblutbild Nach panoptischer Anfärbung (nach Pappenheim) lassen sich die Untergruppen der Leukozyten in einem Blutausstrich differenzieren, wobei die Form der Zellen und ihrer Kerne sowie die unterschiedliche Farbaufnahme der zytoplasmatischen Granula als Kriterien herangezogen werden. Man bestimmt dabei den relativen Anteil der einzelnen Zellarten für jeweils 100 Leukozyten oder ganzzahlige Vielfache hiervon. In ⊡ Tabelle 4.4 sind die Referenzbereiche für die absoluten und relativen Leukozytenzahlen des Leukozyten-Differenzialblutbildes des Erwachsenen angegeben.
4.5.2
Granulozyten
Die Granulozyten entstehen aus einer allen Blutzellen gemeinsamen pluripotenten Stammzelle, aus der unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren (u. a. IL-3, CSF, Tabelle 4.5) innerhalb eines Tages myeloisch determinierte Stammzellen und später granulopoietisch determinierte Vorläuferzellen (CFU-Zellen) entstehen (⊡ Abb. 4.2). Aus diesen gehen dann über verschiedene Differenzierungsstufen im Reifungspool nach etwa 10 Tagen die funktionstüchtigen neutrophilen, eosinophilen und basophilen Granulozyten hervor.
55 4.5 · Leukozyten
4
Merke
Die polymorphkernigen Granulozyten spielen eine wichtige Rolle bei der akuten Entzündungsreaktion und bei der Abwehr von Mikroorganismen. Ihre Hauptaufgabe ist die Phagozytose.
Neutrophile Granulozyten Die Neutrophilen sind 9–12 µm große Zellen mit feinen zytoplasmatischen Granula, die sich nur schwach anfärben lassen. Die sog. primären Granula (= Lysosomen) enthalten saure Hydrolasen und Lysozym (= Muraminidase), die sekundären Granula Lysozym und Laktoferrin. Die Neutrophilen zeigen eine ausgeprägte amöboide Beweglichkeit. Nach Adhäsion am Endothel verlassen sie Kapillaren und Venolen, indem sie durch die Wände hindurchtreten (Diapedese) und anschließend ins Bindegewebe wandern (Migration).
⊡ Abb. 4.6. Eikosanoid-Bildung. Metabolismus der Arachidonsäure und Bildung von Prostaglandinen, Prostazyklin und Thromboxanen auf dem Zyklooxygenaseweg sowie von Leukotrienen auf dem 5-Lipoxygenaseweg. Vorkommen und Wirkungen der Arachidonsäuremetaboliten (= Eikosanoide) sind jeweils exemplarisch angegeben
56
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Die Neutrophilen sind wichtige Funktionsträger bei der unspezifischen Abwehr ( Kap. 4.7.2), da sie Fremdmaterial, Gewebetrümmer und Krankheitserreger in großem Ausmaß phagozytieren können. Bei Aktivierung setzen diese Zellen Leukotriene, Prostaglandine (⊡ Abb. 4.6) und reaktive O2-Spezies frei, die an der Entzündungsreaktion beteiligt sind. Neutrophile Granulozyten haben einen Anteil von über 90 % an den im Blut zirkulierenden Granulozyten. Bald nach Eintritt in die Blutbahn verlassen die Zellen wieder das Blut (durchschnittliche Verweildauer etwa 8 Stunden) und gelangen zu ihrem »Einsatzort« im Gewebe, u. a. in die Schleimhäute des Atmungs-, Verdauungs- oder Urogenitaltraktes. Die Lebensdauer der Neutrophilen außerhalb des Knochenmarks beträgt nur 4–5 Tage.
Eosinophile Granulozyten Etwa 2–4 % der zirkulierenden Granulozyten sind Eosinophile. Sie sind etwas größer als die Neutrophilen (Durchmesser 10–15 µm) und enthalten im Zytoplasma relativ große Granula, die sich mit dem sauren Farbstoff Eosin intensiv rot anfärben. Die Eosinophilen sind ebenfalls amöboid beweglich. Sie können Antigen-Antikörper-Komplexe, artfremdes Eiweiß und Mikroorganismen phagozytieren und mittels der in den Granula enthaltenen proteolytischen Enzyme abbauen. Die Zahl der Eosinophilen im Blut verändert sich in einer ausgeprägten Tagesrhythmik: Am frühen Morgen liegt sie wesentlich niedriger, um Mitternacht deutlich höher als es dem 24-Stunden-Mittelwert entspricht. Die Abnahme der Eosinophilen am frühen Morgen steht im Zusammenhang mit dem Anstieg des Glukokortikoidspiegels im Blut. Umgekehrt führt eine Hemmung der Glukokortikoidausschüttung zu einem Anstieg der Eosinophilen. Eine Eosinophilie (Vermehrung der Eosinophilenzahl im Blut) wird besonders bei allergischen Reaktionen ( Kap. 4.7.5), bei Autoimmunerkrankungen ( Kap. 4.7.7), bei Parasitenbefall (Wurmlarven u. a.) sowie bei Scharlach beobachtet.
Basophile Granulozyten Die Basophilen sind die kleinsten (Durchmesser 8–11 µm) und seltensten Granulozyten im zirkulierenden Blut. Ihre groben Granula färben sich mit basischen Farbstoffen tief blauschwarz an. Sie sezernieren Heparin, Histamin und Proteasen. Über ihre Funktion ist wenig bekannt. Eine Vermehrung der Basophilen (Basophilie) tritt manchmal bei chronisch-myeloischer Leukämie, bei Parasitenbefall und bei Erkrankungen mit erhöhten Blutfettwerten auf. Die Mastzellen der Gewebe lassen sich häufig funktionell nicht von den Basophilen abgrenzen.
57 4.5 · Leukozyten
4.5.3
4
Lymphozyten
Die Lymphozyten stellen ebenfalls eine heterogene Zellpopulation dar. Neben kleinen Lymphozyten mit einem Durchmesser von 7–10 µm (B- und T-Lymphozyten) kommen im Blut seltener auch größere Zellen (Durchmesser: 11–16 µm) vor, die als Null-Zellen bzw. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) bezeichnet werden. Merke
Die Lymphozyten spielen eine zentrale Rolle bei den spezifischen Abwehrfunktionen des Organismus ( Kap. 4.7.3).
Bildung und Lebensdauer der Lymphozyten Auch die Lymphozyten stammen von den pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks ab. Während die anderen Zelltypen zum Wachstum und zur weiteren Differenzierung hier verbleiben, wandert – in Abweichung von der Regel – nach ersten determinierenden Reifungsschritten im Knochenmark ein Teil der Vorläuferzellen, die Vorläufer der T-Lymphozyten, in den Thymus zur weiteren Ausreifung ein. Nach der Ausreifung und Prägung im Knochenmark und Thymus (primäre lymphatische Organe) besiedeln die Lymphozyten die sekundären lymphatischen Organe (Milz, Tonsillen, Lymphknoten, Lymphfollikel). Weniger als 2 % aller gebildeten Lymphozyten zirkulieren in der Blutbahn, wo ihr Anteil an der Leukozytenkonzentration beim Erwachsenen 25–40 %, bei Säuglingen und Kleinkindern jedoch 50–70 % beträgt. Im Blut werden vorwiegend T-Lymphozyten gefunden. Nach der Lebensdauer lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: kurzlebige Lymphozyten mit einer Lebensdauer bis zu etwa 8 Tagen und langlebige Lymphozyten, die viele Jahre alt werden können.
4.5.4
Monozyten
Die Monozyten sind die größten Blutzellen (Durchmesser 12–20 µm). Ihr Zytoplasma enthält feinste Granula. Der Zellkern ist groß, häufig nierenförmig, manchmal gelappt und liegt oft etwas exzentrisch. Die Monozyten stammen wie die polymorphkernigen Granulozyten von myeloisch determinier-
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II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
ten Stammzellen ab und reifen im Knochenmark zu funktionsfähigen Zellen heran (⊡ Abb. 4.2). Letztere gelangen in den Blutkreislauf, wandern nach kurzer Zeit in die Gewebe aus und wandeln sich dort in Makrophagen um. Während der Differenzierungsphase erlangen sie ein breites Arsenal an Oberflächenrezeptoren und sekretorischen Produkten, das sie zu vielfältigen Aufgaben prädestiniert. Im Vordergrund stehen hierbei die Phagozytose und die Beteiligung an spezifischen Abwehrvorgängen ( Kap. 4.7.3). Bei diesen Aufgaben bedienen sie sich einer Vielzahl (> 100) sezernierter Wirksubstanzen, die in ihrer Umgebung eine parakrine Wirkung entfalten.
4.6
Hämatopoietische Wachstumsfaktoren
Die bereits mehrfach erwähnten hämatopoietischen Wachstumsfaktoren sind Polypeptide und werden von Makrophagen, T-Lymphozyten, Endothelzellen, Fibroblasten, peritubulären Nierenzellen u. a. gebildet. Sie können von Stamm- und Vorläuferzellen über Zellmembran-Rezeptoren erkannt werden. Eine Übersicht über wichtige hämatopoietische Wachstumsfaktoren gibt ⊡ Tabelle 4.5.
4.7
Abwehrfunktionen des Blutes Merke
Für die Abwehr von Krankheitserregern oder artfremden Substanzen, welche die natürlichen Barrieren des Körpers überwunden haben, stehen dem Organismus unspezifische und spezifische Abwehrmechanismen zur Verfügung. An beiden Abwehrformen sind sowohl zelluläre als auch humorale, d. h. in den Körperflüssigkeiten vorkommende Faktoren beteiligt.
Unspezifische Abwehrmechanismen sind in der Lage, bereits beim ersten Kontakt Krankheitserreger oder Fremdstoffe auszuschalten. Diese Abwehrmaßnahmen sind mit praktisch gleicher Intensität gegen alle potentiell schädigenden Agenzien wirksam, d. h. sie sind nicht zielgerichtet und werden häufig auch unter dem Begriff unspezifische Resistenz (»angeborene Abwehr«) zusammengefasst.
IL-1, IL-2 IL-3 IL-4, IL-5 IL-6, IL-7 IL-8 IL-9, IL-10
INF-α INF-β INF-γ
G-CSF GM-CSF M-CSF
TNF-α (= Kachektin) TNF-β (= Lymphotoxin)
TGF-β (transformierender GF) EGF (epidermaler GF) FGF (Fibroblasten-GF) PDGF (Plättchen-GF)
SCF
EPO
TPO
Interleukine (IL)
Interferone (INF)
Koloniestimulierende Faktoren (CSF)
Tumor-Nekrosefaktoren (TNF)
Wachstumsfaktoren (GF)
Stammzellfaktor
Erythropoietin
Thrombopoietin
Leber, Niere
Niere, Leber
Fibroblasten
⎫ ⎪ ⎬ ubiquitär ⎪ ⎭ Thrombozyten u. a.
Makrophagen T-Helferzellen
⎫ ⎪ ⎬ Makrophagen, Fibroblasten, u. a. ⎪ ⎭
Wachstum von Megakaryozyten-Vorläuferzellen
Wachstumsfaktor der Erythropoiese
Wachstum hämatopoietischer Stammzellen
⎫ ⎪ ⎬ Stimulation von Fibroblasten, Angiogenese ⎪ ⎭ Stimulation von Fibroblasten
Entzündungsmediator, Zytolyse von Tumorzellen Steigerung der Synthese anderer Zytokine
Wachstumsfaktor der Granulopoiese Wachstumsfaktor der myeloischen Zellreihe Proliferation von Monozyten-Vorläuferzellen
Hemmung der Zellproliferation Zytolyse von virusinfizierten Zellen Aktivierung von Makrophagen und Lymphozyten
Aktivierung von T- und B-Lymphozyten Proliferation hämatopoietischer Stammzellen Proliferation von Lymphozyten und Leukozyten Aktivierung von B- und T-Lymphozyten Aktivierung von Neutrophilen Aktivierung von T-Lymphozyten
Makrophagen, T-Helferzellen T-Helferzellen T-Helferzellen, Makrophagen Makrophagen Makrophagen T-Helferzellen Makrophagen, Leukozyten Fibroblasten T-Lymphozyten
Hauptwirkung und Zielzelle(n)
Expression in
* Zytokine sind Protein-Mediatoren, die auf parakrinen, endokrinen oder autokrinen Wegen in Zielzellen Rezeptor-vermittelt spezifische Wirkungen ausüben. Von stimulierten Lymphozyten synthetisierte Zytokine bezeichnet man auch als Lymphokine, die von stimulierten Makrophagen bzw. Monozyten gebildeten Mediatoren auch als Monokine
Name
Gruppe
⊡ Tabelle 4.5. Übersicht über die wichtigsten Zytokine (Wachstums- und Differenzierungsfaktoren, Immunmodulatoren)*
4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes 59
4
60
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Häufig genügen die zur unspezifischen Abwehr beitragenden Mechanismen nicht, um Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten, Toxine, Zellzerfallsprodukte und Fremdstoffe zu eliminieren. Spezifische Abwehrmechanismen, sog. immunologische Vorgänge, stellen dann einen weiteren sehr wirkungsvollen »Schutzwall« dar, den der Organismus aber zunächst aufbauen muss (»erworbene Abwehr«). Alle immunologischen Reaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie erst nach dem Erkennen eines Schadstoffes wirksam werden können. Dazu bedarf es einer gewissen Latenzzeit (immunologische Lücke) zwischen dem erstmaligen Eindringen eines bestimmten Erregers oder Toxins bis zur Ausbildung einer wirkungsvollen Immunantwort. An dieser sind im Wesentlichen drei Zellarten, Makrophagen, B-Lymphozyten und T-Lymphozyten, beteiligt. Merke
Die spezifischen Abwehrvorgänge weisen eine hohe individuelle Spezifität auf und führen in der Regel zur Immunität (Unempfindlichkeit gegenüber den Schad- oder Fremdstoffen, mit denen sich der Organismus einmal auseinander gesetzt hat). Sie besitzen außerdem Gedächtnisfunktionen, d. h. ein bestimmter Fremdstoff wird nach dem Erstkontakt noch jahrelang danach wieder erkannt.
Unspezifische und spezifische Mechanismen können gelegentlich unabhängig voneinander kurzfristig bestimmte Abwehrfunktionen ausüben. Die Regel ist aber eine arbeitsteilige Kooperation. Die Gesamtleistung ist dann um ein Vielfaches größer und wirksamer als die Summe der Einzelleistungen (Synergie-Effekt). Eine physiologische Barriere gegen Infektionen bildet die Haut mit ihrer Hornschicht, die für Mikroorganismen nahezu undurchdringlich ist. Sekrete von Schweiß- und Talgdrüsen sorgen weiterhin für einen Abschwemmeffekt und bilden einen Säuremantel, der Bakterien in ihrem Wachstum hemmt bzw. sogar abtötet. Auch die Schleimhäute weisen Barrierefunktionen auf. Die zuleitenden Atemwege sind beispielsweise von einer Schleimschicht bedeckt und mit einem Flimmerepithel ausgekleidet, die zusammen ein Eindringen der meisten Mikroorganismen verhindern können. Im Magen, dem ersten großen Reservoir für Speisen und Flüssigkeiten, wird durch den sauren Magensaft die Mehrzahl der Mikroorganismen abgetötet. Die meisten anderen Schleimhäute des Körpers tragen eine mikrobielle Flora, die der Ansiedlung pathogener Keime entgegenwirkt. So wird im Vaginalbereich ein saurer pH-Wert durch symbiotische Besiedlung mit Laktobakterien aufrechterhalten.
61 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4.7.1
4
Unspezifische humorale Abwehr
Merke
An der unspezifischen humoralen Abwehr sind das Komplementsystem, das Lysozym, die Interferone und die Akute-Phase-Proteine beteiligt.
Komplementsystem An der Abwehr von Krankheitserregern ist ein physiologischerweise in Blut und Geweben vorhandenes und aus 20 Plasmaproteinen bestehendes komplexes System beteiligt, das sowohl unspezifische Aufgaben als auch Immunreaktion-abhängige Funktionen erfüllt und damit ein wichtiges Entzündungsmediatorsystem darstellt. Die einzelnen Komponenten des Komplementsystems werden vor allem von Makrophagen und Leberzellen synthetisiert. Nach Aktivierung durch Antigen-Antikörper-Komplexe (»klassische Kaskade«) oder durch Stoffe aus Bakterien, Viren, Pilzen oder Protozoen u. a. (»alternative Kaskade« unter Mitwirkung des Plasmaeiweißes Properdin) reagieren die einzelnen Komponenten des Systems in einer festgelegten Reihenfolge miteinander, wobei die beiden Aktivierungswege in eine gemeinsame Endstrecke einmünden (⊡ Abb. 4.7). Darüber hinaus reagieren die KomplementKomponenten auch mit anderen an der Abwehr beteiligten Faktoren und Zellen. Die Produkte, die Schlüsselfunktionen in der Aktivierung von Abwehrzellen und eine Reihe biologischer Wirkungen ausüben, werden durch Enzyminhibitoren (Regulatorproteine) wirksam kontrolliert, sodass ständig eine sinnvolle Balance zwischen Aktivierung und Inaktivierung des Systems gewährleistet ist. Nach Aktivierung des Komplementsystems, dessen Komponenten mit numerischem C bezeichnet werden, entsteht eine Reihe von Spaltprodukten, die folgende Funktionen ausüben: ▬ Aktivierung und Chemotaxis von Phagozyten (Neutrophile, Makrophagen; C3 a, C5 a), ▬ Opsonisierung und Verbesserung der antikörperabhängigen Phagozytose (C3 b), ▬ Auflösung von Immunkomplexen (C3 b), ▬ Zerstörung von mit Antikörpern besetzten Fremdzellen und Bakterien durch Zytolyse (C5 b-C9).
62
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.7. Aktivierungswege und biologische Aktivitäten des Komplementsystems
Die Stimulation von Zellen nach Rezeptorbindung von C3 a und C5 b trägt wesentlich zur Entzündungsreaktion bei. Durch die Freisetzung von Histamin aus basophilen Granulozyten und Mastzellen, von lysosomalen Enzymen und von Arachidonsäuremetaboliten (Leukotrienen, Prostaglandinen, Thromboxanen) aus Granulozyten und Makrophagen sowie durch Wirkungen auf Endothelzellen kommt es im Entzündungsgebiet zur Vasodilatation und Durchblutungszunahme, zu einer lokalen Permeabilitätssteigerung mit Exsudation von Blutplasma und Ödembildung sowie zu anderen Entzündungserscheinungen (z. B. Förderung von Chemotaxis und Opsonisierung). Bestimmte Arachidonsäuremetabolite können auch eine Kontraktion glatter Muskulatur (z. B. eine Verengung des Bronchialsystems) und eine Thrombozytenaggregation auslösen.
Lysozym Ein weiterer Faktor der unspezifischen humoralen Abwehr ist das Enzym Lysozym, das beim Zerfall phagozytierender Zellen frei wird. Es ist in der
63 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
Lage, die Wandstrukturen bestimmter Bakterien (Staphylokokken, Streptokokken u. a.) hydrolytisch zu spalten und kommt in Körpersekreten vor.
Interferone Die speziesspezifischen Interferone sind hochaktive, körpereigene Proteine mit einem breiten Wirkungsspektrum. Die Bildung der Interferone durch eukaryotische Zellen wird vor allem durch Viren, aber auch durch Bakterien, bakterielle Produkte, Nukleinsäuren, Pilze oder Protozoen induziert. Leukozyten bilden hauptsächlich α-Interferone, Fibroblasten vor allem β-Interferon und T-Lymphozyten nach Antigenkontakt γ-Interferon. Von virusinfizierten Zellen freigesetztes Interferon weist folgende biologische Wirkungen auf: ▬ Hemmung der Virus-Replikation in Zellen (antiviraler Effekt), ▬ Hemmung der Proliferation von Normal- und Tumorzellen (antiproliferativer Effekt), ▬ Stimulation oder Hemmung immunologischer Reaktionen (Aktivierung von Makrophagen, Hemmung der Antikörperbildung, Förderung der T-ZellProliferation, »immunmodulatorischer Effekt«), ▬ Aktivierung der Natürlichen Killerzellen.
Akute-Phase-Proteine Bei gewebeschädigenden Reizen (Entzündungen , Infektionen, bösartigen Tumoren, Gewebedestruktionen u. ä.) erhöht sich die Konzentration bestimmter Proteine im Blutplasma. Der Konzentrationsanstieg geht auf eine Synthesesteigerung in der Leber zurück, die wiederum durch Mediatoren aus Makrophagen (z. B. IL-1, IL-6, ⊡ Tabelle 4.5) vermittelt wird. Zu diesen »Anti-Entzündungsproteinen« gehören Eiweiße, die sich an Bakterienmembranen binden (C-reaktives Protein, Serum-Amyloid-A), ProteasenInhibitoren (α1-Antitrypsin, α1-Antichymotrypsin), Gerinnungsfaktoren (z. B. Fibrinogen), Komplementkomponenten (z. B. C3 und C4) und Transportproteine (Haptoglobin, Zöruloplasmin). Zu den »Anti-Akute-Phase-Proteinen«, deren Biosynthese bei Entzündungen gedrosselt wird, zählen u. a. Albumin und Transferrin.
II
64
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.7.2
Unspezifische zelluläre Abwehr
Merke
Bestimmte Gruppen der weißen Blutkörperchen besitzen die Fähigkeit, schädliche Stoffe oder Zellen durch Einschluss zu vernichten (Phagozytose). Hierzu zählen die neutrophilen und eosinophilen Granulozyten, die man als Mikrophagen bezeichnet, sowie die Monozyten bzw. Makrophagen. Die Makrophagen sind nicht nur die phagozytoseaktivsten Zellen, sondern sie beteiligen sich auch an spezifischen Abwehrprozessen ( Kap. 4.7.3) und synthetisieren einige Komplementfaktoren (Kap. 4.7.1), Interleukine ( Tabelle 4.5) sowie Interferon.
Am Ort einer Entzündung tritt eine lokale Verlangsamung des Blutstroms auf, wodurch Granulozyten vermehrt in den Randstrom und damit in Kontakt mit dem Endothel kommen. Als Folge entzündlicher Reize treten auf der Endotheloberfläche vermehrt Adhäsionsmoleküle auf, die mit Membranproteinen der Leukozyten reagieren und für diese als Leit- und Erkennungsstrukturen dienen. Man kennt derzeit 3 große Familien von Adhäsionsmolekülen: Selektine, Integrine und Adhäsine der Immunglobulin-Superfamilie. Selektine vermitteln eine temporäre Bindung zwischen Leukozyten und Endothelzellen, Integrine eine stabile Adhäsion. Die Transmigration (»Diapedese«) durch die Venolenwand und die anschließende Zellwanderung erfordern vielfältige Interaktionen zwischen Leukozyten und Zellen oder Proteinen der extrazellulären Matrix, die durch Integrine und Moleküle der Immunglobulin-Superfamilie vermittelt werden.
Ablauf der Phagozytose Die Phagozyten werden von Bakteriengiften, Zellzerfallsstoffen und fremden Zellen angelockt, wobei bevorzugt chemische Reize die zielgerichtete Wanderung aus dem Blut zu den Orten der Schädigung auslösen (Chemotaxis). Für das zielgerichtete Wandern der Leukozyten zum Entzündungsherd sind chemotaktische Faktoren verantwortlich. Hierzu zählen u. a. Komplementfaktoren (C3 a, C5 b), Sekretionsprodukte von Lymphozyten, von normalen, infizierten und geschädigten Zellen sowie bakterielle Produkte. Nach dem Eintreffen der Phagozyten im Entzündungsherd beginnt die Endozytose, zu der die Phagozytose (Aufnahme fester Partikel) und die Pinozytose (Auf-
65 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
nahme gelöster Stoffe) gehören. Die Phagozyten besitzen an ihrer Oberfläche unspezifische Rezeptoren, mit deren Hilfe sie sich an Mikroorganismen anlagern können. Diese Anlagerung (Adhärenz) ist wesentlich stärker, wenn Bakterien, Zelltrümmer oder Fremdpartikel vorher eine Opsonisierung (s. unten) erfahren haben. Durch diesen Kontakt kommt es zu einer Stoffwechselaktivierung des Phagozyten (Steigerung der Atmungs- und Glykolyseaktivität), der anschließend mit Pseudopodien den Fremdstoff umschließt. Durch Verbindung der inneren Membranenden entsteht ein Bläschen (Phagosom), das in einem weiteren Schritt mit einem oder mehreren Lysosomen zum Phagolysosom verschmilzt. Die in den Lysosomen enthaltenen hydrolytischen Enzyme bauen schließlich das phagozytierte Material ab. Ist ein solcher Abbau, wie z. B. im Falle der Tuberkelbakterien, nicht möglich, so bleibt in den Phagolysosomen unverdautes Material zurück. Daraus gehen z. T. die sog. Restkörper hervor, die aus der Zelle ausgeschleust werden (Exozytose). Wesentlich für die Abtötung von Bakterien und wahrscheinlich auch von Tumorzellen durch Makrophagen sind die über das Peroxidase-System entstandenen reaktiven Sauerstoffspezies (Superoxidradikalanion ⋅O2– , Hydroxylradikal ⋅OH, Singulet-Sauerstoff 1O2, Peroxidradikal ⋅O2H und H2O2).
Opsonisierung Die Phagozytose kann durch das Einwirken bestimmter Stoffe, der sog. Opsonine, gefördert werden. Zu diesen zählt die Komplementkomponente C3 b ( Kap. 4.7.1), das C-reaktive Protein und an Zellen gebundenes IgG.
Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) Die NK-Zellen zählen zu den sog. Null-Zellen und sind große granulierte Lymphozyten, die reichlich saure Hydrolasen enthalten und deren Abwehrfunktionen eng an die Produktion und die Wirkung von Interferonen gebunden sind. Ihre größte Bedeutung liegt in der unspezifischen Zerstörung von Tumorzellen und virusinfizierten Zellen. Null-Zellen weisen keine für T- oder B-Lymphozyten charakteristische Oberflächenmerkmale auf (s. unten).
4
II
66
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.7.3
Spezifische humorale Abwehr
Merke
Die spezifische humorale Abwehr wird durch einen Antigenkontakt ausgelöst und durch B-Lymphozyten vermittelt.
Antigene Antigene (Ag) sind für den Organismus fremde Substanzen (Immunogene), die spezifisch gegen sie gerichtete Abwehrmaßnahmen hervorrufen. Zu ihnen gehören partikuläre Antigene (z. B. Bakterien, Viren oder Pollen) und großmolekulare, gelöste Antigene (Proteine, Polysaccharide, Lipide und Nukleinsäuren) mit einer Molekularmasse >4000 Da, die an exponierten Stellen die für ihre Spezifität maßgebenden Teilstrukturen (Determinanten, Epitope) tragen. Die Determinanten können mit einem gegen sie gerichteten Abwehrstoff (Antikörper, s. unten) eine spezifische Bindung eingehen (AntigenAntikörper-Reaktion). Ohne makromolekularen Träger sind sie aber nicht in der Lage, die Bildung von weiteren Antikörpern zu induzieren. Kleinmolekulare Substanzen (z. B. Arzneimittel) können nur dann als Antigen wirken, wenn sie an eine hochmolekulare Trägersubstanz gekoppelt sind. Man nennt diese kleinmolekularen Substanzen Haptene. Sie entsprechen losgelösten Determinanten.
Histokompatibilitätsantigene Diese Oberflächenmoleküle sind für die immunologische Identität eines Individuums wichtig und gewährleisten die Erkennung fremder Strukturen durch die Zellen des Immunsystems. Sie werden durch einen Genkomplex codiert, der als Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC, Major Histocompatibility Complex) bezeichnet wird. Beim Menschen wird er auch HLAKomplex (Human Leukocyte Antigen) genannt. Antigene der MHC-Klasse-I werden auf allen kernhaltigen Zellen exprimiert und sind u. a. für die Transplantatabstoßung verantwortlich (»Transplantationsantigene«). Antigene der MHC-Klasse-II finden sich auf Antigen-präsentierenden Zellen und dienen der Kooperation dieser Zellen mit T-Lymphozyten (⊡ Abb. 4.9).
67 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
B-Lymphozyten Aus der hämatopoietischen Stammzelle des Knochenmarks entstehen zunächst lymphoide Stammzellen, dann Lymphozyten-Vorläuferzellen, die im Knochenmark (Bone Marrow) ausreifen und dort einer speziellen Prägung unterliegen. Sie verlassen das Knochenmark als sog. B-Lymphozyten und sind von diesem Zeitpunkt an immunologisch kompetent, d. h. sie weisen bestimmte Oberflächenmerkmale auf und sind für ein einziges spezifisches Antigen zuständig. B-Lymphozyten gelangen über den Blut- und Lymphweg in bestimmte Bezirke von Milz und Lymphknoten und siedeln sich dort bevorzugt in den sog. Keimzentren der Lymphfollikel an.
Antikörperbildung Antikörper (Ak) entstehen etwa 5–7 Tage nach Kontakt eines Antigens mit immunologisch kompetenten B-Lymphozyten. Sie stellen in der Regel streng spezifische, der Determinanten des Antigens komplementäre Reaktionsprodukte des Organismus dar (Schlüssel-Schloss-Prinzip) und gehören vor allem der Gruppe der γ-Globuline an (s. unten). Immunkompetente B-Lymphozyten tragen auf ihrer Oberfläche monomere Immunglobuline (IgM, IgD) als Antigen-spezifische Rezeptoren. Ein erster Kontakt mit einem passenden Antigen führt zur selektiven Proliferation eines Zellklons und zur Differenzierung in Plasmazellen, die wiederum eine große Zahl von identischen Antikörpermolekülen derselben Spezifität synthetisieren und sezernieren (vor allem IgM, s. unten). Die Spezifität dieser Immunglobuline entspricht derjenigen des B-Lymphozyten, aus dem sich die Plasmazelle entwickelt hat. Bei einer Erstbegegnung eines B-Lymphozyten mit einem Antigen entstehen neben den Plasmazellen (Effektorzellen) auch langlebige Gedächtniszellen, die ebenfalls im Blut kreisen und bei erneuter Exposition ein Antigen u. U. noch nach Jahren wiedererkennen. Sie sind dafür verantwortlich, dass Wiederbegegnungen mit dem gleichen Antigen anders verlaufen als der Erstkontakt, da nunmehr schnell eine große Zahl von Plasmazellen gebildet wird, die dann in größerem Ausmaß humorale Antikörper produzieren (BoosterEffekt). Eine Plasmazelle ist in diesem Fall in der Lage, pro Sekunde etwa 2000 identische Immunglobulinmoleküle zu synthetisieren. Trifft ein Antigen auf eine B-Zelle, die nach Umwandlung in eine Plasmazelle den komplententären Antikörper produzieren kann, so wirkt dies als Reiz zur Proliferation dieser speziellen Zelle. Nach einer größeren Zahl von Zellteilungen ist ein Klon von Plasmazellen entstanden. Alle Zellen eines solchen
68
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Klons bilden den gleichen Antikörper, da die Informationen zur Bildung auf alle Nachfolgezellen weitergegeben wurden. Man rechnet mit mindestens 1012 verschiedenen Determinanten und daher auch mit 1012 verschiedenen Typen von Antikörpern. Diese Annahme setzt voraus, dass auch 1012 Lymphozytenklone vorhanden sind, die bereits bei der Geburt vorliegen. Bei Antigenkontakt proliferiert der jeweils »zuständige« Klon (klonale Selektion). Monoklonale Antikörper. Normalerweise tragen Antigene immer mehrere Determinanten, sodass nach dem Kontakt mit einem bestimmten Antigen physiologischerweise immer eine Reihe verschiedener Antikörper gebildet wird. Diese werden jeweils von einem Klon von Plasmazellen produziert. Man spricht in einem solchen Fall von einer polyklonalen Immunantwort bzw. von polyklonalen Antikörpern. Mit Hilfe eines 1984 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Verfahrens ist es auch möglich, monoklonale Antikörper zu produzieren. Hierzu werden B-Lymphozyten mit Tumorzellen fusioniert. Die daraus entstehenden Hybridome (»Zwitterzellen«) haben von dem B-Lymphozyten die Fähigkeit zur Antikörperproduktion und von der Tumorzelle die Fähigkeit zu permanentem Wachstum geerbt. Da jeweils nur einzelne B-Lymphozyten in die Fusion eingehen, ist das Produkt der jeweiligen Hybridome monoklonal. Die auf diese Weise in beliebiger Menge für alle Zeiten unverändert produzierbaren monoklonalen Antikörper unterscheiden sich nicht von natürlichen Immunglobulinen. Die monoklonalen Antikörper werden vielfach in Diagnostik und Therapie eingesetzt. Sie dienen u. a. zur Blutgruppenbestimmung, zur Zellidentifizierung in der Bakteriologie, zur Klassifizierung und Behandlung von Leukämien und Lymphomen sowie zur Diagnostik und Therapie bestimmter Tumoren.
Besonders effektiv ist die Antikörperbildung, wenn das an B-Zellen spezifisch gebundene Antigen intrazellulär in Peptidfragmente zerlegt, anschließend mit dem zelleigenen MHC-II-Komplex (s. unten) in die Zelloberfläche eingebaut und T-Helferzellen (s. unten) präsentiert wird. Das Erkennen des präsentierten Antigens durch die T-Zellen, die Interaktion und eine Stimulation durch Zytokine führt zu einer massiven Proliferation und einer Differenzierung von B-Lymphozyten in Plasmazellen.
Antikörperklassen Merke
Die Antikörper, die auch als Immunglobuline (Ig) bezeichnet werden, können immunelektrophoretisch in fünf Klassen (IgG, IgM, IgA, IgD und IgE) getrennt werden.
Immunglobulin G (IgG) kann als Prototyp der Immunglobuline angesehen werden und ist am besten untersucht. Das symmetrische Molekül besteht aus zwei leichten (L-Ketten) und zwei schweren Peptidketten (H-Ketten), die durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind (⊡ Abb. 4.8). Enzyma-
69 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
⊡ Abb. 4.8. Struktur des Immunglobulin-G-Moleküls in schematischer Darstellung
tische Abbaustudien haben gezeigt, dass zwischen der L- und der H-Kette die Antigenbindungsstelle liegt. Dieser Molekülbezirk wird deshalb Fab-Stück genannt (Antigen-bindendes Fragment). Aus dem symmetrischen Aufbau des Antikörpers ergibt sich, dass er über zwei Bindungsstellen verfügt. Die Enden der H-Ketten neigen in freier Form sehr leicht zur Kristallisation, was in der Bezeichnung Fc-Stück zum Ausdruck kommt (cristallisierbares Fragment). Das Fc-Stück ist für die Bindung an Oberflächenrezeptoren von Monozyten, basophilen Granulozyten bzw. Mastzellen und Synzytiotrophoblasten in der Plazenta sowie für die Komplementaktivierung verantwortlich; es ist jedoch nicht zur Antigen-Bindung befähigt. Im menschlichen Plasma überwiegt IgG alle anderen Immunglobuline (ca. 75 % der Immunglobuline). Bei einer ersten Immunisierung wird IgG zunächst verzögert (nach IgM, s. unten), dafür aber in etwas höherer Konzentration gebildet. Bei einer Sekundärreaktion entsteht hingegen fast ausschließlich IgG. Da es beim Menschen als einziges Immunglobulin die Plazenta passieren kann (Plazentagängigkeit), vermag es in den Kreislauf des
70
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Feten zu gelangen. Mütterliches IgG verleiht deshalb dem Neugeborenen, das in den ersten 6 Lebensmonaten selbst kein IgG produziert, einen Schutz in diesem Lebensabschnitt. Immunglobulin M (IgM) ist der größte Antikörper und tritt bei Erstimmunisierung immer zuerst auf (Früh-Antikörper). Seine Konzentration sinkt aber schnell wieder auf niedrigere Werte ab, während IgG noch in Bildung begriffen ist. Der Anteil des IgM an den menschlichen Immunglobulinen im Blutplasma beträgt ca. 8,5 %. IgM-Antikörper kommen im Plasma als Pentamere vor und verfügen demnach über zehn Antigenbindungsstellen, die jedoch aus räumlichen Gründen nicht alle wirksam werden. Immunglobulin A (IgA), das etwa 15 % der menschlichen Immunglobuline im Blutplasma ausmacht, ist auf die Abwehrvorgänge an den Schleimhautoberflächen des Organismus spezialisiert. Zum Transport durch die Epithelien in die Sekrete ist es an ein spezielles Peptid, die sog. sekretorische Komponente, gebunden. Als Sekret-Antikörper hat es die Aufgabe, die Anlagerung und das Eindringen von Erregern und anderem antigenen Material in Schleimhäute zu verhindern. IgA ist der einzige Antikörper, der sezerniert werden kann. Es liegt in den Sekreten als Dimer vor. IgA wird auch in der Muttermilch gefunden, sodass das Neugeborene mit der Nahrungsaufnahme gleichzeitig am immunologischen Schutz der Mutter partizipiert. Über das Immunglobulin D (IgD) ist bisher wenig bekannt. Es spielt als Oberflächenrezeptor bei der Antigen-Erkennung und nachfolgenden Expansion und Differenzierung der B-Lymphozyten eine Rolle. Im Plasma ist es nur in Spuren nachweisbar. Auch die physiologische Bedeutung des Immunglobulin E (IgE, Reagin) ist noch weitgehend unbekannt. Wahrscheinlich spielt es in der Immunreaktion bei Parasitenbefall, insbesondere bei Wurmerkrankungen, eine Rolle. Mastzellen und basophile Granulozyten haben auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für das Fc-Fragment von IgE (zytophiler Antikörper). Die Interaktion von zellständigem IgE mit dem entsprechenden Antigen kann die Symptome der Anaphylaxie auslösen.
71 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
Antigen-Antikörper-Reaktion Merke
Antikörper, die nach Antigenkontakt gebildet worden sind, reagieren mit den Determinanten des jeweiligen Antigens; es entsteht ein Antigen-Antikörper-Komplex (Immunkomplex).
Bei dieser Reaktion kommt es zu einer Konformationsänderung des Antikörpers, wodurch Strukturelemente exponiert werden, die vor der Bindung verdeckt waren. Dadurch wird eine Wechselwirkung des Fc-Stücks mit Komplementfaktoren ermöglicht. Mit der Bindung an Antikörper verlieren die Antigene meist ihre schädigende Wirkung für den Organismus und werden inaktiviert (Neutralisation). Bei Bakterien wird damit ihre Auflösung, bei einigen Giften deren Abbau eingeleitet. Antigen-Antikörper-Reaktionen können eine Präzipitation, Agglutination oder Zytolyse zur Folge haben. Wenn das Antigen in gelöster Form vorliegt, kann die Reaktion zu einer Fällung (Präzipitation) führen. Bei der Agglutination werden größere antigentragende Partikel (z. B. Erythrozyten) durch Brückenbildung verklumpt. Binden bestimmte Antikörper Komplement und aktivieren dadurch die Komplementkaskade, können Zellmembranen durch diesen Vorgang so weit permeabel werden, dass eine Zytolyse (Auflösung der Zelle) eintritt. Weitere Effektormechanismen der AntigenAntikörper-Reaktion sind die Opsonisierung und die Immobilisation beweglicher Keime.
4.7.4
Spezifische zelluläre Abwehr
T-Lymphozyten Eine zweite Lymphozytenpopulation, die ihren Ursprung ebenfalls in den Stammzellen des Knochenmarks hat, erhält ihre immunologische Prägung im Thymus. Die Lymphozyten unterliegen dort einer entsprechenden »Schulung« und verlassen das Organ als immunologisch kompetente Zellen mit spezifischen Oberflächenmerkmalen. Diese wegen ihrer Thymusabhängigkeit als T-Lymphozyten bezeichneten Zellen zirkulieren mit Blut und Lymphe ständig zwischen Milz, Lymphknoten und den zu schützenden Geweben.
72
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Merke
II
Die T-Lymphozyten sind für die spezifische zelluläre Abwehr verantwortlich. Sie besitzen an ihrer Oberfläche Antigen-spezifische Rezeptoren, die sog. T-Zell-Rezeptoren, die Antigene nur erkennen, wenn sie auf der Oberfläche von Zellen zusammen mit MHC-Molekülen vorkommen.
Der T-Zell-Rezeptor besteht aus zwei durch Disulfidbrücken verbundenen Polypeptidketten, die immer in Verbindung mit dem sog. CD3-Komplex exprimiert werden (CD = Cluster of Differentiation). Letzterer dient der Übertragung von Signalen in das Zellinnere. Ob ein Organismus nach Antigenkontakt mit der Produktion von Antikörpern oder mit zellulärer Immunabwehr antwortet, hängt u. a. neben der Art der Aufnahme auch von den physikochemischen Eigenschaften des Antigens ab. Wie bei den B-Lymphozyten proliferiert nach dem Erstkontakt mit einem Antigen eine bestimmte Familie (Klon) der T-Lymphozyten. Einige der neu gebildeten Tochterzellen stellen langlebige T-Gedächtniszellen dar. Diese Zellen haben ebenso wie die Gedächtniszellen der B-Lymphozyten die Eigenschaft, bei erneutem Kontakt mit dem gleichen Antigen schnell und u. U. heftig zu reagieren.
Subpopulationen und Funktionen der T-Lymphozyten Eine andere Gruppe von Tochterzellen, die sog. T-Effektorzellen, die nach dem Erstkontakt entsteht, nimmt direkt an der Immunreaktion teil. Das Bild der Effektorzellen ist aber nicht so einheitlich wie bei der humoralen Abwehr. Es finden sich vielmehr Subpopulationen mit unterschiedlichen Funktionen.
CD8-T-Zellen Trägt eine körperfremde oder virusinfizierte Zelle bzw. eine Tumorzelle ein Antigen kombiniert mit einem MHC-I-Komplex, so werden diese von sog. CD8-T-Lymphozyten (T8-Zellen) erkannt, die CD8-Moleküle als charakteristische Oberflächenstrukturen aufweisen (⊡ Abb. 4.9). Zu diesem Zelltyp gehören die zytotoxischen T-Zellen (T-Killer-Zellen), die nach Bindung an die Zielzelle und Stimulation durch Zytokine aus den T-Helferzellen (s. unten) die Zielzellen lysieren oder deren Apoptose auslösen. Die Zytolyse wird durch lytische Moleküle (Perforine) verursacht, die während eines engen
73 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
⊡ Abb. 4.9. Antigenerkennung durch T-Lymphozyten. T-Helferzellen und zytotoxische T-Zellen erkennen ein Antigen in Verbindung mit unterschiedlichen MHC-Molekülen, die auf verschiedenen Zelltypen exprimiert werden. CD4-T-Helferzellen erkennen das Antigen in Verbindung mit MHC-Klasse-II-Molekülen, zytotoxische CD8-T-Zellen benötigen Moleküle der MHC-Klasse I. Das CD4- und das CD8-Protein sind spezifische stimulierende Korezeptoren. Die CD3-Proteine dienen der Signalübertragung in das Zellinnere, nachdem eine Antigenbindung eingetreten ist
Zellkontaktes Kanäle in der Zellmembran bilden und damit die Zielzelle abtöten. Zu den CD8-T-Lymphozyten rechnet man auch die T-Suppressorzellen, deren Existenz aber umstritten ist. Sie sollen die Aktivitäten von B- und T-Lymphozyten hemmen und so überschießende Immunreaktionen verhindern.
CD4-T-Zellen Eine andere Subpopulation von T-Lymphozyten weist spezifische CD4-Moleküle als Oberflächenstrukturen auf; sie werden entsprechend als CD4-TLymphozyten (T4-Zellen) bezeichnet. Diese Zellen erkennen Antigene nur in Kombination mit MHC-II-Molekülen (⊡ Abb. 4.9). Zu diesem Zelltyp gehören die T-Helferzellen (TH-Zellen), die nach Antigenpräsentation aktiviert werden und eine Reihe von Zytokinen sezernieren, die sie selbst, andere T-Zellen und B-Zellen, Makrophagen, Neutrophile, Eosinophile und Endothelzellen aktivieren. Mit der Sekretion von Zytokinen (vgl. ⊡ Tabelle 4.5) stimulieren die T-Helferzellen nicht nur Zellen der Immunabwehr, sondern auch die
74
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.10. B- oder T-Lymphozyten-Aktivierung mit Hilfe einer T-Helferzelle. Letztere erkennt das prozessierte Antigen (Ag) im Komplex mit dem MHC-II-Molekül. Diesem Erkennungsvorgang folgt die Kommunikation der Zellen über Zytokine. Interleukin-1 (IL-1) der antigenpräsentierenden Zelle stimuliert die Proliferation der T-Helferzelle. Die T-Helferzelle ihrerseits regt durch Interferon-γ (INF-γ) die MHC-II-Molekül-Expression der antigenpräsentierenden Zelle an. IL-2 aus der T-Helferzelle bewirkt über eine positive Rückkopplung eine weitere Vermehrung der CD4-T-Helferzellen, andererseits führt es zur Expansion eines spezifischen Toder B-Zellklons. TZR = T-Zell-Rezeptor
effektorischen Zellen der unspezifischen Abwehr und binden diese in die immunologischen Vorgänge ein. Helfer- und Suppressor-T-Zellen werden unter dem Begriff Regulatorzellen zusammengefasst.
Antigenpräsentierende Zellen T-Helferzellen erkennen Antigene nur, wenn sie ihnen präsentiert werden, d. h. die Aktivierung der T-Helferzellen erfordert die Kooperation mit sog. antigenpräsentierenden Zellen. Zu dieser Zellgruppe zählen die Makrophagen, die dendritischen Zellen der sekundär-lymphatischen Organe, die Langerhans-Zellen der Haut und präsentierende B-Lymphozyten. Sie neh-
75 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
men Fremdprotein (z. B. virales Protein) auf, zerlegen es in Peptidfragmente und präsentieren es in Verbindung mit MHC-II-Molekülen auf ihrer Zelloberfläche den antigensensitiven T-Helferzellen (⊡ Abb. 4.10). Da andererseits alle kernhaltigen Zellen MHC-I-Moleküle exprimieren, sind sie alle fähig, Antigene zusammen mit MHC-I-Molekülen den CD8-zytotoxischen T-Zellen zu präsentieren. Dieser Mechanismus ist bei der Abwehr virusinfizierter Körperzellen von Bedeutung.
4.7.5
Überempfindlichkeitsreaktionen
Der Preis, den der Organismus für die Immunität, d. h. für die Erhaltung seiner Integrität zu zahlen hat, besteht in der Gefahr von Überempfindlichkeitsreaktionen und Autoimmunreaktionen ( Kap. 4.7.7).
Allergie Merke
Allergie bezeichnet eine veränderte Reaktionslage des Organismus gegenüber bestimmten Antigenen (Allergenen), d. h. der Organismus reagiert anders auf diese Stoffe als unter normalen Bedingungen. Prinzipiell kann es sich dabei um eine verstärkte (hypererge), abgeschwächte (hyperge) oder fehlende (anerge) Reaktion handeln. Vereinfachend wird die Bezeichnung Allergie jedoch nur im Sinne der Hyperergie (Überempfindlichkeitsreaktion) benutzt.
Antikörpervermittelte Überempfindlichkeitsreaktionen Antigen-Antikörper-Reaktionen verlaufen gewöhnlich stumm, d. h. ohne erkennbare Zeichen. In bestimmten Fällen können jedoch bei wiederholtem Antigenkontakt überschießende Reaktionen ausgelöst werden, die für den Organismus schädlich sind. Sofern diese innerhalb weniger Minuten nach Allergenexposition auftreten, bezeichnet man sie auch als Überempfindlichkeitsreaktion vom Soforttyp. Man unterscheidet nach der Art der Reaktion ▬ Typ-I- (anaphylaktische), ▬ Typ-II- (zytotoxische) und ▬ Typ-III- (durch Immunkomplexe ausgelöste) Reaktionen.
76
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Typ-I-Reaktionen (»Sofortreaktionen«)
II
Bei entsprechender Disposition und Kontakt mit bestimmten Antigenen (Pollen, Erdbeeren, Fischeiweiß, Arzneimittel u. a.) reagiert der Organismus u. U. »fehlgesteuert« mit einer besonders starken Bildung von Immunglobulinen des Typs IgE, wodurch bei späteren Kontakten mit dem gleichen Antigen eine anaphylaktische Reaktion ausgelöst werden kann. Merke
Die IgE-Antikörper heften sich mit ihrem Fc-Stück auf der Oberfläche von Mastzellen oder basophilen Granulozyten an. Wenn bei einem erneuten Kontakt die aufgenommenen Antigene (»Allergene«) mit den IgE-Antikörpern reagieren und dabei Antigenbindungsstellen von zwei IgE-Molekülen überbrücken, wirkt dies als Reiz auf die Zelle (»Aktivierung«).
Dieser Reiz führt u. a. durch einen Ca2+-Einstrom zur Aktivierung der Phospholipase A2 und konsekutiv zur Freisetzung von Leukotrienen über die Arachidonsäurekaskade (⊡ Abb. 4.6) sowie von Zytokinen (TNF-α, Interleukinen). Durch diese neu gebildeten Mediatorsubstanzen und durch die Freisetzung bereits präformierter Stoffe (z. B. Histamin, Heparin, Enzyme, chemotaktische und aktivierende Faktoren) aus den zytoplasmatischen Granula werden schnell typische Sekundärreaktionen in Gang gesetzt. Die hochaktiven Mediatoren führen zu schweren Funktionsstörungen (Anaphylaxie): Dilatation der Arteriolen und Steigerung der Kapillarpermeabilität durch Histamin und andere biogene Amine rufen Ödeme und Nesselsucht hervor. Die anaphylaktische Reaktion bleibt in manchen Fällen örtlich begrenzt (z. B. bei Asthma bronchiale oder Heuschnupfen); erfolgt sie jedoch bei entsprechend disponierten Personen generalisiert (z. B. nach Injektion von bestimmten Medikamenten oder nach Bienen- oder Wespenstichen), so kann ein massiver Blutdruckabfall (anaphylaktischer Schock, Kap. 6.8.2) auftreten. Spasmen der Bronchialmuskulatur sind hierbei als unmittelbare Todesursache von Bedeutung.
77 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
Typ-II-Reaktionen Merke
Allergische Reaktionen vom Typ II werden durch die Bindung von IgG oder IgM an zellständige Antigene ausgelöst. Folgen sind häufig Opsonisierung und Aktivierung des Komplementsystems mit nachfolgender Zytolyse (»zytotoxische Reaktion«).
Beispiele für diesen Reaktionstyp sind die Unverträglichkeitsreaktionen durch Auto-Antikörper gegen körpereigene Erythrozyten oder Thrombozyten.
Typ-III-Reaktionen Merke
Allergische Reaktionen vom Typ III werden durch Immunkomplexe hervorgerufen, die nach Komplementaktivierung zu entzündlichen Reaktionen im Organismus führen können.
Bei Antikörperüberschuss treten diese lokal an der Eintrittsstelle des Antigens auf. Typische Manifestationen beim Menschen sind Lungenerkrankungen bei wiederholtem Kontakt mit verschimmeltem Heu (»Farmerlunge«), mit Exkrementen von Tauben oder Hühnern (»Vogelzüchterlunge«) und mit anderen Allergenen. Bei Antigenüberschuss treten dagegen generalisierte Überempfindlichkeitsreaktionen auf, da die gebildeten Immunkomplexe im Kreislaufsystem zirkulieren. In Organen mit hoher Durchblutung werden die Immunkomplexe in die Gefäßwand eingelagert. Es resultieren daraus Entzündungsvorgänge der Gefäßwände (Vaskulitis). Durch Einlagerung von Immunkomplexen in die Nierenglomerula werden auf diese Weise bestimmte Formen der chronischen Glomerulonephritis hervorgerufen.
78
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
T-Lymphozyten-vermittelte Überempfindlichkeitsreaktionen
II
Merke
Dieser auch als »zelluläre Überempfindlichkeit« bezeichnete Prozess beruht auf einer spezifischen, durch T-Lymphozyten vermittelten Immunreaktion.
Nach Kontakt mit dem Antigen sezernieren CD4-T-Helferzellen Lymphokine, die sowohl zytotoxische CD8-T-Lymphozyten als auch Entzündungszellen (Neutrophile, Monozyten) aktivieren. Die Manifestation des Gewebeschadens tritt bei dieser sog. Typ-IV-Überempfindlichkeit erst nach Tagen bis Wochen auf, weshalb dieser Vorgang auch als Spätreaktion klassifiziert wird. In die Gruppe der Typ-IV-Überempfindlichkeitsreaktionen gehören die Überempfindlichkeit gegen Tuberkulin, einem Eiweißextrakt aus Tuberkulosebakterien, die Kontaktallergien der Haut, die besonders nach wiederholten Kontakten mit Chromaten, Nickelsalzen, Gummi-Inhaltsstoffen oder bestimmten Haarfärbemitteln u. a. auftreten können (Kontakt-Ekzeme), und die akute Transplantatabstoßung. Nach Organtransplantation werden die Transplantate umso intensiver und schneller abgestoßen, je weniger die Histokompatibilitäts-Antigene des Spenders denjenigen des Empfängers entsprechen. Es ist schwierig – von erbgleichen eineiigen Zwillingen abgesehen – einen Organspender zu finden, dessen MCH-Klasse-I-Moleküle (»Transplantationsantigene«) mit denen des Empfängers identisch sind. Man begnügt sich daher mit einer möglichst weitgehenden Übereinstimmung und unterdrückt erforderlichenfalls die T-Zellreaktionen.
4.7.6
Immunität und Immunisierung
Merke
Ist der Organismus in der Lage, bei einem Zweitkontakt ein Antigen (z. B. Masernviren) mit seinem Abwehrsystem ohne pathologische Reaktion unschädlich zu machen, ist er gegen dieses Antigen immun.
79 4.7 · Abwehrfunktionen des Blutes
4
Für eine Reihe von Infektionskrankheiten (z. B. Kinderkrankheiten wie Masern, Windpocken oder Keuchhusten) ist es charakteristisch, dass einer ersten Erkrankung nur sehr selten eine Wiedererkrankung folgt, weil der immunologische Schutz sehr lange anhält. Immunität kann man auch dadurch vermitteln, dass man Antikörper (Immunglobulin-Präparate) gegen bestimmte Antigene verabreicht (passive Impfung). Die Wirkung der passiven Immunisierung tritt sofort ein, ist aber auf einen relativ kurzen Zeitraum begrenzt. Bei der aktiven Impfung führt man dem Körper unschädliche Mengen des Antigens oder Antigenproduzenten (abgeschwächte oder abgetötete Erreger) zu, die im Organismus eine Antikörperproduktion anregen. Bei einem Zweitkontakt mit dem virulenten Erreger desselben Typs ist der Körper diesem dann nicht schutzlos ausgeliefert, sondern besitzt bereits Gedächtniszellen bzw. Abwehrstoffe gegen die pathogenen Keime. Der Impfschutz tritt bei einer aktiven Impfung erst nach einigen Tagen ein, hält dann aber über Monate und Jahre an.
4.7.7
Immuntoleranz und Autoimmunität
Immuntoleranz Merke
Tritt nach Zufuhr von Antigenen keine spezifische Immunreaktion auf, liegt eine Immuntoleranz vor.
Der Organismus zeigt im Allgemeinen gegen seine eigenen Gewebe und Substanzen eine natürliche Immuntoleranz, die vermutlich auf eine bereits in der Embryonalzeit ablaufende Antigenerkennung zurückzuführen ist. Ein regelmäßiger Kontakt mit vorhandenen bzw. fremden Stoffen in dieser Zeit, d. h. vor der Ausreifung eines kompetenten Immunsystems, führt zur Ausbildung einer immunologischen Reaktionsunfähigkeit. Die Mechanismen, die zur Induktion einer Immuntoleranz beitragen können, sind derzeit noch Gegenstand intensiver Forschung. Eine Immuntoleranz kann in manchen Situationen erwünscht sein bzw. muss u. U. induziert werden, wenn man durch gezielte Ausschaltung des Im-
80
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
munsystems eine bessere Verträglichkeit eines fremden Gewebes erreichen will (z. B. Immunsuppression nach Organtransplantationen).
II
Autoimmunreaktion Merke
Bei Verlust der Immuntoleranz können Antikörper gegen körpereigene Substanzen oder Gewebe gebildet werden. Dies führt dann zum Auftreten von Autoimmunkrankheiten (syn. Autoaggressions-Erkrankungen).
Als Mechanismen, die zu einer Störung der Selbsttoleranz führen und damit die Manifestation von Autoimmunerkrankungen induzieren, diskutiert man u. a. eine chemische Veränderung körpereigener Substanzen durch virale bzw. bakterielle Infektionen, medikamentöse Einflüsse, somatische Mutationen oder den Kontakt mit sog. kreuzreagierenden Antigenen. Im letzteren Fall handelt es sich um fremde Substanzen, welche die gleichen antigenen Merkmale wie bestimmte körpereigene Strukturen besitzen, sodass sich die Immunreaktionen nicht nur gegen die Fremdsubstanzen, sondern auch gegen eigene Gewebe richten. Zu den Autoimmunkrankheiten zählen u. a. die Myasthenia gravis, bei der Antikörper gegen den Azetylcholinrezeptor der motorischen Endplatte der Skelettmuskulatur gerichtet sind, die BASEDOW-Erkrankung der Schilddrüse (Antikörper gegen den TSH-Rezeptor) und der Typ-I-Diabetes mellitus (Zerstörung der β-Zellen der Langerhans-Inseln im Pankreas durch zytotoxische T-Zellen).
4.8
Blutgruppen Merke
Menschliche Erythrozyten weisen auf ihrer Zellmembran eine große Zahl spezieller, genetisch determinierter Strukturen auf, die Antigeneigenschaften besitzen.
Gegen viele dieser Antigene können u. U. Antikörper gebildet werden, wobei normalerweise eine Immuntoleranz gegen eigene Antigene besteht. Die ver-
81 4.8 · Blutgruppen
4
schiedenen antigenen Eigenschaften auf der Erythrozytenmembran bilden die Grundlage für die Differenzierung der Blutgruppen. Bis heute sind mehr als 30 Blutgruppensysteme genauer bekannt, von denen vor allem das AB0- und das Rhesus-System besondere klinische Bedeutung erlangt haben. MHC-IMoleküle fehlen auf der Erythrozytenoberfläche.
4.8.1
AB0-System
Agglutinogene und Agglutinine Antigene des AB0-Systems (syn. ABH-System) sind spezielle Glykoproteine oder Glykosphingolipide in der Erythrozytenmembran, die man als Agglutinogene (syn. agglutinable Substanzen) bezeichnet. Sie sind genetisch determiniert, d. h. sie werden vererbt. Die spezifischen Antikörper, die gegen die Blutgruppensubstanzen gerichtet sind, gehören im Falle des AB0-Systems vor allem zu den Immunglobulinen M (IgM) und werden als Agglutinine (Isoagglutinine) bezeichnet. Es handelt sich hierbei um sog. komplette Antikörper, die Erythrozyten direkt agglutinieren und, nach Komplementaktivierung, anschließend hämolysieren. Die im Plasma befindlichen Antikörper entstehen während der Säuglingszeit, obwohl normalerweise nie ein Kontakt mit fremden, antigen wirkenden Erythrozyten stattgefunden hat. Die Antikörperbildung wird hierbei von nichtpathogenen Darmbakterien oder bestimmten Nahrungsbestandteilen ausgelöst, welche die gleichen antigenen Determinanten wie die entsprechenden Erythrozytenantigene des AB0-Systems aufweisen. Kreuzreagierende Antigene mit Blutgruppenspezifität sind in der Natur weit verbreitet.
Blutgruppen des AB0-Systems Merke
Im AB0-System können die Erythrozyten vier verschiedene Antigenkonstellationen aufweisen: die Eigenschaft A, die Eigenschaft B, die Eigenschaft A und B sowie die Eigenschaft 0 (nur Merkmal H, ⊡ Tabelle 4.6).
Die H-Substanz, die in unterschiedlichem Maße alle Erythrozyten besitzen, hat nur extrem schwache Antigeneigenschaften, sodass gegen sie gerichtete Agglutinine normalerweise nicht vorkommen.
82
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
⊡ Tabelle 4.6. Blutgruppen des AB0-Systems mit zugehörigen Agglutinogenen und Agglutininen sowie Blutgruppenhäufigkeit
II
Blutgruppe
ErythrozytenAgglutinogene (Phänotyp)
ErythrozytenAgglutinogene (Genotyp)
Agglutinine im Serum
Blutgruppenhäufigkeit (Deutschland)
A
A
AA oder A0
Anti-B
ca. 43%
B
B
BB oder B0
Anti-A
ca. 12 %
AB
A und B
AB
kein Anti-A, Anti-B
ca. 5 %
0
keine (H)
keine
Anti-A und Anti-B
ca. 40 %
Mit zwei auf der Erythrozytenoberfläche befindlichen Antigenen A und B, die durch ihre Zuckerreste Galaktose (Gal), Fukose (Fuk) und N-Azetylgalaktosamin (NAGA) determiniert sind, ergeben sich vier mögliche Antigenkonstellationen: Fuk ▬ Blutgruppe A: Vorhandensein von A (–Gal–NAGA) Fuk ▬ Blutgruppe B: Vorhandensein von B (–Gal–Gal) ▬ Blutgruppe AB: Vorhandensein von A und B ▬ Blutgruppe 0: Vorhandensein von H (–Gal–Fuk) Bei der Blutgruppe A existieren mehrere Untergruppen. Neben den beiden starken Typen A1 und A2 gibt es noch schwache Merkmale (A3 bis A5) und andere extrem seltene A-Typen. Die A-Untergruppen haben nur in Ausnahmefällen Bedeutung.
Merke
Im Plasma bzw. im Serum eines Menschen der Blutgruppe A finden sich Agglutinine gegen die Blutgruppensubstanz B (Anti-B). Das Plasma der Blutgruppe B enthält Anti-A. Die Blutgruppe 0 weist im Plasma beide Agglutinine (Anti-A und Anti-B) auf. Bei der Blutgruppe AB fehlen die gegen A und B gerichteten Antikörper im Serum (⊡ Tabelle 4.6).
83 4.8 · Blutgruppen
4
⊡ Abb. 4.11. Blutgruppenbestimmung im AB0-System. Je ein Tropfen Blut wird mit Anti-BSerum, mit Anti-A-Serum und mit Anti-A-, Anti-B-Serum vermischt. Aus der Kombination der Agglutinationsreaktionen (dunkelrote Zusammenballung der Erythrozyten) ergibt sich die jeweils vorliegende Blutgruppe
Bestimmung der AB0-Blutgruppen. Zur konventionellen Blutgruppenbestimmung verwendet man menschliche Testseren, deren Bestand an Antikörpern bekannt ist. Im einfachsten Fall benötigt man hierzu ein Anti-B-Serum, ein Anti-A-Serum sowie zur Kontrolle ein Anti-A-, Anti-B-Serum, die auf einer speziellen Platte nebeneinander aufgetragen werden. In diese Seren mischt man dann jeweils einen Tropfen des zu untersuchenden Blutes ein, das aus einer Stichwunde des Ohrläppchens oder der Fingerbeere gewonnen wird. Nach 1–2 min kommt es in denjenigen Testfeldern, in denen der Antikörper mit dem passenden Erythrozyten-Antigen reagiert, zu einer Zusammenballung der Erythrozyten, die bereits mit bloßem Auge, im Zweifelsfall mit einer Lupe zu beobachten ist. ⊡ Abb. 4.11 zeigt die vier möglichen Agglutinationskombinationen und die sich daraus ergebenden Blutgruppendiagnosen.
Vererbung der Antigen-Eigenschaften Merke
Die Blutgruppeneigenschaften A und B werden gegenüber 0 autosomaldominant, untereinander jedoch kodominant vererbt.
Sechs mögliche Erbbilder (Genotypen) führen demnach zu vier verschiedenen Erscheinungsbildern (Phänotypen), welche die jeweiligen Blutgruppen
84
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
bestimmen und in unterschiedlicher Häufigkeit in der Bevölkerung vorkommen (⊡ Tabelle 4.6). Auf Grund der Vererbungsgesetze kann bei bekannten Blutgruppeneigenschaften von Mutter und Kind festgestellt werden, ob ein Mann mit einer bestimmten Blutgruppe als Vater dieses Kindes in Betracht kommt (forensischer Vaterschaftsausschluss). Die Aussagekraft solcher Untersuchungen wird wesentlich erhöht, wenn neben dem AB0-System noch weitere Blutgruppensysteme zur Begutachtung herangezogen werden. Bei Beachtung von 19 Systemen beträgt die Ausschlusschance für Nichtväter etwa 99 %. Die Verteilung der Blutgruppen innerhalb der Erdbevölkerung ist für einzelne Rassen und Völkergruppen sehr verschieden. Bei Amazonas-Indianern kommt fast ausschließlich die Blutgruppe 0 vor, während bei den Ureinwohnern Zentralasiens die Blutgruppe B doppelt so häufig ist wie in Mitteleuropa (Anwendung in der anthropologischen Forschung).
4.8.2
Rhesus-System
Rh-Eigenschaften der Erythrozyten Die Sensibilisierung von Meerschweinchen oder Kaninchen gegen Erythrozyten von Rhesusaffen führt zur Bildung von Antikörpern, die nicht nur die Rhesusaffen-Erythrozyten in Gegenwart eines Polymers agglutinieren, sondern auch bei 85 % aller Menschen Mitteleuropas eine Zusammenballung der roten Blutkörperchen hervorrufen. Blut, dessen Erythrozyten durch diese Antikörper agglutiniert werden, bezeichnet man als Rh-positiv, solches, in dem keine Agglutination auftritt, als rh-negativ. Merke
Die Rhesus-Eigenschaft wird durch Protein-Antigene (Hauptantigene: C,c, D, E,e) bestimmt. Unter diesen hat D die stärkste antigene Wirksamkeit, weshalb durch sein Vorkommen die Rh-positive Eigenschaft festgelegt ist. Personen, bei denen das D-Antigen fehlt, sind rh-negativ.
Bildung der Rh-Antikörper Ein wichtiger Unterschied zwischen dem Rh- und dem AB0-Blutgruppensystem besteht darin, dass die Antikörper des AB0-Systems nach Ablauf der
85 4.8 · Blutgruppen
4
ersten Lebensmonate immer vorhanden sind, Antikörper des Rh-Systems dagegen nur gebildet werden, wenn Rh-positive Erythrozyten in die Blutbahn einer rh-negativen Person gelangen. Daher treten erst bei einem Zweitkontakt Antigen-Antikörper-Reaktionen zwischen den erworbenen Rh-Antikörpern (vor allem IgG-Antikörpern) und Rh-positiven Erythrozyten auf. (Die meisten Rh-Antikörper sind sog. inkomplette Antikörper, d. h. sie agglutinieren nicht direkt, sondern nur in Gegenwart eines wasserlöslichen Polymers, das als Supplement bezeichnet wird.)
Rh-Inkompatibilität Gelangen fremde Rh-positive Erythrozyten in das Blut eines rh-negativen Empfängers, z. B. bei einer falschen Bluttransfusion oder während der Geburt eines Rh-positiven Kindes durch eine rh-negative Frau, so können Antikörper gegen die Rh-positiven Erythrozyten gebildet werden (Rh-Inkompatibilität ). Das gleiche gilt auch für eine Fehlgeburt oder einen Schwangerschaftsabbruch, sofern der Fetus bzw. der Embryo Rh-positiv und die Mutter rh-negativ ist. Bei einer erneuten Schwangerschaft besteht dann die Gefahr, dass die mütterlichen Antikörper über die Plazenta in den fetalen Blutkreislauf gelangen und nach Anlagerung an die antigenen Haftgruppen der fetalen Erythrozyten deren Hämolyse auslösen. Die Folgen sind Anämie, starke Gelbsucht (Ikterus gravis) und evtl. universelle Ödeme (Hydrops congenitus) des Neugeborenen. Diese Krankheit, die u. U. auch zum intrauterinen Fruchttod führen kann, wird als fetale Erythroblastose (Morbus haemolyticus neonatorum) bezeichnet.
4.8.3
Transfusionszwischenfälle
Werden Erythrozyten einer bestimmten Blutgruppe des AB0-Systems mit einem Serum zusammengebracht, das Antikörper gegen diese enthält, kommt es zur Agglutination: Die Erythrozyten werden zusammengeballt und können nach Komplementbindung hämolysieren. Bei der Transfusion gruppenungleichen (inkompatiblen) Blutes kann daher ein schwerer Transfusionszwischenfall (z. B. ein Transfusionsschock) auftreten. Dies gilt besonders dann, wenn das Empfängerplasma Antikörper gegen die Spender-Erythrozyten enthält (Major-Reaktion). Im umgekehrten Fall, d. h. wenn im Spenderblut Antikörper gegen die Empfänger-Erythrozyten vorhanden sind, verläuft
86
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
die Reaktion wegen der starken Verdünnung der Antikörper in der Blutbahn des Empfängers abgeschwächt (Minor-Reaktion). Ganz allgemein gilt aber die Regel, dass nur gruppengleiches (kompatibles) Blut übertragen werden darf. Kreuzprobe. Für die Vollbluttransfusion ist es nicht ausreichend, die Gruppengleichheit des Spenderund Empfängerblutes im AB0- und Rh-System festzustellen, weil Unverträglichkeiten anderer Blutgruppensysteme auch zu Transfusionszwischenfällen führen können. Daher wird vor jeder Transfusion eine Kreuzprobe durchgeführt, d. h. festgestellt, ob ▬ das Empfängerserum Antikörper gegen die Erythrozyten des Spenders enthält (Major-Test) und ▬ im Spenderserum Antikörper gegen die Erythrozyten des Empfängers vorkommen (Minor-Test). Hierzu werden die Erythrozyten des Spender- und Empfängerblutes abzentrifugiert, mit isotoner Kochsalzlösung gewaschen und mit dem Albumin-versetzten Serum der jeweils anderen Blutprobe vermischt. Die Beurteilung erfolgt nach einer Inkubationszeit von 20 min. Die Bluttransfusion darf nur erfolgen, wenn weder im Major-Test noch im Minor-Test eine Agglutination oder eine Hämolyse aufgetreten ist.
Thrombozyten und Hämostase
4.9
Merke
Gefäßdefekte mit Beteiligung des Endothels erfordern eine schnelle Abdeckung der betroffenen Stelle bzw. den Verschluss eines blutenden kleinen Gefäßes. Der Abdichtung der Läsion dienen verschiedene Schritte der Hämostase. Die an der Blutstillung beteiligten Komponenten sind die Thrombozyten, Gefäßwandreaktionen und plasmatische Gerinnungsfaktoren.
4.9.1
Thrombozyten
Inaktive Thrombozyten (Blutplättchen) sind linsenförmige, kernlose Scheibchen mit einem Längsdurchmesser von 1,5–4 µm und einer Dicke von 0,5–2 µm. Sie entstehen im Knochenmark durch »Abschnürung« aus dem Zytoplasma von Knochenmarksriesenzellen (Megakaryozyten). Die Megakaryozyten stammen wie die Granulozyten von myeloisch determinierten Stammzellen ( Kap. 4.5.2) ab und reifen im Knochenmark über Vorläuferzellen unter dem Einfluss von Interleukin-3 und Thrombopoietin ( Tabelle 4.5) zu funktionsfähigen Zellen heran.
87 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
4
Merke
Im Blut des Gesunden finden sich normalerweise 140 000–400 000 Thrombozyten/µl (Zählung mit automatischen Zählgeräten). Die Lebensdauer der Plättchen beträgt 8–12 Tage. Der Thrombozytenabbau erfolgt vor allem im Retikuloendothelialen System (Mononukleären Phagozytensystem). Ein wichtiges Speicherorgan für Thrombozyten ist die Milz.
Die Plasmamembran der Thrombozyten weist verschiedene integrale Glykoproteine auf, die als spezifische Membranrezeptoren für den von-Willebrand-Faktor (s. unten), für Fibrinogen und Fibronektin (s. unten) dienen. Darüber hinaus stellt die Plättchenmembran den für die Blutgerinnung wichtigen Plättchenfaktor 3 bereit, ein katalytisches Oberflächenphospholipid, das die Bindung, Anreicherung und Aktivierung von Gerinnungsproteasen ermöglicht. Direkt unter der Plasmamembran liegt ein strukturarmer Zytoplasmaraum, das Hyalomer, in dem lediglich zirkuläre Mikrotubuli aus Tubulin verlaufen, die für die Formstabilität der nicht-aktivierten Plättchen verantwortlich sind. Im Plättchenzentrum (Granulomer) sind zahlreiche Granula eingelagert. Diese enthalten eine Vielzahl von Inhaltsstoffen, die bei Aktivierung freigesetzt werden: ▬ α-Granula enthalten Fibrinogen, Fibronektin, Faktor V (s. unten), Thrombospondin, den Wachstumsfaktor PDGF (s. unten), den Plättchenfaktor 4 (= Antiheparin), den von-Willebrand-Faktor (vWF) u. a., 2+ ▬ elektronendichte Granula speichern ATP, ADP, Ca -Ionen und Serotonin, ▬ Lysosomen enthalten vor allem saure Hydrolasen. Unter physiologischen Bedingungen, d. h. bei unverletzter Intima und ungestörter Blutströmung finden kaum Thrombozyten-Endothel-Interaktionen statt. Voraussetzung hierfür sind u. a. eine intakte Glykokalix der Endothelzellen, die Ausbildung eines wandnahen Plasmasaums sowie die Freisetzung von Prostazyklin und Adenosin durch intakte Endothelzellen.
II
88
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.9.2
Primäre Hämostase
Merke
Die primäre Hämostase (Blutungsstillung) läuft in 3 Phasen ab: Adhäsion der Thrombozyten, reversible Plättchenaggregation und Bildung eines irreversiblen Thrombozytenpfropfes.
Sobald es an einem Blutgefäß zu einer Verletzung der Endothelauskleidung kommt, lagern sich Blutplättchen subendothelialen Strukturen an. Man bezeichnet diesen initialen Schritt als Plättchenadhäsion. Vermittelt wird diese Anlagerung der Thrombozyten u. a. durch den von-Willebrand-Faktor (vWF), ein großmolekulares Glykoprotein, das zwischen speziellen Membranrezeptoren der Plättchen und Kollagenfasern Brücken bildet (⊡ Abb. 4.12). Der von-Willebrand-Faktor ist darüber hinaus auch ein Trägerprotein für den Gerinnungsfaktor VIII (s. unten), den er nichtkovalent in Form eines Komplexes bindet und damit vor einem schnellen proteolytischen Abbau im Blut schützt. An der Brückenbildung zwischen subendothelialen Kollagenfasern und den Thrombozyten sind auch Fibronektin und Thrombospondin beteiligt. Freiliegendes subendotheliales Kollagen leitet auch die reversible Plättchenaggregation ein. Hierbei lagern sich die durch die Adhäsion aktivierten Thrombozyten eng aneinander, bilden auf Grund von Ca2+-abhängigen Aktin-Myosin-Interaktionen Pseudopodien aus und setzen die Inhaltsstoffe aus den Granula frei (⊡ Abb. 4.12). Gefördert wird die Aggregation durch ADP (aus den Thrombozyten) und den plättchenaktivierenden Faktor (PAF, aus Leukozyten und Thrombozyten). Durch den Aktivierungsreiz wird Ca2+-abhängig aus den Phospholipiden der Plättchenmembran Arachidonsäure freigesetzt, aus der enzymatisch über Zwischenstufen das aggregationsfördernde Thromboxan A2 entsteht. Letzteres verstärkt die Plättchenaggregation und ist – wie Serotonin – eine vasokonstriktorische Substanz, welche die glatte Gefäßmuskulatur von verletzten Arteriolen oder Venolen zur Kontraktion veranlasst. Diese Vasokonstriktion wird durch den Austritt von Blutplasma noch verstärkt, wodurch der von außen auf das Gefäß einwirkende Gewebedruck zunimmt. Außerdem kommt es zu einer Einrollung und Verklebung der Intima. Insgesamt resultiert eine Minder-
89 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
4
⊡ Abb. 4.12. Funktion der Thrombozyten bei der Hämostase. Adhäsion an subendothelialen Strukturen, reversible Plättchenaggregation (Aneinanderlagerung von Plättchen), Ausbildung eines irreversiblen Thrombozytenpfropfes und Aktivierung von Gerinnungsfaktoren nach Kontakt mit der Phospholipid-Matrix der Zellmembran (PF 3). vWF = von-WILLEBRANDFaktor, F = Fibrinogen, TXA2 = Thromboxan A2, TSP = Thrombospondin, PDGF = Wachstumsfaktor aus Thrombozyten, PF 4 = Plättchenfaktor 4
durchblutung der betroffenen Gefäßregion, die als Reparaturischämie bezeichnet wird. Das bei der Aktivierung des Gerinnungssystems (s. unten) inzwischen entstandene Thrombin bewirkt, dass die Blutplättchen zu einer homogenen Masse verschmelzen (irreversibler Thrombozytenpfropf). Hierzu sind außerdem die Brückenproteine Fibrinogen, Fibronektin und Thrombospondin erforderlich, welche die Plättchen untereinander vernetzen (⊡ Abb. 4.12).
90
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Die primäre Hämostase lässt sich durch Azetylsalizylsäure (z. B. Aspirin) hemmen, die über eine Hemmung der Zyklooxygenase COX-1 die Synthese von Thromboxan A2 unterdrückt (Thrombozytenaggregationshemmer). Möglicherweise wird beim normalen Ablauf der primären Hämostase eine Ausbreitung der Plättchenaggregation über den verletzten Bereich hinaus dadurch verhindert, dass von intakten Endothelzellen, welche die Verletzung begrenzen, Prostazyklin (PGI2) abgegeben wird, das eine überschießende Aggregation verhindert und zudem gefäßerweiternde Eigenschaften besitzt.
Merke
Die Ausbildung des irreversiblen Thrombozytenpfropfes und die Vasokonstriktion führen bei kleinen Läsionen nach 1–4 min zur vorläufigen Blutstillung (Blutungszeit).
4.9.3
Sekundäre Hämostase
Der zunächst allein aus Thrombozyten zusammengesetzte Pfropf ist nicht in der Lage, den Endotheldefekt stabil zu verschließen. Hierzu bedarf es der Mitwirkung des Gerinnungssystems, das zur gleichen Zeit, in der sich die komplexen Plättchenvorgänge abspielen, am Ort der Verletzung aktiviert wird. Merke
Die sekundäre Hämostase (Blutgerinnung) führt an der verletzten Stelle zur Ausbildung eines Fasernetzes aus Fibrin, dessen Bildung aus Fibrinogen durch die Protease Thrombin katalysiert wird. Thrombin wiederum entsteht aus Prothrombin nach einer Reihe kaskadenartiger Aktivierungsschritte, an der eine Vielzahl von Gerinnungsfaktoren beteiligt ist. Die Gerinnung ist nach 5–7 min abgeschlossen (Gerinnungszeit).
Der Prozess der sekundären Hämostase führt zur Ausbildung eines Gerinnsels (Thrombus), in das zahlreiche Erythrozyten mit eingeschlossen werden. Seine endgültige Festigkeit erhält das Fibrinmaschenwerk durch eine Kontraktion des Proteins Thrombosthenin aus den Thrombozyten, die mit Fibrinfäden vernetzt sind. Die an diesem Vorgang neben den Thrombozyten beteiligten Faktoren sind in ⊡ Tabelle 4.7 aufgelistet.
91 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
⊡ Tabelle 4.7. Blutgerinnungsfaktoren Faktor
Bezeichnung (Synonyme)
Bildungsort
I
Fibrinogen
Leber
II
Prothrombin
Leber
III
Gewebethromboplastin (Gewebethrombokinase)
Gewebezellen
IV
Kalzium-Ionen
V (VIa)
Proakzelerin (Akzelerator-Globulin)
vorwiegend Leber
VII
Prokonvertin
Leber
VIII
Antihämophiles Globulin A
Leber, Milz, RES
IX
Antihämophiles Globulin B (CHRISTMAS-Faktor)
Leber
X
STUART-PROWER-Faktor
Leber
XI
Plasma-Thromboplastin-Antecedent-Faktor (PTA, ROSENTHAL-Faktor)
RES (?)
XII
HAGEMAN-Faktor
RES (?)
XIII
Fibrin-stabilisierender Faktor (FSF, LAKI-LORAND-Faktor)
Leber
XIV
hochmolekulares Kininogen (FITZGERALD-Faktor)
verschiedene Organe
XV
Präkallikrein (FLETCHER-Faktor)
verschiedene Organe
a
VI ist kein selbständiger Faktor, sondern mit dem aktivierten Faktor V identisch
Der Gerinnungsprozess wird – wie die primäre Hämostase – durch die Gefäß- und Gewebeverletzung ausgelöst und auf zwei verschiedenen Wegen aktiviert: Auf dem exogenen oder extravaskulären Weg (Extrinsic-System) erfolgt die Aktivierung sehr schnell (innerhalb von Sekunden), während der Aktivierungsprozess auf dem endogenen oder intravaskulären Weg (Intrinsic-System) über eine größere Zahl von Zwischenstufen abläuft und längere Zeit (Minuten) benötigt (⊡ Abb. 4.13). An dem normalen Gerinnungsablauf sind in der Regel beide Systeme ineinander greifend beteiligt. Durch die gemeinsame Endstrecke der beiden aktivierenden Systeme wird schließlich Prothrombin (Faktor II), das zu den α1-Globulinen gehört und unter Mitwirkung von Vitamin K in der Leber gebildet wird, in Thrombin umgewandelt. Das so entstandene Thrombin ist ein proteolytisches Enzym, welches das gleichfalls in der Leber synthetisierte Fibrinogen (Faktor I) spaltet und damit die Bildung von Fibrin einleitet.
4
92
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
II
⊡ Abb. 4.13. Ablauf der Blutgerinnung (oben) und der Fibrinolyse (unten). Zur Bezeichnung der Gerinnungsfaktoren Tabelle 4.7. K = Kallikrein, PF 3 = Plättchenfaktor 3 (PhospholipidMatrix der Plättchenmembran)
Die Fibrinbildung wird dadurch eingeleitet, dass Thrombin das Fibrinogen in Fibrinopeptide und Fibrinmonomere aufspaltet. Letztere aggregieren anschließend spontan zu langen Strängen. Frisch gebildetes Fibrin ist instabil; erst durch den aktivierten Faktor XIII, eine Transglutaminase, erfolgt eine kovalente Quervernetzung. Die letzte Stufe der Gerinnung besteht in einem Zusammenziehen der Fibrinfäden (Retraktion).
Aktivierungswege Die Reaktionen des Extrinsic-Systems beginnen damit, dass durch die Zerstörung von Gewebezellen Gewebethromboplastin (Gewebethrombokinase,
93 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
4
Faktor III) freigesetzt wird. Dieses besteht im Wesentlichen aus einem Gemisch von Membran-Phospholipiden, die den plasmatischen Faktor VII aktivieren. Der unter Mitwirkung von Ca2+ an Membranphospholipide gebundene Faktor VII aktiviert seinerseits den Faktor X, der wiederum zusammen mit dem aktivierten Faktor V in Anwesenheit von Ca2+ (Faktor IV) die Transformation von Prothrombin in Thrombin bewirkt. Der relativ schnelle exogene Aktivierungsweg ist wahrscheinlich nur zu Beginn des Gerinnungsvorgangs von Bedeutung. Im weiteren Verlauf der sekundären Hämostase übernimmt das Intrinsic-System die führende Rolle als Fibrinbildner. Im Intrinsic-System ist die Zahl der Aktivierungsschritte größer. Es wird dadurch gestartet, dass der kontaktlabile Faktor XII durch Bindung an negativ geladene Oberflächen (z. B. von Kollagen der Basalmembran) aktiviert, d. h. in eine enzymatisch wirksame Form überführt wird. Diese Startreaktion weist einen Verstärkungsmechanismus auf: Der aktivierte Faktor XII, ein proteolytisches Enzym, aktiviert in Gegenwart von hochmolekularem Kininogen (Fitzgerald-Faktor) das Präkallikrein (Fletcher-Faktor) zu Kallikrein, das seinerseits wiederum den an Oberflächen gebundenen Faktor XII in eine aktive Form überführt. Damit beginnt ein kaskadenförmiger Aktivierungsprozess, der über die Faktoren XI und IX zur proteolytischen Aktivierung des Faktors X führt. Für die Reaktion der letztgenannten Stufe werden als Kofaktoren zusätzlich noch Ca2+, Faktor VIII und die Bereitstellung einer Phospholipid-Matrix auf der Thrombozytenmembran (Plättchenfaktor 3, PF 3) benötigt, die zusammen einen aktivierenden Komplex bilden. Auf der Stufe der gemeinsamen Aktivierung des Faktors X durch das intra- und extravaskuläre System fließen die beiden Reaktionswege zusammen. Das aus Prothrombin durch proteolytische Spaltung entstandene Thrombin hat mehrfache Aufgaben: Es ▬ spaltet Fibrinogen (s. oben), ▬ unterstützt die Thrombozytenaggregation (s. oben), ▬ aktiviert die Kofaktoren V und VIII, ▬ aktiviert den Faktor XIII und ▬ aktiviert Protein C und Protein S (s. unten).
94
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
Körpereigene Hemmstoffe des Gerinnungssystems
II
Intaktes Endothel unterdrückt sowohl die Plättchenaggregation als auch die Aktivierung der Gerinnungskaskade; es ist antithrombogen. Die Kontrolle der proteolytischen Gerinnungsprozesse erfolgt durch eine Reihe von Inhibitoren, zu denen Antithrombin III, Protein C und Protein S zählen. Antithrombin III (AT III) ist der wichtigste endogene Inhibitor zahlreicher Gerinnungsenzyme mit der höchsten Affinität zu Thrombin. Durch Bindung an Heparin (aus basophilen Granulozyten und Mastzellen) wird die Wirkung von AT III beschleunigt. Neben dem AT III kommt dem Protein C eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Gerinnungskaskade zu. Es ist ein Vitamin-K-abhängiges Proenzym des Plasmas, das durch Thrombin aktiviert wird, nachdem Letzteres zuvor an ein Membranprotein der Endothelzellen, das Thrombomodulin, gebunden wurde. Beschleunigt wird die proteolytische Wirkung von Protein C durch Anlagerung an das ebenfalls Vitamin-K-abhängige Protein S. Während das aktivierte Protein C membrangebundene Aktivatoren inaktiviert, hemmt AT III vor allem die wichtigsten Aktivatoren der plasmatischen Gerinnung.
4.9.4
Fibrinolyse
Merke
Unter der Fibrinolyse versteht man einen proteolytischen Prozess, durch den Fibrinnetze aufgelöst werden. Die wirksame Protease hierbei ist das Plasmin, das aus einer inaktiven Vorstufe, dem Plasminogen, unter der Einwirkung von Plasminogenaktivatoren entsteht.
Aufgaben der Fibrinolyse Das fibrinolytische System dient in vivo der Auflösung von überschüssig gebildetem Fibrin und der Begrenzung des Gerinnsels auf den verletzten Bezirk. Im strömenden Blut werden normalerweise immer geringfügige Fibrinmengen gebildet. Hieraus könnten sich intravasale Thromben entwickeln, wenn nicht laufend auch eine Fibrinauflösung stattfände. Das fibrinolytische System hat u. a. auch die Aufgabe, Röhrensysteme (Drüsenausführungsgänge, ableitende Harnwege) von Fibrinniederschlägen freizuhalten, dient der Implantation der befruchteten Eizelle im Uterus und schafft darüber hinaus die Voraussetzung
95 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
4
für die Wundheilung, weil es die »Reparatur« des Defektes durch Vernarbung einleitet. Die Narbenbildung beginnt mit dem Einwachsen von Fibroblasten und phagozytierenden Makrophagen in das verletzte Gewebe. Um die meist parallel angeordneten Fibroblasten bilden sich Fasern, die als Matrix für nachfolgend neu gebildetes Bindegewebe dienen. Weiterhin ist die Wundheilung auf eine Neubildung von kleinen Blutgefäßen (Angiogenese) angewiesen, die durch Angiogenesefaktoren ( Tabelle 4.5) ausgelöst und unterhalten wird. Fibrinbildung und Fibrinolyse stehen normalerweise miteinander im Gleichgewicht. Störungen dieses dynamischen Gleichgewichts können entweder zur intravasalen Gerinnselbildung (Thrombose) oder zur Blutungsneigung führen, je nachdem, welcher der beiden Prozesse überwiegt.
Aktivierung des fibrinolytischen Systems Die hydrolytische Spaltung des Fibrins in lösliche Fibrinspaltprodukte erfolgt unter der Einwirkung des Enzyms Plasmin (⊡ Abb. 4.13), das darüber hinaus auch Fibrinogen sowie die Faktoren V und VIII proteolytisch angreift. Plasmin liegt im Blutplasma in der inaktiven Vorstufe Plasminogen vor und kann bei Bedarf durch proteolytische Enzyme aktiviert werden. Zu den körpereigenen Plasminogenaktivatoren zählen der Gewebe-Plasminogenaktivator (tPA = Tissue Plasminogen Activator) und die Urokinase. Die Gewebeaktivatoren sind besonders aktiv, nachdem sie an Fibrinfäden gebunden werden. tPA wird insbesondere von Endothelzellen, die Urokinase vor allem von Epithelzellen der Niere freigesetzt und mit dem Urin ausgeschieden. Ein plasmatischer Aktivator des Plasminogens ist der Gerinnungsfaktor XII, der erst nach Interaktion mit Proaktivatoren (hochmolekularem Kininogen, Präkallikrein und Kallikrein) wirksam wird. Zur therapeutischen Auflösung von Gerinnseln (Thrombolyse) werden Streptokinase, ein bakterieller Plasminogenaktivator aus β-hämolysierenden Streptokokken, Urokinase und (z.T. gentechnologisch hergestellter) tPA eingesetzt. Hemmung der Fibrinolyse. Im Blutplasma tritt normalerweise keine systemische Aktivierung von Plasminogen auf, da dieses nur ausreichend aktiviert werden kann, wenn es (zusammen mit den Aktivatoren) an Fibrin gebunden ist. In Abwesenheit von Fibrin ist eine Plasminogenaktivierung wenig effektiv. Zudem werden die Aktivatoren im Plasma schnell durch Antiplasmine (z. B. durch α2-Antiplasmin, α2-Makroglobulin) inaktiviert. Die Fibrinolyse kann ferner durch körperfremde Fibrinolyseinhibitoren (z. B. durch den ProteasenInhibitor Aprotinin, durch ε-Aminokapronsäure oder Tranexamsäure) gehemmt werden.
II
96
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
4.9.5
Störungen der Hämostase, therapeutische Gerinnungshemmung und Funktionsprüfungen
Störungen der Hämostase Hämostasestörungen treten u. a. auf, wenn die Thrombozytenzahl, z. B. infolge allergischer Reaktionen (nach Gabe bestimmter Medikamente u. a.), stark absinkt (Thrombozytopenie). Unterhalb eines kritischen Wertes von 30 000–50 000/µl ist mit einer Blutungsneigung und mit dem Auftreten punktförmiger Hautblutungen (Petechien) zu rechnen. Ähnliche Störungen beobachtet man, wenn die Thrombozyten infolge eines genetischen Defektes nicht mehr in der Lage sind, ihre Aufgaben bei der Hämostase zu erfüllen (Thrombasthenie, Thrombozytopathie). Erworbenen Gerinnungsstörungen liegt oft eine unzureichende Synthese von Gerinnungsfaktoren in der Leber zugrunde. Als Ursache hierfür kommen in Frage ein Leberparenchymschaden oder ein Vitamin-K-Mangel (bei gestörter Fettabsorption oder bei Zerstörung der Vitamin-K-produzierenden Darmbakterien durch Antibiotika). Da Vitamin K zur Synthese der Faktoren II, VII, IX und X benötigt wird, nimmt der Gehalt an diesen Faktoren ab, woraus dann eine verstärkte Blutungsneigung resultiert. Zu den angeborenen Gerinnungsstörungen gehört vor allem die Bluterkrankheit (Hämophilie), bei der in den meisten Fällen ein Faktor VIII-Mangel (Hämophilie A), seltener ein Faktor IX-Mangel (Hämophilie B) vorliegt. Beide Formen der Hämophilie werden X-chromosomal rezessiv vererbt, d. h. Frauen übertragen die Krankheit, während sie bei Männern manifest wird. Diese Krankheit ist dadurch gekennzeichnet, dass der primäre Verschluss einer Wunde wegen der gestörten Gerinnung nicht verfestigt wird; daher können selbst bei geringen Verletzungen schwerste Blutungen in Weichteile und Gelenke hinein auftreten.
Hemmung der Blutgerinnung Nach der Blutentnahme kann (in vitro) die Gerinnung durch Überführen des ionisierten Kalziums (Faktor IV) in schwer lösliche Verbindungen oder in Kalziumkomplexe (z. B. durch Zusatz von Natriumoxalat oder Natriumzitrat bzw. des Chelatbildners EDTA) verhindert werden. Durch Abkühlung oder Auffangen des Blutes in Gefäße mit nichtbenetzbaren Oberflächen lässt sich erreichen, dass der Gerinnungsprozess stark verzögert abläuft. Therapeutisch eingesetzte Hemmstoffe (Antikoagulantien) sind Heparin, Hirudin und Kumarinderivate. Heparin hemmt sowohl in vivo als auch in vitro die Blutgerinnung. Dieses Polysaccharid liegt in den Granula der basophilen Granulozyten und der Mastzellen vor. Heparin ist vor allem ein Thrombinantagonist, d. h. es hemmt die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin. Seine Wirkung ist an die Anwesenheit von Antithrombin III ( Kap. 4.9.3) ge-
97 4.9 · Thrombozyten und Hämostase
4
bunden, dessen Kofaktor es darstellt und dessen Wirkung es um ein Vielfaches verstärkt. Heparin wirkt sehr schnell, die Wirkung hält aber nur einige Stunden an und kann durch Gabe von Protaminsulfat schnell wieder aufgehoben werden. Heparinoide sind synthetische Präparate, die eine heparinähnliche Wirkung entfalten. Natürlich vorkommende Gerinnungshemmer sind Hirudin aus dem Speichel des Blutegels (Thrombinantagonist) sowie bestimmte Enzyme aus Schlangengiften, die durch Spaltung von Fibrinogen eine Fibrinbildung verhindern. Lokal gerinnungshemmend wirken auch Antithrombine im Speichel Blut saugender Insekten.
Nach Gabe von Kumarinderivaten tritt eine effektive Gerinnungshemmung in vivo erst nach etwa 3 Tagen ein, klingt aber auch nur sehr langsam wieder ab. Dies beruht darauf, dass Kumarinderivate in der Leber als Vitamin-KAntagonisten wirken und die Synthese der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX und X) hemmen. Bei Gabe von Kumarinderivaten muss die herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit mit Hilfe des Quick-Tests (s. unten) laufend kontrolliert werden, um Spontanblutungen zu vermeiden. Die Wirkung von Kumarinderivaten lässt sich – wenn notwendig – durch hohe Dosen von Vitamin K bzw. durch Gabe der betroffenen Gerinnungsfaktoren wieder aufheben.
Funktionsprüfungen Merke
Zur Basisdiagnostik von Störungen der Hämostase zählen die Thrombozytenzählung (Kap. 4.9.1), die Bestimmung der Blutungszeit, der Thromboplastinzeit, der partiellen Thromboplastinzeit und der Plasma-Thrombinzeit.
Zur Prüfung der primären Hämostase bestimmt man die Blutungszeit, d. h. die Zeit bis zum Sistieren der Blutung aus einer kleinen Stichwunde. Nach dem Einstich in das Ohrläppchen wird das austretende Blut alle 20 s mit Fließpapier abgesaugt, ohne die Wundränder zu berühren. Normalerweise beträgt die Blutungszeit 1–4 min. Die Blutungszeit ist bei Thrombozytopenie, bei Thrombozytopathien und bei Gefäßwandstörungen verlängert. Zur Prüfung der Gerinnungsreaktionen, die nach der Einwirkung von Gewebethromboplastin (Gewebethrombokinase) ablaufen, dient die Bestimmung der Thromboplastinzeit (Prothrombinzeit, QUICK-Test). Hierzu wird Venenblut durch Zitratzusatz ungerinnbar gemacht und zentrifugiert. Dem Plasma setzt man dann bei 37 °C Gewebethromboplastin und Ca2+ im Überschuss zu und bestimmt die Zeit bis zum Auftreten der ersten Fibrinfäden. Die so ermittelte Thromboplastinzeit beträgt normalerweise 11–16 s. Die Thromboplastinzeit ist in erster Linie bei einem Mangel an Prothrombin (II),
98
II
Kapitel 4 · Blut und Abwehrfunktionen
an den Faktoren VII und X, jedoch auch bei Abnahme der Faktoren I und V verlängert. Ordnet man die normale Thromboplastinzeit einem QUICK-Wert von 100 % zu, so lässt sich anhand einer Kalibrierkurve für jede Verlängerung dieser Zeit die zugehörige Reduktion des QUICK-Werts angeben. Eine Abnahme des QUICK-Werts (verlängerte Thromboplastinzeit) findet man bei Vitamin-K-Mangel und bei der Gabe von Kumarinderivaten, jedoch nicht bei Hämophilie. Mit dem QUICK-Test wird die Funktion des extrinsischen Weges und der gemeinsamen Endstrecke erfasst. Der Befund einer Thromboplastinzeit-Bestimmung kann in Sekunden, in % der Norm oder als INR-Wert angegeben werden (INR = International Normalized Ratio; Referenzbereich: 0,85–1,15). Zur Prüfung der Gerinnungsreaktionen des intrinsischen Gerinnungsweges (einschließlich der gemeinsamen Endstrecke) dient die Bestimmung der partiellen Thromboplastinzeit (PTT). Hierzu wird zu Zitratplasma im Überschuss ein Reagenz mit Plättchenfaktor 3 (Membranphospholipiden) und Ca2+ gegeben und die Zeit bis zum Eintritt der Gerinnung gemessen (Referenzbereich: 25–35 s). Zur Testung auf Störungen der Fibrinbildung (z. B. bei Fibrinogenmangel oder Fibrinolysetherapie) bestimmt man die Plasma-Thrombinzeit (PTZ). Hierbei wird Zitratplasma durch Zugabe einer TestThrombinlösung zur Gerinnung gebracht (Referenzbereich: 17–24 s).
III Herz und Kreislauf Kapitel 5
Herzfunktion
– 100
Kapitel 6
Blutkreislauf
– 157
III
100
Kapitel 5 · Herzfunktion
5
Herzfunktion
Das Herz (⊡ Abb. 5.1) stellt ein vierkammeriges, muskuläres Hohlorgan dar, dessen Pumpwirkung auf der rhythmischen Erschlaffung und Kontraktion der Herzmuskulatur beruht. Merke
In der Diastole füllen sich die Herzkammern (Ventrikel) mit Blut, in der Systole werfen sie es unter Druckentwicklung in die angeschlossenen großen Arterien aus. Dabei pumpt der rechte Ventrikel das Blut über den Truncus pulmonalis in den Lungenkreislauf, der linke Ventrikel über die Aorta in den Körperkreislauf.
Ein Rückstrom wird durch die Ventilwirkung der Herzklappen verhindert. Jeder Herzkammer ist ein Vorhof (Atrium) vorgeschaltet, der das Blut aus den zuleitenden Venen (Vv. cavae bzw. Vv. pulmonales) aufnimmt. Die Sys-
⊡ Abb. 5.1. Frontalansicht des eröffneten Herzens und der angeschlossenen Gefäße. Die Richtung der Blutströmung ist durch Pfeile gekennzeichnet
101 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5
tole der Vorhöfe geht jeweils der Ventrikelsystole voraus und unterstützt in geringem Maße die Füllung der Kammern. Dieser gesetzmäßige Kontraktionsablauf wird durch die Erregungsausbreitung über die Herzmuskulatur (Myokard) gesteuert.
5.1
Erregungsprozesse im Herzen
5.1.1
Erregungsbildung und Erregungsausbreitung
Morphologisch und funktionell unterscheidet man zwei Typen von Herzmuskelfasern: ▬ Fasern des Arbeitsmyokards für die Pumparbeit (Hauptmasse), ▬ Fasern des spezifischen Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems für die Herzerregung.
Autorhythmie Die Herzmuskelfasern besitzen wie die Nervenzellen und die Skelettmuskelfasern die Eigenschaft der Erregbarkeit: Sie haben ein Ruhepotential und sind in der Lage, Erregungen in Gestalt von Aktionspotentialen fortzuleiten. Bestimmte Anteile der Herzmuskulatur, die Fasern des Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems (⊡ Abb. 5.2) sind außerdem dazu befähigt, spontan Erregungen zu bilden. Die spezialisierten Fasern dieses Systems sind im Vergleich zur übrigen Herzmuskulatur (Arbeitsmyokard) ärmer an Fibrillen und Mitochondrien, aber reicher an Sarkoplasma und Glykogen. Merke
Die rhythmischen Aktionen des Herzens werden von Erregungen ausgelöst, die normalerweise im Sinusknoten (Sinuatrial-Knoten, KEITH-FLACK-Knoten) entstehen.
Hierbei handelt es sich um ein 15 mm langes und 2 mm dickes Muskelzellgeflecht, das im rechten Vorhof an der Einmündung der V. cava superior lokalisiert ist. Die Fähigkeit dieser Zellen, in bestimmten Zeitabständen spontan Erregungen zu bilden, stellt die Grundlage für die Selbststeuerung der Herzschlagfolge (Autorhythmie, Automatie) dar.
102
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.2. Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem des Herzens (grün) mit den Aktionspotentialformen, die für die jeweiligen Fasern charakteristisch sind ( Kap 5.1.2)
Erregungsausbreitung Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung zunächst radiär über das Arbeitsmyokard beider Vorhöfe (mit einer Geschwindigkeit von 0,6–1 m/s) aus und greift dann auf den Atrioventrikularknoten (AV-Knoten, Aschoff-TawaraKnoten) über, der sich am Boden des rechten Vorhofs in Septumnähe dicht bei der Sinus-coronarius-Mündung befindet. Im AV-Knoten ist die Geschwindigkeit der Erregungsleitung wegen des geringen Faserdurchmessers und des fehlenden schnellen Na+-Einwärtsstroms relativ niedrig (0,05–0,1 m/s).
103 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5
Durch diese Verzögerung bei der AV-Überleitung (»Nadelöhr«) wird gewährleistet, dass die Kammerkontraktion erst nach Beendigung der Vorhofsystole beginnen kann. Vom AV-Knoten aus erreicht die Erregung den Stamm des His-Bündels, der das bindegewebige Herzskelett durchbricht und die einzige erregungsleitende Verbindung zwischen Vorhöfen und Kammern darstellt. Das His-Bündel teilt sich nach einigen Millimetern in den rechten und den linken Kammerschenkel (Tawara-Schenkel), die beiderseits in der Kammerscheidewand unter dem Endokard zur Basis der Papillarmuskeln ziehen, wobei sich der linke Schenkel in einen vorderen und hinteren Faszikel aufteilt. Die Endaufzweigungen des Systems bilden die Purkinje-Fasern, die ohne deutliche Grenzen in das Arbeitsmyokard übergehen. Der Weg vom HIS-Bündel bis zu den PURKINJE-Fasern wird auf Grund des relativ großen Faserdurchmessers mit hoher Erregungsleitungsgeschwindigkeit (2–4 m/s) überwunden. Auf diese Weise gelangt die Erregung nahezu gleichzeitig zu vielen Orten der subendokardialen Myokardschichten, um sich von dort langsamer (0,5– 1 m/s) über das gesamte Arbeitsmyokard auszubreiten. Da alle Myokardfasern schnell nacheinander über Gap Junctions (Nexus) von der Erregung erfasst werden (Alles-oder-Nichts-Gesetz der Erregungsausbreitung), erfordert der Ausbreitungsvorgang in der Ventrikelmuskulatur nur eine Zeit von etwa 70 ms.
Hierarchie der Erregungsbildungszentren Obwohl normalerweise der Antrieb der Herzaktion vom Sinusknoten ausgeht (primäres Erregungsbildungszentrum), sind auch die übrigen Teile des spezialisierten Erregungsleitungssystems zur rhythmischen Erregungsbildung befähigt. Die Frequenz der Erregungsfolge, die im Sinusknoten bei Körperruhe 60–80 min–1 beträgt (Sinusrhythmus), nimmt jedoch mit der Entfernung vom primären Zentrum ab. Daher wird die langsamere Erregungsbildung der nachgeordneten Zentren in der Regel überspielt und dem gesamten System der Sinusrhythmus aufgezwungen. Wenn jedoch der Sinusknoten ausfällt oder die Erregung nicht auf die Vorhöfe weitergeleitet wird (sinuatrialer Block), so kann ersatzweise der Atrioventrikularknoten mit einer Eigenfrequenz von 40–60 min–1 (AV-Rhythmus) die Schrittmacherfunktion übernehmen (sekundäres Erregungsbildungszentrum). Kommt es zu einer totalen Unterbrechung der Erregungsüberleitung von den Vorhöfen auf die Ventrikel (totaler Herzblock), dann
104
Kapitel 5 · Herzfunktion
⊡ Tabelle 5.1. Formen der Erregungsleitungsstörung und ihre Folgen (Auswahl)
III
Erregungsleitungsstörung
führt infolge
zu
AV-Block I. Grades
verzögerter Überleitung im AV-Knoten (> 0,2 s)
verspätet einsetzenden Ventrikelkontraktionen
AV-Block II. Grades (partieller AV-Block)
Ausfall einzelner AV-Überleitungen
unregelmäßiger Folge der Ventrikelkontraktionen
AV-Block III. Grades (totaler Herzblock)
vollständiger Unterbrechung der AV-Überleitung
Dissoziation von Vorhofkontraktionen (im Sinusrhythmus) u. Ventrikelkontraktionen (im Kammerrhythmus)
Schenkelblock
Unterbrechung der Erregungsleitung in einem Kammerschenkel
untypischer Erregungs- und Kontraktionsausbreitung in den Ventrikeln
besteht die Möglichkeit, dass ein tertiäres Erregungsbildungszentrum im ventrikulären Leitungssystem mit einer Frequenz von 25–40 min–1 (Kammerrhythmus) als Schrittmacher der Ventrikelaktion eintritt.
Störungen der Erregungsausbreitung Die Erregungsleitung kann unter pathologischen Bedingungen an bestimmten Orten verzögert ablaufen oder auch partiell bzw. total unterbrochen sein. Eine solche Erregungsleitungsstörung , die allgemein als Block bezeichnet wird, führt u. U. zu einer Herzrhythmusstörung (Arrhythmie). In ⊡ Tabelle 5.1 sind verschiedene Formen des Leitungsblocks und ihre Auswirkungen zusammengestellt. Künstliche Herzschrittmacher. Stark ausgeprägte Störungen der Erregungsbildung bzw. Erregungsleitung können – sofern eine ausreichende Kontraktionskraft des Myokards erhalten ist – durch Implantation von künstlichen Schrittmachern behandelt werden. Ein solcher subkutan implantierter, miniaturisierter Impulsgenerator erzeugt Stromimpulse, die über Kabelelektroden zum Herzen gelangen und dieses zu rhythmischen Kontraktionen veranlassen. Schrittmacher schalten sich nur ein, wenn die Spontanaktivität des Herzens unterbrochen ist (Demand-Schrittmacher). Nach der Funktionsweise unterscheidet man: starrfrequente Schrittmacher mit einstellbarer, aber fixierter Impulsfrequenz (im Allgemeinen mit 70 min–1), frequenzadaptive Schrittmacher, deren Impulsfrequenz sich automatisch an die Belastungssituation anpasst.
105 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5.1.2
5
Aktionspotentiale
Aktionspotential des Arbeitsmyokards Merke
Wie jede erregbare Zelle weist die Myokardfaser ein Ruhepotential ( Kap. 1.3.1) auf, das in diesem Fall etwa –90 mV (innen gegen außen) beträgt. Charakteristisch für den Erregungsprozess ist eine kurzfristige Positivierung des Faserinneren, das Aktionspotential.
Ein solches Aktionspotential wird von dem benachbarten, bereits erregten Ort her durch eine lokale Depolarisation ausgelöst, die mindestens 15 mV betragen muss. Wird diese Schwelle, die bei der Myokardfaser bei –70 bis –75 mV liegt, überschritten, so läuft die weitere Änderung des Membranpotentials selbsttätig ab. Es kommt zunächst zu einem raschen (1–2 ms dauernden) Potentialanstieg (⊡ Abb. 5.3), bis die sog. initiale Spitze bei etwa + 30 mV erreicht ist. An diese schnelle Aufstrichphase schließt sich die Repolarisationsphase an, in der zunächst ein für die Herzmuskelfaser charakteristisches längerdauerndes Plateau ausgebildet wird, bevor die Rückkehr zum Ruhepotential erfolgt. Die Dauer des Aktionspotentials der Myokardfaser hängt von der Herzfrequenz ab; sie variiert zwischen 180 ms bei hoher Frequenz und 400 ms bei langsamer Schlagfolge. Normalerweise ist das Aktionspotential der Vorhofmuskulatur kürzer als das der Arbeitsmuskulatur in den Ventrikeln (⊡ Abb. 5.2). Der anfängliche Potentialanstieg (Phase 0) wird durch eine kurzdauernde, starke Zunahme der Membranleitfähigkeit für Na+-Ionen (vorübergehende Öffnung schneller Na+-Kanäle, Tabelle 5.2) erzeugt, die einen schnellen Na+-Einstrom zur Folge hat (⊡ Abb. 5.3). Die schnellen Na+-Kanäle werden jedoch sehr rasch inaktiviert, sodass sofort eine Teilrepolarisation eintritt (Phase 1). Die charakteristische Plateauphase (Phase 2) ist darauf zurückzuführen, dass langsame Ca2+-Kanäle vom L-Typ ( Tabelle 5.2) für längere Zeit geöffnet werden und die Leitfähigkeit für K+-Ionen in dieser Phase erniedrigt ist, sodass sich die Effekte des langsamen Ca2+-Einstroms und eines entsprechenden K+-Ausstroms auf das Membranpotential etwa die Waage halten. Erst wenn die Ca2+-Leitfähigkeit so weit wieder abgenommen hat, dass sie die in
106
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
Netto-Membranstrom
⊡ Abb. 5.3. Aktionspotential der Herzmuskelzelle. Oben: Verlauf des Aktionspotentials. Mitte: Änderungen der Membran-Ionenleitfähigkeiten für Na+, Ca2+ und K+, die dem Aktionspotential zugrunde liegen. Unten: Richtung und Verlauf des Netto-Ionenstroms durch die Membran. Die Leitfähigkeit für den repolarisierenden Membranstrom spiegelt die Aktivität mehrerer K+-Kanäle wider
107 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
⊡ Tabelle 5.2. Wichtige spannungsgesteuerte Ionenkanäle für die Erregung der Myokardfasern (Auswahl) Kanäle
Charakteristika
Funktionen
Schwelle bei –40 mV Blockade durch Kalziumkanalblocker Schwelle bei –70 mV
langsamer Ca2+-Einwärtsstrom (Plateau des Aktionspotentials, späte diastol. Depolarisation im Sinusknoten), elektromechanische Kopplung frühe diastolische Depolarisation im Sinusund AV-Knoten
Schwelle bei –70 bis –60 mV Blockade durch Lokalanästhetika Aktivierung bei Repolarisationsende
Aufstrich des Aktionspotentials im Arbeitsmyokard und im ventrikulären Erregungsleitungssystem frühe diastolische Depolarisation im ventrikulären Leitungssystem und im Sinusknoten
Aktivierung in der Depolarisationsphase Zunahme der Leitfähigkeit bei Repolarisation im Myokard
frühe Repolarisation späte Repolarisation Abschluss der Repolarisation, Ausbildung des Ruhepotentials
Ca2+-Kanäle L-Typ (= Dihydropyridin-Rezeptor) T-Typ Na+-Kanäle schneller Na+-Kanal INa SchrittmacherKanal If K+-Kanäle Ito-Kanal IK-Kanal Einwärtsgleichrichter IK1
dieser Zeit herabgesetzte K+-Leitfähigkeit unterschreitet, entsteht ein Nettoausstrom von Kationen, der die Repolarisation einleitet (Phase 3). Durch diese Negativierung des Membranpotentials wird die K+-Leitfähigkeit erhöht, was zur vollständigen Repolarisation führt. Bei der Arbeitsmuskulatur ist nach Beendigung des Aktionspotentials die K+-Leitfähigkeit gleich bleibend hoch, sodass das Ruhepotential bis zur nächsten Erregung einen konstanten Wert beibehält (Phase 4). Durch Hemmung der K+-Kanäle (mit sog. K+-Kanalblockern) wird die Repolarisationsphase verlängert.
Refraktärperiode Merke
Während des Erregungsvorgangs ist die Herzmuskelfaser refraktär, d. h. ihre Ansprechbarkeit auf Extrareize aufgehoben oder vermindert.
5
108
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
Während der schnellen Depolarisation, des Plateaus und der nachfolgenden Repolarisation (bis zum Wert von etwa –40 mV) kann auch durch stärkste Extrareize keine weitere Erregung ausgelöst werden. Diese Phase bezeichnet man als absolute Refraktärperiode. In der anschließenden Phase bis zur Repolarisation auf etwa –75 mV kehrt die Erregbarkeit allmählich wieder zurück. In dieser sog. relativen Refraktärperiode kann zwar ein neues Aktionspotential ausgelöst werden; hierfür ist jedoch eine stärkere Depolarisation erforderlich, als dies normalerweise der Fall ist. Die in der relativen Refraktärperiode entstehenden Aktionspotentiale haben einen langsameren Anstieg, eine kleinere Amplitude sowie eine kürzere Dauer und werden relativ langsam fortgeleitet. Sie führen zu einer verminderten Ca2+-Freisetzung in den Herzmuskelfasern und dadurch zu einer kleineren Kontraktionsamplitude ( Kap. 5.2.2). In der letzten Phase der Depolarisation (–75 bis –90 mV) ist die Erregbarkeit gesteigert (»supranormal«). Da die absolute und die relative Refraktärperiode zusammen etwa der Dauer des Aktionspotentials entsprechen, beeinflussen Verkürzungen oder Verlängerungen der Aktionspotentiale (z. B. bei Herzfrequenzänderungen) auch die Dauer der Refraktärperioden. Aus diesem Grund sind auch die Refraktärperioden der Vorhofmuskulatur kürzer als die des Ventrikelmyokards. Die absolute Refraktärperiode ist im Wesentlichen eine Folge der Inaktivierung des schnellen Na+-Kanals nach dem initialen Na+-Einstrom, sodass ein weiteres Aktionspotential nicht entstehen kann. In der anschließenden relativen Refraktärperiode wird das Na+-System zunehmend reaktiviert; in dieser Phase kann zwar ein erneuter Na+-Einstrom stattfinden, führt jedoch nur zu einer begrenzten Depolarisation, d. h. zu einer verminderten Amplitude des Aktionspotentials. Der schnelle Na+-Kanal kann durch Na+-Kanalblocker (z. B. Lokalanästhetika) gehemmt werden; hierdurch wird die Refraktärperiode verlängert.
Funktionelle Bedeutung der langen Refraktärperiode Die lange Aktionspotentialdauer und die davon abhängige lange Refraktärperiode verhindern, dass die Herzaktion durch zu frühe Wiedererregung gestört wird. Ebenso bildet die lange Refraktärperiode einen Schutz gegen den Wiedereintritt (Re-entry) von Erregungen, die nach Durchlaufen eines bestimmten Weges im funktionellen Herzmuskelsynzytium zu ihrem Ursprungsort zurückkehren. Die Erregungen treffen alle zuvor erregten Abschnitte im refraktären Zustand an, sodass es in der Regel nicht zu einem »Kreisen« von Erregungen kommen kann. Werden allerdings Extraerregungen in der relativen Refraktärperiode ausgelöst, so können u. U. kreisende Erregungen entstehen. Ursache hierfür sind die verkürzte Refraktärzeit und die langsamere Fortleitung von Erregungen, die in der relativen Refraktärperiode einsetzen (s. oben). Solche Erregungen
109 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5
können nach Durchlaufen eines bestimmten Weges im Myokard ihren Ursprungsort bereits wieder im erregbaren Zustand vorfinden, sodass ein Wiedereintritt möglich ist. Es besteht also die Gefahr, dass durch überschwellige äußere Reize (z. B. beim Elektrounfall) oder durch spontane Extraerregungen in der relativen Refraktärperiode besonders leicht Herzflimmern ( Kap. 5.1.3) ausgelöst wird. Daher bezeichnet man dieses Zeitintervall als die vulnerable Phase der Herzmuskelerregung.
Eine weitere Konsequenz aus der langen absoluten Refraktärphase besteht darin, dass die Kontraktion des Myokards beendet ist, bevor durch eine nachfolgende Erregung eine erneute Kontraktion ausgelöst werden kann. Eine Überlagerung der Kontraktionen (Superposition) ist also nicht möglich. Im Gegensatz zum Skelettmuskel, dessen Kontraktion erst einsetzt, wenn die Refraktärperiode praktisch beendet ist, kann der Herzmuskel ausschließlich Einzelkontraktionen ausführen.
Aktionspotential der Schrittmacherzellen Merke
Während das Aktionspotential des Arbeitsmyokards nur durch Depolarisation von einer benachbarten Stelle her ausgelöst werden kann, sind die Zellen des Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems zur spontanen Depolarisation befähigt (Schrittmacherpotential).
Wie ⊡ Abb. 5.4 zeigt, beginnt die langsame diastolische Depolarisation sofort nach dem Ende des vorausgehenden Aktionspotentials. Erreicht die diastolische Depolarisation die in ⊡ Abb. 5.4 gekennzeichnete Schwelle, so entsteht das nächste fortgeleitete Aktionspotential. Die Zellen des Sinusknotens sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen die spontane Depolarisation schneller erfolgt als in den übrigen Zellen des spezifischen Systems (AV-Knoten, His-Bündel, Purkinje-Fasern). Aus diesem Grund wird der Rhythmus der Herzaktion normalerweise von den Zellen des Sinusknotens bestimmt (aktueller Schrittmacher). Erst bei dessen Ausfall kann die langsamere spontane Depolarisation anderer Zellgruppen des Systems die Schwelle erreichen und damit den Rhythmus der Herzaktion steuern. Diese Zellgruppen werden daher auch als potentielle Schrittmacher bezeichnet. Der Sinusknoten weist auf Grund einer relativ hohen Hintergrundsleitfähigkeit für Na+ ein relativ kleines Ruhepotential (maximales diastolisches
110
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.4. Aktionspotentiale von Schrittmacherzellen und Zellen des Arbeitsmyokards. In den Zellen des Sinusknotens (aktueller Schrittmacher) folgt auf die Repolarisation eine spontane Depolarisation, die nach Erreichen des Schwellenpotentials ein neues Aktionspotential auslöst. In den übrigen Zellen des Erregungsleitungssystems (potentieller Schrittmacher) erfolgt die spontane Depolarisation so langsam, dass sie vor Erreichen der Schwelle durch das zugeleitete Aktionspotential unterbrochen wird. Im nichtautomatischen Arbeitsmyokard kann das Aktionspotential nur von benachbarten Fasern her ausgelöst werden
111 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5
Potential) von etwa –60 mV auf. Hierdurch sind die schnellen Na+-Kanäle weitgehend inaktiviert. Merke
Die langsame diastolische Spontandepolarisation im Sinusknoten beruht darauf, dass die während der Repolarisationsphase des Aktionspotentials angestiegene K+-Leitfähigkeit wieder abnimmt und ein langsamer Einstrom von Ca2+ (durch T-Typ-Kanäle, ⊡ Tabelle 5.2) sowie von Na+ depolarisierend wirkt.
Erreicht die Spontandepolarisation eine Schwelle von etwa –40 mV, wird ein Aktionspotential infolge Aktivierung langsamer L-Typ-Ca2+- und Na+-Kanäle ausgelöst (⊡ Abb. 5.5). Die sich anschließende Repolarisation bis zum maximalen diastolischen Potential ist Folge der nachfolgenden Inaktivierung der langsamen Ca2+- und Na+-Kanäle bei gleichzeitiger Zunahme der K+-Leitfähigkeit. Im AV-Knoten führen vergleichbare Leitfähigkeitsänderungen zum Entstehen des Aktionspotentials. Die Na+-Hintergrundsleitfähigkeit im ventrikulären Erregungsleitungssystem ist dagegen wieder gering, sodass sich hier ein Membranpotential von –80 bis –90 mV einstellt. Die Veränderungen der Ionenleitfähigkeiten, die zum Auftreten eines Aktionspotentials führen, sind mit denen der Fasern des Arbeitsmyokards vergleichbar. Für die Spontandepolarisation ist hier die Aktivierung des Schrittmacher-Na+-Kanals (⊡ Tabelle 5.2) verantwortlich.
5.1.3
Ektope Erregungsbildung
Merke
Werden Erregungen nicht im primären Schrittmacher des Herzens (Sinusknoten) gebildet, so bezeichnet man ihre Ursprungsorte als ektope (heterotope) Zentren oder auch als ektope Foci. Ektope Erregungsbildungen führen häufig zu Extrasystolen oder auch zu Herzflimmern bzw. Herzflattern.
112
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.5. Aktionspotential einer Schrittmacherzelle des Sinusknotens (oben) und Änderungen der Leitfähigkeiten für Na+, K+ und Ca2+, die dem Aktionspotential zugrunde liegen (unten)
Extrasystolen Unter einer Extrasystole versteht man eine Herzkontraktion, die durch eine Erregung außerhalb des normalen Sinusrhythmus ausgelöst wird. Nach dem Ursprungsort der Extraerregung unterscheidet man supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen. Supraventrikuläre Extrasystolen gehen von der Vorhofmuskulatur oder vom AV-Knoten aus. Hierbei wird die Extraerregung nicht nur zu den Ventri-
113 5.1 · Erregungsprozesse im Herzen
5
keln, sondern in der Regel auch rückläufig zum Sinusknoten geleitet. Durch die rückläufige Erregung der Schrittmacherzellen wird deren Spontandepolarisation unterbrochen, sodass die nächste Herzaktion erst wieder nach einem normalen Sinusintervall erfolgen kann. Die supraventrikuläre Extrasystole führt also zu einer Phasenverschiebung des Sinusrhythmus. Als Ursache für das gehäufte Auftreten derartiger Extrasystolen kommen u. a. neurovegetative Einflüsse, Entzündung, O2-Mangel oder Hypokaliämie ( Kap. 5.2.2) in Frage. Ventrikuläre Extrasystolen entstehen am häufigsten im ventrikulären Erregungsleitungssystem, können aber auch im Arbeitsmyokard ihren Ursprung haben. Eine rückläufige Vorhoferregung und Depolarisation des Sinusknotens findet meist nicht statt. Die nachfolgend vom Sinusknoten ausgehende reguläre Erregung trifft die Ventrikel noch in der absoluten Refraktärphase der Extraerregung an und bleibt daher ohne Kontraktionserfolg. Erst die übernächste Sinuserregung führt wieder zu einer Ventrikelkontraktion: Die ventrikuläre Extrasystole ist von einer kompensatorischen Pause gefolgt. Da diese Pause die vorausgegangene Verkürzung des Aktionsintervalls wieder ausgleicht, kommt es nicht zu einer Phasenverschiebung des Sinusrhythmus. Die Ursachen für ventrikuläre Extrasystolen sind prinzipiell die gleichen wie für supraventrikuläre Extrasystolen. Bei langsamem Grundrhythmus (Bradykardie, f < 60 min–1) kann eine ventrikuläre Extrasystole zwischen zwei normalen Herzaktionen so eingeschaltet sein, dass die Normalaktionen dadurch nicht beeinflusst werden (interponierte Extrasystole).
Vorhofflattern und Vorhofflimmern Werden von ektopischen Vorhofzentren Erregungen mit einer Frequenz von 220–350 min–1 gebildet, so laufen die Vorhofkontraktionen nur noch teilweise koordiniert ab. Man spricht in diesem Fall von Vorhofflattern . Bei dieser seltenen Rhythmusstörung können die schnell aufeinander folgenden Erregungen nur partiell auf die Ventrikel übergeleitet werden (z. B. im Verhältnis 2 : 1 oder 3 : 1), weil in der Refraktärzeit des AV-Knotens die Erregungsleitung blockiert ist. Bei dem häufigen Vorhofflimmern handelt es sich um Erregungsfolgen mit einer Frequenz von 350–600 min–1. In diesem Fall läuft die Kontraktion der Vorhofmuskulatur vollkommen unkoordiniert ab. Die Erregungen werden nur noch in unregelmäßigen Abständen auf die Ventrikel übergeleitet, sodass eine absolute Arrhythmie der Kammeraktionen die Folge ist. Die hämodynamischen Auswirkungen sind jedoch in der Regel gering (Verminderung des Herzzeitvolumens um maximal 20 %). Vorhofflattern
114
Kapitel 5 · Herzfunktion
bzw. -flimmern kann durch verschiedenartige Schädigungen des Herzens ausgelöst werden (O2-Mangel, Wandüberdehnung, Hyperthyreose u. a.).
Kammerflattern und Kammerflimmern
III
Die Frequenz des Kammerflatterns liegt überwiegend zwischen 200 und 250 min–1. Da die Kontraktionen der Ventrikelmuskulatur nur noch partiell koordiniert ablaufen, ist die Förderleistung des Herzens so stark eingeschränkt, dass häufig Bewusstlosigkeit eintritt. Beim noch höherfrequenten Kammerflimmern ist eine wirksame Füllung und Entleerung überhaupt nicht mehr möglich. Daher kommt Kammerflimmern, die häufigste Todesursache bei Elektrounfällen und Herzinfarkten, hämodynamisch einem Herzstillstand (Asystolie) gleich. Man nimmt an, dass die Flimmererregungen in ektopischen Foci ausgelöst werden und für die Aufrechterhaltung dieses Zustandes kreisende Erregungen ( Kap. 5.1.2) verantwortlich sind. Kammerflattern oder -flimmern kann durch elektrische Defibrillation unterbrochen werden. Hierzu werden über großflächige Elektroden kurzdauernde Gleich- oder Wechselstromstöße mit einer Stärke von 2–3 A über die Thoraxwand durch das Herz geleitet. Wahrscheinlich führen diese Stromstöße zu einer synchronen Erregung aller Myokardanteile, sodass kreisende Erregungen unterbrochen werden. Nach einer derartigen Synchronisation kommt es vielfach wieder zu einem geordneten Erregungsablauf. Zur Überbrückung der Zeit bis zu einer möglichen Defibrillation ist die Durchführung einer externen Herzmassage erforderlich, durch die eine begrenzte Blutförderung aufrechterhalten werden kann.
5.2
Elektromechanische Kopplung und Beeinflussung der Herzaktion
5.2.1
Elektromechanische Kopplung
Durch den Erregungsprozess, der sich in gesetzmäßiger Weise über das Herz ausbreitet, wird die Kontraktion der Myokardfasern ausgelöst. Diese Aktivierung des kontraktilen Apparates durch das Aktionspotential bezeichnet man als elektromechanische Kopplung. Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die Ca2+-Ionen ein. Das Aktionspotential, das sich mit einer Geschwindigkeit von 0,5–1 m/s über das Sarkolemm der Arbeitsmuskulatur ausbreitet, gelangt über Einstülpungen der Zellmembran (transversale Tubuli, T-System) in das Faserinnere (⊡ Abb. 5.6). Hier besteht ein enger Kontakt der Einstülpungen mit den ter-
115 5.2 · Elektromechanische Kopplung
5
⊡ Abb. 5.6. Elektromechanische Kopplung im Herzmuskel in schematischer Darstellung. Ablauf des Aktionspotentials (oben), Ca2+-Bewegungen und Aktivierung des kontraktilen Apparates bei der Kontraktionsauslösung (links unten) und bei der Erschlaffung (rechts unten). Rote Pfeile bedeuten Ca2+-Freisetzung in das Zytosol, blaue Pfeile Ca2+-Elimination aus dem Zytosol. A = Aktin, M = Myosin, Z = Z-Streifen, SL = Sarkolemm, TTS = transversales Tubulussystem, SPR = sarkoplasmatisches Retikulum, nach ANTONI (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
minalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums (longitudinalen Systems), in denen Ca2+-Ionen gespeichert sind. Merke
Die elektromechanische Kopplung wird primär durch den langsamen Ca2+Einstrom (über L-Typ-Kanäle, Kap. 5.1.2) während der Plateauphase des Ak▼
116
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
tionspotentials ausgelöst. Die in die Zelle eingeströmten Ca2+-Ionen setzen ihrerseits durch Öffnung von Ca2+-Kanälen (Ryanodinrezeptoren) Ca2+ aus den intrazellulären Speichern frei, sodass die Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma schlagartig von etwa 10–7 auf ca. 10–5 mol/l ansteigt.
Die Ca2+-Ionen diffundieren zu den Myofilamenten, werden dort an Troponin-C gebunden und führen dadurch zu einer Konformationsänderung des Tropomyosins. Hierdurch werden die Bindungsstellen am Aktin für die Myosinköpfe frei, die sich nach vorausgehender ATP-Hydrolyse an das Aktin anheften (Querbrückenbildung). Zyklische Querbrückentätigkeit führt schließlich zur Muskelkontraktion durch teleskopartige Verschiebung der längenkonstanten Aktin- und Myosinfilamente gegeneinander. Der Kontraktionsvorgang wird durch weitgehende Elimination von Ca2+ aus dem Sarkoplasma beendet. Die Ca2+-Ionen werden einerseits durch eine Ca2+-ATPase in das Longitudinalsystem zurück gepumpt und andererseits durch einen 3 Na+/1 Ca2+-Antiporter sowie eine Ca2+-ATPase im Sarkolemm in den Extrazellularraum transportiert (⊡ Abb. 5.6). Das Aktionspotential erfüllt im Zusammenhang mit der elektromechanischen Kopplung eine doppelte Aufgabe (⊡ Abb. 5.6): ▬ es löst durch einen transmembranären Ca2+-Einstrom und konsekutive Freisetzung von Ca2+-Ionen aus intrazellulären Depots die Kontraktion aus (Triggereffekt) und ▬ es sorgt für die Wiederauffüllung der intrazellulären Speicher in der Erschlaffungsphase (Auffülleffekt).
5.2.2
Ionale Einflüsse auf Erregung und Kontraktion
Veränderungen der Elektrolytkonzentrationen im Blutplasma bzw. im Extrazellularraum können die Erregbarkeit, d. h. die Bedingungen für die Erregungsauslösung beeinflussen, den Erregungsablauf in den Schrittmacherzellen und im Arbeitsmyokard modifizieren sowie die Kontraktionskraft (Kontraktilität) des Herzens steigern oder mindern. Daher kommt den extrazellulären Elektrolytveränderungen in der Kardiologie erhebliche Bedeutung zu.
117 5.2 · Elektromechanische Kopplung
5
Kaliumwirkungen Merke
Veränderungen der extrazellulären K+-Konzentration wirken sich primär auf die Membranprozesse aus. Sie beeinflussen das Ruhemembranpotential ( Kap. 1.3.1) und/oder die K+-Leitfähigkeit während des Aktionspotentials.
Eine Erhöhung der extrazellulären K+-Konzentration (Hyperkaliämie) führt vor allem zu einer Depolarisation des Ruhepotentials und – unabhängig hiervon – zu einer Erhöhung der K+-Leitfähigkeit. Bei einer mäßigen Hyperkaliämie ([K+]e = 5,5–8 mmol/l) kommt es zu einer Steigerung der Erregbarkeit und der Erregungsleitungsgeschwindigkeit. Wenn jedoch die extrazelluläre K+-Konzentration über 8 mmol/l ansteigt, ist die Membran so stark depolarisiert, dass Erregbarkeit, Leitungsgeschwindigkeit und Kontraktilität (durch Verkürzung der Aktionspotentialdauer auf Grund der gesteigerten K+-Leitfähigkeit) abnehmen. Im Extremfall kommt es zu einem Herzstillstand in der Diastole. Die Erniedrigung der extrazellulären K+-Konzentration (< 4 mmol/l, Hypokaliämie) führt zur Abnahme der K+-Leitfähigkeit. Infolge dessen nimmt die Steilheit der Spontandepolarisation ( Kap. 5.1.2) und damit die Erregungsbildung im ventrikulären Leitungssystem zu. Unter diesen Umständen können ektope Foci aktiviert und Rhythmusstörungen ausgelöst werden ( Kap. 5.1.3).
Kalziumwirkungen Merke
Veränderungen der extrazellulären Ca2+-Konzentration wirken sich vor allem auf die Kontraktionskraft und die Dauer des Plateaus aus.
Eine mäßige Erhöhung der extrazellulären Ca2+-Konzentration (Hyperkalzämie) steigert geringgradig die Kontraktionskraft des Herzens durch Verstärkung der elektromechanischen Kopplung. Exzessiv hohe Ca2+-Konzentrationen können jedoch die Kontraktion so stark aktivieren, dass es zum Herz-
118
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
stillstand in der Systole kommt. Eine kontraktionsfördernde Wirkung haben auch diejenigen Stoffe, die den Ca2+-Einstrom während des Aktionspotentials verstärken, wie z. B. Adrenalin und Noradrenalin. Hyperkalzämie verkürzt das Plateau. Herzglykoside (Digitalis, Strophanthin), die bei Herzmuskelschwäche zur Steigerung der Kontraktionskraft eingesetzt werden, erhöhen die Konzentration der Ca2+-Ionen im Zytosol. Glykoside hemmen primär die Na+/K+ATPase, wodurch die intrazelluläre Na+-Konzentration ansteigt, der Na+/Ca2+Austausch gedrosselt und dadurch die Ca2+-Elimination aus dem Zytosol vermindert wird. Einen entgegengesetzten Effekt haben extrazelluläre Ca2+Reduktion (Hypokalzämie) und Hemmung des Ca2+-Einstroms (z. B. durch sog. Kalziumkanalblocker, »Kalziumantagonisten«), die zu einer elektromechanischen Entkopplung und damit zu einer Minderung der Kontraktionskraft führen. Hypokalzämie verlängert das Plateau. Kardioplege Lösungen. Kaliumreiche Lösungen, welche die Erregbarkeit vollständig aufheben, finden in der Herzchirurgie zur reversiblen Stilllegung des Herzens (in der Diastole) Verwendung. Eine »herzlähmende« Wirkung haben auch isotonische Na+- und Ca2+-freie Lösungen. Na+-freie Lösungen verhindern den für das Aktionspotential wichtigen Na+-Einstrom; Ca2+-freie Lösungen bewirken eine totale elektromechanische Entkopplung. Während einer längerdauernden Ruhigstellung des Herzens muss der Blutkreislauf durch eine Herz-Lungen-Maschine aufrechterhalten werden.
5.2.3
Nervale Beeinflussung der Herzaktion
Efferente Innervation Merke
Das Herz ist unter Führung des primären Schrittmachers weitgehend autonom tätig. Seine Aktionen können jedoch durch die efferenten Herznerven, die zum vegetativen Nervensystem gehören, modifiziert und damit den Bedürfnissen des Gesamtorganismus angepasst werden. Insbesondere beeinflussen die Herznerven die Herzfrequenz (chronotrope Wirkung), die atrioventrikuläre Erregungsüberleitung (dromotrope Wirkung) und die Kontraktionskraft (inotrope Wirkung).
Die beiden Anteile des peripheren vegetativen Systems, Sympathikus und Parasympathikus, üben auf diese Qualitäten der Herztätigkeit einen antago-
119 5.2 · Elektromechanische Kopplung
5
⊡ Abb. 5.7. Efferente Innervation des Herzens in schematischer Darstellung. Infolge der unterschiedlichen Verteilung sympathischer und parasympathischer Efferenzen auf Vorhöfe und Ventrikel differieren die nervalen Wirkungen in den verschiedenen Herzabschnitten
nistischen Einfluss aus: Die Aktivierung des Sympathikus hat ganz allgemein einen fördernden Effekt, der durch die Reaktion der sympathischen Überträgersubstanz Noradrenalin mit β1-Rezeptoren vermittelt wird. In gleicher Weise wirkt das Nebennierenmarkhormon Adrenalin, das ebenfalls mit β1Rezeptoren reagiert. Dagegen übt der Parasympathikus unter Vermittlung seiner Überträgersubstanz Azetylcholin einen hemmenden Einfluss auf die Herztätigkeit aus. Diese Wirkungen sind jedoch im Hinblick auf die drei genannten Qualitäten verschieden stark ausgeprägt, was auf die unterschiedliche räumliche Verteilung der sympathischen und der parasympathischen Innervation auf die einzelnen Herzabschnitte zurückzuführen ist (⊡ Abb. 5.7). Die Sympathikusfasern, die das Herz innervieren, haben ihren Ursprung in den Seitenhörnern der oberen Thorakalsegmente des Rückenmarks. Die präganglionären Fasern werden im Grenzstrang auf die postganglionären Fasern umgeschaltet, die dann als Nn. cardiaci das Herz erreichen und sich gleichmäßig auf alle Herzabschnitte verteilen. Die parasympathische Innervation erfolgt über Äste des N. vagus, die als Rami cardiaci insbesondere die Vorhöfe, jedoch kaum die Ventrikel versorgen. Der rechte Vagus innerviert vorwiegend
120
Kapitel 5 · Herzfunktion
den rechten Vorhof mit dem Sinusknoten; der linke Vagus dagegen hat sein Hauptinnervationsgebiet im Bereich des AV-Knotens.
Chronotropie
III
Merke
Bei Reizung der zum rechten Herzen ziehenden Vagusfasern oder bei direkter Applikation von Azetylcholin auf den Sinusknoten nimmt die Herzfrequenz ab. Der Vagus hat also eine negativ chronotrope Wirkung. Bei Sympathikusreizung bzw. bei lokaler Einwirkung von Katecholaminen (Adrenalin, Noradrenalin) zeigt sich der umgekehrte Effekt (positiv chronotrope Wirkung).
In situ kommt dem rechten Vagus die entscheidende Bedeutung für die Einstellung der Herzfrequenz zu. Eine Frequenzsteigerung tritt ein, wenn der Vagustonus abnimmt, d. h. wenn weniger Nervenimpulse über den Vagus zum Herzen geleitet werden. Nach Vagusausschaltung steigt die Herzfrequenz auf etwa 100–110/min an. Der Sympathikustonus hat demgegenüber einen geringeren Einfluss auf die Herzfrequenz.
⊡ Abb. 5.8. Einflüsse der efferenten Herznerven auf das Aktionspotential der Schrittmacherzellen im Sinusknoten. Unter Vaguseinfluss tritt eine Hyperpolarisation auf; gleichzeitig nimmt die Steilheit der diastolischen Depolarisation und damit die Herzfrequenz ab. Sympathikusaktivierung führt dagegen zu einem steileren Anstieg der diastolischen Depolarisation und damit zu einer Zunahme der Herzfrequenz
121 5.2 · Elektromechanische Kopplung
5
Die chronotrope Wirkung der Herznerven lässt sich folgendermaßen erklären: Unter Vaguseinfluss bzw. bei Azetylcholinfreisetzung kommt es unter Vermittlung von muskarinergen m2-Rezeptoren zur Aktivierung eines G-Protein-abhängigen K+-Kanals. Hieraus resultiert eine Zunahme der K+-Leitfähigkeit, die einer Depolarisation entgegenwirkt. Daher nimmt die Steilheit der diastolischen Depolarisation ab, sodass die Schwelle für die Erregungsbildung erst nach einem größeren Zeitintervall erreicht wird und die Herzfrequenz sinkt (⊡ Abb. 5.8). Zur Abflachung der langsamen diastolischen Depolarisation trägt weiterhin eine Verringerung des If -Schrittmacherstroms durch Hemmung der Adenylatzyklase ( Kap. 2.2.1) bei. Umgekehrt nimmt unter Sympathikuseinfluss die Steilheit der diastolischen Depolarisation zu, weil durch Aktivierung von β1-Rezeptoren in den Schrittmacherzellen cAMP ansteigt und als Folge davon der If -Schrittmacher- und Ca2+-Strom aktiviert wird. Es resultiert daraus eine schnellere Herzschlagfolge.
Dromotropie Die nervale Beeinflussung der Erregungsleitung ist wahrscheinlich auf den Bereich des AV-Knotens beschränkt. Merke
Reizung des linken Vagus oder Azetylcholingabe verzögern die atrioventrikuläre Erregungsüberleitung (negativ dromotrope Wirkung). Im Extremfall kann sogar ein totaler Herzblock auftreten. Sympathikusreizung oder Katecholamingabe beschleunigen die Erregungsüberleitung (positiv dromotrope Wirkung), sodass sich die Zeit zwischen der Vorhofsystole und der Kammersystole verkürzt.
Die dromotropen Wirkungen werden auf Veränderungen der Aufstrichgeschwindigkeit im Aktionspotential zurückgeführt. Der initiale Potentialanstieg verläuft im AV-Knoten flacher als im Sinusknoten (⊡ Abb. 5.4). Unter Vaguseinfluss wird die Aufstrichsteilheit noch weiter vermindert, während sie unter Sympathikuseinfluss auf Grund einer Steigerung des langsamen Na+- und Ca2+-Einwärtsstroms zunimmt.
Inotropie Die Kontraktionskraft (Kontraktilität) des Myokards kann ebenfalls durch die Herznerven modifiziert werden. Merke
Vagusreizung oder lokale Gabe von Azetylcholin vermindern durch eine Verkürzung der Aktionspotentialdauer (infolge erhöhter K+-Leitfähigkeit) die ▼
122
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
Kontraktionsstärke der Vorhofmuskulatur (negativ inotrope Wirkung). Sympathikusaktivierung und direkte Applikation von Katecholaminen steigern die Kontraktionskraft des Vorhof- und Kammermyokards (positiv inotrope Wirkung). Dabei wird gleichzeitig die Kontraktionsgeschwindigkeit erhöht und die Erschlaffung beschleunigt.
Als Ursache für die positiv inotrope Wirkung wird eine Zunahme des Ca2+-Einstroms ins Sarkoplasma und die daraus resultierende Verstärkung der elektromechanischen Kopplung angesehen. Die bei allgemeiner Aktivierung des Kreislaufs in der Regel zu beobachtende Steigerung der Schlagfrequenz hat ebenfalls eine Zunahme der Kontraktionskraft zur Folge, weil durch die vermehrte Zahl der Aktionspotentiale der Ca2+-Einstrom und die Auffüllung der intrazellulären Speicher gefördert wird (»FrequenzInotropie«).
Afferente Innervation Sowohl im sympathischen System als auch im N. vagus verlaufen neben den efferenten auch afferente (sensorische) Fasern (viszerale Afferenzen). Die afferenten Fasern, die sich dem Sympathikus anschließen, gehen von dichten subendothelialen Netzen markloser, frei endender Nervenfasern aus. Sie vermitteln wahrscheinlich die starke Schmerzempfindung bei Durchblutungsstörungen des Herzmuskels. Die afferenten Nervenfasern, die im N. vagus verlaufen, haben ihren Ursprung in Mechanosensoren der Vorhöfe und des linken Ventrikels. Bei den Vorhofsensoren handelt es sich um zwei Typen: A-Sensoren, die auf Zunahme der aktiven Muskelspannung ansprechen, und B-Sensoren, die bei passiver Wanddehnung erregt werden ( Kap. 6.7.1). Die Fasern von diesen Sensoren ziehen zum Nucl. tractus solitarii und zum dorsalen Vaguskern in der Medulla oblongata und stellen die afferenten Leitungswege für die »Entlastungsreflexe« des Herzens dar: Durch lokale Dehnung der Vorhöfe bei erhöhtem Blutangebot kommt es zu einer Steigerung der Harnausscheidung (Gauer-Henry-Reflex, Kap. 6.7.3) und zu einem Anstieg der Herzfrequenz (Bainbridge-Reflex). Eine vermehrte Dehnung des linken Ventrikels bei Gabe bestimmter Stoffe (z. B. Veratrin) und Myokardhypoxie führen auf dem Reflexweg zur Abnahme der Schlagfrequenz und zur Vasodilatation (BezoldJarisch-Reflex).
123 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5.3
Elektrokardiogramm (EKG)
5.3.1
Grundlagen der Elektrokardiographie
5
Eine erregte Herzmuskelfaser ist an ihrer Zelloberfläche gegenüber einer unerregten Faser elektronegativ. Während des Erregungsablaufes entstehen daher in der Herzmuskulatur Potentialdifferenzen zwischen den erregten und den unerregten Zellen. Da das Herz in leitende Medien eingebettet ist, breitet sich in seiner Umgebung ein Stromlinienfeld aus (⊡ Abb. 5.13). Aus diesem Grund lassen sich die vom Herzen ausgehenden Potentialänderungen von definierten Orten der Körperoberfläche als Elektrokardiogramm (EKG) ableiten.
Grundform des EKG Die Form des Elektrokardiogramms ist von dem gesetzmäßigen Erregungsablauf im Herzen und von den jeweils gewählten Ableitformen ( Kap. 5.3.3) abhängig. Die charakteristischen Spannungsänderungen im EKG lassen sich am besten für die Ableitung zwischen dem rechten Arm und dem linken Bein (Standardableitung II nach Einthoven, ⊡ Abb. 5.12) erläutern. ⊡ Abb. 5.9 zeigt ein normales, auf diese Weise abgeleitetes EKG. Man erkennt darin Zacken und Wellen mit positiver oder negativer Ausschlagsrichtung, die mit den Buchstaben P bis U bezeichnet werden. Den Abstand zwischen zwei Zacken, in dem die EKG-Kurve auf der Nulllinie (isolelektrischen Linie) verläuft, charakterisiert man als Strecke oder Segment. Zacken und Strecken werden zu Intervallen zusammengefasst, deren zeitliches Korrelat man als Dauer bezeichnet. Das Intervall zwischen den Gipfeln zweier aufeinander folgender R-Zacken entspricht der Dauer einer Herzperiode, aus der sich die momentane Herzfrequenz errechnen lässt: 60/RR-Dauer (s) = Schläge/min.
Bedeutung der einzelnen EKG-Abschnitte Die Zacken und Wellen des EKG stehen in Beziehung zum Erregungsablauf im Herzen. Der sog. Vorhofteil beginnt mit der P-Welle; sie ist Ausdruck der Erregungsausbreitung in den Vorhöfen. Im Bereich der PQ-Strecke ist die gesamte Vorhofmuskulatur gleichmäßig erregt, sodass keine Potentialdifferenzen innerhalb des Vorhofmyokards vorliegen. Die Erregungsrückbildung des Vorhofmyokards wird vom Beginn des Kammerteils (s. unten) überdeckt. Das PQ-Intervall entspricht der sog. Überleitungszeit, d. h. der Dauer
124
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.9. EKG-Normalform bei bipolarer Ableitung von der Körperoberfläche in Richtung der Herzlängsachse (Standardableitung II)
vom Beginn der Vorhoferregung bis zum Beginn der Kammererregung. Es dauert normalerweise 0,12–0,18 s. Der Kammerteil reicht vom Beginn der Q-Zacke bis zum Ende der U-Welle. Die QRS-Gruppe (Kammeranfangsschwankung) entsteht durch die Erregungsausbreitung in den beiden Ventrikeln. Die anschließende ST-Strecke zeigt durch ihren Nulllinien-Verlauf an, dass während dieser Zeit alle Abschnitte des Ventrikelmyokards gleichmäßig erregt sind. Die T-Welle kennzeichnet schließlich die Erregungsrückbildung in den Ventrikeln. Bei später Repolarisation der Purkinje-Fasern tritt im Anschluss an T noch eine U-Welle auf. ST-Strecke, T-Welle und U-Welle bilden zusammen den sog. Kammerendteil.
125 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5.3.2
5
Vektorielle Interpretation des EKG-Verlaufs
Erregungsvektoren Der spezielle EKG-Verlauf lässt sich in vereinfachter Form folgendermaßen erklären: Merke
Da eine erregte Herzmuskelfaser an ihrer Zelloberfläche gegenüber einer unerregten Faser elektronegativ ist, entstehen an der gesamten Front einer sich im Herzen ausbreitenden Erregungswelle Potentialdifferenzen. Jede der lokalen Potentialdifferenzen bildet einen Dipol und lässt sich nach Richtung und Größe durch einen Vektor darstellen, der von Minus nach Plus, also von der erregten zur unerregten Stelle zeigt.
Addiert man alle lokalen Vektoren zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Parallelogramm-Regel, dann erhält man einen Integralvektor (Summenvektor), der die momentane, vom Herzen ausgehende Spannung charakterisiert. Diese Spannung, die sich mit dem Erregungsablauf verändert, wird allerdings von den Ableitelektroden nur zu dem Teil aufgenommen, welcher der Projektion des Integralvektors auf die Ableitungsrichtung entspricht. In gleicher Weise lässt sich auch der Repolarisationsprozess durch zeitliche Veränderung eines Integralvektors beschreiben. In ⊡ Abb. 5.10 sind die Konsequenzen aus diesen Überlegungen für die Deutung des EKG-Verlaufs schematisch dargestellt. Die zu verschiedenen Zeitphasen von dem Erregungsprozess erfassten Myokardanteile sind blau markiert. Die Pfeile stellen den jeweiligen Integralvektor dar, der sich durch Addition der einzelnen Lokalvektoren an der Ausbreitungsfront ergibt. Die in Abb. 5.10 angenommene Ableitungsrichtung, auf die der Summenvektor zu projizieren ist, entspricht der Extremitätenableitung II nach Einthoven (rechter Arm – linker Fuß); sie verläuft annähernd parallel zur Herzachse schräg durch den Körper.
126
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.10. Vereinfachte Darstellung des EKG-Verlaufs. Blaue Flächen kennzeichnen die erregten Myokardanteile. Die Potentialdifferenzen an der Erregungsfront werden nach Größe und Richtung durch einen Integralvektor (Pfeil) dargestellt, dessen Projektion auf die Ableitungsrichtung (rechter Arm – linkes Bein) die EKG-Amplitude bestimmt. P Erregungsausbreitung in den Vorhöfen; PQ vollständige Vorhoferregung, Überleitung auf das HIS-Bündel; Q Erregungsausbreitung in der Kammerscheidewand; R Erregung erfasst große Teile der Ventrikel bis zur Herzspitze; S Erregungsausbreitung in den Ventrikelwänden in Richtung auf die Herzbasis; ST vollständige Ventrikelerregung; T Erregungsrückbildung in den Ventrikeln
127 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5
Merke
Für die EKG-Registrierung hat man vereinbart, dass ein positiver Ausschlag in der Aufzeichnung einer Vektororientierung zur Herzspitze entsprechen soll, ein negativer Ausschlag einem herzbasiswärts gerichteten Integralvektor. ⊡ Abbildung 5.10 macht deutlich, wie sich die Wellen und Zacken des EKG aus der jeweiligen Richtung der Erregungsausbreitung und -rückbildung ergeben. Dabei ist zu beachten, dass die Ausbreitung im AV-Knoten und HisBündel wegen der relativ geringen Fasermassen und der daraus resultierenden kleinen Summenpotentiale im EKG nicht in Erscheinung tritt.
Vektorschleife Zeichnet man für jeden Zeitpunkt des Erregungsablaufs die momentanen Integralvektoren so auf, dass alle aus einem gemeinsamen Ausgangspunkt hervorgehen und verbindet man die Vektorspitzen miteinander, so entsteht eine dreidimensionale Figur, die Vektorschleife. Eine solche Hüllkurve aller während der Erregungsausbreitung und Erregungsrückbildung entstehenden Integralvektoren zeigt ⊡ Abb. 5.11 zusammen mit ihren Projektionen auf drei Ebenen im Raum. Man erkennt hierin drei Einzelschleifen: ▬ die P-Schleife, die der Erregungsausbreitung im Vorhof entspricht, ▬ die QRS-Schleife, welche die ventrikuläre Erregungsausbreitung charakterisiert und deren größter Durchmesser, die sog. elektrische Herzachse, etwa mit der anatomischen Herzachse übereinstimmt, ▬ die T-Schleife, die bei der Erregungsrückbildung in den Ventrikeln entsteht. Die Registrierung dieser Schleifen während einer Herzaktion wird Vektorkardiographie genannt. Um beispielsweise die Projektion der Integralvektoren auf die Brustwand (Frontalebene) aufzuzeichnen, werden die Ableitelektroden in zwei senkrecht aufeinander stehenden Ableitlinien (re. Arm – li. Arm, Kopf-Symphyse) angebracht und mit den vertikalen bzw. horizontalen Ablenkplatten eines Kathodenstrahloszillographen verbunden. Durch Verlagerung der Ableitelektroden in die Sagittal- oder Horizontalebene lassen sich auch die Projektionen der Vektorschleifen auf diese Ebenen oszillographisch darstellen. Die Vorteile des Vektorkardiogramms gegenüber den einfachen EKG-Aufzeichnungen (s. unten) liegen in der anschaulicheren Darstellung des Erregungsablaufes im Herzen sowie in der besseren Lokalisation von Störungen (z. B. eines Myokardinfarktes).
128
Kapitel 5 · Herzfunktion
tal
saggit
III
⊡ Abb. 5.11. Verläufe der EKG-Vektorschleifen in räumlicher Darstellung und ihre Projektionen auf drei Ebenen. Die Spitze des Integralvektors durchläuft nacheinander eine kleine P-Schleife, eine große QRS-Schleife und eine mittelgroße T-Schleife
5.3.3
EKG-Ableitungen
Die von der Körperoberfläche abgeleiteten EKG-Spannungen liegen im Bereich < 3 mV und müssen daher für die Registrierung entsprechend verstärkt werden. In der Regel wird die Verstärkung so eingestellt, dass ein Ausschlag von 1 cm der Spannung von 1 mV entspricht. Nach der Anordnung der Ableitelektroden unterscheidet man bipolare und sog. unipolare Ableitungen. Merke
Bei der bipolaren Ableitung wird die Spannung zwischen zwei (gleichberechtigten) Punkten der Körperoberfläche registriert. Bei der sog. unipolaren Ableitung registriert man die Spannung zwischen einer differenten Elektrode auf der Körperoberfläche und einer indifferenten (nahezu potentialkonstanten) Bezugselektrode, die man durch Zusammenschluss mehrerer Ableitstellen erhält.
129 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5
⊡ Abb. 5.12. Elektrodenpositionen bei den Extremitätenableitungen. A Elektrodenanordnung bei den bipolaren EKG-Standardableitungen nach EINTHOVEN. B Ableitpunkte und Verschaltungen bei den sog. unipolaren Extremitätenableitungen nach GOLDBERGER
Bipolare Extremitätenableitungen nach E INTHOVEN Bei diesen sog. Standardableitungen werden die Potentialänderungen zwischen jeweils zwei Extremitätenelektroden registriert. Sie stellen die in der ärztlichen Praxis gebräuchlichste Ableitungsform dar und erfassen die Vektorprojektionen auf die Frontalebene des Körpers. Aus der Elektrodenlage an den beiden Armen und dem linken Fuß (der rechte Fuß ist mit dem Erdkabel verbunden) ergeben sich folgende Ableitrichtungen (⊡ Abb. 5.12 A): Ableitung I: rechter Arm – linker Arm Ableitung II: rechter Arm – linker Fuß Ableitung III: linker Arm – linker Fuß
E INTHOVEN -Dreieck und elektrische Herzachse Durch die gleichzeitige Registrierung der drei Standardableitungen ist es möglich, die elektrische Achse in der Frontalebene (den sog. Positionstyp, Lagetyp) zu bestimmen. Hierzu geht man von einem gleichseitigen Dreieck aus, dessen Seiten die drei Ableitungsrichtungen darstellen (EinthovenDreieck, ⊡ Abb. 5.13). Da die drei Ableitstellen etwa gleich weit vom Herzen entfernt liegen, repräsentiert der Mittelpunkt des Dreiecks den Ausgangs-
130
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.13. Ausbreitung der Stromlinien, die von einem kardialen Dipol ausgehen, in frontaler Projektion (oben links) und EINTHOVEN-Dreieck als Basis für die Konstruktion der frontalen Vektorschleife. Die Ecken des Dreiecks repräsentieren die Ableitpunkte, die Seiten die Ableitrichtungen der drei Standardableitungen. Die Projektion der zeitlich zusammengehörenden EKG-Punkte in das Innere des Dreiecks liefert die momentanen Integralvektoren, z. B. den R-Vektor in der QRS-Schleife
131 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5
punkt der Erregungsvektoren. Projiziert man nun die zeitlich zusammengehörenden Zacken bzw. Wellen der drei EKG-Aufzeichnungen von den Seiten in das Innere des Dreiecks, so erhält man die jeweilige Lage des momentanen Integralvektors. Sofern eine solche Konstruktion nacheinander für jeden Zeitpunkt des Erregungszyklus durchgeführt wird, beschreiben die Vektorspitzen den Verlauf der Vektorschleife in der frontalen Projektion. Man erhält also das gleiche Bild, wie es nach dem Verfahren der Vektorkardiographie direkt vom Kathodenstrahloszillographen registriert wird ( Kap. 5.3.2). Die Konstruktion mit Hilfe des Einthoven-Dreiecks bietet vor allem die Möglichkeit, die Hauptausbreitungsrichtung der Erregung während des QRS-Komplexes in der Frontalebene näherungsweise zu bestimmen. Hierzu ist es lediglich erforderlich, die Spitzen der drei R-Zacken in das Dreieck zu projizieren und damit die Richtung des R-Vektors festzulegen. Der Winkel α, den die elektrische Herzachse mit der Horizontalen bildet, dient zur Kennzeichnung des jeweils vorliegenden Positions- bzw. Lagetyps. Danach unterscheidet man die in ⊡ Tabelle 5.3 angegebenen Positionstypen.
Unipolare Extremitätenableitungen nach G OLDBERGER Auch diese Ableitungen liegen in der Frontalebene. Hierbei sind jeweils die Elektroden zweier Extremitäten über Widerstände zusammengeschaltet und dienen als Bezugselektrode gegenüber der differenten Elektrode (⊡ Abb. 5.12 B). Die Goldberger-Ableitungen sind nach der Lage der jeweils differenten Elektrode benannt: aVR = rechter Arm, aVL = linker Arm und aVF = linker Fuß (aV: Abkürzung für augmented Voltage).
⊡ Tabelle 5.3. Kennzeichnung der Positionstypen des Herzens Winkel der Herzachse mit der Horizontalen
Positionstyp
Vorkommen bei
30 ° < α < 60 °
Normaltyp (Indifferenztyp)
Erwachsenen
60 ° < α < 90 °
Steiltyp
Jugendlichen u. Asthenikern
90 ° < α < 120 °
Rechtstyp
Kleinkindern u. Rechtsherzüberlastungen
0 ° < α < 30 °
Horizontaltyp
älteren Menschen u. Schwangeren
–30 ° < α < 0 °
Linkstyp
bluthochdruckbedingter Linksherzüberlastung
132
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.14. Elektrodenpositionen bei den Brustwandableitungen. A Lage der differenten Elektroden bei den unipolaren Brustwandableitungen nach WILSON. (Die indifferente Elektrode wird jeweils durch den Zusammenschluss der drei Extremitätenelektroden über Widerstände gebildet.) B Lage der Elektroden und Kennzeichnung der Ableitungsrichtungen bei den bipolaren Brustwandableitungen nach NEHB
Unipolare Brustwandableitungen nach W ILSON Bei diesen EKG-Ableitungen, die vor allem über die Vektorprojektion auf die Horizontalebene Auskunft geben, werden sechs differente Elektroden an genau festgelegten Punkten der Thoraxwand angebracht (⊡ Abb. 5.14 A). Als indifferente Elektrode dient der Zusammenschluss der drei Extremitätenelektroden über Widerstände von jeweils 5 kΩ. Die sechs Ableitungsformen nach Wilson werden mit V1 bis V6 bezeichnet. Infolge der größeren Herznähe der Elektroden sind die Amplituden im Elektrokardiogramm größer als bei den Standardableitungen nach Einthoven. Bipolare Brustwandableitungen nach NEHB. Bei dieser Ableitungsform werden drei Elektroden auf die Thoraxwand aufgesetzt, und zwar die erste am Sternalansatz der 2. Rippe rechts, die zweite über der Herzspitze und die dritte in der hinteren Axillarlinie links in Höhe der Herzspitze (⊡ Abb. 5.14 B). Ähnlich wie bei den EINTHOVEN-Ableitungen bilden je zwei dieser Elektroden ein bipolares Ableitungspaar, wobei die drei Elektrodenkombinationen durch D (von dorsal), A (von anterior) und I (von
133 5.3 · Elektrokardiogramm (EKG)
5
inferior) gekennzeichnet werden. Der Vorteil dieser Elektrodenanordnung im »NEHB-Herzdreieck« besteht darin, dass mit Hilfe der Ableitungen D und I die Herzhinterwand besonders gut beurteilt werden kann.
5.3.4
Pathologische EKG-Formen
Störungen im Erregungsablauf des Herzens führen zu charakteristischen pathologischen EKG-Veränderungen , die diagnostisch ausgewertet werden können. Neben Veränderungen der Herzfrequenz im Sinne einer Zunahme (Tachykardie, Ruhefrequenz beim Erwachsenen >100 min–1) oder Abnahme (Bradykardie, Ruhefrequenz beim Erwachsenen <60 min–1) sind insbesondere Störungen der Erregungsbildung und -leitung auf Grund von O2-Versorgungsstörungen, von Veränderungen der extrazellulären K+- und Ca2+-Konzentration u. a. im EKG-Verlauf zu erkennen. Extrasystolen. Diese Formen der Erregungsbildungsstörung sind durch eine plötzliche Veränderung im Grundrhythmus des EKG gekennzeichnet. Bei einer supraventrikulären Extrasystole ist die P-Welle häufig deformiert, während der Kammerkomplex unverändert abläuft (⊡ Abb. 5.15). In der Regel folgt der nächste EKG-Komplex nach einer normalen Sinuspause ( Kap. 5.1.3). Eine ventrikuläre Extrasystole ist häufig durch eine Deformation des Kammerteils charakterisiert, wobei die Formänderung im Einzelfall von der Lage des ektopischen Focus abhängt. Der nächste EKG-Komplex folgt in diesem Fall erst nach einer kompensatorischen Pause. Flimmern und Flattern. Bei Vorhofflattern ist der EKG-Verlauf durch kleine Potentialschwankungen der Frequenz 220–350 min–1 überlagert, von denen nur die steilen QRS-Komplexe nicht betroffen sind (⊡ Abb. 5.15). Vorhofflimmern erkennt man an den noch höherfrequenten Schwankungen der EKGKurve und vor allem an der unregelmäßigen Folge der Kammerteile (absolute Arrhythmie, Kap. 5.1.3). Kammerflattern ist durch eine totale EKG-Deformation bei noch erkennbarer Synchronisation, Kammerflimmern durch ganz unregelmäßige Potentialschwankungen gekennzeichnet. Erregungsleitungsstörungen. Beim AV-Block I. Grades findet man eine Verlängerung der PQ-Dauer auf mehr als 0,2 s, beim AV-Block II. Grades den vereinzelten Ausfall von Kammerkomplexen ( Kap. 5.1.1). Der AV-Block III. Grades (totaler AV-Block) ist dadurch charakterisiert, dass die P-Welle im Sinusrhythmus und davon unabhängig die Kammerkomplexe im langsameren Kammereigenrhythmus in der EKG-Kurve auftreten (⊡ Abb. 5.15). Elektrolytstörungen. Charakteristische EKG-Veränderungen beobachtet man bei Störungen des K+- und des Ca2+-Haushalts. Zunahmen oder Abnahmen der extrazellulären K+- bzw. Ca2+-Konzentration wirken sich dabei insbesondere auf den Kammerendteil aus (⊡ Abb. 5.16). Während von Veränderungen der K+-Konzentration vor allem die T-Welle betroffen ist (Abflachung bei Hypokaliämie und Positivierung bei Hyperkaliämie), beeinflussen Veränderungen der Ca2+-Konzentration hauptsächlich die QT-Dauer (Verlängerung bei Hypokalzämie und Verkürzung bei Hyperkalzämie).
134
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.15. Typische EKG-Veränderungen bei Störungen der Erregungsbildung und Erregungsleitung
Koronare Herzkrankheit und Myokardinfarkt. Ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf des Myokards – vor allem infolge einer lokalen Durchblutungseinschränkung – verursacht im EKG häufig eine ST-Senkung sowie eine Abflachung oder Negativierung der T-Welle (⊡ Abb. 5.16). Wird das Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf zu groß, so ist der Untergang des betroffenen Herzmuskelgewebes die Folge (Myokardinfarkt oder Herzinfarkt). Im Frühstadium (wenige Minuten nach Infarktbeginn) zeigt sich im EKG eine deutliche ST-Anhebung. Wenn sich später der geschädigte Bezirk durch Ausbildung einer isolierenden Grenzschicht von dem erregbaren Gewebe demarkiert, ändert sich auch der EKG-Verlauf. Neben einer starken Negativierung von Q tritt eine negative T-Welle auf, die im Endstadium (nach Monaten und Jahren) wieder positiv werden kann.
135 5.4 · Mechanik der Herzaktion
⊡ Abb. 5.16. Typische EKG-Veränderungen bei extrazellulären Elektrolytstörungen und Störungen der myokardialen O2-Versorgung
5.4
Mechanik der Herzaktion
5.4.1
Klappenfunktion und Phasen der Herztätigkeit
Funktion der Herzklappen Die rhythmische Kontraktion und Erschlaffung des Herzmuskels wird durch die Ventilwirkung der Herzklappen in eine Pumpwirkung mit gerichtetem Ausstrom umgesetzt.
5
136
Kapitel 5 · Herzfunktion
pulmonalis
III
rechter Ventrikel
Papillarmuskel
⊡ Abb. 5.17. Klappenfunktion, erläutert an einem Längsschnitt durch das rechte Herz. A Ventrikelsystole bei geschlossener Trikuspidalklappe und geöffneter Pulmonalklappe. B Ventrikeldiastole bei geöffneter Trikuspidalklappe und geschlossener Pulmonalklappe. Oben, rechts: Jeweilige Stellung der Pulmonalklappe in der Aufsicht
Merke
Während der Ventrikelsystole erfolgt der Auswurf des Schlagvolumens durch die geöffneten Taschenklappen in den Truncus pulmonalis bzw. in die Aorta, wobei die Atrioventrikularklappen (Segelklappen) geschlossen sind. In der Ventrikeldiastole dagegen strömt das Blut durch die geöffneten Atrioventrikularklappen in die Kammern ein; in dieser Phase sind die Taschenklappen geschlossen (⊡ Abb. 5.17).
Das Öffnen und Schließen der Klappensysteme wird dabei allein durch die Druckverhältnisse in den jeweils angrenzenden Räumen bestimmt, d. h. das Klappenspiel erfolgt passiv nach Maßgabe der Druckänderungen im Herzen. Während das Blut durch eine Klappenöffnung strömt, legen sich die Klappen nicht an die Herz- bzw. Gefäßwände an, sondern bleiben in einer mittleren Öffnungsstellung. Dieses so genannte »Stellen« der Klappen, das sich aus strömungstechnischen Gründen (BERNOULLI-Effekt) ergibt, hat den Vorteil, dass eine kurzzeitige Druckänderung einen schnellen Klappenschluss herbeiführen kann.
Ventilebenen-Mechanismus Während der Ventrikelkontraktion nähert sich die Ventilebene (Klappenebene) mit den geschlossenen Atrioventrikularklappen schnell der Herz-
137 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
spitze (⊡ Abb. 5.17). Durch diese stempelartige Bewegung wird zum einen Blut in die großen Arterien gepresst, zum anderen aber auch eine Sogwirkung auf das Blut in den großen herznahen Venen ausgeübt, sodass sich die Vorhöfe in der Systole füllen. Mit der Erschlaffung des Ventrikelmyokards in der Diastole kehrt die Ventilebene bei geöffneten Atrioventrikularklappen in ihre Ausgangslage zurück und »stülpt« sich über das in den Vorhöfen befindliche Blut. Durch diesen Vorgang ist eine schnelle Füllung der Ventrikel gewährleistet; die nachfolgende Vorhofsystole unterstützt nur noch geringfügig die Kammerfüllung. Lediglich bei höherer Herzfrequenz, bei der die Ventrikeldiastole stark verkürzt ist, kann die Vorhofkontraktion einen wirksameren Beitrag zur Kammerfüllung leisten.
Aktionsphasen In jedem Herzzyklus lassen sich durch den Schluss und die Öffnung der beiden Klappensysteme vier Phasen abgrenzen, die jeweils durch ein bestimmtes Druck- und Volumenverhalten gekennzeichnet sind. Merke
Die Systole der Ventrikel beginnt mit einer kurzen Anspannungsphase, gefolgt von der Austreibungsphase. Die Diastole wird in die kurze Entspannungsphase und die Füllungsphase unterteilt.
In der ersten Phase der Kammersystole, der sog. Anspannungsphase, sind alle Klappensysteme geschlossen. Die Kontraktion der Muskulatur führt daher zu einem steilen Druckanstieg, ohne dass sich das mit inkompressiblem Blut gefüllte Ventrikelvolumen ändert (isovolumetrische Kontraktion). Wenn der intraventrikuläre Druck den diastolischen Druck der wegführenden Arterie übertrifft, öffnen sich die Taschenklappen, und die zweite Phase der Systole, die Austreibungsphase, beginnt. Der Ventrikeldruck steigt dabei zunächst noch weiter bis auf einen Maximalwert an (⊡ Tabelle 5.4), um dann gegen Ende der Systole wieder abzufallen. Eine derartige Kontraktionsform, bei der sich Volumen und Druck gleichzeitig ändern, wird als auxobare Kontraktion bezeichnet. In der Austreibungsphase wirft jeder Ventrikel bei körperlicher Ruhe ein Schlagvolumen von etwa 70 ml aus, während ein Restvolumen von 45–65 ml in der Kammer zurückbleibt, d. h. die Auswurffraktion beträgt 55–60 %.
138
Kapitel 5 · Herzfunktion
⊡ Tabelle 5.4. Physiologische Drücke in den Ventrikeln und in den arteriellen Ausstrombahnen beim Jugendlichen in körperlicher Ruhe
III
höchster systolischer Druck
enddiastolischer Druck
(mm Hg)
(mm Hg)
(kPa)
(kPa)
rechter Ventrikel
25
3,3
5
0,7
Truncus pulmonalis
25
3,3
10
1,3
linker Ventrikel
120
16,0
10
1,3
Aorta
120
16,0
80
10,7
Der beschriebene Anstieg des Ventrikeldrucks in der Austreibungsphase ist nicht durch eine zusätzliche Kraftentwicklung der Ventrikelmuskulatur bedingt, sondern ergibt sich als Folge der Größenänderung des Herzens. Dieser Sachverhalt lässt sich mit Hilfe der LAPLACE-Beziehung erklären: Zwischen der muskulären Wandspannung K (Kraft/Wandquerschnitt) und dem Innendruck P eines kugelförmigen Hohlkörpers mit dem Radius r und der Wanddicke d gilt folgende Beziehung: 2d r P = K 5 bzw. K = P 5 r 2d
(5.1)
In der Austreibungsphase nimmt der Radius r ab und die Wanddicke d zu, während sich die Wandspannung geringfügig vermindert. Unter diesen Bedingungen muss der Innendruck P ansteigen.
Der Druckabfall im Ventrikel führt zum Schluss der Taschenklappen. Damit beginnt der erste Abschnitt der Diastole, die Entspannungsphase. Da in diesem Zeitintervall alle Klappen geschlossen sind, verläuft die Erschlaffung isovolumetrisch, also ohne Änderung des Ventrikelinhalts. Der intraventrikuläre Druck fällt rasch auf einen Wert von nahezu Null ab. Bei Unterschreitung des Vorhofdrucks öffnen sich die Atrioventrikularklappen, und die letzte Phase, die Füllungsphase, beginnt. Beim Bluteinstrom in die Ventrikel, der anfangs schnell und dann immer langsamer erfolgt, steigt der Druck nur wenig an.
Vorlast und Nachlast des Herzens Merke
Unter Vorlast (Preload) versteht man die durch die Kammerfüllung passiv entstandene enddiastolische Wandspannung.
139 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
Nach der Laplace-Beziehung (s. oben) wirkt sich eine Änderung des Füllungsvolumens in zweifacher Weise auf die Wandspannung K aus: Eine Zunahme der enddiastolischen Füllung führt einerseits zur Erhöhung des Füllungsdrucks P und andererseits zur Zunahme des Kammerradius r und Abnahme der Wanddicke d. Entsprechend kommt es bei Abnahme der enddiastolischen Füllung zu einer überproportionalen Verminderung der enddiastolischen Wandspannung. Durch die Vorlast wird auf Grund des Frank-Starling-Mechanismus ( Kap. 5.4.2) das Schlagvolumen der Ventrikel wesentlich beeinflusst. In ⊡ Abb. 5.20 ( Kap. 5.4.2) ist diese Abhängigkeit in Form der sog. StarlingKurve wiedergegeben. Merke
Ein Maß für die Nachlast (Afterload) ist die in der Ventrikelsystole aktiv entwickelte Wandspannung zur Überwindung des diastolischen Aorten- bzw. Pulmonalisdrucks.
Eine Verminderung der Nachlast kann demnach bei einer Senkung des diastolischen Aorten- bzw. Pulmonalisdrucks sowie bei Verkleinerung des Ventrikeldurchmessers auftreten.
Druck-Volumen-Diagramm Die Phasen der Herzaktion lassen sich in einem Diagramm darstellen, in dem der Druck auf der Ordinate und das Volumen auf der Abszisse abgetragen wird (⊡ Abb. 5.18, links). Eine solche Darstellungsform entspricht dem KraftLängen-Diagramm des Skelettmuskels. Wie in diesem wird das Verhalten des erschlafften Muskels bei passiver Dehnung durch die Ruhedehnungskurve charakterisiert. Für die Herzkammer gibt die Ruhedehnungskurve diejenigen Drücke an, die den verschiedenen Volumina bei passiver Ventrikelfüllung zugeordnet sind. Ihre Steilheit ist ein Maß für den Widerstand, den die Ventrikelmuskulatur einer Dehnung entgegensetzt. Der Kurvenverlauf zeigt, dass die Dehnbarkeit des Ventrikels mit zunehmender Füllung abnimmt. Wie der Skelettmuskel, so kann auch das isolierte Herz unter zwei verschiedenen experimentellen Bedingungen zur Kontraktion veranlasst werden. Erfolgt der Auswurf des Blutes aus dem Ventrikel gegen einen vernachlässigbar kleinen Widerstand, so handelt es sich um eine isobare Kontrak-
140
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.18. Druck-Volumen-Diagramm der isolierten linken Herzkammer. Links: Ruhe-Dehnungskurve sowie Kurven der isobaren und isovolumetrischen Maxima. Von zwei Punkten (P1 und P2) ausgehend, sind jeweils die Maximalkontraktionen bei konstantem Druck und konstantem Volumen eingezeichnet. Rechts: Arbeitsdiagramm des Herzens (rot). A–B isovolumetrische Anspannung; B–C auxobare Austreibung, die Kontraktionskurve erreicht die Kurve der Unterstützungsmaxima (U-Kurve, gestrichelt), die zwischen den Kurven der isobaren und der isovolumetrischen Maxima verläuft; C–D isovolumetrische Entspannung; D–A Füllung nach Maßgabe der Ruhedehnungskurve
tion. Wird dagegen der Blutauswurf während der Faseranspannung verhindert (unendlich großer Widerstand), dann führt der Muskel eine isovolumetrische Kontraktion aus. Merke
Jedem Füllungszustand, d. h. jedem Punkt der Ruhedehnungskurve, kann man auf diese Weise eine isobare und eine isovolumetrische Maximalkontraktion zuordnen. Die Verbindungen aller Maximalwerte für die beiden Kontraktionsformen liefern die Kurven der isobaren und der isovolumetrischen Maxima.
In ⊡ Abb. 5.18, links, sind zwei Punkte der Ruhedehnungskurve (P1 und P2) mit ihren Maximalkontraktionen bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen eingezeichnet. Man erkennt deutlich, dass die Maximalkontraktio-
141 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
nen mit steigender Ausgangsfüllung zunächst zunehmen, um dann wieder kleiner zu werden, d. h. das Herz ist – in Abhängigkeit von der Ausgangsfüllung – in der Lage, unterschiedliche Drücke zu entwickeln bzw. Auswurfvolumina zu fördern. Wie bereits erwähnt, führt die Ventrikelmuskulatur in situ zunächst eine isovolumetrische und nach Öffnung der Taschenklappen eine auxobare Kontraktion aus. Merke
Die Ventrikelkontraktionen in situ erreichen daher die entsprechend bezeichnete Kurve der Unterstützungsmaxima (abgekürzt: U-Kurve) die zwischen den Kurven der isobaren und der isovolumetrischen Maxima verläuft.
In ⊡ Abb. 5.18, rechts, sind die vier Phasen der Herzaktion für den linken Ventrikel in dem beschriebenen Druck-Volumen-Diagramm dargestellt. Dabei bezeichnen die Strecken A–B die isovolumetrische Anspannungsphase, B–C die auxobare Austreibungsphase, C–D die isovolumetrische Entspannungsphase und D–A die Füllungsphase nach Maßgabe der Ruhedehnungskurve. Diese Phasen sind durch die Änderungen der Klappenstellungen voneinander abgegrenzt und zwar durch den Schluss der Mitralklappe (A), die Öffnung der Aortenklappe (B), den Schluss der Aortenklappe (C) und die Öffnung der Mitralklappe (D). Eine solche Darstellung des gesamten Herz-Zyklus in Form einer geschlossenen Druck-Volumen-Schleife, die insbesondere für die Erläuterung der Anpassungsvorgänge (s. unten) nützlich ist, wird nach Frank auch als Arbeitsdiagramm des Ventrikels bezeichnet. Die von der Schleife eingeschlossene Fläche stellt ein Maß für die Druck-Volumen-Arbeit des Ventrikels dar ( Kap. 5.5.2).
142
Kapitel 5 · Herzfunktion
5.4.2
Anpassung der Herzaktion
Herzzeitvolumen unter Ruhe- und Belastungsbedingungen
III
Merke
In körperlicher Ruhe wird bei jeder Herzaktion sowohl vom rechten als auch vom linken Ventrikel jeweils ein Schlagvolumen von etwa 70 ml ausgeworfen. Die Schlagfrequenz beträgt im Mittel ca. 70 min–1. Damit ergibt sich für das Herzzeitvolumen, d. h. das Blutvolumen, das in der Zeiteinheit in den Lungen- bzw. Körperkreislauf transportiert wird, ein Wert von etwa 5 l ⋅ min–1.
Unter Belastungsbedingungen, insbesondere bei körperlicher Arbeit, kann das Herzzeitvolumen erheblich gesteigert werden. Im Extremfall kommt es zu einer Zunahme des Schlagvolumens auf das Doppelte und zu einem Anstieg der Herzfrequenz auf das 2,5fache des Ruhewertes, sodass ein Herzzeitvolumen von 25 l ⋅ min–1 resultiert. Diese Anpassung der Herztätigkeit an die Bedürfnisse des Gesamtorganismus erfolgt überwiegend unter dem Einfluss der Herznerven. Der intrakardiale Anpassungsmechanismus spielt hierbei nur eine untergeordnete Rolle.
Intrakardialer Anpassungsmechanismus Merke
Das Herz kann sich ohne neurovegetative und humorale Einflüsse auf Grund seiner muskulären Eigenschaften sowohl wechselnden Volumen- als auch Druckbelastungen anpassen.
Experimentelle Untersuchungen am Säugetierherzen durch Starling haben gezeigt, dass auch nach Durchtrennung der Herznerven bei konstanter Herzfrequenz eine Anpassung der Herzarbeit möglich ist. Ein erhöhtes venöses Angebot wird durch eine Zunahme des Schlagvolumens beantwortet. Der Mechanismus dieser Anpassung ist im Druck-Volumen-Diagramm der ⊡ Abb. 5.19, links, dargestellt. Man erkennt, dass im Vergleich zur Ausgangssituation das größere venöse Angebot eine vermehrte enddiastolische Füllung bzw. Vorlast des Ventrikels zur Folge hat. Die dadurch weiter gedehnten
143 5.4 · Mechanik der Herzaktion
Volumen [ml]
5
Volumen [ml]
⊡ Abb. 5.19. Anpassung des denervierten Herzens nach dem FRANK-STARLING-Mechanismus. Dargestellt ist das Druck-Volumen-Diagramm des linken Ventrikels. Links: Anpassung an eine akute Volumenbelastung mit stärkerer enddiastolischer Füllung (erhöhter Vorlast). Rechts: Anpassung an eine akute Druckbelastung (erhöhte Nachlast), die stufenweise zu einer Zunahme der diastolischen Füllung führt
Herzmuskelfasern sind zu einer stärkeren Verkürzung befähigt, und das Schlagvolumen steigt an (⊡ Abb. 5.20). Dieser Anpassungsmodus wird als intrakardialer Mechanismus oder auch als Frank-Starling-Mechanismus bezeichnet. Für das nicht denervierte Herz in situ spielt er lediglich bei kurzfristigem Volumenausgleich (z. B. bei plötzlicher Änderung des venösen Rückstroms durch Wechsel der Körperposition) und bei der Abstimmung der Schlagvolumina von rechtem und linkem Herzen eine Rolle. Für das transplantierte Herz stellt der Frank-Starling-Mechanismus für die erste Zeit die einzige Regulationsmöglichkeit dar. Eine vermehrte Füllung der Vorhöfe führt zur Abgabe des Hormons Atriopeptin (atriales natriuretisches Peptid) aus Granula der Myokardzellen des Vorhofs an das Blut. Es ist an der langfristigen Kreislaufregulation (Volumenregulation) beteiligt ( Kap. 6.7.3).
Ebenso wie bei akuter Volumenbelastung ist das isolierte Herz auch bei Zunahme des Aorten- bzw. Pulmonalisdrucks (d. h. der Nachlast), die etwa als Folge eines erhöhten peripheren Widerstands auftreten kann, zu einer intrakardialen Anpassung befähigt. Ein Anstieg des Auswurfwiderstands wird durch eine verstärkte Druckentwicklung des Ventrikels beantwortet. Den Mechanismus dieser in Stufen erfolgenden Anpassung erläutert ⊡ Abb. 5.19,
144
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.20. STARLING-Kurve (Herzfunktionskurve), welche die Abhängigkeit des Schlagvolumens vom linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdruck (als Maß für die Vorlast) bzw. vom Druck im linken Vorhof angibt. Die Erhöhung des enddiastolischen Füllungsdrucks im angegebenen Bereich führt über den FRANK-STARLING-Mechanismus zu einer Steigerung des Schlagvolumens. Die gestrichelten Linien geben die Referenzwerte beim Liegenden in Ruhe wieder
rechts. Steigt der diastolische Aortendruck plötzlich an, so ist der linke Ventrikel zunächst nur in der Lage, ein reduziertes Schlagvolumen auszuwerfen. Dadurch kommt es zu einer Zunahme des Restvolumens und bei der nächsten Aktion – wegen des unverminderten venösen Rückstroms – zu einer größeren diastolischen Füllung. Die gedehnten Myokardfasern gelangen auf diese Weise in einen Arbeitsbereich, in dem sie eine kräftigere Kontraktion ausführen und so das normale Schlagvolumen mit erhöhtem Druck auswerfen können. Auch in diesem Fall hat also die vermehrte Füllung des Ventrikels entscheidende Bedeutung für den Anpassungsmechanismus.
Extrakardialer Anpassungsmechanismus Merke
Die Anpassung der Herzarbeit an körperliche Belastung erfolgt normalerweise unter dem Einfluss des Sympathikus. Die vom Zentralnervensystem ausgelöste Aktivierung des Sympathikus führt zu einer verstärkten Kontraktionskraft (Kontraktilität) der Herzmuskulatur.
145 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
⊡ Abb. 5.21. Einfluss des Sympathikus auf die Arbeitsbedingungen des linken Ventrikels, nach Antoni (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Durch Aktivierung des Sympathikus (positiv inotrope Wirkung) wird die Kurve der isovolumetrischen Maxima zu höheren Drücken hin verlagert (M1 → M2), sodass die Kurve der Unterstützungsmaxima steiler ansteigt (U1 → U2). Damit ist der Ventrikel in der Lage, bei unverändertem enddiastolischem Volumen entweder ein größeres Schlagvolumen zu befördern (1) oder das ursprüngliche Schlagvolumen gegen einen erhöhten Druck auszuwerfen (2)
Volumen [ml]
Diese positive inotrope Wirkung des Sympathikus stellt sich im Druck-Volumen-Diagramm als eine Linksverlagerung und Versteilerung der Kurve der Unterstützungsmaxima dar (⊡ Abb. 5.21, Verlagerung von U1 nach U2). Wie das rot eingezeichnete Arbeitsdiagramm 1 zeigt, kann in diesem Fall – ausgehend von der gleichen enddiastolischen Füllung – ein vergrößertes Schlagvolumen ausgeworfen werden. Dabei erfolgt eine stärkere Ausschöpfung des Restvolumens. Das Herz zieht sich also in der Systole bei körperlicher Belastung stärker und schneller zusammen als unter Ruhebedingungen, was auch durch die Beurteilung mit Hilfe bildgebender Verfahren bestätigt wird. Die Linksverlagerung der U-Kurve lässt weiterhin erkennen, dass unter dem Einfluss des Sympathikus auch der Auswurf eines normalen Schlagvolumens gegen einen erhöhten Widerstand möglich ist (⊡ Abb. 5.21, strichpunktierte Kurve). Je nach der speziellen Kreislaufsituation kann also ein größeres Schlagvolumen ausgetrieben und/oder ein höherer Druck überwunden werden. Den gesamten Anpassungsmodus bezeichnet man wegen der Beteiligung von Herznerven als extrakardialen Mechanismus. Die Kontraktilitätssteigerung des Herzens unter Sympathikuseinfluss ohne Vergrößerung der enddiastolischen Füllung ist die Folge eines verstärkten
146
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
Ca2+-Einstroms in die Fasern, der zu verstärkten Aktin-Myosin-Interaktionen führt. Als Maß für die Kontraktilität dient die maximale Druckanstiegsgeschwindigkeit (dP/dt max.) in der isovolumetrischen Anspannungsphase. Sie wird durch Druckmessung mit Hilfe eines Herzkatheters ermittelt und beträgt normalerweise linksventrikulär in Ruhe 1500–2000 mm Hg/s (200–270 kPa/s).
Anpassung der Herzfrequenz Die zweite Möglichkeit, die Herzarbeit an die Bedürfnisse des Gesamtorganismus anzupassen, besteht in der Änderung der Schlagfrequenz. Merke
Bei körperlicher Belastung kommt es durch Zunahme des Sympathikustonus, insbesondere aber durch Abnahme des Vagustonus zu einer Steigerung der Herzfrequenz ( Kap. 5.2.3).
Mit der Frequenzsteigerung verändert sich auch das Verhältnis der Systolendauer zur Diastolendauer. Bei der Ruhefrequenz von 70 min–1 beträgt dieses Verhältnis etwa 1 : 2 (Anspannungszeit 60 ms, Austreibungszeit 210 ms, Entspannungszeit 60 ms, Füllungszeit ca. 500 ms). Bei einer Herzfrequenz von 90–100 min–1 steigt die Systolen-Diastolen-Relation auf 1 : 1 und bei 150 min–1 sogar auf 2 : 1 an. Die Diastolendauer wird also bei einer Frequenzsteigerung stärker verkürzt als die Systolendauer, sodass eine absolut und relativ geringere Zeit für die Ventrikelfüllung zur Verfügung steht. Trotzdem ist bis zu einer Herzfrequenz von 150 min–1 noch eine ausreichende Ventrikelfüllung gewährleistet. Die – wenn auch nicht so starke – Abnahme der Systolendauer erfordert eine schnellere Verkürzung der Myokardfasern, die durch die Zunahme des Sympathikustonus gewährleistet ist. Merke
Die Pumpfunktion des Herzens wird demnach von folgenden Faktoren bestimmt: Vorlast Nachlast Kontraktilität Herzfrequenz
147 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
Anpassung an lang dauernde Belastungen Wird das Herz wiederholt oder ständig einer erhöhten Arbeitsbelastung ausgesetzt, so tritt außer den funktionellen Regulationen eine strukturelle Anpassung ein. Es kommt zu einer Dicken- und Längenzunahme der einzelnen Muskelfasern (Hypertrophie) mit gleichzeitiger Erweiterung der Hohlräume (Dilatation). Das Gewicht des Herzens kann dabei von normalerweise 300 g bis auf 500 g (Sportlerherz) ansteigen. Nach der Beendigung eines Trainings bildet sich die Hypertrophie innerhalb weniger Monate wieder zurück. Bei Überschreitung dieses kritischen Grenzgewichts von 500 g besteht die Gefahr einer ungenügenden Sauerstoffversorgung des Muskelgewebes. Mit Zunahme der Faserradien werden nämlich auch die Diffusionswege zwischen den Kapillaren und dem Inneren der Muskelfasern größer, sodass die O2-Moleküle nicht mehr in ausreichender Menge zu entfernten Orten gelangen können. Unter pathologischen Bedingungen wird dadurch die Entwicklung einer sog. exzentrischen Hypertrophie und einer sog. plastischen Gefügedilatation ausgelöst.
5.4.3
Signale der Herzaktion
Merke
Für die Beurteilung der Herzfunktion stehen verschiedene einfache, nichtinvasive Verfahren zur Verfügung. Hierzu gehören neben der EKG-Registrierung die Palpation, d. h. das Tasten des Herzspitzenstoßes, die Aufnahme des Arterien- und Venenpulses sowie die Auskultation des Herzschalls.
Herzschall Die durch die Herzaktion erzeugten Schwingungen (15–400 Hz) werden auf die Brustwand übertragen und können mit Hilfe eines aufgesetzten Stethoskops wahrgenommen werden. Sie lassen sich auch mit einem der Brustwand aufliegenden Mikrophon erfassen und durch ein Schreibsystem aufzeichnen (Phonokardiogramm, ⊡ Abb. 5.22). Die normalerweise auftretenden Schallschwingungen bezeichnet man als Herztöne, obwohl es sich nicht um rein periodische Schwingungen handelt, wie es die physikalische Definition des Begriffes »Ton« fordert. Von der Norm abweichende Schallerscheinungen werden als Herzgeräusche bezeichnet. Bei der Aktion des gesunden Herzens kann man in der Regel zwei Herztöne unterscheiden (⊡ Abb. 5.22). Der I. Herzton, der zu Beginn der Systole auftritt, ist lang und dumpf. Er kommt vor allem dadurch zustande, dass sich
148
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.22. Zeitliche Zuordnung wichtiger Funktionsparameter zu den Aktionsphasen des Herzens. 1 Anspannungsphase, 2 Austreibungsphase, 3 Entspannungsphase, 4 Füllungsphase. Die gelben Querbalken markieren die Verschlussdauer der betreffenden Klappen. SV Schlagvolumen, RV Restblutvolumen
149 5.4 · Mechanik der Herzaktion
5
nach dem Schluss der Atrioventrikularklappen das Ventrikelmyokard ruckartig um das inkompressible Blutvolumen anspannt. Dadurch gerät das gesamte System, Myokard und eingeschlossenes Blut, in Schwingungen. Den I. Herzton bezeichnet man aus diesem Grund auch als Anspannungston. Der II. Herzton, der zu Beginn der Diastole einsetzt, ist kurz und hell. Er entsteht durch den Schluss der Taschenklappen (Aorten- und Pulmonalisklappe), wobei die Blutsäulen im Anfangsteil der großen Arterien in Schwingungen geraten. Der II. Herzton wird deshalb auch als Klappenschlusston charakterisiert. Bei Kindern, deren kleinerer Thorax die Schallleitung begünstigt, lässt sich oft noch ein III. Herzton wahrnehmen, der durch den Einstrom des Blutes während der Ventrikelfüllung zustande kommt. Ein IV. Ton, der durch die Vorhofkontraktion ausgelöst wird, ist bei der Auskultation nicht hörbar, kann jedoch bei der Aufzeichnung des Herzschalls registriert werden.
Herzgeräusche entstehen häufig durch Turbulenzen des Blutstroms als Folge gestörter Klappenfunktionen; aber auch Defekte des Septums u. a. können für das Auftreten von Herzgeräuschen verantwortlich sein. Wenn bei einer Klappenstenose (Verengung) das Blut durch das eingeengte Ostium strömt, werden durch die auftretenden Turbulenzen charakteristische Geräusche erzeugt. Ebenso kommt es bei einer Klappeninsuffizienz (Schlussunfähigkeit) zu Geräuschen, wenn das Blut durch die nicht dicht schließende Klappe in die vorgelagerte Herzhöhle zurückströmt. Geräusche, die zwischen dem I. und II. Herzton auftreten, werden als systolisch, solche zwischen dem II. und I. Herzton als diastolisch bezeichnet. Auf Grund der Klappenspielfolge im Herzzyklus lässt sich ableiten, dass Stenosen der Taschenklappen oder Insuffizienzen der Segelklappen zu systolischen Geräuschen führen, während Stenosen der Segelklappen oder Insuffizienzen der Taschenklappen jeweils diastolische Geräusche verursachen. Die Beurteilung der Klappenfunktionen erfordert die Zuordnung von evtl. auftretenden Geräuschen zu einem der vier Klappensysteme. Daher hat man vier Auskultationsstellen festgelegt, von denen aus der wahrgenommene Schall auf jeweils ein bestimmtes Klappensystem bezogen werden kann. Diese Auskultationsstellen stimmen im Allgemeinen nicht mit den Orten der Klappenprojektion auf der Brustwand überein, sondern sind etwas davon entfernt in Richtung des Blutstroms verlagert. Sie werden jeweils durch die Angabe eines Intercostalraumes (ICR) und einer charakteristischen senkrechten Linie lokalisiert. Man auskultiert die Aortenklappe im 2. ICR rechts parasternal, die Pulmonalklappe im 2. ICR links parasternal, die Trikuspidalklappe in Höhe des 4. ICR auf dem Sternum und die Mitralklappe im 5. ICR links medioklavicular.
150
Kapitel 5 · Herzfunktion
Weitere funktionsdiagnostische Verfahren Merke
III
In der klinischen Herzfunktionsdiagnostik werden auch nichtinvasive Verfahren eingesetzt, die einen größeren apparativen Aufwand erfordern. Neben der klassischen Röntgendiagnostik sind dies die Computertomographie, die Kernspintomographie und die Echokardiographie. Wertvolle diagnostische Hinweise liefern auch invasive Untersuchungen mit Hilfe des Herzkatheters.
Die Computertomographie (CT) ist ein röntgenologisches Verfahren, bei dem durch Computerverarbeitung Schichtbilder des Herzens erzeugt werden. Die Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie) liefert gleichfalls Schichtbilder, jedoch mit einer noch höheren Auflösung. Im Gegensatz zur CT arbeitet dieses Verfahren nicht mit Röntgenstrahlen, sondern mit einem Magnetfeld hoher Feldstärke und mit elektromagnetischen Wellen im MHz-Bereich. Die Echokardiographie stellt eine spezielle Anwendung des Impuls-Echo-Verfahrens dar, bei dem ohne jegliches Risiko für den Patienten die Reflexion von Ultraschallwellen an Grenzflächen des Herzens (Ventrikelwände, Septum, Klappen) erfasst wird. Nuklearmedizinische bildgebende Verfahren zur Beurteilung der Ventrikelfunktion und der Myokarddurchblutung sind ebenfalls nichtinvasiv, erfordern jedoch die intravenöse Applikation eines radioaktiven Indikators (z. B. 201Thallium). Die Herzkatheter-Untersuchung und die Angiokardiographie sind invasive Verfahren, die diagnostischen und z. T. auch therapeutischen Zwecken dienen. Führt man einen Katheter, der mit einem Druckaufnehmer verbunden ist, durch die Gefäße bis in die Herzhöhlen ein, lassen sich Druckverläufe in den untersuchten Abschnitten messen (⊡ Abb. 5.22). Über Herzkatheter können auch Röntgenkontrastmittel intrakardial appliziert und dann die Innenräume und Gefäße in den einzelnen Aktionsphasen dargestellt werden. Weiterhin können Gewebeproben und Blutproben entnommen werden. Letztere dienen der Messung der Sauerstoffsättigung des Blutes in den einzelnen Herzhöhlen (vgl. Bestimmung des Herzzeitvolumens mit Hilfe des FICK-Prinzips, Kap. 6.6.6). Auch intrakardiale EKG-Ableitungen sind über Herzkatheter möglich.
Synopsis der Funktionsabläufe In ⊡ Abb. 5.22 sind die wichtigsten Funktionsparameter der Herzaktion in einer synchronen Aufzeichnung zusammengefasst. Von oben nach unten sind dargestellt: ▬ Die Klappenstellungen in den vier Aktionsphasen. Die gelben Balken bedeuten geschlossene Klappen. ▬ Die Druckverläufe im linken Ventrikel und in der Aorta. Während der Austreibungsphase übersteigt der Ventrikeldruck ein wenig den Aortendruck. Am Ende der Austreibung findet sich in der Aortendruckkurve ein kleiner Einschnitt (Frank-Inzisur, Kap. 6.2.2), der auf den Druckabfall beim Schluss der Aortenklappe zurückzuführen ist und das Ende der Systole markiert.
151 5.5 · Energetik der Herzaktion
5
▬ Die Volumenänderung im linken Ventrikel. Nach Auswurf des Schlagvolumens (SV) bleibt am Ende der Systole das Restvolumen (RV) im Ventrikel zurück. ▬ Das Elektrokardiogramm. Die Vorhoferregung (P-Welle) fällt in die späte Ventrikeldiastole. Die Spitze der R-Zacke markiert den Beginn der Ventrikelsystole, das Ende der T-Welle ihren Abschluss. ▬ Das Phonokardiogramm. Der I. Herzton beginnt am Anfang der Anspannungsphase (Systolenbeginn) und klingt erst in der frühen Austreibungsphase ab. Der II. Herzton, der mit dem Anfang der Entspannungsphase (Diastolenbeginn) einsetzt, weist nur wenige Schwingungen auf. Daraus ergeben sich folgende Kriterien für die Abgrenzung der beiden Hauptphasen im Zyklus des linken Ventrikels: Beginn der Systole
Beginn der Diastole
Klappen:
Schluss der Mitralklappe
Schluss der Aortenklappe
Aortendruck:
Minimum
Inzisur der Druckkurve
EKG:
Spitze der R-Zacke
Ende der T-Welle
Herztöne:
Beginn des I. Tons
Beginn des II. Tons
5.5
Energetik der Herzaktion
5.5.1
Herzarbeit und Herzleistung
Formen der physikalischen Herzarbeit Merke
Während der Systole verrichtet die Ventrikelmuskulatur durch Spannungsentwicklung und Faserverkürzung hauptsächlich eine Druck-Volumen-Arbeit.
Geht man davon aus, dass der linke Ventrikel bei körperlicher Ruhe ein Schlagvolumen von 70 ml (7 ⋅ 10–5 m3) mit einem mittleren Druck von 100 mm Hg
152
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
(1,33 ⋅ 104 N/m2) auswirft, so leistet er eine Druck-Volumen-Arbeit von etwa 0,93 Nm (0,93 J). Der rechte Ventrikel hat bei gleichgroßem Schlagvolumen (70 ml) nur einen mittleren Druck von 15 mm Hg (2 ⋅ 103 N/m2) zu erzeugen, sodass seine Druck-Volumen-Arbeit etwa 0,14 Nm (0,14 J) beträgt. Für beide Ventrikel zusammen ergibt sich also pro Systole ein Arbeitsbetrag von etwa 1,1 J. Außer der Druck-Volumen-Arbeit hat die Ventrikelmuskulatur noch eine Beschleunigungsarbeit zu leisten, um die träge Masse des Blutes (m) auf die Auswurfgeschwindigkeit (v) zu bringen. Die Beschleunigungsarbeit, die sich aus 1/2 mv2 berechnet, ist unter Ruhebedingungen gering und für beide Ventrikel gleich groß (0,01 J). Für den linken Ventrikel beträgt sie also nur etwa 1 % und für den rechten Ventrikel 7 % der Gesamtarbeit. Der Anteil der Beschleunigungsarbeit nimmt jedoch bei körperlicher Belastung und bei Elastizitätsverlust der Aorta im Alter deutlich zu.
Herzleistung Die Herzleistung, also die Herzarbeit pro Zeiteinheit, lässt sich für die Ruhefrequenz (mit einer Systole pro Sekunde) leicht angeben. Sie ist in diesem Fall etwa 1,1 W (1,1 J/s), was einer Leistung von 23 kcal/Tag (96 kJ/Tag) entspricht. Der Wirkungsgrad der Herzarbeit, d. h. derjenige Anteil der umgesetzten Energie, der in mechanische Arbeit umgewandelt wird, beträgt 25–30 %. Daher müssen für die Herztätigkeit unter Ruhebedingungen 70–90 kcal/Tag (300– 400 kJ/Tag) oder 5 % des Grundumsatzes ( Kap. 8.1.2) bereitgestellt werden.
5.5.2
Blutversorgung und Energiegewinnung des Myokards
Koronardurchblutung Das Herz wird von zwei Koronararterien, die aus der Aortenwurzel entspringen, mit Blut versorgt. Die linke Koronararterie, die ca. 80 % des gesamten Blutstroms aufnimmt, versorgt vor allem den muskelstarken linken Ventrikel, einen schmalen Vorderwandanteil des rechten Ventrikels und große Teile des Septums, die rechte Koronararterie den rechten Ventrikel und einen kleineren Hinterwandbezirk des linken Ventrikels. Die Durchblutung des Herzmuskelgewebes beträgt in körperlicher Ruhe etwa 0,8–0,9 ml ⋅ g–1 ⋅ min–1. Durch die Koronararterien strömen also bei einem 300 g schweren Herzen etwa 250 ml Blut/min, das sind rund 5 % des gesamten Herzzeitvolumens. Bei schwerer körperlicher Arbeit kann die Durchblutung bis auf das 4,5fache des Ruhewerts ansteigen (⊡ Tabelle 5.5).
5
153 5.5 · Energetik der Herzaktion
⊡ Tabelle 5.5. Myokarddurchblutung, arterielle und koronarvenöse O2-Konzentration, O2-Verbrauch sowie Substrataufnahme des Herzens in Körperruhe und bei starker Belastung. (Die Substrataufnahme ist in prozentualen Substratanteilen am O2-Verbrauch des Myokards angegeben.) Ruhe
Arbeit
· Myokarddurchblutung Q (ml ⋅ g–1 ⋅ min–1)
0,8
3,5 0,20
arterielle O2-Konzentration CaO2 (ml O2/ml Blut)
0,20
koronarvenöse O2-Konzentration CνO2 (ml O2/ml Blut)
0,07
0,04
arteriovenöse O2-Differenz aνDO2 (ml O2/ml Blut) · O2-Verbrauch V O2 (ml ⋅ g–1 ⋅ min–1)
0,13
0,16
0,10
0,55
Substrate:
Glukose Milchsäure freie Fettsäuren Brenztraubensäure u. a.
(%) (%) (%) (%)
31 28 34 7
16 61 21 2
Die Koronardurchblutung erfolgt im Gegensatz zur Perfusion anderer Organe nicht kontinuierlich, sondern weist starke rhythmische Schwankungen in Abhängigkeit von den Kontraktionsphasen auf (⊡ Abb. 5.23). Diese Diskontinuität beruht einerseits auf dem systolischen Anstieg und dem diastolischen Abfall des Myokarddrucks, die sich auf den Strömungswiderstand in den myokardialen Gefäßen auswirken und andererseits auf den rhythmischen Änderungen des Aortendrucks, die den Strömungsantrieb beeinflussen. Während der Anspannungsphase ist der Einstrom in die linke Koronararterie zeitweise unterbrochen, um dann in der Austreibungsphase vorübergehend leicht anzusteigen und in der Diastole einen Maximalwert zu erreichen. In der rechten Koronararterie sind die zyklischen Schwankungen wegen des geringeren Myokarddrucks weniger deutlich ausgeprägt.
Regulation der Koronardurchblutung Merke
Da bereits in körperlicher Ruhe die O2-Kapazität des Blutes im Herzmuskelgewebe relativ stark ausgeschöpft wird (O2-Extraktion: 60–65 %), muss eine Steigerung des Sauerstoffbedarfs bei körperlicher Arbeit vorrangig durch eine Mehrdurchblutung gedeckt werden.
Wahrscheinlich stellt der bei Arbeitsbeginn eintretende Sauerstoffmangel (Hypoxie) des Myokards den stärksten Dilatationsreiz für die Koronargefäße dar. Neben dieser lokal-chemischen, wahrscheinlich durch einen Anstieg der Adenosin- und extrazellulären K+-Konzentration vermittelten Durchblutungs-
154
Kapitel 5 · Herzfunktion
III
⊡ Abb. 5.23. Blutströmungen (Stromzeitvolumina) in den Koronararterien und im Sinus coronarius sowie Druckverläufe im linken Ventrikel und in der Aorta während der Herzaktion
5
155 5.5 · Energetik der Herzaktion
regulation, können NO und nervale Einflüsse – wenn auch in geringerem Maße – die Gefäßweite verändern. Im Bereich der Koronargefäße finden sich zahlreiche sympathische β2-Rezeptoren, sodass die Sympathikusaktivierung neben einer Kontraktilitätssteigerung auch eine Gefäßerweiterung bewirken kann.
Sauerstoffversorgung Der Sauerstoffverbrauch des Myokards beträgt in körperlicher Ruhe etwa 0,1 ml ⋅ g–1 ⋅ min–1. Unter Belastungsbedingungen steigt er mit zunehmender Wandspannung, Kontraktilität und Herzfrequenz an und kann im Extremfall etwa das 5,5fache des Ruhewerts erreichen (⊡ Tabelle 5.5). Der O2-Bedarf des Myokards hängt demnach von den Parametern ab, welche die Pumpfunktion des Herzens bestimmen ( Kap. 5.4.2). Als Maß für die O2-Versorgungssituation des Herzmuskelgewebes dient die sog. Güte der Koronardurchblutung, das Verhältnis von O2-Angebot zu O2-Verbrauch ( Kap. 7.8.1): · Q · CaO2 CaO2 Güte der Koronardurchblutung = 06 =0 · Q · avDO2 avDO2
(5.2)
· Hierin bedeuten Q die Myokarddurchblutung sowie avDO2 die Differenz zwischen der arteriellen O2Konzentration CaO2 und der koronarvenösen O2-Konzentration CνO2 . Unter Ruhebedingungen ergibt sich nach ⊡ Tabelle 5.5 für die Güte der Koronardurchblutung ein Wert von 1,5. Ein Absinken von CaO2/avDO2 unter 1,2 ist ein Zeichen dafür, dass eine kritische Situation in der myokardialen O2-Versorgung eingetreten ist (Koronarinsuffizienz bzw. koronare Herzkrankheit). Neben der aktuellen Situation interessiert auch die Anpassungsbreite der O2-Versorgung. Ein Maß hierfür ist die Koronarreserve, die man in der Regel definiert als Differenz zwischen maximal möglichem und aktuell vorliegendem O2-Verbrauch, dividiert durch die letztgenannte Größe: O2-Verbrauchmax – O2-Verbrauchakt Koronarreserve = 000008 O2-Verbrauchakt
(5.3)
Für das voll anpassungsfähige Herz unter Ruhebedingungen hat (nach den Daten der ⊡ Tabelle 5.5) die Koronarreserve etwa einen Wert von 4,5, d. h. die verfügbare O2-Reserve ist 4,5-mal größer als der O2-Bedarf des Herzens in Ruhe.
Energiegewinnung Merke
Die wichtigsten Substrate für die Energiegewinnung des Myokards sind freie Fettsäuren, Laktat und Glukose.
156
III
Kapitel 5 · Herzfunktion
Wie aus ⊡ Tabelle 5.5 hervorgeht, stellen unter Ruhebedingungen die freien Fettsäuren die dominierenden Energielieferanten des Herzens dar. Mit steigender Belastung nimmt jedoch der Anteil des im Myokard umgesetzten Laktats zu. Das Herz ist also in der Lage, die bei körperlicher Arbeit von der Skelettmuskulatur abgegebene Milchsäure zu verwerten. Da die Verwertung nur über den Krebs-Zyklus in Anwesenheit von Sauerstoff erfolgen kann, ist dieser Stoffwechselweg bei O2-Mangel versperrt. Bei ungenügender Koronardurchblutung wird daher Milchsäure nicht mehr aus dem Blut extrahiert, sondern von den Herzmuskelzellen produziert. Unter diesen Bedingungen ist also die Laktatkonzentration im abfließenden koronarvenösen Blut größer als im zufließenden arteriellen Blut. Der Abbau der verschiedenen Substrate führt zur Bildung von ATP, dem unmittelbaren Energieträger für die Muskelkontraktion ( Kap. 5.2.1). Der ATP-Gehalt des Myokards beträgt 5–6 µmol/g, der des Phosphokreatins 8–9 µmol/g. Diese Konzentrationen sind relativ niedrig und können Energie für nur wenige Kontraktionen bereitstellen, sodass das Herz auf eine ständige ATP-Resynthese angewiesen ist.
Wiederbelebungszeit des Herzens Da das Herz seine Energie fast ausschließlich aus dem oxidativen Abbau der Nährstoffe bezieht, kommt es im Falle einer mangelhaften Koronardurchblutung zu einer Funktionseinschränkung des Herzens. Dauert eine plötzliche, komplette Unterbrechung der Durchblutung (Ischämie) oder der O2-Zufuhr (Anoxie) länger als 15 s, so treten die ersten Funktionsstörungen auf. Das Herz kann seine normale Kreislauffunktion nicht mehr erfüllen, da die Kontraktionskraft fortschreitend abnimmt und eine Dilatation auftritt. Merke
Nach 3–5 min tritt normalerweise ein funktioneller Herzstillstand infolge Kammerflimmern auf. Eine Ischämie- bzw. Anoxiedauer von mehr als 25 min führt zu irreversiblen Schäden des Myokards, die eine Wiederbelebung ausschließen. Aus diesem Grund bezeichnet man das Anoxieintervall von 25 min als die Wiederbelebungszeit des Herzens.
157 6.1 · Aufbau des Gefäßsystems
6
Blutkreislauf
6.1
Aufbau des Gefäßsystems und Strömungsgesetze
6.1.1
Aufgaben und Gliederung des kardiovaskulären Systems
Aufgaben Die Blutgefäße in ihrer Gesamtheit bilden ein geschlossenes System, in dem das Blut – angetrieben vom Herzen – zirkuliert. Dieser Kreislauf des Blutes, der erstmals 1628 von dem englischen Arzt William Harvey beschrieben wurde, stellt das wichtigste Transport- und Verteilungssystem des menschlichen Organismus dar. In engem Zusammenhang damit dient der Blutkreislauf der Homöostase des Organismus, d. h. der Konstanz des inneren Milieus. Im Einzelnen erfüllt das kardiovaskuläre System folgende Aufgaben: Merke
Konvektiver Transport von Atemgasen, Nährstoffen und Metaboliten des Zellstoffwechsels, Wasser und Elektrolyten im Dienste des Wasser- und Mineralhaushalts, Säuren und Basen im Dienste der pH-Regulation, Wärme zur Körperoberfläche im Dienste der Temperaturregulation, Hormonen und Mediatorsubstanzen, zellulären und humoralen Abwehrsystemen.
Die Bedeutung der Kreislauffunktion erkennt man daran, dass bei einem Kreislaufstillstand bereits nach einigen Sekunden die ersten Funktionsstörungen und nach 3–7 min die ersten irreparablen Schäden im Gehirn eintreten.
Funktionelle Gliederung Das in sich geschlossene Kreislaufsystem besteht aus hintereinander und parallel geschalteten Blutgefäßen, in die als Pumpen das rechte und linke Herz eingefügt sind. Das vom linken Herzen in die Aorta ausgeworfene Blut verteilt sich auf die parallel geschalteten Arterien der einzelnen Organe. Un-
6
158
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
ter fortgesetzter Teilung gehen aus den großen Arterien in zunehmender Zahl die kleineren Arterien, aus diesen die Arteriolen und daraus schließlich die Kapillaren hervor. In den Kapillaren, die jeweils dichte Netzwerke bilden, und in den postkapillären Venolen findet ein intensiver Stoffaustausch zwischen dem Blut und dem umliegenden Gewebe statt. Das Blut fließt in den kleinsten Venen, den Venolen, zusammen. Diese gehen unter Abnahme der Zahl und Zunahme des Gefäßlumens in die kleinen Venen über, die sich schließlich zu großen Venen vereinigen. Das Blut der oberen und unteren Körperhälfte fließt über die V. cava superior bzw. V. cava inferior in den rechten Vorhof zurück. Der Gefäßabschnitt zwischen dem linken Ventrikel und dem rechten Vorhof wird als Körperkreislauf oder großer Kreislauf bezeichnet.
⊡ Abb. 6.1. Blutkreislauf in schematischer Darstellung und prozentuale Verteilung des Herzzeitvolumens auf die Organe unter Ruhebedingungen und Indifferenztemperatur. Die Strömungswiderstände in den Organgefäßen sind durch die Länge der gezackten Linie symbolisiert
6
159 6.1 · Aufbau des Gefäßsystems
Das vom rechten Ventrikel weitertransportierte Blut gelangt zunächst in den Truncus pulmonalis und von dort in die Lungenstrombahn, die einen prinzipiell gleichartigen Aufbau wie das Gefäßsystem des Körperkreislaufs aufweist. Das Blut der Lunge wird schließlich über vier große Lungenvenen dem linken Vorhof zugeleitet. Diesen pulmonalen Abschnitt, den praktisch das gesamte Herzzeitvolumen durchströmt, charakterisiert man als Lungenkreislauf oder kleinen Kreislauf. Lungenkreislauf und Körperkreislauf sind demnach hintereinander (in Serie) geschaltet. ⊡ Abbildung 6.1 gibt eine schematische Übersicht über das kardiovaskuläre System mit der prozentualen Verteilung des Herzzeitvolumens auf die einzelnen Organe. Diese Verteilung gilt allerdings nur unter Ruhebedingungen; bei körperlicher Arbeit oder Wärmebelastung kann die relative Organdurchblutung z. T. erheblich variieren.
6.1.2
Gesetzmäßigkeiten der Strömung im Gefäßsystem
Strömungsgesetze für starre Röhrensysteme Auf Grund ihres Wandaufbaus besitzen die arteriellen Blutgefäße eine gewisse Dehnbarkeit, sodass ihre Weite in Abhängigkeit vom jeweiligen Innendruck variiert. Näherungsweise lässt sich jedoch ein Überblick über das Verhalten der Blutströmung im Gefäßsystem gewinnen, wenn man die Gesetzmäßigkeiten für die Strömung in starren Röhren anwendet. Merke
Die treibende Kraft für eine Flüssigkeitsströmung ist ein Druckgefälle, das zur Überwindung des Strömungswiderstands dient. Am übersichtlichsten sind die Verhältnisse bei der stationären, laminaren Strömung einer homogenen (NEWTON-) Flüssigkeit in einem starren, zylindrischen Rohr mit benetzbaren Wänden. In diesem Fall ist die Volumenstromstärke Q˙ (syn. Stromzeitvolumen), d. h. das Flüssigkeitsvolumen, das in der Zeiteinheit durch den Rohrquerschnitt strömt, der Druckdifferenz ∆P zwischen Anfang und Ende des Rohres proportional: Q˙ = ∆P/R
(6.1)
In dieser dem Ohm-Gesetz analogen Beziehung stellt R den Strömungswiderstand dar. R ist von der Länge l und dem Innenradius r des Rohres sowie von
160
Kapitel 6 · Blutkreislauf
der Viskosität der Flüssigkeit η abhängig (R = 8 ηl/πr4). Damit ergibt sich aus Gl. (6.1) das Hagen-Poiseuille-Gesetz:
III
πr4 Q˙ = 7 ∆P 8ηl
(6.2)
Die Stromstärke ist also der 4. Potenz des Innenradius proportional, sodass bei einer Verdopplung des Rohrdurchmessers die Stromstärke um den Faktor 16 ansteigt. Von den vier genannten Voraussetzungen für die Anwendung des Hagen-Poiseuille-Gesetzes – 1. Laminarität der Strömung, 2. Homogenität der Flüssigkeit, 3. Starrheit des Rohres, 4. Benetzbarkeit der Wände – sind im Gefäßsystem nur die erste in weiten Bereichen und die vierte voll erfüllt.
Strömungsformen Unter physiologischen Bedingungen liegt in nahezu allen Gefäßabschnitten eine laminare Strömung vor. Bei dieser Strömungsform nimmt die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsschichten von der Wand bis zur Achse des Gefäßes hin kontinuierlich zu. Während die Flüssigkeitsteilchen unmittelbar an der Gefäßwand praktisch in Ruhe sind, haben die Teilchen im Axialstrom die größte Geschwindigkeit. Es entsteht ein parabolisches Strömungsprofil (⊡ Abb. 6.2). Bei der Strömung des Blutes im Gefäßsystem findet man allerdings eine gewisse Abweichung von diesem Strömungsprofil. Die zellulären Bestandteile, insbesondere die Erythrozyten, werden nämlich in den kleinen Gefäßen in den Zentralstrom gedrängt, während das Plasma in den wandnahen Schichten strömt. Der zentrale Erythrozytenstrom erhält damit zwangsläufig eine höhere Geschwindigkeit als der wandnahe Plasmastrom. Auf diese Weise werden die Erythrozyten schneller als das Plasma durch das Gefäßsystem transportiert. Die laminare Strömung kann unter bestimmten Bedingungen in eine turbulente Strömung übergehen, die durch Wirbelbildungen charakterisiert ist. Dabei bewegen sich die Flüssigkeitsteilchen nicht nur parallel, sondern auch quer zur Gefäßachse, wodurch das Strömungsprofil abgeflacht wird (⊡ Abb. 6.2). Außerdem steigt der Strömungswiderstand an, sodass die Zunahme der turbulenten Strömungsform eine Mehrbelastung für das Herz darstellt. Normalerweise treten turbulente Strömungen nur in den herznahen Abschnitten der Aorta und des Truncus pulmonalis bei der Austreibung des Blutes aus dem Herzen auf. Turbulenzen können aber auch in herznahen Gefäßen entstehen, wenn bei schwerer Muskelarbeit die mittlere Strömungsgeschwindigkeit stark ansteigt oder wenn bei einer schweren Anämie die Blutviskosität erheblich erniedrigt ist.
6
161 6.1 · Aufbau des Gefäßsystems
⊡ Abb. 6.2. Geschwindigkeitsprofile in größeren Blutgefäßen bei laminarer und turbulenter Strömung Der Übergang in die turbulente Strömungsform hängt von mehreren Parametern ab, die in der dimensionslosen REYNOLDS-Zahl (Re) zusammengefasst sind: Re = 2rv¯ρ/η
(6.3)
Hierin bedeuten r den Gefäßradius, v¯ die mittlere Strömungsgeschwindigkeit, ρ die Dichte und η die Viskosität der Flüssigkeit. Wenn Re den Wert von 2000–3000 überschreitet, sind die Bedingungen für eine vollständig turbulente Strömung gegeben.
Viskosität des strömenden Blutes Der Strömungswiderstand in Gefäßen ist u. a. von der Viskosität η abhängig ( Gl. (6.1)). Merke
Wegen der inhomogenen Zusammensetzung des Blutes aus Zellen und Plasma stellt die Viskosität keine konstante Größe dar; sie wird vielmehr bestimmt durch die Viskosität des Plasmas, den Hämatokritwert, die Schubspannung und den Gefäßdurchmesser. Unter Berücksichtigung dieser Parameter spricht man von der scheinbaren Viskosität des strömenden Blutes.
162
Kapitel 6 · Blutkreislauf
III
⊡ Abb. 6.3. Scheinbare Blutviskosität. A. Abhängigkeit vom Hämatokritwert in Arterien, B. Einfluss des Durchmessers kleiner Gefäße. Die relative Viskosität wird auf die Viskosität des Plasmas (= 1) bezogen
Die Viskosität des Blutplasmas ist normalerweise knapp doppelt so groß wie die des Wassers (⊡ Abb. 6.3 A). Sie kann aber, z. B. bei Zunahme der Fibrinogenkonzentration, erhöht sein. Gewöhnlich wird die Blutviskosität als Vielfaches der Plasmaviskosität (= 1) angegeben und dann als relative Viskosität bezeichnet. Ferner beeinflusst der Anteil der Erythrozyten, d. h. der Hämatokritwert, die Zähigkeit des Blutes. Wie ⊡ Abb. 6.3 A zeigt, beträgt die scheinbare Blutviskosität in Arterien bei normalem Hämatokritwert etwa 3 mPa ⋅ s und nimmt bei ansteigender Zellzahl steil zu. Bei hohem Hämatokritwert, z. B. bei Polyglobulie oder Polyzythämie ( Kap. 4.3.1), kann durch eine künstliche Blutverdünnung (Hämodilution) die Blutviskosität und damit der Strömungswiderstand reduziert werden. Außerdem hängt die scheinbare Viskosität von den Strömungsbedingungen, insbesondere von der jeweiligen Schubspannung, ab. Unter Schubspannung versteht man die tangentiale Kraft, die auf (zylindrische) Flüssigkeitsschichten ausgeübt wird, wenn sie nach Maßgabe des intravasalen Geschwindigkeitsprofils (⊡ Abb. 6.2) gegeneinander verschoben werden. Bei starker Strömung mit hoher Schubspannung wird die scheinbare Viskosität so weit
6
163 6.1 · Aufbau des Gefäßsystems
herabgesetzt, dass sie sich asymptomatisch der Plasmaviskosität nähert. Dies ist auf die Verformbarkeit (Fluidität) der Erythrozyten zurückzuführen, die bei schneller Strömung eine widerstandsarme Strömungsform annehmen. Bei verlangsamter Strömung mit geringer Schubspannung steigt die scheinbare Viskosität an. Dies beruht darauf, dass langsam bewegte Erythrozyten sich zu geldrollenartigen Aggregaten zusammenlagern. Dadurch kann im Extremfall die Fließfähigkeit des Blutes vollständig aufgehoben werden, sodass ein Blutstillstand (Stase) eintritt. Da die Schubspannung in Venolen besonders klein ist, sind diese Gefäßabschnitte für das Auftreten einer Stase prädestiniert. Zusammenfassend ist festzustellen: Merke
Schnell strömendes Blut verhält sich wie eine dünnflüssige Emulsion, langsam strömendes wie eine dickflüssige Suspension.
Schließlich ist die scheinbare Viskosität des strömenden Blutes auch vom jeweiligen Gefäßdurchmesser abhängig. In kleineren Blutgefäßen mit einem Durchmesser von weniger als 300 µm werden die Erythrozyten zunehmend in den Axialstrom gedrängt, sodass im Wandbereich eine gleitfähige Plasmaschicht verbleibt, die eine schnellere Fortbewegung der zentralen Zellsäule ermöglicht. Daher vermindert sich die scheinbare Viskosität mit abnehmendem Gefäßdurchmesser (⊡ Abb. 6.3 B) und erreicht in den Kapillaren nahezu den Plasmawert (Fåhraeus-Lindqvist-Effekt). Zu diesem Effekt trägt auch die Fluidität der Erythrozyten bei, die in den Kapillaren eine Glocken- oder Tropfenform annehmen. Das Ende der erythrozytären Verformbarkeit ist erst bei Passage durch Kapillaren unter 4 µm erreicht, sodass die scheinbare Viskosität des strömenden Blutes wieder steil ansteigt. Strömungswiderstände in Röhrensystemen. Im Blutgefäßsystem sind die Einzelgefäße teils hintereinander, teils parallel geschaltet. Bei hintereinander geschalteten Gefäßen addieren sich, entsprechend der 1. KIRCHHOFF-Regel, die einzelnen Strömungswiderstände Ri zum Gesamtwiderstand RS: RS = R1 + R2 + R3 …
(6.4)
Sind dagegen die Gefäße parallel geschaltet, so gilt die 2. KIRCHHOFF-Regel: 1 1 1 1 4=4+4+4… RS R1 R2 R3
(6.5)
In diesem Fall ist der reziproke Gesamtwiderstand gleich der Summe der reziproken Einzelwiderstände.
III
164
Kapitel 6 · Blutkreislauf
6.2
Arterielles Gefäßsystem
6.2.1
Dehnbarkeit und rhythmische Füllung des Arteriensystems
Dehnbarkeit der Gefäßwände Wegen des relativ großen Anteils an elastischen Fasern in den Gefäßwänden sind die herznahen Arterien, insbesondere die Aorta, in beschränktem Maße dehnbar (Arterien vom elastischen Typ). Ihr Lumen wird bei zunehmendem Füllungsdruck erweitert und geht bei nachlassendem Druck wieder in den Ausgangszustand zurück. Die Druck-Volumen-Beziehungen folgen jedoch nicht dem Hooke-Gesetz, vielmehr nimmt der Dehnungswiderstand der Gefäßwände mit ansteigender Füllung zu. Daher muss zur Erzielung einer bestimmten Volumenzunahme eine umso größere Druckänderung aufgewandt werden, je stärker die Gefäße gefüllt sind. Als Maß für die Steifheit (Starre) der Gefäße dient der sog. Volumenelastizitätskoeffizient E′, das Verhältnis der Druckänderung ∆P zu der von ihr hervorgerufenen Volumenänderung ∆V: E′ = ∆P/∆V
(6.6)
Der Kehrwert von E′, der als Compliance bezeichnet wird, kennzeichnet die Volumendehnbarkeit (Weitbarkeit). Merke
Die Dehnbarkeit des arteriellen Gefäßsystems nimmt von der Geburt bis etwa zum 40. Lebensjahr zu. Danach kommt es jedoch wieder zu einer kontinuierlichen Abnahme der Dehnbarkeit, weil altersbedingt der Blutdruck ansteigt ( Kap. 6.2.3) und damit das Füllungsvolumen zunimmt. Im hohen Alter tragen der Verlust an elastischen Fasern und die Sklerosierung (»Verkalkung«) der Gefäßwände zur Erhöhung des Dehnungswiderstands bei.
Beim Jugendlichen ist die Aorta etwa 3-mal dehnbarer als das übrige arterielle System. Für die gesamte arterielle Strombahn beträgt der Volumenelastizitätskoeffizient etwa 1 mm Hg/ml; d. h. eine Druckerhöhung von 1 mm Hg (133 Pa) führt zu einer Volumenzunahme um 1 ml. Das venöse System ist bei den dort herrschenden niedrigen Drücken wesentlich dehnbarer als die wandstarken Arterien. Dies ist auch der Grund dafür, dass bei einer intra-
165 6.2 · Arterielles Gefäßsystems
⊡ Abb. 6.4. Entstehung der Pulswelle in schematischer Darstellung. Der Auswurf des Schlagvolumens führt in der Aorta ascendens zu einer Wanddehnung mit anschließender Entdehnung; dieser Vorgang breitet sich kontinuierlich über die elastischen Gefäße aus
venösen Infusion das zugeführte Volumen vor allem die Venen und nur zu einem kleinen Teil die Arterien füllt.
Entstehung und Ausbreitung der Pulswellen Mit jeder Systole des Herzens wird ein Blutvolumen von 70–140 ml in das arterielle System ausgeworfen. Die Volumenzunahme führt im Anfangsteil der Aorta zu einem lokalen Druckanstieg und damit zu einer elastischen Erweiterung dieses Gefäßabschnitts (⊡ Abb. 6.4), sodass ein Teil des ausgeworfenen Volumens kurzfristig gespeichert wird. Auf Grund des lokal erhöhten Drucks strömt nun das gespeicherte Blut in den nächsten Abschnitt, wo wiederum unter zunehmendem Druck der Gefäßquerschnitt erweitert wird. Dieser Vorgang setzt sich kontinuierlich über das arterielle Gefäßsystem fort. Merke
Auf Grund der elastischen Dehnbarkeit der Gefäßwände entstehen also Pulswellen, die mit einer bestimmten Geschwindigkeit über das arterielle Gefäßsystem laufen. Dabei unterscheidet man – je nach dem betrachteten Parameter – einen Druckpuls, einen Strompuls (Strömungspuls) und einen Querschnittspuls (Volumenpuls), die sich in ihrem zeitlichen Verlauf unterscheiden (s. unten).
6
166
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Eine genauere Analyse zeigt, dass etwa 50 % des systolischen Schlagvolumens in den herznahen Arterien elastisch gespeichert und erst in der Diastole weiterbefördert werden. Dies führt zu einer Dämpfung der Druckschwankungen und weitgehend kontinuierlichen Strömung in den kleinen peripheren Gefäßen. Wegen der Analogie zur Technik der älteren, handbetriebenen Feuerwehrspritzen wurde die Speicherungs- und Entspeicherungsfunktion der Arterien früher als Windkesselfunktion bezeichnet.
6.2.2
Arterielle Druck- und Strompulse
Druckpulswelle Mit dem Auswurf des Schlagvolumens kommt es im Anfangsteil der Aorta zu einem schnellen Druckanstieg. Während sich die Druckerhöhung zur Peripherie hin fortsetzt, fällt in den zunächst erfassten Aortenabschnitten der Druck langsam wieder auf den Ausgangswert ab. Auf diese Weise pflanzt sich eine Welle schnell ansteigenden und langsamer abfallenden Drucks über das gesamte arterielle Gefäßsystem fort, die als Druckpulswelle oder kurz als Pulswelle bezeichnet wird. Merke
Die Pulswelle hat, da sie durch Impulsübertragung von Teilchen zu Teilchen verursacht wird, eine wesentlich größere Geschwindigkeit als die Blutströmung in den Gefäßen. Einen starken Einfluss auf die Pulswellengeschwindigkeit übt die Steife der Gefäßwände aus. Während in der gut dehnbaren Aorta des Jugendlichen die Pulswellengeschwindigkeit 4–6 m/s beträgt, steigt sie in den weniger dehnbaren Arterien vom muskulären Typ (z. B. in den Unterarm- und Unterschenkelarterien) auf 7–12 m/s an.
Eine Zunahme der Pulswellengeschwindigkeit findet man im hohen Alter wegen der zunehmenden Gefäßsteife und bei erhöhtem Blutdruck wegen der abnehmenden Dehnbarkeit mit zunehmender Füllung der Arterien. Die theoretische Analyse zeigt, dass sich die Pulswellengeschwindigkeit c aus
c=
√
4 κ 4 ρ
(6.7)
ergibt, wobei ρ die Massendichte des Blutes bedeutet und der sog. Volumenelastizitätsmodul κ das Produkt aus Volumenelastizitätskoeffizient E‘ und Volumen V darstellt (κ = E‘ · V). Durch Messung der
167 6.2 · Arterielles Gefäßsystems
6
Pulswellengeschwindigkeit kann man also κ bestimmen und damit Rückschlüsse auf die elastische Dehnbarkeit der arteriellen Gefäße ziehen. Für die Messung werden mit Hilfe von Druckaufnehmern die Druckpulse an zwei geeigneten Orten, z. B. an der A. subclavia und der A. femoralis, registriert (Sphygmographie). Aus der Zeitdifferenz ∆t zwischen dem jeweiligen Beginn der beiden Pulse und dem Abstand ∆l zwischen der herznahen und der herzfernen Arterie lässt sich die Pulswellengeschwindigkeit zwischen den beiden Registrierstellen ermitteln: c = ∆l/∆t.
Zentrale und periphere Pulskurven Die direkte Registrierung des Drucks in einer herznahen Arterie zeigt den in ⊡ Abb. 6.5 A (links) dargestellten Verlauf.
⊡ Abb. 6.5. Druckpulskurven und zugehörige Strompulskurven. A: Druckpulskurven in der Aorta (links) und in der A. femoralis (rechts). Ps Systolischer Blutdruck, PD Diastolischer Blutdruck; PM Arterieller Mitteldruck, dessen Höhe sich definitionsgemäß aus der Inhaltsgleichheit der gelben Flächen oberhalb und unterhalb von PM ergibt. B: Zugehörige Strompulskurven
168
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Merke
III
In der Systole des Herzens steigt der Druck von einem Ausgangswert bei 80 mm Hg (10,6 kPa) schnell an und fällt nach Erreichen eines Maximalwertes bei 120 mm Hg (16,0 kPa) wieder ab. Das Ende der Systole wird durch einen scharfen Einschnitt, die FRANK-Inzisur, markiert, die durch eine kurzfristige Drucksenkung beim Schluss der Aortenklappe entsteht. In der Diastole fällt der Druck langsam auf das Ausgangsniveau ab, wobei der periphere Widerstand und die elastische Dehnbarkeit des arteriellen Systems den Druckverlauf bestimmen.
In den peripheren Abschnitten des Arteriensystems verändert die Druckpulskurve ihre Form (⊡ Abb. 6.5 A, rechts). Auffällig sind vor allem die Zunahme der Druckamplitude und das Auftreten einer zweiten Welle. Beide Formänderungen können auf Reflexionen der Pulswelle zurückgeführt werden: Infolge des zunehmenden Wellenwiderstandes (Impedanz) in den starrwandigen peripheren Arterien, insbesondere an Gefäßverzweigungen, wird die Pulswelle zurückgeworfen, wobei es zu einer Überlagerung mit der primären Welle und damit zu einer Überhöhung der Amplitude kommt. Trotz widerstandsbedingten Absinkens des Basisdrucks übersteigt der Maximaldruck den entsprechenden Wert der zentralen Pulskurve. Die zurückgeworfene Welle gelangt nach erneuter Reflexion an der Aortenklappe stark gedämpft wieder in die peripheren Arterien und bildet hier einen zweiten Gipfel der Pulskurve, den man als dikrote Welle bezeichnet. Da die hohen Frequenzanteile bei der Fortpflanzung der Pulswelle besonders stark gedämpft werden, fehlt die Frank-Inzisur in der Druckkurve der Armund Beinarterien.
Strompulse Infolge der rhythmischen Herztätigkeit kommt es im arteriellen System nicht nur zu periodischen Druckänderungen, sondern auch zu Schwankungen der Strömungsgeschwindigkeit, die als Strompulse bezeichnet werden.
169 6.2 · Arterielles Gefäßsystems
6
Merke
Bereits kurz nach Beginn der Systole erreicht die Volumenstromstärke in der Aorta ascendens einen Spitzenwert von 500–600 ml/s. Bei einem Aortenquerschnitt von 4–5 cm2 entspricht dies einer linearen Strömungsgeschwindigkeit von 120–150 cm/s (⊡ Abb. 6.5 B). Nach dem anschließenden steilen Abfall der Strömungsgeschwindigkeit kommt es zu einem kurzen Rückstrom, der die Inzisur in der Druckpulskurve hervorruft.
Die Strompulskurve in weiter peripher gelegenen Arterien (z. B. in der A. femoralis) ist durch eine verkleinerte Amplitude und durch eine frühdiastolische Rückstromphase gekennzeichnet. Diese Veränderungen sind auf die Reflexion der Pulswelle an Gefäßabschnitten mit hohem Wellenwiderstand zurückzuführen.
6.2.3
Drücke im arteriellen Gefäßsystem
Charakteristische Werte des arteriellen Blutdrucks Die periodischen Druckänderungen, die an allen Orten des Arteriensystems auftreten, bilden die Grundlage für die Definition von charakteristischen Blutdruckwerten. Merke
Das Maximum der Druckpulskurve während der Systole wird als systolischer Blutdruck PS, das Minimum während der Diastole als diastolischer Blutdruck PD bezeichnet (⊡ Abb. 6.5 A). Bei Jugendlichen in physischer und psychischer Ruhe findet man in der A. brachialis einen systolischen Blutdruck von etwa 120 mm Hg (16,0 kPa) und einen diastolischen Blutdruck von knapp 80 mm Hg (10,7 kPa). Mit wachsender Entfernung vom Herzen steigt PS an, während PD in geringerem Maße abnimmt. Daraus resultiert eine Zunahme der Differenz PS–PD, die als Blutdruckamplitude bezeichnet wird.
Neben den beiden Extremwerten stellt der mittlere arterielle Blutdruck PM oder arterielle Mitteldruck eine weitere charakteristische Kreislaufgröße dar. Sie ist definiert als der zeitliche Mittelwert der Drücke an dem jeweiligen
170
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Messort im Arteriensystem und wird durch Integration der Druckpulskurven über die Herzzykluszeit tc bestimmt:
III
1 tc PM = 4 ∫ P dt tc o
(6.8)
Die Lage von PM ergibt sich aus der Bedingung, dass die gelben Flächen in ⊡ Abb. 6.5 A oberhalb und unterhalb von PM gleich groß sein müssen. In zentralen Arterien entspricht der arterielle Mitteldruck PM etwa dem arithmetischen Mittel aus PS und PD , in peripheren Arterien ist er etwas mehr in Richtung auf PD verlagert. Die Bedeutung des arteriellen Mitteldrucks besteht darin, dass seine Größe – neben dem peripheren Widerstand – maßgebend ist für die Durchströmung der nachgeschalteten Gefäßabschnitte, sofern diese über keine autoregulativen Mechanismen ( Kap. 6.6.2) verfügen.
Blutdruckbeeinflussende Faktoren Bei der diagnostischen Bewertung des systolischen und diastolischen Blutdrucks ist zu beachten, dass diese Größen nicht nur genetisch bedingte Variationen aufweisen und rhythmischen Schwankungen unterliegen, sondern auch durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden können. Hierzu zählt die psychische Situation des Probanden. Psychische Alterationen, wie sie beispielsweise bei der ersten ärztlichen Untersuchung oder in einer Examenssituation auftreten, bewirken einen akuten Anstieg des systolischen und des diastolischen Blutdrucks um bis zu 40 mm Hg (5,3 kPa). Auch starke äußere Reize (Schmerz, Kälte, Wärme, Geräusche u. a.) und Nahrungsaufnahme können zu Blutdrucksteigerungen von unterschiedlichem Ausmaß führen. Schließlich findet man bei körperlicher Arbeit deutliche Veränderungen der Blutdruckwerte (⊡ Abb. 6.6). Mit Zunahme der Belastungsintensität steigt der systolische Druck an, während der diastolische Druck weitgehend konstant bleibt. Daraus resultiert eine Erhöhung des arteriellen Mitteldruckes, der zur besseren Durchblutung der arbeitenden Muskulatur beiträgt.
Altersabhängigkeit der Blutdruckwerte Bestimmt man die systolischen und diastolischen Blutdrücke unter den Bedingungen der psychischen und physischen Ruhe, so findet man neben individuellen Variationen eine deutliche Abhängigkeit von Alter und Geschlecht (⊡ Abb. 6.7).
171 6.2 · Arterielles Gefäßsystems
6
⊡ Abb. 6.6. Abhängigkeit des systolischen und des diastolischen Blutdrucks von der Intensität einer körperlichen Leistung
⊡ Abb. 6.7. Altersabhängigkeit des systolischen Blutdrucks (oben) und des diastolischen Blutdrucks (unten) für Männer und Frauen im statistischen Mittel
172
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Die Ursachen für den Altersanstieg der Blutdruckwerte im statistischen Mittel sind noch weitgehend ungeklärt. Verlaufsstudien haben gezeigt, dass die Werte nicht in jedem Einzelfall mit dem Alter zunehmen, sondern bei etwa 30 % der Untersuchten unverändert bleiben. Es wird vermutet, dass der statistische Altersanstieg zumindest teilweise auf die Miterfassung von beschwerdefreien Personen mit krankhaft erhöhtem Blutdruck (Hypertonie, s. u.) zurückzuführen ist. Von wesentlicher Bedeutung scheinen auch umweltbedingte psychische Faktoren und Ernährungsgewohnheiten zu sein.
Eine Hypertonie , d. h. jede die Norm überschreitende, anhaltende Steigerung des arteriellen Blutdrucks, stellt einen Risikofaktor dar, der – statistisch gesehen – die Lebenserwartung verkürzt. Die Gefährdung der Hypertoniker besteht vor allem darin, dass unter der Einwirkung des erhöhten Blutdrucks Hirnblutungen (Schlaganfall) auftreten können und arteriosklerotische Gefäßwandveränderungen begünstigt werden. Nach der Definition der World Hypertension League (WHL) besteht eine behandlungsbedürftige Hypertonie, wenn bei körperlicher und psychischer Ruhe – unabhängig vom Alter – der systolische Blutdruck mehr als 140 mm Hg und der diastolische Blutdruck mehr als 90 mm Hg beträgt. Rhythmische Spontanschwankungen des Blutdrucks. Neben den pulsatorischen Blutdruckwellen I. Ordnung, die auf die rhythmische Herztätigkeit zurückzuführen sind, treten noch weitere, langsame Druckschwankungen auf. Blutdruckwellen II. Ordnung sind im allgemeinen atmungssynchron und beruhen einerseits auf der funktionellen Kopplung der Kreislauf- und Atmungszentren, andererseits auf atmungsbedingten Veränderungen des venösen Rückstroms ( Kap. 6.4.2) und der Gefäßkapazität in der Lungenstrombahn. Blutdruckwellen III. Ordnung (HERING-MAYER-TRAUBE-Wellen) weisen eine Periodendauer von 6–20 s auf und sind wahrscheinlich auf Schwankungen des peripheren Gefäßtonus zurückzuführen. Blutdruck und Herzfrequenz unterliegen auch einer tageszeitlichen Rhythmik mit minimalen Werten in den ersten Stunden nach Mitternacht bzw. am frühen Morgen und höheren Werten im Tagesverlauf. Sie sind Ausdruck einer endogenen zirkadianen Periodik, wie sie auch bei anderen vegetativen Funktionen vorkommt.
Messungen der arteriellen Blutdrücke Die Bestimmung der charakteristischen arteriellen Blutdruckwerte ist prinzipiell auf zwei verschiedenen Wegen möglich: 1. durch die direkte Messung nach Punktion einer Arterie und 2. durch indirekte Messung mit Hilfe einer Druckmanschette. Bei der direkten Methode wird eine Kanüle oder ein Katheter in das betreffende Gefäß eingeführt und mit einem Manometer verbunden. Man benutzt hierfür Messköpfe, welche die mechanische Größe in eine elektrische Größe umwandeln und daher als Druckwandler (Transducer) bezeichnet werden. Die elektrischen Signale können dann verstärkt und mit Hilfe eines Registriergeräts aufgezeichnet werden. Das direkte Verfahren ermöglicht eine fortlaufende formgetreue Registrierung der Pulskurve und
173 6.2 · Arterielles Gefäßsystems
6
⊡ Abb. 6.8. Prinzip der Blutdruckmessung nach RIVA-ROCCI. Die bei Abnahme des Manschettendrucks auftretenden KOROTKOFF-Geräusche sind in drei typische Verlaufsformen (A–C) im Mittelteil der Abbildung markiert, wobei die jeweilige Geräuschintensität durch die Strichlänge symbolisiert ist damit die genaue Bestimmung der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte sowie des arteriellen Mitteldrucks.Wegen der notwendigen Gefäßpunktion ist jedoch die Anwendung der direkten Methode auf besondere klinische Situationen beschränkt. In der ärztlichen Praxis und in der klinischen Routinediagnostik werden die Blutdruckwerte ausschließlich im indirekten Verfahren nach RIVA-ROCCI bestimmt. Die Messung erfolgt im Allgemeinen am Oberarm des sitzenden oder liegenden Patienten. Das Messgerät besteht aus einer aufblasbaren Gummimanschette, die von einer undehnbaren Stoffauflage umgeben ist. Mit Hilfe eines Gummiballons als Pumpe und eines Nadelventils für die kontrollierte Druckentlastung des Messsystems lassen sich bestimmte Werte in der Manschette einstellen, die an einem seitenständigen Manometer abgelesen werden können (⊡ Abb. 6.8).
174
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Diese Einrichtung erlaubt die punktuelle Messung des systolischen und diastolischen Blutdrucks nach dem von KOROTKOFF angegebenen auskultatorischen Verfahren. Dabei werden die Geräuschphänomene, die distal der Manschette in der Ellenbeuge mittels eines Stethoskops wahrgenommen werden können, als Kriterium für die beiden Blutdruckwerte herangezogen. Nach dem Anlegen der luftleeren Manschette bringt man den Manschettendruck schnell auf einen Wert, der etwas über dem erwarteten systolischen Wert liegt. Die A. brachialis wird dadurch vollständig komprimiert und damit die Blutströmung total unterbrochen. Wenn man nun durch Öffnen des Ventils den Manschettendruck langsam reduziert (2–3 mm Hg/s), tritt mit Unterschreitung des systolischen Druckes ein meist klopfendes Geräusch unterhalb der Manschette über der A. cubitalis auf. Dieses sog. KOROTKOFF-Geräusch entsteht durch Strömungsturbulenzen, wenn der Druckgipfel des Pulses die durch den Manschettendruck verursachte Kompression der A. brachialis vorübergehend aufhebt und den Blutstrom dadurch kurzfristig freigibt. Das erste Auftreten des Geräusches markiert also den Zeitpunkt, zu dem der systolische Blutdruck am Manometer abzulesen ist. Bei weiter abnehmendem Manschettendruck werden die KOROTKOFF-Geräusche zunächst lauter, um dann entweder konstant zu bleiben (⊡ Abb. 6.8 A) oder vorübergehend abzuschwellen (⊡ Abb. 6.8 B). Eine ausgeprägte zwischenzeitliche Lautstärkenabnahme, die man als auskultatorische Lücke bezeichnet (⊡ Abb. 6.8 C), kann den Ungeübten u. U. zu einer Fehlmessung veranlassen. Der diastolische Blutdruck ist nämlich erst erreicht, wenn bei weiter absinkendem Manschettendruck die Geräusche plötzlich dumpfer und schnell leiser werden bzw. verschwinden. Dies ist das Zeichen dafür, dass die turbulente Strömung des periodisch eingeengten Gefäßes in die laminare Strömung des dauernd offenen Gefäßes übergeht. Das Dumpferwerden, spätestens jedoch das endgültige Verschwinden des KOROTKOFF-Geräusches markiert also den Moment, in dem der diastolische Blutdruck am Manometer abzulesen ist. Blutdruckwerte, die nach der RIVA-ROCCI-Methode bestimmt worden sind, kennzeichnet man meist mit dem Symbol RR. Hat eine Untersuchung z. B. für den systolischen Druck 120 mm Hg und für den diastolischen Druck 80 mm Hg ergeben, so wird das Ergebnis in der Form RR 120/80 dokumentiert. In der Praxis werden heute vielfach automatisierte Messgeräte verwendet, welche die nach dem RIVAROCCI-Verfahren gemessenen systolischen und diastolischen Blutdrücke elektronisch anzeigen. Wichtige Voraussetzungen für eine einwandfreie Blutdruckmessung nach dieser Methode sind die Lage der Manschette in Herzhöhe und die Anpassung der Manschettenbreite an die Weichteildicke des Oberarms. In der Regel verwendet man Manschetten mit der Standardbreite 12 cm; bei sehr großem Armumfang muss die Messung mit breiteren, bei Kindern mit schmaleren Manschetten erfolgen. Der systolische Blutdruck kann auch nach dem palpatorischen Verfahren ermittelt werden. Hierzu stellt man durch Tasten (Palpation) der A. radialis denjenigen Druck fest, bei dem der Puls im Verlaufe eines Druckanstiegs in der Manschette gerade verschwindet und während einer Druckabnahme wieder auftritt.
6.3
Mikrozirkulation
6.3.1
Funktionen und Aufbau der terminalen Strombahn
Funktionen der terminalen Strombahn Als terminale Strombahn bezeichnet man zusammengefasst die peripheren Abschnitte des Gefäßsystems, die eine funktionelle Einheit bilden. Neben den Kapillaren (Durchmesser 4–8 µm) gehören hierzu die einspeisenden Arteriolen und die drainierenden Venolen sowie die kleinen Lymphgefäße.
175 6.3 · Mikrozirkulation
6
Merke
Die terminale Strombahn bildet die Basis für den Stoff-, Flüssigkeits- und Wärmeaustausch zwischen dem Blut und dem Interstitium. Diese Austauschprozesse, die vor allem im Bereich der Kapillaren und den postkapillären Venolen stattfinden, werden durch eine große Austauschfläche begünstigt. Die Zahl der unter Ruhebedingungen durchströmten Kapillaren wird auf 8–10 Milliarden und ihre Gesamtoberfläche auf 300 m2 geschätzt.
Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit in den Kapillaren beträgt etwa 0,5 mm/s, die durchschnittliche Länge etwa 0,75 mm, sodass für die Verweildauer der Erythrozyten in der einzelnen Kapillare etwa 1,5 s zur Verfügung stehen. Diese kurze Zeit ist jedoch wegen der kleinen Entfernungen im kapillären Versorgungsbereich und der großen Permeabilität der Wände von Kapillaren und postkapillären Venolen ausreichend, um Stoffe überwiegend durch Diffusion an das Interstitium abzugeben oder in das Kapillarblut aufzunehmen. Die der terminalen Strombahn zugerechneten Arteriolen und Venolen haben vor allem die Aufgabe, die Mikrozirkulation dem lokalen Bedarf anzupassen und den kapillären Blutdruck zu regulieren.
Funktionelle Organisation Die terminale Strombahn der verschiedenen Organe ist, entsprechend den speziellen Erfordernissen, sehr unterschiedlich aufgebaut. Daher soll hier nur die prinzipielle Organisation der Mikrozirkulation dargestellt werden. In den meisten Fällen stellen die Kapillaren keine direkte Verbindung zwischen Arteriolen und Venolen her, sondern nehmen von sog. Metarteriolen ihren Ausgang (⊡ Abb. 6.9). Diese verfügen – im Gegensatz zu den Arteriolen – nicht mehr über eine geschlossene Lage glatter Muskulatur, sondern weisen Lücken zwischen den einzelnen Muskelzellen auf. Die Metarteriolen münden in die Venolen und repräsentieren damit die Hauptstrombahn, die bei unterbrochener Kapillarperfusion das arterielle Blut direkt dem venösen System zuleitet. Daneben stellen auch die arteriovenösen Anastomosen direkte Verbindungen zwischen kleinen Arterien und kleinen Venen bzw. Arteriolen und Venolen her. Die Wände dieser Kurzschlussgefäße sind muskelstark. Man findet sie insbesondere in der Haut der Akren, wo sie thermoregulatorische Funktionen erfüllen ( Kap. 6.6.5).
176
Kapitel 6 · Blutkreislauf
III
⊡ Abb. 6.9. Terminale Strombahn in schematischer Darstellung
Am Übergang von Metarteriolen zu Kapillaren findet sich (vor allem bei Kaltblütern) häufig ein Ring glatter Muskulatur, der als präkapillärer Sphinkter wirkt. Bei Warmblütern konnten an vielen Kapillarabgängen kontraktile Elemente in den Endothelzellen nachgewiesen werden. Diese Mechanismen – zusammen mit rhythmischen Durchmesseränderungen der Arteriolen (Vasomotion) – bieten die Möglichkeit, die Kapillarperfusion an die jeweilige Stoffwechselaktivität eines Gewebes anzupassen. In der Regel sind unter Ruhebedingungen nur etwa 30 % der Kapillaren durchblutet. Während in Gehirn und Leber die Kapillarperfusion nur geringe Variationen aufweist, sind Durchblutungsänderungen in der Skelettmuskulatur besonders ausgeprägt. Vielfach beobachtet man auch rhythmische Variationen, wobei etwa 6–12-mal pro min Phasen freier und unterbrochener Kapillarperfusion einander abwechseln. Da die Kapillaren keine muskulären Wandelemente besitzen, ist ihre Weite von dem jeweils wirksamen transmuralen Druck, d. h. von der Differenz des kapillären Blutdrucks und des äußeren Gewebedrucks abhängig. Die Kapillarweite variiert also mit Veränderungen der vorgeschalteten Strömungswiderstände.
177 6.3 · Mikrozirkulation
6.3.2
6
Stoff- und Flüssigkeitsaustausch, Lymphdrainage
Diffusiver Stoff- und Flüssigkeitsaustausch Beim Stoffaustausch durch die Wände von Kapillaren und postkapillären Venolen spielt die Diffusion ( Kap. 1.2.1) in beiden Richtungen die dominierende Rolle. Merke
Lipidlösliche Stoffe (z. B. O2, CO2) vermögen sehr rasch durch die gesamte Kapillaroberfläche zu diffundieren, während Wasser und wasserlösliche Substanzen (z. B. Na+, Cl–, Glukose) ausschließlich durch interendotheliale Spalten oder Lücken diffusiv transportiert werden. Wasser diffundiert zusätzlich transzellulär durch Wasserkanäle (Aquaporine).
Da die Diffusion gelöster Teilchen durch eine permeable Membran auch mit einem Lösungsmitteltransport verbunden ist, findet auf diese Weise ein ständiger Wasseraustausch zwischen dem Blutplasma und der interstitiellen Flüssigkeit statt, der für die gesamte Kapillaroberfläche des Erwachsenen auf 55 l/min geschätzt wird. Dabei ist die Bilanz des Transports in beiden Richtungen weitgehend ausgeglichen, sodass das Plasmavolumen konstant bleibt. Große Moleküle, insbesondere Proteine, werden großteils in den Kapillaren zurückgehalten. Da aber Plasmaproteine und damit auch Immunglobuline und proteingebundene Substanzen z. T. in das Interstitium gelangen, nimmt man an, dass im Endothel auch temporäre Kanäle vorhanden sind, die durch Fusionierung von Membraninvaginationen entstehen könnten. Die beschriebenen Austauschprozesse finden nicht nur im Kapillarbereich, sondern z. T. auch in den postkapillären Venolen statt.
Filtration und Resorption Neben dem diffusiven Flüssigkeitsaustausch spielen im Bereich der Kapillaren und postkapillären Venolen auch Filtrationsprozesse eine wichtige Rolle. Maßgebend hierfür sind ( Kap. 1.4.2): ▬ die Differenz ∆P zwischen dem kapillären Blutdruck (PC) und dem interstitiellen (Gewebe-)Druck (PIS) sowie ▬ die Differenz ∆π zwischen dem kolloidosmotischen Druck im Blutplasma (πPL) und dem kolloidosmotischen Druck im Interstitium (πIS).
178
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Der resultierende effektive Filtrationsdruck Peff = ∆P – ∆π
III
(6.9)
bewirkt bei positivem Vorzeichen eine Auswärtsfiltration (vom Kapillarlumen in das Interstitium) und bei negativem Vorzeichen eine Resorption, d. h. eine Einwärtsfiltration (vom Interstitium in den Kapillarraum). Die Beziehung für den effektiven Filtrationsdruck gilt nur dann, wenn alle kolloidal gelösten Teilchen in den Austauschgefäßen zurückgehalten werden. Da jedoch deren Wände für Plasmaproteine etwas permeabel sind, ist die kolloidosmotische Druckdifferenz nicht voll wirksam. Dies wird durch die Einführung eines Korrekturfaktors, des sog. Reflexionskoeffizienten σ, berücksichtigt, dessen Wert 0,75–0,95 beträgt. Das in der Zeiteinheit filtrierte Flüssigkeitsvolumen (V˙F) ergibt sich dann unter Einbeziehung des Filtrationskoeffizienten KF ( Kap. 1.4.2) aus: V˙F = KF · Peff = KF (∆P – σ∆π).
(6.10)
Diese für den Flüssigkeitsaustausch maßgebende Beziehung wird als STARLING-Gleichung bezeichnet.
Merke
Am Anfang der Kapillaren überwiegt die hydrostatische Druckdifferenz ∆P mit ca. 30 mm Hg die wirksame kolloidosmotische Druckdifferenz σ∆π von ca. 20 mm Hg, sodass hier eine Auswärtsfiltration in das Interstitium erfolgt (⊡ Abb. 6.10). Am Kapillarende und in den postkapillären Venolen ist dagegen ∆P mit etwa 12–15 mm Hg kleiner als (das weitgehend konstante) σ∆π, sodass hier eine Resorption in den Gefäßraum stattfindet.
Auf Grund dieser Druckverhältnisse treten im Mittel 0,5 % des zirkulierenden Plasmavolumens, d. h. etwa 15 ml/min oder rund 20 l/Tag in das Interstitium über, von denen jedoch 90 %, d. h. etwa 18 l/Tag im Endteil der Austauschgefäße wieder resorbiert werden. Parallel zur Blutströmung bewegt sich also ein extravasaler Flüssigkeitsstrom in Richtung auf die postkapillären Venolen.
Lymphdrainage Der Filtrationsfluss ist im Allgemeinen um ca. 2 l/Tag (bei erhöhtem hydrostatischen Druck jedoch um ein Mehrfaches davon) größer als der Resorptionsfluss. Der Abtransport der überschüssigen Flüssigkeit aus dem Interstitium erfolgt über das Lymphgefäßsystem.
179 6.3 · Mikrozirkulation
6
⊡ Abb. 6.10. Filtration und Resorption im Bereich der Kapillaren und postkapillären Venolen, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Oben: Wirksame Kräfte für den Flüssigkeitsaustausch über die Kapillarmembran (PC Blutdruck, PIS interstitieller Druck, πPL kolloidosmotischer Druck des Plasmas, πIS kolloidosmotischer Druck der interstitiellen Flüssigkeit). Unten: Verläufe der hydrostatischen Druckdifferenz (PC – PIS) entlang des idealisierten Gefäßes (rote, schräge Linie) und der als konstant angenommenen kolloidosmotischen Druckdifferenz (πPL – πIS) (schwarz, gestrichelt). Die senkrechten Pfeile entsprechen den effektiven Filtrations- und Resorptionsdrücken
Merke
Die interstitielle Flüssigkeit gelangt zunächst in die blind endenden Lymphkapillaren und von dort in die sich vereinigenden Lymphgefäße, in denen der weitere Transport der Lymphe durch rhythmische Kontraktionen der glatten Wandmuskulatur erfolgt, wobei der Fluss durch Klappen gerichtet wird. In der arbeitenden Skelettmuskulatur unterstützen die phasischen Muskelkontraktionen den Lymphtransport.
180
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Die Zusammensetzung der Lymphe gleicht derjenigen der interstitiellen Flüssigkeit. Während der Gehalt an niedermolekularen Stoffen dem des Blutplasmas entspricht, ist der Eiweißgehalt niedriger und weist große regionale Unterschiede auf. So beträgt die Eiweißkonzentration in der Lymphe des Skelettmuskels nur 5 g/l, wohingegen die Leberlymphe 60 g/l Eiweiß enthält. Wegen ihres Gehalts an Fibrinogen ( Kap. 4.9.3) ist die Lymphe gerinnbar. Im Bereich des Magen-Darm-Kanals enthält die Lymphe noch Chylomikronen, die wasserlöslichen Transportvehikel für Lipide ( Kap. 12.9.3).
Ödementstehung Eine pathologische Flüssigkeitsansammlung im Interstitium oder in den Zellen wird als Ödem bezeichnet. Als Ursachen für das Auftreten von Ödemen kommen auf Grund des geschilderten kapillären Flüssigkeitsaustausches in Frage: ▬ ein Anstieg des kapillären Blutdrucks als Folge einer allgemeinen Blutdruckerhöhung, einer Dilatation der präkapillären Widerstandsgefäße bzw. Konstriktion der postkapillären Venolen oder eines venösen Rückstaus des Blutes bis in die Kapillaren (z. B. kardiales Ödem), ▬ ein Absinken des kolloidosmotischen Drucks im Blutplasma als Folge eines ernährungsbedingten Eiweißmangels (Hungerödem), einer dauernden Eiweißausscheidung durch die Nieren (renales Ödem bei bestimmten Nierenerkrankungen) oder einer gestörten Eiweißsynthese bei schwerer Leberfunktionsstörung, ▬ eine gesteigerte Durchlässigkeit der Kapillarwand für Plasmaproteine, die zu einem Anstieg des kolloidosmotischen Drucks im interstitiellen Raum führt. Ursächlich können einer solchen Permeabilitätssteigerung eine Überempfindlichkeitsreaktion ( Kap. 4.7.5), Entzündungen oder Verbrennungen zugrunde liegen, bei denen sich, verursacht durch Histamin und Zytokine ( Kap. 4.7), größere Lücken zwischen den Endothelzellen ausbilden, ▬ eine Störung des Lymphabflusses nach Operationen oder Verlegung der Lymphwege (regionales Lymphödem). In den beiden erstgenannten Fällen ist generell das Gleichgewicht zwischen Flüssigkeitsfiltration und -resorption zugunsten der Filtration verändert. Dabei wirkt sich der hydrostatische Druck der Blutsäule, der auf den Kapillaren der tiefen Körperpartien lastet, zusätzlich filtrationssteigernd aus. So ist es zu verstehen, dass kardiale Ödeme zuerst im Bereich der Fußknöchel auftreten. In der Regel bleiben pathologische Flüssigkeitsansammlungen auf das Interstitium beschränkt (extrazelluläres Ödem). Wenn jedoch die Zellwände geschädigt sind oder eine Zunahme des extrazellulären Volumens (wie beim Gehirn in der knöchernen Schädelhöhle) nur beschränkt möglich ist, kann auch ein verstärkter Flüssigkeitseinstrom in die Zellen erfolgen (zelluläres Ödem).
181 6.4 · Venöses System
6
Venöses System
6.4
Merke
Das Venensystem, das dem Rücktransport des Blutes zum Herzen dient, ist in seiner Funktion gekennzeichnet durch ein großes Fassungsvermögen für das zirkulierende Blut, eine große Compliance, welche die Aufnahme wechselnder Blutvolumina – in Anpassung an die jeweilige Kreislaufsituation – ermöglicht, kleine lineare Strömungsgeschwindigkeiten, kleine Druckgradienten und, eine starke Abhängigkeit der Blutdrücke von der hydrostatischen Situation, insbesondere von der Körperposition.
6.4.1
Drücke im Venensystem
Venendrücke beim Liegenden Im Venensystem des liegenden Menschen nimmt der Blutdruck von 15– 20 mm Hg in den postkapillären Venolen auf 10–12 mm Hg in den großen extrathorakalen Venen ab. Beim Durchtritt der V. cava inferior durch das Zwerchfell kommt es infolge der Hiatusenge zu einem stärkeren lokalen Druckabfall um ca. 4 mm Hg. Der Druck in den intrathorakalen Hohlvenen liegt nur wenig über Null und weist herz- und atmungssynchrone Schwankungen auf. Merke
Der mittlere Druck in den herznahen Körpervenen, der praktisch dem Druck im rechten Vorhof entspricht, wird als zentraler Venendruck (ZVD) bezeichnet. Er ist vom Blutvolumen, vom Venentonus, von der Leistung des rechten Herzens und von der Körperposition abhängig. Normalerweise beträgt der zentrale Venendruck beim Liegenden ca. 4 mm Hg (0,5 kPa).
Einen erhöhten zentralen Venendruck findet man bei Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens. Die Venendruckmessung wird daher zur Kontrolle des Blutvolumens, z. B. bei der Infusionstherapie, eingesetzt. Jede Erhöhung des
182
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
zentralen Venendrucks führt normalerweise auch zu einem Druckanstieg in der A. pulmonalis, weil die Zunahme des rechtsventrikulären Füllungsdrucks über den Frank-Starling-Mechanismus ( Kap. 5.4.2) eine Vergrößerung des Schlagvolumens bewirkt. Wenn bei einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) der rechte Ventrikel das venöse Blutangebot nicht mehr bewältigen kann, kommt es ebenfalls zu einem Anstieg des zentralen Venendrucks, ohne dass jedoch der Pulmonalarteriendruck zunimmt.
Venendrücke bei Orthostase Beim aufrecht stehenden Menschen (Orthostase) hat das Gravitationsfeld einen zusätzlichen Einfluss auf die Druckverteilung im Venensystem. Die Schwerkraft bewirkt, dass beim Aufstehen die hydrostatischen Drücke in den Venen der oberen Körperregion ab- und der unteren Körperregion zunehmen. Der zentrale Venendruck vermindert sich in diesem Fall auf einen subatmosphärischen Wert von etwa –3 mm Hg (–0,4 kPa) (⊡ Abb. 6.11). Dabei bleibt jedoch der transmurale Druck, d. h. die Druckdifferenz zwischen dem intravasalen und dem extravasalen Raum, positiv, weil im Thoraxraum ein noch stärker negativer Druck (< –4 mm Hg) herrscht ( Kap. 7.3.1). Dadurch wird ein Kollabieren der intrathorakalen Venen verhindert. Die Venen des Halses und der erhobenen Arme dagegen kollabieren unter der Einwirkung des Atmosphärendrucks, wobei sich allerdings nicht alle Wandbereiche berühren, sodass ein Rückstrom des Blutes noch möglich ist. Merke
Derjenige Ort im Venensystem, dessen Druck sich beim Positionswechsel vom Liegen zum Stehen nicht ändert, wird als hydrostatischer Indifferenzpunkt, die zugeordnete Ebene als hydrostatische Indifferenzebene bezeichnet (⊡ Abb. 6.11). Der Indifferenzpunkt liegt in der V. cava inferior 5–10 cm unterhalb des Zwerchfells; der hier herrschende Druck beträgt, unabhängig von der Körperposition, etwa 11 mm Hg (1,5 kPa).
In den unteren Körperregionen bewirkt die Schwerkraft beim Positionswechsel vom Liegen zum Stehen eine Zunahme der Venendrücke. Beispielsweise steigt in den Fußvenen, auf denen die gesamte Blutsäule lastet, beim Erwachsenen der hydrostatische Druck auf etwa 90 mm Hg (12 kPa) an. Da die Venen eine große Compliance (elastische Weitbarkeit) besitzen, führt der
183 6.4 · Venöses System
6
⊡ Abb. 6.11. Mittlere arterielle und venöse Drücke beim ruhig stehenden Menschen, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Positionswechsel zu einer Verlagerung von 400–600 ml Blut in die Beinvenen. Damit verbunden sind deutliche Rückwirkungen auf die allgemeine Kreislaufsituation (vorübergehende Einschränkung des venösen Rückstroms zum Herzen mit entsprechender Verminderung des Herzzeitvolumens, Kap. 6.7.5). Ebenso wie das Venensystem wird auch das arterielle System von der Schwerkraft beeinflusst. In den Arterien addiert sich jeweils der hydrostatische Druck zu dem durch die Herzaktion erzeugten hydrodynamischen Druck, sodass z. B. im Fußbereich ein mittlerer Gesamtdruck von 85 mm Hg + 95 mm Hg = 180 mm Hg (24 kPa) resultiert (⊡ Abb. 6.11). Die für die Gewebedurchblutung maßgebende arteriovenöse Druckdifferenz, die man als Perfusionsdruck bezeichnet, beträgt in diesem Bereich etwa 90 mm Hg (12 kPa).
184
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Messung der Venendrücke. Für viele klinische Zwecke wird der periphere Venendruck am liegenden Menschen in einer Armvene gemessen, wobei die Vene genau in Höhe des rechten Vorhofs liegen soll. Zur Messung wird die punktierte Armvene über einen mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllten Katheter an ein Manometer angeschlossen. Die exakte Messung des zentralen Venendrucks erfordert die Verwendung eines intravasalen Kathetermanometers, das bis zum rechten Vorhof vorgeschoben wird. Eine grobe Abschätzung dieses Werts ist bereits durch die Beurteilung des Füllungszustands der Halsvenen möglich. In sitzender Position sind die Halsvenen bei normalem zentralen Venendruck nicht gefüllt. Bei Drücken über 11 mm Hg (1,5 kPa) beginnen die Venen hervorzutreten, bei Werten über 15 mm Hg (2 kPa) sind sie im gesamten Halsbereich deutlich gefüllt.
6.4.2
Venöser Rückstrom zum Herzen
Merke
Der Rückstrom des venösen Blutes zum Herzen wird überwiegend durch die Aktionen des rechten Ventrikels, durch die Atmungsexkursionen des Thorax und durch rhythmische Kontraktionen der Skelettmuskulatur bewirkt.
Einfluss der Herztätigkeit Der Druckgradient im venösen System und damit der Rückstrom des venösen Blutes wird vor allem durch die Herztätigkeit aufrechterhalten. Dies wird deutlich, wenn bei einem Herzstillstand dieser Antrieb ausfällt. In diesem Fall stellt sich unter Verlagerung von Arterienblut auf die venöse Seite im gesamten Gefäßsystem ein einheitlicher Druck ein. Dieser mittlere Füllungsdruck bei Herzstillstand, der auch als statischer Blutdruck bezeichnet wird, beträgt 6–7 mm Hg. Der Transport des Blutes von der venösen auf die arterielle Seite durch das schlagende Herz führt in den intrathorakalen Venen zu einer geringfügigen Drucksenkung auf den Wert des zentralen Venendrucks (3–5 mm Hg beim Liegenden). Die Aktion des rechten Ventrikels übt eine Sogwirkung auf das Blut in den herznahen Venen aus. Den größten Einfluss hat dabei die stempelartige Bewegung der Ventilebene in Richtung auf die Herzspitze während der systolischen Austreibungsphase (vergleichbar der Sogwirkung eines Spritzenkolbens bei der Blutentnahme). In dieser Phase erreicht die Strömungsgeschwindigkeit in den herznahen Venen ihr Maximum. Aber auch in der Diastole wird der Rückfluss gefördert, wenn das Blut nach Öffnung der Trikuspidalklappe in den entspannten rechten Ventrikel einströmt.
185 6.4 · Venöses System
6
⊡ Abb. 6.12. Venenpulskurve, registriert an der V. jugularis ext. des Liegenden mit gleichzeitiger EKG-Aufzeichnung. a-Welle: Vorhofkontraktion, c-Welle: Vorwölbung der Trikuspidalklappe, x-Senkung:Ventilebenenbewegung, v-Welle:Ventrikelentspannung bei geschlossener Trikuspidalklappe, y-Senkung: Bluteinstrom in den Ventrikel
Venenpuls Die Druck- bzw. Volumenschwankungen, die in den herznahen Venen als Rückwirkungen der Herzaktion auftreten, werden als Venenpuls bezeichnet. Er ist im Wesentlichen ein Abbild der Druckschwankungen im rechten Vorhof und kann mit empfindlichen Druckaufnehmern beim Liegenden, z. B. an der V. jugularis, unblutig registriert werden. Die Venenpulskurve (⊡ Abb. 6.12), die auch diagnostische Hinweise (z. B. auf die Klappenfunktionen des rechten Herzens) liefert, lässt sich folgendermaßen interpretieren: Die erste, sog. a-Welle wird durch die Vorhofkontraktion, die darauf folgende c-Welle hauptsächlich durch die Vorwölbung der Trikuspidalklappe in den rechten Vorhof während der Ventrikelanspannung hervorgerufen. Die anschließende starke x-Senkung der Pulskurve entsteht durch die Ventilebenenbewegung zur Herzspitze in der Austreibungsphase. Die Entspannung des Ventrikels bei anfangs noch geschlossener Trikuspidalklappe führt zur v-Welle, der anschließende Bluteinstrom bei Klappenöffnung zur y-Senkung. Mit zunehmender Ventrikelfüllung steigt der Druck wieder auf den Ausgangswert an.
186
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Einfluss der Atmung
III
Der während der Inspiration abnehmende intrathorakale Druck führt zu einer Steigerung des transmuralen Drucks an den intrathorakalen Gefäßen. Auf diese Weise kommt es inspiratorisch zu einer Ausweitung der Venen und zu einer Abnahme des venösen Strömungswiderstands. Damit verbunden ist ein verstärkter Zufluss aus den vorgeschalteten Venen. Durch die Senkung des Zwerchfells und die damit verknüpfte Druckerhöhung im Bauchraum wird zugleich Blut in den Thoraxraum befördert, da die Venenklappen einen Rückfluss verhindern (Druck-Saugpumpen-Effekt der Inspiration). Druckerhöhungen im Thoraxraum, wie sie etwa bei der Überdruckbeatmung oder bei starkem Pressen (Exspiration bei verschlossenen Atemwegen) auftreten, können den venösen Rückstrom erheblich behindern. Im Extremfall kann bei einem Pressdruckversuch nach Valsalva der Rückstrom vollständig unterbrochen werden, sodass es nach einigen Herzschlägen zu einem Absinken des arteriellen Blutdrucks und u. U. zu einem Ohnmachtsanfall (Synkope) kommt.
Einfluss der Muskelpumpe Die rückflussfördernde Wirkung der sog. Muskelpumpe beruht darauf, dass die tiefen Venen durch Kontraktionen der umgebenden Skelettmuskeln komprimiert werden, wobei die Venenklappen nur Blutbewegungen in Richtung auf das Herz zulassen. Durch rhythmische Aktivität der Skelettmuskulatur mit Kontraktion und Erschlaffung, wie sie z. B. beim Gehen auftritt, wird auf diese Weise der venöse Rückstrom wirkungsvoll gefördert. Beinbewegungen reduzieren daher die Gefahr, dass sich bei längerem ruhigen Stehen in warmer Umgebung Knöchelödeme ausbilden.
6.5
Funktionelle Organisation des kardiovaskulären Systems
Nach funktionellen Gesichtspunkten wird das kardiovaskuläre System in das arterielle (Hochdruck-)System und in das Niederdrucksystem unterteilt. Zum Niederdrucksystem rechnet man die Kapillaren, die Venolen und die Venen des großen Kreislaufs sowie das rechte Herz, den gesamten Lungenkreislauf, den linken Vorhof und den linken Ventrikel während der Diastole. Zum Hochdrucksystem zählen demnach der linke Ventrikel während der Systole, die Arterien, die Terminalarterien und die Arteriolen des Körper-
187 6.5 · Funktionelle Organisation
6
kreislaufs. Während für das arterielle System vorrangig die Gesetzmäßigkeiten der Hämodynamik maßgebend sind, wirken sich im Niederdrucksystem stärker die Gesetzmäßigkeiten der Hämostatik aus.
6.5.1
Verteilung des Blutvolumens
Kapazitätsgefäße Merke
Als Kapazitätsgefäße werden solche Teile des Gefäßsystems bezeichnet, die auf Grund ihrer ausgeprägten Dehnbarkeit große Blutvolumina aufnehmen können. Hierzu zählen in erster Linie die Venen des Körperkreislaufs, die 10–15 mal dehnbarer sind als die Arterien. Daneben zeichnet sich die Lungenstrombahn durch eine große Dehnbarkeit aus.
In den Kapazitätsgefäßen führen bereits kleine Druckerhöhungen zu einer starken Volumenzunahme (Depotfunktion). Bei Kreislaufumstellungen können aus diesen Depots andererseits auch beträchtliche Blutvolumina mobilisiert werden. Eine besonders ausgeprägte Speicherfunktion haben das venöse System der Leber und des Gastrointestinaltrakts sowie das gesamte Lungengefäßsystem.
Volumenverteilung Aus der unterschiedlichen Dehnbarkeit der Gefäße in den verschiedenen Kreislaufabschnitten resultiert die in ⊡ Tabelle 6.1 angegebene Verteilung des Blutvolumens. Merke
Auf das arterielle (Hochdruck-)System entfallen nur 15 %, auf das Niederdrucksystem dagegen 85 % des Blutvolumens. Innerhalb des Niederdrucksystems nehmen die Venen des Körperkreislaufs mit mehr als 60 % den Hauptvolumenanteil auf.
188
Kapitel 6 · Blutkreislauf
⊡ Tabelle 6.1. Verteilung des Blutvolumens auf die verschiedenen Kreislaufabschnitte. Die Absolutwerte beziehen sich auf das durchschnittliche Gesamtblutvolumen des erwachsenen Mannes (5,3 l) %
III
Arterielles System große Arterien kleine Arterien
15
Niederdrucksystem Kapillaren (Körperkreislauf ) Venen (Körperkreislauf ) Lungenkreislauf Herzhöhlen (Diastole)
85
l 0,8 6 9
0,3 0,5 4,6
6 61 11 7
0,3 3,3 0,5 0,4
100
5,3
Auf das intrathorakale Blutvolumen, das sich aus dem Inhalt der Lungenstrombahn, des Herzens während der Diastole und der intrathorakalen Venen des Körperkreislaufs zusammensetzt, entfallen 15–20 % des Gesamtvolumens. Seine Bedeutung liegt u. a. darin, dass aus dem intrathorakalen Reservoir bei Bedarf ein beträchtliches Blutvolumen in die Peripherie umverteilt werden kann. Wenn beispielsweise bei orthostatischer Belastung ( Kap. 6.7.5) 400–600 ml Blut in die Kapazitätsgefäße der unteren Extremitäten verlagert werden, so stammen 80 % hiervon aus den intrathorakalen Gefäßabschnitten. Umgekehrt kann das intrathorakale Gefäßbett bei Positionswechsel vom Stehen zum Liegen, beim Eintauchen in ein Vollbad, bei Schwerelosigkeit oder bei einer Bluttransfusion ein größeres Volumen zusätzlich aufnehmen. Im intrathorakalen Bereich kommt dem zentralen Blutvolumen (ca. 700 ml), das sich aus den Volumina des Lungenkreislaufs und des linken Herzens in der Diastole zusammensetzt, eine besondere funktionelle Bedeutung zu: Es stellt ein Sofortdepot dar, aus dem ein kurzfristiger Volumenbedarf für die Erhöhung des Herzzeitvolumens gedeckt werden kann. Wenn zu Beginn einer körperlichen Arbeit die Herztätigkeit plötzlich aktiviert wird, so steigt der venöse Rückfluss zum rechten Herzen erst nach einer kurzen Frist an. Für die Überbrückung dieses Zeitintervalls kann der linke Ventrikel den Mehrbedarf des Auswurfvolumens für 5–10 Herzschläge aus dem zentralen Blutvolumen decken, bis der venöse Rückstrom an das gesteigerte Herzzeitvolumen angepasst ist.
189 6.5 · Funktionelle Organisation
6.5.2
6
Widerstands- und Druckverteilung
Widerstandsverteilung Der Strömungswiderstand in den großen und mittleren Arterien ist gering, sodass in diesen der arterielle Mitteldruck nur um ca. 15 % abfällt. Merke
Der größte Anteil von 45–50 % des Gesamtwiderstands im Körperkreislauf entfällt auf die Terminalarterien und Arteriolen, die man deshalb als Widerstandsgefäße bezeichnet. Infolge ihrer stark entwickelten Muskelschicht sind sie zu einer relativ großen Variation ihres Lumens befähigt, wodurch erhebliche Veränderungen des lokalen Strömungswiderstands und damit der Durchblutung nachgeschalteter Gefäßabschnitte ermöglicht werden.
Die Kapillaren tragen wegen ihrer großen Zahl und ihrer Kürze nur etwa 25 % zum Strömungswiderstand bei. Die Venolen sind als postkapilläre Widerstandsgefäße an der Druckregulation im Kapillarbereich beteiligt. Der Gesamtwiderstand des Körperkreislaufs wird als totaler peripherer Widerstand (TPR) bezeichnet. Er ergibt sich aus dem Widerstand aller in Reihe und parallel geschalteten Gefäßabschnitte. Legt man für seine Berechnung aus TPR = ∆P/Q˙ ( Gl. (6.1), Kap. 6.1.2) eine mittlere arteriovenöse Druckdifferenz von ca. 100 mm Hg und, entsprechend dem Herzzeitvolumen in Ruhe, eine Volumenstromstärke von ca. 5 l/min zugrunde, so resultiert ein TPR-Wert von 20 mm Hg · min · l–1 (2,7 kPa · min · l–1). Im Lungenkreislauf beträgt der mittlere Druckabfall bei gleicher Stromstärke etwa 10 mm Hg, sodass der pulmonale Strömungswiderstand nur 10 % des TPR ausmacht.
Druckverlauf Auf Grund der Widerstandsverteilung ergibt sich der in ⊡ Abb. 6.13 dargestellte Druckverlauf im kardiovaskulären System. Man erkennt, dass der mittlere Blutdruck in den präkapillären Widerstandsgefäßen den stärksten Abfall aufweist. Im Verlauf der Kapillaren, Venolen und Venen wird die Druckabnahme pro Längeneinheit zunehmend kleiner. Die rhythmischen Blutdruckschwankungen im arteriellen System erfahren in den kleineren Gefäßen eine so starke Dämpfung, dass die Drücke in den Arteriolen und nachgeschalteten Gefäßabschnitten zeitlich konstant bleiben.
190
Kapitel 6 · Blutkreislauf
III
⊡ Abb. 6.13. Drücke, mittlere lineare Strömungsgeschwindigkeiten und Gesamtquerschnitte der Strombahnen in den verschiedenen Abschnitten des kardiovaskulären Systems
Im Lungenkreislauf nimmt der vom rechten Ventrikel erzeugte Druck bis zum linken Vorhof mit einem kleinen Gradienten ab. Dabei werden die rhythmischen Druckschwankungen, die sich in der A. pulmonalis etwa zwischen PS = 23 mm Hg und PD = 12 mm Hg bewegen, in den nachgeschalteten Gefäßen gedämpft, ohne jedoch vollständig zu verschwinden.
6
191 6.5 · Funktionelle Organisation
6.5.3
Strömungsgeschwindigkeiten und Kreislaufzeiten
Strombahnquerschnitt und Strömungsgeschwindigkeit Da bei der Zirkulation des Blutes unter stationären Bedingungen die Stromstärke Q˙ in allen in Serie geschalteten Kreislaufabschnitten etwa gleich ist, hängt die lineare Strömungsgeschwindigkeit hauptsächlich vom jeweiligen Gesamtquerschnitt q der Strombahn ab. Definitionsgemäß ergibt sich die mittlere lineare Strömungsgeschwindigkeit v¯ aus: v¯ = Q˙ /q
(6.11)
Je kleiner also der Strombahnquerschnitt ist, umso schneller fließt das Blut durch den jeweiligen Gefäßabschnitt. Wie aus ⊡ Abb. 6.13 hervorgeht, beträgt die mittlere Strömungsgeschwindigkeit in der Aorta (Querschnitt 4–5 cm2) bei körperlicher Ruhe etwa 20 cm/s. Im Bereich der kleinsten Arterien und Arteriolen nimmt sie stark ab und erreicht in den postkapillären Venolen mit dem größten Gesamtquerschnitt von etwa 0,3 m2 die niedrigsten Werte (etwa 0,3 mm/s). Im venösen Abschnitt steigt die Strömungsgeschwindigkeit wieder an, bleibt aber in den Hohlvenen unter derjenigen der Aorta, da der Gesamtquerschnitt beider Venen zusammen größer als der Aortenquerschnitt ist. In der Lungenstrombahn sind die Strömungsgeschwindigkeiten insgesamt etwas kleiner, zeigen jedoch eine ähnliche Verteilung wie im Körperkreislauf. Kreislaufzeit. Zur Bestimmung der totalen Kreislaufzeit, d. h. der Zeit, die das Blut im Mittel benötigt, um das gesamte Kreislaufsystem einmal zu passieren, wird ein Indikator (Farbstoff, radioaktive Substanz) injiziert und seine Rückkehr zum Injektionsort (bzw. zum entsprechenden Ort der anderen Körperseite) in Form einer Konzentrations-Zeit-Kurve registriert. Die auf diese Weise bestimmte mittlere totale Kreislaufzeit beträgt in Körperruhe etwa 60 s.
192
Kapitel 6 · Blutkreislauf
6.6
Organdurchblutung und Durchblutungsregulation Merke
III
An der Regulation der Organdurchblutung sind eine Reihe von Faktoren beteiligt, die in den verschiedenen Organkreisläufen einen unterschiedlichen Stellenwert haben: Veränderungen des Basaltonus, Aktivität des vegetativen Nervensystems, myogene Autoregulation, vasodilatatorische Metabolite, zirkulierende Hormone, Gewebehormone (Autakoide, Kap. 15.10), endotheliale Wirkstoffe.
6.6.1
Neuronale Kontrolle des Gefäßtonus
Tonus der Blutgefäße Merke
Bereits unter Ruhebedingungen besteht in den Blutgefäßen ein gewisser Spannungszustand der Gefäßwände, den man als Ruhetonus bezeichnet. Eine Abnahme des Tonus führt unter der Einwirkung des transmuralen Drucks zu einer Gefäßerweiterung (Vasodilatation), eine Steigerung des Tonus hat eine Gefäßverengung (Vasokonstriktion) zur Folge.
Der Ruhetonus setzt sich aus zwei Komponenten, dem basalen und dem neurogenen Tonus, zusammen. Der basale Tonus wird durch rhythmische Spontanentladungen von sog. Schrittmacherzellen in der glatten Gefäßmuskulatur hervorgerufen, wodurch die Muskelzellen zu mäßiger Kontraktion veranlasst werden (myogener Tonus). Er verleiht den Gefäßwänden eine regional unterschiedliche Grundspannung, die auch nach Denervierung erhalten bleibt. Der neurogene Tonus, der sich dem basalen Spannungszustand überlagert, ist auf die ständige Einwirkung von Impulsen des sympathischen Nervensystems zurückzuführen (s. unten).
193 6.6 · Organdurchblutung
6
Sympathisch-adrenerge Tonuskontrolle Den Haupteinfluss auf die Gefäßweite üben die sympathischen Nervenfasern aus, die – mit Ausnahme der Kapillaren und der kleinsten Venolen – alle Gefäße innervieren. Die postganglionären Fasern des Sympathikus erreichen die Adventitia und die äußere Media der Gefäßwände. Dort bilden sie perlschnurartige Auftreibungen, sog. Varikositäten, die in synaptischer Verbindung mit den glatten Muskelzellen stehen. Vermittelt wird die synaptische Übertragung durch Noradrenalin, das in den Varikositäten synthetisiert und durch einlaufende Nervenimpulse freigesetzt wird. Noradrenalin löst dann in erster Linie über eine Reaktion mit postsynaptischen α1-Rezeptoren eine Kontraktion der Gefäßmuskelzellen aus. Die Freisetzung von Noradrenalin kann durch die lokale Einwirkung von Angiotensin II gefördert oder u. a. von Stickstoffmonoxid (NO) gehemmt werden (Neuromodulation). Das freigesetzte Noradrenalin wird zu etwa 85 % wieder in die Varikositäten aufgenommen, der Rest enzymatisch abgebaut oder mit dem Kapillarblut abtransportiert. Merke
Die Gefäßweite wird in der geschilderten Weise vom Aktivierungsgrad des Sympathikus beeinflusst. Bereits der Ruhetonus der Gefäße ist teilweise auf den ständigen Zustrom sympathischer Aktionspotentiale zurückzuführen (s. oben), wobei etwa 1 Impuls/s über die Axone geleitet wird. Eine Erhöhung der Impulsfrequenz bewirkt – vor allem im Bereich der Widerstandsgefäße – eine Vasokonstriktion, die bereits ca. 10 Impulsen/s ihren stärksten Grad erreicht. Umgekehrt hat die Abnahme der Impulsfrequenz eine Vasodilatation zur Folge.
Der Sympathikuseinfluss ist in Abhängigkeit von der Dichte der Gefäßinnervation in den verschiedenen Organen unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei Sympathikusaktivierung nimmt die Durchblutung am stärksten in der Haut und in der Skelettmuskulatur, in geringerem Maße in den Nieren und im Intestinaltrakt ab, während die Lungendurchblutung kaum beeinflusst wird. Als Folge einer starken Konstriktion der präkapillären Widerstandsgefäße kommt es im Kapillarbereich zu einer Druckabnahme und damit zu einer Flüssigkeitsverschiebung aus dem interstitiellen in den intravasalen Raum.
194
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Da die Sympathikusaktivierung auch zu einer Konstriktion der Venen führt, nimmt gleichzeitig das venös gespeicherte Blutvolumen ab.
III
Cholinerge und axonreflektorische Vasodilatation. Bei einigen Tieren und wahrscheinlich auch beim Menschen existiert ein System sympathischer Fasern mit dilatatorischer Wirkung, die durch Azetylcholin vermittelt wird. Die Aktivierung dieser sympathisch-cholinergen Fasern bewirkt in der Skelettmuskulatur eine vorübergehende (transiente) Vasodilatation, wodurch möglicherweise in Stresssituationen ein zu starker Blutdruckanstieg verhindert wird. Außerdem führt die Aktivierung von parasympathisch-cholinergen Fasern zu einer Vasodilatation in den äußeren Genitalorganen (Mehrdurchblutung bei sexueller Erregung) sowie zu einer Dilatation der kleinen Piagefäße im Gehirn. Die Erschlaffung der glatten Gefäßmuskulatur für die Peniserektion wird durch das dilatatorisch wirkende Stickstoffmonoxid NO ( Kap. 6.6.4) vermittelt. Eine lokale Vasodilatation kann auch durch Reizung von Schmerzsensoren (Nozizeptoren) der Haut ausgelöst werden. Dabei sollen die afferenten Impulse direkt (ohne Einschaltung einer Synapse) über kollaterale Fasern antidrom zu den Arteriolen des betreffenden Hautareals gelangen (Axonreflex). Die durch Bestreichen der Haut ausgelöste Dreifachantwort (lokale Rötung, sich ausbreitende Rötung, Ödem) wird auf einen solchen Axonreflex bzw. den Transmitter Substanz P zurückgeführt.
6.6.2
Myogene Autoregulation
B AYLISS -Effekt Merke
Die rasche Erhöhung des Gefäßinnendrucks führt in den terminalen Arterien und Arteriolen zahlreicher Gewebe zu einer Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur (BAYLISS-Effekt). Es handelt sich dabei um eine myogene Reaktion, die ohne Mitwirkung der Gefäßnerven stattfindet. Sie wird bei der druckinduzierten Dehnung der Gefäße durch einen Ca2+-Einstrom in die glatten Muskelzellen ausgelöst, der auf der Öffnung dehnungsabhängiger KationenKanäle beruht. Der BAYLISS-Effekt bewirkt, dass bei Veränderung des arteriellen Drucks die Durchblutung des nachgeschalteten Kapillargebiets weitgehend konstant bleibt (Autoregulation der Durchblutung).
Besonders ausgeprägt ist diese Autoregulation im Bereich der kleinen Nieren- und Hirnarterien; sie lässt sich aber auch an den Gefäßen der Herz- und Skelettmuskulatur sowie des Intestinaltrakts nachweisen. Beim Aufrichten aus der liegenden Körperposition sorgt die Autoregulation dafür, dass es trotz der arteriellen Druckerhöhung im Beinbereich hier zu keinem Anstieg des kapillären Filtrationsdrucks kommt.
195 6.6 · Organdurchblutung
⊡ Abb. 6.14. Druck-StromstärkeBeziehungen. (1) Für ein starres Rohr, (2) ein druckpassiv dehnbares Gefäßsystem (z. B. Lunge) und zwei autoregulierende Gefäßsysteme (Herz (3), Niere (4) ), nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Druck-Stromstärke-Beziehung Nach dem Hagen-Poiseuille-Gesetz für starre Röhren besteht eine lineare Beziehung zwischen der Volumenstromstärke und dem einwirkenden Perfusionsdruck ( Kap. 6.1.2). In einigen Gefäßregionen nimmt jedoch die Stromstärke mit dem Druck überproportional zu, sodass die Druck-StromstärkeKurve konvex zur Abszisse gekrümmt ist (⊡ Abb. 6.14). Offenbar führt in diesem Fall eine Drucksteigerung zu einer passiven Gefäßerweiterung. Besonders ausgeprägt ist dieses druckpassive Verhalten in der Lungenstrombahn, weil die umgebenden Lufträume der Gefäßerweiterung keinen Widerstand entgegensetzen. In Gefäßen mit ausgeprägter Autoregulation führt eine Drucksteigerung nur zu einer ganz geringgradigen Zunahme der Stromstärke, sodass die Druck-Stromstärke-Kurve konkav zur Abszisse gekrümmt ist. Wie ⊡ Abb. 6.14 zeigt, ist dieses druckreaktive Verhalten auf einen bestimmten Bereich des Perfusionsdrucks beschränkt. In der Niere beispielsweise ist die Autoregulation nur etwa im Bereich des Mitteldrucks von 80 mm Hg bis 180 mm Hg wirksam.
6
196
Kapitel 6 · Blutkreislauf
6.6.3
Lokal-chemische und hormonale Durchblutungsregulation
Metabolische Vasodilatation
III
Eine Reihe von Stoffwechselendprodukten bewirkt eine Vasodilatation. Da bei Tätigkeit der Organe die Stoffwechselrate ansteigt und damit vermehrt Endprodukte anfallen, nimmt auch die Durchblutung in gleichem Maße zu. Dies gilt vor allem für die Herz- und Skelettmuskulatur. Die verschiedenen Metabolite sind allerdings in den einzelnen Organen in unterschiedlichem Ausmaß wirksam ( Kap. 6.6.5). Merke
Eine Vasodilatation kann bewirkt werden durch lokalen Anstieg des CO2-Partialdrucks und der Protonenkonzentration, durch stärkere Abnahme des O2-Partialdrucks, durch Erhöhung der Konzentration von Adenosindiphosphat (ADP), Adenosinmonophosphat (AMP), Adenosin und K+ sowie durch einen Anstieg der Osmolalität.
Hormonale Wirkungen Die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin werden im Nebennierenmark gebildet ( Kap. 15.6.1) und differenziert, d. h. in Anpassung an die jeweilige Kreislaufsituation, an das Blut abgegeben. Mit dem Blutstrom gelangen sie in alle Gefäße und beeinflussen den Kontraktionszustand ihrer Wand-
⊡ Abb. 6.15. Wirkungsunterschiede von Adrenalin und Noradrenalin an der glatten Gefäßmuskulatur infolge verschieden starker Bindung an α1- und β2-Rezeptoren. Die Wirkungsstärke ist durch die Dicke der Pfeile angedeutet
197 6.6 · Organdurchblutung
6
muskulatur. In der Regel sind Adrenalin zu 80 % und Noradrenalin zu 20 % an der Hormonabgabe beteiligt; bei starkem Blutdruckabfall steigt jedoch die relative Sekretionsrate von Noradrenalin an. Während Noradrenalin immer eine Vasokonstriktion hervorruft, hat Adrenalin teils konstriktorische, teils dilatatorische Wirkungen. Dies erklärt sich daraus, dass in der Membran der Gefäßmuskelfasern zwei verschiedene adrenerge Rezeptortypen, α1- und β2-Rezeptoren, vorkommen, über die unterschiedliche Effekte ausgelöst werden. Merke
Die Aktivierung der α1-Rezeptoren führt zu einer Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur, während die Aktivierung der β2-Rezeptoren eine Erschlaffung zur Folge hat. Noradrenalin reagiert hauptsächlich mit α1-Rezeptoren und bewirkt auf diese Weise eine Vasokonstriktion (⊡ Abb. 6.15). Adrenalin dagegen aktiviert sowohl α1- als auch β2-Rezeptoren in gleichem Maße. Dabei können in verschiedenen Gefäßregionen unterschiedliche Effekte ausgelöst werden, weil die beiden Rezeptortypen inhomogen verteilt sind. Überwiegen die α1-Rezeptoren, so hat Adrenalin eine vasokonstriktorische Wirkung; dominieren die β2-Rezeptoren, so bewirkt es eine Vasodilatation.
Die Adrenalinwirkung auf die Gefäßmuskulatur hängt nicht nur vom Verteilungsmuster der adrenergen Rezeptoren sondern auch von der jeweiligen Adrenalinkonzentration ab. Da β2-Rezeptoren eine niedrigere Aktivierungsschwelle als α1-Rezeptoren haben, löst Adrenalin – sofern beide Rezeptortypen vorhanden sind – in geringer Konzentration eine Vasodilatation, in hoher Konzentration eine Vasokonstriktion aus. Aus diesem Grund führt die i. v. Injektion von Adrenalin in (unphysiologisch) hoher Dosis zu einem Blutdruckanstieg. Alle anderen den Gefäßtonus beeinflussenden Hormone spielen eine zentrale Rolle bei der Regulation des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens. Hierzu zählen die vasokonstriktorischen Hormone Angiotensin II ( Kap. 6.7.3) und Adiuretin ( Kap. 6.7.3) sowie die vasodilatatorisch wirksamen natriuretischen Peptide ( Kap. 6.7.3).
198
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Vasoaktive Gewebehormone
III
An der regionalen Durchblutungsregulation sind verschiedene vasoaktive Gewebehormone, sog. Autakoide, beteiligt. Hierzu zählen Histamin, Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT), die Kinine Kallidin und Bradykinin, aber auch einige Metabolite der Arachidonsäure (Thromboxane und Prostaglandine). Ihre Wirkungen sind in verschiedenen Gefäßregionen nach Maßgabe der Rezeptorverteilung unterschiedlich stark ausgeprägt. In bestimmten Fällen kann sich sogar die Richtung des vasomotorischen Effektes ändern. So bewirkt Serotonin an einigen Arterien bei intaktem Endothel eine Vasodilatation, bei geschädigtem Endothel eine Vasokonstriktion.
6.6.4
Endothelvermittelte Durchblutungsregulation
Modulationsfunktion des Endothels Das Endothel als Grenzschicht zwischen dem strömenden Blut und den tieferen Gefäßwandstrukturen spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des lokalen Gefäßtonus. Es moduliert u. a. die Konzentration von im Blut zirkulierenden Substanzen (⊡ Abb. 6.16). Diese Modulationsfunktion der Endothelzellen besteht insbesondere in ▬ der Aufnahme und dem Abbau von Noradrenalin und Serotonin (5-HT), ▬ der enzymatischen Spaltung von ATP und ADP in der luminalen Zellmembran mit nachfolgender Aufnahme von Adenosin (ADO) und intrazellulärer Resynthese zu ATP, ▬ der Umwandlung von Angiotensin I in das stark vasokonstriktorisch wirkende Angiotensin II mit Hilfe des Angiotensin-Konversionsenzyms (ACE).
Stickstoffmonoxid (NO) In der lokalen Durchblutungsregulation nimmt Stickstoffmonoxid eine zentrale Stellung ein. Es wird in den Endothelzellen mit Hilfe einer membranständigen NO-Synthase aus L-Arginin gebildet, wobei freie Ca2+-Ionen unter Vermittlung von Calmodulin (CaM) die Reaktion fördern (⊡ Abb. 6.16).
199 6.6 · Organdurchblutung
6
⊡ Abb. 6.16. Übersicht über die wichtigsten vasomotorischen Funktionen des Endothels, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). AI = Angiotensin I, AII = Angiotensin II, BK = Bradykinin, iaP = vasoinaktive Peptide, ACE = Angiotensin-Konversionsenzym, ADO = Adenosin, 5-HT = Serotonin, NA = Noradrenalin, AA = Arachidonsäure, COX = Zyklooxygenase, EPOX = Epoxigenase, PL = Phospholipide, PLA2 = Phospholipase A2, EDHF = endothelialer hyperpolarisierender Faktor, CaM = Calmodulin, NOS = NO-Synthase, Ag = Agonist, Rez = Rezeptor, G = G-Protein
Merke
Stickstoffmonoxid erreicht als gut diffusibles Gas die glatten Gefäßmuskelfasern und hat hier eine erschlaffende (relaxierende) Wirkung. Daher rührt auch die ältere, vor der chemischen Identifizierung übliche Bezeichnung EDRF (Endothelium-Derived Relaxing Factor). Bereits in Ruhe wird NO kontinuierlich gebildet. Unter dem Einfluss verschiedener Faktoren kommt es jedoch zu gesteigerter NO-Freisetzung. Fördernde Faktoren sind u.a. die erhöhte Schubspannung des strömenden Blutes, die durch die Herzaktion erzeugten Gefäßpulsationen und die Abnahme des arteriellen O2-Partialdrucks.
Unter Schubspannung versteht man die durch das strömende Blut auf die Glykokalyx des Endothels ausgeübte tangentiale Kraft. Bei Erhöhung der Volumenstromstärke nimmt die Schubspannung deutlich zu und verstärkt
200
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
die NO-Freisetzung. Steigt beispielsweise im Bereich der Mikrozirkulation die Durchblutung unter dem Einfluss metabolischer Faktoren an, so erhöht sich in den vorgeschalteten kleinen Gefäßen die Wandschubspannung, sodass eine NO-vermittelte Vasodilatation eintritt. Auf diese Weise wird die Durchblutung der einzelnen Gefäßabschnitte aufeinander abgestimmt. Auch bei einer neurogen oder myogen ausgelösten Vasokonstriktion kommt es über die Schubspannungszunahme zu einer verstärkten NO-Freisetzung und damit zu einer Abschwächung des konstriktorischen Effekts. NO hemmt außerdem die Freisetzung von Noradrenalin aus den Varikositäten ( Kap. 6.6.1). Die vasodilatatorische Wirkung von Prostazyklin (Prostaglandin I2) wurde bereits in Kap. 4.9.2 beschrieben. Endotheline, die ebenfalls in den Endothelzellen gebildet werden, haben eine vasokonstriktorische Wirkung. Sie sind wahrscheinlich für die normale Durchblutungsregulation von geringer Bedeutung, werden jedoch bei Schädigung des Endothels vermehrt freigesetzt.
Metabolische und reaktive Hyperämie In Organen mit wechselnder Stoffwechselaktivität, insbesondere in der Herzund Skelettmuskulatur, ist vor allem der Anfall von Metaboliten für die Abnahme des Gefäßtonus und damit für die Mehrdurchblutung bei Arbeit verantwortlich (metabolische Hyperämie). Dabei kommt es in den kleinen Arterien und Arteriolen, die nicht direkt lokal-chemisch kontrolliert werden, über den schubspannungsabhängigen NO-Mechanismus (s. oben) zur Vasodilatation. Eine vorübergehende Unterbrechung der Blutzufuhr (Ischämie) führt anschließend zu einer Mehrdurchblutung in den betreffenden Geweben (reaktiven Hyperämie). Ihr Ausmaß hängt von der Dauer der Unterbrechung und von der Stoffwechselaktivität der Gewebe ab. Neben der vasodilatierenden Wirkung der angesammelten Metabolite sind auch endotheliale und myogene Faktoren an der reaktiven Hyperämie beteiligt.
6
201 6.6 · Organdurchblutung
6.6.5
Durchblutung spezieller Organe
Durchblutungsgrößen Merke
Zur Quantifizierung der Blutversorgung eines Organs kann die Volumenstromstärke (ml/min) des Blutflusses in den zuleitenden Gefäßen, die absolute Organdurchblutung, dienen. Bezieht man diese Größe auf das gesamte Herzzeitvolumen (HZV), so erhält man die relative Organdurchblutung (%). Wegen der unterschiedlichen Größe der einzelnen Organe sagen die absoluten und relativen Durchblutungswerte sehr wenig über die Blutversorgung des speziellen Gewebes und deren Anpassung an die Stoffwechselbedürfnisse aus. Daher verwendet man für die Quantifizierung meist die auf das Organgewicht bezogene Volumenstromstärke (ml · g–1 · min–1), die als spezifische Organdurchblutung bezeichnet wird.
In ⊡ Tabelle 6.2 sind die drei Durchblutungsgrößen der wichtigsten Organe für den ruhenden Erwachsenen unter indifferenten klimatischen Bedingungen ( Kap. 9.1.2) angegeben. Dabei handelt es sich um Durchschnittswerte, von denen im Einzelfall Abweichungen vorkommen können. Darüber hinaus weist die spezifische Durchblutung einiger Organe z. T. beträchtliche Unterschiede zwischen verschiedenen Organregionen auf. ⊡ Tabelle 6.2. Mittelwerte der absoluten, relativen und spezifischen Organdurchblutung für den Erwachsenen in körperlicher Ruhe und bei Indifferenztemperatur Organ
Durchblutung absolute ml/min
Gehirn Myokard
780
Organgewicht relative (HZV-bezogene) %
spezifische (gewichtsbezogene) ml · g–1 · min–1
15
0,56
1,4
kg
250
5
0,83
0,3
1200
23
4,0
0,3
Skelettmuskulatur
900
17
0,03
30
Haut
400
8
0,1
4
Leber
1500
28
1,0
1,5
Nieren
202
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Hirndurchblutung
III
Die spezifische Durchblutung des Gehirngewebes beträgt (gemittelt über das gesamte Organ) 0,5–0,6 ml · g–1 · min–1. Allerdings ist zu beachten, dass bei der Hirndurchblutung die regionalen Unterschiede besonders stark ausgeprägt sind. Für die ganglienzellreiche Rinde beträgt der Durchblutungswert 0,8–1,3 ml · g–1 · min–1, für die faserreiche weiße Substanz dagegen nur 0,2 ml · g–1 · min–1. Bei angespannter geistiger Tätigkeit und gesteigerter Aufmerksamkeit nimmt die spezifische Durchblutung einzelner Hirnareale zu, wodurch jedoch die Gesamtdurchblutung des Organs nur wenig beeinflusst wird. Bei generalisierten Krämpfen mit extrem gesteigerter neuronaler Aktivität können die Durchblutungswerte bis zu 50 % zunehmen. Während des Schlafes ist die zerebrale Durchblutung – bedingt durch den Anstieg des CO2-Partialdrucks (s. unten) – leicht erhöht, dagegen in Narkose normalerweise etwas vermindert.
Die Regulation der Hirndurchblutung steht in erster Linie unter der Kontrolle metabolischer Faktoren. Die Zunahme der H+-Konzentration (Abnahme des pH-Werts) und des Adenosin-Gehalts im perivaskulären Raum bewirkt vor allem im Bereich der Widerstandsgefäße eine Vasodilatation und damit eine Steigerung der Hirndurchblutung. Im gleichen Sinne wirkt eine Erhöhung der interstitiellen K+-Konzentration als Folge einer gesteigerten neuronalen Aktivität. Anstiege des arteriellen CO2-Partialdrucks haben die gleichen Effekte (Vasodilatation bei PCO2-Zunahme, Vasokonstriktion bei PCO2Abnahme), wobei wahrscheinlich die CO2-Wirkungen auf die Hirngefäße zum großen Teil über H+-Ionen (aus der Reaktion CO2 + H2O H+ + HCO3–) vermittelt werden. Der arterielle O2-Partialdruck hat nur insofern einen Einfluss auf die Hirngefäße, als bei Unterschreitung des sehr niedrigen PO2-Wertes von 60 mm Hg (8 kPa) die Hirndurchblutung ansteigt. Dabei ist noch nicht geklärt, ob die Abnahme des Gefäßtonus direkt durch O2-Mangel verursacht oder indirekt durch hypoxiebedingte Veränderungen (z. B. der Konzentrationen von H+, K+ oder Adenosin) ausgelöst wird. Der myogenen Autoregulation ( Kap. 6.6.2) der Hirnarteriolen kommt im Hinblick auf die häufigen Änderungen der Körperposition mit entsprechenden Änderungen des hydrostatischen Drucks im Kopfbereich eine besondere Bedeutung zu. Bei physiologischen O2- und CO2-Partialdrücken im arteriellen Blut bleibt die Hirndurchblutung in einem bestimmten Bereich des arteriellen Mitteldrucks (70–160 mm Hg) weitgehend konstant.
203 6.6 · Organdurchblutung
6
Die Autoregulation der Hirndurchblutung ist eingeschränkt oder aufgehoben, wenn unter pathologischen Bedingungen der CO2-Partialdruck bzw. die H+-Konzentration stark ansteigt (Azidose, Kap. 14.5.4) oder der O2-Partialdruck tief absinkt. Unterschreitet der arterielle Blutdruck den Regelbereich, so kommt es zu einer druckproportionalen Minderdurchblutung des Gehirns mit entsprechenden Störungen zentralnervöser Funktionen. Bei Überschreiten des Regelbereiches steigt die Hirndurchblutung ebenfalls druckproportional an, wodurch die Drücke im kapillären Bereich u. U. so stark zunehmen können, dass ein Hirnödem auftritt. Der Einfluss der vegetativen Innervation auf die Hirngefäße tritt gegenüber den genannten metabolischen und autoregulativen Faktoren zurück. Da die Hirngefäße bereits einen hohen Basaltonus haben, kann ihre Weite durch vasokonstriktorische Nervenimpulse nur in geringem Maße verändert werden.
Myokarddurchblutung, Kap. 5.5.2 Lungendurchblutung, Kap. 7.5.1 Nierendurchblutung, Kap. 13.1.2 Durchblutung der Skelettmuskulatur Die spezifische Durchblutung des ruhenden Skelettmuskels beträgt im Mittel nur 0,03 ml · g–1 · min–1. Die Gefäße der Skelettmuskulatur weisen also einen stark ausgeprägten Ruhetonus auf, der sowohl auf einen hohen Basaltonus als auch auf die vasokonstriktorische Aktivität des Sympathikus zurückzuführen ist. Bei Muskelarbeit nimmt die Durchblutung in starkem Maße zu und kann im Extremfall das 15–20fache des Ruhewertes erreichen. Unter stärkster Belastung aller Muskelgruppen steigt das Herzzeitvolumen auf ca. 25 l/min an, wovon dann 80 % der Skelettmuskulatur zugeleitet werden. Für die Regulation der Muskeldurchblutung sind in den verschiedenen Arbeitsphasen unterschiedliche Faktoren maßgebend. Bereits kurz vor Beginn der körperlichen Belastung kommt es zu einer Mehrdurchblutung der Muskulatur, die vermutlich auf die Aktivierung (bislang bei Menschen nicht sicher nachgewiesener) cholinerger vasodilatatorischer Fasern des Sympathikus zurückzuführen ist. Nach Arbeitsbeginn wird die Muskeldurchblutung insbesondere durch hormonale und metabolische Faktoren dem jeweiligen Bedarf angepasst: Die Ausschüttung kleiner Mengen von Adrenalin aus dem Nebennierenmark führt zu einer Aktivierung von β2-Rezeptoren und damit zu einer Vasodilatation der Muskelgefäße. Bei längerdauernder Belastung sorgen die im arbeitenden Muskel anfallenden Metabolite und endotheliales NO für die Aufrechterhaltung der Vasodilatation
204
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
und Feinregulation der Gefäßweite. Metabolische Veränderungen, deren Mitwirkung an der lokalen Vasodilatation diskutiert wird, sind u. a. Abnahme des O2-Partialdrucks, Zunahme des CO2-Partialdrucks, Ansteigen der Konzentrationen von H+, K+, Adenosin und Adenosinphosphaten im Extrazellularraum. Die vasokonstriktorischen Einflüsse des Sympathikus bleiben gegenüber diesen dominierenden Faktoren im arbeitenden Muskel ohne Wirkung. Bei dynamischer Muskelarbeit weist die im Mittel gesteigerte Durchblutung deutliche Schwankungen im Rhythmus der Muskelkontraktionen auf. Während der Blutstrom jeweils in der Kontraktionsphase mechanisch gedrosselt wird, kommt es in der Erschlaffungsphase bei Entlastung der Gefäße vom äußeren Gewebedruck zu einem starken Anstieg der Stromstärke. Im Gegensatz dazu führt eine dauernde Anspannung der Muskulatur bei statischer Arbeit (Haltearbeit) zu einer Dauerkompression der Gefäße, sodass infolge Minderdurchblutung des Gewebes eine rasche Ermüdung eintritt ( Kap. 8.2.5).
Hautdurchblutung Die spezifische Hautdurchblutung beträgt unter Ruhebedingungen bei Indifferenztemperatur im Mittel etwa 0,1 ml · g–1 · min–1. In Abhängigkeit von der Hauttemperatur bestehen jedoch erhebliche regionale Variationen im Bereich zwischen 0,01 und 1,0 ml · g–1 · min–1. Da die Durchblutung der Haut vor allem im Dienste der Thermoregulation steht, sind die Durchblutungswerte in der Regel sehr viel größer, als es den Stoffwechselbedürfnissen entspricht. Bei Hitzebelastung steigt die Hautdurchblutung um das 10fache, unter extremen Bedingungen sogar bis um das 15–20fache des Indifferenzwerts an. Für die Regulation der Hautdurchblutung ist vor allem die Aktivität sympathisch adrenerger vasokonstriktorischer Fasern von Bedeutung, die bereits unter thermoindifferenten Bedingungen einen hohen Ruhetonus der Gefäße aufrechterhalten. Bei sinkender Außentemperatur nimmt die sympathische vasokonstriktorische Aktivität zu, sodass die Hautdurchblutung und damit die Wärmeabgabe reduziert werden. Steigt die Außentemperatur an, so tritt an den Akren (Hand, Fuß, Ohrmuschel, Nase) infolge hypothalamischer Hemmung der sympathischen vasokonstriktorischen Aktivität eine Vasodilatation ein. Dadurch wird – insbesondere wegen der Eröffnung zahlreicher arteriovenöser Anastomosen – die Wärmeabgabe wirkungsvoll unterstützt. Am Körperstamm erfolgt die Vasodilatation durch Abnahme des Sympathikotonus und durch Bradykinin, das bei erhöhter Sekretionstätigkeit der Schweißdrüsen gebildet wird.
205 6.6 · Organdurchblutung
6
Durchblutung der Bauchorgane Die Durchblutung von Magen, Darm, Pankreas, Leber und Milz wird vor allem durch sympathische vasokonstriktorische Fasern der Nn. splanchnici kontrolliert. Bei körperlicher Arbeit führt eine Aktivierung der Splanchnikusfasern zu einer starken Reduzierung der Durchblutung im Bereich der Bauchorgane. Da hierbei gleichzeitig das Lumen der Kapazitätsgefäße abnimmt, können bis zu 400 ml Blut aus diesem Gebiet in die arbeitende Muskulatur umgeleitet werden. Im Darmbereich hat die Zunahme der Drüsentätigkeit eine Durchblutungssteigerung zur Folge, die wahrscheinlich durch Freisetzung von Bradykinin vermittelt wird. Außerdem zeigen die Widerstandsgefäße in Darm und Leber (bzgl. der Durchblutungsgröße Tabelle 6.2) deutliche autoregulative Reaktionen.
6.6.6
Messung der Strömungsgeschwindigkeit und der Volumenstromstärke
Merke
Für die Messung des Blutstroms werden verschiedene Methoden eingesetzt, die auf unterschiedlichen physikalischen Prinzipien beruhen. Sie dienen der Bestimmung der Strömungsgeschwindigkeit oder der Volumenstromstärke in einzelnen Gefäßen, Organen und Extremitäten sowie zur Messung des Herzzeitvolumens.
Elektromagnetische Strömungsmessung Hierbei werden die Polschuhe eines Elektromagneten an das operativ freigelegte Gefäß senkrecht zu dessen Längsrichtung angelegt. Das strömende Blut als Ionenleiter induziert bei der Passage des Magnetfeldes eine Spannung, die an der Außenseite des Gefäßes abgegriffen werden kann. Diese Spannung ist der Stromstärke des Blutes direkt proportional. Die elektromagnetische Strömungsmessung findet bei tierexperimentellen Untersuchungen und chirurgischen Eingriffen Verwendung.
Ultraschall-D OPPLER -Verfahren (D OPPLER -Sonographie) Mit diesem Messverfahren lässt sich die Strömungsgeschwindigkeit in oberflächennahen Gefäßen durch die intakte Haut hindurch erfassen. Dabei
206
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
werden mittels eines Senderkristalls Ultraschallwellen der Frequenz 4 oder 8 MHz schräg in Längsachse des Gefäßes eingestrahlt und die von den Blutkörperchen rückgestreuten Wellen von einer Sonde aufgenommen. Auf Grund des Doppler-Effekts ist die Frequenz des rückgestreuten Ultraschalls höher, wenn sich die Blutkörperchen zum Empfänger hinbewegen, und niedriger, wenn sie sich von ihm wegbewegen. Aus der gemittelten Frequenzdifferenz zwischen den eingestrahlten und empfangenen Wellen, der sog. Doppler-Frequenz, kann die mittlere Strömungsgeschwindigkeit bestimmt werden. Das Ultraschall-Doppler-Verfahren dient in der Klinik u. a. zur Feststellung von Gefäßstenosen im Kopf- und Extremitätenbereich. Mittels des gepulsten Ultraschall-Doppler-Verfahrens kann nicht nur die mittlere Strömungsgeschwindigkeit, sondern auch das Strömungsprofil fortlaufend erfasst werden. Hierbei erfolgt die Aussendung des Ultraschalls nicht kontinuierlich, sondern in Form kurzer Wellenpulse. Durch Variation der Öffnungszeiten des Empfängers mit Hilfe eines elektrischen Schalters lässt sich die Strömungsgeschwindigkeit an jedem Ort des Gefäßquerschnitts, d. h. das Strömungsprofil, bestimmen.
Venenverschluss-Plethysmographie Dieses Verfahren erlaubt die Bestimmung der arteriellen Stromstärke in einer Extremität oder in einem Extremitätenabschnitt auf unblutigem Wege, d. h. ohne Eröffnung eines Gefäßes. Hierbei befindet sich der Arm oder das Bein in einem starrwandigen, wassergefüllten Behälter, der nach außen völlig abgedichtet ist. Bei einer plötzlichen Unterbrechung des venösen Rückstroms mit Hilfe einer Stauungsmanschette, die proximal von der Abdichtungsstelle die Extremität umschließt, nimmt (bei unbehindertem arteriellen Zufluss) das Volumen der Extremität zu. Diese Volumenänderung kann über die Zunahme des Behältervolumens oder indirekt über den Anstieg des Behälterdrucks registriert werden. Aus der Geschwindigkeit der Volumenzunahme in der Anfangsphase ergibt sich dann die Stromstärke des arteriellen Flusses: Q˙ = dV/dt.
Stromstärkenmessung nach dem F ICK -Prinzip Dem Fick-Prinzip liegt die Überlegung zugrunde, dass die in einem Organ ˙ gleich aus dem Blut aufgenommene oder an dieses abgegebene Stoffmenge m ist der Differenz zwischen der zugeleiteten und abgeführten Menge dieses
6
207 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
Stoffes. Drückt man den Stoffmengentransport pro Zeiteinheit jeweils als Produkt aus Stromstärke Q˙ und Konzentration C aus, so gilt: ˙ = Q˙ · C1 – Q˙ · C2 = Q˙ (C1 – C2) m
(6.12)
Diese Beziehung kann dazu dienen, die Stromstärke des durch die Lunge fließenden Blutes, d. h. praktisch das Herzzeitvolumen HZV, zu bestimmen. Verwendet man als natürlichen Indikator Sauerstoff, so ist für die ausgetauschte Stoffmenge die Sauerstoffaufnahme V˙O2 und für C1 – C2 die O2-Konzentrationsdifferenz zwischen arterialisiertem Blut und venösem Mischblut (A. pulmonalis) CaO2 – CvO2 einzusetzen: HZV = V˙O2 /(CaO2 – CvO2)
(6.13)
V˙O2 kann spirometrisch bestimmt werden ( Kap. 8.1.3), CaO2 und CvO2 erhält man durch Analyse des Blutes, das man durch Punktion einer peripheren Arterie und mit Hilfe eines Katheters aus der A. pulmonalis gewinnt. (Beispiel: aus V˙O2 = 280 ml/min, CaO2 = 0,21 und CvO2 = 0,16 folgt HZV = 5,6 l/min).
Thermodilutionsmethode Die Organdurchblutung und das Herzzeitvolumen können auch mit Hilfe der Thermodilutionsmethode bestimmt werden. In diesem Fall wird in das zuleitende Gefäß ein Bolus eisgekühlter physiologischer Salzlösung injiziert und im ableitenden Gefäß die Temperaturänderung mittels einer Thermosonde registriert. Die Differenz zwischen der Injektionstemperatur und der gemittelten, distal gemessenen Temperatur ist dann ein reziprokes Maß für die Volumenstromstärke.
6.7
Regulation des Blutkreislaufs Merke
Während regionale Regulationsmechanismen die Durchblutung der Organe auf den jeweiligen Bedarf einstellen, sorgen gleichzeitig überregionale Regeleinrichtungen für die Anpassung aller kardiovaskulären Funktionen an die wechselnden Kreislaufsituationen. Diese globale Aufgabe umfasst im ▼
208
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
einzelnen die Einstellung eines adäquaten Herzzeitvolumens, die Sicherstellung eines ausreichenden Perfusionsdrucks für alle Organe sowie – unter Beteiligung der Nieren – die Konstanthaltung des Blutvolumens. Nach Maßgabe ihres Wirkungseintritts unterteilt man die daran beteiligten Anpassungsvorgänge in kurz-, mittel- und langfristige Regulationsmechanismen.
6.7.1
Mechanismen der kurzfristigen Blutdruckregulation
Kurzfristige Regulationsmechanismen sind dadurch charakterisiert, dass sie auf veränderte Kreislaufanforderungen innerhalb weniger Sekunden reagieren, jedoch bei dauernder Beanspruchung innerhalb von Tagen ihre Wirksamkeit teilweise oder vollständig verlieren. Bei den kurzfristigen Regulationsmechanismen handelt es sich vor allem um ▬ Pressosensorenreflexe, ▬ Dehnungssensorenreflexe und ▬ chemosensorische Einflüsse.
Pressosensorenreflexe Merke
Der ständigen Überwachung des Blutdrucks im arteriellen Gefäßsystem dienen die sog. Pressosensoren (Barosensoren). Diese Sensoren, die durch Dehnung der Gefäßwand erregt werden, finden sich vor allem in der Adventitia und Media des Aortenbogens und des Karotissinus (⊡ Abb. 6.17).
Während die von den Pressosensoren im Karotissinus ausgelösten Nervenimpulse über den Karotissinusnerv, einen Ast des. N. glossopharyngeus, zur Medulla oblongata ( Kap. 6.7.4) geleitet werden, gelangen die Impulse vom Aortenbogen über einen Ast des N. vagus zum Zentrum. Auf diese Weise gehen den kreislaufregulierenden Neuronen des Hirnstamms (»Kreislaufzentrum«) ständig Informationen über die Druckverhältnisse im arteriellen Gefäßsystem zu. Die Blutdruck-Nervenimpuls-Charakteristik der Pressosensoren sowie die entsprechenden Kreislaufreaktionen lassen sich im Tierversuch dadurch
209 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
IX
6
IX
Ganglion nodosum
Glomus caroticum
Glomera aortica
⊡ Abb. 6.17. Lokalisation der Pressosensoren im Aortenbogen, in der A. carotis communis und im Karotissinus mit zugehörigen afferenten Nervenbahnen (Sensorenfelder hellrot)
untersuchen, dass man die Gefäßabschnitte mit pressosensorischen Arealen vom übrigen Kreislaufsystem – bei erhaltener sensibler Innervation – isoliert (Karotissinuspräparat). Untersuchungen an solchen Präparaten führen zu folgenden Ergebnissen: Ein akuter Anstieg des arteriellen Drucks bewirkt in den Pressosensoren eine Frequenzzunahme, ein plötzlicher Abfall eine Frequenzabnahme der ausgelösten Nervenimpulse (⊡ Abb. 6.18). Auch bei stationären transmuralen Drücken im physiologischen Bereich befinden sich die pressosensorischen Zonen in mäßiger Erregung, sodass den kreislaufregulatorischen Neuronen ständig Impulse zugeleitet werden. Die Abhängigkeit der Entladefrequenz vom jeweiligen Mitteldruck zeigt einen charakteristischen S-förmigen Verlauf mit einem linearen Bereich größter Empfindlichkeit zwischen 80 und 180 mm Hg (10,7–24,0 kPa).
210
Kapitel 6 · Blutkreislauf
III
⊡ Abb. 6.18. Kreislaufreaktionen bei veränderter Erregung der Pressosensoren im Karotissinus. Bei Senkung des arteriellen Drucks nimmt die Erregung der Pressosensoren ab. Die reflektorisch gesteigerte Aktivität der sympathischen vasokonstriktorischen und kardialen Fasern löst Zunahmen des peripheren Widerstands, der Herzfrequenz und der Kontraktionskraft aus, sodass der Blutdruck wieder ansteigt. Bei erhöhtem arteriellen Druck kommt es zu entgegengesetzten Reaktionen
Die arteriellen Pressosensoren signalisieren aber nicht nur die mittlere Intensität, sondern auch die Änderungsgeschwindigkeit von Druckreizen, d. h. sie besitzen die Eigenschaft von Proportional-Differential-Sensoren (PD-Sensoren). Die rhythmischen Druckschwankungen im arteriellen System erzeugen demnach ein pulssynchrones Impulsmuster, wobei die Impulsfrequenz in der Anstiegsphase der Pulskurve überproportional zunimmt (⊡ Abb. 6.18). Auf diese Weise werden die kreislaufregulierenden Neurone nicht nur über die Höhe des arteriellen Mitteldrucks, sondern auch über die Anstiegssteilheit der Pulskurve und über die Größe der Blutdruckamplitude sowie über die Herzfrequenz informiert.
211 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
6
Merke
Die kreislaufregulierenden Neurone beantworten eine arterielle Drucksenkung mit einer allgemeinen Aktivierung des Sympathikus und einer Hemmung des Parasympathikus (⊡ Abb. 6.18). Hierdurch werden die Herzfrequenz heraufgesetzt, die Kontraktilität des Herzens gesteigert und der periphere Widerstand durch Vasokonstriktion (vor allem der Widerstandsgefäße in der Skelettmuskulatur und in den Bauchorganen) erhöht, sodass der arterielle Mitteldruck wieder ansteigt. Gleichzeitig fördert die Konstriktion der Kapazitätsgefäße den venösen Zustrom zum Herzen. Eine arterielle Druckerhöhung führt zu entgegengesetzten Reaktionen und löst damit eine depressorische (blutdrucksenkende) Gegenregulation aus.
Die Unterbrechung der afferenten Bahnen von den Sensoren zum Gehirn (Durchschneidung von Glossopharyngeus und Vagus) beantworten die kreislaufregulierenden Neurone in der gleichen Weise wie das Ausbleiben von Impulsen bei stärkstem Blutdruckabfall, nämlich mit einem exzessiven Anstieg des Blutdrucks (Entzügelungshochdruck). Daher bezeichnet man die afferenten Bahnen, die einer Steigerung des Blutdrucks entgegenwirken, als Blutdruckzügler und den gesamten blutdruckregulierenden Prozess als Depressorreflex. Bei Aktivierung des sympathischen Systems infolge eines Blutdruckabfalls werden aus dem (sympathisch innervierten) Nebennierenmark vermehrt Katecholamine ausgeschüttet. Ihre im Gesamtkreislauf vorwiegend vasokonstriktorische Wirkung unterstützt die nerval vermittelten vasomotorischen Effekte. Der gesamte Regelvorgang zur Konstanthaltung des arteriellen Mitteldrucks, der im Wesentlichen durch das Herzzeitvolumen und den totalen peripheren Widerstand bestimmt wird, lässt sich am besten am Modell eines technischen Regelkreises ( Kap. 3.1) beschreiben (⊡ Abb. 6.19). Die Regelgröße ist der mittlere Blutdruck im arteriellen Gefäßsystem. Der Istwert dieser Regelgröße wird von den Pressosensoren im Aortenbogen und im Karotissinus registriert und in Form von Nervenimpulsen an den Regler, einen kreislaufregulierenden Neuronenverband in der Medulla oblongata, übermittelt. Hier findet ein Vergleich mit dem vorgegebenen Sollwert statt. Regelabweichungen führen über Steuersignale des vegetativen Nervensystems zu einer Korrektur an den Stellgliedern, vor allem dem Herzzeitvolumen und dem totalen peripheren Widerstand. Ist beispielsweise infolge eines größeren Blutverlustes der arterielle Mitteldruck abgesunken, so kommt es auf dem geschilderten Weg zu einer Steigerung des Herzzeitvolumens und zu einer peripheren Vasokonstriktion, wodurch der Blutdruck wieder auf den Sollwert zurückgeführt wird. Über diese Regeleinrichtung werden die blutdruckbestimmenden Größen laufend so eingestellt, dass der arterielle Mitteldruck möglichst wenig von dem vorgegebenen Sollwert abweicht.
212
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
⊡ Abb. 6.19. Regelkreis für die kurzfristige Blutdruckregulation, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Fördernde Wirkungen sind mit +, hemmende Wirkungen mit – gekennzeichnet. HZV = Herzzeitvolumen, TPR = totaler peripherer Widerstand
Medulla oblongata
Dehnungssensorenreflexe Die kreislaufregulierenden Neurone in der Medulla oblongata empfangen außerdem ständig Informationen von Dehnungssensoren der Herzvorhöfe und der großen intrathorakalen Venen, deren Impulse über afferente Fasern des N. vagus zum Zentrum geleitet werden. Durch ihre Lokalisation im intrathorakalen Abschnitt des Niederdrucksystems sind sie in der Lage, den Füllungszustand des Gefäßsystems und damit das zirkulierende Blutvolumen ständig zu kontrollieren. Von besonderer Bedeutung sind dabei die in den Wänden beider Vorhöfe befindlichen A- und B-Sensoren ( Kap. 5.2.3). Erstere reagieren auf aktive Spannungsentwicklung während der Vorhofkontraktion, letztere auf passive Dehnung der Vorhofwände bei der Füllung. Merke
Eine isolierte Erregung der B-Sensoren führt – wie die Aktivierung der Pressosensoren – zu einer Hemmung sympathischer Efferenzen bzw. zu einer Steigerung der parasympathischen Aktivität.
Hierdurch kommt es zu entsprechenden Wirkungen am Herzen (HZV-Abnahme) und an der Gefäßmuskulatur (Vasodilatation, vor allem in der Niere), wie sie bereits für die Aktivierung der Pressosensoren geschildert wurden. Die physiologische Bedeutung der A-Sensoren ist noch nicht vollständig geklärt.
213 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
6
Chemosensorische und unspezifische Einflüsse Aktivierungen der peripheren Chemosensoren ( Kap. 7.6.2) durch Hypoxie oder der zentralen chemosensiblen Strukturen ( Kap. 7.6.2) durch Hyperkapnie (Anstieg des CO2-Partialdrucks) und Azidose (Zunahme der H+-Konzentration) können kurzfristig die Kreislaufregulation beeinflussen. Dabei werden entweder direkt über die kreislaufregulierenden Neurone in der Medulla oblongata oder indirekt auf dem Umweg über das Atmungszentrum pressorische (blutdrucksteigernde) Reaktionen ausgelöst. Schließlich sind auch unspezifische Reize, die auf Sensoren außerhalb des kardiovaskulären Systems einwirken, in der Lage, den Kreislauf zu beeinflussen. Hierzu gehören Schmerz- und Kältereize, Lungendehnung und Skelettmuskelkontraktionen.
6.7.2
Mechanismen der mittelfristigen Blutdruckregulation
Die mittelfristigen Regulationen setzen bei plötzlicher Blutdruckänderung nach einigen Minuten ein und erreichen erst nach einigen Stunden ihre volle Wirksamkeit. Hieran beteiligt sind ▬ Druckregulationen über den Renin-Angiotensin-Mechanismus und ▬ eine Regulation des intravasalen Volumens.
Renin-Angiotensin-System Merke
Kommt es infolge eines starken Blutdruckabfalls oder durch eine mechanisch ausgelöste Durchblutungsdrosselung zu einer Einschränkung der Nierendurchblutung, so wird in verstärktem Maß das Gewebehormon Renin aus dem juxtaglomerulären Apparat der Niere freigesetzt ( Kap. 14.3.2). Das daraufhin vermehrt gebildete Angiotensin II bewirkt eine starke Konstriktion der arteriellen Widerstandsgefäße, sodass der periphere Widerstand und damit auch der Blutdruck ansteigt.
Außerdem hat Angiotensin II einen stimulierenden Einfluss auf zentrale kreislaufaktivierende Neurone, wodurch seine vasokonstriktorische Wirkung noch weiter verstärkt wird. Es fördert ferner die Noradrenalin- und
214
III
Kapitel 6 · Blutkreislauf
ADH-Freisetzung (s. unten) und steigert das Durstgefühl. Auf diese Weise trägt das Renin-Angiotensin-System dazu bei, den Blutdruck nach einem Blutverlust oder nach einem Blutdruckabfall aus anderer Ursache mittelfristig auf einem normalen Niveau zu stabilisieren. Aus den geschilderten Zusammenhängen wird auch verständlich, dass bei Nierenerkrankungen, die mit einer verstärkten Reninproduktion einhergehen, besonders hohe Blutdruckwerte auftreten (renale Hypertonie, Kap. 6.8.1).
Transkapilläre Flüssigkeitsverschiebung Wie bereits in Kap. 6.3.2 beschrieben, führt eine Blutdrucksteigerung in der Regel auch zu einer Zunahme des effektiven Filtrationsdrucks, die wiederum eine vermehrte Filtration in den interstitiellen Raum zur Folge hat. Hierdurch nimmt das intravasale Blutvolumen und sekundär auch der arterielle Blutdruck ab. Eine gesteigerte kapilläre Resorption hat den entgegengesetzten Effekt.
6.7.3
Mechanismen der langfristigen Blutdruckregulation
Die langfristige Regulation des arteriellen Blutdrucks erfolgt vor allem durch die Anpassung des Blutvolumens an die jeweilige Kreislaufsituation. Das Stellglied dieses Regelsystems ist die Flüssigkeitsausscheidung durch die Nieren. Hieran beteiligt sind ▬ Änderungen der renalen Flüssigkeitsausscheidung, ▬ das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, ▬ Adiuretin und ▬ natriuretische Peptide.
Renales Volumenregelsystem Die kontrollierte Flüssigkeitsausscheidung durch die Nieren ist nicht nur für einen ausgeglichenen Wasser- und Elektrolythaushalt, sondern auch für die Aufrechterhaltung der normalen Kreislauffunktion wichtig. Längerdauernde Änderungen des Blutdrucks können (bei gleich bleibender Flüssigkeitsaufnahme) durch Anpassung der Nierenfunktion im Laufe von mehreren Tagen normalisiert werden (⊡ Abb. 6.20).
215 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
6
⊡ Abb. 6.20. Schema der renalen Volumenregulation für die langfristige Kontrolle des Blutdrucks, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). ANP = Atriopeptin, AII = Angiotensin II, τ = Schubspannung
Merke
Eine Erhöhung des arteriellen Blutdrucks führt zu einer verstärkten renalen Flüssigkeitsausscheidung. Hierdurch nehmen das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen und damit auch das Blutvolumen ab. Auf Grund des verminderten venösen Rückstroms kommt es zu einer Abnahme des Herzzeitvolumens und konsekutiv zu einer Senkung des zuvor erhöhten Blutdrucks. Entsprechend kann ein erniedrigter Blutdruck durch Reduktion der renalen Flüssigkeitsausscheidung normalisiert werden.
Die Steilheit der Urinausscheidungskurve (⊡ Abb. 6.20, rechts) lässt erkennen, dass bereits kleine Zu- und Abnahmen des arteriellen Mitteldrucks große Änderungen der renalen Ausscheidung zur Folge haben. Diese wirkungsvolle Anpassung der Nierenfunktion wird u. a. durch die Druckabhängigkeit der Nierenmarkdurchblutung (Druckdiurese, Kap. 13.4.2) bewirkt.
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System Die blutdruckabhängige Reninabgabe, die zur Bildung von Angiotensin II führt ( Kap. 14.3.2), beeinflusst auch die Harnausscheidungrate der Niere.
216
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Angiotensin II stimuliert die Aldosteronsekretion durch die Nebennierenrinde. Merke
III
Unter dem Einfluss von Aldosteron wird die Na+-Rückresorption aus dem distalen Tubulussystem der Niere gefördert und damit – osmotisch bedingt – weniger Flüssigkeit ausgeschieden. Das Renin-Angiotensin-AldosteronSystem bewirkt also, dass das Blutvolumen bei Blutdruckabfall erhöht und bei Blutdruckanstieg reduziert wird.
Außerdem verstärkt Aldosteron die Erregbarkeit der Gefäßmuskulatur gegenüber vasokonstriktorischen Einflüssen und übt damit auch durch Veränderung des peripheren Gefäßwiderstands eine blutdruckregulierende Wirkung aus.
Adiuretin (ADH) Die afferenten Impulse von den Dehnungssensoren der Vorhöfe beeinflussen nicht nur die kreislaufregulierenden Neuronenverbände in der Medulla oblongata (s. oben), sondern auch bestimmte Regionen im Hypothalamus, in denen ADH gebildet wird ( Kap. 15.2.1). Merke
Die bei Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens verstärkte Erregung der Vorhofsensoren bewirkt nach 10–20 min eine Hemmung der ADH-Freisetzung, sodass die renale Flüssigkeitsausscheidung ansteigt. Umgekehrt führt eine Abnahme des Blutvolumens zu einer verstärkten ADH-Freisetzung und damit zu einer verminderten Urinausscheidung. Dieser volumenregulatorische Mechanismus wird als GAUER-HENRY-Reflex bezeichnet.
Da ADH in hohen Plasmakonzentrationen den Blutdruck steigert, wird es auch als Vasopressin bezeichnet.
Natriuretische Peptide Einen Einfluss auf die Kreislauffunktion hat auch eine Gruppe von Peptiden, zu der u. a. das atriale natriuretische Peptid (ANP, Atriopeptin) und das zerebrale natriuretische Peptid (BNP) gehören.
217 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
6
Merke
Atriopeptin ( Kap. 5.4.2), das bei verstärkter Dehnung der Vorhöfe aus den Kardiomyozyten freigesetzt wird, bewirkt eine Reduktion des Blutvolumens und des Blutdrucks. Es hemmt die Freisetzung von Renin und Aldosteron, steigert die glomeruläre Filtration und fördert auf diese Weise die renale Natrium- und Flüssigkeitsausscheidung.
ANP und BNP antagonisieren darüber hinaus die zentralen Effekte von Angiotensin II (ADH-Freisetzung, Durstauslösung, Stimulation blutdrucksteigernder Neuronenpopulationen).
6.7.4
Zentrale Kontrolle des Kreislaufs
Die Kreislauffunktionen werden von Neuronenpopulationen kontrolliert, die in der Medulla oblongata, im Hypothalamus, im Kleinhirn und in der Hirnrinde lokalisiert sind. Eine zentrale Stellung in diesem Netzwerk nehmen die medullären Anteile ein (⊡ Abb. 6.21), die deshalb früher auch als »Kreislaufzentren« bezeichnet wurden.
Medulläre Kreislaufkontrolle Merke
Der Aufrechterhaltung eines normalen mittleren Blutdrucks dienen Neuronengruppen der Formatio reticularis in der Medulla oblongata. Die Grundaktivität von Neuronen in der rostralen ventrolateralen Medulla übt, vermittelt durch sympathische Efferenzen, einen fördernden Einfluss auf die Herztätigkeit und den Gefäßtonus aus.
Verstärkt wird diese Aktivität durch Zuflüsse, die von Mechanosensoren, Nozizeptoren, den benachbarten respiratorischen Zentren und höheren ZNS-Regionen ausgehen. Die afferenten Eingänge von den Presso- und Dehnungssensoren projizieren zum Nucleus tractus solitarii. Von hier ausgehende Interneurone
218
Kapitel 6 · Blutkreislauf
III
⊡ Abb. 6.21. Kreislaufsteuernde Neuronenpopulationen in der Medulla oblongata mit ihren afferenten und efferenten Verbindungen in schematischer Darstellung, nach Busse (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). RVLM = rostrale ventrolaterale Medulla, KVLM = kaudale ventrolaterale Medulla, NTS = Nucleus tractus solitarii, E = exzitatorische bzw. I = inhibitorische Verbindungen
ziehen einerseits zum Nucleus ambiguus und Nucleus dorsalis nervi vagi (efferente Ausgänge der präganglionären parasympathischen Neurone zum Herzen), andererseits zur kaudalen ventrolateralen Medulla. Von hier ausgehende Zwischenneurone hemmen Efferenzen der rostralen ventrolateralen Medulla, die zu präganglionären sympathischen Neuronen im Rückenmark projizieren.
Hypothalamische Einflüsse Bereits unter Ruhebedingungen beeinflusst der Hypothalamus die Kreislaufregulation. Darüber hinaus werden von hier komplexe Allgemeinreaktionen gesteuert, an denen das vegetative Nervensystem und das hormonale System
219 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
6
beteiligt sind. Hierdurch wird auch die Anpassung des Kreislaufs an Belastungs- und Erholungssituationen gewährleistet. Merke
Reizung der hinteren Hypothalamusregion führt zu (sympathisch-cholinerger) Vasodilatation in der Skelettmuskulatur und zu (sympathisch-adrenerger) Vasokonstriktion in vielen anderen Organen sowie zur Steigerung der Herztätigkeit. Solche vom hinteren Hypothalamus kontrollierten Kreislaufreaktionen sind erforderlich, um die Leistungsfähigkeit des Organismus in Angriffs-, Flucht- und Verteidigungssituationen zu erhöhen. Bei diesen Alarmzuständen (»Fight and Flight«) wird das vegetative System in eine ergotrope Reaktionslage versetzt.
Dagegen bewirkt die Reizung der vorderen Hypothalamusregion eine allgemeine Dämpfung der kardiovaskulären Funktionen und eine Mehrdurchblutung des Gastrointestinaltrakts. Diese sog. trophotrope Reaktionslage ist charakteristisch für Erholungsphasen, die mit der Nahrungsaufnahme und der Verdauung verbunden sind (»Rest and Digest«). Vom Hypothalamus aus werden auch diejenigen Kreislaufreaktionen ausgelöst, die der Thermoregulation dienen ( Kap. 9.4).
Zerebellare Einflüsse Das Kleinhirn ist ebenfalls in die Kreislaufkontrolle eingeschaltet. Durch Reizung seiner medianen Anteile lassen sich ergotrope Reaktionen (s. oben) auslösen, die durch Projektionen von den Purkinje-Zellen auf die kreislaufsteuernden Neuronenpopulationen in der Medulla oblongata vermittelt werden (⊡ Abb. 6.21).
Kortikale Einflüsse Das kardiovaskuläre System kann schließlich auch von der Hirnrinde aus beeinflusst werden. Neokortikale Strukturen, von denen Kreislaufwirkungen ausgehen, liegen vor allem in den motorischen und prämotorischen Rindenfeldern.
220
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Merke
III
Besonders deutlich ist der neokortikale Einfluss bei der sog. Erwartungsoder Startreaktion, welche die vegetative Umstellung bereits vor Beginn einer körperlichen Arbeit bezeichnet. Unabhängig von der nachfolgenden tatsächlichen Leistung, kommt es in dieser Situation zu einer Herzfrequenzund Blutdrucksteigerung, die durch zentrale Mitinnervation des vegetativen mit dem motorischen System hervorgerufen wird.
Die Umschaltung der kortikalen Impulse auf das vegetative System erfolgt dabei vor allem im Hypothalamus (⊡ Abb. 6-21). Auch von paleokortikalen Strukturen können sowohl pressorische als auch depressorische Kreislaufreaktionen ausgelöst werden. Diese gehen häufig mit vegetativen Umstellungen anderer Funktionen, z. B. der Atmung, der gastrointestinalen Motilität und der Drüsensekretion, einher.
6.7.5
Kreislaufumstellungen
Orthostasereaktion Beim Übergang vom Liegen zum Stehen kommt es infolge hydrostatischer Druckänderungen zu einer Umverteilung des Blutvolumens ( Kap. 6.4.1). Sowohl der arterielle Blutdruck oberhalb des Herzens als auch der zentrale Venendruck sinken ab (⊡ Abb. 6.22). Da der venöse Rückfluss zum Herzen vermindert ist, tritt eine Reduktion des Schlagvolumens und damit eine weitere Senkung des arteriellen Blutdrucks ein. Merke
Die Informationen über diese Veränderungen, die in Form erniedrigter Impulsfrequenzen von den Dehnungs- und Pressosensoren ausgehen, werden von den kreislaufregulierenden Neuronen durch eine Aktivierung des Sympathikus beantwortet. Es kommt infolgedessen zu einer Konstriktion der Widerstands- und Kapazitätsgefäße in Skelettmuskulatur, Haut, Nieren und Bauchorganen sowie zu einer Steigerung der Herzfrequenz.
221 6.7 · Regulation des Blutkreislaufs
⊡ Abb. 6.22. Veränderungen kardiovaskulärer Parameter beim Positionswechsel vom Liegen zum Stehen (Orthostasereaktion). Die Zahlenangaben stellen Durchschnittswerte dar, von denen erhebliche individuelle Abweichungen vorkommen können
6
222
Kapitel 6 · Blutkreislauf
Diese Veränderungen bewirken eine vollständige Normalisierung des arteriellen Blutdrucks. Die Zunahme der Herzfrequenz kann jedoch die Abnahme des Schlagvolumens nicht voll kompensieren, sodass das Herzzeitvolumen – verglichen mit dem Wert im Liegen – erniedrigt bleibt.
III Bei 10–15 % aller Menschen ist beim plötzlichen Aufstehen nach längerem Liegen mit einer orthostatischen Kreislaufregulationsstörung zu rechnen. Typische Beschwerden, die als Folge zerebraler Minderdurchblutung bei starkem Blutdruckabfa ll auftreten, sind hierbei u. a. Schwindel, Sehstörungen, Ohrensausen und Herzklopfen. Bei stark ausgeprägter Regulationsstörung kann es unter diesen Umständen zu einem orthostatischen Kollaps mit vorübergehender Bewusstlosigkeit (Synkope) kommen. Auch beim völlig gesunden Menschen werden gelegentlich orthostatische Dysregulationen beobachtet, wenn in warmer bzw. schwüler Umgebung oder bei Muskelarbeit die Haut- bzw. Muskelgefäße stark dilatiert sind. Unter diesen Umständen bleiben die im Stehen notwendigen vasokonstriktorischen Reaktionen in diesen Organen aus, weil die Erfordernisse der Thermoregulation und des Stoffwechsels Vorrang haben.
Muskelarbeit Merke
Bei körperlicher Arbeit erfolgt nicht nur eine Mehrdurchblutung der arbeitenden Muskulatur ( Kap. 6.6.5), sondern unter dem Einfluss erhöhter Sympathikusaktivität auch eine kollaterale Vasokonstriktion, d. h. eine Reduktion der Durchblutung von ruhender Muskulatur, Bauchorganen und Nieren. Dadurch wird ein beträchtliches Blutvolumen aus den Kollateralgebieten in die arbeitende Muskulatur umgeleitet.
Die starke Abnahme des Strömungswiderstands in der tätigen Muskulatur kann jedoch durch die kollaterale Widerstandszunahme nicht kompensiert werden, sodass der totale periphere Widerstand erniedrigt ist. Diese Veränderung bewirkt allerdings keinen Blutdruckabfall, da sie durch Zunahme des Herzzeitvolumens (Erhöhung des Schlagvolumens durch Sympathikusaktivierung, Anstieg der Herzfrequenz durch verminderte Parasympathikuserregung) mehr als ausgeglichen wird. Der arterielle Mitteldruck ist daher – bei gleichzeitiger Zunahme der Blutdruckamplitude – leicht erhöht ( Kap. 6.2.3).
223 6.8 · Pathophysiologische Aspekte
6
Emotionale Kreislaufreaktionen In emotional gefärbten Angst-, Wut-, Abwehr- und Fluchtsituationen reagiert der Organismus in stereotyper Weise. Derartige Stresssituationen werden durch ergotrope Reaktionen ( Kap 6.7.4) beantwortet. Es kommt dabei zu einer allgemeinen Aktivierung des Sympathikus und zur Katecholaminausschüttung aus dem Nebennierenmark, wobei eine Steigerung der Herzfrequenz, des Herzzeitvolumens und der Muskeldurchblutung eintritt. Gleichzeitig wird die Durchblutung von Haut, Bauchorganen und Nieren eingeschränkt. Darüber hinaus sind Alarmreaktionen durch einen Anstieg der Glukokortikoidkonzentration im Blut gekennzeichnet ( Kap. 15.4.1).
6.8
Pathophysiologische Aspekte
6.8.1
Krankhafte Veränderungen des arteriellen Blutdrucks
Arterielle Hypertonie. Die krankhafte Steigerung des arteriellen Blutdrucks wird als Hypertonie bezeichnet ( Kap. 6.2.3). Unter klinischen Aspekten unterscheidet man die essentielle Hypertonie , die in 90–95 % aller Fälle vorliegt, und die sekundären Hypertonien , die seltener sind (5–10 % der Fälle) und lediglich als Symptom einer anderen Erkrankung (Nierenerkrankungen, endokrine, kardiovaskuläre oder neurogene Störungen) auftreten. Die essentielle Hypertonie, die eigentliche Hochdruckkrankheit, ist ein multifaktorielles Geschehen, dessen Ätiologie (Krankheitsursache) und Pathogenese (Entstehungsweise) zzt. noch in der Diskussion sind. Hypotonie. Eine Hypotonie liegt vor, wenn beim Erwachsenen der systolische Blutdruck in Ruhe weniger als 90–100 mm Hg beträgt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Verminderung des Herzzeitvolumens, der in der Regel ein verminderter venöser Rückstrom zugrunde liegt. Wie bei der Hypertonie werden auch bei der Hypotonie zwei Formen unterschieden: Während die primäre (essentielle) Hypotonie konstitutionell bedingt ist, stellt die sekundäre (symptomatische) Hypotonie die Folgeerscheinung einer Primärerkrankung dar.
6.8.2
Schock
Schockformen. Der Kreislaufschock ist durch eine akute Minderdurchblutung lebenswichtiger Organe – meist infolge eines Blutdruckabfalls – charakterisiert. Wegen der unzureichenden Sauerstoffversorgung kommt es zu einer Gewebeazidose (pH-Abfall) und dadurch zu Funktionsstörungen der betroffenen Organe. Die verschiedenen Schockformen sind nach ihrer Ätiologie und ihrer Pathogenese in ⊡ Tabelle 6.3 zusammengestellt. Schockverlauf: In ⊡ Abb. 6.23 ist der Ablauf des Schockgeschehens am Beispiel des Volumenmangelschocks (hypovolämischen Schocks) vereinfacht dargestellt. Man erkennt, wie die einzelnen Funktionsänderungen die nachgeschalteten Kreislauffunktionen beeinflussen, sodass u. U. ein circulus vitiosus entstehen kann.
224
Kapitel 6 · Blutkreislauf
⊡ Tabelle 6.3. Schockformen: Ursachen und typische Funktionsänderungen. HZV Herzzeitvolumen, TPR Totaler peripherer Widerstand (↑ = Zunahme, ↓ = Abnahme, – = unverändert)
III
Schockform
Ursachen (Auswahl)
HZV
TPR
Zentraler Venendruck
hypovolämischer Schock
Blutverlust Plasmaverlust
↓↓
↑
↓↓
kardiogener Schock
Herzinfarkt Lungenembolie
↓↓
↑
↑
anaphylaktischer Schock
anaphylaktische Reaktion
↑–↓
↓↓
–↓
septischer Schock Initialstadium Spätstadium
bakterielle Toxine ↑ ↓
↓↓ –↑
↓ ↑
neurogener Schock
hohe Rückenmarksdurchtrennung
↓
↓
↓
Rückfluss
⊡ Abb. 6.23. Ablauf des hypovolämischen Kreislaufschocks mit positiven Rückkopplungsmechanismen und Auswirkungen auf die Gewebeversorgung
225 6.9 · Plazentarer und fetaler Kreislauf
6
Auf einen größeren Blutverlust mit entsprechendem Blutdruckabfall reagieren die kreislaufregulierenden Neurone zunächst mit einer allgemeinen Aktivierung des Sympathikus. Dadurch kommt es – neben einer Steigerung der Herzfrequenz – vor allem zu einer peripheren Vasokonstriktion, sodass die Durchblutung der Körperperipherie zugunsten der lebenswichtigen Organe (Gehirn, Herz, Lunge) weitgehend eingeschränkt wird (Blässe der Haut!). Daher bezeichnet man diese reversible Schocksituation auch als Stadium der Zentralisation. Bei weiterem Blutverlust oder längerer Schockdauer kann – sofern keine Behandlung einsetzt – diese sinnvolle Gegenregulation nicht mehr aufrechterhalten werden. Infolge zerebralen Sauerstoffmangels nimmt die Sympathikusaktivität ab, sodass der Parasympathikustonus überwiegt. Gleichzeitig sammeln sich in den schlecht durchbluteten Organen gefäßdilatierende Substanzen an, sodass die zunächst bestehende Arteriolenkonstriktion aufgehoben wird. Diese Weitstellung der Arteriolen führt – bei erhaltener Konstriktion der Venolen – zu einem Flüssigkeitsabstrom aus den Kapillaren. Der venöse Rückfluss wird dadurch reduziert, sodass der Blutdruck weiter abfällt (Stadium der Dezentralisation). Die minimale Durchblutung einzelner Organe führt einerseits zu Gewebeschäden (Gewebenekrosen), andererseits zum Flüssigkeitsaustritt durch geschädigte Kapillarwände. Die Viskosität des Blutes nimmt zu, und die Erythrozyten aggregieren (Sludge), bis schließlich der Blutstrom infolge disseminierter intravasaler Gerinnung sistiert. Der ursprünglich noch reversible Schock ist in ein irreversibles Stadium übergegangen. In diesem lebensbedrohlichen Zustand droht ein Multi-Organ-Versagen (u. a. Lunge, Niere, Leber).
6.9
Plazentarer und fetaler Kreislauf
6.9.1
Plazentakreislauf
Die Plazenta dient vor allem dem Stoffaustausch zwischen mütterlichem und fetalem Blut und damit der Ernährung des Feten sowie der Ausscheidung seiner Stoffwechselprodukte. Das mütterliche Blut strömt über uteroplazentare Arterien in die schmalen spaltförmigen Räume zwischen den Zotten, die sog. intervillösen Räume (Fassungsvermögen am Ende der Schwangerschaft ca. 250 ml). Angetrieben von einem Druckgefälle von ca. 70 mm Hg (9,3 kPa), bewegt sich das Blut zwischen den Zotten zu den Randsinus der Basalplatte und gelangt über plazentouterine Venen wieder in den mütterlichen Kreislauf zurück. Hierdurch wird das Blut in den intervillösen Räumen etwa 2 mal pro Minute erneuert. Das fetale Blut fließt über zwei Nabelschnurarterien in die Gefäße der Zottenbäume, passiert die Zottenkapillaren, wird in kleinen Venen der Chorionplatte gesammelt und strömt durch die Nabelschnurvene zurück zum Feten. Das kindliche und das mütterliche Blut sind nur durch eine dünne Gewebeschicht zwischen dem intervillösen Raum und dem Lumen der Zottenkapillaren voneinander getrennt (Plazentaschranke).
6.9.2
Fetaler Kreislauf
Funktionelle Organisation des fetalen Kreislaufs (⊡ Abb. 6.24). Das in der Plazenta mit Sauerstoff und Nährstoffen beladene Blut gelangt über die Nabelvene zum geringen Teil in die Pfortader und versorgt die Leber. Der größere Teil strömt jedoch über einen Kurzschlussweg, den Ductus venosus ARANTII direkt in die untere Hohlvene, wodurch das zu etwa 80 % mit Sauerstoff gesättigte Blut aus der Nabelvene dem relativ sauerstoffarmen Blut der unteren Hohlvene zugemischt wird (O2-Sättigung nach der Mischung ca. 70 %). Das Blut aus der unteren Hohlvene gelangt in den rechten Vorhof und von dort
226
Kapitel 6 · Blutkreislauf
⊡ Abb. 6.24. Fetaler Blutkreislauf in schematischer Darstellung
III
größtenteils über das Foramen ovale direkt in den linken Vorhof. Vom linken Ventrikel wird es schließlich über die Aorta in den Körperkreislauf des Feten befördert. Das sauerstoffarme Blut aus den oberen Körperpartien fließt über die obere Hohlvene in den rechten Vorhof und gelangt – aus strömungstechnischen Gründen am Foramen ovale vorbeigeleitet – in den rechten Ventrikel. Zusammen mit dem Restblut aus der unteren Hohlvene wird es in den Truncus pulmonalis ausgeworfen, fließt jedoch nur zum geringeren Teil durch die nicht entfaltete Lunge. Der Hauptanteil von etwa 65 % strömt über einen weiteren Kurzschlussweg, den Ductus arteriosus BOTALLI, in die Aorta. (Beim Feten ist der mittlere Blutdruck in den Lungenarterien etwas höher als derjenige in der Aorta, sodass ein Rechts-links-Shunt besteht.) Da die Arterien, die den Kopf, das Herz und die oberen Extremitäten versorgen, bereits vor der Einmündung des Ductus arteriosus abzweigen, wird diesen Körperpartien relativ sauerstoffreiches Blut zugeleitet. Über die beiden Nabelarterien, die von den beiden Aa. iliacae abgehen, strömen etwa 55 % des Aortenblutes zur Plazenta zurück, während 20 % wieder in die untere Hohlvene gelangen.
227 6.9 · Plazentarer und fetaler Kreislauf
6
Kreislaufumstellung nach der Geburt. Durch den Verschluss der Nabelschnurarterien nach der Geburt erhöht sich der periphere Widerstand, sodass der Druck in der Aorta zunimmt. Gleichzeitig steigt mit Unterbrechung des plazentaren Kreislaufs der CO2-Partialdruck im Blut an. Dieser das Atmungszentrum stimulierende Reiz führt zum Einsetzen der Atmung und damit zur Entfaltung der Lunge. Infolge des herabgesetzten Strömungswiderstands steigt die Lungenperfusion um das 5fache an. Dadurch wird der Druck im linken Vorhof erhöht, während der Druck im rechten Vorhof – z. T. auch infolge des verminderten venösen Rückstroms – absinkt. Es resultiert eine Druckumkehr zwischen den beiden Vorhöfen, wodurch einige Stunden nach der Geburt das Foramen ovale klappenartig verschlossen wird. Eine Verwachsung der Wandstrukturen tritt erst im Kleinkindesalter ein. Der Verschluss der Ductus arteriosus und venosus erfolgt langsam während der ersten Lebensstunden durch Kontraktion der Wandmuskulatur. Dieser funktionelle Verschluss wird dann in den ersten Lebensmonaten morphologisch fixiert (Obliteration).
IV Atmung Kapitel 7
Atmung
– 229
229 7.1 · Funktionelle Morphologie
7
7
Atmung
Die tierische Zelle gewinnt ihre Energie vorwiegend durch den oxidativen Abbau der Nährstoffe. Sie ist somit auf eine ständige Sauerstoffzufuhr angewiesen. Ebenso wichtig für ihre Funktionsfähigkeit ist der laufende Abtransport der Stoffwechselendprodukte, zu denen in erster Linie das Kohlendioxid gehört. Dieser Gaswechsel zwischen den Zellen und der Umgebung wird insgesamt als Atmung bezeichnet. An der Atmung sind vier hintereinander geschaltete Teilprozesse beteiligt, die in ⊡ Abb. 7.1 am Beispiel des Sauerstofftransports schematisch dargestellt sind. Es sind dies: 1. der konvektive Transport zu den Lungenalveolen durch die Ventilation, 2. die Diffusion von den Alveolen in das Lungenkapillarblut, 3. der konvektive Transport zu den Gewebekapillaren durch den Blutkreislauf, 4. die Diffusion von den Gewebekapillaren in die umgebenden Zellen. Die Teilprozesse 1 und 2 werden unter der Bezeichnung Lungenatmung (äußere Atmung) zusammengefasst. Teilprozess 3 bezeichnet man als den Atemgastransport des Blutes und Teilprozess 4 als Gewebeatmung (innere Atmung).
7.1
Funktionelle Morphologie des Respirationstrakts
7.1.1
Atmungsexkursionen des Thorax
Merke
Die für den Gasaustausch notwendige Belüftung der Alveolen wird durch einen rhythmischen Wechsel von Inspiration (Einatmung) und Exspiration (Ausatmung) bewirkt. Mit der Inspiration gelangt sauerstoffreiche Frischluft in den Alveolarraum, während mit der Exspiration sauerstoffarme, mit Kohlendioxid angereicherte Luft an die Umgebung abgegeben wird.
230
Kapitel 7 · Atmung
⊡ Abb. 7.1. Übersicht über den Transport des Sauerstoffs (gelbe Pfeile)
IV
Die Luftbewegungen bei Inspiration und Exspiration kommen durch den rhythmischen Wechsel von Brustraumerweiterung und -verengung zustande. Für die Erweiterung des Brustraums sind zwei Faktoren maßgebend: 1. die Hebung der Rippenbögen und 2. die Abflachung des Zwerchfells (⊡ Abb. 7.2).
Rippenbewegungen Die Rippen sind jeweils mit dem Wirbelkörper und einem Processus transversalis gelenkig verbunden. Um die Verbindungsgerade zwischen den beiden Gelenken, die man als Rippenhalsachse bezeichnet, können die Rippen eine Drehbewegung ausführen. Bedingt durch die Lage der Drehachse, wer-
231 7.1 · Funktionelle Morphologie
7
⊡ Abb. 7.2. Formänderungen des Thoraxraumes beim Übergang von der Exspirationsstellung (dunkelblau) zur Inspirationsstellung (hellblau)
den unter den Einwirkungen der Inspirationsmuskeln die Rippenbögen angehoben, wodurch sich Tiefen- und Querdurchmesser des Thorax erweitern. Die Rippenhalsachse weist im oberen und unteren Bereich des Thoraxskeletts eine unterschiedliche Orientierung auf. Bei den oberen Rippen ist sie mehr transversal, bei den unteren mehr sagittal ausgerichtet (⊡ Abb. 7.3). Dies hat zur Folge, dass bei der Inspiration die Thoraxerweiterung im oberen Bereich überwiegend nach vorn (»Vorstoß«) und im unteren Bereich mehr in seitlicher Richtung (»Seitenstoß«) erfolgt. Außerdem hat eine Hebung der unteren Rippen einen größeren Effekt im Hinblick auf die Erweiterung des Brustraums.
Die inspiratorische Rippenhebung wird hauptsächlich durch die äußeren Zwischenrippenmuskeln (Mm. intercostales externi) bewirkt. Ihre Faserzüge verlaufen so, dass der Ansatzpunkt jeweils an der unteren Rippe weiter vom Gelenkdrehpunkt entfernt ist als an der oberen Rippe. Bei der Kontraktion wird also auf die jeweils untere Rippe ein größeres Drehmoment ausgeübt, sodass eine Hebung gegen die nächsthöhere Rippe resultiert. Auf diese Weise tragen die äußeren Zwischenrippenmuskeln zusammen zur Thoraxhebung bei. Für die Ausatmung, die normalerweise passiv erfolgt ( Kap. 7.3.3), kann zusätzlich der größte Teil der inneren Zwischenrippenmuskeln (Mm.
232
Kapitel 7 · Atmung
IV
Mm. intercostales externi Mm. intercostales interni intercartilaginei
Mm. intercostales interni interossei
⊡ Abb. 7.3. Rippenbewegungen bei der Atmung. A Lage der Rippenhalsachse (rot) bei der 1. Rippe (rechts) und der 6. Rippe (links). Die Pfeile geben die Hauptrichtungen für die inspiratorischen Erweiterungen der Thoraxquerschnitte an. B Faserverlauf der Interkostalmuskulatur (schwarz) in schematischer Darstellung zur Erläuterung der Zugwirkungen (Pfeilrichtungen) bei Inspiration und Exspiration
intercostales interni) eingesetzt werden. Wenn sie sich kontrahieren, wird auf Grund ihres Faserverlaufs die jeweils obere Rippe der darunter liegenden genähert und damit der Thorax gesenkt. Bei erhöhten Anforderungen an die Atmungsarbeit, insbesondere bei Atemnot, werden die regulären Atmungsmuskeln durch Hilfsmuskeln unterstützt. Als Hilfseinatmer wirken alle Muskeln, die am Schultergürtel, am Kopf oder an der Wirbelsäule ansetzen und in der Lage sind, die Rippen zu heben. Hierzu zählen in erster Linie die Mm. pectorales major und minor, die Mm. scaleni und der M. sternocleidomastoideus sowie Teile der Mm. serrati. Voraussetzung für ihren Einsatz als Atmungsmuskeln ist die Fixierung ihres Ansatzpunktes. Typisch hierfür ist das Verhalten eines Menschen in Atemnot, der sich auf einen festen Gegenstand aufstützt und den Kopf nach hinten beugt. Als Hilfsausatmer dienen vor allem die Bauchmuskeln, welche die Rippen herabziehen und als Bauchpresse die Baucheingeweide mit dem Zwerchfell nach oben drängen.
233 7.1 · Funktionelle Morphologie
7
Zwerchfellbewegung Merke
Der wirkungsvollste Inspirationsmuskel ist das Diaphragma. Normalerweise wölbt sich das Zwerchfell kuppelförmig in den Thoraxraum hinein; in Ausatmungsstellung liegt es in einer Ausdehnung von drei Rippenhöhen der inneren Thoraxwand an (⊡ Abb. 7.2). Bei der Einatmung kontrahieren sich die Muskelzüge des Zwerchfells. Es kommt zu einer Abflachung, wodurch sich die Muskelplatte von der inneren Thoraxwand entfernt.
Die dabei eröffneten Räume, die als Recessus phrenicocostales bezeichnet werden, bieten für die hier lokalisierten Lungenpartien eine gute Entfaltungsmöglichkeit und damit eine entsprechend gute Belüftung. Je nachdem, ob die Erweiterung des Brustraums bei normaler Atmung überwiegend durch Hebung der Rippen oder mehr durch Senkung des Zwerchfells zustande kommt, unterscheidet man einen kostalen Atmungstyp (Brustatmung) von einem abdominalen Atmungstyp (Bauchatmung). Bei der Brustatmung wird die Atmungsarbeit hauptsächlich von der Interkostalmuskulatur geleistet, während das Zwerchfell mehr passiv den Druckänderungen im Thorax folgt. Bei der Bauchatmung bewirkt die stärkere Kontraktion der Zwerchfellmuskulatur eine größere Verlagerung der Baucheingeweide, sodass die Bauchwand inspiratorisch vorgewölbt wird.
7.1.2
Funktion der Atemwege
Gliederung des Atemwegsystems Bei der inspiratorischen Erweiterung der Lunge wird die Frischluft über ein verzweigtes Röhrensystem zu den Gasaustauschgebieten geleitet (⊡ Abb. 7.4). Über die Trachea gelangt die Luft in die beiden Hauptbronchien und verteilt sich dann auf die immer feineren Verzweigungen des Bronchialbaums. Bis zu den Terminalbronchiolen der 16. Teilungsgeneration hat das Atemwegsystem ausschließlich eine Leitungsfunktion. Daran schließen sich die Bronchioli respiratorii an (17.–19. Generation), in deren Wänden bereits einige Alveolen vorkommen. Mit der 20. Aufzweigung beginnen die Alveolargänge (Ductus alveolares), die mit Alveolen dicht besetzt sind. Dieser Bereich, der überwiegend dem Gasaustausch dient, wird als Respirationszone bezeichnet.
234
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.4. Schematische Gliederung des Atemwegsystems (links) und Kurve der zugeordneten Gesamtquerschnitte (rechts). Die starke Querschnittszunahme in der Übergangszone setzt sich in der Respirationszone fort. Z = Teilungsgeneration, BR = Bronchien, BL = Bronchiolen, TBL = Terminalbronchiolen, BLR = Bronchioli respiratorii, DA = Ductus alveolares, SA = Sacculi alveolares
Bis zu den Terminalbronchiolen erfolgt die Luftbewegung im Atemwegssystem allein durch Konvektion. In den nachfolgenden Atemwegsabschnitten der Übergangs- und Respirationszone erreicht der Gesamtquerschnitt ein solches Ausmaß (⊡ Abb. 7.4, rechts), dass die Massenbewegung in Längsrichtung nur noch gering ist. In diesem Bereich gewinnt die Diffusion einen zunehmenden Einfluss auf den Transport der Atemgase.
235 7.1 · Funktionelle Morphologie
7
Innervation der Bronchien Die Weite der Bronchien wird durch das vegetative Nervensystem kontrolliert. Merke
Unter dem Einfluss des Sympathikus kommt es in der Inspirationsphase zu einer Erschlaffung der glatten Bronchialmuskulatur und damit zu einer Erweiterung der Bronchien (Bronchodilatation). Der Parasympathikus bewirkt in der späten Exspirationsphase eine Kontraktion der glatten Muskulatur, wodurch die Bronchien verengt werden (Bronchokonstriktion).
Auf diese Weise unterstützt die vegetative Steuerung der Bronchialweite bis zu einem gewissen Grade die Lungenbelüftung. Eine überstarke Aktivierung des Parasympathikus ist bei einigen Atemwegserkrankungen die Ursache für eine Einengung der Bronchien und damit für eine Zunahme des Strömungswiderstands in den Atemwegen.
Aufgaben des Atemwegsystems Merke
Die Atemwege dienen nicht nur der Zuleitung von Frischluft während der Inspiration und der Ableitung von »Alveolarluft« während der Exspiration, sondern erfüllen auch eine Reihe von Hilfsfunktionen für die Atmung. Hierzu gehören die Reinigung, Erwärmung und Befeuchtung der eingeatmeten Luft.
Die Reinigung der Inspirationsluft erfolgt teilweise bereits in der Nase, wo kleinere Partikel, Staub und Bakterien von den Schleimhäuten abgefangen werden. Deshalb besteht bei chronischer Mundatmung eine erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen des Atmungsapparates. Weitere eingeatmete Partikel lagern sich auf der Schleimschicht ab, welche die Wände der zuleitenden Atemwege überzieht. Der von Becherzellen und subepithelialen Drüsenzellen sezernierte Schleim wird ständig durch rhythmische Bewegung der Zilien des Respirationsepithels mundwärts befördert und anschließend verschluckt. Der Schleimtransport sorgt also dafür, dass Fremdpartikel und Bakterien aus dem Atmungstrakt entfernt werden. Sind die Zilien geschädigt, wie dies etwa
236
IV
Kapitel 7 · Atmung
bei chronischer Bronchitis der Fall ist, so kommt es zu Schleimansammlungen in den Atemwegen und damit zu einem erhöhten Atmungswiderstand. Größere in die Atemwege gelangte Fremdkörper und Schleimablagerungen lösen durch Reizung der Schleimhäute in der Trachea und den Bronchien Husten aus. Dabei handelt es sich um einen reflektorischen Vorgang, der zunächst in einer forcierten exspiratorischen Anstrengung gegen die geschlossene Glottis besteht. Bei plötzlicher Öffnung der Glottis wird dann der Fremdkörper mit dem extrem beschleunigten Ausatmungsstrom herausbefördert. Die Erwärmung und Befeuchtung der Inspirationsluft findet zum überwiegenden Teil bereits im NasenRachen-Raum statt. Insbesondere bieten hierfür die großen Oberflächen der Nasenmuscheln und die gut durchblutete Nasenschleimhaut mit ihren leistungsfähigen Schleimdrüsen günstige Voraussetzungen. In den tieferen Atemwegen wird die Luft weiter erwärmt und befeuchtet, sodass sie bei Eintritt in die Alveolen die Körpertemperatur (37 °C) angenommen hat und vollständig mit Wasserdampf gesättigt ist.
7.1.3
Funktion der Alveolen
Bedingungen für den alveolären Gasaustausch Der Austausch der Atemgase zwischen der Gasphase und dem Blut in den Lungenkapillaren erfolgt in den Alveolen. Ihre Zahl wird auf etwa 300 Millionen, ihre Gesamtoberfläche auf etwa 80–100 m2 geschätzt. Die Alveolen, deren Durchmesser jeweils 0,2–0,3 mm beträgt, sind von einem dichten Kapillarnetz umgeben. Das die Kapillaren durchströmende Blut wird so mit der großen Oberfläche der Alveolen in Kontakt gebracht. Der alveoläre Gasaustausch zwischen der Gasphase und dem Kapillarblut vollzieht sich durch Diffusion. Hierfür ist es wichtig, dass nicht nur eine große Oberfläche vorliegt, sondern auch möglichst kurze Diffusionswege zu überwinden sind ( Kap. 1.2.1). Im Hinblick auf die letztgenannte Forderung bestehen in der Lunge ebenfalls günstige Voraussetzungen. Das Kapillarblut ist vom Gasraum nur durch eine dünne Gewebeschicht getrennt. Diese sog. alveolokapilläre Membran, die aus dem flachen Alveolarepithel (Typ I-Zellen), einem schmalen Interstitium mit elastischen Fasern und dem Kapillarendothel besteht, hat insgesamt eine Dicke von weniger als 1 µm.
Oberflächenspannung der Alveolen Die innere Oberfläche der Alveolen ist von einem Flüssigkeitsfilm bedeckt. Wie an jeder Grenzfläche zwischen Gas- und Flüssigkeitsphase sind daher
237 7.2 · Ventilation
auch in den Alveolen Anziehungskräfte wirksam, welche die Tendenz haben, die Oberfläche zu verkleinern. Merke
Auf diese Oberflächenspannung in jeder der vielen Alveolen ist es u. a. zurückzuführen, dass die Lunge das Bestreben hat, sich zusammenzuziehen. Die Oberflächenspannung ist allerdings kleiner, als dies bei der Grenzschicht Wasser gegen Luft zu erwarten wäre. Oberflächenaktive Substanzen, die im alveolären Flüssigkeitsfilm enthalten sind und als Surfactant bezeichnet werden, bewirken eine Verminderung der Oberflächenkräfte.
Es handelt sich dabei um ein Gemisch aus Proteinen und Lipiden, insbesondere um oberflächenaktive Lezithinderivate, die von den Typ II-Alveolarepithelzellen gebildet werden. Bei einer Verkleinerung der Alveolen nimmt die Oberflächenspannung ab, weil die oberflächenaktiven Substanzen dichter zusammenrücken. Ohne diesen Effekt müssten die kleineren Alveolen unter der Einwirkung der Oberflächenkräfte in sich zusammenfallen (kollabieren). Ist die Bildung oder die Wirksamkeit der oberflächenaktiven Substanzen gestört, so kollabieren viele Alveolen. Dabei können ganze Lungengebiete in sich zusammenfallen. Ein solcher Zustand wird als Atelektase bezeichnet.
7.2
Ventilation
7.2.1
Lungen- und Atemvolumina
Volumeneinteilung Merke
Das Volumen des einzelnen Atemzugs ist bei der Ruheatmung verhältnismäßig klein, verglichen mit dem in der gesamten Lunge enthaltenen Gasvolumen. Über das normale Atemzugvolumen hinaus können also sowohl bei der Inspiration als auch bei der Exspiration erhebliche Zusatzvolumina aufgenommen bzw. abgegeben werden.
7
238
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.5. Lungenvolumina und -kapazitäten. Die angegebenen Werte für die Vitalkapazität und das Residualvolumen (rechts) sollen die Abhängigkeit dieser Größen von Alter und Geschlecht verdeutlichen
Auch bei tiefster Ausatmung ist es nicht möglich, alle Luft aus der Lunge zu entfernen; ein bestimmtes Restvolumen bleibt immer in den Alveolen und den zuleitenden Atemwegen zurück. Für die quantitative Erfassung dieser Verhältnisse hat man die folgende Volumeneinteilung vorgenommen, wobei zusammengesetzte Volumina als Kapazitäten gekennzeichnet werden (⊡ Abb. 7.5): 1. Atemzugvolumen: normales In- bzw. Exspirationsvolumen; 2. Inspiratorisches Reservevolumen: Volumen, das nach normaler Inspiration noch zusätzlich eingeatmet werden kann; 3. Exspiratorisches Reservevolumen: Volumen, das nach normaler Exspiration noch zusätzlich ausgeatmet werden kann; 4. Residualvolumen: Volumen, das nach maximaler Exspiration noch in der Lunge zurückbleibt; 5. Vitalkapazität: Volumen, das nach maximaler Inspiration maximal ausgeatmet werden kann = Summe aus 1, 2 und 3; 6. Inspirationskapazität: Volumen, das nach normaler Exspiration maximal eingeatmet werden kann = Summe aus 1 und 2; 7. Funktionelle Residualkapazität: Volumen, das nach normaler Exspiration noch in der Lunge enthalten ist = Summe aus 3 und 4;
239 7.2 · Ventilation
7
8. Totalkapazität: Volumen, das nach maximaler Inspiration in der Lunge enthalten ist = Summe aus 4 und 5. Von diesen Größen kommt neben dem Atemzugvolumen nur der Vitalkapazität und der funktionellen Residualkapazität eine größere Bedeutung zu.
Vitalkapazität Merke
Die Vitalkapazität stellt ein Maß für die Ausdehnungsfähigkeit von Lunge und Thorax dar.
Es handelt sich keineswegs, wie man etwa der Bezeichnung entnehmen könnte, um eine »vitale« Größe, denn selbst bei extremen Anforderungen an die Atmung wird die mögliche Atemtiefe niemals voll ausgenutzt. Die Angabe eines »Normwertes« für die Vitalkapazität ist kaum möglich, da diese von verschiedenen Parametern, wie Alter, Geschlecht, Körpergröße, Körperposition und Trainingszustand, abhängig ist. Für einen jüngeren, 180 cm großen Mann beträgt die Vitalkapazität etwa 5 Liter. Wie ⊡ Abb. 7.6 zeigt, nimmt die Vitalkapazität mit zunehmendem Alter ab. Die Messung der Vitalkapazität erfolgt gewöhnlich mit einem Spirometer, einem Gerät, das verschiedene Gasvolumina bei konstantem Druck aufnehmen kann. Eine zylindrische Glocke taucht in einen Wasserbehälter ein, der den Innenraum des Spirometers gegen den Außenraum luftdicht abschließt. Ein weitlumiger Schlauch verbindet das Mundstück des Probanden mit dem Spirometer. Die Volumenänderung bei maximaler Ausatmung nach vorheriger maximaler Einatmung, die zu einer entsprechenden Glockenbewegung führt, kann an einer kalibrierten Skala abgelesen werden.
Funktionelle Residualkapazität Merke
Die physiologische Bedeutung der funktionellen Residualkapazität besteht in einem Ausgleich der inspiratorischen und der exspiratorischen O2- und CO2-Fraktionen im Alveolarraum.
240
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.6. Mittlere Altersabhängigkeit der Vitalkapazität, der Totalkapazität (TLC), der funktionellen Residualkapazität (FRC) und des Residualvolumens (RV) für die männliche Bevölkerung
Würde die Frischluft ohne die Mischung mit der in der Lunge enthaltenen Luft direkt in die Alveolen gelangen, so müssten dort die Atemgasfraktionen je nach der Atmungsphase abwechselnd zu- oder abnehmen. Mit der funktionellen Residualkapazität, deren Volumen mehrfach größer ist als das der eingeatmeten Frischluft, treten jedoch infolge des Mischeffektes nur noch geringe zeitliche Schwankungen in der Zusammensetzung des alveolären Gasgemisches auf. Die funktionelle Residualkapazität (FRC) ist in ihrer Größe wieder von verschiedenen Parametern abhängig. Im Mittel findet man bei jüngeren Männern einen FRC-Wert von 3 l, bei Frauen von etwa 2,5 l. Die Bestimmung der funktionellen Residualkapazität kann nur auf indirektem Wege erfolgen, da das in der Lunge enthaltene Volumen der direkten Messung nicht zugänglich ist. Ein solches indirektes Verfahren stellt die Helium-Einwaschmethode dar: Hierbei wird ein Spirometer mit einem Gasgemisch gefüllt, das neben Sauerstoff einen bestimmten Anteil (z. B. 10 Vol %) Helium enthält. (Volumenanteile in Gasgemischen bezeichnet man als Fraktionen.) Am Ende einer normalen Ausatmung wird der Proband mit dem Spirometer verbunden, sodass sich das Helium bei der Rückatmung auf den Lungen- und den Spirometerraum verteilt. Nach dem vollständigen Ausgleich bestimmt man die durch die Einwaschung verringerte He-Fraktion. Da die Abnahme der He-Fraktion
7
241 7.2 · Ventilation
von der Größe des Lungenvolumens abhängt, lässt sich hieraus die funktionelle Residualkapazität berechnen. Das intrathorakale Gasvolumen (am Ende der normalen Ausatmung) kann mit Hilfe des Körperplethysmographen ( Kap. 7.3.2) bestimmt werden. Es entspricht beim Lungengesunden der funktionellen Residualkapazität.
7.2.2
Toträume
Anatomischer Totraum Merke
Das Volumen der leitenden Atemwege wird als anatomischer Totraum bezeichnet, weil in diesem Bereich kein Gasaustausch stattfindet. Hierzu gehören also die Räume von Nase bzw. Mund, Pharynx, Larynx, Trachea, Bronchien, Bronchiolen und Terminalbronchiolen.
Das Volumen des Totraums hängt von der Körpergröße und der Körperposition ab. Für den sitzenden Probanden gilt die Faustregel, dass die Größe des Totraums (in ml) dem doppelten Körpergewicht (in kg) entspricht. Das Totraumvolumen des Erwachsenen beträgt somit etwa 150 ml. Bestimmung des Totraumvolumens. Das exspiratorische Atemzugvolumen VE setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: Der eine Teil des ausgeatmeten Volumens entstammt dem Totraum (VD), der andere dem Alveolarraum (VEA): VE = VD + VEA .
(7.1)
Die ausgeatmete CO2-Menge kommt jedoch allein aus dem Alveolarraum, da der Totraum mit Frischluft von der vorausgegangenen Inspiration her gefüllt ist und somit nur eine verschwindend geringe CO2-Menge enthält. Berücksichtigt man, dass eine Gasmenge jeweils als Produkt aus Volumen (V) und Fraktion (F) angegeben werden kann, so gilt: VE FECO2 = VEA FACO2 .
(7.2)
(FECO2 = exspiratorische CO2-Fraktion, FACO2 = alveoläre CO2-Fraktion) Nach Einsetzen von Gl. (7.1) und Umformung gewinnt man hieraus die sog. BOHR-Formel: VD FACO2 – FECO2 4 = 08 . VE FACO2
(7.3)
Der Anteil des Totraumvolumens am Exspirationsvolumen ergibt sich also aus den beiden angegebenen CO2-Fraktionen, die gasanalytisch bestimmt werden können. Beim gesunden Erwachsenen hat das Verhältnis VD/VE einen Wert von etwa 30 %.
242
Kapitel 7 · Atmung
Funktioneller Totraum
IV
Zum funktionellen Totraum rechnet man alle diejenigen Anteile des Atmungstrakts, in denen kein Gasaustausch stattfindet. Vom anatomischen unterscheidet sich der funktionelle Totraum dadurch, dass ihm außer den zuleitenden Atemwegen auch noch diejenigen Alveolarräume zugerechnet werden, die zwar belüftet, aber nicht durchblutet sind. Solche am Gasaustausch nicht beteiligten Alveolen kommen normalerweise nur selten vor, während bei Lungenfunktionsstörungen der funktionelle Totraum häufig erheblich größer ist als der anatomische Totraum.
7.2.3
Atemzeitvolumen und alveoläre Ventilation
Atemzeitvolumen Merke
Unter dem Atemzeitvolumen versteht man das in der Zeiteinheit eingeatmete oder ausgeatmete Gasvolumen. Es ergibt sich definitionsgemäß als Produkt aus Atemzugvolumen (Volumen des einzelnen Atemzugs) und Atmungsfrequenz (Anzahl der Atemzüge pro Minute).
Bei ruhiger Atmung beträgt das Atemzugvolumen des Erwachsenen ca. 0,5 l. Die Atmungsfrequenz des Erwachsenen liegt unter Ruhebedingungen im Mittel bei 14/min, wobei allerdings größere Variationen (10–18/min) zu beobachten sind. Höhere Atmungsfrequenzen findet man bei Kindern (20–30/min), Kleinkindern (30–40/min) und Neugeborenen (40–50/min). Für die Ruheatmung des Erwachsenen ergibt sich danach ein Atemzeitvolumen von 7 l/min. Bei körperlicher Arbeit steigt das Atemzeitvolumen mit dem erhöhten O2-Bedarf an, um bei extremer Belastung Werte von 120 l/min zu erreichen.
243 7.3 · Atmungsmechanik
7
Alveoläre Ventilation Merke
Entscheidend für den Ventilationseffekt ist derjenige Anteil des Atemzeitvolumens, der in die Alveolen gelangt und dort am Gasaustausch teilnehmen kann. Von dem bei Ruheatmung ventilierten Atemzeitvolumen von 7 l/min entfallen 5 l/min auf die alveoläre Ventilation und 2 l/min auf die Totraumventilation.
Die alveoläre Ventilation entscheidet vorrangig darüber, welche Atemgasfraktionen im Alveolarraum aufrechterhalten werden können. Dagegen sagt das Atemzeitvolumen sehr wenig über die Effektivität der Ventilation aus. Nehmen wir beispielsweise an, dass ein normales Atemzeitvolumen von 7 l/min durch eine flache und rasche Atmung (z. B. Atemzugvolumen = 0,2 l, Atmungsfrequenz = 35/min) zustande käme, so würde fast ausschließlich der vorgeschaltete Totraum belüftet, während der nachgeschaltete Alveolarraum von der Frischluft kaum erreicht würde. Eine solche Atmungsform, wie sie manchmal bei Kreislaufschock beobachtet wird, stellt also einen akuten Gefahrenzustand dar. Künstliche Beatmung. Bei einem plötzlichen Atmungsstillstand kommt es bereits nach wenigen Minuten zu einem lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel im Gehirn. Um die Zeit bis zum möglichen Wiedereinsetzen der Spontanatmung zu überbrücken, kann der pulmonale Gasaustausch durch künstliche Beatmung aufrechterhalten werden. Als Notfallmaßnahme wird die Atemspende, entweder als Mund-zu-Mund-Beatmung oder als Mund-zu-Nase-Beatmung, durchgeführt. Sofern schnell verfügbar, werden zur Wiederbelebung der Atmung auch einfache Hilfsgeräte eingesetzt, die aus einer Atemmaske, einem Ventil und einem manuell ausdrückbaren Atembeutel bestehen. Für die längerdauernde Beatmung (bei Operationen, Intensivmedizin) finden maschinelle Beatmungsgeräte (Respiratoren) Verwendung, die über einen in die Trachea luftdicht eingelegten Tubus angeschlossen werden.
7.3
Atmungsmechanik
Der Begriff »Atmungsmechanik« wird gewöhnlich in einem sehr speziellen Sinne verwendet. Man versteht darunter die Analyse und die Darstellung der Druck-Volumen-Beziehungen und der Druck-Stromstärke-Beziehungen, die sich bei den Atmungsexkursionen ergeben. Diese Beziehungen hängen in hohem Maße von den Atmungswiderständen und ihren Veränderungen
244
Kapitel 7 · Atmung
unter pathologischen Bedingungen ab. Daher sind atmungsmechanische Aspekte auch für die Lungenfunktionsdiagnostik von Bedeutung.
7.3.1
IV
Elastische Atmungswiderstände
Elastische Retraktion der Lunge Merke
Die Lungenoberfläche steht infolge der Dehnung ihrer elastischen Parenchymelemente und der Oberflächenspannung der Alveolen ( Kap. 7.1.3) unter einer gewissen Zugspannung. Die gedehnte Lunge hat also das Bestreben, ihr Volumen zu verkleinern. Dies hat zur Folge, dass im flüssigkeitsgefüllten Spalt zwischen den beiden Pleurablättern ein subatmosphärischer Druck herrscht.
Verbindet man eine Kanüle, deren Spitze sich im Interpleuralspalt befindet, mit einem Manometer, so lässt sich dieser Druck messen (⊡ Abb. 7.7). Bei Ruheatmung liegt er am Ende der Exspiration etwa 5 cm H2O (0,5 kPa) und am Ende der Inspiration etwa 8 cm H2O (0,8 kPa) unter dem Atmosphärendruck. Die Druckdifferenz zwischen dem Interpleuralspalt (Pleuraspalt) und dem Außenraum wird verkürzt als intrapleuraler Druck (intrathorakaler Druck) bezeichnet. Nur die Tatsache, dass eigentlich eine Druckdifferenz gemeint ist, macht es verständlich, dass man den intrapleuralen Druck als »negativ« kennzeichnet.
Pneumothorax Der enge Kontakt zwischen Lungenoberfläche und innerer Thoraxwand ist nur gewährleistet, solange der Interpleuralspalt geschlossen bleibt. Wenn jedoch infolge einer Verletzung der Brustwand oder der Lungenoberfläche Luft in den Spalt eindringen kann, kollabiert die Lunge, d. h. sie zieht sich, ihrer inneren Zugspannung folgend, zum Hilus hin zusammen. Eine solche Luftfüllung des Raumes zwischen den Pleurablättern bezeichnet man als Pneumothorax . Die kollabierte Lunge, die den Kontakt zur Thoraxwand verloren hat, kann den Atmungsbewegungen nur noch unvollständig oder gar nicht mehr folgen, sodass ein effektiver Gasaustausch unmöglich wird. Ist der Pneumothorax auf eine Seite beschränkt, dann bleibt eine ausreichende
245 7.3 · Atmungsmechanik
⊡ Abb. 7.7. Intrapleuraler Druck. Der elastische Zug der Lunge (Zugrichtung: rote Pfeile) erzeugt im Interpleuralspalt einen (im Vergleich zum Außenraum) »negativen« Druck (PPleu), der durch ein angeschlossenes Manometer nachgewiesen werden kann
Arterialisierung des Blutes durch die Funktion des anderen Lungenflügels gesichert, sofern keine größeren körperlichen Belastungen gefordert werden.
Ruhedehnungskurven Die Kontraktionskraft der Atmungsmuskulatur hat bei der Ventilation elastische und visköse Widerstände zu überwinden. Bei sehr langsamer Atmung ist der Einfluss der viskösen Widerstände ( Kap. 7.3.2) gering, sodass in diesem Fall die Beziehung zwischen dem Lungenvolumen und dem jeweils wirksamen Druck fast ausschließlich durch die elastischen Eigenschaften von Lunge und Thorax bestimmt wird. Merke
Misst man die »statischen« Druck-Volumen-Beziehungen bei vollkommen entspannter Atmungsmuskulatur für verschiedene Füllungszustände, so erhält man Kurven, die das passiv-elastische Verhalten der Lunge bzw. des Thorax charakterisieren und die als Ruhedehnungskurven oder auch als Relaxationskurven bezeichnet werden (⊡ Abb. 7.8).
7
246
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.8. Ruhedehnungskurven des gesamten Atmungsapparates (rot), der Lunge (blau) und des Thorax (grün). PPleu = intrapleuraler (intrathorakaler) Druck; PPul = intrapulmonaler (intraalveolärer) Druck; VC = Vitalkapazität; RV = Residualvolumen; FRC = funktionelle Residualkapazität. Die Kurven geben die Abhängigkeit des Lungenvolumens von dem jeweils maßgebenden Druck (PPul, PPleu bzw. PPul – PPleu) bei entspannter Atmungsmuskulatur wieder. In den Einsatzbildern sind die am Thorax und an der Lungenoberfläche angreifenden elastischen Kräfte für verschiedene Lungenvolumina veranschaulicht
Für die passive Dehnung von Lunge und Thorax ist jeweils die Druckdifferenz zwischen dem Alveolar- und dem Außenraum maßgebend. Diese Druckdifferenz bezeichnet man verkürzt als intrapulmonalen Druck (PPul). Die Abhängigkeit der Lungenvolumina von den jeweiligen intrapulmonalen Drücken charakterisiert daher die Ruhedehnungskurve des gesamten ventilatorischen Systems (rote Kurve in ⊡ Abb. 7.8). Die elastische Dehnung des Thorax wird durch die Druckdifferenz zwischen dem Interpleuralspalt und dem Außenraum bestimmt, die man – wie bereits erwähnt – als intrapleuralen Druck (PPleu) bezeichnet. Die Beziehung zwischen den Lungenvolumina und den intrapleuralen Drücken liefert daher die Ruhedehnungskurve für den Thorax allein. Der elastische Dehnungszustand der Lunge schließlich ergibt sich aus der Differenz zwischen dem intrapulmonalen und dem intra-
7
247 7.3 · Atmungsmechanik
pleuralen Druck (PPul – PPleu). Die Abhängigkeit der Lungenvolumina von PPul – PPleu bestimmt also die Ruhedehnungskurve für die Lunge allein. Aus ⊡ Abb. 7.8 geht hervor, dass ▬ am Ende der normalen Ausatmung (funktionelle Residualkapazität, FRC) das ventilatorische System eine elastische Ruhelage einnimmt (PPul = 0), ▬ bei inspiratorischer Volumenzunahme der nach innen gerichtete elastische Zug der Lunge zunimmt, während gleichzeitig die nach außen gerichtete Zugwirkung des Thorax reduziert wird.
Compliance Merke
Ein Maß für die passiv-elastischen Eigenschaften des Atmungsapparats bzw. seiner beiden Teile stellt die Steilheit der jeweiligen Ruhedehnungskurve dar, die als Volumendehnbarkeit oder als Compliance C bezeichnet wird: ∆V C=5. ∆P
(7.4)
Im Bereich der normalen Atmungsexkursionen ergeben sich nach ⊡ Abb. 7.8 folgende Compliancewerte: Thorax u. Lunge: CTh + L = 0,1 l/cm H2O = 1 l/kPa = 0,2 l/cm H2O = 2 l/kPa Thorax: CTh = 0,2 l/cm H2O = 2 l/kPa Lunge: CL Eine Abnahme der Compliancewerte unter pathologischen Bedingungen deutet darauf hin, dass ein größerer Dehnungswiderstand bei der Einatmung zu überwinden ist. Messung der Compliance. Die Messung der Compliancewerte bereitet wegen der notwendigen Ausschaltung der Atmungsmuskulatur Schwierigkeiten. Daher begnügt man sich oft mit der CL-Bestimmung, die nach einem einfachen Verfahren durchgeführt werden kann: Wenn nach der Einatmung eines bestimmten Volumens die Thoraxstellung durch die Atmungsmuskulatur fixiert wird und die Glottis geöffnet ist, entspricht der Druck in den Alveolen dem atmosphärischen Druck. In diesem Fall ist PPul = 0 und die Definitionsgleichung ∆V ∆V CL = 001 vereinfacht sich zu: CL = – 0 . ∆(PPul – PPleu) ∆PPleu
(7.5)
248
Kapitel 7 · Atmung
Unter diesen Umständen entspricht also das Verhältnis der Volumenänderung zur intrapleuralen Druckänderung der Lungencompliance. Vereinfachend kann anstelle des intrapleuralen Drucks der Ösophagusdruck über einen Katheter gemessen werden, da die Druckverhältnisse im Ösophagus etwa denen im Interpleuralspalt entsprechen.
7.3.2
Visköse Atmungswiderstände
IV Die nichtelastischen (viskösen) Widerstände, die sowohl bei der Inspiration als auch bei der Exspiration zu überwinden sind, setzen sich aus folgenden Anteilen zusammen: 1. den Strömungswiderständen in den zuleitenden Atemwegen, 2. den nichtelastischen Gewebewiderständen, 3. den Trägheitswiderständen, die so klein sind, dass sie vernachlässigt werden dürfen.
Strömungswiderstände Die Differenz zwischen dem Munddruck und dem intraalveolären Druck stellt die »treibende Kraft« für den Atemgasstrom dar. Die Strömung in den Atemwegen ist vorwiegend laminar. Vor allem an Verzweigungsstellen der Bronchien und an pathologisch verengten Stellen treten jedoch Wirbelbildungen (Turbulenzen) auf. Für die laminare Luftströmung gilt, ebenso wie für die laminare Flüssigkeitsströmung, das Hagen-Poiseuille-Gesetz ( Kap. 6.1.2). Danach ist die Volumenstromstärke V˙ der treibenden Druckdifferenz ∆P proportional: ∆P PPul V˙ = 5 = 51 . R R
(7.6)
Der Strömungswiderstand R, der in diesem Fall als Atemwegswiderstand oder Resistance bezeichnet wird, ist vom Querschnitt und von der Länge der Atemwege, von deren spezieller Anordnung sowie von der Luftviskosität abhängig. Obwohl für die turbulenten Anteile der Gesamtströmung andere Gesetzmäßigkeiten herrschen, benutzt man Gl. (7.6) zur Bestimmung des Atemwegswiderstands.
7
249 7.3 · Atmungsmechanik
Merke
Die Resistance ergibt sich also aus ∆P PPul R=6=7 , V˙ V˙
(7.7)
dem Verhältnis des intrapulmonalen Drucks (PPul) zur Atemstromstärke (V˙ ). Bei ruhiger Mundatmung findet man Resistancewerte, die bei R = 1–2 cm H2O · l–1 · s (0,1–0,2 kPa · l–1 · s) liegen.
Messung der Resistance. Da viele Atemwegserkrankungen mit einer Erhöhung der Resistance einhergehen, ist deren quantitative Erfassung von diagnostischem Interesse. Hierzu ist es nach Gl. (7.7) erforderlich, PPul und V˙ gleichzeitig zu messen. Die Atemstromstärke wird mit dem Pneumotachographen fortlaufend registriert, einem Widerstandsrohr, in dem der jeweilige innere Druckabfall als Maß für die Stromstärke dient. Der intrapulmonale Druck kann nur auf indirektem Wege mit Hilfe des Ganzkörperplethysmographen erfasst werden. Dabei handelt es sich um eine luftdicht abgeschlossene Kammer, die für den sitzenden Probanden bequem Platz bietet. Mit den Atmungsexkursionen des Probanden ändert sich der Druck in der Lunge und proportional dazu in umgekehrter Richtung der Druck in der Kammer. Die fortlaufende Messung des Kammerdrucks ermöglicht also nach Kalibrierung die Registrierung des intrapulmonalen Druckverlaufs. Der Körperplethysmograph kann auch zur Bestimmung des intrathorakalen Gasvolumens ( Kap. 7.2.1) verwendet werden. Gewebewiderstände. Neben dem Atemwegswiderstand ist bei der Inspiration und der Exspiration noch ein zweiter visköser Widerstand zu überwinden, der durch die Gewebereibung und die nichtelastischen Deformationen der Gewebe im Brust- und Bauchraum entsteht: Visköser Atmungswiderstand = Atemwegswiderstand + Gewebewiderstand Der letztgenannte Widerstand ist jedoch verhältnismäßig klein. 90 % des viskösen Widerstands werden normalerweise durch die Strömung in den Atemwegen und nur 10 % durch die Gewebereibung hervorgerufen.
7.3.3
Atmungszyklus
Druckverläufe Während eines Atmungszyklus verändern sich die intrapleuralen und intrapulmonalen Drücke in gesetzmäßiger Weise. Es ist zweckmäßig, zunächst die Druckverläufe bei sehr langsamer Atmung zu betrachten, bei der die viskösen
250
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.9. Zeitliche Änderung des intrapleuralen Drucks PPleu , des intrapulmonalen Drucks PPul und der Atemstromstärke V˙ im Atmungszyklus. Die als »statisch« gekennzeichneten Druckverläufe gelten, wenn nur elastische Widerstände zu überwinden sind. Infolge der bei regulärer (»dynamischer«) Atmung zusätzlich vorhandenen viskösen Widerstände kommt es inspiratorisch zu einer Negativierung und exspiratorisch zu einer Positivierung von PPleu und PPul (Pfeile)
Atmungswiderstände vernachlässigt werden dürfen. Auf den Pleuraspalt wirkt sich dann nur der elastische Zug der Lunge aus und erzeugt hier einen »negativen« Druck. Während der Inspiration kommt es zu einer zunehmenden, während der Exspiration zu einer abnehmenden Negativierung des intrapleuralen Drucks PPleu (⊡ Abb. 7.9, dunkelgrüne Kurve »statisch«). Der
251 7.3 · Atmungsmechanik
7
Druck in den Alveolen entspricht jedoch während des gesamten Atmungszyklus näherungsweise dem Außendruck, d. h. der intrapulmonale Druck PPul bleibt gleich 0 (hellrote Kurve »statisch«). Bei regulärer Atmung dagegen führt die inspiratorische Thoraxerweiterung zu einer Negativierung und die exspiratorische Thoraxverkleinerung zu einer Positivierung des intrapulmonalen Drucks (⊡ Abb. 7.9, dunkelrote Kurve »dynamisch«), wobei der Strömungswiderstand eine schnelle Angleichung an den Außendruck verhindert. Die intrapulmonalen Drücke wirken auch auf den Pleuraspalt und beeinflussen additiv den intrapleuralen Druckverlauf (hellgrüne Kurve »dynamisch«). Die durch den Atemwegswiderstand erzeugten Effekte sind in ⊡ Abb. 7.9 durch Pfeile in gelben Feldern gekennzeichnet. Merke
Die intrapleuralen Druckänderungen im Atmungszyklus sind also von den Thoraxexkursionen, der elastischen Zugspannung der Lunge und dem Strömungswiderstand in den Atemwegen abhängig.
Atmungsarbeit Bei der Inspiration hat die Atmungsmuskulatur Arbeit zu leisten, die 1. für die elastische Dehnung der Lunge und 2. für die Überwindung der viskösen Widerstände, vor allem des Strömungswiderstands, erforderlich ist. Diese physikalische Arbeit ergibt sich aus dem Produkt aus intrapleuraler Druckänderung und Atemzugvolumen (Druck-Volumen-Arbeit = ∆Ppleu · VI). Die Exspiration läuft bei der Ruheatmung weitgehend passiv ab, weil die zuvor elastisch gespeicherte Energie größer ist als die nachfolgende Arbeit gegen die viskösen Exspirationswiderstände. Bei vertiefter und beschleunigter Atmung ist allerdings noch zusätzlich die Mitwirkung der Exspirationsmuskulatur erforderlich. In Ruhe werden 1–2 % des aufgenommenen Sauerstoffs für die Kontraktionsarbeit der Atmungsmuskeln benötigt. Bei körperlicher Arbeit steigt jedoch der Energiebedarf für die Atmung überproportional, im Extremfall bis auf 20 % des gesamten Sauerstoffverbrauchs, an.
252
Kapitel 7 · Atmung
7.3.4
Ventilationsstörungen und Funktionsprüfungen
Ventilationsstörungen ( ⊡ Tabelle 7.1) Merke
IV
Unter pathologischen Bedingungen kann die alveoläre Ventilation reduziert sein (Ventilationsstörung ). Man unterscheidet eine restriktive Ventilationsstörung, bei der eine Einschränkung der Ausdehnungsfähigkeit von Lunge oder Thorax vorliegt (Abnahme der Compliance) von einer obstruktiven Ventilationsstörung, die durch eine Zunahme des Strömungswiderstands in den Atemwegen gekennzeichnet ist (Zunahme der Resistance).
Einfache Funktionsprüfungen Die beiden Formen der Ventilationsstörungen lassen sich nicht nur über die aufwendigen Compliance- und Resistancebestimmungen, sondern auch mit Hilfe einfacherer Funktionsprüfungen differenzieren: Als Zeichen für das Vorliegen einer restriktiven Funktionsstörung kann die Abnahme der Vitalkapazität ( Kap. 7.2.1) bei gleichzeitig verminderter Totalkapazität gewertet werden. Eine obstruktive Störung lässt sich auf einfache Weise durch die Sekundenkapazität (1-Sekunden-Ausatmungskapazität, forciertes exspiratorisches Volumen FEV1, Tiffeneau-Test) erfassen. Darunter versteht man dasjenige Volumen, das nach stärkster Einatmung innerhalb 1 s so schnell wie möglich ausgeatmet werden kann (⊡ Abb. 7.10). Dieses mittels eines ⊡ Tabelle 7.1. Mögliche Ursachen und Kennzeichen von Ventilationsstörungen Ventilationsstörung
führt z. B. infolge
zu einer
Restriktive
Fibrosierung des Lungenparenchyms
Abnahme der Compliance, Abnahme der Vitalkapazität bei reduz. Totalkapazität
Obstruktive
verstärkter Bronchokonstriktion, Schleimansammlung in den Bronchien
Zunahme der Resistance, Abnahme der relativen Sekundenkapazität und der max. Atemstromstärke, Zunahme des intrathorakalen Gasvolumens
253 7.3 · Atmungsmechanik
7
⊡ Abb. 7.10. Bestimmung der relativen Sekundenkapazität. Nach tiefer Inspiration und kurzzeitigem Atemanhalten atmet der Proband so schnell und so tief wie möglich aus. Das in 1 s exspirierte Volumen wird als prozentualer Anteil der Vitalkapazität VK angegeben. Messung bei einem Lungengesunden (oben) und bei einem Patienten mit obstruktiver Ventilationsstörung (unten)
Spirometers mit Registriereinrichtung bestimmbare Volumen wird meist als prozentualer Anteil der Vitalkapazität angegeben und dann als relative Sekundenkapazität bezeichnet. Wird der Normwert von 75–80 % deutlich unterschritten, so spricht dieser Befund für eine obstruktive Störung. Mit Hilfe relativ einfacher Flussmesser lässt sich die maximale Atemstromstärke (Peak Expiratory Flow, PEF) bei forcierter Exspiration leicht bestimmen. Der Messwert soll beim Lungengesunden etwa 10 l/s betragen und ist beim Vorliegen einer Atemwegsobstruktion vermindert. Als globales Maß für die Beurteilung der Ventilation dient der Atemgrenzwert, d. h. das Atemzeitvolumen bei maximal möglicher, willkürlicher Hyperventilation. Für Jugendliche liegt dieser Wert normalerweise im Bereich zwischen 120 und 170 l/min. Eine Abnahme des Atemgrenzwerts findet man sowohl bei restriktiven als auch bei obstruktiven Ventilationsstörungen.
254
Kapitel 7 · Atmung
7.4
Austausch der Atemgase
7.4.1
Zusammensetzung des alveolären Gasgemisches
Alveoläre Atemgasfraktionen
IV
Die für den Gasaustausch wichtigen O2- und CO2-Fraktionen im alveolären Gasgemisch, das früher als »Alveolarluft« bezeichnet wurde, lassen sich berechnen, wenn man von der folgenden Beziehung ausgeht: ausgetauschte = Gasmenge
inspiratorisch zugeführte Gasmenge
–
exspiratorisch abgeführte Gasmenge
Wendet man diese Massenbilanz auf Sauerstoff und Kohlendioxid an, dann ergeben sich daraus die folgenden Gleichungen: V˙CO V˙O FAO2 = FIO2 – 512 ; FACO2 = 612 . ˙VA V˙A
(7.8)
(FA = alveoläre Gasfraktionen, FI = inspiratorische Gasfraktion, V˙O2 = O2-Aufnahme; V˙CO2 = CO2-Abgabe, V˙A = alveoläre Ventilation). Es zeigt sich also, dass die alveolären Atemgasfraktionen von der alveolären Ventilation und den Austauschraten für O2 bzw. CO2 abhängen. Beim Einsetzen von Zahlenwerten in Gl. (7.8) ist zu berücksichtigen, dass V˙O2 und V˙CO2 gewöhnlich für Standardbedingungen, V˙A dagegen für Körperbedingungen angegeben werden, sodass noch eine Umrechnung auf die gleichen Zustandsgrößen erforderlich ist. Für den Erwachsenen in körperlicher Ruhe gelten die folgenden Mittelwerte: O2-Aufnahme V˙O2 = 0,28 l/min, CO2-Abgabe V˙CO2 = 0,23 l/min und alveoläre Ventilation (umgerechnet auf Standardbedingungen) V˙A = 4,1 l/min. Merke
Damit ergibt sich die folgende Zusammensetzung des alveolären Gasgemisches: O2-Fraktion FAO2 = 0,14 = 14 Vol % CO2-Fraktion FACO2 = 0,056 = 5,6 Vol %. ▼
7
255 7.4 · Austausch der Atemgase
Der Rest besteht aus N2 (75 %), Wasserdampf und einem kleinen Anteil an Edelgasen. Diese für die Ruheatmung geltende Zusammensetzung ändert sich bei der körperlichen Arbeit nur wenig, da hierbei die Gasaustauschraten und die alveoläre Ventilation etwa in gleichem Maße ansteigen.
Partialdrücke der Atemgase Nach dem Dalton-Gesetz übt jedes Gas in einem Gemisch einen Partialdruck (Teildruck) PGas aus, der seinem Anteil am Gesamtvolumen, d. h. seiner Fraktion FGas entspricht. Bei der Anwendung dieses Gesetzes auf die Atemgase ist zu berücksichtigen, dass sowohl die atmosphärische Luft als auch das alveoläre Gasgemisch neben O2, CO2, N2 und Edelgasen auch noch Wasserdampf enthalten, der einen bestimmten Partialdruck PH2O ausübt. Da die Gasfraktionen über das »trockene« Gasgemisch angegeben werden, ist bei der Formulierung des Dalton-Gesetzes der Gesamtdruck (Barometerdruck PB) um den Wasserdampfdruck PH2O zu reduzieren: PGas = FGas · (PB – PH2O) .
(7.9)
Für die atmosphärische Luft liegt bei mittleren Barometer- und Wasserdampfdrücken der O2-Partialdruck im Bereich von PIO2 = 150 mm Hg; der CO2-Partialdruck ist mit PICO2 = 0,2 mm Hg praktisch zu vernachlässigen. Die zugehörigen Werte in kPa sind in ⊡ Tabelle 7.2 angegeben. Ebenso lassen sich die alveolären O2- und CO2-Partialdrücke aus (7.9) berechnen, wenn man die
⊡ Tabelle 7.2. Inspiratorische, alveoläre und exspiratorische Fraktionen bzw. Partialdrücke der Atemgase bei Ruheatmung in Meereshöhe Fraktionen
Partialdrücke
O2
CO2
O2
CO2
Inspirationsluft
0,209 (20,9 Vol %)
0,0003 (0,03 Vol %)
150 mm Hg (20 kPa)
0,2 mm Hg (0,03 kPa)
alveoläres Gasgemisch
0,14 (14 Vol %)
0,056 (5,6 Vol %)
100 mm Hg (13,3 kPa)
40 mm Hg (5,3 kPa)
Exspirationsgemisch
0,16 (16 Vol %)
0,04 (4 Vol %)
114 mm Hg (15,2 kPa)
29 mm Hg (3,9 kPa)
256
Kapitel 7 · Atmung
oben angegebenen Fraktionsdaten einsetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Alveolen ein Wasserdampfdruck von 47 mm Hg (6,3 kPa), entsprechend einer 100 %igen Wasserdampfsättigung bei 37 °C, herrscht. Merke
IV
Danach entsprechen den oben angegebenen Atemgasfraktionen die folgenden Partialdrücke im alveolären Gasgemisch: O2-Partialdruck PAO2 = 100 mm Hg = 13,3 kPa = 40 mm Hg = 5,3 kPa CO2-Fraktion PACO2 Diese Werte gelten nur bei einem Aufenthalt in Meereshöhe. In der Höhe nehmen die inspiratorischen und damit auch die alveolären Partialdrücke nach Maßgabe des Barometerdrucks ab (Gl. 7.9).
Standardbedingungen und Körperbedingungen. Die Atemvolumina sind von dem jeweils herrschenden Barometerdruck PB, der Temperatur T und dem Wasserdampfdruck PH2O abhängig. Die Vergleichbarkeit von Messergebnissen erfordert daher die Festlegung auf bestimmte Werte dieser Einflussfaktoren; dabei unterscheidet man insbesondere die folgenden Bedingungen: Als STPD-Bedingungen (engl. Abkürzung für Standard Temperature, Pressure, Dry) kennzeichnet man die physikalischen Standardbedingungen (T = 273 K, PB = 760 mm Hg und PH2O = 0 mm Hg). Unter BTPS-Bedingungen (engl. Abkürzung für Body Temperature, Pressure, Saturated) versteht man die in der Lunge herrschenden Bedingungen (T = 310 K, PB = variierender Barometerdruck, PH2O = 47 mm Hg). Die Umrechnung der Volumina bei Änderungen der Einflussfaktoren erfolgt mit Hilfe der allgemeinen Gasgleichung V · P = n · R · T, worin n die Gasmenge und R die allgemeine Gaskonstante bedeuten: Aus VSTPD · 760 = n · R · 273 VBTPS · (PB – 47) = n · R · 310 VSTPD PB – 47 folgt dann: 9 = 93 . VBTPS 863
(7.10)
Bei einem mittleren Barometerdruck in Meereshöhe (PB = 760 mm Hg) beträgt also der Faktor für die Umrechnung eines Volumens von Körperbedingungen auf Standardbedingungen etwa 0,83. Analyse des alveolären Gasgemisches. Bei der Ausatmung wird zunächst die Totraumluft abgegeben; erst der letzte Teil des Exspirationsvolumens stammt aus dem Alveolarraum. Diesen letzten Exspirationsanteil benutzt man für die Messung der alveolären Atemgaskonzentrationen mit einem geeigneten Analysegerät. Mit schnell anzeigenden Messgeräten können außerdem die Atemgasfraktionen in der Exspirationsluft fortlaufend verfolgt werden. Messgeräte für CO2 (Kapnometer) nutzen die spezielle Infrarotabsorption dieses Gases, Messgeräte für O2 dessen besondere paramagnetischen Eigenschaften aus. Die fortlaufende Atemgasanalyse kann auch mit Hilfe eines Massenspektrometers erfolgen.
257 7.4 · Austausch der Atemgase
7
Kennzeichnung veränderter Ventilationszustände Die alveolären Fraktionen bzw. Partialdrücke für O2 und CO2 sind bei konstanter O2-Aufnahme V˙O2 und CO2-Abgabe V˙CO2 vor allem von der Größe der alveolären Ventilation abhängig (Gl. 7.8). Eine willkürliche Steigerung der Ventilation führt zu einem PAO -Anstieg und einem PACO -Abfall; eine Ventilationsabnahme hat den umgekehrten Effekt (⊡ Abb. 7.11). Solche Veränderungen der Partialdrücke können auch pathologisch bedingt sein. Eine verstärkte Atmung tritt aber auch bei Arbeit als Anpassung an die Stoffwechselbedürfnisse des Organismus auf, wobei jedoch wegen der gleichzeitigen Zunahme der Austauschraten für O2 und CO2 die alveolären Partialdrücke in der Regel kaum verändert sind. Um die verschiedenen Ventilationszustände unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen genauer zu kennzeichnen, hat man die folgenden Fachausdrücke eingeführt: ▬ Normoventilation: Normale Ventilation, bei der in den Alveolen ein mittlerer CO2-Partialdruck von 37–43 mm Hg (4,9–5,7 kPa) aufrechterhalten wird, 2
2
PAO2, PACO2 [mm Hg]
⊡ Abb. 7.11. Abhängigkeit der alveolären Atemgaspartialdrücke (PAO2 und PACO2) von der alveolären Ventilation (V˙A) in körperliche Ruhe. (O2-Aufnahme: 280 ml/min; CO2-Abgabe: 230 ml/min) auf Meereshöhe (PIO ≈ 150 mm Hg) 2
258
Kapitel 7 · Atmung
▬ Hyperventilation: Steigerung der alveolären Ventilation, die über die jeweiligen Stoffwechselbedürfnisse hinausgeht (PACO < 37 mm Hg), ▬ Hypoventilation: Minderung der alveolären Ventilation unter den Wert, der den Stoffwechselbedürfnissen entspricht (PACO > 43 mm Hg), ▬ Mehrventilation: Atmungssteigerung über den Ruhewert hinaus (etwa bei körperlicher Arbeit), unabhängig von der Höhe der alveolären Partialdrücke, ▬ Tachypnoe: Zunahme der Atmungsfrequenz, ▬ Bradypnoe: Abnahme der Atmungsfrequenz, ▬ Apnoe: Atmungsstillstand, hauptsächlich bedingt durch das Fehlen des physiologischen Atmungsantriebs, ▬ Dyspnoe: erschwerte Atmung, verbunden mit dem subjektiven Gefühl der Atemnot, ▬ Orthopnoe: starke Dyspnoe bei Stauung des Blutes in den Lungenkapillaren (z. B. infolge einer Linksherzinsuffizienz), die im Liegen auftritt und daher den Patienten zum Aufsetzen zwingt, ▬ Asphyxie: Atmungsstillstand oder Minderatmung (z. B. bei zentraler Atmungslähmung) mit arterieller Hypoxie und Hyperkapnie. 2
2
IV
7.4.2
Diffusion der Atemgase
Diffusionsbedingungen in der Lunge Merke
In den Lungenalveolen wird ein hoher O2-Partialdruck (100 mm Hg) aufrechterhalten, während das venöse Blut mit einem niedrigeren O2-Partialdruck (40 mm Hg) in die Lungenkapillaren eintritt. Für CO2 besteht eine Partialdruckdifferenz in entgegengesetzter Richtung (46 mm Hg am Anfang der Lungenkapillaren, 40 mm Hg in den Alveolen). Diese Partialdruckdifferenzen stellen die »treibenden Kräfte« für die O2- und die CO2-Diffusion und damit für den pulmonalen Gasaustausch dar.
Nach dem Fick-Diffusionsgesetz ( Kap. 1.2.1) erfordert ein effektiver Diffusionsaustausch eine große Austauschfläche und einen kleinen Diffusionsweg. In der Transportrichtung des Sauerstoffs sind nacheinander folgende Medien
259 7.4 · Austausch der Atemgase
7
⊡ Abb. 7.12. O2- und CO2-Transportwege beim pulmonalen Gasaustausch
durch Diffusion zu überwinden: das Alveolarepithel, das Interstitium zwischen den Basalmembranen, das Kapillarendothel, das Blutplasma, die Erythrozytenmembran und der Erythrozyteninnenraum (⊡ Abb. 7.12). Insgesamt hat der Diffusionsweg nur ein Länge von größenordnungsmäßig 1 µm. Die Austauschfläche beträgt etwa 90 m2. Die CO2-Moleküle haben den entgegengesetzten Diffusionsweg vom Erythrozyten in den Alveolarraum zurückzulegen. Dies ist allerdings erst möglich, nachdem sie aus ihren jeweiligen chemischen Bindungen freigesetzt worden sind ( Kap. 7.7.3). Der Diffusionswiderstand hat im Lungengewebe für CO2 einen etwa 23-mal kleineren Wert als für O2, d. h. unter sonst gleichen Bedingungen diffundiert 23-mal mehr CO2 als O2 durch eine vorgegebene Schicht. Dies ist der Grund dafür, dass beim Gasaustausch in der Lunge trotz kleiner CO2-Partialdruckdifferenzen stets eine ausreichende CO2-Diffusion sichergestellt ist.
Partialdruckangleich in den Lungenkapillaren Während seiner Passage durch die Lungenkapillare steht der einzelne Erythrozyt nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit von 0,3–0,7 s mit dem Alveolarraum in Diffusionskontakt. Diese Kontaktzeit reicht jedoch aus, um die
2
IV
Kapitel 7 · Atmung
kapillärer 02-Druck PCO [mm Hg]
260
⊡ Abb. 7.13. Zunahme des O2-Partialdrucks im Kapillarblut PCO2 während der Passage durch die Lunge. PAO2 = alveolärer O2-Partialdruck; PV¯O2 = venöser O2-Partialdruck, P¯¯CO2 = kapillärer O2-Partialdruck, gemittelt über die Zeit des Diffusionskontaktes; tK = Kontaktzeit
Gaspartialdrücke im Blut denen des Alveolarraums praktisch vollständig anzugleichen. ⊡ Abbildung 7.13 zeigt, wie sich der O2-Partialdruck im Kapillarblut dem alveolären O2-Partialdruck zunächst schnell, dann immer langsamer nähert. Dieser Modus des O2-Partialdruckanstiegs ist eine Folge des Fick-Diffusionsgesetzes: Die anfangs große alveolokapilläre O2-Partialdruckdifferenz wird im Laufe der Passagezeit immer kleiner, sodass die Diffusionsrate ständig abnehmen muss. Das Blut, das mit einem O2-Partialdruck von 40 mm Hg in die Kapillare eintritt, verlässt diese mit einem O2-Partialdruck von 100 mm Hg. Ebenso erfolgt innerhalb der Kontaktzeit ein Angleich des CO2-Partialdrucks an den alveolären Wert. Der CO2-Partialdruck, der am Kapillaranfang 46 mm Hg beträgt, fällt mit der Abdiffusion des CO2 auf 40 mm Hg ab.
7
261 7.4 · Austausch der Atemgase
⊡ Tabelle 7.3. Zusammenstellung wichtiger Funktionsdaten für den gesunden jungen Mann (Körperoberfläche 1,7 m2) in körperlicher Ruhe (Mittelwerte) Lungen- und Atemvolumina Atemzugvolumen Totraumvolumen Residualvolumen Funkt. Residualkapazität Vitalkapazität Totalkapazität
Atmungsmechanik 0,5 l 0,15 l 1,6 l 3,0 l 5,1 l 6,7 l
Ventilation Atmungsfrequenz Atemzeitvolumen Totraumventilation Alveoläre Ventilation Alv. Ventilation/Perfusion Rel. Sekundenkapazität Atemgrenzwert
intrapleurale Drücke am Exspirationsende am Inspirationsende Compliance der Lunge Compliance des Thorax Compliance von Lunge u. Thorax Resistance
–5 cm H2O (–0,5 kPa) –8 cm H2O (–0,8 kPa) 0,2 l/cm H2O (2 l/kPa) 0,2 l/cm H2O (2 l/kPa) 0,1 l/cm H2O (1 l/kPa) 1–2 cm H2O · s · l–1 (0,1–0,2 kPa · s · l–1)
Gasaustausch 14 min–1 7 l/min 2 l/min 5 l/min 0,9 > 75 % 150 l/min
O2-Aufnahme V˙O2 CO2-Abgabe V˙CO2 Respiratorischer Quotient V˙CO /V˙O 2
2
O2-Diffusionskapazität
280 ml/min 230 ml/min 0,82 30 ml · min–1 · mm Hg–1 (225 ml · min–1 · kPa–1)
Dies bedeutet: Merke
In der Lunge des Gesunden gleichen sich die Partialdrücke im Blut den alveolären Werten praktisch vollständig an.
Diffusionskapazität der Lunge. Ein Maß für die »Diffusionsfähigkeit« der gesamten Lunge stellt die sog. O2-Diffusionskapazität DL dar. Sie ist definiert als die O2-Aufname V˙ O2, dividiert durch die mittlere O2-Partialdruckdifferenz zwischen Alveolen und Lungenkapillarblut ¯∆¯¯¯¯¯ PO2 = PAO2 – P¯¯ CO2 : ¯¯¯¯¯¯ DL = V˙O2/∆ PO 2
(7.11)
Da der O2-Partialdruck vom venösen zum arteriellen Kapillarende ansteigt, muss sich die Mittelbildung über die gesamte Kapillarlänge erstrecken (⊡ Abb. 7.13). Für den Erwachsenen in körperlicher Ruhe mit einer O2-Aufname V˙O2 von etwa 300 ml/min und einer mittleren O2-Partialdruckdifferenz ¯∆¯¯¯¯¯ PO2 von ca. 10 mm Hg beträgt die O2-Diffusionskapazität DL = 30 ml · min–1 · mm Hg–1. Eine Abnahme von DL deutet auf eine Diffusionsstörung hin, die durch eine Reduktion der Gasaustauschfläche oder durch eine Zunahme der Diffusionsschichtdicke verursacht sein kann.
262
Kapitel 7 · Atmung
7.5
Lungenperfusion und Arterialisierung des Blutes
7.5.1
Lungenperfusion
Strömungswiderstand und Perfusionsverteilung
IV
Merke
Die Lungendurchblutung von 5–6 l/min in Ruhe wird durch die mittlere Druckdifferenz zwischen Pulmonalarterie und linkem Vorhof von nur 8 mm Hg (1 kPa) aufrechterhalten. Verglichen mit dem Körperkreislauf hat das Lungengefäßsystem also einen ca. 13-mal kleineren Strömungswiderstand.
Wenn bei schwerer körperlicher Arbeit die Lungendurchblutung auf das 4fache des Ruhewerts ansteigt, nimmt der Pulmonalarteriendruck lediglich um den Faktor 2 zu. Dies bedeutet, dass der Strömungswiderstand mit zunehmender Durchblutung reduziert wird. Die Widerstandsminderung erfolgt dabei druckpassiv durch Dilatation der Lungengefäße und durch Eröffnung von vorher nicht durchbluteten Kapillaren. Die Lungendurchblutung weist erhebliche regionale Inhomogenitäten auf, deren Ausmaß hauptsächlich von der Körperlage abhängt. In aufrechter Position sind die basalen Lungenpartien wesentlich stärker durchblutet als die Lungenspitzen. Ursache hierfür ist die hydrostatische Druckdifferenz zwischen den Gefäßregionen im Basis- und Spitzenbereich, die bei einer Höhendifferenz von 30 cm immerhin 23 mm Hg (3 kPa) beträgt. Daher liegt der Druck in den oberen Lungenpartien unterhalb des alveolären Drucks, sodass die Kapillaren weitgehend kollabiert sind. In den unteren Lungenpartien dagegen haben die Kapillaren ein weites Lumen, weil der Gefäßinnendruck den alveolären Druck übersteigt. Als Folge dieser regionalen Verteilung der Strömungswiderstände findet man eine fast lineare Abnahme der Durchblutung von der Basis bis zur Spitze der Lunge.
Hypoxische Vasokonstriktion Die regionale Lungenperfusion wird durch die jeweiligen Atemgasfraktionen in den benachbarten Alveolarräumen mit beeinflusst. Merke
Insbesondere hat eine Abnahme des alveolären O2-Partialdrucks unter ca. 60 mm Hg eine Konstriktion der Arteriolen und damit eine Minderdurchblutung zur Folge (EULER-LILJESTRAND-Mechanismus).
263 7.5 · Lungenperfusion und Arterialisierung des Blutes
7
Durch diese hypoxiebedingte Widerstandserhöhung besteht die Möglichkeit, die Durchblutung schlecht ventilierter Lungenbezirke einzuschränken und den Blutstrom in gut ventilierte Gebiete umzuleiten. Bis zu einem gewissen Grade wird also die regionale Lungenperfusion Q˙ der jeweiligen alveolären Ventilation V˙A angepasst. Allerdings kann dieser Mechanismus nicht verhindern, dass insbesondere unter pathologischen Bedingungen auch Inhomogenitäten des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses V˙A/Q˙ auftreten ( unten).
Venös-arterielle Shuntperfusion Während der überwiegende Teil des zirkulierenden Blutvolumens mit der Alveolarluft in Diffusionskontakt tritt, wird ein kleiner Anteil von etwa 2 % an den Gasaustauschgebieten vorbeigeleitet. Dieses Blut, das nicht an der Arterialisierung teilnimmt, bezeichnet man als Kurzschluss- oder Shuntblut. Es gelangt sauerstoffarm direkt in das arterielle System und vermindert hier den O2-Partialdruck um 5–8 mm Hg. Bei angeborenen Herzfehlern (z. B. Ventrikelseptumdefekt) oder bei Gefäßmissbildungen (z. B. offenem Ductus Botalli) können wesentlich größere Anteile des venösen Blutes in die arterielle Strombahn gelangen und dort zu einer Hypoxie (Senkung des O2-Partialdrucks) sowie zu einer Hyperkapnie (Erhöhung des CO2-Partialdrucks) führen.
7.5.2
Arterialisierung des Blutes
Arterialisierungsfaktoren Merke
Unter der Arterialisierung des Blutes in der Lunge versteht man die Veränderung der Atemgaspartialdrücke, durch die der venöse Zustand in den arteriellen überführt wird. Maßgebende Faktoren hierfür sind die alveoläre Ventilation, die Perfusion (Durchblutung) und die Diffusion (⊡ Abb. 7.14).
Diese Faktoren beeinflussen jedoch den Arterialisierungseffekt nicht unabhängig voneinander. Da die O2-Aufnahme und die CO2-Abgabe der Lungenperfusion Q˙ proportional sind, werden nach Gl. (7.8) ( Kap. 7.4.1) die alveolären Gasfraktionen vom Ventilations-Perfusions-Verhältnis V˙A / Q˙ bestimmt.
264
Kapitel 7 · Atmung
⊡ Abb. 7.14. Maßgebende Faktoren für den Arterialisierungseffekt in der Lunge in schematischer Darstellung
IV
Ebenso muss die Diffusionskapazität DL auf die Perfusion Q˙ bezogen werden. Das Verhältnis DL / Q˙ ist also die entscheidende Größe für die Effektivität des Gasaustausches. Zusätzlich ist noch zu beachten, dass schon beim Gesunden, in besonderem Maße aber beim Lungenkranken, die Faktoren Ventilation, Perfusion und Diffusion nicht gleichmäßig über die verschiedenen Lungenabschnitte verteilt sind. Diese inhomogene Verteilung oder Distribution mindert den Arterialisierungseffekt. Hat beispielsweise das Ventilations-Perfusions-Verhältnis V˙A/Q˙ in einem Lungengebiet einen großen, in einem anderen einen kleinen Wert, so wird dem gut arterialisierten Blut aus dem stark ventilierten Teilgebiet ständig mäßig arterialisiertes Blut aus dem schwach ventilierten Gebiet zugemischt (⊡ Abb. 7.14). Die Folge ist ein Abfall des arteriellen O2-Partialdrucks und ein geringer Anstieg des arteriellen CO2-Partialdrucks.
265 7.6 · Zentrale Rhythmogenese
7
Arterielle Blutgaswerte Der Gesamteffekt der Atmung kommt in der jeweiligen Höhe der arteriellen O2- und CO2-Partialdrücke zum Ausdruck. Diese Größen weisen neben kleineren statistischen Variationen eine systematische Abhängigkeit vom Lebensalter auf. Während der arterielle O2-Partialdruck bei gesunden Jugendlichen im Mittel etwa 95 mm Hg (12,6 kPa) beträgt, findet man bei 70-jährigen Werte um 70 mm Hg (9,3 kPa). Diese Abnahme ist vor allem auf die mit dem Alter zunehmenden Verteilungsungleichmäßigkeiten in der Lunge zurückzuführen. Der arterielle CO2-Partialdruck, der beim Jugendlichen etwa 40 mm Hg (5,3 kPa) beträgt, verändert sich dagegen mit dem Alter nur wenig.
Zentrale Rhythmogenese und Atmungsregulation
7.6
Merke
Die Atmungsbewegungen von Thorax und Zwerchfell werden durch die rhythmische Tätigkeit von respiratorischen Neuronen in der Medulla oblongata gesteuert.
Obwohl die rhythmische Bildung der Nervenimpulse (Rhythmogenese) autonom abläuft, muss sie ständig an die Bedürfnisse des Organismus (Mehrventilation bei Arbeit, Modifikation des Atmungsrhythmus beim Schlucken, Husten, Niesen, Sprechen usw.) angepasst werden. Diese Anpassung erfolgt auf Grund von Informationen, die den respiratorischen Neuronen von peripheren Sensoren und zentralen Strukturen zugeleitet werden (Atmungsregulation).
7.6.1
Rhythmogenese der Atmung
Phasen der Atmungssteuerung Obwohl die Lungenventilation in 2 Phasen (Inspiration und Exspiration) abläuft, lassen sich in der neuronalen Steuerung 3 Zyklusphasen unterscheiden: ▬ eine Inspirationsphase, in der die Einatmungsmuskulatur durch Nervenimpulse zur Kontraktion veranlasst wird,
266
Kapitel 7 · Atmung
▬ eine Postinspirationsphase, in der die neuronale Aktivierung der Einatmungsmuskulatur nachlässt, sodass die Zugspannung der Lunge eine passive Ausatmung ermöglicht, und ▬ eine aktive Exspirationsphase, in der – sofern erforderlich – die neuronale Aktivierung der Ausatmungsmuskulatur erfolgt.
IV
Respiratorische Neurone Merke
Der Atmungsrhythmus entsteht in einem neuronalen Netzwerk der Medulla oblongata, dessen Neurone als ventrale respiratorische Gruppe (VRG) beiderseits entlang dem Nucleus ambiguus angeordnet sind (⊡ Abb. 7.15). In einem umschriebenen rostralen Areal der VRG, dem Prä-BÖTZINGER-Komplex, soll der Rhythmusgenerator lokalisiert sein.
⊡ Abb. 7.15. Lokalisation der respiratorischen Neurone in der Medulla oblongata. VRG = ventrale respiratorische Gruppe (Nucleus ambiguus), DRG = dorsale respiratorische Gruppe (Nucleus tractus solitarii), PRG = pontine respiratorische Gruppe
267 7.6 · Zentrale Rhythmogenese
7
In der VRG sind 3 Neuronenklassen miteinander verschaltet, ▬ inspiratorische Neurone (I-Neurone), die während der Einatmungsphase aktiv sind, ▬ postinspiratorische Neurone (PI-Neurone), die während der passiven Ausatmungsphase entladen, und ▬ exspiratorische Neurone (E-Neurone), die während der aktiven Ausatmungsphase feuern. Innerhalb der Klasse der I-Neurone lassen sich noch 4 Untergruppen unterscheiden, je nachdem, ob sie vor, während, am Anfang oder am Ende der Einatmung tätig sind. Zwei weitere Neuronengruppen haben einen modifizierenden Einfluss auf das VRG-Netzwerk, sind jedoch nicht an der Rhythmogenese beteiligt (⊡ Abb. 7.15): die dorsale respiratorische Gruppe (DRG), die im Bereich des Nucleus tractus solitarii lokalisiert ist und Zuflüsse von peripheren Sensoren erhält, und die pontine respiratorische Gruppe (PRG), die überwiegend hemmend auf das VRG-Netzwerk einwirkt.
Rhythmische Aktivität Die Neurone der ventralen respiratorischen Gruppe (VRG) sind in komplexer Form miteinander verschaltet. Angetrieben durch die spontanaktive Formatio reticularis, werden in den Synapsen des Netzwerks erregende und hemmende postsynaptische Potentiale ausgelöst. Merke
Die erregenden und hemmenden Interaktionen zwischen den Neuronen sowie deren Modulation durch spezifische Membraneigenschaften führen zu langsamen Oszillationen des Membranpotentials. Wird dabei das Schwellenpotential überschritten, so kommt es zur salvenartigen Entladung von Aktionspotentialen.
Diese Erregungen gelangen über retikulospinale Axone zu den kontralateralen Motoneuronen, die für die Aktivierung der entsprechenden Atmungsmuskeln zuständig sind.
268
Kapitel 7 · Atmung
7.6.2
Chemische Kontrolle der Atmung
Merke
IV
Die chemische Atmungsregulation steht im Dienste der Homöostase und sichert die Anpassung der Atmung an die Stoffwechselleistungen des Organismus. Regelgrößen sind dabei der CO2-Partialdruck, der pH-Wert und der O2-Partialdruck im arteriellen Blut.
Blutgas- und pH-Wirkungen Eine Erhöhung des arteriellen CO2-Partialdrucks PaCO führt zu einer Steigerung des Atemzeitvolumens V˙E. Die quantitative Beziehung zwischen diesen beiden Größen ist in ⊡ Abb. 7.16, links als »CO2-Ventilationsantwort« dargestellt. Man erkennt, in welch starkem Maß der CO2-Partialdruck die Atmung beeinflusst. Bei sehr starker Hyperkapnie (PaCO -Anstieg) können V˙E-Werte von 75–80 l/min erreicht werden. Steigt jedoch der PaCO über 100 mm Hg an, tritt eine narkotische Wirkung ein, sodass die Ventilation abnimmt. 2
2
2
⊡ Abb. 7.16. Atemzeitvolumen (V˙ E) als Funktion des CO2-Partialdrucks (PaCO2), des pH-Werts (pH) und des O2-Partialdrucks (PaO2) im arteriellen Blut. Rote Kurven: reguläre Ventilationsantwort; blaue Kurven: Ventilationsantwort bei konstantem arteriellen CO2-Partialdruck (40 mm Hg)
269 7.6 · Zentrale Rhythmogenese
7
Ein Absinken des arteriellen pH-Werts unter 7,4 wird durch eine Hyperventilation, ein Ansteigen über die Norm durch eine geringergradige Hypoventilation beantwortet. Wie ⊡ Abb. 7.16 (Mitte, rote Kurve) zeigt, ist die pHWirkung auf die Atmung nicht sehr groß. Dies ist auf die Wechselwirkung der beiden »Atmungsantriebe« pH-Wert und CO2-Partialdruck zurückzuführen. Eine alleinige pH-Änderung hätte einen weit größeren Ventilationseffekt (blaue Kurve, PaCO = 40 mm Hg). Normalerweise führt jedoch die pHbedingte Ventilationssteigerung zu einer verstärkten CO2-Abgabe und damit zu einer Minderung des CO2-Antriebs. Bei Abnahme des arteriellen O2-Partialdrucks PaCO (Hypoxie) beobachtet man eine mäßige Steigerung der Ventilation (⊡ Abb. 7.16, rechts). Auch in diesem Fall ist der geringe Effekt auf die Wechselwirkung der Atmungsantriebe zurückzuführen. Die hypoxiebedingte Hyperventilation bewirkt einen Abfall des arteriellen CO2-Partialdrucks, sodass dessen Antriebsfunktion gemindert ist. 2
2
Periphere Chemosensoren Die Blutgas- und pH-Wirkungen werden z. T. über periphere Chemosensoren vermittelt. Diese befinden sich in bestimmten Paraganglien, die aus dem Parasympathikus hervorgegangen sind und von denen aus Nervenimpulse zum Zentrum geleitet werden. Ein derartiges Paraganglion liegt beiderseits an der Teilungsstelle der A. carotis communis in die A. carotis externa und die A. carotis interna und wird daher auch als Glomus caroticum bezeichnet (⊡ Abb. 7.17). Weitere Paraganglien finden sich in unmittelbarer Nähe des Aortenbogens (Glomera aortica). Merke
Die Chemosensoren antworten mit einer Aktivitätszunahme, wenn der O2-Partialdruck abnimmt, der CO2-Partialdruck zunimmt oder die H+-Konzentration ansteigt.
Ableitungen der Aktionspotentiale von den zugehörigen afferenten Bahnen (N. glossopharyngeus, N. vagus) sowie Denervierungsexperimente zeigen, dass die O2-Wirkung ausschließlich über die peripheren Chemosensoren zustande kommt. Dagegen wird der Atmungsantrieb durch CO2 und H+ nur zu einem kleinen Teil über die peripheren Chemosensoren vermittelt.
270
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.17. Lokalisation der Chemosensoren im Glomus caroticum (links) und in den Glomera aortica (rechts)
Zentrale Chemosensibilität Merke
Der überwiegende Teil des PCO2- und pH-Einflusses auf die Atmung wird dadurch ausgeübt, dass CO2 und H+ auf chemosensible Strukturen im Hirnstamm einwirken. Die graduell differierenden Ventilationseffekte des arteriellen PCO2- und des arteriellen pH-Werts können dabei auf die unterschiedlichen Diffusionswiderstände für CO2 und H+ zurückgeführt werden.
CO2 diffundiert sehr schnell aus dem Blut in das Gehirngewebe, während für H+-Ionen die biologischen Membranen ein erhebliches Transporthindernis bilden. Man nimmt an, dass die H+-Konzentration der Extrazellularflüssigkeit des Hirnstamms und des Liquor cerebrospinalis den bestimmenden Faktor für alle zentral ausgelösten Atmungsantriebe darstellt. H+-empfindliche Felder konnten an der ventralen Oberfläche der Medulla oblongata in der Nähe der VRG nachgewiesen werden.
Chemische Atmungsregulation Der gesamte Regelkreis ( Kap. 3), der für die Konstanz der arteriellen Blutgaswerte und des arteriellen pH-Werts sorgt, ist in ⊡ Abb. 7.18 dargestellt. Die
271 7.6 · Zentrale Rhythmogenese
7
⊡ Abb. 7.18. Regelkreis für die chemische Atmungsregulation
Regelgrößen PO2, PCO2 und pH werden von peripheren Chemosensoren bzw. von zentralen chemosensiblen Strukturen überwacht. Merke
Abweichungen der Istwerte von den endogen vorgegebenen Sollwerten veranlassen die respiratorischen Neurone in der Medulla oblongata ( Kap. 7.6.1) zu einer Aktivitätsänderung, die, auf dem Nervenwege übertragen, eine entsprechend modifizierte Tätigkeit der Atmungsmuskulatur bewirkt. Damit ändert sich die Ventilation, wodurch die Istwerte der Regelgrößen korrigiert werden.
Die drei Regelgrößen beeinflussen das Atemzeitvolumen in differenzierter Weise. Normalerweise ist der arterielle CO2-Partialdruck die führende Regelgröße. Kommt es jedoch bei Lungenfunktionsstörungen mit chronischer Hyperkapnie oder bei Barbiturat-Vergiftungen zu einem Verlust der zentralen Chemosensibilität, so wird die Spontanatmung hauptsächlich durch den Hypoxieeinfluss auf die peripheren Chemosensoren stimuliert. In diesen Fällen kann das Angebot reinen Sauerstoffs zu einer lebensgefährlichen Apnoe führen, weil der unter diesen Umständen wirksamste Atmungsantrieb ausgeschaltet wird. Bei Störungen des Säure-Basen-Status ( Kap. 14.5.4) erfolgt durch den Regelprozess vor allem eine Korrektur des arteriellen pH-Werts. So wird beispielsweise eine metabolische Azidose durch eine Hyperventila-
272
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.19. Pathologische Atmungsformen
tion mit besonders tiefen Atemzügen (Kussmaul-Atmung) beantwortet, wodurch infolge verstärkter CO2-Abgabe der pH-Wert wieder in den Normbereich zurückgeführt oder ihm zumindest angenähert wird. Diese und andere pathologische Atmungsformen sind in ⊡ Abb. 7.19 dargestellt.
7.6.3
Reflektorische und zentrale Kontrolle der Atmung
Merke
Die Atemwege und das Lungenparenchym sind mit spezifischen Sensoren ausgestattet, deren Reizung die Atmung reflektorisch beeinflusst. Die Afferenzen dieser Reflexbahnen verlaufen im N. vagus und im N. glossopharyngeus, werden im Nucleus tractus solitarii umgeschaltet und modifizieren die Aktivität des respiratorischen Netzwerks, das die entsprechende Reflexantwort steuert.
Laryngeale und tracheale Reflexe Im Larynx- und Trachealbereich finden sich freie Nervenendigungen, die durch chemische oder mechanische Reize erregt werden können. Solche Reize verursachen eine starke Aktivierung des respiratorischen Netzwerks
273 7.6 · Zentrale Rhythmogenese
7
und lösen damit die motorischen Reaktionen aus, die zum Husten führen ( Kap. 7.1.2). Bei sehr starker Reizung der laryngealen und trachealen Sensoren kann es zur vollständigen Blockade der rhythmischen Atmungsbewegungen kommen (reflektorische Apnoe), bis schließlich die chemischen Atmungsantriebe die Blockade durchbrechen. Niesreflex. Durch mechanische oder chemische Alterationen der Nasenschleimhaut werden freie Nervenendigungen des N. trigeminus erregt. Die Reflexantwort besteht in einem explosionsartigen Ausstoßen der Atemluft durch die Nase.
Lungendehnungsreflex Die Erweiterung der Bronchien bei der Einatmung führt zur Aktivierung von Dehnungssensoren in der Bronchialwand. Auf dem Reflexweg (Nn. vagi) kommt es dadurch zur Hemmung der Inspiration und zur Einleitung der Exspiration. Diese reflektorische Begrenzung der Inspirationsphase wird auch als Hering-Breuer-Reflex bezeichnet. Er dient vor allem dazu, die Atmungsarbeit ökonomisch zu gestalten und eine Überdehnung der Alveolen bei tiefer Einatmung zu vermeiden.
Deflationsreflex Eine stärkere Abnahme der Atemwegs- und Lungenvolumina löst die Erregung von sog. Irritant-Sensoren aus. In diesem Fall besteht die Reflexantwort in einer Aktivierung der Inspiration und Postinspiration und in einer Hemmung der Exspiration. Dieser die Exspiration begrenzende Reflex ist auch als Head-Reflex bekannt. Eigenreflexe der Interkostalmuskulatur. An der ökonomischen Steuerung der Atmungsexkursionen sind auch die spinalen Eigenreflexe der Interkostalmuskulatur beteiligt. Durch Dehnung der Muskelspindeln in den verschiedenen Atmungsphasen werden entsprechende Reflexantworten ausgelöst, die der Feinregulierung der Atmungsbewegungen dienen. Juxtakapillärer Reflex. Die Bezeichnung dieses Reflexes rührt von seinen Sensoren her, die sich im Interstitium des Alveolarepithels, also nahe bei den Kapillaren (juxtakapillär), befinden. Bei Reizung dieser freien Nervenendigungen durch Flüssigkeitsansammlungen im Interstitium oder Entzündungsmediatoren besteht die Reflexantwort in einer Hemmung der Inspiration und in einer Aktivierung der kardialen Vagusfasern. Daher kommt es beim Lungenödem zu alveolärer Hypoventilation und Bradykardie.
274
Kapitel 7 · Atmung
Anpassungsmechanismen bei Muskelarbeit Merke
IV
Die Ventilationssteigerung bei körperlicher Arbeit kann nicht allein auf die chemischen Atmungsantriebe zurückgeführt werden, da deren Wirkung erst langsam einsetzt. Für die schnelle Anpassung sorgen vor allem aktivierende Einflüsse, die von Kollateralen der motorischen Bahnen ausgehen und als zentrale Mitinnervation bezeichnet werden.
Insbesondere zu Beginn der Arbeit, also in der Startphase, wird die Aktivierung der Atmung auf die Mitinnervation der respiratorischen Neurone durch das zentrale motorische System zurückgeführt. Während der Arbeit ist das Ausmaß der Mehrventilation zusätzlich noch von den Blutgaswerten und von den nervalen Rückmeldungen von der arbeitenden Muskulatur und den bewegten Gelenken abhängig. In der Erholungsphase dürften vor allem die blutchemischen Parameter den zeitlichen Verlauf der Ventilationsabnahme bestimmen. Um den Atemgastransport, den Bedürfnissen des Organismus entsprechend, sicherzustellen, ist es erforderlich, dass Atmung und Kreislauffunktion aufeinander abgestimmt sind. Daher werden in Belastungssituationen das respiratorische Netzwerk und die kreislaufregulierenden Neuronenpopulationen koordiniert aktiviert. Einerseits wirken sich die Atmungsantriebe auf das kardiovaskuläre System aus, andererseits beeinflussen die Rückmeldungen von den Kreislaufsensoren, insbesondere von den Pressosensoren, die Atmungsfunktion (⊡ Abb. 7.20). Um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, spricht man von der gemeinsamen Regulation der kardiorespiratorischen Funktionen. Unspezifische Atmungsantriebe. Neben den spezifischen Faktoren, die primär der Atmungsregulation dienen, kann die Ventilation auch durch unspezifische Reize beeinflusst werden. Hierzu gehören Schmerzreize sowie Kalt- und Warmreize an der Haut, welche die Atmung fördern und bei Neugeborenen gelegentlich zur Auslösung des ersten Atemzugs genutzt werden. Ventilationssteigernd wirken auch ein Anstieg oder eine mäßige Senkung der Körpertemperatur, während bei starker Unterkühlung eine zentrale Atmungshemmung eintritt. Ferner beeinflussen bestimmte Hormone die Atmungsregulation. So beobachtet man Ventilationssteigerungen u. a. bei der Ausschüttung von Adrenalin (Arbeit, psychische Erregung), bei Erhöhung des Progesteronspiegels (Schwangerschaft) und bei Hyperthyreose ( Kap. 15.3.2). Die spezifischen und unspezifischen Einwirkungen auf das respiratorische Netzwerk sind in ⊡ Abb. 7.20 schematisch zusammengefasst.
7
275 7.7 · Atemgastransport des Blutes
⊡ Abb. 7.20. Übersicht über die zentralen Atmungsantriebe und die peripheren Sensoren, von denen aus die Atmung beeinflusst werden kann (RN = respiratorisches Netzwerk)
Atemgastransport des Blutes
7.7
Sauerstoff und Kohlendioxid werden im Blut sowohl in physikalisch gelöster als auch in chemisch gebundener Form transportiert. Stickstoff und die anderen Gase, die am Stoffwechsel nicht beteiligt sind, liegen im Blut ausschließlich in physikalischer Lösung vor. 7.7.1
Physikalische Löslichkeit der Atemgase
Merke
Äquilibriert man eine Flüssigkeit mit einem Gas, so wird ein kleiner Teil des Gases physikalisch gelöst. Die Gaskonzentration in der Lösung ist dann nach dem HENRY-DALTON-Gesetz dem Gaspartialdruck direkt proportional: CGas = α PGas .
(7.12)
276
Kapitel 7 · Atmung
Für die Beschreibung der Austauschprozesse ist es zweckmäßig, dem Gas in der Flüssigkeit den gleichen Partialdruck PGas zuzuordnen, wie er in der Gasphase vorliegt. Der Proportionalitätsfaktor α wird als Bunsen-Löslichkeitskoeffizient bezeichnet; seine Größe hängt von der Art des gelösten Gases, von der Beschaffenheit des Lösungsmittels und von der Temperatur ab.
IV
Der O2-Löslichkeitskoeffizient des Blutes bei 37 °C beträgt αO2 = 0,024 ml O2 · (ml Blut)–1 · atm–1, sodass sich nach der Arterialisierung (PO2 = 12,6 kPa) für den gelösten Sauerstoff eine Konzentration von 0,003 ml O2/ml Blut ergibt. Der CO2-Löslichkeitskoeffizient hat einen 20-mal größeren Wert von αCO2 = 0,49 ml CO2 · (ml Blut)–1 · atm–1, daher findet man im arteriellen Blut (PCO2 = 5,3 kPa) auch eine höhere Konzentration des gelösten Kohlendioxids von 0,026 ml CO2/ml Blut. Obwohl insgesamt nur verhältnismäßig kleine Volumina physikalisch gelöst werden, kommt dieser Zustandsform jedoch eine große biologische Bedeutung zu. Bevor nämlich die Atemgasmoleküle chemische Bindungen eingehen können, müssen sie in gelöster Form zu ihren Reaktionspartnern diffundieren.
7.7.2
Hämoglobin-Sauerstoff-Bindung
O 2-Kapazität Der weitaus größte Teil (ca. 98,5 %) des mit dem Blut transportierten Sauerstoffs ist an das Hämoglobin gebunden. Wegen des tetrameren Molekülaufbaus ( Kap. 4.4.1) kann 1 mol Hämoglobin maximal 4 mol O2 binden. Daraus ergibt sich, dass 1 g Hämoglobin 1,39 ml O2 anlagern kann (Hüfner-Zahl). Das Produkt aus Hüfner-Zahl und Hb-Konzentration ergibt die (maximale) O2-Kapazität des Blutes: O2-Kapazität = 1,39 ml/g · 150 g/l ≈ 0,20 ml O2/ml Blut. Diese O2-Konzentration wird allerdings nur erreicht, wenn nach Äquilibrierung mit einem sauerstoffreichen Gasgemisch (PO2 > 300 mm Hg) das Gleichgewicht der Reaktion Hb + 4 O2 Hb(O2)4
(7.13)
ganz auf die rechte Seite verlagert ist. Unter den im Organismus vorliegenden Verhältnissen wird jedoch Hämoglobin nur zum Teil in Oxyhämoglobin überführt.
O 2-Bindungskurve Nach dem Massenwirkungsgesetz bestimmt die jeweilige Konzentration des gelösten Sauerstoffs, welcher Anteil des Hämoglobins als Oxyhämoglobin (HbO2) vorliegt.
7
277 7.7 · Atemgastransport des Blutes
⊡ Abb. 7.21. O2-Bindungskurven des Hämoglobins Hb (Blut bei pH = 7,4 und T = 37 °C) und des Myoglobins Mb
Merke
Diesen Konzentrationsanteil des HbO2 an der Gesamthämoglobinkonzentration bezeichnet man als O2-Sättigung (SO2) des roten Blutfarbstoffs: [HbO2] SO2 = 06 , [Hb]gesamt
(7.14)
wobei SO2 gewöhnlich in % angegeben wird. Ihre Messung erfolgt mit der Pulsoxymetrie.
Da die Konzentration des gelösten O2 dem jeweiligen O2-Partialdruck proportional ist, besteht auch eine Abhängigkeit der O2-Sättigung SO2 vom O2-Partialdruck PO2. Dieser Zusammenhang wird graphisch durch die sog. O2-Bindungskurve dargestellt. Wie ⊡ Abb. 7.21 zeigt, ist das Hämoglobin zu 50 % mit Sauerstoff gesättigt, wenn der O2-Partialdruck etwa 26 mm Hg (3,5 kPa) be-
278
Kapitel 7 · Atmung
⊡ Tabelle 7.4. Blutgasdaten und pH-Werte im arteriellen und gemischt-venösen Blut des gesunden Jugendlichen in körperlicher Ruhe
IV
PO2
SO2
[O2]
PCO2
[CO2]
pH
Arterielles Blut
95 mm Hg (12,6 kPa)
97 %
0,20 (20 Vol %)
40 mm Hg (5,3 kPa)
0,46 (46 Vol %)
7,40
Venöses Blut
40 mm Hg (5,3 kPa)
73 %
0,15 (15 Vol %)
46 mm Hg (6,1 kPa)
0,50 (50 Vol %)
7,37
Arteriovenöse Konz.-Differenz
0,05 (5 Vol %)
0,04 (4 Vol %)
trägt (Halbsättigungsdruck P50). Der charakteristische S-förmige Verlauf der O2-Bindungskurve ist auf die Konformationsänderung des Hb-Moleküls bei den nacheinander erfolgenden Anlagerungen der vier O2-Moleküle zurückzuführen. Der rote Muskelfarbstoff Myoglobin (Mb) dagegen, der ähnlich wie eine der vier Untereinheiten des Hämoglobins aufgebaut ist und daher jeweils nur ein O2 anlagern kann, weist eine (steilere) hyperbelförmige O2-Bindungskurve auf (⊡ Abb. 7.21). Biologische Bedeutung der O2-Bindungskurve. Dem speziellen Verlauf der O2-Bindungskurve kommt eine wichtige biologische Bedeutung zu. Bei der Sauerstoffaufnahme in der Lunge gleicht sich der O2-Partialdruck des Blutes weitgehend dem O2-Partialdruck in den Alveolen an. Wie aus ⊡ Abb. 7.21 hervorgeht, ist nach der Arterialisierung (PO2 = 95 mm Hg beim Jugendlichen) das Hämoglobin zu etwa 97 % mit Sauerstoff gesättigt. Im Alter und insbesondere bei Lungenfunktionsstörungen kann der arterielle O2-Partialdruck erheblich absinken. Der flache Verlauf der O2-Bindungskurve im Endteil verhindert jedoch in diesen Fällen einen stärkeren Abfall der O2-Sättigung. Für die Sauerstoffabgabe im Gewebe erweist sich darüber hinaus der steile Verlauf der O2-Bindungskurve im Mittelteil als außerordentlich günstig. In den Geweben kommt es darauf an, ohne größere Schwankungen des O2-Partialdrucks die Sauerstoffabgabe dem wechselnden Bedarf anzupassen. In körperlicher Ruhe liegt am venösen Kapillarende im Mittel ein PO2 von 40 mm Hg und damit eine O2-Sättigung von etwa 73 % vor (⊡ Tabelle 7.4). Tritt etwa bei körperlicher Arbeit ein erhöhter O2-Verbrauch in der Muskulatur ein, so kann durch Senkung der O2-Sättigung eine größere O2-Menge zur Verfügung gestellt werden, ohne dass dabei der diffusionswirksame O2-Partialdruck in nennenswertem Maße abfällt.
O 2-Konzentrationen im arteriellen und venösen Blut Der Gehalt des Blutes an gebundenem Sauerstoff hängt von der jeweils vorliegenden O2-Sättigung ab. Unter Berücksichtigung der Hüfner-Zahl errechnet sich die O2-Konzentration (ml O2/ml Blut) aus [O2] = 1,39 · [Hb] · SO2 · 10–5,
(7.15)
279 7.7 · Atemgastransport des Blutes
7
sofern SO2 in % und [Hb] in g/l angegeben werden. Für das arterielle Blut (SO2 = 97 %) ergibt sich danach eine O2-Konzentration von 0,20 und für das gemischt-venöse Blut (SO2 = 73 %) von 0,15 ml O2/ml Blut (⊡ Tabelle 7.4). Die arteriovenöse O2-Konzentrationsdifferenz beträgt also 0,05. Hieraus geht hervor, dass normalerweise im Mittel nur 25 % des arteriellen O2-Angebots in den Organen und Geweben ausgeschöpft werden. Bei schwerer körperlicher Arbeit kann jedoch die arteriovenöse O2-Differenz über 0,1 ansteigen.
Affinitätsbeeinflussende Faktoren Der Verlauf der O2-Bindungskurve hängt zwar vorwiegend von der Reaktionsweise des Hämoglobins ab, spezielle allosterische Effektoren können jedoch die O2-Affinität des roten Blutfarbstoffs beeinflussen. Merke
Eine Affinitätsabnahme, die in einer Rechtsverlagerung der O2-Bindungskurve mit einem Anstieg des P50-Wertes zum Ausdruck kommt, findet man bei Zunahme der H+-Konzentration (pH-Senkung), des CO2-Partialdrucks PCO2, der Temperatur und der intraerythrozytären Konzentration von 2,3-Bisphosphoglyzerat (2,3-BPG, 2,3-Diphosphoglyzerat).
Die Abnahme dieser Größen hat den umgekehrten Effekt. Der pH-Einfluss auf die O2-Bindungskurven (⊡ Abb. 7.22 A), der bei Störungen des Säure-Basen-Status besonders zu beachten ist, wird als Bohr-Effekt charakterisiert. Der ebenso bezeichnete PCO2-Einfluss kann überwiegend auf die PCO2-abhängige Änderung der H+-Konzentration zurückgeführt werden; zum geringeren Teil beeinflusst CO2 direkt die O2-Affinität des Hämoglobins. Der Temperatureinfluss ist beim Menschen nur unter besonderen Bedingungen (z. B. bei Operationen in Hypothermie) von Bedeutung. Der 2,3-BPGEinfluss wirkt sich insbesondere dann aus, wenn bei schweren Anämien oder bei längerem Höhenaufenthalt 2,3-BPG in den Erythrozyten ansteigt und dadurch die O2-Affinität des Hämoglobins sinkt.
280
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.22. Verlagerung der O2-Bindungskurve durch allosterische Effektoren. Abhängigkeit der O2-Bindungskurve des Blutes vom (extrazellulären) pH-Wert (A) und vom CO2-Partialdruck PCO2 (B). Die gelbe »effektive« O2-Bindungskurve zwischen den Punkten a (arterielles Blut) und v (venöses Blut) ist für den Gasaustausch unter Ruhebedingungen maßgebend
7
281 7.7 · Atemgastransport des Blutes
Ganz allgemein hat eine Affinitätsabnahme (Rechtsverlagerung der O2-Bindungskurve) eine geringfügige Erschwerung der O2-Aufnahme in den Lungenkapillaren und eine stärker ins Gewicht fallende Erleichterung der O2-Abgabe in den Gewebekapillaren zur Folge. Durch die CO2-Aufnahme des Blutes bei der Passage der Gewebekapillaren wird infolge des BOHR-Effekts die O2-Bindungskurve etwas nach rechts verlagert (gelbe Kurve in ⊡ Abb. 7.22, B in Richtung von a nach v) und damit die O2-Abgabe unterstützt. In den Lungenkapillaren tritt wegen der CO2-Abgabe wieder eine Linksverlagerung (Richtung von v nach a) und damit eine geringfügige Erleichterung der O2-Aufnahme ein. Blockade des O2-Transports durch CO. Kohlenmonoxid CO, das bei der unvollständigen Verbrennung organischen Materials entsteht, kann in Konkurrenz zu O2 mit dem Hämoglobin eine reversible Bindung eingehen wobei Carboxyhämoglobin (HbCO) entsteht. Die Affinität von CO zum Hämoglobin ist bedeutend größer als die von O2, sodass die CO-Bindungskurve extrem steil und nach links verlagert verläuft. Dies ist darauf zurückzuführen, dass CO im Vergleich zu O2 mit etwa gleicher Geschwindigkeit an Hämoglobin angelagert, aber ca. 270-mal langsamer aus der Bindung freigegeben wird. Daher ist CO bereits bei sehr kleinen Partialdrücken in der Lage, O2 aus der Hämoglobinbindung zu verdrängen. Bei einem CO-Gehalt von 0,7 ml/l in der Einatmungsluft sind nach 5–6 Stunden bereits 50 % des Hämoglobins für den O2-Transport blockiert (Kohlenmonoxidvergiftung ). Außerdem weist unter diesen Bedingungen die O2-Bindungskurve einen stark nach links verlagerten Verlauf auf, wodurch die O2-Partialdrücke in den Gewebekapillaren noch zusätzlich gesenkt werden.
7.7.3
Kohlendioxidtransport des Blutes
Kohlendioxid CO2, ein Endprodukt des oxidativen Stoffwechsels in den Körperzellen, wird zu einem geringen Teil (≈ 5 %) in physikalisch gelöster, überwiegend jedoch in chemisch gebundener Form zur Lunge transportiert.
CO 2-Bindung Nach seiner Bildung im Zellstoffwechsel diffundiert CO2 in die jeweils benachbarte Kapillare, wo eine Hydratisierung zu Kohlensäure mit sofortiger Dissoziation in Bikarbonat-(Hydrogenkarbonat-)Ionen und Protonen erfolgt (⊡ Abb. 7.23): CO2 + H2O H2CO3 HCO3– + H+
(7.16)
Die Hydratisierungsreaktion läuft im Blutplasma nur sehr langsam ab, während im Erythrozyten eine etwa 10 000-mal höhere Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird. Diese Beschleunigung der Reaktion ist auf die Anwesenheit des Enzyms Karboanhydrase (Karboanhydratase) zurückzuführen. Die fortschreitende Erhöhung der HCO3–-Konzentration im Inneren des Erythrozyten schafft ein Diffusionsgefälle in Richtung auf den Plasmaraum. Die HCO3–-
282
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.23. Chemische Reaktionen im Erythrozyten und Ionenaustausch mit dem Plasma bei CO2-Aufnahme im Gewebe (oben) und CO2-Abgabe in der Lunge (unten)
Ionen können diesem Gefälle nur folgen, wenn dadurch das Ladungsgleichgewicht nicht wesentlich gestört wird. Daher müssen Cl–-Ionen im Austausch gegen HCO3–-Ionen in den Erythrozyten eintreten. Diesen HCO3–/Cl–-Austausch durch die Erythrozytenmembran bezeichnet man als HamburgerShift oder auch als Chloridverschiebung. Auf diese Weise werden 90 % des vom Blut aufgenommenen CO2 in Bikarbonat umgesetzt, von denen 30 % in den Erythrozyten verbleiben und 60 % in das Plasma diffundieren. Die bei der Bildung von Bikarbonat anfallenden Protonen führen nur zu einer geringen pH-Änderung, da sie im Erythrozyten durch das Hämoglobin, im Plasma durch die dort vorliegenden Proteine abgepuffert werden ( Kap. 14.5.2).
7
283 7.7 · Atemgastransport des Blutes
Eine weitere Möglichkeit der CO2-Bindung besteht in der Anlagerung von CO2 an freie Aminogruppen des Hämoglobins, wobei als Reaktionsprodukt Karbamat (Carbaminohämoglobin) entsteht: Hb · NH2 + CO2 Hb · NHCOO– + H+
(7.17)
In diese Form werden etwa 5 % des aufgenommenen CO2 überführt. Alle geschilderten Reaktionen laufen bei der CO2-Abgabe in der Lunge in umgekehrter Richtung ab.
CO 2-Bindungskurven des Blutes Die CO2-Gesamtaufnahmefähigkeit des Blutes lässt sich in Form der CO2Bindungskurve darstellen. Diese gibt den gesamten Gehalt an physikalisch gelöstem und chemisch gebundenem CO2 in Abhängigkeit vom jeweiligen CO2-Partialdruck an. Merke
Wie ⊡ Abb. 7.24 zeigt, besitzt die CO2-Bindungskurve keine Sättigungscharakteristik. Außerdem erkennt man, dass das oxygenierte Blut im Vergleich zum desoxygenierten ein geringeres CO2-Bindungsvermögen hat.
Dieser Unterschied ist hauptsächlich auf die stärkere Azidität des Oxyhämoglobins zurückzuführen ( Kap. 14.5.2), die eine geringere Dissoziation der Kohlensäure in HCO3– und H+ zur Folge hat. Die geschilderte Abhängigkeit der CO2-Bindung vom Oxygenierungsgrad des Hämoglobins wird als Christiansen-Douglas-Haldane-Effekt oder manchmal auch kurz als Haldane-Effekt bezeichnet. Die biologische Bedeutung des CHRISTIANSEN-DOUGLAS-HALDANE-Effekts besteht darin, dass der CO2-Austausch durch die Desoxygenierung des Blutes in den Gewebekapillaren und die Oxygenierung in den Lungenkapillaren begünstigt wird. In den Gewebekapillaren nimmt die CO2-Bindungsfähigkeit infolge der gleichzeitig stattfindenden O2-Abgabe zu. Obwohl der CO2-Partialdruck nur von 40 auf 46 mm Hg ansteigt, erhöht sich der CO2-Gehalt von 0,46 auf 0,50 ml CO2/ml Blut (⊡ Abb. 7.24, gelbe Kurve in Richtung von a nach v). In den Lungenkapillaren führt die O2-Aufnahme zu einer Herabsetzung der CO2-Bindungsfähigkeit des Blutes und damit zu einer Begünstigung der CO2-Abgabe (gelbe Kurve in Richtung von v nach a).
284
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.24. CO2-Bindungskurven für das oxygenierte und desoxygenierte Blut. Für den Gasaustausch unter Ruhebedingungen ist die gelbe »effektive« CO2-Bindungskurve zwischen den Punkten a (arterielles Blut) und v (venöses Blut) maßgebend
7.8
Gewebeatmung
Grundlagen der Gewebeatmung Der Austausch der Atemgase O2 und CO2 zwischen dem Blut, das die Kapillaren des Körperkreislaufs durchströmt, und dem Gewebebereich, den die Kapillaren jeweils versorgen, wird als Gewebeatmung bezeichnet. Dieser Gasaustausch erfolgt – wie in der Lunge – durch Diffusion. Auf Grund der bestehenden Partialdruckdifferenzen diffundieren O2-Moleküle aus Kapillaren in die von ihnen versorgten Zellen, wo sie in den Mitochondrien durch Elektronenübertragung aus der Atmungskette (Zytochrom-System) reduziert werden. Der »Verbrauch« des molekularen Sauerstoffs ist also in den Mitochondrien lokalisiert. CO2-Moleküle diffundieren in umgekehrter Richtung aus den Zellen, in denen sie im Intermediärstoffwechsel gebildet werden, in die jeweils nächstgelegene Kapillare. Da in der Regel die Stoffwechselvorgänge und damit die Zellfunktionen in stärkerem Maße durch O2-Mangel als durch unzureichenden CO2-Abtransport beeinflusst werden, kommt im Rahmen der Gewebeatmung den Fragen der O2-Versorgung besondere Bedeutung zu. Auf diese Frage beschränkt sich daher die folgende Darstellung.
7
285 7.8 · Gewebeatmung
7.8.1
Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe
O 2-Angebot Merke
Das O2-Angebot, d. h. die einem Organ oder Gewebe in der Zeiteinheit zugeführte O2-Menge, ergibt sich als Produkt aus Durchblutung Q˙ und arterieller O2-Konzentration CaO : 2
O2-Angebot = Q˙ · CaO .
(7.18)
2
Da die arterielle O2-Konzentration für alle Organe die gleiche Größe besitzt, variiert das regionale O2-Angebot mit der jeweiligen spezifischen Durchblutung. Gewebe mit einer besonders starken spezifischen Durchblutung ( Kap. 6.6.5) erhalten demnach auch ein entsprechend großes O2-Angebot (wie z. B. die Nierenrinde, die Hirnrinde und das Myokard).
O 2-Verbrauch Merke
Den O2-Verbrauch V˙O2 eines Organs oder Gewebes erhält man nach dem FICK-Prinzip ( Kap. 6.6.6) aus der Durchblutungsgröße Q˙, multipliziert mit der arteriovenösen O2-Konzentrationsdifferenz avDO2 = CaO – CvO : 2
O2-Verbrauch V˙O2 = Q˙ · avDO2 .
2
(7.19)
Bei vorgegebener Durchblutung hat also ein Gewebe einen umso höheren O2-Verbrauch, je größer der avDO2-Wert, d. h. je kleiner die O2-Konzentration im venösen Blut dieser Region ist. Der O2-Verbrauch der einzelnen Organe hängt von dem Funktionszustand ihrer Zellen ab. Unter den Bedingungen der körperlichen Ruhe gelten die in ⊡ Tabelle 7.5 angegebenen Mittelwerte, wobei der O2-Verbrauch – entsprechend der spezifischen Durchblutung – jeweils auf die Gewichtseinheit bezogen ist. Hieraus geht hervor, dass der O2-Verbrauch unter Ruhebedingungen in der Hirnrinde, im Myokard und in der Nierenrinde besonders groß ist, während das innere Nierenmark und die
286
Kapitel 7 · Atmung
⊡ Tabelle 7.5. Mittelwerte für den spezifischen O2-Verbrauch V˙O2, die arteriovenöse O2Konzentrationsdifferenz avDO2 und die O2-Utilisation verschiedener Gewebe bei körperlicher Ruhe avDO
V˙O2 (ml · g–1 · min–1)
IV
2
(ml O2/ml Blut)
O2-Utilisation (%)
3,5 · 10–2 7,5 · 10–2 1,5 · 10–2
7 · 10–2 9 · 10–2 6 · 10–2
35 45 30
9 · 10–2
12 · 10–2
60
Nieren (insgesamt) Rinde äußeres Mark inneres Mark
–2
6 · 10 9 · 10–2 6 · 10–2 0,4 · 10–2
–2
1,5 · 10 2 · 10–2 5 · 10–2 1,5 · 10–2
8 10 25 8
Skelettmuskulatur
0,3 · 10–2
10 · 10–2
50
5 · 10–2
5 · 10–2
25
–2
–2
5
Gehirn (insgesamt) Rinde Mark Myokard
Leber Milz
1 · 10
1,1 · 10
ruhende Skelettmuskulatur nur einen sehr kleinen O2-Verbrauch haben. Bei schwerer körperlicher Arbeit steigt allerdings die O2-Aufnahme des Skelettmuskelgewebes bis auf ca. 0,15 ml · g–1 · min–1 an.
O 2-Utilisation Merke
Als Maß für die O2-Versorgungssituation eines Organs dient die O2-Utilisation, das Verhältnis von O2-Verbrauch zu O2-Angebot: O2-Verbrauch avDO O2-Utilisation = 003 = 02 . O2-Angebot CaO
(7.20)
2
Organe mit hoher Durchblutung haben eine kleine avDO2 und damit einen niedrigen Utilisationswert, wie beispielsweise die Nieren (8 %). Dagegen beträgt die O2-Utilisation des Herzens bereits in körperlicher Ruhe 60 %; bei schwerer Arbeit kann sie in diesem Organ sogar auf 75–85 % ansteigen.
287 7.8 · Gewebeatmung
O 2-Partialdruckverteilung im Gewebe Während der Passage des Blutes durch die Gewebekapillaren diffundiert Sauerstoff in die benachbarten Zellen, sodass innerhalb der Kapillaren der O2-Partialdruck vom arteriellen zum venösen Ende absinkt. Ein O2-Partialdruckgefälle besteht auch außerhalb der Kapillaren jeweils in radialer Richtung, da infolge des O2-Verbrauchs der Diffusionsstrom mit wachsender Entfernung von den Kapillaren abnimmt. Ein vereinfachtes Bild von der O2-Partialdruckverteilung im Gewebe vermittelt das Modell des sog. KroghGewebezylinders. Dabei betrachtet man die Situation in einem zylinderförmigen Gewebebezirk, der von einer zentral gelegenen, geraden Kapillare mit Sauerstoff versorgt wird. ⊡ Abbildung 7.25 zeigt in Form einer Reliefdarstellung, wie sich die O2-Partialdrücke PO2 in einem solchen Gewebezylinder verteilen. Man erkennt, dass infolge des PO2-Abfalls in longitudinaler und radia⊡ Abb. 7.25. O2-Partialdruckverteilung im Modell des KROGHGewebezylinders, der von einer zentralen Kapillare versorgt wird. Die angegebenen Werte gelten für die O2-Versorgungsbedingungen der Großhirnrinde
7
288
IV
Kapitel 7 · Atmung
ler Richtung diejenigen Zellen am schlechtesten versorgt sind, die im venösen Bereich am weitesten von der Kapillare entfernt liegen. Eine O2-Mangelsituation führt daher hier, in der sog. tödlichen Ecke, am ehesten zu Funktionsausfällen oder Schädigungen der Zellen. In der Großhirnrinde, für welche die Daten der ⊡ Abb. 7.25 gelten, liegt der O2-Partialdruck in der tödlichen Ecke nahe bei Null. In vivo ist die O2-Versorgungssituation wesentlich komplexer als im Krogh-Modell, da nicht nur der Verlauf und die Dichte der Kapillaren variieren, sondern auch der O2-Verbrauch, der kapilläre Hämatokrit, die kapilläre Durchblutung und andere Funktionsgrößen inhomogen verteilt sind. Aussagen über die O2-Versorgung der Organe lassen sich auch durch direkte Messung der O2-Partialdrücke im Gewebe gewinnen. Hierzu verwendet man Mikroelektroden aus Platin oder Gold, die in das Gewebe eingestochen werden und in einer polarographischen Messanordnung die lokalen PO2-Werte anzeigen.
7.8.2
Störungen der Sauerstoffversorgung
Ursachen mangelhafter O2-Versorgung Merke
Bei Störungen der Sauerstoffversorgung kann der O2-Bedarf eines Gewebes nicht mehr durch ein adäquates O2-Angebot gedeckt werden, die Folge ist eine Gewebehypoxie (PO2 Ⰶ normal) oder im Extremfall eine Gewebeanoxie (PO2 = 0 mmHg). Da die Zellen im venösen Kapillarbereich bei einer O2-Mangelversorgung besonders gefährdet sind, stellt das Absinken des venösen O2-Partialdrucks (venöse Hypoxie) die Voraussetzung für eine Gewebehypoxie bzw. -anoxie dar. Eine solche Störung kann d urch eine arterielle, durch eine anämische oder durch eine ischämische Hypoxie verursacht werden.
Eine primär arterielle Hypoxie liegt vor, wenn der O2-Partialdruck und damit auch die O2-Konzentration im arteriellen Blut vermindert ist. Bei einer solchen Versorgungsstörung, die oft auch als hypoxämische Hypoxie bezeichnet wird, erhalten also die Organe ein vermindertes O2-Angebot. Als Folge der arteriellen O2-Partialdruckabnahme kommt es dann sekundär auch zu einer venösen Hypoxie, sofern nicht die Gewebedurchblutung entsprechend ge-
289 7.8 · Gewebeatmung
7
steigert werden kann. Eine arterielle Hypoxie kann durch eine schwere Lungenfunktionsstörung oder durch einen inspiratorischen Sauerstoffmangel (Aufstieg in große Höhen, Druckabfall im Flugzeug) verursacht werden. Störungen im Zentralnervensystem treten erst bei einer beträchtlichen Senkung des arteriellen O2-Partialdrucks (unter 40 mm Hg) auf. Das wäre z. B. der Fall, wenn ein Atemgasgemisch entsprechend einer Höhe von ca. 6000 m eingeatmet würde. Bei Lungenfunktionsstörungen beobachtet man nur in seltenen Fällen einen Abfall des arteriellen O2-Partialdrucks unter 40 mm Hg.
Die ischämische Hypoxie ist durch eine Einschränkung der Organdurchblutung bedingt. Dies hat zur Folge, dass – bei normaler arterieller O2-Konzentration – die O2-Kapazität des Blutes während der Kapillarpassage stärker ausgeschöpft wird, d. h. die avDO2 zunimmt. Es tritt eine venöse Hypoxie und damit eine mangelhafte O2-Versorgung der Zellen im venösen Kapillarbereich ein. Als Ursachen der ischämischen Hypoxie bzw. Anoxie sind hauptsächlich zu nennen: starker Blutdruckabfall (Schock, Kap. 6.8.2), starke Zunahme des Strömungswiderstands in der arteriellen Strombahn (Arteriosklerose), Arterienverschluss und Störungen der Mikrozirkulation. Im Gehirn kommt es zu hypoxischen Funktionsstörungen, wenn die Durchblutung um mehr als 35 % eingeschränkt ist. Die anämische Hypoxie wird durch eine verminderte O2-Kapazität des Blutes (Konzentrationsabnahme des funktionsfähigen Hämoglobins) verursacht. Auch in diesem Fall fällt der O2-Partialdruck des Blutes bei der Kapillarpassage stärker als normal ab, sodass eine venöse Hypoxie resultiert. Eine anämische Hypoxie kann als Folge eines starken Blutverlustes bzw. einer schweren Anämie auftreten, wobei zerebrale Störungen erst bei Reduktion der Hb-Konzentration um mehr als 50 % einsetzen. Den gleichen Effekt hat die Blockade des Hämoglobins (funktionelle Anämie) durch Methämoglobinbildung oder CO-Bindung ( Kap. 7.7.3). Von einer zytotoxischen oder stoffwechselchemischen »Hypoxie« spricht man, wenn die Energiegewinnung der Zellen durch die Einwirkung von Stoffwechselgiften (z. B. von Zyaniden oder 2,4-Dinitrophenol) blockiert ist. In diesem Fall kommt es trotz ausreichender O2-Versorgung zu einer verminderten oder unterbrochenen ATP-Bildung und damit zu schweren Störungen der Zellfunktionen.
Folgen einer akuten Gewebeanoxie Neben dem Grad einer O2-Mangelversorgung ist die Zeitdauer ihres Bestehens von entscheidender Bedeutung für die Funktions- und Überlebensfähigkeit der betroffenen Zellen. Dies wird besonders deutlich an den Folge-
290
Kapitel 7 · Atmung
IV
⊡ Abb. 7.26. Abnahme des Energieumsatzes in Gehirnzellen während einer akuten Gewebeanoxie (Kurve) und deren Folgen. Oben: Charakteristische Zeitintervalle, in denen zunächst reversible Funktionsstörungen und später irreversible Zellschäden auftreten, für verschiedene Hirnregionen. Unten: Definition der Lähmungs- und der Wiederbelebungszeit
erscheinungen, die nach einer plötzlichen Unterbrechung des O2-Angebots (z. B. infolge eines kompletten Arterienverschlusses oder eines Luftdruckabfalls im Flugzeug in 10 000 m Höhe) eintreten. In ⊡ Abb. 7.26 ist die zeitliche Abnahme des Energieumsatzes in den Gehirnzellen während einer solchen vollständigen Gewebeanoxie schematisch dargestellt. Nach einem sehr kurzen freien Intervall, in dem die Zellfunktionen noch voll erhalten sind, kommt es mit Unterschreiten des Bereitschaftsumsatzes ( Kap. 8.1.1) zu funktionellen Störungen, z. B. zu ersten EEG-Veränderungen. Die fortschreitende Einschränkung des Zellstoffwechsels führt schließlich zur Funktionsunfähigkeit der Zellen (Lähmung der Organfunktion), beispielsweise bei Gehirnanoxie nach einem kurzen Krampfstadium zur Bewusstlosigkeit. Die Zeit vom Beginn der Anoxie bis zum Eintritt der vollständigen Organlähmung wird als
291 7.9 · Höhenphysiologie
7
Lähmungszeit (Funktionserhaltungszeit) bezeichnet. Bei fortbestehender Anoxie unterschreitet der Zellstoffwechsel den Strukturerhaltungsumsatz, sodass zunehmend Zellen irreversibel geschädigt werden und schließlich absterben. Die Zeit vom Anoxiebeginn bis zum Eintritt der ersten irreversiblen Zellschäden bezeichnet man als Wiederbelebungszeit (Strukturerhaltungszeit). Für die Großhirnrinde, deren Zellen gegenüber O2-Mangel besonders empfindlich sind, wurden (bei 37°C) die folgenden Werte ermittelt: Dauer des freien Intervalls 4–5 s, Lähmungszeit 10–20 s, Wiederbelebungszeit 3–7 min, Zeit bis zum Untergang aller Zellen ca. 10 min. In den weiter kaudal gelegenen Kerngebieten verlängern sich diese Zeiten in der in ⊡ Abb. 7.26 (oben) angegebenen Reihenfolge. Wenn innerhalb der Wiederbelebungszeit die O2-Zufuhr wieder einsetzt, so kommt es zu einer vollständigen Wiederherstellung aller Zellfunktionen, wobei die Erholung umso länger dauert, je später die O2-Zufuhr erfolgt. Nach Ablauf der Wiederbelebungszeit sind die Zellschäden nur noch partiell reversibel (hellrotes Feld in ⊡ Abb. 7.26), nach noch längerer Anoxiedauer vollkommen irreversibel (dunkelrotes Feld). O2-Therapie. Bei primär arterieller Hypoxie, d. h. insbesondere bei schweren Lungenfunktionsstörungen (alveolärer Hypoventilation, Diffusionsstörung, Verteilungsstörung, Rechts-Links-Kurzschluss) kann die O2-Versorgung der Gewebe durch Erhöhung des O2-Angebots in der Inspirationsluft verbessert werden. Dabei lässt man den Patienten entweder ein Gasgemisch mit hoher O2-Fraktion einatmen (isobare O2-Therapie) oder setzt ihn einem Überdruck in einer Druckkammer aus (hyperbare O2-Therapie). Durch diese Maßnahmen wird der inspiratorische und damit auch der arterielle O2-Partialdruck erhöht. O2-Vergiftung. Eine solche O2-Therapie darf nur über eine begrenzte Zeit (bei inspiratorischem Angebot von reinem Sauerstoff nur über einige Stunden) durchgeführt werden, da die lang dauernde Erhöhung des O2-Partialdrucks (Hyperoxie) in den Zellen zu einer O2-Vergiftung führt. Bei Atmung reinen Sauerstoffs (Umgebungsdruck 1 bar) können bereits nach 24 Stunden pulmonale Störungen (Ödementwicklung, Diffusionsstörungen, Entwicklung von Atelektasen) auftreten. Die Atmung reinen Sauerstoffs bei einem Umgebungsdruck von 2 bar kann schon nach 8–10 Stunden zu zentralnervösen Störungen (Krämpfe u. a.) führen. Bei Neugeborenen, die über Tage mit reinem Sauerstoff beatmet worden waren, traten Veränderungen der alveolokapillären Membran und Lungenödeme sowie Schädigungen der Retina auf, die zu Sehstörungen bzw. Erblindung führten. Aus diesem Grunde werden heute bei lang dauernder O2-Therapie Gasgemische verwendet, deren O2-Partialdrücke unter 300 mm Hg (d. h. unter 40 % O2) liegen.
7.9
Höhenphysiologie
Beim Aufenthalt in der Höhe sind die Umweltbedingungen für den Organismus durch die Abnahme des Luftdrucks entscheidend verändert. Die Zusammensetzung der Inspirationsluft ist zwar die gleiche wie auf Meereshöhe, mit dem Luftdruck vermindert sich jedoch der inspiratorische und damit auch der alveoläre O2-Partialdruck (⊡ Tabelle 7.6).
292
Kapitel 7 · Atmung
⊡ Tabelle 7.6. Luftdruck, inspiratorischer und alveolärer O2-Partialdruck in Abhängigkeit von der Höhe mit Kennzeichnung der Schwellen und Zonen für akute O2-Mangelwirkungen
IV
inspirat. O2-Partialdruck
alveol. O2-Partialdruck
(kPa)
(mm Hg)
(kPa)
(mm Hg)
(kPa)
760
101
150
20,0
100
13,3
523
70
100
13,3
67
8,9
——
5
404
54
75
10,0
46
6,1
——
7
308
41
55
7,3
35
4,7
——
10
200
27
32
4,3
Höhe ü. M.
Luftdruck
(km)
(mm Hg)
0 3
冧 冧 冧 冧
Indifferenzzone Reaktionsschwelle Kompensationszone Störungsschwelle Störungszone kritische Schwelle Höhentod
Merke
Die Veränderungen der Organfunktionen beim Höhenaufenthalt erklären sich daraus, dass der Organismus versucht, der eintretenden Gewebehypoxie entgegenzuwirken. Dabei hat man zwischen Reaktionen auf eine akute bzw. schnell einsetzende Hypoxie und Anpassungen an einen langen Höhenaufenthalt zu unterscheiden.
7.9.1
Akut-Reaktionen auf höhenbedingten O 2-Mangel
Kompensationszone. Bei einer akuten O2-Partialdruckabnahme (z. B. bei Druckabfall im Flugzeug) oder einem schnellen Höhenaufstieg sind die funktionellen Veränderungen von der jeweiligen Höhe abhängig (⊡ Tabelle 7.6). In einem Höhenbereich zwischen 3000 und 5000 m beobachtet man eine zunehmende Steigerung des Atemzeitvolumens sowohl in Ruhe als auch bei Arbeit. Durch diese Höhenhyperventilation werden der alveoläre und damit auch der arterielle O2-Partialdruck erhöht, gleichzeitig sinkt der arterielle CO2-Partialdruck ab, sodass eine respiratorische Alkalose resultiert. Außerdem steigen die Herzfrequenz und der Blutdruck an. Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt um 10–20 % ab. Oberhalb von etwa 4000 m kann sich eine betont euphorische Stimmungslage einstellen, die u. U. zum Verkennen von Gefahren und zu Fehlentscheidungen führt (Höhenrausch). Störungszone. Im Höhenbereich zwischen 5000 und 7000 m ist die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit infolge des O2-Mangels erheblich eingeschränkt. Nach Maßgabe der erreichten Höhe und der Aufstiegsgeschwindigkeit treten verschiedene Störungssymptome auf, die unter der Bezeichnung Höhenkrankheit zusammengefasst werden. Hierzu gehören: Lungenödem mit Atemnot, Tachykardie, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hirnödem mit Apathie, aber auch Euphorie. Schließlich kommt es zum Blutdruckabfall und zur Bewusstlosigkeit. Oberhalb von ca. 7000 m Höhe können bei länger andauernder Hypoxie lebensbedrohliche Störungen der Hirnfunktion zum Höhentod führen.
293 7.9 · Höhenphysiologie
7.9.2
7
Höhenakklimatisation
Bei langem Aufenthalt in großen Höhen (> 2–3 Wochen) reagiert der Organismus auf die chronische Erniedrigung des inspiratorischen O2-Partialdrucks mit Anpassungsvorgängen, die vor allem das Blut betreffen. Schon nach wenigen Tagen kommt es zu einer verstärkten Erythropoiese, die Zahl der Retikulozyten und Erythrozyten nimmt zu (Höhenerythrozytose). Nach mehreren Monaten ist dieser Prozess abgeschlossen, wobei Höchstwerte der Erythrozytenkonzentration von 8 Mio/µl und der Hämoglobinkonzentration von 210 g/l erreicht werden können. Dies ermöglicht eine weitgehende Kompensation der arteriellen Hypoxie, sodass die arterielle O2-Konzentration etwa dem Normwert von 0,2 entspricht. Gleichzeitig nimmt die Konzentration von 2,3-BPG in den Erythrozyten zu, wodurch die O2-Bindungskurve leicht nach rechts verlagert wird ( Kap. 7.7.2). Mit dem Anstieg der Erythrozytenkonzentration ist eine Zunah me des Hämatokritwerts bis auf maximal 0,7 (70 %) und des Blutvolumens verbunden. Diese Veränderung hat eine starke Belastung des Herz-Kreislauf-Systems zur Folge, da sich der Strömungswiderstand mit dem Hämatokrit erhöht ( Kap. 6.1.2). Die durch Hyperventilation bedingte respiratorische Alkalose wird im Zuge der Höhenanpassung durch eine verstärkte HCO3–-Ausscheidung durch die Niere zumindest teilweise kompensiert ( Kap. 14.5.3). In der Muskulatur kommt es zu einer dichteren Kapillarisierung und zu einer Anpassung bestimmter Enzymaktivitäten. Alle genannten Akklimatisationsprozesse bilden die Grundlage dafür, dass Menschen in Höhen bis zu etwa 5000 m dauernd leben und arbeiten können. Akklimatisierte Bergsteiger können sich ohne Sauerstoffgerät kurzfristig in Höhen bis zu 8850 m (Mt. Everest) aufhalten.
V
Stoffwechsel und Arbeit
Kapitel 8
Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
– 295
Kapitel 9
Wärmehaushalt
– 322
Kapitel 10
Ernährung
Kapitel 11
Epitheliale Transportprozesse
Kapitel 12
Funktionen des Magen-Darm-Kanals
– 344 – 362
– 367
8
295 8.1 · Energiehaushalt
8
Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
8.1
Energiehaushalt
8.1.1
Energieumsatz der Zellen
Energieumwandlung im Organismus Zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen und der Körperstruktur ist eine ständige Energiezufuhr in Form von Nährstoffen erforderlich. Die beim Abbau der Nährstoffe anfallende Energie kann nur teilweise in Arbeit umgesetzt werden, ein anderer Teil wird zwangsläufig – dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik entsprechend – als Wärme frei. Darüber hinaus dient die Stoffwechselenergie zur Biosynthese von Enzymen, Hormonen und zellulären Strukturelementen sowie zur Anlage von Nährstoffdepots. Merke
Das Verhältnis der Energie, die für körperliche Leistung verfügbar ist, zur insgesamt umgesetzten Energie bezeichnet man als Wirkungsgrad oder Nutzeffekt: erbrachte Leistung η = 0004 umgesetzte Energie
(8.1)
Der maximale Wirkungsgrad der Skelettmuskulatur liegt bei 30–35 % und erreicht damit den für moderne Verbrennungsmotoren geltenden Bereich. Allerdings vermindert sich der Nutzeffekt beim Einsatz der Muskulatur in vivo, sodass unter günstigen Bedingungen (Radfahren, Steigen, Laufen) allenfalls Wirkungsgrade von 20–25 % erzielt werden.
Energieumsatz und Sauerstoffverbrauch Die Energieausbeute der Stoffwechselprozesse ist von der Art der umgesetzten Nährstoffe (Kohlenhydrate, Eiweiße, Fette, Kap. 10) abhängig. Für
296
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
die vollständige Oxidation der Glukose gilt beispielsweise die Umsatzgleichung: C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O + ∆G .
V
(8.2)
∆G, die freie Energie, hat unter physiologischen Bedingungen einen Wert von –2,86 MJ/mol (–683 kcal/mol). Beim oxidativen Abbau von 1 mol Glukose werden also 2,86 MJ (683 kcal) freigesetzt und dabei 6 mol = 6 ⋅ 22,4 l = 134 l Sauerstoff verbraucht. Den Energiegewinn, bezogen auf 1 l O2-Verbrauch, bezeichnet man als energetisches (kalorisches) Äquivalent des Sauerstoffs. Dieses beträgt für die Glukoseoxidation nach obiger Rechnung 21,3 kJ/l O2 (5,1 kcal/l O2) und hat für den Kohlenhydratabbau insgesamt einen ähnlichen Wert. Bei der Oxidation der Eiweiße und Fette ist das energetische Äquivalent des Sauerstoffs wegen der andersartigen Zusammensetzung dieser Nährstoffe kleiner (⊡ Tabelle 8.1). Auf der Basis dieser Werte kann man aus dem Sauerstoffverbrauch des Organismus auf seinen Energieumsatz schließen ( Kap. 8.1.3), sofern die Relation zwischen den am Umsatz beteiligten Nährstoffen bekannt ist. Merke
Einen Hinweis auf die Beteiligung der einzelnen Nährstoffgruppen an den Stoffwechselprozessen liefert der Respiratorische Quotient: RQ = CO2-Abgabe/O2-Aufnahme.
(8.3)
⊡ Tabelle 8.1. Respiratorischer Quotient RQ und energetisches (kalorisches) Äquivalent des Sauerstoffs beim Umsatz verschiedener Nährstoffe RQ
Kohlenhydrate
1,0
Energetisches Äquivalent kJ/l O2
kcal/l O2
21,1
5,05
Eiweiße
0,8
18,8
4,48
Fette
0,7
19,6
4,69
Mitteleuropäische Kost
0,82
20,2
4,83
8
297 8.1 · Energiehaushalt
⊡ Tabelle 8.2. Abhängigkeit des energetischen (kalorischen) Äquivalents des Sauerstoffs vom Respiratorischen Quotienten bei einem Eiweißanteil von 15 % am Energieumsatz (Mittelwerte hervorgehoben) Respiratorischer Quotient RQ
1,0
0,9
0,82
0,8
0,7
energetisches Äquivalent
21,1 5,05
20,6 4,93
20,2 4,83
20,1 4,81
19,6 4,69
(kJ/l O2) (kcal/l O2)
Bei Oxidation der Glukose und anderer Kohlenhydrate ist die gebildete CO2-Menge gleich der verbrauchten O2-Menge ( Gl. 8.2) und damit der RQ = 1,0. Bei Eiweißabbau hat der RQ einen Wert von 0,8, bei Fettabbau beträgt er 0,7 (⊡ Tabelle 8.1). Wenn man nun berücksichtigt, dass die mitteleuropäische Kost einen recht konstanten Eiweißanteil mit einem Beitrag von etwa 15 % zum Energieumsatz enthält, so liefert der messbare RQ-Wert eine Aussage über die Kohlenhydrat-Fett-Relation beim Nährstoffumsatz. Unter dieser Bedingung (15 % Energieanteil aus Eiweißumsatz) kann also jedem RQ eine eindeutige Nährstoffrelation und auch ein definierter Wert für das energetische Äquivalent des Sauerstoffs zugeordnet werden (⊡ Tabelle 8.2). Der RQ-Wert kann in Ausnahmefällen auch außerhalb des Bereiches 0,7–1,0 liegen: Größer als 1 wird er bei Kohlenhydratmast (Synthese von Speicherfett), kleiner als 0,7 bei lang dauernden Hungerzuständen (Umbau von Speicherfett in Glukose) und bei (unbehandeltem) Diabetes mellitus ( Kap. 15.7.3). Außerdem können extrem hohe oder niedrige RQ-Werte aus den Atemgasen bestimmt werden, wenn vorübergehend der Atmungs-RQ (respiratorische RQ) nicht mit dem Stoffwechsel-RQ (metabolischen RQ) übereinstimmt: So erfolgt beispielsweise am Beginn einer willkürlichen Hyperventilation ( Kap. 7.4.1) oder bei Ausbildung einer metabolischen Azidose ( Kap. 14.5.4) eine stärkere respiratorische CO2-Abgabe als es der CO2-Bildung im Stoffwechsel entspricht, wodurch der Atmungs-RQ kurzzeitig über 1,0 (u. U. über 1,5) ansteigt.
Umsatzgrößen der Zellen Der Energieumsatz der Zellen hängt nicht nur von ihrem Aktivitätszustand, sondern auch vom jeweiligen Substrat- und O2-Angebot ab. Unter dem Aspekt einer limitierten Energiegewinnung unterscheidet man drei Umsatzgrößen auf zellulärer Ebene. Als Tätigkeitsumsatz bezeichnet man den Energieumsatz der ausreichend versorgten aktiven Zelle, der nach Maßgabe der jeweiligen Zellaktivität in weiten Grenzen variieren kann. Beispielsweise steigt der Energieumsatz arbeitender Muskelzellen bei Dauerleistungen bis um das 30fache des Ruhewerts an. Bei einer Mangelversorgung bezeichnet der Bereitschaftsumsatz
298
V
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
den minimalen Energieumsatz, der noch die volle Funktionsbereitschaft der Zellen gewährleistet. Erregbare Zellen sind z. B. nur funktionsbereit, wenn genügend Energie für die Aufrechterhaltung der Ionengradienten zur Verfügung steht. Die Größe des Bereitschaftsumsatzes ist organspezifisch, für das Gehirn liegt sie bei etwa 50 % des Tätigkeitsumsatzes (⊡ Abb. 7.26). Der Strukturerhaltungsumsatz stellt schließlich den minimalen Energieumsatz dar, der für die Vermeidung von Strukturschäden auf Dauer erforderlich ist. Für das Gehirn beträgt er 10–15 % des Tätigkeitsumsatzes. (Bzgl. der Folgen eines reduzierten Energieumsatzes Kap. 7.8.2.)
8.1.2
Umsatzgrößen des gesamten Organismus
Grundumsatz Messungen haben gezeigt, dass nicht nur bei Muskelarbeit, sondern auch im Anschluss an die Nahrungsaufnahme und bei Änderungen der Umgebungstemperatur der Energieumsatz des Menschen ansteigt. Merke
Aus diesem Grund hat man folgende Standardisierung für die Bestimmung des Energieumsatzes eingeführt: Die Messung muss morgens nach 12-stündiger Nahrungskarenz (»nüchtern«) in physischer und psychischer Ruhe und bei indifferenter Umgebungstemperatur (22–25 °C bei leichter Bekleidung) durchgeführt werden. Der so ermittelte, meist auf die Zeit von 24 Stunden bezogene Energieumsatz wird als Grundumsatz bezeichnet.
Der Grundumsatz eines Menschen hängt von seinen Körpermaßen (Größe und Gewicht) sowie von Alter und Geschlecht ab. Die Werte für den Sollumsatz des Gesunden als Funktion dieser vier Parameter können aus Tabellen entnommen werden. Zur Orientierung genügt die Angabe, dass der Grundumsatz des erwachsenen Mannes pro kg Körpergewicht und Stunde 4,2 kJ (1 kcal) beträgt; bei einem Gewicht von 70 kg entspräche das einem Wert von etwa 7,1 MJ/Tag (1,7 Mcal/Tag). Gleichschwere Frauen haben – vermutlich wegen der stärkeren Ausbildung des Fettgewebes – einen um etwa 10 % niedrigeren Grundumsatz. Vielfach werden auch die Grundumsatzwerte auf die Körperoberfläche bezogen, die man aus Größe und Gewicht mit
299 8.1 · Energiehaushalt
8
⊡ Abb. 8.1. Abhängigkeit des Grundumsatzes (pro m2 Körperoberfläche und Stunde) von Lebensalter und Geschlecht, nach BOOTHBY et al. (1936)
Hilfe von Formeln oder Nomogrammen ermitteln kann. ⊡ Abbildung 8.1 zeigt, wie der Grundumsatz (pro m2 Körperoberfläche und pro Stunde) vom Lebensalter und vom Geschlecht abhängt. Bemerkenswert ist die starke Abnahme der oberflächenbezogenen Umsatzwerte vom 10. bis zum 20. Lebensjahr. Die schon lange bekannte Tatsache, dass kleinere Lebewesen einen relativ höheren Energieumsatz als größere Tiere haben, gab Anlass zu der Frage, in welcher Relation die Umsatzgröße zu den Körpermaßen steht. In ⊡ Abb. 8.2 sind die Grundumsatzwerte (W = J/s) für verschiedene Spezies in Abhängigkeit vom Körpergewicht (kg) eingetragen. In einer solchen doppelt-logarithmischen Darstellung müssten die Messpunkte der durch n = 1 gekennzeichneten grünen Geraden folgen, wenn der Grundumsatz dem Körpergewicht proportional wäre. Eine Messpunktanordnung auf der Geraden n = 0,67 würde eine Proportionalität zur Oberfläche anzeigen. Man erkennt, dass die tatsächlich gefundene rote Regressionsgerade n = 0,75 zwar nicht der Umsatz-Oberflächen-Relation voll entspricht, ihr jedoch nahe kommt. Da die beim Energieumsatz gebildete Wärme zum großen Teil über die Körperoberfläche an die Umgebung abgegeben wird, erscheint eine solche Relation plausibel, obwohl noch andere Faktoren hierbei eine Rolle spielen. Bezogen auf das Gewicht, beträgt der Energieumsatz beispielsweise für die Maus ca. 10 W/kg, für den Elefanten jedoch nur ca. 0,5 W/kg. Die Tatsache, dass der Energieumsatz pro kg Körpergewicht von den kleinen zu den großen Tieren abnimmt, wird häufig auch als »Gesetz der Stoffwechselreduktion« bezeichnet. Umsatzbeeinflussende Faktoren. Die Regulation des Gesamtstoffwechsels und damit des Grundumsatzes erfolgt unter Mitwirkung der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin T3 und Thyroxin T4 ( Kap. 15.3.1). Daher findet man bei Störungen der Schilddrüsenfunktion veränderte Grundumsatzwerte, die früher häufig für die diagnostische Bewertung herangezogen wurden. Bei Schilddrüsen-
300
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
V
⊡ Abb. 8.2. Beziehung zwischen Energieumsatz und Körpergewicht im Tierreich, dargestellt in doppelt-logarithmischem Maßstab, nach Kleiber (aus Schmidt und Thews, 1995). Die rote Gerade korreliert mit den experimentell gewonnenen Werten. Es sind ferner die Geraden angegeben, die einer Proportionalität zwischen Energieumsatz und Körpergewicht (grün, n = 1) sowie zwischen Energieumsatz und Körperoberfläche (blau, n = 0,67) entsprechen würden
überfunktion (Hyperthyreose) kommt es zu einer Zunahme, bei Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) zu einer Abnahme des Grundumsatzes. Eine umsatzsteigernde Wirkung haben ferner Adrenalin, Somatotropin und die Sexualhormone. Die allgemeine Aktivierung des Sympathikus führt zu einer Zunahme, die Aktivierung des Parasympathikus zu einer Abnahme der Umsatzgröße. In ⊡ Tabelle 8.3 sind einige wichtige Ursachen für Veränderungen des Energieumsatzes zusammengestellt und die zugehörigen Entstehungsmechanismen angegeben.
Arbeitsumsatz Der Energiebedarf unter Freizeitbedingungen, d. h. ohne spezielle körperliche Arbeitsleistung, beträgt im Mittel für den Mann 9,6 MJ/Tag (2,3 Mcal/ Tag) und für die Frau 8,4 MJ/Tag (2,0 Mcal/Tag). Bei Berufstätigkeit erhöht sich der Energiebedarf, wobei die Zunahme von der Schwere der jeweiligen Arbeitsbelastung abhängt. In ⊡ Tabelle 8.4 sind zur Orientierung die Werte für den täglichen Energieumsatz des Mannes in 4 Belastungsbereichen angegeben, die sich jeweils durch einen zusätzlichen Energiebedarf von 2,5 MJ/ Tag (0,6 Mcal/Tag) unterscheiden.
8
301 8.1 · Energiehaushalt
⊡ Tabelle 8.3. Physiologische und pathophysiologische Veränderungen des Energieumsatzes (in körperlicher Ruhe) führt infolge
zur Umsatz-
Geistige Tätigkeit
Zunahme des Muskeltonus
Steigerung
Schlaf, Narkose
Abnahme des Muskeltonus
Minderung
Emotionale Reaktion (z. B. Angst)
Sympathikusaktivierung, Adrenalinfreisetzung
Steigerung
Abnahme der Umgebungstemperatur T
der Kälteabwehrmechanismen ( Kap. 9.2)
Steigerung (um 40 % bei T = 20 °C → 0 °C)
Fieber
Stoffwechselsteigerung
Steigerung (um 14 % pro °C Temperaturanstieg) Steigerung (bis um 100 %)
Hyperthyreose
Anstiegs des T3- und T4-Spiegels
Hypothyreose
Abnahme des T3- und T4-Spiegels
Minderung (bis um 40 %)
Hypovolämischer Kreislaufschock ( Kap. 6.8.2)
peripherer O2-Mangelversorgung
Minderung
⊡ Tabelle 8.4. Mittlere Werte des (Gesamt-) Energieumsatzes und des Arbeitsumsatzes für Männer unter typischen Bedingungen Energieumsatz MJ/Tag Grundumsatz Ruheumsatz Freizeitumsatz
Arbeitsumsatz Mcal/Tag
MJ/Tag
Mcal/Tag
7,1 8,4 9,6 10,1
1,7 2,0 2,3 2,4
0,4
0,1
12,6
3,0
2,9
0,7
15,1
3,6
5,4
1,3
17,6
4,2
8,0
1,9
20,1
4,8
10,5
2,5
leichte Arbeit mittelschwere Arbeit schwere Arbeit sehr schwere Arbeit
302
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Merke
Der über den Freizeitumsatz hinausgehende, für die körperliche Leistung benötigte Energieumsatz wird als Arbeitsumsatz (Leistungszuschlag) bezeichnet.
V
Bei lang dauernder Schwerstarbeit sollte bei Männern eine Umsatzgrenze von 20 MJ/Tag (4,8 Mcal/Tag) nicht überschritten werden, weil die limitierte Absorptionsleistung des Gastrointestinaltrakts eine Nährstoffaufnahme für einen höheren Energieumsatz in der Regel nicht zulässt. Bei Frauen liegt diese Grenze für den Energieumsatz auf Dauer bei 15,5 MJ/Tag (3,7 Mcal/ Tag). Für Saisonarbeiter und ausdauertrainierende Leistungssportler sind allerdings noch höhere Umsatzwerte von bis zu 33 MJ/Tag (8 Mcal/Tag) über mehrere Monate gemessen worden.
8.1.3
Messung des Energieumsatzes
Merke
Die Bestimmung des Energieumsatzes kann erfolgen durch Messung der Wärmeabgabe (insbesondere bei Kleintieren), weil in Ruhe die umgesetzte Energie mit der Wärmeabgabe direkt korreliert (direkte Kalorimetrie), oder Messung des O2-Verbrauchs, weil der Organismus seine Energie nahezu vollständig durch oxidativen Abbau der Nährstoffe gewinnt (indirekte Kalorimetrie).
Indirekte Energieumsatzbestimmung Beim Menschen wird der Energieumsatz fast ausschließlich nach dem Verfahren der indirekten Kalorimetrie bestimmt. Die Messung der pulmonalen O2-Aufnahme, die im stationären Zustand dem O2-Verbrauch der Körperzellen entspricht, kann dabei mit dem geschlossenen oder mit dem offenen spirometrischen System erfolgen. Bei der Messung im geschlossenen System (⊡ Abb. 8.3) atmet der Proband reinen Sauerstoff aus einem Spirometer ein. Das Ausatmungsgemisch wird durch ein CO2-Absorptionsgefäß geleitet und der ausgeatmete, zu vernach-
8
303 8.1 · Energiehaushalt
⊡ Abb. 8.3. Messung der O2-Aufnahme im geschlossenen spirometrischen System. Der Proband inspiriert reinen Sauerstoff aus einem Tauchglockenspirometer; das Exspirationsgemisch wird durch einen Behälter mit CO2-absorbierendem Atemkalk geleitet. Der Anstieg des registrierten Spirogramms (links), der durch eine Verbindungsgerade der Umkehrpunkte festgelegt wird, entspricht der O2-Aufnahme des Probanden (im Beispiel der Abbildung 0,5 l/min)
lässigende Stickstoffanteil in das Spirometer zurückgeführt. Nach Maßgabe der O2-Aufnahme durch den Probanden vermindert sich das Spirometervolumen, sodass das registrierte Spirogramm von Atemzug zu Atemzug ansteigt (oder bei umgekehrter Führung des Schreibsystems abfällt). Die Anstiegs- bzw. Abfallssteilheit des Kurvenzugs bestimmt die an einer Skala abzulesende Volumenänderung und damit die O2-Aufnahme pro Zeiteinheit. Für die Berechnung des Energieumsatzes ist die gemessene O2-Aufnahme O2 nach der allgemeinen Zustandsgleichung der idealen Gase zunächst auf Standardbedingungen (STPD, Kap. 7.4.1) zu reduzieren:
O2 (STPD)
=
O2
PB – PH2O 273 05 01 . 760 273 + t
(8.4)
PB = Barometerdruck (mm Hg), PH2O = Wasserdampfdruck im Spirometer (mm Hg), t = Spirometertemperatur (°C).
304
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Die Multiplikation von O2 (STPD) (l/min) mit dem energetischen Äquivalent des Sauerstoffs (⊡ Tabelle 8.1) liefert dann den gesuchten Energieumsatz. Sofern der Respiratorische Quotient nicht gesondert bestimmt wird, kann man hierbei ohne großen Fehler einen (dem RQ von 0,82 entsprechenden) Durchschnittswert von 20,2 kJ/l O2 (4,83 kcal/l O2) einsetzen: Energieumatz = =
V
· 20,2 (kJ/min) O2 (STPD) · 4,83 (kcal/min). O2 (STPD)
(8.5)
· Für das Beispiel in ⊡ Abb. 8.3 ist VO2 = 0,5 l/min.Wenn bei der Messung PB = 750 mm Hg, PH2O = 17 mm Hg · und t = 20 °C betrugen, ergibt sich nach Gl. (8.4) VO2 (STPD) = 0,45 l/min und damit ein Energieumsatz von 9,1 kJ/min bzw. 2,17 kcal/min.
Bei der Messung im offenen System atmet der Proband über ein Mundstück Frischluft ein, deren O2- und CO2-Fraktionen bekannt sind (FIO2 = 0,209, FICO2 ≈ 0). Das Ausatmungsgemisch wird – gesteuert durch ein Ventil – auf einem gesonderten Weg in einen Sammelbeutel geleitet. In dem gesammelten Gasgemisch können die exspiratorischen O2- und CO2-Fraktionen (FEO2, FECO2) mit geeigneten Analysegeräten ( Kap. 7.4.1) erfasst werden. Mit Hilfe eines in den Ausatmungsweg eingebauten Messgerätes (»Gasuhr«) bestimmt man außerdem das exspiratorische Atemzeitvolumen E. Die O2-Aufnahme O2 und die CO2-Abgabe CO2 ergeben sich dann jeweils als Produkt aus Atemzeitvolumen und inspiratorisch-exspiratorischer Fraktionsdifferenz ( Kap. 7.4.1): O2
=
E
(FIO2 – FEO2) bzw.
CO2
=
E FECO2
.
(8.6)
Aus dem Messwert für die O2-Aufnahme, der noch auf Standardbedingungen zu reduzieren und wegen des kleinen Unterschieds zwischen Inspirationsund Exspirationsvolumen zu korrigieren ist, kann schließlich der Energieumsatz mit Hilfe des energetischen Äquivalents berechnet werden. Da in diesem Fall der RQ = CO2/ O2 genau bekannt ist, besteht die Möglichkeit, den jeweils aktuellen Wert des energetischen Äquivalents nach ⊡ Tabelle 8.2 einzusetzen. Wenn die Bestimmung des Energieumsatzes bei Arbeitsuntersuchungen ortsunabhängig erfolgen soll, wird das Ausatmungsgemisch zunächst in einen luftdichten Douglas-Sack eingeleitet, den der Proband auf dem Rücken trägt. Das in einer definierten Zeit gesammelte Gasvolumen und die exspiratorischen Atemgasfraktionen können dann nachträglich bestimmt
305 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
werden. Auf diese Weise ist es möglich, die bei einer speziellen Leistung umgesetzte Energie zu bestimmen.
8.2
Arbeitsphysiologie
8.2.1
Grundlagen der Arbeitsphysiologie
Aufgabenbereiche Die Arbeitsphysiologie – einschließlich des Teilgebiets Sportphysiologie – behandelt die Funktionen des menschlichen Organismus unter physischen und psychischen Belastungsbedingungen. Hieraus ergeben sich Hinweise auf die zweckmäßige, d. h. humane Arbeitsgestaltung (Arbeitsdauer, Pausenlänge, Anpassung des Arbeitsplatzes). Zum Gegenstand der Arbeitsphysiologie gehören ferner die Erfassung der maßgebenden Faktoren für die verschiedenen Arbeitsleistungen des Menschen und die Untersuchung der Leistungsgrenzen sowie der leistungsbestimmenden Einflüsse (Motivation, Trainingszustand u. a.). Schließlich bilden arbeitsphysiologische Aspekte die Grundlage für präventivmedizinische Maßnahmen.
Begriffsdefinitionen Unter Belastung versteht man eine von außen vorgegebene Forderung, eine bestimmte Arbeit unter bestimmten Bedingungen durchzuführen. Bei der Erfüllung einer solchen Aufgabe erbringt der Mensch eine Leistung, die z. B. bei dynamischer Arbeit in Watt gemessen werden kann. Die individuellen Reaktionen der Organfunktionen auf die Arbeitssituation werden unter dem Begriff Beanspruchung zusammengefasst. Der Grad der Beanspruchung hängt dabei einmal von dem Wirkungsgrad ( Kap. 8.1.1) der jeweiligen Arbeitsform und zum anderen von der individuellen Leistungsfähigkeit, d. h. vom Gesundheits- und Trainingszustand sowie von der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit (Begabung), ab (⊡ Abb. 8.4).
306
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
V ⊡ Abb. 8.4. Schema zur Begriffsbestimmung arbeitsphysiologischer Größen, nach Ulmer (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Leistungsarten Bei der Arbeit des Menschen unterscheidet man verschiedene Leistungsarten. Merke
Physische (körperliche) Leistungen beanspruchen in erster Linie die Skelettmuskulatur, darüber hinaus jedoch auch viele andere Organsysteme, wie z. B. die Herz-Kreislauf-Funktion und die Atmung.
Handelt es sich dabei um eine dynamische Arbeit, so wird die Muskelkraft für die Überwindung von Bewegungswiderständen längs eines Weges eingesetzt (Arbeit im physikalischen Sinn). In diesem Fall lässt sich die erbrachte Leistung in physikalischen Einheiten (W) quantifizieren (1 W = 1 J/s ≈ 0,1 mkp/s). Bei der statischen Arbeit halten isometrische Muskelkontraktionen nach dem Gesetz von actio und reactio einer von außen einwirkenden Kraft das Gleichgewicht (Haltearbeit). Obwohl hierbei keine physikalische Arbeit geleistet wird, zeigen sich – bei gesteigertem Energieumsatz – oft erhebliche Beanspruchungsreaktionen. Als Maß für die statische »Leistung« verwendet man in diesem Fall das Produkt aus Kraft und Zeit. Bei psychischen Leistungen werden in erster Linie die Funktionen des Zentralnervensystems in Anspruch genommen. Viele berufliche Tätigkeiten erfordern in zunehmendem Maße vor allem intellektuelle (mentale) Fähigkeiten (Denkvermögen, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit). Die men-
307 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
talen Leistungen, die ebenfalls mit organischen Beanspruchungsreaktionen einhergehen, unterliegen in besonders starkem Maße emotionalen und Umwelt-Einflüssen. Eine Reihe von beruflichen Aufgaben ist nur durch eine Kombination von physischen und psychischen Leistungen zu erfüllen. Einen Sonderfall stellen hierbei die sensomotorischen Leistungen dar, die bei geringem Krafteinsatz ein hohes Maß an Koordination der Bewegungsabläufe (Geschicklichkeit) und Konzentration erfordern (chirurgische Tätigkeit, Montage sehr kleiner elektronischer Geräte u. a.).
8.2.2
Organfunktionen bei dynamischer Arbeit
Muskulatur Zu Beginn einer Muskelarbeit wird der erhöhte O2-Bedarf der Muskelzellen durch das regionale O2-Angebot nicht gedeckt. Auch der rote Muskelfarbstoff Myoglobin ( Kap. 7.7.1) kann nur geringe O2-Mengen zusätzlich zur Verfügung stellen. Daher ist die arbeitende Muskulatur zunächst überwiegend auf eine anaerobe Energiegewinnung angewiesen. Merke
Die unmittelbare Energiequelle für die Muskelkontraktion stellt die hydrolytische Spaltung von Adenosintriphosphat (ATP) in Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat (Pi) dar.
Die geringen ATP-Vorräte wären nach 2–4 s erschöpft, wenn keine Nachlieferung erfolgte. Als Quelle für die ATP-Synthese dient Kreatinphosphat (KrP), durch dessen Hydrolyse in Kreatin und Phosphat erhebliche Energiemengen für ca. 20 s übertragen werden (⊡ Abb. 8.5). Bevor noch die Vorräte an Kreatinphosphat erschöpft sind, übernimmt der anaerobe Glukoseabbau (Glykolyse) die führende Rolle bei der Energiegewinnung. Erst langsam werden die Regulationsmechanismen wirksam, welche die Durchblutung der arbeitenden Muskulatur an den erhöhten O2-Bedarf anpassen. Im selben Maße steigt die aerobe Energienachlieferung durch oxidativen Abbau von Glukose, z. T. auch von freien Fettsäuren an. Bei schwerer Arbeit erreicht die aerobe Energiegewinnung erst nach >3 min ihre volle Wirksamkeit.
308
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
V
⊡ Abb. 8.5. Energiebereitstellung zu Beginn einer schweren Muskelarbeit in Abhängigkeit von der Zeit. Sofort nach Arbeitsbeginn wird verbrauchtes ATP durch den Abbau von Kreatinphosphat KrP resynthetisiert, sodass die ATP-Konzentration weitgehend konstant bleibt. Der · muskuläre O2-Verbrauch V O2 und damit die oxidative Energiegewinnung erreicht erst nach ca. 3 min ein Maximum
Bei schwerer Arbeit muss infolge eines inadäquaten O2-Angebots ein Teil der Energie ständig auf anaerobem Weg gewonnen werden, sodass die Konzentration der Milchsäure (Endprodukt des anaeroben Glukoseabbaus) ansteigt und zur muskulären Ermüdung beiträgt. Bei dieser Abbauform ist die Energieausbeute gering (2 mol ATP pro mol Glukose), während durch oxidativen Abbau ein Nettogewinn von 38 mol ATP pro mol Glukose erzielt wird.
Herz-Kreislauf-System Der bei dynamischer Arbeit erhöhte O2-Bedarf der Muskulatur erfordert eine Steigerung des Herzzeitvolumens. Neben einer Zunahme des Schlagvolumens um 20–30 % steigt insbesondere die Herzfrequenz an, wobei das Ausmaß der Frequenzsteigerung vom Grad der Beanspruchung abhängig ist (⊡ Abb. 8.6). Bei leichter Arbeit mit konstanter Intensität erreicht die Herzfrequenz nach 5–10 min einen Plateauwert (Steady State), der auch bei stundenlanger Arbeit beibehalten wird. Je größer die Beanspruchung, umso höher liegt der Plateauwert. Bei einer aus energetischer Sicht schweren Arbeit mit konstanter Leistung zeigt die Herzfrequenz nach der initialen Zunahme einen weiteren Ermüdungsanstieg; die Frequenz nimmt bis zu einem individuellen
309 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
⊡ Abb. 8.6. Herzfrequenzänderungen während und nach leichter bzw. schwerer dynamischer Arbeit (konstanter Intensität) bei Probanden mit durchschnittlicher Leistungsfähigkeit. Rote Fläche: Erholungspulssumme
Höchstwert zu und kann dann für wenige Minuten in ein Plateau (»Leveling Off«) übergehen, bis schließlich die Arbeit erschöpfungsbedingt abgebrochen werden muss. Merke
Nach Maßgabe der Herzfrequenz lassen sich somit 2 Arbeitsformen unterscheiden: nichtermüdende Arbeit: Steady State, Herzfrequenz unter ca. 130/min, ermüdende Arbeit: Ermüdungsanstieg der Herzfrequenz bis auf ca. (220 – Lebensalter) (min–1).
Der zeitliche Verlauf des Herzfrequenzabfalls auf den Ausgangswert nach Beendigung der Arbeit hängt ebenfalls vom Beanspruchungsgrad ab. Die Erholungszeit (Zeit bis zum Erreichen des Herzfrequenz-Ausgangswerts) beträgt bei leichter Arbeit 3–5 min und dauert bei schwerer Arbeit erheblich länger (1 Stunde und mehr). Die Anzahl der Pulse, die in der Erholungszeit
310
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
über dem Ausgangswert liegen (rote Fläche in ⊡ Abb. 8.6), wird als Erholungspulssumme bezeichnet. Diese Größe stellt – ebenso wie die Pulsfrequenzzunahme während der Arbeit – ein Maß für den Grad der Beanspruchung dar. Die Veränderungen des Blutdrucks bei Arbeit sind in Kap. 6.2.3 dargestellt.
Sauerstoffaufnahme
V
Die O2-Aufnahme zeigt während und nach dynamischer Arbeit ein ähnliches Verhalten wie die Herzfrequenz. Bei leichter Arbeit steigt die O2-Aufnahme – entsprechend der Zunahme der Muskeldurchblutung – langsam an (⊡ Abb. 8.7) und erreicht nach 3–5 min einen konstanten Wert (Steady State), der beim Untrainierten bis zum 4fachen des Ruhewerts beträgt. Dagegen nimmt bei schwerer Arbeit die O2-Aufnahme fortlaufend zu, ohne dass sich ein Steady-State-Wert einstellt. Zu Beginn der Arbeit entspricht die O2-Aufnahme nicht dem Energiebedarf der arbeitenden Muskulatur, die diese Zeit durch anaerobe Energiegewinnung überbrückt ( Kap. 8.2.2). Merke
Das O2-Volumen, welches gegenüber dem anfänglichen O2-Bedarf zu wenig aufgenommen wird (rote Fläche in ⊡ Abb. 8.7), bezeichnet man als Sauerstoffdefizit. Es kann bei nicht ermüdender Arbeit bis zu 4 l und bei ermüdender Arbeit bis zu 20 l O2 betragen.
Schuld
⊡ Abb. 8.7. Änderung der O2-Aufnahme während und nach leichter dynamischer Arbeit konstanter Intensität (100-W-Fahrradergometrie)
311 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
Nach Beendigung der Arbeit geht die O2-Aufnahme nur langsam auf den Ausgangswert zurück (Tilgung der Sauerstoffschuld). Der in der Erholungsphase vermehrt aufgenommene Sauerstoff dient in erster Linie zur Restitution der Energiespeicher in der Muskulatur, darüber hinaus jedoch auch zur Deckung des Bedarfs anderer Organsysteme, deren Funktionen in dieser Phase noch nicht auf den Ruhewert abgeklungen sind (Herztätigkeit, Atmung u. a.). Daher ist das O2-Volumen für die Tilgung größer als das anfangs eingegangene Sauerstoffdefizit.
Stoffwechselparameter im Blut Während sich bei Arbeit die arterielle O2-Konzentration nur wenig ändert, vermindert sich die gemischt-venöse O2-Konzentration mit zunehmender Leistung, weil die O2-Kapazität des Blutes bei erhöhtem O2-Verbrauch stärker ausgeschöpft wird. Es kommt also zu einem leistungsabhängigen Anstieg der arteriovenösen [O2]-Differenz avDO2. Dementsprechend nehmen die gemischt-venöse CO2-Konzentration und damit die venös-arterielle [CO2]-Differenz zu. Die Laktatkonzentration des Blutes weist in Abhängigkeit von der Arbeitsintensität erhebliche Schwankungen auf. In Ruhe und bei leichter Arbeit beträgt die arterielle Laktatkonzentration ca. 1 mmol/l. Bei mittelschwerer und schwerer Arbeit steigt der Laktatspiegel infolge des anaeroben Muskelstoffwechsels zunächst auf das 2–3fache des Ruhewertes an. Im weiteren Arbeitsverlauf beobachtet man dann jedoch wieder einen Abfall, da Laktat in Typ-1-Fasern der Skelettmuskulatur und im Myokard oxidativ abgebaut, in der Leber hauptsächlich zu Glukose resynthetisiert und in geringem Maße mit dem Schweiß ausgeschieden wird. Bei Schwerstarbeit mit einem großen Anteil anaerober Energiegewinnung nimmt dagegen die Laktatkonzentration im Blut laufend zu und kann im Extremfall Werte von 15–20 mmol/l erreichen. Der Anstieg des Laktatspiegels führt zu einer metabolischen Azidose ( Kap. 14.5.4), die ihrerseits eine Ventilationssteigerung mit verstärkter CO2-Abgabe (arterielle PCO2-Senkung) verursacht.
8.2.3
Organfunktionen bei statischer Arbeit
Merke
Zur statischen Arbeit, die durch isometrische Muskelaktivität gekennzeichnet ist, rechnet man die Haltearbeit, die beim Halten und Tragen von Lasten zu leisten ist, und die Haltungsarbeit, die der Stabilisierung der Körperposition in Ruhe und bei Bewegungen dient.
312
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Haltearbeit
V
Bei der isometrischen Haltearbeit ist der Innendruck in der belasteten Muskulatur ständig erhöht und damit die Muskeldurchblutung nach Maßgabe des jeweiligen Kraftaufwands eingeschränkt. Zur Quantifizierung dieser Einschränkung bezieht man sich auf die maximale Muskelkraft. Unter der Maximalkraft versteht man diejenige Kraft, bei der die isometrische Kontraktion mit stärkstem Willenseinsatz für etwa 2–3 s aufrechterhalten werden kann. Sie hängt vom Muskelquerschnitt ab und variiert zwischen 40 und 100 N/cm2. Wenn die eingesetzte Haltekraft einen Wert von ca. 10 % der Maximalkraft übersteigt, kann die eingeschränkte Durchblutung den O2-Bedarf der Muskeln nicht mehr voll decken, sodass früher oder später Ermüdung einsetzt. Bis zu einer Haltekraft von ca. 30 % der Maximalkraft steigt die Durchblutung zwar noch an, bleibt aber weit unter dem Bedarf. Bei Einsatz von 50–60 % der Maximalkraft wird die Durchblutung infolge des stark erhöhten Muskelinnendrucks vollständig unterbrochen, sodass in diesem und dem darüber liegenden Bereich, limitiert durch die anaerobe Energiegewinnung, nur noch sehr kurze Haltezeiten (<1 min) möglich sind. Ähnlich wie bei dynamischer Arbeit treten auch bei statischer Arbeit Beanspruchungsreaktionen im respiratorischen und im kardiovaskulären System auf. Während schwerer Haltearbeit wird häufig die Bauchpresse (bei geschlossener Stimmritze) reflektorisch aktiviert. Dies trägt zwar zur Stabilisierung des Rumpfes bei, behindert aber gleichzeitig den pulmonalen Gasaustausch und den venösen Rückstrom zum Herzen. Die Kreislaufreaktionen sind daher davon abhängig, ob die Bauchpresse eingesetzt wird oder nicht. Zur Orientierung über die Veränderungen der Kreislaufparameter mögen die folgenden Daten dienen, die bei 5 minütiger Haltearbeit mit einem Kraftaufwand von 30 % der Maximalkraft ohne Einsatz der Bauchpresse gemessen wurden: Anstieg der Herzfrequenz um 20/min, Zunahme des Herzzeitvolumens um 1,7 l/min, Erhöhung des arteriellen Mitteldrucks um 20 mm Hg.
Haltungsarbeit Die ständige unwillkürliche Kontrolle der Haltungsmotorik ist eine notwendige Voraussetzung für die Stabilisierung der jeweiligen Körperposition sowie für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts in Ruhe, bei Lageveränderungen und bei Bewegungen; ins Bewusstsein tritt sie jedoch erst, wenn im Laufe der Zeit die Folgen von Fehlhaltungen manifest werden. Dies gilt insbesondere für Zwangshaltungen am Arbeitsplatz. Schreibtischarbeiten, die
313 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
in unzweckmäßiger Sitzhaltung ausgeführt werden, können ebenso zu Beschwerden führen, wie Arbeiten, die (z. B. bei Berufskraftfahrern) eine ständig gleich bleibende Körperhaltung erfordern. Als Folge von Verspannungen der Muskulatur und Fehlbelastungen der Wirbelsäule treten dabei häufig Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich auf. Ferner werden beim Heben und Tragen schwerer Lasten die Bandscheiben einer erheblichen Druckbelastung ausgesetzt, wodurch auf die Dauer degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule verursacht werden können.
8.2.4
Reaktionen auf psychische Belastungen
Mentale Belastungen längerer Dauer führen zu einer Steigerung des Gesamtenergieumsatzes, weil unter diesen Bedingungen der Muskeltonus reflektorisch erhöht wird. Außerdem findet man häufig eine Hyperventilation, einen Anstieg der Herzfrequenz sowie eine Zunahme der Hautdurchblutung und der Schweißsekretion. Bei emotionalen Belastungen (Angst, Wut usw.) treten ähnliche, jedoch stärker ausgeprägte Begleitreaktionen auf. So beobachtet man hierbei gelegentlich einen Anstieg der Herzfrequenz bis auf 170/min. Kennzeichnend für die emotionale Situation ist ganz allgemein eine Zunahme des Sympathikustonus (ergotrope Reaktionslage), deren Auswirkungen im Zusammenhang mit den Kreislauffunktionen ( Kap. 6.7.4) dargestellt sind. Typisch ist außerdem eine den Stoffwechselbedarf übersteigende Ventilationszunahme (psychogene Hyperventilation).
8.2.5
Leistungsbeeinflussende Faktoren
Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft Unter der Leistungsfähigkeit versteht man das Vermögen, eine bestimmte Anforderung erfüllen zu können. Für ihre Beurteilung gelten unterschiedliche Kriterien, je nachdem, ob es sich dabei um eine physische, mentale oder sensomotorische Belastung handelt. Die körperliche Leistungsfähigkeit hängt von verschiedenen individuellen Faktoren (Alter, Körperbau, Gesundheitszustand, Trainingszustand, Talent) ab und variiert dementsprechend innerhalb der Bevölkerung in weiten Grenzen. Die maximale Leistungsfähigkeit
314
V
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
eines Menschen wird kaum jemals – selbst nicht bei sportlicher Höchstleistung – voll ausgenutzt. In der Regel beansprucht die berufliche Tätigkeit nur einen bestimmten Prozentsatz der maximalen Leistungsfähigkeit, sodass eine entsprechende Leistungsreserve erhalten bleibt. Zur einfachen Kennzeichnung der Leistungsintensität, bezogen auf die individuelle Leistungsfähigkeit, hat man eine Einteilung in 4 Stufen vorgeschlagen; danach unterscheidet man die Bereiche ▬ der automatisierten Leistungen, die ohne Willensanstrengung ausgeführt werden können, ▬ der physiologischen Leistungsbereitschaft, die ständigen Willenseinsatz erfordert, ohne dass jedoch Ermüdung eintritt, ▬ der gewöhnlichen Einsatzreserven, die nur mit stärkerem Willenseinsatz erschlossen werden können und dabei früher oder später zur Ermüdung bzw. Erschöpfung führen, ▬ der autonom geschützten Reserven, die auch mit starkem Willenseinsatz nicht zugänglich sind und nur im Notfall oder durch Doping mobilisiert werden können. Merke
Die physiologische Leistungsbereitschaft, die für viele berufliche Tätigkeiten von Bedeutung ist, unterliegt gewissen tagesrhythmischen Schwankungen. Deren Phasen weisen allerdings erhebliche interindividuelle Variationen auf und sind außerdem von den jeweiligen Anforderungen abhängig.
Die Periodik der Leistungsbereitschaft gehört zu den zirkadianen Rhythmen, denen viele vegetative Funktionen, z. B. das Schlaf-Wach-Verhalten, unterliegen. Hierbei wird die jeweilige Funktion durch einen endogenen Zeitgeber (»biologische Uhr«) gesteuert, der beim Fehlen von äußeren Reizen eine Periodendauer von ungefähr 24 Stunden (zirkadian) hat. Unter dem Einfluss äußerer Zeitgeber (Hell-Dunkel-Wechsel, soziale Faktoren) erfolgt die Synchronisation der Periodik auf genau 24 Stunden. In ⊡ Abb. 8.8 ist als Beispiel die Tagesrhythmik der physiologischen Leistungsbereitschaft für eine mentale Arbeit auf niedrigem Anforderungsniveau dargestellt. Danach besteht gegen 8 und gegen 19 Uhr (Ortszeit) die höchste, gegen 3 Uhr die geringste Leistungsbereitschaft. Für andere Populationen und für andere Aufgaben können sich allerdings diese Phasen verschieben.
315 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
⊡ Abb. 8.8. Tagesperiodik der physiologischen Leistungsbereitschaft für eine spezielle mentale Arbeit
Bei Schichtarbeit, insbesondere bei Nachtarbeit, stimmen die Rhythmusphasen des endogenen Zeitgebers nicht mehr mit denen der äußeren Zeitgeber überein. Eine solche Desynchronisation führt zu Anpassungsschwierigkeiten und evtl. zur Minderung der Leistungsbereitschaft. Am stärksten fallen dabei die Abnahme der sozialen Kontakte, die häufig unbefriedigende Ernährungssituation und der Schlafentzug ins Gewicht. Die Gewöhnung an dauernde Schicht- oder Nachtarbeit weist jedoch ein breites Spektrum interindividueller Unterschiede auf. Dagegen kommt es nach Zeitzonensprüngen (z. B. Interkontinentalflügen), bei denen anfangs ebenfalls eine Desynchronisation der endogenen und der äußeren Zeitgeber besteht, mit einer gewissen Verzögerung zu einer vollständigen Anpassung an die neue Ortszeit. Dabei gilt die Regel, dass eine Zeitverschiebung von 2 Stunden eine Umstellungszeit von ca. 1 Tag benötigt. Bei Zeitzonensprüngen in östlicher Richtung ist die Anpassung häufig schwieriger als bei solchen in westlicher Richtung.
Leistungsgrenzen Merke
Als Dauerleistungsgrenze bezeichnet man diejenige Leistungsintensität, bis zu der eine bestimmte körperliche Arbeit für die Dauer von 8 Stunden ohne muskuläre Ermüdung durchgeführt werden kann.
Für die dynamische Arbeit des Untrainierten entspricht die Dauerleistungsgrenze etwa folgenden Beanspruchungskriterien: O2-Aufnahme 50 % des Maximalwerts, Herzfrequenz 130/min, Erholungspulssumme 100 Pulse, Atemzeitvolumen 30 l/min, Laktatkonzentration im Blut ≤ 2 mmol/l. Die meisten beruflichen Arbeiten werden unterhalb der Dauerleistungsgrenze ausgeführt, wobei kurzzeitige Überschreitungen durch Erholungspausen ausgeglichen werden. Bei statischer Arbeit liegt die Dauerleistungsgrenze bei etwa 10 % der Maximalkraft.
316
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Merke
Die Höchstleistungsgrenze stellt diejenige Leistungsintensität dar, bei der Erschöpfung, d. h. maximale Ermüdung, eintritt.
V
Körperliche Höchstleistungen werden durch die Geschwindigkeit der Energiebereitstellung in der arbeitenden Muskulatur limitiert ( Kap. 8.2.2). Daher können umso größere Leistungen erbracht werden, je kürzer die Belastungszeit ist. Bei Kurzzeitleistungen (bis zu ca. 20 s Dauer) stellt der Vorrat an ATP und Kreatinphosphat den begrenzenden Faktor dar. Bei kurzdauernden Mittelzeitleistungen (bis zu ca. 1 min) hängt die erreichte Leistung hauptsächlich von der anaeroben Glykolyserate ab. Bei längerdauernden Mittelzeitleistungen (bis zu ca. 6 min) gewinnt der oxidative Nährstoffabbau nach Maßgabe der ansteigenden O2-Nachlieferung an Bedeutung. Die O2-Nachlieferung wird nicht etwa durch die Atmungsfunktion, sondern in der Regel durch die O2-Transportkapazität des Blutkreislaufs, d. h. letztlich durch die Leistungsfähigkeit des Herzens, begrenzt. In dem Zeitraum von 3 bis 6 min erreicht die O2-Aufnahme ihr Maximum. Bei Ausdauerleistungen (Langzeitleistungen von über 6 min Dauer) lässt sich dieser Maximalwert der O2-Aufnahme nicht mehr über die gesamte Belastungszeit aufrechterhalten, wodurch der Energieumsatz etwas absinkt. Dauert die Höchstleistung länger als 30 min, so kommt als weiterer leistungsbegrenzender Faktor die Erschöpfung der Substratreserven hinzu. Bei statischen Höchstleistungen besteht ein reziproker Zusammenhang zwischen der aktivierten Muskelkraft und der maximalen Belastungsdauer. Während die Maximalkraft nur für einige Sekunden aufrechterhalten werden kann, beträgt die Haltezeit etwa 1 min, wenn 50 % der Maximalkraft eingesetzt werden und 4–5 min, wenn die Kraft auf 25 % des Maximalwertes reduziert ist. Bei Haltearbeiten, die mit einem Einsatz von weniger als 10 % der Maximalkraft erfolgen, ist die Haltezeit unabhängig von der Höhe der Belastung.
Ermüdung und Erholung Merke
Unter Ermüdung versteht man einen komplexen Vorgang, der bei schwerer Arbeit infolge von Veränderungen somatischer und/oder psychischer Funktionen zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit führt. Bei schwerer körperlicher Arbeit steht die physische (muskulär-metabolische) Ermüdung im Vordergrund, bei anstrengender geistiger oder monotoner Tätigkeit überwiegt der Einfluss der psychischen (zentral-koordinativen) Ermüdung.
Die physische Ermüdung wird vor allem durch unzureichende Energiebereitstellung und durch Anhäufung der Milchsäure in der arbeitenden Muskula-
317 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
tur hervorgerufen. Bei dynamischer Arbeit unterhalb der Dauerleistungsgrenze kommt es zwar während der Muskelkontraktion zur Abnahme der Energiereserven und zur Zunahme der Laktatkonzentration, in der nachfolgenden Erschlaffungsphase können jedoch die Energiespeicher wieder aufgefüllt und die Milchsäure abtransportiert werden. Oberhalb der Dauerleistungsgrenze reicht dagegen die Erschlaffungszeit für eine vollständige Restitution nicht aus, sodass ein »Ermüdungsrückstand« bestehen bleibt, der mit jedem Kontraktionszyklus weiter zunimmt. Bei häufigen Muskelkontraktionen kann nach längerer Dauer auch eine »Ermüdung« der Erregungsübertragung in den motorischen Endplatten eintreten. Statische Arbeit mit mehr als 10 % der Maximalkraft führt infolge mangelhafter Muskeldurchblutung zu schneller Erschöpfung der Energiereserven und starker Zunahme der Laktatkonzentration. Die Erholung nach Beendigung einer körperlichen Arbeit besteht in der Wiederauffüllung der Energiespeicher und der Elimination der Milchsäure, wobei gleichzeitig die kardiovaskulären und respiratorischen Funktionen zuerst schnell, dann langsam abnehmen. Im selben Maße steigt die Leistungsfähigkeit wieder an. Die Tatsache, dass die Restitution zu Beginn der Erholungsphase besonders schnell erfolgt (z. B. ⊡ Abb. 8.6), gibt einen Hinweis auf die richtige Festlegung von Arbeitspausen: Bei vorgegebener Arbeitszeit ist es zweckmäßiger, viele kurze, als wenige lange Pausen einzulegen.
Die psychische Ermüdung ist auf die Störung zentralnervöser Funktionen zurückzuführen. Sie tritt nicht nur bei anstrengender psychischer Arbeit (Denk-, Konzentrations-, Reaktions- und Geschicklichkeitsleistungen), sondern unter bestimmten Bedingungen auch bei physischer Belastung (Schwerarbeit, monotoner Fließbandarbeit) auf und kann durch verschiedene Faktoren (Lärm, schlechte Beleuchtung, klimatische Belastung, Interessenlosigkeit, Sorgen, Schmerzen u. a.) verstärkt werden. Zeichen der psychischen Ermüdung sind neben einem allgemeinen Unlustgefühl vor allem Störungen der Sinneswahrnehmungen, sowie der Konzentrations-, Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Ermüdungsform u. a. um eine Beeinträchtigung der synaptischen Übertragungen im ZNS (z. B. durch Veränderungen der Neurotransmitterkonzentrationen). Im Gegensatz zur muskulären Ermüdung kann die zentrale Ermüdung schlagartig aufgehoben werden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass nicht etwa die Beseitigung eines »Ermüdungsstoffs« im Zentralnervensystem, sondern die Restitution der synaptischen Übertragungsmechanismen hierfür erforderlich ist. Eine Aufhebung der psychischen Ermüdung lässt sich durch Wechsel der Tätigkeit oder der Umgebung sowie durch Motivation erreichen und tritt in der Regel stets bei Alarmreaktionen (Angst, Wut u. a.) ein.
318
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Trainingseinfluss Merke
V
Unter Training versteht man die Summe aller Maßnahmen, die zur Erhaltung oder planmäßigen Steigerung der Leistungsfähigkeit dienen. Dieses Ziel lässt sich insbesondere durch die wiederholte Durchführung einer Arbeit erreichen, wodurch entsprechende Anpassungsvorgänge im Organismus ausgelöst werden.
Der jeweils erzielte Trainingseffekt, der in einer bestimmten Leistungssteigerung zum Ausdruck kommt, hängt vom Trainingspensum, d. h. sowohl von der Intensität als auch von der Dauer des Trainings ab. Beim Absolvieren eines Trainingspensums steigt die erzielte Leistung zuerst schnell, dann langsamer an, um schließlich einen Plateauwert, die sog. Grenzleistung, zu erreichen (⊡ Abb. 8.9). Eine weitere Leistungssteigerung ist dann nur noch durch Intensivierung des Trainings möglich. Um eine optimale Anpassung der Organfunktionen zu erzielen, muss die Trainingsform so gewählt werden, dass sie dem speziellen Bewegungsablauf und der Dauer der geforderten Leistung entspricht. Für die Verbesserung von Ausdauerleistungen ist also ein spezifisches Ausdauertraining erforderlich, bei dem eine lang dauernde, aber nicht erschöpfende Arbeit über Wochen und Monate täglich wiederholt wird. Die Veränderungen der kardiovaskulären und respiratorischen Funktionen unter dem Einfluss eines intensiven Ausdauertrainings sind in ⊡ Tabelle 8.5
⊡ Abb. 8.9. Steigerung der Leistungsfähigkeit durch Training in 2 verschiedenen Intensitätsstufen und Abnahme der Leistungsfähigkeit nach Abbruch bzw. Reduktion des Trainings, nach ULMER (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
8
319 8.2 · Arbeitsphysiologie
⊡ Tabelle 8.5. Funktionsparameter von zwei 25 jährigen, 70 kg schweren Männern, der eine untrainiert, der andere ausdauertrainiert Ruhewerte (liegend)
Maximalwerte bei Belastung
untrainiert
untrainiert
trainiert
trainiert
Herzfrequenz (min–1)
75
40
180
180
Schlagvolumen (ml)
70
130
100
190
18
35
100
200
Herzzeitvolumen (l/min)
5,2
5,2
Atemzeitvolumen (l/min)
7
7
Sauerstoffaufnahme (l/min)
0,3
0,3
untrainiert
2,8
5,2
trainiert
Herzvolumen (l)
0,7
1,4
Herzgewicht (kg)
0,3
0,5
Blutvolumen (l)
5,3
5,9
zusammengefasst. Beim Trainierten ist die Herzfrequenz unter dem Einfluss des Parasympathikus in Ruhe stark vermindert, erreicht jedoch bei Belastung den Maximalwert des Untrainierten. Die trainingsbedingten strukturellen Veränderungen des Herzens (Dilatation, Hypertrophie, Kap. 5.2.3) ermöglichen sowohl in Ruhe als auch bei Belastung eine Erhöhung des Schlagvolumens. Insgesamt resultiert eine erhebliche Steigerung des maximalen Herzzeitvolumens und damit der O2-Transportkapazität des Blutkreislaufs. Die für längerdauernde Leistungen entscheidende Größe der maximalen O2-Aufnahme liegt bei ausdauertrainierten Leistungssportlern um 50–70 % über dem Durchschnittswert einer vergleichbaren untrainierten Bevölkerungsgruppe. In der beanspruchten Muskulatur kommt es außerdem zu einer Zunahme der Kapillarisierung und zu einer Anpassung von Enzymaktivitäten. Zur Steigerung der Muskelkraft dient ein spezifisches Krafttraining, bei dem kurzzeitige Maximalleistungen mit einem großen Anteil an Haltearbeit (isometrischer Kontraktion) erbracht werden müssen. Um dabei einen optimalen Effekt zu erzielen, genügt es, die betreffende Muskelgruppe 3–5 mal täglich zu kontrahieren, wobei beim Einsatz der maximalen Muskelkraft jeweils eine Kontraktionsdauer von 2–3 s, beim Einsatz der halben Maximalkraft jedoch eine Dauer von 15–20 s erforderlich ist. Ein solches Krafttraining stimuliert das Dickenwachstum der einzelnen Muskelfasern (Hypertrophie).
320
Kapitel 8 · Energiehaushalt und Arbeitsphysiologie
Bei dem genannten Trainingspensum nehmen innerhalb von 20 Wochen der Muskelquerschnitt und damit auch die Muskelkraft um ca. 100 % zu. Anabolika, Pharmaka, die sich von den männlichen Sexualhormonen ( Kap. 15.5.1) ableiten, fördern das Dickenwachstum der Muskulatur. Von ihrer Einnahme zum Zweck des Kraftgewinns ist jedoch wegen der damit verbundenen Störung des Hormonhaushalts, insbesondere bei Frauen, abzuraten.
V
8.2.6
Messung der Leistungsfähigkeit
Ergometrie Merke
Unter dem Begriff Ergometrie fasst man Verfahren zusammen, bei denen definierte körperliche Belastungen vorgegeben und die erbrachten (dynamischen) Leistungen (in Watt) gemessen werden.
Zur Anwendung kommen Fahrrad-, Laufband- und sportartspezifische Ergometer. Die Ergebnisse der Leistungsmessung lassen immer nur Aussagen über die Leistungsfähigkeit in Bezug auf die jeweilige spezifische Belastungsart zu, dürfen jedoch nicht auf andere sportliche oder berufliche Anforderungen übertragen werden. Häufig registriert man bei ergometrischen Untersuchungen auch Beanspruchungsreaktionen (hinsichtlich Herzfrequenz, Blutdruck, O2-Aufnahme, Ventilation, EKG-Veränderungen u. a.), um daraus Rückschlüsse auf die Anpassungsfähigkeit der Organsysteme zu ziehen und Krankheitssymptome zu erfassen. Leistungstests. Bei Anwendung der Ergometrie zur Prüfung der Leistungsfähigkeit ist zu beachten, dass nur Gesunde bis zur Erschöpfung belastet werden dürfen. (Für Patienten hat man Leistungstests entwickelt, die bei submaximaler Belastung durchgeführt werden.) Die maximale O2-Aufnahme ist ein Maß für die höchstmögliche körperliche Belastbarkeit unter aeroben Bedingungen. Sie wird bei ansteigender Ergometerbelastung bis zur Erschöpfung gemessen. Für untrainierte junge Männer (70 kg) liegt die maximale O2-Aufnahme im Referenzbereich bei 2,8–3,2 l/min.
321 8.2 · Arbeitsphysiologie
8
Die Arbeitskapazität (Working Capacity) bzw. Puls-Leistungskapazität (PWC) dient ebenfalls als Maß für die körperliche Leistungsfähigkeit. Hierbei wird bei ansteigender Belastung diejenige Leistung (Watt) gemessen, bei der die Herzfrequenz den Wert von 170/min erreicht hat (W170 bzw. PWC170). Für Untrainierte gelten als Richtwerte für Frauen 2,3 W/kg und für Männer 2,8 W/kg. Über die Laktatkonzentration im Blut bestimmt man die Leistungen bei der sog. aeroben Schwelle (2 mmol/l) und bei der sog. anaeroben Schwelle (ca. 4 mmol/l). Die aerobe Schwelle entspricht der Dauerleistungsgrenze, bei der die Energiebereitstellung gerade noch rein aerob erfolgt. Die anaerobe Schwelle ist definiert als maximale Leistung, bei der gerade noch ein Laktat-SteadyState erreicht wird. Sie ist ein wichtiger Parameter zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit (Referenzwert für jüngere untrainierte Männer ca. 2,5 W/kg). Das Herzvolumen ist ein Maß für den Trainingszustand bei Ausdauertrainierten. Das echokardiographisch gemessene enddiastolische Herzvolumen (Blutfüllung und Myokard) beträgt bei Untrainierten ca. 10 ml/kg und kann sich bei ausdauertrainierten Leistungssportlern bis auf 20 ml/kg erhöhen.
V
322
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
9
Wärmehaushalt
9.1
Grundlagen des Wärmehaushalts
9.1.1
Homoiothermie
Infolge der erheblichen Wärmeproduktion, die mit dem Energieumsatz in den Organen und Geweben verbunden ist, findet ein ständiger Wärmestrom vom Körperinnern zur -oberfläche und eine Wärmeabgabe an die Umgebung statt. Dabei ist die Abgaberate so geregelt, dass sie mit der Wärmebildung und einer eventuellen Wärmeaufnahme im Gleichgewicht steht. Weil auf diese Weise die Körpertemperatur unabhängig von der Umgebungstemperatur relativ konstant bei 37 °C gehalten wird, rechnet man den Menschen zu den homoiothermen oder gleichwarmen Lebewesen. (Bei den poikilothermen oder wechselwarmen Tieren ist die Wärmebildung deutlich geringer, und die Körpertemperatur folgt etwa den Schwankungen der Umgebungstemperatur.) Die Konstanz der Körpertemperatur ist beim Warmblüter eine Grundvoraussetzung für den normalen Ablauf der Lebensvorgänge, da die optimale Funktion der Enzymsysteme nur in einem engen Temperaturbereich gewährleistet ist.
9.1.2
Körpertemperatur
Kern- und Schalentemperatur Durch die Wärmeproduktion im Inneren des Organismus, vor allem in den Körperhöhlen, besteht ein Temperaturgefälle zwischen den inneren und äußeren Abschnitten des Körpers. An den Extremitäten nimmt die Temperatur nicht nur von innen nach außen (radiales Temperaturgefälle), sondern auch in der Längsrichtung (axiales Temperaturgefälle) ab. Wegen der unregelmäßigen geometrischen Form des Körpers entsteht ein kompliziertes räumliches Temperaturfeld, in dem Isothermen, d. h. Linien (bzw. Flächen) gleicher Temperatur, angegeben werden können (⊡ Abb. 9.1).
323 9.1 · Grundlagen des Wärmehaushalts
9
⊡ Abb. 9.1. Temperaturfeld des unbekleideten Körpers mit Isothermen. A in kalter, B in warmer Umgebung, nach ASCHOFF und WEVER (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Dunkelrotes Feld: Körperkern
Merke
Nach Maßgabe der Isothermen lässt sich von einer mehr oder weniger poikilothermen Körperschale ein homoiothermer Körperkern abgrenzen. Zur Körperschale gehören die Haut und wechselnde Anteile der Extremitäten, zum Körperkern das Innere des Rumpfes und des Kopfes.
Je nach Außentemperatur unterliegt die Steilheit des inneren Temperaturgefälles erheblichen Schwankungen. Bei hohen Außentemperaturen weisen Kern und Schale nur geringe Temperaturunterschiede auf; bei niedrigen Umgebungstemperaturen sinkt die Temperatur an den Extremitätenenden dagegen stark ab. Die Grenzen zwischen Kern und Schale sind demnach variabel.
Temperaturmessung Auch innerhalb des Körperkerns bestehen kleine Temperaturdifferenzen, sodass das Ergebnis einer Temperaturmessung bis zu einem gewissen Grade vom Messort abhängig ist. Als Maß für die Kerntemperatur werden meist die Rektal- oder die Trommelfelltemperatur benutzt, deren Beurteilung für
324
V
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
klinische Zwecke völlig ausreichend ist. Wird das Messinstrument unter der Zunge platziert, spricht man von der Sublingualtemperatur. Sie liegt im allgemeinen 0,2–0,4 °C unter der Rektaltemperatur und ist oft stärkeren Schwankungen unterworfen. Durch festes Andrücken des Oberarms an die seitliche Brustwand soll das Temperaturfeld so verändert werden, dass sich der Körperkern gewissermaßen bis zur Achselhöhle vorschiebt. Die Messung der Axillartemperatur ist jedoch relativ ungenau und wenig brauchbar, vor allem auch deshalb, weil die Einstellung eines konstanten Endwerts eine verhältnismäßig lange Zeit (bis zu 30 min) benötigt. Der Normwert oder Sollwert der Kerntemperatur liegt im Mittel bei 37 °C. Dagegen hat die mittlere Hauttemperatur, die sich durch Mittelbildung aus den an mehreren Hautstellen gemessenen Temperaturen ergibt, einen von den klimatischen Bedingungen abhängigen Wert. Für den unbekleideten Menschen bei Indifferenztemperatur beträgt sie 33–34 °C.
Physiologische Schwankungen der Kerntemperatur Merke
Die Kerntemperatur zeigt deutliche Schwankungen im Tagesgang mit einem Minimum am frühen Morgen und einem Maximum am späten Abend (⊡ Abb. 9.2). Die Amplitude dieser tagesrhythmischen Schwankungen beträgt 0,5–1 °C.
Hierbei handelt es sich – ähnlich wie beim Blutdruck ( Kap. 6.2.3) und bei der Leistungsfähigkeit ( Kap. 8.2.5) – um eine endogene zirkadiane Periodik, die durch äußere Zeitgeber auf genau 24 Stunden synchronisiert wird. Nach Langstreckenflügen mit Zeitzonensprüngen tritt eine Anpassung an die neue Ortszeit erst im Laufe mehrerer Tage ein. Temperaturschwankungen mit längerer Periodendauer sind mit dem Menstruationszyklus verknüpft. Im Zeitabschnitt zwischen der Menstruation und der Ovulation befindet sich die Kerntemperatur auf einem niedrigen Niveau. Mit der Ovulation steigt die Temperatur plötzlich um 0,4–0,5 °C an und bleibt auf diesem erhöhten Niveau bis zur nächsten Menstruation ( Kap. 15.5.1).
325 9.1 · Grundlagen des Wärmehaushalts
9
⊡ Abb. 9.2. Tagesrhythmische Schwankungen der Körpertemperatur (Rektaltemperatur) für die erste Hälfte (blaue Kurve) und die zweite Hälfte (rote Kurve) des menstruellen Zyklus, nach T. H. SCHMIDT (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000) Diese Temperatursteigerung, die auch bei Eintritt einer Schwangerschaft erhalten bleibt, ist Ausdruck einer Progesteronwirkung auf den Sollwert der Temperaturregulation. Regelmäßige Messungen der Basaltemperatur (morgendliche Aufwachtemperatur unter Grundumsatzbedingungen) erlauben daher eine Aussage über den Verlauf des Progesteronspiegels und damit über den Zeitpunkt der Ovulation (Methode nach KNAUS-OGINO zur Bestimmung des Konzeptionsoptimums bzw. der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage). Die Zuverlässigkeit der Methode ist allerdings begrenzt.
Die Kerntemperatur wird außerdem durch körperliche und emotionale Belastungen beeinflusst. Bei leichter Arbeit und bei Emotionen steigt die Kerntemperatur um ca. 0,5 °C, bei schwerer Arbeit um 1–2 °C an.
326
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
9.2
Wärmebildung und innerer Wärmestrom
9.2.1
Wärmebildung
Wärmebildung und Umgebungstemperatur
V
Die Wärmebildung des Organismus wird in hohem Maße von den äußeren Temperaturbedingungen beeinflusst. Wie ⊡ Abb. 9.3 zeigt, ist ein bestimmter Bereich der Umgebungstemperatur (T2–T3) dadurch gekennzeichnet, dass die Wärmebildung ein Minimum aufweist und gleichzeitig noch keine Schweißsekretion (evaporative Wärmeabgabe) stattfindet.
⊡ Abb. 9.3. Wärmebildung sowie trockene und evaporative Wärmeabgabe in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur für den ruhenden, unbekleideten Erwachsenen (Aufenthaltsdauer jeweils 1 h). Im Regelbereich zwischen T1 und T4 ist die Wärmebilanz ausgeglichen, sodass die Körpertemperatur (oben) weitgehend konstant gehalten werden kann. Umgebungstemperaturen unterhalb von T1 führen zur Hypothermie, oberhalb von T4 zur Hyperthermie. Im Bereich der thermischen Neutralzone zwischen T2 und T3 liegt das Minimum der Wärmebildung
327 9.2 · Wärmebildung und innerer Wärmestrom
9
Merke
Dieser Bereich der Indifferenztemperatur, der auch als thermische Neutralzone bezeichnet wird, liegt für den unbekleideten, ruhenden Erwachsenen (relative Luftfeuchte 50 %, Windstille) zwischen 28 und 30 °C.
Unterhalb von 28 °C steigt die Wärmebildung mit abnehmender Umgebungstemperatur stetig an. Diese Zunahme der Wärmeproduktion dient dazu, die erhöhten Wärmeverluste genau in dem Maße zu kompensieren, wie es die Konstanthaltung der Kerntemperatur erfordert. Die Mechanismen hierfür sind Zunahme des Muskeltonus und schließlich bei sehr tiefen Temperaturen Kältezittern, wodurch im Extremfall die Wärmeproduktion des Körpers um mehr als das Dreifache gesteigert wird. Sind diese Kälteabwehrmechanismen nicht mehr in der Lage, die Wärmeverluste auszugleichen (Unterschreitung der unteren Grenze des Regelbereichs T1 = 0–4 °C), fällt die Kerntemperatur ab. Oberhalb von T3 nimmt die Wärmebildung, infolge der Aktivierung von Wärmeabwehrmechanismen (⊡ Kap. 9.4.1) geringgradig zu. Steigt bei sehr hoher Umgebungstemperatur die Kerntemperatur stärker an (Überschreitung der oberen Grenze des Regelbereichs T4 ≈ 60 °C in trockener Luft), so erhöht sich auch die Wärmeproduktion in stärkerem Maße, weil hierbei die Stoffwechselrate gemäß der RGT-Regel (Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel) zunimmt. (Zur Wärmebildung des Neugeborenen, Kap. 9.4.2.) Beiträge der Organe zur Wärmeproduktion. Die Wärmeproduktion der Organe ist naturgemäß von ihrem Energieumsatz abhängig. In körperlicher Ruhe und bei Indifferenztemperatur liefern die einzelnen Organe und Gewebe folgende Beiträge zur gesamten Wärmeproduktion: Leber 26 %, Herz 9 %, Nieren 7 %, Gehirn 16 %, Muskulatur 25 %, restliche Gewebe 17 %. Bei körperlicher Arbeit steigt die Wärmebildung infolge des erhöhten Energieumsatzes in der Muskulatur stark an und kann hier im Extremfall das 10 fache des Werts unter Ruhebedingungen erreichen. In diesem Fall beträgt der Anteil der Muskulatur an der gesamten Wärmeproduktion etwa 90 %.
9.2.2
Wärmetransport im Körper
Konvektiver Wärmetransport im Körper Wegen der geringen Wärmeleitung in den Geweben wird die im Körper gebildete Wärme vorwiegend durch Konvektion mit dem Blutstrom zur Kör-
328
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
peroberfläche transportiert. Dieser innere Wärmestrom pro Flächeneinheit q· i ist von der Kerntemperatur TK und der Hauttemperatur TH abhängig: q· i = α (TK – TH) .
V
(9.1)
Der Proportionalitätsfaktor α, der sich mit der Durchblutung der Körperschale verändert, wird als Wärmedurchgangszahl (Wärmetransportzahl), der reziproke Wert w = 1/α als Wärmedurchgangswiderstand bezeichnet.
Innerer Wärmestrom und Hautdurchblutung Merke
Der innere Wärmestrom durch die Körperschale wird durch Änderung der Hautdurchblutung an die Umgebungstemperatur angepasst.
In kalter Umgebung führt die Aktivierung des Sympathikus zu einer Konstriktion der Hautgefäße und damit zu einer Einschränkung der Hautdurchblutung (Hautblässe), sodass der Wärmedurchgangswiderstand zunimmt. In warmer Umgebung kommt es infolge Abnahme der Sympathikusaktivität zu einer Vasodilatation und damit zu einer Steigerung der Hautdurchblutung (Hautrötung), die den Wärmetransport begünstigt. Diese regulativen Veränderungen der Hautdurchblutung sind besonders ausgeprägt an den Akren ( Kap. 9.3.2). Eine besondere Bedeutung für den inneren Wärmetransport hat die parallele Anordnung der großen arteriellen und venösen Extremitätengefäße, wodurch ein Wärmeaustausch im Gegenstrom ermöglicht wird. In der Kälte wird ein größerer Wärmeanteil direkt von den Arterien auf die begleitenden Venen übergeleitet, sodass bereits vorgekühltes arterielles Blut in die Hautgefäße gelangt. In der Wärme ist der arteriovenöse Wärmeaustausch reduziert, weil die Venen in diesem Fall höhertemperiertes Blut führen.
9
329 9.3 · Wärmeabgabe an die Umgebung
9.3
Wärmeabgabe an die Umgebung
9.3.1
Mechanismen der Wärmeabgabe
Merke
Die Wärmeabgabe an die Umgebung erfolgt im Wesentlichen über die Haut und die Lunge. Der Wärmeabstrom, der bei konstanter Kerntemperatur quantitativ der Wärmebildung entspricht, wird dabei durch drei Teilprozesse, Wärmeleitung und -konvektion, Wärmestrahlung sowie Wasserverdunstung, vermittelt.
Wärmeleitung und -konvektion Die Körperoberfläche ist in der Regel von einer kühleren Luftgrenzschicht umgeben, sodass Wärme – dem Temperaturabfall folgend – an die Umgebung abgeleitet werden kann. Die Wärmeabgabe durch Leitung (Konduktion) ist der jeweiligen Temperaturdifferenz proportional. Bezeichnen q· L den Wärmestrom je Flächeneinheit, TH die Hauttemperatur und TL die Temperatur der Luftgrenzschicht, so gilt: q·L = αL (TH – TL) .
(9.2)
αL, die sog. Wärmeübergangszahl, hat bei Luftkontakt einen verhältnismäßig kleinen Wert. Ist die Hautoberfläche jedoch von Wasser umgeben, wobei der Wert von αL um den Faktor 22 ansteigt, oder besteht ein direkter Kontakt zu einem kühleren festen Material mit großer Wärmeübergangszahl, so kann es schnell zu einer Auskühlung des Körpers kommen. Die in die Luftgrenzschicht abgeleitete Wärme wird durch Konvektion (Luftbewegung) weitertransportiert. Die Konvektion sorgt also für die Aufrechterhaltung eines großen Temperaturgradienten für die Wärmeleitung. Je stärker die Luft bewegt wird (Windeinfluss), umso dünner ist die Grenzschicht an der Haut und umso schneller erfolgt die Wärmeabgabe. Tiere haben die Möglichkeit, durch Aufrichten von Haaren und Federn die Luftgrenzschicht zu erweitern und sich damit in kalter Umgebung vor starken Wärmeverlusten zu schützen. Der Mensch kann den gleichen Effekt durch die Wahl zweckmäßiger Kleidung (Wollfasern als Isolationsschicht) erzielen.
330
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
Wärmestrahlung Ein weiterer Teilprozess des Wärmeaustausches mit der Umgebung ist der Wärmetransport durch langwellige Infrarotstrahlung, der nach dem StefanBoltzmann-Gesetz der 4. Potenz der absoluten Temperatur proportional ist. Bezeichnen TH die Hauttemperatur und TW die Temperatur der strahlenden Flächen, z. B. der Wände in der Umgebung, so gilt für den Wärmestrom je Flächeneinheit q· S, sofern TH und TW in Kelvin angegeben werden:
V
q·S = αS (TH4 – TW4) .
(9.3)
Der Proportionalitätsfaktor αS ist von den Emissions- bzw. Absorptionseigenschaften der Haut und der umgebenden Flächen abhängig; hinsichtlich der Strahlungsemission verhält sich die Haut ähnlich wie ein schwarzer Körper. Es muss betont werden, dass Wärmeabgabe durch Strahlung wohl von der Hauttemperatur, jedoch nicht von der Lufttemperatur abhängig ist. Im Gegensatz zur Wärmeleitung, die in der Regel Wärme in die Umgebung transportiert, kann der strahlungsbedingte Wärmestrom auch körperwärts gerichtet sein. Dies ist beispielsweise bei intensiver Sonneneinstrahlung oder Infrarotbestrahlung und kühler Haut der Fall, wobei die Absorption zusätzlich von der Hautpigmentierung beeinflusst wird. Weiße Kleidung kann unter diesen Bedingungen die strahlungsbedingte Wärmeaufnahme etwa auf die Hälfte reduzieren.
Wasserverdunstung Durch Wasserverdunstung an der Hautoberfläche und in den Atemwegen werden dem Körper erhebliche Wärmemengen entzogen (evaporative Wärmeabgabe). Dabei gelangt Wasser an die Haut- bzw. Schleimhautoberfläche und wird unmerklich durch Verdunstung an die Umgebung abgegeben (Perspiratio insensibilis). Auf diese Weise (ohne Schweißsekretion) verliert der Körper täglich etwa 1 l Wasser, was einer Wärmeabgabe von 2,4 MJ (580 kcal) oder etwa 30 % des Grundumsatzes entspricht. Für die Wärmeabgabe durch Verdunstung je Flächeneinheit q·V sind die Wasserdampfdrücke der Haut (PH) und der Luft (PL) maßgebend: q·V = αV (PH – PL) .
(9.4)
Den Proportionalitätsfaktor αV bezeichnet man als Verdunstungszahl. Die Wasserdampfdrücke werden vom Wassergehalt und der Temperatur der
9
331 9.3 · Wärmeabgabe an die Umgebung
Haut bzw. der Luft bestimmt. Solange die Hauttemperatur höher als die Umgebungstemperatur ist, findet eine Verdunstung auch noch bei einer relativen Luftfeuchte von 100 % statt, da unter diesen Bedingungen der Dampfdruck der Haut den der Luft übersteigt. Bei höheren Außentemperaturen kommt ein weiterer Mechanismus der Wärmeabgabe durch Verdunstung, die Schweißsekretion (Perspiratio sensibilis), zum Tragen. Sie setzt beim ruhenden, unbekleideten Menschen oberhalb einer Umgebungstemperatur von 30 °C ein (⊡ Abb. 9.3). Die Schweißabsonderung wird durch cholinerge sympathische Nervenfasern ausgelöst und stellt einen aktiven Sekretionsvorgang dar. Schweißverdunstung ist die effektivste Form der Wärmeabgabe.
9.3.2
Wärmeabgabe und Umweltfaktoren
Anpassung der Wärmeabgabe Bei Indifferenztemperatur, einer Luftfeuchte von 50 % und Windstille tragen die einzelnen Wärmetransportmechanismen mit den in ⊡ Tabelle 9.1 angegebenen Anteilen zur Wärmeabgabe des ruhenden Menschen bei. Unter diesen Bedingungen dominieren also Wärmestrahlung sowie Wärmeleitung und -konvektion, die man unter dem Begriff »trockene Wärmeabgabe« zusammenfasst. Merke
Im Bereich der thermischen Neutralzone kann die trockene Wärmeabgabe durch Variation der Hautdurchblutung sehr genau der Wärmebildung angepasst werden (Vasodilatation erhöht, Vasokonstriktion vermindert die Wärmeabgabe).
⊡ Tabelle 9.1. Anteile der einzelnen Wärmetransportmechanismen an der Gesamtwärmeabgabe (Indifferenztemperatur, Luftfeuchte 50 %, Windstille) Haut
Atemwege
Strahlung
45 %
Leitung und Konvektion
25 %
Leitung und Ventilation
2%
Wasserverdunstung
20 %
Wasserverdunstung
8%
90 %
10 %
332
V
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
Dabei kommt der Durchblutungsregulation an den Akren, vor allem an den Fingern, die wegen der günstigen Oberflächen-Volumen-Relation für den Wärmetransport besonders prädestiniert sind, eine große Bedeutung zu. An den Fingern kann die Hautdurchblutung von 2 ⋅ 10–3 in kälterer Umgebung auf 1,2 ml ⋅ g–1 ⋅ min–1 in wärmerer Umgebung ansteigen, d. h. im Verhältnis 1 : 600 variieren. Bei Zunahme der Durchblutung werden teils das Kapillarbett, vor allem jedoch die als Wärmeaustauscher dienenden arteriovenösen Anastomosen stärker perfundiert ( Kap. 6.6.5). Sinkt die Raumtemperatur stärker ab, so nimmt – trotz maximaler Vasokonstriktion – die trockene Wärmeabgabe erheblich zu (⊡ Abb. 9.3 u. Gl. 9.2). In sehr kalter Umgebung beobachtet man dabei vielfach eine eigentümliche Reaktion, die sog. Kältevasodilatation (Lewis-Reaktion). Hierbei handelt es sich um eine temporäre Erweiterung der Hautgefäße, die wahrscheinlich durch direkte Einwirkung der tiefen Temperatur auf die Gefäßmuskulatur (temporärer Empfindlichkeitsverlust der α1-Adrenozeptoren?) hervorgerufen wird. Diese Reaktion, die sich periodisch wiederholen kann, schützt bis zu einem gewissen Grade die Haut vor einer Mangelversorgung, ist jedoch bei langer Kälteeinwirkung nicht in der Lage, Frostschäden (Frostbeulen, Gewebenekrosen) zu verhindern. Steigt die Raumtemperatur über den Bereich der thermischen Neutralzone hinaus an, so nimmt – trotz Dilatation der Hautgefäße – die trockene Wärmeabgabe ab (⊡ Abb. 9.3). Je wärmer die Umgebung, umso kleiner wird die Differenz zwischen Haut- und Lufttemperatur, die nach Gl. (9.2) für die Wärmeleitung maßgebend ist. Dafür übernimmt mit einsetzender Schweißsekretion die Wasserverdunstung die führende Rolle bei der Wärmeabgabe. Oberhalb von 35 °C stellt die Verdunstung im Bereich der Haut und des Atmungstrakts praktisch die einzige Möglichkeit dar, Wärme an die Umgebung abzuführen. In sehr warmer Umgebung kann die Schweißsekretion kurzfristig Werte von 2 l/h, bei Akklimatisierten ( Kap. 9.4.3) von 4 l/h erreichen. Bei körperlicher Arbeit wird die in verstärktem Maße anfallende Wärme ebenfalls überwiegend (zu etwa 75 %) durch Wasserverdunstung abgegeben. Die durchschnittliche Schweißsekretion beträgt bei schwerer Arbeit unter normalen klimatischen Bedingungen etwa 1 l/h. Dabei sinkt die Hauttemperatur ab, während gleichzeitig die Kerntemperatur bis um 2 °C zunimmt.
333 9.3 · Wärmeabgabe an die Umgebung
9
Klimafaktoren Merke
Der Wärmeaustausch mit der Umgebung wird von vier physikalischen Faktoren beeinflusst, deren Gesamtheit man unter dem Begriff Klima zusammenfasst. Diese Klimafaktoren sind: Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit und Strahlungstemperatur (z. B. die Temperatur der umgebenden Wände).
Die Bedeutung der Luftfeuchte ergibt sich daraus, dass hohe Außentemperaturen bei feuchter Luft schlechter als bei trockener Luft vertragen werden, da eine hohe Luftfeuchte die Wasserverdunstung an der Körperoberfläche einschränkt. Die Bedeutung der Windgeschwindigkeit liegt darin, dass sie die Dicke der ruhenden Grenzschicht auf der Körperoberfläche beeinflusst. Die Wirkung der Strahlungstemperatur macht sich z. B. dadurch bemerkbar, dass in Räumen mit indifferenter Lufttemperatur, aber niedriger Wandtemperatur die Umgebung als kühl empfunden wird. Für die quantitative Beurteilung der Wärmeaustauschbedingungen kann man die genannten Faktoren nach besonderen Vorschriften in einem sog. Klimasummenmaß zusammenfassen. Die so gewonnenen Werte lassen sich dann mit dem thermischen Wohlbefinden bzw. mit dem Grad der thermischen Belastung in Beziehung setzen. Unter den Bedingungen, dass die Luftfeuchte 50 % beträgt, Windstille herrscht und die Wände die gleiche Temperatur wie die Luft haben, liegt die Behaglichkeitstemperatur für den unbekleideten Menschen bei 28 °C, für den leicht bekleideten Menschen bei 25 °C und für Büroarbeiter bei 22 °C. Wärmeabgabe im Wasser. Die Bedingungen für die Wärmeabgabe im Wasser unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von denen in einer Luftumgebung. Die Wärmeverluste durch Strahlung sind im Wasser sehr gering. Der Wärmeübergang von der Körperoberfläche zum Wasser erfolgt praktisch ausschließlich durch Leitung und Konvektion. Infolge der wesentlich größeren Wärmeübergangszahl ( Kap. 9.3.1) verliert der Körper trotz ausgeprägter Verengung der Hautgefäße in kaltem Wasser sehr viel mehr Wärme als in gleichtemperierter Luft. Daher können bereits bei Wassertemperaturen von 20 °C kritische Wärmeverluste auftreten. Da diese von der Dicke des Unterhautfettgewebes abhängen, kühlen magere Menschen im kalten Wasser schneller aus als Personen mit stark ausgeprägtem Fettpolster.
334
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
V
⊡ Abb. 9.4. Regelkreis der thermoregulatorischen Mechanismen zur Konstanthaltung der Körpertemperatur
Thermoregulation
9.4
Die Thermoregulation hat die Aufgabe, die Körpertemperatur trotz Schwankungen der Wärmebildung, -aufnahme und -abgabe auf einem vorgegebenen Sollwert konstant zu halten. Die hieran beteiligten Einrichtungen bilden einen Regelkreis mit negativer Rückkopplung (⊡ Abb. 9.4).
9.4.1
Glieder und Funktion des Temperaturregelkreises
Thermosensoren Merke
Als Messfühler der Temperaturregulation dienen Thermosensoren (Thermorezeptoren) der Haut sowie thermosensitive Strukturen im Körperinneren.
Die kutanen Warm- und Kaltsensoren sind nicht nur Messfühler des Regelkreises, sondern vermitteln gleichzeitig auch die Temperaturempfindung.
335 9.4 · Thermoregulation
9
Die in den Sensoren durch Warm- oder Kaltreize ausgelösten Impulsfolgen werden über den Tractus spinothalamicus bzw. (von der Gesichtshaut her) über die entsprechenden Projektionsbahnen des N. trigeminus zum hinteren Hypothalamus geleitet. Der Messung der Kerntemperatur dienen thermosensitive Strukturen im Körperinneren. Insbesondere konnten im vorderen Hypothalamus und in der Regio praeoptica vor allem wärmeempfindliche Neurone nachgewiesen werden: Eine umschriebene Erwärmung dieses Gebiets führt zu Wärmeabwehrreaktionen, eine Kühlung zu Kälteabwehrreaktionen. Ähnliche Wirkungen lassen sich auch von der hinteren Bauchhöhle, von der Muskulatur sowie vom unteren Hirnstamm und vom Zervikalabschnitt des Rückenmarks her auslösen.
Zentrale Informationsverarbeitung Merke
Die für die thermische Informationsverarbeitung zuständigen Strukturen sind im hinteren Hypothalamus lokalisiert. Die einlaufenden Impulse von den äußeren und inneren Thermosensoren werden hier integriert und, sofern eine Abweichung vom Sollwert dies erfordert, in Steuersignale für die Stellglieder des Regelkreises umgesetzt.
Da die kutanen Thermosensoren auf äußere Temperaturänderungen schnell ansprechen, können zweckmäßige Kälte- oder Wärmeabwehrreaktionen bereits ausgelöst werden, bevor noch eine Änderung der Kerntemperatur eintritt. Für den Vergleich der Ist- und Sollwerte ist also nicht nur die Kerntemperatur, sondern darüber hinaus auch die Hauttemperatur maßgebend, wobei beide Informationen teils additiv, teils multiplikativ miteinander verrechnet werden. Eine Modellvorstellung von der reziproken neuronalen Verschaltung im Regelzentrum des hinteren Hypothalamus vermittelt ⊡ Abb. 9.5. Afferente Impulse von den Kaltsensoren (KS) aktivieren die Effektorneurone, welche die Wärmebildung fördern, und hemmen gleichzeitig über Interneurone die Effektorneurone für die Wärmeabgabe. Durch Impulse von Warmsensoren (WS) werden umgekehrt die Efferenzen für die Wärmeabgabe gefördert und über Interneurone die Efferenzen für die Wärmebildung gehemmt.
336
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
V
⊡ Abb. 9.5. Modell der reziproken Verschaltung thermoregulatorischer Neurone im hinteren Hypothalamus und der Modulationsfunktion von Neuronen im unteren Hirnstamm, nach SIMON (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). KS = Kaltsensoren, WS = Warmsensoren, SC = Regio subcoerulea, NR = Raphe-Kerne, —◀ aktivierende, —❚ hemmende Synapsen
Zusätzlich sind die Kalt- und Warmsensoren mit Neuronen im unteren Hirnstamm (Regio subcoerulea SC, Raphe-Kerne NR) verbunden, die teils auf das thermoregulatorische Netzwerk, teils auf die Stellglieder modulierend einwirken.
337 9.4 · Thermoregulation
9
Stellglieder Wenn infolge einer Störgrößeneinwirkung (Kälte- oder Wärmebelastung) der Istwert der integrierten Temperaturinformation vom vorgegebenen Sollwert abweicht, so werden diejenigen Stellglieder aktiviert, die dieser Abweichung entgegenwirken. Merke
Stellglieder der Thermoregulation sind die Vasomotorik der Hautgefäße, die Schweißsekretion und die Wärmebildung.
Bei äußerer Wärmebelastung oder bei gesteigerter Wärmebildung während körperlicher Arbeit besteht die Gegenregulation in einer Dilatation der Hautgefäße und in einer Aktivierung der Schweißsekretion. Bei Kältebelastung wird einerseits die Wärmeabgabe durch Konstriktion der Hautgefäße gedrosselt und andererseits die Wärmebildung durch Zunahme des Muskeltonus bzw. durch Muskelzittern gesteigert. Verhaltensanpassung. Der Mensch besitzt die Möglichkeit, sein Verhalten den klimatischen Bedingungen zweckentsprechend anzupassen und damit die autonomen Mechanismen der Thermoregulation zu unterstützen. Solche Verhaltensanpassungen, die durch die jeweilige Temperaturempfindung ausgelöst werden (⊡ Abb. 9.4), sind einerseits Verkleinerung der effektiven Körperoberfläche (Einnahme der Hockstellung) oder Aktivierung der Willkürmotorik bei Kältebelastung und andererseits Bevorzugung geringer motorischer Aktivität bei Wärmebelastung (z. B. in den Tropen). Außerdem kann die Wärmeabgabe bzw. -aufnahme durch zweckmäßige Kleidung reguliert werden. Schließlich und vor allem schafft sich der Mensch durch den Aufenthalt in entsprechend temperierten Räumen Lebensbedingungen, durch die er extremen klimatischen Belastungen weitgehend entzogen ist.
9.4.2
Thermoregulation des Neugeborenen
Zitterfreie Wärmebildung Das menschliche Neugeborene ist bereits unmittelbar nach der Geburt in der Lage, seine Körpertemperatur zu regulieren. Die Stellglieder der Thermoregulation (Wärmebildung, Vasomotorik und Schweißsekretion) sind bereits zu diesem Zeitpunkt voll funktionsfähig. Allerdings besitzt das Neugeborene noch nicht die Fähigkeit, seine Wärmebildung durch unwillkürliches Muskelzittern ausreichend zu steigern. Dafür setzt es zur Kälteabwehr einen anderen Mechanismus, die zitterfreie Wärmebildung, ein. Die Quelle dieser
338
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
Wärmeproduktion ist das braune Fettgewebe, das im Bereich zwischen den Scapulae, in der Axilla und an einigen anderen Orten vorkommt. Die zitterfreie Wärmebildung wird durch Aktivierung des Sympathikus ausgelöst, wobei das an den Nervenendigungen abgegebene Noradrenalin über die Aktivierung von β2-Rezeptoren die Freisetzung von freien Fettsäuren stimuliert, deren Oxidation zu einer gesteigerten Wärmeproduktion führt.
Wärmebilanz des Neugeborenen
V
Das reife Neugeborene hat im Vergleich zum Erwachsenen ein etwa dreimal größeres Oberflächen-Volumen-Verhältnis. Wegen dieser ungünstigen Relation und der geringen Dicke der isolierenden Körperschale (dünnes Fettpolster), ist das Neugeborene – trotz erhöhten relativen Energieumsatzes – leicht der Gefahr der Auskühlung ausgesetzt. Wärmeverluste können nur bei hohen Umgebungstemperaturen vermieden werden. Merke
Die thermische Neutralzone, in der bei minimalem Energieumsatz ohne Schweißsekretion die Wärmebilanz ausgeglichen ist, liegt beim Neugeborenen im Bereich von 32–34 °C (⊡ Abb. 9.6).
Sinkt die Umgebungstemperatur ab, so nimmt die zitterfreie Wärmebildung zu und erreicht bei ca. 23 °C einen Maximalwert. Wenn diese untere Grenze des Regelbereiches (T1,N) unterschritten wird, kommt es zur Abnahme der Kerntemperatur. Die Thermoregulation des Neugeborenen ist also nur in einem – im Vergleich zum Erwachsenen – höheren und enger begrenzten Bereich der Umgebungstemperatur ausreichend wirksam.
9.4.3
Akklimatisation
Merke
Der Organismus ist nicht nur in der Lage, durch kurzfristige Regelprozesse die Körpertemperatur unter wechselnden klimatischen Bedingungen konstantzuhalten, sondern kann sich auch langfristig an ständige oder wieder▼
339 9.4 · Thermoregulation
9
⊡ Abb. 9.6. Wärmebildung des Neugeborenen (gelb) und Erwachsenen (rot) in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, nach SIMON (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Die Zunahme der Wärmeproduktion mit abnehmender Umgebungstemperatur erfolgt beim Neugeborenen durch zitterfreie Wärmebildung, beim Erwachsenen durch Steigerung des Muskeltonus bzw. durch Muskelzittern. Beim Neugeborenen sind die Zone des minimalen Energieumsatzes SMR (Standard Metabolic Rate) und die untere Grenze des Regelbereiches T1 zu höheren Temperaturen hin verlagert
holte Hitze- bzw. Kältebelastungen anpassen. Diese Umstellungen, die sich in einem Zeitraum von Tagen bis zu mehreren Monaten vollziehen, beruhen im Wesentlichen auf einer Ökonomisierung der Temperaturregulation. Einen langfristigen Anpassungsvorgang dieser Art bezeichnet man als Akklimatisation oder Temperaturadaptation.
Hitzeakklimatisation Bei längerer Hitzebelastung, z. B. bei Aufenthalt im Tropen- oder Wüstenklima, aber auch bei dauernder Schwerarbeit, insbesondere in warmer Umgebung, kommt es zu thermoregulatorischen Umstellungen, die in erster Linie die Schweißsekretion betreffen. Unter diesen Bedingungen beobachtet man eine ▬ Zunahme der Schweißsekretionsrate (bis auf 4 l/h), ▬ aldosteronvermittelte Abnahme des Elektrolytgehalts im Schweiß (von normalerweise 3 g/l bis auf 0,3 g/l), wodurch die Gefahr eines übermäßigen Elektrolytverlustes gemindert wird,
340
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
▬ sehr kontinuierliche Schweißabgabe, die bereits frühzeitig, d. h. bei tiefen Hauttemperaturen einsetzt, ▬ Zunahme der Zahl aktiver Schweißdrüsen, ▬ Zunahme des Durstgefühls, die auf einen Anstieg der Plasmaosmolarität zurückzuführen ist und eine entsprechend große Wasserzufuhr erfordert.
Kälteakklimatisation
V
Im Gegensatz zu vielen Tierspezies, die sich durch Pelzwachstum oder stärkere Ausbildung von braunem Fettgewebe an lang dauernde Kältebelastung adaptieren können, besitzt der Mensch nur geringe Möglichkeiten zur Kälteakklimatisation. Beim Aufenthalt in kalten Zonen ist er daher im Wesentlichen auf entsprechende Verhaltensanpassungen ( Kap. 9.4.1) angewiesen. Allerdings findet man bei Angehörigen einiger Populationen, die sich ständig starker Kälte aussetzen (Eskimos, Feuerland-Indianern, japanischen Perlentaucherinnen, australischen Eingeborenen, die bei nahe 0 °C fast unbekleidet im Freien übernachten) deutliche Zeichen einer Kälteakklimatisation: ▬ Nachlassen der subjektiven Kälteempfindung, ▬ Senkung der Schwelle für das Einsetzen des Kältezitterns, sodass infolge verminderter Kälteabwehr eine mäßige Senkung der Körpertemperatur (Hypothermie) eintritt (hypotherme Kälteakklimatisation, Toleranzadaptation), ▬ Steigerung des Energieumsatzes (um 25–50 %), wodurch die erhöhten Wärmeverluste kompensiert werden (metabolische Kälteakklimatisation). Die Verlagerung der Zitterschwelle zu tieferen Temperaturen lässt sich bereits durch mehrmalige 30–60 minütige Kältebelastung innerhalb weniger Tage hervorrufen. Noch kürzer ist die Zeit für die Ausbildung einer lokalen Adaptation. Wenn man beispielsweise allein die Hände wiederholt der Kälte aussetzt, der Körper im übrigen jedoch warm gehalten wird, so beobachtet man nach einiger Zeit eine Verminderung des Kälteschmerzes und eine Zunahme der lokalen Hautdurchblutung.
9.4.4
Pathophysiologie der Thermoregulation
Fieber Eine regelmäßig auftretende Begleiterscheinung fast aller Infektionen ist das Fieber . Bakterielle Lipopolysaccharide (Endotoxine) und virale Stoffe können als sog. exogene Pyrogene den Fieberprozess auslösen. Die exogenen Pyrogene stimulieren zunächst Makrophagen zur Produktion und Freisetzung
341 9.4 · Thermoregulation
9
von hitzelabilen Peptiden, die als endogene Pyrogene bezeichnet werden. Dabei handelt es sich vor allem um Mediatoren des Immunsystems (Interleukin-1, Interleukin-6, Interferone, Tumornekrosefaktoren, Kap. 4.7). Diese gelangen zum Hypothalamus, binden dort an Rezeptoren von Neuronen bzw. Astrozyten und lösen über die Arachidonsäure-Kaskade ( Kap. 4.5.2) die Bildung von Prostaglandinen, insbesondere von Prostaglandin E2, aus. Merke
Prostaglandin E2 bewirkt (unter Vermittlung von cAMP als Second Messenger) eine Sollwertverstellung im thermoregulatorischen Netzwerk des vorderen Hypothalamus. Beim Fieber handelt es sich also um eine intakte Thermoregulation auf einem höheren Temperaturniveau.
Unmittelbar nach Umstellung des Sollwertes auf ein höheres Niveau wirkt die normale Kerntemperatur von 37 °C wie eine Unterkühlungstemperatur. Der Fieberanstieg ist daher durch Drosselung der Wärmeabgabe (Konstriktion der Hautgefäße) und Steigerung der Wärmebildung (Kältezittern, »Schüttelfrost«) sowie durch subjektives Kältegefühl charakterisiert. Bei Fieberabfall und damit Rückkehr auf den normalen Sollwert ist der Körper dagegen zu warm. Schweißausbrüche, Dilatation der Hautgefäße und subjektives Wärmegefühl kennzeichnen diese Entfieberungsphase.
Hyperthermie Merke
Eine Überwärmung des Organismus infolge unzureichender Wärmeabgabe oder infolge Wärmezufuhr von außen bezeichnet man als Hyperthermie . Der Sollwert der Körpertemperatur bleibt hierbei unverändert.
Da die Wärmeabgabemechanismen voll aktiviert sind, wird eine Hyperthermie als weitaus unangenehmer empfunden als gleich hohes Fieber. In heißer und trockener Umgebung tritt eine Überlastung der Stellglieder für die Wärmeabgabe und damit ein Anstieg der Kerntemperatur erst auf, wenn die Umgebungstemperatur einen Wert von etwa 60 °C überschreitet (obere Grenze des Regelbereiches, T4 in ⊡ Abb. 9.3).
342
V
Kapitel 9 · Wärmehaushalt
Die obere, mit dem Leben noch zu vereinbarende Kerntemperatur liegt sowohl für Hyperthermie als auch für Fieber bei 42–43 °C. Unterhalb dieser Grenze kann bei Kerntemperaturen über 38,5 °C die Hyperthermie zu einem Kreislaufversagen führen. Ein solcher Hitzekollaps tritt bei längerem Stehen unter Hitzeeinwirkung und eingeschränkter Wärmeabgabe auf. Ursache für den Ohnmachtsanfall ist eine Mangeldurchblutung des Gehirns, da die thermoregulatorisch bedingte Dilatation der Hautgefäße einen Blutdruckabfall auslöst ( Kap. 6.7.5). In der Konkurrenzsituation der beiden Regelsysteme dominiert also die Thermoregulation über die Kreislaufregulation.
Hypothermie Bei lang dauernder Kälteexposition kann die Kerntemperatur durch zu starke bzw. durch nicht eingeschränkte Wärmeabgabe (z. B. bei alkoholisierten Personen) unter den Sollwert absinken (Hypothermie ). Bei einer Kerntemperatur unter 35 °C reagiert der Körper mit maximalem Kältezittern und allgemeiner zentraler Erregung (Exzitationsstadium). Muskelstarre mit Teilnahmslosigkeit und Schläfrigkeit entwickeln sich zwischen 32 und 30 °C (Adynamiestadium). Bei Rektaltemperaturen unter 30 °C tritt Bewusstlosigkeit ein (Paralysestadium), unter 27–25 °C tritt der Tod meist durch Kammerflimmern ein. Allerdings sind auch Fälle bekannt geworden, in denen Hypothermien von 24–21 °C ohne Dauerschäden überlebt wurden. In der Herz- und Gefäßchirurgie (Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine) wird von der Möglichkeit der »induzierten Hypothermie« häufig Gebrauch gemacht, um den Sauerstoff- und Energiebedarf der Gewebe, besonders des Herzens und des Gehirns, zu senken. Die Wiederbelebungszeiten von Herz und Gehirn werden dadurch deutlich verlängert. Natürlich müssen bei der Anwendung dieser Verfahren die Kälteabwehrmechanismen durch Narkose ausgeschaltet sein.
Hitzeschäden. Zu lange Hitzeeinwirkung kann zu verschiedenen Formen
von Hitzeschäden führen: Bei einem Hitzschlag handelt es sich um eine schwere Störung der Thermoregulation nach längerer Hitzeeinwirkung in Verbindung mit intensiver Sonneneinstrahlung. Infolge einer unzureichenden Wärmeabgabe kommt es zu einem Wärmestau mit extremem Anstieg der Kerntemperatur (> 40,5 °C). Kennzeichnend für das Krankheitsbild sind ein Verlust der Schweißsekretion, trockene und heiße Haut sowie Schocksymptome ( Kap. 6.8.2) und Bewusstseinstrübung. Bei weiterem Anstieg der Kerntemperatur tritt Bewusstlosigkeit und bei ca. 43 °C in der Regel der Tod ein.
343 9.4 · Thermoregulation
9
Ein Sonnenstich entsteht durch direkte Einwirkung langwelliger Strahlungsanteile des Sonnenlichts auf den ungeschützten Kopf, die zu einem Wärmestau im Kopfbereich und infolgedessen zu einer Reizung der Hirnhäute (Meningismus) führt. Gefährdet sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder. Symptome dieser Erkrankung sind heißer Kopf bei meist kühler Körperhaut, Übelkeit, Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit. Eine sog. Hitzeerschöpfung kann nach längerer Hitzebelastung auftreten, wenn infolge starker Schweißsekretion und ungenügender Flüssigkeitsaufnahme ein extrazellulärer Flüssigkeitsmangel entsteht. Daraus erklären sich die zu beobachtenden Symptome eines Volumenmangelschocks mit peripherer Vasokonstriktion (blasse Haut). Auf Grund der behinderten Wärmeabgabe steigt die Körpertemperatur mäßig an. Zu Hitzekrämpfen kann es bei körperlicher Schwerstarbeit in heißer Umgebung kommen, wenn die Schweißverluste durch Zufuhr kochsalzfreier Flüssigkeit ausgeglichen werden. Dadurch entsteht ein NaCl-Defizit, das Muskelkrämpfe – meist in der beanspruchten Muskulatur – zur Folge hat.
344
Kapitel 10 · Ernährung
10 Ernährung
V
Die Ernährung bildet die Voraussetzung für die Energiegewinnung des Organismus sowie für die Biosynthese von Körpersubstanzen und Wirkstoffen. Die mechanische und chemische Arbeit sowie die Transportarbeit, die der Organismus ständig zu leisten hat, erfordern die laufende Zufuhr adäquater Energiemengen in Form von Nährstoffen. Im Zellstoffwechsel wird die zugeführte Energie auf Verbindungen übertragen, in denen sie gespeichert für die Zellarbeit mittel- oder unmittelbar zur Verfügung steht (Betriebsstoffwechsel). Die wichtigste Form dieser zellulären Energiespeicher stellt das Adenosintriphosphat (ATP) dar. Der gesamte Prozess der Umwandlung von chemischer Energie in Arbeit ist mit einem Verlust an nutzbarer Energie verbunden, der sich in der Wärmeabgabe an die Umgebung manifestiert ( Kap. 8.1.1). Neben der Energiegewinnung dienen die Nährstoffe bzw. ihre Metaboliten als Bausteine für die Synthese körpereigener Substanzen (Baustoffwechsel). Diese Synthese ist nicht nur für den wachsenden Organismus von Bedeutung, sondern findet während des gesamten Lebens statt, da der ständige Abbau und Umbau von Körpersubstanzen einen laufenden Ersatz erforderlich macht. Daneben müssen Wirkstoffe (Hormone, Enzyme, Abwehrstoffe u. a.) immer wieder neu synthetisiert werden. Der lebende Organismus befindet sich also sowohl im Hinblick auf die Energieumwandlung als auch bezüglich des Stoffumbaus in einem dynamischen Gleichgewicht (Fließgleichgewicht). Die Nahrungsmittel des Menschen bestehen, abgesehen von Wasser und Mineralien, ausschließlich aus organischen Substanzen pflanzlicher und tierischer Herkunft. Absorbierbare Nahrungsbestandteile sind die Abbauprodukte der Makronährstoffe sowie Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und Wasser.
10
345 10.1 · Energetische Aspekte der Ernährung
10.1
Energetische Aspekte der Ernährung
10.1.1
Nährstoffe als Energiequellen
Merke
Als Nährstoffe bezeichnet man energiereiche Substanzen bzw. Substanzgruppen, die im Organismus zu energieärmeren chemischen Verbindungen abgebaut werden und vorwiegend der Energiegewinnung, daneben z. T. auch dem Baustoffwechsel dienen. Hierzu gehören die Makronährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße.
Physikalische und physiologische Brennwerte der Nährstoffe Die Nährstoffe werden im Organismus vorwiegend zu CO2 und Wasser abgebaut. Da die gleichen Endprodukte auch bei der Verbrennung im Kalorimeter entstehen, liefern die auf diesem Wege bestimmten Energieinhalte der Nährstoffe einen Anhalt für ihre energetische Nutzung im Organismus. Die im Verbrennungskalorimeter bestimmten Energiewerte werden als »physikalische Brennwerte« bezeichnet. Für die meisten Kohlenhydrate und Fette stimmen die »physikalischen Brennwerte« weitgehend mit den Energiemengen überein, die beim Abbau im Organismus freigesetzt und daher als »physiologische Brennwerte« (»biologische Brennwerte«) bezeichnet werden (⊡ Tabelle 10.1). Bei den Eiweißen führt der Abbau im Stoffwechsel nur bis zum Harnstoff. Daneben werden
⊡ Tabelle 10.1. Physiologische Brennwerte von Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten in gemischter mitteleuropäischer Kost und physikalische Brennwerte von ausgewählten Nährstoffen Physiologischer Brennwert
Physikalischer Brennwert
kJ/g
kcal/g
kJ/g
kcal/g
Kohlenhydrate
17
4,1
Stärke Dextrin
18 17
4,2 4,1
Eiweiße
17
4,1
Muskeleiweiß Kasein
24 24
5,7 5,8
Fette
39
9,3
Pflanzenfett Butterfett
40 39
9,5 9,2
Äthylalkohol
30
7,1
346
V
Kapitel 10 · Ernährung
noch Oligopeptide, Aminosäuren und andere energiehaltige Substanzen mit dem Harn ausgeschieden. Daher ist in diesem Fall der physiologische Brennwert kleiner als der physikalische. Aus ⊡ Tabelle 10.1 geht hervor, dass beim Abbau von 1 g Kohlenhydraten oder Eiweiß in gemischter Kost etwa 17 kJ (4,1 kcal) freigesetzt werden, während die gleiche Menge Fett mit 39 kJ (9,3 kcal) mehr als die doppelte Energiemenge liefert. Bei Energiebilanzen darf der Äthylalkohol (Ethanol) wegen seines hohen Brennwertes nicht unberücksichtigt bleiben. Die Zufuhr von 40 g Äthylalkohol deckt bereits 10 % des täglichen Energiebedarfs eines Menschen, der leichte körperliche Arbeit verrichtet.
Ausnutzungsgrad der Nahrungsbestandteile Merke
Der Ausnutzungsgrad gibt an, welcher Energieanteil eines Nahrungsstoffes nach Maßgabe der Absorption ( Kap. 12) im Organismus verwendet werden kann.
In der Regel sind tierische Nahrungsmittel und reine Nährstoffe fast vollständig (> 95 %) nutzbar, während pflanzliche Nahrungsmittel normalerweise nur zu etwa 80 % verwertet werden können, da einzelne ihrer Bausteine (wie z. B. Zellulosemembranen) auch nach Aufbereitung der Speisen der Verdauung und Absorption nicht zugänglich sind. Bei gemischter mitteleuropäischer Kost beträgt der Ausnutzungsgrad 90–95 %. Wegen dieses hohen Nutzungsgrads darf man näherungsweise die in Tabellen angegebenen Energieinhalte der Nahrungsmittel zugrunde legen, wenn die Ernährung eines Menschen seinem Energiebedarf angepasst werden soll.
10.1.2
Austauschbarkeit und umsatzsteigernde Wirkung der Nährstoffe
Isodynamie Die Nährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße können bezüglich ihres Energiegehalts weitgehend ausgetauscht werden.
347 10.1 · Energetische Aspekte der Ernährung
10
Merke
Diese wechselseitige Vertretbarkeit der Nährstoffe wird als Isodynamie bezeichnet. Sofern es sich nur um die Deckung des Energiebedarfs handelt, sind hiernach 1 g Kohlenhydrat = 1 g Eiweiß = 0,44 g Fett als isodyname Nährstoffmengen anzusehen.
Diese Aussage gilt allerdings nur mit Einschränkungen, da die einzelnen Nährstoffe bei der ATP-Synthese unterschiedlich effektiv sind. Die gleiche Energiemenge kann bei der Zufuhr in Form von Kohlenhydraten, Fetten oder Eiweißen bis zu 20 % unterschiedliche ATP-Mengen liefern. Eine Beurteilung der wechselseitigen Vertretbarkeit der Nährstoffe wäre deshalb exakt nur auf der Grundlage der jeweiligen ATP-Ausbeute möglich, die von der aktuellen Stoffwechselsituation abhängig und im Einzelfall schwer zu erfassen ist. Das Problem der Isodynamie der Nährstoffe muss jedoch nicht nur unter energetischen, sondern vorwiegend auch unter stofflichen Aspekten betrachtet werden, da bestimmte Nährstoffbestandteile für den Aufbau körpereigener Substanzen erforderlich sind. So können die Eiweiße nicht vollständig durch Kohlenhydrate oder Fette ersetzt werden, weil der Organismus nicht in der Lage ist, die im Baustoffwechsel benötigten essentiellen Aminosäuren ( Kap. 10.2.3) zu synthetisieren. Ebenso müssen bestimmte Mengen essentieller Fettsäuren ( Kap. 10.2.2) über das Nahrungsangebot dem Körper zugeführt werden.
Postprandiale Energieumsatzsteigerung Merke
Nach jeder Nahrungsaufnahme tritt eine Steigerung des Energieumsatzes auf (postprandiale Energieumsatzsteigerung). Sie zeigt bezüglich ihres Ausmaßes und ihrer Dauer eine deutliche Abhängigkeit von der Menge und der Zusammensetzung der aufgenommenen Nahrung.
Die auch als kostinduzierte Thermogenese bezeichnete Energieumsatzsteigerung ist bei Eiweißzufuhr besonders ausgeprägt, geringer bei Kohlenhydra-
348
V
Kapitel 10 · Ernährung
ten und vernachlässigbar klein bei Fetten. Die große umsatzsteigernde Wirkung der Eiweiße (»spezifisch-dynamische Wirkung«) ist hauptsächlich auf die geringere ATP-Ausbeute beim Abbau der Aminosäuren zurückzuführen: Um den gleichen ATP-Gewinn zu erzielen, müssen beim Aminosäurenabbau etwa 20 % mehr Energieeinheiten umgesetzt werden als beim Abbau anderer Stoffklassen. Außerdem trägt der zusätzliche Energiebedarf für die Harnstoffsynthese und die Synthese körpereigener Eiweiße in der Leber zur Umsatzsteigerung bei. Nach Aufnahme gemischter Kost steigt der Energieumsatz – im Vergleich zu einer vorausgegangenen Fastenperiode – um ca. 6 % an.
10.2
Makronährstoffe
10.2.1
Kohlenhydrate
Chemischer Aufbau und physiologischer Bedarf Kohlenhydrate sind Polyhydroxycarbonylverbindungen mit – von Ausnahmen abgesehen – der Summenformel Cx(H2O)n. Neben Mono-, Di-, Oligound Polysacchariden rechnet man auch alle Substanzen dazu, die zu den Zuckern in naher Beziehung stehen (z. B. Aminozucker, Zuckeralkohole). Merke
Der tägliche Bedarf an Kohlenhydraten ist von den jeweiligen Lebensumständen abhängig. Als Minimum sind 2–3 g/kg Körpergewicht erforderlich, für eine ausgewogene Ernährung werden etwa 5–6 g/kg empfohlen. Durch Kohlenhydrate sollen 50–60 % des gesamten Energiebedarfs gedeckt werden.
Der größte Anteil der Kohlenhydrate in der menschlichen Nahrung entfällt auf die Stärke, deren Hauptquellen Getreide, Kartoffeln und Reis sind. Auch Glykogen, die Speicherform der Glukose im tierischen Organismus, zählt zu den in der Nahrung enthaltenen polymeren Kohlenhydraten. Durch enzymatische Hydrolyse von Stärke und Glykogen entsteht im Verdauungstrakt Glukose, die von der Darmschleimhaut absorbiert wird ( Kap. 12.9.2).
349 10.2 · Makronährstoffe
10
Zu den für den Menschen unverwertbaren pflanzlichen Polysacchariden gehören Zellulose und die Hemizellulosen (Bestandteile der Wände pflanzlicher Zellen), die jedoch als Ballast- oder Faserstoffe von Bedeutung sind, da sie eine ausreichende Darmfüllung hervorrufen und dadurch die Darmperistaltik anregen. Zu den unverwertbaren Polysacchariden gehören weiterhin Pektin (in vielen Früchten) und Alginsäure (in Braunalgen).
Bei ungenügender Kohlenhydratzufuhr mit der Nahrung bzw. bei unzureichender Glukoseverwertung (Diabetes mellitus) muss zur Deckung des Energiebedarfs vermehrt Fett abgebaut werden, da die Glykogenspeicher in der Muskulatur und in der Leber (Gesamtvorrat 300–400 g) bei Hunger rasch erschöpft sind. Infolge der gesteigerten Lipolyse im Fettgewebe treten dabei Ketonkörper im Blut auf, die eine Azidose (pH-Senkung) hervorrufen können. Außerdem wird die Glukoneogenese aus den glukoplastischen Aminosäuren in der Leber gesteigert, wodurch der Eiweißabbau zunimmt. Untergewicht und eine verminderte Leistungsfähigkeit sind die Folgen. Bei kohlenhydratfreier Ernährung kommt es außerdem zu Störungen im Bereich des Wasser- und Mineralhaushalts. Eine überhöhte Kohlenhydratzufuhr führt zur sog. Kohlenhydratmast, da bei übermäßigem Angebot Kohlenhydrate in Fett umgewandelt werden. Außerdem nehmen in diesem Fall die Gärungsvorgänge im Darm wegen des verstärkten mikrobiellen Abbaus noch nicht absorbierter Kohlenhydrate im Dickdarm zu.
Glukose (Traubenzucker) Das am weitesten verbreitete und zugleich wichtigste Kohlenhydrat ist das Monosaccharid D-Glukose. Sie hat sowohl als Ausgangsstoff bzw. Baustein zahlreicher wichtiger körpereigener Substanzen (z. B. von Ribose, Desoxyribose, Glykoproteinen und Mukopolysacchariden) als auch als Energielieferant eine große Bedeutung. (Normalerweise decken das Gehirn, das Nierenmark und die Erythrozyten ihren Energiebedarf fast ausschließlich durch Traubenzucker.) Über die Glykolyse und den Zitratzyklus wird Glukose zu CO2 und Wasser abgebaut.
Saccharose Rohrzucker (Rübenzucker) ist ein Disaccharid aus einem Molekül D-Glukose und einem Molekül D-Fruktose. Sein Verbrauch ist in den westlichen Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten auf mehr als 100 g Zucker pro Kopf und Tag angestiegen. Das entspricht etwa 15–20 % des Nährstoffbedarfs. Der hohe Zuckerkonsum muss als bedenklich angesehen werden, da er in hohem
350
Kapitel 10 · Ernährung
Maße mit der Zunahme von Zahnkaries, Diabetes mellitus ( Kap. 15.8.1), Übergewicht und Arteriosklerose korreliert ist. Wesentlich vernünftiger wäre es, den Kohlenhydratbedarf durch hochpolymere Kohlenhydrate – wie Stärke – zu decken, da in diesem Fall der Körper nicht plötzlich mit Glukose überschwemmt wird und der Blutzuckerspiegel verhältnismäßig langsam ansteigt (kleine »glykämische Beladung«).
Laktose
V
Milchzucker ist ebenfalls ein Disaccharid, das neben D-Glukose als weiteren Bestandteil D-Galaktose enthält. Als mengenmäßig weitaus bedeutsamstes Kohlenhydrat der Kuh- und Muttermilch ist Laktose für den Säugling praktisch das einzige Kohlenhydrat, das er mit der Nahrung erhält. Sie hat bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer geeigneten Darmflora des Säuglings eine wichtige Funktion und fördert außerdem die Kalziumabsorption. Zuckeraustauschstoffe. Bei Störungen der Glukoseverwertung (z. B. Diabetes mellitus) oder bei parenteraler Ernährung werden häufig anstelle von Glukose die beiden Zuckeralkohole Sorbit und Xylit verwendet, deren Stoffwechsel unabhängig von Insulin verläuft. Wegen der langsamen und unvollständigen Absorption besteht bei der Einnahme größerer Mengen der Zuckeralkohole die Gefahr osmotisch bedingter Durchfälle.
10.2.2
Fette
Chemischer Aufbau und physiologischer Bedarf Natürlich vorkommende Fette sind vor allem Gemische von Triacylglyzerinen (Triacylglycerolen, Triglyzeriden), d. h. Ester von Glyzerol mit Fettsäuren (Neutralfette). Die Fettsäuren besitzen stets eine gerade Kohlenstoffzahl, da sie aus Azetateinheiten aufgebaut werden, und sind entweder gesättigt oder enthalten eine oder mehrere Doppelbindungen (ungesättigte Fettsäuren). Fette dienen – wie die Kohlenhydrate – als Energielieferanten und darüber hinaus als Ausgangsstoffe für Biosynthesen. Ferner sind sie bedeutsam für die Zufuhr essentieller Fettsäuren und für die Absorption fettlöslicher Wirkstoffe (z. B. bestimmter Vitamine). Infolge des hohen Energiegehalts der Fette (39 kJ/g) kann bei Fettaufnahme das Nahrungsvolumen relativ klein gehalten werden (Ernährung von Schwerarbeitern). Darüber hinaus besitzt
351 10.2 · Makronährstoffe
10
Fett wegen seiner langen Verweildauer im Magen ( Kap. 12.3.3) einen hohen Sättigungswert. Der Organismus ist außerdem in der Lage, Fett – im Gegensatz zu Kohlenhydraten und Eiweißen – in fast unbegrenzter Menge zu speichern (Energiespeicherfunktion). Merke
Bei einer ausgewogenen Ernährung soll die Fettaufnahme etwa 30 % der gesamten Energiezufuhr entsprechen. Der Tagesbedarf bei leichter körperlicher Arbeit beträgt etwa 1 g/kg Körpergewicht.
Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass neben dem sichtbaren Fett (z. B. Ölen, Speisefett u. a.) auch verhältnismäßig viel unsichtbares (»verborgenes«) Fett mit der Nahrung aufgenommen wird, das in den Nahrungsmitteln (z. B. in Wurst und Schokolade) fein verteilt ist. Dieses »verborgene« Fett wird vielfach bei der Bewertung der täglichen Nahrungsaufnahme nicht berücksichtigt. In den westlichen Industriestaaten hat der Fettkonsum innerhalb der letzten 50 Jahre erheblich zugenommen und macht heute bereits 35–40 % der gesamten Energiezufuhr aus. Dieser übermäßige Fettgenuss und als dessen Folge Übergewicht stellen – neben Zigarettenrauchen und Bluthochdruck – einen wesentlichen Faktor für die Entstehung der Arteriosklerose und deren Begleiterkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall u. a.) dar.
Ein unzureichendes Fettangebot wirkt sich erst nach längerer Dauer nachteilig aus, da es durch den Abbau von Reservefett und verstärkte Synthese zeitweise ausgeglichen werden kann. Neben den Mangelerscheinungen, die sich aus dem Fehlen essentieller Fettsäuren und der gestörten Absorption fettlöslicher Vitamine (⊡ Tabelle 10.2) ergeben, führt lang dauernder Fettmangel zu Untergewicht und verminderter Leistungsfähigkeit. Nach ihrer Zusammensetzung können die Nahrungsfette eingeteilt werden in solche mit einem hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren (z. B. Butter, Schmalz, Kokosfett), einfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. Olivenöl, Erdnussöl), zweifach ungesättigter, essentieller Linolsäure (z. B. Sonnenblumenöl, Maisöl), mehrfach ungesättigten Polyensäuren (z. B. Leinöl, Fischöle, Rapsöl). Eine besondere diätetische Bedeutung haben in den letzten Jahren Triacylglyzerole aus mittelkettigen Fettsäuren (C8–C12) erlangt, da sie gut absorbiert und rasch abgebaut werden sowie die Lipolyse und die Cholesterolsynthese hemmen.
352
Kapitel 10 · Ernährung
Essentielle Fettsäuren Merke
V
Als essentiell bezeichnet man diejenigen Bausteine der Nährstoffe, die für bestimmte biochemische Prozesse benötigt, jedoch nicht im Organismus synthetisiert werden können, sodass ihre ständige Zufuhr mit der Nahrung erforderlich ist. Hierzu zählen die zweifach ungesättigte Linolsäure und die dreifach ungesättigte α-Linolensäure.
Diese essentiellen Fettsäuren sind Bestandteile der Phospholipide, die für die Permeabilität der Zellmembranen, die Fixierung von Enzymen an den Mitochondrienleisten und wahrscheinlich auch für den Ionentransport unentbehrlich sind. Aus Linolsäure entsteht außerdem die Arachidonsäure, die u. a. als Vorstufe der Prostaglandine und Leukotriene ( Kap. 4.5.2) von Bedeutung ist. Merke
Der Mindestbedarf an essentiellen Fettsäuren wird im allgemeinen mit etwa 10 g/Tag angegeben. Empfehlenswert ist jedoch eine Zufuhr von 10–30 g/Tag.
Ein Mangel an essentiellen Fettsäuren führt zu Hautveränderungen und (im Tierversuch) zu Störungen des Wasserhaushalts und der Fortpflanzung sowie zu Organveränderungen, insbesondere der Nieren. Da jedoch Linolsäure ubiquitär vorkommt und daher stets mit der Nahrung zugeführt wird, sind solche Mangelerscheinungen beim Menschen sehr selten.
Cholesterol (Cholesterin) Dieses wichtige Sterin kommt nur in tierischen Nahrungsmitteln vor. Seine Aufnahme ist daher allein durch den Verzehr tierischer Lebensmittel möglich (durchschnittliche Zufuhr 0,3–0,8 g/Tag). Daneben ist der Organismus zur Eigensynthese von Cholesterol (0,5–1,0 g/Tag) aus Azetateinheiten befähigt. Hauptorte der Cholesterolsynthese sind die Leber und die Darmschleimhaut.
353 10.2 · Makronährstoffe
10
Auf Grund des postulierten Zusammenhangs zwischen erhöhten Cholesterolkonzentrationen im Blutplasma und der Entstehung der Arteriosklerose sollte die Cholesterolzufuhr auf 0,3–0,5 g/Tag eingeschränkt werden. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Plasma-Cholesterolspiegel ( Kap. 4.2.3) durch die Aufnahme von Fetten, die vorwiegend aus gesättigten Fettsäuren bestehen, erhöht und durch Zufuhr von Fetten mit einem hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren erniedrigt wird.
10.2.3
Eiweiße
Physiologischer Bedarf und biologische Wertigkeit Nahrungseiweiß wird vor allem für die Zufuhr von Aminosäuren benötigt, die für die Biosynthese von körpereigenem Eiweiß sowie von bestimmten stickstoffhaltigen Verbindungen (z. B. von Purinen und Pyrimidinen) erforderlich sind. Als wesentlicher Energielieferant dient es nur bei Aufnahme überschüssiger Mengen oder unter pathologischen Bedingungen (z. B. bei Diabetes mellitus). Merke
Der minimale Eiweißbedarf ergibt sich aus der Stickstoffbilanz des Organismus. Ein Gleichgewicht zwischen Stickstoffaufnahme in Form von Proteinen und Stickstoffausscheidung ist dann erreicht, wenn bei gemischter Kost die tägliche Eiweißzufuhr 0,5–0,7 g/kg Körpergewicht beträgt. Man bezeichnet diese Eiweißmenge als Bilanzminimum oder physiologisches Eiweißminimum.
Da die verschiedenen Nahrungsproteine einen unterschiedlichen Aminosäurengehalt aufweisen, ist das Bilanzminimum von der Art der zugeführten Eiweiße abhängig. Der Gehalt an Aminosäuren und ihr Mengenverhältnis zueinander bestimmt die sog. biologische Wertigkeit (»Qualität«) der Proteine. Bei Zufuhr von Volleiprotein, dem man die Wertigkeit 100 zuordnet, beträgt das Bilanzminimum etwa 0,5 g/kg, während geringerwertige Proteine (z. B. in Gemüse und Getreide) in größerer Menge zugeführt werden müssen, um das Bilanzminimum zu erreichen. Wegen dieser Schwankungen wird als Eiweißoptimum beim gesunden Erwachsenen die tägliche Zufuhr von 0,8–1 g/kg Körpergewicht empfohlen, d. s. etwa 15 % der gesamten Energiezufuhr.
354
Kapitel 10 · Ernährung
Kleinkinder haben wachstumsbedingt einen höheren täglichen Bedarf (2,0–2,4 g/kg Körpergewicht), ebenso Schulkinder, Schwangere, Stillende und Schwerstarbeiter (1,2–2,0 g/kg Körpergewicht).
Essentielle Aminosäuren
V
Die zugeführten Nahrungsproteine müssen zu einem gewissen Prozentsatz essentielle Aminosäuren enthalten, die im Organismus nicht synthetisiert werden können. Hierzu gehören: Isoleuzin, Leuzin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin. Für Säuglinge ist auch Histidin essentiell. Arginin stellt eine semiessentielle Aminosäure dar, da unter bestimmten Umständen ihre endogene Bildung nicht ausreicht und dann eine exogene Zufuhr erforderlich ist. Biologisch hochwertige Eiweiße (z. B. in Eiern, Milch und Fleisch) enthalten etwa 50 %, biologisch geringerwertige Eiweiße (z. B. im Getreide) 20–30 % essentielle Aminosäuren. Eiweißmangel , ein ernstes Problem in den sog. Entwicklungsländern, ist meist mit einem Mangel an anderen Nährstoffen verbunden. Es kommt zu einem Abbau von Muskel- und Fettgewebe und dadurch zu Gewichtsabnahme, zu Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, zu Abwehrschwäche gegenüber Infektionen und bei Kindern zum Wachstumsstillstand (Marasmus). Wegen der reduzierten Albuminkonzentration im Plasma und der dadurch bedingten Erniedrigung des kolloidosmotischen Drucks ( Kap. 4.2.2) treten bei schweren Formen des Eiweißmangels (Hunger-) Ödeme auf. Darüber hinaus kommt es häufig zu psychischen Veränderungen. Eine besondere Form der chronischen Unterernährung stellt der Kwashiorkor dar, der durch eine unzureichende Zufuhr biologisch hochwertiger Eiweiße bei gleichzeitig ausreichender Aufnahme von Kohlenhydraten (Reis, Mais, Hirse) verursacht wird. Bei übermäßiger Eiweißaufnahme überwiegen die Fäulnisprozesse im Darm, weil das vermehrt anfallende Nahrungseiweiß unzureichend verdaut und durch anaerobe Bakterien im Dickdarm zersetzt wird.
10.3
Vitamine
Vitamine werden mit den Spurenelementen zu den Mikronährstoffen zusammengefasst.
355 10.3 · Vitamine
10.3.1
10
Bedeutung und Einteilung der Vitamine
Biologische Bedeutung Merke
Vitamine sind lebensnotwendige, physiologisch wirksame organische Verbindungen, die im menschlichen Organismus entweder nicht oder unter bestimmten äußeren Bedingungen (z. B. Mangel an UV-Strahlung) nur unzureichend gebildet werden können. Vitamine müssen daher dem Organismus als solche oder in Form ihrer Vorstufen, der Provitamine, zugeführt werden.
Dies erfolgt einmal mit der Nahrung, zum anderen werden einige Vitamine auch von Darmbakterien synthetisiert und in absorbierbarer Form in den Darm abgegeben. Vitamine erfüllen im Zellstoffwechsel zahlreiche Aufgaben: Viele von ihnen sind Bausteine von Koenzymen oder prosthetischen Gruppen von Enzymen. Andere dienen als Redoxvermittler, als Induktoren der Proteinbiosynthese oder beeinflussen den Membrantransport. Eine vollwertige Nahrung, die – von Hungergebieten abgesehen – heute zur Verfügung steht, enthält ausreichende Vitaminmengen. Allerdings schwankt der Vitamingehalt in den Nahrungsmitteln je nach Produktionsbedingungen, Lagerung und Zubereitung. Beim gesunden Erwachsenen tritt, da die benötigten Vitaminmengen sehr klein sind, ein Vitamindefizit selten auf. Zusätzliche Vitamingaben sind nur erforderlich bei ▬ ungenügender Vitaminzufuhr (einseitiger oder nicht ausreichender Ernährung), ▬ erhöhtem Vitaminbedarf (z. B. im Säuglingsalter, während Schwangerschaft und Stillzeit), ▬ verminderter Vitaminabsorption (z. B. fehlendem Intrinsic-Faktor, Kap. 12.3.4, oder Behandlung mit Breitbandantibiotika, welche die Darmflora zerstören). Unzureichende oder fehlende Zufuhr von Vitaminen führt zu Mangelkrankheiten, die man als Hypovitaminosen bzw. Avitaminosen bezeichnet. Sie lösen meist charakteristische Krankheitserscheinungen aus, die durch Zufuhr des betreffenden Vitamins beseitigt werden können.
356
Kapitel 10 · Ernährung
Einteilung
V
Auf Grund ihrer unterschiedlichen Löslichkeit werden die Vitamine in zwei Gruppen, die fettlöslichen und die wasserlöslichen Vitamine, unterteilt. Diese zunächst willkürlich erscheinende Unterteilung ist aus folgenden Gründen gerechtfertigt: Sie gibt einen Hinweis darauf, in welchen Nahrungsmitteln voraussichtlich die Vitamine vorkommen und welche Vitamine von der Fettabsorption ( Kap. 12.9.3) abhängig sind. Außerdem kann eine Überdosierung (Hypervitaminose) fettlöslicher Vitamine, vor allem von Vitamin A und D, schwere Gesundheitsschäden hervorrufen, während Überdosierungen wasserlöslicher Vitamine keine nachteiligen Folgen haben, da letztere bei Überangebot mit dem Harn ausgeschieden werden.
10.3.2
Vitamine in tabellarischer Übersicht
Die Vitamine A, D, E und K sind fettlöslich. Einen Überblick über ihre biologischen Funktionen, ihr Vorkommen, Mangelerscheinungen und den täglichen Bedarf des Erwachsenen gibt ⊡ Tabelle 10.2. Zu den wasserlöslichen Verbindungen zählen die Vitamine B1, B2 , B6 , B12 und C, Niacin, Folsäure, Panto-
⊡ Tabelle 10.2. Fettlösliche Vitamine: Bezeichnungen, Vorkommen, biologische Funktionen, Mangelkrankheiten und geschätzter mittlerer Tagesbedarf bzw. empfohlene tägliche Zufuhr (Erwachsene; Dt. Gesellschaft für Ernährung, 2000) Kennzeichen
Name
Vorkommen
biolog. Funktionen
Mangelkrankheiten
mittl. Tagesbedarf (mg)
A
Retinol
Leber, grüne Gemüse, Früchte, Karotten, Milch, Butter, Eier
Sehvorgang, Epithelreifung, Wachstum
Nachtblindheit, Xerophthalmie, Hautveränderungen
0,8–1,0
D
Kalziferol
Leber, tierische Öle und Fette
Ca2+-Stoffwechsel, Knochenwachstum
Rachitis, Osteomalazie
0,005
E
Tokopherol
Pflanzenöle, Leber, Getreidekeime
Oxidationsschutz für ungesättigte Fettsäuren
Muskelschwäche (sehr selten)
12–15
K
Phyllochinon (K1), Menachinon (K2)
grüne Pflanzen, Leber
Synthese von Blutgerinnungsfaktoren
Blutungsneigung
0,06–0,08
10
357 10.3 · Vitamine
⊡ Tabelle 10.3. Wasserlösliche Vitamine: Bezeichnungen, Vorkommen, biologische Funktionen, Mangelkrankheiten und mittlerer Tagesbedarf bzw. empfohlene tägliche Zufuhr (Erwachsene; Dt. Gesellschaft für Ernährung, 2000) Kennzeichen
Name
Vorkommen
biolog. Funktionen
Mangelkrankheiten
mittl. Tagesbedarf (mg)
B1
Thiamin, Aneurin
Fleisch, Getreidekörner, Zerealien
Koenzym
Beri-Beri, Polyneuritis, Herzschwäche
1,0–1,3
B2
Riboflavin, Laktoflavin
Leber, Milch, Eier, Getreidekeime
Koenzym
Entzündungen von Haut und Schleimhäuten
1,2–1,5
B6
Pyridoxin
grüne Gemüse, Fleisch, Leber, Getreide
Koenzym
Polyneuropathie
1,2–1,6
B12
Kobalamin
Leber, Fleisch
Koenzym, Blutzellbildung
Perniziöse Anämie, neurol. Störg
0,003
Nikotinsäureamid, Nikotinsäure
Leber, Eier, Milch, Nüsse
Koenzym
Pellagra
13–17
Folsäure
grüne Blattgemüse, Leber
Koenzym, Blutzellbildung
Anämie, Missbildungen beim Feten
0,4
Pantothensäure
Leber, Eier, Getreide
Koenzym
Fußschmerzen
6
H
Biotin
Leber, Eier, Getreide
Koenzym
Hautentzündung
0,03–0,06
C
L-Askorbinsäure
Zitrusfrüchte, Kartoffeln, grüne Blattgemüse, Paprika
Redoxreaktionen
Skorbut, Infektanfälligkeit
100
thensäure sowie Biotin. Angaben zu diesen Stoffen finden sich in ⊡ Tabelle 10.3. (Bzgl. der chemischen Konstitution der Vitamine und ihrer Beteiligung an den verschiedenen Stoffwechselprozessen vgl. Lehrbücher der Biochemie.)
10.3.3
Vitaminantagonisten
Stoffe, die mit den Vitaminen strukturell verwandt sind und sich von diesen durch geringfügige Veränderungen an funktionellen Gruppen unterschei-
358
Kapitel 10 · Ernährung
den, können die entsprechenden Vitamine von ihren Wirkorten verdrängen. Da sie auf diese Weise die Vitaminwirkungen aufheben, werden sie als Vitaminantagonisten bezeichnet. Ein natürlicher Vitaminantagonist ist das Avidin im Eiklar, das Biotin bindet und inaktiviert. Künstliche Antagonisten haben als Medikamente Eingang in die klinische Medizin gefunden (z. B. Kumarinderivate als Vitamin-K-Antagonisten ( Kap. 4.9.5), Folsäureantagonisten als Zytostatika in der Krebsbehandlung u. a.).
V 10.4
Wasser, Salze (Mengenelemente) und Spurenelemente
Neben einer ausgewogenen Nährstoffzufuhr ist eine ausreichende Aufnahme von Wasser, Mineralstoffen und Spurenelementen für die normale Aufrechterhaltung der Lebensvorgänge unerlässlich. Angaben zum täglichen Wasserund Elektrolytbedarf finden sich in Kap. 14. Wasser ist der quantitativ wichtigste essentielle Nährstoff. Merke
Als Spurenelemente bezeichnet man Elemente, die nur in äußerst geringen Mengen (»in Spuren«) in der Nahrung und im Organismus vorkommen. Hierbei lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Spurenelemente mit physiologischen Funktionen (essentielle Spurenelemente), Spurenelemente ohne Funktion (z. B. Aluminium, Gold, Silber), toxische Spurenelemente (z. B. Antimon, Arsen, Blei, Quecksilber, Thallium).
Zu den essentiellen Spurenelementen gehören Eisen als Baustein des Hämoglobins und der Zytochrome, Kobalt als Baustein von Vitamin B12, Chrom, Kupfer, Mangan, Molybdän, Selen und Zink, die in Enzymen enthalten sind, Jod, das für die Biosynthese von Schilddrüsenhormonen benötigt wird, und Fluor, das beim Aufbau des Zahnschmelzes und der Knochen eine biologische Bedeutung hat. Eine Zusammenstellung des Vorkommens und des Tagesbedarfs sowie der wichtigsten Symptome bei Mangel an essentiellen Spurenelementen enthält ⊡ Tabelle 10.4.
359 10.5 · Ernährung und Körpergewicht
10
⊡ Tabelle 10.4. Essentielle Spurenelemente: Vorkommen, geschätzter bzw. empfohlener mittlerer Tagesbedarf und hauptsächliche Mangelerscheinungen (Erwachsene; Dt. Gesellschaft für Ernährung, 2000) Element
Vorkommen
Tagesbedarf (mg)
Mangelerscheinungen
Eisen
Fleisch
10–15a
mikrozytäre Anämie
Zink
Weizenkeime
7–10
Wachstumsstörungen, Haarausfall, Infektanfälligkeit
Kupfer
Nüsse
1,0–1,5
mikrozytäre Anämie, Wachstumsstörungen
Mangan
Hülsenfrüchte
2–5
Knochenmissbildungen
Molybdän
Getreide
0,05
neurologische Störungen
Jod
Seetiere
0,18–0,2
Hypothyreose, Kropf
Kobalt
Leber
<1
makrozytäre Anämieb
Chrom
Getreide
0,03–0,1
gestörter Glukosestoffwechsel
Fluor
Seetiere
1–4
Zahnkaries
Selen
Seetiere
0,05–0,1
Herzmuskelschwäche
a b
Abhängig von Alter, Geschlecht und Funktionszustand des Organismus (Schwangerschaft usw.); Vitamin-B12-Mangel
10.5
Ernährung und Körpergewicht
Bilanzierte Ernährung Darunter versteht man eine ausgewogene Kost, in der ▬ die zugeführte Energie dem Bedarf, entsprechend der jeweiligen Arbeitsleistung, angepasst ist, ▬ die Grundnährstoffe in optimaler Relation enthalten sind, ▬ die Vitamine, Salze und Spurenelemente in ausreichenden, jedoch nicht überdosierten Mengen vorliegen. Die erstgenannte Bedingung wird von der Bevölkerung in industrialisierten Ländern in vielen Fällen nicht eingehalten. Dies zeigt ⊡ Tabelle 10.5, in der die Soll- und Istwerte der zugeführten Nährstoffenergien für die deutsche Bevölkerung angegeben sind. Daraus geht hervor, dass im statistischen Mittel die Nährstoffaufnahme den -bedarf um 10–15 % übersteigt. Als Folge davon hat in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Übergewichtigen, die einem erhöhten
360
Kapitel 10 · Ernährung
⊡ Tabelle 10.5. Mittleres Kostmaß (bezogen auf 1 Tag) der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 1990–2000 Gewichtsanteile
Energieumsatz
V
Soll
Ist
8,0–9,5 MJ
8,2–10,7 MJ
Soll
Ist
Eiweiß
53 g
74 g
14 %
19 %
Fett
65 g
90 g
17 %
23 %
>250 g
226 g
69 %
58 %
Kohlenhydrate
Krankheitsrisiko ausgesetzt sind ( Kap. 10.5.2), stark zugenommen. Die optimale Relation der Nährstoffanteile ist seit mehr als 100 Jahren in umfangreichen Studien unter wechselnden Ernährungsbedingungen untersucht worden. Für die Verhältnisse in Mitteleuropa hat sich dabei eine Relation der Gewichtsanteile Eiweiß : Fett : Kohlenhydrate von etwa 1 : 1 : 4, entsprechend einem Verhältnis der Energieanteile von 1 : 3 : 5, als besonders zweckmäßig erwiesen. Wie aus ⊡ Tabelle 10.5 hervorgeht, werden in der durchschnittlichen Kost zu viel Fett und zu wenig hochmolekulare Kohlenhydrate aufgenommen.
Körpergewicht Unter dem Durchschnittsgewicht versteht man den Mittelwert des Körpergewichts in einer Bevölkerungsgruppe. Da es ein Maß für die Ernährungssituation einer Population darstellt, ist es regional sehr unterschiedlich und u. U. zeitlichen Schwankungen (Hungerzeiten, Überernährungsphasen) unterworfen. Merke
Als Normalgewicht gilt das über den sog. BROCA-Index ermittelte Gewicht: Sollgewicht (kg) = Körpergröße (cm) – 100.
(10.1)
In der Präventivmedizin spielt der Körpermasse-Index (Body Mass Index, BMI) eine große Rolle: BMI = Körpergewicht (kg)/Körpergröße2 (m2).
(10.2)
Als Richtwert für das erstrebenswerte Körpergewicht gilt ein BMI-Wert von 18,5–24,9 (⊡ Tabelle 10.6).
361 10.5 · Ernährung und Körpergewicht
10
⊡ Tabelle 10.6. Klassifizierung des Körpergewichts anhand des Körpermasse-Index (BMI) Klasse
BMI (kg/m2)
Untergewicht
< 18,5
Normalgewicht
18,5–24,9
Übergewicht (Adipositas, Grad I)
25–29,9
Adipositas, Grad II
30–39,9
Adipositas, Grad III
≥ 40
Es besteht kein Zweifel darüber, dass, ebenso wie in Entwicklungsländern ernährungsbedingte Mangelerscheinungen eine häufige Krankheitsursache darstellen, in den Industrienationen die Lebenserwartung großer Teile der Bevölkerung durch Übergewicht bzw. Fettsucht (Adipositas) infolge Überernährung, Fehlernährung und Bewegungsmangel verringert wird. So nimmt ab einem BMI >30 die Gefahr von kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) signifikant zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Adipositas vom androiden (Bauchfett-)Typ vorliegt, weniger bei einer Fettsucht vom gynoiden (Hüftfett-)Typ. Eine androide Adipositas wird über den Quotient aus Taillen- und Hüftumfang diagnostiziert (Taillenumfang T: Messung in der Mitte zwischen unterem Rippenbogen und Beckenkamm; Hüftumfang H: Messung in Höhe des Trochanter major). Der T/H-Quotient sollte bei Frauen unter 0,85, bei Männern unter 1,0 liegen.
362
Kapitel 11 · Epitheliale Transportprozesse
11 Epitheliale Transportprozesse 11.1
Barrierefunktion der Epithelien
Aufbau der Epithelien
V
Epithelien begrenzen den Körper nach außen sowie die Lumina der von außen zugänglichen Körperhöhlen. Sie dienen dem Stoff- und Flüssigkeitsaustausch mit der Außenwelt, z. B. im Gastrointestinaltrakt, in den Nieren, in Schweißund Speicheldrüsen. Epithelien bilden aber auch die Grenzflächen zwischen den Flüssigkeitsräumen (Kompartimenten) im Körperinneren. Die innere Auskleidung der Gefäßwände, die als Endothel bezeichnet wird, stellt eine häufig besonders durchlässige »Barriere« dar. Obwohl sich die verschiedenen Epithelien in bestimmten Strukturmerkmalen unterscheiden, gelten für sie doch einheitliche Funktionsprinzipien. Epithelzellen sind durch Schlussleisten miteinander verbunden und bilden auf diese Weise eine durchgehende Oberfläche. Sie besitzen eine typische polare Struktur (⊡ Abb. 11.1): Merke
An der funktionellen Außenseite befindet sich die apikale Membran, die bei vielen Epithelien durch fingerartige Ausstülpungen (Mikrovilli) vergrößert ist. Man bezeichnet diese besondere Form als Bürstensaummembran. Die der Blutseite zugewandte Membran und die seitlich gelegenen Membranpartien bilden eine funktionelle Einheit, weil sie mit gleichartigen Transportproteinen ausgestattet sind. Daher fasst man sie auch unter einer einheitlichen Bezeichnung als basolaterale Membran zusammen.
Die seitlichen Membranen benachbarter Zellen begrenzen den Interzellularspalt. Dieser ist nach der apikalen Seite hin durch den Schlussleistenkomplex mehr oder weniger stark abgedichtet. Der Komplex besteht aus der eigentlichen Schlussleiste (Tight Junction), die als Netzwerk benachbarte Zellen verbindet, und aus einem gürtelförmigen Desmosom, das dem mechanischen Zusammenhalt der Epithelzellen dient. Am basalen Ausgang des Interzellularspalts existieren keine vergleichbaren abdichtenden Strukturen.
363 11.1 · Barrierefunktion der Epithelien
11
⊡ Abb. 11.1. Epithelzelle in schematischer Darstellung, nach FROMM und HIERHOLZER (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). Beim Stofftransport aus dem Lumen (links, z. B. des Dünndarms) in das Kapillarblut sind die 3 bezeichneten Barrieren zu überwinden; der Transport kann dabei auf transzellulärem oder auf parazellulärem Wege erfolgen
Permeabilität der Epithelien Die meisten Epithelien bilden Barrieren zwischen den Flüssigkeitsräumen des Körpers und dienen dem Stoff- und Flüssigkeitsaustausch zwischen benachbarten Räumen. Der transepitheliale Transport kann dabei auf zwei Wegen erfolgen (⊡ Abb. 11.1): Der transzelluläre Weg führt durch die apikale Membran, das Zytoplasma, die basolaterale Membran und meist auch über eine gewisse Strecke des Interzellularspalts. Auf dem parazellulären Weg erfolgt der Transport durch den Schlussleistenkomplex und den Interzellularspalt in seiner gesamten Länge. Der Schlussleistenkomplex ist sowohl für gelöste Substanzen (Solute) als auch für Wasser bis zu einem gewissen Grade durchlässig und bestimmt die parazelluläre Permeabilität. Dabei hat man 3 Arten von Epithelien zu unterscheiden: Undurchlässige Epithelien erlauben nur eine extrem niedrige Transportrate und dienen hauptsächlich als Barriere. Man findet sie lediglich in der Epidermis und in der Harnblase.
364
V
Kapitel 11 · Epitheliale Transportprozesse
Dichte Epithelien sind etwas durchlässig; ihr Schlussleistenkomplex ist jedoch weniger permeabel als die apikale Zellmembran. In diesem Fall erfolgt der Transport also vorwiegend transzellulär und nur zum geringen Teil parazellulär. Solche Epithelien finden sich in den distalen Nierentubuli, im Kolon und Rektum, in den distalen Gängen der Speichel- und Schweißdrüsen sowie in den Kapillaren des Gehirns, die einen Teil der Blut-Hirn-Schranke bilden. Lecke Epithelien gestatten eine hohe Transportrate und sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Schlussleistenkomplex permeabler ist als die apikale Zellmembran. Das dem transzellulären Stofftransport aus osmotischen Gründen folgende Wasser fließt also vorwiegend parazellulär und nimmt dabei weitere Teilchen mit sich. Diesen Massentransport, der durch den parazellulären Wasserfluss bewirkt wird, bezeichnet man als Solvent Drag. Zu den lecken Epithelien gehören die Auskleidungen der proximalen Nierentubuli, des Dünndarms, der Gallenblase sowie die Azini von Pankreas, Speichel- und Schweißdrüsen. In röhrenförmigen Funktionseinheiten sind also lecke Epithelien stets proximal und dichte Epithelien mehr distal angeordnet.
11.2
Resorption und Sekretion
Der Stoff- und Flüssigkeitsaustausch im Gastrointestinaltrakt, in den Nierentubuli, aber auch in den anderen mit Epithel ausgekleideten Geweben kann prinzipiell in zwei Richtungen erfolgen. Merke
Ist der transepitheliale Transport von der funktionellen Außenseite (z. B. vom Lumen des Dünndarms) zum Interstitium der Blutseite gerichtet, so bezeichnet man den Transportprozess als Resorption bzw. Absorption ( Anmerkung Kap. 12.1.1). Der Transport in umgekehrter Richtung, also vom Interstitium zur Außenseite, wird dagegen Sekretion genannt.
Primär-aktiver Transport Primär-aktiver Transport erfolgt unter unmittelbarem ATP-Verbrauch. Der polare Aufbau der Epithelzellen kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass die primär-aktiven ATPasen meist in der basolateralen Membran lokalisiert
365 11.2 · Resorption und Sekretion
11
sind. Kleine Kationen, z. B. Na+ und K+, werden unter Aufwendung von Stoffwechselenergie durch diese Membran gepumpt ( Kap. 1.2.2). Dadurch entstehen in der Zelle Konzentrationsgradienten, die sekundär den passiven (diffusiven) Ein- und Ausstrom, insbesondere durch die Kanäle der apikalen Membran, unterhalten. Als Beispiel ist in ⊡ Abb. 11.2 A die Wirkung der Na+/K+-ATPase dargestellt, welche die transzelluläre Na+-Resorption und K+-Sekretion antreibt. Aldosteron ( Kap. 15.4.2) fördert sowohl die aktive Pumpleistung in der basolateralen als auch den passiven Na+-Einstrom und K+-Ausstrom durch die apikale Membran.
Sekundär-aktiver Transport Beim sekundär-aktiven Transport handelt es sich um die Kopplung eines (passiven) carriervermittelten Sym- oder Antiports ( Kap. 1.2.2) mit einem aktiven Transport. Sein Antrieb ist typischerweise ein Konzentrationsgradient für Na+, eine Leistung der antreibenden Na+/K+-ATPase. Als Beispiel hierfür ist in ⊡ Abb. 11.2 B die Glukoseresorption dargestellt. Die Na+/K+ATPase transportiert Na+ durch die basolaterale Membran und schafft dadurch einen Gradienten für den Na+-Einstrom durch die apikale Membran. Dieser Na+-Einstrom wird durch einen Carrier vermittelt, der im Symport Glukose in die Zelle transportiert. Die ansteigende intrazelluläre Konzentration der Glukose fördert dann deren carriervermittelten Ausstrom durch die basolaterale Membran.
Tertiär-aktiver Transport Hierunter versteht man einen (passiven) Symport, der durch einen sekundäraktiven Transportprozess angetrieben wird. Ein Beispiel hierfür bietet die Dipeptidabsorption (⊡ Abb. 11.2 C), die u. a. im Dünndarm stattfindet. Der primär-aktive Transport erfolgt hierbei wieder durch die Na+/K+-ATPase. Der dadurch erzeugte Na+-Gradient bewirkt an der apikalen Membran einen Carrier-vermittelten Na+-Einstrom, durch den im Antiport H+ aus der Zelle ausgeschleust wird. Dieser sekundär-aktive Transport unterhält nun einen H+-Einstrom über den tertiären Carrier, der im Symport Dipeptide in die Zelle transportiert. Nach Aufspaltung der Dipeptide in Aminosäuren können diese schließlich die Zelle über Carrier der basolateralen Membran verlassen.
366
Kapitel 11 · Epitheliale Transportprozesse
V
⊡ Abb. 11.2 Aktive Transportprozesse, nach FROMM und HIERHOLZER (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000). A–C Der primär-aktive Transport wird direkt durch ATP-Verbrauch angetrieben, der sekundär-aktive durch einen Na+-Gradienten, der tertiär-aktive durch sekundär-aktiven Transport
367 12.1 · Allgemeine Grundlagen
12
12 Funktionen des Magen-Darm-Kanals 12.1
Allgemeine Grundlagen der gastrointestinalen Funktionen
12.1.1
Aufgaben und Funktionseinheiten des Gastrointestinaltrakts
Merke
Die Funktionen des Gastrointestinaltrakts gliedern sich in folgende Teilprozesse: Transport des Speisebreis, Reservoirfunktionen, Verdauung und Absorption (syn. Resorption).
Die Hauptaufgabe des Gastrointestinaltrakts besteht in der Überführung der aufgenommenen Nahrung in absorbierbare Bestandteile und deren anschließende Aufnahme in den Körper. Diese Vorgänge werden durch mechanische Prozesse (Zerkleinerung, Durchmischung, Transport) eingeleitet und mit der Zumischung von Verdauungssäften mit ihren Enzymen fortgesetzt. Durch diese Enzyme werden Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße hydrolytisch gespalten und in absorbierbare Bruchstücke zerlegt (Verdauung). Die Endprodukte der Verdauung werden – ebenso wie Wasser, Elektrolyte, Spurenelemente und Vitamine – aus dem Darmlumen über die Darmschleimhaut in das Blut oder die Lymphe aufgenommen (Absorption). Der Magen-Darm-Trakt besteht aus einem durchlaufenden Rohr mit den Abschnitten Oropharynx, Ösophagus, Magen, Dünn- und Dickdarm, in welche die Ausführungsgänge der exkretorischen Drüsen, Mundspeicheldrüsen, Pankreas und Leber, einmünden (⊡ Abb. 12.1). Die einzelnen Wandabschnitte des Trakts sind prinzipiell ähnlich aufgebaut. Abweichungen ergeben sich aus den unterschiedlichen Funktionen (⊡ Abb. 12.2). Ausschließlich dem Weitertransport dienen der Oropharynx und die Speiseröhre, Reservoirfunktion haben vor allem Magen, Gallenblase, Zäkum Anmerkung: In der Physiologie des Verdauungstrakts wird der Begriff »Absorption« international anstelle des sonst üblichen Terminus »Resorption« verwendet.
368
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
12
369 12.1 · Allgemeine Grundlagen
⊡ Abb. 12.2. Wandschichten des Magen-DarmKanals in schematischer Darstellung
(AUERBACH)
(MEISSNER)
und Rektum. Der Dünndarm ist der Hauptort für die Verdauung und Absorption. Reguliert werden diese Funktionen durch eine große Zahl von Hormonen, gastrointestinalen Peptiden und Neuropeptiden, durch Schrittmacherzellen, durch das vegetative (autonome) Nervensystem, einschließlich der viszeralen Afferenzen, und durch das Darmnervensystem. Aktivitäten der quer gestreiften Muskulatur am Anfang und Ende des Trakts stehen unter der Kontrolle des somatischen Nervensystems. 12.1.2
Enterisches Nervensystem (ENS)
Merke
Der Gastrointestinaltrakt verfügt über ein eigenes Nervensystem ( s. auch ⊡ Abb. 12.4), das die elementaren motorischen und sekretorischen Funktionen von Magen und Darm steuert. Die Zellkörper der ein Netzwerk bildenden Neurone des Darmnervensystems liegen im Plexus myentericus (AUERBACH) und im Plexus submucosus (MEISSNER).
⊡ Abb. 12.1. Übersicht über die an Verdauung und Absorption beteiligten Organe, die gastrointestinale Flüssigkeitsbilanz sowie die Passagezeiten bzw. Verweildauern des Inhalts
370
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Die efferenten Fasern des Plexus myentericus enden an den glatten Muskelzellen der Längs- und Ringmuskulatur und beeinflussen den Muskeltonus sowie den Rhythmus der Kontraktionen. Der Plexus submucosus steuert vorwiegend die sekretorische Funktion der Epithelzellen. Afferente Fasern beider Plexus leiten sensorische Impulse von Mechano-, Schmerz- und Chemosensoren zum Zentralnervensystem (ZNS).
V
12.1.3
Vegetatives Nervensystem
Merke
Sympathikus und Parasympathikus wirken modulierend auf das Darmnervensystem ein. Grundsätzlich fördert der Parasympathikus Motilität und Sekretion; der Sympathikus übt dagegen einen hemmenden Einfluss aus, führt zu einer Abnahme der Durchblutung, steigert jedoch den Tonus der gastrointestinalen Sphinkteren.
Parasympathische Fasern aus dem Hirnstamm innervieren die Ohrspeicheldrüse (N. glossopharyngeus), die Unterkiefer- und Unterzungendrüse (N. facialis) sowie den Ösophagus, Magen, Dünndarm, proximalen Dickdarm, die Leber, Gallenblase und das Pankreas (N. vagus). Die parasympathischen Fasern aus dem Sakralabschnitt des Rückenmarks (Nn. splanchnici pelvini) versorgen den absteigenden Dickdarm, das Sigmoid, das Rektum und die Analregion. Präganglionäre Fasern enden an den Ganglien der intramuralen Plexus bzw. den intraparenchymalen Ganglien der Speicheldrüsen und der Leber. Neurotransmitter ist Azetylcholin, das mit nikotinartigen Cholinozeptoren der Ganglienzellen reagiert. Azetylcholin ist auch die Überträgersubstanz an den postganglionären Nervenendigungen; es interagiert dort mit den muskarinartigen Cholinozeptoren der Effektorzellen. Die cholinergen postganglionären Fasern in den Plexus vermitteln vor allem exzitatorische Effekte (⊡ Abb. 12.4). Neben diesen Neuronen finden sich auch Fasern, die nichtadrenerg-nichtcholinerg sind (NANC-Neurone). Hemmende Neurone benutzen das Neuropeptid VIP ( Kap. 12.1.4), ATP, Somatostatin, Opioide (Darmmotilität und -sekretion) und Stickoxid (NO) als Transmitter. NANC-Neurone können andererseits auch erregend wirken. In
371 12.1 · Allgemeine Grundlagen
12
diesem Fall sind Substanz P, endogene Opioide (an den Sphinkteren) und andere Peptide die Transmitter. Die präganglionären Fasern des Sympathikus für den Gastrointestinaltrakt stammen aus dem 5. bis 12. Thorakal- sowie 1. bis 3. Lumbalsegment und werden in den prävertebralen Ganglien umgeschaltet. Viele postganglionäre sympathische Neurone projizieren auf Blutgefäße. Postganglionäre Überträgersubstanz an den Effektorzellen ist Noradrenalin. Die direkte Wirkung sympathischer Neurone auf die glatte Muskulatur des Darms ist schwach; lediglich die glatte Sphinktermuskulatur (unterer Ösophagussphinkter, Pylorus, innerer Schließmuskel) wird über α1-Adrenozeptoren direkt aktiviert. Ansonsten besteht die Wirkung des Sympathikus vor allem in einer Hemmung erregender Neurone der Plexus. Viszerale Afferenzen. Die Sensoren (Sinnesrezeptoren) dieser Afferenzen liegen in den Organen und messen den Füllungszustand des Darms (Mechanosensoren) oder registrieren chemische Reize, u. a. den intraluminalen pH-Wert (Chemosensoren). Schließlich vermitteln sie Schmerzreize (Nozizeptoren) aus dem Eingeweidebereich.
12.1.4
Gastrointestinale Hormone
Merke
Gastrointestinale Hormone und Peptide steuern und koordinieren die Motilität, die Sekretion und das Schleimhautwachstum. Darüber hinaus sind sie an der Regulation der Absorption und der lokalen Durchblutung der Mukosa beteiligt.
Funktionen und Freisetzung gastrointestinaler Hormone Um eine optimale Verdauung und Absorption der Nahrungsstoffe zu gewährleisten, müssen die Funktionen der einzelnen Abschnitte bzw. Organe des Gastrointestinaltrakts aufeinander abgestimmt werden. Hierzu trägt eine Vielzahl von endo-, para-, auto- und neurokrin wirkenden Substanzen bei (⊡ Tabelle 12.1). Die klassischen gastrointestinalen Hormone sind Gastrin, Sekretin, Cholezystokinin (CCK) und gastrisches inhibitorisches Peptid (GIP), die auf spezifische Reize in das Blut abgegeben werden und auf bestimmte Effektorzellen einwirken. Daneben wurde eine große Anzahl biologisch aktiver
Syntheseorte
G-Zellen (Antrum, Duodenum)
I-Zellen (Duodenum, Jejunum) Nervenendigungen Interneurontransmitter
S-Zellen (Duodenum, Jejunum)
K-Zellen (Duodenum, Jejunum)
Nervenendigungen
L-Zellen (Ileum, Kolon)
Gastrin
Cholezystokinin (CCK)
Sekretin
GIP (Gastric inhibitory Peptide)
VIP (Vasoactive intestinal Peptide)
Enteroglukagon
gastrointestinale Motilität ↓, HCl-Sekretion ↓, intestinale Sekretion ↑, erregender Transmitter an Drüsenzellen und an vasodilatatorischen Neuronen, hemmender Transmitter in Motoneuronen Schleimhautwachstum ↑, HCl-Sekretion ↓, Pankreassekretion ↓, Darmmotilität ↓
Glukose, Fettsäuren im Ileum ↑
Insulin-Sekretion ↑ (»Glucose-dependent Insulin-releasing Peptide«), HCl-Sekretion ↓, Magenmotilität ↓
Aktivierung enterischer Nerven
Glukose, Fett- und Aminosäuren im Duodenum ↑
HCO3–-Sekretion im Pankreas und in den Gallengängen ↑, HCl-Sekretion ↓, Pepsinogensekretion ↑, verzögert Magenentleerung
Sekretion von Pankreasenzymen ↑, Gallenblasenkontraktion ↑, Relaxation des Sphincter ODDI, verstärkt Sekretinwirkung, Pepsinogensekretion ↑, verzögert Magenentleerung, »Sättigungshormon« (im ZNS)
Proteinabbauprodukte und langkettige Fettsäuren im Duodenum
pH < 4 im Duodenum, Gallensalze im Duodenum ↑
HCl-Sekretion u. Pepsinogensekretion ↑, Schleimhautwachstum ↑, Magenmotilität ↑
Hauptwirkungen (Auswahl)
Proteinabbauprodukte im Magen, Magenwanddehnung, Vagusaktivierung
Freisetzungsreize
V
Hormon bzw. Peptid
⊡ Tabelle 12.1. Hormone und Neuropeptide des Magen-Darm-Trakts (Auswahl)
372 Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Nervenendigungen
Nervenendigungen
Nervenendigungen
X/A-like Cells (Magen)
Gastrin Releasing Peptide (GRP)
Opioidpeptide (β-Endorphin, Enkephaline, Dynorphine)
Ghrelin
Nervenendigungen (Kotransmitter zu Noradrenalin)
Neuropeptid Y
Substanz P
N-Zellen (Ileum)
F-Zellen (Pankreas)
Pankreatisches Polypeptid
M-Zellen (Duodenum, Jejunum)
Motilin
Neurotensin
D-Zellen (Pankreas, Dünndarm, Magen) Nervenendigungen
Somatostatin
Magensaftsekretion ↓, Pankreassekretion ↑
Fettsäuren im Dünndarm ↑
propulsive Peristaltik ↓, Darmsekretion ↓, Sphinktertonus ↑
Nahrungsaufnahme ↑, Magenmotilität u. -entleerung ↑, Freisetzung von Wachstumshormon ↑
Glukose im Magen ↓
Gastrinfreisetzung ↑
gastrointestinale Motilität ↑
Durchblutungsminderung im Splanchnikusbereich
Aktivierung enterischer Nerven (Hemmung der AzetylcholinFreisetzung)
Aktivierung enterischer Nerven
Aktivierung enterischer Nerven
Aktivierung enterischer Nerven
Pankreassekretion ↓, Darmmotilität ↓
interdigestive Motilität ↑, beschleunigt Magenentleerung
pH ↓ und Fettsäuren ↑ im Duodenum
Proteinabbauprodukte im Dünndarm ↑, Vagusaktivierung
Magensaftsekretion ↓, interdigestive Motilität ↓, Freisetzung von Gastrin, VIP, Motilin, CCK und Sekretin ↓, (»General-Hemmung«)
Fettsäuren, Peptide und Gallensalze im Dünndarm ↑
12.1 · Allgemeine Grundlagen 373
12
374
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Polypeptide nachgewiesen, die nicht alle Kriterien eines Hormons erfüllen, aber eine hormonähnliche Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt ausüben (⊡ Tabelle 12.1). Einige von ihnen diffundieren von ihrer Bildungszelle direkt zur benachbarten Effektorzelle ohne Beteiligung des Blutkreislaufs (Parakrinie). Andere werden aus Nervenendigungen bzw. Varikositäten freigesetzt (Neurokrinie, Kap. 15.1.1). Für manche Neuropeptide, die bislang nur im Gehirn bekannt waren, wie Enkephaline und Endorphine, wurden Opioidrezeptoren auch im Darm identifiziert. Eine Reihe »gastrointestinaler« Hormone kommt umgekehrt auch im zentralen und peripheren Nervensystem vor. Zu diesen als Neurotransmitter wirkenden Hormonen zählen Substanz P, Somatostatin, VIP und Neurotensin. Freisetzungsreize für die gastrointestinalen Hormone und Peptide sind zum einen eine Vagusaktivierung, zum andern verfügen die gastrointestinalen endokrinen Zellen am apikalen Zellpol über Strukturen, die auf bestimmte Substanzen im Darmlumen reagieren und die Freisetzung der Hormone bewirken. Gastrin-Gruppe. Die gastrointestinalen Hormone und eine Reihe der genannten Peptide können, entsprechend ihrer Aminosäuresequenzen, in mehrere Gruppen eingeteilt werden (vgl. ⊡ Tabelle 12.1). Die sog. Gastrin-Gruppe wird gebildet aus Gastrin und Cholezystokinin. Sie binden an den gleichen Zellrezeptortyp (CCK-Rezeptoren) und haben ähnliche Wirkung, die allerdings je nach Spezifität des Rezeptors unterschiedlich stark sein kann. Gastrin wirkt stärker auf die Belegzellen des Magens; umgekehrt bewirkt Cholezystokinin eine stärkere Gallenblasenkontraktion. Sekretin-Gruppe. Eine weitere Gruppe wirkungsverwandter Hormone und Peptide stellt die sog. Sekretin-Gruppe dar. Zu ihr zählen Sekretin, vasoaktives intestinales Peptid (VIP), (Entero-)Glukagon und GIP.
12.1.5
Gastrointestinale Motilität
Merke
Die gastrointestinale Motilität wird durch langsame Potentialwellen gesteuert, die von Schrittmacherzellen ausgehen, deren Ruhepotential rhythmischen Spontandepolarisationen unterliegt. Diese verursachen an den Muskelzellen periodische Depolarisationen (Slow Waves) im Sekundenoder Minutenrhythmus. Die gastrointestinale Motilität weist im Nüchternzustand und nach der Nahrungsaufnahme unterschiedliche Aktivitätsmuster auf.
375 12.1 · Allgemeine Grundlagen
12
Automatie Die periodischen Depolarisationen beruhen auf zunehmenden Na+- und Ca2+Leitfähigkeiten, gefolgt von einer Repolarisation, sodass langsame Potentialwellen (Slow Waves) im Sekunden- oder Minutenrhythmus entstehen (»basaler elektrischer Rhythmus«). Die Grundfrequenz der Wellen beträgt 3/min im Magen, 12/min im Duodenum und fällt auf 8/min im Ileum ab. Auf der Höhe der Depolarisation werden mit Überschreiten der Schwelle spannungsabhängige L-Typ-Ca2+-Kanäle geöffnet, wodurch es zur Auslösung einer Salve von Ca2+-getragenen Aktionspotentialen (sog. Spike-Potentialen) kommt, die sich den langsamen Potentialschwankungen überlagern. Für die Auslösung solcher Erregungsfolgen sind wahrscheinlich die interstitiellen CajalZellen verantwortlich, die eine besonders niedrige Erregungsschwelle besitzen. Von einer Gruppe dieser Schrittmacherzellen ausgehend, werden die Erregungen jeweils auf die benachbarten Muskelzellen über niederohmige Kontaktstellen (Gap Junctions oder Nexus) weitergeleitet. Auf diese Weise erfasst die Erregung die gesamte Umgebung der Schrittmacherzellen und führt zu einer synchronen Muskelkontraktion, die sich wellenförmig ausbreitet. Die Stärke der Kontraktion ist von der Frequenz der Aktionspotentiale abhängig. Letztere kann durch Noradrenalin oder Adrenalin auf Grund einer Hyperpolarisation gesenkt, durch Azetylcholin infolge einer Depolarisation erhöht werden.
Postprandiale Motilitätsmuster Merke
Nach der Nahrungsaufnahme treten in der Verdauungsphase (postprandialen Phase) lokale, ringförmige Kontraktionswellen (nichtpropulsive Peristaltik), lokale Einschnürungen in eng benachbarten Bereichen (Segmentationen) und Pendelbewegungen der Längsmuskulatur zur Durchmischung des Darminhalts auf. Der oral-aborale Transport erfolgt durch propulsive Peristaltik (⊡ Abb. 12.3).
Die propulsive Peristaltik wird durch lokale Reflexe hervorgerufen. Die Reizung von Dehnungssensoren durch den Darminhalt führt zunächst über afferente Neurone und Interneurone am Ort der Dehnung zu einer lokalen Relaxation. In oraler (aufsteigender) Richtung kommt es auf einer Strecke
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Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
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⊡ Abb. 12.3. Motilitätsmuster im Gastrointestinaltrakt und ihre funktionelle Bedeutung in schematischer Darstellung
von etwa 2 mm zu einer Kontraktion der Ringmuskulatur und einer Erschlaffung der Längsmuskulatur. In aboraler (absteigender) Richtung führt der lokale Reflex zuvor auf einer Strecke von 20–30 mm zu einer Erschlaffung der Ringmuskulatur und zu einer Kontraktion der Längsmuskulatur (⊡ Abb. 12.3). Die Kontraktion der Ringmuskulatur und die ihr vorauslaufende Erschlaffung setzen sich wellenförmig über den Magen und das Darmrohr fort. Die Durchmischung des Darminhalts mit Verdauungssäften geschieht durch nicht-propulsive Peristaltik, durch Segmentationen und Pendelbewegungen. Die nichtpropulsive Peristaltik beruht auf lokalen, ringförmigen Kontraktionen und pflanzt sich nur über kurze Strecken fort. Da die Frequenz der Kontraktionen im Dünndarm von oben nach unten abnimmt, wird der Darminhalt auch durch die nicht-propulsive Peristaltik langsam analwärts verschoben. Die Segmentation besteht in der gleichzeitigen Kontraktion der Ringmuskulatur eng benachbarter Bereiche. Eine Durchmischung
377 12.1 · Allgemeine Grundlagen
12
⊡ Abb. 12.4. Schematische Darstellung der lokalen Reflexbögen im enterischen Nervensystem (ENS) für die propulsive Peristaltik im Dünndarm sowie der modulierenden Wirkung des vegetativen Nervensystems. Transmitter bzw. Neuromodulatoren der erregenden Neurone zur glatten Muskulatur sind Azetylcholin und Substanz P, der hemmenden Neurone NO, VIP, ATP und Opioidpeptide. Die afferenten Neurone enthalten vor allem Substanz P und Azetylcholin, erregende Interneurone Azetylcholin und Serotonin, hemmende Interneurone VIP, NO und Opioidpeptide. In den meisten der bisher beschriebenen Neuronenpopulationen des enterischen Nervensystems sind Neuropeptide mit den primären Neurotransmittern kolokalisiert
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Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
des Inhalts wird auch durch Pendelbewegungen erreicht, die durch rhythmische Kontraktionen der Längsmuskulatur ausgelöst werden. Durch tonische Dauerkontraktion besonders spezialisierter Bereiche (Sphinkteren) werden verschiedene Räume funktionell voneinander getrennt, z. B. der Ösophagus vom Magen durch den unteren Ösophagussphinkter, der Magen vom Duodenum durch den Pylorus. Gleichzeitig ist dadurch ein gerichteter Transport ohne Rückfluss gewährleistet. Das Rektum wird durch den M. sphincter ani internus verschlossen.
Interdigestiver wandernder myoelektrischer Motorkomplex Merke
Interdigestive wandernde myoelektrische Motorkomplexe treten in größeren Abständen zwischen den Mahlzeiten auf und dienen wahrscheinlich der »Generalreinigung« des Magen-Darm-Trakts.
Dabei handelt es sich um zunächst ungerichtete, später analwärts wandernde (propulsive) motorische Aktivitäten der Wandmuskulatur von Magenantrum und Dünndarm, die jeweils durch 60 min dauernde Ruhephasen unterbrochen sind (⊡ Abb. 12.5). Gesteuert werden diese Motoraktivitäten durch den Parasympathikus. Vor der Aktivitätsfront werden Nahrungsreste, Bakterienansammlungen, aber auch Fremdkörper nach distal getrieben, wodurch der Magen-Darm-Trakt gereinigt und eine übermäßige bakterielle Besiedlung des Dünndarms verhindert wird. Die interdigestiven myoelektrischen Motorkomplexe (MMK) können durch das enterische Nervensystem oder durch gastrointestinale Hormone und Peptide modifiziert werden. Das Auftreten der MMK-Zyklen fällt zeitlich mit einem Anstieg der Motilin-Konzentration im Plasma sowie einer verstärkten Magen- und Pankreassekretion zusammen. Bei Nahrungsaufnahme werden die periodischen interdigestiven Motorkomplexe unterbrochen.
379 12.1 · Allgemeine Grundlagen
12
⊡ Abb. 12.5. Interdigestiver myoelektrischer Motorkomplex. Anteil von langsamen Wellen (Slow Waves) in der Verdauungsphase, die von einer Muskelkontraktion gefolgt sind. In Phase I herrscht motorische Ruhe, in Phase II (blau) erreicht der Kontraktionsanteil bis zu 50 % und in Phase III (rot) fast 100 % der Maximalaktivität. Die Aktivitätsfront wandert innerhalb von 1–1,5 h vom Duodenum (oben) zum Ileum (unten) und beginnt dann wieder von neuem. Mit einer Mahlzeit (Pfeil) wird der Komplex unterbrochen (grün)
12.1.6
Bildung der Verdauungssekrete
Merke
Für die Verdauung der Nahrung werden im Magen-Darm-Trakt von Mukosazellen und exokrinen Drüsen Sekrete abgegeben. Diese enthalten Enzyme (Ohrspeicheldrüse, Magen, Darm, Pankreas), Muzine (im gesamten Verdauungstrakt), HCl (Magen), Emulgatoren (Galle) und Elektrolyte. Die Sekretion von Elektrolyten ist mit einem passiven, osmotisch bedingten Wasserfluss verbunden.
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Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Verdauungsenzyme
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Die in intrazellulären Vesikeln gespeicherten Verdauungsenzyme werden auf Grund spezieller Signale und eines Anstiegs der zytosolischen Ca2+-Konzentration durch Exozytose abgegeben, die wahrscheinlich kontinuierlich, d. h. auch bei Verdauungsruhe, erfolgt. Die Sekretmengen sind hierbei jedoch gering. Bei Aktivierung der Verdauungsdrüsen durch Parasympathikus, gastrointestinale Hormone und Peptide in den Verdauungsphasen wird die Sekretion um ein Vielfaches gesteigert. Einige Verdauungsenzyme werden nicht in das Darmlumen sezerniert, sondern im Golgi-Komplex in Vesikel verpackt und zur apikalen Bürstensaummembran des Dünndarms transportiert, wo sie verbleiben und als sog. membranständige Enzyme ihre Substrate hydrolytisch spalten können.
Flüssigkeitssekretion Der Hauptantrieb für die Wassersekretion in allen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts stellt die Cl–-Sekretion durch Chloridkanäle in der luminalen (apikalen) Membran der Enterozyten dar ( Kap. 12.6.2). Einige Epithelien sezernieren HCO3– über Carrier.
12.2
Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus
Merke
In der Mundhöhle wird die aufgenommene feste Nahrung durch Kauen und Einspeicheln in einen gleitfähigen Zustand überführt. Der Speichel enthält vor allem Elektrolyte, α-Amylase und Muzine.
12.2.1
Kauen
Beim Kauen wird die feste Nahrung zerschnitten, zerrissen und zermahlen. Obwohl diese Zerkleinerung keine zwingende Voraussetzung für die Verdauung und Absorption ist, erleichtert sie diese Vorgänge jedoch erheblich (z. B. Verbesserung des enzymatischen Aufschlusses durch Oberflächenvergrößerung). Die Strukturen, die am Kauvorgang beteiligt sind, umfassen Oberund Unterkiefer mit den Zähnen, die Kaumuskulatur, Zunge und Wangen sowie den Mundboden und den Gaumen.
381 12.2 · Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus
12
Die rhythmische Aktion des Kauvorgangs erfolgt primär willkürlich, dann auch weitgehend unbewusst. Der Berührungsreiz der Speisepartikel an Gaumen und Zähnen steuert reflektorisch die Kaubewegung. Die Kräfte, die dabei aufgewandt werden, betragen im Bereich der Schneidezähne 100– 250 N, im Bereich der Molaren etwa 300–700 N bis zu einem Maximum von 1900 N. Zunge und Wangen schieben die Bissen zwischen die Kauflächen. Feste Nahrung wird zu Partikeln bis zu einer Größe von wenigen mm3 zerkleinert. Der durch den Kauvorgang stimulierte Speichelfluss bereitet die Konsistenz des Bissens (Bolus) zum Schlucken vor. Beim Kauen wird durch Freisetzung flüchtiger Komponenten aus der Nahrung sowie durch Auflösung oder Aufschwemmung fester Bestandteile im Speichel die Geschmackswahrnehmung gefördert. Dies führt reflektorisch zur weiteren Anregung des Speichelflusses und der Magensaftsekretion ( Kap. 12.3.4). Saugreflex. Dieser nutritive Reflex wird durch Berührungsreize von den Lippen oder von der Mundschleimhaut des Säuglings her ausgelöst. Bei luftdichtem Abschluss zwischen Lippen und Warzenhof der mütterlichen Brust sowie nach Abdichtung der nasalen und trachealen Luftwege erfolgt zunächst eine Senkung des Mundbodens. Der dadurch im Mundraum entstehende Unterdruck saugt die Muttermilch an. Anschließend werden die Kiefer zusammengedrückt und damit die Milchgänge der Brustdrüse ausgepresst. Der gesamte komplexe Vorgang, der mit einer rhythmischen Freigabe der Nasenatmung koordiniert ist, steht unter der Kontrolle von Neuronen in der Medulla oblongata.
12.2.2
Speicheldrüsen
Der Mundspeichel wird von den 3 großen paarigen Drüsen sezerniert: der Glandula parotis (Ohrspeicheldrüse), der Glandula submandibularis (Unterkieferdrüse) und der Glandula sublingualis (Unterzungendrüse). Die Gl. parotis ist eine seröse Drüse, die neben Wasser und Elektrolyten Glykoproteine sezerniert. Die Gl. submandibularis und die Gl. sublingualis sind gemischte Drüsen, die zusätzlich Saccharid-reiche Glykoproteine (Muzine) produzieren.
Speichelsekretion Täglich werden 0,6–1,5 l Mundspeichel gebildet. Er hält den Mund feucht und erleichtert das Sprechen, macht die gekaute Nahrung gleitfähig und fördert die Geschmacksentwicklung. Er ist essentiell für die Gesundheit der Zähne, die ohne Speichel kariös werden. Der Speichel hat eine reinigende und durch
382
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
seinen Gehalt an Lysozym, sekretorischem Immunglobulin A und Laktoferrin eine antibakterielle bzw. antivirale Wirkung. Auch ohne Nahrungsaufnahme findet immer eine geringe Basalsekretion (Ruhesekretion) von Mundspeichel (ca. 0,5 l/Tag) statt. Kommt es zu einer Berührung der Mundschleimhaut mit aufgenommenen Speisen und/oder zu Geschmacksempfindungen, so wird die Speichelsekretion reflektorisch gesteigert. Aber auch der Anblick, der Geruch oder die bloße Vorstellung von Speisen »lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen« (»bedingter Reflex«, kephale Sekretionsphase, Kap. 12.3.4). Dabei wird die Zusammensetzung des Speichels durch den Einfluss des vegetativen Nervensystems variiert. Eine Aktivierung des Parasympathikus bewirkt in allen Drüsen eine erhebliche Steigerung der Sekretion eines dünnflüssigen, glykoproteinarmen Speichels, die mit einer Durchblutungszunahme der Drüsen einhergeht. Letztere wird durch die gefäßerweiternde Wirkung von VIP vermittelt. Eine Erregung des Sympathikus liefert durch Stimulation der Unterkieferdrüse geringe Mengen eines viskösen, Glykoprotein-, K+- und HCO3–-reichen Speichels. In Ruhe haben die einzelnen Drüsen an der Gesamtspeichelproduktion folgende Anteile: Glandula submandibularis 70 %, Glandula parotis 25 % und Glandula sublingualis 5 %; nach Stimulation 63 %, 34 % und 3 %.
Zusammensetzung des Speichels Der Speichel besteht zu 99 % aus Wasser. Die wichtigsten darin enthaltenen Elektrolyte sind Na+, K+, Cl– und HCO3–. Der Primärspeichel, der von den Azini sezerniert wird, ist plasmaisoton. Merke
In den Azini der großen Speicheldrüsen wird Cl– durch einen Na+/2 Cl–/K+Symporter der basolateralen Membran in die Zelle aufgenommen, wofür die primär-aktive Na+/K+-ATPase den Antrieb liefert (⊡ Abb. 12.6). Die apikale Cl–-Sekretion erfolgt dann über einen Cl–-Kanal, während Na+ und Wasser auf parazellulärem Weg folgen.
In den Ausführungsgängen werden, bei relativ geringer Wasserpermeabilität, Na+ (aldosteronabhängig) und Cl– aus dem Lumen resorbiert und kleinere Mengen an K+ und HCO3– sezerniert, wodurch der Mundspeichel hypoton wird, ⊡ Abb. 12.7).
383 12.2 · Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus
12
⊡ Abb. 12.6. Modell der Elektrolyttransporte in den Endstücken der Gl. submandibularis und Gl. parotis (Primärsekretbildung, A) sowie in den Ausführungsgängen (B). In den Azinuszellen wird Cl– über einen luminal gelegenen Chloridkanal sezerniert; Na+ und Wasser folgen passiv auf parazellulärem Weg. In den Ausführungsgängen werden Na+ und Cl– aus dem Lumen resorbiert und kleinere Mengen an K+ und HCO3– sezerniert
Die Elektrolytzusammensetzung des Speichels ändert sich mit der Sekretionsrate: mit zunehmender Sekretionsrate steigen die Na+- und Cl–-Konzentrationen an, während die K+- und HCO3–-Konzentrationen leicht abfallen (⊡ Abb. 12.7), da die zur Verfügung stehende Zeit zur Resorption von Na+ bzw. Sekretion von K+ mit steigender Durchflussrate verkürzt bzw. die maximale Kapazität der Transportsysteme erreicht ist. Der pH-Wert des Mundspeichels liegt bei Ruhesekretion zwischen 6,5 und 6,9 und steigt nach Stimulation auf 7,2 an. Die Speicheldrüsen sezernieren verschiedene Makromoleküle: α-Amylase, Glykoproteine, Muzine, Lysozym, Laktoferrin, Immunglobulin A, Haptocorrine
384
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
[mosmol/kg H2O]
V
⊡ Abb. 12.7. Osmolalität (oben) und Elektrolytzusammensetzung (unten) des Mundspeichels als Funktion der Sekretionsrate
( Kap. 12.3.4) und häufig auch Blutgruppenantigene. Die funktionell wichtigsten sind die α-Amylase, die vorwiegend von der Parotis ausgeschieden wird, und die Schleimsubstanzen (aus Gl. submandibularis und Gl. sublingualis). Die α-Amylase (Ptyalin) ist zwischen pH 4 und 11 stabil und hat ihr Wirkungsoptimum bei pH 6,7–6,9. Das Enzym leitet die Verdauung der Stärke ein.
385 12.2 · Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus
12.2.3
12
Schlucken
Merke
Der Schluckakt gliedert sich in eine willkürliche orale Phase sowie eine reflektorisch ablaufende pharyngeale Phase und eine ösophageale Phase, in welcher der Bissen durch peristaltische Wellen in den Magen befördert wird.
Orale Phase In der ersten, willkürlich gesteuerten Phase des Schluckakts hebt sich die Zungenspitze, trennt eine Portion des gekauten Bissens im Munde ab und schiebt ihn in die Mitte des Zungengrunds und des harten Gaumens (⊡ Abb. 12.8 A). Lippen und Kiefer schließen sich, der weiche Gaumen (Palatum molle) hebt sich, während der vordere Teil der Zunge den Bolus nach hinten in den oberen Teil des Rachens (Pharynx) presst (⊡ Abb. 12.8 B). Der weiche Gaumen und die kontrahierten palatopharyngealen Muskeln bilden eine Trennwand zwischen der Mundhöhle und dem Nasen-Rachen-Raum und verschließen ihn.
Pharyngeale Phase Wenn der Bissen den Pharynx erreicht hat, setzt ein unwillkürlicher Reflexablauf (Schluckreflex) ein. Die afferenten Impulse von Mechanosensoren laufen u. a. über den N. glossopharyngeus und den oberen laryngealen Ast des N. vagus. Die Zellkörper der efferenten Neurone, die den Pharynx versorgen, liegen in den motorischen Kernen der Nn. trigeminus, facialis, glossopharyngeus, hypoglossus, vagus sowie in den spinalen Segmenten C1–C3. Nach Umschaltung der afferenten Impulse in einem nicht klar abgrenzbaren Gebiet in der Medulla oblongata und unteren Brückenregion (»Schluckzentrum«) läuft der komplexe Schluckvorgang eigengesetzlich und unwillkürlich weiter ab. Während der pharyngealen Phase wird die Stimmritze verschlossen und die Atmung für kurze Zeit reflektorisch unterbrochen. Der Kehlkopf hebt sich und verlegt den Atemweg (⊡ Abb. 12.8 C). Der ankommende Bissen biegt dabei den Kehlkopfdeckel (Epiglottis) über den Eingang der Luftröhre (Trachea) und verhindert so die Aspiration von Nahrungspartikeln. Versagt dieser Mechanismus, resultiert ein »Verschlucken«. Durch die Pharynxmuskulatur und die Zunge mit einem Druck von 4–10 mm Hg geschoben
386
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
387 12.2 · Mundhöhle, Pharynx und Ösophagus
12
(⊡ Abb.12.8 D), gleitet der Bissen nun über die Epiglottis in die Speiseröhre, nachdem sich der obere Schließmuskel (oberer Ösophagussphinkter) geöffnet hat, an dem auch untere Abschnitte des M. constrictor pharyngis beteiligt sind (⊡ Abb. 12.8 E). An dem gesamten reflektorischen Vorgang wirken mehr als 20 Muskeln mit, deren relativ kleine motorische Einheiten feinste Bewegungsabläufe ermöglichen.
Ösophageale Phase In dieser Phase passiert der Bissen den oberen Ösophagussphinkter und erreicht die Speiseröhre, einen muskulären Schlauch von 25–30 cm Länge mit einer äußeren längs verlaufenden und einer inneren zirkulären Muskelschicht, die in 3 Zonen gegliedert ist: 1. den oberen Ösophagussphinkter (oÖS), eine 2–4 cm lange Zone mit erhöhtem Muskeltonus, der beim Schlucken kurzfristig (1–2 s) deutlich abnimmt (⊡ Abb. 12.8), 2. den thorakalen Abschnitt und 3. den unteren Ösophagussphinkter (uÖS), eine weitere Zone mit erhöhtem Muskeltonus, der den Verschluss zum Magen gewährleistet. Da der größte Teil des Ösophagus im Brustraum verläuft, liegen die Binnendrücke bei Ruheatmung um 4–6 mm Hg unter dem Atmosphärendruck. Der Abschluss nach oben durch den oÖS mit einem Verschlussdruck von 50–100 mm Hg verhindert ein ständiges Eindringen von Luft in den Ösophagus, während der uÖS mit einer Druckdifferenz von 15–25 mm Hg gegenüber dem Magenfundus den Rückfluss (Reflux) von Mageninhalt in den Ösophagus verhindert. Die Muskulatur im oberen Drittel des Ösophagus ist quer gestreift, das untere Drittel besteht aus glatter Muskulatur. Das mittlere Drittel zeigt ein Übergangsbild. Der Ösophagus ist von einem Plattenepithel ausgekleidet, das Schleimdrüsen enthält. Die nervale Versorgung des Ösophagus erfolgt im Wesentlichen über den N. vagus. Die obere quer gestreifte Muskulatur wird von somatomotorischen Efferenzen versorgt, während die glatte Muskulatur vegetativ innerviert ist.
Als primäre Peristaltik wird der durch den N. vagus gesteuerte Bewegungsablauf bezeichnet, der die Fortsetzung des begonnenen Schluckaktes darstellt (⊡ Abb. 12.8). Eine sekundäre Peristaltik entsteht durch afferente Impulse vom Ösophagus selbst (z. B. durch mechanische Reizung). Sie wird durch ⊡ Abb. 12.8. Oropharyngeale und ösophageale Phasen des Schluckakts. A Pressen der Zunge nach oben gegen den harten Gaumen, B Verschluss des Nasopharynx durch den weichen Gaumen, C Anheben des Larynx und Umbiegen der Epiglottis über den Eingang der Luftröhre, D Peristaltik der Pharynxmuskulatur, E Reflektorisches Öffnen des oberen Ösophagussphinkters. Die Druckänderungen beim Schlucken sind für den Pharynx, den oberen Ösophagussphinkter, den thorakalen Abschnitt und den unteren Ösophagussphinkter als Kurven dargestellt
388
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Reste eines Bissens verursacht, die durch die primäre Peristaltik nicht den Magen erreicht haben, und durch das enterische Nervensystem koordiniert. Die peristaltische Welle im Ösophagus erfasst jeweils ein Kontraktionsareal von 2–4 cm Länge, schreitet mit einer Geschwindigkeit von 2–4 cm/s nach unten fort und erreicht den uÖS nach ca. 9 s (⊡ Abb. 12.8). Die Passagegeschwindigkeit hängt allerdings wesentlich von der Konsistenz des Bissens und der Körperlage ab. In aufrechter Körperhaltung erreichen Flüssigkeiten den Magen nach 1 s und feste Partikel nach 9–10 s. Der Druck der peristaltischen Welle steigt nach distal an und erreicht im unteren Ösophagus 30– 120 mm Hg. Die Druckamplitude nimmt mit der Größe des Bissens zu. Der uÖS öffnet sich für 5–8 s, bevor der Bissen in den Magen eintritt und schließt sich danach wieder. Dabei nimmt er nach einer kurzen Phase erhöhten Drucks erneut den Ruhetonus an. Die Relaxation des uÖS erfolgt reflektorisch unter dem Einfluss von NANC-Neuronen ( Kap. 12.1.3) des N. vagus; als Neurotransmitter werden das vasoaktive intestinale Polypeptid (VIP) und/oder Stickoxid (NO) angenommen.
12.3
Magen
Im Magen werden die geschluckten Speisen gespeichert, zerkleinert und homogenisiert. Nach einer Verweildauer von 1–5 Stunden erfolgt die portionsweise Entleerung des Speisebreis (Chymus) in das Duodenum.
12.3.1
Reservoirfunktion des Magens
Merke
Die proximalen Magenabschnitte (Fundus und oberster Korpusabschnitt) nehmen die Nahrung auf. Auf Grund von Relaxationsmechanismen können größere Volumina über Stunden hinweg gespeichert werden, ohne dass der Mageninnendruck merklich ansteigt.
Die proximalen Magenabschnitte (Fundus und oberster Korpusabschnitt) weisen weder eine Automatie noch peristaltische Wellen auf. In dieser Region wird lediglich durch Vagusimpulse eine Wandspannung aufgebaut, die sich
389 12.3 · Magen
12
dem jeweiligen Füllungszustand anpasst. Dieser Muskeltonus reicht aus, um Flüssigkeiten bei geöffnetem Pylorus in das Duodenum zu pressen. Bereits während des Schluckakts, d. h. bevor der Bissen aus dem Ösophagus in den Magen übertritt, sinkt der Mageninnendruck auf Grund einer Erschlaffung der Magenmuskulatur. Diese als rezeptive Relaxation bezeichnete Anpassung der Wandspannung wird auf einen vagovagalen Reflex zurückgeführt. Führt die Nahrungsaufnahme im Magen zur Erregung von Dehnungssensoren in der Magenwand, tritt eine zusätzliche Erschlaffung der Magenmuskulatur auf. Dieser als adaptive Relaxation (oder Akkommodation) bezeichnete Vorgang beruht ebenfalls auf einem vagovagalen Reflex. Beide Mechanismen erlauben – auch bei voluminösen Mahlzeiten bis zu 1 l – eine Magenfüllung, ohne dass der Mageninnendruck erheblich ansteigt und verhindern auf diese Weise u. a. eine beschleunigte Entleerung. Die Dehnbarkeit des proximalen Magens wird weitgehend vom N. vagus gesteuert. Modulierend wirken der Plexus myentericus sowie die gastrointestinalen Hormone Gastrin, CCK und Sekretin (⊡ Tabelle 12.1). Nach der Aufnahme fester Speisen weist der Mageninhalt eine Schichtung auf, wobei die zuletzt aufgenommenen Nahrungsbestandteile an der kleinen Kurvatur, die am längsten im Magen befindlichen Anteile im Pylorusbereich liegen. Aufgenommene Flüssigkeiten fließen an der Innenwand in distale Magenabschnitte ab. Der anhaltende Muskeltonus im proximalen Magen schiebt den Mageninhalt langsam in untere Korpusabschnitte weiter.
12.3.2
Durchmischung und Homogenisierung
Merke
Von einer Schrittmacherzone im oberen Korpusdrittel gehen peristaltische Wellen aus, die den Chymus (Speisebrei) bei geschlossenem Pylorus durchmischen und homogenisieren.
Im oberen Korpusdrittel liegen an der großen Kurvatur Schrittmacherzellen, die langsame Potentialwellen im 20-s-Rhythmus (Slow Waves, Kap. 12.1.5) bilden, deren Amplitude vom Dehnungszustand der Magenwand abhängt. Erreicht bei Füllung des Magens das Membranpotential die Schwelle, treten Spike-Aktivitäten auf, die im Korpus peristaltische Kontraktionen auslösen.
390
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Die kräftigen, zirkulären peristaltischen Wellen mit einer Frequenz von ca. 3/min wandern pyloruswärts und schieben den Inhalt in Richtung Magenausgang. Wenn sich die nach distal immer kräftiger werdende Kontraktionswelle dem Antrum nähert, schließt sich der vorher relaxierte Pylorus. Dadurch wird der eingezwängte Inhalt mit großer Kraft wieder zurück in den Magen geworfen (Retropulsion). Hierbei reiben sich feste Nahrungsbestandteile aneinander und werden zerdrückt, zermahlen und intensiv durchmischt (»Antrummühle«). Fette werden dabei auch mechanisch emulgiert. Unter dem Einfluss parasympathischer Nervenimpulse (N. vagus) tritt eine erhebliche Steigerung der Motilität ein. Motilitätssteigernd wirken weiterhin Gastrin, Cholezystokinin und Motilin. Hemmend wirken dagegen GIP und Enteroglukagon.
12.3.3
Magenentleerung
Die Flüssigkeitsentleerung aus dem Magen ist wegen des niedrigen Pylorustonus vor allem vom Druckgradienten zwischen proximalem Magen und Duodenum, die Entleerung von festen Bestandteilen hauptsächlich vom Pyloruswiderstand und damit letztlich von der Größe der Partikel abhängig. Flüssigkeiten verlassen den Magen relativ schnell, feste Bestandteile dagegen erst, wenn sie auf eine Partikelgröße < 2 mm zerkleinert sind. Merke
Die Entleerung des Magens erfolgt, vermittelt durch den N. vagus, reflektorisch und zwar durch synchrone Erschlaffung der Pylorusmuskulatur beim Eintreffen peristaltischer Wellen im Antrum. Allerdings wird der zeitliche Ablauf des Entleerungsvorgangs durch eine Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst.
Auch gastrointestinale Hormone sind an der Regulation der Magenentleerung beteiligt (⊡ Tabelle 12.1). Die Entleerung wird durch Sekretin gehemmt und durch Motilin beschleunigt. Eine Unterbrechung des N. vagus, wie z. B. bei einer operativen Vagotomie, führt zu Störungen der Magenentleerung mit Retention des Inhalts.
391 12.3 · Magen
12
Die Entleerungsrate hängt zusätzlich von der Beschaffenheit des Mageninhalts (Chymus) ab. Dieser Einfluss erfolgt reflektorisch und wird durch Chemosensoren im Duodenum vermittelt. Die Verweildauer im Magen ist länger bei saurem als bei neutralem Chymus, bei hyperosmolarem als bei hypoosmolarem Chymus, bei fettreichem als bei eiweißreichem Chymus (wobei allerdings Tryptophan als CCK-Rezeptorantagonist eine motilitätshemmende Wirkung ausübt) sowie bei eiweißreichem als bei kohlenhydratreichem Chymus. Daher variiert die Verweildauer – je nach Zusammensetzung der Speisen – zwischen 1 und 5 Stunden. Die durch Chemosensoren im Duodenum gesteuerte Verzögerung der Magenentleerung ist im Wesentlichen sekretinvermittelt. Große, feste Bestandteile können den Magen während dieser Entleerungsphase nicht verlassen. Solche Partikel können aber durch den speziellen Mechanismus des interdigestiven wandernden myoelektrischen Motorkomplexes ( Kap. 12.1.5) entleert werden. In dessen Phase III kommt es zu kräftigen Antrumkontraktionen, sodass – im Gegensatz zur digestiven Phase – jetzt auch große unverdaute Nahrungspartikel (zusammen mit Magensaft) durch den Pylorus in das Duodenum getrieben werden. Erbrechen. Das Erbrechen (Vomitus, Emesis) stellt einen komplexen Schutzreflex dar, der von Neuronenverbänden (»Brechzentrum«) im Nucl. tractus solitarii bzw. von der chemosensiblen Area postrema am Boden des 4. Ventrikels gesteuert wird. Er ist von vegetativen Begleitsymptomen (Übelkeit, Blässe, Schweiß- und Speichelsekretion, Blutdruckabfall und Tachykardie) begleitet. Das Erbrechen wird eingeleitet durch eine tiefe Inspiration mit nachfolgendem Verschluss der Glottis und des Nasopharynx. Anschließend erschlaffen die Magenmuskulatur und die Ösophagussphinkter, das Zwerchfell und die Bauchmuskulatur kontrahieren sich ruckartig. Letzteres bewirkt eine Erhöhung des intraabdominalen Drucks, und der Mageninhalt wird (teilweise) retrograd entleert. Auf Grund einer Tonussteigerung im Duodenum und Pyloruserschlaffung kann dabei auch Galle und Duodenalinhalt erbrochen werden. Erbrechen kann durch eine Vielzahl von Ursachen ausgelöst werden: mechanische Reizung des Oropharynx, mechanische und chemische Alteration von Magen und Darm, Entzündungen im Bauchraum, starke Schmerzzustände (Koliken, Herzinfarkt), hormonelle Umstellungen in der Schwangerschaft, Stoffwechselkrankheiten (z. B. nichtrespiratorische Azidose bei entgleistem Diabetes mellitus), Reisekrankheit und Schwerelosigkeit im All, Hirndrucksteigerung, Gabe von bestimmten Medikamenten (z. B. Apomorphin), Intoxikationen und nicht zuletzt psychische Einflüsse (z. B. Ekel erregender Geruch oder Anblick, Verwesungsgeruch). Chronisches Erbrechen führt zum Verlust von H+-, K+- und Cl–-Ionen sowie von Wasser, gefolgt von einer Hypovolämie und einer nichtrespiratorischen Alkalose ( Kap. 14.5.4).
392
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
12.3.4
Magensaftsekretion
Merke
Die Magenmukosa sezerniert täglich 2–3 l Magensaft, dessen wesentliche Bestandteile Salzsäure, Intrinsic-Faktor, Pepsinogene, Muzine und Bikarbonat sind.
V
Magenmukosa Der Magen ist von einer Schleimhaut mit einem Zylinderepithel ausgekleidet. Die im pylorusnahen Abschnitt und im Kardiabereich liegenden Drüsenzellen sezernieren, wie die Nebenzellen der tubulären Drüsen im Fundus- und Korpusabschnitt, wahrscheinlich nur Schleim (Muzin); das Oberflächenepithel des Korpus bildet Schleim und Bikarbonat (Hydrogenkarbonat). Die in den mittleren Abschnitten der Fundus- und Korpusdrüsen liegenden Belegzellen (»Parietalzellen«) sezernieren HCl sowie den Intrinsic-Faktor, die vor allem in basalen Regionen lokalisierten Hauptzellen Pepsinogene. Das Epithel des Antrums enthält G-Zellen, die Gastrin in das Blut abgeben. Die Bikarbonat- und Muzinsekretion im Magen erfolgt kontinuierlich. Die HCl- und Pepsinogenabgabe dagegen unterliegt einer Regulation im Zusammenhang mit der Verdauung. Im Nüchternzustand (interdigestive Phase) werden nur geringe Mengen (50–70 ml/h) eines zähflüssigen, neutralen bis leicht alkalischen Sekrets abgegeben. Dagegen kommt es im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme zur Bildung eines stark sauren (pH = 0,8–1,5), nahezu blutisotonen, enzymreichen Sekrets.
HCl-Sekretion Merke
Die von den Belegzellen unter Mitwirkung der Karboanhydratase gebildeten H+-Ionen werden mit Hilfe einer H+/K+-ATPase in die intrazellulären Canaliculi gepumpt. Mit den aktiv sezernierten Protonen gelangen auch Cl–- und K+-Ionen passiv über spezielle Kanäle in das Lumen. Die Salzsäure des Magensafts aktiviert die Pepsinogene, tötet Mikroorganismen ab, setzt Eisen und Vitamin B12 frei und denaturiert noch native Nahrungsproteine, die dann von Proteasen leichter gespalten werden können.
393 12.3 · Magen
12
⊡ Abb. 12.9. HCl-Sekretion durch die Belegzellen. H+-Ionen werden durch die Aktivität der H+/K+-ATPase in die intrazellulären Canaliculi gepumpt. Mit den Protonen werden auch Cl–- und K+Ionen über spezielle Kanäle in das Lumen abgegeben. KA = Karboanhydratase
Die Belegzellen sind einzigartig in ihrer Eigenschaft, HCl in hoher Konzentration zu produzieren, wobei eine H+-Konzentrierung etwa um den Faktor 106 gegenüber dem Blut erzielt wird. Sie sind charakterisiert durch Tubulovesikel, deren Membran die protonentransportierende H+/K+-ATPase (»Protonenpumpe«) enthält, und durch intrazelluläre Canaliculi, die an der apikalen Seite der Zelle in das Magenlumen einmünden. Nach Stimulation fusionieren die Tubulovesikel mit den Membranen der intrazellulären Canaliculi, wodurch die Protonenpumpe und die Ionenkanäle in die Canaliculus-Membran eingebaut werden. In Verdauungsruhe werden die Protonenpumpen und Kanäle wieder in die Tubulovesikel zurückverlagert. Die Energiequelle für den aktiven Transport von Protonen aus den Belegzellen in den Magensaft ist ATP. Durch die Aktivität der H+/K+-ATPase wird im gleichen Verhältnis H+ gegen K+ ausgetauscht (⊡ Abb. 12.9). H+ entstammt der Dissoziationsreaktion der Kohlensäure, wobei äquivalente HCO3–-Mengen entstehen. Die Dissoziation von Wasser spielt demgegenüber nur eine geringe Rolle. HCO3– tritt im Austausch gegen Cl– in das Blut über. Mit den H+-Ionen werden auch Cl–- und K+-Ionen über spezielle Kanäle in das Lumen abgegeben. Dem Transport der Ionen folgt ein osmotisch bedingter Wasserstrom in das Magenlumen. Die Na+/K+-ATPase und der Na+/H+-Antiporter in der basolateralen Membran der Belegzelle sind für die Aufrechterhaltung der ionalen Homöostase des Zytosols verantwortlich. Hemmer der Protonenpumpe unterdrücken die HCl-Sekretion nachhaltig.
394
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Sekretion des Intrinsic-Faktors Merke
Der ebenfalls von den Belegzellen sezernierte Intrinsic-Faktor ist essentiell für die Bindung von Vitamin B12 im Dünndarm und dessen Absorption im Ileum.
V
Für die Absorption von Vitamin B12 ist die Mitwirkung des Intrinsic-Faktors, eines Glykoproteins mit einer molaren Masse von ≈ 48 kD, und den Haptocorrinen aus dem Mundspeichel erforderlich. Im Magen wird freies Vitamin B12 zunächst an Haptocorrin (R-Protein) gebunden und bildet dadurch einen magensaftresistenten Komplex. Nach Spaltung dieser Verbindung durch Pankreasenzyme im oberen Dünndarm erfolgt die Bindung von Vitamin B12 an den trypsinresistenten Intrinsic-Faktor. Dieser Komplex ist resistent gegenüber Proteolyse und Absorption im oberen Dünndarm. Er wird schließlich durch rezeptorvermittelte Endozytose im Ileum aufgenommen ( Kap. 12.8.2) und an das Blut abgegeben.
Sekretion von Pepsinogenen Merke
Die Hauptzellen der Magenmukosa geben ein Gemisch von Proteasenvorstufen (Pepsinogenen) ab, deren Aktivierung zu Pepsinen durch HCl eingeleitet und autokatalytisch fortgesetzt wird.
Die Stimulation der Pepsinogensekretion erfolgt auf dieselbe Weise wie die der Salzsäureproduktion. Es lassen sich 8 verschiedene Vorstufen dieser proteolytischen Isoenzyme (Endopeptidasen) elektrophoretisch nachweisen. Sie werden durch die Magensalzsäure zu den wirksamen eiweißspaltenden Enzymen, den Pepsinen, durch Abspaltung eines blockierenden Oligopeptids aktiviert, ein Vorgang, der sich anschließend autokatalytisch fortsetzt. Die Pepsine wirken nur bei sauren pH-Werten mit Optima zwischen 1,8 und 3,5; im alkalischen Milieu werden sie irreversibel geschädigt.
395 12.3 · Magen
12
Sekretion von Schleim und Bikarbonat Merke
Die Muzine des Magensaftes machen den Chymus gleitfähig und haben – im Zusammenwirken mit Bikarbonat in der strömungsfreien Schleimschicht – protektive Eigenschaften für die Magenschleimhaut.
In den Oberflächen- und Nebenzellen der Korpusdrüsen sowie in den Kardiaund Pylorusdrüsen wird Schleim (Muzin) produziert, der den gesamten Magen mit einer bis zu 0,6 mm dicken Schicht als visköses Gel überzieht. Er erzeugt einen Gleitfilm und schützt die Schleimhaut vor mechanischen und chemischen Schäden. Die Schleimschicht muss ständig intakt gehalten bzw. erneuert werden, da sie sonst anhaltenden mechanischen und enzymatischen Angriffen ausgesetzt wäre. Hauptbestandteile des Schleims sind unterschiedliche Saccharid-reiche Glykoproteine (Muzine). Neben Schleim wird vom Oberflächenepithel Bikarbonat sezerniert. Der Transport ist elektroneutral und verläuft im Austausch gegen Cl– (luminaler HCO3–/Cl–-Antiporter). Bikarbonat hat zusammen mit dem Magenschleim eine wichtige Schutzfunktion gegenüber dem aggressiven Magensaft. Das gebildete HCO3– wird in der dem Magenepithel aufliegenden, strömungsfreien Flüssigkeits- bzw. Schleimschicht (Unstirred Layer) festgehalten und erzeugt dadurch einen pH-Gradienten von pH = 7 an der Zelloberfläche bis zu pH = 2 im Magenlumen. Damit findet man den durch die Salzsäure bedingten niedrigen pH-Wert nicht schon an der Schleimhautoberfläche, sondern erst im Magenlumen. Darüber hinaus gelangt Bikarbonat, das in den Belegzellen während der Sekretionsphase vermehrt gebildet und in das Blut abgegeben wird (⊡ Abb. 12.9), durch senkrecht in der Schleimhaut verlaufende Kapillarschlingen zur Epitheloberfläche. Die Durchblutung dieser Kapillaren wird wesentlich durch Prostaglandin E2 (PGE2) gesteuert, dem somit im Zusammenspiel mit Bikarbonat und der strömungsfreien Schicht eine wichtige protektive Funktion für die Magenschleimhaut zukommt. Mukosabarriere. Zu den protektiven Mechanismen der sog. Mukosabarriere zählen neben der bikarbonathaltigen, strömungsfreien Muzinschicht die Unversehrtheit der Membranen aller Oberflächenzellen. Diese wird durch eine gute Schleimhautdurchblutung, eine ungestörte PGE2-Wirkung (Steigerung der Durchblutung, der Schleim- und HCO3–-Sekretion), die Intaktheit der interzellulären Schlussleisten und die Fähigkeit zur Epithelregeneration gewährleistet.
396
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Zu den aggressiven Faktoren, die den Schutz der Magenschleimhaut gegen die von ihren Drüsen produzierten Pepsine und HCl vermindern (»Barrierenbrecher«), werden biologische Detergenzien (Gallensalze und Lysolezithin der Galle), Glukokortikoide, nichtsteroidale entzündungshemmende Arzneimittel, wie Azetylsalizylsäure (Hemmer der Prostaglandinsynthese), eine Minderdurchblutung der Schleimhaut sowie die bakterielle Infektion mit Helicobacter pylori gerechnet.
Steuerung der Magensaftsekretion Merke
V
Die Magensaftsekretion wird im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme nerval und hormonal gesteuert. Dabei unterscheidet man eine kephale, eine gastrale und eine intestinale Phase der fördernden und hemmenden Einflüsse auf die Sekretion (⊡ Abb. 12.10).
⊡ Abb. 12.10. Schematische Darstellung der an der HCl-Sekretion beteiligten fördernden und hemmenden Mechanismen. ACh = Azetylcholin, GRP = Gastrin Releasing Peptide, GIP = Gastrin Inhibitory Peptide; hemmende Einflüsse: blau, fördernde Einflüsse: rot
397 12.3 · Magen
12
In der Nüchternperiode (interdigestive Phase) sezerniert die Magenschleimhaut nur 10–15 % des Sekretvolumens, das nach maximaler Stimulation gebildet wird. Nach Vagusdurchtrennung (Vagotomie) und nach Entfernen des Antrums (Sitz der G-Zellen) sistiert die Basalsekretion, weshalb eine Grundaktivität des Vagus für eine basale Gastrin-abhängige Magensaftsekretion verantwortlich gemacht wird. Nahrungsaufnahme ist der adäquate Reiz für die Stimulation der Magensaftsekretion. Ihre Beeinflussung setzt bereits vor dem Essen ein und dauert nach der Beendigung der Mahlzeit noch an. Die kephale Phase wird durch den Anblick, den Geruch und den Geschmack von Speisen ausgelöst. Aber auch die Erwartung und die bloße Vorstellung eines schmackhaften Gerichts stimulieren die Magensaftsekretion. Die Steuerung der Sekretion erfolgt vom Zentralnervensystem aus, von dem die Nervenimpulse über den N. vagus zum Magen geleitet werden. Eine Vagotomie unterbricht die kephale Phase. Man nimmt an, dass die Vaguswirkung durch die Freisetzung von Gastrin vermittelt wird, da eine Denervierung des Antrums die Sekretion praktisch verhindert. Die kephale Phase bewirkt beim Menschen 40–45 % der maximalen Sekretion. Auch Emotionen haben Einfluss auf die Magensaftsekretion: Schmerz, Angst und Trauer können sekretionshemmend, Aggressionen, Wut und Stress sekretionssteigernd wirken. Hypoglykämische Zustände (Blut-Glukosekonzentration < 45 mg/dl) wirken ebenfalls sekretionsfördernd.
Die gastrale Phase wird durch die Dehnung des Magens bei der Nahrungsaufnahme und durch chemische Reize bestimmter Nahrungsbestandteile ausgelöst. Der Dehnungsreiz führt reflektorisch zur Magensaftsekretion, wobei die afferenten Signale über den N. vagus zum ZNS und die efferenten Impulse ebenfalls über den N. vagus zum Magen geleitet werden. Ein zweiter kurzer Reflexweg verläuft intramural über das enterische Nervensystem. Die chemischen Reize wirken vorwiegend über die Freisetzung von Gastrin sekretionsfördernd. Zu den chemischen Stimulantien gehören hauptsächlich Eiweißabbauprodukte (Peptide und Aminosäuren, insbesondere Phenylalanin und Tryptophan), ferner Ca2+-Ionen sowie Alkohol (Aperitif-Effekt) und Kaffee (Koffein, Röststoffe). Die gastrale Phase trägt 50–55 % zur maximalen Sekretion bei. Bei pH < 3 im Antrum wird Somatostatin freigesetzt, das parakrin die Gastrinproduktion und endokrin auch die Magensaftsekretion hemmt (negative Rückkopplung).
398
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
In der intestinalen Phase kann die Magensaftsekretion vom Duodenum her sowohl fördernd als auch hemmend beeinflusst werden. Die Dehnung der Darmwand und der Übertritt von Eiweiß oder dessen Spaltprodukten ins Duodenum fördern über (noch nicht identifizierte) humorale Faktoren die Magensaftsekretion, allerdings nur in geringem Maße (5 % der Maximalsekretion). Wichtiger ist jedoch in dieser Phase der hemmende Einfluss. Tritt saurer (pH < 4), stark fetthaltiger oder hyperosmolarer Chymus in das Duodenum über, erfolgt dort eine Freisetzung von Sekretin, das die HCl-Sekretion hemmt und damit eine weitere Säurebelastung verhindert, die Pepsinogensekretion dagegen stimuliert. Bei stark fetthaltigem Darminhalt wird die Säuresekretion zusätzlich durch die Peptide Neurotensin, Peptid YY und GIP gehemmt.
Aktivierung der Belegzellen Merke
Histamin, Azetylcholin und Gastrin reagieren mit jeweils spezifischen Membranrezeptoren der Belegzellen und aktivieren damit die HCl-Sekretion (⊡ Abb. 12.11).
Histamin, das aus den ECL-Zellen (Enterochromaffin-like Cells) der Magendrüsen und aus Mastzellen freigesetzt wird, reagiert mit H2-Rezeptoren. Dadurch kommt es, vermittelt durch den second messenger cAMP, zur Aktivierung der HCl-Sekretion. Azetylcholin reagiert mit muskarinartigen (m3)Rezeptoren und Gastrin mit Gastrinrezeptoren (CCKB), wobei in beiden Fällen die Sekretion über den second messenger IP3 angeregt wird. Histamin spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation der HCl-Sekretion. Da die ECL-Zellen sowohl durch Gastrin als auch durch Vagusaktivierung stimuliert werden, kann bei einer Blockade der H2-Rezeptoren sowohl die durch Gastrin als auch die durch Azetylcholin vermittelte Sekretion herabgesetzt werden. Eine rezeptorvermittelte Hemmung der HCl-Sekretion bewirken auch Prostaglandin E2 und Somatostatin. Neben der direkten Aktivierung der Belegzellen über einen muskarinartigen Rezeptor wirkt der N. vagus auch indirekt stimulierend auf die Belegzellen, indem er die Gastrinfreisetzung aus den G-Zellen fördert. Als postganglionäre Überträgersubstanz wird hierbei Gastrin Releasing Peptide (GRP, Bombesin) diskutiert.
399 12.4 · Pankreas
12
⊡ Abb. 12.11. Stimulation der Belegzellen über 3 Rezeptortypen. ECL = ECL-Zelle, G = G-Zelle, GRP = Gastrin Releasing Peptide, ST = Somatostatin. Efferente Vagusneurone sind rot, viszerale Afferenzen blau dargestellt
12.4
Pankreas
12.4.1
Pankreassekret
Merke
Das exokrine Pankreas produziert täglich etwa 2 l eines alkalischen Sekrets, das neben Elektrolyten eine Vielzahl hydrolytischer Enzyme für die Verdauung enthält. Die Azinuszellen des Pankreas weisen apikal viele Zymogengranula auf, in denen die Proenzyme und Enzyme gespeichert sind und aus denen sie bei Stimulation durch Exozytose freigesetzt werden (⊡ Abb. 12.12).
Enzyme des Sekrets Etwa 90 % der Proteine des Pankreassafts sind Verdauungsenzyme, wobei die proteolytischen Enzyme (Endo- und Exopeptidasen) überwiegen (vgl. ⊡ Ta-
400
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.12. Stimulations-Sekretions-Kopplung in der Azinuszelle des Pankreas. Sekretin und VIP stimulieren die Adenylatzyklase (AC). Azetylcholin, Cholezystokinin und GRP aktivieren die Phospholipase C (PL-C). PIP2 = Phosphatidyl-Inositol-4,6-bisphosphat, DAG = Diacylglycerol, IP3 = Inositol-1,4,5-trisphosphat, CAM = Calmodulin, G = G-Protein
belle 12.2). Letztere sowie die Kolipase (Kofaktor für die Lipase) und die
Phospholipase A müssen erst aus Vorstufen aktiviert werden. Die Aktivierung erfolgt durch ein Bürstensaum-Enzym der Duodenalschleimhaut, die Enteropeptidase (»Enterokinase«), eine Endopeptidase. Das hierdurch aus Trypsinogen aktivierte Trypsin wirkt autokatalytisch und aktiviert auch die anderen Proteasen. Umgekehrt hemmt ein Trypsininhibitor des Pankreassafts die Wirkung von vorzeitig aktiviertem Trypsin während der Passage durch die Ausführungsgänge und wirkt so einer Selbstverdauung des Organs entgegen. Lipase, Amylase und die Ribonukleasen werden bereits in aktiver Form sezerniert.
Chymotrypsin
Elastase
Chymotrypsinogen
Proelastase
Proaminopeptidasen
Phospholipase A
E. Ribonukleasen RNA DNA
Maltose
Maltase
Ribonuklease Desoxyribonuklease
Stärke, Glykogen
Phospholipide
Triacylglycerole
Poly-, Oligopeptide
Poly-, Oligopeptide
Poly-, Oligopeptide
Proteine, Elastin
Proteine, Polypeptide
Proteine, Polypeptide
Substrate
α-Amylase
D. Kohlenhydratspaltende Enzyme
Prophospholipase A
Lipase
Aminopeptidasen
Prokarboxypeptidase B
C. Lipidspaltende Enzyme
Karboxypeptidase A
Karboxypeptidase B
Prokarboxypeptidase A
B. Exopeptidasen
Trypsin
Enzym
Trypsinogen
A. Endopeptidasen
Proenzym
⊡ Tabelle 12.2. Hydrolytische Enzyme des Pankreassaftes (Auswahl)
Spaltung von Phosphodieesterbindungen
Spaltung von 1,4-α-Glykosid-Bindungen
Spaltung von 1,4-α-Glykosid-Bindungen
Spaltung von Fettsäureestern in Position 2
Spaltung von Fettsäureestern in Position 1 u. 3
Abspaltung N-terminaler Aminosäuren
Abspaltung C-terminaler Arg- und Lys-Bindungen
Abspaltung C-terminaler Peptid-Bindungen
Spaltung von Gly-, Ala-, Val- und Ile-Bindungen
Spaltung von Phe-, Tyr- und Trp-Bindungen
Spaltung von Arg- und Lys-Bindungen
Funktion
Nukleotide Nukleotide
Glukose
Oligosaccharide, Maltose
Fettsäuren, Lysolezithin
Fettsäuren, 2-Monoacylglycerole
Aminosäuren
Aminosäuren
Aminosäuren
Poly-, Oligopeptide
Poly-, Oligopeptide
Poly-, Oligopeptide
Spaltprodukte
12.4 · Pankreas 401
12
402
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Stimulations-Sekretions-Kopplung
V
Die Sekretion von Enzymen in der digestiven Phase durch die Azinuszellen wird vor allem durch den N. vagus und durch Cholezystokinin (CCK) stimuliert. Sekretin hat an den Azinuszellen nur eine geringe stimulierende Wirkung. In der basolateralen Membran der Azinuszellen sind Rezeptoren für Azetylcholin und CCK lokalisiert, deren Stimulation die Exozytose der Proenzyme bzw. Enzyme bewirkt (⊡ Abb. 12.12).
Elektrolyte des Pankreassekrets Der Pankreassaft enthält eine Reihe von Elektrolyten. Die Hauptanionen sind Cl– und HCO3–, die Hauptkationen Na+ und K+ (⊡ Abb. 12.13 u. 12.14). Im Gegensatz zum Mundspeichel ist das Pankreassekret isoton zum Blutplasma und bleibt es, unabhängig von der Sekretionsrate. Während die Kationenkonzentrationen bei Stimulation konstant bleiben, ändern sich die Konzentrationen von HCO3– und Cl– in Abhängigkeit von der Sekretionsrate gegenläufig zueinander derart, dass ihre Summe stets gleich bleibt und der Summe der Kationenkonzentrationen entspricht (≈ 150 mmol/l; ⊡ Abb. 12.14). Bei maximaler Sekretion betragen die Bikarbonatkonzentration 130–140 mmol/l und der pH-Wert 8,2. Diese Veränderungen der Sekretzusammensetzung in der digestiven Phase erfolgen unter dem Einfluss von Sekretin auf die Epithelien der Ausführungsgänge. Bei Patienten mit zystischer Pankreasfibrose (Mukoviszidose) ist der Cl–-Kanal vom CFTR-Typ in den Pankreasgängen defekt, sodass nur noch kleine Volumina eines zähen Sekrets abgegeben werden können. ⊡ Abb. 12.13. Modell der Elektrolyttransporte in den Ausführungsgängen des Pankreas. KA = Karboanhydratase
403 12.4 · Pankreas
12
⊡ Abb. 12.14. Osmolalität, pH-Wert und Elektrolytzusammensetzung des Pankreassekrets in Abhängigkeit von der Sekretionsrate
12.4.2
Phasen der Pankreassekretion
Merke
In Verdauungsruhe hat das Pankreas nur eine geringe Basalsekretion von 5–10 ml/h. Bei Einnahme einer Mahlzeit setzt bereits nach einigen Minuten ein reichlicher Sekretfluss (max. 8 ml/min) ein, der etwa 3 Stunden lang anhält. Die Aktivierung der Pankreassekretion erfolgt (wie die der Magensaftsekretion) in 3 Phasen.
Die kephale Phase wird durch Vorstellung, Geruch, Geschmack, Kauen und Schlucken der Speisen ausgelöst und führt zu einem Anstieg der Bikarbonatsekretion um 10–15 % und des Enzymausstoßes um 20–30 %. Diese Phase wird durch den N. vagus gesteuert. Neurotransmitter der postganglionären para-
404
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
sympathischen Neurone, welche die Bikarbonatsekretion in den Gangepithelien anregen, sind wahrscheinlich Azetylcholin und/oder GRP ( Kap. 12.1.4). Die Sekretionssteigerung der Enzyme in den Azinuszellen wird durch Azetylcholin vermittelt. Die Enzymsekretion ist daher durch Atropin hemmbar. Durch Eintritt von Speisen in den Magen wird die gastrale Phase der Pankreassekretion ausgelöst. Die Dehnung der Magenwand, vagovagale Reflexe und vermutlich auch eine Gastrinfreisetzung sind hier für die Sekretionssteigerung um ca. 15 % verantwortlich. Mit dem Eintritt des Chymus in das Duodenum beginnt die wichtigste Aktivierungsphase. In dieser intestinalen Phase lösen vor allem gastrointestinale Hormone, weniger der N. vagus, die Sekretionsantwort aus. Sekretin wird bei Ansäuerung (pH < 4,5) des proximalen Duodenum von den S-Zellen der Schleimhaut sezerniert. Die durch Sekretin stimulierte HCO3–-Sekretion in den Gangepithelien des Pankreas ist in der Lage (im Verein mit HCO3–-Ionen aus der Duodenalschleimhaut, den Brunner-Drüsen und der Galle), die für die Dünndarmmukosa potentiell schädliche Säure schnell zu neutralisieren und den für die Wirkung der Pankreasenzyme notwendigen pH-Wert von 6–8 einzustellen. Hierbei müssen 20–40 mmol H+ neutralisiert werden, die der stimulierte Magen stündlich sezerniert. Cholezystokinin, das die Abgabe der Pankreasenzyme fördert, wird aus endokrinen Zellen der Dünndarmmukosa freigesetzt. Stimulierend wirken hierbei Ca2+-Ionen, Abbauprodukte von Eiweißen (Peptide, Aminosäuren) und von Fetten (langkettige Fettsäuren mit mehr als 10 C-Atomen, 2-Monoacylglycerole). Kohlenhydrate haben diese Wirkung nicht. Die humorale Stimulation wird durch vagovagale Reflexe und Sekretin unterstützt.
12.5
Leber und Gallenwege
12.5.1
Sekretion der Lebergalle
Merke
Die tägliche Gallenproduktion beträgt 600–700 ml, von denen etwa 80 % aus den Hepatozyten und ca. 20 % aus dem Gallengangsepithel stammen. Bei der Bildung der Galle durch die Leberzellen wirken zwei Mechanismen zusammen, die gallensäurenabhängige und -unabhängige Sekretion, die zu je 40 % zum Gesamtvolumen beitragen.
405 12.5 · Leber und Gallenwege
12
⊡ Abb. 12.15. Mechanismen der Gallensäuren-abhängigen (links) und Gallensäuren-unabhängigen Sekretion (rechts) aus den Leberzellen in die Gallenkanälchen. 1 = basolateraler 2 Na+,Taurocholat-Symporter, 2 = Bile Salt Export Pump (BESP), 3 = Multidrug Resistance (MDR) P-Glycoprotein, 4 = Multidrug Resistance-associated Protein (MRP), 5 = basolateraler Carrier (Anionentransporter), GSK = Gallensäuren- bzw. Gallensalzkonjugate, KA = Karboanhydratase, GK = Glutathionkonjugate, GSH = Glutathion, BDG = Bilirubin-Diglukuronid, PL = Phospholipide
Es besteht eine enge Korrelation zwischen der Menge der ausgeschiedenen Gallensäuren und dem Gallenfluss. Bei der gallensäurenabhängigen Sekretion (ca. 250 ml/Tag) werden die in den Hepatozyten aus Cholesterol synthetisierten primären Gallensäuren (Cholsäure, Chenodesoxycholsäure) und die durch Rezirkulation über den enterohepatischen Kreislauf ( Kap. 12.5.4) in die Leber gelangten sekundären Gallensäuren (Desoxycholsäure, Lithocholsäure) nach säureamidartiger Verknüpfung (Konjugation) mit Taurin oder Glyzin vor allem durch primär-aktiven Transport in die Gallenkanälchen sezerniert. Wasser folgt aus osmotischen Gründen vorwiegend auf parazellulärem Wege. Die sekundären Gallensäuren werden aus dem Pfortaderblut vorrangig über einen Na+-abhängigen Symporter in die Hepatozyten aufgenommen, der durch einen Ionengradienten angetrieben wird, welcher wiederum durch die Aktivität der Na+/K+-ATPase aufrechterhalten wird (⊡ Abb. 12.15). Je höher die Gallensäurenkonzentration im Pfortaderblut, desto intensiver ist ihre Aufnahme in die periportalen Hepatozyten und ihre anschließende Sekretion in die Gallenkanälchen. Dies erklärt die choleretische (gallensekretionssteigernde) Wirkung der Gallensäuren.
406
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Außer den Gallensäuren werden auch Bilirubin, Cholesterol und Phospholipide primär-aktiv in die Gallenkanälchen sezerniert (⊡ Abb. 12.15). Das wasserunlösliche »indirekte« Bilirubin, das im Wesentlichen aus dem Hämoglobinabbau stammt, erreicht, an Albumin gebunden, die Leberzellen. Es wird in den Hepatozyten zu 80 % glukuronidiert, ein geringer Teil sulfatiert und in diesen wasserlöslichen Formen als »direktes« Bilirubin in die Galle ausgeschieden ( Kap. 12.5.4). Nach dem gleichen Prinzip werden auch viele Medikamente, Schadstoffe, jodhaltige Röntgenkontrastmittel zur Darstellung der Gallenwege und Gallenblase (Cholangiographie und Cholezystographie) sowie Bromsulfalein (Substanz zum Testen der Exkretionsfunktion der Leberzellen) und andere Xenobiotika (Fremdsubstanzen) ATP-abhängig eliminiert. Die treibende Kraft für die gallensäurenunabhängige Sekretion (ca. 250 ml/Tag) ist die sekundär-aktive HCO3–- sowie primär-aktive, ATP-abhängige Glutathion- und Bilirubinsekretion in die Gallenkanälchen. Erstere gleicht dem bei der Pankreassekretion beschriebenen Mechanismus ( Kap. 12.4.1). Auch hier führt ein osmotisch bedingter Wasserstrom zur Bildung eines isotonen Primärsekrets. Auf dem weiteren Weg durch die intrahepatischen Gallengänge werden Menge und Zusammensetzung der primär gebildeten Galle verändert. Unter dem Einfluss von Sekretin wird eine HCO3–-reiche Flüssigkeit duktulär sezerniert. Die von den Gangepithelien produzierte Gallenflussrate beträgt 125 ml/ Tag.
12.5.2
Leber- und Blasengalle
Merke
In der Gallenblase wird die Lebergalle eingedickt. Treibende Kraft hierfür ist eine elektroneutrale Resorption von Na+ und Cl–, die von einem osmotisch bedingten Wasserstrom gefolgt ist. Dies kann zu einer 10fachen Konzentrierung von organischen Gallenbestandteilen führen. In der Verdauungsphase wird die Gallenblasenkontraktion – bei gleichzeitig relaxiertem Sphincter ODDI – durch Cholezystokinin und den N. vagus ausgelöst.
Die plasmaisotone Lebergalle ist durch den Gallenfarbstoff Bilirubin goldgelb gefärbt (mittlere Zusammensetzung s. Tabelle 12.3). In den Verdau-
407 12.5 · Leber und Gallenwege
12
⊡ Tabelle 12.3. Zusammensetzung der Leber- und Blasengalle Bestandteile
Lebergalle (mmol/l)
Blasengalle (mmol/l)
Na
146
180*
K+
5
+
2+
2,5
Ca
Cl–
13 11
105
66
HCO3–
30
19
Gallensäuren
20
90
Lezithin
3
30
Gallenfarbstoffe
1
5
Cholesterol
4
17
pH
7,2
6,95
+
* Die Na -Konzentration in der Blasengalle unterliegt (in Abhängigkeit von der Konzentration der polyanionischen Mizellen) erheblichen Schwankungen
ungsphasen fließt die Lebergalle über den Ductus hepaticus und den Ductus choledochus direkt in das Duodenum ab. In den interdigestiven Phasen ist der Sphincter Oddi geschlossen, und die Lebergalle gelangt über den Ductus cysticus in ein Reservoir, die Gallenblase, wo die Galle zur Blasengalle konzentriert wird. Das Fassungsvermögen der Gallenblase beträgt etwa 60 ml. Da etwa 50 % der täglich gebildeten Lebergalle in die Gallenblase fließen, muss das Volumen der Gallenflüssigkeit erheblich reduziert werden. Die große Resorptionskapazität der Gallenblase ermöglicht es, innerhalb von 4 Stunden das Gallenvolumen auf 10 % des Ausgangsvolumens zu vermindern, sodass die organischen Gallenbestandteile bis auf das 10fache konzentriert werden. Die grünbraune Blasengalle bleibt dabei plasmaisoton. Treibende Kraft für die Gallenkonzentrierung ist eine elektroneutrale, sekundär-aktive Na+ und Cl–-Resorption (vgl. ⊡ Abb. 12.6), der aus osmotischen Gründen ein Wasser(auswärts)strom folgt.
Gallenblasenmotilität Die in der interdigestiven Phase in der Gallenblase konzentrierte Galle wird während der Verdauungsphase in das Duodenum entleert. Bei gleichzeitiger Erschlaffung des Sphincter Oddi kontrahiert sich die Gallenblase unter dem
408
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Einfluss von Cholezystokinin, das vor allem unter Einwirkung von fetthaltigem Chymus aus den I-Zellen der Duodenummukosa freigesetzt wird. Der N. vagus bzw. Parasympathomimetika steigern ebenfalls die Motilität der Gallenblase, jedoch wesentlich schwächer als Cholezystokinin.
V
Die Kontraktion der Gallenblase setzt bereits 2 min nach Kontakt der Dünndarmmukosa mit Fettprodukten ein, die vollständige Entleerung ist nach 15–90 min erreicht. Dabei kommt es einerseits zu einer tonischen Kontraktion, die zu einer Verkleinerung des Durchmessers der Gallenblase führt, und andererseits zu phasischen Kontraktionen mit einer Frequenz von 2–6/min. Hierbei werden Drücke von 25–30 mm Hg erreicht. VIP und Somatostatin bewirken eine Relaxation der Gallenblase.
12.5.3
Bildung von Mizellen
Merke
Die wichtigste Funktion der Gallensäuren ist die Lösungsvermittlung für fettlösliche Verbindungen, wofür sie auf Grund ihrer amphiphilen Struktur und ihrer Eigenschaft, Mizellen zu bilden, prädestiniert sind.
Gallensäurenmoleküle sind amphiphile Moleküle, d. h. sie verfügen über einen hydrophilen Teil (mit Carboxyl- und OH-Gruppen) und einen hydrophoben Molekülabschnitt (Steroidkern mit Methylgruppen) und haben somit Detergenswirkung. Auf Grund dieser Struktur bilden Gallensäurenmoleküle an der Phasengrenze zwischen Lipiden und Wasser einen nahezu monomolekularen Film mit Ausrichtung ihrer hydrophilen Gruppen zum Wasser und der lipophilen Gruppen zur Fettphase. In wässriger Lösung bilden Gallensäuren Mizellen, d. h. strukturierte Molekülaggregate mit einem Durchmesser von 3–10 nm. Voraussetzung dafür ist, dass die Konzentration der Gallensäuren einen bestimmten Wert, die sog. kritische mizellare Konzentration von 1–2 mmol/l, überschreitet. In den inneren, lipophilen Kern können Lipide, wie Cholesterol und Phospholipide inkorporiert werden. Es entstehen »gemischte Mizellen«, die für die Fettverdauung und -absorption im Darm von großer Bedeutung sind. Das unlösliche Cholesterol wird auf diese Weise in Lösung gebracht. Es fällt erst kristallin aus, wenn seine Konzentration das Fassungsvermögen der Mizellen übersteigt (ein wesentlicher Vorgang bei der Entstehung von Cholesterolgallensteinen).
409 12.5 · Leber und Gallenwege
12
Gallensäuren gelangen in gemischten Mizellen in das Duodenum. Trotz der Verdünnung durch den Mageninhalt auf 5–10 mmol/l bleibt ihre Konzentration noch sicher über der kritischen mizellaren Konzentration. Bei physiologischem pH-Wert des Dünndarms sind die Gallensalze gut löslich, bei pH < 4 werden sie zunehmend unlöslich.
12.5.4
Enterohepatische Kreisläufe
Merke
Gallensäuren zirkulieren zwischen der Leber und ihrem Absorptionsort, dem terminalen Ileum, sodass nur ein geringer Anteil (< 5 %) der täglich sezernierten Menge mit dem Kot ausgeschieden wird. Bilirubin, ein Abbauprodukt der Hämoproteine, unterliegt ebenfalls einem solchen enterohepatischen Kreislauf (»Recycling«).
Kreislauf der Gallensäuren Der Gesamtvorrat des Körpers an Gallensäuren (Gallensäuren-Pool) beträgt nur 2–4 g und reicht für die tägliche Fettverdauung nicht aus (für 100 g Fett werden etwa 20 g Gallensäuren benötigt). Deshalb rezirkulieren die vorhandenen Gallensäuren täglich 4–12-mal durch den Darm und die Leber (enterohepatischer Kreislauf, ⊡ Abb. 12.16).
⊡ Abb. 12.16. Enterohepatischer Kreislauf der Gallensäuren
410
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Die in den Dünndarm abgegebenen primären und sekundären Gallensäuren werden im terminalen Ileum zu 95 % über einen Na+-Symport sekundäraktiv resorbiert. Etwa 1–2 % der Gallensäuren werden im Dünndarm passiv durch ionische und nichtionische Diffusion ( Kap. 13.3.7) aus dem Lumen aufgenommen. Auf Grund dieser Resorptionsmechanismen treten nur 3–4 % der ursprünglich in das Duodenum abgegebenen Gallensäuren in den Dickdarm über. Nach ihrer Resorption gelangen die Gallensäuren in das Pfortaderblut und erreichen somit wieder die Leber, wo sie – nach Konjugierung in den Hepatozyten – erneut für die kanalikuläre Sekretion zur Verfügung stehen. Der über den Stuhl verloren gegangene Anteil von 0,2–0,6 g/Tag wird in der Leber aus Cholesterol neu synthetisiert. Die Ausscheidung ist aber insofern bedeutsam, als sie die einzige Möglichkeit zur Elimination von Cholesterol und Cholesterolderivaten darstellt.
Exkretion und Kreislauf des Bilirubins Beim Abbau des Hämoglobins und anderer Hämoproteine (z. B. Zytochrome, Myoglobin) entstehen Porphyrine, die nicht weiter verwertet werden können. Der dabei zuerst auftretende Gallenfarbstoff ist das Biliverdin, das durch Hydrierung zu Bilirubin, dem wichtigsten Gallenfarbstoff, reduziert wird. Letzteres ist in Wasser praktisch unlöslich und wird daher im Blut an Albumin gebunden transportiert und von den Leberzellen (nach Abspaltung von Albumin) aufgenommen. In der Leber wird der überwiegende Teil mit Glukuronsäure konjugiert und größtenteils als wasserlösliches BilirubinDiglukuronid primär-aktiv in die Gallenkanälchen sezerniert. Im Darm, insbesondere im Dickdarm werden die Bilirubin-Konjugate unter der Einwirkung von anaeroben Bakterien teilweise gespalten; das freie Bilirubin wird dann schrittweise zu Urobilinogen und Sterkobilinogen reduziert. Diese werden durch Dehydrierung in Urobilin und Sterkobilin überführt. Letzteres wird mit dem Kot ausgeschieden und ist für dessen gelbbraune Farbe verantwortlich. Bilirubin, ein effektives Antioxidans, und seine Metabolite werden im unteren Ileum und im Dickdarm zu 15–20 % resorbiert, über die Pfortader der Leber zugeleitet und dort erneut in die Gallenkanälchen ausgeschieden (Rezirkulation in einem enterohepatischen Kreislauf). Ein kleinerer Anteil (≤ 10 %) gelangt über den Körperkreislauf in den Nieren zur Ausscheidung und führt zur Gelbfärbung des Urins.
411 12.6 · Dünndarm
12.6
12
Dünndarm
Der Dünndarm gliedert sich in 3 Abschnitte: das Duodenum (20–30 cm lang), das am Treitz-Band beginnende Jejunum (1,5 m lang) und das Ileum, das sich ohne definierte Grenze anschließt (2 m lang). Die Gesamtlänge des Dünndarms beträgt im tonisierten Zustand (in vivo) etwa 3,75 m, im relaxierten (post mortem) etwa 6 m.
12.6.1
Dünndarmmotilität
Merke
Im Dünndarm erfolgt eine Durchmischung des Speisebreis mit den Verdauungssekreten durch rhythmische Segmentationen und Pendelbewegungen. Stempelartige Zottenkontraktionen dienen der Absorptionsförderung. Propulsive Peristaltik verlagert den Darminhalt in aboraler Richtung. Gesteuert werden diese Aktivitäten vor allem durch die Automatie und durch das enterische Nervensystem.
Darmwandbewegungen Durch die Bewegungen des Dünndarms wird der Darminhalt in der digestiven Phase mit den Verdauungssäften, insbesondere mit dem Pankreassekret und der Galle, intensiv durchmischt. Dabei unterscheidet man verschiedene Bewegungsformen, die durch Kontraktionen der Ring- bzw. der Längsmuskulatur zustande kommen: rhythmische Segmentationen und Pendelbewegungen ( Kap. 12.1.5). Die Kontraktionen der Dünndarmmuskulatur werden auf der untersten Stufe durch einen myogenen Rhythmus gesteuert, dem langsame Wellen (Slow Waves, Kap. 12.1.5) mit aufgesetzten Aktionspotentialen zugrunde liegen. Die Schrittmacher der langsamen Depolarisationswellen haben im Duodenum eine intrinsische Frequenz von ca. 12/min; diese nimmt stufenweise auf 8/min im Ileum ab. Durch diesen Frequenzgradienten von oben nach unten wird auch bei den nichtpropulsiven Segmentationen eine langsame Verschiebung des Darminhalts nach distal gewährleistet, da mit dem Frequenzgefälle ein gleichgerichteter Druckgradient im Darm verbunden ist.
412
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Für das Auftreten peristaltischer Wellen ( Kap. 12.1.5), welche die Durchmischungsvorgänge überlagern und den Inhalt (in Abhängigkeit von der Nahrungszusammensetzung) in 2–4 h zum Zäkum verlagern, sind bevorzugt motorische Aktivitäten des enterischen Nervensystems verantwortlich. Sie werden vor allem durch Dehnung der Darmwand ausgelöst und sind an die Aktivitäten des Plexus myentericus gebunden. Parasympathikus und Sympathikus haben lediglich einen modulierenden Einfluss auf die Peristaltik. Der Plexus submucosus erhält Signale von Mechano- und Chemosensoren, die über viszerale Afferenzen entweder die Medulla oblongata oder das Rückenmark erreichen. Die sympathischen Efferenzen hemmen vor allem erregende Darmneurone, wodurch der Tonus der Darmmuskulatur herabgesetzt wird. Die glatte Sphinktermuskulatur wird dagegen aktiviert. Eine Aktivierung der parasympathischen Efferenzen (N. vagus) hat in der Regel eine Tonussteigerung zur Folge. Der Einfluss gastrointestinaler Hormone und Peptide auf die Dünndarmmotilität ist gering bzw. unklar. Gesichert ist lediglich die motilitätssteigernde Wirkung von Cholezystokinin.
Zottenbewegungen Die stempelartigen Bewegungen der Zotten dienen der besseren Durchmischung der Nahrung und wirbeln die ruhende, der Schleimhaut anliegende Schicht (Unstirred Layer) auf. Die Kontraktion fördert auch die Entleerung der zentral in der Zotte verlaufenden Lymphkapillare (Chylusgefäß) in größere Lymphgefäße tieferer Darmwandschichten. Die Zottenbewegungen werden durch das in der Dünndarmmukosa lokalisierte Peptid Villikinin aktiviert. Ileozäkaler Übergang. Am Ende des Dünndarms kontrolliert ein ca. 4 cm langes Segment den Übertritt von Inhalt in den Dickdarm. Dieser Sphinkter ist tonisch kontrahiert und erzeugt eine Zone erhöhten Drucks von ca. 20 mm Hg. Bei Dehnung des terminalen Ileum erschlafft der Sphinkter, bei Druckerhöhung im Zäkum steigt sein Tonus. Darüber hinaus bildet der als BAUHIN-Klappe in das Zäkum hineinragende Endteil des Ileum ein Ventil, das Drücken im Zäkum bis zu 40 mm Hg widersteht. Auf Grund dieser anatomischen Barriere ist die Bakterienbesiedlung im Ileum um den Faktor 105 niedriger als im Zäkum.
413 12.6 · Dünndarm
12.6.2
12
Dünndarmsekretion
Zusammensetzung des Dünndarmsekrets Merke
Die Dünndarmmukosa produziert täglich 2,5–3,0 l Darmsaft (pH-Wert: 8–9). Dessen Hauptbestandteile sind darmwandschützende Muzine, die von den BRUNNER-Drüsen im Bereich des Duodenum sowie von den Becherzellen der Zotten und der LIEBERKÜHN-Krypten sezerniert werden.
Muzine überziehen die Darmwand mit einer gelartigen Schicht (Unstirred Layer, Kap. 12.3.4) und schützen das Epithel des Duodenum vor der Einwirkung von saurem Chymus sowie das gesamte Dünndarmepithel vor der Zerstörung durch Proteasen. Außerdem ermöglichen sie ein reibungsfreies Gleiten des Darminhalts. Die Hauptzellen der Krypten sezernieren eine plasmaisotone NaCl-Lösung. Cl– wird auf der basolateralen Seite sekundär-aktiv in die Zellen aufgenommen und über Cl–-Kanäle an das Darmlumen abgegeben, die durch VIP und Azetylcholin über deren intrazelluläre Botenstoffe (cAMP bzw. IP3, DAG) aktiviert werden. Wasser und Na+ folgen dem transzellulären Cl–-Strom passiv auf parazellulärem Weg. Der Darmsaft enthält praktisch keine Enzyme. Durch Abschilferung von Mukosazellen können allerdings sekundär Enzyme, die im Bürstensaum dieser Zellen lokalisiert sind, in das Darmlumen gelangen. Regulation der Dünndarmsekretion. Die Sekretionsvorgänge im Dünndarm werden sowohl neuronal als auch humoral reguliert. Die Submukosa enthält reichlich Chemo- und Mechanosensoren, die auf Änderungen der Zusammensetzung des Darminhalts (u. a. pH, Aminosäurenkonzentration) und auf Berührung reagieren. Über lokale Reflexwege werden die Drüsenzellen aktiviert. Die efferenten Fasern sind entweder cholinerg oder NANC-Neurone mit VIP als Neurotransmitter. Sie stimulieren – neben den Epithelzellen – glatte Muskelzellen, Immun- und Abwehrzellen, endokrine und parakrine Zellen sowie kleine Blutgefäße. Entzündungsmediatoren (Zytokine, Prostaglandin E2, Histamin, Serotonin, Leukotriene, Bradykinin u. a.), gastrointestinale Hormone (Sekretin, Gastrin und CCK), Neurotransmitter (Azetylcholin, VIP, Neurotensin) und Vagusaktivierung steigern die Sekretionsleistung der Darmdrüsen. Somatostatin, Opioide und Noradrenalin wirken sekretionshemmend.
414
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
12.7
Kolon und Rektum
12.7.1
Kolonmotilität
Merke
V
Die Hauptkomponenten der Kolonmotilität sind nichtpropulsive Segmentationen. Hieraus ergeben sich relativ lange Passagezeiten. Je nach Nahrungszusammensetzung oder psychischem Zustand beträgt die durchschnittliche Passagezeit bei Erwachsenen etwa 20–30 h (mit Schwankungen zwischen 5 und 70 Stunden, Kap. 12.1.1).
Im Gegensatz zum Dünndarm haben die Segmentationen ihre niedrigste Frequenz am Beginn des Kolon (ca. 4/min) und erreichen ihr Maximum im Colon transversum (ca. 6/min). Die Schrittmacherzone liegt demnach im mittleren Abschnitt des Dickdarms, von dem aus Kontraktionswellen der Ringmuskulatur sowohl rückwärts (Antiperistaltik) als auch in aboraler Richtung verlaufen. Hierdurch wird der Darminhalt im Zäkum und im Colon ascendens längere Zeit zurückgehalten (Reservoirfunktion) und eingedickt. Die Segmentationen führen zu ringförmigen Einschnürungen und, zusammen mit dem ständig erhöhten Tonus der drei bandartigen Längsmuskelstreifen (Taenien), zu Aussackungen der Dickdarmwand (Haustren). Motilitätssteigernd wirken cholinerge parasympathische Efferenzen, hemmend dagegen NANC-Neurone mit den Transmittern VIP, NO und ATP. In den Haustren bleibt der Dickdarminhalt über einen längeren Zeitraum liegen, sodass eine ausreichende Absorption von Elektrolyten, Wasser und kurzkettigen Fettsäuren aus bakteriellen Abbauvorgängen ( Kap. 12.7.3) sowie ein bakterieller Aufschluss nicht absorbierbarer oder nicht absorbierter Nahrungsbestandteile gewährleistet wird. Die Ringmuskelkontraktionen bleiben lange Zeit an derselben Stelle bestehen, sodass sich der Eindruck ergibt, es handele sich um präformierte Strukturen. Sie setzen dem Koloninhalt einen Widerstand entgegen, der eine zu schnelle Passage in das Rektum verhindert.
Merke
Peristaltische Wellen sind im Kolon selten. Dafür treten, insbesondere nach den Mahlzeiten, propulsive Massenbewegungen auf, die für den Transport des Darminhalts vom proximalen Colon bis in das Rektosigmoid verantwortlich sind.
415 12.7 · Kolon und Rektum
12
Die Massenbewegungen beginnen mit dem Sistieren der Segmentationen und einer Taenien-Erschlaffung. Anschließend beginnt die Kontraktionswelle proximal und setzt sich analwärts fort, wobei beträchtliche Stuhlmengen durch die aboral relaxierten Abschnitte verschoben werden. Solche Bewegungen treten durchschnittlich 3–4 mal täglich auf und können mit Stuhldrang und ggf. nachfolgender Stuhlentleerung verbunden sein. Die propulsiven Massenbewegungen stehen wahrscheinlich unter der Kontrolle des autonomen Nervensystems. Cholinerge parasympathische Efferenzen des N. vagus bzw. aus dem Plexus sacralis sind möglicherweise für das Auslösen der Massenbewegungen verantwortlich. Im Gegensatz zum Dünndarm gibt es im Kolon keinen wandernden myoelektrischen Motorkomplex in der interdigestiven Phase.
12.7.2
Darmkontinenz und Defäkation
Darmkontinenz Tritt im Rahmen einer Massenbewegung Stuhl in das von zwei Sphinkteren nach außen verschlossene Rektum ein, werden Dehnungssensoren in der anorektalen Darmwand erregt (⊡ Abb. 12.17). Die Folge ist eine Relaxierung des M. sphincter ani internus, dessen hoher Ruhetonus durch sympathische α1-adrenerge Einflüsse aufrechterhalten wird. Gleichzeitig erhöht sich reflektorisch der Tonus des M. sphincter ani externus, es entsteht das Gefühl des Stuhldrangs. Der Stuhldrang lässt sich willentlich unterdrücken. In diesem Fall kontrahiert der innere Sphinkter wieder, und das Rektum passt sich dem vermehrten Inhalt an (max. Füllung etwa 2 l).
Defäkation Der Sphincter ani externus wird erst entspannt, wenn bewusst eine Defäkation erfolgen soll. Diese tritt ein bei Erschlaffung beider Schließmuskeln sowie des Beckenbodens und gleichzeitiger reflektorischer Kontraktion des Rektosigmoids. Unterstützt wird die Defäkation durch die willentliche Steigerung des intraabdominellen Drucks (Bauchpresse, Kap. 6.4.2). Die tägliche Stuhlmenge, die bei ausgewogener europäischer Kost 100– 150 g beträgt, wird durch die Zusammensetzung der Speisen beeinflusst und kann bei sehr faserstoffreicher Nahrung bis auf 500 g ansteigen. Die Defäkationsfrequenz schwankt zwischen 3 Stühlen/Tag und 3 Stühlen/ Woche.
416
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.17. Afferente und efferente Bahnen sowie spinale Umschaltungen des Defäkationsreflexes. Rechte Bildhälfte: parasympathische und somatische Innervation, linke Bildhälfte: sympathische Innervation
12.7.3
Sekretion und bakterielle Besiedlung des Dickdarms
Dickdarmsekretion Die im Oberflächenepithel stattfindende Absorption übersteigt die in den Krypten lokalisierte Sekretion bei weitem. Die Kolonmukosa produziert normalerweise nur kleinere Volumina einer plasmaisotonen, Muzin-, HCO3–- und K+-reichen, alkalischen Flüssigkeit. Sekretionssteigernd wirken Dihydroxygallensäuren, die aus dem Dünndarm in das Kolon gelangen, sowie VIP. Die HCO3–-Sekretion in das Lumen erfolgt über einen HCO3–/Cl–-Antiporter. Das von den Epithelzellen der Krypten sezernierte K+ erreicht über K+-Kanäle und auf parazellulärem Weg das Dickdarmlumen.
417 12.8 · Absorption von Elektrolyten und Wasser
12
Bakterielle Besiedlung des Dickdarms Merke
Während der Magen und der obere Dünndarm keimarm sind, nimmt die Bakterien-Zahl nach distal hin zu. Die Zahl der Bakterien steigt von 106/ml Darminhalt im Ileum an der BAUHIN-Klappe sprunghaft auf 1011–1012/ml im Kolon an.
Die Mehrzahl der Kolonbakterien sind obligate Anaerobier, in erster Linie Bacteroides (gramnegative, nichtsporenbildende Stäbchen). Die Anaerobier spalten unverdauliche Nahrungsbestandteile (z. B. Zellulose) teilweise auf, wobei u. a. kurzkettige Fettsäuren entstehen. Diese werden von der Kolonschleimhaut absorbiert und energetisch verwertet, wobei sie etwa 70 % des lokalen Energiebedarfs decken. Aerobe Stämme wie Escherichia coli, Enterokokken und Laktobakterien machen nur 1 % der Kolonbakterien aus. Die über 400 Bakterienarten im Kolon sind zu etwa 30–50 %, bisweilen sogar zu 75 %, an der Stuhltrockenmasse beteiligt.
12.8
Absorption von Elektrolyten und Wasser
12.8.1
Darmmukosa
Aufbau und Durchblutung der Dünndarmmukosa Die für den Absorptionsprozess erforderliche große Oberfläche ist im Dünndarm durch die Ausbildung von Falten und Zotten gewährleistet (⊡ Abb. 12.18). Die absorbierende Oberfläche nimmt vom zylindrischen Darmrohr bis zu den Microvilli um den Faktor 600 zu und beträgt schließlich etwa 200 m2. Eine weitere Voraussetzung für eine effiziente Absorption im Dünndarm ist ein adäquater Abtransport der absorbierten Substanzen mit dem Blutstrom. Erforderlich hierfür ist eine relativ hohe Durchblutung und deren Regulation in der digestiven Phase. In Verdauungsruhe beträgt die Durchblutung 0,3– 0,5 ml · g–1 · min–1. In der Darmwand verteilt sich das Blut zu ca. 75 % auf die Schleimhaut, zu etwa 5 % auf die Submukosa und ca. 20 % auf die Muscularis propria. Nach dem Essen steigt die Durchblutung des Darms – abhängig von der Zusammensetzung und dem Volumen der Mahlzeit – um das 3–5fache an. Der Anteil der Schleimhautdurchblutung nimmt unter diesen Bedingungen von 75 auf 90 % zu. An dieser Regulation sind wahrscheinlich CCK, VIP, NANC-Neurone und lokale Metabolite (z. B. Adenosin) beteiligt.
418
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.18. Vergrößerung der Schleimhautoberfläche durch spezielle morphologische Strukturen
Permeabilität der Darmmukosa In den oberen Dünndarmabschnitten erfolgt der Stoffaustausch bis zu 90 % auf parazellulärem Weg, wobei osmotische, hydrostatische oder elektrochemische Gradienten den Transport antreiben. Die Durchlässigkeit der Schlussleisten und damit die passive Permeabilität des Epithels nehmen im Intestinaltrakt von proximal nach distal hin deutlich ab (⊡ Abb. 12.19).
12.8.2
Transportmechanismen für Elektrolyte und Wasser
Die Transportmechanismen der intestinalen Mukosa unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Epithelien. Aus diesem Grund wird auf die Darstellung dieser Mechanismen in Kap. 13 verwiesen.
419 12.8 · Absorption von Elektrolyten und Wasser
12
⊡ Abb. 12.19. Passive Permeabilität der Tight Junctions in Abhängigkeit von deren Porengröße. Die Porengröße nimmt im Darm von proximal nach distal hin ab; die transepitheliale Potentialdifferenz und der elektrische Widerstand des Epithels nehmen von proximal nach distal dagegen zu
Na +-Absorption Von den täglich mit der Nahrung aufgenommenen 100–200 mmol Na+ und den mit den Sekreten in den Darm gelangten weiteren 600 mmol verlassen nur 5 mmol den Körper mit dem Stuhl. Der größte Teil wird im Dünndarm absorbiert (ca. 85 %), der Rest (etwa 15 %) im Kolon. Merke
Bei den verschiedenen Mechanismen des Na+-Transports in den Enterozyten ist stets die basolaterale Na+/K+-ATPase die primär-aktive Pumpe, da sie einen in die Zelle gerichteten Na+-Gradienten aufrechterhält, der wiederum als treibende Kraft für sekundär-aktive Transporte wirkt.
Die carriervermittelte, sekundär-aktive Aufnahme von Na+ in die Enterozyten des Dünndarms über die apikale Bürstensaummembran erfolgt (wie im proximalen Nierentubulus): ▬ elektrogen über Na+/Substrat-Symporter im Jejunum (vor allem postprandial; vgl. ⊡ Abb. 11.2B). Die in die Enterozyten aufgenommenen Substra-
420
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
te gelangen an der basolateralen Membran durch erleichterte Diffusion in das Interstitium. Außer Glukose, Galaktose, verschiedenen Aminosäuren, Phosphat, Sulfat und Gallensäuren benutzen auch einige wasserlösliche Vitamine diesen Transportmechanismus. ▬ elektroneutral durch Na+/H+-Antiporter im Ileum (v. a. interdigestiv; vgl. ⊡ Abb. 13.9A).
V
Auf Grund der hohen Permeabilität der Schlussleisten im oberen Dünndarm erfolgt die Na+-Absorption in der interdigestiven Phase zu 85 % passiv auf parazellulärem Weg durch Solvent Drag ( Kap. 11.1.2); nur 15 % werden durch die oben geschilderten Mechanismen transportiert. Nach einer Mahlzeit werden nur noch ca. 40 % passiv, der Rest wird sekundär-aktiv absorbiert. Im Kolon sind die Schlussleisten etwa 3–4 mal dichter, sodass die transzelluläre Aufnahme dominiert. Im Gegensatz zum Dünndarm gelangt Na+ im proximalen Kolon vor allem sekundär-aktiv über einen Na+/H+-Antiport, im distalen Kolon, wie im Sammelrohr der Niere, über Na+-Kanäle in die Zelle. Aldosteron fördert die Na+-Absorption im Kolon, da es die Zahl der (durch Amilorid hemmbaren) Na+-Kanäle erhöht und zu einer gesteigerten Aktivität der basolateralen Na+/K+-ATPase führt.
Absorption von K +, Cl – und HCO 3– Die K+-Absorption im Jejunum und Ileum erfolgt im Wesentlichen durch Solvent Drag auf parazellulärem Weg aus dem Lumen in das Interstitium. Im Kolon wird das von den Epithelzellen der Krypten sezernierte K+ teilweise von den Zottenepithelien wieder absorbiert, vor allem bei K+-Mangelzuständen. Angetrieben wird diese Absorption durch eine primär-aktive luminale (apikale) H+/K+-ATPase (vgl. Protonenpumpe in den Belegzellen des Magens, Kap. 12.3.4, und im kortikalen Sammelrohr der Niere, Kap. 13.3.1). Die Cl–-Absorption im Dünndarm erfolgt überwiegend passiv über die Tight Junctions durch Solvent Drag und auf Grund der transepithelialen Potentialdifferenz (die Serosaseite der Enterozyten ist elektropositiv gegenüber dem Lumen). Im Kolon mit seinen dichteren Schlussleisten wird Cl– nur noch teilweise parazellulär, bevorzugt über einen sekundär-aktiven HCO3–/Cl–-Antiporter aufgenommen. Das auf diese Weise sezernierte HCO3– dient der Pufferung von H+ aus kurzkettigen organischen Säuren (vor allem Fettsäuren), die beim bakteriellen Abbau unverdaulicher Kohlenhydrate entstehen. Bikarbonationen werden im Duodenum, Ileum und Kolon in das Darmlumen sezerniert. Im Jejunum findet dagegen eine HCO3–-Absorption statt. Bikarbonat im Darmlumen kann unter Einwirkung
421 12.8 · Absorption von Elektrolyten und Wasser
12
der in den Mikrovilli lokalisierten Karboanhydratase z. T. in CO2 umgesetzt werden (vgl. ⊡ Abb. 13.15). Dadurch steigt der CO2-Partialdruck im Lumen bis auf 300 mm Hg an, sodass CO2 in die Zelle diffundiert. Im Enterozyten entsteht unter Einwirkung der Karboanhydratase erneut HCO3–, das anschließend basolateral über einen Na+/HCO3–-Symport oder HCO3–/Cl–-Antiport in die interstitielle Flüssigkeit transportiert wird (⊡ Abb. 13.15). Absorption von Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumionen. Etwa 1 g Kalzium wird täglich vor allem in Form von Milch und Milchprodukten (z. B. Kasein) aufgenommen. Aus solchen Ca-Proteinaten werden bei saurem pH im Magen Ca2+-Ionen freigesetzt, die lediglich zu etwa 30 % im oberen Dünndarm zur Absorption gelangen; der Rest wird mit den Fäzes ausgeschieden. Bei niedrigen Ca2+-Konzentrationen im Darminhalt erfolgt die Absorption durch die Bürstensaummembran über Ca2+-Kanäle in das Zytosol der Enterozyten des oberen Dünndarms. Im Zytosol wird Ca2+ an ein spezifisches Protein (Kalbindin) gebunden und anschließend an die basolaterale Membran transportiert. Dort wird Ca2+ durch eine Ca2+-ATPase und möglicherweise auch einen 3Na+/Ca2+-Antiporter in das Interstitium gepumpt. Kalzitriol ( Kap. 15.8.3) stimuliert die luminalen Ca2+-Kanäle und die Synthese von Kalbindin. Parathormon fördert die Kalzitriolbildung in der Niere und somit indirekt die Ca2+-Absorption im Darm. Bei hohen Ca2+-Konzentrationen im Darminhalt wird Ca2+ im gesamten Darm auch passiv auf parazellulärem Weg aufgenommen. Etwa 1 g anorganisches Phosphat (HPO42–, H2PO4–) wird täglich im Dünndarm über einen 2Na+/ Phosphat-Symporter in der luminalen Membran ( Kap. 13.3.6) absorbiert. Kalzitriol steigert die Aktivität dieses Transportsystems und fördert somit die Phosphataufnahme. Die Absorption von Magnesiumionen erfolgt im gesamten Dünndarm vor allem parazellulär durch Solvent Drag, aber auch über Carrier.
Eisenabsorption In der täglichen Nahrung sind 10–20 mg Eisen enthalten, wovon etwa 5 % (beim Mann) bzw. 10 % (bei der Frau) absorbiert werden. Bei Eisenmangel (z. B. nach Blutverlust) können bis zu 25 % des Nahrungseisens aufgenommen werden. Nicht-Hämeisen wird ausschließlich in der Ferro-(Fe2+-)Form absorbiert. Da ein Großteil des Nahrungseisens in der Ferri-(Fe3+-)Form vorliegt, muss es nach Freisetzung aus der Nahrung durch die Magensalzsäure erst zur zweiwertigen Form reduziert werden. Hierzu dienen reduzierende Substanzen in der Nahrung (z. B. Vitamin C, SH-Gruppen in Proteinen) sowie eine Ferrireduktase im Bürstensaum. Im sauren Milieu des Magens lagert sich Fe2+ an Muzin an, wodurch es für die Absorption im Duodenum leicht verfügbar bleibt. Nicht-Hämeisen wird durch einen protonengekoppelten Fe2+-Transporter der luminalen Zellmembran in die Enterozyten des Duodenum aufgenommen. Die Expression dieses Transporters wird durch Vermittlung von sog. Eisen-Regulationsproteinen an den Eisenstatus der Enterozyten bzw. des Gesamtorganismus angepasst. Der weitere Transport von Fe2+ durch das Zytosol erfolgt durch Mobilferrin.
422
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Den Export durch die basolaterale Membran vermittelt ein weiterer Carrier, das Ferroportin. Eisen kann auch in Form von Häm aufgenommen werden. Dieses wird im gesamten Dünndarm vermutlich durch Endozytose absorbiert und deckt bei mitteleuropäischer Mischkost 20–35 % des Eisenbedarfs. Die Freisetzung des Eisens aus dem Porphyringerüst erfolgt durch eine Hämoxigenase in den Enterozyten.
V
Wasserabsorption Merke
Durchschnittlich 9 l Flüssigkeit passieren täglich den Dünndarm. Davon stammen etwa 1,5 l aus der Nahrung und ca. 7,5 l aus den Sekreten der Drüsen und des Darmes (⊡ Abb. 12.1). Über 85 % davon werden im Dünndarm absorbiert, etwa 55 % im Duodenum und Jejunum sowie 30 % im Ileum. Der Rest wird vom Dickdarm aufgenommen, sodass nur ca. 1 % (d. h. ca. 100 ml) mit dem Stuhl zur Ausscheidung gelangt.
Die Wasserbewegung durch die Schlussleisten und z. T. auch durch Aquaporine erfolgt im Zusammenhang mit dem Transport gelöster Substanzen. Die Durchlässigkeit der Schleimhaut für Wasser ist im oberen Dünndarm relativ groß ( Kap. 12.8.2), sodass Abweichungen der Osmolarität des Duodenalinhalts von der des Plasmas in wenigen Minuten ausgeglichen werden. Im Kolon ist die Permeabilität deutlich kleiner als im oberen Dünndarm. Da die Darmbakterien zusätzlich osmotisch wirksame Substanzen bilden (z. B. kurzkettige organische Säuren), wird ein osmotischer Gradient zwischen der Schleimhaut und dem Darmlumen aufgebaut, und die Fäzes werden hyperosmolar (≈ 360 mosmol/l). Die Absorption der wasserlöslichen Vitamine findet im Dünndarm statt. Die Vitamine C, Biotin, Pantothensäure und Niacin werden durch sekundär-aktive Na+-Symportsysteme in die Enterozyten aufgenommen. Die Vitamine B1, B2 und B6 werden carriervermittelt absorbiert, Folsäure über einen Folat–/OH–-Antiporter. Vitamin B12 gelangt über rezeptorvermittelte Endozytose in die Ileummukosa ( Kap. 12.3.4).
423 12.9 · Verdauung der Makronährstoffe
12.9
Verdauung und Absorption der Makronährstoffe
12.9.1
Verdauung und Absorption der Kohlenhydrate
12
Enzymatische Spaltung der Kohlenhydrate Merke
Die α-Amylase des Speichel- und Pankreassekrets spaltet im Stärkemolekül die α-1,4-Bindung. Zellulose weist eine β-1,4-glykosidische Verknüpfung ihrer Glukosebausteine auf und wird deshalb von der α-Amylase nicht verdaut. Die Zellulosespaltung erfolgt teilweise durch bakterielle Glykosidasen im Kolon.
Die Endprodukte der Amylosespaltung sind Maltose und Maltotriose. Die verzweigten Amylopektine liefern vorzugsweise die sog. α-Grenzdextrine und Maltotriose. Der optimale pH-Wert für die α-Amylasen liegt bei 6,7–6,9 ( Kap. 12.2.2). Die Speichelamylase kann bereits bis zu 50 % der Stärke spalten. Im Duodenum läuft die Stärkeverdauung außerordentlich schnell ab, da Pankreasamylase im Überschuss gebildet wird. Da Kohlenhydrate nur in Form von Monosacchariden absorbiert werden können, muss durch in der Bürstensaummembran lokalisierte Oligosaccharidasen eine weitere hydrolytische Spaltung der entstandenen Oligosaccharide (und der Disaccharide Saccharose und Laktose) erfolgen. Die Konzentration dieser Bürstensaumenzyme ist am höchsten im Jejunum, geringer im Duodenum und Ileum. Die Spaltung der α-1,6-glykosidischen Bindungen erfolgt durch die Isomaltase (Oligo-α-1,6-Glucosidase), die ebenfalls im Bürstensaum lokalisiert ist (⊡ Abb. 12.20). Die Aktivität der membrangebundenen Enzyme ist so groß, dass nicht die Spaltung der Kohlenhydrate deren Aufnahme begrenzt, sondern die Absorption der Monosaccharide. Nur die Hydrolyserate der Laktose ist langsamer als die Absorption ihres Spaltprodukts Galaktose.
424
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.20. Hydrolytische Spaltung und Absorption der Kohlenhydrate. Die Endprodukte der pankreatischen Kohlenhydratverdauung und die beiden Nahrungsdisaccharide werden an der Bürstensaummembran in ihre monosaccharidischen Bestandteile gespalten, welche bei den 3 mittleren der dargestellten Zucker ausschließlich aus Glukose bestehen
Absorption der Monosaccharide Merke
Die Aldohexosen Glukose und Galaktose werden (miteinander konkurrierend) sekundär-aktiv im Symport mit Na+ absorbiert (⊡ Abb. 11.2). Diese Absorption erfolgt relativ schnell und ist im oberen Dünndarm weitgehend abgeschlossen. Das Absorptionsmaximum liegt bei 120 g/h.
Da im Vergleich zu Stärke die Monosaccharide osmotisch wirksamer sind, wird durch die schnelle Absorption auch das Entstehen eines hyperosmolaren Darminhalts verhindert. Beide Monosaccharide verlassen die Enterozyten über Glukosetransporter in der basolateralen Membran durch erleichterte Diffusion. Die Absorption der Fruktose erfolgt über Glukosetransporter in der luminalen und basolateralen Membran passiv in Form der erleichterten Diffusion, die der Pentosen Ribose und Desoxyribose (Spaltprodukte des Nukleinsäureabbaus) und der Mannose durch Diffusion.
425 12.9 · Verdauung der Makronährstoffe
12.9.2
12
Verdauung der Proteine und Absorption der Proteolyseprodukte
Enzymatische Spaltung der Proteine Im Magen werden Proteine zunächst durch die Salzsäure denaturiert, sofern eine Denaturierung nicht bereits bei der Speisenzubereitung erfolgt ist. Nur 10–15 % des Nahrungseiweißes werden durch Pepsine (Endopeptidasen) hydrolysiert. Patienten ohne Pepsinproduktion im Magen haben eine weitgehend normale Proteinverdauung, da die proteolytische Aktivität im Dünndarm außerordentlich hoch ist. Die Bildung der Pankreaspeptidasen setzt 10–20 min nach dem Essen ein und bleibt bestehen, solange sich Proteine im Darm befinden. Ein Teil der Enzyme wird mit dem Stuhl ausgeschieden. Auf der Bestimmung der Chymotrypsinkonzentration im Stuhl beruht eine Labormethode zur Beurteilung der exokrinen Pankreasfunktion. Merke
Die im Pankreassekret enthaltenen Endo- und Exopeptidasen ( Kap. 12.4.1) spalten die Nahrungseiweiße vor allem zu Oligopeptiden mit maximal 8 Aminosäuren. In weiteren Schritten werden die Oligopeptide durch Enzyme des Bürstensaums, Aminopeptidasen und Oligopeptidasen, zu etwa 35 % in Aminosäuren und zu ca. 65 % in Di- und Tripeptide zerlegt (⊡ Abb. 12.21).
Absorption von Tripeptiden, Dipeptiden und Aminosäuren Nach der Hydrolyse von Proteinen und Peptiden werden bevorzugt Di- und Tripeptide rasch aufgenommen. Die Absorption erfolgt in Form eines Oligopeptid/H+-Symports. In den Epithelzellen werden Di- und Tripeptide durch zytoplasmatische Aminopeptidasen zu L-Aminosäuren hydrolysiert, die durch erleichterte Diffusion über die basolaterale Membran in das Interstitium gelangen. Die Absorption von L-Aminosäuren in die Enterozyten erfolgt durch verschiedene Transportsysteme in der luminalen Membran. Die meisten neutralen Aminosäuren (z. B. L-Alanin, L-Leuzin), die sauren Aminosäuren (L-Asparaginsäure, L-Glutaminsäure), die β-Aminosäuren (z. B. β-Alanin und Taurin) sowie die Iminosäuren (L-Prolin, L-Hydroxyprolin) werden über gruppeneigene sekundär-aktive Na+-Symporter in die Enterozyten auf-
426
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.21. Proteinverdauung und Absorption der Proteolyseprodukte. Darmlumen: Spaltung der Proteine und Polypeptide in Oligopeptide und Aminosäuren. Bürstensaummembran: Weitere Spaltung durch spezifische Peptidasen und Aufnahme der Aminosäuren und Di-/Tripeptide. Zytoplasma: Spaltung von Di- und Tripeptiden durch Zytosolpeptidasen in Aminosäuren. Basolaterale Membran: Transport der Aminosäuren aus der Zelle in das Pfortaderblut
genommen, wobei sich die einzelnen Aminosäuren einer Gruppe gegenseitig kompetitiv hemmen. Daneben existiert noch ein Aminosäurenaustauscher, der basische (inkl. Zystin) und neutrale Aminosäuren transportiert. Im Duodenum werden 50–60 % der Spaltprodukte des Nahrungseiweißes absorbiert. Bis zum Ileum sind 80–90 % der Bausteine des exogen zugeführten und endogenen Proteins absorbiert worden. In das Kolon gelangen lediglich ca. 10 % an unverdauten Proteinen, die dort bakteriell abgebaut werden. Eine geringe Eiweißmenge wird im Stuhl ausgeschieden. Sie entstammt vorwiegend abgeschilferten Zellen und Bakterien. Beim Neugeborenen (und eingeschränkt auch beim Erwachsenen) findet eine geringe Aufnahme von intakten Proteinen in die Enterozyten durch Pinozytose statt. Auf diese Weise können Immunglobuline der Muttermilch in den Organismus des Säuglings gelangen. Beim Erwachsenen hat diese Art der Absorption immunologische Bedeutung, da sie zu einer Sensibilisierung und zu Überempfindlichkeitsreaktionen führen kann.
427 12.9 · Verdauung der Makronährstoffe
12.9.3
12
Verdauung der Lipide und Absorption der Lipolyseprodukte
Emulgierung und Hydrolyse der Fette 90 % der Nahrungslipide sind Triacylglycerole (Triglyzeride), von denen wiederum die Mehrzahl langkettige Fettsäuren mit 16 (Palmitinsäure) und 18 (Stearin-, Öl- und Linolsäure) C-Atomen enthält. Nur ein geringer Anteil entfällt auf die kurzkettigen (2–4 C-Atome) und mittelkettigen (6–10 C-Atome) Triacylglycerole. Die restlichen 10 % der Nahrungslipide setzen sich aus Phospholipiden (insbesondere Lezithin), Cholesterolestern und fettlöslichen Vitaminen zusammen. Zur Fettverdauung müssen die Nahrungslipide zunächst im wässrigen Chymus fein emulgiert werden. Die im Magen grob verteilten Fette werden bei alkalischem pH des Dünndarms in Gegenwart von Proteinen, bereits vorhandenen Fettabbauprodukten, Lezithin und Gallensäuren sowie durch das Einwirken von Scherkräften zu einer Emulsion mit einer Tröpfchengröße von 0,5–1,5 µm umgewandelt. Die enzymatische Spaltung beginnt bereits im Magen durch Einwirkung einer säurestabilen Lipase aus den Zungengrunddrüsen und den Hauptzellen der Magenmukosa ( Kap. 12.3.4). Langkettige Fettsäuren im oberen Dünndarm sind der adäquate Reiz für die Freisetzung von Cholezystokinin aus den I-Zellen der Schleimhaut mit nachfolgender Stimulation der Pankreasenzymsekretion und Gallenblasenkontraktion. Merke
Die Pankreaslipase besteht aus 2 Komponenten: einer Kolipase, die aus einer Pro-Kolipase durch Trypsin aktiviert und an der Öl-Wasser-Grenze fixiert wird, sowie der Lipase, die sich mit der Kolipase zu einem Komplex verbindet. Bei der nun einsetzenden Hydrolyse der Triacylglycerole werden die Fettsäurereste an den Positionen C1 und C3 abgespalten, sodass 2-Monoacylglycerole entstehen (⊡ Abb. 12.22).
Eine vollständige Hydrolyse unter Freisetzung des dritten Fettsäuremoleküls und Glycerol findet nur in geringem Maße statt. Die vom Pankreas sezernierte Lipase wird in großem Überschuss gebildet, sodass ca. 80 % des Fettes bereits gespalten sind, wenn es den mittleren Abschnitt des Duodenum erreicht hat. Aus diesem Grund tritt eine Störung der Fettverdauung wegen Lipasemangels erst bei fast vollständigem Ausfall der Pankreassekretion ein.
428
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
V
⊡ Abb. 12.22. Fettverdauung und Absorption der Lipolyseprodukte. Triacylglycerole werden im Darmlumen durch Kolipase und Lipase in Fettsäuren und 2-Monoacylglycerole (2-MAG) gespalten. Letztere werden mizellar eingeschlossen und aus den Mizellen in den Enterozyten aufgenommen. Die in der Zelle aus langkettigen Fettsäuren und 2-Monoacylglycerolen resynthetisierten Triacylglycerole gelangen, mit einer Eiweißhülle versehen, als Chylomikronen in die Lymphe. Kurz- und mittelkettige freie Fettsäuren (FFS) werden nach Absorption direkt an das Blut abgegeben
Neben der Lipase sind noch andere lipidspaltende Pankreasenzyme wirksam, die ebenfalls durch Trypsin aktiviert werden. Die Phospholipase A spaltet in Anwesenheit von Ca2+ und Gallensäuren eine Fettsäure aus dem Phospholipid Lezithin ab, wodurch Lysolezithin entsteht. Die in der Nahrung vorhandenen Cholesterolester werden durch eine Cholesterolesterase in Cholesterol und freie Fettsäuren gespalten (⊡ Abb. 12.22).
Mizellenbildung Die Produkte der Lipolyse sind überwiegend schlecht wasserlöslich. Sie werden daher zum weiteren Transport im wässrigen Milieu des Darminhalts in Mizellen eingebaut, deren Grundgerüst aus Gallensäurenmolekülen besteht. Im Innern dieser Mizellen sind die hydrophoben Moleküle, wie langkettige Fettsäuren und Cholesterol, konzentriert, während die hydrophileren Bestandteile, wie 2-Monoacylglycerole und Phospholipide, nach der Peripherie hin orientiert sind ( Kap. 12.5.3). Diese gemischten Mizellen (Durchmesser:
429 12.9 · Verdauung der Makronährstoffe
12
3–10 nm) ermöglichen durch die hydrophile »Verpackung« hydrophober Substanzen eine Steigerung der Konzentration der Fettabbauprodukte im Darmlumen um den Faktor 500–1000.
Absorption der Lipolyseprodukte Die Absorption von Lipiden ist so effizient, dass über 95 % der Spaltprodukte (allerdings nur 20–50 % des Cholesterols) im Duodenum und im Anfangsteil des Jejunums aufgenommen werden. Die Fettausscheidung im Stuhl beträgt bei durchschnittlicher Fettzufuhr 5–7 g/Tag. Die Absorption der Lipolyseprodukte ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Man geht davon aus, dass die Mizellen nach Kontakt mit der Enterozytenmembran zerfallen und ihre Bestandteile freisetzen. Kurz- und mittelkettige Fettsäuren sowie Glycerol sind noch so weit hydrophil, dass sie in die Enterozyten diffundieren können. Cholesterol und langkettige Fettsäuren gelangen bevorzugt durch carriervermittelten Transport in die Enterozyten. Die Gallensäuren werden dabei ins Darmlumen freigesetzt, wo sie zur erneuten Mizellenbildung zur Verfügung stehen oder im terminalen Ileum im Na+-Symport absorbiert werden. Die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K gelangen durch Diffusion in die Enterozyten des oberen Dünndarms. Nach Passage durch die Zellmembran werden langkettige Fettsäuren und Monoacylglycerole im Enterozyten von fettsäurenbindenden Proteinen zum glatten endoplasmatischen Retikulum transportiert. Hier erfolgt die Resynthese zu Triacylglycerolen und anderen Lipiden. Auf ähnliche Weise findet auch die Veresterung zu Phospholipiden statt (z. B. Bildung von Lezithin aus Lysolezithin). Die Reesterifizierung von Cholesterol erfolgt durch eine Cholesterolesterase. Die Ileummukosa ist darüber hinaus in der Lage, Cholesterol de novo zu synthetisieren. Merke
Die resynthetisierten Triacylglycerole, Phospholipide und Cholesterolester werden im Enterozyten mit einer besonderen Proteinhülle umgeben. Die so entstandenen, komplex aufgebauten Partikel nennt man Chylomikronen (⊡ Abb. 12.22).
Die Chylomikronen setzen sich zu 85–90 % aus Triacylglycerolen, 7–9 % aus Phospholipiden, 4 % aus Cholesterol bzw. Cholesterolestern, fettlöslichen
430
V
Kapitel 12 · Funktionen des Magen-Darm-Kanals
Vitaminen (A, D, E, K) und 1–2 % aus Proteinen zusammen. Ihr Durchmesser schwankt zwischen 100–800 nm. Die Chylomikronen werden im Golgi-Komplex in sekretorische Vesikel verpackt, die mit der basolateralen Zellmembran fusionieren, und anschließend durch Exozytose in den Extrazellularraum ausgestoßen. Von dort führt ihr weiterer Transportweg über den zentralen Lymphgang und letztendlich den Ductus thoracicus in das Blut. Nach einer fettreichen Mahlzeit sind die Chylomikronen in solchen Mengen im Plasma enthalten, dass dieses milchigtrüb erscheint (Verdauungshyperlipidämie). Außer den Chylomikronen gelangen noch Lipoproteine mit sehr niedriger Dichte, sog. Very low Density Lipoproteins (VLDL), die ebenfalls in den Enterozyten gebildet und durch Exozytose ausgeschleust werden, in die Lymphbahn und dann in das Blut.
12.10
Darmgase
Gasvolumen und -zusammensetzung Das Gasvolumen, das durch das Rektum ausgeschieden wird, beläuft sich im Mittel auf 600–700 ml/Tag mit erheblichen individuellen Schwankungen zwischen 200 und 2000 ml/Tag. Die Gasmenge kann durch zellulosehaltige Nahrung, welche im Kolon bakteriell abgebaut wird, erheblich zunehmen. Das im Darm enthaltene Gasvolumen beträgt normalerweise 50–200 ml. Eine vermehrte Gasansammlung infolge gesteigerter Bildung und/oder verminderter Resorption von Gasen bzw. verringertem Abgang als Flatus (»Darmwind«) bezeichnet man als Meteorismus (Geblähtsein). Die Zusammensetzung des intestinalen Gasgemisches wird zu 99 % von folgenden Gasen bestimmt: N2, O2, CO2, H2 und CH4, von denen wiederum N2, H2 und CO2 den größten Anteil ausmachen. Diese Gase sind geruchlos. Der unangenehme Geruch des Flatus stammt von Spuren flüchtiger bakterieller Eiweißabbauprodukte (z. B. Schwefelverbindungen wie H2S oder Methylsulfide).
Ursprung der Gase Die intestinalen Gase können 3 Quellen zugeordnet werden: ▬ Verschlucken von Luft: Bei der Nahrungsaufnahme und beim Schlucken gelangen unterschiedliche Mengen von Luft in den Magen (»Magenblase«). Ein großer Teil hiervon wird durch Aufstoßen wieder entfernt.
431 12.10 · Darmgase
12
▬ Bildung im Darmlumen: CO2 entstammt der Reaktion von HCO3– aus den Sekreten mit Protonen aus der Salzsäure des Magensaftes. Es wird jedoch zum großen Teil im Dünndarm wieder resorbiert. H2 und CH4 entstehen (ebenso wie geringe Mengen CO2) durch bakteriellen Abbau von nichtabsorbierbaren Kohlenhydraten (z. B. Zellulose) und werden mit dem Flatus ausgeschieden. ▬ Diffusion aus dem Blut: N2 diffundiert auf Grund seines hohen Partialdrucks aus dem Blutplasma in das Darmlumen und zwar in einer Rate von durchschnittlich 1–2 ml/min. Die O2- und CO2-Volumina sind wegen der niedrigen Partialdrücke dieser Gase im Blutplasma nur sehr gering.
VI Regulation des Inneren Milieus Kapitel 13
Nierenfunktion und Miktion
Kapitel 14
Wasser-, Elektrolytund Säure-Basen-Haushalt
– 433
– 477
433 13.1 · Grundlagen der Nierenfunktion
13
13 Nierenfunktion und Miktion 13.1
Grundlagen der Nierenfunktion
13.1.1
Funktionsprinzip und Aufgaben der Nieren
Grundzüge der Nierenmorphologie Die Nieren gliedern sich in die Nierenrinde und das Nierenmark, in dem sich wiederum eine äußere und eine innere Zone unterscheiden lassen (⊡ Abb. 13.1). Merke
Die kleinste funktionelle Einheit des Nierenparenchyms ist das Nephron. Jede Niere enthält ca. 1,2 Mio. dieser Harn bildenden Systeme. Sie bestehen jeweils aus einem Glomerulus (Glomerulum, Nierenkörperchen) und dem nachgeschalteten Tubulusapparat (Nierenkanälchen).
Auf Grund von morphologischen und funktionellen Eigenschaften lässt sich der Tubulusapparat in den proximalen Tubulus, die Henle-Schleife, den distalen Tubulus und das Sammelrohr unterteilen (⊡ Abb. 13.1, links). Der proximale Tubulus beginnt mit einem stark verknäulten Abschnitt (Pars convoluta), dem sich ein gestreckter Abschnitt (Pars recta) anschließt. Die haarnadelförmige Henle-Schleife gliedert sich in einen dünnen Teil im absteigenden Schenkel und einen dicken Teil im aufsteigenden Schenkel. Oberflächennahe Nephrone haben kurze Henle-Schleifen, während die Schleifen der tiefen (juxtamedullären) Nephrone bis ins innere Mark reichen. Im distalen Tubulus folgt auf einen verknäulten Abschnitt (Pars convoluta), der den Glomerulus berührt, ein Verbindungsstück. Mehrere distale Tubuli münden schließlich jeweils in ein Sammelrohr, das den Endharn in einen Nierenkelch leitet. Die Gefäßversorgung des Nierengewebes ist schematisch in ⊡ Abb. 13.1, rechts, dargestellt. An der Grenze zwischen Rinde und äußerem Mark verlaufen die großen arteriellen und venösen Gefäße (Aa. und Vv. arcuatae). Die von hier abzweigenden Aa. interlobulares leiten das Blut über afferente Arteriolen (Vasa afferentia) in die verknäulten glomerulären Kapillaren. Über die efferenten Arteriolen
434
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
Glomerulus dist. Tubulus
VI
glom. Kap.
prox. Tubulus
Schleife
Sammelrohre
Papille ⊡ Abb. 13.1. Gliederung des Nierenparenchyms sowie Aufbau der Nephrone (links) und Anordnung der kleinen Nierengefäße (rechts), nach KOUSHANPOUR und KRIZ (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
435 13.1 · Grundlagen der Nierenfunktion
13
(Vasa efferentia) gelangt dann das Blut in ein zweites, in Serie geschaltetes Kapillarnetz, das die Tubuli der Rinde und der äußeren Markzone umgibt (peritubuläres Kapillarnetz). Die innere Markzone wird von lang gestreckten schleifenförmigen Kapillaren (Vasa recta) versorgt, die Blut aus den Vasa efferentia der juxtamedullären Glomeruli oder aus den Aa. arcuatae führen.
Prinzip der Harnbildung An der Harnbildung sind alle Abschnitte des Nephrons beteiligt. Merke
Im Glomerulus wird zunächst ein Ultrafiltrat (Primärharn) aus dem durchfließenden Blutplasma abgepresst. Während der anschließenden Passage durch den Tubulus und das Sammelrohr erfährt dann das Filtrat auf Grund von Resorptions- und Sekretionsprozessen eine starke Veränderung seines Volumens und seiner Zusammensetzung.
Der größte Teil der gelösten Bestandteile (Solute) und mehr als 99 % des Wasservolumens werden der Tubulusflüssigkeit durch Resorption entzogen und dem Blutkreislauf wieder zugeführt. Einige Stoffe gelangen durch Sekretion vom Epithel in die Tubulusflüssigkeit. Die Resorptions- und Sekretionsprozesse beruhen teils auf aktiven, teils auf passiven Transportmechanismen der Tubulusepithelien. Ein Teil der Transporte unterliegt der hormonalen Kontrolle, sodass die Menge und die Zusammensetzung des aus den Sammelrohren abfließenden Endharns (Urins) situationsentsprechend variiert werden kann. Während in den Glomeruli etwa 180 l/d filtriert werden, beträgt die renale Ausscheidungsrate durchschnittlich 1,5 l/d. Bei Wassermangel kommt es zu einer Reduktion der Urinausscheidung bis auf 0,7 l/d (maximale Antidiurese), bei Wasserüberschuss zu einem Ausscheidungsanstieg bis auf mehrere l/d (Diurese). Harnmengen < 0,5 l/d bezeichnet man als Oligurie, > 2 l/d als Polyurie.
Renale Clearance Für die Beurteilung wichtiger Teilfunktionen der Nieren unter physiologischen und pathologischen Bedingungen kommt dem Clearance-Verfahren eine besondere Bedeutung zu.
436
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
Merke
Die renale Clearance ist ein Maß für die pro Zeiteinheit durch die Nieren eliminierte Menge eines Stoffes und damit ein entscheidender Parameter für die Klärfunktion der Nieren. Der Clearancewert CS (ml/min) gibt das (virtuelle) Plasmavolumen ( Kap. 13.1.2) an, das von dem betreffenden Stoff (S) pro Minute völlig befreit wird.
VI
Um CS zu berechnen, geht man von der Bilanzbetrachtung aus, dass die aus dem Plasma eliminierte Stoffmenge gleich der mit dem Urin ausgeschiedenen Stoffmenge sein muss. Die Eliminationsrate ist gleich dem Produkt aus der Plasmakonzentration [S]P und dem pro Minute vollständig befreiten Plasmavolumen CS; die Ausscheidungsrate ist gleich dem Produkt aus der Stoffkonzentration im Urin [S]U und dem pro Minute ausgeschiedenen Urinvolumen V˙U . Daher gilt: [S]P · CS = [S]U · V˙U
(13.1)
[S]U · V˙U CS = 04 [S]P
(13.2)
Die Clearance CS ergibt sich also aus der Ausscheidungsrate des Stoffes S, dividiert durch dessen Plasmakonzentration. Da die 3 Werte der rechten Seite in der Clearanceformel (13.2) auch beim Menschen der Messung zugänglich sind, bietet die CS-Bestimmung eine einfache Möglichkeit, die Nierenfunktion zu analysieren. Der Wert von CS hängt von den speziellen Eigenschaften des Stoffes S ab. Für das Polyfruktosan Inulin, das glomerulär frei filtriert, aber im Tubulus weder resorbiert noch sezerniert wird, beträgt der Clearancewert CInulin = 125 ml/min (⊡ Abb. 13.2). Wenn nach der Filtration noch eine tubuläre (Netto-)Resorption stattfindet, muss CS < CInulin sein. Für Stoffe mit einer tubulären (Netto-)Sekretion gilt dagegen CS > CInulin. Zur funktionsanalytischen Bedeutung der Clearancewerte Kap. 13.1.2 und Kap. 13.2.2. Ein wichtiger Ausscheidungsparameter ist der Clearancequotient (= fraktionelle Exkretion, FE = CS/CInulin).
437 13.1 · Grundlagen der Nierenfunktion
13
⊡ Abb. 13.2. An der Harnbildung beteiligte Mechanismen mit typischen Beispielen und deren Clearance-Werten
Aufgaben der Nieren Die in 2 Stufen erfolgende Harnbildung (glomeruläre Ultrafiltration mit anschließender tubulärer Resorption und Sekretion) ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Nieren mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen können. Hierzu gehören: ▬ Exkretion: Ausscheidung von harnpflichtigen Endprodukten des Stoffwechsels (z. B. Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin), von Fremdstoffen (Xenobiotika, z. B. Giften, Arzneimitteln und deren Abbauprodukten) sowie von Wasser, ▬ Kontrolle des Wasser- und Elektrolythaushalts: Geregelte Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten (z. B. Na+, K+), die für die Konstanthaltung des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens (Isovolämie), der osmotischen Konzentration (Isotonie) und des Ionengleichgewichts (Isoionie) erforderlich ist, ▬ langfristige Regulation des arteriellen Blutdrucks: Reninsekretion reguliert Gefäßtonus und Plasmavolumen, ▬ Kontrolle des Säure-Basen-Haushalts: Geregelte Ausscheidung von Protonen und Retention von Bikarbonat zur Aufrechterhaltung der pHHomöostase (Isohydrie), ▬ Hormonproduktion und -metabolisierung: Bildung von Hormonen (z. B. Renin, Erythropoietin, Kalzitriol) und Metabolisierung anderer Hormone (z. B. Kortikosteroide, Sexualhormone).
438
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
Sinkt unter pathologischen Bedingungen die renale Ausscheidung unter 0,7 l/d ab oder kommt sie im Extremfall zum Erliegen (Anurie), so ist eine Urämie die Folge. Die unzureichende oder fehlende Nierenfunktion führt dann zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen aller harnpflichtigen Substanzen und vieler Ionen (mit Ausnahme von HCO3–) sowie zu einer nichtrespiratorischen Azidose ( Kap. 14.5.4) und einer Zunahme des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens. In diesem Fall bietet die Dialyse des Blutes (»künstliche Niere«) die Möglichkeit, die Klärfunktion der erkrankten Nieren zu ersetzen.
13.1.2
VI
Durchblutung und O 2-Verbrauch der Nieren
Nierendurchblutung Merke
Die Gesamtdurchblutung beider Nieren beträgt beim Erwachsenen (70 kg) etwa 1,2 l/min oder 1700 l/d. Das sind fast 25 % des Herzzeitvolumens bei körperlicher Ruhe. Bei einem mittleren Gesamtgewicht der Niere von 300 g ergibt sich eine spezifische Durchblutung von 4 ml · g–1 · min–1.
Diese im Vergleich zu anderen Organen sehr hohe Durchblutung ist notwendig, um eine ausreichende Filtratmenge abzupressen und damit die Voraussetzung für eine effektive Klärfunktion zu schaffen. Die Durchblutung ist jedoch auf die verschiedenen Zonen des Nierengewebes ungleichmäßig verteilt (⊡ Tabelle 13.1). Der überwiegende Anteil entfällt auf die Nierenrinde. Die besonders geringe Durchblutung der inneren Markzone ist auf den hohen Strömungswiderstand der extrem langen Vasa recta und auf die Zunahme der Blutviskosität in der hyperosmolaren Papillenregion ( Kap. 13.4.1) zurückzuführen.
⊡ Tabelle 13.1. Intrarenale Verteilung der Durchblutung und des O2-Verbrauchs Gewichtsanteil
relative Durchblutung
spezifische Durchblutung
O2-Verbrauch
[%]
[%]
(ml · g–1 · min–1)
[%]
Rinde
70
92
5,3
84
äußeres Mark
20
7
1,4
15
inneres Mark
10
1
0,4
<1
439 13.1 · Grundlagen der Nierenfunktion
13
⊡ Abb. 13.3. Blutdruckabfall in den verschiedenen Abschnitten des Nierengefäßsystems. Auf Grund der autoregulativen Widerstandsanpassung im Vas afferens bleibt der Druck in der Glomeruluskapillare bei Änderung des arteriellen Mitteldrucks innerhalb eines gewissen Bereichs weitgehend konstant
Druckverlauf im Nierengefäßsystem In ⊡ Abb. 13.3 ist der Verlauf des hydrostatischen Blutdrucks von der Nierenarterie bis zur Nierenvene schematisch dargestellt. Man erkennt darin, dass die stärksten Druckabnahmen, d. h. die größten Strömungswiderstände, in den Bereichen des Vas afferens (aff. Arteriole) und des Vas efferens (eff. Arteriole) lokalisiert sind. Bei einer Erhöhung des arteriellen Mitteldrucks (im Beispiel der ⊡ Abb. 13.3 um 50 mm Hg) nimmt der Strömungswiderstand im Vas afferens in dem Maße zu, dass sich der Druck in der Glomeruluskapillare kaum ändert. Während somit der variable Strömungswiderstand im Vas afferens für eine weitgehende Konstanz des hydrostatischen Drucks in der Glomeruluskapillare sorgt, wird durch den großen Strömungswiderstand im Vas efferens ein relativ hohes Blutdruckniveau von 46–48 mm Hg (6,1– 6,4 kPa) in den Glomeruluskapillaren aufrechterhalten.
Autoregulation Durch die druckabhängige Anpassung des Strömungswiderstands in den Vasa afferentia wird die Glomerulusdurchblutung weitgehend konstant gehalten.
440
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI ⊡ Abb. 13.4. Abhängigkeit des renalen Plasmaflusses (RPF) und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) vom arteriellen Mitteldruck. In einem weiten Druckbereich werden beide Größen durch die Autoregulation weitgehend konstant gehalten
Merke
Auf Grund dieser Autoregulation wirken sich Änderungen des arteriellen Mitteldrucks in einem Bereich von ca. 75–190 mm Hg nur geringfügig auf den renalen Plasmafluss und somit auf die renale Durchblutung aus. Blutdruckschwankungen in dem genannten Bereich beeinflussen also kaum den glomerulären Filtrationsprozess, sodass eine weitgehende Konstanz der glomerulären Filtrationsrate gewährleistet ist (⊡ Abb. 13.4).
Der Mechanismus der renalen Autoregulation ist noch nicht vollständig geklärt. Da sich die geschilderte Anpassung auch an der denervierten Niere (z. B. an der transplantierten Niere) nachweisen lässt, kann das vegetative Nervensystem nicht daran beteiligt sein. Die Regulation beruht jedoch mit Sicherheit zu einem wesentlichen Teil auf einer myogenen Reaktion (BaylissEffekt, Kap. 6.6.2) der Vasa afferentia. Wie in vielen anderen Gefäßregionen führt eine Zunahme der Wandspannung in den Arteriolen zu einem Ca2+Einstrom mit nachfolgender Tonuserhöhung der glatten Muskulatur und damit zu einer Vasokonstriktion (myogene Komponente der Autoregulation). Einen weiteren an der Regulation des Gefäßtonus beteiligten Mechanismus stellt die tubuloglomeruläre Rückkopplung, d. h. die Rückwirkung vom Tubulus auf den Gefäßpol des Nierenkörperchens, dar: Nimmt aus irgendeinem Grund die Filtrationsrate und damit auch die filtrierte NaCl-Menge/Zeit
441 13.1 · Grundlagen der Nierenfunktion
13
in den Tubuli zu, kann nicht genügend NaCl aus der Tubulusflüssigkeit resorbiert werden, sodass die NaCl-Konzentration im frühdistalen Tubulus ansteigt. Dieses Tubulussegment mit auffällig hohen Zellen, die Macula densa (⊡ Abb. 13.6), berührt den Gefäßpol und bildet mit diesem den juxtaglomerulären Apparat. Dieser enge Kontakt ist Voraussetzung dafür, dass ein erhöhtes frühdistales NaCl-Angebot adenosinvermittelt den Ca2+-Einstrom steigert und somit zu einer Konstriktion der Vasa afferentia führt. Hierdurch wird der Druck in den Glomeruluskapillaren reduziert. Bei der renalen Autoregulation dürften noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. Diskutiert werden u. a. Mechanismen, an denen Prostaglandin E2 und andere Mediatoren beteiligt sind, sowie ein lokaler Renin-Angiotensin-Mechanismus, der über postulierte Barosensoren in den Vasa afferentia ausgelöst wird. Die Autoregulation der Durchblutung ist auf die Nierenrinde beschränkt und betrifft nicht das Nierenmark. Da aber die Markdurchblutung lediglich etwa 8 % der Gesamtdurchblutung ausmacht, fällt die Zunahme der Markdurchblutung mit ansteigendem Blutdruck bei Untersuchungen zur Autoregulation des Gesamtorgans nicht ins Gewicht. Die Druckabhängigkeit der Markdurchblutung ist allerdings bei arterieller Hypertonie ( Kap. 6.8.1) von Bedeutung: Da die Harnkonzentrierung im Nierenmark in enger Beziehung zur Markdurchblutung steht ( Kap. 13.4.1), verursacht eine Blutdruckerhöhung, die zu einer verstärkten Durchströmung des Nierenmarks führt, eine vermehrte Ausscheidung von Na+ und Wasser (Druckdiurese, Kap. 13.4.2). Die Nierengefäße werden von sympathischen, vasokonstriktorischen Nervenfasern innerviert. Diese haben aber lediglich in extremen Kreislaufsituationen (z. B. nach Blutverlusten, bei schwerer Muskelarbeit oder bei starker Hitzebelastung) einen Einfluss auf die Nierendurchblutung. Messung der Nierendurchblutung. Die Gesamtdurchblutung der Nieren kann nach dem ClearanceVerfahren bestimmt werden. Hierzu verwendet man Substanzen, insbesonders Paraaminohippurat (PAH), die bei einer Nierenpassage durch Filtration und Sekretion (fast) vollständig aus dem Blut eliminiert werden (⊡ Abb. 13.2). Definitionsgemäß ist dann die PAH-Clearance CPAH gleich dem renalen Plasmafluss RPF. Mit einer durch Infusion eingestellten (niedrigen) PAH-Konzentration im Blutplasma [PAH]P und einer gemessenen PAH-Konzentration im Urin [PAH]U gilt dann nach der Clearanceformel (13.2): V˙U · [PAH]U RPF = CPAH = 08 [PAH]P
(13.3)
Da die PAH-Extraktion aus dem Blut nicht ganz vollständig ist, sondern nur 93 % beträgt, ist hierbei noch eine kleine Korrektur erforderlich. Aus dem so bestimmten renalen Plasmafluss kann dann der renale Blutfluss RBF, d. h. die Gesamtdurchblutung unter Berücksichtigung des Hämatokritwerts (Hkt) ermittelt werden ( Kap. 13.1.2): RPF CPAH RBP = 02 = 02 1 – Hkt 1 - Hkt
(13.4)
Mit den Werten für den gesunden Erwachsenen CPAH = 650 ml/min und Hkt = 0,45 ergibt sich hieraus die Gesamtdurchblutung RBF = 1,2 l/min.
442
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
O 2-Verbrauch Das stoffwechselaktive Nierengewebe hat einen relativ hohen spezifischen O2-Verbrauch von im Mittel 0,06 ml · g–1 · min–1. Von dem gesamten O2-Verbrauch des Organs entfällt der überwiegende Anteil auf die Rinde (⊡ Tabelle 13.1). Wegen der sehr starken Durchblutung des Nierengewebes beträgt die arteriovenöse O2-Konzentrationsdifferenz allerdings nur 0,015 ml O2/ml Blut. Merke
VI
Da ein erheblicher Teil der Energie, welche durch oxidative Stoffwechselprozesse gewonnen wird, die tubuläre Na+-Resorption unterhält, besteht eine enge Beziehung zwischen der pro Zeiteinheit resorbierten Na+-Menge und dem O2-Verbrauch der Niere. Oberhalb eines bestimmten Basalverbrauchs nimmt der O2-Verbrauch linear mit der Na+-Resorptionsrate zu (⊡ Abb. 13.5).
Sofern unter bestimmten Bedingungen die Nierendurchblutung ansteigt, erhöht sich auch der renale O2-Verbrauch. Diese Abhängigkeit, die in anderen Organen nicht besteht, erklärt sich daraus, dass mit der gesteigerten Durchblutung auch die glomeruläre Filtrationsrate zunimmt. Dadurch erhöht sich die im Tubulusapparat zur Resorption angebotene Na+-Menge (Na+-Load) und infolgedessen die Na+-Resorptionsrate, wofür wiederum eine Zunahme des oxidativen Stoffwechsels erforderlich ist.
⊡ Abb. 13.5. Einfluss der Na+-Resorptionsrate und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) auf den renalen O2-Verbrauch
443 13.2 · Glomeruläre Filtration
13
Stoffwechsel. In der Nierenrinde erfolgt die Energiegewinnung für die aktiven tubulären Transportprozesse fast ausschließlich durch oxidativen Nährstoffabbau. Als Substrate dienen hierbei vor allem Glutamin (35 %), Laktat (20 %), Glukose (15 %) und freie Fettsäuren (15 %) sowie Zitrat und Ketonkörper. Da in der Nierenrinde eine beträchtliche Glukoneogenese aus Laktat und glukoplastischen Aminosäuren stattfindet, enthält das venöse Nierenblut mehr Glukose als das zufließende arterielle Blut. Die innere Markzone, der nur wenig Sauerstoff zugeführt wird, deckt dagegen ihren Energiebedarf vorwiegend durch anaerobe Glykolyse.
13.2
Glomeruläre Filtration
Merke
In den Glomeruli wird der Primärharn durch Ultrafiltration gebildet. Dabei hängt die Zusammensetzung des Filtrats von den Eigenschaften der Filtermembran und die Bildungsrate zusätzlich von den wirksamen Filtrationsdrücken ab.
13.2.1
Eigenschaften des glomerulären Filters
Struktur der Glomeruli Die Strukturelemente des Glomerulus gehen aus der Schnittdarstellung der ⊡ Abb. 13.6 hervor. Das Blut gelangt über die afferente Arteriole (Vas afferens) in ein Netz anastomosierender Kapillarschlingen und verlässt den Glomerulus über die efferente Arteriole (Vas efferens). Die Kapillarschlingen sind in die Bowman-Kapsel eingestülpt, die am sog. Harnpol in den proximalen Tubulus übergeht. Das von sympathischen Nervenfasern (N) versorgte Vas afferens weist vor der Einmündung in den Glomerulus Epitheloidzellen auf, deren Granula Renin enthalten. Die Wand der Kapillarschlingen besteht aus 3 Schichten, den Endothelzellen (EN), der Basalmembran (BM) und den Epithelzellen (EP) mit Fußfortsätzen (F), den sog. Podozyten. Zwischen den Kapillaren sowie im Winkel zwischen Macula densa und Arteriolen sind Mesangiumzellen (M) eingelagert.
Filtereigenschaften und Filtrierbarkeit Für die Ultrafiltration sind vor allem die Molekülgrößen und die elektrischen Ladungen der gelösten Stoffe sowie die Porengrößen der dreischichtigen glo-
444
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.6. Struktur des Glomerulus A mit vergrößertem Ausschnitt B, modifiziert nach HIERHOLZER und FROMM (aus Schmidt und Thews, 1995). N = sympathische Nervenfaser, EZ = Epitheloidzelle des Vas afferens, MD = Macula densa des distalen Tubulus, EP = Epithelzelle mit Fußfortsätzen; F = Podozytenfuß, BM = Basalmembran, EN = Endothelzelle, M = Mesangiumzelle
merulären Filtermembran maßgebend. Am durchlässigsten ist die Endothelschicht, an der jedoch bereits die Blutzellen zurückgehalten werden. Ein Hindernis für den Durchtritt großer Moleküle bilden die Basalmembran und vor allem die engen Schlitze zwischen den Fußfortsätzen der Podozyten. Die Schlitze sind mit einer Membran ausgekleidet, die Poren < 4,5 nm aufweist. Während kleine Teilchen (z. B. Wasser, Na+, Glukose, Harnstoff, Kreatinin) die dreischichtige Membran unbehindert passieren können, ist die
445 13.2 · Glomeruläre Filtration
13
⊡ Tabelle 13.2. Glomeruläre Filtrierbarkeit ausgewählter Substanzen in Abhängigkeit von Molekularmasse und Molekülradius Substanz Wasser Glukose
Molekularmasse (Da)
Molekülradius (nm)
Siebkoeffizient (Filtrierbarkeit)
18
0,10
1,0
180
0,36
1,0
5 500
1,48
0,98
Myoglobin
16 000
1,95
0,75
Hämoglobin
64 500
3,25
0,03
Albumin
69 000
3,55
< 0,01
Inulin
Filtrierbarkeit großer Moleküle von ihrem Radius abhängig (⊡ Tabelle 13.2). Ein Maß für den molekularen Siebungseffekt stellt der Siebkoeffizient dar, der sich aus dem Verhältnis der Stoffkonzentration im Filtrat zu der im Plasma ergibt. Aus ⊡ Tabelle 13.2 erkennt man, dass bei Molekülen, die in ihrer Größe etwa dem Inulin entsprechen, eine Behinderung des Durchtritts einsetzt. Albumin gelangt zu weniger als 1 % ins Filtrat; Globuline werden praktisch vollständig zurückgehalten. Merke
Das in den Glomeruli abgepresste Ultrafiltrat enthält also kleinmolekulare Bestandteile etwa in der gleichen Konzentration wie im Plasma. Dagegen finden sich im Filtrat keine Blutzellen und nur geringe Anteile an Makromolekülen, insbesondere kaum Proteine.
13.2.2
Filtrationsdruck und Filtrationsrate
Effektiver Filtrationsdruck Der glomeruläre Filtrationsprozess wird – wie in anderen Kapillargebieten – durch den effektiven Filtrationsdruck Peff ( Kap. 1.4.1 und Kap. 6.3.2), also letztlich durch die Herzarbeit angetrieben. Peff ergibt sich aus der Differenz der hydrostatischen Drücke zwischen Glomeruluskapillaren und BowmanKapselraum (∆P = PKap – PBow), vermindert um die Differenz der kolloidos-
446
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
motischen Drücke zwischen Kapillarblut und Ultrafiltrat (∆π = πKap – πBow). Da im praktisch eiweißfreien Ultrafiltrat πBow = 0 ist, gilt für den Glomerulus: Peff = ∆P – ∆π = PKap – PBow – πKap
(13.5)
Für den Kapillaranfang rechnet man mit den Druckwerten PKap = 48 mm Hg, PBow = 12 mm Hg und πKap = 25 mm Hg, sodass hier der effektive Filtrationsdruck etwa 11 mm Hg beträgt.
VI
Merke
Im Verlauf der Kapillare nimmt der hydrostatische Druck etwas ab (⊡ Abb. 13.7). Gleichzeitig steigt der kolloidosmotische Druck um ca. 10 mm Hg an, weil dem Blutplasma durch den Filtrationsprozess laufend Wasser entzogen wird. Möglicherweise ist bereits vor dem Kapillarende ein Filtrationsgleichgewicht erreicht, d. h. Peff auf Null zurückgegangen.
Da über den Verlauf von Peff in Längsrichtung der Glomeruluskapillare bisher wenig bekannt ist, besteht auch die Möglichkeit, dass das Filtrationsgleichgewicht bis zum Ende der Kapillare noch nicht erreicht wird. Es ist allerdings sicher, dass die Filtrationsrate mit ansteigendem Plasmafluss zunimmt. Diese Abhängigkeit erklärt sich aus dem weniger steilen Anstieg von πKap längs der Filtrationsstrecke, wenn das Blut schneller durch die Kapillare fließt. In diesem Fall nimmt also Peff, gemittelt über die gesamte Kapillarlänge, zu. Eine Erhöhung des hydrostatischen Kapillardrucks führt ebenfalls zu einer Steigerung der Filtrationsrate. Da hierbei gleichzeitig πKap längs der Kapillare steiler als normal ansteigt, ist jedoch die Zunahme der Filtration nicht so stark, wie es auf Grund des erhöhten hydrostatischen Drucks zu erwarten wäre.
Glomeruläre Filtrationsrate Das in der Zeiteinheit gebildete Filtratvolumen, die sog. glomeruläre Filtrationsrate (GFR), ist eine Funktion des Filtrationskoeffizienten KF und des mittleren effektiven Filtrationsdrucks ¯P¯eff : GFR = KF · ¯P¯eff
(13.6)
Der Filtrationskoeffizient gibt den Volumenfluss durch die Glomerulusmembran pro Druckeinheit an und ist von der Wasserpermeabilität (hydraulischen Leitfähigkeit) und der Fläche der Filtermembran abhängig. KF hat für
447 13.2 · Glomeruläre Filtration
13
⊡ Abb. 13.7. Filtrationsbedingungen im Glomerulus. Es sind die Verläufe des hydrostatischen Kapillardrucks (PKap), des kolloidosmotischen Drucks im Plasma (πKap), des Drucks in der BOWMAN-Kapsel (PBow) und des effektiven Filtrationsdrucks (Peff ) längs der Glomeruluskapillare dargestellt. Das Filtrationsgleichgewicht ist erreicht, wenn πKap + PBow = PKap und damit Peff = 0 ist
den Glomerulus einen besonders hohen Wert, der beispielsweise den der Muskelkapillaren um etwa das 100fache übersteigt. Merke
Die glomeruläre Filtrationsrate (beider Nieren) beträgt beim Mann im Mittel ca. 125 ml/min, bei der Frau ca. 110 ml/min. Bei Kindern ist der GFR-Wert entsprechend kleiner. Bezieht man die GFR jedoch auf die Körperoberfläche, so ergeben sich für Heranwachsende und Erwachsene etwa gleiche Werte (110–120 ml/min pro 1,73 m2 Körperoberfläche).
Aus der glomerulären Filtrationsrate des erwachsenen Mannes errechnet sich ein Filtratvolumen von 180 l pro Tag. Das bedeutet, dass das gesamte Plasmavolumen von ca. 3 l etwa 60mal am Tag dem Filtrations- und Klärungsprozess in der Niere unterworfen wird. Bezogen auf die gesamte extrazelluläre
448
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
Flüssigkeit von ca. 14 l, sorgt die Filtration etwa 13mal täglich für die Kontrolle der gelösten Bestandteile.
Filtrationsfraktion
VI
Da durch Autoregulation sowohl die Glomerulusdurchblutung als auch die glomeruläre Filtrationsrate weitgehend konstant gehalten werden, vermindert sich auch das Plasmavolumen bei der Glomeruluspassage um einen konstanten Anteil. Das Verhältnis von glomerulärer Filtrationsrate (GFR) zu renalem Plasmafluss (RPF) bezeichnet man als Filtrationsfraktion (FF). Sie beträgt normalerweise: GFR 125 ml/min FF = 71 = 00 = 0,2 RPF 650 ml/min
(13.7)
Dies bedeutet, dass bei der Glomeruluspassage 20 % des Plasmavolumens abfiltriert werden. Messung der glomerulären Filtrationsrate. Die GFR kann über die Clearance exogen zugeführter oder endogen vorkommender Substanzen bestimmt werden. Als exogenen Indikator für die Clearancemessung verwendet man meist Inulin, das unbehindert filtriert und tubulär weder resorbiert noch sezerniert wird ( Kap. 13.1.1), darüber hinaus auch nicht am renalen Stoffwechsel teilnimmt und zudem nicht toxisch ist. Auf Grund dieser Eigenschaften ist die aus dem Plasma eliminierte Inulinrate ([In]P · CInulin) und damit die filtrierte Inulinrate ([In]P · GFR) gleich der mit dem Endharn ausgeschiedenen Inulinrate ([In]U · V˙U). Mit den in Kap. 13.1.1 erläuterten Symbolen gilt dann: [In]U · V˙U GFR = CInulin = 04 [In]P
(13.8)
Die glomeruläre Filtrationsrate entspricht somit der Inulin-Clearance. Inulin als körperfremde Substanz muss über intravenöse Dauerinfusion zugeführt werden, um seine Plasmakonzentration während der Messperiode konstant zu halten. Als endogener Indikator für die GFR-Bestimmung nach dem Clearance-Verfahren ist Kreatinin geeignet. Kreatinin, das normalerweise im Blutplasma in einer mittleren Konzentration von ca. 8 mg/l (70 µmol/l) vorliegt, besitzt ähnliche renale Eigenschaften wie Inulin, wird allerdings bei erhöhter Plasmakonzentration in geringem Maß tubulär sezerniert. Die Kreatinin-Clearance liefert daher weniger genaue GFR-Werte, ist aber, da sie keine Infusion erfordert, einfacher in der Durchführung. Kreatinin wird in relativ konstanter Rate im (Muskel-)Stoffwechsel aus Phosphokreatin gebildet. Demzufolge muss bei Einschränkung der GFR die Plasmakonzentration reziprok dazu ansteigen. (Eine Reduktion der GFR auf 50 % der Norm führt ungefähr zu einer Verdopplung der Kreatininkonzentration im Plasma.) Der erfahrene Arzt kann also bereits aus dem Kreatininspiegel Rückschlüsse auf die Höhe der glomerulären Filtrationsrate ziehen. Mit Hilfe von Mikropunktionsuntersuchungen lässt sich im Experiment auch die Filtrationsrate des einzelnen Glomerulus bestimmen. Sie liegt bei ca. 50 nl/min.
449 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
Mesangium. Die in den Glomerulus eingelagerten Phagozytose-aktiven Mesangiumzellen bilden ein Synzytium, das die Filtrationsoberfläche der Kapillaren bis zu einem gewissen Grad einschränkt (⊡ Abb. 13.6). Die Mesangiumzellen sind mit kontraktilen Elementen ausgestattet, die einerseits der Stabilisierung dienen und andererseits unter der Einwirkung von Hormonen (z. B. Adiuretin, Angiotensin II, Parathormon) zur Kontraktion veranlasst werden können. Diese Hormone bewirken auch über einen bisher noch nicht geklärten Mechanismus eine Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate. Schließlich bilden die Mesangiumzellen Wachstumsfaktoren und Hormone, die ihre Umgebung direkt beeinflussen oder an den Blutstrom abgegeben werden.
13.3
Tubuläre Transportprozesse
Der abfiltrierte Primärharn passiert den Tubulus- und Sammelrohrapparat und wird auf diesem Weg durch Resorptions- und Sekretionsprozesse in den Endharn (Urin) umgewandelt.
13.3.1
Tubuläre Resorption von Na +, Cl – und Wasser
Merke
Die im Ultrafiltrat enthaltenen Na+-Ionen werden bei der Tubuluspassage zu mehr als 99 % resorbiert, d. h. zu weniger als 1 % mit dem Endharn ausgeschieden. Die aktive Na+-Resorption bildet zugleich den Antrieb für die passive Resorption von Cl– und Wasser.
Lokalisation der Resorptionsprozesse Der Hauptanteil (ca. 65 %) der filtrierten Na+-Ionen wird bereits im proximalen Tubulus (aktiv) resorbiert (⊡ Abb. 13.8). Cl–-Ionen und Wasser folgen passiv in demselben Verhältnis, sodass die osmotische Konzentration in der Tubulusflüssigkeit mit ca. 0,3 osmol/l unverändert bleibt (isoosmolale Resorption). Im Verlauf der Henle-Schleife erfolgt eine weitere Na+- und Cl–Resorption von 20–25 % der filtrierten Mengen. Da der aufsteigende Schleifenschenkel für Wasser nahezu undurchlässig ist ( Kap. 13.4.1), steht dem eine geringere Wasserresorption von ca. 10 % in der gesamten Schleife gegenüber. Daher ist die Tubulusflüssigkeit am Anfang des distalen Konvoluts hypoton. Im distalen Tubulus und im Sammelrohr werden weiterhin Na+ und – Cl bis auf einen geringen Rest von weniger als 1 % der filtrierten Mengen
450
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.8. Änderungen der Na+- und Cl–-Konzentrationen (mmol/l) beim Flüssigkeittransport durch den Tubulusapparat (bei Antidiurese). Es ist angegeben, auf welche prozentualen Anteile (bezogen auf die filtrierten Mengen = 100 %) Na+, Cl– und Wasser an den betreffenden Nephronorten abgefallen sind
resorbiert, während Wasser in variablem Maß das Tubuluslumen verlässt. Normalerweise, d. h. bei Antidiurese, gelangt weniger als 1 % des filtrierten Wasservolumens zur Ausscheidung. Wenn jedoch (z. B. nach starker Flüssigkeitsaufnahme) eine vermehrte Wasserelimination erforderlich ist, kann die distale Wasserresorption soweit eingeschränkt werden, dass kurzfristig 10–20 % des Filtratvolumens ausgeschieden werden (Wasserdiurese). Wegen der Variabilität der Resorptionsrate, insbesondere im Sammelrohrbereich, spricht man auch von einer fakultativen (d. h. bedarfsangepassten) Wasserresorption.
451 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
Die Zuordnung der tubulären Transportprozesse zu den verschiedenen Nephronabschnitten ist erst seit Anwendung spezieller Mikropunktionstechniken möglich. Hierbei werden oberflächlich gelegene Nephronanteile des proximalen und distalen Tubulus punktiert und die entnommenen Flüssigkeitsproben auf ihre Zusammensetzung hin analysiert. Auch die Beteiligung der einzelnen Nephronabschnitte an der Resorption der Tubulusflüssigkeit lässt sich mit Hilfe solcher Methoden bestimmen.
Transportmechanismen Merke
Die Resorption von Na+, Cl– und Wasser wird in allen Tubulusabschnitten (direkt oder indirekt) durch die aktive Na+/K+-ATPase angetrieben, die in der basolateralen Membran der Tubuluszellen lokalisiert ist. Dem dadurch erzeugten Gradienten folgend, gelangen die Na+-Ionen über Carrier und Kanäle der apikalen Membran aus dem Tubuluslumen in die Zelle (⊡ Abb. 13.9 A).
Im frühproximalen Tubulus wird Na+ vorwiegend über Carrier mit anderen Substanzen apikal in die Zelle aufgenommen. Im Symport gelangen u. a. Glukose, Galaktose, Aminosäuren, Phosphat, Sulfat und Laktat in die Zelle, im Na+/H+-Antiport werden Na+-Ionen aufgenommen und Protonen sezerniert. Die in diesem Tubulusabschnitt lecken Epithelien ( Kap. 11.1.2) ermöglichen einen wenig behinderten parazellulären Transport. Auf diesem Weg erfolgt die Wasserresorption auf Grund des osmotischen Gefälles zwischen Tubuluslumen und Interstitium. Aber auch Na+ wird durch Diffusion und Solvent Drag ( Kap. 11.1.2) in größerem Ausmaß parazellulär resorbiert. Dieser Anteil ist etwa 3-mal größer als der auf dem transzellulären Weg. Ebenso strömt Cl– durch den Interzellularspalt, wobei u. a. die Potentialdifferenz von 2 mV zwischen Lumen (negativ) und Interstitium (positiv) den passiven Transport bewirkt. Die daneben existierenden transzellulären Transportmechanismen für Cl– und Wasser (durch Aquaporin-1-Kanäle) sind demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. In der Henle-Schleife dienen die dünnen Teile vor allem der osmotisch bedingten Wasserresorption sowie der Harnstoffsekretion. Dagegen werden im dicken aufsteigenden Schenkel 20–25 % der filtrierten Na+- und Cl–-Mengen resorbiert. Angetrieben durch die basolaterale Na+/K+-ATPase, erfolgt die apikale Einschleusung in die Zelle im Symport von 1 Na+, 2 Cl– und 1 K+ pro Pumpzyklus. Dieser Symporter kann durch sog. Schleifendiuretika, (z. B.
452
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.9. Tubuläre Transportmechanismen für Na+ und Cl– (A) und für K+ (B), leicht modifiziert nach HIERHOLZER und FROMM (aus Schmidt und Thews, 1995)
Furosemid) gehemmt werden, womit zwar eine verstärkte Wasserausscheidung, gleichzeitig aber auch ein K+-Verlust verbunden ist. Da das Epithel in diesem Tubulusabschnitt für Wasser praktisch undurchlässig (impermeabel) ist, führt die Resorption von Na+ und Cl– zu einer Abnahme der osmotischen Konzentration bis auf 0,1 osmol/l (⊡ Abb. 13.8). Im distalen Konvolut (in ⊡ Abb. 13.9 A nicht dargestellt) wird die Na+und Cl–-Resorption über einen apikalen Na+/Cl–-Symporter fortgesetzt. Dieser Symporter kann durch Thiaziddiuretika gehemmt werden. Wegen der in
453 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
diesem Abschnitt hohen Wasserpermeabilität des Epithels kommt es zu einer starken Wasserresorption, sodass die tubuläre Osmolarität schnell wieder auf den plasmaisotonen Wert (0,3 osmol/l) ansteigt. Im Sammelrohr ist das Epithel aus 2 funktionell verschiedenen Zellarten aufgebaut: den (dunklen) Hauptzellen und den (hellen) Schalt- oder Zwischenzellen. In die Hauptzellen wird Na+ über apikale Na+-Kanäle aufgenommen, die durch Aldosteron aktivierbar sind und die durch sog. kaliumsparende Diuretika, z. B. Amilorid, blockiert werden. Diese durch Aldosteron kontrollierte Na+-Resorption macht nur noch 2–3 % der filtrierten Menge aus.
Regulation der Na +-Resorption Im proximalen Tubulus werden die Resorptionsraten der Solute, insbesondere der Na+-Ionen, an die jeweils filtrierten Mengen angepasst (glomerotubuläre Balance). Ändert sich das filtrierte Angebot, so kommt es über einen noch nicht geklärten Mechanismus zu einer prozentual gleichen Resorptionsänderung. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass starke Variationen der Filtrationsrate nur geringe Auswirkungen auf die Ausscheidungsraten von Na+, Cl– und Wasser u. a. haben. Im spätdistalen Tubulus und im Sammelrohr wird die Na+-Resorption durch das Nebennierenrindenhormon Aldosteron gesteuert. Aldosteron steigert die Zahl und die Offen-Wahrscheinlichkeit der apikalen Na+-Kanäle, wodurch der Na+-Einstrom zunimmt, sowie die Aktivität der basolateralen Na+/K+-ATPase. Auf diese Weise steigert Aldosteron die Na+-Resorption und indirekt auch die K+-Sekretion (⊡ Abb. 13.9 A). Darüber hinaus bewirkt es eine verstärkte H+-Sekretion ( Kap. 15.4.2). Aldosteronmangel, der z. B. bei Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison) auftritt, hat daher eine vermehrte Ausscheidung von Na+ und Wasser sowie eine Retention von K+ und H+ zur Folge. Die Na+-Resorption wird durch das in den Vorhöfen des Herzens gebildete Atriopeptin (atrialer natriuretischer Faktor, ANF, Kap. 6.7.3), Prostaglandin E2 und Ouabain (Strophanthin, Kap. 15.9) gehemmt. Atriopeptin, das u. a. bei starker Kochsalzzufuhr ins Blut abgegeben wird, hemmt die Na+Resorption im Sammelrohr, Ouabain hemmt die K+/Na+-ATPase.
454
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
13.3.2
Tubuläre Kaliumresorption und -sekretion
Die mit der Nahrung aufgenommenen K+-Ionen werden zu 90 % über die Nieren und zu 10 % über den Intestinaltrakt ausgeschieden. Merke
VI
Die K+-Resorption im proximalen Tubulus (60–70 % der filtrierten Menge) und in der HENLE-Schleife (25–35 %) ist unabhängig von der K+-Zufuhr. Im distalen Tubulus und im Sammelrohr erfolgt bei K+-armer Ernährung eine weitere Resorption, bei K+-reicher Ernährung dagegen eine Sekretion in das Tubuluslumen (⊡ Abb. 13.10).
Transportmechanismen Im proximalen Tubulus erfolgt die K+-Resorption fast ausschließlich passiv über die Schlussleisten durch Diffusion und Solvent Drag. Die Diffusion wird hierbei durch eine niedrige K+-Konzentration im Interzellularraum auf Grund der Aktivität der Na+/K+-ATPase in der basolateralen Zellmembran aufrechterhalten. Die über die ATPase aktiv in die Zelle transportierten K+Ionen werden über Kanäle in der apikalen und basalen Zellmembran wieder ausgeschleust (⊡ Abb. 13.9 B). Bei vermindertem Wassereinstrom in den
⊡ Abb. 13.10. Prozentuale Änderung der filtrierten K+-Menge bei Passage durch den Tubulusapparat unter Normalbedingungen sowie bei K+-armer und K+-reicher Ernährung
455 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
Interzellularspalt (z. B. bei osmotischer Diurese, Kap. 13.4.2) ist auch die K+-Resorption reduziert. Im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife (englische Abkürzung TAL) wird K+ über den in Kap. 13.3.1 erwähnten apikalen 1 Na+/2 Cl–/1 K+Symporter in die Zelle aufgenommen und gelangt z. T. über K+-Kanäle wieder aus der Zelle. Da in diesem Tubulusabschnitt das Lumen um ca. 5 mV positiv gegenüber dem Interstitium ist, treibt außerdem der elektrische Gradient die parazelluläre K+-Resorption an. Im distalen Tubulus und im Sammelrohr kann K+ sowohl aktiv resorbiert als auch passiv sezerniert werden. Die Resorption (bei K+-Mangel) erfolgt durch die Zwischenzellen vom Typ A, indem K+ durch eine aktive K+/H+ATPase auf der apikalen Seite in die Zelle befördert und durch einen K+-Kanal auf der basalen Seite ausgeschleust wird. Bei reichlicher K+-Zufuhr überwiegt die Sekretion in das Tubuluslumen. Unter dem Einfluss von Aldosteron wird dieser Prozess durch die Na+Resorption angetrieben, die eine lumen-negative Spannung erzeugt. Diesem elektrischen Gradienten folgend, strömt K+ vor allem parazellulär in das Lumen. In den Hauptzellen, die apikale und basolaterale K+-Kanäle besitzen, verlagert sich in diesem Fall der K+-Ausstrom auf die apikale Seite.
Beeinflussung der K +-Ausscheidung Auf der Grundlage der geschilderten Transportmechanismen kann die K+Ausscheidung durch eine Reihe von Faktoren verändert werden: ▬ K+-Zufuhr: Eine Zunahme des K+-Angebots führt zu einer Steigerung, eine Abnahme zu einer Reduktion der K+-Ausscheidung. ▬ pH-Wert des Blutes: Da K+ und H+ in den Zwischenzellen des Sammelrohrs primär-aktiv ausgetauscht werden, nimmt die K+-Ausscheidung bei Alkalose zu und bei Azidose ab. ▬ Aldosteron: Mineralokortikoide, insbesondere Aldosteron, fördern neben der tubulären Na+-Resorption auch indirekt die K+-Sekretion und damit die K+-Ausscheidung. ▬ Distales Na+-Angebot und tubuläre Flussrate: Bei Zunahme dieser beiden Parameter kommt es zu einer gesteigerten K+-Ausscheidung.
456
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
13.3.3
Tubuläre Resorption von Kalzium, Magnesium, Phosphat und Sulfat
Merke
Da Kalzium und Magnesium z. T. an Plasmaproteine gebunden sind, werden sie nur zu 50–60 % glomerulär filtriert. Ihre Resorption erfolgt überwiegend parazellulär im proximalen Tubulus und im dicken Teil der HENLE-Schleife.
VI
Kalziumresorption Im proximalen Tubulus und in der Henle-Schleife wird Ca2+ weitgehend parazellulär, d. h. passiv, resorbiert. Dies erfolgt im proximalen Tubulus durch Diffusion und Solvent Drag, im TAL hauptsächlich auf Grund des elektrischen Gradienten. Im distalen Tubulus wird Ca2+ passiv über luminale Ca2+-Kanäle in die Zellen aufgenommen und dann auf der basolateralen Seite vorwiegend über einen 3 Na+/Ca2+-Antiporter, z. T. auch durch eine Ca2+-ATPase, an das Interstitium abgegeben. Von der filtrierten Ca2+-Menge werden 60 % im proximalen Tubulus, 30 % im TAL und 9 % in den distalen Abschnitten resorbiert, sodass nur 1 % zur Ausscheidung gelangt. An der distalen Regulation sind Parathormon, Kalzitriol und Kalzitonin beteiligt ( Kap. 15.8.2).
Magnesiumresorption Im proximalen Tubulus wird Mg2+ vorwiegend parazellulär passiv resorbiert, allerdings nur zu 15 % der filtrierten Menge, da dieser Abschnitt für Mg2+ wenig permeabel ist. Der Hauptanteil der Mg2+-Resorption (ca. 70 %) erfolgt im dicken aufsteigenden Schleifenschenkel (⊡ Abb. 13.11 B). Hier gelangt Mg2+ hauptsächlich auf parazellulärem Weg, teilweise auch auf Grund des lumen-positiven elektrischen Gradienten auf transzellulärem Weg ins Interstitium. Weitere 10 % werden im distalen Tubulus und Sammelrohr resorbiert. 5 % des filtrierten Magnesiums werden mit dem Urin ausgeschieden, wobei die Ausscheidungsrate von der Mg2+-Konzentration im Plasma abhängt. Kalzitonin und Parathormon steigern die tubuläre Resorption und vermindern damit die Ausscheidung.
Phosphatresorption Anorganisches Phosphat wird vorwiegend (80 %) im proximalen Tubulus resorbiert. HPO42– gelangt im Symport mit 3 Na+, H2PO4– mit 2 Na+ in die
457 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
70mV
13
3
3
⊡ Abb. 13.11. Transportmechanismen für Ca2+ im distalen Tubulus (A), für Mg2+ im aufsteigenden dicken Teil der HENLE-Schleife (B) sowie für Phosphat (C) und Sulfat (D) im proximalen Tubulus. Modifiziert nach HIERHOLZER und FROMM (aus Schmidt und Thews, 1995)
Tubuluszelle (⊡ Abb. 13.11 C) und nimmt hier z. T. an den Stoffwechselprozessen teil. Auf der basolateralen Seite erfolgt die Ausschleusung vermutlich über HPO42–- und H2PO4–-Kanäle. 10 % des filtrierten Pi werden im distalen Tubulus resorbiert, sodass 10 % zur Ausscheidung gelangen. Phosphat gehört zu den Schwellensubstanzen, die erst bei Überschreiten einer bestimmten Konzentration im Plasma renal ausgeschieden werden. Da diese Schwelle für Phosphat bereits bei normalem Phosphatspiegel erreicht ist, sind die Nieren unmittelbar an der Regelung des Phosphathaushalts beteiligt. Parathormon und Kalzitonin hemmen geringfügig die tubuläre Resorption und fördern damit die Phosphatausscheidung ( Kap. 15.8). Kalzitriol hat den umgekehrten Effekt.
Sulfatresorption Im proximalen Tubulus wird SO42– im Symport mit 3 Na+ in die Tubuluszelle aufgenommen (⊡ Abb. 13.11 D). Auf der basolateralen Seite verlässt es die Zelle im Antiport mit einem anderen Anion, z. B. HCO3–, wobei der elek-
458
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
trochemische Gradient den Antrieb liefert. Die Schwellenkonzentration ( s. oben) für SO42– liegt nur wenig über dem normalen Plasmaspiegel, sodass ein Sulfatanstieg im Plasma zu einer verstärkten renalen Ausscheidung führt.
13.3.4
Tubuläre Resorption von Glukose und anderen Monosacchariden
Merke
VI
Die Glukosekonzentration im Plasma und im Ultrafiltrat beträgt im Nüchternzustand, d. h. ohne vorausgegangene Nahrungsaufnahme, 3,5–5,5 mmol/l (0,6–1,0 g/l). Die filtrierte Glukosemenge wird im proximalen Tubulus – und hier bereits im Anfangsteil des proximalen Konvoluts – nahezu vollständig (> 98 %) resorbiert, sodass der Urin normalerweise glukosefrei ist.
Resorptionsmechanismen Angetrieben von der basolateralen Na+/K+-ATPase, erfolgt die apikale Glukoseaufnahme in die Tubuluszelle im Symport mit Na+ (⊡ Abb. 13.9 A). Im frühproximalen Tubulus ist hierfür ein 1 Na+/Glukose-Symporter, im spätproximalen Tubulus ein 2 Na+/Glukose-Symporter zuständig. Die aufgenommene Glukose gelangt dann über einen basolateralen Glukosetransporter (GLUT-2) ins Interstitium. Fruktose wird frühproximal mittels eines apikalen Glukosetransporters (GLUT-5) in die Tubuluszelle aufgenommen. Galaktose benutzt für die Einschleusung in die spätproximale Zelle den gleichen (2 Na+-)Symporter wie Glukose. In beiden Fällen erfolgt die Ausschleusung wieder über basolaterale Glukosetransporter (GLUT-2).
Tubuläres Transportmaximum Auch bei mäßiger Erhöhung des tubulären Glukoseangebots (durch Zunahme des Glukosespiegels im Plasma oder der GFR) ist das Transportsystem in der Lage, (fast) alle Glukosemoleküle zu resorbieren. Steigt jedoch das Angebot so stark an, dass die maximale Resorptionsleistung überschritten wird, so kommt es zur Glukoseausscheidung mit dem Urin (Glukosurie). Die pro Zeiteinheit maximal resorbierbare Stoffmenge bezeichnet man als tubuläres
459 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
1
⊡ Abb. 13.12. Filtrations-, Resorptions- und Ausscheidungsraten von Glukose in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration im Plasma bei normaler (durchgezogene Kurven) und bei erniedrigter GFR (gestrichelte Kurven). (Bei länger bestehendem Diabetes mellitus ist die GFR häufig reduziert.) Nach HIERHOLZER und FROMM (aus Schmidt und Thews, 1995)
Transportmaximum Tm. Der Tm-Wert für Glukose beträgt im Mittel bei der Frau 1,7 mmol/min (300 mg/min) und beim Mann 2,0 mmol/min (375 mg/ min). Glukose gehört also zu den Schwellensubstanzen, die beim Überschreiten einer bestimmten Plasmakonzentration mit dem Urin ausgeschieden werden. ⊡ Abb. 13.12 (durchgezogene Kurven) zeigt die Transportcharakteristik für Glukose bei einer glomerulären Filtrationsrate von 125 ml/min. Es sind die Filtrations- und die Resorptionsrate sowie als Differenz dieser beiden Größen die Ausscheidungsrate in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration im Plasma dargestellt. Man erkennt hieraus, dass beim Überschreiten der Schwellenkonzentration von ca. 10 mmol/l (1,8 g/l) die Glukosurie einsetzt und im Bereich oberhalb von ca. 16 mmol/l (2,9 g/l) die renale Ausscheidungsrate linear mit der Plasmakonzentration ansteigt. Nimmt die glomeruläre Filtrationsrate zu, so erhöht sich auch der Tm-Wert; sinkt sie ab, so vermindert er sich (⊡ Abb. 13.12, gestrichelte Kurven). Dieser Zusammenhang erklärt sich daraus, dass die Na+Resorption von der GFR abhängt und Glukose im Symport mit Na+ resorbiert wird. Die abgerundeten Abschnitte der Resorptions- und Ausscheidungskurven (»Splay«) kommen dadurch zustande, dass sich die dargestellten Beziehungen aus der Summe der Transportraten einer großen Zahl von Nephronen ergeben, deren Glomeruli etwas unterschiedliche Filtrationsraten und deren verschieden lange Tubuli differierende Tm-Werte aufweisen.
460
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
Glukosurie. Beim Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) kommt es infolge eines absoluten oder relativen Insulinmangels ( Kap. 15.7.3) zu einem Anstieg der Glukosekonzentration im Blutplasma. Überschreitet diese die renale Schwelle, so wird Glukose ausgeschieden (Glukosurie ). Die nicht resorbierten Glukosemoleküle bewirken eine osmotische Diurese ( Kap. 13.4.2, Polyurie), wodurch wiederum zur Kompensation eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme (Polydipsie) erforderlich ist. Beim Diabetes mellitus renalis handelt es sich um einen genetischen Defekt des Na+/GlukoseSymports im proximalen Tubulus. In diesem Fall tritt bereits bei normalem Glukosespiegel im Plasma eine Glukosurie auf. Experimentell lässt sich ein Diabetes mellitus renalis durch spezifische Vergiftung dieses Glukosetransportsystems mit dem Glukosid Phlorizin erzeugen.
VI
13.3.5
Resorption von Aminosäuren und Oligopeptiden
Aminosäurenresorption Merke
Die unbehindert filtrierten Aminosäuren werden im Anfangsteil des proximalen Konvoluts fast vollständig resorbiert; lediglich 0,1–6 % der filtrierten Mengen gelangen zur Ausscheidung. Die Resorptionsmechanismen für die verschiedenen Aminosäuren haben (wie das Resorptionssystem für Glukose) jeweils eine begrenzte Transportleistung.
Aminosäuren werden auf der apikalen Seite durch verschiedene Transportsysteme in die Tubuluszelle aufgenommen. Wie im Dünndarm ( Kap. 12.9.2) existieren im Bürstensaum sekundär-aktive Na+-Symportsysteme (u. a. für neutrale und anionische Aminosäuren) sowie tertiär-aktive Aminosäurenaustauscher (für Zystin und kationische Aminosäuren). Genetische Defekte der Transportsysteme führen bereits im Kindesalter zu Resorptionsstörungen und damit zur Ausscheidung einzelner oder mehrerer Aminosäuren (Aminoazidurie ). Die häufigste Erkrankung dieser Art ist die Zystinurie. Wegen der geringen Löslichkeit von Zystin treten bei den Betroffenen häufig Nierensteine auf. Resorption von Di- und Tripeptiden. Proteine und Peptide, die in ganz geringen Mengen in den Primärharn gelangen, werden im proximalen Tubulus durch Bürstensaumenzyme zu Aminosäuren sowie teilweise auch zu Di- und Tripeptiden abgebaut. Letztere gelangen über einen tertiär-aktiven Symport mit H+ in die Tubuluszelle (⊡ Abb. 11.2) und werden hier in Aminosäuren zerlegt. Albumine und Insulin können durch Endozytose aufgenommen werden.
461 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13.3.6
13
Tubuläre Transporte von Harnstoff, Urat und Oxalat
Harnstofftransport Merke
Harnstoff, das wichtigste Endprodukt des Proteinstoffwechsels, wird im Glomerulus unbehindert filtriert und im proximalen Tubulus zu etwa 50 % resorbiert. Eine weitere Resorption findet erst im Endabschnitt des Sammelrohrs statt.
Als unpolare Substanz mit niedriger Molekularmasse kann Harnstoff das Epithel des proximalen Tubulus relativ leicht passieren. Die Resorption erfolgt hier hauptsächlich durch Diffusion, wobei der erforderliche Konzentrationsgradient durch den Wasserausstrom aus dem Lumen geschaffen wird. In geringerem Maß gelangt Harnstoff auch durch Solvent Drag ins Interstitium. Der distale Tubulus und der größte Teil des Sammelrohrs sind für Harnstoff praktisch impermeabel; erst im unteren Sammelrohr wird dann die Resorption durch apikale und basolaterale Harnstoff-Carrier ermöglicht. Der in diesem Bereich resorbierte Harnstoff diffundiert über das medulläre Interstitium in die benachbarten dünnen Henle-Schleifen und wird mit der Tubulusflüssigkeit wieder zum Resorptionsort im unteren Sammelrohr zurücktransportiert. Durch diesen intrarenalen Harnstoffkreislauf passiert also ein Teil der filtrierten Substanz ständig das Parenchym des Nierenmarks und trägt zur hohen osmotischen Konzentration in diesem Bereich bei ( Kap. 13.4.1). Der nicht resorbierte Harnstoff wird (stark konzentriert) mit dem Urin ausgeschieden. Allerdings hängt die Ausscheidungsrate von der Wasserresorption im medullären Sammelrohr ab, weil diese auch die Harnstoffresorption fördert. Je weniger Wasser resorbiert, d. h. je mehr Wasser ausgeschieden wird, umso geringer ist die Resorptionsrate des Harnstoffs und umso höher ist seine Ausscheidungsrate (⊡ Abb. 13.13). In anderen Worten: Die Harnstoff-Clearance nimmt mit dem Harnzeitvolumen zu. Bei der normalerweise vorherrschenden Antidiurese wird etwa die Hälfte der filtrierten Harnstoffmenge mit dem Urin ausgeschieden.
462
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
⊡ Abb. 13.13. Abhängigkeit der Resorptions- und Ausscheidungsrate für Harnstoff von der Stärke des Harnstroms. (Die Beziehungen gelten für eine Harnstoffkonzentration im Plasma von 5 mmol/l und eine glomeruläre Filtrationsrate von 125 ml/min)
VI
Harnsäuretransport Harnsäure bzw. ihr Säureanion Urat, das Endprodukt des Purin- bzw. Nukleoproteinstoffwechsels, wird glomerulär filtriert und im proximalen Tubulus über Urat–/Anionenaustauscher (Laktat–, HCO3–, OH–) hauptsächlich resorbiert, aber auch über Anionenaustauscher sezerniert. Etwa 10 % der filtrierten Menge gelangen zur Ausscheidung. Wegen ihrer geringen Löslichkeit neigen Urate (besonders Ca-Urat) zur Kristallbildung. Obwohl in der Niere Urat etwa 20fach konzentriert wird, fallen normalerweise, bedingt durch stabilisierende Faktoren, keine Uratkristalle aus. Wenn jedoch (bei extrem starkem Fleischverzehr, bei Enzymdefekten oder bei Krankheiten mit vermehrtem Zelluntergang) der Uratspiegel im Plasma ansteigt (Hyperurikämie ), können im Nierenmark Harnsäurekristalle entstehen, deren Aggregation zu Harnsteinen führt. Auch an anderen Orten des Körpers kann es in diesem Fall zur Bildung von Uratkristallen mit begleitenden schmerzhaften Entzündungen kommen (Gicht ). Auch bei verminderter renaler Extraktion besteht die Gefahr einer Gicht.
Oxalattransport Oxalat, das im Aminosäurenstoffwechsel entsteht, wird im proximalen Tubulus hauptsächlich sezerniert (Oxalat–/Cl–-Antiport) und nur in geringem Maß resorbiert. Daher erreicht die Oxalatkonzentration im hochkonzentrierten Harn mehr als das 200fache seiner Plasmakonzentration. Oxalat ist zu einem hohen Prozentsatz an der Bildung von Harnsteinen beteiligt ( s. unten).
463 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
Harnsteine. Schlecht lösliche Substanzen können, wenn sie bei der Nierenpassage hoch konzentriert werden, als Kristalle (Harnsteine ) ausfallen. Der Harn enthält jedoch Stoffe, die normalerweise die Kristallbildung verhindern. Hierzu zählen verschiedene Inhibitor-Proteine und Ca2+-Komplexbildner (z. B. Citrat und Proteine). Ihre Wirkung reicht jedoch nicht aus, wenn die Konzentration der potentiellen Kristallkomponenten (Ca2+, Oxalat, Phosphat, Urat, Zystin) stark erhöht ist, Kristallisationskeime (z. B. bei Entzündungen) vorhanden sind, die Löslichkeit der Komponenten durch pH-Veränderungen herabgesetzt ist. Die Kristalle im Harn sind so klein, dass sie mit dem Urin ausgeschieden werden können. Ihre Aggregation führt jedoch unter bestimmten Umständen zur Bildung von Harnsteinen. Diese enthalten als häufigste Bestandteile Ca2+ sowie Oxalat und Phosphat; seltener sind Urat und Zystin beteiligt.
13.3.7
Tubuläre Sekretion von schwachen organischen Ionen
Merke
Viele körpereigene und körperfremde (schwache) organische Ionen (u. a. auch Medikamente) werden durch Filtration und zusätzliche Sekretion über die Nieren ausgeschieden. Die Sekretion dieser Anionen und Kationen erfolgt hauptsächlich in das Lumen des spätproximalen Tubulus (Pars recta).
Sekretion organischer Anionen Die Anionen schwacher organischer Säuren, von denen eine Auswahl in ⊡ Abb. 13.14 A angegeben ist, werden auf der basolateralen Seite durch einen tertiär-aktiven Anionen/Dicarboxylat2–-Austauscher in die spätproximale Tubuluszelle aufgenommen. Die Ausschleusung auf der apikalen (luminalen) Seite findet über einen Anionen-Antiporter statt. Auf diese Weise können neben Paraaminohippurat u. a. auch Harnsäure, Penizilline und bestimmte Röntgenkontrastmittel aus dem Körper eliminiert werden.
Sekretion organischer Kationen Die Kationen schwacher organischer Basen (⊡ Abb. 13.14 B) gelangen passiv über einen basolateral lokalisierten unspezifischen Kationentransporter in die Zelle. Der Transport ins Tubuluslumen erfolgt dann über einen tertiär-aktiven H+/org. Kationen-Antiporter, der durch einen sekundär-aktiven Na+/H+-Antiporter und eine primär-aktive H+-ATPase angetrieben wird. Über diesen Sekretionsmodus findet die Elimination von vielen physiologischen Wirkstoffen (u. a. von Adrenalin und Azetylcholin) sowie von Morphin und Kokain statt.
464
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.14A, B. Sekretionsmechanismen für schwache organische Ionen im spätproximalen Tubulus. An– = organische Anionen. Modifiziert nach HIERHOLZER und FROMM (aus Schmidt und Thews, 1995) Nichtionische Diffusion. Eine besondere Bedeutung für die Resorption von schwachen Säuren oder Basen hat die nichtionische Diffusion (Non-ionic Diffusion). Für die undissoziierte Form dieser Stoffe ist eine Resorption möglich, während die dissoziierten Anteile ausgeschieden werden. Das Ausmaß der Rückresorption hängt von den Löslichkeitseigenschaften der betreffenden Stoffe, von deren pK’-Wert und vom pH-Wert der Tubulusflüssigkeit ab. Lipidlösliche Substanzen, die im Darm gut resorbiert werden, durchdringen – in undissoziierter Form – auch leicht das Tubulusepithel und werden daher weitgehend rückresorbiert. Hydrophile, im Darm kaum resorbierbare Stoffe diffundieren dagegen schlecht durch die Tubulusepithelien. pH-abhängige Ausscheidung. Schwache Basen werden bei Erniedrigung, schwache Säuren bei Erhöhung des Urin-pH-Werts verstärkt ausgeschieden (Überführung in die besser wasserlösliche Ionenform). Bei Vergiftungen mit basischen Stoffen, z. B. Alkaloiden, kann daher durch Azidifizierung die Ausscheidung des Giftstoffes beschleunigt werden. Bei Intoxikation mit sauren Stoffen, z. B. Barbitursäuren, lässt sich andererseits eine erhöhte Ausscheidungsrate durch Alkalisierung des Urins er reichen.
465 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13.3.8
13
Tubuläre Transporte von Protonen, Bikarbonat und Ammoniak/Ammonium
In den Stoffwechselprozessen des Organismus fallen ständig nicht-flüchtige Säuren (Schwefelsäure, Phosphorsäure, organische Säuren) an, die über die Nieren ausgeschieden werden. Bei gemischter Kost beträgt die Ausscheidungsrate der sauren Valenzen 60–80 mmol/Tag. In azidotischer Stoffwechsellage ( Kap. 14.5.4) kommt es zu einer verstärkten, in alkalotischer Stoffwechsellage zu einer verminderten Ausscheidung. Die Nieren sind also an der Regulation des Säure-Basen-Haushalts beteiligt. Merke
Die tubuläre H+-Sekretion und die damit gekoppelte HCO3–-Resorption erfolgen hauptsächlich im proximalen Tubulus, dazu aber auch (in Anpassung an die jeweilige Säure-Basen-Situation) im Sammelrohr. Die in das Lumen sezernierten Protonen werden in gebundener Form hauptsächlich als primäres Phosphat und Ammonium ausgeschieden. Nur ein ganz kleiner Teil (< 0,1 %) gelangt in freier Form zur Ausscheidung.
Der pH-Wert von 7,4 im Ultrafiltrat nimmt bis zum Ende des proximalen Tubulus auf 6,6 ab und beträgt im Urin im Durchschnitt etwa 5,8. Da die Transportprozesse an die jeweilige Stoffwechsellage angepasst werden, kann jedoch der Urin-pH bei Azidose bis auf 4,5 absinken und bei Alkalose bis auf 8,2 ansteigen.
Protonenelimination in Form titrierbarer Säuren Im frühproximalen Tubulus wird H+ vor allem über einen apikalen Na+/H+Antiporter in das Lumen befördert, wobei der Antrieb wieder durch die basolaterale Na+/K+-ATPase erfolgt (⊡ Abb. 13.15 A). Die zytoplasmatische H+Quelle ist die Dissoziation der Kohlensäure. Die sezernierten Protonen werden im Lumen an Anionen mit geeignetem pK’-Wert ( Kap. 14.5.2) gebunden und als sog. titrierbare Säuren ausgeschieden. Vor allem reagiert H+ mit sekundärem Phosphat (HPO42–) unter Bildung von primärem Phosphat (H2PO4–), da der pK’-Wert dieses Puffersystems (6,8) für die H+-Bindung im sauren Milieu der Tubulusflüssigkeit besonders günstig ist. Im spätproximalen Tubulus können Protonen zusätzlich über eine primär-aktive H+-ATPase eliminiert werden.
466
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
KA
VI
Glutamin
KA
KA KA
⊡ Abb. 13.15A−C. Mechanismen der H+-Sekretion und -Ausscheidung sowie der HCO3–Resorption im proximalen Tubulus
467 13.3 · Tubuläre Transportprozesse
13
Im Sammelrohr wird die H+-Sekretion hauptsächlich durch eine (primär-aktive) H+/K+-ATPase und H+-ATPase bewirkt, die in der apikalen Membran der Zwischenzellen (Schaltzellen) vom Typ A lokalisiert sind. Bei alkalotischer Stoffwechsellage können diese in Zellen vom Typ B umgebaut werden, die H+ resorbieren und HCO3– sezernieren. Dieser erforderliche Umbau macht es verständlich, dass die Regulation erst mit einiger Verzögerung einsetzt.
Protonenelimination in Form von Ammonium Für die renale Regulation des Säure-Basen-Haushalts kommt dem Ammonium-Mechanismus die größte Bedeutung zu. Die proximalen Tubuluszellen sind in der Lage, den Ammoniak/Ammonium-Puffer selbst zu produzieren und auf diesem Wege saure Valenzen zu eliminieren. In den Zellen wird beim enzymatischen Abbau von Glutamin zu Glutamat– und im nächsten Schritt zu 2-Oxoglutarat2– je ein NH+4 -Ion gebildet, das in NH3 und H+ dissoziiert (⊡ Abb. 13.15 B). Auf Grund seiner Lipidlöslichkeit und seiner geringen Molekülgröße kann NH3 leicht durch nichtionische Diffusion in das Tubuluslumen gelangen, während H+ über einen Na+/H+-Antiporter in das Lumen befördert wird. Hier kommt es wieder (nach Maßgabe des pH-Werts) zur Bildung von NH+4 , das mit dem Urin zur Ausscheidung gelangt. NH+4 kann auch über einen Na+/NH+4 -Antiporter aus der Zelle in das Lumen transportiert werden. Zusätzlich entsteht lumenseitig NH4+ durch Glutaminabbau mittels einer Transferase in der apikalen Membran. Bei Azidose können vermehrt saure Valenzen über den Ammonium-Mechanismus ausgeschieden werden, weil es in diesem Fall ▬ zu einer gesteigerten NH3-Produktion durch Aktivierung der Glutaminasen und ▬ in der stärker sauren Tubulusflüssigkeit zu einer Verlagerung des NH3/ NH+4 -Gleichgewichts auf die Seite von NH+4 kommt.
Bikarbonatresorption HCO3–, dessen Plasmakonzentration im arteriellen Blutplasma 24 mmol/l beträgt, wird im Glomerulus unbehindert filtriert und im Tubulusapparat praktisch vollständig resorbiert, und zwar zu 90 % im proximalen und zu 10 % im distalen Tubulussystem. Die Schwellenkonzentration für Bikarbonat (Hydrogenkarbonat) liegt bei 28 mmol/l. Überschreitet die Plasmakonzentration (bei alkalotischer Stoffwechsellage) diesen Wert, so wird HCO3– solange aus-
468
VI
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
geschieden, bis die Abweichung vom Sollwert korrigiert ist. Bei azidotischer Stoffwechsellage nimmt die Bikarbonatresorption zu. Die HCO3–-Resorption ist mit der H+-Sekretion gekoppelt (⊡ Abb. 13.15 C). + H , das, wie beschrieben, im Antiport mit Na+ in das Tubuluslumen sezerniert wird, bildet dort mit HCO3– unter Mitwirkung der Karboanhydratase (KA) in der apikalen Membran H2O und CO2. Letzteres diffundiert in die Zelle und reagiert dort (wiederum KA-katalysiert) mit H2O unter Bildung von H+ und HCO3–. Bikarbonat wird schließlich im proximalen Tubulus über einen Na+/HCO3–/CO32–-Symporter, im Sammelrohr über einen HCO3–/Cl–-Antiporter durch die basolaterale Membran in das Interstitium befördert.
13.4
Harnkonzentrierung und -verdünnung
13.4.1
Harnkonzentrierung bei Antidiurese
Merke
Bei Wassermangel kann der Endharn bis auf die 4fache Osmolarität des Blutplasmas konzentriert werden. Daran beteiligt sind die Na+- und Cl–-Resorption im wasserimpermeablen dicken Teil der HENLE-Schleife, die Harnstoffkonzentrierung in der inneren Markzone, der Einfluss von Adiuretin auf die Wasserpermeabilität im Bereich des Sammelrohrs, die geringe Durchblutung der lang gestreckten Vasa recta.
Harnkonzentrierung im Gegenstrom Die Grundlage für den Aufbau eines osmotischen Gradienten in Längsrichtung, d. h. von der Rinde bis zur Papillenspitze, bildet die parallele Anordnung der Henle-Schleifenschenkel mit ihren unterschiedlichen Resorptionseigenschaften. Im äußeren Mark wird dieser Gradient durch die Na+und Cl–-Resorption im dicken Teil der aufsteigenden Henle-Schleife erzeugt. In ⊡ Abb. 13.16 sind speziell die Auswirkungen der Na+-Resorption schematisch dargestellt. Da der dicke aufsteigende Schleifenschenkel für Wasser praktisch impermeabel ist, führt hier die Na+-Resorption in jedem Teilabschnitt zu einer
469 13.4 · Harnkonzentrierung und -verdünnung
13
⊡ Abb. 13.16. Gegenstromkonzentrierung im Nierenmark bei Antidiurese. Der Anstieg der osmotischen Konzentration in Richtung Papillenspitze ist durch die Zunahme der Farbintensität angedeutet (Zahlenangaben in osmol/l)
geringen Abnahme der Na+-Konzentration im Tubuluslumen. Gleichzeitig nimmt die Na+-Konzentration im Interstitium zu, wodurch, osmotisch bedingt, Wasser dem absteigenden Schleifenschenkel entzogen wird. In diesem kommt es also zu einer geringen Zunahme der Na+-Konzentration. Der Konzentrierungseffekt in Längsrichtung wird allerdings erst verständlich, wenn man die Auswirkungen des tubulären Flüssigkeitsstroms betrachtet. Hat sich im oberen Abschnitt des absteigenden Schenkels die Na+-Konzentration etwas erhöht, so erfolgt im nächsten Abschnitt, den die Tubulusflüssigkeit passiert, eine weitere Konzentrierung. Der Konzentrationsanstieg setzt sich von Abschnitt zu Abschnitt zum Schleifenscheitel hin fort, wobei der jeweilige Einzeleffekt infolge der Flüssigkeitsbewegung in der Schleife multipliziert wird. Diese Gegenstrommultiplikation hat zur Folge, dass in der strömenden Tubulusflüssigkeit die Osmolarität im absteigenden Schenkel laufend zu-
470
VI
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
nimmt und nach Passage des Schleifenscheitels im aufsteigenden Schenkel in gleichem Maße wieder abnimmt. Der in dieser Weise aufgebaute osmotische Längsgradient besteht nicht nur in der Henle-Schleife, sondern auch im gesamten Interstitium. Infolge des osmotischen Ausgleichs zwischen absteigendem Schleifenschenkel und Interstitium stellt sich in allen Flüssigkeitsräumen, die auf gleicher Höhe liegen, dieselbe Osmolarität ein. Eine Ausnahme hiervon bildet nur der aufsteigende Schleifenschenkel, in dem die osmotische Konzentration jeweils geringer ist als im umgebenden Interstitium. Wie aus ⊡ Abb. 13.16 hervorgeht, nimmt die Osmolarität in der interstitiellen Flüssigkeit von 0,3 osmol/l in der Rinde bis auf ca. 1,2 osmol/l in der Papillenspitze zu.
Beitrag des Harnstoffs zum Konzentrierungseffekt Zellen des unteren (medullären) Sammelrohrs verfügen über Harnstoffcarrier, wodurch Harnstoff ins Interstitium des Nierenmarks diffundieren kann und dort akkumuliert. Von hier gelangt Harnstoff über Carrier in den absteigenden dünnen Teil der Henle-Schleife und wird im weiteren Verlauf sehr stark konzentriert. In Anwesenheit von ADH kann er erst wieder im unteren Sammelrohr ins Interstitium diffundieren. Infolge dieser Rezirkulation besteht im inneren Mark eine hohe Harnstoffkonzentration, die einen osmotisch bedingten Wasserausstrom aus den dünnen Schleifenteilen bewirkt.
Harnkonzentrierung im Sammelrohr Die aus dem aufsteigenden Schleifenschenkel austretende hypotone Tubulusflüssigkeit wird im distalen Konvolut soweit konzentriert, dass ein isotoner Tubulusharn in das Sammelrohr eintritt (⊡ Abb. 13.16). Dieses wird wegen des vorausgegangenen Wasserentzugs nur langsam durchströmt. Das Sammelrohrepithel steht unter dem Einfluss von Adiuretin (ADH, Kap. 15.2.1). Das Hormon, das von der Blutseite her zu den Epithelzellen gelangt, steigert nach Bindung an basolaterale V2-Rezeptoren die Wasserpermeabilität. Dies geschieht auf folgendem Weg: In den Hauptzellen ist ein wasserkanalbildendes Glykoprotein (Aquaporin-2, Kap. 1.2.2) in Vesikeln gespeichert. Unter der Einwirkung von ADH wird Aquaporin-2 in die apikale Membran der Zellen eingebaut und damit deren Wasserpermeabilität erhöht. In der basolateralen Membran werden die Aquaporine 3 und 4 exprimiert, die den Wasseraustritt in das Interstititium vermitteln.
471 13.4 · Harnkonzentrierung und -verdünnung
13
Wenn unter diesen Bedingungen der Harn das Sammelrohr passiert, kann Wasser, dem osmotischen Gradienten folgend, in das hypertone Interstitium austreten. Unter starker ADH-Einwirkung nimmt dabei die Osmolarität des Harns die des passierten Interstitiums an. Bei maximaler Antidiurese erreicht die Osmolarität des Endharns Werte von 1,2–1,4 osmol/l, d. h. eine ca. 4fach höhere osmotische Konzentration als im Blutplasma. Die Dichte des Urins beträgt in diesem Fall 1,030–1,035 kg/l. Markdurchblutung und Harnkonzentrierung. Die Wirksamkeit der harnkonzentrierenden Mechanismen wird durch die Markdurchblutung mit beeinflusst. Über den relativ langsamen Blutstrom in den Vasa recta erfolgt der Abtransport der im Nierenmark resorbierten Substanzen. Wegen ihrer lang gestreckten, haarnadelförmigen Anordnung bilden die Vasa recta andererseits ein zweites Gegenstromsystem, das einen Teil der osmotisch wirkenden Substanzen in der Markzone zurückhält (⊡ Abb. 13.16). Wenn das Blut zur Papillenspitze strömt, diffundieren gelöste Substanzen aus dem Interstitium in den absteigenden Schenkel der Gefäßschleifen, während dem Blutplasma gleichzeitig Wasser entzogen wird. Dies führt zu einer Zunahme der Blutviskosität und damit zu einem Anstieg des Strömungswiderstands. Bei der Passage des Blutes durch den aufsteigenden Schenkel gelangt es in Bezirke abnehmender osmotischer Konzentration. Hier diffundiert ein Teil der aufgenommenen Substanzen in das Interstitium zurück, während Wasser in das Gefäßlumen einströmt. Da die rückdiffundierten Substanzen z. T. wieder in den absteigenden Gefäßschenkel gelangen, werden sie durch den Mechanismus der Gegenstromdiffusion im System zurückgehalten. Bei Zunahme der Markdurchblutung vermindert sich der Effekt der Gegenstromdiffusion, sodass mehr osmotisch wirksame Substanzen aus dem Nierenmark abtransportiert werden. Dies führt zu einer Abnahme des osmotischen Längsgradienten und damit zu einer geringeren Konzentrierung des Endharns sowie zu einer verstärkten Wasserausscheidung. Eine solche Durchblutungszunahme kann als Folge eines arteriellen Blutdruckanstiegs auftreten (Druckdiurese, Kap. 13.1.2 und Kap. 13.4.2). Auch Koffein und andere Xanthinderivate sowie Ethanol steigern die Markdurchblutung und bewirken auf diesem Weg eine gesteigerte Harnausscheidung.
13.4.2
Diurese
Merke
Unter Diurese versteht man alle renalen Funktionszustände, bei denen ein erhöhtes Urinzeitvolumen (V˙u > 1,5 l/Tag) ausgeschieden wird. Dabei unterscheidet man die Wasserdiurese, die osmotische Diurese und die Druckdiurese.
Wasserdiurese Nach starker Flüssigkeitsaufnahme kommt es, sofern keine erhebliche Schweißsekretion besteht, zur renalen Ausscheidung großer Volumina eines
472
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.17. Osmolarität der Tubulusflüssigkeit in den verschiedenen Abschnitten des Tubulus- und Sammelrohrsystems bei maximaler Antidiurese (ADH-Einwirkung) und maximaler Wasserdiurese (ADH-Abwesenheit)
verdünnten Harns. In diesem Fall ist die ADH-Freisetzung aus der Neurohypophyse reduziert oder vollständig gehemmt. Ohne ADH-Einwirkung sind die Sammelrohrepithelien für Wasser dagegen fast impermeabel, sodass die gesamte Flüssigkeit, die in das Sammelrohr eintritt (12–15 % des Ultrafiltrats), auch ausgeschieden wird. Die bereits am Ende der Henle-Schleife hypotone Tubulusflüssigkeit erfährt in diesem Fall bei der Passage durch das Sammelrohr keine Konzentrierung; vielmehr nimmt die osmotische Konzentration weiter ab (⊡ Abb. 13.17), weil Na+ durch die Hauptzellen resorbiert wird. Bei maximaler Wasserdiurese beträgt die Osmolarität des Endharns noch ca. 0,05 osmol/l, entsprechend einer Dichte von 1,003 kg/l.
Osmotische Diurese Diese Diureseform liegt vor, wenn die Rate der filtrierten Substanzen deren Resorptionsrate erheblich übersteigt. Mit den nicht resorbierten Substanzen wird aus osmotischen Gründen auch Wasser im Tubulusapparat zurückgehalten und dann zusätzlich ausgeschieden. Dies ist der Fall, wenn
13
473 13.5 · Niere als Bildungsstätte und Zielorgan
▬ bei Überschreitung der Schwellenkonzentration (z. B. für Glukose) die filtrierte Substanzrate die maximale tubuläre Resorptionsrate übersteigt, ▬ solche Stoffe (z. B. Mannit) ins Ultrafiltrat gelangen, die auf Grund fehlender Transportmechanismen nicht resorbiert werden können, oder ▬ bei therapeutischer Gabe von Diuretika (Saluretika) die tubuläre Elektrolytresorption gehemmt ist ( Kap. 13.3.1).
Druckdiurese Bei Zunahme des arteriellen Blutdrucks werden die nicht autoregulierten Gefäße des Nierenmarks verstärkt durchblutet. Dies führt zu einem vermehrten Abtransport gelöster Substanzen, wodurch der osmotische Längsgradient ( Kap. 13.4.1) reduziert wird. Damit ist auch der osmotische Antrieb für die Wasserresorption aus dem Sammelrohr vermindert. Trotz ADH-Einwirkung kommt es unter diesen Bedingungen zu einer gesteigerten Urinausscheidung.
13.5
Niere als Bildungsstätte und Zielorgan von Hormonen
In den Nieren werden einerseits Hormone gebildet oder metabolisiert, andererseits beeinflussen renal oder extrarenal freigesetzte Hormone die Nierenfunktion (⊡ Tabelle 13.3 u. 13.4). Die Wirkungen der Hormone bzw. die zugehörigen Regelkreise sind an anderer Stelle dargestellt, sodass hier auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann.
⊡ Tabelle 13.3. Hormone, die in den Nieren gebildet werden (Auswahl) Hormon
Hauptwirkungen
s. Kap.
Erythropoietin
Förderung der Erythropoiese
4.3.3
Renin
Förderung der Angiotensin-I-Bildung
14.3.2
Angiotensin II
Aldosteronfreisetzung, Vasokonstriktion, Durstempfindung
14.3.2
Kalzitriol
Ca2+- und Phosphat-Homöostase
15.8.3
Kinine
lokale Vasodilatation
15.10
Eikosanoide
Vasodilatation, Steigerung der Reninsekretion (PGE2, PGI2), Hemmung der ADH-Wirkung (PGE2), Vasokonstriktion (Thromboxan A2)
15.10
474
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
⊡ Tabelle 13.4. Extrarenal gebildete Hormone, die tubuläre Transportprozesse beeinflussen (Auswahl)
VI
Hormon
Hauptwirkungen
s. Kap.
Adiuretin (ADH)
Förderung der Wasserresorption
15.2.1
Aldosteron
Förderung der Na+-Resorption, Förderung der K+- und H+-Sekretion
15.4.2
2+
Parathormon (PTH)
Förderung der Ca -Resorption, Hemmung der Phosphatresorption
15.8.1
Kalzitonin
Hemmung der Ca2+- und Phosphatresorption
15.8.2
+
Atriopeptin
Hemmung der Na -Resorption
6.7.3
Kortisol
Stimulation der Na+-Resorption
15.4.1
Trijodthyronin (T3)
Aktivierung der Na+/K+-ATPase
15.3
13.6
Funktion der Harnblase und Miktion
13.6.1
Funktion der Harnblase
Die Harnblase dient als Reservoir für den von der Niere kontinuierlich ausgeschiedenen Urin. Ihr Fassungsvermögen beträgt beim Erwachsenen 0,6– 1,0 l. Bevor jedoch dieses Volumen erreicht wird, tritt schon bei einer Ansammlung von 150–300 ml Urin die Empfindung der Blasenfüllung auf. Mit beginnender Füllung steigt der Druck innerhalb der Blase zunächst etwas an, um bei weiterer Volumenzunahme weitgehend konstant zu bleiben. Bei stärkerer Füllung setzt dann die aktive Blasenentleerung ein, bevor der Druck weiter ansteigen kann. Die Blasenmuskulatur passt sich also dem jeweiligen Füllungszustand so an, dass ein weitgehend konstanter Blasentonus aufrechterhalten wird. Dieses Verhalten ist vor allem auf die viskös-elastischen Eigenschaften der glatten Blasenmuskulatur zurückzuführen. Nervale Einflüsse sind an der Erzeugung des Tonus kaum beteiligt.
13.6.2
Kontinenz und Miktion
Kontinenz Der Entleerungsmechanismus der Blase unterliegt der zentralen Kontrolle. Unter dem Einfluss hemmender Impulse aus dem Mittelhirn und vor allem
475 13.6 · Funktion der Harnblase und Miktion
13
aus der Hirnrinde kann der Miktionsreflex ( s. unten) unterdrückt werden. An dieser Hemmung, die von einem lateralen Kontinenzzentrum in der vorderen Brückenregion ausgeht, sind sympathische Fasern beteiligt, die vom Lumbalmark (L1–L3) ausgehen und im N. hypogastricus zur Blasenmuskulatur ziehen. Die Aktivierung der sympathischen Axone führt zu einer Erschlaffung des Detrusors und zu einer Tonussteigerung des inneren Sphinkters. Die Aufhebung der zentralen Hemmung löst bei entsprechender Blasenfüllung den Miktionsreflex aus. Merke
Die Blasenentleerung (Miktion) stellt einen willkürlich ausgelösten, danach reflektorisch ablaufenden Vorgang dar, an dem mehrere Teilprozesse beteiligt sind: Kontraktion des Detrusor vesicae (glatte Muskulatur der Blasenwand), Erweiterung der Harnröhre im Bereich des inneren Sphinkters durch die Kontraktion des Detrusor vesicae, Erschlaffung des äußeren Sphinkters der Harnröhre (quer gestreifte Muskulatur des Beckenbodens) und Kontraktion der Bauchmuskulatur, Fixierung des Zwerchfells.
Miktionsreflex ( ⊡ Abb. 13.18) Der Füllungszustand der Harnblase wird von Dehnungssensoren in der Wand registriert. Die afferenten Nervenimpulse laufen im N. splanchnicus pelvinus zum Sakralmark (S2–S4) und über Zwischenneurone zu übergeordneten Strukturen in der vorderen Brückenregion. Steigt das Füllungsvolumen über 150 ml an, so nimmt die Frequenz der afferenten Nervenimpulse zu; ab 300–500 ml wird die Empfindung des Harndrangs ausgelöst. Bei Fortfall von zentralen Hemmungsmechanismen ( s. oben) kommt es dann über einen Reflexbogen, der die vordere Brückenregion (mediales Miktionszentrum) durchläuft, zur Aktivierung von motorischen Neuronen im Sakralmark. Die efferenten Impulse gelangen hierbei über die parasympathischen Anteile des N. splanchnicus pelvinus zum Detrusormuskel (Kontraktion) und über den N. pudendus zum äußeren Sphinkter (Erschlaffung).
476
Kapitel 13 · Nierenfunktion und Miktion
VI
⊡ Abb. 13.18. Auslösung und Hemmung des Miktionsreflexes. Grün: afferente Bahn, rot: efferente parasympathische Aktivierungsbahn, blau: efferente sympathische Hemmungsbahn, gelb: spinaler Reflexbogenschluss, der nach Querschnittsläsion in Funktion tritt, schwarz: Willkürinnervation des äußeren Sphinkters
Miktionsstörungen bei Querschnittsläsion. Nach einer akuten Durchtrennung des Rückenmarks oberhalb des Sakralmarks kann im Stadium des spinalen Schocks zunächst keine reflektorische Entleerung mehr stattfinden (Miktionsstörung ). Erst nach einigen Wochen ist der Miktionsreflex wieder auslösbar. Der Reflexbogen verläuft jetzt – wie beim Säugling – über die spinalen Zentren im Sakralmark (»Reflexblase«). Bei Zerstörung von S2-S4 reagiert die Blase auf Dehnung der glatten Muskulatur mit häufigen Teilentleerungen ohne Einschaltung des spinalen Reflexweges (»autonome Blase«). Die Entleerungen erfolgen in diesem Fall unter Mitwirkung autonomer Ganglienzellen in der Blasenwand.
477 14.1 · Wasserhaushalt
14
14 Wasser-, Elektrolytund Säure-Basen-Haushalt 14.1
Wasserhaushalt
14.1.1
Wassergehalt des Körpers
Merke
Von allen Bestandteilen des Körpers hat das Wasser den größten Anteil. Beim Neugeborenen entfallen darauf etwa 75 %, beim erwachsenen Mann (je nach Körpergewicht und Alter) 50–70 % des Körpergewichts.
Bei Frauen ist der Wassergehalt des Organismus deutlich geringer als bei Männern, weil Fettgewebe, das nur 10–30 % Wasser enthält, bei Frauen meist relativ stärker ausgebildet ist. Bezieht man den Wassergehalt des Organismus auf die fettfreie Körpermasse, so ergibt sich für beide Geschlechter ein relativ konstanter Wasseranteil von 73 %. Der relative Wassergehalt verschiedener Organe und deren Anteile am Körpergewicht des Erwachsenen sind in ⊡ Tabelle 14.1 angegeben. ⊡ Tabelle 14.1. Durchschnittlicher relativer Wassergehalt einzelner Organe und deren durchschnittlicher Anteil am Körpergewicht für den Erwachsenen (Organ-)Gewebe
Wassergehalt (%)
Blut
83
Anteil am Körpergewicht (%) 7,5
Nieren
83
0,4
Herz
79
Skelettmuskulatur
76
Gehirn
75
2
Haut
72
18
Leber
68
2
Skelett
22
16
Fettgewebe
10–30
10
0,5 41
478
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
14.1.2
Wasserbilanz
Merke
Normalerweise besteht ein dynamisches Gleichgewicht zwischen der Wasseraufnahme und den Wasserverlusten des Organismus. Wie ⊡ Tabelle 14.2 zeigt, beträgt beim Erwachsenen unter den klimatischen Bedingungen und Ernährungsgewohnheiten in Mitteleuropa der mittlere tägliche Wasserumsatz 2,5 l.
VI
Die Wasserzufuhr erfolgt etwa zur Hälfte durch Trinken, zur anderen Hälfte durch Wasseraufnahme mit der Nahrung und Bildung von Oxidationswasser. Die Wasserabgabe findet überwiegend durch Harnproduktion in der Niere, zum geringeren Teil durch unmerkliche Wasserverdunstung (Perspiratio insensibilis, Kap. 9.3.1) über die Haut und die Atemluft statt. Ein kleiner Anteil wird weiterhin mit den Fäzes ausgeschieden. Unter Berücksichtigung einer Bilanzsumme von 2,5 l ergibt sich ein täglicher Wasserumsatz des Erwachsenen von etwa 3–4 % des Körpergewichts. Beim Säugling ist der relative Wasserumsatz erheblich größer (ca. 10 % des Körpergewichts), sodass es leicht zu Störungen der Wasserbilanz kommen kann. Die Bilanzsumme steigt bei Gewöhnung an exzessive Trinkmengen oder bei Wärmebelastung stark an. Bei Arbeiten in großer Hitze (z. B. in einer Gießerei) kann der Wasserverlust 1,6 l/Std. erreichen, wobei infolge der Schweißabgabe gleichzeitig ein erheblicher Kochsalzverlust eintritt, der durch zusätzliche Salzzufuhr ausgeglichen werden muss.
Der minimale Wasserbedarf des Erwachsenen beträgt ca. 1,5 l/Tag, weil der Verlust von 0,9 l/Tag durch Verdunstung unvermeidlich ist und die Niere für die Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen ein Harnvolumen von mindes⊡ Tabelle 14.2. Durchschnittliche tägliche Wasserbilanz des Erwachsenen Wasseraufnahme
(l)
Wasserabgabe
(l)
Trinken
1,3
Urin
1,5
mit der Nahrung
0,9
Lungen und Haut
0,9
Oxidationswassera
0,3
Fäzes
0,1
Bilanzsumme
2,5
a
Beim oxidativen Abbau entstehen
2,5 pro g Kohlenhydrat pro g Fett pro g Eiweiß
0,60 ml Wasser 1,09 ml Wasser 0,44 ml Wasser
479 14.1 · Wasserhaushalt
14
tens 0,6 l/Tag bilden muss. Für den Säugling ist der minimale Wasserbedarf mit 0,3 l/Tag anzusetzen.
14.1.3
Flüssigkeitsräume des Organismus
Einteilung der Flüssigkeitsräume Unter funktionellen Aspekten unterteilt man die Flüssigkeitsräume des Organismus in die Kompartimente der extrazellulären Flüssigkeit (ca. 17 l) und der intrazellulären Flüssigkeit (ca. 28 l, ⊡ Tabelle 14.3). Merke
Zur extrazellulären Flüssigkeit gehören die interstitielle Flüssigkeit (in den Spalträumen zwischen den Zellen, einschließlich Lymphe), das Blutplasma und die transzellulären Flüssigkeiten (Liquor cerebrospinalis, Drüsensekrete, Flüssigkeiten in den Körperhöhlen, Kammerwasser des Auges, Synovialflüssigkeit in den Gelenken). Die intrazelluläre Flüssigkeit umfasst die Flüssigkeiten in den Gewebe- und Blutzellen.
Bestimmung der Flüssigkeitsvolumina. Das Volumen der einzelnen Flüssigkeitsräume kann auf direktem Wege mit Hilfe der Indikatorverdünnungsmethode bestimmt werden. Hierzu verwendet man Substanzen, die sich in dem zu bestimmenden Raum gleichmäßig verteilen, d. h. deren Verteilungsvolumen dem jeweiligen Flüssigkeitsraum entspricht. Die nichttoxischen Indikatorsubstanzen müssen nach Erreichen des Verteilungsgleichgewichts im Verteilungsraum in der gleichen Konzentration wie im Blutplasma vorliegen; sie dürfen darüber hinaus im Stoffwechsel weder synthetisiert noch abgebaut werden.
⊡ Tabelle 14.3. Durchschnittlicher Flüssigkeitsgehalt der Kompartimente beim jüngeren Erwachsenen (70 kg) in Absolutwerten (l) und in (gerundeten) prozentualen Anteilen am Körpergewicht Volumen (l)
% des Körpergewichts
Extrazelluläre Flüssigkeit Interstitielle Flüssigkeit Blutplasma Transzelluläre Flüssigkeit
17
24
Intrazelluläre Flüssigkeit Gewebezellenflüssigkeit Blutzellenflüssigkeit
28
Gesamtkörperflüssigkeit
45
17 4 3
12 3 2 40 25,5 2,5
36,5 3,5 64
480
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
Zur Durchführung des Indikatorverdünnungsverfahrens appliziert man zunächst eine bestimmte Indikatormenge M intravenös. Nach gleichmäßiger Verteilung der Testsubstanz in dem zu bestimmenden Flüssigkeitsvolumen V wird ihre Konzentration C im Blutplasma ermittelt. Auf Grund der Massenbilanz errechnet sich dann das Verteilungsvolumen V aus: V = M/C
VI
(14.1)
Zur Bestimmung des Gesamtkörperwassers benutzt man Substanzen, die durch Zellmembranen diffundieren können. Solche Indikatoren sind Antipyrin, schweres Wasser (D2O) und mit Tritium oder 18 O markiertes Wasser. Die Größe des Extrazellularraums wird mit Substanzen ermittelt, welche die Kapillarwände passieren, Zellmembranen aber nicht durchdringen können. Diese Bedingungen erfüllen z. B. Inulin, Mannitol, Thiosulfat, Thiocyanat und radioaktiv markiertes Sulfat. Die mit diesen Substanzen bestimmten Verteilungsräume sind nicht völlig identisch, weshalb man korrekterweise das ermittelte Volumen als Inulinraum, Sulfatraum usw. kennzeichnet. Die Bestimmung des Plasmavolumens wurde bereits in Kap. 4.1.1 erläutert. Das intrazelluläre und das interstitielle Flüssigkeitsvolumen können nicht direkt gemessen werden. Beide Teilvolumina lassen sich jedoch anhand von experimentell ermittelten Verteilungsräumen errechnen: Das intrazelluläre Volumen ergibt sich aus der Differenz zwischen Gesamtkörperwasser und extrazellulärem Flüssigkeitsvolumen, das interstitielle Volumen aus der Differenz zwischen Extrazellularvolumen und Plasmavolumen.
14.2
Elektrolytverteilung in den Körperflüssigkeiten
Elektrolytkonzentrationen Die verschiedenen Flüssigkeitsräume weisen jeweils eine charakteristische Verteilung der Kationen und Anionen auf. In ⊡ Tabelle 14.4 sind die Ionenkonzentrationen für das Blutplasma sowie für die interstitielle und die intrazelluläre Flüssigkeit angegeben. Die molaren Konzentrationen (mmol/l) verdeutlichen die osmotischen Verhältnisse, die Äquivalentkonzentrationen (mval/l = Wertigkeit · mmol/l) die Ladungsverteilungen. Man erkennt, dass in allen Flüssigkeitsräumen die Summe der Äquivalentkonzentrationen der Kationen gleich der der Anionen ist, d. h. ein Ladungsgleichgewicht (Elektroneutralität) besteht. Dies veranschaulicht auch ⊡ Abb. 14.1, in der die Ionenverteilungen in Form von Säulendiagrammen (Ionogrammen) dargestellt sind.
Blutplasma Im Blutplasma entfällt der größte Konzentrationsanteil in der Kationengruppe auf Na+, in der Anionengruppe auf Cl–. Aber auch Bikarbonat (Hydrogenkarbonat) und Proteinat liefern noch erhebliche Beiträge zur Anionenkonzentration. Es fällt auf, dass die molare Gesamtkonzentration der Anionen
14
481 14.2 · Elektrolytverteilung in den Körperflüssigkeiten
⊡ Tabelle 14.4. Ionenkonzentrationen in Körperflüssigkeiten. Konzentrationsangaben (gerundete Mittelwerte) für das Blutplasma und die interstitielle Flüssigkeit in mmol/l bzw. mval/l, für die intrazelluläre Flüssigkeit (Skelettmuskel, z. T. geschätzt) in mmol/kg Zellwasser bzw. mval/kg Zellwasser Blutplasma
Interstitielle Flüssigkeit
Intrazelluläre Flüssigkeit
mmol/l
mval/l
mmol/l
mval/l
mmol/kg
mval/kg
Kationen Na+ K+ Ca2+ Mg2+
142 4 2,5 1
142 4 5 2
144 4 1,3 0,7
144 4 2,5 1,5
12 150 1b 13b
12 150 2 26
Summe
149,5
153
150
152
176
190
Anionen Cl– HCO3– HPO42–/H2PO4– Proteinate Sonstigea
104 24c 1,5 1,5 6
104 24 2,5 16 6,5
115 27 1,5 ≈ 0d 6,5
115 27 2,5 ≈ 0,5 7
4 12 30 6 65
4 12 50 54 70
Summe
137
153
150
152
117
190
a b
c d
Anionen der organischen Säuren und der Schwefelsäure Ca2+- bzw. Mg2+-Gesamtkonzentration (die Konzentration des freien Ca2+ ist < 0,001 mmol/l und die des freien Mg2+ ca. 1,5 mmol/l) im arteriellen Blutplasma sehr kleine interstitielle Proteinkonzentration, variierend in den verschiedenen Geweben
kleiner ist als die der Kationen. Dieser Tatbestand wird auch als diagnostisches Kriterium genutzt. Vereinfachend definiert man als Anionenlücke die Konzentrationsdifferenz zwischen Na+ und (Cl– + HCO3–). Diese Differenz soll im venösen Blut mit einer etwas höheren Bikarbonatkonzentration (25–27 mmol/l) normalerweise 12–14 mmol/l betragen und kann bei SäureBasen-Störungen ( Kap. 14.5.4) abweichende Werte aufweisen. Die Summe aller Kationen- und Anionenkonzentrationen beträgt (nach ⊡ Tabelle 14.4) 286 mmol/l. Addiert man hierzu noch die Konzentrationen der Nichtelektrolyte des Plasmas (ca. 15 mmol/l), so ergibt sich eine Gesamtkonzentration aller osmotisch wirksamen Teilchen von ca. 301 mosmol/l. Tatsächlich findet man jedoch eine etwas kleinere Osmolarität von ca. 270 mosmol/l und eine entsprechende Osmolalität ( Kap. 4.2.1) von ca. 290 mosmol/kg Plasmawasser, da ein Teil der Elektrolyte an Eiweiß gebunden ist oder in undissoziierter Form vorliegt.
482
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
VI
⊡ Abb. 14.1. Ionenverteilungen im Blutplasma, in der interstitiellen und in der intrazellulären Flüssigkeit (Konzentrationen in mval/l bzw. mval/kg Zellwasser). Man beachte die Erläuterungen a–d in ⊡ Tabelle 14.4
Merke
Die Osmolalität des Blutplasmas beträgt also knapp 0,3 osmol/kg. Dies entspricht einer Gefrierpunktserniedrigung um 0,56 °C. Im Idealfall einer teilchenundurchlässigen Porenmembran, der allerdings für Zellmembranen nicht zutrifft, wäre bei 37 °C der zugeordnete osmotische Druck 7,6 atm.
Interstitielle Flüssigkeit Die interstitielle Flüssigkeit hat eine ähnliche Zusammensetzung wie das Blutplasma. Ein Unterschied besteht darin, dass im Interstitium – wegen der geringen Durchlässigkeit der Kapillarwände für Eiweiße – nur eine kleine Proteinkonzentration vorliegt.
483 14.3 · Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts
14
Die sonstigen kleinen Unterschiede ergeben sich aus 3 Gründen: Maßgebend für den Ionenaustausch zwischen Plasma und Interstitium sind die Konzentrationen im Plasmawasser, d. h. die Osmolalitäten. Diese liegen um ca. 7 % höher als die (auf das Gesamtplasma bezogenen) Osmolaritäten. Entsprechend höher sind die molaren Konzentrationswerte für die interstitielle Flüssigkeit. Die DONNAN-Verteilung ( Kap. 1.4.2) bewirkt, dass im Interstitium die Konzentrationen der einwertigen Kationen um 5 % und die der zweiwertigen Kationen um 10 % niedriger sind als im Blutplasma. Bei den Anionen erhöhen sich dagegen die Konzentrationen im Interstitium gegenüber dem Plasma in gleichem Maße. Ca2+ und Mg2+ sind im Blutplasma z. T. an Proteine gebunden. Nur die diffusiblen Anteile, d. h. die freien und komplex gebundenen zweiwertigen Kationen, gelangen in das Interstitium, sodass hier kleinere Ca2+- und Mg2+-Konzentrationen vorliegen als im Plasma.
Intrazelluläre Flüssigkeit Die ionale Zusammensetzung der intrazellulären Flüssigkeit unterscheidet sich grundlegend von der der extrazellulären Flüssigkeit. In der Zelle dominieren auf der Kationenseite die K+-Ionen, auf der Anionenseite nimmt Phosphat weitgehend die Stelle von Chlorid ein. Diese prinzipielle Verteilung findet man in allen Zellen; im übrigen weisen jedoch die (auf das Zellwasser bezogenen) Ionenkonzentrationen zwischen den verschiedenen Organen und Geweben teilweise beträchtliche Unterschiede auf. Die in ⊡ Tabelle 14.4 und ⊡ Abb. 14.1 angegebene Elektrolytverteilung bezieht sich auf den Skelettmuskel, wobei jedoch nicht alle Konzentrationswerte genau bekannt sind. Die grundlegenden Unterschiede zwischen Zelle und Außenmedium, die vor allem hinsichtlich der K+- und Na+-Konzentrationen bestehen, sind eine wesentliche Voraussetzung für viele Lebensprozesse (z. B. die Erregbarkeit von Nerven- und Muskelzellen). Aufrechterhalten werden die Konzentrationsunterschiede für K+ und Na+ durch die membranständige Na+/K+ATPase ( Kap. 1.2.2).
14.3
Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts
Für die Funktionsfähigkeit der Organe und Gewebe ist es von entscheidender Bedeutung, dass innerhalb und außerhalb der Zellen die Flüssigkeitsvolumina und Elektrolytkonzentrationen konstant gehalten werden. An der Kontrolle dieser Größen sind mehrere hormonale Regelsysteme beteiligt, die sich z. T. in ihrer Wirkung ergänzen.
484
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
14.3.1
Osmoregulation
Merke
Eine wesentliche Regelgröße der Wasser- und Elektrolyt-Homöostase ist die osmotische Gesamtkonzentration (Osmolarität) in der extrazellulären Flüssigkeit. Stellglieder des entsprechenden Regelkreises sind die durstinduzierte Flüssigkeitsaufnahme und die ADH-gesteuerte Wasserausscheidung durch die Nieren (⊡ Abb. 14.2).
VI
Osmosensoren und Durst Im vorderen Hypothalamus finden sich in zirkumventrikulären Organen Neuronenpopulationen, welche die Durstempfindung auslösen und damit das Trinkverhalten steuern. Die in diesem Gebiet lokalisierten Osmosensoren reagieren sehr empfindlich auf Änderungen der Osmolarität im Blutplasma.
Blutdruckabfall
⊡ Abb. 14.2. Synopsis der Regeleinrichtungen für die Kontrolle von Osmolarität und Volumen des Blutes und der extrazellulären Flüssigkeit (EZF). NS = Nucl. supraopticus
485 14.3 · Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts
14
Bereits Abweichungen um 1 % vom Normwert können die Stellglieder des Regelkreises (Wasseraufnahme bzw. -ausscheidung) beeinflussen. Insbesondere führt ein Anstieg der Plasma-Osmolarität über eine Zellschrumpfung zur Durstempfindung (hyperosmotischem Durst), wodurch die Flüssigkeitsaufnahme verstärkt und damit die zunächst erhöhte Osmolarität wieder vermindert wird. Auch Angiotensin II kann die Durstempfindung auslösen.
Kontrolle der Wasserausscheidung Von den Neuronen im vorderen Hypothalamus wird auch die renale Wasserausscheidung kontrolliert. Regelgröße ist wieder die Osmolarität des Blutplasmas. Die von den Osmosensoren registrierten Veränderungen beeinflussen die Bildung und Freisetzung von Adiuretin (ADH, Kap. 15.2.1) und damit die Wasserausscheidung durch die Nieren ( Kap. 13.4.1). Steigt die Plasma-Osmolarität an, so wird vermehrt ADH freigesetzt und infolgedessen die Wasserresorption in den Sammelrohren verstärkt. Die resultierende Wasserretention wirkt einem weiteren Anstieg der Osmolarität entgegen. Umgekehrt kommt es bei einer Abnahme der Osmolarität zu einer Zellschwellung und in Folge zu einer Hemmung der ADH-Freisetzung und damit zu einer Wasserdiurese.
14.3.2
Regulation des Extrazellularvolumens
Merke
Die Kontrolle des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens ist mit der Osmoregulation eng verknüpft. An der Volumenregulation sind vor allem das Adiuretin-System und das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System beteiligt (⊡ Abb. 14.2).
Volumensensoren und Volumenregulation Änderungen des zentralen Blutvolumens werden von den (in den Herzvorhöfen und herznahen Venen lokalisierten) Volumensensoren (Dehnungssensoren, Kap. 6.7.1) registriert, deren Impulse zum hypothalamischen Regelzentrum für den Wasserhaushalt gelangen. Hierüber wird sowohl die Flüssigkeitsaufnahme als auch die Wasserausscheidung kontrolliert. Eine Abnahme des zentralen Blutvolumens (z. B. nach Blutverlust) führt einerseits
486
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
zur Steigerung der Durstempfindung (hypovolämischer Durst) und damit zur Volumenauffüllung durch Flüssigkeitsaufnahme. Andererseits kommt es zu einer verstärkten ADH-Freisetzung, sodass die Urinausscheidung eingeschränkt wird. Eine Zunahme des zentralen Blutvolumens (z. B. nach exzessiver Flüssigkeitsaufnahme oder großer Blut- bzw. Plasmainfusion) führt zur Hemmung der ADH-Sekretion und damit zu einer Wasserdiurese (GauerHenry-Reflex, Kap. 5.2.3).
VI
Der arterielle Blutdruck beeinflusst ebenfalls die renale Wasserausscheidung. Ein von den Pressosensoren ( Kap. 6.7.1) registrierter Blutdruckabfall löst über das hypothalamische Zentrum eine verstärkte ADH-Freisetzung aus, die eine Wasserretention zur Folge hat. Ein Blutdruckanstieg führt bereits wegen der gesteigerten Nierenmarkdurchblutung, d. h. ohne Einschaltung des Kontrollzentrums, zu einer vermehrten Urinausscheidung (Druckdiurese, Kap. 13.4.2).
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System Das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit hängt in starkem Maße von ihrer Na+-Konzentration ab. Daher ist die Volumenregulation an die Kontrolle der Na+-Homöostase gekoppelt, die vor allem über das Renin-AngiotensinAldosteron-System erfolgt (⊡ Abb. 14.2). Hyponatriämie, Hypovolämie, Blutdruckabfall und erhöhte (β1-adrenerg-vermittelte) Sympathikusaktivität bewirken eine verstärkte Freisetzung von Renin ( Kap. 13.1.2) aus den Epitheloidzellen der Vasa afferentia. Renin ist eine Protease, die aus Angiotensinogen, einem in der Leber gebildeten α2-Globulin, das Dekapeptid Angiotensin I abspaltet. Dieses wird durch das im Blut, vor allem aber in der Lunge vorkommende Angiotensin-Konversionsenzym (Angiotensin Converting Enzyme) in Angiotensin II ( Kap. 13.1.2) umgewandelt, das u. a. die Freisetzung von Aldosteron aus der Nebennierenrinde stimuliert. Hier fördern außerdem Hyperkaliämie und u. U. auch Hyponatriämie unmittelbar die Aldosteron-Abgabe. Angiotensin II steigert die Durstempfindung, Aldosteron vermindert die renale Na+- und Wasser-Ausscheidung ( Kap. 13.3.1). Insgesamt kommt es also zum Anstieg der extrazellulären Na+-Konzentration und (sofern ausreichend Flüssigkeit aufgenommen wird) zur Zunahme des extrazellulären Volumens. Atriopeptin (ANF, Kap. 6.7.3), das bei Vorhofdehnung, also bei verstärktem venösen Angebot freigesetzt wird, hat einen gegenteiligen Effekt.
487 14.3 · Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts
14.3.3
14
Kontrolle der Isoionie
Für die Funktionsfähigkeit der Organe und Gewebe ist es von entscheidender Bedeutung, dass innerhalb und außerhalb der Zellen die Konzentrationen der einzelnen Ionen in einem bestimmten Verhältnis zueinander konstant gehalten werden (Isoionie).
Natrium und Chlorid Die Zufuhr dieser Ionen (hauptsächlich in Form von Kochsalz) unterliegt erheblichen inter- und intraindividuellen Schwankungen. In Abhängigkeit von den Ernährungsgewohnheiten werden von Erwachsenen täglich 2–8 g (90–350 mmol) Na+ und 2,5–10 g (70–280 mmol) Cl– aufgenommen und ausgeschieden (empfohlene Aufnahme: maximal 0,1 g/kg NaCl). Trotz variierender Zufuhr bleiben die extrazellulären Na+- und Cl–-Konzentrationen weitgehend unverändert. Dies ist für den Organismus von besonderer Bedeutung, weil vor allem diese Ionen das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit bestimmen. Die Regulation erfolgt über die renale Na+-Ausscheidung, vermittelt durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und Atriopeptin ( s. oben). Eng damit verbunden ist die kontrollierte Cl–-Ausscheidung, die jedoch durch den jeweiligen Säure-Basen-Status beeinflusst wird, weil an der Cl–-Resorption in den Sammelrohren ein HCO3–/Cl–-Antiporter beteiligt ist.
Kalium Die tägliche Aufnahme von Kalium, das Hauptkation des Intrazellularraums, beträgt beim Erwachsenen 2–5 g (50–125 mmol). K+-Ionen bestimmen wesentlich die Elektroneutralität und die Osmolarität im Inneren der Zellen, beeinflussen Enzymaktivitäten und schaffen die Voraussetzung für die Erregbarkeit der Nerven- und Muskelzellen. Die Kontrolle der extrazellulären K+Konzentration erfolgt über die renale Ausscheidung unter Mitwirkung von Aldosteron, wobei die Ausscheidungsrate dem Angebot zweckmäßig angepasst wird ( Kap. 13.3.1). Für die Aufrechterhaltung der K+-Konzentration im Zellinneren, die etwa 30 mal höher ist als die im extrazellulären Raum, sorgt die membranständige Na+/K+-ATPase.
Kalzium und Phosphat Für den Erwachsenen beträgt der tägliche Bedarf an Kalzium ca. 0,8–1,0 g (20–25 mmol) und an anorganischem Phosphat ca. 1 g (33 mmol). Gemein-
488
VI
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
sam sind beide am Aufbau des Knochens und der Zähne beteiligt. Ca2+ hat darüber hinaus wichtige Aufgaben bei der Steuerung zellulärer Funktionen. Es dient als Second Messenger bei der intrazellulären Signalübertragung ( Kap. 2.2.1) und vermittelt die elektromechanische Kopplung in Muskelzellen ( Kap. 5.2.1). Es steuert die Exozytose von Sekreten, Transmittern und Hormonen und ist an der Blutgerinnung ( Kap. 4.9.3) beteiligt. Ferner beeinflusst die Konzentration der freien Ca2+-Ionen in der extrazellulären Flüssigkeit die Erregbarkeit von Neuronen und Muskelzellen. An der Kontrolle der Ca2+-Phosphat-Homöostase ( Kap. 15.8) sind Parathormon, Kalzitriol und in geringerem Maße Kalzitonin beteiligt.
Magnesium Die Magnesiumbilanz des Erwachsenen ist bei einer täglichen Zufuhr von etwa 0,3 g (12 mmol) ausgeglichen. Mg2+-Ionen beeinflussen in den Zellen eine Vielzahl enzymatisch gesteuerter Reaktionen. Außerdem dämpfen sie die neuromuskuläre Erregbarkeit und hemmen in hoher Konzentration die Freisetzung von einigen Hormonen sowie des Transmitters Azetylcholin an der motorischen Endplatte. Von den mit der Nahrung zugeführten Mg2+Ionen werden im Intestinaltrakt durchschnittlich nur 30 % resorbiert, wobei verschiedene Hormone die Anpassung an den Bedarf regeln. An der Mg2+Homöostase ist insbesondere Parathormon beteiligt, das sowohl die enterale als auch die tubuläre Mg2+-Resorption fördert.
14.4
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts können verschiedene Körperfunktionen erheblich beeinträchtigen und u. U. sogar den Tod zur Folge haben. Merke
Eine negative Wasserbilanz führt zu einer Dehydratation (Wasserdefizit, Volumenverlust), eine positive Wasserbilanz zu einer Hyperhydratation (Wasserüberschuss, Volumenzunahme) des Organismus. Dabei entscheidet die jeweils vorliegende extrazelluläre Osmolarität darüber, ob die Störungen ▼
489 14.4 · Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
14
des Wassergleichgewichts auf den Extrazellularraum beschränkt bleiben oder sich auch auf den Intrazellularraum auswirken. Man unterscheidet isoosmolare, hyperosmolare und hypoosmolare Hydratationsstörungen.
Primäre Hydratationsstörungen Als Folge eines Wassermangels kommt es zunächst zur Abnahme des Extrazellularvolumens und in Verbindung damit zum Anstieg der extrazellulären Osmolarität (hyperosmolare Dehydratation, ⊡ Tabelle 14.5). Dadurch wird dann – osmotisch bedingt – dem Intrazellularraum Wasser entzogen, sodass schließlich beide Flüssigkeitsräume eingeschränkt sind. Häufigste Ursache ist eine reduzierte Wasseraufnahme bei verminderter Durstempfindung, insbesondere bei Schwerkranken und bei alten Menschen. Auch Säuglinge sind stärker gefährdet, weil sie einen relativ hohen Wasserbedarf haben. Ein Wasserdefizit kann auch durch eine gesteigerte renale Ausscheidung bei Diabetes insipidus oder osmotischer Diurese (z. B. Glukosurie bei Diabetes mellitus), aber auch durch extrarenalen Flüssigkeitsverlust (Schwitzen bei körperlicher ⊡ Tabelle 14.5. Hydratations- und Osmolaritätsstörungen. Auswirkung auf die extrazelluläre Osmolarität (Osmol.), das Extrazellularvolumen (EZV) und das Intrazellularvolumen (IZV) sowie deren Ursachen (↑ = Zunahme, ↓ = Abnahme, n = normal) Osmol.
EZV
IZV
Ursachen (Auswahl)
Wassermangel hyperosmolare Dehydratation
↑
↓
↓
reduz. Wasseraufnahme, osmotische Diurese, Schwitzen (Arbeit, Fieber)
Wasserüberschuss hypoosmolare Hyperhydratation
↓
↑
↑
erhöhte Wasseraufnahme, reduzierte GFR, ADH-Überfunktion
Na+-Mangel hypoosmolare Dehydratation
↓
↓
↑→n
reduz. NaCl-Aufnahme, Aldosteronmangel, Saluretikaabusus
Na+-Überschuss hyperosmolare Hyperhydratation
↑
↑
↓→n
erhöhte NaCl-Aufnahme, Infusion hyperosmolarer NaCl-Lösungen, Aldosteronüberschuss
Wasser- und Na+-Mangel isoosmolare Dehydratation
n
↓
n
Blutverlust, Diarrhö, Ergüsse in Körperhöhlen, Saluretikaabusus
Wasser- und Na+-Überschuss isoosmolare Hyperhydratation
n
↑
n
Infusion isoosmolarer NaCl-Lösungen, Hypervolämie bei Schwangeren
490
VI
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
Arbeit und Fieber) entstehen, wobei die Durstempfindung zunimmt (Durstexsikkose). Wird das Defizit nicht durch Trinken gedeckt, so tritt bei einem Wasserverlust von mehr als 20 % des Körperwassers Fieber (Durstfieber) auf. Weitere Symptome sind Unruhe, Verwirrtheit und Koma. Bei Verlust von mehr als 40 % des Körperwassers tritt der Tod ein. Bei einem Wasserüberschuss (Wasserintoxikation) führt die primäre Zunahme des Extrazellularvolumens zu einer Abnahme der extrazellulären Osmolarität (hypoosmolare Hyperhydratation). Auf Grund des osmotischen Gradienten kommt es dann zu einem Wassereinstrom in die Zellen. Die hypoosmolare Hyperhydratation ist also durch eine Vergrößerung beider Flüssigkeitsräume gekennzeichnet. Eine solche Störung kann durch die übermäßige Aufnahme elektrolytfreier Flüssigkeit verursacht werden. Den gleichen Effekt hat die Zufuhr großer Volumina einer isoosmolaren Glukoselösung, weil Glukose schnell metabolisiert wird und damit ihre osmotische Wirksamkeit verliert. Normalerweise wird jedoch ein Wasserüberschuss kurzfristig durch die Nieren ausgeschieden. Voraussetzung für eine längerdauernde hypoosmolare Hyperhydratation ist also das Bestehen einer renalen Ausscheidungsstörung (z. B. bei Abnahme der glomerulären Filtrationsrate oder bei inadäquater, d. h. bei verstärkter ADH-Sekretion). Symptome einer Hyperhydratation sind periphere Ödeme, Zeichen eines Blutstaus in der Lunge sowie u. U. eine Blutdruckerhöhung.
Primäre Osmolaritätsstörungen Bei einem Na+-Mangel ist die extrazelluläre Osmolarität vermindert. Aus osmotischen Gründen kommt es zunächst zu einer Wasserverlagerung aus dem Interstitium in die Zellen, die nach einer gewissen Zeit durch zelluläre Mechanismen teilweise rückgängig gemacht wird. Das Extrazellularvolumen bleibt jedoch reduziert (hypoosmolare Dehydratation). Eine solche Störung kann durch ungenügende NaCl-Aufnahme verursacht werden. Aber auch renale Na+-Verluste (bei Aldosteronmangel oder bei chronischem Gebrauch von Saluretika) und extrarenale Na+-Verluste (bei Erbrechen, Durchfall oder Schwitzen) können zu einer hypoosmolaren Dehydratation führen. Im Vordergrund der Symptome stehen die durch Hypovolämie bedingten kardiovaskulären Störungen (Tachykardie, Blutdruckabfall) und hypovolämischer Durst; im Extremfall kommt es zur Bewusstseinstrübung und zum Koma. Die Mangelsituation lässt sich jedoch durch Kochsalzzufuhr leicht beseitigen.
491 14.4 · Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
14
Bei einem Na+-Überschuss kommt es infolge der erhöhten extrazellulären Osmolarität zunächst zu einer Wasserverlagerung aus den Zellen in den extrazellulären Raum. Trotz zellulärer Mechanismen, die dieser Verlagerung entgegenwirken, bleibt eine Vergrößerung des Extrazellularvolumens bestehen (hyperosmolare Hyperhydratation). Ursachen hierfür sind u. a. eine vermehrte NaCl-Aufnahme, die Infusion großer Volumina hyperosmolarer NaCl-Lösung sowie eine Überproduktion von Aldosteron.
Isoosmolare Hydratationsstörungen Der Verlust oder die Zufuhr isoosmolarer Flüssigkeit führt lediglich zu einer Veränderung des Extrazellularvolumens, während das Intrazellularvolumen infolge des unveränderten osmotischen Gradienten konstant bleibt. Bei Wasserverlust, der mit einem Na+-Verlust verbunden ist, kommt es also nur zur Abnahme des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens (isoosmolare Dehydratation). Ein solcher Zustand wird u. a. verursacht durch Blutverlust, durch lang dauerndes starkes Erbrechen und durch Saluretikaabusus. Aber auch Flüssigkeitsverluste »nach innen«, wie z. B. innere Blutung, Ergüsse in die Körperhöhlen und Plasmaaustritt bei großflächigen Verbrennungen, können zu einer isoosmolaren Dehydratation führen. In allen diesen Fällen besteht eine Hypovolämie, die zu kardiovaskulären Störungen (Tachykardie, Blutdruckabfall) und bei schnellem Eintritt zum Volumenmangelschock ( Kap. 6.8.2) führen kann. In leichteren Fällen lässt sich die Störung durch Flüssigkeits- und Kochsalzaufnahme beseitigen. Ein gleichzeitiger Wasser- und Na+-Überschuss hat eine Zunahme des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens zur Folge (isoosmolare Hyperhydratation). Ein solcher Zustand kann bei Infusion großer Volumina isoosmolarer NaCl-Lösung und vor allem bei Krankheiten mit generalisierter Ödembildung ( Kap. 6.3.2) eintreten. Die Normalisierung erfolgt durch NaCl-Diurese bei gleichzeitiger Beschränkung der Flüssigkeits- und Salzaufnahme.
Störungen des Elektrolythaushalts Elektrolytstörungen werden in der Regel durch Ermittlung der Ionenkonzentrationen im Blutplasma nachgewiesen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Plasmakonzentrationen noch normal sein können, wenn die Gewebekonzentrationen bereits verändert sind. Wichtige Störungen des Elektrolythaushalts mit ihren Ursachen und Folgen sind in ⊡ Tabelle 14.6 zusammengefasst.
492
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
⊡ Tabelle 14.6. Ursachen und Folgen wichtiger Störungen des Elektrolythaushalts
VI
Störung
Plasmakonzentration
Ursachen (Auswahl)
Folgen (Auswahl)
Hyponatriämie
[Na+] < 135 mmol/l
Aldosteronmangel (Na+-Verlust) Adiuretinüberproduktion (H2O-Retention)
hypoosmolare Dehydratation hypoosmolare Hyperhydratation
Hypernatriämie
[Na+] > 145 mmol/l
Diabetes insipidus (H2O-Verlust) Zufuhr hypertoner NaCl-Lösungen
hyperosmolare Dehydratation hyperosmolare Hyperhydratation
Hypokaliämie
[K+] < 3,5 mmol/l
Aldosteronüberproduktion (renaler K+-Verlust), intestinaler K+-Verlust
Muskelschwäche, Störungen der Herzerregung
Hyperkaliämie
[K+] > 5,5 mmol/l
Aldosteronmangel, Nierenversagen (Oligurie), Azidose
Störungen der neuronalen Erregbarkeit u. der Herzfunktion
Hypokalzämie
[Ca2+] < 2,0 mmol/l
Parathormonmangel, Kalzitriolmangel (vermind. intestinale Ca2+-Absorption)
Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit, Krämpfe (Tetanie)
Hyperkalzämie
[Ca2+] > 2,7 mmol/l
Parathormonüberproduktion, Vitamin-D3-Überdosierung
Herzrhythmusstörungen, Nierensteinbildung
14.5
Säure-Basen-Haushalt
14.5.1
Grundlagen
Säuren und Basen Nach der Definition von Brønsted und Lowry sind Säuren solche Substanzen, die in Lösungen Wasserstoffionen abgeben (Protonen-Donatoren), und Basen Substanzen, die Wasserstoffionen binden (Protonen-Akzeptoren). Danach ist in der Dissoziationsreaktion HA H+ + A–
(14.2)
HA eine Säure (Reaktionsablauf von links nach rechts). Unter geeigneten Bedingungen kann aber auch das Anion A– Wasserstoffionen binden, d. h. die Reaktion in entgegengesetzter Richtung ablaufen. In diesem Fall wäre A– definitionsgemäß eine Base. Sie wird als korrespondierende Base be-
14
493 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
zeichnet. Zwischen Dissoziation und Assoziation besteht ein Gleichgewicht, das dem Massenwirkungsgesetz folgt. Bei einer starken Säure, z. B. bei HCl, ist dieses Gleichgewicht sehr stark auf die rechte Seite der Gl. (14.2) verlagert, bei einer schwachen Säure hingegen kann nach Maßgabe der Gleichgewichtskonstanten eine unvollständige Dissoziation vorliegen. Daher haben schwache Säuren unter bestimmten Bedingungen eine Pufferwirkung ( Kap. 14.5.2).
Flüchtige und nichtflüchtige Säuren Unter den Säuren, die als Endprodukte des Zellstoffwechsels auftreten, steht die Kohlensäure (H2CO3) mengenmäßig an erster Stelle. Sie wird durch Hydratisierung von CO2 gebildet, in überwiegend dissoziierter Form zur Lunge transportiert und dort nach Dehydratisierung in Form von CO2 eliminiert. Da das flüchtige Anhydrid der Kohlensäure im gasförmigen Zustand ausgeschieden werden kann, bezeichnet man sie als flüchtige Säure. Daneben entstehen im Zellstoffwechsel auch Säuren, die nur in gelöster Form mit dem Urin zur Ausscheidung gelangen, wie z. B. Schwefelsäure, Phosphorsäure, Milchsäure (als Endprodukt des anaeroben Glukoseabbaus), Azetessigsäure und β-Hydroxybuttersäure (bei entgleistem Diabetes mellitus). Diese werden unter der Bezeichnung nichtflüchtige oder fixe Säuren zusammengefasst.
pH-Wert des Blutes Merke
Als Maß für die H+-Konzentration in einer Lösung dient der pH-Wert. Er ist definiert als der negative dekadische Logarithmus der molaren H+-Konzentration bzw. H+-Aktivität: pH = –log [H+]
(14.3)
Einem pH-Wert von 7, der eine neutrale Reaktion kennzeichnet, entspricht somit eine H+-Konzentration von [H+] = 10–7 mol/l. Eine saure Lösung ist durch pH < 7, eine alkalische Lösung durch pH > 7 charakterisiert. Der pH-Wert des arteriellen Blutes (37 °C) liegt im Bereich zwischen 7,37 und 7,43 mit einem Mittelwert von 7,40. Diese Angaben beziehen sich genau genommen auf das Blutplasma. Bei der pH-Messung im Blut mit einer Glas-
494
VI
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
elektrode steht diese nur mit dem Plasma in Kontakt, sodass der intraerythrozytäre pH-Wert (≈7,2) nicht miterfasst wird. In der Regel ist also mit dem Terminus Blut-pH der pH-Wert des Plasmas gemeint. Das menschliche Blut weist also eine schwach alkalische Reaktion auf. Trotz der ständig schwankenden Abgabe saurer Stoffwechselprodukte an das Blut wird dessen pH-Wert sehr genau konstant gehalten. Diese Konstanz ist eine wichtige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines geregelten Stoffwechselablaufs in den Körperzellen, weil die am Stoffwechsel (v. a. Glykolyse) beteiligten Enzyme in ihrer Aktivität vom pH-Wert abhängen. Durch pH-Veränderungen unter pathologischen Bedingungen werden die einzelnen Enzyme in wechselndem Maße betroffen, sodass Störungen im Ablauf der Stoffwechselvorgänge die Folge sein können. Weiterhin beeinflusst der pH-Wert die Offenwahrscheinlichkeit von Ionenkanälen, die Erregbarkeit von Zellen, die Gefäßweite, die Erregungsleitung im Herzen, die Knochenmineralisierung u. a. An der Regelung des Säure-Basen-Status, d. h. an der Konstanthaltung des Blut-pH, sind mehrere Faktoren beteiligt. Es sind dies die Puffereigenschaften des Blutes und der Gasaustausch in der Lunge sowie die langsamer ablaufenden renalen und hepatischen Regulationsmechanismen.
14.5.2
Puffereigenschaften des Blutes
Charakteristika von Puffersystemen Puffersysteme bestehen aus einer schwachen Säure HA und ihrer korrespondierenden Base A–. Wendet man auf ein solches System, für das die Reaktionsgleichung (14.2) gilt, das Massenwirkungsgesetz an, so ergibt sich: [H+] [A–] 05 = K′, [HA]
(14.4)
wobei die eckigen Klammersymbole die jeweiligen molaren Konzentrationen bezeichnen. K′ ist die Gleichgewichtskonstante (Dissoziationskonstante), in der die speziellen Bedingungen der Lösung, wie z. B. die Ionenstärke, berücksichtigt sind. Erhöht man in einem solchen System die Konzentration der H+-Ionen, dann muss gleichzeitig die Konzentration der undissoziierten Säure ansteigen, damit die Gleichgewichtsbedingung des Massenwir-
14
495 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
kungsgesetzes erfüllt bleibt: Die Dissoziation wird zurückgedrängt, die zugesetzten freien H+-Ionen werden teilweise wieder durch Bindung an das Säureanion eliminiert. Die pH-Änderung ist also geringer als es dem H+Ionenzusatz entspricht. Umgekehrt führt eine Senkung der H+-Ionenkonzentration ebenfalls nur zu einer kleinen pH-Änderung. Eine solche Abschwächung des Effekts eines H+- oder OH–-Ionenzusatzes wird als Pufferung bezeichnet. Für die quantitative Beurteilung des Puffereffekts ist es zweckmäßig, Gl. (14.4) nach Umformung zu logarithmieren: [HA] –log [H+] = –log K′ – log 8 [A–]
(14.5)
[Base] [A–] pH = pK′ + log 8 oder pH = pK′ + log 831 [HA] [Säure]
(14.6)
Diese Form des Massenwirkungsgesetzes für ein Puffersystem wird als Henderson-Hasselbalch-Gleichung bezeichnet, wobei pK′ = –log K′ ebenso wie K′ eine für das System charakteristische Konstante darstellt. Merke
Unter der Pufferkapazität eines Systems, bestehend aus einer schwachen Säure und ihrer korrespondierenden Base, versteht man das Verhältnis der zugeführten Menge an H+- oder OH–-Ionen zur resultierenden pH-Änderung (Einheit: mmol · l–1 · pH–1). Diese Pufferkapazität hängt von der Konzentration des Puffers und von der Nähe des jeweiligen pH-Werts zum pK’-Wert des Systems ab.
Die größte Pufferungsfähigkeit ist dann gegeben, wenn pH = pK′ ist. An diesem Punkt liegen Säure und korrespondierende Base in äquivalenten Konzentrationen vor. Jedes Puffersystem wirkt demnach nur in einem bestimmten pH-Bereich, der sich maximal von pK′ – 2 bis pK′ + 2 erstreckt.
Bikarbonatpuffersystem Unter den Puffersystemen des Blutes (und des interstitiellen Raums) ist das Bikarbonat-(Hydrogenkarbonat-)System an erster Stelle zu nennen. In die-
496
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
sem System ist H2CO3 die (verhältnismäßig schwache) Säure und HCO3– ihre korrespondierende Base: CO2 + H2O H2CO3 H+ + HCO3–
(14.7)
Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung lautet in diesem Fall für die Gesamtreaktion, wobei die Säure H2CO3 durch ihr Anhydrid CO2 ersetzt werden kann:
VI
[HCO3–] pH = pK′ + log 02 [CO2]
(14.8)
Anstelle von [CO2] kann hierin auch der CO2-Partialdruck PCO2 eingeführt werden: [HCO3–] pH = pK′ + log 025 0,03 · PCO2
(14.9)
Dem Faktor 0,03 ist die Einheit mmol · l–1 · mm Hg–1 zugeordnet, sodass dieser Wert nur gilt, wenn [HCO3–] in mmol/l und PCO2 in mm Hg angegeben werden. Bei der Ionenstärke des Plasmas beträgt der pK′-Wert in diesem Fall 6,1. Es hat also zunächst den Anschein, als ob die Pufferwirkung dieses Systems nicht sehr groß sein könne, da pK′ verhältnismäßig stark vom pH-Wert des Blutes (7,4) abweicht. Trotzdem kommt dem HCO3–-System eine große Bedeutung zu, da die Wechselwirkung mit der Atmung seine Effektivität erheblich erhöht: Dadurch, dass im arteriellen Blut ein CO2-Partialdruck von 40 mm Hg (5,3 kPa) aufrechterhalten wird, liegt im arteriellen Plasma eine hohe HCO3–-Konzentration von 24 mmol/l vor. Der durch die Atmung geregelte CO2-Partialdruck sorgt also für hohe Konzentrationen der puffernden Reaktionspartner. Außerdem kann durch eine zweckmäßige Anpassung der Atmungsfunktion (PCO2-Veränderung) und der Nierenfunktion (H+- bzw. HCO3–-Veränderung) der pH-Wert zusätzlich stabilisiert werden.
Proteinatpuffersystem Die Puffereigenschaften der Proteine im Blut werden durch die ionisierbaren Gruppen ihrer Bausteine, der Aminosäuren, bestimmt. Während die endständigen Karboxyl- und Aminogruppen hierbei wegen ihrer ungünstigen pK′-Werte für die Pufferung keine Rolle spielen, kommt den ionisierbaren
497 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
14
Seitengruppen, insbesondere dem basischen Imidazolstickstoff des Histidins, eine besondere Bedeutung zu. Zu der Protein-Pufferwirkung tragen sowohl die Plasmaproteine, insbesondere das Albumin, als auch das intraerythrozytäre Hämoglobin bei. Der Hauptanteil der Pufferkapazität entfällt dabei auf das Hämoglobin, weil es in hoher Konzentration vorliegt und sein Histidinanteil relativ hoch ist. Merke
Eine besondere Bedeutung kommt dem Hämoglobin bei der Pufferung im Blut auch deshalb zu, weil es seine Azidität bei der Oxygenation und Desoxygenation ändert. Im physiologischen pH-Bereich weist Oxyhämoglobin eine stärkere Azidität als desoxygeniertes Hämoglobin auf.
Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass die O2-Bindung am Eisen die H+-Bindung an dem benachbart gelegenen Imidazolstickstoff des Histidins beeinflusst. Bei der O2-Abgabe in den Geweben können auf Grund dieses Effekts H+-Ionen, die bei der gleichzeitig stattfindenden CO2-Aufnahme entstehen, zusätzlich abgepuffert werden. Bei der O2-Aufnahme in der Lunge kommt es dagegen zu einer H+-Abdissoziation, die den H+-Verlust infolge der CO2-Abgabe z. T. ausgleicht.
Phosphatpuffersystem Ein weiteres Puffersystem des Blutes bilden die anorganischen Phosphate, wobei das primäre Phosphat (H2PO4–) als Säure und das sekundäre Phosphat (HPO42–) als korrespondierende Base wirksam sind. Obwohl der pK′-Wert dieses Systems mit pK′ = 6,8 relativ günstig liegt, bleibt der Puffereffekt ziemlich gering (ca. 2 % der Gesamtpufferkapazität des Blutes), da die Phosphatkonzentration im Blut verhältnismäßig niedrig ist.
Gesamtpufferbasen Merke
Die Puffereigenschaften des Blutes werden durch die Gesamtheit der pufferwirksamen anionischen Gruppen, d. h. im Wesentlichen durch Bikarbonat und Proteinat bestimmt. Die Summe dieser Anionen bezeichnet man als Gesamtpufferbasen oder auch kurz als Pufferbasen.
498
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
VI
⊡ Abb. 14.3. Konzentrationen der Pufferbasen (mmol/l) im Blutplasma, im Erythrozyten und im Gesamtblut (unter Vernachlässigung von Phosphat–), dargestellt in Säulendiagrammen der Anionen. X– = Anionen aller nichtpuffernden, starken Säuren außer Cl–
In ⊡ Abb. 14.3 sind die arteriellen Anionenkonzentrationen für das Blutplasma, die Erythrozyten und das Gesamtblut in Form von Säulendiagrammen dargestellt. Dabei sind die rot markierten Pufferbasen (Proteinat und HCO3–) über den Anionen der starken Säuren (Cl– und X– = SO42– und organische Anionen) angeordnet. Bei den Werten für Proteinat handelt es sich um Äquivalentkonzentrationen, weil diese den Puffereffekt bestimmen. Die Zusammenstellung zeigt, dass innerhalb der Pufferbasen im Plasma die HCO3–-Ionen, im Erythrozyten dagegen die protonenbindenden Hämoglobingruppen überwiegen. Im Gesamtblut steht etwa 1/3 aller Anionen für die Pufferung zur Verfügung. Die Konzentration der Pufferbasen im arteriellen Blut beträgt etwa 48 mmol/l. Hiervon entfallen ca. 20 mmol/l auf die Bikarbonat- und etwa 28 mmol/l auf die Proteinatkonzentration. Es ist nun von besonderer Bedeu-
499 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
14
⊡ Abb. 14.4. Abhängigkeit der Proteinat- und Bikarbonatkonzentrationen im Vollblut vom CO2-Partialdruck. Die Summe der Pufferbasenkonzentrationen ist konstant und beträgt im Normalfall 48 mmol/l
tung, dass sich die Gesamtkonzentration der Pufferbasen bei Variation des CO2-Partialdrucks nicht verändert (⊡ Abb. 14.4). Dies zeigt die folgende Überlegung: Wenn beispielsweise der CO2-Partialdruck ansteigt, bilden sich äquivalente Mengen von H+ und HCO3–. Die entstandenen Protonen werden jedoch fast vollständig von Proteinen abgefangen, die dabei in die undissoziierte Form übergehen. Im gleichen Maße, in dem die Bikarbonatkonzentration ansteigt, wird also die Proteinatkonzentration reduziert. Die PCO2-Unabhängigkeit der Konzentration der Gesamtpufferbasen macht diese Größe zu einem geeigneten Maß für diejenigen Veränderungen des SäureBasen-Status, die durch Zu- oder Abnahme von nichtflüchtigen Säuren im Blut hervorgerufen werden. Merke
Abweichungen vom Wert der Normalpufferbasen (48 mmol/l) bezeichnet man als Basenüberschuss BE (Base Excess). Nach dieser Definition ist also dem arteriellen Blut des Gesunden ein BE-Wert von Null zuzuordnen. Ein pathologischer Anstieg der Pufferbasenkonzentration wird durch einen positiven BE-Wert, eine Abnahme durch einen negativen BE-Wert charakterisiert. Im letztgenannten Falle ist anstelle der widersprüchlichen Bezeichnung »negativer Basenüberschuss« der Begriff Basendefizit vorzuziehen.
500
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
14.5.3
Respiratorische, renale und hepatische pH-Regulation
Neben der Pufferfunktion des Blutes sind die Atmung, die Nierenfunktion und der Leberstoffwechsel an der Regulation des Säure-Basen-Gleichgewichts beteiligt. Durch Anpassung der respiratorischen CO2-Abgabe, der renalen H+-Sekretion und HCO3–-Resorption sowie der hepatischen HCO3–-Freisetzung und NH4+-Elimination wird der pH-Wert des Blutplasmas und damit der Extrazellularflüssigkeit weitgehend konstant gehalten.
VI
Atmung Das als Endprodukt des oxidativen Stoffwechsels anfallende CO2 (etwa 10 mmol/min oder 14–15 mol/Tag in körperlicher Ruhe) wird durch die Atmung laufend aus dem Blut eliminiert. Die Atmung sorgt also dafür, dass durch die Abgabe des flüchtigen Anhydrids der Kohlensäure eine Säurebelastung des Organismus vermieden wird. Wenn es im Blut zu einer Anhäufung von Säuren kommt, reagiert die Atmung sofort durch Zunahme der Ventilation (Hyperventilation, Kap. 7.4.1). CO2-Moleküle, die aus der Reaktion HCO3– + H+ → H2CO3 → H2O + CO2 stammen, werden in verstärktem Maße abgeatmet, und der pH-Wert kehrt wieder zur Norm zurück. Bei einer Basenzunahme wird die Ventilation eingeschränkt (Hypoventilation, Kap. 7.4.1) der CO2-Partialdruck und damit auch die H+-Ionenkonzentration steigen an, sodass die ursprüngliche pH-Zunahme zumindest teilweise rückgängig gemacht (kompensiert) wird.
Nierenfunktion Neben der Kohlensäure werden in den Stoffwechselprozessen auch nichtflüchtige Säuren, in erster Linie Milch- und Schwefelsäure, gebildet. Da diese Säurebildung die Basenaufnahme übersteigt, muss eine Ausscheidung der überzähligen H+-Ionen (etwa 60–80 mmol/Tag) durch die Niere erfolgen. Der überwiegende Teil der in das Tubuluslumen sezernierenden Protonen gelangt dabei nach Bindung an NH3 und HPO42– in Form von NH4+ und H2PO4–, ein kleiner Teil in freier Form in den Endharn, während gleichzeitig HCO3– rückresorbiert wird ( Kap. 13.3.8). Sowohl die H+-Ausscheidung als auch die HCO3–-Resorption können – der jeweiligen Stoffwechsellage entsprechend – in weiten Grenzen (maximale H+-Sekretionsrate 1 mol/Tag) variiert werden, sodass die Nieren in der Lage sind, Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts nach einer gewissen Anpassungszeit zu kompensieren.
501 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
14
Leberstoffwechsel Die Leber ist ebenfalls an der Regulation des Säure-Basen-Haushalts beteiligt. Beim oxidativen Abbau von Aminosäuren fallen CO2 bzw. HCO3– und NH3 bzw. NH4+ an, die normalerweise bei der Harnstoffsynthese in den periportalen Hepatozyten vollständig verbraucht werden. Ist dieser Verbrauch unvollständig, so gelangt NH4+ in die perivenösen Azinuszellen und wird hier über die Glutaminsynthese eliminiert und damit entgiftet. Die aus dem Pfortaderblut aufgenommenen NH4+-Ionen werden zu ca. 70 % durch die Harnstoffsynthese und zu ca. 30 % durch die Glutaminsynthese eliminiert. Das Reaktionsprodukt Glutamin gelangt auf dem Blutweg in die Nieren und dient hier der tubulären H+-Sekretion ( Kap. 13.3.8). Eine weitere Möglichkeit der H+-Elimination ist der oxidative Abbau von Milchsäure, Essigsäure und Zitronensäure.
14.5.4
Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts
Merke
Bei einer Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts kann es sich um eine Azidose oder um eine Alkalose handeln, wobei man zwischen respiratorischen und nichtrespiratorischen Ursachen zu unterscheiden hat. Richtung und Ursache solcher pathologischen Veränderungen lassen sich durch Messung des pH-Werts, des CO2-Partialdrucks und des Basenüberschusses ermitteln.
Azidosen und Alkalosen Wenn es unter pathologischen Bedingungen zu einer starken Anhäufung von Säuren oder Basen im Blut kommt, sind die geschilderten Regelsysteme nicht mehr in der Lage, den pH-Wert des Blutes konstant zu halten. Je nach Richtung der pH-Verlagerung unterscheidet man in diesem Fall zwei Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts:
502
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
Merke
Die Senkung des pH-Werts im arteriellen Blut (pH < 7,37) bezeichnet man als Azidose, die Erhöhung des pH-Werts (pH > 7,43) als Alkalose. Solche Veränderungen sind jedoch nur mit dem Leben zu vereinbaren, wenn bei Säurebelastung ein pH-Wert von 6,8 längerfristig nicht unterschritten und bei Basenbelastung ein pH-Wert von 7,7 nicht überschritten wird.
VI
Bei jeder dieser Störungen hat man außerdem nach der Genese der pHÄnderung zwei Formen zu unterscheiden: Eine Lungenfunktionsstörung kann zu einem Anstieg des CO2-Partialdrucks im Blut, eine alveoläre Hyperventilation zu einer Senkung des CO2-Partialdrucks führen. In diesen Fällen ist die gestörte Atmung die Ursache für die pH-Änderung im Blut. Man spricht daher von einer respiratorischen Azidose bzw. Alkalose. Andererseits können sich die nichtflüchtigen Säuren bei Stoffwechselstörungen (z. B. bei Diabetes mellitus) im Blut anhäufen bzw. bei Basenzufuhr oder HCl-Verlusten (z. B. durch Magensafterbrechen) verringern. Diese Zustände kennzeichnet man als metabolische Azidose bzw. Alkalose. Da auch Nieren- und Magen-Darm-Funktionsstörungen zu pH-Veränderungen führen können, fasst man die renal, intestinal und metabolisch bedingten Störungen unter der Bezeichnung nichtrespiratorische Azidose bzw. Alkalose zusammen.
Diagnostische Kriterien Eine Differenzierung zwischen respiratorischen und nichtrespiratorischen Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts ist über den CO2-Partialdruck (PCO2) und den Basenüberschuss (BE) möglich. Kennzeichen einer respiratorischen Störung ist ein erhöhter oder erniedrigter PCO2 bei einer primär unveränderten Pufferbasenkonzentration (BE = 0). Die nichtrespiratorische Störung ist dadurch charakterisiert, dass zunächst ein normaler PCO2 vorliegt, während der BE-Wert von der Norm abweicht. Bei einer Zunahme der nichtflüchtigen Säuren im Blut werden nämlich in verstärktem Maße die Pufferbasen beansprucht (BE = negativ). Umgekehrt führt eine Verminderung der nichtflüchtigen Säuren zu einem Anstieg der Pufferbasenkonzentration (BE = positiv). Schematisch sind diese Unterscheidungsmerkmale in ⊡ Abb. 14.5 dargestellt. In diesem Diagramm mit dem Basenüberschuss auf der Ordinate und
503 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
14
mm Hg
⊡ Abb. 14.5. Definitionen der primären Säure-Basen-Störungen und Möglichkeiten ihrer Kompensation. Die Referenzbereiche für den Basenüberschuss BE, den pH-Wert und den CO2-Partialdruck PCO2 sind durch rote Linien abgegrenzt. Dunkelviolettes Feld = Bereich des physiologischen Säure-Basen-Status, Pfeilbezeichnungen a = primäre Säure-Basen-Störungen, Pfeilbezeichnungen b = sekundäre Kompensationen
dem pH-Wert auf der Abszisse sind die Kurven gleichen CO2-Partialdrucks eingetragen. Ferner sind die Normbereiche für den pH-Wert, den Basenüberschuss (BE) und den CO2-Partialdruck PCO2 durch rote Linien eingegrenzt. In dieser Darstellung kennzeichnen also alle Punkte, die links von dem senkrechten weißen Band liegen, eine Azidose und die Punkte rechts davon eine Alkalose. Innerhalb der violetten BE- und PCO2-Bänder sind die Bezeichnungen für die oben definierten Säure-Basen-Störungen angegeben. Messwertpaare, die zu einem Punkt in diesen vier Bereichen gehören, führen somit zu einer Diagnose, aus der die Richtung und die Entstehung der Störung hervorgeht. Hat man beispielsweise im arteriellen Blut BE = 0 mmol/l und PCO2 = 50 mm Hg gemessen, so handelt es sich um eine respiratorische Azidose, während BE = –15 mmol/l und PCO2 = 40 mm Hg auf eine nichtrespiratorische Azidose schließen lässt.
504
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
Kompensation primärer Säure-Basen-Störungen
VI
Die bisher betrachteten Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts stellen in der Regel lediglich primäre Veränderungen dar, die entweder sofort oder mit einer gewissen Verzögerung kompensiert werden können. Der primär zur sauren oder alkalischen Seite verlagerte pH-Wert wird durch das Eingreifen von Kompensationsmechanismen wieder in den Normbereich zurückgeführt oder zumindest diesem angenähert. Die in diesem Sinne wirkenden Mechanismen wurden bereits beschrieben. Eine primär nichtrespiratorische Störung kann durch eine entsprechende Veränderung der alveolären Ventilation kompensiert werden. Liegt dagegen eine primär respiratorische Störung vor, dann können die Nieren durch Veränderung der HCO3–-Resorption bzw. H+-Sekretion eine Kompensation bewirken. Die Möglichkeiten lassen sich am besten wieder an dem Diagramm der ⊡ Abb. 14.5 verdeutlichen. Bei einer primär nichtrespiratorischen Azidose (Pfeil 1 a) ist durch die Anhäufung nichtflüchtiger Säuren im Blut die Pufferbasenkonzentration herabgesetzt und der pH-Wert zunächst gesenkt. Die pH-Senkung wirkt ihrerseits als Atmungsantrieb, sodass infolge der Hyperventilation der CO2-Partialdruck abnimmt (Pfeil 1 b). Sofern diese Verlagerung bis in den pH-Referenzbereich hineinführt, kann man von einer vollständig kompensierten, primär nichtrespiratorischen Azidose sprechen. Reicht der PCO2-Abfall nicht aus, um den normalen pH-Wert einzustellen, dann wird der Säure-Basen-Status als teilweise oder unvollständig kompensierte, nichtrespiratorische Azidose gekennzeichnet. Bei einer primär nichtrespiratorischen Alkalose (Pfeil 2 a) wird die Pufferbasenzunahme durch einen PCO2-Anstieg infolge Hypoventilation (teil-)kompensiert (Pfeil 2 b). Da jedoch die Ventilationsgröße wegen der notwendigen Sauerstoffaufnahme nur begrenzt herabgesetzt werden kann, ist diese Kompensation meist unvollständig. Bei einer primär respiratorischen Azidose (Pfeil 3 a), beispielsweise als Folge einer Lungenfunktionsstörung, ist der CO2-Partialdruck erhöht. Hier greifen nun mit einer gewissen Latenz die Basensparmechanismen der Niere kompensierend ein. Die Pufferbasenkonzentration des Blutes steigt an, und der pH-Wert wird in den Referenzbereich zurückgeführt (Pfeil 3 b). Ganz entsprechend nimmt bei einer primär respiratorischen Alkalose (Pfeil 4 a), die durch einen niedrigen CO2-Partialdruck gekennzeichnet ist, die Pufferbasenkonzentration ab (Pfeil 4 b). Der pH-Wert wird dabei wieder in Richtung auf den Referenzbereich verlagert.
14.5.5
Analyse des Säure-Basen-Status
Diagnostische Parameter Die vorausgehende Betrachtung zeigt, dass die Messung des pH-Werts nicht ausreicht, um den Säure-Basen-Status des Blutes zu bestimmen. Daher werden bei klinischen Untersuchungen routinemäßig auch die Werte für den CO2-Partialdruck und den Basenüberschuss gemessen. Erst durch die gemeinsame Beurteilung von pH, PCO2 und BE im arteriellen Blut ist es möglich, eine Säure-BasenStörung präzis zu erfassen und damit auch die Therapie quantitativ zu lenken:
505 14.5 · Säure-Basen-Haushalt
14
▬ Der pH-Wert zeigt an, ob die H+-Ionenkonzentration des arteriellen Blutes im Referenzbereich (pH = 7,37–7,43) liegt oder nach der sauren bzw. alkalischen Seite verschoben ist. Ein normaler pH-Wert besagt jedoch nicht unbedingt, dass überhaupt keine Störung im Säure-Basen-Haushalt vorliegt. Es könnte sich auch um den Zustand nach vollständiger Kompensation einer primären Azidose oder Alkalose handeln. ▬ Ein erhöhter oder erniedrigter CO2-Partialdruck im arteriellen Blut ermöglicht die Entscheidung, ob eine Störung primär respiratorisch bedingt ist (Referenzbereich: PCO2 = 35–45 mm Hg). ▬ Der Wert für den Basenüberschuss (BE) lässt erkennen, ob eine primär nichtrespiratorische Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts vorliegt. Die Anhäufung oder die Abnahme nichtflüchtiger Säuren im Blut wirken sich unmittelbar auf den BE-Wert aus (Referenzbereich: BE = –2,5 bis +2,5 mmol/l). ▬ Als weitere Größe für die Kennzeichnung einer nichtrespiratorischen Störung wird manchmal auch der Standard-Bikarbonatwert verwendet. Unter Standard-Bikarbonat versteht man die HCO3–-Konzentration des Blutplasmas, wenn zuvor im Blut durch Äquilibrieren bei 37 °C ein CO2-Partialdruck von 40 mm Hg eingestellt und das Hämoglobin vollständig mit Sauerstoff gesättigt worden ist (Referenzwert: 24 ± 2,4 mmol/l).
Analyseverfahren Für die Analyse des Säure-Basen-Status hat sich das Verfahren von Astrup bewährt, bei dem CO2-Partialdruck und Säure-Basen-Status in einem Arbeitsgang bestimmt werden. Hierzu äquilibriert man zunächst das zu untersuchende Blut mit zwei Gasgemischen bekannter Zusammensetzung, die unterschiedliche CO2-Partialdrücke aufweisen, und ermittelt jeweils den zugehörigen pH-Wert. Man erhält also zwei pH–PCO2-Wertepaare, die traditionell in das sog. Siggaard-Andersen-Diagramm – wie in ⊡ Abb. 14.6 dargestellt – eingetragen werden. Die Verbindungsgerade zwischen den beiden Punkten A und B gibt den Säure-Basen-Status der Blutprobe wieder. Misst man nun den aktuellen pH-Wert des arteriellen Blutes, dann ist durch die Gerade diesem pH-Wert ein ganz bestimmter aktueller CO2-Partialdruck zugeordnet (Punkt C). An den Schnittpunkten der Geraden mit den entsprechend bezeichneten Skalen kann man außerdem die Konzentrationswerte für die Pufferbasen und den Basenüberschuss ablesen. Beispielsweise kennzeichnen die Werte der roten Geraden in ⊡ Abb. 14.6 einen normalen Säure-BasenStatus, während die blaue Gerade auf eine nichtrespiratorische Azidose
506
Kapitel 14 · Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt
VI
⊡ Abb. 14.6. Diagramm zur Ermittlung des CO2-Partialdrucks und des Säure-Basen-Status im Blut nach dem ASTRUP-Verfahren. A und B: Punkte, die durch Äquilibrierung mit Gasgemischen von bekanntem PCO2 und anschließender pH-Messung gewonnen werden; C Ablesung des unbekannten aktuellen PCO2 auf der Verbindungsgeraden nach pH-Messung. Beispiel 1: PCO2 = 44 mm Hg, pH = 7,37, Basenüberschuss = 0 mmol/l, Diagnose: normaler Säure-Basen-Status. Beispiel 2: PCO2 = 32 mm Hg, pH = 7,28, Basenüberschuss = –11 mmol/l, Diagnose: teilweise kompensierte, nichtrespiratorische Azidose
schließen lässt (BE = –11 mmol/l), die durch Abnahme des CO2-Partialdrucks (PCO2 = 32 mm Hg) teilweise kompensiert ist. Der Säure-Basen-Status des Blutes lässt sich auch ohne Äquilibriermaßnahmen ermitteln, wenn der CO2-Partialdruck PCO2 mit Hilfe einer CO2-Elektrode direkt gemessen wird. Jedem Wertepaar für den CO2-Partialdruck und den pHWert ist nämlich ein ganz bestimmter Basenüberschuss BE zugeordnet. Nach der PCO2- und pH-Messung kann man daher den BE-Wert aus einem für diesen Zweck aufgestellten Nomogramm unmittelbar entnehmen und auf diese Weise die dritte Größe bestimmen, die für die Säure-Basen-Diagnose erforderlich ist.
VII Regulation vegetativer Funktionen Kapitel 15
Hormonale Regulationen
Kapitel 16
Sexualfunktionen
– 564
– 508
508
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
15 Hormonale Regulationen 15.1
Aufgaben und Wirkungsweisen der Hormone
15.1.1
Hormone als Informationsträger
Aufgaben des endokrinen Systems
VII
Für die Koordination der Funktionen aller Körperzellen stehen dem Organismus zwei Informationssysteme zur Verfügung: das Nervensystem und das endokrine System. Das Nervensystem kann man mit einem komplizierten technischen Kommunikationssystem vergleichen, in dem Informationen auf dem Leitungsweg übertragen und verarbeitet werden. Die Nachrichten werden, verschlüsselt als eine Folge von Aktionspotentialen, über die Nervenbahnen geleitet, in den Synapsen in chemische Signale umgewandelt und lösen dadurch an dem Erfolgsorgan bestimmte Reaktionen aus. Das endokrine System kann demgegenüber mit einem »drahtlosen« Kommunikationssystem verglichen werden. Die Nachrichten sind dabei in der chemischen Struktur von speziellen Signalsubstanzen verschlüsselt enthalten, die auf dem Blutweg die Körperzellen erreichen und diese zu bestimmten Reaktionen veranlassen. Derartige chemische Informationsträger, die von endokrinen (innersekretorischen) Drüsen abgegeben werden, bezeichnet man als Hormone. Es sind entweder Peptide bzw. Proteine, Steroide oder TyrosinDerivate. Merke
Während das Nervensystem vorrangig der schnellen und gezielten Informationsübertragung dient, ist das endokrine System hauptsächlich für die längerdauernde und globale Steuerung der Zellfunktionen zuständig. Diese Aufgabe erfordert eine ständige, dem wechselnden Bedarf angepasste Bildung der Hormone, eine kontrollierte Abgabe an das Blut und eine gesteuerte Inaktivierung.
509 15.1 · Aufgaben und Wirkungsweisen der Hormone
15
Prinzipien der hormonellen Signalübertragung Merke
Auf Grund verschiedener Wege der Signalübertragung vom Bildungszum Wirkort unterscheidet man drei Prinzipien: die endokrine, parakrine und autokrine Sekretion.
Werden die Hormone von den Drüsenzellen in die Blutbahn abgegeben und wirken sie entfernt vom Bildungsort, spricht man von endokriner Sekretion bzw. hormonaler (endokriner) Wirkung im engeren Sinn. Bei der neuroendokrinen Sekretion erfolgt die Hormonabgabe in das Blut aus einer Nervenendigung. Beeinflussen Hormone dagegen unmittelbar benachbarte Zellen, handelt es sich um eine parakrine Sekretion bzw. Wirkung. Ein autokriner Effekt liegt vor, wenn Zellen durch Abgabe von Wirkstoffen direkt ihre eigene Funktion beeinflussen.
Bildung der Hormone Die meisten Hormone werden in Drüsen gebildet, die ihr Sekret in die Blutbahn abgeben und daher als endokrine Drüsen bezeichnet werden. Darüber hinaus werden Hormone auch in speziellen Zellgruppen wie auch in Einzelzellen synthetisiert. In manchen Fällen sind Bildungsorte und Abgabeorte nicht identisch. So erfolgt beispielsweise die Bildung einiger Hormone, die von der Hypophyse gespeichert und abgegeben werden, im benachbarten Hypothalamus. Bei den Peptid- und Proteohormonen werden zunächst Vorläufermoleküle (Präprohormone, Prohormone) synthetisiert. Das Hormon selbst ist in diesen als Teilsequenz enthalten und wird erst später durch gezielte Hydrolyse freigesetzt und gegebenenfalls durch weitere Modifikationen in seine wirksame Form umgewandelt. Die Proteo- und Peptidhormone sowie die Katecholamine sind intrazellulär in Vesikeln, Schilddrüsenhormone (Tyrosinderivate) in Follikeln gespeichert. Steroidhormone werden dagegen jeweils erst bei Bedarf neu synthetisiert.
Abgaberate der Hormone Einige Hormone werden nach Bedarf in Abhängigkeit von der Stoffwechselsituation des Organismus oder als Antwort auf bestimmte innere bzw. äußere Reize abgegeben. Hierzu zählen beispielsweise Adiuretin, Insulin, Aldos-
510
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
teron und Adrenalin. Bei einer zweiten Gruppe, zu der die Glukokortikoide und das Wachstumshormon gehören, verändert sich die Sekretion in einem 24-Stunden-Rhythmus. Hormone einer dritten Gruppe werden pulsatil in kürzeren Zeitabständen freigesetzt (z. B. ACTH, Gonadotropine). In anderen Fällen, wie bei den weiblichen Sexualhormonen, variiert die Abgaberate in längerdauernden Rhythmen.
Wirkungsmechanismus der Hormone Merke
VII
Die physiologischen Wirkungen der Hormone werden durch Primärreaktionen mit einem spezifischen hochmolekularen Rezeptor und sich daran anschließende Folgereaktionen in den Zellen der Erfolgsorgane ausgelöst.
Peptid- und Proteohormonrezeptoren sowie die Katecholaminrezeptoren (Adrenozeptoren) befinden sich in der Zellmembran ( vgl. Kap. 2), Rezeptoren für Steroid- und Schilddrüsenhormone im Zytoplasma bzw. im Zellkern ( Kap. 15.3.1). Nach Bindung des Hormons an den Rezeptor werden entweder verschiedene Signaltransduktionswege aktiviert, um spezifische Zellantworten auszulösen ( vgl. Kap. 2) oder die Genexpression im Zellkern beeinflusst (⊡ Tabelle 15.1).
⊡ Tabelle 15.1. Wirkungsmechanismen von Hormonen (Auswahl, Rezeptortyp in Klammern) Wirkungsvermittlung
Hormone
Aktivierung der Adenylatzyklase (cAMP-Anstieg)
ADH (V2), Adrenalin u. Noradrenalin (β), Dopamin (D1), glandotrope Hormone, Glukagon, Histamin (H2), Kalzitonin, Parathormon, Releasing-Hormone (außer TRH)
Hemmung der Adenylatzyklase (cAMP-Erniedrigung)
Adrenalin u. Noradrenalin (α2), Dopamin (D2), Serotonin (5-HT1), Somatostatin
Aktivierung der Phospholipase C
ADH (V1), Adrenalin u. Noradrenalin (α1) Histamin (H1), Oxytozin, Serotonin (5-HT2), TRH
Aktivierung der Guanylatzyklase
Atriopeptin
Aktivierung der Tyrosin-spezif. Proteinkinase
Insulin, Wachstumsfaktoren
Beeinflussung der Genexpression
Schilddrüsenhormone, Steroidhormone
511 15.1 · Aufgaben und Wirkungsweisen der Hormone
15
Die mittleren Hormonkonzentrationen im Blut sind niedrig und betragen für Schilddrüsen- und Steroidhormone zwischen 10–6 und 10–11 mol/l, für Peptid- und Proteohormone 10–9 und 10–12 mol/l. Bei anhaltend erhöhter Hormonkonzentration findet man eine Erniedrigung der Zahl aktiver Rezeptoren (Rezeptor-Down-Regulation) infolge von Internalisierung und verstärktem Abbau. Ein längerdauernder Hormonmangel bewirkt dagegen eine Erhöhung der Rezeptorenzahl (Up-Regulation).
Inaktivierung Die Funktion der Hormone als Informationsträger setzt voraus, dass ihre fortschreitende Anreicherung im Organismus verhindert wird. Dies geschieht durch Biotransformation im Erfolgsorgan selbst oder in der Leber, aber auch in der Lunge oder den Nieren. In manchen Fällen wird die Hormonwirkung auch durch Wiederaufnahme oder durch die Abgabe antagonistischer Hormone aufgehoben.
15.1.2
Grundprinzipien der hormonalen Regulation
Merke
Durch Hormone vermittelte Reaktionen laufen vielfach nach einem einheitlichen Schema ab, das einen dreistufigen, hierarchischen Aufbau (⊡ Abb. 15.1 B) zeigt: Das zentrale Steuerorgan ist der Hypothalamus. Ein dort gebildetes Releasing-Hormon löst in der Hypophyse die Bildung und Ausschüttung eines zweiten Hormons aus. Dieses beeinflusst eine periphere endokrine Drüse und wird daher als glandotropes (oder kurz als tropes) Hormon bezeichnet. Das glandotrope Hormon regt die Hormonproduktion und -freisetzung eines effektorischen Hormons aus der peripheren Drüse an, das sich mit dem Blutstrom über den Organismus verteilt und in den Zellen, die über passende Hormonrezeptoren verfügen, die angestrebte Reaktion auslöst.
Die durch die Hormonwirkung an das Blut abgegebenen Produkte (Stoffwechselprodukte, effektorische Hormone) können ihrerseits den Hypothalamus bzw. die endokrinen Drüsen beeinflussen, meist im Sinne einer negativen Rückkopplung (Negative Feedback). In manchen Fällen wird auch die Konzentration der effektorischen Hormone durch einen derartigen Rückkopplungsmechanismus konstant gehalten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass weder der dreistufige Aufbau der Hormonkette noch die negative Rückkopplung in allen Fällen realisiert sind.
512
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.1. Prinzipieller Aufbau hormonaler Regelkreise. A Stellgrößenfunktion von Hormonen, erläutert am Beispiel von Adiuretin, B Hormonkonzentrationen als Regelgrößen, erläutert am Beispiel der Schilddrüsenhormone (dreistufiger hierarchischer Aufbau des Regelkreises)
Innerhalb der Regelkreise kann ein Hormon entweder als Stellgröße wirken oder eine Hormonkonzentration selbst der Kontrolle unterliegen, d. h. die Funktion einer Regelgröße einnehmen.
Hormone als Stellgrößen in Regelsystemen Als Beispiel für die Funktion eines Hormons als Stellgröße ist in ⊡ Abb. 15.1 A der Regelkreis für die Konstanthaltung der osmotischen Konzentration im Extrazellularraum dargestellt. Das Regelzentrum für dieses System befindet sich im Hypothalamus, wo Adiuretin (ADH) gebildet wird, welches durch axonalen Transport zur Neurohypophyse gelangt. Das hier abgegebene Hormon erreicht auf dem Blutweg die Niere (Stellglied), wo es die Wasserrückresorption variiert und damit zugleich die osmotische Konzentration des Blutes (Regelgröße) steuert. Adiuretin ist also ein effektorisches Hormon, das die Funktion einer Stellgröße im Regelkreis ausübt. Die von Osmosensoren übermittelte Information über die Höhe der Osmolarität veranlasst den Hy-
513 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
15
pothalamus (Regler), die Bildung von Adiuretin und damit dessen Freisetzung aus der Neurohypophyse zu verstärken oder einzuschränken (negative Rückkopplung).
Hormonkonzentration als geregelte Größe In wenigen Fällen stellt die Konzentration eines Hormons im Blut die Regelgröße dar, die durch den Regelprozess konstant gehalten werden soll. Als Beispiel hierfür ist in ⊡ Abb. 15.1 B der Regelkreis zur Kontrolle der beiden Schilddrüsenhormone (Trijodthyronin, T3, und Thyroxin, T4) dargestellt. Der Hormonspiegel im Blut (Regelgröße) wird von Hormonrezeptoren laufend überwacht. So veranlasst z. B. ein Absinken des Istwerts im Vergleich zum Sollwert das zuständige Zentrum im Hypothalamus (Regler) zur Abgabe eines Releasing-Hormons ( Kap. 15.2.3), das auf dem Blutweg zur Adenohypophyse gelangt. Dadurch wird hier das glandotrope Hormon TSH ( Kap. 15.3.2) freigesetzt, das mit dem Blutstrom die Schilddrüse (Stellglied) erreicht und deren Hormonabgabe stimuliert. Auf diese Weise erfolgt eine Korrektur der Regelgröße, bis der Hormonspiegel dem Sollwert entspricht. An diesem Regelprozess sind also vier Hormone beteiligt, von denen zwei (Releasing-Hormon und TSH) als Stellgrößen fungieren und die Blutspiegel der beiden anderen (Trijodthyronin und Thyroxin) die Regelgrößen darstellen.
15.2
Hypothalamisch-hypophysäres System
Die vegetativen Regulationen im Dienste der Erhaltung, Fortpflanzung und Arbeitsbereitschaft des Organismus werden z. T. über das endokrine System, z. T. über das vegetative Nervensystem vermittelt. Dieses Zusammenwirken der beiden Systeme erfordert eine enge Koordination (neuroendokrine Kopplung), für die der Hypothalamus zuständig ist. Hier liegen die übergeordneten vegetativen Zentren, die einerseits die Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus und andererseits die Hormonabgabe der Hypophyse beeinflussen. Merke
Hypothalamus und Hypophyse bilden eine übergeordnete Funktionseinheit für hormonale Regulationen.
514
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.2. Hypothalamisch-hypophysäres System in schematischer Darstellung. Adiuretin und Oxytozin werden im Nucleus paraventricularis (NP) und im Nucleus supraopticus (NSO) gebildet und durch axonalen Transport zur Neurohypophyse transportiert. Releasing-Hormone (RH) und Release-Inhibiting-Hormone (RIH) gelangen über das hypophysäre Pfortadersystem zu den hormonbildenden Zellen der Adenohypophyse
Unter funktionellen Aspekten gliedert sich das hypothalamisch-hypophysäre System in die ▬ großzelligen Kerne (Nucleus supraopticus, Nucleus paraventricularis), die über Nervenbahnen mit der Neurohypophyse (Hypophysenhinterlappen) verbunden sind (⊡ Abb. 15.2, rot) sowie die ▬ kleinzelligen Kerne (hypophysiotrope Zone), welche die Releasing- und Release-Inhibiting-Hormone bilden. Diese Hormone werden im Bereich der Eminentia mediana in den hypophysären Pfortaderkreislauf sezerniert und steuern die Hormonfreisetzung aus der Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen) (⊡ Abb. 15.2, blau).
515 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
15.2.1
15
Hormone der Neurohypophyse
Bildung und Abgabe der Hinterlappenhormone Merke
Von der Neurohypophyse werden zwei Hormone, Adiuretin und Oxytozin, abgegeben, die beide effektorisch wirken, d. h. Organfunktionen direkt beeinflussen. Nach ihrer chemischen Struktur stellen sie Zyklononapeptide dar.
Die Hormone werden im Nucleus supraopticus und im Nucleus paraventricularis in Form von Vorläuferhormonen gebildet. Diese Peptidvorstufen des Adiuretins (Präproadiuretin) und des Oxytozins (Präprooxyphysin) gelangen über die marklosen Nervenfasern des Tractus hypothalamo-hypophyseus zum Hypophysenhinterlappen. In den Transportgranula erfolgt ihre enzymatische Spaltung in je ein Neurophysin und Adiuretin bzw. Oxytozin (Nonapeptide). Die Hormonabgabe aus den Axonterminalen an das Blut durch Ca2+-abhängige Exozytose erfolgt immer dann, wenn Aktionspotentiale an den Faserendigungen einlaufen. Der gesamte in den Nervenzellen ablaufende Prozess der Bildung, des Transports und der Abgabe von Hormonen wird als Neurosekretion bezeichnet.
Adiuretin ( ⊡ Abb. 15.3) Das Hinterlappenhormon Adiuretin (Antidiuretisches Hormon, ADH) wird auch als Vasopressin bezeichnet, weil es in höheren Konzentrationen durch Bindung an V1-Rezeptoren vasokonstriktorisch in der Haut und der Skelettmuskulatur und dadurch blutdrucksteigernd wirkt. Merke
Die physiologische Wirkung von Adiuretin besteht jedoch vorrangig darin, nach Bindung an V2-Rezeptoren in der basolateralen Zellmembran die Wasserrückresorption in den distalen Tubuli und Sammelrohren der Niere zu steigern und damit die Harnkonzentrierung zu fördern ( Kap. 13.4.1).
Unter dem Einfluss des Adiuretins werden täglich 15–30 l Tubulusflüssigkeit auf Grund einer Steigerung der Wasserpermeabilität der apikalen (lumina-
516
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.3. Hauptwirkungen von Adiuretin und Oxytozin sowie Kontrolle der Hormonabgabe
len) Zellmembran resorbiert. Diese Permeabilitätssteigerung beruht auf einem schnellen Einbau von präformierten, in Vesikeln gespeicherten Wasserkanälen in die apikale Zellmembran ( Kap. 13.4.1). ADH erhöht außerdem die Harnstoffpermeabilität im unteren Sammelrohr und ist an der Regulation der ACTH-Freisetzung, des Trinkverhaltens und an Gedächtnis- und Lernleistungen beteiligt. Die Kontrolle der Hormonwirkung erfolgt vor allem über ▬ Volumensensoren, die in den Vorhöfen des Herzens und in den Lungenvenen das Blutvolumen registrieren ( Kap 6.7.3), ▬ Osmosensoren, die hauptsächlich im Hypothalamus, aber auch im Pfortadergebiet sowie in der Leber die osmotische Konzentration überwachen, ▬ Pressosensoren im Karotissinus und Aortenbogen, die an der Regulation des arteriellen Blutdrucks beteiligt sind ( Kap. 6.7.1). Die im Hypothalamus nachgewiesenen Osmosensoren sprechen bereits auf eine Zunahme des osmotischen Drucks um 1 % an und lösen daraufhin eine verstärk-
517 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
15
te Adiuretinausschüttung aus (⊡ Abb. 15.1 A). Auch Nikotin und Angiotensin II fördern die ADH-Sekretion; Alkohol und Koffein wirken dagegen hemmend. Eine mangelhafte Produktion oder Ausschüttung von Adiuretin führt zum Krankheitsbild des Diabetes insipidus centralis , Rezeptor- bzw. Aquaporindefekte in der Niere zum Diabetes insipidus renalis . Infolge der verminderten Wasserrückresorption in der Niere werden große Mengen (in der Regel 4–12 l/Tag, in Extremfällen bis zu 24 l/Tag) eines stark verdünnten Harns (Dichte < 1,008 kg/l) ausgeschieden. Der Wasserverlust und der dadurch bedingte Anstieg der Blutosmolarität rufen ein starkes Durstgefühl hervor. Das verlorene Wasser muss durch vermehrtes Trinken (Polydipsie) ersetzt werden, da der Patient andernfalls rasch in eine hyperosmolare Dehydratation ( Kap. 14.4.1) geraten würde.
Oxytozin Merke
Die Funktion des Oxytozins, des zweiten Hinterlappenhormons mit weitgehend ADH-homologer Aminosäurensequenz, besteht u. a. darin, die rhythmische Kontraktion der glatten Uterusmuskulatur bei der Geburt zu fördern (⊡ Abb. 15.3).
Der Zeitpunkt der Wehenauslösung wird durch das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren bestimmt. Eine Schlüsselrolle soll hierbei das Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH, Kap. 15.2.3) spielen, das von der reifen Plazenta in großen Mengen freigesetzt wird (»Geburtshelferhormon«). CRH bewirkt eine vermehrte ACTH-Abgabe ( Kap. 15.4.1) und nachfolgend eine gesteigerte Kortisol- und Dehydroepiandrosteron-(DHEA-)Ausschüttung aus den Nebennierenrinden des Ungeborenen. Aus DHEA entsteht in der Plazenta Östriol. Hohe Östriolspiegel bahnen schließlich den Geburtsvorgang, da sie den Uterus und den Muttermund für die Wehen vorbereiten: Unter Östrioleinfluss nimmt die Zahl der Gap Junctions und der Oxytozinrezeptoren zu, und die zytosolische Ca2+-Konzentration steigt an. Weiterhin wird die glatte Muskulatur vordepolarisiert, sodass eine erhöhte Erregbarkeit und Spontanaktivität resultieren. Verstärkt werden diese Veränderungen noch durch eine Östriol- und Oxytozinvermittelte, vermehrte Bildung und Freisetzung von Prostaglandinen (PGE, PGF2α, Kap. 15.10). Am Geburtstermin wird auf Grund der Zervixdehnung die Oxytozinabgabe soweit verstärkt, dass ein sich aufschaukelnder Prozess entsteht (FERGUSON-Reflex).
Merke
Eine weitere Funktion kommt dem Oxytozin bei der Milchabgabe aus der Brustdrüse zu. Das Saugen an der laktierenden Brust löst auf dem Nervenweg eine Mehrproduktion und Ausschüttung von Oxytozin aus, das dann das Auspressen der Milch durch Aktivierung des Myoepithels fördert (Milchejektionsreflex).
518
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Beim Mann soll Oxytozin die Kontraktion des Ductus deferens bei der Ejakulation fördern. Bei der Frau löst es in der Orgasmusphase Kontraktionen der Uterusmuskulatur aus.
15.2.2
Effektorische Hormone der Adenohypophyse
Somatotropin
VII
Vom Hypophysenvorderlappen werden neben einer Reihe glandotroper Hormone einige Hormone abgegeben, die effektorisch wirken (⊡ Tabelle 15.2). Hierzu gehört das Wachstumshormon (Somatotropin, STH = Somatotropes Hormon, GH = Growth Hormone). Chemisch handelt es sich um ein Protein mit einer Molekularmasse von 21,5 kDa, das aus einer Peptidkette mit 191 Aminosäuren besteht. Seine Wirksamkeit ist streng artspezifisch, sodass tierisches Somatotropin beim Menschen keinen Effekt hat. Wie ⊡ Abb. 15.4 zeigt, besitzt Somatotropin ein sehr breites Wirkungsspektrum. Allerdings löst es die Wirkungen z. T. nicht selbst, sondern über
⊡ Abb. 15.4. Wirkungen von Somatotropin und Somatomedin C (FFS = freie Fettsäuren)
519 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
15
Somatomedine (Insulin-like Growth Factors, IGF) aus, Wachstumsfaktoren, die vor allem in der Leber gebildet werden. Merke
Somatotropin mobilisiert Fettsäuren aus Fettgewebe und führt dadurch zum Abbau von Fettdepots (Steigerung der Lipolyse und der Ketogenese, Insulin-antagonistische Wirkung), erhöht längerfristig den Blutzuckerspiegel durch Förderung der Glukoneogenese in der Leber und durch Verringerung der Glukoseaufnahme bzw. -utilisation im Muskel- und Fettgewebe (Insulin-antagonistische Wirkung), steigert kurzfristig die Insulinsekretion, steigert die Proteinbiosynthese im Muskelgewebe (Insulin-agonistischer, anaboler, d. h. substanzaufbauender Effekt; Tabelle 15.5), fördert indirekt (über die Bildung von Somatomedin C) das Knorpel-, Knochen- und Muskelwachstum.
In den Chondrozyten werden der Einbau von anorganischem Sulfat in Proteoglykane und die Proteinsynthese gesteigert, bei Jugendlichen die Aktivität des Epiphysenknorpels und damit das Längenwachstum des Knochens bzw. bei Erwachsenen das appositionelle Knochenwachstum gefördert. Somatomedin C ist das wichtigste Somatomedin, das durch Erhöhung der Proteinsynthese in sehr vielen Körperzellen die Zellteilung stimuliert. Außerdem hat es eine kurzdauernde insulinartige Wirkung. Auf Grund dieser Wirkung und einer partiellen Strukturhomologie bezeichnet man Somatomedin C auch als Insulin-like Growth Factor 1 (IGF 1). Die volle Wirkung des Wachstumshormons bzw. der Somatomedine wird nur erreicht, wenn gleichzeitig Schilddrüsen-, Nebennierenrinden- und Sexualhormone sowie Insulin in physiologischen Konzentrationen vorhanden sind. Umgekehrt ist der wachstumsfördernde Effekt dieser Hormone bei Fehlen von Somatotropin herabgesetzt.
Synonyma
PRL (LTH)
T3
T4
Prolaktin
Trijodthyronin
Thyroxin
Niere Nebennierenrinde (Zona fasciculata) Nebennierenrinde (Zona glomerulosa)
Steroid C21-Steroide C21-Steroide
D3-Hormon
Glukokortikoide (Kortisol)
Mineralokortikoide (Aldosteron)
Kalzitriol
Nebenschilddrüsen
Polypeptid
Schilddrüse
Schilddrüse
Adenohypophyse
Adenohypophyse
Parathyrin
Polypeptid
Tyrosinderivate
Protein
Polypeptid
Neurohypophyse Adenohypophyse
Parathormon
冧
Nonapeptid Protein
Abgabe durch Neurohypophyse
Thyreokalzitonin
Tetrajodthyronin
Chem. Aufbau Nonapeptid
Kalzitonin
PTH
Melanotropin
α-MSH
Melanozyten-stimulierendes Hormon
Laktotropes Hormon
Okytozin
Somatotropes Hormon, Wachstumshormon
STH (GH)
Somatotropin
Vasopressin
Oxytozin
Abk.
ADH
Adiuretin
Na+-Retention, K+- und H+-Ausscheidung, Wasserretention in der Niere
Glukoneogenese, Proteolyse, Lipolyse, Entzündungshemmung
Absorption von Ca2+ und Pi im Dünndarm
Ca2+-Mobilisation im Knochen, Erhöhung des Ca2+-Spiegels im Blut
Hemmung der Ca2+-Mobilisation im Knochen, Senkung des Ca2+-Spiegels im Blut
Stoffwechselsteigerung, Wachstum u. Entwicklung, Lipolyse
Brustwachstum, Milchproduktion
Hautpigmentierung
Knochen- und Muskelwachstum, Proteinsynthese, Lipolyse, Hemmung der Glukoseaufnahme
Uteruskontraktion, Milchejektion
Wasserretention in der Niere
Hauptwirkungen
VII
Bezeichnung
⊡ Tabelle 15.2. Effektorische Hormone (Auswahl)
520 Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Polypeptid
Atriopeptin
Atrialer natriuretischer Faktor
Glykoprotein
Erythropoietin
ANF (ANP)
Polypeptid
Glukagon
Polypeptid
Somatomedin C
Insulin-like Growth Factor 1
Polypeptid
Insulin
IGF 1
(NA)
Noradrenalin
Tyrosinderivat
Tyrosinderivat
(A)
Adrenalin
Arterenol
C21-Steroide
Gestagene (Progesteron)
Epinephrin
Ovar (Follikelepithel), Plazenta
C18-Steroide
Östrogene (Östradiol)
Vorhöfe des Herzens
Niere
Inselorgan, A-Zellen (Pankreas)
Leber u. a.
Inselorgan, B-Zellen (Pankreas)
Nebennierenmark
Nebennierenmark
Ovar (Gelbkörper), Plazenta
Testes (LEYDIGZwischenzellen)
C19-Steroide
Androgene (Testosteron)
Diurese, Natriurese
Erythropoiese
Glykogenolyse, Glukoneogenese (Anhebung des Blut-Glukosespiegels), Lipolyse, Proteinsynthese
Wachstum von Knorpel, Knochen und Skelettmuskel
Glukoseaufnahme und -oxidation, Glykogenaufbau (Senkung des Blut-Glukosespiegels), Lipogenese, Proteinsynthese
Blutdrucksteigerung
Förderung der Herzaktion, Durchblutungsverteilung, Glykogenolyse, Stimulation des ZNS
Umwandlung der Uterusschleimhaut zur Sekretionsphase, Temperatursteigerung (≈ 0,4 °C)
Wachstum der weiblichen Sexualorgane, Proliferation der Uterusschleimhaut
Wachstum der männlichen Sexualorgane, Proteinsynthese, Bildung u. Reifung der Samenzellen
15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System 521
15
522
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Regulation der STH-Sekretion Merke
Es gibt eine Reihe physiologischer Reize für die Sekretion von Wachstumshormon. Zu diesen zählen u. a. Hypoglykämie, postprandialer Anstieg der Aminosäurenkonzentration im Blutplasma, Dopaminausschüttung, starke körperliche Belastungen und Stress, Ghrelinsekretion.
VII
Das Wachstumshormon wird bevorzugt zu Beginn der ersten Tiefschlafphase ausgeschüttet. Voraussetzung hierzu ist eine vermehrte Sekretion von Somatotropin-Releasing-Hormon (GRH, Somatoliberin, ⊡ Tabelle 15.4, Kap. 15.2.3) und eine gleichzeitige Einschränkung der Somatostatin-Freisetzung (⊡ Tabelle 15.4). Somatoliberin ist ein hypothalamisches Peptidhormon, das durch Aktivierung des cAMP-Systems die STH-produzierenden Zellen im Hypophysenvorderlappen stimuliert. Dieser Effekt wird durch Somatostatin über inhibierende G-Proteine gehemmt. Somatostatin wird außer von hypothalamischen Neuronen auch noch von vielen anderen endokrin aktiven Zellen, vor allem im Magen-Darm-Trakt, freigesetzt und weist vielfache Funktionen auf. IGF 1 (Somatomedin C) hat eine negative Rückkopplungswirkung auf die STH-Sekretion. Die verminderte oder übersteigerte Bildung des Wachstumshormons führt zu charakteristischen Krankheitsbildern. Ein hypophysärer Minder- bzw. Zwergwuchs beruht auf einem Mangel an Somatotropin während der Wachstumsperiode. Hierbei bleiben die Körperproportionen erhalten. Wenn vor der Pubertät zu viel Somatotropin gebildet wird, entwickelt sich ein hypophysärer Riesenwuchs (Gigantismus), bei dem ebenfalls ein proportionierter Körperbau besteht. Da vor der Pubertät die Epiphysenfugen noch nicht geschlossen sind, kann das Längenwachstum der Knochen über das normale Maß hinaus fortschreiten. Im Gegensatz dazu führt die übersteigerte Somatotropin-Produktion beim Erwachsenen (d. h. nach dem Epiphysenschluss) zu einem verstärkten periostalen, appositionellen Knochenwachstum mit der Bildung von Hyperostosen (Knochenauswüchsen). Dieses Krankheitsbild der Akromegalie ist daher durch einen grobschlächtigen Knochenbau mit Vergrößerungen der Akren gekennzeichnet. Außerdem sind Zunge, Lippen und Haut verdickt sowie die inneren Organe vergrößert. Eine eingeschränkte Bildung von STH beim Erwachsenen führt u. a. zu einer verminderten Muskelmasse und herabgesetzten Muskelkraft.
523 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
15
Prolaktin Das aus 199 Aminosäuren aufgebaute Hormon ist chemisch mit Somatotropin nahe verwandt. In der Pubertät fördert Prolaktin die Ausbildung der Milchalveolen. Während der Schwangerschaft wird vermehrt Prolaktin (LTH = lactotropes Hormon) gebildet, das zusammen mit den weiblichen Sexualhormonen, Somatotropin, Glukokortikoiden und Insulin das Brustwachstum stimuliert. Merke
Im Anschluss an die Geburt fällt der während der Schwangerschaft erhöhte Gestagenspiegel schnell ab. Der weiterhin gesteigerte Prolaktinspiegel löst unter diesen Bedingungen (bei gleichzeitig großer Rezeptordichte in der Brustdrüse) die Milchproduktion (Laktopoese) aus und hält sie auch aufrecht.
Reizung der zahlreichen Mechanosensoren in den Brustwarzen durch den Säugling bewirkt über nervale Afferenzen die Freisetzung des Prolaktin-Releasing-Hormons (identisch mit TRH, Kap. 15.3.2) im Hypothalamus und dadurch eine verstärkte Prolaktinfreisetzung. Die Rückkopplung zum Hypothalamus erfolgt durch Prolaktin selbst, und zwar wird bei erhöhtem Prolaktinspiegel vermehrt Dopamin ausgeschüttet, das die Prolaktinsekretion tonisch, d. h. anhaltend, hemmt. Dopamin ist somit mit dem Prolaktin-Release-Inhibiting-Hormon identisch. βEndorphin ( s. u.), Stress und Östrogene ( Kap. 15.5.2) fördern dagegen die Prolaktinfreisetzung. Erhöhte Prolaktinspiegel während der Stillzeit steigern die Dopaminausschüttung, sodass die pulsatile Gonadoliberin- und damit auch die LH- und FSH-Freisetzung ( Kap. 15.5.2) so stark gehemmt werden, dass die Ovulation sistiert. Der Menstruationszyklus kommt dadurch zum Erliegen (Laktationsamenorrhoe); eine Konzeption ist in dieser Zeit normalerweise nicht möglich. Beim Mann wirkt Prolaktin synergistisch mit Testosteron auf den Reproduktionstrakt. Prolaktin weist weiterhin eine immunmodulierende Wirkung auf. Melanozytenstimulierendes Hormon. Ein weiteres effektorisches Hormon der Adenohypophyse ist das melanozytenstimulierende Hormon (α-MSH, Melanotropin). Es fördert die Melaninproduktion sowie die Ausbreitung der Pigmentgranula in der Haut und damit ihre Pigmentierung, doch scheint es beim Menschen unter physiologischen Bedingungen nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Es wird in Form einer hochmolekularen Vorläufersubstanz, dem Proopiomelanokortin (POMC), der gemeinsamen Vorstufe von Kortikotropin ( Kap. 15.4.1), β-Endorphin und melanozytenstimulierendem Hormon, in Proopiomelanokortinzellen (POMC-Zellen) gebildet. Dies bedeutet, dass die drei Substanzen Melanotropin, Kortikotropin und β-Endorphin stets gleichzeitig freigesetzt werden. Da für
524
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
diese Freisetzung das Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH, Kap. 15.4.1) verantwortlich ist, tritt bei einer CRH-Überproduktion (z. B. einer primären Nebennierenrinden-Insuffizienz = Morbus ADDISON) eine besonders starke Pigmentierung der Haut auf.
15.2.3
Glandotrope Hormone der Adenohypophyse
Übersicht über die glandotropen Hormone ( ⊡ Tabelle 15.3) Alle weiteren Hormone des Hypophysenvorderlappens haben die Aufgabe, die Hormonausschüttung peripherer Drüsen zu steuern. Merke
VII
Thyreotropin (TSH) bewirkt die Abgabe von Schilddrüsenhormonen, Kortikotropin (ACTH) die Abgabe von Nebennierenrindenhormonen (insbesondere von Glukokortikoiden), follikelstimulierendes Hormon (FSH) und Luteinisierungshormon (LH) die Abgabe der Sexualhormone. Die beiden letztgenannten Hormone werden unter dem Begriff Gonadotropine zusammengefasst.
Da die glandotropen Hormone und die von ihnen beeinflussten effektorischen Hormone Glieder von zusammenhängenden Regelkreisen sind, ist es zweckmäßig, sie bei der weiteren Darstellung auch gemeinsam mit diesen zu behandeln und dabei jeweils die Leistungen des Gesamtsystems in den Vordergrund zu stellen.
Releasing-Hormone und Release-Inhibiting-Hormone Merke
Die Produktion und Freisetzung der glandotropen Hormone wird von einer Reihe von Hormonen, die aus der hypophysiotropen Zone des Hypothalamus stammen, gefördert oder gehemmt (⊡ Tabelle 15.4). Fördernd wirken die Releasing-Hormone (Liberine), hemmend die Release-Inhibiting-Hormone (Statine).
Die Struktur der bisher gesicherten 4 Releasing-Hormone und 2 ReleaseInhibiting-Hormone ist bekannt. Es handelt sich – mit Ausnahme von Dopamin – um Peptide mit einer zumeist verhältnismäßig geringen Anzahl
525 15.2 · Hypothalamisch-hypophysäres System
⊡ Tabelle 15.3. Glandotrope Hormone der Adenohypophyse und Plazentahormone Bezeichnung
Abk.
Synonyma
Chem. Aufbau
stimuliert
A. Glandotrope Hormone der Adenohypophyse Thyreotropin
TSH
Thyreoideastimulierendes Hormon
Glykoprotein
Trijodthyronin- und Thyroxin-Produktion
Adrenokortikotropes Hormon
ACTH
Kortikotropin
Polypeptid
GlukokortikoidProduktion
Follikelstimulierendes Hormon
FSH
Follitropin
Glykoprotein
Follikelreifung, ÖstrogenProduktion, Spermienentwicklung
Luteinisierungshormon
LH
Lutropin
Glykoprotein
Ovulation, Östrogen- und Progesteron-Produktion, Testosteron-Produktion
Glykoprotein
Östrogen- und Progesteron-Produktion
Protein
Proliferation der Brustdrüse sowie Funktionen wie STH
B. Plazentahormone Humanes Choriongonadotropin
HCG
Humanes Plazentalaktogen
HPL
Humanes Chorionsomatomammotropin (HCS)
⊡ Tabelle 15.4. Hormone für die Steuerung der Adenohypophysen-Funktion Bezeichnung
Abk.
Synonyma
A. Releasing-Hormone (Liberine)
setzt frei
Somatotropin-Releasing-Hormon
GRH (GHRH)
Somatoliberin, Growth HormoneReleasing-Hormon
Somatotropin (STH)
Thyreotropin-Releasing-Hormon
TRH
Thyreoliberin
Thyreotropin (TSH), Prolaktin (PRL)*
Kortikotropin-Releasing-Hormon
CRH
Kortikoliberin
Kortikotropin (ACTH)
Gonadotropin-Releasing-Hormon
GnRH
Gonadoliberin
FSH und LH
Somatotropin-Release-InhibitingHormon
GIH (GH-IH)
Somatostatin
Somatotropin (STH)
Prolaktin-Release-Inhibiting-Hormon
PIH (PRL-IH)
Dopamin
Prolaktin (PRL)
B. Release-Inhibiting-Hormone (Statine)
hemmt Freisetzung von
* Die Existenz eines eigenständigen PRL-Releasing-Hormons ist umstritten
15
526
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
von Aminosäuren. Sie weisen alle sehr kurze Halbwertszeiten (von Minuten) auf. Hypophysäres Pfortadersystem. Die Releasing-Hormone bzw. die Release-Inhibiting-Hormone gelangen über die Fortsätze der sekretorischen Neurone zu Kontaktstellen mit feinen Kapillarschleifen, wo sie an das Blut abgegeben werden (⊡ Abb. 15.3). Die Kapillarschleifen münden in Portalgefäße, die sich im Hypophysenvorderlappen in ein zweites Kapillarnetz aufspalten. Auf diesem Wege erreichen die genannten Hormone die Adenohypophyse und beeinflussen dort die Produktion und Freisetzung der Vorderlappenhormone.
15.3
VII
Schilddrüsenhormone
Von der Schilddrüse werden zwei stoffwechselsteuernde Hormone, Thyroxin und Trijodthyronin, sowie ein den Ca2+-Haushalt beeinflussendes Hormon, Kalzitonin (Thyreokalzitonin), abgegeben. Das Letztere wird im Zusammenhang mit der Ca2+-Regulation behandelt ( Kap. 15.8.2).
15.3.1
Biosynthese und Wirkungen der Schilddrüsenhormone
Chemischer Aufbau und Biosynthese Die beiden den Stoffwechsel, die Thermogenese, die Organentwicklung und das Längenwachstum beeinflussenden Schilddrüsenhormone leiten sich von der Aminosäure Tyrosin ab. Thyroxin (T4, Tetrajodthyronin) enthält vier, Trijodthyronin (T3) drei Jodatome. Für die Biosynthese werden zunächst Jodid-Ionen aus dem Blut gegen ein Konzentrationsgefälle im Symport mit Na+ in die Epithelzellen der Schilddrüse transportiert, apikal über einen J–/Cl–-Antiporter (Pendrin) exportiert und anschließend durch das Enzym Peroxidase zu J2 oxidiert. Dann erfolgt im Bereich der Mikrovilli der Einbau des Jods in die Tyrosylreste eines Proteins, das durch Exozytose in das Schilddrüsenkolloid gelangt und dort als Thyreoglobulin die Speicherform der Schilddrüsenhormone darstellt. Bei Bedarf werden daraus – nach Aufnahme aus dem Kolloid durch Endozytose und durch lysosomale Proteolyse – die Hormone Thyroxin und Trijodthyronin im Verhältnis 20:1 freigesetzt und gelangen durch Diffusion ins Blut. Im zirkulierenden Blut sind T4 und T3 an Plasmaproteine (Albumin, Präalbumin und ein spezifisches thyroxinbindendes α-Globulin) gebunden. Die – im Vergleich zu T3 – stärkere Eiweißbindung von T4 hat zur Folge, dass
527 15.3 · Schilddrüsenhormone
15
die Plasma-Halbwertszeit von T4 ca. 7 Tage, die von T3 dagegen nur etwa 1 Tag beträgt. Die Biosynthese der beiden Schilddrüsenhormone T4 und T3 ist von einer ausreichenden Jodzufuhr (150–200 µg/Tag) mit der Nahrung abhängig. Daher zählt Jod zu den lebensnotwendigen Spurenelementen ( Kap. 10.4). Wenn zu wenig Jod in der Nahrung, speziell im Trinkwasser und im Speisesalz enthalten ist, können nicht nur Störungen der Funktion, sondern auch morphologische Veränderungen der Schilddrüse eintreten ( Kap. 15.3.2).
Biologische Wirkungen Zwar werden von der Schilddrüse Thyroxin und Trijodthyronin freigesetzt, in den Zielzellen wird jedoch Thyroxin unter Jodabspaltung in Trijodthyronin, das eigentlich wirksame Hormon, und z. T. in das unwirksame »reverse T3« umgewandelt. Trijodthyronin bindet nach dem Durchtritt durch die Zellmembran an ein Kernrezeptorprotein. Der aktivierte Hormon-Rezeptor-Komplex ist nach Bindung an spezifische DNA-Sequenzen ein wichtiger Regulator der Transkription und der Proteinbiosynthese in den Zielzellen. Insbesondere werden die Na+/K+-ATPase und mitochondriale Enzyme (vor allem des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels) aktiviert. Merke
Trijodthyronin bewirkt auf diesem Weg eine Steigerung des Energieumsatzes, des Sauerstoffverbrauchs und der Thermogenese ( Kap. 9.2.1) im gesamten Körper (Ausnahme: Gehirn). In der Leber werden die Glykogenolyse und Glukoneogenese gesteigert (Insulin-antagonistischer Effekt). T3 erhöht die Zahl der LDL-Rezeptoren in der Hepatozytenmembran und die Dichte der β1-Adrenozeptoren im Herzen, wirkt in physiologischen Konzentrationen anabol, in hohen Dosen auf Grund eines gesteigerten Eiweißabbaus in der Muskulatur dagegen katabol. Im Fettstoffwechsel wirkt T3 einerseits lipolytisch, andererseits fördert es die Lipogenese im Fettgewebe und in der Leber. Normalerweise überwiegt dabei die Lipolyse.
Eine weitere Wirkung der Schilddrüsenhormone ist für den wachsenden Organismus von Bedeutung. Physiologische Konzentrationen der Hormone
528
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
(zusammen mit STH) sind Vorbedingung für ein normales Längenwachstum sowie für die normale Entwicklung der Organanlagen und Organe, insbesondere der Knochen (⊡ Abb. 15.8) und des Gehirns. Die Hirnentwicklung fördern sie durch Stimulation der Myelinisierung und Dendritenbildung. T3 steigert weiterhin die Darmmotilität, die neuromuskuläre Erregbarkeit und die Erythropoiese.
15.3.2
Kontrolle des T 3- und T 4-Spiegels
Regulation der Hormonkonzentrationen
VII
Die Konzentrationen von Thyroxin und Trijodthyronin im Blut werden durch ein Regelzentrum im Hypothalamus kontrolliert (⊡ Abb. 15.5). Ein Abfall bewirkt die verstärkte Abgabe des Thyreotropin-Releasing-Hormons (TRH, Thyreoliberin), das seinerseits durch Aktivierung der Phospholipase C bzw. Steigerung der zytosolischen Ca2+-Konzentration die Ausschüttung von Thyreotropin in der Adenohypophyse stimuliert. Thyreotropin (TSH = Thy-
⊡ Abb. 15.5. Wirkungen der Schilddrüsenhormone und Regulation der T3- und T4-Konzentration. TRH Thyreotropin-Releasing-Hormon
529 15.3 · Schilddrüsenhormone
15
reoideastimulierendes Hormon), ein artspezifisches Glykoprotein mit einer Molekularmasse von etwa 28 kDa, fördert (cAMP-vermittelt) die Jodaufnahme in der Schilddrüse, aktiviert die Jodierung von Tyrosin und die Kondensation von Mono- bzw. Dijodtyrosin zu Tri- bzw. Tetrajodthyronin. Außerdem setzt TSH die Schilddrüsenhormone T4 und T3 aus der Speicherform Thyreoglobulin durch Proteolyse frei und bewirkt ihre Ausschüttung in die Blutbahn. Darüber hinaus fördert Thyreotropin die Proliferation der Follikelzellen und die Durchblutung der Schilddrüse. In die geschilderte Regulation der Hormonkonzentrationen können noch weitere Faktoren, wie der Belastungszustand und die Körpertemperatur, modifizierend eingreifen (⊡ Abb. 15.5): Kältereiz, psychische und physische Belastungen stimulieren die TRH-Sekretion; Glukokortikoide und Dopamin wirken dagegen hemmend. Hypothyreose. Unter einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) versteht man eine ungenügende Bildung bzw. eine ungenügende Wirkung von Schilddrüsenhormonen. Gemäß ihrer Ursachen bzw. dem Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung unterscheidet man die Hypothyreose des Neugeborenen und die postnatal erworbenen Hypothyreosen. Bei der Hypothyreose des Neugeborenen liegt meist eine genetisch bedingte, mangelhafte Entwicklung der Schilddrüse, ein Jodmangel oder eine genetisch bedingte Störung der Hormonsynthese vor. Die postnatal erworbenen Hypothyreosen werden in der Mehrzahl der Fälle durch Entzündungen mit Verlust von funktionstüchtigem Schilddrüsengewebe, darüber hinaus durch Röntgenbestrahlungen, Radiojodbehandlung oder operative Eingriffe hervorgerufen. Ein wichtiges Symptom ist das Myxödem, eine eigentümliche Verdickung und Schwellung der Haut infolge der Einlagerung von Glykosaminoglykanen. Hyperthyreose. Bei einer Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) ist die Ausschüttung von Thyroxin und Trijodthyronin gesteigert und dadurch der Energieumsatz, die Körpertemperatur, die Herzfrequenz und damit das Herzzeitvolumen erhöht. Die Patienten leiden unter Gewichtsabnahme, Diarrhö, Unrast und Schlaflosigkeit. Sie schwitzen leicht, haben einen feinschlägigen Tremor und weite Pupillen. Trotz gemeinsamer Symptomatik muss zwischen zwei Ursachen der Hyperthyreose unterschieden werden. Beim autonomen Adenom bzw. bei multiplen »heißen« Knoten der Schilddrüse handelt es sich um ein lokalisiertes, tumorartiges Wachstum von Teilen der Schilddrüse, die nicht mehr der hypothalamischhypophysären Regelung unterliegen. Beim Morbus BASEDOW dagegen handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit. Zusätzlich zu den oben genannten Symptomen kommt es zu einer Vergrößerung der Schilddrüse (Struma) und vielfach zu einem beidseitigen Hervortreten der Augäpfel (Exophthalmus) auf Grund einer Volumenzunahme des retrobulbären Gewebes. Bei dieser Autoimmunerkrankung werden von B-Lymphozyten thyreoideastimulierende Immunglobuline (TSI) gebildet, die zu einer Dauerst imulation des TSH-Rezeptors in der Membran der Follikelepithelzellen führen. Struma (Kropf ). Unter einer Struma versteht man eine Vergrößerung der Schilddrüse, die auf einer Vermehrung der Follikel beruht. Nach der Art des Wachstums unterscheidet man Knotenstrumen und
530
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
diffuse Strumen. Bei einem Jodmangel kommt es auf dem Regulationsweg zu einer verstärkten Freisetzung von Thyreotropin, das seinerseits das Wachstum der Schilddrüse anregt. Strumen findet man jedoch nicht nur bei Unterfunktion, sondern auch bei normaler Funktion und bei Überfunktion der Schilddrüse.
15.4
VII
Nebennierenrindenhormone
Die Nebennierenrinde (NNR) stellt eine endokrine Drüse mit einem besonders breiten Funktionsspektrum dar. In jeder ihrer drei morphologisch abgrenzbaren Zonen (Zona glomerulosa, fasciculata und reticularis) werden Hormone gebildet, die sich in ihren Wirkungen grundlegend voneinander unterscheiden. Bei allen Nebennierenrindenhormonen handelt es sich um Steroide, die sich vom Cholesterol ableiten.
15.4.1
Glukokortikoide
Merke
Die Zona fasciculata, aber auch die Zona reticularis, produzieren Glukokortikoide, die vor allem Stoffwechselprozesse und Abwehrmechanismen beeinflussen. Der wirksamste Vertreter dieser Gruppe ist Kortisol (Hydrokortison), daneben wird in kleineren Mengen auch Kortikosteron gebildet.
Wirkungsmechanismen Wie alle anderen Steroidhormone reagieren die Glukokortikoide mit spezifischen zytoplasmatischen Rezeptoren. Nach Bildung des Hormon-Rezeptor-Komplexes bindet dieser im Zellkern an spezifische DNA-Abschnitte und aktiviert auf diese Weise die Transkription und damit die Protein- bzw. Enzymsynthese.
Stoffwechselwirkungen der Glukokortikoide Merke
Die Glukokortikoide beeinflussen den Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsel. Sie dienen der schnellen Bereitstellung von Energieträgern (vor allem von Glukose) an Gehirn und Herz.
531 15.4 · Nebennierenrindenhormone
15
Glukokortikoide fördern die Glukoneogenese aus Aminosäuren und die Glykogensynthese in der Leber. Hier hat Kortisol also eine anabole Wirkung. In anderen Organen, wie z. B. in der Muskulatur, im Fettgewebe, im lymphatischen Gewebe, in der Haut und im Knochen, wirkt Kortisol dagegen katabol (substanzabbauend). Der Glukosetransport und die Glukoseutilisation im Muskel- und Fettgewebe werden gehemmt, Proteine vor allem in der Muskulatur, aber auch im lymphatischen Gewebe, in der Haut und im Knochen vermehrt abgebaut (Proteolyse), wodurch die freigesetzten Aminosäuren für die Glukoneogenese ( s. oben) zur Verfügung stehen. Im Fettgewebe werden freie Fettsäuren durch Lipolyse freigesetzt und die Ketogenese gesteigert. Die Steigerung des Fettabbaus durch Adrenalin ( Kap. 15.6.1) ist erst in Anwesenheit von Kortisol möglich. Eine solche Funktion, bei der die Anwesenheit eines Hormons für die Effektivität eines anderen notwendig ist, bezeichnet man als permissive Wirkung. Die meisten dieser Stoffwechselwirkungen von Kortisol sind Insulin-antagonistisch.
Abwehrhemmende Wirkungen der Glukokortikoide Merke
Eine besonders wichtige Wirkung der Glukokortikoide besteht darin, dass sie in höheren Konzentrationen die mesenchymalen Gewebereaktionen, speziell Entzündungen und Immunreaktionen hemmen.
Diese entzündungshemmende Wirkung beruht auf der Einschränkung der unspezifischen Abwehr (Hemmung der Freisetzung proteolytischer Enzyme, der Leukozytendiapedese, der Arachidonsäurekaskade, von Histamin u. a.). Kortisol unterdrückt aber auch die spezifische Abwehr ( Kap. 4.7.3). Der letztgenannte Effekt erklärt sich vor allem daraus, dass Glukokortikoide die Bildung von Zytokinen (IL-1-Produktion der Makrophagen, IL-2-Sekretion der T-Lymphozyten, Kap. 4.7.5) und die Antikörpersynthese hemmen (Immunsuppression). Außerdem unterdrücken die Glukokortikoide die Fibroblastenbildung und die Kollagensynthese (antiproliferative Wirkung). Aus diesen Gründen werden Kortisol bzw. seine Derivate bei rheumatischen Erkrankungen, allergischen Reaktionen und anderen Krankheiten therapeutisch eingesetzt.
532
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Wirkungen der Glukokortikoide auf Organe. Neben den beschriebenen Wirkungen lösen Glukokortikoide noch weitere spezifische Organeffekte aus: Gehirn: Steigerung der Erregbarkeit gegenüber sensorischen Reizen, euphorisierende oder auch depressionsauslösende Wirkung, Senkung der Krampfschwelle, Niere: Retention von Na+-Ionen und Wasser (mineralokortikoide Wirkung), Gefäße: verbessertes Ansprechen der Adrenozeptoren der glatten Muskulatur auf Katecholamine (permissive Wirkung), Magenschleimhaut: Hemmung der Schleimsekretion und der Prostaglandinbildung, fetale Lunge: vermehrte Bildung von Surfactant ( Kap. 7.2.1).
Regulation der Hormonkonzentrationen ( ⊡ Abb. 15.6)
VII
Die Glukokortikoide gehören zu den Hormonen, deren Konzentrationen im Blut durch einen Regelprozess kontrolliert werden. Regelgröße ist in erster Linie die Konzentration des freien Kortisols im Blut. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa 80 % des Kortisols im Blut an ein α1-Globulin (Transkortin) und etwa 10 % an Albumin gebunden sind, sodass nur 10 % in freier, biologisch aktiver Form vorliegen. Bei einer Abnahme der Konzentration des frei-
⊡ Abb. 15.6. Stoffwechselwirkungen von Kortisol und Regulation der Kortisolkonzentration. CRH Kortikotropin-Releasing-Hormon
533 15.4 · Nebennierenrindenhormone
15
en Kortisols wird im Hypothalamus Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH, Kortikoliberin), ein aus 41 Aminosäuren bestehendes Peptid, sezerniert, das über das Pfortadersystem in die Adenohypophyse gelangt und dort cAMPvermittelt die Freisetzung von Kortikotropin (Adrenokortikotropem Hormon, ACTH) bewirkt. ACTH seinerseits stimuliert – nach Bindung an einen spezifischen Membranrezeptor – in der Nebennierenrinde, wiederum cAMPvermittelt, Synthese und Ausschüttung der Glukokortikoide. Dabei ist von Bedeutung, dass die Freisetzung von Kortikotropin-Releasing-Hormon und damit auch die von ACTH nicht kontinuierlich, sondern in unregelmäßigen Abständen (episodenhaft) erfolgt. Der Sollwert des Regelkreises ist allerdings in gewissen Grenzen variabel. Die Kortisolkonzentration weist insbesondere tagesrhythmische Schwankungen mit einem Maximalwert am frühen Morgen und einem Minimalwert am späten Abend auf. Außerdem kommt es bei vielen Belastungszuständen (Stress) zu einer Sollwertverstellung ( s. unten). Stress und Adaptation. Es ist das Verdienst von SELYE, erkannt zu haben, dass der Organismus auf verschiedenartige bedrohliche Reize in einer stets gleichartigen Reaktionsweise antwortet. Als auslösende Ursachen für diese Stressreaktion kommen u. a. in Frage: Infektionen, Verletzungen, Kälte- oder Hitzebelastungen, Hypoxie, Narkose, Hypoglykämie, starke Schallreize sowie alle Reize mit emotionaler Beteiligung. Man bezeichnet den als Folge solcher Belastungen auftretenden Reizzustand als Stress und den jeweils auslösenden Reiz als Stressor. Eine wesentliche, unspezifische Reaktion des Organismus auf die Einwirkung von Stressoren besteht in einem Anstieg der Glukokortikoidkonzentrationen (»Alarmreaktionen«). Dieser Effekt kann als eine Sollwertverstellung des Glukokortikoid-Regelkreises gedeutet werden. Daneben kommt es im Stress zu einer gesteigerten Sympathikusaktivität und als Folge davon zu einer verstärkten Ausschüttung der Hormone des Nebennierenmarks (Katecholamine, Kap. 15.6.1). Durch die Glukokortikoide wird die Empfindlichkeit der Gefäße für Katecholamine gesteigert ( Kap. 6.6.3), wodurch in einer Stresssituation der arterielle Blutdruck ansteigt und Blut in die Skelettmuskulatur umgeleitet wird. Während kurzfristige bzw. episodenhafte Blutdruckanstiege sinnvolle Reaktionen des Körpers darstellen, ist ständig erhöhter Blutdruck infolge von lang anhaltendem Stress sicherlich gesundheitsschädlich. Bei lang dauernden oder wiederholten Einwirkungen des gleichen Stressors nimmt die Stärke der Stressreaktion mehr und mehr ab, es tritt eine physiologische Adaptation ein. Ein solcher Anpassungsprozess, der sich im Zeitraum von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten vollzieht, ist streng stressorspezifisch (z. B. Zunahme der Schweißsekretion bei Hitzebelastung). Die unspezifischen Stressreaktionen, die unabhängig von der Art des einwirkenden Reizes auftreten (gesteigerte Glukokortikoidabgabe, Katecholaminausschüttung), nehmen mit wiederholten Belastungen ebenfalls ab. Dieser Anpassungsprozess, der sich in kürzeren Zeiten (Stunden bis Wochen) vollzieht, wird als Habituation (Gewöhnung) bezeichnet.
534
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
15.4.2
Mineralokortikoide
Die zweite Gruppe der Nebennierenrindenhormone bilden die Mineralokortikoide, die vorrangig in der Zona glomerulosa produziert werden. Ihr wichtigster Vertreter ist das Aldosteron. Deutlich schwächer wirksam ist dessen Vorstufe, das Kortexon (11-Desoxykortikosteron).
Biologische Wirkungen von Aldosteron
VII
Die Mineralokortikoide, speziell das Aldosteron, sind an der Regulation des Elektrolyt- und Wasserhaushalts beteiligt (⊡ Abb. 15.7). Aldosteron steigert nach Bindung an einen spezifischen zytoplasmatischen Rezeptor und anschließender Bindung des Hormon-Rezeptor-Komplexes an bestimmte DNA-Sequenzen im Zellkern die Biosynthese der Na+/K+-ATPase und von Na+-Kanalproteinen. Darüberhinaus aktiviert es Na+/H+-Austauscher und die H+-ATPase. Merke
Aldosteron bewirkt dadurch eine verstärkte Resorption von Na+-Ionen im distalen Tubulus und im Sammelrohr der Niere, womit – osmotisch bedingt – auch eine Wasserresorption verbunden ist. Außerdem fördert es die H+-Ausscheidung und (indirekt) die K+-Sekretion ( Kap. 13.3.1).
Ganz ähnlich sind die Wirkungen des Aldosterons auf den Ionen- und Wassertransport im Kolon sowie in den Ausführungsgängen der Speichel- und Schweißdrüsen.
Regulationsmechanismen ( ⊡ Abb. 15.7) Die Produktion und die Abgabe von Aldosteron, das im Blut überwiegend an Albumin gebunden ist, werden durch mehrere Faktoren geregelt. Wirksame Reize sind ein Anstieg der extrazellulären K+-Konzentration (z. B. bei gesteigerter Kaliumzufuhr), u. U. ein schneller, sehr starker Abfall der extrazellulären Na+-Konzentration (z. B. bei Kochsalzverlusten durch starke Schweißsekretion) oder eine Abnahme des Blutvolumens (z. B. bei großen Blutverlusten). Die Steuerung der Hormonfreisetzung erfolgt dabei im Wesentlichen auf zwei Wegen. Erstens beeinflussen die K+- (und Na+-)Konzentrationen des Blutes direkt die Zellen der Zona glomerulosa und veranlassen
535 15.4 · Nebennierenrindenhormone
15
⊡ Abb. 15.7. Wirkungen von Aldosteron und Einflüsse auf die Hormonfreisetzung
sie zu einer angepassten Hormonabgabe. Zweitens wird bei Abnahme der Na+-Konzentration, bei Einschränkung der Nierendurchblutung, die z. B. als Folge eines starken Blutverlusts auftreten kann, und bei β1-adrenergvermittelter Sympathikusaktivierung aus den Epitheloidzellen des juxtaglomerulären Apparats in der Niere die Protease Renin freigesetzt ( Kap. 6.7.2). Letzteres fördert die Bildung von Angiotensin II, das seinerseits durch Aktivierung des Phosphoinositolsystems ( Kap. 2.2.2) stimulierend auf die Produktion und die Abgabe von Aldosteron wirkt. Insgesamt hat Aldosteron also die Funktion einer Stellgröße im Regelkreis, der für die Konstanthaltung der Na+- und K+-Konzentrationen sowie des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens sorgt.
536
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Das auf die Nebennierenrinde einwirkende trope Hormon aus dem Hypophysenvorderlappen, das Kortikotropin (ACTH), beeinflusst die Aldosteronproduktion und -abgabe normalerweise kaum. Wohl aber kann unter pathologischen Bedingungen eine gesteigerte Aldosteronproduktion durch eine verstärkte ACTH-Ausschüttung hervorgerufen werden.
15.4.3
VII
Androgene der Nebennierenrinde
In der Zona reticularis der Nebennierenrinde werden neben Glukokortikoiden Androgene gebildet. Es handelt sich dabei insbesondere um Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Androstendion. Diese männlichen Geschlechtshormone sind bei Männern unter physiologischen Bedingungen von untergeordneter funktioneller Bedeutung. Bei Frauen steuern sie das Wachstum der Achsel- und Schambehaarung. Durch hohe ACTH-Konzentrationen im Blut wird die Androgenproduktion in der Nebennierenrinde gesteigert.
15.5
Sexualhormone
Die Sexualhormone dienen in erster Linie der Fortpflanzung, haben aber auch Einfluss auf zahlreiche Organfunktionen. Von beiden Geschlechtern werden sowohl männliche als auch weibliche Sexualhormone, allerdings in deutlich unterschiedlichen Mengen, gebildet.
15.5.1
Männliche Sexualhormone
Bildung und Wirkung der Androgene Die männlichen Sexualhormone, die man insgesamt als Androgene bezeichnet, sind C19-Steroide. Die Bildung des wichtigsten männlichen Sexualhormons Testosteron erfolgt in den Leydig-Zwischenzellen der Hoden u. a. über die Zwischenstufen Progesteron und Androstendion. Testosteron wird in Erfolgsorganen (z. B. der Prostata und den Samenblasen) in 5α-Dihydrotestosteron umgewandelt. Letzteres hat eine deutlich höhere Affinität zum zytoplasmatischen Androgenrezeptor als Testosteron.
537 15.5 · Sexualhormone
15
⊡ Abb. 15.8. Altersabhängiger Einfluss verschiedener Hormone auf das Längenwachstum
Merke
Testosteron bewirkt während der Fetalperiode die Entwicklung des Nebenhodens, des Ductus deferens und der Samenblase aus den WOLFF-Gängen, vor der Geburt den Deszensus der Testes in das Skrotum, während der Pubertät das Wachstum des Penis, der Samenblasen und des Larynx. Testosteron fördert in der Pubertät das Muskel- und Knochenwachstum (⊡ Abb. 15.8, anabole Wirkung), bewirkt aber nach dem Wachstumsschub auch das Ende des Knochenwachstums durch Schluss der Epiphysenfugen, beim erwachsenen Mann (zusammen mit FSH) die Regulation der Bildung von Samenzellen in den Samenkanälchen des Hodens (Spermatogenese) und deren Reifung im Nebenhoden (Spermiogenese).
Außerdem erhöht es (bei beiden Geschlechtern) die Libido und stimuliert die Erythropoiese ( Kap. 4.3.3).
538
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Merke
Dihydrotestosteron fördert in der Fetalperiode die Entwicklung des Penis, des Skrotums und der Prostata, in der Pubertät das Wachstum dieser Organe; es verstärkt die Talgdrüsensekretion und ist für die charakteristische männliche Körperbehaarung verantwortlich, beim erwachsenen Mann die Bildung der Prostata- und Samenblasensekrete, die für die Vitalität der Spermien notwendig sind, und führt (bei entsprechender genetischer Disposition) zum sog. androgenetischen Haarverlust.
VII
Die Androgene, die im Plasma zu etwa 98 % an Proteine gebunden sind, prägen darüber hinaus das Sexual- und Aggressionsverhalten.
Regulation der Testosteronabgabe Die Produktion und Freisetzung von Testosteron wird über einen Regelkreis vom Hypothalamus kontrolliert. Mit Beginn der Pubertät wird in etwa 1–3 stündigen Intervallen – angetrieben von einem neuronalen »Pulsgenerator« – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Kap. 15.2.3) aus dem Hypothalamus abgegeben, wobei die Pulse nachts und in den frühen Morgenstunden gehäuft auftreten. GnRH bewirkt im Hypophysenvorderlappen die Ausschüttung von Luteinisierungshormon (LH) und follikelstimulierendem Hormon (FSH). LH veranlasst die Leydig-Zwischenzellen unter Vermittlung von cAMP zur vemehrten Produktion von Testosteron, das zum Hypophysenvorderlappen und – wesentlich stärker – zum Hypothalamus rückkoppelt und die LH-Sekretion hemmt. Dadurch wird der Regelkreis geschlossen (⊡ Abb. 15.9). FSH stimuliert, ebenfalls cAMP-vermittelt, in den Tubuli contorti des Hodens die Spermatogenese. Gleichzeitig wird in den dortigen Sertoli-Zellen das Peptidhormon Inhibin gebildet, das selektiv die FSH-Freisetzung hemmt.
15.5.2
Weibliche Sexualhormone
Die Bildungsstätten der weiblichen Sexualhormone sind die Ovarien. Unter dem Einfluss der Gonadotropine werden in den Epithelzellen der Follikel Östrogene und im Corpus luteum Gestagene gebildet.
539 15.5 · Sexualhormone
15
⊡ Abb. 15.9. Wirkungen von Testosteron (T) und 5α-Dihydrotestosteron (DHT) sowie Regulation der Hormonsekretion. LH Luteinisierungshormon, FSH follikelstimulierendes Hormon, GnRH Gonadotropin-Releasing-Hormon
Bildung und Wirkungen der Östrogene Bei den Östrogenen handelt es sich um C18-Steroidhormone. Das wichtigste in den Follikelepithelien gebildete und von hier an das Blut abgegebene Hormon ist Östradiol. In den Thekazellen des Follikelepithels werden zunächst unter dem Einfluss von LH Androgene gebildet, die in den Granulosazellen unter FSH-Wirkung in Östrogene umgewandelt werden (⊡ Abb. 15.10). Daneben werden noch Östron (im Ovar) und Östriol (in der Leber) produziert, deren Wirkung jedoch wesentlich schwächer ist. Im Blutplasma sind mehr als 95 % der Östrogene an Proteine gebunden. Merke
Östrogene, also vor allem Östradiol, sind in der Hauptsache Wuchsstoffe, die auf die Geschlechtsorgane einwirken. Sie fördern – nach Bindung an einen Zellkern-Rezeptor – das Wachstum der weiblichen Sexualorgane (anaboler Effekt) und prägen die sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale.
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Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.10. Wirkungen der weiblichen Sexualhormone und Regulation der Hormonabgabe. FSH Follikelstimulierendes Hormon, LH Luteinisierungshormon, GnRH GonadotropinReleasing-Hormon
In der Pubertät bewirken sie (nach einem Wachstumsschub) einen schnellen Schluss der Epiphysenfugen und damit die Beendigung des Längenwachstums. Unter dem Einfluss der Östrogene findet auch der Aufbau der Uterusschleimhaut und die Bildung der Endometriumdrüsen in der Proliferationsphase statt. Durch Östrogene wird das Brustwachstum gefördert, die Viskosität des Zervikalsekrets erniedrigt, das Myometrium kurz vor dem Geburtstermin für Oxytozin sensibilisiert, der Einbau von Ca2+ und HPO42– in die Knochenmatrix gefördert, die Osteoklastenaktivität gehemmt und die Biosynthese von Transportproteinen und Gerinnungsfaktoren in der Leber gesteigert. In höheren Konzentrationen führen Östrogene zur Retention von Na+ und H2O. Für das Sexualverhalten der Frau scheinen die Östrogene von untergeordneter Bedeutung zu sein.
541 15.5 · Sexualhormone
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Bildung und Wirkungen der Gestagene Innerhalb der zweiten Gruppe der weiblichen Sexualhormone, der Gestagene, stellt das Progesteron den wichtigsten Vertreter dar. Als Pregnanderivat ist es den Nebennierenrindenhormonen chemisch nahe verwandt. In der zweiten Zyklushälfte werden vom Corpus luteum täglich 20–25 mg Progesteron gebildet. Während der Schwangerschaft kann die Progesteronproduktion, die in diesem Fall vorwiegend in der Plazenta erfolgt, bis auf 250 mg täglich ansteigen. Progesteron wird in der Leber schnell inaktiviert und vorwiegend als Pregnandiol-Glukuronid mit dem Harn ausgeschieden. Die biologische Halbwertszeit beträgt nur etwa 10 min. Im Blutplasma ist Progesteron weitgehend an Albumin, aber auch an Transkortin ( Kap. 15.4.1) gebunden. Nur etwa 2 % sind frei diffusibel. Als lipophile Substanz bindet Progesteron in den Zielzellen an einen zytoplasmatischen Rezeptor. Merke
Funktionell ist Progesteron vor allem für die zyklischen Veränderungen des Uterus von Bedeutung. Zusammen mit den Östrogenen wandelt es in der zweiten Zyklushälfte das Endometrium der Proliferationsphase zu dem der Sekretionsphase um, wobei gleichzeitig Glykogen in die Zellen eingelagert wird (⊡ Abb. 15.10).
Außerdem nimmt die Ansprechbarkeit der Uterusmuskulatur auf Oxytozin ebenso wie die Schleimbildung in der Cervix uteri ab. Das Zervixsekret wird zudem hochviskös. In der Brustdrüse fördert Progesteron die Aussprossung von Alveolen. Schließlich steigen unter seinem Einfluss Atmung, Herzfrequenz, Grundumsatz und Körpertemperatur an. Die morgendliche Kerntemperatur ist in der zweiten Zyklushälfte um 0,3–0,5 °C höher als in der ersten Hälfte, wobei der Zeitpunkt der Temperaturerhöhung dem Anstieg des Progesteronspiegels nach der Ovulation entspricht (Methode nach KnausOgino, Kap. 9.1.2). Gestagene wirken natriuretisch.
Hormonale Steuerung des menstruellen Zyklus An dem monatlichen Zyklus der geschlechtsreifen Frau, der normalerweise im Alter von 10–14 Jahren beginnt (Menarche) und zwischen dem 48. und 55. Lebensjahr endet (Menopause), sind der Hypothalamus, die Hypophyse, die Ovarien und der Uterus beteiligt. Das aus dem Hypotha-
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VII
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
lamus pulsatil freigesetzte Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) bewirkt die intermittierende Ausschüttung der beiden Gonadotropine, des follikelstimulierenden Hormons (FSH, Follitropin) und des Luteinisierungshormons (LH, Lutropin), aus der Adenohypophyse (⊡ Abb. 15.10). Mit dem Untergang des Corpus luteum gegen Ende eines Zyklus steigt FSH an, unter dessen Einfluss eine Kohorte von Follikeln heranreift. Diese bilden mit zunehmendem Reifegrad vermehrt Östrogene, insbesondere Östradiol (⊡ Abb. 15.11). Der langsam ansteigende Östradiolspiegel im Blut unterdrückt die FSH-Sekretion (negative Rückkopplung). Am 5.–7. Tag wird der Follikel mit der größten FSH-Rezeptordichte zur endgültigen Ausreifung selektiert und zum späteren Graaf-Follikel umgebildet. Der dominierende Follikel produziert weiterhin das Peptid Inhibin, das die FSH-Abgabe zusätzlich hemmt, wodurch eine Rückbildung der Begleitfollikel ausgelöst wird. Der dominierende Follikel setzt zudem große Mengen an Östradiol frei, dessen Plasmakonzentration etwa 30 Stunden vor der Zyklusmitte einen Schwellenwert von 150 pg/ml überschreitet. Bei diesem hohen Östradiolspiegel tritt nunmehr eine positive Rückkopplung auf, wodurch die LH-, FSH- und GnRHAusschüttung schnell einen Gipfel erreicht (⊡ Abb. 15.11). Der LH-Gipfel in der Zyklusmitte löst den Eisprung (Ovulation), d. h. die Ruptur des reifen Follikels unter Ausstoßung der Eizelle, aus. Nach der Ovulation sinkt der Östradiolspiegel im Blut zunächst ab, und der geplatzte Follikel wird zum Corpus luteum (Gelbkörper) umgebildet, das die Progesteronproduktion und -abgabe aufnimmt und parallel hierzu auch Östrogene freisetzt (⊡ Abb. 15.11). Nach dem Wegfall der positiven Rückkopplung sinken unter dem Einfluss einer verstärkten negativen Rückkopplung die LH- und FSH-Spiegel wieder auf basale Plasmawerte ab. Durch diesen hormonalen Rückkopplungsmechanismus ist gewährleistet, dass in der zweiten Zyklushälfte ebenso wie in der Schwangerschaft eine weitere Ovulation und damit eine nochmalige Konzeption ausgeschlossen sind. Darüber hinaus führt die anhaltende Hemmung der Gonadotropinabgabe zur Degeneration des Gelbkörpers am Ende des Zyklus. Hierdurch wird die negative Rückkopplung gehemmt, und ein neuer Zyklus kann beginnen. Der Abfall des Progesteronspiegels am Zyklusende führt zu einer gesteigerten Bildung von Prostaglandinen (vor allem von PGF2α, Kap. 15.10), die zur Kontraktion der Spiralarterien und Blutleere mit Schädigung der Schleimhaut führen. Die geschädigte Schleimhaut wird während der Menstruation
543 15.5 · Sexualhormone
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⊡ Abb. 15.11. Konzentrationsänderungen der Gonadotropine und der weiblichen Sexualsteroide im Blutplasma, sowie die histologischen Veränderungen des Ovars und des Endometriums während des menstruellen Zyklus. Einsatzbilder: Zeitliche Folge und Amplitude der pulsatilen LH-Freisetzung am 9. (links) und 17. Zyklustag (rechts). M = Menstruationsphase, P = Proliferationsphase, S = Sekretionsphase
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Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
ausgestoßen. Definitionsgemäß gilt der Tag, an dem die Menstruationsblutung einsetzt, als 1. Tag des neuen Zyklus. Merke
Von entscheidender Bedeutung für den beschriebenen normalen Ablauf des menstruellen Zyklus und damit für die Fertilität der Frau ist – ähnlich wie beim Mann – die von einem hypothalamischen Pulsgenerator ausgehende pulsatile Freisetzung von Gonadotropin-Releasing-Hormon.
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In der ersten Zyklushälfte (bis zur Ovulation), d. h. unter Östrogeneinfluss, beträgt der Abstand zwischen den einzelnen Pulsen ca. 90 Minuten. In der zweiten Zyklushälfte, nunmehr unter vorwiegendem Gestageneinfluss, weisen die Pulse eine niedrigere Frequenz (1 Puls in 3 Stunden), aber eine höhere Amplitude auf (⊡ Abb. 15.11). Auf Grund von Tierversuchen, aber auch durch den (therapeutischen) Einsatz von GnRH bei Frauen, z. B. bei Sterilität, konnte gezeigt werden, dass sowohl die kontinuierliche Zufuhr des Freisetzungshormons als auch die Veränderung der Abstände zwischen den Pulsen eine verminderte Ausschüttung von FSH und LH aus der Hypophyse zur Folge hat. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der menstruelle Zyklus nicht ausschließlich hormonell gesteuert wird, sondern an komplexe zentralnervöse Funktionen gekoppelt ist. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass er durch psychische Faktoren beeinflusst werden kann. Hormonale Kontrazeptiva. Wegen ihrer hohen Zuverlässigkeit ist die Einnahme von weiblichen Sexualhormonen zur wichtigsten Methode der Geburtenkontrolle geworden. Bei der Einphasen-Methode wird 21 Tage lang eine Östrogen-Gestagen-Kombination eingenommen. 3–4 Tage nach Absetzen des Präparates tritt eine Abbruchblutung (Hormonentzugsblutung) ein, die ungefähr einer Menstruation entspricht. Die Einphasenpräparate verhindern die Ovulation, hemmen, selbst wenn es doch zur Ovulation gekommen sein sollte, die Einnistung der Eizelle (es unterbleibt die volle sekretorische Umwandlung des Endometriums) und hemmen das Penetrationsvermögen der Spermien durch Erhöhung der Viskosität des Zervixschleims. Unter der Mikropille versteht man ein Einphasen-Präparat mit sehr niedrigem Östrogenanteil (< 30 µg). Bei der Zweiphasen-Methode werden mit den sog. Sequenzpräparaten in der ersten Zyklusphase nur Östrogene, in der zweiten Phase die üblichen Östrogen-Gestagen-Kombinationen gegeben. Zweiphasenpräparate wirken vorwiegend als Ovulationshemmer. Da die Einwirkung auf den Zervixschleim entfällt, sind sie nicht so zuverlässig wie die Einphasenpräparate.
545 15.5 · Sexualhormone
15
Bei der Dreiphasen-Methode sind die Präparate noch stärker als bei der Zweiphasen-Methode dem weiblichen Zyklus angepasst. Entsprechend dem Hormonspiegelverlauf während eines Zyklus enthalten die Präparate niedrige Östrogendosen mit wöchentlich ansteigenden Gestagendosen. Unter der sog. Minipille versteht man niedrig dosierte reine Gestagenpräparate. Die kontrazeptive Wirkung der »Minipille« beruht vorwiegend auf der Viskositätserhöhung des Zervixschleims; die Ovulation ist nicht gehemmt. Die Versagerrate (PEARL-Index) liegt daher erheblich höher als bei den anderen Methoden. Mit der Postkoitalpille (»Pille danach«) werden hohe Östrogendosen verabreicht, um die Implantation des Keims zu verhindern.
Hormonale Steuerung von Schwangerschaft, Geburt und Laktation Wenn in der Tube die Befruchtung eines Eies stattgefunden hat, gräbt sich die inzwischen entstandene Blastozyste ab dem 7. Tag mit Hilfe proteolytischer Enzyme in das Endometrium ein und wächst zum Embryo heran. Die Ernährung des Embryos erfolgt über die Plazenta, die gleichzeitig eine hormonale Steuerfunktion übernimmt. Merke
Der Aufrechterhaltung der Schwangerschaft dienen vor allem 4 Hormone: humanes Choriongonadotropin (HCG), humanes Plazentalaktogen (HPL, humanes Chorionsomatomammotropin, HCS), Progesteron und Östrogene.
Daneben wird neben CRH u. a. auch ein Peptidhormon, das Relaxin, produziert, welches den Tonus des Myometriums herabsetzt und die Symphyse auf Grund einer gesteigerten Kollagenaseaktivität auflockert. Die Zellen des Trophoblasten und des sich hieraus entwickelnden Synzytiotrophoblasten produzieren bereits 1 Woche nach der Befruchtung große Mengen an Choriongonadotropin, dessen Nachweis im Blut oder Urin der frühen Schwangerschaftsdiagnostik dient. Die Konzentration dieses Proteohormons erreicht in der 10. Schwangerschaftswoche maximale Werte und nimmt dann bis zur 20. Schwangerschaftswoche steil ab (⊡ Abb. 15.12). HCG stimuliert während der Embryonalentwicklung den Gelbkörper zur Bildung großer Mengen an Progesteron und Östrogenen. Hierdurch wird ein Abstoßen des Endometriums mit dem eingenisteten Keim verhindert sowie das Uterus- und Brustwachstum gefördert. Mit Beginn der Fetalperiode über-
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Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.12. Verlauf der mittleren Konzentrationen der Plazentahormone im Blutplasma während der Schwangerschaft (Zeitangabe in Wochen post menstruationem). HCG humanes Choriongonadotropin, HPL humanes Plazentalaktogen
nimmt die Plazenta die Progesteron- und Östrogenproduktion (hauptsächlich Östriol), sodass die Schwangerschaft von der Funktion des Gelbkörpers unabhängig wird. Die zunehmende Östrogenbildung in der Plazenta wird durch fetales Kortisol stimuliert. Gegen Ende der Schwangerschaft ist der Östriolspiegel im Blut der Schwangeren auf etwa das 150fache, die Progesteronkonzentration auf ca. das 15fache der über einen Zyklus gemittelten Werte nichtschwangerer Frauen angestiegen. Ein weiteres, von der Plazenta gebildetes Proteohormon ist das Plazentalaktogen, das in seiner Struktur und Funktion dem Wachstumshormon und dem Prolaktin sehr ähnlich ist. Es fördert das Wachstum des Feten und die Entwicklung der Brustdrüse. Die Mechanismen für die Auslösung des Geburtsvorgangs sind noch nicht in allen Einzelheiten aufgeklärt ( Kap. 15.2.1). Es ist sicher, dass sich Wandspannung, Freisetzung verschiedener Hormone und Erregbarkeit des Myometriums gegenseitig beeinflussen, wobei die Dehnung des Gebärmut-
547 15.6 · Hormone des Nebennierenmarks
15
terhalses einen besonders starken Reiz für die Oxytozinausschüttung darstellt. Die Laktation (Milchproduktion und -sekretion der Brustdrüse) wird ebenfalls hormonell gesteuert. Während der Schwangerschaft bilden sich unter dem Einfluss erhöhter Östrogen- und Gestagenspiegel sowie unter Mitwirkung von HPL, Prolaktin u. a. die distalen Alveolen und Lobuli der Brustdrüse aus. Die nach der Geburt einsetzende Milchproduktion wird durch Prolaktin stimuliert ( Kap. 15.2.2). Die Milchfreisetzung schließlich erfolgt, ausgelöst durch den Saugreiz, unter Vermittlung von Oxytozin ( Kap. 15.2.1).
15.6
Hormone des Nebennierenmarks
In den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks, die in enger Beziehung zu postganglionären Neuronen des Sympathikus stehen, werden die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin gebildet. Die Katecholamine stellen einerseits wegen ihres Abgabe- und Wirkungsmodus Hormone dar, andererseits gehört Noradrenalin zu den neuronalen Transmittersubstanzen (z. B. Vermittlung der Sympathikuswirkung auf die Erfolgsorgane, Neurotransmitter im Hypothalamus).
15.6.1
Bildung und Wirkungen von Adrenalin und Noradrenalin
Biosynthese In zwei unterschiedlichen Zelltypen des Nebennierenmarks werden die beiden Katecholamine Noradrenalin (Arterenol) und Adrenalin (Epinephrin) gebildet. Die Biosynthese erfolgt aus der Aminosäure Tyrosin über die Zwischenstufen Dopa (Dihydroxyphenylalanin) und Dopamin (Dihydroxyphenyläthylamin) zu Noradrenalin. In der einen Zellgruppe wird dann Noradrenalin unter der enzymatischen Wirkung von N-Methyltransferase in Adrenalin überführt. Das Verhältnis von Adrenalin zu Noradrenalin im abgegebenen Hormongemisch variiert in Abhängigkeit vom Lebensalter und von anderen Faktoren ( Kap. 15.6.2). Beim Erwachsenen beträgt der Adrenalinanteil normalerweise 70–90 %.
548
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Biologische Wirkungen Die Hauptwirkungen von Adrenalin und Noradrenalin sind in ⊡ Abb. 15.13 schematisch dargestellt. Merke
VII
Beide Hormone beeinflussen in erster Linie das Herz-Kreislauf-System. Während jedoch beim Adrenalin die Regulation der Blutverteilung und die fördernde Wirkung auf das Herzzeitvolumen überwiegen, steht beim Noradrenalin die Steigerung des peripheren Gefäßwiderstands im Vordergrund. Daher kommt es vor allem unter der Einwirkung von Noradrenalin zu einer Erhöhung des arteriellen Blutdrucks ( Kap. 6.6.1). Adrenalin hat dagegen den weitaus größeren Einfluss auf die Erweiterung der Bronchien und die Hemmung der Magen-Darm-Motilität. Die Wirkungsunterschiede ergeben sich daraus, dass Adrenalin an α2- und β2-Adrenozeptoren, Noradrenalin dagegen an β1- und β3-Adrenozeptoren eine größere Wirkstärke aufweist. Die Wirkstärke der beiden Katecholamine an α1-Adrenozeptoren ist etwa gleich.
Von Bedeutung sind auch die adrenergen Stoffwechselwirkungen. Während eine allgemeine Steigerung des Energieumsatzes (z. B. bei Kältebelastung) durch beide Katecholamine ausgelöst werden kann, fördert Adrenalin speziell den Glykogenabbau (Glykogenolyse) in der Leber und im Muskel. Die Zunahme der Glykogenolyse, die unter Vermittlung von cAMP durch Aktivierung einer Phosphorylase erfolgt, führt zur Erhöhung der Glukosekonzentration im Blut. Adrenalin wirkt schließlich im Zentralnervensystem stimulierend auf das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) und fördert damit die Hirnrindenaktivität (Steigerung der Aufmerksamkeit, psychische Erregung). Da Adrenalin die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann, ist anzunehmen, dass dieser Effekt auf einem indirekten Weg (z. B. über afferente Nervenbahnen oder durch schrankengängige Metabolite) ausgelöst wird.
15.6.2
Kontrolle der Hormonabgabe
Die Abgabe der Katecholamine aus dem Nebennierenmark steht unter der Kontrolle der vegetativen Zentren im Hypothalamus und im Hirnstamm. Die
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⊡ Abb. 15.13. Wirkungen der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin auf verschiedene Organsysteme, modifiziert nach JÄNIG (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Sauerstofftransport zu Muskel, Herz und Gehirn erhöht
15.6 · Hormone des Nebennierenmarks
15
550
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Sekretion ist unter Ruhebedingungen gering und steigt erst bei körperlichen und psychischen Belastungen an. Bei einer »ergotropen« Reaktionslage ( Kap. 6.7.4) werden durch Aktivierung des Sympathikus diejenigen Anpassungsprozesse ausgelöst, die zu einer erhöhten Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des Organismus führen. Hierbei fungieren Adrenalin und Noradrenalin als Informationsvermittler insbesondere für die Kreislaufregulationen. Die Abgabe der beiden Hormone erfolgt differenziert in Anpassung an die jeweilige Belastungssituation: Blutdrucksenkung steigert in erster Linie die Noradrenalinausschüttung, Blutzuckerabfall erhöht vorrangig die Adrenalinabgabe.
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Die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin haben nur eine kurze Wirkdauer (biologische Halbwertszeit <1 min), da sie sehr schnell oxidativ desaminiert (mittels MAO) und methyliert (mittels COMT) werden. Der wichtigste mit dem Urin ausgeschiedene Metabolit ist die Vanillinmandelsäure.
15.7
Pankreashormone und Blutzuckerregulation
Das Pankreas vereinigt in sich zwei gesonderte funktionelle Systeme: Erstens bilden die drüsigen Epithelien den Pankreassaft, der über den Ausführungsgang in den Dünndarm gelangt (exkretorische Funktion, Kap. 12.4.1). Zweitens erfolgt in den Zellgruppen der Langerhans-Inseln die Synthese von 4 Hormonen, die direkt an das Blut abgegeben werden (inkretorische Funktion). Die B-Zellen (β-Zellen), welche die Hauptmasse des Inselorgans (ca. 70 %) bilden, produzieren Insulin. Die A-Zellen (α-Zellen), deren Anteil ca. 20 % beträgt, sind für die Produktion von Glukagon zuständig. Die restlichen 10 % entfallen auf die D-Zellen, die Somatostatin bilden, und die F-Zellen, die das pankreatische Polypeptid produzieren. Letzteres soll die exokrine Sekretion des Pankreas hemmen.
15.7.1
Insulin
Aufbau Das 1921 von Banting und Best entdeckte Insulin ist ein Polypeptid (Molekularmasse ca. 5800 Da), das aus zwei Peptidketten (A mit 21 und B mit 30 Aminosäureresten) aufgebaut ist, die durch 2 Disulfidbrücken verknüpft sind. Als erstes Translationsprodukt entsteht in den B-Zellen das
551 15.7 · Pankreashormone und Blutzuckerregulation
15
Präproinsulin, das aus einer Kette besteht. Im endoplasmatischen Retikulum wird daraus Proinsulin gebildet, in dem die A- und B-Kette des Insulins durch das sog. C-Peptid verbunden sind und das Strukturhomologien zu den Somatomedinen hat. Die Abspaltung dieses C-Peptids erfolgt im GolgiApparat, und das so entstandene Insulin wird in Vesikeln gespeichert. Aus diesen kann Insulin bei Bedarf durch Exozytose freigesetzt werden. Die Insuline des Menschen und einiger Tierarten unterscheiden sich nur geringfügig in ihrer Aminosäurensequenz, ihre biologische Wirkung ist identisch.
Kontrolle und Mechanismus der Insulinfreisetzung Merke
Der adäquate und wichtigste Reiz für die Insulinfreisetzung ist ein Anstieg des Blutglukosespiegels. Daneben ruft eine Erhöhung der Plasmakonzentrationen verschiedener Aminosäuren und einiger gastrointestinalen Hormone (z. B. GIP, Gastrin, CCK, VIP, Sekretin, Kap. 12.1.4) eine Insulinausschüttung hervor. Das Ausmaß der Insulinfreisetzung wird dabei durch das vegetative Nervensystem moduliert: Parasympathische Impulse bzw. Azetylcholin steigern die Insulinsekretion. Der Sympathikus oder Noradrenalin wirken stark hemmend (α2-Adrenozeptoren) bzw. schwach stimulierend (β2-Adrenozeptoren) auf die Insulinfreisetzung. Glukagon fördert, Somatostatin und Leptin inhibieren die Insulinabgabe.
Bei der durch Glukose ausgelösten Insulinfreisetzung wird in einem ersten Schritt infolge einer gesteigerten Glukoseoxidation in der B-Zelle vermehrt ATP gebildet. Durch den ATP-Anstieg werden ATP-gesteuerte K+-Kanäle geschlossen. Dies wiederum führt zu einer Abnahme der Kaliumpermeabilität und zu einer Depolarisation des Ruhepotentials von ca. –65 auf –30 mV (⊡ Abb. 15.14). Hierdurch werden spannungsabhängige Ca2+-Kanäle aktiviert, wodurch Ca2+-Ionen aus dem Extrazellularraum einströmen und den Exozytosevorgang auslösen.
552
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
VII
⊡ Abb. 15.14. Stimulation der Exozytose von Insulin durch Schließen ATP-abhängiger K+-Kanäle und nachfolgende Aktivierung spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle
Insulinwirkungen Merke
Insulin ist ein lebenswichtiges, wachstumsförderndes, anaboles Hormon. Es fördert die Aufnahme von Glukose, Aminosäuren und freien Fettsäuren in Muskel- und Fettzellen, stimuliert den Aufbau und hemmt den Abbau von Glykogen und Fett (»Speicherhormon«). Alle Stoffwechselwirkungen von Insulin führen dazu, dass die Glukosekonzentration im Blut gesenkt wird.
Nach Wechselwirkung des Hormons mit seinem membranständigen Rezeptor kommt es zu einer Autophosphorylierung an dessen intrazellulärer Phosphorylierungsdomäne ( Kap. 2.2.2). Der Rezeptor erlangt damit die Eigenschaft einer aktiven Tyrosinkinase. Durch sich anschließende Phosphorylierungen wird eine Reihe von Stoffwechselenzymen in den Effektorzellen aktiviert. Darüber hinaus führt der Insulin-Rezeptor-Komplex in Muskel- und Fettzellen zu einer Translokation von präformierten Glukosetransportern (GLUT-4) aus zytoplasmatischen Vesikeln in die Zellmembran. Hierdurch wird der
15
553 15.7 · Pankreashormone und Blutzuckerregulation
⊡ Tabelle 15.5. Insulinwirkungen auf den Stoffwechsel Effektorzellen
Nettoeffekt
1. Kohlenhydratstoffwechsel Glukosetransport Glykogensynthese Glykogenolyse Glukoneogenese Glykolyse
↑ ↑ ↓ ↓ ↑
M, F M, F, L M, F, L L M, F, L
↑ ↓
F, L F, L
↑ ↑ ↓ ↓
M, F, L M, L M, L L
冧
Blut-Glukosespiegel Glukoseumsatz
↓ ↑
freie Fettsäuren im Plasma Ketogenese
↓ ↓
Aminosäuren im Plasma positive N-Bilanz Blut-Glukosespiegel
↓
2. Lipidstoffwechsel Lipogenese Lipolyse 3. Proteinstoffwechsel Aminosäurentransport Proteinsynthese Proteinabbau Glukoneogenese
冧
↓
M = Muskelzelle, F = Fettzelle, L = Leberzelle, ↑ = Steigerung, ↓ = Hemmung
Glukosetransport durch erleichterte Diffusion aus dem Extra- in den Intrazellularraum erheblich beschleunigt. Eine weitere Wirkung ist die gesteigerte Aufnahme von K+-Ionen durch Aktivierung der Na+/K+-ATPase und des Na+/2 Cl–/K+-Symporters. Die Insulinwirkungen auf den Stoffwechsel sind in ⊡ Tabelle 15.5 zusammengefasst.
15.7.2
Glukagon
Aufbau Glukagon ist, wie Insulin, ein Polypeptid (Molekularmasse ca. 3500 Da). Es besteht allerdings nur aus einer Kette mit 29 Aminosäuren. Seine Aminosäuresequenz weist eine weitgehende Homologie zu Sekretin und VIP auf.
Biologische Wirkungen Merke
Das in den A-Zellen der LANGERHANS-Inseln gebildete Glukagon, dessen wichtigstes Zielorgan die Leber ist, stellt im Hinblick auf die Regulation der Glukosekonzentration des Blutes und bei vielen Stoffwechselvorgängen in der ▼
554
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Leber einen Gegenspieler zum Insulin dar. Es mobilisiert die Energiereserven des Organismus bei gesteigertem Energiebedarf und bei drohender Hypoglykämie. Am Muskel hat Glukagon keine direkte Wirkung.
VII
Wie Adrenalin steigert Glukagon (durch Aktivierung der Adenylatzyklase) den Glykogenabbau in der Leber (Glykogenolyse). Den Abbau von Glykogen im Muskel fördert Glukagon im Gegensatz zu Adrenalin jedoch nicht. Außerdem fördert es die Glukoneogenese aus Aminosäuren und Laktat, sodass insgesamt der Blutzuckerspiegel erhöht wird. Auf den Fettstoffwechsel hat Glukagon eine zweifache Wirkung: Es steigert die Fettsäureoxidation und die Bildung von Ketonkörpern in der Leber, darüber hinaus fördert es die Lipolyse im Fettgewebe und in der Leber. Im Proteinstoffwechsel bewirkt Glukagon eine verstärkte Proteolyse mit Bereitstellung von Aminosäuren für die Glukoneogenese. Die Freisetzung von Glukagon aus den A-Zellen wird durch Hypoglykämie, einen Anstieg der Konzentration von glukoplastischen Aminosäuren im Blutplasma, durch schwere körperliche Arbeit, Stress, Vagusaktivierung und Aktivierung von β2-Adrenozeptoren ausgelöst. Gehemmt wird die Glukagonsekretion durch Hyperglykämie, Stimulation von α-Adrenozeptoren, Insulin und Somatostatin. Letzteres hat demnach parakrine inhibitorische Wirkungen sowohl auf die B-Zellen ( s. oben), als auch auf die A-Zellen der Langerhans-Inseln. (Über weitere inhibitorische Wirkungen des Somatostatins Kap. 12.1.4 und Kap. 15.2.3.)
15.7.3
Regulation des Blutzuckerspiegels
Blutzuckerspiegel Merke
Die Blut-Glukosekonzentration wird normalerweise auf einem NüchternWert von 3,05–5,55 mmol/l (0,55–1,0 g/l) konstant gehalten.
Obwohl durch wechselnde Kohlenhydrataufnahme mit der Nahrung und Veränderungen der Glukoseoxidationsrate, die bei Arbeit um ein Vielfaches
555 15.7 · Pankreashormone und Blutzuckerregulation
15
⊡ Abb. 15.15. Hormonale Regulation der Blut-Glukosekonzentration in schematischer Darstellung. Förderung 䊝, Hemmung 䊞 (IGF 1 Kap. 15.2.2)
ansteigen kann, ständig Abweichungen von dem Sollwert auftreten, ist das Regelsystem meist in der Lage, diese wieder rasch und nachhaltig auszugleichen. Nur bei massiver Kohlenhydratzufuhr kann u. U. ein vorübergehender Anstieg des Blutzuckerspiegels auftreten (alimentäre Hyperglykämie). Die Blut-Glukosekonzentration kann als eine Resultante aus glukoseliefernden und glukoseverbrauchenden Vorgängen im Organismus aufgefasst werden (⊡ Abb. 15.15). Durch Aktivierung oder Hemmung der einzelnen, vorwiegend hormonal gesteuerten Vorgänge wird das System auf dem vorgegebenen Sollwert des Blutzuckerspiegels konstant gehalten.
Hormonale Regulationen Eine wesentliche Funktion bei der Blutzuckerregulation kommt dem Insulin zu, das die Glukoseaufnahme in bestimmte Zellen sowie die Glukoseoxidation fördert. Steigt die Glukosekonzentration im Blut (etwa nach Nahrungsaufnahme) an, so wird Insulin in verstärktem Maße ausgeschüttet und damit der erhöhte Blutzuckerwert wieder auf den Sollwert zurückgeführt. Außerdem fördern GIP (tonisch) und Wachstumshormon (kurzfristig) die Insulinabgabe; Somatostatin hemmt die Insulinsekretion. Daneben sind Adrenalin, Glukagon und Somatotropin an der Blutzuckerregulation beteiligt. Adrenalin und Glukagon fördern vor allem die rasche
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VII
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Freisetzung von Glukose aus den Depots, Somatotropin hemmt (langfristig) die Glukoseaufnahme in die Zellen. Diese drei Gegenspieler des Insulins werden vermehrt abgegeben, wenn die Blut-Glukosekonzentration unter den Sollwert absinkt, wodurch ein Konzentrationsanstieg eingeleitet wird. Es ist allerdings zu beachten, dass sich die Kennzeichnung von Adrenalin und Glukagon als Insulinantagonisten nur auf die Glukosekonzentration des Blutes bezieht; tatsächlich wirken diese beiden Hormone unter physiologischen Bedingungen eher als Insulinsynergisten, insofern nämlich, als sie durch Freisetzung von Glukose erst die Voraussetzung für deren gesteigerte Verwertung schaffen. Für die ebenfalls blutzuckerwirksamen Glukokortikoide und T3 bzw. T4 konnte eine direkte Beteiligung am Regulationsprozess nicht nachgewiesen werden; sie wirken vor allem permissiv durch Verstärkung der Effekte von Adrenalin bzw. Glukagon. Hypoglykämie. Eine Hypoglykämie liegt vor, wenn der Blutzuckerspiegel (enzymatisch bestimmt) unter 2,5 mmol/l (0,45 g/l) absinkt. Als Ursache hierfür kommen u. a. in Frage: Fasten, starker Glukoseverbrauch durch Muskelarbeit, schwere Lebererkrankungen (Hemmung der Glukoneogenese), Stoffwechselerkrankungen (mit Defekten glykogenolytischer Enzyme), Inselzelltumoren (Insulinüberproduktion) und unsachgemäße Insulinmedikation. Bei raschem Blutzuckerabfall kommt es zu Heißhunger und infolge der sympathischen Gegenregulation (Adrenalinausschüttung) zu Herzklopfen, Unruhe, Angstgefühl, Übelkeit und Schweißausbruch. Bei langsamem Abfall stehen zentralnervöse Störungen im Vordergrund (Verwirrtheit, Sprach- und Sehstörungen), da Glukose die alleinige Energiequelle für das Gehirn und die Retina darstellt. Sinkt der Blutzuckerspiegel unter ca. 1,9 mmol/l (0,35 g/l) ab (meist infolge Insulinüberdosierung), so tritt Bewusstseinsverlust ein (hypoglykämisches Koma, hypoglykämischer Schock). Diabetes mellitus. Der Diabetes mellitus , die Zuckerkrankheit, stellt eine Stoffwechselstörung dar, die durch einen Insulinmangel oder eine verminderte Insulinwirksamkeit hervorgerufen wird. Unter pathogenetischen und klinischen Aspekten werden zwei Diabetesformen unterschieden: Beim Typ-IDiabetes besteht ein absoluter Insulinmangel. Daher ist eine Insulinsubstitution unumgänglich. Beim Typ-II-Diabetes, der etwa 20-mal häufiger vorkommt als die Typ-I-Form, ist die Progredienz wesentlich langsamer. Auch besteht meist nur ein relativer Insulinmangel. An der Entstehung beider Diabetesformen sind sowohl genetische als auch exogene Faktoren beteiligt. Bei Typ-I-Diabetikern besteht eine durch bestimmte HLA-Antigene bedingte genetische Disposition, die u. U. zu einer Autoimmunreaktion gegen B-Zellen des Pankreas führen kann. Die daraus resultierende selektive Zerstörung der B-Zellen hat ein allmähliches, sich über Jahre erstreckendes Versiegen der Insulinproduktion und -freisetzung zur Folge. Als auslösende exogene Faktoren werden virale Infekte oder Umweltfaktoren angenommen. Beim Typ-II-Diabetes ist die Wahrscheinlichkeit der Vererbung deutlich höher als bei der Typ-I Form. Als Realisationsfaktoren spielen Überernährung und körperliche Inaktivität eine entscheidende Rolle. Die für die manifeste Erkrankung typische (relativ) unzureichende Insulinwirkung beruht sowohl auf einer Insulinsekretionsstörung als auch auf einer Insulinresistenz der Zielzellen. Die bei Diabetes mellitus auftretenden Störungen betreffen den Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsel (⊡ Tabelle 15.6).
557 15.8 · Hormonale Kalzium- und Phosphat-Regulation
15
⊡ Tabelle 15.6. Auswirkungen des Insulinmangels bei Diabetes mellitus Störung des
führt zu
mit den Symptomen
↓ ↑ ↑
Hyperglykämie, Glukosurie, Elektrolytverlusten
Polyurie, Polydipsie, Abgeschlagenheit, Wasserverlust
↓ ↑ ↑
Hyperlipidämie, Hyperketonämie, Ketonurie, Ketoazidose, Elektrolytverlusten
Übelkeit, Erbrechen, Azetongeruch der Ausatmungsluft
↑ ↓ ↑
Rest-N-Anstieg im Blut, Aminoazidurie, Hyperglykämie, Glukosurie, Elektrolytverlusten
Kraftlosigkeit, Muskelschwäche, Gewichtsverlust
1. Kohlenhydratstoffwechsels Glukoseverwertung Glykogenolyse Glukoneogenese 2. Fettstoffwechsels Lipidsynthese Lipolyse Ketonkörperbildung 3. Proteinstoffwechsels Proteolyse Proteinsynthese Glukoneogenese
15.8
Hormonale Kalzium- und Phosphat-Regulation
Merke
An der Regulation des Kalzium- und Phosphat-Haushalts sind hauptsächlich 3 Hormone beteiligt: Parathormon, Kalzitonin und Kalzitriol. Ihre Effektororgane sind der Knochen, der Darm und die Niere. Ziel dieser Regulation ist die Konstanz der Ca2+-Konzentration im Extrazellularraum. Die resultierenden Plasmakonzentrationen betragen für Ca2+ ≈ 2,5 mmol/l und für anorganisches Phosphat (Pi) ≈ 1,3 mmol/l.
15.8.1
Parathormon
Chemischer Aufbau Das in den Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) produzierte lebenswichtige Parathormon (PTH, Parathyrin) ist ein Polypeptid mit 84 Aminosäureresten (Molekularmasse 9500 Da). Neben dem Parathormon sind auch noch einige seiner Bruchstücke biologisch wirksam.
558
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Biologische Wirkungen Das Hormon sorgt, cAMP-vermittelt, dafür, dass die Plasmakonzentration des Gesamt-Kalziums zwischen 2,25 und 2,75 mmol/l gehalten wird. Etwa 53 % sind protein- oder komplexgebunden, ca. 47 % sind ionisiert (»frei«). Letzteres stellt die biologisch maßgebliche Größe für die Regulation dar. Merke
VII
In der Niere fördert PTH die Ca2+ -Resorption im distalen Tubulus, die Ausscheidung von HPO42– und H2PO4– im proximalen Tubulus sowie die Synthese von Kalzitriol (⊡ Abb. 15.16). Im Knochen bewirkt PTH eine Osteolyse, die auf einer (indirekten) Aktivierung von Osteoklasten beruht: PTH reagiert zunächst mit Rezeptoren auf den Osteoblasten, die daraufhin Kollagenasen, Interleukin-6 (IL-6) und andere Zytokine freisetzen. Die Kollagenasen bauen die Knochenoberfläche soweit ab, dass die IL-6-aktivierten Osteoklasten diesen Prozess fortsetzen können. Das Resultat ist eine Mobilisierung von Ca2+ und Phosphat (Pi).
⊡ Abb. 15.16. Hormonale Regulation der extrazellulären Ca2+-Konzentration [Ca2+]e in schematischer Darstellung, modifiziert nach HIERHOLZER und RITZ (aus Hierholzer und Schmidt, 1991)
559 15.8 · Hormonale Kalzium- und Phosphat-Regulation
15
Ein Überschreiten des Löslichkeitsprodukts von Ca2+ und Pi im Blut nach deren Mobilisierung wird dadurch verhindert, dass PTH die Phosphatausscheidung in der Niere fördert. Die Gesamtwirkung von Parathormon besteht somit in einer raschen Konzentrationsanhebung des ionisierten Kalziums im Blut und in einer Senkung des Phosphatspiegels um den gleichen Faktor. Die Regelgröße für die Ausschüttung von Parathormon ist die Ca2+-Konzentration im Extrazellularraum: niedrige Ca2+-Aktivität fördert die PTH-Sekretion, hohe Ca2+-Aktivitäten hemmen sie. Gemessen wird die extrazelluläre Ca2+-Aktivität durch G-Protein-gekoppelte Ca2+-Rezeptoren in der Membran der Hauptzellen in der Nebenschilddrüse. Parathormonmangel führt zu einer Hypokalzämie sowie (wegen der reduzierten renalen Phosphatausscheidung) zu einer Hyperphosphatämie. Als Folge der Hypokalzämie kommt es häufig zu einer Tetanie, bei der eine allgemeine Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit vorliegt. Insbesondere beobachtet man tonische Kontraktionen der Hand- und Fußmuskulatur. Für die Zunahme der neuromuskulären Erregbarkeit ist wahrscheinlich die Abnahme des ionisierten Kalziums (Ca2+) maßgebend. Dieses steht im Blutplasma mit dem an Proteine gebundenen Kalzium im Gleichgewicht. Daher kann allein durch Erhöhung des Proteingehalts die Konzentration freier Ca2+Ionen abnehmen. Ebenso führt ein Anstieg des pH-Werts zu einer Senkung der Konzentration freier Ca2+-Ionen. Damit wird verständlich, dass eine Hyperventilation, die eine Alkalose zur Folge hat ( Kap. 14.5.4), einen tetanischen Anfall provozieren kann. Das Überangebot an Parathormon bei Nebenschilddrüsenüberfunktion führt zu Hyperkalzämie und Hypophosphatämie. Hierdurch kann es zur Bildung von Nierensteinen (Kalziumphosphatsteinen) und einer Reihe weiterer Störungen (z. B. Osteoporose) kommen.
15.8.2
Kalzitonin
Chemischer Aufbau An der Regulation des Ca2+-Phosphat-Haushalts ist auch das in der Schilddrüse gebildete Kalzitonin (Thyreokalzitonin) beteiligt. Es handelt sich hierbei um ein Polypeptid mit 32 Aminosäureresten (Molekularmasse: 3500 Da). Die Bildung von Kalzitonin erfolgt in den C-Zellen der Schilddrüse, den sog. parafollikulären Zellen, die auch in den Nebenschilddrüsen und im Pankreas vorkommen. Tierische Kalzitonine sind beim Menschen ebenfalls wirksam. Vor allem das Kalzitonin vom Lachs wirkt stark und lang anhaltend.
560
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
Biologische Wirkungen Merke
Im Knochen antagonisiert Kalzitonin unter physiologischen Bedingungen die Wirkungen des Parathormons: cAMP-vermittelt hemmt es die Osteoklastenaktivität und damit die Mobilisation von Ca2+ und Phosphat und senkt somit die Ca2+-Konzentration des Blutes (⊡ Abb. 15.16). In der Niere steigert Kalzitonin geringgradig die Ausscheidung von Phosphat- und Kalziumionen. In Bezug auf die Hemmung der renalen Phosphat-Resorptionsrate wirken somit Parathormon und Kalzitonin synergistisch.
VII
Die Regulation der Kalzitoninabgabe erfolgt durch die Ca2+-Aktivität im Extrazellularraum: Zunahme des Ca2+-Spiegels steigert, Abnahme hemmt die Hormonsekretion. Die Kalzitoninsekretion wird ferner nach Nahrungsaufnahme (postprandial) durch gastrointestinale Hormone, z. B. Gastrin und Cholezystokinin, stimuliert. Auf diese Weise werden die mit der Nahrung aufgenommenen Kalziumionen rasch in den Knochen eingebaut, sodass es nicht zu einem Anstieg der Blut-Kalziumkonzentration kommt. Das wiederum bedeutet, dass der Parathormonspiegel nicht abfällt, was eine rasche Ausscheidung der resorbierten Kalziumionen durch die Niere zur Folge hätte (sog. kalziumkonservierende Wirkung von Kalzitonin).
15.8.3
Kalzitriol
Vitamin D-Metabolismus Cholekalziferol (Vitamin D3) wird entweder mit der Nahrung zugeführt oder entsteht in den Keratinozyten der Haut aus 7-Dehydrocholesterol durch UVBestrahlung. Die eigentliche Wirkform von Vitamin D3 ist das 1,25-Dihydroxycholekalziferol (Kalzitriol, D3-Hormon). Zunächst wird die Hydroxylgruppe an C-25 in der Leber, dann die an C-1 im proximalen Tubulus der Niere eingeführt. Dieser letzte Syntheseschritt wird durch Parathormon und Östrogene gefördert, durch hohe Ca2+- und Pi-Konzentrationen im Extrazellularraum gehemmt.
561 15.9 · Weitere Hormonsysteme
15
Biologische Wirkungen Merke
Kalzitriol bewirkt durch eine Steigerung der Absorption von Ca2+ und Pi im Dünndarm eine adäquate Mineralisation der Knochenmatrix. Insgesamt kommt es zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen dieser Ionen und zu einer Mineralisation des Osteoids.
Nach Interaktion mit einem spezifischen nukleären Rezeptor und Bindung des Hormon-Rezeptor-Komplexes an die DNA stimuliert es die Synthese verschiedener Proteine, welche die Ca2+-Absorption fördern: luminale Ca2+-Kanäle, Kalbindin, ein Ca2+-bindendes Protein, sowie basolaterale Ca2+-ATPase und Na+/Ca2+-Austauscher in den Enterozyten des oberen Dünndarms. Darüber hinaus stimuliert es die Pi-Absorption über einen Na+/Phosphat–-Symporter. In der Niere fördert es geringfügig die Ca2+- und Pi-Resorption und im Knochen die Osteoid-Mineralisation (durch Steigerung der Ca2+- und Pi-Konzentration im Blutplasma). Sonstige Hormone der Kalziumhomöostase. Neben den bereits erwähnten »Haupthormonen« beeinflusst noch eine Reihe anderer Hormone den Ca2+- und Phosphat-Haushalt und damit auch den Knochenstoffwechsel. Den Knochenaufbau fördern Somatotropin, IGF 1, Östrogene, Androgene, Schilddrüsenhormone und Insulin. Die Demineralisierung des Knochens und damit die Entwicklung einer Osteoporose begünstigen u. a. Prostaglandin E2 und die Glukokortikoide. Letztere hemmen die Osteoblastenaktivität. PGE2 stimuliert die Bildung Osteoklasten-aktivierender Faktoren durch die Osteoblasten.
15.9
Weitere Hormonsysteme
Das von der Epiphyse (Zirbeldrüse) produzierte Hormon Melatonin ist ein biogenes Amin, dessen Ausschüttung einem Tag-Nacht-Rhythmus folgt: Dunkelheit fördert die Sekretion, Licht hemmt sie. Melatonin ist an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt. Das Nebennierenrindenhormon Ouabain wirkt durch Hemmung der Na+/K+-ATPase in der Niere natriuretisch und am Myokard kontraktilitätssteigernd (»körpereigenes Strophanthin«). Das von Fettzellen gebildete Proteohormon Leptin ist an der LangzeitRegulation der Nahrungsaufnahme und des Körpergewichts beteiligt. Erhöh-
562
Kapitel 15 · Hormonale Regulationen
te Leptinkonzentrationen wirken im Hypothalamus als Sättigungssignal, hemmen die Nahrungsaufnahme und steigern den Energieumsatz.
Renin ( Kap. 6.7.2) Erythropoietin ( Kap. 4.3.3) Atriopeptin ( Kap. 6.7.3)
15.10
VII
Gewebehormone
Als Gewebehormone (Autakoide) bezeichnet man Substanzen, die in bestimmten Geweben spezifische Wirkungen hervorrufen, jedoch nicht in endokrinen Drüsen, sondern in spezialisierten Zellen dieser Gewebe gebildet werden (»extraglanduläre Hormone«). Nach ihrer Freisetzung wirken sie unmittelbar auf benachbarte Zellen ein (parakrine Wirkung). Systemische Wirkungen spielen wegen ihrer schnellen Inaktivierung nur eine untergeordnete Rolle. Merke
Zu den Gewebehormonen zählen die biogenen Amine Histamin und Serotonin, Eikosanoide, Kinine (Bradykinin und Kallidin).
Vorkommen, Rezeptoren, intrazelluläre Signaltransduktionswege und Hauptwirkungen dieser Gewebehormone sind in ⊡ Tabelle 15.7 aufgelistet.
Bradykinin Kallidin
C) Kinine
LTC4, LTD4, LTE4
Leukotrien LTB4
(Prostazyklin) Thromboxan A2
冧
PGF2α PGD2 PGI2
Prostaglandin PGE2
ubiquitär
B (IP3/DAG)
LT (IP3/DAG)
LT (IP3/DAG)
Granulozyten, Makrophagen
Granulozyten, Makrophagen
FP (IP3/DAG) DP (cAMP ↑) IP (cAMP ↑) TP (IP3/DAG)
EP (cAMP)
5-HT1 (cAMP ↓)
ubiquitär ubiquitär Endothelzellen Thrombozyten
ubiquitär
5-HT3 (Kationenkanal)
Nervensystem
B) Eikosanoide
5-HT2 (IP3/DAG)
Enterochromaffine Zellen Thrombozyten
H2 (cAMP ↑)
Serotonin (5-Hydroxytryptamin)
H1 (IP3/DAG)
Mastzellen, Basophile Granulozyten ECL-Zellen
冧
Rezeptortyp
Histamin
A) Biogene Amine
Vorkommen
von Gewebehormonen (Autakoiden)
Gewebehormon
冧
冧
冧 Entzündungsmediatoren, Schmerzstoffe, Steigerung der Prostaglandinsynthese, Vasodilatation, Permeabilitätssteigerung in Venolen, Bronchokonstriktion, Herzkraftzunahme
Konstriktion der Gefäß-, Bronchial- und Darmmuskulatur, Steigerung der Venolen-Permeabilität, Mediatoren der Typ IAllergie
Entzündungsmediator, Sensibilisierung von Nozizeptoren
Kontraktion der Darm- und Uterusmuskulatur, Sensibilisierung von Nozizeptoren, Erzeugung von Fieber, Dilatation kleiner Gefäße und der Bronchien, Steigerung der Durchblutung und der Reninfreisetzung in der Niere, Hemmung der Magensaftsekretion Kontraktion der Gefäß-, Darm- und Uterusmuskulatur Bronchokonstriktion Vasodilatation, Hemmung der Thrombozytenaggregation Vasokonstriktion, Thrombozytenaggregation
Schmerzstoff, Endothel-vermittelte Vasodilatation in Haut und Skelettmuskulatur Kontraktion der Darm-, Gefäß- und Bronchialmuskulatur, Thrombozytenaggregation Neurotransmitter in der Area postrema, Herzkraftzunahme
Entzündungsmediator, Schmerzstoff, Mediator der Typ I-Allergie, Dilatation kleiner Gefäße, Steigerung der Venolen-Permeabilität, Kontraktion der Bronchial- und Darmmuskulatur Steigerung der Magensaftsekretion und der Herzkraft
in vivo-Wirkungen (Auswahl)
⊡ Tabelle 15.7. Vorkommen, Rezeptortypen, intrazelluläre Signaltransduktionswege (in Klammern, s. a. Kap. 2) und in vivo-Hauptwirkungen
15.10 · Gewebehormone 563
15
564
Kapitel 16 · Sexualfunktionen
16 Sexualfunktionen 16.1
Kohabitation
Die geschlechtliche Vereinigung, d. h. die Einführung des erigierten Penis in die Vagina, wird als Kohabitation oder Koitus bezeichnet. Sie bildet normalerweise die Voraussetzung für diejenigen Vorgänge, die unter bestimmten Bedingungen zur Konzeption (Befruchtung) führen. Merke
VII
Der sexuelle Reaktionsablauf vor und während der Kohabitation lässt sich beim Mann und bei der Frau in vier ineinander übergreifende Phasen unterteilen: Erregungs-, Plateau-, Orgasmus- und Rückbildungsphase.
16.1.1
Sexueller Reaktionsablauf beim Mann
Erregungsphase Taktile Reize im Bereich der Glans penis und in verschiedenen Hautarealen (»erogenen Zonen«), aber auch psychische Einflüsse und erotische Vorstellungen führen zu einer Größenzunahme und Versteifung des Penis (Erektion). Die afferenten Impulse von den Mechanosensoren in der Glans penis und in den benachbarten Geweben gelangen dabei über den N. pudendus zum sog. Erektionszentrum im Sakralmark (S2–S4). Die efferenten Erregungen werden von hier durch parasympathische Fasern geleitet, die im N. splanchnicus pelvinus verlaufen (⊡ Abb. 16.1). Die Überträgersubstanzen dieser Neurone sind wahrscheinlich Azetylcholin, VIP und NO. Sie bewirken eine Dilatation der kleinen Arterien und Arteriolen in den Corpora cavernosa und im Corpus spongiosum. Hierdurch füllen sich die kavernösen Bluträume der Schwellkörper (Vasokongestion), wobei die Tunica albuginea soweit gespannt wird, dass eine Drosselung des venösen Abstroms eintritt. Eine pralle Blutfüllung der Schwellkörper ist die Folge. Gleichzeitig kommt es zu einer stärkeren Füllung der Blutgefäße in den Hoden und des an den Körper herangezogenen Skrotums sowie zu
565 16.1 · Kohabitation
imaginative visuelle auditive olfaktorische Reize
16
supraspinale Zentren
⊡ Abb. 16.1. Innervation der männlichen Genitalorgane und spinale Reflexbögen zur Regulation der männlichen Sexualfunktion. 1 parasympathische Neurone zu erektilem Gewebe, 2 sympathische Neurone zu erektilem Gewebe, 3 sympathische Neurone zu Ductus deferens, Prostata, Samenblase und Blasenhals, 4 Motoaxone, 5 aszendierende und deszendierende Bahnen. Interneurone im Rückenmark sind z. T. weggelassen worden. NH N. hypogastricus, PSP Plexus splanchnicus pelvinus, nach JÄNIG (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
einer Stimulation der Sekretion aus den bulbourethralen und urethralen Drüsen. Das Erregungsniveau des sakralen Erektionszentrums wird nicht nur durch die Afferenzen im N. pudendus, sondern auch durch eine Vielzahl nervaler Impulse aus übergeordneten zentralvenösen, wahrscheinlich auch kortikalen Strukturen beeinflusst, die sowohl fördernd als auch hemmend auf den spinal-reflektorischen Ablauf einwirken können.Bei Männern,deren Sakralmark zerstört ist,bleibt die Erektionsfähigkeit in 25 % der Fälle erhalten. Dabei werden die psychogen ausgelösten Impulse über sympathische Fasern geleitet, die im unteren Thorakalmark und im oberen Lumbalmark ihren Ursprung haben. Diese Axone werden im Plexus splanchnicus pelvinus auf postganglionäre Neurone umgeschaltet, auf die auch die präganglionären parasympathischen Axone konvergieren (⊡ Abb. 16.1).
566
Kapitel 16 · Sexualfunktionen
Plateauphase Die Erregungsphase geht mit zunehmender Erregung ohne scharfe Grenze in die Plateauphase über. Eine verstärkte Anschwellung der Glansbasis ist von der verstärkten Abgabe eines klaren Sekrets begleitet, das vor allem aus den Glandulae bulbourethrales stammt. Dieses Sekret trägt zur Gleitfähigkeit des Penis in der Vagina bei.
Orgasmusphase Merke
VII
In der Orgasmusphase wird das Sperma zunächst in die Urethra interna befördert (Emission) und anschließend über die Urethra externa ausgeschleudert (Ejakulation).
Bei starker sexueller Erregung kommt es zur Erregung sympathischer Efferenzen aus dem unteren Thorakal- und oberen Lumbalmark, welche die Emission auslösen. Durch Kontraktionen der glatten Muskulatur von Prostata, Ductus deferens, Epididymis und Samenblase werden hierdurch Samen und Drüsensekrete in die Urethra interna befördert. Ein Rückfluss des Spermas in die Harnblase wird dabei durch eine reflektorische Tonussteigerung des inneren Harnblasensphinkters verhindert. Die Erregung von Afferenzen aus der durch die Emission gedehnten Urethra interna löst schließlich die Ejakulation aus. Durch 3–10 rhythmische Kontraktionen der quer gestreiften Muskulatur im Bereich der Peniswurzel und des Beckenbodens kommt es zu einer Druckerhöhung in der Urethra und damit zum Herausschleudern des Ejakulats. Das Zentrum für den Ejakulationsreflex liegt im unteren Thorakal- und im oberen Lumbalmark (⊡ Abb. 16.1). Afferente Impulse aus den Genitalorganen gelangen vor allem über den N. pudendus und aufsteigende Zwischenneurone zu diesem Zentrum. Dabei ist eine bestimmte zentrale Erregungssummation (Bahnung) erforderlich, um den Reflex auszulösen. Die efferenten Impulse für die glatte Muskulatur laufen über die sympathischen Fasern des N. hypogastricus, während die beteiligte quer gestreifte Muskulatur über die motorischen Anteile des N. pudendus innerviert wird.
567 16.1 · Kohabitation
16
Rückbildungsphase In der Rückbildungsphase (Detumeszenz) klingen infolge der abnehmenden parasympathischen Aktivität die Erektion und die Blutfülle im kleinen Becken allmählich ab. Während dieser Zeit ist der Reflexapparat gewöhnlich gehemmt, sodass eine erneute Erektion bzw. Ejakulation nicht stattfinden kann (Refraktärzeit).
16.1.2
Sexueller Reaktionsablauf bei der Frau
Während beim Mann die sexuellen Reaktionen weitgehend gleichförmig ablaufen, sind bei der Frau sowohl Dauer als auch Intensität der einzelnen Phasen stärker variabel.
Erregungsphase Bei Reizung von Mechanosensoren in den weiblichen Genitalorganen, deren Axone im N. pudendus zum Sakralmark (S2–S4) ziehen, oder auf psychogenem Wege kommt es zu einer Erweiterung und Verlängerung der Vagina, zu einem Auseinanderweichen der Labia majora, zum Anschwellen der Labia minora und zu einer allgemeinen venösen Blutstauung (Vasokongestion) in den äußeren Genitalien mit Erektion der Klitoris. Als Efferenzen sind an diesem reflektorischen Vorgang vasodilatatorische parasympathische Fasern beteiligt, die aus dem Sakralmark stammen und im N. splanchnicus pelvinus verlaufen (⊡ Abb. 16.2). Als Folge der Vasokongestion wird über die vaginalen Schleimhäute ein klares Transsudat abgegeben (Lubrikation), das die Gleitfähigkeit des Penis in der Vagina verbessert. Ebenso ist die Vergrößerung des Uterus in dieser Phase z. T. auf die Vasokongestion zurückzuführen.
Plateauphase Diese Phase ist durch ein weiteres Anschwellen der Klitoris und des Bulbus vestibuli sowie der Venengeflechte um das äußere Scheidendrittel (orgastische Manschette) gekennzeichnet. Dabei wird die Klitoris an den Rand der Symphyse gezogen (sog. Klitorisretraktion).
568
Kapitel 16 · Sexualfunktionen
VII
Manschette
⊡ Abb. 16.2. Innervation der weiblichen Genitalorgane und spinale Reflexbögen zur Regulation der weiblichen Sexualfunktion. Einzelheiten s. Abb. 16.1, nach JÄNIG (aus Schmidt, Thews, Lang, 2000)
Orgasmusphase Merke
Der Eintritt des Orgasmus ist durch 3–15 Kontraktionen der orgastischen Manschette gekennzeichnet, die in unterschiedlicher Stärke ablaufen können. Diese Kontraktionen werden wahrscheinlich durch den Sympathikus und Oxytozin vermittelt.
Gleichzeitig kommt es zu einer Kontraktion der quer gestreiften Beckenbodenmuskulatur, zu einer Aufrichtung des Uterus und zu einer intrauterinen
569 16.2 · Konzeption
16
Drucksteigerung. Die Cervix uteri entfernt sich von der hinteren Vaginalwand, sodass sich ein freier Raum zur Aufnahme des Ejakulats (Receptaculum seminis) bildet. Auf dem Höhepunkt des Orgasmus stoßen manche Frauen eine wässrige Flüssigkeit aus den paraurethralen SKENE-Gängen aus (»weibliche Ejakulation«).
Rückbildungsphase In der Rückbildungsphase nimmt die Blutfülle im kleinen Becken in der Vaginalwand und im äußeren Genitale meist schnell wieder ab. Der Muttermund bleibt für etwa 20–30 min geöffnet, wobei die Portio vaginalis in das Receptaculum seminis eintaucht. Ein negativer intrauteriner Druck nach dem Orgasmus begünstigt das Eintreten des Spermas in den Zervikalkanal. Bei der Frau besteht nach dem Orgasmus keine ausgeprägte Hemmungsphase, sodass wiederholte Orgasmen auftreten können.
16.1.3
Allgemeinreaktionen während des sexuellen Reaktionsab laufs
Der sexuelle Reaktionsablauf ist von zahlreichen extragenitalen Reaktionen begleitet. Herzfrequenz, systolischer und diastolischer Blutdruck, Atemfrequenz und Muskeltonus steigen an, erreichen während des Orgasmus maximale Werte und normalisieren sich während der Rückbildungsphase. In der Orgasmusphase treten in der Regel noch weitere neurovegetative Reaktionen auf: Pupillenerweiterung, Vasokongestion der weiblichen Brust und Erektion der Mamillen, Rötung der Haut vor allem in der Oberbauch- und Brustregion (Sexflush). Bei starker zentralnervöser Erregung dominieren die für den Orgasmus charakteristischen Empfindungen, während die übrigen Sinneswahrnehmungen eingeengt sind.
16.2
Konzeption
16.2.1
Spermienwanderung und Imprägnation
Spermienwanderung und Kapazitation Durch die Ejakulation gelangen die Spermien in das Scheidengewölbe. Nachdem sich das zunächst koagulierte Ejakulat wieder verflüssigt hat, beginnt die
570
Kapitel 16 · Sexualfunktionen
Spermienaszension. Für die Wanderung zur Eizelle stellt der Zervixschleim eine physiologische Barriere dar, die nur im Zeitintervall um die Ovulation (periovulatorisch) passiert werden kann. Ist diese Barriere überwunden, so bewegen sich die Spermien gegen den Sekretstrom von Uterus und Tuben. Sie erreichen nach 4–6 h die Ampulla des Eileiters. Erst während dieser Wanderung erlangen die Spermien durch Freilegung von Bindungsrezeptoren u. a. ihre Befruchtungsfähigkeit; diesen Reifungsvorgang bezeichnet man als Kapazitation.
Imprägnation
VII
Von den 200–400 Mio. Spermien des Ejakulats erreichen nur 200–400 die Ampulla tubae, wo normalerweise die Befruchtung stattfindet. Bei Bindung eines Spermiums an spezifische Glykoproteine der die Eizelle umgebenden Zona pellucida werden aus der Akrosomenkappe Enzyme (Hyaluronidase, Akrosin und andere Proteasen) freigesetzt (Akrosomreaktion), welche die Eihüllen an der Kontaktstelle zerstören. Ein einziges Spermium dringt auf diese Weise in die umgebenden Schichten ein (Imprägnation) und verschmilzt schließlich mit der Plasmamembran der Eizelle (Ovum). Nach der Membranfusion setzt die depolarisierte Eizelle Enzyme frei, welche die Bindungsstrukturen der Zona pellucida zerstören, sodass keine weiteren Spermien in die befruchtete Eizelle eindringen können.
16.2.2
Syngamie und Nidation
Nach Verschmelzung der Zellmembranen beider Gameten wird die 2. Reifeteilung der Oozyte vollendet. In diesem Stadium liegt der haploide Chromosomensatz des Ovum im sog. weiblichen Vorkern, während der Kern im Kopf des Spermiums, der ebenfalls einen haploiden Chromosomensatz trägt, den männlichen Vorkern bildet. Im Anschluss an die Reduplikation der beiden Chromosomensätze verschmelzen die beiden Vorkerne (Syngamie), wodurch die erste Zelle des neuen Organismus, die Zygote, entsteht. Aus dieser entwickeln sich zwei Tochterzellen, die sich während der Passage durch den Eileiter weiter teilen (⊡ Abb. 16.3). Etwa am 4. Tag nach der Befruchtung gelangt der Keim in das Uteruslumen und nistet sich – inzwischen im Blastozystenstadium – etwa ab dem 6.–7. Tag in die Uterusschleimhaut ein (Nidation oder Implantation). (Bezüglich weiterer Einzelheiten zur Keim- und Plazentaentwicklung s. Lehrbücher der Anatomie und Embryologie.)
571 16.2 · Konzeption
16
⊡ Abb. 16.3. Befruchtung, Entwicklung und Nidation des Keims
16.2.3
Empfängniszeit
Die bei der Ovulation ausgestoßene Eizelle ist nur während einer kurzen Zeitspanne von maximal 12 Stunden befruchtungsfähig. Die Imprägnationsfähigkeit der Spermien im weiblichen Genitaltrakt beschränkt sich auf eine Zeitdauer von maximal 3 Tagen. Daher kann eine Konzeption nur eintreten, wenn die Kohabitation innerhalb von 3 Tagen vor der Ovulation, am Tage der Ovulation oder im Laufe des nachfolgenden Tages, insgesamt also während eines Zeitintervalls von 5 Tagen erfolgt. Als sog. gesetzliche Empfängniszeit gilt das Intervall vom 181. bis zum 302. Tag vor der Geburt des Kindes. Diese Festlegung beruht auf z. T. älteren Vorstellungen über die minimale und maximale Dauer der Schwangerschaft. (Die normale Schwangerschaftsdauer beträgt, vom Tag der Konzeption an gerechnet, 266 ± 3 Tage.)
Anhang A1
Maßeinheiten der Physiologie
A2
Weiterführende Literatur
A3
Sachverzeichnis
– 581
– 572
– 577
573 A1 · Maßeinheiten der Physiologie
A1
Maßeinheiten der Physiologie Internationales System der Einheiten Für die physikalischen und chemischen Größen, die im Rahmen der Physiologie verwendet werden, sind die Maßeinheiten des SI-Systems gesetzlich vorgeschrieben (SI = Système International d’Unités). Seine Basis bilden 7 Größen, die in ⊡ Tabelle A1.1 angegeben sind. Von den Einheiten dieses Basissystems lassen sich die Einheiten sämtlicher Messgrößen ableiten. Eine Auswahl hiervon ist in ⊡ Tabelle A1.2 zusammengestellt. Die numerischen Werte der in den ⊡ Tabellen A1.1 und A1.2 genannten Größen enthalten vielfach Zehnerpotenzen als Faktoren. Zur Vereinfachung der Angaben hat man häufig gebrauchten Zehnerpotenzen bestimmte Vorsilben zugeordnet, die mit dem Namen der betreffenden Einheiten verbunden werden (⊡ Tabelle A1.3). Neben den SI-Einheiten dürfen die in ⊡ Tabelle A1.4 aufgeführten konventionellen Einheiten auch weiterhin benutzt werden.
Umrechnungsbeziehungen Konzentrationen können im Rahmen des SI-Systems als Stoffmenge pro Volumen (mmol/l, µmol/l) oder als Masse pro Volumen (g/l, mg/l) angegeben werden. Es wird empfohlen, die Stoffmengenkonzentration immer dann anzuwenden, wenn bei chemisch einheitlichen Substanzen die Molekular⊡ Tabelle A1.1. Namen und Symbole der SI-Basiseinheiten Größe
Name der Einheit
Symbol
Länge
Meter
m
Masse
Kilogramm
kg
Zeit
Sekunde
s
Elektrische Stromstärke
Ampere
A
Thermodynamische Temperatur
Kelvin
K
Lichtstärke
Candela
cd
Substanzmenge
Mol
mol
574
A · Anhang
⊡ Tabelle A1.2. Namen und Symbole einiger abgeleiteter SI-Einheiten Größe
Name der Einheit
Symbol
Definition
Frequenz
Hertz
Hz
s–1
Kraft
Newton
N
m · kg · s–2
Druck
Pascal
Pa
m–1 · kg · s–2 (N · m–2)
Energie
Joule
J
m2 · kg · s–2 (N · m)
Leistung
Watt
W
m2 · kg · s–3 (J · s–1)
elektr. Ladung
Coulomb
C
s·A
elektr. Potentialdifferenz (Spannung)
Volt
V
m2 · kg · s–3 · A–1 (W · A–1)
elektr. Widerstand
Ohm
Ω
m2 · kg · s–3 · A–2 (V · A–1)
elektr. Leitwert
Siemens
S
m–2 · kg–1 · s3 · A2 (Ω–1)
elektr. Kapazität
Farad
F
m–2 · kg–1 · s4 · A2 (C · V–1)
magnet. Fluss
Weber
Wb
m2 · kg · s–2 · A–1 (V · s)
magnet. Flussdichte
Tesla
T
kg · s–2 · A–1 (Wb · m–2)
Induktivität (magnet. Leitwert)
Henry
H
m2 · kg · s–2 · A–2 (V · s · A–1)
Lichtstrom
Lumen
lm
cd · sra
Beleuchtungsstärke
Lux
lx
cd · sr · m–2 (lm · m–2)
Aktivität einer radioakt. Substanz
Becquerel
Bq
s–1
a
sr (Steradiant) = SI-Einheit des räumlichen Winkels
⊡ Tabelle A1.3. Präfixe und Symbole häufig gebrauchter Zehnerpotenz-Faktoren Faktor
Präfixum
Symbol
Faktor
Präfixum
Symbol
10–1
Dezi
d
10
Deka
da
10–2
Centi
c
102
Hekto
h
Kilo
k
Mega
M
–3
3
10
Milli
m
10
10–6
Mikro
µ
106 9
–9
10
Nano
n
10
Giga
G
10–12
Pico
p
1012
Tera
T
10–15
Femto
f
1015
Peta
P
575 A1 · Maßeinheiten der Physiologie
A1
massen (Molekulargewichte) bekannt sind. Dagegen stellt die Massenkonzentration eine zweckmäßige Form der Konzentrationsangabe für Gemische gelöster Substanzen, wie z. B. für die Gesamt-Plasmaproteine, dar. Angaben in konventionellen Konzentrationseinheiten g/dl, mg/dl und mval/l = mäq/l können mit Hilfe der in ⊡ Tabelle 17.5 zusammengestellten Beziehungen auf solche in SI-Einheiten umgerechnet werden. Weitere Umrechnungsbeziehungen für historisch überlieferte Maßeinheiten enthält ⊡ Tabelle 17.6.
⊡ Tabelle A1.4. Einheiten, die nicht zum SI-System gehören, jedoch weiterhin benutzt werden dürfen Name der Einheiten
Symbole
Wert in SI-Einheiten
Gramm
g
1g
= 10–3 kg
Liter
l
1l
= 1 dm3
Minute
min
1 min = 60 s
Stunde
h
1h
= 3,6 ks
Tag
d
1d
= 86,4 ks
Grad Celsius
°C
1 °C
= T – 273,15 K
⊡ Tabelle A1.5. Umrechnungsbeziehungen von Einheiten der Massenkonzentration (mg/dl bzw. mval/l) auf SI-Einheiten der Stoffmengenkonzentration (mmol/l bzw. µmol/l) 1 mg/dl =
1 mval/l =
Natrium
0,4350 mmol/l
1,0 mmol/l
Kalium
0,2558 mmol/l
1,0 mmol/l
Kalzium
0,2495 mmol/l
0,5 mmol/l
Magnesium
0,4114 mmol/l
0,5 mmol/l
Chlorid
0,2821 mmol/l
1,0 mmol/l
Glukose
0,0555 mmol/l
Cholesterol
0,0259 mmol/l
Bilirubin
17,10 µmol/l
Kreatinin
88,40 µmol/l
Harnsäure
59,48 µmol/l
576
A · Anhang
⊡ Tabelle A1.6. Umrechnungsbeziehungen zwischen SI-Einheiten und konventionellen Einheiten Größe
Umrechnungsbeziehungen
Kraft
1 dyn 1 kp
= =
Druck
1 cm H2O 1 mm Hg 1 atm 1 bar
= 98,1 Pa = 133 Pa = 101 kPa = 100 kPa
Energie (Arbeit) (Wärmemenge)
1 erg 1 mkp 1 cal
= = =
Leistung (Wärmestrom) (Energieumsatz) Viskosität
10–5 N 9,81 N
1N 1N
= 105 dyn = 0,102 kp
1 Pa 1 Pa 1 kPa 1 kPa
= = = =
10–7 J 9,81 J 4,19 J
1J 1J 1J
= 107 erg = 0,102 mkp = 0,239 cal
1 mkp/s 1 PS 1 kcal/h 1 kJ/d 1 kcal/d
= 9,81 W = 736 W = 1,16 W = 0,0116 W = 0,0485 W
1W 1W 1W 1W 1W
= 0,102 mkp/s = 0,00136 PS = 0,860 kcal/h = 86,4 kJ/d = 20,6 kcal/d
1 Poise
=
1 Pa · s = 10 Poise
0,1 Pa · s
0,0102 cm H2O 0,0075 mm Hg 0,0099 atm 0,01 bar
577 A2 · Weiterführende Literatur
A2
Weiterführende Literatur Weiterführende Lehrbücher Boron WF, Boulpaep EL (2005) Medical physiology, Elsevier, Philadelphia Deetjen P, Speckmann EJ, Hescheler J (2004) Physiologie, 4. Aufl. Urban & Fischer, München, Stuttgart, Jena Ganong WF (2003) Review of medical physiology, 21st edn. Prentice Hall, Englewood Cliffs Greger R, Windhorst U (1996) Comprehensive human physiology, vol 1 und 2, Springer, Berlin, Heidelberg, New York Guyton AC, Hall JE (2000) Textbook of medical physiology, 10th edn. Saunders, Philadelphia, London, Toronto Klinke R, Silbernagl S (2003) Lehrbuch der Physiologie, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Schmidt RF, Lang F, Thews G (Hrsg) (2005) Physiologie des Menschen, 29. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York Thews G, Mutschler E, Vaupel P (1999) Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Menschen, 5. Aufl. Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Einzeldarstellungen Stoff- und Flüssigkeitstransport, Signaltransduktion und Regelprozesse Alberts B, Bray D, Johnson A, Lewis J, Raff M, Roberts K, Walter P (2001) Lehrbuch der molekularen Zellbiologie. Wiley-VCH, Weinheim Blaustein MP, Kao JPY, Matteson DR (2004) Cellular physiology. Elsevier, Philadelphia Lodish H, Berk A, Zipursky, Darnell J (2001) Molekulare Zellbiologie, 4. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Schmidt G (1982) Grundlagen der Regelungstechnik. Springer, Berlin Heidelberg, New York
Blut und Abwehr Barthels M, Poliwoda H (1996) Gerinnungsanalysen, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York
578
A · Anhang
Begemann M, Begemann H, Harwerth H-G (1999) Praktische Hämatologie, 11. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Keller R (2000) Immunologie und Immunpathologie. 5. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Pallister C (1994) Blood: Physiology and Pathophysiology. ButterworthHeinemann, Oxford, London Roitt IM, Brostoff J, Male DK (1995) Kurzes Lehrbuch der Immunologie, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Spielmann W, Kühnl P (1982) Blutgruppenkunde. Thieme, Stuttgart, New York
Herzfunktion und Blutkreislauf Berne RM, Levy MN (2000) Cardiovascular physiology, 8th edn. Mosby, St. Louis, Washington, Toronto Busse R (Hrsg) (1982) Kreislaufphysiologie. Thieme, Stuttgart, New York Gonska BD, Heinecker R (1999) EKG in Praxis und Klinik, 14. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Katz AM (2000) Physiology of the heart, 3rd edn. Raven Press, New York Levick JR (2004) An introduction to cardiovascular physiology, 4th edn. Arnold Publishers, London Opie LH (1998) The heart: Physiology from cell to circulation, 3rd edn. Lippincott, Williams & Wilkins, Baltimore, London So CS (1999) Praktische Elektrokardiographie, 8. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York
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579 A2 · Weiterführende Literatur
A2
West JB (2004) Respiratory physiology – the essentials, 7th edn. Lippincott, Williams & Wilkins, Baltimore, London Zander R, Mertzluft F (1988) Der Sauerstoffstatus des arteriellen Blutes. Karger, Basel, München, Paris
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Ernährung, Funktionen des Gastrointestinaltrakts Alpers DH, Johnson LR (1994) Physiology of the gastrointestinal tract, 3rd edn. Lippincott, Williams & Wilkins, Baltimore, London Bässler K-H, Golly I, Loew D, Pietrzik K (2002) Vitamin-Lexikon, 3. Aufl. Urban & Fischer, München Biesalski H-K et al. (Hrsg) (2004) Ernährungsmedizin, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart, New York Biesalski H-K, Köhrle J, Schümann K (2002) Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Thieme, Stuttgart, New York Chang EB, Sitrin MD, Black DD (1996) Gastrointestinal, hepatobiliary, and nutritional physiology. Lippincott, Williams & Wilkins, Baltimore, London Feldman M, Friedman LS, Sleisenger MH, Scharschmidt BF (eds)(2002) Sleisenger and Fordtran’s Gastrointestinal and Liver Disease: Pathophysiology/Diagnose/Management, 7th edn. Saunders, Philadelphia
580
A · Anhang
Johnson LR (2001) Gastrointestinal physiology, 6th edn. Mosby, St. Louis, Baltimore
Nierenfunktion, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt Brenner B, Levine SA (2004) Brenner + Rector’s The Kidney, 6th edn. Saunders, Philadelphia, London Halperin ML, Goldstein MB (1999) Fluid electrolyte and acid-base physiology, 3rd edn. Saunders, Philadelphia Holmes O (1993) Human acid-base physiology. Chapman & Hall, London Koeppen BM, Stanton BA (2001) Renal physiology, 3rd edn. Mosby, St. Louis, Baltimore Marsh DJ (1983) Renal physiology. Raven Press, New York Müller-Plathe O (1982) Säure-Basen-Haushalt und Blutgase, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart Truninger B, Richards P (1985) Wasser- und Elektrolythaushalt, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart Valtin H, Schafer JA (1995) Renal function, 3rd edn. Lippincott, Williams & Wilkins, Baltimore, London Vander AJ (1995) Renal physiology, 5th edn. McGraw-Hill, New York, St. Louis
Hormonale Regulationen und Sexualfunktionen Beier KM, Bosinski HAG, Hartmann U, Loewit K (2001) Sexualmedizin, 1. Aufl. Urban & Fischer, München, Jena Goodman HM (2003) Basic medical endocrinology, 3rd edn. Academic Press, New York Greenspan FS, Gardener DG (2003) Basic and clinical endocrinology, 7th edn. McGrawHill/Appleton & Lange, New York Griffin JE, Ojeda SR (1996) Textbook of endocrine physiology, 3rd edn. Oxford University Press, Oxford, New York Haeberle EJ (2000) Die Sexualität des Menschen. Nikol. Verlagsgesellschaft, Hamburg Porterfield SP (2001) Endocrine physiology, 2nd edn. Mosby, St. Louis, Missouri Strauss JF, Barbieri RL (2004) Yen & Jaffa’s reproductive endocrinology. Physiology, pathophysiology and clinical management, 5th edn. Saunders, Philadelphia
581 A3 · Sachverzeichnis
A
Sachverzeichnis (A) verweist auf Abbildung, (T) auf Tabelle, ( ) auf pathophysiologischen und klini schen Begriff im Text
A α1-Antitrypsin 37 α1-Rezeptoren 197 A-Sensoren 122 a-Welle, Venenpuls 185 A-Zellen, Pankreas 550, 553 AB0-Blutgruppen 81–84 – Agglutinine 81 – Agglutinogene 81 – Vererbung, Antigen-Eigenschaften 83, 84 Absorption, Darm 364, 367, 419 ff Abwehrfunktion, Blut 58 ff – spezifische 58, 60 – – humorale 66–71 – – zelluläre 71–75 – unspezifische 58 – – humorale 61–63 – – zelluläre 64, 65 ACE (Angiotensin-Konversionsenzym) 198 ACTH (Adrenokortikotropes Hormon) 525, 533 Adaptation – lokale 340 – Stress 533 Adenohypophyse 518–526 – effektorische Hormone 518–524 – glandotrope Hormone 524 Adenylatzyklase 21 Adhärenz 65 Adhäsionsmoleküle 64 Adipositas 361 Adiuretin (ADH, Vasopressin) 197, 214, 216, 470, 474, 485, 512, 515–518, 520
Adrenalin 119, 196, 197, 203, 521 – Abgabe, Kontrolle 548–550 – biologische Wirkung 548 – Biosynthese 547 Adrenokortikotropes Hormon (ACTH) 525, 533 Adrenozeptoren 510 aerobe Schwelle 321 Afterload (Nachlast) 138, 139, 143 Agglomerine 46 Agglutination 85 Agglutinine 81 Agglutinogene 81 Akklimatisation – Hitzeakklimatisation 339, 340 – Höhe 293 – Kälteakklimatisation 340 – Körpertemperatur 338–340 Akkommodation, Magen 389 Akromegalie 522 Akrosomreaktion 570 Aktionsphasen, Herzzyklus 137, 138 Aktionspotential – Arbeitsmyokard 105–107 – – (A) 106 – – Refraktärperiode 107–111 – Schrittmacherzellen 109 ff Aktivierbarkeit, Transportproteine 8 Akute-Phase-Proteine 63 Albumin 34, 36, 410 Aldosteron 365, 420, 453, 455, 474, 486, 520, 534–536 – biologische Wirkung 534 – Regulationsmechanismen 534–536 Alkalose 501 ff – nichtrespiratorische 502 – respiratorische 292, 502
582
A · Anhang
Allergie 75 – Kontaktallergie 78 Alles-oder-Nichts-Gesetz 103 Alveole – alveolokapilläre Membran 236 – Gasaustausch, Bedingung 236 – Oberflächenspannung 236, 237 – Surfactant 237 Amilorid 420, 453 Aminoazidurie 460 Aminopeptidasen 401, 425 Aminosäuren – Absorption, Darm 425, 426 – essentielle 347, 354, 355 – Resorption, Niere 460 Ammoniak, tubulärer Transport 465–468 Ammonium, tubulärer Transport 465–468 α-Amylase 384, 401, 423 anaerobe Schwelle 321 Anämie 51 Anaphylaxie 70, 76 Anastomose, arteriovenöse 175 Androgene 521 – Bildung 536–538 – Wirkung 536–538 Androstendion 536 Angiokardiographie 150 Angiotensin II 193, 197, 213–216, 473, 517 – Durst 485 Anionen, organische, Sekretion 463 Anionenlücke 480 Anisozytose 41 Anoxie – akute, Folgen 289–291 – Gewebe 288 – Herz 156 ANP (Atriopeptin) 23, 143, 197, 216, 217, 453, 474, 486, 521 Anspannungsphase, Herzzyklus 137 Anti-Akute-Phase-Proteine 63 Antidiurese 435, 450 – Harnkonzentrierung 468–471
Antigene 66 – Antigen-Antikörper-Reaktion 66, 71 – antigenpräsentierende Zellen 74, 75 – Erkennung, T-Lymphozyt, (A) 73 Antikörper – Antigen-Antikörper-Reaktion 66, 71 – Bildung 67, 68 – Früh-Antikörper (IgM) 70 – inkomplette 85 – Klassen 68–70 – komplette 81 – monoklonale 68 – Sekretantikörper (IgA) 70 Antioxidans 410 Antiperistaltik 414 Antiplasmine 95 Antiport 365, 451, 465 ff Antiporter 11 – HCO3– / Cl–-Antiporter 395, 416 – Na+ / H+-Antiporter 420, 451, 465 ff – Na+ / NH4+-Antiporter 467 antiproliferative Wirkung, Glukokortikoide 531 Antithrombin III (AT III) 94 Antrummühle 390 Aorta 157, 167 – Druck 143, 150 Apnoe 258 – reflektorische 273 Aquaporine (Wasserkanäle) 10, 177, 470 Äquivalenzkonzentration 480 Arachidonsäure 198, 352 ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 548 Arbeit – Atmungsarbeit 251 – Beschleunigungsarbeit, Herz 152 – Druck-Volumen-Arbeit, Herz 151 – dynamische 306 – – Organfunktion 307–311 – ermüdende 309 – Haltearbeit 311, 312 – Haltungsarbeit 311–313 – körperliche
583 A3 · Sachverzeichnis
– – Blutdruckbeeinflussung 170 – – Wärmeabgabe 332 – Muskelarbeit 203, 204, 222, 274 – nichtermüdende 309 – statische 204, 306, 311–313, 317 Arbeitsdiagramm, Ventrikel 141 Arbeitskapazität 321 Arbeitsphysiologie 305 ff – Aufgabenbereiche 305 – Begriffsdefinitionen 305 – Erholung 316, 317 – Ermüdung 316, 317 – Organfunktionen 307 ff – Pause 317 – Schichtarbeit 315 Arbeitsumsatz 300–302 – Werte, (T) 301 Arbeitsuntersuchung 304 Arrhythmie, absolute 113 Arterenol 547 Arterialisierung, Blut 263–265 Aschoff-Tawara-Knoten (Atrioventrikularknoten) 102, 111 Asphyxie 258 Aspirin (Azetylsalizylsäure) 90 Astrup-Verfahren 505, 506 Asystolie 114 Atelektase 237 Atemgase – Diffusion 258–261 – Diffusionskoeffizient, (T) 5 – Partialdruck 255, 256 – physikalische Löslichkeit 275, 276 Atemgasfraktion, alveoläre 254, 255 Atemgastransport, Blut 275–284 Atemgrenzwert 253 Atemspende 243 Atemstromstärke, maximale 253 Atemwege – Aufgaben 235, 236 – Gliederung 233, 234 Atemwegswiderstand (Resistance) 248, 249 – Messung 249
Atemzeitvolumen 242 Atemzugvolumen 238, 242 Äthylalkohol 346 Atmung – Atemgasaustausch 254–261 – Biot-Atmung 272 – Cheyne-Stokes-Atmung 272 – Exspiration 229 – Funktionsdaten, (T) 261 – Gewebeatmung 229, 284–291 – Inspiration 229 – Kussmaul-Atmung 272 – Lungenatmung 229 – Lungenperfusion 262, 263 – Respirationstrakt, funktionelle Morphologie 229–237 – Rhythmogenese 265 ff – Schnapp-Atmung 272 – venöser Rückstrom, Einfluss 186 – Ventilation 237–243, 263 – Ventilationsstörung 252 , 253 Atmungsantriebe – Übersicht, (A) 275 – unspezifische 274 Atmungsarbeit 251 Atmungsexkursionen, Thorax 229–233 Atmungsformen, pathologische 272 Atmungsfrequenz 242 Atmungskette 284 Atmungskontrolle 265 – chemische 268–272 – Muskelarbeit, Anpassung 274 – reflektorische 272–274 – zentrale 272–274 Atmungsmechanik 243 ff Atmungssteuerung, Phasen 265, 266 Atmungstyp – abdominaler 233 – kostaler 233 Atmungswiderstände 243 – elastische 244–248 – Gewebewiderstand 249 – visköse 248, 249
A
584
A · Anhang
Atmungszyklus – Druckverläufe 249–251 ATP (Adenosintriphosphat) 156, 307, 308, 344, 347, 371, 551 ATPase 7, 12, 13 – Ca2+-ATPase 561 – H+-ATPase 465, 467 – H+ / K+-ATPase (Protonenpumpe) 393, 420, 467 – Na+/ K+-ATPase 12, 365, 405, 419, 451 ff Atriopeptin (ANP) 23, 143, 197, 216, 217, 453, 474, 486, 521 Atrioventrikularknoten (Aschoff-TawaraKnoten) 102, 111 Auerbach (Plexus myentericus) 369 Auffülleffekt, Myokard 116 Ausdauertraining 318 Auskühlung, Neugeborenes 338 Auskultation, Stellen 149 Ausnutzungsgrad, Nährstoffe 346 Ausscheidungsrate, renale 435 Austreibungsphase, Herzzyklus 137 Auswurffraktion, Herz 137 Autakoide 198, 562 Autoimmunkrankheiten 80 Automatie, gastrointestinale Motilität 375 Autoregulation, myogene 194, 195 – Hirndurchblutung 202 – Niere 439–441 Autorhythmie, Herz 101, 102 Avitaminose 355 AV-Block 104 AV-Rhythmus 103 Axillartemperatur 324 Axonreflex 194 Azetylcholin 119, 370, 398, 404 Azetylsalizylsäure 90 Azidose 349, 467, 501 ff – nichtrespiratorische 502 – Protonenelimination 467 – respiratorische 502
B B-Lymphozyten 67 β2-Rezeptoren 197 B-Sensoren 122, 212 B-Zellen, Pankreas 550 Bainbridge-Reflex 122 bakterielle Besiedelung, Dickdarm 417 Ballaststoffe 349 Basaltemperatur 325 Basedow-Erkrankung 80, 529 Basendefizit 499 Basenüberschuss (Base Excess, BE) 499, 502, 505 Bauchorgane, Durchblutung 205 Bauchpresse 312, 415 Bauhin-Klappe 417 Baustoffwechsel 344 Bayliss-Effekt 194, 440 Beanspruchung 305 Beanspruchungsreaktion 312 Beatmung, künstliche 243 Beatmungsgerät 243 Befeuchtung, Inspirationsluft 236 Befruchtung 570 Behaglichkeitstemperatur 333 Belastung 305 – emotionale 313, 325 – mentale 313 – körperliche 325 Belegzellen, Magen 392, 393 – Aktivierung 398, 399 Bereitschaftsumsatz 297 Bernoulli-Effekt 136 Beschleunigungsarbeit, Herz 152 Betriebsstoffwechsel 344 Bezold-Jarisch-Reflex 122 Bikarbonat (HCO3–) – Sekretion 420 – – Magen 395 – tubulärer Transport 465–468
585 A3 · Sachverzeichnis
Bikarbonatpuffer (Hydrogenkarbonatpuffer) 495, 496 – Standard-Bikarbonatwert 505 Billirubin – direktes 406 – Exkretion 410 – indirektes 406 – Kreislauf, enterohepatischer 410 Biokybernetik 25 ff biologische Uhr 314 Biot-Atmung 272 Biotin 357 2,3-Bisphosphoglyzerat (2,3-BPG) 279, 293 Blase 474–476 – autonome 476 – Reflexblase 476 Blasengalle 406–408 Blastozyste 545 Block, Herz 104 – EKG-Veränderungen 133 – sinuatrialer 103 – totaler 103 Blut – Abwehrfunktionen 58 ff – Atemgastransport 275–283 – Hämatokritwert 32, 33, 162 – pH-Wert 493, 494 – Plasma 33 ff – Puffereigenschaften 494–499 – Serum 33 – Status, Normwerte, (T) 40 – Viskosität 161–163 Blutdruck, arterieller – Altersabhängigkeit 170–172 – Amplitude 169 – arterieller Mitteldruck 169 – beeinflussende Faktoren 170 – diastolischer 169, 174 – Hypertonie 172, 223 , 441 – Hypotonie 223 – Messung 172–174 – – auskultatorisches Verfahren (Korotkoff) 174
– – – –
A–B
– direkt 172 – indirekt (Riva-Rocci) 173 – palpatorisch 174 Spontanschwankungen, rhythmische 172 – statischer 184 – systolischer 169, 174 – Wasserausscheidung, renale 486 Blutdruckregulation – kurzfristige 208–213 – – chemosensorische Einflüsse 213 – – Dehnungssensorenreflex 212 – – Pressosensorenreflex 208–211 – langfristige – – Adiuretin (ADH) 214, 216 – – natriuretische Peptide 216, 217 – – renales Volumenregelsystem 214, 215, 437 – – Renin-Angiotensin-AldosteronSystem 215, 216 – mittelfristige – – Renin-Angiotensin-System 213, 214 – – transkapilläre Flüssigkeitsverschiebung 214 – zentrale Kontrolle 217–220 Blutdruckwellen 172 Blutgase – arterielle Werte 265 – chemische Atemkontrolle 268, 269 – Daten, (T) 278 Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) 90 ff – Ablauf, (A) 92 – Hemmung 96, 97 – Störung 96–98 Blutgruppen 80–86 – AB0-System 81–84 – Kreuzprobe 86 – Rhesus-System 84, 85 – Transfusionszwischenfall 85 , 86 Blut-Hirn-Schranke 364
586
A · Anhang
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) 46, 47 Blutkreislauf ( Kreislauf ) Blutungsneigung 95 Blutungszeit 97 Blutverlust, akuter 31 Blutvolumen 31, 32 – Bestimmung 32 – intrathorakales 188 – renales Volumenregelsystem 214, 215 – Verteilung 187, 188 – zentrales 188 Blutzuckerregulation 550–557 Blutzuckerspiegel 554–557 – Anstieg 551 – hormonale Regulation 555, 556 BNP (zerebrales natriuretisches Peptid) 216, 217 Body Mass Index (BMI, KörpermasseIndex) 360 Bohr-Effekt 279 Bohr-Formel 241 Bolus 381 Booster-Effekt 67 Botalli, Ductus arteriosus 226 – offener 263 Bowman-Kapsel 443, 445 Bradykardie 113 Bradykinin 204, 563 Bradypnoe 258 Brechzentrum 391 Brennwert 345, 346 Bromsulfalein 406 Bronchien 233 – Innervation 235 Bronchioli respiratorii 233 Bronchodilatation 235 Bronchokonstriktion 235 Brunner-Drüse 404, 413 Brust, laktierende 517 BTPS-Bedingungen 256 Bunsen-Löslichkeitskoeffizient 276 Bürstensaum 423
C C-Peptid 551 c-Welle, Venenpuls 185 Ca2+-Ionen ( auch Kalzium) 21 – elektromechanische Kopplung 114–118 – Isoionie 487, 488 – Resorption, Niere 456 – Absorption, Darm 421 Cajal-Zelle, interstitielle 375 Calmodulin 22, 198 cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat) 20, 21 Carbaminohämoglobin 283 Carboxyhämoglobin (HbCO) 49, 281 Cardiogreen 32 Carrier 6, 7, 11, 365 CD4-T-Zelle 73, 74 CD8-T-Zelle 72, 73 cGMP (zyklisches Guanosinmonophosphat) 23 Chemosensibilität, zentrale 270 Chemosensoren, periphere 269 Chemotaxis 64 Cheyne-Stokes-Atmung 272 Chloridverschiebung 282 Cholesterol (Cholesterin) 252, 405, 408, 410 Cholezystographie 406 Cholezystokinin (CCK) 372, 374, 402, 404, 408 Choriongonadotropin, humanes (HCG) 525, 545 Christiansen-Douglas-Haldane-Effekt 283 Chronotropie 120, 121 Chylomikronen 429 Chylusgefäß 412 Chymotrypsin 401 Chymotrypsinogen 401 Chymus 389, 391
587 A3 · Sachverzeichnis
Cl- (Chlorid) 382 – Absorption, Darm 420 – Chloridverschiebung 282 – Isoionie 487 – Resorption, Niere 449–453 Clearance, renale 435–437 – Inulin 436 – PAH 441 Clearancequotient 436 CO-Vergiftung (Kohlenmonoxidvergiftung) 281 CO2 (Kohlendioxid) – Fraktion 254 – Löslichkeitskoeffizient 276 – Partialdruck 255, 256, 505 – – Hirndurchblutung 202 – Transport, Blut 281–284 – – CO2-Bindung 281–283 – – CO2-Bindungskurven 283, 284 Compliance – Arterie 164 – Atmungsapparat 247, 248 – Vene 182 Computertomographie (CT), Herz 150 Cortex – Kreislaufkontrolle 219 – Wiederbelebungszeit 291 CRH (Kortikotropin-ReleasingHormon) 517, 525, 533
D D-Zellen, Pankreas 550 DAG (1,2-Diacylglycerol) 21, 22 Dalton-Gesetz 255 Darmgase – Ursprung 430, 431 – Volumen 430 – Zusammensetzung 430
Darmkontinenz 415 Darmmukosa – Aufbau 417, 418 – Durchblutung 417, 418 – Permeabilität 418 – Transportmechnismus, Elektrolyte / Wasser 418–422 Dauerleistungsgrenze 315 Defäkation 415 – Reflex, (A) 416 Defibrillation, elektrische 114 Deflationsreflex (Head-Reflex) 273 Dehnungssensoren, Lunge 273 Dehnungssensorenreflex 212 Dehydratation 488 – hyperosmolare 489, 517 – hypoosmolare 490 – isoosmolare 491 Dehydroepiandrosteron (DHEA) 517, 536 Depolarisation – diastolische 109 – periodische 375 Desoxycholsäure 405 Desoxygenierung 49 Desoxyribonuklease 401 Desoxyribose 424 Determinanten 66 Dezentralisation 225 DHEA (Dehydroepiandrosteron) 517, 536 Diabetes insipidus – centralis 517 – renalis 460, 517 Diabetes mellitus 349, 556 – Typ-I 80, 556 – Typ II 556 Diapedese 55 – Glukokortikoide 531 Diaphragma (Zwerchfell) 233 Diastole 100 – diastolische Depolarisation 109 – Herzgeräusch 149 – Klappenfunktion 126
B–D
588
A · Anhang
Dickdarm (Kolon) 414 ff – bakterielle Besiedlung 417 – Motilität 414, 415 – Sekretion 416 Differentialblutbild 54 Diffusion – Atmung 234, 258 ff, 284 – erleichterte 6, 9 – Fick-Diffusionsgesetz 4, 258, 260 – freie 4–6, 9 – K+-Diffusionspotential 15 – Mikrozirkulation 177 – nichtionische 464, 467 Diffusionsgleichgewicht 14 Diffusionskapazität, Lunge 261 Diffusionskoeffizient 4 – Atemgas, (T) 5 5α-Dihydrotestosteron 536, 538 1,25-Dihydroxycholekalziferol 560 dikrote Welle 168 Dilatation, Herz 147 Dipeptide, Absorption 425, 426 Dipol, EKG 125 Distribution, Lunge 264 Diurese 435 – Antidiurese 435, 450 – Druckdiurese 215, 441, 473 – Oligurie 435 – osmotische 472, 473 – Polyurie 435 – Wasserdiurese 450, 471, 472, 485 Donnan-Potential 18, 483 Dopa 547 Dopamin 523, 547 Doppler-Sonographie 205, 206 Douglas-Sack 304 Dreiphasen-Methode 545 Dromotropie 121 Druck – Blutdruck ( dort) – effektiver Filtrationsdruck 178 – intrapleuraler 244, 245 – intrapulmonaler 246
– kolloidosmotischer 17, 178, 180 – osmotischer 16, 33, 34 – Ösophagus 248 Druck-Saugpumpen-Effekt 186 Druck-Stromstärke-Beziehung 195 Druck-Volumen-Arbeit, Herz 151 Druck-Volumen-Diagramm, Herz 139–141 Druckanstiegsgeschwindigkeit, maximale 146 Druckdiurese 215, 441, 473 druckpassives Verhalten, Gefäße 195 druckreaktives Verhalten, Gefäße 195 Druckverlauf, Blutkreislauf 189, 190 Druckwandler, Blutdruckmessung 172 Ductus alveolares 233 Ductus arteriosus Botalli 226 – offener 263 Ductus venosus Arantii 225 Dünndarm – Darmwandbewegung 411, 412 – Duodenum 411 – Ileum 411 – Jejunum 411 – Sekretion 413 – Zottenbewegung 412 Durchblutungsregulation 192 ff – endothelvermittelte 198–200 – Gefäßtonus, neuronale Kontrolle 192–194 – hormonale Regulation 192–194 – lokal-chemische Regulation 196–198 – myogene Autoregulation 194, 195 Durchfall, osmotischer 350 Durchschnittsgewicht 360 Durst 484, 485, 517 – Angiotensin II 485 – hyperosmotischer 485 – hypovolämischer 486, 490 Dynorphine 373 Dyspnoe 258
589 A3 · Sachverzeichnis
E Echokardiographie 150 ECL-Zelle (Enterochromaffinlike Cell) 398 EDRF (Endothelium-Derived Relaxing Factor) 199 Effektorzelle 67 Eikosanoide 23, 473, 563 – Bildung, (A) 55 Einheiten, internationales System (SI) 572 ff Einphasen-Methode 544 Einsatzreserve, gewöhnliche 314 Einthoven, EKG-Ableitung 123, 125, 129–131 – Einthoven-Dreieck 129–131 – Standard-Ableitung 129 Eisenabsorption, Darm 421, 422 – protonengekoppelter Fe2+-Transporter 421 Eiweiße 345 ff – biologische Wertigkeit 353, 354 – essentielle Aminosäuren 347, 354, 355 – physiologischer Bedarf 353, 354 Eiweißmangel 354 Eiweißminimum, physiologisches 353 Eiweißoptimum 353 Eizelle (Ovum) 570 Ejakulation 517, 566 Ejakulationsreflex 566 EKG (Elektrokardiogramm, Elektrokardiographie) 151 – Ableitung 128–133 – – bipolare 128 – – Einthoven 123, 125, 129–131 – – Goldberger 131 – – Nehb 132, 133 – – unipolare 128 – – Wilson 132 – Dauer 123
– – – – –
D–E
Dipol 125 elektrische Herzachse 131 Erregungsvektoren 125–127 Grundform 123 Integralvektor (Summenvektor) 125 – Intervall 123 – Lagetyp 129–131 – Normalform, (A) 124 – Nulllinie 123 – P-Welle 123 – pathologische EKG-Veränderungen 133 –135 – – (A) 134, 135 – – Elektrolytstörungen 133, 135 – – Erregungsleitungsstörungen 133 – – Extrasystolen 133 – – Flattern 133 – – Flimmern 133 – – koronare Herzkrankheit 134 – – Myokardinfarkt 134, 135 – positiver Ausschlag 127 – PQ-Intervall 123 – PQ-Strecke 123 – QRS-Gruppe 124 – ST-Strecke 124 – T-Welle 124 – U-Welle 124 – Vektorschleife 127, 128, 131 – Verlauf, (A) 126 – Welle 123 – Zacke 123 ektope Erregungsbildung 111–114 Elastase 401 Elektrolyte – Pankreassekret 402 – Plasma 34 – Transportmechanismus, Darmmukosa 418–424 Elektrolythaushalt – Kontrolle 437 – Regulation 483 ff – Störungen 488–492 Elektrolytbedarf 358
590
A · Anhang
Elektrolytstörungen, EKG-Veränderungen 133 – (A) 135 Elektrolytverteilung 480–483 – Blutplasma 480–482 – Elektrolytkonzentration 480 elektromagnetische Strömungsmessung 205 elektromechanische Kopplung 114–116 Elektrophorese 34, 35, 37 Embryo 545 Emission 565 Emotion – emotionale Belastung 313 – emotionale Einflüsse 307 – emotionale Kreislaufreaktion 223 – Magensaftsekretion 397 Empfängniszeit 570 – gesetzliche 571 Endometrium 545 Endopeptidase 394, 425 Endorphin 373 – β-Endorphin 523 Endothel, Modulationsfunktion 198 Endotheline 200 Endozytose 13, 64 energetisches Äquivalent 296 Energiebereitstellung, unzureichende 316 Energiehaushalt 295 ff Energieumsatz – Arbeitsumsatz 300–302 – Bereitschaftsumsatz 297 – Freizeitumsatz 302 – Gesamtorganismus 298–302 – Grundumsatz 298–300 – Messung 302–305 – – geschlossenes System 302–304 – – indirekte Bestimmung 302 ff – – offenes System 304 – und Sauerstoffverbrauch 295–297 – Sollumsatz 298
– Strukturerhaltungsumsatz 298 – Tätigkeitsumsatz 297 – Umsatzgrenze 302 – Veränderungen, (T) 301 – Werte, (T) 301 – Zelle 295–298 Energieumsatzsteigerung, postprandiale 347, 348 Energieumwandlung 295 Enkephaline 373 Enteroglukagon 372 enterohepatischer Kreislauf 409, 410 Enterokinase 400 Enteropeptidase 400 Entspannungsphase, Herz 138 Entzündung 62, 63 – Glukokortikoide, entzündungshemmende Wirkung 531, 532 Entzündungsmediatoren 273 Enukleation 44 Enzym – ACE (Angiotensin-Konversionsenzym) 198 – Pankreas 399–401 – Verdauungssekrete 380 Epinephrin (Adrenalin) 119, 196, 197, 203, 521, 547 ff Epiphyse (Zirbeldrüse) 561, 562 Epiphysenschluss 522 Epithelien – Aufbau 362, 363 – dichte 364 – lecke 364 – Permeabilität 363, 364 – Resorption 364–366 – Sekretion 364–366, 380 – undurchlässige 363 Epitope 66 Erbrechen 391 Erektion 564 Erektionszentrum 564 Ergometrie 320 ergotrope Reaktionslage 219 Erholung 317, 316, 317
591 A3 · Sachverzeichnis
Erholungspulssumme 310 Erholungszeit 309 Ermüdung 316, 317 – physische 316, 317 – psychische 317 Ernährung 344 ff – bilanzierte 359, 360 – energetische Aspekte 345–348 – Körpergewicht 359–361 Erregung, Herz – (A) 102 – Aktionspotential 105 ff – Alles-oder-Nichts-Gesetz 103 – Atrioventrikularknoten (Aschoff-Tawara-Knoten) 102, 111 – Ausbreitung 102, 103 – Autorhythmie 101, 102 – AV-Rhythmus 103 – ektope Erregungsbildung 111–114 – Extrasystole 112, 113, 133 – Faszikel 103 – Herzblock 103, 104, 133 – His-Bündel 103 – ionale Einflüsse 116 – Kammerrhythmus 104 – Kammerschenkel (Tawara-Schenkel) 103 – kreisende 108 – Purkinje-Fasen 103, 124 – Schrittmacher, künstlicher 104 – Schrittmacherzellen 109 ff – sekundäres Erregungszentrum 103 – Sinusknoten (Keith-Flack-Knoten) 101, 109 – Sinusrhythmus 103 – vulnerable Phase 109 – Zentren, Hierarchie 103, 104 Erregungsleitungsstörung 104 – EKG-Veränderung 133 Erregungsphase – Frau 567 – Mann 564, 565
Erwärmung, Inspirationsluft 235 Erythropoiese 43–45 Erythropoietin 45, 473, 521 Erythrozyten 32, 39–47 – Abbau 45 – Bildung (Erythropoiese) 43–45 – Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit 46, 47 – Fluidität 163 – Form 39–41 – Formänderung, osmotische 42, 43 – Größe 39–41 – Hämolyse 42 , 43, 85 – hyperchrome 52 – hypochrome 52 – Konzentration 39 – Lebensdauer 45 – MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) 33, 40 – Membran 41 – normochrome 52 – Rh-Eigenschaften 84 – Stechapfelform 42 Erythrozytenstrom, zentraler 160 Euler-Liljestrand-Mechanismus 262 Evans Blue 32 Exkretion 437 – fraktionelle 436 Exopeptidase 425 Exophthalmus 529 Exozytose 13 Expirationsphase, aktive 266 Exspiration 229 Extrasystole – EKG-Veränderung 133 – interponierte 113 – kompensatorische Pause 113 – supraventrikuläre 112 – ventrikuläre 113 extrazelluläres Flüssigkeitsvolumen, Konstanthaltung 437 Extrazellularvolumen, Regulation 485, 486 Extrinsic-System 91
E
592
A · Anhang
F Fab-Stück, Antikörper 69 Fahraeus-Lindqvist-Effekt 163 Fahrradergometrie 310 Faraday-Konstante 15 Farmerlunge 77 Faserstoffe 349 Fasten 556 Faszikel 103 Fc-Stück, Antikörper 69 Feedback, negatives 511 Fergusson-Reflex 517 Ferroportin 422 Fettangebot, unzureichendes 351 Fette 345 ff – Aufbau 350–352 – Emulgierung 427, 428 – Hydrolyse 427, 428 – Nahrungsfette 351 – Neutralfette 350 – physiologischer Bedarf 350–352 – verborgene 351 Fettgenuss, übermäßiger 351 Fettgewebe, braunes 338 Fettsäure – essentielle 347, 352, 353 – freie 155 – langkettige 429 – mittelkettige 351 Fettsucht 361 Fibrin 91 – Bildung, Störung 98 Fibrinogen 37 Fibrinolyse 92 – Aktivierung 95 – Aufgaben 94, 95 – Hemmung 95 Fick-Diffusionsgesetz 4, 258, 260 Fick-Prinzip 206, 207, 285
Fieber 340 , 341 – Abfall 341 – Anstieg 341 Filtration 17, 18 – Mikrozirkulation 177, 178 – Ultrafiltration 18 Filtrationsdruck, effektiver 18, 178, 445, 446 Filtrationsfraktion 448, 449 Filtrationsgleichgewicht 446 Filtrationskoeffizient 17 – Membranen, (T) 18 Filtrationsrate, glomeruläre (GFR) 440, 446–448 – Messung 448 Filtrierbarkeit, glomerulärer Filter 443–445 – (T) 445 Fitzgerald-Faktor 93 Flatus (Darmwind) 430 Fletcher-Faktor 93 Fluidität, Erythrozyten 163 Fluid-Mosaik-Modell 3 Flüssigkeit – extrazelluläre 479, 487 – intrazelluläre 479, 483 – interstitielle 482, 483 Flüssigkeitsaustausch 177–180 – Diffusion 177 – Filtration 177, 178 – Resorption 177, 178, 364–366, 449 ff Flüssigkeitsräume, Einteilung 479, 480 Flüssigkeitstransport 16 ff Flüssigkeitsverschiebung, transkapilläre 214 Follikelstimulierendes Hormon (FSH) 525, 538, 542 Folsäure 356 Foramen ovale 226 Formatio reticularis, Kreislaufkontrolle 217 Fraktionierung, Plasmaproteine 34 Fraktionsdifferenz, inspiratorischexspiratorische 304 Frank-Inzisur 150, 168
593 A3 · Sachverzeichnis
Frank-Starling-Mechanismus 139 ff FRC (funktionelle Residualkapazität) 238–241, 247 freies Intervall, akute Anoxie 290 Freizeitumsatz 302 Früh-Antikörper (IgM) 70 FSH (Follikelstimulierendes Hormon) 538, 542 Fühler 25 Füllungsphase, Herz 138 Furosemid 452
525,
G G-Proteine – Aktivierung 19, 20 – intrazelluläre Botenstoffe 20–23 G-Zellen, Magen 392 Galaktose 424 Galle 404 ff Gallenblasenmotilität 407 Gallengänge, intrahepatische 406 Gallensäure – Kreislauf 409, 410 – Mizellenbildung 408, 409, 428, 429 – primäre 405 – sekundäre 405 Gap Junction (Nexus) 103 Gasaustausch, Bedingung 236 Gasgleichung, allgemeine 256 Gastrin 372, 374, 397, 399 Gastrin Releasing Peptide (GRP) 373, 398 Gastrointestinaltrakt ( MagenDarm-Trakt) Gasuhr 304 Gating, Kanäle 10 Gauer-Henry-Reflex 122, 216, 486 GDP (Guanosindiphosphat) 19 Geburt – hormonale Steuerung 545–547 – Kreislaufumstellung 226
F–G
Geburtshelferhormon 517 Geburtsvorgang, Auslösung 546 Gedächtniszelle 67 – T-Gedächtniszelle 72 Gedächtnisfunktion, spezifische Abwehr 60 Gefäße – Durchmesser 163 – myogene Autoregulation 194, 195 – Tonus, neuronale Kontrolle 192–194 – Wände, Dehnbarkeit 164, 165 Gefäßsystem, arterielles – Dehnbarkeit, Gefäßwände 164, 165 – Drücke 169–174 – Druckpulswelle 165–167 Gegenstrom, Wärmeaustausch 328 Gegenstromkonzentrierung, Harn – Antidiurese 468–470 genetischer Defekt, Hämolyse 43 Gerinnungsfaktoren 87 ff – (T) 91 Gerinnungszeit 90 Gesamtpufferbasen 497–499 – Konzentration 498 Gestagene 521, 523 – Bildung 541 – Wirkung 541 Gewebeatmung 229, 284–291 – Grundlagen 284 Gewebethromboplastin 92 Gewebewiderstand, Atmung 249 Gewöhnung (Habituation) 533 GFR (glomeruläre Filtrationsrate) 440, 446–448 – Messung 448 Ghrelin 373 Gibbs-Donnan-Gleichgewicht 18 Gicht 462 Gigantismus 522 GIH (Somatotropin-Release-InhibitingHormon) 525 GIP (Gastric inhibitory Peptide) 372, 374
594
A · Anhang
Glandula – Gl. parotis 383, 384 – Gl. sublingualis 384 – Gl. submandibularis 383, 384 Glans penis 564 Gleichgewichtspotential 15 Globuline 34 – α1-Globuline 36, 37 – α2-Globuline 37 – β-Globuline 37 – γ-Globuline 37 – Immunglobuline 37, 67–70, 76 ff, 382 Glomera aortica 269 glomeruläre Balance 453 glomeruläre Filtration – effektiver Filtrationsdruck 445, 446 – Filtrationsfraktion 448, 449 – glomeruläre Filtrationsrate (GFR) 440, 446–448 – glomerulärer Filter, Eigenschaften 443–445 Glomerulus 433 – Mesangium 449 – Struktur 443 Glomus caroticum 269 Glukagon 521 – Aufbau 553 – biologische Wirkung 553, 554 – Freisetzung 554 Glukokortikoide – abwehrhemmende Wirkung 531, 532 – antiproliferative Wirkung 531 – Hormonkonzentration, Regulation 532 – Organwirkung 532 – Stoffwechselwirkung 530, 531 – Wirkungsmechanismus 530 Glukoneogenese 443, 531, 554 Glukose (Traubenzucker) 155, 349, 424 – Absorption, Darm 417 ff – Resorption, Niere 458–460 – – Resorptionsmechanismus 458 – – tubuläres Transportmaximum 458, 459
Glukoseabbau – aerober 307 – anaerober 307 Glukosetransporter (GLUT) 458, 552 Glukosurie 458–460 Glutaminsynthese 501 Glykogen 348 Glykogenolyse 548, 554 Glykogensynthese, Leber 531 Glykokalix 3 Glykolyse, anaerobe 443 GnRH (Gonadotropin-ReleasingHormon) 525, 542 Goldberger, EKG-Ableitung 131 Golgi-Komplex 380, 430 Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) 525, 542 Granula, Thrombozyten – α 87 – elektronendichte 87 Granulozyten 54–56 – basophile 56 – eosinophile 56 – neutrophile 55, 56 Grenzgewicht, kritisches, Herz 147 Grenzstrang 119 GRH (Somatotropin-ReleasingHormon) 522, 525 Grundumsatz 298–300 – beeinflussende Faktoren 299 GTP (Guanosintriphosphat) 19, 23 Guanylatzyklase, membranständige 23, 24
H H+ (Protonen), tubulärer Transport 465–468 H+-ATPase 465, 467 H+-Konzentration, Hirndurchblutung H+ / K+-ATPase 393, 420, 467 H-Kette, Antikörper 68
202
595 A3 · Sachverzeichnis
Habituation (Gewöhnung) 533 Hagen-Poiseuille-Gesetz 160, 195 Halsvene, Füllungszustand 184 Haltearbeit 311, 312 Haltungsarbeit 311–313 Muskelarbeit 203 – Atmungsanpassung 274 – dynamische 204 – Kreislaufumstellung 222 Häm 47, 422 Hämatokrit 32, 33, 162 – Bestimmung 33 Hämatopoiese, (A) 44 Hamburger-Shift 282 Hämeisen, nicht-Hämeisen 421 Hämiglobin (Methämoglobin, MetHb) 49 Hämodilution 162 Hämoglobin (Hb) 47–52 – Aufbau 47, 48 – Carbaminohämoglobin 283 – Carboxyhämoglobin (HbCO) 281 – Eiweißkomponente 48 – Farbstoffkomponente 47 – HbA 48 – HbF 48 – Kohlenmonoxydhämoglobin (HbCO) 49 – Konzentration 51, 52 – – Bestimmung 51, 52 – – mittlere korpuskuläre Hb-Konzentration (HCHC) 51 – – mittlere zelluläre Hb-Masse (MCH) 52 – Lichtabsorption 49–51 – Methämoglobin (MetHb) 49 – Modell, (A) 48 – Oxyhämoglobin (HbO2) 48, 276, 497 – Pufferfunktion 497 – Struktur, (A) 49 – Verbindungen 48, 49 Hämoglobin-Sauerstoff-Bindung 276–281 Hämolyse – chemische 43 – osmotische 42 – Rh-Inkompatibilität 85
– serologische 43 – toxische 43 Hämophilie 96 Hämostase 86–98 – Fibrinolyse 94, 95 – Funktionsprüfung 97, 98 – primäre 88–90 – sekundäre (Gerinnung) 90–94 – – Ablauf, (A) 92 – – Aktivierungswege 92, 93 – – Extrinsic-System 91–93 – – Hemmstoffe, körpereigene 94 – – Hemmung 96, 97 – – Intrinsic-System 91–93 – – Störung 96–98 Hämostasestörung 96 Haptene 66 Haptocorrin 394 Harnbildung 435 Harnblase 474–476 Harnkonzentrierung – Antidiurese 468–471 – Gegenstrom 468–470 – Osmolarität 472 Harnsäure 462 Harnsteine 463 Harnstoff 461 – Konzentrierungseffekt 470 Harnstoffkreislauf, intrarenaler 461 Harnstoffsynthese 501 Hauptbronchien 233 Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) 66 Hauptzellen, Magen 392 Haustren, Dickdarm 414 Haut 60 – Kontaktallergie 78 Hautblässe 328 Hautdurchblutung 204, 328 – Variation 331 Hautrötung 328 Hauttemperatur, mittlere 324 HCG (humanes Choriongonadotropin) 525, 545
G–H
596
A · Anhang
HCHC (mittlere korpuskuläre Hb-Konzentration) 51 HCl-Sekretion, Magen 392, 393 HCO3– (Bikarbonat), tubulärer Transport 465–468 HCO3– / Cl–-Antiporter 395, 416 HDL 36 Head-Reflex (Deflationsreflex) 273 Helium-Einwaschmethode 240 Helicobacter pylori 396 Hemmbarkeit, selektive, Transportproteine 8 Henderson-Hasselbalch-Gleichung 495, 496 Henle-Schleife 433, 449, 451, 455 Henry-Dalton-Gesetz 275 Heparin 96, 97 Heparinoide 97 Hepatozyt 404 ff Hering-Breuer-Reflex (Lungendehnungsreflex) 273 Hering-Mayer-Traube-Welle 172 Herz – absolute Arrhythmie 113 – Aktionspotential 105 ff – Anspannungsphase 137 – Asystolie 114 – Atrioventrikularknoten 102, 111 – Auskultation 149 – Austreibungsphase 137 – Auswurffraktion 137 – AV-Rhythmus 103 – Block 103, 104, 133 – Blutversorgung 152 ff – Chronotropie 120, 121 – Dromotropie 121 – Diastole 100, 136 – Dilatation 147 – Druck-Volumen-Diagramm 139–141 – dynamische Arbeit 308–310 – EKG (Elektrokardiogramm) 123 ff – elektromechanische Kopplung 114–116 – Energiegewinnung 155, 156 – Erregungsausbreitung 101–104 – Erregungsbildung 101, 102
– – – – – – –
Entspannungsphase 138 Extrasystole 112, 113 Faszikel 103 Frank-Starling-Mechanismus 139 ff Frontalansicht, (A) 100 Füllungsphase 138 Funktionsabläufe, Synopsis 148, 150, 151 – funktionsdiagnostische Verfahren 150 – Grenzgewicht, kritisches 147 – Hypertrophie 147 – His-Bündel 103 – Inotropie 121, 122 – ionale Einflüsse, Erregung und Kontraktion 116–118 – Kammerflattern 114 , 133 – Kammerflimmern 114 , 133 – Kammerschenkel 103 – kardioplege Lösung 118 – Kontraktilität 121 – Kontraktion 139 ff – Mechanik 135 ff – Nachlast (Afterload) 138, 139, 143 – nervale Beeinflussung 118–122 – – afferente Innervation 122 – – efferente Innervation 118–120 – Purkinje-Fasen 103, 124 – Ruhedehnungskurve 139 – Sauerstoffversorgung 155 – Schlagvolumen 137, 142 – Sinusknoten 101, 109 – Sinusrhythmus 103 – Systole 100, 136 – Vorhofflattern 113 , 114, 133 – Vorhofflimmern 113 , 114, 133 – Vorlast (Preload) 138, 139, 142 – Wiederbelebungszeit 156 Herzachse, elektrische 127, 131 Herzaktion – Funktionsparameter, zeitliche Zuordnung 148 – Signale 147–151 Herzarbeit 151, 152 Herzfrequenz 142
597 A3 · Sachverzeichnis
Herzgeräusche 147, 149 Herzkatheter-Untersuchung 150 Herzklappen – Aktionsphasen 137, 138 – Bernoulli-Effekt 136 – Funktion 135, 136 – Insuffizienz 149 – Stenose 149 – Ventilebenen-Mechanismus 136, 137 Herzkrankheit, koronare, EKG-Veränderungen 134 Herzleistung 152 Herzmassage, externe 114 Herzschall 147–149 Herzschrittmacher, künstlicher 104 Herztöne 147 – I. Herzton 147–149 – II. Herzton 149 – III. Herzton 149 – IV. Herzton 149 Herztransplantation 143 Herzvolumen 321 Herzzeitvolumen 211 – Anpassungsmechanismus – – extrakardialer 144–146 – – Herzfrequenz 146 – – intrakardialer 142–144 – – lang dauernde Belastung 147 – prozentuale Verteilung auf Organe, (A) 158 – Ruhebedingungen 142 Hirndurchblutung 202, 203 Hirnrinde – Kreislaufkontrolle 219 – Wiederbelebungszeit 291 Hirnstamm 28 His-Bündel 103 Histamin 62, 198, 398, 563 Histokompatibilitätsantigene 66 Hitzeakklimatisation 339, 340 Hitzeerschöpfung 343 Hitzekollaps 342 Hitzekrampf 343 Hitzeschäden 342 , 343
Hitzschlag 342 Höchstleistung, statische 316 Höchstleistungsgrenze 316 Hoden 536 Höhenerythrozytose 293 Höhenhyperventilation 292 Höhenkrankheit 292 Höhenphysiologie 291–293 – Höhenakklimatisation 293 – höhenbedingter O2-Mangel, Akut-Reaktionen 292 Höhenrausch 292 Höhentod 292 Homoiothermie 322 Homöostase 157 Hooke-Gesetz 164 Hormone – Abgaberate 509, 510 – Aufgaben 508 – Bildung 509 – Durchblutungsregulation 196–198 – gastrointestinale 371–374, 390 – Gewebehormone 562, 563 – hormonale Regulation, Grundprinzipien 511–513 – hormonelle Signalübertragung 509 – hypothalamisch-hypophysäres System 513 ff – Inaktivierung 511 – Neurohypophyse 515–518 – Sexualhormone 536–547 – Wirkungsmechanismus 510, 511 Hormonmetabolisierung 437 Hormonproduktion 437 Hüfner-Zahl 276, 278 Hungerödem 354 Husten 273 Hydratationsstörung – isoosmolare 491 – primäre 489, 490 Hydrogenkarbonatpuffer 495, 496 Hyperämie – metabolische 200 – reaktive 200
H
598
A · Anhang
Hyperglykämie, alimentäre 555 Hyperhydratation 488 – hyperosmolare 491 – hypoosmolare 490 – isoosmolare 491 Hyperkaliämie 117, 492 Hyperkalzämie 117, 492, 559 Hyperkapnie 213, 263 – chronische 271 Hypernatriämie 492 Hyperthermie 341 , 342 Hyperthyreose 300, 529 Hypertonie 172, 441 – essentielle 223 – sekundäre 223 Hypertrophie, Herz 147 Hyperurikämie 462 Hyperventilation 258 – Höhenhyperventilation 292 – psychogene 313 Hypervitaminose 356 Hypervolämie 31 Hypoglykämie 556 – Magensaftsekretion 397 Hypokaliämie 117, 492 Hypokalzämie 118, 492, 559 Hyponatriämie 492 hypophysäres Pfortadersystem 526 Hypophyse 509, 513 ff – Adenohypophyse 518–526 – Neurohypophyse 515–518 hypothalamisch-hypophysäres System 513 ff Hypothalamus 28, 509, 513 ff – Kreislaufkontrolle 218, 219 Hypothermie 342 – induzierte 342 Hypothyreose 529 Hypotonie 223 Hypoventilation 258 Hypovitaminose 355 Hypovolämie 31, 490, 491 Hypoxie 263, 269
– – – – – – – – –
anämische 289 Chemosensoren 213 Gewebe 288 ischämische 289 Koronardurchblutung 153 primär arterielle 288 stoffwechselchemische 289 venöse 288 zytotoxische 289
I Ikterus 85 ileozäkaler Übergang 412 Ileum 411 Immobilisation, Keime 71 Immunelektrophorese 35 Immunglobuline (Ig) 37, 68–70 – Fab-Stück 69 – Fc-Stück 69 – H-Kette 68 – IgA 70, 382 – IgD 70 – IgE 70, 76 – IgG 77 – IgM 70, 77 – L-Kette 68 – monomere 67 – Plazentagängigkeit 69 Immunisierung 78–80 Immunität 60, 78–80 Immunkomplexe 77 Immunsuppression 80 – Glukokortikoide 531 Immuntoleranz 79, 80 Impfung – aktive 79 – passive 79 Implantation 570 Imprägnation 570 Indifferenzebene, hydrostatische
182
H–K
599 A3 · Sachverzeichnis
Indifferenzpunkt, hydrostatischer 182 Indifferenztemperatur 327 Infektionskrankheit, Hämolyse 43 Inhibin 538, 542 Inositolphospholipid-Metabolite 21–23 Inotropie 121, 122 INR-Wert 98 Inspiration 229, 265 – Druck-Saugpumpen-Effekt 186 Inspirationskapazität 238 Inspirationsluft – Befeuchtung 236 – Erwärmung 236 – Reinigung 235 Insulin 521 – Aufbau 550, 551 – Freisetzung, Kontrolle / Mechanismus 551 – Wirkung 552, 553 Insulin-like Growth Factor (IGF) 519 – IGF 1 519 Insulinmangel 460 – absoluter 556 – relativer 556, 557 Integralvektor (Summenvektor) 125 Interferone 63 Interkostalmuskulatur, Eigenreflex 273 intrathorakales Gasvolumen 241 Intrazellularraum, Hauptkation 487 Intrinsic-Factor, Sekretion 394 Intrinsic-System 91 Inulin 436 Ionenkanäle, spannungsgesteuerte, (T) 107 Ionogramm 480 IP3 (1,4,5-Inositoltrisphosphat) 21, 22 Ischämie – Herz 156 – reaktive Hyperämie 200 isobare Maxima, Kurve 140 Isodynamie 346, 347 Isohydrie 33 Isoionie 33 – Kontrolle 487, 488 Isomaltase 423
Isothermen 322, 323 Isotonie 33 isovolumetrische Maxima, Kurve
140
J Jejunum 411 Jod 527 juxtaglomerulärer Apparat 444 juxtakapillärer Reflex 273
K Kalbindin 561 Kalium (K+) – Absorption, Darm 420 – Diffusionspotential 15 – Einfluss auf Herzaktion 117 – Hyperkaliämie 117 – Hypokaliämie 117 – Konzentration, Hirndurchblutung 202 – Resorption / -Sekretion, Niere 454, 455 – – Beeinflussung 455 – Isoionie 487 Kallidin 563 Kalorimetrie – direkte 302 – indirekte 302 kalorisches Äquivalent 296 Kälteakklimatisation – hypotherme 340 – metabolische 340 Kältevasodilatation 332 Kaltsensoren 334, 335 Kalziferol 356 Kalzitonin 474, 520 – biologische Wirkung 560 – chemischer Aufbau 559
600
A · Anhang
Kalzitriol 473, 520, 560, 561 Kalzium ( auch Ca2+) 117, 118 – Hyperkalzämie 117 – Hypokalzämie 118 Kalziumhaushalt, hormonale Regulation 557–561 Kammerflattern 114 – EKG-Veränderung 133 Kammerflimmern 114 – EKG-Veränderung 133 Kammerschenkel (Tawara-Schenkel) 103 Kanal 7, 10 ff – Gating 10 – Poren 10 – spannungsgesteuerte Ionenkanäle, (T) 107 – temporärer 177 – Wasserkanäle (Aquaporine) 10, 177, 470 Kapazitation 569, 570 Kapazitätsgefäße 187 Kapillardruck, hydrostatischer 446 Kapillare 158, 174 – mittlere Strömungsgeschwindigkeit 175 Kapillarwand, gesteigerte Durchlässigkeit 180 Kapnometer 256 Karboanhydrase (Karboanhydratase) 281 Karboxypeptidase A / B 401 kardioplege Lösung 118 Karotissinus 208–211 Katecholaminrezeptor 510 Kationen, organische 463 Kauen 380, 381 Keith-Flack-Knoten (Sinus-Knoten) 101, 109 Kerne, Hypothalamus – großzellige 514 – kleinzellige 514 Kernspintomographie, Herz 150 Kerntemperatur 322–325 – Menstruationszyklus 324 – physiologische Schwankungen 324, 325
Ketogenese 531 Ketonkörper 349 Killerzelle – natürliche (NK-Zelle) 57, 65 – T-Killer-Zelle 72 Kinine 473, 563 Kleidung, Wärmeleitung 329 Kleinhirn, Kreislaufkontrolle 219 Klimasummenmaß 333 Klimafaktoren, Wärmeabgabe 333 Klitorisretraktion 567 Knaus-Ogino 541 Knochen – Kalzitoninwirkung 560 – Parathormonwirkung 558 Knoten, heißer 529 Kohabitation (Koitus) 564 Kohlendioxid ( CO2) Kohlenhydrate 345 ff – Aufbau 348, 349 – enzymatische Spaltung 423, 424 – physiologischer Bedarf 348 Kohlenhydratzufuhr – überhöhte 349 – ungenügende 349 Kohlenmonoxidvergiftung 281 Kohlenmonoxidhämoglobin (HbCO) 49 Kohlensäure (H2CO3) 493 Koitus 564 Kolipase 400 Kollaps – Hitzekollaps 342 – orthostatischer 222 Kolonbakterien 417 Kolonmotilität 414, 415 – Massenbewegung, propulsive 414 Kompensationszone 292 kompensatorische Pause, Extrasystole 113 Komplementsystem 37, 61, 62, 71 – Aktivierungsweg, (A) 62 – alternative Kaskade 61 – klassische Kaskade 61 Konduktion 329 Kontaktallergie 78
601 A3 · Sachverzeichnis
Kontaktzeit, Atmung 259 Kontinenz 474, 475 Kontraktilität 121 Kontraktion – Herz – – isobare 139 – – isovolumetrische 140 – Magen 389 Kontrazeptiva, hormonale 544 Konvektion 234, 327–329 Konzeption 569–571 Kopplung – elektromechanische 114–116 – neuroendokrine 513 Koronardurchblutung 152 ff – Güte 155 – Regulation 153–155 Koronarreserve 155 Korotkoff-Geräusch 174 Körpergewicht – bilanzierte Ernährung 359, 360 – Durchschnittsgewicht 360 – Normalgewicht 360 – Übergewicht 361 Körpermasse-Index (Body Mass Index, BMI) 360 Körperplethysmographie 241, 249 Körpertemperatur 322–325 – Axillartemperatur 324 – Basaltemperatur 325 – Kerntemperatur 322–325 – Messung 323, 324 – mittlere Hauttemperatur 324 – Rektaltemperatur 323, 325 – Schalentemperatur 322, 323 – Sublingualtemperatur 324 – Trommelfelltemperatur 323 Kortexon 534 Kortikosteron 530 Kortikotropin (ACTH) 525, 533 Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH) 517, 525, 533 Kortisol 474, 520, 530 Kostmaß, mittleres, (T) 360
Kot, Farbe 410 Krafttraining 319 Krampf, Hitzekrampf 343 Kreatinin 448 Kreatinphosphat 307 Krebs-Zyklus 156 Kreislauf – arterielles Gefäßsystem 164 ff – Aufgaben 157 – Blutdruck 169 ff – Blutdruckregulation 218 ff – Blutvolumen, Verteilung 187, 188 – Druckverteilung 189, 190 – Durchblutungsregulation 192 ff – dynamische Arbeit 308–310 – enterohepatischer 409, 410 – fetaler 225–227 – Flüssigkeitsaustausch 177–180 – funktionelle Gliederung 157–159, 186 ff – großer (Körperkreislauf ) 158 – Hochdrucksystem 186 – kleiner (Lungenkreislauf ) 159 – Lymphdrainage 177–180 – Mikrozirkulation 174–180 – Niederdrucksystem 186 – Organdurchblutung 192 ff, 201 ff – Plazentakreislauf 225 – Pulswelle 165, 166 – Regulation 207 ff – Stoffaustausch 177–180 – Strömungsgeschwindigkeit 191 – Strömungsgesetze 159–163 – venöses System 181–186 – Widerstandsverteilung 189 – zentrale Kontrolle 217–220 Kreislaufreaktion, emotionale 223 Kreislaufregulationsstörung, orthostatische 222 Kreislaufschock 223–225 – Dezentralisation 225 – Verlauf 223 – Zentralisation 225
K
602
A · Anhang
Kreislaufumstellung – Geburt 226 – Muskelarbeit 222 – Orthostase 220–222 Kreislaufzeit 191 Kreuzprobe, Transfusion 86 Krogh-Gewebezylinder 287 Kropf 529, 530 Kumarinderivate 97 Kurzschlussblut 263 Kurzschlussgefäße 175 Kussmaul-Atmung 272 Kwashiorkor 354
L L-Kette, Antikörper 68 Lagetyp, EKG 129–131 – (T) 131 Lähmungszeit, akute Anoxie 291 Laktat (Milchsäure) 155, 311, 321 Laktation, hormonale Steuerung 545–547 Laktoferrin 382 Laktose 350 Lambert-Beer-Gesetz 50 Längenwachstum, Hormoneinfluss 537 Langerhans-Insel 80, 550, 553 Längsgradient, osmotischer 470 Laplace-Beziehung 138, 139 Larynx-Reflex 272, 273 Latenzzeit (immunologische Lücke) LDL 37 Leber 404 ff Lebergalle 404 ff – Mizellenbildung 408, 409, 428, 429 – Sekretion 404–406 Leistung 305 – automatisierte 314
60
Leistungsarten – physische Leistung 306 – psychische Leistung 306 – sensomotorische Leistung 307 Leistungsbereitschaft 313–315 – physiologische 314 – zirkadianer Rhythmus 314 Leistungsfähigkeit 313–315 – Messung 320, 321 Leistungsgrenze 315, 316 – Dauerleistungsgrenze 315 – Höchstleistungsgrenze 316 Leistungszuschlag 302 Leptin 561, 562 Leukopenie 53 Leukotriene 352, 563 Leukozyten 53–58 – Differentialblutbild 54 – Granulozyten 54–56 – Konzentration 53 – Lymphozyten 57, 67, 71–75 – Monozyten 57, 58, 64 Leukozytose 53 Leveling Off 309 Lewis-Reaktion 332 Leydig-Zellen 536, 538 LH (Luteinisierungshormon) 525, 538, 542 Liberine (Releasing-Hormone) 524–526 Libido 537 Lichtabsorption, Hämoglobin 49–51 – Absorptionsspektren 50 – Lambert-Beer-Gesetz 50 Lieberkühn-Krypten 413 α-Linolensäure 352 Linolsäure 352 Lipase 401 Lipolyse 531 Lipolyseprodukt, Absorption 429 Lithocholsäure 405 longitudinales System 115 Löslichkeitskoeffizient (Bunsen) 276 Lubrikation 567 Luftfeuchte 333
603 A3 · Sachverzeichnis
Lufttemperatur 333 Lunge – Diffusionskapazität 261 – elastische Dehnung 246 – Farmerlunge 77 – Vogelzüchterlunge 77 Lungenatmung 229 Lungendehnungsreflex (Hering-BreuerReflex) 273 Lungenödem 273 Lungenperfusion 262, 263 Lungenvene 159 Luteinisierungshormon (LH) 525, 538, 542 Lymphabfluss, Störung 180 Lymphdrainage 177–180 Lymphe, Zusammensetzung 180 Lymphozyten 57 – Aktivierung, (A) 74 – B-Lymphozyten 67 – T-Lymphozyten 71–75, 78 Lysosomen 55, 87 Lysozym 55, 62, 63, 382
M Magen 388–399 – adaptive Relaxation 389 – Belegzellen 398 – Durchmischung 389, 390 – Entleerung 390, 391 – G-Zellen 392 – Hauptzellen 392 – Homogenisierung 389, 390 – Mukosabarriere 395 – Nebenzellen 392 – Oberflächenepithel 392 – Reservoirfunktion 388, 389 – Retropulsion 390 – rezeptive Relaxation 389 – Verweildauer, Chymus 391
K–M
Magen-Darm-Trakt – Aufgaben 367–369 – Dickdarm 414 ff – Dünndarm 411–413 – enterisches Nervensystem 369, 370, 412 – Funktionseinheiten 363–369 – gastrointestinale Hormone 371–374 – gastrointestinale Motilität 374–379 – Kauen 380, 381 – Kolon 414–417 – Mundhöhle 380 ff – Ösophagus 380 ff – Pankreas 399–406 – Pharynx 380 ff – Rektum 414–417 – Schlucken 385–388 – Speicheldrüsen 381–384 – vegetatives Nervensystem 370, 371 – Verdauungssekrete, Bildung 379, 380 – Wandschichten, (A) 369 Magenblase 430 Magensaftsekretion 392–399 – Belegzellen, Aktivierung 398, 399 – Bikarbonat 395 – gastrale Phase 397 – HCl 392, 393 – intestinale Phase 398 – Intrinsic-Factor 394 – kephale Phase 397 – Magenmukosa 392 – Pepsinogen 394 – Schleim (Muzin) 395, 396 – Steuerung 396–398 Magnesium (Mg2+) – Absorption, Darm 421 – Isoionie 488 – Resorption, Niere 456 Magnetresonanztomographie, Herz 150 Major-Reaktion, Kreuzprobe 85 Makrophagen 64 Makrozytose 41 Maltase 401 Maltose 401, 424
604
A · Anhang
Maltotriose 423 Marasmus 354 Massenspektrometer 256 Maximalkraft 312 MCH (mittlere zelluläre Hb-Masse) 52 MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) 33, 40 Medulla oblongata – Atmungsrhythmus 266, 267 – Kreislaufkontrolle 217, 218 Mehrventilation 258 Meissner (Plexus submucosus) 369, 412 Melanozyten-stimulierendes Hormon (Melanotropin, α-MSH) 520, 523 Melatonin 561 Membran – apikale 362 – basolaterale 362 – Zellmembran 2, 3, 14, 15, 18, 41 Membranpermeabilität 29 Membranpotential – Diffusionsgleichgewicht 14 – Gleichgewichtspotential 15 – Ruhemembranpotential, Berechnung 15 Menarche 541 Menopause 541 Menstruation 542 Menstruationszyklus – Basaltemperatur 325 – hormonale Steuerung 541–545 – Kerntemperaturschwankungen 324 Mentale Belastung 313 Mentale Fähigkeit 306 Mesangium, Glomerulus 449 Metarteriole 175 Meteorismus 430 Methämoglobin (MetHb) 49 MHC (Haupthistokompatibilitätskomplex) 66 Michaelis-Konstante 9 Michaelis-Menten-Gleichung 8
Migration 55 Mikrophagen 64 Mikropille 544 Mikropunktionstechniken, Niere 451 Mikrozirkulation 174–180 – Funktion 174, 175 – funktionelle Organisation 175, 176 Mikrozytose 41 Miktionsreflex 475, 476 Miktionsstörung 476 Milchejektionsreflex 517 Milchfreisetzung 547 Milchsäure 308 – Anhäufung 316 Milieu, inneres 33, 157 Minderwuchs 522 Mineralkortikoide 534–536 Minipille 545 Minor-Reaktion, Kreuzprobe 86 Mitinnervation, zentrale 274 Mizellenbildung, Gallensäuren 408, 409, 428, 429 Mobilferrin 421 Monoacylglycerole (MAG) 429 Monosaccharide, Absorption 424 Monozyten 57, 58, 64 Morbus ( siehe Syndrome / Morbus) Motilin 373 – Konzentration, Anstieg 378 Motilität, gastrointestinale 374–379 – Automatie 375 – Dünndarm 411, 412 – Gallenblase 407, 408 – Kolon 414, 415 – myoelektrischer Motorkomplex, interdigestiver wandernder 378, 379 – Pendelbewegung 378 – postprandiale Muster 375–378 – Segmentation 378 – tonische Dauerkontraktion 378 Mukosabarriere 395 Mukosazelle, Abschilferung 413
605 A3 · Sachverzeichnis
Mukoviszidose 402 Mundhöhle 380 ff Muskel / Musculus – Atemhilfsmuskel 232 – dynamische Arbeit 307, 308 – Herzmuskel (Myokard) 101, 105–107 – Mm. intercostales externi 231 – Mm. intercostales interni 231, 232 – M. sphincter ani externus / internus 415 Muskelaktivität 29 Muskelpumpe, Venen 186 Myasthenia gravis 80 myoelektrischer Motorkomplex, interdigestiver wandernder 378, 379 Myoglobin 278, 307 Myokard, Arbeitsmyokard 101 – Aktionspotential 105–107 – Ionenkanäle, (T) 107 Myokardinfarkt, EKG-Veränderungen 134, 135 Myxödem 529
N N2 (Stickstoff ) 431 Nachlast (Afterload) 138, 139, 143 Nährstoffe – Anteile, Relation 360 – Ausnutzungsgrad 346 – Austauschbarkeit 346–348 – Brennwert 345, 346 – als Energiequelle 345, 346 – Makronährstoffe 348 ff, 423 ff – Mikronährstoffe 354 ff – Salze 358, 359 – Spurenelemente 358, 359 – Wasser 358, 359 Nahrungsaufnahme, Blutdruckbeeinflussung 170 Nahrungsmittel 344 NANC-Neurone 371, 388
M–N
Natrium (Na+) – Absorption, Darm 419, 420 – Isoionie 487 – Mangel 490 – Na+ / 2Cl– / K+-Symporter 382 – Na+ / Cl–-Symporter 452 – Na+ / H+-Antiporter 420, 451, 465 ff – Na+ / HCO3– / CO32–-Symporter 468 – Na+ / K+-ATPase 12, 365, 405, 451 ff – Na+ / NH4+-Antiporter 467 – Na+ / Substrat-Symporter 419 – Resorption, Niere 449–453 – – Regulation 453 – Überschuss 491 natriuretisches Peptid (ANP) 23, 143, 197, 216, 217, 453, 474, 486, 521 Nebennierenmark, Hormone 547–550 Nebennierenrindenhormone 530 ff Nebenzellen, Magen 392 Nehb, EKG-Ableitung 132, 133 Nephron 433 Nernst-Gleichung 15 Nerv / Nervus – N. facialis 370 – N. glossopharyngeus 370 – N. hypogastricus 475, 566 – N. pudendus 567 – N. splanchnicus pelvinus 370, 475, 564, 565 – N. vagus 121, 146, 370, 389, 390, 402 Nervensystem – enterisches 369, 370, 377, 412 – vegetatives 118 ff, 370, 371 Neugeborenes – Thermoregulation 337, 338 – Wärmebilanz 338 neuroendokrine Kopplung 513 Neurohypophyse 515–518 neuronale Verschaltung, reziproke 335, 336 Neurone, respiratorische 266, 267 – E-Neurone 267 – I-Neurone 267 – PI-Neurone 267
606
A · Anhang
Neuropeptid – vasoaktives intstinales (VIP) 371, 388 – Y 373 Neurosekretion 515 Neurotensin 373 Neutralisation, Abwehr 71 Neutralzone, thermische 327 – Neugeborenes 338 Nexus (Gap Junction) 103 Niacin 356 Nidation 570 Niere – Aufgaben 437, 438 – Durchblutung 438 – – Autoregulation 439–441 – – Druckverlauf 439 – – Messung 441 – Exkretion 437 – Gefäßversorgung 433 – glomeruläre Filtration 443 ff – Harnbildung, Prinzip 435 – Harnkonzentrierung 468 ff – Hormone 473, 474 – Kalzitoninwirkung 560 – Morphologie 433–435 – O2-Verbrauch 442, 443 – Parathormonwirkung 558 – renale Clearance 435–437 – Resorption 435 – Sekretion 435 – Stoffwechsel 443 – tubuläre Transportprozesse 449 ff – Tubulusapparat 433 ff Nierenmark 433 Nierenrinde 433 Nierensteine 460 Niesreflex 273 Nikotin 517 NK-Zelle (natürliche Killerzelle) 57, 65 NO (Stickstoffmonoxid) 23, 193, 198–200, 371, 388
Noradrenalin 119, 193, 196, 197, 521 – Abgabe, Kontrolle 548–550 – biologische Wirkung 548 – Biosynthese 547 Normalgewicht 360 Normoventilation 257 Normovolämie 31 Nucleus – Ncl. ambiguus 266 – Ncl. paraventricularis 515 – Ncl. supraopticus 515 Nutzeffekt (Wirkungsgrad) 295
O O2 ( Sauerstoff ) Oddi, Sphinkter 407 Ödem – Entstehung 180 – extrazelluläres 180 – Hungerödem 354 – kardiales 180 – Lungenödem 273 – zelluläres 180 Ohm-Gesetz 159 Oligopeptidase 425 Oligopeptide, Resorption 460 Oligosaccharidase 423 Oligosaccharide 423 Oligurie 435 Opioide 371 – endogene 371 Opioidpeptide 373 Opsonisierung 65, 71 Organdurchblutung 192 ff – absolute 201 – Bauchorgane 205 – Durchblutungsgrößen 201 – Hautdurchblutung 204 – Herzzeitvolumen, prozentuale Verteilung 158
607 A3 · Sachverzeichnis
– Hirndurchblutung 202, 203 – relative 201 – Skelettmuskulatur 203, 204 – spezifische 201 Organe, Sauerstoffversorgung 285–288 Organfunktion – dynamische Arbeit 307–311 – statische Arbeit 311–313 Orgasmusphase – Frau 568, 569 – Mann 566 orgastische Manschette 567 Orthopnoe 258 Orthostase – (A) 221 – Kollaps 222 – Kreislaufregulationsstörung 222 – Kreislaufumstellung 220–222 – Venensystem 182–184 Osmolalität 16, 34, 481, 482 Osmolarität 16, 481 Osmolaritätsstörung, primäre 490, 491 Osmoregulation 484, 485 Osmose 16, 17 – kolloidosmotischer Druck 17 – Hämolyse, osmotische 42 , 43 – osmotischer Druck 16, 33, 34 – osmotischer Längsgradient, Niere 470 – osmotische Resistenz, Erythrozyten 42, 43 Osmosensoren 484, 516 Ösophagus 380 ff Ösophagusdruck 248 Ösophagussphinkter 387 Östradiol 521, 539 Östriol 517 Östrogene 521, 545 – Bildung 539, 540 – Wirkung 539, 540 Ouabain 13, 453, 561 Ovarien 538
Ovulation 324, 542, 570, 571 Oxalat 462 oxidativer Abbau, Glukose 307 Oxygenierung 49 Oxyhämoglobin (HbO2) 48, 276, 497 Oxytozin (Okytozin) 515, 517, 518, 520, 540, 568
P P-Schleife, Vektorkardiogramm 127 P-Welle (EKG) 123 Pankreas 399–406 – A-Zellen 550, 553 – Azinuszelle 400 – B-Zellen 550 – D-Zellen 550 – endokrines 550 ff – exokrines 399 – Hormone 550–557 Pankreasamylase 423 Pankreaslipase 427 Pankreassekret – Elektrolyte 402, 403 – Enzyme 399–401 – Sekretionsphasen 403, 404 – Stimulations-Sekretions-Kopplung 402 pankreatisches Polypeptid 373 Pantothensäure 356 Pappenheim-Färbung 54 Paraaminohippurat 441 Parasympathikus 119, 235, 378, 382, 551 – parasympathische Fasern 370 Parathormon (PTH) 474, 520 – biologische Wirkung 558, 559 – chemischer Aufbau 557 Parathormonmangel 559
N–P
608
A · Anhang
Partialdruck, Gase – Angleich in den Lungenkapillaren 259–261 – CO2 255, 256 – – Hirndurchblutung 202 – O2 255, 256 – – arterieller 269 – – Gewebe 287, 288 – – Hirndurchblutung 202 PEF (Peak Expiratory Flow) 253 Pektin 349 Pendrin 526 Pepsine 425 Pepsinogen, Sekretion 394 Peptidrezeptor 510 Perforine 72 Perfusionsdruck 183 Perfusionsverteilung, Lunge 262 Peristaltik – Kontraktion 389 – nichtpropulsive 376 – primäre 387 – propulsive 376 – sekundäre 387 Permeabilität, Epithelien 363, 364 Permeabilitätskoeffizient 7 Permeation 6, 7 permissive Wirkung 531 Perspiratio – P. insensibilis 330 – P. sensibilis 331, 478 Petechien 96 Pfortadersystem, hypophysäres 526 Phagolysosom 65 Phagosom 65 Phagozytose 58, 64, 65 Phasenverschiebung, Sinusrhythmus 113 Phlorizin 460 Phonokardiogramm (PKG) 151 Phosphat – Absorption, Darm 421 – Isoionie 487, 488 – Resorption, Niere 456, 457
Phosphathaushalt, hormonale Regulation 557–561 Phosphatpuffer 497 Phosphokreatin 156 Phospholipase A 400, 401 pH-Wert 505 – Blut 493, 494 – chemische Atmungskontrolle 268, 269 – pH-abhängige Ausscheidung 464 – Regulation – – Atmung 500 – – Leberstoffwechsel 501 – – Nierenfunktion 500 – Speichel 383 PIH (Prolaktin-Release-InhibitingHormon) 525 Pinozytose 64, 426 Plasma – Bestandteile, Konzentration, (T) 38 – Definition 33 – Elektrolyte, Konzentration 34, 480–483 – Fibrinogen 37 – Milieufunktion 33, 34 – Viskosität 162 Plasmaproteine 34–37 – Albumin 34, 36, 410 – Fraktionen, (T) 35 – Funktionen 35, 36 – Globuline 34, 36, 37 Plasmafluss, renaler (RPF) 440, 441 Plasmin 95 Plasminogenaktivator 95 Plateauphase – Arbeitsmyokard 105 – Frau 567 – Mann 566 Plättchenadhäsion 88 Plättchenaggregation, reversible 88 Plättchenfaktor 3 93 Plazentagängigkeit, Immunglobuline 69 Plazentakreislauf 225 Plazentalaktogen 546
609 A3 · Sachverzeichnis
Plethysmographie – Körperplethysmographie 241, 249 – Venenverschluss 206 Plexus – Pl. myentericus (Auerbach) 369 – Pl. submucosus (Meissner) 369, 412 Pneumotachograph 249 Pneumothorax 244 , 245 Poikilozytose 41 Polyglobulie 39 Polysaccharide 349 Polyurie 435 Polyzythämie 39 Poren (Membrankanäle) 10 Postinspirationsphase 266 Postkoitalpille 545 Potentialwellen, langsame (Slow Waves) 375, 389, 411 PQ-Intervall, EKG 123 PQ-Strecke, EKG 123 Prä-Bötzinger-Komplex 266 Präproadiuretin 515 Präprohormone 509 Präprooxitozin 515 Präzipitation, Abwehr 71 Preload (Vorlast) 138, 139, 142 Pressdruckversuch (Valsalva) 186 Pressosensoren 208–211 – Adiuretin-Kontrolle 516 – Lokalisation, (A) 209 Pressosensorenreflex 208–211 Price-Jones-Kurve 41 Proaminopeptidase 401 Proelastase 401 Progesteron 521, 541, 545 Prohormone 509 Prokarboxypeptidase A / B 401 Prolaktin (LTH) 520, 523, 524 Prolaktin-Release-Inhibiting-Hormon (PIH) 525 Proopiomelanokortinzellen (POMC) 523 Prophospholipase A 401 Proportional-Differential-Sensoren 210
Prostaglandine 352 – PGD2 563 – PGE2 341, 453, 563 – PGF2α 517, 563 – PGl2 563 Prostazyklin 200 Proteinatpuffer 496, 497 Proteine – Akute-Phase-Proteine 63 – Anti-Akute-Phase-Proteine 63 – enzymatische Spaltung 425 – G-Proteine 19 ff – integrale, Zellmembran 2 – Plasma 34–37 – Protein C 94 – Protein S 94 – Transportproteine 7–13 Proteohormonrezeptor 510 Proteolyse 531 Prothrombin 91, 93 Protonenpumpe (H+/K+-ATPase) 393 psychische Alteration, Blutdruckbeeinflussung 170 PTT (partielle Thromboplastinzeit) 98 PTZ (Plasma-Thrombinzeit) 98 Puffersysteme – Bikarbonatpuffer 495, 496 – Charakteristika 494, 495 – Gesamtpufferbasen 497–499 – Phosphatpuffer 497 – Proteinatpuffer 496, 497 – Pufferkapazität 495 Pulmonalisdruck 143 Puls – arterieller 167 – Erholungspulssumme 310 – Venenpuls 185 Pulskurve, zentrale / periphere 167 Puls-Leistungskapazität 321 Pulsoxymetrie 277 Pulswelle 165, 166 – Amplitude, Überhöhung 168 – dikrote Welle 168 – Druckpulswelle 166, 167
P
610
A · Anhang
Pulswelle – Pulswellengeschwindigkeit 166 – Reflexion 168 – Strompulse 168, 169 Pumpe (ATPase) 7, 12, 13, 365, 393, 419 ff, 451 ff, 465 ff Purkinje-Fasen 103, 124 Purkinje-Zellen 219 Pyrogene – endogene 341 – exogene 340
Q QRS-Gruppe, EKG 124 QRS-Schleife, Vektorkardiogramm 127 Querschnittslähmung, Miktionsstörung 476 Quick-Test (Thromboplastinzeit) 97 – INR-Wert 98
R R-Vektor, Herzerregung 131 RBF (renaler Blutfluss) 441 Re-entry, Arbeitsmyokard 108 Reflexblase 476 Reflexionskoeffizient 178 Refraktärperiode, Arbeitsmyokard 107–111 – absolute 108 – funktionelle Bedeutung 108, 109 – relative 108 Regelgröße 25, 27, 28, 211, 512 Regelkreis 25, 270, 271 Regelprozesse – Grundbegriffe, Regeltechnik 25–27 – physiologische Regelkreise 27–29
Regelstrecke 25 Regelzentrum 28, 512 Regler 25, 211, 513 Regulatorzelle 74 Rektaltemperatur 323 – tagesrhythmische Schwankung, (A) 325 Relaxationskurve, Lunge 245, 246 Release-Inhibiting-Hormone 524–526 Releasing-Hormone 524–526 Renin 473, 535 Renin-Angiotensin-Aldosteron-System 213–216, 486 Reserve – autonom geschützte 314 – gewöhnliche Einsatzreserve 314 Reservevolumen – exspiratorisches 238 – inspiratorisches 238 Residualkapazität, funktionelle (FRC) 238–241, 247 Residualvolumen 238 Resistance (Atemwegswiderstand) 248, 249 – Messung 249 Resistenz, unspezifische 58 Resorption 364–366 – Mikrozirkulation 177, 178 – tubuläre, Niere 449 ff Respirationsepithel 235 Respirationszone 233 Respirator 243 Respiratorischer Quotient 296, 297 Retikulozyten 45 Retraktion 92 Retropulsion, Magen 390 Reynolds-Zahl 161 Rezeptor-Down-Regulation 510 Rezeptoren 19 – α1-Rezeptoren 197 – β2-Rezeptoren 197 – intrazelluläre 24 – Katecholaminrezeptor 510 – Peptidrezeptor 510 – Proteohormonrezeptor 510
611 A3 · Sachverzeichnis
– T-Zell-Rezeptor 72 – V1 / V2-Rezeptoren 515 Rhesus-System – Antikörperbildung 84, 85 – Rh-Eigenschaften, Erythrozyten 84 – Rh-Inkompatibilität 85 rhythmische Aktivität, Atmungssteuerung 267 Rhythmus, zirkadianer – eosinophile Granulozyten 56 – Kerntemperatur 324, 325 – Leistungsbereitschaft 314 Ribonuklease 401 Rippenbewegungen, Atmung 230–333 Rippenhalsachse 230 Riva-Rocci, Blutdruckmessung 173 Rohrzucker 349 Röntgendiagnostik, Herz 150 RPF (renaler Plasmafluss) 440, 441 Rübenzucker 349 Rückbildungsphase – Frau 569 – Mann 567 Rückkopplung – negative 26, 27, 513, 542 – positive 542 Ruhedehnungskurve – Herz 139 – Lunge 245, 246 Ruhemembranpotential, Berechnung 15 Ruhetonus 192
S Saccharose 349, 350 Sammelrohr 453, 455, 461 – Harnkonzentrierung 470, 471 Sättigungskinetik, Transportproteine Sauerstoff (O2) – Angebot 285 – Aufnahme
8, 9
– – – –
– dynamische Arbeit 310, 311 – maximale 320 Bindungskurve 276–278 – affinitätsbeeinflussende Faktoren 279–281 – – Verlagerung 280 – Defizit 310 – Fraktion 254 – Kapazität 276 – Konzentration 278, 279 – Löslichkeitskoeffizient 276 – Partialdruck 255, 256 – – arterieller 269 – – Gewebe 287, 288 – – Hirndurchblutung 202 – Sättigung 277 – Therapie – – hyperbare 291 – – isobare 291 – Transport, Blockade durch CO 281 – Utilisation 286 – Verbrauch 285, 286 – – Energieumsatz 296 – Vergiftung 291 – Versorgung, Organe und Gewebe 285–288 – – Störungen 288–291 Sauerstoffschuld, Tilgung 311 Saugreflex 391 Säure – Definition 492, 493 – flüchtige 493 – nichtflüchtige 493 – titrierbare 465–467 Säure-Basen-Gleichgewicht, Störungen 501–504 – (A) 503 – Diagnostische Kriterien 502, 503 – Kompensation 504 Säure-Basen-Haushalt 437, 492–494 Säure-Basen-Status – Analyseverfahren 505, 506 – diagnostische Parameter 504, 505 – Störung 271
P–S
612
A · Anhang
Schalentemperatur 322, 323 Schichtarbeit 315 Schilddrüsenhormone 526–530 – biologische Wirkung 527, 528 – chemischer Aufbau 526, 527 – Hormonkonzentration, Regulation 528–530 Schlaf-Wach-Verhalten 314 Schlagvolumen, Herz 137, 142 Schleim (Muzin) – Dünndarm 413 – Magen, Sekretion 395, 396 Schleimschicht, Atemwege 235 Schleimsubstanzen 384 Schlucken 385–388 – orale Phase 385 – ösophageale Phase 387, 388 – pharyngeale Phase 385–387 – Verschlucken 385 Schluckreflex 385 Schnapp-Atmung 272 Schock – anaphylaktischer 76 – Kreislaufschock 223–225 – Volumenmangelschock 31, 223 Schrittmacherzelle – Aktionspotential 109–111 – – aktueller Schrittmacher 109 – – If-Strom, Verringerung 121 – – potentieller Schrittmacher 109 – gastrointestinale 375 Schubspannung 162 Schwangerschaft, hormonale Steuerung 545–547 Schweißsekretion 330, 331, 339 Schwellensubstanzen, Niere 459 Schwellkörper 564 Second Messenger 19 ff, 488 Segmentation, Darm 378 Sekretantikörper (IgA) 70 Sekretin 372, 374, 398, 402, 404
Sekretion 364–366, 380 – autokrine 509 – endokrine 509 – parakrine 509 Sekretionsaktivität 29 Sekundenkapazität 252 – Bestimmung 253 Selektion, klonale 68 Serotonin 88, 198, 563 Sertoli-Zelle 538 Sexflush 569 Sexualfunktionen 564–571 – sexueller Reaktionsablauf – – Allgemeinreaktionen 569 – – Frau 567–569 – – Mann 564–567 Sexualhormone – männliche 536–538 – weibliche 538–547 Shuntblut 263 Shuntperfusion, venös-arterielle 263 Siebungseffekt, molekularer 445 Siggaard-Andersen-Diagramm 505 Signaltransduktion – (A) 20 – enzymgekoppelte Transduktionssysteme 23, 24 – G-Proteine 19–23 – hormonelle 509 Sinusknoten (Keith-Flack-Knoten) 101, 109 Sinusrhythmus 103 Skelettmuskulatur, Durchblutung 203, 204 Skene-Gänge 567 Slow Waves (langsame Potentialwellen) 375, 389, 411 Sofortreaktion, Allergie 76 Sollumsatz 298 Sollwertverstellung 341 Solvent Drag 364, 420, 451, 454 Somatoliberin (GRH) 522, 525 Somatomedin 519 – Somatomedin C 521 Somatostatin 371, 373, 397
613 A3 · Sachverzeichnis
Somatotropin (Somatotropes Hormon, STH) 518–520 – Regulation 522 Somatotropin-Release-Inhibiting-Hormon (GIH) 525 Somatotropin-Releasing-Hormon (GRH) 522, 525 Sonnenstich 343 Sorbit 350 Spätreaktion, Allergie 78 Speichel – pH-Wert 383 – Zusammensetzung 382–384 Speicheldrüsen 381–384 – Ausführungsgang 382 Speichelsekretion 381, 382, 384 Speicherhormon 552 Spermienaszension 570 Spermienwanderung 569, 570 Sphärozyt 42 Sphinkter – Oddi 407 – präkapillärer 176 Sphygmographie 167 Spike-Potential 375 Spirometer 239 Spurenelemente 358, 359 – essentielle, (T) 359 Steady-State 308 Stammzelle – determinierte 43 – myeloisch determinierte 54, 57, 86 – pluripotente 43, 54, 57 Standard-Ableitung, EKG 129 Standard-Bikarbonatwert 505 Stärke 348 Starling-Gleichung 178 Statine (Release-InhibitingHormone) 524–526 Stechapfelform, Erythrozyt 42 Stefan-Bolzmann-Gesetz 330 Stellglied 26, 28, 29, 211, 337 Stellgröße 26, 28, 29, 512, 513 Sterkobilin 410
Stickstoffmonoxid (NO) 23, 193, 198–200, 371, 388 Stoffaustausch 177–180 – Diffusion 177 – Filtration 177, 178 – Resorption 177, 178, 364–366, 449 ff Stofftransport 2 ff Stoffwechselparameter, dynamische Arbeit 311 Störgröße 26 Störungszone, Höhe 292 STPD-Bedingungen 256, 303 Strahlungstemperatur 333 Stress 533 Strohmbahnquerschnitt 191 Strombahn, terminale 174 ff Strompulse 168, 169 Stromstärkenmessung, Fick-Prinzip 206, 207 Strömung – Geschwindigkeit, Schwankungen 168 – laminare 160 – Reynolds-Zahl 161 – turbulente 160 Strömungsgeschwindigkeit 191 – Messung 205–207 Strömungsgesetze, starres Röhrensystem 159, 160 Strömungswiderstand 159, 163 – Atmung 248, 262 – Verteilung 189 Strophantin 13, 453 Strukturerhaltungsumsatz 298 Struma 529 , 530 ST-Strecke, EKG 124 – Senkung 134 Stuhldrang 415 Stuhlmenge 415 Stuhltrockenmasse 417 Sublingualtemperatur 324 Substanz P 371, 373 Sulfat-Resorption, Niere 457, 458 Surfactant 237 Sympathikus 119, 193, 203, 235, 382, 551 – Aktivierung 144–146, 211, 220
S
614
A · Anhang
Symport 365, 451 ff Symporter 11 – Na+ / 2Cl– / K+-Symporter 382 – Na+ / Cl–-Symporter 452 – Na+ / HCO3– / CO32–-Symporter 468 – Na+ / Substrat-Symporter 419 Syndrome / Morbus – Basedow-Erkrankung 80, 529 Syngamie 570 Synkope 186 Systole 100 – Extrasystole 112, 113, 133 – Herzgeräusch 149 – Klappenfunktion 136
T T-Lymphozyten 71–75 – antigenpräsentierende Zellen 74, 75 – CD4-T-Zelle 73, 74 – CD8-T-Zelle 72, 73 – Funktionen 72 ff – Subpopulationen 72 ff – T-Gedächtniszelle 72 – T-Helferzellen 73 – T-Suppressorzellen 73 – Überempfindlichkeitsreaktion 78 – zytotoxische (T-Killer-Zelle) 72 T-Schleife, Vektorkardiogramm 127 T-System 114 T-Welle, EKG 124 – negative 134 T-Zell-Rezeptor 72 Tachypnoe 258 Taenien 414 Tagesrhythmik – eosinophile Granulozyten 56 – Kerntemperatur 324, 325 – Leistungsbereitschaft 314 Tätigkeitsumsatz 297 Tawara-Schenkel (Kammerschenkel) 103
Temperaturmessung 323, 324 Terminalbronchien 233 Testosteron 521, 523, 536 – Abgabe, Regulation 538 Thekazellen 539 Thermodilutionsmethode 207 Thermogenese, Trijodthyronin 527 Thermoregulation 204, 334 ff – Fieber 340 , 341 – Hitzeschäden 342 , 343 – Hyperthermie 341 , 342 – Hypothermie 342 – Neugeborenes 337, 338 – Sollwertverstellung 341 – Stellglieder 337 – Thermosensoren 334, 335 – Verhaltensanpassung 337 – zentrale Informationsverarbeitung 335, 336 thermosensitive Strukturen, Körperinneres 335 Thermosensoren 334, 335 Thorax – Atmungsexkursionen 229–233 – elastische Dehnung 246 Thrombasthenie 96 Thrombin 91 Thromboplastinzeit (Quick-Test) 97 – INR-Wert 98 Thrombose 95 Thrombosthenin 90 Thromboxan A2 88, 563 Thrombozyten 86 ff – Funktion bei Hämostase, (A) 89 – Plättchenadhäsion 88 – Plättchenaggregation, reversible 88 Thrombozytenpfropf, irreversibler 89 Thrombozytopathie 96 Thrombozytopenie 96 Thrombus 90 Thymus 71 Thyreotropin (TSH) 524, 525, 528 Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) 525, 528
615 A3 · Sachverzeichnis
Thyroxin (T4) 513, 520, 526 ff Tiffeneau-Test 252 Tight Junction (Nexus) 362, 419 titrierbare Säure 465–467 Toleranzadaptation 340 Tonus – basaler 192 – neurogener 192 – neuronale Kontrolle 192–194 Totalkapazität 239 Totraum – anatomischer 241 – Bestimmung 241 – funktioneller 242 tPA (Tissue Plasminogen Activator) 95 TPR (totaler peripherer Widerstand) 189, 211 Trachea 233, 385 Tracheal-Reflex 272, 273 Träger-Elektrophorese 34 Training 318–320 – Ausdauertraining 318 – Funktionsparameter, (T) 319 – Krafttraining 319 – Pensum 318 Transfusionszwischenfall 85 , 86 Transkortin 532 Transplantatabstoßung, akute 78 Transport – Absorption 364, 367, 419 ff – aktiver 366 – – primär 364, 365, 405, 406 – – sekundär 365 – – tertiär 365 – Antiport 365, 420, 451, 465 ff – Diffusion 4–7, 9, 177, 234, 258 ff, 284, 464, 467 – Endozytose 13, 64 – epithelialer 362–366 – Exozytose 13 – Filtration 17, 18 – konvektiver 2 – Osmose 16, 17 – passiver 10, 11
– Permeation 6, 7 – Resorption 177, 178, 364–366, 449 ff – Sekretion 364–366 – Symport 365, 451 ff – Transzytose 13 – Vesikel 13, 14 Transportmaximum, tubuläres 458, 459 Transportproteine 7–13 – Aktivierbarkeit 8 – Eigenschaften 7 ff – Hemmbarkeit, selektive 8 – Sättigungskinetik 8, 9 – Transportspezifität 7, 8 Transportspezifität 7, 8 Transportvermittler, bewegliche 6 Transzytose 13 Traubenzucker (Glukose) 349 TRH (Thyreotropin-ReleasingHormon) 525, 528 Triggereffekt 116 Triglycerole, Triglyzeride 427 Trijodthyronin (T3) 474, 513, 520, 526 ff – biologische Wirkung 527 Trinken 478 Tripeptide, Absorption 425, 426 Trommelfelltemperatur 323 trophotrope Reaktionslage 219 Trypsin 400, 401 Trypsinogen 400, 401 Tryptophan 391 TSH (Thyreotropin) 524, 525, 528 Tuberkulin 78 tubuläre Transportprozesse, Niere – Aminosäuren-Resorption 460 – Ammoniak 465–468 – Ammonium 465–468 – Anionen, organische 463 – Bikarbonat 465–468 – Ca2+-Resorption 456 – Cl–-Resorption 449–453 – Glukose-Resorption 458–460 – H+ (Protonen) 465–468 – Harnsäure 462
S–T
616
A · Anhang
tubuläre Transportprozesse, Niere – Harnstoff 461, 470 – K+-Resorption / -Sekretion 454, 455 – Kationen, organische 463 – Lokalisation 449 – Mg2+-Resorption 456 – Mikropunktionstechniken 451 – Na+-Resorption 449–453 – nichtionische Diffusion 464, 467 – Oligopeptide, Resorption 460 – Oxalat 462 – pH-abhängige Ausscheidung 464 – Phosphat-Resorption 456, 457 – Sulfat-Resorption 457, 458 – Transportmaximum, tubuläres 458, 459 – Transportmechanismen 451–453 – Wasser-Resorption 449–453 Tubuli, transversale (T-System) 114 tubuloglomeruläre Rückkopplung 440 Tubulusapparat 433 – distales Konvolut 452, 453, 455 – frühproximaler 451, 465 – Henle-Schleife 433, 449, 451, 455 – Pars convoluta 433 – Pars recta 433 – proximaler 454, 461 – Sammelrohr 453, 455, 461, 470, 471 – spätproximaler 465 Typ-I-Zellen, Alveole 236 Typ-II-Zellen, Alveole 237 Tyrosinkinase-Aktivität 24
U U-Welle, EKG 124 Überempfindlichkeitsreaktionen 75–78 – Allergie 75 – antikörpervermittelte 75–77 – generalisierte 77 – Soforttyp 75
– Spätreaktion 78 – T-Lymphozyten-vermittelte 78 – Typ-I-Reaktion (Sofortreaktion) 76 – Typ-II-Reaktion 77 – Typ-III-Reaktion 77 – Typ-IV-Reaktion 78 Übergewicht 361 Ultrafiltrat 435, 446 Ultrafiltration 18 Ultraschall-Doppler-Verfahren 205, 206 – gepulstes 206 Umgebungstemperatur 326, 327 Umrechnungsbeziehungen 572 ff Umsatzgrenze 302 Umsatzgrößen, Zellen 297, 298 Umwelt-Einflüsse 307 Uniporter 11 Unstirred Layer 395, 412 Unterstützungsmaxima, Kurve 141 – Verlagerung 145 Untrainierter 315 Up-Regulation 511 Urämie 438 Urobilin 410
V V1 / V2-Rezeptoren 515 v-Welle, Venenpuls 185 Vagus 121, 389, 390, 402 – Tonusabnahme 146 Valsalva (Pressdruckversuch) van’t-Hoff-Gleichung 16 Vas afferens / efferns 443 Vasodilatation 192 – axonreflektorische 194 – cholinerge 194 – metabolische 196 Vasokongestion 564, 567 Vasokonstriktion 88, 192 – hypoxische 262, 263
186
617 A3 · Sachverzeichnis
Vasomotion 176 Vasopressin (Adiuretin, ADH) 197, 214, 216, 470, 474, 485, 512, 515–518, 520 Vaterschaftsausschluss, forensischer 84 Vektorkardiographie 127 Vektorschleife, EKG 131 – P-Schleife 127 – QRS-Schleife 127 – R-Vektor 131 – T-Schleife 127 – Verläufe, (A) 128 Vene / Vena 158 – Lungenvene 159 – V. jugularis externa 185 Venenpuls 185 Venensystem – Atmung, Einfluss 186 – Drücke – – beim Liegenden 181, 182 – – Messung 184 – – Orthostase 182–184 – – periphere 184 – – ZVD (zentraler Venendruck) 181, 184 – Muskelpumpe 186 – venöser Rückstrom 184–186 Venenverschluss-Plethysmographie 206 Venole 158, 174 – postkapilläre 158 Ventilation – alveoläre Ventilation 243, 263 – Atemzeitvolumen 242 – Toträume 241, 242 – Volumeneinteilung 237–239 Ventilationsstörung 252 , 253 – obstruktive 252 – restriktive 252 Ventilationszustände 257, 258 Ventilebene – Bewegung 184 – Mechanismus 136, 137 Ventrikel – Aktionsphasen 136 ff – Arbeitsdiagramm 141 – Druckverläufe 150
Verdauung 367 Verdauungssekrete, Bildung 379, 380 – Enzyme 380 – Flüssigkeitssekretion 380 Verschlucken 385 Verteilungsvolumen, Körperwasser 480 Villikinin 412 VIP (vasoaktives intestinales Neuropeptid) 371, 372, 388 Viskosität, Blut 161–163 – Fahraeus-Lindqvist-Effekt 163 – Gefäßdurchmesser 163 – Plasma 162 – scheinbare 161 – Schubspannung 162 viszerale Afferenzen 371 Vitalkapazität 238, 239, 252 Vitaminantagonisten 357, 358 Vitamine – biologische Bedeutung 355 – Biotin 357 – Einteilung 356 – fettlösliche 356 – Folsäure 356 – Niacin 356 – Pantothensäure 356 – Vitamin A 356 – Vitamin B1 356, 357 – Vitamin B2 356, 357 – Vitamin B6 356, 357 – Vitamin-B12 356, 357 – – Absorption 394 – – Mangel 52 – Vitamin C 356, 357 – Vitamin D 356 – – Metabolismus 560 – Vitamin E 356 – Vitamin H 357 – Vitamin K 356 – – Mangel 96 – wasserlösliche 357, 422 VLDL (Very low Density Lipoproteins) 430
T–V
618
A · Anhang
Vogelzüchterlunge 77 Volumenelastizitätskoeffizient 164 Volumenelastizitätsmodul 166 Volumenmangelschock 31, 223 Volumenregulation 485, 486 – renales Regelsystem 214, 215 Volumensensor 485, 486, 516 Volumenstromstärke 159 von-Willebrand-Faktor 87 ff Vorhöfe, Druckumkehr 227 Vorhofflattern 113 , 114 – EKG-Veränderung 133 Vorhofflimmern 113 , 114 – EKG-Veränderung 133 Vorlast (Preload) 138, 139, 142 Vorläuferzelle 43 – granulopoietisch determinierte 54 vulnerable Phase, Herzmuskelerregung 109
W Wachstumsfaktoren, hämatopoietische Wachstumshormon, verminderte / übersteigerte Bildung 522 Wärmeabgabe 329 – Anpassung 331, 332 – evaporative 326, 330, 331 – Mechanismen 329–331 – Umweltfaktoren 331–333 – im Wasser 333 Wärmeaustausch, Gegenstrom 328 Wärmebildung 326, 327 – Beitrag der Organe 327 – zitterfreie 337, 338 Wärmedurchgangswiderstand 328 Wärmehaushalt 322 ff Wärmeleitung 329 Wärmestrahlung 329
58
Wärmestrom, innerer 328 Wärmetransport – Hautdurchblutung 328 – konvektiver 327, 328 Wärmeübergangszahl 329 Warmsensoren 334, 335 Wasser 358, 359 – Absorption, Darm 422 – Ausscheidung, Kontrolle 485 – Bedarf 478 – Bilanz 478, 479 – Diurese 450, 471, 472, 485 – Gehalt, Körper 477 – Intoxikation 490 – Mangel 468 – Resorption, Niere 449–453 – Überschuss 491 – Verdunstung 330, 331 – Verlust 491 Wasserhaushalt – Kontrolle 437 – Regulation 483 ff – Störungen 488–492 Wasserkanäle (Aquaporine) 10, 177 Wehenauslösung 517 Westergren, Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit 46 WHL (»World Hypertension League«) 172 Widerstand, totaler peripherer (TPR) 189, 211 Widerstandsgefäße 189 Wiederbelebungszeit 291 – Herz 156 Wilson, EKG-Ableitung 132 Windeinfluss, Wärmeleitung 329 Windgeschwindigkeit 333 Windkesselfunktion 166 Wirkungsgrad – Definition 295 – Herz 152 Wundheilung 95
V–Z
619 A3 · Sachverzeichnis
X Xylit
350
Z Zeitgeber, äußerer 314 Zeitzonensprünge 315 Zellmembran – Aufbau 2, 3 – Erythrozyten 41 – Filtrationskoeffizient, (T) 18 – Fluid-Mosaik-Modell 3 – Membranpotential 14, 15 Zellulose 417 Zentralisation 225 Zervix – Dehnung 517 – Schleim 570 Zilien 235 Zirbeldrüse (Epiphyse) 561, 562 Zona pellucida 570 Zona retikularis, Nebennierenrinde 536 Zuckeraustauschstoff 350 Zuckerkonsum 349 Zugspannung, Alveole 244 ZVD (zentraler Venendruck) 181, 184 Zwangshaltung, Arbeitsplatz 312 Zweiphasen-Methode 544 Zwerchfell (Diaphragma) 233 Zwergwuchs 522 Zwischenrippenmuskel – äußerer 231 – innerer 231, 232 Zygote 570 Zyklus, menstrueller, hormonale Steuerung 541–545 Zystinurie 460
zystische Pankreasfibrose (Mukoviszidose) 402 Zytochrom-System 284 Zytokine 73 – Hemmung, Glukokortikoide – Übersicht, (T) 59 Zytolyse 71 zytotoxische Reaktion 77
531