Swetlana Franken Verhaltensorientierte Führung
Swetlana Franken
Verhaltensorientierte Führung Handeln, Lernen und Di...
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Swetlana Franken Verhaltensorientierte Führung
Swetlana Franken
Verhaltensorientierte Führung Handeln, Lernen und Diversity in Unternehmen 3., überarbeitete und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dr. Swetlana Franken ist Professorin für BWL, insbesondere Personalmanagement an der Fachhochschule Bielefeld, leitet mehrere Forschungsprojekte im Themenbereich „Knowledge & Diversity“ und Praxiskooperationen mit Unternehmen in NRW.
1. Auflage 2004 2. Auflage 2007 3. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ulrike Lörcher | Katharina Harsdorf | Renate Schilling Gable Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN978-3-8349-2232-8
Vorwort
DiesesBuchrichtetsichanSie,dieFührungskräftederZukunft.Siewerdenineinpaar JahrenGruppen,AbteilungenundUnternehmenführenodertunesschonheute.Was könnenSieheuteüberFührunglernen,wasIhnenineinemUnternehmeninderglo balen Wissensgesellschaft der Zukunft zum langfristigen Erfolg verhelfen kann? Es kann kaum um fertige, allgemeingültige Führungsrezepte gehen. Genauso wenig lohntessich,TheorienundAnsätzeauswendigzulernen.EszähltnurdasEine:selbst denken und handeln lernen. Dabei hilft es, sich mit dem Wissen der Klassiker und moderner Führungstheoretiker sowie mit den Erfahrungen der Unternehmenspraxis auseinander zu setzen, um diese zu reflektieren und kritisch zu überprüfen. Das ist das eigentliche Ziel dieses Buches – Ihnen verschiedene Theorien und Konzepte zu relevantenBereichenderFührungzupräsentierenundIhnenAnregungenzumNach denkenzugeben. DasLehrbuchsetztkreativeLeservoraus–zujedemThemawerdenmehrereBetrach tungsperspektivenundAnsätzedargestellt,sodassSieimmereineMöglichkeithaben, zwischen den Theorien diejenige auszuwählen, die Ihnen als besonders plausibel, überzeugend und praxisrelevant erscheint. Diese Notwendigkeit, immer selbst ent scheiden zu müssen, entspricht der Realität eines Managers und bereitet Sie auf die Zukunftvor. Wiewirdsiesein,IhreZukunft?So,wieSiesieschaffenwerden.EinPessimistbewäl tigtdieZukunft,währendeinOptimistsiegestaltet.UnddasistdiezentraleBotschaft desBuches:Wirschaffen–zusammenmitanderenMenschen–unsselbstundunsere unmittelbareUmweltundsindfürsieverantwortlich. Allerdings kann man, ohneAnspruch auf eine umfassende Vorhersage, einige allge meineTrendserkennen,dieunsereZukunftundspezielldieFührunginUnternehmen grundsätzlichbeeinflussenwerden.DurchdenendgültigenÜbergangzurWissensge sellschaftwirddieBedeutungvonIdeenundInnovationen,vonkreativenPotenzialen der Mitarbeiter sowie von einem intelligenten Wissensmanagement in Unternehmen weiterzunehmen.Unternehmenwerdensichweiteröffnen,seiesdurchOpenInnova tionalseinKonzeptdergemeinsamenProduktentwicklungmitdenKunden,Lieferan tenoderKonkurrentenodermittelsCorporateSocialResponsibility(CSR)alszuneh mende ethische Verantwortung eines Unternehmens gegenüber seinen Stakeholdern. Demografische Entwicklungen wie Alterung der Gesellschaft, Fachkräftemangel, NeuorientierungderFrauenundsteigenderAnteilderMigrantenanderBevölkerung werdendieDiversitätderKundschaftundBelegschaftverstärken.Derbereitslaufen de Wertewandel in Richtung postmaterialistischer Werte, Selbstverwirklichung und EigenverantwortungwirdsichvertiefenundneueFührungskonzepteundmethoden
Vorwort
wiepartnerschaftlicheundwerteorientierteFührung,EmpowermentundIdentifikati on erfordern. Die hierarchischen Strukturen werden flachen, modularen und Netz werkorganisationen weichen. Die Führungsbeziehungen werden immer weniger auf Anweisungen und Gehorsam, sondern zunehmend auf Gleichberechtigung und Ver trauenunterallenBeteiligtenaufbauen. Um diese Führungswende mitmachen und mitgestalten zu können, sollte eine Füh rungskraftverschiedenetheoretischeAnsätzekreativandiePersonenundSituationen anpassen können und kontinuierlich dazulernen. Dafür sind fundierte Kenntnisse überdasmenschlicheVerhaltenaufindividueller,GruppenundOrganisationsebene notwendig. Nur so können Potenziale der Mitarbeiter und erfolgsrelevantes Wissen optimalerkannt,genutztundgefördertwerden. DerAufbaudesLehrbuchesentsprichtdieserZielsetzung.Begleitetvoneinemkurzen ExkursindieGeschichtederVerhaltenswissenschaften,werdendieAnforderungenan moderneFührungskräftediskutiert,damitjeder(künftige)ManagerseineStärkenund Schwächeneinschätzenundsichdementsprechendweiterentwickelnkann. ImTeilA„IndividuellesVerhalten“werdendieGrundbegriffeundTheorienderPer sönlichkeitundIntelligenzsowiederWahrnehmung,Wissensrepräsentationunddes LernensundHandelnserläutert.DerTeilwirdmiteinemÜberblicküberdieMotivati onstheorienundihreUmsetzungindiePraxisabgeschlossen. TeilBbeschäftigtsichmitderInteraktionzwischenMenschenunddemGruppenver halten und untersucht die Probleme der Kooperation, Kommunikation und Teamar beit.DieDarstellungvontheoretischenAnsätzenwirddurchpraktischeBeispieleund Exkursekonkretisiert. ImTeilC„Organisationsverhalten“gehtesumdasVerhaltenvongroßenHandlungs einheiten. Es werden Unternehmensethik und kultur, Führung sowie Lernen und Wissen in Unternehmen diskutiert. Theorien und Ansätze werden auch hier durch UnternehmensbeispieleundpraktischeAnwendungsempfehlungenergänzt. ImVergleichzuderzweitenAuflagedesBucheswurdederTextaufgrundneuerEr kenntnisseinderFührungslehreundpraxisüberarbeitet,aktuellePraxisbeispieleund einneuesKapitel„FührungundDiversity“wurdeneingeführt. AufderWebsitedesGablerVerlagsunterwww.gabler.dekönnenStudentenundDo zentenFolienfürdiesesLehrbuchsowieweitereMaterialienfinden. Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch für Ihre persönliche und fachliche Weiterentwick lungbehilflichseinwird,undwünscheIhnenvielErfolgbeiderUmsetzungderKunst derFührungindiePraxis. Bielefeld,imSommer2010
VI
S.Franken
Inhalt
Vorwort .....................................................................................................................................V
1
FührungundVerhalten...................................................................................................1 1.1
KurzerExkursindieGeschichtederVerhaltenswissenschaft ............................3
1.2
AnforderungenanFührungskräfteundFührungskompetenzen.....................11
TeilA:IndividuellesVerhalten ...........................................................................................16 2
3
4
5
PersonundPersönlichkeit ...........................................................................................18 2.1
BegriffeundDefinitionen ......................................................................................18
2.2
Persönlichkeitstheorien ..........................................................................................20
2.3
KonsequenzenfürdieFührung ............................................................................24
MenschlicheIntelligenz(en) ........................................................................................27 3.1
IntelligenzundIntelligenztheorien ......................................................................27
3.2
EmotionaleIntelligenz............................................................................................32
3.3
TheoriedermultiplenIntelligenzen.....................................................................34
Wahrnehmung ................................................................................................................37 4.1
DefinitionderWahrnehmungundRolledesGedächtnisses ............................37
4.2
VisuelleWahrnehmung..........................................................................................41
4.3
GrenzenmenschlicherWahrnehmung.................................................................45
Wissensrepräsentation ..................................................................................................47 5.1
TheoriederWissensrepräsentation ......................................................................47
5.2
SubjektivitätundStabilitätdesWissens ..............................................................50
5.3
FormendesWissens:beschreibendes,prozessualesundemotionales ............52
5.4
ExplizitesundimplizitesWissen:dieRolledesBewusstseins .........................54
5.5
FormalisiertesWissen.............................................................................................56
Inhalt
6
IndividuellesLernen .....................................................................................................59 6.1
LernfähigkeitundLernen ......................................................................................59
6.2
FormendesindividuellenLernens .......................................................................61
6.2.1
BehavioristischeLernformen ......................................................................62
6.2.2
KognitiveLernformen..................................................................................63
6.2.3
KonstruktivistischeLernformen.................................................................64
6.3 7
BedingungendesLernprozesses...........................................................................66
IndividuellesHandeln..................................................................................................68 7.1
GanzheitlichesModelldesHandelns...................................................................69
7.2
KognitiveKompetenzenderHandlungssteuerung ...........................................70
7.3
Verstand,VernunftundEmotionenimHandeln................................................72
7.4
EthikdesindividuellenHandelns ........................................................................74
7.5
PhasendesHandlungsprozesses ..........................................................................78
8
Motivation.......................................................................................................................80 8.1
Ziele,MotiveundMotivation................................................................................82
8.2
IntrinsischeundextrinsischeMotivation.............................................................84
8.3
Inhalt–UrsacheTheorien........................................................................................87
8.3.1
DieBedürfnistheorievonAbrahamMaslow ............................................88
8.3.2
ERGTheorievonC.Alderfer ......................................................................90
8.3.3
HerzbergsZweiFaktorenTheorie.............................................................92
8.3.4
BedürfnisfaktorentheorievonD.C.McClelland......................................94
8.3.5
ProfilderfundamentalenMotivenachS.Reiss........................................96
8.4
VIII
Prozesstheorien .......................................................................................................97
8.4.1
DieVIE–TheorievonV.Vroom...................................................................98
8.4.2
ZirkulationsmodellvonL.PorterundE.Lawler ...................................100
8.4.3
ZieltheorievonE.Locke ............................................................................102
8.4.4
LeistungsdeterminantenkonzeptvonJ.Berthel .....................................104
Inhalt
8.5
MotivationinderUnternehmenspraxis.............................................................106
8.5.1
BedürfnisseundMotivationsfaktoreninderPraxis ..............................106
8.5.2
VariableEntgeltsystemeundRestrukturierungdes Arbeitsprozesses.........................................................................................109
8.5.3
MotivationundPersönlichkeit .................................................................111
8.6
VorbeugungderDemotivation ...........................................................................115
8.7
IdentifikationundihreFörderung......................................................................119
8.8
PersonalentwicklungalsMotivationsaufgabe...................................................122
TeilB:InteraktionundGruppenverhalten .....................................................................128 9
Kooperation ..................................................................................................................129 9.1
Kooperationsebenenundformen ......................................................................129
9.2
AktuelleKooperationstrends ..............................................................................132
9.3
BegriffundVoraussetzungenderKooperation ................................................135
9.4
VertrauenundKooperationsbereitschaft...........................................................137
9.5
FörderungvonKooperationen............................................................................140
10
Kommunikation ...................................................................................................142 10.1
DefinitionenundModelle....................................................................................143
10.2
VerbaleundnonverbaleKommunikation .........................................................146
10.3
Kommunikationstheorien ....................................................................................152
10.3.1
DerpsychologischeAnsatzvonF.SchulzvonThun .............................152
10.3.2
TheoriederTransaktionsanalysevonE.Berne.......................................157
10.3.3
KommunikationnachdemModellvonG.Roth ....................................162
10.4
BetrieblicheKommunikation...............................................................................164
10.4.1
KommunikationsmedieninUnternehmen .............................................165
10.4.2
MitarbeitergesprächeinderUnternehmenskommunikation...............167
11
GruppenundGruppenprozesse .......................................................................173
11.1
ArtenundWirkungenvonGruppen..................................................................174
11.2
ArbeitsgruppeninUnternehmen .......................................................................177
IX
Inhalt
11.3
TeamalseinebesondereArbeitsgruppe ............................................................180
11.4
GruppenentwicklungundGruppenleistung ....................................................184
11.5
InteraktioninGruppen:ThemenzentrierteInteraktion...................................188
11.6
KonflikteinGruppen ...........................................................................................191
11.7
LerneninGruppen ...............................................................................................195
11.8
EmpfehlungenfüreinenGruppenleiter.............................................................198
TeilC:Organisationsverhalten..........................................................................................202 12
Unternehmenskultur...........................................................................................203
12.1
UnternehmenalsHandlungseinheit ..................................................................204
12.2
BedeutungderUnternehmenskultur .................................................................206
12.3
DefinitionenderUnternehmenskultur ..............................................................208
12.4
ModellederUnternehmenskultur ......................................................................210
12.5
WirkungenderUnternehmenskultur.................................................................215
12.6
AnalyseundGestaltungderUnternehmenskultur..........................................218
12.6.1
AnalysederIstKultur ...............................................................................218
12.6.2
GestaltungderUnternehmenskultur.......................................................220
13
Unternehmensethik.............................................................................................225 13.1
13.1.1
AnsätzeundBegriffederUnternehmensethik .......................................226
13.1.2
EinigeInstrumentezurRegelungderUnternehmensethik ..................230
13.2
EthikvonUnternehmen.......................................................................................232
13.2.1
EthikinderUnternehmensvisionundstrategie ...................................232
13.2.2
Beispiel:UmweltbewusstseinundStrategie ...........................................235
13.2.3
StakeholderundihreInteressen...............................................................236
13.2.4
CorporateSocialResponsibilityBewegung............................................238
13.3
X
TheoretischeGrundlagenderUnternehmensethik ..........................................226
EthikinUnternehmen ..........................................................................................239
13.3.1
EthischesFührungsverhältnis...................................................................240
13.3.2
InstitutionelleRahmenbedingungen .......................................................242
Inhalt
13.3.3
FührungsleitlinienalsnormativeAnforderungen .................................245
13.3.4
Führungskräfteethik ..................................................................................246
13.3.5
Mitarbeiterethik ..........................................................................................247
14
Führungsstileundkonzepte.............................................................................250
14.1
GesellschaftlicherWertewandelundFührungsverständnis............................251
14.1.1
WertewandelundMenschenbilder ..........................................................251
14.1.2
ModernesFührungsverständnis...............................................................256
14.1.3
ZusammenspielderstrukturellenundinteraktivenFührung .............258
14.2
Führungsstile.........................................................................................................262
14.2.1
FührungsstilkontinuumvonTannenbaumundSchmidt......................262
14.2.2
ManagerialGridnachBlakeundMouton...............................................264
14.2.3
ModerneFührungsstiltypologien.............................................................266
14.2.4
FührungsstileinderPraxis .......................................................................267
14.3
Führungskonzepte ................................................................................................270
14.3.1
SituativeFührung.......................................................................................270
14.3.2
ZielorientierteFührung .............................................................................272
14.3.3
WerteorientierteFührung..........................................................................275
14.4
QualitätderFührung............................................................................................280
14.4.1
ZieleundQualitätskriterienderFührung...............................................281
14.4.2
MessungderFührungsqualität ................................................................284
14.4.3
EinKonzeptzurSicherungderFührungsqualität .................................287
15
GestaltungdesLernensinUnternehmen........................................................289
15.1
TheoriendesorganisationalenLernens .............................................................290
15.1.1
LerntheorievonArgyrisundSchön.........................................................291
15.1.2
TheoriederlernendenOrganisationvonP.Senge .................................292
15.1.3
WissensmanagementtheorievonNonakaundTakeuchi .....................295
15.1.4
VierEbenendesLernensinUnternehmen..............................................302
15.2
WisseninUnternehmen:ProblemeundManagement ....................................304
15.2.1
OrganisationalesWissen ...........................................................................305
XI
Inhalt
15.2.2
BausteinedesWissensmanagements .......................................................305
15.2.3
WissensmanagementinderPraxis ..........................................................308
15.2.4
IntelligentesUnternehmen........................................................................310
16
FührungundDiversity .......................................................................................316
16.1
TheoretischeGrundlagendesDiversityManagements...................................317
16.1.1
ParameterderDiversität............................................................................317
16.1.2
NotwendigkeitundNutzendesDiversityManagements ....................318
16.1.3
InstrumentedesDiversityManagements ...............................................323
16.2
FührungiminterkulturellenKontext.................................................................325
16.2.1
DimensionenvonNationalkulturen ........................................................326
16.2.2
AnpassungderFührungundMotivation ...............................................329
16.3
AktuelleAnwendungsfelderundFallbeispiele ................................................332
16.3.1
BeschäftigungvonälterenMitarbeitern ..................................................333
16.3.2
FraueninFührungspositionen .................................................................335
16.3.3
MultikulturelleTeamsinUnternehmen ..................................................339
Literaturverzeichnis..............................................................................................................343 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................351 Autorin ...................................................................................................................................355
XII
1
Führung und Verhalten
Wasbedeutetes,Menschenzuführen?WelcheEigenschaftenmacheneineguteFüh rungskraftaus?AufgrundindividuellerVielfältigkeitgibteskeinenIdealtypdesFüh renden.1ErfolgreicheManagerinderPraxiskönnensowohlflinkundflexibelalsauch sturundstarrsinnigsein,sowohlbescheidenalsaucheitelundselbstbewusstwirken. Wer sich für die Führungskarriere entscheidet, muss ohne fertige Rezepte anhand persönlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen seinen eigenen Führungsstil finden.EntscheidungentreffenundVerantwortungübernehmen,planenundkontrol lieren,führenundorganisieren–dieseundvieleweitereTätigkeitengehörenzuden Führungsaufgaben. DieseAufgaben variieren je nach Branche und Größe des Unter nehmens, nach der Position und Funktionen der Führungskraft, haben aber eins ge meinsam: Führende beeinflussen das Verhalten anderer Menschen für gemeinsame Zielerreichung. Als Unternehmensführung (oder Management) wird die zielgerichtete Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von sozialen (soziotechnischen) Systemen bzw. Unter nehmenverstanden.2UnddieFührungskräfte(oderManager)habendieAufgabe,das Handeln aller Mitarbeiter im Unternehmen auf den gemeinsamen Erfolg hin auszu richten. In diesem Prozess bilden Strategieentwicklung, Organisation, Planung und Kontrolle als Managementfunktionen einen konstituierenden Rahmen, während die Führung für einen effizienten Einsatz der Mitarbeiter sorgt. Menschen als Schöpfer vonIdeenundProduktenspieleninUnternehmendieentscheidendeRolle. Unternehmen von heute werden mit Herausforderungen der Wirtschaft und Gesell schaft konfrontiert, die tiefgreifende Veränderungen der Führung verlangen. Die Wettbewerbssituation verschärft sich aufgrund der Internationalisierung, Globalisie rung, Ressourcenverknappung sowie Individualisierung der Kundenbedürfnisse in gesättigten Käufermärkten. Die neue Informations und Kommunikationstechnologie (IuKTechnologie)führtzurAuflösungvonUnternehmensgrenzenundUmgestaltung vonOrganisationsstrukturenundprozessen.GesellschaftlicheWerteundMenschen bilder sind einem Wandel unterzogen, der die Einstellung zur Umwelt, die Alters struktur von Kundschaften und Belegschaften, den Stellenwert der Arbeit sowie die AnsprücheandenArbeitsplatzunddieFührunginUnternehmenbeeinflusst. UnterdiesenBedingungenistderErfolgeinesUnternehmensinersterLinievonseiner Innovationsfähigkeit,FlexibilitätundKundenorientierungabhängig.Dadurchwächst 1 2
ImWeiterenwerdenausEinfachheitsgründennurmännlicheFormenbenutzt,wobeiVertre terdesweiblichenundmännlichenGeschlechtsgemeintwerden. Vgl.Ulrich,H.:Management,S.113;Bleicher,K.:IntegriertesManagement,S.60.
S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
1
Führung und Verhalten
die Bedeutung des menschlichen Faktors in Unternehmen. Der Mensch wird nicht mehrnuralseinRädchenineinembürokratischgeführtenHierarchiesystemangese hen,sondernalsSchöpfervonIdeenundWerten,alsPersönlichkeitmitindividuellen Stärken, Fähigkeiten und Talenten. Die Vorstellung vom Unternehmen als einer Ma schine, wo ein Mensch zu einem Teil des technischen Systems „Fabrik“ degradiert wurde,gehörtderVergangenheitan. InderpostindustriellenGesellschaftistderBedarfansolchen„Rädchen“ohneEigen initiative und Verantwortung stark zurückgegangen. Die monotonen, körperlichen Tätigkeiten werden zunehmend automatisiert oder in Billiglohnländer verlagert. Zu gleich steigen dieAnforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen der Mit arbeiter,dieinitiativundselbständighandelnmüssen.DurchihreKundenundPro zessnäheverfügendieMitarbeiterüberbesonderePotenzialeundrelevantesWissenin Bezug auf Entscheidungsfindung, Erfüllung von Kundenbedürfnissen und Verbesse rungsprozesse.FolglichsolltensiemehrMachtbeiEntscheidungenundInnovationen bekommen. Der „empowerte“ Mensch arbeitet kompetent, eigenverantwortlich und kreativundträgtzumUnternehmenserfolgbei. DieAufgaben der Führung ändern sich radikal und sinddarauf ausgerichtet, indivi duellesWissen,besondereFähigkeiten,KompetenzenundTalentederMitarbeiterzu entdecken und für das Unternehmen zu erschließen. Diese können allerdings nicht erzwungen, sondern nur freiwillig gegeben werden. An die Stelle herkömmlicher Führungsinstrumente wie alleinige Entscheidungen, Arbeitsanweisungen und Kon trolle, treten individualisierte, kommunikative Führung, Interaktion und Unterstüt zung selbständiger, engagierter Mitarbeiter. Die neue Führungskraft sollte vor allem CoachundEntwicklerfürseineMitarbeiterundzugleichVisionärundArchitekteiner fördernder Unternehmenskultur sein. Die Unternehmensziele werden gemeinsam, durch die Interaktion und Kooperation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern definiert und erreicht.Aus dieser Perspektive ändern sich dieAnforderungen an die Führungskräfte:NebenFachkompetenzensollensieKreativität,FlexibilitätundLern fähigkeit sowie soziale Kompetenzen besitzen. Neue Organisationsformen und modelle,wieTeamundProjektarbeit,strategischeAllianzen,internationaleKoopera tionenundNetzwerke,erforderneinmenschlichesMiteinander,indemdiePersonen samtihrenEmotionenmitberücksichtigtwerden.PersonifizierteFührungundMotiva tion,offeneKommunikation,lebenslangesLernen,KreativitätundFlexibilität,koope rativer Führungsstil, Unterstützung von Team und Unternehmenskultur – das sind dieSchlüsselbegriffedererfolgreichenFührung. UmdieseFührungpraktizierenzukönnen,brauchteinManagerfundierteKenntnisse überindividuellesundGruppenverhalten,dieimRahmenderVerhaltenswissenschaft entwickelt werden. Ein kurzer Exkurs in die Geschichte dieser Disziplin soll einen Überblick über ihre wichtigsten Richtungen und die für die Führung relevanten Grundlagengeben.
2
Kurzer Exkurs in die Geschichte der Verhaltenswissenschaft
1.1
Kurzer Exkurs in die Geschichte der Verhaltenswissenschaft
Die betriebswirtschaftliche Verhaltenswissenschaft3 (auch Verhaltenspsychologie ge nannt)istdieWissenschaftvommenschlichenVerhaltenundbefindetsichimGrenz gebiet zwischen Psychologie und Unternehmensführung. Im Kontext der Führung beschäftigtsichdieVerhaltenswissenschaftmitdemVerhaltenvonMenschenineinem UnternehmenundseinemEinflussaufdieLeistungsfähigkeitdiesesUnternehmens. DenGegenstandderverhaltenswissenschaftlichenForschungbildendreiDeterminan tendesVerhaltensinUnternehmen:Individuen,GruppenundStrukturen(Organisa tion als Handlungseinheit oder ihre Teile). Damit hat die Verhaltenswissenschaft fol gendeThemenbereiche:
individuelles Verhalten, Wahrnehmung und Gedächtnis, individuelles Lernen, EntscheidungsfindungundMotivation;
Gruppenverhalten, Kooperation, Kommunikation, Teamarbeit und Lernen in Gruppen;
Organisationsverhalten,Unternehmenskulturundethik,Führungsstileundkon zepte,LernenundWisseninUnternehmen. AlledreiEbenendesVerhaltenssindmiteinanderverbunden,dennsowohlGruppen alsauchOrganisationsverhaltenbasiertaufdemVerhalteneinzelnerIndividuen.Auf jeder weiteren Stufe kommen noch zusätzliche Prozesse dazu, die das Verhalten von größerenEinheitenbeeinflussen:GruppenprozesseundOrganisationsprozesse. Tabelle1: ThemenbereichederVerhaltenswissenschaft Verhaltensebenen
Themenbereiche der Verhaltenswissenschaft
Individuum
Persönlichkeit, Intelligenz(en), individuelles Lernen, Wahrnehmung und Gedächtnis, Wissensrepräsentation, individuelle Entscheidungsfindung, Motivation
Gruppe
Kooperation, Interaktion, Kommunikation, Gruppe und Gruppenprozesse, Team und Teamarbeit, Lernen in Gruppen
Unternehmen (oder sein Teil)
Unternehmenskultur, Unternehmensethik, Führung, Führungsstile und -konzepte, organisationales Lernen, Wissen in Unternehmen
3
ImenglischenSprachraumambestenmit„OrganizationalBehaviour“gleichzusetzen.
3
1.1
1
Führung und Verhalten
Die Verhaltenswissenschaft ist keine Erfindung unserer Zeit: Seit Jahrhunderten ver suchen Wissenschaftler menschliches Verhalten zu verstehen und zu beschreiben. ZumBeispiel,habendiePolitökonomenAdamSmithundRobertOwenbereitsim18. und 19. Jahrhundert ihren Theorien menschliche Verhaltensweisen und Entschei dungsprozessezuGrundegelegtunddenMenschendabeigrundsätzlicheinrationa lesVerhaltenunterstellt.Anfangdes20.Jh.hatFrederick W.Taylorversucht,Motive desArbeiterverhaltenszuuntersuchenundmitseinen„Prinzipienderwissenschaftli chen Betriebsführung“ die Arbeitsbereitschaft und produktivität von Arbeitern zu erhöhen,wasgroßeBedeutungfürdieoptimaleGestaltungvonArbeitsplätzenund prozessenhatte. Inden191020erJahrenbekommtdieVerhaltenstheorieihreGestaltalsWissenschaft, zuerstinFormdesBehaviorismus(vonbehavior=Verhalten).DerBehaviorismus,vor allem der amerikanische, ist immer noch die bekannteste Theorie des menschlichen (undtierischen)Verhaltens. DieForderung,tierischesundmenschlichesVerhaltennaturwissenschaftlich,objektiv zuuntersuchen,wurdebereitsgegenEndedes19.Jahrhundertsvondemamerikani schen Psychologen Edward Thorndike (1874–1949) erhoben. Für das Studium des LernverhaltensvonHundenundKatzenhatThorndikeeinenVersuchskäfigerfunden, wo ein Tier durch zufällige Betätigung eines Pedals sich befreien und Futter bekom men konnte. Nach einigen Vorgängen konnte das Tier lernen, das Pedal gezielt zu betätigen. Für Thorndike bedeutete dies, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltensdadurcherhöhtwerdenkann,dassespositiveKonsequenzenhat.DieseArt vonLernennennenwirjetztLernenamErfolgoderoperanteKonditionierung(s.Ka pitel6„IndividuellesLernen“). Ein anderer Typ von Lernen wurde von dem russischen Physiologen Iwan Pawlow (1849–1936) entdeckt und beschrieben – dieklassische Konditionierung, die er in Ex perimenten mit Hunden untersucht hat. Eine natürliche Verhaltensreaktion eines Hundes(Speichelfluss),diedurchdenAnblickdesFuttersausgelöstwird,hatPawlow miteinemanderen,neutralenReiz(Glockenzeichen)verknüpft.NacheinigenWieder holungendiesesVorgangskamderSpeichelfluss(bedingteReaktion)unmittelbarnach dem Glockenzeichen (bedingter Reiz) ohne Futter zustande (s. folgende Abbildung, links). Pawlow meinte, dass man alles Lernverhalten durch eine solche klassische Konditionierungerklärenkann. SeineendgültigeVerkörperungalsWissenschafthatderBehaviorismusindenWerken des amerikanischen Psychologen John Watson (1879–1958) gefunden: Basierend auf denTheorienvonThorndikeundPawlowhater1914dasWerk„Behavior:AnIntro ductiontoComparativePsychology“herausgegebenundseineLehrevonderKontrol leundVoraussagevonVerhaltenbegründet.NachWatsonsMeinungkanndasVerhal ten ausschließlich über die Beziehung von Reiz und Reaktion erklärt werden. Für tierisches und menschliches Verhalten gelten dieselben „objektiven“ Gesetze, und zwar die Lehre von der Veränderung des Verhaltens nach den Prinzipien der klassi 4
Kurzer Exkurs in die Geschichte der Verhaltenswissenschaft
schenundoperantenKonditionierung.Watsonsprichtsichdafüraus,diepsychologi scheForschungreinaufbeobachtbaresVerhaltenzubeschränkenunddistanziertsich vonallenmentalenProzessen,diedasVerhaltenbeeinflussenkönnen. Abb.1:
TierexperimentederBehavioristen:dasHundExperimentvonI.Pawlowunddie SkinnerBox4
Der wahrscheinlich bedeutendste Behaviorist F. Skinner (1904–1990) verbesserte und verfeinerte die Erforschung des tierischen Verhaltens. Er entwickelte die nach ihm genannteSkinnerBox(s.Abbildungoben,rechts),inderdieVersuchstiere,vorallem Tauben und Ratten, nach einem Hebeldruck oder Picken auf eine Glasscheibe mit Futter belohnt wurden. Skinner hat das so genannte Lernen durch „Versuch und Irr tum“ beschrieben. Wenn die Belohnung dem erfolgreichen Verhalten unmittelbar folgt,erzieltmandiebesteWirkung.SchlussfolgerndhatSkinnerseineTheorieformu liert:AllesmenschlicheundtierischeVerhaltenwirdüberVerstärkungsundVermei dungslernen gesteuert, d.h. über die Konsequenzen des Verhaltens. Dies bedeutet, dasssowohldasVerhaltenvonTierenalsauchdasvonMenschen–sokompliziertes imInnerndesOrganismusauchzugehenmag–vonaußengesteuertist.5 AllebehavioristischenAnsätzehabenFolgendesgemeinsam:Siebeschränkensichauf dieBeobachtungundBeschreibungderjenigenVerhaltensteile,dieaußerhalbdesOr ganismuszumVorscheinkommen.EinMenschwirdvondiesenVerhaltensforschern alsMaschineohnefreienWillen,seinVerhaltenalsErgebnisvonfrüherenErfahrungen (vonLobundTadel)betrachtet.Diese„lernendenAutomaten“werdendurchexterne Ereignisse und nicht durch interne Faktoren (Wünsche, Motive, Triebe, Denken und Einsichten) gesteuert. Sie passen sich der Umwelt vollkommen an und sichern da durchihrÜberleben.DabeiistfürdasgewünschteVerhaltenausreichendeKonditio 4 5
Vgl.Lefrancois,G.R.:PsychologiedesLernens,S.36. Vgl.Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.3135.
5
1.1
1
Führung und Verhalten
nierung(durchhäufigesWiederholen)notwendig–durchLoboderBelohnungaufder einen und Bestrafung auf der anderen Seite. Durch geschickt gestaltete Lernprozesse (Reize)kannmanjedeerwünschteReaktionhervorrufenunddasVerhaltenvonIndi viduenbeliebiglenken. Die modernen Erkenntnisse der Hirnforschung, Neurobiologie und psychologie zei gendieGrenzendesBehaviorismusauf:MenschensindkeinelernendenAutomaten, sondern einmalige Persönlichkeiten, die durch komplexe kognitive Prozesse der Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung, in denen sich ihre Fähigkeiten, individuellen Erfahrungen und Emotionen widerspiegeln, gekenn zeichnet werden. Es ist äußerst schwierig, das komplexe menschliche Verhalten als KetteoperantkonditioniertenVerhaltenszubeschreiben. Die(neu)behavioristischenTheoriensindimmernochverbreitet,insbesondereinden USA: Einige Lehrbücher amerikanischerAutoren beschreiben den Behaviorismus als einzig richtiges Lernkonzept6 oder sind stark geprägt von der behavioristischen Per spektive7.Allerdings ist die Zuordnung mancher Namen zu einer bestimmten Rich tungdiskussionswürdig.VielederWissenschaftlerundPsychologen,diederbehavio ristischen Tradition zugeordnet werden, wieAbraham Maslow oder Frederick Herz berg, haben mit ihren Motivationstheorien und ManagementEmpfehlungen einen wesentlichenBeitragzurEntwicklungderVerhaltenswissenschaftundFührungstheo rie geleistet. Ihre Ideen sind zum großen Teil immer noch aktuell, jedoch sollte ihre Anwendung die modernen Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaft (Kognitivismus und Konstruktivismus) berücksichtigen, die Einmaligkeit jedes einzelnen Menschen unddensubjektivenCharakterseinesWissenshervorheben. Seitden1950erJahrenhateineneueÄrainderVerhaltenswissenschaftbegonnen–die sogenannte„kognitiveWende“brachaus.SiewurdedurchdaswachsendeInteresse für die Prozesse, die im Gehirn ablaufen, verursacht und durch Erkenntnisse von einigenVerhaltensforschern,wiez.B.KarlLashley(1890–1958)überHirnmechanismen der mentalen Aktivitäten begründet. Lashley hat 1948 behauptet, „dass Verhalten keineswegs eine bloße ReizReaktionskette sei, sondern durch ein internes, hierar chisch organisiertes System kontrolliert werde. An der Spitze dieses Systems stehen allgemeine Pläne undAbsichten, die nachgeordnete, konkretere Handlungsprogram me bis hinunter zu den Einzelaktionen steuern.“8 Das bedeutet, dass menschliches VerhaltennichterstalsAntwortaufeinenReizzustandekommt,sonderndurchPla nung,VorausschauundZielegetriebenwird. GleichzeitigwurdediekognitiveWendedurchdieErfolgeaufden GebietenderKy bernetik, Informationstheorie und Künstliche Intelligenz (verbunden mit solchen be
6 7 8
6
Z.B.Corell,W.:VerstehenundlernenoderHilgardsEinführungindiePsychologie. Z.B.Robbins,S.P.:OrganisationderUnternehmung. Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.39.
Kurzer Exkurs in die Geschichte der Verhaltenswissenschaft
kannten Wissenschaftlern wie Norbert Wiener, Ross Ashby und Claude Shannon) vorangetrieben. Die kognitive Wende wurde in der Verhaltenspsychologie durch die Arbeiten von Psychologen wie Donald Broadbent und Eric Neisser eingeleitet. Sie haben sich mit der Informationsverarbeitung im Bereich der Symbole, Regeln und Überzeugungen befasst.HeutenimmtderKognitivismuseinenbedeutsamenPlatzindenpsychologi schenundsoziologischenTheorienein. Der KognitiveAnsatz beschäftigt sich mit dem „Warum“ und „Wie“ unseres Verhal tens und untersucht das menschliche Gehirn und seine Informationsverarbeitung: Wahrnehmung,RepräsentationderWelt(mentaleModelle),GedächtnisundEntschei dung.DadurchrücktdiePersönlichkeiteinesMenschenmitallengeerbten,anerzoge nenundbewusstentwickeltenFähigkeitenundFertigkeiteninVordergrundderVer haltenswissenschaft. DieGrundpostulatedesKognitivismuskönnenwiefolgtbeschriebenwerden:
menschlichesVerhaltenistmehralseineReizReaktionsKette(Passivität),Reakti onensindnurzumTeilvonaußensteuerbar;
EntwicklungisteinaktiverProzesseinesSubjektes,dasmitErkenntnisfunktionen ausgestattet ist. Dieses Subjekt baut Erkenntnis durch die aktiveAuseinanderset zungmitderUmweltauf;
HandelnwirdvonDenkvorgängenbestimmtunddamit nichtnurvon denäuße renGegebenheiten;
dasBindegliedzwischenReiz(Umwelt)undReaktion(Verhalten)istdiekognitive Repräsentation: Kodierung und Integration von Informationen, Reizen und Um weltfaktorenineinpersönlichesErfahrungsundDenksystem;
damitwerdenReizenichtnuraufgenommen,sondernaucheinerBewertungund Verarbeitungunterzogen;
die kognitiven Repräsentanten werden bestimmt durch: Inhalt (Gegenstand, Ver halten von Personen); Informationskanal (Input optisch, akustisch etc.) und ihre Art(bildhaft,durchHandlung,gedanklich,sprachlich);
dieArtderkognitivenRepräsentationwandeltsichmitdemAlter,vorallemquali tativ,damitistgeistigeEntwicklungnichtnureinereineAnsammlungvonFakten, sonderneinedifferenzierterwerdendeKonstruktion;
bei derAnpassung gibt esAkkommodation (Individuum passt sich selbst an die Umwelt an) undAssimilation (Individuum passt die Umwelt an sich an), beides wechselseitigjenachBedingungendurchintelligentesDenkenundHandeln.
7
1.1
1
Führung und Verhalten
ImGegensatzzubehavioristischenAnsätzenmitModellendesLernensalsklassische oderoperanteKonditionierung,bedeutetdasLernenimKognitivismusvorallemdas LernendurchEinsichtoderdurchDenken(s.Kapitel6„IndividuellesLernen“). Einer der Theoretiker des Kognitivismus war Edward C. Tolman, der eine Zei chenGestaltTheorie entwickelt und den Begriff „kognitive Landkarten“ eingeführt hat. Tolman war der Meinung, dass jedes Verhalten zielgerichtet ist und daher mit bestimmten Erwartungen verbunden sein muss. Ein Mensch handelt demnach des halb,weilereinebestimmteErwartunginVerbindungmitseinemgeplantenTunhat. ErentwickeltVorstellungenvonseinerphysikalischenUmgebung(kognitiveLandkar ten) und Erwartungen, die beinhalten, dass dieses Wissen auf eine bestimmte Weise belohntwerdenwird. Die ZeichenGestaltTheorie Tolmans könnte man als Übergang von den verhaltens orientierten zu den kognitiven Konzepten der Lerntheorien bezeichnen, da sie drei verschiedeneEbenendesLernensdifferenziert:DieuntersteEbenebildendiebeding ten Reflexe, dann folgen Versuch und Irrtum und zuletzt das Lernen durch Einsicht. DieTheorienimmtan,dassjedesLernenzielgerichtetabläuftundderLernendenicht Bewegungen,sondernBedeutungenlernt. Auf der Grundlage des kognitiven Ansatzes sind zahlreiche Motivations und Füh rungstheorien entstanden, z.B. von V. Vroom9 oder von Porter/Lawler10, die sich an statt mit offensichtlichen, messbaren Verhaltensweisen mit den vom Individuum wahrnehmbaren Größen befassen. In der Erwartungstheorie von Vroom sind es bei spielsweiseErwartungen,InstrumentalitätundValenz(s.Kapitel8„Motivation“). EineweitereEntwicklungundentsprechendeWendekommtinderVerhaltenspsycho logieinden197080erJahrenunterdemEinflussdesphilosophischenSubjektivismus zustande. Die Bezeichnung dieser Richtung als „Konstruktivismus“ betont den sub jektiven Charakter unseres Wissens über die Welt, das als Konstrukt der Realität in jedemeinzelnenKopfentsteht.DerkonstruktivistischeAnsatzstütztsich,genausowie derKognitivismus,aufErgebnissedermodernenNeuropsychologieüberdieSubjek tivitätmenschlicherWahrnehmungundWissensrepräsentation,gehtabereinenSchritt weiter:NichtnurunsereVorstellungvonderWelt,sondernauchunseresozialeReali tätisteinKonstruktmenschlichenHandels. Die Sinneswahrnehmung des Menschen bildet die Wirklichkeit nicht ontologisch objektiv ab, wie sie an sich ist (was man übrigens weder beweisen noch widerlegen kann),sondernjedesIndividuumkonstruiertseineWirklichkeitreinsubjektiv,indem esdiedurchdieSinneaufgenommenenInformationenaufderGrundlageseinerper sönlichen Erfahrungen und seines Wissens über die Welt verarbeitet. Durch diesen informationstheoretischen Ansatz, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit ent wirft,diemitkeineranderenWahrnehmungeineszweitenIndividuumshundertpro 9 Vroom,V.H.:WorkandMotivation. 10 Porter,L.W.;Lawler,E.E.:ManagerialAttitudesundPerformance.
8
Kurzer Exkurs in die Geschichte der Verhaltenswissenschaft
zentig übereinstimmt, gelangte die kognitive Psychologie zu ihrer Grundthese, dass Wahrnehmung, Verstehen und Lernen gehirnphysiologische Konstruktionsprozesse der geistigen Operationen des tätigen Subjekts sind, das in seiner informationsauf nehmendenundverarbeitendenIndividualitäteinzigartigist. DamenschlicheWahrnehmungaufindividuellmentalerSinnkonstruktionbasiert,die neurophysiologischimmenschlichenGehirnabläuft,gehenwiralslebendeundden kendeOrganismenniemalsmitderWirklichkeitansichum,sondernwirhabenesnur mitjenerWirklichkeitzutun,diewirüberunsereSinnesorganeerfahren,alsounsere kognitive Realität, die wir aus unseren Wahrnehmungen der Wirklichkeit (re)konstruieren. FürdenKonstruktivismusistWissenkeinAbbildderexternenRealität,sonderneine FunktiondesErkenntnisprozesses.DerKonstruktivismusbetontdieaktiveInterpreta tion des erkennenden Subjekts (des Individuums), den Prozess der aktuellen Kon struktionvonSinnundBedeutung. EinbesondersgroßerWertwirdimKonstruktivismusaufdiemenschlicheKommuni kation gelegt, weil sie unsere einzige Verbindung zu der Welt und zu den Mitmen schen ist. So behauptet einer der Begründer des Konstruktivismus Paul Watzlawick (1921–2007),dass„diesogenannteWirklichkeitdasErgebnisvonKommunikationist“ 11. Kommunikation wird von modernen Konstruktivisten (z. B. dem Verhaltenspsy chologen Gerhard Roth) als „wechselseitige bzw. parallele Konstruktion von Bedeu tung zwischen zwei oder mehr Partnern“12 verstanden. Kommunikatives Verstehen basiertvorallemaufderExistenzähnlicherErfahrungskontexteindenGehirnenbei der Partner und auf dem aktuellen Konstruieren dieser Kontexte im Laufe der Kom munikation(s.Kapitel10„Kommunikation“). Nach H. Maturana und F. Varela13 haben wir „nur die Welt, die wir zusammen mit anderen hervorbringen“. Der chilenische Neurobiologe Humberto Maturana hat in seinen Werken die so genannten „konsensuellen Bereiche“ beschrieben, die für das Verständnis in der Kommunikation notwendig sind. Sein Schüler, Neurobiologe und Philosoph Francisco Varela hat die konstruktivistische „Naturwissenschaft des Den kensundErkennens“entwickelt. Die konstruktivistische Wende in der Verhaltenswissenschaft geht mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung einher, die eine aktive Rolle jedes Bürgers in einer Gesellschaft und jedes Mitarbeiters in einem Unternehmen hervorhebt. Die zentrale ThesedesKonstruktivismusistdieVerantwortungjedesEinzelnenfürdiezusammen mitAnderengeschaffenesozialeRealität.NachPaulWatzlawickführtkonstruktivisti sche Anschauung dazu, „den denkenden Menschen und ihn allein für sein Denken, WissenundsomitauchfürseinTun,verantwortlichzumachen.Heute,daBehavioris 11 Watzlawick,P.:WiewirklichistdieWirklichkeit?S.7. 12 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.422. 13 Maturana,H.R.;Varela,P.:DerBaumderErkenntnis,S.267.
9
1.1
1
Führung und Verhalten
ten nach wie vor alle Verantwortung auf die Umwelt schieben und Soziobiologen einengroßenTeildavonaufdieGeneabwälzenmöchten,isteineLehreungemütlich, dieandeutet,dasswirdieWelt,inderwirzulebenmeinen,unsselbstzuverdanken haben.Dasist,wasderKonstruktivismusletztenEndessagenwill…“14 Die konstruktivistische Denkweise hat sich in den letzten zwanzig Jahren in der ge sellschaftlichenundunternehmerischenPraxisausgebreitet,wasihrenfürunsereZeit authentischen Charakter belegt. Die Ideen der Einmaligkeit jedes Individuums, der Eigenverantwortung und Eigeninitiative, der Wichtigkeit des sozialen Miteinanders sindzumanerkanntenAllgemeingutwestlicherGesellschaftengeworden. Unternehmensführung wird ideologisch neu gestaltet: Die konstruktivistische Per spektiveruftradikaleVeränderungeninderstrategischenPlanung,indenFührungs undMarketingkonzepten,inderGestaltungderUnternehmenskulturundUnterneh mensethik,imWissensmanagementundanderenBereichenhervor.DieWirtschaftsak tivitäten werden nicht als bloße Anpassung an die gegebene Umwelt, sondern als „KonstruierenvonMärktenundZukünften“15betrachtet.DasProblemderethischen Verantwortung eines Unternehmens gegenüber den eigenen Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft ist aktueller denn je. Für die Führung werden sozialer Kontext und sozialen Kompetenzen immer wichtiger. Im Einklang mit dem konstruktivisti schenAnsatzsindeinigeneueFührungskonzepteentstanden,z.B.charismatischeund transformationale Führung (s. Kapitel 14 „Führung“). Während die traditionellen Führungskonzepte aufgaben und personenorientiert sind, „beschreiben charismati scheTheorienFührungimHinblickaufzuartikulierendeZukunftsvisionenundAuf gaben. Charismatische Führer entwickeln für ihre Geführten Zukunftserwartungen undHerausforderungenundzeigenVertraueninundRespektfürsie.“16Charismati scheFührungstelltdieEmotionenderMitarbeiter,ihreSelbstwertschätzung,ihrVer trauen in die Führungsperson, ihre Werte und ihre Persönlichkeit in Mittelpunkt. Unter transformationaler (oder wertorientierter) Führung wird eine ganzheitliche Beeinflussung des Verhaltens und der Persönlichkeit eines Mitarbeiters verstanden, dieaufderBasisgegenseitigenVertrauensundWertschätzunginFormdesCoaching stattfindet. Diese Veränderungen bestätigen die Aktualität der konstruktivistischen PerspektiveundihredefactostattgefundeneAusbreitunginderwirtschaftlichenRea lität. SchlussfolgerndstelltsichdieFrage,inwieweitsichalledreiTheorienderVerhaltens psychologie – Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus – gegenseitig ausschließen.MansollteehervoneinergegenseitigenBereicherungsprechen:Diedrei RichtungenergänzensichundkönnenunterbestimmtenBedingungeneinzelnoderin Kombination benutzt werden. Die behavioristischen Motivationstheorien (z.B. von MaslowoderHerzberg) lassen sich durchkognitive Motivationstheorien von Vroom, 14 Watzlawick,P.:DieerfundeneWirklichkeit,S.17. 15 Vgl.Hejl,P.M.;Stahl,H.K.:ManagementundWirklichkeit. 16 Weinert,A.B.:Organisationspsychologie,S.475.
10
Anforderungen an Führungskräfte und Führungskompetenzen
Porter/LawleroderLockeerweiternundbildenzusammeneineMethodenpalette,die jedemManagerbeiderAuswahlderinderbestimmtenSituationgeeignetenMotivati onsmethode zur Verfügung steht. Die konstruktivistische Denkweise erfordert dabei die Personifizierung der Führung, weil die Mitarbeiter subjektiv wahrnehmen und entscheiden,vonihrenVorstellungenundErfahrungengeprägtsindunddementspre chend individuell geführt und motiviert werden sollen. Dabei gewinnen die so ge nannten„weichenFaktoren“wieUnternehmenskultur,ArbeitsklimaundIdentifikati onmiteinerGruppeundeinemUnternehmenanBedeutung. DieNotwendigkeit,vieleAnsätzeundPerspektivenimFührungsverhaltenzubenut zen,einebreiteMethodenpaletteparatzuhaben,dieanindividuelleBedürfnisseund ZielederMitarbeiterangepasstwerdensoll,sowiediegemeinsameVerantwortungfür dieUnternehmensrealitätstellen an die modernen Führungskräfte hoheAnforderun gen.
1.2
Anforderungen an Führungskräfte und Führungskompetenzen
Moderne Führungskräfte müssen die Potenziale ihrer Mitarbeiter erkennen, entwi ckeln und optimal nutzen, um einen langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern. Dafür gibt es keine Musterlösungen oder fertigen Rezepte. Jeder praktizierende Ma nagergelangtaufgrundvonpersönlichenEigenschaftenundFähigkeiten,vonspezifi schem Wissen und Erfahrungen zu seiner eigenen Konzeption der „richtigen“ Füh rung, die an Situationen und Personen angepasst wird. Gleichzeitig schafft der Füh rende zusammen mit seinen Kommunikationspartnern (Untergebenen, Vorgesetzten, Kollegen, Kunden, Lieferanten etc.) auf mehreren Ebenen des Wirtschaftslebens eine eigene Realität (erfolgreiche/nicht erfolgreiche Teamarbeit, positives/negatives Ar beitsklima, eine exemplarische Unternehmenskultur, unternehmensübergreifende horizontaleundvertikaleNetzwerkeusw.).InsoweitistsowohldieinterneOrganisati on eines Unternehmens als auch seine (wahrgenommene) Umwelt immer nur eine konstruierteWirklichkeit. UmdiesenvielfältigenAnforderungengerechtzuwerden,brauchteineFührungskraft einganzesBündelvonKompetenzen,vorallemfachlicheundsozialeKompetenzen. UnterKompetenzenwerdenDispositionenverstanden,dieeineselbstorganisierteund selbstbestimmteAuseinandersetzungmiteinemGegenstandsbereichermöglichen.17 DieTheoriederHandlungskompetenzgehtaufdenSchweizerPädagogenJohannH. Pestalozzi (1746–1827) zurück, der ein 3KomponentenModell für die Handlungs 17 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.153154.
11
1.2
1
Führung und Verhalten
kompetenz einer Person entwickelt hat – die Einheit aus Kopf, Herz und Hand. Für kompetentes Handeln braucht man theoretisches Wissen (Verstand), eine emotionale Einstellung (Geist) und die Fähigkeit, dies in die Praxis umzusetzen (Umsetzung). Folglichkannmanzwischenkognitiven(Verstand,Kenntnisse),emotionalen(Gefühle, Einstellungen)undkonativen(praktischeUmsetzung)Kompetenzenunterscheiden. Moderne Wissenschaftler sprechen allgemein von unterschiedlichen Kompetenzklas sen.LutzvonRosenstieldefiniertvierKlassen:personaleKompetenz,FachundMe thodenkompetenz, Sozial und Kommunikationskompetenz sowie Handlungs und Umsetzungskompetenz.18 DieHandlungskompetenzeinesManagerswirdinähnlicheKomponentengegliedert: NachOlfert19,resultiertdieHandlungskompetenzvonFührungskräftenausderÜber schneidung von fachlicher, methodischer und sozialer Kompetenz. Holzbaur20 listet mehrereKompetenzeneinesManagersauf:Fach,Sach,System,Sozial,Führungs, Selbst,HandlungsundProblemlösungskompetenz. Eine Kombination aus fachlichen und sozialen Kompetenzen mit dem 3KomponentenModell (kognitive, emotionale und konative Dimension) ergibt das FührungskraftProfil(s.Abbildung). Abb.2:
KompetenzprofileinerFührungskraft konativeDimension emotionaleDimension kognitiveDimension
Fachliche Kompetenzen
Soziale Kompetenzen
Spezielle Fachkompetenzen Branchen-, Fachgebietkompetenz, Steuer-, Recht- und Rechnungswesenskenntnisse, Umweltkompetenz etc.
Umgang mit sich selbst (Selbstkompetenz) Selbstkenntnis, persönliche Reife, Selbstständigkeit, Initiative, Ausgeglichenheit, Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit, Flexibilität, Belastbarkeit etc.
Methodische Kompetenzen Umgang mit Informationen, Logik, kreatives und analytisches Denken, mathematische und IT-Kenntnisse, Fremdsprachen etc.
Systemkompetenzen Strategische Kompetenz, Innovationskompetenz, Planungs-, Organisations- und Kontrollkompetenz, Zielsetzung, Delegation, Koordination etc.
Umgang mit anderen Offenheit, Empathie, Toleranz, ethische Verantwortung, Team- und Kooperationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft, Moderations-, Motivations-, Konfliktkompetenz, Rhetorik, Charisma etc.
18 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.154. 19 Vgl.Olfert,K.:Personalwirtschaft,S.378. 20 Vgl.Holzbaur,U.D.:Management,S.29.
12
Anforderungen an Führungskräfte und Führungskompetenzen
Die Unterteilung von Kompetenzen in fachliche (mit den Teilkompetenzen spezielle fachliche,methodischeundSystemkompetenzen)undsozialemitzweiTeilkompeten zen:Umgangmitsichselbst(Selbstkompetenz)undUmgangmitAnderen(eigentliche soziale Kompetenz) ermöglicht eine detaillierte Darstellung von allen Teilkompeten zeneinerFührungskraft.JedeTeilkompetenzbesitztdabeidreiDimensionen:kogniti ve,emotionaleundkonative.Dasbedeutet,dassfüreineerfolgreicheFührungKennt nisse,ÜberzeugungenundpraktischeFertigkeitennotwendigsind. Die fachlichen Kompetenzen werden in spezielle Fachkompetenzen (wie Branchen, Fachgebietkompetenz, Rechts, Steuer, Rechnungswesenkenntnisse, Umweltkompe tenz etc.), methodische Kompetenzen (Umgang mit Informationen, Logik, kreatives und analytisches Denken, mathematische und EDVKenntnisse, Fremdsprachen etc.) und Systemkompetenzen (strategische und Innovationskompetenz, Planungs, Orga nisationsundKontrollkompetenz,Zielsetzung,Delegation,Koordinationetc.)unter teilt.DieseFähigkeitenundFertigkeitenkanneineFührungskraftimLaufeihrerAus bildung,desStudiumsoderderWeiterbildungerlernen.BeidenspeziellenFachkom petenzendominiertdiekognitiveDimension,sodassvieleTeilkompetenzenaufgrund vonTheorienundKenntnissenabgedecktwerdenkönnen.MethodischeundSystem kompetenzenmüssentrainiertwerden,dasienichtnurtheoretischeKenntnisse,son dernauchpraktischeFertigkeitenbeinhalten. Die sozialen Kompetenzen setzten sich zusammen aus der Selbstkompetenz (Selbst kenntnis, Selbstständigkeit, Initiative, Aufgeschlossenheit, Lernfähigkeit, Flexibilität etc.) und der eigentlichen Sozialkompetenz (Umgang mit Anderen), die sich in der Offenheit, Empathie, Toleranz, ethischen Verantwortung, Team und Kooperationsfä higkeit, Kommunikationsfähigkeit und bereitschaft, Moderations, Motivations, Konfliktkompetenz,RhetorikundCharismaeinerFührungskraftäußert. Die sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind schwer zu vermitteln, sie haben eine besonders gewichtige emotionale und konative Dimension. Bei diesen Kompetenzen spielen angeborene Fähigkeiten und praktisch erlernte Verhaltensweisen einer Füh rungskrafteinebesonderswichtigeRolle.TrotzdemkannmandurchdasErlernenvon MethodenundihreUmsetzungindiePraxis,diedurchKreativitätundLernfähigkeit unterstütztwerdensoll,auchohneangeborenePrädispositionsehrvielerreichen. InderverhaltenswissenschaftlichenundorganisationspsychologischenLiteratursowie indenMedienwerdendieaktuellenAnforderungenanManager,diemitdenmoder nenUnternehmensundWirtschaftstendenzenzusammenhängen,breitdiskutiert.Der OrganisationspsychologeA.Weinert21weistaufdieHerausforderungendes21.Jahr hunderts im Hinblick auf Führungskompetenzen hin und beschreibt eine Tendenz zumWandelvoneinemgesterngefragten„Manager“zumzukünftigen„Führer“.
21 Vgl.Weinert,A.B.:Organisationspsychologie.
13
1.2
1
Führung und Verhalten
Tabelle2: FührungimWandel22 Charakteristika heutiger Manager
Charakteristika zukünftiger Führer
Administration
Innovator
Kopie
Original
führt fort
entwickelt
konzentriert sich auf Systeme/Strukturen
fokussiert sich auf Menschen
verlässt sich auf Kontrolle
inspiriert Vertrauen
Kurzzeitperspektive
Langzeitperspektive
fragt wie und warum?
fragt was und warum?
hat Augen auf Bilanzen gerichtet
schaut in den Horizont
imitiert
lässt Neues entstehen
akzeptiert den Status quo
fordert den Status quo heraus
der klassische „gute Soldat“
ist eigene Persönlichkeit
macht die Dinge richtig
macht die richtigen Dinge praktiziert Stewardship23
In der modernen Wissensgesellschaft, wo Kompetenz und Eigenverantwortung jedes Einzelnen gefragt wird, hängt der Erfolg eines Unternehmens vom Involvement und vomEmpowermentderMitarbeitersowievoneinemintelligentenUmgang mitWis senundIdeenab.DerhoheGradanInvolviertheitbedeutet,dassdieMitarbeiterals Partner betrachtet werden. Dementsprechend werden die Entscheidung und Verant wortungandieeinzelnenMitarbeiterdelegiert(Empowerment).UntersolchenBedin gungenkönnenMenschenihreKreativitätauslebenundihrepersönlichenKompeten zen entfalten. Im Endeffekt wird die kollektive Intelligenz des Unternehmens besser genutzt,IdeenundInnovationenvorangetrieben. Eine praktische Umsetzung dieser Führungsmethoden ist trotzdem problematisch. Um die Einbindung und Beteiligung zu fördern, müssen die Führungskräfte bereit sein,ihrWissen,ihreMacht,BelohnungenundEntscheidungenmitihrenMitarbeitern zuteilenunddieseaktivzuunterstützen.Wege,Ziele,MittelundRollenderFührung müssenneugestaltetwerden.EineFührungskraftsollInspirationundCharisma,Op timismus und Enthusiasmus besitzen, mit ihren Visionen überzeugen können. Diese KompetenzenwerdenindenweiterenKapitelnausführlichdiskutiert.DieErkenntnis se der Verhaltenswissenschaft aus allen drei Phasen ihrer Entwicklung – Behavioris mus,KognitivismusundKonstruktivismus–könnendenManagernhelfen,dieGrün de und Motive des eigenen und des Verhaltens ihrer Mitarbeiter zu verstehen und dieses Verhalten im Interesse des Unternehmens zu beeinflussen. Trotzdem bleiben 22 Vgl.Weinert,A.B.:Organisationspsychologie,S.475. 23 UnterStewardshipverstehtmandieBereitschaft,sichverantwortlichzufühlenfürdasWohl
ergeheneinerOrganisation,indemanderenmitdeneigenenHandlungengedientwirdstatt siedamitzukontrollieren(nachWeinert).
14
Anforderungen an Führungskräfte und Führungskompetenzen
diese theoretischen Methoden nur eine Grundlage, mit deren Hilfe jeder Manager seine Führungsmethoden und instrumente kreativ entwickelt und anwendet. Darin bestehtdieKunstderFührung,dieeinManagerbeherrschensoll,umerfolgreichfüh renzukönnen. KunstderFührungbedeutet:SichAufgrundvonTheorienundTechnikeneineeigene Meinung zu bilden und einen individuellen FührungsmethodenMix zu entwickeln undkreativ,jenachMitarbeiterundSituation,anzuwenden.Dabeiständigbereitsein, dazuzulernen und das eigene Führungsverhalten zu modifizieren. Wie jede Kunst lässtsichauchdieKunstderFührungnichtinsimple,allgemeingültigeRegelnfassen, sondernbedeuteteineendloseSucheundpermanentesLernen. Kontrollfragen 1. Erläutern Sie die Rolle der Führung in Unternehmen und den Wandel des Füh rungsverständnissesinderpostindustriellenGesellschaft. 2. Definieren Sie die Verhaltenswissenschaft als Basis für die Theorie der Führung und beschreiben Sie die Ebenen des Verhaltens: Individuum, Gruppe, Unterneh men. 3. ErläuternSiedenbehavioristischenAnsatzinderVerhaltenswissenschaft. 4. Erklären Sie die kognitive Wende in der Verhaltenswissenschaft und die Grund postulatedesKognitivismus. 5. WasistdieGrundideedesKonstruktivismus?WelcheFolgenhatderkonstruktivis tischeAnsatzfürdieFührung? 6. BeschreibenSiedasKompetenzprofileinerFührungskraft:fachliche,methodische undSystemkompetenzensowiesozialeKompetenzenundihreDimensionen:kog nitive,emotionaleundkonative. 7. WelcheAnforderungen stellen die moderne Gesellschaft und Wirtschaft an einen Manager? 8. WasverstehenSieunterder„KunstderFührung“?
15
1.2
0
Teil A:
Individuelles Verhalten
Teil A: Individuelles Verhalten
Ein Führender soll seine Mitarbeiter zum Handeln im Interesse des Unternehmens bewegen. Dabei hat er es mit einzigartigen Individuen zu tun, deren Beweggründe undMotiveerzunächstverstehenmuss.MenschlichesVerhaltenisteinsehrkompli ziertesPhänomenundhängtvonvielenFaktorenab:vonderPersönlichkeitundIntel ligenz,denInteressen,derStimmungeinerPerson;vondenFähigkeitenundFertigkei ten, dem Wissen, den Erfahrungen; von der Umgebung, der Situation,dem Kontakt personenkreis; von der Motivation, der organisatorischen Situation, der UnternehmensundGruppenkulturetc. DasVerhalteneinesMenscheninUnternehmenistvonzweiFaktorengruppenabhän gig:personenundsituationsbezogenenDeterminanten.VonRosenstieldefiniertvier Determinanten des Verhaltens: persönliches Können, individuelles Wollen, soziales Dürfen und Sollen sowie situative Ermöglichung.24 Um Einfluss auf das Verhalten eines Mitarbeiters zu nehmen, muss eine Führungskraft seine personenbezogenen Merkmale(KönnenundWollen)kennenundzugleichförderndesituationsbezogenen Faktoren(Sollen,Dürfen,Bedingungen)schaffen. Zu den personenbezogenen Verhaltensdeterminanten zählen vererbte, anerzogene undbewusstentwickelteEigenschafteneinerPersönlichkeit,Intelligenz,Ziele,Motive, Werte,Emotionen,individuelleWahrnehmungundEntscheidung.Alssituationsbezo gene Faktoren des Verhaltens spielen allgemeine gesellschaftliche undArbeitssituati on, Unternehmensstrategie und kultur, Arbeitsklima und zufriedenheit, Führungs stil,Fairness,VertrauenundMotivationderVorgesetzteneinewichtigeRolle. Das Verstehen und Beeinflussen des Verhaltens sind zusätzlich mit zwei Problemen behaftet – mit der Dynamik der Persönlichkeit und der Subjektivität der Wahrneh mung. Das heißt, dass sich die Menschen kontinuierlich verändern, bedingt durch neue Situationen und Herausforderungen, und diese Veränderungen im Führungs prozess berücksichtigt und mitgestaltet werden müssen (vgl. Ansätze über situative undtransformationaleFührungimKapitel14).AußerdemsinddieVerhaltensfaktoren keine objektiven Größen, sondern werden von der entsprechenden Person subjektiv wahrgenommen.DasheißtzumBeispiel,dassdiegleicheSituationvonverschiedenen Personen unterschiedlich bewertet werden kann, was verschiedene Verhaltensweisen verursacht. 24 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.5657.
16
Anforderungen an Führungskräfte und Führungskompetenzen
1.2
Wie kann eine Führungskraft das Verhalten eines Mitarbeiters beeinflussen, ihn zum Handeln (zielgerichteten Verhalten) im Interesse des Unternehmens bringen? Diese FragewirdinderVerhaltenswissenschaftauszweiPerspektivenbeantwortet. DiebehavioristischeVorgehensweisestelltdassichtbareVerhalteneinerPersoninden Mittelpunkt,führtdiesesVerhaltenaufPersönlichkeitundIntelligenzzurück,dieals statischeGrößenangesehenundmithilfevonstandardisiertenTestsgemessenwerden. UmeinerwünschtesHandelnzuerzielen,solltengezielteAnreizevonaußengegeben werden,dadasLerneninFormeinerbloßenAnpassungfunktioniert. Abb.3:
ZusammenspielzwischenPersonundHandelnimBehaviorismus
Person Persönlichkeit
Intelligenz
Handeln Lernen=Anpassung
Umwelt
Diese behavioristische Sichtweise reicht nicht aus, um die inneren Prozesse im Kopf des Mitarbeiters zu verstehen, die seine Entscheidungen und das Handeln beeinflus sen. Diese Prozesse werden mit den Begriffen „Wahrnehmung“, „Lernen“, „Wissens repräsentation“ und „Entscheidungsfindung“ beschrieben. Das Wissen einer Person entwickelt sich kontinuierlich und verändert ihr Handlungspotenzial. Eine Einfluss nahmeaufdasHandelnistnuraufgrunddesVerstehenskognitiverProzessemöglich. Abb.4:
ZusammenspielzwischenPersonundHandelnimKognitivismus
Lernen
Wahrnehmung
Person Wissen
Entscheiden
Handeln
Umwelt
PersönlicheEigenschaftenundIntelligenzsindkeineeinmalundfürimmergegebenen Größen, sie verändern sich ständig in einem lebenslangen Lernprozess. Das Wissen einerPersonüberdieUmweltundsichselbstwirdkontinuierlicherneuert.Insofernist dasModelldesHandelnsimKognitivismuseindynamisches. IndiesemKapitelwirdsowohldiebehavioristischealsauchdiekognitivistischePer spektive erläutert, die einer Führungskraft notwendige Kenntnisse von den Beweg gründenseineseigenenHandelnsunddenenseinerMitarbeitervermittelnsollen.
17
2
Person und Persönlichkeit
2
Person und Persönlichkeit
Was versteht man unter Persönlichkeit? Wodurch unterscheidet sich eine Person von ihrer Persönlichkeit? Es gibt verschiedene Definitionen und Theorien der Persönlich keit, die versuchen, Menschen mit ihren vielfältigen Eigenschaften und Besonderhei tenzubeschreiben.DabeiistjedeTheorienureinModell,dasimmereinevereinfachte Darstellung eines Objektes bildet. Mithilfe von psychologischen Persönlichkeitstheo rien kann man kaum die Einmaligkeit jedes Individuums erfassen, trotzdem können solche Ansätze einem Manager helfen, aufgrund ihrer Methodologie der Untersu chungundBeschreibungvonpersönlichenEigenschafteneigenekreativeErkenntnis prozesse in Gang zu setzen, um Mitarbeiter in ihrer Vielfältigkeit und Individualität verstehenzukönnen.
2.1
Begriffe und Definitionen
DasWort„Person“kommtausdemLateinischen:InderAntikewareseineBezeich nung für die Maske von Schauspielern25. Moderne Wissenschaftler bezeichnen mit PersoneinhandelndesSubjekt. AlsEinheitinderVielfaltbezeichneteinePersonderPsychologeWilliamStern: „PersonisteinsolchesExistierendes,dastrotzderVielheitderTeileeinereale,eigen artige (=Individualität) und eigenwertige (=Selbstwert) Einheit bildet und als solche trotz der Vielheit der Teilfunktionen eine einheitliche zielstrebige Selbsttätigkeit voll bringt.“26 Immanuel Kant hat Person ähnlich definiert, an eine Persönlichkeit aber moralische Anforderungen gestellt: „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zu rechnungfähigsind.DiemoralischePersönlichkeitistalsonichtsanderesalsdieFrei heit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen.“27 Darauf basiert sein „Kategorischer Imperativ“: „Handleso, dass die Maximedeiner Handlung ein allge meinesGesetzwerdenkönnte.“28 25 DieMetaphermitderMaskehateinenverstecktenSinn:jederMenschmöchtenachaußenein
26 27 28
bestimmtesGesichtzeigen,dasnichtunbedingtundnichtimmermitdemOriginalidentisch ist.InjederSituationzeigenwireinanderesGesicht. Stern,W.:DiemenschlichePersönlichkeit. Kant,I.:DieMetaphysikderSitten,S.329. Ebd.,S.519.
18 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Begriffe und Definitionen
InderklassischenPsychologiewirdPersönlichkeitals„diecharakteristischen,zeitlich überdauerndenDenk,GefühlsundVerhaltensmustereinesIndividuumsimUmgang mitseinerUmwelt“29verstanden.DerNeurobiologeGerhardRothdefiniertausführ licher:„UnterPersönlichkeitverstehtmaninderPsychologiewieauchimAlltageine Kombination von Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts undderArt,sichzuartikulieren,zukommunizierenundsichzubewegen,hinsichtlich derersicheinePersonvoneineranderenunterscheidet.“30 Kurzzusammengefasst,istPersönlichkeiteinbesondererStileinerPerson,zuden kenundsichzuverhalten. SeitderEntwicklungderErbfaktorentheorie,verstärktindenletztenJahrendurchden Erfolg beim Entziffern des menschlichen Genoms, stellt sich verständlicherweise die Frage,inwieweitdiePersönlichkeitgeerbtwird.InteressanteundglaubwürdigeAnt worten liefern uns die zahlreichen Studien mit eineiigen Zwillingen, die gemeinsam oder getrennt aufgewachsen sind, z.B. die berühmten MinnesotaStudien31. Diese Untersuchungenhabengezeigt,dassZwillinge,diegetrenntaufgezogenwordensind, einander in vielen persönlichen Eigenschaften verblüffend ähnlich sind. Die höchste ErblichkeitfindetmanbeiFähigkeitsundIntelligenzmaßen(Korrelationvon60bis70 Prozent), gefolgt von Persönlichkeitsmaßen (ungefähr 50 Prozent). Die geringsten WertewerdenfürreligiöseundpolitischeÜberzeugungensowieberuflicheInteressen ermittelt(Korrelationvon30 bis40Prozent).32Dasbeweist,dassdiepolitischenund religiösenVerhaltensweisenehersozialerNatursindundimRahmenderSozialisation vermitteltwerden. OffensichtlichspieltdasErbguteinewesentlicheRollebeiderEntwicklungeinerPer sönlichkeit,aberdieEntfaltungdergenetischenGrundausstattungeinesMenschenist nurimRahmenvonzwischenmenschlichenBeziehungenmöglich.Erziehung,Umge bung, bewussteArbeit am eigenen Ich, Lebensereignisse und Erfahrungen beeinflus sen eine Persönlichkeit lebenslang. Insofern ist Persönlichkeit kein Dauerzustand, sondern ein Prozess mit eigener Dynamik. Voll im Einklang mit der konstruktivisti schenSichtweise,schaffenwirnichtnurunsereunmittelbaresozialeUmgebung,son dernauchunsselbst. Trotz dieser Dynamik bleibt eine erwachsene Persönlichkeit in ihren wichtigsten MerkmaleninnerhalbeinerZeitspannerelativkonstant,sodassestheoretischmöglich ist,Persönlichkeitenzubeschreiben. Einen der ersten Versuche der Persönlichkeitsbeschreibung hat Hippokrates (Grie chenland,ca.400v.Ch.)unternommen–vonihmkennenwirdieberühmteTempera 29 30 31 32
HilgardsEinführungindiePsychologie,S.429. Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.398. Bouchard,T.u.a.:Sourcesofhumanpsychologicaldifferences,223228. Vgl.HilgardsEinführungindiePsychologie,S.417418.
19
2.1
2
Person und Persönlichkeit
mentstypentheorie,lautder„diePersönlichkeitvondenKörpersäfteneinesMenschen bestimmtwird“. Tabelle3: TemperamentstypennachHippokrates33 Cholerisch (wütend)
wegen zuviel gelber Galle
Melancholisch (traurig)
wegen zuviel schwarzer Galle
Phlegmatisch (träg)
wegen zuviel luftigen Schleims
Sanguinisch (gut angepasst)
wegen starken Blutes
Hippokrates hat es eng gesehen: Jeder Mensch gehört zu einem der vier Tempera mentstypen. Die Praxis zeigt, dassdie wirklichen Menschen immer ein „gemischtes“ Temperamenthaben,eineKombinationauszweiodermehrTypen.DiemoderneEnt wicklungspsychologie befasst sich auch mit den Temperamentstypen, einige Wissen schaftler bezeichnen Temperament als angeborenen Teil einer Persönlichkeit, andere alsdie„stimmungsbezogenenPersönlichkeitsmerkmaleeinesMenschen.“34
2.2
Persönlichkeitstheorien
EineeigenePersönlichkeitstheoriehatderSchöpferderPsychoanalyseSigmundFreud (1856–1939)entwickelt.FürFreudsindeinigeDeterminantenindividuellenVerhaltens genetischer Natur und damit angeboren, andere resultieren aus frühkindlichen Prä gungsprozessen, wieder andere – aus späteren Erlebnissen. In seinem Werk „Grund schema des Psychischen“ (1920) hat Freud die Persönlichkeit in drei Teile eingeteilt: das Bewusste, das Vorbewusste und das Unbewusste. Dabei bildet das Unbewusste den größten, tief versteckten Teil einer Persönlichkeit, gleich einem Eisberg. Das Be wusste liegt auf der Oberfläche – das sind unsere aktuellen Bewusstseinsinhalte, das Vorbewusstekannbewusstwerden,daesausdenpotenziellenBewusstseinsinhalten besteht. Nur das Unbewusste bleibt stets „unterm Wasser“ – es sind unsere tief ver borgenen Wünsche, Gelüste, Erinnerungen und Ängste, die unser Denken und Han delnamstärkstenbeeinflussenundgegenüberdemBewusstendominieren.Moderne Neurowissenschaft bestätigt die meisten Ideen von S. Freud aufgrund theoretischer
33 Vgl.Friedman,H.;Schustack,M.:Persönlichkeitspsychologie,S.335. 34 Vgl.HilgardsEinführungindiePsychologie,S.89.
20
Persönlichkeitstheorien
und empirischer Erkenntnisse. Als moderne Auslegung der Freud´schen Persönlich keitstheoriedientdasPsycheModellvonGerhardRoth35(s.Abbildung). Abb.5:
ModellderPsychenachG.Roth36 4. Ebene Kognition und Sprache rational und bewusst (Planen, Denken, Analysieren) 3. Ebene Bewusste Gefühle emotional und bewusst (Ethik, Moral, Kommunikation,Kultur)
2. Ebene Emotionales Lernen emotional und unbewusst (Persönlichkeit, Charakter, Präferenzen und Aversionen aufgrunderlernter Gefühle) 1. Ebene Grundfunktionen unbewusst, meist genetisch bedingt (biologisches Überleben, elementare Antriebe und Empfindungen)
DasUnbewusstehatvielmehrEinflussaufdasBewusstealsumgekehrt.Diebewusste rationale Ebene, die mit Kognition und Sprache verbunden ist, ist für nachdenken, beraten, fantasieren, planen und rechtfertigen verantwortlich. Entscheidungen über das Handeln werden zusammen mit anderen Ebenen getroffen. Auf der Ebene der bewussten Gefühle bilden sich auf der Basis von Kommunikation, Erziehung und Kultur die weiteren bewussten Teile des Selbst heraus: Ethik und Moral. Zwei tiefer liegende Ebenen der Psyche sind unbewusst. Die Ebene des emotionalen Lernens ist mitdenErfahrungenmitGefühlenwieFurcht,Freude,EkeloderHoffnungverknüpft. AufdieserEbeneentstehenunsereVorliebenundAversionensowiedasgrundlegende Verhältnis zu uns selbst und zu anderen Menschen. Zusammen mit der untersten EbenebildetdasemotionaleLernendenKernderPersönlichkeit,denCharaktereines Menschen. Die tiefste Ebene der Grundfunktionen sichert unser biologisches Überle 35 DiesesModellwirdinweiterenAusführungenüberWissensrepräsentation,Kommunikation
undMotivationbenutzt. 36 InAnlehnung an Roths Ebenen der Psyche, S. 156157, in: Lindner, M.: 150 Jahre Sigmund
Freud,DerArchäologederSeele,GEO5/2006,S.140160.
21
2.2
2
Person und Persönlichkeit
bendurchphysiologischeProzesseundBedürfnisse,steuertelementareAntriebeund Empfindungen. Diese Funktionen laufen völlig unbewusst ab, sind meist genetisch bedingtundbestimmendasTemperamenteinesMenschen. DasModellderPsychemachtdieEinmaligkeitjedeseinzelnenMenscheninfolgesei ner individuellen Erbgutfaktoren und Lebenserfahrungen deutlich. Und trotzdem versucht die empirisch orientierte Psychologie Persönlichkeiten nach verschiedenen Merkmalen zu typisieren. Dafür wurden bestimmte charakteristischen Eigenschaften ausgewählt, deren Ausprägung auf entsprechenden Skalen dargestellt wird. Nach Meinung des deutschbritischen Psychologen H. Eysenck lassen sich Persönlichkeits faktoren auf zwei Achsen zwischen den Polen „stabil/instabil“ und „introver tiert/extravertiert“darstellen. Abb.6:
DiePersönlichkeitsfaktorennachEysenck,ergänztdurchTemperamenttypen37 Instabil
MELANCHOLISCH
Introvertiert
PHLEGMATISCH
launisch ängstlich rigide nüchtern pessimistisch reserviert ungesellig ruhig passiv sorgfältig bedächtig friedlich kontrolliert zuverlässig ausgeglichen still
empfindlich unruhig aggressiv erregbar wechselhaft impulsiv optimistisch aktiv gesellig kontaktfreudig gesprächig aufgeschlossen führungsstark lebhaft sorglos locker
Stabil
CHOLERISCH
Extravertiert
SANGUINISCH
Für jede Persönlichkeit sind diese Eigenschaften mehr oder weniger ausgeprägt, aus ihrerKombinationergebensichunzähligeVarianten.FolglichergebensichvierQuad ranten,diedenTemperamentstypenvonHippokratesähneln. DerFaktor„Extraversion“spiegeltdasAusmaßwider,indemdieOrientierungeiner Person nach innen, auf sich selbst, oder nach außen gerichtet ist, und umfasst in der positivenAusprägung dieAttribute gesprächig, aktiv, energisch, offen, dominant und en 37 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.606.
22
Persönlichkeitstheorien
thusiastisch,indernegativen–still,reserviertundzurückgezogen.IntrovertiertePersön lichkeiten sind schüchtern und ziehen es vor, allein zu arbeiten. Extravertierte Men schenstrebenimGegensatzdazuBerufean,wosiemitAnderenzusammenarbeiten können. „Stabilität“ zeigt den Grad der Emotionalität einer Person: Instabile Menschen sind launisch,erregbar,stabile–ruhig,gutangepasst.DieAchse„stabil–instabil“wirdbei niedrigen Werten mit solchen Eigenschaften wie gespannt, ängstlich, nervös, launisch, besorgt, empfindlich, reizbar und emotional umschrieben, bei hohen Werten – mit stabil, ruhigundzufrieden. Offensichtlich, reichen die zwei Achsen nicht aus, um die ganze Vielfältigkeit von persönlichenEigenschaftenzubeschreiben.AndereForscherhabenmehrereFaktoren definiert:R.CattellnanntezumBeispiel16Faktoren,andereWissenschaftler–biszu hundert. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein Konsens herausgebildet, dass fünf GrundfaktorenfürdieCharakterisierungderPersönlichkeitausreichen,unddiesoge nannteFünfFaktorenTheorie(„BigFivederPersönlichkeit“)hatsichindermoder nenPersönlichkeitspsychologieetabliert.LautdieserTheoriekanneinePersönlichkeit mit Hilfe von fünf Eigenschaftsskalen beschrieben werden: Extraversion, Stabilität, OffenheitfürErfahrungen,GewissenhaftigkeitundVerträglichkeit.38 Tabelle4: BigFivederPersönlichkeit39 Persönlichkeitsfaktor
Repräsentative Eigenschaften
Extraversion
positiv: gesprächig, aktiv, energisch, offen, enthusiastisch, negativ: still, reserviert und zurückgezogen.
Stabilität
stark ausgeprägt: stabil, ruhig und zufrieden, schwach ausgeprägt: gespannt, ängstlich, nervös, launisch, besorgt, empfindlich, reizbar und emotional.
Offenheit für Erfahrungen
positive Eigenschaften: breit interessiert, einfallsreich, phantasievoll, intelligent, originell, erfinderisch und geistreich, negative Eigenschaften: gewöhnlich, einseitig, einfach und unintelligent.
Gewissenhaftigkeit
positiv: organisiert, sorgfältig, effektiv, verantwortlich, zuverlässig, überlegt und gewissenhaft, negativ: sorglos, unordentlich, leichtsinnig, unverantwortlich und unzuverlässig.
Verträglichkeit
positiv: mitfühlend, nett, herzlich, warm, großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, freundlich, kooperativ und feinfühlig, negativ: kalt, unfreundlich, streitsüchtig, hartherzig, undankbar.
38 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.607608. 39 Ebd.
23
2.2
2
Person und Persönlichkeit
ExtraversionundStabilitätentsprecheninhaltlichderDefinitionvonH.Eysenckund wurdenbereitsausführlichdiskutiert. Der Faktor „Offenheit für Erfahrungen“ umfasst als positive Eigenschaften breit inte ressiert,einfallsreich,phantasievoll,intelligent,originell,erfinderischundgeistreich,alsnega tiveEigenschaften–gewöhnlich,einseitig,einfachundunintelligent. Der Faktor „Gewissenhaftigkeit“ beinhaltet auf der einen Seite organisiert, sorgfältig, effektiv, verantwortlich, zuverlässig, überlegt und gewissenhaft, auf der negativen Seite – sorglos,unordentlich,leichtsinnig,unverantwortlichundunzuverlässig. „Verträglichkeit“ als Persönlichkeitsfaktor meint in der positivenAusprägung mitfüh lend, nett, herzlich, warm, großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, nachsichtig, freundlich, ko operativ und feinfühlig, in der negativen Ausprägung – kalt, unfreundlich, streitsüchtig, hartherzig,undankbar. ObwohldiegenanntenEigenschaftenvonvielenPersönlichkeitsforschernalsgrundle gende,sogarzumTeilangeborenePersönlichkeitsmerkmalegenanntwerden,bleiben sienichtlebenslangfüreinePersonunverändert.VerschiedeneStudienbelegen,dass die „Big Five“ des Charakters sich im Laufe des Lebens ändern können. Vor allem biographische Schlüsselerlebnisse wie der Übergang von der Schule ins Berufsleben oder Studium, Gründung einer Familie, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes oder Pensionierung rufen Selbstanalyseprozesse hervor, die zu wesentlichen Veränderun genderPersönlichkeitführenkönnen.HierstößtdieBigFiveTheorieanihreGrenzen –siesetzteinegewisseStabilitätpersönlicherEigenschaftenvorausundignoriertdie kontinuierlichen Veränderungsprozesse eines Individuums durch Erfahrungen und Lernprozesse. Darüber hinaus sind Persönlichkeitstheorien und Typologien allgemein nur begrenzt geeignet, das Entstehen des Verhaltens und die Entwicklung der Persönlichkeit zu erklären.SieidentifizierenundbeschreibenlediglichdiestatistischenCharakteristika, diemitdemVerhaltenmehroderwenigerkorrelieren.DieMenschenverhaltensichin verschiedenen Situationen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich. Wenn Sie einen Professor immer nur in formellen Situationen erleben, wo er als strenger und ernsthafterMenschauftritt,heißtesnochlangenicht,dasseraufeinerPartyoderim Urlaubnichtscherzenoderflirtenkann.
2.3
Konsequenzen für die Führung
DieErkenntnissederPersönlichkeitspsychologiesindfüreineFührungskrafteinwich tigesInstrumentfürdenAufbauvonsozialerKompetenzmitihrenzweiKomponen ten: der Selbstkenntnis und dem Umgang mit anderen. Selbstkenntniswird alsBasis der sozialen Kompetenz bezeichnet. Nur wer sich selbst kennt, kann andere kennen
24
Konsequenzen für die Führung
undverstehenlernen.„Weranderekennt,istklug.Wersichselberkennt,istweise“– solleinmalderchinesischePhilosophLaotsegesagthaben.DieBigFiveTheoriekönn te als Instrument zur Selbstreflexion dienen. Die Kenntnis von eigenen Stärken und Schwächen,eigenenBesonderheitenundKompetenzenmachteinenMenschensiche rer im Verhalten und zeigt ihm gleichzeitig den Weg der weiteren persönlichen Ent wicklung. Dr. Winfried Prost, ein Führungskräfteberater mit 30 Jahren Erfahrung, hat mehrere, auf markanten Metaphern basierende positive Führungsbilder entwickelt, die zum Nachdenkenanregen.ErvergleichteineFührungskraftmit
einemgutenKönig,derseineMachtimmerwiederdemonstrierenmuss, einemalleinverantwortlichenKapitäneinesOzeandampfers, einemstrengenundfürsorglichenFamilienvater, einemaufmilitärischeDisziplinsetzendenFeuerwehrhauptmann, einemOrchesterdirigenten, einemDompteur(Tierbezwinger), einemWagenlenker,deralleinentscheidetundführt, einem im Verborgenen bleibenden, aber alles bestimmenden Weichensteller oder Fluglotsen,
einem Leittier, das die ganze Herde steuert und ab und zu einen Machtkampf gewinnenmusssowie
miteinemWasserbauingenieur,dereinmalklareStrukturenanlegt,indenendann allesweitereautomatischabläuft.40
MithilfedieserMetapherkanneineFührungskraftüberihraktuellesunderwünschtes Verhalten gegenüber den Mitarbeitern nachdenken. Es ist wichtig, eigene Ziele und VorbilderzudefinierenundihrekritischenSeiteneinzuschätzen. Die Kenntnis von Mitarbeitern und Mitmenschen mit ihren starken und schwachen Seiten,ihrenCharakterzügenundEigenschaftenschaffteinemManagerdennotwen digenKontextdererfolgreichenKommunikation,einesichereBasisfürgegenseitiges Verständnis. Auch Führungsentscheidungen müssen persönliche Eigenschaften von Mitarbeitern berücksichtigen. Einige praktische Beispiele können als Anstöße zum Nachdenkendienen. Beispiel1.FüreinetelefonischeBefragungimRahmeneinesProjektessolleinMitar beiterausgewähltwerden.Eswäreempfehlenswerteinekontaktfreudige,extravertier teundfreundlichePersönlichkeitfürdieseAktioneinzusetzen,dieehermitMenschen 40 Vgl.Prost,W.:FührenmitAutoritätundCharisma,S.3841.
25
2.3
2
Person und Persönlichkeit
zuRechtkommtundSympathiegewinnt.GefragtwirdeinhoherGradderExtraver sionundderVerträglichkeitausdenBigFivederPersönlichkeit. Beispiel 2. Ein Abteilungsleiter sucht nach einem verantwortlichen Mitarbeiter, der eine kreative Internetrecherche durchführen und dokumentieren soll. Was für Eigen schaften sind dabei hervorzuheben? Offensichtlich, sind Offenheit für Erfahrungen (mitdenQualitätenbreitinteressiert,einfallsreich,phantasievoll,intelligentundorigi nell) und Gewissenhaftigkeit (sorgfältig, verlässlich und ordentlich) erforderlich, da mit auf der einen Seite vielfältige fachübergreifende Anregungen zustande kommen undaufderanderenSeiteeinausführlichergründlicherBerichtverfasstwerdenkann. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass eine Führungskraft durch ihre pragmatische Wahl von den für dieAufgabe passenden Personen den betroffenen Mitarbeitern die Türe zur Weiterentwicklung verschließt. Die fehlenden Kompetenzen werden nicht nachgefragt und nicht gefördert. Eine herausfordernde Aufgabe könnte umgekehrt zurEntwicklungweitererKompetenzenbeitragen.EineFührungsperson,dieFührung alsKunstversteht,sollteauchandieWeiterentwicklungihrerMitarbeiterdenkenund siedurchVertrauenundanspruchsvolleAufgabenfördern.DieswürdeeinDilemma zwischen heutigem Nutzen und langfristigen Vorteilen bedeuten. Eine an die Füh rungssituation angepasste Balance von beiden Entscheidungsmethoden könnte eine harmonischeEntfaltungvonMitarbeiternermöglichen. Kontrollfragen 1. BeschreibenSiepersonenundsituationsbezogeneDeterminantendesindividuel lenVerhaltens. 2. DefinierenSiedieBegriffePersonundPersönlichkeit. 3. Erläutern Sie die Persönlichkeitstheorie von S. Freud und das Zusammenspiel zwischenBewusstem,VorbewusstemundUnbewusstem.ErklärenSiedasModell derPsychevonG.Roth. 4. Erklären Sie die Theorie „Big Five der Persönlichkeit“ (Extraversion, Stabilität, OffenheitfürErfahrungen,GewissenhaftigkeitundVerträglichkeit). 5. WiekanndieseTheorieimFührungsprozesspraktischbenutztwerden?
26
Intelligenz und Intelligenztheorien
3
Menschliche Intelligenz(en)
Intelligenz stellt ein zentrales Fähigkeitsmerkmal von Einzelpersonen und Gruppen sowohl im Berufs als auch im privaten Leben dar. Zugleich sind Intelligenzbegriff und forschung bestritten, es findet sich eine Fülle verschiedener Definitionen und Theorien.DiestrifftvorallemaufdiesogenannteklassischeIntelligenzzu,dielange als die wichtigste Voraussetzung für die Arbeitsleistung galt, und die Unternehmen (besonders die großen) konfrontierten ihre potentiellen Bewerber mit aufwändigen Intelligenztests,umihrenIntelligenzquotient(IQ)zumessen.SeiteinigenJahrzehnten giltemotionaleIntelligenz(synonymSchlüsselqualifikationen,sozialeKompetenz)als Schlüssel zum persönlichen und beruflichen Erfolg. Einige Psychologen gehen noch weiter und sprechen von multiplen Intelligenzen. Diese Intelligenzen bilden die GrundlagefürdieKompetenzen,diefürdieArbeitsleistungausschlaggebendsind.In diesemKapitelwirderläutert,welcheBedeutungIntelligenzimArbeitslebenhatund wie ein Führender die Intelligenzen seiner Mitarbeiter berücksichtigen und fördern kann.
3.1
Intelligenz und Intelligenztheorien
ImAlltag bezeichnet man als einen intelligenten Menschen denjenigen, der gut und schnell denken kann, wenn es um das Lösen von Problemen geht. In den gängigen IntelligenztestswerdensogenannteprimäregeistigeFähigkeitengemessen:41
die Kenntnis von Wörtern und ihrer Bedeutung sowie deren angemessene Ver wendungimGespräch(verbalcomprehension),
rasches Produzieren von Wörtern, die bestimmten Erfordernissen entsprechen (wordfluency),
GeschwindigkeitundPräzisionbeieinfachenarithmetischenAufgaben(number), Bewältigung von Aufgaben, die mit räumlichen Vorstellungen und Orientieren zusammenhängen(space),
BehaltenpaarweisegelernterAssoziationen(associativememory), Geschwindigkeit beim Vergleich oder der Identifikation visueller Darstellungen (perceptualspeed), 41 Vgl.Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.178179.
27 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
3.1
3
Menschliche Intelligenz(en)
schlussfolgerndesDenkenalsAuffindeneinerOrdnungineinerAbfolgevonZah lenoderSymbolen(inductivethinking,reasoning). InderLiteraturgibtesverschiedeneDefinitionenderIntelligenz.FürdenGründerder Differentiellen Psychologie und Autor des Intelligenzquotienten IQ42 William Stern war Intelligenz ...die allgemeine Fähigkeit eines Individuums, sein Denken bewusst aufneueForderungeneinzustellen,eineallgemeinegeistigeAnpassungsfähigkeitan neueAufgaben und Bedingungen des Lebens.43 Unter Psychologen gibt es bis jetzt keine Einigkeit in der Frage, ob es sich bei Intelligenz um relativ einfache informati onsverarbeitende Prozesse oder um relativ komplexe Schlussfolgerungen und Prob lemlösungenhandelt.NachR.Sternberg44istunterIntelligenzeinProzessderBewäl tigungneuerbzw.neuartigerAufgabenaufderGrundlagevorhandenenWissensund Könnensbzw.alsAutomatisierenbereitserworbenerFähigkeitenzuverstehen. Nach langen Debatten hat sich eine Gruppe von führenden Intelligenzforschern auf folgendeDefinitiongeeinigt:IntelligenzisteinesehrallgemeinegeistigeFähigkeit, die unter anderem die Fähigkeiten zum schlussfolgernden Denken, zum Planen, zumProblemlösen,zumabstraktenDenken,zumVerstehenkomplexerIdeen,zum raschenAuffassenundzumLernenausErfahrungeinschließt.45 In der Geschichte der Intelligenzforschung wurde der älteste, eindimensionale IQ AnsatzvondenzweiodermehrdimensionalenKonzeptenabgelöst. Auf dem eindimensionalen Ansatz der Intelligenz basiert das berühmte IQ Messverfahren, das von dem französischen Psychologen Alfred Binet Ende des 19. JahrhundertsimAuftragderRegierungentwickelt wurde.DieseTestssolltenfürdie Berechnung des Intelligenzquotienten von Kindern bei ihrer Einschulung dienen. Aufgrund erreichter Ergebnisse wurden die schulpflichtigen Kinder entsprechend ihrem Intelligenzalter in eine höhere oder niedrigere Stufe eingeschult. Der Intelli genzquotient (IQ) in der Definition von Binet bezeichnet das Verhältnis von Intelli genzalterzumLebensalter: IQ=(IA/LA)x100 DabeistehtIAfürdasbeiderBearbeitungderTestsaufgabenerreichteIntelligenzalter, dasdietatsächlicheIntelligenzentwicklungeinerPersondarstellt,LAistdastatsächli cheLebensalter,100dientalsMultiplikator,sodassIQgleich100ist,wenndasIntelli genzalter und das Lebensalter identisch sind.46 Das Verfahren vonA. Binet war sim pel: Er hat als Grundlage für seine Berechnungen die durchschnittlichen Fähigkeiten 42 W.SterngiltalsAutordesBegriffs„Intelligenzquotient“,obwohlseineTheorieaufdenzeit
lichfrüherenErgebnissenvonA.Binetbasieren. 43 Stern,W.:PsychologischeBegabungundBegabungsdiagnose,S.105120. 44 Sternberg, R. J.: Successful intelligence: finding a balance. Trends in Cognitive Sciences
3/1999:436–442,ZitiertnachRoth,G.Fühlen,Denken,Handeln,S.180. 45 Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.405. 46 Vgl.ebd.,S.405407.
28
Intelligenz und Intelligenztheorien
und Fertigkeiten von Kindern verschiedenen Alters benutzt. Ist ein siebenjähriges Kind in der Lage, die von anderen Siebenjährigen gelöstenAufgaben zu bewältigen, dannistseinIntelligenzaltergleichsiebenundderIQgleichHundert. Aus diesem Verfahren zur Unterstützung der Einschulung von Kindern hat sich ein allgemein verbreiteter Bewertungsmechanismus entwickelt. Zurzeit werden verschie dene Tests sowohl für Kinder als auch für Erwachsene angeboten. Die ursprünglich von Binet entwickelte Variante des Intelligenztests wurde von den Wissenschaftlern der Stanford Universität für amerikanische Schulkinder übernommen und moderni siert, deswegen ist der Test unter dem Namen „StanfordBinetIntelligenztest“ be kannt.DieserTestwurdezuletztimJahre1986überarbeitetundistderamhäufigsten benutztepsychologischeTestindenUSA.DietypischenAufgabendiesesTestsumfas sen: verbales Schließen (bewertet Wortschatz, Verstehen und verbale Relationen), quantitatives Schließen (bewertet den Umgang mit Mengen, Zahlenfolgen und Glei chungen), abstraktes/visuelles Denken (Musteranalyse), Kurzzeitgedächtnis (Objekt, ZahlenundSatzgedächtnis).47 ÄhnlicheAufgabenbenutztderWechslerIntelligenztest,dervonD.Wechslerspeziell für Erwachsene entwickelt worden ist. Der Test besteht aus zwei Teilen: Verbal und Handlungstests. Im ersten Teil werden allgemeines Wissen, allgemeines Verständnis, rechnerischesDenken und Wortschatz bewertet. Im Handlungsteil werdenAufgaben angeboten,diemitAnordnungvonFiguren,BilderergänzenundFigurenlegenzutun haben.48 Die Ergebnisse von Intelligenztests sind trotz ihrer Popularität ziemlich umstritten. Messen die gängigen Tests, deren Fragen häufig auf Faktenwissen der europäischen Kunstgeschichte oder Erdkundekenntnissen basieren, tatsächlich die Intelligenz als angeboreneFähigkeitodereherdaserworbeneAllgemeinwissen?Wiewirdunterdem Zeitdruck verbreiteter Tests das individuelle Lösungstempo berücksichtigt, das nicht unbedingt mit der Höhe der Intelligenz zu tun hat? Inwieweit spiegelt der im Test gemesseneIQdieimLebenerforderlichepraktischeIntelligenzwider?DassindFra gen,diedieErgebnissevonIntelligenztestsstarkrelativieren. EineweitereÜberlegunginBezugaufIntelligenzistdieFragenachihrerErblichkeit. UnterPsychologengibtesextremverschiedeneMeinungen.Behavioristenstehenvoll in der Tradition von J. Watson, der behauptete, er könne ein siebenjähriges Kind in jeder beliebigen Richtung formen und daraus ein Genie oder einen Volltrottel ma chen.49DanachistIntelligenzdurchLernenformbarundnurvonErfahrungenabhän gig. Einige kognitive Persönlichkeitspsychologen behaupten, dassIntelligenz, wie sie indengängigenIntelligenztestsgemessenwird,zufastdreiViertelgeerbtwird.50Die 47 48 49 50
Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.407408. Ebd.,S.409410. ZitiertnachCohen,D.:DiegeheimeSprachevonGeist,VerstandundBewusstsein,S.169. Z.B.AmelangundBartussek1997,Eliot2001,ZitiertnachRoth,G.:Fühlen,Denken,Handeln, S.402403.
29
3.1
3
Menschliche Intelligenz(en)
Untersuchungen mit getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen (Amelang und BartussekstützenihreAussagenaufUntersuchungenvon117PaarenimZeitraumvon 1937–1990) ergaben einen Korrelationskoeffizient für ihre Intelligenz zwischen 0,67 und 0,78. NachAussage der gleichenAutoren korreliert die Intelligenz imAlter von sechs Jahren mit der im Alter von 40 Jahren mit einem Koeffizient von 0,6, was bei dieserZeitspanneerstaunlichist.Diesbedeutetnicht,dassIntelligenzkomplettange borenistundsichmitdenJahren„entfaltet“sonderneher,dassIntelligenzsichselbst weiterentwickelt, nach Möglichkeiten und Bedingungen sucht, sich zu stabilisieren. Dadurchwirddasberühmte„IQParadox“begründet:JeältereinMenschwird,desto mehrbestimmenseineGenedieUmgebung,indererlebt.51MankanndieseAussage als Bestätigung der konstruktivistischen These sehen, nach der wir unsere soziale Realitätselbstschaffenundfürsieverantwortlichsind. Die meisten Psychologen sind sich jedoch einig, dass beide Faktoren – Erbgut und Umwelt–fürdieEntwicklungderIntelligenzzuständigsind,auchwenndieEinfluss anteileunterschiedlichgeschätztwerden. EineweiterebedeutsameTheoriederIntelligenzgehtaufRaymondCattellzurück,der zwei relativ unabhängige Komponenten der Intelligenz identifiziert hat: fluide und kristallineIntelligenz.52FluideIntelligenzistdieFähigkeit,komplexeZusammenhän ge schnell zu erkennen und Probleme zu lösen. Sie wird eher genetisch verursacht, erreicht ihren Höhepunkt im Alter von 14–15 Jahren und gibt im Laufe des Lebens etwasnach,insbesonderenach60Jahren.KristallineIntelligenzumfasstdaserworbe ne Wissen einer Person und ihre Fähigkeiten, dieses Wissen zu nutzen. Sie ist eher erfahrungsbedingt, basiert auf methodischem Wissen und nimmt mit dem Alter zu. Beide Intelligenzen sind für denArbeitsalltag wichtig: kristalline Intelligenz befähigt einen Menschen dazu, praktische und sich wiederholende Aufgaben erfolgreich zu lösen; fluide Intelligenz hilft bei neuen und abstrakten Problemen. Eine praktische Konsequenz aus dieser Unterteilung ist eine besondere Wertschätzung älterer Mitar beiter,diedurchihreArbeitserfahrungeneineenormekristallineIntelligenzbesitzen, dieeinemUnternehmenzugutekommt.DiesesUmdenkenistfürunserealterndeGe sellschaftbesondersaktuell.IneinemdiversenArbeitsteam,zudemjüngereundältere Mitarbeitergehören,kannmanVorteilebeiderIntelligenzartennutzen. ModerneIntelligenztheorienoperierenmeistensmitmehrerenFaktoren.Diebekann testen sind die triarchische Intelligenztheorie von Robert Sternberg und das Intelli genzstrukturmodellvonJ.P.Guilford. R.SternberggehtvoneinerDreiheitderIntelligenzaus:einerkomponentiellen,erfah rungsbasierten und kontextuellen Intelligenz, die unterschiedliche Wege zur Errei chungderZielbeschreiben.Komponentielle(oderanalytische)Intelligenzbasiertauf mentalen Prozessen, die dem Denken und Problemlösen zugrunde liegen – auf Wis 51 Vgl.Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.403. 52 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.413.
30
Intelligenz und Intelligenztheorien
senserwerb, Problemlösungsstrategien und Strategieauswahl. Erfahrungsbasierte IntelligenzbeschreibtdieFähigkeit,mitneuenAufgabenundRoutineaufgabenumzu gehen. Kontextuelle (oder praktische) Intelligenz spiegelt sich in der praktischen Ko ordinationvonAlltagsanforderungenwider.53 J.P.GuilfordunterscheidetinseinemIntelligenzstrukturmodellfünfArtenvonkogni tiven Operationen, die menschliche Intelligenz ausmachen: Evaluation (Bewertung), konvergente Produktion, divergente Produktion, Gedächtnis und Kognition. Diese VerarbeitungsprozesserichtensichaufverschiedeneInformationen:visuelle,auditori sche,symbolischeetc.undergebenverschiedenekognitiveProdukte:Einheiten,Klas sen,Beziehungen,Systemeetc.(s.Abbildung).54 Abb.7:DasIntelligenzstrukturmodellnachGuilford55
JederInformationsverarbeitungsprozesskannanhandderbeteiligtenInhalte,Produk te und Operationen identifiziert werden, wobei Guilford jeder Kombination eine be stimmte geistige Teilfähigkeit zuschreibt. Der kleine, etwas dunklere Würfel in der Abbildung steht beispielsweise für den Wortschatz, der die Fähigkeit zur Kognition mitEinheitensemantischenInhaltscharakterisiert.AllerdingswäreeinMessverfahren 53 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.413416. 54 Vgl.ebd.,S.413. 55 AbbildungübernommenausZimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.414.
31
3.1
3
Menschliche Intelligenz(en)
aufgrund des Intelligenzstrukturmodells sehr kompliziert, deswegen besteht die Be deutungdesModellsvonGuilfordeherinseinersensibilisierendenWirkunginBezug aufdieVielfaltkognitiverVerarbeitungsprozessebeiMenschen. Die Entwicklung der Intelligenzforschung zeigt eine Vielzahl an Definitionen und Theorien,dietendenziellindieRichtungwachsenderKomplexitätundMehrdimensi onalitätgehen.EineMessungderIntelligenzmitIntelligenztests(IQ)istziemlichum stritten,diesesVerfahreneignetsichnurbedingtfüreineEinstellungoderBewertung der Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters. Leistung und Erfolg eines Individuums erfordern viel mehr als die Fertigkeiten, Fähigkeiten und Eigenschaften, die in stan dardisiertenTestsgemessenwerdenkönnen.
3.2
Emotionale Intelligenz
LangeZeitgaltderIQalsMaßstabfürErfolg.FolglichbasiertedieAuswahlvonneuen MitarbeiternvorallemaufintelligenzmessendenVerfahren.IndenletztenJahrzehnten hatsichdieseEinstellunggewandelt.VieleForscher(Mayer,Saloveyu.a.)beschäftigen sichmitdersogenanntenemotionalenIntelligenz(Synonym:sozialeKompetenz),die alsFähigkeit,Emotionenangemessenwahrzunehmen,inDenkprozesseneinzusetzen, zuverstehenundzuregulierenverstandenwird.56DieseDefinitionspiegeltdasneue VerständnisderRollevonEmotionenimmenschlichenDenkenundHandeln. Besonders bekannt wurde die emotionale Intelligenz durch Daniel Goleman, der im Jahre 1995 das gleichnamige Buch veröffentlicht hat.57 Hierunter versteht der Autor soziale Kompetenz in Bezug auf die eigene Person und den Umgang mit anderen Menschen(s.folgendeTabelle).DieemotionaleIntelligenzeinesMenschenwirdzur zeitalsvielausschlaggebenderfürseinenpersönlichenundberuflichenErfolgalssein IQangesehen.MitemotionalerIntelligenzwirdeineganzeReihevonFähigkeitenund Kompetenzen beschrieben, wie Selbstkenntnis, Kommunikationsfähigkeit, Empathie (Einfühlungsvermögen), Teamfähigkeit, Taktgefühl, Überzeugungskraft etc. Es ist möglich,denEmotionalquotient(EQ)einerPersonanhandspeziellerTestszumessen. Eine Studie in den USA mit über 800 Personen lieferte interessante Ergebnisse: Die Korrelation zwischen IQ und EQ ist ziemlich gering, ältere Personen weisen höhere emotionale Werte auf und Frauen sind im Durchschnitt emotional intelligenter als Männer,vorallembeiderWahrnehmungvonEmotionen.58Dasbelegt,dassdieemo tionaleIntelligenzinderSozialisationentstehtunderlernbarist.
56 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.417. 57 Goleman,D.:EmotionaleIntelligenz. 58 Vgl.Zimbardo,P.;Gerrig,R.:Psychologie,S.418.
32
Emotionale Intelligenz
Tabelle5: KomponentenderEmotionalenIntelligenznachD.Goleman59 Persönliche Kompetenzen
Soziale Kompetenzen
Selbstwahrnehmung (Selbstkenntnis, Selbsteinschätzung, Selbstvertrauen)
Soziales Bewusstsein (Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Gruppen- und Organisationsbewusstsein)
Selbstmanagement (emotionale Selbstkontrolle, Anpassungsfähigkeit, Aufrichtigkeit, Leistungsbereitschaft, Optimismus)
Beziehungsmanagement (Überzeugungskraft, Einfluss, Feedback, Konfliktmanagement, Teamwork und Kooperation)
DiemoderneNeurobiologieführtunsereFähigkeitzuremotionalenIntelligenzaufdie so genannten Spiegelneuronen im Gehirn zurück, die es uns ermöglichen, Gefühle und Stimmungen anderer Personen nachzuempfinden. Studien zeigen, dass wir vor allem solche Menschen sympathisch finden, die unsere Emotionen adäquat und au thentischwiderspiegelnkönnen.60 Der Umgang mit sich selbst, oder Selbstkompetenz, bildet dabei die Basis für den Umgang mitAnderen.DieemotionaleIntelligenzistfüreinenMenschenalssoziales Wesen von entscheidender Bedeutung: Gemeinsames Erfüllen von Aufgaben basiert auf gegenseitigem Verständnis und Vertrauen, erfordert Einfühlungsvermögen, Kon taktfreudigkeit und Kommunikationsbereitschaft. Emotionale Intelligenz ermöglicht GruppenarbeitundlernenundträgtzuSynergieeffekteninderTeamarbeitbei. Golemann und Boyatzis haben in einer aktuellen Studie bewiesen, dass die soziale IntelligenzderFührungskräfteundihreFähigkeit,positiveStimmungundInspiration zuerzeugen,fürdieeffizienteArbeitderMitarbeiterentscheidendsind.61 Führungs kräfte,dieihreMitarbeiterzuHöchstleistungenanspornenmöchten,solltendemnach weiterhin hohe Anforderungen an sie stellen, aber so, dass sie dabei eine positive StimmungimTeamerzeugen. Zusammenfassend kann man sagen, dass nur eine Kombination aus klassischer und emotionalerIntelligenzzumlangfristigenpersönlichenundunternehmerischenErfolg führen kann. Doch einige Autoren gehen noch weiter und listen als Erfolgsfaktoren mehreremenschlicheIntelligenzenauf.
59 Vgl.Goleman,D.:EmotionaleFührung,S.61. 60 Vgl.Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.49. 61 Vgl.Goleman,D.;Boyatzis,R.:WarumFührungEinfühlungbedeutet.
33
3.2
3
Menschliche Intelligenz(en)
3.3
Theorie der multiplen Intelligenzen
ZudenbedeutsamenIntelligenztheorienunsererZeitgehörtdieTheoriedermultiplen Intelligenzen(1998)vonHowardGardner62. GardnerdefiniertIntelligenzimKontexteinerKultur,als dieFähigkeit,Problemezu lösen oder Produkte herzustellen, die für eine bestimmte kulturelle Umgebung oder GemeinschaftvonBedeutungsind.DabeiunterscheidetGardnerzwischenachtspezi fischen Arten von Intelligenz, die bei Individuen als Fähigkeiten vorhanden, aber unterschiedlich ausgeprägt sind. Das sind: sprachliche, logischmathematische, natu ralistische,musikalische,räumliche,körperliche,intraundinterpersonaleIntelligenz (s. Tabelle). Unterschiedliche Ausprägungsgrade (Kombinationen) dieser einzelnen IntelligenzensindnachGardnerfürdiekulturellenVerschiedenheitenunddiepersön licheEinmaligkeitverantwortlich. Tabelle6: MultipleIntelligenzennachHowardGardner63 Intelligenzen
Beschreibung
1. Sprachliche Intelligenz
Die Fähigkeit zum Sprechen: Phonologie (Sprachlaute), Syntax (Grammatik), Semantik (Bedeutung) und Pragmatik (Verwendung)
2. Logischmathematische Intelligenz
Fähigkeit zu abstraktem Denken
3. Naturalistische Intelligenz
Gespür für die Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies, Fähigkeit zum diskreten Umgang mit Lebewesen
4. Musikalische Intelligenz (allgemeiner – künstlerische)
Die Fähigkeit zur Erzeugung, Kommunikation und zum Verstehen von Tönen (Tonhöhe, Rhythmus, Klangfarbe)
5. Räumliche Intelligenz
Die Fähigkeit zur Wahrnehmung räumlicher und visueller Information, zu deren Modifikation und Erzeugung
6. Körperliche Intelligenz
Die Fähigkeit zum Einsatz des Körpers und seiner Teile, um Probleme zu lösen bzw. Produkte zu gestalten
7. Intrapersonale Intelligenz
Die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Intentionen und Motivationen zu differenzieren
8. Interpersonale Intelligenz
Die Fähigkeit, Gefühle, Intentionen und Überzeugungen anderer Personen zu erkennen und zu differenzieren
62 Gardner,H.:AbschiedvonIQ:DieRahmentheoriedervielfachenIntelligenzen. 63 Gardner,H.:Intelligenzen.DieVielfaltdesmenschlichenGeistes,S.5557.
34
Theorie der multiplen Intelligenzen
DieDefinitionvonachtverschiedenenIntelligenzenzeigteinIndividuum–imGegen satzzudenAnsätzenderklassischenundemotionalenIntelligenz–inseinerganzen Vielfältigkeit. Damit erhebt Gardner den Anspruch, die praktische Intelligenz einer Personzubeschreiben,diefürerfolgreichesHandelnnotwendigist. Vergleicht man die drei dargestellten Ansätze untereinander, so kann man die acht IntelligenzenvonGardnerbisauffünfkomprimieren:
(klassische)Intelligenz(sprachliche,logischmathematischeundräumliche), emotionaleIntelligenz(intraundinterpersonale), naturalistischeIntelligenz, künstlerischeIntelligenzsowie körperlicheIntelligenz. Diese Vielfalt soll die menschliche Einmaligkeit und Vielseitigkeit betonen. Die zwei traditionellenerstenIntelligenzenwerdendurchdienaturalistische,künstlerischeund körperlicheergänzt,diefürdieunternehmerischePraxisvongroßerBedeutungsind. AufdernaturalistischenIntelligenzbauenUmweltkompetenzundNachhaltigkeitauf. DiekünstlerischeIntelligenzermöglichtKreativitätundästhetischeVorstellungen,die für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen unentbehrlich sind. Ohne körperliche Intelligenz wäre keine psychomotorische Tätigkeit möglich (wie Schrei ben,Autofahren,PCArbeit,Fließbandarbeitetc.). AllemenschlichenIntelligenzenbildendieGrundlagefürdieEntwicklungvonKom petenzenderMitarbeiter,diesowohlfürdieindividuelleProblemlösung,alsauchfür GruppenundTeamarbeitwichtigsind. IndenletztenJahrenversucheneinigeWissenschaftlerdieTheoriedermultiplenIntel ligenzenweiterzuentwickeln,vorallemimSinneeiner„praktischen“oderErfolgsin telligenz. Diese Entwicklung wird durch das wachsende Interesse an Wissensmana gementundLerneninUnternehmenunterstützt,voralleminBezugaufdasimplizite (stille) Wissen64, das sich kaum messen, dokumentieren und kommunizieren lässt, abereineaußerordentlichwichtigeRollefürmenschlichesHandelnspielt. Praktische Intelligenz als alltagsbezogene Anforderungen wurde in einigen Studien untersucht (z.B. von R. Sternberg und R. Wagner), besonders im Bereich des berufli chen Erfolges unter dem Begriff des „tacit knowledge“ (implizites Wissen). Eine Be fragung unter erfolgreichen Managern in den USA beinhaltete verschiedene Fragen, dietypischeProblemedesAlltagsbehandelten,wiezumBeispieldieBewertungvon
64 DerBegriff“ImplizitesWissen”wirdinKapitel5„Wissensrepräsentation“eingeführt.
35
3.3
3
Menschliche Intelligenz(en)
Karrierestrategien,hatdieHypotheseüberdieBedeutungdesimplizitenWissensfür diepraktischeIntelligenzbestätigt.65 R.Sternberg66vereintunterdemBegriffderErfolgsintelligenzdieanalytische(prob lemlösungsbezogene Vorgänge), kreative (Ideenreichtum, Experimentierfreudigkeit) undpraktischeIntelligenz,wobeinurdasausgewogeneZusammenwirkenundnicht dieQualitätdereinzelnenIntelligenzausschlaggebendfürdasErgebnisist.Dieprak tische Intelligenz ist im Lebensverlauf unterschiedlich gewichtet, so nimmt die aka demischeIntelligenzab,währenddiepraktischeIntelligenz,dieprimäraufimplizitem Wissen basiert, eher zunimmt. Nach Sternberg setzt sich dieses implizite Wissen zu sammenausdemWissenumdierichtigeVorgehensweiseinVerbindungmitderVer folgung der persönlichen Ziele und der individuellen Unabhängigkeit von anderen Personen. Offensichtlich,istdiepraktischeoderErfolgsintelligenzfürdenberuflichenundper sönlichenErfolgeinesMenschenausschlaggebend,dasienichtnurseineFähigkeiten undKompetenzen,sondernauchihrepraktischeAnwendungbeinhaltet. Kontrollfragen 1. Wasverstehtmanunter(klassischer)Intelligenz? 2. WaswirdmitdemIntelligenzquotient(IQ)gemessen? 3. Erklären Sie den Begriff und die Bedeutung der emotionalen Intelligenz nach D. Goleman. Beschreiben Sie ihre Komponenten (Selbstwahrnehmung, Selbstmana gement,sozialesBewusstseinundBeziehungsmanagement). 4. ErläuternSiedieTheoriemultiplerIntelligenzenvonH.Gardner. 5. DiskutierenSieüberdieBedeutungderpraktischenoderErfolgsintelligenz. 6. MachenSiesichGedankenüberIhreeigenenStärkenundSchwächeninBezugauf verschiedeneIntelligenzen.
65 Vgl.Wagner,R.K.;SternbergR.:Practicalintelligenceinrealworldpursuits:Theroleoftacit
knowledge,436458. 66 Vgl.Sternberg,R.J.:Erfolgsintelligenz.WarumwirmehrbrauchenalsEQundIQ.
36
Definition der Wahrnehmung und Rolle des Gedächtnisses
4
Wahrnehmung
WährenddieBehavioristensichaufdasbeobachtbareVerhaltenkonzentrieren,wasin der betrieblichen Praxis bedeuten würde: Ein Manager hat seine Mitarbeiter zu beo bachtenundzubewerten,umihrVerhaltenzusteuern,legtdiekognitivePsychologie besonderenWertaufdiementalenProzesseindenKöpfenvonMenschen. Diese kognitiven Prozesse sind äußerst komplex und lassen sich mit Modellen nur zum Teil beschreiben. Menschliches Handeln basiert auf dem individuellen Wissen, dassichimLaufederZeitimGehirnaufgrundderWahrnehmungsundLernprozesse herausgebildethat(vgl.Abb.4),wobeidieWahrnehmungalsInputfürindividuelles Wissenbezeichnetwerden kann.UnsereSinnesorgane(Seh,Hör,Geschmacks,Ge ruchs und Tastsinn) liefern uns Informationen aus der Außenwelt. Genauer gesagt, dieWelterscheintunsdurchunsereSinne. WirhabenkeinenanderenWeg,dieWeltzuerkunden,alsmithilfeunsererSinnesor gane. Das macht unsere Wahrnehmung und unser Weltbild grundsätzlich subjektiv. Wir konstruieren unsere Vorstellung von der Umwelt aus subjektiven Wahrnehmun gen. WahrnehmungistkeinephysikalischeAbbildungderAußenwelt,unserGehirnistan ihr aktiv beteiligt – es richtet unsere Aufmerksamkeit, vergleicht Informationen mit vorhandenem Wissen, vervollständigt und ergänzt das Wahrgenommene. Subjektivi tät der Wahrnehmung und ihreAbhängigkeit von vorhandenem Wissen haben weit gehendeKonsequenzensowohlfürLernprozessealsauchfürdasHandelnvonMen schen.
4.1
Definition der Wahrnehmung und Rolle des Gedächtnisses
Unter Wahrnehmung wird nicht nur dieAufnahme von äußeren Reizen verstanden, sondern das subjektive Konstruieren eines eigenen Weltbildes aufgrund der Sin neseindrückeausderUmwelt.JederMenschschafftaufgrundspezifischer,vonaußen wahrgenommenerInformationenseinepersönlicheVorstellungvonderWeltundvon sichselbst,dieineinenbestehendenKontexteingebautundlaufendaktualisiertwird. KognitivePsychologiebeschreibtdiesenProzessalsInformationsverarbeitung,andem außerdenSinnesorganenauchdasGehirnbeteiligtist.IndemgängigenInformations
37 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
4.1
4
Wahrnehmung
verarbeitungsmodell werden kognitive Prozesse in eine Abfolge geordneter Phasen zerlegt,ähnlichderInformationsverarbeitungbeieinemComputer.Hierspiegeltsich der Einfluss der Forschung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz wider. Der Vorteil diesesAnsatzes ist die Nutzung von Modellen für die Beschreibung von Ge hirntätigkeiten.Andererseits,istdasmenschlicheHirnvielkomplexer,alsjeder(heut zutage)denkbareComputer,deswegenbedeutetderInformationsverarbeitungsansatz eine wesentliche Vereinfachung und Schematisierung realer kognitiver Prozesse. Zur Informationsverarbeitunggehören:FilternundAufnahmevonInformationen,Bewer tungundVergleich,Ablegen(Gedächtnis),AbrufenundNutzungvonInformationen beiderEntscheidungsfindung. DersubjektiveCharaktermenschlicherWahrnehmungkommtdadurchzustande,dass unsere „mentale Programmierung“ nicht nach standardisierten Programmen abläuft, sonderninderPrimärsozialisationinfrüherKindheitexemplarischstattfindet.Fami lie, Umgebung und Kultur liefern jedem Kind einmaligeErfahrungen, dieseine Vor stellungenunddieEntwicklungseinesWissensüberdieWeltprägen.Dasentstehende Weltbild beeinflusst weiterhin den Prozess der Wahrnehmung, es kommt zu einem Zusammenspiel zwischen Wahrnehmung und Wissen, wodurch sich unser Wissen immerweiterentwickelt. Unterschiedliche Eindrücke aus der Außenwelt bekommt ein Mensch durch seine Sinnesorgane. Menschen sind mit folgenden Sinnen ausgestattet: Sehen, Hören, Rie chen,SchmeckenundTasten.AlledieseSinnesindsehrempfindlich:DieMinimalrei ze,dievonMenschenwahrgenommenwerdenkönnen,sindäußerstgering. Tabelle7: UngefähreminimaleReizefürverschiedeneSinne67 Sinnessystem
Minimaler Reiz
Sehen
Die Flamme einer Kerze in einer dunklen klaren Nacht aus einer Entfernung von ungefähr 50 Metern
Hören
Das Ticken einer Uhr ohne Umgebungsgeräusche aus einer Entfernung von ungefähr 6 Metern
Geschmack
Ein Teelöffel voll Zucker in ungefähr 7,5 Liter Wasser
Riechen
Ein Tropfen Parfüm, verteilt auf das Volumen von sechs Räumen
Druck
Der Flügel einer Fliege, der aus einer Entfernung von 1 Zentimeter auf die Wange fällt
DieWahrnehmungbeiMenschenistkeinereinphysikalischeAufnahmevonInforma tionenmithilfevonentsprechendenGeräten(Sinnesorganen).MankanneinenIndus 67 NachE.Galanter,zitiertnachHilgardsEinführungindiePsychologie,S.112.
38
Definition der Wahrnehmung und Rolle des Gedächtnisses
trieroboter mit „künstlichen Augen“ (Fotoelementen) versehen, damit er auf Bewe gung reagiert, aber seine „Wahrnehmung“ ist von der eines Menschen weit entfernt. EinMenschnimmtvisuelleInformationennichtnurmitseinenAugenwahr,sondern mit dem ganzen Gehirn. Deswegen behaupten die Wahrnehmungspsychologen, dass wirnichtglauben,waswirsehen,sondernumgekehrt,sehen,waswirglauben. An jedem Wahrnehmungsvorgang ist das Gehirn unmittelbar beteiligt: Es richtet die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt aus, filtert die Informationen, vergleicht sie mit bereits vorhandenen, entscheidet, ob die neuen Informationen relevant sind, speichertdierelevantenab,damitsiespäterabgerufenwerdenkönnen.Eswerdenaus der Außenwelt nur die Informationen wahrgenommen, die wichtig (interessant) und/oder neu sind. Dies ermöglicht ein vorbewusst arbeitendes System, das unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte ausrichtet oder nicht ausrichtet. Dieses Sys temklassifiziertdieInformationennachdenKriterienwichtigversusunwichtigsowie bekanntversusunbekannt.DiesgeschiehtdurcheinensehrschnellenZugriffaufdie verschiedenenGedächtnisarten,dieanderWahrnehmungaktivbeteiligtsind. Man unterscheidet zwischen sensorischem, Kurzzeit und Langzeitgedächtnis. Die InformationsverarbeitungsprozessespielensichinfolgenderReihenfolgeab.Informa tion wird von dem menschlichen Verarbeitungssystem (Sinnesorgane) aufgenommen undindensensorischenSpeichernfüreinekurzeZeitabgelegt(z.B.visuelles,auditi ves sensorisches Gedächtnis, auch Ultrakurzzeitgedächtnis genannt). Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit, die nur eine begrenzte Kapazität hat, auf ein bestimmtes ObjektodereinenProzess.DassensorischeGedächtnisdientderFilterungvonInfor mationen, die unsere Sinnesorgane wahrnehmen und wird nur für einige Sekunden reizspezifisch erregt. Dies ermöglicht uns, etwas soeben Wahrgenommenes unmittel bar wiederzugeben. Gleichzeitig findet eine Assoziation mit anderen Reizen oder Emotionenstatt. Tabelle8: MenschlicheGedächtnisartenundihreCharakteristika Charakteristika
Sensorisches Gedächtnis
Kurzzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Kapazität
Bis 16000 bit
Ca. 7 Elemente
Alle Lebenserinnerungen und Kenntnisse
Dauer
250 Millisek.
1- 4 Minuten
Lebensspanne
Format
Sensual
Phonemisch
Semantische Organisation
Aus den sensorischen Speichern kommt die Information ins Kurzzeitgedächtnis.Als Kurzzeitgedächtnis (oder auch Arbeitsgedächtnis) bezeichnet man die Fähigkeit,
39
4.1
4
Wahrnehmung
einenbegrenztenUmfangvonInformationenineinemspeziellenaktiviertenZustand zuhalten(einigeSekundenlang,nurbissiebenEinheiten–Objekte,ZahlenoderSti mulationen). Das Kurzzeitgedächtnis ist gegenüber neuen Ereignissen und Einwir kungenstöranfällig. Falls die aufgenommenen Informationen relevant sind (neu und/oder wichtig), wer densieweitergeleitetundkommenindasLangzeitgedächtnis,wosie„katalogisiert“ undabgelegtwerden.DortkönnensieJahreundJahrzehntelanggespeichertbleiben. Das Langzeitgedächtnis ist weitgehend unempfindlich gegenüber Störfaktoren und hateinesehrgroßeSpeicherkapazität. AnalogzueinemPCkönntedasLangzeitgedächtnismiteinerFestplatteunddasAr beitsgedächtnis – mit einer geöffneten Datei auf dem Bildschirm verglichen werden. Nur durchs Öffnen können wir auf ein Dokument zugreifen. Um Informationen zu reproduzieren oder aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen, müssen sie zuerst akti viertwerden.FürdieEntscheidungsfindungsollendieInformationenimaktivenZu stand, d.h. im Kurzzeitgedächtnis vorliegen. Diese Aktivierung von Informationen gelingtdestoleichter,jestärkersieeingeprägtwordensind(abhängigvonderÜbung bestimmterFähigkeitenundFertigkeitenundvonderWichtigkeitderInformation). AucheinspeziellesGedächtnistrainingkannhelfen,sichleichtererinnernzukönnen. In der Regel basiert solches Training auf derAssoziationsbildung undAktivierungs techniken für das Gehirn. Einige Untersuchungen haben gezeigt, „dass Dinge umso besser erinnert werden, je deutlicher sie von emotionalen Zuständen begleitet wa ren.“68DiesweistaufeinenZusammenhangzwischenEmotionenundGedächtnishin. Menschliche Wahrnehmung funktioniert nach dem Prinzip einer Mustererkennung. EinMusterkannalsGanzeserkanntwerden(Schablonenvergleichsmodell)oderdurch einzelneKomponente(Merkmalsanalyse).DiewahrgenommenenMusterwerdenmit denbereitsvorhandenenverglichenundanalysiert. IndenletztenJahrzehntenhatdieNeurobiologievieleneueErkenntnissegewonnen, die die Wahrnehmung bei Menschen erklären.Am besten ist visuelle Wahrnehmung untersucht worden: Die Augen sind nicht nur die „wichtigsten Lieferanten“ von In formationenausderAußenwelt,sondernaucheinFensterzumGehirnfürdieWissen schaftler, die auf diesem Wege das Sehzentrum im Gehirn erforschen können. Die Entwicklung neuer Methoden der Gehirnforschung wie die funktionale Magnet ResonanzTomografie (MRT) und die PositronenEmissionsTomografie (PET) haben in den letzten Jahren unser Wissen über das menschliche Gehirn und die Wahrneh mungwesentlichbereichert.AmBeispieldervisuellenWahrnehmungwerdennundie MöglichkeitenundGrenzenmenschlicherWahrnehmunggezeigt.
68 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.303.
40
Visuelle Wahrnehmung
4.2
Visuelle Wahrnehmung
An dieser Wahrnehmung sind nicht nur unsere zwei Augen beteiligt, sondern auch überHundertMillionenNeuronenunseresGehirns,diefürdieVerarbeitungvisueller Information zuständig sind. Man bezeichnet Menschen als „Augenwesen“, weil der Sehsinn die meisten Informationen liefert und am stärksten ausdifferenziert ist. Der eigentlicheReizfürdasSehsystemistdasLicht(elektromagnetischeWellenimBereich von400bis700Nanometer).JedesderbeidenAugenenthälteinSystemfürdieErzeu gungeinesaufdemKopfstehendenAbbildes.EsgibtzweiArtenvonSehrezeptoren: Zapfen(WahrnehmungvonFarben)undStäbchen(farbloseEmpfindungenbeiniedri gen Lichtintensitäten). Aus den vier grundlegenden Farbempfindungen – rot, gelb, grünundblau–stellensichunserevielfältigeFarbwahrnehmungenzusammen.Insge samt liefern uns die Augen Informationen über Farben, Formen, Bewegungen und EntfernungvonObjekten. Die Sehnerven leiten die visuellen Informationen zum visuellen Cortex, der sich im hinterenTeildesGehirnsbefindet.NeuroneimvisuellenCortexsindfürvieleMerk maledesSehensempfindlich:fürdieHelligkeit,Farbe,OrientierungundBewegung. DadieAugenimKopfräumlichgetrenntsind,hatjedesAugeeineetwasandereSicht derDinge.DiesesPhänomenbezeichnetmanalsbinokulareDisparität.DieseTatsache ermöglichtdenMenschen(unddenTieren)diebinokulareWahrnehmung–wirkön nendieTiefeeinesObjektesundseinePositionimRaumwahrnehmen.Diebinokulare Disparität kann unsereAugen auch täuschen: Mithilfe von speziellen Brillen können wir uns zum Beispiel dreidimensionale Bilder oder Filme angucken und Tiefe dort wahrnehmen,wokeinevorhandenist. WieflexibelmenschlichevisuelleMustererkennungist,demonstriereneinigeBeispiele indenfolgendenAbbildungen. Abb.8:
FlexibilitätmenschlichervisuellenWahrnehmung
GROSSE
Kleineund
Schriftzeichen,Buchstabenamfalschen
WortemitungewöhnlichenFOrMenundsogar Ort
könnenwirunproblematischlesen.
ManchmalhabenwirdocheinigeWahrnehmungsschwierigkeiten: 41
4.2
4
Wahrnehmung
ZuMbEiSpIeLiStDiEsErSaTzScHwIeRiGzUlEsEn. WoliegtdieSchwierigkeit?DieMenschennehmeneinzelneWörterganzheitlichwahr, weil sie die Muster für diese Worte bereits kennen. Jedes Wort wird beim Lesen mit dementsprechendenMusterimGehirnverglichen.WennineinemSatzwieobendie GroßundKleinschreibungnichtstimmtundinsbesondereeinzelneWortevoneinan der nicht getrennt sind, bekommen wir Schwierigkeiten, die Worte zu identifizieren. Wir müssen den ganzen Satz auf einmal wahrnehmen. Anders ist es im folgenden Beispiel: Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige, was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gsea tems. Wissenschaftler haben festgestellt, dass dieAugen eines Menschen während des Le senssichnichtkontinuierlichbewegen,sondernfüreinenkurzenMomentstillstehen und dann weiter springen. Das visuelle System nimmt Informationen nur während desStillstehens(Fixation)auf.DieAnzahlunddieDauervonFixationenhängen mit dem Text zusammen: Mit der steigenden Bekanntheit des Textes nimmt die Zeit der Fixationab,wirkönnenschnellerweiterspringen. Die Wahrnehmung von Bildern kann bei Menschen auf zwei verschiedene Weisen passieren: Entweder entsteht das Ganze aus Elementen (Details), oder das Bild wird ganzheitlich,aufeinmalwahrgenommen. Abb.9:
BeispielfürdieWahrnehmungvonkomplexenBildern69
69 DasBildübernommenausAnderson,J.R.:KognitivePsychologie,S.107.
42
Visuelle Wahrnehmung
NurMenschensinddazuinderLage,aufdiesemBildeinenDalmatinerzuerkennen, füreinenRechnerwäredieseineunlösbareAufgabe.Dasverdankenwirunsererein maligenFähigkeitganzheitlicherWahrnehmung. Ähnliche Schwierigkeiten würde ein Computer mit den so genannten mehrdeutigen Bildernhaben(s.Abbildung10,links).WassehenSieaufdemBild:einenMannoder eineMaus? In beiden oben genannten Beispielen hat uns unser Gehirn bei der Wahrnehmung geholfen,indemesvisuelleSignalemitdenimGedächtnisvorhandenenBildernver glichen und dadurch Bedeutungen erkannt hat.Allerdings kann uns die Beteiligung des Gehirns an der Wahrnehmung täuschen oder sogar verwirren. Da wir ein Bild nicht einfach optisch (physikalisch) wahrnehmen, sondern es zugleich analysieren, könnenunsereErwartungendieWahrnehmungbeeinflussen,z.B.durchdenKontext unsere Größenwahrnehmung verzerren (s.Abbildung 10, rechts).Auch wenn wir es nichtglaubenwollen,sinddiemittlerenKreiselinksundrechtsgleichgroß. Abb.10:
MehrdeutigesBild(links)undverzerrteGrößenwahrnehmung(rechts)
Es ist insgesamt erstaunlich, wie schnell und leicht wir die Menschen erkennen, die uns bekannt sind: im Profil, im schnellen Vorbeigehen, mit dem Rücken zu uns ste hend,ausweiterEntfernung.Dabeikönnenwirnichtexplizitbeschreiben,nachwel chemMerkmalwirdiePersonerkannthaben,aberunserGedächtnislöstsolcheAuf gabenspielerisch. DasfolgendeBeispielzeigtdieBesonderheitenbeiderWahrnehmungvonGesichtern. BetrachtenSiebittediesezweiFrauengesichter,dieaufdenKopfgestelltsind.Sindsie identisch?
43
4.2
4
Wahrnehmung
Abb.11:
KontextabhängigkeitderWahrnehmung70
Drehen Sie jetzt bitte das Buch so, dass Sie die Gesichter in der normalen Stellung betrachtenkönnen. VielleichthabenSieschonfrüherdieUnterschiedebeiderMundpartieentdeckt,aber erst jetzt merken Sie, dass das rechte Gesicht einen Ausdruck des Entsetzens bzw. Eckelshat.FürdasVerstehenderMimiksindderKontextunddieÜbungvongroßer Bedeutung. Unsere Erfahrung, und nicht unsere visuelle Wahrnehmung, lässt uns schließen,dassdieFraurechtsentsetztist. DiesesPhänomenistmitdenRollenunsererlinkenundrechtenHirnhälftenverbun den. Die linke (logischanalytische) Hälfte kann im Prinzip nicht objektiv wahrneh men, sie benutzt sofort die vorhandenen Modelle und Schemata, die das Gesehene rational erklären. Die rechte (ganzheitlichräumliche) Hälfte nimmt „neutral“ wahr, mitmehrDetailsundMerkmalen,aberohnezuanalysieren.AufdieserBesonderheit menschlicher Wahrnehmung basiert zum Beispiel eine originelle Methode für das Erlernen des Zeichnens: Man stellt das zu zeichnende Objekt auf den Kopf, um der Schematisierung zu entfliehen. Diese Theorie behauptet, dass es für einen Maler un entbehrlichsei,„mitderrechtenHirnhälfte“sehenundmalenzulernen. AuchderselektiveCharakterunsererWahrnehmungunddiesubjektiveInterpretation desWahrgenommenenkönnenalsBelegfürdieBeteiligungdesmenschlichenGehirns und des Gedächtnisses an dem Wahrnehmungsprozess dienen. Unsere allgemeinen Einstellungen und Erwartungen sind dafür entscheidend, was wir sehen oder nicht sehen–sokönnenwirunsaufeinenAspektderSachekonzentrierenohnedie„Kehr seite“zusehen.JenachdemKontextundErwartungenkönnenwirdieBedeutungen 70 AbbildungübernommenausNerdinger,F.W.:GrundlagendesVerhaltensinOrganisationen.
44
Grenzen menschlicher Wahrnehmung
des Wahrgenommenen unterschiedlich auslegen, was uns häufig voreingenommen undeinseitigmacht(s.Abbildung). Abb.12:
SubjektiveInterpretation
Esistwichtig,sichdieserSubjektivitätbewusstzusein.Nursokanneine Führungs kraft Mitarbeiterbeurteilungen und Personalentscheidungen überlegt und begründet treffen.
4.3
Grenzen menschlicher Wahrnehmung
Genauso wie die visuelle finden alle unsere Wahrnehmungen mit Beteiligung des Gehirns statt und werden von ihm beeinflusst bzw. verzerrt. Jede Wahrnehmung ist subjektiv,kontextabhängigundselektiv. BeijederWahrnehmung,setzenMenschenihreAufmerksamkeitein.UnterAufmerk samkeitverstehtmandieFähigkeit,einenTeilderInformationfüreinegenaueAnaly seauszuwählenundandereTeilezuignorieren. WährendSiediesenSatzlesen,schauenIhreAugenaufdieBuchseite,undSienehmen nicht wahr, was alles gleichzeitig um Sie herum passiert. Können Sie vielleicht ir gendwelchenGeruchwahrnehmen?DrückenIhreSchuhenicht?SchmeckenSienoch dievorkurzemgegesseneSchokoladeimMund?IstderStuhlbequemfürIhrenRü cken?SindirgendwelcheNebengeräuscheaufderStraßezuhören?Wirkönnenunse reAufmerksamkeitumschalten.DasnenntmanselektiveAufmerksamkeit.Selektives Sehen bedeutet, dass wir unser Augenmerk auf ein bestimmtes Objekt richten, was
45
4.3
4
Wahrnehmung
übrigens die notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für die Wahrnehmung ist.Manchmalgucktman,abersiehtnicht,dadieAufmerksamkeitinsInneregerichtet ist.Dasunterstreichtnochmal,dasswirnichtnurmitdenAugen,sondernauchmit unseremGehirnsehen. Beim Zuhören bewegen wir unbewusst unseren Kopf, sodass die Ohren auf die uns interessierende Schallquelle ausgerichtet sind. Wir können sehr fein selektieren und sogaraufeinerlautenPartyeinerfürunswichtigenStimmezuhören.UnserInteresse, unsere Emotionen und die Wichtigkeit einer gesprochenen Nachricht lenken unsere selektive Aufmerksamkeit. Wird zum Beispiel unser Name erwähnt, merken wir es sofort.DieirrelevantenHörreizewerdenvollständigausgefiltert. Wodurch wird bestimmt, welche Objekte in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken? Die selektive Aufmerksamkeit kann ziel oder reizgesteuert sein. Im ersten Fall orientieren wir uns auf eigene Ziele, konzentrieren uns auf das Wichtige. Diese ArtselektiverWahrnehmungistpositiv,sieermöglichtKonzentrationundLernen.Bei derreizgesteuertenAufmerksamkeitziehenbestimmteReizeunsereAufmerksamkeit an sich, automatisch und unabhängig von unseren Zielen. Dies kann sich auf unser Handelnnegativauswirken,dawirvonderErreichungeigenerZieleabgelenktwer den.Beispielsweise,SiesitzenineinerVorlesungundwollensichkonzentrieren,aber einlautesGesprächIhrerNachbarinnenhindertSiedaran. SelektiveAufmerksamkeitspiegeltdiebegrenzteKapazitätderMenschen,Informati onen zu verarbeiten, wieder. Die unbeachteten Informationen kommen im Gehirn nichtanundgehenfürunsverloren. Begrenzte Kapazität menschlicher Informationsverarbeitung und die Beteiligung des GehirnssetzenGrenzenunsererWahrnehmungundbestimmenihrensubjektivenund selektiven Charakter. In der Wahrnehmung werden Informationen aus der Umwelt nicht einfach aufgezeichnet, sondern strukturiert und interpretiert. Sowohl unsere eigenenZielealsauchäußereReizekönnenunsereAufmerksamkeitaufeinzelneOb jekte richten. Unbeachtete Informationen werden nicht verarbeitet. Kontext und Er wartungen können unsere Wahrnehmung beeinflussen und sogar verzerren. Eine Wahrnehmungserfahrung als Reaktion auf einen Reiz ist damit eine Reaktion der ganzenPersonundnichtnurihrerSinnesorgane. Kontrollfragen 1. DefinierenSiedenBegriffWahrnehmungunddieBeteiligungdesGehirnsandie semProzess. 2. Beschreiben Sie die Charakteristika des sensorischen, Kurzzeit und Langzeitge dächtnisses. 3. Erläutern Sie visuelle Wahrnehmung als Mustererkennung, ihre Flexibilität und dieRolledesGehirnsaufgrundvonBeispielenbeiderSubjektivitätundSelektivi tätderWahrnehmung. 46
Theorie der Wissensrepräsentation
5
Wissensrepräsentation
Sinneseindrücke, die wir aus der Außenwelt bekommen, dienen als Bausteine für unser subjektives Weltbild, dessen Entstehung als Wissensrepräsentation bezeichnet wird.DerProzessderWissensrepräsentationbeieinemIndividuumbeginntschonvor derGeburtimFötusstadiumunddauertlebenslang.SpezifischeReizeundeinmalige Erfahrungen prägen unser Wissen und verleihen ihm einen subjektiven Charakter. Diese Subjektivität verstärkt sich mit der Zeit, weil das Wissen sich „verselbststän digt“,unserePersönlichkeitbeeinflusstundunsereWahrnehmungselektiert. WissensrepräsentationistnurdankbesondererFähigkeitendesmenschlichenGehirns möglich. Obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Gehirn und seine Funktionen immer umfangreicher werden, ist die Wissenschaft von ihrer vollständi genEntschlüsselungweitentfernt.Wie,inwelcherFormwirdimGehirndasWissen abgebildet? Besonders verbreitet ist zurzeit der so genannte MentaleMusterAnsatz, derimWeiterenerläutertwird.
5.1
Theorie der Wissensrepräsentation
Das Menschliche Gehirn, das sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, ermöglicht durchseinenkomplexenAufbauundvielfältigeFunktionendieProzessederWissens repräsentation.ManunterscheidetverschiedeneGehirnteile,denenbestimmteFunkti onen zugeschrieben werden: Groß, Mittel und Stammhirn, wobei das Großhirn mit seinergewaltigenOberflächeeinebesondereRollespielt.AusderGroßhirnrindewird nach Meinung von Neurowissenschaftlern das soziale Verhalten von Menschen ge steuert. An der Repräsentation des Wissens sind die Nervenzellen im Gehirn – Neuronen – beteiligt.NachMeinungvonHirnforschernsindsieimstandekomplexeVerbindungen zubilden,dieals„mentaleMuster“bezeichnetwerden.DieseVerbindungenverstär kensichbeimLernenundkönnenerinnertwerden. Unser Wissen über den Aufbau des Gehirns und seiner Teile ist umfangreich, aller dingsistdieFrage,wiedasWisseninunseremKopfrepräsentiertist,nochlangenicht vollständigbeantwortet.AufdenfolgendenSeitenfindenSieeinigewichtigeInforma tionenüberdenAufbauunddieFunktionsweisedesmenschlichenDenkorgans.
S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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5.1
5
Wissensrepräsentation
Exkurs: Die Anatomie des Gehirns Das Gehirn eines Menschen wiegt im Durchschnitt 1350 Gramm. Interessant ist die Entwicklung der Hirnmasse im historischen Kontext: bei Urmenschen vor zwei Millionen Jahren wog das Gehirn (ähnlich wie bei Schimpansen) durchschnittlich nur 400 Gramm. Der Aufbau des Gehirns bei allen Tieren, auch bei Fischen und Vögeln, ist grundsätzlich ähnlich. Man unterscheidet das Groß-, Mittel- und Stammhirn. Im Laufe der Zeit entwickelten sich bei den Urmenschen vor allem die Großhirnrinde und Teile des limbischen Systems, wo jene Bezirke lokalisiert sind, die das emotionale Verhalten steuern, mit dem Wahrnehmen, dem Gedächtnis und dem Denken zusammenhängen. Das alles haben wir als soziale Wesen in der menschlichen Gesellschaft gelernt. Beiden Hemisphären des Großhirns werden unterschiedliche Rollen zugeschrieben. Der linken Hemisphäre werden oft Funktionen wie logisches Denken, Sprache und analytisches Denken eingeräumt, der rechten – Musikalität, Kreativität und räumliches Vorstellungsvermögen. Außerdem steuern beide Hälften jeweils die Bewegungen der anderen Körperseite. Menschliches Verhalten wird von beiden Hemisphären gleichzeitig beeinflusst. Die linke logisch-analytische, sequentiell verarbeitende Hälfte ist mehr für gesprochene und geschriebene Sprache sowie mathematische Fähigkeiten zuständig, während die rechte räumlich-emotionelle, ganzheitlich verarbeitende – mehr für räumliches Vorstellungsvermögen und das Erkennen von Mustern zuständig ist.
Bildquelle: http://www.biokurs.de/skripten/12/bs12n.htm?bs12-42.htm Die Vorstellung von den spezifischen Funktionen der Hirnhälften wird aktuell von vielen Neurowissenschaftlern infrage gestellt, die behaupten, dass unser Hirn meisten als Ganzes arbeitet und einzelne Bereiche bei Bedarf (z.B. bei einer Kopfverletzung) die für sie untypischen Funktionen übernehmen können (Plastizität des Gehirns).
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Theorie der Wissensrepräsentation
Exkurs: Nervensystem und Neuronen Zu dem Zentralnervensystem eines Menschen gehören das Gehirn und das Rückenmark. Ein peripheres Nervensystem wird durch Nerven gebildet, die das Gehirn und das Rückenmark mit den anderen Körperteilen (Sinnesrezeptoren, Muskeln, Drüsen und inneren Organen) verbinden. Als Neuron bezeichnet man eine spezielle Zelle des Körpers, die Nervenimpulse zu anderen Neuronen, Drüsen oder Muskeln übertragen kann. 11
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Unser Gehirn besteht aus 10 bis 10 Neuronen, jedes Neuron erhält Informationen von 3 4 10 bis 10 anderen Neuronen. Die Länge der Nervenfasern im Großhirn erreicht die fast unglaubliche Zahl von 500.000 Kilometer. Die Großhirnrinde besitzt die Oberfläche von ca. 2 2200 cm . Die Neuronen werden funktionell klassifiziert: es gibt sensorische (Eingangs-) und motorische (Ausgangs-) Neuronen sowie Interneuronen, die Signale von den sensorischen Neuronen erhalten und an andere Interneuronen oder motorische Neuronen weiterleiten.
Ein Neuron im menschlichen Gehirn besteht aus einem Zellkörper, einem Axon (Verbindung) und den synaptischen Endknöpfchen (Bildquelle: Anderson, J.R. Kognitive Psychologie, Spektrum Verlag, Heidelberg, 1988, S. 33) Die Neuronen können sowohl elektrische als auch chemische Impulse übertragen. Information breitet sich entlang eines Neurons in Form eines Aktionspotenzials aus, eines elektrochemischen Impulses. Elektrische Spannung führt dazu, dass ein Neuron sich entlädt, oder, wie man sagt, eine Information „feuert“. Das Übertragen von Information passiert mit der Geschwindigkeit von 3 bis zu 400 Kilometern pro Stunde. Neuronale Impulse sind immer gleich stark, man bezeichnet dies als „Eins-oder-Null“-Prinzip der neuronalen Aktivität. Außerdem setzen die Neuronen (ihre Endknöpfchen) bestimmte chemische Substanzen frei – die Neurotransmitter, die für eine Übertragung eines Signals von einem Neuron zu einem anderen verantwortlich sind. Diese Transmitter können entweder erregend oder hemmend wirken. Einer der bekanntesten Neurotransmitter ist Dopamin. Die Ausschüttung von Dopamin in einzelnen Teilen des Gehirns erzeugt positive Hochgefühle. Einige Forschungen beweisen, dass die Lust am Lernen auch mit diesem Neurotransmitter verbunden werden kann. Es gibt im Gehirn ein Belohnungszentrum für das Lernen, wo der Botenstoff Dopamin bei einem Lernerfolg ausgeschüttet wird.
49
5.1
5
Wissensrepräsentation
Moderne Hirnforscher, wie zum Beispiel Antonio Damasio71 behaupten, dass unser Bewusstsein auf rein biologische Vorgänge zurückgeführt werden kann und unser Denken ständig von biologischen Prozessen, Gefühlen und Emotionen beeinflusst wird. Für komplexe Vorgänge im menschlichen Gehirn gibt es jedoch zurzeit keine lückenlosen Erklärungen. Zum Beispiel, bleibt die Frage, wie aus einem neuronalen MustereinGedankeentsteht,immernochunklar. Trotzdem helfen grundlegende Modellvorstellungen über die Arbeitsweise unseres GehirnsvieleVorgängebessererklärenzukönnen,wiederweitverbreiteteMentale MusterAnsatzderWissensrepräsentation: WissenistdieRepräsentationderWeltinFormvonmentalenMustern(Netzen),die dieFähigkeiteneinesMenschenzumDenkenundHandelnbestimmen. Die mentalen Muster, die sich im Laufe des Lebens bei jedem Individuum aufgrund vonindividuellenLebenserfahrungenherausbilden,werdendurchfolgendeMerkma legekennzeichnet:
siesindsubjektiv–jedesIndividuumhatseineigenesWeltbild, relativstabil–dieMenschengewöhnensichdaran,fürProblemlösungenbestimm te Methoden und Verfahren zu benutzen, die sich als wirksam erwiesen haben – und
verhaltensprägend – menschliche Entscheidungsfindung und Verhalten basieren aufdemindividuellenWissen. AufderBasisdesMentalenMusterAnsatzeskanneineneue,überdiefrühererläuter ten behavioristischen Theorien72 hinaus gehende Definition der menschlichen Intelli genzformuliertwerden:IntelligenzistdieFähigkeit,mentaleModellederWeltzu bilden, diese für das Handeln zu benutzen und kontinuierlich zu aktualisieren (Lernfähigkeit).
5.2
Subjektivität und Stabilität des Wissens
UmdensubjektivenCharakterdesmenschlichenWissenszuverstehen,mussmanden ProzessderBildungvonmentalenMusterninseinerDynamikbetrachten. Ein neugeborenes Kind ist bereits kein „ungeschriebenes Blatt Papier“ – teilweise genetisch bedingt, aber meistens dank der Entwicklung im Mutterleib bildet sich in 71 Vgl.Damasio,A.:Ichfühle,alsobinich. 72 Behavioristische Ansätze definieren Intelligenz durch intelligentes Verhalten (vgl. Kapitel
3.1),aberIntelligenzistauchohneVerhaltenmöglich:wirkönnenetwasverstehen,ohnezu handeln.
50
Subjektivität und Stabilität des Wissens
seinem Gehirn ein so genanntes „Grundgerüst“, ein Netz aus fest verbundenen Fa sern,fürdiementalenMuster,diesichraschnachderGeburtherausbilden73.DerRep räsentationsprozessdesWissensbeginntdamitbereitsbeieinemFötusimMutterleib undläuftbesondersintensivinderfrühenKindheitab.Esistdabeisehrwichtig,wel cheEmpfindungeneinKindvonderAußenweltdurchseineSinnesorganebekommt. Die ersten Lebensmonate haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns74. Die ersten Neuronenverbindungen im Gehirn eines Kindes werden späterentwederverstärkt(durchsichwiederholendeWahrnehmungen)oderabgebaut (falls sie nicht mehr benutzt werden). Die neuen Informationen werden in dem Grundgerüstabgelegt,sieverfestigenundverfeinerndievorhandenenVernetzungen. InderSprachederKünstlichenIntelligenzwürdeesbedeuten:WährendderEmbryo nalzeitunddererstenLebensmonateentstehteine„Hardware“(Gerüstfürdiementa len Muster), die eine spätere Programmierung mit der „Software“ ermöglich. Alles Weitere, was ein Mensch lernt und erlebt, wird an diesen Gerüst „aufgehängt“ und „eingeordnet“undkannspäterabgerufenunderinnertwerden. In einem langen WahrnehmungsLernprozess erlernt ein Kind zuerst die einfachen Worte,späterBegriffeundZusammenhänge,ausdenensichseinWissenüberdieWelt herausbildet, das in Form von Neuronenverbindungen im Gehirn „abgelegt“ wird. Dieses Wissen repräsentiert das subjektive Weltbild eines Menschen und wird im LaufedesLebensimmerweiterausgebautundvervollständigt.EsentstehteinSystem desindividuellen(subjektiven)Wissens.DabeiwerdendieAssoziationenundmenta len Muster ständig kommuniziert, mit neuen Informationen der Außenwelt vergli chen, wodurch sie sich verfeinern und neu anordnen. Bei einer Erinnerung werden entsprechende mentale Muster aktiviert. Führen wir einen kurzen Versuch durch. StellenSiesichbitteeinenHundvor. Welchen Hund haben Sie sich vorgestellt? Es können zwei Varianten auftreten: Ent wedererscheintinIhremKopfein„Bild“vonirgendeinemkonkretemHund,denSie habenoderhatten,oderabereinschematischesBildeinesabstraktenHundes,andas Siesichgeradeerinnernkönnen.InbeidenFällengibtesinIhremGehirneinspezielles mentalesMusterfürdenBegriff„Hund“.DiesesMusteristindividuellundsubjektiv. Jede Erinnerung entspricht im Gehirn einer ganz bestimmten Kombination vieler Nervenzellen, die gemeinsam „feuern“. Durch die gemeinsame elektrische Aktivität entsteht ein Muster im Gehirn, das einen Hund repräsentiert. Gesichter von Men schen,Telefonnummern,Begriffe,AntwortenaufdieKlausurfragen–fürallesgibtes einspeziellesMustervonNervenzellen,diegemeinsamaktivwerden. 73 Vgl.Vester,F.:Denken,Lernen,Vergessen,S.3839. 74 Tierexperimente beweisen, dass die in den ersten Monaten des Lebens fehlenden Empfin
dungennichtmehrnachgeholtwerdenkönnen:neugeboreneRatten,dieeineZeitlangkeine visuellen Eindrücke bekommen haben, können später nicht mehr sehen lernen und bleiben blind.
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5.2
5
Wissensrepräsentation
Die Wirklichkeit unseres Gehirns ist ein Konstrukt, das nur einen Teil der be wusstseinsunabhängigen Realität darstellt. Mentale Muster sind bei jedem Indivi duumeinmalig,siebildensichimLaufederZeitdurchErfahrungundLernen.Daraus resultiert die Subjektivität unseres Wissens sowie unseres Weltbildes. Trotz dieser Subjektivität müssen wir uns mit anderen verständigen. Deswegen „übersetzen“ wir unsere mentalen Muster zum Zweck der Kommunikation in verschiedene Symbole (Worte,Gesten,Bilderetc.)AllerdingsistkeineÜbersetzunghundertprozentiggenau, diebenutzenSymbolegebennichtexaktunserementalenMusterwieder.Jederkennt dasGefühl,dassesmanchmalschwierigist,bestimmteBegriffeoderGefühleinWort form zu fassen. Jeder meint mit dem Gesagten etwas anderes. Bleiben wir bei dem BeispielmitdemHund.WirbeidebenutzendasgleicheWort„Hund“,aberSiekön nensicheinniedlicheskleinesHündchenvorgestellthaben,währendichdenriesigen aggressiven Rotweiler meiner Nachbarn meine, vor dem ich immer panische Angst habe. Deswegen behauptet der Neurowissenschaftler G. Roth, dass Missverstehen unter Menschen das Normale sei, während Verstehen nur eine Ausnahme ist: „Das eine ist, was ich meine, wenn ich etwas sage; ein anderes ist, was das Gehirn meines KommunikationspartnersanBedeutungenerzeugt,wenndieSprachlauteanseinOhr dringen. Hiervon habe ich keine umfassende Kenntnis, und ich kann hierauf keinen direktenEinflussnehmen.“75 NebenderSubjektivitätdesWissenshatderMentaleMusterAnsatzderWissensrep räsentation eine weitere wichtige Folge – die sogenannte Stabilitätsthese. Sowohl menschliche Wahrnehmung (als Mustererkennungsprozess) als auch menschliches DenkenundWissenwerdenbestimmtvonvorgeprägten,gelerntenSchemata,diewir als Assoziationsgrundlage benutzen. Wir reduzieren die Komplexität der Informati onsaufnahme, indem wir neue Informationen zunächst mit bekannten Schablonen vergleichen und diesen zuordnen. Dadurch können wir auch aus relativ diffusen In formationen schnell wichtige Zusammenhänge erkennen. Andererseits sind wir da durch vorgeprägt. Diese Reduzierung der Komplexität macht uns sicherer bei der LösungvonneuenAufgaben,stehtaberinWiderspruchzurunsererKreativität.
5.3
Formen des Wissens: beschreibendes, prozessuales und emotionales
DasWissenimGehirnkanninverschiedenenFormenexistieren.Wirhabenbestimmte VorstellungenvonObjektenundihrenZusammenhängen–diesesWissennenntman beschreibendes (oder deskriptives). Es kann mit der Formel „Wissen, dass...“ be schriebenwerden.AlleBegriffeundDefinitionen,diewirformulierenkönnen,gehö rendazu.DieEntstehungdesbeschreibendenWissensbeginntinfrüherKindheitmit 75 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.425.
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Formen des Wissens: beschreibendes, prozessuales und emotionales
denVorstellungenvondereigenenMutterunddeneinfachenGegenständenundkann sichbiszuschwierigstenAbstraktionenausderQuantenphysikentwickeln.Abertau sendevonDefinitionenundBeschreibungenwerdenimLaufedesLebensinunserem Gehirn abgelegt und sortiert. Je häufiger ein Begriff benutzt wird, desto stärker die entsprechende Verknüpfung und desto leichter der Prozess des Abrufens dieser In formation.EinewichtigeOrganisationsformbeschreibendenWissensistdieAbstrakti on, d.h. die Bildung von Klassen von Objekten mit gemeinsamen Eigenschaften. Die dabei entstehenden Taxonomien ermöglichen eine effiziente Speicherung des be schreibendenWissens. DiezweiteFormvomWissenistsogenanntesprozessualesWissen,dasunserKönnen bei der Veränderung der Welt bestimmt. Es ist das „Wissen, wie...“ man etwas tut. Dieses Wissen umfasst verschiedene Fertigkeiten, die meistens psychomotorischer Natursind,voneinfachenBewegungsgriffenbeimEssenbiskompliziertenTätigkeiten wieAutofahren,KlavierspielenoderdiestrategischePlanunginUnternehmen.Diese Tätigkeiten werden als komplexe Prozesse im Gehirn gespeichert und können bei genügenderÜbungautomatischablaufen.BeisolchenFertigkeitenwissenwirnorma lerweise, dass wir über sie verfügen, können aber schlecht mit Worten beschreiben, wie sie funktionieren. Für psychomotorische Prozesse wie Radfahren, Klavierspielen etc. wäre es sogar störend, alle motorischen Tätigkeiten bewusst zu kontrollieren. Je mehr wir üben und je besser derAblauf wird, desto weniger Konzentration ist not wendigunddestowenigersindwirfähig,dieProzessezubeschreiben.Prozesswissen ist zum großen Teil schwer symbolisierbar und kommunizierbar. Für dieAneignung dieses Wissen sind Informationsquellen nicht ausreichend, man braucht zusätzlich einenLehrer(Vorbild),derdieProzessevorführenkann. Die dritte Form des Wissens ist das emotionale Wissen. Emotionen spielen eine au ßergewöhnlichwichtigeRollebeiDenkenundHandeln.AufdereinenSeite,sindalle unsere Erinnerungen emotional gefärbt: Sowohl beschreibendes als auch Prozesswis sen existieren nur im einem emotionalen Kontext.Auf der anderen Seite, haben alle menschliche Entscheidungen und Handlungen eine Gefühlskomponente: Sie werden von Emotionen ausgelöst und nachträglich emotional bewertet. G. Roth beschreibt verschiedeneModuledesGehirnsnachFunktionen76:sensorische,motorische,kogni tivassoziative,exekutiveundlimbischeAreale.LimbischeArealesindfürdieEmotio nen und Bewertung verantwortlich. Emotionen schreibt Roth eine besondere Bedeu tung zu: „Emotionen greifen in die bewusste Verhaltensplanung und steuerung ein, indem sie bei der Handlungsauswahl mitwirken und bestimmte Verhaltensweisen befördern.HierbeisprichtmanvonMotivation.AlsWille‚energetisieren‘siedieeinen Handlungen bei ihrerAusführung und unterdrücken als Furcht oderAbneigung an dere. Sie steuern unsere Gedanken, Vorstellungen und insbesondere unsere Erinne rungen.“77 76 Vgl.Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln. 77 Ebd.,S.291.
53
5.3
5
Wissensrepräsentation
DiesedreiFormenvonWissen–beschreibendes,prozessualesundemotionales–kann man nicht ganz voneinander trennen, sie bestimmen das individuelle Verhalten gleichzeitig. Betrachtet man individuelle Handlungskompetenzen, so kann man auf diesen drei Wissensformen aufbauend drei Dimensionen von Kompetenzen bilden, die für alle Teilkompetenzen notwendig sind: kognitive, emotionale und konative (Vgl.KompetenzprofileinerFührungskraft,Kapitel1.2). Tabelle9: FormendesWissensalsGrundlagefürDimensionenderHandlungskompetenz Formen des Wissens
Dimensionen der Handlungskompetenz
beschreibendes
kognitive
prozessuales
konative
emotionales
emotionale
5.4
Explizites und implizites Wissen: die Rolle des Bewusstseins
ModerneNeurowissenschaftlerwieG.RothbestätigenundentwickelndieFreud´sche TheorievonBewusstemundUnbewusstem(s.Kapitel2.2)undbeschreibenbewusste undunbewussteVerarbeitungsprozesseinmenschlichemGehirn. Bewusste, oder kontrollierte bzw. explizite Prozesse hängen stark von der Bereitstel lung kognitiver Ressourcen (Arbeitsgedächtnis) ab, benötigen Aufmerksamkeit und Bewusstsein, laufen langsam (Sekunden bis Minuten) und mühevoll ab, benötigen intensiven Zugriff auf das Langzeitgedächtnis, sind störanfällig, zeigen wenig Ü bungseffekteundsindschnellveränderbarundsprachlichberichtbar.78 Unbewusste, oder automatisierte bzw. implizite Prozesse sind unabhängig von der BegrenzungkognitiverRessourcen,derwillentlichenKontrolleweitgehendentzogen, benötigen keineAufmerksamkeit und kein Bewusstsein, laufen schnell und mühelos ab, haben geringe Fehleranfälligkeit, verbessern sich durch Übung, sind schwer ver änderbar,wennsieeinmaleingeübtsind,undinihrenDetailssprachlichnichtbericht bar79. Die meisten mentalen Tätigkeiten verlaufen unbewusst, automatisiert. Bewusstsein wirdnurdanneingesetzt,wennaneinIndividuum„höhereAnforderungen“gestellt werdenwieeineneueAufgabeoderunerwarteteInformation.IndenübrigenSituati 78 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.238. 79 Ebd.,S.237.
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Explizites und implizites Wissen: die Rolle des Bewusstseins
onen „spart“ unser Gehirn seine Energie und arbeitet automatisch, routinemäßig. „BewusstseinistfürdasGehirneinZustand,dertunlichstzuvermeidenundnurim Notfalleinzusetzenist.WirMenschenlebenjedochineinerUmwelt,besonderseiner sozialenUmwelt,dieunsständigneue,wichtigeundkomplizierteProblemestellt,so dassesratsamist,dasBewusstseinmehroderwenigerdurchgehend‚eingeschaltet‘zu lassen.“80BewusstseinalsaktiverZustandistnötig,wenndasGehirnmitSachverhal tenkonfrontiertwird,diehinreichendneu(keineStandardlösungvorhanden),hinrei chendkomplexoderhinreichendwichtigsind. Im Einklang mit diesen zwei Verarbeitungsprozessen im Gehirn wird das Wissen in explizites(bewusstes,aktives)undimplizites(passives,unbewusstes)unterteilt. Explizites (bewusstes, aktives) Wissen ist relativ leicht symbolisch darstellbar, ver fügbar und kommunizierbar. Es ist aktiv vorhanden, kann jederzeit benutzt werden. Diese Form des Wissens entspricht dem „Bewussten“ aus der Persönlichkeitstheorie vonS.FreudunddenbewusstenProzessenimGehirnnachG.Roth.ExplizitesWissen kann in Form von Symbolen dargestellt werden, was es zugänglich und kommuni zierbarmacht.EskannaufverschiedenenMediengespeichertundverfügbargemacht werden–alsTexte,Bilder,Tabellen,elektronischeDateienundDatenbanken. Implizites (unbewusstes, passives) Wissen ist umgekehrt schwer symbolisch dar stellbar,teilweisenichtzugänglich,schwerkommunizierbar.BeiS.Freudwürdedafür das Vor und Unbewusste stehen. Nach Roth sind es unbewusst laufende automati sierteVerarbeitungsprozesse.TeilweisekanndasimpliziteWissenaktivgemachtwer den–reflektiert,erinnertoderniedergeschrieben.SokannausdemVorbewusstenbei FreuddasBewussteentstehen.EinTeildesWissensbleibtaberunbewusstunddamit ausderimplizitenFormindieexplizitenichtverformbar.DazugehörenbeiMenschen zumBeispielIntuitionundInstinkte(nachFreud)oderauchautomatisiertesProzess wissenundGewohnheiten(nachG.Roth).DieFormulierung„Ichweißmehr,alsich zusagenweiß“machtdenCharakterdesimplizitenWissensdeutlich.Unseraktives, bewusst vorhandenes Wissen ist nur ein Bruchteil unseres Gesamtwissens – wie die SpitzeeinesEisbergs.MankanndasimpliziteWissenalsnichtvollständigformulier baresHintergrundwissendefinieren.EingroßerTeilistmitdenkomplexenFähigkei tenundFertigkeitenverbundenundlässtsichschwerdokumentieren.DiesesWissen hängtengmitdensubjektivenWahrnehmungenundWertenzusammen,existiertnur imKontexteinzelnerPersönlichkeiten. MitderExistenzdieserzweiFormendesWissenssinddieProblemedesWissensma nagements in Unternehmen verbunden (s. Kapitel 15). Das explizite Wissen kann in einemUnternehmenbeschafft,entwickelt,geteilt,benutztundweitergetragenwerden. DasimpliziteWissendagegenistindenKöpfenvoneinzelnenMenschengespeichert, es kann nur teilweise formalisiert oder aktiviert werden.Wie kann ein Unternehmen dieses Wissen trotzdem aufrechterhalten und für andere Mitarbeiter zugänglich ma 80 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.240.
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5.4
5
Wissensrepräsentation
chen? Den Teil, der in eine explizite Form umwandelbar ist (das Vorbewusste), kann mandurchKommunikationerschließenunddurchbewusstesDokumentierenverfüg bar machen. Den anderen Teil kann man nur durch unmittelbares Lernen (durch Nachahmung bzw. Sozialisation im Sprachgebrauch von Nonaka und Takeuchi) von erfahrenenPersonenübernehmenundfürUnternehmennutzbarmachen.
5.5
Formalisiertes Wissen
DasWissenwirdimGehirninFormvonsubjektiven,erfahrungsundkontextabhän gigen mentalen Mustern abgelegt, die zum Zweck der Kommunikation in Symbole „übersetzt“werdenmüssen.DadurchformalisierenwirunserWissen. MitdembeschreibendenWissenistesamleichtesten,obwohlauchnichtunproblema tisch.InunseremBeispielmitdemHund(Kapitel5.2)standdasSymbol„Hund“stell vertretendfüralledenkbarenkonkretenHunde.JederhateineeigeneVorstellungund einindividuellesmentalesMusterfürdenGegenstand,aberdasWort(dasSymbol)ist für alle gleich. Damit gehen Individualität und Einmaligkeit von mentalen Mustern verloren, wird aber Verständigung zwischen Menschen gewährleistet. Noch kompli zierter sieht es mit den abstrakten Begriffen aus: Jeder versteht, zum Beispiel, unter „Ehre“,„Treue“,„Patriotismus“oder„Glück“etwasanderes.DieKommunikationist nur dann möglich, wenn man das Benutzen von Begriffen bei beiden Partnern klärt. AbstraktemathematischeBegriffe,wie„Menge“oder„Funktion“,werdenüberhaupt nurdurchdieFestlegungihresGebrauchsdefiniert. Bei dem prozessualen Wissen fällt es uns noch schwieriger, einzelne mentale Muster zu formalisieren. Wie bereits beschrieben, lassen sich unsere Fertigkeiten, wie zum BeispielKlavierspiel,AutofahrenoderStricken,nichtvollständigmitWortenbeschrei ben. Wie kann man diese Tätigkeiten lernen, dieses Wissen kommunizieren? Manch malkönnenzusätzlicheBilderbehilflichsein,aberambestengehtesmiteinemLehrer, derunsdenProzessvorführenkann.DeswegenbrauchenwirfürdasAutofahrenler nen mehr oder weniger Fahrstunden, deren Zahl von unseren Wahrnehmungs und Nachahmungsfähigkeiten abhängt. Das Erlernen eines Instrumentenspiels ist nur durch regelmäßige Übungen mit einem Lehrer möglich, weil die Noten nur einen geringenTeildiesesProzesswissensformalisieren. DasemotionaleWissenistauchnurbegrenztsymbolischdarstellbar.Jederweiß,wie schwierig es ist, über eigene Gefühle zu reden. Dabei helfen uns Gestik und Mimik. MenschlichesVerhaltenistimmeremotionalgeladen,undunsereEmotionenkommen nichtnurinverbalensondernauchinnonverbalenMittelnzumAusdruck.Symbole, die für emotionales Wissen stehen, sind sehr schwer interpretierbar, denn sie sind besonders kontextabhängig und individuell. Bei dieser Form des Wissens kommt es häufigzuMissverständnisseninderKommunikation.Andererseitsgibtesgeradeim
56
Formalisiertes Wissen
nonverbalen Ausdruck von Emotionen kulturübergreifende Konstanten, die von je demMenschengleichverstandenwerden. Man kann unter formalisiertem Wissen das Wissen verstehen, das abgelegt, kommu niziertundbenutztwird.EshateinekomplexeStruktur.MandefiniertdreiDimensi onendesformalisiertenWissens:diesyntaktische,diesemantischeunddiepragma tische. Abb.13:
DreiDimensionendesformalisiertenWissens Semantik
formalisiertes Wissen Syntaktik Pragmatik
Diese Darstellung des formalisierten Wissens als Würfel soll verdeutlichen, dass alle dreiDimensionengleichzeitigvorhandensind.DiessindkeineTeile,sondernDimen sioneneinesGanzen. Unter syntaktischer Dimension ist die Form der Darstellung in Symbolen zu verste hen.EinzelneZeichen(Buchstaben,Ziffernetc.)setzensichzusammen,sodasswirsie alsDaten(Worte,ZahlenundSätze)erkennen. AlssemantischeDimensionwirdderBezugzumObjektoderProzess,d.h.Inhalteiner Aussage,bezeichnet.SobekommendieDateneineBedeutungundwerdenzurInfor mation,könnenverstandenwerden. DiedritteDimensiondesWissensistdiepragmatische,siestelltdenBezugzwischen demWissenundderhandelndenEinheither–Ziele,MotiveundInteressendesSub jekts. Eine Information wird nur dann zum Wissen, wenn eine Person sie benutzen und praktisch umsetzen kann. Die pragmatische Dimension macht Wissen subjektiv, kontext und personenabhängig. Das Wissen eines Menschen kann nur in dem Kon textseinerFähigkeiten,FertigkeitenundZielenverstandenwerden. DerZusammenhangvonsyntaktischer,semantischerundpragmatischerDimensionen sowievonDaten,InformationenundWissenistaufderfolgendenAbbildungdarge stellt. Daten, Information und Wissen werden als semiotische Stufen bezeichnet (als SemiotikbezeichnetmandieWissenschaftvonZeichenundSprache).
57
5.5
5
Wissensrepräsentation
Abb.14:
ZusammenhangzwischendenDimensionendesformalisiertenWissensundden semiotischenStufen Dimensionen:
Daten
Information
Wissen
pragmatische
semantische
syntaktische
Datensindeindimensional–habennureinesyntaktischeDimension.Informationhat zweiDimensionen–SyntaxundSemantik(Bedeutung).DasWissenbesitztzusätzlich einedritteDimension–Pragmatik. Ein einfachesBeispiel soll dies erläutern.Aus den Zeichen „0, 1, 3, 6, 7, 9, .“ können durch Zuordnung (Syntaktik) Daten 07.03.1961 gebildet werden. Geben wir diesen Daten einen Sinn (Semantik) „es ist mein Geburtsdatum“, so entsteht dadurch Infor mation.FürmeineFamilie,diemirrechtzeitigzumGeburtstaggratulierenwill(Prag matik),isteseinrelevantesWissen. DieDreidimensionalitätdesformalisiertenWissensistinsbesonderefürdieKommu nikationundfürdasWissensmanagementinUnternehmenvonBedeutung,woraufin denweiterfolgendenKapitelnnähereingegangenwird. Kontrollfragen 1. Erklären Sie kurz Aufbau und Funktionen des Gehirns, rechte und linke Hemi sphäreundihreRollen,NeuronenundihreVerbindungen. 2. ErläuternSiedenMentalenMusterAnsatzderWissensrepräsentation. 3. DefinierenSiedensubjektivenCharakterunddieStabilitätsthesedesmenschlichen Wissens. 4. Beschreiben Sie die Klassifikationen des Wissens in beschreibendes, prozessuales undemotionalesWissensowieexplizitesundimplizitesWissen. 5. Definieren Sie die drei Dimensionen des formalisierten Wissens: syntaktische, semantische und pragmatische und die semiotischen Stufen: Daten, Information undWissen. 6. WasfindetmanimInternet:Daten,InformationenoderWissen?Waswirdineiner Vorlesungvermittelt?
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Lernfähigkeit und Lernen
6
Individuelles Lernen
LernenisteinerdermenschlichenmentalenProzesse,dieinihremZusammenspielals kognitives Modell des Handelns in derAbb. 4 dargestellt wurden. Im Gegensatz zu WahrnehmungundHandeln,diediementaleBrückezurAußenweltbilden,spieltsich LerneniminnerenKreisdesIndividuums,inseinemGehirnab.Lernenisteinkompli zierter Prozess, der auf Wahrnehmung und Gedächtnis basiert und zum Entstehen von neuem Wissen führt.AlleArten des Gedächtnissessind daran beteiligt, alledrei Formen des Wissens werdengebraucht und entwickeln sich weiter, wobei die Verar beitungsprozessesowohlbewusstalsauchunbewusstlaufen. Lernen ist mit einer besonderen menschlichen Fähigkeit verbunden – der Lernfähig keit, die komplexe Vorgänge im Gehirn ermöglicht. Man unterscheidet verschiedene Formen des individuellen Lernens, wobei die behavioristische, kognitive und kon struktiveLernpsychologieeinzelnenFormenverschiedeneBedeutungzuschreibt. Der Prozess des individuellen Lernens und seine Formen bilden eine theoretische Basis sowohl für die Förderung von individuellem und Gruppenlernen, als auch für dasWissensmanagementinUnternehmen.
6.1
Lernfähigkeit und Lernen
In der Kindheit lernen wir nicht nur laufen, essen und sprechen, später schreiben, rechnen und lesen, sondern auch wovor wir Angst haben müssen und worüber wir unsfreuenkönnen,wiemanBeziehungengestaltetundmitanderenzuRechtkommt. Dasbedeutet,dassinderPrimärsozialisationnichtnurpsychomotorischeFertigkeiten undkognitiveKenntnisse,sondernauchsozialesVerhaltenundUmgangmitEmotio nenerlerntwird. Entwicklungspsychologen, die sich mit der Entwicklung der Persönlichkeit befassen, habennachgewiesen,dassKleinkindersehrschnellundintensivlernenkönnen.Esist neurobiologisch belegt worden: Bis zum fünftensechsten Lebensjahr werden im Ge hirnvieleneueSynapsen(VerbindungenzwischendenGehirnzellen)gebildet,später lernenwirprimär,indemwireinenTeilderSynapsenwiederentfernen(„umlernen“) oderandersgewichten. Deswegen können beispielsweise Fremdsprachen, so die Entwicklungspsychologen, bis zum neunten Lebensjahr besonders leicht erlernt werden. Mit dem Alter nimmt unsere Lernfähigkeit ständig ab, wobei die „Lust am Lernen“ mit der Neugier zu 59 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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6
Individuelles Lernen
sammenhängtunddeshalbunabhängigvonderLernfähigkeitist.Gleichzeitiglernen wirimLaufedesLebens,wiemanambestenlernt,entwickelnanalytischeFähigkeiten undeffizienteMethodenderInformationsverarbeitung. In der modernen Gesellschaft, die häufig als Wissensgesellschaft bezeichnet wird, gewinntdaslebenslangeLernenanBedeutung.DasTempoderVeränderungenistso hoch geworden, dass das Wissen, das wir einmal in der Schule und im Studium er worben haben, schnell veraltet und immer wieder auf den neusten Stand gebracht werdensoll.DasLernendesLernenshatsichzurwichtigstenRichtungdesmenschli chenLernensentwickelt. UnterLernenverstehtmaneinenProzess,derzurelativstabilenVeränderungenim VerhaltenoderimVerhaltenspotenzialführtundaufErfahrungoderSelbstverände rungbasiert. Diese relativ stabilen Veränderungen betreffen Fertigkeiten und Fähigkeiten eines Menschen im kognitiven, emotionalen und konativen (psychomotorischen) Bereich. Erlernen wir eine psychomotorische Fertigkeit wie Klavierspiel, so werden alle For men des Wissens gebraucht: beschreibendes (theoretische Kenntnisse über Aufbau undKlangdesKlaviers,überNoten,Tempo,RhythmusundDynamiketc.),emotiona les (welche Emotionen kommen in der Musik vor) und Prozesswissen (koordinierte BewegungenbeiderHände,desganzenKörpersetc.).Wirbenutzenbereitsvorhande nesWissenundbringenesgleichzeitigaufneuenStand. Am individuellen Lernprozess sind alle drei Gedächtnisarten beteiligt: sensorisches, KurzundLangzeitgedächtnis.EinzelneSchrittediesesProzessessindselektiveWahr nehmung,AusrichtenderAufmerksamkeit,mehrereVergleichemitbereitsvorhande nemWissenundschließlichdasEinordnenvonGelernteminsbestehendeWissenssys tem. Dieser von Norbert Seel beschriebene individuelle Lernprozess wird (in verein fachterForm)inderfolgendenAbbildungdargestellt. Der individuelle Lernprozess beginnt im Langzeitgedächtnis: Unser Interesse, das Neuezuerlernen,basiertaufdemvorhandenenWissen.DadurchentstehteinZustand derAufmerksamkeit im Kurzzeitgedächtnis, der unsere sensorischen Organe auf ein Objekt (einen Prozess) hin ausrichtet. So wird selektive Wahrnehmung ermöglicht. Sensorische Information kommt ins Kurzzeitgedächtnis, das Verknüpfungen zum Langzeitgedächtnis erzeugt und neue Information mit den alten aus dem „Archiv“ vergleicht. Kann das Individuum neue Information verstehen (Vorwissen ist vorhan den),erscheintsieihmwichtigundneu(eslohntsich,dasNeuezulernen),sowirdim Kurzzeitgedächtnis eine vorläufige Konstruktion gebildet, die auf Richtigkeit durch sensorische Erfahrungen nochmals geprüft wird. Falls diese Prüfung positiv ausfällt, kommt der Zustand des sogenannten „bedeutungshaftigen Verstehens“ vor und das ErlerntewirdindiebestehendenStrukturendesLangzeitgedächtnisseseingeordnet.
60
Formen des individuellen Lernens
Abb.15:
ModelldesindividuellenLernens81
Vorwissen
Aufmerksamkeit Sensorische Information Vorläufige Konstruktion
Verknüpfungen erzeugen
Beachten, Interesse Selektive Wahrnehmung Prüfung, Vergleich
Prüfung, Vergleich
Einordnung in bestehende Strukturen LANGZEITGEDÄCHTNIS
Bedeutungshaltiges Verstehen KURZZEITGEDÄCHTNIS
SENSORISCHE ERFAHRUNGEN
WiediesesModellzeigt,istLernenaufmentalerEbeneäußerstkomplexunderfordert die Beteiligung von allen Gedächtnisarten, basiert auf vorhandenem Wissen, aktiver Aufmerksamkeit und selektiver Wahrnehmung und läuft in mehreren Schritten ab. Auf der Makroebene des Individuums wird zwischen verschiedenen Formen des Lernensunterschieden.
6.2
Formen des individuellen Lernens
Es gibt mehrere Formen des Lernens, die von Wissenschaftlern unterschiedlich ge wichtet werden: Die Vertreter der behavioristischen Schule halten klassische und o peranteKonditionierungfürdiewichtigstenLernformen,kognitivePsychologenstel len bedeutungserzeugendes Lernen in den Vordergrund und ziehen andere Formen vor – Lernen am Modell und durch Einsicht, Anhänger des Konstruktivismus be zeichnen Lernen als Wissenskonstruktion und betonen seinen subjektiven und kon struktivenCharakterimSinnederSchaffungeinerneuenRealität. Diese Lernformen werden in diesem Kapitel ausführlich und anhand von Beispielen erläutert.
81 InAnlehnunganSeel,N.M.:PsychologiedesLernens.
61
6.2
6
Individuelles Lernen
6.2.1
Behavioristische Lernformen
DieeinfachstenFormendesLernens,diezuBeginndes20.Jahrhundertsbeschrieben worden sind, basieren auf dem ReizReaktionsModell und werden allgemein als Konditionierungbezeichnet. Die klassische Konditionierung besagt, dass einem natürlichen, meist angeborenen, sogenannten unbedingten Reflex durch Lernen ein neuer, bedingter Reflex hinzuge fügtwerdenkann.IndiesemProzesslernteinOrganismus(einTierodereinMensch), dass ein Ereignis auf ein anderes folgt. Durch Wiederholung dieses Vorgangs kann man ein bestimmtes Verhalten einüben. Der Gründer der Theorie der klassischen Konditionierung Iwan Pawlow löste bei Hunden eine Speichelsekretion als Reaktion aufdasLäuteneinerGlockeaus,indemereinemHundwiederholteinStückFleisch vorhieltundgleichzeitigeineGlockeertönenließ.NacheinigenÜbungenreagierteder HundalleinaufdenKlangderGlockemitAbsonderndesSpeichels(vgl.Kapitel1.1). Mithilfe der klassischen Konditionierung kann man beispielsweise erklären, warum Weihnachtslieder und der Duft von Weihnachtsplätzchen bei den meisten Menschen positiveAssoziationenerzeugen.SierufendieschönenErinnerungenandieFesttags stimmung und Freudegefühle wach. Viele Einzelhandelsunternehmen nutzen im Weihnachtsgeschäft diesen Effekt und steigern die Kauflust der Kunden mit Weih nachtsmusikundduft. BeideroperantenKonditionierungwirdgelernt,dasseinebestimmteReaktionKon sequenzen nach sich zieht. Menschen lernen sich so zu verhalten, dass sie etwas Er wünschtes bekommen oder etwas Unerwünschtes vermeiden. Diesem Lernprozess liegt ursprünglich ein spontanes Verhalten zugrunde, dessen Häufigkeit durch seine Konsequenzen nachhaltig verändert wird. Positive Konsequenzen (Belohnung) ma chen das Verhalten wahrscheinlicher, negative (Bestrafung) führen zu seiner Vermei dung.DieseFormdesLernenswurdevonE.L.Thorndikebeschriebenundspätervon F.SkinneranRattenundTaubenerforscht.SeineKäfige,dieSkinnerBoxen,enthalten dieMöglichkeit,dasZielverhalten(z.B.einenHebelzudrücken)jederzeitauszufüh ren(vgl.Kapitel1.1).NacheinemfestgelegtenVerstärkerplanhatdiesesVerhaltenfür das Tier bestimmte Konsequenzen. Diese Form wird auch Lernen am Erfolg oder Lernen durch Versuch und Irrtum genannt. Die Verhaltensweise, die zum Erfolg führt,wirdkonditioniert–dasheißt,wirdinZukunftwahrscheinlicher. Die von Thorndike definierten Regeln für erfolgreiche Konditionierung sind die so genanntenGesetzederBereitschaft(lawofreadiness),derWirkung(lawofeffect)und der Übung (law of exercise). Nur unter diesen drei Bedingungen kann das Lernen erfolgreichsein. Wir alle kennen diese Form des Lernens aus Erfahrung: Wenn ein Kind für eine Tat (eineguteLeistunginderSchule,einnettesVerhalten)gelobtwird,neigteszurWie derholungdiesesVerhaltens.EinähnlicherMechanismusistGrundlagevielerMotiva
62
Formen des individuellen Lernens
tionstheorien: Lob und Belohnung für eine gute Leistung, Tadel und Bestrafung bei FehlernundmangelnderLeistung. JedochfehltesdembehavioristischenAnsatzdesLernensandeminnerenFaktordes Lernens: Er berücksichtigt nicht die Lernmotive und bedürfnisse einer Person und ihreLustamLernen,dienichtvonaußen,sondernausderPersönlichkeitselbst,ent stehen. Schließlich ist Konditionierung nichts anderes als Dressur, sie lässt keinen PlatzfürdiepersönlicheEinmaligkeitundmenschlichenfreienWillen.
6.2.2
Kognitive Lernformen
Die Erforschung von kognitiven Aspekten des Lernens geht auf Jean Piaget (1896 1980)zurück,derdieimLernendenentwickeltenkognitivenStrukturenundStufenals Voraussetzung des Lernens betonte. Das sozialkognitive Lernen am Modell wurde spätervonAlbertBandurageprägt. Man geht davon aus, dass ein Organismus (hier kann die Rede nur von Menschen oderhochentwickeltenTierensein)dieFähigkeithat,seineUmweltinFormvonmen talenModellenzurepräsentieren.Soistesmöglich,etwaszulernen,ohneauszupro bieren.ManoperiertnichtmitdenGegenständenderRealität,sondernmitModellen undVorstellungen.DiekognitivenLerntheorienversuchendieLernprozesseausdem InnereneinesMenschenzuerklären,verbindendasLernenmitdenZielenundMoti veneinerPerson. KognitivesLernenkannmanauchunterdemAspektverbalesundnonverbalesLernen betrachten.82 Beim verbalen Lernen wird Sachwissen durch das sprachliche Lernen erworben.EsgehtumdenAufbauvonkognitivenStrukturen:dasWissenüberFertig keiten(z.B.Schreiben,Rechnen)unddasWissenüberSachverhalte(z.B.Erkennenvon Aussagen,BedeutungenundInhaltenvonWörternundSätzen).NonverbalesLernen setzt voraus, dass es eine bildhafte und eine handlungsmäßige Repräsentation von Wissen gibt. Diese duale Form der Informationsaufnahme, verarbeitung und speicherung hat unterschiedliche Bedeutung für das Lernen: Informationen können entweder optisch oder akustisch verarbeitet werden und können besser gelernt wer den,wenndiesebildhaftundakustischverarbeitetwerden. DasLernenamModell(Nachahmung)istdieeinfachstederkognitivenFormen:Man macht nach, handelt nach einem Vorbild. Lernen am Modell findet statt, wenn ein IndividuumalsFolgederBeobachtungdesVerhaltensandererIndividuensowieder darauffolgenden Konsequenzen sich neue Verhaltensweisen aneignet oder schon be stehende Verhaltensmuster weitgehend verändert. A. Bandura bezeichnet den Vor gang des Lernens am Modell alsdasAuftreten einer Ähnlichkeit zwischen dem Ver halteneinesModellsunddemeineranderenPersonunterBedingungen,beidenendas 82 Vgl.Edelmann,W.:Lernpsychologie.
63
6.2
6
Individuelles Lernen
VerhaltendesModellsalsderentscheidendeHinweisreizfürdieNachahmungsreakti onengewirkthat.BeidieserFormdesLernensgewinntdersozialeAspektanBedeu tung:NeuesWissenentstehtimProzessderunmittelbarenInteraktionzwischeneinem LehrerundeinemLernenden,diezwischenmenschlicheBeziehungistdabeivonüber ragenderBedeutung. Kognitives Lernen kann auch über Lernen durch Einsicht (durch Denken) erfolgen und setzt eine gewisse Intelligenz des Lernenden voraus. Im Gegensatz zu anderen Lernformen passiert hier die Verhaltensänderung aus der Sicht desAußenstehenden plötzlich.FürdieseFormdesLernensbrauchtmanbesonderementaleFähigkeitenzur EntwicklungvonStrategienundzurAnalysederAlternativen(vgl.Intelligenztheorie von R. Sternberg, Kapitel 3.1). Man hat keine Vorbilder, probiert nicht aus, sondern entwickeltimKopf eineLösung. Lernen durch Einsichthat folgendeMerkmale: Ein sicht ist abhängig von derAnordnung der Problemsituation und die gewonnene Lö sung kann auf andere Situationen angewendet werden. Diese Möglichkeit der Über tragungaufdieweiterenSituationenistfürdasHandelnvonbesondererBedeutung. MankannnocheineweitereFormdesLernensdefinieren–LernendurchTraditions bildung oder Informationsweitergabe, die für Menschen typisch und von großer Bedeutung ist. Das Lernen durch Traditionsbildung oder Informationsweitergabe ist einsozialesLernen.ImGegensatzzueineranderensozialenForm,Nachahmungsler nen,beider(mindestens)zweiPersoneninteragieren,istdasLernendurchInformati onsweitergabevonZeitundOrtunabhängig.SeitderErfindungdesBuchdruckskön nen Menschen von dem geschriebenen Wissen Gebrauch machen. Die moderne In formationstechnologie ermöglicht weltweit einen blitzschnellen Zugriff auf digitale Informationen. Allerdings stellen die Informationsflut und die Notwendigkeit, brauchbare und relevante Informationen identifizieren zu können, neue akute Prob lemedar.
6.2.3
Konstruktivistische Lernformen
DerKonstruktivismusverstehtunterLerneneineindividuelleKonstruktiondesWis sens in jedem einzelnen Kopf und betont seinen subjektiven Charakter. Der Begriff und die Ziele des Lernens werden wesentlich weiter als in anderen Lerntheorien ge fasst.ZudenZielendesLernenszählen:dasAutomatisierenvonFähigkeitenzugeis tigenundmotorischenFertigkeiten(Können);LernenzumProblemlösen;Lernendes Lernens,LernendeskritischenDenkens,EntwicklungeinerWerthaltungoderEinstel lungu.a. Schwerpunktmäßig werden die Konsequenzen des Lernens für die Person und ihre Umwelt betrachtet. Diese Folgen des Lernens betreffen sowohl das Individuum, als auch–durchdieKommunikationsprozesse–seineunmittelbareundweitereUmwelt. SoistjederauchfürdieFolgenseinesLernensbzw.NichtlernensfürdasGesamtsys
64
Formen des individuellen Lernens
tem verantwortlich. Die konstruktivistischen Ansätze gehen davon aus, dass Lernen einkonstruktiverProzessistundbehaupten,dassjederLernendeaufderGrundlage seinerExperiencelernt,dabeieigeneWerte,Überzeugungen,MusterundVorerfah rungen einsetzt.83 G. Roth bringt es auf den Punkt: „Wissen kann nicht übertragen, sondernnurwechselseitigkonstruiertwerden.“84 Interaktionenmitanderensinddafürausschlaggebend,wiedasLernenangenommen, weitergeführt undentwickeltwird.Dabeiistesentscheidend,inwieweitesdemLer nendengelingt,eineeigenePerspektivefürseinLernenzuentwickeln,indemersich motiviert, sein Lernen selbst organisiert, sich seiner Muster und Schematisierungen bewusstwirdunddiesehandlungsorientiertentwickelt. Die folgende Abbildung schafft einen Systemüberblick über drei Konzepte des Ler nensausderbehavioristischen,kognitivenundkonstruktivenPerspektive. Abb.16:
LernkonzeptedesBehaviorismus,KognitivismusundKonstruktivismus Behaviorismus
Gehirn ist eine Black Box Externes Feedback
Kognitivismus
Gehirn führt Informationsverarbeitung durch Modelliertes Feedback
Konstruktivismus
Gehirn ist ein zirkuläres selbständiges System Strukturelle Koppelung
DieRolledesIndividuumsistindiesenKonzeptenunterschiedlichbewertet.Fürdie Behavioristen ist ein Individuum eine Black Box, das Ziel des Lernens ist auf diese BlackBoxvonaußenzuwirken,umbestimmtesichtbareVerhaltensweisenzuerzeu gen.FürdieKognitivistenstehtdasmenschlicheGehirnmitseinenkomplexenInfor mationsverarbeitungsprozessen im Mittelpunkt. Man kann nur aufgrund eines Feed backserkennen,wassichimInnereneinesIndividuumsimLaufedesLernensverän dert hat. Die Konstruktivisten schreiben einem Menschen eine relative Unabhängigkeit im Lernprozess zu, die zur Subjektivität und Einmaligkeit seines Wissenskonstruktsführt.
83 Vgl.http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/LERNEN. 84 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.552.
65
6.2
6
Individuelles Lernen
6.3
Bedingungen des Lernprozesses
Verschiedene Konzepte zeichnen sich durch unterschiedliche Rollenverteilung zwi schendemLehrerunddemLernendenundbestimmteBedingungenaus. ImBehaviorismusistderLehrereinklassischerInformationsvermittler,ausderkogni tivenPerspektivesollderLehrereinTutorsein–vorallembeobachtenundhelfen.Für KonstruktivistenistderLehrereinCoach,derineinerKooperationmitdenLernenden einegemeinsameRealitätschafft. Tabelle10: RolleeinesLehrersimBehaviorismus,KognitivismusundKonstruktivismus Behaviorismus
Kognitivismus
Konstruktivismus
Transfer:
Tutor:
Coach:
Faktenwissen, Know-that, Vermittlung, wiederholen, richtige Antworten erzielen, merken, auswendig lernen,
Prozeduren, Verfahren, Know-how, Dialog, üben, Probleme lösen, Methoden anwenden, Fähigkeiten, Fertigkeiten,
soziale Praxis, Knowing in action, Interaktion, reflektieren, erfinden, Bewältigung von Situationen, Verantwortung,
lehren, erklären.
beobachten, vorführen, helfen.
kooperieren.
LernpsychologenverschiedenerRichtungenbeschäftigensichmitderwichtigenFrage, wasfüreinerfolgreichesLernenwichtigistundwieindividuelleLernfähigkeiterhöht werden kann. Menschen lernen, je nach Lerntyp, am besten bei Verknüpfung von akustischen,visuellen,taktilenundemotionalenReizen(s.folgendeAbbildung).Das Lernen geschieht organisch, unter Beteiligung beider Hirnhälften: der logisch analytischenlinkenundderemotionalräumlichenrechtenHälfte.Dabeisindpositive EmotionenundMotivationwichtig–eineoptimaleLernsituationbrauchteinen„sin nesfreudigen“ Lernraum. Die Situation einer Vorlesung entspricht der Form „hören undsehen“inderAbbildungundermöglichtesdenStudierenden,ungefährdieHälf te der Information beizubehalten. Die Rolle der praktischen Erfahrung ist im Lernen außergewöhnlichgroß–wirlernenambestendas,waswirselbergetestethaben.Neu robiologisch gesehen, bildet das Gehirn während des Lernens mögliche Handlungs strategien,undnurdasWissen,dasimZusammenhangmitüberzeugendenAktions möglichkeiten aufgenommen wird, wird optimal gespeichert. Deswegen ist das Ler nen durch Handeln besonders effizient.Aber auch das, worüber wir sprechen, wird relativ gut gelernt. Dies ist ein Phänomen, das die Rolle des formalisierten Wissens hervorhebt:WennwirunsereVorstellungenundKenntnisseinWortformfassen,ver deutlichenwirdieDefinitionenundZusammenhänge,dieinunseremunbewusstem, implizitem Wissen nicht so klar waren. Eine positive Auswirkung von Gesehenem 66
Bedingungen des Lernprozesses
zusätzlichzuGehörtembeweistdieWichtigkeitvonBildernfürdasmenschlicheGe hirn. Ganzheitliche Wahrnehmung von Bildern kann Zusammenhänge und Verbin dungen verdeutlichen. Außerdem können Bilder als Symbole und „Eselsbrücken“ zusammenmitInformationenabgespeichertwerdenundhelfenderschnellerenErin nerung. Abb.17:
SovielbehälteinMenschdavon,waserliest,hörtoderselbermacht85 was er selbst ausführt worüber er spricht was er sieht und hört
90% 70% 50%
was er sieht
30%
was er hört was er liest
20% 10%
Lernpsychologen haben festgestellt, dass Emotionen einen enormen Einfluss auf den Lernprozess haben. Negative Gefühle wie Angst, Unlust oder Sorge beeinträchtigen das Einprägen des Lernstoffs.Auch Lernen unter Stress mindert den Erfolg. Gefühle entstehenimlimbischenSystemdesGehirns,dasdieAufgabehat,eintreffendeInfor mationenzubewerten,ihreRelevanzzuprüfenundsomiteineadäquateReaktiondes MenschenaufdenentsprechendenReizsicherzustellen.MitdieserBewertungisteine emotionaleEinfärbungderInformationenverbunden.EinepositiveemotionaleBeset zungdesLernstoffesistfürdasBehaltenwichtig. Individuelles Lernen kann somit in verschiedenen Formen und unter verschiedenen Bedingungenstattfinden.DieentscheidendsteFolgedesLernensistdieVeränderung desVerhaltens(Verhaltenspotenzials)undHandelns. Kontrollfragen 1. DefinierenSiedenBegriffLernen. 2. Erläutern Sie die Formen individuellen Lernens: Konditionierung (klassische und operante),LernenamModell,LernendurchEinsichtundLernendurchTraditions bildungundInformationsweitergabe. 3. VergleichenSiedasLernkonzeptunddieRolledesLehrersausbehavioristischen, kognitivenundkonstruktivistischenPerspektive. 85 Vgl.http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/LERNEN.
67
6.3
7
Individuelles Handeln
7
Individuelles Handeln
UnterHandelnverstehtmandasVerfolgenvonZielen,dasUmsetzenvonPlänenund AbsichtenindieTat.DeswegenistmenschlichesHandelnimGegensatzzumVerhal tenimmerzielgerichtet.DasHandelnsetztWillen(Motivation)voraus,läuftinmehre ren Schritten ab: Es wird gedanklich vorbereitet, diese Vorbereitung endet mit einer Entscheidung, geht in dieAusführung über, deren Erfolg wird kontrolliert und zum Zwecke des Lernens verarbeitet. Nach der Meinung moderner Verhaltensforscher ist menschliches Handeln nur begrenzt rational.Alle Formen des Wissens: beschreiben des,prozessualesundemotionales(vgl.Kapitel5.4)sindfürdasHandelnrelevant. Aus der neurobiologischen Perspektive gesehen, wird menschliches Handeln von einem Bündel kognitiver Kompetenzen bestimmt, die uns zur antizipativen, zielge richtetenundselbstkontrolliertenVerhaltensselektionbefähigen.86AusdiesenKompe tenzenergibtsichunsereFähigkeitzuplanenundZielekonsequentzuverfolgen.Die Handlungssteuerung ist das Ergebnis der komplexen Interaktion von genetischen Anlagen,Lernerfahrungen,aktuellverarbeiteterReizinformationunddemmomenta nenMotivationszustanddesIndividuums. Zugleich ist individuelles Handeln keine gänzlich persönliche Angelegenheit. Die Handlungsprogramme einzelner Individuen werden von Mensch zu Mensch durch die Wirkung von Spiegelneuronen übertragen, abgeglichen und kommuniziert. Die sozialenInteraktioneneinesIndividuumsbildeneinewichtigeQuellefürseineReak tionen und Entscheidungen. Der Mensch trägt Verantwortung für die Konsequenzen seinerHandlungenundbeziehtsieinseineEntscheidungsfindungmitein.Damithat jedesHandelneinenethischenAspekt. In diesem Kapitel werden die Grundlagen des individuellen Handelns erläutert, die für die praktische Gestaltung der Zusammenarbeit und Führungsprozesse in Unter nehmen bedeutsam sind. Zu diesem Zweck werden das ganzheitliche Modell des individuellen Handelns, die kognitiven Kompetenzen der Handlungssteuerung und dieRollevonVernunft,VerstandundEmotionenindiesemProzess,Ethikdesindivi duellenHandelnssowiediePhasendesHandlungsprozessesbeschrieben.
86 Vgl.Goschke,T.:DerbedingteWille,S.116ff.
68 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Ganzheitliches Modell des Handelns
7.1
7.1
Ganzheitliches Modell des Handelns
Verschiedene Richtungen der Verhaltenswissenschaft benutzen unterschiedliche Mo delledesHandelns.DasbehavioristischeModellderKonditionierungnachdemReiz ReaktionPrinzipwirdindermodernenNeuropsychologiealszuprimitivangesehen, um das komplexe menschliche Handeln zu erklären. „Im Unterschied zu Verhalten, das in automatischer Weise durch spezifische Reizbedingungen ausgelöst wird und auf relativ fixen ReizReaktionsVerknüpfungen beruht, zeichnen sich willentliche HandlungendurchihreFlexibilitätundweitgehendeUnabhängigkeitvonderunmit telbarenReizsituationaus,“soderPsychologieprofessorThomasGoschke.87 Menschliches Handeln wird als das Verfolgen von Zielen, das Umsetzen von Plänen undAbsichtenindieTatverstanden.EsbasiertaufindividuellemWissen,istsubjektiv, aktivundgestalterisch–durchihrHandelnschaffenMenschenihreRealität. MenschlichesHandelnistdasbewusste(undzumTeilunbewusste),vomMenschen – innerhalb seiner Grenzen – selbst bestimmte Tun, mit dem er sich oder seine Umwelt gemäß seinen Vorstellungen und Werten (seinem Wissen) verändert oder bewahrt. AlsganzheitlichesModelldesindividuellenHandelnswirddaskognitiveModell(Vgl. Abb.4,S.17)benutzt,dasimWeiterendetaillierterläutertwird. Abb.18:
GanzheitlichesModelldesHandelns
Permanentes Lernen
Wahrnehmung aufgrund vorhandenen Wissens
Person Wissen: beschreibendes, prozessuales und emotionales
Entscheiden
Aktives Handeln
Umwelt
Das ganzheitliche Modell des Handelns betrachtet eine Person als eine dynamische Handlungseinheit, die durch ihr Wissen geprägt wird, sich in einem aktiven Aus tauschprozess mit der Umwelt befindet (Wahrnehmung und Gestaltung der Umwelt durchdasEntscheidenund(aktives)Handeln)undpermanentlernt(durchdieKon sequenzendesHandelnsundinterneDenkprozesse). Wahrnehmung und Handeln beziehen sich auf Wissen und befinden sich in einem komplexen Zusammenspiel. Die Wahrnehmung beinhaltet Vergleichsoperationen zwischen den Informationen aus derAußenwelt und unserem vorhandenen Wissen. 87 Goschke,T.:DerbedingteWille,S.122123.
69
7
Individuelles Handeln
DabeiwirdesinmehrerenVorgängen„beschlossen“,obwirdieneuenInformationen wahrnehmenkönnen(obwirimstandesind,sieaufgrundvorhandenenVorwissenszu verstehen)undwollen(obwirinteressiertsind,sieinunserWissenssystemeinzubau en). Um wahrgenommen zu werden, müssen neue Informationen u.a. „anschlussfä hig“sein–nichtganzneu(ausdemVorwissenverständlich),aberneugenug(weiter interessant). Beim Handeln werden zunächst aufgrund des Wissens die Alternativen verglichen, danach eine Entscheidung getroffen und ausgeführt. Nach der Aktion findet eine kognitive Bewertung statt, die Folgen der Entscheidung dienen mithilfedieser Rück kopplung einem internen Lernprozess, wodurch das Wissenssystem des Menschen erweitert wird. Beim Handeln werden alle Formen des Wissens benutzt und weiter entwickelt:beschreibendes,prozessualesundemotionales. Wiebereitsbeschrieben,laufendiekognitivenProzessesowohlbewusstalsauchun bewusst und betreffen explizites und implizites Wissen. Die zentraleAussage von S. Freud,dasseingroßerTeilunseresHandelnsunbewusstgesteuertwird(Vgl.Kapitel 2.2), wird heute von der Neurowissenschaft bestätigt. Im Einklang damit stehen die neuestenErkenntnisseüberdiedominierendeRollevonEmotionenimHandeln.Ger hard Roth beschreibt es so: „Beim Entstehen von Wünschen und Absichten hat das unbewusstarbeitendeemotionaleErfahrungsgedächtnisdasersteunddasletzteWort: Das erste Wort beim Entstehen unserer Wünsche und Absichten, das letzte bei der Entscheidung,obdas,wasgewünschtwurde,jetztundhierundsoundnichtanders getan werden soll. Zwischen beiden Ereignissen können beliebig lange Perioden des bewusstenAbwägens von Handlungsalternativen liegen.“88 Deswegen finden indivi duelleEntscheidungennachdemSchema„emotional–rational–emotional“statt.Das ZusammenspielzwischenRationalitätundEmotionenimHandelnwirdimWeiteren ausführlicherdiskutiert. Das erläuterte Handlungsmodell basiert auf einer Reihe spezifischer Kompetenzen, die aus kognitiven Fähigkeiten der Menschen resultieren und sich im Laufe der Ge hirnevolution entwickelt haben. Diese Kompetenzen ermöglichen einem Menschen diekognitiveSteuerungseinesHandelns.
7.2
Kognitive Kompetenzen der Handlungssteuerung
DerMenschalsbiologischesWesenweistgewisseÄhnlichkeitenmitTierenauf:Auch erhatreflexivesundreizbedingtesVerhalten.Reflexebasierenaufeinerangeborenen Verbindung zwischen einem Stimulus und der dazugehörenden Reaktion. Wenn Sie 88 Vgl.Roth,G.:Willensfreiheit,2006,S.13.
70
Kognitive Kompetenzen der Handlungssteuerung
zufällig mit der Hand eine heiße Herdplatte berühren, zieht sich Ihre Hand reflexiv zurück.Dieseunbewusste,ausdemRückenmarkgesteuerteReaktionistblitzschnell, vielschneller,alseinebewussteWahrnehmungundReaktion.WirMenschenkönnen einreizbedingtesVerhalten(HandlungalsReaktionaufeinenunmittelbarenReiz)an denTaglegen:WirgehenbewussteinerunüberwindbarenGefahrausdemWeg,auch wennesinunserePlänenichtpasst,z.B.wartenaneinerAmpelartigaufGrün,auch wennwirunszueinemRendezvousverspäten. Typisch für Menschen sind allerdings die so genannten Willenshandlungen, die von den unmittelbaren Reizen abgekoppelt sind und „auf inneren Repräsentationen der zukünftigen Effekte und Ziele des eigenen Verhaltens sowie auf Bewertungen dieser Zielzustände im Lichte von Überzeugungen, Präferenzen, Wünschen und Motiven“ basieren.89 DieFähigkeitzurwillentlichenHandlungssteuerungbasiertaufeinerReihekognitiver Kompetenzen90:
Fähigkeit zur Antizipation von Handlungseffekten – Menschen können sich vor stellen, welche Effekte bestimmte Verhaltensweisen unter bestimmten Bedingun genmiteinerbestimmtenWahrscheinlichkeithabenwerden;
FähigkeitzurzukunftsorientiertenVerhaltensselektionaufgrundvoninnerenRep räsentationenangestrebterZielzuständesowie
Fähigkeit zur Selbstkontrolle – eine gewisse Unabhängigkeit von akuten Bedürf nissen,ImpulsenundstarrenGewohnheitenzugunstenübergeordneterZiele. Alle diese Fähigkeiten resultieren aus der Leistung des menschlichen Gehirns, alle sensorischen, kognitiven und motorischen Systeme des Körpers kontinuierlich zu koordinierenundaufübergeordneteZieleauszurichten.ImLaufederGehirnevoluti onwardieAbkoppelungdesmenschlichenVerhaltensvonunmittelbarenReizenvon entscheidenderBedeutung.SeitdemwirdHandelnnichtnurvonReflexenunddirek ten Reizen, sondern auch von inneren Bedürfnis und Motivationszuständen be stimmt.DieweitereEntwicklungdesGedächtnissesunddesLernenshabenzurEnt wicklungvonAntizipationsfähigkeitgeführt,dieeinezukunftsorientierteVerhaltens selektion (Auswahl und Steuerung des Verhaltens aufgrund von inneren Repräsentationen der Ziele) ermöglicht hat. Der Zeithorizont antizipativer Prozesse hatsichimLaufederEntwicklungausgeweitet.Menschensind„inderLage,imPrin zip beliebig weit in der Zukunft liegende Konsequenzen ihrer Handlungen mental vorwegzunehmen“, schreibt T. Goschke91. Wir lernen das ganze Leben lang, welche Folgen unsere Entscheidungen haben können, und legen dieses Wissen in unserem Gedächtnis ab. DieAuswahl der Handlungen wird durch dieses Wissen und mental 89 Goschke,T.:DerbedingteWille,S.116. 90 Ebd.S.117ff. 91 Ebd.,S.119.
71
7.2
7
Individuelles Handeln
repräsentierte Ziele bestimmt. Darüber hinaus haben Menschen eine zusätzliche Fä higkeitzurSelbstkontrolleentwickelt.SokönnenwirkurzfristigaufakuteBedürfnisse verzichten, um langfristige Ziele zu erreichen. Zum Beispiel, kann eine Vorlesung so wichtig sein, dass Sie Ihren akuten Hunger unterdrücken. Oder Sie sind im Stande, mitdemRauchenaufzuhören,umnichtanLungenkrebszuerkranken. DieAusweitungdesZeithorizontesderAntizipationermöglichtdasPlanen:Menschen schaffen mentale Vorstellungen von Zielen, Mitteln und Strukturen, nach denen sie handeln. ZusammenfassendkönnendieBesonderheitenwillentlicherHandlungensobeschrie benwerden:92
FlexibilitätundUnabhängigkeitvonunmittelbarenReizsituationen; UnterdrückungvonAutomatismenundGewohnheiten; weitgehendeSelbstkontrolle; SelbstreflexionundSelbststeuerung. DiekognitiveHandlungssteuerungbeiMenschenistnichtangeboren,sondernentwi ckeltsichdurchSozialisationundLebenserfahrung.SieisteineKombinationausgene tischen Anlagen, Lernprozessen und Erfahrungen des Individuums. Alle Entschei dungen samt ihren Konsequenzen, sämtliche Erlebnisse und Gefühle werden im Ge dächtnis abgespeichert und werden bei jedem Handlungsakt berücksichtigt. Die für dasHandelnentscheidendenZielrepräsentationenergebensichausrationalenÜberle gungen und emotionalen Einstellungen. Über die Rolle von Verstand, Vernunft und EmotionenimHandelnwirdimfolgendenKapiteldiskutiert.
7.3
Verstand, Vernunft und Emotionen im Handeln
Die Erkenntnisse der Neurobiologie über die kognitiven Informationsverarbeitungs prozesse,andenenalleWissenstypen(beschreibendes,prozessualesundemotionales) beteiligtsindunddiezumgroßenTeilunbewusstlaufen,relativierendenklassischen Mythos vom rational denkenden Individuum. Das Modell „Homo oeconomicus“ gehört endgültig der Vergangenheit an. Moderne Wissenschaftler erkennen die be grenzte Rationalität menschlichen Handelns an. Die Pioniere der verhaltensorientier tenÖkonomie,NobelpreisträgerD.Kahneman,V.SmithundA.Tverskyhabeninihrer Forschungnachgewiesen,dassrationale,objektiveEntscheidungenbeiMenscheneher 92 Goschke,T.:DerbedingteWille,S.122f.
72
Verstand, Vernunft und Emotionen im Handeln
Ausnahmen sind und subjektive, emotional begründete, irrationale und spontane Entscheidungenvielhäufigervorkommen. DieTheoriederbeschränktenRationalitätmenschlichenHandelnsstammtursprüng lichvonHerbertA.Simon.ErlistetdieeinschränkendenFaktorenwiefolgtauf93:Un vollständigkeit des Wissens über die Bedingungen des Handelns, Schwierigkeit der AntizipationsowieunvollständigeKenntnisderHandlungsalternativen,damenschli chesVorstellungsvermögenaufsubjektivenErfahrungenbasiert. GerhardRothfügtweiterebegrenzendeEffektehinzu,dieerausdenBesonderheiten menschlicherWahrnehmungundInformationsverarbeitungableitet:Menschenhaben AngstvordemRisiko;wollenkeineVeränderungen,wenndiesekeinenunmittelbaren Vorteilbringen,wollensichnichtmit„großen“langfristigenSachenbeschäftigen,tun stattdessen das unwichtige Dringende; ziehen bei Entscheidungen nur wenigeAlter nativeninErwägung.94 Wie treffen wir unsere Entscheidungen im Alltag? „Soll ich eine Stelle im Ausland annehmenoderdochdaheimbleiben?“–fragtsicheinManager.BeiseinerEntschei dungsfindung spielen das rationale Abwägen der vielfältigen Konsequenzen seiner EntscheidungundihrerAlternativeneinegroßeRolle.Nichtwenigerwichtigsinddie Emotionen: Zufriedenheit und Stolz,dasAngebot bekommen zu haben, Freude über AnerkennungundhöheresGehalt,AngstvorVeränderungenundvoreinernegativen ReaktionderEhefrauetc. G. Roth spricht in diesem Zusammenhang über drei Faktoren, die unser Handeln determinieren:Verstand,VernunftundGefühleundzeigtihrZusammenspiel.95Unter VerstandverstehtmandieFähigkeitzumProblemlösenmithilfeerfahrungsgeleiteten und logischen Denkens, er hat mit (klassischer) Intelligenz zu tun und beschreibt menschliche Fähigkeiten zum Problemlösen. Vernunft ist unsere Fähigkeit zu mittel undlangfristigerHandlungsplanungaufGrundübergeordneterzweckrationalerund ethischer Prinzipien. Dabei kommt es nicht nur auf persönlichen Vorteil an, sondern auch auf die soziale Akzeptanz des Handelns. Damit hat jedes Handeln einen ethi schenAspekt.Als Gefühle bezeichnet Roth „Kurzberichte aus dem emotionalen Ge dächtnis,undzwarentwederalsspontaneAffekte,indemsieunsinHinblickaufDin ge zu oder abraten, die an sich positiv odernegativ sind, oder auf Grund der Erfah rungenderpositivenodernegativenFolgenunseresHandelns.“96 DaslimbischeSystemimGehirn,derSitzunsereGefühle,hatnachG.Rothgegenüber dem rationalen corticalen System (Verstand und Vernunft) das erste und das letzte Wort. Das erste Wort beim Entstehen unserer Wünsche und Zielvorstellungen, die danachbeliebiglangerationalhinundhergewendetwerdenkönnen.Aberauchdas 93 94 95 96
Simon,H.A.:EntscheidungsverhalteninOrganisationen. ZitiertnachRoth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.558. Vgl.Roth,G.:Werentscheidet,S.51f. Vgl.ebd.,S.55.
73
7.3
7
Individuelles Handeln
letzteWort,beiderEntscheidungdarüber,obdas,wassichVernunftundVerstandals beste Lösung ausgedacht haben, wirklich getan werden soll.97 Jedoch bedeutet nach Roth „emotional“ keineswegs „irrational“, da unsere Gefühle die „Kurzbotschaften“ unserer gesamten Lebenserfahrung sind. In diesem Sinn kann Emotionalität als eine RationalitäthöhererOrdnungangesehenwerden.98 DieaufgeführtenErkenntnissebestätigen,dasseinMenschinseinemHandelnaufsein gesamtes Wissen zurückgreift, das seine rationalen und emotionalen Erfahrungen beinhaltet,undparallelseinenVerstand,seineVernunftundGefühleeinschaltet.Da bei spielen ethische Einstellungen und Prinzipien eines Individuums eine besondere Rolle.
7.4
Ethik des individuellen Handelns
DieaktiveRolledesindividuellenHandelnsbeiderGestaltungderUmweltmachtdie ProblematikderHandlungsethikaktuell.DieKonsequenzendesHandelnssowohlim privaten als auch im beruflichen Bereich sind nicht nur für das Individuum selbst, sondernauchfürseineUmgebungundInteraktionspartnerrelevant.DerMensch–als einezuwillentlichenHandlungenfähigePerson–besitzteinegewisseEntscheidungs und Handlungsfreiheit, die durch äußere Umstände aberauch durch ihn selbst (sein Gewissen,seinemoralischenPrinzipien)beschränktwird.NachImmanuelKantmüs senwirunsselbstGesetzegeben,gerade„weilwirunsdieFreiheitdesWillensbeige legthaben.“99DieFreiheitistfürKantkeineWillkür,sondernAutonomieanderguten gesellschaftlichenOrdnungmitzuwirkenunddiesefreiwilligzubefolgen.Dieskommt inseinemberühmten„KategorischenImperativ“zumAusdruck:„Handleso,dassdie MaximedeinerHandlungeinallgemeinesGesetzwerdenkönnte.“100 DamenschlichesHandelnkeinereinpersönliche,sonderneinekollektiveAngelegen heitist,solldasHandelnimInteressederGemeinschaftgeregelt(organisiert)werden, um eine gewisse Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit im Handeln zu gewährleisten. Die Reglementierung des Handelns findet im Zusammenspiel der äußeren Moral (GesetzeundgesellschaftlicheWerteundNormen)undderinnerenMoraleinesjeden Individuumsstatt. WährendMoraldieineinerGruppe(Gesellschaft,Organisation)tatsächlichgeltenden Normen beschreibt, versucht Ethik als Wissenschaft die allgemeinen Normen des Handelnszudefinierenundzubegründen.InderGeschichtederMenschheitgabes unterschiedlicheBegründungsansätzederEthik,dasichdiegesellschaftlichenVorstel 97 Vgl.Roth,G.:Werentscheidet,S.56. 98 Ebd.,S.57. 99 Kant,I.:GrundlegungderMetaphysikderSitten,S.86. 100 Kant,I.:DieMetaphysikderSitten,S.519.
74
Ethik des individuellen Handelns
lungen von gut und böse, von Tugenden, Pflichten, Werten und Normen in einem ständigenWandelbefinden.Jenachkultur,religionsundsystemspezifischenWerten einer Gesellschaft können bestimmte Handlungen als moralisch oder unmoralisch bewertetwerden.EinigeBeispielesollenesbelegen.Nochvor3040Jahrengaltesin Deutschland als unmoralisch, unverheiratet zusammen zu leben, heutzutage sind solche Lebensgemeinschaften sehr verbreitet und von der Gesellschaft akzeptiert. In der kommunistischen Sowjetunion galt es als unanständig, eine persönliche Karriere anzustreben, man sollte sich um das Wohl des Kollektivs bemühen. Im heutigen marktwirtschaftsorientiertenRusslandstehenumgekehrtdieindividualistischenKar rierebestrebungenimVordergrund. Ein aktuelles Beispiel belegt die Schwierigkeit, eindeutige Urteile über mora lisch/unmoralisch zu fällen: Einige Unternehmen bemühen sich um die Einführung vonWhistleBlowing,umWirtschafskriminalitätentgegenzuwirken.101Inwieweitist esalsmoralischzubezeichnen,wenneinKollegeeinenanderendenunziert? DieEthikdesindividuellenHandelnsbestimmtdiePflichtendesIndividuumsgegen sichselbst,seinenMitmenschenundderNatur. AlsElementedespflichtgemäßenHandelnsgegensichselbstnenntImmanuelKant102 das Gebot der Selbstachtung der eigenen Würde, das Verbot des Selbstmordes, das Verbotzulügen,dasVerbotsichdurchVersoffenheitundGefräßigkeitzuschaden,das GebotderPflegedesKörpersunddesGeistes,derEntfaltungeigenerPotenziale,der Selbsterkenntnis und der Gewissensbildung. Auch einen gewissen Wohlstand anzu strebengiltalsPflicht,daArmutverschiedeneLasterverursachenkann.103 Die Pflichten gegenüber Anderen beinhalten nach Kant: Achtung des Gesetzes und der Würde anderer Menschen, Wohlwollen, Mitleid und Mitfreude, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit,Dankbarkeit.AlsrechtlichePflichtenwerdenvonKantdieEinhaltungder Verträge,ZahlungderSchuldenundAchtungdesEigentumserwähnt,dieallerdings wenigerdurchmoralischePrinzipien,sonderneherdurchGesetzeundVerträgegere geltwerden.104 Es ist erstaunlich, wie aktuell die vor über 200 Jahren formulierten individuellen PflichtenvonI.Kantsind. Menschliche Verpflichtungen der Natur gegenüber beziehen sich auf ihre Erhaltung, schonendeNutzungundNichtVerschmutzung,waszusätzlichmitderVerpflichtung gegenüberkommendenGenerationen(Nachhaltigkeit)verknüpftwerdensollte. DieMoraleinesIndividuumsentstehtimSozialisationsprozessundentwickeltsichim Laufe seines Lebens in Folge von Erfahrungen, Erlebnissen und Lernprozessen. Der 101 EineausführlicheDiskussionfolgtimKapitel13.3. 102 Vgl.Kant,I.:MetaphysikderSitten,Tugendlehre,S.515ff. 103 Ebd.,S.518. 104 Ebd.,S.519521.
75
7.4
7
Individuelles Handeln
Psychologe Lawrence Kohlberg hat basierend auf der pädagogischen Entwicklungs theorievonJeanPiageteineTheoriemoralischerEntwicklungkonzipiert,diemorali sche Orientierungen von Menschen in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung be schreibt.105 Die drei Phasen bauen aufeinander auf und führen schließlich (auf der drittenStufe)zueinemverantwortungsundgewissensvollenHandeln. Tabelle11:StufendermoralischenEntwicklungnachL.Kohlberg Präkonventionelle Phase (Angstbestimmung)
Stufe 1. Orientierung an Bestrafung und Gehorsam
Konventionelle Phase (Fremdbestimmung)
Stufe 3. Orientierung am Ideal des "Guten Menschen“, das von anderen definiert wird
Stufe 2. Konformes Verhalten, um belohnt zu werden
Stufe 4. Orientierung an Recht und Ordnung Postkonventionelle Phase (Eigenbestimmung)
Stufe 5. Die Sozialvertragsorientierung Stufe 6. Eigene Moralorientierung auf der Basis universeller ethischer Prinzipien
DieerstePhaseistdiepräkonventionellePhaseundbedeuteteineexterneMoralorien tierungdurchOrientierunganVerwendungoderAndrohungvonGewalt.Siewirdin zwei Stufen unterteilt. Stufe 1 bedeutet Orientierung an Bestrafung und Gehorsam: Regelnwerdenbefolgt,umBestrafungenzuentgehen,mandarfsichnichterwischen lassen.SolcheMenschenhabensogutwiekeineinnerenmoralischenPrinzipienund müssen zum Arbeiten gezwungen werden. Stufe 2 wird als instrumentell relativistische Orientierung bezeichnet: Man verhält sich konform, um belohnt zu werden. Zwischenmenschliche Beziehungen werden als Marktbeziehungen angese hen.EineLeistungwirdnurdannerbracht,wennsiebelohntwird.Diepräkonventio nelle Phase ist insbesondere für Kinder und Jugendliche typisch, sie kommt in der Wirtschaftspraxisrelativseltenvor.DieEntscheidungen,etwaszutun,richtensichin dieser Phase an ichbezogenen und lustbezogenen Kriterien aus. Sollte ein Manager solcheMitarbeiterhaben,dannmussersieständigimAugebehaltenundkontrollie ren. In der zweiten, konventionellen Phase orientiert sich die Entscheidung eines Indivi duumsübertunodernichttunander FremdeinschätzungseinerPerson.Tatsächlich entscheidetnichtderMenschselbst,sonderndiesozialeGruppe,diefürihnrelevant ist.DiesePhasehatebensozweiStufen.Stufe3heißtOrientierungamIdealdesGu ten Menschen oder „guter Junge/nettes MädchenModell“. Der Mensch hat (immer noch)keineinnerenmoralischenPrinzipien,dasGutundBösedefinierenfürihnan 105 Vgl.Kohlberg,L.:DiePsychologiederMoralentwicklung.
76
Ethik des individuellen Handelns
dere–seineUmgebung,FamilieoderGruppe.AufderStufe4giltdieOrientierungan RechtundOrdnung:ManrespektiertAutoritätenundhältsozialeNormenundKon ventionenein,d.h.GutundBösewerdenvoneinerübergeordneten,fürallegültigen Ordnungdefiniert,diemannichtinFragestellt.DerMenschübernimmtdieinseiner GruppeoderGesellschaftgültigenVerhaltensnormen,ohnesiezuhinterfragen. Die dritte, postkonventionelle Phase bedeutet die höchste moralische Entwicklung einer Person, moralische Werte werden unabhängig von Autoritäten und Gruppen definiert.DiesisteineautonomePhase–dasIndividuumentscheidetsichnacheige nenPrinzipienundWertevorstellungen.Stufe5istdieSozialvertragsorientierung:Das Recht wird zu einer persönlichen Wertsetzung/Überzeugung, wobei man sich deren Relativität bewusst ist. Das Individuum macht sich Gedanken, inwieweit das Gesetz unddiegesellschaftlicheOrdnunggerechtsind.ManistsichdereigenenVerantwor tung für diese Ordnung bewusst. Diese Stufe ist von reifen, gebildeten Personen zu erwarten.AlsStufe6wirddieOrientierunganuniversellenethischenPrinzipienwie Gerechtigkeit,MenschenrechteundAllgemeinwohlbezeichnet.Manschaffteineeige neMoralorientierung,dienurvonderPersonselbstabhängigist.DiePersonhandelt aufgrund dieser Orientierung im Interesse der ganzen Gesellschaft, für die sie sich mitverantwortlichfühlt.HierkannmaneinendirektenBezugzumKonstruktivismus erkennen,deralspersönlicheVerantwortungfürdieRealitätundihreSchaffungver standen wird. Nach Kohlberg, erreichen nur sehr wenige Menschen diese höchste Stufe(ernenntdabeidieNamenvonMenschheitspropheten). Eigenverantwortliche Arbeit in einer Wissensgesellschaft setzt eine hohe moralische EntwicklungderFührungskräfteundMitarbeitervoraus,dieinderTheorievonKohl bergdenStufen5und6entsprechenwürde. Die individuelle Ethik wird durch die institutionelle und Ethik der Öffentlichkeit er gänzt,dieeinenäußerenRahmenfürdasindividuelleHandelnbilden.ZudenInstitu tionen zählt man den Staat, die Verfassung, den Vertrag, die Ehe, das Recht, die Marktwirtschaft,dasUnternehmen,dasEigentumundvielesmehr.„AllenInstitutio nen gemeinsam ist, dass sie Erscheinungsformen eines geregelten Miteinanderumge hens, einer geordneten Kooperation von Menschen sind.“106Auch die Öffentlichkeit istfürdasethischeHandelnwichtig.NachKantkanndieMoraleinerHandlungleicht überprüft werden, wenn man sie publik werden lässt. Würde man eine Handlung liebergeheimhalten,weilmanansonstenWiderstandoderProtestbefürchtet,istdas einIndizfürihreUngerechtigkeit.107 NachdemdieDeterminantenundEthikdesindividuellenHandelnsdiskutiertworden sind,kannseinAblauferläutertwerden.
106 Vgl.Göbel,E.:Unternehmensethik,S.29. 107 DasZusammenspielzwischenderindividuellen,institutionellenundöffentlichenEthikwird
imKapitel13„Unternehmensethik“ausführlicherdiskutiert.
77
7.4
7
Individuelles Handeln
7.5
Phasen des Handlungsprozesses
WieimKapitel7.2erläutertwurde,zeichnetsichmenschlichesHandelnimGegensatz zurTierweltdurchwillentlicheHandlungenaus:JedemHandlungsaktgehteinWille voraus (ausgeschlossen ist dabei das Verhalten, das von Trieben und Instinkten be stimmtwird).AusderkognitivenPerspektivegesehen,istmenschlichesHandelnein mentalerProzessausmehrerenPhasen,deraufdieVeränderungoderAufrechterhal tungderUmwelthinausgerichtetistunddadurcheinenaktivengestaltendenCharak terbesitzt.NachH.Heckhausen108beinhalteteineWillenshandlungfolgendePhasen:
dierealitätsorientierteMotivationsphase(BereitschaftzumHandeln); dieIntentionsbildung(BildungundVergleichvonAlternativen); dierealisierungsorientierte,präaktionalePhase(VorbereitungderAusführung); dieaktionaleHandlungsphase(eigentlichesHandeln)und die postaktionale Phase, die das Erzielte bewertet und für spätere Handlungen berücksichtigt(bewertendeMotivation). DamitlässtsichdasHandelnalseineKetteausfolgendenPhasendarstellen:Motivati on–Intentionsbildung–Vorbereitung–Aktion–Bewertung(bewertendeMotivation). EsbeginntundendetmitderMotivation(s.Abbildung). Abb.19:
RubikonModelldesHandelns(nachH.Heckhausen)
Motivation zum Handeln
Intentionsbildung
Vorbereitung
Rubikon
Handeln
Bewertende Motivation
In der realitätsorientierten Motivationsphase und Intentionsbildung entstehen Wün scheundAbsichten.„WirnehmenentsprechendbestimmteDingeinunsererUmwelt wahr, die in uns Gedanken, Handlungsantriebe und Bedürfnisse erwecken (Kaffee duft, schönes Wetter, ein interessant klingender Buchtitel); ebenso können – bewusst oderunbewusst–reininternkognitiveundemotionaleZuständeaufgerufenwerden 108 Heckhausen,H.:PerspektiveneinerPsychologiedesWollens,S.121142,zitiertnachRoth,G.:
Fühlen,Denken,Handeln,S.476.
78
Phasen des Handlungsprozesses
(ein Wunsch „steigt in uns auf“).“109 Dabei werden Menschen inneren und äußeren Antrieben ausgesetzt sowohl den emotionalen als auch den kognitiven. Die Phase endetmitderBildungeinerHandlungsabsicht(ÜberquerendesRubikons). In der realisierungsorientierten Vorbereitungsphase werden die Möglichkeiten der Realisierungeingeschätzt,obderWunschjetztundmitvorhandenenMittelnrealisiert werdenkann.EsgehtumdieZeitundGelegenheit,diebeabsichtigteHandlungaus zuführen.RationaleundemotionaleFaktorenspielenindiesemProzessebenfallseine wichtigeRolle.JehöherdieErwartung,destostärkeristdieNeigung,dieAbsichtzu verwirklichen. NachdemdieVorbereitungabgeschlossenist,kommteszudemeigentlichenHandeln, das selbst wiederum durch komplizierte Steuerungsprozesse unseres Gehirns be stimmtwird. Die letzte Phase beschäftigt sich mit einer rückblickenden Bewertung der Aktivität und ihrer Folgen. Gleichzeitig kann sie alsVorbereitung (Motivation) für die nächste Aktivitätbetrachtetwerden.DabeiwerdendieAttraktivitätdesZielssowiedieUrsa chenfürErfolgoderMisserfolgüberprüft. Diese Analyse kognitiver Inhalte einzelner Phasen macht die außerordentliche Rolle der Motivation für das menschliche Handeln deutlich: Motivation initiiert das Han delnundschließtesab,indemsieeinneuesHandelnvorbereitet. Kontrollfragen 1. ErläuternSiedasganzheitlicheModellindividuellenHandelns. 2. Beschreiben Sie kurz die kognitiven Kompetenzen der Handlungssteuerung bei Menschen(Antizipationsfähigkeit,Zielrepräsentationen,Selbstkontrolle). 3. ErläuternSiedieRollevonVerstand,VernunftundGefühlenimHandeln. 4. Warum hat jedes menschliche Handeln einen ethischen Aspekt? Welche Verant wortungträgteinehandelndePerson? 5. Erläutern Sie kurz die Theorie der moralischen Entwicklung nach L. Kohlberg (präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle Phase). Auf welcher StufebefindenSiesich? 6. BeschreibenSiePhasendesHandelnsnachH.Heckhausen.
109 Roth,G.:Fühlen,Denken,Handeln,S.491.
79
7.5
8
Motivation
8
Motivation
Motivation beantwortet die Frage nach dem „Warum“ des menschlichen Handelns. Wer diese Frage beantworten kann, versteht das Handeln seiner Mitmenschen und kannaufdiesesHandelneinen(begrenzten)Einflussnehmen,wobeisolcheEinfluss nahmenebenpragmatischenaucheinenmoralischenAspekthat. Abb.20:
Motivation:wiebringeichanderezueinembestimmtenHandeln?
Motivation von Mitarbeitern ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben einerFührungskraft.R.WundererbezeichnetVerhaltenssteuerungüberMotivationfür Ziele, Aufgaben, Mittel und Verhaltensweisen als zentrale, nichtdelegierbare Füh rungsaufgabe.110AllerdingswerdendiepraktischenMotivationsmittelundselbstdie MöglichkeiteinerFremdmotivationkontroversdiskutiert. MotivationsmethodenundtheorienwerdenvonwirtschaftlichenAnforderungenund allgemeinen gesellschaftlichen Werten geprägt. Die Zeit der Sklaventreiber mit Zu ckerbrot und Peitsche als Motivation ist vorbei, genauso wie die Zeit unpersönlicher Motivationvongesichtslosen,ersetzbarenMenschenRädchen.ModerneUnternehmen möchtennichtnurphysischeAnwesenheitundDienstnachVorschrift,sondernauch EngagementundKreativitätihrerMitarbeiternutzen,unddiesistnurauffreiwilliger Basis möglich. Neue Motivation kann nicht auf die alten unpersönlichen Methoden reduziertwerden,ihreAufgabeistvielmehr,PotenzialeundTalentezuerkennenund innereindividuelleMotivederMitarbeiterzuaktivieren. 110 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.112.
80 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
LutzvonRosenstielschreibtindiesemZusammenhangvonMotivationsmanagement, welches die Barriere für engagiertes Handeln der Mitarbeiter beseitigen, anregende Bedingungen schaffen, Personalentwicklung berücksichtigen und Identifikation för dern soll.111 Damit werden die Aufgaben der Motivation weit über das traditionelle SchaffenvonAnreizenhinauserweitert.DarausergibtsichdasmoderneMotivations konzeptmitseinenvierSeiten(s.Abbildung). Abb.21:
GanzheitlicheMotivationundihrevierSeiten
Anreize schaffen (individuelle Motivation)
Ganzheitliche Motivation
Demotivation verhindern
Personalentwicklung
Identifikation fördern
IndiesemKapitelwerdenzunächstZieleundMotivederMitarbeiterimZusammen hangmitMotivationdiskutiert,danachdiebekanntenInhaltUrsacheundkognitiven Motivationstheoriendargestellt.EswerdendieMöglichkeitenundProblemederUm setzung dieser Theorien in die Praxis erläutert. Diese theoretischen Ansätze geben einemFührendeneinebreitePalettevonMotivationsinstrumentenindieHand,dieer selbständigundkreativinderUnternehmenspraxistestenundweiterentwickelnkann. DanachwerdendieweiterenAufgabenderganzheitlichenMotivationdargestellt:das VerhindernderDemotivation,ständigePersonalentwicklungsowiedieFörderungvon Identifikation.NureinesystematischeArbeitanallenvierSeitenderMotivationkann RessourcenundKompetenzenderMitarbeiterimInteressedesGesamtunternehmens langfristigfördernundentfalten. ZurVerdeutlichungderpraktischenUmsetzungvonMotivationsinstrumentenwerden StudienergebnisseundBeispieleausderUnternehmenspraxisdargestellt. 111 Vgl.vonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.1718.
81
8
Motivation
8.1
Ziele, Motive und Motivation
MenschlichesHandelnistzielgerichtetundbasiertaufmentalenZielrepräsentationen. Dabei verfolgt jedes Individuum seine persönlichen Ziele, die mit seinen Interessen, Vorlieben,Fähigkeiten,ErfahrungenundWerten–sprichmitseinemgesamtenWissen – zusammenhängen. Ein Mensch kann gleichzeitig mehrere Ziele (z.B. langfristige, kurzfristige,situative)verfolgen,dieineinemkomplexenZusammenspiel,manchmal sogarimWiderspruch,zueinanderstehen. SokanneinhypothetischerStudent,derineineVorlesunggekommenist,gleichzeitig folgendeZieleverfolgen:
strategisch: denAbschluss zum „DiplomKaufmann“ bekommen, um eine Mana gerkarrierestartenzukönnenundvielGeldzuverdienen;
langfristig:dieentsprechendeKlausurmiteinergutenNotebestehen; kurzfristig:InhaltederVorlesungverstehen; situativ:mitseinerhübschenNachbarinflirten. Wofür entscheidet sich dieser Student? Wenn die Nachbarin hübsch genug ist und mitspielt, kann das situative Ziel dominant werden. Dabei wird das kurzfristige Ziel des Studenten gefährdet. Entwickelt sich dieses Verhalten zu einer Regel, dann wer denauchseinlangfristigesundstrategischesZielinFragegestellt. Ziele, die zu einem Zeitpunkt Priorität haben, wirken sich auf das Verhalten eines Menschenmotivierend,werdenzuaktiviertenMotiven.Motivesindspezifischepsy chischeDispositionen112,fürdasIndividuumselbstmeistunbewusstundnachaußen nicht erkennbar, die die Bereitschaft einer Person beschreiben, in einer Situation auf einebestimmteArtundWeisezuhandeln.MotivesindzumTeilangeboren(Instinkte und Triebe) und zum anderen Teil im Sozialisationsprozess entwickelt (erlernt). Die Ausprägung von Motiven ist personen und erfahrungsabhängig. Motive in ihrer Gesamtheit bilden einen Teil der Persönlichkeit, der durch die Motivstruktur be schriebenwird.EindurchBedingungenderSituationoderinnereBedingungeneiner Person aktiviertes Motiv wirkt verhaltensmotivierend. Somit stehen Motiv, Motiv struktur und Motivation in einem Zusammenspiel zu einander (s. folgende Abbil dung). AlsDispositionenvorhandeneMotivewerdendurchinnereoderäußereBedingungen zuaktiviertenMotiven.InnereBedingungensinddieBedürfnisseeinerPerson.113Ein akutesunbefriedigtesBedürfniswirdzueinemaktiviertenMotiv.DieäußerenBedin gungenwerdenalsAnreizebezeichnet. 112 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.225. 113 Eine ausführliche Diskussion über Bedürfnisse folgt im Kapitel 8.3 „InhaltUrsache
Theorien“.
82
Ziele, Motive und Motivation
Tabelle12: ZusammenspielzwischenMotiven,MotivstrukturundMotivation114 Verhaltensbereitschaft
Isolierter Tatbestand
Zusammenhang mehrerer Tatbestände
als Disposition vorhanden
Motiv
Motivstruktur einer Person
durch bestimmte Anregungsbedingungen (Bedürfnis, Anreiz) aktiviert
aktiviertes Motiv
Motivation
NachLutzvonRosenstiel:„MeistwerdensolchewahrgenommenenSituationenzum Anreiz,diealsGelegenheitzurBefriedigungdesjeweiligenMotivsinterpretiertwer den…DieAnreizehabenaufgrundihresspezifischen,mitdemBedürfniskorrespon dierendenInhaltseinenAufforderungscharakterdafür,bedürfnisbefriedigendeHand lungen einzuleiten und auszuführen.“115 Dadurch wird ein Wechselspiel zwischen Bedürfnissen, Motiven und Anreizen beschrieben. Die Gesamtheit von aktivierten MotivenineinerbestimmtenSituationwirdalsMotivationbezeichnet. UmseineMitarbeiterwirksammotivierenzukönnen,musseinManagerihrespezifi schenZiele,MotiveundBedürfnissekennenlernendieMotivationsinstrumenteindi viduellanpassenundbezüglichihrerWirksamkeitimmerwiederüberprüfen. Jeder Mitarbeiter muss an der Erreichung gemeinsamer Unternehmensziele Interesse haben,„zwischendenAnregungsbedingungenderSituationunddendominierenden MotivenderPersonsollteeininhaltlicherBezugbestehen.“116Daskanndadurchpas sieren, dass die Erreichung von persönlichen Zielen eines Mitarbeiters (ein weiterer Karriereschritt, eine Gehaltserhöhung, ein Auslandsaufenthalt, eine Weiterbildung etc.)mitdemErreichenvongemeinsamenZielen(einerLeistungsoderUmsatzsteige rung,einrechtzeitigerProjektabschluss,eineerfolgreichePräsentation,dasGewinnen vonneuenKundenetc.)verknüpftwird. MotivationistdieSummeaktivierenderBeweggründefürHandeln,Verhaltenund Verhaltenstendenzen. Nach Rolf Wunderer: „Motivation meint allgemein die An triebskraft und Bereitschaft zu einem bestimmten Verhalten und die Wahrscheinlich keitseinesAuftretens.“117 NorbertM.SeelhebtdieFolgendesHandelnsalsmotivierendeGründehervor:„Mo tivation ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche psychische Prozesse, die darin
114 InAnlehnunganvonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.25. 115 Ebd.,S.27. 116 Ebd.,S.41. 117 Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.58.
83
8.1
8
Motivation
übereinstimmen, dass Personen bestimmte Verhaltensweisen um ihrer Folgen willen auswählenundkonsistentbeibehalten.“118 Diese Definition legt den Schwerpunkt auf die Motivation durch Ziele (Zielerrei chung): Gewünschte Verhaltensweisen kommen nur zustande, wenn eine Person mit bestimmtenFolgenrechnet.EineandereArtderMotivationistMotivationdurchden Weg:DieArbeitansichmachtSpaß.
8.2
Intrinsische und extrinsische Motivation
R.SprengerbezweifeltinseinemBuch„MythosMotivation“119grundsätzlichdieMög lichkeit der Fremdmotivation und definiert Motivation als „ich will“. Diese bewusst provozierendeBehauptungsollnichtbedeuten,dassesgenerellunmöglichsei,Men schenzubestimmtemHandelnzubringen.VielmehrbetontSprengerdieWichtigkeit der Eigenmotivation für das schöpferische Tun sowie die Notwendigkeit richtige, individuellabgestimmteAnreizezugeben. Die Verhaltenspsychologie unterscheidet zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation:
intrinsische (innere) Motivation: Die Motive zum Handeln liegen innerhalb der Person(Leistungs,Lernmotive,Interesse,Spaßetc.)und
extrinsische (äußere) Motivation: Die Handlungsmotive entstehen aus äußeren Anreizen(Entgelt,Sozial,Status,Aufstiegsanreize,externerDrucketc.). Die Handlung, die aus intrinsischer Motivation entsteht, dient der persönlichen Be friedigung. Das Erbringen von Leistung sowie das Lernen gehören zu den menschli chen Bedürfnissen, deswegen zählen sie zu den intrinsischen Motiven. Die weiteren Faktoren,wieSpaßundInteresseanderArbeitzuhaben,spielenbeiderintrinsischen MotivationeinewichtigeRolle–dasistdieobenerwähnteMotivationdurchdenWeg, die es ermöglicht, dass nicht nur der Zweck (Folgen) sondern auch die Mittel (Weg) motivierendwirken.EinweitererFaktorintrinsischerMotivationistIdentifikationmit der Aufgabe, dem Unternehmen und gemeinsamen Zielen. Intrinsisch motivierte VerhaltensweisenkönnendurchFreiräumeundselbstständigesHandelninitiiertwer den.DerMitarbeiterstrebtdanach,eineSachevollzubeherrschenundseinBesteszu geben. Intrinsische Motivation setzt Neugier, Spontanität und Interesse an der Tätig keitvoraus.Sieistwirksam,dadiehandelndePersoneininneresBedürfnisverspürt, dieTätigkeitauszuführen.
118 Seel,N.M.:PsychologiedesLernens. 119 Sprenger,R.:MythosMotivation:WegeauseinerSackgasse.
84
Intrinsische und extrinsische Motivation
Extrinsisch motivierte Verhaltensweisen werden durch Aufforderungen in Gang ge setzt,derenBefolgungpositiveFolgen(Belohnung,Lobetc.)erwartenlässt.Manhan delt, um eine von der Handlung separierbare Konsequenz zu erlangen. Extrinsische Motivation basiert auf äußeren Faktoren wie Macht,Anerkennung, Prestige und Be lohnung. DieAuseinandersetzung mit beiden Formen der Motivation zeigt, dass zwischen in trinsischerundextrinsischerMotivationbestimmteÜberschneidungenbestehen.Beide Formenergänzenundbeeinflussensichgegenseitig.AufdereinenSeitesindnurdie Anreizewirksam,dieintrinsischeMotiveaktivieren.ZumBeispiel,eineMitarbeiterin, die einen Halbtagsjob macht, um soziale Kontakte zu haben und sonst von ihrem Partner materiell versorgt ist, wird nicht bereit sein, für mehr Geld Überstunden zu leisten. Manchmal kann extrinsische Motivation sogar zur Hemmung von innerer Motivationführen.VersuchteinManagerfüreinenintrinsischmotiviertenMitarbeiter verstärkt Anreize einzusetzen, dann vermittelt er ihm das Gefühl der Abhängigkeit undFremdbestimmung.DaskanndieintrinsischeMotivationzunichtemachen. DieAufgabeeinerFührungskraftbestehtdarin,Rahmenbedingungenfürdieintrinsi sche Motivation zu schaffen und durch individuell angepasste Anreize intrinsische Motivationzuaktivieren.ZudenwichtigstenFaktorenintrinsischerMotivationzählen Leistungs und Lernbedürfnis, Spaß und Interesse an derArbeit, selbständige Tätig keit, Verantwortung und Freiräume sowie Identifikation und Zugehörigkeit.AlsAn reizekommeninFrage:EntlohnungundZusatzleistungen,Beförderung,Möglichkei tenzurWeiterbildung,Lob,AuszeichnungenundAnerkennung. Einen besonderen Zustand der intrinsischen Motivation, das sogenannte Flow Erlebnis, hat der amerikanische Wissenschaftler M. Csikszentmihalyi untersucht. Er beschreibtFlowalsein„gezieltesAusrichtenderAufmerksamkeitaufeinebegrenzte Aufgabe,alseinVergessendereigenenPersonundderpersönlichenAngelegenheiten, alseinGefühlderBegeisterung,alseinNichtwahrnehmenderZeit.“120DieHandlung hatkeinübergeordnetesZiel,sonderndientalleinihremSelbstzweck.ImMittelpunkt stehteineAufgabe,dieeswertist,umihrerselbstwillengetanzuwerden,unddiees demAusführendenermöglicht,sichvolleinzusetzenundzuentwickeln. Diesen Zustand kennen die meisten von uns aus dem HobbyBereich. Wenn wir lei denschaftlichmalen,lesenoderSporttreiben,vergessenwirdieZeitundwerdenEins mitderTätigkeit.WirbenötigendabeikeineBelohnungundkeineAnerkennung. Kann man diesen Zustand auch in derArbeitswelt erreichen? Glücklich sind diejeni gen, die ihre Berufung gefunden und zum Beruf gemacht haben (ich gehöre auch dazu).UndwasistmitdenAnderen,diearbeitengehen,nurumGeldzuverdienen? Nach Csikszentmihalyi spielen dabei die Anforderungen, die an einen Mitarbeiter gestellt werden, die entscheidende Rolle: Sie sollten nicht zu hoch (sonst entstehen 120 Vgl.Csikszentmihalyi,M.:FlowimBeruf,S.270.
85
8.2
8
Motivation
Angst und Unsicherheit), aber auch nicht zu gering sein (sonst wird die Arbeit zu banaler Routine, Langeweile). Die Herausforderungen sollen in Einklang mit den Fähigkeitengebrachtwerden.DaswirdinderfolgendenAbbildungverdeutlicht. Abb.22:
FlowKorridorinAbhängigkeitvonAnforderungenundFähigkeiten hoch H e r a u s f o r d e r u n g
Stress
Beunruhigung
FLOW
Langeweile
Stress
niedrig niedrig
Fähigkeiten
hoch
Bei Managern können nach Csikszentmihalyi folgende Quellen für einen Flow Zustandvorkommen:eigenständigesArbeiten,UmsetzungeigenerIdeen,interessante Begegnungen, Befriedigung, etwas bewegt zu haben usw. Und wie sieht es aus mit den„einfachen“MitarbeiternimVerkauf,Büroangestellten,Putzkräften?WievielFlow erfahren sie an ihrem Arbeitsplatz? Wie kann man diese Berufsgruppen intrinsisch motivieren?Esistvorallemnotwendig,allenMitarbeiterdasGefühlzuvermitteln,für einewichtigeSachezuarbeitenundeinenunentbehrlichenBeitragzumGesamtergeb nis zu leisten. Diese Wertschätzung macht jede Tätigkeit sinnvoll. Darüber hinaus solltenmöglichstherausforderndeAufgabengestelltwerden,dieeinegewisseSelbst organisationundVerantwortungbeinhalten. ImWeiterenwerdenklassischeundmoderneMotivationstheoriendargestellt,diesich meistensmitbeidenFormenderMotivation,intrinsischerundextrinsischer,beschäfti gen.DabeiwirdzwischenInhaltUrsacheTheorien(WomitkannmaneinenMenschen motivieren?) und kognitiven, oder Prozesstheorien (Wie entscheidet sich ein Mensch fürbestimmtesHandeln?)unterschieden.
86
Inhalt–Ursache-Theorien
8.3
Inhalt–Ursache-Theorien
Die InhaltUrsacheTheorien befassen sich damit, welche Motive den Menschen zu einembestimmtenHandelnbewegen.DieTheorienvonA.Maslow(1954),C.Alderfer (1972), F. Herzberg (1967) und D. McClelland (1961) zählen dazu. Im Kern bestehen Inhaltstheorien jeweils aus einer Klassifizierung der menschlichen Bedürfnisse. Den InhaltUrsacheTheorien gemein ist der Versuch, die Antriebsstruktur eines Indivi duums unabhängig von seiner sozialen Position durch verschiedene Variablen zu erfassen. MenschlicheBedürfnissesindvielfältigundindividuell.InAnlehnunganW.Rost121, dersichausführlichmitmenschlichenEmotionenbeschäftigthat,kannmanfolgende ListevonphysiologischenundsozialenBedürfnissenerstellen. Tabelle13: MenschlicheBedürfnisseinAnlehnunganW.Rost Physiologische Bedürfnisse 122
Hunger, Appetit
;
Durst, Appetit;
Soziale Bedürfnisse Geselligkeitsbedürfnis;
Kopulationstrieb und Partnerselektion, Sex;
Bedürfnis nach Anerkennung (durch andere und durch sich selbst);
Harn- und Stuhldrang;
Gerechtigkeitssinn;
Schlafbedürfnis;
Fürsorgebedürfnis;
Temperatur-Homöostase;
Familiensinn;
Bewegungsdrang;
Bedürfnis nach Bestimmtheit;
Ruhebedürfnis;
Ordnungsliebe;
Schmerzvermeidung;
Kompetenzbedürfnis;
Bedürfnis nach Licht;
Neugier;
Bedürfnis nach Sauerstoff;
Spieltrieb;
Haut- und Körperkontakt (teilweise sozialbedingt) etc.
Lernbedürfnis; Freudebedürfnis; Sinn für Ästhetik etc.
DieseÜbersichtzeigt,dassdiemenschlichenBedürfnissevielkomplexerundvielfälti gersind,alswiresunsaufdenerstenBlickvorstellenundalsesindenmeistenMoti vationstheorien vorausgesetzt wird. Sie sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt und von persönlichen Faktoren wie Alter, Ausbildungsstand, Interessen, Familienstandetc.abhängig.DieweiterfolgendenInhaltUrsacheTheorienderMoti 121 Vgl.Rost,W.:Emotionen. 122 DieMenscheninwestlichenGesellschaftenhabenlautW.RostnichteinfachHunger,sondern
Lust auf etwas Bestimmtes, deswegen nicht einfach Hunger, sondern Appetit. Das Gleiche giltfürDurst.
87
8.3
8
Motivation
vationstellentheoretischeKonzeptedar,wiemandurchdieAktivierungbestimmter BedürfnisseeineLeistungsmotivationderMitarbeitererreichenkann.
8.3.1
Die Bedürfnistheorie von Abraham Maslow
DieMotivationstheorievonA.Maslow123(erschienen1954)zähltzudenbekanntesten undisteinfach,verständlichaufgebautundgutnachvollziehbar.DieGrundideedieser Theorieistdiesogenannte„Bedürfnispyramide“,dieübrigensimOriginalbeiMaslow nichtvorkommt,aberfürvieleGenerationenvonWirtschaftsstudentenundManagern zueinemSymbolgewordenist(diesisteingutesBeispieldafür,welcheMachtBilder undSymboleüberMenschenhabenkönnen). Abb.23:
BedürfnispyramidenachA.Maslow
Selbstverwirklichung
Wachstumsmotive
Achtung
soziale Bedürfnisse
Defizitmotive
Sicherheitsbedürfnisse
physiologische Bedürfnisse
Die Bedürfnisklassen (von unten nach oben) werden bei Maslow wie folgt beschrie ben:124 1.
PhysiologischeBedürfnisse(Triebe)wieHunger,Durst,Schlafetc.;
2.
SicherheitsbedürfnissewieStabilität,Sicherheit,Geborgenheit,Angst freiheit,BedürfnisnachStruktur,Ordnung,Gesetzetc.;
3.
SozialeBedürfnisse–Zugehörigkeit,ZuneigungundLiebe;
4.
Bedürfnis nachAchtung durch sich selbst (Stärke, Leistung, Kompe tenz)unddurchandere(Respekt,Prestige,RuhmundDominanz); 123 Maslow,A.H.:MotivationundPersönlichkeit. 124 Ebd.,S.7489.
88
Inhalt–Ursache-Theorien
5.
BedürfnisnachSelbstverwirklichung(AusnutzungdereigenenFähig keiten,AutonomieundKreativität).
DieseBedürfnisse,die,fallssienochnichtbefriedigtsind,alsMotivedienenkönnen, werden in Defizit und Wachstumsmotive unterteilt. Defizitmotive werden nur aktiv, wenneinMangelzustandvorliegt.ZudieserGruppegehörendieunterenStufenund teilweiseauchdievierteStufe(weileine„minimalnotwendige“AchtungalsDefizitbe dürfnisangesehenwerdenkann,esaberkein„zuviel“gibt).Demzufolgegehörendie SelbstverwirklichungundaucheinTeilderAchtungsbedürfnissezudenWachstums motiven.DieseBedürfnissekönnennievollständigbefriedigtwerden. NachMaslow,werdennichtalleBedürfnissegleichzeitigzuMotiven.DieVerhaltens wirksamkeit der Bedürfnisse hängt mit ihrer Befriedigung oder Nichtbefriedigung zusammen. Nur ein akut unbefriedigtes Bedürfnis wird zu einem Motiv. Sind die Bedürfnisse einer niedrigeren Gruppe befriedigt, so erscheinen Bedürfnisse höher stehenderGruppen. DieserAnsatz wird häufig – und gerecht – kritisiert: Ist die Reihenfolge von Bedürf nisklassen für alle Menschen gleich? Können Menschen zu einem bestimmten Zeit punkt mehr als ein unbefriedigtes Bedürfnis haben? Einige Beispiele erläutern das Problem. Auch ein hungriger Mensch braucht Zuneigung und Achtung. Manchmal sindwirbereitaufBequemlichkeitundReichtumzuverzichten,umunsereIdealezu verwirklichen. Das bedeutet, dass die Menschen viel komplexer sind, als das Mas low´sche Modell vom Menschen. Eine dynamische Darstellung der Bedürfnistheorie (s.Abbildung)entsprichteherdemGrundgedankenvonMaslow. Abb.24:
DynamischeDarstellungderBedürfnistheorie125
125 Bildquelle:Bröckermann,R.:Personalwirtschaft,S.380.
89
8.3
8
Motivation
Die einzelnen Bedürfnisstufen sind nicht starr voneinander abgegrenzt, sondern alle gleichzeitigvorhanden,jedochmitverschiedenenAusprägungsgraden.Diebefriedig ten Bedürfnisse klingen nie völlig ab, sondern nehmen nur in ihrer Stärke ab. Das VerhaltenwirddurchmehrereBedürfnissebestimmt,diesichüberlappen,wobeieine Bedürfnisklasseaktuellvorherrscht. EinenVersuch,dieBedürfnistheorievonMaslowzumodifizierenundihreSchwächen (vor allem, den einzelnen Weg der Bedürfnisbefriedigung von unten nach oben) zu bereinigen,hatC.AlderfermitseinerERGTheorieunternommen.
8.3.2
ERG Theorie von C. Alderfer126
Die größte Schwäche des Ansatzes von Maslow hat Alderfer darin gesehen, dass er sichnurschweroperationalisierenlässt.DaherentwickelteeranhandseinerUntersu chungen seine „Bedürfnistheorie der Organisationspsychologie“ (1972), auch „ERG Theorie“ genannt. Er unterscheidet im Gegensatz zu Maslow nur drei Motivgrup pen127.
E – „Existence“, Existenzbedürfnisse. Diese Gruppe umfasst die physiologischen Bedürfnisse, materielle Sicherheit, Belohnung und Entlohnung sowie dieArbeits bedingungen.
R–„Relatedness“,Beziehungsbedürfnisse.DiesozialenBedürfnisseeinschließlich derinterpersonellenSicherheitsowieeinTeilderBedürfnissenachAchtung(inter personelleAchtung)sindindieserGruppezusammengefasst.
G – „Growth“, Wachstumsbedürfnisse/Selbsterfüllungsbedürfnisse. Diese Gruppe entsprichtderDefinitionderWachstumsmotive.SiebeinhaltetsowohldasBedürf nisnachSelbstverwirklichungalsauchnachSelbstachtung. Alderfer gehtvon folgenden Thesen aus, die sich von den Maslow´schenAnnahmen unterscheiden: 1. EskannmehralsnureinBedürfnisgleichzeitigmotivierendwirken.Sogaralledrei Ebenenkönnenessein. 2. Die Hierarchie der Bedürfnisse, wie sie Maslow beschrieben hat, ist nicht immer wirksam. Die Befriedigung eines unteren Bedürfnisses ist keine notwendige und gleichzeitigkeineausreichendeBedingungfürdasWirksamwerdeneineshöheren Bedürfnisses. Neben dem normalen Weg entsprechend Maslow (s.Abbildung, normale Pfeile) gibt es weitere Möglichkeiten, die Alderfer mit Frustration verbindet. Unter Frustration 126 Alderfer,C.P.:Existence,Relatedness,andGrowth. 127 Bullinger,H.J.:ErfolgsfaktorMitarbeiter:Motivation–KreativitätInnovation,S.25.
90
Inhalt–Ursache-Theorien
wirdeinZustandderEnttäuschungverstanden,dasseinevomIndividuumangestreb teBedürfnisbefriedigungdurcheinäußeresHemmnisnichterreichtwird. Alderfer formuliert Prinzipien, mit denen die Reaktionsformen und Bedingungen veränderterMotivbedeutungbestimmtwerden.DiesePrinzipienergänzendieTheorie von Maslow durch zwei weitere Wege der Bedürfnisbefriedigung: Frustrations ProgressionsundFrustrationsRegressionsWeg. DerFrustrationsProgressionsWeg(doppeltePfeile)bedeutet,dassbeiNichtbefriedi gung eines Bedürfnisses ein höher liegendes inAnspruch genommen wird. Beispiel: Es gibt Menschen, die sichmit weniger Gehalt zufrieden geben, wenn sieihre Tätig keitineinemruhigenArbeitsklimaverrichtenkönnenoderSpaßanderArbeithaben. Dieser Weg beschreibt eine typische Situation eines Praktikanten, der nach demAb schluss des Studiums für wenig Geld für ein Unternehmen arbeitet, da er dadurch neueKompetenzenerwirbtundbessereJobchancenerwartet. Abb.25:
ERGTheorievonAlderfer128
„Frustration“ Keine Befriedigung der G Bedürfnisse
Dominanz der GBedürfnisse
Befriedigung der G - Bedürfnisse
„Frustration“ Keine Befriedigung der R Bedürfnisse
Dominanz der RBedürfnisse
Befriedigung der R - Bedürfnisse
„Frustration“ Keine Befriedigung der E Bedürfnisse
Dominanz der EBedürfnisse
Befriedigung der E - Bedürfnisse
Frustrations - Progressions - Hypothese
Frustrations- Regressions - Hypothese Normalverlauf analog zu Maslow
Der FrustrationsRegressionsWeg (s. Abbildung, gestrichelte Pfeile) besagt, dass die NichtbefriedigungeinesBedürfnissesnichtzumVerharrenaufdieserEbene,sondern 128 Vgl.Weinert,A.:Organisationspsychologie,S.149.
91
8.3
8
Motivation
zur Reaktivierung bereits befriedigter Bedürfnisse führt. Zum Beispiel kann eine Nichtbefriedigung von Beziehungsbedürfnissen durch eine höhere Entlohnung kom pensiertwerden.MansubstituierteinBedürfnisdurcheinhöherbefriedigtesanderes Bedürfnis. DieERGTheorieentsprichtderAnnahmeüberindividuelleundsituativeUnterschie de zwischen Menschen. Die Einflussgrößen wie Bildungsniveau, familiärer Hinter grund oder Arbeitsmarktsituation können Antriebskraft einer Bedürfnisgruppe für eine Person wesentlich verändern. Die verschiedenen Wege der Befriedigung von BedürfnissenbedeutenfüreineMotivationssituationinderRealität,dassdieMitarbei teraufdieNichtbefriedigungvonbestimmtenBedürfnissenunterschiedlichreagieren können.Nichtnurder„normative“WegnachMaslow,sondernauchdiealternativen Wege sollten berücksichtigt werden.Allerdings können die Frustrationswege nur als kurzfristige, provisorische Lösungen angesehen werden: Verzicht und erzwungene KompensationgebenaufDauerkeineBefriedigung.
8.3.3
Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie
Aufgrund von umfangreichen empirischen Studien hat F. Herzberg versucht, über eine Beschreibung von Ereignissen und Situationen die Bedingungen vonArbeitszu friedenheitzuermitteln.SeineTheorie(veröffentlicht1959)istalsTheoriederArbeits zufriedenheitoderZweiFaktorenTheoriebekanntgeworden,weilerzweiTypenvon Faktorenunterscheidet:
Motivatoren (Zufriedensteller), die die Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit fördern (Leistung, Anerkennung, Verantwortung, Erfolg und interessante Aufga ben)und
Hygienefaktoren (Unzufriedensteller), deren Nichtbefriedigung sich negativ aus wirkt (Arbeitsbedingungen und umgebung, Sicherheit, Beziehung zu Vorgesetz tenundKollegen,Geld/Entlohnungetc.) DiefolgendeAbbildungzeigtdiestatistischeAuswertungdervonHerzberg(zusam men mit Mausner und Snyderman) durchgeführten Befragung, die als Grundlage seiner Theorie dient. Die Frage, die in dieser so genannten PittsburgStudie gestellt wurde, war simpel formuliert: „Bitte nennen Sie einige Faktoren aus Ihrem Berufsle ben, die Sie besonders (un)zufrieden gemacht haben.“ Es gibt vielerleiKritik an der Theorie von Herzberg, die sowohl seine Untersuchungsmethode als auch seine Schlussfolgerungen betrifft. Zum Beispiel, gibt es laut Abbildung keineswegs eine klare Trennung zwischen Motivatoren und Hygienefaktoren, die Meinungen von Befragten sind unterschiedlich.Außerdem wurde die Befragung nur unter Ingenieu renundBuchhalterndurchgeführt,wasihreAussagekraftrelativiert.
92
Inhalt–Ursache-Theorien
Die Zufriedensteller oder Motivatoren sind für Herzberg überwiegend intrinsische AspektederArbeit,diesichvorallemaufdieAusgestaltungundFörderungspotenzia lederZufriedenheitundderArbeitsleistungbeziehen.HerzberghatfolgendeMotiva torenermittelt(NennunginRangfolgederHäufigkeit):Leistungerbringen,Anerken nung finden, einen interessanten Arbeitsinhalt haben, Verantwortung übernehmen sowieFortschritt(Aufstieg).129DieseMotivatorensindfürdieArbeitszufriedenheitvon entscheidenderBedeutung. Abb.26:
Faktoren,dienachHerzbergzuZufriedenheit/Unzufriedenheitführenkönnen130
Im Zusammenhang mit Unzufriedenheit im extrinsischen Arbeits und Beziehungs umfeld hat Herzberg Hygienefaktoren definiert, die als Unzufriedensteller oder Frustratorenbezeichnetwerden(inderRangfolgederHäufigkeit):Unternehmenspoli tik bzw. organisation, dieArt der Personalführung, Beziehung zu Vorgesetzten und Kollegen,äußereArbeitsbedingungensowieEntlohnung.131Genaugenommennimmt FaktorLohnindenUntersuchungenvonHerzbergehereineneutraleStellungein,da 129 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.106. 130 Bildquelle:vonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.166. 131 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.107.
93
8.3
8
Motivation
erebensohäufigalsUrsachefürZufriedenheitwiefürUnzufriedenheitgenanntwur de. NachHerzberg,reichtesfürdieMotivationnicht,dieUnzufriedenstellerzubeseitigen –guteArbeitsbedingungenzuschaffen,entsprechendeEntlohnungzugewährleisten, angemessenesFührungsverhaltenzugarantieren.EswürdenurzumFehlenvonUn zufriedenheit führen, nicht aber Zufriedenheit schaffen. Manager, die nur für Hygie nefaktorensorgen,erzeugenRuhe,abernichtunbedingtMotivation.Nurintrinsische Faktoren können motivierend wirken. Zu diesen gehören: Leistung, Anerkennung, Verantwortung, Beförderung, die Arbeit selbst, die Möglichkeit zum persönlich geistigenWachstumetc. DieZweiFaktorenTheoriehatdieinteressanteErkenntniserbracht,dassmangleich zeitigzufriedenundunzufriedenseinkann.BestimmtemotivierendeFaktorenreichen nicht, um eine konsequente Motivation zu schaffen: Gehalt undArbeitsbedingungen alleinwirkennichtleistungsmotivierend.SohatdieTheorievonHerzbergImpulsefür moderne inhaltsorientierteArbeitsgestaltungstheorien geschaffen – wie die Bereiche rung vonAufgaben JobEnrichment oder Delegation der Initiative und Selbstverant wortung.GleichzeitighatHerzbergseineAufmerksamkeitaufdieUnzufriedensteller ausgerichtetunddamiteinenGrundsteinfürdieEntwicklungvonheutesehrverbrei tetenAnsätzen über Demotivation gelegt. Das Fehlen von Hygienefaktoren kann auf Mitarbeiterdemotivierendwirken,dannhelfenkeinemotivierendenMaßnahmen.132
8.3.4
Bedürfnisfaktorentheorie von D. C. McClelland
NocheineMotivationstheorie,dieaufmenschlichenBedürfnissenaufbaut,istdievon McClelland(1961).ImGegensatzzuMaslowgehtMcClellandnichtvoneinerBedürf nishierarchie aus, sondern untersucht die spezifischen Verhaltenskonsequenzen von Bedürfnissen. Nach McClelland wird das menschliche Verhalten nicht von einem aktivierten Motiv beeinflusst, sondern ist Ergebnis eines Zusammenspiels grundle gender Motive, die bei allen Menschen vorhanden, aber individuell unterschiedlich ausgeprägtsind.EssindvorallemLeistungs,ZugehörigkeitsundMachtbedürfnisse, dazukommtergänzendeinVermeidungsmotiv. Das Leistungsbedürfnis ist eine Disposition des Strebens nach Leistung und Erfolg. Dieses Bedürfnis kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein – einige Menschen ver spüreneinenzwanghaftenDrangnachErfolg.SiestrebenehernachpersönlicherLeis tung als nach den Belohnungen des Erfolgs alssolchen.DieseIndividuen haben den Wunsch,etwasbesserodereffizienterzutun,alsesjezuvorgetanwurde,ihrCredo lautet„Wennichetwastue,dannebengut.“LeistungsmotivierteMitarbeiterinUnter nehmensindinderLage,selbständigzuarbeitenundVerantwortungzuübernehmen. 132 EineDiskussionüberDemotivationfolgtimKapitel8.6.
94
Inhalt–Ursache-Theorien
VondemVorgesetztenerwartensieeinschnellesFeedbacküberihreLeistung.Beson dersmotivierendwirkenaufsolcheMitarbeiterherausforderndeZiele. DasZugehörigkeitsbedürfnisentsprichtkomplettdemvonMaslowundumfasstden WunschnachkontaktintensiverInteraktion,nachZugehörigkeitzusozialenGruppen, Anerkennung und Liebe. Mitarbeiter mit ausgeprägtem Zugehörigkeitsbedürfnis streben nach Freundschaften, sind gut geeignet für Kooperationen und Teamarbeit, sindeherkonkurrenzscheuundlegengroßenWertaufBeziehungenundgegenseitiges Verständnis. Für die Motivation solcher Mitarbeiter sind persönliche Beziehung und OffenheitsowieAnerkennungvonderSeitedesVorgesetztenwichtig. Das Machtbedürfnis manifestiert sich im Streben, eine überlegene Position zu errei chen,etwaszubewirkenundEinflusszunehmen.Individuenmitstarkausgeprägtem Machtbedürfnis sind gerne „zuständig“, besetzen statusorientierte Positionen und kümmernsichumPrestige,wobeiihneneineeffektiveLeistungverlorengehenkann. MotivationvonmachtorientiertenMitarbeiternkanndurchDelegationvonVerantwor tunginFormvonZuständigkeitundGruppenleitungstattfinden,wosieihreBedürf nissenachStatusundEinflussbefriedigenkönnen.Esistdabeiwichtig,dieeigentliche LeistungdieserMitarbeiterregelmäßigzubewerten. Das Vermeidungsmotiv wurde von McClelland später ergänzend eingeführt und bezieht sich auf die Vermeidung von Versagen, Ablehnung und Misserfolg. Somit kanndiesesMotivinWiderspruchzudenanderendreikommen,wennbeiihrerBe friedigungeinunerwünschtesErgebniszustandekommt. AllevierFaktoreninihrerGesamtheitleitennachMcClellanddasVerhaltenvonMen schen.InseinenzahlreichenempirischenUntersuchungenhatMcClellandnachgewie sen, dass eine höhere Leistung nicht nur vom Leistungsbedürfnis abhängig ist, son dern auch von der Vermeidung von Sanktionen oder von Hilfsbereitschaft (soziale Beziehungen) begründet werden kann. Je nach dominierendem Bedürfnis brauchen Mitarbeiter eine oder andereMotivationssituation, z.B. für leistungsmotivierte Mitar beitersindArbeitssituationenoptimal,dievonpersönlicherVerantwortung,Feedback undmittelmäßigemRisikogeprägtsind.UnterdiesenBedingungensinddieMitarbei termiteinemstarkenLeistungsbedürfnishochmotiviert.133Besondersförderndistdie LeistungsorientierungfürdieLeitungeinereigenenFirmaodereinesProjektes.Ande rerseits macht ein ausgeprägtes Leistungsbedürfnis eine Person nicht unbedingt zu einem guten Manager, da sie eher selbst Leistungen erbringt und nicht andere zu großen Leistungen bewegt. Forschungsergebnisse belegen, dass die besten Manager einhohesMachtundeingeringesZugehörigkeitsbedürfnisaufweisen.134 DieTheorievonMcClellandzeigtdieGrenzenextrinsischerAnreizeunddieNotwen digkeiteinerdifferenziertenGestaltungderLeistungsmotivation.ExtrinsischeAnreize können bestehende Leistungsmotive nur unterstützen, wenn sie als attraktive Beloh 133 Vgl.Robbins,S.:OrganisationderUnternehmung,S.202. 134 Ebd.
95
8.3
8
Motivation
nungenfürdieangestrebtenZieleundErgebnisseerscheinen.DieTheoriekanninsbe sonderezurSchaffungvonindividuellerintrinsischerMotivation,fürdieAnalysedes Machtverhaltens in Unternehmen sowie für Maßnahmen gegen Demotivation erfolg reicheingesetztwerden.
8.3.5
Profil der fundamentalen Motive nach S. Reiss
Eine neue InhaltUrsacheTheorie ist das von S. Reiss im Jahre 2000 veröffentliche ProfilderfundamentalenMotive(ReissProfileofFundamentalGoalsaudMotivatio nalSensitivities).135DerAutorhatüber400ZielemenschlichenHandelnsgesammelt und in mehreren Studien mit über sechs Tausend Versuchspersonen zu 16 Motiven verdichtet(s.folgendeTabelle). Tabelle14:ReissProfilderfundamentalenMotive136 Motiv (Original)
Motiv (deutsch)
Inhalt
Power
Macht
Streben nach Leistung und Einfluss
Independence
Unabhängigkeit
Streben nach Freiheit und Autarkie
Curiosity
Neugier
Streben nach Lernen und Wissen
Acceptance
Anerkennung
Streben nach Lob und sozialer Zugehörigkeit
Order
Ordnung
Streben nach Regeln und Organisation
Saving
Sparen
Streben nach Sammeln und Anhäufen materieller Güter
Honor
Ehre
Streben nach Integrität und Einhalten des Verhaltenskodexes
Idealism
Idealismus
Streben nach sozialer Gerechtigkeit und sozialem Engagement (Altruismus)
Social Contact
Beziehungen
Streben nach Zusammensein mit Freunden
Family
Familie
Streben nach Familienleben und Kindern
Status
Status
Streben nach sozialem Aufstieg und öffentlicher Aufmerksamkeit
Vengeance
Rache
Streben nach Wettbewerb, Aggressivität und Vergeltung
Romance
Eros
Streben nach Erotik, Sexualität und Schönheit
Eating
Essen
Streben nach Nahrungsaufnahme
Physical Activity
Körperliche Aktivität
Streben nach Bewegung und Sport
Tranquility
Ruhe
Streben nach Entspannung, emotionalem Gleichgewicht
135 Reiss,S.:WhoamI?The16BasicDesiresthatMotivateourBehaviorandDefineourPerson
ality. 136 ZitiertnachHenze,J.u.a.:Personalführungslehre,S.126.
96
Prozesstheorien
DieseMotivestellennachReissfundamentaleLebenszielejedesMenschen,sindaller dingsinBezugaufihreAusprägungindividuumspezifisch.ImGegensatzzuMaslow istjedesdieserfundamentalenMotivegleichberechtigt.DasMotivprofilhatdenCha raktereinerPersönlichkeitseigenschaft,istindividuellunddeskriptiv. DasModellvonReissbetontindividuelleundintrinsischeNaturderMotivation:Jedes HandelnwirdmitdemZweckeinsvondenLebenszielenzuerreichenausgeübt.Die TheoriehatindenUSAeinebreiteBeachtunggefunden,istallerdingsinDeutschland kaum bekannt. Man kann sich vorstellen, dass dieses Modell nach einer gewissen AprobationszeitseinenWegindieFührungspraxisfindenwird. BedeutungvonInhaltUrsacheTheorien:SiehabeneinenwichtigenBeitragzurEnt wicklungderMotivationstheoriegeleistet.DieseAnsätzehabensowohltheoretischals auchempirischfolgendeErkenntnisseerbracht,diebeiderGestaltungvonMotivation inUnternehmendienenkönnen:
menschlicheBedürfnissekönneninFormvonaktiviertenMotivenverhaltensbeein flussendwirken,
Bedürfnissesindindividuell,subjektivundkulturspezifisch, nicht alle Bedürfnisse wirken direkt motivierend, zum Teil schaffen sie nur die Bedingungen,dieUnzufriedenheitminimieren,
intrinsischeMotivationistwirksamer,alsextrinsische, nur eine gezielte auf individuelle Bedürfnisse der Mitarbeiter ausgerichtete Moti vationwirktverhaltensmotivierend.
8.4
Prozesstheorien
Die Prozesstheorien der Motivation beschäftigen sich mit kognitiven Vorgängen bei derEntscheidungsfindung,d.h.mitdenProzessen,diezwischendemMotivunddem aktivenHandelnstehen.ImMittelpunktderBetrachtungstehtdieFrage,wiesichein Mensch für ein bestimmtesHandeln entscheidet und entsprechend seinen Erwartun gen und Werten zur Erreichung seiner Ziele eine der gegebenen Alternativen aus wählt. Prozesstheorienversuchenzuerklären,wieArbeitsmotivationunabhängigvomInhalt initiiertundgefördertwerdenkann.GrundannahmedieserAnsätzeistdieVorstellung vom „rationalen Menschen“, was die Anwendung dieser Theorien einschränkt. Die bekanntestenProzesstheorienstammenvonV.Vroom(1964),L.PorterundE.Lawler (1968)undvonE.Locke(1968,erweiterteTheorie1990).EineinteressanteVarianteder
97
8.4
8
Motivation
Verbindung einiger Elemente der InhaltUrsacheTheorien mit Prozesstheorien stellt dasLeistungsdeterminantenkonzeptvonJ.Berthel(1997)dar.
8.4.1
Die VIE–Theorie von V. Vroom
Die VIETheorie von Victor Vroom (auch als Erwartungstheorie bekannt) beschreibt denAuswahlprozess des Handelns bei einem Individuum. Sie beruht auf dem Weg ZielAnsatz,derfrüherdiskutiertwurde:EsgibtzweiMöglichkeitenderMotivation– durchdasZiel(dieFolgendesHandelns)unddurchdenWeg(dieArbeit,Leistungan sich). Vroom betrachtet die Motivation durch Ziele und behauptet, dass die Leistung (der Weg) nur dann erbracht wird, wenn ein Ziel erstrebenswert erscheint. Die Frage, ob einMitarbeiterleistungsmotiviertist,hängtimGegensatzzudenAnnahmenvonden UrsacheInhaltsTheorien nicht nur von seiner Anlage und Sozialisation ab, sondern auch von der Situation und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. DieArbeits leistung, die von dem Mitarbeiter erbracht wird, ist nach Vroom eine Funktion von seinen Fähigkeiten und seiner Motivation (Bemühung). Für die Bemühung sind ein hoherNutzenundeinehoheWahrscheinlichkeitdesErfolgesausschlaggebend. DementsprechendstehenimMittelpunktderVIE–TheoriefolgendedreiVariablen:137
Valenz (V) der subjektive Nutzen, oder Wert eines Ergebnisses: Das Ergebnis ist anziehend, abstoßend oder gleichgültig (positive Valenz haben z.B. Geld und Be lohnung; negative Valenz – Gefahr und Schmutz; Valenz von Null bedeutet, man istneutral).
Instrumentalität (I) einer Handlung ist ein Maß, welches die Wahrscheinlichkeit mitderdieHandlungzueinembestimmtenZiel(Ergebnis)führt,mitdemVorzei chenderValenz(+1,0oder1,beipositiven,neutralenodernegativenWertdesEr gebnisses) verbindet und damit ein normiertes Maß für den Anreiz zu dieser Handlungschafft.
Erwartung (E) ist die subjektive Wahrscheinlichkeit, mit einer bestimmten Hand lungeinbestimmtesErgebniszuerzielen. AusderVerknüpfungvonV,IundEergibtsichdieKraftdesEinsatzes,oderdieei gentlicheMotivationfüreinebestimmteHandlung:MathematischgesehenalsErwar tungswertdesNutzensdieserHandlungoderineinerhäufigbenutzenFormeldarstel lungausgedrückt,siehtdasErgebnisnachVroomwiefolgtaus: Leistungsbereitschaft=f(V,I,E)
137 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.115.
98
Prozesstheorien
Die Leistungsbereitschaft (Motivation) eines Mitarbeiters wird hoch sein, wenn seine subjektiveErwartunghochist,dassseineBemühungzuhochbewertetenErgebnissen führt, sowie die Endergebnisse eine hohe Valenz aufweisen und den individuellen Werteprioritätenentsprechen. DieErwartungstheoriebasiertaufdemökonomischenErklärungsansatzmenschlichen VerhaltensundderVorstellungvonMenschenalsrationalhandelndemWesen.Dieses Bild wird etwas relativiert durch das Benutzen von subjektiven Größen: individuell empfundenem Nutzen und wahrgenommenen Wahrscheinlichkeiten. Die Multiplika tiondessubjektivenNutzensmitdersubjektivwahrgenommenenWahrscheinlichkeit hilftzuprognostizieren,obdiebetrachteteAlternativegewähltwird.FolgendeAbbil dungstelltdenEntscheidungsprozessüberAusführungeinerAktivitätdar,wobeialle FaktorensubjektivwahrgenommeneGrößensind. Abb.27:
EntscheidungsprozessnachV.Vroom
Vom Individuum betrachtete Aktivität
Erwartetes Handlungsergebnis der Aktivität
Erfolgszuordnung
Wertigkeit des Ergebnisses für Individuum
Motivation, die Aktivität auszuführen
Wertzuordnung
WiedieAbbildungzeigt,werdenbeiderEntscheidungsfindungübereineAktivitätim RahmenkognitiverProzesseimKopfeinesMitarbeitersfolgendeFragengestelltund beantwortet:
WerdeichbeieinerBemühungdieseAufgabelösenkönnen?(Erfolgszuordnung) WirddieserErfolgzueinempositivenErgebnisführen? WiewichtigistfürmichdiesesErgebnis?(Wertzuordnung) Bei positiver Beantwortung dieser Fragen ist der Mitarbeiter motiviert, die Aktivität (Aufgabe)auszuführen. FürdieMotivationvonMitarbeiternsindlautdemAnsatzvonVroommehrereBedin gungennotwendig.DieBemühungenvoneinemMitarbeitermüssenzuhöhererLeis tungführen.DieseLeistungistabernichtnurvonderBemühung,sondernauchvon FähigkeitenundFertigkeitendesMitarbeiters,Arbeitsbedingungenundvorhandenen Ressourcen abhängig. Es ist dieAufgabe des Managers, diese Bedingungen zu über
99
8.4
8
Motivation
prüfen und gegebenenfalls zur Verfügung zu stellen. Die Leistung des Mitarbeiters muss zur Erreichung seiner persönlichen Ziele führen, sonst ist der subjektive Wert derLeistungzugering.DafürsolltenBelohnungenjeglicherArtmitderLeistungun mittelbarverbundenwerden. DieVariablenV,IundEbildenAnsatzpunktefürdiepraktischeMotivationvonMit arbeitern und können nach L. von Rosenstiel in die Motivationspraxis auf folgende Weiseumgesetztwerden:138 Tabelle15: PraktischeMotivationamVIEModell Valenz
Die Attraktivität des Ziels kann für einen Mitarbeiter durch partizipative Zielformulierung und die Verknüpfung mit dem Erreichen seiner persönlichen Ziele erhöht werden
Instrumentalität
Der Manager kann aufgrund seiner Kenntnis von Stärken und Schwächen eines Mitarbeiters effiziente Wege und Mittel zur Zielerreichung vorschlagen und zusammen mit dem Mitarbeiter diskutieren
Erwartung
Beratung, Coaching und persönliche Gespräche mit dem Mitarbeiter, gegebenenfalls Qualifizierung und Weiterbildung, erhöhen die subjektive Wahrscheinlichkeit des Mitarbeiters, das Ziel zu erreichen
8.4.2
Zirkulationsmodell von L. Porter und E. Lawler
DiesesModellergänztdieTheorievonVroom.L.PorterundE.Lawlerbetrachtendas Arbeitsverhalten in Organisationen und gehen näher an solche Faktoren, wie Fähig keiten, Rollenwahrnehmung, Belohnungen undArbeitszufriedenheit heran. Dadurch ist ihr Modell wesentlich komplexer als bei Vroom, aber für die praktische Anwen dunggutgeeignet.DieMotivationamArbeitsplatzwirdnachPorterundLawlervon zwei Wahrscheinlichkeiten bestimmt: der Wahrscheinlichkeit, dass eine erhöhte Be mühung zur Verbesserung derArbeitsleistung führen wird und der Wahrscheinlich keit, dass die Verbesserung der Arbeitsleistung zu gewünschten Zielen führen wird (hoheValenz). DasModellvonPorterundLawlerumfasstinsgesamtneunVariable(vgl.Abbildung): 1.
WertigkeitderBelohnung:DieseVariableistanalogzuVroomTheoriemitder Valenzgleichzusetzenundbeschreibt,welcheAnziehungskraftdieErgebnis sederArbeitbesitzen.
2.
GeschätzteWahrscheinlichkeit:DieseFaktorensindmitderInstrumentalitätund derErwartunggemäßderVIETheoriezuvergleichen.
138 VonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.51.
100
Prozesstheorien
Abb.28:
MotivationsmodellnachPorterundLawler139 Wertigkeit der Belohnung
1
Fähigkeiten und Eigenschaften
4
Wahrgenommene gerechte Belohnung
Intrinsische Belohnung
7A
Arbeitsdurchführung 6
Anstrengung / Bemühung 3
Geschätzte Wahrscheinlichkeit zwischen Bemühung und Belohnung
8
Zufriedenheit 9
Extrinsische Belohnung 7B Rollenwahrnehmung
2
Kernvariablen
5
Einflussvariablen
3.
Bemühung/Anstrengung: Wie stark ist der Wille, eine Arbeitsleistung zu ein bringen,welchesAusmaßanEnergiewirdzurErfüllungderAufgabeaufge wendet.
4.
Fähigkeiten und Persönlichkeitszüge: Intelligenz, handwerkliches Geschick, Er fahrung,Ausbildung,einstarkerWilleundandereKomponenten.
5.
Rollenwahrnehmung:WiedefiniertderMitarbeiterErfolgundinwelcherRolle indemGesamtprozesssiehtersich.
6.
Arbeitsdurchführung:BeschreibtdasNiveau,daseinArbeiterinBezugaufsei neLeistungerreichthat.
7.
7A/7B. intrinsische/extrinsische Belohnung: Hier wird die Belohnung intrinsi scher (Erfolgserlebnisse,Anerkennung, sinnvolle Tätigkeitetc.) und extrinsi scherArt(Entlohnung,Arbeitsplatzsicherheitetc.)gemeint.
8.
Wahrgenommene gerechte Belohnung: Die vom Mitarbeiter für seine Leistung erwarteteBelohnunginangemessenerHöheundMenge.
9.
Zufriedenheit:ErgibtsichausdemVergleichzwischendem,wasderMitarbei tererwartethat,unddem,waserletztlicherhält.
139 Weinert,A.:Organisationspsychologie,S.163.
101
8.4
8
Motivation
DieTheorievonPorterundLawlerstelltdiekomplexenZusammenhängezwischen Bemühung, Leistung und Zufriedenheit dar, die nicht unmittelbar, sondern durch Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten miteinander verbunden sind. Die Zufrieden heitresultiertnichtdirektausderLeistung,sondernausdemVergleichvondererwar teten und tatsächlichen Belohnung (nicht die Höhe der Belohnung an sich, sondern derVergleichistwichtig).DieLeistungistmitderZufriedenheitnichtdirektverbun den (derjenige, der eine hohe Leistung erbracht hat, ist damit nicht automatisch zu frieden, falls die Belohnung – aus seiner Perspektive – nicht stimmt). DieBemühung hat nicht zwingend eine höhere Arbeitsleistung zufolge (nicht nur der Wille eines Mitarbeiters (Komponente „Wollen“) beeinflusst seine Leistung, sondern auch sein „Können“unddieBedingungen(Ressourcen,funktionierendeTechnik,Arbeitsklima, Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten etc.). Diese Bedingungen sollen von dem Vorgesetzten gewährleistet werden. Andererseits, sind glückliche Mitarbeiter nichtunbedingtauchproduktiveMitarbeiter(nureineangenehmeArbeitsatmosphäre an sich motiviert nicht immer zu mehr Produktivität, sie ist nur ein Hygienefaktor – AnalogzuHerzberg). InsgesamtstelltdieTheorievonPorterundLawlereinendetailliertenAnsatzdar,der erfolgreichindiePraxisumgesetztwerdenkann.SieergänztdieTheorievonVroom undzeigtdiepraktischenEinflussfaktoren,diedieLeistungundArbeitszufriedenheit bestimmen. Die „Verantwortung“ für die Zufriedenheit und hohe Leistung wird in dieserTheoriezwischendemausführendenMitarbeiterunddemVorgesetztengeteilt.
8.4.3
Zieltheorie von E. Locke
Auf der motivierenden Wirkung von Zielen basiert die Zieltheorie von E.Locke (die erste Variante erschien 1968, die bekannte, erweiterte Theorie – 1990). Diese Theorie basiert auf folgenden Ergebnissen empirischer Forschung über die Wichtigkeit von Zielen für die Motivation: Besonders motivierend wirken genau definierte Ziele, an spruchsvolle Ziele rufen höhere Leistung hervor und Leistung wird durch Feedback gesteigert. DieZielsetzungstheorieinihrerursprünglichenFormbestehtaus2Grundannahmen, diesichmitdermotivierendenZielformulierungbeschäftigen:
102
1.
JeschwierigerdasZiel,destohöherdieArbeitsleistung.DerSchwierigkeits gradmusseineHerausforderungdarstellen,dieallerdingsrealistischunder reichbarseinmuss.
2.
JeexaktereinZielbeschriebenwird,umsohöherseineAnziehungskraft.Ein Beispiel:DasZiel„zunehmendeProduktivität“istnichtpräzise,dagegendas Ziel„fünfProzentmehrUmsatzindennächstensechsMonate“istsehrkon kretformuliert.FolglichsolleinManagerimmeroperationaleZieleformulie ren,d.h.solche,diemessbarundtermingebundensind.
Prozesstheorien
8.4
Obwohl diese Aussagen in ihrer Form durch Untersuchungen bestätigt wurden, er kannteLocke,dassdieKomplexitätdesMotivationsprozessesnacheinerErweiterung verlangtundhatdieZieltheorie1990(zusammenmitLatham)umzweiweitereKom ponentenerweitert. 3.
Zielakzeptanzbeschreibt,wiesehrderMitarbeiterdasihmvorgegebeneZiel als sein eigenes betrachtet. Daraus resultiert die Notwendigkeit, Ziele ge meinsammitdenMitarbeiternzuformulieren.
4.
Zielcommitment(Verpflichtung)gibtAuskunftdarüber,wiesehrderMitar beiter das Ziel erreichen will, wie sehr er an der Zielerreichung interessiert ist.
DieEinbeziehungvonMitarbeiterninderZielsetzungträgtmaßgeblichdazubei,dass sowohl Akzeptanz als auch Commitment gestärkt werden. Der Mitarbeiter wird ein Ziel, das er selbst mit formuliert hat, eher akzeptieren, als ein ihm vorgesetztes, und sichfürseineVerwirklichungeinsetzen. Abb.29:
ZieltheorievonE.Locke140
Schwierigkeit des Zieles
Zielakzeptanz
Zielgerichtete Bemühung
Exaktheit der Zielbestimmung
Zielcommitment
Unterstützung durch Organisation
Intrinsische Belohnung
Leistung
Persönliche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften
Kernvariablen
Zufriedenheit
Extrinsische Belohnung
Einflussvariablen
AusdemAnsatzvonLockeergebensichfolgendeEmpfehlungenfürdieMotivation durchZieleinderPraxis:
Schwierige, herausfordernde Ziele wecken eher die Initiative der Mitarbeitern, abersiemüssendocherreichbarundrealistischbleiben;
Ziele müssen immer konkret und präzise formuliert werden, damit der Errei chungsgradmessbarist(mitkonkretenZahlenundTerminen); 140 Weinert,A.:Organisationspsychologie,S.174.
103
8
Motivation
AkzeptierteZiele,anderenFormulierungsicheinMitarbeiterbeteiligthat,gewin nenfürihnanWichtigkeit;
EinrechtzeitigesFeedbackvomManager(sowohldasnegative,alsauchdasposi tive)istfüreinenMitarbeitervongroßerBedeutungundwirktmotivierend. DieZieltheorievonLockedientalstheoretischeBasisfürdasbekannteKonzeptMa nagementbyObjectives(MbO),dasimKapitel14erläutertwird.
8.4.4
Leistungsdeterminantenkonzept von J. Berthel
Das Leistungsdeterminantenkonzept von J. Berthel (erschienen 1997) kann als eine SynthesevonInhaltsundProzesstheorienderMotivationangesehenwerden.Berthel gehtdavonaus,dassfüreinekonkreteLeistung„Wollen“und„Können“einesMitar beiters notwendig sind (s. Abbildung), wobei für die Begründung des Wollens Ele mentevonUrsacheInhaltundProzesstheorienbenutztwerden. Abb.30:
LeistungsdeterminantenkonzeptnachJ.Berthel141 Prozesse des psychischen Erlebens
Wollen
Können
Leistungs-
Arbeitszu-
konsequenzen
friedenheit
Lernprozesse Rückkopplung
AlsDeterminantendesWollensbezeichnetBerthelZiele,Motive,Einstellungen,An strengungserwartung, Konsequenzerwartung, Wahrnehmungen und Erfahrungen, Selbstkonzept,PersönlichkeitsfaktorenundEinsatzintensität.DieseFaktorenstimmen teilweise mit denen aus der Theorie von Porter und Lawler, teilweise mit denen aus derZieltheorievonLockeüberein. AlsDeterminantendesKönnenswerdenEignung(FähigkeitenundFertigkeiteneines Mitarbeiters),Arbeitskenntnis(spezielleKenntnisseundErfahrungen)undArbeitsbe dingungen(Ressourcen,technischeMittel,Arbeitsbedingungenetc.)betrachtet. Als Ergebnis der Einsatzintensität bei entsprechender Eignung, Arbeitskenntnis und ArbeitsbedingungenergebensichfürdenMitarbeiterLeistungskonsequenzen:Beloh 141 InAnlehnunganBerthel,J.;Becker,F.:PersonalManagement,S.39.
104
Prozesstheorien
nung und Arbeitszufriedenheit. Das Ganze ist als ein Lernprozess zu betrachten: DurcheineRückkopplungsolltenalleVariablenüberprüftundoptimiertwerden. Schlussfolgernd aus dem Leistungsdeterminantenkonzept kann man Empfehlungen fürmotivierendeManagerformulieren.
Ein Manager muss den Prozess der Motivation als Lernprozess betrachten und, falls die erwünschte Arbeitszufriedenheit nicht erreicht wird, einzelne Elemente desProzessesmitihrenEinflussgrößenüberprüfen.
EinflussaufdieKomponente„Wollen“istdurchkonkreteMotivationsmaßnahmen (KenntnisderpersönlichenZieleundMotivedesMitarbeiters,diemitderLeistung verknüpftwerdensollen)undihrepraktischeWirksamkeitinderMotivationssitu ation (die von dem Mitarbeiter wahrgenommene Erwartung und Valenz) zu ge währleisten.
DerEinflussfaktor„Können“sollvondemManagerüberprüftundgefördertwer den–durchAuswahlderMitarbeiter(Eignung),ihreSchulungundWeiterbildung (spezielle Fertigkeiten und Kenntnisse) und Arbeitsbedingungen sowie Ressour cen.
Bei den Leistungskonsequenzen soll die Belohnung überprüft werden, vor allem ihreVerknüpfungmitderLeistung.DieAnforderungenandenMitarbeitersollen mitdessenAnspruchsniveauverglichenwerden:SinddieAnforderungenzunied rig,wirkensienichtherausforderndgenug,sindsiezuhoch–dannwirdderMit arbeiterdemotiviert.
IndemgeschildertenMotivationsprozessistdasFeedbackdesManagersvonent scheidenderBedeutung:Sowohldasnegative,alsauchinersterLiniedaspositive FeedbackistfürdieandauerndeMotivationdesMitarbeitersnotwendig. Die Bedeutung der Prozesstheorien ist sowohl in der Entwicklung der Motivations theoriealsauchinihrenpraktischenAnwendungsmöglichkeitenzusehen:
DieProzesstheorienstellendasIndividuummitseinenkognitivenEntscheidungs prozessen in den Mittelpunkt und haben damit eine individuelle und humanisti scheAusrichtung,obwohlmenschlicheEmotionenundkulturabhängigeFaktoren zukurzkommen.
Obwohl die Prozesstheorien auf dem Modell des rationalen Menschen aufbauen, wirddieseRationalitätdurchsubjektiveNutzengrößenundWahrscheinlichkeiten relativiert.
NebendirektenMotivatorenwerdenFähigkeitenundFertigkeitenderMitarbeiter als Determinanten der Leistung genannt, auchArbeitsbedingungen und Ressour cenwerdenbeiderLeistungserbringungberücksichtigt.
105
8.4
8
Motivation
Prozesstheorien schreiben der partizipativen Zielsetzung und der operationalen Zielformulierung eine wichtige Rolle zu (insbesondere in der Zieltheorie von E. Locke).
IndenProzesstheorienwirddieaktiveRolledesManagersbetont:SeinFeedback unddieÜberprüfungallerfürdieLeistungnotwendigenDeterminantenwirdals wichtigeMotivationsaufgabebetrachtet.
8.5
Motivation in der Unternehmenspraxis
Jede Motivationssituation in der Praxis verlangt von einem Manager eine kreative Anwendung verschiedener Motivationsmethoden, die von der Persönlichkeit eines Mitarbeiters,seinenBedürfnissen,WünschenundErwartungen,vondemFührungsstil desManagers,vonderAufgabeundderkonkretenSituationabhängigsind.DerIndi vidualitätderMenschensolltedabeiRechnunggetragenwerden. Da die meisten bekannten Motivationstheorien in den 196070er Jahren entstanden sind, stellt sich die Frage, inwieweit die in ihnen vorausgesetzten Bedürfnisse der Arbeitendenaktuellsind.AufdereinenSeite,gehenvieleBedürfnisse(sowohlphysio logische,alsauchsoziale–vgl.Tabelle13)aufdiemenschlicheNaturzurückundsind damituniversell.AufderanderenSeite,sindsiestarkkultur,alterundgenerations abhängig und verändern sich mit der Wirtschaftslage, vorherrschenden Werten und NormenundgesellschaftlichenTrends. DasWissen,wasMitarbeitertatsächlichbewegt,istfüreinewirksameMotivationvon entscheidender Bedeutung. Ein Instrument hierfür sind beispielsweise regelmäßige Mitarbeiterbefragungen und individuelle Gespräche, die sich differenziert an ver schiedeneBelegschaftsgruppenrichtenundderenEinstellungenundMotiveerfassen. IndiesemKapitelwerdeneinigeStudienergebnissezudenaktuellenBedürfnissenund MotivationsfaktorenindendeutschenUnternehmenundiminternationalenVergleich dargestellt, um die allgemeinen Entwicklungstrends zu verstehen. Danach werden einige verbreitete Motivationsmethoden bezüglich ihrer Wirksamkeit und Anwen dungsmöglichkeitendiskutiert.
8.5.1
Bedürfnisse und Motivationsfaktoren in der Praxis
DieBedeutungderArbeitansichundbeiderBefriedigungdervielfältigenBedürfnis se eines Menschen ist ohne gleichen. Den Großteil unserer (wachen) Zeit verbringen wir mit der Arbeit. Die Arbeit ermöglicht die Befriedigung individueller und/oder
106
Motivation in der Unternehmenspraxis
sozialer Bedürfnisse, sie wird vom Arbeitgeber mit Gegenleistungen honoriert und spiegeltdamitdiegesellschaftlicheWertschätzungdererbrachtenLeistungwider.142 Um eine angemesseneArbeitsmotivation zu schaffen, muss man die Bedürfnisse der Mitarbeiterkennen.ZahlreicheStudienundBefragungenliefernwertvolleErkenntnis seüberallgemeineEinstellungenundErwartungenderArbeitnehmer.Darüberhinaus bedarf es einer individuellen Konkretisierung je nach Unternehmen, Situation und Person.DieseAufgabeliegtinderKompetenzderFührungskraft,diedurchBefragun gen und persönlichen Gespräche die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter über prüfenmuss. DieErgebnisseeinerBefragungvonBerufstätigenindenaltenundneuenBundeslän dernmitderFrage„WasistamArbeitsplatzwichtig?“ausdemJahr2003zeigenfol gendePrioritäten. Tabelle16: BedürfnissevonBerufstätigeninaltenundneuenBundesländern143 Was ist am Arbeitsplatz wichtig?
Wichtigkeit in Prozent der Nennungen nach Bundesländern: alte neue
sicherer Arbeitsplatz
53
69
Kollegen
51
47
Selbstständigkeit
49
36
Abwechslung
41
19
Verdienstmöglichkeiten
40
43
Arbeitszeitregelung
37
12
Karrierechancen
23
11
Prestige
18
11
SowohlindenaltenalsauchindenneuenBundesländernbewertendieBerufstätigen Sicherheits, Beziehungsbedürfnisse und Selbstständigkeit viel höher, als Verdienst möglichkeiten. Gleichzeitig zeigen die Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern, inwieweit menschliche Bedürfnisse kultur und situationsabhängig sind. Die Unterschiede in der Wichtigkeit haben ihre Wurzeln in der Arbeits und Wirtschaftssituation(sowohleinsichererArbeitsplatzalsauchVerdienstmöglichkeiten gehörenimOstenzudendringendstenArbeitsalltagsproblemen).
142 Vgl.VonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.53. 143 VonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.66.
107
8.5
8
Motivation
ImRahmenderGlobalWorkforceStudy20072008wurdeMotivationderArbeitneh merinDeutschlandundandereneuropäischenLänderngemessensowiediewichtigs ten Motivationsfaktoren untersucht.144 Die Motivation deutscher Mitarbeiter wird in erster Linie von nichtmonetären Faktoren bestimmt (s. Abbildung). Dabei zeichnen sichdreiThemenblöckeab:VonderUnternehmensleitungwirderwartet,dasssiesich fürdieBelangederMitarbeiterinteressiert.EngdamitverbundenbestehtdasBedürf nisnacheinerUnternehmenskultur,dievonderFührungsebenenichtnurpropagiert, sondernaktivvorgelebtwirdundinderauchdieÜbernahmesozialerVerantwortung eine Rolle spielt. Weiterhin stehen Entwicklungsmöglichkeiten im Vordergrund, ver standen alsOption, in der aktuellen Position zu wachsen, aber auch alsAussicht auf weitereKarriereschritte.145 Abb.31:
DieTopTreiberderMotivationinDeutschland146
Vergleicht man die Motivationsfaktoren für Führungskräfte und NichtFührungs kräfte, zeigen sich deutliche Unterschiede: NichtFührungskräfte legen sehr großen Wert auf eine Unternehmensleitung, die sich um das Wohlergehen der Mitarbeiter kümmert,undwünschensicheinenArbeitgeber,derdieÜbernahmesozialerVerant 144 Vgl.TowersPerrinGlobalWorkforceStudy20072008. 145 Vgl.ebd.,S.11. 146 Ebd.,S.11.
108
Motivation in der Unternehmenspraxis
wortung nicht scheut. Weiterhin sind Aufstiegs und Karrieremöglichkeiten ein ent scheidender Treiber. Führungskräfte schätzen dagegen neben Entscheidungsfreiräu menbesondersdieEntwicklungsmöglichkeitenunddenpersönlichenEinfluss,densie aufdieErgebnisqualitätnehmenkönnen. Für NichtFührungskräfte spielt das Bedürfnis nach Fürsorge, welches ihr Unterneh menihnenundanderenvermittelt,einewichtigeRolle.DieFührungskräftebrauchen umgekehrteinenGestaltungsspielraum. Interessante Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Vergleich der Motivationsfakto reninDeutschlandmitdenandereneuropäischenLändernableiten.DasInteresseder Unternehmensleitung an den Mitarbeitern ist sowohl für Deutschland als auch für Europa der stärkste Treiber. Die anderen Faktoren wie ausreichende Entscheidungs freiheit,LernundEntwicklungsmöglichkeitenundVorbildfunktionderVorgesetzten spielenineuropäischenUnternehmenkeinesogroßeRolle,wieinDeutschland.147 Für die Motivation von Mitarbeitern in den deutschen Unternehmen lassen sich fol gendeTendenzenfesthalten:
DiemateriellenAnreizesindehernachrangig,insbesonderefürFührungskräfte; FürNichtFührungskräfteistdasInteresseunddieWertschätzungderLeitungvon großerBedeutung;
Karrierechancen und Lern und Entwicklungsmöglichkeiten werden von allen Beschäftigtenhochgeschätzt;
FreiräumeundEntscheidungsfreiheitspieleneinewichtigeRolle,insbesonderefür Führungskräfte;
Unternehmenskultur,Arbeitsklima,sozialeVerantwortungdesUnternehmenssind fürArbeitnehmerwichtigunddienenalsMotivationsfaktoren.
8.5.2
Variable Entgeltsysteme und Restrukturierung des Arbeitsprozesses
EinederinderPraxisbekanntestenMethodenistdieMotivationdurchvariableEnt geltsysteme.DieEntlohnungkannsowohlfinanzieller(LohnundGehalt,Prämienzah lungen, Beteiligungen etc.), als auch nicht finanzieller Art (Beförderung, Versetzung und Reisen) sein. In Anlehnung an Herzberg, ist das Gehalt nur ein Hygienefaktor, deswegen wirkt nur an die Leistung gekoppelte Entlohnung motivierend. Man kann Entgelt mit der Produktivität und/oder Qualität der Arbeit, mit dem Gesamterfolg einesTeamsoderdesganzenUnternehmensverbinden. 147 Vgl.TowersPerrinGlobalWorkforceStudy20072008,S.12.
109
8.5
8
Motivation
ObMotivationdurchmehr Geldmöglichist,wirdinsgesamtbestritten.DieMeinun gensindextremverschieden.VielePraktikergehendavonaus,dassdiemeistenMit arbeiterdurchmehrGeldmotiviertwerdenkönnen.Offensichtlich,arbeitendiemeis tenMenschengrundsätzlich,umihrematerielleExistenzzusichern.AberdieMenge desGeldesansichentscheidetkaumüberdasAusmaßderMotivation.Bekommtein Mitarbeiter eine verdiente Gehaltserhöhung, so gewöhnt er sich sehr schnell an den neuenWohlstandundbemühtsichnichtmehralsfrüher.Füreinedauerhaftemateriel le Motivation ist wichtig, dass zusätzliches Geld immer spürbar mit mehr Leistung verknüpftist.DasistbeispielsweiseineinemAkkordlohnSystemoderbeiderDiffe renzierungdesGehaltesineinenfixenundeinenvonderLeistungabhängigenvariab lenTeilmachbar. AndererseitsreichenmaterielleAnreizealleinfüreinelangfristigeLeistungsmotivati on nicht aus, jeder Mensch braucht neben dem Geld auch Beachtung,Anerkennung, Respekt und Entwicklungsmöglichkeiten. Selbst ein sehr gut bezahlterArbeiter wird demotiviert, wenn sein Chef ihn dauernd respektlos behandelt. Deswegen sollten FührungskräfteihrenMitarbeiternWertschätzungundRespektentgegenbringenund dieBedeutungjederArbeitsaufgabefürdasGanzevermitteln. VieleUnternehmenbenutzenflexibleZusatzleistungenfürihreMitarbeiteralsAnrei ze. Das können eine Betriebskantine, betriebseigenes Kindergarten, Betriebsrenten, diverse Programme zur Vermögensbildung oder Erstattung von Ausbildungskosten sein.InderRegelwirkendieseZusatzleistungennuralsHygienefaktoren,siemotivie rennichtdirektzumehrLeistung,sondernmittelbar,durchpositiveEffektederIden tifikation, Loyalität und Zufriedenheit. Auch verschiedene Teilzeitarbeitmodelle wirken ähnlich: Teilzeitarbeit, „gleitende Arbeitszeit“ und Telearbeit. Diese Formen könnenfürbestimmteArbeitnehmergruppensehrwichtigsein,z.B.arbeitendenMüt ternwirdeineVereinbarkeitvonFamilieundBerufermöglicht. Eine weitere praktische Motivationsmöglichkeit bietet die Restrukturierung des Ar beitsprozesses.DieseMaßnahmenbasierenaufderUntersuchungvonHerzbergüber diemotivierendeWirkungderAufgabenbereicherungundkommeninvierVarianten vor:
Jobrotation(planmäßigerStellenwechsel)bedeutetneueAufgaben,neueHeraus forderungen, wo es möglich und sinnvoll ist. Job rotation kann angewendet wer den,wenndieAufgabenbeidemStellenwechselvergleichbarsind.ZumBeispiel, am Fließband, wo durch Operationswechsel die Monotonie der Arbeit überwun denwerdenkann.VoraussetzungistdieausreichendeQualifikationderMitarbei terfürdieverschiedenenVorgänge.AuchfürFachundFührungskräftekannJob rotation benutzt werden. Ein junger Manager kann abwechselnd als Leiter ver schiedener Gruppen/Abteilungen seine Erfahrung sammeln. Diese Methode wird häufigfürNachwuchsführungskräfteangewendet.
110
Motivation in der Unternehmenspraxis
Jobenlargement(Aufgabenvergrößerung)heißteinehorizontaleErweiterungund mehrAuslastungdurchweitereAufgabenaufgleicherEbene.Esistdannsinnvoll, wenneinMitarbeitermehrArbeitbewältigenkannunddanachstrebt,durchmehr Fleiß und Einsatz mehr Belohnung und/oder Anerkennung zu bekommen (z.B. leistungsmotiviertePersonennachMcClelland).
Jobenrichment(Aufgabenbereicherung)setzteinevertikaleErweiterungderAuf gaben voraus und bedeutet für einen Mitarbeiter mehr Verantwortung und Frei räume sowie eine Kompetenzerweiterung. Diese Form wirkt besonders motivie rend, kann allerdings nur bei vorhandener Selbstinitiative und Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung benutzt werden. Einem Mitarbeiter kann zusätz lich zu den gewöhnlichen Aufgaben ihre Planung und Zeitverteilung delegiert werden, er bekommt mehr Verantwortung, was sein Selbstwertgefühl und seine Selbstachtungstärkt.DasMaslow´scheBedürfnisnachAchtungundSelbstachtung wird dabei angesprochen. Auch die Machtbedürfnistypen nach McClelland kön nensichdadurchangesprochenfühlen.
AutonomeArbeitsteamsermöglicheneineeigenständigePlanungundGestaltung derArbeitinnerhalbeinesArbeitspakets.DasTeamträgtgemeinsameVerantwor tungfürdieLeistunghinsichtlichihrerQuantitätundQualitätsowiefürVerbesse rungsprozesseundneueIdeen.Dadurchwerdennichtnurdiefachlichen,sondern auch die sozialen Kompetenzen einzelner Teammitglieder erweitert und geför dert.148 Die praktischen Motivationsmaßnahmen sind von der Persönlichkeit jedes Mitarbei tersabhängig.UmEntscheidungenüberMotivationsmethodenzutreffen,brauchtein Manager Kenntnisse über persönliche Fähigkeiten, Vorlieben, Ziele und Interessen seinesUntergebenen.Auch der Stand der Persönlichkeitsentwicklung ist dabei wich tig.
8.5.3
Motivation und Persönlichkeit
VielePsychologensindderMeinung,dassnichtdieäußerenFaktoren(Anreize),son dern die inneren Einstellungen und persönlichen Eigenschaften für unsere Anstren gung bei derArbeit verantwortlich sind. Bei gleicher Bezahlung und gleichen Fähig keiten kann Person A stets höhere Leistungen als Person B erbringen, weil A dazu neigt, jede Tätigkeit gewissenhaft und verantwortungsvoll zu verrichten. B dagegen bemühtsichnurunterZeitoderAutoritätsdruck. DieBigFivederPersönlichkeit(vgl.Kapitel2.2),diediewichtigstenEigenschaftenvon Individuenbeschreiben,könnenhelfen,einigeerklärendeVerbindungenzurLeistung zu erstellen. Gewissenhaftigkeit und Offenheit eines Mitarbeiters können als beson 148 TeamarbeitwirdausführlicherimKapitel11diskutiert.
111
8.5
8
Motivation
ders leistungsfördernd betrachtet werden. Diese Faktoren bewirken eine intrinsische Motivation,wobeiausgeprägteGewissenhaftigkeiteineintrinsischeMotivationdurch Ziele (Ergebnis) bewirkt und Offenheit für neue Erfahrungen – durch den Weg (die ArbeitansichmachtSpaß). AlspositiveAusprägungendesFaktorsGewissenhaftigkeitwurdenorganisiert,sorgfäl tig,effektiv,verantwortlich,zuverlässig,überlegtundgewissenhaftbezeichnet;alsnegative – sorglos, unordentlich, leichtsinnig, unverantwortlich und unzuverlässig. Ganz offensicht lich werden Mitarbeiter mit stark ausgeprägter Gewissenhaftigkeit eher fleißig und verantwortungsvollarbeiten. Der Faktor Offenheit für neue Erfahrungen beschreibt die intrinsischen Motive für hoheLeistung:breitinteressiert,einfallsreich,phantasievoll,intelligent,originell,erfinderisch undgeistreich.DieAufgabeeinesManagersbleibtallerdingsdiegeeignetenBedingun genzuschaffen,damitderMitarbeitersichentfaltenkann. AlseinenweiterenpersönlichenEinflussfaktoraufMotivationkannmanExtraversion bezeichnen. Bei einer hohen Entwicklung dieser Eigenschaft sind die Mitarbeiter ge sprächig,aktiv,energisch,offen,dominantundenthusiastisch,beidernegativenstill,reser viert und zurückgezogen. Die Kunst des Managements besteht darin, die Personen mit verschiedenerAusprägungderExtraversionmitunterschiedlichenMethodenzumehr Leistung zu motivieren. Die Extravertierten sind nach McClelland Beziehungstypen miteinigenZügenvonMachtstreben.SiekönnendurchArbeitinGruppenmitunmit telbarer Interaktion und spezielle Führungsaufgaben zu mehr Initiative und Selbst verwirklichungmotiviertwerden.DieBereicherungderArbeitsaufgabeninFormvon Job enrichment oder Teamarbeit sind für solche Mitarbeiter besonders gut geeignet. DieintravertiertenMitarbeiterkönnendurcheigenverantwortlichesArbeitenanindi viduellenAufgabenundhäufigesFeedbackmotiviertwerden.Gleichzeitigisteswich tig, ihnen bei Besprechungen und Diskussionen Möglichkeiten zur Meinungsäuße rungzugeben,damitsiesichnichtausgeschlossenfühlen. Die Wirksamkeit von Motivationsmethoden und instrumenten ist wesentlich vom StanddermoralischenEntwicklungjedeseinzelnenMitarbeitersabhängig,deswegen macht es Sinn, die im Kapitel 7.4 erläuterte Theorie moralischer Entwicklung nach Lawrence Kohlberg zu benutzen, um geeignete Motivationsinstrumente für verschie deneEntwicklungsphasenderMitarbeiterzubestimmen(s.folgendeTabelle). In der präkonventionellen Phase richten sich die Entscheidungen, etwas zu tun, an ichbezogenenundlustbezogenenKriterienaus.SollteeinManagersolcheMitarbeiter haben,dannmussersieständigimAugebehaltenundkontrollieren.Mitintrinsischer Motivation ist nicht zu rechnen, der Faktor Gewissenhaftigkeit ist sehr schwach aus geprägt.NurdurchdieklassischeMethode„ZuckerbrotundPeitsche“lässtsichsolch einMitarbeitermotivieren.JedeeinzelneTatwirdnurunterBestrafungsangstoderfür einekonkreteBelohnungerbracht.IstdieKontrolleweg–funktioniertdieMotivation nichtmehr.
112
Motivation in der Unternehmenspraxis
Tabelle17:StufendermoralischenEntwicklungderMitarbeiterunddiegeeignetenMotivati onsmethoden Präkonventionelle Phase (Angstbestimmung)
Stufe 1. Orientierung an Bestrafung und Gehorsam Stufe 2. Konformes Verhalten, um belohnt zu werden
Konventionelle Phase (Fremdbestimmung)
Stufe 3. Orientierung am Ideal des "Guten Menschen“, das von anderen definiert wird Stufe 4. Orientierung an Recht und Ordnung
Postkonventionelle Phase (Eigenbestimmung)
Stufe 5. Die Sozialvertragsorientierung Stufe 6. Eigene Moralorientierung auf der Basis universeller ethischen Prinzipien
Motivation durch „Zuckerbrot und Peitsche“, Kontrolle ist unabdingbar
Vorwiegend extrinsische Motivation durch klare Regel und Verknüpfung von Leistung und Belohnung, Feedback ist fördernd vorwiegend intrinsische Motivation durch Freiräume, Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung, empfehlenswert ist Selbstkontrolle
InderkonventionellenPhaseorientiertsichdieEntscheidungeinesIndividuumsüber tunodernichttunüberwiegendfremdbestimmt.DerMitarbeiterhältsichankonven tionelleRegeln,sowohlgesellschaftlichealsauchbetriebsspezifische.Erarbeitetnach Vorschrift,denktabermeistensnichtdarüberhinaus.Gleichzeitigistfüreinensolchen MitarbeiterdieAnerkennungvonKollegenundVorgesetztenwichtig(Fremdeinschät zung),erbefriedigtseinBedürfnisnachAchtungdurchAndere.SiehtderMitarbeiter keinen direkten Bezug von besserer Leistung zu Auszeichnung oder Anerkennung, bemühtersichnicht.IhmfehltdafürdieinnereMotivation. Die Motivation von moralisch hochentwickelten Individuen in der postkonventionel lenPhaseistvorallemeineintrinsische.EinVorgesetztersollallerdingsdafürsorgen, dasssolcheMitarbeitergenugFreiräumefürihreEigeninitiativebekommen,umsich zu entfalten. In dieser Phase wirken Gewissenhaftigkeit und Eigenverantwortung einerPersonalsMotivatorenundzugleichalsSelbstkontrolle.DasHandelnauseige nerÜberzeugungistderHöhepunktmoralischerEntwicklung,diePersonarbeitetum sichselbstzuverwirklichen(vgl.Maslow´scheBedürfnistheorie). GanzheitlicheMotivationsetztvoraus,dassnebenindividuellausgerichtetenMotiva tionsinstrumenten,wiesieinvorigenKapitelnausführlichdiskutiertwurden,andere Maßnahmen geplant und konsequent durchgeführt werden: Maßnahmen gegen De motivation, Förderung der Identifikation und individuell abgestimmte Personalent wicklung. Nur dieses System als Ganze macht Menschen zum Humankapital eines Unternehmens, trägt zur Entfaltung von Fähigkeiten, Kompetenzen und Talenten jedesMitarbeitersundderenEinsatzimInteressedesUnternehmensbei. 113
8.5
8
Motivation
Exkurs: Motivationsstrategien In seinem Buch „Mythos Motivation“ beschreibt und kritisiert Sprenger vier Strategien der Fremdmotivation, die in der Unternehmenspraxis besonders oft vorkommen: 1. Fremdmotivation durch Zwang Diese Strategie beruht auf der offenen oder verdeckten Androhung potenzieller Strafen, dem Mitarbeiter wird die Erfüllung seiner Bedürfnisse in Aussicht gestellt, solange er sich an die Regeln hält und loyal bleibt. Es wird ständig kontrolliert, was die intrinsische Motivation des Mitarbeiters erstickt. Eine Verschiebung vom Leistungs- hin zum Vermeidungsbedürfnis findet statt. 2. Fremdmotivation durch Ködern Nach dieser Strategie wird eine Belohnung bei Erreichen der Anforderungen in Aussicht gestellt. Der Anreiz ist zwar positiv, aber immer noch mit einer starken Kontrolle verbunden. Variable Entgeltsysteme und Bonuszahlungen sind Beispiele für die praktische Umsetzung. Unter diesen Bedingungen wird die intrinsische Motivation durch eine extrinsische ersetzt. 3. Fremdmotivation durch Verführung Diese Strategie kombiniert die leistungsabhängige Belohnung mit Belobigung. Die erfolgreichsten Mitarbeiter werden als Helden und Träger der Unternehmenskultur dargestellt und besonders hervorgehoben. Die weniger erfolgreichen Mitarbeiter können dies als eine Form der Kritik empfinden, ihr Engagement und Zugehörigkeit werden in Frage gestellt. Die Fremdmotivation beruht auf einer Kombination von Zugehörigkeitsund Anerkennungsanreizen nach Maslow in Verbindung mit ausgeprägter Kontrolle von außen. 4. Fremdmotivation durch Vision In dieser Strategie rückt an die Stelle der materiellen Belohnung die Identifikation mit übergeordneten Zielen und Werten. Im Idealfall sollte eine charismatische Führungskraft mit Visionen begeistern, Werte vorleben und die Rolle jedes einzelnen Mitarbeiters bei der Zielerreichung aufzeigen. Wenn die Identifikation gelingt und die Mitarbeiter überzeugt sind, die attraktiven Ziele aus eigenem Antrieb zu verfolgen, kommt es nicht zur Verdrängung intrinsischer durch extrinsische Motivation. Allerdings ist es in der Praxis mit den hohen Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter verbunden und deswegen schwer realisierbar. Diesen vier Strategien stellt Sprenger eine fünfte gegenüber, die Vertrauensstrategie. 5. Vertrauensstrategie In dieser Strategie wird auf Fremdsteuerung weitgehend verzichtet. Dem Mitarbeiter werden Freiräume zur Selbststeuerung und Selbstmotivation gegeben. Materielle Grundsicherung (Fixgehalt und Arbeitsplatzsicherheit), gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung sowie Handlungs- und Verhandlungsspielräume in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen bilden weitere Bestandteile der Strategie. R. Sprenger: Mythos Motivation, 1991; Gmür/Thommen: Human Resource Management, 2007
114
Vorbeugung der Demotivation
8.6
Vorbeugung der Demotivation
Viele Motivationsforscher weisen auf die Bedeutung des Faktors „Demotivation“ in der modernen Unternehmenspraxis hin. So behaupten R. Wunderer und W. Küpers: „Die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter sind bereits intrinsisch motiviert und bedürfen daher keiner Förderung durch weitere Motivierung. Bei ihnen kommt es vielmehraufdieVermeidungunddenAbbauvondemotivierendenEinflüssenan.“149 AuchnachMeinungvonL.vonRosenstielsetzenMenschensichselbstZieleundhan deln aktiv, deswegen „gilt es zum einen, die dabei auftretenden Barrieren zu beseiti genundsodieDemotivationdesansichengagiertenMenschenzuverhindern.“150 Unter Demotivation wird eine Einschränkung, Blockierung oder der Verlust des LeistungsverhaltensdurchMotivationsbarrierenverstanden.151 Dabei ist Demotivation keine einfache Umkehrung von Motivation. Unabhängig von motivierendenMaßnahmenkannDemotivationvorhandenodernichtvorhandensein, ähnlich wie Hygienefaktoren nach Herzberg unabhängig von Motivatoren existieren können.ImgroßenTeilstimmendieDemotivatorenmitdenHygienefaktorenüberein. DemotivationbewirktinderPraxisEnttäuschungundhoheBelastung,besondersbei hohen Motivationspotenzialen. Folge ist nicht nur eine niedrigere Produktivität,son dern auch die Unzufriedenheit, etwas Wichtiges und Mögliches wegen fehlenden Bedingungennichtgetanzuhaben. DieAnzeichen der Demotivation können vonAußenstehenden wahrgenommen wer den.ZumBeispiel,dieArtundWeise,wieMitarbeiterüberihreKollegen,Vorgesetz tenoderdasUnternehmenalsGanzessprechen(Spott,Verachtung,Pessimismusetc.) AuchstatistischeZahlenwieFehlzeitenundFluktuationkönnenZeicheneinerallge meinenDemotivationsein. DemotivationhatschwerwiegendeFolgenfüralleBeteiligten.AlsFolgenfürdenEin zelnenkönnenkognitiveundemotionaleEffektewieLeistungsschwankungen,Unzu friedenheit, Ängste oder Ärger auftreten. In Extremfällen kann es zu einer „inneren Kündigung“ und Depressionen kommen. Auch zwischenmenschliche Beziehungen leidenunterDemotivation:Intoleranz,KonflikteundMisstrauenbreitensichaus.Für UnternehmenalsGanzessindIneffizienz,Fehlzeitensowiequantitativeundqualitati veLeistungsverschlechterungdieFolge. Wunderer und Küpers unterscheiden zwischen drei Einflussfeldern der Demotivati on:152 149 Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.1. 150 VonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.17. 151 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.10. 152 Ebd.,S.13.
115
8.6
8
Motivation
demotiviertes Verhalten durch Nichtkönnen: fehlende Ressourcen und unzurei chendeQualifikationeneinerPerson,
demotiviertes Verhalten durch Nichtwollen: Mangel an Einsatzbereitschaft und Commitment,
sozialesNichtdürfenoderNichtsollen:ungünstigeArbeitsundOrganisationsges taltung auf interpersoneller oder struktureller Ebene, demotivierende Unterneh menskultur. Wie diese Auflistung zeigt, hängen die Ursachen der Demotivation vor allem mit SchwächenderMotivationzusammen:FürdiefehlendenRessourcenundQualifikati onensindlautdenProzesstheorienvonPorter/Lawler,LockeundBertheldieManager zuständig,diedieBedingungenfürdasErbringenvonLeistunggewährleistensollen. AucheinefehlendeZielformulierungoderfehlendePartizipationbeiderZielsetzung kann zu Demotivation führen. Ein weiteres Problem bilden die Organisationsgestal tungunddieUnternehmenskultur,dieeineentscheidendeBedeutungfürdieDemoti vationhaben.AufdieseAspektewirdinKapitel12Unternehmenskultureingegangen. Eine repräsentative Studie mit mehr als 250 Führungskräften aus Deutschland, Schweiz und Österreich gibt Auskunft über die Motivationsbarrieren (individuelle, zwischenmenschlichesowieorganisationaleHemmfaktoren),welchedieLeistungund dasEngagementvonMitarbeiterneinschränken.EinigeErgebnissedieserStudie–die wichtigsten potenziellen Motivationsbarrieren – können bei der Abschaffung von DemotivationinUnternehmenbehilflichsein.153 Tabelle18: PotenzielleMotivationsbarrieren(Auszug)nachWunderer/Küpers Rang
Potenzielle Motivationsbarrieren
Nennungen, %
1
Arbeitsinhalt
42,9
2a
Verhältnis zum direkten Vorgesetzten
19,2
2b
Verhältnis zu Teamkollegen
19,2
2c
Einflüsse auf das persönliche Leben
19,2
3a
Anerkennung
16,7
3b
Organisationskultur
16,7
4
Identifikation – Motivation
15,4
5
Perspektiven
14,6
6
Verantwortung
11,3
7
Unternehmenspersonalpolitik
7,1
153 Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.2224.
116
Vorbeugung der Demotivation
Mit großem Abstand wurde Arbeitsinhalt als potentieller Demotivationsfaktor ge nannt. Das betont die wichtige Rolle der intrinsischen Motivation sowie der Beteili gungderMitarbeiteranderZielsetzungfürdieerfolgreicheMotivation.Dieweiteren Ursachen hängen mit persönlichen Beziehungen zusammen und demonstrieren die Wichtigkeit des Zugehörigkeitsbedürfnisses in der modernen Unternehmenspraxis. Ein wesentlicher Teil der Befragten hat Anerkennung und Unternehmenskultur als Einflussfaktoren genannt, sowie Identifikation, Perspektiven, Verantwortung und Personalpolitik. MaßnahmenzurAbschaffungundzumVorbeugenvonDemotivationsollten–basie rendaufdiesenstatistischenErgebnissen–zweiArbeitsbereicheumfassen:individuel leMotivationundFührungsowieGestaltungderOrganisationundUnternehmenskul tur. EinigepraktischeMaßnahmen–siehefolgendeTabelle–wurdeninvorigenKapiteln erläutert,weitere(IdentifikationundPersonalentwicklung)werdenindiesemKapitel und andere (Unternehmenskultur, Kommunikation, Vertrauen und Zielvereinba rungssystem)–inweiterfolgendenKapitelndiskutiert. Tabelle19: MaßnahmengegenDemotivation Durch individuelle Motivation und Führung
Durch Gestaltung der Organisation und Unternehmenskultur
Arbeitsaufgaben und Ziele an individuelle Bedürfnisse und Kompetenzen der Mitarbeiter ausrichten;
Offenheit und Kommunikation in Unternehmen fördern;
Mitarbeiter an der Zielsetzung und Entscheidungsfindung beteiligen; Offene Atmosphäre und Kommunikation zwischen Managern und Mitarbeitern fördern; Teamarbeit und Vertrauen in Gruppen unterstützen; Feedback und Anerkennung leisten; Für Identifikation mit der Aufgabe und mit dem Unternehmen sorgen; Mehr Eigenverantwortung und Freiräume gewähren.
Kooperatives Verhalten unterstützen; Identifikationspolitik konsequent verfolgen; Vertrauen und Angstfreiheit fördern; Zielvereinbarungssystem in Gegenstromverfahren einführen; Personalentwicklung, Weiterbildungs- und Schulungsaktivitäten individuell gestalten.
ZubesondersschwerwiegendenFolgeninUnternehmenführtdiesogenannte„inne re Kündigung“ der Mitarbeiter, die als Extremform der Demotivation bezeichnet wird. Nach Angaben des GallupEngagementIndex 2008 fühlen sich 67 Prozent der ArbeitnehmerinDeutschlandkaumnochanihrUnternehmengebundenundmachen Dienst nach Vorschrift, 20 Prozent haben innerlich bereits gekündigt. Lediglich 13
117
8.6
8
Motivation
ProzentderBeschäftigtenverspüreneineechteVerpflichtunggegenüberihremUnter nehmenundarbeitenhochengagiert. DerdeutschenWirtschaftentstehendurchfeh lendeodernurgeringeemotionaleBindungderBeschäftigtenzuihremUnternehmen KosteninHöhevon16,2MilliardenEuroimJahr.154 DieinnerlichgekündigtenMitarbeiterfehlenjährlichrund2,4Tagelänger,empfehlen ihre Firma alsArbeitgeber seltener, reichen nur halb so viele neue Ideen ein, als die engagiertenMitarbeiter,sodieErgebnissedesGallupEngagementIndex2008. WieistdieinnereKündigungzuerkennenundwaskanneineFührungskraftdagegen tun? Nach Wunderer und Küpers, ist innere Kündigung ein demotivierter Zustand, derdurchDistanzierung,VerweigerungvonEigeninitiativeundEinsatzbereitschaftim Unternehmengekennzeichnetist.155 Um diesen Zustand bei einem Mitarbeiter zu diagnostizieren, sollte eine Führungs kraftvorallemauffolgendeMerkmaleachten:
DienstnachVorschrift–ReduktionderEinsatzbereitschaftaufeinMinimum, MangelndeInitiativeundPassivität,keinEinbringenneuerIdeen, HäufigeskrankheitsbedingtesFehlen, SarkastischeKommentarezumGeschehenimUnternehmen, KeinInteresseanberuflicherWeiterbildung, „Pseudoharmonie“,reinäußerlichesZustimmen, Sinnverlust,Apathie,Depression. Ist eine Person in diesem Zustand verharrt, so gibt es kaum Möglichkeiten, dies zu ändern,deswegenistesratsam,vorbeugendeMaßnahmenzuergreifenundbereitsbei denerstenAnzeicheneinindividuellesFeedbackbzw.Fördergesprächzuführen.Oft sind von der inneren Kündigung engagierte, zielstrebige Personen betroffen, deren Erwartungen auf herausfordernde, erfüllende Tätigkeit und/oder auf einen Aufstieg nicht erfüllt werden. Es ist besonders wichtig, diese Potenziale zu erkennen und mit entsprechendenRahmenbedingungenzumotivieren. Zu den geeigneten Maßnahmen zur Vorbeugung der inneren Kündigung gehören: gezielteSinnvermittlungundWertschätzungjederTätigkeit,regelmäßigeFörderund Karrieregespräche mit den Mitarbeitern, Stärkung des Vertrauens, partnerschaftliche Verhältnisse und demokratischer Führungsstil, gute Arbeitsbedingungen und positi vesBetriebsklimasowiebeiBedarfpsychologischeUnterstützungderBetroffenen.
154 Vgl.http://eu.gallup.com/Berlin/118606/EngagementfördertWachstum.aspx 155 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.13.
118
Identifikation und ihre Förderung
8.7
Identifikation und ihre Förderung
ZudemKonzeptderganzheitlichenMotivationgehörtdieFörderungderIdentifikati on. Menschen suchen als Lebens und Berufsperspektiven nach sinnvollenArbeitsin halten,beziehungenundergebnissen,mitdenensiesichidentifizierenkönnen.Das Streben nach Selbstverwirklichung wird in modernen Gesellschaften immer stärker. Entsprechend intensiver ist der Wunsch, in Arbeit und Beruf attraktive Werte, Ziele undBeziehungenzufinden,mitdenenmansichidentifiziert. IdentifikationistdieindividuelleBereitschaft,zuPersonenundGegebenheitenin UnternehmenundamArbeitsplatzeineinnereBindungaufzubauen. BeiderIdentifikationfindeteinefreiwilligeÜbertragungvonWertenundZieleneiner Gruppe oder einer Organisation auf das eigene Verhalten statt. Diese Übertragung kann sich entweder auf Objekte wieArbeitsplatz,Aufgabe bzw. Projekt oder auf die Beziehungen zu Kollegen oder Vorgesetzten richten. Deswegen spricht man von der IdentifikationmiteinemUnternehmen,einerArbeitsgruppeodereinerAufgabebzw. mitdenZielen. R.Wundererunterscheidetzwischenklassischenundmodernenidentifikationspoliti schenStrategien.156KlassischeStrategienzielenprimäraufdieLoyalitätundIdentifi kation mit dem Unternehmen als Ganzes. Dabei stehen die negativen Folgen man gelnder Identifikation wie Fluktuation und Absentismus im Mittelpunkt. Moderne Mitarbeiterführung hatallerdingsvorallemmitProblemenwiemangelndesEngage ment und innere Kündigung zu kämpfen, die in den klassischen Strategien kaum berücksichtigt werden. Deswegen sind neue Strategien der Identifikation notwendig, die auf derAnnahme basieren, dass eine Identifikation mit dem Unternehmen allein für die Einbindung und das Engagement nicht ausreichen. „Mitarbeiter können z.B. durchIdentifikationmitZielenundAufgaben,mitihrerArbeitsgruppeodermitKun den sehr leistungsbereit und effizient sein, ohne sich dem Unternehmen „mit Haut und Haaren“ zu verschreiben. Vielmehr gilt es, sich selbst und dem Unternehmen verbundenzubleiben.“157 NachvonRosenstielistdieÜbereinstimmungdessen,wasdieArbeitsorganisationim RahmenihresZielsystemsanstrebt,mitdem,wasdieMitgliederanstreben,wesentli cheBasisfürVerbundenheitundIdentifikation.158DerGradderIdentifikationistvon der Antwort auf die Frage abhängig, die ein Arbeitnehmer sich stellt: Trage ich mit dem,wasichbeiderArbeittue,zuZielenbei,dieichbejahenkann?Folglichkannein Unternehmen die Identifikation der Mitarbeiter durch Visionen, Leitbilder, Mitwir kunganEntscheidungenundeineverbindendeUnternehmenskulturerreichen. 156 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.109110. 157 Ebd.,S.110. 158 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.431.
119
8.7
8
Motivation
Identifikation,VerbundenheitundLoyalitätderBeschäftigtensindwichtigeFaktoren, die in aktuellen Untersuchungen erforscht werden. In der aktuellen Towers Perrin Global Workforce Study wurden unter anderen die Faktoren für die Bindung von Mitarbeitern in Deutschland untersucht. Es wurden folgende Faktoren identifiziert: Ruf des Unternehmens als guter Arbeitgeber, ausreichende Entscheidungsfreiheit, faireVergütungimVergleichzuKollegen,innovativeOrientierungdesUnternehmens, gutes Trainingsangebot, Zufriedenheit mit den Personalentscheidungen, WorkLife Balance, klare Vision der Unternehmensleitung, Einflussmöglichkeiten auf Entschei dungsprozesse und Zufriedenheit mit den Geschäftsentscheidungen des Unterneh mens.159 Eine langfristige Identifikationsförderung bedarf einer konsequenten, systematischen ArbeitmitfolgendenzentralenAufgaben:160
Identifikationsorientierte Auswahl von Mitarbeitern – es ist wichtig darauf zu achten,inwieweitdieAufgabenundArbeitsbedingungen mitderenIdentitätsdis positionenübereinstimmen;
Einbindung der Mitarbeiter in das unternehmerische Geschehen – eine möglichst breiteAbstimmungderUnternehmensstrategieundzielemitdenMitarbeitern;
Optimale Gestaltung der Arbeit – abwechselungsreiche, herausfordernde und verantwortungsvolleAufgaben,diedenKompetenzenundNeigungenderMitar beiterentsprechen;
Identifikationsfördernde Führung – Förderung von Selbstständigkeit, Eigenver antwortung,Freiräumen,Empowerment;
Unterstützung der Gruppenarbeit und Kooperationsbereitschaft in und zwischen AbteilungendesUnternehmens;
Konkrete Identifikationsmaßnahmen für einzelne Zielgruppen – Konzepte für Lehrlinge,SeminarefürFührungskräfte,WorkshopsfürdieFörderungderTeam arbeitetc.;
RegelmäßigesIdentifikationscontrolling–ÜberprüfungderIdentifikation(speziell Identifikationsstand und probleme) mithilfe von Mitarbeitergesprächen und befragungenundErgreifenentsprechenderMaßnahmen;
KontinuierlicheGestaltungundPflegederUnternehmenskultur. Identifikation bildet die Grundlage einer wert und zielorientierten Selbststeuerung undSelbstmotivationvonMitarbeitern(intrinsischeMotivation)undstelltfernereine Voraussetzung für die extrinsische Motivation durch Führung. Identifikation ist so wohlfürFührungskräftealsauchfürMitarbeitervonBedeutung.Wersichmitseiner 159 Vgl.TowersPerrinGlobalWorkforceStudy20072008,S.15. 160 InAnlehnunganWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.107108.
120
Identifikation und ihre Förderung
Tätigkeitidentifiziert,kannsichselbstundanderebessermotivieren.PraktischeMoti vationsanreize sollten im Kontext von Identifikationsorientierungen des Unterneh mensstattfinden.BeieinermangelndenIdentifikationentstehenwesentlicheMotivati onsundLeistungsdefizite. Aus Fallstudien haben Wunderer und Küpers folgende Ursachen für eine fehlende odergestörteIdentifikationabgeleitet:161
DieinLeitbildernpropagierteUnternehmenskulturwirdnichtgelebt; InderArbeitssituationverstehensichMitarbeiternurals „Rädchenim Getriebe“, AufgabenwerdenohneHerausforderungundSinnerlebt;
DerFührungsundKooperationsstildesVorgesetztenistwenigmotivierend,lässt wenigSelbstorganisationzuodervernachlässigtTeamentwicklung;
In der Führungssituation fehlen Vorbilder sowie gezielte mitarbeiterorientierte EinsatzundFörderungsmaßnahmen;
WenigentwicklungsorientierteFührung; Entfremdende(z.B.reinfinanzoderanreizorientierte)UnternehmensundPerso nalpolitik. ImFallederIdentifikationsdefiziteineinemUnternehmeneignensichfolgendeprak tischenInstrumenteundMaßnahmen:162 Tabelle20: InstrumenteundMaßnahmenderIdentifikationsförderung Aufgabenfeld
Instrumente und Maßnahmen
Arbeits- und Aufgabengestaltung
Interessante, sinn- und verantwortungsvolle Aufgaben Transparenz der Einzelleistungen Entscheidungsbeteiligung und Delegation Klare Zielformulierungen Freiräume und Eigenverantwortung schaffen Selbstachtung und Identität unterstützen Leistungsbedingungen (Kompetenzen, Ressourcen) bereitstellen
Personal- und Führungskräfteentwicklung
Individuell: eigenständige Lernprozesse anbieten Personaleinsatz nach persönlicher Eignung und Neigung sowie zugeschnittene Karrierewege anstreben In Arbeitsgruppen: Freiräume und kooperative Selbstkoordination und Teamentwicklung fördern Management – Development-Programme für Führungsnachwuchs entwickeln
161 Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.314. 162 Vgl.ebd.,S.317318.
121
8.7
8
Motivation
Anreizpolitik
Gerechte Anerkennung von Leitungen Individuelle Ausrichtung der Motivationsmaßnahmen
Personal- und Führungspolitik und grundsätze
Mitarbeiter als Mitunternehmer sehen, auswählen, fördern und führen Vorbildfunktion der Manager Förderung von Qualifikation und Zufriedenheit der Mitarbeiter Teambildung und -unterstützung
Interne und externe Kommunikation
Probleme der Identifikation anerkennen und offen diskutieren Erfolge der Identifikation bekannt machen Für Transparenz und Abstimmung der Leistung sorgen
Unternehmenskultur
Identifikation ausdrücklich in die Unternehmenskultur und das Leitbild aufnehmen Identifizierende Leitbilder leben Strategische Zielsetzungen zur Identifikation konsequent verfolgen
8.8
Personalentwicklung als Motivationsaufgabe
BisjetztwurdendreiSeitenderganzheitlichenMotivationerläutert:individuellausge richteteAnreizmotivation,VerhinderungderDemotivationundFörderungderIdenti fikation.OhnedievierteSeite–Personalentwicklung–wäredieseSystemdarstellung nichtvollständig.EinUnternehmenisteinoffenesdynamischesSystem,dassichper manentweiterentwickeltundverändert.DieseEntwicklungdesUnternehmensistnur mitunddankderEntwicklungseinerMitarbeitermöglich. Ein Unternehmen hat nicht nur das Ziel, die Mitarbeiter zu mehr und besserer Leis tungzumotivieren,sondernvielmehrsiezurEntwicklung,Weiterbildung,Entfaltung ihrerFähigkeitenundSelbstverwirklichunganzuregen.AlslangfristigeKonsequenzen dieserMitarbeiterentwicklungkönnendieVeränderungsundLernprozesseinUnter nehmenangesehenwerden(vgl.Kapitel15LerneninUnternehmen). AlsdirekteFolgeergibtsicheinepositiveEntwicklunginRichtungintrinsischerMoti vation,dieausdenMöglichkeitenzuLernenundderQualifizierungresultiert.L.von Rosenstielformuliertesso:„Bedenktman,dassjederinderRegeldasgernetut,waser gutzuleisteninderLageist,solässtsichdarausableiten,dassjedeQualifikationihre eigene Motivation ist. Wer zum Beispiel zunächst vor selbstständigerArbeit zurück schreckt,kanndadurch,dassderVorgesetzteihnbeikleinerenselbstständigenProjek ten von einem Erfolgserlebnis zum nächsten führt, Freude an der Selbstständigkeit gewinnen.“163 163 VonRosenstiel,L.:Motivationmanagen,S.18.
122
Personalentwicklung als Motivationsaufgabe
Es erscheint angebracht, den Begriff und die Inhalte der Personalentwicklung in Un ternehmen zu überdenken und an dieAnforderungen der Wissensgesellschaft anzu passen.DietraditionelleDefinitionderPersonalentwicklungals„InbegriffallerMaß nahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Qualifikation von Mitarbeitern“164 be trachtet einen Mitarbeiter als „zu entwickelndes Objekt“ und ist zu eng, um die Wichtigkeit der Selbstentfaltung und entwicklung jedes einzelnen Individuums im Unternehmenhervorzuheben. MansolltePersonalentwicklungaufdiePotenzialundTalentförderungderMitarbei terausrichten,waseherderDefinitionvonR.Wundererentspricht:„Personalentwick lung umfasst Konzepte, Instrumente und Maßnahmen der Bildung, Steuerung und FörderungvonMitarbeitern,diezielorientiertgeplant,realisiertundevaluiertwerden. SiesollunternehmerischeZiele(wirtschaftlicheEffizienz)sowieindividuelleEntwick lungszielevonMitarbeitern(personaleQualifizierungbzw.Vermeidungvon„Dequa lifizierung“undsozialeEffizienz)fördern.“165 IndieserFormulierungwirddieRollederPersonalentwicklungüberdiereineQualifi zierunghinausausgedehnt,auchdieFörderungvonMitarbeiternundihrerindividu ellen Entwicklungsziele finden ihren Platz unter denAufgaben der Personalentwick lung. VorallemdiegrundsätzlicheEinstellung,ein(unvollkommener)Mitarbeitersolltean dieAnforderungeneinerbestimmtenStelleangepasstwerden,solltedurcheineande re ersetzt werden: Die individuellen Talente und Stärken jedes Einzelnen sollten erkanntimInteressedesUnternehmensoptimalgenutztwerdenundsystematisch gefördertwerden. Dieses neue Paradigma der Personalentwicklung kommt mittlerweilezum Einsatzin vielen Großunternehmen, die die Bedeutung individueller Kompetenzen und des speziellen Wissens ihrer Mitarbeiter entdeckt haben und einen wahren „Krieg um Talente“führen.TalentmanagementwirdfürUnternehmenimmerwichtiger,wasdie Ergebnisse einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Mercer (2009), in der 106 Unternehmen aus Deutschland, Österreich und Schweiz befragt worden sind, belegen.81%derBefragtenmessendemTalentmanagementeinehoheBedeutungbei. 60 Prozent der Studienteilnehmer planen trotz der aktuellen ökonomischen Krise keineEinschnitteindiesemBereich.166 Dieser Trend bedeutet, dass die Personalentwicklung einigeAspekte der Persönlich keitsentwicklung beinhalten sollte. Eine gezielte persönliche Entfaltung jedes Mitar beitersgemäßseinenFähigkeiten,NeigungenundZielenkommtdemganzenUnter nehmen zugute, weil die individuellen Kompetenzen am effizientesten eingesetzt werden.DasistnurunterderBedingungmöglich,dassdiesepersönlicheEntwicklung 164 Rahn,HJ.:Unternehmensführung,S.117. 165 Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.385. 166 Vgl.http://www.mercer.com/summary.htm?idContent=1356505.
123
8.8
8
Motivation
parallelzuundabgestimmtmitderUnternehmensentwicklungstattfindet.AlsIdeal lösungkannmansichvorstellen,dassnichtMenschenanStellen,sondernArbeitsstel len an Individuen angepasst werden. Die positiven Ergebnisse einer solchen Umstel lungsindoffensichtlich:DieintrinsischeMotivationundIdentifikationmitderAufga beunddemUnternehmensindunterdiesenBedingungenamhöchsten. Das Umdenken in diese Richtung hat bereits begonnen: Moderne innovative Unter nehmen fördern Kreativität und nichttraditionelles Denken ihrer Mitarbeiter, geben ihnen Freiräume für Entfaltung von Initiative, erweitern ihre Kompetenzen entspre chenddenindividuellenFähigkeitenundZielen.DieEinführungvonSkillSystemen, diedieFähigkeitenundFertigkeitenallerMitarbeiterinUnternehmenerfassensollen, ermöglicht eine effiziente Nutzung von vorhandenem Wissen und gleichzeitig eine Weiterentwicklung persönlicher Kompetenzen und Neigungen. Personalentwicklung wirdindiesenUnternehmenalsPotenzialdesWachstums,alsWissenskapitalfürdie Unternehmenszukunftangesehen. AlseinpraktischesBeispielfürdieneuverstandenePersonalentwicklungkannKom PEtenz³, ein spezielles Instrument zur Begleitung und Förderung der persönlichen EntwicklungderMitarbeiterbeiZurichVersicherungdienen,dasseit2005imUnter nehmen eingesetzt wird.167 Das großgeschrieben „PE“ im Namen des Programms stehtausSichtdesUnternehmensfür„PersonalEntwicklung“undausSichtdesMit arbeiters kurz und mittelfristig für „Persönliche Entwicklung“ sowie langfristig für „PersönlichkeitsEntwicklung.“ Durch die Benutzung der KomPEtenz³ werden Mitar beiterförderung und Weiterbildung optimiert. Mit höherer Qualität der Personalent wicklungwirddieMitarbeiterKompetenzzielgerichtetgesteigert,diewiederumden Unternehmenswert erhöht. Mitarbeiter sind zufriedener und motivierter, weil das UnternehmeninsieinvestiertundsiezielgerichtetfürihreAufgabenqualifiziert.Die ZurichkannsozueinemattraktivenArbeitgeberwerdenundseineMitarbeiterandas UnternehmenundseineZielebinden. Das neue Verständnis der Personalentwicklung wurde von den Anforderungen der Wissensgesellschaft und neuen gesellschaftlichen Werten hervorgerufen. R. Sprenger hatinseinemBuch„AufstanddesIndividuums“denEinbruchdesZeitaltersdesIn dividuums im 21. Jahrhundert vorhergesagt, denn die enorme Komplexität unserer ZeitkannnurdurchdasIndividuummitseinerKreativität,Selbstverantwortungund Flexibilitätbewältigtwerden.168SprengervertrittdieMeinung,dasseskeineschlech ten Mitarbeiter gibt, sondern nur Mitarbeiter, die an der falschen Stelle sitzen. „Die HerausforderungfürFührungistesnicht,Menschenzuperfektionieren,sondernihre Stärken zur Geltung kommen zu lassen.“169 Genau diese Aufgabe – die Stärken der Mitarbeiter zur Geltung kommen zu lassen – soll Personalentwicklung in Unterneh menverfolgen. 167 ZurichVersicherung.KomPEtenz³LeitfadenundunternehmensinterneBroschüren. 168 Vgl.Sprenger,R.:AufstanddesIndividuums,S.15. 169 Ebd.,S.216.
124
Personalentwicklung als Motivationsaufgabe
Entsprechend dieser Vision sollten die Aufgaben der Personalentwicklung gestaltet werden: Von drei traditionellen Säulen der Personalentwicklung „Ausbildung, Fort undWeiterbildungundUmschulung“170zurindividuellausgerichtetenPersonalför derung. Eine ausführliche Diskussion der praktischen Gestaltung einer solchen Personalent wicklungwürdedenRahmendiesesLehrbuchssprengen,deshalbwirddasKonzept nurkurzskizziert. DasZielderPersonalentwicklungistes,dasEntwicklungspotenzialderMitarbeiterim Interesse desGesamtunternehmens zu nutzen, um sowohl die individuellen Kompe tenzenalsauchdasUnternehmenspotenzialzusteigern.Folglichsolltenaktuelleund zukunftsorientierte Entwicklungsfähigkeiten von Mitarbeitern unterstützt werden. Dieser Prozess basiert vor allem auf der Kenntnis von Kompetenzen und Zielen der Menschen.DarausresultierenderersteSchritt:dasErfassenderSkillsallerMitarbeiter undeineoffeneDiskussionüberindividuelleZieleundAbsichten. Schon diese Anfangsmaßnahmen erfordern in Unternehmen eine vertrauensvolle AtmosphäreundeinenkooperativenFührungsstil,diealsBedingungenfürdiesyste matischePersonalförderungbetrachtetwerdensollen.EinemManagerstehtindiesem Prozess eine Coachrolle zu. Coaching kann als Form des konstruktiven Lernens ver standen werden, wobei „Lehrer“ und „Schüler“ nicht einander gegenüber stehen, sondern gemeinsam ihre Welt schaffen (vgl. Kapitel 6 „Individuelles Lernen“). Coa chinghatdasZiel,ProzessederSelbststeuerungbeidenMitarbeiternzuinitiierenund entsprichtdamitdemSinnderPersonalförderungalsfreiwilligem,individuellgestal tetem Entwicklungsprozess zum Besten des Unternehmens. Nicht die Personalabtei lung,dieeinePersonausTausendenBeschäftigtennuralsAkteNr.XXkennt,sondern der Manager als Coach kann am besten individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten, Nei gungenundZieleeinesMitarbeiterseinschätzenundfördern.Damitwirddieindivi duelle Personalentwicklung zur Führungsaufgabe. Die Personalabteilung übernimmt dieRolleeinesinternenDienstleistersundstelltbeiBedarfinterneoderexterneSemi narangebotezurVerfügung. Als Methoden der Weiterbildung können traditionelle „offthejobSeminare“, „trai ningsonthejob“oder„trainingsparalleltothejob“benutztwerden,wobeidieMög lichkeiteneinerkooperativenSelbstqualifikationinGruppenaucheinewichtigeRolle spielen (s. Kapitel 11.7 „Lernen in Gruppen“).Auch dieMotivations und Führungs modelle wie Job enrichment oder ManagementbyObjectives tragen in sich eine ent wickelnde,förderndeKomponente.DasWichtigstebeidiesenMaßnahmenist,dasssie alsErgebniseinergemeinsamenEntscheidungvonFührungskräftenundMitarbeitern zustande kommen, bei der Individualität und persönliche Ziele des Mitarbeiters in EinklangmitdenlangfristigenInteressendesUnternehmensgebrachtwerden. 170 Vgl.Rahn,HJ.:Unternehmensführung,S.117.
125
8.8
8
Motivation
DiesekurzeSkizzederpraktischenGestaltungeinerzukunftorientiertenindividuellen PersonalentwicklungsollvorallemdieentscheidendeRolleeinesIndividuumsinund fürUnternehmenverdeutlichen.DieseEinstellungistgleichzeitigderGrundsteinund dasZieleinerganzheitlichenMotivation. Kontrollfragen 1. BeschreibenSiedasKonzeptderganzheitlichenMotivation. 2. Begründen Sie den Zusammenhang zwischen Zielen, Motiven und Motivation. DefinierenSieaktiviertesMotivundMotivstruktur. 3. Definieren Sie den Begriff Motivation. Erklären Sie anhand von praktischen Bei spielenUnterschiedezwischenintrinsischerundextrinsischerMotivation.Welche istfürSiepersönlichwirksamer? 4. ErläuternSiedenBegriffunddieVoraussetzungendesFlowErlebnisses. 5. WodurchunterscheidensichInhaltUrsacheMotivationstheorienvondenProzess theorien? 6. Listen Sie bitte menschliche Bedürfnisse auf. Erklären Sie, warum unsere Bedürf nisseindividuellundsubjektivsind. 7. Erläutern und kritisieren Sie die Bedürfnistheorie von A. Maslow in ihrer stati schen (Pyramide) und dynamischen Darstellung. Wie kann diese Theorie in die Praxisumgesetztwerden? 8. BeschreibenSiedieERGTheorievonC.AlderferalsErgänzungderBedürfnistheo rievonMaslow. 9. ErläuternundkritisierenSiedieZweiFaktorenTheorievonF.Herzbergundihre praktischeAnwendung. 10. Erklären Sie denAnsatz von D. C. McClelland und die Folgen für die praktische Motivation. 11. BeschreibenSiedieVIETheorievonV.VroomunddenProzessderEntscheidung überAusführungeinerAktivität.WelcheAnsatzpunktegibtdieseTheoriefürdie praktischeMotivation? 12. Erläutern Sie das Zirkulationsmodell von L. Porter und E. Lawler. Warum resul tiert aus einer Bemühung nicht unbedingt eine höhere Leistung? Warum ist die ArbeitszufriedenheitnichtunmittelbarmitderLeistungverbunden? 13. BeschreibenSiedieZieltheorievonE.LockeunddieausihrresultierendenAnfor derungenanZielformulierungen.
126
Personalentwicklung als Motivationsaufgabe
14. Erklären Sie das Leistungsdeterminantenkonzept von J. Berthel und die Möglich keitenderBeeinflussungeinzelnerDeterminanten. 15. Definieren Siedie Einflussfaktoren auf die Entscheidung über Motivationsmetho deninderunternehmerischenPraxis. 16. WiekannmandurchvariableEntgeltsystememotivieren? 17. BeschreibenSiedieMöglichkeitenderpraktischenMotivationdurchRestrukturie rungdesArbeitsprozesses. 18. WieistdiepraktischeMotivationmitderPersönlichkeiteinesMitarbeitersverbun den?BenutzenSiedieEigenschaftenausdenBigFivederPersönlichkeit„Gewis senhaftigkeit“und„Offenheit“underläuternSieihreZusammenhängemitMoti vationanpraktischenBeispielen. 19. WelcheAuswirkungenhatdieTheoriedermoralischenEntwicklungvonL.Kohl berg (präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle Phase) auf die praktischeMotivationvonMitarbeiterninUnternehmen? 20. Beschreiben Sie Probleme der Demotivation und Maßnahmen zur Abschaffung undVorbeugungderDemotivation. 21. WasverstehenSieunterIdentifikation?WomitkönnensichMitarbeiteridentifizie ren?WelcheRollespieltdieIdentifikationfürdieMotivation? 22. WiekannmanIdentifikationinUnternehmenfördern? 23. WarumsolltePersonalentwicklungeinTeilderMotivationsein? 24. Erläutern Sie die Grundzüge der individuell ausgerichteten Personalförderung in Unternehmen.
127
8.8
0
Teil B:
Interaktion und Gruppenverhalten
Teil B: Interaktion und Gruppenverhalten
Soziale Zugehörigkeit und kollektive Identität sind für jedes Individuum lebensnot wendig–wirbrauchengemeinsameBedeutungsräume,indenenwirunsgegenseitig alsMenschenerkennenundverstehenkönnen.171DieTendenzzurInteraktion,alssich aufeinanderbeziehendesHandelnvonwenigstenszweiIndividuen,istindermensch lichenNaturverankert.SowohlimprivatenBereich(Familie,Freundschaftskreisoder Verein)alsauchinderUnternehmenspraxis(Arbeitsgruppe,Team,Abteilung,Unter nehmen)schließensichMenschenzusammenundbildenGruppenbzw.Gemeinschaf ten. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beeinflusst das Verhalten von jedem Einzel nen:ErverfolgtweiterhinseineeigenenZieleundInteressen,passtsichabergleichzei tig an die Gruppe an, akzeptiert gemeinsame Ziele und folgt den kollektiven Verhaltensregeln (einer Kultur). Die Gruppenzugehörigkeit entwickelt sich zu einem TeilderIdentität.InnerhalbderGruppespieltdasIndividuumeineaktiveschöpferi scheRolleundübernimmtdamitdieVerantwortungfürsichselbstunddieGruppe. FüreineerfolgreicheFührungbrauchteinManagernebenKenntnissenüberEinfluss faktorendesindividuellenVerhaltensauchKenntnissevonBesonderheitendesGrup penverhaltens und der Interaktion. Dabei spielen die vielseitigen und komplizierten Kommunikationsprozesse eine zentrale Rolle. Das Verhalten von Menschen in Grup penwirdvonspezifischenGruppenmerkmalenundprozessenwieGruppenkohäsion, identität, normen, dynamik und kultur beeinflusst.Arbeitsgruppen und Teams in Unternehmen sind die wichtigsten Formen der Zusammenarbeit, die aufgrund von Synergieeffekten eine besonders hohe Gesamtleistung erbringen können. Allerdings sollten diese Prozesse gestaltet und gemanagt werden, sonst machen sich die negati ven Auswirkungen der Gruppenarbeit wie Deindividuation oder soziales Faulenzen bemerkbar. In diesem Kapitel werden zunächst Kooperation und Kommunikation als interaktive Basisprozesse des Gruppenverhaltens sowie ihre Probleme und Schwierigkeiten dis kutiert. Auf dieser Grundlage werden Merkmale des Gruppenverhaltens, Vor und NachteilevonGruppenarbeitunddieMöglichkeitenderFörderungderLeistungvon Arbeitsgruppenbeschrieben.
171 Vgl.Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.16.
128
Kooperationsebenen und -formen
9
Kooperation
SozialeInteraktionbedeuteteinaufeinanderabgestimmtesHandelnvonIndividuenin einerGruppe,einemUnternehmenodereinerGesellschaft.Einespezielle,zielgerichte te Form der Interaktion ist Kooperation (Zusammenarbeit). Da eine erfolgreiche Ko operationAbstimmungundKonsensfindungvoraussetzt,basiertsieaufderKommu nikation. Insofern sind Kooperation und Kommunikation zwei Aspekte der sozialen Interaktion,dienunnacheinandererläutertwerden. Der Begriff „Kooperation“ stammt von dem lateinischen Wort „Cooperatio“ ab und bedeutet „ZusammenWirken“ oder gemeinschaftliches Erfüllen von Aufgaben. Ko operationistfürMenschen–alssozialeWesen–einegrundsätzlicheFormdesVerhal tens.ImRahmeneinerKooperationkannjederEinzelnemehrerreichenundbekommt alsGruppenmitgliedpositivesFeedbackundAnerkennung.Kooperationenfindenauf verschiedenen Ebenen statt (zwischen einzelnen Individuen, Gruppen, Unternehmen etc.), wobei ihre Voraussetzungen, Grundprinzipien und Probleme im Wesentlichen übereinstimmen. Die meisten Kooperationen basieren auf den Vorteilen der Speziali sierungundArbeitsteilung.EinebesonderswichtigeRollespieltinjederKooperation zwischenmenschliches Vertrauen, das durch bestimmte zielgerichtete Maßnahmen unterstützt werden kann. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Besonderheiten von Kooperationen und zeigt einige Wege für ihre Gestaltung undFörderung.
9.1
Kooperationsebenen und -formen
Mankannohnezuübertreibenbehaupten,dassunsereGesellschaftvollaufKoopera tionbasiert–alles,waswirhabenundnutzen,sindErgebnissevonKooperationen. KanneinmodernerMenschinwilderNaturüberlebenundsichmitallemNotwendi genalleinversorgen?Auchwennestheoretischmöglichwäre,kommtes(fast)keinem indenSinn.Wirsindgewohnt,dieErgebnisseverschiedensterKooperationentäglich zu benutzen. Wir fahrenAutos, die von anderen produziert worden sind, oder Stra ßenbahn, die nach einem von anderen zusammengestellten Plan fährt. Wir kaufen Kleidung und Nahrung, die in fernen Ländern hergestellt worden sind. Studenten hören Vorlesungen von Professoren, die sich mit einem Fach mehrere Jahre lang be schäftigtunddadurchihrefachlichenKompetenzenerworbenhaben.InBetriebenmit TausendenBeschäftigtenwerdenkomplexeProduktewieFlugzeugeoderSchiffepro duziert,wobeijederMitarbeiternureinenBruchteildergesamtenArbeitübernimmt. 129 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
9.1
9
Kooperation
Aus diesen Beispielen lassen sich die wichtigsten Kooperationsebenen ableiten: indi viduelle, Gruppen und Unternehmensebene, Konzern, Gesellschaft, internationale oderLänderkooperationen,Weltkooperation. Kooperationen zwischen einzelnen Individuen werden als Gruppen bezeichnet und können in folgenden Formen vorkommen: Beziehung, Partnerschaft, Freundschaft, Familie,ElternKindBeziehung,Arbeitsgruppeetc.DieseFormensinddieältestenin der menschlichen Geschichte, ihnen liegen die in der menschlichen Natur tief veran kertensozialenBedürfnissezugrunde.DieseGrundformenspieleninderGesellschaft eine sehr wichtige Rolle, insbesondere als praktische Realisierung von Generationen Kooperation. Im Rahmen der Einheit Familie findet die Weitergabe von Wissen und Kultur von einer Generation an die nächste statt (die Primärsozialisation von Kin dern). ArbeitsgruppenundTeamsbildeneinebesondereFormvonGruppen.Siebasierenauf denVorteilenderArbeitsteilungundSpezialisierungundhabenfürdieunternehmeri schePraxiseinebesondereBedeutung.DieErrungenschaftendermodernenZivilisati onwärenohneArbeitsteilungundSpezialisierungnichtmöglichgewesen.DasVerhal teninGruppenhatspezifischeMerkmale,diedurchGruppenprozesseunddynamik gekennzeichnet werden. Durch Zusammengehörigkeitsgefühl und Synergieeffekte kommtinArbeitsgruppeneinebesondershoheLeistungzustande.FürdieseKoopera tionsebene sind zwischenmenschliches Vertrauen und unmittelbare Kommunikation von besonderer Bedeutung. Formelle Regelungen in Form von rechtlichen Verträgen undVereinbarungensindfürdieseEbeneeheruntypisch. MankannzwischenzweiunternehmensinternenFormenderKooperationunterschei den: abteilungs/teaminterne und abteilungs/teamübergreifende Kooperationen. WährenddieersteFormüberwiegendinteraktivabläuft,bedarfdiezweiteFormspe zieller organisatorischer Steuerung, da eine direkte Kommunikation nur beschränkt möglichist. Ein Unternehmen als Ganzes kann ebenfalls als eine Kooperationsform bezeichnet werden.EsisteinkomplexesKonstruktdermenschlichenGesellschaft,indemGrup pen undAbteilungen kooperieren. Es wirddurchArbeitsteilung und Spezialisierung (ähnlichwieinGruppen),durcheineStrukturundeineUnternehmenskulturgekenn zeichnet. Auf dieser Kooperationsebene kommen weitere spezifische Merkmale des menschlichenVerhaltensvor,diedurchdieMachtverteilunginhierarchischenStruk turen,verschiedeneOrganisationstypenundFührungsstile,denUmgangmitVertrau en und Informationen sowie durch Lernprozesse geprägt werden. Allerdings steht auch auf dieser Ebene die Kooperationsbereitschaft einzelner Individuen im Mittel punkt:GruppenundHierarchieeinheitenkooperierenuntereinandernichtalsabstrak teEinheiten,sonderndurchihreVertreter,durchPersonen.Vertrauenspieltbeidiesen Kooperationen eine wichtige Rolle, obwohl die Verhältnisse zwischen einzelnen Ar beitsgruppenundAbteilungeninnerhalbeinesUnternehmenshäufigschriftlichgere geltwerden. 130
Kooperationsebenen und -formen
Eine weitere Ebene von Kooperation sind Zusammenschlüsse von Unternehmen, in dem diese rechtlich selbständig bleiben, jedoch einen Teil der wirtschaftlichen Selb ständigkeit aufgeben und bestimmte Tätigkeitsfelder koordinieren oder Funktionen gemeinsam ausführen. Zu den bekanntesten Formen solcher Kooperationen zählen Gemeinschaften,Kartelle,Konsortien,StrategischeAllianzen,Netzwerkeodervirtuel le Unternehmen. Wie jede Kooperation basieren auch Unternehmenszusammen schlüsseaufArbeitsteilungundSpezialisierungundhabeneinebessereNutzungder PotenzialederPartneralsZiel.IhreBesonderheitbestehtinzunehmenderrechtlicher Absicherung durch formelle Verträge anstelle direkter Kommunikation undAbstim mung. EinesehrwichtigeundkomplexeKooperationsformisteineGesellschaft,derensozia leFunktionimVordergrund steht.EbensowieinanderenKooperationsformen,wer denauchineinerGesellschaftdieimRahmenderArbeitsteilunghergestelltenProduk teausgetauscht,allerdingsmüssenineinerGesellschaftauchdiejenigen,dienichtsfür diesenAustauschanzubietenhaben,überlebenkönnen:Kinder,Studenten,Arbeitslo se,Kranke,BehinderteundAlte.DiesozialeAufgabeeinerGesellschaftalsKooperati onsformbestehtdarin,dasGesamtproduktzugunstenderBedürftigenumzuverteilen: SowohlzwischendenMitgliederneinerGesellschaft,alsauchimInteressezukünftiger Generationen (Nachhaltigkeit). Instrumente solcher Umverteilung sind Steuern und Abgaben,SubventionenundFörderungvonbestimmtenBereichen,Programmenund Bevölkerungsgruppen. Diese gesellschaftliche Solidarität ist ein grundlegendes Prin zip europäischer Gesellschaften, sie ist in den sozialen Marktwirtschaften Europas wesentlichstärkervertreten,alszumBeispielinGroßbritannienunddenUSA. Eine weitere Kooperationsebene bilden die internationalen Kooperationen, zu denen sowohl die einzelnen Unternehmenskooperationen aus verschiedenen Ländern, als auchgroßeGemeinschaftenwiedieEuropäischeUnionzählen.InternationaleKoope rationenzwischeneinzelnenUnternehmenkönneninverschiedenenFormenstattfin den,z.B.alsJointVentures.JointVenturessindGemeinschaftsunternehmenmitPart nern, die gemeinsame Ziele verfolgen. Mit dem Ziel des Erschließens vonAuslands märkten wird z.B. ein grenzüberschreitendes rechtlich selbständiges Unternehmen durch Kapitalbeteiligung (wobei die Anteile der Partner ganz unterschiedlich sein können) gegründet. In internationalen Kooperationen (wie EU, ASEAN, GUS etc) können auch die Nationalstaaten als Partner fungieren. Wirtschaftliche Vorteile für beide(odermehrere)PartnerstehenbeidieserKooperationsformmeistensimVorder grund, können aber durch politische, ideologische und kulturelle Interessen ergänzt werden. Die höchste Ebene der Kooperation ist die Welt. Diese Kooperationen haben sowohl einenwirtschaftlichen,alsauchsozialenCharakter.Wirtschaftlichbetrachtet,basieren sie wiederum auf Arbeitsteilung und Spezialisierung: Deutsche Autos sind in der ganzenWeltbekannt,genausowiediesüdamerikanischenBananen,russischesErdgas oder südafrikanische Diamanten. Die Produktionsstandorte werden aufgrund von
131
9.1
9
Kooperation
geografischen und wirtschaftlichen Vorteilen ausgewählt, moderne Unternehmen agierenüberihreNationalgrenzenhinweg.DiesepragmatischePerspektivekannund darfjedochnichtdieeinzigeEntscheidungsgrundlagesein:DieWeltalsKooperation wirftnebenderFragederWirtschaftlichkeitvielesozialeundmoralischeFragenauf. Die Folgen der Globalisierung sind nicht überall und für alle positiv, die Bewegung von Globalisierungsgegnern gewinnt an Bedeutung. Inwieweit dürfen zum Beispiel diehochentwickeltenLänderihreProduktionsstandortemitihrerganzenUmweltver schmutzungindiedritteWeltverlegen?InwiefernsinddiereichenwestlichenGesell schaften, die von den Vorteilen günstiger Produktionsstandorte profitieren, für den HungertodvonMillionenKinderninAfrikamitverantwortlich?DieMenschheitbildet eine Einheit, die gemeinsame Interessen und Probleme hat: Verschmutzung der Um welt,Klimaveränderung,KriegeundinternationalerTerrorismus,Hungerinderdrit tenWelt,AufrechterhaltenderWeltkulturundvieleweitere.ManversuchtdieseProb lemeimRahmenverschiedenerinternationalerKooperationengemeinsamzulösen:Es werdendie„aussterbenden“SprachenkleinerVölkerbewahrt,zahlreicheKulturobjek te als „Weltkulturerbe“ bezeichnet und geschützt, internationale Programme für die BekämpfungvonUmweltverschmutzungundTerrorismusgestartetetc. FüralleKooperationsebenenkannmaneinigegemeinsameMerkmalevonKooperati onenfeststellen:
sie basieren auf Arbeitsteilung und Spezialisierung und bringen dadurch wirt schaftlicheVorteile,
sie haben zusätzlich eine soziale Komponente, weil jede Kooperation zwischen MenschenstattfindetunddurchMenschenfunktioniert,
sieerfordernzwischenmenschlichesVertrauenalsGrundlage, durchdasZusammenwirkenschaffenMenschenihregemeinsameWelt,fürdiesie allegemeinsamverantwortlichsind.
9.2
Aktuelle Kooperationstrends
DieKooperationeninmodernenwestlichenGesellschaftenhabeneinigeBesonderhei ten, die mit der aktuellen Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft zusammen hängen. Die Vernetzung und Virtualisierung der Unternehmenswelt führt dazu, dass Unter nehmensichzuoffenenSystemenohneerkennbareGrenzenentwickeln.Strategische Allianzen,Outsourcing,Netzwerkorganisationen,TelearbeitsindnureinigeBeispiele dieserProzesse.DieKooperationinundzwischensolchenSystemensollohnephysi schePräsenz,überwiegendvirtuellstattfinden.DurchdierasantenFortschritteinder
132
Aktuelle Kooperationstrends
Informations und Kommunikationstechnologie sind Möglichkeiten entstanden, über ZeitundRaumhinwegzukooperieren.NetzwerkeverschiedenerArtunterstützendie Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen. Portale für einzelneArbeitsteams sowie Intranet und lokale Netzwerke auf der Unternehmensebene ermöglichen und be schleunigen Information, Kommunikation und Wissensaustausch. Durch aufgaben, problem und kundenorientierte Vernetzungen entstehen virtuelle Unternehmen, die sichausräumlichgetrenntenEinheitenundArbeitsplätzenzusammensetzen. Die Beschleunigung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, schneller Wechsel von Produktmodellen und Produktionsverfahren führen zu der Notwendig keit, intensiver zwischenbetrieblich zu kooperieren: gemeinsam Forschung und Ent wicklungzubetreibenundKnowhowzuentwickeln.DasführtzurBildungvonUn ternehmenszusammenschlüssenundStrategischenAllianzen,indenendiePartnerun ternehmenihrWissenteilweisezusammenlegenundaustauschen.DieFormel„heute Konkurrent,morgenPartner“bedarfeinesUmdenkensundgegenseitigenVertrauens. Die neue Tendenz zu mehr Offenheit kommt in den Begriffen Open Innovation und OpenLearningzumAusdruck.NeueIdeenundProduktewerdennichtmehrimAl leingang, in eigener F&EAbteilung, sondern gemeinsam mit Kunden, Lieferanten oder sogar Wettbewerbern entwickelt. Mehrere Automobilproduzenten kooperieren bei der Entwicklung von neuen Elektro und Hybridautos, um enorme Kosten und Risiken unter einander zu teilen. Lead User (besonders fortschrittliche, engagierte Kunden) werden in den Entwicklungsprozess von neuen Produkten und Dienstleis tungenintegriert.DieseZusammenarbeitbedarfeinerbesondererOffenheitundVer trauensbereitschaft. Die Globalisierung der Welt sowie die Internationalisierung der Wirtschaft verleihen denKooperationeneinezusätzlicheDynamik,sprengendengewöhnlichennationalen Rahmen und schaffen neueMöglichkeiten(neue Märkte,Geschäftspartner, Produkti onsstandorteusw.).DerintelligenteUmgangmitdiesenGegebenheitenmusszunächst erlerntwerden.ProblemederinterkulturellenKommunikationunddesinterkulturel lenManagementsrückenindenVordergrund. Das Wissen wird zur wichtigsten Ressource, zu dem Schlüssel zum Erfolg. Wissens kooperationengewinnenanBedeutung.DarausresultierteinesteigendeAbhängigkeit von Experten auf allen Fachgebieten, weil das Wissen immer spezifischer wird und nicht von jedem einzelnen Menschen/Unternehmen vollständig angeeignet werden kann.VertrauenundUmgangmiteinanderbildenzentraleProblemevonWissensko operationen.InvielenGroßunternehmensindWissensnetzwerkejenseitsvonHierar chien entstanden, die in Form von „Communities of Practice“ oder Weblogs zu be stimmten Themen ihr Wissen und Können freiwillig und meistens virtuell austau schen. Diese Kooperationsformen unterscheiden sich in ihrem Verhalten und Motivation von den konventionellen und brauchen andere Organisations und Füh rungsmethoden.
133
9.2
9
Kooperation
NetzwerkeaufallenEbenenderGesellschaftundUnternehmenbildeneineFormder kollektivenIntelligenz.DasBeispiel„Internet“zeigt,wieumfangreichundrevolutio nierend ein Netzwerk sein kann – das WWW verbindet die ganze Welt, die einzige Bedingung für die Zugehörigkeit ist einInternetzugang. Die Nutzungsmöglichkeiten und Vorteile scheinen praktisch unbegrenzt zu sein, ebenso wie die entstehenden Probleme: Informationsflut, Viren und Spambedrohung, Missbrauch von persönli chen Daten etc. Im virtuellen Lexikon Wikipedia kann jedermann blitzschnell und kostenlospraktischalleInformationenbekommen,allerdingsoftverzerrteodersogar falsche. Wie kann ein Nutzer die Qualität von Informationen überprüfen? Wer ver antwortet die Folgen, falls eine falsche Behauptung aus Wikipedia beispielsweise in einerDiplomarbeitbenutztwurde? In zahlreichen Social Communities wie Facebook oder StudiVZ können persönliche Informationen und Bilder blitzschnell veröffentlicht werden, und es entsteht das Ge fühl,mitTausendenMenschenverbundenundbefreundetzusein.Allerdingskannes leicht zu einem Missbrauch (oder Manipulation) von Daten oder sogar zu einerAb lehnung Ihrer Bewerbung kommen, wenn der potenzielle Arbeitgeber nach Ihren Bildern im Netz sucht und diese kompromittierend findet.„Das Netz vergisst nie“ – dassolltefüralle,dieihrePrivatsphäreöffentlichmachen,eineWarnungsein. EinewirtschaftlicheKooperationinForm(odermitUnterstützung)einesNetzwerkes kannverschiedeneZieleverfolgen–Prozesssteuerung,Wissensaustausch,Koalitions bildungetc.DieseKooperationsformbetontmehroderwenigerausgeprägteSelbstor ganisation undAutonomie der Teilnehmer und benötigt anstelle der Hierarchie eine dezentraleKoordination.DiedezentralenArbeitsformenerforderneinhohesMaßan Selbstdisziplin und organisation, Eigeninitiative, Motivation, sozialer Kompetenz, VertrauenundBeherrschungmodernerInformationsundKommunikationstechnik. Alseinebedeutsame,zukunftsorientierteAnwendungderNetzwerkekanneineintel ligente Vernetzung des verteilten Wissens aller Mitarbeiter des Unternehmens be zeichnet werden. Die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Intelligenz schnell und flexibelzumobilisieren,istinunsererWissensgesellschafteinentscheidenderErfolgs faktor.172 Zusammenfassend können folgende aktuelle Tendenzen in Bezug auf Kooperationen festgestelltwerden:
Kooperationen auf allen Ebenen (zwischen Individuen, Gruppen, Unternehmen, Ländern)werdenimmerwichtiger;
InternationaleKooperationengewinnenzunehmendanBedeutungunderfordern spezielleinterkulturelleKompetenzen;
172 DiesesProblemwirdinKapitel15„GestaltungdesLernensinUnternehmen“diskutiert.
134
Begriff und Voraussetzungen der Kooperation
KooperationenfindenhäufigzwischenoffenenSystemenohneGrenzenundphy sischePräsenzstatt;
herkömmliche,aufderInteraktionbasierendeKooperationenwerdengelegentlich durchvirtuelleKooperationenundNetzwerkeergänztoderersetzt;
dieRolledesVertrauensinKooperationenwächst; moderne Kooperationsformen benötigen neue Koordinationsmechanismen, Orga nisationsformenundFührungsmethoden.
9.3
Begriff und Voraussetzungen der Kooperation
Eine Kooperation ist ein Handeln von zwei oder mehreren Handlungseinheiten (Individuen, Gruppen, Unternehmen etc.), das bewusst aufeinander abgestimmt (koordiniert)ist,zurZielerreichungjedesKooperationspartnersbeiträgtundmeist langfristigausgerichtetist. Diese Definition zeigt die wichtigsten Merkmale einer Kooperation: Koordination, gemeinsameZielerreichungund(meistens)langfristigeAusrichtung. KooperationenverfolgengrundsätzlichdasZiel,vonderSpezialisierungundRationa lisierung zu profitieren und durch die abgestimmte Zusammenarbeit die Leistungs und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das setzt gemeinsames freiwilliges Wirken, wechselseitige Abhängigkeit der Partner, gegenseitiges Vertrauen, Wissensaustausch underweiterungsowieNutzenfüralleBeteiligtenvoraus.JedeKooperationbedeutet eingegenseitigesGebenundNehmen. Die praktischen Gründe, aus welchen Kooperationen allgemein entstehen können, sindverschieden: Sachzwänge: Eine Aufgabe kann nicht von einer Person, sondern nur in der Gruppe gelöst werden, die Beteiligung von mehreren Personen ist notwendig (Beispiel: Ein schwererSchrankkannnurvonmehrerenPersonentransportiertwerden); AufgabenKomplexität:EineAufgabenstellungbenötigtmehrereSpezialistenoderspezi fischesWissen(Beispiele:Teamarbeit,ArbeitsteilunginnerhalbeinesUnternehmens); Effektivitäts oder Qualitätsgründe: Gruppenarbeit garantiert höhere Effektivität oder bessere Qualität, die durch Zusammenwirken zustande kommen (Beispiele: Steige rung der Kreativität durch gemischte Projektgruppen, Strategische Allianzen für ge meinsameF&E). Bei jedem dieser Gründe kommen Arbeitsteilungs und Spezialisierungsvorteile vor, die das gemeinsame Wirken notwendig und effizient machen. Diese Gründe führen
135
9.3
9
Kooperation
nicht automatisch zum Erfolg einer Kooperationspartnerschaft. Man braucht zusätz lichfolgendeVoraussetzungen:
gegenseitiges Verständnis, d.h. Verstehen und Akzeptanz der Verhaltensweisen desjeweilsAnderen,
komplementäre (nicht widersprüchliche, sondern einander verstärkende) Ziele derPartnersowie
VertrauenzwischendenKooperationspartnern. OhneVerständnisvongegenseitigenZielenundVerhaltensweisenkönnendiePartner nichtzusammenarbeiten.DiesesVerständnisbasiertaufdemgegenseitigenVerstehen (manmussdiegleicheSprachesprechenundgleicheBegriffebenutzen)undderAk zeptanzvonPartnerrollen.VerständniskommtineinererfolgreichenKommunikation zustandeundwirdimKapitel10„Kommunikation“ausführlichdiskutiert. Komplementäre Ziele sind besonders wichtig, weil jede Kooperation die Zielerrei chung beider Partner bezweckt. Allgemein werden folgende Zielbeziehungen unter schieden:komplementäre,konkurrierendeundindifferente. Abb.32:
MöglicheZielbeziehungen173 Komplementarität Z1
Indifferenz
Konkurrenz Z1
Z1
Z2
Z2
Z2
ErhöhungdesZiel erreichungsgradsvon Z1führtauchzur ErhöhungvonZiel erreichungsgradZ2
Steuerungsmaßnahmen zurErreichungvonZ1 führenzurAbnahme desZielerreichungs gradsvonZ2
ErfüllungvonZ1 hatkeinenEinfluss aufdieErfüllung vonZ2
Nur unter der Bedingung der Zielkomplementarität beider Partner kann eine erfolg reicheKooperationzustandekommen.ZielkonkurrenzschließtdieMöglichkeiteiner Kooperationaus,ZielindifferenzschafftkeineMotivationfüreineKooperation.
173 Rahn,H.J.:Unternehmensführung,S.326.
136
Vertrauen und Kooperationsbereitschaft
Wachsende Bedeutung, Vertiefung und Virtualisierung von Kooperationen in der Gesellschaft verstärken die Rolle des Vertrauens in Kooperationen, deswegen wird VertrauenalsKooperationsfaktorausführlichererläutert.
9.4
Vertrauen und Kooperationsbereitschaft
GegenseitigesVertrauenistfürjedeKooperationunentbehrlich.EsbildetdieBasisfür eineoffeneundkonstruktiveZusammenarbeit,fördertdieBereitschaftvonGruppen mitgliedern,ihreErfahrungenundihrWissenoffenzulegenundgemeinsamenZielen erstePrioritätzuzuordnen.BesondersinderAnfangsphaseistgegenseitigesVertrauen notwendig,bevormandenAnderenrichtigkennengelerntundErfahrunginderZu sammenarbeitgesammelthat. NachRobbinsistVertrauen„diepositiveErwartung,dasssicheinanderer–inWor ten,inTatenoderbeiEntscheidungen–nichtopportunistischverhaltenwird.“174 DieWorte„positiveErwartung“unterstellen,dasswirunserenPartnerbereitskennen, weil Vertrauen ein erfahrungsbedingter Prozess ist. Je besser man jemanden kennt, destoleichterwirdes,ihmgegenüberVertrauenzufassen.MitderBezeichnung„nicht opportunistisch“betontdieseDefinitiondasRisiko,dasinjederVertrauensbeziehung vorkommt: Einander zu vertrauen bedeutet, etwas Privates, Wichtiges von sich preis zugeben.WirdunserVertrauenmissbraucht,fühlenwirunsausgenutztundverraten. JedeVertrauensbeziehungsetztmehroderwenigerdieBereitschaftvoraus,einRisiko einzugehen. RobbinsdefiniertinAnlehnungandieneustenForschungsergebnissefünfDimensio nendesVertrauens:Integrität,Kompetenz,Konsistenz,LoyalitätundOffenheit.175 Unter Integrität werden Ehrlichkeit undAufrichtigkeit gemeint. Diese Eigenschaften macheneinePersonindenAugeneineranderenglaubwürdig.MoralischeWerteund EinstellungenspielendabeieineentscheidendeRolle.DieKompetenzumfasstsowohl fachliche als auch soziale Kompetenzen eines Individuums (vgl. Kompetenzen einer Führungskraft in Kapitel 1.2). Die Konsistenz wird als Übereinstimmung zwischen Wort und Tat verstanden, die sich in der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit eines Menschen äußert. Eine Diskrepanz zwischen verkündeten Prinzipien und tatsächli chemVerhaltenwirdeinemPartnernichtverziehen,dasVertrauenisthin.DieLoyali tätbezeichnetdieBereitschaft,einenanderenMenschenodereineGruppebzw.Orga nisationinSchutzzunehmenundseinen/ihrenRufzuverteidigen.DiefünfteDimen sionbeschreibtOffenheit,woruntermandieBereitschaftdesPartnersversteht,seine MotiveundInformationenoffenzulegenundnichtszuverheimlichen. 174 Robbins,S.P.:OrganisationderUnternehmung,S.394. 175 Ebd.,S.395396.
137
9.4
9
Kooperation
IndiesenDimensionenkommtdieRollevonEmotioneninKooperationenzumAus druck:DasVertrauenentstehtzumgrößten Teilemotional,durchdieBewertungdes PartnersundseinerWerte. InderPraxiskannVertrauenausverschiedenenGründenzustandekommen.Robbins beschreibt drei Grundlagen für Vertrauen: Abschreckung, Wissen und Identifikati on.176 Child und Faulkner benutzen die gleiche Klassifikation, sprechen jedoch von kalkulierendem statt von abschreckungsbasiertem Vertrauen.177 Offensichtlich, ist diese Bezeichnung treffender, da auf der Basis derAbschreckung kein Vertrauen ge deihen kann. Die Charakteristika dieser drei Vertrauensarten: kalkulierendes, wis sensbasiertesundidentifikationsbasiertes,werdeninderfolgendenTabelledargestellt. Tabelle21: Vertrauensarten178 Kalkulierendes Vertrauen basiert auf der Angst vor Vergeltungsmaßnahmen im Falle eines Vertrauensbruchs ist ein Hindernis für Vertrauensbruch wirkt nicht vertrauensfördernd ist für das Anfangsstadium einer Kooperation typisch, bevor man den Partner richtig kennen gelernt hat Formen: Verträge, Strafdrohungen, juristische Vereinbarungen
Wissensbasiertes
Identifikationsbasiertes
Vertrauen entsteht aufgrund der Berechenbarkeit des Verhaltens
ist die höchste Ebene des Vertrauens, die auf emotionaler Bindung basiert
Informationen über den Partner sind wichtig (Kenntnis, Empfehlungen oder Referenzen)
beide Seiten verstehen ihre gegenseitigen Absichten und respektieren die Wünsche des Gegenübers
kommt zustande bei bekannten Partnern (durch positive Erfahrung) Kommunikation und Interaktion wirken fördernd
basiert auf langjähriger Zusammenarbeit und gemeinsamer Erfahrung Kontrolle ist minimal, weil die gegenseitige Loyalität nicht bezweifelt wird
Form: meist informell
InderPraxiswirdinderRegeleinKompromisszwischenVertrauenundMisstrauen gefunden, wobei ein Vertrauensvorschuss und eine erträgliche Absicherung zusam menspielen. R. Sprenger bezeichnet ein modernes Vertrauen als eine „Entscheidung füreinMischungsverhältniszwischenVertrauenundMisstrauen,zwischenKontrolle undKontrollverzicht“179(s.folgendeAbbildung).
176Vgl.Robbins,S.P.:OrganisationderUnternehmung,S.396397. 177Vgl.Child,J.;Faulkner,D.:StrategiesofCooperation,S.48ff. 178InAnlehnunganRobbins,S.P.:OrganisationderUnternehmung,S.396397. 179Sprenger,R.:Vertrauenführt,S.77.
138
Vertrauen und Kooperationsbereitschaft
Abb.33:
KompromisszwischenVertrauenundMisstrauen(nachR.Sprenger)180
Misstrauen expliziter Vertrag Vertrauen impliziter Vertrag
gewähltes Verhältnis
VertrauensundKooperationsbereitschaftistvonMenschzuMenschunterschiedlich. Sowohl die allgemeinen Einstellungen (insbesondere dasMenschenbild) als auch die Erfahrungen mit Kooperationen und Risiko prägen unsere Kooperationsbereitschaft. AlskooperationsbereitschaftsbeeinflussendeFaktorenkönnengenanntwerden:
KenntnisderKooperationspartner:Esistimmerleichter,miteinerbekanntenPer sonzusammenzuarbeiten,mitdermankeinRisikoeingeht;
Einstellung zu Risiko: Risikobereitschaft ist unterschiedlich ausgeprägt, abhängig vonpersönlichenundkulturellenBedingungenundErfahrungen;
ähnliche Normen und Wertevorstellungen bei den Kooperationspartnern: In dem Fallkann mansichbessereinigen,esistleichter,dasVerhaltenunddieEntschei dungenderAnderenzuverstehen;
ErfahrungenmitKooperationen:PositiveErfahrungenbegünstigendieKooperati onsbereitschaft,negative–erschwerensie;
Erwartungen eines Erfolges oder persönlichen Gewinns: Je höher die Erwartung, destogrößerdieKooperationsbereitschaft,auchbeierhöhtemRisiko,und
günstigesituativeRahmenbedingungenfürdieKooperation:BesondereFörderung undrechtlicheSicherheiterleichterndasZustandekommenvonKooperationen. Kooperation und Kooperationsbereitschaft können in der Praxis durch gezielte Maß nahmengefördertwerden.
180 InAnlehnunganSprenger,R.:Vertrauenführt,S.74.
139
9.4
9
Kooperation
9.5
Förderung von Kooperationen
DieWichtigkeitvonKooperationeninderUnternehmenspraxismachteineDiskussion überNotwendigkeitundMöglichkeitenihrerFörderungaktuell:WiekönnenKoope rationenerfolgreichgestaltetwerden?AufdenEbenenderzwischenbetrieblichenund internationalenKooperationengehtesbeiderFörderungvorallemumdierechtliche Absicherung und die interkulturelle Problematik. Ergebnisse zahlreicher Studien be weisen, dass sich die Unterschiede in den Unternehmenskulturen der Partner beson dersnegativaufdieKooperationenauswirkenundeinhäufigerGrundfürMisserfolg oderAbbrucheinerKooperationsind. Unabhängig von der Kooperationsebene ist die Förderung des kooperativen Verhal tens auf die Unterstützung von wesentlichen positiven Aspekten der Kooperationen hinausgerichtet(vgl.Tabelle). Tabelle22: KooperationenundihreFörderung Merkmal der Kooperation
Fördermaßnahmen
Vorteile durch Arbeitsteilung und Spezialisierung
Gemeinsamen Erfolg erreichen und in den Vordergrund stellen, Lernprozesse initiieren
Soziales Miteinander, wichtige Rolle von Emotionen und Sympathien
Unterstützung von Sympathie, Einbeziehung der Privatsphäre, informelle Kommunikation
Wichtigkeit von gegenseitigem Vertrauen
Offene Kommunikation, Vertrauensatmosphäre und Aufrichtigkeit
Gemeinsame Gestaltung der Gruppenwelt
Unterstützung der Identifikation und gemeinsamer Kultur
Kooperationen bringen wirtschaftliche Vorteile durch Spezialisierung undArbeitstei lung, weil die Teilnehmer verschiedene Kompetenzen und verschiedenes Wissen ha benundsichgegenseitigergänzen.DasBedürfnisnachLeistungistbeijedemIndivi duum vorhanden, auch in einer Kooperation will man erfolgreich sein. Der gemein same Erfolg als Ziel wirkt motivierend und stellt ein Erfolgserlebnis dar, das die Kooperationspartner zusammenschweißen kann. Es ist sehr wichtig, dass jedes Mit gliedderKooperationseinenAnteilamErfolgerkennt,dadurchwirddieIdentifikati on mit Partnern und mit den Ergebnissen der Zusammenarbeit gestärkt. Bei der ge meinsamenAufgabenlösungkommengegenseitigeLernprozesseinGang,diesichauf dieZusammengehörigkeitsehrpositivauswirken. AusdersozialenPerspektivebedeuteteineKooperationdasmenschlicheMiteinander, das auf individuellem Verhalten, Emotionen und gegenseitigen Sympathien basiert. Folglich ist die Unterstützung des sozialen Miteinanders eine wichtige Fördermaß nahme. Soziale Beziehungen können durch gemeinsame Freizeitaktivitäten und re
140
Förderung von Kooperationen
gelmäßige informelle Treffen gefördert werden. Eine offene aufrichtige Atmosphäre stärkt das gegenseitige Vertrauen. Auch eine offene und intensive Kommunikation spielt bei Kooperationen eine wichtige Rolle.Als Folge werden persönliche Kontakte zwischen Partnern begünstigt, gegenseitige Sympathie unterstützt und das Zusam mengehörigkeitsgefühl gefördert. Bei positiver Entwicklung kommt es mit der Zeit zumidentifikationsbasiertenVertrauen(vgl.Kapitel9.4),dasaufemotionalerBindung undgemeinsamerpositiverErfahrungderKooperationsmitgliederbasiert. In dem Kooperationsprozess wird eine gemeinsame Welt geschaffen, die ihre Selbst ständigkeit und Dynamik entwickelt, deshalb braucht eine Kooperation Maßnahmen fürUnterstützungderKulturundIdentität,diedurchspezielleKulturundPersonal politik im Rahmen einer Kooperation geschaffen werden. Dazu gehören: Symbole (Logos) und Namen, Rituale und Institutionen (Konferenzen, gemeinsames Essen, Treffpunkte)sowiegemeinsameGeschichten(Erlebnisse)undHelden. ImMittelpunktjederKooperationstehenMenschen–siesinddieTrägervonKoopera tionsbeziehungen.EineKooperationbasiertinersterLinieaufAustauschbeziehungen, derenEntwicklungvomGraddesVertrauenssowiederQualitätderKommunikation unter den Mitgliedern abhängt. Die menschlichen Beziehungen beinhalten jedoch nebendersachlichenKomponenteauchpersönlicheGefühle,EmotionenundWertur teile. Zu den Aufgaben eines Managers gehört deswegen auch Konfliktschlichtung undMediation,wobeiderUmgangmitGefühleneinFingerspitzengefühlerfordert. Zusammenfassend kann man die Definition der Kooperation erweitern: Eine erfolg reiche Kooperation bedeutet mehr als einfach Zusammenwirken, sie heißt auch einandervertrauen,voneinanderlernen,untereinanderkommunizieren,zusammen erfolgreichseinundeinegemeinsameWeltgestalten. Kontrollfragen 1. BeschreibenSiedieEbenenvonKooperationenundihreBesonderheiten. 2. ErläuternSieFormenvonzwischenbetrieblichenKooperationen. 3. WelcheTrendszeichnenmoderneKooperationenaus? 4. DefinierenSiedenBegriffKooperationundnennenSiepraktischeGründefürdas EntstehenvonKooperationen. 5. Beschreiben Sie die Voraussetzungen für erfolgreiche Kooperation: Verständnis, komplementäreZieleundgegenseitigesVertrauen. 6. ErläuternSiediefünfDimensionendesVertrauens:Integrität,Kompetenz,Konsis tenz,LoyalitätundOffenheit. 7. Definieren und vergleichen Sie die drei Vertrauensarten: abschreckungsbasiertes, wissensbasiertesundidentifikationsbasiertesVertrauen. 8. ErläuternSieMaßnahmenzurFörderungvonKooperationen. 141
9.5
10
Kommunikation
10 Kommunikation Kommunikation ist allgegenwärtig. P. Watzlawick definiert es so: Man kann nicht nicht kommunizieren.181 Ob wir es wollen oder nicht, wir kommunizieren ständig. Verbal oder nonverbal, sogar durch unser Schweigen oder unsere Zurückhaltung. Alles,wasdieMenschenlernenundschaffen,worübersiesichfreuenundwarumsie traurigsind,hängtmitihrerKommunikationzusammen.Wirerschließenfürunsdie Welt und erschaffen sie immer wieder neu durch unsere Kommunikation. Dies gilt sowohlfürdieprivatealsauchfürdieArbeitswelt.InUnternehmenbildetdieKom munikation die Grundlage jeder Kooperation, ermöglicht Wissensaustausch und Ko ordination,isteinwichtigesFührungsundMotivationsinstrument.Zugleichkönnen Kommunikationsprobleme in Unternehmen zu mangelnden Leistungen, Fehlent scheidungen,DemotivationundUnzufriedenheitführen,diebeträchtlichewirtschaft licheFolgenverursachen. Aus der verhaltenswissenschaftlichen Perspektive gesehen, sind die Schwierigkeiten menschlicher Kommunikation durch den subjektiven Charakter individueller menta ler Modelle und die Vielschichtigkeit einer Persönlichkeit vorprogrammiert, da an jedemKommunikationsaktsubjektive,erfahrungsbedingteWeltbildersowieVerstand, Vernunft und Emotionen beider Partner beteiligt sind. Zugleich liegen die Lösungen fürdieseProblemeebensoindermenschlichenPsyche–wirhabeneinBedürfnisnach einem gemeinsamen Verständnisraum und können mithilfe unserer Spiegelneuronen Gefühle und Handlungen unserer Mitmenschen nachvollziehen. Dieses Vermögen, intuitive Vorstellungen über die Gefühle undAbsichten eines anderen Menschen zu gewinnen, wird von Fachleuten als „Theory of Mind“ bezeichnet und als Grundlage derKommunikationangesehen.182 IndiesemKapitelwerdenverschiedeneDefinitionenundModellederKommunikati on dargestellt, Wege zur kommunikativen Verständigung und Besonderheiten der verbalenundnonverbalenKommunikationaufgezeigtsowieeinigeKommunikations theorien erläutert, die Führungskräften helfen sollen, erfolgreich zu kommunizieren. Diese theoretische Basis wird auf die betriebliche Kommunikation angewandt: Jeder AnsatzwirdmitBeispielenausderunternehmerischenPraxisbelegt,eswerdenVor und Nachteile verschiedener Kommunikationsmedien sowie die Vorbereitung und DurchführungvonFührungsgesprächenbeschrieben.
181 Watzlawick,P.;Beavin,J.H.;Jackson,D.D.:MenschlicheKommunikation,S.50. 182 Vgl.Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.16.
142 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Definitionen und Modelle
10.1
Definitionen und Modelle
Das Wort „Kommunikation“ stammt vom lateinischen „communis“, was gemeinsam machen,gemeinsamberatenbedeutet.SchonAristoteles(384–322v.Chr.)hatsichmit dem Begriff Kommunikation befasst und drei Elemente einer Kommunikation defi niert:denKommunikator(Redner),dieKommunikation(Rede)unddenRezipienten (Zuhörer).183 MeistwirdunterKommunikation„AustauschvonInformationenzwischenMenschen und/oder Maschinen“184 oder „Übermittlung und Vermittlung von Informationen durchAusdruckundWahrnehmungvonZeichen“185verstanden. PsychologenwieWatzlawick,SchulzvonThunundNeuberger,ebensoSprachwissen schaftler und Philosophen wieAustin, Searle oder Habermas vertreten die Meinung, dass eine Kommunikation viel mehr bedeutet, als die einfache Übertragung von In formationen.DerProzessdesKommunizierensisteinkomplexerpsychischerProzess, dersolchvielfältigeFacettenwieWahrnehmung,Emotionen,Einstellungen,Machtver teilung,Akzeptanz und Lernfähigkeit beinhaltet. Kommunikation wird als ein wech selseitigerAustauschvonMitteilungenbeschriebenundinVerbindungmitInteraktion (Handlung) gebracht. Von Watzlawick wird „ein wechselseitiger Ablauf von Mittei lungen zwischen zwei oder mehreren Personen als Interaktion“ bezeichnet.186 Kom munikation ist demnach eine Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen, die durch die gegenseitige Wahrnehmung beider Partner beeinflusst wird und für gemeinsamesHandelnentscheidendist. Abb.34:
KommunikationwirddurchdiegegenseitigeWahrnehmungvonPartnernbeein flusst
183 Vgl.Mohr,N.:KommunikationalsInteraktionsvariable,S.353. 184 Vgl.Rahn,H.J.:Unternehmensführung,S.28. 185 Vgl.Brockhaus,S.211. 186 Watzlawick,P.;Beavin,J.H.;Jackson,D.D.:MenschlicheKommunikation,S.50.
143
10.1
10
Kommunikation
In dem gängigen SenderEmpfängerModell (SEModell) der Kommunikation mit RückkopplungwerdendiewichtigstenAspektederKommunikationdargestellt. Abb.35:
SenderEmpfängerModellderKommunikation
S
Nachricht Rückkopplung
E
Eine von dem Sender geschickte Nachricht wird zunächst durch spezifische Filter gefiltert und entsprechend kodiert, danach durch ein Medium (Kanal) transportiert undmithilfevonFilterndesEmpfängersdekodiert.AbhängigvondenFilternanbei den Seiten und von dem Medium der Übertragung kommt die Nachricht mehr oder weniger verändert bei dem Empfänger an. Selbst dieses einfache Modell zeigt: Es ist theoretischunmöglich,dasseineNachrichthundertprozentigidentischankommt. WoraufbasierendieFilter,dieunsereKommunikationsostarkbeeinflussen?Inerster LinieaufdemsubjektivenCharakterunsererWahrnehmungundunseresWissens(s. Kapitel5„Wissensrepräsentation“)sowieaufdenIntentionen,diemitderKommuni kation verfolgt werden. Keine Information existiert isoliert, sie ist an eine bestimmte Persongebunden(mitderpragmatischenDimensiondesWissens)undineinemsub jektivenWissenssystemverwurzelt(individuellesWissen,dasaufgrundvonFähigkei ten,Interessen,ErfahrungenundKompetenzeneinerPersonentstandenist).Diesgilt sowohlfürdenSender,alsauchfürdenEmpfängereinerNachricht.Ihrespezifischen FilterwerdenzusätzlichdurchdieZielevonKommunikationspartnernunddiegegen seitigeEinschätzungdesanderenPartnersbeeinflusst.InjederKommunikationhaben wir unsere eigene Vorstellung von uns selbst, der Person des Partners und seiner Wahrnehmung unserer Person, was auf die Funktion unserer Spiegelneuronen zu rückzuführenist.IndiesemSinnbehauptendiePsychologen,dassaneinerKommu nikationzweierMenschensechsPersonenbeteiligtsind:187
die beiden Personen, wie sie sich jeweils selbst in ihren SelbstRepräsentationen wahrnehmen(wiesieselbstzuseinglauben),
diebeidenPersonen,wiesiesichwechselseitigalsRepräsentationeninsichtragen (wiesieglauben,dassderjeweilsanderesei)und
dienuralsphysischeRealitätvorhandenenPersonen. 187 Vgl.Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.87.
144
Definitionen und Modelle
Die wichtige Rolle in dem SEModell spielt die Rückkopplung, die eigentlich den Zweck einer Kommunikation beschreibt. Nicht das Senden einer Nachricht an sich, sondern viel mehr die Reaktion des Empfängers interessiert den Sender. Die Rück kopplungmachteszugleichmöglich,zuüberprüfen,obundwieeineNachrichtange kommen ist, ob sie verstanden wurde. Falls nicht, kann der Sender Korrekturen vor nehmenundnocheinenVersuchstarten.EskönnenmehrereAbläufestattfinden,bis das Ziel erreicht ist. Man muss zusätzlich berücksichtigen, dass die Rückkopplung, genausowiedieursprünglicheNachricht,aufeinemkomplexenWegemitFilternund Transportmediumstattfindet. Kommunikationkannnurdannalserfolgreichbezeichnetwerden,wennsiezurVer ständigung führt. F. Varela definiert Kommunikation als einen Akt der Gestaltung gemeinsamerRealität:KommunikationistnichtnurdieÜbertragungvonInformati onvomSenderzumEmpfänger,„Kommunikationistvielmehrzuverstehenalsdie wechselweise Gestaltung und Formung einer gemeinsamen Welt durch gemeinsa mes Handeln: Wir bringen unsere Welt in gemeinsamen Akten des Redens her vor.“188 Kommunikation ist unsere Verbindung zur Welt, unser Mittel, die Wirklichkeit zu erschließenundzugestalten.DurchdiesePerspektivegewinntKommunikationnoch mehr an Bedeutung. Wir schaffen unsere private und berufliche Realität zusammen mit anderen Menschen, und Kommunikation ist dabei unser Verständigungs und Koordinationsmittel.DieRollederKommunikationineinerBeziehungistoffensicht lich: Durch ein Wort oder eine Geste können wir unseren Partner glücklich oder un glücklich machen, „miteinander reden“ ist ein universellesHeilmittel für jedes Prob lem.EbensobedeutsamistKommunikationfürdiebetrieblicheZusammenarbeit. Wie kann kommunikative Verständigung erreicht und Kommunikationsfehler ver mieden werden? Welche Medien sind dabei besonders effizient oder umgekehrt be sondersstöranfällig?EsgibtverschiedeneTheorien,diesichmitderkommunikativen Verständigung und verschiedenen Kommunikationsmedien beschäftigen. Wir Men schen benutzen am häufigsten unsere Sprache als Medium, deswegen istdie verbale KommunikationfürMenschenvonbesondererBedeutung.DieweiterenMedienkön nenBilder,Musik,GerücheoderTastempfindungensein. In der betrieblichen Kommunikation sind folgende Medien besonders verbreitet: ge sprochenes und geschriebenes Wort, Bilder verschiedenerArt (Tabellen, Diagramme, Abbildungen und Zeichnungen) und nonverbale Mittel (Körpersprache, paraverbale Mittel,RaumverhaltenundErscheinungsbild).IhreBesonderheitenwerdenimWeite rendiskutiert.
188 Varela,F.J.:Kognitionswissenschaft–Kognitionstechnik.S.113.
145
10.1
10
Kommunikation
10.2
Verbale und nonverbale Kommunikation
VerbaleKommunikationisteinDialog,derüberWorteerfolgt.Fürdenbetrieblichen AlltagistsiedaszentraleKommunikationsmittel. DiesprachlicheKommunikationistfürMenschenalssozialeWesentypisch:DieEnt wicklungvonSprachenhatinderGeschichtederMenschheiteineentscheidendeRolle gespielt und den Umgang mit Wissen grundsätzlich verändert. Die Benutzung von standardisiertenZeichenhatunsereVerständigungundunsereLernprozesseaufeine qualitativneueEbeneerhoben. AusneurobiologischerPerspektivegesehen,transportiertmenschlicheSpracheHand lungsvorstellungen: Die Sprache ist ein „Mittel, um Vorstellungen, die wir selbst ha ben,ineinenanderenMenscheneinzuspiegeln.DieSpracheversetztunsindieLage, SpiegelbilderunsererVorstellungenimanderenwachzurufenunddadurchgegensei tigesVerstehenzuerzeugen.“189AusdiesemGrundkanndasWortbewegen,erregen und verändern. Genau das macht eine charismatische Führungskraft, wenn sie ihre MitarbeiterzueinerbestimmtenHandlungmotiviert. Informationstheoretisch betrachtet, hat die Kommunikation die gleichen drei Dimen sionen,wieformalisiertesWissen:einesyntaktische,einesemantischeundeineprag matische(vgl.5.5).DiesyntaktischeDimensionbeziehtsichaufdasreineBenutzenvon ZeichenundSymbolen,dierichtiggebrauchtwerdensollen.AnderenFallskanneine Nachricht nicht übermittelt werden. Die eigentliche Bedeutung einer Nachricht ist Bestandteil der Semantik – sowohl der Sender, als auch der Empfänger müssen sich über die Bedeutung der Zeichen einig sein, sie verstehen. Nur dann wird die Nach richtnichtnurübertragen,sondernauchverstanden.Diedritte,pragmatischeDimensi onspiegeltdieZieledesSendersunddieBeziehungzwischenSenderundEmpfänger wider.DadieSprachekeineAnsammlungabstrakterBegriffeoderEtikettierungenfür dieObjekteeinerunbelebtenWeltist,sondernihreWurzelnindenerfahrungsbasier tenHandlungenhat,besitztsieeinesubjektivepragmatischeDimension. DaseigentlicheZieljederKommunikationistdiekommunikativeVerständigungvon Partnern.DieseberuhtaufzweiAspekten:VerstehenundAkzeptanz. VerstehenheißtEinverständnisüberdenInhaltderÄußerung, überdie syntaktische undsemantischeDimension dermitgeteiltenInformation.DafürmüssenSenderund Empfänger die gleiche Sprache sprechen, nicht nur im Sinne der Nationalsprache, sondernweitergefasst:AuchFachbegriffesollenvonbeiden(gleich)verstandenwer den.AkzeptanzbedeutetdieAnerkennungdespragmatischenRollenpaares,aufdem dieÄußerungaufbaut,undderpragmatischenDimensionderInformation.Dasheißt, dass jeder der Partner das Recht desAnderen auf seine Meinung sowie die Bedeut samkeitdieserMeinungakzeptiert.DieAkzeptanzkanndabeiaufeinerunterschiedli 189 Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.76.
146
Verbale und nonverbale Kommunikation
chen Machtverteilung beruhen, die aus der Autorität des Gegenübers resultiert. Ist dieseAutorität nicht nur eine formelle, auf einer Machtposition basierende, sondern aucheineinformelle(fachliche,persönliche),sohatdieAkzeptanzeinesichereemoti onale Grundlage.Anderenfalls kann es zuAkzeptanzproblemen kommen. So fällt es beispielsweise einem erfahrenen, älteren Mitarbeiter schwer, die arroganten, besser wisserischenAnweisungeneinesjungenVorgesetztenernstnehmen,bevordiesersich alseinqualifizierterSpezialistodereinewillensstarkeFührungspersönlichkeitbewie senhat. Das gesprochene Wort wird zusätzlich – bewusst und unbewusst – von nonverbalen Mitteln begleitet. Dabei ist die Rolle der nonverbalen Kommunikation sehr groß: KommunikationsforscherschätzendenverbalenAnteilandenvermitteltenGesamtin formationaufnur20%ein. Nonverbale Kommunikation findet über paraverbale Mittel, Körpersprache, Raum verhaltenundErscheinungsbildstatt.DieeigenennonverbalenKommunikationsmit tel lassen sich nicht ständig kontrollieren, es würde zu viel Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle erfordern. Man kann trotzdem einige Gewohnheiten entwickeln und sich einige einfachen Regeln merken. Es ist wichtig, die nonverbale Kommunikation von Anderen verstehen zu können, denn neben dem gesprochenen Wort teilt uns unser Gegenüber sehr viel mit nonverbalen Mitteln mit. Die gesprochene Botschaft kanndurchnonverbaleMittelbestätigtundverstärktoderauchverändertundwider legtwerden.Dabeigilt:IntuitivesVerstehenistauchohneSprachemöglich,aberkeine Sprache ohne Verstehen.190 Wenn wir sprechen oder zuhören, empfinden wir das Gesprochenenach.UnserKörperäußertunsereEmpfindungeninderKörpersprache. StimmenKörperundverbaleSpracheunseresGegenübersnichtüberein,glaubenwir seinemWortnicht,sondernseinemKörper. Tabelle23: KomponentendernonverbalenKommunikation Paraverbale Mittel
Körpersprache
Raumverhalten
Erscheinungsbild
Tonfall
Körperhaltung
Distanz
Fitness
Tonhöhe
Gestik
Gang
Kleidung
Rhythmus
Mimik
Frisur
Lautstärke
Blickkontakt
Make-up
Tempo, Pausen
Schmuck
Durch die paraverbalen Mittel kann ein Mensch die Bedeutung des Gesprochenen variieren:DieReichweiteumfassteinebreitePalettevonHervorhebungdurchdieArt der Betonung oder rhetorische Pausen, über Verstärkung durch eine laute Komman 190 Vgl.Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.82.
147
10.2
10
Kommunikation
dostimme (Befehl) bis zur Ironie, wobei die Bedeutung der Äußerung sich in ihren Gegensatzverwandelt.ParaverbaleMittelkönnensowohlbewusstalsauchunbewusst benutztwerden.WenneinManagerbeiseinerÄußerungeinemMitarbeitergegenüber nichtaufrichtigist,kannseineStimmeoderseinGesichtsausdruckdiesverraten,und der Mitarbeiter bekommt die Unaufrichtigkeit mit. Das gegenseitige Vertrauen wird dadurchgefährdet.Einemitlauter,groberStimmeausgesprocheneKritik,diesachlich berechtigtist,kannbeieinemUntergebenendasGefühlderBeleidigunghinterlassen, AbwehrmechanismenaktivierenundzurDemotivationführen.RedeteinManagerauf einemMeetingundeutlich,zuleiseoderzuschnell,dannkönnenihndieMitarbeiter kaum verstehen, man darf von ihnen keine enthusiastischeArbeit erwarten. Eincha rismatischer Redner kann umgekehrt sein Publikum begeistern und mit Unterstüt zung rechnen.Aus diesem Grund sollte jeder Manager seine rhetorische Kompetenz entwickeln. Marie Dasborough von der Harvard University hat die Rolle der nonverbalen Kom munikation in der Führung untersucht, indem sie zwei verschiedene Gruppen von Probanden beobachtete: Die eine erhielt auf ihre Leistungen negatives Feedback, das aber von positiven emotionalen Signalen (Nicken und Lächeln) begleitet war. Die andereGruppebekampositivesFeedback,jedochvorgetragenmitkritischerMimik– gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen. In anschließenden Interviews zumVergleichderStimmungslageinbeidenGruppenzeigtesichfolgendesBild:Die Probanden, die positives Feedback mit negativen emotionalen Signalen erhalten hat ten,schätztenihreLeistunggefühlsmäßigschlechtereinalsdiejenigen,dieeinfreund lichdargebotenesnegativesFeedbackbekommenhatten.DieKörpersprachewährend derBotschaftwaralsowichtigeralsdieBotschaftselbst.UnddieMenschen,diesich besserfühlen,erbringenauchbessereLeistungen.191 Die Körpersprache (Körperhaltung, Gestik, Mimik und Blickkontakt) kann vom Ma nager bewusst eingesetzt werden, um seine Ziele und seinen Appell zu vermitteln. AuchdasVerstehenderKörpersprachedesGegenüberskannvielezusätzlicheInfor mationen liefern. Einer der bekanntesten Körpersprachenexperten unserer Zeit Samy Molcho192 behauptet, dass der Körper alles, was der Mensch denkt, in eine eigene Sprache–HaltungenundBewegungen–übersetzt,manmüssenurlernen,dieseSpra chezudeutenundbewussteinzusetzen. Man muss jedoch bedenken, dass menschliche Körpersprache mehrdeutig sein kann: Eine Geste kann in verschiedenen Situationen bei der gleichen Person verschiedene Bedeutungen haben, desto mehr bei unterschiedlichen Menschen. Deswegen kann manamsicherstenKörpersignalevonunsbekanntenMenschenverstehen,derenGe wohnheiten,GestenundMimikunsvertrautsind.
191 Goleman,D.;Boyatzis,R.:WarumFührungEinfühlungbedeutet. 192 Vgl.Molcho,S.:AllesüberKörpersprache.
148
Verbale und nonverbale Kommunikation
10.2
Exkurs: Körpersprache verstehen (Quelle: www.focus.de Berufsleben, Körpersprache) Tabelle zur Deutung der Körperhaltung Ablehnung
Körperliches Zurückweichen
Ablehnung
Blick über die Schulter, der Oberkörper wird dem Gesprächspartner nicht zugewendet
Ablehnung
Distanz vergrößern
Sicherheit
Das Jackett öffnen, aufrechter, lockerer Stand
Unsicherheit
Die Füße um die Stuhlbeine geschlungen, ständig in Bewegung (Herumrutschen auf dem Stuhl)
Unsicherheit
Die Hände um die Stuhllehne geklammert
Unsicherheit
Sich selbst mit den Armen umklammern
Zustimmung
Körperliche Annäherung. sich dem Partner zuwenden
Rücksichtslosigkeit
Sitzen mit breit auseinanderklaffenden Beinen
Tabelle zur Deutung der Gestik Aussage unterstreichen
Die Fingerkuppen einer Hand aneinander pressen
Interesse
Geweitete Pupillen
Sicherheit
Armbewegungen oberhalb der Taille
Sicherheit/Entrüstung/Erregung
Hände in die Hüften stemmen
Sicherheit/Nachdenklichkeit
Mit den Händen ein Spitzdach nach oben formen, das Kinn streicheln
Freude/Sicherheit/Zufriedenheit
Sich die Hände reiben
Unsicherheit/Ablehnung
Mit den Händen ein Spitzdach in Richtung des Gesprächspartners formen
Unsicherheit/Nervosität
Mit den Fingern trommeln
Aggression
Doppelläufige Pistole: Aneinanderlegen der Zeigefinger bei Verschränkung der anderen Finger und den auf die Zeigefinger aufgelegten Daumen
Zurückhalten von Informationen
Einen oder mehrere Finger auf die Lippen legen
149
10
Kommunikation
Körpersprache ist vielseitig, da mehrere Körperteile an der Übertragung einer Nach richt gleichzeitig beteiligt sind. Dazu zählen die Sprache von Augen, Kopf, Mund, Nase, Augenbrauen (Mimik); Bewegungen der Schulterpartie und des Oberkörpers; Haltung und Bewegungen von Beinen und Füssen sowie von Händen und Fingern. Das Verstehen der Körperhaltung und Gesten eines Gesprächspartners kann helfen, den Partner besser kennen zu lernen, die richtige Strategie in einer Verhandlung mit ihmauszuwählen,seineStimmungenundReaktionenzudeutenunddieeigeneTaktik anzupassen. Das Verstehen fremder Gestik hilft eine Diskussion zu führen und die richtigen Argumente zu finden, die auf Interesse und Akzeptanz des Gegenübers treffen. BeiderDeutungderKörperspracheistdieGefahrderPauschalisierungzubedenken: Nur bei Personen, die uns vertraut sind, können wir die Körpersignale mehr oder wenigerfehlerlosdeuten. Unsere eigenen Gesten können wir nur sehr begrenzt kontrollieren, trotzdem gibt es nachS.MolchoeinigeeinfachenRegeln,dieeinManagerberücksichtigenkann:
NuroberhalbderTaillegestikulieren, ZeigefingerinGesprächennichtbenutzen,daerautoritärwirkt, Offene Handflächen wirken im Gespräch positiv und signalisieren Offenheit, ge ballteFäuste–umgekehrt. Der Blickkontakt ist für die Kommunikation von besonderer Bedeutung: Während einesMeetingsodereinerPräsentationsollteeinManagerunbedingtBlickkontaktmit den Zuhörern halten. Ein offener Blick ist ein Zeichen für die eigene Offenheit,Auf richtigkeit und Überzeugung. Einige Psychologen behaupten, dass die Augen von Menschen – im Gegensatz zur Zunge – nicht lügen können, deswegen verraten sie, wenneinMenschnichtdieWahrheitsagt.DieAugenschließensichbeimSchwindeln kurz oder sehen weg. Auch der Gesichtsausdruck beim Lügen verrät den Lügner: Während ein ehrlicher Gesichtsausdruck symmetrisch ist, ist der falsche immer a symmetrisch.193 Nicht weniger aussagekräftig ist das menschliche Raumverhalten, dazu gehören vor allemDistanz,GrößederPrivatzoneundGang.DieseInformationensindwichtig,um den Partner einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten. Mit der Erforschung vonDistanzzonenhatsichderKulturforscherE.Hallbeschäftigt,derdasRaumverhal tenalskultur,personenundsituationsabhängigbezeichnetundfürwestlicheKultu renfolgendeDistanzzonendefinierthat:
193 Vgl.Cohen,D.:DiegeheimeSprachevonGeist,VerstandundBewusstsein,S.82.
150
Verbale und nonverbale Kommunikation
Tabelle24: DistanzzoneninwestlichenKulturen(nachE.Hall)194 Distanzzone
Entfernung
Verhaltensweisen
Intime Distanz
bis 50 cm
Intime Interaktionen (Lieben, Trösten), Ringkampf
Persönliche Distanz 50 bis 120 cm
Interaktionen zwischen guten Freunden und Bekannten
Soziale Distanz
1,2 bis 3,6 m
Offizielle, unpersönliche, geschäftsmäßige Kontakte
Öffentliche Distanz
3,6 bis 7,5 m
Formale Interaktion zwischen einer Person und der Öffentlichkeit
DasVerletzenvonsozialerDistanzunddasEindringenindiesogenanntePrivatzone istnurdenFreundenundBekanntenerlaubtundwirdmitgroßerWahrscheinlichkeit von einem unbekannten Geschäftspartner negativ angesehen. Die Verkürzung der DistanzvonderSeitedesGegenüberskannjedocheinZeichenfürInteresseundVer trauen sein. Auch die persönlichen Eigenschaften wie Offenheit und Aufrichtigkeit eines Menschen beeinflussen seine Neigung zu der kleineren oder größeren Distanz innerhalballgemeinerGrenzen. Eine weitere Gruppe von nonverbalen Mitteln der Kommunikation heißt Gesamter scheinung und wird durch erkennbare Fitness, ordentliche und angemessene Klei dung sowie Frisur, Makeup und Schmuck gekennzeichnet. Diese Mittel werden als passive Körpersprache bezeichnet, stehen jedem zur Verfügung und erfordern – im Gegensatz zur aktiven Körpersprache – nicht die ständige bewusste Kontrolle wäh rend der Kommunikation, die die Aufmerksamkeit eines Menschen überfordert. GleichzeitigspielensieeinewichtigeRolle,insbesonderewennmanbedenkt,dassder erste Eindruck von einer Person aufgrund ihrer äußeren Erscheinung entsteht. Und dieseersteMeinungist–typischfürdiemenschlicheWahrnehmung–häufigdieent scheidende. IndiesemZusammenhangsprechenPsychologenvonden„entscheidendenvierMi nuten“ – den ersten vier Minuten einer Bekanntschaft, in denen die Entscheidung gefälltwird,obessichlohnt,dieseBekanntschaftzumachen.SeiesineinerPartner schaftoderineinemVorstellungsgespräch,dieseerstenMinutensinddiewichtigsten. Bei jedem Kontakt bewerben wir uns um die Gunst der Menschen. Was können wir tun,umunsambestenaufdiesevierMinutenvorzubereiten? Zusammenfassend kann man für einen positiven ersten Eindruck folgendes empfeh len:
bemühen Sie sich um eine aufrechte Körperhaltung – sie soll Optimismus und Überzeugungausdrücken; 194 Hall,E.T.:Thehiddendimension(dt.:DieSprachedesRaumes).
151
10.2
10
Kommunikation
angemesseneKleidung,Frisurevtl.SchmucksindalsZeichendesRespektsfürdie KontaktpersonundeineSituationbedeutsam;
blicken Sie Ihrem Gegenüber in die Augen, denn Blickkontakt signalisiert Ihre AufrichtigkeitundAufgeschlossenheit;
LächelnSie!EinLächelnistdiekürzesteVerbindungzwischenMenschen; Ihr Händedruck sollte kräftig genug sein, mit der ganzen Handfläche, ohne die HanddesGegenübersansichzuziehen;
Ruhe,SelbstbewusstheitundGelassenheitausstrahlen; kurz,deutlichundlautgenugsprechen. Mit diesen kurzen Regeln, die als nonverbale Begleitung für ein Gespräch dienen, kannmansehrvielerreichen.AuchwennmannuraufgrundpositiverErscheinungin den ersten Minuten nicht sofort den ersehntenArbeitsplatz bekommt, wird der gute ersteEindruckIhreChancenwesentlichverbessern. DieProblemedermenschlichenKommunikationwerdeninverschiedenenKommuni kationstheorien behandelt, die sowohl verbale, als auch nonverbale Botschaften be rücksichtigen.
10.3
Kommunikationstheorien
Die bekanntesten Kommunikationstheorien sind der psychologische Ansatz von F. SchulzvonThununddieTheoriederTransaktionsanalysevonE.Berne.BeideTheo rien haben als Basis die Mehrdimensionalität einer Nachricht, benutzen das Sender EmpfängerModell der Kommunikation mit Rückkopplung und betrachten sowohl verbalealsauchparaundnonverbaleÜbertragungvonInformationen.Darüberhin auswirddasModellderPsychenachG.Roth(vgl.Kapitel2.2)aufdieKommunikati onsproblematikangewendet.
10.3.1
Der psychologische Ansatz von F. Schulz von Thun
Die Kommunikationstheorie von Friedemann Schulz von Thun195 (Professor für Psy chologie an der UniversitätHamburg) ist unter der Bezeichnung „VierAspekte einer Nachricht“bekannt,weilervierSeiteneinerNachrichtdefiniert:Sachinhalt,Selbstof fenbarung, Beziehung undAppell.Alle vier Seiten haben eine gleiche Berechtigung, deswegenwerdensieimModellalsQuadratdargestellt(s.folgendeAbbildung). 195 SchulzvonThun,F.:Miteinanderreden.
152
Kommunikationstheorien
UnterdemSachinhaltverstehtmandaswörtlichGesagte(verbaleKomponente).Der Sachinhalt ist mit der syntaktischen und semantischen Dimension des Wissens ver bunden. Damit der Empfänger sie versteht, muss die Nachricht syntaktisch korrekt seinundineinerfürdenEmpfängerverständlichenSprache(NationalundFachspra che) gesendet werden.Aber der Sachinhalt ist nicht das Einzige, was in einer Äuße rung mitgeteilt wird. Die weiteren dreiAspekte – Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell–habenmitderpragmatischenKomponentederKommunikationzutunund werden überwiegend para und nonverbal übertragen, wobei auch die Wortauswahl einewichtigeRollespielt. Abb.36:
VierAspekteeinerNachrichtnachF.SchulzvonThun Sachinhalt
S
Selbstoffenbarung
Nachricht
Beziehung
Appell
E
Bei jeder Äußerung erzählt der Sprechende gleichzeitig etwas über sich selbst in der momentanen Situation – über eigene Gefühle, Interessen und Empfindungen, das ist seine Selbstoffenbarung. Sie kann bewusst oder unbewusst sein. Manchmal äußern wir unsere Gefühle bewusst mit bestimmter Lautstärke, speziellen Betonungen oder rhetorischenPausen(paraverbal)oderbegleitendenGesten(nonverbal),häufigerpas siert es unbewusst: Ohne uns Gedanken darüber zu machen, verraten wir unsere Stimmung–Unzufriedenheit,Ärger,ZweifeloderauchFreudeundBegeisterung. InjederMitteilungverstecktsichgleichzeitigdieMeinungdesSendersüberdieBezie hungzudemEmpfänger,dieserAspektderNachrichtwirdalsBeziehungbezeichnet. EskanndieBeziehunginderbestimmtenSituationsein(z.B.„DubrauchstinMoment meineHilfe“)oderaucheinelangfristige(z.B.„IchbinDeinChefunddarfDichkriti sieren“).Diespassiertvorallempara(z.B.„Kommandostimme“)undnonverbal(z.B. einetypischeChefGesteisteinerhobeneroderdrohenderZeigefinger). Schließlich hat eine Nachricht noch eine vierte Seite – einen Appell. Jede Äußerung verfolgteinbestimmtesZiel,willdenEmpfängerzueinerHandlungodereinerReak tionanimieren.InjedemFührungsgesprächgehtesdarum,denanderenzuveranlas sen,bestimmteDingezutun.ObeinAppelldenEmpfängerzubestimmtemHandeln bewegt,istingroßemMaßevonderBeziehungabhängig.
153
10.3
10
Kommunikation
DieÜbermittlungvondreiSeitenderNachrichtinüberwiegendparaundnonverba lerFormerschwertdasVerständnisundkannzuMissverständnissenundProblemen inderpraktischenKommunikationführen.Selbstoffenbarung,BeziehungundAppell können von Empfänger nicht immer richtig gedeutet werden.Allegorisch kann man sagen:DerSenderschicktgleichzeitigvierBriefeabundderEmpfängerentscheidet,in welcher Reihenfolge und ob überhaupt alle Briefe gelesen werden und welcher Brief beantwortetwird.DeswegenwirddasKommunikationsquadratauchalsVierOhren Modellbezeichnet.JedeÄußerungenthält,obwireswollenodernicht,vierBotschaf tengleichzeitig,diegenausoinvierverschiedenenOhrendesEmpfängersankommen. Inwieweit kommen diese vier Aspekte „richtig“, d.h. unverändert, beim Empfänger an? Wie es aus der Diskussion über die spezifischen Filter auf Sender und Empfän gerseite klar geworden ist, kann keine Nachricht ohne Verzerrung ankommen. Die bestenChancenhatdabeiderSachinhalt–erkommtwörtlichan.AlleanderenAspek teverändernsich,abhängigvondenFilterndesEmpfängersundkönnenganzanders wahrgenommenwerden,alsvomSendergemeint.EinOriginalbeispielvonSchulzvon ThunerläutertdieseSchwierigkeiten. Abb.37:
KommunikationsbeispielundseineInterpretationnachSchulzvonThun196
196 SchulzvonThun,F.:Miteinanderreden,Band1,S.6263.
154
Kommunikationstheorien
UmdieWahrnehmungderSituationundderBeziehungvonMannundFrauzuver deutlichen,stelltSchulzvonThunalsErläuterungvierAspektedieserNachrichtdar, wiesiegesendetundempfangenwordensind.DerVergleichzeigt,dassnurderSach inhalt unverändert angekommen ist, während alle anderen Aspekte bei Sender und Empfängerunterschiedlichaussehen. Offensichtlich hat sich die Frau entweder durch den Ton des Mannes (paraverbale KomponentederKommunikation)oderdurchseineKörpersprache(MimikoderGes tik) beleidigt gefühlt, was zu einer inadäquaten Reaktion auf seine im Grunde ge nommenneutraleFragegeführthat. EsstelltsicheineberechtigteFrage:WiekannmandieseMissverständnissevermeiden und einander besser verstehen? Es hilft offensichtlich nur eins – miteinander reden. WennwirdieUnklarheitenansprechen,Appell,SelbstoffenbarungsundBeziehungs aspekte direkt klären, dann werden wir den Partner mit seinen Motiven und Stim mungenbesserverstehenkönnen.EsgibtkeinenanderenWeg,alszudiskutieren. DerAnsatzvonSchulzvonThunhatpraktischenNutzenfürdieUnternehmenspraxis und kann im betrieblichenAlltag erfolgreich benutzt werden. Betrachtenwir als Bei spieleinFührungsgespräch. EinProjektleiterkommtinsArbeitszimmerseinerMitarbeiterundsagt: „Ichhoffe,dassSiefürdiemorgigePräsentationbeiunseremKundenperfektvorbereitetsind.“ Bei den zwei anwesenden Mitarbeitern könnte diese Aussage unterschiedlich ange kommensein,wiewiresinderfolgendenTabellesehen.Entsprechenddemsubjekti ven Verständnis der Nachricht würde jeder der Mitarbeiter anders reagieren. Nicht nur die unmittelbare Rückkopplung wird verschieden ausfallen, sondern auch das Handeln. Die Problematik der Kommunikation hängt damit zusammen, dass sie immer in ei nemKontextstattfindet,wobeinichtnurdirektgesagte,sondernauchandereFaktoren imSpielsind:Vorgeschichte,Beziehungen,ErwartungenundEmotionen.DieVerant wortungfürdasVerständnisliegtaufbeidenSeiten.DerSenderistfürdasFormulie reneinerNachrichtundderEmpfängerfürdasVerstehenverantwortlich.Esliegtbei demSender,sichklarundlogischauszudrücken,wasdieKommunikationwesentlich erleichtert.AuchdieparaundnonverbalenSignalesindnichtzuunterschätzen:Häu fig kann gerade der Tonfall oder die Gestik des Sprechenden Reizreaktionen beim Empfänger verursachen. Auch die Art der Formulierung ist wichtig: Eine bewusst „wissenschaftliche“, komplizierte Sprache schafft Distanz, wird akademisch empfun den.ManchmalentstehenKommunikationsproblemedeshalb,weilderSenderseinen Appellnichtexplizitzuverstehengibt,sondernerwartet,dasser„zwischendenZei len“gelesenwird.DieskannentwederaufeinebewussteManipulationoderaufeine unbewussteScheuvordemGegenüberzurückgeführtwerden.
155
10.3
10
Kommunikation
Tabelle25: VierAspekteeinerNachrichtampraktischenBeispiel Aspekte
Gesendet vom Projektleiter
Angekommen beim Mitarbeiter A
Angekommen beim Mitarbeiter B
Sachinhalt
Ich hoffe, dass Sie für die morgige Präsentation bei unserem Kunden perfekt vorbereitet sind
Ich hoffe, dass Sie für die morgige Präsentation bei unserem Kunden perfekt vorbereitet sind
Ich hoffe, dass Sie für die morgige Präsentation bei unserem Kunden perfekt vorbereitet sind
Selbstoffenbarung
Diese Präsentation ist für die weitere Existenz des Projekts und für mich persönlich sehr wichtig
Der Chef macht sich Sorgen, die Präsentation ist ihm wichtig
Der Chef ist wie immer gestresst und lässt seine Sorgen an uns aus
Beziehung
Ich fühle mich als Projektleiter für meine Leute verantwortlich und muss ab und zu Ansporn geben
Der Chef gibt uns Spielräume, aber in solchen kritischen Momenten kontrolliert er immer
Der Chef misstraut mir, nachdem ich voriges Mal Mist gebaut habe. Er wird es mir nicht vergessen
Appell
Sie müssen sich richtig anstrengen
Ich fühle mich sicher, werde aber nochmals alles überprüfen
Soll ich kündigen?
GenausoliegtdieVerantwortungfürdasVerständnisbeidemEmpfänger:Erhörtmit allen vier Ohren, bestimmt aber, auf welche Seite der Nachricht er reagiert. Ist seine Reaktionübertriebeneinseitig,dannwirddieweitereKommunikationerschwert. Man kann mithilfe des Modells von Schulz von Thun einige typische Kommunikati onsproblemezwischenManagernundUntergebeneninUnternehmenanalysieren. ManagerneigenhäufigzurÜberbewertungderSachebene:Siebleibenbewusstsach lichundgebensowenigwiemöglichvonpersönlichenEmpfindungenundStimmun genpreis.FolglichkannbeidenMitarbeiterndasGefühlderArroganz,Distanziertheit undmenschlicherKälteentstehen,wasfürdieArbeitsatmosphäreschädlichseinkann. Wird umgekehrt die Beziehungsseite überbewertet, so wird jede Kommunikation zu einer Klärung von Beziehungen zwischen dem Vorgesetzten und Untergebenen. Be schäftigtsicheinManagerzusehrmitderSelbstoffenbarungsseite,dannläufterGe fahr,einenPsychotherapeutenfürseineUntergebenenzuspielen,wasnichtzuseinen Kompetenzengehört.DarunterleidendiesachlichenLösungenvonProblemen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nur die ausgewogene Aufmerksamkeit für allevierAspekteeinerNachrichtsowohlaufderSenderalsauchaufEmpfängerseite zueinererfolgreichenKommunikationführenkann. 156
Kommunikationstheorien
10.3.2
Theorie der Transaktionsanalyse von E. Berne
Eine andere psychologische Theorie der Kommunikation ist von dem kanadischen PsychiaterEricBerne(1910–1970)entwickeltwordenundunterdemNamenTrans aktionsanalysebekanntgeworden.IndenletztenJahrzehntenwurdesieergänztund weiterentwickelt.ZurzeitgehörtdieTransaktionsanalysezudenbekanntestenModel lenderKommunikation,dieinderWirtschaftskommunikationundTeamentwicklung eingesetztwerden. DieTransaktionsanalysegehtdavonaus,dassdiePersönlichkeiteinesMenschenaus drei verschiedenen Bewusstseinszuständen (IchZuständen) besteht, die das Denken, HandelnundFühleneinesMenschenbeeinflussen:
ErwachsenenIch(durchdachtesKonzeptdesHandelnsaufgrundrationalerAnaly seundEntscheidungsfindung),
ElternIch(moralischeEinstellungen,dieaufdieElternerziehungzurückgehen), KindheitsIch(spontane,kreativeKomponentedesHandelns). Alle diese Zustände existieren bei jedem Menschen gleichzeitig, können aber in ver schiedenenSituationenunterschiedlichstarkausgeprägtseinundinderKommunika tion dominieren. In dieser Dreiteilung kann man bestimmte Analogien zu den vier Seiten einer Nachricht finden: Während die ErwachsenenEbene vor allem für den Sachinhalt steht und verbal übertragen wird, werden auf den Eltern und Kindheits IchEbenenüberwiegenddieKomponentenSelbstoffenbarung,BeziehungundAppell kommuniziert,diemeistensunbewusstundparaundnonverbalübermitteltwerden. In dem ErwachsenenIch kommt das durchdachte Lebenskonzept eines Menschen zum Ausdruck: Er denkt rational und logisch, handelt vernünftig und abwägend, vergleicht Alternativen, identifiziert Ursache und Wirkung, empfindet keinen Hass oderZorn. Tabelle26: ErwachsenenIchundseineCharakteristika197 Denken/ Gedanken
sammelt und gibt Informationen; zieht logische Konsequenzen; schätzt Wahrscheinlichkeiten ab; überlegt; entwickelt Alternativen; trifft Entscheidungen
Handeln/ Verhalten
abwägend und nachdenklich; aufmerksames Zuhören; geduldig, entspannt; vernünftig, aufgeschlossen
Fühlen/ Gefühl
Gefühle sind wirklichkeitsorientiert; spontan und echt gemeinte Äußerungen; ohne Fähigkeit, Hass oder Zorn zu empfinden
197 Diese und die weiteren Tabellen in Anlehnung an Brommer, U.: Konfliktmanagement statt
Unternehmenskrise.
157
10.3
10
Kommunikation
AnalysiertmandieinderTabelledargestelltenDenkundVerhaltensweisen,somerkt man, dass die Menschen sich nicht immer wie ihre ErwachsenenIchs verhalten: Für dasmenschlicheVerhaltensindauchFehlerundZweifel,EmotionenundSpontaneität typisch.DieseVerhaltensmerkmalebasierenaufanderenTeileneinerPersönlichkeit. DasElternIchfasstunseremoralischenVorstellungenundHaltungenzusammen.Das ist ein anerzogenes Lebenskonzept, das aus zwei Teilen besteht: aus dem kritisch bestrafenden und dem fürsorglichunterstützenden. Diese beiden Funktionen über nehmendieElterninjederFamilieeinemKindgegenüber. Tabelle27: ElternIchundseineCharakteristika Kritisch-bestrafend
Fürsorglich-unterstützend
Denken/ Gedanken
gut/schlecht; du sollst/du darfst nicht; richtig/falsch
tu dein Bestes; mach dir keine Sorgen; gib nicht auf
Handeln/ Verhalten
kopfschütteln; erhobener Zeigefinger; strenger Blick
lächeln; mitfühlende Gesten; besorgter Blick
Fühlen/ Gefühl
fordernd; intolerant; selbstgerecht
ermunternd; liebend; schützend
DasElternIchalsTeileinerPersönlichkeitbestehtausEinstellungen,Normen,Werten, GebotenundPrinzipien.AlledieseVerhaltensmusterhabenwirinderPrimärsoziali sation wahrgenommen und erlernt, später weiter entwickelt und bewusst verändert. SiebildenunserElternIchundkönnenin unterschiedlichenFormeninderKommu nikation vorkommen. Das ElternIch ist die Quelle automatischer, unbewusster Wer tungen,dieaufdeninderSozialisationabgespeichertenGebrauchsanweisungenund Vorschriften basieren. Beispiele von Gebrauchsanweisungen sind folgende: wie man sichverhält,wiemanmitVorgesetztenspricht,wiemansichkleidet,wiemansichin Gesellschaft benimmt usw. Beispiele von Vorschriften können sein: nur bei „Grün“ über die Straße gehen, bei Tisch still sitzen, alten Leuten in der Bahn den Platz frei machenusw. Der dritte Teil einer Persönlichkeit wird KindheitsIch genannt, er umfasst Impulse undGefühle,dieeinKindvonNaturaushat.InihmsinddieFähigkeitenundTalente, sowie Gefühle, Kreativität und Spontaneität gespeichert. Das KindheitsIch ist die QuelleallermenschlichenEmpfindungen.DabeiunterscheidenPsychologenzwischen demnatürlichen,angepasstenundrebellischenKindheitsIch,alledieseFacettenma chendieVielfalteinerPersönlichkeitinihrenGefühlenundImpulsenaus. DasnatürlicheKindheitsIchumfasstGefühle,ImpulseundAffekte,diefreigeäußert werden. Das angepasste KindheitsIch will den Erwartungen anderer entsprechen – das sind unsere „sozialisierten“ Gefühle. Sie kommen zum Beispiel zum Ausdruck, wennwirunsvonanderenbestrafenlassen.Dasrebellische(aufgeweckte)Kindheits IchistSitzderEmpathie(desEinfühlungsvermögens),derIntuitionundKreativität.
158
Kommunikationstheorien
Das KindheitsIch ist für folgende Verhaltensweisen verantwortlich: lenkt Aufmerk samkeit auf sich, hatAngst, Fehler zu machen, ist egoistisch – will eher nehmen, als geben,akzeptiertKritikundBestrafungusw. Tabelle28: KindheitsIch,seineAspektenundCharakteristika Natürliches K-Ich
Angepasstes K-Ich
Rebellisches K-Ich
Denken/Gedanken
spontan; direkt; ich will/kann; authentisch
hilf mir; beschütze mich; verlass mich nicht; liebe mich
kreativ, intuitiv; schlau/listig; oppositionell; ablehnend
Handeln/Verhalten
spielt; beobachtet; lacht/weint; wütend/zornig
fügsam; hilflos; verzichtet; gibt nach
launenhaft; trotzig; introvertiert; manipuliert
Fühlen/Gefühl
ängstlich; vergnügt; neugierig; erfinderisch
unsicher; abhängig; vorsichtig; liebevoll
enttäuscht; ärgerlich; rebellisch; aggressiv
AlledreiIchZuständeprägenmenschlichesVerhalten.WelchesIchistbesser,wichti ger?DieseFragemachtkeinenSinn,denneinePersönlichkeitkannsichnurentfalten, wenn alle Seiten vorhanden sind. Wären alle Menschen nur ErwachsenenIchs, dann würdensienurvernünftigundrationalhandelnundentscheiden–daswäreeineWelt derMaschinen.UnseremoralischenHaltungen(ElternIch)sowieImpulseundGefüh le (KindheitsIch) machen uns erst zu Menschen. Dank dem Kind in uns entwickeln wir Visionen und Ideale, machen Erfindungen und Entdeckungen. Dank der morali schenVorstellungenistVerantwortungsgefühlundgewissenhaftesHandelnmöglich. Nur die ganze Fülle von allen Teilen macht Menschen so einmalig, ermöglicht die VielfaltanFähigkeitenundKompetenzen. Dank den drei Zuständen einer Persönlichkeit kommen unterschiedliche Sichtweisen zustande:
ElternIch:IchsehedieWelt,wiesieseinsollte(dassindunsereVorurteileund Klischees,unserMoralstandpunkt),
ErwachsenenIch: Ich sehe die Welt, wie sie wirklich ist (in diesem Teil prüfen wir Fakten, holen wertneutrale Informationen ein, vergleichen Alternativen und akzeptierendieRealitätsowiesieist),
KindheitsIch: Ich sehe die Welt, wie ich sie gern hätte (dies ist unser Wunsch denken,unsereIllusionen,NaivitätundTräume). WissenschaftlersprechenvoneinemEgogrammeinesMenschen198,dasdieStärkeder VertretungeinzelnerIchZuständebeieinerPersonbeschreibt.Allerdingsgibteskein „gutes“ und „schlechtes“ Egogramm, weil alle Menschen verschieden sind und ihre 198 Vgl.Birker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.54.
159
10.3
10
Kommunikation
Stärken und Schwächen besitzen. Ein ausgeglichenesEgogramm, beidem keiner der Zustände dauerhaft dominiert, gilt als besonders günstig für die menschliche Kom munikation. Kommunikation kann zwischen verschiedenen IchZuständen stattfinden, dabei sind alledenkbarenVariantenundKombinationenmöglich. Abb.38:
VerschiedeneKommunikationsvarianten
Eltern-
Eltern-
Ich
Ich
S
E Erwachsenen-
Erwachsenen-
Ich
Ich
Kindheits-
Kindheits-
Ich
Ich
In der Transaktionsanalyse werden grundsätzlich drei Typen der Kommunikation definiert:parallele,gekreuzteundverdeckte. Eine parallele Transaktion läuft auf gleicher Ebene zwischen beiden Partnern oder vonbeidenSeiteninderRelation,diezuerstangesprochenwurde.Fürdiebetriebliche Kommunikation ist normalerweise die ErwachsenenEbene typisch, das heißt, man sprichtdieVernunftunddasrationaleDenkendesGesprächspartnersanundrechnet miteinerReaktionausseinemErwachsenenIch.DieseFormistabernichtdieeinzig mögliche: Ein Manager, der einen patriarchalischen Führungsstil ausübt, kann seine UntergebenenalsKinderbetrachten,dannkommteine„ElternKind“Kommunikation zustande. DasWichtigste dabei ist,dass beide Seiten diesen Kommunikationstyp ak zeptieren und als positiv empfinden.Auch die Ebene „KindKind“ ist für Menschen vonBedeutung,z.B.imPrivatleben,zwischenLebenspartnern,diegemeinsametwas „Verrücktes“ unternehmen (nach Meinung von Psychologen ist dies für eine Bezie hungsehrwichtig).AuchArbeitskollegenoderTeammitgliederkönnenmanchmalauf derKindheitsEbenekommunizieren(sichübereinenBetriebsausflugfreuen,scherzen usw.).
160
Kommunikationstheorien
Nicht immer ist eine parallele Transaktion positiv, was das folgende Beispiel zeigen soll:EinVorgesetzterverhältsichalsausgeprägteskritischbestrafendesElternIch.Als Reaktion antwortet ein Untergebener mit dem angepassten KindheitsIchVerhalten. DieseparalleleKommunikationkommthäufigvorundistnegativeinzuschätzen:Aus dem Gefühl der Unsicherheit und Abhängigkeit des Mitarbeiters resultiert sein füg sames, hilfloses Verhalten, fehlende Initiative, blinder Gehorsam. Der Vorgesetzte sollteversuchen,eineErwachsenenErwachsenenKommunikationaufzubauen,wenn erEigeninitiativeundVerantwortungdesUntergebenenweckenmöchte. BeidergekreuztenTransaktionkommtdieAntwortnichtausdemZustand,mitdem mangerechnethat.DieskannzuStörungeninderKommunikationführen.Besonders typischistfolgenderAblauf:DerSendersprichtdenEmpfängeraufderErwachsenen Ebenean,ReaktionaberkommtvondemKindheitsoderElternIch. Als Beispiel solcher gekreuzten Transaktion betrachten wir einen Dialog zwischen einemChefundseinerSekretärin: Chef:HabenSiedenDruckmeinesmorgigenVortragsirgendwogesehen? Sekretärin:Immerbinichschuldig,wennSieIhreSachenverbuddeln! DieunangemesseneReaktionderSekretärinkannverschiedeneUrsachenhaben.Ent wederfühltsichdieSekretärindurchdieparaverbaleKomponentederFrageangegrif fen(z.B.beleidigendeIntonation),oderdiepersönlicheBeziehungzwischenbeidenist grundsätzlichangespannt,oderaberdieSekretärinistheuteschlechtgelaunt. Als verdeckte Transaktion bezeichnet man einen Verlauf der Kommunikation auf zwei Ebenen gleichzeitig. Eine Ebene ist dabei explizit, sie wird für den Sachinhalt benutzt.DieKommunikationaufderanderenEbeneläuftparaodernonverbal. Beispiel1: KollegeA(aufErwachsenenEbene):InWienfindetinJulieineKonferenzzumThemaWis sensmanagementstatt.Wollenwirdortvortragen? GleichzeitigaufKindEbene:LassunsnachWienfahren! KollegeB(aufErwachsenenEbene):Gerne,icharbeitegeradeaneinemArtikeldarüber. GleichzeitigaufKindEbene:Toll! Beispiel2: Chef zur Sekretärin (auf ErwachsenenEbene): Ich erwarte einen äußerst wichtigen Anruf, verbindenSiemichsofort. GleichzeitigvonElternIchzumKindheitsIchparaundnonverbal:NichtdassSiejetztwieder privattelefonierenunddieVerbindunglahmlegen!
161
10.3
10
Kommunikation
Wassollmantun,wenndieerstrebteKommunikationaufdersachlichenEbenenicht funktioniert und die Antwort aus anderen Bewusstseinszuständen kommt? Es ist empfehlenswert zu versuchen, beim Gesprächspartner das ErwachsenenIch zu akti vieren.AlsHilfedienengezielteFragenwie:KönnenSiemirbittediesenSachverhalt genauererklären?WashätteichIhrerMeinungnachandersmachensollen?Verstehe ichSierichtig?BeisolcherFragestellungwirdderPartnermithoherWahrscheinlich keitvernünftigundsachlichreagierenunddasGesprächkannweiteraufderErwach senenErwachsenenEbenefortgesetztwerden.
10.3.3
Kommunikation nach dem Modell von G. Roth
EineweitereMöglichkeit,Kommunikationzuanalysierenundzugestalten,bietetdas ModellderPsychenachG.Roth,dasimKapitel2.2.eingeführtwurde.Esistwichtig, dasseineFührungskraftMechanismenundWirkungenderpraktischenKommunika tion sowie die Möglichkeiten und Grenzen kommunikativer Einflussnahme versteht. AufgrunddesModellsderPsychekannmansichdenKommunikationsprozesszweier PersonenalsAufeinandertreffenvonzweiPyramidendenken(s.folgendeAbbildung): AlleEbenen,insbesonderedieunteren,emotionalenkommendabeiinKontakt. Unsere menschliche Natur (die unterste Ebene) ermöglicht uns gegenseitige Grund verständigung.DiehöherliegendenemotionalenEbenensindfürdieKommunikation entscheidend. Überwiegend auf der unbewusst emotionalen Ebene entwickeln sich SympathienundVertrauen.HierwerdendieEmotionenvermittelt,z.B.Begeisterung für die gemeinsame Sache, Engagement und Ehrlichkeit oder aber Gleichgültigkeit, Passivität und Manipulation. Diese emotionalen Einstellungen der Führungskraft können nicht vorgetäuscht werden, üben aber auf die Mitarbeiter einen besonders starkenEinflussaus. Auf der höher liegenden Ebene der bewussten Emotionen (Ebene 3) kann eine Füh rungskraft die sogenannte emotionale Führung praktizieren und gezielt Gefühle als Führungsinstrumente einsetzen (Kritik,Anerkennung, Lob, Tadel, Empathie, Bewun derungusw.).Allerdingsistsiewenigerwirksam,alsdieunbewusstvermitteltenEmo tionen (Ebene 2), die tiefer greifen und dauerhafte Einstellungen beeinflussen. Die oberste Ebene der bewusst rationalen Kommunikation wird am häufigsten bewusst eingesetzt.HierverwendenwirArgumenteundLogik,umanderezuüberzeugen.Die MöglichkeitenderEinflussnahmeaufderrationalenEbenesindjedochbegrenzt,weil auchEmotionenbeimHandelneinewichtigeRollespielen(vgl.Kap.7.3).
162
Kommunikationstheorien
Abb.39:
KommunikationalsAufeinandertreffenvonzweiPsycheModellen 4.Ebene KognitionundSprache
4.Ebene KognitionundSprache
rationalundbewusst (Planen,Denken,Analysieren)
rationalundbewusst (Planen,Denken,Analysieren)
3.Ebene BewussteGefühle
3.Ebene BewussteGefühle
emotionalundbewusst (Ethik,Moral,Kommunikation)
emotionalundbewusst (Ethik,Moral,Kommunikation)
2.Ebene EmotionalesLernen
2.Ebene EmotionalesLernen
emotionalundunbewusst emotionalundunbewusst (Persönlichkeit,Charakter,Präferenzenund (Persönlichkeit,Charakter,Präferenzenund AversionenaufgrunderlernterGefühle) AversionenaufgrunderlernterGefühle)
1.Ebene Grundfunktionen
1.Ebene Grundfunktionen
unbewusst,meistgenetischbedingt unbewusst,meistgenetischbedingt (biologischesÜberleben,elementareAntriebeund) (biologischesÜberleben,elementareAntriebe)
WendenwirdiesesModellaufeinMitarbeitergesprächan.WiebeijederKommunika tion,sindallevierEbenenderPsycheaktiv.EingrundsätzlichesVerständnisistdank dergemeinsamenmenschlichenBasismöglich(Ebene1).DieunbewusstenEmotionen beider Partner bestimmen die allgemeine Atmosphäre des Gesprächs: Herrschen in derBeziehungzwischeneinemVorgesetztenundeinemUntergebenenVertrauenund Sympathie, so kann man auch über negative Ereignisse und Fehler leichter diskutie ren.IstdieBeziehungvonAbneigungundAngstgeprägt,wirdeinGesprächzueiner Folter. Über diese Einstellungen haben beide Gesprächspartner während des Ge sprächspraktischkeineMacht.BewussteGefühle(Ebene3)undrationaleArgumente (Ebene4)stehendemFührendenundGeführtenzurVerfügungundkönnenvonbei den eingesetzt werden. In der Praxis wird besonderer Wert auf die Rationalität legt, wogegen die Emotionen eher ausgeklammert werden. Nur „emotional intelligente“ Führungskräfte machen sich die Gefühle zunutze, indem sie durch das Schaffen von angenehmer, positiver Stimmung und ein bewusstesAnsprechen von Interessen und MotivendesMitarbeitersdieWirkungihrerArgumentationverstärken. Vielleicht kennen auch Sie einen solchen Menschen, der in der Lage ist, mit seiner Ausstrahlung sämtliche Leute im Unternehmen oder im Team zu begeistern? Er schenkt ihnen sein strahlendes Lächeln, schüttelt Kunden die Hand und zeigt ihnen sein aufrichtiges Interesse, umarmt Mitarbeiter und bedankt sich bei ihnen für ihre guteArbeit.Underbekommtgenaudaszurück,waserdenanderengibt.DieKolle genundMitarbeitersindbegeistert,loyalundmotiviert.
163
10.3
10
Kommunikation
AuchwennCharismaundAusstrahlungzumTeilangeborensind,kannjederFühren dedieKraftderEmotionennutzen,positiveStimmungerzeugenundGefühleinder Kommunikationansprechen.
10.4
Betriebliche Kommunikation
Die Bedeutung von Kommunikation in Unternehmen ist enorm. Wie alle sozialen SystemekonstituierenunderhaltensichUnternehmendurchkommunikativeVorgän ge. Gemeinsame Visionen und Ziele, die mit der Belegschaft kommuniziert werden, halten ein Unternehmen zusammen und geben ihm eine langfristige Ausrichtung. EinezielorientiertepraktischeZusammenarbeitanderErreichunggemeinsamerZiele istohneKoordinationundAustauschvonInformationenunmöglich. FührungsarbeitwirdvonvielenAutorenalsKommunikationsarbeitbezeichnet,dadie Kommunikation in Form von Besprechungen, Meetings, Telefonaten, geplanten und ungeplantenGesprächeneinengroßenAnteilanderArbeitszeitvonFührungskräften ausmacht. 199 Die persönliche Kommunikation kann auch durch die modernen Kom munikationsmittel wie EMail, Videokonferenz u.a. nicht ganz ersetzt werden und bleibtfürdieFührungspraxisentscheidend. Man unterscheidet zwischen unternehmensinterner und externer Kommunikation. Interne Kommunikation beschreibt den Informations bzw. Wissensaustausch inner halb der Unternehmensorganisation. Unternehmensexterne Kommunikation zielt auf alle Akteure ab, mit denen das Unternehmen in Kontakt tritt. Das sind Lieferanten, Kunden, Wettbewerber, Banken, die Öffentlichkeit und verschiedene Verbände und Gruppen. Mit diesen Stakeholdern muss ein Unternehmen kommunizieren. Dies ist zugleicheine„wirklichkeitsschaffende“Kommunikation,weildiegegenseitigeBeein flussung von Unternehmen und seiner Umwelt ständig neue soziale Phänomene schafft. Man kann zwischen formeller und informeller Kommunikation in Unternehmen unterscheiden.UnterformellerKommunikationwerdenalleKommunikationsstruktu renundinhaltezusammengefasst,dieinstitutionalisiertsind.InjedemUnternehmen gibt es bestimmte Praktiken, wie und wer informiert wird, welche Kanäle dafür ver wendet und welche Inhalte weitergegeben werden. Als Grundgerüst der unterneh mensinternenKommunikationwirdeinNetzwerkvonTeambesprechungenaufallen Ebenen bezeichnet.200 Wichtig ist, dass bei diesen Besprechungen kommunikative Verständigung zustande kommt. Neben formeller Kommunikation gibt es in Unter nehmen informelle Kommunikation, die nicht institutionalisiert ist. Kommunikation 199 Vgl.Jung,R.;Bruck,J.;Quarg,S.:AllgemeineManagementlehre,S.5961. 200 Vgl.Doppler,K.;Lauterburg,C.:ChangeManagement,S.218.
164
Betriebliche Kommunikation
gehört zu den menschlichen Bedürfnissen und läuft unabhängig von Verordnungen oderVerboten.DieseinformelleKommunikationbildetdieGrundlagefürdieTeam, Abteilungs und Unternehmenskultur, schafft ein gutes oder schlechtesArbeitsklima undistfürdieArbeitszufriedenheit(unzufriedenheit)verantwortlich. Esistüblich,zweiAspektederbetrieblichenKommunikationzuunterscheiden:einen technischorganisatorischen und einen verhaltenskulturellen. Die technisch organisatorischeSeitehatmitdenKommunikationsmedienundderOrganisationder Kommunikation zu tun. Die verhaltenskulturelle Seite beinhaltet praktischeAspekte derKommunikation,dieinMitarbeiter,FührungsgesprächenundMeetingszustande kommen. UnterKommunikationinUnternehmensollnichtnurKommunikationzwischenMen schen, sondern auch „MenschMaschine“Kommunikation verstanden werden. Auf diesenAspektwirdhierjedochnichtnähereingegangen.
10.4.1
Kommunikationsmedien in Unternehmen
Abhängig von der Kommunikationsebene werden in Unternehmen verschiedene Kommunikationsmedieneingesetzt.SiehabenihreVorundNachteile,deswegensoll exemplarischentschiedenwerden,wasfüreinKommunikationskanalinjederSituati onangemessensei.DerallgemeineTrendgehtinRichtungelektronischeKommunika tion und informelle computergestützte Netzwerke (vgl. Kooperationstrends, Kapitel 9.2). Zugleich bleibt die Bedeutung der persönlichen Kommunikation in Form von MitarbeiterundGruppengesprächenerhalten(s.folgendeTabelle). DieInformationstechnologieundvorallemdieBenutzungvonelektronischenMedien machtdieKommunikationnichtnurschneller,sondernermöglichteffizienteVerarbei tung und Verfügbarkeit von Informationen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für WissensmanagementineinemUnternehmen(s.Kapitel15).DieaktuelleEntwicklung lässt vermuten, dass die Zahl vorwiegend elektronisch kommunizierender Arbeits gruppeninZukunftzunehmenwird.DieVerbreitungdesInternetssowiedieIdeevon virtuellen und „grenzenlosen Unternehmen“201 intensivieren diese Problematik. Zu denKommunikationsproblemenunsererZeitgehörendieBewältigungderInformati onsflut und die Koordination räumlich getrennterAkteure.Auch die Benutzung von elektronischenMedieninnerhalbvonUnternehmenhatihreNachteile:Siesindnurfür dieÜbertragungvonverbalenBotschaftengeeignetunddieRückkopplungistnurmit Verzögerung möglich. Es ist unmöglich für einen EMailSender, sich an die Erwar tungenundStimmungseinesPartnersanzupassenundwährendderKommunikation schnell auf verbale und nonverbale Signale zu reagieren. Die unmittelbare Faceto FaceKommunikation ermöglicht dagegen eine vielseitige Wahrnehmung von verba 201 Picot,A.;Reichwald,R.;Wigand,R.T.:DiegrenzenloseUnternehmung.
165
10.4
10
Kommunikation
len, para und nonverbalen Mitteln und eine schnelle Rückmeldung (Reaktion) des Empfängers. Tabelle29: BetrieblicheKommunikationsmedienundihreVorundNachteile Medien
Vorteile
Nachteile
Face-to-Face Dialog/Meeting
Verbal und nonverbal, Rückkopplung sofort möglich
Die Kommunikation wird nicht oder nur teilweise (Protokoll) dokumentiert
Telefon (-konferenz)
Verbal und paraverbal, Rückkopplung sofort möglich, dokumentierbar (Aufzeichnung)
Nonverbale Mittel gehen verloren, meistens keine Dokumentierung
Telefax
Verbal, schnell, direkt schriftlich (dokumentiert)
Keine nonverbalen Mittel, Rückkopplung mit Verzögerung
E-Mail
Verbal, sehr schnell, Mitteilung gleichzeitig an mehrere Partner möglich
Keine nonverbalen Mittel, Rückkopplung mit Verzögerung
Briefpost/Dokument
Verbal, sofort dokumentiert
Keine nonverbalen Mittel, langsam, Rückkopplung mit großer Verzögerung
Videokommunikation
Verbal und nonverbal, Rückkopplung sofort möglich, dokumentierbar (Aufzeichnung)
technische Ausstattung notwendig (hohe Kosten)
Computerkonferenz
Verbal, Rückkopplung sofort möglich, Beteiligung mehrerer Partner möglich, dokumentierbar (Speichern)
Keine nonverbalen Mittel, technische Ausstattung nötig
Intranet, Portal, Weblog
Verbal, schnell, dokumentierbar, mehrere Partner, Rückkopplung möglich
keine nonverbalen Mittel, technische Ausstattung notwendig (Kosten)
Verschiedenen Medien werden abhängig von der Kommunikationsebene (in oder außerhalbeinerAbteilung,externeKommunikation)unterschiedlichhäufiggenutzt(s. Abbildung).MitdenexternenPartnernwirdehertelefonischoderschriftlichkommu niziert (Brief, Fax, EMail). Je näher die Kommunikationspartner, desto größer der Anteil der persönlichen Kommunikation (Gespräch, Meeting), die für die Führungs praxisunabdingbarist.
166
Betriebliche Kommunikation
Abb.40:
NutzungvonKommunikationsmediennachPicot/Reichwald202
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
11% 28%
Face-to-Face Telefon
53%
schriftlich
43%
22% 19% 5% in der Abteilung
10.4.2
46%
73%
Zwischen Abteilungen
extern
Mitarbeitergespräche in der Unternehmenskommunikation
„FührenbedeutetinersterLiniemiteinandersprechen,beispielsweisezurLösungvon Sachproblemen,zurEntscheidungsfindung,zurGestaltungderZusammenarbeit,zur AnerkennungundKritik.“203 Ein Mitarbeitergespräch dient als ein wichtiges Instrument der Führung zur Beurtei lung, Förderung der Leistung und Entwicklung der Potenziale eines Mitarbeiters. Je nachZielenundSituationdesGesprächssowienachReifegradundKompetenzender Gesprächspartner variieren die Gestaltung und Struktur eines Mitarbeitergesprächs. Die bereits dargestellten Erkenntnisse über zwischenmenschliche Kommunikation, Kommunikationsmodelle und theorien können auf ein Mitarbeitergespräch übertra genwerden. JederFührendeträgtVerantwortungfürdenAblaufderpraktischenKommunikation in seinerAbteilung (Gruppe) und hat dabei eine Vorbildfunktion. Menschenkenntnis und Offenheit sowie die Berücksichtigung der Individualität jedes Mitarbeiters und der Subjektivität des individuellen Wissens sollen dem Manager ermöglichen, durch dieKommunikationmitjedemEinzelnenundderGruppegemeinsameZieleerreichen zu können und gleichzeitig eine leistungsmotivierende Unternehmenswelt zu schaf fen. Die praktische Kommunikation spieltin dem Prozessdes gemeinsamen Hervor bringens der Betriebsrealität eine entscheidende Rolle. DieAufgabe ihrer Gestaltung liegtprimärbeimManagerundistdurcheinSystemvonEinzelundGruppengesprä 202 Picot,A.;Reichwald,R.;Wigand,R.T.:DiegrenzenloseUnternehmung,S.63114. 203 Regnet,E.:KommunikationalsFührungsaufgabe,S.244.
167
10.4
10
Kommunikation
chen zu bewältigen. Allerdings sollten die Mitarbeiter eine Möglichkeit bekommen, sichandenGesprächenaktivzubeteiligen. BeiderVorbereitungundDurchführungvonFührungsgesprächenkanneinManager aufdieKommunikationstheorien–VierAspekteeinerNachricht,dieTransaktionsana lyse sowie Kommunikation anhand des Modells der Psyche – zurückgreifen, um die Mehrdimensionalität sowiedie verbale und nonverbale Seite der Kommunikation zu berücksichtigen. Einige Beispiele für die Anwendung von Theorien sind im Kapitel 10.3erläutertworden. FührungsgesprächekönnengeplantoderspontansowiealsEinzeloderGruppenge spräche durchgeführt werden. Die Wichtigkeit der Führungsgespräche ist offensicht lich:MitarbeiterbraucheneinFeedbackdesVorgesetzten,inwieweitdieLösungihrer AufgabenundihreGesamtentwicklungrichtigsei.EinManagersollteMitarbeiterge spräche im Voraus planen und sich Zeit nehmen, damit ein solches Gespräch infor mell,offenundzugegenseitigerZufriedenheitablaufenkann.DasArgumentmancher Führungskräfte,siehättenkeineZeit,seienzubeschäftigt,istfalsch:EinguterVorge setzter hat immer Zeit für seine Mitarbeiter, denn sie sind das Wichtigste im Unter nehmen. Deswegen soll eine Führungsperson nicht nur formell stets eine offene Tür fürihreMitarbeiterhaben,sonderneineAtmosphäreschaffen,inderesdenMitarbei terntatsächlichmöglichist,mitihrenAnliegenundProblemenzumVorgesetztenzu kommen. Doch die Realität in Unternehmen sieht oft anders aus: Mitarbeiter wünschen sich mehrInformationundFeedbackvonihrenVorgesetzten.204DasErlebeneinermangel haftenInformationundeinesfehlendenEinbeziehensinEntscheidungsprozessekann schwerwiegendeFolgenfürdieLeistungsbereitschaft,MotivationundLoyalitäthaben. Ein gutes Führungsgespräch, seies Zielvereinbarungs, Beurteilungs, Kritikgespräch oder Meeting, sollte vorbereitet und durchdacht werden. Das ist notwendig, um die eigenePosition,Fragestellung,ZieleundArgumentedurchexpliziteFormulierungen zu klären und eventuell zusätzliche Informationen zu besorgen. Diese Vorbereitung kann schriftlich in Form kurzer Notizen erfasst werden. Für ein konstruktives Ge spräch, das zu einer Problemlösung führen soll, ist es empfehlenswert, den Ge sprächspartner im Voraus über das eigene Vorhaben und Lösungsalternativen zu informieren,damitersichentsprechendvorbereitenkann.NachK.Birker205solltedie GesprächsvorbereitungausmehrerenSchrittenbestehen(vgl.Tabelle). EinegründlicheGesprächsvorbereitungermöglichteinekonstruktiveDiskussionund das Zustandekommen einer Problemlösung. Jedoch ist es nicht weniger wichtig, wie dasGesprächabläuft:GewählterZeitpunktundpositiveAtmosphäreohneStörungen undUnterbrechungensindebenfallsbedeutsam. 204 Regnet,E.:KommunikationalsFührungsaufgabe,S.244. 205 Birker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.129.
168
Betriebliche Kommunikation
Tabelle30: Gesprächsvorbereitung(inAnlehnunganK.Birker) Schritt
Inhalte
1. Thema
Das Thema soll möglichst präzise formuliert werden. Der Manager soll sich im Klaren sein, was er tatsächlich besprechen möchte (keine „verdeckten“ Botschaften)
2. Ist-Situation
Kurze Beschreibung der Ausgangslage, wobei die Rollen von beiden Gesprächspartnern klar dargestellt werden sollen
3. Mein Ziel
Was soll mit dem Gespräch erreicht werden?
4. Argumente
Mit welchen Argumenten kann man den Gesprächspartner überzeugen? Welche Argumente sind aus seiner Perspektive wichtig?
5. Eventuelle Einwendungen
Auf welche Gegenargumente sollte man vorbereitet sein? Wie sollte man auf sie reagieren?
IneinemFührungsgesprächliegteszumgroßenTeilbeidemManager,dasGespräch zu gestalten. Normalerweise unterscheidet man fünf Phasen des Gesprächsablaufs: Begrüßung,Einstimmung,Problemdarstellung,LösungundAbschluss206.DieUmset zungdieserPhasenkannvonGesprächzu Gesprächvariierenundistindividuellzu gestalten,dasModellansichistjedochgutgeeignet. In jedem Führungsgespräch muss eine Führungskraft nicht nur eine steuernde, ge sprächsgestaltende Rolle übernehmen, sondern auch aktiv zuhören. Nach einerAus sage von Neuberger hängt eine erfolgreiche Gesprächsführung von drei Dingen ab: erstens,vomZuhören,zweitens,vomZuhörenunddrittens,vomZuhören.207 InAnlehnung an Schulz von Thun kann man sagen: Mit allen vier Schnäbeln reden und allen vier Ohren zuhören. Oder nach der Theorie der Transaktionsanalyse: Man muss eine Transaktion auf der ErwachsenenEbene anstreben und gleichzeitig bereit sein, auf die Botschaften aus anderen Bewusstseinszuständen des Gegenübers zu reagierenunddieseZuständebeiihmanzusprechen. DieKommunikationsanalyseaufgrunddesModellsderPsyche(Kapitel10.3.3)betont vor allem die Rolle der unbewussten und bewussten Emotionen in der persönlichen Kommunikation. In einem Gespräch sollte man nicht nur rationale Gründe und Ar gumente einsetzen, sondern vor allem die unterschwelligen (unbewussten) Einstel lungen, Sympathien und Zusammengehörigkeitsgefühl berücksichtigen und fördern. Auf der Ebene der bewussten Emotionen sind insbesondere Lob und Anerkennung wirksam. Sogar ein gutes, lobendes Wort oder eine höffliche Begrüßung und ein Lä chelnimVorbeigehenspielenimbetrieblichenAlltageinewichtigeRolle,schaffeneine 206 Vgl.Birker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.133. 207 ZitiertnachNeumann,P.:GesprächemitMitarbeiterneffizientführen,S.254.
169
10.4
10
Kommunikation
angenehme Arbeitsatmosphäre und wirken leistungsmotivierend. Davon sollte jede FührungskraftöfterGebrauchmachen. Abb.41:
EmotioneninderKommunikation208
Als Folge aus dem neuen Verständnis der Führung als gegenseitige interpersonelle Beeinflussung sollte ein Mitarbeitergespräch als partnerschaftlicher Dialog209 be trachtet werden. Der Mitarbeiter wird zu einer Rückmeldung und Beurteilung des Führenden aufgefordert und übernimmt eine aktive, mitentscheidende Rolle. Insbe sondere bei den Zielvereinbarungen, Beurteilungen (z.B. 360°Beurteilung210) und Personalentwicklungsmaßnahmen ist eine aktive Beteiligung des Mitarbeiters unbe dingtnotwendig. Als zwei gegensätzliche Stile in einem Mitarbeitergespräch werden direktives und nondirektives Gespräch angesehen. Das direktive Gespräch wird komplett von dem Vorgesetzten gesteuert, die Belange des Mitarbeiters werden vernachlässigt. Beim nondirektivenGesprächorientiertsichderFührendeandenÄußerungenundBelan gen des Mitarbeiters, der sich am meisten einbringen kann. Das aktive Zuhören er möglicht es der Führungskraft, sich in die Situation und Sichtweise des Mitarbeiters hineinzuversetzen. Anhand eines praktischen Beispiels (s. Tabelle) kann man sehen, wie wichtig es ist, Fragenzustellen,unddemMitarbeiterdieMöglichkeitzugeben,überseineProbleme zu reden und den Leistungsrückgang zu erklären. Die Motivation, die nach einem nondirektiven Gespräch beim Untergebenen entsteht, wird zu Leistungssteigerung führen, während nach einem direktiven Gespräch nur Angst und Verunsicherung zustandekommen. 208 Bildquelle:Bischof,K.;Bischof,A.:Führen:MitIhrenMitarbeiternzumErfolg,S.50. 209 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.338339. 210 EineBeurteilungdurchVorgesetzte,Untergebene,KollegenundKunden.
170
Betriebliche Kommunikation
Tabelle31: BeispielfürdirektiveundnondirektiveGesprächsführung Ausgangssituation:
Ein Vorgesetzter ist mit der Leistung eines Mitarbeiters unzufrieden
Gesprächsführung:
direktiv
nondirektiv
Vorgesetzter:
Ihre Arbeitsleistung ist in der letzten Zeit absolut ungenügend! Ich erkenne Sie nicht wieder. So kann es nicht weiter gehen!
Ich mache mir Sorgen um Ihre Arbeitsleitung, Herr Müller. Was ist passiert?
Untergebener:
Ja, es tut mir Leid…
Nichts, absolut nichts.
Vorgesetzter:
Was heißt „Es tut mir Leid“? Ist es Ihnen klar, dass ich keine Ausreden dulde?
Wirklich nichts? Haben Sie Schwierigkeiten?
Untergebener:
Ja, ich wollte nur…
Na ja, es war schwierig für mich, mich in das neue Projekt einzuarbeiten. Ich hatte keine Erfahrung mit der neuen Software.
Vorgesetzter:
Wenn es so weiter geht, werden Sie mit Konsequenzen rechnen müssen. Verstanden?
Das kann ich nachvollziehen. Brauchen Sie meine Unterstützung?
Untergebener:
Ja, Chef, ich gebe mir Mühe.
Danke, jetzt geht es schon besser. Ich werde demnächst wieder ganz fit.
DienondirektiveGesprächsführungunddasaktiveZuhörenstellenallerdingsbeson dereAnforderungen an die Kommunikationskompetenzen von Führungskräften, die inspeziellenWorkshopsundSeminarengeschultwerdenkönnen. Regelmäßige Organisation, gute Vorbereitung und geschickte Gestaltung von Füh rungsgesprächen trägt viel zu einer offenen Kommunikation in der Unternehmens praxis bei, und diese Kommunikation ist unentbehrlich für das Zusammenarbeiten und Erreichen von gemeinsamen Zielen sowie für die Förderung einer positivenAr beitsatmosphäreundUnternehmenskultur. Kontrollfragen 1. WarumbehauptetP.Watzlawick„mankannnichtnichtkommunizieren“? 2. DefinierenSiedenBegriffKommunikation.ErläuternSiedieKommunikationam SenderEmpfängerModellmitRückkopplung. 3. BeschreibenSiedieKommunikationals„HervorbringeneinergemeinsamenWelt“ (F.Varela). 171
10.4
10
Kommunikation
4. Definieren Sie „verbale Kommunikation“ und „kommunikative Verständigung“. BeschreibenSiediedreiDimensionenverbalerKommunikation. 5. Was verstehen Sie unter der nonverbalen Kommunikation? Beschreiben Sie ihre Komponenten. 6. Warumisteswichtig,Körpersprachezuverstehen?BenutzenSiealsBegründung BeispieleausderbetrieblichenPraxis. 7. WarumwerdendieerstenvierMinuteneinerBegegnungalsdie„entscheidenden“ bezeichnet?WiekannmaneinenpositivenerstenEindruckerreichen? 8. ErläuternSiedie„VierAspekteneinerNachricht“nachSchulzvonThun.Benutzen SiedafüreinBeispielausderUnternehmenspraxis. 9. Beschreiben Sie drei Bewusstseinszustände der Transaktionsanalyse: Erwachse nen,ElternundKindheitsIch.ErklärenSiediedreiTypenvonTransaktionen:pa rallele,gekreuzteundverdeckteanhandvonpraktischenBeispielen. 10. AnalysierenSiedieKommunikationanhanddesPsychemodellsnachG.Roth. 11. Nennen Sie Besonderheiten der betrieblichen Kommunikation. Nennen Sie die wichtigstenbetrieblichenKommunikationsmedienundihreVorundNachteile. 12. WiesolleinMitarbeitergesprächvorbereitetwerden?ErläuternSiedieVorausset zungenfüreinenerfolgreichenAblaufeinesMitarbeitergesprächs. 13. WiekanneinMitarbeitergesprächalsnondirektivesGesprächgestaltetwerden?
172
Betriebliche Kommunikation
11 Gruppen und Gruppenprozesse Gruppenzugehörigkeit ist ein angeborenes menschliches Bedürfnis – Bindung an an derehatsichinderevolutionärenVergangenheitderMenschheitalslebensnotwendig erwiesen.UnsereGesellschaftistinGruppenalsEinheitenorganisiert,seienesFamili en, Interessenverbände, Teams, Unternehmen oder Parteien. Die Gruppe kann zu einemwichtigenTeilunsererIdentitätwerden,wobeiwirunsselbstdurcheineGrup pe definieren und einige Gruppenmerkmale und normen in unsere Persönlichkeit übernehmen. Diese Präsentation nach außen durch Gruppenzugehörigkeit weckt bei Außenstehenden bestimmteErwartungen, diesie mitder Gruppe als Ganzes verbin den. So kann sich ein Student außerhalb der Hochschule als „Student der FH Biele feld“vorstellen,einDeutscherimAuslandals„Deutscher“,einMitarbeitervonBayer AGals„BayerMitarbeiter“.DiesefreiwilligeSelbstpräsentationdurchGruppenzuge hörigkeitsetztvoraus,dassmaneinepositiveEinstellungderentsprechendenGruppe gegenüberhat(PrestigederGruppenzugehörigkeit). Jeder Mensch gehört mehreren Gruppen gleichzeitig an: kleineren (wie Beziehung, Familie) und größeren (wie Unternehmen oder Gesellschaft), formellen (wieArbeits gruppe)undinformellen(wieFußballmannschaft).UnabhängigvonihrerArtübtjede Gruppe auf das Verhalten des Individuums einen starken Einfluss aus, der mit typi schenGruppenprozessenzusammenhängtunddurchBegriffewieGruppenkohäsion, Gruppennormen,GruppenidentitätundGruppendynamikbeschriebenwird. InUnternehmenspielenGruppenprozesseeinebesondereRolle:Arbeitsgruppenund Teams sind die kleinsten Organisationseinheiten, Elementarzellen eines Unterneh mens, in denen durch Synergie und Lerneffekte eine besondere Gruppenleistung zustandekommt.GruppenoderTeamleitungerfordertvoneinemManagerbesonde re Fähigkeiten und Kompetenzen, die mit der Kenntnis von Gruppenverhalten, dynamikundprozessenzusammenhängen. IndiesemKapitelwerdenzunächstverschiedeneFormenvonGruppenunddieAus wirkungen einer Gruppe auf das Individuum dargestellt. Danach werden Arbeits gruppen als elementare Einheiten von Unternehmen sowie Teams als besondereArt derGruppenbetrachtet.AnschließendwerdendieProzessederGruppenentwicklung undEinflussfaktorenaufdieGruppenleistungerläutert.UnteranderenFaktorensind fürdieLeistungdiesozialenundkulturellenRahmenbedingungenderGruppenarbeit bedeutend – Interaktion, Konfliktneigung und bewältigung sowie Lernprozesse in Gruppen. Zum Schluss werden Empfehlungen für Gruppenleitung diskutiert: die Bedingungen für eine hohe Leistung und Zufriedenheit sowie die Aufgaben eines Leiters.
173 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
10.4
11
Gruppen und Gruppenprozesse
11.1
Arten und Wirkungen von Gruppen
Der Begriff „Gruppe“ wird in der Literatur nicht einheitlich definiert. Man kann als Gruppe jede Ansammlung von zwei und mehreren Personen bezeichnen, die sich aufgrundähnlicherInteressen,AufgabenoderZielezusammengetanhaben.Beidiesen Gruppen steht die unmittelbare Kommunikation im Mittelpunkt. Demnach ist eine Gruppe eine Mehrzahl von Personen, die über eine längere Zeitspanne in direkter (unmittelbarer)Interaktionzueinanderstehen.VerschiedeneGruppendieserArtken nen wir aus dem Alltagsleben: Familien, Interessengruppen, Schulklassen, Freund schaftsgruppenetc. S. Robbins211 definiert eine Gruppe vor allem als Arbeitsgruppe (Aufgabengruppe): EineGruppesindzweiodermehrereIndividuen,dieeingemeinsamesZielverfol genunddabeiinterdependentinteragieren.IndieserDefinitionwirddasgemeinsa meZiel(gemeinsameAufgabe)alsdaswichtigsteMerkmaleinerGruppedargestellt. Man kann diese Definition durch die Bezeichnung „Arbeitsgruppe“ von der einer (anderen)Gruppeabgrenzen. Es gibt verschiedeneArten von Gruppen. In der Soziologie wird zwischen primären undsekundärenGruppenunterschieden.UnterprimärenGruppenverstehtmanrela tiv überdauernde, mit starken emotionalen Bindungen der Mitglieder verbundene Gruppen: Familie, Spielgruppe, FacetoFace Gruppe. Diese Gruppen basieren auf GefühlenundsinddurcheinenhohenGradanVertrauengekennzeichnet.Fürsekun däre Gruppen sind dagegen unpersönliche, abstrakte sowie zweckbezogene Bezie hungen typisch, sie stellen Teile eines organisierten Zweckgebildes dar – eines Be triebs,einerAbteilung.InderRegelsindArbeitsgruppenundTeamsinUnternehmen sekundär. Nach der Basis ihres Zustandekommens unterscheidet man formelle, im SinnederbetrieblichenZielerreichunggeplanteundbestimmte,undinformelleGrup pen,diesichnachmenschlichenGesichtspunktenspontanundungeplantbilden. Nach den Zielen kann man zwischen Aufgabengruppen, Interessengruppen und Freundschaftsgruppen unterscheiden.Aufgabengruppen werden für die Lösung von einer oder mehreren Aufgaben zusammengestellt. Bei Interessengruppen steht ein bestimmtes Interesse im Mittelpunkt – z.B. gemeinsam Fußball spielen, Kochen oder auch Wissensaustausch bei Wissenscommunities in Unternehmen. Freundschafts gruppen setzen sich aufgrund von Sympathie zusammen, die Gruppenmitglieder könnendabeiverschiedeneInteressenhaben. NachihrerZusammensetzungwerdenGruppeninRang oderStatusgruppen,inde nenMachtexplizitdurchDefinitionvonRangundStatuseinzelnerMitgliederverteilt wird, und Funktionsgruppen, deren Mitglieder alle gleichen Status, jedoch unter
211 Vgl.Robbins,S.:OrganisationderUnternehmung,S.266.
174
Arten und Wirkungen von Gruppen
schiedliche Funktionen haben. In der Unternehmenspraxis können alle Arten von Gruppenvorkommen. UnabhängigvonderArtderGruppesindinderSozialpsychologieeinigepositiveund negativeAuswirkungeneinerGruppeaufdasIndividuumbekannt,diedasGruppen verhaltenbeeinflussen:sozialeAnregung,sozialesFaulenzenundDeindividuation.212 DiesozialeAnregungbestehtdarin,dassdieGegenwartandererMenschenunseinen Antriebgibt.SozialeKontakteführendemnachzueinerStimulationdermenschlichen Aktivität: In Anwesenheit anderer Menschen möchten wir uns von der besten Seite zeigen, Sympathie und Anerkennung gewinnen. Diese positive Anregung kommt häufiginGruppenarbeitundbeimGruppenlernenvor. Eine negativeAuswirkung von Gruppen auf das Individuum ist das soziale Faulen zen. Das ist eine Tendenz, bei einfachen und Routineaufgaben in einer Gruppe schlechtere Leistungen zu erbringen, wenn die individuelle Leistung nicht beurteilt werdenkann.Manverstecktsichhinteranderen,reduziertdieeigeneLeistungaufein MinimuminderHoffnung,dassdieGruppeohnehindieAufgabebewältigt. Besonders bekannt ist allerdings der Effekt der Deindividuation in Gruppen (syn onymGruppenuniformität,Gruppendenken)–mangehtinderMengeunter,wassich durch ein verstärktes Befolgen von Gruppennormen und eine Verringerung des Ver antwortungsgefühlswiderspiegelt.DieGruppenmitgliederneigendazu,sichderMei nungderMehrheitanzuschließen,ohnesieinFragezustellen.„DerWunsch,dasgut zufinden,wasanderegutfinden,hatseinenGrundimneurobiologischenUrbedürfnis nachSpiegelung,nachResonanzundnachVerbleibinnerhalbderschützendensozia len Identität“ – erklärt J. Bauer.213 Als Folge dieser Resonanzreaktion wird das Auf rechterhalten der Zusammengehörigkeit und Solidarität der Gruppe als wichtiger empfunden,alsdieFaktenrealistischzubetrachten.DieserProzesskannsichnegativ auswirken: Es kommt zu einem unvollständigen Überblick über mögliche Alternati ven, Risiken werden nicht ernsthaft untersucht, die Suche nach Informationen bleibt unzureichend, Alternativpläne werden nicht entwickelt. Daraus resultiert eine Ten denzzurisikoreichenEntscheidungenbeieinerProblemstellung,dieLösungsalterna tiven mit verschiedenen Graden an Ungewissheit zulässt. Gruppenentscheidungen sindimGegensatzzuIndividualentscheidungensehroftdurcheinegeringereRisiko scheu gekennzeichnet, weil die Verantwortung verteilt wird: Der Einzelne fühlt sich fürdieEntscheidungpersönlichnichtverantwortlich. NebenderFähigkeit,inResonanzzugehenundsichinGruppeneinzuordnen,istfür einIndividuumdieFähigkeitwichtig,Resonanzphänomenenwiderstehenzukönnen. EinGruppenmitglieddarfnichtjedemGruppendrucknachgeben.DieseBalancezwi schensozialerResonanzundindividuellerIdentitätsolltegelerntwerden. 212 Vgl.Aronson,E.;Wilson,T.;Akert,R.:Sozialpsychologie. 213 Bauer,J.:Warumichfühle,wasdufühlst,S.151.
175
11.1
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Exkurs: Gruppenverhalten. Ergebnisse von psychologischen Experimenten In der Organisationspsychologie sind Zahlreiche Phänomene des Gruppenverhaltens bekannt, die in psychologischen Experimenten nachgewiesen worden sind. Hier einige Beispiele. „Betriebsblindheit“. Ist man gewohnheitsmäßig in bestimmten Situationen durch eingefahrene Lösungsstrategien immer wieder zum Ziel gekommen, so wird man in subjektiv ähnlichen Situationen auch wieder den gleichen Weg einschlagen, obwohl sich in dem Unternehmen die Ausgangslage allmählich modifiziert hat und andere Lösungsstrategien bessere Ergebnisse bringen würden (Luchins, 1942). „Gruppendruck“. Seit den klassischen Experimenten von Asch (1965) ist bekannt, dass Mitglieder einer Gruppe sich häufig gegen ihre Überzeugung der (vermeintlichen) Mehrheitsmeinung anpassen. Dies gilt auch für Problemlösungen und Entscheidungen in Unternehmen, was insbesondere Janis (1972) mit seinen berühmt gewordenen Analysen der Kabinettsentscheidungen der Kennedy-Ära nachgewiesen hat. Der „group think“ führt besonders dann zu Fehlentscheidungen, wenn auf Einigkeit in der Gruppe geachtet und die Auffassung von abweichenden Gruppenmitgliedern nicht ernsthaft diskutiert oder gar unterdrückt wurde. „Prestige- und Kompetenzzuschreibung“. In einer Vielzahl von experimentellen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Argumente statushoher Personen besonders einflussreich waren, auch wenn der Status mit der fachlichen Kompetenz nicht korrelierte. Diesem Aspekt wurde bei Gruppenbesprechungen der früheren deutschen Schifffahrt dadurch Rechnung getragen, dass bei Schiffsversammlungen die Lösungsvorschläge in der Reihenfolge vom Schiffsjungen zum Kapitän abgegeben werden mussten. (s. Schuler, 1975) „Einfluss des Vielredners“. Gruppenmitglieder, die zu Beginn der Besprechung viel reden, haben besonders viel Einfluss, obwohl Redehäufigkeit und Kompetenz nicht korrelieren. Offensichtlich, wird von den übrigen Gruppenmitgliedern das viele Reden als Indikator der Kompetenz verstanden und dem Vielredner daher auch weiterhin viel Redezeit und Einfluss zugestanden. Der Effekt verliert sich allerdings, wenn sich die Gruppenmitglieder länger kennen.(nach Riecken, 1958) „Leistungsrestriktion“. In einer Arbeitsgruppe – auch bei Akkordlohn – überschreitet kein Mitglied einen bestimmten Leistungswert, auch wenn er in der Lage gewesen wäre, höhere Leistungen zu erbringen. Die Gruppenmitglieder, die zu höheren Leistungen tendieren, werden von den anderen daran gehindert. Man bedenkt, dass hohe Leistungen nicht selten der Anlass sind, die Akkordsätze oder die Vorgabezeiten zu modifizieren und Personaleinsparungen vorzunehmen. (Quelle: von Rosenstiel, L. Grundlagen der Organisationspsychologie, 4. Aufl., Schäffer Poeschel Verlag, Stuttgart, 2000, S. 261, 320 – 321) Ein weiteres Beispiel der Gruppenkonvergenz kommt aus dem politischen Bereich. Im Jahre 1963 besuchte der damalige Generalsekretär der KPdSU Nikita Chruschtschow die USA und gab im Washingtoner Press-Club eine Pressekonferenz. Die erste Frage, die aus dem Saal an ihn gerichtet wurde und die ein Dolmetscher übersetzte, lautete: „Sie haben heute über die Schreckenherrschaft Ihres Vorgängers Stalin gesprochen. Sie waren in dieser Zeit sein engster Helfer und Mitarbeiter. Was haben Sie die ganze Zeit über getan?“ Chruschtschows Gesicht lief rot an. „Wer hat das gefragt?“ brüllte er. Alle 500 Anwesenden senkten den Kopf. „Wer hat das gefragt?“ bohrte er weiter. Keine Reaktion. „Genau das habe ich auch getan“, sagte er. (Quelle: Wagner, K.; Rex, Bernd. Praktische Personalführung: eine moderne Einführung; mit Fallstudien. Wiesbaden: Gabler, 1998, S. 104)
176
Arbeitsgruppen in Unternehmen
11.2
Arbeitsgruppen in Unternehmen
ArbeitsgruppeninUnternehmensindformellundsekundär(vgl.Kapitel11.1.1)und haben im Vergleich zu anderen Gruppen einige Besonderheiten. BeiArbeitsgruppen stehtnichtdieKommunikation,sonderndiegemeinsameAufgabenerfüllung(Koope ration) im Vordergrund, die auf Spezialisierung und Arbeitsteilung basiert und da durch zu größerer Effizienz und höherer Qualität derArbeit führt. Im Gegensatz zu denprimäreninformellenGruppensollenArbeitsgruppenerstzueinersozialenEin heitentwickeltwerden. Als Grundlage dafür dient die kollektive Wissensharmonisierung innerhalb der Gruppe, wobei beschreibendes, prozessuales und emotionales Wissen (s. Kapitel 5.3) derGruppenmitgliederabgestimmtundzumTeilangepasstwird.DieseWissenshar monisierungistfüreineerfolgreicheInteraktionunentbehrlichundbildeteineGrund lagefürgemeinsame,komplementäreZiele,kommunikativeVerständigungundVer trauen. Die Harmonisierung findet rationalund emotional sowie bewusst und unbe wusststatt. EineGruppeeinigtsich(rationalundemotional)überdiegemeinsamenZiele,diebei dem kollektiven Handeln im Vordergrund stehen. Es ist wichtig, dass jeder Teilneh mer seine eigenen Ziele in den gemeinsamen wiederfindet und von der Erreichung der übergeordneten Ziele profitiert (Komplementarität – vgl. Kapitel 9.3). Darüber hinaus werden in der Kommunikation Begriffe und Zusammenhänge (allgemeiner – individuelle mentale Modelle) abgeglichen und kollektive mentale Modelle gebildet (kognitive Harmonisierung des beschreibenden Wissens). Auch die Handlungen in derGruppewerdenaufeinanderabgestimmt(prozessualeWissensharmonisierung). Gleichzeitig findet eine emotionale Harmonisierung statt (Abgleich des emotionalen Wissens):MitgliedereinerInteraktionsgruppestimmensichverbal(bewussteemotio naleEbene)undnonverbal(unbewussteemotionaleEbene)aufeinanderein,indemsie Worte,Gesten,Mimik,Tonfall,Stimmlageusw.andererPersonenkopieren.Indiesem Prozess spielen unsere Spiegelneuronen eine wichtige Rolle. Weiterhin werden die WerteundNormendesVerhaltensabgestimmt,wobeidievonG.Hofstedeals„kollek tiveProgrammierungdesGeistes“214bezeichneteKultureinebedeutendeRollespielt. Die für jede Interaktionsgruppe notwendige gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen können nurzueinemsehrgeringenTeilaufderrationalenEbene(z.B.durchdiebe wusst wahrnehmbare Kompetenz des Partners) entstehen und resultieren überwie gend aus einer positiven emotionalen Wahrnehmung des Gegenübers, die auf seiner Authentizität,Konsistenz,OffenheitundLoyalitätberuht(vgl.Kapitel9.4).
214 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.4.
177
11.2
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Diese Harmonisierungsprozesse verlaufen unterschiedlich je nach Größe, Zielen und DynamikderArbeitsgruppe,sindfürdieLeistungderGruppeausschlaggebendund könnenmehroderwenigergesteuertwerden. Je nach Zusammensetzung und Gruppendynamik unterscheidet man folgende Ar beitsgruppentypeninUnternehmen215:
dauerhafte Aufgabengruppen mit meist einheitlicher Leitung (Arbeitsgruppen, AbteilungenkleinererUnternehmenetc.),
ProjektgruppenmitzeitlicherBegrenzungbiszumProjektende, sich regelmäßig treffende Gruppen wieAbstimmungs oder Gesprächskreise und Communitiessowie
Entscheidungsgruppen, die für die Vorbereitung und das Treffen einer Entschei dungeinberufenwerden. DauerhafteAufgabengruppenundProjektgruppenbestehen(relativ)dauerhaft,haben ausgeprägtegemeinsameZieleundsinddurchunmittelbareInteraktiongekennzeich net, folglich etablieren sich langfristige soziale Prozesse und Beziehungen. Die zwei weiterenArbeitsgruppentypen haben einen anderen Charakter: Sie treffen sich (auch wenn regelmäßig) nur für eine begrenzte Zeit, anstelle gemeinsamer Ziele können verschiedene,sogarwidersprüchlicheZielebestehen,weildieMitgliederinderRunde ihreEinzelgruppenvertreten,persönlicheBeziehungensindwenigertiefundbedeut sam.FolglichsindGruppennormenundidentitätinsolchenArbeitsgruppenweniger ausgeprägt. Gemeinsames Erfüllen von Aufgaben in unmittelbarer Interaktion führt dazu, dass MitgliedereinerGruppebestimmteUmgangsformen,DenkschemataundVorgehens weisenentwickeln,dieingeschriebenenundungeschriebenenRegelnverankertwer den. Dies führt zur Herausbildung von Gruppennormen und einer Gruppenkultur. Die Einhaltung dieser gemeinsamen Verhaltensregeln wird von jedem Gruppenmit glied erwartet, beiAbweichung wird das Mitglied – im Extremfall mitAusgrenzung oder Ausschließung – bestraft. Diese gemeinsamen Gruppennormen geben jedem Mitglied eine gewisse Sicherheit und Unterstützung, können sich aber auch negativ auswirken,wenndieMeinungderMehrheitfalschoderkonservativist. Als Folge einer positiven Entwicklung entsteht eine so genannte Gruppenkohäsion – die subjektiv empfundene Attraktivität der Gruppe für ihre Mitglieder, die sie zu sammenhält.DieseAttraktivitäthängtvonmehrerenFaktorenab:
vondenVorteilen,diederEinzelneimHinblickaufdieErreichungseinerpersönli chenZieleerwartet,
vonderArt,wieerinderGruppeangenommenwird, 215 InAnlehnunganBirker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.15.
178
Arbeitsgruppen in Unternehmen
vonderArtdersozialenInteraktionsowie vondemPrestigederGruppenzugehörigkeit. Je höher die Gruppenkohäsion, desto stärker ist das Zusammengehörigkeitsgefühl ausgeprägt,jedesMitgliedsetztsichfürdie gemeinsamenZieleeinundbeachtetdie Gruppennormen.ZusammenhaltundLeistungeinerGruppestehenineinerWechsel beziehungzueinander,wieesdieweiterfolgendeAbbildungzeigt. Abb.42:
BeziehungzwischenGruppenzusammenhaltundGruppenleistung216 Ist Bedingung für
Gruppenzusammenhalt
Gruppenleistung aber keine Garantie
Erlebnis der Gruppenleistung = Verstärkung
Ein guter Gruppenzusammenhalt führt zu mehr Zufriedenheit bei Gruppenmitglie dernundisteinewichtigeBedingung,jedochkeineGarantiefürdieGruppenleistung. Über das Erlebnis der Gruppenleistung (Rückkopplung) kann der Gruppenzusam menhaltgestärktwerden. Gleichzeitig mit Gruppennormen und kohäsion entwickelt sich ein spezifisches Gruppenklima–eineGesamtbefindlichkeitoderAtmosphäreinderGruppe,diesich mit Worten wie „freundlich“, „loyal“, „harmonisch“ oder auch „feindselig“, „ge spannt“,„unangenehm“etc.beschreibenlässt.MankannauchvonGruppenidentität– einerArt „WirBewusstsein“der Gruppe sprechen. Sie istsowohl im Innenverhältnis undsomitfürdasGruppenklimaalsauchfürdasAuftretennachaußenwichtig.Zu sammenfassend kann man die Begriffe Gruppennormen, Gruppenklima und Grup penidentitätalsTeilbereicheeinerGruppenkulturverstehen217.UnterderGruppenkul turwirdeingemeinsamesWerteundNormensystemverstanden,dasvonallenMit gliedern akzeptiert und gelebt wird. Jede Gruppe hat ihre einmalige Gruppenkultur, die auf Traditionen, Erfahrungen und gemeinsamen Erlebnissen basiert und sich auf das Verhalten der Mitglieder auswirkt. Diese Kultur kann positiv, fördernd sein – dann empfinden die Teilnehmer ihr Zusammensein als wohltuend und angenehm, ihreLeistungwirddadurcherhöht.Oderumgekehrt:Gruppenmitgliedersindmitder bestehendenKulturunzufrieden,dasMiteinanderwirktsichaufdieLeistungnegativ aus. Es gibt Möglichkeiten, eine Gruppenkultur gezielt zu verändern, dies ist jedoch mit langwieriger gemeinsamer Arbeit und der Vorbildfunktion von Managern ver 216 Comelli,G.;vonRosenstiel,L.:FührungdurchMotivation,S.177. 217 NähereszumThemaKulturundUnternehmenskulturs.Kapitel12.
179
11.2
11
Gruppen und Gruppenprozesse
bunden. Diese Möglichkeiten werden im Kapitel 12 „Gestaltung der Unternehmens kultur“diskutiert. Eine Arbeitsgruppe, die sich zu einer sozialen Einheit entwickelt hat, demonstriert Zusammenhalt und ist leistungsfähig. Gleichzeitig können aus den beschriebenen ProzessennegativeAuswirkungenresultieren.VorundNachteilederGruppenarbeit gegenüberEinzelnarbeitkannmanwiefolgtzusammenfassen. Tabelle32: VorundNachteilederGruppenarbeit Vorteile der Gruppenarbeit
Nachteile der Gruppenarbeit
Steigerung der Qualität und Effizienz sowie Verkürzung des Zeitaufwands durch Spezialisierung und Arbeitsteilung;
Gruppenuniformität und Gruppendenken infolge der Deindividuation;
Steigerung individueller Leistung dank sozialer Anregung.
erhöhter Zeitaufwand für die Vorbereitung und Koordination; Neigung zu risikoreichen Entscheidungen; soziales Faulenzen.
DieseVorundNachteilederGruppenarbeitkommennichtunbedingtinjederGruppe vor,sieexistierennuralsTendenzen.EinegeschickteGruppenführungkanndieVor teilederGruppehervorhebenunddieNachteilereduzieren. UnterbestimmtenBedingungenkannsicheineArbeitsgruppezueinemTeamentwi ckeln, wobei Synergieeffekte und Zusammengehörigkeitsgefühl die entscheidende RollespielenundzueinerqualitativhöherenLeistungführen.DasTeamalseinespe zielleFormvonArbeitsgruppenwirdimfolgendenKapitelausführlichbetrachtet.
11.3
Team als eine besondere Arbeitsgruppe
DasThema„TeamundTeamarbeit“sorgtständigfürkontroverseMeinungenundhat sowohlseineAnhängeralsauchscharfeKritiker.AlsModeerscheinungder198090er JahrehatTeamarbeitfürvielePublikationengesorgt.DasTeamwurdealsWundermit telfürdieLösungverschiedenerProblemegepriesen:DieZusammenarbeitvonMitar beitern mit unterschiedlichen Kompetenzen ermöglicht kreative Lösungen und Per spektivenvielfalt, die Kontaktdichte erleichtert Meinungs und Wissensaustausch etc. ForderungenvonTeamfähigkeitfehleninkeinerStellenanzeige.Gleichzeitigunterstel lenAutorenwieR.SprengeroderJ.StautedenTeamapologeteneine„Teamlüge“und behaupten,dassdieErfindungenundProblemlösungenimmervonEinzelnen–nicht imTeam–gemachtundgefundenwerdenunddassvieleUnternehmendieseTeamle
180
Team als eine besondere Arbeitsgruppe
gendenurineigenemInteresse(z.B.RationalisierungundPersonalabbau)benutzen.218 Auch die berühmte ironische Erläuterung des Wortes TEAM als „Toll, ein anderer macht´s“ spricht für sich: Team und Gruppenarbeit kann von einigen dafür miss brauchtwerden,sichhinterdemRückenvonFleißigenzuverstecken.Allerdingssind nicht Begriffe und Theorien gut oder schlecht, sondern das, was man daraus macht. DieAuswirkungen von Team bzw. Gruppenarbeit hängen von der praktischen Um setzungunterkonkretenBedingungenundvondenbeteiligtenPersonenab. Die BegriffeArbeitsgruppe und Team werden in der Literatur oft synonym verwen det.219 Einige Wissenschaftler (z.B. Olfert/Steinbuch, von Rosenstiel) betrachten ein TeamalseinebesondereArtderGruppe,wobeihöhereKohäsionundbesserfunktio nierendeKooperationimTeambetontwerden.AucheinTeamisteineGruppe,jedoch nicht jede Gruppe ein Team. Der Teambegriff hat positive Konnotationen. In diesem Sinne wird meist eine besonders „gut eingespielte Gruppe“ mit problemlos funktio nierender Kooperation, geringer hierarchischer Binnenstruktur und intensiver Bin dungderMitgliederandasgemeinsameZielalsTeambezeichnet.220 Die Unterscheidungsmerkmale zwischen einer Gruppe und einem Team betreffen Wettbewerb,Innovation,Entscheidungen,ErfolgundAbhängigkeit. Tabelle33: GruppeundTeamimVergleich221 Merkmale
Gruppe
Team
Wettbewerb
Gegner auch innerhalb
Gegner meist außerhalb
Innovation
Wenig Wunsch nach Veränderung
Innovation wird gesucht
Entscheidungen
Durch den Leiter von außen
Intern durch Konsens
Erfolg
Persönliche Erfolge haben Stellenwert
Erfolg des Teams steht im Vordergrund
Abhängigkeit
Mitglieder relativ unabhängig
Mitglieder voneinander abhängig
Aus dem Vergleich ist offensichtlich, dass Teams durch eine größere Bindung der Mitgliedergekennzeichnetsind,wassichineinemstarkenZusammengehörigkeitsge fühl und der Ausrichtung auf das Gesamtinteresse widerspiegelt. Allerdings haben Teams in diesem Ansatz gegenüber einer Arbeitsgruppe keine qualitativ neuen und messbarenMerkmale. 218 Vgl.Staute,J.:DasEndederUnternehmenskultur,S.166–173. 219 Vgl.GablerWirtschaftslexikon,14.Aufl.,S.3719oderRahn,H.J.:Unternehmensführung,S.
185. 220 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.289. 221 Olfert/Steinbuch:Organisation,S.464.
181
11.3
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Gruppen und Gruppenprozesse
ZusammenfassendkannmaneinTeamalseinebesondereArbeitsgruppebezeichnen, beiderdieLeistungvonhöhererQualitätist,alsdiesdurchAdditionderEinzelbeiträ gemöglichwäre(Synergieeffekt),undbeiderdieMitgliederinfolgeeineshochentwi ckelten Zusammengehörigkeitsgefühls das Gesamtinteresse höher gewichten als ihre jeweiligenEinzelinteressen. Folglich kann man ein Team als eine idealtypische Arbeitsgruppe bezeichnen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl bildet sich in der Gruppe im Laufe der Zeit heraus. Gemeinsame Erfolgserlebnisse genauso wie gemeinsame Schwierigkeiten und deren Überwindung schweißen Teammitglieder zusammen. Die Attraktivität der Gemein schaft für jeden Einzelnen steigt, die Teaminteressen gewinnen an Bedeutung und können in gewissen Situationen höher bewertet werden als die Einzelinteressen. Der SynergieeffektistdaswichtigsteMerkmaleinesTeams.EinestarkeBindungderMit glieder,dieindemAnsatzvonOlfert/SteinbuchzuqualitativenVorteilenführt,verur sacht eine überdurchschnittliche Leistung. Nach Ansoff bedeutet Synergie, dass die GesamtleistunggrößeristalsdieSummeihrerTeile.Die„mathematische“Formelfür Synergieist2+2=5.AlsQuelleeinersynergetischenLösungwirddieHeterogenitätder Gruppenmitgliederangesehen.222Jederist–wieTeileeinesPuzzles–einzigartigund für die Gesamtlösung einer Aufgabe unentbehrlich. Die Mitglieder eines Teams tau schensichgegenseitigaus,ergänzeneinanderundlernenvoneinander. Diese charakteristischen Merkmale lassen sich bei Teams im Sportbereich erkennen. EinklassischesBeispielwäreeineFußballmannschaft:Nuralleelfzusammenkönnen gewinnen,wobeidieausgezeichneteQualifikationjedeseinzelnenSpielersgefragtist. Auch ein Orchester oder Ensemble kann als Team betrachtet werden: Jeder Musiker hateineandereKompetenz,abernurallezusammenkönnenaufeinanderabgestimmt einMusikwerkinterpretieren.InbeidenFällengehtesdenTeilnehmernnichtdarum, allein erfolgreich zu sein und persönliche Stärken zu präsentieren, sondern in der Mannschaft gemeinsam zum Erfolg zu gelangen. Gleiche Prinzipien gelten für ein gutesTeamimUnternehmen. MerkmaleeineserfolgreichenTeamssind:
KooperationsfähigkeitseinerMitglieder, GemeinschaftsdenkenundgegenseitigeFörderungundUnterstützung, gemeinsameZielvorstellungen, Austausch aller relevanten Informationen (keine Geheimnisse, keine Einstellung „WissenistMacht“),
FreudeanderArbeit, RücksichtnahmeundHilfsbereitschaft, 222 AufdiesemPrinzipbasiertauchdasKonzeptdesDiversityManagements,s.Kapitel16.
182
Team als eine besondere Arbeitsgruppe
VertrauenundoffeneKommunikation, konstruktiverUmgangmitKonflikten, MinderheitenschutzundfairerWettbewerb. Diese Auflistung, die auf Ergebnissen von Befragungen erfolgreicher Teams basiert, zeigt,dassvonTeammitgliedernverschiedenesozialeKompetenzenerwartetwerden, diefüreinerfolgreichesMiteinanderunentbehrlichsind. Sozialpsychologen nennen folgende persönliche Eigenschaften als Voraussetzung für die Teamfähigkeit223: Fähigkeit zur Selbstreflexion, Verständnisbereitschaft und Ein fühlungsvermögen, Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktlö sungsbereitschaftundKritikfähigkeit. AllerdingsbrauchteinTeamkeinepflegeleichten,einanderähnlichenMitglieder:Nur imFallederHeterogenitätvonQualifikationenundEigenschaftenkommenSynergie effekte zustande. Konstruktives Denken, Fühlen und Handeln von jedem Mitglied, ausgerichtetaufgemeinsameZiele,istdieErfolgsformelfürTeamarbeit.DieMitglie der sollten unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie verschiedene Sicht weisenhaben.SystematischeundanalytischePersönlichkeiten,diegleichzeitigKreati vitätundIntuitionandenTaglegen,sindbesondersgefragt. Betrachtet man ein Team als erstrebenswertes Ideal einerArbeitsgruppe, dann sollte mandieEntwicklungvonGruppennutzen,umzurEntfaltungdesGruppenpotenzials und von Teammerkmalen beizutragen. Gruppen erleben in ihrer Entwicklung be stimmte Phasen, deren erfolgreicherAblauf für die Funktionsfähigkeit und Leistung vonGruppen/Teams224vonentscheidenderBedeutungist. PraxiserfahrungenmitteilautonomenTeams(z.B.beiAudioderOpel)beweisenspezi fische Vorteile dieser Organisationsform: gegenseitige Unterstützung, gemeinsame Verantwortung, interne Lernprozesse, Qualitätsbewusstsein und Innovationsbereit schaft. Neben unmittelbaren Produktionsaufgaben sind autonome Teams für dieAr beitssicherheit, Qualitätskontrolle und kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVB) zuständig. Wesentliche Merkmale teilautonomer Arbeitsgruppen sind die selbststän dige Planung, Steuerung und Kontrolle der übertragenenAufgaben. Entscheidungen zur Selbstregulation, organisation und verwaltung setzen Freiheitsgrade bei der Arbeitsausführungvoraus.225
223 Vgl.Brommer,U.:KonfliktmanagementstattUnternehmenskrise,S.119. 224 Im Weiteren werden für die Einfachheit unter Gruppen sowohl Arbeitsgruppen als auch
Teamsverstanden. 225 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.509.
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11.3
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Gruppen und Gruppenprozesse
11.4
Gruppenentwicklung und Gruppenleistung
GruppensinddynamischeHandlungseinheiten,dieausverschiedenenGründenund fürverschiedeneZweckeentstehenundsichimmerweiterentwickelnundverändern. Jede Gruppe ist in ihrer Dynamik einmalig, und trotzdem gibt es bestimmte allge meingültigeGruppenentwicklungsphasen:226 1. Formierung (Forming) – Individuen beginnen sich als Gruppenmitglieder wahr zunehmen. Mitarbeiter kommen zusammen, lernen sich kennen und stellen fest, dasssiezusammengehörenunddemnächstzusammenarbeitensollen.DiesePha sebedeuteteingegenseitiges„Abtasten“undOrientieren. 2. Strukturbildung (Storming, oder Konfliktphase) – die Mitglieder bestimmen ihre Rollen und ihren Status in der Gruppe. Jedes Individuum hat eigene Verhaltens muster,diesichimLaufeseinesLebensentwickelthaben.DieseVerhaltensmuster beeinflussen die Rollen, die die Mitglieder innerhalb der Gruppe freiwillig über nehmen.JedermusssichzuerstmitseinerRolledurchsetzen,eskannzuKonflik ten kommen, wenn andere Mitglieder mit der Rollenverteilung nicht einverstan densind. 3. Normierungsphase(Norming)–dieBeziehungen habensichetabliert,dieRollen sind gegenseitig akzeptiert worden, eine Gruppenidentität entsteht, die Gruppe demonstriertZusammengehörigkeit. 4. Arbeitsphase(Performing)–dieGruppeistvollfunktionsfähigunderbringtihre Leistung.DiesePhasekannunterschiedlichlangdauern,abhängigvonderAufga be.EsentwickelnsicheffizienteVerfahren,Gruppennormenundkultur. 5. AuflösungoderReorganisation,fallsdieAufgabenichtmehrgefragtist. IndiesemEntwicklungsprozessstehteinemGruppenleitereineaktiveModerationsrol lezu:ErsollInitiativeübernehmen,denGruppenmitgliedernZeitundRaumfürdas DurchlaufenjederPhasegeben,sichvorsichtigindieAbläufeeinmischen.Allerdings isteswichtig,dassderGruppenleitereineBalancefindetundnichtzustarkdominiert. ErsolleinModeratorsein,dereineDiskussionintensivwahrnimmt,ineinebestimmte Richtungsteuertundschnellreagiert. InderPhasedesgegenseitigenKennenlernensisteineVorstellungsrundeangesagt,die jedemMitglieddieMöglichkeitgibteinpaarWortezureigenenPersonzusagen.Der GruppenleiterkannmitderVorstellungdereigenenPersonbeginnen,umdenrichti genTonanzugeben.Dieskannunterschiedlichpassieren.SagterübersachlicheFakten hinaus etwasPrivates über seine eigene Familie oder Hobbys, so legt er dadurch die Weichen für eine informelle ungezwungene Atmosphäre, die sich unter positiven BedingungenzueineroffenenGruppenkulturentwickelnkann. 226 InAnlehnunganTuckman,B.W.:Developmentsequencesinsmallgroups.
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Gruppenentwicklung und Gruppenleistung
InderKonfliktphasekannderGruppenleiterbeiausgeprägtenAuseinandersetzungen eingreifen, um Konflikte zu entschärfen227 und eine konstruktive Strukturbildung zu fördern. Vor allem kann der Gruppenleiter zu Offenheit und respektvollem Umgang miteinander anregen. Diese Phase ist besonders schwierig und soll bis zur Normie rungsphasevollständigabgelaufensein,sonstkönnennichtgeklärteKonfliktespäter auftauchen. In der Normierungsphase kann der Gruppenleiter die Ergebnisse kurz unddeutlichzusammenfassen,umallenihreRollenundFunktionennochmalsklarzu machen. Können sich Gruppenmitglieder mit der Gruppenstruktur identifizieren, so kanndieArbeitsphasebeginnen. InderArbeitsphasesinddieZielederGruppenarbeiteinehoheGruppenleistungund Zufriedenheit aller Mitglieder. Einflussfaktoren auf die Gruppenleistung und zufriedenheit können in einem Lernprozess mit Rückkopplung dargestellt werden, der aus folgenden Elementen besteht: Aufgabe der Gruppe, Gruppenprozess, der gestaltetwerdensoll,RessourcenderMitgliederundGruppenstruktur,externeBedin gungen und kulturelle Rahmenbedingungen (Interaktion, Kommunikationsart, Kon fliktneigung,Lernfähigkeitetc.). DerProzessdesLeistungserbringensineinerGruppeistnichtnureinreinwirtschaft licher(LösungeinergemeinsamenAufgabe),sondernaucheinsozialer–einmenschli chesZusammensein.ErhateinenkulturellenHintergrund,derdasGescheheninder Arbeitsgruppe und seine Elemente beeinflusst. Die charakteristischen Merkmale kul turellerRahmenbedingungenkönnendurchdieArtderKommunikation,Neigungzu Konflikten und den Umgang mit diesen sowie durch die Lernprozesse beschrieben werden.DieseFaktorenwerdeninweiterenKapiteln(11.5–11.7)diskutiert. Der Prozess kann als ein Lernprozess mit Rückkopplung betrachtet werden, in dem sowohlderGruppenleiteralsauchdieGruppenmitgliederinmehrerenIterationenauf jedes Element Einfluss nehmen können, um die Gruppenleistung und Zufriedenheit zuoptimieren(s.folgendeAbbildung). DieAufgabeeinerGruppeistentwedervorgegebenoderwirdgemeinsamformuliert. SiekanninderGruppeinjedemFallzunächstdiskutiertundanalysiertwerden,was für die Identifikation mit der Aufgabe und den Ergebnissen der Arbeit von großer Bedeutung ist. Die einzelnen Arbeitspakete der Mitglieder sollen in gemeinsamer Diskussiondefiniertwerden,wodurcheineoffenevertrauensvolleArbeitsatmosphäre entsteht. Die Dynamik der Gruppenprozesse wird von Synergieeffekten und sozialer Förde rung bestimmt. Gruppenkohäsion, Gruppenkultur, Arbeitsklima und emotionales MiteinanderinderGruppespielendabeieineentscheidendeRolle.FürdieSteigerung der Gruppenarbeitseffizienz und die Beschleunigung von Gruppenprozessen können spezielle Techniken und Verfahren eingesetzt werden: z.B. Kreativitätstechniken wie 227 DerUmgangmitKonflikteninGruppenwirdimKapitel11.6ausführlichdiskutiert.
185
11.4
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Brainstorming und Moderationstechniken sowie Meinungskarten für die Vergröße rungderMeinungsvielfaltundDemokratisierungvonEntscheidungen(Ausschaltung vonGruppenuniformität). Abb.43:
BestimmungsfaktorenderGruppenleistung228
Kulturelle Rahmenbedingungen: Interaktion, Kommunikationsart, Konfliktneigung, Lernfähigkeit
Externe Bedingungen
Fähigkeiten Persönlichkeiten
Aufgabe der Gruppe
Ressourcen der Mitglieder
Leistung und Zufriedenheit
Gruppenprozess Gruppen-
Organisationsstruktur, Arbeitsbedingungen, verfügbare Mittel
struktur
Synergie „soziale Förderung“
Führungsstruktur Rollen, Normen
Lernprozess
Die Ressourcen der Mitglieder sind für die Leistung von besonderer Wichtigkeit – schließlichsind es Individuen, dieAufgaben lösen und Ideen produzieren. Die Rolle desGruppenleitersbestehtbeidiesemElementdarin,dafürzusorgen,Mitarbeitermit gefragten Fähigkeiten zu gewinnen, ihre Kompetenzen und Fertigkeiten durch Wei terbildung,SchulungundTrainingzufördern. Die Gruppenstruktur wird von der Führungsstruktur, Gruppenrollen und normen geprägt.DieVorbildfunktiondesGruppenleitersistdabeigefragt,sowieeinefördern deGruppenkultur(s.kulturelleRahmenbedingungen)undpositiveGruppenrollen. MankannfolgendeTypenvonGruppenrollendefinieren:
Aufgabenrollen: Initiator, Informator, Bewerter, Innovator, Meinungsgeber, Aus führer,Organisator,Schriftführer;
Sozioemotionale Rollen: Mutmacher, Friedensstifter, Kompromissschließer, Span nungsmilderer,Konfrontierer;
ZerstörerischeRollen:Schwätzer,Detailkrämer,Störer,Miesmacher,Manipulierer, Intrigant,Dominante,Mobber. 228 InAnlehnunganRobbins,S.:OrganisationderUnternehmung,S.273.
186
Gruppenentwicklung und Gruppenleistung
Abb.44:
Gruppenrollen229
DerUmgangmitdenGruppenrollenistallesanderealsleicht–jederMenschsammelt eigene Erfahrungen, entwickelt Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen, folglich übernimmt er in einer Gruppe eine spezifische, für ihn passende und/oder von ihm erwünschteRolle.ImLaufederZeitfindetinderGruppeeinegegenseitigeAnpassung von Mitgliedern der Gruppe statt, dabei werden die individuellen Rollen auch ange passt und akzeptiert/abgelehnt. Inwieweit sich ein Gruppenleiter in diesen Prozess einmischendarf,bleibtumstritten:ErsollteinersterLiniePersönlichkeitensamtihrer Besonderheiten und Neigungen anerkennen. Nur bei zerstörerischen Rollen, die die ZusammenarbeitinderGruppewesentlichstörenkönnen,wäreesfürdenGruppen leiter angemessen, sich einzumischen, um das Verhalten von negativ wirkenden Gruppenmitgliedernzukorrigieren. Unter externen Bedingungen für die Gruppenleistung versteht man die allgemeine Organisationsstruktur,indiedieGruppeeingebettetist,dieArbeitsbedingungenund alleverfügbarenMittel,diefürdieLösungderGruppenaufgabenotwendigsind.Hier ist wieder dieRolle des Gruppenleiters zu erwähnen, der dafür sorgen soll, dass die externenBedingungenfürdieGruppenleistungstimmen. Die kulturellen Rahmenbedingungen für die Gruppenleistung sind von besonderer Bedeutung,deswegenwerdensieimWeitereneinzelnerläutert.Diecharakteristischen Merkmalesind:InteraktioninderGruppe,UmgangmitKonfliktenundLernprozesse.
229 Bildquelle:Wagner,K.;Rex,B.:PraktischePersonalführung,S.110.
187
11.4
11
Gruppen und Gruppenprozesse
11.5
Interaktion in Gruppen: Themenzentrierte Interaktion
Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist die direkte Interaktion von besonderer Be deutung.GleichzeitigziehtsieverschiedeneFolgen nachsich:Esentstehteinstarkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das zur Steigerung der Gesamtleistung führen kann, und gleichzeitig wächst die Neigung zu Konflikten. Der Gruppenkommunikation kommtunterdiesenBedingungeneinebesondereRollezu:NureineoffeneKommu nikationermöglichtdieVorteilederZusammenarbeitundbegünstigtdenVerlaufvon Konflikten. Eine so genannte vollständige Kommunikation in der Gruppe – jeder kommuniziertmitjedem–schaffteineoffeneAtmosphäreundbegünstigtdengegen seitigenAustauschunddieLernprozesse. Probleme und Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Kommunikation wurden in verschiedenen Kommunikationstheorien erläutert. Eine speziell für Gruppen entwi ckelte Kommunikationstheorie ist die Themenzentrierte Interaktion (TZI) der ameri kanischenPsychologinRuthCohn.230 DasModellgehtdavonaus,dasssichineinerGruppenebenallerIndividualitätund UnterschiedlichkeitjedesEinzelneneingroßesBewusstseinderGemeinsamkeitentwi ckelt.Esistwichtig,einenBalancezwischenpersönlicherIndividualität,gemeinsamer Aufgabe und dem WirGefühl zu finden und zu fördern. Für diesen Zweck ist die Methode der Themenzentrierten Interaktion (TZI) gut geeignet und kann von einem LeitererfolgreichinderPraxisangewendetwerden. Abb.45:
TZI–ModellnachR.Cohn
ES Ziel GLOBE
ICH Individuum
WIR Gruppe
230 Cohn,R.C.:VonderPsychoanalysezurthemenzentriertenInteraktion.
188
Interaktion in Gruppen: Themenzentrierte Interaktion
„Ich“(Persönlichkeit),„Wir“(Gruppe) und„Es“(Thema)sindindemModellvonR. CohngleichwertigeGrößen, diemiteinanderverbundensindundsichineinemUm feldbefinden(„Globe“).Dadurchwirdbetont,dassfürdenErfolgsowohlalleElemen te: jeder Einzelne, die Gruppe und das Thema, als auch die Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Thema, dem Individuum und der Gruppe und zwischen der Gruppe und dem Thema bedeutsam sind. Das Ganze wird zusätzlich von den Rahmenbedingungen(Globe)beeinflusst. Alle Elemente und Zusammenhänge der Abbildung sind wichtig. Nur wenn eine dynamische Balance erreicht wird, kann die Gruppe Erfolg haben. Das Handeln der GruppeistvorallemaufdasErreichenvonUnternehmenszielenhinausgerichtet.Das ZielstehtaberinBeziehungunddamitauchinAbhängigkeitvondeneinzelnenIndi viduenundderGruppealsGanzes.SogewinntdasZieleinenpersönlichenundzu gleich gruppenorientierten Charakter. Die Einbeziehung des Globes im TZIModell sollnichtnurdieBedeutungdesäußerenUmfeldes,sondernauchdiederZusammen gehörigkeitundGruppenkulturbetonen.„Globe“beiR.CohnspielteineglobaleRol le:vonengl.Globe=Erdball„weisterdaraufhin,dassdasGescheheninderGruppe wesentlichmitgeprägtwirdvomUmfeldunddenVorerfahrungensowohlderGruppe alsauchdereinzelnenTeilnehmer.“231FürdasBeispielArbeitsgruppekannmanunter Globe die sich entwickelnde Gruppenkultur verstehen, die die geteilten Werte und NormenderMitgliederimUmgangmiteinanderumfasst. Das TZIModell ermöglicht die Betrachtung von individuellen, gruppenbezogenen und Zielaspekten der Arbeit aus der konstruktivistischen Perspektive. Das Handeln sowohlvonjedemMitglied,alsauchvonderGruppealsEinheit,dasaufdiegemein samen Ziele hin ausgerichtet ist, führt zur Schaffung einer geteilten Welt, die von je demEinzelnenundvonallenzusammenabhängigist. Das ICH in der konstruktivistischen Darstellung hat drei Aspekte: Individualität, Selbstkenntnis und Eigenverantwortung. „Ich“ steht vor allem für die Subjektivität undIndividualitätjedesMitglieds.„DiePersonsollsichnichtaufgeben,sondernein geben“,soRuthCohn.NurausderUnterschiedlichkeitderMitgliederkommenSyn ergieeffekte zustande. Gleichzeitig wird eine gewisse Besinnung auf das Ich, die Kenntnis der eigenen Stärken und Schwächen verlangt. Nur unter dieser Bedingung kannjedesMitgliedbewusstundverantwortungsvollhandeln.DieseEigenverantwor tungfürdasGanzeistderdritteAspektderIchBetrachtung. DasWIRsollfüreineGruppedenVorteildesZusammenarbeitensunterstreichen:Die GesamtleistungistnurbeiengagiertemEinsatzallerMitgliedermöglich.DieZusam mengehörigkeitunddieAttraktivitätderGruppefürjedenTeilnehmerwerdenhierin denMittelpunktgestellt.
231 Vgl.Birker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.71.
189
11.5
11
Gruppen und Gruppenprozesse
DasESstehtfürdasgemeinsameZiel.„EineoptimaleArbeitssituationentsteht,wenn alleIchs–undinihremZusammenwirkenalsWir–diegemeinsameAufgabezugleich als eigenesAnliegen wahrnehmen und akzeptieren.“232 Verfolgen die Gruppemitglie dereigeneInteressen,dannwirdausderZusammenarbeiteinKonkurrenzkampf. Ein weiterer Aspekt des TZIModells ist die dynamische Balance zwischen den drei Elementen„Ich“,„Wir“und„Es“.Keinesdarfdominierenodervernachlässigtwerden. Wird das Ziel überbetont und persönliche und Gruppenbeziehungen für unwichtig gehalten, so kommt es zur Demotivation und Unzufriedenheit der Mitglieder und KonfliktenaufderGruppenebene.WenndieAufgabenstellungzurNebensachewird, gehtesnurdarum,Spaßmiteinanderzuhaben.FolglichverlierendieTeilnehmerihre Arbeitsmotivation und erbringen nur durchschnittliche Leistungen. Vernachlässigt mandieRolledesIndividuums,dannfühlensichdieGruppemitgliederunfairbehan delt, persönliche Kompetenzen werden dadurch nivelliert und nicht mehr gefördert. Interesse und Identifikation der Mitarbeiter sinken. Die Balance hat allerdings einen dynamischen Charakter: Abhängig von Arbeitssituation kann das eine oder andere Element kurzfristig in den Vordergrund kommen, aber es wird immer wieder neu ausgeglichen. Durch die dynamische Balance ergibt sich eine Atmosphäre, wo jeder EinzelneunddieGruppealsGanzesrespektiertwerden.DerFreiraumdeseinzelnen undderGruppewirdrücksichtsvollwahrgenommen.AusdieserEinstellungerwächst ein positives Arbeitsklima und folglich eine Gruppenkultur, die durch die relative AutonomiedesIndividuums,denStellenwertdesGesamtinteressesundgegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet ist. Das ist der optimale Globe für eine erfolgreiche Zu sammenarbeit. SchulzvonThundefiniertdieRegelfürdieMetakommunikationimTeam.233Meta kommunikationbedeutet,imArbeitsalltagimmerwiederinregelmäßigen,mindestens monatlichenSitzungeninnezuhalten,umZwischenbilanzzuziehen:Sindwirnochauf dem richtigen Weg in der Art, wie wir vorgehen und miteinander umgehen? Oder sindKurskorrekturennötig? EineTeamsitzungkanninvierSchrittenablaufen:234 1. AnfangsrundemitThemensammlung:DerReihenachnimmtjedesTeammit gliedStellungzufolgendenFragen:Wasbeschäftigtmichmomentanbeson ders–persönlichundbeiderArbeit? 2. Auswahl von Themen, Verabredung einer Reihenfolge und eines Zeitplans: Nach der Anfangsrunde wird die Entscheidung getroffen, welche Themen unbedingtheuteundindieserRundebearbeitetwerdenmüssen.Eswerden ReihenfolgeundZeitlimitfestgelegt. 232 Birker,K.:BetrieblicheKommunikation,S.72. 233 Vgl.SchulzvonThun,F.:Miteinanderreden:KommunikationspsychologiefürFührungskräf
te,S.124. 234 Ebd.,S.126128.
190
Konflikte in Gruppen
3. Bearbeitung von Themen: Die Themen werden je nach Erfordernis auf der sachlichen, zwischenmenschlichen und/oder persönlichen Ebene bearbeitet. Fallsnötig,werdengemeinsamkonkreteLösungenerarbeitet,Umsetzungs schrittegeplant,VerantwortlichkeitenundÜberprüfungsmaßnahmenfestge legt. 4. Abschluss der Teamsitzung: Am Ende einer Teambesprechung sollte jeder noch einmal die Möglichkeit haben, sich zum Verlauf der Sitzung und zu demGefühlzuäußern,mitdemerjetztwiederandieArbeitgeht. DieVorbereitungundDurchführungdieserSitzungenobliegtderFührungskraft,an die dadurch hohe Anforderungen gestellt werden. Sie muss nicht nur moderieren können,sondernauchmitdenaufkommendenfachlichenundzwischenmenschlichen Themenumgehenkönnen.
11.6
Konflikte in Gruppen
EineerfolgreicheGruppenarbeitistnurunterderBedingungmöglich,dassdieGrup penmitglieder verschiedene Qualifikationen und Meinungen hineinbringen und sich gegenseitigergänzen.DieseUnterschiedlichkeithatjedochihreKehrseite:Verschiede ne Meinungen, Interessen und Einsichten können zu Widersprüchen und Konflikten führen. Verschiedene Lebenserfahrungen, Interessen und Bedürfnisse sowie Wettbe werbvonIdeenundAuffassungenbeimLösenvonAufgaben,dieansichpositivund erwünschtsind,sinddieUrsachenvonKonflikteninderGruppenarbeit.Dabeisindso genannte interindividuelle (soziale) Konflikte gemeint, im Gegensatz zu einem intraindividuellen Konflikt, wenn bei einer Person verschiedene unvereinbare Hand lungstendenzenbestehen. Ein sozialer Konflikt liegt dann vor, wenn eine Spannungssituation besteht, in der zwei oder mehrere Parteien, die voneinander abhängig sind, mit Nachdruck versu chen, unvereinbare Handlungspläne zu verwirklichen und sich dabei ihrer Gegner schaftbewusstsind.235 NichtunbedingtisteinKonfliktalsetwasNegativeszubetrachten:Mansollteeherin einem Konflikt eine Entwicklungs und Lernchance sehen. Nur wenn verschiedene Meinungen zusammenkommen, kann eine kreative Lösung gefunden werden. Die Spannung, die von einem Konflikt erzeugt wird, muss effizient genutzt und geleitet werden. Man sollte Gruppenkonflikte generell als Lern und Entwicklungschance betrachten,jedochinkritischenSituationeneinaktivesKonfliktmanagementbetreiben. Bei falscher Behandlung bekommen Konflikte negativeAuswirkungen und erschwe rendieKommunikationundZusammenarbeitinGruppen. 235 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.314.
191
11.6
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Für einen richtigen, konstruktiven Umgang braucht man Kenntnisse über die Arten derKonflikteundKonfliktlösungsstrategien. InderLiteraturwerdenKonfliktenachverschiedenenMerkmalenklassifiziert.Comel li und von Rosenstiel nennen als besonders typische Konfliktformen für Gruppen Sach,BeziehungsundWertekonflikte.236EineandereKlassifikationvonGruppenkon fliktenistdieUnterscheidungvonRollenundNormenkonflikten.237 BeiSachkonfliktengehtesuminhaltlicheMeinungsverschiedenheitenbeiderAufga benlösung,beiBeziehungskonfliktenumAkzeptanzundAnerkennungdurchandere, beiWertekonfliktenumverschiedeneAnnahmenundEinstellungen,WerteundNor men. Diese Arten können von einander nicht genau abgegrenzt werden, denn ein Konflikt kann auf der Oberfläche als Sachkonflikt erscheinen, tatsächlich aber ein Beziehungskonfliktsein. RollenkonfliktekönneninGruppenbeiderÜbernahme(Vergabe)vonGruppenrollen entstehen.TypischeBeispielesolcherKonfliktesind:238
UnvereinbarkeitvonverschiedenenRollenineinerPerson(z.B.derprotokollieren deKonferenzleiter,VorgesetzterundgleichzeitigKumpelderMitarbeiter);
Objektiv und subjektiv erlebte Unverträglichkeit von Rollen, die eine Person in verschiedenenGruppeninnehat(z.B.dermitderFirmainnerlichsehrverbundene alteMitarbeiter,dergleichzeitigMitglieddesBetriebsratesundGewerkschaftsmit gliedist);
unterschiedliche Erwartungen/Auffassungen bezüglich der Ausführung einer RollebeidemRollenträgerundderGruppebzw.beianderen(z.B.RollederVorge setzten,RollederSekretärin);
zu hohe oder falsche Erwartungen bezüglich einer Rolle beim Rollenträger selbst oder bei anderen (der Rollenträger kann nicht das erfüllen, was die anderen von ihmoderervonsichselbsterwartet.) EineoffeneRollenklärungistbeiallendiesenSituationenfürdieKonfliktvorbeugung undbewältigunghilfreich.DafüreignetsicheineoffeneDiskussionmitallenBeteilig ten. AlstypischeNormenkonflikteinGruppenwerdengenannt:239
Kollision(en)zwischenformellenundinformellenNormeninnerhalbeinerGruppe (z.B. Alkohol bei betrieblichen Feiern, aber striktes Alkoholverbot im Betrieb aus
236 Vgl.Comelli,G.;vonRosenstiel,L.:FührungdurchMotivation,S.235. 237 Ebd.S.190. 238 Ebd.S.190. 239 Vgl.ebd.,S.191.
192
Konflikte in Gruppen
Gründen derArbeitssicherheit; offiziell wird dieArbeitsqualität großgeschrieben, abertatsächlichwirdschlampiggearbeitet);
Widersprüchliche Normen, die sich aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen ergeben (z.B. Kleidungsnormen: Ein junger Mann mit Ring im Ohr als KundenberaterbeieinersolidenBank);
UnsicherheitbezüglichderVerbindlichkeitvonNormen(sindesKann,Solloder Mussnormen?EsistüblichineinerArbeitsgruppePrivatkontaktemitKollegenzu pflegen.SolleinneuerMitarbeiterallezuseinemGeburtstageinladen?). Normenkonflikte können extrem störend für die Gruppenarbeit sein, eine eindeutige offeneKlärungistdabeiwichtig. JederKonflikthateinelangeVorgeschichte,bevorerandieOberflächekommt.Diese Phase ist für eine Konfliktregelung besonders günstig, deswegen muss ein Gruppen leiteraufKonfliktsignaleachtenundmitderBearbeitungbeginnen,bevoreszueinem offenen für alle wahrnehmbaren Konflikt kommt. Diese Signale können unterschied lich sein: Die Beteiligten meiden Kontakt, ironisieren, machen stichelnde Nebenbe merkungen etc. Je früher ein Konflikt explizit gemacht wird, desto günstiger ist sein Verlauf. Das Verdrängen und Verschweigen über eine längere Zeit hinaus wirken umgekehrt.IsteinKonfliktersteinmaleskaliert,dannbrauchendieBeteiligteneinen neutralenSchlichter(Mediator). Esistsehrwichtig,dassalleBeteiligtendasVorliegendesKonfliktsakzeptierthaben undbereitsind,offendarüberzureden.DieEinstellung„WirhabenkeineProbleme“ bedeutet, dass der Konflikt geleugnet wird. Nur ein offenes Gespräch kann helfen, über die Gründe der gegenseitigen Unzufriedenheit zu reden und sie zu beseitigen. Sind beide Parteien zu solcher Diskussion bereit, so muss man über den Konfliktge genstandansich(Kompetenzen,Mittel,Zieleetc.)sowieüberdieInteressen,Bedürf nisseundgegenseitigeVorwürfereden.ImnächstenSchrittsollendieKonfliktparteien ihre gegenseitigen Anforderungen formulieren. Die Offenlegung von Erwartungen undWünschenisteineVoraussetzungfür diekonstruktiveLösung.Aufgrunddieser gegenseitigenAnforderungenkanneinKompromissgefundenwerden. AlsmöglicheStrategienfürKonfliktlösungwerdenfolgendegenannt(s.Abbildung):
VerliererVerlierer, GewinnerVerlierer GewinnerGewinnerStrategieund Kompromiss.
193
11.6
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Abb.46:
Konfliktlösungsstrategien240
Orientierung an den
Verlierer-Gewinner (sich unterwerfen)
Gewinner-Gewinner (gemeinsame Lösung)
Zielen des ande-
Kompromiss
ren
Verlierer-Verlierer (Vermeidung, Rückzug)
Gewinner- Verlierer (mit Zwang durchsetzen)
Orientierung an den eigenen Zielen
Eine VerliererVerliererStrategie macht am wenigsten Sinn und bedeutet, dass die Parteien sich nicht einigen können, sich zurückziehen und den Konflikt weiter ver drängen. Bei der GewinnerVerliererStrategie versucht eine Seite ihre Macht auszu nutzenunddieanderezubezwingen.Offensichtlich,kanndabeiderErfolgnurkurz fristig sein. Ein Kompromiss ist als eine Halblösung zu bezeichnen, mit der beide Parteiennichtganzzufriedensind.OptimalwäreeineGewinnerGewinnerStrategie, beideresum einegemeinsameProblemlösunggeht,andersichbeideParteienkon struktivbeteiligen.FürdieseLösungbrauchtmanOffenheitundBereitschaftzurpro duktivenZusammenarbeit.LeideristesinderPraxisnichtimmerderFall. DieMöglichkeiteneinebestimmteStrategiezuwählenwerdenvonderVerhandlungs situationbestimmt.Beieinem„distributivenbargaining“kannnureinergewinnen,es gilt den Verlierer vor einem Gesichtsverlust zu bewahren, um eine Lösung zu errei chen. Bei einem „integrativen bargaining“ besteht ein Verhandlungsspielraum zwi schendenKonfliktparteien,derpositivzunutzenist. FüreineerfolgreicheKonfliktbewältigungbrauchtmandieFähigkeit,dieArgumente deranderenParteizuakzeptierenundzuverstehenundguteBeziehungenaufzubau en. Nur die Überzeugung, dass man durch eine Niederlage des Anderen nichts er reicht, sondern die Probleme verschärft, hilft zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung. Nur bei einer GewinnerGewinnerLösung sind beide Parteien innerlich be reit,sichandieVereinbarungenzuhalten. 240 InAnlehnunganvonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.320.
194
Lernen in Gruppen
11.7
Lernen in Gruppen
DieLeistungeinerGruppebasiertaufdereinenSeiteaufdererfolgreichenKommuni kationunddemkonstruktivenUmgangmitKonflikten,aufderanderenSeiteaufden LernprozesseninnerhalbderGruppe.DasGruppenlernenspieltinUnternehmeneine zentrale Rolle – es ist die Vorstufe des organisatorischen Lernens, die Lernfähigkeit einer Organisation kann nur durch die Erhöhung der Lernfähigkeit von Gruppen gesteigertwerden.241 ZusammenarbeitinGruppenwirdvonständigenLernprozessenbegleitetundunter stützt.ZudempermanentlaufendenindividuellenLernenkommenspezifischeGrup penlernprozessehinzu.BestehtineinerGruppeeineoffenevertraulicheArbeitsatmo sphäre, dann kommt es zu einem Wissensaustausch und die Gruppenmitglieder ler nenvoneinander.IstdiesnichtderFall,lerntjedernurfürsichunddasindividuelle WissenkommtderganzenGruppenichtzugute.Deswegenistesbesonderswichtig, LernprozesseinGruppenzufördern. UmdieLernprozessebeeinflussenzukönnen,istessinnvoll,LerneninGruppenaus verschiedenenPerspektivenzubetrachten:ausderkognitivenundderkonstruktiven. Aus der kognitiven Perspektive bedeutet Gruppenlernen eine geteilte Kognition. Durch Gespräche innerhalb einer Gruppe verbessert sich das Wissen sowohl beim Individuum, das den anderen ein Problem erläutert, als auch bei den Zuhörern. Der Effekt beim Individuum hat mit der Formalisierung des Wissens zu tun, bei der Zu sammenhänge und Definitionen verdeutlicht werden (vgl. Kapitel 5 „Wissensreprä sentation“).WährendwirZusammenhängeerklären,werdensieunsselbstverständli cher.IneinerDiskussionbekommenwirAnstoßezumNachdenken,Anregungenund Korrekturen,fallswirunsirren.FolglichkommteszugegenseitigerBereicherungund erhöhter Leistung. Die gemeinsam entwickelten Konzepte werden als Gruppenpro dukt betrachtet, wodurch die Zusammengehörigkeit und Identifikation mit den Er gebnissengestärktwerden. Aus der konstruktiven Sicht gelangt ein Individuum vor allem durch Interaktionen mit anderen zu neuen Sichtweisen und Erkenntnissen. Eine bestimmte individuelle Entwicklungsstufe mit entsprechender Entfaltung von kognitiven, emotionalen und konativenKompetenzenermöglichteinerPersondieTeilnahmeanbestimmtensozia lenInteraktionen,dieseführenzuneuenindividuellenZuständen(Entwicklungaller dreiKompetenzarten).DurchGruppeninteraktionenwerdensozialeundindividuelle Ebenenverbunden.DieserAustauschprozessführtzurSteigerungderGesamtleistung im Gruppenlernprozess. Parallel wird das soziale Miteinander gelernt und soziale KompetenzenderMitgliedergefördert.
241 NähereszuLernprozesseninOrganisationens.Kapitel15.
195
11.7
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Individuelles und Gruppenlernen befinden sich in einer Wechselwirkungsbeziehung. AufdereinenSeitefindetLernenindividuellstatt,weildasneueWissennurineinim GehirnexistierendesWissenssystemeingebautwerdenkann.Wissenistsomitimmer aneinePersongebunden:Esentsteht,entwickeltsich,wirdgetragenundbenutztvon einem Individuum. Auf der anderen Seite wird das neue Wissen nur durch soziale Interaktionen angeregt und geschaffen. Die Lernprozesse von jedem Einzelnen wer dendurchdieGruppebeeinflusst. Bei Gruppenlernen können unter günstigen Rahmenbedingungen folgende positive Effektevorkommen:
jeder Einzelne bekommt durch die Vorbildfunktion anderer einen zusätzlichen Anspornzulernen,
Wissensaustausch fördert gegenseitige Bereicherung: Sowohl das individuelle Wissen (kognitives, emotionales und konatives) als auch das Gruppenwissen wächst,
durchemotionaleUnterstützungwirddasLernenzusätzlichgefördert, das emotionale Wissen und die sozialen Kompetenzen der Mitglieder werden erweitert. Eine Gruppe kann die Lernmotivation jedes Einzelnen steigern. Die von einer guten Gruppe ausgehende soziale Unterstützung trägt dazu bei, dass man sich anstrengt, auchwennesschwierigwird.BeimLerneninGruppenistnichtnurdiereineAufga benbewältigung wichtig, sondern der Prozess des gemeinsamen Problemlösens an sich.DenndieGruppenarbeitbietetdieMöglichkeit,neueSichtweisenundPerspekti ven kennen zu lernen und vom Wissen anderer zu profitieren. Das Lernen in einer Gruppeistanregender,alsdasLernenalleine.DajedesGruppenmitgliedandereVor kenntnisse, Ideen oder Ansichten hat, wird jeder auf neue Gedanken gebracht. Man lernt,zuargumentieren,zudiskutierenundseinWissenverständlichundstrukturiert vorzutragen. Das eigene Wissen wird überprüft, ergänzt oder verändert und dabei stabilisiert. Gruppen bieten auch die Möglichkeit zumsozialen Lernen. In Gruppendiskussionen lernt man zu erkennen, dass es nicht nur eine richtige, sondern mehrere mögliche Wahrheitengibt.DiesführtzueinertoleranterenHaltunggegenüberdenStandpunk tenandererundzurKlärungvonMissverständnissenundKonflikten. Diese positivenAuswirkungen kommen nur zustande, wenn die Gruppenmitglieder miteinander fair und offen umgehen, einander respektieren und unterstützen sowie dieMeinungsverschiedenheitalsVorteilbetrachten.Kurzgesagt,istdiesozialeKom petenz der Teilnehmer die bedeutendste Voraussetzung für das Gruppenlernen. So wohldieSelbstkompetenz,alsauchderUmgangmitanderen,dieindemBegriff„so zialeKompetenz“erfasstwerden(vgl.Kapitel1.2),spielenfürdasLerneninGruppen einewichtigeRolle. 196
Lernen in Gruppen
Die Charakteristika der Selbstkompetenz wie Selbstkenntnis, persönliche Reife, Selb ständigkeit, Initiative, Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit und Flexibilität schaffen notwendige Voraussetzungen für aktives Lernverhalten, Hilfsbereitschaft und Tole ranz. Weitere Eigenschaften der sozialen Kompetenz, die den Umgang mit anderen beschreiben, wie Offenheit, Aufgeschlossenheit, Kooperationsfähigkeit, Empathie sowie Kommunikationsfähigkeit und bereitschaft, sind die Bedingungen für Mei nungsvielfalt,offenenWissensaustauschundemotionaleUnterstützungderLernpro zesse. OhneOffenheitundAufgeschlossenheitisteinefreieMeinungsäußerunginderGrup penichtdenkbar,VorteilederVielfältigkeitkommennichtzumTragen.Untersolchen BedingungenistdergruppenspezifischeWissenszuwachsausgeschlossen.Dasgleiche gilt für die Kooperationsbereitschaft der Gruppenmitglieder: Sie ist eine Vorausset zungfürdasgemeinsameLernen,dasdurchfreiwilligesGebenundNehmenfunktio niert. Empathie(Einfühlungsvermögen)unterstütztunsereFähigkeitGefühleundSichtwei sen anderer Menschen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Es ist vor allemwichtig,wennineinemMeinungsaustauscheineungewöhnlicheMeinungnicht sofortkritisiertundverpöntwird,sondernaufmerksamaufgenommenundernsthaft diskutiert. Nur dann wird in der Gruppe eine offene Kommunikations und Lernat mosphäreentstehen,wojedersichwohlfühltundkeineAngsthat,seineabweichende Meinungzuäußern.DadurchsteigendieKreativitätundMeinungsvielfaltderGrup pe. Die Kommunikationsfähigkeit und bereitschaft der Gruppenmitglieder begünstigt ebenso Lernprozesse in Gruppen. Nur wenn zwischenmenschliche Beziehungen in nerhalb der Gruppe sich etabliert haben, entsteht eine vertrauensvolle Atmosphäre, die einen Wissensaustausch ermöglicht und die verbreitete Einstellung „Wissen ist Macht“ widerlegt. Folglich entwickelt sich in der Gruppe das Verständnis,dass Wis sensichvermehrt,wennmanesteilt.DieFähigkeitsichklarundverständlichauszu drückenundanderenMenschenaktivundaufmerksamzuzuhörenistfürWissensaus tauschunderweiterungunentbehrlich.KlareundeinfacheFormulierungensindauch bei komplizierten Fragestellungen möglich: Wer klar denkt, kann sich klar ausdrü cken.ZusätzlichistaktivesrespektvollesZuhörenvonBedeutung.JedesGruppenmit gliedsollineinerDiskussiongenügendZeitbekommen,umseineMeinungausführ lich zu erläutern. Keine Meinung darf vernachlässigt und vergessen werden. Häufig dominieren eine Diskussionnicht die intelligentesten,sondern eher besonders aktive undlautePersonen.EsistwichtigauchdenleisenundbescheidenenTeilnehmerndas Wortzugeben. Unter negativen Bedingungen wird das Lernen in Gruppen wesentlich erschwert, es könnensolcheGruppeneffektewiesozialesFaulenzenundDeindividuationvorkom men. Soziales Faulenzen hat bei Lernprozessen die Folge, dass immer die gleichen, besonders fleißigen Gruppenmitglieder die meiste Arbeit übernehmen, während die 197
11.7
11
Gruppen und Gruppenprozesse
anderen abwarten. Deindividuation im Gruppenlernen würde heißen, dass man die dominierende Meinung blind übernimmt, ohne sie zu hinterfragen. Auch eine enge Spezialisierung auf spezifische Aufgabe kann zu der Einengung der Sicht und des WissensvoneinzelnenGruppenmitgliedernführen. FürdasVorbeugennegativerAuswirkungenundUnterstützungvonpositivenEffek tendesLernensinGruppenkönnenspezielleTechnikenzurFörderungderKreativität undReduzierungderGruppenuniformitäteingesetztwerden.Dassinddiebekannten MethodenwieBrainstorming,Moderationstechniken,Meinungskartentechniketc. Eine weit entwickelte Arbeitsgruppe mit ausgeprägter Gruppenkultur und Identität sowiestarkerZusammengehörigkeitundLernfähigkeitkannaußergewöhnlicheLeis tungenerbringen.DiesepositivenAuswirkungenentwickelnsichallerdingsnurunter bestimmtenBedingungen.
11.8
Empfehlungen für einen Gruppenleiter
Der Erfolg der Team und Gruppenarbeit ist von mehreren Faktoren abhängig. Die Perspektive der Wirtschaftlichkeit ist für die Unternehmenspraxis entscheidend, was bedeutet,dassnurwenndieGruppenleistunghöherist,alsdieSummevonEinzelleis tungen, lohnt es sich eine Gruppe (ein Team) zu bilden.DieseLeistung wird sowohl vonderAufgabeansich,alsauchvonderSituation,UmgebungundbeteiligtenPerso nen bestimmt. Die Effizienz der Gruppenarbeit hängt von ihrer praktischen Umset zungab. DieErgebnisseeineraktuellenBefragung242beweisendiepositivenAuswirkungender Gruppenarbeit. Die Europäische Stiftung für Verbesserung der Lebens undArbeits bedingungen in Dublin befragte 5800 Unternehmen in 10 EULändern zum Nutzen derGruppenarbeitundbekamfolgendeResultate:
94% der Manager gaben an, dass die Qualität durch Gruppenarbeit gesteigert wurde;
66%berichtetenvonkürzerenDurchlaufzeiten; 56%vonKostenreduzierung; 37%vonFehlzeitenabbau. Allerdings ist der Erfolg einer Gruppe von mehreren Bedingungen abhängig (s. fol gendeTabelle).
242 ZitiertnachSimon,W.:ModerneManagementkonzeptevonAZ,S.431.
198
Empfehlungen für einen Gruppenleiter
Tabelle34: BedingungenfürdenErfolgderGruppenarbeit Einflussfaktor
Charakteristika
Aufgabe, Ziel
Komplex, was gemeinsame Arbeit erforderlich macht Strukturiert, Teilaufgaben mit verschiedenen Qualifikationen können definiert werden Gemeinsam formuliert, um Zielidentifikation zu gewährleisten
Gruppenprozess
Soziale Kompetenzen der Mitglieder und entwickeltes Zusammengehörigkeitsgefühl ermöglichen offene Kommunikation und Wissensaustausch, fördern Lernprozesse und führen zur Synergie
Ressourcen der Mitglieder
Heterogenität dank verschiedenen fachlichen Qualifikationen Hohe Kompetenz jedes Einzelnen, inklusiv Ausbildung, Weiterbildung und Beratung Arbeitsbedingungen für das Erbringen der Leistung Soziale Kompetenzen der Gruppenmitglieder
Gruppenstruktur
Die individuellen Rollen der Mitglieder und des Leiters werden von allen anerkannt und akzeptiert
Gruppenkultur
Offene und aufrichtige Atmosphäre der Interaktion, gegenseitiges Vertrauen, gemeinsame Entscheidungsfindung und Verantwortung, Respektieren der Individualität, grundsätzlich kooperativer Führungsstil des Leiters, dessen Autorität auf fachlichen und persönlichen Kompetenzen basiert, konstruktiver Umgang mit Konflikten
WieinderDiskussionüberGruppenleistung(s.Kapitel11.4)dargestelltwurde,hängt die Leistung der Gruppenarbeit von der Aufgabenstellung, Gruppenprozessen, Res sourcen der Mitglieder und der Gruppenstruktur, von externen Bedingungen sowie von den kulturellen Rahmenbedingungen (der Interaktion, dem Konfliktlösungspo tenzialsowieLernprozessinGruppen)beeinflusst.MankanndieBedingungenfürdie hohe Gesamtleistung einer Gruppe zusammenfassen, die gleichzeitig die Frage über GruppenversusEinzelarbeitbeantwortenkönnen. Sind diese Bedingungen erfüllt, dann erbringt die Gruppe eine hohe Leistung, die durchSynergieeffektegekennzeichnetist.ZugleichentstehteinepositiveAtmosphäre des motivierenden Miteinanders, freien Wissensaustausches und gemeinsamer Lern prozesse,diezuhoherArbeitszufriedenheitführt.JederEinzelnewirdrespektiertund für die Gruppe als unentbehrlich betrachtet. Folglich findet eine Persönlichkeitsent wicklungstatt,diezudemErfolgderganzenGruppebeiträgt. EinewichtigeRolleindemProzessdesErbringensundderErhöhungvonGruppen leistung gebührt dem Gruppenleiter. Er hat vielseitige Aufgaben zu bewältigen, die vonihmsowohlfachlicheundmethodische,alsauchsozialeKompetenzenerfordern. Von der Kunst des Leiters und seiner Vorbildfunktion sind die Leistung der Gruppe und die Gruppenkultur in hohem Maße abhängig. Gleichzeitig ist allerdings jedes MitgliedfürdiegemeinsameArbeitunddassozialeMiteinanderverantwortlich. 199
11.8
11
Gruppen und Gruppenprozesse
Die Führung einer Gruppe sollte als Gruppenphänomen, soziale Einflussnahme und Kommunikationsprozessbetrachtetwerden.243SieistinersterLinieeinGruppenphä nomen,andemmehrerePersonenaktivbeteiligtsind.DasWichtigste,waseinenLei ter von anderen unterscheidet, ist seine Initiierungs und Koordinationsrolle. Aller dings kann eine Führungsentscheidung nur dann umgesetzt werden, wenn die Ge führten mitspielen,dennFührungbasiertaufderAkzeptanzvon unten.Führungals intentionalesozialeEinflussnahmewirftdieFragenauf,werineinerGruppeaufwen Einflussausübenkannunddarfundwiediespassierenkann.DieAntwortvariiertvon SituationzuSituation:Mankannineinem ExtremvonschnellenalleinigenEntschei dungen des Leiters und in einem anderem über Führung durch die Geführten spre chen.244 Der Einfluss kann grundsätzlich nur gegenseitig sein: Nicht nur der Leiter bestimmt das Verhalten der Mitarbeiter, sondern umgekehrt genauso. Führung als Kommunikationsprozess zur Zielerreichung zeigt den wichtigstenAspekt der Grup penleitung – die Kommunikation. Ohne Kommunikation ist keine Zusammenarbeit möglich.AusdieserBetrachtungresultierendieAufgabendesGruppenleiters:
gemeinsameBesprechungenundEntscheidungenmoderieren, Gruppenmitgliederfördern, initiierenundkoordinieren, Konfliktemanagen, Gruppe(Team)nachaußenvertretensowie weiterhinalsintegriertesMitgliedderGruppearbeiten. DerLeiteristModerator,EntwicklerundFördererseinerGruppe.„Nichtselbsterfolg reich werden,sondernAnderen zum Erfolg verhelfen“ muss dasKredoeines Leiters heißen. Dafür braucht ein Gruppenleiter neben fachlichen Kompetenzen eine hohe Sozialkompetenz. Er sollte die Zusammenarbeit initiieren und koordinieren, ohne allzugroßeDistanzzuseinenMitarbeiternzuschaffen:Nichtkommandieren,sondern moderieren.AuchdieKonfliktschlichtungundMediationgehörenzuseinenKompe tenzen. Außerdem sollte der Leiter seine Gruppe nach außen Vertreten: Verantwor tungfürgemeinsameErgebnisseübernehmen,seineLeuteinSchutznehmen.Gleich zeitigbleibtereinintegriertesMitgliedderGruppe,arbeitetmitanderenzusammen, verliertdieRealitätnichtausdenAugen,hilftundunterstütztimAlltag. Zusammenfassend kann man sagen, dassder Erfolg derGruppenarbeit, die Gesamt leistung und die Zufriedenheit der Teilnehmer nur in einem gemeinsamen Gestal tungsprozessderGruppenarbeitzuerreichensind,andemsichalleGruppemitglieder bereitwilligundaktivbeteiligen.NuraufdieserBasiskommendieVorteilederGrup 243 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.339. 244 MehrdazuimKapitel14„Führungsstileundkonzepte“.
200
Empfehlungen für einen Gruppenleiter
penarbeit wie Zusammengehörigkeitsgefühl, offene Kommunikation, der Austausch vomWissenundSynergieeffektezustande. Kontrollfragen 1. DefinierenSiedenBegriff„Gruppe“. 2. Erläutern Sie die Klassifikationen und Arten von Gruppen nach der Basis ihres Zustandekommens,nachihrenZielenundnachihrerZusammensetzung. 3. Diskutieren Sie dieAuswirkungen einer Gruppe auf das Individuum sowie Vor undNachteilederGruppenarbeit. 4. ErläuternSiedieBegriffeGruppenkohäsionundGruppenkultur. 5. DefinierenSiedenBegriffTeam.VergleichenSieTeamundGruppe. 6. WasverstehenSieunterdemSynegieeffektinderTeamarbeit? 7. DiskutierenSieVorundNachteilederTeamarbeit. 8. BeschreibenSiediePhasenderGruppenentwicklungunddieRolledesGruppen leitersinjederPhase. 9. Welche Faktoren bestimmen die Gruppenleistung? Wie kann der Gruppenleiter denGruppenerfolgbeeinflussen? 10. ErläuternSiedasModellderThemenzentriertenInteraktionnachR.Cohn. 11. WieundwarumentstehenKonflikteinGruppen? 12. Erläutern Sie Vor und Nachteile verschiedener Konfliktlösungsstrategien (Verlie rerVerlierer, GewinnerVerlierer, GewinnerGewinnerStrategie sowie Kompro miss). 13. BeschreibenSiedasGruppenlernenauskognitiverundkonstruktiverPerspektive. 14. WelcheAuswirkungenhatdieGruppeaufindividuellesLernen? 15. ErläuternSiedieBedingungenfüreinehoheGruppenleistung. 16. BeschreibenSiedieAufgabeneinesGruppenleiters.
201
11.8
0
Teil C:
Organisationsverhalten
Teil C: Organisationsverhalten
WieverhaltensichgroßeEinheitenwieUnternehmenalsGanzesoderihreTeile?Diese sozialen Handlungseinheiten sind durch einen komplexen Aufbau und vielseitige Interdependenzen (Abhängigkeiten) gekennzeichnet, die zwischen einzelnen Mitar beitern und Gruppen bestehen. Das individuelle und das Gruppenverhalten, die in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt wurden, werden in einem Unterneh men durch spezifische organisatorische Faktoren beeinflusst, vor allem durch die Unternehmensvision,ethikundkultursowieformaleStrukturen(Aufbauorganisati on)undProzesse(Prozessorganisation). Betrachtet man ein Unternehmen als eine sich selbst gestaltende und organisierende Handlungseinheit, die auf die Erreichung gemeinsamer Ziele hin ausgerichtet ist, dann kann man für die Analyse des unternehmerischen Handelns – analog zu dem individuellenHandeln–dasbereitsbekannteganzheitlicheModelldesHandelns(vgl. Kapitel7)verwenden.EinUnternehmenhandeltaufgrundseinesWissensundbraucht kontinuierliche Lernprozesse, um innovationsfähig zu bleiben und im Konkurrenz kampf zu bestehen. Ein Unternehmen spielt in seinem Umfeld eine aktive Rolle und ist für sein Handeln und dessen Folgen verantwortlich, deswegen hat sein Handeln eine ethische Perspektive. Jedes Unternehmen entwickelt im Laufe seiner Geschichte eineunverwechselbareUnternehmenskultur,dieseinVerhalten,dievorherrschenden Führungsstile,methodenundinstrumentesowieLernprozessebeeinflusst. Die einzelnen relevanten Aspekte des Handelns von Unternehmen werden in den weiter folgenden Kapiteln erläutert. Zunächst wird ein Unternehmen als eine Hand lungseinheitbetrachtet,wobeiaufdasPhänomenderUnternehmenskulturalsWider spiegelungderEinmaligkeiteinesUnternehmenseingegangenwird.Weiterfolgteine Analyse von Unternehmensethik mit ihrer Außen und Innenperspektive: Ethik von Unternehmen als die Verantwortung gegenüber relevanten Stakeholdern im Umfeld des Unternehmens und die interne Unternehmensethik mit der Führungsethik im Mittelpunkt. Danach werden die Führungskonzepte sowie Führungsstile und instrumente auf der Ebene des Gesamtunternehmens diskutiert. Ein Exkurs in das Thema Diversity Management wird den Umgang mit der Vielfalt in Unternehmen thematisieren.ZumSchlusswirddieProblematikdesLernensundWissensinUnter nehmen,dieinmodernenWissensgesellschafteneinebesondereAktualitätbesitztund füreinenlangfristigenUnternehmenserfolgunabdingbarist,betrachtet.
202
Empfehlungen für einen Gruppenleiter
12 Unternehmenskultur BereitsseitmehrerenJahrzehntengehörtdasWort„Unternehmenskultur“zumVoka bularvonWissenschaftlern,BeraternundPraktikern.DieZeitenderVerspottungund Ablehnung,aberauchdiePeriodederübertriebenenModeunddesBeschwörensder UnternehmenskulturalsAllheilmittelsindvorbei.EinegezielteUnternehmenskultur gestaltungzähltzudenwichtigenInstrumentendesManagementsundistausTheorie undPraxisderUnternehmensführungnichtmehrwegzudenken. DieKultureinesUnternehmensbildetdieGrundlagefürdasVerhaltenseinerMitar beiter untereinander sowie im Außenverhältnis: Sie schafft interne Identifikation, koordiniert das Handeln einzelner Unternehmensakteure und prägt das Erschei nungsbild des Unternehmens gegenüber Stakeholdern – Kunden, Lieferanten und anderengesellschaftlichenGruppen.DamitträgtdieUnternehmenskulturzumErfolg desUnternehmensbeiundwirktalseingewinnbeeinflussenderFaktor. ZugleichistdieUnternehmenskulturschwergreifbarundkaummessbar–mankann siemitharten Fakten undZahlennichtbeschreiben.DieUnternehmenskulturbedarf einerdynamischenundsystematischenBetrachtung:alsdynamischesPhänomenzwi schenUnternehmensgeschichteundZukunftsvisionen,offenfürpolitische,wirtschaft licheundsozialeEinflusseinternerundexternerNatur,sowiealsunfassbares,imagi näres Konstrukt, das in Form von Interaktionen und Kommunikationen der Unter nehmensmitgliederexistiertundvonihnenimmerwiederneugeschaffenwird. Trotz dieser Komplexität gibt es verschiedene Methoden der Kulturerfassung, deren AnwendungspezielleKenntnisseundFingerspitzengefühlbenötigt.Aucheinegeziel te Unternehmenskulturgestaltung ist möglich, erfordert allerdings eine breite Unter stützungvonderSeitederBelegschaft,denndieKulturkannnichtverordnet,sondern nurgelebtwerden.BeiderGestaltungderUnternehmenskulturspielenethischeKrite rieneineentscheidendeRolle,diedieFragenachgeeignetenWertenundNormendes Miteinanders beantworten. Unternehmenskultur und Unternehmensethik beeinflus sen sich gegenseitig, wobei die Ethik eine normative Basis für die in Unternehmen gelebten Werte und Normen darstellt und deren Gültigkeit und Güte permanent ü berprüft. Dieses Kapitel beginnt mit einer Analyse des Unternehmens als Handlungseinheit. Danach werden die Bedeutung, Definitionen und Modelle der Unternehmenskultur dargestellt.DerSchwerpunktistbewusstaufdieMethodenderKulturerfassungund gestaltung gelegt, mit deren Hilfe positive Wirkungen der Kultur im Interesse des Unternehmenserzieltwerdenkönnen.
203 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
11.8
12
Unternehmenskultur
12.1
Unternehmen als Handlungseinheit
Das Unternehmen als Handlungseinheit wird in der Literatur nicht einheitlich defi niert.DieklassischeBetriebswirtschaftslehre(z.B.G.Wöhe,H.J.Rahn)betrachtetein Unternehmen als eine planmäßig organisierte Betriebswirtschaft, in der Güter bzw. Dienstleistungen beschafft, verwertet, verwaltet und abgesetzt werden. Im Rahmen dessystemtheoretischenAnsatzes(z.B.nachH.Ulrich)isteinUnternehmeneineziel gerichtete gesellschaftliche Institution, die die Eigenschaften dynamischer und kom plexerSystemeaufweistundselbstineineentsprechendvielschichtigeUmwelteinge gliedertist.245 Aus konstruktivistischer Perspektive ist ein Unternehmen eine von den Gründern, Geldgebern, Führungskräften und Mitarbeitern geschaffene Realität, für die jeder seinen Teil der Verantwortung trägt. Dabei können einem Unternehmen spezifische Eigenschaften, wie subjektive Wahrnehmung der Umwelt, kollektives Wissen und Intelligenzzugeschriebenwerden. Folgende Definition des Unternehmens als Handlungseinheit fasst diese Betrach tungsweisen zusammen: Ein Unternehmen ist eine sich selbst organisierende und gestaltende soziale Handlungseinheit, die auf die langfristige Erreichung gemein samerZieleausgerichtetist. DaszielgerichteteundeigenständigeHandelneinesUnternehmenskannaufgrunddes ModellsdesganzheitlichenHandelns(vgl.Kapitel7)erläutertwerden: Abb.47:ModelldesHandelnseinesUnternehmens Organisationales Lernen
Wahrnehmung aufgrund vorhandenen Wissens
Unternehmen KollektivesWissen: beschreibendes, prozessuales und emotionales
Entscheiden
Umwelt
Aktives Handeln
EinUnternehmenverfolgtgemeinsameZiele,dieaufderBasisvonVisionenundStra tegienfestgelegtwerden.SeinHandelnbasiertaufdemkollektivenWissenundsetzt organisationales Lernen voraus. Nur unter der Bedingung des kontinuierlichen Ler nenskanneinUnternehmeninnovationsundwettbewerbsfähigbleiben. Das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt wird durch die Pro zesse der Wahrnehmung und des aktiven Handelns bestimmt: Das Unternehmen 245 Ulrich,H.:VonderBetriebswirtschaftslehrezursystemorientiertenFührungslehre,S.161.
204
Unternehmen als Handlungseinheit
nimmtseinerelevanteUmgebungwahr,wobeivorallemKundenundihreBedürfnis se, Konkurrenten und allgemeine Rahmenbedingungen im Vordergrund stehen. Zu gleich hat das Handeln eines Unternehmens einen aktiven Charakter und führt zur Veränderung seiner Umwelt. Dabei ist das Unternehmen zurechnungsfähig und für seine Entscheidungen und Handlungen verantwortlich, deswegen hat sein Handeln einenethischenAspekt.MankanndabeizwischenderEthikvonundinUnternehmen unterscheiden.Auf der einen Seite ist ein Unternehmen gegenüber relevanten Stake holderninseinemUmfeldverantwortlich.AufderanderenSeitehatdasinterneVer halten im Unternehmen, vor allem das Führungsverhalten, einen ethischen Aspekt. DieBeziehungenzwischendenFührungskräftenundMitarbeiternsowiedieinUnter nehmen dominierenden Führungsstile und konzepte sind im Zusammenspiel mit jeweils einmaliger, historisch gewachsener Kultur und Ethik des Unternehmens zu betrachten. EinUnternehmenorganisiertundgestaltetsichselbstundhandeltzielgerichtet.Des wegeneignetsichfürdieAnalyseseinesHandelnsdieMetaphereinesIndividuums, diefolgendewichtigeMerkmalehat:
Jedes Unternehmen ist einmalig, hat seine eigene Geschichte, Traditionen und Besonderheiten.DeswegengibteskeineallgemeingültigenTheorien,wiemanein Unternehmen erfolgreich führen soll. Theoretische Grundlagen und Prinzipien solltenanjedeskonkreteUnternehmenangepasstwerden.
EinUnternehmenisteinErgebnismenschlicherTätigkeit,einKonstruktoderArte fakt,dasvonMenschenimmerwiederneugeschaffenwird.EinUnternehmenlebt nurdurchunddankderMenschen,dieinundanihmarbeiten.
EinUnternehmenisteinoffenesSystem,esunterliegtständigenVeränderungenim Prozess der Anpassung an die Anforderungen von außen (Gesellschaft, Markt, Konkurrenz,Kundenetc.)undvoninnen(eigeneMitarbeiter).ObdieseVerände rungen erwünscht und gesteuert werden, oder auch nicht – sie finden trotzdem statt.
Die Komplexität des Aufbaus und der Funktionen eines Unternehmens basiert sowohlaufseinerAufbauundProzessorganisation,alsauchaufderKomplexität derzwischenmenschlichenBeziehungen,dieimSpielsind.FolglichkanneinUn ternehmen mit ausschließlich formellen Mitteln und Methoden nicht erfolgreich geführt werden, es braucht auch „weiche“ Faktoren wie Unternehmensklima, leitbilderundkultur.
DieFähigkeiteinesUnternehmens,optimaleEntscheidungenzutreffen,sichandie Außenwelt anzupassen, Chancen zu erkennen und kontinuierlich dazuzulernen,
205
12.1
12
Unternehmenskultur
kannalsUnternehmensintelligenzbezeichnetwerden.DieseUnternehmensintelli genzkanngemessenundgezieltgefördertwerden.246 WelcheMerkmalekönnenfürdieBeschreibungunddenVergleichvonverschiedenen Unternehmen benutzt werden? Mit dieserFrage haben sich in den 1970er Jahren Pe tersundWatermanbeschäftigt,dieseitdemalsPionierederUnternehmenskulturtheo rie gelten. Sie haben sieben Organisationsmerkmale (7STheorie) definiert und in „harte“und„weiche“Faktorengegliedert.247AlsharteFaktorenwurdengenannt:
Strategy(Strategie), Structur(Organisationsstruktur), Systems(SystemederPlanungundKontrolle)und superordinateGoals(übergeordneteUnternehmensziele). AlsweicheFaktoren(SoftFacts)definierenPetersundWaterman:
Skills(fachlicheundsozialeQualifikationen), Style(FührungsstilundBetriebsklima)und Staffing(StellenbesetzungundBeförderung). DieDefinitionderweichenFaktoren,diedenUnternehmenserfolgbeeinflussen,mün det in den Theorien der Unternehmenskultur, die seit den 1980er Jahren eine breite Anerkennung gefunden haben. Unternehmenskultur ist ein Ausdruck der Einmalig keiteinesUnternehmens,seiner„Persönlichkeit“.JedesUnternehmenhateineUnter nehmenskultur,dieimLaufederZeit–auchunabhängigvommenschlichenWillen– entsteht.Siekannnichtverordnet,sondernnurlangsamgestaltetwerden.DieUnter nehmenskultur spiegelt alle geteilten Werte, Normen und Verhaltensweisen der Mit arbeiterwiderundbeeinflusstdasVerhaltenderMenscheninUnternehmen.
12.2
Bedeutung der Unternehmenskultur
Die Geburt des Begriffs „Unternehmenskultur“ in den USA und der BRD in den 1970er Jahren wird häufig als eineAntwort auf das „Japanische Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Eine Analyse des Erfolgs japanischer Unternehmen hat damals zu der Erkenntnis geführt, dass nicht nur rein technische und betriebswirtschaftliche (soge nannte„harte“)Faktoren,sondernauchLoyalität,Kooperationsfähigkeit,Identifikati on, Fleiß und andere „weiche“ Faktoren gewinnbringend sein können.248Allerdings 246 Vgl.Franken,S;Brand,D.:IdeenmanagementfürintelligenteUnternehmen,2008. 247 Vgl.Peters,T.J.,Waterman,R.H.:AufderSuchenachSpitzenleistungen. 248 Vgl.AnsätzevonW.G.Ouchi,T.Deal/A.KennedysowievonT.JPeters/R.H.Waterman.
206
Bedeutung der Unternehmenskultur
wäre diese Erkenntnis ohne die allgemeine ideologische Wende in der Betriebswirt schaftslehre nicht möglich gewesen, dieden Menschen, die Persönlichkeit des Mitar beitersindenMittelpunktgestellthatte.DieseWendewurdedurchdieVeränderung der Mitarbeiterfunktion in Unternehmen hervorgerufen: Für eine hochentwickelte Industrie und Informationsgesellschaft reicht die Rolle eines Rädchens im mechani schenGetriebenichtmehraus.VondemmodernenMitarbeiterwirderwartet,dasser nichtnurseinekörperlicheKraft,sondernauchseineKreativitätunddenIdeenreich tum einsetzt. Die Letzteren können nicht erzwungen werden, wohl aber freiwillig eingebracht, falls Identifikation, Zusammengehörigkeitsgefühl und intrinsische Moti vationvorhandensind.ImRahmendiesesneuenFührungsverständnissesgebührtder UnternehmenskultureinebedeutendeRolle. PraktischeBedeutungsowiewachsendesInteresseandemThemaUnternehmenskul turkönnenaufdreiaktuelleEntwicklungstendenzenzurückgeführtwerden:
die Anerkennung der Rolle kultureller Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg einesUnternehmens,
diesteigendeAnzahlvonFusionenundFirmenübernahmenunddasVerständnis derNotwendigkeitvonkulturellerKompatibilitätindiesemProzesssowie
zunehmende internationale Aktivitäten von Unternehmen, die interkulturelle Kommunikation und Bewältigung interkultureller Probleme zu einer zentralen Unternehmensaufgabemachen. WissenschaftlicheUntersuchungenzeigen,dassdieRollederKulturvonvielendeut schenUnternehmenerkanntundanerkanntwird.EineimJahre2004vonderBertels mann Stiftung durchgeführte internationale Untersuchung zum Thema „Unterneh menskulturen in globaler Interaktion“249 hat die außerordentliche Bedeutung der UnternehmenskulturundihrerDimensionenaufdenErfolgvonUnternehmenbelegt. Für das erfolgreiche Handeln eines Unternehmens sind laut Studie insbesondere fol gende Kulturdimensionen wichtig: geteilte Werte, Ziele und Identifikation; Kommu nikation; Handlungsspielraum und Delegation; partizipatives Führungsverhalten; konsensorientiertes Konfliktverhalten; Wissenstransfer und Innovationsbereitschaft; Vertrauen. Der Zusammenhang zwischen der Unternehmenskultur und der Wettbewerbsfähig keit eines Unternehmens wird in zahlreichen Untersuchungen belegt. Eine aktuelle Studie der Beratungsfirma Deep White in Kooperation mit dem Institute for media and communications management der Universität St. Gallen bestätigt den Zusam menhang zwischen bestimmten Werten und dem Erfolg eines Unternehmens und
249 BertelsmannStiftung(Hrsg.):UnternehmenskultureninglobalerInteraktion,2007.
207
12.2
12
Unternehmenskultur
führtdenbetriebswirtschaftlichenErfolgzueinemViertelaufdiegelebteWertekultur zurück.250 IneinerZeitderGlobalisierung,derFusionensowiederUnternehmenskooperationen gewinnt die Unternehmenskultur zunehmend an Bedeutung, denn häufig wird das ScheiternvonBündnisversuchenaufdieInkompatibilitätvonUnternehmenskulturen zurückgeführt. Die Bertelsmann Stiftung hat festgestellt, dass für das Scheitern von etwa der Hälfte aller Fusionen in 70 Prozent der Fälle das Aufeinandertreffen ver schiedenerKulturenverantwortlichsei.Die„postmergerintegration“wirddurchdie weichen Faktoren wie Unternehmenskultur, Leitbild, persönliche Einstellungen und Motivationenbestimmt.251 Die hohe Relevanz des Themas Unternehmenskultur in der Praxis – als erfolgs steigernder Faktor jedes einzelnen Unternehmens und als wichtige Einflussgröße bei Unternehmensfusionen und internationalen Kooperationen – hat zahlreiche wissen schaftlicheUntersuchungenundTheorienderUnternehmenskulturinsLebengerufen, dieimWeiterenausführlicherläutertwerden.
12.3
Definitionen der Unternehmenskultur
DieUnternehmenskulturdefinitionengehenaufdenallgemeinenKulturbegriffzurück und können ohne ihn nicht verstanden werden. Eine der bekanntesten Definitionen derKulturstammtvondemSoziologenundKulturforscherGeertHofstede:Kulturist eine „kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet.“252 In dieser „mentalen Programmierung“erlernenMenschenbestimmteDenk,FühlundHandlungsmuster, die ihr Verhalten, ihre Wahrnehmung, Gefühle und Einstellungen prägen. Daraus ergibtsicheineerlernteundnichteineererbteKultur. Der Begriff „Kultur“ kann auf jede Gruppe angewendet werden: Familie, Arbeits gruppe, Unternehmen, Gesellschaft usw. Dort, wo Menschen zusammenleben und arbeiten, entstehen allgemeine Normen des Verhaltens, die sich verfestigen und das menschlicheMiteinanderregeln.JedesneueMitgliedderGruppewirdindieseRegeln eingeweihtunddasNichteinhaltendergültigenNormenwirdbestraft.Soerklärtdas Entstehen und Weitertragen einer Unternehmenskultur der Kulturtheoretiker Edgar Schein. Seine Definition der Unternehmenskultur lautet: Die Kultur einer Gruppe ist „einMustergemeinsamerGrundprämissen,dasdieGruppebeiderBewältigungihrer Probleme externerAnpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und 250 Vgl.http://www.managermagazin.de/koepfe/karriere/0,2828,324209,00.html. 251 BertelsmannundHansBöcklerStiftung(Hrsg.):PraxisUnternehmenskultur,Band5,S.11. 252 Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.4.
208
Definitionen der Unternehmenskultur
emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird.“253 Neuberger/KompadefinierenUnternehmenskulturals„dieSummederÜberzeugun gen,RegelnundWerte,diedasTypischeundEinmaligeeinesUnternehmensausma chen“254 und legen damit besonderen Wert auf die Einzigartigkeit eines Unterneh mens,diesichinderUnternehmenskulturwiderspiegelt. DieKulturisteinkollektivesPhänomen–siekannnurineinerGemeinschafterzeugt, gelebt und weitergetragen werden. Folglich kann sie nicht von der Führung eines Unternehmens „beschlossen“ und „eingeführt“ werden, sondern bedarf einer enga giertenTeilnahmeallerMitarbeiter.DieUnternehmenskulturistüberalldortpräsent, wo Menschen in Interaktion treten. Sie existiert nicht auf Papier, nicht in Form von Unternehmensphilosophie oder mission, sondern in den Köpfen und im Verhalten vonMitarbeitern.UnternehmenskulturistzumgroßenTeilimplizit(unbewusst),nir gends festgehalten, historisch gewachsen, den Menschen gar nicht oder kaum be wusst, hat allerdings eine selbstverständliche Gültigkeit und dementsprechend eine zentraleWirkungaufdasVerhalten.ÜblicherweisewirdKulturals„ebenunsereArt zuarbeiten“,„dieRitenundRitualeinunseremUnternehmen“,oderals„Grundwer te“ bezeichnet, wenn die Kultur an neue Mitarbeiter weitergegeben wird.255 Die ge meinsamenWerte,NormenundRegelnhabeneineinterneundeineexterneFunktion: Sie regeln dasVerhalten der Menschen untereinander und grenzen zugleich das Un ternehmenvondenanderenGruppen/Einheitenab,schaffendadurcheineIdentität. Zusammenfassend kann die Unternehmenskultur wie folgt definiert werden: Unter nehmenskultur ist die Gesamtheit der verhaltensbeeinflussenden Werte, Normen undSymboleineinemUnternehmen,dieinderInteraktiongemeinsamgeschaffen, geteiltundweiterentwickeltwerdenunddieBasisfürdieUnternehmensidentität bilden. Unternehmenskultur ist ein kollektives Phänomen und kann nur in einer Gemein schaft geschaffen und gelebt werden. Sie wird in der menschlichen Interaktion ge schaffenundhatdadurcheinenausgeprägtenemotionalenCharakter.Unternehmens kulturistdynamisch–sieverändertsichmitdenVeränderungenderAußenwelt,der Gruppennormen, den einzelnen Individuen, und wandlungsfähig – man kann sie gezielt gestalten. Unternehmenskultur macht organisatorisches Handeln tendenziell einheitlich,schafftOrientierung,trägtzurKoordinationbei,erleichtertKommunikati on. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Identifikation, schafft ein ZusammengehörigkeitsgefühlundbildetdieBasisfüreingemeinsamesAuftretendes Unternehmensnachaußen.
253 Schein,E.:Unternehmenskultur,S.25. 254 Neuberger,O.;Kompa,A.:Wir,dieFirma,S.17. 255 Vgl.Schein,E.:Unternehmenskultur,S.31.
209
12.3
12
Unternehmenskultur
Um das Phänomen Unternehmenskultur in seinen Einzelheiten besser zu verstehen sowie die Zusammenhänge zwischen seinen Bestandteilen darzustellen, werden im WeitereneinigeUnternehmenskulturmodelleerläutert.
12.4
Modelle der Unternehmenskultur
Zu den traditionellen Modellen der Unternehmenskultur gehören das DreiEbenen ModellvonE.Schein,dasweitverbreiteteDreiSchichtenModellausUnternehmens philosophie, ethik und identität sowie das Eisbergmodell. Diese Modelle werden durchdasdynamischeModellvonM.Hatchergänzt,dasdieUnternehmenskulturals dynamischenProzessdarstellt. DasbekanntesteUnternehmenskulturmodellstammtvonEdgarSchein.SeineTheo rie und seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Erfassung und Gestaltung von KulturdienenseitJahrzehntenalsBasisundInspirationfürvieleWissenschaftlerund Praktiker. Alle weiteren Modelle dieses Kapitels können als kreative Ergänzung des DreiEbenenModellsvonE.Scheinbetrachtetwerden.DasModellvonE.Scheinum fasstdreiEbenen:Artefakte,bekundeteWerteundGrundprämissen(s.Abbildung). Abb.48:
EbenenderKulturnachE.Schein256 Artefakte
Sichtbare Strukturen und Prozesse im Unternehmen (leicht zu beobachten, aber schwer zu entschlüsseln)
Bekundete Werte
Strategien, Ziele, Philosophie (bekundete Rechtfertigungen)
Unbewusste, selbstverständliche Anschauungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle (Aus-
Grundprämissen
gangspunkt für Werte und Handlungen)
DieobersteEbeneumfasstdieArtefakte.SiesinddiesichtundspürbarenZeugnisse einer Gemeinschaft und beschreiben „die Architektur ihrer räumlichen Umgebung, ihre Sprache, ihre Technologie und Produkte, ihre künstlerischen Werke und ihr Stil, 256 Schein,E.:Unternehmenskultur,S.30.
210
Modelle der Unternehmenskultur
wieerinderKleidung,derSprechweise,denGefühlsäußerungen,denLegendenund Geschichten über das Unternehmen, den Verlautbarungen über Unternehmenswerte und den beobachtbaren Ritualen und Zeremonien zum Ausdruck kommt.“257 Auf grundderOffensichtlichkeitsindArtefakteleichtzubeobachten.AufdieserEbene„ist die Kultur sehr klar und hat unmittelbare emotionaleAuswirkungen.“258Allerdings gelingt dem Beobachter die Entschlüsselung der dahinterliegenden Bedeutung nur, wennerinKenntnisdertiefliegendenEbenen(WerteundGrundannahmen)ist. Die zweite Ebene der Kultur beinhaltet die bekundeten Werte und Normen eines Unternehmens. Dies sind die von allen Beteiligten anerkannten und gelebten Prinzi pienundLeitlinienimUmgangmitMitarbeitern,KundenoderPartnern.Siewerden häufig in Form von Unternehmensstrategie, Unternehmenszielen und philosophie, Kundenstrategie, Prinzipien des Qualitätsmanagement usw. schriftlich dokumentiert. TypischeAussagensind:„UnsereMitarbeitersindunserewichtigsteRessource“oder „Wir leben und fördern offene Kommunikation“. Damit wird dem sichtbaren Aus druckderUnternehmenskultur,alsodererstenEbene,einenSinngegeben.EineAus kunft über die Werte und Normen können die Mitarbeiter geben, dielangjährige Er fahrungimUnternehmenhaben,obwohlauchihnendieWerteoftnichtbewusstsind. DietiefsteEbenederUnternehmenskulturbildetihreBasisunderklärtdiesichtbaren Artefakte und bekundeten Normen und Werte – das sind die grundlegenden und unausgesprochenen Annahmen, nach E. Schein Grundprämissen. Dies sind die ge meinsamgeteiltenunbewusstenGrundannahmen,wiemanineinemUnternehmenzu handelnhat.SiesindSelbstverständlichkeiten,ungeschriebeneGesetzeeinerGruppe, einerAbteilung, einer Firma.259 Die unausgesprochenenAnnahmen üben durch ihre Selbstverständlichkeit einen starken Einfluss auf die Unternehmenskultur. Die Wur zeln der Grundprämissen werden häufig auf die Unternehmensgründer und ihre Ideenzurückgeführt.E.ScheinbezeichnetdietiefliegendenGrundannahmenalsKern derKulturundunterscheidetfolgendeDimensionenderGrundprämissen:260 1. Prämissen über Wirklichkeit und Wahrheit: Die Gruppe definiert, wasreal ist und was nicht. Darüber hinaus wird hier festgehalten, was materielle Fakten sind bezie hungsweiseobundwiedieWahrheitbestimmbarist. 2.PrämissenüberZeit:Hieristverankert,wiedieGruppeZeitbetrachtet,wiesiediese bemisstundwelcheBedeutungsieihrzukommenlässt(Wasbedeutet„zuspät“oder „zufrüh“?) 3.PrämissenüberdenRaum:EsgehtumdasgemeinschaftlicheVerständnisüberden Raum und dessen Verteilung. Es wird die ihm zugeteilte Bedeutung betrachtet, z.B. 257 Schein,E.:Unternehmenskultur,S.30. 258 Ebd.,S.32. 259 Ebd.,S.33. 260 Ebd.,S.9293.
211
12.4
12
Unternehmenskultur
Stellung des Raumes als Privatbereich oder das Verständnis über die Zuteilung von Raum. 4. Prämisse über die Natur des Menschen: DieAuffassungen der Charakterzüge des Menschen werden hier niedergelegt. Beispielsweise ob ein Mensch generell gut oder schlechtist,arbeitsscheuoderverantwortungsvollusw. 5. Prämisse über das menschliche Handeln: Hierzu gehört der Standpunkt, ob ein MenschaktivoderpassivinBezugaufdieUmwelthandelnsollte. 6. Prämisse über die menschlichen Beziehungen: Es geht hier um dieAuffassung im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen und Emotionen. Es wird beispiels weise verankert, ob Teamwork oder Einzelleistung zählt, in welchem Verhältnis Ar beitgeberundArbeitnehmerstehenoderworaussichAutoritätaufbaut. Eine wichtige Besonderheit des Modells von E. Schein besteht darin, dass zwischen dendreiEbeneneinedynamischeWechselwirkungbesteht.AufdereinenSeite,sind dieEbenenansichnichtstarr,sondernbeweglich:EntsprechendeinemWertewandel in der Gesellschaft ändern sich die Grundprämissen und Werte; neue Topmanager könnenneueLeitlinieneinführenunddieUnternehmenskulturbeeinflussenusw.Auf deranderenSeiteverlaufendieBeeinflussungsprozessenichtnurvonuntennachoben (vondenGrundannahmeninRichtungWerteundNormenunddanachihrerVerkör perunginArtefakten),sondernauchumgekehrt.NeuePraktiken,RitualeundSymbo lekönnendiezweiteEbene(WerteundNormen)bewirken,waszurÜberprüfungund VeränderungvonGrundannahmenführenkann. BekanntisteineDarstellungdesEbenenmodellsvonScheininFormeinesEisbergs261 (s.Abbildung). Abb.49:
UnternehmenskulturalsEisberg
Sichtbare Elemente: Symbole, Artefakte, Umgangsformen, Rituale etc
Werte und Normen: Gebote, Verbote, Denkmuster etc.
Grundannahmen: Menschenbild, Lebenssinn, Überzeugungen
261 Vgl.Sackmann,S.:Unternehmenskultur–Analysieren–Entwickeln–Verändern.
212
Modelle der Unternehmenskultur
Das Eisbergmodell der Unternehmenskultur soll veranschaulichen, dass eine Unter nehmenskultur nur begrenzt sichtbar und bewusst ist und im wesentlichen Teil un sichtbar bleibt. Symbole und Artefakte, die sich auf der Oberfläche befinden, bilden nurdieSpitzedesEisbergsderUnternehmenskultur.WerteundNormenkommennur abundzuzurSchau,wenn siedefiniert,überprüftoder bezweifeltwerden.Dieprä genden Grundannahmen bleiben immer unter der Wasseroberfläche, sind für eine bewusste Überprüfung praktisch unzugänglich. Gleichzeitig bilden Werte, Normen undGrundannahmendieBasiseinerUnternehmenskultur,beeinflussendasVerhalten vonMitarbeiternineinemUnternehmenamstärksten. GanzimEinklangmitdemModellvonE.ScheinstehtdasinderPraxisweitverbreite teDreiSchichtenModell,indemdieUnternehmenskulturinUnternehmensphiloso phie,ethikundidentitätunterteiltwird. Ein Vergleich der Tabelle mit dem Modell von E. Schein macht deutlich, dass diese dreiSchichtendendreiEbenenderUnternehmenskulturnachE.Scheinentsprechen: Die Unternehmensphilosophie steht für die Grundprämissen, Unternehmensethik – fürbekundeteWerteundUnternehmensidentität–fürdieArtefakte. Tabelle35: DreiEbenenderUnternehmenskultur Unternehmensidentität (Erscheinungsbild)
Alle sichtbaren, aktiven und passiven Ausdrucksformen des Unternehmens (Corporate Identity), z.B. Symbole, Logos, Namen, Briefkopf, Kleidung etc.
Unternehmensethik
Rangfolge der Werte, denen sich ein Unternehmen in seinem Handeln verpflichtet weiß, wie Gerechtigkeit, Vertrauen, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortung
Unternehmensphilosophie (Basis)
Grundlegende Sinnorientierungen, weltanschauliche Ausrichtung eines Unternehmens: das Menschenbild, die Auffassung über die Art der zwischenmenschlichen Beziehung, die Einstellung zur Umwelt
DiesesModellhatallerdings–imGegensatzzudemScheinModell–keineDynamik, einzelne Schichten werden nur statisch betrachtet. Man kann das DreiSchichten ModellinvielenUnternehmenwiederfinden,diediegenanntendreiSchichtenexplizit beschreibenundgezieltgestalten. Der dynamische Charakter des Modells von E. Schein wurde kaum wahrgenommen und gewürdigt, bevor Mary Hatch262, ihr dynamisches Modell (Cultural Dynamics Model) entwickelt und die Dynamik der Unternehmenskultur in den Vordergrund gestellthatte.DasModellvonE.ScheinwurdevonHatchjedochumzweifundamen taleÄnderungenerweitert:DurchdieEinführungeinesweiterenElements(Symbole) 262 Hatch,M.J.:Thedynamicsoforganizationalculture.
213
12.4
12
Unternehmenskultur
und durch eine neue Gewichtung von verbindenden Beziehungen, die gegenüber Elementehervorgehobenwerden. In der dynamischen Perspektive wird der Frage nachgegangen, wie Kultur durch Manifestations, Realisations, Symbolisations und Interpretationsprozesse gebildet wirdundwasinnerhalbdieserProzessegeschieht. Die aufgeführten Elemente werden als Kreis dargestellt und durch die Prozesse mit einanderverbunden.EskannanjederbeliebigenStellemitderBetrachtungbegonnen werdenundzwarsowohlvorwärts(proaktiv)alsauchrückwärts(retroaktiv)–s.Ab bildung. Abb.50:
ProzessmodellderKulturnachM.J.Hatch263 Werte
Realisation
Manifestation
Annahmen
Artefakte
Symbolisierung
Interpretation proaktiv
Symbole
retroaktiv
Beginnend bei dem Manifestationsprozess kann dieser in zwei Richtungen ablau fen:264
Der Prozess, welcher aus den Grundannahmen Werte formt, wird als proaktiver Manifestationsprozess bezeichnet. Das, was Organisationsmitglieder für „wahr“ annehmen, formt ihre Werte. Die Grundannahmen aktivieren gewisse Erwartun gen,diesewiederumbeeinflussendieWahrnehmung,GedankenundGefühleüber die Umwelt und das Unternehmen. Diese „eingegrenzte Sichtweise“ kann bei spielsweisebeiderVerarbeitungdersowahrgenommenenWeltoderdessowahr genommenenUnternehmenszuWertenführen.
Betrachten wir nun den Prozess, welcher die Grundannahmen retroaktiv betrifft. EntsprechendieWertedenGrundannahmen,istkeinweitererProzesserforderlich. 263 Hatch,M.J.:Thedynamicsoforganizationalculture,S.660. 264 Ebd.,S.662664.
214
Wirkungen der Unternehmenskultur
Sinddiesejedochnichtübereinstimmend,werdendieGrundannahmendurchEin führungneuerWerteverändert. DerproaktiveRealisationsprozessistfürdieTransformationvonWertenzuArtefakten verantwortlich,wenndieWerteundErwartungeninHandlungenumgesetztwerden. Durch die Handlungen entstehen dann greifbare Ausformulierungen wie Rituale, GeschichtenoderArtefakte.DemretroaktivenRealisationsprozesswirddasPotenzial zugeschrieben,Artefakte in Werte formen zu können. Handelt es sich umArtefakte, diedieWerteanzweifeln,sokönnendieArtefakteentwederignoriertoderverstoßen oderaberakzeptiertwerden. DieErgänzungdesModellsumdieSymbolehatmitderVorstellungvonM.Hatchzu tun, dass die Artefakte nicht identisch mit Symbolen sind. Artefakte sind hier nur dinglicherArt,wohingegenSymboleArtefaktemitzusätzlicherBedeutungdarstellen. Dies widerspricht der Interpretation im Modell von E. Schein, der unter Artefakten alle sichtbaren Erscheinungen versteht (neben Dingen auch Prozesse, Stile, Sprache usw.) NachM.HatchistderproaktiveSymbolisationsprozessdieVerknüpfungeinesArte faktes mit einer zusätzlichen Bedeutung, während die entgegengesetzte, retroaktive Sichtweisedaseigentlich„Dingliche“wiedervorAugenführensoll. Im Interpretationsprozess ist eine Unterscheidung in proaktiv und retroaktiv nicht möglich,dadavonausgegangenwird,dasssichSymboleundGrundannahmenwech selseitig beeinflussen. Bezüglich der Wechselseitigkeit wird angenommen, dass sich eine Interpretation eines Symbols mithilfe der schon vorhandenen Grundannahmen erfolgt.AufderanderenSeitekönnenInterpretationendieGrundannahmenprägen. Die Bedeutung des Modells von M. Hatch besteht vor allem in seiner dynamischen Ausrichtung und der Beschreibung von proaktiven und retroaktiven Prozessen, die gleichzeitig laufen können. Dadurch werden der lebendige Charakter einer Unter nehmenskulturunddieinnerenMechanismenihrerHerausbildungundEntwicklung verständlich.
12.5
Wirkungen der Unternehmenskultur
EinebestehendeUnternehmenskultur(IstKultur)spieltimUnternehmeneineaußer ordentlich wichtige Rolle: Sie schafft Identifikation und Motivation, beeinflusst das Verhalten von Mitarbeitern mithilfe ungeschriebener Regeln und Normen, prägt das ErscheinungsbilddesUnternehmensnachaußen.AuchwenndieUnternehmenskultur schwerzuerfassenist,kannmansieineinemUnternehmenanhandihrerWirkungen erkennenundbeschreiben.EineUnternehmenskulturistimmereinmalig,esgibtkeine gutenundschlechtenKulturen,sonderneherpositiveundnegativeWirkungeneiner
215
12.5
12
Unternehmenskultur
UnternehmenskulturaufdasVerhalten,Kommunikation,ZufriedenheitundLeistung derMitarbeiter.FolgendeTabellezeigtmöglicheUnterschiedeinWirkungenvonUn ternehmenskultureneiner„Erfolgs“undeiner„ProblemGmbH“(Beispieleverfrem det),basierendaufdenAussagenihrerMitarbeiter. Tabelle36: UnterschiedlicheWirkungenvonUnternehmenskultureninAussagenihrerMit arbeiter265 Erfolgs-GmbH
Problem-GmbH
Ich fühle mich meinem Unternehmen verbunden.
Das Unternehmen ist für mich nur Mittel zum Zweck (Geldverdienen).
Nicht alle Aufgaben mache ich gerne, ich mache sie aber trotzdem so gut wie ich kann.
Unangenehme Aufgaben können doch andere machen.
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind für mich wichtig.
Ich verlasse pünktlich meinen Arbeitsplatz und zuverlässig bin ich, wenn es unbedingt sein muss.
Ich bemühe mich, gute Arbeit zu machen, und ich sehe, dass auch meine Kollegen dies tun.
Ich mache meine Arbeit, so wie es von mir erwartet wird. Mehr nicht.
Wir als Unternehmen haben eine Verantwortung gegenüber unseren Kunden. Sie wollen gute Qualität zu einem guten Preis. Darum bemühen wir uns.
Wichtig ist, dass die Kunden bezahlen. Denn davon leben wir.
Auch in schwierigen Zeiten müssen wir in unserem Betrieb zusammenhalten. Nur durch gemeinsame Anstrengung kommen wir da wieder raus.
Wenn es schwierig wird, sollen sich die da oben drum kümmern. Ich schaue, wie ich meine Schäfchen ins Trockene bringe, notfalls auch bei einem anderen Unternehmen.
Präzision und Qualität, dafür steht unsere Firma, und da bin ich stolz drauf.
Für die gute Qualität der Produkte bin ich nicht verantwortlich.
Als Führungskraft informiere ich meine Mitarbeiter über alles Wichtige und beteilige sie an Entscheidungen.
Als Führungskraft ist es meine Aufgabe, Entscheidungen zu treffen. Meine Mitarbeiter haben mir da nicht reinzureden.
Unterschiede zwischen der „Erfolgs“ und „ProblemGmbH“ spiegeln sich in der Identifikation,inderBereitschaft,mehralsnur„DienstnachVorschrift“zuleisten,in der Verantwortung gegenüber den Kunden, Qualitätsorientierung, Motivation zur Arbeit,indemEngagementundFührungsverhaltenwider. Zahlreiche Studien und Untersuchungen zeigen, dass Unternehmenskultur und Fak toren wie Arbeitsproduktivität, Commitment, Motivation und Kommunikation im Unternehmen in direkter Kausalität stehen. Allgemein kann man folgende positive WirkungeneinerUnternehmenskulturnennen: 265 Kreuzhage,S.(Hrsg.):UnternehmenskulturCheck,S.1112.
216
Wirkungen der Unternehmenskultur
Integration von Mitarbeitern im Unternehmen durch verbindliche Sinnorientie rungenundWertvorstellungen.DasUnternehmenwirddadurchzueinerEinheit– einzelneMitarbeiter,TeamsundAbteilungenbegreifensichalsTeileeinesGanzen;
Identifikation und Motivation: Identitätsbildung der Mitarbeiter und des Unter nehmensdurcherfolgreicheZusammenarbeitundErfolgserlebnisseträgtzurEnt wicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls bei, was eine stärkere Motivation derMitarbeiterzurFolgehat;
KoordinierungsundOrientierungsfunktion:DieUnternehmenskulturgibtOrien tierung für individuelle und kollektive Entscheidungen aufgrund von gemeinsa men Erfahrungen und ergänzt formale Regeln und Abstimmungen durch un geschriebene,selbstverständlicheAbläufeundBeziehungen;
Effiziente Kommunikation: Die Abstimmungsprozesse gestalten sich durch ein heitlicheOrientierungwesentlicheinfacher,Entscheidungenwerdenbeschleunigt, derInformationsflussverläuftzumgroßenTeilinformell,Konfliktekönnenfrüher erkanntundgelöstwerden;
SteigerungderEffizienzundDynamikdesUnternehmensdurchLernprozesseund Wissensaustausch, erhöhte Innovationsbereitschaft, bessere Kommunikation, Ko operationundKonfliktlösung;
Ein positives Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit, besseres Ansehen bei Kunden,Lieferanten,Bewerbern. DiesepositivenWirkungentragenzueinembesserenArbeitsklimaundeinerhöheren Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter bei und steigern damit dieArbeitsproduktivität unddenwirtschaftlichenErfolgdesUnternehmens. ZugleichkanneinestarkeUnternehmenskulturnegativeWirkungenhaben:Wenndie hohe Identifikation zum Abbau der Wahrnehmung von Problemen, Chancen und WarnsignalenausderUmweltführt,wirddieInnovationstätigkeitdesUnternehmens eingeschränkt. Ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsame Er folgserlebnissekönneneineAbschottungvonderAußenweltverursachen.Notwendi geAnpassungsmaßnahmenwerdenalsBedrohungderkulturellenIdentitätabgelehnt, die Flexibilität nimmt ab. Um dies zu verhindern, muss eine Unternehmenskultur immer die Möglichkeit einer Erneuerung zulassen – die Leitbilder und Grundsätze dürfennichtalsstarreunveränderlicheRegelngelten,sondernimmerwiederkommu niziertundanneueBedingungenangepasstwerden.
217
12.5
12
Unternehmenskultur
12.6
Analyse und Gestaltung der Unternehmenskultur
EsistsehrwichtigfürjedesUnternehmen,sichseinerKulturbewusstzuwerden.Nur dannistesmöglich,dieUnternehmenskulturgezieltzugestaltenundvonihrenposi tivenWirkungenzuprofitieren.ImerstenSchrittsollteeineIstAnalysedurchgeführt, danach eine gewünschte SollKultur definiert und im dritten Schritt praktische Maß nahmenzuihrerGestaltunggeplantundumgesetztwerden.
12.6.1
Analyse der Ist-Kultur
IndervorangegangenenDiskussionüberUnternehmenskulturmodellewurdegezeigt, dasseineUnternehmenskultur–wiedieSpitzeeinesEisbergs–nurzumTeilsichtbar ist.Zudensichtbaren(expliziten)Elementenzählen:Artefakte(Logos,Namen,Unter nehmenssymbole, Kleiderordnung, Bürogestaltung, Raumaufteilung, Statussymbole, Produktmerkmale,Dokumentation)sowieRituale(Unternehmensjargon,Begrüßungs undAnredeformen, Unternehmensgeschichten, Legenden und Mythen, Betriebsfeier, Meetingablauf,OrganisationvonVeranstaltungenetc.) Hinter sichtbaren Elementen stehen unsichtbare (implizite): Normen, Werte und Grundannahmen,diemeistunbewusstsindunddenKerneinerUnternehmenskultur bilden(vgl.AnsatzvonE.Schein).Umdiesezuerkennen,mussmandasAugenmerk aufdasVerhaltenunddieKommunikationimUnternehmenrichten.Dabeigehtesvor allemumfolgendeverhaltensbeeinflussendenWerteundNormen,dieaufunbewuss tenGrundannahmenbasieren:
Machtverteilung und Verhältnis zur Macht: Wer trifft wichtige Entscheidungen? Wie ist die Verantwortung verteilt? Wie steil sind die Hierarchien? Sind Hierar chieebenenscharfvoneinandergetrennt?
Kommunikation und Umgang mit Informationen: Herrscht eine Atmosphäre der OffenheitoderderGeheimniskrämerei?IstKommunikationsehrformellodereher persönlich? Sind Informationen ein knappes Gut, werden sie gefiltert oder blo ckiert? Gibt es im Unternehmen tabuisierte Themen? Wird Wissen ausgetauscht odergeheimgehalten?WerdenKonflikteoffenausgetragenoderverdrängt?
Lernfähigkeit,EinstellungzuVeränderungenundRisikobereitschaft:IstdieAtmo sphäreimUnternehmeninnovationsfreudig?WerdenneueIdeenbegrüßt?Istdas Unternehmendynamisch,offengegenüberdemNeuen?Istmanrisikofreudigoder risikoscheu?InwieweitistUnsicherheitsvermeidungverbreitet?
218
Analyse und Gestaltung der Unternehmenskultur
IdentifikationundLoyalität:IdentifizierensichdieMitarbeitermitdenZielenund mit dem Unternehmen? HatdasUnternehmen ein gutesImage beidenMitarbei tern?VerhaltensichdieMitarbeiterloyal?
Vertrauen:WievielVertrauengenießteinMitarbeiterimUnternehmen?„Vertrauen istgut,Kontrolleistbesser“?WoraufbasiertdasVertrauen?
Toleranz gegenüber Misserfolgen und Fehlern: Darf man im Unternehmen einen Fehler machen? Wird ein Fehlschlag nur negativ oder auch als eine Chance zum Lernengesehen?WerdenMisserfolgetoleriert? KommtesineinemUnternehmenzurAnalysederIstKultur,dannsinddiesichtbaren Elemente (Artefakte und Symbole) relativ leicht zu ermitteln – durch Beobachtung und Artefaktenanalyse. Die Grundannahmen, Werte und Normen einer Unterneh menskultur sind dagegen schwer zu erfassen, denn sie sind unsichtbar und werden nicht bewusst wahrgenommen. Für die Mitarbeiter des Unternehmens sind sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden, bleiben aber für einen außenstehenden Bet rachter unzugänglich. Deswegen bedarf eine Unternehmenskulturanalyse spezieller Verfahren und Instrumente. Schriftliche Befragungen von Führungskräften und Mit arbeiternsindinderPraxisderKulturanalysebesondersbeliebt.Auchsystematische InterviewsmitMitarbeiternwerdenhäufigeingesetzt.SeltenerkommteszurOrgani sationvonWorkshopszumThemaUnternehmenskulturundzurBildungvonspeziel len Arbeitsgruppen, die sich mit Stärken und Schwächen der Unternehmenskultur auseinandersetzen. Allerdings ist es schwierig, die richtigen Fragen zu stellen, eine offeneAtmosphäreindenDiskussionenzuschaffenunddieAntwortenzuinterpretie ren(jedeInterpretationistsubjektiv).FolglichkanndaskomplexePhänomenderUn ternehmenskultur nur zum Teil beschrieben werden, denn vieleAspekte bleiben un bewusst. Die Ermittelbarkeit einer Unternehmenskultur wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, vor allem geht es darum, ob ein interner oder externer Beobach ter/InterviewerfürdieErmittlungbessergeeignetwäre.EinInsiderkenntsichbesser aus,istaber„betriebsblind“undinseinerUnternehmenskulturbefangen.Einexterner Beobachter sieht nur die Oberfläche und interpretiert aufgrund eigener kultureller Prägung. Folglich einigen sich die meisten Autoren auf einen Mix aus Eigen und Fremdbeobachtungundermittlung. Als Beispiele zahlreicher Verfahren für eine Unternehmenskulturanalyse können fol gende genannt werden: E. Schein266 beschreibt ausführlich eine komplette Vorge hensweisebeiderErhebungderIstKulturineinemUnternehmendurcheinenexter nenBeraterunterBeteiligungvonFührungskräftenundmöglichstvielenMitarbeitern desUnternehmens.H.Zell267schlägteinenUnternehmenskulturCheckmithilfeeiner 266 Schein,E.:Unternehmenskultur. 267 Kreuzhage,S.(Hrsg.):UnternehmenskulturCheck,S.75100.
219
12.6
12
Unternehmenskultur
schriftlichen Befragung der Mitarbeiter vor. S. Schmidt268 bietet einen „Interviewleit fadenzurBewusstmachungvonUnternehmenskultur“an. Beispielhaft wird nun der UnternehmenskulturCheck nach H. Zell erläutert. Das Verfahren basiert auf einem Fragebogen für die Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen, der auf zehn Dimensionen der Unternehmenskultur ausgerichtet ist: Leistungsorientierung,Kundenorientierung,Kostenorientierung,dezentraleOrganisa tion, Vertrauen und Information, Identifikation, ethische Orientierung, Stärke und Konformität, Organisationsklima und Mitarbeiterzufriedenheit sowie kooperative Führungskultur(derFragebogenteilzudieserDimensionwirdparallelvonFührungs kräftenundMitarbeiternausgefüllt).AlsErgebnissederAuswertungderFragebögen kommt ein „UnternehmenskulturProfil“ zustande mit Stärken und Schwächen des Unternehmens. Die Auswertung der Dimension „Kooperative Führungskultur“ aus der Sicht der Führungskräfte und Mitarbeiter ergibt einen Übereinstimmungsgrad zwischen Selbst und Fremdeinschätzung des Führungsstils. Zusätzlich wird im Fra gebogen die Frage über die Richtung der Kulturveränderung gestellt.269 Der Unter nehmenskulturCheckhatseineVorteile:KlareDimensionenundstandardisierteFra genermöglicheneineschnellepraktischeAnwendung.ZugleichhatderAnsatz–wie die schriftlichen Befragungen bei der Kulturermittlung generell – seine wesentlichen Schwächen. Durch den standardisierten Charakter der Fragen geht die Einmaligkeit der Unternehmenskultur verloren. Den Mitarbeitern des Unternehmens wird eine bescheidene Rolle zugeteilt – eine der vorgefertigten Antworten anzukreuzen. Die entscheidenden Kulturträger haben keine Möglichkeit, ihre Meinung individuell zu äußern. DieErgebnissederErmittlungderUnternehmenskultur,diemanmithilfeeinerschrift lichenBefragungodervonInterviewserhobenhat,sollenausgewertetundimUnter nehmenpublikgemachtwerden.Dabeigehtesdarum,eigeneStärkenundSchwächen festzustellen und nicht um die Kritik der vorhandenen Kultur. Die ermittelte Ist KulturkannfüreinegezielteGestaltungvonUnternehmenskulturbenutztwerden.
12.6.2
Gestaltung der Unternehmenskultur
Geht man von einer theoretischen Gestaltbarkeit der Unternehmenskultur aus, dann stelltsichdieFrageüberdieWegeundMethodenderGestaltung.EinKulturmanage mentvonoben,imSinneeinerwillkürlichenGestaltungderUnternehmenskulturauf WunschdesTopManagements,istvonderunternehmerischenPraxiswiderlegtwor den. Eine neue Unternehmensphilosophie und Leitsätze oder moderne Büroausstat tung und ein neues Unternehmenslogo können schnell nach der Anweisung „von oben“eingeführtwerden,ändernaberdasVerhaltenderMenschenkaum.Offensicht 268 Schmidt,S.J.:Unternehmenskultur,S.200212. 269 Vgl.Kreuzhage,S.(Hrsg.):UnternehmenskulturCheck,S.74100.
220
Analyse und Gestaltung der Unternehmenskultur
lich braucht man die Teilnahme aller Unternehmensakteure, um eine neue gelebte Realitätzuschaffen. Es gibt mehrere Situationen, in denen die Frage über eine Gestaltung oder Verände rung der Unternehmenskultur gestellt wird: Unternehmensgründung, Generationen wechsel im TopManagement, Krisensituation oder Fusion/Übernahme. Allen diesen Situationen ist eins gemein – man bildet eine Vorstellung von der künftigen Unter nehmenskultur,derSollKultur. Es gibt keine guten und schlechten Unternehmenskulturen. Die beste Kultur für ein Unternehmen ist diejenige, die zur Erreichung der Unternehmensziele am besten beiträgt. Man braucht zunächst Klarheit über die Visionen und Ziele des Unterneh mens, um eine gewünschte SollKultur beschreiben zu können. Sowohl die Ziele als auch die Eigenschaften der künftigen Unternehmenskultur müssen nicht von dem Management allein, sondern mit der Beteiligung von möglichst vielen Mitarbeitern desUnternehmensdiskutiertundformuliertwerden.DiskussionenundSeminarezur Ermittlung der bestehenden Kultur sollten durch breite Besprechungen über die ge wünschteZukunftskulturaufallenEbenendesUnternehmensergänztwerden. AllgemeinsindbeieinerKulturgestaltungeinigewichtigeRegelnzubeachten:
jedes Unternehmen soll seinen eigenen Weg der Veränderung finden – es gibt keinePatentrezepte,keineallwissendenKulturberater.Unternehmenskulturgestal tungistvorallemeigeneSachedesUnternehmens;
eineKulturgestaltungmussaufderUnternehmensgeschichtebasieren,Traditionen und Gewohnheiten berücksichtigen – man darf die Wurzeln des Unternehmens nichtabschlagen;
die Veränderungsprozesse müssen auf den erkannten Stärken des Unternehmens aufbauenundvorsichtigversuchen,dieSchwächenlangfristigzureduzieren;
derProzessderGestaltungmussdauerhaftangelegtwerden–zuschnelleVerän derungenprovozierenWiderstandoderverlaufenimSand.EinWertewandelkann unmöglich„überNacht“stattfinden;
dasTopManagementdesUnternehmensmussüberzeugtsein,dasseineVerände rung notwendig ist, zu dem Veränderungsprozess stehen und ihn aktiv und glaubwürdigunterstützen;
die Führungskräfte haben im Gestaltungsprozess eine Vorbildfunktion –sie müs senneueWerteüberzeugtundaufrichtig(vor)leben;
nur„vonoben“eingeleitet,bringtKulturgestaltungkeineErgebnisse–alleMitar beiterdesUnternehmenssolleninvolviertsein;
dafürbrauchtmanständigeoffeneKommunikationüberkulturelleProzesse.Auch negativeErgebnisse,KritikundFehlermüssenoffengelegtwerden.
221
12.6
12
Unternehmenskultur
AlsdienotwendigenSchritteeinerKulturveränderung,diealseineEinheitbetrachtet unddauerhaftangelegtwerden,könnenfolgendedefiniertwerden: 1.Analyse/ErmittlungderIstKultur(mithilfevonBeobachtung,Dokumentenanalyse, Fragebogenaktionen, Interviews, Gruppendiskussionen), wobei die Schaffung von BewusstseinfürProblemederUnternehmenskulturwichtigist; 2.KonzipierungeinerSollKultur(einegemeinsameFormulierungderkünftigenZie le,WerteundVerhaltensnormen); 3.Auswahl von praktischen Instrumenten und konkreten Maßnahmen für eine lang fristigeKulturpflegesowie 4.RegelmäßigeÜberprüfungderWirksamkeitundVerständlichkeitderMaßnahmen undihreständigeAnpassungandieneuenUnternehmensbedingungen. In der Literatur werden zahlreiche Instrumente der gezielten Kulturveränderung beschrieben.Ihre„mechanische“EinführungimUnternehmenistrelativeinfach,aber ihrelangfristigeWirksamkeitiststarkabhängigvondemEngagementundderÜber zeugung der Mitarbeiter. Diese Instrumente greifen nur bei Beteiligung aller Unter nehmensakteureundmüssendeswegenständiginihrenAuswirkungenaufdieKultur überprüft werden. Unternehmenskulturgestaltung ist demnach nicht als eine Einzel maßnahmezuverstehen,sondernalseinelangeundgeduldigeArbeit. BesondersverbreitetsindfolgendepraktischeInstrumentederKulturgestaltung:Ein führung von Unternehmensleitbildern, Führungsgrundsätzen oder ethischen Leitli niendesunternehmerischenHandelns,organisatorischeMaßnahmenwieVerflachung vonHierarchien,AbschaffenvonüberflüssigenRegelungen,SchaffenvonFreiräumen, personalpolitischeMaßnahmenwieAusweitungderMitbestimmungundMitarbeiter beteiligung sowie gezielte Arbeit an der Kommunikation im Unternehmen. Diese Auflistung zeigt, wie eng eine Unternehmenskultur mit der Unternehmensethik zu sammenhängt. Als Beispiel wird das Instrument „Unternehmensleitbilder“ ausführlicher erläutert. UnternehmensleitbilderbeschreibendieWertedesUnternehmensundderMitarbeiter, diekünftigihrHandelnbestimmensollen.DamitdefinierendieLeitbilderdieVerän derungsziele und geben Orientierung. Zusätzlich prägen Leitbilder das Image des UnternehmensimAußenverhältnis.PraktischalleGroßunddiemeistenmittelständi schenUnternehmenhabenUnternehmensleitbilder,dieaufihrenWebsitespräsentiert werden. Die Unternehmensleitbilder werden als Ausdruck der gewünschten Unter nehmens,FührungsundKooperationskulturinUnternehmendefiniertundentwer fen ein so genanntes „realistisches Idealbild“, das für die Strategie und die Politik eines Unternehmens Orientierung schafft. Es dient damit als Ausgangsbasis für die AbleitungkonkreterStrategien,RichtlinienundUmsetzungsmaßnahmen. Zu den Inhalten eines Leitbildes gehören: das Unternehmensziel und wirtschaftliche Funktion des Unternehmens (Einstellung zu Wachstum, Wettbewerb, Fortschritt, an 222
Analyse und Gestaltung der Unternehmenskultur
gestrebte Marktstellung etc.); die Beziehungen zu den Mitarbeitern (Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, Stellenwert der Menschen im Unternehmen, Führungs prinzipien und stile, Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen etc.); Beziehungen zu den Stakeholdern (Kunden, Lieferanten, Konkurrenten und anderen gesellschaftlichen Gruppen) sowie die gesellschaftliche Funktion des Unternehmens (Stellung und Verantwortung in dem Staat/in der Gesellschaft). Die Leitbilder sollen prägnantundanspruchsvoll,aberzugleichrealistischundkonkretsein.Vonentschei dender Bedeutung ist die Verbreitung der Leitbilder unter den Mitarbeitern des Un ternehmens. In allen Abteilungen sollen Workshops zur Einführung von Unterneh mensleitbildern stattfinden. Jede Gruppe hat dabei die Aufgabe, die Unternehmens leitbilderinihremBereichzukonkretisieren. DamitverfolgtmandasZiel,einehohe IdentifikationmitdenLeitbildernzuschaffen. EinebesondereRolleimKulturgestaltungsprozessgebührtderKommunikation.Eine gelebteUnternehmenskulturfindetmannichtinLeitbildernundSonntagsreden,son derninderKommunikationundInteraktionenderMitarbeiteruntereinanderundmit derAußenwelt(mitKunden,Lieferanten,anderengesellschaftlichenGruppen).Daher bilden Kultur und Kommunikation im Unternehmen ein unzertrennliches Ganzes: Kommunikation basiert auf der Kultur als verbindlicher Ordnung, Kultur braucht Kommunikation für ihre Konstitution und Konkretisierung. Eine gezielte Arbeit an der Unternehmenskultur ist ohne unternehmensinterne Kommunikation undenkbar: ZunächstmussdasBewusstseinfürdieNotwendigkeitdesKulturwandelsgeschaffen werden, danach sollen die Meinungen aller Akteure im Unternehmen ermittelt und dieWegederGestaltunggemeinsamdiskutiertwerden. Kontrollfragen 1. BeschreibenSiedasganzheitlicheModelldesHandelnseinesUnternehmens. 2. DefinierenSiedenBegriff„Unternehmenskultur“. 3. BeschreibenSiedieUnternehmenskulturtheorienachE.Schein. 4. Charakterisieren Sie explizite und implizite Elemente einer Unternehmenskultur undbelegenSieIhreAussagenmitpraktischenBeispielen. 5. ErläuternSiedasEisbergmodellderUnternehmenskultur. 6. Beschreiben Sie die drei Ebenen der Unternehmenskultur: Unternehmensphiloso phie,ethikundidentität. 7. ErklärenSiedasdynamischeModellderUnternehmenskultur. 8. ErläuternSiedieWirkungenderUnternehmenskulturinUnternehmen. 9. WiekannUnternehmenskulturanalysedurchgeführtwerden? 10. Diskutieren Sie Möglichkeiten und Probleme bei der Gestaltung von Unterneh menskultur.WelcheRollespielendabeiUnternehmensleitbilder? 223
12.6
12
Unternehmenskultur
Gestaltung der Unternehmenskultur bei der Kaufhof AG Als Beispiel einer erfolgreichen Kulturgestaltung kann das Unternehmensleitbild-Projekt zur Einführung von Leitbildern und Führungsgrundsätzen bei der Kaufhof Warenhaus AG (Projektstart 1995, verursacht durch die Fusion mit der Horten AG) dienen. Für die Konzipierung von Unternehmensleitbildern wurde zunächst eine Projektgruppe gebildet, die Ist- und Soll-Kultur analysiert und aufgrund von Abweichungen sechs langfristige Projekte für die Neugestaltung der Felder Strategie, Service, Geschäftsprozesse, Führung, Kommunikation und Vergütungssysteme initiiert hat. Anschließend wurden im Unternehmen zahlreiche Workshops organisiert, in denen die Arbeitsgruppen auf verschiedenen Unternehmensebenen über die Inhalte diskutiert haben. Das 1996 eingeführtes Unternehmensleitbild ist heute auf der Homepage des Unternehmens zu finden: „Die Kaufhof Warenhaus AG als Handelsunternehmen ist innovativ, ertragsorientiert, nah am Kunden und wird geprägt durch qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Als Ziele der Umsetzung des Unternehmensleitbildes wurden definiert: die Steigerung der Kundenorientierung und -zufriedenheit, Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Unternehmen und ihrer Tätigkeit, Offenheit und Vertrauen im Umgang miteinander sowie Handlungsfähigkeit und Innovationskraft. Um diese Grundsätze zu konkretisieren, wurden praktische Verhaltensregeln der Mitarbeiter beschrieben. Das Projekt dauerte mehrere Jahre an: mit einem Abstand von 2-3 Jahren wurden bei der Kaufhof AG breitangelegte Befragungen von Mitarbeitern und Führungskräften durchgeführt, um zu überprüfen, ob und wie die Unternehmensleitbilder und Führungsgrundsätze angekommen sind. Sehr positiv sind in diesem Zusammenhang die Ableitung eines Kompetenzmodells für Führungskräfte und ein intensiv begleiteter Prozess der Aufwärtsbeurteilung mit klarem Aktionsplan-Prinzip. Leitlinien der Kaufhof AG (www.galeria-kaufhof.de/sales/coco/co_jobs_012_unternehmen-kultur_01.asp)
Unsere Wege
Unser Handel n
W ir st ellen den Kunden in de n Mittelpunkt unsere s Han delns.
»
W ir sind freund lich, hilfsbereit und aufm erksam dem Kunden ge genüber. Wir e rreichen, dass der Ku nde gern be i uns einka uft.
W ir id entifizieren uns mit unserem Un tern ehmen.
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W ir ergre ifen selbst die In itia tive und e ngagieren uns in unserer Tätigkeit. W ir lernen aus Fehlern und sind stolz auf unsere Erfo lge.
W ir füllen Ha ndlun gsspie lräume aus.
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W ir gehen offen un d vert rau ensvoll miteinander um.
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W ir geben und nehm en Kritik ko nstruktiv und hab en Achtun g voreinander.
W ir in form ieren un s geg ense itig.
»
W ir holen Informationen aktiv e in und geben diese an ande re weiter.
W ir beziehe n andere m it ein.
»
W ir nutzen die Fähig keiten und Ideen aller für das gem einsame Erreich en unserer Zie le.
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Analyse und Gestaltung der Unternehmenskultur
13 Unternehmensethik Ein Unternehmen als selbstständige Handlungseinheit hat ein enormes Potenzial bei der Veränderung und Gestaltung seiner Umwelt. Zu den wichtigstenAuswirkungen unternehmerischenHandelnszählen:
AuswirkungenaufKundenundKundenbedürfnisse:EsbefriedigtKundenbedürf nissemitseinenProduktenundDienstleistungen,schafftsogarneueBedürfnisse; durch neue Produkte und Dienstleistungen verändert ein Unternehmen die Le bensgewohnheitenundqualitätderMenschen;
Auswirkungen auf die eigene Belegschaft: Als Arbeitgeber bestimmt ein Unter nehmen Entlohnung, Arbeitsbedingungen, Zufriedenheit, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichungusw.;
EinflusseaufdieArbeitsmarktsituation:SchafftneueArbeitsplätzeodervernichtet vorhandene;
Auswirkungen auf die Kapitalmärkte: Es vermehrt oder verschwendet das Geld vonAktionärenbzw.Eigentümern,
EinflüsseaufLieferantenundPartner:EinUnternehmenbeeinflusstihreSituation alsAuftraggeberundKäufer;
FolgenfürGemeindenundStädte:EinUnternehmenverbrauchtRessourcen,ver schmutztdieUmwelt,schafftInfrastruktur;
Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes: Es zahlt Steuern und finanziert damit die gesellschaftliche Solidarität und verschiedene soziale Programme; es trägtzumtechnischenundtechnologischenFortschrittderganzenGesellschaftbei; esengagiertsichinderGesellschaftdurchdieFörderungderBildung,Forschung undKunst;esverändertdiegesamtwirtschaftlichenBedingungendurchKoopera tionen,AllianzenundVerlagerungvonStandorten. BeidiesembedeutsamenEinflusspotenzialistdieFragenachdenethischenPrinzipien unternehmerischen Handelns selbstverständlich und bildet das Untersuchungsfeld derUnternehmensethik.EinUnternehmenistmoralfähigundmoralpflichtig. IndiesemKapitelwirddieProblematikderUnternehmensethikauszweiPerspektiven diskutiert: Ethik von und in Unternehmen, wobei der Schwerpunkt weniger aufAn sätzeundTheorien,sondernaufdiepraktischenAspektederunternehmerischenVer antwortunggelegtwird.
225 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
12.6
13
Unternehmensethik
13.1
Theoretische Grundlagen der Unternehmensethik
EthikinBezugaufindividuellesHandelnwurdealsWissenschaftcharakterisiert,die allgemeine Normen des Handelns definiert und begründet (s. Kapitel 7.4 „Ethik des individuellen Handelns“). Dort wurden in Anlehnung an I. Kant die Pflichten eines Individuums gegen sich selbst, den anderen und der Natur beschrieben. Auch das Handeln eines Unternehmens unterliegt ethischer Beurteilung. Im Weiteren werden einige relevante Ansätze und Begriffe sowie ausgewählte Instrumente zur Regelung derUnternehmensethikdiskutiert.
13.1.1
Ansätze und Begriffe der Unternehmensethik
DreiAnsätzederUnternehmensethiksindbesondersbekanntundwerdenkurzdarge stelltundinweiterenAusführungengenutzt:vonK.Homann,P.UlrichundH.Stein mann. Da ein Unternehmen in einem gesetzlichen Raum der Gesellschaft handelt, werden seine Handlungen von den äußeren Rahmenbedingungen beeinflusst. Auf dieser EbenekannesumEinhaltenderGesetzeundRegelungengehen.Allerdingskanndas Gesetzt nicht alle Situationen regeln, so dass für ein Unternehmen häufig gewisse Freiräume für Entscheidungen entstehen, bei denen ethische Fragen eine wichtige Rolle spielen. „In solchen Fällen sind die Unternehmen aufgefordert, eigenständige Legitimationsbemühungen anzustrengen. Hier entsteht ein Bedarf an moralischer Verantwortungsübernahme durch die Unternehmen, die über das normale Maß an systemkonformer Gewinnorientierung hinausgeht“– so beschreibt K. Homann die Wechselbeziehung zwischen der gesetzlichen Rahmenordnung und einem ethisch handelnden Unternehmen und plädiert für eine allen bekannte, für alle gleiche und transparenteRahmenordnung.270 P. Ulrich kritisiert die fehlende Wertorientierung der Wirtschaft, die „sich allein dem quantitativ kalkulierenden Erfolgsprinzip verschrieben hat und es zum unabänderli chen Sachzwang deklariert“ und sieht eine Kluft zwischen der Welt reiner ökonomi schenRationalitätundreineraußerökonomischenMoralität.DarausformuliertUlrich das Grundproblem der Wirtschaftsethik: „Wie kann es ihr im Ansatz gelingen, das WirtschaftlicheunddasethischpraktischWertvolleinmodernerWeisezusammenzu denken?“271EinemöglicheLösungdesProblemsistfürP.Ulrichdiesozialökonomi sche Vernunft mündiger, engagierter Bürger, die durch einen breiten Konsens die
270 Vgl.Homann,K.;BlomeDrees,F.:WirtschaftsundUnternehmensethik,S.112ff. 271 Vgl.Ulrich,P.:IntegrativeWirtschaftsethik,S.116.
226
Theoretische Grundlagen der Unternehmensethik
Wirtschaft legitimieren sollen. Diese „unbegrenzte kritische Öffentlichkeit aller Bür ger“istdieLegitimationsinstanzfürallesmarktwirtschaftlicheGeschehen. AuchH.SteinmannweistaufdieBegrenztheitdesGewinnprinzipsimunternehmeri schenHandelnhin,daseineausschließlicheAnwendungzwangsläufigzuKonflikten mit anderen Stakeholdern führt.272 Gleichfalls lässt das allgemeine Gewinnprinzip bestimmteSpielräumezu,sodasseinUnternehmensichsituativentscheidensoll.Der Gewinn bleibt das unternehmerische Ziel, aber Ethik entscheidet über die Mittel für die Realisierung der Strategie. Die unternehmenspolitischen Entscheidungen können nachSteinmannnurinFormeinesDiskursgetroffenwerden,deraufdieEntwicklung und Begründung von verbindlichen Normen im Unternehmen abzielt sowie einen kontinuierlichenDialogzwischenallenBetroffenenfordert.FolgendeAbbildungzeigt dasZusammenspielzwischenMarktkräften,rechtlichenRahmenbedingungenundder UnternehmensethiknachSteinmann. Abb.51:
SteuerungsgrößenunternehmerischenHandelnsnachSteinmann273 Markt Preise
Recht Wirtschafts- und Unternehmensverfassung
Ethik Unternehmensethik
Unternehmenspolitische Entscheidungen
Folglich muss ein Unternehmen in seinem Handeln allen diesen Anforderungen ge nügen: den rechtlichen Rahmenbedingungen, Anforderungen des Marktes und ethi schenPrinzipien. EinigeAutoren(Berkel/Herzog274)kritisierendenabstraktenCharakterdererläuterten Theorien und vermissen die innenbetriebliche Perspektive der Unternehmensethik. Demgegenüber konzentrieren sie sich auf die Konzepte der Unternehmensethik in nerhalb von Unternehmen. Beide Richtungen ergänzen sich gegenseitig und bilden eineEinheit.UnternehmensethikkannalsVerantwortungeinesUnternehmensfürsein HandelnunddessenFolgenbeschriebenwerden,wobeiesumzweiAspektegeht,die imWeiterengetrenntdiskutiertwerden: 272 Vgl.Steinmann,H.;Löhr,A.:GrundlagenderUnternehmensethik. 273 InAnlehnunganSteinmann,H.;Löhr,A.:GrundlagenderUnternehmensethik,S.119. 274 Berkel,K.;Herzog,R.:UnternehmenskulturundEthik.
227
13.1
13
Unternehmensethik
Ethik von Unternehmen, als Verantwortung gegenüber gesellschaftlichen Interes sengruppen,und
EthikinUnternehmen,gegenüberdereigenenBelegschaft. Die Verantwortung wird von Personen getragen, die in einem Unternehmen in ihrer RollealsWirtschaftsakteurefürdasUnternehmenhandeln.DiesewerdenalsSubjekte derUnternehmensethikbezeichnet.ImPrinzipsindesalleFührungskräfteundMitar beiter,diebestimmteFunktionenundRollenimUnternehmenhabenundfürdieFol gendeseigenenTunundLassensverantwortlichsind.275Darüberhinauskönnenauch andere Akteure einen indirekten Einfluss auf die Unternehmensverantwortung neh men–Konsumenten,Investoren,Politiker,Interessenverbände.DieHauptverantwor tungliegtallerdingsbeidenEntscheidungsträgernundMitarbeiternimUnternehmen. Als Objekte unternehmerischer Verantwortung können in erster Linie Handlungen, Unterlassungen, Entscheidungen und ihre Folgen, Zustände, Güter und Werte ge nanntwerden.276EinigeBeispieledazusind:Bilanzverschönerung(Handlung),schäd licheProdukteoderNebenwirkungeneinesMedikamentes(UnterlassungderKontrol le),UmweltverschmutzungundAusbeutungderNaturressourcen(Folgen),Kinderar beitinderdrittenWelt(Handlung).Manmerkt,dassdieObjektederVerantwortung sichzumTeilüberschneidenundzugleicheineVerletzungderWertebeinhalten.Un ternehmen A trägt Verantwortung für eine Krankheit (unerwünschter Zustand) und ihre Folgen für die Kunden, weil gefährliche Nebenwirkungen seines Medikaments nicht genug untersucht und/oder vertuscht worden sind (Unterlassung oder Hand lung). Es geht dabei um verschiedene Objekte der Verantwortung: Handlungen, Un terlassungen,ZuständeundWerte(vgl.folgendeTabelle). Tabelle37: ElementederUnternehmensverantwortung277 Subjekte der Verantwortung
Objekte der Verantwortung
Verantwortungsrelation
Instanz der Verantwortung
direkt:
Handlungen, Unterlassungen, Aufgaben Entscheidungen Folgen Zustände Güter Werte
Wie weit reicht die Verantwortung eines Subjektes?
Gerichte
Führungskräfte, Mitarbeiter, Unternehmen ferner: Konsumenten, Investoren, Politiker etc.
Welches Subjekt ist für ein gegebenes Objekt verantwortlich?
275 Vgl.Göbel,E.:Unternehmensethik,S.99. 276 Ebd.,S.100101. 277 InAnlehnunganGöbel,E.:Unternehmensethik,S.102.
228
Öffentlichkeit Gott Vernunft Gewissen
Theoretische Grundlagen der Unternehmensethik
DieTabellestelltnebenSubjektenundObjektenderUnternehmensethik dieRelation undInstanzderVerantwortungdar. PraktischeUnternehmensethikistdasErgebniseinerWechselbeziehungzwischender EthikeinzelnerIndividuen,deninstitutionellenNormenimUnternehmenundAnfor derungen einer kritischen Öffentlichkeit. Jedes Individuum im Unternehmen hat die VerantwortungfürseinTunundLassenundhandeltaufgrundseinerethischenPrin zipien. Jeder Mitarbeiter ist für das unternehmerische Handeln verantwortlich und sollte sich wehren, wenn er gezwungen wird, unethisch zu handeln. Allerdings gilt dasPrinzip:JemehrMacht,destogrößerdieVerantwortung,deswegensindinerster LiniedieTopManagerfürdiegesamtunternehmerischenEntscheidungenverantwort lich. Die institutionellen ethischen Normen im Unternehmen (in Form einer explizit definierten Unternehmenskultur, ethischer Grundsätze oder Leitlinien) bilden eine normativeBasisfürverantwortlichesHandeln.AuchdiekritischeÖffentlichkeitspielt indemProzesseinebedeutendeRolle,indemsiedieUnternehmensaktivitätenkritisch verfolgt und sowohl negative als auch positive Beispiele bekannt macht. Im Namen derÖffentlichkeithandelni.d.R.MedienoderaktiveGruppenwieUmweltschutzund Menschenrechtsorganisationen.DurchdieAufdeckungvonMissfällenkönnenfürein Unternehmen erhebliche Schäden entstehen, wenn ihm Kunden wegen schlechtem Imageweglaufen. EthikvonundinUnternehmenistkeinunabhängigesPhänomen,siemussinVerbin dung mit den Sinnorientierungen eines Unternehmens, seiner Strategie und Kultur betrachtet werden. Wird der Sinn der unternehmerischen Tätigkeit nur in der Maxi mierung der Gewinne gesehen, so kann es zu einem Konflikt zwischen Zielen und Ethik kommen. Dann werden die ethischen Überlegungen als ein störender Faktor undihreNichteinhaltungalslegitimangesehen. HeiligtderökonomischeErfolgalleMittel?DasistdiegrundlegendeFrage,diejedes Unternehmenfürsichbeantwortenmuss.DieseDiskussionistzurzeitaktuellerdenn je,wobeiesweniger,alsvor510Jahren,umdieFragendesUmweltschutzesundder Kinderarbeit in der dritten Welt geht, sondern in erster Linie um den Erhalt vonAr beitsplätzenundethischeVerantwortungderUnternehmengegenübereigenenBeleg schaftenundderGesellschaft. Versuchen wir diese komplizierte Problematik anhand eines Beispiels zu betrachten. Handelt ein Unternehmen moralisch, wenn es ohne Rücksicht seine Mitarbeiter ent lässt? Darf ein Unternehmen ohne Bedenken seine Produktionsstandorte daheim schließenundindieBilliglohnländerverlagernoderistesfürdieArbeitsmarktsituati onunddieGesellschaftmitverantwortlich?ReinökonomischkanneinesolcheVerla gerung begründet sein, allerdings könnte man bei der Entscheidung weitere Gründe hinzuziehen. Zum Beispiel: Werden noch mehr Menschen in Deutschland arbeitslos, dann schrumpft die Binnenkonjunktur und das Unternehmen bekommt langfristig Absatzprobleme.DasUnternehmensimageinderÖffentlichkeitkannbeschädigtwer den, was eine Kundenblockade hervorrufen könnte. Das sind nur rein pragmatische 229
13.1
13
Unternehmensethik
Überlegungen,diezeigen,dasssichdieethischenAspektelangfristiggewinnbringend oder reduzierend auswirken können. Darüber hinaus sollte sich das Unternehmen fragen, ob es der Gesellschaft gegenüber, die seine Mitarbeiter und Führungskräfte ausgebildetsowieInfrastrukturundForschungslandschaftinDeutschlandgeschaffen hat,dafüretwasschuldigist.SchließlichprofitiertjedesUnternehmenvondemhohen LebensstandardundderLebensqualitätineinerGesellschaft. Offensichtlich,istesfürUnternehmenvielkomplizierter,solcheFragenzubeantwor ten, als einmalige Spenden für humanitäre Projekte zu gewähren oder sich für den Umweltschutzeinzusetzen. Deswegen sollte Unternehmensethik nicht als vereinzelte imagefördernde Maßnahmen, sondern als systematische Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen praktiziert werden. Die Umsetzungsformen solcher Unter nehmensethikwerdeninweiterenKapitelndiskutiert.
13.1.2
Einige Instrumente zur Regelung der Unternehmensethik
ZudenRegelungsinstrumentengehörendreiGruppen: 1. VereinbarungenvonRegelkodizesfürdasVerhaltenvonanderUnternehmensfüh rung beteiligten Gruppen (Vorstand bzw. Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Unter nehmensprüferusw.), 1. Vereinbarungen über Verhaltensweisen von Unternehmen gegenüber bestimmten Stakeholdernsowie 2. DieEinbeziehungvonStakeholdernindieEntscheidungenvonUnternehmen. ZudiesenGruppenwerdeneinzelneBeispieledargestellt. Zu der ersten Gruppe gehört vor allem Deutscher Corporate Governance Kodex. Corporate Governance umfasst die Gesamtheit der internationalen bzw. nationalen Werte und Grundsätze für eine gute, transparente und verantwortungsvolle Unter nehmensführung, welche sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Unternehmens führung von Unternehmen gelten. Corporate Governance ist kein international ein heitlichesRegelwerk,ehereinländerspezifischesVerständnisverantwortungsbewuss terUnternehmensführung. Im Jahr 2001 wurde in Deutschland vom Bundesministerium der Justiz die Regie rungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex gebildet, die 2002 den Kodexfertiggestelltundveröffentlichthat.DerDeutscheCorporateGovernanceKo dex „stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deut scherbörsennotierterGesellschaften(Unternehmensführung)darundenthältinterna tionalundnationalanerkannteStandardsguterundverantwortungsvollerUnterneh mensführung.DerKodexsolldasdeutscheCorporateGovernanceSystemtransparent
230
Theoretische Grundlagen der Unternehmensethik
undnachvollziehbarmachen.ErwilldasVertrauenderinternationalenundnationa len Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und ÜberwachungdeutscherbörsennotierterAktiengesellschaftenfördern.“278 InhaltlichenthältderKodexdreiArtenvonBestimmungen,diesichdurchdenGrad ihrer Verbindlichkeit voneinander unterscheiden: Wiedergabe wesentlicher gesetzli cherRegelungenhauptsächlichdesdeutschenAktiengesetzes,Empfehlungen(„Soll“ Vorschriften) undAnregungen („Kann“Vorschriften). Diese Bestimmungen beziehen sich auf: Aktionäre und Hauptversammlung; Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat; Vorstand; Aufsichtsrat; Transparenz sowie Rechnungslegung und Ab schlussprüfung (Kapitel des Kodex). Im Gegensatz zu den gesetzlichen Regelungen, bestehtfürdieEmpfehlungenundAnregungenkeineAnwendungspflicht,ihreBefol gungistfreiwillig. Zu der zweiten Gruppe der Regelungen zählen: Corporate Social Responsibility Bewegung (s. Kapitel 13.2.4), Qualitätsnormen wie ISO 9000 oder das Risikomanage ment. Die dritte Gruppe als Einbeziehung von Stakeholdern in die Unternehmensentschei dungenbeinhaltetz.B.MitbestimmungvonArbeitnehmernüberBetriebsratoderAus sichtsrat. DerBetriebsratistdasgesetzlicheOrganzurVertretungderArbeitnehmerinteressen und zur Wahrung der betrieblichen Mitbestimmung gegenüber dem Arbeitgeber in BetriebendesprivatenRechts.DiebetrieblicheMitbestimmungdurchdenBetriebsrat ist abzugrenzen von der Unternehmensmitbestimmung durchArbeitnehmervertreter inAufsichtsräten der Kapitalgesellschaften. In öffentlichen Betrieben kann ein Perso nalrat gewählt werden. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 (BetrVG) regelt die RechtedesBetriebsrats. DerBetriebsrathatunterschiedlicheAufgabenundRechte:
Information: Der Betriebsrat ist über die Personalplanung insgesamt, technische und organisatorische Veränderungen sowie über personelle Einzelmaßnahmen – wie Einstellung, Umgruppierung, Versetzung und Kündigung – rechtzeitig und umfassendzuunterrichten.
Beratung: Hierbei muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht nur informieren, sondern sich mit ihm beraten – wie beim Bau technischer Einrichtungen, Ände rung von Arbeitsabläufen, Förderung der Berufsausbildung, etc. Überall, wo der ArbeitgeberInformationspflichtenhat,hatderBetriebsratBeratungsrechte.
Mitwirkung:DerBetriebsratkannseineZustimmungzurUmgruppierung,Einstel lung, Eingruppierung oder Versetzung von Mitarbeitern verweigern, wobei ihm nureinbestimmterKatalogvonVerweigerungsgründenzurVerfügungsteht. 278 PräambeldesKodex,unterhttp://www.corporategovernancecode.de/ger/kodex/1.html.
231
13.1
13
Unternehmensethik
Mitbestimmung:BeiFehlengesetzlicherodertarifvertraglicherRegelungenhatder BetriebsratinfolgendenAngelegenheitenmitzubestimmen:Arbeitszeitregelungen, Mehrarbeit, Arbeitsschutz, Entlohnung, Urlaub, Vorschlagswesen, Zielvereinba rungenusw.
13.2
Ethik von Unternehmen
EineaktuelleBefragungdesInstitutsfürWirtschaftsethikderUniversitätSt.Gallenhat gezeigt, dass die meisten Bürger von Unternehmen sozial verantwortliches Handeln verlangen, insbesondere in Bezug auf folgende Bereiche: Produktsicherheit und Pro duktinformationen, Umweltschutz, Menschenrechte, Beseitigung der Kinderarbeit undBekämpfungderArmutinderdrittenWelt,fairerHandelmitdenEntwicklungs ländern.279 Diese Erwartungen der Bevölkerung müssen in praktische Tätigkeit der Unternehmen umgesetztwerden.DieethischePerspektivesollindieUnternehmens visionundstrategieintegriertwerden.DarüberhinaussollenBeziehungenmitver schiedenen Bezugsgruppen (Stakeholdern), denen gegenüber das Unternehmen Ver antwortungfürseinHandelnunddessenFolgenträgt,gestaltetwerden.
13.2.1
Ethik in der Unternehmensvision und -strategie
In der Unternehmensvision und strategie wird die gesamte Zukunftsausrichtung eines Unternehmens festgelegt. Grundlegend für die Strategie ist die Sinngebung für die unternehmerische Tätigkeit in Form einer Vision. Die Unternehmensvision expli ziertdiegrundlegendeSinnorientierungundspiegeltdasWertesystemdesUnterneh mens wider. Sie muss für alle verständlich und ansprechend sein, Richtung für die Zukunft geben, emotionale Identifizierung schaffen, herausfordernde und moralisch vertretbareZieleformulieren,jedemeinzelnenAkteurimUnternehmeneineMöglich keitgeben,seineeigeneRollebeiderVerwirklichungderVisionwahrzunehmen. Eine Unternehmensvision kann als Bekenntnis eines Unternehmens zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung bezeichnet werden. Praktisch jedes Großunterneh men hat eine entsprechende Formulierung auf seiner Homepage, hier sind einige Beispiele: Siemens: „Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung und engagieren uns für eine bessereWelt.“280
279 Vgl.InstitutfürWirtschaftsethik:Unternehmensverantwortung,S.24. 280 http://www.siemens.com/index,KurzportraitundLeitlinien.
232
Ethik von Unternehmen
BMW Group: „Die BMW Group setzt in der Automobilbranche neue Maßstäbe. Als internationaltätigesundverantwortungsbewusstesUnternehmenstehenwirweltweit gesellschaftlichundökologischinderVerantwortung.“281 BayerAG:„BayeristeinweltweittätigesUnternehmenmitKernkompetenzenaufden Gebieten Gesundheit, Ernährung und hochwertige Materialien. Mit unseren Produk tenundDienstleistungenwollenwirdenMenschennützenundzurVerbesserungder Lebensqualität beitragen. Gleichzeitig wollen wir Werte schaffen durch Innovation, WachstumundeineweiterverbesserteErtragskraft“.282 AllerdingsreichteineVisionalleinnicht,umdiekonkretenWegeundMaßnahmenfür die Übernahme der Verantwortung anzudeuten. Diesem Zweck dienen Unterneh mensleitbildundUnternehmensstrategie. KonkreteVerantwortungsnormenbeiderUmsetzungderVisionwerdeninFormvon Grundsätzenformuliert,diezusammeneinUnternehmensleitbildformen.Diemeisten GroßunternehmennenneninihrenLeitbildernexplizitdieAdressatenderVerantwor tung – Mitarbeiter, Kunden, Aktionäre (Eigentümer) und Öffentlichkeit – und be schreiben ihre ethische Verpflichtung gegenüber jeder Gruppe (s. Fallbeispiel Bayer AG,nächsteSeite). EineUnternehmensstrategiedefiniertdieWegezumZielundumfasstfolgendeprakti sche Fragestellungen, die bei der Überprüfung ethischerAspekte unternehmerischen HandelnsalsEckpunktedienenkönnen:
dieWahlvonProduktMarktKombinationen; EntscheidungeninBezugaufdieInternationalisierung; EntscheidungenüberdieOrganisationsstrukturundgrenzen(Organisationsstruk turen,Zukäufe,Outsourcing,horizontale/vertikaleIntegrationetc.);
Entscheidungen in Bezug auf die Unternehmensform (Aktiengesellschaft, GmbH etc.);
Kooperationen:Konzerne,StrategischeAllianzen,Netzwerkeetc.; die Wahl von Personalstrategien (Aufbau, Erhalt, Förderung, optimale Nutzung, AbbaudesPersonals).
281 http://www.bmwgroup.com/d/nav/index.html,Verantwortung. 282 http://www.bayer.de/de/ProfilundOrganisation.aspx.
233
13.2
13
Unternehmensethik
Fallbeispiel: Leitbild von Bayer AG (Quelle: http://www.bayer.de/de/Leitbild.aspx Bayer will mit seinen Produkten und Dienstleistungen den Menschen nützen und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Wir sind angetreten, ein neues Bayer zu schaffen – fokussiert auf seine Kunden, seine Stärken, seine Potenziale und auf die Märkte der Zukunft: ein internationales Spitzenunternehmen, das durch seine Produkte überzeugt, durch hoch qualifizierte Mitarbeiter, TopLeistung und Innovationskraft beeindruckt und sich der Steigerung des Unternehmenswertes sowie langfristigem Wachstum verschrieben hat. Mit unseren besonderen Kenntnissen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Materialien wollen wir uns künftig auf die Bereiche: Gesundheit, Ernährung, hochwertige Materialien konzentrieren und damit Krankheiten vorbeugen, diagnostizieren, lindern und heilen, zu einer gesunden und ausreichenden Ernährung für eine stetig wachsende Weltbevölkerung beitragen, einen Beitrag für hohe Lebensqualität und ein aktives Leben leisten. Unsere Werte: Mit ihrem großen Wissen und ihrer Innovationskraft wollen unsere Mitarbeiter in der ganzen Welt auf der Basis gemeinsamer Werte die Zukunft aktiv mitgestalten. Wir respektieren und schätzen die nationale und kulturelle Vielfalt der Menschen in unserem Unternehmen und wissen, dass die Kompetenz und das Engagement unserer Mitarbeiter die Grundlage für unseren Erfolg sind. Wir wollen den Unternehmenswert nachhaltig steigern und orientieren uns an den Interessen unserer Aktionäre, unserer Kunden, unserer Mitarbeiter, unserer sonstigen Geschäftspartner und der Gesellschaft. Wir wollen durch Qualität, Leistungsfähigkeit, Verlässlichkeit, Flexibilität und Offenheit überzeugen, durch integres Verhalten Vertrauen schaffen und uns ständig verbessern. Wir wissen, dass wir nur durch die Bereitschaft zur Veränderung auf Dauer wettbewerbsfähig sein können, und handeln in diesem Sinne. Im Mittelpunkt unserer Tätigkeit steht der Kunde. Wir arbeiten mit unseren Kunden partnerschaftlich zusammen, um für beide Seiten Wert zu schaffen. Unsere Struktur bietet die Voraussetzung für ein großes Maß an Eigenverantwortung und unternehmerisches Handeln. Wir ermutigen und motivieren unsere Mitarbeiter, ihre Kreativität und ihre Fähigkeiten für den gemeinsamen Erfolg einzubringen, und fördern ihre berufliche und persönliche Weiterentwicklung. Wir bekennen uns zur Rolle eines sozial und ethisch verantwortlich handelnden „Corporate Citizen“ und zu den Prinzipien des Sustainable Development. Wir wollen uns aktiv in Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung einbringen und beteiligen uns am Dialog mit den interessierten Gruppen der Gesellschaft. Unsere technische und wirtschaftliche Kompetenz ist für uns mit der Verantwortung verbunden, zum Nutzen der Menschen zu arbeiten, uns sozial zu engagieren und einen nachhaltigen positiven Beitrag für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung zu leisten. Das Einhalten dieser Handlungsgrundsätze spielt für uns eine große Rolle. Deshalb beurteilen wir unser Management nach Führungsprinzipien, die auf unseren Werten beruhen.
234
Ethik von Unternehmen
13.2.2
Beispiel: Umweltbewusstsein und Strategie
Die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft ist durch ein hohes Umweltbewusstsein gekennzeichnet. Ein Bekenntnis zum umweltverantwortlichen Handeln ist bei vielen UnternehmenzueinerSelbstverständlichkeitgewordenundwirdaufderHomepage und in der Werbung breit kommuniziert. Allerdings erwecken manchmal die von einigen Großunternehmen veranstalteten Umweltkampagnen den Eindruck, ein gro ßer Umweltsünder würde versuchen, mit großzügigen Spenden alles wieder gut zu machen.ManproduziertohneRücksichtaufdieUmwelt,umdanneinenBruchteildes Gewinns für den Umweltschutz zu sponsern. Diese Art des Umweltbewusstseins existiert nur in der Publik Relations und hat mit einer wahren Verantwortung wenig zutun. Ein Zeichen eines tief verankerten Umweltbewusstseins ist die Einbindung der Um weltverantwortung in alle Entscheidungen des Unternehmens, insbesondere in seine Strategie. Dabei geht es nicht unbedingt um Nachteile und zusätzliche Kosten durch den Umweltschutz. Viele Unternehmen haben bereits erkannt, dass ein umweltbe wusstes Verhalten zu einem Wettbewerbsvorteil werden kann, wenn man sich durch eine Differenzierungsstrategie von Konkurrenten absetzt oder durch geschickte Ver wertungvonAbfällenzusätzlicheGewinneerzielt. Wie kann der Umweltschutz in die Unternehmensstrategie praktisch integriert wer den?Esistsinnvoll,dieMaßnahmenaufvierstrategischenEbeneneinzelnzubetrach ten:283
Umweltschutz als Unternehmensziel: Eine Deklarierung des Umweltbewusstsein inUnternehmensvisionundgrundsätzen;
Umweltbewusste Unternehmensstrategie: Umweltfreundliche Produkte (Ge schäftsbereichsportfolio) und Prozesse (Verzicht auf umweltgefährdende Verfah ren und ganze Geschäftseinheiten), Optimierung der Wertschöpfungskette mit demZielderUmweltfreundlichkeitetc.;
Umweltverantwortliche Geschäftsbereichsstrategien: Differenzierungsstrategie durch eine Konzentration auf das Marktsegment der ökologisch bewussten Ver braucher(ÖkoProdukte,umweltfreundlicheVerpackung,Recyclingetc.);
Umweltbewusste Funktionsbereichsstrategien: Ausrichtung der Forschung und Entwicklung auf umweltgerechte Innovationen, Umweltschutzaktivitäten in der Produktion, umweltfreundliche Abfallwirtschaft, ökologische Beschaffungsrichtli nien, Umweltbewusstsein im Absatzbereich (Reduzierung und Entsorgung von Verpackung,besonderePreispolitikbeiÖkoProdukten,umweltfreundlicheLogis tik,WerbungfürumweltschonendeProdukteetc.)
283 Vgl.Göbel,E.:Unternehmensethik,S.152156.
235
13.2
13
Unternehmensethik
13.2.3
Stakeholder und ihre Interessen
StakeholdersinddieAdressatenderUnternehmensverantwortung.DerBegriff„Sta keholder“ deutet auf Personen, die einen Einsatz im Unternehmen halten (to be at stake=etwasstehtaufdemSpiel),wirdaberallgemeinweitergefasst,alsalle,dievon der Unternehmenstätigkeit direkt oder indirekt betroffen sind. Zu den Stakeholdern zählen vor allem Kapitaleigner (Eigen und Fremdkapitalgeber), Mitarbeiter (die ihr Humankapital in das Unternehmen einbringen), Kunden, Lieferanten, Vertriebspart ner,Kooperationspartner,Konkurrentenetc. DieweiterfolgendeAbbildungstelltdiewichtigstenStakeholdereinesUnternehmens dar.DiewichtigstenStakeholdersindInvestoren,dieBelegschaft(Führungskräfteund Mitarbeiter),LieferantenundKunden.DieseBeziehungensindfürdasUnternehmen überlebenswichtigundsindnormalerweisevertraglichgeregelt.DieweiterenBezugs gruppen spielen auch eine bedeutende Rolle für Unternehmen: Kooperationspartner, Konkurrenten, staatliche und örtliche Institutionen sowiepolitische und andere Inte ressengruppenundVerbände.AlleStakeholderhabenihreeigenen,spezifischenInte resseninBezugaufdasHandelndesUnternehmens. ZudenStakeholdernzähleninersterLiniedieShareholderoderallgemeinerKapital geber(Investoren),dieihrKapitalindasUnternehmeninvestierenunderwarten,dass diesesvermehrtoderzumindesterhaltenwird.DirekteEigentümerkönnenoffensicht lichnurbedingtalsexterneAdressatenderVerantwortungbezeichnetwerden,dasie selbstindieUnternehmensentscheidungeninvolviertsind.AndersistesbeiAktienge sellschaften: Die Aktionäre haben in der Regel mit der Führung des Unternehmens nichtszutun,insoferngeltensiealsAdressatenderUnternehmensverantwortung. Abb.52:
StakeholdereinesUnternehmens
Kooperationspartner
Investoren
Konkurrenten
Lieferanten
Unternehmen
Kunden
Staatliche und örtliche Institutionen
Führungskräfte und Mitarbeiter
Politische und andere Interessengruppen
236
Ethik von Unternehmen
Die Belegschaft eines Unternehmens wünscht sich sinnvolle Beschäftigung, sichere Arbeitsplätze,angemesseneArbeitsbedingungen, gerechteEntlohnung undAnerken nung, positives Arbeitsklima, offene Kommunikation etc. Da Führungskräfte und Mitarbeiter zu den internen Stakeholdern zählen, werden sie im Kapitel „Ethik in Unternehmen“ausführlichbetrachtet. Als nächste wichtige Bezugsgruppe sind die Kunden zu nennen. Sie haben folgende Interessen in Bezug auf Unternehmen: qualitativ hochwertige, sichere und zugleich preiswerte Produkte und Dienstleistungen, die am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt erworben werden können, ehrliche und verständliche Produktinformatio nen und perfekten Service (eventuell Verpackung, Lieferung, Installation, Wartung, gegebenenfalls Umtausch und Entsorgung). Beziehungen zu den Kunden sind für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, deswegen rückt diese Bezugsgruppe besonders häufig in den Mittelpunkt des Interesses eines Unternehmens. Man ver suchtineinenDialogmitKundeneinzutreten,ihreMeinungüberProdukte,Services und Image des Unternehmens zu erforschen und zu beeinflussen. Die ethischen Fra genspielendabeieinewichtigeRolle. LieferantensindanlangfristigenLieferbeziehungensowieanpünktlicherundgerech terBezahlunginteressiert. Zum Teil nehmen die Stakeholder ihre Interessen nicht selbst wahr, sondern lassen sich durch andere Personen oder Institutionen vertreten. „Ihre Ansprüche werden dannstellvertretendvonBanken,FondsmanagernoderspeziellenVerbänden(fürdie Shareholder),vonBetriebsrätenoderGewerkschaften(fürdieMitarbeiter),Testinstitu tenundVerbraucherberatungen(fürdieKunden)gestellt.“284 Ferner werden zu den Stakeholdern weitere Bezugsgruppen gezählt. Konkurrenten werdenvondemHandelneinesUnternehmensbetroffen,voralleminBezugaufdie Wettbewerbsmethoden. Deswegen können Konkurrenten beispielsweise legitimeAn sprüche an einen fairen Wettbewerb stellen und gegebenenfalls für ihre Rechte vor Gericht gehen. Weiterhin können Kooperationspartner als Stakeholder bezeichnet werden, die im Rahmen von Kooperationen am ethischen Handeln ihres Partners interessiertsind.AuchderStaatvoralleminseinerRollealsFiskusmitdemAnrecht auf Steuerzahlungen sowie die Standortgemeinden sind als Stakeholder zu nennen. Die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf die Arbeitsplatzsituation, Infrastruktur und Umweltbedingungen (Schmutz, Lärm etc.) können für den Staat, KommunenundAnwohnerenormsein. DieÖffentlichkeitkanngleichzeitigalsAdressatundalsInstanzderUnternehmens verantwortung angesehen werden. Nach Ulrich, spielt die Öffentlichkeit in der mo dernen Gesellschaft die entscheidende Rolle in Bezug auf die Forderung und Förde rungvonUnternehmensethik.AufdereinenSeite,wächstdieMachtderMedienkon 284 Göbel,E.:Unternehmensethik,S.117.
237
13.2
13
Unternehmensethik
tinuierlich,sieentwickelnsichzueinerstimmungsmachendenundrichtungsgebenden KraftderGesellschaft.EinFernsehoderZeitungsberichtüberunmoralischesVerhal ten eines Managers bedeutet häufig das Ende seiner Karriere.Auf der anderen Seite steigtdasVerantwortungsgefühlengagierterBürger,diesichzunehmendorganisieren und mehr Einfluss auf das soziale Geschehen nehmen. Die deutsche Bevölkerung schneidetiminternationalenVergleichalsbesondersumweltbewusstab,dieIdeender ethischenVerantwortungvonUnternehmengewinnenanPopularität.AlsErgebnisse diesesProzessessindsolchePhänomenewiebewussteErnährungundKaufvonBio Produkten, Kaufblockaden „unmoralischer“ Unternehmen und Unterstützung von fairemHandelzunennen.
13.2.4
Corporate Social Responsibility-Bewegung
Immer mehr Anerkennung findet das gesellschaftlich verantwortliche Handeln von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR).285 Es werden Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und soziale Verantwortung angestrebt. Viele Unternehmen be kennensichzurgesellschaftlichenVerantwortung,dievermehrtalsWettbewerbsfaktor angesehenwird.DerwirtschaftlicheSinnunternehmerischerVerantwortungwirdmit folgendenArgumentenbelegt:286
der gesellschaftliche Bewusstseinswandel kann neue Geschäftsfelder eröffnen (TechnologienfürerneuerbareEnergien,Prüfverfahrenetc.);
ethisch verantwortliches Handeln stärkt Vertrauen der Kunden, Lieferanten, Ko operationspartner;
UnternehmensethikwirktsichpositivaufdieBelegschaftausundfördertIdentifi kation,MotivationundLoyalität;
ressourcenschonendesWirtschaftenspartKosten; umweltverträgliches und gesellschaftlich akzeptiertes Handeln minimiert unter nehmerischeRisiken(vonUmweltkatastrophenbiszumKundenboykott). Deutsche Unternehmen spielen in der CSRBewegung eine führende Rolle und sind „mitihrerÜbernahmegesellschaftlicherVerantwortungfürBildung,Jugend,Migran tenoderihremglobalenEngagementfürUmweltschutzundMenschenrechteweltweit vorbildlich“–bestätigtderÖkonomundEthikerJosefWielandvomKonstanzerInsti tut für Wertemanagement, der zurzeit zusammen mit weiteren 300 Wissenschaftlern aus 80 Ländern an einem globalen CSRStandard ISO 26000 arbeitet. Als Grundlage für diese Norm dienen die Sozialstandards der Internationalen Arbeitsorganisation ILOunddiedarüberhinausgeltendenPrinzipiendesGlobalCompactderUNO,die 285 Vgl.SpezialCorporateSocialResponsibility,WirtschaftswocheNr.51/2006,S.47. 286 Ebd.,S.48.
238
Ethik in Unternehmen
Unternehmen zu umweltfreundlichem und korruptionsfreiem Handeln verpflich ten.287 FastalleDaxKonzerneinDeutschlandhabenCSRinihrstrategischesHandelninteg riert. Die Palette praktischer Maßnahmen ist sehr breit. Die Deutsche PostAG mini miert die Umweltbelastungen ihrer Fahrzeuge durch logistische Optimierung und UmstellungaufErdgasundHybridantrieb.DieDeutschlandFilialevonMicrosofthat eineLernsoftwarefürSpracherlernenentwickeltundin1000Kindergärteninstalliert. AllerdingsisteinoffiziellesBekenntniszuCSRnichtimmereineGarantiefürethisches Handeln.EinigeUnternehmenbetrachtendieCSRMaßnahmenalsImagekampagnen undrühmenihreigenessozialesEngagementaufihrenHomepages,undfallendann durchihreKorruptionoderAusbeutungvonKinderninderdrittenWeltauf. ImmermehrUnternehmenbezeichnensichalsCorporateCitizenship(Unternehmens bürger) und wollen ihren Beitrag zu gemeinsamen Wohl leisten. Sie engagieren sich gesellschaftlich und kulturell, bilden solidarische Netzwerke und versprechen sich VorteiledurchReputationundRespekt.AuchCorporateVolunteering(Ehrenamt)der deutschen Unternehmen nimmt ständig zu: Mitarbeiter des Elektrokonzerns ABB engagierensichjährlichbeidennationalenSpecialOlympicsfürBehinderte,dieAzu bis der Deutschen BahnAG führen Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskri minierungdurch,dieMitarbeitervonVodafonebauenSpielplätzefürKinder.288 AlledieseMaßnahmenundInitiativensindpositivzubewerten,solangesienichtmit dem Selbstziel einer Imagekampagne organisiert werden, um hinter dieser Fassade unmoralischesHandelnzubetreiben.SozialesEngagementmusszueinemfestenTeil derUnternehmensstrategieundsystematischerArbeitwerden.
13.3
Ethik in Unternehmen
Ethische Fragestallungen betreffen sowohl das Verhalten des Unternehmens nach außerhalb,alsauchseininternesGeschehen.AlseineselbstständigeHandlungseinheit trifft ein Unternehmen seine Entscheidungen in Bezug auf interne Angelegenheiten undistseinerganzenBelegschaftgegenüberverantwortlich.AlsEntscheidungsträger sind hier nicht nur die TopManager, sondern alle Akteure des Unternehmens ge meint.DasVerhalteninnerhalbdesUnternehmenswirdgrundsätzlichvonindividuel lerEthikundinstitutionellenNormenundWertenbestimmt,dieeinengeschriebenen und ungeschriebenen ethischen Rahmen bilden. Dieser Rahmen wird in den Unter nehmens und Führungsgrundsätzen verankert sowie in der vorherrschenden Unter nehmenskulturgelebt.„DienormativenGrundsätzederGestaltungder Beziehungen 287 SpezialCorporateSocialResponsibility,WirtschaftswocheNr.51/2006,S.48. 288 Ebd.,S.52.
239
13.3
13
Unternehmensethik
oder Relationen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern“ bilden nach Ulrich das Untersuchungsfeld der Führungsethik.289 In dieser Ethik ist das Personal des Unter nehmens als Verantwortungsobjekt zu bezeichnen, wogegen als moralische Subjekte einzelne Personen (Führungskräfte, Mitarbeiter) und Unternehmen als Ganzes (seine institutionellen ethischen Rahmenbedingungen) fungieren. Beide Subjekte der Ver antwortung stehen in einer Wechselbeziehung zu einander: Das individuelle Füh rungshandeln wird kanalisiert und unterstützt/verhindert durch den institutionellen Rahmen, der sich andererseits durch die Führungsentscheidungen permanent verän dert.DieseAspektederEthikinUnternehmenwerdenimWeiterendiskutiert.
13.3.1
Ethisches Führungsverhältnis
FührungsethikbeschäftigtsichmitderFragedermenschenwürdigenundfairenGes taltungderBeziehungzwischenVorgesetztenundMitarbeitern. Diese Gestaltung beginnt mit einer Definition des legitimen Führungsverhältnisses. Die Möglichkeit, Führung auszuüben und damit andere Personen zu beeinflussen, beruhtaufMacht.InAnlehnungaufdieklassischeDefinitionvonMaxWeberwirdals Macht die Chance bezeichnet, in einer sozialen Beziehung seinen eigenen Willen auchgegenWiderstanddurchsetzenzukönnen.FürdieInstitutionUnternehmenist meistensdieMachtaufderGrundlageeinerformalenPositioninnerhalbeinerHierar chietypisch.EssindStellenbeschreibungenundArbeitsverträge,diedieMachtbefug nisse einzelner Personen in der Unternehmensstruktur definieren. Allerdings kann man neben dieser Macht weitere Machttypen definieren. Nach Weinert umfasst die TypologiederMachtsiebenverschiedeneQuellen:290 1.
MachtaufderGrundlageeinerformalenPosition,
2.
Belohnungsmacht (entsteht durch die Fähigkeit des Managers, für gute Leistun genökonomischeoderpsychologischeBelohnungenzuverteilen),
3.
Macht, die sich auf Zwang und Druck stützt (basiert auf Furcht vor Bestrafung etc.),
4.
Expertenmacht(basiertaufdenFähigkeitendesFührers,SituationenundAufga benalsExpertezuevaluieren,zuanalysierenundzukontrollieren),
5.
ReferenzundcharismatischeMacht(basiertaufeinerIdentifizierungderGeführ tenmitihremFührerundergibtsichauspersönlicherAnziehungskraftundCha risma),
6.
Überzeugungskraftsowie
289 Vgl.Ulrich,P.:Führungsethik,S.230. 290 InAnlehnunganWeinert,A.:Organisationspsychologie,S.421422.
240
Ethik in Unternehmen
7.
Informationsmacht(basiertaufderKontrolleüberInformationen).
Jede Führungskraft hat mehrere Machtquellen, auf denen sie ihr Führungsverhalten aufbauenkann,sollteallerdingsdieseQuelleethischbewerten.WährenddieLegitima tionsmachtansicheherneutralist,istdieMacht,diesichaufZwangundDruckstützt, negativ zu betrachten. Die Konsequenzen solcher Machtausübung können schlechte Leistung, gefälschteArbeitsberichte und innere Kündigung sein.Auch das Benutzen der Information als Macht hat nichts mit offener Kommunikation und leistungsför dernderArbeitsatmosphäre zu tun. Insbesondere vor dem Hintergrund der Wissens gesellschafthatdieGeheimhaltungvonInformationeninnerhalbeinesUnternehmens negativeAuswirkungen auf den Unternehmenserfolg.Als mehr oder weniger mora lischundangemessenkönnenandereMachtquellenangesehenwerden(insteigender Reihenfolge ihrer positiven Auswirkung): Belohnungsmacht, Überzeugungskraft, ExpertenmachtundReferenz(Identifikations)undcharismatischeMacht.DieMacht durchIdentifikationundCharismaergibtsichausderpersönlichenAnziehungskraft, demWissenund/oderderPopularitätdesFührenden.Normalerweisebasierteinrea lesFührungsverhaltenaufeinerKombinationausallengenanntenMachtquellen. IneinemasymmetrischenFührungsverhältniskanneszueinemMachtmissbrauchin derPraxiskommen,insbesondereinwirtschaftlichangespanntenSituationenwiebei hoher Arbeitslosigkeit. „Wird die Zwangslage eines Arbeitnehmers ausgenutzt, um Druckauszuüben,sodasserschlechtenArbeitsbedingungennotgedrungenzustimmt, oder nutzt die Führungskraft die schlechtere Informationslage eines Arbeitnehmers, umihnüberwesentlicheVertragsinhaltezutäuschen,dannkommtgarkeinlegitimes Führungsverhältniszustande,auchwennmöglicherweiseeinVertragvorliegt“,erklärt E.Göbel.291DarüberhinausistdieLegitimitätdesFührungsverhältnissesaufdieAuf gaben des Stelleninhabers in seiner Rolle als Mitarbeiter begrenzt: Das Auffordern zumPutzenderPrivatwohnungdesChefsistgenausoillegitim,wiedieAnweisungen andieVerkäuferin,dasabgelaufeneFleischneuzuetikettieren. Eine verantwortungsvolle Gestaltung des Führungsverhältnisses setzt in erster Linie voraus,dasseinMitarbeiternichtalsbloßerProduktionsfaktor,sondernalseinewür devolle, einmalige Persönlichkeit betrachtet wird. Folglich gehören zur Ethik in Un ternehmenfolgendeNormen,dieaufdenallgemeinenMenschenrechtenbasieren:
GegenseitigeWertschätzungundAchtung; Fairness und Chancengleichheit bei der Einstellung, Bezahlung und Beförderung derMitarbeiter;
SchutzderPrivatsphäre(Datenschutz); offene Information und Kommunikation der Belegschaft über unternehmerisches Geschehen; 291 Göbel,E.:Unternehmensethik,S.172.
241
13.3
13
Unternehmensethik
humaneArbeitsbedingungenundArbeitsplatzsicherheit; sinnvolleundabwechslungsreicheAufgaben; MöglichkeitenfürWeiterbildungundEntwicklungderMitarbeiter. Diese Auflistung macht deutlich, dass für die Definition und Gewährleistung dieser Normen die institutionellen Rahmenbedingungen und das praktische Verhalten der Führungskräfteverantwortlichsind.DieSollWerteundNormenfüreinenethischen Umgang zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sollen verbindlich und explizit festgelegtundvonallenUnternehmensakteurengelebtwerden.
13.3.2
Institutionelle Rahmenbedingungen
Als eine selbstständige moralfähige und pflichtige Handlungseinheit legt ein Unter nehmen seine internen ethischen Prinzipien fest, die als normative Basis für die Zu sammenarbeit und das Zusammenleben im Unternehmen gilt. Die in den Unterneh mensgrundsätzenundleitbilderndefiniertenethischenPrinzipien(vgl.Kapitel13.2.1) betreffenunteranderemdenUmgangdesUnternehmensmitseineneigenenMitarbei tern, strategische Entscheidungen in Bezug auf die Mitarbeiter beinhalten ebenfalls moralischeAspekte. Typische Aussagen der Unternehmensleitlinien in Bezug auf die Mitarbeiter sind: Achtung der Würde jeden Mitarbeiters, Gleichberechtigung, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, Entfaltung und Entwicklung der Mitarbeiterfähigkeiten, Recht auf die Bildung einer Mitarbeitervertretung, offene Information, Vertrauen und Re spekt,angemesseneEntlohnung. EinAuszug aus dem oben diskutierten Beispiel desLeitbildesder BayerAG, indem dieVerantwortung gegenüberderBelegschaftbeschriebenwird,solldaskonkretisie ren: „Wir respektieren und schätzen die nationale und kulturelle Vielfalt der Men schen in unserem Unternehmen und wissen, dass die Kompetenz und das Engage ment unserer Mitarbeiter die Grundlage für unseren Erfolg sind. Unsere Struktur bietetdieVoraussetzungfüreingroßesMaßanEigenverantwortungundunternehme risches Handeln. Wir ermutigen und motivieren unsere Mitarbeiter, ihre Kreativität und ihre Fähigkeiten für den gemeinsamen Erfolg einzubringen, und fördern ihre beruflicheundpersönlicheWeiterentwicklung.“292 Ein Bekenntnis zum ethischen Umgang mit den Mitarbeitern reicht nicht aus, diese PrinzipiensolleninZieleundStrategienumgesetztwerdenundvonallenBeteiligten gelebtwerden. Bei der Personalauswahl, beurteilung und honorierung sollten moralische Kriterien angewendet und berücksichtigt werden. Dies betrifft sowohl die sozialen Kompeten 292 Vgl.http://www.bayer.de/de/Leitbild.aspx.
242
Ethik in Unternehmen
zen der Mitarbeiter, als auch die Verfahren an sich, die fair, gerecht und transparent sein sollen. Bei der Personalentwicklung kann ein Unternehmen ethische Kompeten zenalseinsderWeiterbildungszieledefinierenundverfolgen.Ebensosollendieethi schenAspekteindieGestaltungderOrganisationsstrukturintegriertwerden:Beider Arbeitsorganisation sollten die Mitarbeiter nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Personen mit Würde betrachtet werden, die nach sinnvollen, eigenverantwortlichen AufgabenundEntwicklungstreben.MehrMitbestimmung,PartizipationundBeteili gunganunternehmerischenEntscheidungensindhieralsLösungenhilfreich. WomöglichsolltenLeitlinienundGrundsätzequantifiziertwerden,z.B.dieGleichbe rechtigung der Frau als Grundsatz könnte als ein operationales Ziel „bis 2010 den FrauenanteilinFührungspositionbisauf30Prozenterhöhen“formuliertwerden,was die Überprüfung der Zielerreichung ermöglicht. Der Leitsatz in Bezug auf Bekämp fung von Korruption und Bestechung könnte in eine praktische Richtlinie über die zulässigeGrenzevonGeschenken,EinladungenundsonstigenVorteilenumgewandelt werden.DasBekenntniszurgerechtenEntlohnungundgegenseitigenWertschätzung könnte von der Transparenz in Bezug auf die Löhne und Gehälter aller Unterneh mensmitglieder,inklusivTopManagerunterstütztwerden. ImEndeffektkommtesvorallemdaraufan,obdievorgeschriebenenethischenWerte und Normen tatsächlich akzeptiert und gelebt werden. Diese geteilten, in einem Un ternehmen geltenden Werte und Normen bilden den Kern der Unternehmenskultur. Deswegen ist eine regelmäßige Überprüfung und eventuell eine (Um)Gestaltung der Unternehmenskultur (s. Kapitel 12) auch für die Unternehmensethik von besonderer Bedeutung.Als weitere Maßnahme zur Unterstützung der Unternehmensethik dient der Aufbau spezieller Stellen oder Kommissionen für ethische Fragen. In der Praxis sindesoftBeauftragtefürGleichstellungoderArbeitssicherheit,Arbeitskommissionen zueinzelnenethischenFragen,wiegegenseitigeWertschätzungoderFrauengleichstel lung. An solchen Kommissionen nehmen neben Mitarbeitern der Personalabteilung engagierteMitarbeiter,BetriebsratsmitgliederundexterneExpertenteil. VieleUnternehmenbenutzenFührungsleitlinien,dieverbindlicheWerteundNormen imUmgangzwischenFührungskräftenundMitarbeiterndefinieren,alseinwirksames InstrumentfürdieSicherungdesethischenVerhaltensundderQualitätderFührung.
243
13.3
13
Unternehmensethik
Fallbeispiel: Einführung und Implementierung von Führungsleitlinien bei dem Unternehmen ProACTIV (Quelle: Franken, S.; Steinhausen, F.: TopPerformance der Personalführung)
ProACTIV ist ein international tätiges Unternehmen der Versicherungsbranche mit Sitz in Hilden. Im Januar 2006 lag die ProACTIV Beschäftigtenzahl bei insgesamt 440 Führungskräften und Mitarbeitern. Die strategischen Eckpfeiler des Unternehmens konzentrieren sich auf das Geschäftsfeld Bank- und Postkooperationen. Hierbei bildet ProACTIV als Dachorganisation die Management- und Verwaltungsgemeinschaft der CiV Versicherungen und der Postbank (PB) Versicherungen. 2005 wurde bei ProACTIV ein Projekt zur Entwicklung und Implementierung von Führungsleitlinien gestartet, die Qualität und ethische Prinzipien des Führungsverhaltens regeln sollten. Alle Abteilungen, Arbeitsgruppen und Mitarbeiter wurden zur Teilnahme an der Formulierung der Leitlinien eingeladen. Als Ergebnis kamen sieben Führungsleitlinien zustande, die nach einer breitangelegten Diskussion und der Zustimmung des Betriebsrates verbildlich eingeführt wurden: 1. Wir kommunizieren mit unseren Mitarbeitern einheitlich und klar. 2. Wir handeln als Vorbild damit sich unsere Mitarbeiter daran orientieren können. 3. Wir fördern und fordern unsere Mitarbeiter – sie sind das Potenzial und die Energie unseres Unternehmens. 4. Wir nehmen unsere Verantwortung für den Unternehmenserfolg aktiv wahr. 5. Wir stehen zu unseren Fehlern und nutzen sie als Chance für Verbesserungen. 6. Wir arbeiten partnerschaftlich, ergebnisorientiert und konstruktiv zusammen. 7. Wir denken und handeln zukunfts- und ertragsorientiert. Für die Implementierung der Führungsleitlinien im Unternehmen wurde ein Maßnahmenkatalog erstellt. Hierbei entschied sich die Projektleitung zur Bekanntgabe der Führungsleitlinien im Rahmen abteilungsinterner Teamsitzungen. In der nachfolgenden Zeit wurden Teamsitzungen im ganzen Unternehmen durchgeführt. Zum Abschluss der Teamsitzungen verpflichteten sich die Führungskräfte zu einem Führungsverhalten, das sich konsequent an den Führungsleitlinien ausrichtet. Zusätzlich versucht ProACTIV die Anwendungssicherheit der Führungsleitlinien zu erhöhen, indem sie mit den jährlich stattfindenden Führungskräftebeurteilungen abgestimmt werden. Der Führungskräftebeurteilungsbogen beinhaltet u.a. Angaben zur Kommunikations-, Informations- und Kooperationsfähigkeit der Führungskräfte. Eine weitere Maßnahme zur Implementierung der Führungsleitlinien bestand in der Entwicklung des „ProACTIV Führungsleitlinien-Würfels“. Dieser entstand auf Vorschlag des Projektteams und wurde allen Führungskräften und Mitarbeitern während der eingangs geschilderten Teamsitzungen ausgehändigt. Der Würfel (s. Abbildung oben) soll symbolisch die Anwendung der Führungsleitlinien unterstützen.
244
Ethik in Unternehmen
13.3.3
Führungsleitlinien als normative Anforderungen
Werte, Normen und praktische Instrumente der Führung werden in Unternehmen häufiginFormvonFührungsleitlinien(bzw.grundsätzen)definiert.Dabeiisteswich tig, dass die Führungsleitlinien mit den übergeordneten Unternehmensleitlinien ver knüpftsind,dieallgemeineethischePrinzipiendesUnternehmensbestimmen. Führungsleitlinien versuchen die Führungsbeziehungen zwischen den Führungskräf tenundMitarbeiterneinesUnternehmenszunormieren,mitdemZieleinenoptimalen Führungskontext zu schaffen. Es wäre unmöglich und überflüssig, in den Leitlinien allemöglichenSituationenundVerhaltensweisenvorzuschreiben.DieFührungsleitli nien sollen eine ethische Richtung geben und zugleich genug Spielraum für situati onsbezogeneHandlungenderFührungskräftezulassen. Die überwiegende Mehrheit deutscher Unternehmen, insbesondere die großen und mittelständischen, verfügen über schriftlich definierte Führungsleitlinien. Aufgrund von Analysen und Studien können folgende typische Inhalte der Führungsleitlinien bei Großunternehmen identifiziert werden: Kommunikation und Information; Offen heitundVertrauen;FairnessundPartnerschaftlichkeitsowiekooperativeFührung.293 FürdiepraktischeEntwicklungvonFührungsleitliniensolltejedesUnternehmenindi viduellunterschiedlicheundspezifischeInhaltedefinieren,dieaufdieBesonderheiten desUnternehmensundseineGesamtstrategieabgestimmtsind. FührungsleitlinienverfolgendasZiel,adäquateFührungsstrategien,stileundmittel sowieVerantwortungundSpielräumederFührungskräftefestzulegen.Siebildeneine gemeinsame und einheitliche ethische Grundlage für die Führung in Unternehmen underfüllendadurchdiesogenannteOrientierungsfunktion.Darüberhinauskönnen sieineinemgewissenRahmenstandardisierendwirken,dasiedieBasisstandardsfür das Führungsverhalten definieren (Standardisierungsfunktion). Die PublicRelations FunktionderFührungsleitlinienistnachaußengerichtetundsprichtdieStakeholder des Unternehmens an, indem die Öffentlichkeit einen Einblick in die internen Füh rungsprinzipienbekommt. Wer sollte die Führungsleitlinien im Unternehmen bestimmen und wie sollte es ge schehen? Nicht allein das Ergebnis „Führungsleitlinien“, sondern insbesondere der Prozess derer Erstellung ist wichtig. Eine normative Regelung der Beziehungen zwi schen Führenden und Geführten ist nach Neuberger eine strategische Entscheidung, dieBeratung,DialogundBeteiligungallerBetroffenenerfordert.294WerdenFührungs leitlinienvomTopManagementdesUnternehmensformuliertundalsfertigesErgeb nis der Belegschaft präsentiert, rufen sie meistens nur Unzufriedenheit und Abnei gunghervor.EsmussenormeÜberzeugungsarbeitinFormvonKommunikationsver anstaltungenundDiskussionengeleistetwerden,damitdieseFührungsprinzipienvon 293 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.15 294 Vgl.Neuberger,O.:Führenundführenlassen,S.752753.
245
13.3
13
Unternehmensethik
allen Beteiligten verstanden, akzeptiert und gelebt werden. Investiert man dagegen ZeitundGeldineinegemeinsame,breitangelegteVorbereitungundAusformulierung vonFührungsleitlinien,sozahltessichvermehrtaus.EineoffeneundengagierteDis kussion über die interne Ethik in Unternehmen wirkt sich äußerst positiv aus. Das kanninderPraxisinFormeinesinternenProjektesorganisiertwerden:EineProjekt gruppe, zusammengestellt aus den Vertretern verschiedener Belegschaftsgruppen, entwickelteinenEntwurf,deranschließendmitallenMitarbeiterninAbteilungenund Teamsdiskutiertwird. Die gemeinsame Vorbereitung und Diskussion schafft Offenheit und Transparenz in Bezug auf ethische Prinzipien im Unternehmen und zugleich einen persönlichen Be zug jedes Einzelnen zu den Führungsleitlinien. Nur so kann die Wirksamkeit der normativenFührungsethikgewährleistetwerden,damitsienichtnurfestgeschrieben, sonderngelebtwerdenkann.
13.3.4
Führungskräfteethik
AuchwenneinenormativeBasisfürethischesVerhalteninUnternehmensgrundsätzen undFührungsleitlinienfestgelegtist,hatjederMenscheinengewissenSpielraumfür seinpraktischesHandeln.IndividuelleEthikdesHandelnskanndurchdieRegelund Verordnungennichtersetztwerden.DasbetrifftinsbesonderedieFührungskräfte,die aufgrund der Machtasymmetrie mehr Entscheidungsraum besitzen. Die Macht der Führenden, Entscheidungen zu treffen, die viele Menschen betreffen, verlangt von ihnen eine besondere moralische Verantwortung. Je mehr Macht man besitzt, desto größeristdieVerantwortung. DieFührungskräftebildeneinebesondereReferenzGruppefürethischeStandardsin UnternehmenundsolleneineVorbildfunktionübernehmen.DasVerhaltenderVorge setzten und insbesondere der TopManager wird von den Mitarbeitern beobachtet, reflektiertundbeurteilt. Um die explizit definierten Werte und Normen im Umgang mit Mitarbeitern umzu setzen,sollteeineFührungskraftbereitsein,dieseimUnternehmensalltagzuleben:
Mitarbeiter achten und respektieren – keine Schikane, Beleidigung, persönliche Herabsetzung,sexuelleBelästigung,Mobbing;
keinewillkürlicheunddiskriminierendeBehandlung,sondernFairness,Chancen gleichheitundGerechtigkeit;
RespektierenderPrivatsphäre–keineÜberwachung,Datenschutz,Akzeptanzder Gewissensfreiheit,ethnischenHerkunftundsexuellenOrientierung;
Gewährung humaner Arbeitsbedingungen – Schutz von Leben und Gesundheit, ausreichendePausen,angemesseneEntlohnung;
246
Ethik in Unternehmen
Partnerschaftliche Kommunikation statt Befehl, Erklären statt Diktieren von Ent scheidungen,offeneundehrlicheInformation;
Feedback,AnerkennungguterLeistungen,Lob,konstruktiveKritik; Sinnvolle, abwechslungsreiche, herausfordernde Aufgaben, Möglichkeiten zur sozialenInteraktion;
NachMöglichkeitSelbstkontrolle,Eigenständigkeit,PartizipationanEntscheidun genundMöglichkeitzurWeiterbildungundentwicklung. Allerdings spielen auch die Mitarbeiter in der Gestaltung und Sicherung der Unter nehmensethikeinewichtigeRolle.
13.3.5
Mitarbeiterethik
Oft ist es schwierig, „Schuldige“ der unmoralischen Praktiken zu identifizieren: Wer verschweigt gefährliche Nebenwirkungen von Medikamenten, etikettiert falsch ver dorbeneLebensmittel,fälschtBilanzen,nimmtBestechungsgelderan?Isteseineübli chePraxisimUnternehmen,AnweisungeinesVorgesetztenoderindividuelleSchuld einesMitarbeiters?WievielmoralischenSpielraumbesitzteinMitarbeiter? EinemMitarbeiterkönneneineinnenbetrieblicheundeineVerantwortunggegenüber anderenStakeholdernunterstelltwerden,daseinTunundUnterlassensowohlinterne als auch externe Auswirkungen hat. Zu der innerbetrieblichen Verantwortung zäh len:295
Arbeitsethik – zuverlässige und gewissenhafte Arbeit, Einhalten der Qualität, achtsamer Umgang mit Maschinen und Material, Hinweise auf Fehler, Verbesse rungsvorschläge, Vermeiden von überflüssigen Pausen undArbeitsunterbrechun gensowieprivatenAktivitätenwährendderArbeitszeit;
Kollegialität – Kooperations und Teamarbeitsbereitschaft, wohlwollendes und fairesVerhaltengegenüberdenKollegen,VermeidenvonIntrigen,Schikanenund Informationszurückhalten;
Integrität–keinDiebstahl,keineSabotageundVeruntreuungvonUnternehmens eigentum, kein Bestechlichkeit und keine Bestechung, kein Betrug und keine Fäl schungvonInformationen. ZumgroßenTeilwirdsolchesVerhaltenvonMitarbeiterndurchGesetze,Verträgeund Kontrollmechanismengeregelt,aberesbleibenvieleGrauzonen,dienichtvollständig geregelt und überwacht werden können. In solchen Situationen ist die individuelle MitarbeiterethikvonbesondererBedeutung. 295 Vgl.Göbel,E.:Unternehmensethik,S.177178.
247
13.3
13
Unternehmensethik
ZugleichsinddieMitarbeiterdiejenigen,dieimAuftragdesUnternehmensmitseinen Stakeholdernunmittelbarinteragieren.DasbegründetihreVerantwortunggegenüber Kunden(nichtbetrügenodertäuschen),Lieferanten(faireBehandlungundKonditio nen),Kreditgebern(überdieLagedesUnternehmensnichttäuschen)undderÖffent lichkeit(keinVerschweigenvonUmweltschädenu.a.). Eine besondere Problematik ergibt sich für einen Mitarbeiter, wenn Kollegen oder Vorgesetzte unmoralisch handeln oder von ihm ein unethisches Handeln verlangen. Der Mitarbeiter wird aufgefordert mitzumachen oder die Missstände zu decken.Als BegründungwirdoftdieLoyalitätgegenüberdemArbeitgeberinsSpielgebracht.Die ReaktionaufdieseAufforderungenkannunterschiedlichausfallen:296
blinder Gehorsam und opportunistisches Mitläufertum des Mitarbeiters, die ihm Ärgerersparen,aberzueinerKomplizenschaftmitschwerwiegendenmoralischen Folgenführen;
Kündigung, die im Endeffekt eine Selbstselektion der Mitarbeiter mit Gewissen bedeutet;
argumentative Auseinandersetzung mit den betroffenen Kollegen oder Entschei dungsträgernmitdemZiel,einekonstruktiveLösungzufinden,dieMutundZi vilcourageerfordert;
„WhistleBlowing“(Verpfeifen)–(anonyme)Aufdeckungvonillegalenoderille gitimen Verhaltensweisen im Unternehmen gegenüber Vorgesetzten oder der Öf fentlichkeit. DieMeinungenzuWhistleBlowingsindkontrovers.DieAnonymitätdesVerfahrens schütztdenWhistleBlowervordrohendenRepressalienseitensderKollegenoderdes Unternehmens, schließt aber eine direkteAnsprache aus und erzeugt eine Misstrau ensatmosphäre. Auch Unschuldige können zum Opfer des Denunziantentums wer den,wennheimlicheMotivewieNeidoderRacheimSpielsind.AusdiesenGründen wäre eine argumentative Auseinandersetzung einem Whistle Blowing vorzuziehen, allerdingssolltendafürimUnternehmeneineoffeneAtmosphärefürKritikderMitar beiter, offizielle Beschwerdewege und ethische Institutionen (Vertrauensbeauftragte, spezielleStellen)geschaffenwerden. Kontrollfragen 1. WarumkanneinUnternehmenalsmoralfähigundmoralpflichtigangesehenwer den? 2. Markt,RechtundEthikalsdreiEinflussgrößenaufunternehmerischesHandeln. 296 InAnlehnunganSteinmann,H.;Löhr,A.:GrundlagenderUnternehmensethik,S.152153.
248
Ethik in Unternehmen
3. BeschreibenSieSubjekteundObjektederunternehmerischenVerantwortung. 4. ErläuternSiedieMöglichkeitenderVerankerungderEthikinderUnternehmens vision,denUnternehmensgrundsätzenundstrategien. 5. DefinierenSieStakeholdereinesUnternehmensundihreInteressen. 6. BeschreibenSieZieleundpraktischeFormenderCorporateSocialResponsibility Bewegung. 7. WasbedeuteteinlegitimesFührungsverhältnisundwiewirdesvonderMachta symmetriebeeinflusst? 8. WelcheRahmenbedingungenbestimmendieEthikinUnternehmen? 9. WelcheZieleundInhaltehabenFührungsleitlinien? 10. BeschreibenSiedieEthikderFührungskräfte. 11. WasgehörtzurMitarbeiterethik? 12. DiskutierenSieüberVorundNachteiledesWhistleBlowing.
249
13.3
14
Führungsstile und -konzepte
14 Führungsstile und -konzepte FührungisteineTeilfunktionderUnternehmensführung,dieeineEinflussnahmeauf dieMitarbeiterzurgemeinsamenZielerreichungalsAufgabehat.DieMöglichkeiten, Grenzen und praktische Methoden dieser Einflussnahme bilden das Untersuchungs feld der Führungstheorien und werden maßgeblich von den in der Gesellschaft vor herrschenden Grundannahmen und Werten beeinflusst. Stand für die Klassiker der Betriebswirtschaftslehre (F. Taylor, H. Fayol, M. Weber) die Rationalisierung desAr beitsprozesses im Mittelpunkt der Betrachtung, so haben sich die Gründerväter des verhaltensorientierten Ansatzes (C. Barnard, E. Mayo) der Persönlichkeit und den BeziehungenderMitarbeiterzugewandt,waszurEntwicklungdesHumanRelations und HumanRessourceAnsatzes geführt hat. Der Systemansatz (H. Ulrich, K. Blei cher) wendet auf die Führung Erkenntnisse der Systemtheorie an. Die Vertreter der strukturellinteraktiven Führung (O. Neuberger, R. Wunderer) unterscheiden zwi schenderFührungdurchundinStrukturenundbeschäftigensichmitderUnterneh menskulturundderdirektenInteraktionzwischenFührendenundGeführten. InunsererZeit,diedurchzunehmendeWirtschaftsdynamikundglobaleKonkurrenz gekennzeichnetist,istderUnternehmenserfolgdavonabhängig,inwieweiteinUnter nehmen Wissen und Kreativität seiner Mitarbeiter fördern und mobilisieren kann, wobeidieMitarbeiterführungdieentscheidendeRollespielt.ImmermehrArbeitsplät zeerfordernhoheQualifikationundEigeninitiativederBeschäftigten,dieüberbeson derePotenzialeinBezugaufEntscheidungsfindung,ErfüllungvonKundenbedürfnis sen und Innovationsprozesse verfügen und einen berechtigten Anspruch auf mehr MachtundEinflussinUnternehmenhaben. DieAufgaben der Führung ändern sich radikal und sinddarauf ausgerichtet, indivi duellesWissen,besondereFähigkeiten,KompetenzenundTalentederMitarbeiterzu entdecken und für Unternehmen zu erschließen. Dabei versagen die alten Mechanis men der Verhaltensbeeinflussung von oben nach unten durch Weisungen, Kontrolle und klassischeAnreizkonzepte, da sie höchstensAnwesenheit und Dienst nach Vor schrifterzielenkönnen.StattdessensindgemeinsameVisionen,Identifikation,Partizi pation und Freiräume gefragt, die Engagement und Kreativität der Mitarbeiter för dern.UmeineneueFührungpraktizierenzukönnen,musseinManagerMotiveund Beweggründe menschlichen Handelns sowie Möglichkeiten und Grenzen seiner Ein flussnahmeverstehen,wobeidieErkenntnissederkognitivenVerhaltenswissenschaft über das individuelle und Gruppenverhalten helfen können. Vor dem Hintergrund aktueller Anforderungen und moderner Erkenntnisse werden in diesem Kapitel das Führungsverständnis, die Führungsstile und die wichtigsten Führungskonzepte und instrumentediskutiert. 250 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
14.1
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
Gesellschaftliche Werte haben einen starken Einfluss auf das Denken und Handeln von Individuen in Unternehmen, insbesondere in Bezug auf Machtverhältnisse und Führung.Seitden1970erJahrefindetindenwestlichenGesellschafteneinWertewan del statt, der insbesondere mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft zunehmend merkbar wird.„KlassischeTugendenwie Fleiß,Ordnung undPflichterfüllung haben zugunsten von Werten wie Selbstständigkeit, Spaß an und Sinn in derArbeit an Be deutungverloren.“297AlsFolgeverändernsichdieinderUnternehmensweltvorherr schendenMenschenbilderundFührungsmethoden.
14.1.1
Wertewandel und Menschenbilder
AlsallgemeineTrendsdesWertewandelsinwestlichenGesellschaftenkönnenfestge stelltwerden:298
SäkularisierungfastallerLebensbereiche; AbwendungvonderArbeitalseinerPflicht; BetonungdesWertesderFreizeit, AblehnungvonBindung,UnterordnungundVerpflichtung; BetonungdeseigenenLebensgenusses; ErhöhungderAnsprücheaufeigeneSelbstverwirklichung; BejahungvonGleichheitundGleichberechtigungderGeschlechter; BetonungdereigenenGesundheit; HochschätzungeinerungefährdetenundbewahrtenNatursowie SkepsisgegenüberWertenderIndustrialisierung(z.B.Gewinn,Wirtschaftswachs tum,technischerFortschritt). DarüberhinauswirdinvielenUntersuchungeneineUmorientierungwegvonmateri alistischenhinzupostmaterialistischenWertenfestgestellt:Besitz,EigentumundGeld verlierenzunehmendanBedeutungzugunstenvonsozialenKontakten,Selbstverwirk lichungundFreizeitorientierung.DieseVeränderungenbetreffenimhohenMaßedie arbeitsrelevanten Werthaltungen und Einstellungen. NeueArbeitswerte wie Spaß an der Arbeit, Selbstständigkeit, herausfordernde Aufgaben und Entwicklungsmöglich 297 Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.176. 298 vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.57.
251
14.1
14
Führungsstile und -konzepte
keiten treten in den Vordergrund.299 Persönliche Unabhängigkeit und Freiräume, SelbstbestimmungundSelbstkontrollebeiderArbeitwerdenimmerwichtiger,woge gendieBereitschaftzuUnterordnungundGehorsamstarkabnimmt. Der Wertewandel verändertdas Menschenbild inUnternehmen, das als eine grund sätzliche, relativ dauerhafteAuffassung über das Wesen, die Bedürfnisse, Einstellun gen und Verhaltensmuster von Menschen verstanden wird. Es konkretisiert sich in Werten,ErwartungenundBeurteilungenoderimUmgangmitMenschen. DaspolareKonzeptvonDouglasMcGregordefiniertzweiextremeTypenvonMitar beitern: X und Y. Das Menschenbild der Theorie X beschreibt die Mitarbeiter als grundsätzlich verantwortungslos und unreif. Solche Menschen haben eine natürliche AbneigunggegenArbeit,sindträgeundfaul,scheuenVerantwortung,erreichenZiele nur unter Druck. Der größte Wunsch eines solchen Mitarbeiters ist seine materielle Sicherheit.DerTheorieYzufolgeliegtArbeitinderNaturdesMenschen,derverant wortungsvollhandelt,wennersichmitdenUnternehmenszielenidentifizierenkann. Solche Mitarbeiter wollen eine interessante Arbeit haben, die für sie die Quelle der Zufriedenheitist,sieübernehmendieVerantwortung,brauchenFreiräume,umsichzu verwirklichen. Diese Mitarbeitertypen brauchen verschiedene Führungsmethoden: TypX soll streng undautoritärgeführtundregelmäßigkontrolliertwerden,fürseineMotivationeignen sichvorallemGeldundBestrafung.TypYbrauchtdagegenFreiräumeundEigeniniti ative, kann durch Identifikation mit Zielen und Unternehmen sowie Beteiligung an denEntscheidungsprozessenundAnerkennungmotiviertwerden. BeideMenschenbilderXundYsindidealtypischeKonstrukte,diedievielfältige,fas settenreiche Unternehmensrealität nicht abdecken können. Allerdings kann man in AnbetrachtdesWertewandelsvoneinerVerschiebungdesSchwerpunktesaufdenTyp Ysprechen,derinitiativhandelnundsichselbstorganisierenkann.Herausfordernde Aufgaben und Freiräume sind für einen solchen Mitarbeiter besonders leistungsför dernd. Für weniger selbstinitiative Untergebene, die gerne geführt werden möchten, sindfertigeEntscheidungen, detaillierteArbeitsaufgabenundAbgabefristenzuemp fehlen.GleichzeitigkanneineFührungskraftdurchmehrVertrauenundmehrDelega tion einen Mitarbeiter zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung bringen und da durchsein„YVerhalten“fördern. AuchE.ScheinhatdenWertewandelinderGesellschaftmitdenneuenMenschenbil dernverbundenundseineKlassifikationvonMitarbeiterninverschiedeneMenschen typenentwickelt(s.folgendeTabelle).
299 Vgl.Opachowski,H.:Deutschland2010.Wiewirmorgenleben,S.45ff.
252
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
Tabelle38: MenschentypennachE.Schein300 Der rationalökonomische Mensch
Motivation hauptsächlich aus monetären Anreizen;
Der soziale Mensch
bezieht Motivation aus kommunikativen, sozialen Beziehungen;
ist passiv und manipulierbar; ist durch rationale Maßnahmen zu steuern.
zieht sich in einer mechanischen Arbeitsumgebung in soziale Beziehungen zurück; wird durch die Einbindung in die Gruppe stärker beeinflusst als durch Vorgesetzte; akzeptiert Führungshandlungen nur, wenn sie seine sozialen Bedürfnisse berücksichtigen. Der sich selbst verwirklichende Mensch
Selbstverwirklichung ist das wichtigste Bedürfnis; sieht Arbeit positiv, wenn sie der Selbstverwirklichung dient; kann durch eigenverantwortliche, rationale Entscheidungen die Organisation unterstützen; kann und will sich selbst kontrollieren und motivieren.
Der komplexe Mensch
ist lern- und wandlungsfähig; hat veränderliche und damit volatile Motive, welche die Sichtweise seiner Stellung in der Organisation beeinflussen und seine Entwicklungsbedürfnisse befriedigen; hat in unterschiedlichen Situationen differenzierte Motive und Ziele.
Der Entwicklungstrend geht laut Schein in Richtung eines „komplexen Menschen“, der nicht nur rationalökonomisch denkt und handelt, sondern verschiedene Motive undZielehat.FürjedenMenschentypsindspezielleFührungsmethodengeeignet.Für einen„rationalökonomischenMitarbeiter“passtvorallemmonetäreBelohnung und Bestrafung. Für den „sozialen Menschen“ ist Zugehörigkeit zu einer Gruppe und EingebundenseininsozialeBeziehungenvonbesondererBedeutung.Der„sichselbst verwirklichende Mensch“ strebt nach Autonomie und Selbstgestaltung und benötigt Freiräume für seine Selbstverwirklichung. Das Bild des „komplexen Mitarbeiters“ umfasstalledreibeschriebenenMenschenbilder,nachdenenerinverschiedenenSitu ationen handelt. Es istdeswegen besonderswichtig, mit jedem einzelnen Mitarbeiter überseineZielvorstellungenundMotivezuredenundgemeinsamdiezweckmäßigen MöglichkeitenfürseineEntfaltungundLeistungzuentwickeln. Es gibt weiterhin Theorien, die einen Menschen als entwicklungsfähiges Selbst be trachten.SobeschreibtArgyriseineEntwicklungdesSelbstineinemKontinuumvon Unreife zu Reife (s. analog Theorie moralischer Entwicklung von Kohlberg, Kapitel 7.4).
300 ZitiertnachWunderer,R.,Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.89.
253
14.1
14
Führungsstile und -konzepte
Tabelle39: UnreifeReifeKontinuumnachArgyris301 Charakteristika einer unreifen Person
Charakteristika einer reifen Person
1. Passivität
1. Aktivität
2. Abhängigkeit
2. Unabhängigkeit
3. wenige Verhaltensalternativen
3. viele Verhaltensalternativen
4. kurze Zeitperspektive
4. lange Zeitperspektive
5. oberflächliche Interessen
5. tiefergehende Interessen
6. Unterordnung
6. Gleich- oder Überordnung
7. fehlende Selbstkenntnis/Fremdkontrolle
7. Selbstkenntnis und -kontrolle
„Reifen bedeutet dabei Mündigkeit und Wille, Verantwortung selbst zu tragen, ein Gleichgewicht zwischen Gefühlen, Fremderwartungen zum eigenen Ich zu finden, Bereitschaft,sichmitinnerenundäußerenKonfliktenauseinanderzusetzen,sienicht zuverschleiernoderzuverstecken.“302AusdieserPerspektivesolljederMitarbeiterin einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess betrachtet werden. Von der Reifestufe abhängigsollenfürjedenMitarbeiterentsprechendeFührungsmethodenbenutztwer den, die seiner Persönlichkeit und seinen Erwartungen entsprechen und gleichzeitig dieMöglichkeitenfürseineWeiterentwicklungschaffen.EinUnternehmen,undinsbe sonderederunmittelbareVorgesetzte,sollendemMitarbeiterindiesemReifenprozess helfen. DieMenschenbilderspielenfürdenFührungsprozessundfürallebeteiligtenPersonen eine wichtige Rolle – sie haben die Tendenz, sich zu bestätigen. Dieser Effekt ist als „selffulfillingprophecy“,einesichselbsterfüllendeProphezeiung,bekannt.Beispiel: Ein Vorgesetzter hält seinen Untergebenen für träge und unselbstständig. Folglich trauterihmkeineEntscheidungenundkeineVerantwortungzu.DiesesVerhaltendes ManagerslässtdemMitarbeiterkeineandereMöglichkeit,alszugehorchenundträge und unselbstständig zu sein. Die Erwartung des Vorgesetzten bestätigt sich und ver stärkt sein autoritäres Verhalten. Man kommt in einen Teufelskreis. Genauso können sich die „positiven Prophezeiungen“ bestätigen: Optimistische Erwartungen ziehen positivesVerhaltennachsich. InFolgedesgesellschaftlichenWerteundMenschenbildwandelsmüssendietraditio nellen Führungsmethoden in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Es ist ein neues Führungsverständniserforderlich.
301 Wunderer,R.,Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.91. 302 Ebd.
254
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
14.1
Exkurs: Menschenbilder in der Geschichte Optimistische Auffassungen vom Wesen des Menschen
Pessimistische Auffassungen vom Wesen des Menschen
Der Mensch ist vernünftig; er neigt zur Kooperation und gegenseitiger Unterstützung; er ist in der Lage, sich selbst zu kontrollieren und bevorzugt grundsätzlich eine demokratische Führung. (Locke 1632 – 1704)
Der Mensch ist undankbar, heuchlerisch und gewinnsüchtig; er geht möglichst Gefahren aus dem Wege und wählt den Weg des geringsten Widerstandes. (Machiavelli 1469-1527)
Der Mensch wird nicht primär durch biogenetische Triebe, sondern vielmehr durch von außen wirkende gesellschaftliche soziokulturelle Kräfte beeinflusst, wobei sein Streben auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse, deren Entwicklung und Wachstum situationsabhängig ist, gerichtet wird. (Fromm 1900-1980, Sullivan 1892-1949, Horney 1895-1952) Der Mensch ist grundsätzlich ein soziales Wesen, wobei er ein entsprechendes Verhalten in der Gruppe entwickelt. (Mayo 1880-1949) Der Mensch verfügt über eine Vielzahl von Bedürfnissen, die in einer Hierarchie geordnet sind; das Streben nach Befriedigung dieser Bedürfnisse motiviert ihn zum Handeln; gerade die soziale Alltagssituation kann Möglichkeiten für individuelles Wachstum, Entwicklung und Selbstverwirklichung schaffen; hierbei schließen sich Persönlichkeitsziele und Organisationsziele nicht notwendig aus, sondern sind zumeist kompatibel, mitunter auch komplementär. (Argyris; Bennis; Maslow 19081970; McGregor 1906-1964; Likert u.a.)
Der Mensch ist selbstsüchtig; durch die Verfolgung seiner egoistischen Interessen (subjektive Nutzenmaximierung) dient er sich und der Gesellschaft; dazu benötigt er ein Optimum an gesellschaftlicher Gestaltungsfreiheit. (Politik des laisser-faire; Smith 1723-1790) Der Mensch ist ein kampfbetontes Wesen, wobei in einem „natürlichen Selektionsprozess“ nur die physisch und psychisch Stärksten sich durchsetzen und überleben werden. (Darwin 1809-1882; Spencer 1820-1903) Der Mensch ist von Natur aus primitiv, wild und böse; natürliche Triebe (Sex, Aggression etc.) müssen unterdrückt werden. (Freud 1856-1939) Der Mensch ist wie ein Teil einer Maschine; er ist faul, egoistisch und träge; er muss permanent kontrolliert und extrem von außen (extrinsisch) motiviert werden; darüber hinaus gilt sein primäres Interesse materiellen Gütern. (Taylor 1856-1915)
Quelle: Lilge, H.-G.: Menschenbilder als Führungsgrundlage, in: Zeitschrift für Organisation, 50, 1981, 1, S. 14 – 22.
255
14
Führungsstile und -konzepte
14.1.2
Modernes Führungsverständnis
DieklassischeBetriebswirtschaftslehredefiniertFührungals„diezielundsituations bezogeneBeeinflussungderMitarbeiter,dieunterEinsatzvonFührungsinstrumenten aufeinengemeinsamzuerzielendenErfolghinausgerichtetist.“303JedeFührungskraft hatdamitdieAufgabe,dasArbeitsverhaltenderMitarbeiterzusteuern.DieWirkun gen der Führung äußern sich im Verhalten des Geführten. Diese Definition räumt einer Führungskraft eine besondere Position gegenüber den Mitarbeitern ein, das Recht, ihr Handeln zu beeinflussen. Eine aktive gestaltende Rolle wird nur den Füh rungskräfteneingeräumt. Dieses Führungsverständnis stößt in einer postindustriellen Wissensgesellschaft auf seine Grenzen. Hochqualifizierte, eigenverantwortliche, nach Selbstverwirklichung strebende Mitarbeiter können ihr Engagement und Wissen nur als good will an das Unternehmen weitergeben.Anweisungen und Befehle von oben üben eine initiative hemmende Wirkung aus. Diese postmaterialistisch orientierten, qualifizierten Indivi duenkönnennurdannzuengagierterZielerreichungmotiviertwerden,wennmansie mit gemeinsamen Visionen begeistert, als Partner betrachtet und Freiräume für ihre InitiativeundVerantwortungschafft. Wunderer beschreibt die Evolution des Führungsverständnisses alsAbfolge von drei idealtypischen Führungskonzepten: autoritärzentralistisches Konzept, konsultativ kooperativesTeamkonzeptundkooperativdelegativesKonzept(s.folgendeTabelle). Tabelle40: IdealtypischeFührungskonzeptenachWunderer304 Dimension
autoritär-zentralistisches Konzept
konsultativkooperatives Teamkonzept
kooperativdelegatives Konzept
Führungsphilosophie
zentralistisch
föderalistisch
pluralistisch
Geführtenrolle
Untergebener
Mitarbeiter
Mitunternehmer
Führungsstil
autoritärpatriarchalisch
konsultativkooperativ
kooperativ-delegativ bis autonom
Führungsfunktionen
kommandieren kontrollieren korrigieren
kommunizieren kooperieren koordinieren
fordern fördern Feedback geben
303 Rahn,H.J.:Unternehmensführung,S.143. 304 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.170171.
256
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
In dem autoritärzentralistischen Konzept werden dieUntergebenen „auf Befehl und Gehorsam trainiert“, wobei die drei autokratischen „K“ (Kommandieren, Kontrollie ren und Korrigieren) die zentralen Führungsfunktionen kennzeichnen. Die im Team arbeitenden Mitarbeiter (konsultativkooperatives Teamkonzept) haben demgegen übermehrSpielraumundwerdendurchdreiandere„K“geführt:Kooperieren,Kom munizierenundKoordinieren.AllerdingsgenießteinMitunternehmerimRahmendes kooperativdelegativen Konzeptes die meiste Freiheit zur Selbstorganisation und Selbstkontrolle,dieFührungsfunktionenbeschränkensichaufdrei„F“:Fordern,För dernundFeedbackgeben.305 Betrachtet man Mitarbeiter eines Unternehmens als aktiv wirkende Persönlichkeiten, somussdieRedevoneinergegenseitigenBeeinflussungvonFührendenundGeführ tensein.EineDefinitionderPersonalführungvonR.BröckermannkommtdieserPosi tion näher: „Personalführung ist eine zielorientierte soziale, das heißt interpersonelle EinflussnahmezurErfüllunggemeinsamerAufgabenineinerstrukturiertenArbeitssi tuation.“306 Mit dem Begriff „interpersonell“ beschreibt er den Führungsprozess als einewechselseitigeBeeinflussungvonFührungskraftundMitarbeitern.AuchO.Neu berger spricht von einem gegenseitigen Annäherungsprozess zwischen Führenden und Geführten, einem „Führen und führen lassen“,307 in dem nicht von oben nach unten, sondern gemeinsam entschieden und gehandelt wird. Die Asymmetrie des Führungsverhältnisses wird auf ein Minimum reduziert. Führung findet primär als eine Interaktion statt, an der alleAkteure als gleichberechtigte Partner beteiligt sind. Durch die gegenseitige Anpassung und Beeinflussung schaffen sie zusammen eine Unternehmensrealität,dieaufsubjektivenmentalenModellenundWeltbildernbasiert. IndividualitätundVielfaltwerdenwertgeschätztundalsBereicherungangesehen.Die RollevonEmotionen,IndividualitätundDiversitätinderFührungwirdhervorgeho ben. 308 Das praktische Führungsverhältnis kann verschiedene Formen annehmen, je nachdem, wie viel Freiheit und Eigenverantwortung die Führenden delegieren und dieGeführtenakzeptierenkönnen. Den Anforderungen moderner wissensorientierter Unternehmenswelten entspricht folgendes Führungsverständnis: Führung ist eine gegenseitige interpersonale Ein flussnahme, Interaktion und permanente Gestaltung einer Unternehmensrealität zurgemeinsamenZielerreichung. AuchdieAufgabeneinerFührungskraftinBezugaufdieZielsetzung,Entscheidungs findung, Motivation und Macht undAutoritätsbasis ändern sich radikal. In der fol genden Tabelle werden die Grundpostulate des traditionellen und des modernen Führungsverständnissesgegenübergestellt. 305 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.170171. 306 Bröckermann,R.:Personalwirtschaft,S.22. 307 Vgl.Neuberger,O.:Führenundführenlassen. 308 DieBedeutungderDiversitätinderFührungwirdimKapitel16ausführlicherläutert.
257
14.1
14
Führungsstile und -konzepte
Tabelle41: TraditionellesundmodernesFührungsverständnisimVergleich Merkmal
Traditionelles Verständnis
Modernes Verständnis
Rolle des Führers bei der Zielsetzung
Mitarbeiter (Gruppe) auf das Erreichen des vorbestimmten Zieles hin lenken
Ziele gemeinsam formulieren oder mindestens abstimmen
Rolle bei der Aufgabenlösung
Aktivitäten initiieren, kontrollieren, planen, leiten, koordinieren
Initiative fördern, Freiräume schaffen, Arbeitsprozess moderieren
Verhältnis zu Mitarbeitern
Machtposition, Kontrolleur
Gleichberechtigter Förderer und Entwickler von individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter
Motivation
Anreize schaffen, belohnen oder bestrafen
Individuelle Anreize schaffen, persönliche Entwicklung fördern, Demotivation abschaffen, Identifikation stärken
Entscheidungsfindung
Führungskraft trifft Entscheidungen allein
beteiligt seine Mitarbeiter, delegiert, kommuniziert offen
Macht- und Autoritätsbasis
vor allem Position, auch Druck, Information, Belohnung, Charisma, Wissen
vor allem Persönlichkeit, auch Charisma, Expertenwissen, Belohnung
NeueKonzeptewieEmpowerment,Identifikation,Partizipation,emotionaleFührung, wertorientierte Führung, Unternehmenskultur und Diversity Management spiegeln diesen Paradigmenwechsel wider. Das moderne Verständnis der Führung hebt ge meinsame Zielerreichung hervor, betont die gegenseitige Beeinflussung von Führen den und Geführten und zeigt zwei Dimensionen der Führung auf: strukturelle und interaktive,dienurinKombination,durchpermanente,gemeinsameGestaltungwir ken.
14.1.3
Zusammenspiel der strukturellen und interaktiven Führung
R.Wundererunterscheidetzwischenindirekter,strukturellsystemischerunddirekter, personalinteraktivenFührung,wobeierdiedirektenEinflussnahmenundWirkungen durch die Führungskraft als besser zurechenbar bezeichnet und den strukturell systemischen Kontextbedingungen eine fördernde oder hemmende Wirkung zu schreibt.309
309 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.5.
258
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
Die strukturelle Führung hat dieAufgabe, günstige Rahmenbedingungen für die in teraktive Führung zu schaffen. Die Kontextgestaltung findet meistens durch Unter nehmensleitung und Führungskräfte statt und definiert Handlungsspielräume und strategischeAusrichtungderFührung. InstrumentederstrukturellenFührungsind:310
organisatorischeFaktoren–Arbeitsorganisation(Einzelarbeit,GruppenoderPro jektarbeit),Dezentralisierungsgrad,Autoritätssystem,Kommunikationsstrukturen;
systemische Personalarbeit – Verfahren zurAuswahl, Beurteilung, Weiterbildung, MotivationundIdentifikation;
kulturelle Faktoren – Vision, Grundannahmen, Menschenbilder, gelebte Unter nehmenskultur(Werte,Normen,Rituale,Symbole);
Führungsleitlinien – festgeschriebenes und gelebtes Führungsverständnis, Füh rungsstile;
strategische Entscheidungen – Führungskonzepte (Management by Objectives, BalancedScorecardEinführung),Wissensmanagementsysteme,Netzwerke. DieRahmenbedingungenwerdenzumgroßenTeilinderallgemeinenUnternehmens strategiefestgelegt.AllerdingsobliegtdenFührungskräftenundMitarbeiternimPro zessderKontextgestaltungeineaktive,gestalterischeRolle. Bei der praktischen Umsetzung der interaktiven Führung hat eine Führungskraft mehrSpielraum.DazugehörenfolgendezentraleAufgaben:311
wahrnehmen,analysieren,reflektieren–kontinuierlicheBeobachtungundReflexi on der sich stets wandelnden Umwelt, Vermittlung der unternehmerischen Ziele an die Mitarbeiter, Interpretation, Vorleben und Vermittlung der Unternehmens werte, effiziente Steuerung von Gruppenprozessen und konstruktive Konfliktbe wältigung;
entscheiden,koordinieren,kooperieren,delegieren–verbindlicheEntscheidungen treffen,AufgabenundVerantwortungsbereicheabstimmen,mitdenMitarbeitern und anderen Organisationseinheiten kooperieren, Aufgaben und Kompetenzen optimaldelegieren;
entwickeln, evaluieren, Feedback geben – teamorientierte und individuelle Ent wicklung fördern, Weiterbildungsmöglichkeiten und Schulungen unterstützen, LeistungenundVerhaltenbeurteilen,Feedbackgeben(anerkennen,loben,kritisie ren);
310 InAnlehnunganWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.69. 311 Ebd.,S.1011.
259
14.1
14
Führungsstile und -konzepte
motivieren,identifizieren–fürindividuelleMotivation,VorbeugenderDemotiva tion und Identifikation mit derAufgabe, den Zielen und dem Unternehmen sor gen;
informieren,kommunizieren,konsultieren–WissenundInformationenzurVerfü gungstellen,Wissensaustausch,nutzungundgewinnungfördern. Folgende Tabelle fasst die Instrumente der strukturellen und interaktiven Führung zusammen. Tabelle42: AusgewählteInstrumentederstrukturellenundinteraktivenFührung312 Instrumente struktureller Führung
Instrumente interaktiver Führung
organisatorische Faktoren: Arbeitsorganisation,
wahrnehmen, analysieren, reflektieren
Dezentralisierungsgrad, Autoritätsbasis, Kommunikationsstruktur systemische Personalarbeit: Auswahl, Beurtei-
entscheiden, koordinieren, kooperieren,
lung, Weiterbildung, Motivation, Identifikation
delegieren
kulturelle Faktoren: Vision, Grundannahmen,
entwickeln, evaluieren, Feedback geben
Menschenbilder, Unternehmenskultur Führungsleitlinien, Führungsstil
motivieren, identifizieren
strategische Entscheidungen: Führungskonzep-
informieren, kommunizieren, konsultieren
te, Wissensmanagementsysteme, Netzwerke
Das Zusammenspiel zwischen der interaktiven und strukturellen Führung besteht darin,dasssiesichgegenseitigergänzen,modifizierenundlegitimieren.DieimRah men der strukturellen Führung festgelegten Rahmenbedingungen sollen von allen FührungskräftenundMitarbeiterngelebtundmitpraktischenInhaltengefülltwerden, wobeiFührendeundGeführteineinempartnerschaftlichenVerhältniseinefürbeide Seiten akzeptable und fördernde Unternehmensrealität schaffen. Die im Kapitel 13.3 diskutierten ethischen Grundsätze der Führung (Führungsleitlinien) dienen als eine normativeBasis,könnenallerdingsdaspraktischeFührungsverhaltennichtersetzen– siemüssenvondenFührungskräften(vor)gelebtundvondenMitarbeiternakzeptiert werden. Die praktischen Gestaltungsmöglichkeiten und Erfolgsfaktoren der Führung werden inverschiedenenFührungstheorienuntersucht,wobeiesumangemesseneFührungs stileundkonkreteFührungskonzeptegeht. 312 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.12.
260
Gesellschaftlicher Wertewandel und Führungsverständnis
14.1
Exkurs: Empfehlungen an einen jungen Chef (In Anlehnung an Prost, W.: Führen mit Autorität und Charisma, 2008, S. 212-218) Wer zum ersten Mal in eine Führungsrolle schlupft, hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Oft ist es besonders schwierig, ohne eigene Führungserfahrungen adäquate Beziehungen zu den Mitarbeitern aufzubauen. Neue Führungskräfte neigen häufig zu Übertreibungen wie zu viel oder zu wenig Strenge, Über- oder Unterbewertung der Beziehungsebene etc. Sie können auch unsicher oder überfordert sein, und doch ihre Zweifel und Sorgen nicht zeigen wollen. Wie fängt man als Führungskraft richtig an? Der gute Anfang ist für den langfristigen Erfolg der Führenden-Geführten-Beziehung ausschlaggebend. Die ersten Schritte eines neuen Chefs mit geeigneten Maßnahmen sind in der Tabelle erläutert. 1.
Die Inthronisation
2.
Ihre Regierungserklärung
3.
Ein persönliches Vieraugengespräch mit jedem Mitarbeiter
4.
Die erste Zusammenfassung der gewonnenen Einsichten Erste symbolische Maßnahmen
5.
6.
Das erste halbe Jahr und erste funktionale Maßnahmen
7.
Verschleiern Sie nicht Ihre Chefrolle
Es geht um die Form der Mitteilung Ihrer Ernennung an die künftigen Mitarbeiter. Es könnte eine offizielle Vorstellung durch Ihren Chef sein, der Ihnen vor der gesamten Mannschaft sein persönliches Vertrauen ausspricht. Neben einem freundlichen Grußwort sind ein paar grundsätzliche verbindliche Worte angebracht: Ihre Führungsgrundsätze, Versprechen und Anforderungen. Darüber hinaus sollten Sie einen Plan für die nächsten acht Wochen mitteilen z.B. Projekte sichern, mit jedem Mitarbeiter ein Gespräch führen, Vorschläge sammeln etc. Zuhören ist immer gut. Es drückt Wertschätzung aus und hilft, Überblick zu gewinnen. Führen Sie in den ersten Wochen mit jedem Mitarbeiter ein Gespräch unter vier Augen, um Informationen zu gewinnen und Beziehungen zu knüpfen. Nach diesen Gesprächen und Sichtung der Lage können Sie wieder zu einer Abteilungsbesprechung einladen. Dabei können Sie Ihre Einschätzung der aktuellen Lage mitteilen und das Positive würdigen, das Kritische benennen sowie die nächsten Herausforderungen aufzeigen. Auch wenn Sie noch nicht alle Zusammenhänge durchschauen, sollten Sie schon beweisen, dass Sie Initiative und Macht zu Veränderungen haben. Regeln Sie in erster Linie Dinge, die im Interesse aller sind, die nicht viel kosten und die wenig Risiko bergen, auf den Widerstand der Mitarbeiter zu stoßen oder nicht zu funktionieren (eine moderne Kaffeemaschine oder neue Bildern im Gang). Wenn Sie auf diese Weise ein Grundvertrauen gewonnen haben, können Sie an weitere, für den Erfolg der Arbeit erforderliche Maßnahmen denken. In dieser Startphase können Sie mit der frischen Energie des „neuen Besens“, der gut kehrt, viele wichtige Weichen für die nächsten (drei) Jahre stellen. Was Sie im ersten Schub nicht substanziell an Änderungen im Neuanfang in die Wege leiten, werden Sie später nur mit wesentlich größerem Aufwand verändern können. Zu Beginn können Sie die Mannschaft erheblich beeinflussen und neu motivieren. Sie sollten ebenfalls prüfen, wen Sie mit welcher Qualifikation als Neuzugang brauchen und ob es sinnvoll ist, neue Arbeitsabläufe und neue hierarchische Strukturen einzuführen oder alte, eingefahrene abzuschaffen. Von einem neuen Chef erwartet man geradezu, dass er etwas ändert. Das Problem mit dem Gordischen Knoten bestand darin, dass alle, die ihn auflösen wollten, ihn mit Geschicklichkeit und vielen geduldigen Versuchen bearbeitet hatten. Alexander der Große soll ihn dann einfach mit dem Schwert durchschlagen und auf diese Weise gelöst haben. Nutzen Sie die Idee, und verzetteln Sie sich nicht nur in geduldigen Lösungsversuchen, die doch nicht zum Ziel führen. Manchmal muss man auch das Schwert aus der Scheide ziehen und „entscheiden“, um ein Problem dauerhaft zu lösen.
261
14
Führungsstile und -konzepte
14.2
Führungsstile
Die Führungsstiltheorien basieren auf der Annahme, dass das Führungsverhalten einesManagersfürdenErfolgderFührungausschlaggebendist,folglichwerdendie Führungsstile als typische, wiederkehrende Verhaltensweise einer Führungskraft, untersucht. Diese Führungsansätze sind die ältesten, werden jedoch immer wieder neudiskutiertundinderPraxisgetestet.Dashängtdamitzusammen,dasssieaufden Ergebnissen von repräsentativen Studien aus den USA basieren: Ohio Führungsstudien(1953),MichiganStudien(1961)undanderen.DieseUntersuchungen hattendasZiel,Führungsverhaltenzuerfassen,zuklassifizierenundseineWirkungen auf den Führungserfolg zu ermitteln. Daraus wurden die ersten Führungsstiltypolo gien abgeleitet, unter denen das Führungsstilkontinuum von Tannenbaum und Schmidt(1958)undManagerialGridvonBlakeundMouton(1964)ambekanntesten sind. Auf der Basis dieser Typologien haben sich weitere Typologien und anwen dungsorientierteFührungsstilkonzepteentwickeltwiedieFührungsstiltypologienach Wunderer, das Kontingenzmodell von Fiedler (1967) sowie das Reifegradmodell von HerseyundBlanchard(1988).
14.2.1
Führungsstilkontinuum von Tannenbaum und Schmidt
DerAnsatz von Tannenbaum und Schmidt ist die bekannteste eindimensionale Füh rungsstiltypologie.ErunterscheideneineDimension,diedenFührungsstilbeeinflusst: denGradderWillensbildungdurchdenVorgesetzten.NachdemGradderMitarbei terbeteiligung bei Entscheidungen werden sieben Führungsstile unterschieden (s. folgendeAbbildung). DieAbbildungzeigt,dasseinemFührendeneinegroßeAnzahlanFührungsstilenzur Verfügungsteht.DieGrenzenzwischendeneinzelnenFormensindfließend,waseine eindeutigeDefinitionvonFührungsstiltypenerschwert. Die Wahl eines Stils in der Praxis wird die persönlichen Fähigkeiten und Tendenzen der Führungsperson reflektieren und sich nach der subjektiv von der Führungskraft wahrgenommenerReifevonMitarbeiternundderSituationrichten.Dabeispielendie Grundannahmen,vorallemMenschenbildereineentscheidendeRolle.EinMitarbeiter vondemTypXnachMcGregorwürdeeineautoritärebzw.patriarchalischeFührung erfordern,derYTypeinekooperative,delegativeoderteilautonome. AusdieserDarstellungkönnengrundsätzlicheGrundführungsstileabgeleitetwerden, diealsidealtypischeModellezubetrachtensind: Der autoritäre Führungsstil bedeutet, dass der Vorgesetzte seine Entscheidungen alleine trifft und von den Untergebenen Gehorsam erwartet. Die Meinung und die
262
Führungsstile
InitiativederUntergebenensindnichtgefragt.DieseFührungeignetsichfürkritische Situationen,wennEntscheidungenschnellgetroffenwerdensollen,oderfürRoutine aufgaben,beideneneskeineSpielräumefürInitiativegibt,sowiefürpassive,initiativ loseUntergebene. Der patriarchalische Führungsstil kann ebenfalls grundsätzlich zu dem autoritären gezähltwerden,dadieWillensbildungkomplettbeidemVorgesetztenbleibtunddie Mitarbeiter von ihm als unmündige Kinder betrachtet werden. Der gütige Vater Vorgesetzte übernimmt die ganze Verantwortung und baut eineAbhängigkeitsbezie hungauf. Abb.53:
FührungsstilkontinuumnachTannenbaumundSchmidt313 Willensbildung beim Mitarbeiter
Willensbildung bei Vorgesetzten 1
2
3
4
5
6
7
Vorgesetzter entscheidet ohne Konsultation der Mitarbeiter
Vorgesetzter entscheidet, versucht aber die Mitarbeiter zu überzeugen, bevor er die Weisung erteilt
Vorgesetzter entscheidet, fördert jedoch Fragen zu seinen Entscheidungen, um Akzeptanz zu erreichen
Vorgesetzter informiert Mitarbeiter über beabsichtigte Entscheidung, Mitarbeiter können sich vor der endgültigen Entscheidung äußern
Mitarbeiter/ Gruppe entwickelt Vorschläge, Vorgesetzter entscheidet sich für die von ihm favorisierte Alternative
Mitarbeiter/ Gruppe entscheidet, nachdem der Vorgesetzte Ziele und Probleme aufgezeigt und Spielraum festgelegt hat
Mitarbeiter/ Gruppe entscheidet, Vorgesetzter fungiert als Koordinator nach innen und nach außen
autoritär
patriarchalisch
informierend
beratend
kooperativ
delegativ
teilautonom
AlsinformierenderFührungsstilwirdeineunwesentlicheAbweichungvondempat riarchalischenStilverstandenwerden,wobeieinVorgesetzterdieUntergebenenüber seinegetroffenenEntscheidungeninformiert,umAkzeptanzzuerreichen.Nochmehr Mitentscheidung bekommen die Mitarbeiter im Fall eines beratenden Führungsstils, da sie über eine beabsichtigte Entscheidung des Managers informiert und zur Äuße rungihrerMeinungaufgefordertwerden,bevoreineendgültigeEntscheidunggefällt wird.DerberatendeStilgrenztunmittelbarandenkooperativenan. Der kooperative (demokratische) Führungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass der VorgesetzteseineMitarbeiterindenEntscheidungsprozesseinbeziehtundvonihnen sachliche Unterstützung erwartet. Folglich können sich die Untergebenen mit den gemeinsamdefiniertenZielenidentifizieren,übernehmenmehrInitiativeundVerant 313 ZitiertnachWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.209.
263
14.2
14
Führungsstile und -konzepte
wortung. Dieser Führungsstil ist geeignet für Aufgaben, die kreativ gelöst werden können unter der Bedingung, dass die Mitarbeiter selbständig und verantwortungs vollsind. Eine fließende Grenze trennt in der Tabelle den kooperativen von dem delegativen Führungsstil,beidemdieEntscheidungengrundsätzlichvondenMitarbeiterngefällt werden,nachdemderVorgesetzteZieleundProblemeaufgezeigtunddenSpielraum festgelegthat.HäufigwirddabeivoneinemkooperativdelegativenStilgesprochen. Der teilautonome Führungsstil setzt voraus, dass ein Mitarbeiter bzw. eine Gruppe selbstständig entscheiden, handeln und sich selbst kontrollieren kann, sodass eine EinmischungdesFührendenüberflüssigist.SeineRollereduziertsichaufeinenKoor dinator. DerFührungsstilwirdindemModellaufdieFragederMachtverteilungbeiderEnt scheidungsfindung reduziert, die weiteren Aspekte der VorgesetzterMitarbeiter Beziehung werden ausgeblendet. Das Konzept von Blake und Mouton stellt umge kehrtdiesozialeAusrichtungderFührungskraftalsAusgleichzueinerreinenAufga benorientierungindenMittelpunkt.
14.2.2
Managerial Grid nach Blake und Mouton
InderbereitserwähntenMichiganStudiewurdenzweigrundlegendeOrientierungs musterderFührungskräfteidentifiziert:AufgabenundMitarbeiterorientierung.Die zentraleErkenntnisderUntersuchungwar,dass„effektiveundeffizienteVorgesetzte ehermitarbeiteralsaufgabenorientiertführen.“314DieVerhaltensunterschiedebeider Vorgesetztentypen wurden zusätzlich in den OhioStudien konkretisiert. Die Ergeb nisse dieser Studien dienten als Grundlage für die Führungsstiltypologie von Blake undMouton,diealsManagerialGrid(VerhaltensgitterderFührung)bekanntgewor denist(s.Abbildung). AufgabenorientierteFührungbedeutet,dassdiehoheQualitätundQuantitätderArbeit alsvorrangiggelten,wogegendieMitarbeiterundihrBefindenvernachlässigtwerden. SiemüssenunterallenUmständenihreArbeitskraftmaximaleinsetzen. AlspersonenorientierteFührungwurdeeinehypothetischeAusrichtungaufdieBedürf nisse und Erwartungen der Mitarbeiter definiert, wobei dieAufgabe aus denAugen verlorenwird.GuteArbeitsatmosphäreundZufriedenheitsindamwichtigsten. Diese Theorie hat mit idealtypischen Darstellungen zu tun, die nur Extremfälle be schreiben. Deswegen führen Blake und Mouton ein Verhaltensgitter ein, wo sie ver schiedene Varianten der praktischen Führung platzieren. Aus der Kombination der zweiDimensionengreifensiefünfverschiedeneFührungsstiltypenheraus. 314 Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.206.
264
Führungsstile
Orientierung an der Person
Abb.54:
ManagerialGridnachBlacke/Mouton
9,9
9,1
1,1 - schwache Führung 1,9 - ausbeutende Führung 9,1 - Club-Führung
5,5
5,5 - mittlerer Weg 9,9 - optimale Führung 1,1
1,9
Orientierung an der Aufgabe
(1.1)DieschwacheFührungbedeutet,dassderFührendewederanderAufgabenoch andenMitarbeiternInteressehat.FolgensindApathieundResignation,dieAufgaben werden nicht gelöst. Wunderer bezeichnet diesen Stil als laissezfaire, das keinen BezugmehrzumFührungsbegriffhat.315 (9.1) Das ausschließliche Interesse an den Mitarbeitern wird als zu idealistisch be zeichnet, es entsteht ein Clubatmosphäre, wo niemand sich ernsthaft mit der Arbeit beschäftigt.DasZusammenseinbedeutetalles–„geselligesBeisammensein“. (1.9)DiereineaufgabenorientierteFührungwürdebedeuten,dassmandieMitarbeiter überfordertundausbeutet.DasistausgeprägteautoritäreFührungmitKonfliktenals Folge–„überLeichengehen“. (5.5)DieFührungdesmittlerenWegeswirdalsAnpassungundKompromissbezeich net,diezueinerdurchschnittlichenLeistungundZufriedenheitführen. (9.9)NurdiestarkeFührungmitgroßemInteresseanMitarbeiterundAufgabewird von Blake und Mouton positiv bewertet. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, beide Variablen zu maximieren. Die Verfolgung von gemeinsamen Zielen schafft ein gutesArbeitsklima,folglicherbringendieengagiertenMitarbeiterhoheLeistung.Alle unterstützensichgegenseitigundfühlensichfürdasGanzeverantwortlich. DerAnsatzvonBlakeundMoutongeniestgroßePopularität,weilerklarundeindeu tig formuliert ist. Als praktische Anwendungsmöglichkeit kann die „Führung durch Ziele“genanntwerden:WerdendieindividuellenZieleeinesMitarbeitersandieOr ganisationszielegeknüpft,sotutderMitarbeiterseinBestes,umsiezuerreichen.Als ErgebniskommteinehoheLeistungzustande,dieaufZielakzeptanzbasiert.
315 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.210.
265
14.2
14
Führungsstile und -konzepte
14.2.3
Moderne Führungsstiltypologien
EinemoderneTypologiederFührungsstilestammtvonR.Wunderer,dereinzweidi mensionales Konzept vertritt und sechs Führungsstile unterscheidet.316 Eine der Di mensionen ist Machtdimension der Führung, oder der Grad der Partizipati on/Autonomie der Mitarbeiter analog zu Tannenbaum und Schmidt (Teilhabe), die andere – prosozialeBeziehungsgestaltung, oder wechselseitige Kooperation (Teilnah me).DieprosozialeDimensionderFührungbeschreibtdiezwischenmenschlicheQua lität der Führungsbeziehung, insbesondere dasAusmaß an wechselseitigem Vertrau en, gegenseitiger Unterstützung und Akzeptanz. In dem Kontinuum Teilhabe TeilnahmewerdensechsFührungsstiledefiniert(vgl.Abbildung). Abb.55:FührungsstiltypologienachWunderer317
Grad wechselseitiger Kooperation
konsultativ kooperativ
delegativ
patriarchalisch
autoritär
autonom Grad der Partizipation
AuchindiesemAnsatzhandeltessichumIdealtypenunddieGrenzezwischenden einzelnen Führungsstilen ist fließend. Praktizierende Führungskräfte können je nach SituationverschiedeneFührungsstileanwenden.DieVorstellungvonderNotwendig keit in der Praxis Führungsstile zu kombinieren, hat sich generell durchgesetzt, was vorallemimKontingenzmodellvonFiedlerundimReifengradmodell(SituativeFüh rung)nachHerseyundBlancharddeutlichwird,dieimWeiterenunteranderenFüh rungskonzeptenausführlicherläutertwerden. Das Kontingenzmodell von F. Fiedler betrachtet den Zusammenhang zwischen dem Führungsstil(aufgabenodermitarbeiterorientiert,wieinManagerialGrid),derSitua 316 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.210211. 317 Ebd.,S.210.
266
Führungsstile
tion,dievonderAufgabenstruktur,PositionsmachtundFührerMitarbeiterBeziehung charakterisiertwird,unddemFührungserfolg(s.Abbildung). Abb.56:
GrundschemadesKontingenzmodellsvonFiedler318 Situation: Aufgabenstruktur Positionsmacht Führer-MA-Beziehung
Führungsstil: aufgabenorientiert mitarbeiterorientiert
Führungserfolg
Nach Fiedler können aufgabenorientierte Führungskräfte in Extremsituationen (bei sehr komplexer oder sehr geringer Aufgabenstruktur, sehr hoher oder sehr geringer Positionsmacht, sehr guten oder sehr schlechten Mitarbeiterbeziehungen) erfolgreich sein. Mitarbeiterorientierte Führungskräfte dagegen sind erfolgreich in den Situatio nenmittlererGünstigkeit–beistrukturiertenAufgabenmitunbeliebtenFührernoder unstrukturiertenAufgabenmitbeliebtenFührern.DaFiedlerdiegrundsätzlicheAuf gaben oder Mitarbeiterorientierung als persönliches und unveränderbares Merkmal einer Führungskraft betrachtet, kann ein Manager nur durch die Beeinflussung der Situationsvariablenerfolgreichsein.319
14.2.4
Führungsstile in der Praxis
Die Wahl eines angemessenen Führungsstils in der Praxis wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: allgemeine gesellschaftliche und politische Einflussvariablen wie Werte und Menschenbilder, kulturelle Einflüsse; strukturelle Unternehmensfaktoren (Unternehmenskultur,strategie,leitbilder,Organisationu.a.);fachlicheundpersönli cheEinstellungenundPräferenzenderFührungskräfteundMitarbeiter.DieEntwick lungstrends westlicher Gesellschaften und moderner Unternehmen haben zur allge meinen grundsätzlichen Akzeptanz von Vorteilen der kooperativdelegativen Füh rungsbeziehungen beigetragen. Im Vergleich zu traditionellen autoritären und patriarchalischenMethodensinddiekooperativennichtnurhumanistischer,sondern auchinHinsichtaufdasmoderneFührungsverständniseffektiver. 318 ZitiertnachWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.213. 319 Vgl.ebd.,S.213.
267
14.2
14
Führungsstile und -konzepte
DieErhebungenvonWundererbestätigen,dassingrößerendeutschsprachigenUnter nehmenüberwiegenddieFührungsstilezwischenkonsultativerunddelegativerFüh rungpraktiziertwerden320,waseinegenerelleAnerkennungdeskooperativengegen überdemautoritärenFührungsstilsbelegt. Der konsultative Führungsstil wird in dieser Erhebung als am häufigsten erlebter bezeichnet, wogegen kooperativer und delegativer – als erwünschte Führungsstile genanntwerden.DastypischeMerkmalderkonsultativenFührungsindregelmäßige oder themen und projektbezogene Besprechungen für eine Entscheidungsvorberei tung,wobeidieEntscheidungenansichweiterhinalleinevondenVorgesetztengetrof fen werden. Initiative, engagierte Mitarbeiter fühlen sich kaum einbezogen und sind wenigermotiviert,TeamarbeitundPersonalentwicklungwerdennichtgefördert.Die serStilkannnachWunderernuralseinÜbergangsstilvonautoritärenzukooperativ delegativenFormencharakterisiertwerden.321 FürdieinderPraxisseltenervorkommendeFormderkooperativenFührungistinsbe sondereeineAusrichtungaufunmittelbareInteraktionzwischenFührendenundGe führten kennzeichnend, wogegen die Partizipation und Autonomie der Mitarbeiter nur mittlere Werte erreicht. Coaching, Beurteilungen und Mitarbeitergespräche sind besonders häufig praktizierte Instrumente der kooperativen Führung. Probleme ent stehen bei hochstrukturiertenArbeitssituationen (Fließband) und überwiegenderAb wesenheit des Vorgesetzten (in Vertriebsfunktionen), da unter diesen Bedingungen keinedirekteInteraktionzustandekommt.DarüberhinausstelltderkooperativeFüh rungsstil besonders hoheAnforderungen an die soziale Kompetenzen der Führungs kräfte,diediesennichtimmergewachsensindundsichüberfordertfühlen. Delegative Führung wird laut Wunderer „noch vergleichsweise wenig umfassend praktiziert,vonqualifiziertenundeigenständigenMitarbeiternsowievonergebnisori entierten Führungskräften aber bevorzugt.“322 Dieser Führungsstil hat für eine Wis sensgesellschaft mit qualifizierten, nach Selbstständigkeit strebenden Mitarbeiter SpezialistenbesondereVorteileundwirdmitgroßerWahrscheinlichkeitanBedeutung gewinnen.BesondersoftkommtinderPraxisFührungdurchAufgabenoderZielde legierungvor.DieehererfolgsversprechendeundanspruchsvolleVariantedesDelega tionskonzeptes mit Wertedimension (transformationale Führung) wird selten prakti ziert.323 Delegative Führungsstile stellen hohe Anforderungen sowohl an Führungs kräfte als auch an Mitarbeiter und müssen im Unternehmen, wegen ihrer Ganzheitlichkeit, gut vorbereitet sein. Durch gezielte Personalentwicklungsmaßnah menkönnenKompetenzenfürdiedelegativeFührunggefördertwerden,gleichzeitig solltenOrganisationsstrukturenangepasstwerden,dadelegativeFührungeinenhöhe 320 Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.214. 321 Vgl.ebd.,S.216. 322 Ebd.,S.239. 323 ZielorientierteundtransformationaleFührungwerdenimWeiterenausführlichbeschrieben.
268
Führungsstile
ren Grad an Dezentralisierung und gezielte Übertragung von Kompetenzen auf die Mitarbeitervoraussetzt. BemerkenswertsinddieErgebnisseeinerStudievonWundererundDick,inderüber 160 Führungskräfte von ihren Mitarbeitern in Bezug auf den praktizierenden Füh rungsstilbeurteiltwordensind.324DieVerteilungderFührungsstileausderPerspekti vederUntergebenenwirdinderfolgendenTabelledargestellt. Tabelle43: FührungsstileweiblicherundmännlicherFührungskräfteinderPraxis(nachder EinschätzungvonUntergebenen)325 Führungsstil
weibliche Führungskräfte
männliche Führungskräfte
autoritär: der Vorgesetzte entscheidet, ohne mich zu 5% konsultieren.
5%
patriarchalisch: der Vorgesetzte entscheidet, aber versucht mich zu überzeugen.
5%
12%
informierend: der Vorgesetzte informiert mich über Entscheidungen, um deren Akzeptanz zu erreichen.
12%
8%
beratend: der Vorgesetzte informiert mich über seine 36% Absichten, ich kann meine Meinung äußern.
34%
kooperativ: ich entwickele Vorschläge, der Vorgesetzte entscheidet sich für eine der Alternativen.
22%
21%
delegativ: ich entscheide, nachdem der Vorgesetzte mir die Probleme aufgezeigt hat.
14%
13%
teilautonom: ich entscheide, der Vorgesetzte fungiert 6% als Koordinator nach innen und außen
7%
DieTabellezeigt,dassderberatendeundderkooperativeFührungsstileamhäufigsten sowohlvondenFrauenalsauchvondenMännerninFührungspositionenpraktiziert werden,gefolgtvondemdelegativenFührungsstil.Zwischendenweiblichenundden männlichen Vorgesetzten ergeben sich in Bezug auf Führungsstil keine wesentlichen Unterschiede.
324 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.250. 325 Ebd.,S.250.
269
14.2
14
Führungsstile und -konzepte
14.3
Führungskonzepte
SowohldieFührungstheorienalsauchihreKlassifikationenwerdendurcheineenor me Vielfalt und kontroverse Meinungen gekennzeichnet. Im Weiteren werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Führungskonzepte erläutert, die den Anforde rungen derArbeitswelt in einer Wissensgesellschaft entsprechen: situative, zielorien tierteundwerteorientierteFührung.
14.3.1
Situative Führung
Der Situative Ansatz der Führung wurde von den nordamerikanischen Unterneh mensberatern Hersey und Blanchard entwickelt326 und ist sehr verbreitet. Er basiert aufdenForschungsergebnissenderobenerwähntenOhioStudieundkannalsErwei terungdesManagerialGridModellsvonBlakeundMoutonmitihrerUnterscheidung zwischen der Aufgaben und Mitarbeiterorientierung betrachtet werden. Ergänzend kommen die Ergebnisse der Menschenbilderforschung in Bezug auf die Reife der Mitarbeiterhinzu(vgl.Kapitel14.1.1). „Reifegrad“ oder „Bereitschaft“ der Mitarbeiter wird als Fähigkeit definiert, Verant wortung zu übernehmen, um ihr eigenes Verhalten zu lenken und zu bestimmen. Dabei wird zwischen „Arbeitsreife“ (Qualifikation, Kenntnisse und Erfahrung) und „psychologischer Reife“ (Leistungswille, Selbstsicherheit und achtung, Bereitschaft zurVerantwortungsübernahme)unterschieden. FolgendeReifegradesindmöglich:
ReifegradM1:DemMitarbeiterfehlenbeideReifegradkomponenten; ReifegradM2:Esliegt„psychologischeReife“beifehlender„Arbeitsreife“vor; ReifegradM3:Esliegt„Arbeitsreife“beifehlender„psychologischerReife“vor; ReifegradM4:BeideReifegradkomponentensindvorhanden. UmeinenadäquatenFührungsstilzubenutzen,solleineFührungskraftdenEntwick lungsgradderReifeundBereitschafteinschätzen,waseineAnalysederaufgabenspe zifischenundsozialenEignungderMitarbeitererfordert.
326 Hersey,P.,Blanchard,K.H.:Managementoforganizationalbehavior.EnglewoodCliffs.
270
Führungskonzepte
Abb.57:
DasReifegradmodellvonHerseyundBlanchard327 Führungsstil des Vorgesetzten
stark S2 Überzeugen
S3 Kooperieren
mitarbeiterbezogen
wenig
S1 Unterweisen
S4 Delegieren
stark
aufgabenbezogen
wenig
Reifengrad der Mitarbeiter geringe Reife
geringe bis mittlere Reife
mäßige bis hohe Reife
hohe Reife
Die zu den Reifegraden (M1 bis M4) passenden Führungsstile (S1 bis S4)werden im Modellwiefolgtbeschrieben:
FührungsstilS1(„tellingstyle“–Unterweisen):FehlendeMotivationundunzurei chendeQualifikationsollenübereinestrikteAufgabenorientierungundeinenten denziellautoritärenFührungsstil(klareundkontrollierteWeisungen)ausgeglichen werden;
Führungsstil S2 („selling style“ – Verkaufen): In überzeugender („verkaufender“) Weise werden bei schon verbesserter Qualifikation Motivationspotenziale ange sprochen(M2);
FührungsstilS3(„participatingstyle“–Partizipieren):ÜberstarkeBeziehungsori entierung und Partizipation werden Kompetenzmängel ausgeglichen und bei der 327 InAnlehnunganWunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.417.
271
14.3
14
Führungsstile und -konzepte
Umsetzung wird auf motivationale Probleme der Mitarbeiter kooperativ einge gangen;
Führungsstil S4 („delegating style“ – Delegieren): Vorhandene Qualifikation und Motivationführendazu,dassdieMitarbeiterihreAufgabenimRahmendelegati verFührungweitgehendselbständigerfüllenkönnenundwollen.DieAufgabeei nerFührungskraftbestehtdarin,ihreMitarbeiterindieRichtungM4(undS4)zu fördern. Obwohl das Modell sehr verbreitet ist, gibt es wesentliche Kritikpunkte, die seine Bedeutung relativieren:Als Variablen werden nur persönliche Reifegrade der Mitar beiter betrachtet, die Führungskompetenzen des Führenden selbst (soziale Kompe tenz, Delegationsvermögen) und die Rahmenbedingungen (Aufgabenschwierigkeit sowie kulturelle Faktoren) bleiben unbeachtet. Trotzdem ist vor allem der Grundge dankedessituativenAnsatzeszuwürdigen:Esgibtkeinefürimmerundüberall„rich tige“Führung,praktischesFührungsverhaltensollaufdieUmständeundPersönlich keitenderGeführtenabgestimmtwerden.DamitwirdvoneinerFührungspersonhohe FlexibilitätunddasBeherrschenvonverschiedenenFührungsmethodenerwartet.
14.3.2
Zielorientierte Führung
BeideweiterenFührungskonzepte–zielundwerteorientierteFührung–sindFormen derdelegativenFührung.UnterDelegationverstehtmaneineÜbertragungvonRech tenundPflichten,insbesonderevonAufgaben,KompetenzenundVerantwortung.Im Gegensatz zur kooperativen Führung arbeiten Führungskräfte und Mitarbeiter bei delegativerFührungunabhängigerundselbstständiger,GemeinsamkeitimAufgaben erfüllenundInteraktionsindwenigerausgeprägt.DieseFormderFührungsetztvor aus,dassdieMitarbeiterbereitundimstandesind,ansiedelegierteKompetenzenund Verantwortungzuübernehmen. Das Zielorientierte Delegationskonzept ist auch als transaktionale Führung bekannt undwurdevonBassundSteyrer1995beschrieben.DieBezeichnunggehtaufTausch beziehung (=Transaktion) zurück. Dieses Führungskonzept basiert auf Zielsetzungs theorien, die den Zusammenhang zwischen der Schwierigkeit des Ziels und seiner AkzeptanzaufdereinenSeitemitderLeistungundArbeitszufriedenheitaufderan derenSeitebeschreiben(s.Kapitel8.4.2).Ausgewogenepersönlicheundunternehme rische Ziele sowie das Feedback von der Seite des Managers über die Zielerreichung sinddemnachfürdieArbeitsmotivationentscheidend. Die transaktionale Führung nach Bass/Steyrer umfasst Ziel und Wegklärung sowie leistungsbezogeneBelohnungen.DabeiwerdenWerteundBedürfnissederGeführten alsrelativfesteGrößenberücksichtigt.NacheinerÜberprüfungderZielverträglichkeit (Mitarbeiterziele versus Gruppenziele) werden Ziele möglichst klar und operational formuliert.ImEinklangmitderErwartungstheorievonVroom(s.Kapitel8.4.1)hängt
272
Führungskonzepte
dieZielerreichungvonderErfolgswahrscheinlichkeit,ValenzundInstrumentalitätab. DieValenzvonZielenundWegenzuihrerErreichungkönnenintrinsischoderextrin sischbegründetwerden.IntrinsischeMotivationkommtvor,wenndieArbeitansich Spaßmacht. TransaktionaleFührungkanndurchfolgendeMerkmalecharakterisiertwerden:328
SiegehtvonaktuellenBedürfnissenundPräferenzenderMitarbeiteraus; BasiertaufderErwartung,dassmehrLeistungzumehrBelohnungführt; DerVorgesetzteistmitderLeistungdesMitarbeiterszufrieden,wenndiegeplan tenZieleerreichtwerden;
DerVorgesetztegibtdemMitarbeiterFeedbacküberseineFortschritte; BelohnungenundAnreizewerdenalsVerstärkungvonspezifischenVerhaltenser wartungenerteilt. Eine praktische Form der transaktionalen Führung ist Führung durch Zielvereinba rung, oder Management by Objectives (MbO). Die direkte Verhaltenssteuerung des Mitarbeiters wird in diesem Konzept durch eine indirekte Zielsteuerung ersetzt. Ty pisch für diesen Ansatz ist die Entwicklung einer Zielhierarchie in einem „Gegen stromverfahren“:OberzielewerdeninSubzielezerlegtunddenverschiedenenhierar chischenEbenenundAbteilungenzugeordnet. DieweiterfolgendeAbbildungzeigteineschematischeDarstellungdieserFührungs technik. Das MbO beginnt mit der Festlegung der allgemeinen Unternehmensziele und Leistungsmaßstäbe (1). Ein Zielsystem besteht aus Ober und Unterzielen. Die Unternehmensleitung legt die Oberziele fest. Daraus ergeben sich dannAnforderun gen an die Unternehmensstruktur, die zunächst umgesetzt werden müssen (2). Erst dannkönnenausdenUnternehmenszielendieUnterzielefürdieeinzelnenAbteilun gen, Vertriebseinheiten und Mitarbeiter abgeleitet werden.329 Das elementare Prinzip des MbO basiert darauf, die Ziele nicht auf die einzelnen Mitarbeiter zu verteilen, sondernsieunterEinbeziehungderMitarbeiter(3)mitihnenzusammenzuerarbeiten undzuvereinbaren(4).ZusätzlichwerdenanhanddervereinbartenZieledieKriterien für die Beurteilung des Mitarbeiters festgelegt. Mit Hilfe neuer Impulse oder Ideen (5a)undanhandvonZwischenergebnissenwirdeineRückkopplunghergestellt.Schon hier können unrealistische Ziele identifiziert und verworfen werden (5b). Entschei dend für ein sinnvolles MbO ist ein regelmäßiger Vergleich der erzielten Erfolge mit dengestecktenZielen(6).JenachErgebnismussimAnschlussdaraneineAnpassung imBereichdesArbeitsvollzugeserfolgen(7).
328 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.433. 329 Vgl.Olfert,K.:Personalwirtschaft,S.227.
273
14.3
14
Führungsstile und -konzepte
Dieses Verfahren stellt besondere Anforderungen an die Zielformulierungen. Beim Zielvereinbarungsgespräch unterscheiden Vorgesetzter und Mitarbeiter in der Regel zweiZielarten:quantitativeZielewieUmsatz,GewinnundRentabilitätundqualitati veZiele,wieMarktpositionierung,Image,ArbeitszufriedenheitundArbeitsbedingun gen. Ziele sollen präzise formuliert werden, terminbezogen, quantifiziert, wider spruchsfrei,realistischundmessbarsein(vgl.ZieltheorievonE.Locke,Kapitel8.4.2). Abb.58:
ManagementbyObjectivesalsKreislaufschema330
AlsFunktionenundzugleichVorteileeinesMbOVerfahrenskönnenfolgendehervor gehobenwerden:331
Beurteilung:VorgabeeindeutigerMaßstäbefürLeistungundZusammenarbeit; Orientierung:FestlegungvonMeldepunktenundUnterstützungszusagen; Information:SchaffungderOffenheit,TransparenzundVergleichbarkeitderLeis tung;
Optimierung:FormulierungvonherausforderndenZielen; 330 Olfert,K.:Personalwirtschaft,S.227. 331 InAnlehnunganWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.232.
274
Führungskonzepte
Qualifizierung: Förderung von Fach, Methoden, System und Sozialkompeten zen;
Empowerment:SchaffungkreativerFreiräume; Motivation:herausforderndeundabwechslungsreicheArbeitsinhalte; VorbeugenderDemotivation:angemesseneArbeitsbedingungen,Bezahlungund Zusatzleistungen,ArbeitsklimaundUnternehmenskultur. Das MbO Konzept kann nur dann praktiziert werden, wenn eine Dezentralisierung derEinheitenundQuantifizierungderZielemöglichsind(z.B.Vertriebseinheitenvon Banken und Versicherungen). Praktische Vorteile zielorientierter Führung liegen in einer wesentlichen Entlastung der Führungskräfte bei operativen Entscheidungen, hoher Selbstständigkeit der Mitarbeiter und ihrer Mitwirkung bei der Zielvereinba rung und der ergebnisorientierten Evaluation Damit wird eine partnerschaftliche Führungsbeziehunggefordertundgefördert. Die Erfolgswirkungen des MbO in Unternehmen beziehen sich an verschiedene Be reiche: Zielkenntnis schafft Identifikation mit der eigenenAufgabe und dem ganzen Unternehmen; Zielbeteiligung schafft Akzeptanz und stärkt Leistungsmotivation; Selbstkontrolle fördert Leistung und Engagement des Mitarbeiters; objektive Beurtei lungfördertZufriedenheit.
14.3.3
Werteorientierte Führung
DiewerteorientierteFührung(auchalstransformationaleFührungbekannt)wurdevon B.BassundB.AvolioalsBegriffeingeführt332unddertransaktionalenFührunggegen übergestellt.SprichtdietransaktionaleFührungvorallemdenhomooeconomicusim Mitarbeiter an, so ist die transformationale Führung ganzheitlich ausgerichtet und orientiertsichanderganzenPersönlichkeitdesMitarbeiters. DiewerteorientierteFührunglegtihrenSchwerpunktaufdiegrundlegendenSinnori entierungenundwilldas„Warum“desHandelnsbeantworten.Deswegenwerdenin dieser Form der Führung vor allem Unternehmens und Führungsleitbilder benutzt, dieüberZieleundAufgabenfunktionsundpositionsspezifischoperationalisiertwer den.WerteorientierteFührungversuchtdasZielAnspruchsniveauderMitarbeiterzu beeinflussen,ihreWerteundMotivezuheben.EswirdeineVeränderungvonBedürf nissenundPräferenzenderMitarbeiterangestrebt.
332 Bass, B.M., Avolio, B.J.: Improving organizational effectiveness through transformational
leadership.ThousandOaks,CA.:Sage,1994,zitiertnachWunderer,R.;Küpers,W.:Demoti vation–Remotivation,S.437439.
275
14.3
14
Führungsstile und -konzepte
Die wesentlichen Merkmale der transformationalen Führung werden wie folgt be schrieben:333
SieverfügtüberinstrumentelleZielflexibilitätundverfolgtaucheineideelleOrien tierungderMitarbeiter;
sieversucht,diewertorientiertenBedürfnisseundPräferenzenderMitarbeiterzu ändern;
vermitteltZukunftsorientierungundVisionen; fördertMitarbeiterdurchCharisma,IdentifikationundVorbildderFührungskraft; unterstütztLernundUmdenkprozesse; fördertdaszwischenmenschlicheMiteinanderunddiesozialeKompetenz. ImGegensatzzurtransaktionalenFührung,dieeineAusrichtungaufrationalenNut zenhat,zieltdietransformationaleFührungaufdieGesamtpersönlichkeitdesGeführ ten. Sie stellt die intrinsische Motivation in den Vordergrund. Den Mitarbeitern wer den eine aktive Rolle zugeschrieben und Fähigkeiten zur Weiterentwicklung unter stellt.DieseFormverbindetdieFührungmitderPersönlichkeitsentwicklungundder SchaffungderUnternehmenskulturundistdeswegenganzhocheinzuschätzen.Eher problematisch erscheinen die hohen Anforderungen an die Führungskräfte: Nicht jederVorgesetztekanneineinspirierendeundidentifizierendeWirkungausüben.Man kannnichtvonjedemFührendencharismatischeBegabungenerwarten. DiewerteorientierteFührungbasiertaufvierKomponenten:individuelleBehandlung, geistigeAnregung,InspirationundpersönlicheAusstrahlung(s.folgendeTabelle). Tabelle44: CharakteristikawerteorientierterFührungnachBass334 Individuelle Behandlung
Geistige Anregung
Inspiration
Persönliche Ausstrahlung
Mitarbeiter individuell beachten
Etablierte Denkmuster aufbrechen
Enthusiasmus vermitteln
Mitarbeiter individuell führen und fördern
Neue Einsichten vermitteln
Über eine fesselnde Vision/Mission motivieren
individuell
intellektuell
Bedeutung von Zielen und Aufgaben erhöhen inspirierend
Als Identifikationsperson wirken Integer handeln identifizierend
DieseArt der Führung konzentriert sich auf visionäre, anregende Inhalte und findet damitprimäraufderemotionalenEbenestatt.EineindividuelleAusrichtungermög 333 Vgl.Wunderer,R.;Küpers,W.:Demotivation–Remotivation,S.437. 334 ZitiertnachWunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.244.
276
Führungskonzepte
licht eine Fokussierung auf die Besonderheiten jedes einzelnen Mitarbeiters. Deswe gen stellt transformationale Führung besondere Anforderungen an alle Beteiligten, FührungskräfteundGeführte.SinddieVoraussetzungenaufbeidenSeitenvorhanden, dannkanndieseFührungalseineidealeZukunftsformderFührungbezeichnetwer den: Ein charismatischer Manager als Menschenkenner und Coach begeistert seine intrinsisch motivierten, kreativen und sich immer weiter entwickelnden Mitarbeiter fürgemeinsameZielemithilfevonVisionenundpersönlichemWachstum. ImRahmenderwerteorientiertenFührungmusseineFührungskraft:335
alsSymbolfürErfolgundLeistungdienen; denMitarbeiterndasGefühlvermitteln,dasssieeinerBerufungfolgen; eineanspornendeZukunftsvisionhaben; einhohesLeistungsniveaufordern; eineVielfaltanBetrachtungsperspektivenermöglichen; DenkprozesseundKreativitätfördern; nachargumentiertenMeinungenverlangen; sorgfältigLösungsalternativenvorbereiten; ProblemealsChancenzumLernenbetrachten; denMitarbeiternmitRatzurSeitestehen; VertrauenindieMitarbeiterschaffen; Stolzerwecken,mitihmzusammenzuarbeiten. Auch einem Mitarbeiter steht im Rahmen der werteorientierten Führung eine aktive Rolle zu: Neben seiner Bereitschaft, sich zu verändern und zu entwickeln, wird von ihmebensoeinMitdenkenundMitgestaltenerwartet.EinMitarbeiterkannschließlich umgekehrtseine(n)Vorgesetzte(n)fürIdeenundProjektebegeisternunddamitbeein flussen. Allerdings kann die transformationale Führung nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren. Die Vision und Werte des Führenden können nur dann motivierend wirken,wennsievondenMitarbeiternverstandenundgeteiltwerden.Einecharisma tischeFührungskraftmussimStandesein,dieBedürfnisse,WerteundIdentitätender Geführten zu verstehen. Die Aufgabenstellungen sollen nicht exakt spezifiziert sein und gewisse Freiräume ermöglichen. Die Mitarbeiter sollen bereit und in der Lage sein,engagiertundeigenständigzuarbeiten,zulernenundsichweiterzuentwickeln. 335 Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.245.
277
14.3
14
Führungsstile und -konzepte
Exkurs: Charisma in der Führung (Quelle: Hentze, J. u.a.: Personalführungslehre, S. 184-185, 190) Charismatische Führungsansätze beschreiben, der Charisma-Theorie von Max Weber folgend, allgemein den charismatischen Führer als Persönlichkeit mit der herausragenden Gabe, den Geführten eine überzeugende Zukunftsvision eines besseren und sinnvolleren Lebens zu verdeutlichen. Bei der charismatischen Führung stehen emotionale Reaktionen im Vordergrund. Folglich spielen nicht das aufgaben- und personenbezogene Führungsverhalten, sondern Herausforderungen, Vertrauen in den Mitarbeiter und Respekt für seine Leistungen sowie Visionen eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu traditionellen Führungskonzepten, die Ziele, Werte und Erwartungen der Mitarbeiter als gegeben betrachten, beschreiben charismatische Ansätze ein Führungsverhalten, das sowohl Handlungen und Motive der Geführten aktiviert als auch ihre Bedürfnisse und Selbsteinschätzungen verändert. Vergleich von charismatischen und nichtcharismatischen Führungspersonen Merkmal
nichtcharismatischer Führer
charismatischer Führer
Beziehung zum Status quo
Stimmt mit dem Status quo überein und bemüht sich ihn zu erhalten
Lehnt Status quo ab und bemüht sich ihn zu ändern
Angestrebte Ziele
Keine Diskrepanz zwischen den Zielen und dem Status quo
Idealisierende Vision, die sich vom Status quo unterscheidet
Sympathiewert
Übereinstimmende Vorstellungen bilden eine Sympathie-Basis
Vision und übereinstimmende Vorstellungen bilden eine Sympathie- und Verehrungsbasis
Glaubwürdigkeit
Bemühungen um überzeugendes Auftreten
Intensives Verfechten von Ideen, das riskant sein kann
Problemlösung
Als Experte nutzt er vorhandene Mittel, um im Rahmen der Regeln Ziele zu erreichen
Bedient sich unkonventioneller Mittel und bricht geltende Spielregeln
Verhalten
konventionell
unkonventionell
Sensibilität
geringe Notwendigkeit, sensibel zu sein, da Status quo erhalten bleibt
hoher Grad an Sensibilität der Umwelt gegenüber
Artikulation
Artikulation von Zielen und Motivation zu führen schwach ausgeprägt
Eindrucksvolle Zukunftsvisionen und klarer Machtanspruch
Machtbasis
formelle Legitimationsmacht und persönliche Sympathie
Persönliche Macht
Führer-MABeziehung
Erteilt Weisungen oder sucht Konsens
Wirkt als herausragende Persönlichkeit und Vorbild, überzeugt
278
Führungskonzepte
AuchdermöglichennegativenAspektevonCharismasolltemansichimmerbewusst sein.JegrößerdieMachtundEinflussmöglichkeiteneinerPerson,destomehrethische Verantwortung sollte sie haben (vgl. Kapitel 13.3.1). Als Gefahren kommen sowohl fragwürdige Ideen und Ideologien als auch personalisierte Machtmotive und Macht missbrauchinFrage.Nurunabhängigdenkende,mündigeMitarbeiter,diebereitsind, VisionenundWertederFührungskraftkritischzuhinterfragenundoffenzudiskutie ren,könnendennegativenAuswirkungendercharismatischenFührungentgegenwir ken. AmBeispieldertransformationalenFührungwirddiegegenseitigeBeeinflussungund Abhängigkeit von Führenden und Geführten besonders deutlich: Der Führende braucht die Mitarbeiter als Mitstreiter, Opponenten und Gleichgesinnte genauso wie dieMitarbeiterseineVisionen,WerteundseinVertrauenbenötigen.Führungistkeine Einbahnstraße,sonderneinpermanenterAustauschundGestaltungsprozess. TransformationaleFührunggehtüberdieGrenzenderfrüherdefiniertenFührungssti lehinausundkannalseinbesondererStilbezeichnetwerden(s.folgendeAbbildung). Abb.59:
DasKontinuumderFührungsstileundkonzepte336
Grad wechselseitiger Kooperation
transformational
konsultativ kooperativ
delegativ
patriarchalisch
autoritär
autonom Grad der Partizipation
In der heutigen Unternehmenspraxis kommen verschiedene Führungsstile und konzeptevor:vonautoritärerüberkonsultativebiszukooperativer,delegativerund transformationaler Führung. Ihre Ausübung wird von den Bedingungen und Teil nehmernderkonkretenFührungssituationsowievondemTypundderBrancheeines Unternehmens begründet. Unter diesen Bedingungen lohnt es sich nicht, eine der 336 Vgl.Wunderer,R.:FührungundZusammenarbeit,S.248.
279
14.3
14
Führungsstile und -konzepte
Formenalsdiebesteoderschlechtestezubezeichnen.JederFührendesollteeineganze Palette von Methoden zur Verfügung haben und sie kreativ und gemeinsam mit sei nenMitarbeiternandiepraktischenSituationenundAufgabenanpassen.Andererseits kann man aufgrund von gesellschaftlichen Trends und wissenschaftlichen Untersu chungendiefürdieZukunftbesondersgeeignetenFührungsstiledefinieren,dieeinen optimalen Spielraum für eine Führungskraft darstellen. In der Abbildung ist dieser Führungsspielraum mit einem grauen Viereck gekennzeichnet und beinhaltet die konsultative,kooperative,delegativeundtransformationaleFührung. UnabhängigdavonwelcheFührungsstileundkonzeptepraktiziertwerden,stelltsich dieallgemeineFragenachderQualitätderFührung.
14.4
Qualität der Führung
Zahlreiche Studien und Analysen belegen, dass gute Führung den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens steigern kann. Die Gewinner des Wettbewerbs „Deutsch landsBesteArbeitgeber2010“habenbewiesen,dassessogarinKrisenzeitenmöglich ist, ein positives Betriebsklima und fördernde Unternehmenskultur in Unternehmen zuschaffen.VieleFirmenhabentrotzhistorischerUmsatzeinbrücheAufmerksamkeit, ZeitundauchGeldindieBeziehungzuihrenBeschäftigteninvestiert.DieBewertung basiert auf dem international bewährten Great Place to WorkModell und beinhaltet Glaubwürdigkeit, Respekt und Fairness des Managements, Identifikation mit der ArbeitunddemUnternehmensowieTeamorientierung. Beispiel: 3M Deutschland, Sieger der Kategorie bis 5 000 Mitarbeiter, musste am StandortHilden150Beschäftigtevorübergehendkurzarbeitenlassenundtutalles,um betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. 3M überzeugt in allen Bereichen der ArbeitsplatzkulturmiteinerhohenVielfalt,KreativitätundIntegration.DieFluktuati onsrate liegt unter einem Prozent, 95 Prozent der Mitarbeiter empfehlen 3M als Ar beitgeber weiter.Auch kleine Firmen können mit flachen Hierarchien und kreativen Mitteln einen hervorragenden Arbeitsplatz bieten. Ein gutes Beispiel ist Noventum Consulting,SiegerderKategoriebis500Mitarbeitern.Noventumzeichnetsichdurch einebesondersvertrauensvolleKulturundgroßenZusammenhaltaus.Kommunikati on und Mitarbeiterorientierung wird im Unternehmen großgeschrieben. Der Wettbe werb zeigt: Mitarbeiterorientierte Firmen sind im Schnitt wirtschaftlich erfolgreicher als andere. Drei Viertel der Besten 100 Unternehmen bewerten ihre Gewinnentwick lungimBranchenvergleichüberdurchschnittlich.337
337 Vgl.http://www.greatplacetowork.de/best/index.php.
280
Qualität der Führung
EinerepräsentativeUmfragedesForschungsinstitutsINIFES(„InternationalesInstitut für empirische Sozialökonomie“)338 hat ergeben, dass die Führungsqualität eine sehr wichtige Rolle für die Motivation und Zufriedenheit von Beschäftigten spielt. Die Führungsqualität wurde in dieser Studie durch fünf Aspekte beschrieben: gute Ar beitsplanung,sozialeUnterstützungdurchVorgesetzte,AnerkennungundWertschät zung am Arbeitsplatz sowie Förderung der fachlichen und beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter. Zugleich zeigt diese Umfrage wesentliche Defizite in der Führungs qualität in deutschen Unternehmen auf: Fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) gabenan,nichtgenügendsozialeUnterstützungdurchVorgesetztezuerhalten,viele derBefragtenfühltensichihremUnternehmennichtoderseltenverbundentrotzeiner hohenallgemeinenArbeitsmotivation,26Prozentfühltensichhinsichtlichihrenfachli chenundberuflichenKenntnisseundFertigkeitenunterfordert,undsogar61Prozent sagten,dasssienieoderselteneineAnerkennungfürihreArbeitbekämen.339Dadurch verschenken die Unternehmen wertvolle Ressourcen. Eine empirische Studie von Wunderer und Küpers hat gezeigt, dass personale Demotivation und negative Ge fühlszustände in Unternehmen Produktivitätseinbußen von über 20 Prozent induzie ren.340 Allerdings was versteht man unter „guter Führung“? Die Gütekriterien variieren je nachFührungsverständnisundUnternehmensstrategie.AußerdemkannPersonalfüh rung–alseinebereichsundfunktionsübergreifendeTätigkeit–inihrerWirkungauf denGesamterfolgdesUnternehmensnurbedingtisoliertbetrachtetwerden.Indiesem Kapitel werden aufgrund theoretischer Ansätze und Praxiserfahrungen brauchbare Kriterien der Führungsqualität definiert und einige Möglichkeiten ihrer Bewertung undSicherungaufgezeigt.341
14.4.1
Ziele und Qualitätskriterien der Führung
Das moderne Führungsparadigma erfordert neuartige Ziele der Führung in Unter nehmen.NebenreinökonomischenZielenwieErhöhungundSicherungderLeistung gewinnen soziale Ziele wie Arbeitszufriedenheit, Identifikation und Selbstverwirkli chung der Mitarbeiter an Bedeutung, da sie für den langfristigen wirtschaftlichen ErfolgdesUnternehmensausschlaggebendsind.DiesozialenZielederFührungkön nenalseigenständigeZielgrößenundzugleichalsEinflussfaktorenaufdieökonomi schenErgebnissebetrachtetwerden.AllerdingssolltendieZielederPersonalführung mitdergesamtenUnternehmensstrategieverknüpftwerden.Visionen,Unternehmens und Führungskultur bilden einen wichtigen Kontext für die unmittelbare Einfluss 338 INQAStudie (Initiative Neue Qualität der Arbeit), „Ergebnisse der Studie 2005“ in:
http://www.inqa.de/Navigation/Presse/pressemitteilungen. 339 Ebd. 340 Vgl.Küpers,W.;Weibler,J.:EmotioneninOrganisationen,S.18. 341Vgl.Franken,S.:QualitätderPersonalführung.
281
14.4
14
Führungsstile und -konzepte
nahme und Wirkung der Führungskräfte. Basierend auf den Zielen der Personalfüh rungkanndieMessungderFührungseffizienzundqualitätaufgebautwerden. Aus dem modernen Führungsverständnis, das das gemeinsame Zielerreichen in den Mittelpunkt stellt und die Rolle der Interaktion, aktive Beteiligung „empowerter“ MitarbeiterunddieWichtigkeit„weicherFaktoren“inUnternehmenbetont,ergeben sichökonomischeundsozialeZielederPersonalführung. Betrachtet man eine Unternehmenseinheit, beispielsweise die Fertigungsabteilung in einem Elektrogeräteunternehmen, so kann als wirtschaftliches Ziel die rechtzeitige und qualitätsgerechte Fertigung einer bestimmten Menge Elektrogeräte pro Zeitein heit (Monat, Jahr) definiert werden. Die PlanSollErfüllung in Bezug auf Quantität und Qualität steht dabei im Vordergrund, kann allerdings auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Entweder durch den Druck und kontinuierliche Kontrolle der Füh rungskraft und massive Überstunden bei einem negativen Arbeitsklima und Dienst nachVorschrift,oderaberimRahmeneinergutkoordinierten,eigenverantwortlichen Teamarbeit engagierter und innovationsbereiter Mitarbeiter innerhalb normaler Ar beitszeit, begleitet von Verbesserungsvorschlägen und Zufriedenheit. Gute Führung beeinflusst nicht nur das Erreichen formeller Ziele, sondern fördert Eigeninitiative, IdeenreichtumundoptimaleProblemlösungensowielangfristigeArbeitszufriedenheit undPotenzialentwicklungderMitarbeiter. DieAusrichtungderFührungaufdenwirtschaftlichenErfolgbegründetdieökonomi schen Ziele der Personalführung: Produktionskennzahlen, Grad der ökonomischen Zielerreichung, Produktivität, Flexibilität, Innovation und Lernfähigkeit sowie positi vesImagedesUnternehmensundZufriedenheitbeiKunden,Lieferantenundanderen Stakeholdern.AllerdingsstelltsichderwirtschaftlicheErfolgeinerUnternehmensein heitalseinkomplexesErgebnisverschiedenerVoraussetzungendar,undesistschwie rig, den eigentlichen Einfluss der Personalführung auf die ökonomischen Zielgrößen zuidentifizieren. Die sozialen Ziele der Personalführung können in vier Gruppen unterteilt werden (wobei einzelne Faktoren sich gegenseitig beeinflussen): Leistungs und Innovations bereitschaft,IdentifikationundLoyalitätgegenüberderAufgabeunddemUnterneh men,ArbeitszufriedenheitundpositivesArbeitsklimasowieSelbstverwirklichungund entwicklungderMitarbeiter. Die Qualität der Führung kann als Grad ihrer Zielerreichung definiert werden. Analog der vorgenommenen Unterteilung in ökonomische und soziale Ziele können ökonomischeEffizienz(GraddeswirtschaftlichenErfolgs)undsozialeEffizienz(Grad der Befriedigung individueller Bedürfnisse der Mitarbeiter) der Personalführung be trachtet werden. Allgemeine Kriterien der ökonomischen und sozialen Effizienz der FührungsindinderweiterfolgendenTabelledargestellt. KriterienzurErhebungderökonomischenEffizienzlassensichausdentraditionellen betrieblichen Informationssystemen für jede Unternehmenseinheit gewinnen und 282
Qualität der Führung
stellendamitkeineSchwierigkeitdar.NebenderstatischenBetrachtung(IstZustand) istessinnvoll,dieEntwicklungstrendsinregelmäßigenAbständenzuüberprüfen.Das Kriterium „Zufriedenheit und positives Image bei Kunden und anderen Stakehol dern“istaufderEbenedesGesamtunternehmensbesonderswichtig.Allerdingskann esnurschweraufjedeeinzelneEinheitundjedesArbeitsteamruntergebrochenwer den und ist nur dann sinnvoll, wenn Kundenzufriedenheit und Öffentlichkeitsarbeit zudenunmittelbarenZielenderEinheitgehören(z.B.KundendienstoderAbteilung für Kundenbeschwerden). Die bereits erwähnte Schwierigkeit, den direkten Einfluss der Führung auf die Wirtschaftsergebnisse zu isolieren, schränkt generell die An wendbarkeitökonomischerKriterienalsQualitätsmaßderPersonalführungein. Tabelle45: QualitätskriterienderFührung Kriterien öko-
Produktionskennzahlen: Output (Produktionsmenge), Umsatz, Produkt- und
nomischer Effi-
Dienstleistungsqualität, Wachstum
zienz
Produktivität: Arbeitsproduktivität, Stückkosten, Fehlerquote Flexibilität, Innovation und Lernfähigkeit: Ideen- und Patentanzahl, Anteil neuer Produkte/Dienstleistungen Zufriedenheit und positives Image bei Kunden, Lieferanten und anderen Stakeholdern: Kundentreue, möglichst wenig Kundenbeschwerden, Lieferantentreue, positives Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit
Kriterien sozialer
Leistungs- und Innovationsbereitschaft: Leistungsbereitschaft, Teamorientie-
Effizienz
rung, Lernbereitschaft, Innovationsbereitschaft, Bereitschaft zur Verantwortung Identifikation und Loyalität gegenüber der Aufgabe und dem Unternehmen Arbeitszufriedenheit und positives Klima auf der Basis von Wertschätzung, Vertrauen, offener Kommunikation, Anerkennung der Leistung, Gerechtigkeit und Fairness der Vorgesetzten, Mobbing- und Konfliktfreiheit, Vertrauen, Balance zw. Arbeit und Familie Grad der Selbstverwirklichung und -entwicklung: optimale Nutzung von Potenzialen und Talenten, Freiräume für Verantwortung, Initiative und Kreativität, Möglichkeiten der Weiterbildung
DiesozialenZielgrößensindimGegensatzdazuschwerquantifizierbar.Alsqualitati veDatenmüssensieaufeinbestimmtesSkalenniveautransformiertunddamit„mess bar“ gemacht werden. Sie können beispielsweise in Mitarbeitergesprächen und befragungenoderinBeurteilungsprozessenerfasstwerden.DieseMethodenmüssen allerdingsinBezugaufihreValidität,ReliabilitätundObjektivitätüberprüftwerden. 283
14.4
14
Führungsstile und -konzepte
InderPraxiserweistsichdieMessungvonFührungseffizienzalsziemlichproblema tisch,wasauffolgendeUrsachenzurückzuführenist:
Mankannnurdasmessen,wasvorherdefiniertwordenist:DieAnforderungenan diePersonalführungundihreZielemüssenexplizitfestgelegtwerden(durchver bindlicheFührungsleitlinienundoperationaleMessgrößen).
DieDeterminantenderFührungssituationsindinjedemUnternehmen bzw.jeder Unternehmenseinheit verschieden: Die Messkriterien müssen individuell ange passtundinBezugaufihreRelevanzgewichtetwerden.
14.4.2
Messung der Führungsqualität
FürdiepraktischeMessungundSicherungderFührungsqualitätineinemUnterneh mensolltenFührungsleitlinienalsnormativeBasisformuliert(vgl.Kapitel13.3.3)und die relevanten Messkriterien der Führungseffizienz definiert werden.Als Instrument der strukturellen Führung verfolgen die Führungsleitlinien das Ziel, adäquate Füh rungsstrategien, stile und mittel sowie Verantwortung und Spielräume der Füh rungskräfte festzulegen. Sie bilden eine gemeinsame, einheitliche und systematische GrundlagefürdieFührunginUnternehmen. Die Unternehmensrealität ist allerdings vielfältiger: Routinen und alltägliche Ent scheidungeneinerFührungskraftwieBeurteilungen,Beförderungen,Kritikgespräche, Personalauswahl und abbau werden von situativen Zwängen, Stimmungen, Gefüh len,Ungewissheit,ZeitdruckundanderenFaktorenbeeinflusst.DieFührungsleitlinien können und dürfen diese Einzelsituationen nicht regeln.Für das praktische Handeln ist jede Führungskraft allein verantwortlich. Somit können die Führungsleitlinien allein nicht als Garant der Führungsqualität fungieren. Ein Unternehmen, das die Qualität der Personalführung verbessern und sichern will, muss eigene individuell angepasste Messkriterien der Führungsqualität entwickeln und an ihrer langfristigen Sicherungsystematischarbeiten. DieEntwicklungindividuellerMesskriterienderFührungsqualitätkannfürdasganze Unternehmen undfürjedeUnternehmenseinheiteinzelnvorgenommenwerden,wo bei die gesamtunternehmerische Strategie, Kultur und die Führungsleitlinien eine gemeinsameBasisbilden.DieobeninderTabelledefiniertenEffizienzkriteriensollten für jede Einheit je nach Aufgaben, Größe und Organisationsstruktur angepasst wer den. DerErreichungsgradderökonomischenKriterienkannunmittelbargemessenundmit denErgebnissenvorigerPeriodenverglichenwerden.DieErreichungrelevantersozia lerEffizienzkriterienkannvondenFührungskräftenselbst,ihrenUntergebenen,Kol legen und Vorgesetzten beurteilt werden. Besonders geeignet ist das verbreitete In strument des 360°Feedback. Es ist wichtig, die Eigenwahrnehmung einer Führungs
284
Qualität der Führung
kraft mit der Fremdwahrnehmung ihrer Mitarbeiter zu konfrontieren, da es häufig vorkommt, dass die Führungskräfte sich selbst viel positiver, demokratischer und offenersehen,alssievonAnderengesehenwerden.EinrealistischesFeedbackistfür die Weiterentwicklung einer solchen Führungskraft eine bittere, aber notwendige Wahrheit. Die Meinungen der Mitarbeiter, die vom Führungsverhalten unmittelbar betroffen sind,habenbeiderBeurteilungderFührungsqualitäteinebesondereBedeutung.Die Erhebung dieser Meinungen ist mit vielen Schwierigkeiten behaftet: Die Gewährleis tungderAnonymität,angstfreieAtmosphärefürdieKritik,Motivation,sichanBefra gungen und Diskussionen zu beteiligen. Als besonders problematisch erweisen sich solcheBeurteilungeninkleinenAbteilungenundGruppen,wojeder–auchbeieiner anonymen Befragung – leicht identifiziert werden kann. Als Gegenmittel dienen Transparenz,eineoffene,kritikfreudigeAtmosphäreundgegenseitigeWertschätzung. AbschließendsollenBefragungsergebnissezeitnahundoffenkommuniziertundKon sequenzengezogenwerden. InderPraxisführendieanderFührungsqualitätinteressiertenUnternehmenallezwei bis drei Jahre eine allumfassende standardisierte Mitarbeiterbefragung durch (z. B. EvonikIndustriesAG,GaleriaKaufhofAG).SowerdendieStimmungderBelegschaft und die gelebten Führungsprinzipien objektiv, systematisch und in ihrer Dynamik bewertet. Die Messkriterien der Führungsqualität können in verschiedenen Formen dargestellt werden. Neben einer im vorigen Abschnitt beschriebenen tabellarischen Darstellung kannaucheineFührungsScorecarderstelltwerden(vgl.Abbildung). Abb.60:
AnforderungenandiePersonalführunginFormeinerFührungsScorecard342 Markt Anforderungen aus Sicht der Kunden
Mitarbeiter Erwartungen aus Sicht der Mitarbeiter
Unternehmensleitung
Personalführung
Anforderungen aus Sicht der Leitung
Verbesserung, Lernfähigkeit Wie kann Führung verbesserungsfähig bleiben?
342 InAnlehnunganAkitürk,D.C.;Bühner,R.:QualitätinderMitarbeiterführung,S.8.
285
14.4
14
Führungsstile und -konzepte
Die Wirksamkeit der Kriterien wird nicht durch die Form der Darstellung, sondern durch die Inhalte bestimmt: Was und wie wird gemessen? Von wem wird die Füh rungsqualität beurteilt? Genauso wie die Messkriterien aus der Tabelle, sollen die Felder einer FührungsScorecard an die Besonderheiten des Unternehmens, seine Strategieund Kultur,undandiespezifischenMerkmalejederEinheit(Sachziele,Or ganisationu.ä.)angepasstwerden.DieFührungsScorecardsollteindieübergeordne te BalancedScorecard des Unternehmens eingebunden werden und anhand von KennzahlendieVerbesserungsbereichederPersonalführungimUnternehmenidenti fizieren und verfolgen. Als Basis werden normalerweise vier klassische Felder einer FührungsBalancedScorecard benutzt: Markt (Marktorientierung), Unternehmenslei tung(Zielorientierung),Mitarbeiter(Mitarbeiterorientierung)undInnovation(Flexibi lität,LernundInnovationsfähigkeit). Für die Praxis empfiehlt es sich, die Felder der FührungsScorecard individuell zu gestalten.ZunächstsinddieAnforderungenandiePersonalführunganhandderFüh rungsleitlinien, Unternehmensstrategie und kultur zu definieren. Danach sollen die quantitativen Messgrößen und die Zielwerte für jedes Kriterium bestimmt werden. Darüber hinaus braucht man explizit beschriebene Maßnahmen und Aktivitäten für die Zielerreichung. Es ist offensichtlich, dass eine FührungsScorecard nur bei einer übersichtlichenAnzahl von Kriterien funktionieren kann, deswegen sollen die Kenn zahlenaufeinMinimumreduziertwerden. Die FührungsScorecard als Instrument für die Sicherung und Steigerung der Füh rungsqualitäthatihreGrenzen:DiesozialenEffizienzkriteriensindschwerzuquanti fizieren und die Begrenzung derAnzahl von Kennzahlen führt zur inhaltlichen Ein schränkungundFormalisierungderFührungseffizienz. Eine aktive systematische Arbeit an der Führungsqualität in einem Unternehmen bringtvieleVorteile–SteigerungderMotivationundLeistungsbereitschaft,Kreativität und Innovation, Identifikation und Zusammengehörigkeit, Arbeitszufriedenheit und Weiterentwicklung der Mitarbeiterpotenziale.Aber auch ein Vergleich verschiedener Unternehmen in Bezug auf die Führungseffizienz im Rahmen eines Benchmarking wäre sinnvoll. Genauso wie es Qualitätsstandards für Produkte und Prozesse, sogar für die Unternehmensethik gibt, kann die Qualität der Führung (auf der Ebene des ganzen Unternehmens) standardisiert und zertifiziert werden. Die Entwicklung ge meinsamerAnforderungenandiePersonalführungkönnteindenkommendenJahren stattfinden, die Voraussetzungen dafür sind bereits geschaffen. Klassische Zertifizie rungs bzw. Benchmarkansätze der Unternehmensführung wie der EFQMAnsatz (European Foundation for Quality Management) beinhalten schon Kriterien der Per sonalführung, die jedoch entwicklungsbedürftig sind. Die Führungsleitlinien großer UnternehmenweisenwesentlicheÜberschneidungenauf.Außerdemgibtesinternati onaleethischeStandards(z.B.StandardSocialAccountabilityInternational(SA8000); GlobalCorporateCitizenshipInitiative(GCCI)desWorldEconomicForum),dieunter AnderemGrundsätzedesFührungsverhaltensdefinieren.
286
Qualität der Führung
DiebereitserläutertenKriteriendersozialenEffizienzkönntenalsBenchmarkkriterien fürdiePersonalführungdienen.AlsUntersuchungsmethodewäreeinestandardisierte Mitarbeiter und Führungskräftebefragung geeignet, die alle Einzelkriterien der Füh rungsqualität aus der Perspektive der Führungskräfte und der Mitarbeiter abfragt. MankönntedasimerstenAbschnittbeschriebeneVerfahrenaufgrunddesGreatPlace toWorkModells(beideminInterviewsundBefragungenGlaubwürdigkeit,Respekt undFairnessdesManagements,IdentifikationmitderArbeitunddemUnternehmen sowieTeamorientierung untersuchtwerden)um weitererelevanteKriterienderFüh rungsqualität ergänzen. Von einem PersonalführungsBenchmarking würden sowohl dieUnternehmen(durchdasverbesserteImageinderÖffentlichkeitundbeipotentiel lenArbeitnehmern,stärkereIdentifikationundMotivationderBelegschaften),alsauch die Mitarbeiter (durch die bessere Qualität und Transparenz der Personalführung) profitieren.
14.4.3
Ein Konzept zur Sicherung der Führungsqualität
UmdieQualitätderFührunginUnternehmenlangfristigzusichern,brauchtmanein ganzheitlichesKonzept,dasbestimmteroutinemäßigeund konsequenteMaßnahmen beinhaltetundinmehrerenSchrittenumgesetztwird. In der ersten Phase werden dieAnforderungen an die Führungsqualität explizit und verbildlich definiert.Aufgrund der Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur solltendieFührungsleitlinienentwickeltundbreitdiskutiertwerden.Zusätzlichsollen für jede Unternehmenseinheit und für das Unternehmen als Ganzes operationale MessgrößenfürdieökonomischeEffizienzunddieBeurteilungskriteriendersozialen Effizienz der Führung definiert werden. Die Messgrößen und Kriterien können ent weder in tabellarischer Form oder als in die gesamtunternehmerische Balanced ScorecardintegrierteFührungsScorecardabgebildetwerden. Als zweiter Schritt sollte ein funktionierendes System regelmäßiger Erhebungen von Messgrößen und Beurteilungen geschaffen werden. Dabei ist für die Objektivität, Anonymität, angstfreie Atmosphäre und Motivation der Beteiligten zu sorgen. Am besten geeignet ist eine Kombination aus verschiedenen Beurteilungsmethoden: Mit arbeitergespräche, Gruppendiskussionen, Selbstbeurteilung von Führungskräften, 360°FeedbackundMitarbeiterbefragungen. Im dritten Schritt sollten die Ergebnisse kommuniziert und Konsequenzen gezogen werden. Sofortiges und transparentes Reagieren auf die Meinungen ist für die Wirk samkeit der Beurteilung entscheidend. Zu den Konsequenzen zählen: Seminare, Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte, gegebenenfalls Per sonalentscheidungen (Beförderung, Versetzung oder Freistellung) sowie Gruppen undEinzelgesprächemitFührungskräftenundMitarbeitern.
287
14.4
14
Führungsstile und -konzepte
Begleitend sollen die Führungsleitlinien und die Unternehmenswerte regelmäßig in Bezug auf ihre Gültigkeit und Wirksamkeit überprüft und bei Bedarf modernisiert werden.AlspraktischeInstrumentedafürkönnenspezielleWorkshopsmitFührungs kräften, Analyse von Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen oder eine Intranet PlattformzumThemaFührungsqualitäteingesetztwerden. Kontrollfragen 1. Erläutern Sie den Wertewandel in der Gesellschaft und seine Auswirkungen auf dieFührungspraxis. 2. WelcheFolgenfürdieFührunghabenverschiedeneMenschenbilder? 3. ErläuternSiekurzdieMenschenbilderAnsätzevonMcGregorundSchein. 4. WelchesFührungsverständnisentsprichtdermodernenUnternehmenspraxis? 5. DefinierenSiestrukturelleundinteraktiveFührungundihreInstrumente. 6. Beschreiben Sie das Führungsstilkontinuum von Tannenbaum und Schmidt und diedarausresultierendenFührungsstile. 7. ErläuternSiedasManagerialGridvonBlakeundMouton. 8. ErklärenSiedieFührungsstiltypologienachR.Wunderer. 9. BeschreibenSieFührungsstileinderPraxis. 10. Erläutern Sie das Konzept der situativen Führung und die so genannte Glocken kurve. 11. Beschreiben Sie das Konzept der zielorientierten Führung am Beispiel des Mana gementsbyObjektives. 12. DiskutierenSieverschiedeneArtenderdelegativenFührung. 13. Charakterisieren sie den Ansatz der werteorientierten (transformationalen) Füh rung. 14. Erläutern Sie das transformationalcharismatische Führungskonzept von Sha mir/House/Arthur. 15. BeschreibenSieCharismainderFührung,seineVorteileundGefahren. 16. Welche Führungsstile und konzepte sind Ihrer Meinung nach für die moderne PraxiseinerWissensgesellschaftgeeignet? 17. WasistQualitätderFührung?Wiekannsiegemessenwerden?
288
Qualität der Führung
15 Gestaltung des Lernens in Unternehmen
In der modernen Wissensgesellschaft ist die Wettbewerbsfähigkeit eines Unterneh mens von einem effizienten Umgang mit der Ressource Wissen abhängig. Nur ein lernfähiges Unternehmen kann in der komplexen, dynamischen, globalen Umwelt langfristig erfolgreich sein. Deswegen genießt die Idee der lernenden Organisation bereitsseitden1990erJahreneinebreiteAnerkennung. Das zentrale Problem bei dem Lernen von Unternehmen besteht darin, sinnvolle Lernprozesse der Mitarbeiter zu initiieren und zu steuern, damit das ganze Unter nehmen langfristig lernfähig und lernbereit ist. Das organisatorische Lernen basiert aufdemindividuellen(vgl.Kapitel6)unddemGruppenlernen(vgl.Kapitel11.7),hat jedoch seine spezifischen Merkmale. Das individuelle Wissen der Mitarbeiter mit permanentlaufendenLernprozessenbildetdieBasis.DurchdenAustauschvonWis sen in Gruppen, seine Harmonisierung und die dabei entstehenden Synergieeffekte bildetsichGruppenwissen.DafürsinddieunmittelbareInteraktionsowiediesozialen KompetenzenderGruppenmitgliedernotwendig,dennnurunterdiesenBedingungen kann derAustausch und Zuwachs von Wissen stattfinden.Auf der organisationalen Ebene sollten Wissens und Lernprozesse gemanagt werden, d.h. der Umgang mit Wissen wird institutionalisiert, geregelt und auf die Unternehmensziele orientiert. Darüberhinausgewinntinderglobalen,vernetztenWeltdasopenlearninganBedeu tung – ein Unternehmen kann und muss von den relevanten externenAkteuren wie Kunden,Lieferanten,Wettbewerbern,Forschungsinstitutionenu.a.lernen. DasWisseneinesUnternehmensistnurzumTeilformalisiertundgespeichert(expli zit), ein wesentlicher Teil befindet sich in den Köpfen der Mitarbeiter sowie in den ungeschriebenen Ritualen, Geschichten, Werten und Normen (Unternehmenskultur). Diesesimplizite Wissen ist für das Unternehmen nicht weniger relevant und soll ge nutzt, gebündelt und weiter gegeben werden. Es obliegt der Führung, günstige Rah menbedingungen für die optimale Nutzung der kollektiven Intelligenz interner und externerAkteurezuschaffen. Diese Aspekte des unternehmerischen Lernens und Wissens sowie die Problematik derUnternehmensintelligenzundihrerNutzungwerdenindiesemKapitelerläutert. DabeiwerdendiewichtigstenBegriffedefiniert,bekannteTheoriendesorganisationa len Lernens und des Wissensmanagements erläutert und die aktuellen praktischen Vorgehensweisendargestellt.
289 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
14.4
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
15.1
Theorien des organisationalen Lernens
Ein Unternehmen ist eine sich selbst organisierende und gestaltende soziale Hand lungseinheit, die auf die langfristige Erreichung gemeinsamer Ziele ausgerichtet ist. Das unternehmerische Handeln kann als das bewusste, innerhalb seiner Grenzen selbst bestimmte Tun definiert werden, mit dem es sich oder seine Umwelt gemäß seinen Vorstellungen und Werten (seinem Wissen) verändert oder bewahrt. Genauso wie für eine Einzelperson, stehen Handeln und Wissen eines Unternehmens in einer Wechselbeziehung zueinander. Das Wissen eines Unternehmens bestimmt sein Han deln,unddieKonsequenzendiesesHandelnsrufenpermanenteLernprozessehervor, diezuWissensveränderungenführen. Das organisationale Lernen kann als ein Prozess der Veränderung der Wissensbasis des Unternehmens beschrieben werden, der im Wechselspiel zwischen Individuen und dem Unternehmen in Interaktion mit der Umwelt stattfindet und zu besserer SystemanpassungundProblemlösungsfähigkeitdesUnternehmensführt. MitdemorganisationalenLernenhabensindinden195060erJahrenschonH.Simon, R. Cyert und J. March beschäftigt, indem sie vor allem das Entscheidungsverhalten eines Unternehmens analysiert haben. Allerdings haben diese Autoren dem Unter nehmennureinepassiveRolleunterstellt–espasstsichandieäußerenGegebenheiten an, reagiert, anstatt zu agieren. Darin besteht die Begrenztheit dieser Ansätze (die nicht näher betrachtet werden), da ein Unternehmen in der Lage ist, einen aktiven Einfluss auf seine Beschäftigten, Kunden, Konkurrenten und die Gesellschaft auszu üben.EsgestaltetseineinterneundexterneUnternehmensrealität. Spätere Theorien der lernenden Organisation zeichnen sich durch bessere Anwen dungsmöglichkeitenundwerdenexemplarischerläutert.DerAnsatzvonArgyrisund Schön(erschienen1978)beschäftigtsichmitdemHandelninnerhalbeinesUnterneh mensundbeschreibtLerntypen,dieüberdaseinfacheReagierenaufäußereUmstände hinausgehen.DieTheoriedeslernendenUnternehmensvonP.Senge(erschienen1990, auf Deutsch 1996) hat konstruktiven Charakter: Ein Unternehmen soll durch Lernen seineeigeneRealitätschaffen.DiejapanischenWissenschaftlerNonakaundTakeuchi haben1995denUmgangmitdemWissenunddieBedingungenfürLerneninUnter nehmen beschrieben, für sie steht die Schaffung von neuem Wissen im Mittelpunkt. Diese Ansätze werden im Weiteren analysiert und bezüglich ihrer Anwendbarkeit hinterfragt.
290
Theorien des organisationalen Lernens
15.1.1
Lerntheorie von Argyris und Schön
ArgyrisundSchön343haben1978einenAnsatzdesorganisatorischenLernenspräsen tiert,dereineentscheidendeRollefürdieWeiterentwicklungderLerntheorienspielt. SiebetrachtenorganisatorischesHandelnalsindividuelles,durchbestimmteorganisa torischeRollengeleitetesHandeln.EswirdzwischenzweigrundlegendenTypenvon Handlungstheoriendifferenziert:DengeäußertenHandlungstheorien,dievonAkteu ren nach außen kommuniziert werden, und den realen Gebrauchstheorien. Diskre panzenzwischengewünschtemundtatsächlichemHandelnstimulierenLernprozesse und bilden die Basis für das Lernen eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Stimmen die Handlungsergebnisse eines Unternehmens nicht mit den Handlungser wartungenüberein,sowerdendieHandlungstheorieninFragegestelltundeventuell korrigiert.EskommtzueinemorganisationalenLernen. Argyris und Schön unterscheiden drei Lerntypen: „singleloop“, „doubleloop“ so wie„deuterolearning“,dieinderfolgendenAbbildungerläutertwerden. Abb.61:
DreiLerntypennachArgyrisundSchön344 Reflexion & AnalyseEntwicklung von Einsichten
Ziele
Verhalten
Ergebnisse
Typ I Typ II Typ III
Beim „singlelooplearning“, oder anpassendem Lernen (Lernen Typ I) werden von den Betroffenen Zielabweichungen und Anpassungsfehler erkannt und korrigiert. DabeiändernsienurdieParameterinvorgegebenenmethodischenSchemata.Diesist das anpassungsorientiertes Lernen (wie im behavioristischen Konzept) und erfordert nur geringe Handlungsmodifikation. Beispiel: sinkenderAbsatz erfordert mehr Wer bungundmehrVerkaufsaktivitäten. 343 Argyris,C.;Schön,D,A.:DielernendeOrganisation. 344 Vgl. Argyris, Ch.; Schön, D. A.: Die lernende Organisation auf der Basis von Bateson, G.:
ÖkologiedesGeistes,S.362ff.
291
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
Das„douplelooplearning“,oderinnovativesLernen(LernenTypII)bedeutetLernen durchBewertungundEntwicklungmethodischerSchemata.EszieltaufeineModifi kationoderVerbesserungderallgemeinenRegeln,NormenundZieleab.Dafüristein „Verlernen“ von alten Handlungsregeln notwendig sowie die Erarbeitung von neuen kognitiven Orientierungen und Denkweisen. Es werden nicht nur Handlungsfehler korrigiert,sondernauchihreUrsachenanalysiert.Beispiel:SinkenderAbsatzführtzur Überprüfung,obdiesanzuwenigWerbungodermangelnderProduktqualitätliegt. Das„deuterolearning“,oderlernendesLernen(LernenTypIII)istdashöchsteLern niveau–SelbstreflexionderLernprozessekommthinzu.DabeiwirddasWissenüber vergangeneLernprozesse(ausdemanpassendenundinnovativenLernen)gesammelt undkommuniziert.FolglichkönnenbisherigeLernkonzepteanalysiertwerden.Dieses reflektierendeLernensteigertdasProblemlösungspotenzialeinesUnternehmensund führt zur qualitativen Veränderung seiner Handlungsmuster. Deutero Lernen kann nichtalseinEinzelaktbetrachtetwerden,sondernerforderteinesystematischeArbeit anLernenundLernfähigkeiteinerOrganisation. Die Gründe, warum Unternehmen nicht zu einem innovativen Lernen oder deutero Lernen kommen, sehenArgyris und Schön in den vorherrschenden Handlungstheo rienderMitarbeiterindenUnternehmen,diezumeistdurcheindefensivesVerhalten bestimmt sind. Das defensive Verhalten wird durch das Vermeiden von negativen GefühleninsozialenInteraktionenhervorgerufen.DieBetroffenenunterdrückenund vertuschenProbleme,umsichunddieanderenvornegativenGefühlen zuschützen. Dadurchkommtesnichtzuklärenden,diePrinzipieninFragestellendenInteraktio nenunddamitnichtzueinemhöherenLernen.NotwendigeVoraussetzungfürbesse reLernprozesseistalsoeineUnternehmenskultur,dieoffene,konstruktiveDiskussio nen ermöglicht. Änderungen, die eine konstruktive Unternehmenskultur generieren, können den Unternehmen jedoch nicht von außen vorgeschrieben werden, sondern müssendurcheigeneEinsichtentwickeltwerden.
15.1.2
Theorie der lernenden Organisation von P. Senge
Eine weitere bekannte Lerntheorie stammt von P. Senge345. Unternehmen sind nach Senge „ein Ort, an dem Menschen kontinuierlich entdecken, dass sie ihre Realität selbsterschaffen.Unddasssiesieverändernkönnen.“346ErbeschreibtsiebenHinder nisseinOrganisation,diedasLernenverhindernkönnenunddefiniertalsLösungdie sogenannten„5Disziplinen“deslernendenUnternehmens. DiesiebenLernhemmnissenachSengesind:347
345 Senge,P.M.:DiefünfteDisziplin.KunstundPraxisderlernendenOrganisation. 346Ebd.,S.22f. 347Ebd.,S.29ff.
292
Theorien des organisationalen Lernens
1.
„IchbinmeinePosition“.DiemeistenMitarbeitereinesUnternehmenssehen sichalsTeileinesSystems,aufdassiewenigEinflusshaben.SietunihreAr beit(DienstnachVorschrift).Folglichfühlensiesichnichtverantwortlichfür dieErgebnissedesgemeinsamenZusammenwirkensallerStellen.
2.
„Der Feind da draußen“. Bei Problemen und Schwierigkeiten wird immer nacheinemexternenSündenbockgesucht.
3.
„Angriff ist die beste Verteidigung“. Proaktivität ist Mode, aber eine echte Proaktivitäterfordertzuerkennen,wiemanselbstzumProblembeiträgt.
4.
Fixierungauf Ereignisse:WirbetrachtendasLebenalseineAbfolgevonEr eignissenundglauben,dassjedesEreigniseineUrsachehat(reaktivesHan deln).StattdessenmüssenwirkreativseinunddieWeltselbstgestalten.
5.
„Gleichnis vom gekochten Frosch“. Wir sind nicht in der Lage langsame Entwicklungenzuerkennen,dazumüssenwirunserhektischesTempodros selnunddemSubtilengenausovielAufmerksamkeitwidmenwiedemDra matischen.
6.
„Illusion,dasswirausErfahrunglernen“.WirlernenammeistenausErfah rung,aberwirerfahrenmeistensnicht,wiesichunsereEntscheidungenaus wirken(mankannniedieFrage„waswäre,wenn?“beantworten).
7.
„Mythos vom Managementteam“. Teams in der Geschäftswelt verbringen häufig viel Zeit mit Revierkämpfen und bei komplexen Problemen geht der TeamgeistzumTeufel.
Senge geht von einer natürlich gegebenen Lernbereitschaft und fähigkeit der Men schenaus,dieunterdenbeschriebenenBedingungenineinemUnternehmenverloren gehen,jedochwiedergewonnenwerdenkönnen.DieBedeutungeinerlernendenOr ganisation besteht darin, dass sie kontinuierlich die Fähigkeit ausweitet, ihre eigene Zukunftzugestalten.DieReaktivierung,FörderungundWeiterentwicklungderLern fähigkeit einer Organisation ist von der Beherrschung folgender fünf Fähigkeiten (Disziplinen)abhängig: 1.
PersonalMastery
2.
MentalModels(mentaleModelle)
3.
BuildingSharedVision(gemeinsameVisionen)
4.
TeamLearning(Teamlernen)
5.
SystemThinking(Systemdenken)
Jede Disziplin repräsentiert einen anderen Aspekt der lernenden Organisation, und alle zusammen ermöglichen sie das organisationale Lernen. Dabei kommt dem Sys
293
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
temdenkeneinebesondereRollezu:SystemsThinkingbedeutetfürSengeeinenÜber blicküberdasGanze,dieFähigkeit,ProzesseinihrenZusammenhängenzubegreifen. Abb.62:
FünfDisziplinenderlernendenOrganisationnachSenge
Personal Mastery
Mentale Modelle
Systemdenken
Gemeinsame Visionen
Teamlernen
MitSystemsThinkingmeintSengedieFähigkeit,Abhängigkeiten,Interdependenzen und ganzheitliche Strukturen zu erkennen. Systemisches Denken ist damit ein integ rierendes Denken, welches von verschiedenen Zusammenhängen ausgeht und mög lichst viele Einflussfaktoren berücksichtigt. Vor allem wird die UrsacheWirkungs Ketteuntersucht.DiesesganzheitlicheDenkenmachtmehrereDenkprozessenotwen dig:ErkennenvonStrukturenundZusammenhängen,DenkeninMöglichkeiten,Pro zessdenken(„waspassiert,wenn“),DenkeninSzenarien(„waswirdausunsinzehn Jahren“)sowievernetztesDenken(ZusammenhängevonalternativenEntscheidungen undihrenKonsequenzen). PersonalMasteryistdieBereitschaftvonMenschen,sichweiterzuentwickeln,umzu denken. Diese Fähigkeit hängt mit dem Selbstmanagement und der Persönlichkeits entwicklungzusammenundbedeutet,eigenständigaufZielehinzuarbeiten,Situatio nenrealistischeinzuschätzen,GewohntesinFragestellenzukönnen.PersonalMaste ryistkeinZustand,sonderneinlebenslangerEntwicklungsprozess.EinUnternehmen istdaraninteressiert,seineMitarbeiterzumLernenundzurEntwicklungzumotivie ren. „Organisationen lernen nur, wenn die einzelnen Menschen etwas lernen. Das individuelle Lernen ist keine Garantie dafür, dass die Organisation etwas lernt, aber ohneindividuellesLernengibteskeineLernendeOrganisation.“348 MentalModelssindnachSengedieBilder,AnnahmenundGeschichten,diewirvon uns selbst, von unseren Mitmenschen, von Institutionen und von jedem anderenAs 348 Senge,P.M.:DiefünfteDisziplin,S.111.
294
Theorien des organisationalen Lernens
pektderWeltinunserenKöpfentragen.MenschlichesWissenwirdinFormvonmen talen Modellen repräsentiert, in ihrer Gesamtheit bilden sie das subjektive Weltbild jedesMenschenundjedesUnternehmens.DieseimLaufederZeitausErfahrungent standene Vorstellungen und Meinungen bilden die Basis für Wahrnehmungen und Entscheidungen und machen die Handlungseinheiten konservativ. Nach Senge muss man sich seiner mentalen Modelle bewusst werden, nur dann kann man neue Ideen hervorbringen. Deswegen ist Selbstreflexion von großer Bedeutung. Auch in zwi schenmenschlichenBeziehungenisteswichtig,mitmentalenModellenrichtigumzu gehen: Verständnis für andere Meinungen haben, die Situation mit denAugen eines Anderen betrachten. Das gleiche gilt auch für Unternehmen, auch sie sind in ihrem DenkendurchmentaleModellegeprägt,diesichinihrerUnternehmenskulturverfes tigthabenundzuwenighinterfragtwerden. Building Shared Vision ist wichtig, um neue Zukunftsbilder für die gemeinsame Arbeitzuentwickeln.VisionensindinnereBildereinerzukünftigenWirklichkeit,die den Mitarbeitern eine Orientierung geben und Identifikation fördern sollen. Senge betont die Wichtigkeit von Förderung der persönlichen Visionen und beschreibt die Möglichkeiten, Visionen zu verbreiten: Teilnehmerschaft, Engagement und Einwilli gung. Team Learning bedeutet die Kompetenz, inArbeitsgruppen gemeinsam zu arbeiten, zu handeln und dadurch systematisch zu lernen. Das Lernen im Team ermöglicht Synergieeffekte durch Zusammenkommen von verschiedenen Qualifikationen und intensiven Wissensaustausch. Für effizientes Teamlernen sind bestimmte Fähigkeiten der Mitglieder erforderlich, vor allem Kommunikation und soziale Kompetenzen (emotionale Intelligenz). Nur wenn die Arbeitsatmosphäre durch gemeinsame Ziele, offeneKommunikationundVertrauengekennzeichnetist,kommtTeamlernenzustan de. AllefünfDisziplinensindnachSengemiteinanderverbundenundaufeinanderange wiesen. Zum Beispiel, das erfolgreiche Teamlernen basiert auf der Personal Mastery, gemeinsamenVisionenimTeamsowieaufdemrichtigenUmgangmitmentalenMo dellen (eigenen und denen des Unternehmens) und Systemdenken. Als allgemeine Bedingungen für die Entwicklung der fünf Disziplinen nennt Senge – ähnlich wie ArgyrisundSchön–offeneKommunikation,FertigkeitendesDialogs,konstruktiven UmgangmitLernhemmnissenundvielÜbung.
15.1.3
Wissensmanagementtheorie von Nonaka und Takeuchi
Eine der modernen Lerntheorien stammt von den japanischen Wissenschaftlern No naka und Takeuchi349. Zentraler Betrachtungsgegenstand ihrer Wissensmanagement 349 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens.
295
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
theorieistdieSchaffungvonneuemWissenundnichtdieWissensverarbeitung.Viele Unternehmen messen der Wissensschaffung wenig Bedeutung bei und legen den Schwerpunkt auf die Wissensverarbeitung. Diese Kurzsichtigkeit im Umgang mit Unternehmenswissen haben Nonaka und Takeuchi als einen Unterschied westlicher UnternehmenimVergleichzujapanischenbeschrieben.DeswegengehenNonakaund TakeuchiinsbesondereaufLernhemmnisseinUnternehmeninderwestlichenKultur ein. „Unternehmen stellen sich auf ein unsicheres Umfeld nicht nur durch passive Anpassungein,sondernauchdurchaktivesZusammenwirken.Unternehmenkönnen sich verwandeln. Dennoch werden sie häufig als passiv und statisch betrachtet. Ein Unternehmen,dasrascheVeränderungenimUmfelddynamischbewältigenwill,darf Informationen und Wissen nicht nur effizient verarbeiten, es muss sie selbst hervor bringen. Es muss sich durch die Auflösung des existierenden Wissenssystems und durchdieEntwicklunginnovativerDenkundHandlungsmodelleselbsterneuern.“350 Sie bauen ihreAusführungen auf dem Unterschied zwischen zwei Formen des Wis sens auf: explizitem (kontrolliertem) und implizitem (automatisiertem) Wissen und untersuchen ihre Dynamik in einem Unternehmen (vgl. Kapitel 5.4). Die westlichen Unternehmen, so Nonaka und Takeuchi, fassen das Wissen traditionell „als etwas Formales, Systematisches und somit Explizites auf. Explizites Wissen lässt sich in WortenundZahlenausdrückenundproblemlosmitHilfevonDaten,wissenschaftli chen Formeln, festgelegten Verfahrensweisen oder universellen Prinzipien mittei len.“351 Japanische Unternehmen haben ein anderes Verständnis vom Wissen, für sie sindDatenundZahlennurdieSpitzedesEisbergs.Wissenisthauptsächlichimplizit. „Implizites Wissen istsehr persönlich und entzieht sich dem formellenAusdruck, es lässtsichnurschwermitteilen.SubjektiveEinsichten,AhnungenundIntuitionfallen in diese Wissenskategorie. Darüber hinaus ist das implizite Wissen tief verankert in der Tätigkeit und der Erfahrung des einzelnen sowie in seinen Idealen, Werten und Gefühlen.“352 Das implizite Wissen lässt sich nicht käuflich erwerben, kann nur von Menschen besessen, benutzt und übertragen werden (FacetoFaceKommunikation oderPraxisAnleitung).DarausergebensichbesondereHandlungsroutinen,subjekti veEinsichtensowieIntuitionundFingerspitzengefühlderMitarbeiter. Nonaka und Takeuchi kritisieren den Lernansatz der lernenden Organisation von P. Senge, der die Lösung des Problems im „systemischen Denken“ sieht, um den Blick vondeneinzelnenTeilenauf dasGanzezulenken,unddamitdenSchwerpunktdes Lernens auf Verstand legt. Für Japaner findet ein Lernprozess nur in der Einheit KopfKörperstatt,manmussdasWissenfühlen. 353DamitistWissensubjektivundper sonengebunden.
350 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.64. 351 Ebd.,S.18. 352 Ebd.,S.19. 353 Ebd.,S.20.
296
Theorien des organisationalen Lernens
Lernprozesse finden nach Nonaka/Takeuchi in Form von Wissensumwandlung statt, die innerhalb zweier Dimensionen abläuft, der epistemologischen Dimension: zwi schen explizitem und implizitem Wissen, sowie der ontologischen Dimension: zwi schenIndividuumundKollektiv(vgl.Tabelle). Tabelle46: FormenderWissensumwandlunginderepistemologischenDimensionnachNo nakaundTakeuchi Sozialisation
Externalisierung
Ausgangspunkt: implizites Wissen; Ziel: implizites Wissen
Ausgangspunkt: implizites Wissen; Ziel: explizites Wissen
Erfahrungsaustausch, bei dem implizites Wissen ausgetauscht wird und entstehen kann. Fertigkeiten werden nicht durch Sprache, sondern durch Beobachtung, Nachahmung und Praxis erlernt. Erst diese gemeinsamen Erfahrungen erleichtern es, sich in die Denkweise anderer zu versetzen und so kritisches, verborgenes Wissen aufzudecken und anwendbar zu machen.
Implizites Wissen wird in Form von expliziten Konzepten (wie Aussagen, Modelle, Theorien, Zahlen oder Fakten) kommunizierbar gemacht. Methoden: Hilfsmittel wie Analogien oder Metaphern (Darstellung von in Individuen innewohnenden Bildern oder Visionen), Induktion und Deduktion.
Internalisierung
Kombination
Ausgangspunkt: explizites Wissen; Ziel: implizites Wissen
Ausgangspunkt: explizites Wissen; Ziel: explizites Wissen
Integration expliziten Wissens in die implizite Wissensbasis des Individuums bzw. der Organisation. Beispiele: Ein Film kann über die Firmenphilosophie als mentales Modell in kognitives Wissen, oder eine Lehrveranstaltung über Marketingtechniken in technisches implizites Wissen übergehen
Verschiedene Bereiche expliziten Wissens werden miteinander verbunden, wobei neues Wissen entstehen kann. Dieses explizite Wissen wird über Medien wie Dokumente, Telefon etc. ausgetauscht und kombiniert.
WährenddieserUmwandlungenschafftunderweitertsichdieWissensbasisdesKol lektivs(derOrganisation)imZeitablauf.DieGesamtheitvonSozialisation(Verwand lungdesimpliziteninimplizitesWissen),Externalisierung(implizitinexplizit),Kom bination(explizitzuexplizit)undInternalisierung(explizitinimplizit)ergibtdasBild desorganisationalenLernens. Diese vier Formen der Wissensumwandlung zeigen die Teilprozesse, die in einem Unternehmen ablaufen. Diese Teilprozesse stehen in Wechselbeziehung zueinander und bilden gemeinsam die so genannte Wissensspirale, die die Wissensvermehrung imUnternehmendarstellt. EineInnovationergibtsichnur,wennimplizitesundexplizitesWissenzusammenwir ken.DieSozialisationdientdemAustauschvomimplizitenWissenimRahmeneiner Interaktion. Die Externalisierung wird von einem Dialog oder kollektiver Reflexion ausgelöst und führt zur Artikulation vom impliziten Wissen. Die Kombination ent steht durch die Verbindung neu geschaffenen und bestehenden Wissens, um sie zu
297
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
einem neuen Produkt zu verschmelzen. Internalisierung resultiert aus „learning by doing“–einerIntegrationexplizitenWissensindieimpliziteWissensbasis. Abb.63:
A u s g a n g s p u n k t
WissensspiralenachNonakaundTakeuchi354
Sozialisation
Externalisierung
Internalisierung
Kombination
Implizites Wissen
Explizites Wissen
Implizites Wissen
Explizites Wissen Zielpunkt
In einer anderen Form lässt sich die Wissensgenerierung in folgenden Phasen als In novationsprozessdarstellen:
Wissen austauschen: Schaffung von Kommunikationsmöglichkeiten z.B.in selbst organisierendenTeams;
Konzepte schaffen: Entwicklung eines gemeinsamen mentalen Modells in einem kontinuierlichenkooperativenDialog;
Konzepte erklären: Unternehmen müssen die Konzepte bewerten und mit den Gesamtintentionenabstimmen;
EinenArchetypbilden:EsmusseinPrototypoderimFalleeinerDienstleistungein Operationsmodellentwickeltwerdensowie
Wissenübertragen:UmdasWissenimUnternehmendurchzusetzen,musseshori zontalundvertikalverbreitetundweiterentwickeltwerden(diessetztneueGene rierungsvorgängeinGang). 354 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.84.
298
Theorien des organisationalen Lernens
DurchdieVerknüpfungderepistemoligischenmitderontologischenDimension,der Erweiterung der Menge der Wissensträger ergibt sich folgende zweidimensionale DarstellungderWissensspirale(s.Abbildung). Abb.64:
SpiralederWissensschaffungnachNonakaundTakeuchi355
Epistemologische Dimension E xte rn a lis ie ru n g
E xp liz ite s W is s e n
K o m b in a tio n
S o z ia lis ie ru n g
Im p liz ite s W is s e n
In te rn a lis ie ru n g In d ivid u u m
G ru p p e
U n te rn e h m e n
U n te rn e h m e n s in te ra k tio n
W is s e n s e b e n e
Ontologische Dimension
„StrenggenommenwirdWissennurvonEinzelpersonengeschaffen.EineOrganisati on kann ohne Einzelne kein Wissen erzeugen. Die Organisation unterstützt kreative Personen oder bietet Kontexte, die der Wissensschaffung förderlich sind. Wissens schaffung im Unternehmen muss daher als Prozess verstanden werden, der das von EinzelnenerzeugteWissenverstärktundesimWissensnetzdesUnternehmensveran kert. Dieser Prozess vollzieht sich in einer expandierenden Interaktionsgemeinschaft, die Grenzen und Ebenen in und zwischen Unternehmen überschreitet.“356 Dieser Prozess wird nun als eine Spirale abgebildet mit zwei Dimensionen – epistemologi scherundontologischer–dargestellt.DieWissensspiralewirdvondenVisionenund der Strategie des Unternehmens gesteuert. Um diese Strategie und den erfolgreichen Lernprozessumzusetzen,müssennachNonaka/TakeuchibestimmteVoraussetzungen auf individueller Ebene erfüllt sein, die sie als Intention (Zielsetzung), Autonomie, FluktuationundkreativesChaos,RedundanzsowienotwendigeVielfaltbezeichnen:
IntentionisteinMaßstabzurBeurteilungderRelevanzvonWissen.DiesenMaß stabkanndasUnternehmeninFormvonUnternehmensintentionenfassen,welche aus den Zielen des Unternehmens bzw. der Unternehmensstrategie resultieren. 355 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.87. 356 Ebd.,S.71.
299
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
DieseUnternehmensintentionensindzwangsläufigwertbezogenundkönnenauch weltanschaulicheGrundauffassungenbeinhalten;
Autonomie:DieeinzelnenIndividueninnerhalbeinesTeamswieauchdieTeams alssolchesolltensoautonomhandelnkönnen,wieesdieUmständeerlauben,um denWissensschaffungsprozesszuoptimieren.AutonomiederUntereinheitenver stärktderenMotivation;
Redundanz ist eine absichtliche Überschneidung von Informationen (z.B. über geschäftliche Tätigkeiten, Managementaufgaben, das Unternehmen als Ganzes). Diese,nichtunmittelbarbenötigtenInformationenkönnen fürdenAustauschim pliziten Wissens förderlich sein:Als Hilfe für den Einzelnen, seinen Platz im Un ternehmen besser zu verstehen und besseres Verstehen über das Arbeitsumfeld andererAbteilungenoderGruppenzuerlangen;
Fluktuation und kreatives Chaos. Durch kreatives Chaos werden Individuen gezwungen die Handlungsmuster und Vorstellungen ihres Unternehmensumfel des neu zu überdenken. Hierdurch kann neues Wissen entstehen und es wird OrdnungausdemChaosgeschaffen.EntstehungvonkreativemChaosbasiertauf: Fluktuation im Unternehmen (Zusammenbruch von Routineabläufen), Krisen stimmung im Unternehmen (ggf. künstlich verursacht) sowie mehrdeutigen An weisungen(‚strategischeVieldeutigkeit‘);
Notwendige Vielfalt. Hohe Komplexität desArbeitsumfeldes erfordert eine aus reichende Vielfalt der Mitarbeiter einer Organisation. Es bestehen folgende Mög lichkeiten zur Steigerung der Vielfalt: effiziente Kombination von Information; gleichberechtigter Zugang aller zu einer breiten Palette von Informationen sowie häufigerWandelderOrganisationsstruktur(z.B.wechselndeTeammitglieder). DieseBedingungenfürindividuellesHandelnderMitarbeiterzielendaraufab,Krea tivitätundEigeninitiativejedesEinzelnenzuentfaltenunddadurchindividuelleWis sensschaffunginGangzusetzensowieGruppenaktivitätenzufördern. DarüberhinausnennenNonakaundTakeuchizweiweitereBedingungenfürdieop timaleWissensschaffunginUnternehmen,dieoptimaleFührungsundOrganisations strukturenbeschreiben:MiddleupdownManagementundHypertextorganisation. Weder eine hierarchische noch eine partizipative Führungsstruktur sind nach Mei nungvonNonakaundTakeuchifürdieWissensschaffungoptimal.Einehierarchische Pyramidenstruktur setzt voraus, dass nur Führungskräfte Wissen schaffen können unddürfen.IhrexplizitesWissenwirdnachuntenweitergegeben,dasimpliziteWis senwirdvernachlässigt.„DashierarchischeModellerlaubteineUmwandlungnurals Kombination(explizitzuexplizit)undInternalisierung(explizitzuimplizit).“357Eine partizipative Führungsstruktur, wo die Führungskräfte nur wenige Anweisungen 357 Nonaka,I,;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.143.
300
Theorien des organisationalen Lernens
geben und als Förderer unternehmerisch gesinnter Mitarbeiter dienen, ist für den UmgangmitimplizitemWissengünstig,verhindertaberdieVerbreitungdesWissens inUnternehmen.„DaspartizipativeModelllässteineUmwandlungnuralsSozialisa tion(implizitzuimplizit)undalsExternalisierung(implizitzuexplizit)zu.“358 DeroptimaleProzessderWissensschaffunggehtnachNonakaundTakeuchivonder Mitteausundwirktsowohlnachobenalsauchnachunten.DiezentraleRollespielen die Mittelmanager als Schnittpunkte der vertikalen und horizontalen Informations ströme. Sie fungieren als Teamleiter und steuern die Wissensschaffungsprozesse in Gruppen und werden als Wissensingenieure bezeichnet. „Die Geschäftsführung for mulierteineVision,währenddasmittlereManagementkonkreteKonzepteentwickelt, diedieMitarbeiterverstehenundumsetzenkönnen.Mittelmanagerbemühensichalso um eine Lösung des Widerspruchs zwischen den idealistischen Zielen der Führung unddenrealenGegebenheiten.“359 Auch die traditionellen Organisationsstrukturen wie Bürokratie und Arbeitsgruppe werden von Nonaka und Takeuchi in Bezug auf Wissensschaffung als mangelhaft bezeichnet. Nur eine Synthese der beiden wirkt sich positiv aus. Eine bürokratische StrukturistaufgrundihrerFormalisierung,Spezialisierung,ZentralisierungundStan dardisierung hervorragend für Routinesituationen geeignet, taugt aber nichts in den ZeitendesWandels.EineArbeitsgruppeistumgekehrtflexibel,dynamischundparti zipativ und eignet sich für die kreativenAufgaben wie Entwicklung von neuen Pro dukten.AllerdingswirddurchdiezeitlicheBegrenztheitderGruppeihrWissenkaum anandereGruppenundAbteilungenweitergegeben.DamitistdieArbeitsgruppefür eine kontinuierliche Ausschöpfung und Übermittlung von Wissen im gesamten Un ternehmenungeeignet.360 NureineKombinationausderBürokratie,diefürAusschöpfungundSammlungdes Wissenssteht,undderArbeitsgruppe,dieWissensaustauschundschaffungbegüns tigt,wirktaufdieWissensprozesseoptimal.DieEffizienzaufderEbenederZentrale unddielokaleFlexibilitätsollensichgegenseitigergänzen. AlseinepraktischeUmsetzungsmöglichkeitsolcherKombinationstellenNonakaund TakeuchidieHypertextorganisationdar.EinHypertextalsMetapherstammtausder Computerwissenschaft und bietet dem Anwender Zugriff auf mehrere Schichten, sodassmanEinzelheitenundHintergrundinformationenerfragenkann.DieseSchich tensetzendasWissendesHypertextesineinenjeweilsanderenZusammenhangbzw. Kontext.EineHypertextorganisationbestehtausdreimiteinanderverbundenenKon texten:Geschäftssystem,ProjektteamundWissensbasis(vgl.folgendeAbbildung).
358 Nonaka,I,;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.143. 359 Ebd.,S.147. 360 Ebd.,S.182183.
301
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
Abb.65:
HypertextorganisationfürdieWissensschaffunginUnternehmen361
DiezentraleSchicht–diePyramidedesGeschäftssystems–sorgtfürdieRoutinetätig keiten.Auf der oberen Projektteamschicht sind mehrereArbeitsgruppen mit wissen schaftlichen Aufgaben, wie Entwicklung von neuen Produkten beschäftigt. Auf der unterenSchichtderWissensbasiswirdindendarüberliegendenSchichtenerzeugtes WissenneuklassifiziertundinneueKontextegebunden.DieseSchichtexistiertnicht als tatsächliche Organisationseinheit, sondern wird durch die Vision, Kultur und Technologie des Unternehmens verkörpert.362 Eine solche Hypertextorganisation besitztdieFähigkeitzurWissensumwandlung,wobeisowohldasinterneWissender Belegschaft,alsauchdasexterneWissenderKundenundandererUnternehmeninteg riert werden kann. Der Vorteil dieser Organisation besteht in ihrer Flexibilität beim Kontextwechsel,wodurchdasWissendesUnternehmenskontinuierlichausgetauscht undgeschaffenwerdenkann.
15.1.4
Vier Ebenen des Lernens in Unternehmen
DieKomplexitätderLernprozesseineinemUnternehmenerforderteinestrukturierte Darstellung und Analyse der Abläufe auf verschiedenen Ebenen. Man kann dabei zwischenvierEbenendesLernensunterscheiden:derindividueller,Gruppen,organi sationalenundüberorganisationalerEbene(s.Abbildung). 361 Nonaka,I,;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.191. 362 Vgl.ebd.,S.188191.
302
Theorien des organisationalen Lernens
Abb.66:
VierEbenendesLernensinUnternehmen
Überorganisationale Ebene: gemeinsames Lernen mit Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern, Wissenschaft, Lernen in Netzwerken, open learning und open innovation. Organisationale Ebene: Visionen und Strategien, Offenheit fürs Neue, Zukunftsforschung, lernfördernde Unternehmenskultur, systematisches Wissensmanagement. Gruppenebene: Team- und Projektarbeit, bereichsübergreifende Workshops und Gremien, Innovationsteams, Qualitätszirkel, KVP, informelle Kommunikation. Individuelle Ebene: Aus- und Weiterbildung, Qualifizierung, Schulungen, Duales Studium, e-learning, persönliche Entwicklung, Kreativitätsförderung, Ideenwettbewerbe, BVW.
AufderindividuellenEbenedesLernenssindfolgendepraktischeMaßnahmendenk bar:
AusundWeiterbildung,Schulungen,QualifizierungderMitarbeiter, dualesStudiumfürbegabteFachundFührungskräfte, elearning(fallsgeeignet), persönlicheEntwicklungfördern–FördergesprächemitjedemMitarbeiter, KreativitätsförderungdurchKreativitätsseminareundTechniken, Ideenwettbewerbe(EntwicklungvonneuenProdukten,VerbesserungvonProzes senundArbeitsorganisation,
BetrieblichesVorschlagswesen(BVW). Die Gruppenebene kann durch die Bildung von gemeinsamen Lernprozessen und abteilungsübergreifenden Arbeitsteams gefördert. Zu den praktischen Instrumenten zählen Team und Projektarbeit, bereichsübergreifende Workshops und Gremien, spezielleInnovationsteams,QualitätszirkelundKontinuierlicheVerbesserungsprozes sesowieinformelleKommunikationfördern,umWissensaustauschanzuregen. DieAufgabenzurUnterstützungdesLernensaufderorganisationalenEbenebeinhal teninersterLinie:
VisionenundStrategienentwickelnundkommunizieren, 303
15.1
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
OffenheitfürsNeuefördern, Zukunftsforschungbetreiben, lernförderndeUnternehmenskulturgestalten, systematischesWissensmanagementbetreiben,zuroptimalenNutzung,Verteilung undAufbewahrungdesvorhandenenWissens. Die überorganisationale Ebene wird als open learning und open innovation verstan denundsollaufdasLerneninKooperationenundNetzwerkenausgerichtetsein. Nur wenn alle vier Ebenen systematisch gestaltet und gesteuert werden, kann das organisationaleLernenerfolgreichsein. DieProblematikdesunternehmerischenLernenswirdimWeiterendurchdieBetrach tungdesWissensinUnternehmenergänztundkonkretisiert.
15.2
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
Wissen als die wichtigste Ressource eines Unternehmens gewinnt in der Wissensge sellschaft mehr und mehr an Bedeutung. Begriffe wie „lernende Organisation“ und „Wissensmanagement“ prägen sowohl die Theorie als auch die Praxis der Unterneh mensführung. Jedoch können sogar die modernen lernfähigen Unternehmen nicht sichersein,dasssieihrekostbareRessourceWissenvollständignutzen.Häufigbesteht keine Transparenz, über welche Kenntnisse und Fertigkeiten die Mitarbeiter des Un ternehmens verfügen. Die Einstellung „Wissen ist Macht“ ist immer noch verbreitet und erschwert den Austausch vom Wissen nicht nur zwischen den, sondern auch innerhalb von Unternehmen. Folglich kommen die Synergieeffekte, die zur Entste hungneuenWissensinGruppenführenkönnen,nichtzustande.AuchdiePhilosophie desWissensschaffenshatsichnochnichtüberalldurchgesetzt,wasdamitzusammen hängt, dass viele Unternehmen sich in einer passiven Rolle innerhalb einer Gesell schaftsehen,anstattihreeigeneWeltzuschaffen. Dasbedeutet,dassjedesUnternehmenbeträchtlicheungenutzteWissensreservenhat, die es zu erschließen gilt. Im Weiteren werden der Begriff des organisationalen Wis senssowiedieWissensmanagementtheorievonProbst/Raub/Romhardterläutert.Ende des Kapitels wird alsAnregung zur Diskussion ein Konzept des intelligenten Unter nehmensdargestellt.
304
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
15.2.1
Organisationales Wissen
Als organisationales Wissen können die in einem Unternehmen verfügbaren Wis senselemente bezeichnet werden, die das Denken und Handeln des Unternehmens bestimmen.UnternehmenswissenwirdfürdasHandelnvonUnternehmeneingesetzt und im Prozess des organisationalen Lernens aufrechterhalten und modifiziert. Das Aufrechterhalten, Verarbeiten und Schaffen von Unternehmenswissen erfordert eine gezielteArbeitanundmitdemWissen,diealsWissensmanagementbezeichnetwird. Wissensmanagement versucht die Grundprobleme des Wissens in Unternehmen zu lösen: Wie kann man das implizite Wissen des Unternehmens bewahren, effizient nutzenundweiterentwickeln? Hat ein Unternehmen keine ausreichende Kenntnis über die Kompetenzen seiner Mitarbeiter,sozahlteszweimal–z.B.mankaufteineexterneDienstleistung,obwohl maneigeneSpezialistenhat.EinemöglicheLösungwärees,dieSkillsallerMitarbeiter inFormeinerDatenbankmitSuchfunktion(elektronischeGelbeSeiten)insIntranetzu stellen und nach Bedarf zu durchsuchen. Wird Wissen und Erfahrungen zwischen Unternehmenseinheiten nicht ausgetauscht, dann muss das Rad zweimal erfunden werden:EineAbteilungentwickeltetwas,waseineanderebereitsfertighat.Umdem vorzubeugen, sollte man ein (digitales) Archiv von allen Produkten und Projekten innerhalbdesUnternehmensanlegen,pflegenundaktivbenutzen.Scheidenerfahrene Mitarbeiter im Rahmen von Kündigungen, Arbeitsplatzwechsel oder Pensionierung aus,sogehtihrWissenfürdasUnternehmenverloren.EineUmwandlungdesimplizi tenWissensinexplizites(Prozessedetailliertbeschreiben)oderLernenamModellvon wertvollenMitarbeitern(MentoringProgramme)könntenalsBeispielefürWissenser haltungimUnternehmendienen.DiekurzskizziertenProblemeundLösungenzeigen nurdieallgemeineWissensproblematikinUnternehmen.DieLösungensollenjedoch nicht exemplarisch und sporadisch sein, sondern in ein System des Wissensmanage mentseingebundenwerden.
15.2.2
Bausteine des Wissensmanagements
DieAufgabedesWissensmanagementsbestehtdarin,einenProzessderorganisationa len Wissensnutzung und schaffung in Unternehmen systematisch zu gestalten. Das vonG.Probst,S.RaubundK.RomhardtentwickelteModellder„BausteinedesWis sensmanagements“ (1999) gliedert diesen Prozess in folgende Kernelemente (vgl. folgendeAbbildung):363 1.
Wissensidentifikation – Wie schaffe ich mir intern und extern Transparenz über vorhandenesWissen.MaßnahmenderWissensidentifikationbeziehensichauf die Analyse und Beschreibung des Wissensstandes des Unternehmens. Die
363 Vgl.Probst,G.;Raub,S.;Romhardt,K.:Wissenmanagen.
305
15.2
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
mangelnde Transparenz kann zur Ineffizienz, unzureichend begründeten EntscheidungenundDoppelspurigkeitführen. Abb.67:
BausteinedesWissensmanagementsnachG.Probstu.a.364 Wissensziele
Wissensidentifikation
Feeback
Wissensbewertung
Wissensbewahrung
Wissenserwerb
Wissensnutzung
Wissensentwicklung
Wissens(ver)teilung
2.
Wissenserwerb–WelcheFähigkeitenkaufeichmirexternein.EingroßerTeildes Wissensbedarfs wird von außenstehenden Quellen importiert. In den Bezie hungenzuKunden,Lieferanten,KonkurrentenundPartnerninKooperatio nenbestehteinerheblichesundhäufigunausgeschöpftesPotenzialdesWis senserwerbs.
3.
Wissensentwicklung–WiebaueicheigenesWissenauf.ImMittelpunktstehtdie ProduktionvonneuenFähigkeiten,Ideen,ProduktenundProzessen.Neben derklassischenVerankerungvonWissensentwicklungsaktivitäteninderFor schungundEntwicklungoderderMarktforschungeinesUnternehmenskann relevantesWisseninallenBereichenentstehen.Dafürsolleineentsprechende Unternehmenskultur geschaffen werden, die den allgemeinen Umgang mit neuen Ideen und die Förderung und Nutzung der Kreativität von Mitarbei terngestaltet.
4.
Wissens(ver)teilung – Wie bringe ich das Wissen an den richtigen Ort. Die (Ver)teilungvonWissenimUnternehmenisteineVoraussetzung,umisoliert vorhandene Informationen und Erfahrungen für die gesamte Organisation nutzbar zu machen. Ein Prozess der Verbreitung bereits vorhandenen Wis sensinnerhalbdesUnternehmenssollinGanggesetztwerden.
364 Probst,G.;Raub,S.;Romhardt,K.:Wissenmanagen,S.32.
306
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
5.
Wissensnutzung–WiestelleichdieAnwendungsicher.DerproduktiveEinsatz organisationalenWissenszumNutzendesUnternehmensistdaseigentliche Ziel des Wissensmanagements. Mit erfolgreicher Identifikation und (Ver)teilungdesWissensistseineNutzungimUnternehmensalltagnochlan genichtsichergestellt.
6.
Wissensbewahrung–WieschützeichmichvorWissensverlusten.Einmalerwor beneFähigkeitenundFertigkeitenstehennichtautomatischfürdieZukunft zur Verfügung.An der Wissensbewahrung soll systematisch gearbeitet wer den (Dokumentation von Erfahrungen, Vorgängen und Prozessen, Wissens weitergabedurchModelllernenetc.)365
DiedargestelltenKernelementebeschreibendieoperativenProblemeimUmgangmit WisseninUnternehmen.Nichtwenigerwichtig,alsdiesenProzessaufrechtzuerhal ten,istesdasorganisationaleWissenmitdenZielenundVisionenzuverknüpfenund die Lernprozesse zu bewerten. Deswegen werden die Kernelemente des Wissensma nagementsdurchWissenszieleundWissensbewertungergänzt:
Wissensziele – Wie gebe ich meinen Lernanstrengungen eine Richtung. Normative Wissensziele richten sich auf die Schaffung einer wissensbewussten Unterneh menskultur. Strategische Wissensziele definieren den zukünftigen Kompetenzbe darf des Unternehmens. Operative Ziele sorgen für die Umsetzung des Wissens managements.
Wissensbewertung–WiemesseichdenErfolgmeinerLernprozesse.ManbrauchtMe thodenzurMessungvonnormativen,strategischenundoperativenWissenszielen. Im Gegensatz zum Finanzmanagement gibt es keine erprobten standardisierten Bewertungsmethoden, deswegen müssen neue nichttraditionelle Methoden be nutztwerden. Der Wissensmanagementansatz von G. Probst kann in der Unternehmenspraxis ge nutztwerden,bedarfjedocheinerindividuellenAnpassungundGestaltung.Umaus dem formalen Gerüst der Bausteine ein in der Praxis funktionierendes Konzept zu machen,brauchtmannichtnureinegezielteGestaltungsarbeit,sondernvorallemdas Verständnis von den tiefliegenden Problemen des Wissen im Unternehmen (explizi tes/implizitesWissen)sowievondenZusammenhängenzwischendemindividuellen undorganisationalenWissen,dieinderTheorievonProbstaußerSichtbleiben.Hier könnte eine Ergänzung durch die Theorie von Nonaka und Takeuchi behilflich sein. EinweitererProblempunktdesAnsatzesvonProbstistdieBewertungdesWissensals nichtmonetäreGröße,dienurbedingtquantitativgemessenwerdenkann.
365 Probst,G.;Raub,S.;Romhardt,K.Wissenmanagen,S.2932.
307
15.2
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Gestaltung des Lernens in Unternehmen
15.2.3
Wissensmanagement in der Praxis
FüreinepraktischeUmsetzungderTheoriedesWissensmanagementssollenineinem UnternehmenspezielleVoraussetzungenfürdasVerhaltenderMitarbeitergeschaffen werden, da ohne freiwilliges Engagement der Menschen keine Wissensaustausch, schaffensundnutzungsprozesselaufenkönnen.DieseVoraussetzungenmüssendie Verhaltenskomponenten „sollen“, „dürfen“, „können“ und „wollen“ der Mitarbeiter im Wissensmanagement gestalten, d.h. Zielsetzung geben, dieArbeit mit Wissen er möglichen, Fähigkeiten fördern und Motivation schaffen. Und es ist eine wichtige Aufgabe der Führungskräfte, die Wissensmanagementprozesse zu initiieren und zu steuern. AlsTrägerdesWissensstehendieMitarbeiterdesUnternehmensimMittelpunktdes Wissensmanagements – es bedarf ihrer Befähigung, Fähigkeit und Bereitschaft, zu lernen, Wissen von anderen anzunehmen sowie eigenes Wissen zu teilen. Die weit verbreitete Unsicherheit und Angst, durch Wissensweitergabe einen Teil eigener Macht und Einflusses einzubüßen und somit entbehrlich zu werden, sollen zunächst abgeschafft werden, genauso wie der Widerstand Neuerungen und Lernprozessen gegenüber, der aus dem gleichem Grund entstehen kann. Folglich betreffen die Wis sensmanagementmaßnahmen die Vision, Strategie und Kultur eines Unternehmens undkönnennichtalsEinzelmaßnahmegeplantunddurchgeführtwerden. Esistnotwendig,dassdasTopManagementzudemWissensmanagementstehtundes aktivvorlebt.DafürbrauchtmaneineWissensvision,diemitderStrategieundKultur des Unternehmens zusammenhängt. Diese Wissensvision soll den Mitarbeitern ein mentales Bild der Unternehmenszukunft präsentieren, die sie leben und erzeugen werden (Zielsetzung, „sollen“ in Bezug auf Wissensmanagement). Die Wissensvision dientalsGrundlagefürdieUnternehmensstrategieundziele.EinegemeinsameWis sensvisionhateinestarkeIdentifikationderMitarbeiterzurFolgeundmotiviertdiese zu hohem persönlichem Engagement („wollen“, Motivation zum Wissensmanage ment). Sie gibt derAlltagsarbeit eine Bedeutung und der Wissenssuche ein Ziel. Die Vision soll nicht zu konkret formuliert werden, dann gibt sie „den Mitarbeitern aller EbenendieFreiheit,sicheigeneZielezusetzenunddieIdealederFührungselbstver antwortlichzudeuten.“366 Wissensmanagementkannnurdannfunktionieren,wenndieWissensträgerinUnter nehmen in Bezug auf ihre Wissens und Kreativitätspotentiale gefördertwerden. Ein Unternehmen sollte seine Talente unterstützen und pflegen. Verschiedene Kreativi tätsworkshopsundIdeenwerkstättensinddabeisehrhilfreich(„können“,Fähigkeiten für Wissensmanagement). Vielfältige Karrierewege und heterogene Arbeitsteams verstärken interdisziplinäres Denken, vielfältige Kompetenzen und Betrachtungsper spektiven.AuchdieAtmosphärederOffenheit,Angstfreiheit(Spielraumfür„sinnvol leFehlschläge“schaffen)undpositiverEinstellungzuNeuerungenistfürdieschöpfe 366 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.258.
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Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
rischen Wissensschaffungsprozesse unentbehrlich („dürfen“, Ermöglichung des Wis sensmanagements). Eine herausragende Rolle im Wissensmanagement spielt die Kommunikation des Themas und der Erfolge in Unternehmen. Insbesondere offene Kommunikation und Vertrauensatmosphäre in Arbeitsgruppen, Projekten und Gremien ist für die Arbeit mitWissenwichtig(vgl.Kapitel11.7„LerneninGruppen“).„DerwesentlicheProzess der Wissensschaffung findet statt, wenn unsere Ahnungen, Wahrnehmungen, Denk muster, Vorstellungen und Erfahrungen in etwas Mittelbares transformiert und in systematischer Sprache ausgedrückt werden.“367 Das implizite Wissen wird dabei in einemDialoginexplizitesWissenumgewandelt.AuchaufderEbenedesganzenUn ternehmens sollte Wissensmanagement konsequent und systematisch kommuniziert werden. DasneueWissenentstehtnichtnurinnerhalbdesUnternehmens.Esistnotwendig,ein Wissensnetz mit der Außenwelt einzurichten im Sinne von Open Innovation und OpenLearning.ImexternenKontextbedeutetdieSchaffungvonWissennichteinfach die Verarbeitung objektiver Informationen über Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, Händler,GemeindenundandereStakeholder.DasWissendieserexternenInteressen gruppensollvondemUnternehmenerschlossenundbenutztwerden.Vonbesonderer Bedeutung sind dabei die Kunden, die in die Produktentwicklung eingebunden und als Wertschöpfer angesehen werden sollen. Ein spezielles Lead UserKonzept kann dabeihelfen:Manintegriertbesondersfortschrittliche,engagierteKunden(LeadUser) indieProduktentwicklungundverbesserung.EinPrototypkannbeispielsweisevon Lead Usern getestet und nachgebessert werden, bevor ein Produkt in die Serienpro duktion geht. Auch die Wissenskooperationen mit Wettbewerbern, Lieferanten, For schungsinstituten und Hochschulen können zur Weiterentwicklung und Schaffung vonWissenbeitragen. Die erläutertenArbeitsbereiche des praktischen Wissensmanagements sollen als Sys tem in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden. Ein in eine unterstützende Unter nehmenskultur und ein kooperatives Führungsverhalten eingebettetes Wissensmana gementsystem mit den beschriebenen Arbeitsbereichen, die gezielt und konsequent gefördert werden, kann zu einem effizienten Prozess der Wissensschaffung in einem Unternehmen führen. Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen die Mitarbeiter des Unternehmens,dieTrägerundSchöpferdesorganisationalenWissenssindundderen individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen die Quelle des unternehmerischen Er folgsbilden. ZieldesWissensmanagementsinUnternehmenistes,einintelligentesUnternehmen zuschaffen,dasseinekognitivenRessourcen(WissenundKreativität)langfristignut zenundfördernundaufdieserBasisoptimalhandelnundlernenkann. 367 Nonaka,I.;Takeuchi,H.:DieOrganisationdesWissens,S.260.
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Gestaltung des Lernens in Unternehmen
15.2.4
Intelligentes Unternehmen
Intelligenz als allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit bzw. als Fähigkeit, erfolg reichzuhandeln,neueSituationenzubewältigenunddazuzulernen,istfürdasHan deln eines Unternehmens ausschlaggebend. Während die Intelligenz eines Indivi duums schon lange im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht, ist der Begriff„Unternehmensintelligenz“kaumsystematischbeschriebenundnichteinheit lichbelegt.FüreinUnternehmensintelligenzmodellkönnendiegängigenIntelligenz theorien benutzt werden, wobei die Besonderheiten der Wissensverteilung in Unter nehmenberücksichtigtwerdensollen.NebenderklassischenIntelligenz(vgl.Kapitel 3.1),kommenfürdieAnwendungaufdieHandlungseinheitUnternehmendieemoti onale(soziale)IntelligenzvonD.Goleman(vgl.Kapitel3.2)undmultipleIntelligen zenvonH.GardnerinFrage(vgl.Kapitel3.3). Vergleicht man klassische Intelligenzdefinitionen und ansätze, dann haben sie fol gendes gemeinsam: Sie betrachten den Handlungserfolg als Maß für Intelligenz und verbindensieprimärmitdenkognitivenInformationsverarbeitungsprozessen.Fürdie AnalysederUnternehmensintelligenzisteineSpezifikationdieserkognitivenProzes se,dieimWeiterenalskognitiveIntelligenzdesUnternehmensbezeichnetwird,von zentraler Bedeutung.Am häufigsten werden in der Literatur folgende kognitive Pro zesse genannt: Informationsaufnahme, Bewertung, schlussfolgerndes Denken (bzw. Planen, Lösungs und Strategieauswahl), Lernen aus Erfahrung, Bewältigung neuer SituationensowieoptimaleGestaltungderUmwelt. Darüber hinaus braucht ein Unternehmen als selbstständige Handlungseinheit, die mit anderen Akteuren der Umwelt interagiert, eine soziale Intelligenz analog zur emotionalenIntelligenzvonD.Goleman.DiesesozialeIntelligenzwirdimInnenund Außenverhältnisverstanden–inBezugaufdieeigeneBelegschaftundaufdierelevan tenStakeholder. DerAnsatzübermultipleIntelligenzenvonH.Gardnerzeichnetsichdurcheineviel seitige,ganzheitlicheDarstellungvonmenschlichenKompetenzenausundergänztdie kognitiveundsozialeIntelligenzdurchräumliche,körperlicheundnaturalistische.Im FalldesUnternehmenswäreanalogdazuseinematerielleundtechnologischeBeschaf fenheit von Bedeutung, die im Weiteren als technologische Intelligenz bezeichnet wird. DasIntelligenzmodellsolltedieWissensverteilungbzw.MehrzahlvonWissensträgern (neben Menschen auch Dokumente, Datenbanken, Prozesse, Technik) sowie die Nichtübereinstimmung von Wissens und Entscheidungsträgern in Unternehmen berücksichtigen.368 Unternehmen verfügen häufig über ein für ihr Handeln notwen digesWissen,wendenesabernichtan,dadiehandelndeEinheitvonderExistenzdes WissenskeineKenntnishat.DieIntelligenzeinesUnternehmenswirdalsoinbesonde 368Franken,R.;Gadatsch,A.:IntegriertesKnowledgeManagement.
310
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
rem Maße durch die Wissenslogistik und Wissensverteilung bestimmt. Das Unter nehmenswissen kann Widersprüche enthalten, die einer Harmonisierung bedürfen um ein konsistentes Handeln des Unternehmens zu erreichen. Interessenkonflikte, widersprüchliche Vorstellungen von den eigenen Möglichkeiten und den Bedingun genderUmwelt(desMarktes,derKonkurrentenetc.)verhindernnichtwiebeieinem Individuum die Entscheidungsfindung und führen damit nicht zur Handlungsunfä higkeit,siezerstörenjedochdieIdentitätdesUnternehmensundwirkensichnegativ aufdieErreichunggemeinsamerZieleaus.GroßeUnternehmenmitmehrerenrelativ selbständigen Teilbereichen zahlen häufig demselben Lieferanten ganz unterschiedli che Preise für dessen Produkte. Zur Unternehmensintelligenz gehört also auch die HarmonisierungdesWissensimUnternehmen. Aufgrund dieser Überlegungen kann eine Definition und ein Modell der Unterneh mensintelligenzentwickeltwerden.IntelligenzeinesUnternehmensistseinekomple xe/globaleFähigkeitzumzukunftsunderfolgsorientiertenHandelninInteraktionmit seinerUmweltaufderGrundlagevorhandenenWissens. ZudenrelevantenTeilintelligenzeneinesUnternehmenszählen:
kognitiveIntelligenz(Wahrnehmungsleistungen,Evaluationsfähigkeit,Gedächtnis, Wissenslogistikundharmonisierung,InnovationsundLernfähigkeit);
sozialeIntelligenz(interne,inBezugaufeigeneBelegschaft,undexterne,inBezug aufStakeholderunddieUmwelt)sowie
technologische Intelligenz (optimale räumlichtechnische Beschaffenheit, Techno logieundNetzwerkedesUnternehmens). DieUnternehmensintelligenzalsglobaleFähigkeitzumoptimalenHandelnbasiertauf einer ganzen Menge von einzelnen Teilfähigkeiten, die in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen(s.folgendeTabelle). InderPraxiskönnendieIntelligenzenjenachUnternehmeninverschiedenenFormen realisiert werden. Die praktischen Maßnahmen und Instrumente variieren je nach Größe, Branchenzugehörigkeit, Tradition und Kernkompetenz eines Unternehmens. Ein Großkonzern kann eine spezielle Gruppe für die Zukunftsforschung haben, sys tematisch Wissensmanagement betreiben sowie Intranet, UnternehmensWiki oder Gelbe Seiten mit einer Suchfunktion einrichten. Kleine und mittelständische Unter nehmen sind wegen Mangel an Ressourcen und Methodenwissen gezwungen, diese Maßnahmen in Kooperationen und Netzwerken zusammen mit anderen zu bewälti gen. Für die KMU sind Kooperationen in Forschung und Entwicklung, Markt und TrendforschungeinangemessenesMittel,umLernundInnovationsprozessevoranzu treiben. Alle Teilintelligenzen haben eins gemeinsam: Sie werden zwischen verschiedenen Akteuren innerhalb und außerhalb des Unternehmens verteilt, deren individuelle
311
15.2
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
Intelligenzen(WissenundKreativität)fürdiekollektiveIntelligenzdesUnternehmens ausschlaggebendsind. Tabelle47:ModellderUnternehmensintelligenz Intelligenz
Fähigkeiten
Mögliche Umsetzung in Unternehmen
kognitive Intelligenz
effiziente Wahrnehmung von Umwelt, Akteuren und neuen Entwicklungen;
offene Netzwerke, Kundenintegration, Beschwerdemanagement, Markt-, Trend- und Zukunftsforschung;
Evaluationsfähigkeit (Bewertung und Vergleich von Informationen);
Methoden der strategischen Analyse, effizientes Wissensmanagement;
Gedächtnis (systematische und optimale Speicherung von relevanten Informationen); Wissensaustausch und harmonisierung;
interne Datenbanken und Wissensnetzwerke, breiter Wissensaustausch durch Weblogs, Community, Workshops u.a.
Innovations- und Lernfähigkeit
permanente Weiterbildung und Entwicklung, systematisches Ideen- und Innovationsmanagement; Innovationsfördernde Kultur; Motivation zur Ideenfindung und zum Lernen
intern: Selbstverständnis des Unternehmens, Identifikation;
Visionen, Leitlinien, strategische Ziele und derer breite Kommunikation; Unternehmenskultur;
extern: effizientes Beziehungsmanagement mit Stakeholdern und der Umwelt
gesellschaftliche Verantwortung, Beziehungen zu einzelnen Stakeholdern und der Öffentlichkeit; Umweltleitlinien und standards
intelligente Nutzung des Raums, technischer, finanzieller Mittel, optimale Vernetzung
Räumliche Gestaltung des Unternehmens und seiner Teile, Optimierung von Prozessen (KVP, TQM), interne Netzwerke, Automatisierungsgrad, IuKTechnologie, Benutzerfreundlichkeit der Technik.
soziale Intelligenz
technologische Intelligenz
BetrachtenwirnunausführlichereinzelneTeilintelligenzenunddieProblematikihrer praktischenRealisierunginUnternehmen. An den Wahrnehmungsprozessen eines Unternehmens sind verschiedene Akteure beteiligt. Auf der einen Seite sind es Mitarbeiter im Kundendienst, Einkauf, PR Abteilung usw., die unmittelbar mit Kunden, Lieferanten oder mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten und die Meinungen, Stimmungen bzw. Beschwerden dieser mitbe kommen. Auf der anderen Seite sind es spezielle Marktforschungs oder Zukunfts trendteams,diesichgezieltmitdenEntwicklungenundTendenzeninderGesellschaft und auf dem Markt beschäftigen. Die Informationen, die im Prozess der Wahrneh 312
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
munggewonnenwerden,sollenverarbeitetundfürrelevanteEntscheidungengenutzt werden. Deswegen reicht es nicht aus, den Wahrnehmungsprozess einzelner Akteure zu ge währleisten.DasrelevanteWisseneinzelnerWahrnehmungssubjektesollmitHilfevon speziellen Methoden bewertet und für die Strategieentwicklung und Zielsetzung be nutzt werden (Teilfähigkeit Evaluation). Darüber hinaus soll das relevante Wissen gespeichert werden, sodass ein schneller Zugriff auf die Informationen für alle rele vantenAkteuremöglichist(TeilfähigkeitGedächtnis). DadasWissennurbegrenztformalisiertwerdenkann,isteingroßerTeildesWissens nurindenKöpfenderUnternehmensakteurevorhanden.DasmachtdieWissensver teilung und logistik besonders problematisch. Interne Datenbanken und Netzwerke könnennurmitdemexplizitenWissenarbeiten,wogegendasimpliziteWissennurin Interaktionenausgetauschtundvermitteltwerdenkann.Dafürbrauchtmaninformel le Communities, Weblogs, Workshops oder andere Kommunikationswege. Diese for mellen und informellen Kanäle können zugleich zur Harmonisierung des Wissens beitragen,indemBegriffe,DefinitionenundLösungenkommuniziertundabgestimmt werden. Die letzte Teilfähigkeit der kognitivenIntelligenz ist die Innovations und Lernfähig keit eines Unternehmens. Sie bildet eine notwendige Grundlage für die langfristige Erhaltung und Entwicklung der Unternehmensintelligenz. Auch hier bilden Wissen und Kreativität einzelner interner und externerAkteure eine notwendige, aber nicht hinreichendeBedingungfürdieInnovationsundLernfähigkeitdesUnternehmensals Ganzes.NebenderFörderungvonindividuellemLernenundderKreativitätderMit arbeiter(z.B.Weiterbildung,spezielleWorkshops)brauchteinUnternehmenspezielle MethodenundProgramme,umIdeenausderUmweltzugewinnenundeinekollekti veKreativitätzuerzeugen.Hierkanneinsystematisches,offenesIdeenundInnovati onsmanagementalsInstrumenteingesetztwerden. Die soziale Intelligenz ist für ein Unternehmen ebenso wichtig, wie für ein Indivi duum.EineBelegschaft,diesichalseineEinheitmitgemeinsamenVisionenundZie lenempfindet,weisteinehoheLeistungsmotivation,IdentifikationundArbeitszufrie denheitauf.AlsErfolgsfaktorensindVisionen,LeitlinienundeineentwickelteUnter nehmenskulturzunennen. Soziale Intelligenz im Außenverhältnis bedeutet ein gezieltes und konsequentes Be ziehungsmanagementinBezugaufallerelevanteStakeholderdesUnternehmens:das CustomerRelationshipManagementfüreinelangfristigeKundenbindung,Marketing umpotenzielleKundenzuaktivenKundenzumachen,PRArbeitfürdasImagedes UnternehmensinderÖffentlichkeit,CorporateSocialResponsibilityalsgesellschaftli cheVerantwortungdesUnternehmensundeinschonenderundnachhaltigerUmgang mitderUmwelt,RessourcenundLebewesen,derindenLeitliniendesUnternehmens,
313
15.2
15
Gestaltung des Lernens in Unternehmen
aber vor allem auch in seinen strategischen und operativen Zielen verankert und im praktischenVerhaltenumgesetztwerdensoll. AlsletzteKomponentederUnternehmensintelligenzwurdedietechnologischeIntelli genzbeschrieben.DarunterkönneneineoptimaleNutzungdesRaumes,derRessour cenunddestechnologischenKnowhow‘sverstandenwerden.DieProzesseinUnter nehmen unterliegen einer ständigen Optimierung und Verbesserung, was normaler weise unter Begriffen wie BVW, KVP, Kaizen u.a. läuft. Dabei stehen Wissen und KreativitäteinzelnerMitarbeiterimMittelpunkt,brauchenallerdingseinenstrukturel len Rahmen. Die Vorteile der IuKTechnologie, der Automatisierung und interner Vernetzung sollen in einem intelligenten Unternehmen genutzt werden, um die Wis sensaustauschprozesseundInformationsverarbeitungtechnischzuunterstützen. EinegezielteundkontinuierlicheArbeitanderNutzungundFörderung vonWissen und Kreativität der Belegschaft sollte durch eine möglichst breite Integration des ex ternen Wissens erweitert werden, um die Intelligenz von Kunden, Lieferanten, Wett bewerbern und anderen Stakeholdern effizient zu nutzen (Konzept „Open Innovati on“). Darüber hinaus ist eine systematische Wissens und Innovationsarbeit notwen dig. Diese Prozesse sollten von optimalen Rahmenbedingungen unterstützt werden: von gemeinsamen Visionen, einer innovationsfördernden Unternehmenskultur, part nerschaftlicherFührung,intensiverKommunikationundIdentifikation. EinganzheitlichesModelldesintelligentenUnternehmens,dasallegenanntenProzes sebeinhaltet,wirdinderfolgendenAbbildungdargestellt.369 Abb.68:
ModelldesIntelligentenUnternehmens Intelligentes Unternehmen
Fördernde Rahmenbedingungen: offene Kommunikation, kooperative Führung, fördernde Unternehmenskultur, Wertschätzung, Vertrauen, Fehlertoleranz Internes Ideenmanagement:
Wissens- und Innovationsarbeit
Externes Ideenmanagement:
interne Wissens- und Ideenpotenziale identifizieren, aktivieren, nutzen, koordinieren, vernetzen
zur Schaffung des kollektiven Wissens und institutionalisierte Arbeit an Innovationen
relevante externe Wissens- und Ideenquellen identifizieren, erschließen, vernetzen
Intelligenzen (Wissen und Kreativität) interner Akteure
Intelligenzen (Wissen und Kreativität) externer Akteure
369 Vgl.Franken,S.;Brand,D.:IdeenmanagementfürintelligenteUnternehmen.
314
Wissen in Unternehmen: Probleme und Management
ImRahmendesinternenIdeenmanagementswerdendieWissensundKreativitätspo tentiale eigener Belegschaft identifiziert, optimal eingesetzt, gefördert und vernetzt. Der Prozess des externen Ideenmanagements dient dazu, relevantes Wissen externer Akteure (Kunden, Lieferanten, Wettbewerber, Berater, Forschungsinstitute etc.) zu erkennenundzuvernetzen.IndemzentralenProzessderWissensundInnovations arbeit geht es um die organisatorische Gestaltung der kollektiven Intelligenz, insbe sondere um die Strukturen, Prozesse und Methoden des Wissens und Innovations managements. Dazu gehören organisatorisch verankerte Ziele in Bezug auf Wissen und Innovation, standardisierte Verfahren der Ideenbewertung, digital unterstützte SystemefürdenWissensaustausch,DatenbankenfürdieWissensaufbewahrungu.a. JedesUnternehmenwirdinderWissensgesellschaftmitderProblematikderNutzung undEntwicklungderkollektivenIntelligenzkonfrontiert.DerlangfristigeErfolgeines UnternehmenshängtvonseinerFähigkeitab,WissenundKreativitätderBelegschaft undrelevanterexternerAkteurezunutzenundinneueIdeen,ProdukteundVerfah ren umzuwandeln. In diesem Prozess geht jedes Unternehmen seine eigenen Wege, unddasKonzeptdesintelligentenUnternehmenskanndabeialseineAnregungzum NachdenkenundeinerkreativenpraktischenGestaltungverstandenwerden. Kontrollfragen 1. Beschreiben Sie die vier Ebenen des unternehmerischen Lernens: individuelle, Gruppen,organisationaleEbeneundopenlearning. 2. BeschreibenSiedenlerntheoretischenAnsatzvonArgyrisundSchönunddiedrei Lerntypen:anpassendes,innovativesundlernendesLernen. 3. Erläutern Sie die Theorie von P. Senge und die fünf Disziplinen: Systemdenken, PersonalMastery,mentaleModelle,gemeinsameVisionenundTeamlernen. 4. Charakterisieren Sie die Wissensmanagementtheorie von Nonaka und Takeuchi: WissensschaffungstattWissensnutzung. 5. Beschreiben Sie die Phasen der Wissensumwandlung; Sozialisation, Externalisie rung,InternalisierungundKombination.WieentstehtdarausdieWissensspirale? 6. DefinierenSiedenBegriffdesorganisationalenWissensundseineProbleme. 7. BeschreibenSiedieBausteinedesWissensmanagementsnachG.Probst. 8. Diskutieren Sie die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung des Wissensmana gement. 9. Charakterisieren Sie die Intelligenz eines Unternehmens und ihre Komponenten (kognitive,soziale,undtechnologischeIntelligenz).
315
15.2
16
Führung und Diversity
16 Führung und Diversity Aufgrund verschiedener Entwicklungen in der Gesellschaft und Wirtschaft ist das Thema Diversität in den letzten Jahren besonders aktuell geworden. Bedingt durch demographische Veränderungen, wie Alterung der Gesellschaft, Einwanderung und zunehmendes Arbeitsengagement der Frauen, werden die Belegschaften von Unter nehmen zunehmend heterogen. Diese (interne) Vielfalt erfordert differenzierte Me thodeninderKommunikation,MotivationundPersonalführung.Andererseitswerden dieKundenunddieUmweltvonUnternehmenimmerdiverser(externeVielfalt),was aufdenmultikulturellenCharakterderdeutschenGesellschaft,internationaleAktivi tätenderUnternehmensowiedieGlobalisierungderMärktezurückzuführenist.Als FolgemüssenProdukte,MarketingundWerbungandieBedürfnissemultikultureller Kunden angepasst werden. Alle Unternehmensbereiche (Beschaffung, Logistik, Pro duktion, Finanzierung etc.) werden international ausgerichtet, man arbeitet zuneh mendgrenzübergreifendundinmultikulturellenTeams. Der ursprünglich aus den USA stammende Ansatz des Diversity Managements be schäftigtsichmitderVielfaltderBelegschaft,wobeiderSchwerpunktsowohlaufdie BewältigungderdadurchentstehendenProblemealsauchaufdiedarausresultieren den Synergieeffekte gelegt wird. Die Vielfaltparameter sind dabei verschieden: Ge schlecht,Alter,kulturelleHerkunft,Religionszugehörigkeit,sexuelleOrientierungetc. AuchdiedeutschenUnternehmen,insbesondereinternationalagierendeGroßkonzer ne,befassensichzunehmendmitderProblematikderDiversität. IndiesemKapitelwerdenzunächstdietheoretischenGrundlagenzuDiversityMana gement,seinStatusquoundpraktischeInstrumentederUmsetzunginUnternehmen erläutert.DanachwerdendiewichtigstenAnsätzezukulturellerDiversitätsowieihre Folgen für die Personalführung im interkulturellen Kontext thematisiert. Die Natio nalkulturdimensionennachG.HofstedeundihreAnwendungsmöglichkeitenwerden ausführlicherbetrachtet. AbschließendwerdeneinigeaktuelleFragestellungenbezüglichDiversitätinderFüh rung angesprochen und durch Forschungsergebnisse und Fallstudien aus der Praxis ergänzt: Beschäftigung von älteren Mitarbeitern, Frauen in Führungspositionen und multikulturelleTeamsinUnternehmen.
316 S. Franken, Verhaltensorientierte Führung, DOI 10.1007/978-3-8349-8943-7_16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Theoretische Grundlagen des Diversity Managements
16.1
Theoretische Grundlagen des Diversity Managements
Diversity Management ist ein ursprünglich aus den USA stammendes Konzept zur bewusstenIntegrationvonVielfalt(Geschlecht,Alter,ethnischerHintergrund,Behin derung,sexuelleOrientierung,Religionetc.)inOrganisationen.IndenletztenJahren findetesauchinEuropaimmermehrAnerkennung.DieFörderungvonGeschlechter gleichstellung,derWertewandelinderGesellschaft,gestiegenegeografischeMobilität sowie die Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft schaffen einen neuenKontextfürorganisationalesHandeln.UmdiesemUmfeldgerechtzuwerden, steht mit Diversity Management ein Managementkonzept zur Verfügung, welches Vielfalt nicht nur als Problem, sondern primär als Ressource betrachtet. Das ermög licht Unternehmen, Unterschiedlichkeit zu ihrer Zielerreichung und zum Vorteil der MitarbeiterundKundenzuentfalten.
16.1.1
Parameter der Diversität
Diversität beschreibt allgemein die Verschiedenartigkeit bzw. alles worin sich Men schen unterscheiden oder ähneln. Die Verschiedenartigkeit oder Vielfalt bezieht sich dabei auf Merkmale von Menschen, z. B. Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Herkunft,Religion,sozialeSchichtetc.KulturelleDiversitätgreiftdieVerschiedenheit der Kulturen auf, sei es hinsichtlich Nation, Region, ethnischer Gruppe oder auch Religion.AuchUnternehmens,BranchenundBerufskulturenfallenunterdieseRub rik.370 DiversityisteinkollektivesPhänomen,daseineVielfaltinderZusammensetzungvon Unterschieden und Ähnlichkeiten in einem Kollektiv bedeutet. Diese Unterschiede oderÄhnlichkeitenkönnenaufverschiedenenMerkmalenvonPersonenberuhen(vgl. Tabelle). Ein Teil der DiversityParameter ist leicht zu ermitteln – man kann sich über Alter, Geschlecht,AusbildungundBerufserfahrungderMitarbeiteranhandderPersonalda ten informieren. Schwieriger gestaltet es sich für andere Parameter der Unterschied lichkeit wie persönliche Merkmale, Wissen, Erfahrungen oder Wertesystem. Diese Daten können teilweise mithilfe von AssessmentCenter und Einstellungsinterviews erhoben werden. Aber der wichtigste Weg sind dabei die Mitarbeitergespräche, die Führungskräfte mit viel Einfühlungsvermögen und Sensibilität führen sollten, und einelangfristigeengeZusammenarbeitmitdenMitarbeitern. 370 Vgl.BertelsmannStiftung(Hrsg.):UnternehmenskultureninglobalerInteraktion,S.5.
317
16.1
16
Führung und Diversity
Tabelle48: DiversityParameterinUnternehmen371 1. Demografische Merkmale: Alter, Geschlecht, Religion, Körperliche Konstitution (z.B. körperliche oder geistige Behinderung etc.), kultureller Hintergrund (Geburtsland, Rasse, familiäre Wurzeln etc.), Ausbildung (Facharbeiter, Akademiker, Fachrichtungen: Ingenieur, Betriebswirt etc.), Familienstand (Single, gebunden, verheiratet, verwitwet, ohne Kinder, mit großen oder kleinen Kindern, mit pflegebedürftigen Familienangehörigen etc.) 2. Know-how und Erfahrungen: aufgabenbezogenes Wissen, Fähigkeiten aus unterschiedlichen Karrierewegen, frühere Einsatzgebiete, Berufserfahrungen etc. 3. Wertesystem: Werte, Glauben/Überzeugungen, Geisteshaltung etc. 4. Charakter/Persönlichkeit: Verhalten, Auftreten, Ausstrahlung, Arbeitsorganisation etc. 5. Sozialer Status: Rang, Position/Hierarchie, Macht/Autorität, Netzwerkzugehörigkeit, Meinungsführerschaft etc.
DieVielfaltderBelegschaftführtoftzuMissverständnissen,Kommunikationsproble menundKonflikteninArbeitsgruppenunderfordertspezielleMaßnahmenzurSensi bilisierung und Schulung für einen optimalen Umgang mit der Diversität. Zugleich kanneinsystematischesDiversityManagementeinenwesentlichenBeitragzurWett bewerbsfähigkeitunddemErfolgdesUnternehmensdurchdieSteigerungderKreati vität,InnovationskraftundArbeitszufriedenheitderMitarbeiterleisten.
16.1.2
Notwendigkeit und Nutzen des Diversity Managements
Steigende Komplexität und Dynamik der wirtschaftlichen Umwelt stellt moderne Unternehmen vor die Notwendigkeit eines intelligenten Umgangs mit der externen undinternenVielfalt.DieUnternehmensaktivitätenwerdenzunehmendinternationa ler, die Wertschöpfungsketten gestalten sich global, eigene Belegschaften sind wegen Migrationsprozessennichtmehrhomogen.Dazukommensozialeunddemografische Faktoren wie Fachkräftemangel, Geschlechterparität im Erwerbsleben und Alterung derGesellschaft.MitderzunehmendenHeterogenitätderMitarbeiter,Kunden,Zulie fererundKooperationspartnerwirddieseVielfaltindenUnternehmenselbstundan ihrenSchnittstellennachaußensichtbarundwirksam. 371 InAnlehnunganCox,T.H.;Beale,R.L.:DevelopmentcompetencytomanageDiversity.
318
Theoretische Grundlagen des Diversity Managements
Abb.69:
Rahmenbedingungen,dieDiversityManagementerfordern372
AuchdieaktuellengesetzlichenRahmenbedingungenundpolitischenAnforderungen erfordern einen systematischen Umgang mit der Vielfalt in Unternehmen. Seit 2006 gilt in Deutschland dasAllgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das umfassend Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft oder einer rassistischen Dis kriminierung,desGeschlechts,derReligionoderWeltanschauung,einerBehinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern oder beseitigen soll. Ein Schwer punkt des Gesetzes liegt dabei im Arbeitsrecht, deswegen hat das AGG deutliche AuswirkungenaufsämtlichePersonalprozessevonUnternehmenundOrganisationen. Die Verbreitung von Diversity Management wird aktiv politisch unterstützt.Als Bei spieldafürdientdie„ChartaderVielfalt”alseineUnternehmensinitiativezurFörde rung von Vielfalt in Unternehmen, die von der Bundesregierung befürwortet und gefördertwird.DieInitiativewilldieAnerkennung,WertschätzungundEinbeziehung von Vielfalt in den Unternehmenskulturen in Deutschland voranbringen. Ziel ist es, dassUnternehmeneinArbeitsumfeldschaffen,dasfreivonVorurteilenist.AlleMitar beiterinnen und Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Ge schlecht, Rasse, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung,Alter,sexuellerOrientierungundIdentität. Mit Unterstützung der Bundesregierung haben die Unternehmen Daimler, Deutsche BP,DeutscheBankundDeutscheTelekomdie„ChartaderVielfalt”imDezember2006 insLebengerufen.ZurzeitwurdedieChartaderVielfaltvonmehrals500Unterneh men unterschrieben. Als Argumente für Kulturelle Vielfalt werden im Rahmen der Initiative„VielfaltalsChance“folgendeaufgeführt:373
372 Vgl.diversityworks.proveUnternehmensberatung,S.8. 373 Vgl.InternetseiteVielfaltalsChance,http://www.vielfaltalschance.de/index.
319
16.1
16
Führung und Diversity
Firmen, die deutlich machen, dass die Multikulturalität der Belegschaft positiv bewertetwird,schaffeneineKulturdesgegenseitigenRespektsundderAnerken nung.DieMitarbeiterinnenundMitarbeiteridentifizierensichstärkermitdemUn ternehmenundsindmotivierter,sicheinzubringen.
Die Kreativität wächst: Multikulturelle Teams vereinen unterschiedliche Betrach tungsweisenundfindenkreativeLösungen.
Ein wachsender Teil der Konsumenten ist nichtdeutscher Herkunft. Sie gezielt anzusprechen,gelingtArbeitskräftenmitnichtdeutschenWurzelnoftbesser.
Die Globalisierung begünstigt Fähigkeiten im Umgang mit anderen Kulturen. GelingtesUnternehmen,MenschenmitunterschiedlichenethnischenHintergrün denzugewinnen,eröffnensichihnenneueMärkteundLieferantenbeziehungen.
MultikulturelleUnternehmensinderfolgreicher:Die50USamerikanischenUnter nehmen mit der höchsten MitarbeiterVielfalt erzielten 2004 im Schnitt eine um 12,8ProzenthöhereAktienkursrenditealsderUSBörsenindexS&P.DeutscheUn ternehmensinddagegennochverhalten,wasdenNutzeneinesaktivenDiversity Managementsbetrifft. Traditionelle,monokulturelleUnternehmenwerdendenAnforderungenderaktuellen und zukünftigen komplexen gesellschaftlichen, demografischen und wirtschaftlichen Umgebungnichtmehrgerecht.FürdasManagementstelltdieszugleichChanceund Herausforderungdar.Richtiggemanagt,birgtVielfalterheblichesPotenzialundbringt einen betriebswirtschaftlichen Nutzen. Falsch gemanagt oder negiert, führt sie zu hohen betriebswirtschaftlichen Kosten, die in Form von Marktanteilsverlusten, Ein heitsdenken,DemotivationundFluktuationvonMitarbeiternsichtbarwerden. Diversity Management fördert Wahrnehmung, Verständnis, Wertschätzung und opti males Management der Vielfalt in Unternehmen. Dadurch wird proaktiv auf den Wandel reagiert. Diversity Management bietet Orientierung und Instrumente, um Bedingungen zu schaffen, unter denen alle Beschäftigten ihre Leistungsbereitschaft und fähigkeit besser entwickeln, entfalten und in die Arbeitsprozesse integrieren können. Dazu dienen beispielsweise Diversity Trainings, Analysen von Personalent wicklungsundRekrutierungsprozessen,WorkLifeBalance(WLB)Programme,fami lienfreundliche Maßnahmen, Altersmanagement, Integration von Menschen mit Be hinderung,Mentoringetc. In der Vielfalt liegen enorme wirtschaftliche, soziale und politische Chancen. Wirt schaftlich, weil Unternehmen verstärkt um Marktanteile und neue Kundengruppen kämpfen,siealsosuchenunddannbedienenkönnen.Sozial,weilKommunen,Regio nenoderLänderinzwischensoattraktivseinmüssen,dassMenschenundArbeitgeber gernekommenundbleiben(undzahlen).Politisch,weilsichWahlenlängstnichtmehr über homogene Wählergruppen gewinnen lassen, sondern über unentschlossene
320
Theoretische Grundlagen des Diversity Managements
Wechselwähler mit ganz eigenen, heterogenen Bedürfnissen, die erkannt, ernst ge nommenundadressiertwerdenwollen. Diversity Management ist zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor von Unterneh men geworden. Es bringt einen großen Mehrwert, der aus Kostensenkungen, einer besseren Ressourcennutzung, Kreativitätssteigerung bei Problemlösung, angepassten MarketingmaßnahmenundanderenFaktorenresultiert(vgl.Abbildung). Abb.70:
NutzendesDiversityManagementsfürUnternehmen374
Kostenvorteile: Werden in einem Unternehmen Frauen, ältere Mitarbeiter, Personen mitMigrationshintergrundoderBehindertefalschbehandeltodergardiskriminiert,so können dadurch direkt oder indirekt höhere Kosten entstehen. Eine Gerichtsklage kannbeispielsweisenebenEntschädigungszahlungeneinenImageverlustmitweitge hendenFolgenmitsichziehen.FrustrationenüberscheiterndeLaufbahnperspektiven, kulturelle Konflikte oder eine auf Männer orientierte Organisationskultur wird die Arbeitszufriedenheit von Frauen und Personen mit Migrationshintergrund erheblich senken. Auch mit einer sinkenden Produktivität und steigenden Fluktuations und Fehlzeitenratenwäredabeizurechnen.BeieinersystematischenBerücksichtigungvon InteressendiverserBelegschaftsgruppenkanneinUnternehmenKostenundWettbe werbsvorteileerzielen.375 VorteileimPersonalmarketing:ImJahr2015wirdjededritteErwerbspersonälterals 50 Jahre sein.DerAnteil von Mitarbeiternunter 30 sinkt kontinuierlich. Qualifizierte Arbeitskräfte werden mittelfristig knapp. Unternehmen mit Diversity Management genießenbeipotenziellenBewerbernhohesAnsehen.DieverbesserteUnternehmens reputation,dieAnsprachevonpotenziellenBeschäftigtengruppen,dienichtderdomi nanten Gruppe angehören, alternsgerechteArbeitsorganisation sowie nicht diskrimi 374 Vgl.diversityworks.proveUnternehmensberatung,S.8. 375 Vgl.Blom,H.;Meier,H.:InterkulturellesManagement,S.249250.
321
16.1
16
Führung und Diversity
nierende Rekrutierungsprozesse sichern auch in Zukunft den Zugang zu den besten Arbeitnehmern. Employment Branding: Mit dem vorherigen Vorteil verbunden ist die Folge des Di versityManagementsfürdasAnsehendesUnternehmens–seinImagealsattraktiver Arbeitgeber,alsMarkefürJobsucher.InsbesondereunterBedingungendesFachkräf temangels ist es für Unternehmen zunehmend wichtiger, einen guten Ruf auf dem Arbeitsmarktzuhaben. Mitarbeiterzufriedenheit: Eine offene und tolerante Organisationskultur, die Vielfalt nicht nur toleriert, sondern auch wertschätzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erhalt und die Steigerung der Leistungsbereitschaft und Loyalität von Mitarbei tern.DurchdenWegfalldesZwangs,sicheinerbereitsvordefinierten Organisations kultur anzupassen, stehen dem Leistungsniveau neue Energien zur Verfügung. Ge steigerteMitarbeiterzufriedenheitträgtebensozurVermeidungungewollthoherFluk tuations und Absentismusraten bei. Im mittleren Management rechnet man beispielsweisemitFluktuationskostenvonca.150%desJahresgehaltsderbetroffenen Stelle. Durch Diversity Management können sich Organisationen ihr wertvollstes Kapital–ihreMitarbeitermitihrenErfahrungenundKnowhowsichern. VorteileimMarketingundVerkauf:DieMärktewerdenebensodiverswiedieMitar beiter: Globalisierung, Migration, neue Subkulturen und Gesellschaftsstrukturen – neue Zielgruppen. Um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein, sollen die verschiedenen Bedürfnisse unterschiedlicher Kundensegmente bekannt sein. Mit Di versity Management werden dieSpezialisten für ein erfolgreichesAgieren auf einem kulturell und wirtschaftlich globalisierten Markt rekrutiert und an die Organisation gebunden. Dadurch lassen sich die verschiedenenAnforderungen im Marketing und Verkauf, aber auch schon bei der Produktentwicklung und beim Design von Dienst leistungen,berücksichtigenunderfolgreichnutzen. Vorteile durch Kreativität und Innovation: Verschiedene Sichtweisen, Perspektiven, KenntnisseundErfahrungendurchgemischtzusammengesetzteMitarbeitersindeine Voraussetzung für Innovation und Kreativität. Dadurch, dass Anderssein als Res sourceundnichtalsGefahrgesehenwird,könnenneueSichtweisenundneuesPoten zialanBordgeholtwerden.DiversityManagementfördertdieeffektiveZusammenar beitvonPersonenmit/ohneMigrationshintergrund,verschiedenenGeschlechts,Alters, sexuellerOrientierung,ReligionsowiephysischerundpsychischerFähigkeiten. VerbessertesArbeitsklima,offeneOrganisationskultur:WennaufständigeKommu nikationzwischenallenMitarbeiternzugesteuertwird,verbessertsichdasArbeitskli ma. Dies beinhaltet, die Unterschiede offen anzusprechen. Solange die unterschiedli chenNormen undWertebenanntundanerkannt werden,geratendieProblemezwi schen einzelnen Belegschaftsgruppen nicht ins Hintertreffen. Die Offenheit zwischen
322
Theoretische Grundlagen des Diversity Managements
denMenschenwirdeinegrößereToleranzfüranderePerspektivenundVorstellungen auslösen.376 Flexibilität:Forschungsergebnissezeigen,dassFrauenimVergleichzuMännerneine höhereToleranzfürAmbiguitäten(Vieldeutigkeit)beiderDurchführung vonAufga benaufweisen.AufvergleichbareWeisebringenbilingualeMenschenimVergleichzu monolingualenMenscheneinehöhereLeistung,wennesumkognitiveFlexibilitätund divergentes Denken geht. Und gerade unter Personen mit Migrationshintergrund kommtoftMehrsprachigkeitvor.DieToleranzfür unterschiedlicheSichtweisenwird zu einer größeren Offenheit gegenüber neuen und abweichendenAuffassungen füh ren.377 Somit kann die Flexibilität und Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens gesteigertwerden. Allerdings kommen diese Vorteile nur dann zum Tragen, wenn ein systematisch Di versity Management betrieben wird. Die praktischen Maßnahmen und Instrumente variierenvonUnternehmenzuUnternehmen.
16.1.3
Instrumente des Diversity Managements
Bei dem Diversity Management geht es um mehr, alsAntidiskriminierung und Tole ranzderVielfalt.DiversityManagementbedeutetsozialeVielfaltkonstruktivzunut zen. DiversityManagementisteinKonzeptderUnternehmensführung,dasdieHetero genitätderBeschäftigtenbeachtetundzumVorteilallerBeteiligtennutzenmöchte. Management von Diversität soll als eine Aufgabe aller Führungskräfte in Unterneh menbetrachtetwerden.DiversityManagementisteineQuerschnittfunktioninUnter nehmenundbeeinflusstsämtlicheUnternehmensbereiche.EingutesDiversityMana gementwirdsowohlvonoben,alsauchvonunteninitiiertundpraktiziertundbedarf einer Kontinuität. Der Prozess verläuft nur dann erfolgreich, wenn alle sich aktiv beteiligenundmansichdafürdieZeitnimmt. DerbekannteamerikanischeTheoretikerdesDiversityManagementsT.Coxdefiniert das Idealbild des Diversity Ansatzes in Unternehmen als einen Übergang von einer monokulturellen zur multikulturellen Organisationsform. Diese zeichnet sich durch folgendeMerkmaleaus:Wertschätzung,FörderungundNutzungvonUnterschieden, Pluralismus, strukturelle Integration aller Organisationsmitglieder, informelle Netz werke, keine Vorurteile und Diskriminierungen in personalpolitischen Maßnahmen sowiekonstruktiverUmgangmitKonfliktenundproaktivesManagementderDiversi tät.378 376 Vgl.Blom,H.;Meier,H.:InterkulturellesManagement,S.257. 377 Ebd. 378 Vgl.Cox,T.:CulturalDiversityinOrganizations,S.229.
323
16.1
16
Führung und Diversity
Fallbeispiel: Diversity Management bei Ford Diversity bedeutet Vielfalt und schließt alle Unterschiede ein, die wir als Individuen in das Arbeitsleben einbringen. Diversity umfasst die Akzeptanz, den Respekt und die Wertschätzung der unterschiedlichen Menschen, versteht also sichtbare und unsichtbare Unterschiede als Bereicherung. Unterschiede, die die Individualität des Einzelnen ausmachen, sind Alter, Nationalität, Geschlecht, Kultur, sexuelle Identität, Behinderung, Familienstand, Religion, Werte, Bildung, Lebenserfahrung und vieles mehr. Diversity sollte nicht nur als Förderprogramm für Minderheiten gesehen werden, sondern als Chance, die allen offen steht. Durch Diversity soll ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, das eine Kultur fördert, in der Jede/Jeder zum Erfolg von Ford beitragen kann; die Unterschiede und Fähigkeiten aller Mitarbeiter respektiert und wertschätzt sowie den Vorteil von vielfältig zusammengesetzten Arbeitsteams nutzt. 2007 wurden die Ford Werke in dem Wettbewerb „Kulturelle Vielfalt am Arbeitsplatz“ mit dem 1. Preis in der Kategorie Großunternehmen ausgezeichnet. Von insgesamt 24.000 Mitarbeitern des Unternehmens haben ca. 40% einen Migrationshintergrund. Ford versteht unter Diversity Management einen ganzheitlichen Ansatz, der alle sichtbaren und nicht sichtbaren Unterschiede der Belegschaft wertschätzt. Seit 1996 ist Diversity ein fester Bestandteil der Unternehmensstrategie der Ford-Werke GmbH. Diversity wird über Mitarbeiternetzwerke, Diversity Councils und ein zentrales Diversity Team aktiv vorangetrieben. Alle Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Rasse, Nationalität, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Die Strategie für den Bereich Diversity wird aus den Unternehmenszielen abgeleitet und mit Hilfe von Scorecards gesteuert und evaluiert. Treibende Kräfte von Diversity sind die Mitarbeiternetzwerke (wie beispielsweise die Turkish Resource Group) sowie Diversity Councils, die in verschiedenen Funktionsbereichen und auf verschiedenen hierarchischen Ebenen operieren. Die europäische Geschäftsleitung trifft sich beispielsweise im Rahmen des European Diversity Councils drei Mal jährlich. Bei den Treffen werden neue Planungen und Umsetzungsstrategien entwickelt, Worklife Aktivitäten gefördert und umgesetzt. Jedem Mitarbeiternetzwerk steht ein Mitglied der europäischen Geschäftsführung als „Champion“ zur Seite. Zielvereinbarungen für Diversity werden für die Manager aller Abteilungen getroffen und am Jahresende überprüft. Eine weitere Bestandsaufnahme findet im Rahmen der jährlichen Mitarbeiterbefragung PULSE statt. Die Ergebnisse fließen in die Scorecard für Diversity ein. Ford bietet für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zentral finanzierte Trainings zum Thema Diversity an, wie z.B. das Dignity at Work Training oder interkulturelle Workshops. Die Teilnahme am Diversity-Training ist für Führungskräfte verpflichtend. (Quellen: http://www.ford.de/UeberFord/Unternehmenspolitik/Diversity ; http://www.vielfaltals-chance.de/data/downloads/webseiten /081205FaktenblaetterSiegerWettbewerb2.pdf).
324
Führung im interkulturellen Kontext
NebendenBekenntnissenundLeitsätzensinddiepraktischenInstrumentedesDiver sityManagementsausschlaggebend.DazuzähleninersterLinie:
Informationsveranstaltungen; SchulungenfürFührungskräfteüberdenUmgangmitderDiversität; MentoringprogrammefürbestimmteGruppen; CoachingvonFührungskräftenundTeams; BeauftragteundspezielleOrganisationseinheitenfürDiversityAngelegenheiten; InternationaleProjekteundNetzwerke; Auslandseinsätze für Fach und Führungskräfte zur Steigerung interkultureller Kompetenz. DieVerbreitungeinzelnerInstrumentedesDiversityManagementsistjenachGröße, BrancheundInternationalisierungsgradeinesUnternehmensunterschiedlich.Fürdie USA und Großbritannien und von dort aus internationalisierten Konzernen ist eine spezielle Organisationseinheit (zumindest eine Stelle) für DiversityAngelegenheiten typisch(s.BeispielFord). In den deutschen Unternehmen, insbesondere in KMU, wird Diversity Management seltener systematisch praktiziert und beschränkt sich häufig auf Einzelmaßnahmen wieinterkulturelleSeminarefürFachundFührungskräfte,Gleichstellungsbeauftragte (insbesondere für die Gleichberechtigung von Frauen) sowie internationale Projekte undAuslandseinsätze.
16.2
Führung im interkulturellen Kontext
Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen, gibtWerteundNormendesVerhaltensvor,eröffnetMöglichkeitenundsetztGrenzen fürHandeln.InsofernistdieKulturzugehörigkeiteinewichtigeEinflussgrößefürdie Führung. Die Zunahme der internationalen Aktivitäten und die Globalisierung der Unternehmensprozesse machen die Betrachtung der Mitarbeiterführung im interkul turellenKontextnotwendig.DabeigehtessowohlumdieFührungvon Mitarbeitern inausländischenNiederlassungen,alsauchumdieFührungvonPersonenmitMigra tionshintergrundindeutschenUnternehmenunddieZusammenarbeitinmultikultu rellenTeams,dererVerbreitungkontinuierlichzunimmt.
325
16.2
16
Führung und Diversity
16.2.1
Dimensionen von Nationalkulturen
Möchte man verschiedene Nationalkulturen vergleichen und ihren Zusammenhang mit dem Handeln in Unternehmen klären, dann sollte man zunächst Dimensionen vonNationalkulturenidentifizieren.MitdieserProblematikhabensichinderVergan genheit zahlreiche Kulturforscher wie G. Hofstede, F. Trompenaars, E. Hall beschäf tigt. GeertHofstedeistderamhäufigstenzitierteExperteaufdemGebietinterkultureller Vergleiche. Er hat in den 196070er Jahren das Zusammenspiel zwischen National undUnternehmenskulturen untersuchtundrund117.000IBMMitarbeiterin72Län dern–vonChinabisSüdamerika,vonNorwegenbisAfrika–befragt.Miteinemstan dardisierten Fragebogen erfragte er über 60 Items (u.a. die Meinung der Mitarbeiter zurUnternehmensführung, zumFührungsstil,ihreArbeitszufriedenheitundihrVer hältnis von Arbeit und Freizeit). In den darauf folgenden Jahren gab es zahlreiche WiederholungenundErgänzungenderStudie.VorallemwurdendieLändereinbezo gen, die in der ersten Untersuchung wegen des „eisernen Vorhangs“ im Osteuropa unzugänglich waren. Nicht alle Kleinstudien haben die Relevanz der ursprünglichen Kulturdimensionen bestätigt, deswegen werden die Ergebnisse der IBMStudie von Hofstedehäufigkritisiert.TrotzdembleibtseineUntersuchungohnegleichenundgibt zumindest eine brauchbare Grundlage, um verschiedene Nationalkulturen unter ein anderzuvergleichen. Die von Hofstede entwickelten Kulturdimensionen (Machtdistanz, Individualismus, Maskulinität, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitorientierung379) gelten als be sonders fundiert und eignen sich, um die Verhaltensunterschiede in interkulturellen Situationenzuanalysieren. Machtdistanz (MD) beschreibt dieArt und Weise, wie eine Gesellschaft mit der Un gleichheit der Machtverteilung zwischen den Mitglieder der Gesellschaft umgeht, in welchemAusmaßdiewenigermächtigenMitgliedervonOrganisationenundInstitu tionenungleicheMachtverteilungenakzeptierenbzw.erwarten.380 Die hohen Machtdistanzwerte kommen nach Hofstede bei den meisten asiatischen, osteuropäischen und lateinamerikanischen Ländern vor. Niedrige Werte sind für deutschsprechende,nordeuropäischeLänder,Israel,USAundGroßbritanniencharak teristisch. In Gesellschaften mit niedriger Machtdistanz – gemessen durch die Indexwerte – ist die Distanz zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem gering. Ein demokratischer (ko operativer)FührungsstilmitBeteiligungderMitarbeiteranEntscheidungenundVer antwortung wird bevorzugt, die Abhängigkeiten sind beschränkt. Ein Mitarbeiter kann sich jederzeit mit einem Problem an den Vorgesetzten wenden und traut sich 379 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln. 380 Vgl.ebd.,S.53ff.
326
Führung im interkulturellen Kontext
ihmzuwidersprechen.InGesellschaftenmithoherMachtdistanzistesgenauumge kehrt.DieVorgesetztengebenihrenMitarbeiternklareAnweisungen,wasdieseauch erwarten.DertypischeFührungsstilistautoritärbispatriarchalisch. Dimension Individualismus versus Kollektivismus (IND) beschreibt dasAusmaß, in dem Individuen in Gruppen integriert sind, die Ausprägung des IchBewusstseins versus Gruppenbewusstsein.Aufgrund der Loyalität gilt in kollektivistischen Gesell schaftendieBewahrungvonHarmoniealsTugend.InderindividualistischenGesell schaftwirderwartet,dassjederoffenseineMeinungsagt.381 DenhöchstenIndividualismuswertweisen USAundGroßbritannienauf,gefolgtvon Ländern Westeuropas, zu den typisch kollektivistischen Gesellschaften zählen z.B. Ecuador,Venezuela,Indonesien,VietnamundChina. BeieinemhohenIndividualismuswertistdasKonkurrenzgefühlindenUnternehmen stark ausgeprägt, Mitarbeiter arbeiten nicht mit sondern gegeneinander. Folglich ist eine individuelle Motivation erforderlich. Teamarbeit ist schwer zu organisieren. Bei niedrigen Werten muss man mit der Einheit „Gruppe“ arbeiten: Gruppenaufgaben stellenundkontrollieren,GruppenalsGanzesmotivieren.EinManagerdarfnichtdie Einzelpersonen kritisieren oder loben. Teamarbeit funktioniert besonders gut. Für Unternehmen gilt, dass in der individualistischen Gesellschaft jeder gleich behandelt werdensoll,Vetternwirtschaftgiltalstabu.InderkollektivistischenGesellschaftgiltes dagegen als unmoralisch, Familienmitgliedern oder Freunden keine Vorteile einzu räumen. Maskulinität (MAS) ist mit der emotionalen Rollenverteilung zwischen den Ge schlechtern in einer Gesellschaft verbunden. Eine Gesellschaft bezeichnet man als maskulin,wenndieRollenderGeschlechteremotionalklargegeneinanderabgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen dagegen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen.Als feminin bezeichnet man eine Gesellschaft, wenn sich die Rollen der Geschlechter emotional überschneiden:SowohlFrauen,alsauchMännersollenbescheidenundfeinfühligsein undWertaufLebensqualitätlegen.382 Die am stärksten feminin abschneidenden Länder sind nach Hofstede Schweden, Norwegen,Niederlande,DänemarkundFinnland.Besondersmaskulinsinddagegen Slowakei,Japan,Ungarn,ÖsterreichundVenezuela. InmaskulinenGesellschaftensindFraueninFührungspositioneneineSeltenheit,Ma nager ist ein Männerberuf. Feminine Gesellschaften akzeptieren Frauen, die Karriere machenwollen.ManverhandeltinUnternehmenderfemininenKulturen,währendin maskulinenKultureneinfairerKampfbevorzugtwird. 381 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.99ff. 382 Vgl.ebd.,S.159ff.
327
16.2
16
Führung und Diversity
Unsicherheitsvermeidung (UV) gibt den Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sichdurchungewisseoderunbekannteSituationenbedrohtfühlen,an.Kulturen,die Unsicherheitenvermeiden,versuchendurchgesellschaftlicheRegelungensolcheSitu ationenzuminimieren.DieMenschensindgenerellgeschäftiger,unruhiger,emotiona ler und von einer herrschenden Meinung überzeugt. Die Bewohner Unsicherheit ak zeptierender Länder sind ruhiger, gelassener und aufgeschlossener gegenüber ande renMeinungen.383 Hohe Unsicherheitsvermeidung ist typisch für lateinamerikanische, romanische und Mittelmeerländer, Japan und Südkorea. Besonders niedrige Werte stehe für Südost asien(China,Hongkong,Singapur,Vietnam),Schweden,Dänemark,IrlandundGroß britannien. Bei hohen Werten der Unsicherheitsvermeidung entwickelt sich in Unternehmen ein großerWiderstandgegenüberVeränderung,Wettbewerbistnichterwünschtundalle Entscheidungenwerdenschriftlichfestgehalten.EsbestehteinBedürfnisnachRegeln, das auch die Unternehmenspraxis beeinflusst: Neben den Rechten und Pflichten des ArbeitgebersundArbeitnehmersgibtesvieleinterneVorschriften.BeiniedrigenWer tengibteswenigerWiderstandgegenüberVeränderungen,wenigerschriftlicheRege lungen,größereJobMobilitätundRisikobereitschaft.RegelnwerdenmitWiderwillen wahrgenommen,esbestehteinBedürfnisnachflexiblenStrukturen. Langzeitorientierung(LZO)wurdealsfünfteDimensionspäterhinzugefügtundsteht für das Hegen von Tugenden, die auf künftigen Erfolg hin ausgerichtet sind, insbe sondere Beharrlichkeit, Sparsamkeit, strategisches Denken. Das Gegenteil, die Kurz zeitorientierung, steht für das Hegen von Tugenden, die mit der Vergangenheit und der Gegenwart in Verbindung stehen, insbesondere kurzfristiger Erfolg, Leistungs strebenunddieErfüllungsozialerPflichten.384 DiefünfteDimensionbeschreibtdenGrad,indemeineGesellschafteinepragmatisch zukunftsorientierteGrundhaltunggegenübereinergegenwartsbezogenenPerspektive aufweist. Langfristige Orientierung ist besonders für ostasiatische Kulturen typisch undwirdmitderPhilosophievonKonfuziusverbunden.Hofstedeverbindetlangfris tige Orientierung mit einem verantwortungsbewussten Denken und Nachhaltigkeit. China, Japan, Vietnam und Korea weisen die höchsten Werte auf. Auf der anderen Seite der Skala (extrem kurzfristig orientiert) findet man beispielsweise Pakistan, Tschechien,Spanien,Philippinen,GroßbritannienundUSA. Eine Übersicht mit denAusprägungen von erläuterten Kulturdimensionen für einige ausgewählteLänderfolgtinderTabelle.
383 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.228ff. 384 Vgl.ebd.,S.289ff.
328
Führung im interkulturellen Kontext
Tabelle49: IndexwertederKulturdimensionenfürausgewählteLänder385 Land
MD
IND
MAS
UV
LZO
Brasilien
69
38
49
76
65
China
80
20
66
30
118
Deutschland
35
67
66
65
31
Frankreich
68
71
43
86
39
Indien
77
48
56
40
61
Japan
54
46
95
92
80
Russland
93
39
36
95
k.A.
Schweden
31
71
5
29
33
Türkei
66
37
45
85
k.A.
USA
40
91
62
46
29
AuchinnerhalbeinerNationalkulturwerdenMenschenvonverschiedenensubkultu rellenPrägungenwieregionaleBesonderheiten,Generation,Geschlecht,sozialeKlas se,AusbildungundBerufbeeinflusst.DeswegenkanndasVerhalteneinesMenschen nicht allein auf seine nationalkulturelle Zugehörigkeit zurückgeführt werden. In die serHinsichtsinddieErgebnissevonHofstedesehrpauschalundfürdieBegründung desVerhaltensnursehrbegrenztgeeignet.JedochistdieTheorievonHofstededien lich, um einige Vorüberlegungen bezüglich der Wirksamkeit und Anpassung von Führungs,KommunikationsundMotivationsmethodeninanderskulturellenKontex tenzumachen.
16.2.2
Anpassung der Führung und Motivation
UmdieinterkulturellenUnterschiedebeiderFührungzuberücksichtigen,müssenje nachKulturkonstellationdieDifferenzeninKulturdimensionenzwischenvertretenen Nationalkulturen analysiertwerden. Bei beträchtlichenAbweichungen ist es notwen dig,denFührungsstilunddieMotivationsmethodenanzupassen.
385 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.56,105,166,234,294.
329
16.2
16
Führung und Diversity
DieManagerrollenunddiestrategischenZieleeinesUnternehmenssindvonderNati onalkulturabhängig,wieesHofstedeineinerinternationalenStudiein15Ländernder Weltentdeckthat.386EinigeErgebnissedieserUntersuchungwerdeninderfolgenden Tabelledargestellt. Tabelle50: ManagerrollenundstrategischeZieleinausgewähltenLändern387 Land, Managerrolle USA “der leitende Geschäftsmann“
Großbritannien “der Manager“
Indien “der Familienmanager“
Deutschland “der Gründer“
China “der Mandarin“ (ranghoher Bürokrat)
Strategische Ziele Wachstum des Unternehmens Gewinn dieses Jahres persönlicher Wohlstand Macht konform mit dem Gesetz gehen Respektierung ethischer Normen Gewinn dieses Jahres konform mit dem Gesetz gehen Verantwortung gegenüber Mitarbeitern Kontinuität des Unternehmens Patriotismus, nationaler Stolz Respektierung ethischer Normen Kontinuität des Unternehmens Familieninteressen Patriotismus, nationaler Stolz persönlicher Wohlstand Gewinne in 10 Jahren Gewinn dieses Jahres Verantwortung gegenüber Mitarbeitern Verantwortung gegenüber der Gesellschaft etwas Neues schaffen Spiel- und Spekulationsgeist Kontinuität des Unternehmens Ehre, Gesicht, Reputation Respektierung ethischer Normen Patriotismus, nationaler Stolz Ehre, Gesicht, Reputation Macht Verantwortung gegenüber der Gesellschaft Gewinne in 10 Jahren
In einigen internationalen Studien zum Führungserfolg wurden persönliche Eigen schaftenerfolgreicherManagerverglichenunddieUnterschiedesowieÄhnlichkeiten 386 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.363365. 387 Vgl.ebd.,S.364.
330
Führung im interkulturellen Kontext
zwischeneinigenNationalkulturenfestgestellt.EineKombinationvonhoherAnalyse fähigkeitundausgeprägterLeistungsmotivationistfürdenErfolgderFührungskräfte inwestlichenKulturencharakteristisch(vgl.folgendeTabelle).BeidenanderenEigen schaftengibteswesentlicheUnterschiede. Tabelle51: Eigenschaften,diefürdenFührungserfolgausschlaggebendsind(Rangplätzeder WichtigkeitjenachLand)388 Eigenschaften
BRD
USA
UK
ITA
FRA
Analytisches Denken
2
4
3
8
3
Branchenkenntnis
4
11
10
6
11
Ergebnisorientierung
2
3
4
1
4
Mut
6
4
5
9
6
Leistungsmotivation
1
1
1
2
1
Streben nach Einfluss
4
2
2
3
2
Redegewandtheit
6
8
10
5
8
Planungsvermögen
7
6
6
3
5
Urteilskraft
9
8
7
13
7
Der Führungsstil eines Vorgesetzten und die Möglichkeiten der Delegation bei der Entscheidungsfindung und Verantwortung hängen auch mit den nationalkulturellen Dimensionenzusammen.IndenLändernmiteinerhohenMachtdistanzerwartendie Mitarbeiter,dasseinVorgesetzteralleinEntscheidungentrifft.Willersiemiteinbezie hen,sosindsieverunsichertundbetrachtenihnnichtalsRespektperson.IndenLän dernmiteinergeringenMachtdistanzistesangebracht,Partizipationzupraktizieren– autoritäre Führung wirkt nicht, die Mitarbeiter wollen Eigeninitiative und Eigenver antwortunghaben.AlsBeispieldafürkanndasManagementkonzeptManagementby Objectives (MbO) betrachtet werden, das nur unter bestimmten kulturellen Bedin gungenfunktionierenkann:
derMitarbeiteristunabhängiggenug,ummitseinemVorgesetzteneinsinnvolles Gesprächzuführen(nichtzugroßeMachtdistanz); 388 Vgl.Kühlmann,T.M.:MitarbeiterführungininternationalenUnternehmen,S.115116.
331
16.2
16
Führung und Diversity
sowohl der Vorgesetzte als auch der Mitarbeiter sind bereit, eine gewisse Unein deutigkeitzuakzeptieren(schwacheUnsicherheitsvermeidung);
einehöhereLeistungwirdvonbeidenalswichtigesZielangesehen(starkeMasku linität). Wenn man die Bedingungen überprüft, so bleiben relativ wenige Länder übrig (z.B. USA,Großbritannien),indenendasMbOreibungslosfunktionierenkann.Praktische SchwierigkeitenmitderEinführungdesMbOinDeutschland(zuhoheUnsicherheits vermeidung) und Frankreich (zu hohe Machtdistanz) beweisen, dass sogar die west europäischenLänderdiesesKonzeptnichtunbedenklichübernehmenkönnen. Von besonderer Bedeutung für die interkulturelle Managementpraxis ist das Ver ständnis der Motive der Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen. Kulturelle Pro grammierungbeeinflusstunterAnderemdieErklärung,dieMenschenfürihrVerhal ten geben. Amerikaner können ihr besonderes Engagement im Job damit erklären, dasssiedafürGeldbekommen,FranzosenmitihrerEhre,Chinesendurchgegenseiti geVerpflichtungenundDänenmitKollegialität.DieursprünglichUSAmerikanischen MotivationstheorienvonMaslowundHerzbergsindnachMeinungvonHofstedenur für die Länder mit einer geringen Machtdistanz und geringer Unsicherheitsvermei dung(wieUSAundGroßbritannien)geeignet.DieseTheorienerklärendieArbeitsleis tungsmotiveausderSituationheraus,wederAbhängigkeitvonmächtigenVorgesetz tennocheinBedürfnisnachfestenRegelnscheinenfunktionalodernotwendigzusein, umdieMenschenzumArbeitenzubewegen.DeswegengreifendieseMotivationsthe oriennachMeinungvonHofstedenurindiesenKulturen.389 DieMotivationsfaktorenkönnennachHofstedesehrvielfältigsein:Beieinergeringen Machtdistanz und hohen Unsicherheitsvermeidung wirkt das Pflichtbewusstsein als Motivation(Bsp.Deutschland,Österreich).InLändernmiteinerhohenMachtdistanz istdieAbhängigkeitvonmächtigenMenscheneinGrundbedürfnisundmanfolgtder Autorität – das ist eine ganz andere Art der Motivation (Bsp. Frankreich, Russland, Südamerika). In den asiatischen Ländern sollte Motivator ein Meister sein – seine WirkungbasiertaufTraditionundCharisma(China,Indien).
16.3
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
IndiesemKapitelwerdenexemplarischeinigeaktuelleAnwendungsfelderdesDiver sityManagementsdiskutiert:BeschäftigungvonälterenMitarbeitern,Frauenin Füh rungspositionensowieMultikulturelleTeamsinUnternehmen.
389 Vgl.Hofstede,G.:LokalesDenken,globalesHandeln,S.367.
332
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
16.3.1
Beschäftigung von älteren Mitarbeitern
Bedingt durch geringe Geburtenraten und hohe Lebenserwartung findet in Deutsch land und anderen westlichen Gesellschaften eine zunehmende Alterung der Gesell schaftstatt.ZugleichnimmtderFachkräftemangelzu,insbesondereindensogenann tenMINTBerufen(Mathematik,Informatik,NaturundtechnischeWissenschaften). Diese Faktoren rufen die Notwendigkeit hervor, sich mit der Beschäftigung älterer Mitarbeiterauseinanderzusetzen. Mit der „Initiative 50plus“ unterstützt die Bundesregierung seit 2007 die Beschäfti gungältererArbeitnehmerdurcheinBündelanMaßnahmen,insbesonderedurcheine gezielte Förderung der Weiterbildung Älterer sowie durch Kombilöhne und Einglie derungszuschüssefürUnternehmen,dieältereMitarbeitereinstellen. ÄltereMitarbeiterwerdeninvielenBetriebeninsbesonderefürihrErfahrungswissen, ihre Arbeitsmoral und disziplin sowie ihr Qualitätsbewusstsein geschätzt. Zugleich wird oft unterstellt, dass die Älteren weniger lernfähig, häufiger krank und geringer motiviert sind, als ihre jüngeren Kollegen. Eine Studie des Instituts der deutschen WirtschaftausKöln(2009)widerlegtdieseVorurteile.DemnachwerdenältereMitar beiterseltener,dafüraberlängerkrank,ihregeringereReaktionsgeschwindigkeitwird durch Erfahrungswissen und methodische Kompetenz ausgeglichen und bezüglich MotivationundLoyalitätsindsiedenJüngerensogarüberlegen.390 Zusammengefasst kann man aufgrund einiger Forschungsergebnisse und Untersu chungenfolgendeStärkenundSchwächenältererBeschäftigterdefinieren(s.Tabelle). Tabelle52: StärkenundSchwächenältererArbeitnehmer Typische Stärken:
Typische Schwächen:
großes Erfahrungswissen; hohes Maß an Fertigkeiten; Entscheidungsfähigkeit in kritischen Situationen; Problemlösungsfähigkeit; Verantwortungsbewusstsein; hohe soziale Kompetenz.
abnehmende körperliche Kraft und Leistungsfähigkeit; geringere Reaktionsgeschwindigkeit; abnehmende sensorische Fähigkeiten; länger krank.
ÄltereArbeitnehmerverfügenübereinenSchatzanErfahrungswissen,dasBranchen und Marktkenntnisse, Kundenkontakte und das Wissen um interne Betriebsabläufe umfasst. Man kann dieses Wissen nur aus eigenen Handlungen und Beobachtungen 390Vgl.http://www.iwkoeln.de/Portals/0/pdf/pm50_09iwd.pdf
333
16.3
16
Führung und Diversity
erwerben, es ist implizit und lässtsich nicht in Worten und Zahlen ausdrücken oder elektronischabspeichern. Langjährige Mitarbeiter kennen Betriebsmaschinen in und auswendig. Z.B. kleinste AbweichungenvomgewohntenSurrenderWalzenundBänderkönnensofortgedeu tetwerden.HierdurchwerdenlangeAusfallzeitendurchvorbeugendeWartungsarbei tenvermieden.InsbesonderefürdieWartungvonlanglebigen,aberinzwischenbereits technisch veraltetenAnlagen ist das Vorhandensein von „altem“ Wissen die Voraus setzung. Um das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter im Unternehmen aufrechtzuerhalten, sindMethodenwieMentoringundLernenamModellnotwendig.Derbaldausschei dendeWissensträgersollvoneinemNachfolger„onthejob“dauerhaftbegleitetwer den. DieGeneration50+isteinederwichtigstenKonsumentengruppen,dieübereingesi chertesEinkommenverfügtundWertaufhöchsteQualitätlegt.DieälterenMitarbeiter imKundendienstkönnendieseKonsumentengruppebesondersgutansprechen,dasie „dieselbeSprache“sprechenunddieBedürfnisseältererKundenverstehen. Für eine Erwerbstätigkeit im Alter sind Gesundheit und ausreichende Qualifikation die Grundvoraussetzungen. Viele Unternehmen engagieren sich für den Erhalt der BeschäftigungsfähigkeitihrerArbeitnehmerdurchbetrieblicheGesundheitsförderung, einhohesArbeitsschutzniveauundWeiterbildungsmaßnahmen. DaältereArbeitnehmergegenüberphysischenundpsychischenBelastungenweniger resistent als Jüngere sind, sollen sie für jene Aufgaben eingesetzt werden, die dem alterstypischenWandelihrerLeistungsfähigkeitentsprechen.Besonderseffizientsind gemischte Arbeitsteams, in denen sich Ältere und Jüngere gegenseitig unterstützen und gegenseitig ergänzen können. Notwendig ist eine ergonomische Arbeitsgestal tung, um die Arbeit an die abnehmenden Körperkräfte und abnehmenden sensori schen Fähigkeiten anzupassen, ausreichende Pausen und abwechslungsreiche Tätig keiten. AlsBeispielausderPraxiswirddieFörderungältererBeschäftigterbeiAudi391erläu tert.Audihat2007einPilotprojektSilverLinemitälterenBeschäftigteninderMon tage gestartet. Mit diesem Projekt bei der Fertigung des Sportwagens R8 setzt Audi gezieltaufdieStärkenältererMitarbeiter.DieProduktionistwenigerbelastend,aber besondersanspruchsvoll.DaherkommenvorallemerfahreneFachkräftezumEinsatz. SeitEnde2006produziertAudiamStandortNeckarsulmdenSportwagenR8.Beider FertigungsetztdasUnternehmenaufeineMischungausHightechundhandwerkli cher Verarbeitung, was von den Beschäftigten eine sehr hohe Qualifikation und viel Erfahrung erfordert. Daher sind beim R8 besonders ältere Facharbeiter gefragt. Im 391 Vgl.http://www.erfahrungistzukunft.de/nn_107652/Webs/EiZ/Content/DE/Artikel/Praxisbei
spiele/20070416audisilverline.html.
334
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
PilotprojektSilverLineliegtderAltersdurchschnittbeiüber40Jahren.VieleBeschäf tigteinderSerienfertigungwarenzuvorbereitsandertechnischenEntwicklungund demPrototypenbaubeteiligt. ProTagrollenlediglich20ExemplaredesR8vomBand.DieTaktzeitinderMontage beträgtganze44Minuten.EinvölligandererRhythmusalsbeinormalenFertigungsli nien:BeimAudiA6dauertderTaktzumBeispielnur1,5Minuten.Dadurchwirddie Arbeit nicht leichter, denn beim R8 müssen kompliziertere Arbeitsschritte erledigt werden. Dennoch reduziert sich durch die längeren Takte die körperliche Belastung. Außerdem wird das für die Montage notwendige Material bis in die unmittelbare ReichweitederBeschäftigtenbefördert.Dasermöglichteinebesondersergonomische Arbeitsweise. Mit dem Pilotprojekt Silver Line willAudi dem demografischen Wandel Rechnung tragen. Durch die längere Taktzeit werden die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter berücksichtigt. Gleichzeitig profitiert das Unternehmen von deren spezifischen Stär ken.
16.3.2
Frauen in Führungspositionen
DerAnteilvonFraueninFührungspositioneninderPrivatwirtschaftundimöffentli chen Dienst ist trotz Emanzipationsbewegung und politischen Bemühungen immer nochsehrniedrig.ObwohlheuteFrauenebensohäufigeinStudiumabsolvierenund ebenso hoch qualifiziert sind wie Männer, sind sie in den Führungspositionen der deutschenWirtschaft,vorallemimTopManagement(Vorstand,Aufsichtsräte),deut lichunterrepräsentiert.DasbelegendieZahlenderfolgendenTabelle. Tabelle53: TeilhabevonFraueninverschiedenenBereichen392 Bereich
Männer, %
Frauen, %
Gesamtbevölkerung
49
51
Erwerbstätige
54
46
Hochschulabsolventen
49
51
Führungspositionen allgemein
69
31
Mittleres Management
85
15
Vorstandsebene
97
3
Aufsichtsräte
89
11
392 Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/PdfAnlagen/fraueninfueh
rungspositionendeutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf.
335
16.3
16
Führung und Diversity
OftbevorzugenFrauensolcheBerufeundQualifikationswege,diekaumalsBasisfür eine Führungsrolle in Unternehmen gelten können. Sie sind überrepräsentiert in sprach, literatur, sozialwissenschaftlichen und erzieherischen Studiengängen, leicht unterrepräsentiert in den Wirtschaftswissenschaften und stark unterrepräsentiert in Natur, Ingenieurswissenschaften und Informatik. Unter Anderem hängt es mit den gesellschaftlichen Stereotypen über eine „typische“ Frau zusammen, die fürsorglich, passiv,beziehungsorientiert,emotional,unterordnendundeinfühlsamzuseinhat.393 Die Aktion Girls Day, die in Deutschland bereits seit langem jährlich durchgeführt wird,verfolgtdasZiel,MädcheneinenEinblickindie„Männerberufe“zugeben,um dieseStereotypeabzubauen. DieStudie„FraueninFührungspositionen(2010)derHoppenstedtFirmeninformati onen GmbH, die auf den Daten aus 300.000 Unternehmen und einer Million Füh rungskräftebasiert,zeigt,dassderFrauenanteilindererstenundzweitenFührungs ebenekontinuierlichsteigtunderreichtaktuellfast20%.JedochbleibtderAnteilweib licherTopmanagerbeigroßenUnternehmensehrgering(unter6%).BeidenDAX30 Unternehmen wurde 2010 sogar nur eine einzige Frau im Topmanagement geführt – es handelt sich um Barbara Kux, Vorstandsmitglied der Siemens AG. Innerhalb der Unternehmen nehmen Frauenöfter Führungsaufgabenin denBereichenPersonalwe sen, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing war. Dagegen sind sie beispiels weiseimtechnischenBereichwiederForschungundEntwicklungnurgeringvertre ten.394 Mit der Problematik der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen hat sich2009aucheineaktuelleStudiedesBundesministeriumsfürSenioren,Frauenund Jugend(BMSFJ)beschäftigtundwichtigeErgebnisseerzielt.395 Sowohl männliche als auch weibliche Führungskräfte der deutschen Wirtschaft sind sicheinig,dasswirmehrFraueninFührungspositionenbrauchen.AufdasPotenzial vonhochqualifiziertenFrauenkönnenUnternehmennichtverzichten.EinAspektist derdemographischeWandel,einandererdieNotwendigkeitfürUnternehmen,inder FührungVielfaltvonKompetenzenundPerspektivenzuinstitutionalisieren.Strategi sche Klugheit verlangt heute und in Zukunft Diversität. Mit Frauen und Männern besetzte Führungsteams geben der Führungskultur neue Impulse und tragen zur VielfaltderPerspektivenimManagementbei.Dasistineinerglobalisiertenundkom plexen Weltwirtschaft notwendig, um Risiken zu vermeiden und Chancen zu erken nen.
393 Vgl.vonRosenstiel,L.:GrundlagenderOrganisationspsychologie,S.182183. 394 Vgl. http://www.hoppenstedt.de/xist4c/web/050310HoppenstedtStudieFraueninFueh
rungspositionenFrauenanteilimManagementsteigtweiteranderSpitzesindFrauen aberweiterhinrar_id_3281_.htm. 395 Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/PdfAnlagen/fraueninfueh rungspositionendeutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf.
336
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
AllerdingsgibtesBarrierensowohlbeiMännernalsauchbeiFrauen,dieverhindern, dassmehrqualifizierteFrauenandieSpitzekommen. InderStudiewurdentypischeBarrierenfürdenAufstiegvonFraueninFührungspo sitionen identifiziert. Zwar akzeptieren die meisten männlichen Führungskräfte die PotentialevonkompetentenundambitioniertenFrauen,jedochsindsiegeneigt,inder PraxisMännerzubevorzugen.IndenKöpfenvielerMännergibtesvielfältige,mitein ander verschränkte Vorbehalte gegen Frauen in Führungspositionen, sodass Männer (zumTeilauchunbewusst)als„HüterdergläsernenDecke“agieren.DieMeinungspa letteunddieBegründungenderMännervariierenvoneinergrundsätzlichenkulturel lenundfunktionalenAblehnungvonFrauenübereineGrundhaltung,dassdieFrauen gegen männliche Machtrituale chancenlos sind (Unvereinbarkeit von notwendigen Machtritualen und Rollenzwängen von Frauen), bis zu der Behauptung, dass es im MarktanauthentischenundflexiblenKarrierefrauenmangelt.396 DerBegriff„gläserneDecke“(engl.glassceiling)wurdeindenUSAgeprägtundimp liziert ein Erklärungsmodell für das Phänomen, dass die meisten hochqualifizierten FrauenbeimAufstieginnerhalbvonUnternehmenspätestensaufderEbenedesmitt leren Managements hängenbleiben und nicht bis in die Führungsetage kommen, ob wohlsiediegleichenLeistungenerbringenwiebevorzugtemännlicheKollegen. Als Gründe für die Existenz der gläsernen Decke nennen Studien in erster Linie die stärkere Förderung männlicher Mitarbeiter durch männliche Vorgesetzte und die geringe Beteiligung von Frauen an beruflichen Netzwerken.Außerdem gehen Perso nalchefs häufig stillschweigend davon aus, dass Frauen irgendwann eine Familien pauseeinlegenwerden. EsgibtauchBarrierenseitensderFrauenaufdemWegzuFührungspositionen:
EinTeilderkompetentenFrauenschrecktdavorzurück,ineineFührungsposition aufzusteigenodereinenmehrfachenKarrieresprungzumachen.
Einige fürchten, dass sie als Frau mehr leisten müssen als ein Mann in derselben Position;
dasssieeinemvielfachhöherenErwartungsdruckausgesetztsindalsMänner; dass sie als Minderheit in einer Männerdomäne zum Teil gegen überkommene eingeschliffene„männliche“Ritualekämpfenmüssenundsichdabeiaufreiben;
dasssieihreeigenen„anderen“KonzeptevonrichtigemunderfolgreichemMana gementgegendieMachtderMehrheitverteidigenmüssen;
und vor allem: dass es für sie angesichts der Belastungssteigerung und erhöhten Zeitknappheitnochschwererwerdenwird,BerufundFamiliezuvereinbaren. 396 Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/PdfAnlagen/fraueninfueh
rungspositionendeutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf.
337
16.3
16
Führung und Diversity
Um die Teilhabe von Frauen an der Führung in Unternehmen zu fördern, sind ver schiedene Maßnahmen notwendig. Eine absolut notwendige Bedingung ist die Ver einbarkeit von Beruf und Familie, die neben Kinderbetreuung und Ganztagschule auchflexibleArbeitszeitenbeinhaltensoll.AlspraktischeMaßnahmenzurFörderung von Frauen in Unternehmen eignen sich betriebsinterne Mentoringprogramme, be trieblicheZielvereinbarungenundeinmodernesPersonalmanagement,dasdieunter schiedlichenPotenzialeundBedürfnissevonFrauenundMännerninFührungspositi onen berücksichtigt, Quereinstiege zwischen den Branchen fördert und geeignete FrauenzuKarrieresprüngenermutigt.AlsRahmenbedingungbrauchtmaneineUn ternehmenskultur,diedieGleichstellungundgleicheKarrierechancenfürMännerund FrauenalsSelbstverständlichkeitanerkennt. Karriereorientierte Frauen sollten sich bewusst positionieren und ihren Anspruch kommunizieren.ErfolgreicheMännerbegreifenihreKarrieresprüngealsAusweisvon Kompetenz, als individuelle „unique selling proposition“(USP), die sie anstreben, anhäufenundauchoffenoffensivkommunizieren.VieleFrauensindhierzurückhal tender,halteneinenKarrieresprungfüreinseltenesGlück(dassiesichaberverdient haben!), aber insgesamt nicht für etwas Normales, sondern betrachten ihn als Aus nahmeundauchAbweichendes.InsofernhabenFrauenüberwiegenddieTendenz,auf GelegenheitenundAngebotefürKarrieresprüngezuwarten,zuhoffen–sieabernicht offensivundstrategischvorzubereiten. BeiderAnalysevonErfolgsfaktorenfürdieFührungwurdeinderBMSFJStudiefest gestellt, dass männliche und weibliche Führungskräfte grundsätzlich die gleichen Faktorennennenunddamitvielgemeinsamhaben(s.folgendeAbbildung). Die Top 10Faktoren belegen, dass alle hoch eingeschätzten Kompetenzen für einen gutenunderfolgreichenManagervonkarriereorientiertenFrauenzumindestgenauso wahrgenommen werden wie von Männern. Die fachlichen Qualifikationen, berufli chen Motive und privaten Voraussetzungen von Frauen, die derzeit in einer Füh rungsposition der deutschen Wirtschaft sind, lassen keinen Kompetenz und Einstel lungsnachteilvonFrauenimVergleichzuMännernerkennen. Um die Voraussetzungen für mehr Frauen in Führungspositionen zu schaffen, sind verschiedenepolitische,betrieblicheundkommunikativeMaßnahmennotwendig.An ersterStellestehtdieSchaffungbessererstrukturellerVoraussetzungenfürdieVerein barkeit von Beruf und Familie. Ebenso wichtig ist ein gesellschaftliches Bewusstsein, die Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur (in der es selbstverständlich ist, dass auch Frauen in Führungspositionen sind) sowie ein modernes Personalmanage ment, das die (unterschiedlichen) Potenziale und Bedürfnisse von Frauen und Män nerninFührungspositionenberücksichtigt.
338
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
Abb.71:
16.3
Top10derErfolgsfaktoren,dieFrauenundMännerfürwichtighalten397
16.3.3
Multikulturelle Teams in Unternehmen
AufgrundausgeprägterinternationalerAktivitätenderUnternehmensowiemultikul turellenCharaktersderdeutschenGesellschaftkommenmultikulturelleTeamsimmer häufigervor.Dasbedeutet,dassdieTeammitgliederausmindestenszweiverschiede nen Kulturen stammen und sich daraus resultierend in kulturellen Werten, Normen, Verhaltensweisen, Wissensbeständen, Vorgehensweisen und Erfahrungen voneinan derunterscheiden.EinesolcheZusammenarbeitkanndurchSprachbarriere,Kommu nikationsschwierigkeiten und Mentalitätsunterschiede erschwert werden, zeichnet sichjedoch–unterbestimmtenBedingungen–durcheinegrößereBandbreitekreati venDenkenssowieeineVerkürzungvonEntwicklungsundProduktionszeitenaus. Die in Kapitel 16.2 erläuterten Kulturunterschiede üben einen wesentlichen Einfluss aufdieWahrnehmung,EntwicklungundpraktischeHandhabungderTeamarbeitaus. Rothlauf definiert folgende Aspekte der Unterschiedlichkeit in multikulturellen Teams:
AkzeptanzvonAutoritätsstrukturen, geeigneteHandlungsschemataundihreBestandteile(wieZielbildung,strategische OrientierungundMotivation),
zeitlicheVorstellungen, 397 Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/PdfAnlagen/fraueninfueh
rungspositionendeutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf,S.39.
339
16
Führung und Diversity
Entscheidungsprozesse, Konfliktlösungsowie dasÄußernvonGefühlen.398 Diese Dimensionen der Unterschiedlichkeit können zu Problemen, Konflikten und Unzufriedenheit führen, da jeder Teilnehmer seine Vorgehensweise und seine eigene KulturalsselbstverständlichwahrnimmtundSchwierigkeitenhat,sichindieVorstel lungenundAuffassungenderAnderenhineinzudenken.Besondersschlimmwirdes, wenn die interkulturellen Probleme ignoriert oder bagatellisiert und deswegen keine vorbeugendeundvorbereitendeMaßnahmenergriffenwerden. AufgrundderUnterschiedlichkeitsteigendasKonfliktpotentialunddieNeigungder Gruppe zu Unsicherheit, Misstrauen und Kleingruppenbildung, was im Endeffekt höhereZeitenundKostenbeiderinterkulturellenGruppenarbeitverursacht. Neben diesen Risiken werden multikulturellen Teams einige Vorteile zugeschrieben, dievorallemmitderSteigerungderKreativitätbeiheterogenenZusammenstellungen begründet werden. Man erwartet von multikulturellen Teams eine breite Palette an Wissen, Erfahrungen, Betrachtungsperspektiven und Lösungswegen und folglich ein höheres Innovationspotential. Die Gefahr des einseitigen Gruppendenkens wird ge mindert, fundierte Entscheidungen werden durch Besprechungen und Diskussionen gefördert(vgl.Tabelle).
Tabelle54: RisikenundChancenmultikulturellerTeams399 Risiken
Chancen
Kommunikationsschwierigkeiten;
Vielseitige Problemlösungen,
Unsicherheit und Misstrauen;
Hohe Kreativität;
Bildung von Kleingruppen;
Innovationspotential;
Verstärkung von Vorurteilen, Stereotypen;
Verminderung des Gruppendenkens;
Geringe Gruppenkohäsion, wenig Solidarität;
Fundierte Entscheidungen durch Diskussionen.
Belastung, Stress; Höhere Kosten.
Kommen die Probleme und Risiken automatisch praktisch in jedem multikulturellen Team vor, so bedarf es umgekehrt bestimmter Bedingungen, damit dieChancen sich entfaltenkönnen.NichtfürjedeAufgabesindmultikulturelleTeamsgeeignet:Beiden standardisierten ausführenden Aufgaben sind homogene Arbeitsgruppen effizienter, 398Vgl.Rothlauf,J.:InterkulturellesManagement,S.129. 399 InAnlehnunganPodsiadlowski,A.:MultikulturelleArbeitsgruppen,S.117.
340
Aktuelle Anwendungsfelder und Fallbeispiele
dasiesichschnellerüberdieZiele,WegeundVorgehensweiseneinigenundwährend derArbeitabstimmenkönnen.Nurbeikreativen,herausforderndenAufgabenlohntes sich,ZeitundArbeitindiemultikulturelleZusammensetzungzuinvestieren. AndieZusammensetzungsolcherTeamssindfolgendeBedingungengeknüpft:Einer seits werden Spezialisten gebraucht, die bezüglich ihrer Talente, Informationen, Kenntnisse und Fähigkeiten so unterschiedlich wie möglich sind; andererseits,sollen sie gemeinsame Ziele, Werte und Vorgehensweisen in der Zusammenarbeit (Grup penkohäsion und gemeinsame Gruppenkultur) entwickeln. Nur dann werden sich SynergieeffektederVielfaltentfaltenkönnen. Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, die notwendigen Voraussetzungen für die Synergieeffekte in einem multikulturellen Team zu sorgen.400 Das beginnt bei der Gruppenzusammensetzung, die nach Möglichkeit gleichwertig erfolgen sollte, was eine ausgeglichene Besetzung mit Angehörigen verschiedener Kulturen voraussetzt, damit es zu keiner Mehrheit und Minderheitenbildung kommt. Eine positive Team entwicklung trägt zum Vertrauen und gegenseitigen Lernen sowie zu der optimalen NutzungkulturspezifischerStärkenbei.AlsBedingungdafürgilteineoffeneThemati sierungundbewussteWertschätzungderVielfalt,dievondenFührungskräftenvorge lebtwerdensoll.SchulungenundWeiterbildungsmaßnahmenzurFörderunginterkul turellerKompetenzfürFührungskräfteundTeammitgliederspielendabeieinewichti ge Rolle. In derArbeitsphase der Gruppe soll die Führungskraft für eine offene und intensive Kommunikation und den Einbezug aller Mitarbeiter sorgen.Auch dieAuf gabedesKonfliktmanagementsobliegtderFührungskraft,diedieerstenZeichender Konflikterechtzeitigerkennenundeffizienthandelnsoll. Kontrollfragen 1. WasverstehtmanunterDiversity?WelcheParameterhatsie? 2. BeschreibenSieNotwendigkeitundVorteilevonDiversityManagement. 3. ErläuternSietypischeInstrumentedesDiversityManagementsinUnternehmen. 4. Welche Dimensionen benutzt G. Hofstede füreinen Vergleich von Nationalkultu ren?BewertenSieVorundNachteilediesesAnsatzes. 5. WarumisteineAnpassungderFührungundMotivationininterkulturellenSitua tionennotwendig? 6. DiskutierenSieüberdieStärkenundSchwächenältererMitarbeiter. 7. WarumsindFraueninFührungspositionenunterrepräsentiert? 8. ErläuternSieRisikenundChancenvonmultikulturellenTeamsinUnternehmen. 400 Vgl.Köppel,P.:KonflikteundSynergieninmultikulturellenTeams,S.302303.
341
16.3
16
Führung und Diversity
Exkurs: Multikulturelle Teams und interkulturelle Personalentwicklung bei der Robert Bosch GmbH In rund 150 Ländern beschäftigt die Bosch GmbH an 300 verschiedenen Standorten rund 280.000 Mitarbeiter aus 200 unterschiedlichen Kulturen. Auf 50 Länder verteilen sich alleine 30.000 Forscher und Entwickler. Von den Forschungsteams sind etwa 90 Prozent international. Das stellt hohe Anforderungen an die Zusammenarbeit, die zu großen Teilen virtuell organisiert ist. Aber auch an einzelnen Standorten wie dem Entwicklungszentrum Abstatt bei Heilbronn kommen in der Belegschaft nicht selten 30 Nationalitäten zusammen. Damit alle Mitarbeiter ihre Potenziale entfalten können, hat Bosch mit dem „House of Orientation“ einen Orientierungsrahmen für den gemeinsamen Umgang aller Mitarbeiter geschaffen. Er beinhaltet auch die Vision und die Werte von Bosch. Die gemeinsame Wertebasis ist dem Unternehmen dabei genauso wichtig wie die Vielfalt, zu der sich Bosch in seinem Wertekatalog bekennt. Sowohl die regionale und kulturelle Herkunft als auch die individuellen Prägungen der Mitarbeiter versteht Bosch als Voraussetzung für weltweiten Erfolg. Im Rahmen der internationalen Personalentwicklung fördert Bosch explizit die interkulturellen Kompetenzen seiner Mitarbeiter. Dabei geht es um ein Bewusstwerden der Bedeutung interkultureller Kompetenz, intensiver Kommunikation und effizienter Unterstützung der Führungskräfte. Zu den konkreten Maßnahmen gehören: die Weiterbildung für interkulturelle Zusammenarbeit, Austausch und Vernetzung des interkulturellen Wissens im Unternehmen sowie internationale Unternehmenskulturentwicklung. Diese Maßnahmen ermöglichen Austausch und Dialog zwischen verschiedenen nationalen Gruppen, Standorten, Geschäftsbereichen und Hierarchieebenen. Die internationale Entwicklung des neuen Dieselantriebs für den Tata Nano liefert ein Beispiel für die Synergieeffekte in multikulturellen Teams. Die Anforderungen für den neuen Dieselantrieb des Tata Nano waren hoch und erforderten eine ungewöhnliche Lösung. Um ein geringes Gewicht, enge Kostenvorgaben und ein robustes Design zu gewährleisten, arbeiteten Entwickler aus Deutschland, Indien, Italien und Österreich eng zusammen. Das Ergebnis: Statt einer herkömmlichen Hochdruckpumpe entwickelten die Bosch-Ingenieure für den indischen Markt eine Steckpumpe weiter, die erstmals im Diesel-Leitwerk in Feuerbach (Deutschland) zum Einsatz gekommen war. In Indien leitete Rakkiappan Baskaran das Steckpumpen-Projekt. Sein Vorteil: Er hatte zu einer Gruppe indischer Ingenieure gehört, die in Feuerbach für die Diesel-Applikation ausgebildet worden waren. Um international erfolgreich agieren zu können, hat Bosch die systematische Förderung interkultureller Kompetenzen auf allen unterschiedlichen Ebenen und über Geschäftsbereiche hinweg etabliert. Aufenthalte von Mitarbeitern außerhalb ihrer Heimat (insgesamt über 2.500 Beschäftigte sind je mehr als 18 Monaten lang im Ausland) gehören hier ebenso dazu wie interkulturelle Trainings und Entwicklungsprogramme für Fach- und Führungskräfte, Trainees und Auszubildende. Seit Bosch in Regionen wie Asien und Amerika technische Zentren aufgebaut hat, sind multikulturelle Innovationsteams die Regel. Deshalb unterstützen auch Mitarbeiter des Diversity-Managements die Innovations-Workshops beispielsweise mit Methoden, die auf die beteiligten Kulturen zugeschnitten sind. Bosch hat erkannt, dass für Innovationen Grenzüberschreitungen nicht nur eine notwendige Herausforderung, sondern auch eine große Chance sind. (Quellen: http://csr.bosch.com/content/language1/html/5769_DEU_XHTML.aspx; Barmeyer, C.I.; Boll, K.; Davoine, E.: Die Integration von interkultureller Personalentwicklung und Unternehmenskulturentwicklung am Beispiel des multinationalen Unternehmens Bosch, 2010, S. 201-216).
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350
Stichwortverzeichnis
ÄltereMitarbeiter ............................. 333 Anforderungenandie Führungskräfte.......................... 11,13 Arbeitsgruppen ................................. 177 ArtenvonGruppen .......................... 174 BausteinedesWissens managementsnachProbstu.a..... 306 Bedürfnisfaktorentheorievon McClelland....................................... 94
dynamischesModellder Unternehmenskultur ....................214 Eisbergmodellder Unternehmenskultur ....................212 emotionaleIntelligenz ..................33,34 „entscheidendevierMinuten“ ........151 ERGMotivationstheorievon Alderfer ............................................90 Ethik,individuelle ..............................74
BedürfnistheorienachMaslow ......... 88
EthikvonUnternehmen...................232
Bedürfnisse .......................................... 87
EthikderFührungskräfte.................246
Behaviorismus....................................... 4
EthikderMitarbeiter ........................247
betrieblicheKommunikation........... 164
FlowinderMotivation.......................86
Betriebsrat .......................................... 231
FormendesLernens............................62
BigFivederPersönlichkeit ................ 23
FraueninFhrungspositionen ..........335
Charisma ............................................ 278
Führung,Definition ..........................257
CorporateGovernanceKodex......... 230
Führung,interaktive .........................259
CorporateSocialResponsibility...... 238
Führung,strukturelle .......................259
Deindividuation................................ 175
FührungimWandel....................14,251
Demotivation..................................... 115
Führungsethik ...................................246
DimensionenvonNatioanl kulturennachHofstede................ 326
Führungskonzepte ............................270
Diversität............................................ 317 DiversityManagement..................... 317 DreiEbenenModellder Unternehmenskultur .................... 213
Führungsleitlinien.............................245 Führungsstil.......................................262 Führungsstilkontinuumnach Tannenbaum/Schmidt..................263 Führungsstiltypologienach Wunderer .......................................266
Stichwortverzeichnis
FünfDisziplinenderlernenden OrganisationnachSenge ............. 292
Intelligenzstrukturmodellnach Guilford ............................................31
Gedächtnis ...................................... 39,40
interkultirelleFührung.....................325
Gesprächdirektiv/nondirektiv........ 170
Jobenlargement.................................110
Gruppe ............................................... 174
Jobenrichment...................................110
Gruppenentwicklungsphasen......... 184
Jobrotation.........................................110
Gruppenkohäsion ............................. 179
Kognitivismus .......................................7
Gruppenleistung ............................... 185
Kommunikation .........................143,145
Gruppenleiter .................................... 198
Kommunikation,betriebliche..........164
Gruppenlernen.................................. 195
Kommunikation,nonverbale...........147
Gruppennormen ............................... 178
Kommunikation,verbale .................146
Gruppenrollen................................... 186
Kommunikationsmedienin Unternehmen.................................165
Handeln,individuelles....................... 68 HandelnvonUnternehmen............. 204 Handeln,Modell ................................. 69 Handeln,Phasen ................................. 78 HygienefaktorennachHerzberg ...... 93
Kommunikationsmodellnach SchulzvonThun............................152 Kommunikationstheorien ................152 kommunikativeVerständigung ......146
Hypertextorganisation ..................... 302
Kompetenzprofileiner Führungskraft.............................12,13
Identifikation ..................................... 119
Konditionierung...............................5,62
Identifikationsförderung.................. 121
KonflikteinGruppen .......................191
individuellesLernen........................... 60
Konfliktlösungsstrategien................193
innereKündigung............................. 117
Konstruktivismus..................................8
IntelligentesUnternehmen .............. 310
Kooperation ................................129,135
Intelligenz ....................................... 27,28
Körpersprache ...................................147
Intelligenz,emotionale.................. 33,34
KunstderFührung .............................15
Intelligenz,fluide ................................ 30
Leistungsdeterminantenkonzept vonBerthel ....................................104
Intelligenz,kristalline......................... 30 Intelligenz,multiple ........................... 34 IntelligenzquotientIQ ........................ 28
352
Lernen,individuelles..........................60 Lernen,organisationales ..................290
Stichwortverzeichnis
LernenamErfolg ................................ 62
Motivationstheorien,Prozess ...........97
LernenamModell............................... 63
multikulturelleTeams ......................339
LernendurchEinsicht ........................ 64
nonverbaleKommunikation............147
LernendurchTraditionsbildung....... 64
organisationalesLernen ...................290
LernendurchVersuchundIrrtum ... 62
organisationalesWissen ...................305
LernendesUnternehmen ................. 303
paraverbaleMittel.............................147
LerntheorievonArgyrisund Schön .............................................. 291
Person ...................................................18
Macht.................................................. 240
Persönlichkeit ................................18,19
Machttypologie ................................. 240
Personalentwicklunginder Motivation......................................122
ManagementbyObjectives ............. 273
Persönlichkeitsentwicklung.............123
ManagerialGridnachBlake/ Mouton........................................... 264
PhasendesHandelns..........................78
Managerrolleninternational............ 330
polaresKonzeptvonMcGregor ......252
Menschenbilder................................. 252
ProfilderfundamentalenMotive nachReiss........................................96
MenschentypennachSchein ........... 253
QualitätderFührung........................280
MentaleMusterAnsatz ..................... 50
RestrukturierungdesArbeits prozesses ........................................110
Mitarbeitergespräch ......................... 167 ModellderPsychenachRoth............ 22 ModelldesIntelligenten Unternehmens ............................... 314
RubikonModelldesHandelns .........78 selektiveAufmerksamkeit .................45 SicherungderFührungsqualität .....287
Motiv .................................................... 82
situativeFührung..............................271
Motivation....................................... 80,83
sozialeKompetenzen..........................12
Motivation,extrinsische..................... 84
StabilitätsthesedesWissens...............52
Motivation,ganzheitliche .................. 81
Stakeholder ........................................236
Motivation,intrinsische ..................... 84
SynergieeffektinderGruppe ..........181
Motivationsbarrieren........................ 116
Talentmanagement............................123
Motivationsstrategien....................... 114
Team....................................................180
Motivationtheorien,Inhalt Ursache ........................................... 87
Teamarbeit..........................................181 Temperamentstypen .....................20,22
353
Stichwortverzeichnis
ThemenzentrierteInteraktionTZI .. 188 TheoriederlernendenOrganisa tionvonSenge ............................... 292 TheoriedermultiplenIntelligenzen nachGardner................................... 34 TheoriemoralischerEntwicklung vonKohlberg ................................... 76 TopTreiberderMotivation ............. 108 transaktionaleFührung.................... 272 Transaktionsanalyseinder Kommunikation ............................ 157 transformationale(werteorien tierte)Führung .............................. 276
VierAspekteeinerNachrichtnach SchulzvonThun............................153 VIE–Motivationstheorievon Vroom ...............................................98 VisuelleWahrnehmung......................41 Wahrnehmung.....................................37 werteorientierteFührung.................276 Wertewandel......................................251 Wissen,beschreibendes......................52 Wissen,emotionales ...........................53 Wissen,explizites ................................55 Wissen,formalisiertes.........................56
TypologiederMacht......................... 240
Wissen,implizites ...............................55
Umweltbwusstsein ........................... 235
Wissen,prozessuales ..........................53
Unternehmen..................................... 204
Wissensdimensionen ..........................55
Unternehmensethik .......................... 225
Wissensformen ....................................52
Unternehmensethik,Instrumente... 230
WisseninUnternehmen...................304
Unternehmenskultur ........................ 209
Wissensmanagement ........................305
Unternehmenskultur,Analyse ........ 218
WissensmanagementinderPraxis 308
Unternehmenskultur,Gestaltung ... 220
Wissensmanagementtheorievon NonakaundTakeuchi ..................295
Unternehmenskultur,Wirkungen .. 215 Unternehmenskulturmodelle.......... 210 Unternehmensleitbilder ................... 222 Unternehmensverantwortung......... 225 variableEntgeltsysteme ................... 109 verbaleKommunikation .................. 146 Verhaltenswissenschaft ........................ 3 Vertrauen ........................................... 137 Vertrauensarten................................. 138
354
Wissensrepräsentation ..................47,50 Wissensspirale ...................................298 zielorientierteFührung ....................272 ZieltheorievonLocke .......................102 ZirkulationsmodellvonPorter/ Lawler.............................................100 ZweiFaktorenTheorievon Herzberg...........................................92
Autorin
Dr.rer.oec.SwetlanaFranken,Jahrgang1961,wurdein Russland geboren, studierte Wirtschafts und Ingeni eurwissenschaften. Nach einigen Jahren beruflicher Praxis in großen und kleineren Unternehmen während der Transformationszeit in Russland promovierte sie zumDoktorderWirtschaftswissenschaftenundwarals Professorin für BWL, insbesondere Organisation und Führung an der Staatlichen Technischen Universität zu Nishnij Nowgorod sowie als stellvertretende Dekanin derFakultätfürWirtschaftswissenschaftentätig. Seit 1997 lebtSwetlana Franken in Deutschland. In den vergangenen Jahren war sie als Managementberaterin für verschiedene international agierende Unternehmen tätig, insbesonderein den Bereichen Unternehmensführung, Innovationsmanagement und interkulturelle Kommunikation. Parallel hat sie an der Wirtschaftsfakultät der FH Köln gelehrt und als Fachexpertin für einige politische Organisationengearbeitet.DarüberhinausistSwetlanaFrankenAutorinvonzahlrei chenBüchernundFachpublikationen.SeitMärz2008istsiealsProfessorinfürBWL, insbesondere Personalmanagement an der FH Bielefeld tätig und leitet mehrere For schungsundPraxisprojekte.