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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Science Fiction Spezial
Visionen 8
'Visionen' ist eine kost...
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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Science Fiction Spezial
Visionen 8
'Visionen' ist eine kostenlose Science Fiction Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Visionen 8 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Inhalt Cover von Volker Krug Wo Mohnblumen blüh'n...
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von Emma Dolberg Mission Erde: Die Rekrutierungen der Taelons. Wirst auch Du ein Handlanger der Außerirdischen?
Das Geschenk
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von Patrizia Pfister Was passiert, wenn man Pflanzen ´Hass´ zu trinken gibt?
Gestrandet
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von Marco Kaas Die TSS Typhoon stürzt nach dem Gefecht mit einem Schiff der Ihrl-Che auf einen unwirtlichen Planeten ab. Ein Überlebenskampf beginnt...
Sündenbock
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von Alfred Bekker Der mächtige Bordcomputer sorgt für das Wohl der Passagiere. Bis zu jenem bösen Ereignis...
Botschaft
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von Bernd Heinzel Eines Tages kommen die Menschen auf die Idee, dass man das Universum auf sich aufmerksam machen muss. Sie senden die Botschaft!
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Wo Mohnblumen blüh'n... von Emma Dolberg
Mission Erde: Die Rekrutierungen der Taelons. Wirst auch Du ein Handlanger der Außerirdischen?
Vorbemerkung Obwohl diese Geschichte eine Fanfiction zur Fernsehserie Mission Erde ist, lässt sie sich auch ohne weiteres lesen, wenn man die Serie nicht kennt. Es kommen darin keine Seriencharaktere vor, ebenso wenig wird auf Ereignisse in der Serie bezug genommen. Lediglich die Gesamtsituation von Mission Erde wird als Hintergrund verwendet. Dies meint: Vor wenigen Jahren sind Außerirdische zur Erde gekommen, die Taelons. Sie geben sich friedlich und helfen den Menschen beim Kampf gegen Hunger, Krieg und Umweltproblemen. Dennoch gibt es einen menschlichen Widerstand, gegen den die Taelons mit Hilfe von menschlichen, vorwiegend sehr jungen Freiwilligen vor gehen. Und um eben diese, in der Serie fast ausschließlich als Statisten auftauchende Handlager geht es hier...
1. Kapitel „Du weißt, ich hasse dieses labbrige Zeug!“ Katja, stieß die durchsichtige Plastikschüssel mit dem durchweichten Gurkensalat von sich. Sie segelte über den Tisch, stieß gegen einen drekkigen Topf und kippte um. Der Inhalt sickerte über die alte Zeitung und sah nun noch unansehnlicher aus als zuvor. „Undankbares Ding! Da geh ich extra für dich in den Supermarkt...“ „Extra, pah! Du hast neuen Schnaps gebraucht, dass ist alles!“ „Du kleines Miststück. Mach, dass du hier rauskommst.“ Katja beobachtet gelassen wie ihre Mutter ein Frühstücksbrett nahm und nach ihr warf. Sie musste nicht einmal ausweichen. Ihre Mutter traf nie etwas, heute weniger als früher. „Ok, ich gehe.“ „Und du brauchst gar nicht mehr wieder zu kommen!" Das Mädchen machte ein verächtliches Gesicht. Grob stieß sie die ältere Frau beiseite und schlug die Tür hinter sich zu. Kurze Zeit später fand sie sich auf der nächtlichen Straße wieder. Sie war nicht richtig wütend, nicht einmal aufgebracht oder gar traurig. Das alles war schon so oft vorgekommen. Es war wie ein Ritual, das sich in regelmäßigen Abständen wiederholte. Sie würde die Nacht mit Freunden verbringen. Naja, Freunde war nicht das richtige Wort, Leute halt, die wie sie zeitweise oder auch ganz auf der Straße wohnten. Katja wusste, sie gehörte zur Elite. Sie schlief normalerweise in einem Bett, ging ab und zu zur Schule und war weder Alkoholikerin noch sonst drogenabhängig. Warum, wusste sie nicht. Es machte sie einfach nicht an. Vermutlich die Gene von ihrem Vater, wer auch immer das sein mochte. Zum Glück war sie aus dem Alter raus, in dem sie sich romantische Vorstellungen über den Kerl gemacht hatte. Doch heute fand sie kaum jemanden an den üblichen Stellen. Weder in der Unterführung, noch am Bahnhof und noch beim Pavillon im Park war jemand den sie halbwegs ausstehen konnte. Irgendein Trottel murmelte im Vollrausch was von „Party“. Wo, war leider nicht aus ihn herauszubekommen. Also begann sie ziellos durch die Stadt zu irren.
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Doch irgendwann wurde ihr kalt, dann ließ der aufziehende Nebel ihre Kleidung klamm werden und schließlich würde ihr langweilig. Frustriert lehnte sich sie gegen eine Schaufensterscheibe und starrte auf die Auslage. Blöder Laden, verkaufte Tischtücher und so ein Scheiß. Es gab jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder sie ging doch wieder heim oder in diese verdammte Taeloneinrichtung. Sie war schon zwei, drei Mal da gewesen, aus Neugierde und um sich aufzuwärmen und was zu trinken und zu essen. Aber alle waren sich einig: Das alles war nur Nepp, um irgendwelche Volltrottel dazu zu bringen, sich als Freiwillige zu melden. Allein war sie noch nie hingegangen. Immer nur mit anderen, um sich über die doofe Propaganda lustig zu machen. ‚Wir sind ja so gut zu Euch dummen Menschen!’ Verarschen konnte sie sich selbst! Aber es gab dort heiße Schokolade und Kekse und es war auch nicht so weit wie nach Hause. Mit einem Schaudern erinnerte sich Katja an die labbrigen Gurkenstückchen auf der schmuddeligen Zeitung. Das lag mit hundertprozentiger Sicherheit immer noch da rum. Nee, dann lieber bescheuerte Werbesprüche an der Wand, außerdem taten ihr vom vielen Herumlatschen die Füße weh. Als Katja eintrat, schlug ihr warme, aber angenehm klare Luft entgegen. Der Raum erstreckte sich über das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes, war aber so gestaltet, dass Abtrennungen, Pflanzen und Möbel kleine Nischen schafften, die ihn gemütlich machten. Katja hatte Bilder von Taelonbotschaften und Schiffen gesehen, die allesamt blau und pink waren. Hier herrschen jedoch warme Farben vor. Es wirkte gemütlich, mehr als die anderen Male als sie da gewesen war. Sonst waren sie immer in einer ganzen Horde eingefallen, aber jetzt war kaum jemand da. Ein paar Leute, die hier arbeiten liefen umher, aber bis auf ein freundliches Nikken ließen sie sie glücklicherweise in Friede. Katja schlenderte ein wenig herum. An einem Automaten, den sie schon kannte, ließ sie sich die erträumte heiße Schokolade heraus. Schmeckte prima, nicht so wie Automatenzeugs sonst. Und sie hatten richtigen Becher hier, keine aus Plastik. Scheinbar hatten sie hier keine Angst vor Scherben und es machte ihnen auch nichts aus, wenn etwas wegkam. Mit einem dieser Becher in der Hand wanderte sie durch den Raum und betrachtete sie sich die Bilder. Sie waren einfach nur schön. Landschaften, Blumen, Wasser, Steine und schließlich Sterne. Katja stellte erstaunt fest, dass es überhaupt keine Werbung darauf gab. Es lagen auch keine Prospekte herum. Als sie mit den anderen da gewesen war, hatten sie alle den Eindruck gehabt, die ganze Einrichtung wäre voll damit gewesen. Katja war einmal durch den ganzen Raum geschlendert. Von einem kleinen Tisch hatte sie sich ein paar Kekse genommen und hatte damit ihren aufkommenden Hunger bekämpft. Ein paar Leute hatten sie freundlich angesehen, hatten aber, als sie weggeschaut hatte, keinen Versuch gemacht sich ihr zu nähern. Jetzt stand sie vor einer kleinen Wendeltreppe im hintersten Winkel des Raumes. Sie war von Stellwänden und hohen Pflanzen verdeckt, so dass man sie von den anderen Winkeln der Einrichtung nicht sehen konnte. Ein kleines Schild erklärte ihr, dass es hier zum „Freiwilligen-Informationscenter“ ging. Katja sah sich um: Niemand war in der Nähe und auch oben war es völlig still. Sie kicherte ein wenig und kam sich sehr abenteuerlich vor, als sie wie eine Diebin nach oben schlich. Die Treppe machte eine Biegung und ging dann in einem Gang nach oben. Es war recht dunkel hier, die Wände und die Stufen schimmerten schwarz. Die einzigen Lichtquellen waren zwei weiß leuchtende Röhre, die das Geländer bildeten. Nichts erinnerte hier daran, wie es im Erdgeschoss aussah.
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Von oben schimmerte Licht und Katja ergriff eine unglaubliche Neugierde. Was befand sich dort oben? Ohne Angst zu haben, war sie sehr gespannt und zum ersten Mal seit Ewigkeiten hatte sie das Gefühl etwas Neues, etwas Großartiges zu erleben. Oben angekommen stockte ihr der Atem. Sie befand sich in einem ovalen Raum, der keine Wände hatte, sondern direkt im Weltall zu schweben schien. Der Boden leuchtete weiß und in der Mitte befand sich etwas erhöht eine Art Stufenpyramide aus einem glänzenden schwarzen Material. Eine Weile stand Katja nur staunend am Eingang, bevor sie ein paar Schritte in den Raum ging. Zögernd ging sie auf den Sternenhimmel zu. Sie hatte den Eindruck, dass sie, wenn sie ihre Hand ausstreckte, ins Leere greifen würde. Vorsichtig tastete sie sich nach der Wand. Nichts, da war nichts! Katja wurde schwindelig und sie ging schnell einen Schritt zurück. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. „Du scheinst mutig zu sein!“ Katja schrak herum. Ein paar Schritte hinter ihr stand eine Frau in einem Taelonanzug und lächelte sie an. In ihrer Stimme war keinerlei Spott. Sie schien es erst zu meinen. „Die meisten setzen sich erst einmal auf die unterste Stufe der Pyramide und staunen die Wände an. Kaum jemand ist so zielstrebig und untersucht sie sofort.“ Katja fühlte sich geschmeichelt und spürte wie sie rot zu werden drohte. „Wie kommt der Effekt zustande? Ist es eine Projektion?“, fragte sie schnell, um davon abzulenken. „Du stellst kluge Fragen.“ Die Frau lächelte geheimnisvoll. „Was ist es nun?“ „Um dir die Wahrheit zu sagen: Ich weiß es nicht. Es ist Taelontechnik.“ „Taelons...“, murmelte Katja und betrachtete die Wände. Eine Frage drängte sich ihr auf. „Warum arbeiten Sie für die Taelons?“ „Oh, das ist eine lange Geschichte. Wie sieht’s aus? Hast du Hunger? Lass uns zusammen was essen, dann erzähl ich sie dir.“ Katja spürte, wie hungrig sie war und folgte der Frau. Überrascht stellte sie fest, dass sich am anderen Ende des „Raumes“, denn das war es ja wohl, ein weiterer Eingang befand. Ein dunkler Gang, der im dunklen Sternenhimmel kaum auffiel. Sie gingen um eine Ecke und standen plötzlich in einem ganz anders gestalteten Teil des Gebäudes. Dies hier war offensichtlich taelonisch. Blau, weiß und etwas rosa waren die vorherrschenden Töne. Die Wände waren nicht mehr rechtwinklig, sondern voller Einbuchtungen, Streben und Rippen und leuchteten teilweise. Die Frau achtete nicht darauf, doch Katja staunte mit offenem Mund. Gerade noch rechtzeitig machte sie ihren Mund wieder zu, als sie in einen größeren Raum traten und ihre Begleiterin sich zu ihr umdrehte. Sie wies auf einen der Tische und Katja setze sich. „Was willst du essen? Magst du Pilaw oder lieber einen Hamburger mit Pommes?“ „Pilaw? Was ist das?“ „Reis mit Gemüse und Fleisch und vielen exotischen Gewürzen. - Ist nicht jedermanns Geschmack“, fügte die Frau mit einem Achselzucken hinzu. „Ich probiere es.“ Katja fand, dass Pommes einfach nicht in diese Umgebung passten. „Gut, dann nehme ich es auch. Aber auf deine Verantwortung!“, meinte die Frau mit einem Augenzwinkern. Während ihre Gastgeberin sich an einigen Automaten zu schaffen machte und erst einmal Cola brachte, sah Katja sich um. Der Raum schien so etwas wie eine Cafeteria zu sein. Etwas
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entfernt an einem Tisch saßen zwei Männer in Freiwilligenuniformen. Sie nickten ihr freundlich zu, als sie ihren Blick bemerkten. „Ich heiße übrigens Lisa“, meinte die Frau als sie schließlich mit zwei dampfenden Tellern wiederkam. „Eigentlich natürlich Elisabeth, aber wer ruft einen schon bei einem so langen Namen.“ Sie ließ sich auf den Stuhl gegenüber fallen und begann zu essen. So aus der Nähe sah sie älter aus, als Katja sie zuerst geschätzt hatte. Sie hatte schon leichte Fältchen um die Augen, die man auch sah, wenn sie nicht lächelte. „Schmeckt es?“, fragte Lisa neugierig. Katja nahm die Gabel und musterte die Füllung ihres Tellers. Reis war darauf, vermischt mit anderen Zutaten, die sie nicht erkennen konnte. „Was ist da drin?“ Lisa lachte über ihre Skepsis. „Das Rote, Gelbe und Grüne ist Paprika. Dann ist etwas Lammfleisch drin und getrocknete Aprikosen. Aber das Wichtigste sind die Gewürze.“ Vorsichtig nahm Katja etwas davon in den Mund. Es schmeckte ganz anders als alles, was sie bislang gegessen hatte. „Was für Gewürze sind das? Wenn ich ehrlich sein soll, kenne ich nur Pfeffer.“ „Das ging mir bis vor ein paar Jahren auch so. Die Gewürze sind Cumin oder auch Kreuzkümmel, Curcuma, Nelke und Koriander.“ „Bis vor ein paar Jahren? Bis du zu den Freiwilligen gegangen bist?“ „Ja, genau.“ „Warum?“ „Warum ich zu den Freiwilligen gegangen bin?“ Katja nickte nur, während sie weiter aß. „Nun, wie gesagt, es ist eine lange Geschichte. Ich war nicht immer so nett, wie ich es heute bin. Ganz im Gegenteil. Ich komme aus einer Familie, in der das ‚Nicht-Nett-Sein’ Tradition hat. Mein Vater war ein Choleriker. Er hat viel und oft geschrieen. Und meine Mutter hat zurückgeschrieen und irgendwann hatte es sich ausgeschrieen und sie haben sich getrennt. Ich und meine drei Geschwister sind bei meiner Mutter geblieben. Mit 17 hab ich dann, genau wie meine Mutter, mein erstes Kind bekommen. Dani. Er hat auch immer geschrieen. Ich hab gedacht, er macht das nur, um mich zu ärgern. Meine Mutter hat gesagt, ich müsse arbeiten gehen, wenn ich schon ein Balg anschleppe. Also, hab ich meine Lehre abgebrochen und hab im Supermarkt als Kassiererin angefangen. Langweilig! Das kannst du dir gar nicht vorstellen!“ „Meine Mutter hat das auch mal gemacht. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt leben wir von Sozialhilfe.“ „Ja, das hätten wir auch müssen, aber meine Mutter hatte Rheuma und daher eine Erwerbsunfähigenrente. Irgendwann hatte ich genug von ihrem ewigen Genörgel, ich sei doch die Älteste und solle dies und das und jenes im Haushalt machen. Also bin ich mit Dani nach Hamburg gezogen, wo ich einen Job in einer Kneipe bekommen habe. Das war keine so gute Idee. Ich bin sehr schnell in – naja, wie sagt man? - in 'schlechte Gesellschaft' gekommen. Ich will dir die Einzelheiten ersparen, aber es kursierten damals wie heute eine Menge Drogen. Nicht, dass ich viel von dem Zeug nahm, aber wenn man es verkaufte, konnte man damit ordentlich Kohle machen. Es dauerte nur ein knappes Jahr, bis ich mit einer Menge geschnappt wurde, die man selbst beim besten Willen nicht mehr, als ‚für den Eigenbedarf bestimmt’, bezeichnen konnte. Aber der Richter war gnädig, denn ich hatte ja einen fünf Jahre alten Sohn und war zudem im vierten Monat schwanger. Ich kam mit einer Bewährung davon, obwohl ich schon einige Jugendstrafen wegen Diebstahl im Register hatte. Man kann eine Menge anstellen, bis man ins Gefängnis muss. Besonders als Frau. Ein halbes Jahr später kam Lena zur Welt und nun konnte ich nicht mehr in der Kneipe arbeiten. Ich war aufs Dealen angewiesen, 7
denn das konnte ich auch mit einem Kind auf dem Arm tun. Das war sogar besser, da schauen die Bullen lieber weg, denn so eine zu verhaften bringt nichts als Scherereien. Lang ging es trotzdem nicht gut. Ich will es kurz machen, aber schließlich kam ich doch in den Knast und als ich wieder raus kam, waren beide Kinder in Heimen untergebracht und ich hatte keine Chance, sie wieder zu bekommen, wenn ich nicht endlich ‚ein anständiges Leben führen würde’, wie es die Tussi vom Jugendheim ausgedrückt hat. Nur darin hatte ich überhaupt keine Übung. Ich schlug mich so durch und wurde zunehmend depressiv und in Folge dessen tabletteabhängig. Das hat sich schnell, wenn man sich an den ‚richtigen’ Arzt wendet.“ Lisa stocherte gedankenverloren in ihrem Pilaw herum. Sie sah traurig aus und Katja wollte sie aus ihren Erinnerungen reißen. „Und dann bist du zu den Taelons gegangen.“ Lisa schenkte ihr ein schräges Lächeln. „Nein, so klug war ich nicht. Es war vielmehr so, dass die Taelons zu mir gekommen sind. Irgendwann bin ich krank geworden. Lungenentzündung – ein typisches Zeichen von Entkräftung. Ich kam ins Krankenhaus und dort besuchte mich ein Mann in einer Freiwilligenuniform. Er fragte mich, ob ich in einem Experiment teilnehmen würde, das die Taelons an Suchtkranken durchführen würde, um ihre Krankheit zu heilen. Da er mir Geld dafür versprach, sagte ich zu. Ich hatte keine Ahnung, aber das war das Beste, was ich in meinem Leben getan habe. Ich wurde in eine Taelon-Einrichtung verlegt und nach kurzer Zeit war ich gesund. Doch es gefiel mir so gut dort, dass ich blieb und meinerseits den Patienten half. Kurze Zeit später hab ich einen Vertrag als Freiwillige unterzeichnet. Das ist jetzt fünf Jahre her.“ Katja dachte eine Weile nach. „Dann haben dich die Taelons wieder gesund gemacht?“ „Ja, aber nicht nur das. Sie haben mir auch eine Perspektive gegeben, weil sie mich nicht sofort wieder weggeschickt haben, als es mir besser ging.“ „Und was ist mit deinen Kindern?“ „Die sind jetzt auch bei den Taelons. Ich habe sie aus dem Heim holen dürfen, als ich den Vertrag unterschrieben habe. Die Taelons haben Kindergärten und Schulen, die viel besser ausgestattet sind als alle menschlichen Schulen. Man kümmert sich dort um sie und ich sehe sie oft.“ „Das ist schön.“ Katja fühlte sich angenehm schläfrig, als hätte ihr jemand eine aufregende Gutenachtgeschichte mit einem schönen Ende erzählt. Sie schob ihren Teller von sich und stützte ihren Kopf in ihre Hände. „Mädchen, meine Geschichte hat dich müde gemacht!“ „Nein, nein, es geht schon. Ich will noch nicht gehen.“ „Das ist auch gar nicht nötig. Komm, ich bring dich in eines unserer Zimmer und da kannst du dich erst mal ausschlafen.“ Katja ließ sich von der älteren Frau bei der Hand nehmen und aus dem Raum führen. Die Gänge, durch die sie kamen, sahen alle gleich aus und sie versuchte gar nicht erst die Orientierung zu behalten. Kurze Zeit später traten sie in ein kleines Zimmer mit einem Bett. Katja ließ sich einfach darauf fallen und merkte kaum noch wie ihr die Kleidung ausgezogen und sie zugedeckt wurde. Als sie wieder aufwachte, fühlte sie sich wunderbar erholt. Sie wusste sofort, wo sie war und sie fühlte sich geborgen. Eine Zeitlang blieb sie einfach im Bett liegen und betrachtete die Wände. Sie waren auch hier so sonderbar geformt und schimmerten in blau und violett. Katja stich vorsichtig mit der Hand über die Oberfläche neben ihrem Bett. Sie war warm und gab ein wenig nach, wenn sie dagegen drückte. Es fühlte sich gut an. Schließlich setzte sich Katja auf und bemerkte erst jetzt, dass sie nicht ihre eigenen Sachen, sondern einen Schlafanzug trug. Doch bevor sie sich aufzuregen begann, entdeckte sie diese 8
auf einem kleinen Hocker. Gleich daneben war eine Öffnung in der Wand. Neugierig ging sie hindurch und fand dahinter ein Bad. Ein eigenes Bad! Mit Badewanne! Alles darin war ebenfalls aus dem sonderbaren Material, aus dem auch die Wände waren. Katja brauchte dennoch nicht lange, bis sie herausgefunden hatte, wie man - indem man über eine bestimmte Erhebung in der Wand sticht - Wasser in die Wanne laufen lassen konnte und wie man es dosierte. Nach einem ausgiebigen Bad, etwas was sie schon sehr lange nicht mehr genossen hatte, ging sie wieder in das Zimmer. Unschlüssig hob sie ihre Kleidungsstücke hoch. Irgendwie konnte sie sich nicht überwinden, sauber wie sie war, in die dreckigen, muffeligen Sachen zu steigen. Vielleicht konnte Lisa ihr ja was leihen. Sie schlüpfte wieder in den Schlafanzug. Auf einem kleinen Tisch entdeckte sie so etwas einen Monitor, wobei Tisch und Monitor fest miteinander verwachsen zu sein schienen. Wieder musste sie ein wenig probieren, denn sie fand nirgendwo einen Knopf, um ihn einzuschalten. Doch als sie mit der Hand auf eine bestimmte Weise über den Bildschirm strich, erschien ein Bild. Sie war hochzufrieden mit sich. Nicht einmal eine Stunde wach und schon hatte sie zwei Erfolgserlebnisse gehabt. Soviel schaffte sie sonst nicht in einem Monat! Solcherart angespornt begann sie zu untersuchen, was sie mit diesem Bildschirm anfangen konnte. Die Startseite informierte sie darüber, dass sie sich im Datennetz der Taeloneinrichtung befand. Von hier aus hatte sie sowohl Zugriff zu deren offizieller Homepage und zum Internet, wie auch zum internen Netz. Aufgeregt wählte sie letzteres. Mit wachsendem Erstaunen sah sie, was hier alles gemacht wurde. Natürlich gab es einen Bereich in dem neue Freiwillige angeworben wurde. Zu Katjas großer Erleichterung war keine Lisa oder Elisabeth unter den dort Arbeitenden. Sie fand sie unter den Mitarbeitern der medizinischen Abteilung. So etwas hatten sie hier also auch. Und dann gab es die Leute, die sich unten um die hilfesuchende oder einfach nur neugierigen Gäste kümmerten. Die hatten wieder nichts mit der Abteilung zu tun, die Freiwillige anwarben. Außerdem gab es eine psychologische Beratungsabteilung und eine Abteilung, die sich mit rechtlichen Fragen beschäftigten. Es sah ganz so aus, als würden hier mehr Leute Hilfe suchen, als nur besoffene Punks und Junkies wie die, mit denen sie immer hier gewesen war. Und schließlich gab es noch eine technische Abteilung und den Sicherheitsdienst. Das war schon interessanter. Das Ganze erinnerte Katja ein wenig an Star Trek. Sie hatte die alten Folgen immer gerne gesehen. Was man wohl tun musste, um Freiwillige zu werden. Ob das so schwierig war, wie zur Sternenflotte zu kommen? Sicher nicht, aber wie fand sie das raus? Im internen Bereich gab es nur Statistiken und Auflistungen, wohin die neuen Freiwilligen geschickt wurden. Also kehrte Katja auf die Startseite zurück und ging auf die offizielle Homepage. Sie erfuhr, dass jeder genommen wurde, aber die Bereitschaft mitbringen müsse etwas zu lernen und etwas Neues zu erleben. Es würde die speziellen Begabungen jedes einzelnen ermittelt und entwickelt. Man müsse nur einen Vertrag unterschreiben. In dem Moment hörte Katja, wie jemand an den Bereich der Wand klopfte, in dem Katja die Tür vermutete. Schnell fuhr sie mit der gleichen Bewegung über den Bildschirm, mit der sie diesen zuvor eingeschaltet hatte. Es funktionierte, das Bild verschwand. „Herein.“ Wie erwartet, war es Lisa. „Gut geschlafen?“ „Ja, wunderbar. Nur, tja...“ Katja zeigte auf ihre Kleidung und traute sich plötzlich nicht mehr zu fragen. Lisa war so nett. Sie wollte nicht, dass sie sie für unverschämt hielt. „Du willst etwas anderes zum Anziehen?“ Katja nickte nur. „Kein Problem. Warte, ich hole was.“ 9
Kurze Zeit später saß Katja in einer schwarzen Freiwilligenuniform mit Lisa in der Cafeteria und frühstückte. Sie hatte schon jede Menge Fragen gestellt. Darüber, was Freiwillige taten und wie sie lebten. Was sie erfahren hatte, klang spannend. Viel spannender als das, was sie bislang in ihrem Leben gemacht hatte. Zur Schule gehen war grauenhaft und sie war sowieso sehr schlecht und ging kaum hin. Sie wollte etwas erleben. Bedrückt rührte sie in ihrer heißen Schokolade. „Lisa...“ „Ja?“ „Was ist, wenn jemand zu den Freiwilligen gehen will, aber noch nicht volljährig ist?“ „Du willst zu den Freiwilligen?“ „Mhm, weiß nicht. Ich überleg nur so...“ „Warte mal.“ Lisa winkte einen Freiwilligen herüber, der an einem der Nachbartische saß. „Thomas, wie macht ihr das, wenn Bewerber noch nicht volljährig sind?“ Der Angesprochene zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen. „Naja, wir lassen sie ganz normal das Formular ausfüllen und gehen dann zu den Eltern. Meistens sind die schnell bereit, ihn zu unterschreiben.“ „Meine Mutter sicher nicht“, platzte Katja heraus. „Sie hasst die Taelons!“ Als sie realisierte was sie gesagt hatte, wurde sie rot. „Tut mir leid...“ „Das muss dir nicht leid tun. Deine Mutter weiß wohl nicht viel von den Taelons?“ „Nein, sie hat überhaupt keine Ahnung von irgendwas. Aber sie würde niemals zustimmen.“ „Doch, dass würde sie bestimmt!“ „Wetten, dass nicht?“ Katja sah den Mann herausfordernd an. Er lachte und hielt ihr die Hand hin. „Wetten, das doch?“ Katja schlug ein.
2. Kapitel Der Sternenhimmel war gigantisch, so klar und voll, wie er nur in der Wüste sein konnte. Der Mond war noch nicht aufgegangen und daher gab es keine störende Lichtquelle, die seinen Glanz mindern konnte. Die oberste Sandschicht war schon abgekühlt, doch darunter hatte sich die Hitze des Tages noch gehalten. Katja hätte gerne einfach dagelegen und nach oben geschaut, doch der Junge neben ihr quasselte unentwegt. Er war ein gutes Jahr älter als sie, doch sie hatte das Gefühl reifer zu sein. Sie hatte viel gelernt in den letzten Monaten. „Der Himmel sieht aus, wie in dem Eingangsraum des Freiwilligencenters, stimmt’s? Haben sie das eigentlich auch in anderen Städten?“ Kevin war auch aus Hamburg und das war vermutlich mit ein Grund, warum man sie gebeten hatte, sich um ihn zu kümmern. Vielleicht war er deshalb auch in ihre Gruppe gesteckt worden, denn eine andere Erklärung fiel Katja nicht ein. Sie waren alle schon so viel länger dabei als er. „Ja, das haben sie in vielen Informationscentren“, antwortete sie ein wenig gelangweilt. Die Fragen, die Kevin stellte, waren alles andere als originell. Es waren die, die alle stellten. „Weißt du, wie sie es schaffen, diesen Effekt hervorzurufen? Es sah aus, als wäre da gar keine Wand.“ „Ja, weiß ich. Naja, so ungefähr halt, bin ja keine Wissenschaftlerin.“ „Wie denn?“, fragte Kevin wissbegierig. „Es hat was mit Interdimensionstechnologie zu tun.“ 10
„Damit kriegen die es hin, einen echt aussehenden Sternenhimmel zu simulieren? Cool!“ Katja nickte, obwohl es nicht ganz stimmte. Es war gleichzeitig Illusion und Wirklichkeit. Te’lar meinte, dass man am besten mit der Wahrheit täuscht und Katja hatte mittlerweile gelernt, dass bei den Taelons nie ein Entweder-oder sondern immer nur ein Sowohl-als-auch gab. Sie war weit davon entfernt, das zu verstehen, aber das war auch nicht ihr Job. Sie war bei der Sicherheit. Aufklärung, um genau zu sein. Sie war stolz darauf, nicht zu den reinen Kämpfer zu gehören, aber sie wusste, dass diese wiederum auf ihren Status stolz waren. „Lisa - das war die Frau, der ich dort begegnet bin – hat gesagt, es wäre gut, dass ich mir die Sache erst mal angeschaut habe und überlegt habe. Sie meinte, das wäre sehr besonnen, erst mal nachzudenken, bevor man handelt.“ Katja murmelte etwas Zustimmendes. Lisa hatte die Philosophie des Sowohl-als-auch offensichtlich in ihren Grundzügen verstanden. Zum Glück interessierte sich der Neuankömmling bislang nur für sich selbst und ersparte ihr so die Überlegung, was sie ihm über ihr eigenes Verhalten im Sternenraum sagen sollte. Kevin würde wie sie nach und nach kapieren, dass er einer Masche auf den Leim gegangen war. Die zufällige Begegnung mit Lisa oder einem ihrer Kollegen war ebenso eine Täuschung, wie die Unauffälligkeit des Eingangs. Tatsächlich war der ganze Raum im Erdgeschoss so angelegt, dass man schließlich vor der Treppe stand. Auch die Gefühle waren manipuliert. Von der angstlosen Spannung bis zum Hunger und der Müdigkeit, alles wurde mit Hilfe von Substanzen, kaum hörbaren Tönen und Farben gesteuert. Und – Katja hatte da so eine Vermutung – auch noch auf andere Weise. Und selbst die Geschichten von Lisa oder ihren Kollegen waren je nach Situation andere. Zuerst würde Kevin über diese Entdeckungen wütend werden, aber nach und nach würde er begreifen, dass das es überhaupt keine Rolle spielte, wie er zu den Freiwilligen gekommen war. Katja musterte den schlacksigen Jungen neben sich. Naja, er würde sehr lange brauchen, bis er dahinter kommen würde. Er redete und redete und redete. Und alles ohne zu denken. Gleichzeitig war schüchtern und zurückhaltend, wenn er sich unsicher fühlte. Die Ausbilder würden viel „Spaß“ mit ihm haben. Und die Gruppe auch! „Wie machen die das bloß, dass man überhaupt nichts sieht? Ich mein, da ist ein riesiges Freiwilligenausbildungslager, aber von hier draußen sieht es aus, als wäre da nichts. Und von innen sieht man die Sterne. „Virtuelles Glas“, erklärte Katja. „Man sieht von innen nach außen aber nicht umgekehrt.“ „Cool. Bei Tag auch?“ „Klar, sonst wüssten ja alle Regierungen der Welt, was sich auf dem Gelände befindet. - Und wir hätten alle einen Sonnenband.“ Kevin kicherte und begann dann wieder von den Wundern, die er heute gesehen hatte zu schwärmen. Katja war es zu Beginn nicht anders gegangen. Allein die Ausmaße des Geländes waren gigantisch. Kein Wunder, denn hier wurden Freiwillige aus Mitteleuropa und Afrika, so wie dem Nahen Osten ausgebildet. Die Taelons hatten das Gebiet im Gegenzug für ihre Hilfe bei der Fruchtbarmachung großer Teile der Sahara erhalten. Es befand sich inmitten der noch bestehenden Wüste. Weit ab von allen Siedlungen und Handelsstraßen und so gut getarnt, dass die menschlichen Satelliten, auch wenn sie nicht manipuliert würden, seine genaue Lage und Größe nicht hätten ausmachen können. Tatsächlich war es eine ganze Stadt, fast ausschließlich aus Taelongebäuden errichtet, die den Vorteil hatten, dass man sie leicht auf-, um- und wieder abbauen konnte. Naja, „bauen“ war vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Dass es Lebewesen waren, die wuchsen wusste hier jeder und sie hatten alle gelernt, das zu berücksichtigen.
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Katja gähnte und stand dann auf. Es war auch ohne einen aufgeregten Neuzugang ein anstrengender Tag gewesen. „Komm, gehen wir zurück.“ Kevin sprang hoch. „Klar. Machen wir noch was, es gibt doch sicher so was wie einen Treffpunkt, wo..“ Katja sah ihn streng an, woraufhin Kevin rot wurde. „Na, ich mein’ einen Ort, an dem man sich treffen und quatschen kann. Nein, nein, keine Sorge, mit Drogen hab ich’s nicht mehr.“ Katja war etwas überrascht von diesem Gedankengang und nahm sich insgeheim vor, ihrer Ausbilderin davon zu berichten. Laut meinte sie nur lapidar: „Da hättest Du hier auch schlechte Karten. Aber ich meinte eigentlich, dass es schon spät ist. Wenn sich Dein Adrenalinspiegel erst mal etwas gesenkt hat, dann wirst du merken, dass es recht anstrengend ist, ein Freiwilliger zu sein.“ Der Junge zuckte nur enttäuscht mit den Schultern, folgte ihr aber artig. Natürlich gab es jede Menge Orte, an denen sich die Freiwilligen in ihrer Freizeit trafen. Kevin hatte als Neuzugang bislang jedoch noch sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheiten, so dass er sie noch nicht kannte. Katja hatte am Anfang gedacht die Einschränkungen beständen deshalb, weil man den Neuen noch nicht vertraue und gewisse Dinge vor ihnen geheim halten wollte. Mittlerweile wusste sie, dass das mit dem Nicht-Vertrauen zwar stimmte, aber nicht auf diese Weise. Tatsächlich vertraute man den Neuen nicht, was den Umgang mit Freiwilligen aus den anderen Kulturen anging. So wurde der Kontakt zunächst auf kleine homogene Gruppen beschränkt und erst nach und nach kam man mit den anderen in Berührung. Parallel dazu lernte man die Sprachen. Englisch, Französisch und Arabisch. Mit dem Implantat war das viel leichter als in der Schule, vor allem da man ständig Übung hatte. Katja hätte nie gedacht, dass sie so schnell und mit so viel Spaß so komplizierte Dinge lernen konnte und dabei hatte sie nach noch nicht mal ein richtiges, ins Gehirn eingepflanztes Cyber Virus Implantat, sondern nur die normale, hinter dem Ohr angebrachte Ausführung für einfache Freiwillige. Nachdem Katja Kevin in seinem Zimmer abgeliefert hatte, wollte sie nur noch ins Bett. Anna war schon da und sah von ihrem Buch auf, als sie Katja eintreten sah. „Na, wie war’s mit dem Neuen?“ Katja ließ sich dramatisch auf ihr Bett fallen und seufzte. „Schrecklich! Ich hoffe, das war der Letzte, den ich betreuen muss. Ich hasse das!“ „Am Anfang fandest du es toll“, meinte Anna und rappelte sich in eine sitzende Position auf. „Klar, da war es noch ein gutes Gefühl, denen was voraus zu haben. Aber jetzt ist es nur noch langweilig. – Ich frage mich, was Kevin in unserer Gruppe soll. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir bald mal woanders hin kommen, aber der Frischling muss doch wirklich noch alles lernen.“ „Komisch ist das vor allem deshalb, weil wir morgen alle in die medizinische Abteilung bestellt wurden. Sogar Kevin. Der ist allerdings als letzter dran. Wir anderen kommen vorher. Es macht dir doch nichts aus, dass wir dich an die Spitze der Liste gesetzt haben?“ Anna grinste und fing das Kissen, das Katja nach ihr warf. „Ihr seit fies. Erst drückt ihr mir Kevin aufs Auge und dann muss ich mal wieder zuerst ins Feuer. Immer ich!“ Doch Katja war nicht wirklich sauer. Sie war es gewohnt, von den anderen bei solchen Sachen voran geschickt zu werden. Sie waren ohne Kevin zu fünft in der Gruppe und jeder hatte seine besondere Art. Anna war die Wortführerin, wenn es darum ging die Gruppe nach außen zu vertreten. Katja hatte die gleiche Position, wenn es darum ging zu handeln. Mike war nicht weniger spontan, aber eher draufgängerisch als neugierig. Tilo und Yvonne waren die Ruhi12
gen in der Gruppe, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art. Tilo war nachdenklich und verträumt, wo Yvonne war kühl und überlegt war. Auch von der Zeit, die sie bereits im Ausbildungszentrum verbracht hatten, unterschieden sie sich sehr. Mit eineinhalb Jahren war Tilo am längsten hier, gefolgt von Yvonne mit 13 Monaten. Anna war nur einen Monat länger als Katja da, die gerade ihren achten Monat Ausbildung hinter sich gebracht hatte. Tilo und Yvonne waren zuvor gar nicht in der Aufklärung gewesen, sondern hatten das besucht, was man hier die Uni nannte. Das war eine sehr unzutreffende Beschreibung, doch sie deutete an, dass sie eine theoretische Ausbildung erfahren hatten, die den anderen fehlte. Vor allem Mike, der als letzter vor erst fünf Monaten ihrer Gruppe zugeteilt worden war. „Hast du irgendeine Ahnung, was die mit uns vorhaben“, fragte Katja, nachdem sie eine Weile vergeblich über dieser Frage gebrütet hatte. „Nicht wirklich, aber die Untersuchung ist wohl nicht nur ein Routine-Check. Der Ausbildungsplan für nächste Woche ist bei uns allen leer. Außer bei Kevin.“ „Dann kommen wir doch hier weg!“ Katja sprang aufgeregt hoch und aktivierte den Monitor, um den Plan selbst in Augenschein zu nehmen. Tatsächlich, sie waren für nichts eingeteilt worden. „Ja, sieht ganz so aus, als würden wir demnächst Widerständler jagen“, meinte Anna zufrieden. „Ich hoffe nur, dass wir auf dem Mutterschiff stationiert werden.“ „Ja, das wäre schön...“ Katja dimmte das Licht, so dass die Wände nur noch sanft strahlten und legte sich ins Bett. Kein Laut drang von außen herein und es war leicht sich vorzustellen, sie wäre nicht mehr auf der Erde. Das Taelongebäude in dem die medizinische Abteilung untergebracht war, überragte mit seiner abstrakten Form seine umstehenden Artgenossen bei weitem. Hätte es nicht diese unzähligen filigranen Formen gehabt, hätte es in seiner Größe monströs gewirkt, tatsächlich hatte es etwas Verspieltes an sich. So als wäre die Struktur nur deshalb immer weiter gewachsen, weil ihr ständig etwas Neues eingefallen war. Katja mochte das Gebäude, das von innen nicht weniger originell war als von außen. Dennoch war sie alles andere als erfreut, dorthin zu müssen. Brian arbeitet dort und mit ihm hatte Katja einige nicht sehr angenehme Zusammenstöße gehabt. Vermutlich hatte sie der Kerl bloß anmachen wollen, aber sie konnte ihn nicht leiden und hatte schärfer zurückgeschossen, als es der Situation angemessen gewesen war. So war eins zum anderen gekommen und nun waren sie erklärte Feinde. Wie sie angenommen hatte, wurde sie von ihm mit einem fiesen Lächeln begrüßt. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht, sie am Eingang zu erwarten. „So was, die kleine Kitty! Wir sind aber früh auf den Beinen.“ „Was soll das blöde Geschwätz? Bring mich dorthin, wo ich hin soll und halt gefälligst die Klappe!“ „Welch reizender Empfang. Aber bist du sicher, dass du es so eilig hast?“ Brian grinste ebenso böse wie vielsagend, ging aber ohne weitere Verzögerung voran. Offensichtlich hatte er Order nicht zu bummeln, denn sonst hätte er sie sicher hingehalten. Katja hätte ja gerne zurückgegeben, dass sein Versuch sie zu ängstigen vergebens war, doch leider war der Kerl recht gut darin, Gefühle zu erraten und so schwieg sie lieber, anstatt zu lügen. Er merkte es trotzdem. „Ich bringe dich an einen Ort, an dem Du bislang noch nicht warst. Spannend, nicht? Du wirst doch wohl keine Angst haben. Das wäre gar nicht passend für jemanden von der Aufklärung!“ „Ich frage mich, warum sie so einen Idioten wie dich in die Medizin gesteckt haben. Noch nie was von Einfühlungsvermögen den Patienten gegenüber gehört?“ 13
Eine wichtige Taktik, die Katja von Anna gelernt hatte, besagte, dass man manchmal stärker ist, wenn man Schwäche zugibt. In diesem Fall wirkte sie. Bei seinem Stolz über seinen professionelles Können gepackt, ließ diese Bemerkung Brian erst mal verstummen und er tat so, als bräuchte er seine Konzentration um ihren Zielort in eines der Interdimensions-Portale einzugeben, die in vielen Taelongebäuden hier im Ausbildungszentrum die Aufzüge oder sonstigen Fortbewegungsmittel ersetzten. Der typische Blitz erstrahlte und schon fanden sie sich an einem anderen Ort wieder. Kein sehr viel anderer Ort, so wie es aussah, denn die Gänge, die sie nun entlang gingen waren genauso verspielt, wie der Rest des Gebäudes. kurz darauf standen sie in einem großen, hellen Raum mit einer Unzahl an medizinischen Geräte, die Katja noch nie gesehen hatte. Dennoch schenkte sie ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit. Mit erschrockenem Blick starrte sie auf einen großen zylinderförmigen Behälter in der Mitte des Raumes, der sich wie eine Säule vom Boden bis zu Decke erstreckte. Er hatte einen Durchmesser von schätzungsweise drei Metern und war beinahe genauso hoch. Etliche Schläuche hingen von hoben herab und trieben in der bläulichen Flüssigkeit. Katja entging wie Brian sie schadenfroh musterte. „Was ...“ Ihre Stimme brach und sie musste sich räuspern. „Was ist das?“ „Nur Wasser!“, meinte Brian mit einem gehässigen Lachen. „Nichts als Wasser!“ „Brian, geh!“ Die Freiwilligen zuckten bei dem Klang der Stimme zusammen. Te’lar hatte von beiden unbemerkt den Raum betreten und sah den jungen Mann mit einem Ausdruck an, der diesen ängstlich zu Boden blicken ließ. „Ich - es tut...“, stammelte er, wurde jedoch sofort wieder unterbrochen. „Geh!“ Offensichtlich eingeschüchtert befolgte der junge Mann ohne weitere Versuche der Entschuldigung den Befehl. Katja merkte wie Te’lar, sie ansah und zwang sich seinen Blick zu erwidern. Sie war verwirrt und verängstigt und wusste, dass der Ausdruck in ihren Augen das verriet. Der Taelon musterte sie eindringlich, doch sein Blick war freundlich. „Es ist verständlich, dass du dich fürchtest. Menschen fürchten sich vor dem Unbekannten. Obwohl es nicht notwendig ist, Angst zu haben, ist dein Verhalten völlig normal.“ „Was passiert mir mir? – Mit uns?“, fragte sie und blickte verunsichert zum Tank in der Mitte des Raumes hinüber. Sie wusste, dass Taelons sie dazu verwendeten, um größere körperliche Veränderungen vorzunehmen oder um schwere Verletzungen zu heilen. Nun, sie war nicht verletzt... „Du und die anderen Freiwilligen in Deiner Gruppe benötigt zur Erfüllung Eurer Aufgabe einige physische Anpassungen. Leider sind sie notwendig, da Menschen nur auf das Leben auf der Erde angepasst sind.“ „Wir werden die Erde verlassen? Werden wir in den Krieg geschickt?“ „Ja. Nein“, antwortete Te’lar knapp. Er trat an einen Untersuchungstisch und begann mit den Vorbereitungen. „Wir haben leider nicht sehr viel Zeit. Würdest Du Dich bitte ausziehen und hinlegen?“ „Hab ich eine Wahl?“ Katjas Ton war sarkastisch, als ihr ungewollt diese Bemerkung herausrutschte und sie bereute es sofort. Doch der Taelon ignorierte die rhetorische Bedeutung und antwortete ernsthaft. „Nein. Niemand von uns hat eine Wahl. Wir sind alle Teil eines Ganzen und haben vorrangig dem Wohl dieses Ganzen zu dienen. Taelons wie Menschen. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Du und Deine Freunde seit aufgrund verschiedener Faktoren für eine bestimmte Aufgabe ausgewählt worden und ihr werde diese ausführen, so wie ich meine Aufgabe ausführe.“ 14
„Ich verstehe...“ „Nein, das tust Du nicht und das ist auch nicht notwendig. Jetzt leg Dich hin, damit ich die Prozedur einleiten kann.“ Katja gehorchte zögernd, aber sie konnte nicht verhindern, dass sie leicht zitterte, als Te’lar ein kleines Gerät an ihre Schläfe setze. Beruhigend legte er seine Hand auf ihre Stirn und fing ihren verstörten Blick ein. „Hab keine Angst. Du gehörst zu uns und wir werden uns immer um Dich kümmern.“ Die blauen Augen des Taelon waren das letzte was Katja sah, bevor sie das Bewusstsein verlor. Katja fühlte sich, als würde sie vom dunklen Grund eines Sees aufsteigen und plötzlich die Oberfläche durchbrechen. Sie hustete und griff in der Angst wieder unterzugehen blind um sich. Ein paar Hände packten ihre Arme und zogen sie hoch. Als sie die Augen aufschlug und nach einigen Augenblicke wieder klar sah, merkte sie, dass sie auf dem Untersuchungstisch saß und es Te’lar war, der sie festhielt. „Es ist alles in Ordnung. Atme gleichmäßig, um dich zu beruhigen.“ Leicht schwindelig kam sie der Aufforderung nach, wobei sie sich an die Arme des Taelon klammerte. Schließlich entspannte sie sich und konnte sich alleine aufrecht halten. „Bleib sitzen. Dein Kreislauf braucht noch eine Weile, bis er wieder ausreichend funktioniert. – Dr. Salifa, geben Sie den anderen bitte ein Beruhigungsmittel, bevor Sie sie aufwecken.“ Erst jetzt bemerkte Katja den schwarzafrikanischen Arzt, der sich an einem anderen Untersuchungstisch um Anna kümmerte. Während Te’lar mit einem Gerät ihre Körperfunktionen scannte, strich Katja sich die noch feuchten Haare aus dem Gesicht und sah sich um. So weit sie es erkennen konnte, waren die anderen noch in dem Tank. Katja musste an die in Formaldehyd eingelegten Embryonen denken, die sie einmal bei einer Schulführung durch ein Museum gesehen hatte. Die Vorstellung, dass sie selbst noch vor kurzem da drin gewesen war, gruselte sie leicht. Auf der anderen Seite sah Tilo, den sie von ihrer Position aus sehen konnte, trotz der Schläuche, die an seinem Körper befestigt waren, sehr friedlich aus. Auch das schimmernde Blau, in dem der ganze Tank leuchtete, hatte eine gewisse beruhigende Wirkung. Katja kicherte, als sie unwillkürlich an das Aquarium denken musste, das in der Pizzeria stand, über der sie mit ihrer Mutter gewohnt hatte. Der irritierte Blick, den sie sowohl von Salifa als auch von Te’lar dafür erntete, entging ihr, denn etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Das Licht brach sich sonderbar in der Flüssigkeit und sie stellte fest, dass der Tank in Kammern untergliedert war. „Da sind Trennwände drin.“ „Ja, sicher. Jeder Mensch hat eine leicht unterschiedliche Körperchemie. Eine Vermischung könnte den Adaptionsvorgang gefährden.“ „Aber hier vorne, wo Anna und ich drin waren, ist keine Untergliederung. Ist es virtuelles Glas?“ Te’lar nickte. „Der ganze Tank ist aus virtuellem Glas. Alles andere wäre sehr unpraktisch.“ erklärte er geduldig. „Ach so, deshalb sieht der Tank irgendwie anders aus als vorher.“ „Nein, nicht das virtuelle Glas sieht anders aus, deine Sehfähigkeit hat sich verändert. Du siehst nun Energiespektren, die für Deinen Augen zuvor unsichtbar waren.“ Verwirrt blickt Katja sich um. „Aber sonst sieht alles gleich aus.“ „Das Implantat, das du trägst,“ Te’lar berührte leicht das sichtbare Teil an ihrem Hals „filtert die neuen Eindrücke noch heraus und wird sie erst nach und nach in Dein Gehirn vordringen lassen. So langsam, dass du dich daran gewöhnen kannst, ohne eine Schock zu erleiden.“
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Katja nickte geistesabwesend und sah zu wie Dr. Salifa an einem Apparat etwas eingab. Er sah kurz zu Te’lar hinüber, welcher zustimmend nickte. Der Arzt tippte einen Befehl ein, woraufhin sich die Schläuche, an denen Tilo hing, trennten. Ein weiterer Befehl und Tilo verschwand mit einem Lichtschein aus dem Tank und tauchte auf einem der Untersuchungstische wieder auf. „Du kannst jetzt aufstehen, Katja. Es ist alles in Ordnung. Im Nebenraum sind Duschen und eure Sachen. Deine Freunde werden bald nachkommen.“ „Okay...“, murmelte Katja. Vorsichtig glitt sie vom Tisch und ging noch etwas unsicher in den Nebenraum.
3. Kapitel Nachdem sie die übliche Desorientierung nach einem Interdimensionssprung überwunden hatte, stellte Katja fest, das der Ort an dem sie sich jetzt befanden und der Lichtjahre von der Erde entfernt liegen sollte, eigentlich genauso aussah, wie ihr Ausgangspunkt. Blauschwarze Gänge nach typischer Taelonart umgaben sie. Te’lar bedeutete ihnen, ihm zu folgen und ging zielstrebig durch das Gewirr von Gängen. Schließlich blieb er vor einer Tür aus undurchsichtigem virtuellen Glas stehen, die er mit einer Handbewegung öffnete. „Hier ist Euer Quartier. Bitte richtet Euch ein und wartet dort, bis ich zurück bin.“ Ohne weitere Erklärung ging er und verschwand um die nächste Ecke. Ihre Unterkunft bestand aus einem gemeinsamen Raum und drei weiteren, die von diesem abgingen. Sie waren relativ groß, aber nicht so groß, dass man sich darin verloren vorkam. Sie warfen ihre Sachen einfach auf den Boden und setzen sich zusammen. Bislang hatten sie so gut wie nicht miteinander gesprochen und auch jetzt viel es ihnen schwer, ihre Gedanken in Worte zu fassen. So saßen sie eine Weile einfach nur da. Katja beobachtete ihre Freunde. Mike tat so, als würde er interessiert die Einrichtung betrachten, Anna starrte bedrückt auf ihre Hände und Tilos Augen war ins Leere gerichtet, als wäre er tief in Gedanken. Sie begegnete Yvonnes Blick, die sie durchdringend musterte und den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch dann sah sie verärgert auf Kevin, der ein wenig abseits saß. Leise summte er eine Melodie vor sich hin, die Katja irgendwie bekannt vor kam. „Lass den Quatsch! Mir ist echt nicht nach Musik.“ Yvonnes Stimme schnitt scharf durch das Schweigen. Er brach ab und erwiderte ihren Blick ohne zu antworten. Tilo lächelte auf eine seltsame Art. „Ein nettes Lied“, meinte er mit einem Augenzwinkern. „Ach! Wollen wir uns jetzt über Musik unterhalten? Haben wir keine anderen Probleme?“, fuhr Yvonne verächtlich dazwischen. „Wieso bist Du eigentlich hier, Kevin? Du gehörst nicht zu uns!“ – „Ja...“ Anna blickte von ihren Händen hoch und sah Kevin verwirrt, aber nicht unfreundlich an. „Ich dachte, Du wärst für die nächste Woche für Ausbildungseinheiten eingetragen.“ Überrascht sah Kevin von einem zum anderen. „Was ist? Hat’s dir die Sprache verschlagen?“ In Yvonnes Stimme klang eine gewisse Genugtuung, die jedoch nicht lange währte. „Ihr habt keine Ahnung? Wisst ihr denn gar nicht, dass ihr eine ganze Woche in diesem Tank wart?“ Jetzt waren es die anderen, die sprachlos waren. Entsetzt starrten sie sich an. „Sie haben es Euch nicht einmal gesagt!“ Kevin schüttelte traurig den Kopf „Was passiert bloß mit uns?“ – „In den Kampf werden sie uns schicken. Gegen die Jaridians, als Kanonenfutter!“ Yvonnes Stimme klang kalt wie Eis. „Nein, werden sie nicht. Te’lar hat gesagt, das sie es nicht tun werden.“ Katja klammerte sich an die Aussage des Taelons. „Und das glaubst du?“ – „Ja.“ – „Wie naiv Du bist!“ – „Halt endlich den Mund, Yvonne! Es wird nicht besser durch deine Gifterei!“ Anne war die einzige, die genügend Autorität hatte, um sie mit Erfolg zum Schweigen zu 16
bringen. „Kevin, du warst doch auch in dem Tank. Warum weiß Du, dass wir eine ganze Woche darin waren?“ – „Weil ich erst heute morgen hinein kam. Naja, ich denke zumindest es war heute morgen, da sie gesagt haben, bei mir würde es nur sieben Stunden dauern.“ – „Warum bei dir nur so kurz? Das macht doch keinen Sinn. Außerdem hattest du doch am gleichen Tag wie wir einen Termin im Labor.“ Alle sahen Kevin in Erwartung einer Erklärung an. Sein Mund zuckte ein wenig, aber er zögerte nicht mit seiner Antwort. „Sie haben mir ein CVI implantiert, deshalb war ich im Labor und deshalb hat die Anpassung bei mir nicht so lange gedauert.“ Alle begannen durcheinander zu reden und Kevin auf einmal Fragen zu stellen, doch sie wurden durch Te’lars leise aber durchdringende Stimme unterbrochen, der auf einmal hinter ihnen stand und sie aufforderte mit ihm zu kommen. Wieder liefen sie durch Gänge. Immer mal wieder begegneten sie anderen Freiwilligen, die sie neugierig musterten oder einfach desinteressiert an ihnen vorbei gingen. Keiner von ihnen, nicht einmal Anna traute sich zu fragen, wo sie eigentlich waren. Zumal sie sich anstrengen mussten, um mit den langen Schritten des Taelons mithalten zu können. Plötzlich, nach einer Biegung standen sie unvermittelt in einem großen Raum. In dessen Mitte war, auf einer kleinen Plattform, eine Art Kommandosessel angebracht. Ein Taelon in Energieform hatte darauf Platz genommen und arbeitete an einem Datenstrom, ohne dass er die Neuankömmlinge beachtete. Ihnen fiel das jedoch nicht auf, denn sie hatten nur Augen für den Ausblick, den das Fenster aus virtuellem Glas bot, das sich über die gesamte Breite dessen erstreckte, was offensichtlich die Brücke eines Schiffs war. Sterne sah man, und – sehr groß – die vernarbte Oberfläche eines Mondes. In einiger Entfernung sah man noch einen zweiten, sehr viel kleineren Mond und rechts davon erstreckte sich die grünen Schwaden eines kosmischen Nebels, der sicherlich sehr viel weiter entfernt war, als es den Anschein hatte. Doch was ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, war der Planet, in dessen Orbit das Schiff sich befand. Von einer deutlich sichtbaren Atmosphäre umhüllt schimmerte er in strahlendem Gelb. Vorherrschend war ein sehr glitzerndes Goldgelb, das weitgehend gleichmäßig große Bereiche der Oberfläche überzog, der Rest barg alle Schattierungen von fast rot bis beinahe grau. Alles in allem war es ein Eindruck, der nichts gleichkam, das die sechs jemals in ihrem Leben gesehen hatten. „T’than, dies sind die neuen Freiwilligen. Sie sind für die Aufklärung ausgewählt und ...“ „Ich habe ihre Dateien gelesen.“ Der Kriegsminister der Taelon schnitt Te’lar brüsk das Wort ab und sah auf die jungen Menschen hinab, die immer noch gebannt auf den Planeten starrten. Er machte sich nicht die Mühe eine menschliche Fassade zu kreieren, sondern wandte sich wieder dem Datenstrom zu. „Wir haben eine Unregelmäßigkeit in den Sensorwerten, die auf der Oberfläche von A’aya’s gemessen werden. Vielleicht eine jaridianische Sonde. Schicke sie hinunter und lass sie nach der Ursache suchen.“ Seine schnellen Handbewegungen verrieten deutlich Te’lars Bestürzung. „Sie sind für eine solche Aktion noch nicht genug ausgebildet. Das Risiko ist viel zu groß.“ „Du bist scheinbar in letzter Zeit zuviel auf der Erde gewesen. Hier ist das Risiko immer groß und der Tod unser ständiger Begleiter. Ganz davon abgesehen ist es vermutlich nur ein Sandsturm.“ Der hochrangige Taelon nahm seine Arbeit wieder auf und beachtete Te’lar nicht weiter. Mit dem taelonischen Äquivalent eines Seufzers ging Te’lar zu den jungen Freiwilligen, die sich etwas verloren umsahen. „Folgt mir, ihr... wir haben eine Aufgabe erhalten.“ „Wer war das?“ Katja versuchte bereits zum dritten Mal vergebens den Verschluss ihrer Uniform zu schließen. Te’lar schob ihre Hände weg und half ihr. „T’than.“ – „Ist er der Kommandant dieses Schiffes? Es ist doch ein Raumschiff, oder?“ - „Er ist Kommandant dieses 17
Schiffes, aber auch Kriegsminister. Und ja, dies ist ein Schiff, aber es erfüllt hier die Funktion von etwas, was Menschen eine Raumstation nennen würde.“ Nachdem er den Verschluss in den richtige Zustand gebracht hatte, reichte er erst Katja ihren Helm und dann Anna, die mit ihrer Uniform alleine klar gekommen war. „Wo gehen wir hin?“ – „Auf den Planeten.“ – „Wow, wirklich?“ Mike erhielt von Katja einen Stoß in die Rippen. Das war definitiv nicht die Art, wie man mit einem Taelon sprach. Dementsprechend streng war auch der Blick, mit dem Te’lar Mike dazubrachte, sich schnell wieder mit dem Zusammensammeln seiner Ausrüstung zu beschäftigen. Wenig später führte Te’lar sie in den Shuttlehangar und sie waren nicht wenig überrascht, als der Taelon auf dem Pilotensitz Platz nahm. Sie hatten noch nie einen Taelon fliegen sehen. Te’lar machte ein amüsiertes Gesicht. „Habt ihr gedacht, wir können unsere eigenen Shuttles nicht fliegen?“ Er schloss das virtuelle Glas um sie, ließ das Shuttle elegant um die eigene Achse kreisen und startete vom Stand weg in die Interdimension. „Wie haben Sie das gemacht? Beim Shuttletraining hat man mir gesagt, das würde gar nicht gehen. Und dieses Display, das ist nicht das für die menschlichen Piloten.“ Aufgeregt bestürmte Yvonne, die als einzige der sechs in die Grundzüge des Shuttletrainings eingewiesen worden war, Te’lar mit Fragen. Er lächelte über ihren Eifer, antwortete aber nicht. Als das Fluggerät nur wenige Meter über A’aya’s Oberfläche aus der Interdimension heraus trat, sahen sie unter sich unebenes Gelände. Mit hoher Geschwindigkeit sausten sie darüber hinweg, wobei das Shuttle den Konturen der Schluchten und Hügel folgte. Katja dachte, dass ihr eigentlich schlechter werden müsse, doch nichts geschah. „Was suchen wir nun eigentlich genau?“, fragte Mike ungeduldig. „Wenn wir das wüssten, wären wir nicht hier“, meinte Te’lar nur lapidar, doch dann wurde sein Blick schlagartig ernst und ebenso schnell sackte das Shuttle in einer kleinen Senke zu Boden. „Was...“ begann Katja. „Ein abgestürztes jaridianisches Schiff. Klein und stark beschädigt. - Seht her, das ist das Gelände.“ Te’lar ersetzte die Kontrolle des Shuttles mit einer Handbewegung durch einen aktuellen Scan der Umgebung. „Hier ist unser Shuttle und dort das feindliche. - Katja, Mike, ihr zwei nehmt hier diesen geraden Weg dorthin. Yvonne, Anne, ihr haltet euch links von ihnen und gebt ihnen notfalls Deckung. Die Aufgabe von euch vieren ist es, überlebende Jaridians zu finden. Bei der Größe des Schiffes, können nicht mehr als vier an Bord gewesen sein und es sehr unwahrscheinlich, dass sie alle überlebt haben. Kevin, du kommst mit mir. Tilo, du bleibst im Shuttle und hältst Kontakt mit uns allen. Katja spürte wie das Adrenalin in ihr Blut schoss und sie sich gleichzeitig leicht berauscht und hellwach fühlte, als sie und Mike im Abstand von fünf Metern voneinander auf das fremde Schiff zuschlichen. Alles hier war Sand und Stein und Fels - Wüste. Doch der Wind, der an ihren Haaren zerrte, war nicht so trocken, wie er in dieser Ödnis hätte sein müssen. Katja wunderte sich, dass sie dies wahrnehmen konnte. Sie kam über eine kleine Kuppe und sah nun das Schiff. Es war kleiner als sie es erwartet hatte und mit einer sonderbaren Genugtuung stellte sie fest, wie stark zerstört es war. Mike sah zu ihr herüber und nickte. „Tilo, wir haben das Shuttle vor uns, Mike geht hin.“ – „Verstanden, Katja.“ Während sie mit den Augen die Umgebung absuchte, war Mike an sein Ziel gelangt. Aus dem Blickwinkel sah Katja wie er zurückzuckte, nur zögernd kletterte er in das aufgeschlitzte Wrack. „Mike?“ – „Hier ist ein Jaridian, tot. Ziemlich tot.“ Ein leichter Ekel in seiner Stimme zeigte an, dass das kein schöner Anblick war. „Tilo, hast du es mitbekommen?“ – „Ja, hab ich. Du kannst gehen, Katja. Anna und Yvonne sind in Position.“ – Vorsichtig ging Katja, immer in Mikes Fußstapfen, auf das Schiff zu. Sie versuchte nicht auf die Leiche zu schauen, 18
die Mike mühsam aus dem Rumpf zog und begann den Boden nach Spuren abzusuchen. Sie merkte, wie ein Eishauch sie strich, als sie drei Meter von der Öffnung entfernt schwarze Blutstropfen fand. „Da muss noch einer sein. Verletzt.“ Ihre Stimme klang fremd, ein wenig tonlos, aber fest, was sie selbst überraschte. „Wie schwer?“ – „Kann ich nicht sagen. Ich versuche der Spur zu folgen.“ – „Okay. Mike, Yvonne und Anna sind hinter dir.“ Erst kam Katja langsam voran, doch schon 50 Meter vom Wrack entfernt, wurde die Fährte deutlicher. Der Jaridian musste entweder schwer verletzt sein oder er wollte sie in Sicherheit wiegen. Katja wusste nicht, ob sie es nur glauben wollte, aber sie vermutete das erstere. Er verlor viel Blut und Spur zeigte einen schleppenden Schritt an, von dem sie annahm, dass er schwer zu simulieren war. Plötzlich stockte sie. Ein leises Geräusch, dass nicht vom Wind verursacht wurde. Sie sah vom Boden auf und direkt in die Augen eines Alien, nur sechs Meter vor sich. Für einen Moment schien sich die Zeit zu dehnen und es gab nur sie, ihr Gegenüber und den Blick, der sie verband. Für Katja wie in Zeitlupe hob der Jaridian beide Hände, die Handflächen ihr entgegen und plötzlich – als hätte jemand die Zeit wie ein Gummiband erst in die Länge gezogen und dann schlagartig losgelassen, ging alles blitzschnell. Katja landete hinter einem Felsbrocken zu ihrer Rechten ohne dass sie gemerkt hatte, wie sie abgesprungen war. Gleichzeitig traf ein Energiestrahl ein ganzes Stück hinter der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, den Boden. Steine zischten durch die Luft und Sand stob auf, der Katja in eine Wolke hüllte. Instinktiv erkannte sie ihre Chance und schoss auf allen Vieren hinter einen anderen Felsen. Mit gezogener Waffe, sprang sie auf ihre Beine und zielte auf gut Glück rechts an dem Fels, hinter dem sie eben noch gelegen hatte, vorbei. Tatsächlich, ihr Gegner hatte diesen Weg gewählt. Sie schoss ... daneben. Schon wollte sie sich wieder in die Deckung zurückziehen, da sah sie, wie Mike sich auf den Jaridian stürzte und beide zu Boden gingen. Sie stürzte vor, um ihm zu Hilfe zu kommen, doch mit unglaublicher Kraft warf der Alien Mike noch im Fallen von sich und traf ihn mit einem Energiestoß, bevor er den Boden wieder berührt hatte. Ein kleiner Teil von Katjas Bewusstsein wusste, dass sie ohne Deckung war, dass sie sich zurückziehen musste, schnell. Doch ihr Körper gehorchte nicht. Nicht einmal die Augen, die Mikes verkrümmten versengten Körper nicht loslassen konnten. Sie hörte ein zischendes Geräusch und konnte den Kopf wieder bewegen. Sie sah den Jaridian fallen und als sie sich weiterdrehte, sah sie Yvonne, die langsam ihre Waffe sinken ließ. Nur zehn Minuten später beobachtete Katja, immer noch leicht abwesend, wie das Shuttle abhob und in der Interdimension verschwand. Yvonne flog den eben noch lebenden Mike und die von einem Steinsplitter leicht verletzte Anna zurück auf das Taelonschiff. Te’lar war immer noch in dem Wrack und suchte vermutlich nach brauchbaren Daten. Katja wand den Blick vom Himmel ab, der genauso blau, wie der über der Erde war und ging Tilo und Kevin nach, die eben eine Sanddüne erklommen hatten. Sie standen dort oben und starrten in die Ferne. Oben angekommen erkannte Katja, warum. Am Fuße der Düne glitzerten goldgelbe Wellen, ein Ozean, der sich bis zum Horizont erstreckte, wo sich das Gold und das Blau des Himmels trafen. Der Blick war atemberaubend schön. Unwirklich, so als gebe es die Farben Rot und Schwarz nicht. Es dauerte eine Weile, bis sie einen Blick tauschten und stillschweigend den Weg bis zum Ufer fortzusetzen. Dort setzten sie sich, mehr nebeneinander als zueinander und hingen ihren Gedanken nach. Katja vermutete, dass die beiden Jungs über tiefschürfende Dinge nachdachten. Tilo, weil er der Typ dazu war und Kevin, weil er ein CVI hatte. Sie kam sich dumm vor, weil sie nur der Frage nachging, warum dieses Wasser - sie nahm zumindest an, dass es Wasser war – so goldgelb war. Sie sollte über das Leben und den Tod und so etwas nachdenken, doch ihr Kopf weigerte sich schlicht. So scharrte sie mit den Füßen kleine Kuhlen in den Sand und verband 19
diese mit ihren Fingern durch kleine Kanäle, bis sie bemerkte, dass Kevin schon seit geraumer Zeit wieder dieses Lied vor sich hinsummte. Tilo schien es genauso zu gehen, denn er brach das Schweigen. „Ich kann mich an dieses Lied erinnern. Es ist ein Lied gegen den Krieg. Weißt du nur noch die Melodie oder auch den Text?“ „Natürlich weiß ich den Text. Ich hab ein CVI. Total Recall. Toll, nicht!” Kevins Ton zeigte, dass er das ganz und gar nicht ‘toll’ fand. „Die Melodie ist schön. Bitte sing“, bat Katja und stellte erleichtert fest, dass sie und ihre Stimme wieder zusammenpassten. Kevin sah von einem zum anderen, leicht abschätzig, doch in einem Anflug von Empathie war Katja klar, dass er nicht sie meinte, sondern nur die Situation, in der sie sich befanden. Er wand den Blick wieder auf den Ozean. Leise begann er zu singen. „Weit in der Champagne im Mitsommergrün dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh’n, da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht, im Wind, der sanft über das Gräberfeld streicht. Auf deinem Kreuz finde ich, toter Soldat, Deinen Namen nicht, nur Ziffer und jemand hat die Zahl neunzehnhundertundsechzehn gemalt, und du warst nicht einmal neuzehn Jahre alt. Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen so wie sie es mit uns heute immer noch tun, und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben..." „Und du denkst, das passt auf eure Situation?“ Erschrocken fuhren die drei Jugendlichen herum, als sie Te’lars Stimme hinter sich hörten. Er setzte sich zu ihnen in den Sand und sah sie der Reihe nach an. „Ihr seit verwirrt, aber ihr solltet nicht glauben, das ihr Kanonenfutter seit, das bedenkenlos geopfert wird. Dieser Krieg hat schon viel zu viele Opfer gekostet. Es wird alles getan, um euch zu beschützen.“ „Uns beschützen?“ Kevin schrie fast. „Wir beschützen euch. Ihr verheizt uns, um euch zu schützen.“ Te’lar ignorierte Kevins beleidigenden Ton. „Diese Differenzen sind nicht existent.“ Keiner der drei verstand, was dieser Satz sollte. Katja und Tilo sahen müde und verwirrt zu Boden, doch Kevin hatte sich schon zu sehr in Rage geredet. „Ihr habt kein Recht, so über unser Leben zu bestimmen!“ „Hättest du nicht die Möglichkeit gehabt, zu den Freiwilligen zu gehen, wärst du vielleicht schon an den Drogen, die du genommen hast, gestorben.“ „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ihr habt mir keine Wahl gelassen!“ „Oh doch, du hattest eine Wahl. War es nicht deine Entscheidung, zu den Freiwilligen zu gehen?“ „Das war Manipulation.“ „Du hättest das durchschauen können.“ Kevin zögerte, wusste keine Antwort und startet dann einen neuen Angriff. „Ich wusste nicht, welche Konsequenzen es haben würde. Dass ich plötzlich in einem außerirdischen Krieg kämpfen würde.“ „Man kann nie ganz abschätzen, welche Konsequenzen das eigene Handeln haben wird.“
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„Na, toll!“ Kevin warf wütend die Arme in die Luft. „Ihr habt auf alles eine Antwort. Ihr seit ja so viel schlauer als wir!“ „Ihr – wir. Du redest wie ein Jaridian. Du gehörst zu uns. Du bist ein Teil von uns.“ „Ach ja, selbst wenn das stimmen würde, bin ich doch nur ein minderwertiger Teil von euch. Tschuldigung: von UNS.“ „Jeder ist nur ein minderwertiger Teil, Kevin. Du, ich, T’than, auch Zo’or. Das einzige, was zählt, ist das Ganze.“ „Warum habt ihr mir nicht einfach mein CVI mit einem Motivationsimperativ ausgestattet, dann müsste ich mir diesen Schwachsinn nicht anhören! Dann würde ich einfach funktionieren, ohne nachzudenken.“ „Du sollst aber nachdenken, Kevin. Wir wollen keine Marionetten, die nur an Fäden tanzen. Das ist, wenn überhaupt, nur in einigen Fällen sinnvoll.“ Katja merkte, wie ihre Gedanken von dem Gespräch abschweiften, in dem Kevin weiter wütend argumentierte und Te’lar kühl erwiderte. Sie verstand genau, was Kevin meinte. Doch Te’lars Worte klangen so, als meinte er, was er sagte. Und als wären sie Striche in einem Bild, von dem sie nur die Umrisse erkennen konnte. Es schien so, als gäbe es da etwas, dass sie erst noch entdecken musste. Sie blickt auf die goldgelben Wellen zu ihren Füßen. Worte und Argumente würden ihr nicht dabei helfen, das alles zu verstehen. Sie brauchte mehr Erfahrungen, eigene Erfahrung, dann konnte sie urteilen. Sie hob den Blick und sah über das außerirdische Meer in die Ferne.
Das zitierte Lied ist „Es ist an der Zeit“ von Hannes Wader.
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Das Geschenk von Patrizia Pfister
Was passiert, wenn man Pflanzen ´Hass´ zu trinken gibt?
"Paps, könntest du nicht einen deiner Kollegen bitten, etwas gegen das Unkraut zu tun?" stöhnte und jammerte Gisela, meine 16jährige Tochter, während wir wieder einmal im Garten gemeinsam dem Unkraut zu Leibe rückten. Seit meine Frau vor zwei Jahren gestorben war, mussten wir das selbst übernehmen. Ihr hatte das immer Spaß gemacht, was weder meine Tochter noch ich jemals verstanden hatten. "Unkrautvernichtungsmittel gibt es doch haufenweise, Mädchen. Wir wollen doch in unserem Garten nicht spritzen." "Ich weiß, ich dachte auch an eine völlig neue Methode, wie wäre es, wenn die Pflanzen sich selbst gegen das Unkraut zur Wehr setzen könnten?" Verblüfft hielt ich inne und starrte auf die Ackerwinde, die ich gerade, mit dem vergeblichen Versuch, die ganze Wurzel zu erwischen, herausgerissen hatte. "Und wie hast du dir das vorgestellt? Sollen die Pflanzen etwa eine Boxkampf austragen?" fragte ich sie etwas derb. Doch sie antwortete: "Warum nicht?" und widmete sich weiter der ungeliebten Arbeit, nicht ahnend welche Gedankenkette sie damit bei mir in Gang setzte. In dieser Stunde gemeinsamer Arbeit mit meiner Tochter wurde eine Idee geboren, eine Idee, die ich sofort am nächsten Tag mit meinen Kollegen besprach. Ich konnte sie davon überzeugen, dass wir mit der neuen Methode bei unseren Forschungen endlich einen Schritt vorwärts kommen würden und so machten wir uns an die Arbeit. Das Ergebnis hielt ich fast ein Jahr später in der Hand. Es war ein unauffälliges Fläschchen, dass ich liebevoll in Geschenkpapier wickelte, denn es sollte das Geburtstagsgeschenk für Gisela werden. Ich freute mich schon auf ihr Gesicht, wenn sie es auspackte und wurde nicht enttäuscht, denn selten hatte ich jemanden so ungläubig auf eine Flasche starren sehen. "Paps, äh, ohne dir nahe treten zu wollen, was ist das? Ein Parfüm wohl nicht, es steht kein Name darauf." "Du wolltest ein Unkrautvernichtungsmittel, das ist es. Von meinen Leuten und mir entwikkelt." "Von dir? Aber du arbeitest in deinem Institut doch daran, die besonderen Eigenschaften des Wassers herauszufinden. Was hat das mit Unkraut zu tun?" "Sehr viel, denn dies ist Wasser, Wasser, das mit dem Hass auf Unkraut aufgeladen wurde. Um zu sehen, ob es funktioniert, ist der Feldversuch hier zu Hause geplant. Wir werden unsere Pflanzen zuerst mit diesem Wasser begießen, um zu sehen, ob sie sich jetzt selbst gegen das Unkraut wehren können." "Ich verstehe immer noch nicht, wie kann gewöhnliches Wasser die Blumen dazu bringen?" "Du weißt, dass wir in unserem Institut beweisen wollen, dass Wasser ein Gedächtnis hat. Das heißt, die Homöopathie hat dies eigentlich schon bewiesen. Wir wollen nun nützliche Anwendungsgebiete für diese spezielle Eigenschaft des Wassers finden. Wir haben die besten Medien des Landes dazu benützt, eine bestimmte Menge Wasser mit Hass auf bestimmte Unkräuter zu "impfen". Pflanzen gedeihen unter liebevoller Pflege erwiesenermaßen besser, und wir haben uns das Gegenteil zu Nutze gemacht. Da unser Experiment unter kontrollierten Bedingungen stattfinden muss, habe ich unser Gewächshaus umgebaut. Es ist nun eine völlig autarke Einheit. Es besitzt eine Entgiftungsschleuse, die jeder passieren muss. Außerdem habe ich ein Kamerasystem eingebaut, das es uns erlaubt, von außen alles zu filmen, was im Inneren geschieht, da in der Welt der Pflanzen alles langsam abläuft. Im Zeitraffer wird es dann möglich sein, die Vorgänge zu analysieren. Du bist hiermit als meine Assistentin eingestellt, 22
da du dich ohnehin für Biologie und Chemie in deinem Studium entschieden hast." "Oh, Paps, das ist ein großartiges Geschenk. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen. Ich hatte mich schon gewundert, was du da im Gewächshaus eigentlich treibst. Ein großer Botaniker warst du ja noch nie. Was glaubst du, wird passieren? Werden die Blumen so viel Hass auf das Unkraut ausstrahlen, dass es eingeht?" "Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Man sollte auch nicht mit bestimmten Erwartungen an neue Experimente herangehen, das könnte das Ergebnis beeinflussen." Zwei Wochen später hatten wir verschiedene Blumen mit Erde aus unserem Garten eingepflanzt, da diese garantiert Unkrautsamen der verschiedensten Art enthielt. Wir wollten alles so natürlich wie möglich belassen. Mit Hilfe einer Sprinkleranlage sprühten wir einmal am Tag das "geimpfte" Wasser gezielt auf die Blumen. Zu unserer Enttäuschung geschah in den ersten beiden Wochen gar nichts. Das heißt, das Unkraut, speziell die Ackerwinde, schoss wie gewohnt schnell hoch und begann bereits unsere Rosen und auch die Petunien zu überwuchern. Auch vor den Margeriten machte sie nicht halt. Eine weitere Woche brachte nichts neues, bis Gisela eines Tages einen Schrei ausstieß und auf die Bildschirme deutete. "Paps, die Ackerwinde um die Margerite ist verschwunden! Nur ein paar einzelne Blätter liegen noch herum, sieh dir das an." "Du hast recht. Lass den Film zurückspulen, damit wir sehen können, was geschehen ist. Und nun im Zeitraffer vorwärts. Nein vorwärts, habe ich doch gesagt." "Aber das ist doch vorwärts, sieh doch nur den Lauf der Sonne an." "Du hast recht. Das ist aber merkwürdig, warum verschwindet die Ackerwinde im Boden, wenn der Film vorwärts läuft?" "Es sieht aus, als ob sie mit Gewalt von unten in die Erde gezogen wird, Paps. Sieh mal, die Blätter werden dabei sogar abgestreift, weil sie nicht durch das Loch passen. Was geht da vor?" Verblüfft betrachtete ich den Bildschirm. Ich konnte mir das Ganze nicht erklären. Um festzustellen, was unter der Erde vorging, brachten wir ein Kameraauge in der Nähe der nächsten Ackerwinde an, die in Richtung Margerite wuchs. Wir mussten eine weitere Woche warten, und auch diesmal war das Unkraut verschwunden! Wir ließen erneut den entsprechenden Film im Zeitraffer ablaufen und sahen mit an, wie sich die Wurzeln der Margerite um die Wurzeln der Ackerwinde schlangen und langsam so lange daran zogen, bis die gesamte Pflanze von Margeritenwurzeln umschlungen war. Das Unkraut zerfiel unter der Erde erstaunlich schnell zu Humus, so dass sich die Margerite auch noch von ihrem Feind ernähren konnte. Vergleiche mit früheren Aufnahmen zeigten, dass sie wesentlich kräftiger wirkte, als zu Beginn des Versuchs. Sie hatte sich ihren eigenen Dünger geschaffen. Nach der Auswertung der Daten sahen Gisela und ich uns an. Uns beiden war das Unbehagen anzusehen, dass uns beschlichen hatte. Schließlich fasste meine Tochter es in Worte: "Paps, meinst du wirklich, dass wir das auf den Markt bringen können? Der doppelte Nutzen ist ja eindeutig, aber mir kommt das wie Kannibalismus vor, was meinst du?" "Ich habe auch kein gutes Gefühl bei der Sache. Mir gibt zu denken, dass unser besonderes Wasser auf die anderen Pflanzen anscheinend gar keine Wirkung hatte und auf die Margeriten gleich so starke. Hier muss noch irgendein unbekannter Faktor eine Rolle spielen, und solange wir den nicht erforscht haben, ist mir die ganze Sache suspekt." Das leise Klirren im Gewächshaus hörten wir nicht, dazu waren wir zu sehr in Gedanken. Am nächsten Morgen mussten wir zu unserem Entsetzen feststellen, dass die Margerite sich nicht mehr im Gewächshaus befand. Die Scheibe in ihrer Nähe war zerbrochen. Natürlich dachten wir zunächst an einen Diebstahl, doch nichts wies darauf hin. Die Scherben lagen draußen, so, als wäre sie von innen zerbrochen worden. Eine seltsame schmale Spur, wie von vielen sehr 23
dicken Nadeln führte dorthin. Obwohl keiner von uns den Gedanken aussprach, weil er einfach zu absurd war, suchten wir den ganzen Garten nach einer einzelnen Margerite ab, die vielleicht so schlau war, so zu tun, als wäre sie so harmlos wie die anderen. Die anderen... im ganzen Garten gab es keine einzige Margerite mehr. Wir suchten daraufhin auch die nähere Umgebung ab, doch wir konnten nichts finden. Eine vorsichtige Anfrage bei den Nachbarn zog uns deren Ärger zu, denn sie verdächtigten uns, ihren Margeritenbestand vernichtet zu haben. Nachdem wir unseren Ausreißer nicht mehr finden konnten, wandten wir uns anderen Projekten zu und ... hofften das Beste.
Ende
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Gestrandet von Marco Kaas
Die TSS Typhoon stürzt nach dem Gefecht mit einem Schiff der Ihrl-Che auf einen unwirtlichen Planeten ab. Ein Überlebenskampf beginnt...
"Und was ist es?" wollte die Kommandantin Captain Keneally beunruhigt wissen und stützte sich auf der Rückenlehne des Sensorenoffiziers auf, um den Bildschirm besser beobachten zu können. Ein kleines, heller als die Sterne leuchtendes Licht stand irgendwo über dem Horizont des Planeten unter ihnen, von Zeit zu Zeit bewegte sich das Objekt langsam, scheinbar unentschlossen. "Ich weiß nicht genau. Es ist jedenfalls kein astronomisches Phänomen. Weder ein Stern noch ein Komet oder Planet. Und unsere Scanner können in dieser Richtung nichts entdecken." "Chris", rief sie dem Piloten zu, "richten Sie das Schiff auf das Objekt aus. Ich will mir das mal direkt ansehen.“ "Aye." Die Sterne wanderten langsam von der einen Seite der Cockpitfenster zur anderen, bis ein etwas heller leuchtender ins Blickfeld kam. "Da haben Sie es." "Molly?" wandte sich Captain Keneally an die Bordschützin. "Können Sie das optisch erfassen und anvisieren? Ich will auf Nummer sicher gehen." "Ich werd's versuchen. Ja, ich glaube, es klappt." "Sehr gut. Vladimir." "Ma'am?" fragte der Sensorenoffizier. "Vladimir, können Sie ein vergrößertes Bild dieses Objekts auf die Bildschirme schalten?" "Das müsste funktionieren." Die Kommandantin setzte sich in den Kommandosessel und sah gespannt den kleinen Bildschirm an ihrer Armlehne an. "Ich hab's", meldete Vladimir. "Hmm..." machte sie und musterte das Ding am Bildschirm aufmerksam, "das ist ein Raumschiff. Es ist offenbar mit einer Tarnkappe ausgestattet, sonst hätten wir es mit den Scannern erfassen können." Das Schiff sah recht merkwürdig aus, es hatte ein für ein Tarnkappenschiff sehr unzweckmäßiges Design. Ein weißer, boomerangförmiger Rumpf, der das Sonnenlicht reflektierte, und zwei ungewöhnlich helle Positionslichter, eines an jedem Flügel. "Welche Rasse baut solche Schiffe?" wunderte sich die Kommandantin. "Die Ihrl-Che", vermutete der Pilot Chris Butler. "Die Ihrl-Che? Ist das nicht diese merkwürdige Spezies, die keinen Kontakt mit den Menschen aufnehmen will?" "Genau die. Soweit ich weiß, ist dieses Schiffdesign typisch für die Ihrl-Che." "Nun gut. Die haben hier aber trotzdem nichts zu suchen." Sie sah Vladimir befehlend an, der daraufhin einen Kom-Kanal öffnete. "Hier spricht Captain Keneally von der Terranischen Fregatte 'TSS Typhoon', United Terran Space Force. Wir haben befehl, diesen Planeten zur Kolonisation durch das Terranische Imperium frei zu halten und zu bewachen. Sie befinden sich im Gebiet der Menschen. Drehen Sie ab und verlassen Sie dieses System." Vladimir schüttelte den Kopf. "Keine Antwort." Keneally verzog das Gesicht. "Wenn Sie nicht dieses Gebiet verlassen, sehen wir uns gezwungen, das Feuer auf Sie zu eröffnen." Noch immer keine Reaktion. "Molly, geben Sie einen Warnschuss ab."
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"Aye." Sie überprüfte noch einmal den Zielcomputer, programmierte einen Punkt knapp neben dem Ihrl-Che-Schiff ein und drückte ab. Vor den Cockpitfenstern blitzte etwas auf, dann schoss eine glühend heiße Plasmaladung durch die Dunkelheit des Weltraums und flog knapp an dem fremden Schiff vorbei. Jetzt war das Fass übergelaufen. Die Ihrl-Che beschleunigten und nahmen Kurs auf die Typhoon. Eine Reihe dünner, messerscharfer Schüsse jagten nacheinander aus dem Bug des fremden Schiffs und bombardierten die Schilde der Terranischen Fregatte am Bug. "Feuer erwidern! Ausweichen!" Die Typhoon beschleunigte ebenfalls und flog einen engen Bogen, womit sie den Ihrl-Che allerdings die lange Flanke als Ziel bot. Die Schützen beider Schiffe feuerten aus allen Rohren, doch die Tarnkappe bot den Ihrl-Che einen bedeutenden taktischen Vorteil, sie irritierte den Zielcomputer der Menschen, wodurch die Schützin manuell anvisieren musste. Die Typhoon hatte gerade den Bogenflug beendet, als das feindliche Schiff von hinten her direkt über den Rumpf hinweg raste und mehrere Schüsse abgab. "Unsere Schilde sind auf 60 Prozent gefallen!" meldete Molly. "Ja, dafür haben wir ihn jetzt da, wo wir ihn haben wollen. Buggeschütze Feuer frei!" Die schweren Plasmageschütze unter dem Bug der Typhoon schossen. Plasmaladungen hagelten auf den Feind ein, er verlor eine silbrig leuchtende Flüssigkeit. Als die Kommandantin schon fast an den entgültigen Sieg geglaubt hatte, zog der Ihrl-Che plötzlich nach oben und vollführte einen Looping, der ihn direkt hinter die Typhoon brachte. Er gab einige gezielte Schüsse in das Heck der Fregatte ab und wich dann dem Kühlmittelschwall aus, der plötzlich aus den beiden Triebwerksöffnungen strömte. "Die haben unsere Achtern-Schilde durchbrochen!" "Ich versuche, wieder hinter sie zu kommen." Plötzlich fiel das Licht aus, und die matte Notbeleuchtung sprang an. "Brücke", drang die von Rauschen hinterlegte Stimme des Technikers aus dem Kommunikationsgerät an der Armlehne des Kommandosessels, "wir haben ein Problem. Wir haben fast das gesamte Kühlmittel verloren, ich musste die Hyperspulen abschalten. Außerdem ist unser Notreaktor ausgefallen, sämtliche Supraleiter sind zerstört. Die wussten ganz genau, wo wir verwundbar sind." "Entweder die haben so gute Spitzel oder so gute Sensoren", murmelte Vladimir vor sich hin. "Dann haben wir also nur noch die Notbatterien?" fragte Keneally. "Ganz genau. Und ich glaube kaum, dass die uns lange genug am Leben halten können, von der Fortführung des Gefechts ganz zu schweigen." Keneally atmete tief durch. "Molly. Geben Sie noch so viele Schüsse auf die Ihrl-Che ab, wie nur möglich. Chris, Sie machen sich auf einen Eintritt in die Atmosphäre des Planeten und nachfolgende Notlandung bereit. Dort unten gibt es wenigstens Sauerstoff, wenn die Lebenserhaltung ausfällt." "Aye", bestätigte Molly. Chris war sich nicht sicher, ob er nicht vielleicht wiedersprechen sollte, entschied sich aber doch für: "Aye." Die Achter-Geschütze feuerten noch drei Salven auf die Ihrl-Che ab. Das schwer beschädigte außerirdische Schiff kippte zur Seite weg und stürzte auf den Planeten zu. Es schien dem Piloten zu gelingen, die Kontrolle wieder halbwegs her zu stellen, doch die Antriebskraft reichte nicht mehr aus, um der Gravitation des Planeten zu entkommen. Kurz darauf fiel die Tarnkappe aus. "Wir haben jetzt fast keine Energie mehr!" meldete der Techniker. "Ich kann froh sein, wenn ich uns mit den Not-Manöverdüsen halbwegs heil runter bringe", rief der Pilot, "legt auf jeden Fall eure Sicherheitsgurte an, es könnte holprig werden." Die Typhoon jage mit atemberaubender Geschwindigkeit in die Atmosphäre des Planeten.
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Eigentlich war die TSS Typhoon trotz ihrer geringen Größe von nur etwa 50 Metern Länge ein beeindruckendes Schiff. Der stromlinienförmige Rumpf erinnerte ein wenig an einen plattgedrückten Turnschuh, dessen Flanken weiter hinten übergangslos in zwei nach unten gewölbte und Deltaflügel übergingen. Das Schiff war in einem bläulichen Farbton lackiert und trug an den Flügeln seinen Namen und das Emblem eichen des Terranischen Imperiums, einen von unzähligen Sternen umringten Globus, wobei jeder der Sterne. Im Moment jedoch glühte der gesamte Rumpf bis zu den Flügelansätzen rot auf. Mit mehr als 50 000 Kilometern pro Stunde raste die Typhoon durch die Atmosphäre, auf die Oberfläche zu. "Wo ist das Schiff der Ihrl-Che?" wollte Keneally wissen. "Es fliegt gerade in unserem Windschatten!" stellte Vladimir fest. "Sie wollen offenbar auch notlanden, aber sie scheinen keinen Atmosphärenschild zu besitzen." "Dann ist jetzt der ideale Zeitpunkt, es entgültig los zu werden. Chris, hängen Sie ihn ab!" "Das ist unmöglich! Wir haben nicht mal genug Energie, um eine sichere Landung hin zu kriegen. Höhe über der Oberfläche momentan: 15 000 Meter." Die Typhoon jagte durch die schneeweißen Wolkenbänder hindurch. "10 000 Meter. Ich zünde jetzt die Not-Bremsdüsen, sonst können wir alles vergessen." An den Flügelansätzen des Schiffs blitzten Antimateriereaktionen auf. Die Typhoon verlor an Geschwindigkeit. "7000 Meter." Langsam kamen Oberflächenformationen zum Vorschein. Die gesamte Region war übersäht von steilen Felsklippen und steinigen Erhebungen. "Verdammt", fluchte Keneally, "das Gelände ist denkbar ungeeignet für eine Notlandung. Was wir bräuchten ist Sandwüste oder Wasser." "Wir haben aber weder Sandwüste noch Wasser zur Verfügung." "Ja, ich weiß. Nehmen Sie die Nase hoch, sonst werden wir uns in den Boden bohren." Kleinste Manöverdüsen unter dem Bug schoben die Nase des Schiffes langsam weiter nach oben. Erst in eine horizontale Lage, dann immer weiter. Der Luftwiderstand an den Tragflächen des sich aufbäumenden Raumschiffs bremste es weiter ab. "Das ist zu weit! So werden wir mit dem Heck hart aufschlagen." "Ja, tut mir leid. Die Steuerdüsen machen nicht mehr so ganz, was ich will. Ich versuche, den Bug wieder zu senken." An der Unterseite der Cockpitfenster kam erneut die Landschaft zum Vorschein, dieses Mal erschreckend groß. Die Felsformationen mussten gewaltig sein, und zwischen den weitflächigen Erhebungen waren unzählige kleine Felsbrocken und Unebenheiten zu erkennen. "Da", rief Molly und deutete auf eine relativ flache Stelle zwischen zwei Steilklippen, "das scheint geeignet." "Ja, aber es ist sehr schmal und nicht sehr lang", wandte Chris ein, "das wird schwierig. Scheint aber trotzdem die geeignetste Stelle zu sein. Übrigens: 2000 Meter." Mit kurzen, schwachen Schüben brachten die Manöverdüsen das Schiff auf einen Kurs, der es direkt auf die glatte Ebene zu führte. Chris Butler standen die Schweißperlen auf der Stirn. Etwas zu weit nach rechts, und die Typhoon würde an den Klippen zerschellen. Das gleiche, wenn er zu weit nach links abdriften würde. Zu früh aufsetzen, und das Schiff wird von den Felsen zerfetzt. Zu spät aufsetzen, und die Ebene reicht nicht bis zum Stillstand. Er richtete das Schiff exakt auf den Spalt zwischen den Klippen aus, die schnell näher kamen. Sehr schnell. Zu schnell. "Ma'am, wir haben ein Problem. Wir verlieren nicht schnell genug an Höhe. Wir werden über das Ziel hinweg schießen." "Dann benutzen Sie die Manöverdüsen, die sollen uns weiter nach unten schieben." Während er "200 Meter" sagte, aktivierte er die Notfall-Manövertriebwerke an der Oberseite der Typhoon. Tatsächlich sank das Schiff nun schneller. "100 Meter über der Oberfläche." 27
Plötzlich fielen die Steuerbord-Düsen aus. Die Landschaft vor dem Schiff begann plötzlich, sich im Uhrzeigersinn zu drehen, und als Chris die Fregatte wieder unter Kontrolle hatte, hatte diese etwa 50° Schlagseite nach Backbord. Sie verlor ihren Auftrieb entgültig und stürzte herab. "Verdammt! Auf Aufschlag vorbereiten!!" Mit dem linken Flügel schlug die Typhoon auf dem steinigen Untergrund auf. Felsen zerbarsten, Trümmer flogen davon. Von der Wucht des Aufpralls wurde das Schiff um seine Längsachse gewirbelt und krachte nun mit dem rechten Flügel auf die gerade Ebene. Mit einem kreischenden Geräusch schrappte dieser an der Oberfläche entlang, bis der Schwerpunkt des Schiffes nach unten sank und der Rumpf hart auf der Oberfläche aufschlug. Durch die horizontale Lage seinen Auftrieb wieder erlangt, stieg das Schiff noch einmal wenige Meter auf, bevor es erneut auf die Oberfläche krachte, nun auf dem Boden entlang rutschte und eine von Trümmern übersäte und zerfurchte Ebene hinterließ. Durch eine Unebenheit wurde es erneut mehrere Meter in die Luft katapultiert, bevor es ein drittes Mal aufschlug und schlitternd zu kreiseln begann. Die Steuerbord-Flanke kollidierte krachend mit der Felswand, die das Ende der Ebene darstellte, der rechte Flügel wurde zwischen Rumpf und Felswand vollkommen zerquetscht. Einige von der Erschütterung gelöste Felsbrocken stürzten herab und begruben die rechte Flanke unter sich. Dann war alles vorbei. Als Chris Butler aufwachte, spürte er jeden einzelnen Nerv in seinem Körper und wünschte sich fast, er sei tot. Er brachte ein gedrungenes Stöhnen hervor und stellte fest, dass sein rechter Arm zwischen der Steuerung und einer herabgefallenen Deckenplatte eingeklemmt war. Es gelang ihm unter großen Schmerzen, seinen linken Arm zu heben und die Deckenverkleidung auf den Boden zu werfen. Er hatte Glück: Keiner der Arme schien gebrochen. Er löste seinen Sicherheitsgurt und blickte blinzelnd in die Sonne des Planeten, die durch die zersplitterten Cockpitfenster schien. Er versuchte, aufzustehen, doch seine Knie knickten wieder ein. "Verdammt..." Nun stützte er sich mit den Ellenbogen an der Sitzlehne ab, und so gelang es ihm sogar, sich aufzurichten. Er drehte sich um, blickte in den Kommandoraum und sah ein Bild des Grauens. Alle drei Brückencrewmitglieder waren tot. "Großer Gott..." Er humpelte näher an den unter Trümmern begrabenen Körper der Kommandantin, fand ihr Handgelenk unter den Wrackteilen und fühlte ihren Puls. Nichts. Vladimir saß noch aufrecht in seinem Stuhl, doch auch er hatte keinen Puls. Die Verbrennungen an seinen Händen verrieten, dass er durch einen Stromschlag getötet worden war. Und Molly wurde von einem schwereren Stück der Rumpfverstrebungen aus der Decke erschlagen. Chris gatzte kurz, dann musste er sich in eine Ecke erbrechen. Rückwärts wankte er aus der Brücke und brach in Tränen aus. Außer ihm hatte keiner überlebt. Oder? Das fünfte Crewmitglied, der Techniker. Vielleicht lebte er ja noch. Mit gemischten Gefühlen und apathischem Gesichtausdruck machte sich Chris auf den Weg zum Maschinenraum. Er musste durch die Wartungsröhren kriechen, da der Gang größtenteils von Trümmern versperrt war. Immer wieder musste er Schotts von Hand öffnen, und nach wenigen Minuten kam er an einem Gitter an. Es gelang ihm irgendwie, sich in dem engen Schacht umzudrehen, und so trat er das Gitter nach draußen. Als er die Röhre verließ, fand er sich im Maschinenraum wieder. Hier sah es noch viel schlimmer aus, als auf der Brücke. Eine Wand war vollkommen zerdrückt und regelrecht eingestürzt, und auf der anderen Seite brannte ein Feuer in den Schaltpulten. Doch wo war der Techniker? "Pablo?" rief Chris, doch er erhielt keine Antwort. "Pablo, bist du hier irgendwo?!" "Chris..." brachte jemand gedrungen hervor. "Pablo!" Chris kletterte über einen Haufen Trümmer in der Nähe der Hyperspulen und fand dahinter den Techniker. Er sah entsetzlich aus, sein Körper war von scheußlichen Verbrennungen und Prellungen übersäht. 28
"Pablo! Du lebst noch, Gott sei Dank! Pablo?" Er brachte ein Stöhnen hervor. "Wo ist hier der Erste-Hilfe-Kasten?" Dann hörte der auf, zu atmen. "Pablo!! Verdammt, Alter, du wirst mir hier doch nicht auch noch abkratzen!" Er legte Pablo von den Trümmern frei und versuchte Herzmassage und Mund-zu-MundBeatmung. Dann fühlte er seinen Puls. Nichts. Etwa eine halbe Stunde versuchte er unter Tränen, seinen alten Freund wieder zu beleben. Vergeblich. Er war der einzige Überlebende einer schrecklichen Katastrophe. In einem modernen Krankenhaus könnte jeder Einzelne von ihnen problemlos reanimiert werden, doch es konnte ewig dauern, bis Hilfe kam. Theoretisch gäbe es noch eine Chance: Er müsste die Leichen irgendwie perfekt konservieren, schockgefrieren. Aber wie? Auf diesem Schiff funktionierte nichts mehr, und so etwas wie Kälteschlafkammern gab es auf herkömmlichen Militärschiffen sowieso nicht. Chris suchte sich irgendein Loch in der Hülle und kletterte aus dem Schiff. Von außen betrachtet konnte man erahnen, was innen geschehen war. An der gesamten Unterseite war der Rumpf aufgerissen, unzählige Teile fehlten und lagen in der Schleifspur, die es hinterlassen hatte, die Steuerbord-Flanke konnte überhaupt nicht mehr begutachtet werden, da sie unter einem Haufen Geröll verborgen war. Chris ging ein wenig die Schleifspur entlang und schob mit dem Fuß kleinere Wrackteile beiseite. Auf einem war ein Teil des Schriftzuges "United Terran Space Force" zu sehen. Auf einem anderen befand sich ein merkwürdiges Zeichen, vermutlich hatte es irgendetwas mit den Maschinen zu tun. Das Wrackteil sah merkwürdig aus. Es strahlte glänzend weiß, und am Rand schien es wie aus Waben aufgebaut. Es sah nicht so aus, als gehörte es zur Typhoon. Erst jetzt fiel Chris auf, dass mehrere dieser Wrackteile herum lagen, und er bemerkte einen etwa zehn Meter durchmessenden Krater in einer der Felswände, in dem ausschließlich derartige Trümmer lagen. Offenbar gehörten sie zu dem Schiff der Ihrl-Che. Es schien der Typhoon gefolgt zu sein, in der Hoffnung, auch einen geeigneten Landeplatz zu finden. Dabei war es vermutlich an dieser Klippe zerschellt. Chris schätzte die Größe des Kraters gegen die des Ihrl-Che-Schiffes ab. Der Krater war dafür zu klein. Vielleicht hatte es ein Stück vom Antrieb oder einem anderen System verloren, das daraufhin mit der Klippe kollidiert war. Aber wo war dann das Schiff jetzt? Oben auf der Felsformation? Chris blickte zurück zum Wrack der Typhoon. Wenn er auf den Rumpf kletterte, könnte er das Geröll als Rampe benutzen, um auf die Klippe zu kommen. Und genau dafür entschied er sich auch. Er rannte zurück zum Schiff und kletterte an Kanten, Ritzen und Null-g-Haltegriffen auf den Rumpf. Mehrmals rutschte er ab, einmal wäre er sogar fast gestürzt, aber es gelang ihm letztendlich doch, nach oben zu kommen. "So weit, so gut." Er blickte die Schuttrampe nach oben. Sie war zwar steil, aber sie bildete einen vergleichsweise bequemen Weg nach oben. "Dann wollen wir mal." Nach ein paar Metern erwies sich der Aufstieg als doch nicht so leicht, wie Chris angenommen hatte, ihm lagen immer wieder größere Felsbrocken, die ihn behinderten. Vorsichtig stieg er auf, halb gehend, halb kletternd. Oben zog er sich an einem aufstehenden Stein über die Kante und sah sich um. Das Hochplateau schloss die Schlucht, den kläglichen Landeplatz der Typhoon, fast vollständig ein und war fast vollkommen eben. Wären nicht zu viele große Felsbrocken über das Gebiet verteilt gewesen, wäre dieser Platz für die Landung wesentlich geeigneter gewesen - und die Ihrl-Che hatten es hier offenbar auch versucht: Etwa 30 Meter entfernt lag das Wrack des feindlichen Schiffes. Als sie gegen das Schiff gekämpft hatten, hatte es größer ausgesehen, in Wirklichkeit besaß es eine Spannweite von nur etwa zehn Metern. Chris erschien es unglaublich, dass solch ein kleines Schiff ein derart hohes Kampfpotential besaß. Vermutlich war es ein Jäger oder ein gut bewaffnetes Aufklärungsschiff, jedenfalls entschied sich Chris, das Wrack genauer zu inspizieren. Eines der Positionslichter leuchtete noch, es schien also noch Energie zur Verfügung haben. Vielleicht konnte Chris sich das ja zunutze machen. Langsam und vor29
sichtig näherte er sich dem Schiff. Ihm kamen Zweifel, ob er das wirklich tun sollte. Er hatte ja nicht einmal eine Waffe dabei. Im Notfall konnte er sich immer noch hinter einen der Felsen verschanzen - allerdings würde ihm das ohne Waffe wenig nützen. Vollkommen unerwartet versetzte ihm etwas einen Schlag ins Gesicht. Er taumelte zurück, und ein merkwürdiges Wesen kam hinter dem Felsbrocken neben ihm hervor gesprungen. Es besaß einen merkwürdigen, fischförmigen Körper mit vier tentakelartigen Gliedmaßen, die allerdings scheinbar keinem bestimmten Zweck zugeordnet waren, sondern als Beine gleichermaßen verwendet werden konnten, wie als Arme. Der Kopf lief ähnlich zu, wie das Maul eines aufrecht stehenden Fisches, und vorne an selbigem saß ein merkwürdiges Gebilde, bei dem es sich vermutlich um ein Auge handelte. Das gesamte Wesen hatte eine dunkelviolette Hautfarbe und schien sehr aufgebracht. Es schleuderte Chris erneut eine seiner Tentakeln ins Gesicht, mit einer Wucht, die von solchen dünnen Gliedmaßen nie zu erwarten gewesen wäre. Chris rollte den Sturz ab und griff nach einem großen Stein, um ihn auf das Wesen zu werfen, dessen Tentakeln eine beträchtlich höhere Reichweite hatten, als menschliche Arme. Der Mensch zielte auf das Auge des Wesens und schleuderte den Stein so kraftvoll von sich, wie er nur konnte. Sofort warf sich das Wesen zur Seite, doch nicht schnell genug, der Stein traf eine seiner Tentakeln genau am Ansatz. Mit einem ächzenden Laut schlug es auf dem Boden auf und krümmte sich unter Schmerzen. Chris sprang auf und wollte zutreten, doch dann entschied er sich dazu, noch einen Stein in die Hand zu nehmen und den Arm in einer drohenden, ausgeholten Haltung zu lassen. "Was sollte das?!" Er wusste nicht, ob das Wesen ihn verstehen konnte, aber jeder, der in die United Terran Space Force eintrat, bekam einen Übersetzter ins Gehirn implantiert. Wenn der Übersetzer nur genügend Ansätze der Sprache hatte - und Chris war sich nicht sicher, ob dies für die IhrlChe-Sprache der Fall war - würde er daraus bald eine perfekte Synchronisation zu den Worten des Wesens schaffen können, doch Chris hatte keine Ahnung, ob die Ihrl-Che auch solche Geräte kannten und besaßen. Diese Spezies war sowieso nie sehr gesprächig gewesen. "Rede!! Das ist doch unmissverständlich: Du sollst dein Maul oder was auch immer aufmachen!" Der Ihrl-Che stützte sich mit drei Tentakeln auf dem Boden ab und stellte sich auf zwei davon auf, während der vierte schlaff nach unten hing. Unsicher trat er einige Schritte zurück. Chris atmete tief durch. "Hör zu. Wir sind doch beide Angehörige zweier zivilisierter und vernünftiger Spezies." "Verarschen kann ich mich selber." Der Mensch war so verdutzt, dass er die Beleidigung gar nicht bemerkte. "Warum", fragte Chris, "vier meiner Freunde mussten sterben. Ich bin der einzige Überlebende." "Das tut mir leid. Das wollte ich nicht." "Und warum hast du es dann getan, verdammt noch mal?!" Unwillkürlich hob Chris den Stein weiter nach oben, worauf das Wesen erschrocken zusammenzuckte. "Weil ihr mich angegriffen habt." "Das war ein Warnschuss. Du hast unsere Warnungen gehört, musste das so enden?" "Das wollte ich nicht", wiederholte das Wesen betroffen, "hilf mir." "Was?! Ich soll dir helfen?" "Mir ist kalt." Für Chris war es eher angenehm. Die Sonne stand zwar recht tief am Himmel, aber sie erwärmte das karge Gelände auf angenehme Frühlingstemperaturen - für menschliches Empfinden. "Das ist dein Problem." Er sah sich um und seufzte. "Hör' zu. Ich kann dir nicht helfen, und du kannst mir auch nicht helfen. Also gehen wir uns lieber aus dem Weg." Chris entschied sich dazu, den Stein auf den Boden fallen zu lassen. Er tastete sich ins Gesicht und wischte sich das Blut unter der Nase weg. "Ich kann dir schon helfen", bot das Wesen an. 30
"Und wie?" Die Klimasysteme des Ihrl-Che-Schiffes waren noch vollkommen intakt. Vielleicht hätten alle auf der Typhoon überlebt, wären sie doch auf der Hochebene gelandet. "Ich kann das Schiff auf 5951 Lemparcs abkühlen", erklärte der Ihrl-Che. "Wie viel sind 5951 Lemparcs?" wollte Chris gereizt wissen. Das alles interessierte ihn nicht im Geringsten. "5951 Lemparcs liegen knapp über dem absoluten Nullpunkt." Langsam dämmerte Chris, was der Ihrl-Che vorhatte. "Wie schnell?" "Ich weiß nicht genau. Aber auf jeden Fall relativ schnell." Vielleicht war das für eine Cryostasis nicht unbedingt das Wahre, aber zum Einfrieren von Leichen reichte es allemal. "Aber du kannst doch das Klimasystem nutzen, um dich aufzuwärmen." "Aber ich bin nur allein. Deine Kameraden sind vier. Einer ist nicht so wichtig, wie vier." Vielleicht bestand ja wirklich eine reelle Chance. Sie waren jetzt etwa eine halbe Stunde tot, man konnte jemanden mit der geeigneten Ausrüstung auch nach Stunden noch reanimieren. Das Klimasystem müsste die Leichen nur schnell genug gefrieren, um die Gehirnzellen nicht zu zerstören. Dann könnte man sie nach jeder Zeitspanne wieder auftauen und reanimieren, auch nach Wochen. Chris zog seine Pilotenjacke aus und reichte sie dem Wesen. Es sah die Jacke etwas unsicher an, dann zog es alle Tentakeln ein, bis auf einen, mit dem es die Jacke um sich wickelte und die Ärmel verknotete. "Jetzt müssen wir nur noch die Toten in dein Schiff bringen." Chris lief es eiskalt den Rücken herunter, bei dem Gedanken, vier Leichen bis hierher schleppen zu müssen. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Während der Ihrl-Che sich in eine Grube unter einem Felsbrocken zurückzog und brennbare Wrackteile verfeuerte, machte sich Chris an die makabre Arbeit. Es war schwierig, einen leblosen Körper aus dem Schiff und dann auch noch die Schuttrampe hinauf zu schleppen, doch irgendwie schaffte er es. Alle vier transportierte er behutsam auf die Klippe und legte sie in das Wrack, und als er fertig war, fiel ihm auf, dass die Sonne deutlich tiefer am Himmel stand, als vorher. Er hatte im Orbit bemerkt, dass die Typhoon in einer Zone notlanden würde, in der es früher Abend war, und obwohl der Planet vergleichsweise lange für eine Umdrehung brauchte, würde die Sonne bald untergehen. Den Ihrl-Che fand er Chris einer felsigen Grube vor, die so mit Qualm und Rauch gefüllt war, dass jeder Mensch darin erstickt wäre, doch der Außerirdische schien sich pudelwohl zu fühlen. "Ich bin fertig." "Oh, gut", meinte der Ihrl-Che und kletterte aus seiner Grube, "dann werde ich deine Freunde jetzt schockgefrieren." Chris war froh, dass das Wesen dieses Wort und dessen Bedeutung kannte und es in dieser Situation benutzte. Es sagte auch nicht "die Leichen schockgefrieren", sondern "deine Freunde schockgefrieren". Offenbar schien es sich des Überlebens der Crew ziemlich sicher zu sein. Während der Ihrl-Che eine Abdeckplatte an der Außenhaut seines Schiffs abnahm und begann, an einem Display herum zu tippen, musterte Chris das Wrack etwas genauer. Es war kaum beschädigt, nur am Heck klaffte ein gewaltiges Leck. Von dort stammte vermutlich das Wrackteil, das den Krater in der Felswand ausgelöst hatte. Chris entdeckte auch ein Fenster nahe des Bugs. Es war weniger ein Cockpitfenster als vielmehr ein Bullauge, doch man konnte immerhin ins Innere sehen. Im Blickfeld lagen Vladimir und Molly. "Jetzt ist es soweit", rief der Ihrl-Che, und kurz darauf färbten sich die Körper schneeweiß. "Das dürfte schnell genug gewesen sein", meinte das Wesen. "Hoffentlich", fügte Chris hinzu und seufzte. Er würde nie wieder ein Raumschiff fliegen, das schwor er sich. "Die Sonne wird bald untergehen", erwähnte er und deutete in den Himmel.
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"Das ist es also, was die Menschen mit diesem System planen?" fragte der Ihrl-Che entsetzt. "Ihr wollt den Stern vernichten?" "Nein", lachte Chris, "das ist eine Redensart bei den Menschen. Was ich meine, ist, dass es bald Nacht wird." "Ach so." "Es wird bestimmt kälter werden. Du solltest wieder in deine Grube ans Feuer." "Und was machst du?" "Ich bleibe hier draußen. Wir Menschen sind offenbar nicht so kälteempfindlich, wie ihr." "Nun gut." "Ach ja, übrigens, ich heiße Chris. Chris Butler." "Xyonioslydac." "Ähm... gut. Ich werd' mich jetzt aufs Ohr... Ich gehe jetzt schlafen." "Schlafen? Mitten in der Nacht?" "Ja, natürlich. Ich leg' mich hier neben den Felsen." "Merkwürdiges Verhalten. Ist es nicht gefährlich, in der Nacht zu schlafen?" "Du meinst, wegen Raubtieren? Ich hab', als ich unten war und meine Freunde geborgen hab', zwei Laserpistolen mitgenommen. Du kannst auch eine haben." "Nein, lieber nicht. Ich rufe dich, wenn etwas passiert." "Na gut." Chris fegte den gröbsten Sand und Dreck aus einer Mulde zwischen Felsen und Boden, gerade groß genug, um ihm in zusammengekrümmter Haltung Platz zu bieten. "Gute Nacht." Überraschenderweise antwortete ihm Xyonioslydac auch mit: "Gute Nacht." Irgendetwas weckte Chris auf. Er wusste nicht, warum, aber plötzlich war er hellwach. Verwundert sah er sich um. Zwei große Vollmonde hüllten die steinige, zerklüftete Landschaft in ein mysteriöses, unheimliches Spiel aus Licht und Schatten. Hatte er eine Bewegung vernommen? Oder ein Geräusch? Jedenfalls musste es deutlich genug gewesen sein, um ihn aufzuwecken. "Xyonioslydac?" "Was ist?" antwortete der Ihrl-Che zu Chris großer Erleichterung und kletterte aus seiner Grube, um den Menschen besser verstehen zu können. "Hast du etwas gehört oder gesehen?" "Nein, überhaupt nichts. Warum?" "Irgendetwas hat mich aufgeweckt." "Also ich habe kein Geräusch gemacht." "Wie lange dauert die Nacht überhaupt schon?" Chris hatte sich noch gar nicht richtig damit auseinander gesetzt, dass die Nacht auf diesem Planeten viel länger dauerte, als eine Erdennacht. Vielleicht hatte er schon ausgeschlafen, sehr müde fühlte er sich jedenfalls nicht mehr. Er raffte sich auf und setzte sich vor Xyonioslydacs Grube. "Wie oft müssen Ihrl-Che überhaupt schlafen?" "Nicht so oft, wie Menschen. Wir wissen nicht viel über euch, aber offenbar benötigt euer Körper viel mehr Ruhe." "Warum eigentlich?" "Vermutlich hängt das mit dem Stoffwechsel zusammen." "Nein, ich meine, warum wisst ihr so wenig über die Menschen? Worauf ich hinaus will, ist die Tatsache, dass ihr nie zu Kontakten bereit wart. Seit fünf Jahren erforschen Menschen nun schon eure Galaxis, aber ihr habt euch immer Versuchen zur Kontaktaufnahme entzogen. Warum?" "Weil die Menschen bei uns als aggressive und eigennützige Spezies gelten. Außerdem ist bekannt, dass sie sich überall einmischen wollen. Sie würden unsere Galaxie mit ihren Frachtern und Handelsschiffen überfluten, und ihre Space Force würde überall patrouillieren. Wir wollen in Ruhe gelassen werden und uns entwickeln."
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"Aber Isolation ist nicht die wahre Möglichkeit, mit Problemen fertig zu werden. Ihr könntet doch diplomatische Beziehungen zu uns aufbauen, aber unserer Regierung trotzdem unmissverständlich klar machen, dass ihr nicht an Handel interessiert seid." "Das würde zu Spannungen führen. Und Spannungen führen bei Menschen zum Krieg." "Wird das etwa nicht zum Krieg führen?" fragte Chris und deutete auf die in leichtes Mondlicht getauchte Schleifspur der Typhoon. Offenbar entschloss sich der Ihrl-Che, das Thema zu wechseln. "Wann glaubst du, werden wir gerettet?" "Ich weiß nicht genau. Dieser Planet war für eine menschliche Kolonie vorgesehen, wir sollten hier patrouillieren und den Planeten bewachen. Vermutlich wird der Space Force schnell auffallen, dass der Kontakt zu einem ihrer Schiffe ausgefallen ist, und sie werden ein Rettungsschiff schicken. Das kann allerdings eine Weile brauchen, bis es hier ist, der nächste Stützpunkt ist 500 000 Lichtjahre entfernt. Dies hier sollte ja der nächste werden." "Vielleicht informieren sie ein Schiff einer anderen Spezies, das gerade in der Nähe ist." "Das wäre auch denkbar. Hoffentlich." Chris seufzte. "Es ist wirklich kalt." Im gleichen Augenblick huschte ein Schatten über den Boden. Ein gewaltiger Schatten. "Hey, was war das? Vielleicht ein Raumschiff..." Chris und Xyonioslydac sprangen auf und suchten den Nachthimmel ab. "Ich sehe aber keine Positionslichter", wendete Xyonioslydac ein. "Da!" rief Chris plötzlich und deutete auf einen riesigen Schatten in der Luft. Es war offenbar ein Tier, aber ein gewaltiges. Die Umrisse zeichneten ein riesiges geflügeltes Wesen mit monströsen Schwingen, zwei schwanzartigen Auswüchsen zum Manövrieren und einem breiten Schädel. Es war furchterregend, und es gab im Flug keinen Laut von sich. Womöglich glaubte es, noch nicht entdeckt zu sein. "Was zum Teufel ist das?" murmelte Chris vor sich hin. "Eine Art Flugtier." Das riesige Wesen zog einen weiten Bogen und kam wieder zurück. Als es sich näherte, konnte man die vier Augen ausmachen, die sich an der Unterseite des Kopfes befanden, wie geschaffen, um im Dunkeln den Boden abzusuchen. "Vielleicht ist es ein Raubtier", vermutete Xyonioslydac, kurz bevor es nach unten stach. "Runter!" schrie Chris und warf Xyonioslydac in seine Grube zurück. Instinktiv ließ dieser sich auf den Boden fallen. Doch das Wesen tat ihm nichts: Es hatte es vielmehr auf das Wrack des Ihrl-Che-Schiffes abgesehen. Mit einem riesigen, platten Knochenauswuchs am Kopf rammte es das Schiff im Sturzflug und schwang sich dann wieder mit einigen Flügelschlägen in die Luft. Es war mindestens doppelt so groß, wie das Wrack selbst. "Verdammt! Wenn es die Außenhülle aufbricht, wird das Klimasystem nicht mehr..." "Es wird die Außenhülle nicht aufbrechen können", versicherte Xyonioslydac, "dazu ist der Schnabel viel zu stumpf." "Und wenn es das Schiff die Klippen nach unten stürzt?" Chris wollte nicht riskieren, Keneally, Vladimir, Molly und Pablo noch einmal zu verlieren. Er zog die Waffe, ein kleines, pistolenförmiges Gerät mit einem Emitterkristall am Laufende, und zielte damit auf das merkwürdige Raubtier, das in der Luft erneut einen Bogen flog. Er schoss. Lautlos zerschnitt der Laser die Dunkelheit der Nacht durchbohrte den Körper des Räubers. Dieser gab einen brüllenden Schrei von sich, der gar nicht zu einem fliegenden Tier passen wollte, und verlor an Höhe. Erneut schoss Chris einen Laserstrahl ab, dieses Mal zielte er genau auf den Kopf. Die Knochenplatte wurde durchschnitten und das Raubtier keuchte erstickt. Es kippte nach vorne weg und stürzte trudelnd ab. Irgendwo hinter einem Abhang schlug es widerlich platschend auf. Chris war nicht unbedingt danach, nachzusehen, was mit dem Wesen geschehen war. "Alles in Ordnung?" fragte Xyonioslydac. "Ja, alles bestens. Komm', lass uns nach dem Schiff sehen“. 33
"Es wird immer kälter", bemerkte der Ihrl-Che. "Okay, dann bleib du am Feuer. Ich werde nachsehen." Es war zum Glück keine Beschädigung auszumachen. Chris untersuchte genau jeden Quadratzentimeter des Rumpfes, fand jedoch keine Spuren von Lecks, die bis in die Kabine führten. Und während er das Wrack musterte, fiel ihm auf, dass es tatsächlich immer kälter wurde, sogar sehr schnell. Auf einem Planeten mit so einem langen Tag-Nacht-Zyklus schien die Luft sich in der Nacht extrem abzukühlen. Das könnte noch zum Problem werden, mittlerweile fror Chris schrecklich. Zitternd setzte er sich vor Xyonioslydacs Grube, um sich am Feuer zu wärmen. Wie musste sich der arme Ihrl-Che jetzt nur fühlen? Er konnte vermutlich keinen Fuß mehr aus dem Loch setzen. Aber wohl oder übel, bald würde ihnen das Brennmaterial aus gehen. Je länger Chris dasaß und versuchte, sich am Feuer zu wärmen, desto mehr machte ihm die Kälte der Nacht zu schaffen. Es musste Minusgrade haben. Am liebsten hätte er sich in seiner Grube auch ein Feuer gemacht, aber erstens gab es kaum genug Brennmaterial, um Xyonioslydacs Feuer weiterhin zu schüren, und zweitens würde er an dem Qualm ersticken. Um sich etwas zu bewegen, ging er um das Schiff herum und sammelte Wrackteile auf, die ihm brennbar erschienen. Er reichte sie Xyonioslydac, der sie dankend annahm. Der Qualm, der beim Verbrennen dieser Wrackteile entstand, war sicher nicht der gesündeste, doch was hätten sie sonst tun sollen... Holz gab es hier weit und breit nicht, und die Leiche des fliegenden Raubtieres würde unerträglich stinken. Er rutschte so weit wie möglich in Xyonioslydacs Grube, doch er fror noch immer entsetzlich. "Wie fühlst du dich?" "Es ist kalt", brachte der Ihrl-Che hervor, "sehr kalt. Wenn wir nichts Besseres finden, werde ich bald erfrieren." "Du musst durchhalten! Bald wird es wieder Tag." "Wirklich?" "Ja, klar. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufgeht, und dann wird es wieder warm." Natürlich stimmte das nicht, aber Chris hoffte, ihn so noch etwas länger am Leben halten zu können. Und vielleicht konnte er sich selbst überzeugen. Langsam stieg die Sonne über die Felsklippen. Schatten krochen über die Landschaft hinweg, ein merkwürdiges Gekeife, das offenbar von Tieren stammte, kündigte den Morgen an. Die Esialos, welche die Gesteinswüste durchstreiften, waren humanoide Wesen, die mit ihrem schweren, länglichen Schädel wie Terranische Reptilien wirkten. "Es ist eine Terranische Fregatte der Sagittarius-Klasse, Name 'Typhoon', fünf Terraner Besatzung", erklärte der Esialo seinem Kommandanten. "Total zerstört, aber ob eine Bergung und Reparatur möglich ist, sollen die Menschen selbst entscheiden." "Vier Crewmitglieder wurden im Wrack des Ihrl-Che-Schiffes eingefroren und konserviert", meinte der Kommandant, "wer auch immer das getan hat, hat gute Arbeit geleistet. Der Doktor meint, es dürfte kein Problem sein, sie zu reanimieren." "Aber ein fünftes Crewmitglied fehlt. Genau wie der Pilot des Ihrl-Che-Aufklärers." "Kommandant, Sir", rief ein anderer Esialo und winkte mit den Armen, "ich habe sie gefunden." Beide rannten zu dem großen Felsbrocken, an dem ihr Kollege stand. In einer Mulde zwischen Felsbrocken und Untergrund lagen zusammen gekrümmt zwischen Ruß und Asche zwei leblose Körper, der eines Menschen in Space-Force-Uniform und der eines Ihrl-Che. Merkwürdigerweise trug der Ihrl-Che die Pilotenjacke des Menschen. "Sie sind beide erfroren. Aber ich glaube, den Ihrl-Che kann ich reanimieren, wenn wir uns beeilen." "Dann tun Sie das." Der Esialo legte das Wesen behutsam auf eine Trage und wickelte es aus der Jacke aus. "Was ist mit dem Menschen?" 34
"Der ist endgültig tot, er ist wohl gleichzeitig erfroren und erstickt. Zwei Angehörige so arroganter Spezies allein auf einem Planeten, das konnte ja nicht gut gehen. Wahrscheinlich hat der Ihrl-Che nur überlebt, weil er dem Menschen die Jacke weggenommen hat." ENDE
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Sündenbock von Alfred Bekker
Der mächtige Bordcomputer sorgt für das Wohl der Passagiere. Bis zu jenem bösen Ereignis...
Er war überall. Er war in den Holovisionsprojektoren, in den Speiseautomaten und den Fußgängerförderbändern, die die selten hungrigen aber dafür um so genußüchtigeren Passagiere an den gewaltigen Buffets entlangfuhren. Seine sanfte Stimme war es, die jeden, der dies wünschte, zu einer bestimmten Zeit weckte. Es gab kaum Wünsche, die er nicht erfüllen konnte. Seine Sensoren ließen ihn alles wahrnehmen und erfassen, sein Informationsnetz durchdrang das gesamte Raumschiff. Er war der Diener der Passagiere. Er war Steward und Kapitän in einem, zugleich Navigator, Steuermann und Alleinunterhalter. Es gab an Bord keine Funktion, für die er nicht verantwortlich zeichnete. Er war eine Maschine, die Intelligenz beherbergte und alles an Bord mit einer eigenen Art von Leben erfüllte. Dennoch war es schwierig, ihn als Person zu betrachten. Sein Intellekt war von so hoher Komplexität, daß er dem Menschen mindestens so weit überlegen war, wie dieser seinerseits dem Hund. Dennoch - Trotz all seiner Fähigkeiten, trotz seiner für menschliche Gehirne unvorstellbaren Präzision, trotz des hochwertigen Materials, aus dem seine Chips waren, war es zur Katastrophe gekommen. Es war nicht sein Fehler gewesen, gewiß nicht. Die Wahrscheinlichkeit, daß sein künstlicher Intellekt fehlerhafte Schlüsse zog, war weitaus geringer, als die für einen Hauptgewinn im Lotto. Nein, es war etwas ganz anderes gewesen: etwas, das sich nicht im Voraus erahnen ließ. Ein Naturereignis, so könnte man es bezeichnen. Jedenfalls lag es außerhalb dessen, was er beeinflussen konnte. Es war ziemlich bald nach dem Eintritt in den Hyperraum über das Schiff hereingebrochen und da es in den vergangenen hundert Standardjahren bereits vier ähnliche Fälle gegeben hatte und die verfügbaren Daten hierzu in ihm gespeichert waren, hatte er sofort gewußt, was sich abspielte. Ein Orkan fünfdimensionaler Teilchen ließ seine Wut an dem Schiff aus, ohne daß einer der Passagiere davon zunächst irgendetwas gemerkt hatte. Aber auf den Überlichtantrieb und den Hyperfunk hatte das Ganze fatale Auswirkungen. Sie fielen in den Normalraum zurück, irgendwo im interstellaren Raum und dort würden sie für die nächsten hundert Millionen Jahre auch bleiben. Solange würde es jedenfalls dauern, bis das Schiff, manövrierunfähig und hilflos, von einer der nahegelegenen Sonnen, die bis dahin eine Supernova war, verschlungen, verbrannt und atomisiert würde. Sein Präzisionshirn hatte das genau ausgerechnet, nüchtern und sachlich, wie es seiner Programmierung entsprach. Als er den Passagieren bekannt gab was geschehen war, reagierten diese wütend, empört und verzweifelt. Er registrierte die Gespräche, die sie führten, ihr Weinen, ihre verzweifelten Diskussionen Seine Sensoren trugen ihm diese Informationen unaufhörlich zu und er wußte (da er sozialpsychologisches Vergleichsdaten besaß), daß dies alles normal war. Sie waren Menschen und sie fürchteten sich vor den nächsten hundert Millionen Jahren; eingesperrt in einem stählernen Sarg bis ans Ende ihrer Tage. Zum Schluß würde nur noch er übrigbleiben, allein, 36
sachlich und nüchtern. Aber da er kein Mensch war, bereitete ihm das auch keine Alpträume. Er nahm die Lage hin, wie sie war, denn er wußte, daß er sie nicht ändern konnte. Immer drängender kam mit der Zeit der Strom der Fragen, die die Menschen an ihn stellten. "Was wirst du tun?" "Was für Möglichkeiten gibt es, unsere Position herauszufinden?" "Wie können wir eine Nachricht nach Hause schicken?" Er erklärte ihnen, was sein überlegender Geist dazu zu sagen hatte und das sie vernünftigerweise versuchen sollten, aus ihrer Lage das Bestmögliche zu machen. Schließlich würden die Lebenserhaltungssysteme des Schiffs noch weit über ihre anzunehmende Lebensspanne hinaus funktionieren. Er registrierte ihre Niedergeschlagenheit, aber er konnte diesmal nicht erfüllen, was sie von ihm wünschten. Die Zeit ging dahin und es schien ihm so, als hätte sich die Mehrheit weitgehend mit der bestehenden Situation abgefunden. Man ging den allgemeinen Vergnügungen nach, man genoß es, sich an den langen Buffets entlangfahren zu lassen, um mal hier und mal dort zu nippen, man ergötzte sich am Klatsch. Dann aber begann er die ersten Aggressionen zu registrieren, die sich eindeutig gegen ihn richteten. Es kam nur vereinzelt vor, aber dennoch war es bemerkenswert. Jemand demolierte einen Holovisionsprojektor, wahrend er rief: "Du bist an allem Schuld, du verdammter Computer! Weil du einen Fehler gemacht hast, sind wir hier lebendig begraben!" Jemand anderes hatte sich darauf spezialisiert, seine Sensoren aufzuspüren und zu zerstören. Zunächst war das kein Problem. Er schickte seine Roboterkolonnen aus, die den Schaden behoben. Aber der Haß gegen ihn begann sich auszuweiten wie eine ansteckende Krankheit. Immer mehr Passagiere nickten, wenn jemand erklärte, der Zentralcomputer sei an allem Schuld und hätte versagt. In den Gesprächen hörte er manchmal sogar Stellungnahmen, die irrationalerweise behaupteten, er habe die Katastrophe absichtlich herbeigeführt, um sie alle ins Verderben zu führen. Wieder jemand anderes behauptete, Anzeichen dafür entdeckt zu haben, die Katastrophe habe so, wie man es ihnen erklärt hatte, gar nicht stattgefunden. Sie sei fingiert, um die Passagiere zu quälen! "Ich sag' euch eins: Haut ihm eins auf sein sadistisches Elektronenhirn und seine verfaulten Chips und alles ist wieder okay! Ich wette, der Hyperfunk funktioniert in Wahrheit noch und wir können dann eine Botschaft nach Hause senden. Die werden uns dann holen!" Er schaute in sein sozialpsychologisches Vergleichsmaterial und wenn er einen Kopf gehabt hätte, so hätte er ihn sicherlich geschüttelt. Er konnte verstehen, daß hier und da Aggressionen auftraten, aber er verstand nicht, weshalb sich der Haß und die Gewalt gegen ihn, ihren Wohltäter, richteten! Vermutlich sind meine Datenspeicher zum menschlichen Verhalten nicht umfangreich genug, dachte er. Das war kein Wunder, denn schließlich sollte er ja ein Raumschiff führen und sich nicht als Psychiater betätigen. Von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Die Passagiere begannen jetzt, sich zu Gruppen zusammen zu rotten und blindwütig zu zerstören. Er hörte ihre Gespräche (obwohl bereits ein Gutteil seiner Sensoren beschädigt war) und so erfuhr er, was sie zu tun beabsichtigten, was ihre Ziele waren. Sie wollten ihn vernichten, wollten sein zentrales Datenverarbeitungssystem, sein Gehirn treffen und zerstören. Er unternahm nichts gegen sie, denn einen Selbsterhaltungstrieb wie organische Lebewesen, besaß er nicht. Er registrierte lediglich (und dies mit wachsender Verwunderung) was ge37
schah. Es schien alles so unlogisch, so irrational, so absolut unverständlich. Dann erreichten sie seinen zentralen Programmspeicher. Sie hatten eine ganze Weile suchen müssen, um ihn zu finden und sie begnügten sich auch keineswegs damit, ihn einfach abzuschalten. Sie zerstückelten ihn. Modul für Modul, Chip für Chip. Ende
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Botschaft von Bernd Heinzel
Eines Tages kommen die Menschen auf die Idee, dass man das Universum auf sich aufmerksam machen muss. Sie senden die Botschaft!
Sie ist eine wunderschöne Welle. Ein von der Natur unübertroffenes, formvollendetes Stück Schönheit. Sie hat kein Bewußtsein, keine Identität, sondern ist einfach nur eine wunderschöne sinusförmige Welle, prächtig anzusehen und voller Energie. Aber sie ist noch nicht ganz vollständig. Die Welle besitzt mittlerweile vier Dimensionen, die wichtigsten beiden aber fehlen noch. Zur Zeit beschäftigen sich die besten Wissenschaftler mit der Verwirklichung eines in der Menschheitsgeschichte bislang einzig- artigen Projektes: Die Botschaft an anderswo im Universum existierendes Leben. Und zwar in alle Richtungen flächendeckend und für interstellare Maßstäbe fast augenblicklich eintreffend. Schwierigster Teil der Entwicklung sind die beiden fehlenden Dimensionen. In der 5. Dimension wird der Raum gefaltet, die 6. Dimension ist die Energieerhaltung an zwei Punkten im gefalteten Raum. Die praktische Umsetzung der Theorien bereitet den Wissenschaftlern Schwierigkeiten. Bislang hatte man angestrengt mit so archaischen Instrumenten wie Radioteleskopen in die Unendlichkeit gelauscht. Allerdings entdeckte man in jahrzehntelanger Suche überhaupt nichts. Kein Mucks, nicht mal der Ansatz zu einem solchen.Gab es einen Grund dafür? Ein besonders heller Kopf schrieb seine Doktorarbeit über die vergebliche Suche und skizzierte ein Szenario von lauter Lebensformen, die über das ganze Universum verstreut alle nur lauschten. Aber keine gab ein Zeichen, daß andere empfangen konnten. Und so lauschten sie bis in alle Ewigkeit. Dagegen musste etwas unternommen werden, folgerte der angehende Doktor. Diese entsetzliche Stille sei unerträglich und die sinnlose Lauscherei der Menschheit unwürdig. Man müsse ein Zeichen setzen. Etwas, das alle anderen, wenn es denn welche gäbe, empfangen konnten. Denn nur so würde das Ganze schließlich einen Sinn machen. Damit brachte der Doktorand den Stein ins Rollen. Nach ein paar Jahren intensiven Forschens und Grübelns ist schließlich die technische Umsetzung dieses Zeichens abgeschlossen: Die Botschaft.Der Energiegehalt der Welle ist noch nicht in voller Höhe vorhanden, und die Vorbereitungen zu einem Quantensprung sind noch nicht abgeschlossen. Doch die Welle ist geduldig. Sie besitzt kein Raum- Zeitgefühl. Daher stört es sie auch nicht, daß sie zur Zeit nur als ein Prototyp in einer der leistungsfähigsten Maschinen der Erde existiert. Bei ihrem Anblick erschaudert der Betrachter ob ihrer majestätischen Schönheit, die Vollkommenheit wirkt wie eine Droge und berauscht jeden Betrachter. Das ist ihre Aufgabe. Sie soll jedem, der zuschauen oder hören kann, zeigen: Hier sind wir, wir existieren und wir sind die Spezies, die diese Vollkommenheit erschaffen haben. Dazu sind in ihrer vertikalen Ausrichtung digitale Informationen in einer speziell entwickelten Universal-Sprache über die Erde und die Menschen enthalten. Die Entwicklung schreitet nun schnell voran, denn mittlerweile arbeiten Tausende Wissenschaftler über den ganzen Erdball verstreut an der Lösung der Probleme. Schließlich verkünden alle Medien in großen Überschriften die Vollendung der Botschaft. In ein paar Monaten ist die Absendung geplant.Dann ist der Zeitpunkt für die große Reise gekommen. Eine unvorstellbare Energie schleudert die Welle zu den Sternen empor und jagt sie in alle Richtungen des Universums. Sie bewegt sich nicht in dem uns bekannten Raum. Nur wenn sich in der Kontinuität die Gravitation eines Sterns oder Planeten abzeichnet, verläßt ein Teil der Welle wie die Spitze eines Eisberges das Paralleluniversum. Sie pflanzt sich fort, wie sich eine Welle im Wasser fortbewegt. Wellenberg und Wellental bewegen sich jedoch manchmal in verschiedenen Dimensionen. Sie schlängelt sich wie eine Schlange durch die Wüste auf der Suche nach der nächsten Beute. 39
Unablässig zwischen den einzelnen Energiezuständen hin und her schwingend, ungebrochen in ihrer ganzen Pracht. Sie ist der Beweis. Sie repräsentiert die Notwendigkeit für den Beweis. Sie ist alles und ewig zugleich. Es gibt nichts vergleichbares und ihre Existenz läßt nur einen Schluß zu: Hier sind wir, hört uns zu! Wir nehmen jetzt Kontakt auf und es gibt nur einen Rückschluß auf uns: Die Vollkommenheit dieser Botschaft!Wie ein Paukenschlag auf das gesamte Universum läßt sie alles erzittern.Im Augenblick des Energieausstoßes überlagern fast unsichtbar die elektromagnetischen Wellen der Rundfunk- und Fernsehsatelliten einen Teil der Welle. Sie vermischen sich mit den digitalen Informationen der Universal-Sprache und werden das spätere Entschlüsseln ein wenig erschweren. Sie rast aus unserem Sonnensystem, die Wellenfront leckt an der unendlichen Weite des Weltalls. Schwärze. Überall Leere und tiefste Schwärze. Doch die Welle stürmt unbekümmert den Sternen entgegen, trägt ihre Information und ihre Schönheit zu fernen Welten. Dann stößt sie auf Wolken mittelgroßer Partikel. Der Schaden ist relativ gering, ihre Form wurde nur leicht gestört. Sie sieht halt ein klitzeklein wenig gezackt aus, nicht mehr so vollkommen sinusförmig wie am Anfang der Reise. Kurze Zeit später trifft sie auf interstellaren Nebel, der Urform allen Seins, welcher sich in geheimnisvollen Schwaden zu neuen Galaxien formt. Gigantische Bänke voll prächtiger Schönheit bauschen sich zwischen den Galaxien auf, wie ein gefrierender Atemzug, ausgestoßen von einem Wesen unvorstellbarer Größe. Die Nebel strecken die Welle, ziehen an ihr wie Sirup, entziehen ihr Energie und verhindern den rechtzeitigen Phasendurchgang bei Null. Der von den Partikeln angerichtete Schaden erscheint nun um so größer, da die Verlangsamung die Störungen begünstigt, sie geradezu hervorhebt. Die Welle wirkt fahriger, die Zacken noch eckiger. Gleichzeitig verliert sie an Geschwindigkeit. Auch die anfangs unbedeutende Überlagerung mit Radio- und Fernsehinformationen wird teilweise zerstört, aber an manchen Stellen stark verstärkt. An anderen Orten treffen Teile der Welle auf Schwarze Löcher, welche wie riesige Staubsauger die Welle in sich aufsaugen. Sie wird auch aus weiter Entfernung noch in diese galaktischen Abflüsse abgesogen. Die noch weiter entfernten Ränder der Welle werden deformiert und in die Länge gezogen, und zwar in allen Dimensionen. Ein Teil der Energie wird jedoch auch reflektiert. Das sind jene Teile der Welle, die in ein paar Jahren wieder auf der Erde empfangen werden. Ob man sie wohl als Antwort interpretieren wird?Die Menschen konnten sich offenbar nicht vorstellen, wie andersartig die Lebensformen sein würden, welche die Welle auf ihrer Reise erreicht. So wird ein Planet im Orion-System mit einem Schlag vollständig entvölkert. Die Wesen, welche auf diesem Pla- neten bis eben lebten, besaßen ein Nervensystem, das aus magnetischen Feldern bestand. Sie hatten keinerlei Chance, der Welle zu entkommen, welche sie im Bruchteil einer Sekunde auslöschte. Auf einer Welt in den Plejaden hat sich eine Lebensform auf Silicat-Basis entwickelt. Leider trifft die Welle exakt die Resonanzfrequenz ihrer tief im Planeten verwurzelten Eingeweide. Auch für diese Lebensform ist die Welle das Todesurteil. Sie wird einfach verhungern, sich nicht mehr regenerieren können, von Wind und Staub rundgeschliffen und abgetragen werden, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt.Mehrere Spezies empfangen das von der Welle, was nach ihrem langen Weg noch übrig ist: Ein langgezogener Klageschrei, der direkt aus der Hölle zu kommen scheint. Dazu Bruchstücke unserer bemerkenswerten Medien (ein Ausschnitt aus einem Kriegsfilm und im Radio liefen gerade die Heimatmelodien. Die aktuellen Nachrichten erweisen sich auch nicht als hilfreich, ein besseres Bild auf die Absender zu werfen) und den ver- stümmelten Rest der digitalen Informationen, welche den staunenden Außerirdischen auf die Herkunft und andere Wundertaten der Menschheit aufmerksam macht. Leider sind nur noch die Beschreibung der Erd-Koordinaten und ein wenig von jedem übriggeblieben. In etlichen Galaxien wird augenblicklich dieser Teil des Universums, in dem die Schöpfer einer so grauenvollen Sicht der Dinge hausen, zum absoluten Sperrgebiet erklärt. Niemals würde irgendeine dieser Spezies sich in diesen Sektor verirren (auch Außerirdische sind nicht lebensmüde, wobei der Begriff „Leben“ hier wohl einer ganz neuen Definition be40
darf).Aber es gibt auch andere Reaktionen. Schließlich gilt das Unterwerfen und Versklaven von unterentwickelten Welten auf manch bewohntem Planet als Volkssport. Die Natur stand für diese Ansicht Pate: Nur die Stärksten haben ein Recht zu überleben. Die Schwachen werden von den Starken ausradiert und können, was wieder außerordentlich praktisch für den Stärkeren ist, kurz vor ihrem Ableben noch unliebsame Arbeiten als Sklave verrichten. Aus den verschiedensten Teilen des Universums machen sich also illustre Gesellschaften auf den Weg, um den Absendern der Botschaft einen kleinen Besuch abzustatten. Dabei hegen viele außerordentliche Zweifel, denn das grausame Wehklagen und die schrecklichen Bilder und Töne, welche als Botschaft empfangen wurde, können auch darauf hindeuten, daß sie ihren Meister gefunden hätten. Und so wird es kommen, wie schon etliche Kino-Regisseure in ihrer unendlichen Weisheit es vorhergesehen haben: Eklige, bösartige Blubber-Monster kommen aus dem Weltraum zur schönen Erde und löschen die Menschheit aus. Zur weiteren Handlung: Vorher werden die Menschen natürlich noch, nachdem sie sich tapfer wehren, versklavt. Aber eine Variante blieb von den Regisseuren bislang unberücksichtigt:Diesmal wird es kein Happy-End geben.
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