Roy Palmer Vor Topp und Takel
1. Der Sturm glich einem Giganten. Er schien in den Tiefen der Biskaya geschlummert zu ha...
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Roy Palmer Vor Topp und Takel
1. Der Sturm glich einem Giganten. Er schien in den Tiefen der Biskaya geschlummert zu haben, doch jetzt hatte ihn ein einzelnes Schiff gestört und in Wut und Rage versetzt - jedenfalls mutete es so an. Er erhob sich, stieg auf und rückte an. Die Farbe des Himmels war schwarzgrau bis schwarz, teilweise aber auch von roten und gelben Streifen durchzogen. Das Meer verwandelte sich in ein milchig-grünes Pandämonium. Urgewalten wurden da frei. Der Sturm orgelte mit größter Kraft von Nordosten heran und wurde zu einem Ungeheuer, das sich brüllend und tobend vor der Karavelle mit den zwei Masten aufrichtete, zupackte und dann nicht wieder losließ. Gischtende Wogenberge türmten sich bis zu Haushöhe auf und trugen die ›Isabella VII.‹ bis auf ihre Schaumkämme empor. Die ›Isabella‹ ritt über den Kamm. Sie schüttelte sich unter der Wucht der Vorwärtsbewegung und lief auf der rasenden Flut der Verdammnis mit, bis sie an den Abbruch gelangte. Danach jagte sie hinunter in die gähnende schwärzlich-grüne Tiefe einer Schlucht, aus der es kein Entkommen mehr zu geben schien. Dan O’Flynn war gerade noch rechtzeitig aus dem Hauptmars abgeentert. Er hatte mit seinen scharfen Augen natürlich entdeckt, was sich im Nordosten zusammengebraut hatte. Dann war plötzlich alles sehr schnell gegangen, und er hatte Eile gehabt, seinen luftigen Posten zu räumen. Aber Arwenack, der kecke Schimpansenjunge, hatte sich diesmal wohl um einen Deut
überschätzt. Er hangelte noch an einem losen Fall, als der Sturm zum ersten Mal zuschlug. Dan, schon auf Deck angelangt, schrie auf. Arwenack wirbelte plötzlich durch die Luft und wurde über das Backbordschanzkleid hinauskatapultiert. Er war ein schwarzes, unbedeutendes Nichts im dröhnenden Höllenkonzert der entfesselten Naturmächte. Es sah aus, als würde er in die brodelnden Fluten gestoßen und gnadenlos ersäuft. Aber er hatte Glück. Vielleicht existierte auch in der Affenwelt eine Art Schutzengel, wie auch immer, Arwenack kam gewissermaßen mit einem blauen Auge davon. Die ›Isabella VII.‹ rauschte jählings in die Tiefe. Und die Richtungsänderung versetzte Arwenack den nötigen Gegenschwung, durch den er wieder zurück an Bord gelangte. Das Fall hatte er keinen Augenblick losgelassen - es wäre unweigerlich sein Ende gewesen. So aber hatte es ihn zwar außenbords befördert, riß ihn nun aber wieder auf das Schiff zurück. Arwenack landete, kroch kreischend zu Dan und klammerte sich an ihm fest. Sein Leben war gerettet. Vorläufig. Dan hangelte in den vor Sturmbeginn rasch gespannten Manntauen in Richtung auf das Achterkastell. Es war ein beschwerlicher Weg, fast wie am Hang eines steilen und glatten Berges, denn die ›Isabella‹ raste ja immer noch in die Tiefe. Fast rutschte Dan aus und segelte mit dem Affen über die Kuhl bis an die Back. Doch bevor sie sich beide die Knochen brachen, krallte sich Dan in den Manntauen fest. Er duckte sich und wartete die weitere Entwicklung ab. Sturmwind und Gischt zerrten an ihm, doch er ließ sich nicht unterkriegen. Es donnerte, heulte und pfiff. Wasser, sehr viel Seewasser prasselte auf die Karavelle ein. Es kam von den Seiten, von vorn, von achtern und auch von oben. Es wollte das ganze
Oberdeck leerfegen und am liebsten auch gleich die Masten knicken. Doch noch hielt die ›Isabella‹ stand. Es krachte, rauschte und gischtete, und Dan O’Flynn junior lag platt auf der Kuhl und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Arwenack hielt sich nach wie vor an ihm festgeklammert. Er jammerte wie ein Mensch. Die ›Isabella‹ hatte den Wogenabgrund erreicht und richtete sich stöhnend und ächzend wieder auf. Sie war der Gigantenfaust für kurze Zeit entwichen, ein Schlachtroß, das todesmutig eine mörderische Barriere durchbrach und stolz weitergaloppierte. Sie war stark, weil sie von einer einmaligen Crew geführt wurde, aber sie war auch nicht unverwundbar. Eine Bastion zur See wie die ›Isabella V.‹ war sie schon gar nicht. Die große, prunkvolle Galeone lag jetzt wieder an der Pier von Sheerness an der Themsemündung. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte sie Ihrer Majestät Königin Elizabeth als Geschenk übereignet. Vielleicht, so sagte sich Dan in diesen Augenblicken, vielleicht hatte er da doch einen Fehler begangen. Denn wie die Galeone einem Sturm zu trotzen wußte, hatten sie ja in der Karibik gesehen. Da hatte es Don Francisco Rodriguez ehedem so mächtigen Verband von sechsunddreißig Schiffen endgültig aufgerieben, und die ›San Josefe‹ war als einzige Galeone übriggeblieben. Hasard hatte sie gekapert und in ›Isabella V.‹ umgetauft. Hätte er sie nicht behalten sollen? Aber er hatte ja nicht ahnen können, was in der Biskaya auf sie wartete. Und - halt, Moment - war nicht auch die ›Isabella IV.‹ eine Karavelle gewesen? Eben, sie hatte mit der ›San Josefe‹ den Wirbelsturm in der Karibik überstanden und war gemeinsam mit ihr an das Nordufer der Insel Grand Cayman gespült worden. Dan hätte es in seiner Aufregung fast vergessen. Also: Karavellen waren Glücksschiffe. Jedenfalls unter dem Seewolf. Dan redete es sich mit aller Macht ein, aber er wußte dabei
ganz genau, daß es ein Selbstbetrug sein konnte. Er raffte sich wieder auf und arbeitete sich weiter nach achtern. Wenig später packten ihn Hände, so groß wie Ankerklüsen, und rissen ihn ins Backbordschott des Achterkastells. Arwenack hing wie eine Klette an Dan und flog also gleich mit in die Hütte. Dan sah Edwin Carberry, den Profos. Er hatte zugegriffen, aber jetzt waren auch Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Donegal Daniel O’Flynn, sein Alter, zur Stelle. »Ja, Mann, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« sagte Carberry. Er war der Profos bei Francis Drake gewesen, jetzt war er’s bei Hasard, und wenn er normal sprach, mußte man sich eigentlich schon die Ohren zuhalten. Jetzt schrie er und übertönte mit Leichtigkeit den Sturm. »Verdammt und zugenäht, immer dieses junge Gehüpfe, mit dem man seinen Ärger hat!« »Jetzt halt aber mal die Luft an«, protestierte Dan. Arwenack rettete sich vorsichtshalber gleich zu Shane. Der graubärtige Riese war allemal stärker als Dan. Das konnte von Vorteil sein. Als Affe hatte man auch seine Probleme. Arwenack hatte ja nichts gegen den Profos - aber der schien was gegen ihn zu haben! Carberry fluchte und schüttelte die Faust. »Bodenloser Leichtsinn, erst im letzten Augenblick den Großmars zu verlassen. Den Hosenboden sollte man euch Affenärschen versohlen.« »Affenärsche?« Dan blickte zu Arwenack, und der kratzte sich am Hinterkopf. Shane mußte lachen, obwohl die Situation, weiß Gott, alles andere als vergnüglich war. Eine Gestalt schob sich aus dem Dunkel des Ganges von achtern auf sie zu. Die ›Isabella VII.‹ schlingerte und schaukelte wie verrückt in den Fluten der wildgewordenen See, und selbst der große Mann dort hatte Schwierigkeiten, die Schiffsbewegungen mit den Beinen auszugleichen.
Hasard trat zu den anderen, hielt sich fest und sagte: »Ed, nun halte keine Volksreden. Wir können froh sein, daß wir Dan und Arwenack nicht verloren haben.« »Aye, aye, Sir.« »Wir haben die Trossen achtern ausgebracht. Wenn Pete Ballie es schafft, die ›Isabella‹ zu parieren und platt vor dem Sturmwind herlaufen zu lassen, müßten wir mehr Stabilität kriegen.« »Aye, aye!« brüllte Carberry wieder zurück. »Er muß es schaffen, der Himmelhund, ich habe ihn eigenhändig festgelascht, daß er uns nicht flötengehen kann.« Der alte O’Flynn grinste schief. »Also, du hast wirklich eine dämliche Art, dich auszudrücken, Ed. Hasard meinte doch wohl, daß es fraglich ist, ob Pete den Kolderstock ...« »Ich bin schon unterwegs!« Carberry drängte sich aus der Luke, lehnte sich gegen den Sturm und die Brecher und hangelte in den Manntauen über den Niedergang zum Quarterdeck hoch. Durch das Tosen war noch zu vernehmen, wie er rief: »He, Pete, und wenn wir beide zusammen mit dem verfluchten Scheiß-Kolderstock über Bord gehen, wir lassen ihn nicht los.« »Ben, Ferris, Shane«, sagte Hasard. »Wir müssen auch wieder auf Deck. Wir müssen die Stellung halten, und wenn sie noch so verteufelt ist.« »Meine Sorge gilt weniger dem Kolderstock«, meinte Ferris Tucker. »Ich denke da mehr an das Notruder.« Shane reichte Arwenack wieder an Dan zurück, dann begaben sich die vier Männer auf Deck. Der alte O’Flynn wollte sich anschließen, rutschte aber mit der rechten Krücke von einer Holzstufe des Niederganges ab und landete unsanft auf dem Achtersteven. Er fluchte fürchterlich und schlug mit der linken Krücke und dem Holzbein, daß es nur so polterte. Die rechte Krücke hatte er verloren, sie wollte sich selbständig machen und durch den Gang ganz nach achtern bis
zur Kapitänskammer trudeln. Dan fing sie jedoch auf. Sein Alter hielt sich an den Stufen fest, sonst wäre er der Krücke im nächsten Moment nachgesaust. Die ›Isabella‹ hob wieder den Bug und schoß eine gewaltige Wpge hinauf. »Mann, Mann«, sagte Dan zu Arwenack. »Da regt man sich über uns junge Leute auf, aber die alten Knacker benehmen sich noch durchgedrehter.« »Wer ist hier ein alter Knacker?« rief Old O’Flynn aufgebracht. Er hätte beinahe sein Holzbein losgeschnallt, um seinen Sprößling damit zu vertrimmen, aber der Sturm hinderte ihn daran. Er mußte sich mit beiden Händen festklammern, sonst wäre er glatt vom Niedergang gefegt worden. Vater und Sohn hielten sich nebeneinander gekauert. Arwenack war zwischen ihnen und zitterte vor Angst. Der Sturm traktierte die ›Isabella VII.‹, daß es bis in die letzten Verspannungen knackte. Man konnte wirklich meinen, sie würde jeden Augenblick auseinanderbrechen. Es war so die Art der Seewolf-Crew, in Gefahrensituationen zu frotzeln. Und jeder Mann an Bord hatte Nerven, so dick wie Ankertrossen. Aber dann trat doch etwas ein, das sie an diesem vertrackten und verfluchten Maianfang um den Galgenhumor brachte. * Hasard stand auf dem Quarterdeck der Zweimast-Karavelle. Den rechten Arm hatte er unter eine Nagelbank gehakt, um sich einen festen Stand zu sichern. Aus schmalen Augen blickte er zu den Masten hoch. Am Stand der Segel gab es da nichts mehr zu kontrollieren, denn er hatte bei Ausbruch des Wetters auch noch die Sturmfock wegnehmen lassen. Ferris Tucker hatte den beiden Masten ganz schnell noch zusätzlich Laschings verpassen müssen, aber ob die ausreichen würden, blieb noch dahingestellt.
Neue Brecher hieben gegen das Schiff. Sie rauschten als Wasserwände neben den Bordseiten hoch und fielen wieder in sich zusammen, ein fortdauernder Zustand der Bildung bizarrer Konstruktionen und deren Zerstörung. Im Zentrum des kochenden Wirbels drohte die ›Isabella‹ zu einem Spielball zu werden. Glocken der Finsternis schienen ihren Untergang einzuläuten. Ein heftiger Schlag traf sie und ließ sie wieder bis in die letzten Verbände erbeben. Die Männer fluchten und beteten abwechselnd. Plötzlich aber bremste die ›Isabella‹ ihren Sturmlauf. Die Trossen hingen in ihrem schäumenden und phosphoreszierenden Kielwasser und erfüllten nun ihren Zweck. Hasard hatte sie buchtförmig ausbringen lassen. Es war ein alter Trick, den er seinem verhaßten Alten, dem Schlitzohr Sir John Killigrew, abgeschaut hatte. Die Sache hatte sich schon bei anderen Wettern bewährt, beispielsweise Anfang November 1576 südlich der Azoren oder im August 1579 während jenes denkwürdigen Wirbelsturms in der Karibik. Die Trossen hielten das Heck der Karavelle wie ein Treibanker vor dem Wind. Die Schiffsbewegungen wurden endlich ausgeglichener und gedämpfter. Aber der Sturm dauerte an. Hasard rang mit dem Giganten. Er hatte sich in diesen Kampf verbissen. Er spuckte - wie Carberry zu sagen pflegte - dreimal kräftig gegen den Wind und segelte dem Teufel ein Ohr ab. Der Erfolg des Trosseneinsatzes ließ ihn schon wieder zuversichtlich grinsen. Aber dann gab es einen Nackenhieb. Hasard vernahm Ben Brightons Ruf und fuhr herum. Ben stand unter dem vorderen Querabschluß des Achterkastells. Er hatte sich festgebunden, traf jetzt aber Anstalten, sich wieder loszuknüpfen und zum Kolderstock zu hangeln. Shane befand sich an der Backbordreling des Quarterdecks, Ferris auf der Kuhl. Beide hatten noch nicht gesehen, was los war. Wo steckten Pete Ballie und Ed Carberry? Himmel, Hasard konnte sie auf den ersten Blick nicht
entdecken. Sie schienen verschwunden zu sein. Hasard lief es eiskalt den Rücken herunter. Er richtete sich hinter seiner Nagelbank auf. Seine schwarzen Haare flogen wie verrückt im Sturmwind. Wasser peitschte in sein Gesicht. Seine eisblauen Augen suchten und fanden die Gestalten seines Rudergängers und seines Profosses. Gott im Himmel sei Dank, dachte er, sie sind nicht außenbords gefegt worden! Pete und Ed lagen neben dem Kolderstock. Sie zappelten auf den Planken wie große Fische, suchten nach Halt, klammerten sich an Tauen und Nagelbänken fest, ehe ein Brecher sie erfassen konnte. Und Carberry fluchte jetzt mit Donnerstimme los. Der Kolderstock war herrenlos. Krachend schlug er hin und her. Er schien sich losschrauben und wie ein Kreisel durch die Lüfte davonfegen zu wollen. Hasard fluchte auch. Es bedurfte keiner weiteren Erläuterungen. Er brauchte niemanden zu fragen, was los war. Er wußte es auch so. Pete und Ed waren nicht von ungefähr hingestürzt. Der Druck des Ruders, gegen den sie sich am Kolderstock gelehnt hatten, hatte jäh nachgelassen. Dafür gab es nur eine Erklärung. Ferris hatte also recht gehabt mit seiner Unkerei. Das Ruder war gebrochen. »Hölle und Teufel, so eine Sauerei!« schrie Carberry. Er gab noch einiges mehr von sich, aber es nutzte alles nichts, davon wurde das Ruder nicht wiederhergestellt. Ferris Tucker arbeitete sich den Steuerbordniedergang von der Kuhl zum Quarterdeck hoch, wurde gegen die Balustrade gedrückt, duckte sich unter einem Brecher und setzte schließlich seinen Weg fort. Als er neben seinem Kapitän war, sagte er nur: »Es ist soweit, oder?« »Ja.« »Verdammt, man könnte meinen, Sir John habe es extra so wackelig bauen lassen, um uns eins auszuwischen.«
»Irrtum, Ferris«, antwortete der Seewolf. »Nicht, wenn ein Mann wie Jeremy Robb am Werk gewesen ist. Das hier hätte wirklich jedem passieren können - bei dem Sturm.« Sie krochen zu Pete Ballie und Edwin Carberry. Shane und Ben näherten sich von der Backbordseite. Dann fluchten sie alle zusammen. Was blieb ihnen anderes übrig? Ein neues Ersatzruder basteln? Nicht einmal ein Fachmann wie Ferris Tucker brachte das in dieser brodelnden Hölle fertig. Sie wußten es, keiner sprach überhaupt den Gedanken aus. Jeremy Robb war Sir Johns neuer Schiffszimmermann gewesen. Er hatte zusammen mit anderen Männern bei Sir John angemustert, als dieser seine neue Besatzung zusammengestellt hatte. Der alte Killigrew hatte ja mächtig Federn lassen müssen, nachdem er Hasards Schatzschiff vergebens gehetzt hatte. Hasard selbst hatte schwer verletzt bei Sir Anthony Abraham Freemont in Plymouth gelegen. Aber Ben Brighton, der das Kommando über die ›Isabella V.‹ vorläufig übernommen hatte, hatte Sir John Krallen und Zähne gezeigt. Danach hatte Sir John auch noch den Fehler begangen, sich mit Bootsmann Sullivan von der Kriegskaravelle ›War Song‹ anzulegen - und das Maß war voll gewesen. Gerupft und durchgerüttelt wie ein schlachtreifer alter Hahn war er mit seinem Prachtjungen Simon Llewellyn nach Arwenack-Castle, der Stammfeste der Killigrews, zurückgekehrt. Und was hatte er getan? Kaum hatte er sich vom Ärgsten erholt, da hatte er auf Rache und Vergeltung gesonnen und neue Pläne geschmiedet. Hasard war mit seinen Männern mitten hineingeplatzt. Durch den Fluchtgang der Feste waren sie eingedrungen, und Hasard hatte seinen Alten zur Rede gestellt, hatte richtig Gericht über ihn gehalten und ihn in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt, als er zu widerborstig wurde. So hatte er herausgefunden, wo sich die ›Wappen von Wismar‹ befand. Zum Schluß hatte Sir John auch noch achthundert Pfund für die alte Hansekogge berappen müssen,
denn die hatte ihm ja seinerzeit Rory O’Connor von der Werft in Belfast zahlen müssen. Sir John hatte sich zähneknirschend gefügt. Aber wieder hatte er eine List im Sinn, der alte Fuchs! Tregwin, der Burghauptmann, war ihm behilflich gewesen, und sie hatten Hasard und seine Männer mit den Eisengattern im Fluchttunnel gefangengesetzt. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jack Jackson, seines Zeichens Küchenchef auf Arwenack, hatte sich von der Feste gestohlen und die ›Isabella‹-Crew alarmiert, während Sir John mit Thomas Lionel und Tregwin eine Orgie gefeiert hatte. Carberry, Ferris Tucker und die anderen waren ins Kastell eingedrungen. Es hatte Zunder gegeben, mächtig sogar. Der Seewolf und seine Begleiter waren aus dem Fluchtgang befreit worden. Sie hatten sich mit einem Eisengruß verabschiedet und waren weiter nach London gesegelt, um endlich die immense Schatzbeute an die Königin abzuliefern. Sir John hatte indes immer noch nicht die Nase voll gehabt. Mit seiner neuen Crew räuberte er im April bereits wieder in der Irischen See herum - und stieß auf Hasard, der nach Belfast zur Werft des Rory O’Connor unterwegs war. Hasard hatte diesmal nur die zweimastige Schaluppe gehabt, die Al Conroy seinerzeit in Plymouth »gekauft« hatte, um der ›Isabella V.‹ und der ›War Song‹ nachzusegeln. Sir John hatte also gedacht, leichtes Spiel mit dieser lächerlich gering armierten Schaluppe zu haben. Weit gefehlt! Hasard verfügte über einundzwanzig Männer, und jeder einzelne von ihnen war in der Lage, den alten Killigrew in die Tasche zu stecken. Jan Ranse, Piet Straaten, Nils Larsen, Sven Nyberg, Jean Ribault und Karl von Hutten hatten die Mannschaft in Dünkirchen zwar verlassen, weil sie die Heimat besuchen wollten. Doch die Crew war nach wie vor stark. Sir John hatte das auch einsehen müssen. Sie hatten ihm das Ruder seiner Zweimastkaravelle zerschossen und ihm zwei
Treffer in die Wasserlinie verpaßt. Wieder war er flügellahm gewesen. Bei Rory O’Connor hatte Hasard erfahren, daß der Alte schon vor ihm dort gewesen war und den Mann um achthundert Pfund erleichtert hatte. Hasard hatte seine Recherchen angestellt, während Sir John draußen auf See wutschnaubend die Karavelle am Absaufen hinderte und ein Notruder bauen ließ - von Jeremy Robb. Als O’Connor, dieser irische Patriot, dann erfahren hatte, wer Hasard wirklich war, hatte er einen Überfall auf die Schaluppe angezettelt. Er hatte sich aber eine blutige Nase geholt. Genauso war es Sir John ergangen, der seine Karavelle inzwischen wieder klar hatte und den Seewolf abfangen wollte. Hasard hatte ihm die Karavelle abgeknöpft und in ›Isabella VII.‹ umgetauft. Die Schaluppe hatte er ihm gnädigerweise überlassen, statt ihn samt Mannschaft zu den Fischen zu schicken. Hasard war auf Südkurs gegangen, Richtung Spanien, wo er hoffte, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren. Aber zwischen dieser Hoffnung und der Gewißheit lag die Biskaya mit ihrem alles vernichtenden Sturm.
2. Steuerlos, vor Topp und Takel lenzend, trieb die ›Isabella‹ vor dem Sturm her. Der einzige Trumpf, den der Seewolf jetzt noch in der Hand hielt, waren die nachschleppenden Taue. Damit konnte er den Sturm noch abreiten wenn sich der manövrierunfähigen Karavelle keine Hindernisse darboten. Als Hasard die Position zum letztenmal vor dem Wetter geprüft hatte, hatten sie nördlich querab von Asturien gestanden und Kurs auf Kap Finisterre gehabt. Hasard hatte die Karte im Kopf und wußte, welche neue Gefahr jetzt für sie
entstand. Sie waren immer noch um den hin und her schlagenden Kolderstock versammelt. Hasard sah Ferris an und erkannte, daß dieser ungefähr die gleichen Überlegungen anstellte wie er. Ben auch. Alle mußten über kurz oder lang zu dem gleichen Schluß gelangen. »Verdammt«, sagte Ferris. »Ich versuche es trotzdem.« »Was?« rief Carberry. »Er will ein Notruder bauen, du Stint!« brüllte Shane. »Wahnsinn«, gab der Profos zurück. Auch Hasard sagte: »Bei dem Seegang hobelst du dir höchstens ins Bein, Ferris.« »Ich steige in den Frachtraum, das ist noch der ruhigste Punkt im ganzen Schiff. Ich binde mich fest und schufte, daß die Schwarte kracht«, entgegnete der rothaarige Riese. »Himmel, ich muß es tun, sonst laufen wir noch irgendwo auf. Hol’s der Teufel.« Ben Brightons Miene war verbissen. »Wir treiben gegen die Nordwestecke der Iberischen Halbinsel, wenn nicht ein Wunder geschieht.« »Moment mal«, sagte der Profos. »Doch nur, wenn der verfluchte Wind auf Nord dreht, oder?« »Auch so«, erwiderte Hasard. »Der Himmel sei uns gnädig«, sagte Pete Ballie. O nein, sie waren nicht fromm und gottesfürchtig, die Männer der ›Isabella V.‹ aber ganz tief im Herzen bewahrte sich doch jeder von ihnen jene urwüchsige und unverfälschte Form von Glauben, die wohl die aufrichtigste von allen war. Und nach allem Dafürhalten blieb hier nur eins zu tun: Das Schicksal von Schiff und Mannschaft in die Hände desjenigen zu legen, der die größere Kompetenz hatte. Hasard verließ das Quarterdeck und kämpfte sich über die tanzende Kuhl bis zum Vorschiff. Smoky, der Decksälteste, erwartete ihn im Steuerbordschott. Seine Miene war besorgt,
aber sie wurde erschüttert, als Hasard ihn über das zerbrochene Ruder unterrichtete. »Allmächtiger, was machen wir jetzt bloß?« »Wir sind zur Tatenlosigkeit verdammt«, erwiderte Hasard. »Das heißt, drei Mann kommandiere ich in den Frachtraum ab. Sie sollen Ferris helfen, ein neues Ruder herzustellen wenn das überhaupt zu schaffen ist.« »Verrückt«, sagte Smoky. »In diesem Irrenhaus wird alles Verrückte für uns normal!« rief Hasard ihm durch das Donnern eines heranrollenden Brechers zu. Smoky hielt sich an der hölzernen Umrandung des Schotts fest. »Aye, aye, Sir. Wer soll Ferris also unterstützen?« »Teile die Männer selbst ein.« Smoky wandte den Kopf und rief in das Dunkel des Vorschiffs: »He, Matt, Blacky und Batuti, ab in den Frachtraum zu Ferris.« »Smoky«, sagte Hasard. »Sir?« »Wir haben die Küste von Kap Ortegal bis Camarinas in Galizien dicht vor der Nase. Wir laufen Gefahr, aufzulaufen und zu zerschellen. Ich kann den Hauptmars und Vormars unmöglich besetzen, deswegen brauche ich einen Mann, der sich auf die Back begibt und dort den Ausguck übernimmt.« Smoky setzte ein wildes Grinsen auf. »Dieser Mann bin ich. Wenn wir zum Teufel gehen, hast du wenigstens die Gewißheit, es rechtzeitig von mir zu erfahren.« Eine halbe Stunde später war es soweit. »Land Backbord voraus!« schrie Smoky von seinem Posten auf der Back. Er hatte sich festgezurrt und war durchnäßt bis auf die Knochen, und er versah seine Aufgabe mit dem Schwur, lieber ertränkt zu werden, als die Back zu verlassen. Hasard vernahm den Ruf durch das Brüllen des Sturmes. Er
arbeitete sich wieder vor und stieg zu Smoky hinauf. Rasch sicherte auch er sich mit Tampen, dann blickte er voraus. Er benötigte kein Spektiv, um die Küste Spaniens zu erkennen. Wenn die Karavelle vom Sturm auf den Kamm einer Woge gehievt wurde, konnten die beiden Männer durch die Gischt hindurch den grauen Landstrich erkennen, der sich vor ihnen erstreckte. Wäre das Schiff noch manövrierfähig gewesen, hätte man jetzt jubeln können, in der Hoffnung, irgendwo eine geschützte Bucht zu finden. Sie hätten sich dorthinein verholen können. Aber so, ohne Ruder, war es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. An der Küste von Galizien brodelte und kochte es. Dort stiegen die haushohen Brandungswogen an den Klippfelsen auf, daß es aussah, als explodierten Fontänen auf dem Küstengestein. Der Wind orgelte über Land, riß Streifen von Gischt mit und hüllte alles in ein quirlendes, nebliges Grau. In den Häusern nahe der See hatten sich die Menschen gewiß in Ecken und Betten verkrochen, und wer ganz große Angst hatte, der hielt sich die Ohren zu. Irgendwo mittendrin in dem tobenden Kessel mußte La Coruna liegen - bei Sonnenschein ein zauberhaft schöner Ort. Die ›Isabella‹ schoß so dicht an der Küste vorbei, daß bald die ganze Crew das Land sehen konnte. »Satan!« rief Smoky. »Wenn es hier Riffs gibt ...« »Es gibt keine«, entgegnete Hasard. »Weißt du das genau?« »Ich hoffe es.« »O Satan in der Hölle!« Achtern auf dem Quarterdeck sagte Ben Brighton zu Shane und Carberry: »Wenn der Wind auf Nord dreht und auflandig wird, können wir unser letztes Gebet sprechen.« Das Schicksal war hart, aber - als ob es des Bösen noch nicht genug wäre - das Gefürchtete trat ein, und der Leibhaftige streckte tatsächlich seine Krallen nach ihnen aus. Der Wind
schralte. Er drehte, bis er nicht mehr aus Nordosten, sondern, o Verdammnis, direkt aus Norden blies. Carberry tobte vor Wut und Verzweiflung. Er hätte seinen Zorn gern am Kolderstock ausgelassen, und sicherlich hätte er ihn mit seinen Riesenfäusten auch zu Kleinholz verarbeitet, aber dann, ganz unerwartet, kehrte der Seewolf von der Back aufs Quarterdeck zurück. War denn jetzt alles total übergeschnappt? Täuschte er, Edwin Carberry, sich, litt er an Halluzinationen wie ein Kranker - oder grinste Hasard tatsächlich? Ja, er grinste. Er kam zu ihnen gekraucht, pitschnaß und abgekämpft, und verkündete: »An der Nordwestküste sind wir Gott sei Dank vorbei. Wir haben Kap Finisterre querab.« Carberry boxte Shane in die Seite. Beide grölten sie vor Freude los. »Schwein gehabt«, sagte Ben. »Mann, wie leicht hätte das ins Auge gehen können.« »Noch sind wir aus dem Schlamassel nicht ‘raus«, sagte Hasard. Das stimmte. Der Sturm dauerte an, er gebärdete sich, als wollte er nie mehr aufhören. Aber die allgemeine Stimmung an Bord der ›Isabella VII.‹ stieg Wieder. Mit dem untrüglichen Instinkt salzgewässerter Rauhbeine begriffen die Männer, daß das Dickste doch hinter ihnen lag. Gewiß, ihr Schiff trieb nach wie vor wie eine lahme Ente kurz vorm Absaufen, aber es gab wieder Anlaß zur Hoffnung. Hasard suchte den Frachtraum auf. Matt Davies mühte sich damit ab, ein Talglicht zu halten und am Erlöschen zu hindern. Blacky und Batuti hielten eine lange Spiere, an der Ferris Tucker voll Ingrimm und Hingabe herumbastelte. Er hatte das Unmögliche geschafft und auf dem wild schwankenden Schiffsboden die grobe Form für ein Notruder geschaffen. Die Tampen, mit denen sich alle vier sicherten, waren eher hinderlich. Aber sie konnten nicht darauf verzichten, sie wären
sonst wie Hampelmänner kreuz und quer durch den Frachtraum der Karavelle gepurzelt. »Wäre doch gelacht, wenn wir nicht doch noch zu Pott kämen!« rief Ferris. »Welches ist der nächste Hafen auf unserem Kurs?« »Kurs ist gut«, meinte Matt Davies. »Irrfahrt wäre wohl der richtige Ausdruck.« Hasard hielt sich an einem der Stützbalken fest. »Vigo, nehme ich an.« »Dann steuern wir doch Vigo an«, schlug Ferris unverdrossen vor. »Wenn der Sturm nachläßt, vielleicht«, sagte Hasard. »Er muß. Willst du so bis nach Cadiz trödeln?« »Wenn es sein muß, ja.« »Wir saufen vorher wie die Katzen ab«, brummte Ferris Tucker. »Seewölfe sind zäh, Ferris.« »Aye, aye, Sir.« Wahnsinn, dachte Hasard, als er wieder auf Deck stieg, alles ist verrückt, die gesamte Situation. Gwen ist daheim in England und erwartet im September ein Kind. Meine geliebte Frau! Aber daheim ist das wirklich mein Zuhause? Der Bastard segelt über die Meere und hetzt seiner Vergangenheit nach, auf der Suche nach seiner Herkunft. Und was kommt dabei heraus? Wäre es nicht doch besser, ein »halber« Killigrew zu sein? In Belfast hatte er sich ausgiebig mit der Kogge ›Wappen von Wismar‹ befaßt. Sie sollte auf der Werft von Rory O’Connor abgewrackt werden und befand sich schon in erbärmlichem Zustand. Nachts war Hasard jedoch eingedrungen und hatte in einem Geheimschapp der Kapitänskammer Papiere gefunden. Die waren allerdings auch schon halb verfault gewesen, und lediglich eins war als eine Art Frachtbrief zu entziffern gewesen.
Das Schriftstück trug das Datum des 15. Oktober 1556 und im Kopf die Adresse eines Handelskontors in Cadiz. dessen Besitzer als Romeronde Zumarraga den Frachtbrief abgezeichnet hatte. Das Dokument selbst war ein Zertifikat über die Lieferung von fünfzig Fässern spanischen Weines. Lady Anne Killigrew, die während der Abwesenheit ihres Tyrannen Sir John die ›Wappen von Wismar‹ im Hafen von Falmouth überfallen hatte, hatte diesen Wein ja laut Aussage von Big Old Shane wirklich entdeckt und von ihrem Gesinde abtransportieren lassen. Und in einer Hängematte des Frachtraumes der Kogge hatte sie den schreienden und strampelnden »Bastard« entdeckt. Auch ihn hatte sie mitgenommen. Er war der einzige Überlebende des Schiffes. Grausame, geliebte Lady Anne! Ferris Tucker hatte an Bord der Kogge in Belfast auch noch etwas entdeckt, und zwar tief eingebrannt im Kielschwein die Zeichen »St.-St.-Wismar«. Sie waren unzweifelhaft als Werftzeichen des Erbauers zu deuten. Um wen es sich handelte, hatte der Seewolf aber nicht herausfinden können. Mit diesem Wissen vorbelastet war er nun unterwegs nach Cadiz. Er wollte Zumarraga finden und befragen. Hasard wurde in seinen Grübeleien unterbrochen, als Matt Davies bei ihm erschien und meldete: »Das Notruder ist fertig. Wenn du es jetzt mal begutachten willst ...« »Sofort«, erwiderte Hasard. Er kehrte mit Matt, dem Mann mit der Eisenhakenprothese, in den Frachtraum zurück und inspizierte Ferris Tuckers Werk. Im Grunde war es nicht mehr als ein besonders langer, kräftiger Riemen aus Eichenholz. »Wir können das Ding seitlich an Backbord oder Steuerbord achtern anlaschen«, erklärte Ferris. »Ich schlage vor, wir bedienen es mit drei Männern.« »In Ordnung«, sagte Hasard. »Auf was warten wir noch?« »Hievt an, Jungs!« rief der rothaarige Riese. »Wir befördern
unser Prachtstück von einem Ruder nach oben und sehen, ob es uns auch zerbricht.« »Mal doch nicht den Teufel an die Wand«, gab Blacky zurück. »Man soll es nie berufen.« Batuti grinste breit. »Du abergläubisch?« Blacky grinste auch. »Ach wo, keine Spur.« Kurze Zeit darauf war die gesamte Crew an Oberdeck versammelt, um das Notruder zu befestigen. Hasard hielt die Nase in den Wind und stellte fest, daß der Sturm im Abklingen begriffen war. Etwas später steuerten sie mit Ach und Krach Vigo an, das an der Südseite der Mündung des Rio de Vigo lag. Der Sturm ließ nach, aber der Wind fiel immer noch so hart ein, daß Hasard nur die Fock zu setzen wagte - und selbst das war fast noch zuviel. Die Karavelle fuhr Lateinersegel an langen Rahruten, die die Karavelle zu einem schnellen, ranken Am-Wind-Läufer machten. Um aber all ihre Vorzüge beim Manövrieren wiederzugewinnen, brauchte sie dringend ein richtiges Ruder und eine ordentliche Überholung.
3. Die Männer der ›Isabella‹ schauten mit wachen Augen auf Vigo. Es rückte auf sie zu, eine adrette Stadt mit vielen weißgestrichenen oder aus grauem Naturstein errichteten, ineinander verschachtelt wirkenden Häusern. Die Menschen von Vigo galten als rührig und waren bekannt für ihren Geschäftssinn. Hasard ließ das Segel aufgeien. Ferris, Blacky und Batuti hielten das an der Backbordseite ausgebrachte Behelfsruder. Auf Hasards Wink hin luvten sie an. Die Karavelle fuhr eine
Schleife, ging hart an den Wind, dann in den Wind und richtete ihren Bugspriet nach Nordosten. In Lee befand sich nun die Pier, die Hasard sich ausgesucht hatte. Hilfsbereite Männer liefen über die Pier heran, um die Wurfleinen in Empfang zu nehmen. Kurze Zeit später rauschten die Festmachertrossen aus. Die ›Isabella VII.‹ drückte sich mit ihrer Steuerbordseite gegen die Pier, Fender aus Tauwerk und Holz verhinderten, daß die Bordwand schabte. Ben Brighton stand neben Hasard auf dem Achterdeck. »Da wären wir nun in der Höhle des Löwen«, sagte er. »Hissen wir die Flagge mit dem Georgskreuz, Ben?« »Es wäre unser Todesurteil.« Hasard lachte. »Wir geben uns hier als Iren aus. Ich bin von jetzt an Kapitän Philip Drummond, Handelsfahrer aus Dublin. Unter dieser Tarnung können wir ganz beruhigt auftreten. Du weißt ja, daß die Spanier nicht nur Handelsbeziehungen mit den Iren haben, sondern daß auch politische Verbindungen bestehen.« »Du meinst also, die Leute von Vigo empfangen uns mit offenen Armen?« »Das nicht gerade. Aber sie können uns nicht an die Karre fahren. Befleißigt euch gefälligst einer etwas harten Aussprache, daß ihr wie echte, dickschädlige Iren wirkt. Gib das an die anderen weiter, Ben.« »Aye, aye, Sir.« »Wir werden versuchen, irgendwo unser Schiff ausbessern zu lassen. Ich schätze, daß wir einige Zeit hier festliegen, und wir dürfen in keiner Weise auffallen. Ich gestatte Landgang, aber es darf keine irrsinnigen Besäufnisse und Prügeleien geben«, sagte Hasard. »Jawohl«, antwortete jemand hinter ihm. Er drehte sich um und sah Carberry. Dicht hinter Carberry befanden sich Big Old Shane, Ferris Tucker, Smoky und die beiden O’Flynns. »Ich werde es diesen Himmelhunden schon eintrichtern, daß sie sich wie vernünftige Menschen zu benehmen haben. Ich
selbst werde mit gutem Beispiel vorangehen«, sagte der Profos. Dan räusperte sich. Er konnte es nun mal nicht lassen. »Hört, hört. Dabei trampelt er gewöhnlich wie ein Bär durch die Gegend. Und uns will er die gute Erziehung beibiegen? Da lachen ja die Hühner.« Bevor Carberry aufbrausen konnte, sagte Hasard: »Ich habe nicht gesagt, daß ihr euch wie gesittete Nonnen aufführen sollt. Ich will nur keinen Trubel. Klar?« »Aye, aye, Sir«, erwiderten sie gleichzeitig. »Ben.« »Sir?« »Ich habe noch eine Aufgabe für dich. Du wirst dich in diesen Tagen darum kümmern, daß die Crew die spanische Sprache lernt. Sam Roskill wird dich dabei unterstützen. Er ist auch bereits auf spanischen Schiffen gefahren, genau wie du. Wir müssen die Freizeit ausnutzen. Und wie nützlich uns Spanisch sein kann, haben wir ja wohl zur Genüge festgestellt.« Carberry nickte. »Allerdings. Ein paar Brocken von dem komischen Kauderwelsch, und man kann so manchen Don aufs Kreuz legen und die Flagge streichen lassen.« »Und so manche Senorita auch«, fügte Dan hinzu. Er wich gerade noch rechtzeitig Carberrys Boxhieb aus. Arwenack, der sich auf einer Nagelbank niedergelassen hatte, schüttelte die Faust und schimpfte. Hasard schaute vom Steuerbordschanzkleid des Achterkastells auf die Pier, und seine Augen wurden schmal. Ben und die anderen folgten seinem Blick. Sie sahen einen Menschen in der typischen Aufmachung des spanischen Offiziers auf ihr Schiff zustapfen. »Besuch«, sagte Hasard. »Jetzt wird es sich herausstellen, ob man uns den Iren-Schwindel abkauft oder nicht.« Der alte O’Flynn fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wenn es Ärger gibt, können wir uns immer noch verzupfen. Ganz ramponiert sind wir schließlich nicht, und die
Jacke vollhauen können wir den verdammten Philipps auch noch.« Er blickte zur Kuhl. Die Karavelle führte sechs Culverinen auf jeder Schiffsseite, das waren 17-Pfünder. Außerdem verfügte sie über je zwei Drehbassen auf der Back und dem Achterkastell. »Gangway ausbringen«, befahl Hasard. Al Conroy und Gary Andrews kümmerten sich um den Laufsteg, und kurz darauf marschierte der Spanier forsch auf die Kuhl. Hasard empfing ihn, wie es sich gehörte. Er nannte seinen falschen Namen. In der Neuen Welt hatte er sich eine Zeitlang als Capitan Diaz de Veloso ausgegeben. Sogar das hatte geklappt, warum sollte man ihm nun nicht auch diese Rolle abnehmen? »Teniente Miguel Andres Ortuno«, erwiderte der Spanier. Er war ein Mann um die Mitte der Vierzig, schlank, mittelgroß, mit scharfgeschnittenen Zügen und etwas stechendem Blick. Sein Vollbart war sorgfältig gestutzt, seine Kleidung tipptopp in Ordnung. Im Grunde war er kein unsympathischer Typ, wie Hasard ihm innerlich bescheinigte. Nicht alle Spanier waren schlecht. Es gab in diesem Volk ebenso gute Kerle wie bei den Engländern oder sonstwo auf der Welt. Hasard hatte sogar einen Spanier in seiner Mannschaft gehabt Valdez. Kurzum, Hasard hatte keine Vorurteile, und er mochte diesen Ortuno auf den ersten Blick ganz gern. Aber er wußte auch, daß er auf der Hut sein mußte. »Ich bin ein Abgesandter des Hafenkommandanten«, erklärte Ortuno weiter. »Wir haben Ihr Schiff einlaufen sehen, Capitan Drummond, und natürlich haben wir uns gesagt, daß Sie Schutz vor dem Sturm suchen.« Hasard nickte. »Richtig. Oder besser, der Sturm ist vorüber und hat uns glimpflich davonkommen lassen. Aber wir brauchen ein neues Ruder und noch einige Kleinigkeiten, um wieder seetüchtig zu werden.«
»Sie kommen aus Irland?« »Dublin.« »Ladung?« »Keine. Ich will nach Cadiz und Malagawein laden. Ich segele auf eigene Rechnung, Teniente.« »Verstehe.« Ortuno ließ den Blick schweifen und überzeugte sich, daß die Zweimastkaravelle sich tatsächlich in jammervollem Zustand befand. »Tja, um das alles wieder instand zu setzen, brauchen Sie wohl zwei Wochen Zeit. Ich kann Ihnen eine gute Werft empfehlen, Capitan.« »Ich bitte Sie darum.« »Gehen Sie zu Alirio Lares. Der arbeitet hervorragend und ist kein Halsabschneider.« Der Teniente beschrieb den Weg, dann wandte er sich zum Gehen. Auf der Gangway stehend, drehte er sich noch einmal Hasard zu und sagte: »Ich hoffe, Sie und Ihre Männer fühlen sich hier in Vigo wohl. Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie nur Bescheid. Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Wir helfen unseren Verbündeten gern, wo wir können.« »Danke«, entgegnete Hasard. »Na bitte«, meinte Shane und blickte dem abmarschierenden Teniente nach. »Besser hätte es gar nicht kommen können.« »Verbündete«, sagte Carberry leise. »So weit sind diese Vaterlandsverräter von Iren schon mit den Dons. Na, wenn dieser Ortuno wüßte, wer wir wirklich sind.« »Ed«, entgegnete Hasard eindringlich. »Er soll es nicht erfahren. Niemals. Verstanden?« »Aye, aye, Sir.« Noch am selben Nachmittag verholte der Seewolf mit der Karavelle zu der Werft des Alirio Lares. Lares war ein Stier von einem Mann. Er konnte es an Körpergröße und Umfang mit Hasard, Carberry oder Ferris Tucker, ja vielleicht sogar mit Big Old Shane aufnehmen.
Er hatte ein glattes, sonnengegerbtes Gesicht und eine platte, krumme Nase. Irgendwann einmal mußte er Schwierigkeiten damit gehabt haben. Als die ›Isabella‹ anlegte und vertäute, tauchte Lares vor einem seiner Docks auf und schaute mit verschränkten Armen zu. Hasard ging mit Ben Brighton zu ihm. Einer der Arbeiter auf der Pier hatte ihnen verraten, wer hier das Zepter führte. »Ein Kerl wie Samt und Seide«, sagte Ben. »Die Hauptsache ist, er versteht was von seinem Handwerk. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und ob der Teniente Miguel Andres Ortuno uns richtig beraten hat, wird sich erst noch herausstellen«, meinte Hasard. Sie stellten sich bei dem Werftbesitzer vor. Hasard gab sich wieder als Drummond, der irische Handelsfahrer, aus und sagte seinen Vers von Cadiz und vom Malagawein auf. Auch hier klang das plausibel und unverdächtig. Lares Miene hellte sich ein wenig auf. »Hat sich schon herumgesprochen, daß ihr fast im Sturm ersoffen wäret«, sagte er. Er sprach ein hart akzentuiertes Spanisch mit starkem Dialekteinschlag. Selbst Ben hatte Schwierigkeiten, jedes Wort zu verstehen. »Der Sturm hat Vigo nur mit seinen südlichsten Ausläufern gestreift«, fuhr Lares fort. »Aber ich sage euch, es war das größte und gemeinste Dreckwetter, das wir seit Jahren erlebt haben. Ich frage mich, wie ihr mit dem Waschzuber aus der Hölle entronnen seid.« »Der Waschzuber ist ein solides Schiff irischer Bauweise«, sagte Hasard ruhig. Ob Lares nun den Unterschied zwischen irischen und englichen Schiffen kannte, würde sich zeigen. Es waren Feinheiten, über die ein Außenstehender eigentlich gar nicht im Bilde sein konnte. Lares rümpfte die Nase. »Wir bauen anders. Kunstvoller.« »Wir sind eigentlich nicht hier, um darüber zu diskutieren«,
sagte Hasard eine Spur schärfer. »Der Teniente Ortuno schickt uns. Er sagt, wir können uns auf deine Werft verlassen, mein Freund, und darum wirst du die Karavelle gründlich überholen.« Lares blickte ihn und dann wieder die ›Isabella‹ an. Er lachte dröhnend. »Du machst mir Spaß. Also wirklich, du bist ein Witzbold. Sieh dir den Zuber mal genau an, Capitan Drummond, und du wirst mir zustimmen, daß er nur noch zum Abwracken taugt.« »Er hat einen Sturm hinter sich, der sich gewaschen hat.« Lares winkte ab. »Bekannt. Aber ich meine was anderes.« Er ging ein paar Schritte auf die Karavelle zu. »Nun schau sich einer das Rigg an. Hängt wie Kraut und Rüben. Und die Rahen? Schief gebraßt. Ein heilloses Durcheinander. Grauenhaft, einfach grauenhaft. Die Bemalung sieht an manchen Stellen aus, als hätte man sie mit einem borstenlosen Pinsel aufgetragen. Und wer weiß, wie viele morsche Planken sich darunter verbergen. Das Ruder, na ja, darüber könnte man noch hinwegsehen, und es ist keine schwierige Sache, ein neues einzusetzen. Aber - o Santa Maria, Jesus, Dios!« Er hieb sich mit den Händen an den Kopf, daß einem angst und bange werden konnte. »Die Masten stehen schief«, sagte er stöhnend. ,.Das wird nur wieder etwas, wenn ein Mann bereit ist, tief dafür in die Tasche zu greifen.« »Aha«, sagte Hasard. »Daher weht also der Wind.« Alirio Lares überhörte die Bemerkung. Er musterte den Seewolf in einer Mischung aus Trauer und Mitleid. »Capitan - bist du in deine Karavelle verliebt?« »Ja. Ihr Spanier habt einen Hang zum Theatralischen.« »Ich begreife nicht, Capitan.« »Aber ich«, erwiderte Hasard. »Nun gut, Lares, ich will dich beruhigen. Du denkst, ich sei ein armer Schlucker, und damit hast du auch nicht ganz unrecht. Aber ich werde deine Arbeit
in Naturalien bezahlen.« »Naturalien?« Hasard griff in die Tasche, zog die Hand wieder heraus und zeigte dem bulligen Mann eine Perle. Er drückte sie ihm in die Pranke. »Die nimmst du als Anzahlung. Bist du jetzt immer noch der Meinung, man sollte das Schiff abwracken?« »O nein«, sagte Lares. Es klang feierlich. »Ich werde alles in diesen Auftrag hineinlegen - Liebe, Kunst und Verstand. Ich werde sie wie ein Kleinod behandeln, die entzückende, schmucke kleine Karavelle des Capitans Philip Drummond.« »Wann?« fragte Hasard. »Sofort, wenn du willst. Wir können gleich mit dem Aufdocken beginnen.« * Am nächsten Tag begannen Lares Männer mit den groben Arbeiten am Schiffsrumpf. Ferris Tucker hielt die Augen offen, war überall und paßte auf, daß alles ordnungsgemäß verrichtet wurde. Zunächst wurde das Unterschiff gründlich von dem Muschelbewuchs befreit. Sie sollte anschließend geteert und gekupfert werden, aber das brauchte seine Zeit, vor allem, weil die Planken vorher einigermaßen trocknen mußten. Zur selben Zeit waren auch auf dem Oberdeck Männer tätig und kümmerten sich um das laufende und stehende Gut, also um alles Tauwerk der Takelage, das zur Bedienung der Segel gehörte, und um das Tauwerk zur Verspannung der Masten. In der Tischlerei wurde derweil an einem großen, starken Ruder aus abgelagertem Pinienholz gearbeitet. Ferris Tucker ging hin und besah sich das zukünftige Ruder der ›Isabella‹. Alirio Lares trat auch hinzu. Ferris strich mit der Hand über das weiße, trockene Holz. »Ein gewachsenes Stück, nicht schlecht«, sagte er.
»Eigentlich das Ideale für ein Ruder, jedenfalls von der Form her. Aber bei der Wahl der Holzart habe ich meine Zweifel.« Ein Aufleuchten war in Lares Augen. »Ah!« rief er. »Ein Mann vom Fach! Ein Experte! Lieber Compader, ich verstehe deine Gedanken, glaube es mir.« Er trat dicht neben Ferris hin und senkte die Stimme. »Aber du kannst mir vertrauen. Man muß im Schiffbau verwenden, was einem das Heimatland schenkt. Ihr Iren pocht auf Eiche. Aber ich sage, daß Pinienholz das härteste, wasserundurchlässigste Material ist, das man sich denken kann.« »So wie Edelkastanie?« »Besser.« Ferris betrachtete das riesige Holzstück noch eine Weile. Dann hatte er sich überzeugt, daß Lares die Wahrheit sprach und nicht im Sinn hatte, sie irgendwie übers Ohr zu hauen. Er hatte eine Perle erhalten, er wußte, daß Hasard noch mehr davon hatte, und er wollte sich diesen großartigen irischen Kunden auf keinen Fall verärgern. Er begleitete Ferris, als dieser wieder auf das Deck der ›Isabella‹ stieg. Sie blickten an der Steuerbordseite hinunter, wo viele Männer damit beschäftigt waren, den leidigen Muschelbewuchs von den Planken zu kratzen. »Ich habe etwas Merkwürdiges festgestellt«, sagte Alirio Lares. »Die Bauweise dieses Schiffes ist geklinkert - wie bei den alten Koggen, der Erfindung des Nordens. Aber wir Bewohner der Mittelmeergebiete haben gerade die Karavelle als Karweelbau eingeführt.« »Und die Karacke ebenfalls«, sagte Hasard. Er hatte zugehört und trat nun zu den beiden. Ferris hatte schon allerhand Spanisch gelernt, seit er unter dem Seewolf fuhr, aber das reichte nun doch nicht aus, um den Werftbesitzer zu verstehen. Hasard übersetzte ihm Lares letzte Bemerkung. Anschließend wandte er sich wieder an den Spanier. »Wir Iren haben unseren eigenen Kopf. Bei Karavellen und
Karacken haben wir gute Erfahrungen mit geklinkerten, also übereinandergreifenden Planken gemacht. »Ich werde mir das durch den Kopf gehen lassen. Aber die Karweelkonstruktion hat ihre eindeutigen Vorteile.« Lares wurde richtig aufgeregt. »Man kann die einzelnen Planken leichter auswechseln.« »Und die Wasserdurchlässigkeit?« warf Ferris zweifelnd ein. Diesmal hatte er alles verstanden. Lares gestikulierte. »Man muß nur ordnungsgemäß kalfatern und teeren, dann ist das Karweelschiff absolut dicht.« Er blickte zu den Masten hoch. »Ich verstehe das nicht. Geklinkert - aber mit lateinischer Takelage. Warum keine Rahsegel?« »Mit Lateinersegeln sind diese Art Schiffe beweglicher. Und sie können ganz hart an den Wind gehen«, erläuterte Hasard. »Das brauchen sie auch, um sich gegen die größeren Schiffe behaupten zu können. Klein, aber flink.« »So.« Alirio Lares schnaufte, richtig überzeugt war er nicht. »Und die Karacken? Sind die bei euch Iren auch geklinkert und südländisch getakelt?« »Nein«, erwiderte Hasard. »Die haben Rahsegel.« »Das soll einer begreifen.« Lares schüttelte den Kopf, grinste dann und sagte: »Nun, Freunde, ich gehe jetzt wieder, um nach dem Ruder zu sehen. Man darf diese Hunde von Arbeitern nicht aus den Augen lassen, sonst bauen sie kein Ruder, sondern Bockmist. Ich werde sie kontrollieren und ihnen notfalls in den Hintern treten.« Er enterte über die Jakobsleiter ab. Hasard und Ferris blickten sich vergnügt an. »Alles von seiner Rede habe ich ja nicht verstanden«, sagte der rothaarige Riese. »Aber eins ist mir klar: Wir haben es geschafft, einen alten Fuchs seines Gewerbes bis in die Knochen zu erschüttern.« »Sag mal, bist du sicher, daß dies wirklich eine irische
Karavelle ist?« »Sir John hat sie doch aus Belfast mitgebracht, oder?« »Ja, aber wem hat er sie abgeknöpft? Was für ein Landsmann hat sie vor ihm besessen? Und wo ist sie gebaut worden? Wissen wir das wirklich so genau?« Ferris Tucker kratzte sich am Kopf. Jetzt begriff er überhaupt nichts mehr.
4. Am Abend des fünften Tages in Vigo nahm Ed Carberry den Werftbesitzer beiseite. »Hör mal, Lares, du mußt mir unbedingt verraten, wo man sich hier ein bißchen vergnügen kann. Wir haben jetzt langsam sämtliche Kneipen abgeklappert, aber mehr als zu trinken und zu essen gibt es da nicht - na, du weißt schon, was ich meine.« Alirio Lares lächelte ausgiebig und klopfte dem Profos auf die mächtige Schulter. »Landgang, wie? Lange keinen Weiberrock mehr gesehen, wie? Das kann ich verstehen. Ich fühle dir deine Not nach, mein Freund.« »Ich kapiere dein verfluchtes Kauderwelsch nicht«, entgegnete Carberry in seiner Muttersprache. Er war inzwischen bei Sam Roskill in die »Lehre« gegangen und hatte fleißig Spanisch gepaukt - und für sein Gespräch mit Lares hatte er sich vorher auch alle Worte sorgfältig zurechtgelegt. Aber jetzt stand er doch plötzlich wie der Ochse vorm Berg. Lares senkte die Stimme, sprach aber langsam und deutlich betont. »Du - willst - eine - Frau? Hübsch? Dick? So?« Er zeichnete die Konturen eines Frauenzimmers mit seinen groben Pranken nach. »Mehrere«, radebrechte der Profos. »Für mich und die
anderen.« »Wie viele?« »Zehn.« Carberry schob sein Rammkinn noch ein Stück weiter vor. Da ihm die Sprache zu schwierig wurde, verfiel er wieder in seine Muttersprache. »So viele sind es nämlich, die heute abend an Land gehen.« Lares verstand kaum ein Wort Englisch, aber er hatte ja begriffen, um was es ging. In überschwenglicher Geste breitete er die Arme aus. »Oh, mein Freund, das ist kein Problem. Wirklich nicht. Am nördlichen Rand der Stadt steht ein wunderbares, ziemlich abseits gelegenes Haus, in dem alle eure Wünsche erhört und erfüllt werden. Die Besitzerin heißt Dona Rosa, und sie hat ein solches Herz für das heimliche Begehren der Männer von Vigo.« Er beschrieb mit den Händen den Brustumfang der Dame. »Ich versteh immer nur Plumpudding«, sagte Carberry. In seiner Aufregung hatte er wieder Englisch gesprochen. Lares legte den Kopf schief. »Was?« »No comprendido«, sagte Carberry. »Aha.« Lares Riesenhände traten wieder in Aktion und formten etwas Viereckiges in der Luft. »Haus. Bordello. Dona Rosa. Jetzt comprendido?« »Ja. Wo?« Alirio Lares setzte ihm sehr umständlich auseinander, wie hinzufinden war. Carberry lauschte aufmerksam und prägte sich alle Hinweise ein, so gut es ging. Er hätte ja Ben Brighton oder Sam Roskill als Dolmetscher herbitten können. Aber in diesem Fall hielt er das nicht für angebracht. Was für ein Profos war er denn, wenn er für seine Männer nicht einmal das einzige Freudenhaus von Vigo finden konnte? Es herauszukriegen, war Ehrensache, jawohl. Eine Viertelstunde später zog die zehnköpfige Gruppe mit »Urlaub bis zum Wecken« von der Werft aus los. Carberry
führte den Verein stolz an. Von der alten Stammcrew der ›Isabella‹ waren der Kutscher, Dan O’Flynn, Matt Davies, Al Conroy, Gary Andrews und Blacky dabei. Bob Grey, Buck Buchanan und Jeff Bowie zählten zu den ehemaligen KaribikPiraten. Sie alle hatten sich großartig in die Mannschaft eingefügt. Wer sich nicht anpassen konnte und das Herz nicht auf dem rechten Fleck hatte, hatte sich früher oder später auf irgendeine Art abgesondert, wie zum Beispiel Patrick O’Driscoll. Ed Carberry tat natürlich geheimnisvoll. Meistens grinste er nur, wenn die neun ihm Fragen stellten, oder er antwortete mit einem Achselzucken oder nichtssagendem Hochziehen der Augenbrauen. »Wohin geht denn der Marsch?« erkundigte sich Dan. »Tief in die Walachei? Sollen wir uns nicht lieber Pferde besorgen?« »Stimmt die Richtung auch?« wollte Blacky wissen. »Wer kennt Vigo?« fragte Al. »Keiner«, erwiderte Bob Grey. Matt Davies sagte zweifelnd: »Hört mal, ist es überhaupt sicher, daß das Ganze keine Falle ist? Vielleicht kriegen wir keine Weiber zu sehen, sondern Knüppel über die Schädel und gehacktes Blei in die Schnauze. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, daß dieser Lares fette Beute wittert und ...« »Ach Quatsch«, sagte der Profos. Mehr nicht. In der nächsten halben Stunde wurde sein Orientierungsvermögen hart in Anspruch genommen. Vigos Häuser standen eben sehr dicht zusammen, und es existierte ein Gewirr von Gassen und Gängen, die teilweise gerade breit genug waren, um einen Kerl seines Wuchses durchzulassen. Es war ein regelrechtes Labyrinth. Einen Teil des Hafenviertels kannten sie ja nun schon, weil sie wirklich alle Spelunken und Kaschemmen abgeklappert hatten. Aber Vigo entpuppte sich als weitaus größer, als sie angenommen hatten. Carberry geriet ins Schwitzen. Eine Schlappe konnte er sich
nicht erlauben. Nicht bei so einer Sache. Aus gähnenden Fensterhöhlen und finsteren Eingängen der Häuser blickten ihn neugierige Menschen an. Er hatte den Eindruck, sie grinsten höhnisch. Was nun, wenn Lares ihn auf den Arm genommen hatte? Aber, verdammt, war Vigo denn eine Hochburg keuscher Sitten? Nein, das konnte er sich wahrhaftig nicht vorstellen. Carberry stapfte voran, hinter sich das Rudel. Er war wie ein schnaubender Stier, der drauf und dran war, etwas auf die Hörner zu nehmen. Endlich erreichten sie den nördlichen Stadtrand. Und da, etwas abseits, gab es auch ein Haus, wie Lares es beschrieben hatte. Carberry walzte durch den Vorgarten, trat vor die Tür und klopfte an. So heftig, daß die Tür zu wackeln begann. Eine üppig bemalte Matrone öffnete. Sie schaute zu ihm auf und befleißigte sich eines Lächelns. »Willkommen, schöner Freund. Herrgott noch mal, du brauchst aber die Tür nicht aus dem Rahmen zu stoßen. Oder hast du es so eilig?« Carberry verstand mal wieder nicht. Bläcky übersetzte, und die Männer lachten. »Dona Rosa?« fragte der Profos grollend. »Si, Senor.« Die Herrin des Hauses trat zur Seite, ließ sie ein und komplimentierte sie gestenreich in einen mit Plüsch und Pomp überladenen Salon. Sie rieb sich die Hände. Sie hatte englische Wortbrocken vernommen und witterte das Geschäft des Jahres. Carberry und die anderen saßen kaum, da klatschte Dona Rosa in die Hände. Mädchen schwebten leichtfüßig herein, eines nach dem anderen, eines schöner als das andere. Dem Profos verschlug es die Sprache. Er vergaß das Zählen. Eine rothaarige Vollbusige mit großherzigem Ausschnitt ließ sich auf seinem Schoß nieder und kraulte seine Haare. »Verdammt«, sagte er. Für einen Augenblick wurde er richtig verlegen. »Wie lange ist das jetzt her, daß wir keine Frauen
mehr gehabt haben, was, wie?« »Eine Ewigkeit«, erwiderte Dan O’Flynn. Er hatte sich eine Schwarzhaarige geangelt, deren Augen vor Temperament nur so sprühten. »Aber jetzt ist Schluß mit der Misere. He, Mädchen, Dona Rosa, Wein, viel Wein! Wir wollen die Becher heben und die Mäuse auf den Tisch tanzen lassen.« »Der nimmt den Mund vielleicht voll«, sagte Matt Davies. Dona Rosa ließ mit dem Wein nicht auf sich warten. Es wurde ein lautes Fest, und die ganze Szene war ein Bild für die Götter. Jeder hatte ein Mädchen, jeder trank und plauderte mit ihr, wie er es für angebracht hielt. Es war ein sehr nobles Haus, dieses Haus der Dona Rosa, und für die zehn Männer der ›Isabella‹ war es ungefähr so, als fiele Weihnachten und Ostern zusammen auf einen Tag. Dan benahm sich am ungestümsten von allen und verschwand schon bald mit seiner Gespielin in einem der Zimmer des Obergeschosses. Carberry befingerte die Rothaarige, um sich von ihren Qualitäten zu überzeugen, dann zogen auch sie los. Matt Davies hatte eine ziemlich üppige Brünette ergattert, die ständig kicherte und mit seinem Eisenhaken herumspielte und Dinge sagte, die nicht einmal Blacky übersetzte. Buck, Matt, Blacky, Bob, Jeff, Al und Gary verschwanden ebenfalls mit ihren Partnerinnen im oberen Stockwerk. Dona Rosa hatte sich diskret zurückgezogen. Im Salon blieben der Kutscher und eine zierliche Blondine zurück. Bekanntlich war der Kutscher außer Hasard der einzige an Bord der ›Isabella‹, der wirklich ein bißchen richtigen Benimm gelernt hatte. Jean Ribault hatte auch gute Manieren an den Tag zu legen verstanden, wenn es darauf ankam. Aber er war jetzt nicht mehr dabei. Der Kutscher, der bei Sir Anthony Abraham Freemont gedient hatte, hielt es in einem so feinen Haus für angebracht, ein bißchen den Gentleman herauszukehren. Er hatte nun mal seine ganz speziellen Ansichten.
»Madam«, sagte er. »Ich freue mich über unser geselliges Beisammensein, aber ich bitte Sie, nicht so heftig auf meinen Knien herumzurutschen.« Sie blickte ihn an. Sie verstand Englisch. Früher hatte sie sich in einem Etablissement bei London ihre Brötchen verdient. »Du bist vielleicht ein komischer Kauz«, sagte sie. »Hör mal, ich heiße Laura, das habe ich dir schon mindestens zehnmal gesagt.« »Stoßen wir miteinander an, Laura.« »Meinetwegen. Fühlst du dich auch gut?« »Ich fühle mich großartig«, versicherte ihr der Kutscher. »Magst du mich nicht leiden?« »Sie sind eine betörende Frau und ausgezeichnete Gesellschafterin, Laura.« Laura nickte und stieß mit ihm an. Sie glaubte jetzt zu wissen, wie sie die Angelegenheit anpacken mußte. Sie trank, dann sagte sie: »Senor, halten Sie mich nicht für ein frivoles Frauenzimmer. Aber ich möchte Ihnen mein Zimmer zeigen und unsere erbauliche Unterhaltung dort mit Ihnen fortsetzen.« Sie sprach Englisch mit hartem spanischen Akzent und rollendem R. Der Kutscher blickte sie hingerissen an. »Tun wir das«, sagte er. Eingehakt schritten sie die Treppe hinauf. Etwas später, in Lauras Zimmer, bewies der Kutscher dann, daß er sich wirklich großartig in Form fühlte. * Der Morgen graute bereits, als die Männer der ›Isabella‹ das Haus von Dona Rosa verließen. Die Matrone staunte nicht schlecht, als ihr funkelnde Diamanten und Perlen aus der Neuen Welt in die Hand gedrückt wurden. »Sprich am besten mit keinem darüber«, sagte Blacky. »Wenn du überall ausposaunst, wie gut wir hier bezahlt haben,
kommen wir nie wieder.« Das wirkte am besten. Dona Rosa nickte und verkündete feierlich: »Ich kann schweigen wie ein Grab.« Die Mädchen winkten den Männern nach. Der Kutscher drehte sich noch ein paarmal um, um Laura Handküsse zuzuwerfen. »Nun hör doch endlich auf«, sagte Dan. »Du verabschiedest dich schließlich von keiner Seemannsbraut.« »Aber sie gefällt mir.« »Habt ihr euch gut unterhalten?« fragte Matt Davies. »Einmalig.« »Über was? Über deine Kochkünste?« Die Männer grinsten, und Edwin Carberry sagte noch mit tränenden Augen: »Himmel, das war aber wahrhaftig eine ganz besondere Klasse von Hafenhuren. Die können wir an die anderen weiterempfehlen.« Sie gingen zum Hafen und schlichen sich an Bord ihrer Karavelle. Hasard hatte ihnen den Landgang gestattet, aber es war verflixt spät geworden. Möglicherweise hatte er auch etwas dagegen einzuwenden, daß sie sich so weit vom Schiff entfernt hatten. Also pirschten sie. Carberry stahl sich als erster ins Vordeck. Er wollte gleich seinen Schlafraum aufsuchen. Zum Schlafen blieb wenig Zeit, aber nachdem er sich so ausgiebig mit der Rothaarigen befaßt hatte, fühlte er sich direkt ein bißchen schwach in den Knien. Da war er schon für ein paar Minuten Ruhe in der Koje dankbar. Dann hörte er ein Geräusch und blieb stehen. Er versuchte, den Laut zu definieren. Ein Rascheln? Nein, er hatte mehr ein Rasseln oder Klimpern vernommen. Vorsichtig schob er sich in die Richtung, aus der es erklungen war. Er stand vor dem Holzquerschott zu einem der vordersten Räume, als er es wieder hörte. Carberry stieß das Schott auf.
Da kniete im blassen Dunkel des Schiffsraumes ein Kerl, der hier nichts zu suchen hatte. Er hatte eine Kjste aufgebrochen und wühlte jetzt darin herum. Carberry sträubten sich die Haare. Das war ja die Backskiste, in der Gary Andrews und Stenmark ihren Beuteanteil verstaut hatten! »Du Hund!« rief er. »Dir werde ich’s zeigen! Dir ziehe ich die Haut in Streifen vom Hintern, du Rübenschwein!« Der Kerl fuhr hoch und verlor dabei Perlen, Diamanten und Goldschmuck. Er hatte sich gerade die Taschen damit vollgestopft. Jetzt fiel einiges zu Boden. Ein paar Perlen rollten auf Carberry zu. Er wich ihnen aus, stürmte auf den Burschen zu und packte ihn. Natürlich trachtete der Mann danach, ihm zu entwischen. Aber Carberry paßte auf. Er war groß und bullig, aber nicht mit trägen Reflexen ausgestattet. Er legte ein Tempo an den Tag, das ihm der Dieb bestimmt nicht zugetraut hatte. Den ersten Hieb verpaßte der Profos dem Eindringling gegen die Brust, den zweiten unters Kinn. Der Kerl japste und stöhnte. Carberry stellte ihn auf den Kopf, hielt ihn an den Fußknöcheln und schüttelte ein paarmal kräftig. Da klimperte munter zu Boden, was er bisher eingesackt hatte. Es war ein munteres Konzert, ungefähr so wie von einer Spieluhr, nur mit dem Unterschied, daß sich keine richtige Melodie ergab. Carberry stellte den Schuft wieder auf die Beine und versetzte ihm einen Stoß, daß er wie von der Bogensehne geschnellt auf den Gang hinausschoß. Er prallte gegen die Wand und sackte schlaff daran zu Boden. Mit zwei Sprüngen war der Profos wieder bei ihm. Er schubste ihn an den verdutzt blickenden Kameraden vorbei bis zum Niedergang, und dann lernte der Bursche, wie man eine Treppe hinauffiel. Er taumelte auf die Kuhl. Viel Zeit zum Besinnen blieb ihm nicht. Carberry war wieder bei ihm und stauchte ihn nach Strich und Faden zusammen. Seine Hiebe waren ein Hagel, den der Mann widerstandslos hinnehmen
mußte. Schließlich sank er auf die Decksplanken. Carberry wollte ihn am Schlafittchen packen und außenbords befördern, aber da hielten ihn die anderen zurück. Sie hatten gesehen, was der fremde Mann in dem Schiffsraum getan hatte, aber sie fanden, daß er dafür schon genug eingesteckt hatte. Wo Carberry hinschlug, da wuchs so leicht kein Gras mehr. »Ed«, sagte Blacky, »willst du einen Mord auf dich nehmen? Vergiß nicht, daß wir auf dem Trockenen liegen. Wenn der Kerl unten aufschlägt, bricht er sich sämtliche Knochen im Leib.« Carberry fuhr herum. Seine Miene entspannte sich. »Tja.« Er kratzte sich am Kinn. »Ich habe mich von meiner Wut mitreißen lassen, glaube ich. Aber die Hiebe hat der Kerl verdient. Wer ist das eigentlich? Kennt ihn jemand?« Auf Deck war plötzlich allerhand los. Licht flammte im Achterkastell auf. Hasard, Ben, Shane und die anderen erschienen. Ferris Tucker besah sich den Bewußtlosen, dann sagte er: »Das ist einer der maurischen Werftarbeiter von Alirio Lares.« »Der hat spitzgekriegt, daß es hier an Bord was zu holen gibt«, sagte Matt Davies. »Himmel, wenn Ed nichts gehört und so rasch eingegriffen hätte, wären Gary und Stenmark jetzt einen Teil ihres Reichtums los.« »Danke, Ed«, sagte Stenmark zum Profos. »Nicht der Rede wert«, entgegnete Carberry. Er blickte zu seinem Kapitän, der schweigend durch die Gruppe getreten war und ebenso schweigend vor ihm verharrte. Vor Verlegenheit kratzte Carberry sich wieder am Kinn, und dann trat er auch noch von einem Fuß auf den anderen. »Ich weiß ja«, begann er. »Keine Prügeleien und so. Aber was sollte ich denn tun? Den Schurken vielleicht abhauen lassen? Na schön, ich hätte ihn einfach bloß am Kragen festhalten und zappeln lassen können. Aber - verdammt noch mal, mir juckte es plötzlich so fürchterlich in den Händen.«
Hasard erwiderte: »So. Aber ein Profos muß sich auch beherrschen können. Wenn es Ärger mit Lares und den anderen Spaniern von der Werft gibt, badest du das aus, Ed. Und den Landgang streiche ich dann. Für alle. Ihr habt euch an meine Befehle zu halten, ganz gleich, was passiert.« »Achtung«, sagte Blacky gedämpft. »Lares hat den Lärm gehört und kommt an Bord. Denkt alle daran, daß Hasard Kapitän Philip Drummond heißt und wir Iren sind, ja? Daß sich bloß keiner verplappert.« »Wir sind doch nicht blöd«, sagte Dan. »Nein, aber ihr habt gesoffen«, bemerkte Stenmark. Alirio Lares, groß, breit und erstaunt, trat zu Hasard. »Was ist denn hier passiert? Ist was nicht in Ordnung? Kann ich irgendwie helfen?« »Nicht nötig, der Profos hat schon ganz allein aufgeräumt«, erwiderte Hasard. Er sah zunächst Lares und dann wieder Carberry an. Die Art, wie er das tat, wurmte Carberry mächtig. Er, der Seewolf, hatte ja recht. Er hielt sonst strikt zu seinen Männern. Und er verurteilte den Profos auch keineswegs, weil dieser einen Dieb gestellt und gefaßt hatte. Das stand auf einem anderen Blatt. Was er tadelte war die Mißachtung seines Befehls. Keine Gewalttaten! Die Pferde waren mit Carberry durchgegangen, da war es nur recht und billig, wenn er die Suppe selbst auslöffelte, die er sich eingebrockt hatte. Alirio Lares hatte jetzt den Besinnungslosen auf den Planken entdeckt. Seine Reaktion war mal wieder typisch für den heißblütigen Charakter eines Spaniers. Erst rang er die Hände und rief die überirdischen Kräfte an, dann begann er zu fluchen. »Gegen wen richtet sich das?« fragte Carberry. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sam Roskill. »Ich kriege nur Fetzen mit, das meiste ist Dialekt.« Lares holte tief Luft, stemmte die Fäuste in die Seiten und fragte klar und verständlich: »Darf man wissen, was sich
zugetragen hat?« »Darf man«, antwortete der Seewolf. »Ed, erkläre es ihm.« Carberry berichtete. Er ließ allerdings unerwähnt, was das für Besitztümer gewesen waren, die sich der Dieb bereits in die Taschen gestopft hatte, bevor er überrumpelt wurde. Er sprach ganz einfach nur von »Wertsachen«. »Gut«, sagte der Werftbesitzer gepreßt. »Kann ich Wasser haben, kaltes Wasser? Nein, nicht zum Trinken. Ein paar Gallonen genügen.« Der Kutscher hatte geschaltet und lief zum Vorschiff. Kurz darauf kehrte er mit einer vollen Segeltuchpütz zurück. Alirio Lares bedankte sich umständlich, nahm die Pütz und kippte ihren Inhalt über dem ohnmächtigen Mauren aus. Es war wirklich überraschend, wie schnell der Bursche aus dem Reich der Träume in die Wirklichkeit zurückkehrte. Er japste, prustete und schüttelte sich, dann stützte er sich auf die Ellenbogen. Verdattert blickte er sich um. Lares half ihm auf die Beine, indem er ihn am Wams packte und zu sich hochzog. »Ich weiß, was du verbrochen hast!« fuhr er ihn an. »Erbarmen«, flüsterte der Maure. Lares dachte gar nicht daran. Er schüttelte den Mann durch wie einen Sack Kartoffeln und brüllte ihn dabei an - so laut, daß der Maure sich furchtsam duckte. »Du Aas! Du Stinkstiefel, du verlauster Hund, du Nichtsnutz, Buschteufel, Haderlump! Aufgenommen habe ich dich, Arbeit gegeben habe ich dir, fürstlich bezahlt habe ich dich und dir obendrein noch die Geheimnisse unseres Handwerks beigebracht. Und was ist der Dank?« »Laß mich los, Herr«, bat der Arbeiter immer wieder. »Ich tu’s nie wieder.« Lares drehte ihn um und trat ihm in den Hintern. Der Maure schoß vor, als wolle er sich im Fliegen üben. Lares war mit zwei Sprüngen bei ihm und packte ihn wieder. »Du bist entlassen, du Schakal. Du fliegst in hohem Bogen raus. Hol dir
deine Sachen und laß dich hier nie wieder blicken. Kannst froh sein, daß ich dich nicht totschlage oder beim Hafenkommandanten abliefere. Verdient hättest du es.« Er gab ihm noch einen Stoß. Der Maure schlich davon wie ein geprügelter Hund. Lares wandte sich dem Seewolf und dessen Crew zu und sagte: »Das war’s. Ich bitte euch, den Vorfall zu entschuldigen. Senores. Er tut mir aufrichtig leid. Von jetzt an lasse ich nachts Wachen vor der Karavelle aufstellen.« »Schon gut«, erwiderte Hasard. »Es war weiß Gott nicht deine Schuld. Hoffen wir, daß sich der Vorfall nicht wiederholt.« Alirio Lares hob beide Hände. »Das walte der Himmel! Sterben will ich vor Schmach und Schande, wenn ihr Iren noch einmal belästigt werdet.« »Glück gehabt.« Hasard blickte zu Ed Carberry. »Lares will sich uns als guten Kunden nicht verärgern. Ich muß zugeben, sein Geschäftssinn geht ihm über alles. Gut, das genügt also, Profos. Schicke die Männer noch für zwei Glasen in die Kojen. Danach will ich wache Mienen sehen, denn es geht mit dem Spanisch-Unterricht weiter.« »Aye, aye, Sir.« »Profos.« Carberry war schon im Begriff zu gehen, aber jetzt drehte er sich noch einmal zu seinem Kapitän um. Wirklich, er hatte einen Heidenrespekt vor ihm. Als sie sich zum ersten Mal auf der ›Marygold‹ von Kapitän Drake begegnet waren, hatten sie sich tüchtig gerauft - und Hasard war Sieger geblieben. Fortan hatte Carberry mit wachsender Verehrung und Achtung zu ihm aufgesehen. Der Seewolf beugte sich etwas vor und betrachtete Carberrys Gesicht eingehend. Dem Profos wurde es mulmig zumute. »Sieh zu, daß du dir deine Visage anständig wäschst. Wasser ist nicht bloß dazu da, über Bewußtlose gekippt zu werden.«
»Sir?« »Du hast Schminke auf der Wange. Willst du den ganzen Tag damit herumlaufen?« Der Profos wäre am liebsten klein wie eine Maus geworden und hätte sich durch ein Spundloch verkrochen.
5. Sir John Killigrew hatte die Zweimastkaravelle ziemlich verschlampen lassen. Es war eine Schande. Bis sie grundüberholt war und sich in ein blitzsauberes Schiff zurückverwandelt hatte, auf das Hasard sich verlassen konnte, gingen tatsächlich zwei Wochen ins Land. Es wurde Mitte Mai. Am letzten Tag in der Werft von Alirio Lares spannte sich azurblauer Himmel ohne Wolken über Vigo. Die Sonne hatte bereits große Kraft es wurde sehr heiß. Die Männer - sowohl die Arbeiter als auch die Besatzung der ›Isabella‹ - entledigten sich ihrer Hemden und liefen mit nackten Oberkörpern herum. Hasard verließ sein Schiff und unternahm einen Inspektionsgang. Am Heck verharrte er und schaute zu dem neuen Ruder hoch, das wie eine große, grotesk geformte Zunge aus der Hennegatöffnung hervorlugte. Wirklich solide Arbeit, dachte er anerkennend. Prächtig sah sie jetzt aus, die ›Isabella‹. Lares hatte sich die Perlen, die der Seewolf ihm inzwischen gegeben hatte, wirklich verdient. Lares betrat das Dock und hielt auf Hasard zu. Hasard lächelte, und der Riese grinste gutmütig zurück. Wenn er gewußt hätte, wem er tatsächlich das Schiff ausgebessert hatte! Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß, dachte Hasard. »Wir kriegen Besuch«, verkündete Lares. »Vom Teniente des Hafenkommandanten. Er hat sich gerade ankündigen lassen.« »Ach ...« »Was er will, weiß ich nicht.
Vielleicht will er dich verhaften.« Lares lachte über den Witz. Der Seewolf fiel mit ein, obwohl ihm bei der Vorstellung ganz und gar nicht fröhlich zumute war. Er zog sich ein Hemd über. Etwas später wurde er von Lares in dessen Allerheiligstes geführt - in sein Haus. Es stand gleich neben den Werftanlagen, kein unansehnlicher Bau, aber in seinem Inneren unordentlich und ziemlich verlottert. »Ich bin nicht verheiratet«, sagte Lares entschuldigend. »Und die Weiber, die mich besuchen, denken an alles andere als ans Aufräumen.« In der guten Stube wartete bereits der schneidige Teniente Miguel Andres Ortuno. Er begrüßte Hasard sehr freundlich. Sie setzten sich, nachdem Lares drei Stühle freigeräumt hatte. Der Werftbesitzer schenkte scharfen, klaren Anisschnaps in milchig-trübe Gläser. Sie prosteten sich zu. Der Teniente setzte sein Glas ab, schnalzte anerkennend mit der Zunge und sagte: »Ich habe über Sie nachgedacht, Capitan Drummond.« »Das freut mich.« Hasard spürte ein Kribbeln auf der Nackenhaut. War er in eine Falle geraten? Ortuno und Lares konnten ihn leicht überwältigen. Und, ehrlich gestanden, es wäre kein schlechter Schachzug gewesen, ihn von seiner Crew zu trennen, heimlich zu überrumpeln und vielleicht an einen versteckten Platz zu befördern. Hasard gab sich Mühe, seine Unruhe nicht zu zeigen. Ortuno lächelte. »Ich will Sie nicht auf die Folter spannen.« Wie war das jetzt zu verstehen? »Ich bin wirklich neugierig, welchen Anlaß Ihre Visite hat«, erwiderte Hasard beherrscht. »Wollen Sie mein Schiff sehen? Senor Lares hat wirklich hervorragende Arbeit geleistet.« Lares wurde rot vor Stolz. Der Teniente lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und fuhr fort: »Nein, das ist es nicht. Wissen Sie, Drummond, ich
wehre mich gegen eine gewisse Ungerechtigkeit.« Hasard legte die rechte Hand auf das rechte Bein. Wenn es zur Auseinandersetzung kommen sollte, wollte er sich wenigstens rigoros verteidigen. Die doppelläufige sächsische Reiterpistole steckte in seinem Hosenbund. Er brauchte sie nur zu zücken und den Hahn zu spannen. Die Ladung hatte er erst vor kurzem geprüft. Ortuno nickte, um seine Worte zu unterstreichen. »Ja, ich finde es ungerecht, daß Sie leer nach Cadiz segeln. Da Sie mir Ihr Ziel schon mitgeteilt hatten, habe ich mich ein bißchen umgehört. Capitan, es gibt Zufälle! Ich habe eine Ladung für Sie. Von hier nach Cadiz!« Hasard hätte vor Erleichterung am liebsten aufgeatmet. Aber er hatte sich im Zaum. Eine falsche Geste vor dem Teniente, eine Grimasse, und der Mann schöpfte Verdacht. Es schien seine Taktik zu sein, die Menschen bei gewissen Anlässen ein wenig zappeln zu lassen. Wahrscheinlich prüfte er so am besten, ob sie aufrichtig waren. Das war keine schlechte Taktik, wenn man die Dinge mal aus seiner Sicht betrachtete. Hasard spielte den Erstaunten. »Himmel, Teniente, ist das wirklich wahr? Das wäre aber nicht nötig gewesen. Ich meine, es gehört doch nicht zu Ihren Aufgaben und ...« »Für Sie habe ich das gern getan«, erwiderte Ortuno. »Um was für eine Art von Frachtgut handelt es sich?« »Schaffelle. Nehmen Sie an, Capitan?« »Aber selbstverständlich«, sagte der Seewolf. Miguel Andres Ortuno lächelte zufrieden. »Gut. Die Felle befinden sich auf dem Kai vor dem Lagerhaus von Camaro. Camaro ist ein Kaufmann von Vigo. Lares wird Ihnen erklären, wie Sie zu dem Lagerschuppen finden, Capitan. Camaro wollte die Ladung schon seit einer Woche nach Cadiz verfrachten, hatte aber noch kein geeignetes Schiff gefunden. Dann trafen Sie ein. Was für ein Zufall!« »Ja, das kann man wohl sagen«, entgegnete Hasard. »Und an
wen sollen die Felle in Cadiz geliefert werden?« »Camaro wird Sie über die nötigen Details unterrichten. Wenn ich mich nicht verhört habe, ist der Empfänger das Handelshaus Romeronde Zumarraga. Er selbst ist ein recht einflußreicher Mann.« Jetzt hätte sich Hasard tatsächlich gern aus ganzem Herzen bei dem Teniente bedankt. Das war ja ein Glückstreffer! Hasard suchte Zumarraga, und nun hatte er ein Motiv, ihn offiziell aufzusuchen. Besser hätte er es nicht treffen können. Die Fahrt nach Spanien hatte sich schlecht angelassen, aber jetzt schienen sich die Dinge zum Guten zu wenden. Zumindest waren die Vorzeichen vielversprechend. Der Teniente verabschiedete sich. Hasard sprach ihm seinen Dank aus. Am Nachmittag konnte die ›Isabella‹ das Trockendock verlassen, und Hasard verholte sie an den Kai vor dem Lagerhaus von Camaro. Camaro war ein kühler Typ, der keine Platitüden und große Floskeln liebte. Die Verhandlungen für den Frachttransport waren rasch abgeschlossen. Camaro zahlte die Fracht sogar im voraus. Da »Philip Drummond« ihm durch Ortuno empfohlen worden war, hatte er volles Vertrauen zu Hasard. Das konnte er auch haben. Hasard lag nichts mehr am Herzen, als so schnell wie möglich zu Zumarraga zu gelangen. Dies war die Chance, völlig unverdächtig Cadiz anzulaufen und sich genau dort ein unverfängliches Entree zu verschaffen, wo er etwas über die ›Wappen von Wismar‹ zu erfahren hoffte. Die ›Isabella VII.‹ übernahm die Ladung. Die Schaffelle waren zu hohen Packen gebündelt und mit Stricken zusammengezurrt. Sie waren gesalzen worden - die hier wie in England übliche Art, den Rohstoff zu konservieren. Später, in der Lohgerberei, würden sie durch Schwödebrei von den Haaren befreit werden und dann in den Äscher kommen, bevor die langwierige Prozedur von Gerbung und Färbung einsetzte.
Das Salz konnte die Felle allerdings auch nicht von ihrem Gestank befreien. Dan rümpfte die Nase, als er half, die Packen in den Frachtraum der Karavelle abzufieren. Gestank konnte er nicht leiden. Aber auch die anderen nahmen sich vor, während der Reise nach Cadiz den Fuß nicht mehr in den Frachtraum zu setzen. Hasard erhielt die Frachtpapiere ausgehändigt. Er übernahm noch Proviant, Trinkwasser, Segeltuch und andere Dinge für den eigenen Gebrauch. Ben Brighton hatte in Zusammenarbeit mit Carberry, Shane, Ferris und dem Kutscher eine entsprechende Liste angefertigt. Bevor sie ausliefen, gab es noch einen herzzerreißenden Abschied von Alirio Lares, der ihnen beim Besorgen der Vorräte behilflich gewesen war. Theatralisch, wie er nun mal war, schlug er sich mit der Hand vor die Brust, als er auf der Gangway zur Pier seiner Werft stand. »Freunde, ich hatte mich schon so an euch gewöhnt. Ihr werdet mir fehlen.« »Du wirst es überwinden«, sagte Hasard. »Grüße Dona Rosa und ihre Mädchen von uns!« rief Dan O’Flynn. »Sie sollen sich ein bißchen abkühlen und schonen, bis wir das nächste Mal wieder vorbeischauen.« Er wollte noch etwas hinzufügen, aber sein Alter trat ihm mit dem Holzbein in den Hintern. Lares ging an Land. Die Gangway wurde eingeholt, die Festmachertrossen wurden gelöst, und dann dümpelte die ›Isabella‹ in Richtung auf das Hafenbecken und die Reede von Vigo. Hasard ließ die Segel setzen. Bei Nordwestwind glitten sie aus der Flußmündung, fielen ab und segelten bald darauf mit Backstagswind gen Süden. »Lares, dieser Strauchdieb«, meinte der alte O’Flynn. »Ich kann mir denken, daß er uns gern noch behalten hätte, um uns weiter zu schröpfen. Leute, die mit Perlen zahlen, findet man nicht alle Tage.«
Hasard schüttelte den Kopf. »Nein, was er gesagt hat, war ehrlich gemeint. Schade, daß er kein Engländer ist. Kerle wie ihn kann das Vaterland gebrauchen.« * Bei günstigem Wind und herrlichem Wetter umrundete die Karavelle am 22. Mai 1580 Kap Sao Vincente an der Südwestküste von Portugal. Wieder hatte Hasard die recht ereignislosen Tage genutzt, um seine Crew in Dingen zu unterrichten, die er für sehr wichtig hielt. Im übrigen war es schlecht, wenn eine Mannschaft in Müßiggang verfiel, das brachte sie nur auf dumme Gedanken. In puncto Spanischunterricht war wieder unter der Anleitung von Hasard, Ben und Sam gepaukt worden. Carberry hätte sich jetzt wohl mit Alirio Lares problemlos verständigen können. Selbst Buck Buchanan, der zwar ein verläßlicher Seemann und guter Kämpfer, aber keine große geistige Leuchte war, hatte die wesentlichen Brocken gelernt. Und weiter: Hasard hatte die Crew nach altbewährtem Muster mit verteilten Rollen exerzieren lassen. Jeder mußte den Posten des anderen übernehmen können, jeder mußte sich in sämtlichen Funktionen an Bord des Schiffes auskennen und notfalls die ihm nicht zugedachten Arbeiten spielend ausführen können. Sogar der Kutscher hätte nun selbständig die Karavelle als Kapitän fahren können - falls es erforderlich gewesen wäre. Und er konnte auch die 17-Pfünder und Drehbassen bedienen. Von der reinen seemännischen Praxis her waren Hasards Männer jetzt erstbeste Klasse. Sie segelten die Karavelle exakt und nach allen Regeln der Kunst. Hasard konnte dazu übergehen, ihnen die navigatorischen Kenntnisse zu vermitteln. Er erteilte auch in dieser Materie regelrechte Unterrichtsstunden. Er stieg zu seinen Männern auf die Kuhl hinunter, setzte sich
auf den Rand der Gräting und begann: »Viele von euch würden immer noch nach Gefühl und Daumenpeilung durch die Weltgeschichte segeln, dabei gibt es Möglichkeiten und Geräte, mit denen man den Kurs ziemlich präzise festlegen kann. Das ist uns nicht erst seit heute möglich. Und ich will, daß Begriffe wie ›terrestrische Navigation‹, die so wahnsinnig hochtrabend klingen, für euch keine Bücher mit sieben Siegeln bleiben.« »O Jesus«, stöhnte Batuti. »Hör auf«, sagte der Profos. »Ich habe auch Spanisch gelernt. Der Mensch kann sich alles verklickern, wenn er bloß will. Streng deinen Gehirnkasten nur ordentlich an.« »Nur den Benimm kann man nicht mit Löffeln fressen«, erklärte Dan. Carberry drehte sich zu ihm um. »Ich ramme dich unangespitzt ins Deck und stopfe dir einen Ballen Schaffelle in die Kiemen, wenn du nicht aufhörst.« »Aye, aye«, sagte Dan. Er grinste aber immer noch frech - bis sein Alter ihm wieder mal mit dem Holzbein drohte. »Dan, ab in den Hauptmars, Gary ablösen«, ordnete der Seewolf an. Dan zog ab und enterte in den Leehauptwanten am Großmast auf. Das war nun die Strafe. Er hätte gern einiges über Navigation erfahren, aber damit war es jetzt vorläufig Essig. »Gerade die Portugiesen haben den wichtigsten Beitrag zur Navigation geleistet, das muß der Neid ihnen lassen«, erklärte Hasard. »Sie verwandelten die küstennahe Lotsenkunst dadurch in ozeanische Richtungs- und Positionsbestimmung, indem sie es lernten, die Himmelskörper mit dem Astrolab der Seeleute, dem Quadranten und dem Jakobsstab zu beobachten. Könnt ihr mir folgen?« »Ja«, erwiderte Blacky. »Zeigst du uns die Geräte noch genau?« »Natürlich, aber später. Bleiben wir vorerst bei der Theorie.
Himmelsnavigation ist den meisten Seeleuten einfach unverständlich. Gerade deswegen will ich, daß ihr damit vertraut werdet und anderen etwas voraushabt - wie Kapitän Drake.« »Und wie der Seewolf«, sagte Smoky. Überragendes Wissen und Können machten zu einem Teil die Vorrangstellung eines Kapitäns aus, aber sie konnten nicht die Autorität ersetzen, die er nun einmal haben mußte. Hasard war und blieb der Kapitän, der hier befahl, was zu tun war, und das Schicksal von Schiff und Crew leitete - aber in Sachen Schulung hielt er es nicht wie andere Schiffsführer, die ihre Mannschaft nur auf Praxis trimmten und im übrigen dumm hielten. Das geschah oft aus Angst, die Leute könnten zu naseweis werden und meutern. Hasard brauchte sich in der Beziehung nicht zu sorgen. Er wußte, daß er seine Männer richtig einschätzte, daß sie für ihn über glühende Kohlen laufen oder sich lieber töten lassen würden, bevor sie ihn verrieten oder sich gegen ihn auflehnten. Es war eine einzigartige, durch tausend Gefahren und Entbehrungen zusammengeschmiedete Crew. »Portugiesische Navigationshandbücher erreichen allmählich eine weite Verbreitung«, setzte er ihnen weiter auseinander. »Das früheste stammt von 1509. Wir Engländer sind in dieser Hinsicht leider ziemlich rückständig. William Bournes erstes Handbuch erschien erst vor sechs Jahren.« »Donnerwetter, wie du das weißt«, sagte Matt Davies. »Nie von so einem Schinken gehört«, sagte Stenmark. »Doch«, versetzte Carberry. »Ich habe gesehen, wie Kapitän Drake manchmal darin las, als ich noch auf der ›Marygold‹ und später auf der ›Golden Hind‹ fuhr.« »Davon habe ich nie was bemerkt, solange wir mit Drake zusammen waren«, erklärte Matt Davies. »Du kannst ja auch nicht lesen«, sagte Carberry. »Und jetzt?« Der Kutscher setzte sich neben Hasard. »Sollen
wir jetzt alle dieses Handbuch wälzen?« »Nicht nötig. Wir gehen gleich zur Praxis über, aber nicht mit den Apparaten, die ich vorher erwähnt habe, sondern mit einem der einfachsten, verständlichsten Geräte.« Der Seewolf ging ins Achterkastell und kehrte wenig später mit einem Instrument aus Metall und Glas zurück. Es war ein Kompaß. Er verwandte viel Zeit darauf, ihnen das Lesen des Kompasses auseinanderzusetzen und zu erklären, wie man danach auf den verschiedenen Breiten der Ozeane manövrierte. Das Bestimmen der Position nördlich und südlich des Äquators durch die Sonnenhöhe war ein weiterer wesentlicher Punkt in Hasards Unterricht. Schwieriger war es mit der Festlegung der Länge und der westlichen und östlichen Entfernung. »Anhand der neuesten Geräte werde ich auch das noch jedem von euch beibringen«, sagte Hasard. »Ihr werdet dann sogar den Dons etwas vorexerzieren können. Denen ist diese Sache nämlich auch noch ein Geheimnis. Das herkömmliche Mittel zur Feststellung eines Etmals ist ja die mit Knoten versehene Logleine, die in festgelegten Zeitabständen über Bord gegeben wird.« »Damit messen wir die Geschwindigkeit des Schiffes«, antwortete Smoky. »Je flinker die Knoten ablaufen, desto schneller ist das Schiff.« »Und die vermutete Position stecken wir mit einem Pflock in einer Tafel fest und vermerken sie als Log«, sagte Old O’Flynn. »Das haben wir schon immer so gehandhabt. Was soll daran schlecht sein?« Hasard lächelte. »Solange man zwischen England und Irland und dem europäischen Festland schippert, ist die Methode vielleicht noch zufriedenstellend. Aber die Welt ist größer geworden. Und ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß es bei der Größenangabe der Neuen Welt und der Breite der Ozeane riesige Fehleinschätzungen gibt.«
Der alte O’Flynn gab nicht auf. »Na und? Hauptsache, wir knöpfen den Dons so viel Gold und Silber wie möglich ab. Der Rest kann uns doch egal sein.« »Irrtum, Old O’Flynn. Eines Tages werden wir der Königin auch erklären müssen, wie es in der Neuen Welt aussieht, wie sie beschaffen, wie sie zu vermessen und wie weit genau der Weg dorthin und darüber hinaus über den Stillen Ozean zu den fernen, geheimnisvollen Inseln ist. Wir werden mithelfen, neue Karten anzufertigen. Das ist unsere Aufgabe. Wir sind nicht nur Schnapphähne zur See, Old O’Flynn, wir sind auch Entdecker und Wegbereiter unserer Nachfahren.« »Große Ideen«, sagte der Alte. »Ich finde immer wieder einen Grund mehr dafür, warum du dem verdammten Sir John so haushoch überlegen bist, Hasard.« Die Lektion wurde durch Dans Ruf aus dem Hauptmars unterbrochen. »Deck, Deck!« gellte seine Stimme. »Mastspitzen Backbord voraus!« Zu diesem Zeitpunkt lagen sie bereits mit Kurs auf Cadiz an. Der Wind hatte auf West gedreht. Sie liefen platt vorm Wind, so daß es ein richtiger Schlabbertörn war. Mit großer Geschwindigkeit näherten sie sich den Mastspitzen über der Kimm. Hasard klomm zum Achterkastell hoch, zog das Spektiv auseinander und blickte durch die Optik Backbord voraus. Als er gerade die Maststengen und Segel eines Schiffes erkennen konnte, meldete Dan: »Ho, das sind drei. Drei spanische Galeonen!« Wie erkannte man, daß es sich um Schiffe aus Spanien und nicht aus einem anderen Land handelte? Nun, wenn die Flagge noch nicht zu sehen war, so konnte man es doch zumeist der Bauweise der Schiffe entnehmen. Spanische Galeonen unterschieden sich in einigen wesentlichen Details von portugiesischen, französischen oder englischen. Und sie hatten
auch alle ein Holzkreuz unter dem Bugspriet baumeln, das Zeichen des Katholizismus. Dan O’Flynn schaute darauf immer zuerst. Kein Zweifel also, Spanier. »Was tun wir?« sagte der Profos. »Lassen wir sie so einfach herankreuzen, die Burschen? Bereiten wir uns nicht auf eine zünftige Begrüßung vor?« »Dir juckt es wohl wieder in den Fingern«, entgegnete der Seewolf. »Ja.« »Hast du vergessen, daß wir Iren sind?« »Zum Teufel mit den Tarnmanövern, man muß diesen lausearroganten Dons eins auswischen«, versetzte Carberry beharrlich. Hasard blickte ihn an. »Reiß dich am Riemen. Ich will nach Cadiz, klar? Wenn du dich diesmal nicht beherrschen kannst, sperre ich dich für ein paar Tage in die Vorpiek.« »Aye, aye, Sir.« Carberry grinste. Verflixt, er hätte nicht übel Lust gehabt, endlich wieder einmal einen feindlichen Verband anzugreifen beispielsweise zwei dieser Philipps zu versenken und die dritte Galeone zu entern. Aber der Seewolf war unerbittlich. Da blieb dem Profos nichts anderes übrig, als zu kuschen. Wollte er mit dem Dickschädel durch die Wand, würde Hasard seine Drohung wahrmachen. In der Beziehung war ja mit ihm nicht gut Kirschen essen. Hasard hob wieder den Kieker ans Auge. Die drei Galeonen nahmen sich in der Optik als behäbige Silhouetten aus, sie glichen fetten Tieren, die sich mürrisch gegen die Fluten stemmten. Sie änderten den Kurs und fuhren einen Kreuzschlag nach Süden, und der Seewolf sah nun auch ihre Flanken. »Kriegsgaleonen«, sagte er. »Dicke Brocken, schwer armiert.«
»Holla!« rief Dan aus dem Hauptmars. »Die geben uns Blinkzeichen!« Die Distanz zwischen den Schiffen war erheblich geschrumpft. Was der Spanier signalisierte, war jetzt auch mit bloßem Auge zu erkennen. Ben Brighton erklärte: »Sie sagen, wir sollen stoppen.« »Dann tun wir ihnen den Gefallen.« Hasard wandte sich Rudergänger Pete Ballie zu. »Pete, anluven nach Steuerbord.« Carberry scheuchte die Crew an die Brassen und Schoten. Ein anderer Teil der Mannschaft enterte wie eine Bande Affen in den Wanten auf. Die ›Isabella VII.‹ fuhr eine Schleife, drehte also in südlicher Richtung ab, ging fast bis in den Wind, daß Fahrt aus dem Schiff kam und nahm dann das gesamte Zeug weg. Mit aufgegeiten Segeln glitt sie nunmehr in Parallelrichtung zu dem Verband. Die drei Spanier stoppten ebenfalls, und zwar durch Backbrassen. Ihr Flaggschiff war der ›Isabella‹ am nächsten ein imposanter Zweidecker mit sage und schreibe zwanzig Stückpforten auf jeder Schiffsseite. Schwer wiegte er sich auf der Atlantikdünung. Es war ein eindrucksvolles Bild. »Sie blinken wieder«, sagte Ben zu Hasard. »Woher wir kommen.« »Sagen wir es ihnen.« »Shane!« rief Ben Brighton. Big Old Shane stand drei Schritte entfernt am Backbordschanzkleid des Achterdecks. Er nickte und antwortete den Dons klar und exakt, daß sie aus Dublin kämen. Wohin, wollte der Spanier wissen. Cadiz, signalisierte Shane. Bei der Flaggaleone wurde ein Beiboot zu Wasser gelassen. Hasard und seine Männer beobachteten, wie außer den Rudergasten vier spanische Soldaten und ein Offizier abenterten. Das Beiboot löste sich von der Schiffswand, die
Riemen senkten sich auf die Wasserfläche, das Boot wurde zur Karavelle herübergepullt. »Die scheinen verdammt mißtrauisch zu sein«, sagte Ben Brighton. »In Vigo haben wir Glück gehabt, aber es ist nicht gesagt, daß jeder auf unseren Schwindel hereinfällt.« »Nicht unken, Ben«, erwiderte Hasard. »Ruhig Blut.« Er wandte sich zur Kuhl und rief Stenmark und Matt Davies zu: »He, bringt die Jakobsleiter aus.« Der Befehl wurde ausgeführt und die Jakobsleiter am Backbordschanzkleid der Kuhl belegt. Kurze Zeit später ging das Beiboot längsseits. Es hob und senkte sich an der Bordwand. Der Offizier stieg als erster auf die Jakobsleiter über, es folgten die vier Soldaten. Hasard empfing die fünf auf dem Achterdeck. Er stellte sich wieder als Philip Drummond vor. Der Anführer der Spanier war ein schlanker Bursche mit leicht pomadisierten schwarzen Haaren, ohne Bart. Seine dunklen Augen waren unverwandt auf Hasard gerichtet. Um seinen Mund spielte ein ironischer Zug. »Narciso Pezeira, Erster Offizier auf der ›San Padelico‹«, sagte er. »Verstehen Sie unsere Sprache?« Der Seewolf lächelte. »Ja. Ich habe meine Männer während der Überfahrt sogar darin unterrichtet, damit sie keinen schlechten Eindruck in Cadiz hinterlasen, Senor Pezeira. Wir Iren sind da Pedanten.« Pezeira verzog keine Miene. Er mußte um die Ende Zwanzig sein, und es war erstaunlich, wie ein junger Mann in so wenigen Jahren so viel Arroganz entwickeln konnte, fand Hasard. Pezeira drehte sich kurz um. Sein Blick wanderte über das Deck und erfaßte die Gesichter der Crew, eines nach dem anderen. Die Männer grinsten. Warum grinsten die? Pezeira sah wieder Hasard an. »Gut. Ihre Ladung? Mein Kapitän drüben auf der ›San Padelico‹ will genau im Bilde sein, verstehen Sie? Wir Spanier
sind noch größere Pedanten als Sie.« »Aha.« Hasard blieb freundlich. »Bis Vigo sind wir leer unterwegs gewesen. Dort haben wir Sturmschäden am Schiff ausbessern lassen und haben fünfzigtausend Fuß Schaffelle übernommen. Von einem gewissen Camaro, Kaufmann in Vigo.« »Kenne ich nicht.« »Die Schaffelle sind für Zumarraga in Cadiz.« »Soso. Wie viele Fuß, sagten Sie?« »Fünfzigtausend.« »Wieviel Tonnen sind das?« »Das weiß ich nicht«, erwiderte Hasard. »Aber Sie sollten doch die hierzulande üblichen Maße kennen, Senor Pezeira.« »Zeigen Sie mir die Frachtpapiere.« Pezeira übertrieb es absichtlich. Er fühlte sich stark mit seinen drei Galeonen als Rückendeckung. Er glaubte, sich so richtig aufplustern zu können. Carberry grinste ihn an, so freundlich wie ein Haifisch. Hasard ließ die Papiere holen. Pezeira blätterte sie durch und studierte aufmerksam jede Eintragung. Er schaute wieder auf und sagte: »Ich will die Ladung sehen.« Hasard führte ihn in den Frachtraum. Sie wurden von zwei der spanischen Soldaten und Blacky und Al Conroy begleitet. Der Gestank, der ihnen entgegenschlug, war fürchterlich. »Möchten Sie sich einen Ballen genauer ansehen?« fragte Hasard. »Nein, danke.« Pezeira maß die Menge des Frachtgutes mit einem tastenden Blick. »In Ordnung. Die Menge scheint den Angaben auf den Begleitpapieren zu entsprechen.« Also kannte er sich mit den Maßen doch aus! Hasard wurde langsam ärgerlich. Sie kehrten an Oberdeck zurück, diesmal auf die Kuhl. Pezeira trollte sjch immer noch nicht. Er blieb stehen und musterte wieder die Crew. Die grinste immer noch. Das gefiel ihm nicht. Hasard dachte daran, daß er nur bestimmte Backskisten zu
filzen oder in der Kapitänskammer das Unterste zuoberst zu kehren brauchte - dann war das Theater da. Denn jeder Teil der Beute würde auf die Neue Welt hindeuten. Und bis dahin waren bis zu dieser Zeit noch keine irischen Schiffe gesegelt. Aber auf die Idee, im Vordeck oder Achterkastell herumzuschnüffeln, kam Pezeira vorläufig nicht. Statt dessen sah er Batuti und den Affen Arwenack an, als wären sie eins der Weltwunder. Arwenack hockte gerade auf Batutis Schulter. Am liebsten hätte er diesem spanischen Schnösel eine Kokosnuß an den Kopf gepfeffert. »Moment mal«, sagte Pezeira. »Wie sind dieser Neger und dieser Affe an Bord der Karavelle gelangt?« »Die habe ich in Afrika übernommen«, entgegnete Hasard seelenruhig. »Ist das vielleicht verboten?« Pezeira suchte Streit und Verdruß. »Ich muß den Neger beschlagnahmen, Drummond. Er ist suspekt. So was darf sich auf spanischem Boden und spanischen Hoheitsgewässern nicht frei bewegen.« Batuti wollte aufbrausen, Carberry war auch dem Platzen nahe, aber Hasard warf ihnen zurechtweisende Blicke zu. Er stellte sich mit leicht abgewinkelten Beinen vor Narciso Pezeira hin und konterte. »Ich selbst habe den schwarzen Mann gekauft. Er ist mein persönliches Eigentum. Aber wenn Sie ihn mir abkaufen wollen, Senor, bitte schön: Er kostet tausend Escudos.« Pezeira wich einen Schritt zurück. »So ein Wucher! Das ist eine Unverschämtheit!« Hasard wurde es zu bunt. Seine Stimme wurde scharf und kalt. »Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Pezeira. Sie suchen das Haar in der Suppe, aber damit erreichen Sie bei mir nichts. Sie haben kein Recht, uns zu schikanieren. Es herrschen gute politische und merkantile Beziehungen zwischen meinem Land und der spanischen Krone, und Sie sind drauf und dran, diese Kontakte empfindlich zu stören. Und warum? Das wissen
Sie selbst nicht. Wollen Sie sich bei Ihrem Kapitän Lorbeeren verdienen, indem Sie uns grundlos was am Zeuge flicken? Ich werde in Irland berichten, wie man sich hier einem Iren gegenüber verhält. Ich habe gute Beziehungen, mein Freund, und ich werde dafür sorgen, daß diese Sache ein Nachspiel bei Hofe hat.« Pezeira steckte zurück. »Also gut«, entgegnete er frostig. »Sie brauchen nicht aufzubrausen, Capitan Drummond. Sie dürfen Ihren Weg fortsetzen.« Er verließ nach knappem Gruß mit seinen vier Soldaten das Oberdeck der ›Isabella‹ und ließ sich zurück zur ›San Padelico‹ pullen. Wenig später zog der Kriegsschiffverband der Spanier ab. Hasard ließ wieder die Segel setzen. Die Karavelle nahm Fahrt auf. »Das ist noch mal gutgegangen«, sagte er zu Ben Brighton. »Hier wollte sich zwar nur ein kleines Licht aufspielen und Macht demonstrieren, das ist mir klar. Aber gerade aus solchen Nichtigkeiten entwickeln sich oft die größten Gefahren.«
6. Cadiz. Die Stadt vor der Mündung des Rio Guadalete empfing die Männer der ›Isabella VII.‹ mit gleißendem Sonnenschein. Die See war beinahe spiegelglatt und die Sicht so klar, daß im Norden deutlich Rota, La Puntilla und Puerto de Santa Maria sowie die Insel La Galera zu erkennen waren. Der Sonnenglast und die verträumt-heitere Stimmung, die von der Landschaft Südandalusiens ausgingen, schienen ein gutes Omen zu sein. Cadiz - Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und als Festung und Seehafen eine der wichtigsten Städte Spaniens. Dem Golf von Cadiz war im Westen eine sehr lange Landzunge vorgelagert, auf deren Nordteil sich die Häuser
drängten und die einlaufenden Schiffe schon von weitem grüßten. Die Landzunge war ein Ausläufer der Insel Leon, die durch einen schmalen Meeresarm, den San-Petri-Kanal, von dem Festland getrennt war. Die zwischen dem Festland und der Landzunge gelegene Bucht zerfiel durch den Cadiz gegenüberliegenden Landvorsprung Trocadero in zwei Teile, nördlich hieß die Bai »Bahia de Cadiz«, südlich »Bahia de Puntales«. Als Festung gehörte Cadiz zu den Plätzen ersten Ranges. Sie wurde von einem Wall mit Bastionen und durch die detachierten Werke der Cortadura San Fernando auf der Landzunge im Süden und des Forts San Sebastian im Westen verteidigt. Die Einfahrt in die Bai von Puntales wurde durch die Forts Santa Catalina, Matagorda und Puntales geschützt. Auf der Insel Leon lag San Fernando mit dem Seearsenal La Carraca. Die Stadt war mit Ausnahme ihres ältesten Teiles regelmäßig gebaut, hatte mehrere Plätze, darunter die Plaza de la Constitucion, und eine öffentliche Anlage, die Alameda. Die Häuser waren alle sehr sauber gehalten. Ihre Dächer waren platt und waren mit kleinen Umschautürmen, Miradores genannt, versehen. »Eine Perle«, sagte Ben Brighton. »So besehen, ist Spanien wirklich ein feines Land.« Old O’Flynn sagte: »Ja. Wenn hier bloß keine hinterhältigen, durchtriebenen, schlitzohrigen, bestechlichen Dons leben würden.« Eine Schaluppe des Hafenkapitäns glitt auf die ›Isabella‹ zu und nahm sie in Empfang. Nach dem üblichen »Woher« und »Wohin« dirigierte sie die Karavelle an San Felipe vorbei nach Port Piojo und dort in ein Hafenbecken, an dessen Kai die Lagerhallen des Handelshauses von Romeronde Zumarraga standen. Das Anlegemanöver, das Festmachen und eine Reihe kleiner Formalitäten liefen völlig problemlos ab.
»Diese irische Tarnung ist Gold wert«, sagte Hasard. »Niemand schöpft Verdacht.« »Allmächtiger, daß man das nicht ausnutzen darf«, erklärte Carberry. »O Himmel, Arsch und Zwirn, warum können wir die Stadt nicht heute nacht auseinandernehmen - wie ein Wolf, der sich in eine Schafherde geschlichen hat?« »Das fragst du?« erwiderte Hasard scharf. »Nein, ich spreche nur so vor mich hin.« »Ohren anlegen und bloß nicht aufmucken, Profos.« »Aye, aye, Sir.« »Herhören«, sagte Hasard zu seiner Crew. »Ich gehe an Land und suche diesen Zumarraga auf. Allein. Ich nehme die Frachtpapiere mit und wickle zunächst mal ganz offiziell die Übergabe der Schaffelle ab. Dann sehe ich weiter.« Kurze Zeit darauf wanderte er an den Hafenanlagen entlang, eine Mappe aus Schweinsleder unter den rechten Arm geklemmt. Er blieb vor dem Haus stehen, das ihm die Männer von der Schaluppe des Hafenkapitäns als Handelskontor des Zumarraga bezeichnet hatten. Das war ein würdiges, zwei Stockwerke hohes Gebäude aus blaßroten Natursteinen, mit hohen Bleiglasfenstern und zwei schweren Eingangstüren aus dunkel gebeiztem Edelkastanienholz. Hasard wählte die linke Tür. Er fand sich in einem in Halbdunkel getauchten Flur wieder, vernahm Stimmen, schritt rechts durch eine offene Tür und stand in einem Kontorraum. Der Bedienstete, der hier mit wenigen Worten ein paar Arbeiter abfertigte, schien genauso alt wie sein abgewetzter Schreibtisch zu sein. Als die Arbeiter gegangen waren, heftete er seinen Blick auf Hasard. »Und?« Mehr sagte er nicht. »Kapitän Philip Drummond von der irischen Karavelle ›Isabella VII.‹«, sagte der Seewolf. »Ich habe fünfzigtausend Fuß Schaffelle für Senor Romeronde Zumarraga. Aus Vigo. Von Senor Camaro. Ich möchte so schnell wie möglich
klarieren.« »Gut. Sie können das mit mir abwickeln, Capitan.« »Tut mir leid, aber ich will Senor Zumarraga persönlich sprechen.« »Ich weiß nicht, ob er schon wieder aus der Stadt zurück ist. Er hatte dort zu tun«, antwortete der verstaubte Büroknüppel ausweichend. »Dann gehe ich erst mal zu seinem Vertreter und warte dort auf ihn.« Hasard hatte kerne Lust, sich mit diesem mürrischen Zeitgenossen auch nur eine Minute länger als unbedingt erforderlich zu unterhalten. Und schon gar nicht wollte er sich vom Herrn des Ganzen abwimmeln lassen. »Diego Serrao also«, sagte der Kontormensch. »Ich weiß nicht, ob er zugegen ...« »Ich suche einfach sein Kontor auf«, erwiderte Hasard, »Dann sehe ich ja, ob ich ihn antreffe.« »Ich führe Sie.« Der Alte zeigte sich plötzlich erstaunlich beflissen. Er stand auf, schlurfte auf Pantoffeln an Hasard vorbei und geleitete ihn in das Obergeschoß. Sie stiegen eine knarrende Holztreppe hoch. Oben ging es über einen langen Flur an vielen Zimmern vorbei bis zu einer Tür, auf die man in verschnörkelten Lettern den Namen Diego Serrao gepinselt hatte. »Und Senor Zumarraga?« sagte Hasard. Sein Begleiter wies zum Ende des Flures. »Dort. Aber ich weiß nicht ...« »Schon gut. Sie können gehen.« Hasard klemmte sich die Schweinsledermappe fester unter den Arm und marschierte auf die Tür los. Dahinter hustete jemand. Irgend jemand war also zugegen. Der Alte aus dem Kontor unten wollte an Hasard vorbei und ihn anmelden, aber Hasard war schon an der Tür und öffnete sie. »Kapitän Philip Drummond aus Dublin, Irland«, sagte er vernehmlich. »Soeben eingetroffen. Ich habe eine Frachtladung
Schaffelle aus Vigo für Sie mitgebracht, Senor Zumarraga.« Das Zimmer lag zum Hafen hin. Es hatte allein acht Fenster und war schon mehr ein Salon als ein gediegen eingerichteter Hauptkontorraum. Hinter einem ausladenden Intarsienschreibtisch hockte ein alter Mann. Alle Männer in diesem Haus schienen Greise zu sein. Die Travertinplatte des Schreibtisches war mit verschnörkeltem Tand vollgestellt. Der Alte ging fast dahinter unter. Man hätte ihn glatt übersehen können. Aber Hasard spürte, daß er Romeronde Zumarraga gegenüberstand obgleich der den Mund noch nicht auf getan hatte. Der Seewolf schritt auf ihn zu. Der verstaubte Büroknüppel blieb hinter ihm am Türrahmen zurück. Zumarraga war ein Mann mit weißem Ziegenbart. Sein vertrocknetes Aussehen und sein schmales, knochiges Gesicht drängten den Vergleich mit einem Geier auf. Hasard blieb dicht vor dem Schreibtisch stehen. Sie blickten sich über die Platte hinweg an. Bevor Hasard noch etwas äußern konnte, klappte Zumarraga nun doch den Mund auf. Er röchelte, griff sich mit der Hand an den faltigen Hals und rief mit hoher Greisenstimme: »Raoul - mein Gott der Himmel stehe mir bei ...« Raoul war der Alte aus dem unteren Kontor. Er löste sich aus seiner starren Haltung, hastete durch den Raum und umrundete den riesigen Schreibtisch. Zumarraga wurde zu Hasards maßlosem Erstaunen blau im Gesicht. Er griff sich ans Herz, rang nach Atem, kriegte hervorquellende Augen. Es sah aus, als würden sie jeden Augenblick auf die Travertinplatte seines wertvollen Möbels fallen. »Ein Schlaganfall«, stammelte Raoul. »Ein Arzt, Jesus, man muß sofort einen Arzt rufen, sonst überlebt er es nicht.« Hasard war sprachlos. Eine solche Reaktion hatte sein Erscheinen noch nie ausgelöst. Wohl waren gewisse Leute totenbleich, andere puterrot geworden, wenn er sich ihnen
unverhofft gezeigt hatte. Aber, aus welchem Grund auch immer sie vor ihm erschraken, es hatte sie nie umgeworfen. Zumarraga übertraf alles bisher Dagewesene. Dabei kannte er Hasard doch gar nicht, das war der Witz. Eins stand fest. Romeronde Zumarraga markierte seinen Zustand nicht. Ihm ging es wirklich schlecht. Was seinen Kollaps auch verursacht haben mochte, ihm mußte geholfen werden. Raoul schien selbst kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Hasard flankte über den Schreibtisch weg, riß ein paar Porzellanfiguren, Sanduhren und andere Nippes um, sprang zu dem alten Zumarraga und fing ihn auf, bevor er von seinem Gestühl rutschen konnte. Er trug ihn zu einer Liege und bettete ihn behutsam darauf. Er sah eine bemalte Schale in einem Metallständer. Wasser befand sich darin. Hasard nahm einen Handvoll und netzte Zumarragas Gesicht damit. Raoul stand die ganze Zeit über da und wußte nicht, was er tun sollte. Ihm zitterten die Hände. Vielleicht fürchtete er um seinen Posten. Vielleicht wartete er auch nur darauf, daß der alte Geier mit dem Spitzbart ins Gras biß. »Raoul!« herrschte Hasard ihn an. »Stehen Sie doch nicht so blöd herum. Rufen Sie endlich den Arzt.« »Ich hab’s gewußt«, sagte Raoul. »Was, zum Teufel, haben Sie gewußt?« »Daß ich Sie nicht vorlassen durfte.« »Was ist an mir denn dran?« »Nichts. Senor Zumarraga wollte aber nicht gestört werden.« Zumarraga röchelte erbärmlich, und Hasard rief: »Lauf los, Raoul, zeig die Hacken! Räum das Deck!« Raoul hastete aus dem großen Raum. Auf dem Flur des oberen Stockwerkes wurden Türen aufgerissen. Stimmen erklangen. Raoul palaverte schrill mit jemandem, dann kehrte er wieder zu Hasard zurück. In seinem Gefolge befand sich gut
ein Dutzend Männer. Sie benahmen sich ziemlich aufgeregt und redeten durcheinander. »Ein Zusammenbruch?« fragte ein junger Handelsgehilfe. »Mein Gott, ich kann mir das gar nicht erklären.« »Der Alte ist sonst ein zäher Knochen«, bemerkte ein anderer. »Mehr Respekt, bitte«, forderte scharf ein kräftiger, mittelgroßer Mann mit Knebelbart. Er war etwa Mitte Vierzig und maß Hasard mit mißtrauischem Blick. »Jawohl, Senor Serrao«, erwiderte der Gehilfe. Hasard schaute auf und musterte kurz Zumarragas Stellvertreter, dann wandte er sich wieder an Raoul. »Also, was ist jetzt mit dem Arzt?« »Ich habe einen jungen Mann geschickt, ihn zu rufen. Meine Beine sind schon zu alt für so eine Rennerei.« »Gut. Hauptsache, der Mann trifft hier bald ein.« Der Arzt erschien nach knapp fünf Minuten und beugte sich ohne lange Vorreden über Romeronde Zumarraga. Er war ein hochgewachsener, besonnener Mann mit grauen, buschigen Augenbrauen. »Bitte verlassen Sie alle den Raum«, sagte er. »Senor Zumarraga darf keine weitere Aufregung haben. Ich muß ihn sofort zur Ader lassen. Einer von Ihnen bestellt bitte eine Kutsche, damit wir ihn nach Hause transportieren können.« »Das geht in Ordnung«, erwiderte Diego Serrao. Beim Hinausgehen wandte sich Hasard an Serrao, trug sein Anliegen vor und fügte hinzu: »Natürlich tut es mir leid, daß Senor Zumarraga zusammengebrochen ist. Ich hoffe, das Ganze hat mit meinem Auftauchen nichts zu tun.« Serrao führte ihn in einen Kontorraum mit vier Stehpulten und einem Schreibtisch. Er bot ihm Platz an und ließ sich selbst hinter dem Schreibtisch nieder. »Aber nein«, sagte er. »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf, Capitan Drummond. Wahrscheinlich hat Senor Zumarraga heute einfach seinen schlechten Tag. Er ist ja auch
nicht mehr der Jüngste.« Hasard gab sich mit einer solchen Erwiderung ganz und gar nicht zufrieden. Aber vorläufig vermied er es, weitere Fragen zu stellen. Serrao schien ein gerissener Fuchs zu sein. Argwöhnisch war er ohnehin schon, es galt, ihn nicht noch mißtrauischer zu stimmen. Hasard öffnete die Schweinsledermappe und legte den Frachtbrief und die anderen Dokumente aus Vigo vor. Serrao prüfte sie flüchtig, zeichnete sie mit einem Federkiel ab und sagte dann: »Gut, Sie können löschen. Ich veranlasse alles Erforderliche. Sie werden erstaunt sein, wie gut und schnell hier bei uns in Cadiz gearbeitet wird. Oder waren Sie schon mal hier?« »Nein, noch nicht.« Serrao schloß die Lider halb. »Ich hoffe, Sie werden ein gutes Andenken an Cadiz behalten.« »Ja, aber ich bin besorgt.« »Um Senor Zumarraga?« »Natürlich. Wenn es ihm bessergeht, muß ich ihn unbedingt sprechen. Nicht nur, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, sondern auch, um ihm eine persönliche Botschaft von Camaro aus Vigo zu überbringen.« »Die können Sie auch bei mir hinterlassen.« Hasard schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch, die Sache ist persönlich.« »Ach so.« Serraos Lächeln war unverbindlich und nichtssagend. »Also schön, sobald es ihm besser geht, unterrichte ich Sie, damit Sie ihm eine Visite abstatten können. Einverstanden?« »Einverstanden.« Hasard stand auf und verabschiedete sich. Er begab sich ins Freie und merkte, wie die Kontorgehilfen ihm nachblickten. Raoul war wieder in seinem Kontorraum unten am Eingang, schaute aber nicht auf, als er vorbeiging. Er tat so, als sei er höchst beschäftigt.
Narr, dachte der Seewolf. Er kehrte an Bord der ›Isabella‹ zurück und berichtete ziemlich einsilbig über das, was sich im Handelshaus Zumarragas zugetragen hatte. Die Männer spürten, daß etwas in ihrem Kapitän gärte. Sie drangen aber nicht weiter in ihn. Die Löschmannschaft rückte an. Die Crew bereitete die Galgen mit dem Ladegeschirr vor, dann wurden die Frachtluken geöffnet, und der Gestank der Schaffelle stieg in den freundlichen Nachmittagshimmel über Cadiz auf. Hasard beobachtete interesselos, wie Ballen um Ballen an Land gehievt und in eins von Zumarragas Lagerhäusern transportiert wurde. Er lenkte seinen Blick nach links, als sich vor dem Handelshaus des alten Burschen etwas tat. Die Kutsche, die der Arzt bestellt hatte, rollte vor. Sie wurde von einem Vierergespann gezogen. Aus dem linken Eingang wurde Romeronde Zumarraga auf einer Trage von zwei Männern bis zur Kutsche befördert. Der Arzt eilte hinterher. Kurz darauf ließ der Mann auf dem Kutschbock die Peitsche knallen. Die Pferde zogen an, die Kutsche mit Zumarraga und dem Arzt entfernte sich unter dem Rattern der Räder und dem Klappern der Pferdehufe. Hasards Gefühle waren gemischt. Irgend etwas war hier faul, oberfaul. Die Reaktion des alten Zumarraga, als er ihn, den Seewolf, gesehen hatte, hatte einem tödlichen Erschrecken geglichen. Serrao konnte erzählen, was er wollte. Hasard war überzeugt, daß der Schlaganfall mit seinem Besuch in unmittelbarem Zusammenhang stand. Eine Bestätigung dafür schien auch das Benehmen von Serrao, Raoul und den anderen Schreibern und Gehilfen des Handelshauses zu sein. Begegneten sie ihm nicht mit offenem Mißtrauen? Natürlich, sie mußten sich ja auch überlegen, ob nicht ein Zusammenhang bestand. Oder sie wußten schon über die Hintergründe Bescheid. Wie auch immer: Zumarraga mußte so etwas wie der
Schlüssel zu Hasards Vergangenheit sein. Hasard mußte ihn sprechen. Um jeden Preis. Aber im Augenblick war die Situation dazu zu heikel. Serrao würde ihm schon mitteilen, wann der Alte wieder Besuch empfangen konnte. Er mußte also abwarten. * Zwei Tage vergingen. Hasard wurde von Ungeduld geplagt. Mehrfach ging er zu Serrao und erkundigte sich nach Zumarraga. Einmal war der Stellvertreter des Alten wirklich nicht da, zweimal ließ er sich verleugnen, zweimal hatte er gerade alle Hände voll zu tun oder benahm sich sonst irgendwie ausweichend. Am dritten Tag wollte er im Flur des Handelshauses an Hasard vorbeischlüpfen. Aber Hasard verstellte ihm dem Weg. »Jetzt aber ‘raus mit der Sprache, Serrao«, sagte er. »Was ist los mit Ihrem Dienstherrn? Ich habe ein Recht auf Auskunft.« Serrao schaute ihn an. Sein Blick war unstet. »Gut, Sie sollen sie haben, Ihre Auskunft. Senor Zumarraga ist schwerkrank und kann keine Besuche empfangen.« »So? Ich danke Ihnen, Serrao.« »Bitte sehr, gern geschehen«, erwiderte der Mann. Der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören. Es war klar, daß er log. Aber Hasard konnte nicht massiv werden. Ein derber Auftritt hier im Handelshaus, und er konnte einpacken. Es kam ihm darauf an, das Mißtrauen gegen sich nicht noch mehr zu nähren. Was blieb zu tun? Hasard war nach wie vor miserabel gelaunt. Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Man konnte auch sagen: Sie stank zum Himmel. Er liebte die direkte Art, Probleme zu meistern, und es behagte ihm nicht, vor Serrao den Rückzug antreten zu müssen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Schließlich befand er sich in der Höhle des
Löwen, in einem Hafen des Feindes. Andererseits konnte er hier in Cadiz mit der ›Isabella‹ auch keine Wurzeln schlagen, zumal seine Fracht gelöscht war. Irgendwann mußte er auffallen und Aufsehen erregen. Daher mußte er sich eine Taktik einfallen lassen, und zwar schnell. Ehe Serrao ihm entwischen konnte, hielt er ihn an der Schulter fest. »Hören Sie. Lassen Sie uns über Geschäftliches reden. Sie wissen, daß ich als Kauffahrer auf eigene Rechnung segele. Ich brauche die richtigen Verbindungen und eine gute Rückladung für Dublin.« »Ist es das, worüber Sie mit Senor Zumarraga verhandeln wollten?« erkundigte sich Serrao aalglatt. »Unter anderem.« »Das hätten Sie auch gleich sagen können.« »Tut mir leid, daß wir uns mißverstanden haben.« »Na, Schwamm drüber. Suchen Sie eine bestimmte Fracht?« Hasard nickte. »Spanischen Wein. Den kann ich in Irland gut absetzen. Ich habe jetzt die finanziellen Mittel, um den gesamten Bauch der Karavelle mit Fässern vollzuladen. Können Sie mir nicht ein entsprechendes Angebot unterbreiten?« Serraos Miene wurde bedauernd. »Tut mir wirklich leid, aber Wein haben wir im Moment nicht am Lager. Es wäre gut, wenn Sie ein paar Tage warten könnten, vielleicht trifft in der Zwischenzeit etwas Passendes für Sie ein.« »Leider kann ich das mit meiner Planung nicht vereinbaren.« Hasard blickte Serrao fest in die Augen, als er weitersprach. »Merkwürdig, mir war so, als hätte ich in einem Ihrer Lagerhäuser Weinfässer gesehen.« Serrao antwortete, ohne rot zu werden. »Die sind bereits bestellt. Darüber kann ich mich nicht hinwegsetzen, Capitan Drummond. Nicht einmal Sehor Zumarraga könnte das. Wir haben unsere Geschäftsprinzipien, wissen Sie?« »Ich verstehe. Sie sind völlig desinteressiert daran, uns Iren
etwas zu verkaufen. Ich muß schon sagen, das sind reichlich merkwürdige Praktiken.« Serrao wurde leiser, aber was er erklärte, hatte Gewicht. Er setzte allem Bisherigen die Krone auf. »Nun hören Sie mal gut zu, Sie Wichtigtuer. Camaro hat uns die Schaffelle förmlich aufgedrängt. Gut, das war noch zu verkraften. Aber auf Handelsbeziehungen zu Irland legt Senor Zumarraga weiß Gott keinen Wert, schon gar nicht auf einen hergelaufenen, wildfremden, querköpfigen Capitan wie Sie. Habe ich mich jetzt deutlich genug ausgedrückt?« »Haben Sie.« Der Seewolf drehte ihm den Rücken zu. Er verließ das Kontor, ging im Eilschritt an Bord der ›Isabella‹ und sagte zu Ben Brighton: »Wir legen ab.« »Ist wieder was passiert?« »Man hat mir zu verstehen gegeben: Scher dich dahin, wo der Pfeffer wächst!« »Soll ich das Schiff klar zum Gefecht stellen lassen?« fragte Carberry. »Du bist wohl nicht bei Trost«, erwiderte Hasard. »Wir verholen zu einem Kai weiter südlich, und dann sehen wir weiter.« Während des Manövers berichtete er seinen Männern. Sie waren erbost und schworen, Zumarraga, Serrao und Konsorten das Fell über die Ohren zu ziehen. Hasard mußte sie wieder bremsen. Er tat das, ehrlich gestanden, nicht gern, denn die arroganten Dons hätten eine Abreibung nötig gehabt. Aber die Devise »um keinen Preis auffallen« mußte nach wie vor aufrechterhalten werden. An einem der Kais weiter südlich im Hafenbecken von Porto Piojo befand sich die Niederlassung eines kleineren Handelshauses, wie Hasard in den vergangenen drei Tagen festgestellt hatte. Er hatte auch den Namen des Eigentümers in Erfahrung gebracht: Pedro de Castro. Hier also ließ er die ›Isabella VII.‹ vertäuen.
Pedro de Castro war - so hatten die Leute im Hafen jedenfalls Hasard gegenüber geäußert - ein guter, ehrlicher Kaufmann, weniger raffig und durchtrieben als Zumarraga und dessen Gehilfen. Daher stand er offenbar von jeher im Schatten Zumarragas. Der Alte mit dem weißen Ziegenbart war in Cadiz als Schlitzohr, Halsabschneider und Pfennigfuchser verschrien, wie Hasard erfahren hatte. Alle diese Hinweise trugen nicht dazu bei, ein angenehmeres Bild von Zumarraga zu formen. Hasard ging am späten Nachmittag zu de Castro. Er wurde freundlich empfangen und in ein kleines, gemütliches Kontor geführt. De Castro waltete hier ohne Gehilfen seines Amtes. Er mußte den Papierkrieg selbst erledigen und schien nicht das Geld zu haben, um Schreiber und Gehilfen einzustellen. »Ich muß mich so schon genug mit den Hafenarbeitern herumärgern«, erklärte er während ihres ausführlichen Gesprächs. »Ich sage Ihnen, das bringt nichts als Nackenhiebe. Die Kosten fressen unsereins auf, wenn wir gegen eine starke Konkurrenz kämpfen müssen. Ich weiß nicht, wie lange ich meinen Betrieb hier noch ertragreich halten kann.« »Ich bedaure das«, erwiderte Hasard. »Mit Ihnen scheint man gut verhandeln zu können. Ich meine das ehrlich.« De Castro war ein untersetzter Mann um die Fünfzig, sympathisch, ruhig, mit forschenden braunen Augen. »Ich bin früher selbst zur See gefahren«, sagte er. »Ich habe Verständnis für einen jungen Kapitän wie Sie, Drummond. Übrigens sprechen Sie sehr gut spanisch.« »Sie sind also kein Irenfeind.« »Beileibe nicht. Wieso?« »Zumarraga ist nicht gut auf uns zu sprechen.« »Wer sagt das?« »Serrao.« De Castro lehnte sich zurück und lachte. »Das ist wirklich großartig. Entschuldigen Sie, Drummond, aber es ist das erste Mal, daß ich so etwas über den alten Zumarraga vernehme.«
»Mit anderen Worten ...« »Serrao lügt das Blaue vom Himmel runter. Aber behalten Sie das für sich. Ich hoffe doch, Sie können schweigen.« Pedro de Castro wurde ernst. »Kommen wir zur Sache, Capitan. Sie suchen eine Ladung Wein. Nun, ich habe einige Fässer guten, schweren roten Riojo eingelagert. Eine hervorragende Partie. Damit Sie nicht glauben, ich will Sie übers Ohr hauen, sollen Sie das Zeug probieren. Nein, keine Widerrede!« Er stand auf, trat an eine Kredenz, öffnete sie und nahm eine Flasche und zwei Krüge heraus. Er schenkte ein. Die Farbe dieses Weines war wunderbar dunkelrot. Hasard ließ sich den gegorenen Traubensaft munden. »Ich bin kein großer Kenner«, sagte er nach dem zweiten Krug. »Wir Iren wissen besser über Bier Bescheid. Und über Whiskey. Aber ich schmecke heraus, daß es unverdünnter, guter Wein ist. Und darauf kommt es mir an.« De Castro grinste. »Ehrensache, daß ich Ihnen kein gepanschtes Zeug andrehe. Ich habe zehn Fässer von diesem Wein auf Lager.« »Mehr nicht?« »Leider nein. Aber es sind große Fässer.« »Abgemacht, ich kaufe die Ware. Füllen Sie einen Kaufvertrag aus, Senor de Castro.« Die nächsten Minuten verstrichen mit schriftlichen Formalitäten. Hasard zählte dem Spanier schließlich Perlen aus einem kleinen Lederbeutel in die Hand. Ihr Gegenwert entsprach der Summe, die de Castro in Escudos veranschlagt hatte. Anstandslos nahm der Eigentümer des Handelshauses sie in Zahlung - er erkundigte sich nicht mit einer Silbe nach ihrer Herkunft. Bevor sie zum Lagerhaus gingen, um das Verfrachten der Weinfässer in den Bauch der Karavelle zu veranlassen, fragte Hasard wie beiläufig: »Sagen Sie mal, de Castro, haben Sie jemals etwas von einer Kogge mit dem Namen ›Wappen von
Wismar‹ gehört?« »Warum fragen Sie danach?« »Dieses Schiff ist im Oktober 1556 hier in Cadiz gewesen. Später gelangte es auf seltsame Weise nach Irland. In Dublin vernahm ich von der abenteuerlichen Fahrt, die es gehabt haben soll - und von der Tatsache, daß das persönliche Schicksal eines Menschen auf dramatische Weise damit verbunden sei.« Er sagte nicht, daß er dieser Mensch war. De Castro stutzte, dachte nach und nickte schließlich. »Ja. Ich kenne das Schiff. Es segelte im Auftrag Lübecker Handelsleute. Zweimal im Jahr lief es Cadiz an, um Handelsgüter zu übernehmen. Wie die Kogge aber nach Irland gelangt ist, weiß ich nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen, verstehen Sie, Drummond?« »Ja. Und weiter?« »Nichts. Ich habe noch gehört, die Kogge sei von englischen Freibeutern gekapert worden und dann spurlos verschwunden. Vielleicht sollte ich noch erwähnen: Bei dem letzten Auslaufen der ›Wappen von Wismar‹ aus Cadiz, ja, das muß wohl 1556 gewesen sein, ereignete sich ein merkwürdiger Zwischenfall. Ich selbst war darin verwickelt. Aber interessiert Sie das wirklich alles so sehr?« »Ja«, entgegnete Hasard. »Ich bitte Sie, erzählen Sie mir diese - diese Episode.« Pedro de Castro musterte ihn verwundert, dann sagte er: »Also gut. Setzen wir uns wieder. Wir trinken noch einen Becher Riojo-Wein, ja? Dabei redet es sich besser.«
7. Cadiz im Jahre 1556. Die ›Wappen von Wismar‹ löste sich etwas schwerfällig von der Pier. Sie lag tief, weil sie schwer geladen hatte. Die Kogge
war ein dickes, wuchtiges Schiff mit riesigen Frachträumen. Die Festmachertrossen waren ins Wasser geklatscht und wurden nun von flinken Händen eingeholt. Das Trappeln nackter Füße über Deck, das Knarren der Rahen und Blöcke, die heiser gerufenen Kommandos und das Schmatzen und Plätschern der Wellen an den Bordwänden bildeten die Geräuschkulisse beim Ablegemanöver. Plötzlich stieß einer der Männer auf Deck einen Ruf aus und wies mit der Hand zum Kai. Köpfe ruckten herum. Viele Augenpaare richteten sich auf die Hafenanlagen. Pferdehufe klapperten über die Katzenköpfe vor den Lagerhäusern. Auf dem Rücken eines Zelters jagte eine junge Frau heran. Sie war bildschön und von edlem Wuchs. Ihre langen schwarzen Haare flatterten im Wind. Ihre Miene spiegelte Verzweiflung und Wut. Furie und Amazone zugleich, preschte sie auf die Poller zu, um die die Festmachertrossen der ›Wappen von Wismar‹ eben noch geschlungen gewesen waren. »Mein Sohn!« schrie sie immer wieder. »Gebt mir meinen Sohn wieder!« Die Mannschaft der Kogge hatte wie erstarrt gestanden. Plötzlich fegten hinter den Kaianlagen noch drei Reiter hervor - Männer. Sie hieben auf ihre Tiere ein und drängten sie zum rasenden Galopp. Unzweifelhaft waren sie der schönen Frau auf den Fersen. »Ihr Hunde!« brüllte der Stockmeister auf der ›Wappen von Wismar‹. Er trat einem Decksjungen in den Hintern und rückte zornig auf die Mannschaft zu. »Wollt ihr euch wohl beeilen? Rauf in die Wanten mit euch, willig, willig - wollt ihr wohl die Segel setzen? Bewegt euch, ihr Satansbraten, an die Brassen und Schoten, dalli, hopp hopp, oder ihr kriegt die Neunschwänzige zu spüren!« Die Männer murrten, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als den barschen Befehlen Folge zu leisten. Die Borddisziplin gestattete ihnen keine Einwände. Mancher von ihnen hätte
danach gefragt, wer die Frau war und was sie wollte und ob man sie nicht anhören sollte - aber keiner wollte wegen Meuterei vors Bordgericht. Genau das blühte einem Mann an Bord eines Segelschiffes, wenn er zuviel dachte und zu viele Fragen stellte. So verfolgte die Mannschaft auch nur noch am Rande, wie die drei Reiter die Frau einholten, auf sie zudrängten und sie brutal von ihrem Zelter rissen. »Mein Sohn!« schrie sie immer wieder. »Heilige Mutter Gottes, mein armer Sohn! Ihr Teufel, ihr Unmenschen, ihr habt kein Recht, meinen Sohn zu entführen! Ich verfluche euch, laßt mich los, ihr werdet büßen für das, was ihr mir angetan habt!« Sie saßen ab. Sie wollten sie niederringen, aber sie setzte sich wild und erbittert zur Wehr. Die Frau war eine wie toll um sich kratzende und beißende Katze. Trotz der Übermacht gelang es ihr, sich loszureißen und - an einem dicken Holzpoller vorbei direkt auf die Pier hinunterzulaufen, an der die ›Wappen von Wismar‹ gelegen hatte. Ehe die drei Verfolger sie wieder packen konnten, hatte sie den äußersten vorderen Rand der Pier erreicht. Sie zögerte keine Sekunde und ließ sich vornüberfallen. Es klatschte, Wasser spritzte hoch auf, die Fluten hatten die Frau aufgenommen. Ihre Reiterkleidung behinderte sie, aber sie schwamm der Kogge nach. Es gelang ihr, den langen Rock abzustreifen. Die Stiefel verlor sie ebenfalls. Sie kämpfte sich verzweifelt voran, die Kleidung lag ihr klatschnaß wie eine zweite Haut an, das schwarze Haar hing in Strähnen bis auf ihre Schultern. Da entfuhr es sogar dem bissigen Stockmeister auf der Kogge: »Teufel, was für ein Frauenzimmer!« Es nutzte nichts, die ›Wappen von Wismar‹ hatte bereits ihre Segel gesetzt und rauschte wie ein arroganter Schwan aus dem Hafen von Cadiz. Di« schöne junge Frau schluchzte vor Enttäuschung. Sie schlug mit den Fäusten ins Wasser, daß
Fontänen hochspritzten. Ihrem inneren Antrieb folgend, schwamm sie noch ein Stück weiter. Aber die Kogge zog davon und legte immer mehr Abstand zwischen sich und die Verfolgerin. Die junge Frau keuchte. Sie war jetzt am Ende ihrer Kräfte. Sie drehte sich auf den Rücken, um nicht unterzugehen. Gehetzt blickte sie sich immer wieder nach allen Seiten um. Sie sah ein Ruderboot heranpullen und wollte schon tauchen, weil sie annahm, daß sich an Bord die drei Widersacher befänden - da stellte sie fest, daß sie sich getäuscht hatte. Nur ein einzelner Mann saß in der kleinen Gig. Er pullte wie verrückt und schaute immer wieder über die Schulter zu ihr. Er war ein etwas untersetzter junger Mann mit wehendem Haarschopf und großen braunen Augen. »Warten Sie, ich helfe Ihnen. Ich bin gleich bei Ihnen!« rief er ihr zu. Die junge Frau japste und schluckte Wasser. Sie drehte sich auf die Seite. Ihr schwanden die Sinne. Sie war im Begriff unterzugehen und jämmerlich zu ertrinken, da war er mit der Gig neben ihr, ließ die Riemen einfach los und streckte die Hände nach ihr aus. Er zog sie über das Dollbord zu sich ins Boot. Er mußte dabei aufpassen, daß die Gig nicht querschlug. Behutsam bettete er die schöne schwarzhaarige Frau zwischen die Duchten. Sie konnte nicht aufrecht sitzen, war zu ermattet. Sie zitterte am ganzen Leib. Er hatte eine Decke aus grobem Stoff dabei, die warf er ihr über. Erst jetzt sah er, daß sie an der Schulter verletzt war. »Sie bluten ja«, sagte er. »Mein Gott.« »Die drei«, flüsterte sie. »Sie haben mich geschlagen.« »Aber warum? Man schlägt doch keine Frau.« »Das ist eine lange, lange Geschichte.« »Ich will sie nicht wissen. Ich bringe Sie jetzt an Land.« »Wie heißen Sie?« fragte sie schwach.
»Pedro de Castro.« Er wies mit der Hand zu einer auf der Reede ankernden Karacke. »Sehen Sie das Schiff? Ich muß es aufsuchen, weil es eine Ladung von mir übernehmen soll. Aber das hat Zeit. Erst mal kümmere ich mich jetzt um Sie.« Er fischte einen Riemen auf, der bei dem hastigen Rettungsmanöver über Bord gegangen war und auf den Wellen schaukelte. Dann pullte er zu den Kaianlagen. Später fiel ihm ein, daß er in der Aufregung ganz vergessen hatte, sich nach dem Namen der jungen Frau zu erkundigen. Er war ziemlich aus dem Häuschen, denn schließlich geschah es nicht alle Tage, daß hier in Cadiz eine Frau ins Wasser sprang und einem Schiff nachzuschwimmen versuchte. De Castro hielt einfach auf die nächste Pier zu. Er legte an, vertäute die Gig flüchtig, hob die Frau auf seine Arme und trug sie vorsichtig an Land. In diesem Augenblick waren die Reiter wieder zur Stelle. Sie waren abgesessen und verbauten den Weg zum Kai. Die junge Frau rutschte von de Castros Armen. Sie blieb etwas hinter ihm zurück und verkrampfte ihre Hände in die grobe Decke, die sie um ihren Körper zusammengerafft hielt. Der Sprecher der drei Reiter war ein Mann mit schwarzem Vollbart. De Castro kannte ihn nicht. Aber jetzt, da er ihm in die Augen blickte, war er ihm sofort unsympathisch. De Castro wußte nicht, warum er für die Frau Partei ergriff. Vielleicht nur, weil sie dem schwachen Geschlecht angehörte. Weil er sie aus dem Wasser gezogen hatte, ein bebendes Bündel Mensch. Weil sie ihm leid tat. Oder spürte er instinktiv, daß sie im Recht war und nicht diese drei fremden Reiter? »Gut«, sagte der Schwarzbärtige. »Gib sie heraus, Mann. Los, packt sie, wir bringen sie weg.« Er gab seinen Begleitern einen Wink. »Augenblick mal«, protestierte de Castro. .Der Schwarzbärtige baute sich direkt vor ihm auf. Demonstrativ legte er die Hand auf den Kolben seiner
Steinschloßpistole. »Hör zu, wenn du Ärger suchst, kannst du ihn haben. Misch dich gefälligst nicht in Dinge, die dich nichts angehen. Ist dir deine Gesundheit lieb? Dann hau ab!« De Castro wollte aufbegehren, aber die junge Frau ging freiwillig zu ihren Häschern. Sie warf ihm noch einen unsagbar traurigen Blick zu. »Ich danke Ihnen. Ich werde Ihnen das nicht vergessen. Aber gehen Sie jetzt. Bitte.« Pedro de Castro schaute verstört zu, wie die Reiter die Frau mit sich fortschleppten und zum Kontor des Zumarraga brachten. Sie verschwanden mit ihr hinter einer der schweren Eingangstüren. Mit dumpfem Knall fiel sie hinter ihnen zu. Am Tag darauf hatte de Castro Gelegenheit, mit einem von Zumarragas Kontorgehilfen zu sprechen. Der Mann war nicht gern dort. Er liebäugelte schon mit seiner anderen Beschäftigung, ja, de Castro hätte ihn gern in seine Dienste genommen, wenn er nur die Möglichkeit dazu gehabt hätte, »Du mußt das für dich behalten«, schärfte der Mann ihm ein. »Ich kriege es mit dem Alten zu tun, wenn er was erfährt.« »Schon gut. Ich kann für mich behalten, was man mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt. Ich bin kein Schuft wie Zumarraga. Nun sag schon, weißt du was über das Schicksal der jungen Frau?« »Ja. Sie ist nach.Cordoba gebracht worden. Zurück zu ihrer Familie, hat’s geheißen.« Pedro de Castro vergrub dieses Wissen in seinem Herzen und sprach mit keinem Menschen darüber. Er machte sich seine Gedanken über den Vorfall, aber er gelangte zu keinem schlüssigen Ergebnis. Was hatte die Frau gewollt? Ihren Sohn? Er hatte sich demnach an Bord der ›Wappen von Wismar‹ befunden? Aber warum? Wieso konnten Menschen die Grausamkeit aufbringen, ein Kind von seiner Mutter fortzureißen? Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Ein paar Monate später vernahm er voll Erschütterung, daß die junge schwarzhaarige Frau in Cordoba gestorben war. Vor
Gram, munkelte man in Cadiz. * Philip Hasard Killigrew hockte betroffen in de Castros Kontorr.aum. Er brachte kein Wort heraus. Die Welt um ihn herum war versunken, und er glaubte, das Antlitz jener unbekannten, namenlosen Frau klar und deutlich vor sich zu sehen. Heiß und brennend stieg etwas in seinen Augen auf. De Castro brach seine Erzählung ab. Er stutzte und sah den Seewolf entgeistert an. Hasard wandte den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich und verfingen sich ineinander. »Himmel, Capitan Drummond«, sagte de Castro verblüfft. »Ich - ja, es fällt mir erst jetzt auf. Was für ein Esel bin ich doch gewesen! Sie haben eine geradezu unerhörte Ähnlichkeit mit der schönen Frau von damals. Bis auf die Augen. Die waren bei ihr schwarz wie die Nacht.« Die Worte trafen Hasard wie Hiebe. Er schluckte. Er hatte Mühe, seine Erschütterung zu verbergen. War diese junge Frau wirklich seine Mutter gewesen? Hatte sie nach ihm geschrien? Es war zu ungeheuerlich. Noch wehrte er sich gegen die Tatsache, wollte sich ihr verschließen. Seine Stimme klang heiser, fast brüchig, als er zu de Castro sagte: »Wirklich eine ungewöhnliche, dramatische Geschichte. Haben Sie den Namen der Frau in Erfahrung bringen können?« »Graciela de Coria.« Graciela de Coria! Hasard wiederholte den Namen in seinem Inneren, er prägte sich unauslöschlich in seinem Geist ein und hallte dort nach. Graciela de Coria! Wenn sie seine Mutter war, dann mußte er ein Spanier sein. Das war eine fatale Erkenntnis, denn hatte er, der Seewolf, nicht bisher für England gekämpft, gegen die spanische Krone, gegen die Dons, die Philipps, die Kastanienfresser, wie sie die Spanier manchmal verächtlich nannten?
Aber sein Vater? Wer war es? Noch bestand ein Zweifel über seine wahre Nationalität. Durch die Identifizierung des Vaters würde sie endgültig festgelegt werden. »Die de Corias«, fuhr de Castro vorsichtig fort, »sind eins der ältesten Adelsgeschlechter in Spanien. Ich weiß nicht, welche Bedeutung das für Sie hat, Drummond, ich weiß nicht, ob ich Sie nicht letzten Endes damit langweile. Vielleicht haben Sie sich was anderes versprochen.« »Etwas anderes?« Hasard schüttelte den Kopf. Er wußte ja selbst nicht, was er erwartet hatte. Wieder war das Bild der Mutter vor seinen Augen. Graciela de Coria! Seine Gedanken schweiften aus, irrten durch die Ferne und die Vergangenheit, fanden einen Anknüpfungspunkt. Dann, ganz plötzlich, verbanden sich die Fakten zu einer logischen Kette. Sevilla. Vor drei Jahren. Senor Estoban Rizzio, mit dem sie Kontakt aufgenommen hatten, um die Crew herauszupauken, die als Sklaven auf einer Galeere festgekettet und zu einem fluchwürdigen Dasein verdonnert worden waren. Rizzios Haus, ein Hinterzimmer, eine Staffelei, die mit einem weißen Tuch verdeckt gewesen war. Rizzio hatte geheimnisvoll getan und das Bild schließlich enthüllt. Es hatte eine junge Frau gezeigt. Es hatte sich um das Gemälde eines Meisters gehandelt, er hatte ein Gesicht von fast über irdischer Schönheit porträtiert. »Kennen Sie die Dame nicht?« hatte Rizzio gefragt. Hasard hatte verständnislos den Kopf geschüttelt. Dann hatte er dieses gemalte Antlitz aber doch eingehend betrachtet. Diese Frau - ein ovales Gesicht von vollkommener Ebenmäßigkeit, schwarzes Haar, das in weichen Wellen auf nackte Schultern fiel, auf der Haut des Brustausschnittes hatte eine Kette aus Rubinen und Diamanten geschimmert, und auch der blaue Stoff des Kleides der Schulter- und Brustpartie mußte von erstklassiger Qualität sein. Hasard, der sich damals Senor Modena genannt hatte, hatte einige Zeit gebraucht, um die
frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Porträt und seinem eigenen Gesicht herauszufinden. Dann hatte Rizzio erklärt, daß es sich um Graciela de Coria handelte, aus einem der ältesten und vornehmsten Adelsgeschlechter Spaniens. Der Stammsitz, so hatte er weiter erzählt, sei bei Cordoba. Schließlich hatten sie aber übereinstimmend festgestellt, daß es sich bei der Ähnlichkeit wohl um eine Laune der Natur handeln mußte. Damit war der Fall abgetan gewesen. Doch jetzt entsann sich Hasard der Szene, als hätte sie sich erst gestern abgespielt. Er, Hasard, sei kein echter Killigrew, hatte Rizzio anklingen lassen, aber Hasard hatte die Vermutung energisch zurückgewiesen. Damals war er noch nicht so weit gewesen wie heute, damals hatte Big Old Shane ihn noch nicht ins Vertrauen gezogen und berichtet, was in jener denkwürdigen Nacht im Hafen von Falmouth mit der ›Wappen von Wismar‹ geschehen war. Graciela de Coria. Der Name war wieder gefallen. Die Frau hatte nach ihrem Sohn geschrien, als die Kogge den Hafen von Cadiz verließ. Sie, seine Mutter, hatte nicht gewollt, daß er auf dem Schiff zu einem fernen, unbekannten Ziel gebracht wurde - oder verschleppt wurde? Hier war der Beweis. Sie war ins Wasser gesprungen, um der Kogge nachzuschwimmen. Sie hätte ihr Leben geopfert, um ihren Sohn zurückzugewinnen. Und Romeronde Zumarraga war in die Sache verwickelt! Hasards Miene war von eiserner Härte. De Castro stand auf und beugte sich vor. »Gerechter Himmel, Amigo, Sie sehen ja fürchterlich aus. Was ist geschehen? Ich hätte Ihnen diese Geschichte wohl doch nicht erzählen dürfen. Ich weiß nicht, was ich in Ihnen angerichtet habe, aber Ihre Miene erschreckt mich.« Hasard blickte ihn an, und seine Züge lockerten sich wieder etwas. »Hören Sie, ich will Ihnen vor allen Dingen sagen, daß
ich Ihr Verhalten von damals großartig finde. Man liest es eben in den Augen eines Mannes, ob er aufrichtig und gut ist oder nicht. Ich habe gleich gewußt, aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, als ich hier eingetreten bin, Pedro. Nur eine Bitte habe ich an Sie. Sprechen Sie nicht über das, was heute in diesem Raum gesagt wurde.« »Mein Ehrenwort.« »Danke.« »Ich ahne, wer Sie wirklich sind, Philip Drummond.« »Wirklich?« »Gehen wir jetzt und geben wir die Order, daß die zehn Fässer Wein an Bord Ihrer Karavelle geschafft werden, Capitan.« Ja, Pedro de Castro hatte sich die Gewißheit verschafft, daß dieser junge breitschultrige Riese mit den eisblauen Augen und dem verwegenen Gesicht der Sohn von Graciela de Coria war. Daß dieser Mann allerdings der Erziehung nach ein Engländer war und Philip Hasard Killigrew hieß, der als Seewolf die Spanier zur Ader gelassen hatte - das ahnte er nicht. Und so konnte er auch nicht wissen, welcher Sturm in dem vermeintlichen Philip Drummond tobte, der die erste Tür zu seiner Vergangenheit auf gestoßen hatte.
8. Die Schatten der Nacht verdrängten die Schleier der Abenddämmerung. Dunkelheit senkte sich über Cadiz. Längst waren die zehn Fässer Wein im Frachtraum der ›Isabella VII.‹ verstaut worden, längst hatte sich der Seewolf von dem kameradschaftlichen Pedro de Castro verabschiedet. Er hatte Ben Brighton zu sich in die Kapitänskammer gebeten und ihn in alles eingeweiht. Auch Ben hatte sich zutiefst erschüttert gezeigt. Damals, bei
Rizzio in Sevilla, war er auch dabeigewesen und vollzog jetzt ungefähr die gleichen Gedankengänge wie Hasard. Sie traten aus dem Achterkastell. Hasard blickte zum nachtschwarzen Firmament auf. Es war mit Sterntupfern überzogen wie ein dunkler, mit Silber durchwirkter Umhang. Der Mond war eine blasse, fast volle Scheibe nahe über der nordöstlichen Kimm und der Küste von Puerto de Santa Maria, die man jetzt von Port Piojo aus nicht sehen konnte. »Ich gehe zu Zumarraga«, sagte der Seewolf. »Jetzt sofort. Und wenn ich mit Gewalt bei ihm eindringen muß. Ich will wissen, was er vor mir verbirgt. Heute nacht muß er es ausspucken.« »Ich kann dich nicht davon abhalten«, erwiderte Ben. »Nein.« »Aber gib auf dich acht.« »Wir kennen uns jetzt lange genug, Ben, oder? Hältst du mich für so töricht, daß ich mich von einem alten Geier wie Zumarraga überrumpeln lasse?« »Natürlich nicht.« »Bis später, Ben«, sagte Hasard. Er stieg auf die Kuhl, nahm die Gangway und schritt zügig und entschlossen über den Kai davon. Ben Brighton zweifelte nicht an der Umsicht und den geschärften Sinnen seines Kapitäns. Aber er wußte auch, daß seine widerstreitenden Gedanken und Empfindungen ihm zusetzten. Eine Kleinigkeit, ein Moment der Unaufmerksamkeit genügte, und Hasard tappte in eine Falle. Ben trat an die FiveRail, den Querabschluß des Achterdecks zum Quarterdeck. Er sah Dan O’Flynn und gab ihm ein Zeichen. »Wohin ist Hasard unterwegs?« fragte Dan. »Zu Romeronde Zumarraga. Folge ihm bitte unauffällig.« »Verstehe, Ben. Bin schon unterwegs.« Dan huschte davon. Er war ein heller Kopf. Wenn es zu schalten galt, war er immer einer der ersten. Und er hatte die
schärfsten Augen. Falls irgend etwas geschah, das ein Eingreifen der Crew erforderlich machte - Dan würde es rechtzeitig melden. Dan heftete sich an Hasards Fersen. Sie strebten durch die halbe Stadt und befanden sich schon fast an der Plaza de la Constitucion, als sie das Haus des Romeronde Zumarraga erreichten. Hasard hatte sich während der vergangenen Tage erkundigt, wo es stand. Der Bau war hoch, jedoch nicht besonders breit, und er stand allein. Ein Garten mit üppigem Baum- und Buschbewuchs umgab ihn. An dem Gebäude selbst fielen Dan besonders die Miradores, die kleinen Umschautürme, auf. Dan kauerte sich hinter ein Gebüsch außerhalb des Zumarraga-Besitzes. Er verfolgte, wie Hasard neben einer Kutsche stehenblieb. Die Tür des Hauses schwang auf, jemand trat heraus und steuerte auf die Kutsche zu. Es war der Arzt, der Zumarraga behandelte. »Buenas tardes«, sagte Hasard. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie störe. Ich möchte wissen, wie es Senor Zumarraga geht.« Der Arzt blieb stehen und musterte ihn aufmerksam. »Ich habe Sie doch schon mal irgendwo gesehen ...« »Ich war dabei, als Senor Zumarraga vor vier Tagen den Zusammenbruch im Kontor hatte.« »Richtig, richtig. Und jetzt erkundigen Sie sich nach seinem Befinden? Nun, das finde ich nett.« »Der Schlaganfall hat ihm schwer zugesetzt, oder?« fragte Hasard. Der Arzt lächelte. Plötzlich wirkte er sehr vergnügt. »Zumarraga kann mehr einstecken, als Sie vielleicht denken, Senor. Außerdem, wenn wir’s genau nehmen, war es kein richtiger Schlaganfall. Das Zur-Ader-Lassen hat ihm im übrigen gutgetan. Er hat sich schnell wieder erholt.« »Schnell?« »Schon am Tag nach seinem Kollaps war er wieder auf den
Beinen.« »Ach, und jetzt?« »Jetzt geht es ihm bestens. Er hat alle Aussichten, hundert Jahre alt zu werden.« »Das heißt, gegen einen Besuch wäre nichts einzuwenden?« »Ganz und gar nicht. Gehen Sie doch ruhig zu ihm.« Der Arzt nickte Hasard grüßend zu, dann stieg er in seine Kutsche und fuhr ab. Hasard zauderte nicht, er handelte. Er schritt durch den Garten des Hauses. Serrao, dieser Schurke! Er hatte ihn also tatsächlich nach Strich und Faden belogen! Vor der mit Holzschnitzereien versehenen Haustür hielt Hasard und betätigte den bronzenen Türklopfer. Es dauerte eine Weile, bis sich im Inneren etwas tat. Er wollte sich schon nach einer Einstiegsmöglichkeit umschauen, da vernahm er Schritte. Sie tappten heran und verharrten an der Innenseite der Tür. Jemand hantierte an der Tür, dann schwang sie auf. Hasard blickte in das zerknitterte Gesicht eines hageren Mannes. Sein Blick war trübe, ob vom Alkohol oder vom fortgeschrittenen Alter, ließ sich nicht feststellen. »Ich muß unbedingt Senor Zumarraga sprechen«, sagte Hasard. Der Mensch zog blasiert die Augenbrauen hoch. »Wen darf ich melden, bitte?« »Alirio Lares.« Im Moment fiel Hasard kein besserer Name als der des Werftbesitzers aus Vigo ein. »Warum möchten Sie zu Senor Zumarraga?« »Das muß ich ihm schon selber sagen.« »Aber ich ...« »Serrao schickt mich«, sagte Hasard. »Mann, Sie geraten in Teufels Küche, wenn Sie mich nicht sofort vorlassen, das schwöre ich Ihnen.« Der Diener war eingeschüchtert. Hasard Miene verlieh seinen
Worten Nachdruck. Sein Blick hatte eine fast suggestive Wirkung. »Folgen Sie mir, Senor«, sagte der Diener. »Ich führe Sie.« Hasard trat ein und drückte die Tür hinter sich ins Schloß. Der Diener dirigierte ihn hinter sich her, durch eine mit Marmorstatuetten dekorierte Eingangshalle über einen breiten Flur, auf dessen glänzenden Steinplatten die Schritte hallten. Schwere Kronlüster spendeten anheimelndes Licht. Der Weg endete vor einer Tür aus hellem Holz. Die Augenbrauen immer noch leicht hochgezogen, klopfte der Diener an. Von innen antwortete eine hohe Greisenstimme. Hasard wußte, daß sie Romeronde Zumarraga gehörte. Er hatte sie sich genau eingeprägt, diese Stimme. Der Diener öffnete die Tür spaltbreit und steckte den Kopf in den Raum. Er sagte etwas, von dem Hasard nur »Lares« und »Serrao« verstand. In diesem Augenblick nahm Hasard sich vor, notfalls aufs Ganze zu gehen. Schöpfte Zumarraga Verdacht, wandte sich der Diener gegen ihn, würde er nicht zögern, Fäuste und Waffen einzusetzen. Der Diener wandte sich zu ihm um. »Senor Zumarraga läßt bitten.« Hasard drückte sich an dem Diener vorbei und schob ihn dabei immer weiter von sich und der Tür weg. »Danke, das genügt«, sagte er. Dann war er in dem Raum, schloß die Tür mit dem Absatz seines Stiefels und tastete mit der Hand nach dem Schlüssel. Der steckte tatsächlich. Hasard drehte ihn um. Zweimal. Bis zum Anschlag. Er zog ihn ab, steckte ihn ein und schritt auf Zumarraga zu. Teppiche schluckten seine Schrittgeräusche. Er befand sich in einem Salon, luxuriös eingerichtet, mit Wandgobelins und Ölgemälden irgendwelcher berühmter Meister der Renaissance. Romeronde Zumarraga hatte auf einem Diwan gesessen. Jetzt fuhr er hoch. Abwehrend fuchtelte er mit den Händen. Hasard zückte das Messer und hielt es hoch. Die Klinge
funkelte matt im Licht der Kronlüster. »Hör zu, Zumarraga«, sagte er. »Ein Warnruf, ein Hilfeschrei, und ich jage dir das Messer in die Brust. Ich kann gut damit umgehen.« Zumarraga wurde kalkbleich, aber diesmal erlitt er keinen Kollaps. Er ließ sich nur zurück auf seinen Diwan fallen. Der Seewolf stellte sich hinter ihn und setzte ihm das Messer an die Kehle. »Auf deinen Diener kannst du nicht zählen. Der hat nicht gemerkt, wie du den Mund aufgesperrt hast, als ich eingetreten bin. Wir sind allein miteinander und können ungestört reden. Wenn du diesmal nicht nach meiner Pfeife tanzt, steche ich dich ab, ohne mit der Wimper zu zucken. Du weißt, daß ich nicht lange fackle.« »Erbarmen«, röchelte der Alte. Hasards Gesicht war hart, wie aus Stein gehauen. »Meinetwegen. Redest du?« »J-ja.« »Ich will Rechenschaft über alles, was mit der ›Wappen von Wismar‹ zusammenhängt.« »Ja. Aber - ich kann - so schlecht ...« Hasard ließ ihn los. Wie eine große Raubkatze schlich er um den Diwan herum und ließ sich neben dem Alten nieder. Die Spitze der Messerklinge war jetzt auf die linke Körperseite Zumarragas gerichtet. »Eine falsche Bewegung, ein Trick, und ich stoße zu. Ich bin ein nervöser Mensch. Ich kann sehr schnell aus der Haut fahren, besonders, wenn man mich hinzuhalten versucht.« Zumarraga atmete ein paarmal tief durch. »Das will ich nicht. Ich muß mich nur von dem Schreck erholen.« Er zitterte am ganzen Leib. Sein flackernder Blick traf Hasards Augen und glitt gleich wieder von ihnen ab. Er ertrug diesen Blick nicht. Er war der mieseste Kerl der Welt mit dem allerschlechtesten Gewissen, und er schlotterte um seine erbärmliche Existenz.
»Das ist so«, begann er. »Als ich dich plötzlich in meinem Kontor auftauchen sah, Drummond, da ahnte ich, was die Stunde geschlagen hatte. Diese Ähnlichkeit - so was gibt es nicht ein zweites Mal. So was kann kein Zufall sein, sagte ich mir. Und ich habe recht behalten.« »Sprich langsamer«, unterbrach ihn Hasard. »Und komm endlich zur Sache. Du weißt, was ich hören will.« Er bewegte die Messerspitze etwas näher auf Zumarragas Leib zu. »Ja, natürlich.« Zumarraga schwitzte. Das Wasser lief ihm in Rinnsalen das Gesicht herab. Er wagte nicht, sich abzutupfen. In kleinen Perlen tropfte es von seinem Kinn und seinen Wangen in den Hemdausschnitt. »Also, folgendes hat sich damals zugetragen. Die Edeldame Graciela de Coria erwartete ein Kind. Dessen Vater, ein Adliger aus Pommern, wäre von der Familie de Coria jedoch nur als Ehemann Gracielas anerkannt worden, wenn er fünf Jahre als Ritter im Malteser Orden gedient und sich hervorgetan hätte.« Er schaute Hasard wieder vage an. Der nickte knapp. »Nur weiter. Ich höre zu.« »Der Mann«, sagte Zumarraga. »der Vater des Kindes, was blieb ihm anderes übrig? Er akzeptierte die Forderung. Er wurde Malteserritter. Aber 1556 verscholl er irgendwo im Mittelmeer. Und das war der Anlaß für die Familie de Coria, den 1555 geborenen Sohn von Graciela gegen den Willen der Mutter nach Pommern zur Familie des Vaters abzuschieben. Ich - nun, ich weiß nicht, ob ich erwähnen darf, welchen Beinamen sie dem Kind bereits zu dieser Zeit gegeben hatten.« »Du darfst!« »Sie nannten ihn den Bastard.« Ja, dachte Hasard erbittert, Bastard hat man mich immer gerufen, auch auf der Feste Arwenack, und das zu Recht, Bastard bin ich also seit meiner Geburt, Bastard werde ich auch immer bleiben. »Weiter«, sagte er barsch.
Zumarraga schluckte. Er leckte sich über die Lippen. »Die Sache mit dem Abschieben fädelten die Brüder Gracielas ein. Sie wurden bei mir vorstellig. Ich vermittelte daraufhin die Möglichkeit, den Bastard, ich meine, den Jungen, auf der ›Wappen von Wismar‹ einzuschiffen.« »Gegen gebührende Entlohnung, versteht sich.« »Ich bin Geschäftsmann, Drummond, das kann mir keiner verübeln.« »Brich dir keinen ab. Weiter, immer weiter, oder muß ich erst wieder nachhelfen?« Hasard drückte die Messerspitze gegen Zumarragas Kleidung. Hastig sprach dieser weiter: »Die ganze Angelegenheit wurde zu einem Drama, weil die drei Brüder von Graciela sich das Kind einfach griffen und zu mir brachten. Aber Graciela hatte die Schandtat bemerkt. Sie hatte herausbekommen, was da gespielt werden sollte. Im letzten Moment versuchte sie, die Entführung durch die Kogge zu verhindern, aber es war zu spät.« Das deckte sich mit Pedro de Castros Bericht. Hasard traute Romeronde Zumarraga nicht über den Weg, aber er hatte das Gefühl, daß der Mann unter der Bedrohung seines Lebens die Wahrheit sprach. »Der Vater des kleinen Jungen war aber gar nicht verschollen«, gab Zumarraga jetzt noch preis. »Er war in die Gefangenschaft des algerischen Piraten Uluch Ali geraten, wie sich etwas später herausstellte. Ali verlangte, wie es seine Gewohnheit war, für den Malteserritter ein fettes Lösegeld. Auch diese Vermittlung kam über mich zustande.« »Donnerwetter«, erwiderte Hasard voll Kälte. »Du bist wirklich ein Tausendsassa, alter Schurke. Aber du hättest nicht gedacht, daß der Bastard eines Tages erscheinen und dich zur Rechenschaft ziehen würde, nicht wahr? Spuck es aus wie wurde das dreckige Erpressungsgeschäft abgewickelt?«
»Ich hatte einen Mittelsmann in Algier. Und Graciela de Coria zahlte das Lösegeld. Aber es gelangte nie zu Uluch Ali.« »Warum nicht?« »Ich - ich mußte es auf Befehl der drei Brüder von Graciela zurückhalten. Ich mußte, ja, wirklich!« »Du durftest es einstecken.« »Ja, ja, das meine ich doch. Die drei Brüder de Coria haßten den adligen Deutschen, denn er hatte ihrer Meinung nach ihre Schwester entehrt.« Hasard hatte einen gallebitteren Geschmack auf der Zunge. Er würgte einen Kloß in seinem Hals hinunter. Was er da vernommen hatte, war eines der verdammungswürdigsten Intrigenspiele, das er ja vernommen hatte. »Drei Brüder spielen sich zu Moralaposteln über ihre Schwester auf«, sagte er. »Sie verschleppen ihr Kind und benehmen sich wie Galgenvögel und Strauchdiebe. Sie verhindern die Auslösung des gefangenen Vaters. Sie verdienten die Exekution.« »Jawohl, das finde ich auch«, sagte Zumarraga eilfertig. Hasard blickte ihn voll Verachtung an. »Du Aasfresser. Kennst du den Namen meines Vaters?« »Sicher. Er lautet Godefroy von Manteuffel.« Manteuffel, dachte Hasard voll Selbstironie, ein feiner Name. Dann bin ich also der Sohn eines deutschen Vaters und einer spanischen Mutter, beide ohne Furcht und Tadel - aber, fürwahr, ein echter Bastard! »Zumarraga, ich will den Namen des Mittelsmannes in Algier wissen. Laß dir bloß nicht alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen.« Der Alte preßte die Lippen zusammen. Hasard zog das Messer hoch, setzte es ihm an die Kehle und hielt ihn gleichzeitig am Kinn fest. »So, du wirst also bockig? Ich habe schon ganz andere Burschen weichgeklopft, und die waren, weiß der Himmel, nicht solche feigen Hosenscheißer
wie du. Paß auf, ich kitzle dich ein bißchen.« Er drückte leicht mit dem Messer zu. Die scharfe Spitze ritzte Zumarragas faltige, pergamentene Haut. Ein Tropfen Blut quoll hervor. »Ishak«, preßte Zumarraga hervor. »Ishak Azem, ein maurischer Kaufmann. Das ist die Wahrheit. Ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist.« Der Seewolf ließ von ihm ab. Er stand auf und betrachtete ihn. »Ich bezweifle, daß dir was heilig ist, du Hundesohn. Aber du bangst um dein widerliches Dasein, und das genügt mir. Ich habe jetzt genug erfahren. Ich gebe dir einen guten Rat: Schicke mir niemanden nach! Ich würde es bemerken. Gnade dir Gott, wenn du mir einen Knüppel zwischen die Beine wirfst! Bislang bin ich nachsichtig mit dir umgesprungen. Falls du dir einbildest, mich verfolgen lassen zu können, hast du dich gewaltig getäuscht. Dann ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert.« »Jawohl.« »Auf Nimmerwiedersehen.« Hasard drehte sich um, ging zur Tür, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn. Beim Hinausschlüpfen warf er Zumarraga noch einen Blick zu. Der Alte saß wie angenagelt auf seinem Diwan. Hasard war tief in Gedanken versunken, als er den Flur des Hauses entlangeilte. Manteuffel. De Coria. Beide Namen spukten ihm im Kopf herum. Er war kein Killigrew, kein Engländer, er war ein Manteuffel. Aber nicht so rein und unverschnitten wie der Riojo-Wein, der in den Fässern im Frachtraum der ›Isabella VII.‹ schwappte! Bastard, Bastard, das Wort peitschte auf ihn nieder. Er entsann sich wieder an Szenen aus seiner Kindheit, an die oft gehässigen Fragen von Kindern und Erwachsenen, ob er wirklich ein Killigrew wäre, ob er überhaupt Engländer sei, die hämischen Bemerkungen, wenn andere seinen hohen Wuchs, seine schlanke Figur, sein dunkles Haar mit seinen rotblonden,
grobschlächtigen Brüdern verglichen, die Zweifel und die Unsicherheit, die trotz allem in ihm ausgelöst wurden - an die tastenden, unsicheren Fragen an seine Mutter, an ihre beruhigenden Antworten. Vage. Ausweichend. Und jetzt? Die Gewißheit, kein echter Killigrew zu sein, hatte er sich verschafft. Aber trotzdem ging alles wieder von vorn los. Hasard rechnete allenfalls damit, daß der Diener mit dem zerknitterten Gesicht aus irgendeinem Schlupfwinkel des großen Hauses auftauchte und dumme Fragen stellte. Er ahnte nicht, daß Romeronde Zumarraga hinter ihm auf dem Diwan des Salons verhalten kicherte, daß er, flink wie ein Wiesel, sich zurückgebeugt und einen verborgenen Hebel bedient hatte. Zu spät merkte er, daß etwas im Busch war. Kurz vor der Eingangstür sackte unter ihm der geflieste Boden weg. Jeglicher Halt war ihm unter den Füßen fortgerissen. Er suchte mit den Händen nach Widerstand, fand ihn nicht. Er stürzte in die Tiefe, raste in einen schwarzen Abgrund, In diesem Sekundenbruchteil kehrte er von den Irrwegen seiner Überlegungen zurück, war in der Wirklichkeit und begriff, daß Ben Brighton allen Grund zur Skepsis gehabt hatte. Aber die Einsicht nutzte ihm nichts mehr. Hasard stürzte in ein dunkles Verlies. Er knickte den Oberkörper ein und streckte instinktiv Hände und Füße vor, um die Wucht des Aufpralls ein wenig abzubremsen. Dann aber kam er doch unglücklich zu Fall und stieß sich den Kopf an irgendeiner Wand. Vor der Küste von Portugal war ihm Anfang des Jahres bei einem Seegefecht eine wirbelnde halbe Spiere gegen den Kopf geflogen. Deshalb hatte er wochenlang bei Sir Anthony Freemont in Behandlung liegen müssen. Sir John Killigrew hatte indirekt die Schuld, denn er war es, für den Hasard in der Seeschlacht hilfreich eingesprungen war. Das hatte er nun von seiner Menschlichkeit! Die Wunden waren gut verheilt, aber der Kopf hatte immer noch größere Empfindlichkeit als vor der
Verletzung. So ein Schädelbruch hatte noch lange Nachwirkungen. In Hasards Kopf schienen riesige Glocken zu dröhnen. Er fiel auf die Seite. Erlösende Finsternis senkte sich über ihn.
9. Dan O’Flynn verließ seinen Beobachterposten keine Minute. Er konnte sich gut vorstellen, wie Hasard sich den alten Geier Zumarraga vorknöpfte und mit ihm umsprang. Oh, er wäre gern dabeigewesen und hätte sich bestimmt kringelig gelacht über Zumarragas verdatterte Miene! Aber das war ihm nun mal leider nicht vergönnt. Nach einer halben Stunde schlug Dans Stimmung um. Er wurde unruhig. Was tat der Seewolf so lange? Unmöglich, daß er sich so langatmig mit dem Alten unterhielt. Andererseits wußte Dan aber auch, um was es ging, und er sagte sich, daß gewisse Schilderungen ihre Zeit brauchen,, bis sie vorgetragen waren. Er wägte das Für und Wider seiner Überlegungen ab. Was sollte er tun? Noch länger ausharren? Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Ein Mann verließ Zumarragas Haus. Hasard war es nicht. Zumarraga auch nicht. Wer immer - er hetzte durch den Garten und wandte sich dann der Stadtmitte zu. Die Dunkelheit verschluckte seine Gestalt. Dan war versucht, sich ihm auf die Fersen zu heften. Dann ließ er es aber doch. Sein Auftrag lautete, Hasard zu beschatten. Daran mußte er sich halten. Nervös kauerte er in seinem Gebüsch. Irgend etwas war hier nicht in Ordnung, er spürte es. Noch hätte er keine Gründe für diese Annahme anführen können. Dann aber, als er schon drauf und dran war, sich durch den Garten bis an das Haus von Zumarraga zu schleichen, präsentierte sich ein handfestes Argument.
Zackig rückte aus Richtung Stadtmitte eine Kolonne Soldaten an. Sie steuerte auf Zumarragas Haus zu. Dans Herz klopfte schnell« und schneller, bis zum Hals herauf. Der Mann, der das Haus verlassen hatte, begleitete die Garde. Er lief voraus, durch den Garten und betätigte den Türklopfer. Wie von Geisterhand bewegt, schwang die Tür auf. Die Soldaten marschierten in das Gebäude, forsch, entschlossen, aber sicherlich nicht, um Romeronde Zumarraga zu Leibe zu rücken! Kurze Zeit verstrich, dann erschienen die Soldaten wieder im Freien. Dan O’Flynn sperrte den Mund auf. Er hätte heulen können! Da schleppten die Dons doch tatsächlich den Seewolf! Er befand sich in ihrer Mitte. Es waren vier Soldaten, die ihn an Armen und Beinen gepackt hielten und ziemlich unsanft vorwärts beförderten. Er war bewußtlos. Aus, dachte Dan verzweifelt, alles aus. Was sollte er tun? Er hatte eine Pistole und ein Messer, aber er konnte doch nicht einen ganzen Trupp bis an die Zähne bewaffneter spanischer Soldaten überfallen. Da blieb vorläufig nur eins - die Kolonne zu verfolgen. Er schlich ihr bis zum Westrand der Stadt nach. Klotzig und drohend ragten die Türme eines Kastells gegen den Nachthimmel auf. Dan entsann sich der Erläuterungen, die der Seewolf ihnen beim Einlaufen in den Hafen von Cadiz gegeben hatte. Die Festung da konnte nur das Fort San Sebastian sein! Die Schritte der Soldaten trappelten über das Holz der Zugbrücke. Atemlos verharrte Dan in einem dornigen Gestrüpp. Er nahm sich vor, seinem Kapitän bis ins Innere des Forts zu folgen, aber dann wurde ihm ein dicker Strich durch die Rechnung gezogen. Die Zugbrücke bewegte sich, sobald die Soldaten sie mit ihrem Gefangenen passiert hatten. Sie schwang quietschend und unter dem Gerassel ihrer Ketten hoch, schloß das Tor zu und verrammelte das Fort. Selbstvorwürfe? Nein, Dan hätte gar nicht anders handeln
können. Der Trupp hatte aus zwanzig Soldaten unter Führung eines Teniente bestanden. Selbstmord wäre es gewesen, die anzugreifen. Und wer hätte dann noch Ben Brighton und die anderen verständigen können? Dan O’Flynn lief durch die Nacht. Ohne Pause hastete er zum Port Piojo hinunter, wo die Masten der ›Isabella‹ wie Skelette vor ihm aufragten. Sein Herz hämmerte wild. Er raste über die Gangway, rutschte aus, landete auf der Planke und fiel beinahe ins Wasser. Matt Davies hatte Deckwache. Er begann zu lachen. »Jetzt haut’s mich, doch gleich um. Ist das etwa unser Bürschchen? Hast du gesoffen oder was ist los?« »Hör auf«, sagte Dan. Er rappelte sich auf. »Da gibt es nichts zu lachen. Hol Ben! Trommle von mir aus alle zusammen! Hasard steckt in der Klemme.« Keine Minute später berichtete er vor der versammelten Crew, was sich zugetragen hatte. Ben und die anderen waren bestürzt. »Wir schlagen sofort los«, sagte Big Old Shane. »Wäre doch gelacht, wenn wir Hasard nicht rauspauken würden. Uneinnehmbar ist keine Festung. Sir John hat sich auch eingebildet, Arwenack würde nie fallen, aber wir sind dort ganz einfach einmarschiert und haben ihm und seiner Bande das Fürchten beigebracht.« Ben blickte ihn an. »Verflixt noch mal, Shane, dein klarer Menschenverstand muß dir doch sagen, daß so etwas hier in Cadiz nicht drin ist. Schließlich sind wir hier nicht zu Hause. Wir kennen uns nicht aus. Und die Dinge liegen auch völlig anders als in Falmouth, wo wir Sir John eins auf die Schnauze gehauen haben.« »Wir brauchen einen vernünftigen Plan«, sagte Ferris Tucker. »Sonst ist jeder Versuch, Hasard zu befreien, von vornherein zum Scheitern verurteilt.« Ben meinte: »Ich halte es für das Beste, wir ziehen Pedro de
Castro zu Rate. Dan, lauf zu ihm, rüttle ihn meinetwegen aus dem Schlaf, falls er sich schon aufs Ohr gelegt hat - bring ihn um jeden Preis her.« Dan rannte wieder über die Gangway davon. Kurz darauf kehrte er mit de Castro zurück. Sie liefen beide. De Castro hatte eine höchst besorgte Miene aufgesetzt. Die Nachricht über Hasards Schicksal hatte ihn alarmiert. »Verdammt noch mal«, sagte er zu der Crew. »Auf Zumarraga bin ich nicht gut zu sprechen, das ist wohl jedem von euch inzwischen klargeworden. Ich hasse ihn. Da ist es Ehrensache, daß ich dem Capitan Drummond zu helfen versuche. Ich nehme an, Zumarraga hat ihm in seinem Haus eine Falle gestellt. Darin ist er Meister. Wenn man dem Getuschel der Leute recht geben kann, so erfindet er immer neue Vorrichtungen, um Widersacher festzunehmen, abzuwimmeln und auszubooten.« »Unser Kapitän ist verhaftet worden, soviel steht fest« erwiderte Dan O’Flynn. »Und wir müssen etwas unternehmen, sonst sehe ich schwarz für ihn.« De Castro nickte. Er wußte ja um Hasards Geheimnis, obwohl er ihn nach wie vor für Philip Drummond hielt. Er kannte Zumarragas Praktiken und seinen Einfluß bei den Obrigkeiten von Cadiz. De Castro war eine grundehrliche Haut. Einer, den man sich zum Verbündeten machen konnte. Ben, der nun vorläufig das Kommando auf der ›Isabella‹ hatte, hatte darauf gesetzt und richtig gehandelt. »Ich biete euch meine Freundschaft an«, sagte de Castro. »Ich will euch helfen.« Ben drückte die von dem Spanier dargebotene Hand. »Danke. Freut mich aufrichtig, daß du auf unsrer Seite bist.« »Wenn ich euch einen Rat geben kann - ich würde mit der Karavelle sofort vom Kai verschwinden. Gut möglich, daß die Soldaten über kurz oder lang auch hier erscheinen. Zumarraga
weiß auch, daß ihr ihm gefährlich werden könntet, im übrigen ist er unberechenbar.« »Na schön«, sagte Carberry. »Aber wohin, zum Teufel, verholen wir uns? Die Gegend ist fremd für uns.« »Die Mündungsbucht des Rio de San Pedro ist ein geeignetes Versteck«, entgegnete de Castro. »Ich habe einen verläßlichen Mann, den ich euch als Lotsen mitgeben kann.« Ben wurde skeptisch. »Das ist sehr nett von dir, Pedro - aber wir kennen diesen Mann nicht. Können wir auf den so bauen wie auf dich?« De Castro lächelte. »Ganz bestimmt. Er arbeitet in meinem Lagerhaus. Er gehörte zu meiner Mannschaft, als ich noch zur See fuhr. Bei einem Überfall und Entermanöver durch Piraten wurde er als Faustpfand entführt, nachdem wir den Angriff abgewehrt hatten. Ich schaffte es, ihn aus dem Schlupfwinkel der Piraten zu holen. Aber sie hatten ihn bereits traktiert und ihm die Zunge abgeschnitten, damit er niemals über ihr Versteck Auskunft geben konnte. Wahrscheinlich aber hätten sie ihn umgebracht, wenn ich ihn nicht zurück an Bord geholt hätte. Er verdankt mir sein Leben und ist mir ewig verbunden dafür. Da er stumm ist, würde er selbst unter der Folter niemals etwas von dem verraten, was wir hier aushecken. Er heißt Tebaldo.« »Armer Teufel«, sagte Ben. »Du mußt schon entschuldigen, daß wir mißtrauisch sind, Pedro, aber nach allem, was wir erlebt haben ...« »Schon gut. Ich gehe jetzt und schicke euch Tebaldo.« Ben hielt ihn zurück. »Moment. Ich will, daß unsere Crew sich teilt. Eine Gruppe bleibt hier an Land zurück, die andere manövriert das Schiff in die Mündung des Flusses. Gibt es eine Versteckmöglichkeit in der Nähe?« De Castro grinste. »Ganz sicher. In meinem Lagerhaus.« »Dann los«, sagte Ben. »Ferris, du führst ab sofort das Kommando auf der ›Isabella‹. Ed, Shane, Stenmark, Al, Dan,
Matt, Sam und Luke - ihr geht mit mir.« »Aye, aye«, gab der Profos zurück. Der Landtrupp huschte durch die Nacht auf das Lagerhaus von Pedro de Castro zu. Während Ben und die anderen sich vorerst in einen Gang zwischen dem Schuppen und seinem Nebengebäude drückten, pirschte de Castro eine wacklige Holztreppe hoch. In einem Verschlag oben an der Seite des Lagergebäudes befand sich der Schlafraum von Tebaldo. De Castro weckte ihn, und kurz darauf stieg der Mann die Treppe hinunter. Er entpuppte sich als hünenhafter Mann mit struppigem Vollbart. Manch einer hätte bei seinem Anblick das Fürchten gelernt. Aber Ben Brighton verließ sich auf de Castros Versicherung, Tebaldo sei in Ordnung. »Geh an Bord der Karavelle«, sagte de Castro zu Tebaldo. »Führe sie in die Mündung des Rio de San Pedro. Dort wartet ihr.« Tebaldo nickte. Er gestikulierte, de Castro gab ihm ebenfalls ein Zeichen, dann lief der Hüne zur ›Isabella VII.‹ hinüber. De Castro öffnete das Tor des Lagerhauses. Mit sicherem Griff zog er im stockfinsteren Inneren eine Öllampe von einem Holzbord, zündete sie an und brachte Ben, Carberry und die anderen ganz bis ans Ende des Baus. Hier rückten sie mit vereinten Kräften Kisten, Ballen und Säcke beiseite. Der Himmel mochte wissen, was sie enthielten, jedenfalls waren sie ziemlich schwer. De Castro bückte sich. Lächelnd schob, er mit der Hand Staub beiseite und legte einen Eisenring frei. Er brauchte nur noch daran zu ziehen, und eine Luke schwang knarrend hoch. Er hielt die Öllampe in die Öffnung. Die Männer erkannten eine eiserne Stiege, die in die Tiefe führte. »Unten befindet sich ein großer Keller«, erklärte de Castro. »Da seid ihr sicher. Die Luke hier hat noch keiner entdeckt. Nur Tebaldo und ich wissen von dem Keller. Es lagern dort Wein, Schinken, Würste und andere Sachen für den
Eigenbedarf. Tut euch von mir aus daran gütlich, aber besauft euch nicht.« »Bestimmt nicht«, antwortete Dan O’Flynn. »Wir müssen hellwach und einsatzbereit bleiben.« »Unsere Stunde schlägt noch«, sagte Ben. »Pedro, gib uns bitte Bescheid, wann die Luft rein ist und wir hier wieder herauskönnen.« De Castro versicherte es ihm, dann begaben sich die neun Männer in den Keller hinunter. Der Spanier gab ihnen die Öllampe und noch zusätzlich ein paar Talglichter mit. Er schloß die Luke hinter ihnen, schob wieder ein paar Säcke und Kisten darauf und verließ anschließend das Lagerhaus. Die ›Isabella VII.‹ hatte sich längst vom Kai gelöst. Ihre Konturen verschmolzen mit der Dunkelheit. Sie segelte unter der sachkundigen Führung von Tebaldo mit direktem Kurs auf die Mündung des ostwärts gelegenen Flusses zu. Stunden später zeigte sich, wie richtig Pedro de Castros Rat gewesen war. Er hatte die ganze Zeit über nicht geschlafen. Jetzt stand er im Wohnraum neben seinem Kontor und wusch sich mit kaltem Wasser aus einer weißen, etwas schadhaften Keramikschüssel. Das Herantappen von Schritten vernahm er, bevor er die Urheber sehen konnte. Rasch trocknete er sich mit einem Tuch ab und trat ans Fenster. Plötzlich mußte er grinsen. Richtig, da marschierte im Morgengrauen ein Trupp Soldaten auf. Über ihre Absichten bestand kein Zweifel.. Sie zogen bis an den Kai, blieben stehen und blickten sich reichlich verdutzt und ratlos um. De Castro dachte gar nicht daran, sich vor ihnen zu verkriechen. Er öffnete die Haustür und trat ins Freie. Er trug Kniebundhose, Stiefel und Unterhemd und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. In dieser Haltung sah er gelassen zu, wie sich eine einzelne Gestalt aus dem Trupp löste und auf ihn zuging.
Ein Teniente, dachte er. Na warte. Der Teniente würdigte ihn keines Grußes oder einer freundlichen Geste, er fragte bloß: »Wo ist diese Karavelle? Die ›Isabella‹?« »Was wollen Sie von ihr, Teniente?« Dem Offizier gefiel die Gegenfrage nicht, aber er antwortete: »Sie besetzen. Und jetzt heraus mit der Sprache. Hat sie nicht hier bei Ihnen am Kai gelegen, de Castro?« »Ja.« De Castro war die Kaltblütigkeit in Person. »Die Leute haben Wein bei mir gekauft. Zehn Fässer guten dunkelroten Rojo, wenn Sie’s ganz genau wissen wollen. Heute nacht ist die Karavelle ausgelaufen.« »Ach. Ziel?« »Unbekannt. Mir haben die Männer es jedenfalls nicht verraten.« »Verdammt, so ein Mist!« »Was liegt denn gegen dieses irische Schiff vor, Teniente?« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Nichts Bestimmtes. Wir haben Order, es zu besetzen. Viel mehr haben mir meine Vorgesetzten nicht mitgeteilt, außer eben - nun, eigentlich dürfte ich Ihnen das gar nicht verraten.« »Machen Sie eine Ausnahme«, erwiderte de Castro aufmunternd. »Immerhin hat die Karavelle hier bei mir gelegen. Es würde mich sehr wurmen, wenn irgendwas nicht in Ordnung war.« ,,Na ja. Meinetwegen. Wir haben den Kapitän verhaftet, und zwar unter dem Verdacht, ein englischer Spion zu sein. Wie weit die Mannschaft in diese Schweinerei verwickelt ist, ist nicht bekannt, aber der Verdacht gegen den Kapitän, diesen Philip Drummond, wie er sich nennt, ist sehr, sehr stark, das kann ich Ihnen sagen.« Pedro de Castro verzerrte überzeugend das Gesicht. »Verflucht, so ein Halunke. Pfui Teufel, und so einer muß ausgerechnet bei mir Wein kaufen. Na warte, wenn ich den
zwischen die Finger kriege.« Der Teniente lächelte. »Wohl kaum. Den geben wir nicht wieder heraus. Na, es ist ja nicht Ihre Schuld, de Castro. Vergessen Sie es. Um eine Aburteilung dieses Burschen wird unsere Obrigkeit schon bemüht sein. Der kriegt sein Fett.« Die Soldaten verließen die Kaianlagen und begaben sich in die Stadt zurück. Pedro de Castro hatte jetzt nichts Eiligeres zu tun, als in das Lagerhaus zu laufen, die Luke freizulegen und Ben Brighton durch ein Klopfzeichen zu verständigen. Ben kam herauf, seine Männer waren in seinem Rücken. »O verdammt«, sagte Ben, als der Spanier ihn über das Gespräch mit dem Teniente berichtete. »Wir müssen was tun. Wir können hier nicht herumlungern und einfach abwarten, daß sie Hasard, ich meine, Philip, durch die Mangel drehen.« Er hielt es immer noch für besser, de Castro in dem Glauben zu belassen, der Seewolf hieße wirklich Philip Drummond. »Wie ist jetzt die Luft?« fragte Carberry. »Im Augenblick rein«, sagte de Castro. »Dann nichts wie los«, meinte Ben Brighton. »Sam Roskill, du begleitest mich. Du sprichst so gut spanisch wie ich. Wenn nicht gerade jemand unsere Gesichter erkennt, können wir uns unerkannt unter die Leute mischen.« »Was habt ihr vor?« fragte de Castro. Ben Brightons Miene war grimmig. »Wir gehen zum Fort San Sebastian, um zu erkunden, ob man da irgendwo eindringen kann. Es muß eine Möglichkeit geben.«
10. Am Vormittag dieses Tages wurde Philip Hasard Killigrew in eine Halle des Forts San Sebastian geführt. Sonnenlicht stach durch die hohen Fenster des Raumes, konnte die Atmosphäre aber auch nicht erwärmen. Von den grauen Bruchsteinquadern
der Wände ging etwas Düsteres und Drohendes aus, und über Hasards Haupt schwebte das Damoklesschwert. Es war aus. Er hatte verloren. Tiefe Resignation hatte ihn ergriffen. Die Schmerzen in seinem Kopf wären noch zu ertragen gewesen, nicht aber das deprimierende Gefühl in seinem Inneren. Er hatte das Geheimnis seiner Vergangenheit zu ergründen begonnen, aber alles, was er bisher in Erfahrung gebracht hatte, war jetzt mit einem Schlag nichts mehr wert. Fünf goldbetreßte Männer standen hinter einem ausladenden Holztisch an der Stirnwand der Halle. Hoch über ihnen an der Wand blickte Philipp II. von Spanien aus großen, etwas melancholisch wirkenden Augen auf sie hinunter. Seine Lippen sahen angefeuchtet aus, sein Bartwuchs war spärlich, sein Hals war in eine blütenweiße Krause gezwängt. Hasard sah auf das Bild und erkannte, daß der König Teile des »Rosenblattharnischs« trug, der für Ferdinand I. angefertigt worden war. Es war eine aufwendige Rüstung, aber der König paßte nicht so recht hinein, jedenfalls erschien es dem Seewolf so. Neben dem Ölgemälde hingen die spanische Standarte und andere Embleme der spanischen Krone. Hasard befand sich vor einem Militärtribunal. Er mußte, von zwei Wachtposten flankiert, drei Schritte vor dem Tisch stehenbleiben und sich etwas vornüberneigen. Vier Goldbetreßte setzten sich, der fünfte, mittlere, blieb stehen und hob ein Blatt Pergament hoch. »Gegen den hier vorgeführten Gefangenen Seiner Majestät, Philipps II. von Spanien, wird die Anklage erhoben, ein englischer Spion zu sein. Man rufe den Zeugen.« Hasard durfte sich nicht setzen. Der Vorsitzende des Militärgerichtes indes ließ sich nun gleichfalls auf seiner Sitzgelegenheit nieder. Während die fünf dahockten, von den Attributen ihres Amtes umgeben, eilte ein Schreiber oder Beisitzer zur linken Tür hinaus, sagte etwas, das Hasard nicht verstand, und führte dann Romeronde Zumarraga herein.
Zumarraga, einziger Zeuge der Anklage! Er hatte ein triumphierendes Lächeln aufgesetzt. Hasard gab sich keinen Illusionen hin. Natürlich standen die fünf Richter hinter Zumarraga, sie würden ihm recht geben und darauf bedacht sein, die Sache schnell abzuwickeln und den Angeklagten, diesen Hund, abzuurteilen. Selbstverständlich gab es für den Seewolf keinen Verteidiger. Zumarraga durfte sich an die linke Seite eines zusätzlichen Tisches setzen. Er sah Hasard an. Diesmal hatte er keine Angst, ihm in die Augen zu blicken. »Berichten Sie, was sich heute nacht in Ihrem Haus abgespielt hat, Zeuge Zumarraga«, forderte ihn der Vorsitzende auf. Der Alte packte mit Genuß aus. Zunächst trug er seine verdrehte Version von dem dreisten Eindringling Hasard vor, der ihn habe umbringen wollen, dann, am Ende, kam er auf den Kernpunkt zu sprechen. »Ich weiß genau, daß dieser angeblich irische Kapitän Philip Drummond niemals ein Ire sein kann. Ich habe Recherchen nach der 1556 verschollenen ›Wappen von Wismar‹ angestellt, auf der eine spanische Uradelsfamilie einen Bankert nach Deutschland bringen wollte eben diesen sogenannten Capitan Drummond dort! Ich erfuhr, daß die Kogge sich im Sturm nach Falmouth verholen mußte, nach Falmouth in Cornwall. Dort wurde sie von der Sippe der Killigrews überfallen. Die Besatzung der Kogge wurde ermordet, das Schiff nach Irland verkauft. Aber dort, in Irland, wurde beim Verkauf kein Kind abgeliefert. Folglich muß dieser kleine Bastard in England geblieben sein, natürlich bei der Sippe der Killigrews.« »Vielleicht wurde das Kind ebenfalls getötet«, sagte einer der Richter. Zumarraga schüttelte den Kopf. »Nein, Euer Ehren. Sehen Sie sich den Kerl an. Daß er der Bursche von damals ist, beweist klar und deutlich seine frappante Ähnlichkeit mit seiner
Mutter. Sie war eine spanische Edeldame, deren Namen zu nennen mir Moral und Anstand verbieten, zumal es sich um eine bekannte Adelsfamilie Spaniens handelt.« Zumarraga sprach von Moral und Anstand! Hasard hätte am liebsten laut losgelacht. Merkwürdig, er hatte seinen Tiefpunkt jetzt überwunden, obwohl eigentlich kein Grund dazu bestand. Vielleicht war es Galgenhumor, der in ihm lebendig wurde. Im übrigen mußte er im stillen anerkennen, daß der alte Geier Zumarrago so ziemlich ins Schwarze getroffen hatte, was die Killigrews betraf. Aber mehr schien er nicht zu wissen. »Angeklagter«, sagte der Vorsitzende. Sein stechender Blick richtete sich auf Hasard. »Äußern Sie sich! Sie sind unserer Sprache mächtig?« »Ja.« Hatte es Sinn, das zu leugnen? Zumarraga konnte ja bestätigen, wie gut Hasard spanisch sprach. Die Situation war tödlich. Hasard hatte nur eine Chance. Er blieb stur, verzog ironisch den Mund und sagte: »Senor Zumarraga hat wohl wegen seines kürzlich erlittenen Schlaganfalles nicht mehr alle Sinne beisammen. Ich sage, er sieht Gespenster, wo keine sind. Ich bitte das hohe Gericht, die Lage genau zu überprüfen und zu dem Schluß zu gelangen, daß Zumarragas Aussage an den Haaren herbeigezogen ist und keine reale Grundlage hat.« Zumarraga wurde noch einmal gehört, dann hatte einer der Richter etwas zu fragen, und schließlich zogen sich die fünf Goldbetreßten zu einer kurzen Beratung zurück. Sie kehrten zurück, nahmen hinter ihrem Tisch Aufstellung, und der Vorsitzende sagte: »Das Tribunal ist anderer Meinung als der Angeklagte. Es schließt sich der Beweisführung Senor Romeronde Zumarragas an und erklärt den Angeklagten Killigrew, genannt Philip Drummond, der Spionage für schuldig.« Er beugte sich vor und fügte zynisch hinzu: »Besser eine Verdachtsperson mehr erschossen als eine zu wenig. Das ist unsere Devise. Das Urteil steht fest: Tod vor einem
Peloton.« Hasard nahm es ohne große Bewegung hin. Er war ja auf diesen Beschluß vorbereitet gewesen. Und einmal, irgendwann in seinem Leben, mußte er den Schlußstrich ziehen. Er hatte dem Tod oft ins Antlitz geblickt. Er kannte ihn schon. Nun ging es bis zur letzten, endgültigen Konsequenz. Nur für Gwen und das Kind, das im September geboren werden würde, würde es hart ... Die Stimme des Vorsitzenden klang kalt und monoton. »Tod durch Erschießen, das ist noch ehrenhaft, Angeklagter. Gewöhnlich sind in diesen Fällen Galgen oder Scheiterhaufen üblich. Ich hoffe, Sie wissen das zu würdigen.« Es war der reine Hohn. Hasard fixierte den Vorsitzenden. »Es freut mich, so zuvorkommend behandelt zu werden, Euer Ehren. Spanien kann stolz auf seine Richter, sein Gesetz und seine große Gerechtigkeit sein.« Alle Anwesenden wußten ganz genau, wie das aufzufassen war. Der Vorsitzende nahm wieder ein Dokument zur Hand und verkündete unbeirrt: »Das Urteil wird morgen früh vollstreckt, am 29. Mai 1580. Das ist alles. Hiermit erkläre ich die Sitzung für geschlossen.« Hasard blieb immer noch völlig ruhig und gefaßt. Sein Leben hing jetzt an einem hauchdünnen Faden, und es gab kaum eine Chance, sich der Hinrichtung zu entziehen. Er hätte um Gnade flehen, sich zerschmettert und verzweifelt geben können. Aber niemals würde ein Seewolf sich zu etwas Derartigem herablassen - und wenn er tausendmal ein verfluchter Bastard war.
ENDE
Exekution
von Burt Frederick
Vom Glockenturm der Kirche in Cadiz hallten sechs eherne Schläge. Wenn der letzte Schlag verklang, würde der Mann am Pfahl auf dem Exerzierplatz von Fort San Sebastian zusammensacken - getroffen von den Kugeln der acht Füsiliere. Aber dieser Mann, den sie den Seewolf nannten, lächelte, als der Teniente des Exekutionskommandos den Degen hob und seinen Feuerbefehl brüllte ...