Nr. 350
Wanderer durch die
Dimensionen
Lebo Axton auf der Suche von H. G. Francis
Pthor, das Stück von Atlantis, de...
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Nr. 350
Wanderer durch die
Dimensionen
Lebo Axton auf der Suche von H. G. Francis
Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans Eingreifen wieder in die unbekannten Dimen sionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materia lisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wieder auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo gen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, hat sich der Arkonide zu den Spercoiden begeben. Wäh rend nun Atlan im All und auf fremden Welten seine gefährlichen Abenteuer besteht, ist nicht nur der seltsame Kundschafter mit seiner noch seltsameren, exotischen Be gleiterin auf der Suche nach Atlan befindlich, sondern auch USO-Spezialist Sinclair Marout Kennon, der zuletzt als Lebo Axton eine wichtige Rolle im Kampf gegen Or banaschol spielte. Nach dem Sturz des Usurpators wird Axton-Kennon zum WANDERER DURCH
DIE DIMENSIONEN …
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H. G. Francis
Die Hautpersonen des Romans:
Sinclair M. Kennon alias Lebo Axton - Der Terraner wird zum Dimensionswanderer.
Greasy - Ein telepathischer Symbiont.
Sünthey, Orro und Peytkyr - Planetarier mit seltsamen Tabus.
Tirque - Ein Kämpfer für Anstand und Ordnung.
1. Er konnte nicht erkennen, ob er in den Bereich stabilisierter Energie zurückgekehrt war, oder ob er sich einem Trugbild hingab, das er selbst produzierte. Er befand sich auf einer grünen Ebene, die sich zum Horizont hin auf einer Seite birnenförmig verjüngte. Der Himmel glänzte in einem milchig dunstigen Weiß, ohne daß eine Lichtquelle zu sehen war. Es schien, als sei er in ein Gewölbe eingetreten, das von einem perlmuttartigen Material überzogen war. Überall erhoben sich kristalline Struktu ren der verschiedensten Formen. Einige stie gen schlank bis zu zwanzig Metern hoch auf, andere schmiegten sich flach an den Bo den und streckten bizarre Finger nach allen Seiten hin aus. Andere wiederum blähten sich zu Kugeln mit filigranartiger Oberflä che auf oder bildeten Formen, die ihn an Le bewesen erinnerten, denen er vor langer Zeit begegnet war. Er atmete tief durch und fuhr sich mit den Händen über die Augen. Die Luft war warm und sauerstoffreich. Von irgendwoher kam ein stetes Rauschen. Es ließ die Gedanken an große Maschinen in ihm aufkommen. Die Ebene vibrierte leicht, so als werde sie von einer unbekannten Kraft erschüttert. Er blickte an sich herab. An den Füßen trug er mattglänzende Schuhe. Er hatte nicht erwartet, sie zu sehen, da sie aus einer Zeit stammten, die er schon fast vergessen hatte. Er ging einige Schritte weiter. Dabei wur de er sich der Unzulänglichkeiten seines Körpers bewußt. Doch das störte ihn nicht. Er öffnete den Mund zu einem triumphieren den Schrei.
Es war gelungen! Die Kristalle in seiner Umgebung verfärb ten sich, als er schrie. Sahen sie erst weiß aus, so wurden sie jetzt dunkler und rot. Doch diese Verfärbung zeigte sich nur vor übergehend. Sie verschwand schon nach ei nigen Sekunden wieder. Sinclair Marout Kennon fühlte sich schwach. Die Schwerkraft in dieser seltsa men Welt, in der er sich befand, schien hö her als gewohnt zu sein. Er konnte das nur schlecht beurteilen, weil er keine Vergleiche hatte, aber es war für ihn bedeutend ange nehmer und bequemer, an eine erhöhte Gra vitation zu denken als daran, daß sein Kör per zu schwach war, sich selbst zu tragen. Er drehte sich langsam um sich selbst und blickte in die Ebene hinaus. Wohin er sich aber auch wandte, überall sah er nur Kristalle verschiedener Größe. »Kelly«, schrie er mit heiserer Fistelstim me. »Verdammter Versager, wo bist du?« Niemand antwortete ihm. Sinclair Marout Kennon stieß mit dem Fuß gegen einen der Kristalle. »Gentleman Kelly«, sagte er und bemühte sich um einen freundlichen Ton. »Würdest du die Liebenswürdigkeit haben, zu mir zu kommen? Sicherlich willst du meine freund schaftlichen Gefühle zu dir nicht verletzen.« Auch jetzt blieb die erhoffte Antwort aus. Doch weit von ihm entfernt zeigte sich ei ne Bewegung. Deutlich erkannte er, daß sich ihm etwas näherte. Es bewegte sich auf und ab, wurde dabei manchmal etwas schmaler, um sich anschließend wieder zu verbreitern. Es schi en zu pulsieren. Wenige Sekunden später schon wurde Kennon sich darüber klar, daß er sich geirrt hatte. Es war nicht Kelly. Das Geschöpf, das da auf ihn zu kam, erinnerte ihn an ein
Wanderer durch die Dimensionen Pferd, das sich im Galopp immer wieder nach vorn streckte. Seine Hände glitten zu den Hüften. Sie legten sich an seinen Gürtel, stießen jedoch nicht, wie erhofft, auf die Kolben von Ener giestrahlern. Kennon fuhr sich mit den Hän den über die tonnenförmig aufgewölbte Brust, aber auch hier fand er keine versteck ten Waffen. Wehrlos war er allem ausge setzt, was ihm begegnete. Er konnte nur warten und hoffen, daß er alles überstand. Früher oder später würde er Waffen finden, mit denen er sich verteidigen konnte. Davon war er überzeugt. Aber war dies überhaupt die Wirklich keit? Oder träumte er? Kennon versuchte, sich auf diese Frage zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Der Boden dröhnte unter seinen Füßen, und das rotschimmernde Geschöpf kam ihm immer näher. Gleichzeitig vernahm er ein schrilles Sirren. Es war unangenehm und ließ ihn frö steln. Inzwischen war nicht mehr zu übersehen, daß eine außerordentliche Ähnlichkeit zwi schen einem terranischen Pferd und dem Ge schöpf bestand, das nun nur noch etwa drei hundert Meter von ihm entfernt war. Es stürmte auf ihn zu, als habe es die Absicht, ihn zu überrennen. Unwillkürlich blickte Kennon sich nach einem Kristall um, der ihm einen ausreichenden Schutz gewährte. Dann eilte er keuchend zu einem Gebilde, das etwa fünfzehn Meter hoch aufstieg. Er kletterte daran in die Höhe, wobei er darauf achtete, daß er sich an den überaus scharfen Kanten und Vorsprüngen nicht die Finger zerschnitt. Als er die Spitze erreicht hatte, merkte er erst, wie stark der Kristall unter seinem Ge wicht schwankte. So erschien es ihm fast wie ein Wunder, daß er nicht zersplitterte. Das Kristallpferd jagte dicht unter ihm vorbei. Es hatte allerlei bizarre Auswüchse an den Seiten und auf dem Rücken. Diese machten deutlich, daß dieses Wesen im Grunde genommen doch nichts mit einem terranischen Pferd gemein hatte. Der Kopf
5 war nicht länglich und schmal, sondern drei eckig wie der eines Insekts. Glatte und sanft geschwungene Formen gab es an dem We sen nicht. Es schien aus Tausenden von Ein zelkristallen zusammengesetzt zu sein, die nicht recht zueinander paßten. So gewann Kennon den Eindruck, das Wesen müsse sich unter der geringen Belastung wieder in einzelne Kristalle auflösen. Doch daran dachte er nur flüchtig. Das sirrende Geräusch war unerträglich laut geworden. Es wurde wieder etwas lei ser, als das Wesen an ihm vorbeigerannt war. Doch dann warf sich das pferdeähnli che Geschöpf zur Seite und kehrte zu ihm zurück. Dieses Mal stürmte es nicht an ihm vorbei, sondern lief im Kreis zu ihm herum. Staunend beobachtete er es. Er glaubte, im glitzernden Innern dieses Vierbeiners et was pulsieren zu sehen, so als ob da ein Herz sei. Das Sirren wurde wieder lauter und zu gleich schriller. »Verschwinde«, brüllte Kennon. Das Kristallpferd reagierte nicht. Es ga loppierte unaufhörlich um ihn herum. Dabei wurde das Sirren mit jeder Umrundung un erträglicher. Schließlich preßte Kennon seine Hände an die Ohren. »Aufhören«, schrie er mit heiserer Stim me. »Ich ertrage das nicht.« Das Pferd rannte weiter. Ein Stern schien vor den Augen Kennons zu explodieren. Ihm war, als stürze er in eine Lichtkaskade. Die Erinnerung an ein weit zurückliegendes Ereignis überfiel ihn mit elementarer Wucht. Er wollte sich ihr ent ziehen, aber er konnte es nicht. … konnte ich nur hoffen, daß Ronald Te kener, mein Freund Tek, Mittel und Wege fand, sich von mir in glaubwürdiger Form zu distanzieren. Ein Medorobot des Raumschiffs verab reichte mir eine kreislaufstabilisierende In jektion. Ich hatte dieses Boot nur einmal in spiziert. Dann hatte ich es jahrelang nicht mehr betreten, um auf keinen Fall eine Ent
6 deckung zu riskieren. Die Korpuskulartriebwerke liefen auto matisch an. Der Robotpilot war für den Fluchtfall programmiert. Wenn jemals ein USO-Spezialist über die Transmitterverbin dung ankam, dann war ein sofortiger Not arzt unerläßlich notwendig. Der Notfall war eingetreten. Ich war über die Transmitterverbindung in die geheim angelegte Station gekommen. Die Flucht war unabdingbar. Transmitter erzeugten Hyperwellen schocks, die sehr leicht eingepeilt werden konnten. Ich befand mich in einer trügeri schen Sicherheit. Wäre ich auf einem anderen Weg zu die sem Raumschiff gekommen, hätte ich mich für lange Zeit darin verbergen und den gün stigen Augenblick für einen Start abwarten können. Das war nun nicht mehr möglich. Die Einpeilung der Schockkurve mußte zur Zeit laufen. Ich schleppte mich in die Zentrale. Dort legte mir ein Roboter einen Raumanzug an. Notstarts von Lepso waren und blieben ge fährlich, denn im freien Raum standen die schnellen Überwachungskreuzer des SWD. Den Sperriegel mußte ich erst einmal durch brechen. Das Rumoren der Triebwerke steigerte sich zu einem dumpfen Donner. Die SpaceJet löste sich vom Grund des Ozeans und stieg langsam in die Höhe. Als die ersten Lichtstrahlen das trübe Wasser durchdran gen, lag ich festgeschnallt im Kontursessel hinter der Zentralkontrolle. Es ging mir all mählich besser. Die Jet stieß aus dem Wasser hervor und nahm augenblicklich mit hohen Schubwerten Fahrt auf. Die Atmosphäre des Planeten Lepso wur de aufgerissen. Die Jet raste mit der hun dertfachen Mündungsgeschwindigkeit einer altertümlichen Schiffsgranate davon. Wilde Luftturbulenzen entstanden. In ihnen vergin gen vier anfliegende SWD-Gleiter. Sie wur den von den ins Vakuum der Flugbahn ein-
H. G. Francis brechenden Orkanböen erfaßt, mitgerissen und zu Boden geschmettert. Ich bemerkte nichts mehr von den Explo sionen. Mein kleines Schiff flog mit unver antwortlich hoher Fahrt in den freien Raum hinaus. Lepso wurde zur Halbkugel, an schließend zur Kugel. Das Eintauchmanöver in den Linearraum würde den Kalupschen Kompensationskon verter bis zur Maximalleistung belasten. Es sollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfol gen, um die Jet möglichst schnell in den si cheren Schutz der Linearzone zu bringen. Als die Jet soeben eine Geschwindigkeit von siebentausend Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, eröffneten zwei schnelle Wachkreuzer des SWD das Feuer aus ihren schweren Thermokanonen. Ich fühlte noch einen harten Einschlag und die sengende Hitze, die plötzlich nach meinem Raumanzug faßte. Glut! Sonnenhelle Glut verbrannte mei nen Körper. Ich tauchte in eine Sonne, in der es nichts gab als vernichtende Hitze. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht, denn meine Lippen, meine Zunge, Luftröhre und Lunge verwandelten sich in schwärzliche Asche … Kennon spürte einen heftigen Schmerz an der Schulter. Er fuhr wie aus einem Traum auf. Er hing zwei Meter unter der höchsten Spitze des Kristalls zwischen zwei Kristall armen. Unter ihm gähnte ein Abgrund von fast dreizehn Metern Tiefe. Unwillkürlich klammerte er sich an die Kristalle. Dabei merkte er, daß ihm einige Spitzen in die Schulter gedrungen waren. Er zog seine Schulter zurück und schrie gequält auf. Es war still geworden. Etwa fünfzig Meter von ihm entfernt stand das Kristallpferd. Es schimmerte und glänzte, als ob es von innen heraus beleuch tet würde. »Verfluchtes Biest«, sagte der Verwach sene. »Wenn ich eine Waffe hätte, würde ich dich über den Haufen schießen.« Er preßte die Lippen zusammen. Seine
Wanderer durch die Dimensionen Augen tränten. Das linke Lid zuckte. Er fragte sich, ob er sich mit einem lebenden Wesen auseinandersetzen mußte, oder ob er es mit einem Roboter zu tun hatte. Der Gedanke an Roboter ließ ihn aufstöh nen. Das Kristallpferd warf die Vorderbeine hoch und schnellte sich nach vorn. Die Hufe hämmerten auf den Boden, und wieder er tönte ein schrilles Sirren, das lauter und lau ter wurde, je schneller das Pferd lief. Es stürmte in weitem Bogen um Sinclair Ma rout Kennon herum. Dieser blickte es haßerfüllt an. Je länger er es beobachtete, desto mehr vertiefte sich der Gedanke in ihm, daß er es mit einem Ro boter zu tun hatte. Die Bilder verwischten sich vor seinen Augen. Kennon preßte die Hände gegen die Ohren. Er senkte den Kopf und drückte das Kinn gegen die Brust. Das Geräusch verur sachte körperliche Schmerzen. Er glaubte, von ihnen zerrissen zu werden, und dann schien es, als wollte ihn seine Erinnerung von den Schmerzen erlösen. Aber es war nicht so.
* … ich litt. Ich litt trotz der schmerzstillen den Injektionen, obwohl der Roboter es für richtig gehalten hatte, eine HauptstrangBlockade im einmündenden Nervensystem zum Hirn anzulegen. Die medizinische Literatur wies aus, daß ein Mensch auch dann noch Schmerzen empfinden konnte, wenn der verletzte Kör per zum Zentralnervensystem abgetrennt war. Gegen die sogenannten Phantom schmerzen hatte auch die genialische Medi zin der Aras noch keine dauerhaft wirkenden Medikamente entwickelt. Die Space-Jet war von dem Strahlschuß eines Lepso-Wachkreuzers gestreift worden. Die thermischen Energien waren jedoch teil weise bis in die Hauptleitzentrale der Jet durchgeschlagen. Sie hatten mich erfaßt und Verbrennungen verursacht, an denen ein
7 Mensch des einundzwanzigsten Jahrhun derts unweigerlich gestorben wäre. Hätte ich vor dem überstürzten Start nicht einen Raumanzug mit hochwertigen Isolati onsschichten angelegt und den Druckhelm geschlossen, wäre ich augenblicklich zu Asche verbrannt worden. So aber hatte die Montur den größten Teil der Thermischen Energien aufgefangen. Sie hatte den soforti gen Tod verhindert, dafür aber sekundäre Verletzungen hervorgerufen, die das Sterben verlängerten. Die Kunstfaserstruktur des Raumanzugs war völlig verschmort. Sogar der Helm war geschmolzen. Sein verflüssigtes Material hatte mein Gesicht zerstört und mir das Au genlicht geraubt. Die Leichtstahlverschlüsse des Halsstücks, die zahlreichen Schnallen und Magnethalterungen waren ebenfalls zer schmolzen und hatten Kontakt mit dem or ganischen Gewebe gefunden. Meine Lungen und das Herz hatten ihren Dienst aufgegeben. Unter diesen Umständen war dem Roboter nichts anderes übrigge blieben, als sämtliche Organe von den Ner venverbindungen zum Gehirn abzutrennen und das Gehirn an ein Lebenserhaltungssy stem anzuschließen. Ich hatte alle Phasen der unzureichenden medizinischen Behandlung bewußt erlebte. Schmerzwelle auf Schmerzwelle hatte mein Gehirn überflutet. Ich bestand nur noch aus einem lebenden Gehirn. Das war es, was ich versuchte, mir klarzumachen. Hatte ich je mehr besessen? Mein Körper war mir immer ein Hindernis gewesen, schwach und anfällig für jede Krankheit, un förmig und häßlich. Ich dachte an die vertrauliche Akte, die in Quinto-Center, dem Hauptquartier der USO, lag. Das Dokument war mehr als 340 Jahre alt und beschrieb eine Persönlichkeit, die nicht mehr zu den Daten paßte, die aber den noch nicht völlig überwunden war. Sie schil derte mit schmerzhafter Deutlichkeit vor al lem die ganzen Unzulänglichkeiten meines Körpers, auf den ich nun wohl oder übel
8 verzichten mußte: »Fachgebiet Kosmokriminalistik. Spezia list I. Klasse, unbeschränkte Vollmachten. Beschreibung der Person: Größe: 1,52 Meter; physisch schwach wie ein zehnjähri ges Kind. Verwachsen. Vorgewölbte Trom melbrust. Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen, gelichte tes, strohgelbes Haar. Abstehende Ohren zu groß selbst für überentwickelten Schädel. Nach vorn gewölbte Stirn. Zucken des linken Augenlids bei Nervosität. Spitzes Kinn, abstoßender Gesamtein druck. Fußgröße im Verhältnis zum Körper anomal mit Nummer 46. Ungeschickter Gang. Füße schleifen nach. Atembeschwerden bei … Belastungen. Qualifikation nur deshalb, weil geniales Gehirn mit überragender Kombinationsfä higkeit. Studium: Anthropologie. Sonderfach: GALAKTISCHE ALTVÖLKER. Spezialistenausbildung unter Umgehung der üblichen Trainingsmethoden auf rein geistiger Ebene. Sonderbemerkung: Zu allen vorhandenen psychischen und neurotischen Komplexen, die nur teilweise erfolgreich behandelt wer den konnten, kommt noch ein Problem ge schlechtlicher Natur. Es wird vermutet, daß eine nicht feststellbare Mutation vorliegt. Unbekannte Hormondrüsen wurden inner halb des Gehirns entdeckt, jedoch nicht aus reichend identifiziert.« Nicht in der Akte stand, daß sich aus die sen Drüsen gewisse parapsychische Fähig keiten entwickelt hatten. Aber das konnte niemand in Quinto-Center wissen. Nein, ich trauerte dem verlorenen Körper nicht nach. Aber mich selbst, mein Gehirn, wollte ich erhalten. So kämpfte ich mit ganzer Kraft gegen den Wahnsinn an, der mich übermannen wollte. Ich wollte, und ich mußte die Krise durchstehen. Ich hätte keinerlei Zeitgefühl mehr, während der Roboter mich nach Ta hun flog. Ich wußte jedoch, daß der Flug ir gendwann ein Ende haben würde, und daß
H. G. Francis die Mediziner auf Tahun alles tun würden, um mein Gehirn zu retten …
* Es war ruhig geworden. Er sah sich um. Das Kristallpferd stand etwa dreißig Meter von ihm entfernt zwischen drei kugelfömi gen Kristallen, die fast so hoch waren wie es selbst. Die Kugeln bildeten ein gleich schenkliges Dreieck, und es schien, als sei das Pferd darin gefangen. Sinclair Marout Kennon war sich darüber klar, daß er eine Lösung finden mußte. Er konnte nicht auf dem Kristallbaum bleiben und darauf warten, daß sich die Situation von selbst entschärfte. Er stellte fest, daß er abermals ein Stück chen gefallen war und sich erneut Verletzun gen zugezogen hatte. Er blutete aus zwei Schnittwunden am Arm. Der Verwachsene stieg vorsichtig am Kri stallbaum herab, wobei er das pferdeähnli che Wesen beobachtete. Es rührte sich nicht, doch schien es ihn ebenfalls ständig im Au ge zu behalten. Kennon fühlte, wie die Schwerkraft der Welt, auf der er sich befand, an ihm zerrte. Seine schwächlichen Muskeln schmerzten. Sie schienen sich gegen jede Belastung zu sträuben, aber er zwang sich dazu, die Füße auf tiefere Kristalle zu setzen und sich mit den Händen zu halten. Die Versuchung, einfach auf der Stelle zu harren und den Kopf an den Kristallstamm zu lehnen, war unmenschlich groß. Doch er erlag ihr nicht. Er dachte daran, was hinter ihm lag und mit welcher Kraft er darum ge kämpft hatte, wieder körperlich zu werden. Er lebte in dem häßlichen und unzulängli chen Körper, der in der Akte des Jahres 2844 in Quinto-Center beschrieben wurde. Und er war froh, daß er darin lebte. Als er den Boden endlich erreicht hatte, atmete er auf. Das Kristallpferd warf den Kopf nach oben, als habe es jetzt erst gemerkt, daß sich etwas geändert hatte. Die faustgroßen Augen
Wanderer durch die Dimensionen leuchteten in einem geheimnisvollen Licht. Aus dem Stand heraussprang das pferdeähn liche Wesen über die Kugelkristalle hinweg. Es warf den Kopf hin und her und schnaubte vernehmlich. Dann trabte es auf Kennon zu. Dieser bückte sich und nahm einen Stein auf, der auf dem Boden lag. Es war der ein zige Stein weit und breit, und es schien, als habe eine gütige Hand ihn direkt an diese Stelle gelegt, um dem Verwachsenen eine Waffe zu geben. Das Kristallpferd brach zur Seite aus und stürmte los. Es jagte in einem Kreis um den Terraner herum. Stemmte die Hufe nach vier Umrundungen plötzlich in den Sand, warf sich herum und galoppierte auf Kennon zu. Darauf hatte dieser gewartet. Er hob die Hand mit dem Stein und blickte dem Pferd entgegen. Sinclair Marout Kennon zweifelte nicht daran, daß es ihn überrennen und mit den Hufen zerstampfen würde. Er schleuder te den Stein auf das Kristallwesen. Deutlich hörte er, wie der Stein gegen die Brust des Pferdes prallte. Dann ertönte abermals das schrille Sirren. Dieses Mal war es jedoch so laut, daß der Verwachsene schmerzgepeinigt aufschrie und zusammenbrach. Während er stürzte, hatte er den Eindruck, daß sich das Kristallpferd in Milliarden von Einzelkristallen auflöste. Dieses Bild nahm er mit hinüber in einen Zustand, der einer Bewußtlosigkeit ähnelte.
2. Ich kam aus dem Ferntransmitter des USO-Hauptquartiers. Ich trug die dunkle Uniform der USO und keinerlei Rangabzei chen. Mein Gesicht war herb und wirkte hart, aber ungemein männlich. Als ich auf das Laufband zur inneren Ku gelzentrale sprang, stieß ich gegen einen Er truser. Der Umweltangepaßte war über 2,50 m groß und hatte eine Schulterbreite von nicht weniger als 2,20 m. Da er über 16 Zentner wog, hätte ich eigentlich von ihm wie ein Gummiball abprallen und vom Lauf band fliegen müssen.
9 Das war jedoch nicht der Fall. Der Umweltangepaßte wurde zur Seite geschleudert und wäre fast vom Laufband gestürzt, wenn ich nicht in letzter Sekunde zugegriffen hätte. Ich zog ihn zurück und stellte ihn wieder auf die Beine. Er wurde blaß. »Verzeihen Sie«, bat ich. »Ich war un achtsam. Das passiert mir noch häufig. Ver stehen Sie?« »Ich verstehe überhaupt nichts«, antwor tete der Ertruser stammelnd. »Mann, wer sind Sie?« Ich antwortete nicht. Amüsiert lächelnd eilte ich weiter. Wenig später betrat ich das Büro Atlans. Ronald Tekener blickte mir aufmerksam entgegen. Ich trat auf ihn zu. Tek stand auf. »Major Sinclair Marout Kennon meldet sich zum Dienst zurück«, sagte ich. Ich streckte die Hand aus. Ich wußte, daß sie sich warm und weich anfühlte. Mit ei nem Steuerimpuls des extrapyramidalen Hirnsektors lenkte ich die Hand. Die dem Gehirn angeschlossenen, künstlich gezüchte ten Balpirol-Halbleiter wandelten den Sin nesbefehl in Stromimpulse um, die an den Halbleiterenden wiederum in chemische Re aktionen umgesetzt wurden. Diese wieder um wurden von der Steuerautomatik in die ausgereifte mechanische Konstruktion mei ner Hand übertragen. Tek sank ächzend in die Knie. Ich blickte ihn erschrocken an. »Vorsicht, Kennon«, rief Atlan. »Sie ha ben Ihr Training noch nicht abgeschlossen. Sie zerquetschen ihm die Hand.« Ich erteilte meiner Vollprothese einen Be fehl. Die künstliche Hand löste sich von der Hand meines Freundes. Ich sah, wie die Hand sich öffnete. Mein Robotkörper trat gehorsam zurück. Tek nahm Platz. Er massierte sich seine Hand. »Ken – das ist ja kaum zu glauben«, sagte er. »Du siehst großartig aus. Bist du in Ord nung?« »So gut wie nie zuvor, Junge«, antwortete
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ich wahrheitsgemäß. »Dieser Dr. Tycho Braynzer ist ein Hexenmeister. Ich beherr sche die Prothese vollendeter als meinen frü heren Körper. Als ich hörte, daß du zurück gekommen bist, konnte mich nichts mehr halten. Tek – ich nehme den stärksten Ertru ser auf den Arm. Ich besitze eine Sprungweite von 28,6 Metern unter der Belastung von einem Gravo und laufe unbegrenzt 105 Kilometer in der Stunde. Mein Körper be steht aus einem nahezu unzerstörbaren Atro nital-Compositum, und ich selbst bin in ei ner Stahlhülle verankert, die die fünffache Dicke der Körperbleche besitzt. Meine Kör perverkleidung besteht aus zellstabilisiertem Biomolplast mit einem künstlichen Nerven system, das jedoch zur Vermeidung von Schmerzen aller Art eine Sensibilitätsschal tung besitzt. Für mich selbst brauche ich le diglich eine winzige Kreislaufpumpe mit an geschlossenem Blutplasmareiniger. Alles andere besorgt eine Mikro-Kraftstation.« Tekener war wie betäubt. Es war ihm an zusehen. »Ich habe noch eine Bitte«, sagte ich. »Wir hören«, erwiderte Atlan. »Bitte, Sir. Nennen Sie mich niemals einen Roboter. Ich bin ein Mensch mit einer Vollprothese. Kein Roboter.« »Natürlich, Major«, antwortete der Arko nide.
* Ihre Augen waren blau, und sie schienen grundlos zu sein. Sie blickte mich an, als su che sie irgend etwas in mir. Ich ahnte, was es war. Und ich erzitterte innerlich. Meine Augen bestanden aus einem kunst vollen Linsensystem siganesischer Mikro fertigung. Sie wurden mechanisch-energe tisch gesteuert, waren infrarotempfindlich, nachtsichtig und in der Brennweite verstell bar vom Weitwinkel bis hin zur extremen Teleoptik. Erkannte sie, daß in ihnen kein Leben, keine Wärme war?
Sie war schön und anziehend. Sie hatte ein ovales, ausdrucksvolles Gesicht. Die dunklen Locken fielen ihr tief in die Stirn. »Warum sagst du nichts?« fragte sie. Ich hatte das Bedürfnis, sie in die Arme zu nehmen. Ich wußte, daß sie nur darauf wartete, doch mein Körper antwortete nicht auf die Signale, die sie mir bewußt und un bewußt gab. Ich besaß zwar noch das Hypo physensystem im Gehirn, das die hormona len Befehle gab, aber meinem künstlichen Körper fehlten die entsprechenden Empfän ger, die darauf reagieren konnten. Sie strich mir mit den Fingerspitzen über die Wangen. Ich spürte nichts. Dabei brachte mich die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Geborgen heit fast um. Wie gern hätte ich das Mäd chen an mich gerissen, nur um die Wärme ihres Körpers zu fühlen. Aber ich wußte, daß es sinnlos war, so etwas zu tun. Ich stand auf und schüttelte den Kopf. »Zur Sache«, sagte ich. »Persönliche Din ge müssen zurückstehen. Wir haben Wichti geres zu tun.« »Was könnte wichtiger sein?« fragte sie verständnislos. »Vielleicht sind wir in einer Stunde schon tot. Wenn sie angreifen, haben wir keine Chance mehr.« Ich ging zum Fenster und blickte hinaus. Durch die Panzerplastscheibe wirkte das Trümmergelände draußen leicht verzerrt. Ir gendwo lauerten jene, die uns töten wollten. »Sinclair«, sagte sie. »Bitte, komm zu mir.« »Du darfst nicht gleich aufgeben«, erwi derte ich. »Noch haben wir nicht verloren.« Sie kam zu mir. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber einen Kuß könntest du mir immerhin geben. Für den Fall, daß die anderen angreifen, nehme ich wenigstens das Gefühl mit hinüber, daß der Mann, den ich liebe, mich nicht hat abblit zen lassen.« Ich drehte mich um. Wie gern hätte ich ihre Wünsche erfüllt. Sie schmiegte sich an mich, und ich küßte sie. »Schade«, sagte sie traurig. »Du bist kalt
Wanderer durch die Dimensionen wie ein Roboter.« Ich explodierte. Alles, was sich im Lauf der vielen Jahre in mir aufgestaut hatte, brach heraus. Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Panzerplastscheibe und zertrümmerte sie. Die Splitter wirbelten nach draußen davon. »Ich bin kein Roboter«, brüllte ich. »Ich bin ein Mensch!« Ich sah zwei Dinge gleichzeitig. Die Belagerer sprangen aus ihren Ver stecken auf und flüchteten in panischer Angst durch die Ruinen. Sie würden nicht mehr angreifen. Meine Demonstration hatte sie gründlich abgeschreckt. Und ich sah, daß das Mädchen entsetzt zurückfuhr. »Mein Gott«, sagte sie stammelnd. »Ich habe mich in einen Roboter verliebt.« Ich stürzte aus dem Haus. Wie von Sinnen rannte ich zu einer Ruine, die etwa zweihun dert Meter von mir entfernt war. Meine Faustschläge trafen das Gemäuer. Ich wünschte, rasende Schmerzen zu spüren. Aber ich fühlte keinen körperlichen Schmerz. Nur meine Seele brannte. Ich fühlte quälende Stiche in der Gegend, in der vormals mein Herz gewesen war, als ich noch in einem organisch gewachsenen Körper gelebt hatte. Phantomschmerzen narrten mich. Das war alles. Stöhnend sank ich auf die Knie und preß te die Fäuste vor die Linsen. Ich hörte, daß sich das Mädchen mir näherte. Unmittelbar hinter mir blieb sie stehen. »Der Kerl, der dich geschaffen hat, sollte erschossen werden«, sagte sie zornig. »Es ist eine bodenlose Gemeinheit, einen Roboter so zu bauen, daß sich eine Frau in ihn verlie ben kann.« Sie stieß mich verächtlich mit dem Fuß an. »Steh auf. Bring mich zur Jet. Ich habe keine Lust, länger als unbedingt notwendig auf diesem Planeten mit dir zusammenzu bleiben.« Nie zuvor in meinem Leben war ich mehr gedemütigt worden.
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* Sinclair Marout Kennons Blicke klärten sich. Er stand vor einem Haufen schimmernder Kristalle, die noch kurz zuvor das pfer deähnliche Geschöpft gebildet hatten. Die Gefahr war beseitigt. Unwillkürlich fragte Kennon sich, was geschehen wäre, wenn das Kristallpferd ihn überrannt hätte. Wäre er dann in jenen schwer begreifbaren Zwischenraum zurück gekehrt, aus dem er gekommen war? Hätte das Suchen erneut begonnen? Er drängte die Fragen zurück, weil er sich damit nicht aufhalten wollte. Jetzt wollte er jede Minute seines Lebens auf dieser Welt bewußt auskosten. Wiederum versuchte er zu erkennen, wo er sich überhaupt befand. Aber auch jetzt fand er nicht mehr heraus. Abgesehen da von, daß das Kristallpferd nicht mehr exi stierte, hatte sich nichts geändert. Sogar je nes nervtötende Sirren war noch da, wenn gleich es nicht mehr so laut und quälend war wie zuvor. Neugierig näherte sich Kennon dem Kri stallhaufen. Er wollte wissen, weshalb das Pferd sich scheinbar so sinnlos aufgelöst hatte. Seine Hände senkten sich in den Kristall haufen, als dieser plötzlich auseinanderfloß. Kennon wollte sich zurückziehen, doch er konnte nicht. Die Kristalle schienen sich um seine Hände zu ballen und ihn mitzuziehen. So sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nicht abschütteln. Er blickte auf und stellte fest, daß die Kri stalle sich zu einem amorphen Wesen umge bildet hatten, das mit fließenden Bewegun gen über die Ebene glitt. Dabei entwickelte es eine beachtliche Geschwindigkeit, so daß der Terraner eigentlich den Windzug hätte spüren müssen. Das war jedoch nicht der Fall. Als Kennon merkte, daß ihm nichts weiter geschah, und daß sein Leben vorläufig nicht bedroht war, beruhigte er sich. Es gelang
12 ihm, sich etwas aufzurichten. Er wollte her ausfinden, wohin die Kristalle ihn entführ ten, um sich rechtzeitig auf das einzustellen, was auf ihn zukam. Bevor er jedoch soweit war, öffnete sich plötzlich vor ihm ein Loch im Boden. Es hatte einen Durchmesser von etwa zehn Metern. Die Kristalle flossen hin ein. Der Terraner warf sich mit ganzer Kraft zurück. Er versuchte, sich vor dem Sturz in die unbekannte Tiefe zu retten. Doch das ge lang ihm nicht. Die Kristalle rissen ihn mit. Er rutschte über die Kante hinweg und in das Loch hinein. Er fiel in die Tiefe, und es wurde dunkel um ihn. Er schlug mit den Armen und Beinen um sich, weil er hoffte, irgendwo Halt zu finden. Er fürchtete, irgendwo hart aufzuschlagen und zerschmettert zu werden. Dann aber spürte er, daß sein Sturz sich nicht beschleunigte, so wie es eigentlich hät te sein müssen, sondern mehr einem kontrol lierten Schweben glich. Er riß die Augen weit auf. Waren die Kristalle kalt? Strahlten sie überhaupt keine Wärme aus? Er erinnerte sich noch gut an seine Zeit auf Arkon, als sich nach und nach eine gewisse Nachtsich tigkeit bei ihm eingestellt hatte. Mit ihrer Hilfe hatte er viele Nachteile ausgleichen können, die er durch seinen schwächlichen Körper gehabt hatte. Wo war diese Fähigkeit? Hatte er sie ver loren? Oder war er nur vorübergehend nicht in der Lage, die entsprechenden Hirnpartien zu aktivieren? Es wurde ein wenig heller um ihn herum. Er sah Milliarden von winzigen Kristallen, die zusammen mit ihm in die Tiefe schweb ten und in einen See von merkwürdiger Konsistenz glitten. Er stürzte in diesen See, ohne einen Aufprall zu fühlen, und er ver sank in ihm. Heftig mit den Armen rudernd, wollte er sich wieder nach oben arbeiten, doch auch das gelang ihm nicht. Er sank tiefer und tiefer. Verzweifelt preßte er sich den Kragen seiner Jacke vor den Mund, um zu verhindern, daß die Kristalle in seine
H. G. Francis Atemwege gerieten. Kennon sank bis auf den Grund des Sees. Sanft berührten seine Füße den Boden. Er fühlte sich fest an. Unwillkürlich ließ sich der Terraner bis auf die Knie herab. Er stütz te sich mit einer Hand auf dem Boden ab und sah sich um. Er konnte nur wenig erkennen. Um ihn herum schwebten Kristalle herunter, flossen zu den Seiten weg und stiegen an den Seiten wieder hoch. Er selbst verspürte einen ge wissen Sog, dem er jedoch leicht wider stand. Jetzt atmete er viel leichter und unbe schwerter als vorher. Die Kristalle wichen von selbst vor ihm zurück, so daß er nicht mehr zu befürchten brauchte, daß sie ihm in Mund und Nase gerieten. Wo befand er sich? Diese Welt gab ihm immer wieder neue Rätsel auf. Plötzlich öffnete sich einige Meter von ihm entfernt der Kristallvorhang, der ihn umgab. Ein unförmiger Klumpen, der ihm bis fast an die Hüften reichte, schoß auf ihn zu. Er sprang zur Seite und entging ihm. Der Klumpen rollte an ihm vorbei, während sich von allen Seiten Kristalle auf ihn stürzten, so daß sie ihn schließlich vollkommen bedeck ten. Kennon beobachtete ihn und sah, daß er weiterrollte. Es schien, als würde er hinter dem Kristallvorhang verschwinden. Dann aber bemerkte der Terraner, daß sich irgendwo etwas öffnete. Für einen kurzen Moment leuchtete etwas rötlich zu ihm herein. Der von Kristallen bedeckte Klumpen ver schwand. Kennon rieb sich die Augen. Träumte er? Bildete er sich nur ein, daß er materialisiert war, während er tatsächlich dem Verflüchtigungseffekt unterlag, vor dem er sich so gefürchtet hatte? War dies eine der vielen Wirklichkeiten, die es im Universum gab? Er glaubte, ein Geräusch zu hören, das sich von dem feinen Sirren und Klirren der Kristalle unterschied. Vorsichtig tastete er
Wanderer durch die Dimensionen sich voran. Vor ihm lag eine Höhle. Es schien als prallten die Kristalle von einem unsichtba ren Vorhang ab, der sich davor erhob. Ken non glaubte, daß er in der Höhle sicherer war. Er schob sich tastend weiter. Seine aus gestreckten Hände stießen durch den un sichtbaren Vorhang, während sich unzählige Nadeln in seine Haut zu bohren schienen. Kennon glaubte, winzige blaue Flammen an seinen Fingerspitzen zu sehen, als ob sie von elektrischen Entladungen überzogen wür den. Dann war er durch das unsichtbare Hin dernis hindurch. Die Kristalle lagen hinter ihm. Er sah sie nicht mehr. Die Höhle war ungefähr zehn Meter tief und ebenso hoch. An der hinteren Wand kauerten seltsame Geschöpfe auf dem Bo den. Sie sahen aus wie Ballen zusammenge knäulter und mit Blut gefüllter Adern. Ken non glaubte, sehen zu können, wie das Blut in diesen Adern pulsierte, merkte aber dann, daß er sich getäuscht hatte. In instinktiver Furcht wich er vor den We sen zurück. Er spürte, daß die meisten von ihnen schliefen. Vier oder fünf blickten mit weit geöffneten, grün funkelnden Augen ins Leere. Sie schienen ihn nicht zu bemerken. Er hob die rechte Hand. »Hallo«, sagte er unsicher. »Kann mir ei ner von euch sagen, wo ich hier eigentlich bin?« »Hallo«, wisperte eine körperlose Stimme in ihm. »Wer bist du?« Der Terraner zuckte zusammen. Er hatte nicht ernsthaft mit einer Antwort gerechnet. »Man nennt mich Sinclair Marout Ken non«, antwortete er. »Oder auch Krüppel«, fügte die körperlo se Stimme hinzu. »Einfach nur Krüppel.« Kennon trat unwillkürlich auf die seltsa men Wesen zu. Sie waren klein. Keines von ihnen war höher als etwa zwanzig Zentime ter. »Es ist ziemlich unfreundlich von euch, mich Krüppel zu nennen«, entgegnete er laut. »Ich habe euch auch nicht beschimpft.«
13 »Ich habe nur das aus dir entnommen, was du als deine eigenen Gedanken empfin dest«, antwortete die Stimme. »Du siehst in dir selbst einen Krüppel, aber du bist nicht traurig darüber. Du bist froh, diesen Körper zu haben. Oder irre ich mich?« Sinclair Marout Kennon setzte sich auf den Boden und kreuzte die Beine unter dem Körper. »Ich verstehe«, versetzte er. »Du hast also in meinen Gedanken spioniert. Nun, das macht mir eigentlich nichts aus. Ich bin nur überrascht, daß du meine Gedanken belau schen kannst. Vor ziemlich langer Zeit hat man mich mit paraenergetischen Schockwel len mentalstabilisiert. Das bedeutet, daß man mich weder hypnotisieren, suggestiv beein flussen oder telepathisch aushorchen kann.« »Sollte man meinen«, erwiderte das fremdartige Wesen spöttisch. »Was du da von dir gegeben hast, gilt nicht für mich.« Kennon erschrak. Mehr denn je zuvor zweifelte er daran, daß er sich in einer realen Welt befand. Er konnte nicht mehr im Infrarotbereich sehen, und ein parapsychisch begabtes Wesen hatte ihn telepathisch ausgelotet, obwohl er men talstabilisiert war. So etwas konnte in dem Kontinuum, das seiner Existenzebene entsprach, nicht pas sieren. War er also nur einer Täuschung unterle gen? Träumte er? Bäumte sich sein Ich ge gen das absolute Ende auf, während es sich flüchtigte? »Wer bist du?« fragte er. »Ich nenne mich Greasy, wenn es mir ge fällt.« »Und wie nennst du dich, wenn es dir nicht gefällt?« »Es gefällt mir immer.« »Aha«, machte Kennon verdutzt. »Du bist also Greasy. Kannst du mir sagen, wo ich bin?« »Auf so dumme Fragen antworte ich nicht«, erklärte Greasy auf telepathischem Weg. »Jeder kann sehen, wo du bist. Direkt vor uns. Aber ich kann dir sagen, wer wir
14 sind.« »Nun gut«, erwiderte der Terraner belu stigt. »Das ist ja auch etwas. Wer seid ihr al so?« »Wir sind welche, die mit anderen zusam menleben und nicht schlecht dabei fahren.« Kennon lachte. »Symbionten also«, stellte er fest. »Richtig«, bestätigte Greasy, »aber es ge fällt mir nicht, es so einfach zu sagen. Im Augenblick sind wir welche, die ihre Kräfte verloren haben und daher hierher geschickt worden sind, damit wir unsere Kräfte wieder aufbauen können.« Überrascht blickte der Terraner sich um. Nichts hatte sich verändert. Hinter ihm schimmerte der Vorhang aus Kristallen, der in ständiger Bewegung war. Er selbst befand sich in der Höhle, deren Wandungen im Dunkel lagen, und die Symbionten kauerten auf der gleichen Stelle, schliefen oder starr ten ins Leere. Wer von ihnen war Greasy? »Ist das so wichtig?« fragte Greasy. »Eigentlich nicht«, gestand Kennon ein. »Ich hätte nur ganz gern gewußt, mit wem von euch ich mich unterhalte.« Aus der Decke der Höhle senkte sich ein rüsselartiges Gebilde herab, stülpte sich über einen der Symbionten und saugte ihn laut schmatzend auf. Das Gebilde verschwand mit dem Symbionten in der Decke, während gleichzeitig ein dünner Faden einen anderen Symbionten herabführte. Dieser sah schlaff und blutleer aus. Der Faden, der an seinem Ende mit einem Saugfuß versehen war, setz te den Symbionten zwischen den anderen ab. Diese wichen zur Seite und nahmen ihn in ihrer Mitte auf. Er tauchte in dem Knäuel der seltsamen Wesen unter. »Ist es so wichtig, mit wem von uns du re dest?« fragte Greasy. »Einer ist wie der an dere. Einer allein kann nicht leben. Wir le ben alle miteinander und voneinander.« Im gleichen Moment erschien der Rüssel erneut, und der ganze Vorgang wiederholte sich. »Also, schön«, sagte Kennon. »Es ist nicht wichtig, wer von euch Greasy ist. Ich
H. G. Francis möchte jedoch wissen, was das alles zu be deuten hat.« »So geht es ständig«, antwortete Greasy bereitwillig. »Das ist unser Leben.« Der Terraner begriff. Unwillkürlich wich er zurück und versuchte, die Grotte zu ver lassen. Doch das gelang ihm nicht. Er prallte mit dem Rücken gegen das unsichtbare Hin dernis, das sich vor der Höhle erhob. Er schreckt fuhr er herum. Er stieß die Hände nach vorn. Sie konnten das Hindernis nicht durchbrechen. Er war gefangen. »Und jetzt?« fragte er bestürzt. »Was wird mit mir?« »Du wirst einer von uns«, erwiderte Grea sy. Kennon wurde übel. »Ich würde aber ganz gern so bleiben, wie ich jetzt bin«, sagte er mühsam. »Läßt sich das einrichten?« »Ich fürchte – oh …« Greasy verstummte, als ein Rüssel von oben herabkam und ihn packte. Kennon sah, daß das Wesen so etwas wie Ärmchen bildete, mit denen es ihm zuwink te. Unwillkürlich streckte er die Hände aus, doch Greasy verschwand so schnell, daß er ihn nicht halten konnte. Ein anderer Symbi ont kam herunter. Und dann fühlte Kennon, das sich ihm et was Feuchtes um den Nacken legte. Er schrie auf. Entsetzt versuchte er, sich aus dem Sauggriff zu befreien. Doch der Rüssel riß ihn mit unwiderstehlicher Gewalt hoch. Kennon schlug mit dem Kopf gegen die Decke. Irgend etwas legte sich um ihn und preßte ihn zusammen. Ihm blieb die Luft weg, und seine Sinne umnebelten sich. Er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und ins Endlose zu stür zen. Und wieder tauchten Bilder aus seiner Vergangenheit vor seinem geistigen Auge auf.
3.
Wanderer durch die Dimensionen Das Horn ertönte. Sein schauriger Klang hallte durch das ganze Tal. Ich richtete mich auf und ließ das Werk zeug fallen. Auch der Sensor, den ich an der Außenhaut der Space-Jet befestigen wollte, glitt mir aus den Händen. Ich blickte zum Fluß hinüber. An seinem Ufer standen einige Männer und Frauen. Weitere Siedler rannten aus dem Dorf zum Fluß. Von dorther kam das Gebrüll eines Panzerhais. Das Tier hatte das Meer verlas sen und war weit ins Landesinnere vorgesto ßen. So etwas passierte äußerst selten. Die Bestie hatte, wie ich deutlich erkennen konnte, die Brücke gerammt und zum Ein sturz gebracht. Das Notsignal sagte mir, daß sich einer der Siedler in höchster Gefahr be fand. Ich ließ alles stehen und liegen und raste durch das Kornfeld zum Dorf. Ich hoffte, daß ich endlich die Barriere des Schweigens durchbrechen konnte, hinter der sich die Siedler verschanzten. Ich brauchte dringend einige Auskünfte für meine Arbeit als Spe zialist der USO. Jetzt bot sich mir eine Chance. Ich nahm keine Rücksicht darauf, ob mich jemand sah oder nicht. Unter den gegebenen Umständen konnten ein paar Sekunden Zeitverlust schon entscheidend sein. Vereinzelte Schüsse knallten. Ich wußte, daß sie wirkungslos bleiben würden. Die Hathor-Siedler lebten streng nach den Ge setzen ihrer Religion, die unter anderem auch den Gebrauch von Energiewaffen ver bot. Keiner von ihnen würde einen moder nen Blaster einsetzen, obwohl jeder von ih nen wußte, daß ihre altertümlichen Donner büchsen gegen einen Panzerhai nichts aus richten konnten. Ich dachte an Ronald Tekener, der an den abenteuerlichen Gewehren der Siedler seine helle Freude gehabt hätte, und ich nahm mir vor, ihm eine dieser Waffen mitzubringen, sofern das möglich war. Ich jagte mit einer Geschwindigkeit von mehr als einhundert Kilometern in der Stun de durch das Dorf, wobei ich mühelos Män
15 ner und Frauen überholte, die ebenfalls zum Flußufer liefen. Die Brücke über den Seiten kanal war restlos verstopft. Ich wich ihr aus und sprang direkt neben ihr über den Kanal, der an dieser Stelle etwa fünfzehn Meter breit war. Ich hörte die überraschten Schreie der Siedler. Als ich das Wasser erreichte, sah ich, daß eine Katastrophe größten Aus maßes über die Siedler gekommen war. Der blonde Ricca, der als Inkarnation ih res gottähnlichen Religionsgründers unter ihnen lebte, hing an dem noch stehenden Mittelpfeiler der zusammengebrochenen Brücke. Ein riesiger Panzerhai schnellte sich wieder und wieder aus den reißenden Fluten empor und schnappte nach ihm. Sein mäch tiger Körper prallte jedesmal gegen den Pfeiler, so daß sich dieser mehr und mehr zur Seite neigte. Die Männer und Frauen schossen aus al len verfügbaren Gewehren auf das Raubtier, aber alle Kugeln prallten von dem Panzer ab. Das Schicksal des Jungen schien besie gelt zu sein. Ausgerechnet Ricca, der so wichtig war, wie sonst niemand im Dorf. Mit ihm hatte ich erste bescheidende Versuche einer Ver ständigung unternommen, war jedoch nicht weit gekommen. Die Siedler schrien auf mich ein. Sie fleh ten mich an, Ricca zu retten, beschworen mich aber gleichzeitig auch, keine Energie strahlwaffen einzusetzen. Sie wollten den Jungen eher opfern, als ihren Glaubens grundsätzen untreu werden. Für mich stand außer Frage, daß ich ihn retten mußte. Ich konnte nicht zusehen, wie ein Junge von einem Hai zerfleischt wurde. Ich hatte nur eine Möglichkeit. Ich rannte durch das flache Wasser bis zu einem Felsen und schnellte mich von dort aus in die tiefe Mittelrinne des Flusses. Mü helos arbeitete ich mich auf den Hai zu. Die ser bemerkte mich augenblicklich und griff an. Ganz knapp nur entging ich den messer scharfen Zähnen. Ich tauchte unter dem Raubfisch hinweg, der etwa zwanzig Meter lang war. Dann
16 stieß ich ihm die gestreckte Hand zwischen die beiden Brustflossen. Meine Finger durchbrachen den überaus harten Panzer der Bestie und drangen bis zum pulsierenden Herzen des Fisches vor. Wie Messer fuhren sie durch den Muskel hindurch und zerfetz ten ihn. Dann riß ich den Arm zurück und stieß mich ab. Der Hai schnellte sich in die Höhe, kippte zur Seite und trieb kraftlos zuckend ab. Ich arbeitete mich bis zu einer Felsklippe unter Ricca vor und streckte ihm einen Arm ent gegen. »Laß dich fallen«, rief ich ihm zu. »Ich fange dich auf.« Ricca hatte Angst, doch ich redete ihm so lange zu, bis er den Sprung endlich wagte. Sicher fing ich ihn auf und schwamm mit ihm ans Ufer zurück. Die Dorfbewohner jubelten. Sie rissen mir den Jungen aus den Armen und streichelten ihn. Ich setzte mich auf einen Stein in der Nä he und wartete. Eine Stunde verstrich, in der die Siedler schwatzend und lachend zusam menstanden. Keiner von ihnen dankte mir. Schließlich löste sich die Menschenmenge auf. Ricca stand neben Porta. Porta war vor einigen Jahren von einem Panzerhai angefallen und zerstümmelt wor den. Er war das häßlichste Geschöpf, das mir je begegnet war. Gegen ihn war ich ge radezu eine Schönheit gewesen, als ich noch in einem organisch gewachsenen Körper ge lebt hatte. Ricca aber schmiegte sich an ihn. Er hatte überhaupt keine Angst vor ihm und fühlte sich auch nicht von ihm abgestoßen. »Komm zu mir, Ricca«, bat ich freundlich und streckte die Arme aus. Ricca aber erbleichte und wandte sich ab. Ich sah, daß er über die Brücke ins Dorf lief und zwischen den Hütten verschwand. Porta kam zu mir. »Du hast eine Hand, die härter zuschlägt als eine Gewehrkugel«, sagte er. »So etwas
H. G. Francis kann kein Mensch. Wer bist du?« »Ich bin ein Terraner«, antwortete ich. »Ich bin ein Mensch, wie du auch.« Er lächelte verächtlich und schnippte mit den Fingern. Dann ging er davon. Ich beobachtete, daß zwei Männer und ei ne Frau ihn bei den Hütten empfingen. Sie plauderten lachend mit ihm. Keiner von ihnen kam auf den Gedanken, daß er aufgrund seiner Verstümmelungen kein Mensch mehr sei. Mich dagegen sahen sie trotz meines perfekten Äußeren nicht als Menschen an. Ich hatte ihnen ein wenig zu viel von meinem Können verraten. Sie wa ren überzeugt, daß ich ein Roboter war. Von nun an waren alle Versuche, mit ih nen zu reden, aussichtslos.
* Kennon rutschte durch einen rot schim mernden Schlauch zuerst nach oben, dann zur Seite und schließlich nach unten. Er fühlte, daß die Wände des Schlauchs pul sierten und ihn dadurch weitertrieben. »Das ist keine schlechte Überraschung, wie?« wisperte es in ihm. Der Terraner brauchte einige Sekunden, bis er wieder Herr seiner selbst war. »Wo bist du, Greasy?« fragte er. »Direkt hinter dir.« »Und wohin geht es mit uns?« »Du wirst es erleben.« Es war deutlich zu spüren, daß Greasy sich nicht die geringsten Sorgen machte. Kein Wunder, dachte Kennon verzweifelt. Er ist hier zu Hause und erlebt so etwas ständig. Für mich sieht es ein wenig anders aus. Ein stechender Geruch stieg ihm in die Nase. Der Schlauch weitete sich, und Ken non stürzte in eine Art Schüssel, in der es dampfte, brodelte und zischte. Ein rot leuch tendes Etwas über ihm spendete ein wenig Licht. Einzelheiten konnte der Terraner je doch nicht erkennen. Er fiel in einen Sumpf. Nur mit Mühe konnte er sich an der Oberfläche halten. Die
Wanderer durch die Dimensionen Dämpfe stiegen ihm in Mund und Nase und riefen einen heftigen Hustenreiz hervor. Kennon würgte. Vor seinen Augen flimmer te es. Er zweifelte nicht daran, daß die Dämpfe giftig für ihn waren. »Greasy«, rief er keuchend. »Das halte ich nicht aus. Die Dämpfe bringen mich um.« Er schlug um sich, weil er zu versinken drohte. Schlamm spritzte auf und bedeckte sein Gesicht. Er brannte auf der Haut wie ät zende Säure. Eine beängstigende Vision stieg vor Ken non auf. Er meinte, im Körperinnern eines monströsen Geschöpfes zu sein. »Greasy«, brüllte er. »Du mußt etwas für mich tun. Hilf mir. Dies hier überlebe ich nicht.« »Du hast es also erkannt«, flüsterte es in ihm. »Nun, was stößt dich daran ab?« Trotz der Dunkelheit sah er, daß sich ihm ein krakenähnliches Geschöpf näherte. Er warf sich zurück und versuchte zu fliehen. Die Tentakel streckten sich ihm entgegen und packten ihn. Sie schlangen sich ihm um den Hals und rissen ihn fort. Kennon fühlte, wie der Sumpf über seinem Kopf zusam menschlug. Er preßte die Lippen zusammen. Seine Finger gruben sich in die zähe Haut des Kra ken. Verzweifelt suchte er nach einer schwa chen Stelle. Das Tier warf sich heftig hin und her, als es die Berührung spürte. »Greasy«, schrie es in ihm. Das telepathische Wesen war seine einzi ge Hoffnung. Er wußte, daß er nur noch Se kunden zu leben hatte. Er war zu schwach, so daß er sich nicht lange behaupten konnte. Außerdem litt er schon jetzt unter Sauer stoffmangel. Er hatte nur eine Hoffnung. Er wähnte sich im Verdauungstrakt eines gigantischen Lebewesens. Und er glaubte, nur dann überleben zu können, wenn dieses Wesen ihn augenblicklich ausstieß. Der Sumpf öffnete sich über ihm. Kennon wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht und atmete tief durch. Er sah, daß der Sym
17 biont sich an das krakenähnliche Wesen hef tete. »Greasy, ich muß hier heraus«, brachte er würgend hervor. Der Symbiont schien nicht darauf zu rea gieren, doch eine mächtige Bewegung pack te ihn, den Kraken und den Sumpf und riß ihn mehrere Meter weiter. Sinclair Marout Kennon gab auf. Er konnte sich nicht mehr halten. Die Sinne schwanden ihm. Da spürte er einen heftigen Schlag und plötzlich wurde es hell um ihn. Eiskaltes Wasser umgab ihn und riß ihn aus seiner be ginnenden Ohnmacht. Er war versucht, den Mund zu öffnen und tief durchzuatmen, während er inmitten aufsteigender Blasen nach oben stieg. Der geringe Druck verriet ihm, daß er sich nicht weit unter der Ober fläche befand. Wild rudernd kämpfte er sich hoch, wäh rend er das Gefühl hatte, daß ihm die Lunge platzte. Endlich, als er schon glaubte, es nicht mehr zu schaffen, durchbrach er die Was seroberfläche. Er atmete gierig und schnell. Und er erinnerte sich an eine Situation, in der er dem Ende ähnlich nahe gewesen war.
* Der Walzenraumer der Überschweren übertraf die Kampfkraft meiner Space-Jet um das Tausendfache. Mir blieb nur noch die Flucht. Varasthan war greifbar nahe. Ich brauchte nur einige Minuten, dann war ich in Sicher heit. Doch die Überschweren dachten nicht daran, mich entkommen zu lassen. Die Hochleistungs-Energiekanonen des Raum kreuzers flammten auf. Tosende Energieflu ten rasten auf mich zu, durchschlugen die Abwehrschirme des Kurier-Schiffes und verwandelten hochverdichtetes Arkonit in eine wabernde Gaswolke. Die Space-Jet platzte auseinander wie ei ne reife Frucht, die aus großer Höhe auf Be ton schlägt. Ich spürte die Hitzeflut. Alpha
18 33-Zeta-4 schwebte plötzlich einen Meter neben mir in der Luft. Dann wirbelte der Roboter davon, als habe er sein Triebwerk eingeschaltet. Der Andrucksessel, in dem ich saß, brach donnernd aus seinen Halterungen. Ich glaub te, ins All geschleudert zu werden. Irgend etwas in meinem Kopf explodierte, und ich verlor das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, war es still um mich herum. Ich sah den rötlich schimmernden Ball von Varasthan unter mir. Nur wenige Wol kenschleier verhüllten diese Welt, deren Be wohner strikt auf Neutralität achteten. Ich flog darauf zu. Doch ich hatte keinen Grund, mich dar über zu freuen. Als ich an mir herabblickte, stellte ich fest, daß ich noch immer im An drucksessel saß. Dieser hatte sich in einem Wrackteil der Space-Jet verkeilt, so daß ich ihn nicht von ihm lösen konnte. Unglückli cherweise steckten meine Füße in einem Ge wirr aus Arkonit-Stahl. Es war ein Wunder, daß sie nicht zerquetscht worden waren. Ich lachte schrill. Niemand außer mir hörte mich. Und auch ich nahm das Lachen nur wahr, weil das Atronital-Gerüst meines Körpers die Vibra tionen aufnahm und weiterleitete. Ich blickte auf Beine, die von allem syn thetischen Fleisch befreit waren. Unwillkür lich streckte ich meine Arme vor. Ich sah die Metallhände eines Roboters. Meine biolo gisch lebende Körpermaske war abgeplatzt. Niemand würde mir jetzt noch glauben, daß ich kein Roboter war. Meine Lage erschien hoffnungslos. Ich stürzte mit dem Wrackteil der SpaceJet auf den Planeten zu, der etwa so groß war wie die Erde. Da ich mich nicht aus dem Trümmerhaufen befreien konnte, würde ich zusammen mit ihm in der Atmosphäre ver glühen. Ich warf mich verzweifelt hin und her, oh ne mich vom Wrack lösen zu können. Dabei sah ich, daß der Walzenraumer sich von mir entfernte.
H. G. Francis Ich setzte meine Funkgeräte in Betrieb und rief um Hilfe. Nur die Überschweren konnten mich jetzt noch vor dem Hitzetod in der Atmosphäre retten. Doch entweder hör ten sie mich nicht, oder sie dachten nicht daran, mich zu bergen. Ihnen kam es darauf an, mich zu vernichten. Es war närrisch von mir gewesen, anzu nehmen, daß sie mir helfen würden. Ich schaltete die Funkgeräte aus. Das war also das Ende. Seltsamerweise fürchtete ich mich nicht. Ich war lediglich traurig. Ich erinnerte mich daran, daß ich in einer ähnlichen Situation meinen organisch gewachsenen Körper ver loren hatte. Meine Vollprothese hatte ver hindert, daß ich sofort tot war. Doch was machte das jetzt schon für einen Unter schied? Ich bemerkte eine Bewegung neben mir. Die kümmerlichen Reste eines Roboters krochen über die zerfetzte Haut der Jet. Der Automat bestand nur noch aus dem Rumpf, dem Kopf und den Armen. Ich dachte in diesen Sekunden nicht dar an, den Roboter zu mir zu befehlen. Er kam von selbst. Plötzlich war er neben mir und begann damit, meine Beine zu befreien. Im Grunde genommen war es selbstver ständlich, daß der Roboter so handelte. Das entsprach seiner Programmierung. Auch hat te ich keinerlei Grund, der Maschine dafür dankbar zu sein, was sie tat. Dennoch wun derte ich mich, und ich war dankbar. Der Roboter kam mir in diesen Sekunden wie ein beseeltes Leben vor, das unter Verzicht seiner eigenen Interessen alles tat, um mich zu retten. Vielleicht glaubte dieser Roboter sogar, es mit einem anderen Roboter zu tun zu haben. Ich kam nicht dazu, eine entsprechende Frage zu stellen. Meine Beine lösten sich aus dem Metallgewirr. Ich erhielt einen sanften Stoß und schwebte vom Wrack weg. Im letzten Moment bemerkte ich noch, daß sich der Roboter nun selbst im Wrack ver fangen hatte. Er zerrte mit der freien Hand an einem Metallträger, konnte ihn jedoch
Wanderer durch die Dimensionen nicht bewegen. Sekundenlang war ich versucht, zum Wrack zurückzukehren, um nun meinerseits den Roboter zu befreien. Doch ich erkannte, daß ich damit einen tödlichen Fehler began gen hätte. Das Wrack erreichte die obersten Luftschichten des Planeten in wenigen Mi nuten. Ich durfte keine Zeit mehr ver schwenden, sondern mußte alle Energie dar auf verwenden, mich in eine Umlaufbahn um den Planeten zu manövrieren. In stundenlanger Arbeit brachte ich mich auf einen Kurs, der einen Absturz auf den Planeten verhinderte. Ich umkreiste Varast han als Satellit, während der Roboter und die Reste der Space-Jet tief unter mir ver glühten. Das Wunderwerk meiner Vollprothese hatte wieder einmal eine Bewährungsprobe bestanden. Ich war für einige Tage absolut sicher. Das Versorgungssystem funktionierte einwandfrei. Es sorgte für eine ausreichende Isolation des Gehirns, so daß es weder über hitzt, noch unterkühlt wurde. Gleichzeitig beschickte es mich mit ausreichend Sauer stoff und Nährstoffen, so daß der Grundsatz gewährleistet blieb. Sollte sich nach einigen Tagen zeigen, daß keine Rettung in Sicht war, würde ich eine Notlandung riskieren. Mit Hilfe meines Fluggeräts konnte ich einen kontrollierten Sturz wagen. Bis dahin waren noch Serien sorgfältigster Berechnungen durchzuführen, weil alle auftretenden Faktoren bei einer sol chen Landung berücksichtigt werden muß ten, wenn ich eine Katastrophe verhindern wollte. Da der in meinem Rumpf untergebrachte Computer zwei Tage lang seine Dienste ver weigerte, mußte ich alle Berechnungen ohne jede Hilfe vornehmen. Dann erst gelang es mir, den Computer wieder zu aktivieren und mit ihm alle Ergebnisse zu kontrollieren. Noch einmal versuchte ich, Funkkontakt zu bekommen. Erfolglos. Kein einziges Raumschiff zeigte sich in meiner Nähe, und von Varasthan war keine Unterstützung zu erwarten.
19 Ich leitete die Landung ein und verzöger te. Der Sturz in die Atmosphäre begann. Wieder wurde mir bewußt, daß ich ohne meine Vollprothese längst tot gewesen wäre. Wenn ich noch in meinem natürlichen Kör per gelebt hätte, dann hätte ich aufgeben müssen. Selbst hätte ich mich nicht retten können. So aber führte ich das gewagteste Manöver meines Lebens durch. Und ich schaffte das schier Unmögliche. Nach einem etwa zwölf Minuten dauernden Sturz, bei dem ich am Ende mein Flug gerät weit überlastete, fiel ich nahe einer Küste ins Meer. Ich hörte, wie das Wasser zischend an der glutheißen Oberfläche mei ner Vollprothese verdampfte. Ich ließ mich tief abfallen und vom Was ser abbremsen. Mein Fluggerät brauchte ich nicht umzuschalten. Es schob mich zusam men mit dem Wasser an die Oberfläche zu rück. Anschließend schwebte ich als schwärzli ches Etwas über die Wellen auf die Küste zu. Ich hörte mich lachen. Die Überschweren hatten meinen Tod längst gemeldet. Von nun an konnte ich weiterarbeiten, ohne daß sie mit mir rechneten. Lordadmiral Atlan würde dafür sorgen, daß ich schnell eine brauchbare Körpermaske bekam. Ihn zu ver ständigen, würde nicht leicht, aber nicht un möglich sein. Die Vollprothese war als perfekt zu be zeichnen. Ich fühlte mich so wohl in meiner Hülle wie nie zuvor. Was ich in ihr an seeli schen Leiden zu erdulden gehabt hatte, zähl te jetzt nicht mehr.
4. Sinclair Marout Kennon sah eine grün schimmernde Insel, die sich etwa dreißig Meter hoch aus dem Meer erhob. Sie war nur wenige Meter von ihm entfernt. Er ver suchte, zu ihr zu kommen, doch eine Strö mung trieb ihn von ihr weg. Verzweifelt steigerte er seine Anstrengun gen, sich auf die Insel zu retten. Er wußte,
20 daß er verloren war, wenn er aufs offene Meer hinausgetrieben wurde. Doch alle Be mühungen waren vergeblich. Der Abstand zur Insel wurde größer und größer. Und dann tauchte sie langsam weg. Der Terraner erlitt einen Schock, als er begriff. Er war die ganze Zeit über in diesem gigantischen Lebewesen gewesen. In ihm hatte er mit dem Kristallpferd gekämpft, in ihm war er von den Kristallen davongetra gen worden, und in ihm war er Greasy be gegnet. Das telepathische Wesen hatte mit ihm kommuniziert, obwohl er mentalstabili siert war. Instinktiv warf er sich herum und schwamm von der Insel weg. Doch jetzt kehrte sich die Strömung um. Hatte sie ihn zunächst von der Insel ins offene Meer hin ausgetrieben, so zog sie ihn jetzt hinter dem tauchenden Wesen her. Das Wasser brodelte um ihn herum. Die Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen. Er fühlte sich nach unten gezogen. Eine mächtige Hand schien ihn an den Beinen zu fassen und mit unwi derstehlicher Gewalt in die Tiefe zu führen. Dann aber tauchte plötzlich eine Flosse vor ihm auf. Sie erhob sich bis zu einer Hö he von mehr als dreißig Metern über ihm aus dem Wasser und senkte sich danach mit ma jestätischer Ruhe auf ihn herab. Kennon ver suchte vergeblich, vor ihr zu fliehen. Die Strömung gab ihn nicht frei, so daß er schließlich froh war, den Kopf über Wasser halten zu können. Dann aber drückte ihn die Flosse in die Tiefe. Kennon war darauf vorbereitet, und alles lief so ab, wie er es erwartet hatte. Er atmete tief ein, bevor er unterging. Dann streckte er sich. Die Flosse preßte ihn unter Wasser, dann aber packte ihn die Strömung und schleuderte ihn von der Insel weg. Sie wirbelte ihn herum wie einen Spielball, so daß er jegliche Orientierung verlor. Er ru derte mit beiden Armen, bis es ihm endlich gelang, an die Oberfläche zu kommen. In höchster Atemnot schnappte er nach Luft. Das gigantische Lebewesen war ver-
H. G. Francis schwunden. Nur eine kabbelige See zeigte noch an, wo es gewesen war. Kennon sah sich um. Etwa zehn Kilometer von ihm entfernt er hob sich eine grüne Insel aus dem Meer. Sie sah ungleichmäßig aus und wurde von Bäu men überwuchert. Unwillkürlich fragte er sich, ob er es wirklich mit einer Insel zu tun hatte oder mit einem Geschöpf gleicher Art. Ihm blieb jedoch keine Wahl. Was auch im mer es war, er mußte dorthin schwimmen, weil diese Insel ihm die einzige Rettungs möglichkeit bot. Das Wasser war sehr salzhaltig und trug besonders gut, so daß ihn das Schwimmen nicht besonders anstrengte. Bald erfaßte ihn eine leichte Strömung, die ihn auf die Insel zu trieb. Er kam schnell voran. Dennoch brauchte er mehrere Stunden, bis er den Strand der Insel endlich erreichte. Er kämpf te sich über einige Klippen hinweg in eine Lagune hinein bis ans Ufer. Erschöpft ließ er sich in den warmen Sand sinken. Die gelbliche Sonne stand hoch im Zenit und trocknete seine Kleider. Er zitterte am ganzen Körper vor Kälte, und er sagte sich, daß er sich ausziehen mußte, wenn er sich nicht erkälten wollte. Er war jedoch so er schöpft, daß er es nicht schaffte. Schließlich aber stand er auf und lief am Strand hin und her, um sich dem warmen Wind auszusetzen. Er merkte, daß seine Kleidung nun rasch trocknete. Er trug eine weite Blusenjacke, die die Verzierungen des altarkonidischen Hofes trug, eine enge Hose und einen breiten Gürtel, der ebenfalls mit einigen Emblemen besetzt war, die ihm vom Imperator Orbanaschol III. verliehen worden waren. Seine Finger glitten über die kostbaren Metallstücke hinweg. Er lächelte. Es war eine aufregende und schöne Zeit im Arkon der Frühzeit gewesen. Vieles, was ihm beim Studium der Altgalaktischen Völ ker unklar geblieben war, hatte er aus eige ner Anschauung im alten Arkon kennenge lernt und mit allen Hintergründen erfaßt. Kennon dachte daran, wie alles begonnen
Wanderer durch die Dimensionen hatte. Es war auf dem Planeten Meggion gewe sen. Er hatte sich in eine der Traummaschi nen gelegt, nachdem sie mit dem IschtarMemory programmiert worden war. Es war in einer Phase gewesen, in der er seines vollendeten Körpers überdrüssig gewesen war. Ein einziger Gedanke hatte ihn beseelt. Er hatte wissen wollen, wie es war, wenn man in seinem natürlichen Körper lebt, und er war davon überzeugt gewesen, daß die Traummaschine ihm das Gefühl verleihen konnte, wirklich zu leben. Die Traummaschine hatte ihn in die Zeit Orbanaschols III., in das altarkonidische Im perium und in seinen verwachsenen Körper versetzt. Sinclair Marout Kennon erinnerte sich nur zu gern an diese Zeit. Er hatte das Gefühl, nur in ihr wirklich gelebt zu haben.
* Als der Roboter sich mir bis auf etwa fünf Schritte genähert hatte, drehte ich mich um und flüchtete. Noch wußte ich nicht, wo ich war, und wer ich war. Völlig verwirrt ver suchte ich mich auf die Unzulänglichkeiten meines Körpers umzustellen. Ich war es ge wohnt, mich spielerisch leicht bewegen zu können. Doch jetzt war ich schwach und un beholfen. Ich blickte über die Schulter zurück, um meinen Verfolger sehen zu können. Dabei stolperte ich über meine eigenen Füße, stürzte und fiel der Länge nach in eine Pfüt ze, die so tief war, daß ich fast darin ver schwand. Zitternd und frierend kroch ich aus der Pfütze heraus. Der Boden dröhnte unter den Schritten des Roboters. Angstvoll wälzte ich mich zur Seite und stellte dann fest, daß die Maschine an mir vorbeimarschierte, ohne mich zu beachten. Sie hatte mich nicht verfolgt. Ich war ihr nur zufällig in den Weg geraten. Das schallende Gelächter mehrerer Män ner ließ mich herumfahren. Vor einigen Kampfgleitern standen fünf Offiziere. Sie
21 trugen die Uniformen des Hofes, wie ich mühelos erkannte. Die Uniformen stimmten in allen Einzelheiten mit den Bildern über ein, die ich von meinem Studium her kannte. Daher wußte ich, daß diese Männer gewohnt waren, in der unmittelbaren Nähe Orbana schols III. zu leben. Bei ihrem Anblick begriff ich, daß ich tat sächlich auf Arkon und in der Zeit Orbana schols III. war. Die Traummaschine funktio nierte so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Dabei war ich mir meiner Sache durchaus nicht sicher gewesen, obwohl dies schon der zweite Versuch dieser Art war. Einer der Offiziere kam zu mir und stieß mich mit dem Fuß an, so daß ich erneut in die Pfütze fiel. Ich ruderte mit den Armen in der Luft herum, tauchte mit dem Kopf unter, verschluckte mich und kam blind und hu stend wieder aus dem Wasser hervor. Halt suchend griff ich nach den Beinen des Offi ziers. »Gnade, Herr«, sagte ich. »Gnade, bitte, tötet mich nicht.« »Gib ihm noch einen Tritt, Ceron«, brüllte einer der anderen Arkoniden. »Ich habe noch nie so gelacht wie über diesen Zwerg. Wirf ihn ins Wasser. Er soll schwimmen.« »Gnade, Herr, bitte«, wiederholte ich. Da bei kauerte ich auf den Knien und streckte den Offizieren die Hände entgegen. Die an deren Männer kamen heran und umringten uns. »He, wie heißt du?« fragte einer von ih nen. »Ich? Wie ich heiße?« Ich war verwirrt und wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich hätte antworten können: Sinclair Marout Kennon. Doch ich schreckte davor zurück, weil dies ein für Arkon absolut ungewöhnli cher Name war. Er hätte mich augenblick lich als Fremden von einer fremden Welt verraten. Die Zeit Orbanaschols III. war voller töd licher Gefahren gewesen. Die politische Si tuation war nur schwer durchschaubar gewe sen. Eine einzige falsche Antwort konnte be reits verhängnisvolle Konsequenzen nach
22 sich ziehen. Hätte ich »Sinclair Marout Kennon« geantwortet, hätten die Offiziere mich unter Umständen als Spion eingestuft und auf der Stelle erschossen. Später sollte ich erfahren, daß meine Furcht nicht unbegründet gewe sen war. »Ich? Wie ich heiße?« »Ja – du, Krüppel.« »Mein Name ist … Axton. Lebo Axton«, antwortete ich stammelnd, und damit war der Name geboren, unter dem ich in Arkon Macht und Einfluß gewinnen sollte. Ein weiterer Offizier kam hinzu. Er blick te auf mich herab. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein geschlagen. »Laßt ihn in Ruhe«, befahl er mit leiser Stimme. »Dieser Mann ist von der Natur schon genug bestraft worden. Niemand soll sich über Wesen wie ihn lustig machen.« Aus seinen Worten sprach eine gewisse Ehrfurcht. Ich erinnerte mich daran, daß die Altarkoniden Verwachsenen gegenüber mei stens scheu und zurückhaltend waren. Das traf jedoch nicht auf alle zu. Das sollte ich noch zu spüren bekommen. Der Offizier bedeutete mir mit einer ener gischen Bewegung, daß ich verschwinden sollte. Mühsam erhob ich mich und schlepp te mich davon. Mein Haar war verschmutzt und hing mir bis zu den Augen herab. Ange strengt achtete ich darauf, daß ich nicht er neut über meine eigenen Füße stolperte. Einige Zeit später erfuhr ich, daß einer dieser Offiziere ermordet worden war. Mein kriminalistischer Instinkt erwachte. Ich wit terte eine Chance, mich in der arkonidischen Gesellschaft auszuzeichnen. Das mußte ich, wenn ich nicht in den Elendsvierteln um kommen wollte. Am gleichen Tage, als ich von dem Mord hörte, wurde mir ein anderes Problem mit al ler Deutlichkeit bewußt. Das war in einem Restaurant. »Steh auf«, befahl er. Ich fuhr herum. Vor mir stand ein vier schrötiger Mann in der Uniform der Raum fahrer. Die Augen des Arkoniden waren gla-
H. G. Francis sig. Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß er unter dem Einfluß eines bewußtseins trübenden Stoffes stand. Ich sah ein, daß es besser war, meinen Platz zu räumen. Ein Mann wie dieser konnte mich mit einem ein zigen Schlag töten. Während ich mich erhob und aus dem Re staurant eilte, dachte ich für einen kurzen Moment an den unüberwindlichen Robot körper, den ich von Atlan bekommen hatte. In ihm war ich ein Gigant gewesen, der es mit einem Saurier hätte aufnehmen können, ohne dabei eine Niederlage befürchten zu müssen. In meinem verkrüppelten Körper aber war ich so schwach, daß ich von jedem halbwegs gesunden Kind verprügelt werden konnte. Ich war mir darüber klar, daß es so nicht weitergehen konnte. Ich brauchte Hilfe. Ich mußte etwas haben, womit ich meine kör perlichen Mängel ausgleichen konnte. Einen Roboter. Ich sah ein, daß es keine andere Möglich keit gab. Dabei haßte ich Roboter derart, daß mir bei dem Gedanken bereits übel wurde, auf einen Roboter angewiesen zu sein. Doch es ging nicht anders. Ich suchte den nächstbesten Schrottplatz auf. Der Mann, der über den Schrottplatz wachte, war nur noch ein Torso. Sein Kör per endete an den Hüften und ruhte auf ei nem robotischen Tragegestell. Er war dick und aufgedunsen. »Ich kaufe nichts«, fauchte er mich an. Mühsam machte ich ihm klar, daß ich ihm nichts verkaufen wollte, sondern daß ich die Absicht hatte, ihm etwas abzukaufen. Für ein Taschengeld erlaubte er mir, mich auf dem Schrottplatz umzusehen. Mit einem Ge fühl des Unbehagens wagte ich mich in die Metallschluchten, in denen die verbrannten und verbogenen Reste zahlreicher Raum schlachten lagen. Ich war entschlossen, mir aus vielen Einzelteilen einen Roboter zu sammenzubauen. Eine solche Arbeit konnte Tage, vielleicht sogar Wochen dauern. Aber das störte mich nicht. Ich hatte Zeit.
Wanderer durch die Dimensionen Doch soviel Zeit verging gar nicht, bis ich eine wertvolle Entdeckung machte. Ich hob den Kopf. In einer Höhe von ungefähr zwölf Metern blitzten zwei Linsen in der Sonne. Ich hielt den Atem an. Sollte ich wirklich das Glück haben, gleich einen ganzen Ro botkopf mit einem noch funktionierenden Computer zu finden? Ich kletterte den Schrottberg hoch, bis ich den Kopf in den Händen hielt. Er sah gut aus, so gut, daß ich bereits glaubte, am Ziel zu sein. Dann rutschte ich aus und stürzte et wa zwei Meter tief auf eine Stahlplatte. Stöhnend blieb ich liegen. Der Robotkopf rollte über die Platte und fiel über die Kante in die Tiefe. Ich hörte, wie er zwischen den Stahltrümmern aufschlug und immer tiefer polterte. Einige Minuten verstrichen, bis ich mich soweit erholt hatte, daß ich mich umdrehen konnte. Ich blickte nach unten. Ein Roboter näherte sich dem Kopf und hob ihn auf. »Nein«, brüllte ich und schleuderte ein Stahlstück nach der Maschine. Ich traf sie an der Schulter. Der Roboter blickte zu mir hoch. »Nein«, schrie ich. »Das ist mein Kopf.« Der Roboter ließ die Beute fallen und ging davon. »Mistvieh«, sagte ich. »Ich möchte in ei ner Welt leben, in der es keine Roboter gibt.« »Nostalgische Erwägungen, Liebling?« fragte eine weibliche Stimme hinter mir. Sie klang rauchig und verführerisch. Ich fuhr herum. Vor mir hing ein Robotfragment zwischen den Stahlträgern. Es bestand aus einem Ro botkopf ohne Hülle, Schultern und einer of fensichtlich noch nicht entleerten Batterie. Dieses Stückchen Schrott sollte die Basis für meinen Roboter werden, der mir wert volle Dienste leisten, mich aber auch Nerven kosten würde. Eigentlich hätte mich schon diese erste Begegnung warnen müssen. Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich konnte nicht hoffen, auf dem Schrottplatz noch
23 einen weiteren, ebenfalls intakten Robotkopf zu finden. »Sei still«, sagte ich drohend zu dem Fragment, »oder ich werfe dich in die Tiefe. Dann ist es aus mit dir.« »Was soll das, Liebster?« fragte der Ro boter mich. »Du hast keinen Grund, mich zu zerstören. Du lernst mich erst jetzt kennen, kannst also unmöglich Besitzansprüche stel len – also auch nicht eifersüchtig sein. Wozu also die Morddrohung?« Ich nahm ein armlanges Stahlstück auf und hob es drohend über den Kopf. »Sei still, habe ich gesagt. Ich mache Schrott aus dir.« »Das bin ich bereits«, antwortete der Ro boter. Ich war nahe vor einem Nervenzusam menbruch, beherrschte mich jedoch. Obwohl dieses dreiste Roboterstück es gewagt hatte, mit mir zu diskutieren und mich sogar matt gesetzt hatte, entschied ich mich dafür, es zu verwenden. Es war eine Entscheidung, die mir noch manches Kopfzerbrechen bereiten sollte. Zunächst erwies sie sich als gut. Der Robo ter half mir dabei, sich selbst zusammenzu setzen. Und er überraschte mich damit, daß er sich selbst eine passendere Stimme be sorgte. Ich nannte ihn Gentleman Kelly. Mit ihm hatte ich einen ersten großen Schritt in die Welt Arkons getan. Es gelang mir den Mord an dem arkonidischen Offizier aufzuklären und damit die Aufmerksamkeit des Geheimdiensts Orbanaschols zu errin gen. Das Glück war auf meiner Seite. Schritt für Schritt arbeitete ich mich hoch, bis ich schließlich den Kristallpalast betrat. In un mittelbarer Nähe des Imperators schwebte ich ständig in höchster Gefahr. Ich kämpfte mit aller Macht gegen diesen Mann, um At lan an die Macht zu bringen. Zug um Zug spielte ich die wichtigsten Vertrauten und Mitarbeiter des Imperators aus. Ich intrigierte gegen ihn und machte ihn vor der Öffentlichkeit des gesamten Imperi
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ums lächerlich, bis Orbanaschol III. fast iso liert war, und Atlan in Arkon erschien. Mein Problem war, daß Atlan mich nicht kannte. Es war der junge Atlan, der noch nicht einmal ahnte, daß es eine Erde gab.
* Die letzten Stunden Orbanaschols verlie fen unerwartet dramatisch. Ich hatte mit Schwierigkeiten von allen Richtungen zu kämpfen. Atlan war auf Arkon I, aber er war in den Händen Orbanaschols. Die Offiziere, die noch zum Imperator hielten, waren ner vös. Jeder von ihnen hielt den Finger am Abzug seiner Waffe, bereit, sie augenblick lich abzufeuern, wenn das eigene Leben be droht erschien. Doch das waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen ich fertig wer den mußte. In den Augen dieser Offiziere war Atlan bereits ein toter Mann. Ich kam hinzu, als ei ner der Offiziere ihn erschießen wollte. Im letzten Augenblick verhinderte ich es. »Nehmen Sie ihm die Fesseln ab«, befahl ich dem Offizier. Er gehorchte widerstre bend. Aufatmend nahm Atlan die Hände nach vorn, als die Fesseln gefallen waren. Er mas sierte sich die Handgelenke. Ich beobachtete ihn. »Wohin?« fragte er. »Zum Imperator«, antwortete einer der Arkoniden, die mit mir gekommen waren. »Er wird Sie erschießen.« Diese Bemerkung schockierte mich der art, daß ich fast die Nerven verlor. Ich konn te mich gerade noch zurückhalten. »Halten Sie den Mund«, befahl ich. Dann gab ich Atlan zu verstehen, daß er vor mir den Raum verlassen sollte. Als er vor mir her ging, waren wir für einen Mo ment allein. »Es wird nichts passieren«, raunte ich ihm zu. »Ich habe vorgesorgt. Verlassen Sie sich auf mich.« Atlan blickte mich durchdringend an.
»Gehören Sie zu den Ratten, die das sin kende Schiff verlassen?« fragte er verächt lich. Ich schüttelte den Kopf. »Sie können es nicht wissen, Atlan«, sag te ich. »Deshalb mache ich Ihnen keinen Vorwurf. Ich bin derjenige, der das Schiff für Sie zum Sinken gebracht hat.« Er verstand mich nicht, aber das war auch nicht zu erwarten. Ich führte ihn vor Orbanaschol III. Und ich sah, wie der Imperator haßerfüllt einen Energiestrahler auf ihn richtete. Der Ab strahltrichter glühte auf. In diesem Moment erfaßte mich der Sog. Ich schrie. Verzweifelt wehrte ich mich ge gen die Kraft, die mich durch Zeit und Raum reißen wollte. Es half mir nichts. Die Traummaschine von Meggion im Oc cad-System war stärker. Ich konnte nichts gegen sie ausrichten. Mein Körper verflüch tigte sich. Ich kehrte nach Meggion zurück und überwand die Jahrtausende. Die Traummaschine zitterte und schwank te. Ich sprang aus ihr heraus, sah mich um und erkannte, daß die Gegend, in der die Maschine stand, von einem Beben erschüt tert wurde. Dabei war das Gerät beschädigt worden, das mich im alten Arkon hatte leben lassen. Ich versuchte, die zahlreichen Kontrollan zeigen mit einem Blick zu übersehen. Dabei entdeckte ich, daß einige Lämpchen nicht brannten. Ich fand heraus, daß einige Siche rungen herausgesprungen waren, und drück te sie wieder ein. Wenig später bemerkte ich, daß das Be ben noch größere Schäden angerichtet hatte. In den Wänden klafften breite Risse. Nur noch eine Traummaschine war funk tionsbereit. Die anderen waren nicht mehr zu gebrauchen. Ich nahm noch einige provi sorische Reparaturen vor, während ich mir einhämmerte, daß die Realzeit in Arkon weiterlief. Schließlich legte ich mich wieder in die Traummaschine und schaltete sie ein. Ich kehrte in den Kristallpalast zu Orbanaschol
Wanderer durch die Dimensionen III. und Atlan zurück. Ich materialisierte neben dem Imperator und kam noch rechtzeitig, um Atlan zu ret ten und Orbanaschol III. sterben zu sehen. Dann erwachte ich erneut in der Traum maschine. Der Geruch von verbranntem Kunststoff stieg mir in die Nase. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich wieder wußte, wo ich war. Als ich mich aufrichtete und umsah, stell te ich fest, daß es in der Halle der Traumma schinen von fingerlangen Insekten nur so wimmelte. Direkt neben mir stieg eine Rauchfahne auf. Ich öffnete eine Klappe und blickte in die Traummaschine. Ich sah ein dichtes Gewirr von Kabeln, zwischen denen zahlreiche In sekten herumkrochen. Sie fraßen die Isolie rung der Kabel. An einigen blankgefresse nen Stellen zuckten blaue Blitze von Kabel zu Kabel. Damit war klar, was mich aus der fernen Vergangenheit Arkons zurückgeholt hatte. Die Insekten zerstörten die Traummaschi nen. Nichts konnte sie noch daran hindern. Es wäre sinnlos gewesen, sie zu töten, denn durch die Spalten in den Wänden kamen im mer neue nach. Mein Traum war zu Ende. Ich stieg aus der Maschine und blickte mich ratlos um. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Wo waren meine Freunde? Wohin sollte ich mich wenden? Sollte ich auf Meg gion leben, bis irgendwann einmal zufällig ein Raumschiff in der Nähe vorbeikam, das ich herbeirufen konnte? Lohnte sich so ein Leben? Ich blickte an mir herunter. Wie ich diesen Robotkörper haßte. Schon viel zu lange hatte ich in ihm gelebt. Der Körper konnte mir alles geben, nur nicht das, was einen Menschen auszeichnete. Ich war nicht viel mehr als eine lebende Maschi ne in ihm, ohne direkte Verbindung zum Le ben. Ich war nur ein Roboter mit einem menschlichen Gehirn. Mensch war ich nur in jenem verkrüppel ten, unzulänglichen Körper gewesen, in dem
25 ich im altarkonidischen Imperium gelebt hatte. Diese relativ kurze Zeit in Arkon hatte ich weitaus mehr genossen als das halbe Jahrhundert, das ich in dem Robotkörper ge lebt hatte. Nun fragte ich mich, welche Möglichkei ten mir noch blieben. Ich war mir darüber klar, daß ich wahn sinnig werden würde, wenn ich ein Einsied lerleben auf Meggion führen würde. Es wür de ein Leben ohne Aufgabe sein, bei dem es nur darauf ankam, die Zeit zu überstehen. Sollte ich noch einmal in die Traumma schine steigen, falls es mir gelingen sollte, sie zu reparieren? Ich wußte, daß sie bald ausfallen würde. Was aber würde dann mit mir geschehen? Würde ich erneut zurückge rissen werden und dann doch auf Meggion bleiben müssen? Oder würde ich in meinem natürlichen Körper bleiben, während das Gehirn hier im Robotkörper starb? Zweimal konnte ich nicht zu gleicher Zeit existieren. Ich entschloß mich dazu, einen Versuch zu machen. Hastig vertrieb ich die Insekten aus der Maschine. Dann trug ich Isolierma terial zusammen und führte eine Reihe von Reparaturen aus, um die Traummaschine wieder instand zu setzen. Als ich damit fertig war, legte ich mich in die Traummaschine, zog die Haube zu mir herab und schaltete die Apparatur ein. Ich spürte augenblicklich, daß ich von hy perdimensionalen Energien erfaßt und in die Unendlichkeit hinausgerissen wurde. Doch jetzt war alles anders als vorher. Ich hatte das Gefühl, daß ich wesentlich mehr Gewalt über mich hatte als zuvor. Dabei wußte ich, daß einige Sekunden später wieder alles so sein würde, wie ich es bei meiner Rückkehr vorgefunden hatte. Die Insekten krochen durch die Spalten herein. Sie erreichten die Traummaschine und be gannen ihr Zerstörungswerk erneut. Schließlich schaltete sich die Maschine aus. Dann geschah das, was ich gehofft hatte. Das Gehirn im Robotkörper starb. Ich spürte es, denn es zog mich aus der Unend
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lichkeit zurück. Ich kämpfte mit ganzer Kraft gegen die Macht an, die mich in den Robotkörper zu rückholen wollte. Ich kämpfte mit dem Tod, der nach dem Gehirn im Robotkörper griff. Ich wollte, daß er zuschlug. Und er schlug zu. Damit erlosch die Verbindung zwischen mir und meinem Gehirn im Robotkörper. Ich war glücklich. Ich existierte. Ich lebte. Aber ich materia lisierte nicht, so wie ich es gehofft hatte. Ich blieb im hyperenergetischen Strom der Dimensionskorridore, erfüllt von der Sehnsucht nach einem Körper und nach ei nem Menschen, für den ich leben konnte.
5. Sinclair Marout Kennon stieß einen Stein mit dem Fuß ins Wasser. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er war. Sicher war nur, daß er sich nicht auf der Erde befand, denn dort gab es keine solchen Meeresunge heuer und keine Pflanzen wie jene, die weni ge Meter von ihm entfernt wuchsen. Er hielt sich auf irgendeinem anderen Planeten in der Milchstraße auf. Vielleicht aber war noch nicht einmal sicher, daß diese Welt zur Milchstraße gehörte. Vielleicht lag sie in ei nem anderen, weit entfernten Teil des Uni versums. Es konnte durchaus sein, daß er ei ne jene Welten erreicht hatte, die sich am äußersten Rand des bekannten Universums befanden. Wahrscheinlich war das allerdings nicht, denn die Landschaft der Insel ließ darauf schließen, daß der Planet noch jung war. Er war mit der Erde zu vergleichen. Bei einem älteren Planeten hätten sich keine schroff aufsteigenden Felsen gezeigt. Sinclair Marout Kennon löste sich von den Gedanken an das alte Arkon, beschloß aber, sich weiterhin Lebo Axton zu nennen. Unter diesem Namen hatte er gelebt. Der al te Name sollte ihn nicht mehr an seine Exi stenz im Robotkörper erinnern. Er war Lebo Axton.
Als Lebo Axton wollte er Atlan suchen. Er war fest entschlossen, Verbindung mit ihm aufzunehmen, und er glaubte daran, daß er eine vernünftige Chance hatte, das zu er reichen. Als er sich in jenem kaum beschreibbaren hyperenergetischen Bereich zwischen den Dimensionen befunden hatte, hatte er Zel laktivator-Impulse empfangen. Er hatte sich voll auf sie konzentriert und versucht, sie zu erreichen. Es war ihm nicht gelungen. Irgend etwas hatte ihn vorher aus den Di mensionskorridoren gezerrt und im Verdau ungstrakt eines Meerestiers materialisieren lassen. Lächelnd dachte Axton daran, daß er froh sein konnte, anschließend ins Meer entlassen worden zu sein. Das Wasser hatte ihn gesäu bert. Wäre es nicht so gewesen, hätte er es in seinen Kleidern kaum ausgehalten. Axton wandte sich vom Wasser ab und kletterte die Felswand hoch, bis er ein klei nes Plateau erreichte und ins Landesinnere sehen konnte. Die Insel schien riesig zu sein. Er konnte sie nicht ganz überblicken. Etwa fünf Kilometer von ihm entfernt lag an einer Bucht eine Stadt. Weiß leuchteten die Häuser im Sonnenlicht. Axton-Kennon fiel ein schwarzer Turm auf, der sich mitten in der Stadt erhob und alle Häuser weit über ragte. Er beschloß, die Stadt aufzusuchen. Vor her wollte er allerdings noch ein Experiment machen. Er schloß die Augen und konzentrierte sich. Er wollte in den hyperenergetischen Dimensionskorridor zurückkehren, um dort seine Suche nach Atlan fortzusetzen. Er war überzeugt, daß er Atlan auf diese Weise fin den würde und nicht einen der anderen Zel laktivatorträger. Er konnte nicht begründen, warum er daran glaubte. Die Überzeugung war in ihm. Er vermutete, daß sie an die fri sche Erinnerung an die Ereignisse in Arkon herrührte und an Atlan, dem er dort begeg net war. Der Anblick Atlans war der letzte Eindruck, den er aus Altarkon in die Neuzeit
Wanderer durch die Dimensionen mitgenommen hatte. Er stutzte. Neuzeit? Wer sagte denn, daß er sich nicht mehr in der Zeit des altarkonidischen Imperiums befand? Vielleicht war dies eine Welt, die in den nächsten Tagen schon bei einer Schlacht zwischen Arkoniden und Me thans vernichtet werden würde? War es wirklich so ausgeschlossen, daß er hier dem jungen Atlan, dem Kristallprinzen, begegne te? Axton stieß einen Fluch aus. Es schien ausgeschlossen zu sein. Deute ten nicht die Zellaktivatorimpulse darauf hin, daß er sich in der Neuzeit befand? Falsch! dachte er. Du vermutest, daß es Impulse eines Zellaktivators sind, aber du weißt es nicht. Du vermutest, daß die Impul se von einem Aktivatorträger kommen, den du kennst, aber du weißt es nicht. Er verdrängte die Gedanken. Abermals konzentrierte er sich, aber der gewünschte Effekt trat nicht ein. Er entmaterialisierte nicht. Er fluchte abermals und ging los. Zu nächst strengte ihn der Marsch nicht beson ders an, dann aber schleiften seine Füße mehr und mehr über den Boden. Sein Atem ging laut und rasselnd, und der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Als er etwa die Hälfte der Strecke zur Stadt zurückgelegt hatte, blieb er stehen, um sich zu erholen. Seine Beine zitterten vor Schwäche, und er sehnte sich nach Gentle man Kelly. Der Roboter hatte ihn getragen und ihn entlastet, wo immer es möglich war. Aus einem Wäldchen seitlich von ihm kam ein pferdeähnliches Wesen hervor, das einen vierrädrigen Wagen zog. Auf diesem saß ein humanoides Geschöpf. Es war etwas größer als Axton, hatte einen schmalen Kopf mit tiefliegenden Augen und weit vorsprin gender Nase. Von der Stirn über den Kopf hinweg bis in den Nacken hinein zogen sich dicke, grüne Schuppen. Das Tier, das den Wagen zog, glich nur auf den ersten Blick einem terranischen Pferd. Es wirkte plumper als ein Pferd, weil
27 es säulenförmige Beine hatte, die zudem mit einem zottigen Fell bedeckt waren. Der Kopf war rundlich und wurde durch ein weit ausladendes Geweih gekrönt. Der Mann bemerkte Axton und lenkte den Wagen zu ihm hin. Vor ihm hielt er an und fragte etwas mit dunkler Stimme. Der Terra ner verstand ihn nicht, glaubte jedoch, eine gewisse Ähnlichkeit mit arkonidischen Be griffen herauszuhören. Er antwortete auf Altarkonidisch. Doch auch er konnte sich nicht verständlich machen. Der Geschuppte deutete auf sich und sag te: »Sünthey.« »Axton«, antwortete der Verwachsene. Sünthey zeigte auf den Wagen. Der Terra ner begriff. Er schleppte sich zum Ende des Wagens und versuchte hinaufzuklettern. Es gelang ihm nicht, weil die Ladefläche zu hoch, und er zu schwach war. Sünthey beob achtete ihn, kam schließlich zu ihm, packte seine Hände und hob ihn spielerisch leicht hoch. »Danke«, sagte der Verwachsene erleich tert. Er war froh, daß der Geschuppte ihn be handelte, als sei er es gewohnt, täglich mit Fremden umzugehen. Er schien nicht im mindesten überrascht darüber, daß er hier war. Er versuchte es mit Neu-Arkonidisch. »Es ist freundlich von dir, daß du mich mitnimmst«, sagte er. »Ich danke dir.« In den grünen Augen Süntheys blitzte es auf. Er hob eine Hand. Axton glaubte, daß er ihn verstanden hatte. »Wo sind wir hier?« fragte er. »Ich mei ne. Welchen Namen hat dieser Planet?« Sünthey öffnete den Mund. Er hatte drei eckige Zähne, die wie die Blätter einer Säge aussahen. Axton fühlte sich an das Gebiß ei nes Hais erinnert. Der Geschuppte gab einen unbestimmbaren Laut von sich, drehte sich um und kehrte zu der Kiste zurück, die ihm als Kutschbock diente. Er schnalzte mit den Lippen, und das Zugtier trabte los. »Na, schön«, sagte der Verwachsene. »Dann nicht.«
28 Er war mit dem zufrieden, was er erreicht hatte. Jetzt brauchte er wenigstens nicht mehr zu gehen. Das Zugtier lief leichtfüßig und schnell. Axton-Kennon mußte sich fest halten, um nicht vom Wagen zu fallen, denn der Weg war holprig und steinig. Der Wa gen sprang krachend darüber hinweg, und einige Male war er nahe daran umzukippen. Den Geschuppten störte das jedoch nicht. Er trieb das Zugtier immer wieder schnalzend an. Bald bereute der Verwachsene, daß er sich hatte mitnehmen lassen. Er fühlte sich wie gerädert, und er konnte ich kaum noch auf dem Wagen halten. Daher war er froh, als sie endlich die ersten Häuser der Stadt erreichten. Sie passierten ein Stadttor, das von vier Männern bewacht wurde. Sie waren noch größer als Sünthey und stützten sich auf ihre Schwerter. Sie blickten an Axton vorbei, als sei er nicht vorhanden. Ein intensiver Fischgeruch hing über der Stadt. Er verriet, daß die Bewohner haupt sächlich vom Fischfang lebten. Axton sah jetzt, daß die Häuser alle auf Pfählen errich tet waren. Treppen gab es nicht. Wer ins Haus wollte, mußte etwa einen Meter hoch steigen. Für die Bewohner der Stadt war das sicherlich nicht schwierig, für ihn aber wür de es außerordentlich mühselig sein, die Häuser zu betreten. Aus der Art, wie sie angelegt waren, schloß er, daß sich die Bewohner auf diese Weise das Ungeziefer fernhielten. Der schwarze Turm überragte die Häuser weit. Axton schätzte, daß er etwa fünfzig Meter hoch war und einen Durchmesser von dreißig Metern hatte. Es war rund und fen sterlos. Der Terraner hütete sich, Fragen über den Turm zu stellen. Er war erfahren genug, um zu wissen, daß der Turm eine ganz besonde re Bedeutung hatte. Daher bestand die Ge fahr, daß er Sünthey verletzte, falls er Fra gen über den Turm stellte. Er mußte warten, bis dieser sich von sich aus dazu äußerte, oder bis er von einem anderen Stadtbewoh ner etwas über die Bedeutung des Turmes erfuhr.
H. G. Francis Da Sünthey den Wagen jetzt langsamer laufen ließ, richtete Axton sich weiter auf und sah sich um. Ihm fiel auf, daß die Stadt bewohner ihn so gut wie nicht beachteten. Sie blickten höchstens mal kurz auf, fanden es aber offensichtlich nicht sonderlich inter essant, daß er mit Sünthey kam. Auch darin sah Axton ein Zeichen, daß sie es gewohnt waren, mit Intelligenzen zu verkehren, die nicht von diesem Planeten waren. Sünthey fuhr bis an den Turm heran und hielt vor einem Haus, das größer war als die anderen. Mit einem Handzeichen gab er Ax ton zu verstehen, daß er absteigen sollte. Er selbst sprang vom Wagen und ging ins Haus, ohne sich um seinen Mitfahrer zu kümmern. Axton blickte am Turm hoch. Er stellte fest, daß er aus schwarzen Steinen gemauert worden war. Die Arbeit war auffallend sorg fältig und sauber ausgeführt worden. Nir gendwo gab es störende Vorsprünge. Glatt und absolut senkrecht stieg die Mauer vor Axton auf. Der Terraner eilte nun hinter Sünthey her. Vorläufig mußte er sich an ihn halten, da er sonst niemanden von dieser Insel kannte. An der Tür gab es die erwarteten Schwierigkei ten. Die Tür stand offen, und Axton ver suchte hineinzuklettern. Doch das Fußbrett war zu glatt. Er rutschte immer wieder ab. Plötzlich beugte sich jemand zu ihm her ab, packte ihn und hob ihn hoch. Axton blickte auf. Er erkannte Sünthey, der amü siert grinste. »Ich bin nun mal nicht größer«, sagte der Terraner keuchend. »Aber ich bin dennoch ziemlich froh über diesen Körper. Er ist zwar häßlich, aber ich will keinen anderen.« Sünthey setzte ihn ab, drehte sich um und ging in das Haus hinein. Axton eilte mit schleifenden Füßen hinter ihm her. Er sah, daß das Haus liebevoll eingerichtet war. An den Wänden hingen Pelze der verschieden sten Art. Die Möbel bestanden aus einem blauschimmernden Holz und schienen von Hand geschnitzt worden zu sein.
Wanderer durch die Dimensionen Der Geschuppte führte ihn in einen großen Raum, in dem sich vier weitere Män ner aufhielten. Sie saßen in Holzsesseln und musterten Axton neugierig. »Hallo«, sagte dieser lächelnd. »Ich sehe, du wohnst hier nicht allein, Sünthey. Wür dest du mich mit den Herren bekannt ma chen?« »Wer bist du?« fragte einer der anderen Männer. Er sprach Neu-Arkonidisch. »Hallo«, sagte der Terraner. »Das hört sich gut an. Mein Name ist Lebo Axton. Ich bin Terraner.« Er erwartete, daß der andere etwas sagen würde, wurde jedoch enttäuscht. Offenbar kannte der Mann keine weiteren Begriffe. Sünthey gab Axton einen Wink. Er führte ihn zu einer Wand, die mit Pelzen verhängt war. Er zog die Pelze zur Seite. Dahinter wurden die Fragmente eines Roboters sicht bar, die in einer Wandnische verstaut wor den waren. Lebo Axton erkannte sofort, daß es ein ihm völlig fremdes Modell war. Im merhin hatte der Roboter eine humanoide Form. Der Kopf hatte ein insektenähnliches Aussehen, das jedoch nur der Verschöne rung wegen gewählt worden war. Axton sah unter dem filigranartigen Gitterwerk der übergroßen Facettenaugen die Linsen einer modernen Optik. »Gut«, versetzte er, als Sünthey keine An stalten machte, die Nische wieder zu schlie ßen. »Ich habe den Roboter gesehen. Ich weiß also, daß ihr einen habt. Vermutlich habt ihr ihn irgendwo gefunden.« Sünthey zeigte auf ihn, dann auf die Ro botteile und wieder auf ihn. Axton begriff. »Ach«, sagte er. »Du möchtest, daß ich das Ding zusammensetze?« Sünthey gestikulierte bestätigend, und Axton machte sich an die Arbeit. Er ließ sich die Einzelteile des Roboters reichen, legte sie auf den Boden und sortierte sie. Dabei stellte er fest, daß der Roboter nach einem recht einfachen Prinzip aufgebaut war. Er ließ sich sogar weitgehend ohne Werkzeuge zusammenbauen, vorausgesetzt, man kannte sich im Bereich elektronischer
29 Schaltungen aus. Axton war daher davon überzeugt, daß Sünthey diese Arbeit nicht bewältigt hätte. Auch von den anderen Be wohnern der Stadt war so etwas nicht zu er warten. Der Terraner hatte keinerlei Anzei chen einer hochentwickelten Technik gese hen. Nach annähernd zwei Stunden hatte Ax ton den Roboter fast fertig. Er brauchte nur noch den Kopf anzusetzen. Dieser Arbeits abschnitt erwies sich jedoch als außerordent lich schwierig. Dabei waren eine Reihe von komplizierten Verbindungen herzustellen. Axton wäre dennoch schnell damit fertig ge worden, wenn er einen Schaltplan gehabt hätte. So mußte er sich jede einzelne Schal tung mühsam erarbeiten. Über vier Stunden verstrichen, bis der Roboter sich endlich er hob und etwas in einer Axton unbekannten Sprache sagte. Zufrieden stellte der Terraner fest, daß er keinen einzigen Fehler gemacht hatte. Die Geschuppten beachteten ihn nicht. Sie drängten sich um den Roboter und betrach teten ihn. Sie stellten ihm eine Reihe von Fragen, die er auch beantwortete. Furcht schienen sie nicht vor der Maschine zu emp finden. Gerade das überraschte den Verwachse nen. Er sah es als Zeichen dafür an, daß ih nen der Umgang mit einem Roboter durch aus vertraut war, und er fragte sich, wie das zu dem sonstigen Erscheinungsbild der Stadt paßte. Mittlerweile war es dunkel geworden. Ei nige Kerzen spendeten jedoch ein ausrei chendes Licht. Zwei auffallend schlanke Frauen, die knapp sitzende Hosen und weite Blusen tru gen, brachten gebratenes Fleisch auf den Tisch. Axton hatte Hunger, aber er wußte nicht, ob er etwas davon essen durfte. Da er keine Möglichkeiten hatte, das Fleisch auf seine Verträglichkeit für ihn zu prüfen, ver zichtete er. Sünthey akzeptierte, daß er nichts essen wollte. Er ließ ihm ein Glas Wasser reichen. Einer der Männer führte den Roboter aus dem Haus.
30 Axton setzte sich mit den Männern an den Tisch und versuchte, sich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Das erwies sich jedoch als un möglich, da sie ihm weder sprachliche Hil fen, noch eine Gelegenheit gaben. Sie igno rierten ihn. Der Verwachsene war sich darüber klar, daß er einen Fehler gemacht hatte. Durch ir gend etwas hatte er seine Gastgeber belei digt, daher ließen sie ihn nun fühlen, daß sie ihn nicht mehr akzeptierten. Er hatte genügend Erfahrung in dieser Hinsicht, so daß er eine Strategie entwickeln konnte, mit der er sich die Freundschaft zu rückerobern wollte. Bevor er jedoch etwas unternehmen konnte, wurden die Männer durch ein dumpf dröhnendes Horn aufge schreckt. Sie blickten Axton an, sprangen auf und rannten aus dem Haus. Er folgte ihnen langsam. Jetzt war er sich dessen fast sicher, daß sie ihn mit dem in Verbindung brachten, was draußen geschehen war. Laute Schreie zeig ten ihm an, daß die Stadt in Gefahr geraten war. Männer und Frauen rannten zum Was ser. Als Axton in der offenen Tür stand, sah er, daß etwa zwanzig Schiffe im Hafen an gelegt hatten. Feuer brannten in großen Steintöpfen an Bord und verbreiteten Licht. Die Bewohner der Stadt kämpften am Ufer gegen unförmige Gestalten, die mit den Schiffen gekommen waren. Der Verwachse ne hörte das Klirren von Waffen. Er bemerkte, daß sich sogar Frauen an dem Kampf beteiligten. Unwillkürlich sah er sich nach einer Waffe um, entdeckte jedoch nur ein Schwert, das länger war als er selbst und das er nicht heben konnte. Er war sich darüber klar, daß er sich nicht verteidigen konnte, wenn er angegriffen wurde. Die Angreifer drängten die Geschuppten zurück, obwohl diese wesentlich größer wa ren als sie selbst und eigentlich bessere Vor aussetzungen für den Kampf hatten. Axton sah, daß einige der Stadtbewohner tot am Wasser lagen. Sie waren im Licht der Feuer gut zu erkennen.
H. G. Francis Er sprang auf den Boden herunter und zog sich vorsichtig zurück. Für ihn war ganz klar, was geschehen würde, wenn die An greifer die Stadt überrannten. Sie würden ihn töten, obwohl er nicht in der Lage war, sich zu verteidigen. Ihm blieb keine andere Möglichkeit. Er mußte fliehen. Er eilte an der schwarzen Wand des Tur mes entlang und versuchte, zwischen den Häusern zu einem Wald zu kommen. Plötz lich stürzten sich zwei Frauen auf ihn und warfen ihn zu Boden. Er schlug mit Armen und Beinen um sich, konnte sie jedoch nicht abschütteln. Schließlich blitzte ein Messer auf, und er fühlte die Klinge an seinem Hals. Er gab seine Gegenwehr sofort auf und blieb ruhig liegen. Das wollten die Frauen offenbar erreichen. Eine von ihnen eilte da von, während die andere ihn bewachte. We nig später kehrte sie zurück und fesselte ihm zunächst die Beine, dann die Arme. Die bei den Frauen packten den Verwachsenen und schleiften ihn über den Boden bis zu einem Haus. Sie hoben ihn hinein und sperrten ihn in einen fensterlosen Raum. Die Tür schlug zu, und er war allein. Fluchend versuchte er, die Fesseln abzu streifen, aber das erwies sich als unmöglich. Die Frauen hatten sie so geschickt angelegt, daß er sie auch dann nicht hätte entfernen können, wenn er wesentlich stärker gewesen wäre. Er mühte sich etwa eine halbe Stunde lang ab, dann sah er ein, daß alle Versuche vergeblich waren. Er blieb ruhig liegen und horchte nach draußen. Der Kampf um die Stadt war noch immer nicht beendet. Das Klirren der Waffen war deutlich zu hören. Und immer wieder ertön ten Schreie, wenn einer der Streitenden ge troffen wurde. Lebo Axton stellte beunruhigt fest, daß Kampflärm sich allmählich näher te. Er fürchtete bereits, daß die Schlacht für die Stadtbewohner verloren war, als sich der Kampflärm wieder entfernte. Bald danach wurde es ruhig in der Stadt. Axton wartete voller Unbehagen. Er be fand sich in einer äußerst unangenehmen Si
Wanderer durch die Dimensionen tuation. Für ihn war schon fast egal, wer ihn aus dem Haus herausholte. Waren es Sünthey und seine Freunde, so würde man ihm den Fluchtversuch vorwerfen. Waren es die Angreifer, dann gehörte er zu den Stadt bewohnern, obwohl er gefesselt war. Er versuchte, einen Plan zu entwickeln. Doch war er sich noch nicht mit sich selbst einig geworden, als sich ihm Schritte näher ten. Die Tür öffnete sich, und Sünthey blick te zu ihm herein. Er erkannte ihn an der be sonderen Form seines Kopfes und an seinen schräg gestellten Augen. »Es war ein Irrtum«, sagte der Terraner. »Niemand kann von mir erwarten, daß ich gegen Feinde kämpfe, die mir weit überle gen sind. Dann hätte ich auch gleich Selbst mord begehen können.« Sünthey schlug die Tür wieder zu, und es wurde still im Haus. Stunde um Stunde ver strich, ohne daß sich etwas ereignete. Lebo Axton verfiel in einen leichten Schlaf, aus dem er erst wieder erwachte, als erneut je mand die Tür öffnete. Dieses Mal war es ein älterer Mann. Er hatte stumpfgraue Schup pen auf dem Kopf. Wortlos packte er Axton bei den Beinfes seln, drehte sich um und schleifte ihn hinter sich her. Der Verwachsene protestierte wü tend, aber vergeblich. Der Alte reagierte nicht auf seine Worte. Er schleppte ihn aus dem Haus, zog ihn durch die Tür und ließ ihn achtlos auf den Boden fallen. Axton schlug mit dem Hinterkopf auf und verlor vorübergehend das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, lag er unmit telbar an der schwarzen Mauer des Turmes. In seiner Nähe standen einige Geschuppte, die leise miteinander sprachen. Axton blick te zur Seite und erschrak. Wenige Meter von ihm entfernt lag einer der Angreifer auf dem Boden. Er war tot. Doch das erschreckte ihn nicht. Der Tote sah ihm verblüffend ähnlich. Er war etwa so groß wie er, hatte eine tonnenförmige Brust, einen Schädel, der im Verhältnis zum Kör per viel zu groß war, strohgelbes, schütteres Haar, dünne Beine und große, plumpe Füße.
31 Damit erschöpften sich die Ähnlichkeiten aber auch schon. Der Fremde war körperlich wesentlich kräftiger als er. Sein Gesicht war dunkelrot. Er hatte zwei Nasen, die links und rechts von den beiden Augen standen und jeweils über eine Atemöffnung verfüg ten. Die Augen waren auffallend groß. Axton begriff. Obwohl er nur auf den ersten Blick so aussah wie die Angreifer, hielten ihn Sünthey und die anderen Stadtbewohner für einen Kundschafter der Fremden. Wahr scheinlich hatte er durch sein Verhalten un gewollt ihren Verdacht bestätigt. Sie mach ten sich nicht die Mühe, ihn zu fragen oder die näheren Umstände zu untersuchen. Sie stützten sich auf die wenigen Anhaltspunkte, die sie hatten. Das genügte ihnen, ihn zu verurteilen. Plötzlich erschien Sünthey neben ihm und stieß ihn mit dem Fuß an. »Axton, wir wissen, daß du ein Spion bist«, erklärte er in akzentfreier neuarkonidi scher Sprache. »Nur die Pouties können einen Roboter wieder zusammenbauen. Du sprichst ihre Sprache. Du hast dich gewei gert, mit uns das Fleisch der Waldbüffel zu essen, weil deine Religion dir dieses Fleisch verbietet. Und du hast versucht, aus der Stadt zu flüchten, als deine Freunde kamen. Das alles bestätigt uns, daß du ein Spion der Pouties bist.« »Tut mir leid«, erwiderte Axton ruhig, »aber so ist es nicht. Sieh mich doch mal ge nau an, Sünthey. Ich sehe ganz anders aus als sie. Ich habe nichts mit ihnen zu tun.« »Du bist wahrscheinlich ein Mutant«, sag te Sünthey. »Oder man hat dich durch Hexe rei verändert, damit du uns ein wenig mehr ähnlich siehst. Das reicht aber alles nicht aus. Die Alten haben dich zum Tode verur teilt, und ich möchte dich lediglich bitten, Würde zu bewahren, wenn es soweit ist.« Bevor Axton etwas darauf entgegnen konnte, wandte der Geschuppte sich ab und ging davon. Vergeblich sprach der Verwach sene die anderen Männer an. Keiner reagier te auf seine Worte. Sie taten als sei er nicht
32 vorhanden. Axton zweifelte nicht daran, daß Sünthey die Wahrheit gesagt hatte. Kurz darauf kamen zwei Frauen, rissen ihn hoch und schleppten ihn in Richtung Ha fen. Sie brachten ihn an der schwarzen Mau er entlang bis zu einer mächtigen Statue, die er bisher noch nicht gesehen hatte. Hier war fen sie ihn auf den Boden. Axton-Kennon versuchte abermals, seine Fesseln zu lösen. Er entdeckte einige Glas scherben in der Nähe. Vorsichtig schob er sich hinüber, bis er über ihnen lag. Er tastete sich mit den Händen an sie heran, und es ge lang ihm schließlich, eine Scherbe zwischen die Finger zu bekommen und an die Fesseln zu setzen. Während er so tat, als habe er sich aufge geben, drückte er eine scharfe Kante der Scherbe gegen die Lederfesseln und schabte daran. Er sah, daß die Stadtbewohner eine Reihe von Toten vor den Statuen aufbahrten. Die Sonne ging auf, und allmählich über strahlte ihr Licht das der Feuer, die noch im mer am Hafen brannten. Axton konnte er kennen, daß die Angreifer mit Schiffen ge kommen waren, von denen wenigstens drei brannten. Er vermutete, daß die anderen un tergegangen waren oder sich fluchtartig zu rückgezogen hatten. Als Sünthey erneut zu ihm kam, fragte er: »Wer waren die Angreifer? Und warum sind Sie gekommen?« Sünthey antwortete nicht. Verächtlich blickte er Axton an. »Kannst du dich nicht damit abfinden, daß du verloren hast?« fragte ein korpulenter Mann, der neben Sünthey erschien. »Ich denke nicht, daß ich verloren habe«, sagte Axton ruhig. »Ich habe niemanden verraten. Warum sollte es also aus mit mir sein?« »Es ist aus.« »Nun gut. Was werdet ihr mit mir ma chen?« Er deutete mit dem Kopf auf die Toten, die vor den Statuen aufgebahrt worden waren. »Werdet ihr mich verbrennen?« »Feuer und Wasser sind heilig«, erklärte
H. G. Francis Sünthey. »Sie dürfen mit dem Tod nicht in Berührung kommen.« »Was geschieht dann mit mir?« »Das gleiche wie mit den Toten.« Axton merkte, daß seine Fesseln nachga ben. Sie hingen nur noch mit wenigen Fa sern zusammen. Er war sich dessen sicher, daß er sie zerreißen konnte, wenn es not wendig war. »Was geschieht mit dem Roboter?« fragte er. »Ich habe ihn zusammengebaut. Eigent lich gehört er mir.« »Wenn du willst, wird er dich töten«, ent gegnete Sünthey zornig. Er stieß Axton mit dem Fuß an. »Das ist alles, was du verlan gen kannst.« »Schade. Ich glaube, ich hätte mich mit dem Roboter ganz gut befreunden können.« Lebo Axton sah seine Lage noch immer nicht als so gefährlich an, wie sie tatsächlich war. Erst als er mächtige Tore in ihren An geln quietschen hörte, wurde ihm bewußt, daß es so gut wie keinen Ausweg mehr gab. Er hob den Kopf. Sünthey und einige Männer hoben die Toten auf und trugen sie an den Statuen vorbei. Der Verwachsene begriff. Sie brachten sie in den Turm, dessen einzige Aufgabe es zu sein schien, die Toten der Stadt aufzuneh men. Was darin mit den Toten geschah, war für Axton nicht zu erkennen.
6. Eine farbenprächtige Gestalt näherte sich ihm. Sünthey und die anderen Männer wi chen zur Seite, um dem Schamanen Platz zu machen. Er trug einen Federschmuck aus zahllosen unterschiedlichen Federn in allen erdenklichen Farben, die jedoch geschickt zusammengestellt worden waren. Die Felle von Tieren hingen ihm über die Schläfen und die Wangen herab. Seine Brust war nackt. Sie war mit bunten Zeichnungen bedeckt, die geheimnisvolle Tiergestalten zeigten. Von seinem Gürtel hingen Stich- und Hiebwaffen herab. Sie hätten ausgereicht, fünf oder sechs Männer
Wanderer durch die Dimensionen auszustatten. In der linken Hand hielt der Mann eine Drehschnarre, die er ständig her umwirbelte, die andere umklammerte einen Speer, der etwa vier Meter lang war. Der Schamane murmelte einige unver ständliche Worte, die von den anderen Stadtbewohnern voller Ehrfurcht wiederholt wurden. »Verzeih, daß ich dich unterbreche«, sag te Axton, als eine Pause eintrat. »Da es um mein Leben geht, halte ich es für richtig, et was klarzustellen.« »Sprich«, forderte der Priester ihn auf. »Ich gehöre nicht zu den Angreifern. Ich bin zufällig in diese Gegend verschlagen worden. Glaubt ihr denn wirklich, daß ich ohne weiteres zu euch gekommen wäre, wenn ich im Sinn gehabt hätte, euch zu be trügen?« »Du kannst mit Robotern umgehen.« »Das kann jeder bei uns. Schon die Kin der in der Schule lernen es. Das hat nichts zu bedeuten. Ich weiß nicht, wer die Angreifer sind, aber ich könnte euch Schutzeinrichtun gen schaffen, die es den anderen unmöglich machen, euch zu überraschen. Das würde Si cherheit für viele Jahre für euch bedeuten.« Der Schamane blickte einige alte Männer an, die in seiner Nähe standen. »Was willst du dafür tun?« fragte er dann. »Ein Beispiel.« »Nun, ich könnte vor der Küste Sensoren auf dem Meeresgrund anbringen, die sofort Alarm schlagen, wenn sich der Stadt ein Schiff nähert.« »Das Wasser ist rein«, erklärte der Scha mane. »Nichts darf das Wasser verunreini gen.« »Das macht die Sache schon etwas schwieriger«, sagte Axton, »aber ich könnte euch auch Infrarot-Beobachtungsgeräte bau en, mit denen ihr in der Nacht ebensogut se hen könnt wie am Tage. Das würde bedeu ten, daß sich euch niemand im Schutz der Dunkelheit nähern kann, ohne bemerkt zu werden.« »Womit willst du das erreichen?« fragte der Schamane. »Was benötigst du dazu?«
33 »Zuerst benötige ich Glas, damit ich opti sche Linsen herstellen kann«, antwortete der Verwachsene. Der Schamane unterbrach ihn in verwei sendem Ton. »Glas ist heilig. Man darf es nur verwen den, um daraus Trinkgefäße herzustellen.« »Vielleicht nennst du mir ein paar Dinge, die nicht heilig sind«, schlug der Terraner vor, »dann kann ich eher sagen, ob sich et was machen läßt oder nicht.« »Es geht um dein Leben, nicht um mei nes«, erwiderte der Priester. Axton blickte zu einem riesigen Raubvo gel empor, der hoch über ihm seine Kreise zog. »Man könnte eine Lichtschranke bauen«, sagte er. »Dazu benötige ich kein Glas.« »Was ist eine Lichtschranke?« fragte Sünthey. Axton erklärte es ihm. »Wir müßten zwei Schiffe draußen vor der Küste verankern und eine Lichtbrücke zwischen ihnen errichten. Es kann auch eine Infrarot-Brücke oder etwas Ähnliches sein. Wenn die Angreifer sich der Stadt nähern, unterbrechen sie den Lichtstrahl und lösen damit einen Alarm aus. Nun, wie ist es?« »Kein Schiff darf während der Nacht auf dem Wasser sein«, erwiderte der Schamane, der sichtlich verärgert war. »Das Nachtwas ser ist heilig.« Lebo Axton war am Ende seiner Weis heit. Er wußte nicht mehr, was er noch vor schlagen sollte. Wäre er auf Arkon gewesen, hätte er eine Reihe von technischen Mög lichkeiten gehabt. Hier aber mußte er mit primitivsten Mitteln arbeiten. »Oh, das hätte ich fast vergessen«, rief er. »Kann der Roboter fliegen?« Der Schamane blickte ihn schweigend an. »Ich meine, wenn der Roboter fliegen kann, dann kann er als fliegende Beobach tungsstation vor der Küste aufpassen, ob Angreifer kommen. Er kann rechtzeitig Alarm schlagen.« »Wir haben den Roboter zerstört«, ant wortete der Priester.
34 »Warum das?« rief Axton. »Das ist doch purer Wahnsinn. Die Maschine hätte euch helfen können.« »Die Stimmen der Menschen sind heilig«, erklärte der Priester. »Maschinen dürfen kei ne Stimmen haben. Damit beleidigen sie die Götter.« Jetzt wußte der Terraner nicht mehr wei ter. Seine ganze Erfahrung half ihm nun nichts mehr. Er hätte Jahre unter den Be wohnern dieser Stadt leben müssen, wenn er alle Sitten und Gebräuche kennenlernen wollte. Sicherlich gab es eine Möglichkeit, die Stadt abzusichern, ohne die Götter zu be leidigen oder gegen eines der Tabus zu ver stoßen; die konnte er aber in der kurzen Zeit, die er noch hatte, nicht herausfinden. Der Schamane erkannte, daß Axton nichts mehr zu sagen hatte. Er richtete den Speer auf ihn und berührte sein Kinn mit der Spit ze. Im gleichen Augenblick stürzte der Terra ner ins Nichts. Er glaubte, die Schreie der Stadtbewohner noch zu hören, dann verlor er jegliches Gefühl für seinen Körper. Der Schamane verschwand von einer Sekunde zur anderen. Lebo Axtons Körper löste sich auf. Er glitt in die hyperdimensionalen Korridore, in denen er sich nach dem Tod seines Gehirns im Robotkörper von Meggion bereits aufge halten hatte. Er sah nicht bewußt, wo er war, aber er fühlte und dachte. Er war nicht körperlich, sondern ein scharf gebündelter Teil inmitten eines hyperdimensionalen Energieflusses, der mit unfaßbarer Geschwindigkeit durch ein ihm nicht bekanntes Kontinuum raste. Axton wußte genau, was geschehen war. Er war sich jedoch nicht darüber klar, ob der Schamane ihn hyperenergetisch beeinflußt oder ihn mit der Speerspitze verletzt – viel leicht gar vergiftet – hatte. Er versuchte, Gewalt über sich und über seine Bewegungen zu bekommen, weil er auf keinen Fall Spielball übergeordneter Energien werden wollte. Dabei fürchtete er, von unbekannten Kräf-
H. G. Francis ten in unerwünschte Fernen oder in Zeiten geschleudert zu werden, in denen seine Exi stenz keinen Sinn hatte. Er glaubte, ein pulsierendes Licht sehen zu können, daß sich weit von ihm entfernt befand. Er meinte, die Impulse fühlen zu können, die davon ausgingen. Und wieder um war er davon überzeugt, daß diese Im pulse vom Zellaktivator Atlans kamen. Sie kamen ihm vor wie ein Leuchtfeuer, das ihm sein Ziel angab. Mit aller Kraft ar beitete er sich voran, auf die Quelle der Im pulse zu. Er hatte auf Arkon für Atlan ge kämpft. Er hatte über 500 Jahre lang in der USO unter dem Oberkommando des Lor dadmirals Dienst getan und somit auch dort mit ihm zusammen für die Sicherung des Werkes von Perry Rhodan gearbeitet. Er wollte auch jetzt nichts anderes tun. Er hatte das Gefühl, durch den hyperener getischen Strom zu gleiten wie ein Raum schiff. Nichts deutete darauf hin, daß er einen Körper hatte. Er fühlte kein Unbeha gen und bemerkte auch sonst keinerlei kör perliche Empfindungen. Im dem grauen Etwas, in dem er sich be wegte, tauchten hin und wieder seltsame Ge bilde auf. Sie glichen Kleinplaneten, die von seltsamen, farbigen Ringen umgeben waren. Axton-Kennon glaubte, sehen zu können, daß ständig Energien in diese Gebilde hin einströmten und in ihnen verschwanden. Er glaubte, in ihnen Schwarze Löcher er kennen zu können, deren ungemein hohes Energiepotential bis in die hyperenergeti schen Dimensionskorridore hinüberleuchte te. Sicher war er sich dessen jedoch nicht. Für einen kurzen Moment hatte er sich von der Impulsquelle ablenken lassen. Als er sie jetzt suchte, fand er sie nicht mehr. Sie war erloschen. Lebo Axton hatte das Bedürfnis, laut zu schreien, doch er besaß kein Organ mehr, mit dem er das hätte tun können. Seine Kon zentration ließ schlagartig nach. Hatte es überhaupt noch einen Sinn, nach Atlan zu streben? Hatte er überhaupt die Möglichkeit, ihn in der Unendlichkeit zu
Wanderer durch die Dimensionen finden? Axton erinnerte sich daran, daß er diese Impulse auch schon beobachtet hatte, bevor er in dem monströsen Meereswesen materialisiert war. Er fragte sich, was er getan hatte, um aus den Dimensionskorridoren zu entweichen. Hatte er nicht auch versucht, Atlan zu errei chen? Hatte er sich nicht förmlich nach ihm ausgestreckt? Axton spürte eine Schockwelle, die die Dimensionskorridore durchlief. Er fühlte sich herumgewirbelt. Stöhnend schlug er die Augen auf. Der Schamane fuhr aufschreiend vor ihm zurück. »Tötet ihn«, rief er. »Tötet ihn, bevor noch mehr geschieht.« Axton zerrte an den Fesseln, bis sie ris sen. Er richtete sich auf. Noch waren seine Beine aneinander gebunden, so daß er nicht flüchten konnte. Der Priester setzte ihm die Speerspitze auf die Brust. »Wo bist du gewesen?« fragte er mit be bender Stimme. »Bei euren Göttern«, antwortete Axton. »Sie befehlen euch, mich als Gast und Freund zu behandeln.« Der Bluff wirkte nur einige Sekunden lang. Dann schlug ihm der Priester die Faust gegen die Stirn. Axton stürzte zu Boden. Be nommen blieb er liegen. Drei Frauen packten ihn an den Armen und an den Beinen und schleppten ihn an dem Schamanen vorbei zu den schwarzen Statuen. Der Terraner warf sich zwischen ih nen hin und her. Einmal entglitt er ihren Händen und fiel auf den Boden, doch sie er griffen ihn sofort wieder und schleiften ihn weiter. Ein riesiges Holztor öffnete sich quiet schend vor ihm. »Du Teufel«, schrie Axton dem Schama nen zu. »Das wirst du bereuen.« »Du hast verloren«, antwortete der Prie ster mit schriller Stimme. »Nichts wird dich noch retten.« »Ich gestehe, daß ich unzufrieden gewe sen wäre, wenn ich nicht erfahren hätte, was
35 hinter diesen schwarzen Mauern ist«, rief der Verwachsene. »Das ist der einzige Grund dafür, daß ich mir alles gefallen lasse. Wenn sich das Tor erst einmal hinter mir ge schlossen hat, wird alles anders werden. Verlaß dich darauf.« Der Schamane erbleichte. Er hob die Hand. Axton sah, daß sie zitterte. Er hoffte, daß der Schamane die Frauen im letzten Moment noch zurückrufen würde, aber er tat es nicht. Sie zerrten ihn durch das Tor, das sich hinter ihm schloß. Er befand sich in ei nem dunklen Gang, der einen scharfen Bo gen nach links machte. Dann, öffnete sich ein zweites Tor. Helles Sonnenlicht schien Axton ins Gesicht. Er hörte das Geschrei von vielen großen Vögeln. Die Frauen schleppten ihn noch einige Meter weiter, dann ließen sie ihn fallen, drehten sich um und kehrten fluchtartig zum Tor zurück. Sie verschwanden darin. Axton hörte, daß sie einen schweren Riegel vorleg ten. Er richtete sich auf. Die Haare sträubten sich ihm, als er sah, wohin man ihn gebracht hatte. Der Turm war innen hohl. Er bestand nur aus den schwarzen Außenmauern. Auf seinem Grund lagen Tausende von Skeletten. Auf einfachen Holzgerüsten ruhten die Toten der nächtlichen Schlacht. Riesige Raubvögel ris sen ihnen das Fleisch von den Knochen. Axton blickte nach oben. Er schätzte, daß etwa zweihundert Raub vögel der verschiedensten Größe im Tur minnern kreisten. Er kroch bis zur Turmwand, um nicht von einem der Vögel von hinten angegriffen zu werden. Dabei sagte er sich, daß er längst hätte erraten müssen, welche Bedeutung der Turm hatte. Der Schamane hatte ihm erklärt, daß viele Dinge heilig waren. So waren Wasser und Feuer heilig. Das bedeutete, daß sie auch bei der Bestattung der Toten nicht eingesetzt werden durften. Unter diesen Um ständen hatte er damit rechnen müssen, daß auch die Erde als heilig angesehen wurde. Daher blieb für den Turm nur noch die
36 Funktion übrig, die er tatsächlich hatte. Ein schwarzer Vogel, der etwa so groß war wie er selbst, landete vor ihm. Gierig blickte er ihn mit seinen rötlichen Augen an. »Verschwinde, du Bestie«, schrie Axton. Er stieß mit den Beinen, als ihm der Raub vogel noch etwas näher kam, und er traf es an einem Flügel. Damit verscheuchte er das Tier. Doch einige andere Raubvögel lande ten flatternd in seiner Nähe. Er beugte sich nach vorn und knüpfte sei ne Beinfesseln auf. Noch wollte er nicht auf geben. Er wollte kämpfen, so lange es ging. Dabei hoffte er, daß er früher oder später wieder in die hyperenergetischen Dimensi onskorridore gleiten würde. Er hatte die Fesseln noch nicht ganz abge legt, als der erste Vogel angriff und ihm eine blutende Wunde an der Schläfe beibrachte. Kreischend vor Wut und Schmerz hieb er nach dem Tier und schleuderte es zur Seite. Er stemmte sich hoch und eilte zur Holz tür hinüber, hinter der die Frauen ver schwunden waren. Bevor er sie erreicht hat te, erhob sich wütendes Kreischen. Axton fuhr herum. Alle Vögel, die sich innerhalb des Turmes aufhielten, waren aufgeschreckt worden und flatterten in die Höhe. Die mei sten flogen auf ihn zu. »Das war ein Fehler, Alter«, rief ihm je mand in neuarkonidischer Sprache zu. »Nur ein Narr versucht das.« Axton schlug wild um sich, um die Vögel abzuwehren, die ihn mit Schnabelhieben an griffen. Einige Vögel rissen ihm Fleischfet zen aus den Armen. Der Terraner flüchtete vom Tor weg zu rück zu der Stelle, an der er gelegen hätte, und augenblicklich kehrte Ruhe ein. »Ihr glaubt, mich hier sicher zu haben«, sagte er keuchend, »aber ihr täuscht euch. Mich erwischt ihr nicht.« Er nahm einen Stein auf und schleuderte ihn nach einem Raubvogel, der ihm durch sein leuchtend rotes Gefieder auffiel. Das Tier wich dem Wurfgeschoß mühelos aus. In diesem Moment erinnerte Axton sich daran, daß ihn jemand angesprochen hatte.
H. G. Francis In seiner Not beim Angriff der Tiere hatte er es vergessen. »He, wo bist du?« schrie er. Er wehrte einige Vögel ab und blickte sich dabei um. Er sah nur schwarze Wände, schwarzen Sand und die Gebeine der Toten. Abermals erschauderte er. Alle intelligenten Lebewesen bestatteten ihre Toten auf ir gendeine Weise. So mußte er akzeptieren, daß die Bewohner dieser Stadt ihre Toten den Vögeln übergaben. Er empfand es je doch als ausgesprochen unmenschlich, daß sie die zum Tode Verurteilten ebenfalls in den Turm brachten, wo sie sich der Vögel erwehrten, bis sie vor Erschöpfung zusam menbrachen. Plötzlich hob sich eine Hand aus dem Ge wirr der Knochen und winkte ihm zu. Er zuckte zusammen. Die Hand schob einige Knochen zur Seite. »Komm her, Alter«, rief eine männliche Stimme. »Hier bist du vor den Bestien sicher.« Axton überlegte nicht lange. Er rannte los, wobei er die Arme über den Kopf legte, um sich vor den Schnabelhieben der Vögel zu schützen. Er sah eine Lücke in den Knochen und sprang hinein. Hände packten ihn und zogen ihn zur Seite. Einige kleinere Vögel versuchten, ihm zu folgen. Er trieb sie zu rück, indem er mit den Armen um sich schlug. »Ruhe, Ruhe«, mahnte ihn die männliche Stimme. »Dir passiert nichts.« Die Hände zerrten ihn weiter bis in eine Höhle unter dem Knochenberg. Eine Kerze brannte und beleuchtete zwei zerlumpte Ge stalten. »Fast hätte es dich erwischt«, sagte einer von ihnen. Es war derjenige, der ihn davor gewarnt hatte, zum Tor zu laufen. Beide Männer trugen Schuppen auf dem Kopf. Sie hatten tief eingefallene Wangen, die davon zeugten, daß sie lange Zeit gehungert hatten. »Mein Name ist Orro«, fuhr er fort. »Und das ist Peytkyr. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, aber kein schlechter Kerl. Man hat ihn in dem Glauben in den Turm gebracht, daß er tot sei. Dabei war er nur ohnmächtig. Er kam wieder zu sich, als die Vögel auf ihm
Wanderer durch die Dimensionen herumhackten. Dabei hat er dann wohl den Verstand verloren.« Axton nannte seinen Namen und fragte: »Und du? Wie bist du in den Turm gekom men?« »Ich habe eine Frau getötet«, antwortete Orro. »Sie war untreu. Aber niemand in der Stadt wollte mir das Recht zugestehen, sie dafür zu töten. Daraufhin hat man mich zum Tode verurteilt und hierher gebracht. Ich hatte das Glück, daß damals jemand hier lebte, so wie ich es jetzt tue. Er hat mich ge rettet. Leider starb er schon bald darauf, so daß ich einige Jahre lang allein blieb.« Lebo Axton war fassungslos vor Entset zen. Unwillkürlich fragte er sich, wovon diese Menschen lebten. Orro erriet seine Gedan ken. Er lachte. Ihm fehlten zwei Zähne in der oberen Reihe. »Keine Angst«, sagte er. »Wir vergreifen uns nicht an den Toten. Hier gibt es mehr als genug zu essen für uns alle. Die Vögel ni sten hier überall im Turm. Ihre Eier schmecken gut und enthalten fast alles, was wir benötigen. Einige Vögel gelten darüber hinaus bei uns als regelrechte Delikatessen. Wir vergreifen uns nicht an den Toten.« Lachend tippte er den Verwachsenen an. »Und auch nicht an den Lebenden«, fügte er hinzu. »Du kannst also ganz beruhigt sein. Wir tun dir nichts. Außerdem siehst du nicht gerade appetitlich aus.« Der Terraner ließ sich auf den Boden sin ken. Selten im Leben hatte er sich so unwohl gefühlt wie in diesen Minuten. Was für ein Leben führten diese Wesen. Schlimmeres war kaum noch vorstellbar. »Die Porthen haben die Stadt angegriffen, nicht wahr?« fragte Orro. »Es hat viele Tote gegeben. Auf beiden Seiten.« »Das ist richtig«, bestätigte Axton. »Mich hält man für einen Spion. Ich bin jedoch kei ner. Ich bin nur zufällig in die Stadt gekom men. Mit den Angreifern habe ich nichts zu tun.« Orro gähnte gelangweilt. Er winkte ab. »Was geht das mich an«, meinte er, setzte
37 sich auf den Boden, streckte die Beine aus und schloß die Augen. »Ich werde ein wenig schlafen. In den nächsten Tagen ist es nicht ratsam, nach draußen zu gehen. Die Vögel sind gefährlich, wenn sie so viel zu fressen haben. Sie kommen von überall her. Warte nur ab. In einigen Stunden sind es so viele, daß du kaum noch Knochen siehst, weil sie überall sind.« Axton lief es kalt über den Rücken. Sollte er den Rest seines Lebens in diesem Turm verbringen? Das war weitaus schlimmer, als in einem Robotkörper leben zu müssen. »Gibt es keine Möglichkeit, aus dem Turm herauszukommen?« fragte er. »Keine«, antwortete Orro. »Kann man sich nicht unter der Mauer hindurchgraben?« »Nicht möglich«, erklärte Orro. »Das Wasser ist heilig. Es muß rein gehalten wer den.« »Was hat das damit zu tun?« fragte Axton verwirrt. »Man könnte sich doch an der Mauer nach unten graben und an der ande ren Seite wieder nach oben. Wenn wir das in der Dunkelheit tun, wird niemand uns be merken, und wir können flüchten. Das ist immer noch besser, als hier zu leben.« »Wenn es regnet, fällt das Wasser auf die Toten. Dabei wird es unrein. Wir dürften es nicht im Boden versickern lassen, weil es dabei nicht wieder rein werden würde. Da her gibt es unter dem Turm ein System, das aus zahlreichen Kammern und Kanälen be steht. In ihnen wird das Wasser gereinigt, so daß es schließlich ins Meer fließen kann.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Boden. »Verstehst du jetzt? Niemand kann sich nach unten graben. Das Reinigungssystem besteht aus dem härtesten Gestein. Wir kämen nicht hindurch. Finde dich damit ab, daß du für den Rest deines Lebens hier im Turm bleiben wirst. Sei froh, daß du über haupt noch lebst. Das ist immerhin noch besser, als den Vögeln vorgeworfen zu wer den.« »Nein«, sagte Axton. »Ich werde alles
38 versuchen, diesen Turm wieder zu verlassen. Ich bin kein Spion der Angreifer. Ich habe versucht, den Stadtbewohnern zu helfen. Dafür haben sie mich zum Tode verurteilt. Ich bin nicht bereit, dieses Urteil anzuneh men.« Orro gähnte herzhaft, rollte sich zur Seite und schlief ein. Er interessierte sich nicht für das, was Axton ihm eröffnet hatte. »Was ist mit den Frauen?« fragte Axton, als Orro wieder erwachte. »Könnte man sie nicht überfallen und festhalten? Dann muß doch jemand kommen und sie wieder her ausholen.« »Das hätte keinen Sinn«, erwiderte der Geschuppte. »Damit hast du deine Freiheit noch nicht wieder.« Er zeigte nun etwas mehr Interesse an dem, was Axton widerfahren war, und er ließ sich ausführlich schildern, was in der Stadt geschehen war. Er stellte eine Reihe von Fragen, die der Verwachsene ihm alle beantwortete. »Mir scheint, du bist wirklich unschul dig«, sagte Orro schließlich. »Was meinst du, Peytkyr?« Der andere gab nur ein Knurren von sich: Er lehnte an der Wand und blickte in das Licht der Kerze. Er machte einen völlig teil nahmslosen Eindruck. »Für jemanden wie mich muß es doch ei ne Möglichkeit geben, aus dem Turm zu kommen«, versetzte Axton. Orro deutete auf Peytkyr. »Warum denn?« fragte er. »Er ist nicht aufgrund einer falschen Anklage hier, son dern weil man sich geirrt hat. Es hilft ihm nichts, daß er noch nicht tot war, als man ihn hereinbrachte. Er könnte zu den Frauen ge hen, wenn sie einen Toten bringen, und ver langen, daß man ihn herausläßt. Das wird man jedoch nicht tun. Wer hereingebracht wurde, bleibt hier. Er ist für die da draußen tot.« Axton war der Verzweiflung nahe. Er schloß die Augen und versuchte zu entmate rialisieren. Er wollte in den hyperenergeti schen Dimensionskorridor flüchten, doch es
H. G. Francis gelang ihm nicht. Allmählich dämmerte ihm, daß Jahre ver gehen konnten, bis sich sein Körper in über geordnete Energien verwandelte. Vielleicht trat diese Umwandlung sogar nie mehr ein. Er begann zu toben. Er schrie Orro und Peytkyr an, als ob sie schuld an seiner Verurteilung seien. Er stürzte sich schließlich auf Peytkyr und schlug mit Fäusten auf ihn ein. »Bringe mich hier heraus«, brüllte er. »Du weißt, wie man den Turm verlassen kann. Zeige mir den Weg.« Überraschenderweise erhob sich Orro, gab ihm einen Wink und führte ihn aus der Höhle heraus über einen Knochenberg hin weg in eine andere Höhle bis zu einer Stahl tür. Er öffnete die Tür und brachte Axton über eine Steintreppe in einen quadratischen Raum, in dem allerlei Arbeitsgeräte unterge bracht waren. Durch eine andere Tür ging es weiter zu einem Tunnel, und durch diesen bis in einen kleinen Raum, in dem ein älterer Mann auf sie wartete. »Ich glaube, er ist wirklich unschuldig«, sagte Orro. »Laßt ihn frei.« Die Erkenntnis traf Axton wie ein Schock. Er fühlte, daß ihm die Knie weich wurden. Er wollte etwas sagen, brachte je doch kein Wort über die Lippen. Im gleichen Moment verflüchtigte sich sein Körper, und er glitt in die hyperenerge tischen Dimensionskorridore.
7. Die Gestalt war etwa zwei Meter hoch und sah aus, als ob sie schon im nächsten Moment in sich zusammenfallen würde. Sie schien nur aus Haut und Knochen zu beste hen. Sie war humanoid, trug einen Lederhut, der einen Durchmesser von weit über einem Meter hatte, und war auch sonst in Leder ge kleidet. Die Arme und Beine allerdings blie ben frei. Ebenso die Füße. Die Hacken wa ren durchbohrt, damit die mächtigen Sporen ausreichend Halt fanden. Ihr Besitzer hatte die Verschlußriegel der Sporen quer durch
Wanderer durch die Dimensionen die Hacken geschoben. Schmerzen schien er dabei nicht zu spüren, denn er stieß die ge zackten Räder der Sporen hin und wieder kräftig in die Seiten des Sandwurms, auf dem er ritt. Er stützte sich mit seinem rostigen Schwert auf den Rücken des Tieres, das mehr als zehn Meter lang war, und blickte mit verkniffenen Augen durch die steil auf gerichteten Fächerfühler des Wurmes nach vorn. Ein heißer Wind blies ihm ins Gesicht, doch das schien ihn nicht zu stören. Sein ausgemergelter Körper schien gegen Hitze absolut unempfindlich zu sein. Tirque seufzte, als er zwischen zwei hoch aufsteigenden Sanddünen das Grün einer Oase entdeckte. »Es ist nicht mehr weit, Zaquetel«, sagte er mit dunkler Stimme. »Sieh nur nach vorn. Öffne endlich einmal deine Augen, dann wirst du sehen, daß die Feste Bondor vor uns liegt.« Der Sandwurm schnaubte so heftig, daß der Sand zu beiden Seiten seines Kopfes aufwirbelte. »Ja, sträube dich nur«, rief Tirque. »Das hilft dir gar nichts. Wir sind hier, um für Ru he und Ordnung zu sorgen. Die Mächte des Bösen haben die Feste überschwemmt. Da heißt es, mutig zu sein!« Er reckte den rechten Arm mit dem Schwert in die Höhe und stieß einen Schrei aus. »Die Verkommenen werden vor uns erzit tern, Zaquetel. Warte nur ab. Du wirst es er leben.« Der Sandwurm schnaufte, ließ den Kopf in den Sand sinken und streckte sich. Tirque sank etwa einen Meter in die Tiefe. Das Tier erschlaffte unter ihm. Er hieb ihm die Spo ren in die Flanken, doch das half nichts. »Steh auf«, brüllte er. »Wie kannst du es wagen, mir den Dienst zu verweigern?« Er hieb dem Sandwurm das Schwert hin ter den Kopf. Kurz bevor die Klinge auf schlug, bildete sich auf der sandfarbenen Haut ein dunkler Höcker. Von diesem prall
39 te das Schwert ab. Es federte in die Höhe, wobei es Tirque fast aus der Hand sprang. Ein zufriedenes Lächeln glitt über die Lippen des einsamen Reiters. »Du bist also doch noch nicht eingeschla fen«, stellte er fest. »Man kann noch etwas mit dir anfangen.« Er stellte das Schwert senkrecht, so daß sich seine Spitze in die Haut des Sandwurms bohrte. Eine Mulde bildete sich. Tirque stieß zu und drückte die Haut des Wurms noch ein wenig weiter ein, doch das Schwert durchdrang sie nicht. Der Sandwurm regte sich nicht. »Bitte«, sagte Tirque mit weinerlicher Stimme. »Bitte, trage mich bis in die Oase. Man würde über mich, den edelsten Ritter des Planeten Yamolquoht, spotten. Die Männer, Frauen und Kinder werden mich auslachen, wenn ich zu Fuß zu ihnen kom me. Das kannst du mir nicht antun.« Der Sandwurm schnaufte leise, bewegte sich aber nicht. Tirque sprang auf. Er eilte einige Schritte weiter zum Schwanzende des Tieres hin. Er blieb bei zwei Dornen stehen, die sich aus dem Rücken des Sandwurms erhoben. Mit beiden Händen packte er sie und versuchte, sie zusammenzubiegen, doch es gelang ihm nicht. Der Sandwurm reagierte darüber hin aus nicht auf seine Bemühungen, ihm Schmerzen zuzufügen. »Du bist eine Ausgeburt der Hölle«, schrie Tirque enttäuscht. Tränen rannen ihm über die hageren Wangen. »Warum tust du mir das an? Alles habe ich für dich getan. Was ich nur tun konnte. Und du? Du verrätst mich.« Der Sandwurm hob den Kopf, schnaufte und ließ ihn wieder in den Sand sinken. Tir que sprang von seinem Rücken herunter und eilte zum Kopf. Direkt vor den beiden Au gen blieb er stehen. Sie waren etwa so groß wie sein Kopf. Er setzte die Schwertspitze an die bläulichen Lider, doch gelang es ihm nicht, sie aufzuhebeln. »Zaquetel«, sagte er flüsternd. »Bitte. Ich verspreche dir, daß ich dir alle Köstlichkei
40 ten beschaffen werde, die du für deinen ver fressenen Leib angeblich benötigst.« Das hornige Maul des Sandwurms öffnete sich. Zaquetel streckte die Zunge aus, bis sie gegen die Beine Tirques stieß, und zog sie wieder zurück. Fassungslos blickte der Dür re den Sandwurm an. »Du willst also nicht«, stellte er fest. »Willst du schlafen? Bis morgen? Und dann? Wirst du mich dann in die Oase tra gen?« Der Sandwurm wackelte ablehnend mit dem Kopf. »Gibt es einen vernünftigen Grund dafür, daß du es nicht tun willst?« Der Sandwurm wackelte abermals mit dem Kopf. Fluchend trat der Einsame ihm gegen die Lippen, drehte sich um und marschierte auf die Oase zu. Dabei beklagte er sich mit lau ter Stimme über das harte Schicksal, das ihn getroffen hatte. Hin und wieder blieb er stehen und blick te zurück. Er hoffte, daß der Sandwurm ihm folgen und ihn doch noch bis zur Oase tra gen würde, aber er wurde enttäuscht. Zaque tel grub sich schnaufend in den Sand ein und verschwand schließlich bis zu den Fühlern darin. Diese ragten wie zwei rote Büsche aus dem Sand hervor und zeigten an, wo er sich befand. Tirque sah ein, daß er sich keine Hoffnungen mehr zu machen brauchte. Er wußte, daß Zaquetel für wenigstens dreißig Stunden nicht dazu zu bewegen war, aus dem Sand zu kommen. Er glaubte, daß der Wurm diese Zeit benötigte, um seine geisti gen Kräfte zu regenerieren, ganz sicher war er sich dessen jedoch nicht. Tirque schulterte sein Schwert und richte te sich hoch auf. Er war entschlossen, auch unter den schwierigsten Bedingungen das zu tun, was getan werden mußte. Er schritt kräftig aus und erreichte den Rand der Oase schon wenige Minuten später. Vor einem korpulenten Mann, der behaart war wie ein Affe, blieb er stehen. Er sah so fort, daß der Mann betrunken war und sich nicht mehr aus eigener Kraft hatte auf den
H. G. Francis Beinen halten können. Er stieß ihn mit dem Fuß an. Träge öffnete der Betrunkene die Augen und sah ihn an. Als er erkannte, wen er vor sich hatte, richtete er sich auf und ver suchte, grüßend die Hand zu heben. Er schaffte es nicht. Ächzend fiel er auf den Rücken zurück. Er drehte sich auf den Bauch und schlief weiter. Tirque stieg über ihn hinweg und betrat die Oase. Diese bestand aus einigen ärmli chen Hütten, die sich um einen großen Steinbau drängten, und einigen Dutzend Bäumen und Büschen. Außerhalb der Häuser hielt sich sonst nie mand auf. Tirque ging zu dem Holzbau und betrat ihn durch eine Holztür, die windschief in den Angeln hing. Ohrenbetäubender Lärm schlug ihm entgegen. Ein Stuhl wirbelte an seinem Kopf vorbei und prallte krachend ge gen die Wand. Tirque eilte durch einen Gang, stieg über einen bewußtlosen Mann hinweg, der auf dem Boden lag, und betrat einen Raum, in dem sich etwa fünfzig Män ner und Frauen aufhielten. Alle waren in ei ne wilde Schlägerei verwickelt, bei der ein solches Durcheinander herrschte, daß nie mand mehr wissen konnte, wer eigentlich gegen wen kämpfte. Tirque hob sein Schwert und schlug es ei nem Mann, der sich in der Nähe befand, mit der Breitseite über den Kopf. Der Getroffene stürzte bewußtlos auf den Boden. »Schluß jetzt«, brüllte der Hagere. Er riß zwei Frauen zur Seite, die sich gegenseitig an den Haaren zerrten. »Tirque ist da.« Der Ruf pflanzte sich überraschend schnell fort. Männer und Frauen ließen die Fäuste sin ken. Alle wandten sich der Tür zu, wo Tir que mit erhobenem Schwert stand. Es wurde still im Raum. »Kaum war ich einige Tage fort, schlagt ihr euch schon wieder«, sagte Tirque ankla gend. »Ihr seid wie die Kinder, die man nicht ohne Aufsicht lassen darf.« »Verzeiht uns«, bat eine Frau. Sie erhob sich ächzend vom Boden. »Uns fehlt die
Wanderer durch die Dimensionen ordnende Hand.« Sie lächelte versteckt und blickte sich bei fallheischend nach den anderen um. Diese trampelten mit den Füßen. »Ja, das ist es«, rief einer der Männer. Er war ebenso stark behaart wie alle anderen im Raum. Auch die Frauen trugen eine auf fallend ausgeprägte Haarpracht. Sie alle wa ren deutlich kleiner als Tirque. Keiner von ihnen war größer als etwa 1,60 m. »Nun gut«, sagte Tirque besänftigt. Sein Gesicht entspannte sich. »Ich bedaure, daß ich nicht immer bei euch sein kann. Ihr müßt jedoch einsehen, daß wir gemeinsam etwas unternehmen müssen, damit die Zustände sich ändern.« »Wir würden gerne Eure Vorschläge hö ren, Tirque«, erklärte die Frau, die vor dem Hageren stand. Sie stemmte die Hände in die prallen Hüften. »Wie können wir uns denn bessern? Hier kommen täglich Wüstenkara wanen mit immer neuen Menschen durch, und fast alle suchen Streit, nachdem sie Wein getrunken haben.« Tirque stieß den rechten Arm in die Luft. »Ich hab's«, schrie er. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen den Wein vernich ten. Wenn ihr keinen Wein habt, könnt ihr euch nicht betrinken. Und wenn ihr euch nicht betrinkt, besteht nicht die Gefahr, daß ihr euch streitet. Alles wird friedlich sein. Seid ihr einverstanden?« Das Beifallsgebrüll der Männer und Frauen zeigte ihm an, daß sie ihm beipflichteten. »Nun gut«, rief Tirque. »Dann holt die Fässer und bringt sie nach draußen. Dort wollen wir den Wein vergießen.« »Wir sind so froh, daß wir dich haben«, sagte die Frau vor ihm, drehte sich um und ging davon, wobei sie die Männer und Frauen mit Hüftbewegungen zur Seite stieß, die ihr nicht genügend Platz machten. Tirque klatschte in die Hände. »Rasch, rasch, meine Kinder«, rief er. Schwatzend und lachend öffneten die Männer einen Verschlag, in dem vier Wein fässer standen. Sie holten sie heraus und schleppten sie aus dem Haus. Hier erwartete
41 sie Tirque mit erhobenem Schwert. »Stellt die Fässer dorthin«, forderte er. »Ich werde sie mit dem Schwert zerschla gen.« »Nicht doch«, rief ein dunkelhaariger Mann, der so betrunken war, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. »Wir benötigen die Fässer für das Öl. Es wäre eine Sünde, sie zu zerschlagen. Laß uns den Wein vergießen. Das genügt.« »Du hast recht«, sagte Tirque. »Es wäre Unsinn, die Fässer zu zerschlagen, wenn ihr sie für das Öl benötigt. Also, öffnet die Fäs ser und laßt den Wein in den Sand fließen.« »Das ist nicht gut«, widersprach eine zier liche Frau. Sie trug ihr Haar lang. Wahr scheinlich hatte sie es noch nie geschnitten. Es fiel ihr über die Schultern herab bis auf die Hacken. In Schulter- und in Hüfthöhe hielt sie es locker mit eingeflochtenen Stoff streifen zusammen. »Ein Sandwurm könnte kommen und den mit Wein getränkten Sand in sich hineinfressen. Der Schaden wäre be trächtlich.« »Das ist wahr«, sagte Tirque bestürzt. »Wir können den Wein also nicht in den Sand schütten. Aber – was können wir tun?« »Ich habe eine Idee«, schrie ein Mann, der von zwei anderen gestützt wurde, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konn te. Seine Augen waren glasig. »Wir müssen den Wein in den alten Brunnen schütten. Dort richtet er keinen Schaden an und ist dennoch für alle Zeiten verschwunden.« Dieser Vorschlag wurde mit wildem Bei fallsgeschrei aufgenommen. Bevor Tirque dazu Stellung nehmen konnte, rollten die Männer die Fässer zu einem alten Brunnen, der innen mit sauberen Holzbrettern ausge schlagen war und kein Wasser mehr enthielt. Tirque erhob keinen Einspruch. Stolz kletterte er auf einen Holzstapel und beob achtete von hier aus, wie die Männer den Wein in den alten Brunnen schütteten. Nach einiger Zeit verkündeten ihm die Männer und Frauen, daß das Werk vollbracht wäre. »Ich freue mich«, rief Tirque mit leuch tenden Augen, »daß es mir so schnell gelun
42 gen ist, die Vernunft bei euch einkehren zu lassen. So kann ich mich denn von euch ver abschieden. Lebt wohl meine Freunde, schlaft euren Rausch aus und verzichtet in Zukunft auf den Wein.« Die Männer und Frauen trampelten begei stert mit den Füßen. Sie begleiteten Tirque bis zum Rand der Oase und sahen ihm noch eine Zeit nach. Unter einem Busch, nicht weit von ihnen entfernt, lag eine kleine, verwachsene Ge stalt mit strohgelben Haaren, abstehenden Ohren und auffallend hellen Augen. Axton-Kennon beobachtete die Männer und Frauen. Er war vor wenigen Minuten erst materialisiert und hatte sich am Rand der Oase wiedergefunden. Da er nicht wuß te, was er hier zu erwarten hatte, hatte er sich erst einmal versteckt. Er verstand nicht, daß der Hagere einen so großen Einfluß auf die Bewohner der Oase hatte, die einen ausgesprochen wilden Ein druck auf ihn machten. Er konnte deutlich erkennen, daß fast alle viel zu viel über den Durst getrunken hatten. Als die Männer und Frauen glaubten, daß Tirque weit genug entfernt war, eilten sie la chend und singend zum Brunnen. Ein Mann kam mit einer Pumpe aus dem Haus. Er ließ einen langen Schlauch in den Brunnen her ab, schloß die Pumpe an eines der Fässer an, und pumpte den Wein aus dem Brunnen schacht in das Faß zurück. Die anderen lös ten ihn nach einigen Minuten ab, und in er staunlich kurzer Zeit war das Faß wieder voll. Ebenso schnell wurden die anderen Fässer gefüllt. Dann kehrte die ganze Horde mit den Fässern in das Steinhaus zurück, und schon bald verkündeten Gelächter und Ge sang, daß man dem Wein kräftig zusprach. Axton zog sich lächelnd zurück. Wie es im Haus aussah, konnte er sich vorstellen. Das interessierte ihn nicht. Er wollte jedoch mehr über den Mann wissen, den die Männer und Frauen Tirque genannt hatten. Er verließ die Oase und eilte hinter dem Hageren her.
H. G. Francis Dabei kam er jedoch nur langsam voran, weil es mühsam war, im Sand zu gehen. Doch auch der Hagere hatte es nicht beson ders eilig. Er blieb hin und wieder stehen und stocherte mit dem Schwert im Boden herum, als suche er etwas. Axton arbeitete sich langsam an ihn her an. Er wußte nicht, auf welchem Planeten er war. Er glaubte, nie auf dieser Welt gewesen zu sein. Axton-Kennon hatte kein Wort von dem verstanden, was der Hagere gesagt hatte. Dennoch hatte er alles begriffen, was ge schehen war. Die Ereignisse waren eindeutig genug gewesen. Als Tirque dicht neben zwei Büschen ste henblieb, die aus dem Sand hervorragten, pfiff Axton auf den Fingern. Der Hagere fuhr herum, hob sein Schwert und rannte auf ihn zu. Dicht vor ihm bremste er ab, fuchtel te mit dem Schwert in der Luft herum und blickte ihn drohend an. Als der Verwachse ne stumm blieb, schlug er das Schwert in den Boden, so daß der Sand zu den Seiten spritzte. Nun gab ihm Axton zu verstehen, daß er nicht kämpfen wollte. Er hob die Arme. Tirque zog das Schwert aus dem Sand und legte es sich über die Schulter. Eine Fal te bildete sich über seiner Nasenwurzel, dann zeigte er auf sich und sagte: »Tirque!« »Axton«, antwortete der Verwachsene. Die beiden Männer musterten sich schweigend. Dann zeigte der Hagere zur Oa se hinüber. Axton schüttelte den Kopf und zeigte vage in die Wüste hinaus. Tirque gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Es schi en, als wolle er gar nicht genau wissen, wo her Axton kam. Er war zu sehr mit sich und seinen Problemen beschäftigt. Er drehte sich um und kehrte zu den Bü schen zurück. Der Verwachsene folgte ihm, und Tirque wies ihn nicht zurück. Nach denklich blieb der Hagere bei den Büschen stehen. Dann deutete er auf sie und sagte et was dazu. Axton wiederholte das Wort. Er erfaßte, daß Tirque ihm einige Grundbegrif
Wanderer durch die Dimensionen fe der Sprache beibringen wollte, mit der er sich auf dieser Welt verständigen konnte. Darüber hinaus begriff er, daß irgend etwas im Sand verborgen war, was Tirque gern ans Tageslicht befördern wollte. Der Hagere bemühte sich einige Zeit, in dem er an den Büschen zog und zerrte, er zielte jedoch keinen Erfolg. So gab er Axton schließlich einen Wink, mit dem er ihn auf forderte, ihn zu begleiten. Dann marschierte er in die Wüste hinaus. Der Terraner blickte zur Oase zurück. Ihm erschien es sinnvoller, dorthin zu gehen. Doch dann schloß er sich dem Hageren an. Er konnte sich nicht denken, daß dieser in die Wüste ging, ohne zu wissen, wie er le bend wieder daraus hervorkam. Er eilte hinter ihm her, bis er ihn einge holt hatte. Der Hagere merkte, daß Axton nicht so schnell gehen konnte wie er und schritt etwas langsamer aus. Plötzlich ertönte ein schriller Pfiff hinter ihnen. Tirque schien ihn nicht gehört zu ha ben. Er ging weiter. Axton aber drehte sich um. Er sah einen riesigen Wurm, der sich ih nen rasch näherte. Auf dem Kopf des Tieres wucherten die beiden Büsche, die Tirque hatte aus dem Sand ziehen wollen. Axton begriff. Rasch eilte er wieder zu Tirque, weil er sich bei diesem sicherer fühlte. Der Wurm machte zwar keinen bedrohlichen Eindruck auf ihn, schien ihm jedoch auch nicht ganz ungefährlich zu sein. Zwischen den verhorn ten Lippen zeigten sich fingerlange, scharfe Zähne, die eine beachtliche Waffe darstell ten. Tirque lächelte. Er blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Der Wurm kroch schnaufend zu ihm hin und stieß ihn sanft mit den Lippen an. Der Hagere zeigte stolz mit dem Daumen über die Schulter zurück und sagte: »Zaquetel!« Zaquetel pfiff erneut, dieses Mal aber lei se und weich. Tirque ging um den mächti gen Kopf des Tieres herum und kletterte auf den Rücken des Wurmes. Er bedeutete Ax ton mit einer Handbewegung, daß er eben
43 falls aufsitzen sollte. Der Terraner ging zu Tirque hin. Dieser reichte ihm die Hand und half ihm auf den Rücken des Wurmes. Dann schnalzte er mit den Lippen, und das Tier setzte sich in Be wegung. Es zog sich zusammen und streckte sich danach wieder. Auf diese Weise schob es sich erstaunlich schnell voran. Axton schätzte, daß er nicht in der Lage gewesen wäre, ihm zu Fuß zu folgen. Er war nun davon überzeugt, daß Tirque genau wußte, was er tat, und in welche Rich tung er zu gehen hatte. Der Hagere drehte sich nach einiger Zeit um, so daß sie sich ins Gesicht sehen konn ten. Freundlich begann er damit, Axton Sprachunterricht zu erteilen.
* Als die Sonne den Horizont berührte, machte Tirque den Terraner auf einen Ge bäudekomplex von erheblichen Ausmaßen aufmerksam. »Yamolquoht in Simquerz«, erklärte er. Lebo Axton wußte mittlerweile, daß der Planet Yamolquoht hieß, und daß ihr Reise ziel die Oase Simquerz war. Aus der Bemer kung Tirques schloß er, daß ein Teil der An lage in der Oase von Bedeutung für den gan zen Planeten war. Da er aber beobachtet hat te, wie Tirque in der Oase der Weintrinker aufgetreten war, und wie man ihn dort be handelt hatte, wußte er nicht recht, ob er die se Auskunft ernst nehmen durfte oder nicht. Er antwortete dem Hageren mit einer un bestimmten Geste und nahm sich vor, erst einmal abzuwarten. Er sah in Tirque einen Mann, der durchaus mit einer Figur aus der Geschichte der terranischen Literatur zu ver gleichen war. Zaquetel machte dieses Mal keine Schwierigkeiten. Der Sandwurm trug die beiden Männer bis unter die Bäume der Oa se. Hier ließ er sie absteigen und wühlte sich dann in den Sand, bis nur noch die beiden Fühler herausragten. Inzwischen hatten sich etwa hundert Män
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ner, Frauen und Kinder angesammelt, die Tirque und Axton begafften. Sie entstamm ten alle dem gleichen Volk wie jene Männer und Frauen, die Axton auf der vorher be suchten Oase gesehen hatte. Sie waren über und über mit Haaren bedeckt. Die Männer trugen lange Bärte, die bei vielen bis an den Gürtel reichten. Die Frauen schienen sich zu rasieren. Einige von ihnen trugen jedoch einen Oberlippenbart. Tirque schien ihnen allen bekannt zu sein, denn sie machten allerlei spöttische Bemer kungen über ihn, die Axton nur teilweise verstand. Immerhin begriff er, daß man den Hageren nicht ernst nahm. Er sah sich um und fragte sich, wie lange er wohl in dieser Oase bleiben würde, bis sich der Verflüchtigungseffekt wieder be merkbar machte und er in die hyperenergeti schen Dimensionskorridore gezogen wurde. Den Mittelpunkt der Oase bildete ein rie siges, kastenförmiges Gebäude, das von be waffneten Männern umgeben war. Ausge rechnet dieses Gebäude schien Tirque als Ziel auserkoren zu haben. »Dort wohnt das Böse«, erklärte er Axton. »Wir sind hier, es in die Schranken zu wei sen.«
8. Mit hoch über dem Kopf erhobenen Schwert marschierte Tirque auf die Wachen zu. Lebo Axton blieb dicht hinter ihm. Er sah, daß die Wächter lachten, während sie eine Grußhaltung annahmen. Er bemerkte aber auch, daß sie Schußwaffen hatten, die einen beachtlichen technischen Entwick lungsstand aufwiesen. Er identifizierte sie als Projektilwaffen. Sie paßten nicht zu der Welt, in der er sich wähnte. Er hatte nir gendwo Anzeichen von elektrischen Ein richtungen bemerkt und auch sonst nichts gesehen, was auf eine hochstehende Zivili sation schließen ließ. Die Waffen aber wa ren eindeutig das Produkt einer hochtechni fizierten Gesellschaft. Tirque merkte nicht, daß die Wachen ihn
verhöhnten. Würdevoll erwiderte er ihren Gruß, während er an ihnen vorbeiging. Sie öffneten ihm das Tor des Gebäudes. Es be stand aus einer Metall-Plastik-Legierung. Dahinter lag ein halbrunder Gang, der von elektrischen Strahlern beleuchtet wurde. Tirque kannte sich hier aus. Er schritt oh ne Zögern in den Gang hinein bis zu einer seitlich abzweigenden Tür. Diese öffnete sich selbsttätig vor ihm. Er gab Axton einen Wink, mit dem er ihn aufforderte, ihm zu folgen, und stieg eine beleuchtete Treppe hoch. Axton blieb bei ihm. Er war neugierig ge worden und wollte sich nichts entgehen las sen. Am oberen Ende der Treppe erwartete sie ein Wächter. Er grinste nicht weniger höh nisch als die anderen. Er führte Tirque und den Verwachsenen zu einem Saal. Hier wa ren etwa zweihundert Männer und Frauen versammelt. Sie saßen an weiß gedeckten Tischen und aßen. Einer der Männer brach in schallendes Gelächter aus, als er Tirque bemerkte. Er hielt einen fettigen Knochen in den Händen. Damit winkte er dem Hageren zu. »Komm her zu mir, Tirque, Hüter der gu ten Sitten und des Anstands«, brüllte er. »Ich möchte hören, was du mir zu sagen hast.« Der Hagere stolzierte mit hocherhobenem Schwert quer durch den Saal zu dem Mann hin, der offenbar den höchsten Rang unter den Speisenden einnahm. Wiederum blieb Axton bei Tirque, aber er hatte weniger Au gen für die Männer und Frauen im Saal, als dafür, was sich in einem angrenzenden Raum tat. Dieser war durch eine Glaswand vom Saal getrennt. An kompliziert aussehenden Maschinen arbeiteten viele Männer und Frauen. Sie sa hen ölverschmiert aus und standen unter starker Belastung. Axton bemerkte einige bewaffnete Wachen, die die Arbeiter zu höchster Leistung antrieben. Er wußte plötzlich, warum Tirque hierher geritten war.
Wanderer durch die Dimensionen Die Arbeiter an den Maschinen produzier ten Waffen aller Art. Axton sah Gewehre, Kanonen und Raketen modernster Art. Und er stellte fest, daß ein Teil der Maschinen von robotischer Elektronik gesteuert wurde. »Von Yamolquoht aus gehen Waffen zu den Planeten der Sternenreiche«, rief Tirque mit hallender Stimme. »Von hier aus geht das Böse zu anderen Völkern. Die Waffen bringen Tod und Elend über die Welten. Da mit muß Schluß sein, endgültig Schluß. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewußt werden. Halten Sie die Maschinen an, Sim querz!« Lebo Axton verstand nicht alles. Immer hin wußte er jetzt, daß der mächtigste Mann der Oase den gleichen Namen trug wie die se. Simquerz. Und er erfaßte, daß dieser Tir que nicht ernst nahm. Simquerz stand auf. Er schwankte leicht, und seine Augen ver rieten, daß er unter Alkoholeinfluß stand. Er grinste. »Ich schäme mich, daß ich rückfällig ge worden bin«, erklärte er. »Mit deiner Rück kehr habe ich nicht gerechnet. Du hast mich überrascht.« Mit weit ausholender Bewegung winkte er zu den Wächtern in der Maschinenhalle hinüber. »Die Arbeit wird eingestellt«, schrie er. »Schluß. Wir können es mit unserem Gewis sen nicht vereinbaren, noch mehr Waffen zu produzieren.« Lebo Axton war sich darüber klar, daß die Arbeit weitergehen würde, sobald Tirque au ßer Sicht war. Simquerz nahm den Hageren nicht ernst. Er spielte mit ihm, und Tirque merkte nicht einmal, daß er verhöhnt wurde. Die Gäste von Simquerz klatschten in die Hände. Tirque stand hochaufgerichtet im Saal. Langsam drehte er sich um und blickte Ax ton an. In seinem hageren Gesicht zuckte kein Muskel, doch entdeckte der Verwach sene ein gewisses Leuchten in seinen Au gen, das ihm anzeigte, wie stolz er war. Tir que war fest von seinem Erfolg überzeugt.
45 Er tat Axton leid. Ganz sicher war er nicht geistesgestört, sondern nur grenzenlos naiv. »Du sollst bleiben«, befahl Simquerz. »Ich will, daß du mit mir ißt. Auch dein Freund soll mit mir essen.« »Das muß ich ablehnen«, antwortete der Hagere würdevoll. »Man könnte es mir als Bestechlichkeit auslegen, wenn ich darauf einginge.« Ein dunkelhaariger Mann in einem gift grünen Anzug erhob sich. »Ich als Hoherpriester weiß, daß du abso lut unbestechlich bist«, rief er. »Du kannst also ruhig bleiben und mit uns essen.« Tirque verneigte sich vor ihm. »Ich danke«, sagte er, schritt zu einem leeren Stuhl und setzte sich. Axton nahm in seiner Nähe Platz. Er beobachtete nur. Aus dem, was er ge sehen hatte, konnte er bereits einige Schlüs se ziehen. Simquerz gehörte offenbar zu je nen Männern, die er zutiefst verachtete und haßte. Er war ein Waffenproduzent, der rücksichtslos seine Geschäfte machte, wo er nur konnte. Der Terraner beschloß, sich über ihn zu informieren. Er wollte die Gelegen heit nutzen, mehr über Simquerz herauszu finden. Daher war er froh über die Einla dung zum Essen, obwohl er keinen Hunger hatte. Er nahm nur ein paar Bissen und ein we nig Wasser zu sich, da er nicht wußte, wel che Speisen er vertrug. Dabei konzentrierte er sich auf die Gespräche der anderen Gäste. Er verstand nur wenig. Doch das störte ihn keineswegs. Er nutzte die Gelegenheit, so viel wie möglich zu ler nen. Im Lauf des Abends, bei dem unter an derem auch tänzerische Darbietungen für Unterhaltung sorgten, erfaßte der Terraner immer mehr, bis er schließlich ganze Sätze und deren Sinn verstand. Einige Male ver suchte er, selbst Sätze zu formulieren, doch das gelang ihm nur unvollkommen, da die Lautfolge der Worte zu schwierig war. Daher zog er es vor, nur noch zuzuhören, um daraus Informationen zu schöpfen. Er bedauerte, daß die meisten Leute zuviel ge
46 trunken hatten, und daß die Unterhaltung da durch immer mehr verflachte, bis man sich schließlich nur noch Stichworte zurief. Das genügte in vielen Fällen, um allgemeines Gelächter hervorzurufen. Axton geriet darüber immer mehr in Zorn. Ein böser Verdacht stieg in ihm auf, doch es gelang ihm nicht, die Informationen zu gewinnen, die er haben wollte. Als er es ver suchte, wurde sein Gesprächspartner augen blicklich mißtrauisch und wechselte das Thema. Axton entschuldigte sich und stellte nun keine weiteren Fragen mehr. Er beschloß, abzuwarten. Nach dem temperamentvollen Tanz eines jungen Mädchens kam Tirque zu ihm. Axton sah ihm an, daß er alkoholisiert war. Den noch wahrte der Einsame seine Würde. Hochaufgerichtet blieb er vor ihm stehen, lüftete seinen Hut und sagte: »Vernimm, mein Diener, daß es Zeit ist, das Bett aufzu suchen.« »Ich höre«, erwiderte Axton, der Mühe hatte, ernst zu bleiben. »Wenn du erlaubst, Herr, bringe ich dich in die Federn.« Tirque weitete überrascht die Augen, rülpste und neigte sich nach vorn. Axton stemmte ihm die Arme entgegen und verhin derte so, daß er über den Tisch in die Speise reste stürzte. Mühsam richtete Tirque sich wieder auf. »Ich dachte, dies sei schon das Bett«, murmelte er, schüttelte erstaunt den Kopf und ließ sich von dem Terraner aus dem Saal führen. Zwei uniformierte Wächter be gleiteten sie über mehrere Gänge und Trep pen, die mit Rohmaterial und Halbfertigwa ren vollgestopft waren, bis zu einer kleinen Kammer. Auf dem Fußboden waren Felle aufgeschichtet worden, die als Lager dienen sollten. Tirque ließ sich auf den Boden fal len und schlief augenblicklich ein. Axton legte sich ebenfalls hin und tat so, als ob er schliefe. Sein kriminalistischer In stinkt war erwacht. Er spürte, daß in der bur gähnlichen Fabrikanlage Dinge geschahen, die allen Gesetzen von Sitte und Anstand widersprachen. In einer solchen Situation
H. G. Francis konnte ein Mann wie Axton-Kennon nicht einfach die Augen schließen und so tun, als ginge ihn alles nichts an. Er hörte, daß die Wachen sich abfällig über ihn und Tirque äußerten. »Die sind voll bis obenhin. Alle beide«, sagte einer von ih nen. »Die machen uns keine Sorgen. Komm. Wir verschwinden. Ich könnte jetzt auch einen Schluck vertragen.« Die Tür fiel ins Schloß. Der Terraner wartete einige Minuten, bis alles ruhig war. Dann schlich er sich zur Tür und öffnete sie. Durch Glasscheiben in der Decke fiel das Licht zweier Monde. Es war so hell, daß Axton genügend sehen konnte. Der Gang vor der Kammer war mit Ka belrollen bis unter die Decke vollgepfropft, so daß Axton Mühe hatte, an ihnen vorbei zukommen. Er mußte über einige Kisten hinwegklettern, die man einfach in den Gang gestellt hatte. Axton war bis zu einer Treppe gekom men, als es plötzlich vor ihm hell wurde. Gelächter klang zu ihm herauf. Dann öffnete sich eine Tür, und er sah fünf Männer. Ha stig zog er sich hinter eine Kiste zurück. Die Männer kamen die Treppe hoch. Axton blickte sich gehetzt um. Er konnte sein Versteck nicht mehr verlassen, ohne ge sehen zu werden. Daher zog er sich eine Drahtrolle über den Kopf und kippte eine Holzkiste, die neben ihm stand, zu sich her an, so daß sie seine Schulter verdeckte. Dann waren die Männer auch schon her an. »Ich habe noch Durst«, sagte einer von ih nen und blieb direkt neben dem Verwachse nen stehen. »Keine Sorge«, antwortete einer der ande ren. »Ich habe ein kleines Faß Wein dabei. Geh weiter.« Die Männer stiegen einer nach dem ande ren an Axton vorbei, ohne ihn zu bemerken. Einer von ihnen stützte sich sogar flüchtig auf die Drahtrolle, die er sich über den Kopf gelegt hatte, aber auch er wurde nicht auf ihn aufmerksam. Die Männer verschwanden hinter einer
Wanderer durch die Dimensionen Tür in der Nähe. Bevor sie sich schloß, sagte einer von ihnen: »Ach, ich habe vergessen, euch zu sagen, daß es mir gelungen ist, die verdammten Blauen hereinzulegen.« Seine Worte riefen allgemeine Bewunde rung hervor. Die anderen klopften ihm aner kennend auf die Schulter. Die Tür fiel zu. Axton war neugierig geworden. Er kroch aus seinem Versteck hervor und näherte sich der Tür. Dabei fiel ihm auf, daß die Wand über der Tür nicht bis zur Decke reichte, sondern etwa einen Meter darunter endete. An der Wand standen Kisten, so daß er an ihnen hochklettern und über die Kante sehen konnte. Die Offiziere des Oasenbeherrschers saßen an einem Tisch zusammen. Er konnte sie gut verstehen, da ihre Worte durch eine geflochtene Glasmatte nur wenig gedämpft wurden. Zunächst erfaßte er jedoch so gut wie gar nichts von dem, was sie sagten, weil allzu viele unbekannte Begriffe vorkamen. Erst allmählich rundete sich das Bild. Einer der Offiziere – er nannte sich Gor quez – berichtete von seinem Einsatz in ei nem anderen Sonnensystem. Aus seinen Worten ging ganz klar hervor, daß ein ähn lich mächtiger Mann wie Simquerz über mehrere Raumschiffe verfügte, die er ande ren zur Verfügung stellte. Axton konnte sich ausrechnen, daß dafür erhebliche Gebühren zu zahlen waren. Gorquez schilderte voller Stolz, daß es ihm gelungen war, vier verschiedene Völker in dem betreffenden Sonnensystem gegen einander auszuspielen und allen vieren Waf fen zu verkaufen. Lachend erklärte er, daß er sich aus dem Sonnensystem zurückgezogen habe, als die große Schlacht begann. »Ich hatte schließlich keine Lust, von meinen eigenen Waffen erwischt zu wer den«, rief er und forderte die anderen zum Trinken auf. Anschließend berichtete er, wie es ihm gelungen war, den vier kämpfenden Parteien vier verschiedene Waffensysteme zu verkaufen, so daß keine der Parteien auf den Gedanken kommen konnte, daß er der
47 jenige war, der sie gegeneinander aufgehetzt hatte. Einer der anderen Offiziere fragte, wie er es geschafft hätte. Bereitwillig setzte ihm Gorquez auseinander, daß er das ganze Ge schehen mit einem Mord eingeleitet hatte, für den ein anderer verdächtigt wurde. Dann setzte er seinen Freunden das kom plizierte Geschehen auseinander. Axton ver stand nur einen geringen Teil dessen, was er hörte. Doch das genügte. Er fand bestätigt, daß er auf eine Gruppe von Geschäftema chern übelster Art gestoßen war. Rücksichts los hetzten sie ganze Völker gegeneinander; sorgten für zehntausendfachen Tod und für Elend, nur um Geld zu verdienen. Für Lebo Axton stand fest, daß er etwas tun mußte. Er konnte sich nicht aus der Oase Simquerz zurückziehen, ohne irgend etwas gegen diese Bande von Waffenhändlern un ternommen zu haben. Er war sich darüber klar, daß er den Krieg der erwähnten vier Völker gegeneinander nicht verhindern konnte, aber vielleicht konnte er für eine Kampfpause sorgen. Diese reichte unter Umständen aus, die Gemüter abzukühlen und Verhandlungen einzuleiten. Den größten Effekt hätte er mit der Zer störung der Raumschiffe erreicht, die die Waffen transportieren, aber er glaubte nicht, daß er Zeit genug hatte, sie anzugreifen. Er beschloß, sich auf die Waffenfabrik zu kon zentrieren. Etwa zwei Stunden verstrichen, in denen Axton keine neuen Informationen erhielt. In dieser Zeit wurde jedoch noch deutlicher, mit welcher Brutalität die Sendboten von Simquerz vorgingen, um die Waffenge schäfte zu betreiben. Nach zwei Stunden sanken die Köpfe der Männer auf die Tischplatte. Es wurde ruhig. Lebo Axton überlegte während der gan zen Zeit, was er tun konnte. Er wollte die Produktion der Waffen stören, um den Nachschub für einige Zeit zu unterbrechen. Das konnte er nur erreichen, wenn er eine zentrale Schaltstelle der Fabrik lahmlegte. Er kletterte von der Mauer herunter und
48 tastete sich durch die Gänge, bis er schließ lich den Eingang zu den Hallen fand, in de nen die Waffen hergestellt wurden. Er atmete auf, als er sah, daß während der Nachtstunden nicht gearbeitet wurde. So hatte er die Chance, sich unbemerkt umzuse hen. Leider wurde es immer dunkler. Der Himmel bezog sich, so daß Axton immer weniger sehen konnte. Schließlich setzte er sich auf den Boden und konzentrierte sich. Während seiner Zeit im altarkonidischen Imperium war es ihm gelungen, jenen Gehirnsektor zu aktivieren, der bereits in der Personalakte von QuintoCenter aufgezeigt worden war. Er war nachtsichtig und infrarotempfindlich gewe sen. Jetzt versuchte er, diese Fähigkeiten zu rückzugewinnen. Nach etwa fünf Minuten angestrengter Konzentration spürte er einen stechenden Schmerz im Hinterkopf. Unwillkürlich öff nete er die Augen. Er erschrak. Die Halle lag vor ihm, als würde sie von zahlreichen Lam pen hell erleuchtet. Erst danach wurde er sich dessen bewußt, daß sich an den Licht verhältnissen nichts geändert hatte. Er konn te wieder besser sehen. Das war alles. Seltsamerweise fragte er sich sofort, ob es ihm gelingen würde, diese Nachtsichtigkeit und Infrarotempfindlichkeit über die nächste Phase in den hyperenergetischen Dimensi onskorridoren mit hinwegzunehmen. Er zweifelte daran. Dann wurde er sich dessen bewußt, daß die Zeit drängte. Er sprang auf. Ein Blitz zuckte herab und tauchte die Halle in grelles Licht. Schmerzgepeinigt schrie Axton auf. Er war überrascht worden und hatte direkt in den Blitz gesehen. Blind tastete er sich an einer Maschine entlang. Fast eine halbe Stunde verstrich, bis er wieder so gut sehen konnte wie zuvor. In dieser Zeit wurde das Gewitter stärker. Blitz auf Blitz fuhr herab. Axton war jedoch vor sichtig geworden und wandte den Fenstern stets den Rücken zu. Die Augen schloß er bis auf einen schmalen Spalt. So konnte er nicht mehr überrascht werden.
H. G. Francis In einem Kellerraum entdeckte er einen modern eingerichteten Raum mit einem ein fachen Computer. Das Gerät war zwanzig Meter lang und fünf Meter breit. Axton un tersuchte es und stellte fest, daß seine Lei stung relativ gering war. Als er in der Voll prothese gelebt hatte, hatte er einen faust großen Computer zur Verfügung gehabt, dessen Leistung tausendfach größer war. Doch darauf kam es jetzt nicht an. Axton ermittelte, daß der Computer Ein fluß auf alle Produktionsprozesse hatte. Da zu brauchte der Verwachsene nur einige Ka belverbindungen zu verfolgen. Er hätte nun alle Kabelverbindungen mit der Hand herausreißen können. Damit hätte er den Produktionsbetrieb empfindlich ge stört. Das aber entsprach nicht seiner Mentali tät. Axton kehrte zu Tirque zurück. Er goß ihm kaltes Wasser ins Gesicht und weckte ihn so auf. Schnaufend fuhr der Einsame hoch. »Was fällt dir ein?« rief er empört. Dann zuckte er erschreckt zusammen, weil die burgähnliche Anlage unter einem Donner schlag erzitterte. »Hör zu, Tirque«, sagte Axton eindring lich. »Du hast große Aufgaben zu bewälti gen. Ist es nicht deine Pflicht, für Anstand und Ordnung auf dieser Welt zu sorgen?« Tirque griff nach seinem Schwert und stieß es in die Höhe. Axton sprang hastig zur Seite, um nicht durchbohrt zu werden. »Ich bin der Hüter des Gesetzes«, schrie Tirque und stülpte sich mit der freien Hand seinen Lederhut über den Kopf. »Wohin ich auch immer komme, überall sorge ich dafür, daß die Gesetze beachtet werden, daß Moral und Anstand über die Menschen kommen und daß … Was willst du eigentlich von mir?« Er blickte Axton verwirrt an. »Warum weckst du mich auf?« »Simquerz muß aufgehalten werden«, er läuterte der Kosmokriminalist. »Er bringt Tod und Verderben über unschuldige Völ
Wanderer durch die Dimensionen ker, indem er ihnen Waffen liefert – und die Gründe für den Kampf dazu. Du sollst ihm eine Lehre erteilen.« »Das werde ich tun. Sofort.« Tirque sprang auf und eilte zur Tür. »Ich werde ihn zur Rede stellen.« Axton hielt ihn auf. »Warte«, sagte er. »Erst will ich dir mei nen Plan erklären. Danach kannst du immer noch zu Simquerz gehen. Außerdem ist die ser zur Zeit völlig betrunken. Er schläft. Du wirst ihn nicht aufwecken können. Und wenn er wach wird, dann begreift er be stimmt nicht, was du ihm sagst. Besser ist es, wenn er morgen versteht.« »Gut. Ich höre.« Der Einsame rückte sei nen Hut zurecht und setzte sich vor Axton auf den Boden. Der Terraner blieb vor ihm stehen. Ihre Augen befanden sich nun auf gleicher Höhe. Behutsam und psychologisch äußerst ge schickt setzte Axton ihm seinen Plan ausein ander. Dabei stellte er ihn so dar, als habe Tirque allein herausgefunden, welches Spiel Simquerz trieb, und wie man ihm den größ ten Schaden zufügen konnte. Er tat so, als habe Tirque ihm das längst alles erklärt, und als ob er ihm alles nur noch einmal wieder hole, um ihm zu beweisen, daß er auch alles verstanden habe. Tirque fiel auf das psychologische Spiel herein. Am Ende war er völlig davon über zeugt, daß alles nur sein Werk war. Die beiden ungleichen Männer verließen die Kammer und schlichen sich zu dem Raum, in dem sich die Offiziere aufhielten. Axton öffnete die Tür und nahm drei Offi zieren auffällige Dinge weg. Einem der Schlafenden streifte er einen Ring vom Fin ger, einem anderen ein Armband und dem dritten nahm er seine mit Edelsteinen ver zierte Schußwaffe weg. Dann eilte er zusam men mit Tirque weiter. Den Ring legte er auf halbem Weg zur Produktionshalle auf den Boden. Das Armband ließ er direkt an der Tür zur Halle fallen. Die Waffe kam in den Computerraum. Dann führte er Tirque, der noch immer
49 unter Alkoholeinfluß stand, zu einer großen Holzkiste, in der vier einsatzbereite Raketen lagen. Der Einsame schulterte eines dieser Geschosse und schleppte es unter der Anlei tung Axtons über eine Treppe bis zu einem Dachfenster hoch. Der Verwachsene öffnete das Fenster und blickte vorsichtig auf das Dach hinaus. Er fuhr zurück, als er zwei Wächter bemerkte, die etwa zwanzig Meter von ihm entfernt auf dem Dach standen. Glücklicherweise blickten sie nicht zu ihm hin. Über ihnen wölbte sich ein Holzdach. Immer wieder fuhren Blitze herab und er hellten die Nacht. Axton wartete ab, bis es donnerte, dann zerschlug er die Glasscheibe des Dachfensters und stellte die Rakete unter die Öffnung. Er kehrte mit Tirque zurück und holte ein Abschußgestell, das recht ein fach war und sich mühelos transportieren ließ. Darauf stellte er die Rakete auf. »Ich verstehe nicht, was ich damit bezwecke«, sagte Tirque verwirrt. »Es wird dir bestimmt gleich wieder ein fallen«, entgegnete Axton flüsternd. »Komm jetzt.« Er eilte zusammen mit dem Einsamen in die Hallen zurück, nahm eine Drahtrolle auf und ging in den Computerraum. Er befestig te die Enden von zwei Drähten am Compu ter und hieß Tirque dann, die Rolle zur Ra kete hochzuschleppen. Der Einsame ge horchte. Er begriff überhaupt nichts mehr, wagte es aber nicht, Fragen zu stellen, weil er fürchtete, sich zu blamieren. Lebo Axton befestigte zwei Kabelenden an der Rakete und überprüfte noch einmal, ob sich die Drähte leicht von der Rolle ab ziehen ließen. Dann schloß er ein Zündkabel an der Rakete an und wickelte es ab. Es war recht kurz. »Wir werden es verlängern«, sagte er. »Ich möchte nicht mehr in der Halle sein, wenn es losgeht.« Tirque war mit allem einverstanden. Er sah zu, wie Axton das Zündkabel mit einem anderen verlängerte, und er zog sich mit ihm zusammen aus den Fabrikationsräumen zu
50 rück. Trotz des anhaltenden Gewitters blieb al les ruhig in der burgähnlichen Anlage. Der Wein ließ die Männer und Frauen tief schla fen. Axton legte nun eine Kabelschleife an einen der elektrischen Schalter auf dem Gang unter ihrer Schlafkammer. »Wenn es soweit ist, laufen wir die Trep pe hoch und legen uns hin«, sagte Axton lei se. »Hast du verstanden?« »Warum sollen wir uns hinlegen?« fragte Tirque mit schwerer Zunge. »Warum gerade dann?« »Weil wir müde sind«, antwortete der Verwachsene grinsend. »Ja. Müde bin ich«, gestand Tirque lal lend ein. »Dann – los«, sagte der Terraner. Er drückte den Lichtschalter. Im gleichen Au genblick erzitterte die Burg. Heulend stieg die Rakete auf. Axton drängte Tirque zur Treppe. Zusam men mit ihm hastete er nach oben. Er riß die Tür auf und stieß den Einsamen auf sein La ger. Tirque schlief fast augenblicklich ein. Wie erhofft blitzte es in diesen Sekunden. Ein Blitz raste durch die Drähte, die von der Rakete hochgerissen wurden. Er zuckte durch das aufglühende Metall bis in den Keller der Waffenfabrik hinunter und zer fetzte den Computer. Ein fürchterlicher Donnerschlag erschütterte die Oase Sim querz. Er schien, als werde sie aus dem Bo den gerissen. Lebo Axton schloß zufrieden lächelnd die Augen. Mehr hatte er nicht tun können. In der burgähnlichen Anlage wurde es laut. Stimmen brüllten durcheinander. Der Terraner wartete einige Zeit ab. Dann erhob er sich und verließ die Kammer. Er tat so, als ob er verschlafen sei. »Was ist denn los?« fragte er und blinzel te in das Licht einer Wachskerze, die einer der Offiziere in der Hand hielt. »Was ist passiert?« »Der Blitz hat eingeschlagen«, antwortete
H. G. Francis der Offizier. Axton blickte an ihm vorbei die Treppe hinunter. Auf dem Gang war ein unglaubli ches Durcheinander entstanden. Männer und Frauen versuchten, eine Tür im Hintergrund zu erreichen. Das elektrische Licht brannte nicht mehr. Einige Kerzen spendeten ein wenig Licht. Jemand legte Axton die Hand auf die Schulter. Erschreckt fuhr er herum. Tirque beugte sich grinsend über ihn. »Das haben wir fein gemacht, wie?« frag te er. »Komm. Wir wollen es ihnen sagen, wie wir es angestellt haben.« »Bist du wahnsinnig?« erwiderte Axton entsetzt. »Sie würden uns auf der Stelle um bringen. Wir haben nur eine Möglichkeit. Wir müssen verschwinden, bevor der Ver dacht auf uns fällt.« »Du meinst, ich soll nicht verkünden, daß ich, Tirque, für Ordnung gesorgt habe?« »Wenn man dir einen Strick um den Hals legt, wird dir die Luft so knapp, daß du überhaupt nichts mehr sagen kannst«, erklär te Axton. »Also. Wir verschwinden.« »Ich beuge mich der Gewalt«, sagte Tir que würdevoll, rückte seinen Hut zurecht und ging hochaufgerichtet die Treppe hinun ter. Axton blieb bei ihm, um zu verhindern, daß er sich im letzten Moment doch noch verriet. Als sie die burgähnliche Anlage durch das Haupttor verließen, hörte Axton, wie sich zwei Wachen empört darüber unterhielten, daß einige Offiziere einen Anschlag auf den Computer verübt hatten. »Man hat die Waffe von Gorquez gefun den«, sagte einer von ihnen. »Direkt neben dem zerstörten Steuergerät.« Aus einem Trakt der Burg schlugen Flam men. Männer und Frauen waren damit be schäftigt, den Brand zu löschen, während Blitz auf Blitz die Nacht erhellte. Als Tirque und Axton den Sandwurm erreichten, setzte leichter Regen ein. Aber das störte weder den Einsamen, noch den Terraner. Sie klet terten auf den Rücken des Tieres und ließen
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sich von ihm in die Wüste tragen. Als sie etwa hundert Meter von der Oase Simquerz entfernt waren, wollte Axton etwas zu Tirque sagen. Doch kein Laut kam über seine Lippen. Tirque verschwand aus seinem Sichtfeld.
Axton fühlte, daß er erneut in die hype-
renergetischen Dimensionskorridore stürzte.
ENDE
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