Welt ohne Menschen
Der sinnloseste Krieg aller Zeiten tobt auf der Erde
Ralph Anders Roboter RI Die Anhöhe hieß F 21...
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Welt ohne Menschen
Der sinnloseste Krieg aller Zeiten tobt auf der Erde
Ralph Anders Roboter RI Die Anhöhe hieß F 211. Die Bezeichnung war magnetisch in die unzähligen Speicherfibern graphiert. Es konnte daher keinen Irr tum geben. Der graue, verödete Hügelzug, der diese knappe Be zeichnung trug, schloß ein weites Tal ab, das zu beiden Seiten von niedrigen Bodenerhebungen begrenzt wurde und sich am fernen Horizont in den Dünsten und Nebeln einer frühen Morgen dämmerung verlor. Die Relaisstation auf dem Berge Zeta wehrte drei unmittelbar aufeinanderfolgende Kampfraketen ab. Dann machte sie den Be richt an das »Gehirn« fertig. Als sie halbwegs mit der Durchgabe zu Ende gekommen war, erhielt sie den Treffer. Die Spitze des Berges kippte nach außen, und tödliche Radioaktivität lohte empor. Viele Kilometer darüber öffneten sich Relais, und ein Kontrollkreis wurde zum Schwingen gebracht. Das »Gehirn« sprach gelangweilt das Parallelrelais in der Nähe von Lake Bottom an. Die Taktik wurde etwas variiert, das Prob lem war nichts Besonderes. Lediglich eine Frage des Systems. Roboter I stellte fest, daß die Division eingeschlossen war. Er sah noch mehr. Die Batterien auf Höhe F 211 spuckten Feuer und lange Stahlpfeile, aber die angreifenden Panzer besaßen fast un durchdringliche Schutzschirme. Augenblicke später kam die ferngesteuerte Bomberstaffel und legte einen Chromylbombenteppich über die Batterien. Von ihnen blieb nur ein See flüssigen Stahls und glühender Lava des Felsen grundes übrig. Doch schon besetzte die Infanterie die Hügelkette und kam, un terstützt von sengenden Kriechstrahlen, allmählich die Abhänge hinunter. Der Kessel war endgültig zu. Der Raketenbeschuß hatte jetzt fast aufgehört.
R I betrachtete das bißchen Eisenoxyd und das flüssige Gas, das eben noch seine Division gewesen war. Langsam, setzte er sich in Bewegung. Er würde gerettet wer den. Das »Gehirn« schützte seine Generäle besonders, weil es die hochqualifizierten und empfindlichen Apparaturen brauchte. Gleich würde der Gegenangriff kommen und den Kessel aufspren gen. Aber vorher landete noch eine einzelne große Rakete. Sie war stark beschädigt und setzte langsam auf dem Boden auf. Dann neigte sie sich und stürzte krachend um. Nichts regte sich. Einige Raketen ähnlicher Größe lagen in der Nähe. R I rollte weiter. Er nahm kaum noch die fremdartige Strahlung wahr, die sich allmählich über der Ebene ausbreitete. Sie wurde aber immer stärker und unerträglicher. Der Gegenangriff begann genau um 6 Uhr. Das Heulen der Ra keten wurde jetzt zu einem hohen, nicht mehr abbrechenden Ge räusch. Energien aller Wellenlängen wurden brausend frei. Ein helles Strahlen brach aus dem Tal hervor und beleuchtete geis terhaft die Wolkendecke, aus der ununterbrochen die schmalen Stahlpfeile mit langen Feuerschweifen herauszischten. Acht Minu ten später war der Durchgang zur Höhe F 211 frei. Der Robot-General spürte wieder die fremde Strahlung. Nebel haft legte sie sich um seine Apparaturen und Schaltungen. Es war ihm nicht bewußt, daß er in einen Granattrichter hineinrollte, der von riesigem Ausmaß und ungeheurer Tiefe war. Er fiel vornüber, fing sich wieder, drehte sich einige Male um sich selbst und rutschte immer tiefer hinunter. Aber er merkte noch, daß ein Loch am Grunde des Trichters klaffte. Wild kämpfte er gegen den Stillstand seiner Impulse an. Es war viel zu spät. Als er durch das Loch in einen Stollen und auf ein Förderband fiel, war er schon »tot«, denn der Bleischutz, der den Stollen um gab, schnitt ihn von der Lenkzentrale ab. Das »Gehirn« notierte betreten den Abgang. Dann wandte es sich einem massierten U-Boot-Angriff zu, der von unbekannten, nördlichen Basen aus erfolgte. *
Jon Merg schloß sorgfältig sein Büro ab und lief mit eiligen Schrit ten über den schwach erleuchteten Korridor, vorbei an zahllosen Türen aus grünem Plastik, das sich angenehm von der rosigen Tapete abhob. Am Ende des Korridors führte eine Treppe mit ei nem merkwürdig verschnörkelten Geländer nach unten. Als er noch überlegte, ob er gehen oder den Fahrstuhl nehmen sollte, glühte in der Wand neben der Treppe plötzlich das rote Auge einer Selenzelle auf und blickte ihn fragend an. Im selben Augenblick hörte er Schritte hinter sich und wandte sich langsam um. »Guten Abend, Herr Merg. Ich habe Ihren Artikel gelesen. Er ist sehr gewagt. Außerdem sind Ihnen Interpunktionsfehler unterlau fen!« Meine Schwäche, dachte er. Er betrachtete Fräulein Alonso. Dann fiel ihm etwas ein. »Haben Sie nicht Lust, heute abend mit mir in die Terry-Bar zu kommen? Ich treffe da ein paar Freunde und brauche Sie viel leicht zum Diktieren. Außerdem bezahle ich Ihnen den Whisky.« Sie überlegte. »Ich trinke keinen Alkohol. Wenn Sie mich zu Überstunden brauchen, dann läuft die Abrechnung über das Büro. Unter dieser Voraussetzung komme ich mit.« Er wollte sich gerade zum hundertsten Male nach ihrem Alter erkundigen - Himmel, sie war immerhin schon 26! -, als sich plötzlich vor ihnen die Wand teilte und ein heller Spalt sichtbar wurde, der sich immer mehr verbreiterte. Sie traten in den Aufzug und hielten sich an den Handgriffen fest. Hinter ihnen zischten die Schiebetüren zusammen, und die Kabine ruckte kaum merklich an, um sich dann mit wachsender Geschwindigkeit nach unten zu bewegen. Jon Merg sah seine Sekretärin fragend an. Sie hatte ungewöhnlich lange schwarze Augenwimpern und einen sanft geschwungenen Mund. Der Lift hielt mit federndem Ruck. Sie stiegen aus und liefen die wenigen, breiten Stufen bis zum Hauptportal hinunter. Während Britta schon ungeduldig auf der Straße stand und sich nach ihm umblickte, benutzte er die Gelegenheit, sich vor der Glasscheibe des einen Portalflügels noch schnell die Krawatte zurechtzuzie hen.
Aus dem Automaten holte er sich eine Plastikfolie, die nicht viel größer als seine Hand war, und steckte sie beim Hinausgehen in die Brieftasche. Es war schon dunkel, aber der Lowell-Platz vor dem Zeitungs gebäude gleißte im hellen Licht der Leuchtplatten. Jon Merg sah sich nach Britta um. Von Zeit zu Zeit brauste eine der pfeilschnellen Transportbahnen vorüber. Der Platz wimmelte von Menschen. Die Leuchtfarbe ihrer Acryl-Schutzanzüge strahlte in allen Regenbogenfarben. Deutlich trugen sie die kleinen Plaket ten mit dem strahlungsempfindlichen Film auf dem Revers. Vor einem Schaufenster entdeckte er Britta. »Gehen wir die Planckstraße entlang«, forderte er sie auf und ergriff ihren Arm. Ihm konnte der kleine Umweg nur recht sein. Nach zwölf Stunden Arbeit war die frische, entkeimte und gefilter te Luft wie bester Sekt. Sie passierten das Koordinationshaus, hinter dem die Anlagen des unterirdischen Atomkraftwerkes ver borgen lagen. Auf einer Tafel las er, daß für zwölf Uhr nachts Re gen bestellt war. Sein Artikel fiel ihm ein, den er heute geschrieben hatte und den er auf der kleinen Folie in seiner Brieftasche bei sich trug. Hoffentlich würde er heute abend etwas Zeit haben, um ihn nochmals zu lesen. Unter der Bevölkerung würde es einen Auf ruhr geben, und morgen würden die empörten Zuschriften sein Büro überschwemmen. Er dachte an den seltsamen Besucher, den er heute empfangen hatte. »Mein Name ist ›Hai‹«, hatte der bärtige, unsauber gekleidete Mann gesagt, als er in das Büro geführt wurde. Dann hatte sich herausgestellt, daß es der geheimnisvolle Führer der Untergrund bewegung war, von dem man hier in der Stadt schon jahrelang sprach. Der »Hai« war ein hochgebildeter Mann, der früher ein mal einen guten Posten bekleidet hatte. Auf Grund seiner Theo rien über die vorzeitige Beendigung des Krieges war er dann frist los entlassen worden und der Untergrundbewegung beigetreten. Er habe, so sagte er, Verbindungen zu den Gefängnissen und Ir renhäusern der Stadt, in denen seine Anhänger saßen. Jon erfuhr auch, daß der einst so berühmte Professor Wolfram noch am Le ben war und in einer Zelle des Zuchthauses Nordend saß. Es dauerte nur eine knappe Stunde, da hatte der »Hai« Jon Merg von seinen Gedanken überzeugt, denn Jon hatte selbst schon an dem System gezweifelt. Der »Hai« hatte noch eine Kar
te mit einer Spezialnummer zurückgelassen, über die man mit ihm in Verbindung treten konnte. Wie dies jedoch geschehen soll te, ob durch Telefon oder durch ein Postfach, das hatte Jon zu fragen vergessen. Er würde jetzt abwarten müssen, wie die Sache einschlug. Ins Zuchthaus würde er auf den Artikel hin wohl nicht ohne weiteres kommen. Zumindest hoffte er das. Als Merg mit seiner Sekretärin die Axwardstraße kreuzte, be gannen die Sirenen zu heulen. Schon Viertel nach acht, dachte er bedauernd. Hoffentlich ist Ad noch nicht in der Bar! Er machte Ella darauf aufmerksam, sich die Ohren zuzuhalten. Sonst taten sie das um diese Zeit nie, aber die Auffang- oder Explosionszone würde diesmal ganz in ihrer Nähe sein. Der Sekundenzeiger sei ner Uhr schlich über das Zifferblatt. Als er drei Viertel seines We ges zurückgelegt hatte, sagte Jon: »Jetzt!« In weiter Ferne wurde ein hohes, singendes Geräusch hörbar. Wie immer kam es aus südöstlicher Richtung. Für Jon war es nur deshalb ungewöhnlich, weil er es noch nie so laut gehört hatte. Ein infernalisches Heulen übertönte das Geräusch. Jon sah die Spur, die sich leuchtend am Himmel abzeichnete. Nach drei Se kunden rollte die Explosion über die Stadt, die für Sekunden bruchteile im grellen Schein aufzuflammen schien. Schlagartig waren wieder die normalen Geräusche da, die niemand mehr hör te, weil man sie dauernd um sich hatte, und die Dunkelheit fiel wie ein Vorhang herunter. Das entfernte Heulen der startenden Abwehrraketen und die funkelnden Spuren ihrer glühenden Aus strömgase gehörten zum akustischen und optischen Alltag der Stadt. Nur jener Bomber um acht Uhr sechzehn, der die tödliche Was serstoffbombe trug und jeden Abend genau zu der gleichen Zeit wiederkam, konnte den Menschen noch ein geringes Interesse abringen. Besonders die Kinder, die sich jeden Abend bei der Raketenbase im Südosten der Stadt einfanden, standen in Scharen an der Stadtmauer und bestaunten den anfliegender Bomber. Sehr spannend waren auch die Vorbereitungen der Raketenba se, die sich vollautomatisch vollzogen. Das einstöckige Betonge bäude, ein quadratischer Block mit einem einzigen Fenster aus dicken Panzerglas, das einen guten Einblick in das Innere ge währte, war das Ziel vieler Zuschauer.
Die Rückseite der Abwehrbasis stieß an die Stadtmauer. Vor neugierigen Beobachtern reichten sich riesige Greiferhände, die mit blitzenden Maschinen verbunden waren, lange, schmale Ra keten zu. Die Raketen mußten wohl aus einem unterirdischen Lager stammen, denn sie kamen in einem Aufzug in das Innere des Hauses. Die Greifer schoben die Raketen auf magnetische Bänder, und durch eine Öffnung, die wie eine Schleuse gesichert war, erreichten die Geschosse die Außenseite der Stadtmauer. Hier griffen andere Metallarme zu und setzten die Abwehrrake ten in bewegliche Abschußrampen ein. Tag für Tag auf die Minute genau setzten sich die Rampen dann in Bewegung und richteten die gleißenden Spitzen der drohenden Geschosse gen Himmel ... Jedesmal schossen dann lange Flammenzungen aus dem Heck der gerichteten Rakete. Sie warf sich in die Höhe und stieg, stän dig schneller werdend, hoch bis an die Wolken. Mit ungeheurem Getöse verschwand sie hinter dem fahlen, verschleierten Hori zont. Am besten aber ließ sich die Wirkung der Abwehrraketen beo bachten, wenn abends nach acht Uhr der Atombomber herunter geholt wurde. * In der Nähe des Betongebäudes, von denen es rund um die Stadt verteilt ein Dutzend gab, lag die Terry-Bar. Aus der Luft betrachtet bildeten die beiden Schutzschirme der Stadt eine lie gende Acht. Die Stadt war im Laufe der zwei Jahrhunderte ge wachsen. Das hatte die Errichtung eines zweiten Schirmes erfor dert, der seine Energie ebenfalls aus dem einzigen Kraftwerk be zog. Die Energie reichte aus, um zwei Schirme zu speisen. In Nordend gab es jedoch eine Stelle, die geschwächt war. Als Merg und Fräulein Alonso die Bar betraten, suchte Jon in ei ner nur schwach erleuchteten Ecke einen Tisch aus. Hier würde ihn Ad auch finden können, und an der Bar lief man Gefahr, in zeitraubende Gespräche verwickelt zu werden. Nachdem sich Brit ta Alonso niedergelassen hatte, winkte Jon zur Bar hinüber und hielt zwei Finger hoch.
Jack, der ihn schon beim Hereinkommen erblickt hatte, nickte, kniff dann ein Auge zu und zeigte, indem er einen schrillen, aner kennenden Pfiff ausstieß, auf Britta. Jon winkte müde ab. Der Raum war sehr klein. Die Wände schmückte das neueste Ratio-Stilmuster, und mehrere geschmackvolle, nur schwach leuchtende Zirol-Lampen verbreiteten ein angenehmes, einschlä ferndes Licht. Es waren nur drei Tische besetzt; die Stammgäste kamen später. Jon wandte sich Britta zu, die eben eine Puderdose zuklappte. Eine süßlich duftende Puderwolke stieg auf, und Jon rümpfte die Nase. »Ich habe für Sie einen Pernod bestellt. Hoffentlich mögen Sie ihn.« »Danke«, antwortete sie lächelnd, »erst mal probieren.« Jack brachte die Getränke. »Wasser?« fragte er Britta und deutete auf eine Karaffe, in der die Eiswürfel klirrten. Als sie nickte, goß er etwas davon in die gelblich-klare Flüssigkeit, die sich sofort weiß färbte. »Ad schon dagewesen?« erkundigte sich Jon. »Nein.« Jack blieb am Tisch stehen. Er zeigte Britta, wie man Pernod trank. Dann fing er mit ihr eine Unterhaltung an. Jon konnte also in Ruhe seinen Artikel durchlesen. Wenn mor gen Zuschriften kamen, mußte er gewappnet sein. Er rückte den Sessel so weit zurück, bis man ihn in der dunklen Ecke nur noch schwer erkennen konnte. Nachdem er den Pernod getrunken hatte, nahm er sich die kleine Plastikfolie aus der Brief tasche und steckte sie in sein Lesegerät. Langsam suchte er sei nen Artikel. Plötzlich stockte er. Eine Meldung erregte sein Interesse. Er las, und die Umgebung versank für ihn. Aufsehenerregender Fund in der Kontrollstelle für Speisefett Bis heute morgen war die Kontrollstelle für Speisefette, die sich im Süden des A-Schutzschirmes befindet, ein Kontroll- und Ver teilungsbetrieb wie jeder andere. Kurz nach neun jedoch erhielt unsere Zeitung von der Fettversorgungsstelle einen dringenden Anruf. Wenig später traf unser Reporter als erster dort ein. Er hat sich mit Planleiter Rock Brand (25) unterhalten. Wir geben Ihnen das Gespräch, das auf einem Spezialtonband mitgeschnitten wur de, wörtlich wieder.
Reporter: »Es war sehr klug von Ihnen, einen Vertreter unserer Zeitung herzubestellen. Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« Brand: »Nein, das haben wir nicht. Eigentlich sollte nichts an die Öffentlichkeit dringen, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich Ihnen erkläre, was vorgefallen ist. Sie hätten doch etwas heraus bekommen und vielleicht falsche Meldungen verbreitet. Sie kön nen unser Gespräch wörtlich wiedergeben, wenn es Ihnen Spaß macht.« Reporter: »Vielleicht geben Sie uns einen kleinen Überblick, denn wer weiß schon etwas von Ihrer verantwortungsvollen Ar beit? Solange man genug zu essen hat, kann es einem gleich sein, wo das Fett herkommt.« Brand: »Da haben Sie recht. Seit Beginn des segensreichen Abwehrkrieges vor über zweihundert Jahren haben wir einen un geheuren sozialen Aufstieg erlebt. Allen geht es gut. Die beiden Energieschirme, die ›Acht‹ über der Stadt, schützen uns vor der Natur und vor den feindlichen Angriffen. Aber wo kommt die Nah rung, wo kommen die übrigen Versorgungsgüter her? Unsere Ver teilungsstelle befaßt sich mit Fett. Es muß aber der breiten Masse endlich klarwerden, daß wir hier nicht produzieren. Leider glauben das manche Mitbürger immer noch. Das Fett, unsere Verteidi gungsmittel, die Raketen, Bomben, überhaupt alle Dinge, die wir zum Leben und zur Abwehr brauchen, kommen von außen. Die Förderbänder bringen diese Güter, und die Planstellen verteilen sie.« Reporter: »Das ist mir klar. Und was passierte nun?« Brand: »Eigentlich etwas Schlimmes. Vielmehr sind es zwei Dinge. Das Besondere ist der Roboter.« Reporter: »Ein Roboter?« Brand: »Wir halten das Ding für einen Roboter. Es ist ein gro ßer, metallischer Gegenstand, der inmitten stark verschmutzter Waren auf dem Förderband ankam.« Reporter: »Vielleicht ein Verteidigungsroboter! Die Leitstrahlen können ihn hier im Schutzschirm nicht mehr erreichen. Er bewegt sich doch nicht etwa?« Brand: »Nein.« Reporter: »Kann ich ihn sehen?« Brand: »Sie können ihn sogar mitnehmen. Wahrscheinlich werden unsere Wissenschaftler sich bald für ihn interessieren.« Reporter: »Und was ist mit dem Fett?«
Brand: »Es kommt keins mehr. Das was jetzt angeliefert wird, ist eine schwarze, stinkende Schmiere.« Reporter: »Das wird sich sicher bald geben. Ich danke Ihnen ... Das ist der Bericht unseres Reporters. Natürlich haben wir gleich unseren chemischen Sachverständigen Herrn Trost zur Kontrollstelle entsandt. Sein Gutachten steht noch aus. Es ist aber nicht zu befürchten, daß das Gleichgewicht durch solch einen kleinen Zwischenfall gestört wird. Was das Gleichgewicht für uns bedeutet, weiß jeder.« Jon schaltete das Lesegerät aus und blickte auf. Jack und Britta waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Aber Jon interessierte sich nicht für ihre Unterhaltung, ihre Stimmen drangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Er dachte über das Problem des »Gleichgewichts« nach. Seit fünfunddreißig Jahren tobte der Krieg, und in dieser langen Zeit hatten sich Verteidiger und Feinde völlig aufeinander einges pielt. Jeder automatische Angriff löste eine automatische Vertei digung aus. Jede angreifende Waffe wurde durch ein Verteidi gungsgerät abgewehrt. Das in einem Satelliten um den Erdball kreisende »Gehirn« registrierte jedes sich nähernde feindliche Geschoß. Sofort befahl es die notwendigen Verteidigungsmaß nahmen, und Augenblicke später starteten unten auf der Erde die Abwehrraketen und jagten der feindlichen Waffe entgegen. In großer Höhe stießen die Raketen zusammen und zerfetzten sich gegenseitig in gewaltigen Detonationen. Das feindliche Ge schoß war unschädlich gemacht. Jon schloß die Augen, um sich besser zu konzentrieren. Vor Jahrhunderten führte der Mensch Kriege, überlegte er. Heute tut es die Technik ohne unsere Mithilfe. Unser Leben verdanken wir nur dem Gleichgewicht. Würde es unterbrochen, prasselten täg lich zahlreiche Fernraketen auf uns herunter. So lange das Gleichgewicht besteht, leben wir. Ein Staubkorn im Zahnrad einer Maschine einer Fabrik könnte die Produktion einer Rakete verzö gern. Käme diese Rakete um den Bruchteil einer Sekunde zu spät zum Einsatz, würde ein feindliches Geschoß den Schutzschirm, die »Acht«, durchschlagen. Jon verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. So dachte heu te jeder; und bis vor kurzem war auch er der gleichen Meinung gewesen. Der Besuch des »Hai« hatte ihm die Augen geöffnet.
Was hatte der »Hai« gesagt? Einen Feind gäbe es nicht mehr. Man müßte nur das Gleichgewicht unterbrechen, und der Krieg wäre beendet. Nachdenklich schaltete Jon das Lesegerät wieder ein und las das Ende der Mitteilung über die seltsamen Geschehnisse in der Fett fabrik. »Ist das Gleichgewicht gestört worden? Ein Roboter auf einem Förderband für Speisefett ist kein Grund zur Panik. Ähnliches ist schon vorgekommen. Das ›Gehirn‹ sorgt dafür, daß dem grausa men Feind keine Sabotage gelingt. Solange die ›Acht‹ steht und täglich acht Uhr sechzehn der feindliche Bomber vernichtet wird, kann uns nichts passieren.« »Hallo!« rief jemand. Jon schob das Gerät auf die Stirne und blickte erschreckt auf. Jack stand noch immer bei Britta. Sie lachten. Ad hing über der Bar und lachte zu der Gruppe herüber. Ungeduldig klopfte er mit einem leeren Glas auf die Theke. Neben ihm saß ein junger Mann auf einem Barhocker. »Hallo, Jack! Kannst mit deinen Kundinnen später schäkern. Wir verdursten hier!« Jetzt erkannte er Jon. »Wozu versteckst du dich? Kein Wunder, wenn sich dann der tolle Jack an deine Frau 'ranmacht!« Jack warf Britta einen bedauernden Blick zu und schlenderte hinter seine Theke. Ad gab ihm noch ein paar Anweisungen für seinen Lieblingsdrink und kam dann mit dem jungen Mann an den Tisch. Jon übernahm die Vorstellung. »Das ist Ad Ferber. Ein hohes Tier von der AutomatenCorporation. Er mimt dort Direktor, wenn er nicht gerade hinter einer Frau her ist. Und die Dame heißt Britta Alonso, meine Sek retärin.« »Aha!« sagte Ad, als er sich verbeugte. Ad hatte schon das stattliche Alter von 48 Jahren erreicht. Aber das tat seinem Unternehmungsgeist keinen Abbruch. Im Gegen teil, die grauen Schläfen, die er jeden Morgen sorgfältig mit einer weichen Bürste glattstrich, erhöhten seine Chancen bei den jun gen Mädchen. Ad ließ den jungen Mann, seinen Begleiter, vortreten. Jetzt er kannte ihn Jon. Sein Bild war in der »Information« neben dem
heutigen Interview erschienen. Rock Brand, Planleiter aus der Kontrollstelle für Speisefette. Nachdem sie sich vorgestellt hatten, wurden die Drinks geleert, die Jack inzwischen gebracht hatte. »Jon scheint ja heute nicht sehr gesprächig zu sein, Fräulein Alonso«, begann Ad und verbeugte sich zu ihr hinüber. »Nein«, gab sie mit großen Augen zurück, »er hat noch seinen Artikel von heute im Kopf.« »Jon«, wandte sich Ad seinem Freund zu, der gerade nachdenk lich das Glas zurückstellte. »Der Artikel wird dir Scherereien ein bringen. Hoffentlich meinst du das nicht ernst, was du da ge schrieben hast?! Gerade heute, wo diese Sache mit dem Fett pas siert ist, hättest du das eigentlich unterlassen sollen.« »Erstens habe ich von der Panne in der Fett-Planstelle eben erst gelesen. Und außerdem wird das ›Gehirn‹ da bald Abhilfe schaf fen.« »Denkst du. Es kommt kein Fett mehr!« »Was?« Jon richtete sich auf. Sein Gesicht drückte eine Mi schung von Überraschung und Genugtuung aus. Vielleicht konnte ihm ein solches Versagen zur Unterstützung und Durchführung seines Planes ganz nützlich sein. »Ich weiß es aus nächster Quelle.« Ad zeigte auf Rock Brand, der, mit ernstem Gesicht neben ihm saß. Rock räusperte sich und nickte langsam. »Bis jetzt ist kein Fett mehr angeliefert worden. Die Bänder laufen zwar zuverlässig wie immer, aber sie bringen schwarze FettSchwefelsäureverbindungen. Ich habe hier nur wenig Zeit und bin eigentlich nur auf besondere Aufforderung von Ad mitgekommen. Er hat etwas vor, glaube ich.« »Was für Schwefelsäureverbindungen?« fragte Jon. »Einfache Fettsäure-SchwefelsäureEster.« Rock schaute auf die Uhr. »Ich kann es Ihnen rasch erklären.« Jon griff nach dem Glas und drückte heimlich auf sein Taschen tonbandgerät. »Nach unseren Informationen liegen die automatischen Fabri ken, in denen das Fett aus Kohle hergestellt wird, irgendwo im Umkreis von 500 Kilometern. Mehr wissen wir auch nicht. Dort müssen auch die Kohlengruben sein, denn die Fabriken liegen 1000 Meter unter der Erde. In Atomöfen wird die von Robotern abgebaute Kohle vergast. Dabei entsteht viel Kohlensäure und
auch Schwefel. Das Endprodukt ist Koks. Wenn wir nun auf den glühenden Koks überhitzten Wasserdampf schicken, wird das Wasser aufgespalten in Wasserstoff, nämlich zwei Atome, und in ein Atom Sauerstoff. Während sich der Sauerstoff mit der Kohle zu Kohlensäure verbindet, entsteht molekulares Wasserstoffgas. Das ist vermischt mit der Kohlensäure und wird mit dieser über Chrom-Nickel und andere Katalysatoren geleitet ...« »Wie bitte?« fragte Ad. Er meinte aber nicht Rock, dessen Aus führungen er sowieso nicht hörte, sondern Britta, mit der er un geniert flirtete. Rock ließ sich nicht stören und fuhr fort: »Durch die Vorgänge, die ich Ihnen soeben darlegte, erhalten wir organische Kohlenwasserstoffe, die durch Oxydation in Fett säuren verwandelt werden können. Alle diese Vorgänge laufen Hunderte von Kilometern von uns entfernt ab. Wir haben nur die Mengen zu erfassen, die Vitamine darunter zu mischen und dem ›Koordinationsgehirn‹ durchzugeben.« »Interessant«, sagte Jon und warf einen flüchtigen Blick zu Ad hinüber, der gerade seinen Arm um Brittas Schultern legte. »Mei nen Sie nun, daß an dem Fettausfall der Roboter schuld ist?« »Vermutlich hat er nichts damit zu tun.« »Und weshalb liefern die Förderbänder dann nur noch eine schwarze Substanz?« »Die Fettsäure ist durch Schwefelsäure ›verbrannt‹ worden. Die Fettsäuren werden an Glyzerin gebunden. Um das zu ermögli chen, muß das Glyzerin mit einer starken Säure zuerst so ›er schreckt‹ werden, daß es - wenn man die Schwefelsäure wieder fortnimmt - sich gern mit der schwachen Fettsäure verbindet. Wann die Schwefelsäure wieder abgespalten wird, kann Ihnen nur ein Chemiker sagen. Sie darf aber nicht zu lange mit der Fettsäu re verbunden bleiben und nicht zu stark sein, denn sonst ›ver brennt‹ sie die Fettsäure und bildet ein undefinierbares Sulfat.« Ad, der in Brittas Augen versunken schien, richtete sich abrupt auf und fragte: »Wo habt ihr eigentlich den Roboter, Rock?« »Den hat der Reporter auf einem Lastwagen mitgenommen. Ge rade noch rechtzeitig, denn die Polizei kam nur wenig später an und wollte ihn ebenfalls holen.« »Dann ist er jetzt also bei euch, Jon?« erkundigte sich Ad. »Keine Ahnung. Ich sag' dir doch, daß ich die ganze Fettge schichte erst aus der Zeitung erfahren habe.«
»Schade! Ich hätte vielleicht für meine Spielautomaten noch etwas lernen können. So ein Ding war seit zweihundert Jahren nicht mehr in der Stadt. Der Roboter im Museum ist ein schlech tes Modell.« »Hast du schon mal was vom ›Hai‹ gehört?« fragte jetzt Jon ganz unvermittelt. »Sicher, wir alle. Aber ich bin froh, wenn ich nichts mit ihm zu tun habe. Er wird die Stadt noch ins Unglück stürzen. Warum fragst du?« »Er war heute bei mir im Verlag. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten und dann den Artikel geschrieben. Ich finde seine Theorien interessant.« Rock und Ad richteten sich jetzt gespannt auf. Britta schien ver gessen zu sein. Von der Theke aus peilte Jack zu ihr herüber. »Wie kannst du aber schreiben, daß man das,Gleichgewicht' be seitigen solle? Du mußt das morgen unbedingt widerrufen, sonst holt dich der Sicherheitsdienst«, bemerkte Ad. »Es ist doch Wahnsinn, so etwas laut zu sagen, oder gar zu schreiben!« »Eigentlich weiß ich jetzt auch nicht mehr genau, wie ich dazu gekommen bin«, sagte Jon und begutachtete seine langen Fin gernägel. »Es muß wohl mit dem Besuch des ›Hai‹ zusammen hängen. Eine starke Suggestivkraft ging von ihm aus. Er hat mich überzeugt.« Rock trank mit schnellem Zug das Glas aus und steckte sich ei ne Zigarette an. Dann wandte er sich an Jon. »Ich habe auch schon oft über das Problem des Gleichgewichts nachgedacht. Manchmal glaube ich, daß es gar keinen Feind mehr gibt, daß der technische Krieg zu einem Krieg der Technik gewor den ist, der ohne Mithilfe des Menschen, ja ohne seinen Willen, einfach weiterläuft. Man müßte das Gleichgewicht unterbrechen, und alles wäre vorüber. Natürlich sind das nur Phantasien von mir. Die Regierung weiß es besser, wenn sie vom Feind spricht; eine Unterbrechung des Gleichgewichts wäre unser Untergang. Denken Sie nur an den Atombomber mit der H-Bombe um acht Uhr sechzehn.« »Nun«, beharrte Jon, »da hat der ›Hai‹ andere Anschauungen. Er weiß mehr, als wir denken. Einen Feind gibt es nach seiner Theorie überhaupt nicht mehr. Seit hundertfünfzig Jahren nicht mehr.«
»Wo liegen dann aber die anderen Städte unseres Landes? Warum melden sich die Bewohner nicht? Sind denn alle vernich tet?« »Der ›Hai‹ meinte, da gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Entweder geht es den anderen genau so wie uns, oder ...« »Oder?« drängte Ad. »Oder sie sind fort.« »Fort?« »Nun ja, der ›Hai‹ meint, sie seien auf einem anderen Stern.« »Was?« »Das ist doch Unsinn!« »So'n Quatsch!« Sie sprachen jetzt alle durcheinander. Als Jack wieder mit frischgefüllten Gläsern an den Tisch trat, verstummten sie. Ad schien in Gedanken versunken. Er hob den Kopf und sah sich fra gend um. »Wie sieht der Raum aus, in dem der Roboter liegt?« Er spielte nervös mit dem Feuerzeug und legte die Stirn in Fal ten. »Ich sagte dir doch, keine Ahnung. Aber ich kann mich erkundi gen.« Jon stand auf und verschwand hinter der Theke. Als er zu rückkam, lag ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht. »Sie haben ihn gut verwahrt. Der Raum wurde durch die Polizei ver siegelt.« Während Jon die Lage des Kellerraumes erklärte, förderte Ad einen Stift zu Tage und zeichnete auf eine Serviette. »Macht ihr mit?« fragte er dann, als Jon mit seinen Erklärungen fertig war. »Ich will mir den Knaben mal ansehen. Vielleicht fin den wir etwas raus. Auch über das ›Gleichgewicht‹.« »Wollen wir das nicht lieber den Leuten von der Regierung überlassen?« fragte Rock, der es nun gar nicht mehr eilig hatte zu gehen. »Von denen erfahren wir doch nichts. Außerdem glaube ich nicht, daß es einen besseren Elektroniker in der Stadt gibt als mich. Die Leute sind zu spezialisiert. Sie haben keine Übersicht mehr über die Grenzgebiete, und darauf kommt es grade in der Elektronik an. Elektronik ist heute die komplizierteste Wissen schaft.« Jack trat an den Tisch und unterbrach Ad. »Herr Merg wird am Visor verlangt!«
»Danke«, antwortete Jon und erhob sich. »Bin gleich wieder da.« Nach ungefähr fünf Minuten kam er mit bleichem Gesicht wie der. »Wir müssen hier verschwinden. Meine Wirtin hat angerufen. Ich werde von der Polizei gesucht. Der verdammte Artikel!« »Gleich gewußt«, knirschte Ad. Er sah auf die Uhr. »In einer halben Stunde treffen wir uns auf dem Lowell-Platz beim Zeitungsgebäude. Ich hole noch schnell einige Prüfgeräte. Ihr bringt inzwischen Britta nach Hause. Bis später!« Er durchquerte die rauchverhangene Bar und verschwand im Ausgang. Britta wollte protestieren, aber Rock und Jon nahmen sie einfach in die Mitte und strebten der Planckstraße zu. Kurz bevor sie sich verabschiedeten, sagte Jon noch: »Morgen bin ich natürlich nicht mehr in der Zeitung. Unter meiner Nummer rufe ich Sie an, Britta. Ich werde versuchen, in den Slums unter zutauchen.« Warrior Nacht lag über der Stadt. Aber es war nicht die Nacht der Ver gangenheit mit ihrer. Stille und dem Flimmern der Sternbilder auf dem schwarzen Samt des Himmels. Diese Nacht bestand aus Dröhnen, Krachen und grellen Lichtblitzen explodierender Rake ten. Die Menschen von Nork schwebten bei jedem Atemzuge am Abgrund des Todes. Nur einer bewahrte ihr Leben: Warrior, das Gehirn. Der Satellit gleicht einem Igel. Er sticht nicht mit den unzähli gen Metallspitzen, die aus ihm herausragen. Das sind nur die An tennen. Aber er »sticht« elektronische Befehle nach allen Seiten. Die Stadt Nork liegt unter ihm, denn seine Umlaufgeschwindigkeit entspricht der Erdumdrehung. Seine Stabilisatoren sind nur ein kleiner Teil seiner Ausrüstung, aber sie genügen, um jede Abwei chung auszugleichen. Auch das Sternzeitwerk nimmt wenig Platz ein. In seinem Inneren, umgeben von hunderten von Kubikme tern Transistoren, Kondensatoren, Widerständen und 10 000 Ki lometern millimeterfeiner Kabel, lebt - eine Amöbe. Die Amöbe ist nur eine organisierte Ansammlung von Eiweißmo lekülen - Viren. Sie ist das Urtier. Von ihr aus ging die Entwick lung bis zum höchsten Lebewesen - dem Menschen.
Da die Amöbe die Urform des Lebens ist, trägt sie in sich noch alle Eigenschaften, alle Qualitäten, die die Natur zu vergeben hat. Sie sind nur latent - aber es gibt eine Möglichkeit, diese Latenz zu aktivieren, tatsächlich zu machen. Die Kubikmeter Kabel und Wicklungen verwandeln die potentiellen Möglichkeiten in kineti sche Wirksamkeit. Und jetzt ist sie stärker als alle Lebewesen zusammen, ist ihr Wissen - gespeichert in winzigen Magnettrom meln - unbegrenzt. Wie der antike Zeus hat sie den Himmel zu ihrem Lebensbereich gemacht, und die Menschen müssen den Kopf heben, wenn sie zu ihr aufschauen wollen. Aber sie ist nicht der einzige Regent in diesem Krieg. Genau ge genüber zieht die andere Amöbe in ihrer Festung aus Stahl und Kunststoffen ihre Bahn. Sie ist der ewige Gegner Warriors. Der Feind hat sie damals in den Himmel gejagt, als Warrior seine Kreisbahn bezog. Zwei gleichwertige Gegner, Warrior und Pow, führen seitdem den Krieg der Robotarmeen und der heulenden Kampfraketen. Den Menschen, ihren Erbauer, haben sie vergessen. Während Warrior genießerisch eine synthetische Alge aufnimmt, gibt sie schon wieder Startbefehl für ein Dutzend Raketen und zwei ferngesteuerte Bomber und jongliert riesige Robotheere hin ter einen Gebirgszug. Ein Signal wird registriert. Es ist nur eins, von vielen. Warrior betätigt ein Relais. Die Meldung geht hinunter auf die Erde. Die angreifende Rakete orgelt in die unteren Luftschichten ein, ihre Spitze wird glühend rot. Ihre Fotozellen erfassen die Lichtpunkte der Stadt. Infrarotzellen regen sich: Wärmestrahlung wird absor biert. Metallene Arme werden lebendig. Schlanke Leiber gleiten auf die Rampen und schwenken nach oben. Langsam richten sich die Spitzen drohend in den nächtlichen Himmel. »Jetzt!« befiehlt eine einsame Amöbe im Weltraum. »Jetzt!« flüstern Kurzwellen zum Erdball hinunter. »Jetzt!« murmeln mechanisch zwei, drei Relaisstationen. »Jetzt!« schreit der Abwehr-Robot. Feuersäulen heulen auf. Die Abwehrraketen rasen dem feindli chen Bomber entgegen, treffen ihn, und die Erde scheint zu bers ten. Sämtliche Flugkörper explodieren in blendendem Atomfeuer. »Welch Feuerwerk!« sagt einer, und die Kinder aus Nork klat schen Beifall. Die anwesenden Erwachsenen freuen sich und
mahnen zum Gehen. Wie oft haben sie selbst in ihrer Jugend hier gestanden und sich an dem Schauspiel erfreut. »Jetzt geht's ins Bett!« ruft ein anderer seinen Kindern zu. »Morgen ist wieder ein Tag. Und so wird es bleiben, solange wir das ›Gleichgewicht‹ haben.« Stahlgeschosse verlassen während der folgenden Stunden unaufhörlich die schützenden Energieschirme und verteidigen die Stadt Nork. Ungebetene Gäste Fünf Minuten vor zwei Uhr kletterte Ad über die Mauer. Hinter ihm erhob sich schwarz der Generator, der den permanenten Schutzschirm über der einen Stadthälfte aufrecht erhielt. In der Ferne hatte das Grollen zugenommen. »Da kommt er!« zischte Jon, der mit Rock auf dem Innenhof des Zeitungsgebäudes stand, und er wies mit dem Zeigefinger auf den Kopf von Ad, der wie ein Vollmond über der Mauer des Hin terhofes aufstieg. Das Schloß des Fenstergitters gab schnell nach. Während sich die Männer nacheinander in den Lichtschacht hinunterließen, flüs terte Ad leise mit Jon: »Sie geben deinen Namen schon im Rundspruch durch. Man be zeichnet dich als Verräter. Es ist besser, wenn du so bald wie möglich untertauchst. Wenn wir hier fertig sind, überlegen wir, was sich tun läßt.« »Danke, Ad. Es ist gut, wenn man zuverlässige Freunde hat!« Jon preßte Ads Hand. Die Plexiglasscheiben waren schnell aufgeschnitten. Im Inneren des Raumes, der nur vom spärlichen Licht, das von außen herein drang, schwach erhellt wurde, lag eine dunkle Masse auf einem Tisch. Ad ließ die Taschenlampe aufleuchten. Zwei dunkelrote Roboteraugen glühten ihn feindlich an. Die Maschine war über zwei Meter lang, aber sie glich nicht im geringsten dem Roboter im historischen Museum. »Der sieht ja wie ein Panzer aus! Mit den Ketten!?« flüsterte Jon. »Darüber haben wir uns heute morgen auch schon gewundert. Die Presse durfte ihn deswegen wohl auch nicht fotografieren«, bemerkte Rock leise. Er blickte sich ängstlich um.
»Warum sollte er anders aussehen?« fragte Ad. »Beine sind un praktisch. Wenn ich ein Fahrzeug bauen will, das überall durch kommt, dann konstruiere ich Ketten dran.« Der Roboter glich einem kleinen Panzer, aber an Stelle des Drehturmes war er mit einem kopfähnlichen Aufsatz versehen, den rings Fotolinsen umgaben, und aus dem zwei dicke Anten nenstäbe ragten. Ein gehörnter Teufel aus Stahl, den ein mächti ges künstliches Gehirn in einem Fieberwahn erträumt haben muß te. Seine Funktion ließ sich nicht ohne weiteres an seinem Äußeren erkennen. Nirgends war eine Waffe zu sehen. Wahrscheinlich war er ein Anführer oder General, der es nicht nötig hatte, selber zu kämpfen. Die rauhe Außenfläche spiegelte kaum das Licht der Taschenlampe wieder, die Ad auf ihn gerichtet hatte. Jon trat näher heran. Zwar war der Roboter noch über und über mit schwarzem übelriechendem Fett beschmiert, aber Jon konnte mikroskopisch feine, halbkugelförmige Eindellungen auf den Au ßenplatten erkennen. Sie lagen dicht aneinander. Ihr Zweck schien unklar zu sein. Während Rock die große Tasche hielt, die Ad mitgebracht hatte, suchte dieser in ihr herum und brachte dann Werkzeuge zum Vorschein, die einer kompletten Einbrecherausrüstung glichen. Zangen, kleine Feilen, einen atombetriebenen Miniaturschweiß brenner, Haken und feine Skalpelle. Jetzt schien er ein passendes Instrument gefunden zu haben und machte sich daran, an dem kopfähnlichen Aufsatz des Robo ters herumzuschrauben. Dabei murmelte er: »Wir müssen he rausfinden, auf welcher Wellenlänge er gesteuert wird. Ich habe noch ein kleines Leitgerät dabei. Das wollen wir dann mal auspro bieren.« »Wo hast du das denn her?« erkundigte sich Jon leise und nahm Ad die Taschenlampe aus der Hand, um ihm zu leuchten. »Es ist das Fernsteuergerät aus dem ›Mechanischen Autoren nen‹, eine Spielausrüstung, die vor Jahren sehr gefragt war und auch heute noch recht beliebt ist. Wir müssen natürlich die Wel lenlänge abändern, wenn wir hier was ausrichten wollen.« »Psst!« zischte plötzlich Rock. Ad knipste das Licht aus. Draußen ertönte ein Geräusch. Jemand schien sich am Fenster gitter zu betätigen und machte Anstalten, herunterzukommen.
Schon wurden durch das Fenster ein Paar Hosen sichtbar, die einen recht schäbigen Eindruck machten. Schuhe schien der Be sucher nicht zu kennen. Polizei konnte es also nicht sein. Aber Geheimpolizei? Ad packte Jon und Rock und schob sie neben das Fenster. Es herrschte jetzt totale, Finsternis. Sie warteten. Der Eindringling stand immer noch im Lichtschacht und befühlte die zerschnittenen Plexiglasscheiben. Dabei ließ er ein Brummen hören. Dann herrschte wieder Stille. Die Minuten vergingen. Draußen heulte eine Rakete heran. Als sie am Schutzschirm detonierte, schien es sich der Einbrecher überlegt zu haben. Er schaltete seine Lampe ein, aus der ein äu ßerst feiner, kaum bleistiftdicker Lichtstrahl hervorbrach. Dann stand er auch schon im Raum. Im gleichen Moment ließ Jon die Taschenlampe aufleuchten. In ihrem Strahl erschien ein unrasier tes, verblüfftes Gesicht. »Einen schönen guten Abend«, sagte Ad. Dabei landete er einen wuchtigen Kinnhaken. »Erstklassig«, meinte Rock bewundernd. Der Mann rutschte langsam an der Wand entlang auf den Fuß boden. Im Strahl von Jons Lampe entpuppte er sich als ein Be wohner der Slums aus dem Nordend. »Möchte wissen, was der will«, sagte Ad, als er ihn mit seinem Gürtel fesselte. »Wahrscheinlich dasselbe wie wir«, vermutete Jon. Rock durchsuchte die Taschen des Zerlumpten. Außer einem schmierigen Zettel, etwas Tabak und Zigarettenpapier, sowie et was Kleingeld, brachte er nichts zum Vorschein. Rock reichte den Zettel herum. Auf ihm stand eine gedruckte Nummer. Die beiden anderen schüttelten bedauernd die Köpfe. Die Nummer hatte für sie keine Bedeutung. »Moment«, begann Jon. »Ich glaube ... nein, ich weiß nicht mehr.« Irgendwo hatte er die Nummer schon einmal gesehen. Aber wo? Er konnte sich nicht erinnern. Als der Zerlumpte laut zu stöhnen begann, placierten sie ihm einen Knebel in den Mund. Jetzt war er ruhig. »Ob er uns gesehen und erkannt hat?« fragte Rock. »Quatsch, er wurde durch das Licht geblendet«, beruhigte Ad. »Fangen wir lieber mit dem verdammten Roboter an. Etwas ler
nen wir bestimmt an ihm.« Er begann wieder, mit seinem Schraubenzieher zu hantieren. Jon versuchte sich in Erinnerung zurufen, wo er die Nummer schon einmal gelesen hatte. Sie schien auf ihn eine mystische Wirkung auszuüben. Sie mußte mit etwas Geheimnisvollem zu tun haben. Gleichzeitig konnte sie auch, das fühlte Jon, für ihn Rettung bedeuten. Als Ad die Verschlußplatte entfernt hatte, wurde ein Wirrwarr von Kondensatoren und Drähten sichtbar. Ad richtete sich auf und betrachtete staunend dieses Chaos. So einfach ließ sich also das Problem nicht lösen. Aber das hatte er ja erwartet. Er suchte in der Tasche herum und brachte ein Kästchen zu Ta ge, das mit einer langen Teleskopantenne versehen war. Durch einen Knopfdruck wurde ein leises Summen aktiviert. Der Fern steuerer war einsatzbereit. Langsam drehte Ad den Kondensa torknopf. Nichts geschah. »Ich muß noch einen Zusatzkondensator einbauen. Wahrschein lich spricht er auf Ultrakurzwellen an«, brummte er. Aus seiner Hosentasche zog er eine Handvoll kleiner Gegens tände, die aus einer Kugel - sie hatte einen Durchmesser von vielleicht einem halben Zentimeter - und zwei kurzen Drahtenden bestanden. Er suchte einen Draht aus und montierte ihn an das Kästchen. Zuerst standen sie wie geblendet. Jon rief unwillkürlich: »Licht aus!« Als ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, sahen sie die Polizisten in den Raum strömen. Sie standen bewegungslos. »Hände hoch!« Die Uniformierten richteten schwere Maschinenpistolen auf die drei Männer. Langsam folgten sie dem Befehl. »Sie sind verhaftet!« sagte ein kleiner untersetzter Mann. Er schien alle drei zu meinen. Langsam hob John die Hände. Der Mann trat vor. »Sind Sie Jon Merg?« »Ja, warum?« »Ich stelle hier Fragen!« Jon spürte, wie sich ihm von hinten ein Pistolenlauf gegen das Genick drückte. »War der ›Hai‹ heute bei Ihnen?« »Ja.«
»Haben Sie diesen Artikel geschrieben?« Der Mann hielt ihm ei ne Zeitungsfolie unter die Nase. Jon dachte nur an die Maschi nenpistole hinter ihm, und er spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. »Ja«, antwortete er mit Überwindung. »Sie sind verhaftet wegen Landesverrat.« Dann wandte der Sprecher sich an die anderen beiden. »Wie heißen Sie?« »Rock Brand.« »Von der Fettversorgung?« »Ja.« »Und Sie?« »Hören Sie«, legte Ad los, »ich bin Ferber von der AutomatenCorporation. Was erlauben Sie sich? Wer sind Sie eigentlich? Ha ben Sie einen Ausweis? Da könnte jeder Idiot kommen und sich hier aufspielen!« Der Kleine zuckte zusammen. Langsam wurde er rot. »Jones!« brüllte er. Aus der Gruppe der Polizisten löste sich eine riesige Gestalt und ging langsam auf Ad zu. Lässig spielte Jones mit ei nem Gummiknüppel. Ad wandte sich ihm zu und grinste. Langsam steckte er die linke Hand in die Tasche. Als Jones vor ihm stand, riß Ad die Hand he raus und warf ihm einige Kondensatoren ins Gesicht. Dadurch irritiert, versuchte Jones, den Arm vor das Gesicht zu bringen. Gleichzeitig sprang Ad vor und schlug ihm wuchtig die Faust in den Magen. Jones kippte nicht etwa vornüber, sondern stand ein fach steif da. Er schüttelte den Kopf. Zuerst schoß Ad eine linke Gerade an das Kinn ab, dann folgte ein rechter Aufwärtshaken. Jones flog zwei Meter durch den Raum in die Gruppe der Polizis ten hinein und blieb dann bewußtlos liegen. Es war so schnell gegangen, daß Jon erst jetzt merkte, was vorgefallen war. »Nicht schießen!« rief der Kleine von der Geheimpolizei. Er zwängte sich schnell zwischen den Polizisten hindurch und trieb sie dann zum Angriff an. Jon gelang es, den heruntersausenden Knüppel mit dem Arm abzufangen. Er packte die Hand des Polizisten und riß sie, wäh rend er sich drehte, über seine Schulter nach vorne. Wie ein Ge schoß sauste der Körper davon und landete mit dumpfem Auf schlag auf dem Roboter.
Während Jon Ad zu Hilfe kam und ihn von einem Mann befreite, der sich an seinem Rücken festgeklammert hatte und mit dem Knüppel den Kopf erreichen wollte, sah er, wie drüben Rock zu Boden ging. Als Jon den Schulterradabwurf nochmals zur Anwendung brin gen wollte, bekam er den Hieb über die Schläfe. Plötzlich war die Nacht da, aber sie bestand aus roten, grünen und blauen Funken, die durcheinanderwirbelten und einen farbigen Kreisel zu bilden begannen. Als Jon wieder zu sich kam, waren Stunden vergangen. Der Hai greift ein »Idioten! Richtige Idioten!« sagte eine Stimme. Eine andere antwortete: »Warum haben Sie denn nichts ge sagt?« »Ihr seid gut! Wenn man mich nicht zu Wort kommen läßt, son dern sogar noch einen Knebel verwendet, dann kann ich natürlich nichts sagen.« Jon richtete sich auf. Der Kopf schmerzte höllisch. Allmählich schwand der trübe Schleier vor seinen Augen, und er konnte die Gestalten erkennen. Neben ihm lag Rock. Sein Gesicht zeigte etliche blaue Flecken, und ein Auge war blutunterlaufen. Er unterhielt sich mit dem un definierbaren, schäbigen Individuum, das sie im Keller gestört hatte. Ad, der wohl am meisten abbekommen hatte, versuchte mit der Zunge das Blut aufzufangen, das ihm immer noch aus der Nase strömte. Trotz alledem machte aber sein Gesicht noch einen gut gelaunten Eindruck. »Hallo, Jon«, sagte er, als er auf den Freund aufmerksam wur de. »Endlich wieder da?« Jon merkte, daß er wie die anderen stark gefesselt war. Er sah sich den Zerlumpten an. »Ich habe mich dir noch nicht vorgestellt. Gestatten - Ziegel.« Dabei machte er im Liegen eine Bewegung, die ein »Verbeugen« sein sollte. »Jon«, bemerkte jetzt Rock, »eine Überraschung. Der Mann kommt vom›Hai‹. Zumindest behauptet er das.«
»Behauptet?« fuhr Ziegel auf. »Das habe ich gar nicht nötig. Wenn Sie mir nicht trauen, dann ist das Ihre Sache. Ich habe dir doch die Nummer gezeigt.« Jetzt fiel Jon wieder ein, wo er die Nummer schon gesehen hat te: auf der Karte, die er vom »Hai« erhalten hatte. Der Mann schien die Wahrheit zu sagen. »Zeigen Sie mir die Nummer!« Der Unrasierte steckte die Hand in. die Tasche und brachte den schmierigen Zettel zu Tage, den sie schon bei seiner Durchsu chung gefunden und betrachtet hatten. »Die Nummer könnte stimmen«, sagte Jon. »Halt!« kam es jetzt von Ad. »Seit wann sind Sie eigentlich frei?« Ziagel hielt die Hände in die Höhe und betrachtete sie. »Sie meinen das?« »Abgesehen davon, daß Ihre Hände an Wassermangel leiden, möchte ich fragen, wie Sie aus den Handschellen rausgekommen sind.« »Das ist eine Spezialität, die jeder beim›Hai‹ lernt. Mit 'ner Si cherheitsnadel hinterm Revers. Wenn man Übung hat, geht es schnell. Man muß sie nur gut mit den Zähnen packen. Man übt das einige Wochen und läßt sich eine Lücke in einen Vorderzahn feilen, dann geht es leicht. Der Mechanismus dieser alten Serie ist noch sehr einfach. Du müßtest einmal...« »Reden Sie nicht soviel! Machen Sie uns lieber frei. Das hier ist Jon Merg, und der hat beim›Hai‹ eine gute Nummer. Außerdem sollten Sie ihn ja, wie Sie vorhin erzählten, suchen.« »Er soll es beweisen.« Der Zerlumpte schien mißtrauisch. »Dann sagen Sie mir erst einmal«, erkundigte sich Jon, der im mer mehr zu staunen begann, »woher Sie wußten, daß ich im Keller bei dem Roboter war.« »Das haben wir von Jack«, sagte Ziegel leichthin. »Der gehört auch zum ›Hai‹.« »Dann ist die Organisation ja größer, als ich dachte!« staunte Jon. »Möglich!« »Gut! Wenn Sie in meine rechte Rocktasche fassen, dann finden Sie die Karte, die mir heute oder gestern der ›Hai‹ gegeben hat.« »Sie können sie selber herausholen.« »Wieso, ich bin doch ...« »Probier mal!« Jon zog mit einem Ruck die Hände auseinander. Die Handschel len sprangen auf und klapperten dann auf den Fußboden. Der
Bärtige brach in schallendes Gelächter aus. Er konnte sich kaum beruhigen. »Wann haben Sie das gemacht?« fragte Jon erstaunt. Rock und Ad befreiten sich auf die gleiche Weise. »Als ihr so schön schlafend hier lagt, habe ich mir gedacht, ich mache einen kleinen Scherz.« »Ihnen wird das Lachen noch vergehen«, schimpfte Ad böse. »Was hat der Kleine vom Geheimdienst denn noch erzählt?« »Was er mit mir anfangen sollte, wußte er nicht so recht. Aber bei euch sprach er von Verräterei und schwerem Einbruch. Er meinte, so etwas wie euch gehört der Kopf ab und wird auch.« »Wie bitte?« grinste Rock über die seltsame Aussprache des In dividuums. »Kopf ab?« »Mal das Ding ausprobieren«, murmelte plötzlich Ad. Vor ihm lag der Fernsteuerer, und er begann an den Knöpfen zu drehen. Ein rotes Licht glomm auf. »Jetzt habe ich die Länge!« stieß Ad befriedigt hervor. »Paßt auf! Jetzt geht's los!« Draußen wurden Schritte laut. »Schnell in die Handschellen!« befahl Ziegel. Gerade als sie fertig waren, wurde die Tür der Zelle aufge schlossen, und drei Uniformierte traten ein. »Losmachen!« Die Fußfesseln wurden gelöst. »Mitkommen!« Taumelnd erhoben sie sich. Der Anführer der Wachmannschaft trat ein Stück vor. Jon hatte ihn schon einmal gesehen. Aber da mals hatte er einen Bart getragen. Ziegel grinste unverschämt. Ad fluchte vor sich hin und schloß sich dann den Männern an. Natürlich hatte er den »Hai« noch nie gesehen. Jon dachte sich, daß' er ihn sonst hätte erkennen müssen. Auch wenn er heute mal keinen Bart trug und in der Uniform eines Polizisten steckte. Die erste Sperre, ein riesiges Tor, das aus dicken Eisenstäben bestand und von drei Posten bewacht wurde, passierten sie un gehindert. Die Posten grüßten ehrerbietig und schlossen hinter ihnen wieder ab. Schnell schritten sie einen langen Gang hinun ter. Aus dem Wachraum trat ein Unteroffizier. »Ausweise, bitte!« »Unsinn«, sagte der »Hai«, und der Unteroffizier machte Männ chen. »Die Leute kommen zum Verhör. Geheimsache. Die brauchen keine Ausweise mehr.«
»Das ist unmöglich«, entgegnete der Wachhabende. »Ich kenne Sie gar nicht.« »Das macht nichts. Dafür kennen Sie meinen Rang und können die Dunkelzelle kennenlernen.« Ein Ausdruck der allergrößten Überraschung ging über das Ge sicht des anderen. So einer Situation war er nicht gewachsen. »Moment!« Er ging schnell in das Zimmer, drängte sich durch die herumlungernde Wachmannschaft und griff nach dem Tele fonhörer. Jon sah, daß der »Hai« eine Maschinenpistole unter dem Uni formrock hervorzog. Er erschien jetzt merklich dünner. »Hierher!« zischte er. Sie liefen den Gang zurück und bogen um die nächste Ecke. Die Tür, die dahinter lag, war leider verschlos sen. »Vorne durch!« Eben strömten die Polizisten aus dem Wachzimmer und beweg ten sich in Dreierreihen den Gang hinauf. Die Flüchtlinge lehnten eng aneinander an der Wand. Der »Hai« winkte sie mit dem Arm zurück und spähte um die Ecke. Er wand te sich ihnen zu. Sein Gesicht drückte Anspannung und Erregung aus. Kleine Schweißperlen standen auf der hohen, von wenigen Linien durchzogenen Stirne. »Bleibt hinter mir! Wir müssen durchbrechen.« Nach einem Blick auf die Armbanduhr sagte er: »Wenn wir nicht in fünf Minuten draußen sind, ist der Wagen weg, aber nach einer halben Stunde erfolgt der Angriff, der viel Blutvergießen mit sich bringt. Besser, wir versuchen erst mal selbst, hier 'rauszukommen. Nach...« Blitzschnell hatte er die Maschinenpistole hochgerissen und feuerte um die Ecke. Die Polizisten mußten schon sehr nahe sein, denn Jon hörte lautes Fluchen und dann einen Befehl zum Rück zug. »Sie hauen schon ab«, meinte Ziegel mit grinsendem Gesicht. »Sie kommen gleich wieder«, antwortete der »Hai«, der wieder um die Ecke schaute. »Dann sind wir jetzt an der Reihe«, brummte Ad und wickelte sich den Hosenträger um die Faust. Jon machte sich Gedanken darüber, wie sie das Hauptportal aufbringen sollten. Mit Faust schlägen würde sich da nicht viel ausrichten lassen. Sie warteten sprungbereit. Der »Hai« gab nochmals einige Feuerstöße ab, und dann brüllte er: »Los!«
Als sie um die Ecke bogen, fegte eine Feuergarbe durch den Gang. In diesem Augenblick brach das Hauptportal zusammen. Ein massiger, metallisch glänzender Körper schob sich langsam mit rasselnden Ketten durch die Trümmer. Hinter dem aus Kunststoff bestehenden Hauptportal lag ein weiteres Hindernis, eine Tür aus Stahlrohren, die vom Boden bis an die Decke reich te. Der Roboter rollte langsam darauf zu. »Zurück!« rief der »Hai«, der die Situation nicht ganz durch schaute. Als sie wieder keuchend an der Wand lehnten, holte Ad lächelnd den kleinen Fernsteuerer aus der Tasche. Seltsamerweise hatte man sie, bevor sie in die Zelle kamen, nicht mehr durchsucht. Wahrscheinlich hatte man das später nachholen wollen. Der Apparat summte leise, und ein rotes Licht glühte. Jetzt fiel Ad ein, daß er auch in der Zelle daran herumgespielt hatte. Ein gräßliches Zischen wurde hörbar. Dann ertönten Schreie. Erhitzte Luft brandete durch den Gang. Ad und Jon traten vor und sahen nach dem Eingang hin. Die Stangen der Gittertür hatten sich in schwach glühende Korkenzieher verwandelt, die skurril nach allen Seiten ragten. In der Mitte der Tür war ein großes Loch frei geworden. Rasselnd bewegte sich der Roboter auf die Gruppe zu. Nur noch wenige Meter trennten ihn von den Männern. Jon wich unwillkürlich zurück. Der »Hai« machte, ein fassungs loses Gesicht und schien vor Erstaunen die Sprache verloren zu haben. »Der Roboter!« rief Rock. »Hoffentlich tut er uns nichts!« flüsterte Jon. Ad schüttelte den Kopf. »Es ist ein Verteidigungsroboter. Ich glaube nicht, daß er ohne Grund angreift. Wir haben zwar einen Apparat, mit dem wir ihn lenken können, oder besser gesagt, mit dem wir ihn aktivieren können, aber er tut das, was er für richtig hält.« Vorne an der Tür war es jetzt still geworden. Die Polizisten mußten vor Schreck die Flucht vor dem Ungetüm ergriffen haben. »Stell das Ding lieber ab«, riet der »Hai«. Ad drückte einen Knopf, und das Rasseln hörte auf. Der Roboter stand unbeweg lich. Ohne ein Wort zu verlieren, spurteten die Männer los und eilten den Gang hinunter. Auch das Hauptportal war frei. Auf dem In nenhof des Sicherheitsministeriums sah man noch die Kettenspu
ren, die der Roboter hinterlassen hatte. Sie endeten bei einer Tür, neben der ein Schild die Aufschrift trug: Technisches Institut des Sicherheitsministeriums. Die Männer gingen jetzt langsam weiter und bemühten sich, möglichst unauffällig auszusehen. Der einzige, der schon auf zehn Meter einen verdächtigen Eindruck machte, war Ziegel, aber das schien ihn wenig zu kümmern. Kurz bevor die Flüchtlinge auf die Straße traten, lief hinter ihnen ein Zug Uniformierter vorbei. Einer trug ein größeres Maschinen gewehr. Anscheinend sollte das Hauptportal erstürmt werden. Sie würden keinen Widerstand finden, dachte sich Jon, selbst der Roboter war jetzt bewegungslos. Langsam dämmerte schon der Morgen, und die ersten Frühaufs teher hasteten verschlafen über die Straße vor dem Ministerium. Jon konnte sich vor Müdigkeit kaum mehr aufrecht halten, und er war froh, als ihn der »Hai« auf das Ladebrett eines Lieferwa gens drängte und die Tücher rundherum zuzog, so daß vollkom mene Dunkelheit herrschte. Als der Motor ansprang, lag Jon schon in tiefem Schlaf. Selbst die sieben Uhr einunddreißig Titanrakete, die kurz vor der »Acht« von einer kleinen, blitzschnellen Sperberrakete vom Himmel he runter geholt wurde und mit höllischem Krach und Feuerschein in der Luft explodierte, konnte ihn nicht mehr wecken. Das Aufheulen der Alarmsirenen wirkte einschläfernd, und das grausame Kratzen tödlicher Sägestrahlen am Schutzschirm hörte kein Bewohner der Stadt mehr, denn in den vielen Generationen hatte man sich längst daran gewöhnt. Amöben-Gehirne Warrior dachte haßerfüllt an Pow, den Bewohner des feindlichen Satelliten. Warrior wußte, daß er auch nur eine Amöbe war und daher jeden Angriff mit gleichen Mitteln abwehren und vergelten konnte. Um die Mittel, die schon seit Jahrhunderten aufgewendet werden mußten, machte sich Warrior keine Sorgen. In Hunderten von Bergwerken wurde Erz abgebaut, und die Fabriken, tausend Kilometer unter der Erdoberfläche, spuckten noch mit demselben Rhythmus wie vor zweihundert Jahren pfeilartige, glänzende Ge schosse aus. Roboterheere wurden jeden Tag von den Mutterma
schinen gebaut, und die Schrottsammlermaschinen waren Tag und Nacht unterwegs. Schrott gab es genug in diesem Krieg der Technik. Oft stießen die Sammlermaschinen auf feindliche Geräte, die denselben Auf trag hatten, aber man stritt sich nicht um das verbogene, verros tete Metall. Man einigte sich immer, denn Schrottsammlerma schinen gehörten einer niedrigen technischen Klasse an und hat ten daher keine feindseligen Impulse. Den Krieg überließen sie den großen, hochqualifizierten Typen. Sie waren eben nicht dazu gebaut. Wütend spuckte Warrior eine saure Alge aus. Saure Algen war en sonst ein Genuß. Mit Buttersäure eingelegt, schmeckten sie vorzüglich. Aber auch die wertvolle Milchsäure ließ sich noch ver wenden. Nun, wenn Warrior an den Gegner dachte, schmeckte selbst das beste Essen nicht mehr. Der Verlust von R I war nicht leicht zu verschmerzen. Er hätte nicht in den Schacht hineinfallen dürfen. Die 5. Armee, die sowie so nur noch zur Hälfte bestand, mußte jetzt noch lange auf einen neuen Führerroboter warten. Sie waren nicht leicht herzustellen. Warrior hatte sich für solche hochqualifizierten Roboter eine persönliche Kontrolle nach der Fertigstellung vorbehalten. Man durfte keine Offiziersmeutereien riskieren. Die Amöbe dachte jetzt nur noch an Pow, den Feind im anderen Satelliten. Die alljährlich zu unbestimmten Zeiten einfallenden neuartigen Raketen, deren Flugparabel ungeheuer weit in den Weltraum hinausreichte, konnten gefährlich werden. Sie waren unberechenbar und konnten, wenn es der Zufall wollte, selbst den Satelliten treffen. Bis jetzt war aber noch nichts geschehen. Die Raketen bargen keinen Sprengstoff. Sie fielen auf die Erde und konnten dort leicht zerstört werden. Abwehrraketen hatten aber eine niedrigere Flugparabel als die Umlaufshöhe des Satelli ten. Daß eine solche Rakete über der Fettfabrik, die für Nork arbeite te, niederging, war nicht zu erwarten gewesen. Durch die not wendige Zerstörung des feindlichen Flugkörpers hatte die Fabrik zuviel Hitze abbekommen und produzierte unbrauchbares Zeug. Um die Sache auszubessern, mußte die Fabrik besonders abge schirmt werden, und Warrior hatte die 5. Armee dorthin kom mandiert.
Kurz davor, bei der Anhöhe F 211, waren die Roboter dann dem Feind in die Falle gelaufen, und in der folgenden Schlacht hatte nicht nur die Fabrik einen neuen Treffer auf das Förderband ab bekommen, sondern R I, der Robot-General, verschwand auch noch auf Nimmerwiedersehen. Nun, Warrior würde einen neuen Führungsrobot in Auftrag ge ben. Im Nordend von Nork hatte die »Acht« eine schwache Stelle. Manchmal gelang es einer Rakete, die dort an ihr zerschellte, ihre Splitter in die Stadt zu streuen. Die Häuser waren daher dort bil lig zu haben. Nur die Ärmsten wohnten in dieser Gefahrenzone. Man erzählt sich in den Slums die seltsamsten Dinge. Es soll ein mal einen Mann gegeben haben, es ist schon über fünfzig Jahre her, der durch den Schirm unbehelligt hindurchlief und hinaus ging. Als er wiederkam, waren seine Haare schlohweiß, und er hatte viel zu erzählen. Bald soll er an Strahlungsschäden gestor ben sein. Man konnte auf solche Gerüchte aber nichts geben, denn eine Berührung mit der »Acht«, dem Schutzschirm, bedeu tete den sofortigen Tod. In den Slums tauchte auch zum erstenmal der »Hai« auf. Frü her hatte er in der Mitte Norks, in der Zinn-Straße, gewohnt und auf einer kleinen Bude Physik studiert. Später erst ging er auf die staatliche Universität! Aber seine Anschauungen brachten ihm dort bald die größten Schwierigkeiten. Sein Professor, der be rühmte Forscher Wolfram, unterschrieb zwar eine Abhandlung des »Hais« über das »Gleichgewicht« mit seinem Namen, aber der geistige Diebstahl sollte ihm teuer zu stehen kommen. Die Ansichten des Physikstudenten standen im Gegensatz zu denen der herrschenden Meinung, und der Professor, der die Ar beit kaum richtig durchgelesen hatte, landete bald im Zuchthaus. Im Rahmen einer drei Jahre später stattfindenden Reportage aus dem Zuchthaus Nordend gab Professor Wolfram dann be kannt, daß er sich voll und ganz den vom »Hai« vertretenen An sichten anschließe. Weil er sich gut geführt hatte und auch ein pünktlicher Besucher der ideologischen Schulungskurse war, wur de ihm später ein privates Laboratorium genehmigt, in dem er jetzt seine Studien betrieb. Der »Hai« hieß eigentlich André Ramses. In den Tagen, da er als Assistent in der Universität arbeitete, trug er seinen Spitzna
men natürlich noch nicht. Den gaben ihm erst die Bewohner der Slums. Als Assistent des Elektronischen Instituts hatte Ramses vorge schriebene Forschungsaufgaben durchzuführen, die ihm wenig Zeit für private Studien ließen. Nur an gewissen Abenden hatte er Gelegenheit, in seinem Lieblingsbuch zu lesen. Er hatte es durch einen Zufall in einem Bücherfach des naturwissenschaftlichen Seminars gefunden. Im Katalog wurde es überhaupt nicht ge führt. Es trug den Titel »Ausgewählte Kapitel aus einer Vorlesung von Professor Limpfuß über Meßversuche an positronischen System gehirnen«. Das Werk, es bestand nur noch aus etwa hundert Seiten, und vieles war unleserlich, denn Blätter und Skizzen waren herausge rissen, hatte ein Alter von über zweihundert Jahren. Bis vor drei ßig Jahren mußte es noch offiziell im Katalog geführt worden sein. Dann brach die Ära des Präsidenten Moon an, und die Säube rung ließ auch dieses Buch verschwinden. Das Bemerkenswerte an diesem Buch waren einige Seiten über Schwingungsmessun gen an einem Satellitengehirn. In einer Fußnote fand Ramses die Abgleich-Reihenfolge der Empfangskreise des Gehirns. Die Anga ben ließen ihn aufmerken. Die da angegebenen Meßsenderfre quenzen mußten ungefähr den Kiloherzgrößen eines Satellitenge hirns entsprechen. Fraglich war nur, ob jedes Satellitengehirn entsprechend gleich eingepeilt war. Die weiterentwickelten Amöben-Quantengehirne waren schließ lich keine positronischen Systemdenker, und das Buch schwieg über sie. Hier setzte die Arbeit des Studenten Ramses ein. Zuerst ver suchte er, die Amöben zu erforschen. Amöben gab's in jeder Pfüt ze. Die erste Entdeckung, die ihn einen großen Schritt weiterbrach te, war die Feststellung, daß die Amöben ähnlich wie Relais arbei teten, wenn man entsprechende Verhältnisse herstellte. Mal leite ten sie mikroskopisch kleine Ströme, dann wieder wirkten sie wie Widerstände und verbrannten lieber, als nur ein Minimum von Strom durch sich hindurchtreten zu lassen. Es ließ sich nie vorhersagen, wie sie reagieren würden. Heute so, morgen so.
Gerade das hatte Ramses erwartet. Die Amöben schienen einen Willen zu haben. Nur die verstärkte Zufuhr von Algen brachte vorübergehend eine Besserung. Hatten sie jedoch genug davon aufgenommen, dann machten sie überhaupt nicht mehr mit, und das Amperemeter schlug nicht einen Millimeter aus. »Plenus venter non studet libenter«, dachte dann oft Ramses und schaltete einen Hungertag ein. Diese Unberechenbarkeit aber war nur eine Bestätigung von Ramses' Theorien. Die Amöben waren eben kleine Individuen, lebende Organismen, die einen eigenen Willen hatten. Später, es waren einige Monate vergangen, stellte Ramses fest, daß die Urtiere mehrere Schaltvorgänge gleichzeitig übernehmen konnten. Schloß man drei Stromkreise an eine Amöbe an, so konnte sie einen unterbrechen, den anderen abschwächen und den letzten vollkommen hindurchlassen. Warum sie das jedoch tat, wovon ihr Willen abhing, das konnte Ramses nicht ermitteln. Wahrscheinlich reagierten sie wirklich, wie sie gerade Lust und Laune hatten. Sie mußten wohl erst ge züchtet werden, um zurechnungsfähig und berechenbar zu sein. Nach einem Jahr gelang es Ramses, ihre Hauptfrequenzen he rauszufinden. Sie ergaben sich aus den Meßfrequenzen für posit ronische Gehirne, die in dem Buch angegeben waren, wenn man sie mit einer bestimmten Konstanten, der Amöben-Konstanten, multiplizierte. Mehr wollte Ramses nicht erfahren, und er stellte seine Versuche mit den Urtierchen ein. Sechzig Tage später war der Sender fertig. Nachts transportier te er ihn nach Nordend. Damals sah er diesen Stadtteil zum ers ten Mal. Man kann nicht behaupten, daß er ihm gefiel. Aber die dortigen Stadtbewohner gewannen sofort seine Sympathie. Anstandslos stellten sie ihm einen Schuppen für seine Versuche zur Verfügung. Der Besitzer, ein Wirt, hieß Peter Ziegel. Als er Ramses' Pläne erfuhr, war er begeistert. Er brachte den Studenten mit jenem dunklen Zirkel zusammen, der sich die Nächte pokerspielend vertrieb. Diese Männer waren geschworene Feinde des Präsidenten Moon, und alles, was sich gegen die Regierung richtete, begeisterte sie. Insbesondere dann, wenn es darum ging, das Satellitengehirn zu stören, denn vom »Gleichgewicht« hielten diese Außenseiter nichts.
Hier in Nordend war die »Acht« dünner, und Ramses, oder der »Hai«, wie er schön am ersten Abend von seinen finsteren Freun den getauft wurde, hoffte, hier durch den Schutzschirm hindurch zukommen. Wenigstens sollte das dem starken Peilstrahl gelin gen, den er auf den Satelliten richten würde. Die ersten Versuche schlugen fehl. Die »Acht« schirmte Funkwellen vollkommen ab. Den Ausweg fand Ziegel, der sich häufig bei Ramses sehen ließ und sich sehr für die wissenschaftlichen Geräte interessierte, die den ganzen Schuppen ausfüllten. In der Nähe seines Gasthauses, kurz vor der Stadtmauer und dem dahinter flimmernden Schutzschirm gab es eine Kontrollstel le, die schon vor mehreren Jahrzehnten aufgegeben worden war, weil sie einen Treffer durch einen Splitter erhalten hatte. Das Förderband, das früher einmal verschiedene synthetische Alkohole in die Stadt gebracht hatte, war gerissen, und eine Re paratur konnte nicht durchgeführt werden. Es war schon wegen der eigentümlichen Schwäche der »Acht« in Nordend wenig loh nend, hier noch eine Kontrollstelle aufrechtzuerhalten: Nach kur zer Zeit hatte das »Gehirn« auf einem der vielen Reservebänder im Westen einen Ausweg gefunden. Von nun an kamen die Alko hole hier an. Ziegel schlug vor, die Gleitschienen mit der Antenne zu verbin den. Die Förderstollen waren wohl mit Blei abgeschirmt, aber ir gendwo hörte der Bleimantel auf, und spätestens in der Alkohol fabrik könnten die Funkimpulse ungehindert aus dem Boden aus treten. Der »Hai« machte sich sofort an die Arbeit und sendete drei Abende nacheinander wilde Impulse in den Weltraum. Die vierte Nacht war keine Nacht mehr. Trägerraketen von nie gesehener Größe heulten in Rudeln heran. Bläulich-blendendes Licht lohte an den Kuppeln der »Acht« empor. Explosionen bilde ten ein ununterbrochenes Dröhnen. Der Untergang schien nahe. In den Abwehrbasen kamen die Greifer, die die Raketen auf die Abschußrampen legten, mit dem Tempo der Produktionsstellen nicht mehr mit. Kochendes Öl verschleierte die Panzergläser der Abschußbunker. In ununterbrochener Kette heulten die Raketen gen Himmel, aber es schienen immer noch zu wenig zu sein.
Die »Acht« stand unter höchster Belastung. Eine Feuerwand lohte rings um die Stadt Nork. Als die ersten Erdstöße einsetzten, kam es in Nork zu Zusam menrottungen. Man machte die Regierung verantwortlich. Wo war das vielgelobte »Gleichgewicht«? Wie konnte der Feind so nahe an die Stadt herankommen? Die Regierung war hilflos. Dreifache Posten umstellten die Mi nisterien und öffentlichen Gebäude. In der Nähe des Ernäh rungsministeriums wurde geschossen. Viele resignierten und stürzten sich in alle Genüsse, die Nork nach ihrer Meinung zu bie ten hatte. Es gab viele Morde und zahlreiche Versöhnungen. Als die Angriffe zum Chaos wurden, hatte der »Hai« sofort sämtliche Kabel herausgerissen und seine Geräte in Sicherheit bringen lassen. Das Ergebnis seines Versuchs hatte ihn ent täuscht. Mit Gewalt ließ sich offenbar nichts ausrichten. Viele seiner neuen Bekannten wandten sich von ihm ab. Ziegel und ein kleiner Kreis gleichgesinnter Regierungsfeinde blieben ihm treu. Es mußten andere Wege gefunden werden. Wochen vergingen. Eines Morgens wurde dem »Hai« mitgeteilt, daß er bei der Si cherheitspolizei angezeigt worden war und daß man ihn daraufhin suche. Er beschloß, für immer in Nordend zu bleiben. Hier bot sich eine gewisse Sicherheit für ihn. Als Verbrecher Nummer Eins erschien er in allen Tageszeitungen auf der Titelseite. Jede Nacht schlief er in einem anderen Bett. Es war die unruhigste Zeit sei nes Lebens. Am neunten Tage nach dem Beginn der Katastrophe wurde es schlagartig ruhig. An diesem Tag kam nicht eine einzige Rakete. Selbst der Acht-Uhr-sechzehn-Bomber blieb aus. Die Stille war für die Stadt beunruhigender als der massierte Angriff der nächsten Wochen. Der »Hai«, der jetzt zu frohlocken begann, wurde schon bald wieder enttäuscht. Nach und nach mehrten sich wieder die Anflüge der Geschosse und alles schien wieder im Lot. Das »Gleichgewicht« war wieder hergestellt. Die Suche nach dem »Hai« wurde abgebrochen. Dem »Hai« war jedoch klar, daß er seine Taktik ändern mußte. Er brauchte Helfer. Deshalb ging er zur »Information«. Der Chef reporter Jon Merg gefiel ihm. Er hatte einen offenen Blick und äußerte sich auch ziemlich frei über die Regierung. Über das »Gleichgewicht« schien sich Merg auch schon Gedanken gemacht
zu haben. Der »Hai« diktierte Jon die Hauptpunkte zu einem Arti kel. Man mußte ihn zweimal lesen, um zu merken, wie gefährlich er eigentlich für den Schreiber war. Der »Hai« war eine außerordentlich starke Persönlichkeit. Er wußte selbst nicht, wie eindringlich, suggestiv er auf Jon gewirkt hatte. Erst als er schon lange das Zeitungsgebäude verlassen hatte, fiel ihm ein, daß er Jon für seine Organisation werben könnte. Mit Ziegel zusammen ging er wieder zurück. Der Portier der »Information« schickte die beiden in die Terry-Bar, in der sich Jon oft aufhalten sollte. Aber auch hier fanden sie ihn nicht. Jack, der Mitglied ihrer Organisation war, schickte sie zu Fräulein Alon so, und die Sekretärin sagte unter Hypnose aus, daß Jo einen Einbruch im Zeitungsgebäude vorgehabt habe. Der Rest war eine Aufgabe für die Untergrundbewegung, die von allem Wind bekam, was die Polizei unternahm. Eine Falle? »Wollen Sie nicht aufstehen? Es wird schon bald wieder Abend und wir haben noch eine Menge zu besprechen!« Jon fuhr hoch. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Allmählich fiel ihm ein, was inzwischen vorgefallen war. Für ihn war es der auf regendste Tag seines Lebens gewesen. Nun fand er sich in einer regelrechten Bruchbude wieder und hatte auf einem harten Strohsack geschlafen. Während er nach einer Zigarette suchte, sah er sich den »Hai« an. Sein Bart, den er noch gestern bei dem Besuch in der »Infor mation« getragen hatte, war verschwunden. Es war wohl ein künstlicher gewesen. Jetzt war sein Gesicht glatt, und die braune Haut spannte sich straff über die Backenknochen. Er hatte stahl harte, blaue Augen und schwarze, an den Schläfen angegraute Haare. Sein Maßanzug aus Azital-Garn saß vorzüglich, und die schwarzen Schuhe strahlten Hochglanz. Er paßte nicht in das ärmliche Milieu des Zimmers. »Haben Sie gut geschlafen? Es war wohl etwas hart, aber Sie waren auch sehr müde. Leider mußte ich Sie jetzt stören, denn etwas sehr Wichtiges hat sich ereignet. Es kommt kein Fett mehr in der Kontrollstelle an, und die geringen Vorräte werden verteilt. Das paßt in meinen Plan. Ihr Freund Rock Brand muß sofort wie der zu seiner Stelle zurück.«
»Wir werden von der Polizei gesucht?« »Ja, sämtliche Zeitungen sind voll von der Geschichte, die letzte Nacht passiert ist. Die größte Sensation ist aber der Roboter. Ver räter hat es immer gegeben, aber noch keine Roboter.« »Ach, man schreibt, daß wir Verräter sind?« »Ja. Sie und Ad Ferber werden gesucht. Von Rock wird nichts gesagt. Ich nehme an, daß man ihn jetzt braucht und daher seine Beteiligung an dem Einbruch totschweigt.« »Es kann auch eine Falle sein.« »Vielleicht. Aber dann hätte man vor allem Sie in die Falle zu lo cken versucht. Fräulein Alonso ist verhaftet.« »Moon macht vor nichts halt. Wir müssen da sofort was unter nehmen. Wir holen Sie raus.« »Nur die Ruhe. Das muß genau überlegt und geplant werden. Sie wird jetzt schwer bewacht, und wir kommen nicht mehr so leicht in das Sicherheitsministerium. - Kommen Sie jetzt aber lieber erst mal mit und essen Sie was. Ich habe etwas ganz Be sonderes für Sie. Ihr Freund Ad kann die Überraschung kaum mehr abwarten.« Jon erhob sich und versuchte mit kaltem Wasser seine Müdig keit zu verscheuchen. Dann stiegen sie in die Wirtsstube hinun ter. Ziegler, den sie im Keller der »Information« niedergeschlagen hatten, begrüßte sie. Die Stube, die einen sehr schmutzigen Eindruck machte und nach saurem Bier roch, war bis auf den letzten Platz von einer grölenden, johlenden Menge besetzt. Keiner schenkte den beiden Beachtung. Sie durchschritten den Raum und traten in ein dunk les, etwas freundlicheres Zimmer, in dem Jon seine beiden Freunde entdeckte. Während der »Hai« Ziegel irgendwelche Anweisungen gab, ließ sich Jon nochmals von Ad, der immer noch bei bester Laune zu sein schien, das inzwischen Vorgefallene erzählen. Überall in den Zeitungen waren große Aufrufe, in denen nach Rock gesucht wur de. Alle zwei Stunden gab der Televisor die Suchmeldung durch. Die Lage schien ernst zu sein. Irgend jemand entwickelte schon einen Fettersatzstoff, den er aus Stearin herstellen wollte. Aber alles war noch ungewiß. Auf der Börse notierte Speisefett zum zehnfachen, dann zum fünfzigfachen Kurs.
Ziegel schleppte eine große, sehr alt aussehende Kiste herein. Sie bestand aus einem seltsamen braunen Stoff, in den kleine Löcher unregelmäßig hineingebohrt worden waren. An manchen Stellen spielte die Farbe schon ins Schwarz hinüber. Auf dem De ckel stand in altmodischen, fast unleserlichen Buchstaben »Mapi on« oder »Naplon«. »Das hier«, sagte der »Hai«, »habe ich schon lange im Keller stehen. Es stammt aus einer alten, schon längst aufgegebenen Kontrollstelle in Nordend, wo früher Alkohole angeliefert wurden. Eine Zeitlang hatte ich einmal dort zu tun und fand in einem ver schütteten Kellergewölbe zwei Kisten. Es ist echtes Holz. Schon allein dadurch ist sie ein Vermögen wert.« »Wie bitte?« fragte Jon. »Holz? Von Bäumen?« »Genau«, bestätigte der »Hai« und grinste Ziegel an, der sich an dem. Erstaunen seiner Gäste weidete. »Wollen wir sie mal reinschauen lassen?« fragte er ihn. »Klar«, brummte der Gastwirt und rieb sich schon voller Vor freude die Hände. Mit beiden Händen riß der »Hai« am Deckel. Nur langsam gaben die vertrösteten Nägel nach. Eine dichte Staubwolke drang aus der Kiste. Dann lag der Inhalt frei. Jon trat näher und entdeckte mehrere seltsam geformte Fla schen, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren und grün lich schimmerten. Er nahm zögernd eine in die Hand und betrach tete sie genau. Eine dunkle Flüssigkeit gluckerte in ihrem Inne ren. Auf der einen Seite trug die Flasche die Überreste eines Eti ketts. »Das ist echtes Glas«, stellte Jon erstaunt fest und reichte die Flasche Ad herüber. Ferber versuchte mit gerunzelter Stirne, das Etikett zu entziffern, und las dann laut: »Feiner alter Weinbrand Nap... - Wie es weiter heißt, ist nicht zu sehen. Kann man das noch trinken?« »Sicher«, sagte der »Hai« und näherte sich schon mit einem Korkenzieher. »Geben Sie mal her.« Als der schwarze Korken aus dem Hals gezogen war, verbreitete sich in dem kleinen Raum ein intensiver, aromatischer Geruch. »Hmm.« Ad schnupperte. »So etwas habe ich noch nie getrun ken. Wie alt ist er?«
»Er ist aus echten Weintrauben gewonnen und dürfte über hun dertfünfzig Jahre alt sein, Herr Ferber.« Ziegel goß die Gläser voll. Der »Hai« wandte sich Rock zu. »Zigarette? Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen. Sie müs sen wieder zurück und dem Aufruf folgen. Sie werden gesucht.« »Wenn das keine Falle ist?« bemerkte Rock nachdenklich und entzündete die Zigarette. Weit blies er den Rauch von sich. »Herr Brand, wir brauchen Sie für unsere Organisation. Sie ma chen doch mit? Sie haben nicht mehr viel zu verlieren!« »Gut. Was wollen Sie?« »Sie gehen zurück zur Kontrollstelle, spielen den Naiven und sehen sich die Sache dort erst einmal an. Die Leute wissen schon, warum sie Sie zurück haben wollen. Sie sind doch Fachmann.« Ad hob sein Glas gegen die Deckenlampe. Das Gold der Flüssig keit strahlte wie ein Plutoniumfeuer. »Prost«, rief der »Hai«, und sie stießen an. »Auf gute Zusam menarbeit!« Der Kognak schmeckte ausgezeichnet. Ad machte plötzlich ein ernstes Gesicht. »Herr Ramses, was haben Sie mit Rock vor?« »Rock wird zu seiner Stelle zurückgehen und dort den Vorschlag machen, durch den Fördertunnel nach draußen zu gelangen. Dann ...« Jon stellte das Glas hart nieder. Ad wurde starr. Von hinten war das meckernde Kichern Ziegels zu vernehmen, der sich über die Situation mal wieder köstlich zu amüsieren schien. »Sie sind verrückt«, sagte Ad ruhig. Rock zuckte nur die Schultern. »Das ist unmöglich!« stieß Jon hervor. »Rock kommt keine drei Schritte weit. Die Strahlung ...« »Dafür haben wir Schutzanzüge.« »Und die Raketen, sie ...« »Dafür haben wir den Roboter!« Ad richtete sich aufrecht. Der Appetit auf den kostbaren Kognak war ihm schlagartig vergangen. Er blickte den »Hai« an. »Herr Ramses, wie stellen Sie sich das vor? Was soll Rock da draußen? Das kommt nicht in Frage. Ich kenne Rock schon seit vielen Jahren, und er wird jetzt auf mich hören. Er geht nicht hi naus!«
Der »Hai« zuckte die Schultern. »Wir haben keine andere Wahl. Es ist die einzige Chance, hi nauszukommen. Er wird die Genehmigung anfordern; anders ist es nicht möglich, auf die andere Seite der ›Acht‹ zu kommen. In diesem Falle wird sie erteilt, weil Nork auf dem Spiel steht. Es ist ein Sonderfall, ein Notfall. Rock wird sich bis zur Fabrik durch schlagen und sich dort umsehen.« »Nein!« schrie Ad. Er war jetzt ernstlich böse. »Seit wann sind ausgerechnet Sie am öffentlichen Wohl so interessiert? Ist nicht gerade dieser Fall eine Unterbrechung des Gleichgewichts? Dann müßte er Ihnen eigentlich recht sein. Das ›Gehirn‹ wird die Sache schon in Ordnung bringen.« »Kennen Sie das ›Gehirn‹?« fragte ruhig der Hai. »Sie kennen es nicht. Das ›Gehirn‹ hat keine Moral, das ›Gehirn‹ ist nicht menschlich. Es hat seine Aufgabe, aber keine Ideale. Was ich will? fragen Sie. Das ›Gehirn‹ vernichten, und das kann ich nur, wenn ich außerhalb der ›Acht‹ bin. Diese Idioten bilden sich ein, der Schirm bestünde zum Schutz der Bevölkerung. Keiner merkt, daß er in einem Käfig sitzt, in den ihn das Gehirn eingesperrt hat. Ich will den künstlichen Gott, den ich nur sehen kann, wenn ich die Augen hebe, von da oben herunterholen. Ich will wieder Ster ne sehen und kühle Nachtluft atmen und ich will unseren Be freiern eine Chance geben. Was ist mehr: ein ödes Leben unter Spielautomaten oder der Tod in der Freiheit, außerhalb des ver dammten Käfigs, der ›Acht‹?« Die lange Rede des »Hai« hatte Jon zutiefst erschüttert. Ab heu te würde er auf ihn zählen können. Er hatte ihm neue Ideale und ein neues Ziel gegeben, - dafür lohnte es sich zu kämpfen. Ad kniff die Lippen zusammen. Er schien angestrengt nachzu denken. Dann lösten sich seine Züge. Er grinste über das ganze Gesicht und reichte dem »Hai« die Hand. »Wer kommt noch mit?« »Ich.« »Sie? - wie wollen Sie das denn fertig bringen? Die Sache wird hoch offiziell sein, und Sie kennt man doch.« »Ich werde wieder meine Verkleidungskünste anwenden, und Rock wird mich als einen Freund vorstellen. Was sollte man dage gen haben, daß ich mitkomme? Den Feiglingen kann es nur recht sein, wenn zwei Personen hinausgehen. Die Chance ist dann grö
ßer. Übrigens« - er wandte sich Ad zu, »lassen Sie den Roboter kommen. Hoffentlich hat man ihn nicht demontiert.« Er zog das Kästchen hervor und betätigte die Einstellung. Wie der lag das Summen im Raum, und ein rotes Lämpchen glühte auf. Eine Stunde später verabschiedete sich Rock, und als er gegan gen war, saßen die Männer mit bedenklichen Gesichtern vor dem Televisor, um von der Ankunft Rocks zu erfahren. Sie wurden enttäuscht. Bis spät nach Mitternacht gab der Sender regelmäßig die Suchmeldungen durch. Etwas war schief gegangen. Jon und Ad gingen bald schlafen, aber es war eine unruhige Nacht. Das »Gehirn« entfaltete wieder die gewohnte Aktivität. Erschütterungen, die nur in Nordend spürbar waren, hielten stundenlang an, und greller Feuerschein warf zuckende Muster an die Wand. Jon dachte an Rock. Wahrscheinlich wurde er jetzt im Sicher heitsministerium verhört. Nachtverhöre waren gefürchtet. Viel leicht wäre es besser, wenn der »Hai« morgen einen anderen Unterschlupf suchen würde. Rock könnte den Verhören nicht standhalten und müßte den Aufenthaltsort verraten. Hatte der »Hai« nicht an diese Möglichkeit gedacht? Jon erhob sich und ging nach unten. Er wollte den »Hai« war nen. Sie waren in großer Gefahr. Als er unten anlangte, sah er die schattenhafte Silhouette des »Hai« vor dem Televisor kauern. Er schien zu schlafen. Oder dachte er bloß nach? War er mit seinen Gedanken bei den Ster nen, die er so gerne einmal sehen wollte? Der »Hai« schreckte auf. Jon erzählte ihm, was ihm eingefallen war. »Sie brauchen nichts zu befürchten«, beruhigte der »Hai« mit leiser Stimme. »Ich habe einen Verbindungsmann im Sicher heitsministerium sitzen, der mir gerade mitgeteilt hat, daß Rock nicht verhört wurde, sondern gleich nach seiner Ankunft im Si cherheitsministerium in das Regierungsgebäude in der Planck straße gebracht wurde. Dort gibt es keine Verhöre. Der Plan hat Aufsehen erregt, und man beginnt wieder zu hoffen. Rock ist jetzt der erste Mann in Nork. Weiteres will mein Vertrauter mir in ein bis zwei Stunden durchgeben. Deshalb warte ich hier und habe die anderen zu Bett geschickt. Ich bin froh, wenn ich wenigstens
nachts mal alleine bin und meinen Gedanken nachhängen kann.« Abrupt wandte er sich ab und brummte: »Gute Nacht, Herr Merg.« Vorstoß nach draußen Zur selben Zeit, als der Roboter kettenrasselnd in der Kneipe Zie gels ankam, spürte das »Gehirn« wieder die seltsamen Signale. Sie kamen von der Erdoberfläche und durchschlugen glatt die Jonosphäre. Hinter der Jonosphäre traten sie in den Pararaum ein. Warrior beherrschte nur vier Dimensionen. Zu der Zeit, als das »Gehirn« gebaut wurde, war es dem Menschen noch nicht gelungen, in ein fünfdimensionales Kontinuum einzudringen. Nun begann sich Warrior zu wundern. Irgend etwas tat sich da unten. Die Amöbe aktivierte ein Reserveaggregat. Nur langsam wurden die Widerstände warm. Zu lange hatten sie brach gele gen. Aber es war das letzte Reserveaggregat, das zur Verfügung stand; die anderen waren sämtlich in Betrieb genommen worden, und die Kapazität des Gehirns erschöpfte sich allmählich. Zehn Millionen Einzelhandlungen wurden gleichzeitig gesteuert. Damit war die Grenze fast erreicht. Die Amöbe schnappte sich ein Acetyl-Alkoholmolekül und kon sumierte es bedächtig. Der OH-Substituent schmeckte am ange nehmsten. Die Oxydationsprozesse, die so herrliche Träume ver ursachten, nahmen ihren Lauf. Rechtzeitig bevor das giftige Alde hyd entstand, legte die Amöbe eine Fermentbremse vor. Es bilde te sich ein Essigsäuremolekül, das sich bald in Kohlensäure um wandelte. Erfrischt, aber leicht benebelt, überzeugte sich Warrior davon, daß das Reserveaggregat auf vollen Touren lief. Speicherfibern zitterten erwartungsvoll. Jetzt war es an der Zeit, die Befehlskrei se einzusteuern. Eine Roboterkompanie, die mit Fernsehaugen ausgestattet war, setzte sich auf der Erdoberfläche in Marsch. Das Ziel lag einige hundert Kilometer entfernt, aber die Beobach tergruppe würde früh genug dort eintreffen. Die Antriebsmotoren erhielten einen Sonderenergiestrahl vom »Gehirn«, und die Ket ten rasselten mit wahnwitziger Geschwindigkeit. Warrior dachte an Pow, das feindliche »Gehirn« auf der anderen Seite der Erde. Sicher waren diese Pararaumsignale ein neuer Trick von Pow. Dieser Spaß sollte ihm teuer zu stehen kommen.
Warrior wollte ein für alle Male durchgreifen. Pow sollte sich end lich an einen geregelten und ordentlichen Krieg gewöhnen. Für Sondereinlagen, wie es diese Signale waren, hatte Warrior kein Verständnis. Die Sache war zu ernst. Spielverderber mußten be straft werden. Das Glück kam Warrior zu Hilfe. Im polaren Eismeer kreuzten Pows Roboter-U-Boote, die aus großer Tiefe Raketen zu starten versuchten. Sie verließen um den Bruchteil einer Sekunde zu spät das Wasser. Warriors Tiefsee-Bombe war schneller. In dampfen dem Wasser verwandelten sich die Boote zu Schrott. Befriedigt nahm das die Amöbe zur Kenntnis. Jetzt hatte sie sich aber eine saure Alge verdient. Über Nork graute der Morgen. * Der »Hai« war nicht wiederzuerkennen. Ein dichter Schnurrbart und schwarz gefärbte Haare, eine künstliche Narbe, die auf aben teuerlichen Bahnen über sein Gesicht lief, und blau gefärbte Kon taktgläser verwandelten ihn in den Mechaniker Link. Als er mit Rock um zehn nach sieben in die Kontrollstelle trat, verbeugte er sich vor den beiden Ministerialbeamten, die hier warteten, und tat sehr unterwürfig. Das gefiel allgemein, und man vergaß, ihn zu fragen, wo er herkäme und seit wann er Rocks Mechaniker sei. Jon und Ad waren schon anwesend. Sie taten so, als sei niemals etwas vorgefallen und unterhielten sich angeregt mit den Wissen schaftlern aus den verschiedenen Instituten, die in weißen Kitteln überall herumstanden und ihre Apparaturen festhielten. Aus dem Anlieferungsraum, der ein Stockwerk unter ihnen lag, tönten Ge räusche herauf. Anscheinend war man dabei, die Verschlüsse der Förderbandschleuse zu entfernen, damit die Männer nach drau ßen könnten. Rock war am Abend vorher zurück zum »Hai« gefahren. Aus Si cherheitsgründen hatten sie bald das Gasthaus verlassen, denn man konnte nicht wissen, ob der Präsident jemanden hinterher geschickt hatte. Sie verbrachten die Nacht in der verlassenen Kontrollstelle. Schon vorher hatte sich auch Ad mit dem Roboter
in einen nahe gelegenen Schuppen begeben. Von der Polizei war en sie in dieser Nacht nicht gestört worden. Rock trat zu Ad, der sich gerade mit einem Wissenschaftler über vier Strahlenschutzanzüge unterhielt, die auf dem Boden vor ih nen ausgebreitet lagen. Der Wissenschaftler versicherte, daß er die Anzüge selbst entwickelt und getestet habe. Sie seien hun dertprozentig dicht. »Morgen, Ad«, begrüßte Rock den Freund und streckte die Hand aus. »Wo hast du den Roboter gelassen?« »Ich habe ihn mit dem Lastwagen bringen lassen. Wir wollten keinen Zusammenstoß mehr riskieren. Er ist gestern abend mit einem Wagen zusammengeprallt, und es gab Verletzte. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt!« Ad wandte sich an den Strahlschutz-Experten. »Darf ich vorstellen? Das ist Herr Brand, der Leiter unserer Expedition. Herr Professor Tischbein, der die Schutzanzüge gebracht hat.« Rock gab dem Gelehrten die Hand. Dieser sagte vorwurfsvoll. »Entwickelt hat, Herr Ferber. Ich habe es doch gerade erklärt.« Als er merkte, daß ihm Rock zuhörte, begann er seine Ausführun gen über die Haltbarkeit der Anzüge von vorne. Inzwischen hatte der »Hai« Jon begrüßt, und sie ließen sich von den Beamten die verschiedenen Wissenschaftler vorstellen, die jeder ihren Beitrag zu dem Unternehmen leisten wollten. Ein ge wisser Dr. Schein lieferte Strahlungsmesser und einen Kurzwel lensender, den man an die Förderanlage anschließen konnte, um eine Verbindung der Expedition mit Nork zu garantieren. Alle An wesenden würden, ergänzte Schein pomadig, immer zur Verfü gung stehen und jedes Problem, das an die Expeditionsteilnehmer heranträte, zu deren Zufriedenheit lösen. Ein anderer, Dr. Karte, bot seine Medikamente gegen Gammaschäden, ein Mittel gegen Müdigkeit und eins zum Schlafen an. Sie bekamen noch mehr. Nahrung in Tablettenform; gebunde nes und konzentriertes Wasser in Stäbchenform. Sauerstoff in flüssiger Form. Allmählich hatten sich die vorher in allen Ecken stehenden weißbekittelten Männer in der Mitte versammelt und hielten den erstaunten Männern abwechselnd Vorträge. Das Gepäck wuchs zu einer unübersehbaren Masse an. Nur we nig wählte Ad daher für die Expedition aus. Wie selbstverständlich hatte er jetzt die Führung der Gruppe übernommen. Er und Jon waren die einzigen, die mit den Gelehrten fertig wurden. Sie wie
sen manches Ding zurück, das wegen des Gewichts nicht mitge nommen werden konnte. Um sieben Uhr dreißig stiegen sie in die schweren Anzüge und nahmen die Tornister auf den Rücken. Außerhalb der »Acht« gab es wohl genügend Atemluft, aber sie war gewiß radioaktiv. Der mitgeführte Sauerstoff war für 72 Stunden berechnet. Dann muß ten sie zurück sein. Ob sie bis dahin die beschädigte Fabrik er reicht hatten, konnte keiner sagen. Die genaue Entfernung war nicht bekannt. Pläne ließen sich nicht finden. Sie waren wohl schon vor langer Zeit zerstört worden. Die Ministerialbeamten ermahnten die Männer nochmals, keinen Einfluß auf das »Gehirn« zu nehmen. Im übrigen wünsche man viel Glück. Die Norker würden von der Expedition informiert wer den und jeder hoffe auf baldige Fettlieferungen. Die Expeditionsteilnehmer verabschiedeten sich und drehten die Sauerstoffhähne auf. Zischend füllten sich die Anzüge. Kurz wur den die Sprechfunkverbindungen zwischen den Männern geprüft, und dann gingen alle zum Lift, der sie in den Keller brachte, wo mittlerweile von Spenglern und Maurern die Schleusen des För derbandes abgerissen worden waren. Gewöhnlich bestand die Hauptschleuse im wesentlichen aus ei nem Deckel, der im Durchmesser etwa zwei Meter maß und aus dickem Panzerglas bestand. Durch die Scheibe ließ sich ein acht Kubikmeter großer Raum erkennen, der sich in normalen Zeiten mit der gelben Fettmasse füllte. Bei einer gewissen Fettmenge ertönte ein Signal, die sonst hermetisch verschlossene Tür ließ sich nun öffnen, und das flüssige Fett ergoß sich in bereitgestellte Behälter, die sich leicht abtransportieren ließen. Die Nebenschleuse von einem Meter Durchmesser war eigent lich nur zur Reserve da und nahm manchmal Fettüberschüsse auf. Das kam aber selten vor. Im allgemeinen hatte das Band immer konstante Mengen angeliefert. Außer den vorderen waren auch die hinteren Schleusentüren entfernt worden und lehnten jetzt neben den Öffnungen. Einige fahrbare Behälter, bis zum Rand mit einer schwarzen, stinkenden Masse gefüllt, standen an einer Längsseite des Raumes. Schwarz kam es auch langsam, im steten Fluß aus den Löchern hervorge quollen. Die Wissenschaftler wichen angewidert zurück. Der Ge ruch war unerträglich.
Natürlich merkten die Expeditionsteilnehmer in ihren Anzügen nichts davon. Neben der Tür entdeckte Ad den Roboter. Man hat te ihn schon hergebracht. Bewegungslos stand er mit hängenden Antennen da. Ad streckte die Hand aus, und ein Professor gab ihm den Fernsteuerer. Über der Tür glomm eine rote Lampe auf. Die Radioaktivität war hier im Raum gefährlich angestiegen. Sie entstammte der Luft, die aus dem Stollen herausströmte. Plötzlich fanden sich die Männer allein. Ad winkte, und Rock trat vor. Wenig später verschwand er in der Dunkelheit des Stollens. Ihm folgten Jon und der »Hai«, des sen Rucksack besonders voll zu sein schien. Es mußte ihm gelun gen sein, einen Apparat mitzunehmen, von dem die Beamten und Wissenschaftler nichts wußten. Er hatte ja sicher auch einige Leu te hier in der Kontrollstelle, die ihm gerne halfen, die etwas für ihn versteckten und es ihm später heimlich gaben. Ad drückte den Knopf des Kästchens, und das Aufglühen der Lampe sagte ihm, daß die Anlage funktionierte. Die Antennen des Roboters richteten sich langsam auf, und er rollte zu Ad. Ad wandte sich um und trat in die Hauptschleuse. Auf der Rückseite der Schleuse gähnte ein großes Loch, das das Ende einer gewaltigen Röhre bildete, aus der die schwarze Masse floß. Neben der Röhre waren die Schleusenwände entfernt wor den, und Ad entdeckte im Licht seines Scheinwerfers einen Stol len, der mannshoch war und aus dem die Röhre hervortrat. Die Röhre mußte aus strahlungssicherem Material bestehen, denn das Fett, das von ihr geliefert wurde, war nicht im geringsten radioak tiv. Stumm trabten die Männer hinter Rock her. Der Stollen führte nun steil abwärts. »Wie lange soll das so weitergehen?« fragte Rock durch die Sprechanlage. »Wir laufen jetzt schon bald sechs Stunden ziem lich zügig, und es geht immer noch gerade aus.« »Ich glaube«, antwortete »Hai«, »wir müssen bald an eine Ver stärkerstation kommen. Eine Pumpanlage ist nach so einer langen Strecke zu erwarten. Nehmen wir lieber erst mal ein paar dieser furchtbaren Pillen zu uns! Ich habe Hunger.« Sie blieben stehen und warteten, bis Ad herangekommen war. Hinter ihm rollte treu der Roboter. Nach weiteren zwei Stunden angestrengten Laufens entdeckten sie, als sie um eine Ecke bogen, ein Metalltor, das den Gang ver
schloß. Die Röhre trat neben dem Rohr durch dessen Metallrah men hindurch. Einige Minuten standen sie andächtig vor der Sperre. Sie mußte zweihundert Jahre alt sein. Ihre Vorväter hat ten sie gebaut, als der große Krieg begann. Jon trat näher heran und entdeckte eine verschwommene Zeichnung, die mit roter Farbe in feinen Linien auf der Tür angebracht war. »Das ist der Konstruktionsplan der Station«, bemerkte Ad. »Hier muß es einen Aufzug geben«, sagte Rock und wies mit der behandschuhten Rechten auf einen Teil der Konstruktions zeichnung. »Richtig«, antwortete nun Ad. »Die Pumpe, oder was das sonst sein soll, ist hier eingezeichnet.« Die beiden beugten sich über den Plan und schienen von der Entdeckung ganz begeistert. Jon und der »Hai« sahen sich fra gend an und forderten die anderen beiden dann zum Weitergehen auf. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Auch Gewaltanwendung hatte keinen Zweck. Sie war zwar aus bestem VA 4-Stahl hergestellt und konnte deswegen wohl nicht angerostet sein. »Den Robot!« sagte der »Hai« kurz, und Ad bediente sofort den Fernsteuerer. Der Roboter lief langsam weiter und dröhnte wuch tig gegen die Stahltür. Nach zwei Versuchen gab er es auf und schien zu überlegen. Auf seiner Vorderseite öffnete sich eine Klappe, und eine Feuerzunge strich probierend über das Metall. Die Männer traten zurück. Die Flamme verwandelte sich in einen weißglühenden Strahl. Der Roboter ließ ihn einige Male auf und ab wandern und konzentrierte ihn dann auf eine bestimmte Stel le. Im Stollen wurde es warm. Ad strebte weiter zurück, und die anderen folgten ihm. Sie sahen, wie die ganze Stahltür plötzlich blendend weiß aufleuchtete und häßliche Beulen bekam. Dann bildeten sich Tropfen, die bald in Bächen auf den Felsboden strömten. Die Temperatur stieg rasend schnell. Selbst in den Anzügen, die eine dicke Asbestschicht hatten, wurde sie allmählich spürbar. Ad fühlte, wie ihm die Schweißtrop fen das Gesicht herunter rannen. Dann entstand ein schwarzes Loch in der Tür, und der Roboter rollte hindurch. Ad holte ihn wieder zurück, und sie warteten noch einige Minu ten, bis das geschmolzene Metall nur noch schwach rot glühte. Dann kletterte der »Hai« auf den Roboter und ließ sich von ihm
auf die andere Seite tragen. Die anderen folgten einzeln auf die selbe Weise. Sie standen jetzt in einem größeren Raum, der ganz mit Metall verkleidet in den Felsen eingelassen war. Der größte Teil des Raumes wurde von einer Maschinerie eingenommen, in der die Röhre auf der einen Seite hinein und auf der anderen Seite he raustrat. In der einen Ecke begann ein Lift, der auf der Erdober fläche enden mußte. Auf dem Boden lagen Eisenteile herum, die aus der Maschine stammten und wohl in den vergangenen zwei hundert Jahren von Reparaturrobotern ausgetauscht worden war en. Die Tür auf der Rückseite ließ sich leicht öffnen. Schon wollte der »Hai« hindurchtreten, als er in etwa zehn Meter Entfernung nacktes Felsgestein in seinem Scheinwerfer auftauchen sah. Ent weder gab es hier eine Biegung, oder der Gang war zu Ende. Er ging bis zu der vermeintlichen Biegung und stellte fest, daß der Raum neben der Röhre hier so klein wurde, daß sich kein Mensch mehr hindurchbewegen konnte. »Ende«, gab er bekannt und lief zurück. Die anderen sahen ihn verständnislos an. »Der Gang ist zu Ende«, sagte der »Hai«. »Dann müssen wir mit dem Lift nach oben«, schlug Ad vor. »Gut«, willigte Jon ein, »aber wir müssen dem wissenschaftli chen Team Bescheid geben.« Er nestelte an seinem Rucksack und schloß das Gerät an der Röhre an. Hochfrequente Ströme eilten zurück in die Stadt. »Hallo!« rief Jon. »Hier ist Expedition Speise fett. Können Sie mich hören? - Hallo, hier ist... Ja? - Verständi gung gut. Der Gang hört hier auf. Wir haben eine Verstärkeranla ge gefunden und könnten mit dem Lift nach oben.« »Warten Sie«, kam die deutliche Antwort. »Unser Geologe und Professor Eule versuchen Ihre Position festzustellen.« »Wozu?« rief Jon ärgerlich. »Wir können Ihnen die Position ja mit dem Kompaß bekanntgeben. Außerdem haben wir jetzt fün funddreißig Kilometer zurückgelegt. Sagen Sie uns lieber, ob wir hinauf können.« »Hier ist Eule. Der Kompaß hat wenig Sinn. Das magnetische Erdfeld ist durch Radioaktivität gestört. Simpson peilt Sie jetzt an ...« »Was ist denn los?« fragte der »Hai«. Jon war wütend. Nervös klopfte er mit den Fingern auf das Sendegerät. »Sie wollen erst feststellen, wo wir sind. Ein gewisser
Simpson soll uns auf Veranlassung von Eule anpeilen. Warum gibt man nicht die Erlaubnis hinaufzugehen? Hauptsache, die Wissen schaftler haben jetzt ihre Versuchskaninchen.« »Geben Sie mal her«, drängte der »Hai«. Die anderen traten neugierig näher. Er schob den Stecker in die Kontaktbuchse sei nes Helmsenders. Die Scheinwerfer zauberten gespenstische Schatten auf die glatten Wände der Kammer - dunkle, zweidi mensionale Überwesen schienen sich mit den Männern im glei chen Raum zu bewegen. »Hier ist Eule«, begann die Stimme von neuem und schwoll langsam an und ab. »Stellen Sie jetzt den Barioneninduktor, den Sie mitbekommen haben, auf die Frequenz Psi! Dazu müssen Sie auf der Skala das linke Feld benutzen. Dann peilt Simpson noch mals.« »Hier spricht der ›Hai‹«, gab Ramses mit lauter Stimme be kannt. »Von jetzt an brauchen wir keine Ratschläge mehr. Sie sind vor hundert Jahren geistig stehengeblieben. Ihre Maßstäbe können hier nicht mehr angelegt werden.« »Wer spricht dort? Was ist los? Sagten Sie ›Hai‹? - Moment, ich verbinde mit dem Psychologen Barium.« »Das ist nicht nötig«, sagte der »Hai« und grinste. »Was haben Sie plötzlich?« erkundigte sich Ad mit besorgter Stimme. »Sie wollten doch Ihre Identität geheimhalten. Was ha ben Sie gegen die Wissenschaftler?« »Es sind keine Wissenschaftler. Sie kennen nur die Physik von Nork. Alles, was mit außen zu tun hat, wird schon lange nicht mehr gelehrt. Die Erkenntnisse, die dabei gewonnen würden, wi dersprächen der Philosophie des Gleichgewichts, der Passivität und Ignoranz. - Ja?« Er horchte. »Hier spricht Barium. Können Sie noch verstehen, was ich sage? - Behalten Sie jetzt die Ruhe. Der ungewohnte Anblick und das Gefühl, draußen zu sein, hat Sie geistig verwirrt. Bleiben Sie ganz ruhig. Kommen Sie dann zurück. Aber langsam. Lassen Sie sich durch nichts beirren. Wir stehen hinter Ihnen und helfen, wenn nötig.« Der »Hai« löste schnell das Gerät von seinen Anschlüssen und gab es an Jon zurück. »Auf den Unsinn, den sie uns erzählen, können wir verzichten. Kommen Sie jetzt, wir gehen nach oben.«
»Sie werden Schwierigkeiten bekommen, wenn wir zurückkeh ren«, meinte Jon, als sie zum Lift traten. Rasselnd folgte der Ro boter. »Das sowieso«, antwortete der »Hai«. Sie öffneten die Tür. Vor ihnen lag ein dunkler Raum, aus dem eine Treppe nach oben führte. An den Apparaturen, die hier auf gebaut, waren, erkannten sie, daß dies eine Relaisstation war. Sie schien direkt mit dem »Gehirn« in Verbindung zu stehen. An scheinend wurde hier die Fettförderung gesteuert. Robotschlacht Vor ihnen lag eine Stadt. Aber es waren nur noch Ruinen. In einer grauenhaften Katastrophe schien sie untergegangen zu sein. Rie sige Hochhäuser lagen wie gefällte Bäume übereinander, und wil der Pflanzenwuchs überwucherte in phantastischer Vielfalt die geschwärzten Trümmerhaufen. Ein Feuerschein lag rings über dem Horizont, und durch die Helme war ein ständiges, bösartiges Grollen zu vernehmen. Ir gendwo in der Ferne spielte sich eine gewaltige Schlacht ab. Ein Heulton erwachte über dem Horizont. Das Heulen wurde zum Or kan, und ein langes silbernes Projektil raste über den orange ge färbten Himmel. Aber alles ging wie ein Blitz vorüber. Nur noch die Schallwellen brandeten auf die Ruinen herunter, und sie gli chen dem Schrei aus der Hölle. Jon wandte sich um. Das Gebäude, aus dem sie gerade ge kommen waren, bestand aus meterdicken Betonplatten, die sorg sam ineinandergefügt waren. Überall sah man frische Reparatur stellen. Aber schon hatten die Splitter wieder neue Löcher in die Mauern gerissen. Auf dem Dach konnte man die Umrisse eines Raketenwerfers erkennen. Blinkende Projektile lagen nebeneinan der aufgereiht und warteten auf den Einsatz. »Der Roboter gehorcht noch«, sagte Ad und beobachtete den Panzer, der ihnen immer noch folgte. Entweder wußte das »Ge hirn« noch nichts von der Rückkehr seines Generals, oder Ads Fernsteuerer war stärker als die Leitstrahlen des Satelliten. Langsam und vorsichtig gingen sie weiter. Die Geigerzähler stießen jetzt hohe Pfeiftöne aus; ihr anfängliches Ticken hatte sich zu einem einzigen hohen Ton gesteigert. Die Radioaktivität mußte tödlich sein. Hoffentlich hielten die Anzüge wirklich dicht.
Jon angelte sich mit der Zunge eine Nahrungstablette und schluckte sie schnell hinunter. Jetzt konnte es losgehen. »Er bleibt stehen«, stieß Ad hervor und blickte zu dem Roboter, der keine Anstalten zum Weiterrollen machte. Der »Hai« wies in eine andere Richtung. »Schaut euch das mal an. Dort, am Horizont.« Jon suchte. Dann entdeckte er einen blendenden Feuerstrahl, der von einer Rakete herrühren mußte. »Scheint eine schwere HK 12 zu sein«, bemerkte Ad, der etwas von Raketen verstand. »Trägt eine Tonne Fussin-Sprengstoff und eine kleine A-Bombe, Typ Zeta.« »Das kann ins Auge gehen« sagte Rock. Die linke Antenne des Roboters stieß sprühende Funken aus. Ad zeigte auf ihn. »Seht euch das an.« »Dahinten kommt noch eine.« »Bläulicher Flammenschweif. Entweder eine Nike-Blitz oder eine Ziolkowsky 20.« »Sie kommen beide auf uns zu. - Volle Deckung!« Der »Hai« und Ad blieben stehen. Hinlegen nützte jetzt nichts mehr. Die Rakete, die wie eine Nike-Blitz aussah, war unendlich viel schnel ler. Sie schoß über die Stadt. Erst viel später kam das Geräusch der Antriebsdüsen. »Beim Himmel, sie nimmt sich die HK 12 vor.« Der Lichtschein, der beim Zusammenprall entstand, war unert räglich. Die Männer hielten die Arme vor die Sichtscheiben. Die Druckwelle, die aus tausend Meter herunterkam, warf sie zu Bo den. »Prost«, sagte Jon. Er hatte sich als erster wieder erhoben. »Das war haarscharf«, keuchte Rock und stand ebenfalls auf. Er klopfte den Staub vom Schutzanzug. Die Geigerzähler benahmen sich wie irrsinnig. Die Strahlungsmenge war nicht mehr meßbar. Weit draußen, halb im Himmel hängend, erhob sich langsam und majestätisch der Atompilz. Rasch wurde es dunkel. »Das hat Egon gut gemacht«, kam es von Ad, der sich eine Stelle am Arm rieb, auf die er gefallen sein mußte. »Wer ist Egon?« »Ich habe den Roboter gerade so getauft. Er hat sich seinen Namen soeben verdient. Ohne ihn wäre es mit uns aus gewe sen.«
»Ach, deswegen blieb er wohl stehen und hat Funken gesprüht. - Gut gemacht, Alter.« Der »Hai« lief einige Schritte zurück und klopfte dem Roboter auf die Panzerplatten. »Das war nicht schön vom ›Gehirn‹«, sagte Jon. Ad sah ihn an. »Das ›Gehirn‹ weiß sicher nicht, daß wir hier sind. Zumindest jetzt noch nicht. Es wird eine Routine-Rakete gewesen sein. Ich vermute sogar, daß diese Rakete gar nicht von unserem ›Gehirn‹ stammt. Die Geschosse sehen sich ja so ähn lich.« »Könnte stimmen. Machen wir also jetzt lieber, daß wir hier he rauskommen.« Die Männer waren zwei Stunden gelaufen und hatten kein Zei chen gefunden, das sie zu der Fettfabrik führen würde. »Wahrscheinlich gibt es in der Stadt dort am Horizont eine Fett förderanlage und wir können wieder in den Schacht steigen. Das dürfte ungefähr die Richtung sein, in der das Band verläuft.« »Und wenn man dort auch nicht neben dem Band laufen kann, was dann?« »Versucht muß es auf alle Fälle werden. Es wird schon Abend, und wir sind schon zehn Stunden unterwegs.« Als Jon müde wurde, nahm er eine Wach-Tablette und forderte die anderen auf, es ihm nachzumachen. Sie sahen nicht, wie der Roboter wieder stehen blieb und wie es in ihm zu arbeiten begann. Erst die Explosion ließ sie aufschre cken. Die Druckwelle riß ihnen die Füße weg. Sie dachten, ihre letzte Stunde sei gekommen. Aber es ereignete sich nichts mehr. Dankbar sahen sie den Roboter an. Die angreifende Rakete war weit von ihnen entfernt in der Luft zur Explosion gebracht wor den. Der Roboter bekam die Warnungen über die vielen Relaissta tionen, die im Umkreis in den Boden und in den Fels hineingebaut worden waren. Er »wußte« auch, wo die nächsten Raketenbatte rien standen. Meist waren sie zehn bis fünfzig Kilometer entfernt, und die Abwehrgeschosse legten riesige Strecken zurück, bis sie ins Ziel gesteuert wurden. Noch zweimal während der nächsten Stunde mußten die Männer volle Deckung nehmen. Einmal kam ihnen eine Infrarot-OrganoRakete gefährlich nahe. Ein Splitter ritzte Jons Anzug. Blitzschnell wurde die Stelle abgedichtet und der Sauerstoff im Anzug er neuert. Aber der Arm begann zu jucken, und Jon ärgerte sich darüber. Rock schlug vor, man solle von der nächsten Förderan
lage aus bei den Wissenschaftlern anfragen, ob Jon gefährdet sei, aber der »Hai« wollte, nichts davon wissen. Er verordnete eine Tablette gegen Strahlungsverbrennungen, die das Gewebe er neuerten. Schon bald nachdem er sie genommen hatte, fühlte sich Jon besser. Um sieben Uhr abends näherten sie sich der Stadt, und das die sige Trümmerfeld ließ sie stocken. Die Förderanlagen waren alle zerstört. Sie sahen sich zwei, drei an und ließen dann das weitere Suchen sein. Es hatte keinen Zweck. Hier war nichts zu holen. Welche Richtung sollte jetzt eingeschlagen werden? Rock fiel auf, daß überhaupt keine Leichen zu finden waren. Sie durchstöberten einige zerschmetterte Hochhäuser. Aber zum Vorschein kamen nur einige Tierskelette, die der »Hai« für Hunde hielt. Von Men schen war keine Spur zu finden. Vielleicht hatten sie sich unter der Strahlung vollkommen aufgelöst. Als die Männer ihre Scheinwerfer eingeschaltet hatten, legten sie eine kleine Pause ein und berieten, was jetzt unternommen werden sollte. »Was war das?« fragte Jon plötzlich mit erregter Stimme. Er sah in die Richtung des Roboters, der nur wenige Meter vor ihnen auf einem erhöhten Mauervorsprung hockte und die Gegend zu beobachten schien. Jetzt bewegten sich langsam die Antennen, und die Ketten liefen probend vor- und rückwärts. »Was soll denn los sein?« Der »Hai« horchte. Jetzt hörte er ein Zischen, das aus der Ferne zu kommen schien. »Irgend was ist da vorne los«, bestätigte nun auch Ad. Plötzlich waren krachende Explosionen zu hören. Hinter einem vollkommen zerstörten Häuserblock, der etwa dreihundert Kilometer von ihnen entfernt lag, begann es zu rasseln. Es erinnerte an das Kettenras seln schwerer Panzer. Ein metallischer Gegenstand bog um die Ecke. Dann waren es plötzlich zwei, dann vier, und dann konnte man sie nicht mehr zählen. »Roboter greifen an!« stieß Rock aufgeregt hervor und zeigte auf die heranrollenden Ungetüme. Irgendwo in der Stadt schlug eine Rakete ein. Der Boden schwankte, und eine Staubwolke ver deckte die Sicht. Als es wieder klarer wurde, suchten sie mit den Scheinwerfern die Straße ab. Die Roboterkompanie war vorübergezogen. In der Ferne wurde der Kampflärm lauter. Die Männer saßen starr und rührten sich nicht.
»Nicht bewegen, sonst sehen sie uns!« flüsterte der »Hai«. Di cke Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirne gebildet. Das Sichtglas beschlug sich von innen mit Feuchtigkeit. Sie warteten. Jetzt kam wieder etwas die Straße herunter, aber aus der entge gengesetzten Richtung. Es waren zwei vollständig zerstörte Robo ter, die in einen höllischen Hitzestrahl hineingeraten sein mußten und von einem seltsamen Schleppfahrzeug vorbeigezogen wur den. Die Maschinen brauchten kein Licht. Ihre Infrarotaugen sahen auch im Dunkeln. Die Schlacht schien sich jetzt einem Höhepunkt zu nähern. Das grelle Kreischen zerreißenden Stahls hing minu tenlang über der Stadt. Die einfliegenden Raketen kamen in ununterbrochener Folge. Gigantische Orgelregister schienen ge zogen worden zu sein. Flammenpfeile zauberten ein nie gesehe nes Feuerwerk an den Himmel. Plötzlich begann im Hintergrund eine Schnellfeuerkanone zu singen. Fünftausend Schuß wurden in einer Minute aus dem Lauf gejagt. Die Leuchtspur bildete eine dünne Brücke, die etwa zwei hundert Meter hinter den Männern begann und mitten in der Schlacht endete. Der Lärm wurde unerträglich. Die vier drehten ihre Geräusch verstärker auf ein Minimum zurück. Aber die Erde, die sich wü tend schüttelte, sagte ihnen die Wahrheit. Die Lage war sehr ge fährlich. Jeden Augenblick konnte das Schnellfeuergeschütz unter Beschuß genommen werden und dann würden die vier auch ihren Teil abbekommen. Massenweise wurden jetzt zerstörte Roboter an ihnen vorbeige fahren. Jon robbte zu Ad, der einige Meter von ihm entfernt in einem halbverschütteten Keilereingang lag. »Schau dir Egon an. Es scheint ihm auf den Fingern zu brennen. Er summt wie ein Bienenkorb und sprüht Funken wie ein Vulkan. Wahrscheinlich kann er die vielen Ausfälle nicht verkraften.« »Ich kann ihn kaum mehr halten. Der Fernsteuerer arbeitet schon mit äußerster Kraft. Wahrscheinlich ärgert ihn die Strategie seines Kollegen«, flüsterte Ad in sein Helmmikro, so daß Jon Mü he hatte, ihn zu verstehen. Langsam begann sich das Antriebsrad des Robot-Generals zu drehen. Die Ketten folgten. Der Roboter kroch eine Schutthalde hinunter und änderte dann plötzlich die Richtung. Jetzt hatte er
die Straße erreicht. Seine Geschwindigkeit erhöhte sich. Er zog davon in Richtung des Schlachtfeldes. Ad arbeitete verbissen an seinem Steuergerät. Aber es nützte nichts. Mit grimmigen Mienen sahen die Männer Egon um die nächste Biegung verschwinden. Die Luft fluoreszierte grünlich. Ein zweiter Tag war angebro chen. Der blaue Tod deckte sein Tuch über die Ruinenstadt. Jon blickte auf den Film im Helminneren. Die Gefahrenzone war schon längst überschritten. Das Schwarz war in Rot übergegan gen. Die Schutzanzüge waren also doch nicht so dicht, wie der Hersteller beteuert hatte. Das Schnellfeuergeschütz steuerte eine neue Richtung ein und gab Dauerfeuer. Auf dem einen Roboter stand plötzlich eine klei nes, zweibeiniges Wesen. Es sprang hinunter, und schon war es auf dem nächsten - und dem dritten. Dann geriet es in die gift grünen Strahlen. Klappernd fiel es auf den Boden. »Ein Mensch« rief Ad durch den Lärm. In diesem Augenblick be gannen die Roboter abzuleuchten. Rot, dann immer heller. Als sie in strahlendem Weiß leuchteten, liefen große Tropfen geschmol zenen Metalls an ihnen herunter. Dann sackten sie unvermittelt zusammen. Es dauerte lange, bis die Explosionen nachließen und immer weniger Roboter die Straße passierten. Eine Ewigkeit später rich tete sich Ad auf. Er lebte. Es schien vorbei zu sein. Er rief die an deren. »Hier!« sagte Jon. »Hier!« - »Hier!« kam es von Rock und dem »Hai«. Er sagte: »Es scheint vorbei zu sein. Gehen wir jetzt lieber zu unserem Förderband zurück. Wir haben zuviel Strahlung abbekommen. Wir werden dort dann besprechen, was weiter geschehen soll.« Schweigend kletterten sie den Geröllhaufen hinunter, hinter dem sie sich versteckt hatten. Ad nickte. »Ohne den Roboter sind wir sowieso aufgeschmissen. Wir kön nen von Glück reden, wenn wir es bis zum Schachteingang schaf fen!« Als sie an den drei zerschmolzenen Robotern vorübergingen, bückte sich Rock und betrachtete das seltsame zweibeinige We sen. Er berührte es mit dem Fuß. Es maß in der Länge ungefähr anderthalb Meter und sah recht harmlos aus. Jetzt war es schwarz und ölverschmiert.
»Es ist ein Roboter«, bemerkte Ad. »So einen habe ich noch nie gesehen. Ich dachte, das Raupenkettenprinzip sei allgemein vom ›Gehirn‹ eingeführt worden. Dieser Roboter hier hat viel Ähnlich keit mit einem Menschen; bis auf die Arme.« Der »Hai« zuckte die Schultern. »Gehen wir weiter!« Die Umgebung hatte sich während der Schlacht sehr verändert. Nur schwer konnten sich die Männer jetzt orientieren. »Dort war doch ein zerstörter Bunker!? Wir müssen rechts an ihm vorbei, dann der Graben ...« »Da ist kein Bunker. Gehen wir lieber in diese Richtung.« »Ja, hier sind wir richtig. Ich erinnere mich noch an die komi sche Fassade. Wir haben sie gesehen, als wir von der anderen Seite kamen.« Eine halbe Stunde verging. Schließlich erreichten sie den Stadt rand. In der Feme sahen sie etwas im Scheinwerferlicht aufblit zen. Sie gingen darauf zu. Als sie näher daran waren, blieben sie erstaunt stehen. »Eine große Rakete«, sagte Ad erstaunt. »Den Typ habe ich noch nie gesehen.« Sie war hundert Meter lang, und ihre Oberfläche bestand aus großen schwarzweißen Karos. Gewaltig ragte eine Schwanzflosse empor, aber sie schien eigenartig verbogen und deformiert. Nur noch unregelmäßig gezackte Bruchstellen verrieten, daß die Ra kete drei Flossen gehabt haben mußte. Im Vorderteil klaffte ein häßliches, unregelmäßiges, schwarz umrandetes Loch. Ad betrachtete die riesige Öffnung, aus der der Triebstrahl gekommen sein mußte. Sie war von einem besonde ren blauen Metall eingefaßt, das im Lichte der Scheinwerfer blen dende Reflexe zurückwarf und von keinem Kratzer getrübt schien. »Ich habe etwas entdeckt«, rief Jon in den Helmsender. »Seht euch das mal an.« Der »Hai« hob langsam den Kopf. Er schien nicht im geringsten überrascht. »Wundert Sie das etwa?« »Eine Tür!« rief Jon und wies auf die Öffnung im Rumpf der Ra kete. »Wozu braucht eine Trägerrakete eine Tür?« »Sie ist ja quer!« bemerkte Rock erstaunt und trat mit den an deren näher. »Die Rakete soll ja gewöhnlich auch stehen«, belehrte ihn der »Hai«. »Sie ist abgeschossen worden.« Dabei deutete er auf das
häßliche Loch, das eine Nike gerissen haben mußte. Inzwischen hatte sich Ad durch die Tür gezwängt. Sie hing nur lose in ihren Verschlüssen und Ad war im Inneren verschwunden. »Bleiben Sie lieber da«, riet der »Hai«, als Jon nachfolgen woll te. »Wir wollen uns auf nichts einlassen.« In den Kopfhörern hörten sie Ads erstaunten Ausruf. »Hier sind Menschen! Richtige Menschen. Sie sind tot. Es ist grauenhaft!« »Menschen?« fragte Jon zurück »Keine zweibeinigen Roboter?« »Nein, es sind Menschen. Sie haben Blut. Es ist getrocknet, der Luftdruck ...« »Scheußlich«, murmelte Rock nachdenklich. Dann wandte er sich an den »Hai«. »Wo kommen sie her? Vom Mond?« »Nein, sie kommen von den Sternen. Ich habe es immer ge wußt. Auf dem Mond kann ohne Nachschub von der Erde niemand leben. Sie wollten uns holen.« »Sie sind höchstens zwei Wochen hier«, kam wieder die Stimme von Ad durch den Kopfhörer. »Hier ist ein Funkgerät.« »Los«, sagte der »Hai« und wies mit dem Kopf auf die Schleu se. »Gehen wir hinein.« Der Raum war sehr klein. Im Licht der Scheinwerfer wurde ein großes Armaturenbrett sichtbar, das die ganze vordere Hälfte der Kabine einnahm. Vor ihm standen drei kompliziert aussehende Sessel. Und hier lagen, eigenartig verkrümmt, die drei Toten. »Es sind Menschen«, sagte Ad noch einmal. Dann blieb es für lange Zeit still. Nur undeutlich drang das Pfeifen der Raketen in den engen Raum, die draußen ihre Bahnen zogen. »Wo kommen sie her?« fragte Rock mit veränderter Stimme. »Wer weiß«, antwortete Ramses. »Sicher von den Sternen. Sie wollten hier landen.« »Vielleicht eine Forschungsexpedition«, vermutete Ad Ferber. Er stand an dem halbkreisförmigen Steuerpult und bewegte einige Schalter. Nichts geschah. Dann sah er die Schrift neben den He beln und Handrädern. »Seltsame Schrift!« sagte er gedankenvoll. Die anderen traten näher. Jon erinnerte sich, im Archiv der »Information« ein Buch gelesen zu haben, das mit den gleichen seltsamen Zeichen be druckt war. »Es ist eurasisch. Der Feind schreibt so.«
»Schrieb so!« verbesserte der »Hai«. »Hier ist ein Mikrophon. Ob sie ein Tonband hatten?« Ad suchte weiter. »Moment - hier!« Ein Knacken, dann begann ein leises Rauschen, und eine heise re Stimme berichtete. Die Sprache konnte keiner verstehen. Sie hatten das Logbuch entdeckt. Und einen Moment schien es Rock, als habe sich der mittlere der beiden Toten bewegt, als käme er mit seiner Stimme wieder zum Leben und könnte selbst von dem Flug durch die hellen Milchstraßen, den strahlenden Gestirnen der Lyra und dem grausigen Nichts im Pararaum erzählen. Aber es war eine Täuschung. Jetzt bewegte sich die ganze Kabi ne. Der Luftdruck der dreitausend Meter entfernt einschlagenden Tritonrakete warf die Männer zu Boden. Die Schallwellen der Ex plosion wurden durch die Helme nur wenig gemindert. Schmerz haft zerrten die Trommelfelle. Jemand schrie auf. Dann wurde die Nacht zur roten Hölle. Mit gellendem Kreischen gruben sich Splitter in die Außenhaut des Schiffes. Vom Logbuch tönte immer noch die Stimme des toten Raumfahrers. Wie ein welkes, gelbes Blatt im Herbst wurde der Rumpf der Rakete hin und her geworfen. Bisweilen sprang sie empor, als suche sie den Weg zu den Sternen. Aber die Erde riß sie wieder zurück. Der Raumer sollte mit ihr zu Grunde gehen. Der »Hai« war zu den Pilotensitzen gerobbt und hatte die An schnallgurte der drei Piloten gelöst. Immer wieder mußte er ru fen, bis die anderen seine Stimme durch den infernalischen Lärm gehört hatten. Sie zerrten die Toten aus den Sitzen und schnall ten sich selber fest. So ließen sich die Stöße einigermaßen ertra gen. Draußen schien sich wieder eine Schlacht abzuspielen, und sie mußten hier mitten im Zentrum sitzen. »Hallo!« Der »Hai« wandte den Kopf. Jetzt erst sah er, daß ei ner fehlte, denn es waren ja nur drei Sitze vorhanden. Jon lag auf dem Boden. Er war bis zur Schleuse zurückgerutscht und schlug bei jeder Erschütterung mit dem Kopf hart gegen die Metallschie ne auf dem Fußboden. Ad war schon bei ihm und versuchte ihn festzuhalten. Dabei rief er die anderen. »Schnell! - Er ist bewußtlos.« Der »Hai« lud ihn sich auf die Schultern und trug ihn zu dem mittleren Sitz. Nur stolpernd konn te er sich dabei fortbewegen. Dann betrachtete er sein Gesicht durch das Helmglas und bemerkte das Blut, das Jon von der Schläfe herablief. Er hatte sich beim Fallen am Kopf verletzt. Jetzt
würde man dagegen nicht viel machen können. Es war höchste Zeit, daß sie hier herauskamen. Der »Hai« richtete sich auf und brüllte in sein Mikrophon: »Wir müssen raus. Er muß sofort nach Nork.« »Ich glaube nicht, daß wir draußen durchkommen!« rief Ad. »Aber wir können es ja versuchen. Hier drin erwischt es uns auch früher oder später.« Rock erhob sich sofort von seinem Sitz. »Moment«, sagte der »Hai«. »Ich komme nicht mit. Ich habe noch etwas zu erledigen.« Ad erhob sich langsam. Sein Gesicht wurde hart. Er ging auf den »Hai« zu. »Sie haben uns veranlaßt, hierherzukommen. Wir schaffen es nicht alleine zurück. Es war Ihre Idee, die ›Acht‹ zu verlassen. Sie müssen uns jetzt zurückbringen. Jon kann nicht laufen, und da brauchen wir jeden Mann. Es ist keine Zeit zu verlieren.« Der »Hai« suchte in seinem Rucksack. »Augenblick«, sagte er. Dann zog er eine kleine Lengfeld-APistole. Ad erstarrte. Rock setzte sich langsam wieder in seinen Sessel. Draußen waren die Einschläge der Tritonraketen nicht mehr vo neinander zu unterscheiden. Es war ein gewaltiges.Brausen; das Signal, daß das Ende nahe war. Nork in Panik Moon schien um Jahre gealtert. Der Sicherheitsminister sah ihn besorgt an. Wie lange würde der Mann das noch machen können? Er hätte sich schon längst zurückziehen sollen. Und jetzt, in die ser Nacht, schien der Präsident nicht mehr weiter zu können. Der Sicherheitsminister wandte sich vom Fenster ab und ließ den Präsidenten allein beobachten. Seit Mitternacht war das Licht anders geworden. Grünliche Zungen krochen die »Acht« hinauf und machten sie annähernd undurchsichtig. Und trotzdem ließen die zuckenden Blitze der donnernden Explosionen die Häuser für einen Augenblick lange dunkle Schlagschatten werfen, die sich ständig veränderten, um die Gebäude herumkrochen, die Stadt in das Gemälde eines rauschgiftsüchtigen Wahnsinnigen verwandel ten.
In den frühen Morgenstunden waren die ersten Demonstranten auf den Straßen erschienen und hatten den Weltuntergang, den Untergang des »Gleichgewichts« angekündigt. Dann begann man die Scheiben der Verkaufsläden einzuschlagen und trug die Waren aus, den Auslagen fort. Völlig sinnlos, denn nach einem Weltun tergang würde sich mit dem Zeug nicht mehr viel anfangen las sen. Um sechs Uhr morgens gab der Sicherheitsminister im Einver ständnis mit dem Präsidenten den Schießbefehl. Vor der »Infor mation« wurde geschossen, und es gab einige Tote. Dann war die Ruhe wiederhergestellt. Die Polizei hatte Ausgehverbot angeordnet, und in der Stadt herrschte Ausnahmezustand. Aus Nordend waren plötzlich dreißig bärtige, dunkle Gestalten in zerschlissenen Anzügen erschienen und hatten systematisch die Leute in die Häuser getrieben. Sie waren mit altertümlichen Pulvertreibsatzgewehren bewaffnet, manche trugen lange Messer. Sie waren dann vor das Sicher heitsministerium gezogen und hatten den Beamten ihre Hilfe an geboten. Nur zögernd nahm man an, denn die Polizei wurde allein nicht fertig. Jetzt lagerte die Rotte im Hof des Sicherheitsministeriums und leerte unter der Führung Ziegels einige Flaschen Kognak. Moon verließ das Fenster und ging schwer und langsam zu sei nem Schreibtisch zurück. Ein Lächeln huschte über sein bleiches Gesicht, in dem sich schon die dunklen Schatten von Bartstoppeln abzuzeichnen begannen. »Es war das Beste, was sie machen konnten. So haben die Slumbewohner eine Aufgabe und stehen auf unserer Seite.« Der Sicherheitsminister nickte zerstreut. Nervös klopfte er mit einer kleinen Münze auf den Schreibtisch. Die Ruhe in der Stadt war unnatürlich. Sie glich einem Hochdruckdampfkessel, der kurz vor der Explosion stand. Die Situation war anders als damals, da der »Hai« von Nordend aus zum erstenmal Einfluß auf das »Ge hirn« nahm. Damals gab es auch Unruhen; aber die Bevölkerung wurde nicht von der Angst ums nackte Leben getrieben. Der Minister schreckte auf. »Wann kommt er?« fragte der Präsident schon zum wiederhol ten Male. »Ich kann es Ihnen nicht genau sagen. Sie sind schon seit einer Stunde unterwegs, aber bei dem Tumult verzögert sich natürlich
alles.« Der Minister wischte einige Schweißtropfen weg, die ihm über das hagere Gesicht liefen. »Rufen Sie doch nochmal bei Eule an. Vielleicht wissen sie schon etwas!« Moon nickte. Er griff zum Visor. In der Fettversorgungsstelle meldete sich sofort das Forscherteam, das dort zur Unterstützung der Expedition bereit stand. »Hier ist Eule. Herr Präsident, wir haben noch keine Nachricht vom ›Hai‹. Wir warten noch. Die Lage hat sich verschlimmert. Dr. Schuch sagt ...« »Das weiß ich auch!« Moon schaltete wütend ab. »Idioten! Den ›Hai‹ nicht zu erkennen. Jetzt hat er, was er woll te.« Die Detonationen hatten zugenommen. Breite Lichtbänder in al len Regenbogenfarben liefen jetzt über die Schutzkuppeln. Myria den von Gamma-Teilchen prasselten in einer Sekunde gegen je den Quadratzentimeter der Energiebarriere. Es ließ sich nicht mehr sagen, welche Tageszeit herrschte. Aus dem Innenhof drang Beifallsgeschrei herauf. »Sie bringen ihm Ovationen«, sagte Moon. »Propheten bekommen immer Ovationen.« Wenig später klopfte es. Ein Diener trat ein. Sein Gesicht war übernächtig und angstverzerrt. Er verbeugte sich. »Professor Wolfram ist da!« »Er soll reinkommen.« Der Mann, der eintrat, war etwa sechzig Jahre alt. Ein Unbefan gener hätte ihn älter geschätzt. Das Gesicht war von einer lede rartigen Bräune, gegen die sich die weißen Bartstoppeln seltsam abhoben. Der schüttere Haarwuchs hatte eine krankhafte gelbli che Färbung. Wolfram trug eine Kombination, wie sie von den Strafgefangenen und Heilanstaltsinsassen getragen wurde. Das Modell eines Wasserstoffatoms, das er als Stoffabzeichen am Är mel trug, kenzeichnete ihn als Wissenschaftler. Aber seine Augen glichen strahlenden Sternen, die im übernatürlichen Licht funkel ten. »Du bist älter geworden«, sagte nun Moon. Er bot einen Stuhl an. »Das ist Minister Pichler.« Wolfram beugte den Kopf leicht in Richtung des Ministers. Dann, wandte er sich Moon zu. »Du mußt dir mal die Gallensteine operieren lassen. Sonst wirst du nicht mehr lange hier sein.«
Moon war überrascht. »Woher weißt du das?« »Das sehe ich.« Moon zwang sich zu einem Lachen. »Du bist immer noch derselbe. Wieviel Jahre sind eigentlich vergangen, seit wir ...« »Ich weiß nicht«, unterbrach ihn Wolfram kurz. »Warum hast du mich kommen lassen? Hast du eine Zigarette?« Minister Pichler bot sein Etui an. »Bitte!« Moon wartete, bis die grollenden Explosionen etwas abgeklun gen waren, und kam dann auf das Thema. »Du weißt, was los ist. Das ›Gleichgewicht‹ ist gestört worden.« Wolfram nickte. »Ich weiß. Ramses ist draußen!« Pichler unterbrach sein nervö ses Klopfen und blickte auf. »Woher wissen Sie das? Die Sache ist geheim.« Der Präsident antwortete für Wolfram. »Das weiß er vom ›Hai‹ persönlich. Er steht doch seit eh und je mit ihm in Kontakt.« »Was soll ich hier?« fragte Professor Wolfram mit gelangweilter Stimme. »Ich habe dich kommen lassen«, begann Moon, »weil du den ›Hai‹ am besten kennst. Er war dein Schüler, und du kannst si cher voraussagen, was geschehen wird und was er getan hat, um uns in eine solch schwierige Lage zu bringen.« Wolfram dachte nach. Bedächtig inhalierte er den süßlich duf tenden Zigarettenrauch. »Ramses ist ein sehr befähigter Wissenschaftler. Ich habe ein mal den Fehler begangen, meinen Namen unter eine seiner Arbei ten zu setzen, wie das auf der Universität allgemein üblich ist. Das büße ich heute noch. Aber ich trage es ihm nicht nach, denn Ramses hat recht. Sehen Sie, es genügt schon ein kleines Stäub chen, um das ›Gleichgewicht‹ zu zerstören. Sie müssen sich un sere Umwelt, in der wir schon seit bald sieben Generationen woh nen, als ein isoliertes System vorstellen - etwa wie ein sehr kompliziertes Uhrwerk, das man niemals öffnen darf, weil dann Fremdkörper eindringen, die das Präzisionswerk zum Stillstand bringen. Sie und die herrschende Meinung sagen, der Stillstand wäre unser Tod. Wir sind der Ansicht, daß das Uhrwerk eine sinn lose, überflüssige Maschine ist, die zerstört werden muß, damit die Menschen wieder natürlich leben können.«
»Das wissen wir doch alles«, unterbrach Pichler. »Sie haben lange genug dafür Propaganda gemacht. Jetzt werden Sie und Ihre Anhänger ja sehen, wie die Uhr explodiert.« »Achten Sie auf Ihre Herzkranzgefäße«, entgegnete Wolfram ruhig. »Sie dürfen Ihre Nerven nicht strapazieren.« Der Sicher heitsminister war verblüfft. Er zuckte betrübt die Schultern. »Was soll ich denn machen?« »Gehen Sie zu Bett! Sie können doch nicht helfen«, riet Wolf ram freundlich. Moon grinste. Er holte eine Flasche mit Äthylalkohol aus seinem Schreibtischfach und goß drei Gläser voll. Er schob den Männern die Gläser zu und forderte Wolfram dann zum Weitersprechen auf. »Ich glaube nicht, daß Ramses direkt auf das ›Gehirn‹ Einfluß genommen hat. Die Expedition wird schon allein Anlaß für die Störung gewesen sein. Es steckt aber noch mehr dahinter, und darüber kann ich nur Vermutungen anstellen.« »Welche wären das?« fragte Moon gespannt. »Einflüsse, die von außen gekommen sein können.« »Von außen? Etwa von einem anderen Erdteil?« »Nein«, sagte Wolfram ernst. »Ich denke an Störungen aus dem All.« Ein donnernder Krach ließ ihn aufblicken. »Eine Wasserstoffbombe! Das wird der Schutzschirm nicht mehr lange mitmachen. Jeder kann sich ausrechnen, daß drei Wassers toffbomben von dieser Güte genügen, um die Energie aufzuzeh ren. Wir müssen den Schirm noch verstärken.« »Wir geben schon die Höchststufe«, warf Pichler ein. Der Alko hol hatte ihn sichtlich gestärkt. Wolfram dachte nach. Dann fiel ihm etwas ein. »Sie müssen die östliche Stadtzone evakuieren. Wir legen die Energie dann auf den westlichen Teil der ›Acht‹. In Nordend sind ohnehin schon radioaktive Einbrüche gemeldet wor den.« Moon griff wieder zum Visor. »Geheimes Regierungsgespräch; ich will den Minister. Schnell!« Mit lauter Stimme begann er, An weisungen in das Telefon zu geben. Noahs Stern
»Wohin wollen Sie?« stieß Ad zwischen den Zähnen hervor. Er stand immer noch ruhig vor Ramses, der die Lengfeld-Pistole um den Zeigefinger drehte. Mit der anderen Hand kramte er wieder in seinem Rucksack, wobei er die Männer nicht aus den Augen ließ. Er brachte einen seltsamen Apparat zu Tage. »Das ist dem ›Gehirn‹ zugedacht.« »Was wollen Sie tun?« »Ich will das ›Gehirn‹ umbringen.« »Umbringen? Es ist doch kein Lebewesen.« »Na gut - dann abstellen, ausschalten. Ich habe Jahre ge braucht, um diesen Apparat zu bauen; er ist der Zweck meines Lebens. Das ›Gehirn‹ muß ausgeschaltet werden und wenn wir selbst dabei draufgehen.« Von ihm ging ein Strahl aus, der aus konzentriertem Haß be stand. Ad trat einen Schritt zurück. Auch er hatte es gespürt. Das war nicht mehr menschlich! Ein Stöhnen hing im Raum. Es durchdrang das Toben der Tech nik, das gewaltig an die Stahlwände des Raumschiffes brandete. Jon kam zu sich. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Er richtete sich in seinen Gurten auf und sah angespannt zu der Gruppe hi nüber. Rock erhob sich aus seinem Sessel und trat zu ihm. »Geht's wieder?« »Ja, ich glaube schon. Was ist passiert?« »Der ›Hai‹ will hinaus und das ›Gehirn‹ angreifen«, sagte Ad und ließ Ramses nicht aus den Augen. Der nickte. Plötzlich steck te er die Pistole weg und ging langsam auf die Ausgangsschleuse zu. Ad, der ihm folgen wollte, hielt plötzlich inne. Er griff in seinen Rucksack und holte den Fernsteuerer heraus. Das rote Licht brannte wieder, und ein leises Summen hing im Raum. Im selben Augenblick erzitterte das Schiffswrack unter einem gewaltigen Anprall. Dann ertönte ein grauenhaftes Zischen. Es glich dem Geräusch einer ungeheuren Schweißflamme. Schlagartig wurde die Schleuse rot. Der »Hai« stockte und kehrte dann um. Die Hitze stieg rapid. Durch die geschmolzene Schleuse schob sich rasselnd das Ge häuse eines Roboters. »Egon ist wieder da«, rief Ad erfreut. »Ich glaube, das ›Gehirn‹ konnte ihn aus irgendeinem Grund nicht mehr halten. Es muß
gestört worden sein.« Dabei fiel sein Blick wie zufällig auf Ram ses, der uninteressiert am Schaltpult lehnte. Er schien anges pannt auf die monotone Stimme aus dem Logbuch zu hören. Rock klopfte dem Roboter, der kurz vor Ad zum Stillstand gekommen war, begeistert auf die Panzerplatten. Leise bewegten sich die Antennen. »Gehen wir!« sagte der »Hai«. Er schien nicht mehr an sein Vorhaben zu denken. Sie halfen Jon auf die Füße und verließen die Rakete. Wie auf Befehl hatte sich der Kampflärm gelegt. Die Schlacht hatte sich hinter den Horizont verzogen. Es war hell geworden. Ein unwirklicher Schein lag über der zer klüfteten und verwüsteten Landschaft. Dutzende vernichteter Ro boter lagen herum, und riesige Krater übersäten das Vorfeld. Ein gleichmäßiges Grau, das nur von Zeit zu Zeit von bläulichen Me tallteilen gesprenkelt war, überzog das, was einmal grüne Wie sen, blaue Seen und violette Wälder gewesen waren. Dampf und Staubschleier bildeten eine Milchglasscheibe, durch die das Schlachtfeld wie ein häßlicher Traum wirkte. Manchmal lag noch das Singen der Raketen in der Luft, aber sie konnten keinen Schaden mehr anrichten. R I ließ sie schon viele Kilometer vorher durch Abwehrgeschosse herunterholen. Hinter der Stadt stand grauenerregend und majestätisch ein ki lometerhoher Atompilz. Der »Hai« wies mit einer Armbewegung in die Richtung des fer nen Horizontes, hinter dem das Schlachtgetümmel verschwunden war. Ein bläulicher Saum grenzte ihn gegen den Himmel ab. Der bläuliche Saum am Horizont verwandelte sich mit dem Nä herkommen immer mehr in eine opalisierende Wand, in der alle Regenbogenfarben spielten. Vor ihr war eine Unzahl von Robotern damit beschäftigt, kettenrasselnd eine Raketenbatterie in Stellung zu bringen. Anscheinend war es der Kompanie gelungen, während der Schlacht die Energiewand immer weiter vorzuschieben und dadurch den Feind abzudrängen. Hier schienen sie zum Stillstand gekommen zu sein. Der »Hai« ging ruhig auf die Roboter zu und strebte dem Ener gieschirm entgegen. Vor der hohen, schimmernden Wand kam die Gruppe zum Stehen. Bevor jemand etwas sagen konnte, war R I zu einem Roboter gerollt, der eine sehr komplizierte technische Anlage bediente. Sie schienen Kontakt aufzunehmen. Aufgeregt wippten die Antennen.
»Jetzt!« sagte Rock. In der Barriere öffnete sich ein Loch, das schnell größer wurde. »Halt!« Ramses hielt die Männer zurück, die schon auf die Öff nung zugegangen waren. »Wir müssen aufpassen, daß die uns von drüben nicht eins aufbrennen.« »Es sind nur Roboter«, sagte Ad. »Sie sind vom feindlichen Sa telliten, vermute ich. Sie werden uns nichts tun, weil sie keine Menschen kennen.« »Wir wollen nichts riskieren«, entgegnete Ramses. »Ich vermu te, daß es jemand anderes ist.« Rock schlich zu der Öffnung. »Hallo!« rief er erstaunt. »Rake ten!« Die anderen drängten nach vorne. Vor ihnen lag eine Ebene. Sie war genauso zerpflügt, wie das ganze Land ringsherum. Aber das Besondere waren die vier Rake ten. Sie glichen dem Raumer, den sie vor kurzer Zeit besichtigt hat ten. Weltraumraketen waren es, lange, schmale Körper, die me tallisch gleißten. Sie lagen unregelmäßig wie tote Büffel über die Ebene verstreut, und ihre Leiber waren grausam aufgerissen. Ge zackte Ränder bogen sich wie Konservenbüchsendeckel in die Höhe. Auch sie waren zerstört und tot, in ein Uhrwerk hineingera ten, zwischen Zahnrädern einer Technik zermalmt worden. Ein Roboter drängte die Gruppe zurück und rollte durch die Öff nung. Nichts geschah. Er drehte noch einige Runden und kam dann wieder. Einen Augenblick lang verhielt er vor R I, und der Robot-General setzte sich daraufhin in Bewegung. Den Männern voran drang er durch die Barriere und schlug einen Weg ein, der gradlinig zu der mittleren Rakete führte. Langsam folgten ihm die Männer. »Können wir ihm nicht Jon aufladen?« fragte Rock und zeigte auf Egon. Ad schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Wenn er wieder auf und davon geht, sind wir Jon los.« Der Roboter setzte sich jetzt wieder hinter die Gruppe und rollte in ihrer Bedeckung weiter. Ramses wühlte in seinen Taschen und zog dann ein weißes Tuch hervor, das eigentlich als Notverband gedacht war. Er ging zu dem Roboter und befestigte es wie eine Fahne an einer Antenne. Dann blieb er stehen. Die anderen, die
seinem Tun mit verständnislosen Blicken gefolgt waren, blieben ebenfalls stehen. »Was ist?« fragte Ad. Er runzelte die Stirne. Ramses gefiel ihm nicht. Schon die ganze Zeit, während sie liefen, hatte Ad ein un bestimmtes Gefühl gehabt. Er nickte Rock zu. Der ließ Jon stehen und begab sich hinter den »Hai«. Dieser schien nichts zu bemer ken. Ad machte sich sprungbereit. Mit einem Wahnsinnigen und einem Kranken diese Expedition zu einem guten Ende zu bringen, war jetzt sowieso unmöglich. Jedenfalls war es besser, Ramses zu fesseln. Er würde dann kein Unheil mehr anrichten können. Rock hob die Arme und faltete die Hände. Er zielte mit den ge ballten Fäusten in Ramses' Gesicht. Ramses Augen blickten wie in weite Fernen, leise hob er den Kopf und verträumt sprach er ein Wort aus: »Dort!« Seine rechte Hand hob sich, deutete auf die Rakete, der sie nä her gekommen waren. Vor der Rakete stand eine Gestalt. Sie stand auf zwei Beinen, und in den Händen schwenkte sie ein wei ßes Tuch. »Roboter!« rief Rock und ließ sich instinktiv zu Boden fallen. Ad tat es ihm nach und zerrte Jon mit sich, der mit seinem ganzen Gewicht auf ihn fiel. Sie sahen, daß Ramses ruhig weiterging. Mit erhobenem Kopf und ruhigen Schritten steuerte er auf die Rakete zu. Neben der zweibeinigen Gestalt tauchte eine zweite, etwas klei nere auf. Abwartend schienen sie dazustehen. Erst als Ramses bei den beiden angekommen war, stand Ad wieder auf und klopfte die Erdbrocken vom Schutzanzug. Verär gert packte er Jon, richtete ihn auf und schleppte ihn weiter vor wärts. Neben ihm stolperte Rock, der ein wenig geistreiches Ge sicht machte. Erst als sie den beiden Wesen gegenüberstanden, sahen sie, daß es wirklich Menschen waren. Die beiden trugen Schutzanzüge und durchsichtige Kunststoff helme. Sie machten einen sehr aufgeregten Eindruck und spra chen in einer eigentümlich harten Sprache auf die Ankömmlinge ein. Ramses antwortete in derselben Sprache. »Es ist eurasisch«, bemerkte Jon verblüfft. »Es ist die Sprache, die unser Feind spricht.«
Sie kommen nicht aus dem Weltraum, ging es blitzschnell durch Ads Gehirn. Sie kommen von der anderen Seite der Erde. Es sind Feinde. Die Erde ist also noch von Menschen bewohnt. »Der Feind hat schon vor hundert Jahren den Krieg gewonnen«, sagte Rock. »Sie haben unsere Stadt nur vergessen. Es gibt nur noch Eurasier auf der Erde!« Der »Hai« unterhielt sich immer noch mit den beiden. Rock stellte plötzlich zu seiner größten Verwunderung fest, daß das kleinere Wesen eine Frau war. Durch den Helm ließen sich un schwer die von einem Band zusammengehaltenen langen Haare erkennen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine so schöne Frau gesehen zu haben. Die Aufregung hatte ihr Gesicht leicht gerötet, und die großen, weichen Augen schimmerten in einem Licht, das auf Rock wie das Leuchten eines schönen, unbekannten Sternes wirkte. Die Frau sah den bewundernden Blick und zwinkerte mit langen seidigen Augenwimpern. Langsam wandte sie ihm ihr Gesicht ganz zu und sah ihn fragend an. Rock machte sich plötzlich ange legentlich mit seinem Rucksack zu schaffen und vermied es, ihr weiter in die Augen zu sehen. Er spürte, daß er rot wurde. »Was hat euer Freund?« wurde er von einer hellen, schwingen den Stimme angesprochen. Ohne den Kopf zu heben, befestigte er jetzt unnötigerweise die ohnehin schon gut verknoteten Ver schnürungen seines Rucksacks und sagte: »Er hat sich am Kopf verletzt. Immer wenn wir stehenbleiben, legt er sich auf den Boden. So kommt man natürlich nur langsam vorwärts.« Sie ging mit ein paar Schritten zu Ad hinüber, der sich mit Jon beschäftigte. Er mußte wieder das Bewußtsein verloren haben. Ad sah sie auf sich zukommen und ließ seinen Blick mehrmals von ihren Füßen bis zu ihrem Kopf und wieder hinunter gleiten. Ein häßliches Grinsen spielte um seine Mundwinkel. »Nun, schönes Kind«, witzelte er, »Sie sprechen ja unsere Sprache. Und das noch auf besonders nette Weise.« »Ich bin Dolmetscherin und nebenbei noch Ärztin.« »Und wo kommen Sie her? - Vom Arkturus?« »Von Noahs Stern, im Spiralnebel NSK 12/4, oder Nebel des Glücks, wie wir ihn nennen.« »Sehr interessant! Aber hier ist Wichtigeres. Untersuchen Sie lieber den Verletzten. Er ist wieder bewußtlos.«
»Wir müssen ihn in das Schiff bringen. Ich habe dort meine In strumente. Es ist strahlungssicher.« Sie erhob sich und strebte der Schiffsschleuse zu. Ad winkte Rock heran, und sie luden sich Jon auf. Dann traten sie in die Schleuse. »Wir wollten die Erde wiedersehen, und wir haben Sie gefun den«, stieß der fremde Mann in seinem Eurasisch hervor. »Wir wußten von der verlorenen Stadt, und wir sind die ersten, die einen von Ihnen sprechen konnten. Ich habe immer die Meinung vertreten, daß hier noch Leben sein muß. Meine Theorie hat sich als richtig erwiesen.« Ramses grinste. Auch seine Theorie hatte sich als richtig erwie sen. Aber war es seine Theorie? Der Mann hatte sich ihm als Pro fessor Zernack vorgestellt. Jetzt redete er wie ein Buch und schien fast, aus Freude, daß er recht behalten hatte, einen Herz schlag zu bekommen. »... und es sind richtige Menschen, die es hier noch gibt. Eine Urform unserer Stammväter.« »Sehen Sie sich meine Freunde an«, bemerkte der »Hai« lä chelnd. »Sie können die Schädel nachmessen, wenn Sie wollen. Niemand wird etwas dagegen haben.« »Das werde ich tun. Aber wo sind sie denn? - Wo ist Doktor Ma ra? - Sie ist verschwunden.« Der Professor suchte die Umgebung ab. »Sie ist mit meinen Freunden ins Schiff gegangen. Einer ist schwer verletzt.« Der Professor starrte Ramses fragend an. Dann verstand er. Dann fiel ihm wieder etwas ein. Sein Gesicht wurde starr, die spitze Nase zitterte leicht. »Sie greifen gleich wieder an.« Er lief zu einer undefinierbaren Apparatur. Mit einer Hand winkte er Ramses heran. »Kommen Sie! Hier ist der Strahlenwerfer. Sie verstehen? Sin terstrahlen! Das beste gegen diese Maschinen! Sehen Sie, hier schaltet man ein.« »Au!« rief der »Hai«. »Schalten Sie ab!« »Wieso? Was haben Sie denn?« »Ich habe mal eine Konservendose verschluckt. Das spüre ich jetzt.«
Professor Zernack stellte den. Apparat ab. Sein Blick ging zu der fernen Energiemauer, aber sie stand immer noch ruhig und un beweglich. »Sie haben Humor! Aber ich begreife nicht, daß Sie die Strahlen spüren. An sich reagieren nur Maschinen auf Sinterstrahlen. Viel leicht haben Sie einen sechsten Sinn?« Er lachte dröhnend. »Ja, ja, unsere Vorväter! Das waren noch Kerle.« Plötzlich blieb er stehen und hieb Ramses unvermittelt auf die Schulter. »Großar tig, daß ich Sie entdeckt habe. - Au! - Sie haben verdammt harte Knochen unter der Kombination. - Kommen Sie herein. Sie kön nen drinnen den Anzug ablegen. Das Schiff ist dicht. Ich: habe einen guten Tropfen dabei.« * »Halten Sie seinen Kopf fest«, sagte die Ärztin. Ihre Haare hingen jetzt lang und haselnußbraun den Rücken herunter. In dem wei ßen Labormantel, den sie jetzt trug, schien sie Rock überirdisch. Sie hatten Jon auf einen improvisierten Operationstisch gelegt und von seinem Helm befreit. Eine dünne Bahn rostigen, getrock neten Blutes lief fast bis zum Hals hinunter. Mit feuchter Watte säuberte sie vorsichtig Jons Schläfe. Eine häßliche Wunde kam zum Vorschein. »Wir müssen näher«, bemerkte sie. »Festhalten!« * Zernack konnte es kaum erwarten, bis Ramses seinen Schutzan zug ausgezogen hatte. Er stellte eine Flasche auf den Tisch und rückte Sessel zurecht. »So, nehmen Sie bitte Platz. Sie sind jetzt sicher.« Ramses machte es sich bequem, lehnte aber den Alkohol ab. Er würde ihm nur unnütze Scherereien bringen. Sie saßen in einem kleinen Salon, der für einen Raumer recht komfortabel eingerich tet war. Eine Tür stand halb offen, und durch sie konnte Ramses das Steuerpult der Pilotenkabine erkennen. Gegenüber entdeckte er eine zweite Tür, hinter der das Klappern von metallenen Ge genständen ertönte. Die eine gebuchtete Seitenwand wurde größ
tenteils von der Schleuse eingenommen, die aber, der zerrissenen Wandbekleidung nach, als Notausgang diente. Der Professor war seinem Blick gefolgt und erläuterte: »Wir haben einen Treffer in den Maschinenraum bekommen. Er ist dort hinter dem Labor und nimmt das halbe Schiff ein. Jetzt sind die Schotten zu. Ihr ›Gehirn‹ hat uns den Schutzschirm neutralisiert und dann ein beträchtliches Kaliber aufgebrannt. Der Chefpilot ist jetzt noch hinter der versiegelten Schotte. Er ist tot. Als wir den Treffer abbekamen, kreuzten wir noch außerhalb der Atmosphäre.« Ein Anflug von Trauer ging über sein Gesicht, und die Stirne zeigte unzählige Kummerfältchen. Dann schien er sich wieder gefangen zu haben. Er blickte plötzlich nervös um sich. In die Stille drang ein seltsamer, sägender Tön. Er kam aus dem Pilo tenraum. Der Professor sprang auf und brüllte: »Verflucht, das Helitron!« Mit überraschender Behendigkeit sauste er in den Raum, der die Quelle des eigentümlichen Geräusches barg. Einen Augenblick später kam er wieder zurück. Aufatmend sagte er: »Es ist Ihr Freund Ad! Er schläft.« Ramses grinste. »Wir sind schon über vierundzwanzig Stunden auf den Beinen«, entschuldigte er Ad. »Aber wo sind denn die anderen?« Zernack goß sich das Glas voll. Dann wies er auf die Tür zum Labor. »Bei Doktor Mara. Ihr verletzter Freund wird behandelt. Sie können beruhigt sein, Doktor Mara versteht ihr Handwerk.« Ramses stützte nachdenklich den Kopf auf. »Hatten Sie außer dem Chefpiloten noch mehr Leute dabei?« »Ja, unseren zweiten Piloten, Schaller. Er hat das Schiff noch auf die Erde hinunterbringen können und machte eine vorzügliche Landung. Beim Aufprall hat er sich das Genick gebrochen. Da der Chefpilot tot hinter den Schotten lag, mußte er alleine fliegen und dabei konnte er sich nicht mehr rechtzeitig festschnallen. Es war en so viele Instrumente gleichzeitig zu bedienen und zu kontrol lieren.« Der »Hai« nickte nachdenklich. »In der Stadt sahen wir eigenartige Zweibeiner. Sind die etwa mit Ihnen gekommen?«
»Nicht alle«, bemerkte Zernack, »Wir aktivierten noch einige aus den früheren Raketen. Allzu viele waren ja leider nicht in der Nähe.« »Das sind die anderen Raketen, die draußen liegen?« »Richtig. Natürlich versuchten wir schon seit über hundert Jah ren die Landung. Aber Doktor Mara und ich sind die ersten Men schen, die hier lebend auf der Erde ankamen und noch Zeit hat ten, gewisse Abwehrmaßnahmen zu treffen.« »Es wäre ja auch fast bei Ihnen schief gegangen«, warf Ramses ein. »Sie meinen den Treffer im Maschinenraum? Das stimmt. Aber die eigentliche Gefahr lauerte auf der Erde selbst. Lofeld und Bogi kamen vor zwei Jahren auch lebend herunter. Aber ihre paar Ro boter und die wenigen Abwehrraketen konnten nicht mehr rech tzeitig eingesetzt werden. Sie wußten, daß sie nur noch wenige Minuten Zeit hatten. Das ›Gehirn‹ deckte sie gehörig mit Ge schossen ein. Sie führten dann mit uns über Pararaumwelle das denkwürdige Gespräch, das heute schon auf unseren Schulen auswendig gelernt wird und in schimmernden Lettern an der Fas sade der Universität von Westmount verewigt wurde.« Er hob sein Glas, prostete Ramses zu und leerte es dann auf ei nen Zug. Dann fuhr er fort: »Nein, die Gefahr war die Erdoberfläche. Erst mit den von mir entwickelten Sinterstrahlen haben wir eine brauchbare Waffe ge gen diese Technik. Leider ist die Reichweite der Strahlen be schränkt.« »Und dazu hatten Sie noch Raketen und die vierarmigen Robo ter?« »Ja. Sie reichten gerade aus, um den ersten Angriff abzuweh ren. Zuerst haben wir sogar Raum gewonnen, und unsere Robo ter sind bis zur Stadt vorgedrungen. Aber jetzt ist der Raketen vorrat erschöpft. Sie sahen sicher die leeren Werfer vor dem Schiff. Und die Roboter sind fort. Wenn man sie einmal losläßt, dann kämpfen sie, bis von ihnen nichts mehr übrig bleibt.« »Und was soll jetzt geschehen?« »Wir haben natürlich gleich an unseren Planeten Nachricht ge geben. Sie werden uns hier bald abholen. Das ›Gehirn‹ scheint recht durcheinander zu sein.«
* Jon fühlte, wie sich die finsteren Schleier auseinanderzogen. Das Mädchen war von himmlischer Schönheit. War er schon im Jen seits? Jetzt beugte sich das hübsche Geschöpf über ihn und legte ihm die Hand auf die Stirn. Gegen das Licht bildeten die Haare des Mädchens einen leuchtenden Strahlenkranz. Allmählich wurde es ihm besser, die Hand auf seiner Stirn tat ihm gut. Damit sie noch länger dort blieb, stöhnte er einmal laut auf und schloß die Augen. Die Hand blieb liegen. Jon spürte einen elektrischen Strom durch seinen Körper fluten. Aber es war kein elektrischer Strom. Es war etwas anderes, nie Erlebtes; und gleichzeitig war es eine stärkende Ruhe. Er fühlte sich plötzlich sehr glücklich - und wundervoll müde. »Wir lassen ihn jetzt erst mal schlafen«, flüsterte die Ärztin. »Zum Glück ist es kein Schädelbruch. Vielleicht eine kleine Ge hirnerschütterung. Lassen wir ihn allein und gehen in den Salon hinüber.« Dort wurde Rock von einem Wortschwall des Professors überfal len. »Professor Zernack heißt Sie hier willkommen und wünscht ei nen angenehmen Aufenthalt«, übersetzte Ramses die Begrü ßungsrede, die der Professor über den total verblüfften Rock er goß. Dann verbeugte sich Rock und sagte zu Ramses: »Danke sehr. Sagen Sie ihm bitte, es täte mir leid, daß ich nicht eurasisch spräche. Bei uns wird diese Sprache nicht mehr ge lehrt.« Er wunderte sich, daß der »Hai« die Sprache des Feindes be herrschte. In der Stadt gab es sicher niemanden, der heute noch eurasisch sprach. Auch die Lehrbücher waren schon lange von der Regierung beschlagnahmt und vernichtet worden. Seltsam! Aber bei Ramses mußte man immer auf Überraschungen gefaßt sein. Rock nahm dankend den angebotenen Sessel an und wandte sich dann mit der Bitte an Dr. Mara, ihm die Unterhaltung zwi schen Zernack und Ramses zu übersetzen. Zuerst war das Ge spräch für ihn langweilig. Der Professor wollte alles über Nork wissen und schoß Frage um Frage auf Ramses ab. Dr. Mara über setzte mit gedämpfter Stimme. Als sie merkte, daß das Gespräch Rock nicht sonderlich interessierte, brach sie ab und fragte Rock
über Jon aus. Dabei schienen ihre Augen durch die Schiffswände hindurch in die Unendlichkeit zu schauen, und ein helles Leuchten lag auf ihrem Gesicht. Sie fühlte, daß Rock sie beobachtete, und begann wieder zu übersetzen. Ramses erklärte dem Professor gerade den Zweck der Expediti on Speisefett. Dann saßen alle eine Zeitlang schweigend da. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Für Rock war es keine Fra ge, womit sich Maras Gedanken beschäftigten. Vom Nebenraum tönte immer noch das beharrliche Schnarchen Ads. Aus der Ferne klang das Brausen der Energiewand. Aber es war leiser geworden und schien nicht mehr so bedrohlich. »Hören Sie unsere Geschichte!« begann Zernack wieder. »Es ist die Geschichte vom ersten Raumschiff, das von unserer Regie rung zu einer Entdeckungsfahrt ins All geschickt wurde. Wir war en damals noch Ihre Feinde, aber schon waren Sie nicht mehr die Bedrohung für uns, sondern die Technik begann sich selbständig zu machen. Unser Satellit mit Pow und Ihr Satellit mit Warrior kreisten schon lange um die Erde, und wir waren soziologisch auf die Stufe des Stadtstaates zurückgesunken. Damals, wurden die ersten Schutzschirme über den Städten errichtet. Der erste For schungsraumer entkam dem Massensterben auf der Erde und fand Noahs Stern. In einem Nebel am Rande des Universums, der in keiner Sternkarte verzeichnet war und doch durch den Pararaum mit dem Rootschen Pararaumvisier in vier Tagen zu errei chen war, landeten die ersten Flüchtlinge. Dann begannen wir die Flotte zu bauen. Der Krieg war uns aus der Hand geglitten, steuerte sich selber und pendelte dann in jenes Inferno ein, das sich ›Gleichgewicht‹ nannte. Von unserem Volk waren nur noch wenige Tausende übrig geblieben, aber die Übersiedlung dauerte zwei Jahre. Immer mehr Weltraumraketen wurden beim Start oder bei der Landung von den Gehirnen abgeschossen, und wir verloren dabei über die Hälfte der Auswanderer. Es wurde immer schwerer, die Verbindung zwischen den Städten zu unterhalten. Wir, das heißt unsere Vorfahren trieben Stollen in die Erde. Oft waren sie Hunderte von Kilometern lang. Auf diese Weise beka men wir die Auswanderer wenigstens zusammen. Es mußte eine furchtbare Zeit gewesen sein. Aber es gab damals viel Helden tum, Aufopferung und Gemeinschaftssinn. Es ging um das Über leben einer Art. Natürlich versuchte die Regierung, auch mit Ih rem Volk in Kontakt zu kommen. Es war fast aussichtslos. Die
Elektronengehirne zogen alle Register, und nur noch drei Schiffe konnten der Erde entkommen.« Zernack trank einen Schluck und wandte sich dann wieder an Ramses. »Ihre Regierung hatte natürlich auch ein umfangreiches Emigra tionsprogramm entwickelt; es standen auch schon die Schiffe bereit. Aber der Antrieb fehlte. Sie konnten zwar mit Hyperdrive fahren, aber es fehlte eine Einrichtung, die es ermöglichte, vor dem Sprung durch den Pararaum das Ziel zu bestimmen. Die Ex peditionsschiffe kamen nie wieder, weil sie vor dem Sprung nicht wußten, wo das System von Sol lag. Nun, wir boten Ihrer Regie rung den Antrieb an. Aber es war schon zu spät. Von den drei Schiffen, die entfliehen konnten, gehörten nur zwei Ihrem Volk. Im anderen brachte ein Vorfahre von mir wichtige Kulturgüter auf Noahs Stern. Auch Tiere führten die Auswanderer mit, und Sie werden verstehen, warum sie den Stern Noah nannten. Zwölf Schiffe wurden kurz vor dem Start durch Artillerieraketen ver nichtet. Von den vierzehn Provinzen Ihres Landes konnten sich also nur die Einwohner zweier retten.« »Warum hat man in Nork davon nie etwas erfahren? Eine Stadt mit 100 000 Einwohnern hätte doch benachrichtigt werden müs sen«, warf Rock ein, dem Dr. Mara den Bericht laufend übersetzt hatte. Der Professor runzelte die Stirne und sah Rock fragend an. Ramses übersetzte die Frage und lächelte dabei ironisch. »Sie vergessen, daß seit der Flucht sieben Genenationen gebo ren wurden und vergingen. Die Bevölkerung dürfte damals aus kaum mehr als 2000 Einwohnern bestanden haben. Also eine sehr kleine Stadt«, bekam er zur Antwort. Rock nickte. »Verzeihung. Daran habe ich nicht gedacht. Ich erinnere mich auch, daß die zweite Schutzkuppel erst später er richtet wurde.« »Und dann sind wir vergessen worden?« fragte Ramses. Der Professor nickte. »So ungefähr. Wir schickten natürlich gleich einige Raketen zu rück. Es gab noch viele Stellen, wo Menschen vermutet wurden. Aber wie Sie wissen, ist seitdem nie wieder eine Landung gelun gen. Sie wurden abgeschrieben. Und mit Ihrer Stadt, die ja da mals noch sehr klein war, viele andere, größere. Fünfzig Jahre später gelang es Thiro in einer Spezialkonstruktion, die Erde
viermal zu umkreisen. Dabei erhielten wir ein fast vollständiges Bild der Erdoberfläche. Die Auswertung ergab, daß noch drei Energiekuppeln bestanden. Zwei in unserem früheren Gebiet und eine in Ihrem Land, die Stadt Nork, wie ich seit heute weiß. Unse re Regierungen, die in der Heimat Frieden schlossen, stellten eine Expedition zusammen, die aus fünf Raumern bestand. Drei Kilo meter über der Erdoberfläche holten die Gehirne sie vom Himmel herunter. Die Piloten gaben bis zur letzten Minute Funkzeichen durch. Dann brachte eines Tages ein Privatgelehrter von einer Forschungsreise erneut vorzügliche und vollständige Aufnahmen der Erde mit. Sie hatte sich sehr verändert. Nur noch wenig ließ sich darauf erkennen. Andere Forscher versuchen nachzuweisen, daß es sich bei einer besonders eigenartigen Erdformation um einen Schutzschirm handeln müsse. Aber die unbekannte Doppelform, Ihre ›Acht‹, irritierte. Die Theorie setzte sich nicht durch. Es wurden keine Expeditionen mehr abgeschickt. Ihre Stadt geriet in Vergessenheit. Die Erde war für uns nur noch ein Planet, auf der die Technik so herrschte, als gehöre ihr die Welt.« Zernack schwieg und blickte Ramses fragend an. »Glauben Sie, daß die Technik den Menschen vernichtet hätte, wenn wir nicht gekommen wären?« »Möglich«, sagte Ramses leise. Dr. Mara atmete erleichtert auf. Es war schwer gewesen, für je des Wort den richtigen Ausdruck zu finden. Um sich die Füße zu vertreten, erhob sie sich und streckte ihren schlanken Körper, der breit war in den Schultern und schmal in den Hüften. Rock schluckte trocken. Neidvoll sah er sie im Labor verschwinden. Es war ihm, als verklänge eine berauschende Mu sik, als mache sie einer Stille Platz, die aus ihm hervordrang und das Bild Professor Zernacks, der gedankenverloren Rauchringe blies, allmählich verdunkele. Er war müde. Ad fiel ihm ein, er erhob sich und ging in den Pilo tenraum. In einem der vier Sitze lag Ad und schlief tief und fest. Rock setzte sich neben ihn. Die unzähligen Meßinstrumente, Feld regler, Schalter und das Rootsche Visier, das jetzt nutzlos auf den Horizont gerichtet war, erregten sein Interesse. Er wollte sich vorbeugen. Aber er konnte nicht. Es war die Müdigkeit, die ihn fesselte. Was geschieht jetzt mit uns? ging es ihm noch durch den Kopf. Dann schlief er tief und fest.
Die Acht fällt Eine halbe Stadt wurde evakuiert. Zuerst waren Lautsprecherwa gen durch die Straßen gefahren. Gleichzeitig unterbrach der Sen der sein Programm. »Aufruf an die Bevölkerung! Das ›Gleichgewicht‹ bricht zusammen. Größte Lebensgefahr! Im Auftrage des Präsidenten Moon und der Kammer wird das Stadt gebiet unter der östlichen Kuppel evakuiert. Die Bevölkerung wird unter dem Schutz der westlichen Kuppel untergebracht. Es sind ausreichend Unterkünfte vorhanden. Punkt zwölf Uhr mittags wird der östliche Schirm abgeschaltet. Der festgesetzte Termin wird eingehalten ohne Rücksicht darauf, ob sich noch jemand außer halb des westlichen Energieschirmes aufhält. Es wird vor Zusam menrottungen gewarnt. Die Bezirke werden einzeln evakuiert und durch Lautsprecherwagen abgerufen. Vor dieser Aufforderung ist das Betreten der Straße verboten. Es herrscht nach wie vor der Ausnahmezustand. Die Polizei ist angewiesen, Störenfriede zu erschießen.« Dann wurden die. Bezirke und Straßen verlesen, die zuerst eva kuiert werden sollten. »Geben Sie uns die Zahlen durch!« brüllte Moon mit rotem Kopf in den Apparat. Mit einem Bleistift malte er lange Zahlen auf ei nen Notizblock. Der Bildschirm wurde dunkel. »Sie wissen immer noch nicht, worum es geht. Dieser Idiot von Ingenieur sagt, die ›Acht‹ würde noch Dutzende von Wasserstoff bomben abhalten können.« Der Minister für Energieerzeugung stand schweigend vor dem riesigen Schreibtisch. Er zuckte die Achseln. Sein Mund öffnete sich, er wollte etwas sagen, aber Moon winkte ab. »Sie können gehen. Halten Sie sich in Ihrem Ministerium bereit!« Professor Wolfram stürzte sich sofort auf die Zahlen. Nach zehn Minuten riß er einen Zettel vom Block und hielt ihn dem Präsiden ten vor die Augen. Der zwinkerte und nahm das Blatt. Kopfschüt telnd gab er es zurück. »Ich werde daraus nicht schlau. Du mußt es mir schon genauer erklären. Was soll zum Beispiel dieses Zeichen bedeuten?« Der Professor schüttelte ungeduldig den Kopf und seufzte tief.
»Das ist Sigma. - Aber schau dir lieber die unterstrichene Zahl an! - Es ist eine negative E-Funktion. Das Minus-Lambda deutet darauf hin, daß etwas abnimmt. Und weißt du, was da abnimmt?« Seine Augen funkelten Moon an. »Das Energiepotential!« Er setz te sich triumphierend auf und betrachtete kopfschüttelnd Sicher heitsminister Pichler, der gerade seine Fingernägel zerbiß. Moon hatte immer noch nicht verstanden. »Und was soll das nun für uns bedeuten?« fragte er fast bit tend. Professor Wolfram seufzte wieder. »Wir müssen sofort umschalten. Auf der Stelle! Die Werte sind minimal geworden. Die ›Acht‹ bricht zusammen!« Der Präsident ließ sich schwer auf den Sessel fallen. Das geis terhaft bläuliche Licht verwandelte sein Gesicht in ... eine graue Maske. Pichler ließ die Hand sinken. Langsam quollen seine Augen aus den Höhlen. Wolfram zog gemächlich ein großes, buntkarier tes Taschentuch hervor und putzte sich ausgiebig die Nase. Er breitete die Hände aus und zuckte die Schultern. »So ist die Lage, meine Herren!« Moon erhob sich umständlich und ging zum Visor. Er wählte ei ne Nummer. »Wolfram«, fragte er leise, »wieviele Minuten noch?« Wolfram warf nochmals einen kurzen Blick auf seine Notizen. »Sagen wir - zwanzig Minuten.« Eine donnernde Explosion unterbrach ihn. »Nein«, verbesserte er sich schnell, »nach diesem Angriff höchstens noch zehn Minu ten. Schaltet sofort den Ostschirm ab und legte die Energie auf die Westseite.« Moon sprach schon in den Visor. »Hier ist Moon. Ihre Berechnungen waren idiotisch! - Abschalten in zehn Minuten! - Ich sagte: zehn. Stellen Sie Ihre Uhr ein. Die Ferngesteuerte zeigt jetzt genau elf Uhr und fünf Minuten. Viertel nach elf schalten Sie um! Verstanden? - Wiederholen Sie bitte! Gut. Geben Sie dem Sender Bescheid! Wegen Ihres Verhaltens werden Sie später zur Verantwortung gezogen! - Ende!« Er schlug kurz mit der Hand auf die Taste. Dann wählte er wieder. »Hier ist Moon. Wie weit sind Sie mit der Evakuierung? - Aha! Wir schalten in zehn Minuten um. Reicht das? - Ich kann es nicht ändern. Nein, unmöglich! - Tun Sie, was Sie können!«
Moon trocknete sich den Schweiß ab. Unruhig lief er hin und her. Dabei murmelte er ständig vor sich hin. Über der Tür hing die große, ferngesteuerte Uhr. Sie zeigte ge nau auf elf Uhr zehn. Allmählich nahm der Menschenstrom aus den bedrohten Stadt teilen ab. Nur noch einige Nachzügler kamen über die Davestraße zum Lowell-Platz. Die Menschen hatten sich in das Unvermeidli che gefügt. Sie wußten, daß das Unheil über ihnen hing, aber um was es ging, das ahnten die wenigstens. So war es zu keiner Pa nik gekommen, sondern sie wälzten sich schweigend und dumpf daher; eine große Herde, die sich willenlos von den zahlreichen Sicherheitspolizisten in die Straßen des Westbezirks einschleusen ließ. Sie lagerten jetzt überall, wo sich eine freie Fläche befand und warteten auf die Nachricht, daß ihre Kuppel zusammengebrochen sei. Sie rührten sich nicht von der Stelle, und keiner schien sich für die Unterkünfte zu interessieren, die in den Hochhäusern der Ministerien, den Kasernen der Polizei und auch teilweise aus Zel ten errichtet wurden. Der Mantel des Todes hatte lange genug ein Loch gehabt, jetzt war es an der Zeit, daß es gestopft wurde. Der große Zeiger der Uhr wies auf die Drei. Dann war die Stille da. Die Sirenen, die stundenlang ununterbrochen gesungen hat ten, brachen abrupt ab. Professor Wolfram hatte seine Taschenuhr gezogen und verfolg te ruhig den Sekundenzeiger. Leise bewegten sich seine Lippen. Wenn dem Ingenieur das Umschalten nicht gelang, dann war das Ende da. Moon und Pichler schienen jetzt zu einem einzigen Wesen ge worden zu sein, das mit tausend Augen auf Professor Wolfram starrte. Fast war es so, als sei er es, der die Umschaltung vor nehmen würde, als hielte er das Schicksal der Stadt in der Hand, als könne er alles noch einmal zum Guten wenden, all dies Furchtbare ungeschehen machen, sogar das »Gleichgewicht« wiederherstellen. Aber Professor Wolfram war der größte Gegner des »Gleichge wichts«. »Jetzt!« murmelte er. Sie erhoben sich und traten an das Fens ter. Zuerst war die Ruhe.
Dann kam ein helles Singen durchdringend von überall und von nirgendwo. War es das »Gehirn«, das so grauenhaft weinte? Nein. - Ein tieferer Ton mischte sich dazwischen. Und noch einer, eine Quinte darunter. Jetzt waren es schon mehrere. Es waren gigantische Glocken, die da klangen, die in gewaltiger dunkler Moll-Harmonie ihr Lied über die Stadt dröhnten. Wolfram wandte den Blick nicht vom Fenster. »Es ist bald vorü ber. Sie könnten jetzt die Energie auf den anderen Schirm geben. Der Lithumkreislauf zersetzt sonst die Stabilisatoren. Höre doch die Töne!« Moon war jetzt kalkweiß. Eiskalte Schweißtropfen rollten bis an sein Kinn. In der Mitte der Davestraße stand plötzlich ein milchiger Wall. Der Ostschirm, der hier vorher noch seinen Zwilling getroffen hat te, bestand nicht mehr. Dafür hing die westliche Kuppel in der Straße. Wie ein irisierender Vorhang verdeckte sie das Drama, das sich hinter ihr abspielte. Dem letzten brannte der Schirm auf den Fersen. Aber er war durchgekommen. Entsetzt drehte er sich um. Wo waren sie ge blieben? Seine Frau und die Kinder schreien ihm etwas zu, aber er hört sie nicht. Der letzte Flüchtling steht immer noch am sel ben Fleck und überlegt. Kann er sie noch retten? Der Schirm soll tödlich sein. Er muß es versuchen. Er setzt einen Fuß vor den anderen. Die Wand nähert sich. Oben, wo die Davestraße in den Lowell-Platz mündete, stand ein anderer Mann. Er sah den Kameraden vor der Barriere. Er sah, wie der dort drüben in den Tod rannte. Und er konnte ihm nicht helfen. Jetzt geht er in die Wand. Sie läßt ihn hinein. Nimmt sie ihn auf? Ja, aber sie verwandelt ihn in etwas Glühendes, Unirdisches. Noch einer, der nicht gerettet wurde, denkt der Beobachter und dreht sich um. »Warum mußte es so weit kommen?« flüsterte Moon. »War das nötig?« Der Professor nickte langsam. »Es war nötig. Die meisten sind gerettet.« »Es ist nur ein Aufschub«, winkte Moon müde ab. »Es kommt doch - das Ende.« »Und jetzt geht das Ganze von vorne los?« rief Pichler. Wolfram nickte wieder.
»Das ist das Schöne an der Sache. Es geht immer wieder von vorne los. Es gibt immer wieder einen Anfang, es gibt immer wie der eine Chance.« Er wandte sich vom Fenster ab. Der Schirm stand. Es war wieder ein Anfang. Die tödliche Frage Die Amöbe konnte nur mit Hilfe ihrer vielfachen Gedächtnisspei cher, der Speicherfibern, denken. Gleichzeitig tastete sie tausend Erinnerungsbehälter ab, wählte das Brauchbare aus und verwarf das Überflüssige. Was übrig blieb, war erschreckend! Hunderte von Planquadraten hatte Pow geräumt. Nur noch we nige Verteidigungsraketen starteten. Die 15. Flotte trieb tatenlos durch das Meer B 14. Pow hatte fast alle Roboter zurückgezogen. Warrior machte es dem Feind nach. Wo kein Feind war, da gab es auch nichts zu tun. Auf die Idee, von selbst wieder einen groß räumigen Feldzug aufzubauen, kamen beide nicht. Sie waren nicht dafür gebaut. Ein kleiner Kondensator verhinderte jede Ang riffstätigkeit ohne Grund. Bis jetzt war das, was Warrior für einen Angriff hielt und mit Waffengewalt abwehrte, von Pow als Vertei digung angesehen worden. Zweihundert Jahre lang hatten Pow und Warrior gekämpft. Dann waren jene seltsamen Weltraumraketen aus dem Pararaum gekommen und hatten nach vielen vergeblichen Versuchen eine Landung fertiggebracht. Die Fettfabrik wurde beschädigt, R I verschwand in einem Schacht. Nach kurzer Zeit war er wieder in Begleitung von eige nartigen, zweibeinigen Wesen zum Vorschein gekommen und hat te eine Rakete falsch gelenkt. Und die Lawine rollte immer weiter und wurde immer größer. Der Feind schoß nicht mehr zurück. Zuerst war es nur in den Planquadraten E 871, E 872 und E 873 zu dieser furchtbaren Ruhe gekommen. Es fehlte die Artillerieun terstützung. Pows Truppen zogen sich in andere Sektoren zurück, um die 10. Armee zu stellen. Aber die Roboter der 10. hatte War rior in die E-Planquadrate beordert. Es wurde immer schlimmer. Das Vakuum vergrößerte sich. Und jetzt war es so weit, daß es überhaupt keine Berührungspunkte mehr gab. Warrior durchsuchte die Empfänger nach neuen Meldungen. Nichts. Aber dann begannen wieder die Aufzeichnungen. Es waren
nur schwache magnetische Impulse auf einer Speicherfiber, aber sie sagten genug: - Unbekannte Wellen aus dem Pararaum. Sie werden von der Erdoberfläche aus beantwortet. Sektion F 211. Das »Gehirn« stellte die Verbindung mit Sektion F 211 her. - Wo bleibt der Bericht? Nur langsam, fast zögernd kam die Antwort: - R I passierte vor acht Zeiteinheiten den Posten. Er gab Feue reinstellungsbefehl. Energiewand jetzt zehn Punkte vor Stelle X. R I dort mit mehreren, undefinierbaren Wesen auf Spähtrupp. Vor sicht! Unbekannte Sinterstrahlen! - Feuer! gab das »Gehirn« wütend zurück. - PXZ - PXZ! - Funkwellen aus Pararaum untersuchen! Ende! - Was ist »Pararaum«? - Warten! Das »Gehirn« stand wieder vor der gefürchteten Frage. Eigent lich sollte PXZ für die Lösung geopfert werden, denn das »Ge hirn« ahnte, daß das Problem unlösbar war. Aber PXZ hatte kei nen einzigen Anhaltspunkt für Nachforschungen. Warrior streckte sämtliche Pseudobeine aus und ließ einen hochgespannten Energiefluß in die Relais eindringen. Träge luden sich die Kondensatoren auf. Transistoren und Widerstände erhitz ten sich. Prüfend rasteten Speicherfibern ein. Hoch über der Erdoberfläche schwebte ein Satellit, und seine Ausmaße waren riesenhaft. Wie ein Igel strahlte er Antennensta cheln nach allen Seiten. Warrior stand kurz vor seiner größten Aufgabe. Die Frage sollte gestellt werden! Warrior befürchtete das Schlimmste. Jede Verbindung zur Erde wurde unterbrochen. Alle Organe des »Gehirns« sollten dem Problem zur Verfügung stehen. Aber Warrior zögerte noch. Es war ein Spiel, bei dem alles riskiert werden mußte. Würde die richtige Antwort gefunden, dann wäre der Krieg gerettet. Warrior nahm bedächtig eine gelb-grüne Algenzelle und begann dann langsam, die Frage zu formulieren. Eine Speicherfiber notierte ruhig und routiniert: - Was ist Pararaum? Warrior wiederholte die Frage. PXZ wies die Frage zurück. Zuerst brauchte er die Konstanten des gewöhnlichen Universums. Das war einfach. Mehrere Fiber
aggregate gaben sie schnell durch. Bis jetzt verlief alles wie ge wöhnlich. Derselbe Rhythmus, dieselben Handgriffe. Die Frage nach den Dimensionen war schon schwieriger. Jetzt erwachte der positronische Teil der Anlage zum Leben. Ein großes Integral wuchs heran. Im Hintergrund wurde eifrig diffe renziert. Langsam tropften schwere Transpositronen durch die funkelnde Vakuumröhre. Motorisch wurden Dimensionen rech twinklig aneinandergefügt. Das Gefüge verging. Im Bruchteil ei ner Sekunde stand es wieder. Das wiederholte sich. Die Zeitdiffe renz zwischen Werden und Vergehen verringerte sich immer mehr, wurde unendlich klein. - Das ist die Zeit als Dimension - verkündete PXZ das Zwische nergebnis. Warrior wartete. Nervös zuckten die Pseudobeine. Allmählich stieg die Temperatur. Es wird jetzt eine fünfte Dimension hinzugefügt. Das »Gehirn« wartete. Der ganze Satellit war jetzt von wildem Leben erfüllt. Myriaden von Elementarteilchen durchrasten mit wahnwitziger Geschwin digkeit kilometerlange Leitungen, strahlten durch luftleere Räu me, füllten und entluden Kondensatoren, ließen Widerstände blut rot aufglühen und zwangen die schwerfälligen Transpositronen in vorgeschriebene Bahnen. Aber die benötigten Energien waren zu groß. Das Problem war zu schwierig. Durch Logik sollte eine Form erklärt werden, die nicht logisch war. Die fünfte Dimension, der Pararaum, ein unerklärliches Rätsel für das Gehirn. Die Speicherfibern gaben schrille Impulse von sich. Es war wie das gelle Lachen eines Wahnsinnigen. Denkkreise begannen zu blockieren. Irgendwo glühte weiß ein Transistor. Dann wurde er langsam schwarz. Ein Viertel des positronischen Zentrums wurde dadurch lahmgelegt. - Stop! - dachte Warrior. Ganze Kreise verbrannten jetzt. - Stop! - dachte die Amöbe. Wie Husten waren die empfangenen Impulse. Die Empfänger kratzten. - Stop! - dachte das »Gehirn«. Die Metalltrommel drehte sich und sammelte ruhig und unbehindert die Resultate. Manchmal wechselte sie die Richtung der Drehung, und die noch funktionie
renden Kreise prüften das bis jetzt Erhaltene. Doch die Zerstö rung war nicht mehr aufzuhalten. - Stop! -dachte Warrior verzweifelt. Das elektronische Zubehör aber hatte sich in das Problem verbissen und ließ nicht mehr da von ab. Die Amöbe wußte, daß das Ende der Wahnsinn sein wür de, und sie kämpfte verzweifelt dagegen an. Aber es fehlten die Sperrkondensatoren, die Filter, die Belas tungsausgleicher. Sie waren längst durchgebrannt. Die Metallformel kam zur Ruhe. Nur noch einmal sollte sie sich drehen. Dann, wenn das Ergebnis bereitlag, dann, wenn das »Gehirn« die tödliche Frage gelöst hatte: die Frage nach der fünf ten Dimension. Jetzt nahm PXZ die Originalfrage auf. Es war soweit. - Was ist Pararaum? - wiederholte die Speicherfiber wieder. Warrior versuchte die Energiezufuhr zu sperren. Umsonst. Die Relais und Quecksilberschalter gehorchten nicht mehr. Der Wahn sinn griff um sich. Seltsame Dinge wurden dem Privatspeicher des »Gehirns« zugeleitet. Ein geheimnisvolles, nie zur Aufführung gelangtes Musikstück, Verse und Prosa, Impressionen antiker Bildhauerkunst. Es kamen Fakten zum Vorschein, die in einem der Millionen von Speichern verborgen lagen. Man hatte sie hi neingefüttert, aber es war nie nach ihnen gefragt worden. War das die Antwort auf die Frage? - Doch wohl kaum. Und die Schal ter gehorchten nicht mehr. - Stop! - flüsterte müde die Amöbe.
Es war schon lange zu spät.
Vier Stunden später begann die Metalltrommel mit der Formu lierung der Antwort. Es war still geworden in den Kammern des Satelliten. Jahrhunderte lang wurde von hier aus das Leben auf der Erde bestimmt, und es hatte alles funktioniert. Jetzt aber standen die rastlosen Relais still. Das Ende war gekommen. Die Frage nach dem eigenen Universum war schon zu groß gewesen. Wie hätte dann jemals die Frage nach dem Pararaum gelöst wer den können! Die Metalltrommel drehte sich, wurde dann langsamer, hielt schließlich an. Warrior konnte nicht mehr feststellen, ob jemals magnetische Impulse, die die Lösung wären, auf ihr standen. Oder waren schon die Empfänger unterbrochen? Sie waren Warriors Verbindung nach außen, sie vereinten Elekt ronengehirn und Amöbe.
Jetzt war die Amöbe allein. Umsonst schickte sie Reiz um Reiz in die toten Empfänger. Sie zog die Pseudobeine ein. Sie war taub, blind, stumm und gelähmt. Selbst denken konnte sie nicht mehr, denn die Speicher, in denen ihre Erinnerungen lagen, antworteten nicht mehr. Wer ist der »Hai«? Drei Tage waren vergangen. Im Raumschiff von Professor Zer nack schlich die Zeit unmerklich dahin, und die Zeit des Wartens war lange. Jeden Tag hatte Zernack über den Pararaum mit Noahs Stern gesprochen und seine Eindrücke und Forschungser gebnisse durchgegeben. Die Rettungsexpedition war schon unterwegs. Es handelte sich jetzt nur noch um Stunden, bis Zernack seinem Kollegen die Ent wicklungsform des Menschen vorstellen konnte, die er hier auf der Erde gefunden hatte. Seine Aufregung war von Stunde zu Stunde größer geworden, er saß meist am Sender oder durchmaß mit langen unruhigen Schritten das Schiff. Ad verbrachte seine Zeit teils mit Schlafen, teils mit Untersu chungen, die er an Egon anstellte. Aus dem Roboter würde sich ein großes Geschäft machen lassen. Natürlich müßten noch einige Veränderungen vorgenommen werden. Im übrigen genoß Ad die Atmosphäre, die für ihn so neu und doch wegen der Vielfalt der elektronischen Geräte, auf die er beim Stöbern stieß, so bekannt war. Oft hatte er mit Rock lange Unterhaltungen, der möglichst bald wieder nach Nork zurück wollte. Er schien sich hier zu langweilen. Gar nicht langweilig war die Zeit für Jon. Meist hielt er sich bei Mara im Labor auf, wo sie Boden- und Pflanzenproben untersuch te oder wissenschaftliche Daten in das Logbuch sprach. Er setzte sich dann lässig auf den Operationstisch, ließ die Beine herunterhängen und qualmte ihr so lange Tabakrauch in das Ge sicht, bis sie von der Arbeit abließ und sich zu ihm setzte. Sie erzählte ihm dann vom »Nebel des Glücks«, in dem Noahs Stern einer unter unendlich vielen war. Sie beschrieb ihm die grünen Wiesenhänge und die violetten Wälder, wie sie früher auch die Erde getragen hatte. Sie erzählte, daß Jungverheiratete vom Staat ein eigenes Haus bekämen, und wie schön es wäre, so
ein Haus zu besitzen. Es würde an einem See liegen, und mor gens, wenn die blaue Sonne die letzten Nebelschleier vertrieben hätte, könnte man in den Wellen baden und glücklich sein. Jon nickte versonnen. »Wenn du willst, können wir uns ein Haus verdienen«, sagte er lächelnd. Er nahm Mara in die Arme und küßte sie. Minutenlang standen sie und schwiegen. Aber ihre Ge danken waren dieselben, und ihre Träume ließen sie die zerstörte Umgebung vergessen. Alles begann zu blühen und zu duften, und ein Frühling, wie es keinen schöneren gab, zog in ihre Seelen ein. Jon versuchte sie über den Professor auszufragen, aber dann wurde sie verschlossen und antwortete nicht. Er merkte, daß er eifersüchtig auf den guten, alten Professor Zernack war, und ver suchte diesen Gedanken zu vertreiben. Aber irgendwo bohrte der Wurm weiter. Warum sprach Mara nie über Zernack? Warum fiel sie ihm ein mal, als Jon und sie aus dem Labor kamen, um den Hals und küßte ihn? - Das war abgeschmackt. Aber noch wagte Jon nicht, seine Herrscherrechte geltend zu machen. Ramses war ein Phänomen. Er hatte die Wache übernommen und war seit den vergangenen Tagen noch kein einziges Mal im Bett gewesen. Tagsüber, wenn Zernack schlief, der ein Nachtar beiter war, saß Ramses stundenlang in einem Sessel und brütete mit starren, offenen Augen vor sich hin. Dann, das wußten alle, waren seine Gedanken bei dem »Gehirn«, und der Haß füllte ihn aus. Nachts diskutierte er stundenlang bis zum Morgengrauen mit Zernack oder spielte gegen ihn eine Partie Schach, die er regel mäßig gewann. Zernack sagte dann oft, daß er ein Meister im Schachspiel sei, und daß er es mit den Besten auf Noahs Stern würde aufnehmen können. Schon seit zwei Tagen war die Energiebarriere am Horizont ver schwunden. Keine einzige Rakete, kein Roboter war gekommen. Es herrschte Friede. Die Bewohner des Raumschiffes von Profes sor Zernack hatten sich schnell daran gewöhnt. Um vier Uhr nachmittags weckte Ramses den Professor. Ein fremdes Geräusch, ein hohes Brausen lag in der Luft. Das metal lene Schiff begann zu vibrieren. Es glich einem Rennpferd, das seinen Stallgefährten in der Nähe spürt. Zernack saß schon an den Kontrollen des Peilgerätes. Er sprach unausgesetzt in das Mikrophon. Ramses rief die anderen an die Schleuse.
Sie warfen sich in die Strahlenschutzanzüge und traten vor das Schiff. Ramses deutete in die Höhe. Ein klarer, stahlblauer Him mel dehnte sich frostig von Horizont zu Horizont. Niedrig stand die Sonne. Das Brausen wuchs zum Dröhnen. Eine kleine Flamme stand im Himmel. Weiß hob sie sich ab. Dann kam etwas Gelbes hinein. Sie vergrößerte sich. Es war eine langgestreckte, schmale Flamme, ein Fünkchen noch. Auf der Flamme stand ein dunkler Körper. Das Raumschiff! Es legte sich etwas schräg und stach jetzt auf die Erde hinunter. Dann donnerte ein schwarzes Gespenst hoch über die Ebene. Lange Feuer schlugen aus dem Heck. Allmählich stellte sich das Schiff gerade. Heulende Korrekturstöße erzeugten orangene Flammenbündel, blendende Lichtsäulen. Langsam senkte sich das Raumschiff tiefer. Lange Schwanzfinnen tasteten nach dem Bo den. Dunkelrot glühte er unter ihnen auf. Das Brausen wurde lei ser und erstarb endlich. Dann stand ein gewaltiges Raumschiff da. Jon schätzte die Höhe von den Enden der Schwanzflossen bis zur antennenbewehrten Spitze auf hundert Meter. Sie gingen auf den Koloß zu, und er wuchs vor ihnen auf wie ein Dom. Weit oben, fast an der Spitze, öffnete sich eine Klappe. Ein Träger wurde hinausgeschwenkt. Ein länglicher Kasten folgte. Dann schwebte der Kasten unglaublich schnell auf den Erdboden herun ter. Die Männer traten zurück, blickten sich um. Professor Zer nack kam im Raumanzug herbeigeeilt. Er stürzte sich auf einen der fünf, die inzwischen aus dem Kasten herausgetreten waren. Er packte ihn beim Arm und strebte, eifrig auf ihn einredend, auf die Gruppe der Männer zu. Er sprach zu Ramses: »Das ist Professor Härder. Darf ich Sie vorstellen, meine Her ren?« Sie nickten. Nacheinander traten Ramses, Ad, Jon und Rock vor und gaben Professor Härder die Hand. Das einzige, was sie durch die Helmfenster feststellen konnten, war ein gewaltiger Bart, der fast Härders ganzes Gesicht bedeckte. Hoffentlich erstickt er nicht in seinem Helm, ging es Rock durch den Kopf. Er grinste. Ramses übersetzte weiter: »Professor Zernack schlägt vor, daß wir jetzt erst mal in sein Raumschiff gehen. Dort findet eine kleine Besprechung statt.«
Die beiden Gelehrten begannen sofort eine unverständliche eu rasische Konversation. Die Männer sahen erwartungsvoll zu Mara. Bereitwillig übersetzte sie: »Professor Härder erzählt, was sich in den letzten Tagen alles auf Noahs Stern ereignet hat. Die geglückte Landung Zernacks ist eine Sensation gewesen. Der ganze Planet hörte die erste Unter haltung zwischen Zernack und der Transraum-Gesellschaft an den Rundfunkgeräten mit. Sofort wurde ein Kreuzer zur Rettung der gestrandeten Expeditionsgruppe bereit gestellt. Aber der Start verzögerte sich immer wieder. Vor vier Tagen sei es endlich so weit gewesen. Außer einer zehnköpfigen Besatzung, deren Offi ziere jene vier Begleiter des Professors waren, brachte Härder noch zwei Kompanien Polizeitruppen mit, die spezielle Lehrgänge zur Bekämpfung von Robotern mitgemacht haben. Schon längst waren sie zur Landung auf der Erde ausersehen gewesen. Ferner brachten sie noch einige verstärkte Zernacksche Sinterstrahler mit. Von deren Einsatz könne ja jetzt wegen der überraschenden Wendung der Lage abgesehen werden«, meinte Professor Härder. »Ich glaube, es ist bald Zeit, daß wir wieder nach Nork zurück gehen. Wir müssen Bericht erstatten und dem Präsidenten mel den, daß hier Raumschiffe gelandet sind.« »Richtig«, nickte Professor Zernack. »Sie können dort sagen, daß wir sie alle auf Noahs Stern holen. Es ist noch viel Platz, und wir brauchen Siedler. Die Transraum-Gesellschaft rüstet ihre größten Weltraummaschinen für den Transport aus. Ich sprach vorhin mit ihr. Es stehen sechzig Maschinen zur Verfügung. Vier zig sind zusätzlich bei verschiedenen Firmen in Auftrag gegeben. Jede dieser Superkonstruktionen kann bis zu zweihundert Perso nen fassen. Das gesamte Programm soll in wenigen Monaten ab gewickelt werden.« »Und wie lange dauert die Ansiedlung?« erkundigte sich Ad. »Nun, das dauert natürlich etwas. Sonst wären wir schon in drei Wochen fertig. Man wird natürlich am Anfang improvisieren müs sen.« »Manche werden ja auch auf der Erde bleiben wollen«, warf Jon ein. »Jetzt - wo alles vorbei ist.« »Wenn sie unter dem Schutzschirm bleiben wollen, dann ja«, bestätigte der Professor. »Aber die Strahlung außerhalb der Kup peln dauert natürlich noch sehr lange an. Ich schätze, daß die
Durchschnittshalbwertzeit über hundert Jahre betragen wird. Das Zeug da draußen strahlt ja enorm.« Jon nickte. Das hatte er nicht bedacht. »Wann gehen wir nach Nork zurück?« drängte Rock. Ramses sah nach der Schiffsuhr. »Es ist jetzt schon spät. Ich schlage vor, wir starten morgen früh!« »Einverstanden!«, die anderen ließen ihre Zustimmung hören. Um zehn Uhr am nächsten Morgen kam die Gruppe bei dem Förderschacht an, der zum Förderband hinunterführte. Professor Härder, Zernack, Dr. Mara und ein Polizeioffizier begleiteten die vier Norker. Der Polizist war schwer bewaffnet. Aufmerksam spähte er nach allen Seiten und verschwand auch bisweilen hinter Mauern oder Erhebungen, wenn er dahinter einen Feind vermute te. Es war aber nichts geschehen, was die Gruppe in Besorgnis hätte stürzen können. Die Stille war unnatürlich. Wie Watte hüllte sie die Ruinen und verwüsteten Landstriche ein. Das »Gehirn« schien jede Aktivität eingestellt zu haben. Ebenso sein Gegner. Abends erst gelangten sie an die Eingangsschleuse der Fettver sorgungsstelle. Vorsorglich hatte Jon schon Stunden vorher mit den Wissenschaftlern, die sich immer noch dort aufhielten, über den Sender gesprochen. Sie waren zum Empfang gerüstet. Der Psychologe Barium begrüßte sie als erster. Mit einem flüch tigen Blick streifte er Ramses. Dann traten die anderen Wissen schaftler heran. Jon stellte vor. Unauffällig waren zwei Sicherheitspolizisten hinter Ramses ge treten. Barium räusperte sich. Er suchte nach Worten. »Ich muß - hm, leider müssen wir Sie verhaften, André Ramses. Sie sind der ›Hai‹.« »Hallo«, sagte Ad. »Was wird denn hier gespielt?« »Er ist ein Revolutionär«, entschuldigte sich Barium. »Jetzt, wo das ›Gleichgewicht‹ sowieso zum Teufel ist, kann er ja nicht mehr schaden. Außerdem gibt es jetzt Wichtigeres.« »Lassen Sie«, winkte Ramses ruhig ab. »Ich gehe ja doch nicht mit.« Plötzlich hatte er wieder seine Pistole in der Hand. Die beiden Professoren von Noahs Stern blickten erstaunt in die Runde. Vor ihnen spielte sich ein Kapitel aus der Frühkultur des homo sapiens ab. Beamtenstaat und Verhaftungen. Vor der Tür
wurden Stimmen laut. Dann drangen einige verwegen aussehen de Männer in den Raum ein. »Hallo, Ziegel«, grinste der »Hai«. »Du kommst zur rechten Zeit.« Die beiden Polizisten blickten unruhig um sich. Die Wissen schaftler standen in einer Ecke zusammengedrängt und unterhiel ten sich aufgeregt mit gedämpften Stimmen. »Wir folgen nur einem Befehl«, sagte ein Polizist. »Wir haben Familie.« »Von wem kommt der Befehl?« fragte Ziegel, der schon längst eine Vollrasur nötig gehabt hätte. »Vom Sicherheitsminister direkt«, antwortete der andere. »Von Pichler? Ausgerechnet von Pichler!« Ziegel grinste unver schämt. »Ich habe einen anderen Befehl von Moon persönlich. Die Expe dition muß sofort zu ihm kommen. Hier haben Sie's schriftlich!« Er winkte seine Leute aus dem Raum und trat dann zurück, um die anderen vorbei zu lassen. Er schnitt den verblüfften Polizisten eine Grimasse und sagte dann etwas zu Professor Eule, das ihn hochrot werden ließ. * Moon bot einen traurigen Anblick. Man sah ihm an, daß er tage lang nicht geschlafen hatte. Unter seinen Augen hingen dicke, rote Tränensäcke, und ein grauer Stoppelbart machte ihn zu ei nem Greis, der am Ende seiner Tage zu stehen schien. Mit zittri gen Handbewegungen lud er die Besucher zum Sitzen ein. Ers taunt musterte er Dr. Mara, die schöner denn je war. Aus der dunklen Ecke des Raumes erhob sich eine gebeugte Ge stalt und ging langsam auf die Gruppe zu. »Professor Wolfram«, rief Ramses erstaunt und erhob sich. Jon schien es, als schwinge ein ängstlicher Klang in seiner Stimme mit. Er beugte sich vor und beobachtete den »Hai« gespannt, der langsam vor Professor Wolfram zurückwich. Wolfram trat bis an den Schreibtisch und ließ sich dort in einen Sessel nieder. Nach denklich blickte er auf Ramses, der sich jetzt bis zur gegenüber liegenden Wand zurückgezogen hatte und dort unbeweglich ver harrte.
»Es hat sich viel geändert«, begann Moon nachdenklich, nach dem er sich hinter den Schreibtisch gesetzt hatte. Bedächtig fal tete er die Hände und blickte seitwärts zum Fenster. Dann schien er sich einen Ruck gegeben zu haben. Er setzte sich auf und mus terte Professor Zernack. Mara übersetzte: »Ich bin froh, daß Sie gekommen sind. Wir sind am Ende. Viel leicht können Sie uns wieder Hoffnung machen. Ein Schutzschirm besteht nur noch, und die Bevölkerungsmassen haben kaum ein Obdach.« »Deswegen sind wir gekommen. Die Landung wurde immer wieder verbucht, aber erst jetzt, wo das ›Gehirn‹ inaktiv gewor den ist, konnten wir zu Ihnen kommen.« »Es ist soweit«, sagte Moon müde. »Die Menschen hier sind apathisch geworden, und es ist gut, wenn sie wieder ein Ziel ha ben. Nicht wahr?« Zernack nickte. »Wir haben schon Vorsorge getroffen, daß alle Einwohner der Stadt auf unseren Planeten transportiert werden können. Es dauert natürlich seine Zeit.« »Ja«, entgegnete Moon. »Es wird schon werden. Sie müssen mir noch mehr erzählen.« Er wandte sich an Rock. »Ich möchte wissen, wie es gewesen ist. Berichten Sie!« Rock schilderte die Abenteuer der Expedition »Speisefett«. Währenddessen erhob sich Wolfram von seinem Sessel und ging zu Ramses hinüber. Leise redete er auf Ramses ein. Als Rock geendet hatte, wandte sich der Präsident den beiden Männern zu, die im Halbdunkel an der Wand lehnten. Er winkte Ramses herbei und hüstelte verlegen. »Es tut mir leid, Ramses, aber der Sicherheitsdienst hat eine Anzeige gegen Sie erstattet. Es sind verschiedene Delikte, die Ihnen zur Last gelegt werden. Vom Verrat bis zur Aufwiegelei. Ich möchte feststellen, daß meinerseits nichts gegen Sie unternom men wird. Aber ich kann nicht in die laufende Untersuchung ein greifen. Man muß jedoch zugeben, daß Ihre Theorie sich als rich tig erwiesen hat. Aber Ihre Mittel waren nicht einwandfrei.« »Aber es kommt ja nur auf den Erfolg an«, warf Ad ein. »Ram ses hatte doch Erfolg. Wie kann er da bestraft werden? Und Ver rat? An wem hat er Verrat begangen?«
»Nun«, entgegnete der Präsident. »Sie wollen doch nicht sagen, daß der Erfolg die Mittel rechtfertigt? Das ist eine gefährliche An sicht.« Es klopfte. Ohne Aufforderung wurde die Tür geöffnet, und Pich ler trat ein. Hinter ihm drängten sich zwei unauffällig gekleidete Männer in den Raum. Das einzige, was sie von anderen unter schied, waren die verdächtigen Wölbungen unter der linken Ach sel. »Was fällt denn Ihnen ein?« fragte der Präsident erstaunt. »Es ist nötig«, sagte Pichler mit kalter Stimme. »Sie sind in Ge fahr. Der ›Hai‹ ist bewaffnet.« Ramses drehte sich langsam zur Tür. Er hatte wieder die Pistole in der Hand. Wolfram sprang auf. »Laß das!« rief er mit bebender Stimme. »Steck das Ding weg. Oder gib es lieber mir!« Er ging auf Ramses zu und hielt die Hand auf. Ramses zögerte. Die beiden Geheimpolizisten hatten unter die Achsel gegriffen und große Lengfeld-Pistolen zum Vorschein gebracht. Wolfram nahm dem »Hai« die Pistole ab und steckte sie ein. Dann wandte er sich an den Präsidenten. »Er kann nicht schießen, wenn er nicht angegriffen wird. Ich habe das verhindert.« »Schön«, antwortete Moon. »Dann soll er sich mal hinsetzen. Er bleibt hier.« Er blickte zur Tür. »Pichler, Sie wissen doch, daß ich keine Waffen in meiner Nähe dulde. Ihre Nerven machen anscheinend nicht mehr mit. Gehen Sie lieber wieder hinaus und nehmen Sie Ihre Stehaufmännchen mit!« Pichler murmelte eine Entschuldigung und verließ eilig den Raum. Moon fiel etwas ein. Fragend blickte er Wolfram an. »Was sagten Sie vorher? Sie hätten das eingerichtet?« »Was?« fragte Wolfram harmlos. »Sie sagten, Ramses könne nur schießen, wenn er angegriffen wird. Wie ist das zu verstehen?« Interessiert beugten sich die anderen vor. Mara übersetzte den beiden Professoren von Noahs Stern die Frage. Wolfram sog lang sam die Luft ein. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Für Minuten hing eine drückende, dumpfe Stille im Raum. Der Abend lag über
der Stadt. Sanfte Dämmerung drang durch die Plexiglasscheiben. Nur undeutlich waren die Augen Wolframs zu erkennen. Nun schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. »Machen Sie das Licht an«, sagte er mit monotoner Stimme. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen!« Jon drückte den Knopf der Schreibtischlampe. Zu seinem großen Bedauern mußte er dazu die Hand Maras loslassen, die er während der ganzen Zeit festge halten hatte. Professor Wolfram erhob sich und trat zu Ramses. Der »Hai« sah ihn erstaunt an. Wolfram blickte suchend um sich. »Ich brauche ein Messer!« Er streckte die Hand aus. »Geht es auch mit einer Schere?« erkundigte sich Moon und hielt ihm das glänzende Instrument hin. »Geht auch«, antwortete Wolfram, ohne seinen Blick von Ram ses zu wenden. »Halt!« rief Ad erschreckt. Alle waren jetzt auf die Füße ge sprungen und versuchten unter empörten Ausrufen, Wolfram an seinem Tun zu hindern. Der Professor drängte sie zurück. »Er spürt es nicht!« Dann griff er die Schere fester und begann langsam, aus Ram ses Kopfhaut ein Stück herauszuschneiden. Ramses grinste. »Setzen Sie sich doch«, sagte er zu der erschreckten Mara. »Es wird nachher wieder festgeklebt.« Weißes Plastik kam zum Vorschein. Aus dem hellen Kunststoff gehäuse klappte der Professor jetzt einen kleinen Knopf nach oben. Langsam drehte er daran. Eine Klappe öffnete sich. Als John interessiert näher trat, blickte er erstaunt auf eine Viel zahl von winzigen Transistoren, Schaltelementen und Widerstän den. Sie waren mikroskopisch klein. Spinnwebdünne, isolierte Kabel verbanden sie miteinander. »Ein Roboter!« rief Ad. »Der ›Hai‹ ist ein Roboter. Was für eine Überraschung!« »Haben Sie ihn gebaut?« erkundigte sich Jon bei Wolfram. Der Professor nickte. »Wirklich toll!« sagte Moon staunend. »Du bist im Gefängnis, und dein Roboter macht draußen für dich die Arbeit. Ich gratulie re!« Erschöpft ließ er sich in den Sessel fallen.
Die beiden Professoren sprachen erregt in ihrer fremden Spra che aufeinander ein. Wolfram grinste unmerklich. Als er den Schädel des Maschinenmenschen wieder schloß, meinte er: »Eine Maschine kann man für Verrat nicht haftbar machen. Ebensowenig, wie das ›Gehirn‹ für den Krieg verantwortlich ist.« Viele Stunden später verließen die Gäste erst das Präsidium. »Kommt ihr mit in die Terry-Bar?« fragte Rock die anderen. Jon blickte Mara an. »Hast du Lust?« Sie schüttelte den Kopf. Bevor er den Mund öffnen konnte, hielt sie ihn am Arm fest und flüsterte: »Ich muß aber erst Zernack fragen, ob er damit einverstanden ist, wenn wir woanders hinge hen wollen.« Jon fühlte die Wut in sich aufsteigen. »Der Alte hat gar nichts zu sagen. Ich habe jetzt von dem Ver steckspiel. genug!« »Bitte«, gab sie zurück. »Der Alte ist mein Vater. Vielleicht ist es doch besser, wenn wir ihn fragen.« Jon atmete erleichtert auf. Das war eine angenehme Überra schung. »Gut«, genehmigte er großzügig und zwickte sie in die Nase. »Gut«, sagte auch Rock, der die Szene beobachtet hatte. »Wenn du Hilfe brauchst, dann rufe in der Bar an. Ich gehe mit den Professoren noch ein bißchen aus.« Er wandte sich an Wolf ram. »Nehmen Sie Ramses mit?« »Das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Er hat seinen eigenen Willen, wenn auch maschinell.« Der »Hai« brummte etwas Zustimmendes. Aber vorher müsse er noch mit Ziegel sprechen. Der käme vielleicht auch. »Und wie ist es mit Ad?« erkundigte sich Rock weiter. Ad breitete mit ungewissem Gesichtsausdruck die Arme aus und fragte Jon: »Sag mal, Jon: Welche Telefonnummer hat Fräulein Alonso?« *
»Was ich gerne wissen möchte, Herr Professor«, erkundigte sich Rock bei Wolfram, als sie auf dem Wege zur Terry-Bar waren. »Woher kann Ramses Eurasisch?« Wolfram musterte ihn erstaunt. »Aber Sie wissen doch, daß er zahlreiche Erinnerungs-Speicher hat. Er spricht mehrere Sprachen. Ich habe sie ihm eingebaut.« Hinter Rock und dem »Hai«, die sich angeregt miteinander un terhielten, verschwanden die drei würdige Professoren in der hel lerleuchteten Terry-Bar. * Ein Präsident ging ins Bett. Ein Telefonanruf wurde beantwortet. Irgendwo gingen Lichter aus. Viele Pernods wurden getrunken. Ein Förderband lieferte weiterhin schwarzen Schlamm. Ein trüber Mond ging unter. Und hoch oben in der Ionosphäre begann eine Amöbe langsam einzutrocknen. Der Krieg war zu Ende. Warrior hatte sich durch die tödliche Frage vernichtet. Und Pow konnte ohne Angriffe kei nen Krieg führen. In dem Satelliten auf der anderen Seite der Erde, der Pow be herbergte, wurde es still - tödlich still. Uhren begannen wieder zu laufen. Die Zeit der Angst war vorüber. * Monate waren vergangen. Längst wölbte sich kein Energieschirm mehr über der Stadt Nork, denn die letzten Überlebenden hatten die Erde verlassen. Vielleicht würden sie eines Tages zurückkeh ren, in fünfzig oder hundert Jahren, wenn die Natur die Narben geheilt hatte, die von Menschen entfesselte Technik ihr schlugen. Nichts regte sich in den Ruinenstädten. Die Erde war leer, ein toter Planet, dessen Kinder auf einer weit entfernten Welt ein neues Glück suchten.
Nur ab und zu dröhnten die zerstörten Straßen unter dem Schritt eines Roboters. Die Raumfahrer aus dem All hatten einen ihrer Panzerknacker vergessen. Und da er nicht von den Gehirnen abhängig gewesen war, stampfte er weiter durch die Ruinen und suchte nach einem Gegner. »Wenn man sie einmal losläßt, dann kämpfen sie, bis von ihnen nichts mehr übrigbleibt«, hatte Professor Zernack einmal zu Ram ses gesagt, als er mit ihm über die Panzerknacker sprach. Damals hatte der Raumfahrer nicht gewußt, daß er sich mit einer Maschi ne unterhielt. Aber Zernack hatte recht behalten. Der Roboter von Noahs Stern, ein blauschimmerndes Metallwesen, stampfte durch die ausgestorbenen Städte und suchte nach einem Gegner. Er wurde zum Symbol eines sinnlosen Krieges. Aber niemand war da, der ihn beobachtete. Eines Tages würde auch er zur Ruhe kommen; denn sein Ener gievorrat reichte nicht ewig. ENDE Obgleich Leutnant Lane weiß, daß man ihn verfolgt, obgleich er eine Droge einnahm, die jedes Betäubungsmittel unschädlich macht, geht er dem Gegner ins Netz. Aber es sind gar nicht die Gelben, die Lane erwartet hat. Kameraden aus früherer Zeit ste hen vor ihm, als er nach der Entführung erwacht. Ihre Augen sind leer. Sie bewegen sich wie willenlose Puppen. Vielleicht sind sie nur noch Puppen? Die Antwort finden Sie in Utopia-Zukunftsroman 226 Gelbe Gangster - weiße Spitzel (Eine Invasion bleibt geheim)