Wenn deine Hände mich verwöhnen
Beverly Bird
Tiffany 278
17-2/88
Gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL Also waren meine...
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Wenn deine Hände mich verwöhnen
Beverly Bird
Tiffany 278
17-2/88
Gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL Also waren meine Vermutungen doch richtig! dachte Laura, während sie triumphierend beobachtete, dass der Mann, den sie suchte, gerade den schummrigen Pub betrat. Aufgeregt sprang sie von ihrem Stuhl auf. Eigentlich wollte sie die Tochter dieses Mannes treffen. Dem Vater dagegen sollte sie eher aus dem Weg gehen. In diesem Moment merkte Laura, dass die Leute am Nachbartisch zu ihr herüberschauten, und sie setzte sich rasch wieder. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Ray Corti. Er hatte nicht nur im Film, sondern auch in Wirklichkeit eine ungemeine Ausstrahlung. Und Laura spürte instinktiv, dass ihr dieser Mann gefährlich werden könnte. Im Kino spielte er immer die Rolle des harten und unerbittlichen Helden, der für Recht und Ordnung kämpfte. Schon oft hatte sie ihn auf der Leinwand bewundert. Männer wie er hielten sicher nichts von einer dauerhaften Beziehung und konnten sich vor Verehrerinnen kaum retten. Laura hatte keine Schwierigkeiten, die Geschichten zu glauben, die man in den Skandalblättern über ihn lesen konnte. Ray Cortis Bewegungen waren auffällig souverän. Sein zielsicherer, dynamischer Gang ließ die Leute respektvoll zur Seite treten. Er ging zu einem Tisch in einer Nische, wo bereits ein anderer Mann auf ihn wartete und ihn wortreich begrüßte. Corti schien es zu stören, denn er sah sich prüfend um, ob sein Erscheinen Aufmerksamkeit erregt hatte. Natürlich hatte es das! Laura bemerkte, dass die Leute an den Nachbartischen bereits flüsterten und verstohlen auf Ray Corti zeigten. Obwohl er nicht seinem Image entsprechend gekleidet war, hatte man ihn sofort erkannt. Ihr würde sicher nicht viel Zeit für ihre Recherchen bleiben, denn sobald er das Gefühl hatte, dass seine Privatsphäre nicht mehr gewahrt war, würde er die Stadt verlassen und wieder untertauchen. Seine Tochter würde er natür lich mitnehmen, und sie müsste sich dann erneut auf die Suche machen. Laura wandte sich ihren Tischnachbam zu. Phil und Leah Trumball hatte sie erst vor einer Woche kennengelernt, als sie zum erstenmal ins ,Widow's Walk' gekommen war. Laura hatte irgend wie den Eindruck, als müsse sie ihnen erklären, warum das Erscheinen von Ray Corti sie so aufgeregt hatte. „Ich glaube, ich kenne diesen Mann." Sie griff nach ihrem Irish Coffee und deutete mit dem Kopf in die Richtung von Cortis Tisch. Leah sah sie überrascht an. „Sie glauben, Sie kennen ihn?" fragte sie. Eigentlich hasste Laura es zu lügen. Aber sie konnte nicht abschätzen, ob sie Leah vertrauen durfte. Es wäre nicht auszudenken, wenn Leah den wahren Grund ihres Aufenthaltes an Corti weitergeben würde. Darum war es sicherer für sie, die Trumballs in dem Glauben zu lassen, dass sie hier nur ein paar Tage Urlaub verbringen wollte. „Sehen Sie mich nicht so ungläubig an, Leah. Lassen Sie mich einmal nachdenken." Laura nagte an ihrer Unterlippe und tat, als ob sie überlegen würde. „Ich weiß. Er ist im Filmgeschäft, nicht wahr?" Leah verdrehte mit gespieltem Entsetzen die Augen. „Jetzt hör' dir das an", sagte sie zu ihrem Mann. „Laura, meine Liebe, Ray Corti ist ein Superstar", erklärte Phil. „Sie sollten sich wirklich einen seiner Filme ansehen. Dann wissen Sie, was Sie bis jetzt verpasst haben", schwärmte Leah. „Nun, über seine schauspielerischen Qualitäten kann man streiten, Darling." „Du bist nur eifersüchtig, weil du nicht so einen aufregenden Gang hast wie er", erwiderte Leah und klopfte ihrem Mann auf seinen leichten Bauchansatz. Dann wandte sie sich wieder Laura zu. „Also der Gang von Ray Corti ist wirklich das aufregendste an ihm." „Jedenfalls aufregender als seine Schauspielerei", wandte Phil ein. Laura lachte. „Wie kommt es, dass er sich hier in Endless Cape aufhält? Ist er allein hier?" fragte sie nun. Leah zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn bis jetzt jedenfalls noch nicht mit einem
Schwärm Starlets herumlaufen sehen, falls es das ist, was Sie wissen möchten." Das interessierte Laura eigentlich nicht, aber sie musste sich vorerst mit dieser Antwort zufriedengeben. Sie nickte Leah aufmunternd zu. „Er ist vor ungefähr drei Wochen in die Stadt gekommen. Jedenfalls habe ich da zum erstenmal die Gerüchte über ihn gehört. Erst wollte ich es gar nicht glauben, dass er hierhergezogen ist. Ich war wirklich sehr erstaunt, als er dann eines Tages in unserem Pub erschien." Mir ist es heute feist genauso gegangen, dachte Laura. Sie war so aufgeregt, dass sie den Trumballs am liebsten alles erzählt hätte. Aber noch war es zu früh, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Sie hatte Corti gerade eben gefunden und war noch weit von ihrem Ziel entfernt. Wieder sah sie zu seinem Tisch hinüber. Genau in diesem Moment trafen sich ihre Blicke. Ray Cortis Miene war völlig ausdruckslos, und einen Moment lang wirkte er auf Laura nur wie der gelangweilte Superstar, den es durch Zufall in diese Kleinstadt verschlagen hatte. Corti war wirklich ein bemerkenswerter Mann, der sich aber offensichtlich sehr darum bemühte, seinen Kontakt zur Öffent lichkeit auf ein Minimum zu reduzieren. Offenbar wollte er seinen Charme nur auf der Leinwand zeigen. Eigentlich sah er sie gar nicht richtig an, sondern durch sie hindurch. Doch plötzlich wurde sein Ausdruck interessiert. Langsam, als ob er noch darüber nachdenken musste, nickte er ihr zu. Laura spürte, dass eine Hitzewelle ihren Körper durchflutete. Diesen Blick kannte sie. Sie hatte ihn schon oft genug im Film gesehen. Es war der Ausdruck eines Raubtieres, das seine Beute erspäht hat, und plötzlich war sie nicht mehr die Jägerin, sondern die Gejagte. Laura schluckte, weil sich ihre Kehle trocken anfühlte, aber sie hielt seinem Blick weiter stand. Etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Nun erhob er sich und kam langsam auf sie zu. Laura erstarrte. Wütend über ihre Reaktion, zwang sie sich, einen Schluck von ihrem Irish Coffee zu nehmen. Was ist nur los mit mir, dachte sie? Schließlich durfte sie nicht vergessen, warum sie hier war. Leider drehten sich ihre Gedanken gar nicht mehr um ihren Job. Im Moment war sie nur eine Frau, für die Ray Corti der aufregendste Mann war. Laura setzte ihr Glas viel zu heftig auf dem Tisch ab und registrierte kaum den erstaunten Blick der Trumballs. Ohne zu überlegen sprang sie auf. Sie versuchte sich selbst einzureden, dass sie das nur tat, um mit ihren Nachforschungen weiterzukommen. Noch bevor Corti ihren Tisch erreicht hatte, floh sie aus dem Raum. Während sie eilig auf die Damentoilette zusteuerte, spürte sie die ganze Zeit seinen Blick auf ihrem Nacken. In einer Damentoilette in der sechsten Etage des Gerichts von San Francisco hatte damals alles begonnen. „Ich kenne Sie!" Mit diesen Worten war Laura dort von einer Fremden angesprochen worden. Überrascht hatte sie sich umgedreht. Neben ihr stand eine brünette Frau, die gerade zur Tür hereingekommen war. „Ja?" fragte sie vorsichtig. Die Frau nickte energisch. „Ja, ich erinnere mich noch ganz genau an Sie. Sie sind Laura Gates. Sie hatten 1984 doch mit dem Fall Podenski zu tun, nicht wahr? Ich habe damals verloren, als die Verteidigung Sie aufrief, um den Kronzeugen dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. Mein Name ist Maria Hastings. Ich war seinerzeit die Assistentin des Strafverteidigers." Plötzlich schien sie eine Idee zu haben. „Arbeiten Sie eigentlich immer noch für Rechtsanwälte?" Laura drehte sich zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. „Ab und zu. Ich habe zwar keine eigene Praxis mehr, aber den Beruf einer Kinderpsychologin übe ich immer noch aus. Vor kurzem habe ich zudem eine Privatdetektivlizenz erworben. Vorwiegend arbeite ich mit Jugendlichen. Ich helfe, Ausreißer aufzuspüren, oder überrede jugendliche Zeugen von Verbrechen, dass sie das, was sie gesehen haben, auch
vor Gericht aussagen." Laura griff nach ihrer Mappe. „Man könnte sagen, dass ich eine psychologisch geschulte Detektivin bin. Meine Arbeit ist so interessanter, als wenn ich den ganzen Tag hinter einem Schreibtisch verbringen müsste." Laura wollte gerade gehen, als Maria ihr nachrief: „Warten Sie! Ich arbeite nicht mehr für den Staatsanwalt. Ich habe jetzt ein eigenes Büro. Wir haben hauptsächlich mit Kriminalfällen zu tun." „Meinen herzlichsten Glückwunsch." Laura spürte, dass ihre Stimme ungeduldig klang. Sie hatte gerade drei Stunden damit verbracht, sich von einem ziemlich impertinenten Anwalt ausfragen zu lassen. Jetzt fühlte sie sich erschöpft und hatte Kopfschmerzen. Aber ihre Höflichkeit verbot es ihr, Maria einfach stehenzulassen. »Ich arbeite gerade an einem Fall, der genau in Ihre Richtung geht", fuhr die Frau fort. „Es handelt sich um Kidnapping. Ich vertrete den mutmaßlichen Kidnapper. Er hat die Tat aber nicht begangen. Das kleine Mädchen dagegen schwört, dass er der Entführer war." Maria holte tief Luft. „Meiner Meinung nach lügt das Kind. Das zu beweisen ist die einzige Chance, die mein Mandant noch hat." Trotz der starken Kopfschmerzen war Laura plötzlich an dem Fall interessiert. „Sind Sie sich sicher?" „Absolut. Mein Klient hat sich sogar schon einem Lügendetektortest unterzogen. Ich glaube ihm. Seine Version der Geschichte ist so einfach, dass es nur die Wahrheit sein kann. Was halten Sie davon, wenn ich Sie auf einen Drink einlade? Ich erzähle Ihnen dann alles im Detail. Diese Geschichte ist eigentlich eher für ein Skandalblatt geeignet, als in einem Rechtsbüro bearbeitet zu werden. Aber irgendwie bekam ich den ga nzen Fall auf den Tisch." Maria lächelte sie an. „Bitte, kommen Sie mit. Wenn Sie interessiert sind, nachdem ich Ihnen alles erzählt habe, würde ich Sie gern engagieren." Es dauerte nur zwanzig Minuten, bis Laura davon überzeugt war, dass sie diesen Job haben wollte. Der Fall interessierte sie wirklich, aber nicht, weil der Vater des Mädchens ein Filmstar war. Sie hatte vor Künstlern eigentlich keinen besonderen Respekt. Für sie war es eher eine Heraus forderung, eventuell einen Unschuldigen vor der Verurteilung zu bewahren. Die Lügendetektoranzeige hatte keinen Millimeter ausgeschlagen, als Frank Kemp seine Aussage machte. Doch leider kannte er niemanden, der bestätigen konnte, dass er an dem Tag, an dem Angela gekidnappt wurde, mit einer Erkältung im Bett lag. Noch nicht einmal die Adresse der exklusiven Privatschule, die sie besuchte, war ihm bekannt. Er wusste auch nicht, dass sie dort an einem späten Nachmittag im Juli entführt worden war. Rein zufällig hatte er die zerknüllte Papiertüte mit dem Lösegeld auf der Wiese des Friedhofes gesehen und sie aufgehoben. Seiner Aussage nach hatte er beobachtet, wie sie jemand weggeworfen hatte, als er dort vorbeikam. Laura fand außerdem heraus, dass dieser Mann eine Abneigung gegen Abfall und Müll hatte. Die Erklärung Kemps schien ihr plausibel. Er war wahrscheinlich wirklich unschuldig. Aber warum hatte Angela ihn dann als ihren Kidnapper identifiziert? Theoretisch war die Lösung einfach genug. Laura würde einfach mit Angela sprechen und versuchen herauszufinden, was wirklich geschehen war. Aber in der Praxis erwies sich das als gar nicht so leicht. Zuerst musste sie das Mädchen einmal finden. Vier Wochen lang war Angela wie vom Erdboden verschwunden. Ihr Vater hatte sie vor dem ganzen Presserummel abgeschirmt. Als sie wieder in der Öffentlichkeit auftauchte und ihr die Journalisten keine Ruhe ließen, hatte Corti überraschend erklärt, er werde sich völlig aus dem Showgeschäft zurückziehen, damit niemand seine Tochter mehr mit den Schrecken der Vergangenheit behelligte. Innerhalb weniger Wochen stand sein Haus in Sausalito leer. Die Produktion seines neuesten Filmes wurde einfach unterbrochen. Er verschwand mit seiner Tochter, und niemand wusste, wo er sich aufhielt. Falls die Rechtsanwälte seinen neuen Wohnort kannten, so behielten sie dieses Geheimnis für sich.
Da Laura absolut nichts in der Hand hatte, worauf sie ihre Nachforschungen stützen konnte, musste sie sich auf andere Nachrichten verlassen. Also las sie jeden Artikel über Ray Corti, den sie finden konnte. Schließlich stieß sie auf die gesuchte Nachricht. Eine Illustrierte berichtete, dass Corti als Teenager seine Sommerferien immer in einer kleinen Stadt an der Küste von Massachusetts verbracht hatte. Laura wusste, dass das nur ein kleiner Anhaltspunkt war, aber es war immer noch besser als gar nichts. Daher ging sie das Risiko ein und flog hin. Bald fand Laura heraus, dass genau eine Woche vor ihrer Ankunft ein gewisser Raymond Cortecelli ein Haus in Endless Cape gekauft hatte. Laura mietete sich in unmittelbarer Nähe dieses Hauses ein. Falls Ray Corti sich tatsächlich mit seiner Tochter hier versteckt hielt, müsste sie die beiden treffen, denn irgendwann würden sie das Haus sicher einmal verlassen. Leider war Laura ein ziemlich ungeduldiger Mensch, und das Warten ging ihr auf die Nerven. Um sich die Zeit zu vertreiben, ging sie des öfteren ins ,Widow's Walk'. In den Zeitungen hatte nämlich auch etwas darüber gestanden, dass Corti eine Schwäche für Whiskey und Frauen hatte. Laura überlegte sich, dass der Pub der einzige Ort in Endless Cape war, wo er beides finden konnte. Falls die Zeitungsberichte auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielten, musste er früher oder später dort auftauchen. Laura hatte die Artikel nicht ernst genug genommen, was die Person Ray Cortis betraf. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie so beeindrucken würde. Genau wie Millionen anderer Frauen, die ihn sahen, hatte auch sie sich sofort von ihm angezogen gefühlt. Sie versuchte jedoch, das alles mit Humor zu tragen. Trotzdem ärgerte sie sich, dass sein Erscheinen eine solche Wirkung auf sie hatte. Eigentlich war sie nicht der Typ, der sich Hals über Kopf in einen Mann verliebte. Aber als sie seine dunklen Augen eben auf sich gerichtet sah, war es um sie geschehen. Wie immer versuchte sie, eine logische Erklärung für ihre Reaktion zu finden. Laura legte ihre Handflächen gegen den kühlen Spiegel und beugte sich vor, um ihr Gesicht genau anzusehen. Eigentlich war an ihr nichts Außergewöhnliches. Ihr Haar war lang und blond, weil sie diesen Sommer viel Zeit in der Sonne verbracht hatte, ihre grünen Augen waren leicht schräg geschnitten, und sie war groß und schlank und hatte einen athletischen Körperbau. Auch das war ihr von der Natur gegeben worden, denn sie verbrachte keine Zeit damit, für ihre Figur zu trainieren. Laura aß für ihr Leben gern einen saftigen Hamburger, was aber ihrer Figur kaum schadete. Sie bewegte sich viel, da sie einen inneren Antrieb hatte, der ihr nicht erlaubte, ruhig herumzusitzen. Im großen und ganzen war sie eine sehr attraktive Erscheinung. Aber es gab noch viele ändere Frauen, die genau wie sie aussahen. Vielleicht war sie hübsch, aber sicher nicht einzigartig. Laura seufzte und wandte sich vom Spiegel ab. Cortis aufregenden Blick harte sie bis jetzt nicht vergessen, und das irritierte sie. Sie versuchte sich einzureden, dass sie deshalb ein so komisches Gefühl in der Magengegend hatte. Schließlich drehte sie sich um, um wieder ins Lokal zu gehen. Erwartungsvoll zog sie die Tür auf, aber Corti schien nicht mehr da zu sein. Mutig betrat Laura den Raum und sah sich unauffällig um, doch Cortj konnte sie nirgends entdecken. Offenbar hatte er den Pub inzwischen verlassen. Erleichtert atmete sie auf. Was bin ich doch für ein Dummkopf! schalt sie sic h selbst. Bisher war sie so stolz daraufgewesen, professionell zu arbeiten. Es gelang ihr immer, sich ganz auf den Fall zu konzentrieren, mit dem sie sich gerade befasste. Und auch Angela war für sie nur ein Fall, den es aufzuklären galt. Das Problem war nur, dass ihr Vater ein enorm attraktiver Mann war und den Ruf hatte, sein gutes Aussehen auch auszunutzen. Laura schüttelte den Kopf über ihre Gedanken und ging entschlossen zu Leah und Phil hinüber. Sie wollte ihnen ihre plötzliche Flucht erklä ren und sich anschließend gleich auf den Heimweg machen. „Es tut mir leid", entschuldigte sie sich bei ihren Tischnachbarn. „Ich habe irgend etwas Falsches gegessen. Ich glaube, ich fahre lieber nach Hause." Dabei strich sie sich
über die Stirn und bemühte sich, einen abgespannten Eindruck zu machen. „Das ist aber schade. Ich hatte gehofft, ein paar Minuten mit Ihnen verbringen zu können, um herauszufinden, warum Sie vor mir geflohen sind, als wäre ich Jack the Ripper", hörte sie plötzlich hinter sich jemanden sprechen. Laura hatte genug Filme gesehen, um diese Stimme sofort zu erkennen. Jetzt wurde ihr klar, dass Ray Corti die ganze Zeit hinter ihr gewesen war. Er hatte sie verfolgt, genauso wie er es vorher mit seinen Blicken getan hatte. Laura erstarrte und drehte sich hastig zu ihm um. Seine Augen waren sehr dunkel - zwar nicht schwarz, wie sie zuerst gedacht hatte, sondern dunkelbraun. Und er schaute sie so durchdringend an, dass Laura für einen Moment ihre Umgebung völlig vergaß. Jetzt konnte sie verstehen, warum die Frauen ihn so umschwärmten. „Sie hat eben versucht herauszufinden, wer sie sind", meinte Phil, weil Laura offensichtlich kein Wort über die Lippen brachte. Cortis Interesse war geweckt. „Und haben Sie herausgefunden, wer ich bin?" Einen kurzen Moment lang konnte Laura überhaupt nicht mehr denken. Ray Corti sah sie währenddessen unverwandt an und wartete auf ihre Antwort. Es muss doch etwas geben, was ich sagen kann, überlegte sie fieberhaft. Irgend etwas, das ihn davo n überzeugte, dass sie anders war als seine Bewunderinnen und die Reporter, die etwas über ihn schreiben wollten. Vielleicht würde er ihr dann gestatten, dass sie Kontakt zu seiner Tochter aufnahm. Doch dann wurde Laura klar, dass es nicht so einfach sein würde, denn sie konnte ihm unmöglich erklären, wer sie war, und was sie von ihm wollte. Wahrscheinlich würde er seine Tochter sogar von ihr fernhalten. Laura räusperte sich. „Meine Freunde haben mich inzwischen aufge klärt." Corti überlegte einen Moment und nickte dann. „Und haben sie Ihnen erzählt, dass ich Jack the Ripper bin?" „Nein, aber sie haben mir über Ihre Fähigkeiten als Schauspieler berichtet, und dass Sie unter anderem wegen Ihres aufregenden Ganges so viel Erfolg hatten. Besonders natürlich bei den Frauen." „Haben Sie denn tatsächlich keinen meiner Filme gesehen?" Diese Frage hatte Laura nicht erwartet. Hilflos suchte sie nach einer Antwort. „Nun, ich glaube, dass Ihre Filme mir vom Thema her nicht besonders zusagen. Ich mag keine harten Machotypen. Mir sind romantische Liebesgeschichten lieber." Ihre eigene Stimme kam Laura richtig fremd vor. Wie konnte das Gespräch plötzlich eine so persönliche Wendung nehmen? Corti lächelte sie an. „Und Sie sind der Meinung, dass ich nicht der Typ für ein romantisches Dinner bei Kerzenlicht bin?" hakte er nach. „Ja, das glaube ich." Laura wurde langsam nervös. „Nun, ich würde Ihnen gern das Gegenteil beweisen." Er machte eine Pause. „Ich lade Sie zum Essen in mein Haus ein. Sicher kann ich irgendwo noch ein paar Kerzen auftreiben." Laura merkte, wie Leah neben ihr hörbar nach Luft schnappte. Trotz ihrer eigenen Nervosität musste sie unwillkürlich schmunzeln. Die Neuigkeit, dass Ray Corti in der Stadt war, würde sicher wie ein Lauffeuer herumgehen. Wahrscheinlich würde er dann genauso schnell wieder verschwinden, wie er gekommen war. Obwohl Laura eigentlich Lust gehabt hätte, seine Herausforderung anzunehmen, schüttelte sie nur kurz den Kopf. „Nein, danke", erwiderte sie knapp. Doch als sie an Corti vorbeigehen wollte, hielt er sie am Arm fest. Laura machte sich frei und ärgerte sich darüber, dass seine Berührung ihr Herz schneller schlagen ließ. „Sagen Sie auch nein, wenn ich verspreche, meinen so erfolgreichen Gang bei Ihnen nicht auszuprobie-
ren?" erkundigte er sich. „Wäre das ein Versprechen, das Sie halten könnten?" „Ich weiß es nicht, aber warum lassen wir es nicht einfach darauf ankommen?" „Ich glaube nicht, dass ich das möchte." „Sind Sie verrückt geworden?" jammerte Leah neben ihr. Laura warf ihr einen empörten Blick zu, dann sah sie wieder zurück zu Corti, und diesmal wurde der Drang, einfach wegzulaufen, fast unwiderstehlich. „Oder haben Sie nur Angst, dass ich Ihnen beweise, dass Sie sich in mir täuschen?" fragte er und schaute Laura unverwandt an. „Weder noch. Ich mag nun einmal keine harten Typen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden." Laura drehte sich um und floh in Richtung Tür. Wenn sie den Beweis erbringen wollte, der für Frank Kemp die Freiheit bedeutete, musste sie sich von Ray Corti fernhalten. Aber in ihrem Inneren wusste sie genau, dass sie sich eigentlich nicht von ihm fernhielt, sondern eher vor ihm weglief. Sein Lachen verfolgte sie, und Laura wusste, dass er genau spürte, warum sie vor ihm floh.
2. KAPITEL Laura folgte Leah Trumball auf die Veranda des Strandhauses. Immer noch blieb sie bei ihrer Erklärung, dass ihr im Pub plötzlich schlecht geworden war. Allein der Gedanke an den gestrigen Abend ließ sie nervös werden. Sie erinnerte sich noch gut daran, welche Wirkung Ray Corti auf sie ausgeübt hatte und wie stark ihr Herz geklopft hatte, als er sie unvermittelt berührte. Ohne Gegenwehr aufbringen zu können, war sie seinem Charme hoffnungslos erlegen. Vielleicht hatte sie sich das alles aber auch nur eingebildet. Zwar hatte sie erstaunlich heftig auf ihn reagiert, aber mit der Zeit würde sie sich schon wieder beruhigen. Die beiden Frauen blieben auf der Veranda stehen. Laura zwang sich dazu, sich zu entspannen. „Ich wusste gar nicht, dass so viele Leute eingeladen würden", meinte sie und sah sich überrascht um. Leah lächelte. „Wenn Trevor eine Party gibt, dann lohnt es sich wirklich, zu kommen." Trevor Täte gehörte zum Jet-set von Endless Cape. Die Party heute abend war eine Abschiedsfeier, bevor er sein Haus für die Wintersaison verließ und nach New York zurückkehrte. Soweit es Laura beurteilen konnte, hatte er fast jeden in der Stadt eingeladen, und alle waren natürlich gern gekommen. Wahrscheinlich legte Täte Wert darauf, dass man noch lange über ihn redete, wenn er schon längst wieder in New York war. Die Ober in ihren roten Jacken bewegten sich unauffällig zwischen den vielen Gästen. Es duftete nach gegrilltem Fleisch und Fisch. Die Veranda hatte man mit Laternen dekoriert, die bis hinunter zum Wasser reichten. Eine dreiköpfige Band sorgte für die musikalische Unterhaltung. Erstaunlicherweise hatte sogar das Wetter mitgespielt. Dunkelrote Wolken standen am Himmel und reflektierten die letzten Strahlen der untergehcndcn Sonne, und die Aussicht auf den Strand und das Meer wirkte sehr romantisch. Wenn Laura nicht so aufgeregt gewesen wäre, hätte sie sich sogar richtig wohl fühlen können. Doch sie hatte das Gefühl, vor lauter Nervosität gar nichts essen zu können. Immer wieder suchte sie den Strand nach Cortis großer Gestalt ab, während sie sich einzureden versuchte, dass er nicht kommen würde. Aber falls sie ihn doch erspähen sollte, wollte sie auf die Begegnung vorbereitet sein. Gestern abend war sie endlich ihrem Ziel einen Schritt nähergekommen, und das hatte sie in Hochstimmung versetzt. Unwillig bemerkte Laura, dass sie sich so am Verandageländer festklammerte, dass ihre Handknöchel ganz weiß hervortraten. Wieder musste sie sich zwingen, sich zu entspannen. Zuerst hatte sie sich vorgenommen, Angela kennenzulernen und sich mit ihr anzufreunden. Sie hatte gehofft, sie eines Tages zufällig zu treffen. Es wäre Laura sicher gelungen, das Vertrauen des Mädchens zu erringen. Doch der ganze Plan baute darauf auf, dass ihr Ray Corti nicht in den Weg kam. Angelas Vertrauen wäre nutzlos, wenn ihr Vater sie von der Außenwelt abschirmte. Vielleicht würde er es zu verhindern wissen, dass sie sich mit seiner Tochter anfreundete. Eigentlich wollte sie ihm völlig aus dem Wege gehen, aber prompt war sie ihm gleich am ersten Abend ihres Kennenle rnens aufgefallen. Das durfte nicht sein. Entschlossen straffte Laura ihre Schultern. Von jetzt an würde sie sich eben beherrschen, wenn sie ihn traf. Erst würde sie ihm erzählen, was sie über Frank Kemp wusste und ihn dann überzeugen, dass seine Tochter aus irgendeinem Grund, den Laura gern herausfinden wollte, nicht die Wahrheit sagte. Aber genau da lag das Problem. Instinktiv hatte sie schon am gestrigen Abend richtig gehandelt, als sie seine Einladung ausgeschlagen hatte. Denn wenn er wüsste, warum sie hier war, würde er sofort jeglichen Kontakt mit ihr vermeiden. Doch im Moment war sie für ihn nichts weiter als eine Fremde. Er kannte sie nicht und hatte demzufolge auch
keinen Grund, ihr zu vertrauen. Sie spürte ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend. Laura war nicht so naiv zu glauben, dass Ray Corti kein Interesse an ihr hatte. Er würde mehr von ihr wollen, wenn sie es zuließ . . . Laura atmete tief aus. Dann wandte sie sich wieder Leah zu. „Ich muss dem Gastgeber wirklich ein Kompliment aussprechen, es ist eine gelungene Party" „Das hört man gem." Die Stimme kam von Trevor Täte, der in diesem Moment hinter ihr stand. „Wenn Sie weiter Gutes über mich sagen möchten, haben Sie Aussichten, dass ich den Rest des Abends an Ihrer Seite verbringe." Laura zwang sich zu einem Lächeln. „Hätte ich dann eine Chance, von Ihnen eine Cola zu bekommen?" erkundigte sie sich. „Natürlich und alles, was Ihr Herz sonst noch begehrt." Er lä chelte sie an und trat einen Schritt näher auf sie zu. Laura hatte ihn bisher nur einmal zuvor im ,Widow's Walk' getroffen. Wie selbstverständlich legte er nun seine Hand auf ihren Rücken und ließ sie dort ruhen. Laura war das nicht besonders angenehm. Unauffällig zog sie sich von ihm zurück. „Sehen Sie, da ist ja auch Nam." Laura zeigte zum Strand, wo Tates Frau mit einigen Gästen in ein Gespräch vertieft war. „Ich glaube, ich gehe zu ihr hinüber und begrüße sie auch." Laura sah hinüber zu Leah. „Kommen Sie mit?" „Aber sicher." Leah ging hinunter zu den Treppen, und Laura folgte ihr. Doch kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, als Täte sie festhielt. Er griff nach ihrem Ellenbogen. „Sie haben doch keine Eile, nicht wahr? Ich kann Ihnen versichern, dass Nam noch länger da ist. Sie können auch später noch mit ihr reden." Sein Lächeln wurde anzüglich. Laura seufzte. „Hatten Sie nicht eben gesagt, dass Ich Ihnen eine Cola besorgen soll? Sind Sie sicher, dass das alles ist, was Sie möchten? Entspannen Sie sich. Sie sind hier auf einer Party, und ich nehme an, dass Sie gern etwas trinken würden." „Zum Beispiel Irish Coffee." Diese Stimme war ihr nicht unbekannt. Laura drehte sich heftig um und wusste augenblicklich, wer hinter ihr stand. Ihr Blick traf genau auf Ray Cortis dunkle Augen. Sofort war ihr klar, dass sie sich am Abend vorher nichts eingebildet hatte und die Ausstrahlung dieses Mannes wieder dieselbe Wirkung auf sie hatte. „Wenigstens haben Sie diesen Drink gestern stehenlassen, als Sie so heftig aufbrachen." Als Laura ihn verwirrt ansah, fuhr er fort. „Irish Coffee." „Woher wissen Sie?" begann Laura überrascht. In dem Moment wurde ihr klar, dass Corti gestern noch eine Weile geblieben sein musste, nachdem sie schon gegangen war. In diesem Moment meldete sich Täte wieder zu Wort. „Konnten Sie es also doch ermöglichen, auf die Party zu kommen, Ray." Sein Ton war überfreundlich, als er Corti freundschaftlich auf die Schulter schlug. „Ich freue mich, dass Sie hier sind." Laura wusste sofort, dass er es nicht ernst meinte. Aber Corti ließ sich nichts anmerken. Er starrte Laura unverwandt an. Wieder verursachte ihr sein Blick einen Schauer. Heute war der Ausdruck seiner Augen aber irgendwie anders. Er schien einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als ihr klar wurde, dass er nur aus einem einzigen Grund zu der Party gekommen war - er wollte sie treffen. „Ich glaube, das Ereignis ist zu wichtig, um sich fernzuhalten", antwortete er Täte, ohne ihn anzusehen. Laura wurde langsam nervös. „Vielen Dank, für Ihr Kompliment", antwortete Täte. „Unten am Strand gibt es übrigens Hummer und Krabben. Wir haben dort auch eine Bar aufgestellt und eine weitere auf der Terrasse, falls es Ihnen am Wasser zu kühl ist." Tates Hand ruhte immer
noch auf Lauras Arm. „Wir wollten gerade hineingehen." „Gut, dann werde ich Sie begleiten. Ich bin nicht der Typ, der sich die ganze Nacht draußen aufhält", sagte Corti bestimmt. Täte wollte wohl gerade eine Antwort geben, schwieg dann aber doch. Schließlich zuckte er mit den Schultern und ließ Lauras Arm los. Sie spürte, dass Ray Corti gewonnen hatte und Täte sich gleich zurückziehen würde. „Die Bar ist übrigens in der Küche, gegenüber vom Esszimmer. Bedienen Sie sich ruhig. Ich glaube, ich muss mich um meine anderen Gäste kümmern. Entschuldigen Sie mich einen Moment." Täte wandte sich ab. „Nein", meinte Laura, „ich möchte . . ." „Sie möchten jetzt sicher einen Irish Coffee", unterbrach Ray sie freundlich. „Dann kommen Sie. Ich bin sicher, dass wir diese Bar finden werden." Laura zögerte einen Moment, und Ray griff sofort nach ihrem Arm. Seine Berührung auf ihrer Haut war angenehm. Nach außen hin wirkte er ziemlich ruhig, aber Laura spürte, dass er das nicht war. Er war bestimmt nicht daran gewöhnt, dass die Frauen vor ihm wegliefen. Das würde er sicher nicht noch einmal zulassen. Sie musste sich endlich zusammenreißen, dieses lächerliche Spiel beenden und ihm die Wahrheit sagen. Sie war schließlich keine Frau, die erobert werden wollte. „Nein, danke. Ich glaube, ich werde erst einmal mit der Vorspeise anfangen" „Fein." Laura war überrascht, dass er so schnell aufgab. „Wie bitte?" „Die Vorspeisen finden Sie auch im Haus." Er deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. „Sehen Sie dort?" Laura spähte durch ein Fenster und erblickte im hell erleuchteten Esszimmer einen großen Tisch, auf dem verschiedene Speisen standen. Corti ließ ihren Arm los und lächelte sie aufmunternd an. Dann ging er auf die große Schiebetür zu, die sich auf der einen Seite der Veranda befand. Laura zögerte zunächst, folgte ihm dann aber. Sie redete sich selbst ein, dass sie das tat, weil sie sich selbst vö llig unter Kontrolle hatte.
Auf dem Tisch fand sich alles, was das Herz begehrte, von Krabbencocktails bis zu Kaviarkanapees und anderen Delikatessen. Ray reichte ihr einen Teller, auf dem er bereits verschiedene Häppchen arrangiert hatte. „Sollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?" Sein Ton war betont locker. Laura sah ihn an. Sie antwortete nicht, aber das schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. „Ich glaube, wir haben zuletzt versucht herauszufinden, wovor Sie Angst haben." Er machte eine kleine Pause und probierte in der Zwischenzeit die frischen Shrimps. Während er genüsslich kaute, wartete er darauf, dass sie ihm antwortete. „Ich rede von gestern abend, als Sie Hals über Kopf geflohen sind. Sie haben doch keine Angst vor Schauspielern?" fragte er. „Oder wollen Sie nur nicht, dass man Ihnen nachweist, dass Sie unrecht haben?" „Unrecht haben?" Es würde am leichtesten sein, wenn sie sich einfach unwissend stellte. „Nun, ich meine das Dinner bei Kerzenlicht und meinen aufregenden Gang", erinnerte er sie. „Ich muss das wirklich wissen." Wahrscheinlich würde er darauf bestehen, dachte Laura. Also musste sie so lange mitspielen, bis er Ruhe gab. „Nun, meine Einstellung hat sich seit gestern nicht geändert", erklärte sie bestimmt. „Ich mag nun mal keine harten Typen, Mr. Corti. Der Typ Mann, den Sie darstellen, interessiert mich nicht." Er lächelte sie wissend an, so als ob ihm klar sei, dass sie log. „Nennen Sie mich einfach Ray. Und ich glaube schon, dass ich Sie interessiere."
Lauras Herzschlag setzte einen Takt aus. Etwas zu hastig stellte sie ihren Teller auf dem Tisch ab. Das Gespräch verlief nicht so, wie sie es geplant hatte. Sie fühlte sich hilflos und vergaß völlig, was sie sich vorgenommen hatte. Sie wollte sich gerade umdrehen, um zur Terrassentür hinauszugehen, als sie erneut seine Stimme hörte. „Angela!" Laura erinnerte sich plötzlich wieder daran, dass Angela der einzige Grund war, warum sie sich überhaupt hier aufhielt. „Ich glaube nicht, dass dieser Punsch für Kinder geeignet ist", tadelte Ray. Laura drehte sich um. „Sonst sagst du immer, dass ich mich wie eine Erwachsene benehmen soll", antwortete das Mädchen. Angela war relativ groß für ihr Alter und hatte lange braune Zöpfe. „Du weißt, dass Jugendliche unter einundzwanzig keinen Alkohol trinken dürfen", warnte Ray sie. „Wahrscheinlich hast du dir das nur ausgedacht." „Vielleicht. Aber wie willst du mir das Gegenteil beweisen?" Laura beobachtete, wie Ray seiner Tochter das Punschglas aus der Hand nahm. Dann eilte sie rasch zur Tür hinaus. Schnell nahm sie sich auch ein Glas Punsch von einem Tablett, das ein Ober gerade vorbeitrug und trank einen kräftigen Schluck. Ihre Kehle wurde angenehm warm. Nein, dieses Getränk ist sicher nichts für ein neunjähriges Mädchen, dachte sie. Aber für Laura war es im Moment genau das richtige, um sich wieder zu fangen. Nein, so hatte sie sich den heutigen Abend nicht vorgestellt! Corti war genauso überwältigend, wie sie es von gestern her in Erinnerung hatte. Nervös fuhr sie mit der Hand über die Stirn und strich eine Haarsträhne zurück. Wieder hatte sie die Begegnung stärker mitgenommen, als sie vor sich selbst zugeben wollte. Irgend etwas an der Art, wie er ihr begegnete, erschreckte sie. Er hatte recht. Sie hatte wirklich Angst. Doch sie musste dieses Gefühl unbedingt überwinden. Schließlich hatte sie hier eine Aufgabe zu erledigen. Eilig trank Laura ihren Punsch aus und ging zurück zur Tür. Sie zögerte nur eine Sekunde, dann drückte sie die Klinke energisch herunter und machte sich auf die Suche nach ihm. Laura fand Corti im Esszimmer. Offensichtlich hatten sich Vater und Tochter geeinigt, denn Ray reichte Angela gerade das Punschglas. Angela probierte vorsichtig, verschluckte sich aber und musste husten. Trotzdem bemühte sie sich um eine gleichgültige Miene und nickte anerkennend. „Schmeckt gut", meinte sie lachend. „Und ziemlich gefährlich", fügte Laura hinzu. Sie freute sich, dass Ray beim Klang ihrer Stimme zusammenfuhr. „Ich glaube, ich habe eine Alkoholikerin zur Tochter", erwiderte er. Zwar waren seine Worte an Angela gerichtet, aber der Ausdruck in seinen Augen zeigte Laura, dass für ihn im Moment nur Laura wichtig war. „Keineswegs", antwortete Angela fröhlich. „Ich bin ein ganz normales Mädchen. Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass ich gern etwas koste, was man mir verbietet. Wie nennt man das?" Wieder nahm sie einen Schluck und schaffte es, diesmal nicht zu husten. Ray lachte. „Verbotene Früchte. Also gut, wenn das so ist, verbiete ich dir von jetzt an, Cola zu trinken." „Na wunderbar", meinte Angela gleichmütig und stand auf. Laura bemühte sich um etwas Haltung. „Ein nettes Kind", lobte sie und zwang sich dabei, Ray Corti anzusehen. „Ja, das finde ich auch", antwortete er. Dabei beobachtete er voller Stolz, wie Angela das Zimmer verließ. Zum erstenmal sah Laura in ihm den liebevollen sorgenden Vater und nicht den harten Kämpfer, den er sonst
immer in seinen Filmen verkörperte. Sie war überrascht, wie zärtlich er sein konnte. Doch plötzlich verschwand sein freundliches Lächeln, und er sah sie spöttisch an. „Na, war es draußen zu kalt?" erkundigte er sich und nickte mit dem Kopf in Richtung Tür. Laura zuckte mit den Schultern. „Ja, es ist inzwischen schon kühl geworden." In diesem Moment ging Angela draußen vorbei. Laura benutzte die Gelegenheit, um zum Thema zu kommen. „Sie hatte einen ziemlich harten Sommer hinter sich, nicht wahr?" bemerkte sie und hoffte, dass ihre Stimme sie nicht verriet. „Wer?" „Ich meine natürlich Ihre Tochter." „Ach so." Das war alles, was er zu diesem Thema zu sagen hatte. „Wir waren eigentlich immer noch bei unserem Gespräch über gestern abend stehengeblieben." Laura griff nach einem weiteren Glas Punsch. „Sie wollen darüber reden, ich eigentlich nicht. Wissen Sie, langsam komme ich auf den Geschmack bei diesem Getränk." „Ich habe das Gefühl, Sie wollen über alles mit mir reden, außer warum Sie gestern vor mir weggelaufen sind." Laura nahm einen Schluck von dem Punsch, um etwas Zeit zu gewinnen. Immer noch brannte er stark in ihrer Kehle, und dafür war sie dankbar. Ray griff nach ihrem Arm und zog sie näher zu sich heran. Lauras Herzschlag beschleunigte sich, und sie ärgerte sich über ihre Reaktion. Leise flüsterte er ihr ins Ohr: „Liegt es daran dass ich so ein harter Typ bin, oder sind Sie vielleicht etwas prüde?" Eigentlich sollte sie empört sein über diese Bemerkung. Aber bevor sie protestieren konnte, strich er ihr einfach übers Haar. Laura spürte, wie eine heiße Welle ihren Körper durchströmte. „Ich . . ." Er ließ sie wieder los und griff nach einem Sandwich. Es war, als hätte er sie nie berührt. Laura war völlig irritiert. „Nein", fuhr er fort. „Sie sind eigentlich nicht prüde, Laura. Ich schätze eher, dass Sie sehr schüchtern sind, oder etwa nicht?" Wahrscheinlich hatte er am Abend zuvor noch einige Zeit an ihrem Tisch verbracht und sich mit Phil und Leah über sie unterhalten. Was haben sie ihm wohl erzählt? dachte Laura besorgt. Und warum habe ich nur in seiner Nähe dieses Gefühl von Panik? Glücklicherweise hatte sie den Trumballs nichts über Frank Kemp berichtet. Sie wussten nur, dass sie eine Kinderpsychologin war, die hier ein paar Tage Urlaub machte. Mehr konnten sie ihm nicht weitergegeben haben. Ihr Fall war also nicht gefährdet. Plötzlich rannte Angela an ihnen vorbei. Ray stellte seinen Drink unsanft auf dem Tisch ab. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment", sagte er kurz und verließ Laura ohne ein weiteres Wort.
Ray fing Angela am Eingang zum Foyer ab. Doch Laura war zu weit von ihnen entfernt, um zu hören, was sie sprachen. Sie beobachtete, dass das Mädchen trotzig das Kinn hob und seine Hände zu Fäusten ballte. Angela reagierte offenbar verstockt und wollte nicht reden. Laura spürte auch, dass Ray von Minute zu Minute hilfloser wurde. Spontan ging sie zu den beiden hinüber. „Entschuldigung", sagte sie. Angelas Blick fiel auf sie. Das Kind spürte instinktiv, dass Laura ihr helfen wollte. Laura las Erleichterung in ihrem Blick und sogar etwas Dankbarkeit. Ray sah Laura an. Für ihn war sie immer noch eine Fremde, und in diesem Moment störte sie ihn. Es würde sicher noch lange dauern, bis sie diese Distanz verringert hätte. „Ich wollte mich eigentlich verabschieden." Das war alles, was Laura in diesem
Moment einfiel. „Ich muss mal eben verschwinden", nützte Angela die Gelegenheit. Rays Blick ging von Laura zu seiner Tochter und dann wieder zu Laura. „Wir reden später noch", versprach er Angela. „Ich möchte wissen, was man zu dir gesagt hat. Und ich will auch wissen, was er gesagt hat." Angelas Lippen zitterten leicht. „Niemand hat etwas . . . etwas darüber gesagt." Damit drängte sie sich schnell an ihrem Vater vorbei und lief ins Foyer. „Nun", mischte sich Laura wieder ein. „Es tut mir leid, falls ich Sie gestört habe. Aber ich ..." „Sie brauchen jemanden, der Sie mitnimmt", unterbrach er sie. Obwohl er sie eben noch mit einem kühlen Blick gestreift harte, schien er nun Zeit für sie zu haben. Wieder spürte Laura dieses merkwürdige Unbehagen. Sie hatte das Gefühl, dass irgendwo Schwierigkeiten auf sie warteten. „Wie meinen Sie das?" fragte sie ihn. „Nun, Sie haben gesagt, dass Sie gehen wollen. Aber mir scheint, dass Sie für den Rückweg keine Begleitung haben." Er deutete auf die Veranda. Laura folgte seinem Blick und sah Phil und Leah, die offenbar eine angeregte Diskussion führten. „Sie sind doch mit den beiden gekommen." Es war keine Frage, und sie wollte auch nicht nachhaken, • wieso er das wissen konnte. „Ja, natürlich", antwortete sie. „Und jetzt haben Sie es eilig, nach Hause zu kommen." Laura hielt ihren Blick absichtlich auf Phil und Leah gerichtet. „Vielleicht auch nicht", meinte sie dann. „Eigentlich sieht der Hummer ganz gut aus. Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal Hummer gegessen habe." Als sie Ray schließlich wieder ansah, ruhte sein Blick amüsiert auf ihr. „Es gibt ein gutes Restaurant unten am Wasser, wo er ständig frisch zubereitet wird. Sogar bei Kerzenlicht!" Laura überhörte absichtlich seine ironische Bemerkung. „Warum soll ich warten, wenn er hier fertig bereitsteht?" „Vor einem Moment wollten Sie noch nach Hause", wandte er ein. Laura hatte das Gefühl, von ihm in die Enge getrieben zu werden. „Ich habe eben meine Meinung geändert." „Ich nicht." Laura hatte nicht bemerkt, dass Angela inzwischen zurückgekommen war, aber offensichtlich hatte sie ihr Gespräch mitgehört. Laura sah zu dem Mädchen hinüber. „Ich kann überhaupt nichts essen, was noch Augen hat", mischte sich Angela nun in das Gespräch ein. „In dem Fall schlage ich vor, dass wir dich zu dem nächsten Hamburger-Restaurant bringen. Aber falls du nichts dagegen hast, möchte ich Laura gern ein Stück mitnehmen." Ray sah Laura wieder amüsiert an. „Schließlich ist es wirklich kein großer Umweg." Laura war wütend. Er wusste sogar, dass sie das Haus nebenan gemietet hatte! „Warum hetzen Sie nicht einfach ein paar Bluthunde hinter mir her?" fragte sie ärgerlich. „Dann wird die Jagd vielleicht noch etwas dramatischer." „Für meine Verhältnisse ist es schon dramatisch genug. So wie ich es sehe, können Sie sich für das eine oder das andere entscheiden. Entweder kommen Sie jetzt mit, oder Sie flüchten wieder vor mir. Aber ohne Auto werden Sie wohl nicht weit kommen." Er machte eine Pause, und Laura merkte, dass er sich seiner Wirkung auf sie sehr wohl bewusst war. „Wenn Sie weiter vor mir wegrennen, werde ich natürlich versuchen, den Grund herauszufinden." „Fahren wir jetzt endlich?" fragte Angela ungeduldig. Laura war im Moment alles gleichgültig. Sie redete sich selbst ein, dass sie sich trotz allem von ihm fernhalten konnte. Doch das war eigentlich unmöglich, weil sie ja Kontakt mit Angela bekommen wollte. „Also gut, ich komme mit", antwortete sie daher ruhig. „Welch weise Entscheidung!" meinte er spöttisch.
Nie zuvor hatte sich Laura so unsicher und irritiert gefühlt. La ngsam folgte sie Ray Corti zu seinem Wagen. Als sie zwanzig Minuten später vor Lauras Haus hielten, fühlte sie sich ziemlich erschöpft. „Vielen Dank." Sie drehte sich zu Angela um. „Es war schön, dich kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns noch einmal." „Aber klar. Sie wohnen doch gleich nebenan", antwortete das Kind, als ob es die natürlichste Sache der Welt wäre. „Ach, übrigens, wo wir gerade von Nachbarn reden . . ." begann Ray. Sie sah ihn an. „Wir müssen noch Mrs. McCabe Bescheid sagen.. Ich habe vergessen, sie von Täte aus anzurufen." „Das können wir doch auch von hier erledigen, oder?" schlug Angela vor. „Mrs. McCabe ist meine Haushälterin", erklärte Ray nun. „Sie verschließt das Eingangstor zum Grundstück, wenn ich weg bin. Heute habe ich leider meinen Schlüssel vergessen." Laura wollte ihm gerade vorschlagen, doch einfach laut zu hupen, aber da war Angela schon aus dem Auto gestiegen. „Wir müssen sie anrufen, damit sie uns das Tor aufschließt." Laura schloss die Augen. „Nun gut. Das Telefon steht in der Küche." Laura bemühte sich, ihre Finger ruhig zu halten, als sie die Tür aufschloss und sie öffnete. Kaum im Foyer angekommen, zog Ray an einem von Angelas Zöpfen. „Wie wäre es, wenn du anrufst, Kleines?" Wie ein Wirbelwind war Angela in der Küche verschwunden, und Laura und Ray blieben allein zurück. Laura legte ihre Handtasche auf den Tisch im Flur. Sie versuchte sich einzureden, dass die ganze Sache nicht geplant war. Schließlich gab es in seinem Leben genug Frauen, die nicht so nervös reagieren würden, wenn sie mit ihm allein wären. „Ich sehe einmal nach, ob Angela auch alles gefunden hat", sagte sie schnell. Doch er hielt sie fest. „Nein, diesmal nicht." Seine Stimme war rau. Mit der Hand streichelte er sanft ihren Nacken. Laura schloss die Augen und versuchte die Hitze zu ignorieren, die sich in ihrem Körper ausbreitete. „Warum? Warum ich?" Sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. „Ich verstehe es auch nicht." Die Antwort war nicht besonders schmeichelhaft. Trotzdem akzeptierte sie seine Ehrlichkeit. „Ah, wieder die verbotenen Früchte?" Er zögerte. „Ja, es könnte so sein." „Vielleicht, weil ich weggerannt bin?" meinte sie. „Das ist auch ein Grund." „Und was gibt es noch für Gründe?" „Wie Sie mich das erste Mal angesehen haben. Dieser Blick verfolgt mich noch immer." Laura versuchte, sich an diese Szene zu erinnern. Es schien ihr wichtig, sich die Situation noch einmal vor Augen zu rufen. Was hatte sie in diesem Moment gefühlt? Was hatte er in ihrem Blick lesen können? Erregung? Freude? Panik? Das Bedürfnis nach Liebe? Im Moment waren ihre Gefühle völlig durcheinander. Und plötzlich wurde ihr klar, dass es das war, wovor sie Angst hatte. Ihr ganzer Körper reagierte auf eine ihr völlig unbekannte Weise, und das war etwas völlig Neues für sie. Laura drehte sich um und sah ihm in die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Erde unter ihren Füßen bewegte. Mit einem tiefen Seufzer kam sie auf ihn zu. Als seine Lippen ihren Mund berührten, spürte sie einen Schauer der Erregung. Eigentlich waren sie ja noch Fremde, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, als ob sie sich schon lange kennen würden.
Das Bedürfnis, ihn zu spüren und sich ihm völlig hinzugeben, wurde übermächtig in ihr. Ihr Körper gehorchte ihrem Verstand nicht mehr, und sie gab auf, dagegen anzukämpfen. Das alles hatte mit Vernunft und Überlegung nichts mehr zu tun. Ray war stark. Er ging nicht zart und vorsichtig mit ihr um, und dann wurde klar, dass sie das auch gar nicht von ihm erwartet hatte. Seine ganze Ausstrahlung hatte schon vorher darauf hingedeutet, dass auch er dem Verlangen seines Körpers uneingeschränkt nachgab. Und sie hatte dunkel geahnt, dass er eine unsägliche Begierde in ihr entfache n könnte. Doch Ray ging es offenbar genauso. Wahrscheinlich hatte sie sein Interesse geweckt, als sie vor ihm geflohen war. Sein Jagdinstinkt war geweckt worden. Jetzt überraschte es ihn, dass sie seinen Kuss so leidenschaftlich erwiderte und nicht gegen ihn ankämpfte. Wie automatisch ließ er seine Hände über ihren Rücken gleiten. Hungrig suchte er immer und immer wieder ihre Lippen. Dann schloss er sie eng in seine Arme, um ihren Körper ganz nah zu spüren. Dabei hielt er sie fest umfangen, weil sie schon zu oft vor ihm geflohen war. Fast hätte er überhört, dass der Telefonhörer inzwischen wieder in die Gabel gehängt wurde, denn im Moment war alles andere unwichtig. Langsam löste er seine Hände von Lauras Hüften und schob sie leicht von sich weg. Verwirrt und etwas schwindelig kehrte Laura langsam in die Realität zurück. „Das Tor ist geöffnet", rief Angela aus dem Flur. Stimmt, damit hast du mehr recht, als du wahrscheinlich ahnst, dachte Laura, und lächelte.
3. KAPITEL Laura lag noch im Bett, als es an der Eingangstür klopfte. Sie steckte ihren Kopf wieder unter die Bettdecke und versuchte einfach die Störung zu ignorieren. Wochentags war ihre Energie kaum zu bremsen, aber am Sonntag stand sie grundsätzlich nicht vor zwölf Uhr auf. Stöhnend sah sie auf ihren Wecker. Es war noch nicht einmal neun Uhr. Das Klopfen wollte nicht aufhören. Wütend warf sie die Bettdecke zurück und ging hinüber zum Fenster. Vielleicht hatte sie sich auch getäuscht, und das Geräusch kam gar nicht von der Tür. Laura schüttelte den Kopf und wollte gerade wieder ins Bett steigen, als sie plötzlich direkt unter ihrem Fenster eine Bewegung bemerkte. Sie schaute genauer hin und erkannte Angela. Sofort war sie hellwach, und nun kehrte auch die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück. Laura schloss die Augen, um die Gedanken an Ray und seine Küsse zu verdrängen. „Laura?" hörte sie die Stimme des Mädchens. Schnell griff sie nach ihrem Bademantel, zog ihn über und machte sich auf den Weg nach unten. „Hallo", grüßte das Mädchen, als Laura die Tür öffnete. „Hallo", erwiderte Laura gähnend und hieß Angela eintreten. „Wieso bist du eigentlich schon so früh am Morgen unterwegs?" „Es ist doch nicht früh!" Laura beobachtete, wie sich das Kind in ihrer Küche umsah. „Was kann ich für dich tun?" Angela ließ sich auf einen Küchentisch sinken. „Ach, Dad hat für mich mal wieder keine Zeit." Nein, an Ray wollte Laura jetzt nicht denken! Fast die ganze Nacht hatte sie gekämpft, um die Erinnerung an ihn zu verdrängen. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie erschöpft eingeschlafen war. Sie konzentrierte sich wieder auf Angela. „Und jetzt hast du wohl Langeweile?" „Eigentlich bin ich gekommen, weil ich Hunger habe." Laura zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ist denn eure Mrs. McCabe nicht da?" Angela verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Sie kocht einfach fürchterlich. Ich glaube, Dad hat sie nur eingestellt, weil . . ." Angela unterbrach sich. „Machst du dir kein Frühstück?" wollte sie wissen. Laura musste gegen ein Lächeln ankämpfen. „Ich hatte eigentlich gerade daran gedacht. Wenn ich etwas vorbereite, würdest du mir dann beim Essen helfen?" Angelas Miene leuchtete auf. „Aber klar." „Wenn meine Kochkünste genauso schlecht wie die von Mrs. McCabe sind, darfst du es mir aber nicht verraten, okay?" Angela musste einen Moment über Lauras Bitte nachdenken. „Muss ich dann trotzdem alles aufessen?" „Aber natürlich! Jeden einzelnen Bissen. Sonst würde ich doch merken, dass es dir bei mir nicht schmeckt." Das Kind zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, schlechter als Mrs. McCabe kann man gar nicht mehr kochen." „Ich werde etwas machen, was ich gut kann. Wie wäre es mit Rührei auf Toast?" „Ja, prima." Laura suchte das nötige Geschirr aus dem Schrank zusammen, und das Kind beobachtete sie dabei. Plö tzlich stand Angela wieder auf und wanderte ruhelos in der Küche umher. „Danke", sagte sie unvermittelt. Sie blickte Laura nicht an, während sie redete. Laura verstand sie absichtlich falsch. „Es macht mir keine Mühe, dir etwas zu kochen." „Ich meine für gestern. Dass du meinen Dad abgelenkt hast, nachdem ich ... nachdem ich die Stufen heruntergefallen bin." Jetzt hieß es, vorsichtig zu sein. Bevor Laura antwortete, verrührte sie erst die Eier und
gab sie dann in die Pfanne. Mit Gewalt würde sie niemals die Wahrheit aus Angela herausbekommen. Das Kind müsste von selbst Vertrauen zu ihr gewinnen und alles erzählen wollen. „Wenn ich gefallen wäre, hätte es mich auch geärgert, dass die Leute deswegen soviel Aufhebens machen", antwortete Laura schließlich. „Ich hätte einfach so getan, als ob gar nichts passiert sei. So ein Sturz vor allen Leuten kann nämlich ganz schön peinlich sein." Angela war sichtlich überrascht über Lauras Verständnis. „Ja", sagte sie nur. „Manchmal spielen Eltern zu sehr Beschützer, glaube ich." „Ja", stimmte Angela wieder zu und sah Laura mit großen Augen an. „Also, bist du bereit, meine Kochkünste zu testen?" Angela nahm den Teller aus Lauras Hand entgegen. „Vielen Dank. Ich bin hungrig wie ein Wolf." Angelas Aufmerksamkeit galt scheinbar ganz ihrem Frühstück. Aber Laura wusste, dass sie mit ihren Gedanken weit weg war. Sie bereitete sich seelisch darauf vor, dass die nächste Äußerung des Kindes sie wahrscheinlich der Lösung des Falls näherbringen könnte. Aber das, was schließlich über Angelas Lippen kam, bewirkte, dass Laura sich fast an ihrem Rührei verschluckte. „Mein Dad mag dich." Schnell griff Laura nach ihrem Kaffee. Nein, dachte sie, ich möchte nicht einfach eine weitere Frau sein, die Ray Corti mag. Sie zwang sich, erst einmal weiterzuessen. „So, glaubst du das?" meinte sie schließlich. „Ich weiß es", sagte Angela betont. „Normalerweise läßt Dad es nämlich nicht zu, dass ich zusehe, wie er eine Frau küsst." Laura spürte, wie sie rot wurde, und sie ärgerte sich maßlos darüber. „Was hast du denn gesehen?" „Euch beide." Für Angela schien das eine ganz natürliche Sache zu sein, und sie verstand wohl auch nicht, warum Laura auf einmal so verlegen war. „Nun, ich glaube nicht... ich bin nicht sicher, dass dein Vater wollte, dass du uns siehst. Vielleicht war es nur Zufall." „Nein, dann hätte er mich fortgeschickt, damit ich euch nicht mehr störe." Und das musste sie sich von einem Kind anhören! Laura schob ihren Teller weg und griff mit beiden Händen erneut nach ihrer Kaffeetasse. „Macht er das denn öfter?" Sie war sicher, die Antwort schon zu kennen, bevor Angela antwortete. Eigentlich wollte sie ihre Vermutung auch gar nicht bestätigt haben. Im Moment fiel ihr nur nichts ein, was sie sagen konnte. Angela aß erst in Ruhe auf und stützte dann ihren Kopf in die Hände. „Nun, ich glaube nicht. Wahrscheinlich sorgt er sonst immer dafür, dass ich dann nicht da bin. Ich treffe fast nie Freundinnen, aber ich weiß, dass er welche hat." Sie sah Laura wissend an. „Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr. Ich weiß, dass Männer . . . dass Erwachsene ..." Laura unterbrach sie schnell. „Ich verstehe schon, was du meinst." Laura stand auf und setzte ihren Teller auf die Spüle. „Offensichtlich hat sich einiges geändert, seitdem ich selbst neun Jahre alt war." Ihre letzte Aussage schien Angela zu interessieren. „Woher weißt du denn, dass ich neun Jahre alt bin?" Weil ich alles über dich weiß, außer wer dich gekidnappt hat, dachte Laura. Aber das werde ich auch noch herausfinden. Doch sie hütete sich, das laut zu sagen. Sie wusste, dass sie Angela damit aus dem Haus getrieben hätte. Noch war das Kind nicht bereit, sich zu öffnen. Laura spürte, dass sie ihm Zeit geben musste. Gleichzeitig meldete sich ihr schlechtes Gewissen: Das Kind fasste langsam Zutrauen zu ihr, und sie versuchte, das auszunutzen, um ihren Fall zu klären. Laura hatte selbst erlebt, dass Ray seine Tochter von allem Unerwünschten fernhalten wollte. Er würde es bestimmt nicht zulassen, dass Angela vor Gericht aussagte. Daher musste sie alles daransetzen, die Wahrheit über den
wirklichen Entführer herauszufinden. Das war nun einmal ihr Job. Doch trotzdem fühlte sie sich unbehaglich dabei. „Also?" meldete sich Angela wieder zu Wort. Dieses Kind hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, immer wieder zu dem Thema zurückzukommen, das es interessierte. „Ach, ich glaube, dein Vater hat es mir erzählt", antwortete Laura und hasste sich selbst für diese neue Lüge. Angela lächelte Laura erleichtert an. „Ja? Siehst du, ich habe doch gesagt, dass er dich mag." Es dauerte einen Moment, bis Laura Angela folgen konnte. „Ich glaube, ich habe nicht ganz verstanden." „Mein Dad redet niemals mit Fremden über mich." Dann schien sie einen Moment zu überlegen. „Außer vielleicht mit Mom." Die letzte Bemerkung brachte Laura wieder aus dem Konzept. „Nun ..." begann sie vorsichtig, „ich bin nicht sicher, dass das etwas Unübliches ist." Angela sah sie an, als ob sie begriffsstutzig war. „Ich meine doch, nachdem sie sich scheiden ließen." „Oh." „Ich dachte, sie würden sich wieder vertragen, weil Mom immer zu uns kam und mit Dad reden wollte." Sie machte große Augen und bemühte sich, erwachsen auszusehen. „Ich war damals ja noch klein. Die meiste Zeit haben sie überlegt, was sie mit mir anstellen sollten." „Aha, ich verstehe." „Sie werden aber nie wieder zusammenkommen." „Nein?" „Mom versteht einfach nicht." „Hast du dir das ganz allein überlegt?" „Nein, ich habe mit Dad darüber geredet." Eigentlich kann ich Angelas Mutter sogar verstehen, dachte Laura. Welche Frau hätte Verständnis dafür, dass sich ihr Mann mit anderen Frauen vergnügte? Laura spürte plötzlich eine große Abneigung gegen ihn. Sie überlegte, dass Ray Corti genau der Typ war, der mit den Gefühlen der Frauen spielte. Bei diesem Gedanken zuckte sie innerlich zusammen. Halt, jetzt bist du aber nicht objektiv, rief sie sich selbst zur Ordnung. Wahrscheinlich war sie durch die vielen Presseberichte, die sie gelesen hatte, etwas voreingenommen. Laura wusste einfach zu viel über die Betroffenen. Sie kannte Monica Cortecelli - oder hatte jedenfalls viel über sie gelesen. Die Nachricht von der Trauung damals war durch alle Zeitungen gegangen. Die Skandalpresse hatte Roy vor ein paar Jahren ein Verhältnis mit einem neunzehnjährigen Starlet angedichtet. Monica war zu der Zeit gerade achtundzwanzig Jahre alt gewesen. Sie hatte Ray beim Film kennengelernt. Ihre Heirat hatte seinerzeit viel Aufsehen erregt, und die Affäre mit der Schauspielerin kam der Presse natürlich gelegen. „Also, du meinst, die beiden werden sich nicht mehr vertragen?" Laura erwartete eigentlich keine Antwort auf die Frage, weil sie sie eigentlich nur gestellt hatte, um etwas zu sagen. Daher traf sie Angelas Reaktion ganz unerwartet. Das Mädchen sprang auf, griff den Teller und trug ihn hinüber zur Spüle. Dabei kehrte sie Laura den Rücken zu. „Nun, das wird nicht gehen", sagte sie schließlich. „Dad hat mich bekommen." Laura wollte ihr gerade erklären, dass das Sorgerecht nicht automatisch bedeuten musste, dass sich die beiden Eltemteile nicht wieder vertragen konnten. Aber sie war sich sicher, dass Angela das auch wusste. Daher wartete sie, dass das Kind eine etwas klarere Äußerung machte.
Angela brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. In der Zwischenzeit beschäftigte sie sich damit, ihren Teller in die Spülmaschine zu stellen. Dann murmelte
sie: „Mom ist nicht. . . Sie ist im Krankenhaus." Das war neu für Laura, denn dieses Detail war bis jetzt nie an die Öffentlichkeit gelangt. „Ist sie krank?" „Ihr Kopf ist es." Laura verstand nicht, was Angela damit meinte. Natürlich hatte sie gewusst, dass die Scheidung dramatisch verlaufen war. Aber ihr war nicht bekannt, dass Monica danach nervliche Probleme hatte. Offenbar lag für Angela darin der Kern des Problems. Laura nickte verstehend. Offensichtlich war das die richtige Reaktion, denn Angela fing sofort an zu reden. „Als ich sieben war, ging sie weg und ließ mich mit Dad allein. Er hat versucht, alles wieder in Ordnung zu bringen!" Sie verteidigte ihren Dad energisch. „Sie kam immer wieder nach Hause, um mit uns zu reden. Aber jedesmal gab es Streit, und dann fuhr Mom wieder weg. Dad hat mir erklärt, dass Mom ihn nicht verstehen wollte." Laura biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie mit Angela weiterarbeiten wollte, musste sie möglichst viel über sie herausfinden. Das schloss natürlich das Privatleben der Cortis mit ein. Ob ihr nun das, was Angela ihr erzählte, gefiel oder nicht. „Wann ist sie denn ins Krankenhaus gekommen?" fragte Laura nach. Angela zuckte mit den Schultern, so als ob sie sich nicht erinnern könnte. Einen Moment zweifelte Laura, dass sie noch mehr erzählen würde. Dann seufzte das Kind. „Im letzten Frühjahr, als sie schließlich geschieden wurden. Damals hat der Richter entschieden, dass ich bei Dad bleiben soll." Laura überlegte, ob diese Tatsache wohl mit Angelas Kidnapping etwas zu tun haben könnte. Plötzlich sprang Angela auf. „Ach du lieber Himmel." Laura sah sie überrascht an. „Was ist denn los?" fragte sie schnell. „Oh, ich glaube, jetzt gibt es Ärger." Sie drehte sich mit einem erschreckten Gesichtsausdruck zu Laura um. Angela schien den Tränen nahe zu sein. Laura schüttelte den Kopf. Genau in diesem Moment klopfte jemand heftig an die Tür. Und dann hörte sie Rays Stimme. „Laura? Bist du wach?" Laura sprang sofort auf. Ihr Herz klopfte wild. Das war natürlich der ungünstigste Moment, in dem er auftauchen konnte. Sie musste sich erst noch über ihre Reaktion vom gestrigen Tage klar werden. „Laura?" Längst hatte er sie durch das Glas gesehen und zog schon die Tür auf. „Warum machst du denn nicht auf? Was ist denn los?" Er unterbrach sich überrascht, als er seine Tochter in der Küche bemerkte. „Nun, das beantwortet bereits eine meiner Fragen." Sein Gesichtsausdruck änderte sich mehrmals innerhalb weniger Augenblicke. Zuerst war er wütend, dann entschlossen, schließlich wirkte er äußerst erleichtert. Was er auch für andere empfinden mochte, seine Liebe für Angela war echt. „Mrs. McCabe hat dich heute morgen nirgends finden können." Er wandte sich Angela zu. Doch das Mädchen schwieg beharrlich. Angela wusste ganz genau, dass ein falsches Wort bei ihrem Vater einen Wutanfall auslösen konnte. „Ich habe mich weggeschlichen, bevor sie mir etwas zu essen machen konnte." Ray verdrehte die Augen. „Also so schlecht kocht sie doch auch wieder nicht." „Tut sie doch!" meinte Angela. „Sie kocht fürchterlich! Die Eier, die sie brät, sind noch ganz wabbelig. Wahrscheinlich sieht sie gar nicht, was sie da kocht. Dad, sie muss doch mindestens schon hundert Jahre alt sein!" Laura beobachtete die beiden amüsiert. Sie sah gerade noch, dass Ray ein Lachen unterdrückte. „Sie hat schon lange Jahre für deine Großmut ter gearbeitet, und wir wissen, dass wir ihr vertrauen können. Versprich mir eines, Schatz. Auch wenn du ihr Essen nicht
magst, sag mir bitte in Zukunft vorher Bescheid, bevor du aus dem Haus gehst! Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht, weil ich nicht wusste, wo du warst." Angela spürte, dass sie heute um eine Standpauke herumkam. Trotzdem entschuldigte sie sich bei ihrem Vater. „Es tut mir leid. Ich halte es nicht mehr aus, den ganzen Tag im Haus zu bleiben." „Du musst doch gar nicht im Haus bleiben. Es sollte nur jemand bei dir sein, wenn du weggehst. Jetzt geh nach Hause und lass dich von Mrs. McCabe füttern." Angela lächelte verschmitzt. „Ich habe doch schon gegessen. Laura hat mir etwas gemacht." Ray drehte sich wieder zu ihr um. Laura räusperte sich verlegen. „Ich konnte doch nicht zusehen, wie das Kind verhungert." Offensichtlich hatte Ray die Angst, die er gerade um Angela ausgestanden hatte, schon vergessen. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern und ve rharrte ziemlich lange auf ihrem Busen. Laura kam es fast vor, als könnte er einfach durch den Stoff ihres Morgenmantels hindurchsehen. Er schaut dich doch nur an, dachte sie verärgert. Warum rege ich mich denn schon auf, wenn er mich nur betrachtet? Schnell zog sie den Gürtel ihres Morgenmantels etwas enger. In diesem Moment blickte Ray zu Angela hinüber. „Geh doch schon nach draußen und spiel etwas. Aber bleib in der Nähe, damit ich dich vom Fenster aus sehen kann." Angela zog die Augenbrauen hoch, als ob sie genau wusste, was ihr Vater vorhatte. „Kein Problem. Ich lasse euch beide allein", antwortete sie und hüpfte zur Hintertür hinaus. Rays Blick wirkte ziemlich überrascht, als er sich jetzt wieder Laura zuwandte. „Was hat sie wohl eben damit gemeint?"„ „Ich habe keine Ahnung", antwortete Laura ausweichend. Sie spürte, dass er ihr nicht glaubte. Aber er ließ das Thema fallen. „Wenn du schon einmal dabei bist, die Opfer einer hundertjährigen Haushälterin zu versorgen, wie wäre es mit einer guten Tasse Kaffee?" „Kommt sofort", antwortete sie und holte noch eine Tasse aus dem Schrank. Ray setzte sich an den Küchentisch. Laura behielt ihn im Auge, während sie den Kaffee eingoss. Würde er noch einmal auf den gestrigen Abend zurückkommen? Doch dann spürte sie erleichtert, dass sie sich heute keine Sorgen zu machen brauchte. Er nahm die Tasse in die Hand und lehnte sich gemütlich im Stuhl zurück. „Wahrscheinlich sollte ich mich für meine Tochter entschuldigen, dass sie dich überfallen hat", fing er an. „Danke, dass du dich um sie gekümmert hast." „Das war doch selbstverständlich." Laura füllte ihre Tasse und setzte sich wieder. „Ich glaube, sie braucht die Gesellschaft einer jüngeren Frau. Mrs. McCabe ist mit ihr einfach überfordert." „Die alte Dame scheint sich aber wirklich zu bemühen." Fast erwartete Laura, dass er sich wieder vor ihr verschließen würde, genau wie am Abend zuvor. Sie hatte gestern sehr wohl mitbekommen, dass alles, was die Entführung seiner Tochter betraf, sie nichts anging. Er seufzte. „Ich wünschte, ich könnte mich mehr auf sie verlassen." „Vertraust du ihr denn nicht?" fragte Laura überrascht. „Doch, ich vertraue ihr, aber Angela nicht. Es wäre vielleicht besser gewesen, jemanden einzustellen, den auch das Kind mag. Angela hat niemanden, mit dem sie reden kann." „Sie hat doch dich." Er trank einen Schluck von dem heißen Kaffee. „Ihr beiden scheint doch besser miteinander auszukommmen als die meisten Eltern und Kinder, die ich kenne", fuhr sie fort. „Aber offensicht lich nicht gut genug." Er richtete sich auf und setzte seine Tasse wieder auf den Tisch. „Hat sie dir heute morgen irgend etwas erzählt?" „Meinst du wegen der Entführung?"
„Was sollte ich denn sonst meinen?" brauste er auf. Laura atmete tief durch. „Eigentlich nicht", antwortete sie dann. „Wenigstens nichts, was sie dir nicht auch schon erzählt hat. Sie hat sich beschwert, dass sie immer soviel zu Hause bleiben muss." Ray machte eine ärgerliche Handbewegung. „Nun, daran kann ich im Moment leider nichts ändern." Irgend etwas veranlasste Laura, die Partei des Kindes zu ergreifen. Angela tat ihr plötzlich leid. „Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?" fragte sie. „Sie in einem goldenen Käfig zu halten, wird ihr mehr schaden als guttun. Vielleicht wird der Alptraum ihrer Entführung so nur noch verlängert." Interessiert sah er sie an. Dann lächelte er langsam. „Gut gesprochen, Frau Psychologin." Laura stand schnell auf, um noch Kaffee nachzuschenken. „Tut mir leid, ich weiß, dass es mich eigentlich nichts angeht." „Aber?" hakte er nach. „Nun, es ist schließlich mein Beruf, Kindern zu helfen. Und Angela kann meine Hilfe gut gebrauchen." „Ich übrigens auch", meinte Ray. „Vielleicht weißt du eine Erklärung dafür, warum sie nicht über das reden will, was ihr passiert ist." Überrascht stellte Laura die Tasse auf den Tisch. „Hat sie etwa nie darüber gesprochen?" „Kein einziges Wort." „Sie hat tatsächlich niemandem etwas gesagt? Noch nicht einmal den Polizisten?" Ray sah sie ernst an. „Besonders bei den Polizisten wollte sie nicht reden." „Aber sie hat doch den Kidnapper identifiziert. Sie muss doch irgend etwas gesagt haben." „Als sie Kemp gegenübergestellt wurde und man sie fragte, ob er der Täter sei, hat sie nur mit ja geantwortet. Seither hat sie kein Wort mehr darüber verloren." Also hat Angela von sich aus gar nicht Kemp ausgewählt, überlegte Laura. Sie hat nur den Ausweg, den man ihr anbot, angenommen. Lauras Gedanken überschlugen sich. „Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches", sagte sie mehr zu sich selbst, als zu ihm. „Auch Erwachsene verdrängen traumatische Erlebnisse. Du hast sicher schon mal davon gehört. Wenn schon Erwachsene ihr Heil im Vergessen suchen, warum nicht auch Kinder?" „Ich verstehe Angela ja auch. Deshalb habe ich sie ja hergebracht." Auf einmal wurde er wieder ernst. „Als ich im ,Widow's Walk' war, wusstest du noch gar nicht, wer ich bin. Aber inzwischen hast du dich anscheinend gut informiert."
Laura holte tief Luft. Da hatte sie sich aber schön verplappert. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht. Wie konnte sie wissen, dass Angela ihren Entführer identifiziert hatte, wenn sie bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal wusste, wer Ray war? Dieser plumpe Fehler hätte ihr nicht passieren dürfen! Laura ärgerte sich über ihr dilettantisches Vorgehen. „Wahrscheinlich ist dir dann auch zu Ohren gekommem, dass ich meinen Job als Schauspieler aufgegeben habe?" folgerte Ray, und blickte sie prüfend an. „Das wusste ich nicht", erwiderte Laura langsam. Ihre Antwort schien ihn zufriedenzustellen. Wahrscheinlich war er zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um über ihre Worte nachzudenken." Angela kann hier alles vergessen. Und wenn etwas Zeit vergangen ist, werden sich auch die Presseleute nicht mehr für mich interessieren. Conolly, der Staatsanwalt, wird versuchen zu erreichen, dass sie gar nicht aussagen muss. Dann gibt es auch nicht soviel Publicity.
Irgendwann wird sie darüber hinwegkommen. Ich werde schon dafür sorgen." Laura hatte plötzlich das Gefühl, dass ihr alles aus den Händen glitt. „Möchtest du, dass ich mit ihr nicht mehr über die Sache rede?" „Genau", antwortete er hart. „Sie mag dich. Du solltest das nicht ausnutzen." Sie atmete aus. Nicht ausnutzen? Was soll ich denn sonst tun, dachte sie verzweifelt. „Ich bin Psychologin", sagte sie laut. „Genau deswegen. Außerdem", fuhr er fort, „wenn sie dir etwas sagt..." „Ich würde es dir sofort mitteilen", Laura ließ ihren Blick abwesend über seine Gestalt gleiten. Sag es ihm, rief eine Stimme in ihr. Versuche ihn dazu zu überreden, dass er dir hilft, den wirklichen Täter zu finden. Aber hatte er sie nicht gerade davor gewarnt, sich einzumischen? Sie durfte das Risiko einfach nicht eingehen. Daher stand sie langsam auf und brachte ihn zur Tür. Sie kam ihm näher, als sie eigentlich geplant hatte. Sie konnte sogar den herben Duft seines Rasierwassers wahrnehmen. Dann berührte er sie plötzlich. Langsam wickelte er eine Strähne ihres Haares um seinen Finger. „Weißt du, Doktor Gates", begann er und sah nachdenklich auf die Haarsträhne. „Ich glaube, ich habe dich die ganze Zeit falsch verstanden. Tatsächlich . . . " Seine Stimme wurde leiser, als er ihr in die Augen sah. „Ich glaube, dass du auch mit dir selbst nicht so ganz im reinen bist." Laura zwang sich, ihn anzusehen und ruhig zu bleiben. „Möchtest du dich jetzt auch mit Psychologie befassen?" „Nein." Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nur ein guter Beobachter." Beweg' dich, befahl sie sich selber, hol dir einen neuen Kaffee, oder setz' dich hin, tue nur irgend etwas, um Abstand zwischen dich und ihn zu bringen. Statt dessen bog sie den Kopf zurück, um seinem Blick standzuhalten. „Und was hast du beobachtet?" Er lächelte sie sanft an. „Du bist jedenfalls nicht so kühl und distanziert, wie du es von dir selbst denkst." Ray beobachtete sie genau und war amüsiert. Lauras Augen wurden eine Spur dunkler. Ersah Gefühle darin und Leidenschaft - genau wie in dem Moment, als sie Angelas Partei ergriffen hatte. Deshalb hätte er sie gewarnt, sich zurückzuhalten. Schon gestern abend war ihm das aufgefallen, als er sie berührte. Heute hatte er wieder das Gefühl, dass sie ihn herausfordern wollte. Energisch hatte sie ihren Kopf zurückgelegt und war sich ihrer Wirkung auf ihn noch nicht einmal bewusst. Unwillkürlich beugte er sich über sie. Sein Kuss war hart und fordernd. Laura spürte, wie ein heißes Verlangen in ihr aufstieg. Sie brauchte ihn so sehr, dass sie sich nicht mehr dagegen wehren konnte. Wie eine Woge schwemmte sein Begehren ihren Widerstand hinweg - genau wie am Abend zuvor! Ray ließ seine Hände über ihre Hüften gleiten. Sie streichelte über die harten Muskeln seines Rückens und genoss den sanften Druck seiner Hände auf ihrem Körper. Laura stöhnte leise auf und griff mit beiden Händen in sein Haar. Plötzlich zog er sich von ihr zurück. Einen Moment wusste Laura gar nicht, wo sie sich befand, und sie musste sich an ihrem Stuhl festhalten, weil ihr schwindelig war. Sie ärgerte sich über sich selbst, richtete sich dann auf, um seinen Blick zu treffen. Das überhebliche Lächeln auf den Lippen erboste sie nur noch mehr. „Kerzenlicht?" murmelte er und schüttelte dann den Kopf. „Ich glaube, du hast mehr Interesse an Waldbränden." Bevor Laura ihm eine Antwort geben konnte, hatte Ray Corti ihr Haus schon wieder verlassen.
4. KAPITEL An der Größe der Stadt gemessen, war Rays Haus riesig. Es hatte zehn Zimmer und zusätzliche Räume für das Personal. Insgesamt gab es fünf Schlafzimmer, von denen jedes ein eigenes Bad besaß. Ray hatte das Anwesen günstig erworben, weil es nicht direkt am Strand lag. Aber gerade das passte ihm gut. Grundstücke, die direkt ans Meer grenzten, konnten von dort aus leicht betreten werden. An dem Tag, an dem erden Kaufvertrag unterschrieb, hatte er sofort einen riesigen Zaun um das Grundstück ziehen lassen. Hier war er mit Angela zwar vor unliebsamen Besuchern geschützt, aber gleichzeitig kam es ihm auch vor, als ob er sich in einem Gefängnis befand. Mit einem leisen Fluch warf er den Sportteil der Sonntagszeitung zur Seite und stand auf. Erst wollte er in die Küche gehen, um sich eine weitere Tasse Kaffee zu holen, dann aber schlenderte er zum Fenster hinüber. Sein Blick wanderte über den Wald. Dass er seine Arbeit aufgegeben hatte, war seine eigene Entscheidung gewesen. Er hatte es Angela zuliebe getan. Ein ruhiges Leben in dieser kleinen Stadt würde wohl kaum Interesse der Presse auf sich ziehen. Und darum hatte er sich kurz entschlossen völlig aus seinem Beruf zurückgezogen, obwohl ihn einige Freunde davor gewarnt hatten. Jack Murphy hatte schon in den dreißiger Jahren erfolgreich Theaterstücke geschrieben. In den fünfzigern hatte er angefangen, Porträts zu malen, und im letzten Jahr, im Alter von einundachtzig, hatte er sogar eine Komödie gedreht, in der er selbst eine Rolle übernommen hatte. Natürlich war der Film ein Bombenerfolg geworden, und Ray hatte ihn gefragt, warum er in seinem Alter überhaupt noch soviel arbeitet! Jack hatte ihm damals geantwortet: „Wenn du mit der Arbeit aufhörst, musst du aufpassen, dass du nicht durchdrehst!" Vielleicht hat er wirklich recht gehabt, dachte Ray. Die Langeweile drohte ihn zu ersticken. Vermutlich war das auch die Erklärung dafür, warum ihn plötzlich diese langbeinige Blondine mit den interessanten Katzenaugen so faszinierte. Er konnte eigentlich an nichts anderes mehr denken. Dabei war sie nun wirklich nicht so etwas Besonderes, auch wenn sie vor ihm geflohen war, als sie sich das erste Mal trafen? Das war ihm schon öfter passiert. Ray wusste nicht, was ihn an Laura Gates so faszinierte. Irgendwie war ihm ihr Verhalten unerklärlich, und das reizte ihn. Deshalb hatte er sie sich genauer ansehen wollen. Ray atmete tief aus und drehte sich vom Fenster weg. Ihr war es völlig egal gewesen, wer er war, und das hatte ihn zusätzlich gereizt. Zuerst hatte er gedacht, dass sie sich bewusst kühl gab. Aber das war es nicht. Nach außen hin wirkte sie sehr ruhig und distanziert. Aber er hatte erlebt, zu welch leidenschaftlichen Gefühlen sie fähig war. Eigentlich gab es keinen Grund, warum er sie nicht wiedersehen wollte. Er warf einen Blick ins Wohnzimmer, wo Angela noch mit Mrs. McCabe Monopoly spielte. Dann griff er nach seiner Jacke und zog sie über. „Könnt ihr beiden die Festung noch einen Moment allein halten?" rief er. Angela hob den Kopf. „Wo gehst du hin?" „Hat dir eigentlich in letzter Zeit schon mal jemand erzählt, dass du sehr neugierig bist?" Er fing ihren überraschten Blick auf. Sie benahm sich in letzter Zeit fast schon wie eine Erwachsene. „Ich gehe spazieren", meinte er dann. Angela lächelte. „Grüß sie schön von mir." Mrs. McCabe schnalzte empört mit der Zunge. „Schließt du hinter mir ab? Ich bin wahrscheinlich länger weg." Er hörte, wie sie hinter seinem Rücken kicherte. Kaum hatte Ray die Veranda betreten, als der Himmel aufriss, und der Regen nur so herunterschüttete. Die ersten Meter schützten ihn die Bäume vor der Nässe. Dann gab er
auf und lief schnell den Rest des Weges bis zu Lauras Eingangstür. Aus dem Schornstein kam Rauch. Wahrscheinlich saß sie vor dem Kamin. Sie musste sein Klopfen einfach hören. Als Ray das Haus verließ, hatte Laura gerade aus dem Fenster geblickt. Sie hatte vermutet, dass Angela heute im Haus bleiben würde. Es gab also keine Chance für ein Gespräch am Nachmittag. Daher beschloss sie, den Rest des Tages mit Lesen zu verbringen. Sie war gerade ganz vertieft in ein Sachbuch über den Zen-Buddhismus, als sie zufällig aufblickte und Ray aus dem Haus kommen sah. Er kam durch das Tor auf ihr Haus zu. Wieder klopfte ihr Herz stürmisch, und sie wurde nervös. Am meisten störte es sie, dass sie zusätzlich auch ein schlechtes Gewissen bekam. Deshalb verhielt sie sich ihm gegenüber auch immer so unsicher. Als sie sein Klopfen hörte, ließ sie das Buch fallen und sprang sofort auf. Erst wollte sie so tun, als wäre sie gar nicht zu Hause. Sie tat einen Schritt auf die Tür zu, zögerte kurz, zwang sich dann aber selbst weiterzugehen. Als sie die Tür öffnete, stand er ihr gutgelaunt gegenüber. „Solche Sonntage lassen mich sofort an drei Dinge denken", begann er ohne Umschweife. „Sicher wirst du mir gleich sagen, welche drei Dinge das sind?" Sie ertappte sich dabei, dass sie darüber lachen musste, wie er sich an den Türrahmen lehnte und gleichzeitig versuchte, möglichst lässig auszusehen, obwohl ihm das Regenwasser aus dem Haar tropfte. „Jetzt erzähl mir schon, was für Dinge du bei mir zu finden hoffst", forderte Laura ihn auf, obwohl eine innere Stimme sie davor warnte, nicht auf eine Antwort zu bestehen. „Ein warmes Feuer, einen guten Scotch und eine wunderschöne Frau." Er sah an ihr vorbei auf die Flammen, die im Kamin tanzten, ließ dann seinen Blick betont langsam über ihren Körper gleiten und lächelte sie dann an. „Hast du auch Scotch?" Laura hatte das Gefühl, in einem seiner Filme mitzuspielen. Sie bemühte sich um eine kurze Antwort, denn das schien ihr im Moment am sichersten. „Nein." „Irgend etwas anderes?" „Portwein." „Oh, was sind wir heute wieder kultiviert!" Laura ärgerte sich über seine Bemerkung. „Das ist alles, was ich dir anbieten kann. Falls es deinem Geschmack nicht zusagt, musst du dich vielleicht woanders umsehen." Sie trat einen Schritt zurück und wollte die Tür wieder schließen. Ray blockierte sie mit seinem Fuß. Mit etwas Krafteinsatz hätte Laura die Tür leicht schließen können, statt dessen öffnete sie sie wieder. „Vielleicht könnten wir doch ein Gläschen zusammen trinken", schlug er vor. „Portwein?" „Ja, damit können wir wenigstens anfangen." „Nein." Sie sahen sich einen Moment unverwandt an. Ray überlegte, warum er am liebsten seinem Filmimage des harten Mannes gefolgt wäre und einfach die Tür eingetreten hätte, und Laura dachte im gleichen Moment darüber nach, warum sie am liebsten fortlaufen würde und sich trotzdem nicht von der Stelle bewegte. Sie konnte ihn einfach nicht hereinlassen. Die Bekanntschaft mit ihm war zu einer persönlichen Angelegenheit geworden und hatte nicht mehr etwas mit ihrem Fall zu tun. Frauen zu verführen war eben Teil seines Images. Wahrscheinlich war sie im Moment die einzige Frau in der Stadt, die ihn interessierte. Längst hatte sie es aufgegeben, sich einzureden, dass er keine Macht über sie hatte und dass sie ihre Gefühle kontrollieren konnte. Sie drückte wieder gegen die Tür. „Geh lieber nach Hause, Ray." Zu ihrer Überraschung trat er einen Schritt zurück. Sie spürte, dass er nach außen Gleichgültigkeit demonstrieren wollte.
„Für heute werde ich mich zurückziehen", meinte er dann. Die nächste Frage brannte ihr auf den Lippen und sie wusste, sie hätte sie eigentlich nicht stellen sollen. „Bist du immer so zäh und unnachgiebig?" „Ich weiß es nicht. Normalerweise habe ich das gar nicht nötig." „Dann sehe ich auch keinen Grund, warum du jetzt bei mir so hartnäckig sein solltest." „Glaubst du, dass ich es bin?" „Mir scheint es jedenfalls so." „Das kommt, weil du als Psychologin immer gleich alles kategorisieren möchtest. Manchmal gibt es aber Dinge, Dr. Gates, die man nicht so einfach einordnen kann." Laura wusste genau, dass er recht hatte. „Also bis später", sagte sie schnell und schloss die Tür. Sie atmete tief durch, als sie den Riegel vorwarf, und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ihr Atem so unregelmäßig ging und ihre Finger zitterten. Eigentlich konnte sie stolz auf sich sein. Sie war stark gewesen und hatte genau richtig gehandelt. Er war gegangen.
Ray hielt sich drei Tage von Laura fern. Er tat es, weil er sich selbst beweisen wollte, dass er es schaffen konnte. In dieser Zeit beschäftigte er sich viel mit Angela. Am Montag fuhren sie zu einem kleinen privaten Internat in einer nahe gelegenen Stadt. Ray musste Laura insgeheim recht geben. Angela fühlte sich wirklich eingeschlossen, denn sie erklärte Ray voller Eifer, dass sie gern wieder in die Schule gehen würde. Aber immer noch war er vorsichtig. Er würde der Schule einen ansehnlichen Betrag spenden, und nur die Verwaltung würde wissen, wer Angelas Vater war. Den nächsten Tag verbrachten sie am Strand und genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Sommers. Am dritten Abend rief Ray Jack Murphy an. „Was kann ich gegen die entsetzliche Langeweile tun?" wollte er wissen, sobald er den älteren Kollegen am Telefon hatte. Murphys Gelächter war laut, rau und erfrischend vertraut. „Sag mal, wo bist du eigentlich untergetaucht?" „Das soll besser mein Geheimnis bleiben." Murphy brummelte etwas Unverständliches, aber Ray wusste, dass er seinen Wunsch respektieren würde. Das war einer der vielen Gründe, warum er gerade ihn angerufen hatte. „Du kannst verdammt dickköpfig sein", murrte Murphy. „Wenn es sein muss." Einen Moment schwiegen sie, dann wechselte Murphy das Thema. „Beaderman ist ziemlich wütend auf dich. Er will sogar vor Gericht gehen." „Beaderman prozessiert ständig wegen irgend etwas." Ray war deshalb nicht besonders besorgt. Er hatte sogar viel mehr Ärger von seinem Produzenten erwartet, als er seinen letzten Film einfach während der Dreharbeiten abgebrochen hatte. Ihm war plötzlich alles egal, denn die Sicherheit seiner Tochter ging vor. „Du hast außerdem noch ein paar gebrochene Herzen hinterlassen", fuhr Murphy fort. „Die Partys sind ohne dich richtig langweilig geworden." „Ich hatte doch mit niemandem eine feste Beziehung, als ich ging." „Es gibt aber einige, die das glauben." Murphy lachte. Sofort musste Ray an langes blondes Haar und grüne Katzenaugen denken. „Das weibliche Geschlecht ist übrigens wesentlich faszinierender, wenn du nicht sechzehn Stunden am Tag arbeitest." „Tatsächlich? Dann brauche ich mir um dich ja keine Sorgen zu machen. Noch bist du nicht verrückt." „Mir fällt hier langsam die Decke auf den Kopf", beschwerte Ray sich, dabei blickte er aus dem Fenster zum Nachbarhaus hinüber. Spontan entschied er, dass er Laura schon
lange nicht mehr gesehen hatte. „Arbeite ruhig weiter. Jack, du hattest recht." „Hast du mich angerufen, um mir das zu erzählen? Ich werde nicht aufhören zu arbeiten. Schließlich brauche ich das Geld." Ray lachte und fühlte sich zum erstenmal seit Tagen richtig entspannt. „Würdest du mir einen Gefallen tun? Ruf Beaderman an und frag' ihn, wieviel er von mir haben will, damit wir diese Angelegenheit regeln können. Ich rufe dich in ein paar Tagen wieder an." „Willst du dich denn ganz zum Trottel machen?" „Vielleicht." Ray sah wieder hinüber zu Lauras Haus. „Aber vielleicht auch nicht." Ray legte den Hörer auf und blickte dann nachdenklich auf das Telefon. Wann hat mich eigentlich das letzte Mal eine Frau so durcheinandergebracht, überlegte er? Wenn er Arbeit hätte, wäre sie ihm wohl gleichgültig gewesen. Abrupt nahm er den Hörer von der Gabel und drückte die entsprechenden Tasten. Ihm fiel auf, dass er sogar schon ihre Telefonnummer auswendig kannte und nicht erst nachschlagen musste. Erst beim fünften Klingeln nahm Laura ab. Es war unwahrscheinlich, dass sie schon vorher wusste, dass er am Apparat war. „Laura?" fragte er. Lauras Puls beschleunigte sich als sie Rays Stimme hörte. Sie war überrascht, wieviel Mühe es ihr machte, gleichgültig zu klingen. „Ich glaube nicht, dass du dich verwählt hast", sagte sie nach einer Weile. Ray spürte, dass sie ihn provozieren wollte. „Die Boshaftigkeit steht dir nicht", neckte er sie. „Man spürt, dass du dich zu sehr anstrengen musst." Sein verstecktes Kompliment brachte Laura zunächst etwas aus der Fassung, und sie brauchte einen Moment, um eine Antwort zu finden. „Das liegt wohl an der mangelnden Übung", entgegnete sie bissig. „Normalerweise muss ich mich nicht so oft wiederholen, bis die Leute verstehen, was ich meine." „Ich würde gern wissen, warum du glaubst, immer nein sagen zu müssen." Laura sah auf ihre Hand und bemerkte, dass sie nervös mit dem Messer spielte, das sie gerade in der Hand hielt. Eigentlich wollte sie sich eben ein Sandwich machen. Eilig legte sie das Messer zur Seite und schob den Teller weg. „Ich dachte, dieses Kapitel wäre endlich abgeschlossen. Wir haben uns doch schon darüber unterhalten", antwortete sie Ray. „Aha, geht es wieder um das Kerzenlicht? Ich habe dir schon angeboten, dass ich alles gem so arrangiere, wie du möchtest, falls du soviel Wert darauf legst." Laura setzte sich auf den Küchentresen und griff erneut nach dem Messer. „Es ist mein persönlicher Stil." „Das kann ich mir gar nicht vorstellen." Diesmal warf sie wütend das Messer in die Spüle, dass es klapperte. „Ray, was willst du eigentlich von mir?" Er machte eine theatralische Pause. „Ich dachte, es ist dir klar. Meine Wut würde ich übrigens nicht an einem wehrlosen Objekt auslassen." Gute Ohren hat er auch noch, registrierte sie verwirrt. Sie spürte immer deutlicher, dass sie sich vor ihm in acht ne hmen musste. „Woran liegt es denn nun, Dr. Gates?" fuhr er fort. „Hält man als Psychologin immer Distanz zu seinen Nachbarn?" Am liebsten hätte Laura ihm gestanden, dass sie sich selbst nicht mehr wiedererkannte, wenn er in ihrer Nähe war, und dass es sie stark belastete, dass es noch einen anderen Grund gab, warum sie sich von ihm fernhalten musste. Alles in ihr verlangte nach ihm, und das erschreckte sie, weil sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Ich möchte ge rn etwas klarstellen", fing sie an und betete, dass ihre Stimme wenigstens einigermaßen ruhig klang. „Du hast mich also angerufen, um herauszufinden,
warum ich nicht möchte, dass du mich anrufst?" „Nicht ganz. Aber da wir das Thema nun einmal angeschnitten haben, können wir es vielleicht gleich klären." Ich muss einfach einen Vorwand finden, um sie zu sehen, überlegte er. „Du bist immer gleich so kratzbür stig. Ich habe doch nur eine kleine Bitte, deshalb rufe ich dich an." Das geht einfach zu glatt, dachte Laura. „Hast du heute abend etwas vor?" „Jedenfalls nicht mit dir!" Kaum hatte sie das gesagt, ärgerte sie sich auch schon über ihren unüberlegten Kommentar. „Das wollte ich gar nicht von dir wissen." Laura sprang vom Küchentisch. „Also gut. Nein, heute abend liegt nichts Besonderes an. Ich werde jetzt aufhängen, genüsslich ein Sand wich verzehren und es mir dann vor dem Fernseher gemütlich machen!" „Kann ich dich dazu überreden, zu mir herüberzukommen und das gleiche hier zu tun?" „Nein, Ray! Auf keinen Fall!" Eigentlich sollte ihre Stimme gleichgültig klingen. Sein leises Lachen am anderen Ende der Leitung ließ sie laut schimpfen. Verärgert wollte sie den Hörer aufhängen. Aber seine nächste Frage ließ sie innehalten. „Könntest du mir dann wenigstens einen guten Babysitter empfehlen?" Sie nahm den Hörer wieder an ihr Ohr. „Wie bitte?" „Jawohl, einen Babysitter. Jemanden, der sich um meine neunjährige Tochter kümmern kann, während ich ein bisschen ausgehe. Mrs. McCabe hat mittwochs ihren freien Tag." „Einen Babysitter", wiederholte sie langsam. „Genau." „Hältst du es schon nicht mehr zu Hause aus?" „Jetzt klingst du wie Mrs. McCabe." ,, Vielleicht hat sie sogar recht." Du liebe Güte, dachte Laura, was geht mich das an! Was ist nur los mit mir? Aber Ray schien ihre Antwort gar nicht gehört zu haben. „Kannst du mir aushelfen?" Laura zögerte. Eigentlich war alles ganz einfach. Er würde ausgehen, und sie würde ein paar Stunden mit Angela verbringen. Ihr Herz klopfte immer noch wild in der Brust. Sie musste sich zu den nächsten Worten förmlich zwingen. „Um wieviel Uhr soll ich zu dir kommen?" Am anderen Ende der Leitung hörte sie Ray leise lachen. „Wie lange brauchst du, um dein Sandwich zu essen?" „Ungefähr zwanzig Minuten." „Gut, dann bis gleich."
Ray legte den Hörer auf. Laura überlegte, warum sie das Gefühl hatte, gerade einen sehr wichtigen Kampf verloren zu haben. Sie aß ihr Sandwich nicht, sondern blickte es nur lange Zeit abwesend an. Schließlich wickelte sie es ein und legte es in den Kühlschrank, weil sie absolut keinen Hunger mehr hatte. Schnell sah sie auf die Uhr an der Küchenwand und entschied, dass sie noch Zeit hatte, sich umzuziehen. Sie zog ihren grünen Jogginganzug aus dem Schrank. Er war bequem und ge nau das, was sie gerade zu Hause angehabt haben könnte, als Ray sie anrief. Man konnte es sich damit so herrlich vor dem Fernseher bequem machen. Dann ging sie hinüber zum Spiegel, um sich etwas herzurichten. Sie redete sich ein, dass es nur eine impulsive Laune war, dass sie auch etwas Make-up auftrug, die Haare bürstete und ihre Lippen nachzog. Zwanzig Minuten später verließ sie das Haus. Ray öffnete die Tür und hielt eine Tasse Irish Coffee in der Hand. „Ich dachte, du bist schon auf dem Weg."
Er bemerkte, dass Lauras Blick auf die Tasse fiel. Sie schien verärgert zu sein. „Bin ich doch auch. Das ist für dich." Er reichte ihr die Tasse, aber sie schüttelte schnell den Kopf. „Ist das deine übliche Begrüßung für Babysitter?" Er zuckte mit den Schultern und trank selbst einen Schluck. „Meine Babysitter sind üblicherweise hundert Jahre alt." Er hatte wirklich ein Talent, sie mit seinen Antworten zu verblüffen. Gleichzeitig gelang es ihm, diese wie Komplimente klingen zu lassen, Laura drehte sich schnell von ihm weg, damit er ihre Gefühle nicht bemerkte. Interessiert sah sie sich im Foyer um. Das Haus war im Kolonialstil gebaut. Die Treppe führte in einem weiten ovalen Bogen nach oben. Laura fiel das glänzende Mahagonigeländer auf. Ein wunderschöner Teppich lag auf dem Boden. Die Farben gefielen ihr sehr. Es war eine Mischung aus Elfenbein, Rose und einem dazu passenden hellen Blau. Laura war sicher, dass die ganze Dekoration von einem Innenarchitekten ausgewählt worden war. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Ray selbst so etwas Geschmackvolles zusammenstellen konnte. Sie blickte zu ihm hinüber und spürte, dass er sie beobachtete. Sein Lächeln irritierte sie. „Findet das Haus deine Zustimmung?" Laura musste zugeben, dass es wunderhübsch war. „Du wirkst so verkrampft." Er deutete auf ihre Hände, die sie ineinander verschränkt hatte. „Bist du sicher, dass du nichts trinken möchtest, Laura? Vielleicht kannst du dich dann besser entspannen." Sie schüttelte den Kopf und trat ins Wohnzimmer: noch mehr Elfenbein, noch mehr Blau in der Einrichtung. „Nein, nein mir geht es gut. Normalerweise trinke ich ohnehin keinen Irish Coffee. Nur an dem Abend . . ." Sie beendete den Satz nicht. Es war ihr unmöglich, zu erklären, warum sie sich damals Irish Coffee bestellt hatte. „Aha, ich verstehe, die Situation hat es seinerzeit verlangt", beendete er den Satz für sie, als er spürte, dass sie nicht weiterreden würde. „Ein Besuch in einem Pub auf einem Pier in New England, die Aussicht auf den stürmischen Atlantik in einer kühlen Nacht … "Er blickte sie durchdringend an das verlangt doch förmlich nach einem heißen Getränk, das einem den Magen wärmt." Überrascht sah sie ihn an. Wie konnte er das nur verstehen? Er konnte doch unmöglich ein Gespür für die Intuitionen anderer haben. „Ich würde gern etwas Kühles trinken." „Kommt sofort." „Ich hole es mir schon selber." Wieder hatte sie zu schnell und überhastet reagiert und bekam einen roten Kopf, als er sie schmunzelnd ansah. „Zeig mir doch einfach, wo die Bar ist. Ich möchte nicht, dass du zu spät kommst." Er zog bedeutungsvoll eine Augenbraue hoch. „Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Was möchtest du?" „Ein Glas Wein bitte." Angespannt setzte sich Laura auf das Sofa, sprang aber sofort wieder auf, als sie spürte, dass sie nicht still sitzen konnte. Einen kurzen Moment später kam Ray mit dem Getränk zurück. „Das wird dir helfen", lächelte er und reichte Laura den Wein. Am liebsten hätte sie in diesem Moment das Glas über seinem Hemd ausgeleert, damit dieser souveräne Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand. „Musst du nicht langsam gehen?" Er zuckte mit den Schultern. „Seit du hier bist, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass mir gleich die Decke auf den Kopf fällt." Ray hätte am liebsten leise geflucht. Was war nur aus der Frau geworden, die sich erst vor kurzem so eng an ihn gekuschelt hatte und bei seinem Kuss dann förmlich explodiert war? Diejenige, die im Moment vor ihm stand, schien eine Raubkatze auf der Jagd zu sein - und dabei so sprunghaft und nervös wie ein junges Fohlen. Laura war zwar von Anfang an zurückhaltend gewesen, aber er konnte nicht verstehen, warum sie sich jetzt plötzlich ganz von ihm zurückzog.
Er drehte sich schnell um und ging zurück ins Foyer. Am besten würde er an seinem Originalplan festhalten und eine Weile weggehen, damit sie sich beruhigen und etwas entspannen konnte. Dann würde er zurückkommen. „Ich bin nicht lange fort." Er zog eine Jacke aus dem Schrank und drehte sich wieder zu ihr um. „Vielen Dank, dass du mir aushilfst." Wieder hatte Laura das Gefühl, dass eigentlich alles viel zu glatt ging. „Du brauchst mir nicht zu danken", antwortete sie und zögerte dann aber. „Wo ist Angela?" „Hier oben." Gleichzeitig sahen Laura und Ray nach oben zur Treppe. Das Kind saß auf der Empore und hatte ihnen offensichtlich schon längere Zeit zugehört. Ray ging zur Tür. „Benimm dich anständig, Angela!" „Schon gut", meinte das Kind. Ray sah kurz zu Laura hinüber. „Bis bald", versprach er und schloss die Tür hinter sich. Laura ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen. Da habe ich mal wieder einen Kampf verloren, dachte sie. Aber immer noch war ihr nicht ganz klar, gegen was sie eigentlich kämpfte.
5. KAPITEL „Ich würde gern etwas anderes spielen", bat Angela, sobald Ray weg war. Laura sah das Kind an. „Vielleicht sollten wir einfach Mrs. McCabes Kochbücher verstecken." Angela kicherte und kam die Treppe herunter. „Ich finde dich wirklich nett, Laura." Sofort ließ Lauras Spannung nach. Endlich bewegte sie sich wieder auf bekanntem Boden. Kinder waren so offen und ehrlich, so unkompliziert. „Du bist auch nicht übel", erwiderte sie lachend und sah dann auf das Glas in ihrer Hand. Jetzt da Ray fort war, hatte sie eigentlich keine Lust mehr, Wein zu trinken. „Zeigst du mir, wo es zur Küche geht?" Angela rannte durch den Flur, und Laura folgte ihr. „Es geht hier lang. Was willst du tun?" „Den Wein wegschütten. Falls dein Vater ein sehr sparsamer Mensch ist, erzählst du es ihm besser nicht." „Ist er nicht." Angela sah interessiert zu, wie Laura den Inhalt des Glases in die Spüle leerte und es auswusch. „Aber Mrs. McCabe ist richtig geizig." Laura verzog das Gesicht. „Erzähl mir doch von ihr." „Sie kann nur böse mit dir sein, wenn sie weiß, was du gemacht hast. Und ich werde ihr nichts verraten." „Das ist nett von dir." Sie zögerte. „Deine Mrs. McCabe scheint ja nicht besonders viel Spaß zu vertragen." Angela lehnte sich gegen den Küchentisch und zog die Nase kraus. „Sie ist einfach schrecklich. Als Dad sagte, dass wir hierherziehen würden, dachte ich, wir beide würden allein hier leben. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass sie auch kommt, wäre ich sicher nicht mitgefahren. Wieder warnte ihr Instinkt, sich vorsichtig vorzutasten. „Nun", sagte sie langsam, „nur weil sie nicht lustig ist, muss sie noch kein schlechter Mensch sein. Und du hast selbst gesagt, dass sie auch schlecht kocht, weil sie nicht richtig sieht, was sie eigentlich tut." „Sie starrt mich die ganze Zeit an", beschwerte Angela sich. „Und sie spioniert auch dauernd hinter mir her. Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich mich einfach in Luft auflöse oder so." Laura antwortete nicht sofort. „Das ist doch nicht unberechtigt, oder?" meinte sie schließlich. Angela wurde böse. „Es ist blöd. Es wird nicht noch einmal. . ." sie unterbrach sich selbst, richtete sich auf und ging vom Tisch weg. „Ich will darüber nicht reden. Möchtest du jetzt ein Spiel spielen? Nur bitte kein Monopoly!" Laura zögerte einen Moment, aber ihre Berufserfahrung sagte ihr, dass sie Angela nicht zwingen konnte. Angela würde von sich aus mehr sagen, wenn sie selbst bereit war. Dessen war sich Laura sicher. Das Kind war nicht so entschlossen, nichts zu sagen, wie sein Vater dachte. Es suchte nur nach einer Person, der es sich anvertrauen konnte. „Was hast du gegen Monopoly? Ich bin darin ein Champion." „Ich habe Mrs. McCabe diese Woche schon sechsmal geschlagen." „Das ist aber nicht fair. Mrs. McCabe kann schließlich das Spielbrett gar nicht mehr erkennen." Angela musste kichern. Es ist das Lachen eines glücklichen, gesunden Kindes, bemerkte Laura erleichtert. „Meiner Meinung nach", fuhr sie fort, „brauchst du mal einen guten Gegner, der dich etwas herausfordert." „Also gut. Ich hole es." „Wo wollen wir denn spielen?" „Hinten im Wohnzimmer." Angela verschwand die Treppe hinauf.
Laura ließ sich bewusst Zeit, während sie durch das Haus ging. Neugierig sah sie in die verschiedenen Räume, an denen sie vorbeikam. Die Bibliothek war mit poliertem Eichenholz und Leder eingerichtet und enthielt viele alte Bücher, die dem Zimmer eine charmante Atmosphäre gaben. Dann gab es noch einen kleinen, besonders sonnigen Raum, in dem die gesamte Wand mit verschiedenen französischen Türen dekoriert war. Von diesem Zimmer kam man auf eine Veranda, die mit vielen Blumen und Rattanmöbeln ausgestattet war. Wunderschön, dachte Laura anerkennend, eine wirklich gelungene Mischung. Sie war sicher, dass Ray nichts mit der Dekoration dieses Raumes zu tun hatte. Die Einrichtung war einfach zu weiblich. „Was machst du da?" Angela tauchte plötzlich hinter ihr auf und erschreckte sie richtig. „Ich denke nach." „Über Dad?" Angela lächelte sie wissend an. Laura entschloss sich, Angelas Frage einfach zu ignorieren. „Komm schon, es ist an der Zeit, dass wir deine Gewinnsträhne im Monopoly einmal unterbrechen." Sie drehte sich um und führte das Mädchen zurück in den Flur. Im Wohnzimmer stand ein Kartentisch. Wahrscheinlich hatte die arme Angela schon die ganze Woche Monopoly gespielt. Sie tat Laura richtig leid. Das Kind war einfach zu jung und zu vital, um den ganzen Tag mit der alten Haushälterin zusammenzusein. „Dann seid ihr also für immer hierhergezogen?" fragte sie, als sie das Spiel aufstellten. „Ich weiß es nicht", antwortete Angela wahrheitsgemäß. „Ich hoffe nicht." „Gefällt dir denn Massachusetts nicht, oder geht dir nur das Zusammenleben mit Mrs. McCabe auf die Nerven?" Angela seufzte und stütze ihr Kinn auf die Hände. „Ich weiß nicht, ob es mir hier gefällt. Ich muss ja meistens drinnen bleiben oder wenigstens auf unserem Grundstück." Sie zögerte. „Ich vermisse meine Freunde." Das ist nur natürlich, dachte Laura. Das Kind war ja nur noch von Erwachsenen umgeben. „Du wirst sicher hier zur Schule gehen und neue Freunde kennenlernen. Es ist schon fast Mitte September. Hat dich dein Vater schon angemeldet?" Angelas Augen leuchteten auf. „Das haben wir am Montag erledigt. In fünf Tagen geht es los. Nun, eigentlich sind es nur noch vier. Wenn ich am fünften Morgen aufwache, kann ich gehen." Sie zählte die Tage fast so genau, wie die meisten Kinder die letzten Tage vor Weihnachten. Laura tat das Kind leid. „Du wirst dort sicherlich neue Freunde treffen", tröstete sie. „Ich hoffe auch." Plötzlich verdunkelte sich Angelas Miene. „Ich wünschte, es wäre niemals passiert!" brach es aus ihr heraus. „Ich wünschte, ich hätte sie nie wiedergesehe n! Ich weiß, es ist schrecklich, aber dadurch hat sich alles geändert und . . ." Wieder brach sie ab. Ihre Augen waren jetzt vor Angst weit aufgerissen. Sie war blaß geworden und griff nach dem Würfel. „Ich bin dran." Angelas Gefühlsausbruch kam so unerwartet, dass Laura ganz überrascht war. Vor einem Moment noch hatte sie Angela mit den Augen der Psychologin und Freundin beobachtet. Sie hatte versucht, Trost zu spenden, ohne das Kind zu drängen. Und plötzlich kam das Schuldgefühl wieder zurück. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl. Sie fühlte regelrecht Abscheu vor sich selber. Sie hatte ihren beruflichen Erfolg darauf aufgebaut, dass Kinder die gleiche Achtung und Freundlichkeit verdienten wie Erwachsene. Dabei benutzte sie das Vertrauen des Kindes um eine n Fall zu lösen. Sie stand auf. Falls dies Angela überraschte, zeigte sie es nicht. Das Kind sah immer noch auf das Spielbrett. „Ich bin gleich wieder da." Laura lief schnell zurück durch den Flur, woher sie gekommen war. Als sie endlich allein in der Küche war, atmete sie tief aus. Es musste eine andere Möglichkeit geben, um diesen Fall abzuschließen. Einen Weg,
den sie auch vor sich selbst vertreten könnte und der Angela nicht zu weh tun würde. Aber im Augenblick fiel ihr nichts Besseres ein. „Verdammt", flüsterte sie laut. „Es tut mir leid." Die Stimme erschreckte sie. Sie sah auf und stellte fest, dass Angela ihr gefolgt war. „Was tut dir leid?" „Das ich dich angeschrieen habe." Laura überlegte, ob es ihr möglich wäre, eine professionelle Distanz zu diesem Kind zu halten. Schon jetzt fühlte sie sich zu Angela hingezogen. In ihrem Blick las sie Verwirrung, und sie wollte ihr helfen. Instinktiv öffnete sie die Arme. Angela stürzte auf sie und fiel ihr um den Hals. „Nein, nein Schatz." Ihre eigene Stimme kam ihr in diesem Moment fremd vor. „Es tut mir leid. Ich hätte dir nicht Fragen stellen sollen, die du nicht beantworten möchtest." „Ist schon in Ordnung." Angela richtete sich auf. „Ich habe keine Lust mehr, Monopoly zu spielen. Wollen wir fernsehen?" War das Kind wirklich so stark? Laura war überrascht. Wahrscheinlich hatte Angela es im Laufe der Zeit gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Laura wusste, dass sie im Moment nicht die Kraft hatte, das Kind weiter zu drängen. „Klar", antwortete sie. „Was gibt es denn?" Fröhlich lachte das Kind sie an. Eigentlich hätte sie sich erleichtert fühlen sollen, aber das war nicht der Fall. „Alles ist interessant, wenn Mrs. McCabe nicht da ist und bestimmt, was ich mir angucken darf." „Dann sollten wir es uns aber auch richtig gemütlich machen. Habt ihr Popcorn im Haus?" Angela dachte einen Moment nach. „Du siehst aus wie eine Katze, die gerade den Kanarienvogel gefressen hat", meinte Laura. „Nun „Wirst du es mir freiwillig sagen, oder muss ich es aus dir herauskitzeln?" Angela sprang einen Schritt zurück. „Nein! Ich habe eine große Tüte mit Kartoffelchips in meinem Zimmer", gab sie zu. „Du wirst mich nicht verraten, oder?" „Nicht, wenn du den anderen nicht erzählst, dass wir uns heimlich zurück in mein Haus geschlichen und dort Getränke geholt haben." Immer noch kichernd gingen sie durch den Hintereingang hinaus. Als sie zurückkamen, waren ihre Arme mit Coladosen, Brezeln und Süßigkeiten beladen. „Weißt du", begann Laura, als sie es sich wieder im Wohnzimmer bequem machten, „dass wir Schwierigkeiten haben werden, diese Be weismittel zu vernichten?" Angela stopfte eine Handvoll Kartoffelchips in den Mund. „Nee. Ich werde sie an dem gleichen Platz verstecken, wo ich auch die Chips habe." Sie griff nach der Fernsteuerung und schaltete das Programm ein. „Wir können ja Kabelfernsehen angucken. Mrs. McCabe . . ." „ . . . würde wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie euch hier so sehen könnte", vollendete Ray den Satz. „Dad!"
Angela schien gleichzeitig erschreckt und froh zu sein, dass ihr Vater wieder da war. Laura zwang sich, nicht aufzuspringen, als Ray hereinkam. Sie spürte, dass sie sich sofort wieder verkrampfte. Ihr Mund wurde trocken, und sie trank schnell einen Schluck Cola, bevor sie ihn ansah. „Du bist aber früh wieder zurück", brachte sie schließlich heraus. Er bewegte sich gewandt durch das abgedunkelte Zimmer. Dann ließ er sich ihnen gegenüber auf einen Sessel fallen wie ein Mann, der gerade von der harten Arbeit
zurückkommt. „Eigentlich nicht." Er machte eine Pause und zog eine Zigarette aus seiner Tasche. „Ich bin vor über einer Stunde weggegangen." Sein Gesicht wurde einen Augenblick vom Schein des Feuerzeugs erleuchtet, als er sich eine Zigarette anzündete. „Übrigens", wandte er sich an Angela, „solltest du nicht längst im Bett liegen?" Angela lächelte ihn an. „Ich habe es vergessen, Dad. Ich habe mich so darauf konzentriert, mich anständig zu benehmen." „Das glaube ich dir." Mit einer schnellen Bewegung war er wieder auf den Füßen und griff nach den Tüten mit den Süßigkeiten. „Komm schon, Schatz, ab ins Bett. Wir haben morgen viel vor, damit alles bereit ist, wenn du am Montag in die Schule gehst. Hier . . .", fügte er noch hinzu, als sie sich in Richtung Foyer auf den Weg machte. „ . . . bring das alles dort wieder hin, wo es hingehört." Angela zögerte. „Das gehört Laura." Laura räusperte sich. „Du kannst es ruhig behalten. Aber falls Mrs. McCabe es eines Tages finden sollte, werde ich leugnen, dass ich es je gesehen habe!" Das Kind lächelte glücklich. „Du bist wirklich toll. Vielen Dank, Laura." „Nichts zu danken." „Jetzt aber ab ins Bett", befahl Ray unerbittlich. Angela nickte und eilte die Treppen hinauf. Es überraschte Laura nicht im geringsten, dass Ray sich danach zu ihr auf das Sofa setzte. Sie sprang auch nicht mehr auf. Er würde ihr sowieso nur folgen. „Du kannst sehr gut mit ihr umgehen", bemerkte er und drückte seine Zigarette aus. „Nicht nur mit ihr", erwiderte Laura. „Ich komme mit allen Kindern gut aus. Schließlich ist das mein Beruf." „Das ist für mich dasselbe." Er überlegte einen Moment. „Wie ist es denn gegangen?" Laura wusste genau, was er damit fragen wollte. Schließlich hatte sie mit ihm vereinbart, dass sie es ihm sofort erzählen würde, falls Angela irgend etwas über die Entführung sagen sollte. Und das Versprechen würde sie auch halten. Frank Kemp würde sie damit ja nicht in Schwierigkeiten bringen. Im Gegenteil, es wäre sogar zum Vorteil für alle Beteiligten. Als sie jetzt Ray anblickte, machte er auf sie gar nicht mehr den Eindruck eines harten, unnahbaren Mannes. „Prima ist es gegangen." „Heißt das, dass sie sich nicht schlimm aufgeführt hat? Oder, dass sie endlich geredet hat?" Laura konnte nicht länger still sitzen und sprang auf. „Angela ist doch kein kleines Monster. Sie ist ein liebes Kind." „Ein liebes Kind, das Schwierigkeiten hat." „Ja, das weiß ich." Sie nahm ihr Glas und trank hastig einen Schluck von ihrer Cola. Dann ging sie hinüber zum Fenster. Sie sah, dass in ihrem Haus Licht brannte. Irgendwie schien die Entfernung zwischen den beiden Gebäuden von hier aus viel geringer. Sie drehte sich wieder zu Ray um. „Sie hat wirklich Probleme mit Mrs. McCabe", fuhr sie fort, weil sie wusste, dass sie irgend etwas sagen musste. „Vielleicht solltest du einmal mit ihr reden. Sie lässt dem Kind kaum Freiraum. Rays Miene wirkte plötzlich verschlossen, und er presste die Lippen zusammen. „Das lässt sich nun einmal nicht vermeiden." Laura ergriff die Partei des Kindes. „Auch wenn sie hier im Haus ist? Du hast eine hohe Mauer um das Grundstück errichten lassen, um sie zu schützen und alles Unerwünschte von ihr fernzuhalten." Ray schwieg eine Weile. Dann stand er auf und änderte das Thema. „Was hat Angela
denn noch gesagt?" „Was . . ." fragte Laura. Plötzlich erinnerte sich Laura wieder ganz genau an das Gespräch, das sie vorhin mit Angela geführt hatte. Sie rief sich Angelas Worte noch einmal ins Gedächtnis: „Ich wünschte, es wäre niemals passiert. Ich wünschte, ich hätte sie nie wiedergesehen! Ich weiß, es ist schrecklich, aber alles hat sich geändert!" Laura überlegte noch einmal jedes einzelne Wort. Sie gesehen? Wieder? Schrecklich? Sie schüttelte den Kopf, selbst überrascht über die Richtung, die ihre Gedanken einschlugen. Ray kam zu ihr herüber. „Laura, was ist mit dir?" „Mir geht es gut." Instinktiv trat sie einen Schritt zurück. Sie musste jetzt gehen und in Ruhe über alles nachdenken. „Ich muss ganz schnell nach Hause", fuhr sie fort. Er zeigte seine Enttäuschung nicht. „Sofort?" Sie stellte ihr Glas auf die Bar. „Ich muss noch etwas erledigen." „Dein Sandwich essen?" „Was? Ach ja, das auch." Er beobachtete, dass sie unruhig wurde. Sie schien äußerst nervös zu sein. Was ist nur mit ihr los, dachte er. Sie schien sich immer mehr von ihm zu entfernen. Im „Widow's Walk" hatte er keine Ruhe gehabt und ständig auf die Uhr gesehen, bis es endlich Zeit war, wieder umzukehren und nach Hause zu gehen. Er war zu dem Schluß gekommen, dass sie nur deshalb so nervös war, weil sie ständig zwischen ihren leidenschaftlichen Gefühlen als Frau und ihrem kühlen, distanzierten Auftreten als Psycho login hin- und hergerissen war. Er spürte, dass sie ihn wollte. Aber aus irgendeinem Grund war sie ständig auf dem Sprung, um im entscheidenden Moment vor ihm zu fliehen. Bevor seine Enttäuschung zu deutlich wurde, wandte er den Blick von ihr ab. Ja, dann musst du wohl gehen", sagte er leise. Laura zögerte immer noch. Er drehte sich nicht um, um sie anzusehen, aber er spürte, dass sie sich nicht vom Fleck bewegt hatte. „Bitte, Laura", sagte er schließlich. „Kannst du dich entscheiden, was du willst?" Was war nur los mit ihm? Laura schüttelte den Kopf, weil ihr sein Benehmen ziemlich unerklärlich war. Einen Moment lang war sie sich sicher gewesen, dass er sie berühren würde und sie sofort und unkontrolliert darauf reagieren würde, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Sie hatte schon mit ihren Gefühlen gekämpft, als er anfing, über Angela zu reden. Die Belange des Kindes waren wichtiger gewesen, und sie hatte ihre eigenen Gefühle zurückgestellt. Bis jetzt. Er wollte sie. Er wollte mit ihr schlafen, dessen war sie sich sicher. Inzwischen galten ihre Gedanken nur noch ihm. Aber warum schickte er sie dann fort? Sie griff sich an die Schläfen, weil sie plötzlich fürchterliche Kopfschmerzen bekam. In diesem Moment drehte er sich wieder zu ihr um, so dass sie erschreckt zusammenzuckte. „Du kommst mir nicht wie eine eiskalte Spielerin vor, Laura. Jedenfalls willst du es vor dir selbst nicht zugeben, dass du eine bist." Sie war verwirrter als vorher. „Das bin ich nicht." „Warum versuchst du dann, dein Schicksal herauszufordern?" Laura sah, dass er ziemlich wütend war. Weil sie ihn nicht verstand, wurde sie ärgerlich. „Das Schicksal in Versuchung führen?" Sie griff ihr Glas und sah hinein. Gerade wollte sie es an ihre Lippen führen, als er mit einem schnellen Griff ihr Handgelenk packte. Es war keine sanfte Berührung, obwohl er sich bemühte, nicht die Fassung zu verlieren. Alarmiert sah sie ihn an. Neben ihrer Wut registrierte sie plötzlich, dass heiße Erregung in ihr aufstieg. „Mit mir spielst du kein Spiel, Laura." Ray versuchte, seine Stimme sanft klingen zu lassen, aber sie hörte deutlich die Warnung heraus. Energisch streckte sie ihr Kinn vor.
Sie fordert mich schon wieder heraus, überlegte er überrascht. Aber diesmal wusste er, dass sie es absichtlich tat. „Weil ich es wage, es mit einem Profi aufzunehmen?" fragte sie herausfordernd. Sein Griff um ihr Handgelenk wurde fester. Ihre Haut brannte unter der Berührung seiner Finger. Dann schüttelte er seinen Kopf. „Nein. Aber du kannst mich nur bis zu einem gewissen Punkt treiben. Irgendwann wird aus dem Spiel Ernst. Und dann werde ich deine Zurückhaltung beseitigen, liebe Laura, Schicht für Schicht. Ich wette, du wirst dich dann nicht mehr dagegen wehren." Mit den Fingern strich er an der weichen Haut ihres Handgelenkes entlang. „Ich bin nicht sicher, ob es dir gefallen wird, welche Gefühle wir dabei entdecken könnten."
Ray spürte, dass er Laura Angst einjagte. Ihr Puls reagierte unregelmäßig auf seine Berührung. In ihrem Blick las er Furcht, aber auch Trotz und Stolz. Plötzlich riß sie ihre Hand zurück. Sie trank noch einen Schluck Cola, löste aber ihren Blick nicht von seinem Gesicht. Sie sah ihn unverwandt an, während sie sich nervös auf die Unterlippe biß, ohne eine Antwort auf seine letzte Bemerkung zu finden. Es wäre so leicht, es ihr zu beweisen, dachte er. In wenigen Sekunden könnte sein Mund den ihren berühren. Das Verlangen trieb ihn fast zur Raserei. Es fiel ihm schwer, Distanz zu ihr zu wahren. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es ab. Laura deutete diese Geste als faire Warnung: entweder weglaufen oder sich ergeben. Doch sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Plötzlich zog er sie in seine Arme und küsste sie, und Laura erwiderte den Kuss genauso leidenschaftlich, wie er es erwartet hatte. Jede Sekunde forderte sie mehr. Er versuchte, sich so weit wie möglich zu beherrschen, ergab sich dann aber dem Verlangen und der Leidenschaft. Laura wusste sofort, worauf sie sich eingelassen hatte. Ray war nie besonders sanft gewesen. Bis jetzt hatte sie bei seinen Küssen immer das Gefühl gehabt, er wollte nur ihre Leidenschaft entzünden, statt selbst etwas zu fordern. Aber diesmal war es anders. Mit einem Stöhnen zog er sie herunter aufs Sofa. Sie wehrte sich nicht, weil sie einfach keine Kraft mehr hatte. Sein muskulöser, durchtrainierter Körper erregte sie. Alles in ihr drängte danach, ihn zu erforschen. Und plötzlich wurde ihr klar, dass das Gefühl, das sie in seiner Nähe ergriff, nicht nur Spannung war. Es war heißes Verlangen und die Sehnsucht, in seinen Armen zu liegen. Als Ray das Oberteil ihres Jogginganzuges zur Seite schob und seine Lippen auf ihre empfindliche Brustspitze senkte, drängte sich Laura ihm bereitwillig entgegen. „Es ist wie Feuer", murmelte er. „Lass es einfach brennen." „Liebe mich endlich", bat sie ihn. Ray zog ihr das Oberteil über den Kopf und begann dann, mit seinen Lippen ihre empfindsamen Brustspitzen zu liebkosen. Laura merkte, wie ihr Verlangen immer größer wurde. Sie konnte es kaum noch erwarten, sich ihm endlich hinzugeben. Und trotzdem fühlte sie eine Grenze, die sie nicht überschreiten wollte. Sie begehrte diesen Mann mit jeder Faser ihres Körpers, doch wenn sie diesem Verlangen nachgab, so würden Schmerz und Schuld auf sie warten. Instinktiv öffnete sie sein Hemd, um alle Hindernisse, die ihre Körper voneinander trennten, zu entfernen. Doch wieder meldete sich warnend ihre innere Stimme. Ich muss gehen, bevor es zu spät ist, schoss es ihr durch den Kopf. Schnell rief sie sich wieder ins Gedächtnis, wer Ray war und weshalb sie ihn getroffen hatte. Er war zweifellos der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war, aber sie hatte ihn von Anfang an belogen. Erstaunlicherweise fand sie die Kraft, sich aus seiner Umarmung zu lösen.
Ray bemerkte ihren Widerstand nicht sofort. Schließlich richtete er sich auf und sah sie verständnislos an. Diesmal bemühte er sich gar nicht erst, seine Enttäuschung zu verbergen. „Was ist passiert?" fragte er leise. Laura zog sich instinktiv ans andere Ende des Sofas zurück und versuchte sich zu sammeln. Sie zwang sich, tief durchzuatmen, um sich etwas zu beruhigen. Sie konnte nicht immer nur davonrennen, und außerdem würde Ray es auch gar nicht zulassen. Sie brauchte eine gute Ausrede. Plötzlich fiel ihr Angela ein. „Wo ist Angela", fragte sie ihn, um ihn abzulenken. „Sie ist im Bett", antwortete Ray und blickte dabei schnell zur Treppe hinauf. „Nein, das meinte ich nicht. Mir ist etwas eingefallen, was ich dir noch erzählen sollte. Etwas, was sie gesagt hat. Es ist wichtig." Er sah sie scharf an „Was denn?" Noch einmal holte sie tief Luft. „Es handelt sich um deine Frau!" Einen Moment war sie durch die Wut, die sie in seinem Blick entdeckte, etwas eingeschüchtert. „Ich bin nicht verheiratet", erklärte er mit gepresster Stimme. „Aber du warst es." „Was hat das mit Angela zu tun?" „Ich glaube ..." Laura musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, denn ihr Gefühl sagte ihr, dass Ray das was sie ihm zu sagen hatte, nicht gefallen würde. „Auch wenn es unmöglich erscheint, glaube ich, dass Monica mö glicherweise Angela entführt hat." Rays Miene zeigte zuerst Erstaunen und Ungläubigkeit, dann blickte er Laura misstrauisch an. „Das ist eine interessante Schlussfolgerung", meinte er ruhig. Je mehr Laura darüber nachdachte, was Angela gesagt hatte, desto sicherer wurde sie. Sie wusste aber auch, dass es nicht leicht sein würde, Ray davon zu überzeugen. „Aber es ist einfach lächerlich", fügte er dann hinzu. Er stand auf und ging hinüber zur Bar. Nachdenklich schenkte er sich ein Glas Scotch ein. „Was bist du eigentlich, Laura, so eine Art Amateurdetektiv?" Fast hätte Laura ihm gestanden, dass sie tatsächlich eine Detektivlizenz besaß. Aber sie riss sich gerade noch zusammen. „Nein", antwortete sie statt dessen. „Ich bin Kinderpsychologin und sehr erfolgreich in meinem Job." Er lächelte sie plötzlich an, und Laura errötete. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer halbnackt war. „Was hat Angela dir gesagt, dass du zu diesem irrsinnigen Schluss gekommen bist?" fragte Ray, während er amüsiert beobachtete, wie Laura sich schnell wieder anzog. Laura konnte sich noch genau an Angelas Worte erinnern. „Sie sagte: Ich wünschte, es wäre niemals passiert", wiederholte sie. „Ich wünschte, ich hätte sie nie wiedergesehen. Ich weiß es ist schrecklich, aber alles ist deswegen anders geworden." Laura machte eine bedeutungsvolle Pause. „Ihr Kidnapper war eine Frau. Es war nicht..." Sie brach ab, um sich zu sammeln. „Es war jedenfalls nicht der Mann, der zur Zeit in einem Gefängnis in Kalifornien sitzt. Angela kannte jedenfalls ihren Entführe^. Ich vermute, dass sie nun ein Schuldgefühl entwickelt hat, weil sie es nun bedauert, soviel Zeit mit ihrer Mutter verbracht zu haben." Laura schwieg und wartete auf Rays Reaktion. Er hob das Glas und trank einen Schluck Scotch. Dann mixte ersieh noch einen neuen Drink. Schließlich wandte er sich wieder zu ihr. Seine Miene war ausdruckslos wie eine Maske. „Nun gut, dann hat sie wenigstens etwas gesagt." „Ja, aber..." „Ich wünschte mir nur, du hättest sie nicht missverstanden. Vielleicht hätten wir dann
etwas Wichtiges herausgefunden." Wütend sprang Laura auf. „Ich habe sie nicht missverstanden." „Dann musst du bei dem, was Angela gesagt hat, irgend etwas überhört haben." „Nein!" protestierte Laura und schüttelte heftig den Kopf. „Und falls ich mich irren sollte, wäre das auch nicht weiter schlimm. Es lässt sich ja schnell klären, wenn du mit Angela redest. Aber was ist, wenn ich wirklich recht habe? Falls deine Tochter von einer Frau entführt wurde, sitzt ein Unschuldiger im Gefängnis. Du musst ihm dann doch helfen." Ray sah sie nachdenklich an, sagte aber nichts. Laura schwieg hilflos. Warum weigerte ersieh nur, ihr zu glauben? War ihm denn alles egal? Sollte er wirklich so kalt und hart sein wie die Charaktere, die er im Film darstellte? Doch dann fiel ihr plötzlich ein, dass es ja völlig unwichtig war, was Ray von ihrer Vermutung hielt. Sie hatte ihre Arbeit getan und war dabei auf eine Fährte gestoßen. Eigentlich konnte sie nun nach Kalifornien zurückkehren und ihre Nachforschungen von dort aus weiterführen. Ray Corti musste ihr gar nicht glauben. Es genügte, wenn es die Geschworenen taten. „Ray", begann sie noch einmal, sie war sich nicht sicher warum, aber es schien ihr wichtig, noch einen Versuch zu wagen. Aber er schüttelte nur den Kopf und unterbrach sie. „Laura, es ist absurd. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Bist du sicher, dass Angela nicht irgend etwas meinte, was nichts mit der Entführung zu tun hatte?" Sein Ton war freundlich, eigentlich zu freundlich. Er wollte sie offensichtlich beruhigen. Laura atmete tief aus. „Ich weiß genau, wovon sie geredet hat." „Vielleicht meinte Angela dann nicht das, was du verstanden hast." „Nein." Sie zögerte. Erneut hatte sie das Gefühl, nicht richtig zu ihm durchdringen zu können. In seinen Armen hatte sie soviel Nähe und Geborgenheit erfahren, doch in seinem Blick erkannte sie, dass sie für ihn trotzdem noch eine Fremde war. Sie biss sich auf die Lippen, damit sie ihre Gefühle nicht zu deutlich zeigte. „Ich wollte es dir nur gesagt haben", fuhr sie fort. „Ich gehe jetzt, es ist spät geworden." Damit drehte sie sich um und verließ das Haus.
6. KAPITEL Laura war der Lösung so nahe gewesen! Sie seufzte und ließ den Vorhang los, als sie vom Fenster zurücktrat. Sie beobachtete, wie Ray Angela in sein Auto lud. Ihr Herz schmerzte, als sie den beiden von weitem zusah. Fünf Tage war es jetzt her, seit er sie geküßt hatte, aber sie erinnerte sich noch genau an seine weichen Lippen. Ihre Sehnsucht nach ihm schien täglich größer zu werden. Sie konnte einfach nichts dagegen tun. Flüchtig strich sie sich über die Stirn, weil ihr Kopf immer noch weh tat. Dann ging sie hinüber zum Küchentisch, auf dem sie alle ihre Notizen und die Zeitungsberichte über Angelas Entführung verteilt hatte. Obwohl es noch früh war, hatte Laura alles schon mehrmals durchge lesen. Da waren die Fotokopien der Artikel, die sie nach Endless Cape geführt hatten, die Kopien der Dokumente, die belegten, dass ein Raymond Cortecelli das Haus nebenan gekauft hatte, ihre eigenen hastig niedergeschriebenen Notizen der Gespräche, die sie mit Angela geführt hatte - der ganze Fall war chronologisch von ihr erfasst worden! Bis auf ein paar Details, die sie absichtlich ausgeklammert hatte: Ihre persönlichen Gefühle und die damit verbundenen Komplikationen hatte sie nicht erwähnt, genauso wenig wie ihre Schlussfolgerungen zum tatsächlichen Hergang der Entführung. Wie sollte sie auch erklären, dass sie dem Sex-Appeal von Ray Corti hilflos ausgeliefert war? Wie stand sie selbst dazu, warum Ray ihre Vermutung, dass Monica die Entführerin war, so abwegig fand. Schließlich konnte seine ehemalige Frau doch wirklich etwas mit der Entführung zu tun haben. Liebte er Monica etwa noch? Überrascht registrierte Laura ein Gefühl der Eifersucht. Sie versuchte sich einzureden, dass sie dazu gar keinen Grund hatte. Aber was Angela betraf, so schien es keine andere Erklärung zu geben. Laura trank einen Schluck Kaffee und ging wieder hinüber zum Fenster. Sie wusste, was sie tun sollte. Wenn Ray ihr nicht glaubte, musste sie ihrem Verdacht ohne seine Unterstützung nachgehen. Falls sie sich geirrt hatte, würde es Ray nie herausfinden. Aber wenn sie recht hatte . . . Der Schmerz in ihrem Kopf wurde immer stärker. Laura glaubte felsenfest, dass sie auf der richtigen Spur war. Dieser Instinkt hatte ihr schon bei vielen Fällen geholfen, wo andere längst aufgegeben hatten. Für Laura war es klar, dass Angela von ihrer eigenen Mutter entführt worden war. Sie wusste zwar noch nichts über die näheren Umstände, aber auch die würde sie schon noch herausfinden. Wenn sie Maria ihre Vermutungen mitteilte, könnte diese etwas über Monica in Erfahrung bringen und herausfinden, wo sie sich zur Tatzeit aufgehalten hatte. Wahrscheinlich würde dann schon alles aufgeklärt werden. Am besten wäre es natürlich, wenn sich herausstellte, dass ihre Spur völlig falsch gewesen war. Sie wusste aber, dass das nicht passieren würde. Die Rechtsanwältin würde sofort alles veranlassen, und innerhalb weniger Stunden wäre Kemp wieder auf freiem Fuß. Natürlich wäre die Geschichte dann sofort in den Nachrichten und am nächsten Morgen in allen Zeitungen. Und Ray würde sofort wissen, von wem der entscheidende Hinweis gekommen war ... Und wie würde Angela reagieren, wenn sie feststellte, dass ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis in allen Zeitungen und Illustrierten stand und sie herausfand, dass die Frau, der sie vertraut hatte, alles an die Öffentlichkeit gebracht hatte? Laura biss sich nervös auf die Unterlippe. Nein, sie konnte Maria einfach nicht anrufen. Es gab noch eine andere Möglichkeit. Sie musste Ray über sich und ihren Auftrag die Wahrheit sagen.
Das kleine Auto parkte kurz vor neun wieder vor dem Nachbarhaus. Diesmal war Ray allein. Laura beobachtete ihn nachdenklich durch das Küchenfenster, als er den Wagen in die Garage stellte.
Während seiner Abwesenheit hatte sie sich ihre Worte zurechtgelegt. Nun trank sie ihren Kaffee aus und ging hinüber zur Tür. Es blieb ihr keine andere Wahl mehr. Sie musste ihm endlich die Wahrheit sagen. Angelas Geheimnis durfte nicht an die Öffentlichkeit gelangen, bevor das Mädchen selbst bereit war, sich dazu zu äußern. Trotzdem war Laura beruflich dazu verpflichtet, ihren Verdacht den zuständigen Stellen mitzuteilen, ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Gefühle zu nehmen. Es gab nur einen Weg, wie sie allen Anforderungen gerecht werden könnte, und dazu brauchte sie Rays Hilfe. Mit etwas Glück würde er sie verstehen. Oder er würde ihre Beziehung sofort beenden. Der Gedanke war schmerzhaft, aber dann erinnerte sich Laura daran, dass er wahrscheinlich ohnehin bald das Interesse an ihr verlieren würde. Trotzdem brachte sie plötzlich nicht mehr den Mut auf, zu ihm zu gehen. Hilflos kehrte sie um. Kurz nach eins beobachtete Laura, wie Ray wegfuhr. Sie wandte sich dann wieder ihren Notizen zu. Noch einmal sah sie alles durch, ob sie wirklich nichts Wichtiges übersehen hatte. Vielleicht war sie doch zu voreilig gewesen, und Monica war wirklich unschuldig, wie es Ray glaubte. Hatte Angela noch etwas gesagt, das sie nicht beachtet hatte? Aber so sehr Laura auch nachdachte, es gab einfach nichts. Laura überlegte kurz, ob sie einfach ein bisschen Abwechslung brauchte, um sich etwas zu entspannen. Vielleicht konnte sie alles klarer beurteilen, wenn sie etwas Distanz zu ihrem Problem hatte. Sie versuchte, Leah anzurufen, weil sie plötzlich Lust auf ein gemütliches Mittagessen im „Widow's Walk" hatte. Am liebsten hätte sie sich den Trumballs anvertraut. Es hätte ihr bestimmt geholfen, wenn sie mit jemandem über alles reden könnte. Doch das war einfach unmöglich. Beim vierten Klingeln gab sie schließlich auf. Wahrscheinlich waren die Trumballs gar nicht da. Dann ging sie wieder zurück zum Fenster. Kurz nach sechs kam Ray mit Angela zurück. Das Mädchen lief gleich ins Haus. Es hatte ein Stück Papier in der Hand und wedelte aufgeregt damit in der Luft herum. Bei Angelas Anblick meldete sich erneut Lauras schlechtes Gewissen. Es ging einfach nicht, dass man dem Mädchen noch mehr von seiner Kindheit stahl. Wenn das Kind jetzt die Erfahrung machte, dass man es hinterging, würde es noch verstörter reagieren. Entschlossen stand Laura auf und ging zu Ray hinüber. Ray öffnete sichtbar gereizt die Tür und schaute sofort zu dem großen Tor hinüber. Dann fiel sein Blick auf Laura. „Wie bist du hereingekommen?" fragte er sie erstaunt. „Ich freue mich, dich zu sehen." Sie reagierte gar nicht auf seinen unfreundlichen Empfang. Natürlich machte er sich zu recht Sorgen, dass seine Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichten, um Fremde fernzuhalten. Aber sie war aus einem wichtigeren Grund hier. Ihr Blick glitt über sein Gesicht, als ob es die letzte Gelegenheit war, ihn noch einmal genau anzusehen, weil nach ihrem Gespräch alles vorbei sein würde. Er trat einen Schritt auf die Veranda hinaus und inspizierte die Mauer um sein Grundstück. Lächelnd erklärte ihm Laura, wie sie hereingekommen war. „Auf der Nordseite gibt es einen Baum. Er steht auf meinem Grundstück. Ein großer starker Zweig ragt hinüber bis auf dein Grund stück, und so bin ich herübergeklettert." Ray schimpfte leise vor sich hin und nickte dann. „Ich werde ihn gleich morgen früh absägen lassen." „Es tut mir leid, falls ich dich erschreckt habe. Als ich am Tor klingelte, hat niemand geantwortet/' Er drehte sich wieder zu ihr um. Laura war sich nicht sicher, ob sie Erleichterung oder Bedauern fühlte, als er sie freundlich anlächelte. „So, du bist also auf den Baum geklettert?" Laura zuckte mit den Schultern. „Da ist doch nichts dabei. Als Kind habe ich das oft gemacht. Ich wollte mal sehen, ob ich es noch schaffe."
Sein Lächeln wurde breiter. „Die meisten Frauen wären wieder nach Hause gegangen und hätten angerufen." Die meisten Frauen brauchen sich auch keine Gedanken darüber zu machen, wie sie ihr Geständnis schnell hinter sich bringen, bevor sie der Mut verlässt, dachte Laura. Sie öffnete den Mund, um ihre oft geübten Sätze zu sprechen. „Für jemanden, der die letzten drei Wochen versucht hat, mich zu einer Beziehung zu überreden, lässt du mich aber ganz schön lange auf der Veranda stehen!" Ray lachte und trat einen Schritt von der Tür zurück. „Komm herein. Ich. werde sehen, was ich tun kann, um dir deine Entscheidung zu erleichtern." Laura zögerte. „Störe ich?" Ray schien sichtlich amüsiert. „Ich höre gerade Beethovens Fünfte. Mrs. McCabe ist mit Angela zum Einkaufen gefahren. Sie braucht anscheinend noch sehr viele Dinge für die Schule. Die Gelegenheit habe ich ausgenutzt, um endlich einmal Musik ohne Kopfhörer zu genießen. Deshalb habe ich wahrscheinlich auch dein Klingeln nicht gehört." Er schwieg eine Weile und blickte sie erwartungsvoll an. „Hast du deine Meinung wieder geändert? Oder magst du Beethoven nicht?" fragte er schließlich. „Wie bitte?" „Du stehst immer noch auf der Veranda", erklärte er. „Ich dachte, du wolltest hereinkommen. Vor fünf Minuten war es noch wichtig genug, dass du deshalb sogar über meine Mauer geklettert bist." Laura errötete und ging an ihm vorbei ins Haus. „Ja natürlich, danke." „Kann ich dir einen Drink anbieten?" fragte er, blieb dann einen Moment im Wohnzimmer stehen, um aus dem Fenster zu schauen. „Schau, was für ein wunderbarer Spätsommerabend. Ich glaube, zu dieser Gelegenheit sollten wir einen guten Wein trinken, oder?" Er lächelte sie an, und Laura merkte, wie ihr ganz heiß wurde. Am liebsten hätte sie angenommen, dass er außer ihr noch niemanden so angesehen hatte. Was wäre, wenn sie für ihn etwas Besonderes war? Wenn sie gerade die Frau war, mit der er sein Leben verbringen wollte? Was wäre, wenn . . .? Wie komme ich nur auf solche Gedanken, schalt sie sich selbst. Ray lächelte sie so verführerisch an, weil es für ihn vö llig normal war. Es spielte eigentlich keine Rolle, ob sie ihm die Wahrheit erzählte oder nicht. Irgendwann würde er ihrer sowieso überdrüssig werden und sie verlassen. Laura ließ sich auf dem Sofa nieder und nahm das Glas an, das er ihr entgegenhielt. „Angela scheint es in der neuen Schule ja ganz gut zu gefallen?" begann sie. Ray setzte sich neben sie und legte die Füße lässig auf einen Hocker. „Ja. Sie ist sehr anpassungsfähig. Wenn du sie sehen könntest, würdest du glauben, dass sie schon mindestens ein Jahr zur Schule geht. Mary Elise ist ihre beste Freundin, und sie hat auch schon mit Brian geflirtet." Laura spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. „Ja, Angela ist ein ganz besonderes Kind." „Mmh", stimmte Ray zu. „Leider muss sie das auch sein." Das ist meine letzte Chance, noch einmal meine Vermutung vorzubringen, überlegte Laura. Er machte es ihr leichter, als sie gehofft hatte. „Meinst du, weil sie in ihren jungen Jahren schon so viel mitmachen musste?" fragte sie schnell. „So könnte man es nennen. " Er stand auf, um sich noch einen Drink zu mixen. „Du weißt plötzlich viel mehr über mich als am ersten Abend, als wir uns kennenlernten", meinte er unvermittelt. „Angela hat eben ein bisschen geredet, falls du das meinst." „Offensichtlich hat sie dir von Monica erzählt." „Natürlich", gab Laura zu. „Hast du ... hast du noch einmal über meine Vermutung
nachgedacht?" Sie sah ihn bittend an. Falls er ihre Annahme akzeptierte, dass Monica vielleicht schuldig war, würde er vielleic ht seine Tochter selber befragen. Wenn Angela ihm die Wahrheit erzählte, musste sie nicht mehr länger die Verantwortung für ihre weiteren Schritte übernehmen. Sie könnte . . . „Nein", antwortete er und unterbrach damit ihre Gedanken.
Laura hatte das Gefühl, eine Ohrfeige bekommen zu haben. „Aber ich glaube, ich sollte dir erklären, warum es einfach unmöglich ist, dass Monica etwas mit der Sache zu tun hat", fuhr er fort. Doch Laura hörte ihm kaum zu. Es war ihr gleichgültig. Wenn er immer noch von Monicas Unschuld überzeugt war, blieb ihr kein Ausweg mehr. Sie bemerkte gar nicht, dass er hinüberging, um ihr Glas nachzufüllen. Als er es ihr hinhielt, trank sie hastig. „Hollywood ist im Grunde genauso, wie es sich die Leute vorstellen", begann Ray. „Es ist eine Stadt des Glamours, aber nur nach außen. In den fünfzehn Jahren, in denen ich dort lebte, habe ich nur einen wirklichen Freund gewonnen." Er musste an Jack Murphy denken. „Und dabei kannte ich ungefähr fünfhundert Leute, mit denen ich regelmäßig zu tun hatte. In Hollywood hast du viele Bekannte. Leute, die du auf Partys triffst, Leute, die wissen wollen, wie es dir geht, die sich aber nicht wirklich für deine Antwort interessieren. Du lächelst sie an und sagst, dass alles in Ordnung ist. In eine m Paradies redet man nicht über Schwierigkeiten. Niemand interessiert sich für Probleme." Laura wusste zuerst nicht genau, worauf Ray hinauswollte. Er schien sich nur immer weiter von dem Thema zu entfernen, das ihr auf den Nägeln brannte. „Was hat das denn mit Angela zu tun?" fragte sie schließlich. „Nicht viel, aber es hat sehr viel mit dir zu tun." Wieder tat ihr Herz einen aufgeregten Sprung. „Ich verstehe nicht." „Ich habe dir gesagt, dass Monica Angela nicht entführt hat. Ich kann dir nicht erzählen, warum ich das weiß, weil es eben Dinge gibt, die man besser für sich behält. Monica konnte letzten Sommer niemanden entführen, da sie zwangsweise in eine Nervenklinik eingewiesen wurde, und dort ist sie noch immer." Lauras Überraschung war echt. Wie konnte ich das nur übersehen, dachte sie ärgerlich. Das hatte Angela ihr doch an dem ersten Morgen, als sie zum Frühstück herüberkam, auch sofort mitgeteilt. Doch dann kamen ihr erneut Zweifel. Sollte sie ihr Gefühl so getäuscht haben? Wenn ja, bedeutete das noch eine weitere Gnadenfrist. Dann würde sie ihm ja noch nicht alles sagen müssen. Es war jetzt möglich, auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten. Vielleicht würde sie ihm sogar nie den wahren Grund ihres Hierseins erklären müssen. „Ist sie in einer psychiatrischen Klinik?" fragte sie ihn. „Aber sie konnte das Gebäude doch verlassen, oder nicht?" Ray schüttelte den Kopf. „Dazu ist sie nicht fähig. Außerdem hat meine Schwiegermutter seinerzeit eine Zwangseinweisung veranlasst." Er atme te tief durch und setzte sich. „Monica war . . .ist ein sehr sensibler Mensch. Für eine Schauspielerin ist das eine wichtige Eigenschaft. Aber sie musste mit dem wirklichen Leben fertig werden, und da hatte sie Probleme. Sie verlebte eine wunderbare Kindheit. Leider hatte ich weder die Zeit noch das Talent, sie von der Hässlichkeit des wirklichen Lebens zu bewahren, so wie es ihre Eltern immer taten." Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht, und er blickte sie forschend an. „Erschreckt dich das?" Laura fühlte sich von seinem Blick gefangen. Bin ich über seine Offenheit erschreckt, überlegte sie. Nein, eigentlich nicht. Er war ein Mann, der eine starke Frau brauchte, kein
hilfloses Mädchen. Aber rein gefühlsmäßig konnte sie auch Monica verstehen. Sie hatte sich bestimmt einen liebevollen Ehemann gewünscht und keinen Schürzenjäger. „Sind das alle Argumente, die du vorbringen kannst, um meine Vermutung zu entkräften?" „Vorsichtig, Dr. Gates", meinte er lächelnd. Diesmal musste auch Laura lachen. „Nun ja, ich bin eben Psychologin. Das kann ich nicht verleugnen." Ray wurde in diesem Moment klar, dass Laura die attraktivste Frau war, der er je begegnet war. Sie bemühte sich um Zurückhaltung und Distanz, und trotzdem ging ab und zu ihr Temperament mit ihr durch. „Nein", sagte er und zog eine Zigarette aus der Tasche. Langsam zündete er sie an. „Es gibt da noch etwas. Vielleicht wäre unsere Ehe nicht zerbrochen, wenn ich nicht so berühmt gewesen wäre und wir in einer anderen Welt gelebt hä tten. Aber unser Privatleben spielte sich nur in der Öffentlichkeit ab. Ständig beobachteten uns neugierige Augen. Mir war es zwar nicht angenehm, aber ich konnte mich damit abfinden. Je bekannter du wirst, desto mehr Gerüchte setzen die Leute über dich in die Welt." „Aber Monica ist doch damit fertig geworden." „Einige Zeit ja. Die Medien hatten lange nichts, woran sie sich festbeißen konnten. Am Anfang berichteten sie viel darüber, dass Monica ihren Beruf aufgegeben hatte, als Angela geboren wurde. Und dann konzentrierten sie sich auf Angela. Die meisten Interviews habe ich verhindern können. Schließlich ließen sie uns in Ruhe. Bis vor ungefähr drei Jahren." Das Starlet! Laura erinnerte sich an die Geschichte mit dem Starlet. Sie hielt ihren Blick auf Ray gerichtet und versuchte, gleichgültig zu bleiben. „Vielleicht habe ich zu viele Filme gedreht", fuhr Ray fort. „Wahrscheinlich haben sie sich auch darüber geärgert. Ich weiß es nicht. Plötzlich wurde ich jedenfalls wieder zum Lieblingsthema für alle. Und je mehr Leute sich damit beschäftigen, dir etwas anzuhängen, desto schneller werden aus Gerüchten Tatsachen. In dem Film, den ich zuletzt drehte, spielte auch ein Mädchen mit. Es hieß Verina Cole und stellte meine Tochter dar." Er lachte laut. „Sie war gerade erst neunzehn und sah aus wie zwölf, bis sie sich auszog. In dem Film gab es viele Nacktszenen, sie spielte die Rolle eines netten Mädchens, das auf die schiefe Bahn gerät." „Und du hast natürlich als Held den bösen Mann, der sie auf die schiefe Bahn brachte, beseitigt." Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. „Du hast den Film gesehen?" „Ich habe lediglich geraten." Wieder lachte er, und Lauras Puls beschleunigte sich. Sein Lachen berührte sie und wirkte ansteckend. „Jedenfalls fielen die Reporter über Verina her, und innerhalb einer Woche hatten sie mir ein Verhältnis mit ihr angedichtet. Um ehrlich zu sein, ich habe nie geglaubt, dass Monica damit Probleme haben könnte. Das war so lächerlich. Die Fotos, die sie abbildeten, stammten aus dem Film. Aber im Laufe der Wochen zog sich Monica immer mehr zurück. Und allmählich wurde mir klar, was geschehen war." Angelas Worte kamen ihr wieder in Erinnerung. „Sie verstand es nicht. . ." Nein, das konnte nicht sein. Sicher hatte Angela sich nicht darauf bezogen. Aber Laura wusste, dass sie genau das gemeint hatte. „Sie", Laura räusperte sich. „Sie hat also wirklich den Aussagen der Zeitungen vertraut." „Ja", erwiderte er. „Sie wollte einfach nicht glauben, dass die Zeitungen mit dieser Geschichte nur die Auflagen hochbringen wollten und sich dadurch auch mein Film besser verkaufte. Ich habe Verina mit nach Hause genommen und sie Monica vorgestellt. Sie haben miteinander geredet, und wir haben alles besprochen."
Er stand abrupt auf, um sich noch einen Drink zu mixen. „Doch das hat nicht geholfen. Monica war wie besessen. Nicht so sehr von der Idee, dass ich sie betrügen könnte, sondern dass ich anscheinend ein Verhältnis mit einem hübschen jungen Mädchen hatte, das zehn Jahre jünger als sie war. Verina hatte ihre Karriere noch vor sich. Sie hatte eine gute Figur, einen gebräunten Teint und war noch völlig unverbraucht." Als Laura ihn streng ansah, musste er lachen. „Ich habe es dir doch schon erzählt. In dem Film gab es ziemlich viele Nacktszenen." Dann wurde er wieder ernst. „Jedenfalls war das alles sehr unange nehm für Monica. Sie hat Angela und mich verlassen und dann versucht, sich umzubringen." „Es war doch nicht deine Schuld." „Hast du damit genug Tatsachen?" Sie spürte einen Anflug von Bitterkeit in seiner Frage. Eigentlich wollte Laura noch mehr wissen, aber schließlich nickte sie. Ray kam zurück und setzte sich wieder zu ihr. „Das ist natürlich nur eine Kurzform dessen, was passiert ist. Ich wollte dich nicht mit den Details langweilen." „Schmutzige Wäsche?" Er sah sie schnell an. „Mmh", sagte er nach einer Weile. „Aber langweilig. Es gab eine Zeit, in der sie uns öfter besuchte, bevor sie endlich mit allem Schluss machen wollte. Da kam sie viel ins Haus. Ich weiß, dass Angela dachte, wir würden uns wieder vertragen. Sogar ich habe eine Weile geglaubt, dass wir wieder zusammenkommen würden. Aber Monica war einfach nicht in der Lage, Ehefrau und Mutter zu sein. Sie war selbst noch ein Kind, das beschützt werden musste. Damit war ich überfordert." Er ist das Opfer seiner Rolle, dachte Laura. Die Filme und die Presse versuchten, ihn so stark darzustellen. Er spielte harte, raue Typen, die für Recht und Ordnung kämpften. Im wirklichen Leben dagegen war er ein normaler Mann, den sie respektierte, gern hatte und nach dessen Zärtlichkeiten sie sich sehnte. Laura schloss die Augen. Ihr Herz klopfte, und ihre Hände zitterten. Wieder hatte sie etwas Hoffnung. Sie hasste sich selbst dafür, konnte aber gegen ihre Gefühle nicht an. Wenn sich hinter dem harten, kühlen Filmstar wirklich ein ganz normaler Mann verbarg, könnte sie ihn lieben. Warum sollte sie diese Liebe riskieren, wenn sie ihm die Wahrheit sagte? Innerhalb von Sekunden wurde ihr bewusst, dass sie dieses Risiko nicht eingehen wollte. „Ich gebe der Presse nicht die Schuld, dass meine Ehe mit Monica scheiterte", sagte Ray nach einer Weile. „Monicas Nerven waren von Anfang an ziemlich angegriffen. Auf Dauer konnte es sowieso nicht gutgehen. Die Zeitschriften waren in diesem Fall nur das auslösende Moment." Er nahm einen Schluck Scotch. „Ich gebe ihnen aber die Schuld, das Leben einer unschuldigen Frau ruiniert zu haben." Sein Blick war im Moment richtig furchterregend. „Die Presseleute sind die reinsten Blutsauger", murmelte er. „Es überrascht mich immer wieder, wie rücksichtslos sie das Leben anderer Menschen zerstören können, nur um ihre Zeitung besser zu ve rkaufen." Laura zuckte zusammen. Zu deutlich spürte sie seinen Hass und seine Wut. Und plötzlich verstand sie. „Du hast Angst, dass sie dasselbe Angela antun würden", überlegte sie laut. „Du glaubst, dass sie auch sie so weit bringen, dass sie nicht mehr weiß, was sie tut." Er sah sie wieder an. „Sie hatten es schon fast geschafft. Sobald sie etwas über die Entführung in Erfahrung gebracht hatten, spekulierten sie öffentlich, wieviel ich wert sei. Die kleinen lokalen Blätter haben mich kurzerhand zum Dollarmilliardär gemacht. Aber die großen Skandalblätter wussten schon genauer Bescheid. Sie haben mich irgendwo zwischen vier und sechsundvierzig Millionen eingeordnet. Es geht immer nur ums Geld! Ich habe Angela gegen ein Lösegeld von dreihunderttausend Dollar zurückbekommen!" Ray unterbrach sich. Er bemühte sich, seine Wut zu kontrollieren.
„Der Typ jedenfalls, der es getan hat, hat sie wegen des Geldes entführt. Es war nicht Monica. Sie war zu der Zeit im Swan Center in Lös Angeles in einer psychiatrischen Klinik. Laura . . ." Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Lass es uns noch einmal versuchen. Wir arrangieren es so, dass du etwas Zeit mit Angela allein verbringen kannst. Sie mag dich, und du kannst gut mit ihr umgehen. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, dass du sie nicht drängen sollst. Vielleicht kannst du doch noch herausfinden, was sie an dem gewissen Abend gemeint hat." Laura sah ihn ausdruckslos an. Es dauerte einen Moment, bis ihr die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde. Er hatte sie gerade darum gebeten, das zu tun, was sowieso ihre Aufgabe war. Sie fühlte sich miserabel. Vielleicht war Monica schuldig, vielleicht aber auch nicht. Laura war sich dessen nicht mehr sicher. Sie wusste nur, dass die ganze Angelegenheit immer verworrener wurde. Sie konnte immer noch nicht das Risiko eingehen, dass man Monica überprüfte. Aber sie schaffte es auch nicht, Ray die Wahrheit zu sagen. Er schien sich wieder etwas beruhigt zu haben, aber sie spürte genau, dass seine Wut noch nicht ganz verraucht war. Die Medien hatten das Leben seiner Frau ruiniert und ihm seine Tochter entfremdet. Was würde er mit ihr anstellen, falls er herausfand, dass ein Wort von ihr genügte, um die Presse wieder für die ganze Angelegenheit zu interessieren? Aber schließlich war es auch ihre Verantwortung, den Fall zu klären und damit den unschuldigen Frank Kemp freizubekommen. Jeder, besonders die Presse, würde dann wissen wollen, warum Angela gelogen hatte. Das konnte sie ihm einfach nicht antun und schon gar nicht Angela! Vor allem nicht, wo Ray so offen mit ihr geredet hatte. Hilflos wandte sie sich ihm wieder zu. Ray konnte ihren verzweifelten Blick nicht deuten. Er stand auf und ging zu ihr. Sanft legte er seinen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, bis sie ihn ansah. „Laura ... Du machst dir viel zu viele Sorgen. Es wird schon alles in Ordnung kommen. Angela hat mich, und sie hat dich. Das Kind hat endlich Frieden gefunden. Es wird alles besser werden." Laura schüttelte den Kopf. Sie konnte seine plötzliche Zärtlichkeit nicht ertragen. „Nein, ich . . ." fing sie an, er unterbrach sie. „Es wird alles gut." Mit einer entschlossenen Bewegung zog er sie in seine Arme. Sie musste dagegen ankämpfen und dem ein Ende machen. Schon das letzte Mal waren sie sich zu nahe gekommen. Laura war nicht sicher, ob sie noch einmal die Kraft aufbringen würde, sich von ihm loszureißen. Aber das musste sein. Ihretwegen, seinetwegen und auch Angelas wegen. Sie klammerte sich an diesen Gedanken, doch als sein Mund ihre Lippen berührte, waren alle Vorbehalte vergessen, und sie war nur noch von dem einen Wunsch erfüllt, ihm ganz nah zu sein.
Laura hatte schon zu lange Zeit ihr Verlangen verdrängt, so dass ihre Gefühle jetzt mit Gewalt aus ihr herausbrachen. Sie klammerte sich förmlich an ihn und gab allen Widerstand auf. Und als Ray sie zu sich zog, hatte die Leidenschaft längst die Oberhand in ihr gewonnen. „Wir könnten uns einen bequemeren Ort suchen", flüsterte er. „Lass uns nach oben gehen." Laura spürte, dass er befürchtete, sie würde sich ihm erneut im letzten Moment verweigern. „Dazu ist es jetzt zu spät", flüsterte sie erregt. „Wir bleiben hier", erklärte sie. „Wir werden hier miteinander schlafen." Ray brauchte keine weitere Aufforderung. Kaum hatten sie sich auf dem Sofa ausgestreckt, als er auch schon Lauras Sweater hochschob. Als seine Hände ihre Haut
berührten, stöhnte sie leise auf. Voller Verlangen drängte sie sich an ihn, während er behutsam ihr die restliche Kleidung vom Körper streifte. Als Laura endlich nackt vor ihm lag, steigerte sich ihre Erregung ins Unermessliche. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er sie überall berührte, ihre intimsten Körperstellen erforschte und endlich zu ihr kam. Alle Vernunftregeln, die sie bis jetzt davor zurückgeha lten hatten, sich ihm völlig hinzugeben, waren plötzlich unwichtig geworden. Instinktiv richtete sie sich auf und begann, ihn weiter auszuziehen, während er ihre Brustspitzen streichelte. Atemlos ließ sie die Zärtlichkeiten über sich ergehen. Seine Berührung brachte sie fast zur Raserei. Auch Ray schien die Spannung nicht mehr länger ertragen zu können, denn plötzlich löste er sich von ihr und entledigte sich rasch seiner letzten Kleidungsstücke. Dann beugte er sich über sie und begann, auf erregende Weise ihren Körper zu erforschen, bis Laura glaubte, ihre Leidenschaft nicht länger zügeln zu können. Laura hatte geglaubt, dass sie Ray als Liebhaber gut einschätzen könnte. Aber das, was sie jetzt in seinen Armen erlebte, war etwas völlig Neues für sie. Und als er endlich zu ihr kam, schrie sie leise auf. Schon nach wenigen Augenblicken erlebten sie gemeinsam einen ekstatischen Höhepunkt. Und als sich Laura später glücklich und erschöpft an ihn schmiegte, wusste sie, dass sie ihr Herz an diesen Mann verloren hatte. Sie liebte Ray, obwohl sie ihn schon bald wieder verlieren würde . . .
7. KAPITEL In der Stadt bereitete sich langsam alles auf die Wintersaison vor. Tagsüber war es zwar noch relativ mild, aber nachts wurde es schon empfindlich kalt. Unaufhaltsam rückte der Winter näher. Laura schlenderte die Hauptstraße entlang. Eigentlich suchte sie nichts Besonderes, sondern wollte sich nur mit einem Stadtbummel von ihren Gedanken ablenken. Weil die meisten Geschäfte im Winter geschlossen waren, boten sie ihre Waren nun zu Sonderpreisen an. Laura besah sich die Auslagen und kaufte schließlich ein riesiges TShirt für Angela. Dabei überlegte sie, ob sie die Aussagen des Kindes an dem besagten Abend wirklich falsch gedeutet hatte, aber ihr Gespür in dieser Hinsicht hatte sie bisher nur selten getrogen. Danach erstand Laura noch einen Terrakottatopf für Rays Wintergarten und ein antikes Spinnrad für ihr Wohnzimmer. Schließlich kehrte sie für ein frühes Abendessen im „Widow's Walk" ein und überlegte, was sie anschließend unternehmen konnte. Der Duft von Phil Trumballs Pfeife stieg ihr in die Nase, und Laura war überrascht darüber, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen. „Wie ich sehe, haben Sie einen Einkaufsbummel unternommen", meinte er schmunzelnd und deutete mit dem Kopf auf ihre Einkaufstaschen. Sein Lächeln war warm und freundlich. Laura nahm schnell ihre Tüten zur Seite, damit er sich neben sie setzen konnte. „Ja, ich habe ein paar schöne Sachen gefunden, aber sie sind nicht so wertvoll, dass ich sie nicht auf die Erde stellen könnte. Wo ist denn Ihre Frau?" Er setzte sich zu ihr. „Sie hält einen Literaturkurs drüben im College in Bainbridge ab. Ich bin momentan Strohwitwer." Er nahm die Pfeife aus dem Mund. „Sie kommt nachher hierher, falls Sie noch länger dasein sollten." Laura schüttelte den Kopf. „Ich bin eigentlich nur kurz vorbeigekommen, um eine Kleinigkeit zu essen. Ich habe zu Hause noch etwas zu erledigen." Laura wusste selbst, dass diese Aussage nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie würde wie jeden Abend ihre Unterlagen durchsehen und vergeblich nach Lösungen suchen. ,Sie scheinen in letzter Zeit ziemlich beschäftigt zu sein", begann Phil. Überrascht blickte sie ihn an. „Wieso?" „Wir haben Sie in den letzten Wochen überhaupt nicht mehr gesehen." Er schaute sie wissend an. Laura rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. „Ich habe vor ungefähr einer Woche versucht, Sie zu erreichen", protestierte sie schwach. „Sie waren aber nicht zu Hause." „Wenn wir nicht zu Hause sind, sind wir normalerweise hier. Aber hier sind Sie in der letzten Zeit auch nicht mehr erschienen." Laura zuckte mit den Schultern. „Ich bin doch hier." „Und ich überlege mir, wieso." Eigentlich hätte sie sich über Phils Neugierde argem können. Doch Laura spürte, dass er sich wirklich Sorgen um sie zu machen schien. Leah und er waren eigentlich die einzigen Freunde, die sie in Endless Cape hatte. Sie seufzte und entspannte sich etwas in ihrem Stuhl. Freunde konnte sie jetzt gut gebrauchen. „Ich dachte, dass die steife Meeresbrise etwas Luft in meinen Kopf bringen würde", gab sie zu und blickte auf das Meer hinaus. „Und hatten Sie Erfolg?" Laura schnitt eine Grimasse. „Bis jetzt noch nicht." „Vielleicht wird das helfen." Phil legte seine Pfeife auf den Tisch und winkte der Bedienung. „Für jeden von uns bitte einen Irish Coffee", bestellte er dann. Natürlich half auch der Irish Coffee nichts. Laura nippte etwas an dem warmen Getränk, musste dabei aber sofort wieder an Rays dunkle Augen denken.
Phil genoß den warmen Drink. „Sehr gut. Ein Schluck - und ich weiß sofort, warum dieses Getränk die Spezialität des Hauses ist." Er stellte seine Tasse auf den Tisch. „Endless Cape ist eine merkwürdige kleine Stadt, Laura. Es gibt nur ungefähr hundert Personen, die den Winter über hier ausharren." Laura kannte ihn gut genug, um zu erkennen, dass er das Thema noch nicht gewechselt hatte. Schließlich war er ein pensionierter Philosophieprofessor, der genau wusste, was er sagte. Ein Gedanke schien bei ihm immer genau zum nächsten zu passen. Geduldig wartete sie auf die Verbindung zu ihrem Gespräch von vorhin. „Ungefähr ein Drittel dieser Leute saß letztes Mal hier, als Sie mit uns zusammen Irish Coffee getrunken haben." Laura versteifte sich. Sie spürte langsam, auf was er hinauswollte. „Sie reden von dem Abend, an dem wir Ray Corti getroffen haben." Sie sah ihn scharf an. „Die anderen?" „Nun, die Neuigkeit hat sich natürlich schnell herumgesprochen." Hatte Ray ihr nicht deutlich beschrieben, wie es war, wenn man einmal ins öffentliche Interesse geraten war? Jetzt erfuhr sie es am eigenen Leibe. „Die Leute haben doch sicher etwas Interessanteres zu besprechen, als eine normale Szene hier im Pub", antwortete sie leicht verärgert. „Aber nicht, wenn sich diese zwischen einem Filmstar und einer schönen Fremden abgespielt hat." Sein Blick wurde weich. „Es geht mich ja nichts an, Laura, aber ich wollte es Ihnen nur erzählen. In Endless Cape ist um diese Jahreszeit nicht viel los. Alles, was passiert, wird daher besonders schnell verbreitet. Wahrscheinlich war es die aufregendste Sache, die die meisten dieser Leute in der letzten Zeit erlebt haben." Er hielt einen Moment inne. „Und es hat schon zu ziemlich viel Spekulationen geführt. Man munkelt bereits, dass Sie eine Affäre mit ihm haben." Laura spürte, wie Tränen in ihren Augen schwammen. Überhastet griff sie nach ihrer Tasche und ihren Paketen. Sie war schon aufgestanden, als Phil seine Hand auf ihren Arm legte, um sie zurückzuhalten. „Wenn Sie nach Hause gehen, haben Sie niemanden, mit dem Sie reden können", bemerkte er ruhig. „Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen möchte." „Ich bin sicher, dass es Ihnen guttun würde." Laura setzte sich wieder. Sie wollte gleichzeitig weglaufen und bleiben. Die ganze Angelegenheit war ihr furchtbar peinlich. Sie wischte sich ihre Augen mit der Serviette trocken. „Es tut mir leid." Sie atmete tief durch. „Es tut mir wirklich leid. Normalerweise benehme ich mich nicht so ... Denn ich bin nicht der Typ, der immer gleich weint." Vorsichtig sah sie sich um, ob sie beobachtet wurde. „Wahrscheinlich wird man sich morgen schon in der ganzen Stadt den Mund über mein Verhalten zerreißen." „Vielleicht auch nicht. Sie sind schließlich mit mir hier." Sie lächelte erschöpft. „Genau. Wahrscheinlich ruiniere ich noch Ihren guten Ruf." Phil zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Der ist sowieso schon hin. Schließlich habe ich die Frechheit besessen, schon als junger Mann in Pension zu gehen." Er machte eine Pause. „Wollen Sie mir etwas über ihn erzählen?" Laura sah ihn einen Moment abwesend an. Plötzlich wusste sie, dass Phil der einzige Mensch war, dem sie sich in ihrer Situation anvertrauen konnte. Sie hatte sich Hals über Kopf in Ray verliebt - entgegen ihren guten Vorsätzen - und brauchte dringend jemanden, mit dem sie über ihre Probleme sprechen konnte. Laura griff nach ihrer Tasse und nahm noch einen Schluck. „An dem ersten Abend habe ich Sie alle angelogen. Ich wusste von Anfang an, wer Ray Corti war." Sie schwieg einen Moment und wartete auf sein Urteil, aber Phil nickte nur. Und dann erzählte Laura ihm, warum sie nach Endless Cape gekommen war - und von ihrer Bekanntschaft mit Ray Corti-
„Ich sitze richtig in der Falle. Es gibt keinen Ausweg. Ich habe mich in meinen eigenen Lügen verstrickt. Mit der Zeit ist alles immer schlimmer geworden", schloss sie endlich ihren Bericht. Phil sah sie nachdenklich an. „Können Sie den Fall zurückgeben?" fragte er nach einer Weile. „Könnten Sie das?" fragte sie ihn. „Du liebe Güte, Phil, ich glaube Frank Kemp. Ich weiß, dass er unschuldig ist. Und nach dem, was Angela gesagt hat, bin ich mir sicher, dass sie von einer Frau geredet hat. . ." Wieder schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich kann es nicht zulassen, dass man ihn verurteilt, wenn ich genau weiß, dass er unschuldig ist. Das ist genauso schlimm, wie Ray weiter zu belügen." „Nur weil Sie sich in Ray verliebt haben." Laura sah ihn überrascht an. Das hatte sie nicht erwähnt. Sie hatte nicht gewagt, Phil alles anzuvertrauen. Dass er jetzt diese Worte aussprach, machte alles nur noch schlimmer. Er lächelte, weil sie so zerknirscht dasaß. „Und weil das der Fall ist, bin ich sicher, dass auch Ihnen schon der Gedanke gekommen ist, dass Sie ihm irgendwann die Wahrheit gestehen müssen." Laura seufzte. „Ich bin mir da nicht so sicher." Phil schüttelte nur den Kopf. „Laura, Sie wissen doch, dass Liebe zwar blind macht, aber auf Dauer nicht alle Fehler verzeiht. Sagen Sie mir die Wahrheit. Ist er der Mann, den Sie aus den Klatschspalten zu kennen glaubten und der Sie nach Endless Cape geführt hat?" Sie sah ihn abwesend an. „Nun, zumindest trinkt er gern Scotch." „Und was noch?" Plötzlich lachte sie befreit auf. „Sie haben recht", meinte sie erleichtert. „Das ist wirklich das einzig richtige Faktum in allen Berichten." Phil lehnte sich zurück und faltete die Arme vor der Brust. „Mmh. Das kann ich nur bestätigen. Seit er in der Stadt ist, habe ich ihn nur zwei- oder dreimal hier in unserem Pub gesehen. Und Sie sind die einzige Frau, der er einen zweiten Blick gewidmet hat. Obwohl es eigentlich noch genug andere gibt, bei denen er das auch hätte tun können. Laura ..." Er machte eine Pause bis er sicher war, dass sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. „Geben Sie dem Mann eine Chance." Laura schloss die Augen. Phil hatte recht. Sie hatte es die ganze Zeit über gewusst. Ray war nicht der Schürzenjäger, wie er in den Klatschspalten dargestellt wurde. Und darum war sie auch so verwirrt gewesen, als sie sich anfangs kennenlernten, denn er war ganz anders, als sie erwartet hatte. „Es tut mir leid, Laura", begann Phil wieder. „Ich mag Sie wirklich. Ich würde Ihnen nur zu gern einen Rat geben, der Ihnen weiter hilft. Aber ich kann Ihnen auch nur das sagen, was Sie selbst schon wissen." Traurig nickte sie. „Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich noch für diesen Job bezahlt werde ..." „Hallo, ihr beide scheint mir aber in ziemlich düsterer Stimmung zu sein." Laura fuhr erschreckt auf, aber Phil lachte nur. Leah zog sich einen Stuhl vom Nachbartisch heran und setzte sich. „Ihr hättet heute gut in meine Literaturstunde gepasst. Wir haben nämlich über Tragödien gesprochen." „Ich glaube, du übertreibst mal wieder", murmelte Phil und zwinkerte Laura aufmunternd zu.
Laura hatte gehofft, dass der Einkaufsbummel sie etwas aufmuntern würde. Doch jetzt fühlte sie sich niedergeschlage ner als zuvor. Es gab keinen anderen Ausweg: Irgendwie musste sie den Mut aufbringen, Ray zu gestehen, warum sie sich in Endless Cape
aufhielt. Seufzend erhob sie sich vom Küchentisch und suchte nach einer Schachtel, in die sie den Topf für Ray und das T-Shirt für Angela packen konnte. Sie war gerade auf der Treppe, als sie das Klopfen an der Küchentür hörte. „Laura?" Es war Rays Stimme. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Einen Moment hatte sie das Gefühl, dass sie jetzt endlich alles gestehen musste. Aber sie war noch nicht bereit dazu. Noch wusste sie nicht, was sie sagen wollte, und wie sie es ihm am besten beibringen konnte. Plötzlich fielen Laura die Notizen ein, die immer noch auf dem Küchentisch lagen. Hastig sprang sie die letzten zwei Stufe n herunter. „Bin schon unterwegs", rief sie. Kaum waren die Worte aus ihrem Mund, ging schon die Tür auf. Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie die innere Tür nicht abgeschlossen hatte. Ray kam immer herein, wenn nicht beide Türen abgeschlossen waren. Als Laura in die Küche kam, erwartete er sie bereits. Er lehnte lässig am Türrahmen und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Hallo, Ray." Atemlos sah sie ihn an und fürchtete, dass er inzwischen schon ihre Unterlagen auf dem Küchentisch entdeckt hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du deinen Frühsport nach einem Videoband erledigst und dich dabei völlig verausgabst." „Wie bitte?" „Ich dachte, du machst gerade Aerobic mit Jane Fonda." Sie schaffte es, zu lächeln. „O nein. Ich war oben, als ich dein Klopfen hörte. Deshalb habe ich mich beeilt und bin die Treppe heruntergelaufen. Sie stellte den Kasten auf den Küchenschrank und bewegte sich langsam hinüber zum Tisch. „Ich bin nicht fit genug, um Aerobicübungen zu machen." Ray sah sie erstaunt an. „Was hast du denn da?" Absichtlich sah sie auf die Schachtel. „Ich war heute in der Stadt und habe für dich und Angela etwas eingekauft." „Nein, ich meine die Papiere auf dem Tisch." Ray kam auf sie zu, und Laura griff hastig nach ihren Zeitungsaus schnitten. Sie schob sie alle auf einen Haufen. „Meinst du das hier?" fragte sie gespielt gleichmütig. Er schien amüsiert. „Ja, natürlich." Laura suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Dann fiel ihr eine Antwort ein. Es war in diesem Moment gleichgültig, dass es wieder eine Lüge war. „Eine meiner Patientinnen muss gerade jetzt eine Krise haben. Ich versuche, ihr von hier aus zu helfen." Sie schwenkte die Zeitungsaus schnitte durch die Luft und schob sie dann schnell in die Küchenschubla de. „Das ist ihre Akte." Ray sah hinüber zur Schublade. „Ich dachte bisher, Psychologen seien ordentliche Leute." „Aber nicht, wenn sie Urlaub haben." „Mmh." Sie wartete und versuchte, ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Einen langen Moment war er ziemlich still. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit der Schachtel. „Du hast gesagt, du hast etwas für Angela gekauft?" Laura atmete erleichtert auf. „Und für dich. Es ist nichts Besonderes. Nur etwas, das ich unten an der Promenade gefunden habe." Er kam näher zu ihr und wickelte eine Strähne ihres Haares um seinen Finger. „Es gelingt dir immer wieder, mich zu überraschen. Alle Frauen, die ich kenne, wollten immer von mir Geschenke haben. Lass mal sehen, was du gekauft hast." Lügen, nichts als Lügen, dachte Laura verzweifelt. „Sicher. Komm, gehen wir ins Wohnzimmer. Ich ..." In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Erschreckt fuhr Laura zusammen. „Was ist denn heute abend mit dir los?" fragte Ray besorgt. Eigentlich hatte er
angenommen, dass sich nach dem, was letzte Nacht zwischen ihnen geschehen war, ihre Beziehung geändert hätte. Doch sie schien ihm heute noch nervöser als sonst zu sein. „Ich . . . ach nichts. Ich bin in einer Minute bei dir." Laura wandte sich von ihm ab, als das Telefon wieder klingelte. „Hast du was dagegen, wenn ich mir erst ein Glas Portwein einschenke?" Sie drehte sich mit einem Stirnrunzeln zu ihm um. „Nein, natürlich nicht. Bedien dich ruhig." Sie atmete tief durch und griff nach dem Hörer. „Hallo? Hier ist Laura Gates." „Liebe Laura, man hört gar nichts mehr von Ihnen. Wie kommen Sie denn voran mit dem Fall?" Laura spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Es war Maria! Doch nicht jetzt, hätte sie am liebsten laut ins Telefon geschrieen. „Nun, ich habe daran gearbeitet", antwortete sie statt dessen. Am anderen Ende der Leitung war einen Moment irritierte Stille. „Das will ich auch hoffen. Ist alles in Ordnung? Sie hören sich so komisch an." „Nun, das ist doch verständlich." Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Dann fiel ihr Blick auf die Schublade, in die sie hastig die Zeitungsausschnitte gestopft hatte. Wieder musste sie erst einmal durchatmen. Sie musste noch eine Lüge finden, um sich heraus zureden. Aber es blieb ihr keine andere Möglichkeit. „Ich habe heute erst die Unterlagen bekommen", fuhr sie fort und ignorierte Marias Erstaunen einfach. „Aber ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Meiner Meinung nach ist das Kind kein Selbstmordkandidat. Vielleicht haben wir es mit einer depressiven Phase zu tun. Das Mädchen will durch sein Verhalten nur Aufmerksamkeit erringen. Warum überweisen Sie es nicht an Roger, bis ich wieder zurückkomme? Dann hat sie das Gefühl, dass wir uns wirklich Sorgen um sie machen. Ich arrangiere einen Termin, wenn ich wieder zurück bin." „Wie bitte?" „Vertrauen Sie mir. Es wird schon klappen." „Was geht bei Ihnen eigentlich vor?" Maria hatte sich von ihrer Überraschung etwas erholt. „Ja, es ist wunderbar hier. Genau das, was ich brauchte. Aber ich glaube, ich sollte jetzt langsam daran denken, wieder nach Hause zu kommen. Ich werde mich nächste Woche bei Ihnen melden. Meinen Sie, Sie können bis dahin die Stellung halten?" Einen Moment war es wieder still am anderen Ende der Leitung. „Das hört sich so an, als ob mir keine andere Wahl bleibt. Wie wäre es, wenn Sie mich in ein paar Tagen anrufen? Ich glaube nicht, dass ich noch eine Woche auf Ihre Erklärung warten kann." „In Ordnung. Wir reden dann", willigte Laura ein und legte dann auf. Ihre Hand zitterte. Sie schob sie in die Taschen ihrer Jeans und drehte sich langsam zu Ray um. Er sah sie erwartungsvoll an. „Also", atmete sie tief durch, „wo waren wir stehengeblieben?" Bitte, bitte lass ihn keine Fragen stellen, flehte sie im stillen. „Ich wusste nicht, dass du so gefragt bist", murmelte er. Ein schneller Blick zeigte ihr, dass er sich noch nichts zu trinken genommen hatte. „Es ging um die Patientin mit der Krise. Hast du deine Meinung geändert?" „Was meinst du damit?" „Nun, du wolltest doch Portwein trinken. " Einen Moment schien er sie genau zu beobachten. „Da hast du recht", sagte er schließlich gedehnt. „Ein Drink ist jetzt genau richtig." Irgend etwas an der Art, wie er es sagte, verursachte Laura einen Schauer. „Ich mache ihn dir fertig", bot sie an. „Geh schon rein und setz dich." Ray ging, ließ aber die Schachte! mit seinem Geschenk in der Küche stehen. Laura atmete noch einmal erleichtert aus, als er im Wohnzimmer war. Marias Anruf war wirklich im unpassendsten
Moment gekommen. Warum musste Frank Kemp auch so dumm sein, gerade in dem Moment spazierenzugehen, wo er auf das Geld für die Kidnapper stoßen musste, schoss es Laura durch den Kopf. Dabei war ihr klar, dass die einzige Person, auf die sie wirklich wütend sein konnte, sie selbst war. Sie schenkte die Drinks ein und folgte Ray ins Wohnzimmer. Er hatte sich nicht gesetzt, sondern starrte nachdenklich aus dem Fenster. „Wo ist Angela?" erkundigte sich Laura. Sie wusste nicht, ob sie die Stimmung etwas auflockern oder ihr Gespräch auf den entscheidenden Punkt bringen sollte. Ray antwortete, ohne sie anzusehen. „Sie verbringt die Nacht bei Mary Elise. Meiner Meinung nach ist das während der Schulzeit keine besonders gute Idee, aber offensichtlich haben sich die Dinge etwas geändert, seit ich ein Kind war. Mary Elises Mutter hat mir versichert, dass die beiden spätestens um neun Uhr im Bett liegen werden." Laura nickte und setzte sich aufs Sofa. „Angela braucht ein Kind ihres Alters als Freundin." „Spielst du wieder auf Mrs. McCabe an?" fragte Ray sie ernst. „Ich sollte deinen Rat öfter annehmen. Offensichtlich tun es andere Leute auch", fuhr er fort. Lauras Puls beschleunigte sich. Rays Stimme hatte so einen merkwürdigen Tonfall. Entweder bildete sie sich das nur ein, oder er hatte wirklich einen Verdacht. „Du scheinst überzeugt zu sein", bemerkte sie nach einer Weile. „Ja, das bin ich auch." „Du wusstest doch, dass ich Kinderpsychologin bin. Oder hast du nicht vermutet, dass ich in meinem Beruf auch erfolgreich bin?" Bei diesen Worten drehte er sich zu ihr um. „Von deiner Entschlusskraft zu urteilen, musstest du einfach gut sein." Er trank einen Schluck, bevor er fortfuhr. „Aber aus irgendeinem Grund habe ich gedacht, dass du hier arbeitest." „Wieso?" „Nun, ich nahm an, dass du hier in Endless Cape wohnst, statt dessen verbringst du hier nur deinen Urlaub." Laura nickte zustimmend. „Ich dachte, Phil und Leah Trumball hätten dir das schon erzählt. Hast du nicht noch mit ihnen zusammengesessen, nachdem ich dich an dem ersten Abend verlassen hatte?" „Komisch, es ist mir nie eingefallen, danach zu fragen, woher du kommst." Unruhig rutschte Laura auf dem Sofa hin und her. „Macht das denn einen Unterschied?" „Ferien haben schließlich einmal ein Ende. Ich habe mich daran gewöhnt, dass du in meiner Nähe bist." Wieder erschien für sie ein Hoffnungsstreifen am Horizont. „Ich hatte nicht vor, überstürzt abzureisen." „Das hast du aber am Telefon nicht gesagt." Er sah wieder aus dem Fenster. „Jedenfalls ist mir gerade klargeworden, dass du irgendwo eine Praxis hast und eine ganze Menge Kinder, die deine Hilfe brauchen." Er machte eine Pause und sah sie durchdringend an. „Wo?" „Wie, wo?" „Wo ist deine Praxis?" Lauras Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Sie suchte nach einer Antwort, doch sie wollte Ray nicht weiter anlügen. Nein, das konnte sie nicht. „In San Francisco", antwortete sie schließlich. „Das darf doch nicht wahr sein, das ist meine Heimatstadt", rief Ray aus. Wenn er nur wüsste, was für ein Zufall das ist, dachte Laura bitter. Aber sie wollte es ihm ja erzählen. Bald. Sobald sie die richtigen Worte fand. „Was, in aller Welt, machst du dann hier? Endless Cape ist schließlich kein bekannter
Badeort wie zum Beispiel Acapulco." Erregt stand Laura auf. Jetzt musst du ihm alles sagen, rief ihre innere Stimme wieder. Sag es ihm jetzt. Statt dessen hörte sie ihre eigene Stimme, die ihr völlig fremd vorkam. „Was macht das für einen Unterschied?" „Ziemlich viel. Mir ist gerade klargeworden, wie wenig ich eigentlich über dich weiß." Noch vor einer Woche hätte sie ihm entgegengehalten, dass er gar nichts über sie wissen wollte. Damals war sie fest davon überzeugt, dass sein Interesse an ihr nur auf körperlicher Anziehungskraft beruhte. „Was willst du denn wissen?" fragte Laura spöttisch. „Alles." „Mein Name ist Laura Gates. Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Meine Sozialversicherungsnummer ist. . ." Rays harter Griff schmerzte an ihrer Schulter. Einen Moment lang glaubte sie, dass er sie nur hart zu schütteln brauchte, damit die Worte von allein aus ihr herauspurzelten und alle Lügen geklärt waren. Aber er hielt sie lediglich fest, und sein Blick schien sie zu durchbohren. „Alles, was wichtig ist", korrigierte er sich. „Warum bist du so nervös? Warum bist du in eine einsame, langweilige Stadt am anderen Ende des Landes gekommen, um hier einen Urlaub zu verbringen? Warum . . ."Er unterbrach sich selbst einen Moment, um sie wild zu küssen. „Warum bekomme ich nur eine ehrliche Antwort von dir, wenn ich dich berühre?" Wieder reagierte ihr Körper mit derselben Leidenschaft, wie sie es schon kannte. Verstört sah sie ihn an. „Weil", flüsterte sie nach einem Moment, „weil ich verrückt nach dir bin." Wenigstens das war die Wahrheit. Er schloss die Augen und wandte sich von ihr ab. „Was machst du nur mit mir? Wieso gelingt es dir nur immer, genau im richtigen Augenblick die richtigen Worte zu finden?" Laura wurde plötzlich klar, dass sie wahrscheinlich besser lügen konnte, als sie selbst glaubte. Wieder kam Verzweiflung in ihr auf. „Ich habe mich in dich verliebt, obwohl ich dich noch nicht einmal kenne." „Was?" Ray schwieg, und Laura spürte, wie ihre Knie weich wurden. „Nein, sag das nicht", bettelte sie mit erstickter Stimme. Wie gern hätte sie ihm geantwortet, dass sie ihn auch liebte. Aber würde er ihr überhaupt noch glauben können, wenn sie ihm die Wahrheit gestand? „Das geht nicht", flüsterte sie und musste sich dann räuspern. „Ich glaube ... du gehst besser." Sie brauchte Zeit. Was bin ich nur für ein erbärmlicher Feigling, dachte sie. Aber sie hatte so große Angst, ihm die Wahrheit zu sagen. Allein der Gedanke, ihn für immer zu verlieren, war für sie unerträglich. Rays Augen funkelten vor Wut. Er schüttelte den Kopf. „Nein, diesmal nicht." Bevor Laura antworten konnte, hielt er sie wieder fest. Als sie seine Lippen auf ihrem Mund spürte, versank die Welt um sie. Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber er hob sie einfach auf seine Arme, so dass sie hilflos in seiner Umarmung gefangen war, und steuerte zielbewusst auf die Treppen zu. Plötzlich war es Laura egal, was er jetzt mit ihr vorhatte. Sie konnte sich nicht mehr gegen ihre Gefühle wehren. Oben ließ er sie auf das Bett fallen. Er nahm sich gerade genug Zeit, um sich selbst auszuziehen, und beugte sich dann über sie. Sein Gesichtsaus druck war wild entschlossen. „Ich habe dich gewarnt, Laura", murmelte er rau. „Ich habe dich schon einmal gewarnt, nicht mit mir zu spielen." „Ich spiele nicht. . ." protestierte sie schwach. Er ließ ihr keine Zeit, ihren Satz zu beenden. Hungrig senkte er den Mund zu einem erneuten Kuss über ihre Lippen, und Laura erzitterte unter seiner Berührung. „Nenn es, wie immer du willst", flüsterte er. „Du fliehst, und ich werde dir folgen. Mir
bleibt keine andere Wahl. Verstehst du das, Laura? Ich will dich. Ich will, dass dieser wachsame Ausdruck aus deinen Augen verschwindet und nur noch Liebe und Leidenschaft darin zu erkennen sind. Ich werde alles daransetzen, dass deine Gefühle die Oberhand gewinnen und du die Gewalt über deinen Verstand verlierst." „Und dann?" flüsterte sie. „Das liegt doch wohl bei dir, oder nicht?" Wie immer in dieser Situation vergaß Laura alle Lügen, sogar Angela und Kemp. Es gab für sie nur noch Ray. Ein einziger Blick von ihm genügte, um ihr Verlangen zu wecken, und sie zu erregen wie sonst kein anderer Mann. Lange hatte sie schon aufgegeben, dagegen anzukämpfen. Jetzt reagierte sie nur noch auf ihn. Laura stöhnte und ließ ihre Hände über seinen Körper gleiten. Plötzlich konnte sie die süße Spannung nicht länger ertragen. Instink tiv öffnete sie sich ihm und drängte sich ihm entgegen. Sein Verlangen nach ihr schien unersättlich. Aber diesmal wollte er mehr von ihr. Er wollte hören, dass sie seinen Namen vor Leidenschaft laut ausrief und sic h in dem entscheidenden Moment an ihn klammerte. Als sie endlich zusammenfanden, versank die Welt um sie. Wie Ertrinkende klammerten sie sich aneinander, während sie einem berauschenden Höhepunkt entgegentrieben.
8. KAPITEL Das Klingeln des Telefons rief Laura wieder in die Wirklichkeit zurück. Doch sie überhörte es einfach. Sie fühlte sich phantastisch und genoss das Gefühl, geliebt zu werden. Glücklich blickte sie Ray an, der neben ihr 4ag. „Die können ruhig später noch einmal anrufen", meinte sie leise. Ray sah sie ungläubig an. Zum erstenmal seit er sie getroffen hatte, schien sie wirklich ruhig, entspannt und glücklich zu sein. Aber er spürte genau, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Er hatte herausgefunden, dass sie vor irgend etwas schreckliche Angst hatte. Manchmal kam sie ihm vor wie ein scheues Reh, das bei der geringsten Gefahr die Flucht ergriff. Irgend etwas verbarg sie vor ihm. Und dieses Geheimnis stand zwischen ihnen. Gern hätte Ray sie gezwungen, ihm alles über sich zu erzählen. Gleichzeitig spürte er eine unterschwellige Angst, so dass er die Wahrheit gar nicht hören wollte. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, und doch konnte er sie manchmal nicht verstehen, so dass er sich in ihrer Gegenwart oftmals unsicher fühlte. Vorsichtig bewegte er sich zur Seite, bis Lauras Kopf auf dem Kissen lag und nicht mehr auf seiner Schulter. Dann stand er langsam auf. Laura öffnete die Augen und richtete sich auf. „Ray?" „Irgendwann wirst du den Anruf beantworten müssen", meinte er. „Wahrscheinlich ist es jemand, der Zeitschriften verkaufen möchte." „Und du müsstest dich dann entscheiden, an welche Adresse sie geschickt werden sollen." Er griff nach seiner Jeans. „Außerdem möchte ich zu Hause sein, falls Mary Elises Mut ter anruft und Probleme mit Angela hat. Vielleicht versucht sie gerade, mich zu erreichen." „Ich glaube nicht, dass es Schwierigkeiten mit Angela gibt", antwortete Laura. Ray wusste selbst, dass es eine Ausrede war. Doch im Augenblick war es das einzige, was ihm einfiel. „Seit langer Zeit verbringt sie einmal eine Nacht außer Haus", fügte er daher hinzu. Laura zögerte. „Du gehst weg? Einfach so?" Ray zog sich gerade das Hemd über. Nachdem er die ersten Knöpfe geschlossen hatte, sah er Laura überrascht an. Er wollte ihr nicht weh tun, aber er hatte auch Angst davor, sich in sie zu verlieben. Sie war ihm so nah und doch gleichzeitig auch so fremd, und er fürchtete sich davor, verletzt zu werden. Deswegen war es ihm plötzlich so wichtig, Abstand zu gewinnen. Langsam knöpfte er sein Hemd weiter zu. „Ja", antwortete er gedehnt. „Hast du denn wenigstens noch so viel Zeit, deinen Drink auszutrinken?" fragte sie. Ray beugte sich nieder und küsste sie auf die Stirn. „Trink du ihn für mich aus. Ich bin schon zu lange von zu Hause fort." „O ja, natürlich." Laura kuschelte sich ins Bett und sah zu, wie er zur Tür ging. Ihr Stolz verlangte, dass sie ihn ohne ein weiteres Wort gehen ließ. Aber bevor sie nachdenken konnte, rief sie ihn noch einmal zurück. „Ray?" Er sah zu ihr zurück. „Warum . . . warum bist du gekommen?" „Ich verstehe nicht ganz, was du meinst." „Als du kamst, hattest du einen bestimmten Grund?" Er schien einen Augenblick nachzudenken. „Ich glaube", sagte er schließlich, „ich war endlich auch einmal an der Reihe, das Spiel zu beginnen." Laura war ärgerlich. Sie verstand ihn nicht. Doch ehe sie noch etwas erwidern konnte, war er schon fort. Seine Schritte klangen hohl, als er die Treppen hinunterging. Dann öffnete sich die
Eingangstür und fiel hinter ihm ins Schloss. Laura war plötzlich schrecklich kalt. Sie schüttelte die Decke ab, stand auf und suchte nach ihrem Bademantel. Eben noch hatten sie so leidenschaftlich miteinander geschlafen, und jetzt sollte alles vorbei sein? Laura band den Gürtel um ihre Taille und blickte noch einmal auf ihr Bett zurück, so als erwartete sie, dass Ray jeden Moment aus dem Schatten hervortreten würde, um ihr zu erzählen, dass alles ein Missverständnis war. Dann zwang sie sich, die Treppe hinunterzugehen. Lange Zeit konnte sie überhaupt nicht klar denken. Gedankenverloren begann sie, die Gläser auszuspülen. Danach kochte sie Kaffee, trug ihn ins Wohnzimmer und schenkte sich eine Tasse ein. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Ray fort war. Es war endgültig vorbei. Doch niemals hätte sie sich vorgestellt, dass es so schmerzen würde. Als sie eben mit Ray geschlafen hatte, war ihr klargeworden, dass sie ihn liebte. Aber jetzt erschien es ihr auf einmal so, als habe sie sich in den Star verliebt und nicht in den Mann. Sie fühlte sich körperlich stark zu ihm hingezogen, und diese Leidenschaft hatte sie für ein tieferes Gefühl gehalten. Und nun war alles genauso eingetroffen, wie sie es die ganze Zeit befürchtet hatte. Ray hatte das Interesse an ihr verloren, er war ihrer überdrüssig. Deshalb hatte er sie heute abend so schnell verlassen. Doch je mehr Laura darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass sie Ray wirklich liebte, auch wenn sie sich das Gegenteil einzureden versuchte. Phil hatte recht gehabt. Ray war ganz anders als der Filmheld. Laura griff nach ihrem Kaffee und nahm einen tiefen Schluck. Sie zwang sich, wieder ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen. Damit würde das Chaos, in das sie sich verstrickt hatte, leichter zu klären sein. Sie brauchte sich nicht mehr länger Gedanken darüber zu machen, dass sie Ray belog. Sie musste endlich Ordnung in ihr Leben bringen. Laura beschloss, zuerst einmal Maria ihren Verdacht hinsichtlich Monica Cortecellis mitzuteilen und dann den Vorschuss, den sie erhalten hatte, zurückzugeben. Sie wollte keine Bezahlung dafür, dass sie sich in Ray verliebt hatte und dadurch auf die richtige Spur gebracht worden war. Ihre Beziehung sollte aus dem Fall Frank Kemp herausgehalten werden! Laura hatte die Gardinen zugezogen und sich so tief wie möglich in ihr Bett gekuschelt, als es plötzlich laut und entschlossen an ihrer Tür klopfte. Nach einem Moment setzte sie sich wütend auf und horchte. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es gerade kurz nach acht war. Das konnte nur Angela sein! Zum zweitenmal in den zwei Monaten, seit sie hier war, hatte Laura das Bedürfnis, so schnell wie möglich wegzulaufen. Doch schließlich stand sie seufzend auf. Als sie die Tür öffnete, erwartete sie, Angelas fröhliche Miene zu erblicken, denn sie wusste, dass die Schule dem Kind außerordentlich gut bekam. Statt dessen musste Laura überrascht feststellen, dass Angela Schatten unter den Augen hatte und ihr kleiner Mund fest zusammengepresst war. „Ist etwas passiert?" fragte Laura sofort. Angela trat einen Schritt zurück, als ob sie ihre Meinung geändert hatte, Laura zu besuchen. Schnell wählte Laura eine andere Taktik. Angela zuckte bloß die Schultern und schüttelte den Kopf. „Das ist aber keine Antwort. Es ist Mittwoch morgen, und du stehst vor meiner Tür. Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Schwänzt du etwa die Schule? Du müsstest doch eigentlich dort sein, oder?" Angela lachte laut. „Ach so, das meinst du." Sie schien wieder beruhigt zu sein. „Wir haben einen Wasserschaden. Deshalb habe ich einen Tag frei. Wenn die Handwerker heute noch nicht fertig werden, habe ich vielleicht morgen auch noch frei." „Aha", bemerkte Laura. „Das ist ein Grund zum Feiern." „Genau." „Wie wäre es denn mit einem Stück Käsekuchen zum Frühstück? Es ist noch etwas da."
Doch auch die Aussicht auf ein Stück Kuchen zum Frühstück heiterte Angela nicht besonders auf. „Warum nicht", antwortete sie nun und ging dann in die Küche. Während Laura den Tisch deckte, wanderte Angela ruhelos durch den Raum, genau wie beim erstenmal, als sie Laura besucht hatte. Instinktiv wusste Laura, dass es Schwierigkeiten geben würde. „Milch?" fragte sie erzwungen heiter. „Ja, gem." „Wie ist das Wetter? Wir könnten auch auf der Veranda frühstücken." „Nein, es ist zu kalt. Ich habe sowieso keinen Hunger. Möchtest du mit mir im Wald Spazierengehen?" Laura biss sich auf die Lippe. „Weißt du, ich bin nicht sicher, ob ich heute morgen Zeit habe. Ich muss noch viele Telefonanrufe erledigen ..." „Es wird nicht lange dauern", bat Angela. Laura gab nach, denn diesem Blick konnte sie nicht widerstehen. „Gut. Ich ziehe mir schnell ein paar Jeans an." Angela nickte, aber lächelte nicht. „Ich warte draußen auf der Veranda auf dich." Sie ging zur Hintertür hinaus und ließ Laura allein in der Küche stehen. Warum kommt sie ausgerechnet jetzt? überlegte Laura verzweifelt. Es war doch alles geregelt! Laura hatte gerade einen Weg aus der ganzen Geschichte gefunden. Es war eine saubere Lösung, mit der sie selbst leben konnte. Aber wenn Angela sich ihr jetzt anvertrauen würde, änderte sich alles. Laura wusste das mit der gleichen schrecklichen Sicherheit, die sie am Abend zuvor gespürt hatte, als Ray sie verlassen hatte. In dem Moment war ihr klargeworden, dass wenigstens ein Punkt seines Rufes stimmte. Er schlief mit einer Frau und verließ sie dann! Genauso wusste sie, dass Angela ihr gleich erzählen würde, dass ihre Mutter sie gekidnappt hatte. Laura ging nach oben. Abwesend streifte sie ihren Bademantel ab, zog sich Unterwäsche, einen Pulli und Jeans an. Dann suchte sie im Schrank noch nach ein paar Socken. Angela wartete geduldig auf sie. Als Laura die Küche betrat, sah sie das Kind auf der Terrasse stehen. Laura zog ihre Schuhe an und nahm das T-Shirt, das sie gestern in der Stadt für Angela gekauft hatte. Vielleicht konnte sie das Kind dadurch etwas ablenken. Aber tief in ihrem Innern wusste sie schon, dass es nicht klappen würde. Angela war auch nur leicht interessiert. „Was ist das?" fragte sie und deutete auf das TShirt. „Ein Geschenk für dich. Ich war gestern einkaufen. Dein Dad hat vergessen, es mitzunehmen." Vergessen, dachte Laura verzweifelt. Vielleicht will er gar keine Geschenke von mir, weil sie ihn nur an etwas erinnern, was für ihn längst abgeschlossen ist? Laura faltete das T-Shirt auseinander. „Na, wie gefällt es dir?" „Sehr hübsch." „Du hast doch am liebsten T-Shirts, die dir bis zu den Knien gehen." Angela wurde etwas munterer. „Das ist im Moment modern." „Mmh. Dann bist du in diesem ganz nach dem neuesten Chic gekleidet." „Danke, Laura." Nachdenklich faltete Angela das T-Shirt zusammen. „Können wir dann gehen?" Sie ließ sich nicht mehr ablenken. „Wenn du möchtest", willigte Laura ein. Als sie zum zweitenmal auf die Veranda kam, war Angela schon auf dem Weg zu dem kleinen Wäldchen, wo sie sich sehr gern aufhielt. Laura atmete tief durch und folgte ihr dann. Jetzt wurde es wirklich ernst. „Angela", begann sie. „Nun erzähl mir mal, was los ist! Irgend etwas kann nicht stimmen, wenn du nicht einmal Lust auf ein Stück Kuchen hast."
„Oh, ich habe keinen besonders großen Hunger." „Das habe ich mir schon gedacht." Einen Moment lauschten sie den Geräuschen, die ihre Schritte auf den trockenen Herbstblättern verursachten. Schließlich fing Angela an zu reden. „Wenn ich dir ein Geheimnis anvertraue, würdest du es weitererzählen?" Ich muss es doch weitererzählen, dachte Laura nervös. Laut antwortete sie: „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Es hängt davon ab, was es ist." Angela schien enttäuscht zu sein. „Das ist keine Antwort", erwiderte sie. „Das ist alles, was ich sagen kann, ohne dein Geheimnis vorher zu kennen. Angela . . ." Laura machte eine Pause und überlegte fieberhaft. „Ich will dich schließlich nicht belügen." Das Kind sah sie besorgt an. „Wirklich?" „Ja. Wenn du mir erklärst, dass du nächsten Montag eine Bank ausrauben wirst, muss ich es natürlich weitererzählen. Ich werde verhindern, dass du etwas Dummes anstellst und man dich ins Gefängnis stecken muss. Wenn du mir erzählst, dass du dich in Brian verliebt hast, werde ich es natürlich nicht weitererzählen." Angela überlegte einen Moment. „Was ist, wenn das Geheimnis etwas betrifft, was nicht passieren wird, sondern schon passiert ist?" Laura schloss die Augen. Sie blieb stehen und drehte sich zu dem Kind um. „Ich weiß es nicht, Angela, ic h weiß es einfach nicht." Das Kind nickte. Seine Unterlippe zitterte. „Du musst einfach das Risiko eingehen und mir vertrauen. Verlass dich auf mein Urteil." Laura hatte im Moment zu sich selbst kein Vertrauen mehr. Jedenfalls nicht, solange Angela oder ihr Vater betroffen waren. Am liebsten wäre sie einfach zurück zum Haus gelaufen und hätte sich eingeschlossen. Statt dessen lehnte sie sich an einen Baum. „Also?" Angela pflückte ein Blatt von einem nahegelegenen Busch und fing an, es auseinanderzurupfen. „Du weißt... du weißt doch, was diesen Sommer mit mir passiert ist?" Laura zwang sich zu einer ruhigen Antwort. „Ich weiß, was in den Zeitungen gestanden hat und was dein Dad mir erzählt hat." „Dass es ein Mann war, der mich entführt hat?" „Mmh." Das Blatt zerbröselte in Angelas Hand, und sie griff sich ein neues. „Es war kein Mann." Laura atmete tief aus. Da war also Angelas Geständnis. „Wer war es dann?" fragte sie tonlos. „Meine . . .", Angela schluckte, zerriss das Blatt und platzte dann heraus: „Es war meine Mutter." Ich habe mich also doch nicht geirrt, dachte Laura. „Wieso hast du mit niemandem darüber geredet?" Die Verzweiflung in dem Blick des Kindes wurde für Laura fast unerträglich. „Sie hätten sie ins Gefängnis gesteckt! Oder meinst du nicht?" fragte Angela hoffnungsvoll. Wie gern hätte Laura das Kind beruhigt, doch sie konnte nur den Kopf schütteln. „Ich bin nicht sicher. Das kann niemand mit Gewissheit sagen. Meiner Meinung nach ist es aber ziemlich unwahrscheinlich. Schließlich ist Monica deine Mutter. Die Gerichtsverhandlung für den vermeintlichen Entführer hat ja noch nicht stattgefunden. Deshalb hat sie sich auch noch nicht durch eine Falschaussage oder einen Meineid strafbar gemacht. Aber Angela . . ." Laura wartete, bis das Kind sie ansah und sicher sein konnte, dass sie ihre volle Aufmerksamkeit hatte. „Ich kann es dir nicht versprechen." Das Kind nickte verzweifelt. „Was ist denn ein Meineid?" „Wenn man vor Gericht eine Falschaussage macht, obwohl man vorher geschworen
hat, die Wahrheit zu sagen. „Sie hat nicht gelogen", berichtete Angela. „Nein", sagte Laura langsam. „Noch nicht. Denn soweit ich weiß, hat sie bis jetzt noch niemand zu dem Fall befragt, weil du es geheimgehalten hast. Ist das richtig?" Angela nickte. „Aber ich habe einen Meineid geleistet." Sie zögerte. „Ich könnte also ins Gefängnis kommen?" fragte sie verschreckt. Laura bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Reiß dich jetzt zusammen, kommandierte sie sich selbst. Vergiß, wer sie ist und was du für sie empfindest. Hilf ihr und hilf Frank Kemp. Sie musste jetzt für alle Beteiligten die richtige Lösung finden. „Noch nicht." Angela blickte sie erstaunt an. „Aber später?" „Irgendwann wird der Mann, der für die Polizei der vermeintliche Entführer ist, vor Gericht erscheinen. Und du musst dann vielleicht als Zeugin aussagen." Angela schüttelte wild den Kopf. „Dad wird es so einrichten, dass ich das nicht muss." Laura drehte Angela so, dass sie dem Kind in die Augen sehen konnte. „O Schatz, das wissen wir doch noch nicht mit Sicherheit. Er will es versuchen, und auch der Staatsanwalt wird es versuchen. Aber trotzdem ist das nicht richtig. Wenn du nicht aussagst, wird ein Mann unschuldig ins Gefängnis gehen. Und wenn du doch selbst aussagen musst und dann lügst, wirst du einen Meineid leisten." Die Tränen kullerten aus Angelas Augen. „Was soll ich denn jetzt bloß tun?" Laura setzte sich auf einen Baumstumpf. „Ich weiß es auch nicht. Komm, setz dich zu mir und wir überlegen gemeinsam, wie wir das Problem lösen können." Angela kam zu ihr und kuschelte sich an sie. Laura zwang sich, die Worte zu sagen, die sie eigentlich gar nicht sagen wollte. „Also zuerst erzähl mir mal, was an dem Tag passiert ist." Das Kind sah sie besorgt an, zuckte dann aber mit den Schultern. „Mom hat nach der Schule auf mich gewartet." „Und?" „Sie sagte, der Fahrer sei krank, der mich sonst immer abholt. Und dass Dad nicht kommen konnte, weil er arbeiten müsse." „Und du hast ihr geglaubt?" Angela war überrascht über Lauras Frage. „Aber klar." Sie zögerte einen Moment und sagte dann: „Wenigstens habe ich ihr anfangs geglaubt." „Und wohin hat sie dich gebracht?" „In unser Haus beim Lake Tahoe. Nun, es ist eigentlich ihr Haus. Ich glaube, mein Dad hat es ihr überlassen, als sie sich scheiden ließen." Sie biß sich auf die Unterlippe. „Ich hatte kein besonders gutes Gefühl, dass wir dorthin fuhren, ohne Dad anzurufen. Aber sie sagte, es wäre in Ordnung. Sie erzählte mir, dass sie alles mit Dad abgesprochen hätte und ich eine Zeitlang bei ihr wohnen würde. Nur als sich meine Eltern entschieden, dass ich bei Dad leben sollte, mussten wir deswegen zu einem Richter gehen. Das kam mir schön komisch vor. Diesmal sind wir einfach losgefahren." „Also hattest du von Anfang an eine Ahnung, dass irgend etwas nicht stimmte?" Angela nickte. „Irgendwie schon. Und dann durfte ich nicht nach draußen zum Spielen. Sie hat mir auch verboten fernzusehen. “ Angela zog ihre Nase kraus. „Das war noch schlimmer, als mit Mrs. McCabe zusammenzuleben. Aber eines Nachmittags kam ich aus meinem Zimmer und sah, dass Mom vor dem Fernseher saß. Mein Bild war auf dem Fernsehschirm. Und auch mein Dad. Er bat alle Leute, ihn anzurufen, falls mich irgend jemand gesehen hätte. Ich sagte ihr, dass ich jetzt lieber wieder nach Hause wollte. Sie ... sie ..." Tränen schimmerten in Angelas Augen. „Was hat sie denn gemacht?" fragte Laura nach. „Sie hat geweint", flüsterte das Kind. „Sie sagte, ich hätte sie nicht mehr lieb."
Laura wurde wütend. Sie wusste nicht, ob es wegen der Frau war und allem, was sie ihrer Tochter angetan hatte, oder wegen der Presse, die Angelas Mutter in diesen Zustand versetzt hatte. Sie streckte die Arme aus und Angela kuschelte sich eng an sie. „Es war doch nicht dein Fehler, Angela. Du hast alles richtig gemacht. Was ist denn danach passiert?" Angela bekam vor Aufregung einen Schluckauf, fand aber schließlich ihre Stimme wieder. „Wir sind noch ungefähr eine Woche geblieben. Und dann haben sie den Mann gefangen. Mom meinte, dass wir alles arrangieren könnten, dass nie jemand herausfinden würde, wo sie mich abgeholt hatte, und ließ mich gehen. So hat jeder wirklich gedacht, dass er mich entführt hat. Aber sie hat gesagt, wenn . . . wenn ..." Angela unterbrach sich und fing wieder an zu weinen. Einen langen Moment wiegte Laura sie nur tröstend in den Armen. Den Rest der Geschichte kannte sie ja bereits. Aber sie wollte es noch einmal aus Angelas Mund hören. „Sie hat behauptet, wenn ich irgend jemandem sage, dass ich bei ihr war, müsste sie ins Gefängnis. Deshalb habe ich es nicht erzählt", fuhr Angela fort. „Ich sollte sagen, dass ich geflohen bin, als der Mann das Geld holen wollte. Damit hätte ich erklärt, wie ich zu dem Ort zurückgekommen war, wo sie mich abgesetzt hatte. Ich dachte, das wäre in Ordnung und mit der Zeit würde alles besser, und ich könnte ab und zu auch mal wieder zu Mom fahren. Aber jetzt muss ich hier mit Mrs. McCabe und Dad leben, und sie beobachten mich die ganze Zeit. Alle haben Angst, dass so etwas noch einmal passiert. Und wenn ich nicht die Wahrheit sage, muss der Mann ins Gefängnis. Wenn ich lüge, dann habe ich einen Mein . . . einen Mein ..." „Einen Meineid geschworen." Laura drücke das Kind zärtlich an sich. Sie fühlte sich so hilflos wie lange nicht mehr. „Dann habe ich einen Meineid geschworen und muss selbst ins Gefängnis. Aber wenn ich die Wahrheit erzähle, muss Mom ins Gefängnis." Laura schloss die Augen. Das war einfach zuviel für ein kleines Kind. In ihrem Inneren kämpften Ärger und Verzweiflung gegeneinander. Bisher hatte sie solche Fälle immer praktisch, logisch und professionell gelöst. Aber diesmal war es anders. Sie liebte dieses Kind und genauso den Vater. Laura legte ihre Arme um Angela und zog sie eng an sich. „Es gibt noch eine andere Möglichkeit." Angela schniefte. „Welche denn?" „Vielleicht müssen wir das Gesetz überhaupt nicht bemühen." Sie sah, wie Angela erwartungsvoll zu ihr aufschaute. „Angela, ich kann dir nichts versprechen. Es ist nur eine Möglichkeit, die wir vielleicht bis jetzt vernachlässigt haben." „Ja, sag doch schon!" „Vielleicht können wir es innerhalb der Familie halten, wenn wir die ganze Geschichte hier beenden. Dann muss niemand ins Gefängnis." „Wie denn?" „Erzähl alles deinem Dad. Lass ihn mit dem Staatsanwalt reden und mit deiner Mom. Vielleicht braucht der ganze Fall dann gar nicht mehr vor Gericht behandelt zu werden." Angela befreite sich energisch aus ihren Armen und schrie: „Nein! Nein, das kann ich nicht. Er wird . . ." Laura unterbrach sie. „Angela, eine Sache kann ich dir versprechen. Dein Dad möchte auch nicht, dass deine Mom ins Gefängnis geht - genausowenig wie du. Er wird daher alles unternehmen, damit das Gerichtsverfahren noch rechtzeitig gestoppt wird." Angela antwortete nicht, sondern sah Laura nur entschlossen an. „Nein, ich kann es einfach nicht", meinte sie schließlich. „Angela..." „Er wird mich hassen."
„Er liebt dich." Jetzt war es an der Zeit, etwas härter zu werden. Die Erfahrung hatte Laura gelehrt, dass Strenge manchmal besser war. „Was willst du denn sonst tun?" fragte sie nach. „Möchtest du selbst ins Gefängnis kommen?" Angela blickte Laura erschreckt an. „Du wirst mich verraten und ihnen sagen, dass ich lüge!" beschuldigte sie Laura. „Genau als hätte ich eine Bank ausgeraubt, genau wie du gesagt hast, du ..." „Nein", fiel Laura ihr ins Wort. „Alles, was ich tun werde, ist beten, dass du dich zu dem richtigen Entschluss durchringst." Laura streckte ihre Hand aus. „Komm, gehen wir zurück." Angela nahm ihre Hand nicht an. „Wirst du Dad nun alles erzählen?" „Möchtest du denn, dass ich es ihm sage?" „Nein!" Lauras Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an. Sie musste sich zwingen, die nächsten Worte auszusprechen. Es war gestern abend nicht alles zu Ende gewesen, dachte sie. Nicht vollständig. Es endete erst jetzt richtig. „Dann werde ich nichts sagen." „Versprichst du das?" Laura war verzweifelt. Unbewusst spürte sie, dass sie nickte. „Ich verspreche es. Aber Angela ..." Angela wirkte wieder ängstlich, aber sie hörte zu. „Ich möchte, dass du mir auch etwas versprichst." „Was denn?" wollte Angela wissen. „Wenn ich der Polizei nicht erzähle, was du mir anvertraut hast, und auch deinem Dad nichts verrate, musst du mir versprechen, dass du noch einer anderen Person die Wahrheit sagst." „Wem denn?" fragte sie hilflos. Laura lächelte gequält. Sie kam sich vor wie ein Schuft, weil sie diese Methode schon mindestens hundertmal erfolgreich eingesetzt hatte. „Die Entscheidung liegt bei dir", antwortete sie. „Ich verstehe dich nicht." „Du kannst es deinem Dad berichten oder jemandem anders, den du dir auswählst. Aber irgend jemand musst du noch alles erzählen. Das ist die Vereinbarung. Du kannst entscheiden, wem du dein Geheimnis außer mir noch anvertrauen willst." „Irgend jemandem?" „Wem du willst." „Ich könnte es dem Mann an der Tankstelle sagen", überlegte Angela. „Klar könntest du das, aber das wäre nicht besonders klug." „Weil du meinst, dass er es vielleicht weitererzählen wird?" „Weil er dich nicht liebt und er deshalb nicht darüber nachdenkt, was für dich am besten ist." Laura atmete noch einmal tief durch. „Wie zum Beispiel dein Dad oder vielleicht eine Lehrerin." Angelas Gesichtsausdruck wurde abwesend, und sie sah auf das zerbröckelte Blatt in ihrer Hand. Sie antwortete nicht. „Also?" hakte Laura nach. „Und was ist, wenn ich nicht mitmache? Wirst du es dann anderen berichten?" „Also, wenn wir keine Abmachung treffen, brauche ich auch kein Versprechen zu halten." Es dauerte einen Moment, aber schließlich nickte Angela. Sie öffnete die Hand und ließ die Blattkrümel wieder auf die Erde fallen. Dann wischte sie sich ihre Handflächen ab. „Du bist schon komisch." „Vielen Dank."
„Nein, du bist nicht wie die meisten Erwachsenen." „Heißt das, dass wir immer noch Freunde sind?" Angela zögerte nur einen winzigen Moment, bevor sie nach Lauras ausgestreckter Hand griff. „Ja." „Und unsere Abmachung?" Jetzt zögerte sie überhaupt nicht mehr. „In Ordnung." „Wir sollten uns die Hand darauf geben." „Hast du jetzt Lust auf ein Frühstück?" fragte Laura. Angela schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich gehe besser nach Hause, bevor Mrs. McCabe ihre Brille aufsetzt und bemerkt, dass ich nicht mehr da bin." „Gut, dann sehe ich dich später." „Tschüs!" rief Ange la noch und lief dann zurück über die Wiese zu der hohen Steinmauer. Laura sah ihr nach, bis sie außer Sichtweite war. „Vorbei", flüsterte sie. Dann zog sie die Hintertür auf und ging zum Telefon.
9. KAPITEL Bis die Angestellte der Flugreservierung zurückrief, hatte Laura schon alles gepackt. Sie konnte kaum glauben, dass man ihr heute keinen Direktflug mehr buchen konnte. BostonSan Francisco war doch sicher keine unbekannte Route. Sie wäre sogar nachts geflogen egal zu welcher Uhrzeit. Sie musste fort! So schnell und weit wie möglich. Aber die Angestellte entschuldigte sich. „Es tut mir sehr leid, Mrs. Gates. Der einzige Flug, den ich Ihnen anbieten kann, geht über Miami." Laura lachte. „Sie machen wohl Witze!" „Und das wäre ein Erster-Klasse-Flug." Der Betrag, den ihr die Frau am anderen Ende der Leitung nannte, ließ Laura nach Luft schnappen. „Miami ist nicht unsere Hauptroute. Ich kann Ihnen zwar einen Anschlussflug buchen, müsste aber trotzdem zwei getrennte Flüge berechnen." „Das ist doch verrückt!" rief Laura. „Das haben mir schon mehrere Kunden erzählt", antwortete die Frau trocken. Laura riß sich zusammen. Schließlich konnte die Angestellte nichts dafür. „Und was ist mit einer anderen Fluglinie? Können Sie mir keine andere Verbindung besorgen?" „Das könnte ich schon, aber am Preis würde sich deswegen nichts ändern." „Was soll ich denn sonst machen?" „Buchen Sie den Flug neunhundertachtzehn, morgen nachmittag." „Morgen nachmittag", antwortete Laura nachdenklich. „Genau. Dann können Sie bis auf einen kurzen Zwischenstopp in Chicago direkt fliegen." Daran ist nur Ray Cortis Schuld, weil er sich unbedingt am anderen Ende des Landes verstecken musste, dachte Laura. „Gut, dann muss ich eben den Rüg nehmen." „Geben Sie mir bitte Ihre Daten durch?" Laura las die Nummer ihrer Kreditkarte vor. Dann teilte ihr die Angestellte mit, dass sie ihr Ticket eine Stunde vor dem Abflug abholen musste. Schließlich hängte sie auf. Morgen nachmittag. Bis dahin halte ich es sicher nicht mehr aus, dachte sie. Verloren sah sie sich in der Küche um. Ihr Gepäck stand schon bereit. Ihr blieb also noch viel Zeit. Eigentlich war Lauras Abreise verfrüht. Aber ihr Job war erledigt, und sie hatte keinen Grund noch länger zu bleiben. Sie brauchte jetzt nur die Beweise, damit Frank Kemp freigesprochen wurde. Laura war sicher, dass Angela alles gut überstehen würde. Sie war ein tapferes Kind. Außerdem war sie ehrlich und würde deshalb Ray alles erzählen. Und Ray? Vielleicht würde er eines Tages zurück nach Kalifornien kommen - oder er blieb in Endless Cape. Wieder einmal konnte er alle Schuld den Medien zuschieben, daran hatte sich nichts geändert. Wahr scheinlich würde es ihm sogar gelingen, seine Exfrau aus den Berichten herauszuhalten. Sie schätzte ihn so ein, dass er Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, damit sie nicht vor Gericht aussagen musste. Angela würde schließlich alles vergessen und sich wieder beruhigen. Und Ray würde nie die Wahrheit über ihren Aufenthalt hier erfahren. Er hätte dann auch keinen Grund, sie zu hassen. Das war der einzige Trost, der ihr blieb. Spontan drehte sich Laura um und rannte zurück in die Küche. Sie nahm die Schlüssel des Mietwagens vom Haken bei der Tür. An Ray wollte sie jetzt nicht denken. Auch wenn sie End less Cape nicht vor morgen nachmittag verlassen konnte, musste sie deshalb nicht still herumsitzen und sich durch ihre eigenen Gedanken verrückt machen. Es gab genug, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte. Irgendwie musste sie die nächsten achtzehn Stunden überstehen. Schwungvoll zog sie die Tür auf. Vor ihr stand Ray und lächelte sie freundlich an.
Laura blickte überrascht auf. Im gleichen Moment schössen ihr Tränen in die Augen. Hastig senkte sie den Kopf, damit Ray es nicht bemerkte. Es dauerte viel zu lange, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Aber als sie ihn erneut ansah, lächelte er immer noch. „Willst du fort?" fragte er. Laura wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. „Ich wollte nur hinaus", meinte sie schließlich. Was will er hier? schoss es ihr durch den Kopf. Ob Angela ihm schon alles gestanden hatte? Nein, er lächelte noch. Nichts hatte sich geändert. Bis jetzt noch nicht. Außer dass er sie gestern abend ziemlich überstürzt verlassen hatte. Sie sah an ihm vorbei auf die Veranda, als ob sie dort die Lösung auf ihre Fragen finden konnte. „Was tust du hier?" fragte sie ihn. Er blickte sie überrascht an. „Das gleiche, was ich gestern und vorgestern hier getan habe." Fieberhaft überlegte sie, was er vor seinem Abschied zu ihr gesagt hatte. „Ah, du willst also wieder spielen!" Plötzlich schwand sein Lächeln. „Nein, nicht mehr." Mit einer selbstverständlichen Bewegung griff er nach ihren Autoschlüsseln und nahm sie ihr aus der Hand. „Habe ich noch Chancen bei dir?" fuhr er fort. Einen Moment lang sah Laura ihn ausdruckslos an. „Ich hätte dich wahrscheinlich nicht ermutigen sollen." „Das hätte auch nichts geändert." „Das ist mir aufgefallen." „Ich möchte dich zum Essen einladen, Laura. Wir müssen unbedingt miteinander reden." Laura spürte, dass ihr Puls sich beschleunigte. „Das finde ich nicht! Es gibt nichts mehr, worüber wir reden müssten", antwortete sie. „Das würde ich nicht sagen." Laura schloss die Augen. Wie gern hätte sie ihm recht gegeben, einfach zu glauben, dass sie miteinander sprechen konnten, um mit all den Lügen endlich Schluss zu machen. Jetzt wünschte sich Laura, dass sie niemals Versprechungen gegeben hätte weder Maria noch Angela gegenüber! „Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir uns aussprechen", fuhr er fort. Er drehte sich um und ging über die Veranda. „Wo willst du hin?" „Ich hole dein Auto. Das ist bequemer, als noch einmal hinüberzulaufen und meines zu holen." „Ray, ich habe nicht gesagt, dass ich mitkomme!" Er ließ sich einen Moment Zeit und sah zu ihr zurück. „Das willst du nie. Aber ich bestehe darauf." Damit verschwand er um die Hausecke. Einen Moment lang kämpfte Laura mit sich selbst. Sie wollte sich zwingen, wieder zurück ins Haus zu gehen, die Tür hinter sich abzuschließen und sich ruhig zu verhalten. Statt dessen zog sie die Tür hinter sich zu und folgte Ray die Stufen hinunter.
Im „Widow's Walk" war es ruhig. Ein paar Pärchen saßen an den Tischen, und zwei Männer unterhielten sich leise an der Bar. Es waren allerdings heute nicht viel weniger Leute hier, als bei Lauras erstem Besuch in dem Pub. Ray zog einen Stuhl für sie zurecht, und sie setzte sich. „Man merkt, dass die Wintersaison begonnen hat", murmelte sie. Er ließ sich ihr gegenüber auf einem Stuhl nieder. „Phil hat erzählt, dass nur ungefähr hundert Leute den Winter über hierbleiben", erklärte sie.
„Hundertdrei", korrigierte er sie. „Ich möchte Mrs. McCabe entlassen." „Ertragt ihr die Kochkünste dieser Frau nicht mehr länger?" scherzte sie schwach. „Das auch." Er machte eine Pause. „Wenn du da bist, braucht Angela sie nicht." Diesmal hatte Laura das Gefühl, kurz vor einem Herzinfarkt zu sein. „Du vergisst, dass ich eine Praxis in San Francisco habe. Ich bin nicht für immer hier." Er ignorierte ihren letzten Satz einfach. „Eine Praxis kann man verlegen, oder nicht?" wollte er wissen. „Wenn es einem nichts ausmacht, noch einmal ganz von vorn anzufangen." Worauf will er hinaus, überlegte sie fieberhaft. Er nickte nur nachdenklich und sah auf, als die Bedienung an ihren Tisch kam. „Irish Coffee?" fragte er. „Die Atmosphäre ist gut dafür." Sie war wieder ziemlich irritiert. „Ja bitte." Als die Getränke kamen, saßen sie noch immer schweigend am Tisch. Laura legte die Hände um ihre Tasse und wärmte sich daran auf. Plötzlich war ihr wieder schrecklich kalt. Auf der kurzen Fahrt hierher hatte sie sich eingeredet, dass sie nur mitfuhr, weil es das letzte Mal war. Noch einmal wollte sie ein paar Stunden mit Ray Corti verbringen. Das war einfacher, als vor sich selbst zuzugeben, dass sie eigentlich noch immer nicht die Hoffnung aufgege ben hatte. Und tatsächlich schien er so etwas andeuten zu wollen. „Es tut mir leid wegen gestern abend", begann Ray schließlich. Überrascht sah sie ihn an. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du wolltest gehen, und das hast du getan." „Ziemlich überhastet." „Der gute Teil des Abends war ja auch vorbei." Er wurde wütend. „Nein. Der gute Teil fing gerade an. Deshalb bin ich gegangen." Laura bekämpfte den lächerlichen Impuls, ihre Ohren zuzuhalten und einfach alles um sich herum zu vergessen. Statt dessen nahm sie einen Schluck von ihrem Irish Coffee. Von innen fühlte sie sich erwärmt, aber trotzdem war ihr immer noch kalt. „Es gibt einen kleinen Unterschied", fuhr er fort. " „Ich verstehe nicht, was du meinst?" „Sich zu lieben und miteinander zu schlafen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Sex hat nichts mit Verantwortung zu tun. Liebe dagegen sehr viel." Er sah sie an und nahm ihre beiden Hände in seine. Es war, als ob er verhindern wollte, dass sie wieder vor ihm weglief. „Ich habe gestern abend versucht, mich vor der Verantwortung zu drücken, als ich ging. Ich hatte einfach Angst." Irgendwie schaffte Laura es, eine Hand freizubekommen. Sie griff wieder nach ihrem Irish Coffee und trank einen Schluck. „Wovor?" fragte sie dann. „Dazubleiben. Dich zu lieben. Endlich zu fragen, was du vor mir verbirgst." Laura verschluckte sich an ihrem Getränk und musste husten. „Ich habe gedacht, wenn ich nicht zuviel Gefühl investiere, brauche ich mich nicht darum zu kümmern", fuhr er fort. Besonders wenn sich herausstellen sollte, dass dein Geheimnis irgend etwas ist, das dich von mir entfremdet." „Mein Geheimnis?" Du liebe Güte, wieviel wusste er bereits. Er saß da und sah sie ruhig an. Er konnte es noch nicht wissen, oder doch? „Was wartet in Kalifornien auf dich?" fragte Ray plötzlich. Laura antwortete nicht. „Bist du vielleicht verheiratet?" „Ein . . ."fing sie an, unterbrach sich dann aber wieder. „Du liebe Güte, nein!" „Ein Liebhaber vielleicht?" Wild schüttelte sie den Kopf. „Was ist es dann? Laura, warum verschließt du dich immer vor mir, wenn ich dir näherkomme?"
Laura sah ihn nur hilflos an. Wie gern hätte sie ihm am liebsten sofort alles gestanden. Er müsste ihr nur sagen, dass er sie liebte und ihr vergeben könnte ... „Alles nur Lügen", stieß sie mit gepresster Stimme hervor. Er schüttelte nur den Kopf. In diesem Augenblick erschien plö tzlich ein Mann hinter Ray. Laura beachtete ihn zuerst gar nicht, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war. Ray beugte sich näher zu ihr herüber. „Ich habe dich nicht verstanden." Laura vergaß den Fremden, sogar alles um sich herum und blickte Ray gequält an. „Ich liebe dich. Ich wollte dich nicht verlieren." Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. „Na, das hört sich doch schon etwas besser an", unterbrach Ray sie. Er wollte gerade näherkommen, um ihre Lippen zu berühren, als im selben Augenblick ein Blitzlicht aufleuchtete. Sekundenlang saß Laura wie versteinert da. Das Licht hatte sie geblendet. Bunte Funken tanzten vor ihren Augen. Jemand hatte sie fotografiert, und sie wusste nicht warum. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Im gleichen Moment war Ray wütend aufgesprungen. Sein Stuhl stürzte krachend zu Boden. Plötzlich verstand Laura ihn. Er hatte die Aufdringlichkeit dieser Presseleute endgültig satt. Sie stand auf, einen Moment taumelte sie leicht, weil ihre Augen immer noch geblendet waren, während um sie herum das Chaos ausbrach. Stimmen wurden laut. Sie sah, dass Ray mit geballter Faust auf den Mann losging. Er hatte sein Hemd gegriffen und schüttelte ihn heftig. Die Kamera schlug auf den Boden. Der Wirt war schon auf dem Weg, um die beiden Männer zu trennen. Nein, ein Fremder würde es nicht schaffen, Ray zu beruhigen. Sie wussten alle nichts über Rays Geschichte und das, was er schon mit der Presse erlebt hatte. Laura sprang über Rays umgestürzten Stuhl und stellte sich vor ihn. „Ray, nein! Tu es nicht. Hör auf!" Langsam erkannte er sie. Sie schüttelte wieder den Kopf. „So kannst du auch nichts ändern." Er ließ den Fotografen los, sagte aber nichts. „Komm, wir gehen", versuchte sie es noch einmal, und diesmal nickte er. Laura bemerkte nicht, dass der Fotograf seine Kamera aufnahm und floh. Auch die Stimmen um sie herum, die einen Moment verstummt waren, nahm sie nicht wahr. Es war ihr gleichgültig, dass alle hinter ihnen hersahen, als Ray seinen Arm um ihre Schulter legte und sie zur Tür führte. Laura fuhr die kurze Wegstrecke zurück. Ray blickte währenddessen mit versteinerter Miene auf die Straße. Einen Moment lang überlegte Laura, ob er sich so über den Fotografen aufgeregt hatte oder vielleicht über das, was sie gesagt hatte, bevor das Chaos anfing. Sie riskierte einen vorsichtigen Seitenblick, als sie den Wagen in ihre Einfahrt lenkte. „Na, das war vielleicht ein Auftritt. Soweit ich mich erinnern kann, hast du doch etwas gegen harte Typen, die ihre Zeit damit verbringen, sich in Bars herumzuprügeln." Ärgerlich zog sie die Tür auf. „Das war doch keine Schlägerei." „Es hätte aber nicht mehr viel gefehlt." „Du hattest recht." „Warum hast du mich dann gestoppt?" Laura legte ihre Tasche auf einen Tisch im Flur und zögerte. „Weil es wahrscheinlich genau das war, worauf der Journalist gewartet hat. Er wird das Foto abdrucken. Das wissen wir beide. Aber sein Vorgehen war nicht besonders ehrenswert. Wahrscheinlich arbeitet er sowieso für eines der Skandalblätter, die niemand liest. Das Bild kann ruhig erscheinen. Es wird nicht viel Aufsehen erregen. Aber wenn du ihn verprügelt hättest…" Ray lächelte schon fast wieder. „Wahrscheinlich Schlagzeilen auf der Titelseite." „Genau."
„Und das hast du dir alles überlegt, bevor du dich mir in den Weg gestellt hast?" „Nicht ganz." „Warum hast du es dann getan?" „Ich wollte nicht, dass du dir deine Hand verletzt." Einen Moment lang sah er sie überrascht an. Dann fing er an zu lachen, so wie sie es von ihm gewohnt war. Und die Spannung, die die ganze Zeit auf Laura gelastet hatte, schwand. Sie lächelte erst, musste dann aber auch laut mitlachen. „Du musst glauben, dass ich wirklich so bin wie im Film", meinte er schließlich, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Laura schmunzelte. „Ja, man sollte dich besser nicht reizen." „Damit ist mein Ruf wohl hin." „Ich werde es niemandem erzählen." Plötzlich war Lauras Lächeln wie weggewischt, denn ihre Worte erinnerten sie wieder an das Gespräch mit Angela. Sie sah auf und stellte fest, dass Ray sie nicht mehr länger anlächelte. „Ich glaube, ich hätte diesen Mann umbringen können." Abrupt drehte er sich von ihr weg. „Ich brauche jetzt einen Drink. Falls ich mich recht erinnere, musst du noch irgendwo eine halbe Flasche Portwein haben." Ja, das hatte sie. Allerdings war die Flasche schon eingepackt. Unter allen Umständen musste sie verhindern, dass Ray jetzt heraus fand, dass sie abreisen wollte. Laura zögerte und sagte dann: „Ich brauche etwas Stärkeres als Portwein." „Ich habe aber keine Lust, noch einmal ins ,Widow's Walk' zu fahren und dort meinen Irish Coffee auszutrinken." Sie schüttelte schnell den Kopf. „Nein, daran habe ich auch nicht gedacht. Vielleicht sollten wir zu dir gehen." „Das ist das zweite Mal, dass du freiwillig in mein Haus kommen willst. Und wenn ich mich recht erinnere, bist du sogar einmal über meine Mauer geklettert." Laura errötete, als sie sich an diese Aktion erinnerte. „Also gut, auf in die Höhle des Löwen!" „Vielleicht sollten wir dann auch gleich die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und unser interessantes Gespräch fortführen. Meinst du, dass ich ein Löwe bin, und warum hast du Angst, mich zu verlieren?" Ray blieb an der Tür stehen und blickte sie erwartungsvoll an. „Es fing gerade an gut zu werden, als wir unterbrochen wurden", fuhr er fort. Sie fand ihre Stimme wieder. „Gut?" „Du hast doch vorhin gesagt, dass du mich liebst." Er sah ihr tief in die Augen. Dann seufzte er und nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Nein, Laura. Verschließe dich nicht länger vor mir. Du brauchst nicht mehr wegzulaufen. Und ich werde es auch nicht mehr tun." Er küsste sie noch einmal auf die Stirn. „Komm schon. Ich glaube, du hast recht. Ich brauche etwas Stärkeres als Portwein." Unter der Tür von Mrs. McCabes Zimmer schien Licht durch, als Ray und Laura die Diele betraten. Oben war alles dunkel. Laura blieb zögernd in der Tür zum Wohnzimmer stehen und sah zu, wie Ray die Drinks mixte. Sie war sich nicht sicher, ob sie gehofft oder befürchtet hatte, dass sie allein wären. „Was hattest du doch zuletzt gesagt?" brachte Ray das Gespräch wieder aufs Thema, als er ihr das Glas reichte. Laura ließ sich aufs Sofa fallen und sah ihn überrascht an. „Ich habe überhaupt nichts gesagt." „Du wolltest mir im ,Widow's Walk' gerade etwas erzählen." Aber er gab ihr keine Zeit, noch länger darüber nachzudenken, sondern setzte sich neben sie und zog sie eng an sich heran. Zuerst wollte Laura sich dagegen sträuben, gab dann aber auf. „Vielleicht sollten wir noch einmal ganz von vom anfangen. Die Dinge haben sich etwas geändert, seit ich dich das erste Mal mitgenommen habe."
Laura schloss kurz die Augen und trank nachdenklich einen Schluck. „Wieso denn?" „Man hat mich gefunden." Sie richtete sich auf, um ihn anzusehen. „So? Und was nun?" Er nahm einen tiefen Schluck und fluchte dann. „Die Nachricht wird ziemlich schnell die Runde machen." „Du redest über das Bild." „Nicht nur." Ray stand auf und ging zum Fenster, um zu ihrem Haus hinüberzusehen. „Wie lange läuft eigentlich dein Mietvertrag?" fragte er plötzlich. „Immer einen Monat. Am Sonntag endet die Mietzeit. Warum?" Ihre plötzliche Panik verursachte ihr ein unangenehmes Gefühl im Magen. Hatte Ray ihr Gepäck doch gesehen?" Aber er füllte sich nur noch einen Drink ein und kam wieder zum Sofa zurück. Seine Stirn war gerunzelt, als ob er über etwas nachdachte. „Ich möchte eigentlich nicht ohne dich abreisen." Seine Worte klangen so offen und ehrlich, dass sie ihm einfach glauben musste. „Wovon redest du denn?" fragte sie, obwohl sie es genau wusste. Seine Augen suchten ihren Blick. „Ich muss Endless Cape verlassen." „Das kannst du nicht." „Im Gegenteil, ich muss." „Das ist Wahnsinn!" „Ich habe keine Lust, mein Leben lang auf dem Präsentierteller zu leben", stieß er aufgebracht hervor. Laura sprang auf. „Dann solltest du dich vielleicht bei einem Schönheitschirurgen anmelden!" antwortete sie und wunderte sich, warum sie selbst so wütend war. Sie versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Ray", begann sie erneut. „Jeder wird dich erkennen. Egal wohin du gehst. Die Leute wissen, wer du bist." Sie machte eine hastige Handbewegung zum Fenster hin. „In diesem Ort leben vielleicht nur hundert Menschen. Eine kleinere Stadt als diese hier wirst du kaum noch finden. Aber auch diese Menschen sind in den letzten fünfzehn Jahren im Kino gewesen, und sie kennen dein Gesicht. Die Nachricht, dass du hier lebst, hat sich längst verbreitet. Und so wird es überall sein!" Seine Augen wurden schmal. „Nicht unbedingt." „Wo willst du denn hin? Es wird hart für Angela, wenn die Leute noch nicht einmal englisch spreche n!" Ray wirkte plötzlich so entschlossen, und das erschreckte Laura. „Willst du auf den Mond flüchten?" fragte sie spöttisch. „Das wohl nicht. Aber keinesfalls mehr in eine Stadt." „Was bleibt dir denn noch?" „Freies Gelände. Im Westen gibt es genug davon. Vielleicht gehe ich nach Arizona oder Montana." Laura wurde plötzlich ganz ruhig. „Du meinst es tatsächlich ernst." „Natürlich", gab er zurück. Als er sah, wie schockiert Laura war, kam er zu ihr herüber. „Laura, das ist nicht zu weit hergeholt. Wir kaufen dort ein paar tausend Morgen Land, bauen ein Haus und züchten Pferde und Schafe." Er sah sie einen Moment an und sagte dann mit sanfter Stimme. „Komm doch mit uns." Laura verschlug es die Sprache. Ray berührte sie sanft, legte ihr Kinn in seine Hand und hob ihren Kopf. Träumer, Träumer, rief ihre innere Stimme. Sie versuchte, in der Realität zu bleiben, obwohl es ihr schwerfiel. „Montana", schwärmte er. „Wir werden in jedes Zimmer einen Kamin bauen. Und wenn es dann in den Nächten kalt wird und Eisblumen am Fenster sind, kommst du zu mir. Ich werde dich wärmen." Sein Mund bedeckte ihre Lippen. Mit der Hand streichelte er sanft über Lauras Brust,
und eine heiße Welle der Erregung durchflutete ihren Körper. „Ich werde dich überall berühren, während draußen die Schneeflocken tanzen. Wir trinken Brandy vor dem Kamin aus schweren Kristallgläsern, und ich streichele dich hier . . . und da ... und hier . . ." Ihr Pulli fiel zu Boden. Dann senkte er seinen Kopf und ließ seine Zunge aufreizend langsam um ihre Brustspitze kreisen. Laura stöhnte vor Wonne leise auf. „Mmh, genauso wird es sich anfühlen." Ray ließ seine Hand über ihren flachen Bauch gleiten. Er fand den Reißverschluß an ihrer Jeans, öffnete ihn und ließ dann seine Finger unter ihren Slip gleiten. Langsam ließen sie sich auf den Boden sinken. „Genauso wird es sein mein Schatz. Ein richtiger Traum. Denk doch an die Winternächte in Montana!" Seine Stimme umhüllte sie und ließ sie weiterträumen. Laura hatte das Gefühl, auf einem Zauberteppich dahinzugleiten, und lauschte verzückt seinen Worten. Wieder senkte er seine Lippen auf ihren Mund, und sie erwiderte leidenschaftlich seinen Kuss. Nur kurz löste er sich von ihr, um seine Jeans und sein Hemd auszuziehen. Als er ganz nackt vor ihr stand, streckte Laura die Hand nach ihm aus und zog ihn zu sich herunter. Mit zitternden Fingern erforschte sie seinen muskulösen Körper. Er war so stark, so männlich, aber unter ihrer Berührung schien er dahinzuschmelzen. „So wäre es, wenn wir miteinander schlafen, nicht wahr?" flüsterte sie. „Mmh." „Und wie gefällt dir das?" „Das machst du einfach wunderbar." „Schlaf mit mir, Ray, jetzt und hier." Mit einer schnellen Bewegung drehte er sich zu ihr und liebte sie wild und leidenschaftlich. Laura gab sich ganz ihren Gefühlen und Träumen hin. Sie wollte ihn ganz für sich. Immer wieder und wieder kam er zu ihr, bis sie schließlich gemeinsam ihren Höhepunkt fanden. Und in diesem Moment glaubte sie, dass es wirklich eine gemeinsame Zukunft für sie geben konnte.
10. KAPITEL Laura setzte sich wieder auf. Erschreckt hielt sie die Hand vor den Mund. „Ach du liebe Güte!" meinte sie leise. Ray öffnete die Augen und blickte sie an. Noch immer lag er auf dem Boden. „Wahrscheinlich hast du gerade entdeckt, dass ich gar keinen Kamin habe?" Sein Lächeln war leicht und zufrieden, bis er den Ausdruck auf ihrem Gesicht sah. Er griff nach ihr und hielt sie an der Hand fest. „Nein, Laura, diesmal lasse ich dich nicht fort. Du wirst mich nie wieder verlassen. Dazu ist es jetzt zu spät." In Panik schüttelte sie den Kopf. „Angela", antwortete sie. „Was ist mit ihr?" „Sie ist oben, und wir haben hier . . ." Ray lachte. „Nein." „Was nein?" „Sie ist nicht hier. Der Rohrbruch in der Schule ist noch immer nicht behoben. Die Kinder haben ein paar Tage frei, während die Reparaturen ausgeführt werden. Angela ist bei Mary Elise." Dann schnitt er eine Grimasse. „Die beiden kommen übrigens morgen abend zusammen her, wenn sie am Freitag noch nicht wieder zur Schule müssen. Würdest du mir dann vielleicht helfen? Ich muss zugeben, dass ich nicht besonders viel Erfahrung mit neunjährigen Mädchen habe." Morgen abend, dachte Laura. Die Wirklichkeit brach so schnell über sie herein, dass ihr schwindelig wurde. Sie musste wieder an ihr Gepäck denken, das schon reisefertig in einer Ecke in der Küche stand. Auch Angelas Geständnis und das sichere Wissen, dass sie hier nichts mehr tun konnte, außer sich selbst noch mehr in Lügen zu verstricken, kamen ihr wieder ins Gedächtnis. Fast hätte sie laut aufgeschrieen. Und was jetzt? Habe ich den Mut, dazubleiben und weiterzuträumen? Sollte ich noch einmal versuchen, ihm endlich die Wahrheit zu sagen? Oder soll ich einfach darauf warten, dass Angela freiwillig ihr Geheimnis preisgibt? Die Gedanken überstürzten sich in Laureis Kopf. Ray würde dann nie erfahren müssen, dass sie auch in diese Sache verwickelt war. Kann ich so lange mit einer Lüge leben, obwohl er mich liebt? Ray ließ seine Finger über ihren Rücken gleiten. „Es braucht übrigens kein Traum zu bleiben mit uns beiden", murmelte er. „Verlass mich nicht, Laura." Seine Stimme hatte immer die gleiche Wirkung auf sie. Sie konnte ihm einfach nicht widerstehen. Schnell drehte sie sich zu ihm um. „Und was geschieht dann?" wollte sie wissen. Er runzelte die Stirn und setzte sich auf. „Ah, du glaubst also nicht an ein glückliches Ende für uns beide?" „Ich weiß es nicht." Sie sah einen leichten Anflug von Ärger in seinem Blick. „Und welche Wahl habe ich?" Einen langen Moment sah sie ihn einfach an und wusste nicht, was sie antworten sollte. Schließlich schüttelte sie den Kopf. Sie würde die einzige Waffe benutzen, die ihr blieb. Vielleicht würde das helfen. „Angelas Gesundheit geht vor", schlug sie vor. „Wie meinst du das?" „Falls wir, falls du sie mit nach Montana oder Arizona nimmst und sie irgendwo auf einem abgelegenen Bauernhof unterbringst. . ."Sie machte eine Pause, um sich selbst zu sammeln, und zwang sich dann fortzufahren. „Du wirst sie verlieren." „Ist das deine berufliche Meinung?" Seine Stimme war scharf, aber sie nickte. „Du kannst ihr nicht einfach den Rest ihrer Kindheit stehlen und sie irgendwo in der Wüste verstecken." Sie sah ihn bittend an. „Denk doch einmal darüber nach, Ray! Sie ist
noch ein Kind. Sie braucht ein Zuhause, wo sie sich wohlfühlen kann." Sein Blick wurde hart. „Ihre Sicherheit ist mir wichtiger. Sie wird es schon überleben." Traurig schüttelte Laura den Kopf. „Nein, das wird sie nicht." Ray stand auf, schüttete seinen Drink herunter und ließ sich dann viel Zeit, um sich eine Zigarette anzuzünden, bevor er sich wieder zu Laura wandte. „Wir werden noch einmal alles überschlafen. Die Zeitung mit unserem Bild erscheint schließlich erst morgen." Ihre Blicke trafen sich. „Du willst alles überschlafen?" wiederholte sie. „Ich meine hier." „Mit mir zusammen?" Es war ein ziemlich komischer Kommentar, aber er lächelte nicht. „Ich bin fest entschlossen, dir nicht mein Gästezimmer anzubieten." Wieder fühlte Laura ein Gefühl der Panik in sich aufsteigen. Werde ich das durchstehen? Traue ich mir das zu? Macht es denn überhaupt noch einen Unterschied? Sie hatte sich völlig in ihr Netz aus Lügen und Versprechungen verstrickt. Hilflos barg sie ihr Gesicht in den Händen. „Was ist denn mit Mrs. McCabe?" fragte sie Ray und sah wieder zu ihm auf. Sein Lächeln war ziemlich ansteckend. „Vielleicht können wir sie schockieren." Laura musste lachen. Dann wurde sie aber wieder ernst. „Wann kommt Angela denn zurück?" „Heute abend jedenfalls nicht mehr. Jetzt hör endlich auf, nach Ausreden zu suchen, Laura. Heute abend schläfst du hier." Er machte eine kleine Pause. „Bitte!" Es schien alles so richtig zu sein, neben ihm aufzuwachen. Gemütlich streckte sich Laura aus. Ray hatte seinen Arm besitzergreifend um ihre Taille gelegt, und sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Hals. Zufrieden schloss sie die Augen und seufzte leise in der Erinnerung an die wunderschöne Nacht, die sie mit Ray verbracht hatte. „So lässt es sich aushalten", meinte Ray leise. „Gibst du eigentlich nie auf?" flüsterte sie. Ray lachte. „Das passt nicht zu meinem Image." Er setzte sich auf und zog sie hoch. „Was hieltest du von einem Kompromiss?" fuhr er fort. „Das sollte doch der Praktikerin in dir zusagen. Wir könnten es sogar schriftlich festhalten." Laura war noch nicht richtig wach, um zu verstehen, was er meinte. „Du hast die ganze Nacht nachgedacht, statt zu schlafen", beschwerte sie sich gähnend. „Da war ich nicht der einzige." Schlagartig war sie wach. Es stimmte. Die ganze Nacht hatte sie das Gefühl genossen, ihn so nahe bei sich zu spüren. Fast hatte sie daran geglaubt, dass die Realität sie nicht mehr wieder einholen würde. Lange hatte sie überlegt und war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht mehr länger mit ihren Lügen leben konnte. Irgendwann müsste sie ihm die Wahrheit sagen. Zwar konnte sie ihm nicht verraten, was Angela ihr anvertraut hatte, aber sie musste ihm wenigstens erzä hlen, wer sie war und warum sie sich in Endless Cape aufhielt. Laura schloss die Augen, drehte sich zur Seite und legte ihre Wange an seine Brust. „Gut", sagte sie sanft. „Erkläre mir deinen Kompromiss." „Heirate mich", forderte Ray sie auf. Lauras Kehle wurde ganz trocken. „Das ist ein Kompromiss?" fragte sie ihn fassungslos. „Ich glaube, es ist eher ein Antrag." Wieder übermannte sie das Verlangen nach ihm. Sie wollte in seinen Armen weiterträumen und alles Unangenehme einfach vergessen. „O nein!" „Das ist keine akzeptable Antwort." „Nein. Ich wollte sagen . . ." Was will ich eigentlich sagen? dachte sie. Frag mich später, hätte sie am liebsten gebettelt. Gib mir noch etwas Zeit, nur ein bisschen. Ich kann
es dir jetzt einfach noch nicht sage n. Nicht hier, nicht so. Sie war immer noch zu feige. Laura spürte, wie Ray sich innerlich versteifte. Seine Stimme war ruhig. „Ist das zuviel für dich, bevor du deinen Frühstückskaffee getrunken hast?" Sie schluckte. „Vielleicht hilft Kaffee etwas." Er erhob sich aus dem Bett. „Wahrscheinlich ist es ohnehin am besten, wenn wir in der Küche reden." „Warum?" fragte Laura ihn, während sie absichtlich seinem Blick auswich. „Ich weiß nicht genau, wann Angela zurückkommt", erklärte er. „Sie wäre sicher erstaunt, dich hier vorzufinden. Ich möchte nicht so gern, dass sie mich mit dir im Bett überrascht." Ray verschwand im Badezimmer und kam kurz darauf wieder zurück. „Jedenfalls jetzt noch nicht", fügte er dann hinzu und verließ den Raum. v
Ray will mich heiraten, überlegte Laura ungläubig, während sie aus dem Bett aufstand. Ja, antwortete sie im stillen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als deine Frau zu werden. Sie sammelte ihre Kleidung zusammen, fand noch ein zweites Badezimmer und duschte. Dann ging sie nach unten. Doch Ray war nirgends zu finden, und Mrs. McCabe hielt sich offensichtlich zurück. Das grenzt fast an ein Wunder, dachte Laura. Wahrscheinlich hätte sie die abfälligen Blicke der Haushälterin heute auch nur schwer ertragen können. Laura suchte die Küche auf und begann, das Frühstück vorzubereiten. Während sie Butter, Brot und Aufschnitt bereitstellte, beschloss sie, Ray jetzt endlich alles zu erzählen. Beim Frühstück werden wir über alles reden, dachte sie entschlossen. Wenn er sie wirklich liebte, würde er verstehen, warum sie ihm ausgewichen war und so oft gelogen hatte. Doch wo war er nur? Laura schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und blickte angespannt zur Tür. Ray hätte schon längst hier unten sein müssen. Laura wartete und horchte auf ein Geräusch. Schließlich stand sie auf. Ihr Puls raste, und sie hatte feuchte Hände, als sie sich auf den Weg zum Wohnzimmer machte. Doch auch dort war er nicht zu finden. Als sie nach ihm rief, antwortete er nicht. Schließlich ging sie wieder nach oben und suchte ihn im Schlafzimmer. Das Bett war noch zerwühlt von der letzten Nacht, aber Ray war nirgends zu finden. Allmählich stieg ein Gefühl der Panik in ihr auf. Rasch kehrte sie wieder nach unten zurück in die Küche. Ray stand mit dem Rücken zu ihr am Tisch und sah auf irgend etwas hinunter. Er wirkte verkrampft, hart und unbeweglich. Und plötzlich wusste Laura, dass alles vorbei war. „Ray?" Ihre Stimme versagte ihr fast. „Für eine so kleine Zeitung haben sie ihre Hausaufgaben aber gut erledigt. Das überrascht mich eigentlich. Normalerweise sind es die kleinen Blätter, die die Gerüchte in die Welt setzen." „Ich verstehe nicht, was du meinst." Er drehte sich zu ihr um. Jetzt sah sie, dass er eine Zeitung in seiner Hand hielt. Er streckte ihr das Blatt entgegen. „Sag mir, Laura, ist das die Wahrheit?" Laura war wie gelähmt, vor Angst versagte ihr die Stimme, und sie brachte kein Wort über die Lippen. „Nun sieh dir an, was da steht. Wahrscheinlich interessiert es dich, was sie über dich geschrieben haben," forderte Ray sie auf. „Über mich?" fragte Laura leise. „Offensichtlich bist du noch interessanter als ein ehemaliger Schauspieler. Mein Beitrag zu der Szene hat sie kaum interessiert."
Zögernd nahm Laura die Zeitung entgegen. Mit klopfendem Herzen las sie die ersten Zeilen. Natürlich stand der Bericht auf der ersten Seite. In Endless Cape war die Affäre zwischen einem Filmstar und der schönen Fremden natürlich eine Sensation. Die Einwohner wussten, wer Ray war, aber sie war eine Unbekannte gewesen. Deshalb hatte man wahrscheinlich großes Interesse daran gehabt, sie zu identifizieren. „Dr. Laura Gates", murmelte Ray, als er ihr die Zeitung wieder aus der Hand nahm. Sie spürte den Abscheu in seiner Stimme. „Eine erfolgreiche Kinderpsychologin und Privatdetektivin, die am Entführungsfall von Angela Cortecelli arbeitet. Für die Verteidigung! Ist das richtig?" Wieder überflog er die Zeilen. „Mir scheint, diesmal haben sie wirklich gut recherchiert", fuhr er fort. „Dein Vermieter hat deinen Namen und deine Heimatstadt angegeben. Und deine Sekretärin war freundlich genug, sie über den aktuellen Fall zu informieren." Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. „An deiner Stelle würde ich diese Frau auf der Stelle entlassen!" Laura hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Ich, ich wollte dir alles erklären", begann sie hilflos. „Wie interessant! Wann denn? Vor oder nach unserer Hochzeit?" Jetzt wurde Laura plötzlich auch wütend. „Das ist nicht fair! Ich habe nicht gesagt, dass ich dich heiraten will." Mit einem Schritt war er bei ihr. „Nein, das hast du nicht getan! Du hast nur mit mir geschlafen. Ich denke, das gehört zu deiner Taktik, die du anwendest, um besonders schwierige Fälle zu klären?" Das Blut wich Laura aus dem Gesicht. „Du glaubst. . ." fing sie an, war aber nicht in der Lage, ihren Satz zu vollenden. „Du hast eine Affäre mit mir begonnen, um Angelas Vertrauen zu gewinnen", stieß Ray hervor. Laura wich zurück, als ob man sie ins Gesicht geschlagen hätte. „Das ist nicht wahr!" „Nein? Dann möchte ich jetzt gern deine Version der Geschichte hören." „Ich habe sie dir gestern abend erzählt." Wütend trat er zurück, dabei stieß er an den Tisch, so dass das Geschirr klirrend zu Boden fiel. „Keine Lügen mehr!" Seine Stimme klang warnend. „Ich habe nicht gelogen!" rief Laura. „Jedenfalls nicht, was meine Gefühle zu dir angeht. Deshalb habe ich dir auch nicht alles erzählt. Ich hatte Angst, ich würde dich verlieren." Laura atmete tief durch. „Wie soll ci h es dir erklären? Zuerst war ich nur daran interessiert, den Fall zu lösen. Ich kannte dich noch nicht einmal! Und dann habe ich dich getroffen, und plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte! Es ist alles so schnell gegangen!" Laura bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Du glaubst doch nicht, dass ich nur aus einem Grund mit dir geschlafen habe", flüsterte sie. „Du musst mich doch besser kennen." „Dich kennen?" Er lachte gequält auf. „Du bist für mich eine Fremde. Ich hätte nie gedacht, dass du zu so etwas fähig bist." Laura hatte erneut das Gefühl, als habe ihr jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt. „Du kanntest mich offenbar gut genug, um dich in mich zu verlieben", erwiderte sie tonlos. Wieder lachte Ray auf. „Ich kannte nur das, was du mir erzählt hast. Ich habe deine Lügen geglaubt und mich deshalb in dich verliebt. Aber dich?" Er unterbrach sich und starrte verzweifelt auf die Zeitung, die er noch immer in der Hand hielt. „Nein", sagte er. „Ich könnte dich nicht lieben. Wer kann eine Fremde lieben?" „Ray . . ." begann Laura. „Geh bitte, Laura. Sofort. Es ist für dich auch am besten. Ich könnte mich sonst vergessen." Verzweifelt sah sie ihn an. Dann wandte sie sich zur Tür. Tränen schwammen in ihren
Augen. „Laura?" Sie blieb stehen. „Noch eine letzte Frage. Ich muss die Antwort unbedingt wissen." Sie nickte stumm, ohne sich umzudrehen. „Was hast du herausgefunden?" Lauras Herz setzte einen Schlag aus. Sie drehte sich schnell zu ihm um. „Ich nehme an, du hast den Fall gelöst." Seine Stimme klang gefährlich leise. „Ja, ich kann sehen, dass du es geschafft hast." Was bedeutet noch eine weitere Lüge? Irgend etwas in ihr drängte sie, endlich alles zu gestehen, aber sie schaffte es nicht und schüttelte nur den Kopf. „Willst du mir etwa bedeuten, dass Angela dir nichts erzählt hat?" „Ich . . ." Sie unterbrach sich und schluckte. Alles, was sie sagen musste, war nein! Es war so einfach! „Laura, antworte mir endlich!" drängte Ray sie. „Nein!" brach es aus ihr hervor. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Doch trotzdem fühlte sie sich an das Versprechen, das sie Angela gegeben hatte, gebunden. Das Kind hatte ihr vertraut. Sie durfte es nicht enttäuschen! „Nein", wiederholte sie. „Angela hat mir nichts erzählt." Einen langen Moment herrschte Schweigen. „Warum konntest du mir dann nicht sagen, was du vor mir versteckt hast, als ich danach gefragt habe?" fragte Ray schließlich. „Da hast du mir erzählt, dass du mich liebst!" „Und ich habe dir die Wahrheit gesagt!" Traurig blickte sie Ray an, während ein dumpfer Schmerz sich in ihrer Brust ausbreitete. Sie hatte gelogen, und sie würde die Konsequenzen tragen. Aber sie sah keinen Grund, für das zu büßen, was sie nicht verschuldet hatte. „Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe und dass ich Angst hatte, dich zu verlieren", fuhr sie fort. „Warum hast du mir dann nicht alles eher gesagt?" wollte Ray wissen. „Die ganze Zeit habe ich gewusst, dass du mir etwas vorlügst, etwas vor mir verbirgst. Du hast damals schon genau gewusst, dass wir direkt nebenan wohnen. Ich habe dich gefragt, wovor du Angst hast, aber du hast nicht geantwortet! Weder nachdem ich dich berührt hatte, noch nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Ich habe dir eine Chance nach der anderen gegeben, die du nicht genut zt hast." Laura wurde blass. „Willst du damit sagen, dass du mir Fallen gestellt hast?" Er lächelte sie gequält an. „Ich war dumm genug zu glauben, dass du irgendwann einmal mir von selbst die Wahrheit sagen würdest." Seine Worte hatten etwas Endgültiges. Wäre alles anders geworden, wenn sie die Wahrheit gesagt hätte? Laura sah ihn genau an. Aber im Moment schien er ihr ein Fremder zu sein. Nein, von Anfang an war ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt gewesen. Obwohl die Tränen in ihren Augen brannten, weinte sie nicht. Sie drehte sich wortlos um und verließ sein Haus. Noch ein letztes Mal ging Laura durch ihr Haus und überprüfte, ob sie auch nichts vergessen hatte. Was wäre, wenn ich eher auf Phil gehört hätte? überlegte sie dabei. Doch dann kam sie zu dem Ergebnis, dass es auch nichts geändert hätte. Sie hatte Ray schon in dem Moment verloren, als sie den Auftrag angenommen und den Fall in San Francisco übernommen hatte. Schnell schob sie noch eine Flasche Shampoo in einen der Koffer und stellte ihn in die Küche. Dann nahm sie ihren Schlüsselbund und machte den Schlüssel zum Haus ab. Abwesend suchte sie nach dem Umschlag, den sie schon vorbereitet hatte, legte den
Schlüssel hinein und steckte den Umschlag in den Briefkasten. Ihr Auftrag war erledigt. Frank Kemp würde freigesprochen. Warum konnte sie sich darüber nur gar nicht freuen? Vielleicht weil trotz allem noch einiges erledigt werden musste? Sie musste mit der Klinik sprechen und herausfinden, warum Monica im letzten Sommer entlassen worden war. Hoffentlich würde Angela ihr Versprechen halten. Doch was geschah danach? Bei dem Gedanken stieg erneut Panik in ihr auf, denn genau das war ihr Problem: Wenn der Fall völlig geklärt war, würde sie auch die letzte Verbindung zu Ray verlieren. Laura schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken zu verdrängen. Dann nahm sie ihre Koffer und trug sie nach draußen. Plötzlich hörte sie Kinderstimmen. Erst ein Kichern und dann ein Rufen und Fußschritte. Sie schob ihre Koffer die Treppe hinunter, sah auf und erblickte Angela. Das Kind blieb stehen, während seine Freundin, zweifellos Mary Elise, weiterlief. Laura hatte das Gefühl, dass ihr Herz einen Schlag aussetzte. Sie hob eine Hand und winkte Angela zu. Sie wollte ihr unbedingt erzählen, dass sie nichts verraten hatte und dass ihr Geheimnis bei ihr sicher war. Ohne zu überlegen lief sie die Treppe hinunter und auf Angela zu. Doch das Mädchen drehte sich um und rannte rasch davon.
11. KAPITEL Eine riesige Menschenmenge war gekommen. Laura beobachtete vom Fenster der sechsten Etage aus, wie die Schaulustigen sich vor dem Eingang des Gerichts von San Francisco drängten. Sicherheitskräfte hielten den Weg frei. Auch die Presse war da. Wieder hatte jemand das Gericht betreten. Blitzlichter flammten auf, und dann bewegte sich die Menge wieder zurück. Noch immer war der Mann, auf den die Leute eigentlich warteten, nicht erschienen. Laura hatte Angst vor einer erneuten Begegnung. Sie war sich nicht sicher, wie sie sich verhalten würde. Sie trat vom Fenster zurück, weil sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Nein, sie würde jetzt nicht weinen. Nicht mehr. An dem Tag, an dem sie nach San Francisco zurückgekommen war, hatte sie sich in ihrem Apartment eingeschlossen und nur noch geweint. Doch das war jetzt vorbei. Laura zog eine Grimasse, als sie vor den Spiegel trat und ein Papierhandtuch aus dem Halter zog. Sorgfältig tupfte sie sich die Augen. In diesem Augenblick betrat Maria das Zimmer. „Sie sind wie die Haie", sagte sie und lehnte sich an die Tür. „Machen Sie sich wegen der Presse keine Sorgen", beruhigte Laura sie. „Es ist gut für Ihre Karriere, dass sie alle da sind." „Nur wenn ich gewinne." Maria stellte sich vor den Spiegel und ordnete ihr Haar. „Keine Sorge, das werden Sie schon." „Nur wenn Sie mit Angela Cortecelli recht haben." „Ich bin mir ganz sicher." Maria drehte sich um und sah Laura interessiert an. „Sie waren sich die ganze Zeit so sicher." Laura zuckte mit den Schultern und spürte erneut einen Schmerz. „Ich bin Psychologin. Ich kenne mich ganz gut mit Kindern aus." „Nun, in ein paar Stunden wissen wir mehr." Die Verteidigerin überlegte. „Wissen Sie, ich verstehe immer noch nicht, warum Sie sich nicht für diesen Fall bezahlen lassen wollen." Laura seufzte. „Das habe ich Ihnen doch schon erklärt", erwiderte sie schwach. Sie konnte Maria unmöglich die Wahrheit erzählen, wahrscheinlich hätte sie ihr auch gar nicht geglaubt. „Ich habe Sie eingestellt, damit Sie mir helfen, Frank Kemp freizubekommen. Wenn die Verhandlung heute so verläuft, wie wir es uns vorstellen, haben Sie Ihr Ziel erreicht." Aber Laura schüttelte den Kopf. „Nein. Sie haben mich eingestellt, um herauszufinden, wer Angela wirklich gekidnappt hat. Doch das habe ich nicht herausgefunden. Ich habe nur eine Ahnung, dass Angela die Wahrheit erzählen wird, wenn Sie sie vorladen." Laura hoffte noch immer, dass das Kind keinen Meineid leisten würde. Vier Wochen waren vergangen, seit sie aus Endless Cape zurückge kommen war. Seitdem hatte sie oft geweint und sich immer wieder eingeredet, dass ihre Beziehung zu Ray von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Lange hatte sie mit sich gekämpft, ob sie zu ihrem Versprechen stehen sollte, das sie Angela gegeben hatte, oder ob sie es vertreten konnte, Angela zu enttäuschen. So war eine Woche um die andere verstrichen, und Angela hatte sich nicht gemeldet. Jetzt stand die Gerichtsverhandlung bevor, und Laura hoffte, dass Angela die Wahrheit sagen würde. Natürlich hatte Laura kein großes Aufheben erwartet. Diesmal würde es keine Schlagzeilen auf der Titelseite geben. Falls Ray inzwischen wusste, dass Monica ihre eigene Tochter entführt hatte, würde er diese Tatsache vor der Öffentlichkeit fernhalten. Nervös kehrte Laura zum Fenster zurück. Wieder rieb sie ihre Schläfen und kämpfte die
Tränen der Verzweiflung nieder. Glaubte Angela vielleicht, dass Laura sie betrogen hatte und sie sich daher nicht mehr an die Abmachung halten müsste? Was hatte Ray ihr erzählt? Ich habe ihm nichts gesagt, dachte Laura traurig. Ganz ge nau konnte sie sich an ihr letztes Gespräch erinnern, als ob es gerade vor einem Tag oder nur vor einer Stunde passiert war. Er hatte sie gefragt, und sie hatte ihr Versprechen gehalten und nichts von dem, was Angela ihr anvertraut hatte, verraten. „Ich weiß, ich habe das schon einmal gefragt, aber sind Sie sicher, dass Corti die Vorladung erhalten hat?" Maria nagte an ihrer Unterlippe. „Er hat die Vorladung unterschrieben. Die Unterschrift stimmt mit denen anderer Rechtsdokumente überein. Entweder hat der Staatsanwalt sie gefälscht, als er die Zustellung quittierte, oder er wird heute mit Angela hier erscheinen. Und falls der Staatsanwalt etwas gefälscht hat, kann er seine Karriere vergessen." „Das ist wahr." „Laura, jetzt quälen Sie sich nicht. Wir können nur noch warten. Falls Angela Cortecelli heute hier erscheint und sie im Zeugenstand die Wahrheit sagt, wird Kemp freigelassen." „Und falls nicht?" Maria zuckte mit den Schultern. „Dann habe ich einen Fall verloren." Und ich, dachte Laura bitter, habe jedes bisschen Ehre, das ich je besessen habe, verloren. Jetzt hörte sie das Geschrei der Menge sogar durch die geschlossenen Fenster. Erst war es nur ein dumpfes, aufgeregtes Murmeln. Laura hatte das Gefühl, als ob sich dort unten auf der Straße ein riesiger Bienenschwarm versammelt hätte, der sich gerade auf eine Attacke vorbereitet. Sie ging zum Fenster. Unten auf der Straße sah sie gerade eine große schwarze Limousine vorfahren. Die Autotür öffnete sich. Ray stieg zuerst aus. Sein Anblick versetzte ihr einen Stich. Ray war tief gebräunt. Vielleicht ist er doch in Arizona gewesen, überlegte Laura. In dem kurzen Augenblick, den er brauchte, um Angela aus dem Auto zu helfen, bemerkte sie noch einige andere Dinge. Er trug einen Anzug, und seine breiten Schultern füllten das Jackett gut aus. Unwillkürlich erinnerte sie sich wieder an das Gefühl, wie ihre Finger über seine Haut geglitten waren . . . Ray bewegte sich entschlossen. Sein Gang erregte einfach Aufsehen. Angela rannte vor ihm die Treppen hinauf. Er folgte ihr, blieb dann aber unvermittelt stehen. Plötzlich sah er zu ihr hinauf, und ihre Blicke trafen sich. Das war natürlich unmöglich. Schließlich befand sie sich in der sechsten Etage. Trotzdem hatte sie den Eindruck, als habe er sie vorwurfsvoll angeschaut. Hastig zog sie sich vom Fenster zurück. „Laura?" Es war Marias Stimme. Sie drehte sich verwirrt zu der anderen Frau um. „Geht es Ihnen gut?" Laura nickte. „Gehen wir", antwortete sie und schritt voraus zur Tür.
Laura setzte sich im Gerichtssaal auf den ersten verfügbaren freien Platz. Maria sah sie überrascht an. „Was tun Sie denn? Ich habe für Sie ganz vorn einen Platz freigehalten. Sie gehören doch schließlich zu meinem Team!" Aber Laura schüttelte nur den Kopf. „Ich möchte lieber von hier aus zuschauen." Am liebsten wäre ich heute gar nicht hergekommen, dachte sie. Sie würde Rays Blick nicht ertragen können - und auch nicht den Ausdruck in Angelas Augen. Aber sie musste sehen, was passierte. Wenn der entscheidende Moment kam und Angela wirklich aussagte, so wäre ihr Verhalten gerechtfertigt. „Sind Sie sicher?" fragte Maria skeptisch.
„Ja." Laura schluckte. „Nur Mut. Es ist Ihr Auftritt." „Ich glaube, Sie haben sich zu lange mit Schauspielern beschäftigt", meinte Maria schmunzelnd. Laura sah sie überrascht an. Einen Moment lang überlegte sie, ob auch die größeren Zeitungen das Foto von Ray und ihr aus Endless Cape veröffentlicht hatten. Wieviel wusste Maria? Aber Maria lächelte sie nur freundlich an. „Also gut, aber bleiben Sie nachher noch da. Vielleicht gibt es einen Grund zum Feiern." Die Zeit bis zum Beginn der Verhandlung schien kein Ende nehmen zu wollen. Unruhig rutschte Laura auf ihrem Stuhl hin und her und blickte gespannt nach vom. Doch der Richter war noch immer nicht erschienen. Auch Maria konnte Laura nirgends mehr entdecken. Was war eigentlich los? Nur Frank Kemp saß dort vom an seinem Platz und blickte unbewegt auf seine Hände. Laura blickte zur anderen Seite des Raums. Doch selbst der Staatsanwalt fehlte! Der Saal war bis auf den letzten Platz belegt. Alles drängelte sich hinein, um einen guten Platz zu erwischen. Verzweifelt suchte Laura die Menge ab. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie wusste, dass auch Ray und Angela nicht da waren. Laura sah auf ihre Uhr. Vor knapp fünfundzwanzig Minuten hatte sie Platz genommen. Das war keine normale Verzögerung mehr. Offensichtlich war das Verfahren unterbrochen worden. Laura stand auf und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Auf dem Flur stand ein Sicherheitsbeamter. Er blickte sie erstaunt an. „Wollen Sie schon gehen? Die Plätze sind hier sehr begehrt. Ich würde es mir an Ihrer Stelle zweimal überlegen, bevor ich meinen Sitz aufgebe." Laura schüttelte unwillig den Kopf. „Ich brauche meinen Platz nicht mehr." „Wie Sie wollen." Er grinste anzüglich. „Wofür kann ich Sie denn interessieren?" „Wo ist das Zimmer des Richters?" „Wie bitte?" „Wie komme ich zum Zimmer des Richters? Es ist doch wohl nicht nur durch den Gerichtssaal zu erreichen?" Der Sicherheitsbeamte reagierte alarmiert. „Beruhigen Sie sich doch. Es gibt noch eine Tür in der Südwestecke der Etage. Aber ich kann Sie dort nicht hineinlassen. Sie . . . bleiben Sie hier!" Aber Laura rannte schon den Flur hinunter und bog um die erste Ecke in den Korridor. Sie hörte, wie der Sicherheitsbeamte hinter ihr herlief, doch plötzlich kehrte er um. Darauf hatte Laura gesetzt! Sie wusste, dass er sie nicht aufhalten konnte, weil er seinen Posten nicht verlassen durfte. Natürlich hatte er ein Funkgerät dabei. Aber bis er Hilfe herbeigerufen hatte, hätte sie schon das erledigt, was sie wollte . . . falls es nicht schon zu spät war. Laura war sich völlig sicher, dass Ray Angela nicht durch den Gerichtssaal hinausführen würde. Und er würde sie sicher wegbringen, bevor ihre Aussage an die Öffentlichkeit geriet. Das Kind würde aussagen, und danach würde Ray schnellstens wieder mit ihr wegfahren. Kurz bevor der Korridor noch einmal nach rechts bog, fand Laura die Tür. Nervös schaute sie auf ihre Uhr. Inzwischen waren achtundzwanzig Minuten vergangen. Angelas Geständnis konnte nicht länger als zwanzig Minuten in Anspruch nehmen. Dennoch war sie wohl schon zu spät gekommen. Sie wandte sich vom Richterzimmer ab und ging in Richtung zur Treppe. Vielleicht konnte sie die beiden noch erwischen - falls die Presse nicht schon vor ihr da war? Was wäre, wenn . . .? Laura wollte sich gerade abwenden, als sich die Tür hinter ihr öffnete. Sie atmete tief
durch und drehte sich herum. Zuerst fiel ihr Blick auf Ray. „Was machst du denn hier?" fragte er sie kalt. Laura war klar, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte, aber mit Angela musste sie noch einmal reden. Ihr Blick fiel auf das Kind. Angela stand mit hängenden Schultern vor der Tür. Auch als Ray nach ihrem Arm griff und sie leicht anstupste, sah sie nicht einmal auf. „Komm, Schatz, verschwinden wir von hier." Angela nickte mechanisch, stolperte dann gegen ihren Vater und änderte die Richtung. Lauras Augen füllten sich mit Tränen. Impulsiv streckte sie die Arme nach dem Kind aus. Wenn sich Angela jetzt von ihr abwandte, war alles umsonst gewesen. .Angela?" flüsterte sie. „Sieh mich doch bitte an." „Hallo, Sie! Stehenbleiben!" rief jemand laut durch den Korridor. Angela blickte auf, und sogar Ray schaute überrascht in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Ich habe keinen Meineid geleistet!" jammerte Angela erschreckt. Sie warf sich mit einer solchen Kraft in Lauras Arme, dass sie diese fast aus dem Gleichgewicht brachte. „Nein, mein Schatz, der Beamte ist nicht hinter dir, sondern hinter mir her", beruhigte Laura das Kind. Angela sah überrascht auf. „Sie hat einen Meineid geleistet!" schrie sie plötzlich laut. „Du hast es Dad nicht erzählt. Daddy, Hilfe! Sie dürfen sie nicht verhaften! Dad . . ." „Was geht hier vor?" fragte Ray, während der Wachmann immer nä her kam. Er griff Lauras Ellenbogen mit einer Hand, Angelas Hand mit der anderen und schob die beiden zum Treppenhaus. „Keine Sorge. Wir schaffen es", meinte er beruhigend, als er Angelas ängstlichen Blick bemerkte. Sie hasteten schon um die nächste Ecke. „Ich möchte dafür aber nachher eine Erklärung", sagte er zu Laura gewandt. „Es ist nicht das . . . wonach ... es aussieht", erwiderte Laura atemlos. „Das hätte ich mir schon fast denken können." Laura starrte ihn verzweifelt an und übersah die nächste Stufe. Doch Rays Arme fingen sie auf. Sie öffnete ihre Augen und schaute ihn an. Er ließ sie nicht wieder los. Sein Mund war nahe vor ihrem. Laura erinnerte sich wieder daran, wie es war, seine Lippen zu spüren . . . Einen Moment vergaß sie alles um sich herum, bis Angela sich laut zu Wort meldete. „Beeilt euch! Er kommt!" Ray ließ sie los, schob Laura an sich vorbei, und weiter ging die wilde Jagd die Treppe hinunter. Laura folgte ihm. Ein paar Sekunden später gelangten sie endlich ins Freie. „Hier lang", ordnete Ray an.
Sie bogen um die Straßenecke. Die Menge stand immer noch da. Ray hatte die große Limousine glücklicherweise nahe an der Tür geparkt. Laura hielt an. Ray schenkte ihr keine Beachtung, bis er Angela sicher im Auto untergebracht hatte. Dann trafen sich einen Moment ihre Blicke. „Ich glaube, ich bin jetzt sicher. Mein Auto ist gleich . . ." begann Laura. „Das hier ist näher." Er hielt inne. „Die Grundregel, wenn man Räuber und Gendarm spielt, lautet, so lange zu flüchten, wie man kann. Komm, Laura, ich nehme dich ein Stück mit."
Laura wusste nicht, ob das verrückt oder klug war, was sie jetzt tat. Aber sie bemerkte Angelas verstörte Miene durch die Heckscheibe, und plötzlich fand sie ihre Sorgen albern. Der Wachmann bog gerade um die Straßenecke, als sie sich rasch auf den Beifahrersitz setzte. Es dauerte einen Moment bis sie erkannte, dass sie zur Golden-Gate-Bridge fuhren. Rays Nähe verwirrte sie. Entschlossen schaute sie aus dem Fenster, um ihre Gedanken etwas zu beruhigen. In dem Moment bemerkte sie das Wasser. „He, wo bringt ihr mich hin? Ich wohne in der Stadt. Ich . . ." „. . . ich muss dir etwas erklären", fiel er ihr ins Wort. „Fangen wir einmal mit dem Meineid an." Laura versteifte sich. „Da gibt es nicht vie l zu erklären." Angela sah zu ihr auf. „Ich verstehe das alles nicht." „Brauchst du auch nicht", antwortete Ray. Laura wurde plötzlich wütend. „Q doch", bestimmte sie energisch. „Das geht sie schon etwas an." Angela sah sie erwartungsvoll an. „Hast du es getan?" fragte sie. „Hast du einen Meineid geschworen?" „Nein." „Aber . . ." Das Kind brach hilflos ab. „O Schatz, das brauchte ich doch nicht mehr. Verstehst du denn nicht?" Laura nahm Angelas Gesicht in ihre Hand und zwang sie, sie anzusehen. „Du hast deinen Teil unserer Abmachung gehalten und ich meinen. Ich musste vor dem Gericht nicht lügen, weil du alles selbst dem Richter erzählt hast." Angela runzelte die Stirn. „Aber Dad hat gesagt. . ." Ray verzog keine Miene. „Was hat er denn gesagt?" „Dass du für den Mann gearbeitet hast, den ich als Täter beschuldigt habe." Laura holte tief Luft. „Das habe ich auch. Jedenfalls anfangs." „Wie meinst du das?" „Nun, ich habe die Bezahlung dafür nicht angenommen, weil ich den Fall im Endeffekt nicht gelöst habe." Laura machte eine Pause und suchte nach dem besten Weg, um alles zu erklären. „Ich sollte nach San Francisco zurückkommen und dem Richter erzählen, wer dich wirklich gekidnappt hat. Aber weil wir beide eine Abmachung getroffen hatten, habe ich geschwiegen und darauf gehofft, dass du deinen Teil der Vereinbarung einhältst." Angela nickte erleichtert. „Ich wusste, dass du es tun würdest", sagte Laura. „Wirklich?" fragte Angela. Laura lächelte. „Aber sicher. Ich liebe dich und habe großes Vertrauen zu dir. Deshalb wusste ich, dass du das Richtige tun würdest." Angela verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse.. „Ich musste nur jemanden finden, dem ich es erzählen konnte." Sie sah Laura einen Moment an und fing dann an zu lachen. „Du bist komisch." Obwohl Laura lachte, kamen die Tränen. „Das haben mir schon viele gesagt." Rays Stimme klang rau, als er die beiden schließlich unterbrach. „Was geht hier eigentlich vor?" fragte er barsch. Laura hatte das Gefühl, als setze ihr Herz einen Schlag aus. Sie drehte sich zu Ray um. „Ich . . ." Plötzlich meldete sich Angela zu Wort. Es brach einfach aus ihr heraus. „Es ist genau, wie ich dem Richter erklärt habe. Manchmal muss man etwas Falsches tun, wenn man es für eine andere Person richtig machen will."
„Nun hör sich das einer an. Das erzählt mir meine neunjährige Tochter", murmelte Ray. Kurzerhand parkte er den Wagen. Laura räusperte sich nervös. „Habe ich eine Chance, dass du mich wieder nach Hause fährst?" Einen Moment war das Schweigen zwischen ihnen fast unerträglich. Plötzlich sprang Angela auf und verließ den Wagen. Ray zögerte einen Augenblick, dann zog er Laura an sich und küsste sie leidenschaftlich. „Nicht die geringste Chance", antwortete er schließlich. Lauras Puls beschleunigte sich. „Ray ..." „Ich weiß. Du möchtest die ganze Angelegenheit wieder praktisch angehen." Er schwieg eine Weile, bevor er fortfuhr: „Ich glaube, ich kann das nicht logisch erklären. Ich war ziemlich wütend. Und dann lässt man sich zu völlig unüberlegten Handlungen hinreißen. Außerdem hast du mich angelogen." „Mir blieb keine andere Wahl", erwiderte Laura ernst. Er überlegte kurz. „Nein, ich glaube, dir blieb wirklich nichts anderes übrig." „Wenn ich dir gleich am ersten Abend, als ich dich traf, erzählt hätte, wer ich bin und was ich wollte, wärest du gleich wieder verschwunden. Aber ich glaube, auch als ich vor dir weglief, wusste ich schon, dass ich dich nicht wieder gehen lassen will." Sie zögerte. „Ich spürte schon sehr früh, dass mein Interesse an dir nichts mehr mit dem Fall Kemp zu tun hatte." „Und dann?" fragte Ray leise. „Dann habe ich mich in dich verliebt!" „Ich liebe dich auch", meinte Ray zärtlich. „Ray . . ." „Jeden Tag meines Lebens möchte ich mit dir teilen", fügte er hinzu. Er küsste sie noch einmal. „Bleib bei mir, Laura, heirate mich", bat er sie. Mit erstickter Stimme flüsterte sie: „Ja, Ray." „Und in Zukunft gibt es keine Geheimnisse mehr?" „Kein einziges." „Du wirst mir dann sicher auch noch erzählen, warum der Wachmann hinter dir her war?" Einen Moment war Laura überrascht, dann aber musste sie schmunzeln. „Ich glaube, ich bin ihm ziemlich verdächtig vorgekommen." Dann legte sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn voller Leidenschaft. - ENDE -