Das neue Abenteuer 518
Hans Ahner: Wettlauf am Himmel Tatsachenerzählung
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme ...
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Das neue Abenteuer 518
Hans Ahner: Wettlauf am Himmel Tatsachenerzählung
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Illustrationen von Karl-Heinz Döring ISBN 3-355-00926-1 © Verlag Neues Leben, Berlin 1989 Lizenz Nr. 303(305/127/89) LSV 7503 Umschlag: Karl-Heinz Döring Typografie: Walter Leipold Schrift: 8 p Timeless Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 644 705 l 00025
Lodernde Fackeln an den Stützpfeilern tauchten den verrufenen Weinkeller in flackerndes Licht. Es verlieh den Zechern an den rohen Holztischen und den umhereilenden Mägden etwas Gespenstisches. Man lärmte, trank und würfelte. An der hinteren Wand des Kellers saß ein ungewöhnlich kleiner, magerer Mann, den das, was um ihn herum vorging, nicht zu interessieren schien. Er stützte den Kopf in beide Hände und brütete vor sich hin. Seine schmalen zusammengekniffenen Augen verliehen seinem Gesicht einen drohenden Ausdruck. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, die ihr Haar nach dem Vorbild der Edelleute perückenartig frisiert oder gar richtige Perücken trugen, verabscheute er diese Mode, weil er sich in nichts mit den Hochwohlgeborenen, die er verachtete, gleichsetzen wollte. Diese Einstellung hinderte ihn jedoch nicht, sich gelegentlich an den Herzog von Chartres zu wenden und ihn um eine Unterstützung für seine Arbeiten zu bitten. Schon oft hatte der Herzog seine Schatulle geöffnet, wenn ihm der Mechanikus Jean Pierre Blanchard wieder eines seiner interessanten Stückchen ankündigte, wie seinerzeit - es mußten jetzt fast fünf Jahre her sein -, als er mit einem vierrädrigen, von einem Segel getriebenen Wagen sieben Meilen auf den Elysäischen Feldern umhergefahren war. Ansonsten hielt es Blanchard mit dem einfachen Volke, dem er selbst entstammte; und obwohl man ihn im Laufe der Jahre in den oberen Kreisen von Paris kannte, trieb er sich in den zwielichtigen Kneipen und Weinkellern des Pöbels herum. Aber da war nicht nur der Segelwagen, später hatte er sich sogar mit schirmartigen Segeln befaßt, mittels deren vielleicht eines Tages ein Mensch von einem Turm würde herabsteigen können, ohne sich zu verletzen.
Wer Blanchard in dieser Stunde musterte, würde in ihm einen scharfsinnigen Menschen mit listigem Verstand sehen. Doch die Gäste in dem stickigen Keller nahmen in keiner Weise Notiz von ihm, obwohl sie ihn fast alle kannten. Zudem wußten sie, daß er ein leicht reizbarer Mensch war, dessen Wut, wurde sie einmal entfacht, man kaum bändigen konnte. Vor allem seit dem vorletzten Jahr, seit 1781, als er mit einer seltsamen Gondel vergeblich zum Himmel auffahren wollte, war es damit besonders schlimm geworden. Überall in Paris sang man nun Spottlieder und machte sich lustig über ihn. Blanchard trank seinen Wein aus. Gleich darauf eilte eine Magd herbei, um ihm neu einzuschenken. Jean Pierre Blanchard, er war jetzt dreißig Jahre alt und stammte aus dem Dorfe Petit-Andelys, nahm es kaum wahr. Er sann wieder einmal, wie schon so oft seit dem vorletzten Jahr, über seinen Flugapparat nach. Gewiß, er war keiner dieser gelehrten Herren, die alles besser wußten; immerhin aber hatte er schon einen selbsttätigen Segelwagen gefahren und den Beifall des Herzogs von Chartres gefunden. Daß er nicht der erste ist, der sich Gedanken über das Fliegen machte, das wußte er. Vor ungefähr siebzig Jahren wollte in Portugal ein gewisser Gusmao mit einem Luftschiff aufsteigen, das durch die angebliche Anziehungskraft des Bernsteins und zweier Kugeln aus Magneteisenstein getrieben werden sollte. Blanchard zweifelte nicht an diesem Versuch, doch ob er gelungen war, wußte niemand zu sagen. Nun zog Blanchard ein zusammengefaltetes Blatt aus der Brusttasche, das er vor einiger Zeit in einem Stapel bedruckten Papiers gefunden hatte! Darauf berichtete ein unbekannter Verfasser aus dem Jahre 1717 von merkwürdigen Flugversuchen. Er las es erneut, obgleich er den
Inhalt genau kannte: "Sonderlich will man von dem bekannten Hautsch in Nürnberg viel reden, der ein Instrument erfunden, womit er durch die Lufft hat fliegen wollen. Inzwischen aber war dieses das beste, das an statt fliegen Lügen heraus kam. Und es ist eben so gut, daß es nicht geglückt ist. Dann wie wollte man die bösen Buben erwischen? Sie flögen alle über die Stadtmauern. Inzwischen wollen doch einige Scribenten affirmieren, daß solche fliegende Kunst ein Schuster wahrhaftig in Augspurg praestiret habe und gewaltig mit einem Schuster-Leist herumgeflattert sein soll. So wollen auch andere behaupten, daß in Haag sich einer mit seinen gemachten Fittigen sehr mausischt in der Luft soll gemacht haben ." Blanchard faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es ein. Nein, solche Berichte brauchte er nicht ernst zu nehmen, doch immerhin verlieh ihm dieses Papier, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, wieder neue Impulse. Nein, er war kein Träumer, der sich in irgendwelchen Phantastereien verlor, er war Praktiker. Und warum, so hatte er sich vor zwei Jahren gefragt, sollte es nicht möglich sein, mit einem Boot durch die Luft zu rudern, so, wie man mit einem Kahn durch das Wasser fuhr, ganz gleich, wohin man auch wollte. Alsbald hatte er sich darangemacht, mit zwei Gehilfen eine Gondel im Stil des Rokoko zu zimmern, die er mit zwei Paar ruderartigen Schlagflügeln und einem bootsartigen Steuerruder am Heck versah. Auf diese Weise, so hatte er geglaubt, müsse es ihm doch möglich sein, durch das Luftmeer zu fahren. Kaum war das himmlische Fuhrwerk fertig, ließ er eine Notiz im "Journal de Paris" drucken, daß er am übernächsten Tage von der Erde aufzufahren gedenke. Es hatte sich sogleich
eine Menge Volk eingefunden, um dem Schauspiel beizuwohnen. Doch es geschah nichts! Die himmlische Barke rührte sich nicht von der Stelle, sosehr sich die beiden Gehilfen auch mühten, die Schlagflügelruder zu bewegen. Hohn und Spott prasselten auf ihn und seine Gehilfen nieder, und selbst sein Gönner, der Herzog von Chartres, ritt teils belustigt, teils verärgert mit seinem Gefolge davon. Erinnerte sich Blanchard an diese Begebenheit, kam ihm das Blut in Wallung, vor allem dann, wenn die Gassenbuben hinter ihm herliefen und Spottverse sangen. Zum anderen glaubte er noch immer, daß nur eine Kleinigkeit seinem Scharfsinn entgangen sein mußte, um mit der Barke in die Luft steigen zu können. Doch was war es nur? Zwei neue Gäste, seine Gehilfen, unterbrachen Blanchards Überlegungen. Sie kamen sofort an seinen Tisch. "He, Madelaine!" rief einer der beiden. "Zwei Krüge Wein, aber schnell!" Der andere entfaltete die neueste Ausgabe des "Journal de Paris" und schob es Blanchard hin. "Lesen Sie, Monsieur!" Blanchard nahm das Blatt und hielt es ans Licht. Beim Lesen rötete sich sein Gesicht vor Erregung. Als er fertig war, sprang er wütend auf, schlug die Faust mit einer Kraft auf den Tisch, die man dem kleinen Mann gar nicht zugetraut hätte. "Sacre nom de Dieu!" schrie er. "Hört zu, was dieser gelehrte Affe, der sich Mitglied der Akademie nennt, dieser Lalande, schreibt." Blanchards Stimme überschlug sich: ",Es ist mit mathematischer Schärfe bewiesen, daß es dem Menschen ganz unmöglich ist, sich in die Lüfte zu erheben und darin zu halten. Nur ein un-
wissender Narr kann auf die Verwirklichung so phantastischer Ideen hoffen. Der berühmte Physiker Coulombe hat berechnet, daß man Flügel von zwölf- bis fünfzehntausend Fuß Größe mit einer Geschwindigkeit von drei Fuß in der Sekunde bewegen müßte, um einen Menschen in der Luft zu halten . Mais sapristi!" schrie Blanchard wütend. "Ich werde diesem Lakaien seinen Hochmut beweisen. Ein Mensch kann in die Lüfte steigen!" Er blickte triumphierend in die Runde der Zecher, die ihn teils erschrocken, teils mit verstecktem Spott ansahen.
Einer der Gehilfen deutete auf eine weitere Notiz, "Lesen Sie auch das, Monsieur!" Blanchard kniff die Lippen zusammen und las mißtrauisch: ",Am 5. Juni dieses Jahres sollen die Herren Joseph Michel und Stephan Montgolfier
zu Annonay in der Landschaft Vivarais im Angesicht der Hochalpen einen Sack mit einer bestimmten Luft, die sie zu bereiten wissen, in die Luft haben steigen lassen. Daraufhin fuhr der Sack zehn Minuten dahin und erreichte eine Höhe von eintausend Toisen [1950 Meter], bis er unbeschädigt in einem Weinberg niedergegangen sein soll. Diesem merkwürdigen Ereignis wohnten die Herren Landstände bei, die sofort nach dem Versuch einen Bericht entwarfen und ihn an die Akademie nach Paris sandten.'" Blanchard sah eine Weile sinnend vor sich hin, wobei ihm die merkwürdigsten Gedanken durch den Kopf gingen. Sollte das wahr sein, oder war diese Nachricht nur das Werk eines unwissenden Skribenten? Wenn aber doch alles seine Richtigkeit hatte? Um was für eine Luft würde es sich wohl handeln, die diese Montgolflers zubereiten? Käme er hinter dieses Geheimnis, dann müßte er auch mit seiner Barke in die Luft steigen können. Diese Lalande und Coulombe würden mathematisieren und philosophieren können, soviel sie wollten, er, der Mechanikus Jean Pierre Blanchard, würde ihnen das Gegenteil beweisen. Er stülpte seinen schmutzigen Hut auf den Kopf und machte sich zornig davon. Der Direktor des Jardin des Plantes, Faujas de Saint Fonds, ein Vertrauter des Ministers de Breteuil, betrat das Arbeitskabinett des Professors Jacques Alexandre Cesar Charles. Würdevoll näherte er sich dem berühmten Physiker, zu dessen Vorlesungen die gebildeten Kreise aus ganz Paris strömten. Faujas deutete eine leichte Verbeugung an. "Monsieur le Professeur, ich habe die Ehre, Sie im Auftrag des Ministers de Breteuil aufzusuchen, und hoffe, daß ich Sie nicht in Ihren Meditationen störe."
Professor Charles erhob sich und rückte seinem Gast einen hochlehnigen Stuhl zurecht. "Keineswegs, Monsieur, aber Sie machen mich neugierig, welcher Gegenstand mir die Ehre verschafft." Faujas entnahm seinem Portefeuille ein Schriftstück und überreichte es Professor Charles. "Der Minister erwartet Ihre Meinung zu hören." Während der Professor las, sah sich Faujas in dem Kabinett um, an dessen Wänden sich Bücher und Zeitschriften häuften. Von Zeit zu Zeit warf er einen flüchtigen Blick auf Professor Charles. Endlich legte dieser das Schriftstück zur Seite. "Nun, Monsieur, was sagen Sie zu diesem Bericht?" Professor Charles ließ etwas Zeit verstreichen, ehe er antwortete, so als müsse er das Gelesene erst gründlich überdenken. "Ich habe von diesem merkwürdigen Versuch schon vor einigen Tagen im ,Journal de Paris' gelesen, ohne indessen jene Einzelheiten zu kennen, mit denen dieses Schriftstück aufwartet." "Phantasterei oder Realität?" forschte Faujas. "Was meinen Sie?" "Die Sache ist durchaus nicht unmöglich, sondern sogar wahrscheinlich", erwiderte Professor Charles, jedes Wort betonend. "Meinen Sie, daß Sie imstande wären, einen solchen Versuch zu wiederholen?" Charles wich aus. "Wer soll die Mittel dazu aufbringen?" "Wenn es so einfach wäre, warum ist man dann nicht früher schon auf diese Idee gekommen, einen Sack in die Luft steigen zu lassen?" Professor Charles erhob sich und begann in seinen Schriften zu wühlen. Nach geraumer Zeit hatte er gefun-
den, was er suchte, und reichte Faujas ein unlängst erschienenes Heft der "Wissenschaftlichen Annalen", in dem er einen Artikel rot angestrichen hatte. Faujas las: "In Rjasan verfertigte im Jahre 1731 der Amtsschreiber Krjakutnoi beim Woiwoden aus der Stadt Nerechta eine Blase, so groß wie ein Ball, und blies sie mit einem garstigen und stinkenden Rauch auf; dann bildete er eine Schlinge, setzte sich darein, und der Böse hob ihn auf, höher als die Birke, und schleuderte ihn dann gegen den Glockenturm. Aber er verfing sich in dem Strick, womit man läutet, und solcherart blieb er am Leben. Man jagte ihn aus der Stadt ." Faujas sah Charles fragend an. "Wenn dieser Bericht wahr ist, besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Versuch der Montgolfiers zu Annonay, nur daß damit kein Mensch aufgestiegen ist. Aber immerhin der Rauch, mit dem der Sack gefüllt worden ist. Die Herren Montgolfier haben sich allerdings nicht über die Natur des verwendeten Gases geäußert. Ich weiß nur, daß sie zu seiner Erzeugung ein Feuer aus nassem Stroh und Wolle entfachten. Bei einer solchen Operation werden zum Teil tierische Materialien verbrannt, die ein laugenartiges Gas erzeugen; auch kommen aus dem angezündeten Stroh Phlogiston und in Dämpfe verwandelte ölige Materien heraus, welche in der atmosphärischen Luft verschiedenartige Veränderungen verursachen können." Faujas unterbrach Charles' Ausführungen. "Also, Sie wissen es nicht genau, Monsieur?" "So ist es!" gab Charles zu. "Kennen Sie vielleicht eine andere Lösung, denn es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir in Paris, der Stadt, die die geistige Superiorität über die ganze Welt
beansprucht, nicht auch eine solche Kugel in die Luft bekämen?" Charles nickte. "Vor siebzehn Jähen entdeckte Sir Henry Cavendish ein vierzehnmal leichteres Gas als unsere Luft. Er stellte es her, indem er verdünnte Schwefelsäure auf Eisen, Zink oder Zinn einwirken ließ. Wenn es uns gelänge, dieses Gas im großen - und das ist die Schwierigkeit bei einem solchen Unternehmen - herzustellen, dann wäre der Bau einer aerostatischen Maschine bald gelungen." Faujas hüstelte und hob bedeutungsvoll die Rechte. "Das ist es, was der Herr Minister zu hören wünscht." "Was?" rief Charles erregt. "Soll ich vielleicht eine solche Maschine bauen?" Faujas wich aus. "Diese Luftkugeln sind ein interessantes Schauspiel, aber mehr werden sie niemals sein. Der Minister wünscht sie indessen. Doch was soll sonst aus ihnen werden?" Professor Charles lachte kehlig. "Was aus ihnen werden soll? Nun, Monsieur, solche aerostatischen Maschinen könnten unsere kümmerlichen Kenntnisse vom Luftreich erweitern und sie in einer Weise ergänzen, die wir heute in unseren kühnsten Träumen nicht einmal zu ersinnen wagen. Möglicherweise", Charles legte eine kurze Pause ein, "wird mit ihnen eines Tages sogar der Mensch in das Luftmeer aufsteigen." Faujas lachte belustigt. "Ich bitte Sie, Monsieur, jetzt überspannen Sie. Niemals wird sich der Mensch vom Erdboden lösen." "Ich denke anders darüber." "Nun, wie dem auch sei. Daß dieser merkwürdige Versuch irgendwo in der tiefsten Provinz und nicht in Paris stattfand, in der Stadt, die von den Ideen Voltaires und
Rousseaus lebt, darüber ist man bei Hofe sehr ärgerlich, und auch der Minister hat mir gegenüber sein Mißfallen ausgesprochen. Gestern wurde ein Bote nach Annonay geschickt, die Herren Montgolfier mögen unverzüglich nach Paris kommen, um ihren Versuch hier zu wiederholen. Da allerdings darüber geraume Zeit vergehen dürfte, wünscht der Minister, daß Sie, Monsieur le Professeur, noch vor deren Ankunft einen ähnlichen Versuch unternehmen." "Ich deutete bereits an, daß dies erhebliche Mittel, ich schätze zehntausend Livres, erfordern dürfte, vor allem die Herstellung des genannten Gases in der erforderlichen Menge. Bisher hat man es nur im kleinen, in Laboratorien, gewonnen." Faujas blieb die Antwort schuldig, und ein peinliches Schweigen breitete sich aus. "Hat der Minister keine Summe genannt, die er zur Verfügung stellen will?" fragte Professor Charles. Faujas fiel es schwer, die Wahrheit zu sagen. "Der Minister meinte, ich möge eine Subskription unter dem Volke veranstalten. Sie wissen, die leeren Kassen ." "Eben", erwiderte Professor Charles nachdenklich. "Man sollte die ungeheure staatliche Mißwirtschaft nicht vergessen, die von Paris aus das ganze Land überzieht." Ein maliziöses Lächeln spielte um Faujas' Lippen. "Gewiß, ein jeder weiß es, und ich bekomme es auch bei meinen Arbeiten zu spüren. Deshalb ." Professor Charles lachte bitter. "Das Volk, das Volk; wenn es nicht weitergeht, muß immer das Volk den Beutel öffnen." "Ich werde zur Subskription aufrufen, wir müssen Erfolg haben."
"Nun, wenn es so ist, dann reite ich noch heute zu den Brüdern Robert an der Place des Victoires und beauftrage sie, eine aerostatische Maschine nach meinen Plänen zu bauen. Sie sind geschickte Mechaniker, die große Erfahrungen beim Bau physikalischer Geräte besitzen." Faujas verbeugte sich leicht und verließ würdevoll so, wie er gekommen war, das Kabinett. Das Geld wurde aufgebracht, und als Tag der Auffahrt legte man den 27. August 1783 fest. Es blieb also nicht viel Zeit, über die Beschaffenheit der Kugel nachzudenken und sie zu bauen. Tage- und nächtelang sann Professor Charles darüber nach, und immer wieder beriet er sich mit den Roberts. Schließlich entstand eine Kugel von vier Meter Durchmesser, die nach den Berechnungen des Professors etwas mehr als 60 Kubikmeter Gas fassen sollte. An ihrer unteren Seite erhielt sie einen Füllstutzen, durch den das Gas ins Innere geleitet und danach verschlossen werden sollte. Im Bericht der Montgolfiers hatte Charles gelesen, daß ihr Sack aus Taft mit einer Auskleidung aus Papier bestand, er hingegen machte den Taft mit einer flüssigen Gummilösung luftdicht und verzichtete auf Papier. Inzwischen trafen auch die Brüder Montgolfier in Paris ein, um ihren Versuch zu wiederholen. Stephan, der im Gegensatz zu seinem älteren, etwas derb wirkenden Bruder Joseph Michel weltmännisch auftrat und elegant gekleidet war, kannte sich in Paris aus. Er hatte zuvor einige Jahre in der Hauptstadt studiert. Den Vorschlag, ebenfalls die Werkstatt der Brüder Robert zu benutzen, schlug er aus; er wollte seine Arbeiten im Garten des ihm bekannten Herrn Reveillon, eines Tapetenfabrikanten, in der Vorstadt Saint Antoine durchführen.
Der 27. August, der Tag, da die Kugel des Professors Charles aufsteigen sollte, nahte. Nachts brachte man den nahezu völlig mit Gas gefüllten Ballon zum Marsfeld. Als der Morgen graute, begann es zu regnen. Würde der Versuch bei solchem Wetter gelingen? Doch ein Zurück gab es nicht mehr, der Aufstieg mußte erfolgen. Immerhin hatte man noch bis fünf Uhr nachmittags Zeit. Indessen wurden auf dem Marsfeld umständliche Vorbereitungen getroffen. Die Brüder Robert füllten den Ballon noch einmal nach, bis er praller und praller wurde. Charles warnte davor, weil er fürchtete, der Ballon könnte wegen des sinkenden atmosphärischen Drucks in der Höhe platzen.
Trotz des Regens versammelten sich im Laufe des Tages ungefähr dreihunderttausend Zuschauer. Neben dem Ballon, der unruhig an seiner Fessel zerrte, unterhielten sich die Brüder Montgolfier mit Professor Charles über die Art des von ihm verwendeten Gases. Die Brüder indessen entschieden sich, auch weiterhin bei der von ihnen gewählten heißen Luft zu bleiben. Durch das Gewoge der Zuschauer bahnte sich ein junger Mann beharrlich den Weg nach vorn. Er erntete Stöße und Beschimpfungen. Seine Allongeperücke und die kunstvoll geknüpfte Seidenschleife verrieten, daß er höheren Kreisen angehörte. Endlich erreichte er den Professor, der ihn sogleich freundlich begrüßte und ihn den Montgolfiers vorstellte: "Monsieur Pilitre de Rozier, ein Edelmann aus Metz. Vor Jahren war er einer meiner eifrigsten Schüler, und nun hat er sich ganz den Naturwissenschaften gewidmet." Charles unterließ es auch nicht, darüber zu sprechen, daß Pilitre während der Vorlesungen und der Übungen die verschiedensten Versuche an sich selbst vorgenommen habe.
Nach dieser Begrüßung trat de Rozier bescheiden zurück und verfolgte gespannt die weiteren Vorbereitungen. Es ging ihm nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen. Während seiner Betrachtungen kam ihm der Gedanke, daß es möglich sein müßte, selbst mit einer solchen Maschine in die Lüfte zu steigen, man mußte sie nur viel größer bauen, damit sie einen Menschen heben konnte. Immerhin: Wie mochte sich wohl die Welt aus der Vogelperspektive dar-
bieten? Gewiß, er hatte schon von den Türmen der NotreDame auf das Häusermeer und das Straßengewirr von Paris hinabgesehen, aber von solcher Kugel aus mußte die Erde ganz anders wirken, wenn man auf sie hinabsah und, nicht mehr mit ihr verbunden, frei im Raum schwebte. Aber wie würde der Mensch eine solche Höhe vertragen? Fragen über Fragen.
Noch ein anderer Mann stand am Marsfeld und träumte. Er war schon kurz nach Sonnenaufgang hierhergekommen und hatte sowohl mit Professor Charles als auch mit den Brüdern Montgolfier gesprochen. Doch der Professor hatte ihn sehr kühl behandelt, hielt er ihn doch für einen hoffnungslosen Phantasten. Dessen lächerlicher Versuch, mit einer Barke in die Luft zu steigen, war ihm nicht unbekannt geblieben. Blanchard hatte diese Ablehnung gespürt und sich bald wieder zurückgezogen. Dennoch verließ er das Feld nicht, sondern bemühte sich, aus nächster Nähe jede Einzelheit zu erfassen. Er zweifelte nicht am Gelingen dieses Versuchs, doch erkannte er bald eine Unzulänglichkeit an dieser Luftkugel: Sobald sie sich vom Boden löst, ist sie ein Spiel des Windes. Würde er seine Gondel mit solcher Kugel verbinden, dann könnte er sie mit seinen Schlagflügeln dorthin lenken, wohin er wollte. Diese Überlegung erregte Blanchard sehr. Er wollte es diesen gelehrten Herren schon zeigen, wozu er in der Lage war. Am frühen Nachmittag ließ der Regen nach und hörte schließlich ganz auf, die Wolken hoben sich etwas. Pünktlich um fünf Uhr verkündigte ein Kanonenschuß, daß der Versuch begänne, und sogleich löste sich die Kugel auf ein Zeichen des Professors von ihrer Fesselung und schwebte
in den trüben Himmel hinauf. Die Massen jubelten und tobten, andere aber bekreuzigten sich ängstlich, weil sie glaubten, der Leibhaftige sei mit im Spiel. Der Ballon gewann immer rascher an Höhe. Professor Charles verfolgte dessen Fahrt durch ein Fernrohr. Einen Augenblick verschwand der Ballon in einer Wolke. Das Jubelgeschrei der Zuschauer verstummte. Als er aber kurz darauf wieder sichtbar wurde, setzte es erneut ein. Da bemerkte Charles durch sein Fernrohr an der oberen Hälfte der Kugel einen Riß, und sogleich begann der Ballon zu sinken, wobei er nach Südosten abgetrieben wurde und aus dem Blickfeld verschwand. Er hatte recht behalten, der Ballon war unter dem Überdruck des sich ausdehnenden Gases geplatzt. Das Schauspiel war beendet. Während des Geschehens hatte sich Pilitre de Rozier näher mit den Montgolfiers bekannt gemacht und ihnen seine Hilfe beim Bau ihrer aerostatischen Maschine angeboten. Sie nahmen erfreut an, zumal der junge Mann über tiefgründige wissenschaftliche Kenntnisse und auch über handwerkliche Fähigkeiten verfügte.
In der Nähe des Dorfes Gonesse, fünf Wegstunden von Paris entfernt, arbeiteten die Bauern auf den Feldern. Es wurde Zeit, ins Dorf zurückzukehren. Da bemerkten zwei von ihnen eine große gelbliche Kugel, die unversehens aus den Wolken fiel. Sie schrien vor Angst. "Der Mond fällt herab!" riefen sie einander zu und bekreuzigten sich. Manche liefen davon, andere blieben wie gelähmt stehen und beobachteten mit offenem Mund den seltsamen Körper, der langsam vom Himmel herabsank. Gleich würde ein fürchterlicher Knall die Welt erschüttern. Was sollte
auch sonst geschehen, wenn der Mond auf die Erde schlug, vielleicht würde sie auch selbst auseinanderbrechen und alles Leben vernichten? Doch der unbekannte Körper ließ sich langsam und völlig lautlos auf dem Boden nieder und fiel allmählich in sich zusammen. Da kamen die Bauern, neugierig und ängstlich zugleich, wieder näher und betrachteten das Monstrum. Der Mutigste von ihnen, er hatte eine Flinte bei sich, schlich sich geduckt ganz nahe an das seltsame Wesen heran. Wie unter einem Zwang hob er sein Gewehr und schoß. Da sank der Körper noch rascher in sich zusammen, und ein fürchterlicher Gestank breitete sich aus. Nun gelangten die Bauern, unterstützt von zwei aus dem nahen Kloster herbeigeeilten Mönchen, zu der Meinung, es mit dem Teufel zu tun zu haben. Sie stürmten mit Forken und Sensen auf das zuckende Ungeheuer ein, banden es an den Schwanz eines Pferdes und galoppierten davon, so daß der Ballon des Professors Charles in viele Fetzen zerriß.
Die Herrn Montgolfier machten sich sogleich im Garten Reveillons, unterstützt durch Pilitre de Rozier und ihren Gehilfen, an den Bau einer eiförmigen Maschine. Mit zwanzig Meter Durchmesser übertraf sie die Kugel des Professors Charles um ein Vielfaches an Größe. Diese Tatsache kam den Plänen Pilitres entgegen. "Messieurs!" wandte er sich eines Tages an die Brüder. "Mit einer Maschine von solch ungeheuren Ausmaßen müßte es möglich sein, daß mit ihr ein Mensch in die Lüfte steigt." Er legte eine kurze Pause ein, wobei er die Montgolfiers prüfend musterte. "Ich wäre zu einem solchen Versuch bereit!" Joseph Michel Montgolfier, der Ältere der beiden Brü-
der, lehnte brüsk ab. "Nie und nimmer darf dies geschehen, denn wir sind unserer Maschine nicht so sicher, als daß wir ihr einen Menschen anvertrauen könnten. Wir werden bei diesem Aufstieg ein anderes Experiment unternehmen und sehen, welche Ergebnisse es wohl zeigen wird." Pilitre gab jedoch nicht nach. "Man sollte es trotzdem versuchen, Monsieur! Ich bin fest davon überzeugt, daß der Mensch das Luftreich erobert." Joseph Michel Montgolfier schüttelte abweisend den Kopf und deutete zum Himmel. "Wir wissen nicht, was den Menschen dort oben erwartet. Sicher die schrecklichsten und unerklärlichsten Dinge! Wie ist es sonst möglich, daß im heißen Sommer Hagelschauer niedergehen? Schon vor dreißig Jahren schrieb der Dominikanerpater Galien in Avignon, daß es in der Luft scharf voneinander getrennte Luftschichten gibt, die mit unerhörter Gewalt aufeinanderbrausen. Eine aerostatische Maschine, die da hineingerät, würde in tausend Fetzen zerrissen." Pilitre hörte aufmerksam zu. Stephan Montgolfier indessen dachte darüber anders. "Man könnte mit kleinen Aufstiegen in geringe Höhen beginnen, wenige Meter nur ." Der ältere Bruder lehnte unwirsch ab. "Schon unterhalb der Wolken müßte der Mensch ersticken; man fühlt es doch an trüben Tagen, wenn die Wolken tief über der Erde dahinziehen, oder gar im Nebel, wenn man kaum atmen kann." "Bedenken Sie jedoch", warf Pilitre höflich ein, "daß Menschen schon seit langem auf hohen Bergen umhersteigen und daß sie bei solchen Wanderungen schon hoch über den Wolken standen."
Joseph Michel musterte Pilitre scharf, dann erwiderte er fast flüsternd, um seinen Worten auf diese Art besonderen Nachdruck zu verleihen: "Fragen Sie einen Gelehrten nach dem Grund dieser Erscheinung, so wird er Ihnen antworten, daß die Erdausstrahlung auf den Bergen für den Menschen günstige Bedingungen schafft und im Gegensatz zum freien Raum ein Ersticken verhindert." Pilitre erwiderte darauf nichts, vielleicht mochte Montgolfier recht haben, doch er würde einen solchen Aufstieg unbedingt unternehmen. Er wollte Joseph Michel schon überzeugen. Und er setzte mit den Bediensteten des Herrn Reveillon den Bau der aus einem Baumwollgewebe bestehenden Maschine fort.
Am 19. September schwebte silbergrauer Dunst über der Seine, und in der Luft lag die Melancholie des scheidenden Sommers. Mit höher steigender Sonne löste sich der dünne Nebel über dem Fluß auf, und über dem Lande wölbte sich ein durchsichtiger, zartblauer Himmel. Am Morgen brachte man die zusammengelegte Hülle des Ballons mit einem Pferdefuhrwerk nach Versailles, wo der Aufstieg erfolgen sollte. Inzwischen strömten aber Tausende Zuschauer herbei, denn man hatte nicht versäumt, den Aufstieg vorher allseits kundzutun. Auch zweifelte man nicht daran, daß dieser Versuch den des Professors Charles weit übertreffen würde, waren doch die Brüder Montgolfier die eigentlichen Erfinder dieser neuartigen Luftkugeln. Bald versperrte das Volk alle Zufahrten zum Schloß, manche saßen sogar auf Bäumen, und selbst die Dächer des königlichen Schlosses waren dicht bevölkert von Höflingen und dem Dienstpersonal.
Auch Jean Pierre Blanchard hatte sich schon früh genug einen guten Platz gesichert, um alle Einzelheiten genauestens beobachten zu können. Er vermied es, sich in die direkte Umgebung der Herren Montgolfier zu begeben, in deren Nähe sich auch Professor Charles und der Edelmann de Rozier aufhielten. Er verachtete die nach seiner Ansicht hochnäsigen gelehrten Herren, die alles besser wußten. Immerhin wollte er die Methode der Montgolfiers kennenlernen. Nun, er würde es ihnen alsbald zeigen und selbst mit einer aerostatischen Maschine nach seinen Entwürfen ins Luftreich steigen. Zu einem solchen Versuch würden diese Herren nicht den Mut besitzen. Im Schloßhof hatte man eine Estrade mit einer fünf Meter großen Öffnung in der Mitte errichtet, in der das Feuer unter der Luftkugel, die schlaff in einem Gerüst hing, entzündet werden sollte. Gegen Mittag erschien König Ludwig XVI. mit seinem Gefolge und besichtigte den Ballon. Alsbald flackerte das Feuer auf; das Füllen begann. Rasch blähte sich die große Hülle, der Stoff raschelte und knisterte, der Ballon wurde prall und praller. Da gab es einen leisen Knall, den nur wenige der Umstehenden vernahmen: Am Pol des Ballons war unter dem Druck der heißen Luft ein kleiner Riß entstanden, doch der Ballon sank nicht in sich zusammen. Nach elf Minuten war das Füllen beendet. In diesem Augenblick brachten die Brüder zur Überraschung aller Zuschauer einen Käfig herbei, in dem sich ein Schaf, ein Hahn und eine Ente befanden, und hingen ihn an den Ballon. Pilitre de Rozier, der dicht dabeistand, konnte den Brüdern seine Anerkennung nicht versagen, daß sie, bevor ein Mensch ins Luftreich stieg, zuerst einen Tierversuch un-
ternahmen. Wie würde er wohl ausgehen? Davon hingen seine eigenen Pläne ab. Drei Tiere also würden die ersten Luftfahrer sein. Das war jenes Experiment, das die Herren Montgolfier ängstlich als Geheimnis gehütet und nicht einmal ihm anvertraut hatten. Sie wollten wohl ihrer Sache ganz sicher sein und erst nach vollendeter Füllung der Kugel damit an die Öffentlichkeit treten. Gelang dieser Versuch, dann wollte er der erste Mensch sein, der ins Luftreich aufstieg, es sei denn, einer der Brüder machte sein Vorrecht geltend. Der Ballon stieg rasch empor. Bald entschwand er den Blicken der Zuschauer, und eine Wegstunde von Versailles entfernt, ging er im Gehölz von Vaucresson nieder. Als man die Tiere aus ihrem Käfig befreien wollte, bemerkte man, daß der Hahn einen Flügel gebrochen hatte. Sogleich entbrannte unter den Gelehrten ein Streit über die Schädlichkeit von Luftfahrten. Die meisten von ihnen vertraten die Ansicht, die Verletzung des Hahnes sei auf die atmosphärischen Verhältnisse in der Luft zurückzuführen. Doch warum hatten dann das Schaf und die Ente ihre luftige Reise heil überstanden? Bald jedoch fanden sich Zeugen, die gesehen hatten, daß der Hahn beim Aufstieg durch einen Fußtritt des Schafes verletzt worden war. Die Brüder Montgolfier zogen sich nach dieser Auffahrt wieder in den Garten des Herrn Reveillon zurück, um weitere Aufstiege mit einer noch größeren Maschine vorzubereiten. Pilitre hatte indessen in Stephan Montgolfier einen Fürsprecher gefunden. Joseph Michel jedoch forderte, daß er zuvor mit einem an einem Seil gefesselten Ballon nur wenige Meter über den Erdboden aufsteigen sollte.
Blanchard werkte in seinem Schuppen, doch die Arbeit wollte ihm nicht recht von der Hand gehen. Immer wieder sann er darüber nach, wie seine Maschine, mit der er in die Lüfte zu steigen gedachte, beschaffen sein müßte. Sollte er sich für die Gasfüllung des Professors Charles entscheiden oder die der Montgolfiers? Was müßte er tun, um ein Platzen der Kugel in der Höhe zu verhindern? Auch er hatte beobachtet, daß die Maschinen von Charles und die der Montgolfiers durch den Überdruck im Inneren gerissen waren. Das Komplizierteste an seinem Luftschiff aber war, wie er wohl seine Barke mit den Rudern an der Stoffhülle befestigen sollte. Seit Tagen ließen ihn diese Fragen nicht mehr los. Wären diese gelöst, dann käme noch das Problem, woher er die erheblichen Mittel für den Bau einer solchen Maschine nehmen sollte. Einer seiner Gehilfen polterte aufgeregt in die Werkstatt. "Monsieur! Monsieur! Kommen Sie!" Blanchard sah ungehalten von seiner Arbeit auf. "Was gibt es, Etienne, daß Ihr mich in so unverschämter Weise stört?" "Kommen Sie sofort, Monsieur! Zum Garten des Herrn Reveillon! Dort ist dieser Edelmann in die Luft gestiegen, zehn Toisen [etwa 20 Meter] hoch!" Blanchards Gesicht rötete sich. "Wie, Etienne? Gewiß haben sie Euch einen Bären aufgebunden, habt Ihr ." Der andere nickte ungestüm. "Kommen Sie, Monsieur, ich habe es selbst gesehen!" Blanchard verharrte regungslos und sah durch seinen Gehilfen hindurch in die Ferne. Dann stülpte er seinen Hut auf und eilte mit Etienne davon. Was Blanchard im Garten des Herrn Reveillon zu sehen bekam, übertraf alle seine Erwartungen. Zwischen zwei
großen Stangen hing die schlaffe Hülle einer ungeheuer großen aerostatischen Maschine. Unter ihr befand sich eine Galerie, über deren Bedeutung viele, die es noch nicht gesehen hatten, rätselten. In ihrer Mitte hing eine eiserne Pfanne, in der man gerade ein Feuer aus Stroh und Wolle entfachte. Als sich die schlaffe Hülle in einen großen eiförmigen Körper verwandelt hatte, wurden Rufe des Entzückens laut. Die bunte Bemalung der Maschine auf königsblauem Grund leuchtete in der Herbstsonne. Ihr oberer Teil war mit Bourbonen-Lilien geschmückt, und darunter zierten ihn die zwölf Figuren des Tierkreises in Goldfarbe. In der Mitte wechselten die Namenszüge des Königs mit Sonnen ab, während die untere Hälfte mit Masken, Blumenkränzen und fliegenden Adlern verziert war. Solch schöne Kugel hatte es weder auf dem Marsfeld noch in Versailles gegeben. Da! Die Menschen glaubten ihren Augen nicht zu trauen! Pilitre de Rozier stieg über das Geländer der Galerie, und sogleich begann eine Winde zu knarren, von der ein Seil ablief, das die aufsteigende Maschine festhalten sollte, um nicht zu sehr in die Höhe zu geraten. Die Kugel stieg empor, und mit ihr ein Mensch! Wenige Toisen zwar nur, fünfzehn - zwanzig - fünfundzwanzig! Dann verharrte sie und wiegte sich in einer leichten Brise. Das Ungeheuerlichste jedoch: Ein Mensch war in die Luft gestiegen! Als ob er in einer Kutsche führe, lehnte er sich über das Geländer der Galerie und schwenkte seinen Hut. Neben Blanchard rief jemand: "So ist denn endlich der Mensch Herr über ein neues Element, so ist er endlich in den Stand gesetzt, auch von dem unermeßlichen Gebiet der Lüfte Besitz zu ergreifen!" Blanchard warf ihm einen bösen Blick zu, dann wandte
er sich ab. Er hatte genug gesehen. Was hieß: Herr über ein neues Element? An ein kümmerliches Seil gefesselt, hatte sich dieser Adlige einige Toisen in die Luft begeben. Das war nicht viel mehr, als auf einen Baum zu klettern oder auf das Dach eines Hauses zu steigen. Er, Jean Pierre Blanchard, aber wollte höher hinauf, frei und ungefesselt, und dorthin rudern, wohin er wollte, nicht dahin, wohin ihn der Wind gerade trieb. Für ihn galt der Versuch de Roziers nicht viel. Frei würde er aufsteigen! Jawohl, frei!
"Nun ist es an der Zeit, das Seil zu kappen und frei mit Ihrer aerostatischen Maschine in den Luftraum zu steigen!" De Rozier hob selbstbewußt den Kopf. Stephan Montgolfier stimmte ihm zu, nur Joseph Michel hatte neue Bedenken. "Feuer, Papier und Taft passen nicht zueinander! Wie rasch könnte die Maschine Feuer fangen und in die Tiefe stürzen. Denken Sie auch daran, daß brennende Wolle und Stroh zur Erde herabfallen könnten. Eine Feuersbrunst wäre die Folge." Pilitre schwieg, doch da bekam er plötzlich Hilfe. Der Kronprinz, der bei diesem Gespräch zugegen war, sagte gebieterisch: "Monsieur! Man sollte einen freien Aufstieg wagen, und zwar dort, wo nichts in Brand geraten kann. Möge Pilitre aus den Gärten meines Schlosses La Muette im Bois de Boulogne aufsteigen." Joseph Michel Montgolfier verbeugte sich höflich. Obwohl mit diesem Vorschlag die Gefahren nicht gebannt waren, wagte er gegen das Wort des Dauphins nichts einzuwenden. Stephan Montgolfier und auch der Dauphin versäumten nichts, um das Wagnis in Paris bekanntzumachen. Jean
Pierre Blanchard tobte, als er diese Kunde erfuhr. Was dieser Edelmann wollte, konnte er viel besser; aber wer sollte ihm die Mittel zur Verfügung stellen, die ein solches Experiment erforderte? Den Herzog von Chartres konnte er nach seinem mißglückten Versuch mit der Barke nicht noch einmal fragen. Als sich Pilitres Vorbereitungen zu der kühnen Luftreise ihrem Ende näherten, fuhr vor das Tor des Schlosses eine Kutsche. Ihr entstieg der Polizeipräsident von Paris und bat darum, den Dauphin sprechen zu dürfen. Als er den Raum betrat, befand sich Pilitre gerade beim Kronprinzen. Respektvoll zog der Präsident seinen Halbzylinder und verbeugte sich untertänig. "Dauphin! Königliche Hoheit! Ich habe die strikte Order Seiner Majestät des Königs, dem Herrn de Rozier einen Aufstieg mit der aerostatischen Maschine zu verbieten. Seine Majestät ist der Überzeugung, daß dieser Versuch zu gefahrvoll ist, und er wünscht nicht, daß ein wackerer Edelmann sein Leben auf diese Weise aufs Spiel setzt. Wenn der Aufstieg unbedingt mit einem Menschen geschehen muß, so hat Seine Majestät nichts dagegen, wenn zwei verurteilte Schwerverbrecher mit der Maschine eine Luftreise antreten." Pilitre fuhr auf: "Wie? Gemeine Verbrecher sollen den Ruhm der ersten Luftfahrt genießen?" Er bat den Dauphin, sich beim König für die geplante Reise einzusetzen. Vergeblich! Selbst die Herzogin von Polignac, die beim König manches erreicht hatte, konnte nichts für ihn tun. Da nahm ein anderer Edelmann, der Marqis d'Arlandes, allen Mut zusammen und versuchte, den König umzustimmen. Die Luftreise sei völlig gefahrlos, und als Beweis dafür wollte er sich selbst mit daran beteiligen. Das überzeugte den König.
Der 21. November des Jahres 1783 leuchtete noch einmal in allen Farben des Sonnenlichtes. Der Dauphin hatte sich mit seinen Freunden längst am Platz des Aufstiegs eingefunden. Als Pilitre de Rozier und der Marquis d'Arlandes die Galerie der Kugel bestiegen, herrschte atemlose Stille. Bedeutete sie eine Reverenz für die beiden mutigen Männer, oder veranlaßten der Schauder und Nervenkitzel das Schweigen. Als eine kurze Windstille eintrat, löste sich der Ballon von der Erde und stieg langsam zum Himmel empor. Die Zuschauer schrien vor Begeisterung und umarmten sich. Aus der Höhe von einhundert Toisen schwenkten die Reisenden ihre Hüte und Fahnen als Zeichen des Wohlbefindens. Immer höher stieg die Maschine, und langsam glitten Bäume, Häuser und Büsche unter der Galerie hinweg. Die beiden Luftreisenden waren hingerissen von der Schönheit der freien Luftfahrt. Bald schwebte der Ballon über der Seine, an der Insel der Schwäne entlang, ständig höher und höher steigend. Er gelangte zur Barriere de la Conference, und die beiden kühnen Luftschiffer schwebten so hoch, daß man sie überall in Paris sehen konnte. In den Gassen der Stadt, auf den Boulevards, ja sogar von Bäumen und Dächern und den beiden Türmen der NotreDame verfolgten aber Tausende gebannt die abenteuerliche Reise. Bald senkte sich die Kugel, bald stieg sie wieder, so wie die Reisenden das Feuer schürten. Sie überquerten die Kriegsschule, schwebten über dem Palast der ausländischen Missionen und näherten sich der Kirche von SaintSulpice. Bald breiteten sich die Ebenen des offenen Landes, vor den Luftschiffern aus. Pilitre nahm sich vor, daß
dies nicht seine einzige Luftreise bleiben sollte. Künftig würde er noch weiter und noch höher fahren. Als sich der Ballon bei der Barriere d'Italie dem Stadtrand näherte, begann die Kugel erneut zu sinken, doch Pilitre hatte noch nicht die Absicht, zur Erde zurückzukehren. Abermals warf er Wolle und Stroh ins Feuer, und nun trieb der Ballon wieder steigend in das offene Land hinaus. Aus ihrer Höhe erkannten die Luftschiffer, daß ihnen einige Reiter folgten. Sie hatten Mühe, das Tempo mitzuhalten, denn der Wind hatte erheblich zugenommen. Endlich entschied Pilitre: "Hinab zur Erde!" Die Luftreisenden ließen das Feuer verlöschen, und nach einer Fahrt von fünfundzwanzig Minuten Dauer gingen die ersten Luftreisenden der Menschheitsgeschichte auf der Butte-aux-Cailles zwischen der alten Mühle und der Mühle von Versailles nieder. Niemand von ihnen war von den atmosphärischen Verhältnissen in der Höhe beeinträchtigt worden. Sie fühlten sich beide wohl wie vor dem Aufstieg. In der Kutsche des Dauphins wurden Pilitre de Rozier und der Marquis d'Arlandes nach Paris zurückgeholt und dort von begeisterten Menschen empfangen. Kräftige Männer spannten die Pferde aus und zogen die Kutsche zum Schloß La Muette. Blanchard aber war fassungslos über diesen Erfolg. Er hatte der erste sein wollen.
Auch Professor Jacques Alexandre Cesar Charles war nicht untätig geblieben. Noch bevor die Brüder Montgolfier ihren Tierversuch absolvierten und Pilitre de Rozier in das Luftreich gestiegen war, entschloß er sich, selbst eine Luftreise zu unternehmen. Er besaß nicht den Ehrgeiz, der erste zu sein, der sich zum Himmel erhob, es ging ihm vielmehr darum, eine Maschine zu schaffen, mit der man
beliebig im Luftreich auf- und absteigen konnte, um die Kenntnis über die Atmosphäre zu vertiefen. Er wollte daher eine Luftkugel bauen, mit der sich zwei Reisende ins "Unermeßliche" erheben konnten. Vom ersten Aufstieg seiner aerostatischen Maschine wußte er, daß diese unter dem Einfluß des abnehmenden atmosphärischen Drucks in der Höhe platzen würde, konnte man aus ihr nicht nach Belieben das sich ausdehnende Gas ablassen. Doch wie war dieses Problem zu lösen? Tagelang sann er in seinem Kabinett darüber nach, und wenn sich seine Gedanken zu einem unentwirrbaren Knäuel fügten, ritt er zu den Brüdern Robert, um sich mit ihnen zu beraten. Entmutigt kehrte er jedesmal zurück, denn auch die geschickten Mechaniker wußten keine Lösung. Da fiel ihm eines Nachts, als er wieder einmal nicht schlafen konnte, das Ventil ein, das er am Füllansatz seiner Kugel angebracht hatte. Wie, wenn er es bei seiner neuen Maschine weglassen würde? Dann müßte das beim Steigen sich ausdehnende Gas aus dem Füllansatz gedrückt werden. Doch würde das allein ein Platzen der Maschine verhindern? Wenn er das Ventil oben am höchsten Punkt des Ballons anbrachte und es mit einem Seilzug, den er von oben nach unten durch die Kugel führte, nach Belieben öffnen und schließen könnte, wäre alles gelöst. Drohte der Ballon zu platzen, brauchte er nur das Klappenventil zu öffnen, und das überschüssige Gas würde entweichen. Um ein Sinken des Ballons zu verhindern, müßte er nur genügend Ballast, am besten Sand, mitnehmen, den er abwerfen konnte, um den Ballon in seiner Höhe zu halten oder um ein rasches Sinken abzubremsen. Ein Barometer würde ihm die Höhe anzeigen. Nun galt es, ein Möglichkeit zu finden, wo sich die Luftreisenden während ihrer Fahrt aufhalten konnten.
Charles entschied sich für eine Gondel, ein Mittelding zwischen einer Kutsche ohne Rädern und einem Boot. Würde man die Halteseile direkt am Ballon befestigen, bestünde die Gefahr des Abreißens während der Fahrt. Wie sollte er diese Frage lösen? Als er wieder einmal zu den Brüdern Robert ritt, beobachtete er ein Kind, das einen Ball in einem Netz umherschleuderte. Das war die Lösung! Auch er würde ein solches Netz benutzen. Im Gespräch mit den beiden Roberts wurden sie sich klar, wie es auszusehen hatte. Charles würde das Netz nur über der oberen Hälfte seiner aerostatischen Maschine ausbreiten und es am größten Umfang seines Ballons an einem Holzring befestigen. An diesem Ring wiederum sollten starke Seile für die Gondel angebracht werden. Eine kostspielige Angelegenheit! Wo sollte er das Geld hernehmen? Er ging nun denselben Weg wie Faujas und holte sich die Genehmigung zu einer Subskription. In wenigen Tagen war das Geld zusammen. Die Brüder Robert und er machten sich unverzüglich ans Werk, eine Maschine nach seinen Plänen zu bauen. Professor Charles wußte in dieser Stunde nicht, daß er den Freiballon so perfekt entworfen hatte, daß der sich, wenn man von der noch fehlenden Reißbahn und dem Schleppseil absah, in den folgenden zwei Jahrhunderten immer wieder so zeigte. Während Professor Charles' Maschine vollendet wurde, stiegen Pilitre de Rozier und der Marquis d'Arlandes als erste Menschen ins Luftreich. Diese Tatsache beeinträchtigte die Arbeiten des Professors in keiner Weise. Er spendete den kühnen Luftfahrern sogar Beifall. Ebenso sorgfältig, wie er seinen Ballon entworfen hatte, plante er die bevorstehende Luftfahrt. Am ersten Dezembertag des Jahres 1783 wollte er aufsteigen; ganz gleich, ob es zu
diesem Zeitpunkt regnen oder schneien würde, ob es stürmisch oder windstill war. Nichts sollte ihn von diesem Experiment abhalten. Er war sich seines Planes und seiner Maschine sicher. Der Ältere der Brüder Robert sollte ihn auf seiner Fahrt begleiten.
Wie bei jeder bisherigen Auffahrt hatte sich bis zum Mittag eine unübersehbare Menschenmenge an der Hauptallee des Tuileriengartens, von der Charles aufzusteigen gedachte, versammelt. Blanchard hatte in der Nähe auf einer Mauer Platz gefunden. Unmutig verfolgte er die Vorbereitungen zum Aufstieg. Wahrscheinlich würde er, der den ersten Versuch unternommen hatte, mit einer Barke den Weg ins Luftreich zu finden, sich niemals von der Erde lösen. Nachdem ihm dieser Edelmann aus Metz zuvorgekommen und als erster Mensch aufgestiegen war, unternahm es nun dieser gelehrte Fant, am Ballon eine Gondel zu befestigen. Blanchard war mit sich und der Welt unzufrieden, seit ihn auch der Herzog von Chartres abgewiesen hatte. Keinen Sous würde er ihm mehr geben, und als Scharlatan hatte er ihn noch obendrein verspottet. Er hörte, wie zahlreiche Akademiemitglieder, die einen Erfolg anzweifelten und die Unmöglichkeit einer solchen Reise zu beweisen versuchten, mit den Montgolfiers, Pilitre de Rozier, dem Marquis d'Arlandes und dem Professor diskutierten. "Sehen Sie, Messieurs", erklärte Professor Charles mit seiner vollen Stimme, wobei er mit seiner Rechten das kräftige Kinn umfaßte, "das Klappenventil im Zenit meiner Maschine und der Sandballast werden es uns gestatten, immer in gleichbleibender Höhe zu fahren. Wir wollen auf
zweihundertfünfzig Toisen steigen und in diesem Abstand von der Erde so lange fahren, bis man uns in Paris aus den Augen verlieren wird. Ein Kanonenschuß soll uns diesen Augenblick mitteilen, denn von der Reise des Herrn de Rozier wissen wir, daß man in der Luft vortrefflich hören kann, was auf der Erde geschieht. Danach aber werden wir nach Belieben steigen oder sinken." Die Akademiemitglieder erhoben immer neue Einwände. Da bahnte sich der Minister de Breteuil einen Weg durch die Umstehenden. "Monsieur!" sprach er würdevoll zu Professor Charles. "Ich habe den Auftrag Seiner Majestät, Ihnen den Befehl zu überbringen, einen freien Aufstieg ins Luftreich zu unterlassen; erheben Sie sich vielmehr an einem auf der Erde befestigten Seil." Professor Charles konnte seine Erregung nicht verbergen. "Monsieur le Ministre", erwiderte er. "Der König besitzt zwar das Recht, über mein Leben zu verfügen, nicht aber über meine Ehre. Ich werde aufsteigen, wie ich es beabsichtige. Sollten Sie mich daran hindern, so werde ich mich vor Ihren Augen erschießen." Der Minister beschwichtigte. "Nun, ich habe nur die Order, Ihnen diesen Befehl zu überbringen, nicht aber die Anweisung, Sie an Ihrer kühnen Reise zu hindern. Verantworten Sie sich selbst wegen Ihres Ungehorsams vor dem König." Schade, dachte Blanchard. Einen Moment hatte er daran geglaubt, doch noch als erster mit einer Gondel aufsteigen zu können. Professor Charles und Robert warfen neunzehn Pfund Ballast über Bord, und sogleich erhob sich der Ballon fast senkrecht in die Luft. Das Jubelgeschrei der Massen drang
bis zu den Reisenden empor und begleitete sie noch auf einem ganzen Stück ihres Weges. Es war ein sonniger und am Boden fast windstiller Tag, das Thermometer zeigte vier Grad plus an. Charles verfolgte aufmerksam das Barometer, um bei der geringsten Abweichung von der vorgesehenen Höhe Ballast abzuwerfen oder das Ventil zu ziehen. Die Maschine trieb in das offene Land hinaus. Seitlich glitt das Dorf Mousseux vorüber dann verharrte der Ballon eine Weile auf der Stelle, doch alsbald setzte sich die Maschine wieder in nordwestlicher Richtung in Bewegung. Bei Asnieres überquerte sie die Seine. Gleich darauf nahm sie Kurs auf Gennevilliers, links blieb Colombes liegen. Während die Luftfahrer die Landschaft betrachteten, ertönte von weitem ein. Kanonenschuß, das Zeichen, daß man sie in Paris nicht mehr sehen konnte. Sie waren nun sechsundfünfzig Minuten in der Luft und brauchten sich nicht mehr an die vereinbarte Höhe zu halten; sie durften, ganz nach Belieben, auf- und absteigen. Da entdeckten sie tief unter sich einige Reiter, die der Maschine folgten. Charles zog das Ventil, und der Ballon sank dicht über ein Dorf hinab. "Es lebe der König!" rief Charles nach unten. Von dort kam die Antwort: "Fürchten Sie sich nicht in der Höhe?" "Nein, wir sind bei bester Gesundheit!" "Sind Sie wirklich nicht krank in der Höhe?" "Es ist sehr schön hier oben in der Luft!" "Wir bitten Gott, daß er Sie bewahre!" Gegen halb vier Uhr nachmittags - die wagemutigen Reisenden befanden sich nun zwei Stunden in der Luft beschloß Charles, in der Ebene von Nesle niederzugehen. Zwischen Bäumen und Büschen landete die aerostatische
Maschine. Professor Charles befahl, den Pfarrer und den Dorfschulzen herbeizuholen, mit ihnen gemeinsam wollte er einen Bericht der Fahrt aufsetzen und beglaubigen lassen. Bald kamen drei Reiter herangesprengt, der Herzog von Chartres, der Herzog Fitz James und der englische Lord Farrer. Sie beglückwünschten die Luftfahrer.
Als der Bericht vollendet war, erklärte Professor Charles, allein die Reise fortzusetzen, obwohl die Dämmerung nicht mehr weit war. Er wollte noch höher hinaufsteigen, erklärte er. Dann wandte er sich an den Herzog von
Chartres: "Wann befehlen Sie, daß ich wieder herabkomme, Sire?" Er wollte damit zeigen, wie leicht seine Maschine zu bedienen war und wie zuverlässig sie sei. "In einer halben Stunde", antwortete der Herzog, "denn dann dunkelt es." Die Sonne neigte sich schon dem Horizont entgegen. Charles klatschte in die Hände, und sogleich ließen die Bauern die Maschine los. Der Ballon erhob sich mit solcher Geschwindigkeit, die niemand für möglich gehalten hätte. Der nicht mehr ganz pralle Ballon nahm sehr rasch wieder seine Kugelform an. Professor Charles zog das Ventil. Rauschend entwich das Gas am Füllansatz. Er war sich der Gefahr bewußt, in die er sich begeben hatte, als er ohne nennenswerten Ballast noch einmal aufgestiegen war. Endlich kam die aerostatische Maschine zur Ruhe. Ein Blick auf das Barometer zeigte ihm, daß er sich l400 Toisen über dem Meeresspiegel befand, und das Sonderbare war, daß er sich dabei wohl fühlte. Die halbe Stunde ging zu Ende, nun konnte der Abstieg beginnen. Die Erkenntnisse, die er auf dieser Reise gewonnen hatte, übertrafen alle seine Erwartungen. Charles zog das Ventil, die Kugel begann sofort zu sinken. In seinen Ohren und den oberen Kinnladen verspürte er einen unbekannten Druck. Er hatte das Gefühl, Wasser in den Ohren zu haben, alle Geräusche waren gedämpft. Bald setzte seine Maschine sanft auf der Erde auf. Professor Charles kehrte erst am nächsten Abend nach Paris zurück. Aber Tausende jubelten ihm zu, er empfing Glückwünsche und Ovationen. Nur die Akademiemitglieder ließen sich nicht sehen. Voller Bitterkeit bemerkte der Professor: "Über einen Mißerfolg hätten sie alle gelacht,
den Erfolg indessen verzeihen sie nie." Professor Jacques Alexandre Cesar Charles wurde wegen seines Ungehorsams vom König nicht gerügt, er gewährte ihm vielmehr ein jährliches Gnadengehalt von zweitausend Livres. Das geschah nicht ohne Absicht, denn der König begriff sehr rasch, daß die weitere Entwicklung der aerostatischen Maschinen es ihm in absehbarer Zeit ermöglichen könnte, über das verhaßte England herzufallen und dessen Vorherrschaft auf den Meeren aus der Luft zu brechen. In England erkannte man diese Gefahr sehr bald. Schon im folgenden Jahr schrieb der englische Gelehrte Sir Horace Walpole: "Ich hoffe, daß sich diese neuen künstlichen Meteore nur als Spielzeug für die Gelehrten und Müßiggänger erweisen und nicht in neue Maschinen zur Vernichtung der Menschheit verwandelt werden, wie es so oft mit den Verbesserungen der Entdeckungen der Wissenschaft der Fall ist." Professor Charles indessen beschäftigte sich von nun an nicht mehr mit der Aeronautik. Er mußte Neid und Mißgunst über sich ergehen lassen. Später schrieb er in seinen Aufzeichnungen: " . ich habe auf meine Kosten erfahren, daß es ein reines und dauerhaftes Glück nur in der Stille der Zurückgezogenheit gibt."
Der Würfelbecher knallte auf die Tischplatte; Blanchard sah nicht auf das Ergebnis. Wie immer in der letzten Zeit sann er darüber nach, woher er das Geld für seine Maschine bekommen könnte. "Dreimal sechs!" brüllten seine Kumpane und schlugen vor Begeisterung auf den Tisch. "Hast du ein Glück beim Würfeln, mehr als bei deinen luftigen Spielereien!"
Blanchard sah den Sprecher von unten herauf böse an. "Ich sage dir, höre auf damit, sonst ." "Was sonst?" Der andere lachte schallend und pustete ihm über seinen Handrücken hinweg ins Gesicht. "Blase ich noch stärker, dann weht es dich davon, du Zwerg! Dann hast du deine Luftfahrt!" Blanchard schüttete ihm aus Wut den Rest aus seinem Weinkrug ins Gesicht. Die anderen grölten vor Vergnügen und trommelten mit den Fäusten auf den Tisch. "Gib's ihm nur, du verhinderter Luftfahrer!" Doch Blanchard hatte sich abreagiert, die anderen merkten es und begannen zu sticheln. "Nun, wie wäre es, du machtest es wie diese hochwohlgeborenen und gelehrten Laffen und veranstaltetest eine Subskription unter dem Volke. Doch dir würde niemand etwas geben." Blanchard sah nachdenklich auf den Sprecher. Gewiß! Auch er hatte schon an diese Möglichkeit gedacht; doch wer würde ihm, dem Mechanikus Jean Pierre Blanchard, schon Geld zustecken? Seine Fahrten mit dem Segelwagen waren längst vergessen, und man verspottete ihn wegen seiner mißglückten Himmelfahrt. Indessen hatte ein regelrechtes Ballonfieber die Hauptstadt befallen, obwohl es angesichts der Mißwirtschaft überall im Lande gärte, das Volk soziale Reformen und ein Ende der absolutistischen Herrschaft verlangte. Da es in den Wirtshäusern, Kneipen und Weinkellern von Spitzeln und Geheimpolizisten nur so wimmelte, sprach man kaum von etwas anderem als den Luftkugeln der Herren Montgolfier und des Professor Charles. Die Hofdamen liebten es, sich in ballonförmigen Röcken und mit turmartigen Ballonfrisuren zu zeigen. Die Münzmacher prägten Porträts der Brüder Montgolfier, der Herren de Rozier und
Charles, und in den Läden gab es Stiche zu kaufen, die den Aufstieg von Luftkugeln zeigten. Paris war bereit, jeden zu unterstützen, wenn er nur einen neuen Aufstieg versprach. Blanchard hatte Glück, man genehmigte ihm eine Subskription. Schon wenige Tage später konnte man im "Journal de Paris" nicht ohne einen kräftigen Seitenhieb auf seinen Mißerfolg lesen: " .da dieser Mechaniker bereits eine Menge von Dingen versprochen hat, die er nicht halten konnte, so hat man bis jetzt nicht viel Vertrauen zu ihm fassen können, ihm aber gleichwohl gestattet, Unterschriften zu drei Livres zu sammeln." Was Blanchard nicht zu träumen wagte, geschah: Das Geld war rasch zusammen. Er würde zwar nun nicht mehr der erste Luftfahrer sein; jetzt ging es ihm um Ruhm, Geld und um öffentliche Anerkennung. Seine Gehilfen zogen sich dennoch von ihm zurück, und so begann Blanchard Mitte Dezember des Jahres 1783 allein mit dem Bau einer aerostatischen Maschine. Das Werk schritt nur langsam voran, obwohl er mit Besessenheit arbeitete; er gönnte sich kaum Zeit zum Schlafen und zum Essen. Mühsam schnitt er die Bahnen seiner Luftkugel zurecht und fügte sie zusammen. Von Zeit zu Zeit betrachtete er sein Werk. Mitunter überkamen ihn Zweifel, dann änderte er da und dort etwas. Der Ballon, so sagte er sich, würde gar nicht einmal das Schwierigste sein, sondern die Füllung. Über die Beschaffenheit und die Herstellung des Gases, das Professor Charles verwendet hatte, war er gründlich informiert. Doch würde es ihm allein gelingen, die Kugel in schwieriger Prozedur damit zu füllen? Während er darüber nachdachte, erreichte ihn im Januar 1784 die Kunde, daß am 19. des Monats Pilitre de
Rozier in Lyon mit sieben Menschen in einer riesigen aerostatischen Maschine aufgestiegen und fünfzehn Minuten lang durch die Luft gefahren war. Nicht die Tatsache der Luftreise ärgerte ihn, sondern vielmehr die überschwenglichen Ehrungen, welche die Luftfahrer danach erfuhren. Für ihn hingegen hatte man nur Spott und abfällige Bemerkungen übrig. Langsam schritt Blanchards Werk voran. Ende Februar war es schließlich vollendet, und nun beging er einen neuen Fehler: Er ließ in das Journal einen Artikel einrükken, in welchem er ausführlich beschrieb, wie er im Gegensatz zu den Herren de Rozier und Charles mit seiner aerostatischen Maschine in beliebiger Richtung, so, wie er es wollte und wie er es vor dem Aufstieg darlegen würde, in der Luft umherfahren könnte.
Am 2. März hatte sich wie bei allen bisherigen Auffahrten eine große Menschenmenge eingefunden. Der kleine Blanchard stolzierte mit überlegener Miene einher und bestieg die Gondel, seine alte schwere Barke, mit der er einstmals schon vergeblich aufzufahren versuchte. Sodann wandte er sich würdevoll an Professor Charles, die Brüder Montgolfier und die anderen Umstehenden und erklärte ihnen seine Absichten. "Messieurs! Wie Sie sehen, weht der Wind heute aus nordwestlicher Richtung, und obwohl ich eigentlich nach Südosten abgetrieben werden müßte, werde ich mit Hilfe meiner Schlagflügel jedoch direkt nach Nordwesten, also gegen den Wind rüdem und sodann in nordöstlicher Richtung weiterfahren." Professor Charles schüttelte den Kopf, wobei er, wie es seine Art war, das scharf profilierte Kinn mit der Rechten umspannte. "Das ist unmöglich, mein Herr. Mit Ihren
Rudern können Sie nicht den Widerstand der Kugel gegenüber der Luft überwinden." "Nun, Sie werden es erleben", erwiderte Blanchard überlegen.
Die Umstehenden gaben das Gespräch an die hinter ihnen Stehenden weiter, und so erfuhren die Massen bald von Blanchards großsprecherischen Absichten, sofern sie davon nicht schon im Journal gelesen hatten. Ein Böller-
schuß kündete die Auffahrt an. Blanchard schwenkte seinen Hut und rief: "Vive la France!" Er vermied es bewußt, den König hochleben zu lassen. Unter ihm winkten Tausende mit Tüchern und Hüten. Das war sein Triumph! Kurz nachdem sich der Ballon von der Erde gelöst hatte, begann er mit den Schlagflügeln zu rudern, so, als ob er, wie er es angekündigt hatte, in nordwestlicher Richtung zu fahren gedenke. Indessen trieb seine Maschine nach Südosten. Höhnisches Gelächter dröhnte zu ihm empor, was seine Anstrengungen noch verstärkte. Vergeblich! "Schwindler, Scharlatan, Betrüger!" johlten die Massen. "Er ist nicht zu belehren", kommentierte Professor Charles. Doch was war das? Kurz bevor die Maschine aus den Augen der Zuschauer verschwand, kehrte sie mit zunehmender Höhe zurück und fuhr genau nach Nordwesten. Die Massen verstummten. Hatte Blanchard vielleicht doch recht? Da meldete sich Professor Charles abermals zu Wort: "Von meiner Luftfahrt weiß ich, daß in unterschiedlichen Höhen der Wind aus verschiedenen Richtungen wehen kann, und offensichtlich ist Herr Blanchard jetzt in eine Strömung aus südöstlicher Richtung geraten." Der Ballon überquerte die Seine und verlor an Höhe, und in dem Maße, wie er sank, kehrte er wiederum zurück und wurde nach Südosten getrieben. "Womit die Richtigkeit meiner Behauptung bewiesen ist", bemerkte Charles beiläufig. Auch Blanchard in seiner Luftbarke begriff in dieser Stunde, daß seine Schlagflügel völlig nutzlos waren und daß es ihm wohl niemals gelingen würde, eine Luftkugel lenkbar zu machen, um sie dorthin fahren zu lassen, wohin
er es wünschte. Sie würde immer ein Werkzeug des vorherrschenden Windes sein. Er erkannte in dieser Situation auch, daß ihm bestimmt Ehrungen und Anerkennung zuteil geworden wären, hätte er nicht auf seinen Schlagflügeln bestanden und im Journal großsprecherisch verkündet, daß er mit seiner Maschine beliebig in der Luft Umherfahren könne. So aber erntete er nur Spott und Hohn, die Zeitungsschreiber fielen erneut über ihn her, und das gemeine Volk dichtete wieder Spottlieder. Verärgert und verbittert verließ der Mechanikus Jean Pierre Blanchard das Land und begab sich mit seinem abgerüsteten Ballon nach England. Dort würde er der erste sein, der in das Luftreich aufstieg.
Blanchard irrte sich abermals. Ein gewisser Vincent Lunardi kam ihm zuvor. An seinem Ballon verzichtete er auf den schweren Holzring, an dem das Netz über der oberen Hälfte der Ballonhülle und unten die Gondel befestigt war, so wie es Professor Charles getan hatte. Er umschlang die gesamte Kugel mit einem Netz, so daß sie um vieles leichter wurde. Von Lunardis Erfolg ließ sich Blanchard jedoch nicht beeindrucken. Er war in Paris höher gestiegen und länger in der Luft geblieben als Lunardi in England. Immerhin aber war ihm wieder ein anderer zuvorgekommen. Blanchard begann nun, an verschiedenen Orten aufzusteigen, ohne seine Schlagflügel zu benutzen, und er erntete endlich den Beifall, der ihm bisher versagt geblieben war. Dennoch sann er unaufhörlich darüber nach, wie er einen Aufstieg unternehmen könnte, der die ganze Welt beeindruckte. Bei einer seiner Auffahrten nahm er den amerikanischen Arzt und Physiker Dr. John Jeffries mit ins Luftreich.
Der Amerikaner war begeistert. "Mister Blanchard", sagte Jeffries nach dieser Reise. "Wozu soll dieses Luftkugelfahren gut sein, wenn wir es nicht nutzen, die Kenntnis vom Luftmeer zu vertiefen und das Verhalten des Menschen in ihm zu untersuchen?" Da sich Jeffries bereit erklärte, diese Fahrten zu finanzieren, willigte Blanchard ein. So fuhren sie alsbald in fünfundsiebzig Minuten von London nach Dartford. Während dieser Reise untersuchte Jeffries Blanchards Blutdruck sowie dessen Puls- und Atemfrequenz. Außerdem zeichnete er den Druck der Luft und deren Temperatur in verschiedenen Höhen auf. Dem ehrgeizigen Blanchard genügten diese Auffahrten bald nicht mehr, zumal ihre Ergebnisse kaum jemandem bekannt wurden. Immer und immer wieder sann er darüber nach, wie er mit seinen Fahrten Weltruhm erlangen könnte. Eines Nachts, als er nicht einschlafen konnte, fiel ihm die Lösung ein: Wie wäre es, wenn er mit seiner aerostatischen Maschine von England aus nach Frankreich hinüberfahren würde, wo man ihn unter Spott und Hohn aus dem Lande getrieben hatte? Wenn ihm diese Fahrt über den Ärmelkanal gelänge, wie würde dann wohl der König darauf reagieren? Das Volk, mit dem er sich trotz aller Schmähungen immer verbunden fühlte, würde ihm wohl zujubeln. Er vertraute sich Jeffries an, und der stimmte begeistert zu. Das war ein Plan nach seinem Geschmack. Zunächst behielten sie ihn für sich. Sie ahnten nicht, daß auf der anderen Seite des Kanals ein gefährlicher Konkurrent war . Fast zur gleichen Zeit, als Blanchard mit Jeffries von London nach Dartford fuhr, stieg Pilitre de Rozier mit
dem Chemiker Proust auf mehr als 2000 Toisen Höhe hinauf. So hoch war vor ihnen noch niemand gewesen. Nach der Landung berichteten sie, daß sie sich bei bester Gesundheit befänden, in der Höhe allerdings von einer leichten Müdigkeit befallen worden wären. Man konnte also mit einem Ballon so hoch und so weit fahren, wie man wollte, mußte sich nur dem Wind anvertrauen. Wie wäre es .? In Pilitre keimte ein Plan, und alsbald trat er damit an den Kriegsminister Calonne heran, denn dieser müßte als erster ein Interesse an diesem Vorhaben zeigen. "Monsieur le Ministre!" begann de Rozier höflich. "Ich glaube, daß es nun an der Zeit ist, eine Luftreise vorzubereiten, an der sowohl Seine Majestät als auch die Herren Generäle interessiert sein dürften, weil sie Frankreichs Stärke und Ansehen in aller Welt erhöhen dürfte; ich meine eine Luftfahrt von Frankreich nach England." Pilitre brauchte Calonne nicht viel zu erklären, diesem war die Bedeutung eines solchen Unternehmens sofort klar. Gelänge es, dann würde England keine Insel mehr sein, und die arroganten Briten müßten sich endlich zu einer anderen Haltung bequemen. Frankreich wäre jederzeit in der Lage, England aus der Luft zu besetzen. Vielleicht müßte Britannien sogar Frankreichs alte Besitzungen zurückgeben. Der Minister sah schon riesige Kugeln mit Soldaten nach England hinüberschweben. Immerhin war diesem de Rozier in Lyon schon eine Auffahrt mit sieben Menschen gelungen. Calonne und de Rozier berieten diesen Plan sehr gründlich, denn es ging ja nicht um einen Aufstieg zur Belustigung des Pöbels, sondern . Die erforderliche Summe wurde alsbald durch allerhöchste Order bewilligt, und Pilitre de Rozier begab sich mit seinem Gehilfen Romain nach Boulogne-sur-Mer, um dort
eine entsprechende aerostatische Maschine zu bauen. Alles geschah in größter Heimlichkeit, denn es sollte vor dem Aufstieg niemand etwas erfahren. Anders verhielt sich Blanchard drüben in England. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht posaunte er sein Vorhaben bei jeder Gelegenheit aus, und es dauerte nicht lange, bis diese Nachricht in die französischen Redaktionsstuben und damit in die Zeitungen gelangte. In Paris höhnte und spottete man über diese erneute Großsprecherei des Scharlatans, der jetzt in England auf den Jahrmärkten zur Freude des Volkes als Spaßmacher aufstieg. Wie sollte ein solcher Narr in der Lage sein, eine Aufgabe zu lösen, die allen Scharfsinn und Geist erforderte? Und wo will dieser Mensch, der aus der Gosse gekommen ist, dessen Herkunft niemand kennt, überhaupt das Geld dafür hernehmen. Indessen machten sich Pilitre de Rozier und Romain ans Werk. Die Maschine sollte etwas völlig Neues werden, weder ein Heißluftballon, wie ihn die Brüder Montgolfier verwendeten, noch ein Wasserstoffballon, mit dem Professor Charles aufgestiegen war. Ein kugelförmiger, mit Wasserstoff gefüllter Ballon sollte auf einem mit Feuerluft gespeisten Zylinder ruhen. Am unteren Ende würde sich die Galerie befinden, auf der sich die kühnen Reisenden aufhalten und das Feuer schüren sollten. Durch diese Kombination beabsichtigte Pilitre de Rozier, die Abnahme des Auftriebs durch Gasverlust mittels Erzeugung von Heißluft auszugleichen. Pilitre unterbreitete dieses Projekt Professor Charles. Dieser schüttelte bedenklich den Kopf. "Mein Herr!" erwiderte er zweifelnd. "Sie tun damit nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie ein Pulverfaß über ein Feuer hängen!"
Pilitre beharrte auf seinem Prinzip. "Es wird gehen, Monsieur!" Er verschloß sich allen Argumenten des Professors. Mit der Kraft seiner Jugend setzte er gemeinsam mit Romain den Bau der Maschine fort, zumal ihn Calonne ständig zu größter Eile antrieb. Als der Ballon vollendet war, forderte der Minister, das Wagnis unverzüglich zu unternehmen. Inzwischen hatte Pilitre festgestellt, daß die Verhältnisse an der Küste außerordentlich ungünstig waren, der Wind blies meistens aus Nordwest, so daß eine Fahrt kaum möglich sein würde. War der Wind endlich einmal zur Ruhe gegangen, verbot der Magistrat von Boulogne eine Auffahrt, weil dies das Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Wetterumschlag sei. Währenddessen zernagten Mäuse und Ratten den Ballon, der zusammengefaltet in einem Schuppen lagerte. Nachts ließ Pilitre Hunde und Katzen los, stellte Trommler vor dem Schuppen auf, um sie zu verjagen. Inzwischen war das Projekt bekanntgeworden. Die Gassenbuben begannen auch hier, Spottverse zu singen; das alles zerrte an Pilitres Nerven. In einem glich er seinem Konkurrenten Blanchard, er war ebenso leicht reizbar. So ging das Jahr 1784 zu Ende. Seit Weihnachten war heiteres Wetter über Südengland. Wochenlang führten Blanchard und Jeffries ihre Beobachtungen durch. Meistens wehte der Wind aus Nordwest. Ihr Ballon würde genau auf die französische Küste zutreiben. Die Fahrt bedeutete also kaum ein Risiko, zumal die Temperaturen für diese Jahreszeit ungewöhnlich hoch lagen. Warum also sollte Blanchard seine Reise noch aufschieben? Er, der einfache Mann aus dem Volke, trachtete danach, dem Edelmann endlich einmal den Rang
abzulaufen.
Gegen ein halb drei Uhr nachmittags entdeckte der Küstenwächter in der Nähe des Dorfes Guines bei Calais - es war der 7. Januar 1785 - eine seltsame Erscheinung über dem Kanal. Er konnte nicht genau erkennen, was es war, daher nahm er sein Fernrohr zur Hand. Da erkannte er eine gelbe Kugel, die dicht über dem Wasser schwebte. Manchmal schien sie regungslos auf der Stelle zu verharren. Es dauerte nicht lange, bis er in ihr eine dieser neumodischen Luftkugeln erkannte, in denen man jetzt in der Luft umherfuhr. Er blies dreimal in sein Horn, um die Bevölkerung und die Obrigkeit zu alarmieren, so, wie es ihm aufgetragen war, wenn sich an der Küste etwas Ungewöhnliches zeigte. Während die Bewohner des nahen Dorfes herbeieilten, bemerkte er, daß die Kugel ins Wasser zu fallen drohte. Gleich darauf warfen die beiden Reisenden ruderartige Geräte ins Wasser, ihnen folgten andere Gegenstände. Der Wächter verstand nicht, warum sie dies taten. Alsdann schickten sich die Luftfahrer an, aus ihrer Gondel in das Netz hinaufzuklettern, aber da stieg die Kugel plötzlich in die Höhe, und die beiden Männer kehrten in die Gondel zurück. Inzwischen herrschte in den Dörfern helle Aufregung, sie glichen kribbelnden Ameisenhaufen. Die Bauern eilten aus ihren Katen, andere verbargen sich furchtsam. Noch nie hatte jemand von ihnen eine aerostatische Maschine gesehen. Pferdehufe dröhnten über den gefrorenen Boden. Aus der Stadt Calais ritten Offiziere zur Küste. Die Mitglieder der Municipalität kamen in einer Kutsche herbei. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich Haß. Nun kamen sie sogar aus der Luft von der Insel nach Frankreich herüber!
Die Obrigkeiten von Calais dachten an die Niederlagen, die ihr Land gegen Britannien immer wieder erlitten hatte. Der Hundertjährige Krieg lag zwar lange zurück, die Engländer saßen längst nicht mehr in der Normandie. Doch seit dem Krieg um die spanische Erbfolge gewannen die Briten auf Kosten Frankreichs ihre Vorherrschaft in Europa. Erst vor reichlich zwanzig Jahren mußte der König auf die überseeischen Besitzungen in Kanada und Indien zugunsten dieser da drüben auf der Insel verzichten. Und jetzt kamen sie sogar mit einer aerostatischen Maschine nach Frankreich gefahren. Die Gondel und der Ballon gingen krachend in einem Gehölz nieder, Bäume und Äste splitterten. Blanchard und Jeffries verließen mühsam ihr luftiges Fuhrwerk und kletterten von den Bäumen herab. Da mäßigte sich die Erregung der Herren aus Calais, unter denen sich auch der Bürgermeister Rigault de l'Epinoy befand. Der Aeronaut war ein Franzose, wenngleich sein Name im Lande nicht viel galt, nun, und der Amerikaner zählte nicht. Am nächsten Tag feierte man zu Ehren der Luftfahrer mit großem Pomp ein Fest. Vor dem Haus, in welchem die kühnen Aeronauten wohnten, hißte man die französische Flagge, und die Municipalität sowie das Offizierskorps erstatteten dem Mechaniker Jean Pierre Blanchard am Morgen ihren Ehrenbesuch ab. Der Bürgermeister Rigault de l'Epinoy schlug Blanchard vor, den Ballon für 3000 Louisdor zu kaufen und ihn in der Hauptkirche von Calais als Ehrendenkmal für die denkwürdige Luftreise aufzuhängen. Blanchard, froh, die schwere aerostatische Maschine loszuwerden, willigte ein. Beabsichtigte er doch, eine leichtere Kugel mit vollem Netz, so wie es Lunardi gezeigt hatte, zu bauen.
Am Abend gab es ein Fest, wie es die Stadt Calais noch niemals erlebt hatte. Auch die Bevölkerung feierte; man tanzte und trank bis tief in die Nacht hinein. Der Bürgermeister verlieh Blanchard die Ehrenbürgerschaft von Calais und ein Jahresgehalt von sechshundert Franken. Solche Ehrung war noch keinem Luftfahrer zuteil geworden, weder den Montgolfiers noch Pilitre de Rozier und Charles. Blanchard war nun der Größte! Einige Tage nach seiner Luftreise wurde er in einer königlichen Kutsche nach Paris geholt, das er einst wegen des Spottes seiner Zeitgenossen verlassen hatte, und dem König vorgestellt.
Blanchard, ein überzeugter Gegner der Royalisten, ein Mann aus dem Volk, wehrte sich nicht gegen diese Auszeichnungen, und das Jahresgehalt über zwölfhundert Livres nahm er mit Genugtuung entgegen.
Unter denen, die die letzte Phase der Blanchardschen Luftreise beobachtet hatten, befand sich auch Pilitre de Rozier. Nun war ihm dieser Gaukler zuvorgekommen, und ganz Paris feierte ihn, der noch unlängst verhöhnt und verspottet worden war. Doch die heftigen Frühjahrsstürme aus Nordwest machten Pilitres Auffahrt unmöglich. Außerdem mußte die Maschine repariert werden, Ratten und Mäuse hatten ihr zerstörerisches Werk getan. Immer wieder erreichten ihn Billetts des Ministers Calonne aus Paris. Der drängte ungehalten, die Fahrt nun endlich zu unternehmen, denn Pilitre wisse ja, was von der Reise abhänge. "Wer ist denn dieser Blanchard?" zischte er gereizt beim Lesen dieser Briefe. Und noch ehe ihm sein Gehilfe Romain antworten konnte, sagte er: "Ein unwissender Narr, ein Spaßmacher, nichts anderes! Treibt er nicht Allotria zum Ergötzen des gemeinen Volkes?" "So ist es, Monsieur", erwiderte Romain, "aber jetzt ist ihm die Fahrt erst einmal gelungen." "Schweig!" fuhr in Pilitre ungehalten an, und dann zogen die Bilder der Vergangenheit an ihm vorüber. Es war noch nicht einmal zwei Jahre her, als er und der Marquis d'Arlandes sich als erste Menschen ins Luftreich begaben. Einige Tage später erschien der Kriegsminister selbst in Boulogne, um Pilitre endlich zu der geplanten Luftreise zu veranlassen. "Sie wissen", sagte der Minister ärgerlich, "die Fahrt von Frankreich nach England besitzt für die Regierung
eine viel größere Bedeutung als in umgekehrter Richtung. Monsieur, Sie machen uns mehr Schwierigkeiten als alle unsere Staatsgeschäfte zusammen!" "Die Aeronautik ist eben die derzeit größte und schwierigste Angelegenheit der Menschheit, Monsieur le Ministre!" "Larifari! Dann erfinden Sie etwas, was die Reise alsbald ermöglicht!" Calonne zog arrogant die rechte Augenbraue empor. "Die königliche Regierung hat nicht einhundertundfünfzigtausend Livres dafür ausgegeben, daß ein Physiker untätig an den Küsten der Picardie spazierengeht. Die Maschine muß nun benutzt, die Reise endlich einmal angetreten werden!" "Verzeihung, Sire, aber die Umstände liegen nicht in meiner Macht! Der Wind ." "Ach was, denken Sie an Frankreich!" "Ich tue es, Sire!" "Und vergessen Sie nicht, nach der Reise hat Ihnen Seine Majestät ein Jahresgehalt von sechstausend Livres, das Fünffache von dem, was er diesem Blanchard zugewiesen hat, und den Saint-Michaels-Orden in Aussicht gestellt!" "Man soll ja nicht glauben", fuhr Pilitre erregt auf, "daß diese Art von Wunder, wie es die Aeronautik eins ist, sich von selbst verstehen. Die Sache ist schwierig genug, und Frankreich sollte bereit sein, seine Pioniere in jeder Weise zu unterstützen, und sie nicht zu hoffnungslosen Unternehmen treiben. Seine Pioniere dienen nicht nur dem Vaterland, sondern der ganzen Menschheit!" Der Minister reiste ungehalten und ärgerlich wieder ab, nicht ohne vorher noch darauf hinzuweisen, diesen Blanchard an Stelle von Pilitre mit diesem Unternehmen zu betrauen. Als der Minister mit seiner sechsspännigen
Kutsche davonfuhr, lachte Pilitre de Rozier verächtlich. Der Gaukler Blanchard! Niemals würde der sich darauf einlassen. Wie man hörte, reiste er jetzt mit einem Fuhrwerk durch ganz Europa, um sich mit seinem Ballon auf den Jahrmärkten vor dem gemeinen Volk zu produzieren und Geld zu scheffeln. Dabei soll er sogar aufrührerische Reden halten. Der König ließ ihm höchste Ehren zuteil werden, und dabei machte sich dieser Mensch noch über die Royalisten lustig. Er schlägt die Angebote europäischer Höfe aus und hält es mit dem Pöbel. Hochmütig soll er sogar die Bitten einiger Hofdamen abgelehnt haben, mit ihm einmal aufsteigen zu dürfen. Neuerdings fährt er, wie die Zeitungen melden, allerorts mit einem gemeinen Weibsbild aus der Gosse empor. Maßloser Ehrgeiz trieb Pilitre de Rozier nun an. Aufgestachelt durch die Vorwürfe Calonnes, entschloß er sich am 15. Juni 1785 fast übereilt zum Aufstieg. Wenn er nur hoch genug steigen würde, könnte er auf Winde treffen, die ihn hinüber zu der Insel brachten. Er trieb Romain zur Eile an, den Ballon vorzubereiten. Doch der Gehilfe machte ihn auf einige neue Schäden aufmerksam, die vorher beseitigt werden müßten. Pilitre schlug diese Bedenken und Warnungen achtlos in den Wind.
Was Pilitre nicht erwartet hatte, trat am 15. Juni überraschend ein: Der Wind war ihm günstig gesonnen, er wehte aus Südosten, direkt zur britischen Insel hinüber. Nun gab es kein Halten mehr! Aus der Umgebung lief das Volk herbei, und Soldaten, die ihm der Minister zugewiesen hatte, gingen Pilitre und Romain zur Hand. Die Reise mußte und würde gelingen! Der obere Gasballon war schon gefüllt. Ein Feuer, genährt aus feuchtem Stroh und
Wolle, flammte auf, um den unteren, zylindrischen Teil der Maschine zu speisen. Noch waren die Vorbereitungen nicht vollendet, da trabte von der Stadt her ein Reiter auf die Luftfahrer zu. Er sprang vom Pferd ab. "Monsieur!" sagte er erregt zu Pilitre. "Ich bin der Marquis de Maisonfort und lege größten Wert darauf, an dieser historischen Reise teilzunehmen. Zweihundert Louisdor, wenn Sie mir die Teilnahme an der Fahrt gestatten!" Romain trat aufgebracht zwischen die beiden Herren. "Das darf nicht sein, Herr Marquis! Sie kennen nicht die Regeln, nach der diese Maschine betrieben werden muß." Der Marquis beachtete den Gehilfen nicht, er wiederholte: "Ich biete Ihnen nochmals zweihundert Louisdor!" Pilitre lehnte ab. "Ich brauche kein Geld! Ich kann Sie nicht mitnehmen, denn ich bin mir weder des Wetters noch der Maschine sicher." Er wies hinaus auf das spiegelglatt liegende Wasser. "Es ist trügerisch, nicht selten kommt bei diesem Wetter ein Sturm auf, der uns in die Fluten hinabdrücken würde. Es gäbe keine Rettung." Der Marquis gab nicht nach. Da trat Professor Charles heran, der aus Paris herbeigekommen war, um Pilitre von der Reise mit dieser unsicheren Maschine erneut abzuraten. "Diese Maschine ist ein äußerst gefährliches Instrument, mein Herr Marquis! Bedenken Sie: Feuer und Gas!" Romain stieg auf die Galerie, um das Feuer noch ein wenig zu schüren. Der Ballon zerrte an seinen Halteseilen, als könnte er es nicht erwarten, in sein Element aufzufahren. Der Marquis sah es wohl ein, daß er nichts erreichen tonnte, und ging zu seinem Pferd zurück. Als sich auch Pilitre anschickte, die Maschine zu besteigen, legte der Professor seinen Arm um dessen Schultern. "Mein Freund, lassen Sie ab von diesem wahnwitzigen
Unternehmen!" Pilitre schüttelte den Kopf. "Nie und nimmermehr, die Reise muß nun unternommen werden!" Charles hob resignierend die Schultern. "Nun, dann möge Ihnen Gott beistehen!" Auf ein Zeichen de Roziers wurden die Halteseile losgelassen, und majestätisch fuhr die aerostatische Maschine fast senkrecht empor, dann, in ungefähr vierhundert Meter Höhe, erfaßte sie ein leichter Wind und trieb sie auf den Kanal hinaus. Dabei gewann sie zunehmend an Höhe.
Professor Charles verfolgte durch sein Fernrohr die Reise. Er konnte alle Einzelheiten erkennen. Pilitre de Rozier und Romain schwenkten ihre Hüte und eine französische Flagge. Der Professor hörte nicht das Jubelgeschrei um sich herum, aufgeregt beobachtete er alle Einzelheiten. Da! Unversehens wurde der Ballon wieder landeinwärts getrieben. Er war in höhere Luftschichten geraten, in
denen der Wind wieder aus Nordwest wehte. Auch Pilitre mußte es bemerkt haben, er zog die Ventilleine des mit Gas gefüllten Ballons, um wieder in tiefere Schichten zu gelangen. Aber was war das? Während des Ventilzuges erhielt die morsche Gaskugel einen großen Riß und fiel in sich zusammen. Charles konnte alles genau beobachten. Entsetzen erfaßte ihn! Das war das Ende! Da legte sich die Hülle auch schon auf den Zylinder, der unter dieser Überlast, sich ständig drehend, zur Erde hinabstürzte. Der Marquis de Maisonfort sprang auf sein Pferd und galoppierte zu dem Ort, an dem die Maschine aufschlagen würde. Doch er konnte den Luftfahrern nicht mehr helfen. Professor Jacques Alexandre Cesar Charles wandte sich ab. Sein Fernrohr fiel zu Boden. Pilitre de Rozier, dieser vielversprechende Gelehrte, war der erste Mensch gewesen, der sich ins Luftmeer erhoben hatte. Und der Professor wußte auch, daß Pilitre nicht das letzte Opfer des Luftmeeres sein würde.