Wie Juden Deutsche wurden
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Wie Juden Deutsche wurden
Deborah Hertz lehrt Modern Jewish Studies an der University of California in San Diego, USA. 1998 erschien von ihr auf Deutsch Die jüdischen Salons im alten Berlin.
Deborah Hertz
Wie Juden Deutsche wurden Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Thomas Bertram
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel How Jews Became Germans. The History of Conversion and Assimilation in Berlin. © 2007 by Yale University Press.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-39170-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2010. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlaggestaltung: Campus Verlag, Frankfurt am Main Umschlagmotiv: Aquarell von Felix Mendelssohn-Bartholdy 1840: Wohnstube der Leipziger Wohnung mit seiner Frau Cécile und den Kindern Carl und Marie. © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Satz: Campus Verlag, Frankfurt am Main Druck und Bindung: Beltz Druckpartner, Hemsbach Gedruckt auf Papier aus zertifizierten Rohstoffen (FSC/PEFC). Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Dieses Buch ist den Aktivisten der israelischen Friedensbewegung gewidmet
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Danksagungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Die schwarzen Ordner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Die Epoche religiöser Konversion, 1645–1770 . . . . . . . . . . . . . 39 3 Rahel Levin wird erwachsen, 1771–1810 . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4 Emanzipation und Krieg, 1811–1813. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5 Familien der Hochkultur und öffentliche Satire, 1814–1819. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6 Das »Entréebillet zur europäische Kultur«, 1820–1833. . . . . . 221 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Als ich vor so vielen Jahren die Fremdstämmigenkartei entdeckte, verspürte ich den Drang, die Konvertiten aus den Klauen des NS-Systems zu erlösen. Dass ich eine solche statistische und historische Aufgabe übernahm, war meine eigene, persönliche Reaktion auf die jüdischen Tragödien unserer Zeit. Als Jüdin war das eine instinktive Reaktion. Ich wurde aber auch dazu angeregt, weil die Ergebnisse meiner Analyse für meinen Berufszweig wichtig waren. Wie hoch waren die Konversionsraten in der deutschen Vergangenheit am Ende gewesen? Sobald ich die Aufgabe übernommen hatte, merkte ich, dass nur wenige meiner jüdischen Glaubensgenossen, einschließlich solcher, die sich wissenschaftlich jüdischer Geschichte beschäftigten, die toten Konvertiten für ein drängendes Thema hielten. Im Gegenteil, seit dem Zweiten Weltkrieg ist es gang und gäbe, assimilierten Juden und ihren Vorfahren zu verübeln, dass sie ihre Schicksalsgemeinschaft aufgaben. Die Begeisterung bei vielen für Daniel Goldhagens Auffassung von der jüdischen Vergangenheit in Deutschland erinnerte mich natürlich daran, wie unpopulär die Assimilation in bestimmten Kreisen der amerikanischen jüdischen Gemeinde heute ist. Doch als ich bei der Arbeit an diesem Buch die Lebensläufe dieser Konvertiten rekonstruierte, stellte ich fest, dass ich ihnen Verständnis entgegenbrachte. Das Buch, das Sie nun in Händen halten, ist das Ergebnis dieser seltsamen doppelten Agenda, einerseits die Konvertiten rückwirkend dem NSSystem zu entreißen und andererseits zu lernen, wie vernünftig die Konversion damals möglicherweise war. Die Betroffenen konnten nicht warten, bis die Geschichte ihnen die hoch verdiente Emanzipation brachte. Es macht mir Freude, mir vorzustellen, dass ein deutscher Leser dieses Buch in Händen hält, weil das Buch in so vieler Hinsicht für Sie geschrieben wurde. Ich stelle mir vor, dass einige von Ihnen vielleicht Nachfahren jener Konvertiten sind, deren Geschichten ich auf diesen Seiten erzähle. Werden Sie wütend sein, wenn Sie erkennen, warum sie dem Judentum seinerzeit
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den Rücken kehrten? Werden Sie Mitgefühl empfinden? Werden ihre Geschichten Ihre eigene Rückkehr zum Judentum und zu dem jüdischen Schicksal, das einige Ihrer Vorfahren preisgaben, begünstigen? Ich versuche in diesem Buch einen Raum zwischen polarisierten Religionen, Ethnien, Wertesystemen, familiären und sozialen Banden zu finden, einen Raum, in dem nachdenkliche, mutige Juden und Christen miteinander leben konnten. Dass der Zugang zu diesem emanzipierten Raum oftmals den eigenen Glaubenswechsel erforderte, war höchst problematisch. Vielleicht können die komplexen Identitäten der Konvertiten uns helfen, so viele gemischte, eklektische und gewundene Reisen in unserer heutigen Welt zu verstehen. Die Persönlichkeiten, denen Sie in diesem Buch begegnen, die berühmten ebenso wie die unbekannten, legten einen weiten Weg von ihren Ursprüngen zurück, um einen Platz in der tonangebenden Gesellschaft zu finden. Weder der Staat noch die Kirche zwangen sie, diesen Schritt zu tun. Sie wollten ihre Assimilation, auf Gedeih und Verderb. Sogar mehrere der Besten und Klügsten unter den jüdischen Eliten jener Epoche entschieden sich, Protestanten zu werden. Das Judentum schwebte damals in echter Gefahr. Maßgebliche jüdische Intellektuelle lehnten das Judentum und das jüdische Volk ab. Alternative Spielarten des Judentums waren noch schwach, sehr schwach. Derweil waren protestantische Werte und Praktiken essenziell für die künstlerische, geistige und politische Kreativität der Napoleonischen Zeit und des Biedermeier. Wir leben in paradoxen Zeiten. Je weiter wir uns von der NS-Zeit entfernen, desto mehr leben wir sie noch einmal – in der Geschichtsschreibung, in Romanen, Tagebüchern, Erinnerungen und Biografien, Filmen, in Musik und Dichtung und natürlich in Bau- und Besuchsdenkmälern. Ich unterbreite Ihnen dieses Buch als eine Art von Denkmal für den Aufsehen erregenden Erfolg der Assimilation im Berlin des 19. Jahrhunderts. Was für ein Glück für die damaligen Konvertiten, dass sie nicht in die Zukunft blicken konnten. Ich danke der Herman Wouk Stiftung für moderne Judaistik und dem Judaistik-Programm an der University of California in San Diego für ihre großzügige Unterstützung der Übersetzung dieses Buches. La Jolla, Kalifornien, 8. März 2010, Internationaler Frauentag
Danksagungen
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich nicht entscheiden kann, ob eine leidenschaftliche ethnische Identität für persönliches Glück erforderlich ist. Viele familiäre und individuelle Erfahrungen haben zu meiner Besessenheit von dieser verzwickten Frage beigetragen. Als ich in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Saint Paul, Minnesota, aufwuchs, wollten meine Eltern uns partout nicht erlauben, Weihnachten mit meinen Cousins und Cousinen ersten Grades zu feiern, deren Vater konvertiert war, um Katholik zu werden. Die Botschaft lautete, dass er und seine Verwandtschaft aus unserer warmherzigen Großfamilie verbannt werden sollten. Ich fragte mich oft, ob diese Verwandten unter ihrem Ausschluss litten. Später, als junge Erwachsene in den späten Sechzigern, war ich diejenige, die Familienbanden zu entkommen suchte. Ich wütete mächtig gegen Versuche meiner Familie, mein Leben zu kontrollieren. Im Jahr 1968 achtzehn zu sein hieß, einen harten Krieg der Generationen durchzumachen, eine lebendige, wilde Epoche voller Konflikte auf Schritt und Tritt. Im Laufe der Jahre habe ich um einen Ausgleich zwischen Freiheit und Zugehörigkeit gerungen. Wann und wie kann das Eintauchen in eine geschlossene Kultur zu Zufriedenheit und Freude, Kraft und Kreativität führen? Wann wird ein solches Eintauchen zu einem Gefängnis für Körper, Geist und Herz? Ich bin glücklich, in der deutsch-jüdischen Vergangenheit eine historische Landschaft voller Individuen, Bewegungen und Institutionen gefunden zu haben, die mir helfen, dieses allgemeine Dilemma aufzuarbeiten. Geschichte ist zugleich ein objektives wissenschaftliches Projekt und ein riesiger therapeutischer Raum. Die Vergangenheit ist in obskuren Büchern in Bibliotheken begraben und doch immer gegenwärtig, bereit, als Spiegel für sehr persönliche Suchen zu dienen. Als ich während der Recherchen für meine Dissertation zum ersten Mal die Berliner Konversions-Dokumente entdeckte, wusste ich, dass ich, sobald meine Arbeit über die Berliner Salons fertig wäre, ein Buch über Konversion
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in der Berliner Vergangenheit schreiben würde. Jahrelang witzelte ich, dass das Buch über jene, die zum Judentum konvertierten, das dünnere, mein Buch über die Konversion vom Judentum hingegen das dickere Buch sei. Am Ende ist das Buch vielleicht nicht so dick, aber leider hat seine Fertigstellung allzu viele Jahre gedauert. Auf diesem langen Weg wurde mir viel freundliche Hilfe von vielen Einrichtungen zuteil. Dr. Fischer, Frau Scharf und Dr. Wischnath vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin hatten Geduld mit meinen Anfragen. Frau Cécile Lowenthal-Hensel schlug meinen ersten Besuch in diesem wichtigen Archiv vor. Der Deutsche Akademische Austauschdienst und die New Yorker State University in Binghampton finanzierten großzügig meine Recherchen im Zentralarchiv. Archivare am Leo Baeck Institute in New York, im Zentralarchiv des jüdischen Volkes in Jerusalem, im Hessischen Hauptarchiv in Wiesbaden, im Bundesarchiv in Koblenz und in den Berliner kommunalen Archiven halfen mir alle freundlich, die richtigen Primärquellen zu finden. Wirklich in Angriff nahm ich dieses Buch im Sommer 1987, als ich an der New Yorker State University in Binghampton unterrichtete. Während meiner sechzehn Jahre dort waren Warren Wagar, Norman Stillman, Thomas Dublin, Katherine Kish Sklar, Jean Quataert sowie die verstorbenen Constance Coiner und Joan Smith anregende und ideenreiche Kollegen. Krista O’Donnell war eine geschätzte Forschungsassistentin. Während meines Fulbright-Jahres 1987–88 an der Hebräischen Universität in Jerusalem untersuchte ich zusammen mit Paul Mendes-Flohr, Steven Aschheim, Robert Wistrich, Gordon Fellman, Aaron Back, Beth Sandweiss, Rita Mendes-Flohr, Sharon Gillerman, Michael Graetz, Sassona und Yossi Yovell sowie Kathryn Hellerstein und Vanessa Ochs viele der Themen des Buches. Ein Jahr an der Theologischen Fakultät von Harvard bot eine weitere Gelegenheit zu intensiver Arbeit an dem Buch. Der verstorbenen Catherine Prelinger und vor allem Constance Buchanan bin ich dankbar für ihre Hilfe in jenem Jahr. Connies kluger Rat, die Ära religiöser Konversionen zu meiden und mich auf die Ära der Assimilation zu konzentrieren, half mir bei meiner Entscheidung für die endgültige Form des Buches. Zwei Jahre lang, von 1994 bis 1995, unterrichtete ich an der Universität von Haifa, während ich mit meiner Familie in dem Kibbuz Ramat Hashofer lebte. Der Kibbuz bot einen anregenden Hochsitz, von dem herab ich auf die jüdische Vergangenheit zurückblicken konnte. Ich lachte in mich hinein, als ich in einer kleinen Kibbuzhütte von den Hofjuden las, und war erstaunt, welchen Weg wir von
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damals bis heute zurückgelegt haben. Der verstorbene Eliezer Rabinovitz verschaffte mir einen fantastischen Arbeitsplatz im Kibbuz-Archiv, und die Kinderschwester kümmerte sich um unser kleines Kind, und zwar von sieben Uhr morgens an! In jenem Jahr halfen mir Kenneth Stow, Judith Tydor Baumel, Richard Cohen, Nancy und Zvi Rosenfeld sowie Esther Carmel Hakim in praktischen und intellektuellen Dingen. Ich lebte sehr gern an einem so besonderen Bestimmungsort jüdischer Geschichte. Als ich 1996 zum Sarah Lawrence College wechselte, fand ich einen weiteren Kreis außerordentlich kluger Köpfe, die mit mir über dieses Buch sprachen, darunter Bella Brodzki, Roland Dollinger, Melvyn Bukiet und Alice Olson. Ein Freisemester im Herbst 2001 verschaffte mir die notwendige Zeit zum Schreiben. Meine anderthalb Jahre an der Universität von Tel Aviv 2002 und 2003 wurden ermöglicht durch Shulamith Volkov, Billie Melman und Hannah Nave, und ich bin dankbar für ihre herzliche Gastfreundschaft. Shlomo Meyer am Jerusalemer Leo Baeck Institute versorgte mich mit einem ruhigen Arbeitsumfeld und meiner Lieblingssammlung staubiger Nachschlagewerke. Rahel Livne-Freudenthal, Emily Bilski, Gabriel Motzkin, Deborah Harris, Elliot Horowitz, Michael und Ilana Silber, Margalit Shilo, Shmuel Feiner, Dafna und Amotz Golan, Tal Ilan, Rene Melamid, Dominique Bourel sowie Moshe und Alice Shalvi redeten alle begeistert mit mir über die Themen des Buches. Unsere Freunde in Princeton, New Jersey, allen voran Esther Schor, Phyllis Mack, Ziva Gallili, Dorothy Sue Cobble, Michael Merrill, David und Sandy Abraham, Diane Krumrey, Eric Lubell, Hannah Fink, Martin Oppenheimer, Monica Lange, Hilary Brown, Diane Winston, Diane und Robert Hackett sowie Barbara Mann, verfolgten meinen Fortschritt während unserer siebzehn Jahre in der Wheatsheaf Lane gut gelaunt und liebevoll nörgelnd. Wie viel Spaß wir in unserer behüteten kleinen Dorfstraße hatten! Besonders dankbar bin ich der Horde wilder Kinder, die regelmäßig durch unser Haus und unseren Garten stürmten und für eine sehr willkommene Ablenkung von den Pflichten des Buches sorgten. Das Atrium der Firestone Library an der Princeton University war ein Zufluchtsort für stille Arbeit und ein geliebter Platz. Als ich im Jahr 2004 an die University of California in San Diego kam, fand ich dort eine wunderbare Kombination aus Natur, Kultur und Gemeinschaft. Richard Elliot Friedman, William Propp, David Goodblatt, Tom Levy, David Noel Freedman, Rachel Klein, Robert Westman, Cynthia Walk, Frank Biess und David Luft hießen mich mit viel Liebenswürdigkeit an die-
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sem verzauberten Ort willkommen. Dankbar bin ich denjenigen, die den Herman-Wouk-Lehrstuhl für Moderne Judaistik einrichteten, und Mr. Wouk selbst für seine Gefälligkeiten. Susanne Hillman ist inzwischen eine geschätzte Forschungsassistentin. Während meiner Reisen habe ich mich oft auf einen besonderen Kreis von Frauenhistorikerinnen verlassen, die sich seit 1977 einmal im Monat in Manhattans Upper West Side treffen, um über ihre Arbeit zu diskutieren. Wir teilten Karrierekrisen, politische Debatten, Babysachen, Ratschläge über Teenager und eine nicht endende Flut von Kuchen, Plätzchen und Kaffee. Mitglieder der German Women’s History Study Group zogen mich auf wegen meiner Obsessionen, lasen meine unfertige Arbeit und halfen mir, eine bessere Historikerin zu werden. Eine Karriere in dem Forschungsgebiet ist für mich nicht vorstellbar ohne diese wunderbare Entourage, ein MiniaturUtopia echten intellektuellen Austauschs, frei von dem großspurigen Gehabe, das Universitätslehrkräfte normalerweise entwickeln und ertragen. Ich danke den Gründungsteilnehmerinnen in diesem Kreis: Renate Bridenthal, Marion Kaplan, Mary Nolan, Atina Grossmann, Jane Caplan, Claudia Koonz, Bonnie Anderson und Amy Hackett ebenso wie denjenigen, die erst in jüngerer Zeit zu der Gruppe gestoßen sind. Darüber hinaus sind mehrere Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der deutsch-jüdischen Geschichte zu hoch geschätzten lebenslangen Kollegen geworden, darunter Steven Lowenstein, Liliane Weissberg, Monika Richarz, Frank Mecklenburg, Benjamin Maria Baader und Elisheva Carlebach. Todd Endelman, Paula Hyman, Natalie Zemon Davis und Harriet Barlow waren großzügig mit ihrer Zeit und praktischen Hilfe. Aus meinen tiefen Wurzeln in Minnesota habe ich stets Kraft geschöpft. Rabbi Bernhard Raskas machte mich, als ich jung war, mit jüdischer Geschichte bekannt, und Mirscha Penn von der University of Minnesota half mir, gerade im richtigen Moment meinen Mann, Martin, kennenzulernen. Professor Otto Pflanze lenkte meinen ruhelosen Geist und half mir auf meinem Weg zur Akademikerin. Meine Eltern, Lorraine und Markus Hertz, ertrugen meine Aufstände und mehrfache reuige Heimkehr mit Würde. Meine Brüder Frederick und Robert sind lange schon geschickte Diskussionspartner und loyale Geschwister. Fred war ein unermüdlicher Kritiker früherer Manuskriptentwürfe. Debra Ginsburg, Yung Seop Lee, Michael Broderick, Jeanette Ibarra, Elliott Kanter, Daniel Kurowski sowie die Lektoren und Gutachter bei der Yale
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University Press, vor allem Jessie Hunnicutt und Kay Scheuer, halfen während der Schreibphase mit inhaltlichen und technischen Details. Mein Mann, Martin Bunzl, ist ein wunderbar streitlustiger Geist, immer bereit zu einem weiteren schönen Plausch über das Leben, über Politik, Geschichte und Philosophie. Ohne seine muntere Kameradschaft könnte ich das einsame Leben einer Wissenschaftlerin niemals aushalten. Ich danke ihm, dass er mir den Titel dieses Buches schenkte. Unser Sohn Noah und unsere Tochter Zola mögen sich durchaus vernachlässigt gefühlt haben, da ich meine Arbeit in unsere gehetzten Zeitpläne stopfte. Männer entschuldigen sich so oft bei ihren Familien für die Zeit und Abgeschiedenheit, die das Bücherschreiben erfordert. Ich entschuldige mich lieber bei meinem Buch für die Zeit, die ich unseren Kindern widmete. Aber Martin, Noah und Zola bringen mir ungeheuer viel Freude, und ich danke ihnen für ihre Liebe.
1 Die schwarzen Ordner
Die Ahnenforschungs-Bürokratie der Nationalsozialisten Vor einer ganzen Reihe von Jahren fand ich in einem Kirchenarchiv in WestBerlin die »Fremdstämmigenkartei« (»Judenkartei«). Die Idee zu diesem Buch entstand an jenem Tag, als ich zufällig auf mehrere Bücherregale stieß, vollgestellt mit flachen, länglichen schwarzen Karteikartenordnern. Ich erfuhr bald, dass diese Ordner das Ergebnis eines gewaltigen genealogischen Forschungsprojekts der Nationalsozialisten waren. Die Ordner schienen jeden einzelnen Juden zu enthalten, der im Laufe der drei Jahrhunderte von 1645 bis 1933 in Berlin Protestant geworden war. Vom Judentum Konvertierte mussten als solche identifiziert werden, weil sie und ihre Nachkommen falsche Arier waren, für die in einem rassisch gesäuberten Deutschland kein Platz war. Von meinem ersten Tag im Archiv an plante ich ein Buch, das anhand des Inhalts der Karteikartenordner diesen Aspekt der jüdischen Geschichte erforscht. Anfangs wusste ich nicht, wie die Karteikarten im Dritten Reich benutzt worden waren. Ebenso wenig war klar, welches die Lehren aus den Ordnern sein würden. Aber ich war spontan überzeugt von dem Projekt. Ich wusste, dass ich die Dokumente von dem bösartigen System, das sie hervorgebracht hatte, erlösen musste. Eigentlich hatte ich das Kirchenarchiv wegen einer zentralen Frage aufgesucht, die sich im Zuge der Recherchen für meine Dissertation ergeben hatte: Handelte es sich bei den häufigen Konversionen unter wohlhabenden jüdischen Salondamen in Berlin während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts um Einzelfälle, oder waren sie Teil eines Trends? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, brauchte ich sehr detaillierte Quellen. Hatten damals mehr Frauen als Männer dem Judentum den Rücken gekehrt? Immerhin waren es dramatische Jahrzehnte gewesen, in denen das traditionelle Ju-
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dentum angegriffen und ein reformiertes Judentum noch nicht geschaffen worden war.1 Also reiste ich auf der Suche nach Dokumenten über die Konversion nach Berlin. Das Glück war mir hold, und ich erhielt ein Mehrfacheinreisevisum für die Deutsche Demokratische Republik. Ich überquerte täglich am Übergang Friedrichstraße die Grenze zwischen den beiden Berlins, um die Archive im damals so genannten Ost-Berlin zu erkunden. Im dortigen kommunalen Stadtarchiv zeigte man mir mehrere große lederne Taufbücher voller ungleichmäßig großer Seiten aus altem Papier, die schlecht zusammengebunden waren. Bei diesen Seiten handelte es sich um die Geburtsurkunden örtlicher Pfarreien, die von katholischen, lutherischen und calvinistischen Geistlichen aus ganz Preußen jährlich an die preußische Regierung geschickt worden waren.2 Nachdem ich ein paar Stunden mit dem Studium der großen Lederfolianten zugebracht hatte, wurde mir klar, dass sie mir helfen konnten, die Wahrheit über Konversionstrends zu entdecken. Doch unter den Getauften die ehemaligen Juden herauszufinden würde nicht ganz einfach sein. Das Problem war, dass zwei sehr unterschiedliche Arten von Taufen Eingang in die örtlichen Kirchenregister gefunden hatten. Die meisten der Getauften waren Säuglinge, oft nur ein paar Tage alt, die christlichen Eltern geboren worden waren. Nur wenige der jüdischen Konvertiten waren so jung. Um eine Liste ehemals jüdischer Konvertiten zu erstellen, müsste man sie mittels ihres Namens und Alters von den weit zahlreicheren getauften Säuglingen trennen, die in christliche Familien hineingeboren worden waren. Während ich überlegte, ob ich diese Mammutaufgabe auf mich nehmen sollte, suchte ich unverdrossen nach weiteren Originaldokumenten zur Konversion. Vielleicht würde es mir gelingen, eine Quelle zu entdecken, in welcher die jüdischen Konversionen bereits von den Säuglingstaufen getrennt waren. Und so schrieb ich an eine Reihe von Historikern und Archivaren in Berlin und bat um Hinweise. Ich hatte das Gefühl, dass die Briefe meinen Schreibtisch erst vor wenigen Tagen verlassen hatten, als in meiner Wohngemeinschaft in der West-Berliner Gneisenaustraße auch schon das Telefon klingelte. Am Apparat war Frau Cécile Lowenthal-Hensel vom Mendelssohn-Archiv, eine Nachfahrin von Moses Mendelssohn, dem bedeutendsten Intellektuellen des deutschen Judentums im 18. Jahrhundert. Frau Lowenthal-Hensel schlug vor, ich solle dem Evangelischen Zentralarchiv in der Jebenstraße gegenüber vom Bahnhof Zoo, nahe dem Zentrum von WestBerlin, einen Besuch abstatten.
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Am nächsten Morgen war ich dort. In diesem stillen Archiv im Innern eines schmucklosen, mit grauem Teppich ausgelegten Gebäudes sah ich zum ersten Mal die »Fremdstämmigenkartei«, ungefähr 60 schmale, längliche schwarze Karteikartenordner. Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass die Regale mit den schwarzen Ordnern nur den kleineren Teil eines umfangreichen Bestands beherbergten, Karteikartenordner, die in den Schubfächern blauer Metallschränke steckten, welche die Wände des Archivs vom Fußboden bis zur Decke säumten. Ich fragte mich, was es damit auf sich hatte. Der Direktor des Archivs, ein freundlicher Herr namens Dr. Fischer, setzte sich mit mir zusammen und erläuterte die Geschichte hinter den Karteikartenordnern und den blauen Metallschränken. Er erzählte, dass protestantische Pfarrer von der NS-Regierung bezahlt worden seien, um genau jenes detaillierte Verzeichnis der Konversionen zu erstellen, nach dem ich suchte – eine Geschichte, die ich nach eingehender weiterer Forschungsarbeit schließlich im Detail verstand. Wie so viele traurige Geschichten aus dem 20. Jahrhundert hatte auch diese im Jahr 1933 begonnen. Gut zwei Monate nach der Machtergreifung verkündete die NS-Regierung Anfang April 1933 ein Gesetz, das von Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst verlangte, ihre rassische Abstammung zu dokumentieren. Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurde dieser sogenannte Ariernachweis für alle Bürger des Deutschen Reichs verpflichtend. Man wollte unterhalb der religiösen Ebene etwas Grundlegenderes finden – das, was die Nationalsozialisten als Rasse bezeichneten. Die religiöse Polarität zwischen Christen und Juden sollte durch die rassische Polarität zwischen Ariern und Juden ersetzt werden.3 Aber es zeigte sich recht schnell, dass es gar nicht so einfach war, »Christen« durch »Arier« zu ersetzen. Die Beziehungen zwischen Religion und Ethnie waren extrem verwickelt, kompliziert und schwierig. Wohl ist das Judentum sowohl eine Religion als auch eine Ethnie, aber das Christentum ist, zumindest im Prinzip, eine transethnische Religion. Es zieht seit Jahrhunderten Gläubige an, die in sehr unterschiedliche ethnische Gruppen hineingeboren wurden. Der Eintritt ins Judentum erfolgt qua Geburt durch eine jüdische Mutter, wohingegen der Eintritt ins Christentum sich stets durch Taufe oder Konfirmation vollzieht.4 Problematisch für den Plan der National sozialisten war, dass im Laufe der Jahrhunderte in Deutschland Abertausen de von Juden getauft worden waren. Wenn Christen zu Ariern umgemodelt werden sollten, konnten die jüdischen Konvertiten und deren Nachkommen nicht mehr als rechtmäßige Christen gelten.
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So entstand über Nacht eine gewaltige Nachfrage nach genealogischem Wissen. Die meisten Einzelpersonen mussten ihren Stammbaum zurück bis zu ihren vier Großeltern dokumentieren, weil dies die anfängliche Grenze war, die den genealogischen Nachforschungen gesetzt wurde. Doch wer eine Karriere auf den höheren Ebenen des NS-Systems anstrebte, musste in seiner Vergangenheit weiter zurückgehen und noch mehr Generationen dokumentieren. Und wo konnte man all die Originalbelege finden? Nur wenige Deutsche wussten, in welcher Kirche sie nach ihnen suchen sollten. Denn schon im 18. Jahrhundert hatte es in Berlin mehr als 50 protestantische Kirchen gegeben. Dies gab den Anstoß zum Aufbau einer zentralen Taufkartei mittels Verkartung der Taufeinträge in den Kirchenbüchern. Diese Karteikarten würden es Nachkommen ermöglichen, für jeden Vorfahren die richtige Pfarrei ausfindig zu machen. Jede Karte in den Karteikartenordnern im Jebenstraßen-Archiv verzeichnete den Namen, das Geburtsdatum und die örtliche Pfarrei jedes in eine protestantische Familie hinein geborenen und in Berlin getauften Säuglings, und zwar zurück bis zum Jahr 1645.5 Mithilfe dieser Karteikarten konnte jeder Nachkomme in Erfahrung bringen, in welcher örtlichen Pfarrei sein Original-Taufnachweis zu finden war. Organisiert wurde dieses gewaltige Verkartungsprojekt von dem Pfarrer Karl Themel von der Luisenstadtkirche in Berlin. Unter Rückgriff auf Mittel, die vom Reichsministerium des Innern bereitgestellt wurden, stellte Themel eine Mannschaft aus bezahlten Hilfskräften und Freiwilligen zusammen, die sogenannten Verkartungstruppen. Ihre Aufgabe war es, die persönlichen Daten aus den Taufregistern auf Karteikartenvordrucke zu übertragen. Je nachdem, ob der Vorfahre als Säugling in eine protestantische Familie oder in einen anderen Glauben hinein geboren worden und später durch Taufe in die Kirche eingetreten war, wurde die Karteikarte entweder in einem Ordner der eigentlichen Taufkartei oder in der »Fremdstämmigenkartei« abgelegt. Pro Woche füllten Pfarrer Themels »Verkartungstruppen« auf diese Weise 50.000 Karten für die Taufkartei und für die gesonderte »Fremdstämmigenkartei« aus. Bis 1937 hatten sie mehr als eine Million Taufen und Konversionen registriert.6Informationen über die Ahnentafel einer Person zu besitzen wurde in NS-Deutschland zu einer äußerst wichtigen Art von Macht. In staubigen Akten entdeckte verborgene Ahnenreihen wurden benutzt, um privat oder öffentlich Anschuldigungen vorzubringen und vielleicht sogar Erpressungsgeld zu verlangen. Und in der Tat wurden die Informationen, die Pfarrer Themels Verkartungstruppen sammelten, im Laufe der Zeit immer heikler, da die neuen Kategorien größere Bedeutung erlangten und sich die
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verhängnisvollen Konsequenzen der Zugehörigkeit zur jüdischen Kategorie zunehmend deutlicher abzeichneten. Der Regierung wurde klar, dass man ein so wichtiges Klassifizierungsprojekt nicht kirchlichen Amtsträgern überlassen durfte, wie umsichtig diese auch sein mochten. Dies war eine Aufgabe, die der NS-Staat überwachen musste. Und so wurde, was als Projekt der NSDAP begann, recht bald vom Staat übernommen. Die spezielle Behörde, die Pfarrer Themels Verkartungsprojekt und die anderen Ahnenforschungsbemühungen koordinierte, war die im März 1935 als Nachfolgerin des seit April 1933 amtierenden »Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern« eingerichtete »Reichsstelle für Sippenforschung« (ab 1940 Reichssippenamt), im Folgenden RfS abgekürzt. Leiter der Reichsstelle war ab 1935 Kurt Mayer, seit April 1935 zugleich Reichsamtsleiter des Amtes für Sippenforschung der NSDAP, dem die Prüfung des rassischen Erbes neuer Parteimitglieder oblag.7 Weil die Nationalsozialisten derart besessen von der Idee der Rasse waren, war die RfS nicht die einzige Behörde im nationalsozialistischen Deutschland, welche die persönlichen Daten über die Herkunft der Menschen sammelte. Ohnehin war es typisch, dass staatliche Ämter und Parteidienststellen oft mit einander überschneidenden Missionen beauftragt wurden. Selbst nach Einrichtung des »Sachverständigen für Rassenforschung beim Reichsministerium des Innern« im Jahr 1933 unterhielt die NSDAP, ebenso wie die SS, mit dem Amt für Sippenforschung nach wie vor ihre eigene Ahnenforschungsabteilung. Entscheidend für unsere Geschichte ist, dass die SS die Informationen aus den schwarzen Karteikartenordnern benötigte, weil ihre Bewerber rassisch besonders rein sein mussten. Zudem benötigten auch Forscher, die über Juden und Rasse schrieben, die von der RfS gesammelten Daten. So machte sich beispielsweise der Mitarbeiterstab der »Forschungsabteilung Judenfrage« des Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschland daran, historische Statistiken über Konversion und Mischehen zu berechnen.8 Der Mitarbeiterstab der RfS koordinierte die plötzliche Notwendigkeit genealogischer Recherchen auf vielfältige Weise. Man organisierte den Transport von Original-Kirchenbüchern aus Gemeinden in ganz Deutschland zu den Dienststellen der RfS in Berlin, um sie auf Mikrofilm aufzunehmen. Gerechtfertigt wurde dieses Mammutprojekt mit der Behauptung, dass die Originalbücher aufgrund der sprunghaften Zunahme genealogischer Nachforschungen nach den Ariergesetzen von 1933 (u.a. Gesetz zur Wiederherstel
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lung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933) rasch verfielen. RfS-Mitarbeiter gaben außerdem örtlichen Pfarrern Anweisungen, wie sie die unzähligen Versionen der Stammbäume, die von den Nachkommen verlangt wurden, auszufüllen hatten. Die RfS ließ Lang- und Kurzfassungen des sogenannten »Ariernachweises« (großer und kleiner Abstammungsnachweis) drucken, welche die genealogische Abstammung einer Einzelperson zusammenfassten. Die RfS koordinierte auch die Arbeit freiberuflicher Sippenforscher, die von Einzelnen beauftragt wurden, sämtliche eidesstattlichen Erklärungen in den Archiven aufzustöbern. Und wenn die belastenden Dokumente nicht eindeutig waren, wendeten sich die RfS-Mitarbeiter an Wissenschaftler vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin. Die Anthropologen, die am Institut arbeiteten, wurden von der RfS mit der Aufgabe betraut, den rassischen Status von Einzelpersonen zu untersuchen, deren Abstammung in Zweifel gezogen wurde.9 Nase, Kopfform, Haarfarbe und Körpergröße wurden vermessen, um Personen auf diesem Wege der arischen oder der jüdischen Kategorie zuordnen zu können. Wenn schon nicht in der Realität, so sollten sich doch zumindest theoretisch alle Gruppen klar und deutlich voneinander abgrenzen lassen. Bis 1935 hatte der Großteil der deutschen Bevölkerung seine Stammbäume vervollständigt. Aber die Mitarbeiter der RfS waren noch immer fleißig dabei, die restlichen fehlenden Informationsschnipsel, die für eine präzise rassische Kennzeichnung benötigt wurden, ausfindig zu machen. Man beabsichtigte, sobald das Ausfüllen der Karteikarten für die »Fremdstämmigenkartei« erledigt war, anhand von Heirats- und Sterbeurkunden zusätzliche Karteien zu erstellen. Der Leiter der RfS schätzte, dass angesichts von ungefähr 350.000 Kirchenbuch-Bänden aus 50.000 örtlichen Gemeinden aus ganz Deutschland mindestens 800 Millionen Einträge über Geburten, Trauungen und Todesfälle verkartet werden müssten. Die potenziellen Kosten dafür wurden auf 80 Millionen Reichsmark veranschlagt.10 Das Aufgehen religiöser Unterschiede in klar voneinander abgegrenzten rassischen Kategorien erscheint uns heute als ein Schritt, der den Völkermord ermöglichte. Aber wir müssen uns dazu zwingen, die genealogischen Recherchen in ihrem entsprechenden Rahmen zu sehen, so wie sie in den Dreißigerjahren gewirkt haben müssen. Dieser Punkt wird auf erschreckende Weise deutlich, wenn wir erfahren, dass die Nationalsozialisten nicht die einzigen Deutschen waren, die in jenen Jahren eine Leidenschaft für Rasse und Genealogie hegten. Die begeisterte Erforschung der Wurzeln von Menschen bedeutete, bevor die Nationalsozialisten sie für ihre Zwecke benutzten,
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nicht zwangsläufig einen Schritt in Richtung Völkermord. Dass auch Juden von Rasse und Genealogie besessen sein konnten, belegt dies als einen Trend der Zeit. Beispielsweise veröffentlichte der jüdische Arzt Arthur Czellitzer im Jahr 1934 ein Büchlein mit dem Titel Mein Stammbaum. In der Einleitung erinnerte Czellitzer seine Leser: »Unsere Regierung strebt mit allen Mitteln, durch Schule und Presse, durch Radio und Veranstaltungen aller Art, dahin, der Bevölkerung den Wert der Familie für den Staat nahezubringen, die Bedeutung der Rasse und das Interesse an den eigenen Vorfahren. Kein Wunder, wenn auch die deutschen Juden heute anfangen, sich für diese ihnen meist fremden Dinge zu interessieren.«11
Czellitzers Worte zeigen uns, dass Juden auch nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten Wert auf genealogische Nachforschungen legen konnten. Diese Tatsache zwingt uns, zu verstehen, warum die Arbeit der RfS den Zeitgenossen, jüdischen und christlichen gleichermaßen, gar nicht so beunruhigend und erschreckend vorkam. Unser eigener Status als nachträgliche Beobachter behindert unsere Fähigkeit, die Vergangenheit mit den Augen der Zeitgenossen zu sehen. Die Mitarbeiter der RfS interessierten sich lebhaft für die mehreren hunderttausend Personen, deren Stammbäume nicht rein arisch waren. Um diese zu erforschen, waren jüdische Geburts- und Heiratsurkunden unerlässlich. Um die jüdische Seite des Projekts zu koordinieren, wendete man sich an das Gesamtarchiv der deutschen Juden, das ich hier GSA abkürze. Das Archiv war 1906 gegründet worden. Seine Räumlichkeiten befanden sich im Dachgeschoss des Gemeindegebäudes der Synagoge Oranienburger Straße, einer berühmten Synagoge im Herzen des alten jüdischen Viertels von Berlin. Vor 1933 war das GSA eine ziemlich obskure und bescheidene Einrichtung gewesen. Die Archivräume im Dachgeschoss waren mit dem Fahrstuhl nicht zu erreichen, und der GSA-Vorstand war seit 1932 nicht ein einziges Mal zusammengetreten.12 Aber von 1933 an wurde das Archiv plötzlich zum geschäftigen Zentrum von Forschungsaktivitäten. Leiter des Archivs war seit 1920 Jacob Jacobson gewesen, ein produktiver Ahnenforscher mit bemerkenswert konservativen und nationalistischen Ansichten.13 Jacobson stand vor schwierigen praktischen und politischen Problemen, als das GSA im Frühjahr 1933 in die Mobilisierung der Ahnenforschung eingespannt wurde. Die Sache wird dadurch sehr viel interessanter, dass Jacobson seine eigenen genealogischen Ambitionen hegte, zu denen ein Plan gehörte, das GSA zu einer wahrhaft nationalen Sammlung von Gemeindedokumenten zu ma-
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chen. Hierbei wirkte die RfS merkwürdigerweise mit, musste die Behörde doch ebenfalls Dokumente der jüdischen Gemeinde an zentraler Stelle zusammenfassen. Die RfS schickte Jacobson durch ganz Deutschland, um die Personenstandsregister aus den örtlichen Synagogen abzuholen. Am Ende sollte das GSA die Dokumente von etwa 400 jüdischen Gemeinden beherbergen. Auch Jacobson hielt Karteien für ein nützliches Instrument der Forschung. Im Jahr 1935 berichtete er, dass sein Mitarbeiterstab mit der Arbeit an einem Verzeichnis sämtlicher jüdischen Geburten in Berlin während des 18. und 19. Jahrhunderts begonnen habe.14 Jacobson lebte in finsteren Zeiten, und er fand sich oft in leidvollen Umständen wieder. Die Lektüre seiner Erinnerungen kann in der Tat verstörend sein. Irgendwann zu Anfang der Vierzigerjahre wurden mehrere Verwandte Jacobsons von Hamburg aus »in den Osten« deportiert, und Beamte der RfS schickten ihn auf eine Forschungsreise nach Hamburg, damit er seiner Familie Lebewohl sagen konnte. Aber zumindest in seinen Erinnerungen äußerte Jacobson niemals Kritik an den Zielen oder Aufgaben der RfS. Später erinnerte er sich, »daß das merkwürdige Verhältnis zwischen dem Reichssippenamt und mir sich in absolut korrekter Weise gestaltet hatte. Wo immer es ging, kamen mir die Herren des Reichssippenamtes hilfreich entgegen und übertrugen diese Haltung auch auf sämtliche Angestellte des Archivs.«15 Eine der wenigen Möglichkeiten, wie Jacobson »Mischlingen« helfen konnte, aus der jüdischen Kategorie herauszukommen, bestand darin, einen arischen Vorfahren väterlicherseits aufzutreiben, der eine – reale oder frei erfundene – ehebrecherische Affäre mit einer jüdischen Ahnin gehabt hatte. Die »Entdeckung« eines arischen Vaters oder Großvaters würde den Nachkommen vom nationalsozialistischen Standpunkt aus »weniger jüdisch« machen. Im Unterschied zur jüdischen Überlieferung, welche die Abstammung nach der Zugehörigkeit der Mutter bestimmt, ließen die NS-Vorschriften die väterliche Abstammung zu. Möglicherweise war Jacobson nichts weiter als ein naiver Kollaborateur. Aber andere Begebenheiten machen deutlich, dass er zweifellos seine Prinzipien hatte. Er war wütend auf jene, die Dokumente finden wollten, die sie weniger jüdisch machen würden, sodass sie sich eine bessere Position im NS-System sichern konnten. Eines Tages kam ein nach damaligen Vorstellungen jüdisch aussehender Wehrmachtsoffizier zum GSA, den seine Vorgesetzten geschickt hatten, um nachzuforschen, ob er in eine jüdische Familie hineingeboren worden war oder nicht. Jacobson war nicht besonders erpicht darauf, dem Offizier behilflich zu sein. Aber er fand keine jüdischen Vorfahren und schickte den Mann zufrieden weg. Am nächs-
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ten Tag stellte Jacobson durch Zufall fest, dass beide Elternteile des Mannes auf einem der örtlichen jüdischen Friedhöfe begraben waren. Aber sein Wissen kam zu spät, um der Karriere des Offiziers als versteckter »Mischling« in der Wehrmacht zu schaden.16 Abgesehen von seinen eigenen Überzeugungen hatte Jacobson vielleicht einen gewichtigeren Grund, vorsichtig zu sein, weil er tatsächlich sehr wenige Freiheiten hatte, die persönlichen Daten in den GSA-Dokumenten zu ändern. Denn die RfS hatte zwei komplette Sätze der »Fremdstämmigenkartei« erstellt. Eine Karte wanderte in die schwarzen Karteikartenordner, die in der Kirchenbuchstelle in der Jebenstraße untergebracht waren. Eine identische Karte wanderte in einen zweiten Satz von Ordnern im RfS-eigenen Archiv. Die verzweifelten »Mischlinge«, die zu Jacobson kamen und ihn anflehten, die Karteikarte ihres Vorfahren in den Ordnern zu vernichten, konnten durchaus Provokateure sein, die von RfS-Mitarbeitern geschickt worden waren, um Jacobsons Arbeit zu kontrollieren. Jacobsons Leben sollte immer schwieriger werden. Er, seine Frau und sein Sohn hatten vor, Deutschland im Herbst 1938 zu verlassen, unmittelbar nach der »Reichskristallnacht« im November. Alle drei hatten sie die erforderlichen Pässe und Visa. Aber Stunden vor ihrer Abreise wurden ihre Pässe konfisziert. Nach einem Ersuchen Jacobsons bei der Gestapo erhielten seine Frau und sein Sohn ihre Papiere zurück. Sein Sohn reiste sofort nach England ab, und Frau Jacobson verließ Deutschland ebenfalls, kurz bevor im September 1939 der Krieg ausbrach. Jacobson selbst jedoch wurde gezwungen, in Berlin zu bleiben, um für die RfS zu arbeiten. Zu derselben Zeit, als die Familie Jacobson vor so schwierigen Entscheidungen stand, beschlossen weit mächtigere Institutionen als die RfS, die Amtsstuben der Behörde in das Gemeindegebäude an der Oranienburger Straße zu verlegen.17 Während der schrecklichen Nacht des 9. November, die später den Namen »Reichskristallnacht« erhielt, beschlagnahmte die Gestapo die in vielen Synagogen untergebrachten Gemeindedokumente. Weil man sämtliche jüdischen Personenstandsregister zusammenführen wollte, wurde die RfS in das Gemeindegebäude verlegt, in dem die Räumlichkeiten der GSA lagen. Nüchtern betrachtet war es eine praktische Entscheidung, aber die Symbolik war und bleibt schauderhaft. Ich werde mich immer an den Schock und die Wut erinnern, die ich verspürte, als ich im Bundesarchiv in Koblenz saß und zufällig auf einen Bogen Schreibpapier mit dem Briefkopf »Reichssippenamt, Oranienburgerstr. 28« stieß. Es machte mich wütend und traurig, diese Abstammungs-Überwachungsbehörde mit diesem
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jüdischen Ort verbunden zu sehen. Die Abstammungsmaschinerie der Nationalsozialisten beutete nicht mehr nur Jacobsons Anstrengungen aus; jetzt hatte man auch sein Archiv übernommen. Seine immer schon prekäre Lage war sehr viel schlimmer geworden. Die Entscheidung, Jacobson nach 1938 in Deutschland zurückzuhalten, belegt, dass die RfS, lange nachdem die gesamte deutsche Bevölkerung in rassische Kategorien eingeteilt worden war, immer noch Karteikartenvordrucke mit Daten über Juden, ehemalige Juden und »Mischlinge« ausfüllte. Nach 1938 herrschte sie indes bloß noch über ein Reich aus Papier. Wir wissen aus den Klagen ihres Leiters, dass der RfS bei der Festsetzung der Judenpolitik tatsächlich keine Rolle zugedacht wurde. Aber die Mitarbeiter fuhren in ihrem neuen Domizil in der Oranienburger Straße unverdrossen fort, genealogische Dokumente zusammenzutragen. Sobald Deutschland im Jahr 1943 für »judenfrei« erklärt worden war, wurde Jacobson selbst in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Auch hier ging er weiter seinen genealogischen Recherchen nach, da man ihm erlaubt hatte, seine Forschungsunterlagen mitzunehmen. Er überlebte und stieß später in England zu seiner Familie. Viele Jahre nach dem Ende des Krieges sollte Jacobson zwei große Bände zur jüdischen Geschichte Berlins veröffentlichen, reiche Früchte seiner langjährigen Archivarbeit. Ich selbst habe, als ich dieses Buch schrieb, oft die Seiten von Jacobsons wunderbar detaillierten Bänden umgeblättert und Geburtsdaten, korrekte Schreibweisen und Verwandtschaftsbeziehungen herausgesucht. Doch man kann seine Bücher unmöglich benutzen, ohne zu bedenken, in welchem Umfang sich die RfS sein zielgerichtetes Engagement für die jüdische Genealogie zunutze gemacht hatte.18 Zu entscheiden, ob er ein mitleiderregendes Opfer, ein eigennütziger Kollaborateur oder ein heimlicher Held jüdischer Gelehrsamkeit war, ist keine leichte Aufgabe. Weil sie sowohl christliche als auch jüdische genealogische Nachforschungen durchführten, hätten die Mitarbeiter der RfS über die »Mischlinge« im Prinzip gut informiert sein müssen.19 Schließlich war der Druck, die persönlichen Daten in Erfahrung zu bringen, beträchtlich, da Entscheidungen über den Status der »Mischlinge« Gegenstand langwieriger Debatten unter NS-Funktionären waren. Doch der angeblich hypereffiziente NS-Staat hatte angefangen, Juden zu ermorden, bevor er sich gänzlich klar darüber geworden war, wer überhaupt zu der unglücklichen Rasse gehörte. Noch auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 wurde weiter über den Status der »Mischlinge« debattiert.20 Mit anderen Worten, die Frage, wer Jude war,
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blieb offen, selbst als der Völkermord bereits im Gange war. Während die politischen Entscheidungsträger in der Villa an den Ufern des Wannsees in Berlin saßen, wurden schon Gaswagen eingesetzt, um im Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof im polnischen »Warthegau« mehr als 40.000 Juden und Zigeuner zu ermorden.21 Was die sogenannten Rasseexperten verrückt machte, war, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gab, wie Einzelne das, was die Nationalsozialisten Rasse nannten, mit dem kombinieren konnten, was sie als Religion bezeichneten. Da waren zunächst jene, die zu 100 Prozent jüdischer Herkunft waren, aber nicht zu den Steuern zahlenden Mitgliedern einer örtlichen jüdischen Gemeinde gehörten. Denn von 1876 an konnten Juden aus ihrer örtlichen jüdischen Gemeinde austreten, ohne durch Taufe Christen zu werden. Diese Austritte erfolgten manchmal, weil jemand statt des liberalen dem orthodoxen Judentum anhing.22 Natürlich wurde im nationalsozialistischen Deutschland jeder Jude, der auf diese Weise der jüdischen Gemeinde in der Vergangenheit oder Gegenwart den Rücken gekehrt hatte, weiterhin als rassischer Jude etikettiert. Dann hatte eine Person vielleicht auch noch vier volljüdische Großeltern gehabt, war aber möglicherweise konvertiert. Dies würde sie oder ihn nach der Abstammung zu einer »Volljüdin« bzw. einem »Volljuden« machen, nach der Religion jedoch zur Christin bzw. zum Christen. Manchmal waren seit der Konversion mehrere Generationen vergangen. Menschen, die ihre Vorfahren für 100-prozentige Christen hielten, entdeckten vielleicht, dass einige oder sämtliche ihrer scheinbar christlichen Großeltern oder Eltern als Juden geboren worden waren. Es gab unweigerlich Überraschungen, wenn eine so bedeutsame Tatsache über Generationen hinweg geheim gehalten worden war.23 Aber die meisten Christen jüdischer Herkunft waren nicht zu 100 Prozent jüdisch im rassischen Sinne, sondern Nachkommen aus Mischehen. Bei der Untersuchung ihres Status erkennen wir, wie schwierig es war, die jüdische Identität in jeder Generation ein Stück weit abzulegen. Die Logik des Projekts der Nationalsozialisten war die des unendlichen Zurückgehens in die Vergangenheit, des Niemals-rein-Seins vom jüdischen Makel. Beispielsweise kam es zu einer Debatte darüber, ob konvertierte Großeltern nach ihrer Rasse oder nach ihrer Religion klassifiziert werden sollten. Manche waren dafür, über die Großeltern-Generation hinauszugehen und Achtel- und möglicherweise Sechzehntelgrade beim jüdischen Erbe einzuführen. In der Tat setzte die »Fremdstämmigenkartei« gerade deswegen im Jahr 1645 an,
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weil einige Deutsche eine umfassende Dokumentation ihrer Herkunft benötigten. Doch irgendwann wurde entschieden, den Großteil der genealogischen Nachforschungen auf die vier Großelternteile zu beschränken. Dies bedeutete, dass ein Nachkomme, wenn ein Großelternteil konvertiert war, im rassischen Sinne als Arier galt, anstatt rückwirkend neu als Jude eingestuft zu werden. Aber diese Einstellung stand in vollkommenem Widerspruch zu dem angeblichen Ziel des gesamten genealogischen Projekts, das lautete, unterhalb der Religion die Rasse zutage zu fördern. Schließlich sollte die Taufe der Eltern und der gegenwärtigen Generation diese nicht zu Ariern machen. Vielleicht gaben solche Kompromisse den Einzelnen, die gezwungen waren, hinter lange gehütete Familiengeheimnisse zu kommen, das Gefühl, dass das System am Ende doch über eine gewisse Flexibilität verfügte. Wie viele jüdische Ahnen denn nun einen Nachkommen zum Juden machten, war während des Dritten Reiches Thema heftiger Debatten. So erstaunlich es auch klingen mag, aber am Anfang, im Jahr 1933, war die Definition, wer Nichtarier war, umfassender als 1935. Gemäß dem ersten Bündel von Bestimmungen, die 1933 erlassen wurden, schloss die nichtarische Kategorie »Viertel-«, »Halb-«, »Dreiviertel-« und »Volljuden« ein. Später, im »Reichsbürgergesetz«, einem der auf dem »Reichsparteitag der Freiheit« im September 1935 in Nürnberg verabschiedeten Gesetze, mit denen die Ausgrenzung der Juden aus dem politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben weiter vorangetrieben wurde, erhielten »jüdische Mischlinge«, das heißt alle »Halb-« und »Vierteljuden«, eine (vorläufige) »Reichsbürgerschaft« zuerkannt, womit sie politisch »Ariern« gleichgestellt wurden, während »Juden« fortan lediglich »Staatsbürger« mit minderen Rechten sein konnten. Im April 1933 wusste niemand, wie viele Deutsche jüdischer Herkunft es gab. Die Größe der offiziellen Jüdischen Gemeinde lag bei knapp über einer halben Million Mitglieder, und die meisten waren nach der Abstammung »Volljuden«. Schließlich wurde klar, dass es fast ebenso viele nichtarische Christen gab wie jüdische Gemeindemitglieder. Letzten Endes lief es darauf hinaus, dass knapp eine Million Deutsche mit den abgestuften jüdischen Kategorien gekennzeichnet werden konnten.24 Die politischen Leitlinien während der Kriegsjahre sollten den Vierteljuden erlauben, aus der jüdischen Kategorie herauszukommen, und die Halbjuden vorübergehend vor der Deportation schützen. Aber für Letztere war es nur ein befristeter Aufschub; im Endeffekt waren auch sie für die Deportation vorgesehen. Zum Glück ende-
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te der Krieg zu früh, als dass dieses Schicksal viele von ihnen hätte ereilen können. Blickt man auf die Bemühungen der Nationalsozialisten zurück, die »Mischlinge« zu klassifizieren, zu zählen und dann zu verfolgen, so fällt es schwer, in ihren Anstrengungen keine Schritte auf dem Weg zum Völkermord zu sehen. Damals jedoch interpretierten diejenigen, die in die Mobilisierung der Ahnenforschung verwickelt waren, die Entdeckungen der RfS manchmal recht positiv. Ein nichtarischer Christ, der Universitätsprofessor Victor Klemperer, der während der gesamten NS-Zeit in Deutschland lebte, war sogar stolz auf die hohe Zahl der »Mischlinge«. Klemperer war der Sohn eines Reform-Rabbiners, und er konvertierte, um Protestant zu werden, und heiratete eine gebürtige Christin. Klemperer war stolz, Deutscher zu sein, und verschmähte sein jüdisches Erbe, setzte den Zionismus gar als rassistisches Regime mit dem Nazismus gleich. Natürlich litt er Höllenqualen angesichts des Kontrasts zwischen seiner Selbstwahrnehmung und dem Bild, das der NS-Staat von ihm hatte. Am 10. Januar 1939 schrieb Klemperer in einem Tagebucheintrag: »Bis 1933 und mindestens ein volles Jahrhundert hindurch sind die deutschen Juden durchaus Deutsche gewesen und sonst gar nichts. Beweis: die Abertausende von ›Halb-, Viertel-‹ etc. Juden und ›Judenstämmlinge‹, Beweis für gänzlich reibungsloses Leben und Mitarbeiten in allen Bezirken des deutschen Lebens.«25
Aber trotz Klemperers Stolz ist das Ausmaß des Erfolges von Mischehen, Assimilation und Integration eine der brennenden Fragen dieses Buches. Wir werden immer wieder auf Klemperers Überzeugung zurückkommen, dass »die deutschen Juden durchaus Deutsche gewesen [sind] und sonst gar nichts«. Wir untersuchen auf diesen Seiten das Leben der Großeltern und Urgroßeltern jener »Mischlinge«, die während der NS-Zeit so entsetzlich litten. Sobald wir in ihr Leben eintauchen, fördern wir die Lebendigkeit, die Details und die Schattierungen zutage, welche die NS-Sippenforscher zwangsläufig verdeckten, als sie ihre Kategorien schufen.26 Hier erfahren wir die tatsächliche Geschichte der Konversion, indem wir nochmals auf jene vielen individuellen Entscheidungen zurückkommen, die zu den Hunderttausenden von »Mischlingen« und nichtarischen Christen führten, deren Identität die politischen Entscheidungsträger des NS-Staates so überaus beunruhigte. Wir erfahren, dass die Konvertiten früherer Zeiten sich – glücklicherweise – nicht so strikt durch jene strengen Kategorien definiert sahen, die das
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Schicksal, das oft sehr bittere Schicksal vieler ihrer Nachkommen bestimmten.
Konnte Konversion Emanzipation sein? Es war nicht ganz leicht, sich angesichts des dauernden Hintergrundlärms, der von den Ordnern der »Fremdstämmigenkartei« ausging, auf vergangene Jahrhunderte zu konzentrieren. Nicht einen Moment lang konnte ich vergessen, dass die »Fremdstämmigenkartei« von einem bösartigen System benutzt worden war, das viele Nachkommen der Konvertiten in den schwarzen Ordnern ihrer inneren Identität, ihrer Heimat und sogar ihres Lebens beraubt hatte. Mehr als die meisten anderen Quellen führen die Ordner Ballast mit, den zu ignorieren naiv wäre. Sie sind keine gewöhnliche Quelle, und dies war keine gewöhnliche Vergangenheit, denn Abstammung und Wohnort wurden dauerhaft getrennt. Falls ihr jüdischer Makel sehr schwach ausgeprägt war und in ferner Vergangenheit lag, gehen einige Nachkommen der Konvertiten, deren Namen auf den Karteikarten der »Fremdstämmigenkartei« verzeichnet sind, heute vielleicht durch die Straßen einer Stadt in Deutschland. Aber die meisten Nachfahren jener Konvertiten dürften sich eher in New York oder Tel Aviv niedergelassen haben. Diese zerklüftete Beziehung zwischen genealogischer Forschung und gegenwärtigem Leben unterscheidet sich von Verbindungen zwischen Abstammung und historischer Forschung andernorts. In England beispielsweise ermöglichten Genealogie-Fans, die in örtlichen Pfarrarchiven ihre Angehörigen recherchierten, dem Historiker Peter Laslett letztendlich, an der Universität von Cambridge eine riesige Bevölkerungs-Datenbank aufzubauen.27 Aber leider existieren für die Juden in Deutschland oder für deren Historiker keine bequemen Kontinuitäten. Meine Verlegenheiten wegen der Ordner der »Fremdstämmigenkartei« sind beispielhaft für die größeren Herausforderungen, denen sich all jene gegenübersehen, die über die Geschichte der Juden in Deutschland nachdenken. So wie die Ordner mich ständig daran erinnerten, warum der NSStaat sie brauchte, so müssen auch alle, die sich intensiv mit der Geschichte der Juden in Deutschland beschäftigen, der schwierigen Tatsache ins Auge sehen, dass diese Geschichte in gewisser Hinsicht mit den Nationalsozialisten endete. Als ich während der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts in
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dem Archiv der evangelischen Kirche auf die »Fremdstämmigenkartei« stieß, schien die Geschichte des Judentums in Deutschland vollkommen vorbei zu sein. Jetzt, wo ich dieses Buch endlich abschließe, ist jüdisches Leben in diesem Land bis zu einem gewissen Grad wieder aufgeblüht. Aber als ich mit dem Projekt begann, waren die meisten Beobachter sich sicher, dass die jüdische Geschichte endgültig zu Ende gegangen war, als Joseph Goebbels Deutschland am 19. Juni 1943 für »judenfrei« erklärte.28 Wie konnte man nicht den Eindruck haben, dass der Holocaust eine Teleologie, ein Endziel der jüdischen Geschichte war? Nach dem Krieg sahen einige der klügsten Köpfe des deutschen Judentums in dieser Teleologie gar eine Hilfe für ein besseres Verständnis. So meinte beispielsweise Hannah Arendt im Jahr 1957: »Das deutsche Judentum und seine Geschichte zu erforschen ist ein durchaus einzigartiges Phänomen […]. Die Umstände und Bedingungen dieses Phänomens zu erforschen … wird eine historische Aufgabe ersten Ranges sein, die aber natürlicherweise erst heute in Angriff genommen werden kann, nachdem die Geschichte der deutschen Juden zu Ende ist.«29
Diese Worte inspirierten mich, gaben mir das Selbstvertrauen, dass die deutsch-jüdische Vergangenheit mich gerade wegen meines eigenen Platzes in der Geschichte brauchte. Ich konnte das frühe 19. Jahrhundert würdigen, weil die Gesamtgeschichte der Juden in Deutschland einen Schlusspunkt erreicht hatte, zu einem schrecklichen, furchtbaren Preis an menschlichem Leid. Sicher würde nicht jeder zustimmen, dass der Holocaust einen Schlusspunkt setzte, der unsere Suche nach Klarheit erleichtert. Aber nur wenige würden bestreiten, dass der Holocaust einen gewaltigen Schatten auf die deutsch-jüdische Vergangenheit wirft. Wir, die wir von dieser Vergangenheit verfolgt werden, kehren immer wieder zu denselben Fragen zurück und gehen das Beweismaterial durch, während wir darüber diskutieren, warum so vieles so falsch laufen konnte. Die Beurteilung der Assimilation bildet den Kernpunkt unserer Schwierigkeiten mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit. Denn die deutschen Juden waren weit und breit bekannt, wurden geliebt oder gehasst für das, was damals ihre erfolgreiche Assimilation zu sein schien. Weil die Konversion zu den radikaleren Akten der Assimilation gehörte, die möglich waren, können wir nicht in die Vergangenheit eintauchen, ohne die Nachkriegsdebatten über Assimilation zu bedenken.30 Je stärker man sich in die umfangreiche Literatur zur jüdischen Assimilation in Deutschland vertieft, desto deutlicher wird, dass Historiker anscheinend
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dem einen oder anderen Extrem zuneigen, weil einige die Assimilation würdigen, während andere auf ihren hohen persönlichen und ethnischen Preis verweisen. Betrachten wir zuerst den Standpunkt pro Assimilation. Über Generationen verstanden die Juden in Deutschland sich als das Leitbild erfolgreicher Assimilation und wurden auch von anderen so gesehen. Polnische und russische Juden blickten Zuflucht und Inspiration heischend auf Deutschland. Oftmals verstanden sie ihre eigene Muttersprache, das Jiddische, als deutsche Sprache, eine Sprache, die ihnen als Brücke zur deutschen Kultur dienen konnte. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch beobachteten die Juden im Osten die Juden Deutschlands vielfach voller Bewunderung und gelegentlich voller Neid. Daheim in Deutschland hatten Juden vieles, worauf sie stolz sein konnten. Leo Baeck, der führende Rabbiner während der NS-Zeit, glaubte, die Juden im modernen Deutschland hätten das »dritte goldene Zeitalter« der jüdischen Geschichte geschaffen.31 Die religiöse Kreativität, der wirtschaftliche Erfolg und die kulturellen Leistungen vieler Juden in den deutschen Ländern waren zur damaligen Zeit ein bemerkenswertes Phänomen. In vielen der führenden Persönlichkeiten in diesem Buch hat man aus der Ferne Musterbeispiele erfolgreicher Assimilation gesehen. Felix Mendelssohn, Rahel Levin Varnhagen, Eduard Gans, Fanny Lewald, Giacomo Meyerbeer, Ludwig Börne und Heinrich Heine zählen zu denen, deren Bekanntschaft wir auf den folgenden Seiten machen werden, und wir werden versuchen, hinter die Mythen zu kommen, um die manchmal schmerzlichen Realitäten ihres Lebens zu entdecken. Während des gesamten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, bis zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, galt Deutschland generationenübergreifend als ein Land, in dem Juden gut leben konnten. Wir verstehen diese Einstellung, wenn wir der Figur der Henriette in Shemu’el Yosef Agnons Roman Schira zuhören. Der Roman spielt unter deutschen Wissenschaftlern, die während der Dreißigerjahre, als es noch möglich war, Deutschland zu verlassen, in Jerusalem Zuflucht suchen. Henriette verbringt ihre Tage mit dem Versuch, die erforderlichen Visa (»Zertifikate«) zu beschaffen, damit ihre Verwandten Deutschland verlassen und nach Palästina einreisen können. Im Zuge ihrer sehr frustrierenden Bemühungen denkt sie über das beunruhigende Schicksal des deutschen Judentums nach und bemerkt gegenüber ihrem Ehemann, wie schwer es zu begreifen sei, dass all dies sich in Deutschland ereignet hat:
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»Noch fassen sie es nicht, dass Deutschlands Tore den Juden für immer versperrt sind und sie nie mehr wiederkehren werden, und sie trösten sich und meinen, das Reich der Niedertracht werde ein Ende nehmen und die aus Deutschland Ausgestoßenen würden nach Deutschland zurückkommen […]. Indessen leben sie hier wie Fremde, wie Gäste, wie Ausländische bis zu dem erhofften Tag, an dem die Besten des deutschen Volkes der Herrschaft des Bösen ein Ende bereiten …«32
Und Agnons Henriette hat guten Grund, eine zutreffende historische Einschätzung zu äußern, denn Agnon selbst lebte von 1913 bis 1924 in Deutschland. Viele derjenigen, deren Lebensgeschichten in diesem Buch erzählt werden, hätten Henriette zugestimmt, dass in Deutschland zu leben ein Privileg sei. Aber in Dankbarkeit zu dem jüdischen Gott zu beten war nicht die einzige religiöse Alternative für jene, die sich glücklich schätzten, dort zu leben. Tausende von Juden in allen deutschen Ländern entschieden sich im 19. Jahrhundert nicht für den jüdischen Gott, sondern für ein Leben als Protestanten. Doch damals wie heute waren nur wenige Beobachter überzeugt davon, dass jene, die konvertierten, dies aufgrund spiritueller Erfahrungen taten.33 Der Verdacht drängt sich auf, dass die Motive entweder im Wunsch nach beruflichem Aufstieg lagen, weil angesehene Arbeitsstellen in Deutschland im Allgemeinen nur Christen offen standen, oder romantischer Natur waren, weil ethnische Mischehen erst später im 19. Jahrhundert gesetzlich zulässig waren. Wir begegnen in diesem Buch vielen Konvertiten, deren Motive tatsächlich zu den Stereotypen passen; sie strebten angesehene Berufslaufbahnen oder Ehen mit gebürtigen Christinnen bzw. Christen an. Wir begegnen aber auch anderen, deren Konversion kulturellen und nationalen Motiven entsprang. Gut betuchte, gebildete, kultivierte Juden, die bedeutsame Bücher und Gedichte verfassten oder wichtige musikalische Werke komponierten, betrachteten die protestantische, vor allem die lutherische Identität oft als einen wichtigen Weg, um innerlich deutscher zu werden. Doch wenn wir feststellen, dass die Motive eines Konvertiten nicht aufrichtig religiöser Natur waren, bedeutet dies, dass die Entscheidung, den Glauben zu wechseln, heuchlerisch war? Die Forschung hat im Laufe der Jahre dieses schwierige Problem dadurch zu lösen versucht, dass man die Konversionsproblematik in postreligiösen Begriffen neu fasste. Die von den Wissenschaftlern formulierte These lautet, dass im 19. Jahrhundert viele Menschen unter Christentum weniger eine »Bezeichnung für eine Religion« verstanden; vielmehr war es für sie »das einzige Wort, das den Charakter der heutigen internationalen Zivilisation ausdrückt«. Mit den Worten eines His-
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torikers: »Ein Mensch im 19. Jahrhundert glaubte, Christ werden zu müssen, so wie er im 20. Jahrhundert glaubte, Englisch lernen zu müssen.«34 Wenn man das moderne Christentum stärker als Kultur und weniger als Religion interpretiert, empfindet man das häufige Fehlen eines echten spirituellen Wandels als weniger störend. Noch immer kann es heiß hergehen, wenn Zeitgenossen heute die Konversion als legitimen Weg, deutscher zu werden, zu verteidigen suchen, so, als der Schriftsteller Martin Walser auf der Feier zur posthumen Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises für Zivilcourage an Victor Klemperer im November 1995 die Laudatio hielt. Walser, ein begeisterter Leser der Tagebücher Klemperers aus der Kriegszeit, deren Veröffentlichung in den späten Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts sehr viel Beifall und Anerkennung fand, erklärte, dass die Konversion für Klemperer »ein Akt der Emanzipation« gewesen sei.35 Der Philosoph Jürgen Habermas, der im Publikum saß, verließ den Raum, als Walser diese Worte äußerte. Walsers Verteidigung der Konversion als Emanzipation ist die stärkstmögliche Darlegung dessen, worum es in diesem Buch geht. Denn Walser hat eine Sichtweise artikuliert und sogar gepriesen, der viele der hier beschriebenen Konvertiten sicherlich zugestimmt hätten. Ganz sicher hätten mehr von ihnen Walser zugestimmt als Habermas. Ich möchte auf diesen Seiten die historische Entwicklung nachzeichnen, damit jeder von uns, ich selbst eingeschlossen, entscheiden kann, ob Walser in irgendeiner Hinsicht und in irgendeiner Form Recht hatte. Konnte man von der Konversion im 19. Jahrhundert zu Recht behaupten, sie sei eine persönliche Emanzipation gewesen? So wie die Konvertiten selbst dazu tendieren würden, Walser zuzustimmen, hätten einige ihrer Freunde und Verwandten, die Juden blieben, die Dinge eher aus Habermas’ Perspektive betrachtet. Im frühen 19. Jahrhundert, als der Trend zur Konversion immer sichtbarer wurde, standen die meisten Kritiker der Konversion treu zum traditionellen Judentum. Ein Jahrhundert später sollten zionistische Kritiker sich stärker auf psychologische oder nationale Probleme mit der Taufe konzentrieren. In der Ära von Freud waren manche ärztlichen Beobachter überzeugt davon, dass viele Konvertiten »manifest krank« seien, dass ihre Konversion das »Hauptsymptom ihrer mentalen Instabilität« sei. Ein Kritiker behauptete, Konvertiten trügen »waschechte Taufwasserköpfe«.36 Der vielleicht unheimlichste zionistische Kritiker der Assimilation war Felix Theilhaber. Im Jahr 1911, als er sein Werk Der Untergang der deutschen Juden veröffentlichte, war Theilhaber ein junger Arzt, und seine These laute-
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te, dass Deutschlands Juden seit mehreren Generationen eine Art kollektiven rassischen Selbstmord begangen hätten. Theilhabers Liste selbstmörderischen Verhaltens umfasste Konversion, Mischehen, ein spätes Heiratsalter sowie niedrige Eheschließungs- und Geburtenraten. Mit Blick auf die im Jahr 1911 geltenden Assimilationsmuster prophezeite Theilhaber, dass das deutsche Judentum bis zum Ende des 20. Jahrhunderts verschwunden sein werde.37 Zur damaligen Zeit wurde seine Vorhersage zurückhaltend aufgenommen, aber es stellte sich heraus, dass er – auf die traurigstmögliche Art – richtiger gelegen hatte, als er sich je hätte vorstellen können. Er selbst und seine nächsten Angehörigen emigrierten glücklicherweise 1935 nach Palästina. Nach dem Krieg kamen viele Juden in Europa und Übersee zu dem Schluss, dass die tragischen Ereignisse der NS-Zeit gezeigt hätten, dass die Assimilation eigentlich überhaupt niemals erreicht worden sei, selbst als sie so gut zu verlaufen schien. Wer auch immer im Jahr 1911 oder selbst im Jahr 1935 von Theilhabers These noch nicht überzeugt war, wird dessen zionistische Kritik an der Assimilation nach 1945 höchstwahrscheinlich ziemlich überzeugend gefunden haben. Die Stimmen, die über die Assimilation im Allgemeinen und die Assimilation der Juden in Deutschland im Besonderen klagen, sind in den Jahren seit 1945 nur noch lauter geworden. Außerdem befindet sich die Tendenz zur harten Verurteilung der Assimilation sehr im Einklang mit umfassenderen Meinungsumschwüngen. Trotz oder gerade wegen all der tödlichen ethnischen Konflikte auf der Welt wird die ethnische Zugehörigkeit zumindest in den Vereinigten Staaten heute gepriesen. In der öffentlichen Meinung Amerikas hat ein Mosaik intakter und unverwechselbarer Kulturen das Modell des Schmelztiegels verdrängt. Nicht nur wegen des gewaltigen verzerrenden Schattens, den der Holocaust wirft, sondern auch, weil in unserer Zeit viele davon ausgehen, dass eine positive ethnische Identität unabdingbar für die persönliche Zufriedenheit sei, mag es uns schwerfallen, uns in die toten Konvertiten hineinzuversetzen. Der vielleicht schärfste und wortgewaltigste Kritiker des deutschen Assimilationsmusters war Gershom Scholem, der Deutschland 1921 verließ und sich in Palästina niederließ, wo er zu einem berühmten Kenner des jüdischen Mystizismus wurde. Scholem behauptete, dass die führenden Juden in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert, der Epoche, die wir in diesem Buch untersuchen, den falschen Weg eingeschlagen hätten. Für Scholem stellten diese Jahre einen »Fehlstart« in die moderne Zeit dar.38 Er war wütend auf die traditionellen Eliten, die als Preis für die bürgerliche Emanzipation ihre
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religiöse Autonomie zu schnell aufgegeben hätten. Scholem bestritt, dass es jemals eine echte Symbiose von jüdischer und deutscher Kultur gegeben habe. Er kritisierte genau jene Errungenschaften, die stets Lob hervorgerufen hatten, und verwies darauf, dass nur wenige Juden, die Musik komponierten, Gedichte schrieben oder sich der wissenschaftlichen Forschung widmeten, jüdische Ideen, Werte oder Symbole in ihre Arbeit hätten einfließen lassen.39 Einige Kritiken belassen es nicht dabei, dass die Assimilation für die einzelnen Juden selbst schlecht gewesen sei, sondern geben ihr eine Schuld an den Tragödien der nachfolgenden deutschen Geschichte. Seit den Zeiten Scholems hat ein leidenschaftlicher rückwirkender Pessimismus hinsichtlich der Assimilation in Deutschland noch weiter um sich gegriffen. Einige meinen, die jüdische »Liebesaffäre« mit der deutschen Kultur und Gesellschaft habe »große Ähnlichkeit mit einer »schlechten Ehe« gehabt.40 Dann sind da noch jene, die der Assimilation eine Mitschuld am Zustandekommen des Dritten Reiches geben. Ein neueres Buch zu dem Thema behauptet, die »unerwiderte Liebesaffäre der Juden Deutschlands mit ihrem Heimatland führte zu den unaussprechlichen Schrecken des Holocaust«.41 Daniel Jonah Goldhagens umstrittenes Buch von 1996, Hitlers willige Vollstrecker, hat diese pessimistische Einstellung gegenüber der Assimilation populär gemacht. Goldhagen gibt den christlichen Deutschen offen die Schuld an der Tragödie des Holocaust, macht aber auch die jüdischen Deutschen mitverantwortlich. Goldhagen behauptet, dass die NS-Zeit sich derart entwickelt habe, weil der eliminatorische Antisemitismus, der bis in jene Epoche zurückreiche, auf die ich mich in diesem Buch konzentriere, in Deutschland einzigartig stark gewesen sei.42 Die Botschaft ist eindeutig: Gerade die Juden hätten wissen müssen, dass schon allein der Versuch, sich in eine solche Gesellschaft einzugliedern, ein Fehler war. Goldhagens deterministischer Pessimismus hinsichtlich der tiefen Verwurzelung des Antisemitismus in der deutschen Vergangenheit hat dazu geführt, dass er von einigen seiner Kritiker als Zionist abgestempelt wurde.43 Diese Ablehnung der Assimilation ist auch im gegenwärtigen jüdischen Leben zu beobachten. Obwohl die Anzahl der Juden aufgrund der steigenden Zahl von Mischehen statistisch weiter abnimmt, erleben wir gleichzeitig eine kräftige Erneuerung der jüdischen Glaubenspraxis und Hochkultur. Eine Flut von Filmen, Büchern, Liedern, Museen, Arbeitskreisen und Zeitschriften lässt keinen Zweifel daran, dass heutige Juden ihre Identität nicht mehr allein auf den Staat Israel und den Holocaust gründen. So viel positive
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Investition in das Judentum ist natürlich eine dramatische Abkehr von der jüngsten Vergangenheit, als Juden zu Millionen zusammengetrieben und ermordet wurden und viele sich ihrer jüdischen Nasen, ihrer jüdischen Namen, ihrer jüdischen Haare schämten. Es ist gut möglich, dass diejenigen, die heute die Ethnizität preisen, die toten Konvertiten in diesem Buch verachten und sie der Heuchelei oder gar des Selbsthasses bezichtigen.44 Solche einfachen Urteile sind verführerisch. Aber mein Ziel hier ist es, schnelle Urteile zu erschweren. Wir werden auf den folgenden Seiten diesen Konvertiten begegnen und sowohl die äußeren Zwänge, denen sie ausgesetzt waren, als auch ihre inneren Wünsche untersuchen. Vielleicht können wir, wenn wir das getan haben, verstehen, warum sie sich entschlossen, dem Judentum den Rücken zu kehren. Niemand von uns, die wir heute leben, kann sich leichthin anmaßen zu wissen, was die Juden im 19. Jahrhundert hätten tun sollen. Trotzdem machen wir uns Gedanken. Und um uns auf hohem Niveau Gedanken zu machen, sehnen wir uns nach Einzelheiten, Einzelheiten über individuelle Erfahrungen, über die Stimmungslage, über institutionelle Entscheidungen. Wir können uns erst an die Stelle von Menschen versetzen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, wenn wir uns ihre Anfechtungen, ihre Grundsätze, ihre Familienbeziehungen, ihre Ziele und ihre Ängste vorstellen können. Ich habe dieses Buch geschrieben, um mir selber diese Einzelheiten klarzumachen und sie meinen Lesern mitzuteilen. Erst dann können wir uns eine eigene Meinung über die Assimilation in der deutsch-jüdischen Vergangenheit bilden und vor allem darüber, warum so viele Juden sich entschlossen, Christen zu werden. Wir wägen ab, ob eine Konversion ohne spirituelle Beweggründe jemals ein achtbarer Weg sein konnte, die Emanzipation zu erreichen, ob der Glaubenswechsel von den Betroffenen selbst als achtbar empfunden wurde und ob andere, Außenstehende, ihn für achtbar hielten. Wir wollen die im frühen 19. Jahrhundert getroffenen Entscheidungen auf den folgenden Seiten durch die Brille jener Bedingungen sehen, durch welche die Zeitgenossen sie sahen. Dennoch wäre es letztendlich naiv, so zu tun, als könnten wir die Moderne mühelos hinter uns lassen und uns im 19. Jahrhundert vergraben. Unser Blickwinkel ist zwangsläufig der aus einer Distanz von mehr als einem halben Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und so oder so veranlasst die gesamte Erfahrung des Holocaust viele bis heute, die Assimilation infrage zu stellen, wie erfolgreich diese Assimilation den Beteiligten zur damaligen Zeit auch erschienen sein mag. Und deshalb können die Personen
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in diesem Buch die Assimilation noch so leidenschaftlich empfehlen, immer werden ihre modernen Kritiker ein Chor sein, den wir stets hören, manchmal laut und vernehmlich und manchmal leise in der Ferne.
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Sie kommen mit ihren Kronleuchtern, 1671 Wir können zu Recht annehmen, dass mit der »Fremdstämmigenkartei« deshalb im Jahr 1645 begonnen wurde, weil die Nachforschungen über die Vorfahren von Bewerbern für höherrangige Posten im NS-System so weit in die Vergangenheit zurückreichen sollten. Die Wahl dieses Jahres zeigt, dass die mit der Ahnenforschung befassten Funktionäre sich um die entscheidenden Daten in der jüdischen Geschichtsschreibung nicht kümmerten, denn sonst hätten sie ihre Aufzeichnungen im Jahr 1671 und nicht im Jahr 1645 begonnen. Das Schlüsseldatum in jüdischer Zeit war der 21. Mai 1671, als der Herrscher des ehrgeizigen Staates Preußen zwei große jüdische Sippen, denen die Ausweisung aus Wien drohte, einlud, in seine Hauptstadt Berlin zu ziehen. An diesem bedeutsamen Tag wurde eine fast ein Jahrhundert lang gültige Politik, die Juden den Zuzug nach Berlin verwehrt hatte, aufgehoben. Wir kehren in diesem Kapitel ins 17. Jahrhundert zurück, um die Konflikte zu erhellen, denen sich die Juden damals gegenübersahen, und wir erfahren, warum ein winziges Grüppchen meist armer Juden in jener Epoche zum lutherischen Glauben übertrat. Um die Bedeutung der Einladung des Jahres 1671 ermessen zu können, müssen wir uns dem katastrophalen Ereignis zuwenden, das ein Jahrhundert früher stattfand, nämlich der Vertreibung der Juden. Diese traurige Geschich te begann mit einer Anschuldigung gegen Berlins führenden Hofjuden, Jom Tov Ben Jehuda Ha-Cohen, der von seinen christlichen Zeitgenossen Lippold (Ben Chluchim) genannt wurde. »Hofjude« war die zeitgenössische Bezeichnung für einen jüdischen Händler, der einem lokalen Herrscher diente, manchmal Münzen prägte, manchmal Steuern eintrieb, manchmal Pferde, Waffen und Verpflegung für Soldaten kaufte. Lippolds Fürst war der Kurfürst von Brandenburg, Joachim II. Hektor. Brandenburg war im 16. Jahrhundert die wichtigste Provinz im Machtbereich der schneidigen und ehr-
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geizigen Hohenzollern-Dynastie. Am Ende sollten die Hohenzollern-Herrscher einen großen, prosperierenden und gut gerüsteten Staat schaffen – Preußen –, der 200 Jahre später zur treibenden Kraft bei der Schaffung der deutschen Einheit werden sollte. Preußens Traditionen spielen eine außerordentliche Rolle, weil diese Traditionen in der Moderne in vielerlei Hinsicht zu Deutschlands Traditionen wurden. Aber zu Zeiten von Lippolds unglücklichem Ende im Jahr 1573 existierte kein einheitlicher deutscher Staat. Das Gebiet, das wir heute als Deutschland bezeichnen, war ein Flickenteppich winziger kleiner und kleinster staatlicher Gebilde mit einer Vielzahl unterschiedlicher Währungen, Handelsvorschriften und je eigener Sozialpolitik. Und gerade weil es so viele Westentaschenherrscher gab, bestand ein so großer Bedarf an Hofjuden. In Berlin machte sich Lippold für Kurfürst Joachim nützlich, indem er dessen kostspielige Alchimie-Experimente finanzierte und die Schäferstündchen des Herrschers mit seinen Mätressen arrangierte. Lippolds Untergang begann am Morgen nach dem Tod Kurfürst Joachims II., am 3. Januar 1571. Anscheinend servierte Lippold, der regelmäßig in Hofkreisen verkehrte, dem Herrscher zufällig seinen letzten Pokal Wein, und einige von Lippolds mächtigeren Feinden beschuldigten ihn, Joachim vergiftet zu haben. Viele Berliner glaubten diese Behauptung, und bald schon begann ein Mob, jüdische Häuser zu plündern und die Synagoge zu entweihen. Ortsansässigen Kaufleuten und Handwerkern war die jüdische Konkurrenz schon seit Langem ein Dorn im Auge. Und selbst wenn die Juden in Hofkreisen irgendwelche Verhandlungsmacht besessen hätten, in der örtlichen Gemeinde fand Lippold nur wenige Fürsprecher, weil sogar seine eigenen Leute ihn zutiefst verabscheuten. Er wurde festgenommen und so lange gefoltert, bis er die Vergiftung gestand. Joachims Nachfolger, Kurfürst Johann Georg, wies daraufhinalle Juden in Brandenburg an, das Land sofort zu verlassen.1 Was Lippold betraf, so war sein Geständnis vergeblich gewesen, und nach zwei Jahren Haft und Hausarrest wurde er am 28. Januar 1573 auf dem Neuen Markt in Berlin öffentlich gerädert und gevierteilt. Anschließend verbrannte man seine Eingeweide, spießte seinen Kopf auf eine Stange und hängte die Leichenteile an Galgen auf.2 Über mehrere Generationen sollte es nun im Kurfürstentum Brandenburg keine jüdischen Familien mehr geben. Allerdings war die im Jahr 1572 erfolgte Vertreibung der Juden aus Brandenburg typisch für jene Zeit. In Ländern mit einer starken Zentralgewalt, wie Spanien, Portugal, Frankreich und England, wurden die Juden on der Zeit des 14. bis zum 16. Jahrhundert vertrieben. Aber in den zahlreichen Städten und kleinen Territorien Mittel-
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europas hatte kein einzelner Herrscher die Macht, die Juden zu vertreiben. Zwar gab es trotzdem Vertreibungen, aber in kleinerem Umfang. Ausgewiesene Juden zogen von den größeren in kleinere Städte, und viele entschlossen sich, weiter ostwärts nach Polen zu emigrieren, einem Land, das ihnen damals freundliche Aufnahme gewährte. Wem es nicht gelang, die offizielle Erlaubnis zu erhalten, sich irgendwo niederzulassen, der zog mit Bündeln voller Haushaltswaren auf dem Rücken, die er an Bauern und Dörfler verkaufte, über die Landstraßen und ersuchte die etablierten jüdischen Gemeinden regelmäßig um Unterkunft, Schutz und Hilfe jeglicher Art.
Abb. 1. Tod des Hofjuden Lippold im Jahr 1573. Detail aus einem Einblattdruck des späten 16. Jahrhunderts. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Ein halbes Jahrhundert nach Lippolds Tod wurde Brandenburg von Krieg überzogen, und es war der Krieg, der die Juden nach Berlin zurückbrachte. Während des Dreißigjährigen Krieges, zwischen 1618 und 1648, schickten protestantische und katholische Herrscher ihre Armeen durch die deutschen und habsburgischen Herrschaftsbereiche, um die Folgen der Reformation auszutragen. Der Westfälische Friede beendete den Krieg im Jahr 1648 offiziell, aber innerhalb Brandenburgs gingen die Kämpfe noch Jahrzehnte wei-
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ter, weil das schwedische Heer verschiedene Gebiete des Kurfürstentums weiterhin besetzt hielt. Jüdische Heereslieferanten wurden zur Versorgung der preußischen Armee gebraucht, während diese versuchte, die schwedischen Truppen zu vertreiben. Der Mann, der die bedeutsame Entscheidung traf, den Juden die Rückkehr nach Brandenburg zu erlauben, war Kurfürst Friedrich Wilhelm, der Hohenzoller, der 1640 an die Macht gekommen war. Friedrich Wilhelm, der später den Beinamen »der Große Kurfürst« erhielt, kümmerte sich intensiv um Gewerbe, Kultur und soziale Beziehungen in seinen Landen. Die Versorgung seiner Armeen mit Verpflegung, Pferden, Uniformen, Feuerwaffen und Decken sicherzustellen war ein Mammutunternehmen, da Soldaten damals stets mit ihrer gesamten Familie umherzogen. Im Prinzip war Friedrich Wilhelm dagegen, den Juden die Rückkehr nach Berlin zu gestatten. Aber weil er dringend militärischen Nachschub brauchte, beschloss er im Jahr 1663, der Familie eines einzigen Juden zu erlauben, sich in der Stadt niederzulassen. Der Name des Glücklichen lautete Israel Aaron. Eigentlich belieferte Aaron die preußische Armee schon seit Jahren, weil er die Dienstleistungen von jüdischen Händlern in Mecklenburg und Pommern organisierte. Aber Aaron selbst wurde die Erlaubnis, sich mit seiner Familie in Berlin anzusiedeln, ständig verweigert. Endlich, im Jahr 1663, willigte der Große Kurfürst ein, Israel Aaron, seiner Ehefrau Esther und ihren Kindern den Zuzug zu gestatten. Doch nicht alle waren zufrieden mit dieser Entscheidung. So berichtet der für seine Judenfeindschaft bekannte Berliner Konsistorialrat Seidel: »Anno 1653 hatte der Jude Israel Aaron Cuhrfürstl. Bestellung bekommen, die Hoffstadt mit Weinen, Victualien und anderen Waren zu verlegen. Dieser Jude hatt das Hauß in der Strahloschen Strassen, so der Bahder am Crögell erbauet, gemiethet, und viele juden anderswoher an sich gezogen, wie dan die Juden mit schachern und betrügen einen guten anfang wieder gemachet.«3
Acht Jahre später konnte Seidel schwerlich froh darüber sein, dass der Große Kurfürst beschloss, zwei weiteren Großfamilien, denen in Wien die Vertreibung durch die Habsburger drohte, Aufnahme in Berlin zu gewähren. Die beiden Sippen mochten ihr Zuhause in Wien verloren haben, sehr wohlhabend waren sie aber gleichwohl. Am Tag ihrer Ankunft in Berlin sahen die Einheimischen staunend zu, wie die Neuankömmlinge ihre Wagen entluden. Die ortsansässigen Frauen warfen verstohlene Blicke auf die aus teuren Stoffen geschneiderten Kleidungsstücke und fanden, dass die Möbel, Teppiche und Kronleuchter der Zuzügler weit großartiger waren als die Einrichtung des kürfürstlichen Palastes.4 Wir können gut verstehen, warum die
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Berliner sich im Jahr 1671 im Vergleich zu den Neuankömmlingen schäbig vorgekommen sein dürften. Schließlich hatte Berlin sich in jenen Jahren noch nicht vom Dreißigjährigen Krieg erholt. Eher »ein schmutziges Provinzkaff als eine Hauptstadt«, hatte Berlin gerade mal 30.000 Einwohner. Die Straßen der Stadt waren im Sommer sandig und im Frühjahr matschig und des Nachts ohne Beleuchtung. Fremde, die zu Besuch weilten, verspotteten die Einheimischen wegen ihrer »ungehobelten Manieren«.5 Dass die Wiener Verbannten Teppiche und Kronleuchter besaßen, die großartiger waren als jene im Palast des Kurfürsten, ist ein aufschlussreiches Detail für den ersten Augenblick in der neuzeitlichen Geschichte des Berliner Judentums. Der Wohlstand war ausschlaggebend sowohl dafür, dass im Jahr 1671 Juden nach Berlin eingeladen wurden, als auch dafür, wie die Gemeinde im Laufe der Jahre wuchs. Die Herrscher Preußens bevorzugten die Reichen und besteuerten sie anschließend kräftig. Der Reichtum der Berliner jüdischen Gemeinde war höchst untypisch für die Zeit, da die meisten Juden in Deutschland damals arm waren und in kleinen Dörfern lebten. Die Wiener Familien, die 1671 eintrafen, waren nicht die einzigen Ausländer, die Kurfürst Friedrich Wilhelm zu diesem Zeitpunkt in Preußen willkommen hieß. Toleranz erwuchs bei ihm aus pragmatischen Überlegungen. Und die Einladung an die Wiener Juden passte in der Tat zu den größeren Träumen des Kurfürsten, der erkannte, dass die Einfuhr qualifizierter Ausländer nach Brandenburg ein guter Weg wäre, wie sein Territorium sich von den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges erholen könnte. Friedrich Wilhelm hegte weit reichende Pläne für Berlin. Er wollte Landwirtschaft und Handwerk wiederbeleben, das verfallene Berliner Schloss instand setzen, entlang der Hauptboulevards Bäume pflanzen, die sandigen Straßen mit Kopfsteinpflaster versehen, eine Straßenbeleuchtung installieren, neue Vororte errichten, die alte mittelalterliche Stadtmauer erneuern und einen Kanal mit elf Schleusen bauen, der die Flüsse Oder und Elbe verbinden sollte.6 Vor den Juden waren die Holländer gekommen, die gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges, in den Vierzigerjahren des 17. Jahrhunderts, eintrafen. Die erste Gemahlin Friedrich Wilhelms war eine Holländerin gewesen, ein besonderer Grund für diese Einladung. Tausende kamen und pflanzten die ersten Kartoffeln der Gegend, machten Butter und Käse. Dann kamen die Wiener Juden mit ihren Kronleuchtern, und 15 Jahre später erhielten die Hugenotten, aus dem katholischen Frankreich vertriebene Protestanten, eine Einladung. Im Jahr 1687 war jeder fünfte Berliner ein Hugenotte, und Zeitgenossen witzelten, dass »Berlin mehr wie eine französische denn wie eine
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deutsche Stadt wirkte«.7 Die fleißigen Hugenotten gründeten Druckereien, Textilwerkstätten, Bäckereien und Apotheken und verkauften Seife, Leinöl, Uhren und Brillen.8 Die Berlinerinnen fanden besonderen Gefallen an den neuen Läden für Krimskrams, wo sie modische Knöpfe, Haarbänder und anderen preiswerten Putz kaufen konnten.9 Dank der weitreichenden Großzügigkeit des Kurfürsten war um 1700 die Hälfte der Berliner Bevölkerung im Ausland geboren.10 Preußens großmütiger Einwanderungspolitik lagen sowohl religiöser Streit als auch eine vernünftige Wirtschaftspolitik zugrunde. Die Hohenzollern-Dynastie war schon im Jahr 1613 zum calvinistischen oder, wie man in Berlin sagte, reformierten Glauben übergetreten. Die Konversion des Herrscherhauses machte das Regieren schwieriger, da fast alle preußischen Untertanen Lutheraner geblieben waren. Beispielsweise brach eines Tages, kurz nachdem der erste calvinistische Prediger in der Stadt eingetroffen war, »ein lutherischer Mob in sein Haus ein, verprügelte ihn und stahl alles bis auf seine grüne Unterwäsche – in der zu predigen er am kommenden Sonntag gezwungen war«.11 Doch die von den Hohenzollern an den Tag gelegte religiöse Toleranz nahm ihrem Ringen als calvinistische Herrscher über lutherische Untertanen viel von seiner Heftigkeit. Doch wir wollen uns nun wieder der Geschichte von Israel Aaron und den Neuankömmlingen des Jahres 1671 zuwenden. Hinter den Kulissen der Gründung der neuzeitlichen Berliner Gemeinde erleben wir einen gnadenlosen Wettbewerb zwischen reichen Juden anstatt Solidarität angesichts der von mächtigen Herrschern aufgezwungenen Verordnungen. Israel Aaron machte keinen Hehl aus seiner Wut über die Wiener Flüchtlinge, weil er lieber der einzige Kaufmann mit privilegiertem Zugang zum Kurfürsten sein wollte. Er ging so weit, dass er versuchte, seinen Gönner davon zu überzeugen, überhaupt keine der Wiener Familien aufzunehmen. Israel Aaron stand in dem Ruf, ein »unnachgiebiger und querköpfiger« Mann zu sein, und sein Verhalten bei der Gründung der neuzeitlichen jüdischen Gemeinde Berlins passt perfekt in dieses Bild.12 Er wollte der einzige Hofjude in Berlin sein; es war der Kurfürst, der den Kreis wohlhabender Juden in der kleinen Hauptstadt erweitern wollte. Wie nicht anders zu erwarten, wurde Aaron, während eine jüdische Gemeinde entstand, leidenschaftlich gehasst und als ein »Judas« angesehen. Laut einem nach seinem Tod im Jahr 1673 verbreiteten falschen Testament erhielt »Amtskammerpräsident Raban von Canstein … Aarons Brustlatz; […] Frau Carllschen Aarons geflickte Hosen und Rabbi Baruch Levi von Wien des Hoflieferanten letzten Stuhlgang«.13
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Kurz nach Ankunft der Wiener Familien mit ihren Kronleuchtern wurde ein ausführliches Edikt aufgesetzt, um die Bedingungen zu definieren, unter denen sie fortan leben sollten, Bedingungen, die für jene Jahre recht günstig waren. Rasch verbreitete sich die Nachricht, dass Berlin ein guter Platz für Juden sei, so sie denn die Mittel besäßen, die gepfefferten Anforderungen zu erfüllen. Aber dennoch zwang selbst die Zulassung von ein paar reichen Familien den Staat, auch jene hereinzulassen, die den Reichen als Hauspersonal, als Rabbiner, Schulmeister, koschere Schlachter, Sekretäre und Hauslehrer dienen würden.14 Die beiden Tore Berlins, durch welche Juden die Stadt betreten durften, wurden von Pförtnern kontrolliert, welche die Gemeinde stellte. Die »Judenherberge« war ein Schlafhaus im Bereich der Stadttore, wo diejenigen, die um Aufnahme ersuchten, ein paar Tage bleiben konnten, während ihre Papiere und ihr Vermögen überprüft wurden.
Abb. 2. Blick vom Rosenthaler Tor auf die »Judenherberge«. Aquarell von Leopold Ludwig Müller. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Wie Israel Aarons selbstsüchtiges Verhalten deutlich macht, waren die Machenschaften innerhalb der jüdischen Gemeinden wirklich sehr übel. Geld und Zugang zum Herrscher begründeten die interne Hierarchie der Gemeinschaft. Dramatisch erhellt wurden die innerjüdischen Machtkämpfe bei Entscheidungen darüber, wohin man zum Gottesdienst gehen sollte. Weil das Edikt von 1671 den Bau einer öffentlichen Synagoge untersagte, finanzierten die führenden Familien Synagogen in ihren Häusern. Beobachter sahen mit Entsetzen, wie es an Samstagvormittagen zu Faustkämpfen auf offener Straße kam, wenn rivalisierende Gruppen darum stritten, wer wo predigte. Gerade weil der Schauplatz für Handel wie für Gebet ein häuslicher war, ist es nicht verwunderlich, dass eine einflussreiche Frau eine zentrale Rolle in diesen Auseinandersetzungen spielte. Dies war Esther Liebmann, die kluge und, wie verlautet, schöne Witwe von Israel Aaron, die im Jahr 1663 mit ihm nach Berlin umgezogen war. Die beiden hatten ein Jahrzehnt gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolgs erlebt, bevor Aaron im Jahr 1673 starb. Esther wurde dann selbst zur offiziellen Hofjüdin ernannt, für eine Frau in diesen Zeiten ein einzigartiges Privileg. Drei Jahre nach Aarons Tod heiratete sie den aufstrebenden Juwelenhändler Jost Liebmann. Ein Vierteljahrhundert lang waren Jost und Esther Liebmann wichtige Geldgeber für den Großen Kurfürsten und später für dessen Sohn, König Friedrich I. Sie ihrerseits herrschten mit absoluter Macht über die winzige jüdische Gemeinde, und es war diese absolute Macht, die hinter den Faustkämpfen auf der Straße an den Samstagvormittagen steckte. Der Kurfürst war ein ziemlich ungehobelter, dabei aber praktisch veranlagter Mensch mit militärischen Ambitionen für seine Territorien, und Esther und Jost hatten sich in erster Linie um die Versorgung der Armee zu kümmern. Aber nach dem Tod des Kurfürsten machte sein Sohn Friedrich auf ganz andere Weise von den treuen Diensten der Liebmanns Gebrauch. Friedrich lag außerordentlich viel an Gepränge und Pomp, und der Schmuck seines Körpers und seines Schlosses wurde zunehmend wichtiger, nachdem er im Jahr 1701 König in Preußen geworden war. Sein Aufstieg zur Königsherrschaft schien fast unmöglich, denn ein Kaiserreich konnte nicht innerhalb seiner Grenzen ein Königtum enthalten. Doch weil einige Gebiete Ostpreußens außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches lagen, erreichte Friedrich sein Ziel, und am 18. Januar 1701 krönte Kurfürst Friedrich III. sich im Rahmen eines aufwendigen Stadtfestes in Königsberg als Friedrich I. selbst zum König. Während seiner gesamten Herrschaft oblag Esther Liebmann die besondere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Seine König-
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liche Hoheit stets ausreichend mit Schmuck und anderem Putz versorgt war.
Abb. 3. Das Innere der Synagoge in der Heidereutergasse. Stich von A. B. Göblin nach einer Zeichnung von Anna Maria Werner, 1720. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Jost starb im Jahr 1702, nach einem Vierteljahrhundert des Wohlstands und der Macht. Auch als zweifache Witwe behielt Esther ihren enormen Einfluss auf das jüdische Berlin. Kritiker klagten indes hinter ihrem Rücken darüber, dass das Ausmaß ihrer Macht ihre Gemeinde in ganz Europa »zum Gespött« mache.15 Der Widerstand gegen ihre Dominanz konzentrierte sich auf die Frage, wo gepredigt werden sollte, und die Auseinandersetzungen an den Samstagvormittagen wurden immer heftiger. Schließlich beschlossen Staatsbeamte, den Bau einer öffentlichen Synagoge zu genehmigen. Privilegiert, wie sie war, war dies ein Schlag für Esther, die ein öffentliches Bethaus entschieden abgelehnt hatte. Allerdings musste sie dessen beleidigenden Anblick nicht mehr ertragen, denn sie starb Monate bevor die neue Synagoge im Herbst 1714 ihre Tore öffnete. Für das Privileg, in der Heidereutergasse ihre prachtvolle Synagoge errichten zu dürfen, musste die Berliner Gemeinde kräftig zahlen. Aber die Ausgaben und Schwierigkeiten lohnten sich tatsächlich. Viele hielten die neue Synagoge für die schönste ihrer Art in Mitteleuropa, übertroffen nur noch von der Portugiesischen Synagoge in Amsterdam. Man stelle sich den Stolz vor, den die ortsansässigen Juden empfanden, als am Sabbat vor Rosch ha-Schana im Jahr 1714 Königin Sophie Dorothea an der neuen Synagoge eintraf, um den Eröffnungsgottesdienst zu besuchen. Zu ihrem Gefolge gehörten 20 Kutschen, und in ihnen saßen verschiedene angesehene Staatsminister.16 Mit der Eröffnung der Synagoge in der Heidereutergasse hatte das Berliner Judentum einen höchst eindrucksvollen äußeren Rahmen zur Repräsentation der eigenen Religion erhalten. Aber in den Herzen und Köpfen der Juden in Berlin und darüber hinaus stand nicht alles zum Besten, und das traditionelle Judentum der offiziellen Synagoge sollte schon bald aus den unterschiedlichsten Richtungen furchtbar unter Beschuss geraten.
Warum die Rabbiner ihren Einfluss verloren Wir mögen uns durchaus fragen, worüber genau die Berliner Juden an den Sabbatvormittagen stritten. Keines der erhaltenen Zeugnisse lässt darauf schließen, dass es bei den Auseinandersetzungen um konkurrierende Glaubenslehren oder alternative Rituale und Gebete ging. Vielmehr scheinen sich die Faustkämpfe vorwiegend um lokale Persönlichkeiten und lokale Macht-
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kämpfe gedreht zu haben. Aber weit entfernt von dem unbedeutenden Berlin wimmelte es im Judentum von wahrhaft revolutionären Konflikten, die den Kern dessen berührten, was Jüdischsein bedeutete. Die Autorität des traditionellen Judentums geriet aus verschiedenen Ecken Europas und des Nahen Ostens zunehmend unter Beschuss. Seltsame Kombinationen aus religiösen Ideen und Praktiken machten die spirituelle Landschaft unübersichtlicher. Manche, wie die Anhänger von Sabbatai Zwi und Jakob Frank, kehrten dem Judentum den Rücken, wobei sie behaupteten, es in Wirklichkeit in einen anderen Glauben zu überführen. Andere, wie die Nachfahren der heimlichen Juden aus Spanien und Portugal, fanden zum Judentum zurück, obwohl sie behaupteten, es nie abgelegt zu haben. Überall in Deutschland zeigten pietistische Aktivisten, die gegen das lutherische Establishment kämpften, ein stärkeres Interesse an der hebräischen Sprache und am Judentum und brachten jüdischem Leid mehr Verständnis entgegen. Selbst für die wohlhabendsten und gebildetsten Juden in den deutschen Ländern waren dies harte Zeiten. Weil es so schwierig war, sich in den Städten Mitteleuropas niederzulassen, war Stabilität ein Privileg der Superreichen. Die geografische Zersplitterung machte ein engagiertes intellektuelles Leben beinahe unmöglich, weil keine einzelne Gemeinschaft charismatische Lehrer und Schüler von nah und fern anlocken konnte. Ein weiteres Problem war, dass einheimische Stadträte es Juden nur selten erlaubten, Einzelhandelsgeschäfte zu besitzen, was bedeutete, dass es Ehemännern schwer fiel, die Arbeitskraft ihrer Frauen gewerblich auszunutzen. Ehefrauen, die kleine Läden führten, wären nützlich gewesen für Ehemänner, die ihre Tage lernend in der Jeschiwa verbringen wollten. Das Einzelhandelsverbot zwang außerdem viele Männer zum Hausieren, sodass Ehegatten gezwungen waren, tage-, wochen- und monatelang von zu Hause fortzugehen, um in kleinen Dörfern ihre Waren zu verkaufen. Es sollte deshalb nicht weiter überraschen, dass die religiöse Praxis in ganz Deutschland immer lascher wurde.17 Die Rabbiner beklagten, dass die Kenntnis des Hebräischen von Jahr zu Jahr abnehme und Gebetbücher deshalb sogar mit jiddischen Transkriptionen des Hebräischen veröffentlicht würden.18 Eine weitere Folge des schwindenden Einflusses des religiösen Establishments in den deutschen Ländern war die wachsende Begeisterung für magische Praktiken. Wanderprediger sangen Beschwörungen und verteilten Amulette – kleine Objekte aus Ton, die angeblich Krankheiten heilten und kinderlose Frauen schwanger werden ließen. Sie und ihre Anhänger fasteten und beichteten einander Übertretungen. Sowohl Männer als auch Frauen unterzogen sich häufig rituellen Bä-
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dern zur spirituellen Reinigung. Auch zu messianischen Gestalten fühlten Juden sich seit Längerem hingezogen. Till Eulenspiegel, Titelheld eines mittelniederdeutschen Volksbuches aus dem frühen 16. Jahrhundert, »beschrieb die Juden Frankfurts einmal als derart versessen darauf zu erfahren, wann der Messias ankomme, dass ein christlicher Schwindler sie durch Täuschung dazu brachte, eine ›Prophetenbeere‹ zu kaufen, die sie schluckten, bevor sie merkten, dass sie betrogen worden waren; die ›Beere‹ enthielt Exkremente!«19 Jene, die in magische populistische Praktiken hineingezogen wurden, kritisierten, was sie erlebten, als die zirkuläre Logik traditionellen jüdischen Lernens, und begannen ein gefühlsbetonteres Judentum zu praktizieren. Außerordentlich gestärkt wurde der Trend zum magischen Judentum im Jahr 1648, einem für die Juden katastrophalen Jahr. Während des Kosakenaufstands gegen polnische Grundbesitzer in der polnisch-litauischen Union wurden mehr als Hunderttausend Juden bei Pogromen ermordet. Viele Juden waren erfolgreich gewesen in diesem Land, hatten Steuern eingetrieben, Schenken und Gasthäuser betrieben, Schnaps gebrannt und manchmal sogar Land besessen. Diejenigen, welche die Pogrome von 1648 überlebten, waren verzweifelt und verschafften der von Sabbatai Zwi und seinem Propheten Rabbi Nathan Benjamin Levi Ghazati Aschkenasi (Nathan aus Gaza) gegründeten messianischen Bewegung verstärkten Zulauf. Sabbatai Zwi war exzentrisch, gefühlsbetont und überzeugt von seinen eigenen spirituellen Kräften, und bevor er sich im Jahr 1666 vom Judentum abwandte, war er zum Anführer einer riesigen Sekte geworden. Die Sabbatianer waren Mystiker, ekstatische Anhänger der Kabbala, einer geheimen Strömung des jüdischen Ritus und der jüdischen Kosmologie. Sie glaubten, dass ihr Bekenntnis zum jüdischen Messias Sabbatai in eine Rückkehr nach Palästina münden würde, dass »große Wolken« durch Europa und die osmanischen Länder wehen und alle Juden im Heiligen Land zusammenkommen würden. Die sabbatianische Bewegung ist in mehrerlei Hinsicht wichtig für unsere Geschichte der Konversion. Die Sekte griff auf drastische Art und Weise die spirituelle Autorität der traditionellen Rabbiner an. Nachdem Sabbatai zum Islam konvertiert war, wurden diejenigen, die ihm folgten, zu Synkretisten, die ihre alte jüdische und ihre neue islamische Identität zu vereinen suchten. Dieser Trend zerstörte die bis dahin starren Grenzen zwischen Judentum und Christentum, indem er Übergänge und Parallelen zwischen den beiden Religionen andeutete. Insgesamt begünstigte der gewaltige Anfangserfolg der Sabbatianer die Vorstellung, dass man seine religiöse Identität ändern kann. Das Zentrum der Bewegung lag im Osmanischen Reich, aber wir
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wissen aus vielen Quellen, dass Sabbatai überall in den deutschen Ländern Anhänger hatte. Glückel von Hameln, eine jüdische Kaufmannsgattin, deren Erinnerungen eine unserer besten Quellen für diese Epoche sind, lebte damals mit ihrem Mann und einem Stall voller Kinder in Hamburg.20 Glückel selbst war eine Jiddisch sprechende aschkenasische Jüdin, aber in Hamburg wohnten auch sephardische Juden, die aus Spanien, Portugal oder der Türkei stammten, und begeisterte Sabbatianer waren gewöhnlich Sephardim, die in Südosteuropa und im Nahen Osten lebten. In ihren Erinnerungen schildert Glückel, wie überzeugt viele ihrer Angehörigen und Freunde davon seien, dass Sabbatai tatsächlich der Messias sei: »Was für Freude herrschte, wenn man Briefe [über Sabbatai Zwi] bekam, das ist nit zu beschreiben … und der Portugiesen [Juden aus Portugal] junge Gesellen haben allemal ihre besten Kleider angetan und jeder hat sich ein grünes, breites, seidenes Band um sich gebunden. Das ist Sabbathai Zewi seine Livrei gewesen. So sind sie alle mit Pauken und Tanz in ihr Bethaus gegangen und haben mit einer Freude wie am Wasserschöpftag die Briefe gelesen.« Sie erinnerte sich daran, dass einige Juden in Hamburg »nebbich all das Ihrige verkauft [haben], Haus und Hof«, weil die Erlösung von ihnen verlangen würde, »jeden Tag« von Hamburg ins Heilige Land zu reisen. Ihr eigener Schwiegervater, der sich für eine solche Reise rüstete, schickte Glückel und ihrem Gemahl Chaim »zwei große Fässer mit allerhand Leinenzeug […]. Und drin ist gewesen allerhand Essenspeis, wie Erbsen, Bohnen, Dörrfleisch und sonst andere Grämpelspeis von Quetschenschnitz, alles, was sich so aufbewahren lässt«.21 Doch im Februar 1666 brach die Erlösungsbewegung beinahe über Nacht zusammen, als Sabbatai vom osmanischen Sultan, der die störenden Folgen dieser schnell wachsenden, unberechenbaren Sekte und ihres ungeheuer populären Führers fürchtete, festgenommen wurde. Der Sultan ließ ihm die Wahl zwischen Konversion zum Islam oder Tod. Sabbatai schockierte viele seiner eigenen begeisterten Verehrer, als er es vorzog, Muslim zu werden. Eine Minderheit seiner Anhänger vor Ort folgte ihm in den Islam, behauptete aber, dass sie eigentlich nach wie vor Juden seien. Die meisten Anhänger, vor allem jene im fernen Deutschland, erklärten schließlich, Sabbatai sei ein falscher Messias gewesen, und waren tief erschüttert über den Verlust. Was die Fässer in Glückels und Chaims Haus in Hamburg betraf, so schrieb Glückel in ihren Erinnerungen: »Diese Fässer sind wohl mehr als ein Jahr in meinem Hause gestanden. Endlich haben sie [die alten Leute] gefürchtet, dass das Fleisch und andere Sachen verderben. Da haben sie uns geschrieben,
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wir sollen die Fässer aufmachen und was Essenspeis ist, herausnehmen, damit das Leinenzeug nicht verdorben werde.« Denn ihr Schwiegervater »hat gedacht, man wird einfach von Hamburg nach dem heiligen Land fahren«. Nach Sabbatais Konversion wurden viele seiner Sympathisanten zu Gegnern seiner Bewegung. Historiker haben die dramatische Kehrtwendung dokumentiert, und in einer Darstellung heißt es dazu: »Die Rabbiner und Vorstände gingen sofort daran, alle Spuren des sabbatianischen Wahns aus der Liturgie und aus den Gemeindebüchern zu tilgen.«22 Doch kleine Gruppen von Anhängern, hauptsächlich in seiner Nähe in der Türkei, aber auch in ganz Europa, blieben davon überzeugt, dass Sabbatai, obwohl er jetzt nach außen hin Muslim war, dennoch ein jüdischer Messias sei, der sich bemühe, die Welt als heimlicher Jude innerhalb seines neuen Glaubens zu reparieren. Wir erleben, wie nach Sabbatais Konversion verschiedene merkwürdige Projekte in Angriff genommen werden. Im Jahr 1700 machte sich ein engagierter Sabbatianer, Juda Hasid, mit 31 Familien von Polen aus auf den Weg nach Palästina. Ihre umständliche Reise führte die Gruppe auf verschlungenen Wegen nach Frankfurt, wo sie »die Menschenmassen aufwiegelten«. Irgendwann ließen sich Hasid und zweihundert seiner Anhänger tatsächlich in Palästina nieder. Doch die jüdische Strömung in ihrem Sabbatianismus war offensichtlich schwach, denn nach Hasids Tod wurden einige seiner Anhänger, obwohl sie in Palästina blieben, Muslime, andere traten zum Katholizismus und wieder andere zum Protestantismus über.23 Nach 1666 nahmen die Debatten über versteckten Sabbatianismus in Deutschland an Schärfe zu. Der Oberrabbiner der Gemeinden Altona, Wandsbek und Hamburg, Jonathan Eybeschütz, wurde beschuldigt, geheime sabbatianische Riten zu praktizieren. Eybeschütz wandte sich an den Konvertiten Karl Anton, der von seinem Gönner, dem Herzog von Braunschweig, zum Lektor für hebräische Sprache in Helmstedt ernannt worden war, »um von ihm eine Schutzschrift, noch mehr eine Lobrede ausarbeiten zu lassen. […] Er wird darin außerordentlich gehoben, als der vernünftigste und aufrichtigste Jude seiner Zeit, als Kenner der Philosophie, der Geschichte und Mathematik, und als ein verfolgtes Opferlamm.«24 Ein anderer Zeitgenosse, der Professor und protestantische Pastor David Friedrich Megerlin, behauptete hingegen, »der Oberrabbiner von Altona und Hamburg sei im Herzen dem Christlichen Glauben zugetan […], er wagte nur nicht aus Furcht vor den Juden offen damit hervorzutreten. […] In seinem tiefsten Innern sei der Oberrabbiner vollkommen Christgläubig.«25 Rabbiner in
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Amsterdam, Hamburg und Frankfurt am Main drohten den als Sabbatianern Entlarvten unverhohlen mit dem Ausschluss aus der Gemeinde.26 Doch mit welch schrillen Tönen die Rabbiner die sabbatianische Richtung auch zu unterdrücken versuchten, das magische, gar messianische Judentum verschwand keineswegs und nahm in Osteuropa sogar noch Mitte des 18. Jahrhunderts neue Formen an. Einer der Sabbatianer, der einen großen Kreis Gleichgesinnter anlockte, wurde als Jankiel Leibowicz geboren, nannte sich schließlich Jakob Frank und erklärte sich zur »Reinkarnation« von Sabbatai Zwi. Das Land seiner Geburt war Podolien, das damals, im Jahr 1727, in Polen lag, und als junger Erwachsener lebte Jankiel in Konstantinopel. Dort wirkte er begeistert in der Sekte der Dönmeh mit, wie die Anhänger Sabbatais sich nannten. Frank begann Ladino zu sprechen, den spanisch-jüdischen Dialekt, und gab sich als sephardischer Jude aus. Als er 27 Jahre alt war, folgte er Sabbatai in den Islam und kehrte anschließend mit einer Gruppe glühender Anhänger in seine Heimat Podolien zurück. Eines Nachts im Jahr 1756 überraschten die Rabbiner sie, nachdem sie in einem kleinen Dorf in eine Gebetsstunde von Neulingen hineingeplatzt waren, bei »ausschweifenden Handlungen«. Geschichten machten die Runde, dass die Frankisten, wenn sie zu heimlichen Gebetssitzungen zusammenkämen, auch gerne singen, tanzen und offenen Partnertausch praktizieren würden. Frank disputierte öffentlich mit Talmud-Gelehrten, und die katholischen Autoritäten freuten sich auf eine sensationelle Massenkonversion. Traditionelle Juden, entrüstet über die Frankisten, griffen diese an und rasierten ihnen zum Zeichen der Häresie ihre Bärte zur Hälfte ab.27 Aber am Ende fanden Jakob Frank und seine Sekte keine dauerhafte Heimat im Islam. Im Gegenteil, das islamische Establishment zweifelte an der religiösen Aufrichtigkeit der Konvertiten und schloss Franks gesamte Gefolgschaft, die sich inzwischen auf 15.000 Personen belief, vom islamischen Glauben aus. Zwei Jahre später, im Jahr 1759, wurden Frank und 1.000 seiner Anhänger als Katholiken getauft. Die katholischen Oberen hießen die Frankisten willkommen, weil sie hofften, Franks Entschluss würde eine jüdische Massenkonversion auslösen, die unter Christen als Zeichen für die Wiederkehr des christlichen Messias seit Langem ersehnt wurde. Frank wies seine Anhänger an, nach außen hin das Christentum anzunehmen, insgeheim aber jüdisch zu bleiben. Man wollte dafür sorgen, dass die nun katholische Sekte ethnisch jüdisch blieb, weshalb es frankistischen Katholiken beiderlei Geschlechts in den kommenden Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten verboten war, gebürtige Christinnen bzw. Christen zu heiraten. Nachdem die
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polnischen Behörden ihn wegen Vielweiberei, Unterschlagung und betrügerischen Auftretens als Messias verhaftet hatten, wurde Frank in einem Kloster eingekerkert. Aber bis 1770 hatte man ihn wieder freigelassen, und im Jahr 1786 ließ er sich mit seiner Gruppe in Offenbach in Nähe von Frankfurt nieder, wo er sich Baron nannte und eine Hofgesellschaft im Kleinen gründete, mitsamt eigener richterlicher Befugnis und Polizeitruppe. Auf dem Höhepunkt seines Einflusses hatte Frank 24.000 Getreue, deren jährliche Beiträge sich auf eine Summe beliefen, die größer war als die Einkünfte des polnischen Staates.28 Nach seinem Tod im Jahr 1791 setzte die Sekte ihre eigentümliche Lebensweise unter der Führung von Jakobs Tochter Eva fort, bis diese 1817 starb. Über ihr Ableben haben sich widersprüchliche Geschichten erhalten. Glaubt man einigen, so wurde sie verhaftet und von den hessischen Behörden gehängt, während sich in anderen die Überzeugung findet, dass Eva aus Furcht vor einer Verhaftung den frankistischen Hof mit ihren Anhängern fluchtartig verlassen habe.29 Über den Fortbestand der Sekte im Untergrund in den Generationen nach Eva Franks Tod gibt es kaum gesicherte Fakten und jede Menge Mutmaßungen. Mehrere Jahrzehnte nach Jakob Franks Tod trat abermals eine Art magisches Judentum in Erscheinung, das Geld, Gelehrsamkeit und Macht ebenfalls feindlich gesonnen war und darauf abhob, wie Juden Gott durch mystische Erfahrungen, Gesang, Tanz, gemeinschaftliche Liebe und die Freuden des Alltagslebens finden könnten – die chassidische Bewegung, welche die kabbalistischen und die sabbatianischen Überzeugungen und Praktiken übernahm. Aber in seinen Ursprüngen und seinem Einflussbereich war der Chassidismus eine ausschließlich jüdische Bewegung und fand folglich in den deutschen Ländern, wo viele Juden alles in allem weniger jüdisch sein wollten, statt ein gefühlsbetonteres Judentum zu praktizieren, nur wenige begeisterte Anhänger. Die Sabbatianer und die Frankisten ließen die Grenzen zwischen den zeitgenössischen Bekenntnissen ebenso verschwimmen wie zurückkehrende sephardische Juden. Die Sabbatianer und die Frankisten bekannten sich zu neuen Religionen und behaupteten die ganze Zeit, dass sie auf eine besondere Weise doch jüdisch blieben. Andere Juden kehrten zum jüdischen Glauben zurück. Immer mehr Nachfahren der Krypto-Juden aus Spanien und Portugal, die sich in Hamburg und Berlin niedergelassen hatten, führten im Laufe der Zeit wieder ein öffentliches jüdisches Leben. Wegen ihrer ausgeklügelten Gewohnheiten und Interessen waren die Krypto-Juden Wegbereiter der Assimilation. Sie hatten ein sicheres Gespür dafür, über Generationen
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hinweg als Katholiken durchzugehen und dann öffentlich Juden zu werden. Wir werden sehen, dass im 19. Jahrhundert Konvertiten, unter ihnen Heinrich Heine, Helden unter den sephardischen Juden einer früheren Epoche finden werden. Die Grenzen zwischen den Bekenntnissen verschwammen noch auf andere Weise, indem immer mehr deutsche Juden sich kleideten und redeten wie Christen; zumindest könne wir vermuten, dass solches Verhalten zunahm, weil die Rabbiner immer öfter über diese sorglosen Verstöße klagen.30 So erschien an einem Sabbatmorgen des Jahres 1738 in Berlin ein Mann namens Jeremias Cohen ohne Bart und mit einer Perücke auf dem Kopf in der Synagoge. Sein örtlicher Rabbiner war empört über dieses bilderstürmerische Aussehen, und Cohen wurde die Teilnahme am Gottesdienst verwehrt.31 Eine weit ernstere Herausforderung für die Rabbiner in ganz Deutschland waren die pietistischen Missionare, die sich in jenen Jahrzehnten immer stärker auf die Bekehrung von Juden konzentrierten. Die Pietisten ähnelten den messianischen Juden insoweit, als sie sich ebenfalls nach einem gefühlsbetonteren Glauben und tieferen Gemeinschaftserlebnissen sehnten. Die Begründer dieser einst einflussreichen lutherischen Sekte strebten nach größerer Vertrautheit unter den Gläubigen, und sie kritisierten die Autorität von Gemeindepfarrern und kirchlichen Würdenträgern. Die Pietisten waren wild darauf, Gutes zu tun, und sie taten eine Menge davon, indem sie Waisen- und Armenhäuser und die verschiedensten Schulen führten. Sichtlich hingezogen fühlten sie sich zu den umherziehenden jüdischen Hausierern, die in jenen Jahren zu einem vertrauten Anblick geworden waren, wie sie über die Landstraßen stiefelten. Für die pietistischen Missionare symbolisierten die hausierenden Juden »eine einzigartige Kombination all jener Formen der Marginalität«, die sie zu »erlösen und integrieren« suchten.32 Oft versammelten sich die armen wandernden Juden vor den Stadttoren, wo sie um das Niederlassungsrecht baten und aus ihren Rucksäcken verschiedene Waren verkauften. Es herrschte harte Konkurrenz im Kleinhandel dieser Kreise, obwohl die Gewinnspannen wirklich winzig waren. Überall in den deutschen Ländern stoßen wir auf eine wachsende Zahl illegaler Juden »auf Achse« ohne Wohnrechte in irgendeiner Stadt.33 Manche der pietistischen Missionare nahmen das Judentum sehr ernst und brachten den Widrigkeiten der armen Juden Verständnis entgegen.34 Johann Jakob Schudt erwähnte in seinem 1714 erschienenen Buch über das Judentum besonders, wie stolz er darauf sei, auf vertrautem Fuß mit einzelnen Juden zu stehen und ein offenes, unvoreingenommenes Verhältnis zu
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ihnen zu haben.35 Natürlich war es das Ziel der pietistischen Missionare, mehr Juden zu Christen zu machen. Dennoch ist es wichtig, dass sie dachten, sie würden einzelnen Juden Respekt erweisen. Im Jahr 1711 erinnerte ein prominenter Theologe seine Leser daran, dass die Pflicht zu christlicher Liebe alle Christen nötige, durch Gebete sowie gerechtes und sanftmütiges Betragen nach Kräften zum Wohle dieses Volkes beizutragen und jede Gelegenheit wahrzunehmen, sich ihm in Freundschaft zuzuwenden und seine Angehörigen über die christliche Religion zu informieren.36 Die Not der armen Juden, die sich zur Konversion entschlossen, bekümmerte die missionarischen Aktivisten, reizte sie aber auch. Johann Georg, ein Missionar, der in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts in Deutschland wirkte, schlug vor, alle vom Judentum Konvertierten in einer Versammlung zusammenzuführen: »Es wäre eine riesige Zusammenkunft. Dann würde jedermann ihre Armut sehen und sagen: ›Ich bin erstaunt, dass ein einziger Jude sich entschieden hat, Christ zu werden.‹«37 Für die meisten Konvertiten war es allerdings nicht neu, arm zu sein. Während der mittelalterlichen Jahrhunderte waren es normalerweise die Juden in der ausweglosesten Lage gewesen, denen die Rabbiner mit dem Ausschluss aus der Gemeinde drohten und die es deshalb vorzogen zu konvertieren. Angeklagte Straftäter beispielsweise wählten oft die Konversion. Doch nun konnten jene Juden, die ihr Lebensschicksal dazu verleitete, Christen zu werden, beträchtliche praktische Hilfe von den Missionaren bekommen. In späteren Jahrhunderten konnten junge und ehrgeizige jüdische Männer es in der Welt zu etwas bringen, wenn sie an Bord eines Schiffes nach Amerika gingen, an einer Universität studierten oder in einem Familienbetrieb fleißig mitarbeiteten. Aber in unserem historischen Augenblick war keine dieser drei Möglichkeiten leicht, wenn sie denn überhaupt verfügbar war.38 Die preußischen Einwanderungsrichtlinien zeigen auf jeden Fall, wie schwierig es war, sich ohne beträchtlichen Reichtum in Preußen niederzulassen. Die Konversion war deshalb die seltene Gelegenheit, eine einschneidende Veränderung der eigenen Lebensumstände zu vollziehen. Die pietistischen Missionare waren innovativ bei ihren Versuchen, die Lebensumstände nach der Taufe zu verbessern. Gewöhnlich brauchten Konvertiten, nachdem sie das Bekenntnis gewechselt hatten, neue Arbeitsstellen. Wer in Einrichtungen der jüdischen Gemeinde angestellt gewesen war, konnte dort als Christ natürlich nicht mehr arbeiten, aber selbst Kaufleute mussten ihren Beruf wechseln, wurden sie doch meist von ihren noch-jüdischen Kollegen gemieden. In vielen Fällen ließen Konvertiten auch ihre El-
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tern, Geschwister, Ehegattinnen bzw. -gatten und sogar Kinder zurück. Wo konnten sie Beschäftigung, Liebe, Freundschaft oder Gemeinschaft finden? Statten wir einmal der Proselytenanstalt einen Besuch ab, die im Jahr 1667 in Hamburg ihre Pforten öffnete, um uns einige der Lösungen für diese Probleme anzusehen. Esdras Edzard, ein bekannter lutherischer Pastor in Hamburg, wurde von Sabbatais Konversion zum Islam inspiriert und hoffte, dieses Ereignis würde die Bekehrungsrate erhöhen. In seiner Anstalt unterrichtete Edzard lutherische Prediger aus ganz Europa in jüdischen Themen und informierte sie außerdem über Methoden der Bekehrung. Er betonte, wie wichtig es sei, dass Konvertiten noch vor der Tauffeier eine einfache, praktische Berufsausbildung erhielten. Missionshistoriker schätzen, dass zwischen 1667, als er seine Anstalt eröffnete, und seinem Tod im Jahr 1708 insgesamt 148 Juden in Edzards örtlicher Pfarrei getauft wurden. Nach einer anderen Schätzung wurden während derselben 41 Jahre im gesamten protestantischen Deutschland nur 179 Taufen registriert, womit Edzard zur zentralen Figur bei der Klärung der Frage wird, wer während der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts konvertierte.39 Nachdem Edzard 1708 gestorben war, wandte sein Sohn sich anderen Aktivitäten zu, und die Hamburger Proselytenanstalt schloss schließlich ihre Pforten. Es war in Halle, einer Universitätsstadt in Preußen, wo Pietisten eine Zufluchtsstätte für Konvertiten schufen, die weit über das von Edzard Erreichte hinausging. Der Mentor der seit 1698 mit kurfürstlichem Privileg ausgestatteten neuen Anstalten, die unter anderem eine Armenschule, ein Waisenhaus, das Pädagogium für adelige Schüler und das Gynaeceum als höhere Mädchenschule umfassten, war der pietistische Theologe Hermann August Francke, ab 1694 Professor für orientalische Sprachen (ab 1698 auch für Theologie) an der neuen Friedrichs-Universität in Halle. Franckes Gönner war König Friedrich I., der sich aus Gründen für die Pietisten interessierte, die denen recht ähnlich waren, die seinen Vater, den Großen Kurfürsten, seinerzeit bewogen hatten, die Holländer, die Wiener Juden und die Hugenotten nach Brandenburg einzuladen. Er schlussfolgerte, dass die Pietisten die Konflikte zwischen der calvinistischen Krone und der lutherischen Bevölkerung entschärfen könnten. Außerdem waren Pietisten bereit, verschiedene Projekte im Bereich der Sozialfürsorge zu übernehmen, welche die Produktivität ankurbeln und akute Not lindern würden. Veranlasst durch Francke, gründete dessen Schüler, der Orientalist und Theologe Johann Heinrich Callenberg, im Jahr 1728 in Halle das Institutum Judaicum et Mohammedicum, eine Einrichtung zur Judenmission, die 1792
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mit den Franckeschen Stiftungen vereinigt wurde. Callenberg wurde schließlich ebenfalls Professor in Halle, wo er Hebräisch, Jiddisch und Jüdische Theologe lehrte. Sein Jiddisch lernte er tatsächlich von einem Konvertiten. Wenn Konvertiten, Missionare und Judaica-Gelehrte zusammensaßen, um die Lehren, Praktiken und Sprachen des jeweils anderen zu erlernen, erleben wir das Entstehen einer winzigen Subkultur, in der Religionen verglichen und einander gegenübergestellt werden konnten und wo der Wechsel von einer zur anderen akzeptabler wurde. Wie winzig ihre Zahl auch war, zu jener Zeit und an jenem Ort war die Mischung der Persönlichkeiten brisant und unter Umständen subversiv. Eigentlich unterstützte Callenbergs Institutum in Halle keine Tauffeiern, aber es stellte jenen, die sich darauf vorbereiteten, dem Judentum den Rücken zu kehren, und jenen, die bereits Lutheraner geworden waren, Unterkunft und geistesverwandte Gesellschaft zur Verfügung. Im Jahr 1734, sechs Jahre nachdem er seine Einrichtung eröffnet hatte, schlug Callenberg die Schaffung von Wohngemeinschaften für Konvertiten vor. In diesen abgeschiedenen Siedlungen wären ehemalige Juden weiterhin Angehörige eines von anderen Völkern geschiedenen Volkes.40 Callenberg sprach sogar öffentlich darüber, dass diese Kolonien Konvertiten helfen würden, eine alternative jüdische Identität zu entwickeln. Es ist faszinierend, in Callenbergs Projekten diesen unverhohlenen Vorschlag des Synkretismus zu entdecken; und er empfahl, in den von ihm erträumten Kolonien für Konvertiten einige jüdische »Riten und Gebräuche« zuzulassen.41 Allerdings sollte dieser Plan nicht für das Judentum oder das jüdische Volk von Nutzen sein, sondern vielmehr die Zahl der Juden, die sich für die Taufe entschieden, erhöhen. Während die Idee einer Konvertiten-Kolonie ein Hirngespinst blieb, gehörte die Abfassung und Veröffentlichung von Missionstexten auf Jiddisch zur täglichen Arbeit der Mitarbeiter des Institutum; diese Texte wurden anschließend von Anhängern Callenbergs in Posthaltereien und Gasthäusern, auf Märkten und in Schenken vertrieben. Bevorzugt verteilte man die Traktate in pietistischen Buchläden und bei den samstäglichen Rundgängen durch das pietistische Waisenhaus in Halle. Obwohl es heute kaum glaublich erscheint, gingen Missionare sogar während der Gebete und danach in die Synagogen und diskutierten mit den Gläubigen. In ihren Berichten schilderten sie stolz, dass es ihnen manchmal gelungen sei, die Rabbiner »offen zurechtzuweisen«.42 Die 20 reisenden Missionare, die während der Blütezeit des Institutum in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 18. Jahrhunderts für die Einrichtung tätig waren, sprachen alle Jiddisch und kannten ihre jü-
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dische Theologie, was beides nötig war, um Juden in gefährliche Unterredungen zu verwickeln. Ihre Zeitschrift veröffentlichte nicht nur gelehrte Artikel, sondern brachte auch von den Wandermissionaren eingereichte Tagebucheinträge sowie Berichte über das tägliche Leben im Institutum. Wegen der Unmittelbarkeit der Berichterstattung der Zeitschrift reichten begeisterte Leser ebenfalls kleine Beiträge ein, um bei der heiligen Aufgabe, dem Judentum Juden abspenstig zu machen, mitzuhelfen.43 Die Geschichte von Joseph Guggenheims heftiger Ambivalenz hinsichtlich der Konversion veranschaulicht, wie langwierig und schmerzlich der Übergang zum Christentum sein konnte. Guggenheim war der Parnes, der Laienvorsteher einer Gemeinde in der Stadt Ober-Lengnau, und er überlegte fast 20 Jahre lang, ob er konvertieren sollte oder nicht. Während all dieser angespannten Jahre erhielt Guggenheim Privatunterricht von dem Missionar Johann Caspar Ulrich, der ein von Callenbergs Institutum zur Verfügung gestelltes Neues Testament in Jiddisch benutzte, und von Christopher Gottlieb, einem Juden, der bereits konvertiert war. Guggenheim war sehr daran gelegen, sein Interesse am Christentum gegenüber seiner Familie und der größeren Gemeinde für sich zu behalten, obwohl er die ganze Zeit hoffte, sie alle gemeinsam mit ihm in den lutherischen Glauben überführen zu können. Nachdem er sich im Jahr 1757 endlich entschlossen hatte, dem Judentum den Rücken zu kehren, erlitt Guggenheim, kurz bevor die Zeremonie stattfinden sollte, einen Nervenzusammenbruch. »Er fing an zu schreien und zu brüllen wie ein Tier und konfuses Zeug zu reden.« Sobald der Prozess der Konversion begonnen hatte, wurde er von seiner Familie getrennt, und »er fing an, Tag und Nacht nach seiner Frau und den Kindern zu schreien«. Die Oberen überlegten, ihn in einer Zwangsjacke zur Tauffeier zu führen. Nachdem er seinen Glauben offiziell gewechselt hatte, fiel er für den Rest seines Lebens immer wieder dem Wahnsinn anheim.44 Während der Blütezeit der Missionsbewegung, in den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, versuchten die jüdischen Vorstände, ihre Gemeinden vor der Botschaft der Mission zu schützen. Manchmal verboten sie die Bekehrungsflugschriften, aber wenn diese Taktik fehlschlug, verbrannten sie die Traktate bei öffentlichen Veranstaltungen.45 Und die Rabbiner hatten durchaus Grund zur Sorge, denn die von den Mitarbeitern Callenbergs angewandten innovativen Methoden konnten recht erfolgreich sein, wenn es darum ging, neugierige Juden anzusprechen. Tatsächlich wurden die rabbinischen Verbote bisweilen ignoriert, wenn die Missionare in die Stadt kamen. In manchen der Orte, die die Missionare besuchten, waren gedruckte
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Bücher anscheinend eine Rarität, und die Freiexemplare, die sie verteilten, wurden mitunter gerne angenommen. Gelegentlich ergriffen ortsansässige Juden selber die Initiative und marschierten des Nachts los, um sich mit den Missionaren zu treffen, oder schickten ihre Kinder oder Dienstboten, damit sie ihnen die Missionsbroschüren besorgten.46 Ein Grund, warum Callenbergs reisende Missionare mit solchem Erfolg das Interesse der Juden weckten, war die große Aufmerksamkeit, die sie den kleinen Dingen des alltäglichen Lebens widmeten. Einer seiner engagiertesten Arbeiter, Stefan Schulz, berichtete stolz, er spreche »gut genug Jiddisch, um für einen Juden gehalten zu werden«.47 Schulz’ Freude dran, als Jude durchzugehen, ist besonders ergreifend angesichts der Tatsache, dass die Juden, die eine Konversion erwogen, sich zweifellos fragten, ob sie jemals als Christen durchgehen würden. Die Missionare waren nicht nur geschult darin, die richtige Sprache zu sprechen, sondern sie achteten auch darauf, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden. In den Vierzigerjahren des 18. Jahrhunderts berichteten zwei Missionare, dass sie bewusst in ihren schlechtesten Kleidern reisten, weil ihre Arbeit es verlange; die meisten Juden seien arm und schreckten vor einem ansehnlich gekleideten Mann zurück.48 Die Betonung der Armut der Juden, die sie zu bekehren suchten, erinnert uns daran, wie ungewöhnlich die Hofjuden innerhalb des Judentums waren, mit ihrem Juwelenhandel, ihren privaten Synagogen und ihren prachtvollen Häusern. Leider ist nicht bekannt, wie erfolgreich die Missionare bei ihren Bemühungen, die Anzahl der Taufen zu erhöhen, letztendlich waren. Unser quanti tatives Bild von der Häufigkeit der Konversionen in den deutschen Ländern während des 18. Jahrhunderts ist insgesamt sehr lückenhaft. Unsichere Belege deuten darauf hin, dass die jährliche Konversionsrate das ganze Jahrhundert hindurch allmählich stieg, und manche nennen das Phänomen gar eine »Bekehrungsseuche«. Dass man angesichts derart winziger Zahlen überhaupt auf die Idee kam, von einer Seuche zu sprechen, lässt darauf schließen, dass die Zahlen in den vorangegangenen Jahrhunderten sehr viel niedriger waren. Zwischen 1600 und 1650 wurden in ganz Deutschland ungefähr 85 Juden Protestanten, das waren weniger als zwei Taufen pro Jahr. Nach einer Schätzung für den Zeitraum zwischen 1671 und 1708 gab es in diesen 37 Jahren 179 Übertritte zum Protestantismus, was ein Anstieg auf mehr als vier Bekehrte pro Jahr wäre. Forscher behaupten, dass in den 50 Jahren zwischen 1700 und 1750 »mehrere hundert« Juden Protestanten wurden. Wenn es im Laufe dieses halben Jahrhunderts bereits dreihundert Konversionen waren, ergäbe dies sechs Taufen pro Jahr.49 Was Berlin betrifft, so können wir ver-
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stehen, warum die Stadt weithin als Zentrum der Konversion bekannt war. Die schwarzen Ordner belegen, dass zwischen 1700 und 1767 153 Juden Protestanten wurden, das macht knapp über zwei Bekehrte pro Jahr nur in Berlin. Nicht nur waren die Zahlen der Konvertiten sehr gering; wir wissen auch, wie fehleranfällig selbst diese Zahlen sind. Manche Konvertiten kehrten am Ende zu einem öffentlichen jüdischen Leben zurück, und die Statistik kann auch in der anderen Richtung aufgebläht sein, da es vorkam, dass Juden mehr als einmal konvertierten, um das Geld, die Unterkunft oder andere Unterstützung zu erhalten, die eine örtliche Pfarrei oder die Missionare bereitstellten. Aber obwohl unsere Zahlen fehlerhaft sind, bezweifelt heute wie damals niemand, dass die meisten Konvertiten über weite Strecken des 18. Jahrhunderts arm waren, bevor sie Christen wurden, und danach auch arm blieben. Dank der von ihnen verfassten Erinnerungen, die oft noch zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurden, erhalten wir Einblicke in ihre Beweggründe und ihre Erfahrungen. Die genaue Lektüre dieser Werke fördert ein paar deutliche Trends zutage. Viele Konvertiten schilderten tiefe und langwierige spirituelle Krisen, die sich zu psychologischen und familiären Dramen auswuchsen, wie wir es im Fall von Joseph Guggenheim erlebten. Man könnte erwarten, dass sie streng mit allem Jüdischen ins Gericht gingen, um den Glaubenswechsel zu rechtfertigen, aber das Gegenteil war der Fall: Eine beträchtliche Anzahl von Memoirenschreibern fand Lobesworte für ihre jüdischen Familien und ihre frühe jüdische Erziehung. Nach dem Entschluss zu konvertieren werden ihre Erfahrungen schmerzlicher, und wir lesen sowohl darüber, wie schwer die Entscheidung vor Verwandten, Freunden und Rabbinern zu verbergen war, als auch von ihren Schwierigkeiten, die richtige Unterweisung in ihrem gewählten Glauben zu finden. Die schweren Zeiten für die Konvertiten endeten leider nicht, wenn die Tauffeier hinter ihnen lag. Zwar fanden Konvertiten, die eine gewisse jüdische Bildung besaßen, nach dem Glaubenswechsel oft Beschäftigung als Dozenten, Lehrer oder Pfarrer, aber viel schwieriger war die soziale Integration. Selbst diejenigen, die gebürtige Christinnen bzw. Christen heirateten, waren, wie verlautet, »häufig unglücklich«.50 Einige der erschütternden Episoden im Leben von Konvertiten führen uns vor Augen, dass die Konversion keine Garantie dafür war, dass jemand fortan als authentischer Christ durchging. Nehmen wir das Beispiel des verheirateten Paars, die beide konvertiert waren und dann eine Konditorei aufmachten und ein Haus kauften. Sie wurden aus dem regulären Gottesdienst
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ihrer örtlichen Kirche verjagt und ihr Sohn wurde als »Judensau« beschimpft. Der Ehemann erwähnte besonders, dass der »christliche Mob« gegenüber den Konvertiten strenger sei als gegenüber bekennenden Juden.51 Diese Wahrheit muss für die Konvertiten selbst am unangenehmsten gewesen sein, und sie lässt darauf schließen, dass ihnen bei ihren Versuchen, das Judentum hinter sich zu lassen, manchmal mehr Feindseligkeit entgegenschlug, gerade weil sie die formelle religiöse Identität gewechselt hatten. Eine Heirat im Jahr 1746 deutet jedoch darauf hin, dass in vertrauterer Umgebung möglicherweise auch synkretistische Praktiken aufkamen und dass die Konversion nicht immer zu Einsamkeit führte. Der Vater von Magdalena Nawratzki war ein Jude aus Posen, der Katholik geworden war, und er hatte eine Gouvernante geheiratet, eine gebürtige Christin. Magdalena wuchs als Christin auf, und sie und ihr erster Ehemann engagierten sich bei den Böhmischen Brüdern, einer mystischen protestantischen Sekte. Ihr zweiter Ehemann, den sie 1746 heiratete, war David Kirchhoff, ein Jude, der sieben Jahre zuvor in Leipzig Protestant geworden war. Magdalena und David gaben ihren Kindern biblische Namen und hielten an Ritualen sowohl aus dem Juden- als auch aus dem Christentum fest. Wenn wir mehr über ihre Freunde und die Beziehungen zu ihren Familien erfahren könnten, könnten wir vielleicht , herausfinden, ob sie Teil einer synkretistischen Subkultur an den Rändern der verschiedenen Glaubensgemeinschaften waren.52 Wir haben gesehen, dass viele Gläubige religionsübergreifend nach persönlicheren, gefühlsbetonteren Erfahrungen suchten. Die Grenzen zwischen den Bekenntnissen wurden durchlässiger, und innerhalb des Judentums erleben wir mehr Vielfalt und Widerspruch. Dennoch wirkten sich diese Veränderungen nicht sonderlich auf die Zahl der Übertritte zum Luthertum in den deutschen Ländern aus. Das ganze 17. und einen Großteil des 18. Jahrhunderts hindurch wählte eine winzige Handvoll Juden diesen Weg, und diejenigen, die sich für die Taufe entschieden, waren fast immer arm. Das Leben in der neuen Glaubensgemeinschaft war oft einsam und ärmlich. Wenn wir uns nun den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nähern, begegnen wir reicheren Konvertiten und erleben häufiger, dass ganze Großfamilien konvertieren. Die Pietisten verloren Anhänger, und ihre Einrichtungen schlossen, aber andere Anregungen und Möglichkeiten verlockten Juden, zum Luthertum überzutreten. Als die Elite der christlichen Gesellschaft wohlhabende und gebildete Juden freundlicher aufzunehmen begann, wurden die Vorteile, Christ zu sein, für einige unwiderstehlich. Zusätzlich drängten anerkannte Theologen hervorragende jüdische Gelehrte zur Kon-
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version. Die öffentlichen Forderungen an Moses Mendelssohn, dem Judentum den Rücken zu kehren, zeigen uns, dass das Judentum in diesen Jahren des Optimismus und der Aufklärung eine Religion blieb, der man misstraute und die man verachtete.
Warum begannen die Reichen zu konvertieren? Das Beispiel von Philipp Heynemann veranschaulicht, welche Art von Juden nun allmählich konvertierte. Heynemann war der einzige Sohn in einer Familie von Hofjuden aus der Stadt Weißenfels in Sachsen und im Jahr 1722 geboren.53 Als Jugendlicher wurde Philipp allein fortgeschickt, um an einer Jeschiwa in Dessau und Fürth zu lernen, wo er ein preisgekrönter Schüler wurde. Als er nach Hause zurückkehrte, engagierte sein Vater einen einheimischen Theologiestudenten, der den Sohn in Latein und Deutsch unterrichten sollte. Schüler und Hauslehrer debattierten leidenschaftlich über die beiden Bekenntnisse, obwohl der Vater solche Diskussionen verboten hatte. Philipps Vater, Moses, hatte guten Grund, spirituelle Debatten zu fürchten. Seine Frau war gestorben, als Philipp zehn Jahre alt war, und aufgrund von Gerüchten, dass sie auf dem Sterbebett erklärt habe, sie sei im Herzen Christin, brach ein Streit darüber aus, wo sie beerdigt werden konnte. Moses’ Bruder, Schwester, Neffe und Nichte waren im Laufe der Dreißigerjahre des 18. Jahrhunderts ebenfalls allesamt konvertiert, und auch ein jüdischer Bediensteter, den die Familie beschäftigte, hatte sich für die Taufe entschieden. Eines Tages erstand Philipp ein Neues Testament, und nach langen Stunden der Lektüre verkündete er Familienangehörigen und Freunden, dass er dessen Lehren ablehne. Doch dann besann er sich eines anderen und schmiedete Pläne zu konvertieren. Eines Tages, als sein Vater nicht in der Stadt weilte, lief er von zu Hause fort zu einem nahe gelegenen Dorf, wo er bei einem Bauern unterkam, während er bei einem Pfarrer lernte, um Lutheraner zu werden. Er war jetzt 18 Jahre alt. Zu seiner Tauffeier gehörte eine öffentliche Debatte, an der die meisten Adeligen der Gegend teilnahmen und in deren Verlauf Heynemann erfolgreich vierhundert Fragen über das Christentum beantwortete. Nach seiner Konversion traten auch mehrere seiner Geschwister über, und Philipp änderte seinen Namen in Gottfried Selig. Obwohl sein neuer Name glücklich bedeutete, können wir uns durchaus fra-
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gen, wie glücklich er als Protestant war. Sein Vater enterbte ihn, was angesichts des väterlichen Reichtums möglicherweise ein Riesenverlust war. Selig besuchte eine Elite-Oberschule, aber er wurde von seinen Mitschülern grausam gehänselt. Anschließend diente er eine Zeit lang als Soldat, arbeitete als Handwerker und wurde schließlich Hebräisch-Dozent an der Leipziger Universität. Er heiratete eine seiner Cousinen, deren Vater ebenfalls konvertiert war. Weil das Einkommen, das er von der Universität bezog, so mager war, musste er seine Familie unterstützen, indem er zu Fuß umherreiste, um Subskribenten für seine veröffentlichten Schriften zu suchen. Er starb in großer Armut. Heynemann und seine Onkel, Geschwister und Cousins gehörten zu den ersten Familien von Hofjuden, welche die Erfahrung machten, dass ihr Leben infolge der Konversion völlig aus den Fugen geriet. Es sollte noch fast ein halbes Jahrhundert dauern, bevor Taufen von Wohlhabenden und Privilegierten fast die Hälfte sämtlicher Berliner Konversionen ausmachen würden. Die familiären Erfahrungen in drei weit verzweigten jüdischen Sippen – den Itzigs, den Ephraims und den Isaaks – zeigen uns, warum jene, die in Reichtum, Privilegien und Macht hineingeboren wurden, zu diesem Zeitpunkt anfingen, sich für die Konversion zu entscheiden. Bekannt wurde das Gespann Ephraim, Itzig und Isaak während des Siebenjährigen Krieges, zwischen 1756 und 1763. Wir erfahren viel darüber, warum manch einer die Juden damals möglicherweise hasste, wenn er mitansah, wie sie zu Reichtum kamen. Preußens König Friedrich II. hatte den Krieg 1756 mit einem Einfall in Sachsen vom Zaun gebrochen. Sachsen war ein Verbündeter Österreichs, sodass Kaiserin Maria Theresia vor Wut schäumte, als sie vom Einmarsch der Truppen hörte. Maria Theresias Hauptverbündeter in ihrem Ringen, den preußischen Angriff zurückzuschlagen, war Russland, das nur allzu bereit war, gegen Preußen zu kämpfen. Es waren dies die Jahrzehnte, als Russland und Preußen einen langen Wettstreit um die Beute aus den drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 anfingen. Der polnische Staat näherte sich damals dem Ende einer langen Periode des Zusammenbruchs und wurde schließlich, im Jahr 1795, vollständig unter Österreich, Russland und Preußen aufgeteilt. Friedrich II. beschloss, den Krieg mit einer drastischen Münzinflation zu finanzieren, und er verleitete die führenden jüdischen Finanziers in seiner Hauptstadt, ihn bei diesem Projekt zu unterstützen. Banknoten waren damals noch nicht in regelmäßigem Gebrauch. Preußen besaß selber keine Silberbergwerke und importierte deshalb Silber aus nahen und fernen Ab-
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baustätten, um seine Münzen zu prägen.54 Dass Juden das Silber aus dem Ausland beschafften und die preußischen Münzen leiteten, hatte eine lange Tradition. Ein Teil des von den reichen Münzdirektoren in Preußen benötigten Silbers wurde von jüdischen Händlern in Polen geliefert. Manchmal kauften diese herumziehenden Händler das Silber vom polnischen Adel, der regelmäßig Tafelsilber und Münzen verkaufte, um zahlungsfähig zu bleiben. Friedrich kam die Münzinflation gerade recht, bot sie ihm doch die Möglichkeit, eine Besteuerung seiner Untertanen zu vermeiden. Weshalb er beschloss, den Silberanteil der geprägten Münzen erheblich zu reduzieren. Die christlichen Kaufleute, die der König zuerst bat, diesen Auftrag zu erledigen, lehnten trotz des beträchtlichen Profits, der winkte, ab. Aber die jüdischen Kaufleute, allen voran der Pächter der königlichen Münze Veitel Heine Ephraim, der Hofbankier Daniel Itzig und Moses Isaak, willigten ein, abgewertete Münzen zu prägen. Anschließend organisierten sie die Verbreitung der Münzen innerhalb und außerhalb Preußens durch einige derselben Hausierer, die das Silber ursprünglich aufgekauft hatten.55 Der Beitrag Ephraims und seiner Partner zu den Kriegsanstrengungen war enorm. Es gelang dem König, fast ein Drittel des gesamten Kriegsbudgets durch das Prägen abgewerteter Münzen aufzubringen. Aber was für den König gut war, war ganz und gar nicht gut für das Volk, da das abgewertete Geld eine hohe Inflation verursachte. Mit dem Fortgang des Krieges stiegen die Preise steil an; an einigen Orten verdoppelte sich der Roggenpreis. Verantwortlich gemacht dafür wurden die jüdischen Münzpächter, und Stadtbewohner machten ihrer Wut Luft, indem sie in den Straßen randalierten. Ein Bonmot, das damals die Runde machte, brachte die Situation auf den Punkt: Es beschrieb die minderwertigen Münzen als »außen Silber, innen Zinn / Außen Friedrich, innen Ephraim«.56 Noch bevor der Krieg vorüber war, investierten Ephraim und seine Freunde einiges von ihrem Gewinn in prachtvolle neue Häuser und Geschäftsräume. Selbst für Berlin mit seinen hohen Maßstäben waren die Wohnsitze, welche die Ephraims, Daniel Itzig und Moses Isaak in den Sechzigerjahren des 18. Jahrhunderts erwarben, in höchstem Maße verschwenderisch. Veitel Heine Ephraim investierte im Jahr 1761, als er 58 Jahre alt war, 16.500 Taler in ein Grundstück am Mühlendamm/Ecke Poststraße, einst Standort der ältesten Apotheke Berlins.57 Die Arbeiten am Umbau der vorhandenen Bausubstanz unter Leitung des Baumeisters Friedrich Wilhelm Diterichs dauerten von 1762 bis 1766, und nach seiner Fertigstellung wurde das »Ephraim-Palais« schnell zu einem bekannten Wahrzeichen – was es heu-
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te noch ist, wurde es doch in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts restauriert und in ein Museum umgewandelt.58 In Wirklichkeit nutzte Ephraim das Gebäude als Kontor, und die Familie wohnte weiter in einem Haus in der Königstraße, das er im Jahr 1746 erworben hatte. Ihm und seiner Frau Hanna gehörte außerdem ein Garten am Schiffbauerdamm am Stadtrand, den große Statuen schmückten. Die Ephraims füllten ihre Häuser mit weltlichen ebenso wie mit jüdischen Luxusartikeln, mit Gemälden und Statuen und statteten sie darüber hinaus mit privaten Synagogen und einer Jeschiwa aus. Wir können durchaus über die Alternativen nachdenken, vor denen Ephraim und seine Freunde standen, als sie einwilligten, auf Geheiß der Krone die inflationären Münzen zu prägen und zu verbreiten. Manche mögen einwenden, dass es besser gewesen wäre, wenn diese Familien auf die Superprofite, mit denen sie ihre Statuen und Gemälde kauften, verzichtet hätten. Wir können die Wut der verarmten christlichen Bevölkerung in Zeiten von Krieg und Geldentwertung nachempfinden. Wir wissen nicht genug darüber, welche Konsequenzen die jüdischen Münzmeister möglicherweise für den Fall fürchteten, dass sie sich weigerten, dem König auf diese Weise zu dienen. Auch wissen wir nicht, wie heftig die Münzabwertung innerhalb der jüdischen Gemeinde diskutiert wurde. Aber es wäre naiv, zu ignorieren, dass die Abwertung, die Inflation und die herrschaftlichen Wohnhäuser an renommierten Adressen möglicherweise Hass und Groll gegen die jüdische Superelite hervorriefen. Sicherlich waren deren Angehörige in gewissem Sinne auch Opfer, aber auf einem Wohlstandsniveau, das verarmte Christen durchaus hätte veranlassen können, das größere Ganze nicht zu begreifen. Die führende jüdische Persönlichkeit der Epoche kam lange vor dem Siebenjährigen Krieg nach Berlin, um in Veital Ephraims häuslicher Jeschiwa zu studieren. Man schrieb das Jahr 1743, als Moses Mendelssohn, 14 Jahre alt, vor einem der beiden für Juden bestimmten Stadttore ankam. Der lernbegierige Moses, der unter einer Rückgratverkrümmung litt, war von seiner Heimatstadt Dessau nach Berlin gelaufen, um seinem Rabbiner zu folgen, der gebeten worden war, an Ephraims Jeschiwa zu unterrichten. Obwohl Moses selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammte, waren seine Gönner die reichsten Männer in der jüdischen Gemeinde, und die Verfolgung seiner Lebensgeschichte wird uns direkt an ihre Esstische führen. Dank der finanziellen und intellektuellen Unterstützung durch Ephraim und einige seiner Freunde beherrschte der frühreife Student bald eine Welt der Gelehrsamkeit, die über den Talmud und die Thora hinausging. Im Jahr 1750, als er 21 Jahre
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alt war, wurde er der Hauslehrer der Kinder von Isaak Bernhard, einem Seidenhändler. Er lernte weltliche Sprachen, begann Abhandlungen auf Deutsch zu veröffentlichen und freundete sich mit zwei wichtigen Christen an, den bekannten Schriftstellern Gotthold Ephraim Lessing und Christoph Friedrich Nicolai. Mendelssohn wurde gebeten, seine christlichen Freunde in elitären Lesegesellschaften und Debattierklubs zu treffen, aber er blieb praktizierender Jude. Diese Kombination war eine absolute Neuheit für Berlin und Deutschland und sogar in Paris, London und Wien überaus selten anzutreffen. Während Moses’ Zeit als Hauslehrer der Bernhard-Kinder bot Veitel Ephraim ihm an, in seinem Haus zu wohnen und auch in seiner Firma zu arbeiten. Das Angebot muss verlockend gewesen sein, denn zu der Zeit verdiente Mendelssohn nur dreihundert Taler im Jahr, in Kreisen der Mittelschicht eine überaus bescheidene Summe.59 Aber Mendelssohn kritisierte die Münzabwertung und wollte Ephraims Angebot nicht annehmen. Im Jahr 1762 schrieb er Fromet Guggenheim, seiner zukünftigen Braut: »Ich sehe täglich mehr, dass mein Gemüth zu leicht nachgiebt, und danke Gott, dass ich von den Münzen weg geblieben bin, wie leicht wäre ich mit dem Strom fortgeschwommen […]. Alle Welt beschuldigt mich, ich hätte mir die Gelegenheit zu Nutz machen sollen, ein reicher Kerl zu werden.«60 Obwohl er es vorzog, dem König nicht zu dienen, indem er sich an der Schmälerung des Münzwerts beteiligte, war Mendelssohn patriotisch, und nach der letzten Schlacht des Krieges verfasste er sogar eine Festpredigt zu Ehren der Rückkehr des Königs nach Berlin, als Preußen 1763 den Sieg davongetragen hatte. Moses und Fromet heirateten, als er schon Anfang 30 war, kurz bevor der Krieg endete. Fromet stammte aus der Familie des Wiener Hofjuden Samuel Oppenheimer, dessen Urenkelin sie war, und sie wuchs in Hamburg auf, wo sie eine hervorragende Erziehung genossen hatte und über das zeitgenössische kulturelle Leben ausgezeichnet auf dem Laufenden gewesen war. In ihren recht romantischen Liebesbriefen an Moses, die, so ihr Wunsch, »vom Herzen in die Feder fließen« sollten, bewies Fromet, wie tief sie volkstümliche Werte und Gewohnheiten in eine beachtliche jüdische Bildung integriert hatte. Der Inhalt ihrer Briefe war vollkommen modern, obwohl sie auf Jiddisch schrieb und nicht auf Deutsch. Fromet Guggenheims Leben zeigt uns, dass Jüdinnen ihrer Generation weltliche Einstellungen zur Liebe und zum Leben zum Ausdruck brachten, ohne das Judentum, das sie von ihren Eltern geerbt hatten, infrage zu stellen.61
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Dieselbe Charakterstärke, die ihn vor der Versuchung schützte, bei Ephraims Münzunternehmen mitzumachen, erwies sich im Jahr 1769 als sehr nützlich, als Mendelssohn von einem Schweizer Theologen öffentlich zur Konversion aufgefordert wurde. Er hatte viel erreicht in den Sechzigerjahren des 18. Jahrhunderts. Die Krone hatte ihm einen privilegierten Rechtsstatus gewährt, Fromet und er hatten bereits zwei Kinder, er hatte für eine seiner Abhandlungen den Preis der »Königlichen Academie« gewonnen, und seine Arbeit als Buchhalter in Isaak Bernhards Seidenfabrik verschaffte ihm Einkommen und Status.62 Als Johann Caspar Lavater ihn öffentlich aufforderte zu konvertieren, stand Mendelssohn vor einer schwierigen Entscheidung, bei der das zerbrechliche Gleichgewicht, das er zwischen seiner religiösen und seiner weltlichen Identität zu erreichen suchte, auf eine harte Probe gestellt wurde.63 Mendelssohn hatte es stets widerstrebt, seine Verteidigung des Judentums auszusprechen, und er hatte es immer geschafft, seine Wut über verschiedene Kränkungen für sich zu behalten. So hatte zum Beispiel der bekannte Theologe und Orientalist Johann David Michaelis einen Angriff auf das Stück Die Juden von Mendelssohns Freund Lessing veröffentlicht. Die heldenhafte Figur in dem Stück basierte angeblich auf Aaron Meyer, dem Schwiegersohn Veitel Ephraims.64 Mendelssohn zog es vor, seine wahren Ansichten aus dem öffentlichen Diskurs herauszuhalten, aber in einem privaten Brief an einen Freund wetterte er gegen Michaelis’ Ansichten. »Welche Erniedrigung für unsere bedrengte Nation! Welche übertriebene Verachtung! … Allein von gelehrten Leuten erwartete ich jederzeit eine billigere Beurtheilung …«65 Aber Mendelssohns hochgesteckte Erwartungen waren vielleicht naiv, denn lutherische Theologen waren überzeugt davon, dass, falls Mendelssohn überredet werden könnte, dem Judentum den Rücken zu kehren, in Berlin eine »Massentaufe« stattfinden könnte. Sechs Jahre früher, im Jahr 1763, hatte der Theologe Lavater Mendelssohn zu Hause besucht, und die beiden hatten sich kollegial über zeitgenössische Literatur unterhalten. Lavater freute sich, als Kollegen in Berlin ihm erzählten, dass Mendelssohn möglicherweise im Begriff stehe zu konvertieren, und im Jahr 1769 fügte er in das Vorwort eines seiner Bücher einen Aufruf an Mendelssohn ein, entweder die christliche Glaubenslehre zu widerlegen oder dem Judentum abzuschwören. Mendelssohn war wütend, dass Lavater wirklich öffentlich von ihm verlangte, Rechenschaft über seine Treue zum Judentum abzulegen. Aber nachdem der Fehdehandschuh einmal hingeworfen worden war, fühlte er sich verpflichtet zu antworten. Er verbrachte viele Wochen damit, seine
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Erwiderung auszuarbeiten, deren Tenor lautete, dass das Judentum im Gegensatz zu Lavaters Version des Christentums eine Religion sei, die andere Bekenntnisse toleriere. Er erinnerte Lavater daran, wie schädlich das öffentliche religiöse Streitgespräch sei, und bat um Respekt für seine Entscheidung, Jude zu bleiben. Der Disput erregte mit der Zeit viel Aufmerksamkeit in Berlin und darüber hinaus. Ein Beobachter bemerkte, dass »das ganze feinere Publicum in Berlin, und nicht allein dis, sondern auch Leute, die sonst eben nicht viel nach den Händeln der Gelehrten und der Litteratur überhaupt fragen«66, über Lavaters Herausforderung und Mendelssohns Erwiderung sprächen. Allein mit der Kraft seiner Feder und seiner Erfahrungen gelang Mendelssohn eine starke Verteidigung des Judentums. Aber leider gewährte ihm die Geschichte keine echte Chance, Einrichtungen zu schaffen, die neue Möglichkeiten des Jüdischseins eröffnet hätten. Wir werden in diesem Buch die verwickelten Schicksale von Moses und Fromet und ihren sechs Kindern verfolgen. Trotz der elterlichen Bindung an das traditionelle Judentum lebte dieser Geist in den Lebensläufen von vieren ihrer Kinder, die am Ende Christen wurden, nicht fort. Es ist gut möglich, dass »das ganze feinere Publicum«, welches die Exemplare der Lavater-Mendelssohn-Traktate kaufte, auch einen populären Roman las, der in jenen Jahren in mehreren Auflagen erschien. Johann Balthasar Kölbeles fiktiver Bericht über eine jüdische Konvertitin mit dem Titel Die Begebenheiten der Jungfer Meyern, eines jüdischen Frauenzimmers, von ihr selbst beschrieben zeigt uns, wie ein verständnisloser christlicher Autor sich die Bekehrung einer vermögenden jungen Jüdin vorstellte. An anderer Stelle in seinen Werken vermerkte der Verfasser explizit, dass er sich Mendelssohn als den idealen Leser seines Romans vorstelle. Wir haben es in Kölbeles Roman mit einer fiktionalen Darstellung des Konversions-Dilemmas zu tun, das Lavater Mendelssohn aufzuzwingen versuchte. Aber im Gegensatz zu Mendelssohn, der sich der Konversion mit aller Macht widersetzte, bekennt sich Kölbeles Heldin, eine wohlerzogene junge Frau namens Ester Meyer, am Ende zum christlichen Glauben. Ester glaubt schließlich nicht mehr an das Judentum, weil sie es für einen Aberglauben hält, und sie wird Deistin. Sie erörtert diese Verlegenheiten mit ihrem Geliebten, einem jüdischen Arzt, der ihre Kritik am Judentum teilt und der sogar bereit ist zu konvertieren. Aber bevor er diesen Schritt tun kann, stirbt er. Nach seinem Tod liest Ester sein letztes Zeugnis, in dem er erläutert, warum er das Judentum am Ende gänzlich ablehnte. Auch sie ist schließlich von den Wahrheiten des Christentums überzeugt und beginnt sich innerlich als Christin zu sehen. Sie geht
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dann weg von zu Hause und streift bekümmert durch die Lande, während ihr eine Reihe von Widrigkeiten begegnet, darunter höfische Intrigen, Menschenraub und Fluchten. Sie konvertiert dann schließlich doch und ändert ihren Namen von Ester in Christiane.67 Nachdem sie sich der Entscheidung ihrer Tochter zunächst heftig widersetzt haben, konvertieren am Ende auch die Eltern. Aber von den Mitgliedern der tonangebenden Gesellschaft wird die nun christliche Familie dennoch zurückgewiesen. Ihr Leben scheint zu diesem Zeitpunkt aus ablehnenden Gesten gegenüber der eigenen Vergangenheit zu bestehen. Beispielsweise trennt sich Esters Vater von seinem Vermögen, von dem er mittlerweile meint, es auf unehrliche Weise erworben zu haben. Wir haben es hier mit einer scharfen Kritik an jüdischen Geschäftspraktiken zu tun, verbunden mit der unverhohlenen Unterstellung, dass die Juden selbst diese Praktiken für einen zwingenden Grund hielten, dem Judentum den Rücken zu kehren. Die Abstammungslinie der Familie Meyer scheint hier zu enden. Ester ist ein Einzelkind, dem der Autor jede Sinnlichkeit abspricht, weil es einzig die Liebe zu seinen Eltern kenne.68 Offenbar sah Kölbele in glaubensübergreifenden Liebesaffären weder die Ursache noch die Folge der Konversion. Es ist schwer vorstellbar, dass Kölbele dachte, Esters ergreifendes Schicksal würde sie zum Vorbild für jüdische Leserinnen machen, die ein Taufe erwogen, obwohl ihre Geschichte vieles enthält, das zurückblickt auf ausgetretene Pfade, die Juden auf dem Weg zum Christentum beschritten hatten. Ester kommt nicht durch eine romantische Verbindung mit einem christlichen Mann zum Christentum, sondern durch die Lektüre von Texten, die ihr jüdischer Geliebter schrieb. In ihrer Geschichte findet sich keine Spur einer Suche nach einem gesellschaftlichen Vorteil. Doch Kölbeles Roman blickt auf eine sehr radikale Weise voraus. Obwohl er behauptete, dass er hoffe, Mendelssohn werde durch den Roman beeinflusst, war der Jude, den Kölbele sich in seinem Roman ausdachte, tatsächlich weder ein junger Mann wie Philipp Heynemann noch ein bekannter Intellektueller mittleren Alters wie Mendelssohn. Vielmehr suchte Kölbele sich für seinen erfundenen Helden eine reiche junge Frau aus, deren Eltern ihr eine moderne Erziehung hatten angedeihen lassen. Wie vorausschauend er gewesen war, sich eine solche Konvertitin auszudenken, wird bald deutlich werden.
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»Unter Friedrich dem Zweiten zum Theil erzogen«, 1771–1786 Am 19. Mai 1771 gebar Chaie Levin ihr erstes Kind. Sie hatte mehrere Fehlgeburten erlitten, und weil das neugeborene Mädchen, das Rahel hieß, so schwach war, prophezeiten die Ärzte dem winzigen Geschöpf ein kurzes Leben. Man packte den Säugling in Watte und bewahrte ihn in einer kleinen Kiste auf.1 Entgegen allen Erwartungen überlebte die kleine Rahel, wenngleich ihre Gesundheit sich an vielen Punkten ihres Lebens als schwach erweisen sollte. Ein Jahr später wurde ihr Bruder Markus geboren, und ein zweiter Bruder, Lipmann, kam 1778 zur Welt. Eine Schwester, Rose, und ein dritter Bruder, Meyer, folgten. Rahels Vater war Markus Levin, ein wohlhabender Bankier und Schmuckhändler, der ein Vermögen gemacht hatte, als er während des Siebenjährigen Krieges neben Veitel Heine Ephraim und Daniel Itzig mit der Münzabwertung befasst gewesen war. Levin war ein Original. Er war nicht immer der gut betuchte Patriarch einer bürgerlichen Familie gewesen. Im jüdischen Berlin kursierte das Gerücht, dass er einst zu einer Bande jüdischer Diebe gehört habe und dass das Brandmal auf seinem Körper von dieser speziellen Vergangenheit zeuge.2 Aber er hatte seinen Weg gemacht, und am Ende des Krieges war ihm im Jahr 1763 das »Generalprivileg« gewährt worden, das ihm gestattete, sich mit seiner ganzen Familie unbehelligt in Berlin niederzulassen. Aufgrund dieser Vorteile genossen die fünf Geschwister in ihrem Zuhause an der Jägerstraße ein luxuriöses Leben. Rahels Bruder Markus erinnerte sie später, wie sie »Sonnabend Morgends in der Eckstube auf den Gobellins in den bloßen Strümpfen, bey gut eingeheitzter Stube, noch vor dem Aufstehen der Älteren Ballette tanzten«.3 Markus’ Erinnerung zeigt, dass die Familie Levin für gewöhnlich nicht die Sabbatgottesdienste besuchte. Chaie und ihr Mann Markus sprachen Deutsch, und sie stellten Hauslehrer ein, die ihren Kindern sowohl Deutsch als auch Französisch beibringen sollten. Auf einem zeitgenössischen Porträt trägt
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Markus Levin nicht einmal den Anflug eines Bartes.4 Aber vieles an ihrem Leben war durchaus traditionell. Für Verständigung im Alltag bediente sich die Familie des Jiddischen, und Chaie, Rahels Mutter, bedeckte ihr Haar mit einer Haube, was der traditionelle Brauch für verheiratete jüdische Frauen war. Ein weiteres Anzeichen für die sich verändernde Identität der Levins war, dass die Familie, noch bevor Rahel geboren wurde, anfing, mit Christen gesellschaftlich zu verkehren. Diese Beziehungen erwuchsen aus vielfachem ökonomischen Austausch. In den Sechzigerjahren des 18. Jahrhunderts, etwa um die Zeit, als er sein Generalprivileg erhielt, fing Levin an, Schauspielern und Adeligen, deren Ausgaben ihre Einkünfte überstiegen, Geld zu leihen. Und diese speziellen Kunden dehnten ihre Besuche allmählich auf das Heim der Levins aus, sie blieben für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten. So lernten Rahel und ihre Geschwister die Ausdrucksweisen und die Gepflogenheiten der »guten Gesellschaft« im Gesellschaftszimmer ihres eigenen Zuhauses. Als sie erwachsen wurde, litt Rahel unter der komplizierten emotionalen Dynamik ihrer Familie. Sie war der Liebling ihres Vaters, doch der war streng. Eine ihrer engen Freundinnen erinnerte sich, dass er »der geistreichste und witzigste Despot, den man sich denken kann, und eben deshalb der verletzendste« gewesen sei. »Denn in der Tat«, so diese Freundin, »war seine größte Lust die an der Unlust.«5 Ihre Mutter war seelisch labil, und das ärgerte die temperamentvolle Tochter. Dieser Punkt ist von großem Interesse, denn wir müssen untersuchen, ob schwache Mutterbindungen die Entscheidung für die Taufe leichter machten. Trotz all ihrer Entfremdungen floh Rahel den emotionalen Kreis ihrer engsten Familie nicht. Im Gegenteil, als junge Frau und auch in späteren Jahren blieb sie eine anhängliche Tochter und Schwester. Nachdem sie die Zwanzig überschritten hatten, öffneten Rahel und ihre jüdischen Freundinnen ihre Häuser einem bunten Kreis von Freunden, und ihre Salons wurden nach und nach zum Stadtgespräch in Berlin und darüber hinaus. Die Besucher der Salons hatten Glück in diesen Jahrzehnten, weil die Berliner in all den Jahren bis zum Jahr 1806 in Frieden und Wohlstand lebten, selbst als zahlreiche Städte und Fürstentümer überall in Westdeutschland unter französische Herrschaft gerieten. Im Jahr 1792, als in Frankreich die Republik ausgerufen wurde und seine europäischen Feldzüge begannen, waren Preußen und Österreich in ihrem Widerstand gegen die Franzosen noch vereint gewesen. Aber im Jahr 1795 schloss Preußen in Basel einen Se-
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paratfrieden mit Frankreich und hielt sich mehr als ein Jahrzehnt aus dem Konflikt heraus. Die Zeit des Friedens, die bis Oktober 1806 dauerte, war eine fruchtbare, schöpferische Epoche im deutschen Geistesleben. Schriftsteller, Maler, Dichter und ihre Freunde begründeten einen romantischen Lebensstil und eine romantische Kunst und Literatur. Nur wenige deutsche Intellektuelle machten sich während dieses Jahrzehnts politischer Neutralität Gedanken über Armeen, Staaten und nationale Schicksale. Sie blickten nach innen und schrieben über ihre Empfindungen und ihre Beziehungen. Beziehungen standen in der Tat hoch im Kurs bei den romantischen Intellektuellen, welche die »elegante Leidenschaft« einer »zuverlässigen Freundschaft« schätzten. Sie sehnten sich nach Vertrautheit, die sie als wichtige emotionale Ressource für kreative Arbeit betrachteten.6 Wenn sie ihre Geliebten und Freundinnen nach ihren emotionalen Vorlieben auswählten, konnte es geschehen, dass romantische Intellektuelle sich über gesellschaftliche Konventionen und den Willen ihrer Eltern hinwegsetzten. Daher waren die Abenteuer und die seelischen Qualen, welche die jüdischen Salondamen erlebten, sehr typisch für ihre Generation. Als Kind und junges Mädchen hatte Rahel Glück mit ihren Freundschaften. Zu ihren etwas älteren Freundinnen zählten Veitel Ephraims Enkelinnen Sara und Marianne Meyer, Daniel und Miriam Itzigs Töchter Sara, Fanny und Cäcilie, Moses und Fromet Mendelssohns Töchter Brendel und Recha sowie Henriette de Lemos. Zu ihren jüngeren Freundinnen gehörten Esther Gad, Mirjam Solomon, Amalie Malka Wulff, Fradchen Marcuse sowie Pessel und Hitzel Bernhard. Diese jungen Frauen erfreuten sich eines außerordentlichen Luxus, stellten jedoch fest, dass es entmutigend war, in Liebe und Arbeit Erfüllung zu suchen. Manchmal bescherten ihr Charisma, ihre Salons und ihre romantischen Schwärmereien ihnen Ruhm und traurige Berühmtheit, ohne sie wirklich glücklich zu machen. Ein äußeres Zeichen für die verwirrenden Veränderungen, die sie erlebten, ist die Häufigkeit, mit der so viele von ihnen ihre Namen änderten. Viele erhielten von ihren Eltern jiddische Namen, und einige nahmen bereits während sie noch zu Hause lebten oder im jungen Erwachsenenalter weniger jüdische Vornamen an. So wurde aus Brendel Dorothea, Pessel wurde zu Philippine, und Mirjam wurde Marianne.7 Wenn sie später jüdische Ehemänner heirateten, verloren sie ihre ursprünglichen Nachnamen. Und ziemlich viele wurden später Lutheranerinnen, ließen sich scheiden, heirateten wieder und änderten ihre Nachnamen noch einmal.8
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Bei mehreren der Mädchen aus Rahels Freundinnenkreis führte die Lektüre fortschrittlicher Romane zu Konflikten mit ihren Familien. Sara Meyer verliebte sich 1776, als sie 13 Jahre alt war, in einen jungen Mann, wahrscheinlich einen Christen.9 Ihr Geliebter schickte ihr ein Exemplar von Johann Wolfgang von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther, der zwei Jahre zuvor erschienen und bei der Jugend in ganz Deutschland ungeheuer populär war.10 Saras Hauslehrer zu der Zeit war Moses Mendelssohn, eine Verbindung, die zweifellos über ihren Großvater, Veitel Ephraim, zustande gekommen war. In einem späteren Brief an Goethe selbst erinnerte sich Sara: »Mendelssohn, der mein Mentor war, erschien und machte mir bittre Vorwürfe, ob ich Gott und Religion vergessen könnte und was der Alfanserei mehr war.«11 Und dann habe er den Band aus dem Fenster geworfen. Sara hatte ihrem Verehrer unterdessen mit einem leidenschaftlichen Brief geantwortet. Aber der Brief erreichte ihn nie, weil ihr Vater ihn abfing. Sie erhielt Stubenarrest und wurde krank vor Verzweiflung. Mendelssohns Freund, der bekannte Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing, der auch mit Sara Meyers Eltern befreundet war, kritisierte Mendelssohns Handlungsweise und brachte der aufgewühlten Sara ein anderes Exemplar des Romans. Aber man erlaubte ihr nicht, ihren Verehrer jemals wiederzusehen. Zwei Jahre später »wurde Sara Meyer in der Folge ›zu 15 Jahre durch Moses Gewalt und der Mutter Zwang an einen Elenden verheiratet, der meine Existenz 10 Jahre lang zu Höllenqual machte‹«, wie sie später gegenüber Goethe klagte.12 Obwohl sie so vieles gemeinsam hatten, oder gerade deswegen, respektierten die jungen Frauen in Rahels Kreisen einander nicht immer. Henriette de Lemos, später Herz, die als Kind eine Freundin von Sara Meyer gewesen war, schrieb in ihren Erinnerungen: »[Sara] war eine hübsche Frau, es hat dümmere gegeben, als sie war, aber, Gott verzeihe mir […], unter all ihren Eigenschaften stand die Narrheit obenan.«13 Henriette mag sich Sara überlegen gefühlt haben, aber sie selbst wurde wiederum von Rahel Levin von oben herab angesehen. Rahel klagte in Briefen, dass Henriette steif und unnatürlich sei. Einmal meinte sie, »Mad. Herz lebt geputzt; ohne zu wissen, dass man sich ausziehen kann, und wie einem dann ist«. Und noch vernichtender war ihre Schlussfolgerung, »wie ›kronendumm‹ und beinahe krankhaft stupid die Herz doch sei«.14 Interessant ist, dass sie oft um den Intellekt konkurrierten statt um Schönheit und Männer. Henriette de Lemos hatte Glück mit ihrem Aussehen, ihrer Familie und ihrer Sprachbegabung.15 Doch wenn wir ihrer Lebensgeschichte folgen, wer-
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den wir sehen, dass sie beträchtlich litt, als es um Liebe, bleibende Freundschaften, Familie und Gemeinschaft ging. Ihr Vater war ein Arzt portugiesischer Abstammung. Als ältestes Kind aus seiner zweiten Ehe wurde sie von ihm abgöttisch geliebt, obwohl sie sich von ihrer Mutter zurückgewiesen fühlte. Weil sie ungewöhnlich hübsch, aufgeweckt und reizend war, wurde sie als kleines Kind oft Prinzen und Prinzessinnen aus der Herrscherfamilie vorgeführt, die Lust hatten, bei einer jüdischen Hochzeit zuzusehen oder in eine Sukka einzutreten. Dies war die althergebrachte Laubhütte im Freien, in der traditionelle Juden das Laubhüttenfest feiern das an die Zeit in der Wüste erinnerte und zugleich ein herbstliches Erntedankfest war. Als sie 13 Jahre alt war, erkundigten sich Henriettes Eltern, ob sie lieber einen Rabbiner oder einen Arzt heiraten würde. Sie wählte den Arzt, und zwei Jahre später, 1779, wurde sie mit Marcus Herz vermählt, der doppelt so alt war wie sie. Er war als Mordechai ben Hirz Levi in eine arme Familie von ThoraSchreibern hineingeboren worden, und als kleiner Junge lernte er, ebenso wie Mendelssohn, an Veitel Heine Ephraims Jeschiwa. Später studierte er an der Universität von Halle Medizin und an der Universität von Königsberg Philosophie bei Immanuel Kant. Als Henriette ihn heiratete, arbeitete Marcus als Arzt im örtlichen jüdischen Krankenhaus, dessen Direktor ihr Vater war. Marcus war bereits ein begeisterter Mitstreiter Mendelssohns und widmete sich verschiedenen Projekten zur Reform des Judentums.16 Die Eheschließung zwischen Henriette und Marcus folgte einem bei jüdischen Arztfamilien geläufigen Muster, untereinander zu heiraten.17 Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass die Heirat eine glückliche Partie war. Gerüchte zu jener Zeit deuteten an, dass sie kein leidenschaftliches Liebesleben hatten, und leider waren sie nicht mit Kindern gesegnet. Henriette war in eine reiche und kultivierte sephardische Familie hineingeboren worden, und Marcus hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet. Anscheinend schämte sie sich für seinen Mangel an geschliffenen Manieren. Dennoch erwies sich die Beziehung für sie zumindest in intellektueller und gesellschaftlicher Hinsicht als fruchtbar. Von 1784 an richteten sie 19 Jahre lang, bis zu Marcus’ Tod im Jahr 1803, ihren berühmten Doppelsalon aus. In dem einen Zimmer hielt er Vorträge über die neuesten Entwicklungen in der Naturwissenschaft, und in dem anderen debattierte Henriettes Kreis über die neuen Romane und Gedichte. Mit dieser charmanten intellektuellen Arbeitsteilung repräsentierten Henriette und Marcus in ihrem eigenen Heim zwei konkurrierende Weltbilder, einen Kon-
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flikt zwischen Rationalismus und subjektiven Empfindungen, der in jenen Jahren Zeitgenossen in ganz Deutschland bewegte. Eine weitere enge Freundin Rahels war Brendel Mendelssohn, das erstgeborene Kind von Moses und Fromet Mendelssohn, deren Kosename in der Kindheit Beniken war und die sich später Dorothea nannte.18 Am Ende sollten vier der sechs Mendelssohn-Kinder dem Judentum den Rücken kehren, zwei der Söhne, um Protestanten zu werden, und zwei der Töchter, um zum katholischen Glauben überzutreten. Henriette Herz mutmaßte, dass die Kinder ohne den rechten Glauben aufwuchsen: »Da, wo das religiöse Element in den Kindern hätte wohnen können, blieb nun eine Leere«, die sie den deistischen christlichen Freunden ihres Vaters zuschrieb. Ihrer Ansicht nach litten die Mendelssohn-Kinder, weil die berühmten Freunde ihres Vaters offen die beunruhigende Vorstellung äußerten, dass Mendelssohn es mit der Einhaltung der religiösen Rituale eigentlich nicht ernst meine.19 Wie ihre Freundinnen Rahel und Henriette war auch Dorothea das älteste ihrer Geschwister; ihr Vater hielt sie für »klug«, während sie ziemlich viel an ihrer Mutter auszusetzen hatte.20 Der Mann, den ihre Eltern ihr als Ehemann aussuchten, war Simon Veit, und die beiden heirateten 1783, als Dorothea 18 Jahre alt war. Aus Sicht beider Familien war das eine gute Partie. Veit stammte aus einer wohlhabenden Berliner Familie. Auf deren Seite wurde der bescheidene Umfang von Dorotheas Mitgift durch das ungeheure Ansehen ihres Vaters ausgeglichen.21 In einem auf der Hochzeit verlesenen blumigen Gedicht auf Hebräisch wurde Dorothea beschrieben als »die heiß geliebte und reizende junge Dame, die aufgeklärte Brendel, Tochter des berühmten Gelehrten, die sich für wohltätige Zwecke engagiert und Gefälligkeiten erweist«.22 Mendelssohn sollte drei Jahre später in der Überzeugung sterben, dass sie mit Simon glücklich verheiratet war. Dass so viele junge Frauen aus Rahels Freundschaftskreis letztendlich konvertierten, wird häufig damit erklärt, dass den jüdischen Mädchen aus dieser Generation eine strenge religiöse Erziehung gefehlt habe.23 Natürlich machten die von Mendelssohn inspirierten reformerischen Intellektuellen sich große Sorgen um die jüdische Erziehung. Aber ihre Anstrengungen schlossen nur selten Mädchen mit ein, wie uns ein Blick auf die »Jüdische Freischule« lehrt, die im Jahr 1788 ihre Pforten öffnete, als Rahel Levin gerade sieben Jahre alt war. Weil es das Ziel der Schule war, jungen Juden weltliche Sprachen und Fertigkeiten zu vermitteln, mochten Familien wie die von Rahel sie durchaus attraktiv gefunden haben. Doch die Freischule hätte das Leben Rahels und ihrer Freundinnen niemals ändern können, denn sie war
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für arme Jungen, christliche wie jüdische, gedacht. Reiche Familien engagierten Hauslehrer für ihre Kinder, meist für die Söhne, manchmal aber auch für die Töchter. Eine Anstellung als Hauslehrer war für ehrgeizige, aber arme Intellektuelle, Juden und Christen gleichermaßen, in der Tat ein klassischer Weg, um in den Jugend- und frühen Erwachsenenjahren ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die reichen Jungen hatten ihre Hauslehrer, und die armen hatten die Freischule. Die Gründer der neuen Schule waren David Friedländer und sein Schwager Isaak Daniel Itzig. David war der Sohn einer gut situierten Bankiersfamilie aus Königsberg. Er war im Jahr 1771 nach Berlin gekommen, in die Firma von Daniel Itzig eingetreten und eröffnete später eine eigene Seidenfabrik.24 Isaak war eines von 13 Kindern des Münzmillionärs Daniel Itzig. Die neue Schule von Friedländer und Itzig begnügte sich drei Jahre lang mit gemieteten Räumlichkeiten, und erst 1781 erhielt die Freischule die Genehmigung zum Erwerb eines Gebäudes. Später wurden dann in demselben Gebäude eine Buchhandlung und eine hebräische Druckerei eröffnet. Christen waren als Lehrer und Schüler willkommen, obwohl die meisten Beteiligten Juden waren.25 Als sie im Jahr 1781 im eigenen Gebäude den Lehrbetrieb aufnahm, war die Freischule eine höchst fortschrittliche Institution in Deutschland und sogar darüber hinaus. Genau aus diesem Grund wurde sie näheren Orts und weiter entfernt von manchen angegriffen und von anderen nachgeahmt. Als die Jahre vergingen und die Reformer weitere Schulen gründeten, mehr Zeitschriften und Gebetbücher herausbrachten und neue Hauslehrer und Schulmeister ausbildeten, entwickelte sich Berlin zum pulsierenden Zentrum der jüdischen Aufklärung. Ein wichtiges Projekt war Mendelssohns Übersetzung des Pentateuch, der fünf Bücher Mose, aus dem Hebräischen ins Deutsche, die zwischen 1780 und 1783 erschien. Diese Bibel mit dem hebräischen Text und der deutschen Übersetzung sowie einem Kommentar von Mendelssohn war eine perfekte Brücke zwischen der alten und der neuen Sprache, denn sie war in deutscher Sprache geschrieben, aber mit hebräischen Lettern gedruckt. Junge Talmudschüler in Deutschland und jenseits seiner Grenzen sollten dieses Werk der jüdischen Aufklärung jahrzehntelang benutzen, um die deutsche Sprache zu erlernen. Weil Berlin in der jüdischen Aufklärung eine so große Rolle spielte, sprach man in Osteuropa bis weit ins 19. Jahrhundert hinein von den Reformern als den Berlinshikes.26 Traditionelle Rabbiner klagten über die weltliche Pädagogik der Freischule, waren aber sicher nicht traurig, dass junge Frauen dort nicht lernen durften. Jahre
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später nahmen die Reformer die vielen jungen Frauen, die sich für die Konversion entschieden, dann doch zur Kenntnis und fingen an, ihrer jüdischen Erziehung Aufmerksamkeit zu schenken. Aber ihre Anstrengungen waren oft zu halbherzig und kamen zu spät. Das Judentum verlor die Loyalität von Mädchen aus den wohlhabenden Schichten, die nun immer stärker dagegen aufbegehrten, wie sie von ihren Eltern unter die Haube gebracht wurden. Nur acht Jahre nach der Eröffnung der Schule erlitten Berlins Reformer einen entscheidenden Schlag, als im Januar 1786 Moses Mendelssohn starb. Die Umstände seines Todes im Alter von 57 Jahren wurden damals viel diskutiert. Mendelssohn war gesundheitlich immer anfällig gewesen, hatte aber an keiner offenkundigen Langzeitkrankheit gelitten. In jenem Winter ging er völlig in der Fertigstellung eines schmalen Bändchens mit dem Titel An die Freunde Lessings auf, das er verfasstte, um seinen guten Freund zu verteidigen, der vier Jahre zuvor gestorben war.27 Mendelssohn schrieb das Buch, weil Friedrich Heinrich Jacobi Lessing als Pantheisten und Anhänger Spinozas angegriffen hatte, Beschuldigungen, die im 18. Jahrhundert als radikal und schädlich galten. Mendelssohn war gewillt, den Deismus zu verteidigen – den Glauben, dass Gott die ursprüngliche Kraft sei, die das Universum erschuf –, aber nicht den Pantheismus, den Glauben, dass Gott mit der Natur gleichgesetzt werden könne, und er war nicht gewillt, Lessings Ruf durch eine von ihm als falsch angesehene Behauptung besudeln zu lassen. Mendelssohn verlangte sich bei der Fertigstellung des Manuskripts geistig und körperlich alles ab und beendete den Text schließlich am allerletzten Tag des Jahres 1785. Wie alle erschöpften Autoren wollte er das Manuskript verständlicherweise unbedingt von seinem Schreibtisch haben und es dem Drucker abliefern. Weil er es eilig hatte, rief er keine Kutsche und stürzte gegen Fromets Rat ohne Überzieher nach draußen. Drei Tage danach wurde er krank, und am 4. Januar starb er. Sein Freund Marcus Herz hatte ihn in seinen letzten Stunden behandelt, und kurz nachdem der Tod eingetreten war, veröffentlichte er seinen ärztlichen Bericht. Mendelssohn sei eines natürlichen, wenn auch, wie Herz meinte, in dieser Form sehr seltenen Todes gestorben. Er habe einen Schlaganfall aus Schwäche erlitten. Als sei eine Lampe mangels Öl erloschen. Angesichts seiner Konstitution habe nur ein Mann von seiner Klugheit, Selbstbeherrschung, Mäßigung und Seelenruhe die Flamme 57 Jahre am Brennen halten können, so Herz.28 Einige Historiker haben Mendelssohn, ob zu Recht oder Unrecht, Vorwürfe gemacht, weil er das Judentum nicht so reformierte, dass die Konversionswelle, die in seinen letzten Lebensjahren bereits im Gange war, verhin-
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dert worden wäre.29 Natürlich hat die Konversion von vieren seiner sechs Kinder Beobachter darin bestärkt, mit dem Finger auf Mendelssohn zu zeigen. Aber wir sollten uns hüten, einem Einzelnen die Schuld an dem Unmut zu geben, den die besten und gescheitesten Juden Berlins in jenen Jahren empfanden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die jüdische Aufklärung zum Zeitpunkt von Mendelssohns Tod im Jahr 1786 in Berlin noch in Blüte stand. Dieses umfangreiche Reformvorhaben innerhalb des Judentums hieß »Haskala« – Bildung, Erziehung, Aufklärung. Der Trend hin zu radikaler Assimilation war noch ziemlich schwach, zumindest gemessen an den Statistiken der »Fremdstämmigenkartei«. In den späten Achtziger- und Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts lag die Berliner Konversionsrate noch weit unter zehn Taufen pro Jahr. Erstmals begannen mehr Frauen als Männer zu konvertieren. Eine bedeutsamere Veränderung war vielleicht die soziale Zusammensetzung der Konvertiten. In den Siebzigern, dem Jahrzehnt, in dem Rahel geboren wurde, kam nur ein Viertel der Konvertiten Berlins privilegiert zur Welt. Aber zehn Jahre später war fast die Hälfte der Konvertiten wohlhabend. Das Jahr, in dem Mendelssohn so vorzeitig von der historischen Bühne abtrat, wurde zu einem Wendepunkt in der preußischen Geschichte, denn ebenfalls im Jahr 1786 starb König Friedrich der Große. Der König hätte die Symmetrie gewiss nicht schmeichelhaft gefunden, Mendelssohn hingegen vielleicht doch. Es sollte uns nicht überraschen zu erfahren, dass Mendelssohns Predigten und andere Hommagen an Preußen von König Friedrich ganz und gar nicht erwidert wurden. Der skandalöseste Vorfall betraf Mendelssohns Wahl in die angesehene Königliche Akademie der Wissenschaften im Jahr 1771. Mendelssohn hatte 1763 die Preisaufgabe der Akademie, die Bearbeitung eines philosophischen Themas, mit einem Aufsatz »Über die Evidenz« gewonnen, während Immanuel Kants Essay den zweiten Platz errang,. Als die Mitglieder der Akademie ihn acht Jahre später zur Aufnahme als ordentliches Mitglied vorschlugen, legte König Friedrich sein Veto gegen Mendelssohns Ernennung ein, indem er den Vorschlag einfach ignorierte. Die feigen Akademie-Mitglieder verlangten niemals auch nur eine Klarstellung.30 Leider befand sich König Friedrichs schäbige Demütigung Mendelssohns in Sachen Akademie-Mitgliedschaft völlig im Einklang mit seiner oftmals jämmerlichen Politik gegenüber Juden.31 Im Prinzip hätte man von Friedrich erwarten können, dass er den Juden half. Schließlich sympathisierte er mit den hugenottischen Einwanderern und den Katholiken. Und wir wis-
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sen, wie erpicht er darauf war, dass jüdische Finanziers Münzen prägten, Firmen zur Herstellung von Luxusartikeln gründeten und seine Armee belieferten. Aber in der Praxis war Friedrichs Herrschaft hart für die Juden. Für alle außer den führenden Familien blieb es schwierig, ihre erwachsenen Kinder in Berlin unterzubringen, und während seiner Herrschaft wurde die Gemeinde in eine immer strengere Hierarchie von Rechten und Reichtum unterteilt. Es sollte uns nicht überraschen, festzustellen, dass die jüdischen und die deutschen Ansichten über den König auseinandergingen. Historiker neigen bis heute dazu, König Friedrich zu bewundern, der immerhin ein schlauer und fleißiger Monarch war. Friedrich finanzierte Musik, Ballet, Oper, Philosophie und schöne Bauwerke und erfreute sich daran. Und außerdem verstärkte er eine bereits unverzichtbare Armee und setzte sie aggressiv ein, um Preußens Stellung in Mitteleuropa und darüber hinaus zu fördern. Allerdings teilten die gewöhnlichen Preußen nicht immer die hohe Meinung der Nachwelt über Friedrich. In Berichten über die Stimmung bei seinem Begräbnis heißt es, seine Untertanen seien »betäubt« gewesen, »ohne Trauer zu zeigen«.32 Viele fanden an Friedrich anscheinend wenig Bewundernswertes und machten sich mehr Gedanken über die offenen Kloaken, die schlammigen Straßen voller Schlaglöcher und den durchdringenden Gestank nach tierischen Exkrementen selbst vor dem königlichen Palast als über Ballet und Philosophie. Rahel hingegen war begeistert davon, wie König Friedrich ihr eigenes Leben beeinflusst hatte. Im Dezember 1808, 22 Jahre nach seinem Tod, schrieb sie: »O! Ich habe nie gewusst, dass ich mein Land so liebe! […] Ich sprach laut in heftigstem Schluchzen zu meines Freundes Büste. Ja, ich bin von meinem Lande genährt und erzogen; und denke, und bin doch modifiziert über alles, wie die besten darin: dies wäre mir in jedem Lande geschehen: aber ich habe ja in meinem gelebt; sehen, und denken, und Antheil nehmen lernen: und wahrlich, ein jeder war hier geschützt; und das fühlte ich immer. Vielleicht kannst Du doch nicht fühlen, was das heißt – für einen Berliner, unter Friedrich dem Zweiten zum Theil erzogen.«33
Als sie im Jahr 1814 ihren Namen änderte, wählte sie zu Ehren des Königs Frederike als zweiten Vornamen. Ihr Ehemann, Karl August Varnhagen, teilte diese Ansicht. Beispielsweise erinnerte er sich an einer Stelle in seinen Memoiren an Rahels Freundin Fanny von Arnstein, eine Tochter von Daniel und Miriam Itzig, die in Berlin aufgewachsen war, bevor sie sich in Wien niederließ. Für Varnhagen waren Fanny von Arnsteins »Geistesfreiheit und
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Bildung« während ihrer Mädchenzeit in Berlin »unter den segensreichen Einflüssen der Regierung Friedrich des Großen gediehen[e]«.34 Rahels Dankbarkeit gegenüber dem König scheint verblüffend. Sie ist nur verständlich, wenn man bedenkt, dass sie in ihrem Salon beträchtlichen gesellschaftlichen Ruhm genoss und sich wenig um ihre Stellung als Bürgerin zweiter Klasse kümmerte.35 Aber für uns muss die Stimme von Rahel Levin schwerer wiegen als die Stimmen der Historiker. Rahels bewundernde Sicht auf König Friedrich lehrt uns, dass sich in jenen Jahren eine wohlhabende jüdische Frau on ihrere Position gestärkt fühlen konnte, obwohl sie und ihre Familie und Freunde keine wirklichen Rechte hatten. Wenn jemand genug Geld und einen illustren Kreis von Freunden besaß, war das Fehlen bürgerlicher Gleichheit anscheinend nicht so entscheidend, wie wir meinen könnten.
Der Herbst des Ancien Régime, 1787–1806 Nach Friedrichs Tod verfielen die Institutionen, die er geschätzt und gefördert hatte, stark. Seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. fehlte die asketische Hingabe der beiden vorhergehenden Hohenzollern-Herrscher, und er verbrachte seine Zeit lieber mit seinen Mätressen, mit seinen obskuren mystischen Kulten und auf Bällen, als um fünf Uhr morgens aufzustehen, um die Truppen zu inspizieren oder Flöte zu spielen. Aber als es um die Judenpolitik ging, gab es einige bescheidene Verbesserungen. Zehn weitere Großfamilien erhielten das Recht, sich dauerhaft in Berlin niederzulassen, der »Judenleibzoll« wurde ebenso abgeschafft wie die Zwangsabnahme von »Judenporzellan«. Bislang waren Juden gezwungen gewesen, bei Einholung behördlicher Genehmigungen jedweder Art Porzellan von der Königlichen Manufaktur zu übernehmen und nach Möglichkeit ins Ausland zu verkaufen. Der König setzte sogar eine Kommission zur Auslotung einer jüdischen Reform ein. Aber die Kommission erreichte nicht viel. Das Hauptproblem war, dass der König und seine Berater prinzipiell gegen die Emanzipation der Juden waren. Doch selbst die Vorstände der Gemeinde hatten Schwierigkeiten, Grundsätze zu formulieren, weil die Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen Aufklärern und Traditionalisten immer größer wurde. Rahel und ihre Freundinnen wurden während des schöpferischen Jahrzehnts von 1790 bis 1800 erwachsen. In Salons, Vereinen und Lesegesell-
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schaften, auf Promenadenspaziergängen und bei Picknicks und Abendgesellschaften schlossen sie Freundschaft mit hervorragenden christlichen Intellektuellen, von denen einige die Söhne hochadeliger Familien waren. Ihre Zukunft war offen in diesen Jahren. Möglich, dass sie sich zu der Zeit ein Leben innerhalb des Wirkungskreises ihrer Familie vorstellten, aber im Laufe der Jahre fingen viele von ihnen ein neues Leben an, das weit von der Sprache, den Werten und den Gewohnheiten ihrer Eltern entfernt war. Weil der neue König in den Napoleonischen Kriegen die Neutralitätspolitik fortsetzte, blieb Preußen von den Wirren des Krieges verschont, sodass Intellektuelle die Politik ignorieren und einen ihrem romantischen Kredo entsprechenden Lebensstil kreieren konnten. Auch in der jüdischen Welt wurde der Politik oftmals keine Beachtung geschenkt, der Fortschritt in Richtung Emanzipation kam zum Erliegen, und viele, die über Reichtum und Einfluss verfügten, wendeten sich von den Angelegenheiten der größeren Gemeinde ab und konzentrierten sich auf individuelle Fluchten aus der alten Lebensweise. Friedrich Wilhelm II. setzte seine Politik der Belohnung der Reichsten mit Privilegien fort. Die Familie mit der größten Zahl an Privilegien waren die Itzigs. Im Jahr 1791 erhielten Daniel und Miriam Itzig sowie ihre 13 Kinder ein »Naturalisationspatent«. Damit änderten sich ihre Gegenwart und Zukunft auf einen Schlag vollkommen. Allen männlichen Nachkommen der Familie wurde die erbliche Einbürgerung gewährt, und die Töchter und Schwiegersöhne erhielten für drei Generationen die Einbürgerung. Die Familie Itzig unterstand nun staatlichem Recht und nicht mehr jüdischem Gesetz und durfte sogar Land erwerben. Daniel Itzigs Tochter Margaret und ihr Mann David Friedländer suchten indes vergeblich ihr eigenes Naturalisationspatent zu erhalten. Dass sie sich partout um diese Befreiung von der allgemeinen Stellung bemühten, zeigt, wie tief verankert es war, sich wegen einer Vorzugsbehandlung an den Staat zu wenden statt für eine Veränderung der Stellung aller Juden zu kämpfen. Aber weder Reichtum noch Sonderprivilegien konnten gesellschaftliche Akzeptanz in christlichen Kreisen garantieren, und die Anzahl junger Juden, die einen freieren gesellschaftlichen Raum suchten, wuchs von Jahr zu Jahr. Wir können ihre missliche Lage aus der Nähe betrachten, wenn wir einen der neuen Vereine aufsuchen, die »Gesellschaft der Freunde«, die 1792 gegründet wurde. Es waren »Freidenker«, die von der Neugründung angelockt wurden, und sie klagten darüber, dass ihnen der Zutritt zu christlichen Vereinen verwehrt werde. In den neuen Verein kamen sie aus Verbitterung darüber, dass man ihnen an öffentlichen Orten mit Abscheu begegnete.36 Die
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»Gesellschaft der Freunde« traf sich mittwochs nachmittags von drei bis acht zu Tee und Kaffee, zum Rauchen und Unterhalten. Im Winter mietete die Gruppe Räume für ihre Treffen an, und im Sommer trafen sich ihre einhundert Mitglieder in einem gemieteten Garten. Der Verein stand unverheirateten Männern jüdischer Herkunft offen. Warum diese beiden Einschränkungen? Bei ihrer Gründung stimmte die Gesellschaft dafür, jedes Mitglied auszuschließen, das Christ wurde. Aber nach fünf Jahren beschloss man, diese Bestimmung zu ändern, und von 1797 an durften Konvertiten Mitglieder bleiben. Der Verein stellte jetzt einen sozialen Raum zur Verfügung, wo Juden und ehemalige Juden Freunde bleiben konnten. Wenn getaufte Juden mit ihren noch-jüdischen Freunden weiter auf vertrautem Fuß stehen konnten, war ein wichtiges Hindernis für die Konversion beseitigt. Wir sind Zeuge der schmerzlichen Isolation geworden, die viele Konvertiten während der vorangegangenen Jahrhunderte erlebt hatten. Dass konvertierte Männer unbedingt der Gesellschaft beitreten wollten, zeigt, dass selbst die schicksalhafte Wahl der Taufe nicht ausreichte, um echte soziale Integration zu erreichen. Vielleicht hätten die konvertierten Männer, die der Gesellschaft beitraten, auf ihre noch-jüdischen Freunde verzichtet, wären sie an öffentlichen Orten nicht auf Abscheu gestoßen und hätte man ihnen nicht den Zutritt zu christlichen Vereinen verwehrt. Ambitionen und Enttäuschungen führten auf jeden Fall dazu, dass Freundschaften unter den jungen, unverheirateten Männern, die von der Gesellschaft angelockt wurden, auf eine harte Probe gestellt wurden. Die Beschränkung auf unverheiratete Männer war eine Möglichkeit, die Superreichen fernzuhalten, die gewöhnlich früher heirateten als jene mit bescheideneren Mitteln. Die von der Aufklärungsbewegung angelockten jungen Männer waren oft unverheiratet, Söhne ärmerer Familien und arbeiteten als Hauslehrer oder Buchhalter für die Veitel Ephraims dieser Welt. Sie wollten ihre Freizeit nicht mit ihren Arbeitgebern verbringen. Mit den Worten eines der Gründer der Gesellschaft »stand [zwar] zu erwarten, daß nur der gebildetere, von religiösen Vorurtheilen freie Theil der Berliner Hausväter den Eintritt verlangen würde; aber einmal waren diese fast durchgehend die Reicheren, voller Stolz auf ihren Reichthum und ihr Ansehn […]; und zweitens stand eine große Anzahl der jüngeren Personen, und so auch derer, die gleich Anfangs sich für die Gesellschaft interessirten, im Privatleben nur in einem untergeordneten Verhältnisse zu jenen Männern […], weshalb sie eine Geldaristokratie, bei den damals herrschenden Gesinnungen in der Gesellschaft, doppelt zu fürchten hatten.«37
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Man beachte, wie offen sie den Begriff Aristokratie übernahmen, wenn sie von ihrer eigenen jüdischen Elite sprachen. Anders als die ernsthaften Männer, die ihre Abende auf den von der »Gesellschaft der Freunde« veranstalteten Teezusammenkünften im Garten verbrachten, verkehrte die Handvoll Juden, welche die Salons frequentierten, mit den wahrhaft Prominenten. Aus der Ferne betrachtet, scheinen die Salons ein Anzeichen zu sein, dass der Judenhass im Schwinden begriffen war. Auch wenn die Teilnehmerzahl begrenzt war, war die symbolische öffentliche Bedeutung gewaltig, wenn berühmte und gut situierte Berliner regelmäßig in ungezwungenem Rahmen jüdische Häuser besuchten. Allerdings können wir vielen Quellen entnehmen, dass die brisante soziale Mischung der Salongesellschaft zu verletzten Gefühlen, Wut, Beschämung und Selbsttäuschung auf jüdischer Seite und zu Arroganz, Herablassung und manchmal unverhohlenem Antisemitismus auf christlicher Seite führte. Denn es gab klare Beschränkungen, wie viele und welche Juden in den Salons Erfolg haben durften. Und schließlich war es eine Sache, einen Besuch im faszinierenden und sozial untergeordneten Territorium der jüdischen Salons zu genießen, aber etwas vollkommen anderes, die Gastgeberin eines jüdischen Salons zu heiraten. Gerade die große Distanz zwischen gesellschaftlichem Besuch und Misch ehen war das Thema mancher Diskussion unter vornehmen Salongästen. Der Briefwechsel zwischen zwei Freunden Rahels, Carl Gustav von Brinckmann und Friedrich Gentz, ist in diesem Zusammenhang besonderes erhellend.38 Eines der wiederkehrenden Themen betraf Rahel Levins Affäre mit Karl von Finckenstein, die 1795 begann, als Rahel 24 Jahre alt war. Dass sie sich überhaupt ausgerechnet in einen christlichen Adeligen verliebte, war nicht überraschend, denn wir wissen, dass ihre Familie nicht sehr fromm war und gesellschaftlichen Umgang mit Christen pflegte. Diese Tendenzen hatten sich während der Jugendjahre Rahels fortgesetzt und verstärkt. Um einen Eindruck von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem traditionellen Judentum zu bekommen, reicht es, ihrem verärgerten Tonfall im Jahr 1794 zu lauschen, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und einem männlichen Reisegefährten zu Besuch bei Cousinen in Breslau weilte, die noch sehr fromm waren. Es sei schon schlimm genug, berichtete sie ihrem Bruder Markus, dass ihre Tante und ihr Onkel, die selber wohlhabend und gebildet seien, in einer lauten Gasse in der Nähe »unzählige[r] Hüner und Gänse und Puten und Enten« wohnten. Noch schlimmer aber sei die Synagoge nebenan, die ihr Onkel erbaut habe. An einem Morgen während ihres
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Aufenthalts, klagte sie, sei sie unsanft geweckt worden, weil »die Böhmen alle Morgen in Mistischer Sprache die sie Heilige nenen ihm bis in sein Wolkenpalais hinein schreien«, dass sie glaubte, es handele sich bloß um einen lauten Streit.39 Offenbar nahm sie aber doch am gemeinsamen Gebet teil, wie aus demselben Brief hervorgeht: »… wärend den Benschen [Tischgebet] ward ich aber bald ohnmächtig aus flöh schmerz (den 12 hatte ich unterwegs schon weggefangen) Ermüdung Langeweile traurigkeit und Schrek.«40 Mit 23 scheute Rahel sich nicht, ihre Überlegenheit gegenüber dem traditionellen Judentum zu äußern, aber damals war überhaupt noch nicht klar, wohin diese Entfremdung führen würde. Als sie ein Jahr später Karl von Finckenstein kennenlernte, war Rahel in dem Kreis enger Freundinnen eine der wenigen, die noch unverheiratet waren. Aus Gründen, die für uns ein wenig im Dunkeln liegen, hatte ihre Familie nie darauf bestanden, dass sie einen der jüdischen Finanziers oder Ärzte heiratete, welche die Eltern der meisten ihrer Freundinnen für ihre Töchter auswählten, wenn diese noch im jugendlichen Alter waren.41 Henriette Herz heiratete mit 15 und Dorothea Mendelssohn mit 18. Mit Armut können wir nicht erklären, dass Rahel keinen jüdischen Mann heiratete, da ihre Mitgift 20.000 Taler betrug, eine recht bescheidene Summe in ihren Kreisen, aber nicht so niedrig, als dass sie einer jüdischen Heirat im Wege gestanden hätte.42 Rahel und Karl wurden einander im Winter 1795 bei einer Vorstellung der Staatsoper Unter den Linden vorgestellt.43 Er war etwas jünger als sie, musikalisch, launisch, ein ziemlich gut aussehender Blondschopf. Vier Jahre lang betrachtete sie sich als mit ihm verlobt. Karl von Finckenstein stammte aus einem alteingesessenen Adelsgeschlecht mit einem großzügigen Gut außerhalb Berlins, und er verschwand oft aus der Stadt, um dort monatelang bei seiner Familie zu weilen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen diesem sicheren, wenn auch langweiligen Lebensstil auf der einen und Rahels intellektuellen Schwärmereien und ihrem ironischen Zynismus gegenüber gesellschaftlichen Normen auf der anderen Seite. Im Jahr 1799 beendete Rahel die Beziehung, überzeugt davon, dass er sie nicht heiraten würde, so sehr sie sich eine solche Partie auch wünschte. Seine Freunde tratschten später boshaft, dass Karl nie vorgehabt habe, sie zu heiraten. Für viele dieser Frauen erwies es sich als schwierig, persönliche Erfüllung und Familienglück in Einklang zu bringen. Zwei Cousinen von Rahel Levin mit besonders traumatischen Erfahrungen waren die Meyer-Schwestern, Sara und Marianne, Enkelinnen von Veitel Heine Ephraim. Zwei Jahre nachdem Mendelssohn Saras Exemplar des Goethe-Romans aus dem Fenster
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geworfen hatte, schlug er eine Partie für sie vor, und sie war gezwungen, einen älteren jüdischen Mann zu heiraten, den sie schließlich verabscheute. Später klagte sie, die Ehe habe sie vollkommen zerstört.44 Nach seinem Tod im Jahr 1788, als sie 25 und ihre jüngere Schwester 18 Jahre alt war, wurden beide in Wensickendorf, einem Weiler östlich von Berlin, getauft.45 Doch nach ein paar sehr stürmischen Familienszenen kehrten die zwei Schwestern schon bald darauf zum Judentum zurück. Sara schilderte die traurige Situation später in einem Brief an König Friedrich Wilhelm III. »Meine Eltern«, schrieb sie, »waren mit diesem Schritt unzufrieden, und meine Mutter insonderheit fasste einen höchst erbitterten Haß gegen mich … und ich werde die unglückliche Nacht nie vergeßen, in welcher meine ganze Familie mich und meine Schwester als den Gegenstand ihres Unglücks mit ihren Verwünschungen, und mit nicht geringeren Drohungen, als von Vater und Mutter Mord […] verfolgte.«46 »Betäubt und fast ohne Bewusstsein habe ich in einem solchen Zustand eine … Erklärung unterschrieben«, die ihre Eltern und die örtlichen Rabbiner als ihre Entscheidung, zum Judentum zurückzukehren, interpretierten. Später behauptete sie, dass sie trotz dieser Unterschrift Christin geblieben sei. Der Fall geriet zum öffentlichen Skandal, weil einige Zeitgenossen die Echtheit ihrer ursprünglichen Taufe und andere ihre angebliche Rückkehr zum Judentum in Zweifel zogen. Der Fall zeigt, dass Konversionen sowohl die Regierung als auch jüdische und lutherische Würdenträger nötigten, zu klären, wer wie den Glauben wechseln durfte. Neun Jahre nachdem ihre Eltern die zwei Schwestern gezwungen hatten, sich wieder auf ihre jüdische Identität zu besinnen, änderte Sara ihren Namen in Sophie, kehrte abermals zum christlichen Glauben zurück und verlobte sich mit Baron Dietrich von Grotthuß. Pastoren und Laien diskutierten hin und her, ob eine zweite offizielle Taufe erforderlich sei oder nicht, und am Ende wurde sie vor ihrer Heirat nicht ein zweites Mal getauft. Marianne war unterdessen nach ihrer Rückkehr zum Judentum eine arrangierte Ehe eingegangen, aber ihr Mann starb, und im Jahr 1797, als Sophie zum Christentum zurückkehrte, tat sie das Gleiche. In jenem Jahr hoffte sie, Graf Geßler, einen Botschafter am preußischen Hof, zu heiraten. Der aber beschloss später, sich nicht trauen zu lassen, und der Klatsch muss demütigend für Marianne gewesen sein. Am Ende sollte sie den Prinzen Reuß von Österreich heiraten, der sich jedoch weigerte, sie seinen Namen tragen zu lassen, weshalb der Kaiser ihr den offiziellen Namen Frau von Eybenberg verlieh.47 Für Sophies und Mariannes Mutter Rösel war 1797 ein leidvolles Jahr, denn nachdem er schwere geschäftliche Rückschläge erlitten hatte, starb ihr Mann
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Aron. Einst einer der reichsten Männer Berlins, war er bei seinem Tod bankrott. Mehrere Jahre später konvertierten zwei von Sophies und Mariannes Brüdern, vielleicht um ihren Karrieren als Bergwerksinspektoren auf die Sprünge zu helfen.48 Ein weiterer berühmter Fall aus diesen Jahren ist der der beiden konvertierten Töchter von Moses Isaak Fließ. Das Testament ihres Vaters legte fest, dass kein konvertiertes Kind von seinem reichen Besitz erben könne. Wenn sie hingegen jüdisch blieben, sollte jede Tochter fast 100.000 Taler erben, ein riesiges Vermögen. Ein Fabrikarbeiter in Berlin verdiente damals 150 Taler jährlich, der Jahresverdienst eines Professor lag bei 600 Talern, und wie wir soeben erfahren haben, betrug Rahels Mitgift 20.000 Taler.49 Ein Jahr nachdem Moses Isaak Fließ 1779 gestorben war, entschieden sich seine beiden Töchter Blümchen und Rebecca für die Taufe, und jede heiratete einen Adeligen. Ihre Brüder, die noch Juden waren, weigerten sich, ihre Mitgift auszuzahlen, und der Fall landete schließlich vor den Zivilgerichten. Als Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1786 König wurde, entschied er zugunsten der Brüder, denn die Elternrechte waren ein wichtigerer Grundsatz als das praktische Vorhaben, die Zahl der Konversionen zu erhöhen. Dieselben Brüder, die ihren Schwestern erfolgreich eine Erbschaft verweigerten, zeigten ihrerseits dieselben Gepflogenheiten, welche die Krise der Familie kennzeichneten. Einer von ihnen, Joseph Fließ, konvertierte später ebenso wie die Kinder der anderen Brüder. Außerdem hatte Joseph eine jahrelange Affäre mit einer christlichen Geliebten, Louise Luza, die er nach dem Tod seiner Frau heiratete. Josephs Bruder Beer Isaak blieb Jude, war aber der Vater zweier unehelicher Kinder. Ein dritter Bruder, Meyer Moses, wurde von ihrem Vater, bevor dieser starb, aufgrund seines »Lebensstils« enterbt, und dieser Sohn konvertierte im Jahr 1787 ebenfalls. Über die verschlungenen Netze aus familiärer Zwietracht, Geld und religiösen Konflikten, in denen die MeyerSchwestern und die Isaak-Fließ-Schwestern sich verfingen, wurde in Zeitungen und Zeitschriften debattiert, da die Zeitgenossen verstehen wollten, wie jüdisches Gesetz, bürgerliches Recht und Kirchenrecht den komplizierten Status von Konvertiten regelten.50 In einem weiteren Familiendrama voller widerstreitender Gefühle, das sich um die Konversion drehte, spielte Dorothea Mendelssohn die Hauptrolle. Als wir ihr zuletzt begegneten, war sie 18, hieß noch Brendel und war frisch verheiratet mit Simon Veit. In den Jahren nach ihrer Heirat waren die Freunde des Paares sich nicht einig; einige dachten, sie sei zufrieden, und andere sorgten sich offen, dass sie unglücklich mit Simon sei.51 Nachdem sie
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gerade einmal drei Jahre verheiratet waren, verlor Brendel ihren und Simon seinen Vater. Zwei Jahre später zogen Brendels Mutter Fromet und die jüngeren Mendelssohn-Geschwister nach Neustrelitz, einer Stadt in einiger Entfernung von Berlin. Brendel und Simon setzten vier Söhne in die Welt, aber nur zwei von ihnen überlebten, Jonas und Philipp.52 Aus der Ferne betrachtet, mag Brendels Familienleben durchaus ziemlich ruhig und traditionell gewirkt haben. Doch ein genauerer Blick enthüllt, dass auch sie die traditionelle jüdische Welt bereits hinter sich ließ, als sie noch verheiratet war. Sie pflegte Freundschaften mit mehreren bekannten christlichen Intellektuellen, und sie wirkte mit bei der Gründung einer romantischen Geheimgesellschaft namens Tugendbund. Im Jahr 1794 legte sie den zu jüdischen Namen Brendel ab und nannte sich fortan Dorothea. Drei Jahre später, im Sommer 1797, als sie 32 Jahre alt war, begegnete Dorothea zum ersten Mal dem Dichter Karl W. Friedrich Schlegel. Er war damals 25 und sah mit seinen langen Haaren, seinerzeit ein Zeichen der Begeisterung für die Revolution in Frankreich, ziemlich gut aus. Friedrich hatte sich bereits einen Namen als Intellektueller gemacht, obwohl er noch im Schatten seines älteren Bruders August Wilhelm stand, eines enorm einflussreichen Professors an der Universität von Jena. Zum Glück für Dorothea fühlte Friedrich sich zu älteren Frauen mit starker Persönlichkeit hingezogen, und die zwei verliebten sich ineinander. Als ihre Beziehung sich vertiefte, dachte Dorothea lange und intensiv darüber nach, ob sie sich von Simon scheiden lassen sollte. Einer ihrer Vertrauten war der damals 29-jährige Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, der Prediger an der Charité-Kirche war und Henriette Herz ebenfalls nahestand. Schleiermacher hatte Verständnis für ihre Notlage, weil er ein weltkluger Mann war und begeistert von der Emanzipation der Frauen. Aufgrund seiner Vertrautheit sowohl mit Dorothea als auch mit Henriette, die beide schließlich konvertierten, hat man in ihm einen Verfechter der Massenkonversion gesehen. Aber seine Ansichten über die Konversion waren subtiler. Wenn Juden eine echte spirituelle Verwandlung erlebt hatten, dann befürwortete Schleiermacher in der Tat die Konversion. Aber er betonte, wie wichtig die ehrliche Überzeugung sei, und er befürwortete niemals die Konversion als Ersatz für die bürgerliche Emanzipation. Dorotheas Schwester Henriette und ihre Freundin aus Kindertagen Henriette Herz verbrachten beide Stunden bei Simon und überzeugten ihn davon, dass Dorothea wirklich unglücklich in der Ehe sei.53 Gegen Ende des Jahres 1798 willigte Simon widerstrebend in eine Scheidung ein. Er erhielt
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das unmittelbare Sorgerecht für den älteren Jungen, Jonas, und Dorothea wurde erlaubt, Philipp, der damals sechs war, weitere vier Jahre aufzuziehen. Aber sollte sie wieder heiraten oder Christin werden, bevor Philipp zehn war, würde das Sorgerecht für ihn an Simon zurückfallen. Dies bedeutete, dass Dorothea sich nicht sofort mit Friedrich vermählen konnte, wodurch sie in die schäbige Lage einer geschiedenen Frau mit einem ziemlich berühmten Liebhaber geriet. Simon ging es natürlich darum, dass der kleine Philipp nicht in jungen Jahren einer christlichen Sozialisation ausgesetzt wäre. Aber obwohl er zu verhindern suchte, dass sie Christen wurden, konvertierten sowohl Jonas als auch Philipp schließlich, ließen sich in Italien nieder und wurden katholische Maler im Stil der Nazarener. Was die überaus wichtigen Finanzen betrifft, willigte Simon ein, Dorothea jährlich vierhundert Taler Unterhalt zu zahlen, was für einen bescheidenen, aber immerhin noch mittelständischen Lebensstil ausreichte.54 Nach ihrer Scheidung mietete Dorothea eine eigene Wohnung. Obwohl sie nicht zusammenlebten, verbrachten sie und Friedrich ihre Tage gemeinsam mit Lesen, Schreiben und Gesprächen über die Literatur und Politik der damaligen Zeit. Für sie war es eine dramatische und unruhige Zeit. Zwar hielten die engsten Freundinnen ihr die Treue, aber viele prominente Persönlichkeiten in und außerhalb ihrer Familie waren schockiert über ihre Scheidung und über den Roman, den Schlegel im selben Jahr veröffentlichte und der in seiner Zeit als unverschämt erotisch galt. So wurde das radikale Paar selbst in der fortschrittlichen Welt der Salons an den Rand gedrängt. Dennoch erhielten Dorothea, ihr geliebter Friedrich Schlegel und ihr gemeinsamer Intimus Schleiermacher zum Mittagessen oft Gesellschaft von dem Unruhestifter Johann Gottlieb Fichte. Fichte war gerade aus Jena in Berlin eingetroffen, weil man ihn aus seiner dortigen Professur entlassen hatte. Er wählte Berlin, weil die Stadt für ihre Toleranz und die lebhafte intellektuelle Szene bekannt war. Er machte sich rasch einen Namen und konnte mit Vorträgen, die er in seiner Wohnung hielt, sogar seinen Lebensunterhalt bestreiten.55 Anfangs war er republikanischer Kosmopolit, aber als die Französische Revolution ihr moralisches Kapital in den deutschen Ländern einbüßte, wandelte er sich zum glühenden Patrioten mit immensem Einfluss auf die zeitgenössische Politik. Seine Anhänger und vielleicht auch seine Kritiker konnten Fichtes persönlichen Lebensweg bewundern. Sein Vater war Bandweber in Sachsen gewesen, und als Kind hatte Fichte Gänse gehütet.56 Überall entlang seines Weges fand er die Hilfe einflussreicher Gönner. Als er dreißig war, sieben Jahre vor seinem
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Umzug nach Berlin, wurde Fichte als Professor an die Jenaer Universität berufen. Aber er sagte seine Meinung frei heraus und schockierte die Studenten, als er freudig prophezeite, dass »Könige und Fürsten in 20 Jahren auf hören würden zu existieren«.57 Um seine Gleichgültigkeit gegenüber der organisierten Religion zu bekunden, legte er seine Vorlesungen auf die Sonntagvormittage, und in diesen Vorlesungen vertrat er die Sache des Atheismus. Das Jahr, als Dorothea ihr Leben völlig auf den Kopf stellte, markierte auch für eine andere prominente jüdische Familie in Berlin, die Itzigs, einen Wendepunkt. Daniels Frau Miriam starb 1791, und acht Jahre später, 1799, verschied auch Daniel. Als in jenem Juni sein Testament verlesen wurde, kamen die Itzigs zusammen, um zu erfahren, wie er seine großen Besitztümer aufgeteilt hatte.58 Bis zu seinem Tod hatte keines seiner Kinder oder Enkelkinder dem Judentum den Rücken gekehrt. Aufgrund der singulären Gewährung von Bürgerrechten bereits im Jahr 1791 hätte die Konversion für die Familie eigentlich weniger verlockend sein sollen. Dass viele der Enkel und Urenkel Daniel Itzigs trotzdem konvertierten, ist jedoch ein Beleg dafür, dass die bürgerliche Gleichheit jenen nicht genügte, die über üppige persönliche Mittel verfügten und hohe gesellschaftliche oder berufliche Ambitionen hegten. »Sobald der Patriarch ins Grab gesunken war, beeilten sich nicht allein Elias, sondern auch andere Nachkommen Itzigs, sich taufen zu lassen«.59 Elias, seine Frau Mirjam und ihre Kinder änderten zu diesem Zeitpunkt alle ihren Nachnamen in Hitzig. Jakob Salomon, der Sohn von Itzigs Tochter Bella Salomon, konvertierte ebenfalls sehr bald nach dem Tod des Großvaters. Jakob gestaltete seine Verwandlung noch radikaler, indem er den Familiennamen seines Vaters ablegte und Jakob Bartholdy wurde. Sein neuer Nachname war so etwas wie eine »gekaufte Abstammung«, denn Bartholdi hieß der ehemalige Eigentümer eines Landguts, welches die Familie Itzig einige Jahre zuvor gekauft hatte. Einen Monat bevor sein Schwiegervater im April 1799 starb, verfasste David Friedländer ein anonymes »Sendscheiben« in Form eines offenen Briefes, das beträchtliche Aufmerksamkeit erregte. Sein Name stand nicht auf dem Einband, aber es war ein offenes Geheimnis, dass er der Autor war. Friedländer hatte gute Gründe, seinen Namen vor der jüdischen Gemeinde zu verbergen, da er von seinen Zeitgenossen weithin als der institutionelle Erbe des Mendelssohn-Vermächtnisses angesehen wurde. In diesem erstaunlichen Dokument ersuchte er Wilhelm Abraham Teller, einen führenden protestantischen Geistlichen, einen Kreis aufgeklärter Juden in die lutheri-
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sche Kirche aufzunehmen, unter einigen sehr speziellen und eigenartigen Bedingungen. Die Idee war, dass Juden öffentlich ihre Treue zu einer deistischen Version des Luthertums erklären würden, womit sie unter den Schutz der kirchlichen Organisation kämen, ohne tatsächlich irgendwelchen etablierten kirchlichen Institutionen beizutreten. Für niemanden überraschend, wies Teller Friedländers Vorschlag entschieden zurück. Weder er noch staatliche Amtsträger wollten eine eigenständige Sekte ehemaliger Juden innerhalb der protestantischen Staatskirche. Nachdem sein Vorschlag abgelehnt worden war, entschied sich Friedländer, nicht zu konvertieren. Er verlor nicht seine hohe Stellung in der örtlichen jüdischen Gemeinde, was zeigt, dass viele seiner Glaubensgenossen, die wussten, dass er das »Sendschreiben« verfasst hatte, mit seinem Vorhaben sympathisierten. Die Zurückweisung des Plans durch Teller ist gewiss nicht schockierend, aber die Tatsache, dass Friedländer sich weiterhin der Wertschätzung der Gemeinde erfreute, ist ungeheuer aufschlussreich. Dass der öffentliche Erbe der Werte Mendelssohns offenbar den Massenübertritt zu irgendeiner Spielart des Christentums erwog, zeigt, wie ausgesprochen schwierig es war, einen zukunftsweisenden Weg zwischen Taufe und Tradition zu finden.60 Nach 1799 wendete Friedländer sich von religiösen Themen ab und konzentrierte sich stattdessen auf den Kampf für die bürgerliche Emanzipation. Aber eine jüngere Generation gebildeter Juden versuchte in jenen Jahren in Berlin durchaus, neue Formen des Judentums zu schaffen. Wir wollen uns nun dem Leben von Amalie Beer zuwenden, um eine von Rahels jüngeren Freundinnen zu beobachten, die als Tochter einer reichen und einflussreichen Familie ihre Energien für eine harmonische Modernisierung des Judentums einsetzte. Obwohl Amalie und Rahel, aus der Ferne betrachtet, vieles gemeinsam hatten, entdecken wir bei näherem Hinsehen gravierende Unterschiede zwischen diesen beiden Frauen. Amalie bezeichnete Rahel und Henriette (Herz) einmal als »diese hektischen Demoiselles«.61 Rahel konnte, was Amalie betraf, erstaunlich gehässig sein, wenn sie beispielsweise beklagte, dass ihr die Lebenskunst fehle.62 Wir werden die gegensätzlichen Lebensentscheidungen abwägen, die diese zwei Frauen im Laufe der Jahre trafen. Der außerordentliche Reichtum von Amalie Beer verschaffte ihr eine Entscheidungsfreiheit, welche die erheblich ärmere Rahel Levin nicht hatte. Amalie war als Malka Wulff geboren worden. Sie war die Urenkelin von Esther Liebmann, der bedeutendsten Hofjüdin im Berlin des frühen 18. Jahrhunderts. Amalies Vater war einer der vermögendsten Männer Berlins gewesen, und ihr Ehemann Jakob Herz Beer wurde schließlich der reichste Mann in ganz
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Berlin. Sie heirateten 1788, als sie beide dem jugendlichen Alter kaum entwachsen waren. Ihre vier Söhne, von denen drei äußerst begabt waren, sollten ihre in sie vernarrten Eltern in der Tat sehr stolz machen. Aus ihrem Ältesten, der als Junge Meyer gerufen wurde, sollte eines Tages der berühmte Opernkomponist Giacomo Meyerbeer werden. Im Jahr 1801, als Meyer gerade zehn Jahre alt war, gab er in Berlin sein erstes öffentliches Konzert. Berichten zufolge kamen alle, die am Berliner Musikleben Anteil nahmen, um ihn zu hören, und die Kritiken waren enthusiastisch.63 Kurz nach dem Konzert gab Amalie bei Georg Weitsch ein Bildnis ihres Sohnes in Öl in Auftrag. So stolz waren die Eltern auf ihren erstgeborenen »jüdischen Mozart«, dass sie ihre verschiedenen Verbindungen höheren Orts nutzten, um das Weitsch-Porträt in der Kunstakademie aufhängen zu lassen.64 Aber nicht alle waren glücklich über das Bildnis eines jüdischen Wunderkindes an der Wand, auf dass jedermann es öffentlich bewundere. Und in der Tat ging die von den Beers betriebene aufwendige Zurschaustellung der Hochkultur ihrer Familie auf äußerst demütigende Weise ins Auge, und noch dazu sehr bald. Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, ein bekannter Berliner Rechtsanwalt, legte öffentlich Beschwerde ein, und die Beers ließen das Porträt wieder abnehmen. Fortan hing es an einer Wand ihres großen Hauses in guter Lage an der Spandauer Straße in der Nähe der herrschaftlichen Wohnhäuser der Itzigs und der Ephraims. Aber es war nicht die Kunstakademie. Grattenauer würde in den kommenden Jahren eine Reihe unerfreulicher Pamphlete veröffentlichen, und besonders nahm er die jungen Frauen aus Amalies Generation aufs Korn, über die er wortreich klagte: »Sie lesen viele Bücher, sprechen mehrere Sprachen, spielen manche Instrumente, zeichnen in verschiedenen Manieren, malen in allen Farben, tanzen in allen Formen und besitzen alles einzelne, besitzen aber nicht die Kunst, alle die Einzelheiten als Ganzes zu einer schönen Weiblichkeit zu verbinden.«65
Grattenauer war einer der Ersten, die die assimilierten Juden, die sich so sehr bemühten, weniger jüdisch zu sein, öffentlich kritisierten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts würde die Kritik an den assimilierten Juden, gerade weil sie assimiliert waren, an Häufigkeit und Schärfe zunehmen. Dies war neu, denn lange Zeit war den Juden geraten worden, Christen zu werden. Jetzt animierte die Sichtbarkeit und Bedeutung derjenigen, die konvertierten, jene, die Juden nicht mochten, sich auf neue Gründe für ihre Feindseligkeit zu konzentrieren. Wenn sie ihre traditionellen Gewohnheiten und sogar ihre formelle jüdische Identität abgelegt hatten, wurden ihre fehlende »schöne Weiblichkeit« und ihr kultureller Stil zum Problem statt ihrer Religion. Falls
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sie seine beleidigenden Worte lasen oder sich vorstellten, wie ihre christlichen Freunde seine Pamphlete lasen, müssen Rahel Levin und Amalie Beer sich in der Tat gedemütigt gefühlt haben. Aber die Subkultur, die Grattenauer verhöhnte, blühte weiter, weil immer mehr Salons, Vereine, Promenaden und Kurhotels soziale Räume bereitstellten, in denen Konvertiten, verständnisvolle Christen und Juden, die eine Taufe erwogen, gesellschaftlich miteinander verkehren konnten. Und in der Tat geschah es in einem solchen Haus mit einer so bunten Gästemischung, dass Rahel Levin und Karl Varnhagen einander im Frühjahr 1803 zum ersten Mal begegneten. Rahel war damals 31 und lebte bei ihrer Mutter im Haus der Familie in der Jägerstraße. Nachdem sie die Beziehung mit Finckenstein im Jahr 1795 beendet hatte, war sie für ein paar Monate nach Paris gezogen, wo ihre Lebensgeister neu erwachten. Nach Berlin zurückgekehrt, hatte sie eine Affäre mit einem Adeligen, dem spanischen Diplomaten Don Raphael d’Urquijo. Aber die Verbindung kam zu einem ziemlich schnellen Ende, weil ihr klar wurde, dass ihr Liebhaber alles in allem zu sprunghaft und zu eifersüchtig auf ihr gesellschaftliches Leben war.66
Abb. 4. Rahel Varnhagen van Ense. Zeichnung von Wilhelm Hensel 1828. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Eines Tages im Frühjahr 1803 besuchte Rahel ihre Freundin aus Kindertagen Philippine Cohen und wurde dem Hauslehrer der Cohen-Kinder, Karl August Varnhagen, vorgestellt. Philippine, die als Pessel Bernhard geboren wurde, war zu der Zeit 27 Jahre alt und seit neun Jahren verheiratet. Sie war in der Nähe der Mendelssohns aufgewachsen, weil ihr Vater es gewesen war, der Moses als Buchhalter und schließlich als Direktor seiner Seidenfabrik eingestellt hatte. Philippines Mutter, im Jahr 1803 Witwe, war eine der Töchter von Moses Isaak Fließ, die jüdisch geblieben war.67 Philippines Schwester Hitzel hatte zunächst einen jüdischen Arzt geheiratet, aber sie hatten sich scheiden lassen. Anschließend änderte sie ihren Namen in Wilhelmine, konvertierte und heiratete einen Adeligen.68 Was Philippine betrifft, so hatte sie Ephraim Cohen geheiratet, den Sohn einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie in Amsterdam, der zur »Gesellschaft der Freunde« gehörte. Weil er als einer der ersten Unternehmer seiner Zeit in seiner Wollfabrik in Berlin die neuen englischen Spinnmaschinen einsetzte, nannte man ihn manchmal auch den englischen Cohen. Vier Jahre zuvor, im Jahr 1799, hatten Ephraim und Philippine ihr kleines Töchterchen Sophie taufen lassen, und ein Jahr später, im Jahr 1800, konvertierten Philippine und Ephraim, der sich nun Ernst nannte, gemeinsam. Die Entscheidung, die Religion ihrer Tochter zu ändern, war sehr stark einem breiteren Trend verpflichtet, denn der Anteil der Konvertiten in Berlin, die zum Zeitpunkt ihrer Taufe fünf Jahre alt oder jünger waren, lag während des größten Teils des 19. Jahrhunderts bemerkenswert hoch. Wir wissen bereits, dass 60 Prozent aller zwischen 1800 und 1874 Getauften Kinder unter fünf Jahren waren und dass Philippine und Ephraim die kleine Sophie in einem Jahrzehnt zum Altar brachten, als die Zahl der Konversionen von Kleinkindern den Höchststand des Jahrhunderts erreichten. Beinahe 90 Prozent der Täuflinge in diesem Jahrzehnt waren Kinder. Als sie sich an jenem Tag im Salon der Cohens kennenlernten, war Karl von Rahel mehr beeindruckt als sie von ihm. Das war eigentlich nicht weiter überraschend, denn sie war eine ziemliche Berühmtheit in ganz Berlin, während er ein naiver junger Mann von 18 Jahren war, der nach Berlin gekommen war, um an der Pépinière, der militärärztlichen Ausbildungsanstalt, zu studieren. Sein Leben war bis dahin nicht leicht gewesen. Sein Vater, ein Arzt und leidenschaftlicher Schwärmer für die Französische Revolution, war etwa vier Jahre zuvor gestorben. Nachdem Karl ein paar unglückliche Monate mit Kost und Logis an der Chirurgenschule der Armee verbracht hatte, besorgte ihm einer seiner Professoren eine Stelle als Hauslehrer bei den Cohens. Jetzt
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konnte er in einer eleganteren Umgebung wohnen, während er sein Studium fortsetzte. Selbst wenn Rahel an jenem Tag nicht ihre Freundin Philippine besucht hätte, hätten Karl und Rahel sich durchaus über Rahels Bruder Lipmann kennenlernen können, der drei Jahre zuvor aus Hamburg nach Berlin zurückgekehrt war. Lipmann Levin war damals 25 Jahre alt, und er hatte um diese Zeit angefangen, sich Ludwig Robert zu nennen, wobei er Robert als Familiennamen benutzte. Wie so viele seiner jüdischen Freunde war er ausgebildet worden, um ins Finanzwesen einzusteigen, aber er verachtete die Arbeit und das Ambiente, überzeugt davon, dass kein ernsthafter Intellektueller sich seinen Lebensunterhalt in der Geschäftswelt verdienen könne. Schon Mendelssohns Weg des Büroangestellten bei Tage und Freizeitintellektuellen wurde für jüngere jüdische Männer problematisch. Als Ludwig Robert im Jahr 1800 nach Berlin zurückkehrte, gelang es ihm, sich aus der Geschäftswelt herauszuhalten, indem er auf sein Familienerbe zurückgriff, sodass er seine Tage mit dem Schreiben von Stücken verbringen konnte.69 Ludwig und Karl waren beide Mitglieder eines literarischen Zirkels, den sie Nordsternbund oder Polarsternbund nannten, ein faszinierender Kreis, der dieselbe bunte Mischung aus konvertierten und nicht konvertierten Juden, Adeligen und christlichen Bürgerlichen umfasste, die regelmäßig in den Salons verkehrten. Zwei der adeligen Mitglieder waren Adelbert von Chamisso, ein emigrierter französischer Dichter, und Friedrich de la Motte Fouqué. David Ferdinand Koreff, der heiß geliebt wurde in diesem Netzwerk, war 21 Jahre alt, noch Jude und Medizinstudent, außerdem Dichter, Opernkomponist und begeisterter Anhänger verschiedener exotischer ärztlicher Behandlungsmethoden.70 Die führende Persönlichkeit im Nordsternbund und gleichfalls jüdischer Herkunft war Julius Eduard Hitzig, der als Isaak Hitzig geboren wurde. Er war zusammen mit seinem Vater Elias und seiner Mutter Mirjam im Jahr 1799 konvertiert, unmittelbar nach dem Tod seines Großvaters Daniel Itzig. Zum Zeitpunkt seiner Taufe wurde aus Isaak Hitzig Julius Eduard Hitzig, und so konnte er Justizbeamter in Warschau werden, das seit der Dritten Polnischen Teilung (1795) unter preußischer Herrschaft stand. Wenn wir ihm im Jahr 1803 erneut im Nordsternbund begegnen, ist Julius 23, zurück in seiner Heimatstadt Berlin und als Verleger und Buchhändler aktiv.71
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Abb. 5. Karl August Varnhagen von Ense. Zeichnung von Wilhelm Hensel 1822. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Während Karl bei den Cohens wohnte, hatte die Familie ein höchst interessantes Ensemble von Persönlichkeiten als Gäste, die ihre Zeit gemeinsam mit Gesprächen, dem Schreiben literarischer Vignetten, dem Zeichnen von Skizzen und dem Anfertigen von Scherenschnitten des Gegenübers verbrachten. Varnhagens bester Freund zu der Zeit war Wilhelm Neumann, ein Adoptivsohn der Familie Cohen, Büroangestellter in ihrem Kontor und ein weiteres Mitglied des Nordsternbundes. Neben den literarischen Freunden von Karl und Wilhelm kamen auch Philippines Schwester Wilhelmine und ihre Mut-
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ter, Fanny Bernhard, häufig zu Besuch. Ein weiterer regelmäßiger Gast im Hause Cohen war eine Sängerin namens Frau Seiler, die etwas mit Herrn Cohen hatte, glaubt man Varnhagens sehr viel später veröffentlichten geschwätzigen Memoiren.72 Dass eine Familie wie die Cohens ausgerechnet einen jungen Mann wie Karl als Hauslehrer für ihre getauften Kinder einstellte, war ein Zeichen der sich wandelnden Zeiten. Die Cohens wählten bewusst einen christlichen Hauslehrer und hatten die nötigen Beziehungen, um einen zu finden. Varnhagen wusste das kultivierte Ambiente des CohenHaushalts sehr zu schätzen, aber leider fand sein idyllisches Leben als Hauslehrer schon ein Jahr später ein vorzeitiges Ende. Herr Cohen musste im Jahr 1804 Konkurs anmelden. Er flüchtete in Schande nach Holland und ließ seine Frau und die Kinder mittellos in Berlin zurück. Philippine konnte nicht einmal die notwendigen Prozesskosten bezahlen, um zu versuchen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, und was Karl betraf, so brauchte er offensichtlich einen neuen Posten.73 Hermann Eberty, ein Freund aus dem Nordsternbund und Nachfahre der Familie Ephraim, kam ihm zu Hilfe und besorgte Karl eine Hauslehrerstelle im Haus von Fanny Hertz in Hamburg.74 Einmal mehr war Karl die christliche Präsenz in einer jüdischen Familie, die sich allmählich vom traditionellen Judentum entfernte. Fanny war damals 27 Jahre alt und seit sechs Jahren mit Jakob Hertz, einem älteren wohlhabenden Kaufmann, verheiratet. Fanny und Karl verliebten sich ineinander – keine große Überraschung, da Hauslehrer sich in jenen Jahren oft in die Mütter ihrer Schüler verliebten. Etwas ungewöhnlicher, da Fanny noch Jüdin war und ihr Mann noch lebte, war, dass die Familie Hertz beschloss, Karls Ausbildung zu finanzieren. In seinen Erinnerungen verriet Karl, dass Jakobs halbwüchsiger Sohn aus seiner früheren Ehe wollte, dass Karl Fanny heiratete, nachdem sein Vater gestorben und Karl Arzt geworden wäre. Diese Episode zeigt, dass ein am Hungertuch nagender junger Bursche wie Karl mit Hilfe vermögender jüdischer Familien, welche die Taufe ihrer eigenen noch-jüdischen Angehörigen planten, durchaus seinen Weg machen konnte. In Hamburg hatte Karl in diesen Jahren weiterhin Kontakt zu jüdischen Freunden, die eine Taufe erwogen. In seinen Erinnerungen kommt er immer wieder auf Anlässe zurück, wo er versuchte, in den kleinen Krisen des Alltagslebens zu vermitteln, die auftreten, wenn Menschen aus unterschiedlichen Verhältnissen ihr Leben teilen. Nehmen wir zum Beispiel die Zeit, als Karls Freund Wilhelm Neumann nach Hamburg zog, um zusammen mit Karl zu studieren, und es einrichtete, dass er bei Fanny Hertz wohnen konn-
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te. Kurz vor seiner Ankunft unterrichteten Freunde in Berlin Fanny brieflich über Wilhelms Rolle in einem einige Jahre zurückliegenden Vorfall, als er sich an irgendeinem feindseligen »Unfug« beteiligt habe, der sich gegen einen seiner jüdischen Bekannten richtete.75 Fanny war empört und reagierte mit der Weigerung, Wilhelm in ihrem Hause wohnen zu lassen. Er durfte lediglich Karl in seinem Zimmer besuchen. Karl schlug in seinen Erinnerungen einen ausgewogenen Ton an. Als er sich Jahre später an den Vorfall erinnerte, hatte er Wilhelm den Fehler verziehen, hielt Fannys Wut und ihre Bestrafung seines Freundes aber für insgesamt gerechtfertigt. Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich im Sommer 1805, als Karl gerade beschlossen hatte, seine Stelle als Privatlehrer im Hertz’schen Hause aufzugeben. Er hatte vor, ganztags eine angesehene höhere Schule in Hamburg zu besuchen und anschließend zu studieren, um sich auf eine medizinische Laufbahn vorzubereiten. Bei seinem Fortgang schlug Karl vor, Fanny solle ihre jungen Söhne auf ein Internat schicken. Sein Argument war, dass es, bei aller Fürsorge, noch zu viel vom alten Judentum im Hause gebe, und davon sollten die Kinder auf jeden Fall frei bleiben.76 Während der nächsten paar Monate, im Herbst 1805, wurden Karl und Wilhelm in das Leben eines anderen jüdischen Freundes, David Mendel, hineingezogen, eines Mitschülers auf dem Hamburger Gymnasium. Mendels Leben war bislang nicht einfach gewesen. Sein Vater war Geldverleiher in Göttingen gewesen und hatte in dieser Eigenschaft hauptsächlich Hochschulstudenten Geld vorgestreckt. Seine Eltern hatten sich getrennt, als David noch ein kleines Kind gewesen war, und seine Mutter hatte ihn in ärmlichen Verhältnissen allein großgezogen. Karl und Wilhelm forderten ihn auf, dem Nordsternbund beizutreten, der weiter bestand, obwohl viele seiner Mitglieder nicht mehr in Berlin lebten. Mendel wiederum bat seine beiden neuen Freunde, sich seiner hiesigen Arbeitsgemeinschaft, dem »Plato-Kreis«, anzuschließen. In den ersten Monaten des Jahres 1806 waren die drei Freunde so weit, Hamburg zu verlassen und ihr Studium aufzunehmen. Sie reisten auf Umwegen nach Halle und wohnten eine Weile bei Mendels konvertiertem Oheim Johann Stieglitz in Hannover. Zu dieser Zeit geschah es, dass aus David Mendel ein Protestant namens August Neander wurde. Wir haben es hier mit einem weiteren Fall zu tun, wo Familienbande eine Entscheidung zugunsten der Taufe erleichtern konnten. Stieglitz war in eine einflussreiche Familie hineingeboren worden und hatte auch selber in eine einflussreiche Familie eingeheiratet. Sein Vater war der bevorzugte Finanzier des Fürsten von Waldeck gewesen, und seine Frau Sophie war eine Enkelin von Veitel
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Heine Ephraim.77 Stieglitz war sechs Jahre zuvor, im Jahr 1800, als er 33 Jahre alt war und noch Israel hieß, konvertiert, und er hatte seinen Namen seinerzeit in Johann geändert. Zwei Jahre später wurde er zum Hofarzt am Waldeck’schen Hof bestellt und ließ sich in Hannover nieder. In seiner Studentenzeit an der Universität von Göttingen gegen Ende der Achtzigerjahre des 18. Jahrhunderts war Wilhelm von Humboldt einer seiner engsten Freunde gewesen.78 Wilhelm und sein Bruder Alexander waren zwei der klügsten, fortschrittlichsten und einflussreichsten Intellektuellen im Berlin ihrer Zeit. Während der frühen Achtzigerjahre des 18. Jahrhunderts, als sie noch Jugendliche gewesen waren, hatte ihr Hauslehrer sie zu den Vorträgen von Marcus Herz mitgenommen. Wilhelm wurde ein enger Freund von Henriette Herz, und er und seine Frau Caroline gehörten zu Dorothea Veits trautem Freundschaftsverein namens Tugendbund. Weil die beiden HumboldtBrüder so mächtig und einflussreich wurden, ist ihr Verhältnis zu ihren jüdischen Freunden wichtig. Mendels neuer Nachname, Neander, war eine deutsche Übersetzung des griechischen Wortes für »neuer Mensch«, vielleicht eine Anspielung auf den Familiennamen seines Freundes Wilhelm, Neumann. Es ist gut möglich, dass er seinen neuen Vornamen, August, vom mittleren Namen seines Freundes Karl nahm. Bevor er sein Studium in Halle aufnahm, zog der neuerdings christliche Neffe bei seinem Oheim Johann in Hannover ein. Im Spätfrühling jenes Jahres kamen Karl und Wilhelm, die bereits in Halle wohnten, noch einmal zu Besuch nach Hannover. Karl erinnerte sich später, wie traurig August wurde, als sein Vater, der Geldverleiher aus Göttingen, Stieglitz zu Hause besuchte. Der neue Mensch August, vormals David, gestand Karl später, wie »peinlich« es ihm gewesen sei, dass sein Vater »keinen Respekt einflößen« konnte. August hatte von seinem Onkel Unterstützung und Zuspruch erfahren, schämte sich aber trotzdem für seinen Vater, der allzu jüdisch blieb. Ein paar Monate später, als die drei Freunde alle zusammen an der Universität wohnten, wurde Karl ungeduldig gegenüber August, den er zu »ungepflegt und unordentlich« fand. So wie der neue Christ August sich für seinen eigenen Vater geschämt hatte, so distanzierte sich der alte Christ Karl von seinem einstmals jüdischen Freund und jammerte, es mangele ihm an »äußerer Kultiviertheit«. Neander fand eine andere Unterkunft und schaffte es, ein paar neue Freundschaften zu schließen. Aber offenbar mussten sich Konvertiten manchmal mit beträchtlicher Grobheit selbst vonseiten derjenigen abfinden, die sich für ihre Freunde hielten. Ein Gefährte aus je-
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nen Tagen schrieb ihm: »Ich liebe dich, Neander, so sehr mich auch dein Äußeres abstößt.«79 Karl und seine beiden Freunde hatten gerade ihr Studium in Halle begonnen, als Preußen im Oktober 1806 seine große Niederlage erlitt. Die Niederlage kam, als Preußen, nachdem es sich ein Jahrzehnt lang aus den Napoleonischen Kriegen herausgehalten hatte, seine Allianz mit Frankreich aufkündigte. Die Patrioten, die sich über Napoleons Eroberungen empörten, waren im Laufe der Jahre immer wütender geworden. Während des Jahres 1805 hatte Napoleon mehrmals preußisches Territorium verletzt, aber Preußen hatte seine Neutralität aufrechterhalten und nicht zurückgeschlagen. Am 2. Dezember 1805 erlitten die Armeen Österreichs und Russlands, die gemeinsam gegen Frankreich kämpften, in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz eine dramatische Niederlage. In Preußen nahm die Pro-KriegsStimmung zu, und Patrioten in ganz Deutschland blickten auf Preußen mit seiner gut ausgerüsteten und ausgebildeten Armee, die den Kampf gegen Napoleon anführen sollte. Die Chancen, dass Preußen sich gegen Frankreich wenden würde, stiegen, als Kreise innerhalb des Adels größere Bereitschaft zeigten, sich Zar Alexander in der antifranzösischen Koalition anzuschließen. Der Mann, der vor dieser schicksalhaften Entscheidung stand, war König Friedrich Wilhelm III., der 1797 an die Macht gekommen war. Die Nachwelt ist nicht freundlich umgegangen mit diesem Hohenzollern-König. Einer Darstellung zufolge war er ein »eifriger, hart arbeitender, mittelmäßiger Mann von ausgesprochen beschränkter Intelligenz, dem eine lange Herrschaft voller bewegender Ereignisse bestimmt war, die er kaum begriff«.80 König Friedrich Wilhelm war sich der wachsenden Kriegsleidenschaft bei seinen Untertanen natürlich bewusst, denn die führende öffentliche Stimme für Krieg gegen Napoleon war seine eigene Frau, Königin Luise.81 Viele begeisterten sich für den Standpunkt der Königin. Junge Offiziere in der preußischen Armee »schärften ihren Degen an den Stufen der französischen Botschaft in Berlin«.82 Während einer Vorstellung von Schillers Drama Wallensteins Lager stand das Publikum geschlossen auf und sang: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Felde, da ist ja der Mensch noch was wert, da wird das Herz noch gewogen …83
Im August 1806 schließlich beschloss der unsichere König, dem Rat seiner Gemahlin und seiner Ratgeber zu folgen und seine Armee zum Krieg zu
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rüsten. Für einen höchst unentschlossenen Mann war dies ein qualvoller Moment. Ende September übermittelte König Friedrich Wilhelm Napoleon ein Ultimatum, dass er zum Krieg mit Preußen bereit sein müsse, sollte Frankreich seine Truppen nicht bis zum 9. Oktober von preußischem Territorium zurückgezogen und den Rheinbund aufgelöst haben. Napoleon ließ sich nicht einmal zu einer Erwiderung herab. Als der 9. Oktober ohne eine Antwort verstrich, setzte der preußische König seine Truppen von ihrem Hauptquartier in Erfurt aus nach Westen in Marsch. Preußen war auf sich allein gestellt, weil Österreich und Russland sich beide zurückgezogen hatten, um sich von ihrer Niederlage bei Austerlitz im Jahr zuvor zu erholen. Trotzdem hatten die Preußen guten Grund, zuversichtlich zu sein. Immerhin war dies die Armee, deren Siege Preußen während des vorangegangenen Jahrhunderts zu einem mächtigen Staat gemacht hatten. Niemand erwartete eine Niederlage. Doch am 10. Oktober, im allerersten Gefecht bei Saalfeld, wurden die preußischen Soldaten vernichtend geschlagen. Der Cousin des Königs, Prinz Louis Ferdinand, fiel in diesem Gefecht. Louis Ferdinand war schon zu Lebzeiten eine Legende gewesen, gut aussehend und lässig-elegant, ein talentierter Pianist und Komponist. Er war zum leidenschaftlichen Patrioten geworden, der eng mit Königin Luise zusammenarbeitete, um den Patriotismus unter den abgestumpften Adeligen Berlins zu wecken. Viele betrauerten seinen Tod, darunter Rahel und mehrere ihrer Freundinnen. Denn Louis Ferdinand war ein enger persönlicher Freund von Rahel Levin gewesen und hatte oft Klavier gespielt in ihrem Salon. Außerdem war der Prinz der Liebhaber von Rahels guter Freundin Pauline Wiesel gewesen, einer allseits bekannten Schönheit mit einem ebenso erfüllten wie bewegten Liebesleben.84 Am 14. Oktober 1806, vier Tage nach ihrer vernichtenden Niederlage bei Saalfeld, wurde die preußische Armee zwei weitere Male besiegt, bei Jena und bei Auerstedt. Das Muster war jetzt vorgegeben, und eine Festung nach der anderen fiel Napoleons Soldaten in die Hände. Aber das Vertrauen in die preußische Armee war so groß, dass viele in hohen Positionen noch immer auf eine mögliche Trendwende hofften. Beispielsweise versammelte sich am Abend des 17. Oktober eine große Gesellschaft im Hause von Christian Wilhelm Hufeland, dem Arzt des Königs. Hufeland hatte seine Freunde zu einer Feier eingeladen, so sicher war er sich, dass ein militärischer Sieg an diesem Tag ein Fest erfordern würde. Aber statt die erwartete gute Nachricht zu feiern, durften Hufelands Gäste, darunter Johann Gottlieb Fichte, gemein-
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sam trauern, als man sie über eine weitere schreckliche Niederlage unterrichtete.85 Napoleon selbst marschierte zehn Tage später, am 27. Oktober, in Berlin ein. Es fiel den Berlinern schwer, zu glauben, dass ihre Soldaten mit ihren »ordentlichen Zöpfen, weißen Gamaschen und makellosen Uniformen« von diesen »verlotterten und jugendlichen Kriegern« mit ihren dreckigen Haaren im Felde besiegt worden waren.86 In einem einzigen Monat hatte die Armee der Französischen Revolution die preußische Kriegsmaschine vernichtet. Den Franzosen machten 120.000 preußische Soldaten zu Kriegsgefangenen und beschlagnahmten Waffen und Vorräte. Nur eine einzige Einheit konnte sich nach Ostpreußen absetzen, wo sie vor dem französischen Zugriff sicher war. Das Trauma war ungeheuer, wie ein Vorkommnis im Leben von Friedrich Ludwig Jahn veranschaulicht, der bald zum leidenschaftlichen Organisator der patriotischen Turnbewegung werden sollte. Jahn, der damals 28 Jahre alt war, erinnerte sich später, dass seine Haare nach der Schlacht bei Jena an einem einzigen Tag grau geworden seien.87 Bald nach seinem siegreichen Einzug in Berlin verließ Napoleon die Stadt, um im Potsdamer Hohenzollernschloss Cecilienhof sein neues Beutegut zur Schau zu stellen. Die königliche Familie war hastig abgereist, um der Gefangennahme zu entgehen. Während er in Potsdam weilte, stellte Napoleon sich vor das Grab Friedrichs des Großen und sagte seinen Soldaten: »Meine Herren, wenn dieser Mann noch lebte, stünde ich nicht hier.«88 Friedrichs Grab war symbolträchtiges Territorium. Im Jahr 1805 hatten Königin Luise, ihr königlicher Gemahl und Zar Alexander sich dort getroffen, um feierlich zu geloben, Preußen zu verteidigen. Ein Stich von den Dreien, der Luise zeigt, wie sie Alexander inbrünstig anhimmelt, verkaufte sich in den Läden Berlins wie warme Semmeln.89 Der Stich nährte seit einiger Zeit kursierende Gerüchte, dass die ungeheuer populäre Königin in Zar Alexander verliebt sei. Jetzt war es ein Jahr später, und der lange vermiedene Krieg war die neue Realität. Während die Königin und ihre Kinder in Kutschen saßen und aus dem besetzten Berlin flohen, hing der Staat Preußen im Herbst 1806 an einem seidenen Faden. Das Ancien Régime hatte ein Ende gefunden, und die Zukunft war ziemlich in der Schwebe. Noch hatte Napoleon nicht über das Schicksal des einst so stolzen Staates entschieden. Auch das jüdische Leben in Preußen stand still. Die Unzufriedenheit mit der Tradition wuchs, doch nur wenige hatten eine klare Vorstellung von einem dritten Weg zwischen Taufe und Tradition.
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Unter französischer Herrschaft, 1807–1810 Die Preußen litten in jenem ersten Winter der Besatzung unter vielen Entbehrungen. Französische Soldaten wurden bei ortsansässigen Familien einquartiert, Feuerholz wurde knapp, und viele Menschen waren kurz vor dem Verhungern. An der Universität von Halle hielt Schleiermacher in der Kapelle mitreißende Predigten. Er war in jenem Herbst 1806 38 Jahre alt und gerade als Professor für Theologie berufen worden, eine wichtige Beförderung nach Jahren als Prediger.90 In seinen Vorlesungen flehte er die Studenten an, sich in nationalen Projekten zu engagieren, die Preußen für den letztendlichen militärischen Sieg über die Franzosen rüsten würden. Die Studenten in Halle sympathisierten offensichtlich mit Schleiermachers politischen Ansichten, wie man aus einer Begebenheit während eines persönlichen Besuchs Napoleons in der Universität im Winter 1807 ersieht. Er wurde von den Studenten ausgepfiffen, die Lobrufe auf ihren eigenen König brüllten. Französische Soldaten versuchten die patriotischen Studenten mit dem Ruf »Vive l’Empereur« zu übertönen, aber die Studenten waren lauter. Nach diesem Vorfall befahl Napoleon die Schließung der Universität. Schleiermacher, Varnhagen und Wilhelm Neumann verließen alle zu verschiedenen Zeitpunkten im Laufe des Herbst 1806 Halle, und schließlich kehrten alle drei zurück nach Berlin. Die Stadt war für jeden von ihnen ein vertrautes Pflaster, aber der historische Moment war extrem schwierig. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und andere Leute mit Vermögen hatten die Stadt bereits verlassen. Die gesellschaftliche Welt der Salons des Ancien Régime, wo nachdenkliche, kluge Menschen sich über Bücher, Gedichte, Theaterstücke und die gegenseitigen privaten Dramen ausgetauscht hatten, gehörten der Vergangenheit an. Von der Familie Hertz in Hamburg großzügig unterstützt, nahm Karl sein Medizinstudium wieder auf. Der Winter 1807 war eine produktive Zeit für ihn, sowohl was die Arbeit als auch was die Freundschaft betraf. Er hatte nicht vor, den Franzosen persönlich Widerstand zu leisten, war er doch zu diesem Zeitpunkt begeistert von den Siegen Napoleons in Preußen, die er als einen »großen Dienst an der Freiheit« und einen »Angriff auf das Herz« eines der »autokratischsten Staaten Europas« empfand.91 Varnhagen stand mit dieser Denkweise keinesfalls allein da. Auch Johann Wolfgang von Goethe und Georg Wilhelm Friedrich Hegel begeisterten sich anfangs dafür, wie die französische Herrschaft die deutsche Gesellschaft verbessern könnte.
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Als Schleiermacher nach Berlin zurückkehrte, wurde er Pfarrer an der Dreifaltigkeitskirche, ein Glücksfall für die Patrioten, denn angesichts der Tatsache, dass die Presse zensiert wurde und französische Offiziere ein scharfes Auge auf potenziellen Widerstand hatten, war die Kanzel ein seltener Ort für politische Reden. Kein Prediger hatte jemals solche leidenschaftlich politischen Predigten gehalten wie Schleiermacher in jenem Herbst.92 Er spielte eine große Rolle bei dem Bemühen, die hedonistischen, romantischen Intellektuellen davon zu überzeugen, dass die Religion eine wichtige Rolle spielte, und für den christlichen Strang im nationalistischen Denken und Handeln zeichnete größtenteils er verantwortlich.93 Zudem gelang es ihm, lutherische Geistliche für Politik zu interessieren, indem er sie davon überzeugte, dass die Nation wichtig sei. Für das Schicksal Preußens erwies sich Schleiermachers Integration von Religion und Politik als entscheidende Synthese. Bedauerlicherweise sollten die protestantischen Werte der nationalen Bewegung die Integration der Juden in das deutsche Leben insgesamt problematisch machen. Unterdessen übernahmen Napoleon und sein engster Kreis von Soldaten die Kontrolle über den frisch eroberten Staat und genossen in den verschiedenen, von der königlichen Familie geräumten Palästen die Annehmlichkeiten des Lebens. Es ging das Gerücht, dass Napoleon seine Freude daran habe, die parfümierten Briefe der Königin Luise auf patriotische Sendschreiben an Zar Alexander hin zu durchwühlen, und dass seine verlotterten Soldaten die Palastböden mit ihren schlammigen Stiefeln verschmutzten. Am 9. November 1806 traf Königin Luise, aus Tilsit kommend, in Königsberg ein, einen Tag später folgte der König. »Empfangen von einer großen Menge, in der viele Tränen für sie flossen, geführt vom Kronprinzen und Prinzeß Charlotte, stieg sie die Stufen zu dem alten Königsschloß empor. […] Gleich am Tage nach ihrer Ankunft in Königsberg ließ sie Hardenberg zu sich rufen. […] Und alles was sie umgibt, was sich ihr nähert oder was sie an sich zieht, sucht die Königin mit dem Geiste zu erfüllen, der sie selbst beseelt.«94
Obwohl Preußen auf den Schlachtfeldern weiterhin verlor, beschloss der König, einen weiteren demütigenden Vertrag mit Frankreich zurückzuweisen. Kurz nach Weihnachten, in den ersten Wochen des Jahres 1807, musste die königliche Familie sich auf der Flucht vor den vorrückenden französischen Truppen weiter nach Osten zurückziehen, in die Stadt Memel. Aber im März war Königsberg wieder sicher, und Luise und die Kinder machten sich auf schlammigen Straßen auf die Reise zurück zum Schloss. Und hier, im Königsberger Schloss, sollte die königliche Familie bleiben, bis ihr in zwei
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Jahren, im Jahr 1809, die Rückkehr nach Berlin gestattet wurde. Im Juli 1807 wurde schließlich in Tilsit ein Friedensvertrag zwischen Preußen und Napoleon unterzeichnet, der die Preußen harten Friedensbedingungen unterwarf. Der einzige Trost war, dass die Hohenzollern als Dynastie nicht gänzlich ausgelöscht wurden. Die Hälfte der Territorien Preußens wurde von französischen Truppen besetzt, und die Staatskasse musste als Zwangskontribution für den französischen Feldzug 160 Millionen Franc beschaffen. Es sollte uns nicht überraschen, dass in diesem schwierigen Augenblick die führenden jüdischen Bankiers von Berlin die Regierung aus ihrer akuten Krise retteten. Einer der nützlichsten war Amalie Beers Gemahl Jakob. Die Regierungen aller am Konflikt Beteiligten benötigten rasch große Kreditsummen. Für Finanziers, die bereit waren, große Risiken einzugehen, konnten die Gewinne beträchtlich sein. Was den Staat betraf, so blieben ihm in seiner Stunde der Not nur wenige Stellen, an die er sich wenden konnte. Adelige Grundbesitzer hatten nicht unbedingt Zugang zu flüssigem Kapital, und alteingesessene christliche Kaufleute zogen es vor, ihr Gold und ihre Wertsachen zu verstecken oder an sichere Orte zu schaffen, statt in Kriegszeiten riskante Darlehen zu vergeben.95 Wir, die wir die Geschichte der jüdischen Finanziers Berlins als Münzpräger und Distributoren verfolgt haben, sollten nicht überrascht sein, zu sehen, dass ihre Nachkommen mit Freigiebigkeit auf die Finanzkrise von 1807 reagierten. Die in Frankfurt beheimatete Familie Rothschild war die verrufenste jüdische Sippe, die während der Napoleonischen Kriege verschiedene Armeen und Staaten finanzierte. Selbst wenn Finanziers wie Jakob Herz Beer nur dem eigenen Staat halfen und ihre Großzügigkeit nicht den Franzosen anboten, ärgerte sich der Durchschnittspreuße, der unter der Besatzung litt, dass jemand reich wurde, während er selber Not litt. Geldgeber wie die äußerst exponierten Rothschilds, die den Franzosen tatsächlich Darlehen gewährten, erweckten mit ihrem Handeln den Eindruck, als seien alle jüdischen Finanziers schlicht von Eigennutz getrieben. Was die preußischen Adeligen betraf, deren Reichtum aus Grundbesitz bestand, so ärgerten auch sie sich zwangsläufig über die jüdischen Bankiers. Ihre Wirtschaft steckte in der Krise. Die Getreidepreise fielen dramatisch, sobald Preußen sich wirklich im Krieg befand, denn eines der zentralen Instrumente des Handelskrieges, deren Napoleon sich bediente, war die Kontinentalsperre, die den gesamten Handel zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa unterbinden sollte. Daher konnten die Engländer, die Hauptabnehmer von Roggen und Gerste, jetzt kein preußisches Getreide mehr importieren.
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Während der zwei Jahre, in denen Königin Luise und ihr Hofstaat im Königsberger Exil lebten, war sie Gastgeberin eines Salons. Salonnière zu sein war schon seit geraumer Zeit das Ziel der Königin gewesen, aber inmitten des steifen Pomps ihres früheren Lebens in Berlin hätte sie eine derart private Art öffentlicher Existenz niemals realisieren können. Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis für das Ansehen der jüdischen Salons, dass es der glühendste Wunsch der Königin war, Gastgeberin ihres eigenen Salons zu sein. Die Frau auf dem höchsten Gipfel der gesellschaftlichen Hierarchie imitierte eine Einrichtung, bei der auf dem Berliner Schauplatz Frauen den Ton angaben, die eigentlich sehr déclassé waren. Die Königsberger Salons der Königin Luise waren bescheiden und patriotisch. Sie servierte nur Tee, und während sie plauderten, zupften ihre Gäste Scharpie von Stoffballen ab, die später benutzt würde, um die Verletzungen verwundeter preußischer Soldaten in einem örtlichen Hospital zu verbinden.96 Zu den Gästen gehörten Heinrich von Kleist und ein weiterer in Königsberg lebender romantischer Dichter, Achim von Arnim. Letzterer engagierte sich zusammen mit seinem engen Freund Clemens Brentano für verschiedene volkskundliche Projekte, darunter eine Sammlung alter Volkslieder, um die verschwindenden mündlichen Überlieferungen der einfachen Leute zu retten. Aber wie viele andere im Exil lebende preußische Adelige wendete sich auch das königliche Paar immer stärker von modischen literarischen Passionen ab und begann sich dem eigenen Seelenleben zu widmen. Beide beteiligten sich mit ganzem Herzen am »Großen Erwachen«, einer Erweckungsbewegung, deren Mitwirkende als »parfümierte Pietisten« bezeichnet wurden. Die Königin betete regelmäßig in der Herrnhuter Brüdergemeinde des Pastors Ludwig Ernst von Borowski, Seite an Seite mit ihrer Freundin, der Baroness von Krüdener. Diese hochwohlgeborene Dame hatte einige Jahre zuvor eine religiöse Wiedergeburt erlebt, als sie in Berlin wohnte und Probleme in ihrem Liebesleben hatte. Man stelle sich vor, was für eine neuartige Erfahrung es für sie war, als ihr Flickschuster sie mit spiritualistischen Praktiken bekanntmachte. Die Tochter der Baronesse, Juliette, lebte in diesen Jahren bei ihrer Mutter in Königsberg, wo beide sich in den Dienst der Armen und der Leidenden stellten. Die beiden adeligen Damen verbrachten in jenem dramatischen Sommer des Jahres 1807 ihre Tage in einem örtlichen Hospital, wo sie auf Russisch, Deutsch und Französisch für verwundete preußische Soldaten sangen.97 Anhänger der Bewegung des »Großen Erwachens« organisierten in diesen Jahren viele spirituelle und praktische Projekte, die reiche und arme Preußen zusammenführten, eine seltene Erfahrung in der norma-
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lerweise starren gesellschaftlichen Hierarchie. Besonders aktiv bei den parfümierten Pietisten waren junge Offiziere der preußischen Armee.98 Die Entbehrungen der Besatzung und die wachsende Zahl der Erwerbslosen in Berlin veranlassten einen anderen Adeligen, Baron Hans Ernst von Kottwitz, in Privathäusern Arbeitsstätten für Weber und Flachsspinner einzurichten. Als ihm von der französischen Militärveraltung die leer stehende Winning’sche Kaserne in der Alexanderstraße zugewiesen wird, gründet er dort »als Hilfe zur Selbsthilfe die ›Freiwillige Arbeitsanstalt‹«, wo Erwerbslose Arbeit und obdachlose Familien Unterkunft fanden.99 Sogar der König wurde veranlasst, Geldmittel für die Projekte des Barons Kottwitz zu spenden. Ebenso wie den pietistischen Missionaren, denen wir im frühen 18. Jahrhundert begegneten, ging es Kottwitz darum, Projekte zu initiieren, die den Armen und Unterbeschäftigten helfen sollten, produktiv zu werden.100 Einer der patriotischen Intellektuellen, die im traumatischen Winter 1806/07 in Richtung Osten nach Königsberg geflohen waren, war Dorotheas und Friedrichs Freund Johann Gottlieb Fichte. Nachdem er ein Semester an der Königsberger Universität gelehrt hatte, kehrte er jedoch im Spätsommer 1807 nach Berlin zurück, um bei seiner Frau und seinem Sohn zu sein. Fichte war damals 45 Jahre alt, auf dem Gipfel seines Lebens. Sobald er sich in Berlin wieder eingerichtet hatte, baten Staatsbeamte ihn, die Planungen für die neue Universität, die für die Stadt vorgesehen war, zu koordinieren. Mit diesem größeren Projekt im Kopf kündigte er eine Vortragsreihe an, die dem Thema Kultur und Politik gewidmet war. Es gingen derart viele Voranmeldungen ein, dass die Veranstaltung nicht bei ihm zu Hause stattfinden konnte, sodass seine einflussreichen Freunde in der Regierung ihm halfen, es so einzurichten, dass er in der Akademie der Wissenschaften sprechen konnte. Fichte nannte die Reihe »Reden an die deutsche Nation«, und diese Vorträge sollten schließlich sein bekanntestes und umstrittenstes Werk werden. Die Atmosphäre war aufgeladen. Obwohl Berlin noch von französischen Soldaten besetzt war, zensierte Fichte seine Worte nicht. Jedes Mal, wenn er nach einem Vortrag heimkehrte, fürchtete er, dass französische Beamte ihn von seinem Haus fortzerren und erschießen würden.101 Aber weder verboten sie die Vorträge noch sperrten sie den Redner ein oder erschossen ihn, und binnen eines Jahres erteilte der Zensor der französischen Regierung Fichte sogar die Genehmigung, den Text zu veröffentlichen.102 Fichtes Vorträge zeigen einen anderen Weg auf, wie deutsche Intellektuelle zu Nationalisten werden konnten. Den religiösen Werten und Symbolen, um die Schleiermacher die nationale Bewegung bereicherte, stellte Fichte seine glü-
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hende Begeisterung für die radikalen jakobinischen Revolutionäre in Paris an die Seite. Nach dem Beginn der französischen Besetzung im Herbst 1806 war er zum deutschen Nationalisten geworden, weigerte sich dabei aber, seine linken politischen Ansichten aufzugeben. So schufen Schleiermacher, Fichte und ihre Freunde bis 1807 einen vielschichtigen und zeitgemäßen Nationalismus, der für Anhänger unterschiedlicher Standpunkte attraktiv war. In seinen Vorträgen kritisierte Fichte die Selbstsüchtigkeit der gebildeten Klassen und forderte sie auf, sich mit dem einfachen Volk zu solidarisieren.103 Er vertrat den Standpunkt, dass Bildung Individuen helfen müsse, einen Weg zu finden, sich für die weniger vom Glück Begünstigten einzusetzen, und dem Volk, sich als Nationalstaat zu organisieren. Fichte war von der Überlegenheit des deutschen Volkes und der deutschen Sprache überzeugt, Ansichten, die ihm den Ruf einbrachten, einer der Begründer des modernen deutschen Nationalismus zu sein.104 Substanz und Subtilität der Fichte’schen Botschaft sind mit der Zeit verloren gegangen, und nur die vulgärste Version seines Nationalismus hat überdauert. Aber Fichte war fürwahr ein komplexer Denker, und in seinem Werk trafen sich viele Denkströmungen.105 Eine der inbrünstigsten Zuhörerinnen Fichtes an jenen Sonntagen im runden Auditorium der Akademie war Rahel Levin, die sich die Vorträge zusammen mit ihrem Bruder Ludwig anhörte. Für Rahel waren dies traurige Jahre, denn die Tage ihres lebhaften Salons in den Neunzigerjahren des 18. und den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts waren für immer vorbei. Vieler ihrer Freundinnen hatten Berlin verlassen, und Rahel war einsam. Fichtes Vorträge waren eine willkommene Abwechslung, und sie pries später seinen Beitrag und sprach von den Vorträgen als »Fichtes Stunde mein einziger Trost, meine Hoffnung, mein Reichtum.«106 Dass Fichtes Botschaft sie ansprach, ist sowohl vollkommen verständlich als auch zutiefst beunruhigend. Wie er schwärmte auch sie von der Französischen Revolution. Auch sie war Pantheistin, kritisierte die organisierte Religion und dachte sozial fortschrittlich. Gerade weil sie in so vielem übereinstimmten, hatte Fichtes patriotische Botschaft in seinen Vorträgen von 1807 eine so große Wirkung auf Levin. Fichte half, aus Levin eine preußische Nationalistin zu machen. Aber was war mit seinen Ansichten über Juden? Leider wissen wir nicht genau, welche seiner Publikationen Rahel tatsächlich gelesen haben könnte. Im Jahr 1793 hatte Fichte sich in gedruckter Form dagegen ausgesprochen, den Juden Bürgerrechte zu gewähren. Seine Ausdrucksweise schockiert noch heute. Er schrieb: »Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein
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Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei.«107 Aus ihren Briefen wissen wir, dass Rahel, obwohl sie oft darüber klagte, wie sie als Jüdin behandelt werde, sich selten, wenn überhaupt, als Jüdin äußerte, wenn Juden herabgesetzt wurden. Alles, was wir über ihr Leben wissen, lässt darauf schließen, dass sie durchaus ihren Frieden mit Fichtes harschen Worten gemacht haben könnte. Im Jahr 1807 war sie noch nicht getauft worden, aber sie war seit mindestens einem Jahrzehnt bereit dazu. Als Jüdin, die das Judentum aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte, konnte sie sich leicht vorstellen, eine Bürgerin nach Fichte’scher Art zu sein. In diesem Sinne waren sowohl Fichte als auch sie gegen das Judentum, und Juden, die nicht mehr jüdisch waren, konnten eine neue säkulare Gesellschaft aufbauen. Während derselben Jahreszeit, als Rahel und Ludwig so gebannt den Vorträgen Fichtes lauschten, begegnete sie eines Tages auf der Straße zufällig Karl Varnhagen. Es war fünf Jahre her, seit die beiden einander im Hause von Philippine Cohen vorgestellt worden waren. Er war seit jener Zeit in Halle und Hamburg gewesen und studierte jetzt Medizin. Sie, inzwischen 37, war sehr oft einsam gewesen während der zwei Jahre, seit Napoleon in Berlin einmarschiert war. In einem Brief an Gustav von Brinckmann vom Januar 1808 klagte sie: »Bei meinem ›Theetisch‹, wie Sie es nennen, sitze nur ich mit Wörterbüchern.«108 Doch nun schloss sie ein paar neue Freundschaften. Eine ihrer neuen Vertrauten in diesen unruhigen Jahren war Rebecca Friedländer, eine Itzig-Enkelin, die kürzlich von David Friedländers Sohn Moses geschieden worden war. Rahel wurde eine Art Mutterfigur für Rebecca und vertraute ihrer jüngeren Freundin ihre Qualen und ihre Einsamkeit an.109 In jenem Sommer 1808 mietete Rahel, die Gärten immer geliebt hatte, ein Haus in Charlottenburg, damals ein kleines Dorf auf dem Lande. Sie und Karl verbrachten ihre Tage gemeinsam und vertrauten einander ihre Lebensgeschichten an. Er war sehr beeindruckt von ihren Beziehungen zu so vielen einflussreichen zeitgenössischen Persönlichkeiten und pflegte jeden Abend in sein Zimmer zurückzukehren, um ihre kostbaren Schachteln mit Briefen durchzusehen. Sie verliebten sich ineinander und wurden ein Paar. Aber sie konnten nicht heiraten, bevor Karl einen Beruf und ein Einkommen hatte. Dann war da noch das Problem seines fortgesetzten Verhältnisses mit Fanny Hertz, deren Familie nach wie vor sein Medizinstudium finanziell unterstützte. Nach einem Jahr reiste Karl 1809 aus Berlin ab, um an der Universität von Tübingen Medizin zu studieren, und ließ Rahel zurück, die
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einen schwierigen Winter durchmachte. Sie starb beinahe an einer Lungeninfektion und vereinsamte wegen aufwühlender Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter mehr denn je. Chaie hatte Rahel im Sommer 1808 mit ihrem Auszug aus dem Haus der Familie in der Jägerstraße überrascht, und nach ihrer Zeit in Charlottenburg war Rahel gezwungen, in eine bescheidenere Unterkunft in der Stadt zu ziehen. Was Karl betraf, so begann sein Studium ihn ziemlich zu langweilen, und er fand die Stadt Tübingen für seinen Geschmack zu verschlafen. Außerdem wendete er sich gegen Napoleon, und er wollte sich nun dem Kampf anschließen, um die Franzosen von deutschem Boden zu vertreiben. Im Juni 1809 meldete er sich freiwillig zur österreichischen Armee. Österreich hatte sich nach zwei Jahren der Neutralität der die Franzosen bekämpfenden Koalition von Preußen und Russland in angeschlossen. Während der Jahre der französischen Okkupation hatten nicht nur viele der führenden Persönlichkeiten Berlins die Stadt verlassen, auch die Wertvorstellungen änderten sich rapide. Männliche und weibliche Patrioten gleichermaßen lehnten intellektuelle Frauen und die romantischen sexuellen Freiheiten ab, in deren Genuss die Besucher der Salons zuvor gekommen waren. Die männlichen Intellektuellen litten nicht allzu sehr unter dem Fehlen von Salons, da Berlin im Laufe der Zeit nicht nur zum Sitz einer Universität von Weltrang, sondern auch von immer mehr Zeitungen, Kaffeehäusern, politischen Parteien und Berufsverbänden wurde. Aber die meisten dieser Einrichtungen blieben Frauen verschlossen. Auch die tonangebende Rolle jüdischer Frauen unter den Salonnières war zunehmend umstritten.110 Zwar sollten die Salons, darunter einige von Jüdinnen geführte, nach dem Ende der Napoleonischen Kriege im Jahr 1815 nach Berlin zurückkehren. Aber mit der jüdischen Dominanz, wie man sie während des Ancien Régime, in dem Vierteljahrhundert vor dem Oktober 1806, erlebt hatte, war es ein für allemal vorbei, und gescheiten, freimütigen Frauen unterschiedlichster Herkunft sollte es im Laufe des 19. Jahrhunderts immer schwerer fallen, ihren Platz im öffentlichen Leben zu finden. Auf der anderen Seite erhielten die männlichen Intellektuellen eine renommierte und innovative Institution, als die Berliner Universität im Herbst 1810 ihre Pforten öffnete. Berlin wurde wegen seiner zahlreichen Vereine, Vorträge, Akademien und produktiven Intellektuellen als Standort für die neue Universität gewählt. Wie wir gesehen haben, hatte Napoleon die Hallenser Universität im Jahr 1807 geschlossen. Aber bei der Entscheidung, in Berlin eine neue Universität zu gründen, ging es um mehr als um die prakti-
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sche Notwendigkeit, eine neue Generation auszubilden, auch wenn dieses Ziel von höchster Bedeutung war. Die tief greifende politische Krise hatte eine erstaunliche Chance für Reformen geschaffen. Die französische Armee hielt halb Preußen besetzt, und der Rumpfstaat war finanziell arg strapaziert, zumal seine dürftigen Ressourcen unentwegt durch französische Forderungen nach Beutegut und Geldern geplündert wurden. Staatsbeamte erkannten, dass die Schaffung offenerer Institutionen ein Gebot der Vernunft war, sodass die Preußen motiviert wären, einen Staat zu verteidigen, der ihr Leben verbesserte. Selbst für den König, der in dem Unternehmen eine Chance für Preußen sah, war die Gründung der Universität zur Herzensangelegenheit geworden. »›Der Staat muß durch geistige Kraft ersetzen, was er an physischer verloren hat‹, erklärte der nicht eben philosophische König 1807.«111 Alles in allem wurde die Situation im Jahr 1810 besser. Ende Dezember 1809, nur Tage vor Weihnachten, durfte die königliche Familie in ihr Berliner Schloss zurückkehren. Ein glühender Patriot, Ernst Moritz Arndt, der selber unter strenger französischer Beobachtung stand, berichtete über die »Jauchzenden und Weinenden«, als das Paar den Palast Unter den Linden betrat, und dass die Augen der Königin Luise rot vom Weinen gewesen seien, als sie die Scharen glücklicher Berliner begrüßte.112 Leider erwies sich die Freude vieler beim Anblick der Königin Luise als allzu kurzlebig, denn sie starb plötzlich und unerwartet im Juli 1810. Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Daniel Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt wurden vom König mit der Planung der neuen Universität beauftragt, und ihre pädagogische Vision war bahnbrechend. Ihr Traum war die Schaffung einer auf dem Ethos des Bildungsbürgertums beruhenden Institution.113 Hatten Universitäten in Deutschland bis dahin Geistliche, Juristen und Beamte ausgebildet, so sollte hier die Forschung zu einem Ziel an sich werden. Die Ziele der drei Bildungsplaner ergaben sich direkt aus den Vorträgen Fichtes von 1807. Die akademische Elite sollte auf der Universität Begabungen aus den unteren Schichten aufsaugen, und die Studenten sollten später, nach Abschluss ihres Studiums, die etablierte Macht des Adels anfechten. Aber so radikal die Vision gewesen sein mag, so bescheiden war der institutionelle Rahmen, als die Universität im Jahr 1810 mit nur zwölf Professoren, die 250 Studenten unterrichteten, die ersten Lehrveranstaltungen anbot.114 Vom allerersten Augenblick an strömten jüdische Studenten zu der neuen Universität. Schon in ihrem Eröffnungsjahr waren sieben Prozent der Studentenschaft jüdisch, und dieser Anteil wuchs im Laufe der Jahre beträchtlich.115
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Rahel und Karl hatten in den Jahren 1810 und 1811 ihre je eigenen Probleme. Rahel, immer noch in Berlin, war gereizt und eifersüchtig auf das Leben, dass Karl ihrer Ansicht nach führte. Karl war nicht mehr Soldat in der österreichischen Armee, sondern diente dem Obersten Wilhelm Graf von Bentheim, seinem Befehlshaber aus Armeezeiten, als persönlicher Adjutant. Bentheim hielt ihn mit der Sorge um seine problematischen Finanzen auf Trab, und darüber hinaus übernahm Karl diplomatische Missionen hinter den Kulissen und produzierte eine Flut von Publikationen, in denen er die neuesten militärischen Entwicklungen analysierte. Als Rahel fortfuhr, sich in Briefen darüber zu beklagen, dass Karl es sich auf Empfängen und eleganten Gesellschaften gut gehen lasse, verlor Karl angesichts ihres fordernden Tonfalls allmählich die Geduld. Ihre Einkünfte aus ihrer Erbschaft waren aufgrund von Schwierigkeiten, in denen das Familienunternehmen steckte, stark reduziert worden. Mit 800 Talern, die ihr im Jahr zum Leben zur Verfügung standen, war sie zu diesem Zeitpunkt kaum arm, immerhin entsprach diese Summe dem Jahreseinkommen, das die gesamte Familie eines bescheiden entlohnten Professors oder Staatsdieners ernährte. Aber in jüngeren Jahren war Rahel sehr viel reicher gewesen, und sicher kam sie sich in diesen Jahren arm und verloren vor. Karl meinte oft, Rahel erklären zu müssen, dass auch er schwierige Zeiten durchmachte. Im November 1810 schrieb er ihr: »O Rahel, mit den menschlichen Dingen ist es so beschaffen, daß es doch oft wohl anders sein mag, als man glaubt, und die sichersten Anzeigen täuschen!« In dem Brief räumte er ein, dass er manchmal in feinen Kutschen reise, dass ihm in der Tat ein paar gute Kleidergarnituren gehörten, obwohl der Graf wahrscheinlich niemals die Rechnung dafür bezahlt habe, und dass er gelegentlich an den besten Tafeln speise. Aber der Anschein trüge definitiv, denn in Wahrheit habe er »mit dem, was mir der Kaiser gab, kaum einige Briefe, Papier, Licht, und meinen Burschen bezahlen können«. Er habe »Mittags zwar bei meinem Obersten gegessen, aber sonst von Bier und Brod gelebt […], und eine kleine Schneiderrechnung konnt’ ich erst jetzt bei der Abreise nach Wien bezahlen, obwohl sie schon aus dem Feldzug datirte«.116 Rahel war in diesem sehr gedrückten Moment in ihrer beider Leben fast 40, noch unverheiratet und gesellschaftlich isoliert, und Karl verfügte nach wie vor über kein gesichertes Einkommen, um für den Lebensunterhalt eines Ehepaars aufkommen zu können. Die besten Jahre des Ancien-Régime-Lebensstils waren endgültig vorbei, und die napoleonische Herrschaft über Mitteleuropa war fest etabliert. So oder so hatten die Erfolge des Korsen bei
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der Beherrschung deutscher Städte und Staaten dazu geführt, dass viele sich gegen die kosmopolitischen Werte wendeten, die unter der Intelligenz des 18. Jahrhunderts so populär gewesen waren. Die meisten Deutschen, die bei der Pariser Revolution 1789 gejubelt hatten, hassten die Franzosen inzwischen. Wir erleben hier, wie sich zum ersten Mal die verhängnisvolle Kluft zwischen Liberalismus und Nationalismus in Deutschland auftut. Frankreich war liberal, Deutschland war national. Diese Polarität sollte im Laufe der Zeit nur noch stärker, erbitterter und politisch problematischer werden. Doch trotz der schwelenden Unzufriedenheit gab es im Jahr 1811 innerhalb Preußens ganz bestimmt keine Massenbewegung, die sich der Okkupation widersetzte. Was die Juden betraf, standen auch sie an einem Wendepunkt, und leichte Lösungen waren nicht in Sicht. Die symbolischen Besuche in den jüdischen Salons waren nicht mehr in Mode. Doch die Reformer innerhalb des Judentums blieben ohne Einfluss. Es war eine schwierige Zeit, um entweder stolzer Jude oder stolzer Deutscher zu sein, und niemand wusste, ob Preußen jemals wieder ein vereinter Staat und frei sein würde.
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Itzigs Duell um die jüdische Ehre, 1811 Rahel und Karl fanden im Juni 1811 Grund zur Hoffnung, als sie in Bad Teplitz, einem Kurort in Böhmen, ein Wiedersehen genossen, ihr erstes Zusammensein, seit Karl zwei Jahre zuvor Berlin verlassen hatte. Die Heilbäder waren attraktive Orte für gemischte Paare wie Karl und Rahel, weil die sozialen Grenzen dort durchlässiger waren als in der Stadt. Zu Hause lief nichts gut für Rahel. Ihre Mutter war gestorben, dennoch erlangte Rahel keine finanzielle Unabhängigkeit, weil nun ihre Brüder ihr Erbe verwalteten, und sie regte sich darüber auf, dass diese die jährliche finanzielle Zuwendung knapp hielten. Sie verteidigten das Engerschnallen des Gürtels, da das Familienunternehmen wegen der durch die Okkupation verursachten wirtschaftlichen Erschütterungen Schaden nehme. Eine von Rahels wichtigsten Freundinnen in diesen Jahren war Rebecca Friedländer, die jüngere Schwester von Marianne Saaling und seit Kurzem von David Friedländers Sohn Moses geschieden. Rebecca, ebenfalls verloren zwischen jüdischer und adeliger Gesellschaft, versuchte ihre Romane zu veröffentlichen, mit bescheidenem Erfolg bei der Kritik. Jetzt, im Jahr 1811, konvertierte sie und änderte ihren Namen in Regina Frohberg. Die beiden Freundinnen verbrachten ihre Abende in einem Kreis französischer Adeliger, die nach Berlin entsandt worden waren, um die Verwaltungsangelegenheiten des Besatzungsregimes zu regeln. Rahel wurde wütend, als sie die Überzeugung gewann, dass in einem von Rebeccas Romanen ein wenig schmeichelhaftes Bild von ihr gezeichnet wurde. Am Ende sollte sie sich von Rebecca entfernen, der sie sich mehr als nur ein bisschen überlegen fühlte.1 Rahel und Karl waren jetzt seit drei Jahren ein Paar, und sie warteten noch immer darauf, dass Karl ein Gehalt verdiente, das ihnen ermöglichen würde zu heiraten. Im Unterschied zu einigen ihrer reicheren Freundinnen hatte Rahel nicht genug Geld vonseiten ihrer Familie. Karl hatte seine medi-
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zinische Laufbahn inzwischen an den Nagel gehängt, und es war nicht klar, wie er genug verdienen sollte, um sie beide zu ernähren. Dennoch war er ständig beschäftigt und reiste im Auftrag des Grafen Bentheim umher, um den Verwandten seines Brotherrn Ländereien, Schlösser und Bargeld zu entlocken. Alldieweil schrieb Karl emsig und bemühte sich nach Kräften, jene Mächtigen und Einflussreichen kennenzulernen, die ihm helfen konnten, eine Anstellung im diplomatischen Dienst Preußens zu finden. Nicht nur für Karl und Rahel waren dies dramatische Jahre, sondern auch für die deutsche Geschichte. Die Befreiungskriege, in denen Preußen die französische Herrschaft abschüttelte, sind in Deutschland und jenseits seiner Grenzen lange gefeiert worden. Aber inmitten der Hochgefühle einer erfolgreichen nationalen Erhebung fallen einige ausgesprochen beunruhigende Entwicklungen ins Auge. Wir haben gesehen, wie verschiedenartig die theoretischen und praktischen Stränge waren, die in den Nationalismus integriert wurden. Volkskundliche Populisten, atheistische Republikaner und aristokratische Grundbesitzer konnten alle für dieselbe Sache eintreten, zumindest während der Befreiungskriege. Aber so unterschiedlicher Meinung diese Nationalisten auch über Gott und die Französische Revolution waren, schienen sie sich doch darin einig zu sein, dass die Juden aus ihrer imaginierten nationalen Gemeinschaft ausgeschlossen werden müssten. Wir werden in diesem Kapitel näher untersuchen, warum die Integration der bürgerlichen Emanzipation der Juden in die zeitgenössische nationalistische Politik sich so schwierig gestaltete. Auch Frauen stellten fest, dass ihre Rollen sich stark verändert hatten, jetzt, wo die Nation ihre Dienste als Krankenschwestern, Ehefrauen und Mütter brauchte. Ironische Distanz, geistreiche Schlagfertigkeit und fortschrittliche Ansichten galten nun als zu französisch, zu wenig weiblich und zu jüdisch. Die Wertvorstellungen, die nun in Broschüren und politischen Leitlinien zum Ausdruck kamen, waren nicht gänzlich neu und hatten sich gelegentlich schon bei jenen gezeigt, die gut bekannt waren mit den Salonpersönlichkeiten, ihre Werte jedoch verachteten. Um folglich die nationalistische Feindseligkeit gegenüber den Juden zu verstehen, müssen wir untersuchen, wie Abscheu und Diskriminierung unter Christen entstanden, die mit Juden und ehemaligen Juden befreundet waren. Die Ausschließung war eine verheerende Reaktion auf die sehr ungewöhnliche Integration einer Handvoll Persönlichkeiten in die Spitzen der preußischen Gesellschaft. Wie schnell die Wertvorstellungen sich wandelten, können wir feststellen, wenn wir die Lebenswege von Rahels und Karls Freund Clemens Bren-
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tano und seines engsten Freundes, Achim von Arnim, verfolgen. Als Rahel in jenem Juni 1811 nach Bad Teplitz kam, war Clemens bereits dort und weilte für einen längeren Besuch bei Karl. Clemens war ein romantischer Dichter und Dramatiker, damals 33 Jahre alt, dem als Witwer die Verantwortung für das Aufwachsen seiner kleinen Kinder oblag. Er war kurz zuvor nach Berlin gezogen, um im Hause Arnims, des Dichters und Volkskundlers, zu wohnen. Arnim sind wir zum letzten Mal im Jahr 1807 während seines Aufenthalts in Königsberg begegnet, als er sich in der Entourage der im Exil lebenden königlichen Familie befand. Während des Jahres 1811 waren Clemens und Achim außerdem Schwäger geworden, als Achim Clemens’ Schwester Bettina heiratete. Clemens, Bettina und Achim verfügten alle über hervorragende Beziehungen in Berlin. Ein drittes Brentano-Geschwister, Gunda, war verheiratet mit Friedrich von Savigny, einem der führenden Juraprofessoren an der neuen Berliner Universität. Clemens und Bettina waren ein faszinierendes Geschwisterpaar, deren Ambivalenz gegenüber ihren jüdischen Freunden wichtig ist für unsere Geschichte. Sie waren in einer großen und gesellschaftlich führenden Familie in Frankfurt aufgewachsen. Ihre Großmutter, Marie Sophie La Roche, war eine versierte Romanschriftstellerin gewesen, und ihr Vater war ein reicher Kaufmann.2 Bettina hatte den Juden seit ihrer Jungmädchenzeit Verständnis entgegengebracht, und einst hatte sie sogar Hebräisch gelernt.3 Auch Clemens dachte oft über die Juden und das Judentum nach, aber seine Ambivalenz tendierte zum Negativen.4 Clemens und Achim teilten literarische und politische Leidenschaften und Projekte. Sie waren die Herausgeber einer populären Anthologie deutscher Volklieder mit dem Titel Des Knaben Wunderhorn. Die Sammlung war Goethe gewidmet, der das Buch liebte und jedem deutschen Haushalt die Anschaffung eines Exemplars empfahl.5 Die gesammelten Lieder waren ein Meilenstein auf dem Wege zur Herausbildung einer deutschen kulturellen Identität. Spätere Beobachter würden Arnim zum »Propheten von Preußens nationalem Aufstieg« erklären und Des Knaben Wunderhorn das Verdienst zuschreiben, die nationale Bewegung in Berlin entfacht zu haben.6 Am 18. Januar 1811 gab Arnim den Startschuss für das erste Treffen der Deutschen Tischgesellschaft (auch: Christlich-Deutsche Tischgesellschaft). Das Datum wurde gewählt, weil es der 110. Jahrestag der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg zum ersten preußischen König Friedrich I. war.7 Die Mitglieder der Tischgesellschaft, eine Gruppe feiner Herren, trafen sich jeden Dienstag in einem Berliner Restaurant zum Mittagessen. Die Hälfte der 46 Männer, die gebeten wurden, dem Klub beizutreten, wa-
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ren Adelige, und selbst diejenigen, die nicht adelig waren, hatten eine gute Position im gesellschaftlichen Establishment Berlins. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Clemens Brentano, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Johann Gottlieb Fichte, Bettinas Schwager Friedrich von Savigny und Rahels Karl. Dass Männer der Linken wie Schleiermacher, Varnhagen und Fichte sich ausgerechnet Konservativen wie Arnim und Savigny anschlossen, zeigt, wie eklektisch der nationalistische Geist im Jahr 1811 war.8 Die Gründer verstanden ihren neuen Klub als Zurückweisung des Salons, des Symbols und tatsächlichen Entfaltungsraums jüdischer und weiblicher Emanzipation, obwohl die Blütezeit der Salons eigentlich in der Vergangenheit lag. Fichte widmete einen seiner Vorträge bei der Tischgesellschaft der Erläuterung der Bedeutung der »unbegrenztesten Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes«.9 Der Nationalismus Arnims und seiner Freunde stieß bei einem breiten Spektrum von Intellektuellen auf gehörige Resonanz. Aber ihre feindselige Haltung gegenüber der Emanzipation der Juden wurde nicht von allen bekannten Persönlichkeiten im Berlin des Jahres 1811 gut aufgenommen, und einige waren schockiert, als sie den Klatsch darüber hörten, was bei den Zusammenkünften der Tischgesellschaft geredet wurde. Wilhelm von Humboldt beispielsweise hielt sich von Arnims Kreis fern. Als Humboldts zukünftiger Schwiegersohn, August von Hedemann, sich dem neuen Klub anschloss, war Humboldt betrübt, aber dafür war seine Frau Caroline um einiges begeisterter. Karl Varnhagen erinnerte sich in seinen Memoiren, dass er und Humboldt, wenn er Zeit bei den beiden verbrachte, mit Caroline über die neue Vorliebe für Vaterland und Christentum und das neue Selbstverständnis der Frau gezankt hätten.10 Ohne Frage stand Karl der Politik des neuen Klubs zwiespältig gegenüber, denn er gab seine Mitgliedschaft bald auf. Bei jedem Treffen der Tischgesellschaft hielt ein Mitglied einen Vortrag über ein aktuelles Ereignis. Die Mitglieder machten keinen Hehl daraus, dass solche, die sie als Banausen bezeichneten, Frauen und Juden nicht beitreten konnten, nicht einmal jene, deren Familien vor drei Generationen jüdisch gewesen waren. Mit Banausen meinten sie krass materialistisch eingestellte Menschen, denen jegliche kulturellen Neigungen abgingen. Was die jüdische Klausel betraf, so war es in gewisser Hinsicht merkwürdig, dass Achim, Clemens und ihre Freunde sich Gedanken darüber machten, Christen den Zutritt zu verwehren, deren jüdische Vorfahren zwei oder gar drei Generationen zurücklagen.11 Denn streng religiös betrachtet war das Kind
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eines getauften Juden ein »regulärer« Christ, kein Konvertit. Aber was ihnen offenbar Sorge bereitete, waren unklare ethnische Identitäten, nicht religiöse Kategorien. Diese erstaunliche Bestimmung verrät viel über ihre Ängste. Da Konversion in der Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts recht selten gewesen war, wussten sie mit Sicherheit, dass in jenen Jahren in Berlin, wenn überhaupt, nur wenige Nachkommen von Konvertiten lebten. Ganz offensichtlich hatten sie Angst, dass der Makel jüdischen Blutes nicht sichtbar wäre und dass die Nachfahren von Juden mit Erfolg als echte Christen durchgehen könnten. Der einzige Konvertit, dessen Situation auch nur entfernt an ihre DreiGenerationen-Bestimmung heranreichte, war Julius Eduard Hitzig, der im Jahr 1799 im Alter von 19 Jahren konvertiert war, und vielleicht hatten sie bei der Formulierung der Bestimmung an ihn gedacht. Hitzig war nach dem Studium als Gerichtsreferendar in Warschau und am Berliner Kammergericht und ab 1804 abermals in Warschau als Regierungsassessor tätig gewesen; dann kehrte er nach Berlin zurück, wo er sich nach einer Buchhändlerausbildung als Verleger betätigte. Nach dem Verkauf seines Verlages sollte er einige Jahre später in den Justizdienst zurückkehren, wo man ihn 1815 zum Kriminalrat und 1827 zum Direktor des Inquisitoriats ernannte.12 Hitzig kannte Arnim gut, da er Arnims Zeitung, die Berliner Abendblätter, verlegte, die erstmals im Jahr 1811 erschienen, dem Jahr, als die Tischgesellschaft aus der Taufe gehoben wurde. Arnim hatte die Zeitung zusammen mit Heinrich von Kleist, einem Freund aus gemeinsamen Königsberger Tagen im Jahr 1807, gegründet. Das neue Blatt war für seine Zeit innovativ. Es hatte nur vier Seiten, es erschien täglich, und sein Preis war, verglichen mit den konventionelleren Zeitungen, sehr niedrig. Mit ihrem frechen Stil waren die Abendblätter der Vorläufer der modernen Boulevardpresse, und alles in allem waren sie ein Riesenerfolg. Wenn die Ausgaben in den Handel kamen, wurden Wachtposten benötigt, weil Leser die Redaktion hinter der St. HedwigsKathedrale »belagerten«.13 Dennoch war die neue Zeitung nicht sonderlich gewinnbringend, und sie musste noch im selben Jahr eingestellt werden. Anscheinend waren die Herausgeber der Abendblätter einerseits angewiesen auf Hitzigs Großzügigkeit und andererseits gereizt wegen der Art, wie er die Finanzen der Zeitung verwaltete.14 So mag ein hässliches Gebräu aus Abhängigkeit und Verbitterung hinter ihrer Feindseligkeit gesteckt haben. Aber wir kehren wieder zu Clemens und Karl in Bad Teplitz zurück, wo die beiden Freunde eine Menge Zeit damit verbrachten, sich über Juden und vor allem über Rahel zu streiten. Vor ihrer Ankunft zankten die beiden Män-
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ner sich, solange sie noch alleine waren, vornehmlich über Rahels Freunde und Rahels Charakter, und einmal benutzte Clemens explizit antijüdische Ausdrücke. Karl schrieb Rahel aus seinen eigenen komplizierten Gründen häufig und erzählte ihr von diesen Diskussionen, zitierte sogar Clemens’ feindselige Worte. Einmal mehr vermittelte Karl zwischen einer jüdischen Freundin und einem christlichen Freund, erklärte jedem den anderen. Aber diesmal benahm er sich überhaupt nicht respektvoll gegenüber der jüdischen Freundin, obwohl sie seine Geliebte und Ehefrau in spe war. Rahel reagierte mit Verzweiflung und Wut.15 In einem Brief an ihren Freund Alexander von der Marwitz beschrieb sie ihre Empfindungen: »So getötet, vernichtet hat mich noch nichts, geschmerzt und elend gemacht schon vieles mehr.«16 Dass sie sich bei Alexander über Karl und Clemens beklagte, war ziemlich bemerkenswert. Alexander von der Marwitz war ein junger Adeliger, den Rahel im Jahr 1809 kennengelernt hatte, und die beiden sollten auf vertrautem Fuß miteinander stehen, bis Alexander während der Befreiungskriege im Kampf fiel. In jenem Sommer 1811 war er 24 Jahre alt, hatte das Leben eines Offiziers hinter sich gelassen, das zu führen von ihm erwartet wurde, und versuchte seinen Weg als Intellektueller zu finden. Alexanders Bruder Ludwig gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Tischgesellschaft und war wütend darüber, wie die Reformer die Adelsprivilegien gefährdeten. Ludwig organisierte genau in diesem historischen Moment seine Adelsgenossen, damit sie sich den neuen Reformen und insbesondere der Emanzipation der Juden widersetzten.17 Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie, dass Rahel ihren Zorn ausgerechnet gegenüber einem Vertrauten zum Ausdruck brachte, der aus einer der führenden Adelsfamilien Preußens stammte. Lange nach ihrem gemeinsamen Sommer in Bad Teplitz stritten Clemens, Karl und Rahel immer noch. Acht Monate später, im April 1812, lebten Clemens und Karl beide in Prag, während Rahel in Berlin zurückgeblieben war. Clemens schrieb Rahel aus Prag einen unfreundlichen Brief, den er Karl im Entwurf zeigte, bevor er ihn nach Berlin abschickte. Der Brief selber ist nicht erhalten, aber wir wissen, dass Clemens Rahel darin vorwarf, sie habe »unmoralische Freunde« und zeige ständig einen »Mangel an Takt«, und er sprach offen aus, dass er diese beiden Fehler in ihrem Verhalten für »jüdische Probleme« hielt. Als Rahel den Brief bekam, um erst jetzt festzustellen, dass Karl Clemens nicht daran gehindert hatte, ihn abzuschicken, war sie wütend. Ihrer Empörung über beide machte sie in einem Brief an Karl Luft. Bislang habe sie geglaubt, solche Gehässigkeit gebe es nur in schlechten Büchern. Sie sei fassungslos, dass ihn der Wunsch nach ihrem
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Hungertod umtreibe. Dass Karl ihm gestattet habe, den Brief abzuschicken und sie dadurch derartigen Beleidigungen auszusetzen, lasse sie an seinem Verstand zweifeln.18 Sie fuhr mit einer abfälligen Kritik an Clemens’ Männlichkeit fort, indem sie Karl erzählte, sie sei nur dreimal im Leben beleidigt worden, einmal von einem Mann, einmal von einer Frau und einmal von Clemens.19 Nun fühlte Karl sich schuldig, weil er Clemens nicht von vornherein davon abgehalten hatte, den Brief loszuschicken, und er gelangte zu der Überzeugung, dass er Rahels Wohlwollen zurückgewinnen müsse, indem er sich an Clemens rächte. Eine Gelegenheit dazu bot sich ihm später in jenem Monat, als er Clemens besuchte. Karl ohrfeigte Clemens und stahl ihm als Unterpfand guten Benehmens das Manuskript eines noch unfertigen Werkes, eines Dramas mit dem Titel Aloys und Imelde. Karl versprach, ihm das Manuskript in einem Jahr zurückzugeben, sollte Clemens sich während der nächsten zwölf Monate als anständig gegenüber Rahel erweisen.20 Bei einer anderen Begebenheit aus dem Jahr 1811 erleben wir einen viel dramatischeren Angriff auf prominente Juden, der einen jungen Studenten aus der Itzig-Sippe zu einem Akt stolzer Selbstverteidigung provozierte. Nicht alle von Rahels jüdischen Zeitgenossen beschränkten ihre Verbitterung auf private Briefe. In dieser Geschichte taucht erneut Achim von Arnim auf, der hier seine ambivalente Einstellung gegenüber vermögenden und gebildeten Juden demonstrierte. Im Sommer jenes Jahres versuchte Moritz Itzig, ein Hochschulstudent, ein Duell mit Arnim auszutragen, und obwohl die beiden nie wirklich miteinander fochten, griff Itzig Arnim doch in der Öffentlichkeit an. Die Einzelheiten des Vorfalls verdanken wir Karls Zusammenfassung, die er 1836 schrieb, deren Veröffentlichung er aber erst nach seinem Tod wünschte.21 Der erste Akt des Dramas begann am 25. Juni, während desselben Monats, als Rahel nach Bad Teplitz fuhr, im Haus von Sara Levy, einem der zahlreichen Kinder von Daniel und Miriam Itzig. Sara, eine kinderlose Witwe von 48 Jahren, gläubige Jüdin und vollendete Pianistin, wohnte in einem großen und eleganten Haus Hinter dem Neuen Packhof Nr. 3, dort, wo sich heute Berlins Alte Nationalgalerie befindet. Als Mädchen war sie die Lieblingsschülerin von Wilhelm Friedemann Bach gewesen, und später wurde sie eine Mäzenin von Wilhelm Friedemanns Bruder Carl Philipp Emanuel Bach und dessen Familie. Sara gehörte zu der Handvoll Berliner Juden, die von Karl Friedrich Zelter gebeten worden waren, der Singakademie beizutreten, einer angesehenen Chorvereinigung mit einem eigenen Veranstaltungssaal in der Königlichen Akademie der Künste und einer angeschlossenen Schule. Sara Levy war die erste Cembalo-Solistin der
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Singakademie und spendete der Vereinigung später ihre gesamte Musikbibliothek.22 Zelter war eine umtriebige Figur im Berliner Musikleben, denn er leitete auch die Liedertafel, einen Männerchor, der patriotische Lieder zur Aufführung brachte, und er war eine schillernde Persönlichkeit, deren Einstellung gegenüber Juden ein wenig von seinen Launen abhing. Bisweilen konnte er hinter dem Rücken jüdischer Freunde boshaft klatschen, und er war Mitglied der Tischgesellschaft. Andererseits gab er sich besondere Mühe, verschiedenen seiner jüdischen Freunde wichtige Türen zu öffnen, und diese Freunde revanchierten sich mit großzügiger Unterstützung seiner Projekte. Zelter komponierte nicht nur Musik für die Synagogengottesdienste, sondern er nahm auch mehrere jüdische Familien in wichtige musikalische Einrichtungen der Stadt auf. Zelter war der Sohn eines armen Berliner Maurermeisters, aber seine musikalischen Talente hatten sein Leben verändert. In seiner Funktion als Direktor der Singakademie förderte er die jüdische Beteiligung und hieß Sara Levy, die Mendelssohns und die Beers in dem Chor willkommen. Zelters Stil war alles andere als geschliffen, und seine Freunde erinnerten sich, dass er seine Aversion gegen einen pseudokünstlerischen Anspruch auszudrücken pflegte, indem er in der »Sprache des Tagelöhners oder Ausbilders« redete. Wenn er sich in guter Gesellschaft befand, war es augenscheinlich »nur eine Frage von Minuten, bevor Zelter etwas Vulgäres und Trotziges sagte«. Zu seinem Glück »durchschauten viele die Pose und fanden sie erfrischend«. Zelter hatte das Glück, Hegel, Schiller und unseren ureigenen »wählerischen« Varnhagen zu seinen Freunden zu zählen.23 Sara Levy hatte nicht den intellektuellen Durchblick, für den Rahel Levin und Dorothea Mendelssohn so berühmt werden sollten. Aber als vermögende Witwe konnte sie in großem Stil Gäste bewirten, was Rahel im Jahr 1811 ganz sicher nicht konnte. Levy war früher sowohl mit Achim von Arnim als auch mit Bettina Brentano recht gut befreundet gewesen. Das neue Paar hatte sogar seine Verlobung auf einem Fest in Levys Garten bekannt gegeben, und Arnim hatte mehrere Jahre zuvor ein Zimmer im Levy-Haushalt gemietet.24 In jenem Juni jedoch hatte Madame Levy sich längst von Arnim distanziert, denn als sie die Einladungen zu der für den Abend des 25. Juni angesetzten Zusammenkunft verschickte, lud sie Bettina allein ein. Der Grund scheint gewesen zu sein, dass ihr Neffe Moritz Itzig, der damals bei ihr wohnte, Arnim einen der heftigeren antijüdischen Vorträge verübelte, wie sie in jenem März bei der Tischgesellschaft gehalten wurden. Der fragli-
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che Vortrag, in Wahrheit verfasst von Clemens Brentano, hatte privat die Runde gemacht, bevor er im Mai veröffentlicht wurde.25 Obwohl er zu der Zusammenkunft nicht eingeladen worden war, beschloss Arnim, trotzdem hinzugehen. Er erschien in seinen bequemen Tageskleidern, obwohl die übrigen Gäste Gesellschaftskleidung trugen. Madame Levy war »betreten und verlegen«, versuchte aber das Beste aus der Situation zu machen.26 Arnim »hatte sich den Judenhaß gern angeeignet, und sprach ihn nach seiner Weise mit wunderlichen Späßen, und oft plumpen Muthwillen aus«, und er war in der ganzen Stadt bekannt für seine Neigung zu antisemitischen Witzeleien. Er blieb mehrere Stunden und machte die ganze Zeit »missfällige Späße« über die Gäste. Als er die Levy’sche Wohnung endlich verließ, waren die anderen Besucher empört. Madame Levy fühlte sich in ihren eigenen vier Wänden von einem Gast »beschimpft und verhöhnt«, den sie niemals eingeladen hatte. Ihr Neffe Moritz Itzig meinte eine Entschuldigung von Arnim verlangen zu müssen. Moritz war damals 24 Jahre alt und studierte bei Johann Gottlieb Fichte an der Berliner Universität. Er wohnte seit fünf Jahren bei seiner Tante, seit dem Tod seines Vaters, Isaak Daniel Itzig, im Jahr 1806.27 Isaak hatte während der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts angefangen, die französische Armee mit Pferden zu versorgen. Aber im Jahr 1796 gerieten die Franzosen mit der Rückzahlung eines Darlehens in Verzug, was Itzig finanziell ruinierte. Zehn Jahre später starb er als verarmter und gebrochener Mann.28 Nachdem Arnim an jenem Abend gegangen war, setzte Moritz sich hin und schrieb ihm einen »sehr ernst[en] und gemessen[en]« Brief, um Arnim »wegen seines unziemlichen Betragens gegen seine Tante zur Rechenschaft zu ziehen«. Statt mit einer prompten Entschuldigung reagierte Arnim mit einem Brief voll »höhnischer Verspottung«. Und da forderte Itzig ihn zum Duell. Arnim machte der Gedanke wütend, dass »ein Judenjunge erst ihn lehren wolle, was sich schicke, und ihn dann noch gar herausfordere«. Itzigs Forderung war eine kühne Geste, in zweierlei Hinsicht. Zum einen machte Itzig sich ein Verhalten zu eigen, das früher ausschließlich dem Adel vorbehalten gewesen war. Noch unverfrorener war Itzigs Versuch, das Duell zu benutzen, um seine verletzte Ehre als Jude zu verteidigen. Dies war kulturelle Anpassung mit einem mächtigen Schuss Stolz. Arnim nahm Itzigs Brief mit in seinen exklusiven Adelsklub, das Casino, wo er auf einer Liste die Unterschriften seiner aristokratischen Freunde sammelte, die ihm beipflichteten, dass kein Adeliger seine Ehre in einem Duell mit einem Juden verteidigen müsse. Er fügte die Unterschriften einem lan-
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gen Brief von eigener Hand hinzu, in welchem er Itzigs Forderung zurückwies. Itzig war keineswegs eingeschüchtert. In Varnhagens späterer Zusammenfassung des Vorfalls reagierte Itzig »in gerechter Empörung«.29 Moritz Itzig »gab ihm zur Antwort: wer den Degen so unedel und feig versage, den werde der Stock zu treffen wissen«. Arnims Erwiderung war nonchalant. Er lachte gegenüber seinen Freunden über den Vorfall und betrachtete den Fall als erledigt. Aber Itzig meinte ernst, was er über die Stockschläge gesagt hatte. Eines Abends suchte Arnim das Badeschiff an der Kurfürstenbrücke auf, als er plötzlich kraftvolle Schläge verspürte, begleitet von den Worten: »Niederträchtiger Schuft! Ehrlose Memme!« Sein Angreifer wählte Wörter wie »unedel« und »ehrlos«, um Arnim zu beschämen. Im wortwörtlichen Sinne beschuldigte er Arnim, nicht nach dem Moralkodex zu handeln, von dem Arnim behauptet hatte, dass er jenen von edler Geburt vorbehalten sei. Arnim rief um Hilfe, und Passanten hielten Itzig zurück. Itzig wies sich freimütig mit Namen aus und erklärte jedem, der zuhören wollte, dass Arnim ein Adeliger sei, der ohne Weiteres bereit sei, andere zu beleidigen, aber nicht bereit, sich auf dem Feld der Ehre zu verteidigen. Arnim war empört und beschloss, sich wegen seiner Rache für die Prügel an das Gesetz zu wenden. In seinem Brief an das Gericht verlangte Arnim Schutz vor Itzig, der, so seine Behauptung, geistesgestört sei. Aber das Gericht war anderer Ansicht und fand Itzig sehr vernünftig. Für den Angriff auf Arnim erhielt er eine leichte Strafe in Form eines kurzen Gefängnisaufenthalts. An diesem Punkt taucht Moritz’ Cousin ersten Grades Julius Eduard Hitzig in der Geschichte auf. Julius war irgendwie in den Besitz der Gerichtsprotokolle gelangt und vertraute seiner Schwester und anderen Freunden und Verwandten die Einzelheiten an. Zwischen den Zeilen ist recht deutlich zu lesen, dass Hitzig Karls anonymer Informant für seinen Bericht aus dem Jahr 1836 über die ganze Angelegenheit war. Obwohl Julius also seit mehr als einem Jahrzehnt Christ war, stand er offenbar weiter auf vertrautem Fuß mit seinen nochjüdischen Verwandten und Freunden und scheint Verständnis für Moritz’ aufmüpfige Geste gehabt zu haben. Ludwig Robert, Rahels Bruder, war ebenfalls gut informiert über Itzigs missliche Lage. Er machte seiner Empörung in einem Brief Luft, in dem Robert den Empfänger seiner Zeilen bittet, sich den Teufel als Sklaventreiber vorzustellen, dann habe er ein ungefähres Bild von Arnim bei dem Prozess. Arnims Ansinnen an das Gericht, ihn vor dem geisteskranken Juden zu schützen, der seit frühester Kindheit krank und hypochondrisch sei, empfindet Robert als niederträchtig und feige.30 Mit fortschreitender Zeit büßte Arnim allmählich an Achtung auch unter
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seinen adeligen Standesgenossen an. Obwohl einige von ihnen anfangs Verständnis für seine Weigerung zeigten, sich mit Itzig zu duellieren, begannen sie ihn für einen Feigling zu halten, als er vor Gericht zog. Was Moritz Itzig betraf, so stolzierte er, wie Varnhagen berichtet, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ungeniert und forsch durch Berlin. Ein Kreis prominenter Adeliger, die Itzig in einem gemeinsamen offenen Brief angeklagt hatten, als der Fall zum ersten Mal auf der Tagesordnung des Gerichts erschien, zog das Schreiben sogar zurück und distanzierte sich von Arnim. Uns Heutigen erscheint das Duell als eine kindische Art, sein Leben zu riskieren. Unsere Rache für Beleidigungen ist oft die Klage. Aber als Duelle im Italien des 16. Jahrhunderts unter Aristokraten weite Verbreitung fanden, waren sie ein Fortschritt gegenüber den Blutfehden zwischen verfeindeten Familien. Da ein Duell nur zwei Personen betraf, endete der Streit gewöhnlich, wenn das Duell vorüber war. Von seinen ersten Anfängen an war die Praxis des Duellierens ein Privileg adeliger Männer.31 Es war sogar eine der wichtigsten Funktionen des Duells, öffentlich zu demonstrieren, dass nur Adelige Satisfaktion verlangen konnten, wenn sie in ihrer Ehre gekränkt wurden. Arnims Weigerung, sich mit Moritz Itzig zu duellieren, passt auf jeden Fall in dieses Schema. Doch wie bei vielen anderen einst ausschließlich adeligen Bräuchen verlor der Adelsstand häufig im Laufe der Zeit sein exklusives Monopol. Dieses Muster ist uns über die Jahrhunderte vertraut, während denen Adelige ihre exklusiven Rechte auf Grundbesitz und Staatsämter verloren. So geschah es auch mit dem Duell. Dementsprechend war Moritz Itzig, der Student, der bereit war, ein Duell auszutragen, typisch für seine Epoche. Gerade damals wollten Studenten überall in Deutschland unbedingt an der besonderen Ehre teilhaben, die einherging mit der Duellfähigkeit, ein Wort, das bedeutete, dass man zum magischen Kreis derjenigen gehörte, deren Ehre, sollte sie verletzt werden, mit einem Schwert oder einer Pistole verteidigt werden durfte. Während des frühen 19. Jahrhunderts fand mehr als die Hälfte der 2.000 jährlich in Deutschland ausgetragenen Duelle zwischen Hochschulstudenten statt.32 Doch nicht alle Betroffenen empfanden die Verbreitung von Duellen als eine positive Entwicklung. Die radikalen Studenten dieser Epoche, die nationalistische Burschenschaften gründeten, verurteilten Duelle als dekadentes aristokratisches Ritual, albern und reaktionär, und nationalistische Intellektuelle stritten darüber, ob das Duell in dem neuen Deutschland, das zu schaffen sie sich anschickten, ein erhaltenswertes Ritual sei.
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Mit einem ganz anderen Duellspektakel war, ebenfalls im Jahr 1811, nur vier Monate nachdem er der erste Rektor der Berliner Universität geworden war, Johann Gottlieb Fichte konfrontiert. Fichte trat nach einem Vorfall von seinem Amt zurück, bei dem mehrere judenfeindliche christliche Studenten einen jüdischen Studenten aufgefordert hatten, sich in einem Duell mit ihnen zu schlagen, der jüdische Student sich aber weigerte. Dies war das Gegenteil der Itzig-Arnim-Situation. Im Gegensatz zu Itzig, der das Duell als Abwehrmaßnahme gegen die Judenfeindschaft nutzen wollte, wollten die christlichen Studenten es in diesem Fall nutzen, um ihre Judenfeindschaft auszudrücken. Fichte war wütend, weil die christlichen Studenten nicht der Hochschule verwiesen wurden. Interessanterweise verteidigte Friedrich Schleiermacher, der jetzt Professor an der neuen Universität war, die christlichen Studenten.33 Einige Beobachter der Judenpolitik Fichtes behaupten, seine Haltung zu diesem Zeitpunkt sei ein Beleg dafür, dass er seit 1792, als er den Standpunkt vertreten hatte, die einzige Möglichkeit, jüdische Ideen aus dem zeitgenössischen Diskurs zu verbannen, bestehe darin, den Juden die Köpfe abzuschneiden, stärker pro-jüdisch geworden sei.34 Während dieser Jahre konnten Männer einer bestimmten Klassenzugehörigkeit davon ausgehen, dass entweder sie selbst irgendwann jemanden zum Duell forderten oder dass sie gefordert wurden. Mehrere der Persönlichkeiten, die in diesem Buch eine Rolle spielen, darunter Wilhelm von Humboldt, Heinrich Heine und Karl Marx, mussten zu dem einen oder anderen Zeitpunkt entscheiden, ob sie eine Forderung annahmen oder nicht. Gerade weil das Duell eine Praxis war, die sich just damals über den Adel hinaus verbreitete, wurde es in jenen Jahren zu einer Metapher für Streit. Nur zwei Jahre nachdem Itzig Arnim zum Duell gefordert hatte, sollte ein Zeitgenosse im Zusammenhang mit der Schilderung einer Schlacht während der Befreiungskriege anmerken, wenn man »6.000 gebildete Ehren-Männer, entschlossen zu einem ZweyKampf auf Tod und Leben, gehen sähe, so würde man ein Bild dieses KriegesZuges haben, den die Trill-Kunst mit ihren Großen Paraden nur schädlich nach-äffen, aber auf dem von ihr eingeschlagenen Irrwege niemahls erreichen kann«.35 Manch einer mag zu dem Schluss kommen, dass Itzigs Kampagne gegen Arnim eine Torheit war, dass das Duell schon 1811 eine antiquierte Geste war. Andererseits drückte Itzig seinen Protest gegen Arnims Judenfeindschaft auf sehr weltliche und sehr deutsche Weise aus. Die innere Synthese seiner jüdischen und seiner deutschen Identität ist bemerkenswert und ein anschauliches Beispiel für die adelig-jüdische Allianz der Epoche des Ancien
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Régime, selbst als diese Allianz sich bereits abnutzte und brüchig wurde und wahrhaftig in die Geschichte einging. Alles in allem ist Moritz Itzigs seltene Kombination von Zugehörigkeiten ungeheuer erhellend, weil er seine jüdische und seine preußische Identität verinnerlicht hatte. Itzig fiel zwei Jahre später in der Schlacht bei Großgörschen oder Lützen. Was Arnim betrifft, so mag er sich für einen Patrioten gehalten haben, aber die Realität war, dass er, obwohl er sich um den Dienst in der Landwehr, der Miliz innerhalb der Armee, bewarb, abgelehnt wurde, und so verbrachte er die Kriegsjahre auf seinem Grundbesitz in Wiepersdorf. Am Ende, im Augenblick der Wahrheit, gelang es dem Adeligen nicht, zu dienen, als er gebraucht wurde, wohingegen der jüdische Soldat sein Leben für Preußen gab. Ein ironischer Beobachter, der sie offensichtlich beide kannte, Staatsrat Friedrich von Stägemann, verglich die beiden in einer witzigen Bemerkung: »Itzig und Arnim sind beide geblieben, jener bei Lützen, dieser hinter dem Ofen.«36 Itzigs Haltung unterschied sich sehr von der unserer Hauptperson Rahel Levin. Rahel sehnte sich nach adeliger Gesellschaft, selbst um den Preis von Beleidigung und Demütigung. Itzigs Verteidigung des Judentums in einer öffentlichen Geste wäre Rahel und ihren Freundinnen, die entschlossen waren, die Assimilation zu erreichen, nie in den Sinn gekommen. Natürlich mag die Tatsache, dass sie jüdische Frauen waren, es Rahel und ihrem Kreis sehr viel schwerer gemacht haben, eine jüdische und eine patriotische Identität zu integrieren. Obwohl Arnim sein Ansinnen zurückwies, konnte Itzig sich zumindest vorstellen, sich einer männlichen Geste zu bedienen, um die Beleidigung seiner Tante zu rächen. Achim von Arnims Position war ebenso nuanciert wie die von Itzig, wenn auch wegen ganz anderer Probleme. Sein Entschluss, uneingeladen bei Sara Levy zu Hause zu erscheinen, zeigt, dass er sich zu der gesellschaftlichen Szene in den jüdischen Salons hingezogen fühlte. Doch einmal dort, verhielt er sich feindselig, und als er von einem Juden zum Duell gefordert wurde, handelte er strikt nach den Normen seiner Gesellschaftsklasse, die besagten, dass nur, wer dem Adelsstand angehöre, über die Duellwürdigkeit eines Kontrahenten bestimmen dürfe. Doch völlig im Gegensatz zu seinen eigenen Prinzipien verließ Arnim sich, als er seine Sache gegen Itzig vor Gericht brachte, auf absolut moderne Weise auf staatliche Institutionen. Als er sich an das Gericht wandte, um sich an Itzig zu rächen, erleben wir in kleinerem Maßstab einen entscheidenden Übergang von der Macht einer Gesellschaftsklasse zur Macht des Staates. Und es war genau dieser Übergang, der den preußischen Adel im Jahr 1811 entzweite.
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Die Episode des Itzig-Duells belegt, dass die Allianz des Ancien Régime zwischen der jüdischen Elite und dem Adel in rascher Auflösung begriffen war. Selbst während der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts teilte nur eine Handvoll Adeliger und Juden kulturelle Neigungen und Freizeitaktivitäten, die eine Gelegenheit für Freundschaften und Romanzen schufen. Trotzdem bleibt die adelig-jüdische Allianz unsere beste Erklärung für den bemerkenswerten Erfolg der jüdischen Salons im Ancien Régime. Jetzt, im Jahr 1811, hatten diese beiden Gesellschaftsklassen noch immer ein paar minimale gemeinsame Interessen. Das neue Emanzipations-Edikt von 1812 kann sogar durchaus als der Schwanengesang auf die adelig-jüdische Verbindung erklärt werden. Aber die französische Okkupation und der neue Nationalismus, den sie auslöste, machte es einzelnen Adeligen und einzelnen Juden schwer, eine gemeinsame Vision der Zukunft Preußens zu teilen und über diese große Kluft hinweg Beziehungen aufrechtzuerhalten. Aus adeliger Perspektive war die Feindseligkeit gegenüber den Juden ökonomisch nachvollziehbarer, als zunächst ins Auge fällt. Die Reformer verlangten just zu dem Zeitpunkt mehr Opfer vom Adel, als dessen Agrarwirtschaft zusammenbrach. Die Steuern stiegen drastisch, und Grundbesitzer wurden aufgefordert, die Hypotheken auf ihre Güter zu erhöhen, um Bargeld für den Unterhalt der französischen Besatzungstruppen und die Bezahlung der Kontributionen Napoleons aufzutreiben. Da die meisten Güter ohnehin schon schwer mit Hypotheken belastet waren, gingen viele adelige Familien bankrott, und manche waren sogar gezwungen, ihre Ländereien zu verkaufen. Arnims Besitz beispielsweise war nicht gut verwaltet worden, und er beschloss, Gutsbesitzer zu werden, um Bettina und ihre wachsende Familie zu unterhalten. Es kann uns nicht wundern, dass jüdische Finanziers in diesem Augenblick mit den Geldmitteln und dem Wunsch bereitstanden, die Adelsgüter zu kaufen, aber das empörte die Adeligen, die oft dem Staat die Schuld an einer Politik gaben, welche die jüdische Elite derart reich zu machen schien. Einmal mehr erkennen wir innerhalb einer persönlichen Geschichte die breiteren Tendenzen, denn Moritz Itzig und sein Vater Isaak waren die stolzen Besitzer eines Landgutes.37 Ein anderer Schauplatz für Spannungen zwischen Adeligen und Juden war der prestigeträchtige und von Konkurrenzdenken geprägte Staatsdienst. Eine Möglichkeit für heruntergekommene Adelige, die gesellschaftliche Stellung und den sozialen Status ihres Geschlechts zu bewahren, war, ihre Söhne auf die Universität zu schicken und sie anschließend Laufbahnen in der Bürokratie einschlagen zu lassen. Aber wer kämpfte mit ihnen
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um diese Traumstellen? Natürlich die exzellent ausgebildeten und kultivierten jungen Männer jüdischer Herkunft. Wenn wir diesen Hintergrund im Auge behalten, können wir begreifen, warum der preußische Adel hinsichtlich der neuen Reformen gespalten war. Auf der einen Seite standen jene Adeligen, die sich für systematische Veränderung engagierten. Die beiden führenden Reformer, Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein und Staatskanzler Karl August Freiherr von Hardenberg, waren beide selber mit den Privilegien des Adels geboren worden. Auf der anderen Seite wüteten Arnim und seine Freunde mit dem Argument gegen die Reformer, dass das gesamte aristokratische System gefährdet sei, wenn prestigeträchtige Laufbahnen künftig der Begabung offenstünden und Bürgerliche Landgüter erwerben dürften. Was gut war für den Staat und was gut war für den adeligen Grundbesitz, stimmte jetzt nicht mehr überein.38 Im Laufe des Jahres 1811 ging die Adelsrevolte gegen den Staat so weit, dass Friedrich August Ludwig von der Marwitz und Graf Friedrich Ludwig Karl Fincke von Finckenstein wegen Konspiration angeklagt und fünf Wochen lang in der Spandauer Zitadelle festgesetzt wurden.39 Wenn sie gegen die Reformen tobten, schäumten die wütenden Adeligen manchmal, Preußen werde zum »Judenstaat«. Natürlich hatten nicht alle jüdischen Familien in den unsicheren Zeiten der Napoleonischen Kriege Erfolg. Und wir werden sehen, dass die Emanzipation der Juden, welche die Reformer 1812 mit dem »Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate« bewilligten, beachtliche Lücken enthielt. Aber Mythen und Vorurteile sind selten geprägt von einem differenzierten Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse. Ob zu Recht oder zu Unrecht, für die anders denkenden Adeligen waren die Stein-Hardenbergschen Reformen gleichbedeutend mit einer Übernahme jüdischer Wirtschaftspraktiken. Und ganz ehrlich, die wütenden Adeligen, denen die starke jüdische Präsenz in der Wirtschaft solches Kopfzerbrechen bereitete, hatten allen Grund zur Sorge. Im Jahr 1803, als die neue Börse ihre Tore öffnete, waren zwei ihrer vier Direktoren Juden, und vier Jahre später saßen in dem neuen Industrie-Direktorium 30 jüdische und 22 christliche Bankiers. In den Jahren zwischen 1812 und 1815 waren von den 32 führenden Bankhäusern 17 in jüdischem Besitz, sechs gehörten Konvertiten, und nur neun Banken hatten christliche Eigentümer. Außerdem waren 1814 60 Prozent derjenigen, deren Vermögen 200.000 Taler oder mehr wert war, entweder Juden oder ehemalige Juden.40 Die Krise der Agrarwirtschaft fiel folglich mit einer Expansion der Geldwirtschaft zusammen, und Adelige fürchteten zu Recht die Integra-
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tion der beiden Arten von Reichtum. Sobald Güter käuflich erworben werden durften, wurde der geschlossene Kreis aus exklusivem adeligem Grundbesitzertum, politischer Macht und Spitzenstatus durchbrochen. Aufgebrachte Adelige verwiesen zu Recht auf den führenden Reformer, Staatskanzler Hardenberg, als gefährlichen Feind, denn der suchte nach Wegen für eine Kapitalspritze, die dem Agrarsektor zugute kam. Hardenberg schwebte vor, dass jüdische Finanziers Güter erwarben, die dem Staat gehörten, und auf diese Weise den zusammenbrechenden Staatshaushalt stützten.41 Natürlich können wir verstehen, wie schockierend es für Adelige war, mit der Symbolik und der Realität von Juden als Gutsbesitzern konfrontiert zu sein. Nicht genug damit, dass es zu diesen dramatischen Entwicklungen kam, waren viele Preußen überzeugt davon, dass der Krieg gegen Frankreich jüdische Taschen füllte. Der Krieg hatte jüdischen Kaufleuten seit Langem eine nützliche Gelegenheit geboten zu prosperieren. Wir verstehen diese Realität besser, wenn wir einen genaueren Blick auf eine der damals führenden jüdischen Familien in Berlin werfen, die Mendelssohns. Wie seine Schwester Dorothea sollte auch Abraham Mendelssohn am Ende Protestant werden. Aber obwohl beide Geschwister letztendlich die Taufe wählten, verlief Abrahams Leben sehr viel harmonischer als das seiner Schwester, sowohl vor als auch nach seiner Taufe. Abraham war mit 21 Jahren nach Paris geschickt worden, um als Kassierer, im zeitgenössischen, aus dem Französischen entlehnten Slang als Commis, kleiner Bankangestellter, bei Fould & Co. zu arbeiten. Aber so bescheiden seine Stellung gewesen sein mag, so eindrucksvoll war die Umgebung in dem führenden Bankhaus. Abrahams Schwester Henriette, die damals 26 Jahre alt war, hatte ebenfalls eine Stelle bei der Familie Fould, und zwar als Gouvernante für deren Kinder. Dies geschah während der Wanderjahre von Dorothea und Friedrich, als sie von Berlin in die kleine Universitätsstadt Jena auswanderten und anschließend, Anfang des Jahres 1802, nach Paris zogen. Dorotheas jüngerer Sohn Philipp wohnte noch bei ihnen. Weil Friedrich nach wie vor die Erfahrung machte, dass ein sicheres Einkommen unerreichbar war, begann Dorothea Sammelbände mit mittelalterlichen französischen Texten herauszugeben, die alle unter Friedrichs Namen veröffentlicht wurden. Aber trotzdem waren die beiden knapp bei Kasse, und so beschloss Dorothea im Jahr 1803, sich an ihren Bruder Abraham und ihre Schwester Henriette zu wenden, die damals ebenfalls in Paris lebten. Mit einer gewissen Portion Arglist versprach sie ihnen, dass sie vorhabe, Friedrich zu verlassen, und dass sie deshalb ihren Anteil am Familienerbe erhalten müsse, noch bevor ihre Mutter Fromet stürbe. Abraham und Hen-
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riette glaubten ihr nicht und weigerten sich zu helfen. Ein Jahr später, am 6. April 1804, sollte Dorothea schließlich Protestantin werden, und sie und Friedrich sollten heiraten.42 Die frühe Ehe mit einem jüdischen Kaufmann, eine skandalöse Scheidung und der erbitterte Kampf, um ihr Kind und ihren Partner zu unterhalten, summierten sich für Dorothea nicht zu einer unbeschwerten Form der Emanzipation. Ihrer Schwester Henriette blieb einiges von diesem Kummer erspart, weil sie gar nicht erst heiratete, und sie fand produktive Wege, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach ihrer Zeit als Gouvernante für die Fould-Kinder gründete sie in dem Gartenhaus, das den Foulds in der Rue Richer gehörte, ein Internat für adelige Mädchen.43 Sie zählte die Humboldt-Brüder, Madame de Staël, August Schlegel und andere kulturelle Leitfiguren zu ihren Bewunderern. Hinter ihrem Rücken konnten ihre sogenannten Freunde manchmal gehässig sein. Karl Zelter schrieb an Goethe in Weimar: »Es gehört doch zu den Besonderheiten, wenn ein berlinisches Judenmädchen, ohne Persönlichkeit zur Dame eines der ersten Pariser Standeshäuser geworden, gar keinen Abstand in der Sprache, Sitte und ökonomischen Benehmen [zum exklusiven Pariser Leben] bemerken läßt.«44 Einigen Aussagen zufolge war es Henriette, die Abraham, als er zu einem Besuch nach Berlin heimkehrte, seiner zukünftigen Braut, Lea Salomon, vorstellte. Andere sind überzeugt davon, dass Abraham und Lea sich in Berlin bei einem Treffen der »Gesellschaft der Freunde« kennengelernt hatten, noch bevor Abraham überhaupt nach Paris abreiste.45 Als sie sich im Jahr 1803 ineinander verliebten, war Lea 28 und wohnte im elterlichen Hause in Berlin, die gebildete Tochter einer wohlhabenden Familie. Wie so viele der ItzigFrauen war auch Lea eine außerordentliche Erziehung zuteil geworden. Sie sprach mehrere Sprachen, sang schön, spielte verschiedene Musikinstrumente gut und konnte sogar Homer im griechischen Original lesen. So wie Dorotheas Lebensweg sie vielen Mitgliedern der Familie Mendelssohn entfremdete, hatte auch Lea einen Bruder, der ihrer Mutter, Bella, fremd wurde. Beide Geschichten belegen, wie turbulent die Konversion bei den meisten assimilierten Familien verlief und wie umstritten sie war. Zwei Jahre nachdem Lea und Abraham sich ineinander verliebt hatten, beschloss ihr älterer Bruder Jakob zu konvertieren. Ihre Mutter war so empört über Jakobs Taufe, dass sie jeden Kontakt mit ihm abbrach. Abgesehen davon, dass er Protestant wurde, hatten er und ein weiterer Bruder, Isaak, ihrem Familiennamen auch noch den Namen Bartholdy hinzugefügt.46 Daniel Itzig wäre ganz bestimmt nicht glücklich gewesen über die Richtung, die das
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Leben seiner Nachfahren kaum mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod im Jahr 1799 nahm. Leas wohlhabende Eltern waren gegen die Ehe mit Abraham, weil sie nicht wollten, dass ihre Tochter einen gewöhnlichen Commis heiratete. Letztendlich willigten sie unter der Bedingung ein, dass Abraham seinen bescheidenen Posten im Bankhaus Fould kündigte und die Frischvermählten nach Hamburg ziehen würden, wo er und sein älterer Bruder Joseph ihr eigenes Bankgeschäft gründen würden. Abraham verließ Frankreich nur ungern, weil er zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1804, begeistert davon war, wie Napoleon die französische Gesellschaft reformierte. Die Revolution hatte den Juden schon im Jahr 1791 eine sehr radikale Emanzipation zugestanden, im Unterschied zu der nach wie vor trostlosen Situation in Preußen. Aber Abraham und Lea taten, wie ihnen geheißen, und zogen nach Hamburg, wo sie in einem reizenden Haus am Stadtrand wohnten. Ihre ersten drei Kinder, Felix, Fanny und Rebecca, wurden während ihrer Hamburger Jahre geboren. Abraham und Lea setzten sich für eine gründliche intellektuelle und künstlerische Erziehung ihrer Nachkommenschaft ein, die des Morgens früh geweckt wurde, um mit ihrem pädagogischen Programm zu beginnen.
Abb. 6. Lea Mendelssohn Bartholdy. Zeichnung von Wilhelm Hensel 1829. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Abb. 7. Abraham Mendelssohn Bartholdy. Zeichnung von Wilhelm Hensel 1829. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Ihr Geschäft florierte, aber die Kriegssituation erschwerte ihr Leben. Hamburg war von den Franzosen besetzt, und unter der Knute dieser Vorherrschaft nahmen Leas und Abrahams Sympathien für das Napoleonische System ab. Weil die Besatzung im Hamburg von Korruption zerfressen war, betrieben die Mendelssohn-Brüder ein lebhaftes Geschäft mit dem Import von Gewürzen, Kaffee, Tee, Zucker und Tabak. Unter der Hand ließen sich viele französische Beamte ganz gern von den Mendelssohns und anderen bestechen.47 Wäre die Kontinentalsperre mit Nachdruck durchgesetzt worden, wäre Hamburgs Transportgewerbe völlig ruiniert worden. Nicht nur die Einfuhr jeglicher Waren aus England in deutsche Länder war verboten, sondern sogar in Lagerhäusern deponierte Artikel aus England sollten konfisziert werden. Außerdem durfte auch jedes deutsche Schiff, das britische Güter transportierte, von den Franzosen beschlagnahmt werden. Nicht alle profitierten unter solch chaotischen Bedingungen, und in der Tat brachen viele Firmen genau in dieser Zeit zusammen. Um Erfolg zu haben, brauchten Joseph und Abraham eine Kombination aus »glühender Aggressivität«
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und »kühler Berechnung«, Eigenschaften, welche auch die viel berühmteren und am Ende viel reicheren Brüder Rothschild teilten.48 Die Mendelssohn-Brüder wurden hauptsächlich deshalb Schmuggler erster Güte, weil sie Bevollmächtigte der Brüder Rothschild in Hamburg wurden. Mayer Amschel und Gutele Rothschild, die Begründer dieser gewaltigen Sippe und selber Mitte des 18. Jahrhunderts geboren, waren die stolzen Eltern von zehn Kindern, fünf Söhnen und fünf Töchtern. Mayer hatte als bescheidener Händler seltener Münzen im jüdischen Ghetto von Frankfurt am Main angefangen. Nach dem wiederholten Verkauf von Münzen an das Hanauer Münzkabinett des Erbprinzen Wilhelm von Hessen, seines künftigen Landesherrn, wurde ihm im Jahr 1769 der Titel eines Hoffaktors verliehen, verbunden mit dem Privileg, an seinem Geschäft in der Judengasse die Inschrift »M. A. Rothschild, Hoflieferant Seiner Erlauchten Hoheit, Erbprinz Wilhelm von Hessen, Graf von Hanau« anzubringen. Als Napoleons Kaiserreich etabliert war, standen die Söhne von Mayer Amschel und Gutele bereit, in die Welt hinausgeschickt zu werden, um das Bankhaus Rothschild zu gründen. Nathan ließ sich in London nieder, Salomon in Wien, Carl in Neapel und James in Paris, während Amschel in Frankfurt blieb. Die Familie profitierte vom Krieg, weil alle Angehörigen der Sippe skrupellose kapitalistische Händler waren, jederzeit bereit, vertrauliche po litische Informationen weiterzugeben, stille Reserven anzulegen und bei sämtlichen Unternehmungen enorme Risiken einzugehen. Ihre Kommuni kationsmittel zwischen London, Paris und Frankfurt waren für rasche Infor mationsweitergabe und Geheimhaltung konzipiert. So nannten sie in ihren Briefen London Jerusalem, und wenn der Bestimmungsort des Briefes ein öffentliches Postamt war, verwendeten sie verschiedenfarbige Umschläge, um wartenden Spionen den Inhalt des Schreibens anzuzeigen. Wenn ein Brief nicht das geeignete Medium war, bestellten sie Schiffe oder beauftragten Läufer, setzten aber ebenso ihre berühmten Brieftauben ein. Als Nathan im Jahr 1804 in London eintraf, kaufte er »nicht nur Baumwolle – was eigentlich sein ursprüngliches Geschäft war –, sondern auch Lebensmittel, Kolonialwaren und all die anderen Dinge, die auf Grund der von Napoleon verkündeten Kontinentalsperre auf dem Festland als ›Konterbande‹ galten«.49 Beobachter in verschiedenen britischen Häfen bemerkten, dass sämtliche der »Ballen und Kisten« Nathans urplötzlich verschwanden, »um wenig später zufällig im Hamburger Hafen wieder aufzutauchen«. Anschließend vertrieben Abraham und Joseph Mendelssohn »Baumwolle, Nähgarn, Tabak, Kaffee, Zucker, Indigo« in ganz Deutschland. Abraham und
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Lea wurden reich, »denn man zahlte dafür gern höhere Preise«. Vom patriotischen Standpunkt aus war das Schmuggeln britischer Waren auf den Kontinent ein Schlag gegen Frankreich und dessen Politik, die englische Wirtschaft zugrunde zu richten. Aber jeder der Rothschilds machte auch ein Vermögen, während viele arme Deutsche sich die hohen Preise nicht leisten konnten. Sofort fallen einem die Paradoxien der Münzmillionäre einer früheren Epoche ein. Aber nachdem die Firma Mendelssohn mehrere Jahre Glück gehabt hatte, machten die französischen Besatzungsbeamten in Hamburg im Jahr 1811 Ernst mit der Durchsetzung des Exportverbots, und Abraham und Lea beschlossen, mit ihren Kindern inkognito aus der Stadt zu fliehen. Spätere Chronisten halten fest: »Sie kamen nicht als arme Leute in Berlin an – aber als höchst loyale Deutsche, die ihre wirtschaftliche Kraft gegen Napoleon eingesetzt hatten.«50 Aber für all jene, die während der Besetzung Armut und Ungemach ertrugen, war jede Art von Geschäftemacherei mit dem Krieg problematisch, selbst patriotische Geschäftemacherei. Als Abraham und Lea nach einem Jahrzehnt der Abwesenheit wieder in Berlin eintrafen, war die nationale Bewegung zu einer beachtlichen Größe geworden. Die neue Turnbewegung gewann junge Männer für die nationale Sache. Die patriotischen Turner machten ihre Übungen auf einem Feld außerhalb der Stadt neben dem Schießstand der Armee in der Hasenheide, einem Waldgebiet, das 1678 vom Großen Kurfürsten für die Hasenzucht eingefriedet worden war.51 Dynamischer Organisator der Turnerszene in der Hasenheide war Friedrich Ludwig Jahn. In den fünf Jahren seit der Niederlage Preußens war Jahn, inzwischen 33, in Deutschland herumgezogen und hatte an verschiedenen Universitäten studiert, wo er einen Kreis eifriger Patrioten um sich scharte. Jahns Geist und Tatkraft sind in vielen nationalistischen Projekten der Zeit erkennbar. Als er in Königsberg in der Entourage der königlichen Familie lebte, gründete er den Deutschen Bund, eine Geheimorganisation, die sich für die Vertreibung der französischen Truppen nicht bloß aus Preußen, sondern aus allen deutschen Ländern einsetzte. Im Jahr 1810 veröffentlichte Jahn seine Schrift Von deutschem Volkstum, die später zum unverzichtbaren Text der Patrioten jener Jahre werden sollte.52 Jahn hatte ein besonderes Talent für die Schaffung neuer Bräuche und Symbole und neuer Arten des Auftretens. Jahrelang trug er schwarze, mittelalterlich anmutende Kleidung, die sogenannte »altgermanische Tracht«. Er betonte, wie wichtig es sei, nur die deutsche Sprache zu benutzen, und weigerte sich, auch nur ein Wort Französisch zu sprechen oder zu schreiben. Unter anderem träumte er davon, an der deutsch-französischen Grenze eine gewaltige
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Grube auszuheben, die mit wilden Tieren bevölkert werden sollte, um auf diese Weise jeden Deutschen davon abzuhalten, Frankreich auch nur zu besuchen! Jahns Turnveranstaltungen erwiesen sich als sehr populär, und bald begannen die Berliner herbeizuströmen, um »das Absingen vaterländischer oder kirchlicher Lieder, eine patriotische Predigt, Fackelzüge und die heilige Flamme« zu verfolgen, die gleichfalls Teil des Treibens in der Hasenheide waren.53 Der Übungsplatz lag in der Nähe des Dorfes Tempelhof, dessen Ausflugslokale und Imbisszelte beliebte sonntägliche Ziele für die Berliner waren. Aber solche Freuden gab es für die Turner nicht. Jahn war bald schon nicht mehr wohl angesichts der touristischen Zaungäste, und er verlegte das Übungsgelände an eine verborgenere Stelle im Wald.54 Ein zeitgenössischer Beobachter erinnerte sich später, wie man ihn als Kind mitnahm, um Jahn auf seinem Turnplatz unter freien Himmel zu sehen, einem mehrere Hektar großen, gerodeten und von Tannen abgeschirmten Areal, wohin die Jugend Berlins strömte. Die Sportler hätten jeglicher Art von Verweichlichung den Kampf angesagt, und nur die einfachste Kraftnahrung sei erlaubt gewesen, während geistige Getränke, Kuchen und Süßspeisen streng verboten gewesen seien.55 Die Bewegung verbreitete sich wie ein Lauffeuer und schaffte es, Männer aus den unteren Schichten anzulocken, eine Neuerung in der nationalen Bewegung bis dahin. Jüdische Turner durften gern mitmachen, und wir entdecken in diesem Stadium der Bewegung keine Anzeichen offener Judenfeindschaft. Sieben Jahre später, im Jahr 1818, existierten allein in Preußen mindestens 100 Turnvereine, die mindestens 6.000 Turner anlockten. Die Gesamtzahl der Turner in Deutschland war doppelt so hoch.56 Die Teilnehmer glaubten, dass das Turnen Körper, Geist und Seele vereinigen und Männer dadurch auf den Krieg gegen Napoleon vorbereiten könne. Wie die Tischgesellschaft war auch die Turnbewegung eine ausschließlich männliche Angelegenheit: »Die Verherrlichung der Männlichkeit durch gymnastischen Wettstreit wurde integrierender Bestandteil solcher Veranstaltungen … ›Man darf nie verhehlen, dass des Deutschen Knaben und Deutschen Jünglings höchste und heiligste Pflicht ist, ein Deutscher Mann zu werden‹«, wie Jahn selbst die dem Projekt zugrunde liegenden Überlegungen zusammenfasste.57 Jahns Vision ging über die Vorbereitung männlicher Körper auf den nationalen Konflikt hinaus, denn er befürwortete auch eine Veränderung des Sexualverhaltens der jungen Männer. Er und andere Patrioten wollten bekämpfen, was sie als homoerotische Färbung empfanden, etwas, das bei Männerfreundschaften damals weit verbreitet war. Unter dem
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Ancien Régime hatte es auf jeden Fall nicht die Grenzen akzeptablen Benehmens überschritten, wenn Männer Sex mit anderen Männern hatten, ohne dass sie deswegen gezwungen gewesen wären, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Aber viele Nationalisten waren leidenschaftliche Gegner homoerotischer Freundschaften, so wie sie auch den Ehebruch verurteilten, und attackierten beide Praktiken als dekadent, französisch und weibisch. Ihr sexuelles Ideal waren das heterosexuelle Paar und das warme, behagliche, häusliche Nest der Familie.58 Jahn ermahnte seine Anhänger, »daß ein Mann einem Vaterland angehören müsse, so wie er zu einem Haushalt gehöre und nur eine wahre Liebe in seinem Leben habe«.59 Weil für ihn die ethnische Abstammung darüber entschied, ob jemand Zugang zum magischen Kreis der Nation hatte oder nicht, ist Jahns Vermächtnis seit der NS-Zeit umstritten.60 Eine Studie kommt in ihrer strengen Einschätzung zu dem Schluss, Jahns Ideologie und die von ihm geschaffenen Institutionen zeigten, dass »das deutsche Nationalbewusstsein von Anfang an unverkennbar und eindeutig rassistisch war«.61 Manche sehen sogar eine Verbindung zwischen Jahns Fremdenhass und seiner Verachtung für Frauen, Homosexualität und Ehebruch, und verübeln ihm, die deutsche Kultur noch über viele Jahrzehnte auf die nachhaltigste Weise beeinflusst zu haben. Andere Forscher widersprechen mit dem Einwand, dass es unfair sei, die Schuld an späteren rassistischen Bewegungen auf Jahn zu schieben.62 Jahns Anziehungskraft auf junge Männer, die erpicht darauf waren, in den Turnergruppen in der Hasenheide ihre Muskeln aufzubauen, ist ein Beleg dafür, dass die nationalen Leidenschaften sich in den fünf Jahren seit der preußischen Niederlage bei Jena über die Schicht der Gebildeten hinaus ausbreiteten. Wir haben gesehen, dass Friedrich Schleiermacher Religion und Romantik in die nationale Sache einbrachte und dass Johann Gottlieb Fichte dem nationalen Konsens eine radikale politische Einstellung eingab. Aber diejenigen, die Schleiermachers Predigten und Fichtes Vorträgen lauschten, stammten oft aus gutem Hause oder waren zumindest gebildet, und die Mitglieder der Tischgesellschaft waren auf jeden Fall sehr privilegiert, während die Turner, die für jedermann sichtbar in der Hasenheide Muskelaufbau betrieben, oftmals aus den unteren Schichten stammten, was äußerst wichtig war, wenn die Bewegung auf breiter Front den militärischen Widerstand gegen die Besatzung entfachen sollte. Das Jahr 1811 endete mit einem traurigen Todesfall, dem Selbstmord Heinrich von Kleists am 21. November. Kleist hatte mehrere Gründe, sich das Leben zu nehmen, vor allem seine Schwierigkeit, Einkünfte aus seinem
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Schreiben zu erzielen. Im Herbst 1811 war Kleist 34 Jahre alt, ein verzweifelter Mensch. Eine militärische Laufbahn hatte er abgelehnt, und da die familiären Mittel knapp waren, versuchte er sich als Schriftsteller, Journalist und Verleger seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber wenn seine Dramen inszeniert wurden, fielen sie oft kläglich durch, und ein Großteil seiner Prosaliteratur blieb in der Schublade. Sicherlich war Kleist für einige seiner Probleme selbst verantwortlich. Auf den Seiten der Abendblätter machte er kleine Witze über August Wilhelm Ifflands Vorlieben für männliche Geliebte. Seine öffentlichen Angriffe auf Iffland waren selbstzerstörerisch, weil Iffland der Direktor des Nationaltheaters war, und der rächte sich, indem er sich weigerte, irgendeines von Kleists Stücken auf die Bühne zu bringen.63 In jenem Herbst war Kleist besonders deprimiert, weil die Regierung im vorhergehenden Frühjahr die Einstellung der Abendblätter verfügt hatte. Die Zeitung war beliebt, sogar beim König selbst, aber Hardenberg, der liberale Staatskanzler, war wütend, dass die Artikel oft die neuen Reformen aufs Korn nahmen. Kleist beschloss, sich umzubringen, und fand eine Partnerin im Tod, Henriette Vogel, die an Krebs im Endstadium litt. Seit Goethes Held in den Leiden des jungen Werther sich aus verzweifelter Verliebtheit das Leben genommen hatte, umgab eine romantische Aura den Selbstmord. Nachdem die Leichen von Heinrich und Henriette an den Ufern des Kleinen Wannsees gefunden worden waren, wo Kleist erst seine Begleiterin und dann sich selbst durch Pistolenschüsse getötet hatte, versuchten Freunde und Bekannte weit und breit die Tragödie zu begreifen. Ironischerweise bescherte Kleists spektakulärer Tod ihm mehr Ruhm, als seine schriftstellerische Arbeit es zu Lebzeiten vermocht hatte. Die Londoner Times brachte kurz nach seinem Tod einen umfassenden Bericht.64 Viele einheimische Intellektuelle deuteten Kleists Tod als »symbolischen Akt der Verzweiflung über die fortgesetzte Demütigung der Nation«.65 Eine seiner leidenschaftlichsten Bewunderinnen war Rahel Levin, obwohl sie Kleist kaum gekannt hatte. Beobachter der zeitgenössischen Szene merkten an, dass beide Außenseiter seien, »sie qua Geburt« und er durch »spirituellen Entschluss«. Zwei Tage nach seinem Tod schrieb Rahel ihrem Freund Alexander von Marwitz, während ihr Tränen über das Gesicht liefen, Kleists »göttliche Tugenden« könnten niemals »nach einem Pistolenschuss« sterben.66 Wie sollen wir Rahels Sympathie für Kleist interpretieren? Wir fragen uns, ob sie sich so leidenschaftlich mit ihm identifiziert hätte, wenn sie gewusst hätte, was Kleist im Jahr 1802 seiner Schwester geschrieben hatte: »In Gesellschaften komme ich selten. Die jüdischen würden mir die liebsten
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sein, wenn sie nicht so pretiös mit ihrer Bildung täten.«67 Selbst wenn wir uns ihrer Begeisterung für Johann Gottlieb Fichte entsinnen, den die Nachwelt für seine Meinung über die Juden streng verurteilt hat, muss uns ihre Identifizierung mit Kleist komisch vorkommen. Sie war noch Jüdin im Jahr 1811, aber dennoch vollkommen bereit, just in dem Moment Verständnis für die Probleme einzelner Adeliger aufzubringen, wo viele dieser privilegierten Herren oder deren Verwandte gegen die Emanzipation der Juden waren. Rahel fühlte sich nur sich selbst und ihrem existenziellen Zustand verantwortlich. Andere Juden hatten allerdings eine Verantwortung gegenüber der Geschichte übernommen, auf einem Gipfelpunkt in der Saga von den Juden in den deutschen Ländern.
Das Geschenk eines Vaterlandes, 1812 In den ersten Monaten des Jahres 1812 warteten die Spitzen des jüdischen Berlin mit Spannung auf gute Neuigkeiten von Staatskanzler Hardenberg. Nach sechs Jahren Besatzung wurden jüdische Vermögen nach wie vor dringend benötigt, um den schwächelnden Staatshaushalt zu stützen. Das Schicksal hatte den Juden Preußens eine ausgezeichnete Gelegenheit verschafft, um ihre Sache zu forcieren. Zu einer Zeit, wo ein bedeutendes Gesetz, das Edikt von 1812, formuliert wurde, war das preußische Finanzministerium mit Schulden in Höhe von 200 Millionen Talern nach wie vor gewaltig im Rückstand.68 Der Staat brauchte nicht nur weiter die jüdischen Vermögen, sondern sollten Juden Soldat werden dürfen, könnte die ganze jüdische Gemeinschaft dadurch im Kampf gegen Napoleon ihren Patriotismus unter Beweis stellen. Im Jahr 1812 wusste niemand, was genau mit Preußen geschehen würde. In den letzten zwei Jahren, seit Weihnachten 1809, als die königliche Familie in die Stadt zurückgekehrt war, hatte die Zahl der französischen Soldaten in Berlin drastisch abgenommen. Aber vor Kurzem waren Napoleons Truppen auf dem Weg zum Einmarsch in Russland in Scharen wieder aufgetaucht. Die Untertanen König Friedrich Wilhelms III. waren extrem nervös, und viele fürchteten eine Erhebung. Was auch immer den Franzosen im Jahr 1806 an Unterstützung zuteil geworden war, hatte sich im Laufe von sechs Jahren der Not, Verelendung und Erniedrigung längst verflüchtigt. Aber Paris war nicht die einzige Zielscheibe für aufgebrachte Berliner, die »entrüstet«
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darüber waren, dass ihr König träge eingewilligt hatte, abermals französischen Soldaten Zugang nach Berlin zu gewähren. Darüber hinaus hatte Napoleon Preußen gezwungen, ihm 20.000 preußische Soldaten als Hilfstruppen für den Russlandfeldzug zur Verfügung zu stellen. Als die französischen Truppen eintrafen, war die Bevölkerung wütend. Und als die französischen Soldaten Napoleons Geburtstag mit einer Parade feierten, sahen sie sich einem Mob Steine werfender Berliner gegenüber, und Bajonette waren notwendig, um sich den Weg freizumachen.69 Allerdings erwies sich der März des Jahres 1812 als goldener Moment in der jüdischen, wenngleich noch nicht in der deutschen Geschichte. Während der zwei Jahre der Staatskanzlerschaft Hardenbergs hatten die Vorstände der jüdischen Gemeinde Regierungsbeamte unermüdlich um eine radikale Verbesserung der Stellung der Juden ersucht. Die Salondamen hatten sich einen Platz an der Spitze der Berliner Gesellschaft geschaffen und kamen in den Genuss von »Vorzeigefreundschaften« mit führenden Persönlichkeiten. Doch selbst für die glücklichen Salonjuden existierte weiterhin ein großes Missverhältnis zwischen gesellschaftlichem Glanz und politischen Demütigungen. Die Emanzipation der Juden war damals ein bestimmendes Thema der aktuellen Debatte. Unter der Napoleonischen Herrschaft waren vielen jüdischen Gemeinden in den westdeutschen Städten und Kleinstaaten beachtliche Freiheiten gewährt worden. Die Juden in Westfalen, im Großherzogtum Berg, in Frankfurt am Main, in Baden und in den Hansestädten waren bis 1812 von allerlei Beschränkungen und Steuern befreit worden. Aber das Problem war, dass die Emanzipation der Juden in den Augen vieler eine Maßnahme der französischen Politik war. Folglich war es sehr heikel, die jüdische Emanzipation in Preußen gerade in dem Moment zu favorisieren, wo die Preußen sich allem Französischen immer stärker entgegenstellten. Zeitgenossen, insbesondere glühende Patrioten, fragten sich, ob die Juden in Preußen bereit sein würden, gegen die Franzosen zu kämpfen, wo es doch die Franzosen waren, die am meisten getan hatten, um den Juden zu helfen. Aber die Zweifler irrten sich. Viele Juden im Preußen des Jahres 1812 brannten im Gegenteil darauf, ihre Loyalität gegenüber ihrem Staat gerade jetzt, in dessen dunkelster Stunde, unter Beweis zu stellen. Rahel Levin drückte diese Stimmung in einem Brief an Karl aus: »Gerechter Gott, was ist es leicht und natürlich, sein Vaterland zu lieben, wenn es einen nur ein bischen wiederliebt!« Dann fügte sie den entscheidenden zweiten Satz hinzu: »Man thut es ja schon ohne Gegenliebe.«70 Rahel fasste das Bemühen, patri-
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otisch zu werden, zusammen, als wäre Preußen ein Mann, in den sie verliebt sei. Sie besaß kein Vermögen, das sie für ihre Nation geben konnte, und als Frau konnte sie ihr Leben nicht auf dem Schlachtfeld opfern. Die begüterten Finanziers waren bereit, ihre Liebe mit Darlehen und Spenden unter Beweis zu stellen, aber als gerechte Belohnung für geleistete treue Dienste erwarteten sie die bürgerliche Emanzipation der Juden.71 Der Mann, dessen Name als Anführer dieses Kampfes in die Geschichte eingegangen ist, war David Friedländer. Friedländer war jetzt 61 Jahre alt, und ihm war vor Kurzem als erstem Juden die Ehre zuteil geworden, in eine Position im Berliner Stadtrat gewählt zu werden. Nach der im Jahr 1808 ergangenen städtischen Verordnung durften Schutzjuden wählen und städtische Ehrenämter bekleiden, solange sie ein Haus oder Geschäft besaßen. Abraham Mendelssohn würde später ebenfalls stolz im Stadtrat amtieren.72 Friedländer war der Sohn wohlhabender Eltern, er besaß eine rentable Seidenfabrik und gehörte zu den 20 reichsten Juden Berlins.73 Wie bei so vielen Hofjuden aus den vorangegangenen Jahrhunderten entsprachen Friedländers hoher Stellung innerhalb der jüdischen Welt außerordentliche Beziehungen zu einflussreichen Staatsmännern. Er war zugleich Freund, Bankier und Finanzberater von Wilhelm von Humboldt und dessen Bruder Alexander, dem Naturforscher und Geografen.74 Ebenso wie die Zeitgenossen damals sind auch die Historiker heute zu Recht ratlos hinsichtlich der Frage, ob die Erfolge dieser modernen Hofjuden eher ein Segen oder ein Hindernis für die umfassendere Emanzipationsbestrebung waren.75 Von unserer historischen Warte aus auch nur zu fragen, ob verfolgte Minderheiten Gleichheit verdienten, kling absurd. Aber wir wissen gut, dass die privilegierten Juden Berlins das Äquivalent einer privaten bürgerlichen Gleichheit erreicht hatten. Seit den Zeiten von Israel Aaron und Esther Liebmann hatte der Staat außerordentlichen Reichtum stets mit besonderen Rechten belohnt. Aber diese Rechte waren einzelnen Familien gewährt worden, nicht der größeren Gemeinde. Gerade weil seine eigene Familie so viel Glück hatte, ist das Urteil über Friedländers Bemühungen zu diesem Zeitpunkt sehr umstritten. Einer strengen Einschätzung zufolge war er ein »Sklave, der sich sowohl um seinet- als auch um seines Volkes willen vor der tonangebenden Rasse und Religion duckte«.76 Andere widersprechen entschieden, indem sie einwenden, sein Aktivismus zeige, dass »er nicht bloß ein egoistischer Sprecher für seine Klasse war« und er nicht »das Wohlergehen der Mehrheit der Juden hintanstellte«.77 Zu Friedländers Gunsten müssen wir anmerken, dass er sich aus seiner Firma zurückgezogen hatte, um
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sich dem Emanzipationsprojekt zu widmen. Dann war da noch die Kontroverse um seinen Vorschlag einer »trockenen Taufe« aus dem Jahr 1799. Erinnern wir uns daran, dass Friedländer, nachdem kirchliche Würdenträger seinen Plan zurückgewiesen hatten, sich nicht für die »feuchte« Taufe als seine Lösung entschied. Ebenso wenig verweigerte ihm die örtliche Gemeinde, die um Friedländers Rolle bei dem Projekt wusste, die Fortsetzung seiner Leitung. Also liegt der Schluss nahe, dass seine Vision einer nachjüdischen Sekte innerhalb der lutherischen Kirche von anderen einflussreichen Gemeindevorständen offenbar für einleuchtend gehalten wurde. Das war jetzt zwölf Jahre her. Inzwischen konnten Friedländer und die anderen Vorstände stolz auf einige minimale Verbesserungen bei der Situation der Juden sein. Die viel gehasste Auflage, dass Juden nicht verkaufte Porzellanstatuetten aus der staatlichen Manufaktur erwerben mussten, war aufgehoben worden. Das Gesetz, das die gesamte Gemeinde für alle Juden, die bankrottgingen, haftbar machte, wurde im Jahr 1800 ebenfalls abgeschafft. Wenn wir das Schicksal der Familie Itzig verfolgen, erkennen wir deutlich, wie die Bevorzugung die Superreichen von den Bedürfnissen ihrer ärmeren jüdischen Brüder isolierte. Die Leser werden sich erinnern, dass der gesamten Familie Itzig schon im Jahr 1791 »sämtliche Rechte, wie sie christliche Bürger besitzen«, gewährt worden waren. Doch einige ihrer Nachfahren waren offenbar nicht restlos zufrieden mit den sich aus ihrer Position an der Spitze des Berliner Judentums ergebenden Rechten und Pflichten. Während der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts begegnen wir Itzigs, die es versäumten, ihre Gemeindesteuern zu entrichten, und wir wissen gut, dass sich immer mehr Itzig-Nachfahren für die Taufe entschieden.78 Uns vermitteln die konvertierten Itzigs einen Vorgeschmack auf die Zukunft. Weil sie sich bereits einer Art Quasi-Staatsbürgerschaft erfreuten, bevor sie sich zur Konversion entschlossen, erlebten sie zu einem früheren Zeitpunkt, womit Tausende von Juden erst nach dem Edikt von 1812 konfrontiert sein sollten. Um die tiefere Bedeutung der konvertierten Itzigs zu erfassen, müssen wir uns an den Augenblick im Jahr 1995 erinnern, als Jürgen Habermas während der Rede Martin Walsers aus Anlass der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises den Vortragssaal verließ. Uns daran erinnern, dass Walser Habermas provoziert hatte, als er erklärte, Konversion sei eine Art Emanzipation gewesen. Viele Leser werden sicherlich zu Habermas halten, weil sie Walsers Standpunkt für judenfeindlich halten. Jetzt, wo wir mit der Struktur der jüdischen Politik im Jahr 1812 vertraut sind, können wir erkennen, dass Walser die politische Linie des preußischen Staates in jenen Jahren wieder-
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gab. Diese politische Linie bestand darin, nur eine Teilemanzipation zuzubilligen und die Reform des Judentums zu unterdrücken, womit die Taufe die einzige Möglichkeit blieb, eine Art funktionaler, unmittelbarer Emanzipation zu erlangen. Viele werden erfreut sein, dass Habermas gegen diese problematische preußische Politik war, die das Leben vieler Personen in unserer Geschichte derart einschränkte. Doch die Wut über die preußische Politik muss gedämpft werden durch das Bewusstsein, dass es oftmals gerade diejenigen mit den meisten Vorrechten waren, die sich für die Taufe entschieden. Als Friedländer die Staatsminister um eine umfassende Emanzipation ersuchte, sprachen sie erstaunlich offen aus, wie wichtig Geld beim Kampf für jüdische Rechte sei. So wie schon im Jahr 1663 finanzielle Notwendigkeiten den Großen Kurfürsten veranlasst hatten, Israel Aaron einzuladen, sich in Berlin niederzulassen, so hingen auch jetzt Geld und Rechte zusammen. Manchmal wurden jüdische Gemeinden aufgefordert, direkt für ihre Emanzipation zu bezahlen, so in Frankfurt am Main. Im Dezember 1811 machte der Großherzog von Frankfurt, Karl Theodor von Dalberg, den jüdischen Vorständen klar, dass mehr Rechte nur bewilligt würden, wenn für das Privileg ein hübsche Summe gezahlt würde. Der verlangte Betrag waren 440.000 Gulden, das 20-Fache der Summe auf dem jährlichen Steuerbescheid, welche die Gemeinde bislang bezahlt hatte. In dem Frankfurter Fall wurde die dem Tausch zugrunde liegende Logik für jedermann sichtbar offengelegt, kein hübsches Bild für die Nachwelt, aber für das Jahr 1811 anscheinend der Standard.79 Dass jüdische Eliten offenbar in der Lage waren, Rechte für die größere Gemeinde zu erkaufen, hilft uns, zu verstehen, warum Kritiker vom linken Flügel manchmal skeptisch gegenüber der Emanzipation der Juden waren. Im Fall Berlin ist nicht ersichtlich, dass für die Emanzipation direkt bezahlt wurde. Dennoch stieß jeder, der nachforschte, welche Rolle Geld hinter den Kulissen spielte, in Berlin zweifellos auf jede Menge Klatsch darüber. Die zentrale Figur bei diesen Geheimverhandlungen war Hardenberg. Wir finden Hardenberg überall, wie er die jüdische Emanzipation und die Karrieren einzelner Juden unterstützte. Zum Zeitpunkt der Scheidung von seiner ersten Frau, als er bei seinen Gläubigern gefährlich im Rückstand war, bot der westfälische Finanzier Israel Jacobson ihm ein Darlehen zu sehr niedrigen Zinssätzen an.80 Jacobson sollte die Berliner jüdische Gemeinde später bei den Verhandlungen für das Edikt von 1812 vertreten. Die Freundschaft zwischen Jacobson, dem finanzstarken jüdischen Bankier und seinem höchst
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einflussreichen adeligen Kunden Hardenberg gedieh, und die beiden Männer standen über mehr als ein Vierteljahrhundert auf vertrautem Fuß miteinander.81 Näher zu Hause, in Berlin, aß Hardenberg während dieser Jahre einmal in der Woche bei Amalie und Jakob Herz Beer zu Abend.82 Eine Parallele sehen wir in Wien, wo Klemens Wenzel Fürst von Metternich eng mit seinem Bankier, Leopold von Herz, befreundet war. Im Jahr 1812, als Friedländer seine Hilfe in Anspruch nahm, war Jacobson 44 Jahre alt und finanzierte und organisierte seit nunmehr vier Jahren, seit 1808, in Städten überall in Westfalen moderne Volksschulen und Andachten. Jacobsons gesellschaftliche Stellung als Hofjude muss durch seine »gekaufte Abstammung« erhöht worden sein, denn er und sein Bruder besaßen jeder ein Landgut in dem Kleinstaat Mecklenburg und wurden sogar gebeten, Abgeordnete in der Mecklenburgischen Ständeversammlung zu werden.83 Als Friedländer sich hinsetzte, um seine Emanzipationsgesuche abzufassen, versprach er nicht ausdrücklich eine Bezahlung, aber natürlich machte er auf die finanziellen Folgen der aktuellen Krise aufmerksam. In einem Brief von 1809 an Hardenbergs Mitarbeiter Wilhelm Anton von Klewitz, Vorsitzender der kombinierten Immediatkommission für Geldoperationen und Armenverpflegung, wies Friedländer darauf hin, dass wohlhabende preußische Juden es vorziehen könnten, das Land zu verlassen, womit Preußen ihrer Geldmittel, Fähigkeiten und Beziehungen beraubt würde, sollte die Emanzipation nicht bewilligt werden. Offenbar in dem Versuch, die vertraute Taktik zu parieren, die Juden würden mit der französischen Besatzung sympathisieren, bestritt Friedländer, dass die französische Herrschaft der jüdischen Wirtschaft genützt habe. Im Gegenteil, weil viele jüdische Berliner die Stadt nach der Niederlage von 1806 verlassen und ihre Geschäfte und Unternehmen geschlossen hätten, sei, so Friedländer, das Steueraufkommen der jüdischen Gemeinde gemindert worden. Zwischen 1806 und 1809 sei der Anteil der wirklich armen Familien an den 405 in Berlin lebenden jüdischen Familien von 135 auf 175 gestiegen. Weiteren 130 Familien gehe es nicht gut genug, dass sie ihre jüdischen Steuern bezahlen könnten. Und selbst unter den 100 reichsten Familien seien viele nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde in vollem Umfang nachzukommen.84 Friedländer sorgte sich, dass die steigenden Konversionsraten die Schatulle der Gemeinde leerten. Drei Jahre später, im Januar 1811, schickte er Hardenberg eine Liste mit den Namen von 50 Familien, die Angehörige an die Taufe verloren hatten. Er wusste instinktiv, was wir aus der Statistik der
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»Fremdstämmigenkartei« erfahren haben, dass eine Krise der Familie die Gemeinde so vieler ihrer jungen, ihrer besten und ihrer klügsten Köpfe beraubte. David Friedländer erlebte den Aderlass in seiner eigenen Großfamilie. Seine Schwiegertochter Rebecca, Rahels Freundin, hatte sich von seinem Sohn Moses scheiden lassen und war konvertiert. Mehrere der Itzig-Cousins seiner Frau waren schon getauft, und mehrere weitere sollten in den kommenden Jahren dieselbe Entscheidung treffen. In seinem Brief betonte Friedländer, dass, weil so viele der Konvertiten vermögend seien, die Tatsache, dass sie nun nicht mehr zum Steueraufkommen der Gemeinde beitrügen, dem Berliner Judentum allein im Jahr 1809 zehn Prozent des Budgets entzogen habe.85 Er erinnerte Hardenberg daran, dass viele jüdische Eltern ihre Kinder außerdem heimlich zum Übertritt veranlassten. Was er sagen wollte, war, dass mehr Juden die Taufe wählen würden, wenn die Emanzipation nicht zugestanden würde, und es der Gemeinde schwerer fiele, dem Staat finanziell unter die Arme zu greifen. Am Ende wäre es der Staat, der unter der Berliner Konversionswelle leiden würde. Die Logik von Geld und Emanzipation lag für alle Beteiligten anscheinend derart auf der Hand, dass Friedländer kein Problem damit hatte, zu behaupten, dass der Staat ein Interesse daran haben müsse, dass Juden Juden blieben, damit sie mehr Steuern zahlen konnten. Dank des Abstammungsprojekts der Nationalsozialisten können wir Friedländers Angaben über den gewaltigen Anstieg der Zahl der Konversionen in jenen Jahren ausführlicher kommentieren. Bis zu den abschließenden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hatte die Zahl der Konvertiten bei weit unter zehn pro Jahr gelegen. Die Tendenz zu Beginn des neuen Jahrhunderts war, wie man in Schaubild 1 des Anhangs sehen kann, schwankend, aber steigend. Schaubild 2 zeigt, dass ein enormer Prozentsatz der Konvertiten Kleinkinder waren, und immer mehr dieser Kinder waren in wohlhabende Familien hineingeboren. Eltern wollten ihren Kindern Konflikte im späteren Leben ersparen, sie in dem Bewusstsein aufwachsen lassen, dass sie Christen waren. Es ist fraglich, ob solche Haushalte weiterhin jüdische Rituale praktizierten. Trotzdem konnten Eltern, die jüdisch blieben, wahrscheinlich problemlosere Beziehungen zu ihren eigenen Eltern und Großfamilien aufrechterhalten. Die Belastung durch Täuschung und Heimlichtuerei in verschiedene Richtungen muss beträchtlich gewesen sein, und das Vermächtnis, das an die Kinder weitergegeben wurde, war offensichtlich problematisch.
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Friedländers unverhohlener Hinweis auf den Zusammenhang von Geld und Konversion wird Hardenberg und seine Mitarbeiter gewiss nicht schockiert haben. Auch Unterlagen der Regierung weisen freimütig auf die finanziellen Aspekte der Konversion und insbesondere der Mischehe hin. Ein in diesen Jahren diskutiertes Vorhaben war die Einführung der Zivilehe, was bedeutet hätte, dass jüdische Partner oder Partnerinnen, die Christen oder Christinnen heirateten, nicht mehr hätten konvertieren müssen. Im Jahr 1808 verfasste Staatsminister Leopold von Schrötter ein Memorandum, in dem er betonte, wie wünschenswert solche Mischehen unter verschiedenen Gesichtspunkten seien. Jüdisch zu bleiben würde den jüdischen Partnern oder Partnerinnen erlauben zu erben, was, wie wir aus der Geschichte der Töchter von Moses Isaak Fließ wissen, für Konvertiten manchmal ein Problem war. Denn, so betonte Schrötter, die Folge wäre »eine Ueberleitung eines Teiles des in den Händen der Juden befindlichen Vermögens an die Christen, ›indem Heiraten reicher Jüdinnen mit Christen gewiß zu erwarten sind‹«.86 Wenn wohlhabende jüdische Töchter den Reichtum ihrer Eltern in eine Zivilehe mit einem Adeligen einbringen könnten, wäre dies ein eleganter Weg, der bedrängten Gutswirtschaft jüdisches Kapital zuzuführen. Schrötters Vorschlag war eigentlich optimistisch, weil er davon ausging, dass Christen, vor allem Adelige, bereit wären, Jüdinnen oder ehemalige Jüdinnen zu heiraten. Dies ist insoweit bemerkenswert, als damals niemandem klar war, zu einer wie schweren Bürde der jüdische Makel werden konnte. Schrötters Gegner, die fürchteten, dass es schwierig sein würde, den Makel abzuwaschen, dürfen nicht leichtfertig ignoriert werden. Wären sie erfreut gewesen, zu erfahren, dass sich ein Jahrhundert nach ihrem Tod die Abstammungsbürokratie der Nationalsozialisten daranmachte, die jüdische Herkunft Hunderttausender christlicher Deutscher aufzudecken? Eine konvertierte jüdische Braut verringerte die Bürde auf der adeligen Familie eher als ein konvertierter jüdischer Bräutigam. In ihrem Namen und in der gesetzlichen Abstammung ihrer Kinder konnte die jüdische Identität getilgt werden. Was die private Beziehung betraf, so war das Leben für das Paar selbst möglicherweise leichter, wenn die Ehefrau die Partnerin mit der niedrigeren Herkunft war. Wenn eine Frau über ihrem Stand heiratet, ist ihre Unterordnung eine doppelte, als Frau und als Angehörige einer niedrigeren Gesellschaftsklasse. Umgekehrt muss der untergeordnete Mann mit einer sozial höher stehenden Ehefrau zurechtkommen, und die Kinder tragen den jüdischen Makel in ihrem Familiennamen. Überdies erwarb ein konvertierter jüdischer Ehemann vielleicht ein Adelsgut und gefährdete auf
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diese Weise die nur für diese Klasse bestimmten Privilegien. Gewiss, wenn die Mutter geborene Jüdin war, konnten ihre Kinder, selbst wenn sie konvertierte, durchaus als im religiösen Sinne jüdisch angesehen werden, da die religiöse Identität nach jüdischer Tradition durch die Mutter bestimmt wird. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Überlegung christliche Familien beunruhigt hätte. Dank einer Reihe von Heiratsurkunden für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in den schwarzen Ordnern enthalten sind, können wir diese Trends ausführlicher untersuchen. Wie den Schaubildern 3 und 4 des Anhangs zu entnehmen ist, war der allgemeine Trend in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts, dass sowohl bei den Konvertiten als auch bei konfessionsübergreifenden Eheschließungen die Frauen von den Männern überholt wurden. Den sich verändernden Anteil jüdischer Frauen, die eine Mischehe eingingen, können wir damit erklären, dass die jüdischen Salons in der Versenkung verschwanden. Salons boten einen idealen Rahmen für Romanzen über die religiöse Kluft hinweg. Aber während der Napoleonischen Kriege verschwanden die jüdischen Salons beinahe vollständig. Und für die Jahre danach zeigt die Statistik eindeutig, dass der Anteil jüdischer Frauen, die die Taufe wählten und die ihrerseits für ethnische Mischehen ausgewählt wurden, auch künftig hinter dem männlichen Muster zurückblieb. Obwohl es also ausgesprochene Vorteile hatte, wenn die Frau der jüdische Partner war, schwächte sich dieser Trend ab. Die Zahl der Mischehen ging nicht zurück, aber der Geschlechterkampf der gemischten Paare fand öfter unter umgekehrten Vorzeichen statt. Wie die Geschichte der Itzigs anschaulich gezeigt hat, waren immer mehr Konvertiten in wohlhabende Familien hineingeboren worden, aber ihre üppigen finanziellen Mittel boten nicht immer eine Gewähr gegen die Taufe. Überdies schaffte es selbst ein Vermögen in Verbindung mit der Bewilligung der Quasi-Staatsbürgerschaft, wie sie die Itzigs erhielten, nicht, alle jüngeren Itzig-Cousins und Cousinen dem jüdischen Glauben zu erhalten. Aber wie wir aus den Entscheidungen ersehen, welche die Familie Beer fällte, hatte die Treue zum Judentum auch eindeutige Vorteile. Dass die Familie Beer wöchentlich Staatskanzler Hardenberg bewirtete, war möglich, weil die Beers sozusagen das Königshaus der jüdischen Gemeinde waren. Wir wenden uns nun der Frage zu, wie und warum einige in solche reichen, loyalen Familien hineingeborenen Aktivisten die Willenskraft und den Weitblick aufbrachten, neue Formen des Jüdischseins zu schaffen. Amalie und Jakob standen nun, im Jahr 1811, auf dem Gipfel ihres Einflusses als das fortschrittliche
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Karriere-Paar des Berliner jüdischen Establishments. Jakob war zu einem der reichsten Männer Berlins geworden und bekleidete als einer der Ältesten der jüdischen Gemeinde und als einer der vier Direktoren der Börse eine herausragende Position sowohl in der jüdischen als auch in der Finanzwelt.87 Die Beers spielten eine zentrale Rolle bei der Entstehung eines religiösen Freiraums zwischen Tradition und Taufe, eines Freiraums, der als harmonische Modernisierung gut beschrieben ist. In Frisur und Kleidung wirken beide auf jeden Fall modern. Auf dem Porträt von Amalie Beer, das Carl Kretschmar 1802 malte, als sie 20 Jahre alt war, trägt sie weder Perücke noch Haube und zeigt freimütig ziemlich viel Dekolleté. Im Jahr 1812 änderten beide Beers ihre Vornamen; aus Malka wurde Amalie und aus Juda Jakob.88 Ihr ältester Sohn, das Komponisten-Wunderkind, erhielt bei der Geburt den Namen Jakob, obwohl seine Familie ihn Meyer nannte. Schließlich erfand er seinen eigenen Familiennamen: Meyerbeer.89 Auch seinen Vornamen änderte er später vom noch recht jüdischen Jakob in den italienischen Giacomo. Ein jüngerer Bruder erhielt bei der Geburt den jüdisch klingenden Namen Wolff, nannte sich selber aber später Wilhelm. Heinrich gab man ursprünglich den Namen Henoch, und nur der jüngste Sohn Michael scheint sein ganzes Leben lang denselben Namen benutzt zu haben. Seinen Vornamen zu ändern war eine Möglichkeit, öffentlich zu bekunden, dass man zur Mitte der Gesellschaft gehörte. Amalie und Jakob sprachen untereinander und mit ihren Kindern die meiste Zeit Deutsch, aber in den gelegentlichen vertrauteren Momenten sprachen sie den deutschen jiddischen Dialekt, das sogenannte »Judendeutsch« oder »Hebräisch-Deutsch«.90 Zu Hause Deutsch zu sprechen war ein Schritt auf dem Weg zu korrektem Deutsch in der Öffentlichkeit und mag ihnen auch geholfen haben, sich als wahrhaft deutsch zu empfinden. Aus Amalies Briefen ersehen wir, dass ihre Beherrschung des Schriftdeutschen alles andere als perfekt war, eine weit verbreitete Schwäche unter den jüdischen Frauen ihres Kreises. Die von den Beers eingestellten Hauslehrer, die ihre Söhne unterrichten sollten, sind ein Beleg dafür, wie Amalie und Jakob das Jüdische mit dem Weltlichen in Einklang brachten. Christliche Privatlehrer brachten den Knaben Musik, Geschichte, Deutsch, Französisch und Geografie bei. Darüber hinaus engagierten ihre Eltern aufgeweckte junge Reformer, sogenannte maskilim, die sie in Hebräisch und anderen jüdischen Themen unterrichteten, und diese Hauslehrer begleiteten die privilegierten jungen Beers auch auf ihren Studienreisen ins Ausland.91 Der Hauptlehrer der Jungen war viele Jahre lang Aaron Wolfssohn, der davor Direktor einer modernen jüdischen Schule in Breslau
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gewesen war. Wolfssohns offizieller Titel lautete »Haushofmeister«. Dass die Beers einen adeligen Ausdruck zur Bezeichnung eines Hauslehrers verwendeten, der jüdische Themen unterrichtete, zeigt, wie vornehm sie klingen wollten, wenn sie den Pädagogen ihrer Kinder erwähnten.92 Dank ihrer üppigen finanziellen Mittel konnten die Beers den Menschen in ihrem Einflussbereich beträchtliche Unterstützung angedeihen lassen Eduard Kley, ein jüdischer Student an der Berliner Universität, wohnte acht Jahre, von 1809 bis 1817, bei den Beers und hielt die Predigten im Beer’schen Tempel, den das Paar 1815 in seinem Haus eröffnete.93 Keiner der vier Beer-Söhne konvertierte, und die drei, die heirateten, fanden jüdische Ehefrauen. Weil Giacomo eine musikalische Laufbahn wählte, waren weltlicher Erfolg und Loyalität gegenüber dem Judentum keine völligen Gegensätze. Opernkomponist war ein Beruf, der zumindest nicht ausdrücklich die Konversion verlangte. Doch eine Karikatur von Giacomo, die nach seinem Tod erschien, unterstellt, dass er Jude blieb, um ein Vermögen von seinem Großvater zu bekommen. Die Veröffentlichung dieser Zeichnung in einer bekannten Satire-Zeitschrift belegt, dass er eine kulturelle Ikone war, deren jüdische Identität breite Leserkreise interessierte. Auf dem Bild sitzt Giacomo neben dem Jordan auf einer Ziege. Zu seiner Rechten sind ein »Adels-Diplom« sowie eine Harfe und ein Notenpult samt »Stammbaum« abgebildet, Symbole aristokratischer Legitimation und der Hochkultur. Zu seiner Linken sehen wir das Testament seines Großvaters und ein Geldsäckel. Der Satiriker deutet an, dass die Frage, ob jemand konvertierte oder nicht, eine gewichtige Entscheidung mit unvorhersehbaren Folgen war. Die Verknüpfung von Geld mit dem großväterlichen Testament entsprang nicht der bösen Fantasie des Satirikers. Weil Giacomo seit zwei Generationen der erste männliche Erbe war, sah sein Großvater bei seiner Geburt eine üppige Erbschaft vor, unter der Bedingung, dass der Vorname Meyer nicht aufgegeben wurde. Als dieser Großvater im Jahr 1812 auf dem Sterbebett lag, versprach der damals 21-jährige Giacomo, niemals zu konvertieren.94 Diese zynische Interpretation von Giacomos verzwickter Lage, zeigt, dass verständnislose Beobachter beides, das Festhalten am jüdischen Glauben und die Konversion, zynisch betrachten konnten. Die Verknüpfung von Geld mit Juden ging sichtlich über die Frage der Konversion hinaus. So, wie es sich bei dem Recht, sich niederzulassen, zu heiraten oder Bürger zu werden, um Rechte handelte, die gegen Bezahlung gewährt wurden, könnte sowohl die Konversion als auch die Treue zum jüdischen Glauben ein finanzielles Kalkül eingeschlossen haben.
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Die Botschaft der Karikatur lautete, dass nichts, was ein Jude oder sogar ein ehemaliger Jude tat, jemals glaubwürdig sei. In demselben Jahr, als Giacomo von seinem Großvater an dessen Sterbebett gerufen wurde, näherte sich der jüdische Kampf um die bürgerliche Emanzipation seinem Höhepunkt. Nachdem so viele sich derart angestrengt hatten, wurde endlich am 11. März 1812 das Emanzipationsedikt verkündet. Gleich am nächsten Tag schrieben die Vorsteher der Berliner Gemeinde einen überschwänglichen Dankesbrief an Hardenberg, in dem sie ihre »tief ste[n] Dankbarkeit für den erhabenen Urheber der unschätzbarsten Wohltat« zum Ausdruck brachten. Man beachte, dass sie die Wörter »Gerechtigkeit« und »Gleichheit« nicht benutzten. Eine Woche später wurden Vertreter der Gemeinde zu einem persönlichen Treffen mit dem Staatskanzler gebeten, und sie bekundeten ihren Dank, weil sie das Geschenk eines »Vaterland[es]« empfangen hätten, dem sie sich in »Ehrfurcht, Liebe und höchster Dankbarkeit« verbunden fühlten.95 Das neue Gesetz schuf die Kategorie des »Einländer[s] und Staats bürger[s]«.96 Während das Individuum Freiheiten gewann, büßte die jüdische Gemeinde als Staat im Staate Rechte ein. Das Judentum wurde nun eine der in Preußen tolerierten Religionen, und die Sondersteuern wurden abgeschafft. Juden durften ihren Wohnsitz wechseln, in Berufen arbeiten, die ihnen zuvor verwehrt gewesen waren, und sie durften jegliche Art von Eigentum einschließlich Grund und Boden erwerben. Um sich diese Privilegien zu verdienen, wurde erwartet, dass jüdische Männer in der Armee dienten, musste jede Familie einen Familiennamen wählen und waren die Gemeindebücher künftig nur noch auf Deutsch zu schreiben. Das Recht der Rabbiner, das Verhalten der Gemeinde zu kontrollieren, wurde radikal beschnitten. Wie der berühmte Satz es zusammenfasste: »Für den einzelnen Juden alles, für die Gemeinde nichts.«97
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Abb. 8. Das Dilemma von Giacomo Meyerbeer. Aus dem Kladderadatsch, 1860. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. In der brennenden Frage, ob gebildete, moderne Juden als Professoren, Justizbeamte oder Botschafter Positionen im Staatsdienst bekleiden durften, war das Edikt auffällig widersprüchlich. In dem einen Paragraphen wurden diese verlockenden Möglichkeiten versprochen, während ein anderer Paragraph offen ließ, ob Juden jemals in öffentliche Ämter berufen werden konnten.98 Ehrgeizigen jungen jüdischen Männern sollte die Berufswahl nach 1812 schwer fallen, da sie nicht wussten, wie weit sie es ohne Taufe bringen konnten. Die ständige Versuchung, zu konvertieren, um Professor, Anwalt oder Diplomat zu werden, entzog der jüdischen Welt viele ihrer Besten und Klügsten, genau jene Männer, die sich einer Reform des Judentums hätten widmen können. Weil das Edikt von 1812 in der Frage, ob die Ehrgeizigen angesehene Stellungen erlangen konnten, ohne Christen zu werden, widersprüchlich war, schnellte die Zahl der Taufen nach oben, wie man in Schaubild 1 sehen kann. Überdies war es niederträchtig und verwirrend, zu verlangen, die Juden sollten als Voraussetzung der vollständigen Emanzipation ihre religiöse Praxis modernisieren, und gleichzeitig ihre glänzendsten Intellektuellen zu verleiten, dem Glauben ihrer Väter komplett abzuschwören.
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Dies war nicht die völlige Gleichberechtigung, die Frankreich seinen Juden in den Jahren 1790 und 1791 gewährt hatte, oder die Emanzipation, die Wilhelm von Humboldt für Preußen befürwortet hatte und die gleichen Pflichten gleiche Rechte an die Seite stellte. Das Edikt von 1812 war seinem Charakter nach eher eine teilweise und bedingte Emanzipation. Das neue Gesetz milderte durchaus die schlimmsten Widersprüche in der Situation der Juden, doch seine Versäumnisse und Unvereinbarkeiten überließen ernste Probleme der Zukunft. Nach dem Geist des neuen Gesetzes konnte irgendwann größere Gleichheit gewährt werden, falls die Juden modern wurden und dem Staat treu dienten. Hatten die Gemeindevorstände recht, wenn sie die Bestimmungen des neuen Gesetzes feierten? Spätere Generationen blieben ungeheuer stolz auf den langen Kampf für die Emanzipation. Ein stolzer Historiker schrieb später, die Juden hätten, im Gegensatz zu den Bauern und den Stadtbewohnern, die ihre Befreiung als Geschenk von oben erhielten, »nicht still und abseits gestanden bis ihre Zeit sich erfüllet und ihnen das Geschenk der Freiheit entgegengebracht wurde, sondern sich selbst für ihre Sache eingesetzt und mannhaft für ihre Erlösung gekämpft«.99 Wir denken sofort an Itzigs Entschlossenheit, gegen Arnim in einem Duell anzutreten, wenn wir hören, dass der Kampf um die Emanzipation als männliches Bemühen bezeichnet wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Nationalisten damals Preußen ihr Vaterland nannten, nicht ihr Mutterland. Die Staatsbürgerschaft war ein Status, für den von Männern gekämpft wurde, und die neue Identifikation der Juden erfolgte mit einem männlichen Ort. Die Staatsbeamten ihrerseits wussten nur allzu gut, wie wichtig die Emanzipation für die jüdischen Gemeinden in ganz Preußen war. Bei der Arbeit an einem der vielen Entwürfe des neuen Gesetzes bemerkte einer der beteiligten Beamten: »Die Juden sehnen sich nach dem Edikt wie nach dem Messias.«100 Der Zeitpunkt für das Edikt von 1812 war ausgezeichnet gewählt. Seine Folge war, dass fast 70.000 Juden in Preußen zu Einwohnern des Staates wurden. Bedeutsam ist allerdings, wie klein diese Zahl war, nicht, wie groß. Weil das Preußen des Jahres 1812 ein sehr kleines Preußen war, erhielten nur die in den Provinzen Brandenburg, Sachsen, Pommern sowie Ost- und Westpreußen lebenden Juden ihre Befreiung. Tausende von Juden in Provinzen, die vor den Siegen Napoleons im Jahr 1806 preußisch gewesen waren und die in das später entstehende große Preußen zurückkehren sollten, wurden von dem neuen Gesetz nicht erfasst.101 Alle Teilnehmer an den Beratungen, die zu dem Edikt von 1812 führten, konnten mit diesem Ergebnis zu-
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frieden sein. Staatsmänner mit wenig Sympathie für die Juden konnten sich freuen, weil so wenige Juden befreit worden waren. Die Juden hatten Glück, dass Preußen von 1807 an in einer Krise steckte, sodass die Großzügigkeit der jüdischen Finanziers gebraucht wurde, die eine klare Verpflichtung schuf, die durch die Emanzipation erfüllt wurde. Das neue Gesetz schrieb ein paar Veränderungen vor, die viele Juden bereits übernommen hatten. Beispielsweise den Namen als wichtiges Identitätsmerkmal. Für Bürokraten war die Unbeständigkeit der Nachnamen bei jüdischen Familien seit Langem ein Hemmnis gewesen, da Vor- und Zunamen sich auf äußerst verwirrende Weise zwischen den Generation übertrugen. Offenbar waren viele Juden der gleichen Ansicht, denn schon vor 1812 hatten sich mehr als 400 Familien, fast ein Viertel der jüdischen Haushalte Berlins, einen neuen Familiennamen ausgesucht.102 Nachdem das Edikt verkündet worden war, entschieden sich 325 Familien für neue Familiennamen. Worauf es ankommt, ist, dass fast die Hälfte der Juden in Berlin ihren Familiennamen änderte, damit er zu ihrer neuen bürgerlichen Stellung passte. Aber was ist inmitten dieses ganzen Jubels über das Edikt mit der Stimme von Gershom Scholem, der dessen Bestimmungen als Fehlstart in Deutschlands jüdische Moderne verurteilte? Preußens neues Gesetz war sicherlich das progressivste jüdische Recht der Epoche in allen deutschen Ländern. Und die Juden selber schienen zufrieden zu sein, denn wir finden keine Stimmen, die Wut über den Verlust der religiösen und richterlichen Autonomie geäußert hätten.103 Als scharfes Urteil aus der Ferne mag Scholems Klage viel Weisheit enthalten, aber sie ist keine Ansicht, die damals eine Rolle gespielt hätte. Was die jüdischen Frauen betrifft, so profitierten sie kaum von dem Edikt, obwohl die reichen Salonnières ihren Teil dazu beigetragen hatten, den Emanzipationsdruck zu erhöhen. Ihre Salons hatten auf wunderbarere, außerordentliche Weise demonstriert, dass führende Intellektuelle jüdischen Verstand und jüdische Geselligkeit schätzten. Jeder wusste, dass jüdischer Reichtum die Salons ermöglicht hatte, aber Geld hatte weder Charisma noch Freundschaft oder gemeinsame kulturelle Passionen hervorgebracht. Und jetzt, wo das neue Gesetz gesellschaftlichen Glanz und bürgerlichen Status miteinander in Einklang brachte, wurden nur die Männer belohnt.104 Weder das Privileg, für Preußen auf dem Schlachtfeld zu sterben, noch der Traum von einer Karriere im Staatsdienst war damals für jüdische Frauen von Bedeutung. So wie die Revolutionen der Epoche von Männern ausgefochten wurden und Männer mehr Rechte erhielten, so war es auch bei der
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jüdischen Emanzipation.105 Außerdem sollte die liberale Agenda unterdrückt werden, noch bevor allzu viele Jahre vergangen sein sollten, und was in dem Edikt unklar gewesen war, wurde niemals bewilligt. Doch trotz all seiner Unzulänglichkeiten konnten nur wenige bestreiten, dass das Edikt von 1812 ein bedeutender Meilenstein im Kampf für die jüdische Gleichberechtigung war. Das neue Gesetz schuf eine Plattform, auf welcher künftige Juden den tapferen Kampf für wahrhaft gleiche Staatsbürgerschaft austragen konnten. Itzigs Ringen gegen die Feinde des Judentums konnte weitergehen, nicht mit der aristokratischen Geste des Duells, sondern mit Militärdienst und Berufen, die der Begabung offenstanden. Wir haben keine Belege dafür, dass Rahel Levin zufrieden mit dem Edikt war. Es war nicht so, dass sie als Frau mehr Rechte erwartete. Vielmehr war ihr das Edikt gleichgültig, weil sie den heißen Wunsch hegte, dem Judentum zu entkommen, nicht, den Status loyaler Juden zu verbessern. Um aber dem Judentum stilvoll zu entkommen, musste sie Karl heiraten, ein Ziel, das nach wie vor schwer erreichbar war. Als das Jahr 1812 sich dem Ende zuneigte, wollte Karl seine Anstellung bei dem Grafen von Bentheim unbedingt aufgeben und nach Berlin zurückkehren. Die preußischen Patrioten brannten nun darauf, zu den Waffen zu eilen, um die Franzosen zu vertreiben, aber ihr König tat noch immer, was Napoleon sagte. Am 24. Februar 1812 hatte der preußische Gesandte auf Drängen Napoleons in Paris Verträge unterzeichnet, die nach ihrer Ratifikation durch Friedrich Wilhelm III. Preußen noch enger an Frankreich banden, und Preußen hatte sogar seine Allianz mit Russland aufgegeben. Deutsche Patrioten wie Karl, der in der österreichischen Armee gedient hatte, betrachteten nun Russland als die Haupttriebkraft im Kampf gegen Napoleon. Rahel hatte Karl monatelang bekniet, nach Berlin zurückzukehren, da sie sich einsam fühlte und ihn unbedingt an ihrer Seite haben wollte. Aber in Briefen stritten sie sich. Einmal war er so enttäuscht über ihre Forderungen, dass er ihr schrieb: »Der Gedanke, nach Berlin zu kommen, tritt mir in entlegene Ferne, und mir verdunkeln sich die Augen!«106 Im August 1812 wurde er dann endlich aus der österreichischen Armee entlassen und war bald darauf zurück in Berlin. Aber die nächsten Monate erwiesen sich als sehr anstrengend. Der Winter 1812 stellte sich als einer der kältesten des gesamten 19. Jahrhunderts heraus, und Karl war buchstäblich mittellos. Er zog bei Rahel und ihrem Dienstmädchen Dore ein, und ganz sicher hatten sie ihr gemeinsames Leben so nicht beginnen wollen. Außerdem brachte seine öffentliche Haltung als Patriot ihn ernsthaft in Gefahr. Französische Beamte hatten ein wachsames Auge auf Schleierma-
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cher, Fichte, Hitzig und auch auf Karl. Aber er wahrte den äußeren Schein und versuchte seine schäbige Lage zu verbergen. Es gelang ihm in diesen Monaten sogar, Goethe zu überreden, mehrere von Rahels Briefen zu veröffentlichen, die anonym in einer führenden Literaturzeitschrift erschienen.107 Wichtiger für seine eigene Karriere war, dass er ein Vorstellungsgespräch bei Staatskanzler Hardenberg bekam, der ihm ein Offizierspatent in der preußischen Armee und irgendwann einen diplomatischen Posten versprach. Derweil wartete Karl den rechten Augenblick ab und hoffte, dass die Geschichte und sein Geschick sich wendeten. Ihre Beziehung zu Karl schützte Rahel nicht vor Demütigungen, während sie um ihre Anerkennung in der feinen Gesellschaft kämpfte. Wir erfahren dies, wenn wir einem der Träume lauschen, die sie während des Jahres 1812 ihrem Tagebuch anvertraute. Der Traum ist beängstigend modern in seiner Widerspiegelung der Vertraulichkeiten zwischen drei Frauen und in seiner komplexen Einstellung zu emotionalem Schmerz: »Ich lag auf einem breiten Lager mit einer grünen Decke zugedeckt. Auf demselben Lager mir gegenüber, ohne mich zu berühren, die Füße auch unter der Decke, mir etwas rechts, lag Bettine Brentano und in Bettinens Richtung, ihr rechts, mir aber links, die Mutter Gottes. Deren Gesicht ich jedoch gar nicht deutlich sehen konnte; wie über alles zu Sehende eine äußerst feine, ganz dünn-graue Wolke zu sein schien, die aber am Sehen nicht hinderte, nur auch, wie eine Luftart, gesehen wird. Dabei war es mir, als hätte die Mutter Gottes der Schleiermacher ihr Antlitz. Wir waren am Rande der Welt. Dicht rechts neben dem Lager war ein großer Streif Erde ziemlich tief unter uns zu sehen, etwa wie eine sehr große Chaussee; darauf liefen kleingesehen Menschen hin und her und trieben der Welt Gewerbe; nur flüchtig und als nach einer sehr bekannten Sache sah ich dahin. Wir waren die Mägde der Erde und lebten nicht mehr; oder vielmehr wir waren vom Leben geschieden, – auch ohne Verwunderung für mich noch Trauer noch Gedanken an den Tod – und sollten nach meinem dunklen Wissen nach einem Ort; unser Geschäft aber auf diesem Lager, nämlich unsere Beschäftigung war, uns abzufragen, was wir gelitten hatten, – eine Art Beichte! ›Kennst Du Kränkung?‹ fragten wir uns zum Beispiel; und wenn man nun diesen Schmerz im Leben empfunden hatte, so sagten wir: ›Ja! die kenne ich‹, mit einem lauten Schmerzensschrei und dieser Schmerz eben, wovon die Rede war, riß sich hundertfach schmerzhaft aus dem Herzen; man war ihn aber los auf ewig und fühlte sich ganz heil und leicht. Die Mutter Gottes war im er still, sagte nur Ja! und weinte auch; Bettina fragte: ›Kennst Du Liebesschmerz?‹ Wimmernd und wie heulend rief ich unter rinnenden Tränen, ein Schnupftuch vor dem Gesicht ein langes, langes Ja! – ›Kennst du Kränkung?‹ – Ja! wieder so. ›Kennst du Unrecht dulden, Ungerechtigkeit?‹ – Ja! – ›Kennst du gemordete Jugend?‹ – Ja! wimmere ich wieder in langem Ton, in Tränen zergehend.
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Wir waren fertig, die Herzen rein, meines aber noch mit schwerer Erdenlast gefüllt; ich richte mich auf, sehe die Weiber erregt an, und will meine Last mir entnehmen lassen; mit schwer gesprochenen Worten, überdeutlich, um auch ja hierauf eine Antwort Ja zu erhalten, frage ich: ›Kennt ihr – Schande?‹ Beide rücken vor mir zurück, wie in Entsetzen, noch etwas Mitleid in der Gebärde, sie sehen einander flüchtig an und bemühen sich trotz des engen Raumes, sich von mir zu entfernen. In einem an Unsinnigkeit grenzenden Zustand schrei ich: ›Ich habe nichts getan! Getan habe ich nichts. Ich habe nichts getan. Ich bin unschuldig.‹ Die Weiber glauben mir, das sehe ich an dem starren, nicht mehr unwilligen Liegenbleiben, aber sie verstehen mich nicht mehr. ›Wehe‹, schrei ich unter Tränen, die mir das Herz wegzuschmelzen drohen, ›die verstehen mich auch nicht. Also niemals! Diese Last muß ich behalten; das wußte ich. Ewig! Gnädiger Gott! Wehe!‹ Außer mir, wie ich war, beschleunige ich das Erwachen.«108
Ihre Schande, so erfahren wir von einer Deuterin des Traumes, war ihr Jüdischsein.
Juden als patriotische Soldaten, 1813 Kurz nachdem Karl im Herbst 1812 nach Berlin zurückgekehrt war, konnten die Berliner sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Napoleons Feldzug in Russland scheiterte. Im Juli jenes Jahres, beim Einmarsch seiner Truppen in Russland, hatte Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht gestanden. Die schiere Anzahl der Soldaten, die am russischen Feldzug beteiligt waren, machte die Große Armee zur »größten und beeindruckendsten Invasionsstreitmacht in der Geschichte«.109 Aber es wurde bald klar, dass Napoleon sein Glück herausgefordert hatte. Die russischen Generäle befahlen ihren Truppen, sich nach Osten zurückzuziehen, was zu einer Überdehnung der französischen Nachschublinien führte. Nichtsdestotrotz drängte die französische Armee vorwärts und erreichte im September Moskau. Aber als die Einwohner der Stadt anfingen, weite Gebiete ihrer eigenen Stadt in Brand zu setzen, waren die französischen Soldaten, die Vorräte und Unterkunft brauchten, gezwungen umzukehren und den Rückzug nach Westen anzutreten. Trotzdem litten sie schrecklich unter denselben Rekord-Wintertemperaturen, die Karl in Berlin so sehr zu schaffen machten. Bis Dezember 1812 waren von den 600.000 Soldaten, die aufgebrochen waren, um Russland zu erobern, fast 100.000 wieder zurück in Ostpreußen, und sie waren »ohne Ausrüstung, krank, verwundet, zersprengt«.110
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Das Scheitern Napoleons verschaffte den preußischen Patrioten genau den Schwung, auf den sie gewartet hatten. Offiziell war Preußen nach wie vor mit Frankreich verbündet. Aber immer mehr Preußen hatten die Nase voll von Besatzung und Krieg. Napoleons Schicksal war jetzt in der Schwebe, und entscheidend war, wie die deutschen Staaten sich verhalten würden. Allein auf sich gestellt, hätte Russland Schwierigkeiten, Frankreich zu besiegen. Aber wenn Preußen und Österreich sich dem Kampf anschließen würden, wäre Napoleons Kaiserreich in Mitteleuropa ernsthaft gefährdet.111 Für Friedrich Ludwig Jahn und seine Anhänger war der Zeitpunkt zum Handeln gekommen, und die Turner begannen französische Wachtposten anzugreifen und Sabotageakte auf die über die Berliner Kanäle fahrenden Nachschubschiffe der Franzosen zu verüben.112 An der diplomatischen Front war es ein einflussreicher adeliger General, der den König letztendlich zwang, Frankreich den Krieg zu erklären. Das Jahr 1812 neigte sich gerade dem Ende zu, als General Hans David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg die Geschichte in die eigenen Hände nahm. Yorck war der Befehlshaber der preußischen Armee in Westpreußen, und Napoleon hatte ihn ausgewählt, die 20.000 preußischen Soldaten zu führen, die der König für die Invasion bereitgestellt hatte. Aber zu Napoleons Pech erwies sich seine Wahl General Yorcks für diese Aufgabe als ganz und gar unglücklich.113 Denn Yorck war ein leidenschaftlicher Patriot, und außerdem war er bereit, die einheimische Bevölkerung für den Krieg gegen Frankreich zu mobilisieren. Am 30. Dezember 1812 unterzeichnete General Yorck ohne königliche Genehmigung die Konvention von Tauroggen, in welcher sich das französische Hilfskorps der Großen Armee für neutral erklärte, was der russischen Armee den Zugang nach Ostpreußen eröffnete. Seit Monaten hatte er König Friedrich Wilhelm III. nun gedrängt, ein Bündnis mit den Russen einzugehen. Aber der König, unentschlossen wie gewöhnlich, reagierte nicht, und so machte Yorck sich Sorgen. Würde der König ihn wegen Hochverrats anklagen, wenn er ein heimliches Bündnis mit Russland schloss? Würde man ihn ins Gefängnis werfen oder, schlimmer noch, hinrichten? Zwei Wochen nachdem er die Vereinbarung mit Russland unterzeichnet hatte, schilderte Yorck seine schwierige Gemütsverfassung: »Ew. Majestät lege ich willig meinen Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben sollte; ich würde mit der freudigen Beruhigung sterben, wenigstens als treuer Untertan und wahrer Preuße gefehlt zu haben. Euer Majestät Monarchie, obgleich beengter als im Jahre 1805, ist es jetzt vorbehalten, der Erlöser und Beschützter Ihrer und aller deut-
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schen Völker zu werden. Jetzt oder nie ist der Moment: Freiheit, Unabhängigkeit, Größe wieder zu erlangen.«114
General Yorcks preußische Landsleute, die reichen wie die armen, waren seiner Meinung. Verständnisvolle Freunde in der Armee und Staatsbeamte schützten York vor der Verhaftung. Bevor der König Zeit hatte, gegen seinen rebellischen General mobil zu machen, traf der führende Reformer, Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, in Ostpreußen ein. Ohne Billigung des Königs forderte Stein eine Sitzung des Landtags, der Adelsversammlung. Die Delegierten des Landtags traten zusammen und organisierten eine Miliz, die sogenannte Landwehr, und die neue Miliz erließ einen Aufruf an alle wehrfähigen Männer zwischen 17 und 40 Jahren, gegen Frankreich zu den Waffen zu greifen.115 Ironischerweise war es ein Kreis zum Handeln entschlossener Adeliger, der ein Volksheer schuf und damit den lang gehegten Traum von Liberalen und radikalen Republikanern gleichermaßen erfüllte. Es überrascht nicht zu erfahren, dass der König alles andere als erfreut über General Yorcks kühne Allianz mit Russland war. In der Tat blieb Preußen noch einige Zeit, nachdem Yorck die Konvention von Tauroggen unterzeichnet hatte, mit Frankreich verbündet. Der König hatte Gründe, zu fürchten, dass Napoleon, sobald Preußen aus dem französischen Bündnis ausgeschert war, mit der »totalen Vernichtung Preußens als Staat« reagieren könnte.116 Aber seine Berater überzeugten Friedrich Wilhelm allmählich davon, dass General Yorck recht hatte, denn Preußen habe viel zu gewinnen, wenn es einen klugen Vertrag mit Russland unterzeichne. Sie argumentierten, dass der Untergang des französischen Kaiserreichs unausweichlich sei, und wenn Preußen auf der richtigen Seite stünde, könnte der Sieg eine Rückkehr zu seiner früheren Größe und sogar eine Expansion bedeuten. Und so verband Preußen am 26. Februar 1813 sein Schicksal formell mit dem Russlands. Zusätzlich zu diesen überzeugenden, von Eigeninteresse diktierten Argumenten wurde König Friedrich Wilhelm III. durch eine immer unruhigere Bevölkerung unter Druck gesetzt. General Yorcks Dezembervereinbarung rief ungeheure Begeisterung in Berlin hervor. Als König und Hof von Berlin nach Breslau abreisten, verstanden viele den Schritt als Zeichen, dass der König über Yorcks Abmachung mit Russland hinausgehen und Frankreich den Krieg erklären werde. Doch die Politik des Augenblicks war höchst verwirrend, denn Preußen blieb formell mit Frankreich verbündet. »Rührige Köpfe waren sich darüber völlig im klaren, sie schrieben auf die Anschläge zum Freiwilligenaufruf: ›Für und gegen wen?‹.«117 Inmitten dieser Verwirrung aufseiten der Politik fiel es der Berliner Polizei zunehmend
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schwer, die Einheimischen davon abzuhalten, französische Soldaten zu drangsalieren. Es gab lautstarke Demonstrationen, und französische Soldaten wurden verbal und körperlich attackiert. Es zeichnete sich immer deutlicher ab, dass das Versäumnis, diese Wut nutzbar machen, derHerrschaft des Königs gefährlich werden konnte. Der Geist des Widerstands unter den Berlinern wurde gestärkt, als am 16. und 17. Februar eine Vorhut russischer Soldaten in die Stadt einritt. An dem Tag, als 300 russische Kosaken auf dem Alexanderplatz eintrafen, »kam [es] zu Zusammenstößen und Schußwechseln, besonders in der Nähe des Schlosses, wo Artillerie stand. An der Schleusenbrücke wurde eine Kanone erbeutet und in die Spree geworfen. Eine vieltausendköpfige Menschenmenge wogte durch die Straßen. Die Stadt glich einem Hexenkessel.«118 Eine Woche später, als General Yorck und seine Truppen eintrafen, wurde die Stimmung in der Stadt noch triumphierender. Dann traf, nur Tage später, der Freiherr vom und zum Stein ein, bereit, das Bündnis mit Frankreich ein für allemal zu beenden. Die Ereignisse überschlugen sich. Am 17. März, einen Tag nach Aushändigung der Kriegserklärung an Frankreich, erließ Friedrich Wilhelm in Breslau einen von dem Staatsrat Theodor Gottlieb von Hippel verfassten Aufruf »An mein Volk«, der am 20. März von der Schlesischen privilegirten Zeitung verbreitet wurde: »Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg gibt es, als einen ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr getrost entgegen gehen, um der Ehre willen; weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag.«119
Der Aufruf hatte eine überwältigende Wirkung. Tausende Preußen rüsteten sich für den Kampf. Die Rekrutenzahlen stiegen, weil nun von Männern aus den besitzenden Klassen, darunter Hochschulstudenten, verlangt wurde zu dienen. Die meisten studentischen Freiwilligen schlossen sich den Freikorps an, während adelige Freiwillige in die Landwehr, die neue Volksmiliz, eintraten. Eine dritte Möglichkeit, die Kriegsanstrengung zu unterstützen, war die Meldung zum Landsturm, der jüngere und ältere Männer mobilisierte, um die Straßen ihrer Heimatstädte zu überwachen. Als die Monate der Kämpfe weitergingen, fochten nahezu 300.000 preußische Männer in den Befreiungskriegen. Die Reformer waren begeistert, denn dies war die totale Mobilisierung der Bevölkerung, von der sie geträumt hatten.120 Selbst jene Preußen, die nicht das richtige Alter oder Geschlecht hatten, um mit dem Gewehr in der Hand loszumarschieren, fanden Wege, die
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Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Geld war knapp, aber die Spenden waren hoch. Fast zwei Millionen Taler flossen in jenem Frühjahr ins Staatssäckel zur Finanzierung der Kriegsanstrengungen, und Preußen jeden Alters und aller Schichten spendeten ihr Tafelsilber und ihren Schmuck, um sie für die Waffenherstellung einschmelzen zu lassen.121 Die Geschäftswelt nahm einen Kredit von 1,2 Millionen Talern auf, und die Frauen Berlins übernahmen besondere Verantwortung für das Sammeln von Schmuckstücken. Der Fiskus erhielt 160.000 Ringe, Ohrringe und Halsketten.122 In ganz Preußen trugen jüdische Gemeinden ihren Teil bei, und oftmals auf eine sehr öffentliche Art und Weise. Ein Artikel in der Vossischen Zeitung erwähnte be sonders, »die Juden sammelten in ihren Synagogen Silberbesteck, Kinder brächten ihre Sparbüchsen und ein Schächter habe zum Dank für die neuge wonnenen Bürgerrechte seinen goldenen Ehering gespendet«.123 In Potsdam schmolzen die Rabbiner und Gemeindevorsteher für die Kriegsanstrengung die Verzierungen von Thora-Schriftrollen ebenso ein wie Kidduschbecher.124 Dass Kidduschbecher eingeschmolzen wurden, um Uniformen und Kanonen zu bezahlen, zeigt, wie dramatisch sich die Werte unter den preußischen Juden veränderten. Dies war schwerlich das Verhalten einer isolierten Minderheit, die in einem »Staat im Staate« lebte.
Abb. 9. Auszug der ostpreußischen Landwehr ins Feld 1813. Lithografie von L. Pietsch, nach einem Ölgemälde von Gustav Graef. Im Vordergrund sagen jüdische Eltern ihrem Sohn Lebewohl. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Die Ereignisse hätte zeitlich nicht perfekter aufeinander abgestimmt sein können. Nun konnten jüdische Männer zu den Gewehren greifen, um zu zeigen, dass die im Jahr zuvor gewährte Emanzipation berechtigt gewesen und zur rechten Zeit gekommen war. Ein immer wieder gegen die Juden erhobener Vorwurf war, sie seien nicht männlich genug, weshalb Tapferkeit auf dem Schlachtfeld die ideale Geste war, um den Ruf der jüdischen Minderheit wiederherzustellen. Bürgerliche Emanzipation und Militärdienst wurden in Worten, Taten und öffentlichen Darbietungen ständig miteinander verknüpft. In den Anfangstagen der Befreiungskriege im März 1813 erinnerten jüdische Gemeinden in ganz Preußen an den ersten Jahrestag des Edikts. In Breslau wurden einheimische Freiwillige zur Teilnahme eingeladen.125 Eine Lithografie aus Breslau zeigt einen jüdischen Vater, der sich von seinem Sohn verabschiedet. Der Vater trägt einen Zylinder, wohl kaum die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, und der frischgebackene Soldat trägt ein weißes Kreuz an seiner Mütze. Der Abschied, den wir auf der Breslauer Szene sehen, wiederholte sich viele Male in ganz Preußen, weil zwischen 700 und 800 jüdische Soldaten in den Befreiungskriegen kämpften.126 In Berlin, einer Hochburg patriotischer Stimmung, kämpfte einer Schätzung zufolge die Hälfte der infrage kommenden jüdischen Männer im Krieg.127 Unser statistisches Bild bleibt lückenhaft, weil die Religionszugehörigkeit von den Militärbehörden nicht immer erfasst wurde.128 Etwa die Hälfte der jüdischen Soldaten, fast 400, schlossen sich den Freikorps an. Weil Soldaten in diesen Formationen ihre Uniformen und Waffen selber bezahlen mussten, dürften diese jungen Männer sich der Unterstützung durch ihre Familien erfreut haben. Das romantische Bild einer solchen Familie sehen wir auf dem berühmten Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, Heimkehr eines jüdischen Freiwilligen aus den Befreiungskriegen zu den nach alter Sitte lebenden Seinen. Die Eltern und Geschwister heißen ihren geliebten Soldaten, der noch seine Uniform anhat, zu Hause willkommen. Oppenheims Gemälde ist die bildliche Darstellung einer machtvollen Synthese aus jüdischer Frömmigkeit und patriotischem Stolz.129 Die Mutter auf dem Gemälde sieht zu traditionell aus, um Sara Levy zu sein, aber der erschöpfte zurückkehrende Soldat passt gut zu unserer Vorstellung von Moritz Itzig. Ein anderes Porträt aus der Hand von Oppenheim zeigt Baruch Eschwege, einen Hanauer Geschäftsmann, der als Freiwilliger in den Befreiungskriegen diente. Jetzt, wo das Edikt die Pflicht geschaffen hatte und der Krieg selbst die Gelegenheit bot, hatten die Rabbiner nichts dagegen, dass jüdische Soldaten
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in die Schlacht zogen. Ihr Schweigen zu diesem Zeitpunkt war ganz und gar bemerkenswert, da innerhalb und außerhalb jüdischer Kreise seit vielen Jahren ausgiebig darüber diskutiert worden war, ob traditionelle Juden auf dem Schlachtfeld weiter die rituellen Gebote einhielten. Gemessen an den vielen nicht konvertierten jüdischen Soldaten, die in den Offiziersrang befördert wurden, und den 72 Juden, die sich das Eiserne Kreuz verdienten, war die jüdische Teilnahme an den Befreiungskriegen alles in allem ein Riesenerfolg.130 Jüdische Ärzte, unter ihnen Karls Schwager David Assing, der in Hamburg lebte, versorgten kranke und verwundete Soldaten. Assing war Konvertit, veröffentlichter Autor und Arzt und mit Karls Schwester Rosa verheiratet.131 Viele jüdische Soldaten, denen es widerstrebte zu konvertieren, dürften erleichtert gewesen sein, dass der Heeresdienst keine Taufe erforderte. Aber wenn wir uns die Geschichte von Menno Burg anschauen, sehen wir, dass jeder Soldat, der den Preis der Konversion verweigerte, sich gleichwohl entmutigenden Hindernissen gegenübersehen sollte. Burg war 24, als der Krieg ausbrach, und er erinnerte sich später daran, wie »sich die Jünglinge den Armen ihrer weinenden Angehörigen entrissen und die offenen Wagen bestiegen, wie sie alsdann beim Abfahren dieses langen Zuges, die Mützen hoch in die Luft schwingend, Preußen, ihrem teueren Vaterlande, ein Lebehoch und den Zurückgelassenen ein viel bedeutendes Lebewohl zuriefen, und wie wir von diesen segnend entlassen wurden …«132 Leider war Burg enttäuscht, weil er nie an die Front geschickt wurde, sondern die Kriegsjahre als Geometrielehrer an der Ausbildungsanstalt der Artillerie verbrachte. Seine unmittelbaren Vorgesetzten schlugen ihn nach seinem ersten Jahr für eine Beförderung zum Oberleutnant vor, aber der Vorschlag wurde von seinem höheren Vorgesetzten, Major von Bardeleben, abgelehnt, weil Burg Jude war und sich darauf festgelegt hatte, es auch zu bleiben. Irgendwann wurde er zum Leutnant befördert, was er zu einem Gutteil der Fürsprache seines Gönners, des an der richtigen Stelle sitzenden Prinzen August von Preußen, verdankte, eines Neffen Friedrichs des Großen. Burg unterrichtete weiter an der Artillerieschule, durfte aber niemals Truppen im Felde führen, weil er kein Christ war. Man forderte ihn wiederholt auf zu konvertieren, damit er befördert werden könnte, und im Laufe der Jahre wogte der Streit über Burgs hartnäckige Weigerung, dem Judentum den Rücken zu kehren, zwischen dem König und Prinz August hin und her. Schließlich wurde Burg, als er 58 Jahre alt und noch immer Jude war, zum Major befördert.
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Während die Preußen zu Beginn des Frühjahrs 1813 Uniformen kauften und ihr Silber für die Kriegsanstrengung spendeten, weilte Karl noch immer in Berlin und war auf der Suche nach einer Anstellung. Er war hocherfreut, als Friedrich Karl Freiherr von Tettenborn von der russischen Armee in Berlin einrückte, weil er ihn aus seinen Dienstjahren bei der österreichischen Armee kannte. Jetzt bot Tettenborn Karl eine Stellung als Hauptmann an, die dieser bereitwillig annahm. Künftig sollte er als Adjutant, Presseoffizier und Leiter des Sanitätsdienstes in der Einheit des Freiherrn dienen. Einmal mehr hatte er einen Weg gefunden, eine militärische Ernennung zu nutzen, um sich Insiderinformationen für seine Veröffentlichungen zu verschaffen, und wieder fand er einen adeligen Gönner, der ihn aus fadenscheiniger Vornehmheit rettete und seinen Status anhob. Im März war Karl dabei, als seine Abteilung Hamburg von den Franzosen befreite, und als der Hamburger Senat seiner Einheit eine Geldsumme spendete, erhielt er einen großzügigen Anteil. Karl war voller Freude. Er hatte gerade eine erfolgreiche Militärzeitung gegründet, und Hardenberg versprach ihm noch immer einen Posten im preußischen Staatsdienst, wenn der Krieg vorüber war.133 An Rahel schrieb er: »Glück auf! Liebe Rahel, wir erleben noch schöne Zeiten!«134 Spätestens im Frühsommer hofften viele, dass eine französische Niederlage unmittelbar bevorstehe. Aber da die Kämpfe in und um Berlin wüteten, verließen jene, die konnten, trotzdem die Stadt. Am 9. Mai 1813 reiste Rahel nach Breslau ab, begleitet von ihrem Dienstmädchen Dore, ihrer alten Freundin Nettchen Marcuse und ihrem Bruder Markus mit seiner Familie. Nettchen Marcuse stand Rahel seit Kindertagen nahe und hatte in denselben adeligen Künstlerkreisen, in denen Rahel verkehrte, ein emanzipiertes Leben geführt. Vor zehn Jahren hatte Nettchen eine Liebesaffäre mit einem prominenten Adeligen, Wilhelm von Burgsdorff, gehabt, und aus dieser Beziehung war ein Kind hervorgegangen. Einmal, als sie in Paris lebte, hatte Rahel Nettchen geholfen, sich um das Baby zu kümmern.135 Rahel, Dore und Nettchen entschieden sich für Breslau, weil Rahels Onkel dort lebte. Aber bei ihrer Ankunft war Rahel beleidigt, weil ihre Verwandten nicht alle drei einluden, in ihrem Haus zu wohnen, wodurch sie gezwungen war, ein Zimmer in der Stadt zu mieten. Sie war nahezu mittellos, weil die Gelder, die Karl aus seinem Hamburger Geldsegen für sie abgezweigt hatte, allmählich versiegten. Außerdem bestand ihr Onkel darauf, dass sie ihm ihr Silber zum Verkauf überließ, damit er weitere Mittel für ihren Unterhalt beschaffen konnte.136 Sobald auch ihr Bruder Ludwig in Breslau eingetroffen war, beschlossen die beiden Geschwister, nach Prag weiter-
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zureisen. Weil Prag schon ziemlich überfüllt war mit Flüchtlingen, bat Rahel Karl, sich mit seinem Gönner, dem Grafen von Bentheim, in Verbindung zu setzen, damit er ihr helfe, eine Unterkunft zu finden. Und so kam es, dass Rahel, Ludwig und Dore sich am 1. Juni in den gemieteten Zimmern von Bentheims momentaner Geliebten, Auguste Brede, einfanden. Brede war eine Schauspielerin aus Berlin, und sie und Rahel hatten mehrere gemeinsame Freunde. Einer von Augustes anderen Mietern in jenem Sommer war Carl Maria von Weber, der Komponist. Rahel war hocherfreut über die Gesellschaft, die sie in Prag fand. Sie und Auguste verbrachten viele Abende im Theater und in der Oper und plauderten ausführlich über Kunst, Literatur und das Leben ihrer verschiedenen Freunde. Karl berichtete sie: »Ich bin hier gesund, auch lustig und sehr zum Leben aufgelegt.«137 Weit weg von Berlin hatte sie inmitten des Krieges einen Weg gefunden, die besonderen Vergnügungen ihres Lebens vor 1806 wiederaufleben zu lassen. Der Klatsch in ihrer Clique wurde pikanter, als mehrere alte Berliner Freunde in jenem Sommer ebenfalls in Prag eintrafen, darunter Clemens Brentano. Es war ein Jahr her, seit Karl das Manuskript von Clemens’ Stück gestohlen hatte. Jetzt versuchte Clemens, vielleicht weil es ihm wirklich leidtat, vielleicht weil er sein Manuskript zurückhaben wollte, die Scharte bei Rahel auszuwetzen. Die beiden verbrachten in jenem Prager Sommer viel Zeit miteinander und versuchten ihr Verhältnis in Ordnung zu bringen. Wie so viele aus dieser romantischen Generation schätzten sowohl Karl als auch Clemens Vertrautheit außerordentlich. Trotzdem beschloss Rahel nach langer Überlegung, endgültig mit Clemens zu brechen. Was Karl betraf, so hielt er sein Versprechen und gab Clemens sein Manuskript zurück. Rahel verhielt sich in dieser Episode ganz und gar nicht unterwürfig, sondern verteidigte sich stattdessen und war bereit, die gesellschaftlichen Folgen zu verkraften. Später in jenem Sommer bot der Krieg Rahel Gelegenheit, ihren Patriotismus und ihr bislang brach liegendes Organisationstalent öffentlich unter Beweis zu stellen. Im August schloss sich Österreich endlich Russland und Preußen im Kampf gegen Frankreich an. Preußische Soldaten, die in den Schlachten bei Kulm und Dresden verwundet worden waren, füllten die Prager Hospitäler, und verletzte Männer lagen sterbend in den Straßen. Rahel initiierte ein großes Projekt zur Versorgung von Verwundeten aller Kriegsparteien, das von ihren reicheren Freunden finanziert wurde. Lea Mendelssohn, Leas Bruder Jakob Salomon Bartholdy und Caroline von Humboldt schickten alle Geld. Damit kaufte Rahel Decken, Verbandszeug, Medika-
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mente und Nahrungsmittel.138 Sie mobilisierte 150 einheimische Frauen, die ihr helfen sollten, die Verwundeten zu besuchen und deren Pflege zu organisieren. In einem Brief an Karl, der damals mit Tettenborns Einheit in der russischen Armee auf Bremen vorrückte, frohlockte sie: »Ich bin mit unserem Kommissariat und unsern Stabschirurgen in Verbindung; habe ein Unzahl Charpie, Binden, Lappen, Socken, Hemden; lasse kochen in mehreren Vierteln der Stadt, sehe zu dreißig, vierzig Jäger und Soldaten des Tages selbst; bespreche, belaufe alles.«139 Außerdem ließ ihre Tätigkeit völlig moderne Ansichten über Frauen und Krieg in ihr entstehen. An Karl schrieb sie: »Ich habe so einen Plan im Herzen, alle europäische Frauen aufzufordern, daß sie den Krieg niemals mitmachen wollen; und gemeinsam allen Leidenden helfen wollen: dann könnten wir doch ruhig sein, von einer Seite; wir Frauen mein’ ich.«140 Durch ihre Anstrengungen, wie ruhmvoll auch immer, trieb sie Raubbau mit ihrer immer schon labilen Gesundheit. Als sie das Pflegeprojekt im Herbst 1813 erfolgreich abschloss, brach sie mit einem schweren Fall von rheumatischer Lähmung zusammen und blieb mehrere Monate lang bettlägerig. Wir können uns vorstellen, wie erfreut Rahel gewesen sein muss, dass Caroline von Humboldt, Wilhelms Ehefrau, ihr Pflegeprojekt unbedingt finanziell unterstützen wollte. Patriotische Philanthropie bot jüdischen Frauen eine Möglichkeit, ihre nationalen Leidenschaften unter Beweis zu stellen und ihre Beziehungen zu christlichen Frauen auf eine sehr öffentliche Art und Weise zu vertiefen. Amalie Beer beispielsweise wurde gebeten, sich einem ansonsten rein adeligen Kreis von Frauen anzuschließen, der in Berlin organisiert worden war und Beiträge zur Kriegsanstrengung einwarb.141 Zum Dank für ihr Engagement in der Verwundetenfürsorge erhielt sie drei Jahre später, im Jahr 1816, den Luisenorden. Der König war so liebenswürdig, persönlich zu intervenieren, um sicherzustellen, dass der überreichte Orden die Form einer schlichten Goldmedaille hatte und nicht die sonst übliche Gestalt, ein Kreuz – eine erstaunliche Rücksichtnahme, die hier gegen Amalie Beers stolzes Jüdischsein gezeigt wurde.142 Die Herausgeber der aufgeklärten Zeitschrift Sulamith waren begeistert. Diese Auszeichnung beweise, frohlockten sie auf den Seiten ihres Journals, dass Patriotismus in der Tat mit Loyalität zum Judentum vereinbar sei.143 Aus Anlass der Verleihung überreichte der König Amalie Beer außerdem eine Büste der Königin Luise. Amalies Ehemann Jakob war ebenfalls in nationalen Belangen aktiv. Als der Krieg vorbei war, half er, die Königin-Luise-Stiftung zu gründen, die Stipen-
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dien an Kinder vergab, deren Väter während der Befreiungskriege auf dem Schlachtfeld gefallen waren.144 In Wien schlossen sich Fanny von Arnstein und ihre Nichte Marianne Saaling ebenfalls prominenten Frauen in philanthropischen Projekten an. Noch bevor Österreich der Koalition beitrat, war Fanny die einzige Jüdin, die in das Komitee der »Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen« gewählt wurde. Bei allen anderen ausgewählten Frauen handelte es sich um Prinzessinnen oder Gräfinnen.145 Im Laufe der Besatzungsjahre spendeten Fanny und ihr Mann Nathan großzügig, um verwundeten Soldaten zu helfen, und da die Lokalzeitungen oft darüber berichteten, waren ihre guten Taten allseits bekannt. Fanny gehörte zu dem großen Familienkreis, der tief erschüttert war, als ihr Cousin Moritz Itzig und sein Bruder am 2. Mai 1813 in der Schlacht bei Großgörschen oder Lützen verwundet wurden. Moritz erlag elf Tage später seinen Verletzungen.146 Es ist bedauerlich, dass wir nie erfahren werden, wie Moritz Itzig mit den schwierigen Herausforderungen der kommenden Jahre fertig geworden wäre. Die Saga des Moritz Itzig, der es vom Möchtegern-Duellisten zum gefallenen Soldaten brachte, spielte sich in den höchsten Kreisen der Berliner Gesellschaft ab. Aus der Geschichte von Esther Manuel hingegen ersehen wir, dass der Krieg auch für eine arme und auf seltsame Art ehrgeizige jüdische Frau erstaunliche Gelegenheiten bereithielt.147 Esther Manuel wurde 1785 in Hanau geboren. Mit Anfang 20 heiratete sie einen Handwerker, der seinen Namen von Müller in Grafemus änderte, und das Paar bekam zwei Kinder. Ihr Ehemann war Christ, aber es existiert kein Beleg für Esthers Taufe. Grafemus verließ seine Familie im Jahr 1808, und Esther hörte Gerüchte, dass er in die russische Armee eingetreten sei. Eines Tages reiste sie nach Berlin, um irgendeine Wohltätigkeitsorganisation aufzutreiben, die sie unterstützte, und weil sie zu arm war, um sich die Postkutsche leisten zu können, verkleidete sie sich als Mann, um zu Pferde reisen zu können. Sobald sie in Berlin war, ging sie die jüdischen Wohlfahrtsorganisationen um Geld an, aber vergeblich. Nachdem Königin Luise im Jahr 1810 gestorben war, änderte Esther in einer patriotischen Geste ihren Vornamen in Luise. Noch immer war sie sehr arm, und die fortgesetzten Versuche, ihren Mann ausfindig zu machen, waren vergeblich. Irgendwann im Herbst 1812 schließlich bediente sie sich der Beziehungen der jüdischen Gemeinde und suchte den Sohn und die Schwiegertochter des Königs auf, Prinz Wilhelm und Prinzessin Maria, denen sie von ihrem Wunsch erzählte, sich ins Heer einzureihen. Gerührt von ihrer misslichen Lage und ihrem leidenschaftlichen
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Wunsch zu kämpfen, kauften die Hoheiten ihr ein Pferd, eine Uniform und eine Waffe und ermöglichten ihr den Eintritt in die Armee, gekleidet als Mann! Sie war nicht die einzige Kämpferin, die von dem Wunsch beseelt war, für Preußen zu den Waffen zu greifen. Die Berliner feierten damals gerade in populären Liedern und Gedichten den Heldenmut der Eleonore Prochaska, einer verkleideten Soldatin, die soeben im Kampf gefallen war. Im März 1813, in den ersten Tagen der Befreiungskriege, stand Luise Grafemus hoch zu Ross mit dem Gewehr in der Hand bereits im Kampf, und obwohl sie rasch verwundet wurde, kämpfte sie weiter. Eines Tages in jenem Frühjahr begegnete sie während eines Gefechts durch einen erstaunlichen Zufall ihrem lange vermissten Mann, der tatsächlich Soldat in der russischen Armee war. Vor allen Soldaten riss sie sich die Uniform vom Leib und enthüllte ihre Identität als verkleidete Frau, womit sie für eine Riesensensation sorgte. Aber das Schicksal nahm ihr weg, was es ihr soeben geschenkt hatte, und ihr Mann starb gleich am nächsten Tag. Luise verließ daraufhin die Armee und zog nach Sankt Petersburg, wo sie für einen russischen Adeligen arbeitete. Später kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie ihre Tage damit zubrachte, Gesuche an die Regierung zu schreiben, um eine Pension als Witwe eines gefallenen Soldaten zu erhalten. Als der König ihr dann tatsächlich eine winzige Pension von zwei Talern jährlich bewilligte, suchte sie auf höchst moderne Art und Weise die Öffentlichkeit, indem sie Journalisten ihre Geschichte erzählen ließ. Der Besitzer einer Porzellanfabrik ordnete sogar die Herstellung von Tassen mit ihrem Bildnis an! Ihre Angehörigen im fernen Hanau weigerten sich, ihr zu helfen, weil sie wütend waren, dass sie ihre Familie und ihre zwei Kinder fortgesetzt vernachlässigt hatte. Sie heiratete schließlich einen deutschen Verleger in Russland und ließ sich in Riga nieder, wo sie im Jahr 1812 im Alter von 67 Jahren starb. Luise Grafemus fordert zum Vergleich mit unseren rebellischsten Frauen, wie Dorothea Mendelssohn oder Rahel Levin, heraus. Doch was zählt, sind die Unterschiede. Wir dürfen mit gutem Grund bezweifeln, dass irgendeine der Salondamen jemals ihre Brüste eingeschnürt, ins Gebüsch uriniert oder auf einem Pferd in die Schlacht geritten wäre. Die Schwierigkeiten, welche die Salondamen ertragen mussten, erforderten psychische und kulturelle Mittel, nicht körperlichen Mut. Das Leben der Luise Grafemus lehrt uns, dass es verschiedene Möglichkeiten gab, aus konventionellen Rollenmustern auszubrechen. Diejenigen, die über mehr Mittel verfügten, entschieden sich nicht immer dafür, ihr Leben für Preußen zu riskieren, und manche wurden später
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von dieser Entscheidung verfolgt. Rahels Bruder Ludwig sind wir zuletzt im Frühjahr 1813 begegnet, als die beiden Geschwister von Berlin nach Breslau reisten. Die Kriegsjahre verbrachte er ziellos umherreisend zwischen Wien, Paris, Berlin und Prag. Weil das Familienunternehmen in diesen Jahren Verluste erlitten hatte, reichten Ludwigs jährliche Zinszahlungen aus seinem Erbe nicht für seinen Lebensunterhalt. Sein Traum war, vom Stückeschreiben leben zu können, aber im Jahr 1812 war dieser Traum nach wie vor ein Hirngespinst. Im Handel, der damals vorherrschenden jüdischen Tätigkeit, zu arbeiten weigerte er sich. Während der Kriegsjahre besserte er sein Erbe mit Einkünften aus einer Stelle als Privatsekretär eines russischen Grafen auf.148 Ludwigs Los erinnert an Karls Dienste für den Grafen von Bentheim, und die am Hungertuch nagenden Intellektuellen mit ihrer erzwungenen Abhängigkeit von aristokratischen Gönnern können einem nur leidtun. Mit weniger kostspieligen Neigungen wäre es vielleicht möglich gewesen, bescheidener und unabhängiger zu leben. Für Preußen kämpfte Ludwig nie, und nach dem Krieg überlegte er immer noch, warum. Vor Rahel rechtfertigte er sich mit seinen mangelnden Reitkünsten, seiner schwachen Gesundheit und dem Hinweis darauf, dass man von Juden, die bis vor Kurzem noch rechtlos gewesen seien, nicht plötzlich verlangen könne, ausgerechnet auf dem Schlachtfeld Mut zu zeigen. Dabei gebreche es ihm keineswegs an dem Mut, der erforderlich sei, um die eigene Ehre zu verteidigen.149 Wir, die wir die Irrungen und Wirrungen von Moritz Itzigs Bemühungen, sich mit Achim von Arnim zu duellieren, verfolgt haben, lesen Ludwigs Worte mit großer Begeisterung, lernen wir doch viel aus seiner Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Mut. Aristokratische Ehre kann in einem jüdischen Herzen schlagen, aber den neuen Status als jüdischer Bürger hat er nicht verinnerlicht. Seine Bereitschaft, Duelle auszutragen, belegt, dass das adelig-jüdische Bündnis noch sehr lebendig ist in ihm. Aber er ist nicht bereit zu sterben, nur weil er sich leidenschaftlich mit dem preußischen Staat identifiziert, und er weiß, dass er nicht über die für diesen körperlichen Mut erforderlichen physischen Eigenschaften verfügt. Wir haben es hier in der Tat mit einer komplexen Identität zu tun. Zumindest Ludwig Robert selber war überzeugt davon, mit Stolz verkünden zu können, dass er, ebenso wie Moritz Itzig, den aristokratischen und männlichen Mut besitze, sich auf dem Feld der Ehre zu verteidigen. Aber er hätte nicht unmissverständlicher klarmachen können, dass seine langjährige Rechtlosigkeit als Jude es ihm unmöglich machte, sich vorzustellen, sein Leben in einem Krieg für Preußens Unabhängigkeit zu opfern.
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Die Beer-Söhne erlebten die Befreiungskriege auf ganz andere Weise. Wilhelm kämpfte im Krieg, und Michael, der 1813 erst 13 Jahre alt war, erinnerte sich später, dass er zu Hause Verbände für die verwundeten Soldaten anfertigte.150 Nur Giacomos Erfahrung entsprach ein wenig der von Ludwig Robert, obwohl er weniger zu seiner eigenen Verteidigung zu sagen wusste. Giacomo weilte auf dem Höhepunkt des Konflikts nicht nur fern von Preußen, sondern ausgerechnet auch noch in Paris, mitten im Herzen des Feindeslandes. Nach dem Krieg, während des Sommers 1815, traf Giacomo, wieder in Berlin, zufällig einen alten Freund auf der Straße. Dieser Freund war einstmals ein Bonvivant gewesen, der seine täglichen Vergnügungen geliebt und sich von militärischen Schwärmereien entschieden distanziert hatte. Aber im Krieg war der junge Mann für Preußen in den Kampf gezogen, und als die beiden sich nun begegneten, trug er immer noch seine Armeeuniform. Meyerbeer litt, als er sein bequemes Leben in Paris mit dem Militärdienst seines Freundes verglich. In einem Brief klagte er: »O, wie mich sein Anblick schmerzte und demütigte! In der Tat, welchen plausiblen Grund könnte ich für mein Ausschließen angeben da, wo kein Alter, kein Stand sich ausschloß? Das Studium meiner Kunst? Wie würde mein Gewissen mich Lügen strafen.«151 Wir können nur darüber spekulieren, was er mit seinen »Lügen« meinte. Wir wissen, dass Giacomo sehr empfindlich auf die möglichen antisemitischen Motive seiner Kritiker reagierte. Als sein eigenes Verhalten dem Klischee entsprach, dass Juden feige Schwächlinge seien, denen es an Patriotismus mangele, war sein Kummer folglich groß. Aber die langen Jahre des Kämpfens, die 1792 begonnen hatten, gingen bald endlich zu Ende. Im Herbst 1813, als Rahel in Prag krank im Bett lag, steckten Napoleon und seine »Große Armee« in ernsten Schwierigkeiten. Einen vorgeschlagenen Waffenstillstand hatte der Korse zurückgewiesen, und Österreich hatte sich jetzt Russland und Preußen in der alliierten Koalition angeschlossen. Von Woche zu Woche liefen mehr deutsche Soldaten, die von den französischen Besatzern gezwungen worden waren, in Napoleons Armee zu kämpfen, zu einer der drei alliierten Armeen über. Und dann erlitten Napoleons Truppen während dreier langer Tage, vom 16. bis 19. Oktober 1813, eine dramatische und traumatische Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig. Sechs Monate später, am 6. April 1814, hatte Napoleon nicht nur den Kampf um Europa verloren, sondern auch die Macht in Frankreich. In diesem gesegneten Augenblick der deutschen Geschichte war Karl in gehobener Stimmung. General von Tettenborn hatte ihm erlaubt, eine
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Goldmünzen-Sammlung zu behalten, die seine Einheit in einem Bremer Postamt entdeckt hatte. Er beendete gerade ein Buch, in dem er die entscheidenden Schlachten der Befreiungskriege analysierte, und seine neue Zeitung lief sehr gut. Er schaffte es, in Paris einzutreffen, als Napoleon gerade zur Abdankung gezwungen und König Ludwig XVIII. auf Frankreichs Thron berufen wurde. Einen Augenblick der Verwirrung in jenem überglücklichen Frühjahr erlebte er, als Rahels alte Freundin Pauline Wiesel, die ebenfalls in Paris weilte, ihn zu verführen versuchte. Angeblich war er empört und berichtete Rahel in einem Brief über den Vorfall. Sie teilte ihm mit, dass sie gelacht habe, als sie seinen Brief las, und tat die ganze Angelegenheit mit einem Augenzwinkern ab. Wir sehen hier ein weiteres Beispiel dafür, wie lebendig die freizügigen Werte des Ancien Régime noch immer in ihrem Herzen waren. Karl schrieb sie, sie habe gewusst, Pauline »würde ›Rallens‹ Mann kosten wollen, wie Eispunsch«.152 Karl war zu diesem Zeitpunkt zufrieden mit seinem Leben. Das Schicksal hatte ihm eine weitere Grenzerfahrung beschert, über die er schreiben und publizieren konnte. Jetzt war er wirklich nahe daran, den diplomatischen Posten zu übernehmen, den Hardenberg ihm versprochen hatte. Rahel hatte sich bis zum Frühjahr 1814 gesundheitlich erholt und war bereit, Prag zu verlassen. Karl und Rahel verbrachten mehrere Wochen in Bad Teplitz und bereiteten ihre Zukunft vor. Am Ende war der Krieg für beide gut gewesen, und der Moment war gekommen, wo sie ihre Geschicke in der Ehe verbinden konnten.
5 Familien der Hochkultur und öffentliche Satire, 1814–1819
Rahel und Karl heiraten, 1814 Die Formalisierung ihrer Beziehung zu Karl hatte für Rahel oberste Priorität, als sie ihn in jenem Frühjahr in Bad Teplitz traf. Karl blieb in überschwänglicher Stimmung, und er hatte, vielleicht als Zeichen, dass er seinem Geschick vertraute, angefangen, sich Varnhagen von Ense zu nennen.1 Auf den Namenszusatz »von Ense« war Karl eines Tages in einem Band mit genealogischen Einträgen zu einigen längst verloren geglaubten Varnhagens gestoßen, als er in einer Münsteraner Bibliothek ein paar Nachforschungen über die Familie seines Gönners, des Grafen von Bentheim, anstellte, und er eignete sich diesen sehr viel prestigeträchtigeren Namen für den eigenen Gebrauch an. Sein neuer Titel war, wenn auch eine sehr bescheidene Art von Adel, sehr verlockend für Rahel, die immer schon einen Aristokraten hatte heiraten wollen. Rahel und Karl hofften beide, dass Staatskanzler Hardenberg Karl auffordern würde, sich der preußischen Delegation für den Wiener Kongress anzuschließen, der in jenem Herbst eröffnet werden sollte. Jetzt war endlich der Moment gekommen, wo sie heiraten konnten, der Moment, wo Rahels Taufe erforderlich war. Sie hatte schon in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts aufgehört, den Namen Levin zu benutzen, und den angenommenen Familiennamen Robert vorgezogen. Im Jahr 1812 nahmen mehrere Levin-Geschwister offiziell den Nachnamen Robert-Tornow an.2 Aber ein Glaubenswechsel war komplizierter. Da das Edikt von 1812 die Möglichkeit nicht vorsah, dass eine Jüdin oder ein Jude eine Zivilehe mit einem Christen oder einer Christin einging, müsste Rahel, um Karl heiraten zu können, Christin werden. Ihre Brüder hatten in diesem Punkt keine Einwände. Tatsächlich sollten nicht mehr allzu viele Jahre vergehen, bis alle drei ebenfalls getauft wurden.3 Außerdem hatten sie sich lange auf Rahels Heirat gefreut, weil sie es kaum abwarten konnten, dass Varnhagen endlich anfing, für ihren Unterhalt aufzukommen. Nur wie Rahel selber zu
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diesem Zeitpunkt über das Christentum dachte, bleibt unklar. Viele vermuteten damals und später, dass ihre Motive für die Taufe rein pragmatischer Natur waren. Mittlerweile bezweifeln Forscher jedoch diese Annahme und wenden ein, dass sie schon vor ihrer Taufe im Jahr 1814 begonnen habe, an einen christlichen Gott zu glauben.4 Nach ihrem Wiedersehen in Bad Teplitz war Rahel Anfang September wieder zurück in Berlin, wo sie bei ihrem Bruder Moritz wohnte und die Einzelheiten der Taufe regelte. Zuerst wendete sie sich an ihren gemeinsamen langjährigen Freund Julius Eduard Hitzig um Hilfe. Hitzig war jetzt 34 und nach Jahren der verlegerischen Tätigkeit soeben auf eine Stelle im Gerichtswesen berufen worden. Er arrangierte für sie ein Gespräch mit Johann Jakob Stegemann, dem Pfarrer der Berliner reformierten Jerusalems- und Neuen Kirche. Stegemann galt bekanntermaßen als begeisterter Befürworter jüdischer Konversionen. Rahels Freundin und Julius’ Cousine ersten Grades Lea Mendelssohn und ihre Familie hatten seit ihrer Rückkehr aus Hamburg im Jahr 1811 sogar eine Wohnung gemietet, die seit drei Jahren Stegemann gehörte.5 Zwei Jahre nachdem er bei Rahels Taufe amtiert hatte, sollte Pastor Stegemann die vier Mendelssohn-Kinder taufen. Pastor Stegemann war die perfekte Wahl für Rahel und Karl. Sie wollten, dass die Taufe möglichst geheim gehalten wurde, was ein Grund dafür war, dass sie nicht an ihren Freund Friedrich Schleiermacher herantraten, damit er die Leitung des Rituals übernehme. Als Pfarrer an der Dreifaltigkeitskirche, als Professor an der Berliner Universität, als religiöser Berater des Innenministers und als Vorsitzender der örtlichen Sektion der reformierten calvinistischen Kirche war Schleiermacher spätestens im Jahr 1814 eine sehr prominente Persönlichkeit in Berlin. Hätte man ihn hineingezogen, wären Diskretion und Geheimhaltung ausgeschlossen gewesen. Doch wir fragen uns, ob sie wirklich davon ausgingen, ihren Glaubenswechsel für sich behalten zu können. Schließlich wusste damals jeder, dass man Christ bzw. Christin sein musste, um eine Christin bzw. einen Christen heiraten zu können, und Rahel war eine überaus bekannte Persönlichkeit in Berlin. An dem Tag, als sie sich zum ersten Mal mit Pastor Stegemann traf, war Karl zufällig ein paar Tage nicht in der Stadt. Voller Stolz schrieb sie ihm: »Er empfing mich, als ob Spinoza sich wollte taufen lassen: so zerknirscht von Ehre.«6 Nachdem sie sich der Hilfe Pastor Stegemanns versichert hatte, ging Rahel daran, sich die erforderlichen Briefe und eidesstattlichen Erklärungen zu beschaffen.
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Am Freitag, dem 23. September 1814, taufte Pastor Stegemann Rahel in der Wohnung ihres Bruders Moritz. Sie wusste, dass es eine besondere Ehre war, dass Stegemann eingewilligt hatte, das Ritual in einem jüdischen Heim zu vollziehen. Bei ihrer Taufe nahm sie zum Zeichen der Huldigung König Friedrichs des Großen die zwei neuen Vornamen Antonie Friederike an. Ein Jahr später schrieb sie einen Brief an Ernestine Goldstücker, eine Freundin, die vorhatte zu konvertieren. Darin erklärte sie, wie wichtig neue Namen seien. »Ich halte diese Namensveränderung für entscheidend wichtig. Sie werden dadurch gewissermaßen äußerlich eine andere Person; und dies ist besonders nöthig.«7 Vier Tage nach ihrer Taufe traute Pastor Stegemann Rahel und Karl. Fortan würde sie Friederike Varnhagen von Ense heißen. Das zarte Baby, das 1771 als Rahel Levin auf die Welt gekommen war, hatte einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt. Und so begann Rahel mit 43 Jahren ihr Leben als verheiratete Frau. Sie war in Hochstimmung und glaubte, dass ihr neue Wertschätzung entgegengebracht würde, sowohl vonseiten ihrer Familie als auch durch ihr größeres soziales Umfeld. Vielleicht war es besser, dass sie die gemeinen Kommentare nicht kannte, die hinter ihrem Rücken die Runde machten. Im Oktober, ein paar Wochen nach ihrer Hochzeit, schrieb Wilhelm von Humboldt an seine Frau Caroline: »Man sagt mir, er sprach mir noch nicht davon, daß er die kleine Levy nunmehr geheiratet hat. So kann sie noch einmal eine Gesandtenfrau und Exzellenz werden. Es ist nichts, was der Jude nicht erreicht.«8 Humboldt war nicht der einzige Bekannte Rahels, der über ihre Heirat nachdachte. Dorothea Schlegel lebte im Herbst 1814 in Wien, und dort hörte sie das Gerücht, dass Rahel und Karl demnächst heiraten würden. Sie bat ihren Sohn Philipp in Rom brieflich, ihrer alten Freundin Henriette Herz, die in jenem Jahr ebenfalls in Rom weilte, nichts von einer möglichen Heirat zu erzählen. Dorotheas Argument war: »… ich glaube so wenig daran als sie. Varnhagen ist gescheut genug es zu wünschen und zu betreiben. Rahel wird aber gescheut genug seyn, es nicht zu wollen und das Getriebene zu hintertreiben.«9 Aber Dorotheas Vorhersage war falsch, weil Rahel und Karl zwei Tage, nachdem sie diesen Brief geschrieben hatte, heirateten. Der soziale Aufstieg, den Rahels Heirat mit Karl darstellte, machte sie zu einem offenkundigen Parvenü. In Wahrheit aber waren beide bereit, sich gesellschaftlichen Konventionen anzupassen, um ihren Status zu verbessern.10 Er war ein vorgeblicher Adeliger, und sie war, zumindest in den Augen von manchen, eine vorgebliche Christin. Doch beide kritisierten sie die Monarchie, die Vorrechte des Adels und zahlreiche gesellschaftliche Konventionen.
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Rahels und Karls Kompromisse waren recht vertrackt. Sie waren nicht nur ein durch eine Mischehe verbundenes Paar, sondern beide waren auch republikanische Patrioten mit aristokratischen Freunden und aristokratischen Neigungen. Ihre politischen Leidenschaften würden in den auf den Wiener Kongress folgenden Jahren der Reaktion auf eine harte Probe gestellt werden. Der Gegensatz zwischen ihrem Status als Emporkömmlinge und ihren politischen Ansichten machte sie weder für ihre noch gar für unsere heutige Zeit besonders heuchlerisch. Könnten wir uns heute mit ihnen unterhalten, wäre es durchaus möglich, dass sie den Adelstitel und die Taufe mit dem Hinweis darauf rechtfertigen würden, dass sie als adeliges christliches Paar besser für liberale und erst recht für republikanische Anliegen kämpfen konnten. Im Gegensatz zu einigen anderen Männern in ihren Kreisen, die eine ältere intellektuelle Frau geheiratet hatten, zeigte Karl Hochachtung vor Rahels Verstand. Ihre gemeinsamen Freunde machten sich manchmal lustig über seine Bewunderung. Gelegentlich bat er diejenigen, mit denen sie bei gesellschaftlichen Zusammenkünften gerade gesprochen hatte, die Bonmots seiner Gemahlin zu wiederholen, damit er sie in einem Büchlein notieren konnte.11 Trotz komischer Momente kann man seinen Stolz auf die Talente seiner Frau durchaus mit der Einstellung kontrastieren, die Friedrich Schlegel offenbar hatte. Dorothea war mutig gewesen, als sie sich von Simon scheiden ließ und ihrem Herzen folgte, um mit Friedrich zusammenzuleben. Aber sobald die beiden verheiratet waren, wurde ihr Verhalten vollkommen unterwürfig. Sie unterstützte zu verschiedenen Zeiten ihres gemeinsamen Lebens ihre Familie mit ihrer literarischen Arbeit, doch nichts von ihren Besprechungen, Aufsätzen, Gedichten, Übersetzungen oder Textausgaben erschien unter ihrem eigenen Namen, nicht einmal ihr Roman Florentin. Stattdessen stand Friedrichs Name als »Herausgeber« dieser zahlreichen Werke auf den Titelseiten.12 Karl verwandte während ihrer 19 Ehejahre viel Zeit und Überlegung darauf, Rahels Werk für die Nachwelt zu erhalten.13 Seine Hingabe an ihr Talent hat uns ermöglicht, ihr Leben und das Leben ihrer Freundinnen und Freunde zu rekonstruieren. Weil ihre einst verloren geglaubten Briefe und Notizbücher in Polen wiedergefunden wurden, haben wir erfahren, dass sie sich manchmal unsicher war hinsichtlich dessen, was sie in der Ehe erreicht hatte. Sicher war sie glücklich, die Frau eines adeligen Beamten zu sein. Aber gleichzeitig hatte sie ihre Gefühle so weit unter Kontrolle, um sich manchmal »gedemütigt« zu fühlen angesichts ihres »so teuer, so schmerzhaft erkauften« Status.14 So unglücklich sie gelegentlich in den Jahren vor ihrer Ehe
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gewesen war, blieb sie doch stolz auf das, was sie in jenen Jahren erreicht hatte. Mit der Zeit beklagte sie sich, es sei »unerträglich«, dass »ich mich gegen die Leute doch jetzt so haben muß, als wäre ich nicht mehr als mein Mann – sonst war ich Nichts und das ist viel«.15 Als sie bei anderer Gelegenheit die Gleichgewichte in der Ehe zusammenfasste, sprach sie von der »verkehrte[n] Krone auf meinem Schicksal, dankbar bin ich auch«.16 Die Metapher der »verkehrte[n] Krone« spielte eine große Rolle in ihrem Denken, denn im Jahr 1809 erinnerte sie Karl daran, wie er sie verglichen habe »zu einem Baume, den man aus der Erde gerissen hat, und dann seinen Wipfel hineingegraben; zu stark hat ihn die Natur angelegt! Wurzel fasst der Wipfel, und ungeschickt wird Wurzel zu Wipfel! Das, Lieber, leider! leider! bin ich. Dies ist der Durchmesser meines Lebens.«17 Damit meinte sie, dass sie sich zwar von ihren jüdischen Wurzeln losgerissen hätte, es sie aber einige Mühe gekostet habe – als Mensch mit einer »verkehrte[n] Krone auf seinem Schicksal« –, sich einen Platz in der harten Erde der christlichen Gesellschaft zu schaffen. Bald nach ihrer Hochzeit trafen sich die Frischvermählten in Wien, wo Hardenberg Karl zum Pressesekretär für die preußische Delegation beim Wiener Kongress ernannt hatte. Wien war in jenem Jahr überfüllt mit Königen, Fürsten und Gesandten, dazu kamen ihre »Sekretäre, Schreiber, Mitläufer, Bedienten, und die Schar all jener Glücksritter, Beutelschneider, Kurtisanen, Porträtmaler, Karikaturisten, Zwischenhändler, Zwischenträger, Ärzte, Beichtväter, Propheten und Scharlatane«, die jene mit echter Macht umschwirrten.18 Viele von Rahels alten Freunden fanden in diesem entscheidenden Jahr den Weg nach Wien. Friedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt und ihr Hin-und-wieder-Freund Friedrich von Gentz bekleideten alle offizielle Stellungen auf der Konferenz, vor allem Gentz war einflussreich, als Erster Sekretär und Protokollführer für den Kongress und als Vertrauter des Fürsten von Metternich, des österreichischen Staatsoberhaupts. Die Wiederbegegnungen in Wien im Jahr 1814 waren oft problematisch. Es hatte Intrigen gegeben im Laufe der Jahre, Täuschungen und zerbrochene Liebesaffären. Manchmal waren Herzensangelegenheiten im Spiel gewesen, aber auch die verwickelte Politik der Epoche belastete die Beziehungen. Einige aus Rahels altem Kreis blieben den Idealen der Französischen Revolution treu und waren nach wie vor zuversichtlich, dass Preußen eine konstitutionelle Monarchie oder gar eine Republik werden könnte. Andere alte Freunde waren sehr viel konservativer geworden und identifizierten sich mit Metternichs Programm der Bewahrung der alten Regierungsformen. Neben
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den politischen Ansichten entzweite auch die Macht frühere Freunde. Im Jahr 1814 waren Rahels Freunde aus den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts in ihren Vierzigern und Fünfzigern. Einigen, die auf dem Gipfel ihrer beruflichen Karriere standen, widerstrebte es nun, mit denselben faszinierenden Außenseitern gesellschaftlich zu verkehren, die sie ein Vierteljahrhundert zuvor so anziehend gefunden hatten. Die Freuden eines Miniatur-Utopia waren Vergangenheit. Während des Wiener Kongresses und danach wurden diese Freuden sowohl durch echten sozialen Fortschritt als auch durch echte Gegenreaktion ersetzt. Wilhelm von Humboldts komplizierte Haltung veranschaulicht lebhaft, was im Laufe der Jahre verloren und was gewonnen worden war. An der Seite seines Freundes Gentz setzte sich Humboldt im Jahr 1814 in Wien durchaus für die Emanzipation der Juden ein. Aber dadurch fühlte er sich gleichzeitig seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen gegenüber seinen jüdischen Freunden enthoben. In einem Brief an Caroline aus dem Jahr 1810 schrieb er: »Ich arbeite mit allen Kräften daran, den Juden alle bürgerlichen Rechte zu geben, damit man nicht mehr aus Generosität in die Judenhäuser zu gehen braucht.«19 Rahel und Karl wurden in jenem Jahr vielleicht einige Beleidigungen erspart, weil beide nicht über die nötigen Beziehungen verfügten, um zu den wichtigsten Bällen und Festessen eingeladen zu werden. Und wir wissen, wie wichtig Bälle und Festessen für die Verhandlungen auf dem Kongress waren. In der Tat lautete das allgemeine Lamento in diesem Jahr: »Le congrès danse bien, mais il ne marche pas.« (»Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht voran.«)20 Ein Haus, das dem Parvenü-Paar offenstand, war das von Fanny und Nathan von Arnstein, die im Hohen Markt wohnten, einem repräsentativen Wiener Viertel. Fanny war das achte Kind von Daniel und Miriam Itzig, zehn Jahre älter als Rahel und ihr Kreis. Sie hatte Berlin im Jahr 1776 mit 18 verlassen, um Nathan von Arnstein zu heiraten. Fannys zwei Schwestern lebten inzwischen ebenfalls in Wien, Cäcilie, die Gemahlin des in den Adelsstand erhobenen jüdischen Finanziers Bernhard von Eskeles, und ihre jüngere Schwester Rebecca, deren Lebensweg sehr viel steiniger war als der von Fanny oder Cäcilie. Rebecca hatte 30 Jahre zuvor David Ephraim, einen Enkel von Veitel Heine Ephraim, geheiratet. David machte nach ihrer Heirat Bankrott, konvertierte anschließend, änderte seinen Namen in Johann Andreas Schmidt und zog mit der ganzen Familie nach Wien. Irgendwann konvertierten auch Rebecca und ihre zwei Kinder, Jette und Julius.21 Von den Fenstern ihrer Wohnung aus konnten die Arnsteins einen Brunnen sehen, der die Vermählung der Jungfrau Maria mit Joseph darstellte. Es ist interes-
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sant, darüber zu spekulieren, ob sie der Ansicht waren, dieses Standbild symbolisiere die Art und Weise, wie viele ihrer Angehörigen und Freunde den Übergang vom Judentum zum Christentum vollzogen.22 Schwatzhafte Besucher schenkten dem religiösen Status der Familie Arnstein auf jeden Fall Beachtung. Im Oktober schrieb Friedrich von Stägemann, während er noch auf dem Wiener Kongress Dienst tat, einen Brief an seine Frau in Berlin, der die versteckten Komplikationen eines Abends bei den Arnsteins zusammenfasste. An dem fraglichen Abend sei er verwundert gewesen, in dem prächtigen Arnstein’schen Haus einen italienischen Diplomaten, Kardinal Consalvi, anzutreffen. Stägemann erzählte, »sie unterhielten sich mit den Damen sehr artig einige Stunden lang«. Dann habe Rebecca, Fannys jüngere Schwester, ein paar spöttische Bemerkungen über Katholiken gemacht. Ein weiterer Gast, eine Gräfin Engel, »musste viel leiden« unter Madame Ephraims Äußerungen, berichtete er. Stägemann fügte hinzu, dass der Kardinal und der Nuntius offenbar sehr verwirrt gewesen seien, denn sie hätten keine Ahnung gehabt, »dass im Arnsteinschen Hause niemand, auch nicht Marianne, getauft sei«.23 Der religiöse Status der Familie Arnstein beschäftigte Friedrich weiter, während der Abend voranschritt. Er verließ ihr Haus zusammen mit August von Hedemann, einem Mitglied der Christlich-Deutschen Tischgesellschaft und späteren Schwiegersohn Wilhelm von Humboldts. Hedemann stand Juden ablehnend gegenüber und machte keinen Hehl aus seinem »antisemitische[n] Vorurteil, dessen man sich bald nicht mehr zu schämen brauchte«.24 Karl mag an dem von Friedrich geschilderten Abend nicht zugegen gewesen sein, aber er hätte sich lebhaft für den Klatsch darüber interessiert, wer was zu wem sagte. Karl hatte schon während seiner Jahre als Soldat in der österreichischen Armee Bekanntschaft mit den eleganten Annehmlichkeiten der Arnstein’schen Gastfreundschaft gemacht. Eine Überraschung ist das nicht, wissen wir doch, dass er eine Affinität zu wohlhabenden jüdischen Familien hatte, die oftmals zu seinen Gönnern und Freunden wurden. Fanny lehnte für sich selbst die Taufe ab, weil sie eine Anhängerin von Moses Mendelssohn war. Von ihr hieß es, dass sie »mit der Gelassenheit einer wahren Tochter der Aufklärung auf die orthodoxen wie auf die konvertierten ihrer Glaubensgenossen blickte«.25 Aber wir müssen uns fragen, wie schwierig es war, diese gelassene Balance zu wahren. Sie und Nathan wollten zweifellos dafür sorgen, dass die Abstammungslinie der Familie jüdisch blieb, und gaben sich deshalb große Mühe, die Verbindung ihrer einzigen Tochter Henriette mit Heinrich von Pereira, dem Erben einer vermögenden Familie
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Portugieser Juden, zu arrangieren. Aber wir sehen, dass Fanny sich oft Konflikten zwischen ihrer eigenen Loyalität gegenüber dem Judentum und der von ihren Angehörigen getroffenen Wahl stellen musste. Henriette und ihr Mann beschlossen im Jahr 1805, ihren Sohn taufen zu lassen, und fünf Jahre später wurde das Paar ebenfalls katholisch. Angeblich fügte Fanny sich diesen Entscheidungen.26 Alte Freunde, die sich während des Kongressjahres in Wien trafen, erlebten peinliche Wiedersehen. Dorothea und Friedrich Schlegel wohnten seit 1808, dem Jahr, in dem sie beide Katholiken geworden waren, in Wien. Friedrichs politische Ansichten hatten sich kontinuierlich nach rechts bewegt, ohne irgendwelche ersichtlichen weltlichen Belohnungen. Wie Karl suchte auch er seinen Status zu verbessern, indem er einen adeligen Urgroßvater aus dem 17. Jahrhundert ausgrub.27 Zwar hatte er schon im Jahr 1804 eine gut bezahlte Stellung im österreichischen Staatsdienst bekommen, aber er verlor diese Arbeit bald. Während des Kongressjahres war Dorothea wie gewöhnlich knapp bei Kasse, und sie und Friedrich nahmen Fannys liebenswürdige Einladung an, im Arnstein’schen Palais zu wohnen. Fannys Reichtum und Bedeutung entschädigten vielleicht dafür, dass sie nach wie vor Jüdin war. Doch für Dorothea waren dies trotz anhaltender Geldsorgen glückliche Jahre. Nach vielen einsamen Zeiten hatte sie ein echtes Vertrauensverhältnis zu ein paar katholischen adeligen Damen aufgebaut. Und hier im Hause der Arnsteins hatten Dorothea und Henriette Herz nach vielen Jahren der Trennung Gelegenheit, einander zu taxieren, denn auch Henriette wohnte während des Wiener Kongresses mehrere Monate bei den Arnsteins. Auch ihr Leben war in den acht Jahren seit dem Tod ihres Mannes Marcus schwierig gewesen. Sie lebte bescheiden von einer kleinen Pension und arbeitete als Hauslehrerin für Englisch und Musik, wobei ihr die fortdauernde Freundschaft mit Friedrich Schleiermacher ein Trost war. Heiratsanträge und Gouvernantenstellen, die eine Taufe erfordert hätten, hatte sie abgelehnt, weil sie ihrer Mutter diesen Kummer ersparen wollte. In Wien war Henriette unglücklich, angeblich, weil sie eifersüchtig auf Fannys besonderen Platz in der feinen Wiener Gesellschaft war, und sie kehrte bald nach Berlin zurück.28 Eines der verzwickten Probleme, vor denen die Delegierten standen, als sie ihre Beratungen im Herbst 1815 fortsetzten, war die Zukunft der Juden in verschiedenen Staaten. Bis zum 9. Juni hatte der Kongress eine neue Karte Mitteleuropas gezeichnet und in Gestalt des Deutschen Bundes ein neues politisches Gebilde geschaffen. Verbleibende Aufgaben wurden auf eine Fol-
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gekonferenz in Paris verschoben, die im September stattfinden sollte. Der Druck, die Beratungen des Kongresses abzuschließen, war enorm gewesen, weil Europa im März erneut in den Krieg gestürzt worden war. Napoleon weigerte sich, sein Exil auf der Insel Elba zu akzeptieren, und am 1. März waren er und eine kleine Armee nach Frankreich zurückgekehrt, mit einem Plan, Mitteleuropa abermals zu unterwerfen. Aber Napoleons Traum starb am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo. Diesmal war sein Ende unwiderruflich. Bald darauf sollte er sich im wahrlich abgelegenen Exil auf der Insel Sankt Helena im Südatlantik wiederfinden, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1821 leben sollte. Die Delegierten auf dem Kongress standen vor komplizierten Debatten über die jüdische Emanzipation. Der neue Deutsche Bund umfasste 39 Mitglieder (35 Fürstentümer und vier freie Städte), und die Stellung der Juden war von Land zu Land höchst unterschiedlich.29 Wilhelm von Humboldt und Staatskanzler Hardenberg sprachen sich beide für die radikale Lösung aus, nämlich nach französischem Vorbild im Gegenzug für gleiche Pflichten gleiche Rechte zu gewähren. Und selbst Fürst von Metternich und Friedrich von Gentz, die in den meisten Fragen rechts von Humboldt und Hardenberg standen, gingen bei der Unterstützung der uneingeschränkten Emanzipation mit ihnen konform. So viele der in diesem Buch geschilderten Begebenheiten trugen zu diesem Moment bei. Da war der aufsehenerregende Erfolg der Salons des Ancien Régime, wo jüdische Begabung und Modernität vorgeführt wurden. Die politische Agitation eines David Friedländer hatte Persönlichkeiten in der Regierung veranlasst, die Frage der Judenemanzipation ernst zu nehmen. Hardenberg und andere Regierungsmitarbeiter fühlten sich den jüdischen Finanziers verpflichtet, deren Darlehen und Spenden Preußen in seiner dunkelsten Stunde gerettete hatten. Darüber hinaus hatte die gemeinsame Begeisterung für die Hochkultur und für nationalistische Projekte die Beziehungen zwischen einflussreichen Juden und einflussreichen Christen vertieft. Persönlichkeiten wie David Friedländer, Israel Jacobson und Jakob Herz Beer waren zugleich Bankiers, Intellektuelle, Kunstmäzene, liebenswürdige Gastgeber und Säulen der jüdischen Gemeinschaft. Humboldts und Hardenbergs Engagement für die uneingeschränkte Emanzipation dürfen niemals vergessen werden, gerade weil ihre Position am Ende nicht zur politischen Leitlinie des neuen Deutschen Bundes wurde. Die Befürworter einer radikalen Emanzipation nach französischer Art trafen auf erbitterten Widerstand, und am Ende legte die neue Verfassung des
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Deutschen Bundes, die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, in Artikel 16 Folgendes fest: »Die Verschiedenheit der christlichen Religions-Partheyen kann in den Ländern und Gebiethen des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen. Die Bundesversammlung wird in Berathung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sey, und wie insonderheit denselben der Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne; jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten eingeräumten Rechte erhalten.«3030
Wegen des winzigen Wörtchens von konnten Städte und Staaten die von den Franzosen bewilligte radikale Emanzipation zurücknehmen. Die Stadt Frankfurt am Main machte von diesem Recht Gebrauch, nachdem die Emanzipation bereits bewilligt worden war, und Bremen und Lübeck vertrieben sogar im Jahr 1816 ihre jüdischen Gemeinden. Im September 1815, als die Monarchen des protestantischen Preußen, des katholischen Österreich und des griechisch-orthodoxen Russland sich in Paris zur Heiligen Allianz zusammenschlossen, war Karl in seiner Tätigkeit als Pressesekretär für die preußische Delegation an Hardenbergs Seite. Rahel verbrachte den Sommer mit den Arnsteins in deren Sommerhaus in Baden und reiste dann für einen langen Besuch nach Frankfurt weiter, wo sie viele Freunde hatte. Sie war nicht erpicht darauf, nach Berlin zurückzukehren, da ihre Erinnerungen an die unglücklichen Jahre während der französischen Besetzung noch immer allzu frisch waren. Sogar jetzt, als christliche Ehefrau, fand sie noch immer, dass die Lust, sie an den Pranger zu stellen, nur umso größer wurde, je höher sie aufstieg. Zudem war der Zeitpunkt für ihren sozialen Aufstieg denkbar schlecht gewählt. Denn wohin wir uns in jenen Jahren im jüdischen Berlin auch wenden, werden wir feststellen, dass die Judenfeindschaft akzeptierter wurde, ganz wie Hedemann es im Gespräch mit Friedrich von Stägemann bereits bestätigt hatte: Die Abneigung gegen die Juden war ein »Vorurteil, dessen man sich bald nicht mehr zu schämen brauchte«.31 Die schmerzhafteste Kränkung wurde Rahel in Frankfurt von Caroline von Humboldt zuteil. Die beiden Frauen waren früher einmal so vertraut miteinander gewesen, dass sie sich duzten. Nun hatten sie sich seit Jahren nicht gesehen, aber als sie sich schließlich in jenem Herbst in Gesellschaft mehrerer gemeinsamer Freunde auf einem Fest wiedertrafen, redete Caroline
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Rahel mit dem formellen Sie an. Caroline hatte »eine recht simple Art gewählt, eine jahrzehntealte, peinlich gewordene Freundschaft zu liquidieren«.32 Aber in ebendiesen Monaten genoss Rahel auch glänzende Augenblicke, wo ihr Aufstieg nur recht und billig zu sein schien, wo er anerkannt und bestätigt wurde, vor allem an jenem Tag im Juni, als Goethe ihr einen Besuch abstattete. In den Zeiten ihres Salons in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts, als sie in ihren Zwanzigern gewesen war, war sie eine treue Leserin von Goethes Romanen gewesen. Jetzt, wo der Dichter allmählich die Kritik einer jüngeren Schriftstellergeneration auf sich zog, blieb Rahel treu. Leider war sie wegen der frühen Stunde und weil er seinen Besuch vorher nicht angekündigt hatte, nicht formell gekleidet, als er erschien. Aber sie unterdrückte ihre Eitelkeit, um den außerordentlich wichtigen Goethe nicht warten zu lassen. Folglich empfing sie ihn in einem schwarzen gesteppten Morgenrock.33 Rahel war hocherfreut über Goethes Annäherungsversuch, auch wenn er etwas schäbig war. Später an jenem Tag frohlockte sie in einem Brief an Karl in Paris: »Goethe war diesen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies ist mein Adelsdiplom.«34 Dass sie Goethes Besuch wirklich mit einem Adelstitel gleichsetzte, unterstellt, dass es leicht war, den kulturellen Status in eine entsprechende gesellschaftliche Stellung umzumünzen. Goethe war, obwohl als Sohn eines Kaiserlichen Rates und einer Bürgermeistertochter bürgerlicher Herkunft, nach unvergleichlichen Erfolgen als Dichter, Romancier und Höfling im Herzogtum (ab 1815 Großherzogtum) Sachsen-Weimar in den Adelsstand erhoben worden. Seine Lebensgeschichte war eine Inspiration für alle, die begehrliche Blicke auf die Belohnungen warfen, die Prinzen und Aristokraten den Begabten gewähren konnten. Im Sommer 1816 ließ das Paar sich schließlich in Karlsruhe nieder, wo Karl zum preußischen Gesandten für den neuen Staat Baden ernannt worden war. Sie freuten sich sehr, dass sie dank seines Jahresgehalts von 3.000 Talern, eines recht hohen Einkommens, wenn man bedenkt, dass Karl in den zurückliegenden Jahren mit nicht mehr als 500 Talern jährlich hatte auskommen müssen, künftig stilvoll leben konnten. Auch Rahel war überglücklich, denn sie war sich arm vorgekommen, weil sie seit dem Tod ihrer Mutter von 800 Talern jährlich gelebt hatte. Außerdem war sie jetzt endlich die Gattin eines adeligen Diplomaten. Leider wurde sie umso verletzlicher, je höher sie aufstieg. Während ihrer vier Jahre in Karlsruhe wurde sie nicht ein einziges Mal bei Hofe empfangen. Dennoch sollte sie sich später an diese Jahre als einige der glücklichsten ihres Lebens erinnern.
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Der neue Reformtempel, 1815 Während derselben Jahre, als Rahel sich aufregte, weil sie nicht an den Hof in Karlsruhe eingeladen wurde, bemühte sich daheim in Berlin ein Kreis von ihresgleichen um die Schaffung einer alternativen jüdischen Glaubenspraxis, um dadurch der Konversion derjenigen vorzubeugen, die der Tradition entfremdet waren. Und es gab durchaus Grund zur Sorge. Zeitgenössische Beobachter meinten, dass die religiöse Situation in Berlin »chaotisch« gewesen sei und dass die »Synagogen leer waren«.35 Auch protestantische Pfarrer machten sich Sorgen wegen der leeren Bänke in ihren Kirchen und versuchten, ihr Glaubensbekenntnis den sich verändernden Zeiten anzupassen. Die geheiligte Zeit für den gemeinsamen Gottesdienst war unter Christen inzwischen umkämpft, wie man aus den wütenden Protesten ersieht, als Johann Gottlieb Fichte seine wissenschaftlichen Vorträge an Sonntagvormittagen hielt. Die Reformer und die Rabbiner waren nicht die einzigen Beobachter, denen bewusst war, dass die Konversionszahlen dramatisch nach oben schnellten. Friedrich Leopold von Schrötter merkte im Jahr 1800 an, dass es in 20 Jahren kein Judentum mehr gäbe, wenn die Konversion im gegenwärtigen Tempo weiterginge.36 Wie wir Schaubild 1 des Anhangs entnehmen können, war die Konversionsrate um 1815 mit fast 100 Konvertiten pro Jahr sehr hoch. Diese Zahl überrascht, weil das Edikt von 1812 im Prinzip die Taufe hätte überflüssig machen müssen. Aber die Geschichte der Familie Itzig hat uns vor Augen geführt, dass die Taufe Vorteile bot, welche die Besserstellung als Staatsbürger allein nicht bot. Es existierte tatsächlich ein tiefer historischer Zusammenhang zwischen Emanzipation und Reform, nicht aber zwischen Emanzipation und Konversion. Sowohl im Prinzip als auch in der Praxis ermöglichte die Emanzipation die Reform. Der Kern des neuen Edikts bestand darin, dass die jüdischen Gemeinden in Preußen ihren Status als selbstverwaltete »Staaten im Staate« verloren. Zwar konnten die Rabbiner Verbote über neue Reformprojekte verhängen, aber ihre Macht war im Schwinden begriffen.37 Die beiden Glaubensbekenntnisse veränderten sich auf entgegengesetzte Art und Weise. Das Judentum wurde gerade zu dem Zeitpunkt eine weniger staatsbürgerliche Religion, als die staatstragende Tendenz im protestantischen Christentum sich verstärkte. Das Judentum würde im Laufe der Zeit lockerer und kraftloser werden und insgesamt weniger bestimmend im Leben vieler Juden. Einstmals eine umfassende Daseinsform, würde es zu einer
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schwachen Teilidentität werden und manchmal noch viel weniger als das. Und genau dies war das Ziel der Staatsbeamten. Die Autonomie, welche die Rabbiner einbüßten, wurde eingetauscht gegen eingeschränkte Bürgerrechte. In einem Satz ausgedrückt: Für den einzelnen Juden alles, für die Gemeinde nichts. Am Ende stand das Wort Jude für ethnische Zugehörigkeit, Verschiedenheit und die Vergangenheit. Mosaisch und Israelit waren die neuen Begriffe, welche die moderne Art des Jüdischseins ausdrückten. Im Gegensatz dazu nahm das protestantische Christentum mehr Bedeutungen und Funktionen an und wurde zu einer insgesamt stärkeren Identität. Die Folge war, dass in diesem historischen Augenblick viele der besten und klügsten Juden in ihrem Bestreben, sowohl innerlich als auch äußerlich deutscher zu werden, die Taufe für unverzichtbar hielten. Verbesserte Verhältnisse für Juden als Juden konnten mit den Vorteilen der Taufe nicht mithalten. Hätte eine erfolgreiche Reformalternative in Berlin die Zahl derer, die sich für die Konversion entschieden, verringert? Um diese Frage zu klären, müssen wir die von Israel Jacobson, der im Frühjahr 1814 von Westfalen nach Berlin aufbrach, eingeführten Reformgottesdienste betrachten. Jacobson verfügte bereits über hervorragende Beziehungen in Berlin, wie uns aus seiner Rolle bei der Aushandlung der Bestimmungen des Edikts von 1812 noch in Erinnerung ist. Aufgrund seines Rufs als pulsierende Heimat der jüdischen Aufklärung war Berlin zu diesem Zeitpunkt das naheliegende Ziel für Jacobson. Doch so modern Berlins jüdische Eliten auch waren, dürfen wir nicht denken, dass die »Haskala«-Aktivisten das jüdische Leben in Berlin vollständig beherrschten. Mindestens die Hälfte der in Berlin lebenden Juden war arm, und die Juden mit den kärglichsten Mitteln waren gewöhnlich die frommsten. Berlin hatte in diesen Jahren noch immer drei Rabbiner und eine Jeschiwa mit 40 Schülern.38 Doch die Wohlhabenden, die es sich leisten konnten, zu bezahlen, damit andere für sie studierten und beteten, verloren rasch das Interesse an den traditionellen Gemeindeaktivitäten. Jacobsons Plan war brillant, weil er die Möglichkeit barg, dem Judentum in einem Augenblick der echten Krise die Wohlhabenden und deren finanzielle Mittel zu erhalten. Während die Reichen zu Lebzeiten von Moses Mendelssohn sowohl die alten Selbsthilfevereine als auch die neuen aufgeklärten Bücher und Schulen finanziert hatten, ließen sie jetzt die traditionellen Einrichtungen fallen. Manche bezweifelten sogar, ob sie die Reformprojekte finanzieren sollten. Berlins Oberschicht gab ihre Vermögen lieber für Gemälde, die Bewirtung
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von Gästen in Salons, patriotische Philanthropie und die Singakademie aus als für Jeschiwot und die Finanzierung der Aussteuer armer Mädchen. Jacobsons erstes Heim in Berlin war eine Zimmerflucht im Wohnhaus der Familie Itzig in der Burgstraße. Dort empfing er David Friedländer und seine anderen prominenten Freunde aus der Gemeinde als Gäste.39 Aber nicht alle der traditionellen Glaubenspraxis Entfremdeten waren so erpicht darauf, dass Jacobson in Berlin Erfolg hatte, wie wir Rahels Reaktion auf seine Ankunft in der Stadt entnehmen. Im Juni 1814, als sie noch in Prag war, informierten Freunde sie über Jacobsons Umzug nach Berlin. Sobald sie die Gerüchte hörte, schrieb Rahel wütend ihrem Bruder Ludwig: »Wenn nur der Jakobsohn für sein vieles Geld keine Judenrefom bei uns macht. Ich fürchte es von dem eitlen – -!« In demselben Brief erklärte sie: »… solche Leute, wie wir, können nicht Juden sein.«40 Ihr Kommentar zeigt, dass sich eine tiefe Kluft auftat zwischen jenen, die vorhatten, als Juden zu verschwinden, und jenen, die sich für eine Modernisierung ihres Glaubens einsetzten. Andere, von denen wir vielleicht dachten, sie würden das Werk der Reform auf sich nehmen, blieben unbeteiligte Außenstehende. Zu dieser Gruppe zählte vor allem David Friedländer, der durch Abwesenheit glänzte. Friedländer war im Jahr 1815 65, und seine Jahre als gut vernetzter Lobbyist für die bürgerliche Emanzipation lagen hinter ihm. Das Edikt von 1812 war trotz aller Beschränkungen ein enormer Sieg gewesen. Aber was sollte jetzt noch kommen? Friedländer war von Probst Teller höchstpersönlich in dessen Erwiderung auf den Vorschlag von 1799 zum religiösen Aktivismus gedrängt worden. Teller hatte Friedländer direkt gefragt: »Warum lassen Sie es nicht vor der Hand dabei bewenden, das reine Gold Ihres ursprünglichen israelitischen Bekenntnisses von den nachher hinzugekommenen unedlen Teilen geschieden zu haben?«41 Aber Friedländer lehnte es ab, Tellers Rat zu befolgen, und im Jahr 1815 war er deprimiert wegen des jüdischen Fortschritts. Er war ganz der Radikale, denn seine Idee war es, den »spezifisch jüdischen Charakter der Synagoge« auszuschalten und das »Judentum auf ein einfaches System von Moralvorstellungen zu reduzieren«.42 Zu diesem Zeitpunkt war Jacobsons gemäßigter Plan für unzufriedene Berliner Juden verlockender als Friedländers Vision. Die erste Zeremonie, zu der Jacobson die größere jüdische Öffentlichkeit einlud, fand im Frühjahr 1815 statt, an Schawuot, einem 50 Tage nach Pessach stattfindenden Erntefest. An diesem Tag veranstaltete Jacobson eine Konfirmationsfeier für seinen Sohn.43 Danach leitete Jacobson jeden Samstagvormittag zwei Stunden lang Gottesdienste bei sich zu Hause. Die neuen
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Gottesdienste waren viel kürzer als gewöhnlich, wenngleich die Gebetssprache Hebräisch blieb. Der Raum wurde von Kerzen hell erleuchtet.44 Die Köpfe der Männer waren bedeckt, und die Geschlechter saßen getrennt voneinander. Radikal neu war der Chor, der sowohl aus jüdischen als auch aus christlichen Schülern einer örtlichen Berliner Schule bestand und von Jeremias Heinemann geleitet wurde. Heinemann war damals 36 Jahre alt und hatte an der Seite von Jacobson in Westfalen an der neuen Schule und dem neuen Tempel gearbeitet. Er war ein produktiver Reformer, Herausgeber einer Erneuerungszeitschrift namens Jedidja und Verfasser pädagogischer Broschüren, Schultexte und literarischer Kritiken zu zeitgenössischer deutscher Dichtung.45 Heinemanns Schüler sangen, begleitet von Orgelmusik, auf Deutsch und Hebräisch. Heinemann war zudem ein Anhänger der Verbesserung der Stellung der Frau im Judentum. Während seiner Berliner Jahre nahm er gern Mädchen in seiner Schule auf, und darüber hinaus veranstaltete er ein jährliches »Religions-Fest«, eine Art Konfirmations-Gottesdienst für Mädchen wie für Jungen. Gepredigt wurde in den neuen Gottesdiensten auf Deutsch, und die Predigt entweder von Jacobson selbst oder einem der Hochschulstudenten gehalten, die mit ihm an den neuen Gottesdiensten arbeiteten. Eine Zeit lang bestritt Jacobson sämtliche Ausgaben. Später wurde eine Gebühr für Eintrittskarten erhoben, zumindest am jüdischen Neujahr. Erhaltene Berichte deuten darauf hin, dass die Gottesdienste tiefe spirituelle Sehnsüchte bei ihren Teilnehmern erfüllten. Ein Beobachter hob hervor, dass manche Männer »nach zwanzig Jahren der Entfremdung vom Judentum den ganzen Tag bei den Gottesdiensten verbrachten; Männer von denen man angenommen hatte, sie stünden über religiösen Dingen, vergossen fromme Tränen«.46 Die Tränen sind faszinierend, denn zeitgenössische und spätere Kritiker klagten darüber, dass die Atmosphäre bei den Reformgottesdiensten im Vergleich zu traditionellen Formen jüdischer Andacht »kalt« gewesen sei. Obwohl die Gottesdienste nach wie vor in Jacobsons Zimmerflucht stattfanden, war die Zahl der Besucher hoch, Berichten zufolge kamen bis zu 400 Gläubige.47 Wegen des Andrangs wurde der häusliche Tempel im Jahr 1817 in das Wohnhaus von Amalie und Jacob Herz Beer verlegt. Während der nächsten sechs Jahre besuchten an manchen Samstagen fast tausend Teilnehmer die Gottesdienste im Beer’schen Hause.48 Dies bedeutet, dass weit über ein Drittel der jüdischen Erwachsenen in Berlin zumindest ein gewisses Interesse an dem neuen Gebetsstil zeigte.49 Diejenigen, die sich zu den neuen jüdischen Prak-
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tiken hingezogen fühlten, waren gewöhnlich wohlhabender und jünger als die Berliner Juden, die ihnen fernblieben.50 Die Beers gaben 7.000 Taler für den Umbau ihrer Villa aus, bei dem drei miteinander verbundene Räume entstanden, geschmückt mit »goldenen Quasten, vergoldeten Säulen und Vorhängen, die mit Goldkronen bestickt waren«.51 Und die Beers zogen auch ihre Kinder und Freunde heran, damit sie ihren Teil zu den Gottesdiensten beitrugen. Als die Andachten im Jahr 1817 in das Beer’sche Heim verlegt wurden, lebte Giacomo in Paris, aber auch er schickte wenigstens einmal Musik für die Gottesdienste nach Hause, und christliche Bekannte, darunter Karl Zelter und Bernard Anselm Weber, komponierten ebenfalls religiöse Partituren.52 Hier wurde Zelter von Karl Fasch beeinflusst, seinem eigenen Lehrer und dem Gründer der Singakademie, der Moses Mendelssohns Texte vertont und außerdem Chanukka-Musik für seine Freunde komponiert hatte.53 Dass christliche Freunde der Familie Beiträge zu den neuen Gottesdiensten leisteten, zwingt uns, eine weit verbreitete Kritik zu hinterfragen, wonach die Reformer sich zu stark auf protestantische Werte und Praktiken verlassen hätten.54 Vielleicht haben wir hier das seltene Beispiel für die von Historikern oft gesuchte, auf gegenseitigem Respekt fußende religiöse Symbiose. Ein weiterer angesehener christlicher Reformfreund war Friedrich Schleiermacher, der sich lebhaft für die neuen Gottesdienste interessierte und zumindest einmal teilnahm. Wenn wir nur wüssten, was er und Henriette über die neuen Andachten sagten, wenn sie ihre Spaziergänge im Berliner Tiergarten unternahmen. Obwohl Henriette im Jahr 1815 noch Jüdin war, äußerte sie sich in ihren Briefen an Freunde offen ablehnend über die neue Gottesdienstform.55 Ein Zeitgenosse schwärmte einmal vom Beer’schen Hause: »Im ersten Drittel (des 19.) Jahrhunderts konnte in ganz Berlin kein Haus in geselliger Beziehung an Glanz mit dem Beerschen verglichen werden«, und es sei absolut passend, dass die Synagogengottesdienste stets in einem großen Hause abgehalten würden.56 In jenen Jahren bestand der Unterschied zwischen einer privaten Veranstaltung und einer öffentlichen Veranstaltung nicht darin, wo Leute sich versammelten, sondern wer teilnahm. Natürlich bildeten Häuser und Wohnungen den privaten Rahmen, wo Familien zu Mahlzeiten und Feiern zusammenkamen. Aber wenn die Familie wohlhabend und gastfreundlich war, konnten die eigenen vier Wände auch sehr öffentliche Räume sein, wo Fremde sich trafen, plauderten, miteinander konkurrierten und die angenehme Gesellschaft des Gegenübers genossen. Weil jüdische Gemeinden nicht immer das Recht besaßen, öffentliche Synagogen zu errich-
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ten, waren häusliche Gebetsgruppen in Berlin ebenso wie anderswo seit Langem üblich. Amalie Beer war die Politik der Haussynagogen sogar sozusagen angeboren. Wir erinnern uns an ihre Urgroßmutter Esther Liebmann, die schon in den Anfangsjahren des 18. Jahrhunderts eine Haussynagoge unterhielt. Und Amalies Vater, der als einer der frömmsten Juden in der Gemeinde bekannte Liepmann Meyer Wulff, war ebenfalls Schirmherr einer häuslichen Synagoge gewesen. Jetzt, im Jahr 1815, ein Jahrhundert nach Esther Liebmanns Tod, beteten viele praktizierende Juden in Berlin noch immer lieber in Privathäusern und -wohnungen, obwohl sie seit 1714 in Berlins Hauptsynagoge in der Heidereutergasse hätten gehen können. Wir können uns gut vorstellen, dass es für die Beers manchmal schwierig war, das Private vom Öffentlichen zu trennen. Was für den einen in der Familie privat war, konnte dem anderen als öffentlich erscheinen. Im Februar 1814 schrieb Amalie an Giacomo, der zu der Zeit in Paris lebte, und antwortete auf seine Beschwerde, sie habe ihre Hausfreunde in seine Briefe eingeweiht. Sie versicherte ihm, »das habe ich gewiß nie gethan, außer vielleicht bei einem glücklichen Erfolg denn Du in Deiner Kunst gehabt hast«.57 Der Ausdruck »Hausfreunde« erfasst, wie öffentlich das Leben der Beers war. »Hausfreunde« meinte nicht enge Freunde und Familienangehörige, andernfalls hätte Giacomo nicht so empfindlich darauf reagiert, dass seine »privaten« Briefe im »öffentlichen« Rahmen des Beer’schen Hauses vorgelesen wurden. Wir stellen fest, dass die stolze Mutter keine Bedenken hatte, mit den Leistungen ihres Sohnes anzugeben, selbst wenn er versuchte, bescheiden zu sein. In den neuen Reformgottesdiensten kann man eine Fortsetzung des Erbes von Moses Mendelssohn sehen. Weder Joseph noch Recha Mendelssohn, die beiden einzigen Kinder von Fromet und Moses, die jüdisch blieben, nahmen die Anstrengung der jüdischen Erneuerung auf sich. Weil sie ihre jüdische Identität bewusst nach außen kehrten und außerdem einen hervorragenden Platz in der Mitte der Gesellschaft einnahmen, standen die Beers sehr stark in der Tradition Mendelssohns. Aber jetzt, drei Jahrzehnte nach seinem Tod, hatten sie sich weit über das hinausgewagt, was Mendelssohn und sein Kreis erreicht hatten. Auf der jüdischen Seite gingen ihre neuen Gottesdienste weit über Mendelssohns vorsichtige Kritik am traditionellen Judentum hinaus. Und ihre auffallende Geschäftigkeit auf dem Schauplatz der Hochkultur war weit stilvoller und verschwenderischer als Mendelssohns bescheidene Teestunden mit Lessing und anderen Intellektuellen. Wir entdecken im Beer’schen Lebensstil viel von der Tradition der Hofjuden, aber wir müssen auf die historischen Veränderungen bei beiden Part-
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nern des Tauschhandels achten. Denn in wenigen kurzen Jahrzehnten hatte es einen gewaltigen Fortschritt bei dem gegeben, was der Staat als Dank für jüdische finanzielle Hilfe zurückgab. Jetzt war der Fürst, der einmal in der Woche in einem jüdischen Heim zu Abend aß, ein liberaler Staatsbeamter, und als Gegenleistung erhielt die größere jüdische Gemeinde das Geschenk des Edikts von 1812. In ihrem häuslichen Leben stellten die Beers nicht nur einen Hofmeister ein, der für die Erziehung ihrer Söhne sorgen sollte, sondern erfreuten sich auch der Dienste einer Gesellschafterin. Antoinette von Mantalban war eine verarmte Adelige, die im Beer’schen Hause wohnte und Rat in Fragen der Etikette gab, und vielleicht half sie auch bei gesellschaftlichen Beziehungen.58 Obwohl es stimmte, dass Freundschaft genauso wenig käuflich war wie Kreativität, war der Umstand, dass man eine Familie war, bei der eine Antoinette von Montalban gerne wohnen wollte, sicher hilfreich, um die richtigen Leute zu veranlassen, die eigenen Einladungen anzunehmen. Die Art und Weise, wie die Familie Beer ihre Verpflichtungen zur Schaffung eines modernen Judentums mit ihren weltlichen Projekten im Bereich der Hochkultur in Einklang brachte, nötigt viel Bewunderung ab. Doch wir müssen uns auch vorstellen, wie die Beers von jenen gesehen wurden, die mit Geld, Talent und Beziehungen weniger reichlich gesegnet waren. Die Begabungen der Beer’schen Kinder wurden häufig bei öffentlichen Veranstaltungen zur Schau gestellt, die sie selbst finanzierten. Angesichts ihrer kostspieligen Privatlehrer, ihrer aufwendigen Hauskonzerte und ihrer großzügigen Philanthropie ist gut möglich, dass manche darin den Versuch der Beers sahen, sich nicht nur die Emanzipation, sondern auch die Hochkultur zu erkaufen. Zweifellos stieß die herausragende Stellung der Familie Beer im zeitgenössischen öffentlichen Leben manch einem sauer auf. Gelegentlich äußerten Freunde Kritik an ihrem Stil, auch solche, deren Los dem ihren ähnlich schien. Einer der Urenkel von Veitel Heine Ephraim, Felix Eberty, hat uns in seinen Jugenderinnerungen ein aufschlussreiches Bild von den Beers hinterlassen. Eberty war selber Konvertit, ausgebildeter Jurist und wurde im Jahr 1854 außerordentlicher Juraprofessor an der Universität von Breslau.59 Er erinnerte sich: »Der alte Beer übte eine glänzende Gastlichkeit. Seine und seiner Gattin wohlwollende Gesinnung und die stets gute Laune des Hausherrn, der nichts von dem prahlerischen Hochmut geldstolzer Kaufleute an sich hatte, bewirkten, dass jeder sich wohlfühlte, und man übersah in Anbetracht der schätzenswerten Eigenschaften sehr gern den Mangel an eigentlicher Bildung bei den Wirten, die in den Augen ihrer
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Gäste durch die gro0e Hochachtung und Verehrung gehoben wurden, welche die trefflichen Söhne ihren Eltern bezeigten.«60
Die Formulierungen, auf die es hier ankommt, sind prahlerischer Hochmut und eigentliche Bildung. Eberty konkurriert regelrecht mit den Beers, als er seine Erinnerungen zu Papier bringt. Seinen Lesern gegenüber deutet er nicht allzu subtil an, dass er selbst eigentliche Bildung besitze und ihm deshalb nicht entginge, wenn andere Juden nicht ganz so kultiviert waren. Der Beer-Tempel war ein bemerkenswerter Versuch, eine neue jüdische Einrichtung zu schaffen, einen spirituellen Raum für entfremdete Juden. Aber wie Rahels Brief von 1814 zeigt, tat sich nun eine tiefe Kluft auf zwischen jenen, die versuchten, ihre jüdische Identität hinter sich zu lassen, und jenen, die sich bemühten, eine neue jüdische Identität zu schaffen. Wir müssen im weiteren Verlauf unserer Geschichte untersuchen, warum manche Familien sich der Reform widmeten, während andere es vorzogen, die jüdische Welt gänzlich zu verlassen. Vieles stand auf dem Spiel. Jeder Einzelne hatte, wenn der Augenblick der Entscheidung gekommen war, bestimmte Verpflichtungen und bestimmte finanzielle und soziale Ressourcen. Wer dazu tendiert, Amalie Beer als Heldin einzustufen, der muss an ihre enormen Privilegien denken. Wie ihre eigenen Vorfahren waren auch Amalie und Jacob in hohem Maße die Königin und der König der örtlichen Gemeinde. Wenn der Staatskanzler ein regelmäßiger Gast am eigenen Esstisch war, dann mag der Drang, das Judentum hinter sich zu lassen, nicht gar so stark gewesen sein. Die Beers brauchten weder Parvenü-Heiraten noch Laufbahnen, die der Begabung offenstanden, um ihren Weg zu machen. Im Gegenteil, durch die Konversion hätten die Beers ihre überragende Stellung an der Spitze des Berliner Judentums eingebüßt. Während der sechs Jahre, als die Gottesdienste in ihrem Heim stattfanden, hatte Amalie Beer eine ausgesprochen öffentliche Stellung in ihrem häuslichen Tempel und in ihrem Salon. Sie wählte die Hauslehrer der Jungen aus, plante deren tägliches Arbeitspensum und organisierte ihre öffentlichen Darbietungen. Sie fühlte sich wohl in dieser Rolle, weil sie selber von Vinzenzo Righini, dem Hofkapellmeister, ausgebildet worden war.61 Den Berliner Reformern war daran gelegen, mit der Reform Frauen anzusprechen, und im Jahr 1817 erschien ein Buch mit dem Titel Religiöse Gesänge für Israeliten, insbesondere das weibliche Geschlecht, an deren Komposition Amalie möglicherweise Anteil hatte.62 Das Leben von Amalie Beer hilft uns, die Widersprüche zwischen Frauen und Reform zu verstehen. Denn obwohl Reformer Artikel schrieben, die versprachen, den Status der Frauen im jüdi-
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schen Leben zu verbessern, haben Historiker beklagt, dass sie in Wirklichkeit wenig für die Frauen erreichten.63 Aber obwohl die männlichen Reformer ihre Versprechen nicht hielten, verwirklichte wenigstens eine reale Frau ihre Botschaft oder war vielleicht sogar die Inspiration für ihre Versprechen. In der Zeitschrift Sulamith sehen wir, wie viel Aufmerksamkeit die Reformer den Problemen der Frauen widmeten, zumindest im Druck. Die Herausgeber der kleinen Zeitschrift wählten als Titel ihrer Publikation einen Frauennamen, und auf dem Titelblatt prangte das Bild einer Frau.64 Wir erleben oft, dass Männer sich in Augenblicken nationalen Erwachens entschließen, ihre neue Bewegung mit einem weiblichen Bildnis darzustellen. Autoren, die für Sulamith schrieben, schrieben über das Problem der agunot, jener Frauen, die von Ehemännern ohne offizielle Scheidung verlassen wurden, und beklagten, wie unzulänglich die religiöse Erziehung für jüdische Mädchen sei.65 Die Reformer schlugen vor, die Predigten auf Deutsch zu halten, und befürworteten Konfirmationsfeiern sowohl für Mädchen als auch für Jungen. Ihr Kredo lautete, dass ein ästhetischerer Gottesdienst die Loyalität der Frauen gegenüber dem Judentum erhöhen würde.66 Eine andere ihrer Ideen, die sehr im Einklang mit breiteren Tendenzen stand, war, dass Mütter sich stärker um die Erziehung ihrer Kinder kümmern sollten. Über die Gottesdienste hinaus schufen die Reformer zudem ein paar öffentliche Foren, an denen Frauen teilnehmen durften, beispielsweise die von dem Prediger Leopold Zunz organisierten Vorträge und Kurse im Beer’schen Tempel.67 Die Lebensgeschichte von Amalie Beer zeigt, dass Frauen damals in Berlin eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer neuen Form des Jüdischseins spielen konnten. Ihre Domäne war die Hochkultur, nicht das Finanzwesen oder der Handel. Anders als Glückel von Hameln, Esther Liebmann oder Gutele Rothschild zu ihrer Zeit verkaufte Amalie Beer keine Staubperlen, versorgte den König nicht mit Schmuck, zählte nicht die in der Familienbank eingehenden Gelder, gründete weder Werkstätten für Spitzen noch reiste sie zur Leipziger Messe.68 Wie so viele ihrer gut betuchten Standesgenossinnen war Amalie Beer keine verheiratete Geschäftsfrau, sondern eine verheiratete Frau der Hochkultur. Oft beherrschten die Salondamen selber irgendeine Kunst und halfen bei der musikalischen, literarischen oder künstlerischen Ausbildung ihrer Kinder mit. Wenn sie geschäftliche Rollen ablehnten, erfüllten sie damit eigentlich den Traum vieler Reformer, denen die Realität und die Vorstellung jüdischer Frauen, die im Handel arbeiteten, peinlich waren. Damals und später sahen die Reformer in der öffentlichen
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Arbeit von Frauen ein Beispiel dafür, wie die Rollen in der jüdischen Familie verzerrt wurden. Ihr Ideal war die müßige christliche Dame. Manche Reformer sahen in der öffentlichen Arbeit jüdischer Frauen sogar eine sexuelle Gefahr. Der Autor Ayzik Meyer Dik beispielsweise beklagte, dass »die Frauen Israels und ihre Töchter dasitzen und alle Arten von Seide und Leinen verkaufen, und jeder, der kommt, um zu kaufen, möchte den Geschmack einer Jungfrau ausprobieren«.69 Mit ihren Konzerten, Hauslehrern und Gesangbüchern sind Amalie Beer und ihre Freundinnen aus der Hochkultur ein Beleg dafür, wie das Leben der Frauen sich veränderte. Spätestens im frühen 19. Jahrhundert gaben viele Frauen dem religiösen und kulturellen Aktivismus den Vorzug vor unbezahlter Arbeit in Familienunternehmen. Die produktive Arbeit verlagerte sich aus der häuslichen Sphäre, Frauen arbeiteten weniger oft in Familienunternehmen mit, und Ehemänner arbeiteten weniger oft zu Hause. Gut betuchte Familien verließen die Städte und bauten sich Häuser in den neuen Vororten. Aber ihre Häuser waren keine abgeschiedenen Enklaven, sondern konnten durchaus sehr öffentliche Räume sein.70 Und genau so sollten wir Amalie Beers Arbeit im Tempel sehen. Sie stellte lieber die Hauslehrer für ihre Söhne ein, setzte gemeinsam mit ihrer Gesellschafterin Gästelisten auf und plante die Musik für die Synagoge als für das Familienunternehmen die Bücher zu führen und in einer Kutsche auf einer holperigen Straße zur Leipziger Messe zu fahren. Ein Gang durch die orthodoxen Viertel von Brooklyn oder Jerusalem in heutiger Zeit zeigt, dass in einigen Winkeln der gegenwärtigen jüdischen Gesellschaft die verheiratete Geschäftsfrau überaus lebendig ist. In den Jahrhunderten vor Amalie Beer hatten auch wohlhabende Jüdinnen häufig vor aller Augen in Familienunternehmen gearbeitet. Amalies Urgroßmutter Esther Liebmann ist ein glänzendes Beispiel für dieses charakteristische Muster. Vom heutigen Standpunkt mag die verheiratete Geschäftsfrau ein attraktiveres Vorbild sein als die verheiratete Frau der Hochkultur, denn es ist gut möglich, dass die öffentliche Arbeit der verheirateten Geschäftsfrauen ihren Einfluss zu Hause verstärkte. Vielleicht neigen wir in unserer Zeit weniger dazu, die verheirateten Frauen der Hochkultur zu romantisieren, weil ihre Investitionen in die Fertigkeiten ihrer Söhne an unseren modernen feministischen Ansichten kratzt. Aber von einem historischen Standpunkt aus müssen wir sehen, dass auch die Rolle der Hochkulturmutter Frauen Selbstständigkeit, öffentliche Anerkennung und Einfluss innerhalb ihrer Familien verschaffte.
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Unser Verkehr, 1815–1818 In dem auf den Beginn der Tempelgottesdienste folgenden Herbst startete in Berlin ein kurzer Einakter: Unser Verkehr. Eine Posse in Einem Aufzuge hatte am 2. September 1815 Premiere am Berliner Opernhaus. Autor der Satire war ein Breslauer Arzt, Karl Borromäus Alexander Sessa. Sessa selbst war vollständig unbekannt, denn dies war sein einziges veröffentlichtes literarisches Werk, die erste Auflage erschien anonym, und er starb in dem Jahr, als es in Breslau anlief. Obwohl der Schauplatz ein armes jüdisches Dorf und nicht das städtische Berlin war, musste die Aufführung dieses Stückes Familien wie die Beers zwangsläufig kränken. Wir wissen, dass Sessas Drama die Beer-Söhne bedrückte. Nach der Premiere des Einakters schrieb Michael Beer, damals 15, seinem Bruder Wilhelm, dass Unser Verkehr zeige, wie der Hass der Christen sich auf die widerwärtigste Weise manifestiert habe.71 Drei Jahre später ereiferten sich die Brüder immer noch über Sessas Satire; in einem Brief Giacomos an Michael kommen Schmerz und Wut darüber zum Ausruck.72 Das Stück war im Februar 1813 in Breslau uraufgeführt worden, wurde 1814 anonym veröffentlicht, und die Berliner Premiere hätte eigentlich im Sommer 1815 stattfinden sollen.73 Aber Staatskanzler Hardenberg verbot die Aufführung mit dem Argument, dass sie Ausschreitungen gegen ortsansässige Juden provozieren könnte. Wir fragen uns, ob er dieses Problem beim Abendessen im Beer’schen Heim erörterte. Aber die Berliner fanden im privaten Rahmen Gelegenheit, sich an Ausschnitten aus Unser Verkehr zu erfreuen. Der Hauptdarsteller Albert Wurms veranstaltete in verschiedenen Häusern in der ganzen Stadt Lesungen des Stückes, unter anderem gab er eine Vorstellung bei Hofe vor der königlichen Familie anlässlich der Geburtstagsfeier der Kronprinzessin Charlotte.74 Der öffentliche Druck nahm zu, und schließlich hob Hardenberg das Verbot auf. Und so startete das Stück am 2. September. Unser Verkehr spielt in der Straße eines jüdischen Dorfes und erzählt die Geschichte der Familie Hirsch, die unbedingt will, dass ihre Kinder Erfolg haben. Abraham Hirsch schickt seinen Sohn Jakob hinaus in die Welt: Er »süll raisen ebbes Moos verdienen … Er süll finden blanke Thaler … Raisen is ä Vergnügen, Geschäfte machen is ä graußes Vergnügen, Persente nehmen is ä gar graußes Vergnügen!« Und Jakob verlässt das Dorf mit einem Beutel gefälschter Münzen im Gepäck. Wer um die vergangene Realität jüdischer Münzmanipulation wusste, dem konnte die Spitze in diesem Detail nicht entgehen. Nach einer Weile meldet sich Jakob freiwillig, um in den Befrei-
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ungskriegen zu kämpfen. Und er fühlt sich zunehmend in die deutsche Gesellschaft integriert. Stolz verkündet er: »Ich will werfen den Jüden bei Seit, ich bin doch aufgeklärt – ich hob doch gor nischt Jüdisches an mer!«75 Die Botschaft und ihr Medium lagen so weit auseinander, dass die Zuschauer jedes Mal in brüllendes Gelächter ausbrachen über Jakobs Selbsttäuschung. Im weiteren Verlauf der Farce erweist Jakob sich auf dem Schlachtfeld als Feigling. Nach dem Krieg kehrt er in sein Dorf zurück. Dort schwenkt das Drama zu einer Episode im Leben eines seiner Freunde aus Kindertagen, Isaschar Morgenländer. Sessas Namenswahl war hier durch und durch boshaft. Morgenländer meint Orientale, eine Möglichkeit, Juden als permanente Außenseiter im deutschen Volk zu brandmarken. Sessas Entscheidung für »Morgenländer« mag außerdem ein Seitenhieb gegen David Friedländer gewesen sein. Aus Jakobs altem Freund Isaschar ist inzwischen Isidor geworden, und er studiert an einer Universität in der Nähe. Isidor und Jakob werben nun beide um die Hand von Lydie Polkwitzer, die ebenso kultiviert und modern wie reich und schön ist. Jakob versucht den Wettstreit zu seinen Gunsten zu entscheiden, indem er Lydies Vater anlügt und verkündet, er habe in der Lotterie gewonnen, aber die Familie entdeckt die Lüge und annulliert die Verlobung.
Abb. 10. Bilder von Juden aus dem Theaterstück Unser Verkehr. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.
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Während des ganzen Stückes sind Sessas jüdische Charaktere vollkommen berechnend und unaufrichtig. Sessa macht ihre Sprache lächerlich, ihre von geschäftlichen Erwägungen diktierten Ehen und mokiert sich darüber, dass alle Begegnungen und Beziehungen mit finanzieller Konkurrenz verbunden scheinen. Das Stück enthüllte einige der heikelsten Probleme zeitgenössischen jüdischen Lebens, und zweifellos fühlten viele Juden sich gedemütigt und gequält. Die Figuren in Unser Verkehr sprechen durchweg ein komisches Deutsch, das ein sorgfältig konstruiertes vorgebliches Jiddisch war. Die Berliner fanden die Farce alles in allem zum Brüllen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Hauptdarsteller, Albert Wurms, anscheinend von verschiedenen jüdischen Freunden gelernt hatte, ein nachgemachtes Jiddisch zu sprechen.76 Diese Episode enthüllt die schmerzhafte Wahrheit, dass es in Berlin Juden gab, die bereit waren, Wurms dabei zu helfen, andere Juden satirisch darzustellen. Wurms bot auch eine beliebte Privatvorstellung an, zu der seine Imitation einer Jüdin gehörte, die ihre Gäste mit der Rezitation eines klassischen deutschen Gedichts unterhält. Zuerst spricht sie die Worte korrekt aus. Aber gegen Ende des Gedichts gerät sie immer mehr durcheinander und beschließt ihren Vortrag auf Jiddisch.77 Die Botschaft ist eindeutig: Richtiges Deutsch ist lediglich eine Tarnung für ein wahreres, anderes Ich, ein Ich, dessen Jüdischsein auf Jiddisch ausgedrückt wird. In Wurms’ Satire definiert Sprache die ethnische Zugehörigkeit. Dass Wurms sein nachgemachtes Jiddisch von jüdischen Freunden lernte, lässt darauf schließen, dass nicht alle zeitgenössischen Juden über Sessas Farce entsetzt waren. Einer von ihnen, der das Verhalten, über das Sessa sich lustig machte, genau verstand, war August Lewald, ein in Königsberg geborener konvertierter Schauspieler, Zeitungsverleger und Theaterintendant, der im Jahr 1836 einen Roman mit dem Titel Memoiren eines Bankiers veröffentlichte. In diesem autobiografischen Werk behauptet Lewalds Erzähler, Sessas Stück sei ein »Meisterwerk«, weil die Charaktere vollständig den Erwartungen entsprächen.78 Noch bis weit ins Jahr 1816 hinein wurde Unser Verkehr von Zuschauern in Berlin beklatscht. Porträts der Charaktere des Stückes, deren satirische Wirkung selbst heute ungebrochen ist, wurden von örtlichen Straßenhändlern angeboten und fanden reißenden Absatz.79 Die große Beliebtheit des Stücks zeigte Regierungsbeamten, wie stark die populären Vorbehalte gegen jene Juden waren, die sich in Kleidung, Sprache und öffentlichem Verhalten allmählich der breiten Masse anglichen. Alles in allem erwies sich das Jahr 1816 als ein ziemlich schlechtes Jahr für die Juden. Der preußische Innenminister Friedrich von Schuckmann schlug in diesem
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Jahr offiziell vor, das Edikt von 1812 ganz zurückzunehmen. Das Finanzministerium gab folgendes »Votum« heraus: »Der Übertritt der Juden zur christlichen Religion muß erleichtert werden, und mit dem sind alle staatsbürgerlichen Rechte verknüpft. Solange der Jude aber Jude bleibt, kann er keine Stellung im Staate einnehmen.«80 In den kommenden Jahren wurden Emanzipation und Konversion immer stärker gleichgesetzt. In den Monaten, als Unser Verkehr enorme Massen anlockte und die Versprechen des Edikts von 1812 verblassten, füllten immer mehr Bücher, Artikel und Pamphlete, die sich dem Thema jüdische Emanzipation widmeten, die Buchläden. Einige Autoren, darunter Johann Ewald und Heinrich Paulus, redeten durchaus einer kontinuierlichen Emanzipation – zumindest für wohlhabende und gebildete Juden – das Wort. Aber Ewald und Paulus schwammen eindeutig gegen den Strom. Denn so wie Sessa es in Unser Verkehr getan hatte, griffen die meisten Verfasser der Pamphlete genau jene Juden an, die bereits wie Christen aussahen und sprachen. Man stelle sich vor, wie den Beers und den Mendelssohns zumute gewesen sein muss, wenn sie gelesen haben sollten, was Garlieb Helwig Merkel in seinem Buch Über Deutschland, wie ich es nach einer zehnjährigen Entfernung wiederfand schrieb. »Früher«, behauptete Merkel, »durften Juden in Berlin nur auf der anderen Spreeseite wohnen, gegenüber vom Schloß.« Er war betrübt, denn »jetzt seien sie dabei, jedes in den Hauptstraßen angebotene Haus zu kaufen und die Stadt mit ihren Geschäften zu füllen.« Er beklagte sich und war wütend, »denn jetzt findet man sie auch an führender Stelle im Buchhandel, der ihnen früher verschlossen war. Beinahe alle Landhäuser am Tiergarten, dem einzigen Freizeitpark der Berliner, seien in jüdischen Besitz übergegangen. […] da sitzen denn diese Fremden an schönen Sommerabenden schaarenweise vor ihren Thüren, und sehen die Bürger im Sande oder im Sumpf waten.«81 Für den Besitzer eines repräsentativen Hauses am Tiergarten kann es nicht angenehm gewesen sein, festzustellen, dass man ihn »diese[n] Fremden« zurechnete, deren Anwesenheit als Ärgernis empfunden wurde. Und Merkel war nicht der Schlimmste. Auf einen sehr viel drastischeren Angriff stoßen wir, wenn wir einen Blick in die Pamphlete werfen, die von einem Historiker der Berliner Universität, Friedrich Rühs, verfasst worden waren und 1816 im Handel erschienen. Rühs war von Johann Gottlieb Fichte an die historische Fakultät geholt worden, und er war ein produktiver Wissenschaftler, der hauptsächlich zur deutschen Geschichte des Mittelalters, aber auch zu einer Vielzahl zeitgenössischer Themen publizierte. Rühs war über-
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zeugt davon, dass es eine tiefe und dauerhafte Trennlinie zwischen der jüdischen Minderheit und der deutschen Mehrheitsgesellschaft gebe.82 Ebenso wie für seinen Mentor Fichte bedeutete auch für Rühs die Zugehörigkeit zu einer Nation nicht bloß, auf einem fest umrissenen Stück Land zu leben, sondern auch eine Religion und eine Sprache sowie Kleidungs-, Frisier- und Ernährungsgewohnheiten zu teilen. In den Juden sah Rühs eine eigenständige Nation, und er wollte, dass die Juden ihre charakteristischen Gewohnheiten beibehielten, sogar »ein eigenes Zeichen, eine Volksschleife«, sollten sie tragen, um sich von den Christen zu unterschieden.83 Aber die Ausschließung reichte Rühs noch nicht: »… es muß alles geschehen, um sie [die Juden] auf dem Wege der Milde zum Christenthum und dadurch zur wirklichen Aneignung der deutschen Volkseigenthümlichkeit zu veranlassen, um auf diese Art den Untergang des jüdischen Volkes mit der Zeit zu bewirken.«84 Genau wie Sessa in seinem satirischen Stück gezeigt hatte, waren es gerade die Juden, die als Christen durchgehen konnten, die für feindselig eingestellte Beobachter wie Professor Rühs besorgniserregend waren. Die Manie, deutscher zu werden, kollidierte schmerzhaft mit der Feindschaft, welche die höchst erfolgreiche Assimilation bei Intellektuellen wie Rühs hervorrief.85 Wie sollen wir Rühs öffentliche Abneigung gegen frisch emanzipierte Juden deuten? Nur wenige Leser werden überrascht sein zu erfahren, dass die Pamphlete aus dieser Zeit seit dem Holocaust als wichtige Schritte auf dem Weg zum Genozid der Nationalsozialisten verstanden werden.86 Die Klärung der Frage, wie antisemitische Schriften im Jahr 1816 sich auf spätere Tragödien auswirkten, ist ein zentrales Anliegen in diesem Buch, und wir können nicht umhin, zu erkennen, dass der Schatten von Auschwitz in der Vergangenheit bis zu Ereignissen des frühen 19. Jahrhunderts reicht. Aber wir müssen uns vor einem zu einfachen Determinismus hüten. Wir müssen unsere historische Distanz zum Jahr 1816 nutzen, um Rühs und seine nationalistischen Freunde in ihrer eigenen Zeit zu beurteilen, nicht in unserer. Deutschtum zu definieren war zum damaligen Zeitpunkt keine leichte Aufgabe. Rühs und seine Kollegen konnten keine realen geografischen Grenzen oder ein in sich geschlossenes politisches System für ein geeintes Deutschland konstruieren. Sie verzweifelten, weil ihre Chance, ihren Staat zu schaffen, schwand. Bis 1816 erkannten sie, dass König Friedrich Wilhelm III. sein Versprechen, Preußen eine Verfassung zu gewähren, nicht halten würde. Die Verbindung zwischen Antisemitismus und Nationalismus war damals beunruhigend und sollte es bleiben, aber im Jahr 1816 war der
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Nationalismus selbst mit seinen weiter gesteckten Zielen sicher eine überzeugende und attraktive Grundhaltung. Vielleicht weil die geografischen Grenzen so fließend waren, erwartete Rühs von der protestantischen christlichen Identität, dass sie definierte, wer Deutscher war. Doch für unsere Geschichte ist entscheidend, dass er Konvertiten erlaubte, in den magischen Kreis des deutschen Volkes einzutreten.87 Man vergleiche Rühs in diesem Punkt nur mit einem anderen BroschürenAutor aus dem Jahr 1816, Jakob Friedrich Fries, der sich weigerte, die Taufe als Zugangsberechtigung zum deutschen Volk gelten zu lassen. Der damals 43-jährige Fries war ein angesehener Gelehrter, der just in jenem Jahr auf einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Jena berufen worden war. Fries rezensierte das Buch von Rühs, und bald erschien seine Kritik als eigenständiges Buch. Außerdem sind Fries’ Ansichten von Bedeutung, weil er seine Studenten oft bei sich zu Hause bewirtete, weil er in der Studentenpolitik aktiv war und weil sein kleines Buch aus dem Jahr 1816 tatsächlich in öffentlichen Gasthäusern laut vorgelesen wurde.88 Auf den Seiten des Büchleins versuchte er zu rechtfertigen, dass Juden, selbst konvertierten Juden, jegliche Bürgerrechte zu verweigern seien. Fries stimmte in vielem mit Rühs überein, aber bei der Konversion schieden sich ihre Geister. Im Unterschied zu Rühs hatte Fries eine ganz und gar ethnische Auffassung von Nationalstaatlichkeit, weshalb für ihn die Konversion nicht ausreichte, um aus Juden Deutsche zu machen. Wie prominent Fries damals wirklich war, wird deutlich, wenn wir erfahren, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegel einige Jahre zuvor extrem eifersüchtig auf Fries gewesen war.89 Hegels Eifersucht ist komisch, weil er selber letzten Endes ungeheuer einflussreich wurde, während Jakob Fries in der Bedeutungslosigkeit versunken ist. Doch im Jahr 1816 war Hegel gerade erst auf einen lang ersehnten Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Heidelberg berufen worden, während Fries bereits seit einigen Jahren Professor war. Hegel war damals 46 und begeistert von seiner neuen Stelle, weil er von seiner Position als Rektor des Egidien-Gymnasiums in Nürnberg enttäuscht gewesen war. Hegel verachtete Fries seit Jahren, was auf ihre gemeinsame Zeit an der Fakultät der Jenenser Universität zurückging. Fries’ emotionale Haltung zu allen Themen war dem ewigen Rationalisten Hegel ein Gräuel.90 Unsere Untersuchung dieser beiden Pamphlete enthüllt dramatische Veränderungen in der Art und Weise, wie die Abneigung gegenüber den Juden konstruiert wurde. Dass Kritiker jüdische Texte und Praktiken ignorierten, wenn sie jüdisches Leben kritisierten, war neu. Jenseits der Seiten der Pam-
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phlete, in der Welt draußen, lagen der Feindschaft gegen Juden und Judentum zweifellos auch weiterhin religiöse Leidenschaften zugrunde, aber für Rühs und Fries war die Nation, nicht die Religion das große Problem. Innerhalb der Gesellschaft ethnische Grenzen zu ziehen war zu einer Zeit, wo ein Einheitsstaat ein ferner Traum blieb, eine Möglichkeit, sich eine Nation vorzustellen. Ebenfalls in das Jahr 1816 fällt der Entschluss der Mendelssohns, ihre vier Kinder taufen zu lassen, obwohl sie selbst einstweilen jüdisch blieben. Als wir die Wege von Abraham und Lea Mendelssohn zum letzten Mal kreuzten, im Jahr 1811, waren sie gerade aus Hamburg nach Berlin zurückgekehrt. Jetzt, fünf Jahre später, waren mehrere weitere Verwandte konvertiert, darunter Abrahams Bruder Nathan und seine Schwester Henriette sowie Leas Cousinen Marianne Saaling und Rebecca Friedländer. Weder bei Abraham noch bei Lea gab es Anzeichen für eine spirituelle Affinität zum lutherischen Glauben, eine vielsagende Tatsache, die Lea selbst in einem Brief im Jahr 1799 einräumte, als ihr Cousin Julius Eduard Hitzig konvertierte. So schrieb sie: »Erfreulich wär’s, wenn man dieser Heuchelei entbehren könnte; aber der Drang nach höherem Wirken, als dem eines Kaufmanns, oder tausend zarte Verhältnisse, in denen der nahe Umgang mit andern Religionsverwandten junge Gemüther verwickeln kann, lassen doch in der That keinen andern Ausweg.«91
Der in unserem Zusammenhang entscheidende Begriff ist Heuchelei, ein aufschlussreiches Eingeständnis aus der Feder einer wichtigen Persönlichkeit. Angesichts ihrer gehobenen gesellschaftlichen Stellung in Berlin scheint die Behauptung nicht gerechtfertigt, die Mendelssohns hätten ihre Kinder im Jahr 1816 taufen lassen, um bürgerliche Gleichheit zu erlangen. Jetzt hatten Abraham und Lea gute Gründe, unzufrieden zu sein mit einer Politik, die als praktische Zurücknahme des Edikts von 1812 verstanden werden kann. Aber in Abrahams eigenem Leben deutet kaum etwas darauf hin, dass er politisch ausgeschlossen wurde, spielte er doch im Jahr 1816 eine aktive Rolle in der Lokal- und Landespolitik. Drei Jahre zuvor war er zu David Friedländer im Berliner Stadtrat gestoßen. Außerdem war Abraham genau in dem Jahr, in dem er und Lea ihre Kinder taufen ließen, nach Paris entsandt worden, um mitzuhelfen, die Einzelheiten der abschließenden Friedensregelung zwischen Frankreich und Preußen auszuhandeln. Ihren Kindern Karrieren zu ermöglichen ist eine höchst einleuchtende Erklärung für ihre Entscheidung. Felix war im Jahr 1816 erst sieben, und lange bevor seine Eltern einwilligten, ihn einen musikalischen Weg einschlagen zu lassen, hat-
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ten sie ihn für eine juristische Laufbahn vorgesehen, die auf jeden Fall die Taufe erforderte. Ein guter Beweis ist der Brief, den Abraham im Jahr 1829 an Fanny schrieb. In deisem erklärte er, dass sie sich 1816 entschlossen hätten, die Kinder taufen zu lassen, weil dies das Jahr gewesen sei, als der preußische Staat beschlossen habe, »religiöse Anforderungen« durchzusetzen. Er und Lea fürchteten, ihre Kinder nicht mehr »neutral« erziehen zu können.92 Wahrscheinlich bezog sich Abraham auf die Entscheidung von 1816, nicht konvertierte Juden aus dem preußischen Staatsdienst zu entfernen. An dieser Stelle ist ein Vergleich mit der Familie Beer erhellend. Giacomos Erfolg als Komponist und Dirigent zeigt, dass zumindest in Paris die Taufe für eine musikalische Karriere nicht erforderlich war. Die beiden Familien hatten so viel gemeinsam, doch in der Frage der Konversion herrschte offenkundig Uneinigkeit. Es muss erregte und tief schürfende Gespräche in dieser Frage gegeben haben, denn im Jahr 1816 kehrte Abrahams Nichte Betty, die bereits konvertiert war, zum jüdischen Glauben zurück, um Giacomos jüngeren Bruder Heinrich zu heiraten.93 Leas und Abrahams Entscheidung muss eine eingehende Gewissensprüfung erfordert haben, wenn man den militanten Widerstand von Leas Mutter Bella gegen die Taufe bedenkt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Bella jeden Kontakt mit Leas getauftem Bruder Jakob Salomon Bartholdy abgebrochen hatte. Sie behielten den Status der Kinder für sich, eine Situation, die im Jahr 1820, als Lea und Abraham mit ihrer Familie in eine Wohnung in Großmutter Bellas Haus an der Neuen Promenade zogen, sehr viel schwerer aufrechtzuerhalten gewesen sein dürfte.94 Eingedenk ihres Verhaltens gegenüber Jakob mögen sie gefürchtet haben, dass Bella ihnen das beträchtliche Itzig-Erbe vorenthalten würde, wenn sie die Wahrheit erführe.95 Um ihr Geheimnis zu wahren, müssen Lea und Abraham darauf geachtet haben, ihre Familienbeziehungen gänzlich von ihrem gesellschaftlichen Leben mit christlichen Freunden zu trennen. Die Taufe konnte erst zur Aufwertung der eigenen gesellschaftlichen Stellung genutzt werden, wenn bekannt war, dass man nun Christ war. Eine weitere unserer zentralen Persönlichkeiten wurde ebenfalls im Jahr 1816 getauft: David Koreff, Karls Freund aus dem Nordsternbund. Wie Karl hatte auch Koreff vor der Niederlage von 1806 an der Universität von Halle Medizin studiert. Während der Kriegsjahre hatte er in Paris gelebt und als Arzt praktiziert, Opern komponiert, außerdem Gedichte und Musikkritiken geschrieben. Eine üppige familiäre Erbschaft ermöglichte es Koreff, seine professionellen Dienste ausgewählten Patienten gratis anzubieten. Eine die-
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ser Patientinnen war Caroline von Humboldt, und geschwätzige Freunde waren überzeugt davon, dass sie und David Koreff einmal sogar ein Liebespaar geworden waren.96 Wir können uns ausmalen, wie Rahel auf den Klatsch über diese Affäre reagiert haben muss, als sie davon hörte, und erfahren haben dürfte sie es auf jeden Fall. Im Jahr 1816 war Koreff 33 und soeben als Professor für Medizin an die Berliner Universität berufen worden. Dank dem stets entscheidenden Gönner, Staatskanzler Hardenberg, war er auf dem besten Wege, Karriere zu machen. Koreff rechnete 1816 damit, von Hardenberg zum Direktor einer neuen medizinischen Klinik ernannt zu werden. Nachdem die Kabinettsorder, die ihn auf den Lehrstuhl berief, bereits verkündet worden war, fragte Hardenberg Koreff angeblich, ob er noch Jude sei. Da die Antwort »ja« lautete, wurde Koreff beschieden, dass der Moment gekommen sei, wo er Christ werden müsse. Er verließ Berlin für das Ritual, das in einer Kleinstadt in der Nähe von Dresden vollzogen wurde. Koreffs Geschichte lehrt uns, dass die Taufe nicht immer der öffentliche Wendepunkt war, der sie aus der Ferne manchmal zu sein scheint. Hardenbergs Frage an Koreff kommt uns unverständlich vor, da Koreff der Leibarzt des Staatskanzlers war und sich tagtäglich um dessen Körper kümmerte. Man sollte meinen, dass Koreff im Falle der Konversion Hardenberg anvertraut hätte, dass er nun Christ sei, oder dass er ihm gegenüber damit geprahlt oder zumindest eine Andeutung gemacht hätte. Jedenfalls geriet Koreffs Leben nach seiner Taufe auf die Erfolgsspur. Er wohnte im Zentrum Berlins in einem eleganten Haus und hatte zahlreiche Liebesaffären. Er war außerordentlich beliebt in den Salons, die nun nach Jahren von Besatzung und Krieg wieder auflebten. Hardenberg belohnte ihn mit einer bedeutenden Professur an der neuen Bonner Universität. Aber manche ärgerten sich über Koreffs raschen Aufstieg zur Macht, und seine Studenten demütigten ihn, indem sie während seiner Vorlesungen rauchten.97 Ein Jahr später wurde Henriette Herz, inzwischen 53, endlich Lutheranerin, die Letzte aus ihrem Kreis, die dem Judentum den Rücken kehrte. Henriette war seit Langem von den Wahrheiten des Christentums überzeugt gewesen, aber sie wartete, bis ihre sehr religiöse Mutter im Jahr 1817 starb.98 Sobald sie ihre Entscheidung getroffen hatte, versuchte ihr Freund Schleiermacher sie zu überreden, ihn das Ritual in seiner Kirche in Berlin leiten zu lassen. Sie lehnte diese Idee ab und zog es wie Koreff vor, die Zeremonie in einer Kleinstadt außerhalb Berlins zu vollziehen. Nach ihrer Taufe verbrachte Henriette mehrere Jahre in Italien und wohnte bei Dorothea und Friedrich Schlegel, die Wien in jenem Jahr verlassen hatten, um ihren Söhnen in
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Rom nahe zu sein. Hier brachen Spannungen zwischen Henriette und Dorothea aus. Aus der Distanz betrachtet, hatten diese beiden konvertierten Frauen zwischen 50 und 60 viel gemeinsam, doch Henriette war eifersüchtig auf Dorotheas Integration in die katholische Gesellschaft Roms. Denn um 1817 ging Dorothea täglich zur Messe, und ihre zwei erwachsenen Söhne waren nun beide Maler in der Bewegung der Nazarener, deren Anhänger sich in der Tracht des historischen Jesus kleideten. Dorothea hatte ein enges Verhältnis zu ihrem Schwager Jakob Salomon Bartholdy, der als preußischer Konsul ebenfalls in Rom lebte. Bartholdy beauftragte sogar Dorotheas Söhne, Fresken mit biblischen Szenen auf die Wände seiner Villa zu malen.99 Henriette Herz nahm nach ihrer Taufe keinerlei radikale Veränderung an ihrem Leben vor. Sie war eine gescheite Frau, deren Leben interessant genug war, doch sie hat uns weder Romane noch vollständige Erinnerungen, weder Tagebücher noch einen Briefwechsel hinterlassen. Ihre geistige Arbeit scheint sehr stark von ihren Beziehungen abhängig gewesen zu sein, was auch für den Zeitpunkt ihrer Konversion gilt. Ihre Erinnerungen enden, als sie erst 17 war, und sie verbrannte ihre gesamte Korrespondenz mit Dorothea Schlegel. Sie schrieb Entwürfe für zwei Romane, aber nachdem Dorothea bloß mit halbherzigem Lob reagiert hatte, vernichtete sie beide Manuskripte.100 Es ist seltsam, dass es von den drei Freundinnen aus Kindertagen ausgerechnet die sich niemals als echte Schriftstellerin verstehende Rahel ist, deren Worte erhalten geblieben sind und die mit Abstand die Bekannteste von den dreien wurde. Karls Engagement für die Bewahrung jedes ihrer Worte hat es ermöglicht, dass wir heute ihre Gedanken kennen. Mit Henriettes Konversion im Alter von 53 Jahren erleben wir eine weitere Möglichkeit, wie jüdische Töchter aus Berlin ihren Wunsch, Christinnen zu werden, mit ihren Mutterbindungen in Einklang bringen konnten. Henriette ging den Weg der gehorsamen Tochter, die ihre Taufe verschob, bis ihre Mutter gestorben war. Dorothea war hingegen die Erste, die konvertierte, und zum Zeitpunkt ihrer Scheidung von Simon Veit brach sie viele ihrer engen Familienbande ab. Auch Rahel regte sich über die Zwänge traditioneller jüdischer Heiratspraktiken auf, aber als sie konvertierte, unterstützten ihre Brüder ihre Entscheidung, und ihre Eltern waren bereits tot. Die extreme Polarität zwischen Dorotheas stürmischer Abkehr vom Judentum und Henriettes Respekt vor ihrer Mutter wirft ein Licht auf Lea Mendelssohns Kompromisse. Lea versuchte, in ihrem Verhältnis zu jeder Generation wahrlich »alles zu haben«, indem sie zuerst ihre Kinder taufen ließ, dann sich selbst und Abraham und die Taufen die ganze Zeit vor ihrer eigenen Mutter
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geheim hielt. Natürlich muss diese komplexe Familienstrategie einen hohen psychischen Preis gehabt haben. In der Welt draußen setzten sich die Enttäuschungen im Laufe der Zeit fort, und wir erblicken in jedem Winkel jüdischen Lebens Schwierigkeiten. Da waren die Demütigung durch das Theaterstück Unser Verkehr und die verleumderischen Pamphlete. Die Moral litt, als prominente Konvertiten der jüdischen Welt den Rücken kehrten. Auch das traditionelle Judentum litt, als zwei der Rabbiner aus der Gemeindesynagoge starben.101 Unterdessen entzweiten interne Spannungen den zerbrechlichen neuen alternativen Tempel von innen heraus. Einige derer, die Predigten und Gebetbücher schrieben, begannen das Elitedenken des Tempels zu kritisieren. Im Herbst 1817 wollte Isaak Markus Jost, damals Lehrer an einer Berliner Schule, einige seiner Schüler an Rosch ha-Schana zum Beer’schen Tempel mitbringen und bat darum, die Schüler auf seine Eintrittskarte nehmen zu dürfen. Ihm kam ein Gerücht zu Ohren, dass, wer versuchte, sich ohne eigene Eintrittskarte Zutritt zu verschaffen, von der Polizei weggeschickt würde. Er brachte seine Klasse trotzdem mit, aber man bat sie zu gehen, und Jost zog dann beleidigt ab.102 Später klagte er über das elitäre Denken des Tempels, vor allem darüber, dass die Plätze ganz vorne für die Reichen reserviert seien. Als Reaktion darauf erklärte die Führung des Tempels sich bereit, in der Nähe der den Reichen vorbehaltenen Plätze einen Bereich für die »Gelehrten« einzurichten. So erlangte Bildung eine gewisse Parität zu Besitz. Jost hatte sich zu Recht empört, weil die Beers und Jacobson ganz sicher nicht in demokratischem Geist handelten. Auf lange Sicht wichtiger jedoch war die zunehmend feindselige Haltung des Staates und der Krone gegenüber dem Reformprojekt. Nachdem die Gottesdienste von Jacobsons Wohnung in das Beer’sche Haus verlegt worden waren, planten Beamte insgeheim sogar, den beliebten häuslichen Tempel zu schließen. Nur fünf Jahre nach dem Edikt von 1812 waren Emanzipation und Reform innerhalb der herrschenden Kreise heiß umstritten. Zum Pech für die Reformer zeigte der König persönlich ein besonderes Interesse an der Frage, und er war entschieden gegen die Gründung neuer religiöser Sekten. Zwei Jahre nachdem Jacobson mit den Gottesdiensten begonnen hatte, erließ Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1817 ein Dekret, das sie verbot. Doch Hardenberg intervenierte, und die Reformgottesdienste durften weitergehen. Die offizielle Begründung lautete, dass sie eine vorübergehende Maßnahme und nur erlaubt seien, solange die Renovierungsarbeiten an der großen öffentlichen Synagoge noch nicht abgeschlossen wären. Aus königlicher
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Sicht stellte sich die Sache so dar, dass sich, wenn die Juden mit einer alternativen Variante des Judentums experimentieren durften, demnächst vielleicht auch politisch Andersdenkende organisierten. Uns erscheint der Gedanke abwegig, dass die Reformgottesdienste die soziale Revolution ankündigten. Aber wir können die Ängste des Königs besser verstehen, wenn wir die zunehmende Einheitlichkeit unter verschiedenen Spielarten protestantischer Praxis berücksichtigen. Viele Mächtige und Machtlose waren erfreut, als sich lutherische und reformierte Gemeinden (Calvinisten) im Jahr 1817, einem Aufruf des Königs folgend, zur »unierten« Kirche zusammenschlossen (ab 1821 Evangelische Kirche in Preußen). Mehr als ein Jahrhundert lang war die Preußen regierende Hohenzollern-Dynastie calvinistisch gewesen, während die Bevölkerung hauptsächlich lutherisch war.103 Schleiermacher hatte lange und hart an diesem Projekt gearbeitet, weil er glaubte, dass die religiöse Union ein Schritt hin zur nationalen Union sei. Hier haben wir ein weiteres Beispiel dafür, wie der Protestantismus damals zu einer stärkeren staatsbürgerlichen Identität wurde. Auch nationalistische Organisatoren hatten vor, die beiden protestantischen Bekenntnisse zu verschmelzen, obwohl ihr Verfassungsentwurf ein ausdrückliches Verbot des Judentums beinhaltete, das als ein »den Angelegenheiten der Menschheit abträgliches Glaubensbekenntnis« erachtet wurde.104 Im Herbst 1817 erlebten Deutschlands Burschenschaften ein paar berauschende Tage, als am 18. und 19. Oktober etwa 500 Studenten von elf deutschen Universitäten an einer von der Jenaer Burschenschaft auf der Wartburg veranstalteten Zusammenkunft mit Siegesfeuern, Reden und Gebeten teilnahmen.105 Die Mehrzahl der Teilnehmer, die knapp fünf Prozent der deutschen Studentenschaft ausmachten, waren Protestanten, aber auch katholische Studenten waren dort, obwohl ihre Universitäten nicht eingeladen worden waren und obwohl die Wahl des Treffpunktes auf einen zutiefst protestantischen Ort gefallen war. Noch lange würde man sich an das Wartburgfest als einen Höhepunkt der Nationalbewegung der deutschen Jugend aus der Zeit der Befreiungskriege und als machtvolle Demonstration patriotischer und liberaler Kräfte gegen die nach dem Wiener Kongress einsetzende Restauration erinnern. Das Datum des 18. Oktober hatte eine doppelte historische Bedeutung, als vierter Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig und als 300. Jahrestag von Martin Luthers Thesenanschlag an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg, mit dem die Reformation begann. Nach der 1521 im Wormser Edikt über ihn verhängten Reichsacht lebte Luther bis 1522 inkognito als »Junker Jörg« auf der Wartburg, wo er das Neue Testament aus dem
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Lateinischen ins Deutsche übersetzte und der Legende nach sogar ein Tintenfass nach einer Erscheinung des Teufels warf.106 Beim Wartburgfest wie bei anderen Feiern dieser Jahre gingen Glaube und Nation eine symbolische Verbindung ein. Seit dem preußischen Triumph in der Völkerschlacht bei Leipzig waren öffentliche Gedenken am 18. Oktober zu einer Tradition geworden. Die Feiern im Jahr 1815 beispielsweise wurden rings um »Feuersäulen« auf verschiedenen Berggipfeln veranstaltet oder vor Altären, die man auf Marktplätzen errichtete. Manche Teilnehmer schmückten sich mit Eichenlaub, weil die Eiche zu einem Symbol der deutschen Nation geworden war, und die Feiern schlossen oft mit einem Gottesdienst. Die radikalen Aktivisten der Burschenschaften, die sich auf dem Berg trafen, hatten vor, eine landesweite Organisation politischer Burschenschaften zu schaffen, und sie arbeiteten eng mit den Turnerorganisationen aus Berlin und anderswo zusammen. Seit 1811, als Friedrich Ludwig Jahn auf dem Gelände in der Hasenheide in Berlin den ersten Turnverein gegründet hatte, waren in ganz Deutschland Hunderte von Turnvereinen ins Leben gerufen worden, die Tausende von Teilnehmern anlockten.107 Die Turnvereine sprachen Studenten ebenso an wie Handwerker, eine ungewöhnliche Mischung. Und zumindest bis zum Jahr 1817 konnten Juden, die noch jüdischen Glaubens waren, sowohl den radikalen Burschenschaften als auch den Turnvereinen beitreten, und einige Juden marschierten an jenen zwei historischen Tagen im Oktober 1817 tatsächlich den Berg zur Wartburg hinauf. Die ausdrückliche Integration christlicher Symbole und Praktiken in die nationalen Projekte der Zeit war von Jahn und anderen nationalistischen Intellektuellen seit Langem geplant gewesen. Trotz ihrer tiefen Abneigung gegen alles Französische hatte Jahn sich sehr genau angesehen, wie die Revolutionäre in Frankreich ihre neuen Nationalfeste gestaltet hatten. Die Franzosen hatten die Nationalfeste an den Feiertagen des christlichen Kalenders begangen, aber die Feiern hatten einen militant weltlichen Charakter gehabt. Jahns Vision war in jeder Hinsicht sehr viel christlicher, denn er wollte, dass die neuen deutschen Feste an einem christlichen Feiertag stattfanden und in Form und Inhalt christlich waren. Außerdem war vorgesehen, die Festteilnehmer direkt an der deutschen Geschichte zu beteiligen, indem bestimmter Ereignisse in der deutschen Vergangenheit gedacht wurde. Beispielsweise schlug Jahns Mitstreiter Ernst Moritz Arndt im Jahr 1814 »die Gründung einer ›Deutschen Gesellschaft‹ vor, die im Namen aller Deut-
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schen Weihefeste feiern sollte«.108 Den ungestümen Erfolg des Wartburgfestes feierten Jahn und Arndt als die Verwirklichung ihrer Träume. Viele Studenten, die in jenem Oktober zur Wartburg hinaufstiegen, trugen die radikale Tracht des Tages, die traditionelle deutsche Kleidung, die von Turnvater Jahn in Berlin populär gemacht worden war. Die Kluft bestand aus einem schwarzen, mittelalterlich anmutenden Anzug mit langer Jacke. Wie ein Student berichtete, trug man zu dem Anzug oft einen breiten weißen Kragen, auf den die langen Haare der Studenten fielen, dazu als Kopfbedeckung ein samtenes Barett mit silbernem Kreuz.109 Die Studenten trugen die schwarz-rot-goldenen Farben des Alten Reiches, die im Oktober 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig von den Soldaten hochgehalten worden waren. Ein Vorfall während des Festes, der sich seit 1817 als kontrovers erwiesen hat, ist die Verbrennung von Büchern und Symbolen des Ancien Régime am Abend des 18. Oktober auf dem nahen Wartenberg. Die Debatte bezüglich der Frage, ob das Autodafé von den Hauptorganisatoren des Festes geplant war und wie viele studentische Aktivisten sich tatsächlich an der Verbrennung beteiligten, dauert an. Unter den verbrannten Gegenständen waren ein preußischer Ulanenschnürleib, ein hessischer Militärzopf und ein österreichischer Korporalstock. Zu den Büchern, die in die Flammen geschleudert wurden, gehörten der Code Napoléon, ein Buch von Saul Ascher mit dem Titel Die Germanomanie und August von Kotzebues Geschichte des deutschen Reichs. Ascher war einer der seltenen jüdischen Intellektuellen, welche die Fremdenfeindlichkeit der studentischen Nationalbewegung unverhohlen angriffen.110 Leider wissen wir wenig über Aschers Leben. Er war ein Journalist und Gelehrter und Nervtöter, über dessen tatsächlichen Beruf die Forschung nach wie vor im Dunkeln tappt. Der Dichter Heinrich Heine wohnte Anfang der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts in Berlin, und dort lernte er Ascher kennen. Später erinnerte sich Heine, dass sie über Themen wie »Was ist Furcht?« zu diskutieren pflegten. Sie überlegten, ob Furcht »aus dem Verstande oder aus dem Gemüt« komme: »Über diese Frage disputierte ich so oft mit dem Doktor Saul Ascher, wenn wir zu Berlin, im Café Royal, wo ich lange Zeit meinen Mittagstisch hatte, zufällig zusammentrafen. […] Gegen das Ende seiner Demonstration pflegte er oft nach seiner Uhr zu sehen, und immer schloß er damit: ›Die Vernunft ist das höchste Prinzip!‹ – Vernunft! Wenn ich jetzt dieses Wort höre, so sehe ich noch immer den Doktor Saul Ascher mit seinen abstrakten Beinen, mit seinem engen, transzendentalgrauen Leibrock, und mit seinem schroffen, frierend kalten Gesichte, das einem Lehrbuche der
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Geometrie als Kupfertafel dienen konnte. Dieser Mann, tief in den Fünfzigern, war eine personifizierte gerade Linie. […]«111
Es ist unwahrscheinlich, dass Ascher am Wartburg-Marsch teilnahm, aber sicher kamen ihm Berichte zu Ohren, dass sein Buch Die Germanomanie auf dem Gipfel verbrannt worden war. Eine der Zielscheiben des Buches war kein Geringerer als Friedrich Rühs. Ascher lehnte Rühs’ Versuch, Deutschtum über christliche Identität zu definieren, ab und war wütend, dass Rühs der Konversion von Juden zum Christentum das Wort redete. »Und man soll endlich der Juden Uebergang zum Christenthum befördern, damit sie zu Deutschen ausgebildet werden!« Worauf Ascher scharf entgegnete, es sei nicht so, »als wenn das Christenthum die unumgängliche Bedingung der Deutschheit wäre. Ich erinnere mich eben, daß die Deutschen, wie sie Tacitus darstellt […] recht brave Deutsche waren, ohne Christen zu seyn.«112 Aber für jüdische Studenten, die sich als patriotisch empfanden, wurde das Fest ziemlich problematisch. Wer von ihnen Aschers Buch brennen sah, mag sich durchaus höchst unbehaglich gefühlt haben. Ein jüdischer Radikaler, der in jenem Oktober auf der Wartburg war, erinnerte sich später, noch nie im Leben so oft, so eindrücklich und so hartnäckig nach seinem Jüdischsein gefragt worden zu sein wie in der Woche des Festes. Manche hätten ihn bemitleidet, weil er zu einer Existenz als Jude verurteilt sei, andere ihm einen Vorwurf daraus gemacht, manche ihn ob seines Glaubens beleidigt, wieder andere ihn deswegen gelobt. Aber all seine Gefährten hätten es ihn ständig spüren lassen, sodass er zutiefst enttäuscht, gekränkt und verletzt gewesen sei und sich geschämt habe, und seitdem empfinde er eine ungeheure Ratlosigkeit, Bestürzung und Hoffnungslosigkeit.113 Wir verlassen die Studenten auf dem Berg jetzt, um uns den Kümmernissen eines der besten und gescheitesten Söhne des deutschen Judentums zuzuwenden, der versuchte, seine jüdische Vergangenheit in eine sozialistische Zukunft für sich selbst und sogar für die umfassendere Gesellschaft zu integrieren. Die Lebensgeschichte von Ludwig Börne, als Juda Löb Baruch in der Frankfurter Judengasse geboren, zeigt, wie schwierig es in jenen Jahren war, eine patriotische republikanische Gesinnung in eine jüdische Identität zu integrieren. Um seinen Lebensweg zu verfolgen, müssen wir Berlin verlassen, was ihn froh gestimmt hätte, weil er die Demütigung durch die weltklugen, von Konkurrenzdenken geprägten und voreingenommenen Salonkreise dort fürchtete und die Stadt jahrelang mied. Börne konvertierte im Jahr 1818, ein Jahr nach Henriette Herz, was irgendwie passend war, da die beiden seit Jahrzehnten in Verbindung standen. Schon als Jugendlichen hatten seine
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Eltern ihn im Jahr 1802 nach Berlin geschickt, wo er bei den Herzens wohnen sollte, um sich auf eine Laufbahn als Arzt vorzubereiten.114 Börne verliebte sich in Henriette. Angesichts seines Alters und ihrer Persönlichkeit waren nur wenige ihrer gemeinsamen Freunde überrascht, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte. Trotzdem sollten die beiden in den kommenden Jahren enge Freunde bleiben.115 Nach dem Tod von Marcus Herz verließ Börne Berlin, und später beschloss er, nicht Arzt zu werden. Schließlich wurde er an der Universität von Gießen in Staats- und Kameralwissenschaften zum Dr. phil. promoviert, zur damaligen Zeit eine ungewöhnliche Leistung für einen jungen Juden. Die Stadt Frankfurt am Main stand während seiner Jugendund frühen Erwachsenenzeit meist unter französischer Herrschaft. Im Jahr 1811, Börne war 25 Jahre alt, gewährten die Franzosen den ansässigen Juden im Austausch gegen die Zahlung einer hohen Geldsumme die vollen Bürgerrechte. Börne war zur rechten Zeit am rechten Ort und sicherte sich einen Verwaltungsposten bei der örtlichen Polizei. Aber zum Pech für die Frankfurter Juden und folglich auch für Börne machte der Stadtrat, als die Franzosen während der Befreiungskriege aus den deutschen Städten hinausgeworfen wurden, all die neuen Freiheiten wieder rückgängig. Nach vier Jahren auf seinem Posten verlor Börne im Jahr 1815, am Ende des Wiener Kongresses, seine Stelle. Nach seiner Entlassung suchte er eine Zeit lang nach einem alternativen Beruf, der ihm finanziellen Rückhalt, geistige Anregung und eine öffentliche Rolle als Intellektueller gewährleisten würde. Diese Kombination von Zielen war ein bisschen viel verlangt, denn obwohl Börne die edleren Genüsse im Leben brauchte, war er sich zu fein dafür, irgendeinen der Berufswege einzuschlagen, die Juden damals offenstanden und mit denen sich ein solcher Lebensstil finanzieren ließ. Zudem war er seelisch und körperlich labil, und in all diesen Jahren und später fühlte er sich häufig »einsam und depressiv«. Seine Freunde beobachteten, vielleicht verständnislos, dass er oft zusammenbrach, wenn er sich in »maßloser Hypochondrie« erging. Gelegentlich hatte er »Anfälle von Melancholie«, und manchmal redete er sogar von Selbstmord.116 Drei Jahre nach seiner Entlassung, im Frühjahr 1818, änderte er seinen Namen von Louis Baruch in Ludwig Börne. Seinen Vornamen hatte er schon einige Jahre früher hinter sich gelassen, als er Löb für Louis aufgab. Nun meinte er seinen Familiennamen ändern zu müssen, weil er überzeugt davon war, dass christliche Leser seine neue Theaterzeitschrift nicht lesen würden, wenn deren Herausgeber leicht als Jude identifiziert werden konnte.117 Sobald der Senat der Stadt Frankfurt die Änderung genehmigt hatte, gab er
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seinen neuen Namen in einer Anzeige im Frankfurter Intelligenzblatt bekannt.118 Dass er unbedingt in der Zeitung darauf aufmerksam machen wollte, zeigt, dass er nicht versuchte, die Namensänderung zu benutzen, um als Christ »durchzugehen«. Zudem können wir uns angesichts der Ähnlichkeit zwischen seinem alten und seinem neuen Namen durchaus fragen, ob Fremde wirklich denken würden, dass die Zeitschrift von einem gebürtigen Christen herausgegeben wurde. Bestimmt wussten viele Zeitgenossen, dass er Jude war.119 Die öffentliche Art und Weise, wie Börne seinen Namen änderte, unterschied sich sehr stark von der verwirrenden Heimlichtuerei um seinen Übertritt zum Christentum. Er wurde drei Monate nach seiner Namensänderung, am 5. Juni 1818, in einer Kirche in der Stadt Rödelheim in der Nähe seiner Heimatstadt Frankfurt getauft.120 Wieder wählte ein Konvertit die Abgeschiedenheit einer Kleinstadt. Nach der Zeremonie war er noch mindestens zwei Jahre überzeugt davon, dass weder seine Eltern noch seine Freunde wussten, dass er kein Jude mehr war. Es ist natürlich gut möglich, dass Börnes Verschwiegenheit in Sachen Taufe eines jener Geheimnisse war, von denen man innerhalb der Familien weiß, über die man aber nicht spricht. Glaubt man den meisten Berichten über diese Zeit in seinem Leben, so wurde Börnes Konversion erst bekannt, als die Polizei ihn im Jahr 1820 irrtümlicherweise verhaftete. Nach seiner Festnahme war er gezwungen, ein Formular auszufüllen, und in das Feld für »Religion« trug er sich als Christ ein.121 Im Frankfurt des Jahres 1818 zu konvertieren war etwas völlig anderes als ein Übertritt in den letzten Jahrzehnten des vorangegangenen Jahrhunderts in Berlin. In Frankfurt hatten selbst die wohlhabendsten und gebildetsten Juden selten gesellschaftlichen Umgang mit Christen, während in Berlin der regelmäßige Besuch der Salons die Taufe begünstigte. Es ist durchaus möglich, dass ohne die Freundschaften und Liebesaffären, die Juden bereits an Christen banden, die Nachteile der Konversion gegenüber ihren Verlockungen überwogen hätten. Börne muss versucht haben, seine Taufe vor seiner Familie geheim zu halten, weil er sich sicher war, dass seine Angehörigen dagegen gewesen wären. Er hatte viele Motive für eine passiv-aggressive Rebellion gegen seine Eltern. Zu seiner Mutter hatte er immer ein distanziertes Verhältnis gehabt, und was seinen Vater betraf, so war Börne im Laufe der Jahre zu der Ansicht gelangt, dass er »kalt und patriarchalisch« sei.122 Sie hatten über eine medizinische Laufbahn, über Geld und über die Politik des deutschen Nationalismus gestritten. Ludwig war allmählich patriotischer geworden und ein radi-
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kaler Linker, während sein Vater die Einstellung eines Hofjuden beibehielt. Ein weiterer Grund für Börnes Heimlichtuerei hinsichtlich seiner Taufe war sein Verhältnis mit Jeanette Wohl, einer geschiedenen jüdischen Freundin in Frankfurt. Sie war eine kompetente und kultivierte Frau mit Muße, die sie seiner Karriere widmen konnte, und mit der Zeit wurde sie seine Gönnerin, Buchhalterin, Herausgeberin, Muse und tägliche Brieffreundin. Wie die beiden ihre Abende allein genossen, ist rätselhaft. Ihre Mutter war eine strenggläubige Jüdin, und Jeanette war dem Judentum auf ihre eigene Art treu. Dies war wichtig, weil Börne in diesen Jahren ein täglicher Gast im Hause von Jeanettes Familie war.123 Warum nahm er dann im Jahr 1818 die Bürde einer heimlichen Identität auf sich? All jene, die von Börne fasziniert waren, haben im Laufe der Generationen darüber nachgedacht, was ihn getrieben haben könnte. Keines der Motive, die wir bislang bei den anderen Konvertiten aus seiner Generation entdeckt haben, scheint auf seinen Fall zu passen. Eine christliche Ehefrau schien er nicht zu wollen, und als einsame Seele strebte er nicht nach einem besseren gesellschaftlichen Leben in christlichen Kreisen. Seine einzige romantische Verstrickung, wenn wir es so nennen dürften, war die mit Jeanette Wohl. Ironischerweise mag er, nachdem seine Taufe bekannt geworden war, noch einsamer gewesen sein als zuvor, da seine noch-jüdischen Freunde in Frankfurt ihn ächteten, sobald sein Status als Christ öffentlich bekannt gegeben worden war. Eine Episode aus dem Winter nach Börnes Glaubenswechsel unterstreicht, dass er nicht beabsichtigte, seine Taufe zur Verbesserung seiner gesellschaftlichen Stellung zu benutzen. In jenem Winter beantragte Börne die Mitgliedschaft in einer der örtlichen Frankfurter Lesegesellschaften. Die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft verwarfen seinen Antrag, weil sie dachten, er sei Jude. Doch als Börne mit einem Brief an die Gesellschaft reagierte und sich über deren Ausschließungspraktiken beschwerte, zog er es vor, nicht zu enthüllen, dass er in Wirklichkeit Christ geworden war. Dies ist ganz sicher nicht das Verhalten von jemandem, der auf Werbung in eigener Sache und radikale Assimilation aus ist.124 Und wir finden auch keine augenfälligen Karrieremotive, die seinen Entschluss zur Konversion im Jahr 1818 erklären würden. Anders als seine jüngeren Zeitgenossen Eduard Gans und Heinrich Heine tat Börne den Schritt nicht, um Professor zu werden.125 Wenn die berufliche Laufbahn sein Motiv war, dann wäre er eher im Jahr 1815 konvertiert, um seine Stelle bei der Polizei zu behalten. Nichts deutet darauf hin, dass er Beschäftigung an einer Universität oder einen Posten im Staatsdienst anstrebte, nachdem er Christ
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geworden war. Angesichts der Tatsache, dass er im Jahr 1818 eine journalistische Karriere anstrebte, ist in der Tat nicht ganz ersichtlich, warum die Konversion notwendig war. Denn gerade in diesen Jahrzehnten begannen nicht konvertierte Juden in Massenblättern und etablierten Zeitschriften zu publizieren. Zu den produktivsten und bekanntesten zählten Leopold Zunz und Saul Ascher. Andere jüdische Journalisten der Zeit waren Aaron Bernstein, Moritz Veit und Lazarus Bendavid. Historiker haben in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mindestens 70 jüdische Männer identifiziert, die sich in Städten überall in Deutschland ihren Lebensunterhalt als Journalisten, Autoren oder Verleger verdienten.126 Es deutet auch nichts in Richtung eines aufrichtigen religiösen Erwachens als Lutheraner. Am einfachsten lassen sich Börnes Motive für die Konversion dahingehend zusammenfassen, dass er das Christentum als wesentlich für seine Identifikation mit der deutschen Nationalkultur ansah.127 In diesem Sinne war er eine lebende Summe dessen, was Friedrich Rühs wollte, eine Verschmelzung nationaler und christlicher Rituale, Symbole und Identitäten. Sein Beispiel lässt darauf schließen, dass, soweit die Konversion ein Weg war, in die deutsche ethnische Nation oder Kulturnation einzutreten, und nicht ein Glaubensbekenntnis, solche Konvertiten keine Heuchler waren, weil sie in der Taufe von vornherein keinen religiösen Akt sahen. Eine stärkere, politisierte protestantische Identität war attraktiver als ein schwächeres, weniger staatsbürgerliches Judentum. Mit dem Bestreben, seine Zugehörigkeit zur deutschen Nationalkultur zu vertiefen, stand Börne sicher nicht alleine da, aber wegen seiner starken linken Bindungen und seiner einzelgängerischen Lebensweise nahm er den Außenseiterstatus eines gesellschaftlich engagierten Aktivisten auf der Linken an, und daher können wir in ihm durchaus den ersten weltlichen linken Konvertiten sehen. Gerade weil er alle Partikularidentitäten nicht gering schätzte und sich eher als Deutscher denn als Kosmopolit verstand, mag seine Entscheidung zu konvertieren ziemlich widersprüchlich wirken. Deutsch war eine erstrebenswerte ethnische Zugehörigkeit, aber Jüdisch war es nicht. Christlicher Deutscher zu werden war nicht bloß eine Frage der Durchsetzungsfähigkeit in der öffentlichen Welt, sondern auch eine innere Gefühlslage.128 Unter unseren Konvertiten mag Börne aus dem Rahmen fallen, aber auf der breiteren Leinwand seiner Zeit war er in hohem Maße »ein typisches Geschöpf des 19. Jahrhunderts, dessen Ichgefühl in der Suche nach nicht lokalen, nicht traditionellen Identitäten lag«. Zeitgenössische »Vorstellungen von ethnischem Stolz und kulturellem Feingefühl« sollten uns nicht blind machen gegen die Realität,
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dass christliche und jüdische Intellektuelle gleichermaßen danach trachteten, ihre jeweilige angeborene Kultur hinter sich zu lassen.129
Juden werden auf den Straßen angegriffen, 1819 Wir haben gesehen, dass jedes Jahr, das seit 1815 verging, jenen Juden zusätzliche Demütigungen bescherte, die ein neues Leben wollten, ohne Protestanten zu werden. Wir können uns vorstellen, wie betrüblich es gewesen sein muss, alle Welt über Sessas Stück und über die feindseligen Pamphlete reden zu hören oder mitzuerleben, wie Aschers Buch auf dem Wartenberg in Flammen aufging. Aber das Jahr 1819 erwies sich als leidvoller für die zeitgenössischen Juden als jedes andere Jahr seit dem Ende der Napoleonischen Kriege. Überdies war das Jahr 1819 auch ein Wendepunkt für die junge Nationalbewegung. Es wurde passend als »das Unglücksjahr des 19. Jahrhunderts« bezeichnet.130 Auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise mussten in jenem Jahr sowohl die Radikalen unter den Studenten und die aufstrebende linke Bewegung als auch die Juden Rückschläge einstecken. Der erste Vorfall ereignete sich im März 1819, und er wurde ausgelöst von einem jungen Mann namens Karl Ludwig Sand. Sand war in einer pietistischen Familie in Franken aufgewachsen, das nach der Niederlage von 1806 sieben Jahre lang von französischen Truppen besetzt gewesen war. Sand war Freiwilliger in den Befreiungskriegen gewesen, und nach dem Krieg wurde er Burschenschaftsaktivist, einer jener Schwärmer, die 1817 zur Wartburg hinaufmarschierten. Er brachte sogar sein eigenes persönliches Manifest mit, das »ganz von dem unglücklichen Gedanken beherrscht [wurde], daß die Studenten das Heil Deutschlands zu wirken hätten. Das eigentlich politische Gebiet läßt er dabei ganz unberührt, bewegt sich immer in den vagsten Allgemeinheiten: alles unreine, unehrliche, schlechte soll aufs äußerste bekämpft werden.«131 Nach dem Fest wurde er an der Jenenser Universität aktiver Turner und geriet unter den Einfluss von Wilhelm Leberecht de Wette, einem Theologen, der Jakob Friedrich Fries als seinen Mentor betrachtete. Während seiner Zeit in Jena wurde Sand außerdem ein enger Freund von Karl Follen, einer der denkwürdigsten in die Studentenbewegung verwickelten Persönlichkeiten. Follen war ein charismatischer junger Intellektueller mit ungeheurem Einfluss auf die Radikalen unter den Studenten. Er behauptete, dass im Kampf um die Verwirklichung einer echten republikani-
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schen Demokratie jede Tat gerechtfertigt sei, einschließlich Mord.132 Das ganze Jahr 1818 hindurch veranstalteten Sand und einige seiner Freunde Akte der Selbstaufopferung für die liberale und nationale Sache. Die Burschenschaftsbewegung in Jena »begann täglich darüber zu diskutieren, wer um der Freiheit willen ›abgemurkst‹ werden sollte«. Natürlich war Metternich in diesen Kreisen der Hauptfeind, aber wegen seiner hohen Stellung war er schwer zu ermorden.133 Sand suchte sich als sein Ziel August von Kotzebue aus, der unter den patriotischen Studenten allgemein verhasst war. Die Radikalen in der Studentenschaft sahen in Kotzebue einen Feind der Demokratie, der deutschen Einheit und des tugendhaften häuslichen Lebens, nach dem sie strebten, verdächtigten ihn, ein russischer Agent zu sein, und hatten auf dem Wartenberg eines seiner Bücher verbrannt. August von Kotzebue war im Jahr 1819 57 Jahre alt und wohnte mit seiner zweiten Frau und dem gemeinsamen Kind in Mannheim. Er war seit Jahrzehnten ein überaus produktiver Dramatiker, Herausgeber und Romancier, dessen Werke oft übersetzt und aufgeführt wurden. Er kannte das Theater von innen, weil er auch als Schauspieler und Regisseur gearbeitet hatte.134 Der Hass der Radikalen auf Kotzebue speiste sich aus mehreren Quellen. Zum einen gehörten seine sympathischen und sexuell erfahrenen weiblichen Figuren genau zu der Sorte Frauen, welche die Radikalen verachteten. Seine Stücke zeigen oft Frauen, die gegen bürgerliche Sexualnormen verstoßen und für ihre Freiheiten leiden. Aber am Ende erlangen sie gewöhnlich Vergebung und tragen sogar den Sieg davon. Wie ihr Mentor Johann Gottlieb Fichte, der sich für die Verbannung von Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft aussprach, hassten viele Radikale weibliche Intellektuelle und die sexualisierte aristokratische Subkultur des Ancien Régime. Viele hatten kein Verständnis für die Emanzipation der Juden und fanden Kotzebues Unterstützung für diese Sache problematisch. Nachdem Saul Ascher eine Kritik am Wartburgfest veröffentlicht hatte, erschien Kotzebues Beistand für Ascher im Druck.135 Zum anderen ärgerte Kotzebues Beliebtheit bei Hofe die Radikalen. Während der Jahre, die er in Berlin lebte, ganz zu Anfang des neuen Jahrhunderts, als er Anfang 40 war, hatte Kotzebue eine »eigentümliche und unbehagliche Stellung« in der Gelehrtenrepublik.136 Die königliche Familie in Preußen schwärmte ebenso für ihn wie die Öffentlichkeit, und sogar Zeitgenossen hielten ihn für ein Phänomen, weil Reich und Arm in Scharen herbeiströmten, um seine Stücke zu sehen. Es war weithin bekannt, dass
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Kotzebue in Diensten der Fürstenhöfe von Wien und Sankt Petersburg stand, obwohl nur wenige wussten, worin genau seine Gegenleistung für die Zahlungen bestand. Seine Publikationen während der Befreiungskriege zeigten, dass Kotzebue, obwohl er gegen Napoleon war, ziemlich weit rechts außen stand, denn er verteidigte öffentlich die Höfe des Ancien Régime und griff die radikalen Studenten ebenso an wie die Turner. Er beklagte, dass deren Werte und Gewohnheiten »unvereinbar mit seinen eigenen, tief verwurzelten sittlichen Maßstäben von Ordnung, Toleranz und Demut« seien.137 Kurz, Kotzebue war eine ideale Zielscheibe für Sands leidenschaftlichen Widerstand gegen die zeitgenössischen Realitäten von 1819.
Abb. 11. Die Enthauptung von Karl Ludwig Sand. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Am 23. März fand Karl Ludwig Sand am frühen Abend den Weg zu Kotzebues Tür. Sobald er in seinem Wohnzimmer war, stieß er Kotzebue seinen Dolch zweimal in die Brust, während er schrie: »Hier, Du Verräter des Vaterlandes«!138 Nachdem Kotzebue seinen Verletzungen erlegen war, versuchte Sand sich selbst zu töten, aber es gelang ihm nicht. Er fand sich bald im Gefängnis wieder, wo er wegen seiner Verletzungen operiert wurde. Man genehmigte ihm auch Bücher und hin und wieder einen Besucher. Die Er-
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mordung Kotzebues durch Sand löste eine gewaltige Krise unter den Anhängern des Letzteren aus und schied die Liberalen von den Radikalen. Als Wilhelm von Humboldt von dem Attentat erfuhr, kam er zu dem Schluss, dass eine Verfassung nun unmöglich sei.139 Weil Regierungsbeamte glaubten, bei dem Kotzebue-Mord handele es sich um eine Verschwörung, verhafteten sie Dutzende von Burschenschaftlern, und ihr Mentor Fries verlor seinen Lehrstuhl. Follen versuchte Radikale unter den Studenten zu organisieren, damit sie ins Gefängnis marschierten und Sand befreiten, aber sein Aufruf stieß auf taube Ohren. Am 10. Mai 1819 wurde Sand in Mannheim enthauptet. Sein Tod war für den frühen Morgen angesetzt, weil die Polizei hoffte, so öffentlichen Sympathiebekundungen vorzubeugen. Aber die Nachricht machte schnell die Runde, und eine teilnahmsvolle Menge strömte zusammen. Wer sich für Sands Ruf und für seine Tat begeisterte, »schnappte sich blutbefleckte Stücke von dem Gerüst, um sie als Reliquien zu behalten«.140 Der Henker selbst sympathisierte mit Sands Sache und nahm die Reste des Gerüsts mit nach Hause, wo er in seinem Garten eine Gedenkhütte daraus errichtete, in der sich in den kommenden Jahrzehnten regelmäßig Mitglieder der Heidelberger Burschenschaft trafen. Die Diskussion über Sands Tat und ihre Folgen dauert bis zum heutigen Tag an. Noch in einem Buch aus den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts lesen wir, dass Sand mit seinem Dolch »Gerechtigkeit« an Kotzebue geübt habe.141 Der gesamte Vorfall machte die Regierungen überempfindlich, was sozialen Aufruhr betraf, mit gutem Grund. Die preußische und die österreichische Polizei verfolgten die radikalen Studenten, man »konfiszierte Bücher und Zeitungen, nahm Verhaftungen vor und führte geheime Untersuchungen durch«.142 In jenem Juli versuchte ein anderer wütender Patriot, der junge Idsteiner Apotheker Karl Löning, in Bad Schwalbach den nassauischen Regierungspräsidenten Karl Ibell zu ermorden, scheiterte aber. Sobald er in Wiesbaden im Gefängnis saß, beging er Selbstmord, indem er Glassplitter schluckte.143 Über die verzweifelten Proteste vonseiten der radikalen Studenten hinaus begannen obendrein auch Handwerker lauthals über steigende Lebensmittelpreise zu klagen. Drei Missernten in drei aufeinander folgenden Jahren seit 1816 trieben den Brotpreis in die Höhe, und die Lebensmittelknappheit kam just zu einem Zeitpunkt, wo die Arbeitslosigkeit unter den Handwerkern in den Städten bereits hoch war. Die Ursache war ironischerweise das Ende des Napoleonischen Systems. Die Kontinentalsperre Napoleons war ein großartiger Segen für Deutschlands Handwerker gewesen, weil das Aus-
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bleiben britischer Baumwollexporte den einheimischen Webern geholfen hatte, ihr Tuch zu guten Preisen zu verkaufen. Aber nachdem die Befreiungskriege vorüber waren, überschwemmten englische Stoffe die deutschen Märkte und brachten Tausende von Handwerkern um Lohn und Brot. Die verarmten Handwerker wendeten ihren Zorn gegen die Juden und verübelten den Rothschilds und anderen jüdischen Finanziers die Gewinne, die sie mit der Ausrüstung von Armeen, dem Schmuggel britischer Waren und dem Geldverleih an verschiedene Regierungen erzielt hatten. Während der langen Kriegsjahre brauchte man für den zwischenstaatlichen Geldtransfer, den Austausch von Zahlungsmitteln und um den Reichen zu helfen, ihre Vermögenswerte in Sicherheit zu bringen, Kaufleute, die hohe Risiken tragen konnten. Gewiss sabotierten die Rothschilds und die Mendelssohns das französische System, als sie britische Waren auf den Kontinent schmuggelten, aber sie machten Vermögen zu einer Zeit, als die meisten Deutschen Not litten. Feindseligen Beobachtern mag die Geschichte der Münzpächter und Münzmillionäre des vorangegangenen Jahrhunderts durchaus bekannt gewesen sein. Es ist gut möglich, dass diejenigen, die jüdischen Finanziers die Schuld an ihren Leiden gaben, nur noch wütender wurden, wenn sie davon überzeugt waren, dass die Emanzipation der Juden mit Kriegsgewinnen erkauft worden war. Im Jahr 1815 hatten Gerüchte die Runde gemacht, dass die Rothschilds Friedrich von Gentz und andere Befürworter der jüdischen Emanzipation bezahlten, damit sie während des Wiener Kongresses die jüdische Sache vertraten. Wir wissen, dass es einigen jüdischen Kaufleuten unter den unsicheren wirtschaftlichen Bedingungen der Zeit sehr schlecht ging, aber die schlichte Logik war, dass ein paar Juden reicher wurden, während die Handwerker ärmer wurden. Wir erleben hier die allerersten Anfänge des fließenden Übergangs zwischen antikapitalistischen und antisemitischen Stimmungen, einer Verschmelzung, die tragische Nachklänge in der Zukunft bis hin zur NS-Zeit hatte. In jenem August kam die ganze aufgestaute Wut in den sogenannten Hep-Hep-Unruhen zum Ausdruck, die in Städten in ganz Süddeutschland ausbrachen. Manche behaupten, der Ausdruck »Hep-Hep« leite sich von einer lateinischen Redensart ab, die zum ersten Mal während der Kreuzzüge benutzt worden sei (Hep als Abkürzung für Hierosolyma est perdita; »Jerusalem ist verloren«). Eine andere Interpretation basiert darauf, dass Hep-Hep an den Laut erinnere, den Ziegen machen, und dass Juden wegen ihrer Bärte mit Ziegen in Verbindung gebracht wurden.144 Der erste Vorfall ereignete
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sich am 2. August in Würzburg. Anlass war die Rückkehr von Professor Joseph Behr, dem Vertreter der Universität beim ersten bayerischen Landtag, der im Februar 1819 seine Session in München begonnen hatte, nach Würzburg. Auf der jüngsten Sitzung hatte Professor Behr die Ausweitung der jüdischen Emanzipation in Bayern verteidigt, ein von Solomon Hirsch, einem prominenten Hofbankier König Maximilians I. Joseph von Bayern, eingebrachter Vorschlag. Hirsch wurde gehasst von denen, denen er Geld lieh, und unter seinen Schuldnern waren viele Studenten und andere Bürger.145 Die wütenden Randalierer schrien »Hep! Hep!«, während sie plündernd durch Würzburgs jüdische Viertel zogen. Bald schon waren die Hep-HepRufe in den Straßen von Bamberg, Frankfurt am Main, Darmstadt, Karlsruhe, Leipzig, Dresden und Heidelberg zu hören. Auch dänische Städte waren in jenem August Schauplatz von Ausschreitungen in den jüdischen Vierteln. Oft flüchteten die Juden aus der Stadt und lebten in einiger Entfernung in Zelten, aber selbst Flucht konnte sich als gefährlich erweisen. Ende September waren die Landstraßen des Großherzogtums Baden noch immer voller jüdischer Familien, die Wochen zuvor aus ihren Häusern und Wohnungen geflüchtet waren. Wachen wurden auf den Straßen postiert, um Juden vor den »Beschimpfungen der Bauern« zu schützen.146 Unklar ist bis heute, ob es in jenem August und September irgendwelche Verluste an jüdischen Menschenleben gab.147 Preußen gehörte zu den Gebieten, wo die Hep-Hep-Stimmung fast gänzlich fehlte. Sicher, im Mai, zwei Monate bevor in Bayern die Randalierer auf die Straße gingen, hielt ein »königlicher Prinz« den zehnjährigen Felix Mendelssohn auf der Straße an, spuckte ihm auf die Füße und schrie: »Hep! Hep! Judenjunge!«148 Wir, die wir die Geschichte seiner Familie kennen, müssen dies besonders erschütternd finden, denn im Jahr 1819 war Felix bereits seit drei Jahren Christ. Aber als zwei Monate später in Süddeutschland die Unruhen ausbrachen, blieben die Straßen in Preußen ruhig. Mit den Worten Friedrich von Stägemanns: »Unsere Juden haben wenig hep hep gehört […]. Wenn die verwünschten sogenannten freien Städte nicht wären, würden wir (ohne die polnischen) in 50 Jahren keine Juden mehr in Deutschland haben.«149 Dass den Juden in Berlin weniger Hass entgegenschlug, haben Historiker damit erklärt, dass die dortige Kaufmannsschicht nicht so stark von Juden beherrscht gewesen sei, wie es in süddeutschen Städten der Fall war. Zudem sei die Bewegung für Freihandel im urbanen Preußen weiter fortgeschritten gewesen als in den süddeutschen Staaten, und die Macht der Zünfte sei schon im Jahr 1808 durch die Stein-Hardenberg’schen Reformen end-
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gültig gebrochen worden. Unser intensiver Blick von innen auf Preußen hat gezeigt, dass es sich bei der allmählichen Zurücknahme des Edikts von 1812, der Unterdrückung der Reform und dem massiven Konversionsdruck um die praktische Verdrängung der Emanzipation handelte. Nichtsdestotrotz war Preußen im Vergleich durchaus ein moderner Staat, der zeitgenössischen Juden viel zu bieten hatte. Als die Ruhe wiederhergestellt war, wurden die August-Unruhen während der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts und später auch noch als Diskussionsthema »vorsichtig unterdrückt«. Manche Zeitgenossen spielten ihre Bedeutung herunter, indem sie behaupteten, nur »verachtenswerte Rüpel« seien beteiligt gewesen.150 Selbst innerhalb der jüdischen Welt herrschte weitgehend Schweigen, zumindest insoweit es Historiker aus der Lektüre damaliger Veröffentlichungen ermessen können. Zeitgenössische jüdische Zeitschriften, wie Sulamith und Jedidja, mieden das Thema ganz. Anscheinend fürchteten die Herausgeber, dass solche Diskussionen der Zuneigung ihrer Glaubengenossen zu ihren christlichen Mitbürgern abträglich sein könnten.151 Ihr Schweigen macht es uns heute schwer, zu verstehen, warum ortsansässige Christen sich im August 1819 gegen Juden zusammenrotteten. Eine Analyse stammt aus der Feder von Ludwig Börne, dessen Betrachtungsweise damals ganz und gar umstritten war und es heute noch ist. Er verurteilte die Unruhen klar und deutlich, aber er versuchte auch zu verstehen, warum so viele zornige Christen in jenem August gegen ihre jüdischen Nachbarn wüteten. Er behauptete, die Ausschreitungen seien ein Protest gegen die führenden jüdischen Handelsbankiers und die konservativen Fürsten, denen sie manchmal dienten, gewesen.152 Wie sein ihm so ähnlicher Glaubensgenosse Heinrich Heine verabscheute Börne die Familie Rothschild aufrichtig. Andere Zeitgenossen konzentrierten sich auf die ideologische Kampagne gegen die Emanzipation. Rahel gab den nationalistischen Intellektuellen und ihren Pamphleten und Theaterstücken die Schuld. Sie berichtete ihrem Bruder Ludwig im September in einem Brief von den Unruhen, nachdem sie den Sommer in Karlsruhe, einem Schauplatz schweren Aufruhrs, verbracht hatte. In Karlsruhe waren sowohl an den Mauern der Synagogen als auch am Bankhaus eines ortsansässigen jüdischen Finanziers Plakate angebracht worden, auf denen die Vernichtung der Juden gefordert wurde.153 In ihrem Brief behauptet Rahel, dass die Ausbrüche sie nicht überrascht hätten. Sie deutet sie als eine Verschiebung des Protests weg von den verhassten »Regimen«. Mit ihren Worten: »Seit 3 Jahren sag’ ich: die Juden werden gestürmt werden … Dies ist der deutsche Empöhrungs Muth.« Ihrer Ansicht nach hatten
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frühere Generationen von Christen Juden »als Untergeordnete Wesen hassen, verachten und verfolgen« dürfen, aber »einige Weise Fürsten Deutschlands, und lange Zeit … hatten dieser Ausrede ein Ende gemacht«. Hier dachte sie gewiss an König Friedrich II. und daran, dass sie sich in ihrer eigenen Kindheit besonders mit ihm verbunden gefühlt hatte. Weiter schob Rahel die Schuld an den Unruhen auf die »gleißnerische Neuliebe zur Kristlichen Religion«. Dieses neue Christentum stachele das Volk auf »zu dem einzigen Gräuel zu dem es sich … aufhezen lässt! Judensturm.« Sie nahm sich viele andere vor, um sie zu bezichtigen, die Ausschreitungen verursacht zu haben: »Die Professoren Fr:[ries] und Rü:[hs], und wie sie heißen. Arn:[im], Brent:[ano], unser Verkehr; und noch höhere Personen mit Vorurtheil.« Mit »unser Verkehr« meinte sie sicherlich Sessas Theatersatire.154 Neben der von Rahel betonten feindseligen Rhetorik müssen wir auch die Reaktion auf die Veränderung der jüdischen Lebensumstände zum Besseren infolge der wenn auch minimalen Emanzipation berücksichtigen. Eine neuere Analyse verweist auf die Feindseligkeit, die geweckt wurde, als Juden zunehmend »an Orten wohnen durften, die ihnen zuvor verboten waren, weil sie in Berufe vorgedrungen waren, die ihnen früher verschlossen waren«. Alles in allem erzeugten die radikalen Veränderungen, die sich aus der Emanzipation ergaben, »Bitterkeit« bei den »Bürger[n]«. »Die Protestbewegung fand [in jenem Sommer 1819] in intellektuellen Kreisen Unterstützung, während ihre Anklagen die Massen zu Haß und Zerstörung anstachelten. Deshalb kam es zu Gewalttaten.«155 Sollten Studenten sich in großer Zahl an den Unruhen beteiligt haben, so würde dies für den stärkeren Einfluss nationalistischer Intellektueller sprechen. Studenten pflegten zu lesen, was Fries und Rühs veröffentlichten, und auf Treffen von Burschenschaften oder Turnvereinen über deren Ansichten zu diskutieren. Doch der Studentenanteil unter den Randalierern im Sommer 1819 ist strittig. Forscher stoßen auf erhebliche Unterschiede zwischen den Städten, in denen es zu Unruhen kam. In Würzburg beispielsweise machten Studenten tatsächlich bei den Angriffen mit. Aber im Gegensatz dazu riefen in Heidelberg 200 Studenten, »bewaffnet mit Degen und Säbeln, die Menge unter Führung von zwei Professoren wieder zur Ordnung«.156 Wir verabschieden uns vom Jahr 1819 mit einem Blick auf einen zeitgenössischen Holzschnitt von den Hep-Hep-Unruhen in Frankfurt am Main. Hier sehen wir zwei muskulöse Frauen, eine mit einem Reisigbesen, die andere mit einer Heugabel. Sie passen gut zu unserer Geschichte. Es sind wütende Frauen aus dem Volk, deren Ehemänner Handwerker oder Ladenbe-
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sitzer waren oder im verarbeitenden Gewerbe tätig waren. Aber der Angreifer rechts kommt offensichtlich aus einer vollkommen anderen sozialen Schicht. Er könnte ein extrem gut gekleideter Student sein, ein Regierungsbeamter, vielleicht ein feiner adeliger Grundbesitzer. Seine Anwesenheit auf dem Bild belegt eindeutig, dass bei den Unruhen von 1819 Reich und Arm gleichermaßen gegen die Juden vorgingen. Das Opfer des Herrn aus vornehmem Hause könnten wir als jüdischen Elegant bezeichnen, der auch in anderen Karikaturen der Zeit auftaucht. Die Satire ist komisch und grausam, weil sein Körper unter der Kleidung hervor schreit: »Ich passe nicht hier hinein!« Dass er die finanziellen Mittel und den guten Geschmack besitzt, seinen Körper in vornehme Kleider zu hüllen, gilt als heikel und irgendwie anstößig. Aber einzelne Geschichten erinnern uns ständig daran, dass das Alltagsleben für Einzelne nicht immer so hart war, wie satirische Darstellungen vielleicht suggerieren. Julius Jolson war in dem Sommer der Unruhen 18 Jahre alt, und eines Abends in jenem August ging er in Erlangen in ein Wirtshaus, um etwas zu essen.157 Er stammte aus München, war Absolvent des Gymnasiums und in der patriotischen Studentenpolitik aktiv. Jolson war gerade in Erlangen eingetroffen, um dort sein Hochschulstudium zu beginnen. Anscheinend bekamen die Studenten in der Kneipe heraus, dass er vorhatte, Lutheraner zu werden. Sie machten sich daraufhin laut über seine Absichten lustig, und er »bedachte, wie er am Vorabend seiner Taufe diese Irrung austragen könnte«.158 Ihr Spott ist beunruhigend, denn von unserer Warte aus hätten sie seine Konversion als die Preisgabe der ethnischen Abschottung verstehen sollen, einen Entschluss, sich in religiöser wie politischer Hinsicht zum Deutschen zu machen. Jolsons Würde wurde durch ein zufälliges Ereignis gerettet, die Ankunft Hermanns von Rotenhan in dem Wirtshaus, eines begüterten jungen Adeligen, der ebenfalls im Begriff stand, ein Studium aufzunehmen. Jolson verspürte ein »eingeborene[s] Zusammengehörigkeitsgefühl« mit Rotenhan, etwas sagte ihm, dass er sich von dem adeligen Herrn »Schutz erhoffen durfte«. Und Rotenhan schritt tatsächlich »ritterlich« zu Jolsons Gunsten ein, und die Hänselei hatte bald ein Ende. Jolson und Rotenhan wurden enge Freunde, und kurz darauf wurde Jolson getauft. Später sollte aus ihm Friedrich Julius Stahl werden, ein konservativer Professor, Kirchenaktivist und erklärter Gegner der Anstellung nicht konvertierter Juden im Staatsdienst. Wir verabschieden uns nun von Jolson und dem turbulenten zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts und wenden uns den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts zu, als die harmonische Modernisierung des Judentums zum Stillstand kam.
6 Das »Entréebillet zur europäischen Kultur«, 1820–1833
»Berlin … enchantirt [mich nicht]«, 1820–1821 Der Sommer 1819 war nach vier zufriedenen Jahren in Karlsruhe, der Hauptstadt des süddeutschen Staates Baden, auch für Rahel und Karl eine unruhige Zeit.1 Karl regte sich über die Zwänge seiner offiziellen Position als Vertre ter Preußens im Ausland auf, und Rahel war gekränkt, dass die Hofgesellschaft sie zurückwies. Baden war der Ausnahmefall eines deutschen Staates, der im Jahr 1818 eine Verfassung erhalten hatte, aber Karls radikale politische Ansichten wurden sowohl von Badens Großherzig Ludwig als auch von Karls Vorgesetzten im fernen Berlin als störend empfunden. Leider überspannte er den Bogen, und Ende Juli wurde er von seinem Posten abberufen. Seine republikanischen Schwärmereien waren König Friedrich Wilhelm III. seit Langem ein Dorn im Auge gewesen. Außerdem verlor sein Gönner, Staatskanzler Hardenberg, in Berlin rapide an Einfluss. Man bot Karl eine Stellung als preußischer Gesandter in den Vereinigten Staaten an, aber er lehnte ab, da Rahel gesundheitlich zu anfällig war, um derart aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen zu werden. Und so kehrte das Paar nach Berlin zurück. Während Karl wartete und auf Nachricht hoffte, dass ihm irgendwo in Deutschland eine neue Aufgabe zugewiesen würde, mieteten sie eine möblierte Wohnung in der Französischen Straße. Rahels Widerstreben gegen eine Rückkehr nach Berlin scheint recht vernünftig gewesen zu sein. Tatsächlich fand sie die gesellschaftliche Szene, die sie dort erwartete, enttäuschend. Ihrem alten Freund Gustav von Brinckmann schrieb sie: »Berlin … enchantirt [mich nicht] … Der Tod hat unter unsern Freunden, die Sie mir … wie unser ganzes Leben darstellen, gewühtet, vom Krieg unterstützt: an jeder Ecke in unserm Viertel, wo sonst Unsrige wohnten, sitzen Fremde.« Im weiteren Verlauf ihrer Klage stellte sie fest: »Die ganze Konstellation von Grazie, Koketterie, Neigung, Liebschaft, Witz, Eleganz, Kordialität, Drang die Ideen zu entwickeln, redlichem Ernst, unbefan-
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genem Aufsuchen und Zusammentreffen, launigem Scherz, ist zerstiebt.«2 Es stimmt, dass im Berlin der frühen Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts »Koketterie« und »Liebschaft[en]« verschmäht wurden zugunsten von Schlichtheit, Häuslichkeit und familiärer Vertrautheit. Wir sind in der Epoche angelangt, die mittlerweile als die Zeit des Biedermeier bezeichnet wird. Herr Biedermeier, auf den der Begriff zurückgeht, war eine Karikatur aus einer Kolumne in einer humoristischen Wochenschrift mit dem Titel Fliegende Blätter. In späteren Jahren war er eine Zielscheibe der Satire, aber in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts wurden seine Wertvorstellungen idealisiert und bewundert.3 Welchen Wert die Zeitgenossen auf heimelige Erlebnisse inmitten vertrauter Menschen legten, spiegelte sich in ihren Inneneinrichtungen wider, die für Gemütlichkeit und Freundschaft und nicht für die großartige Schau gedacht waren. Zum Wohnzimmer gehörten üblicherweise ein Sofa und bequeme Stühle, umgeben von Tischchen, auf denen Nähzeug, ein Vogelkäfig oder eine Pflanze stand. Das Klavier war unverzichtbar, als Quelle von Vergnügen und Geselligkeit ebenso wie als Symbol für Kultiviertheit. Wie die starke Zunahme von Klavieren beweist, ermöglichten der Frieden und der Wohlstand jener Jahre es mehr Deutschen, die über ausreichende finanzielle Mittel, Muße und Bildung verfügten, die schönen Künste in den eigenen vier Wänden zu pflegen. So sehr begeisterten sich die Zeitgenossen für Bildung, dass sie das Wort häufig benutzten, um Menschen und Erlebnisse zu beschreiben. Der Begriff »Bildungsbürger« bezeichnete in dieser Epoche und später solche Menschen, die Bildung wollten und erwarben. In den letzten Jahrzehnten der Epoche des Ancien Régime hatte ein kleiner Kreis glücklicher Frauen ihre schwer erkämpfte Bildung in Salons zur Schau gestellt. Das Besondere an den Salons war, dass sie in Privathäusern und -wohnungen stattfanden, der breiteren Öffentlichkeit aber bekannt waren. Jetzt, wo die Jahre von Besatzung und Krieg endlich vorüber waren, hatte in Berlin das gesellschaftliche Leben nach Art der Salons wieder begonnen. Beobachter waren sogar überzeugt davon, dass die Zahl der Blaustrümpfe, die den Ehrgeiz besaßen, einen Salon auszurichten, bis zu den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts stark gestiegen war.4 Einige Historiker behaupten, dass zu dieser Zeit Salons im engen Freundes- und Verwandtenkreis in ganz Deutschland gang und gäbe gewesen seien.5 Gerade weil immer breitere Kreise von Berlinern über das Geld, die Zeit und die Fähigkeiten verfügten, um in Salons zu plaudern, ins Theater zu gehen, Bücher und Zeitschriften zu lesen, Museen zu besuchen, Musik zu hören und selber zu musizieren, wurde
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es immer schwerer, die Hochkultur auf Menschen aus vornehmem Hause zu beschränken. Überdies waren Salons nicht mehr, wie noch vor einem halben Jahrhundert, die einzigen kulturellen Einrichtungen. Jetzt boten Zeitungen, Museen, Theater, Kaffeehäuser und die neue Berliner Universität den Gebildeten öffentliche Spielräume. Leider boten nur wenige dieser neuen Spielräume Frauen Führungspositionen. Die Salons blieben eine einzigartige Entfaltungsmöglichkeit für Frauen, aber die Definition dessen, was genau ein Salon denn nun war und was nicht, ließ den Zeitgenossen keine Ruhe. Beobachter spotteten über die hochtrabende Art von Gastgeberinnen, die glaubten, sie würden »einen Salon betreiben«, wo sie in Wirklichkeit »bloß ein Restaurant führten«.6 Wir müssen hier alle möglichen Spielarten des gesellschaftlichen Lebens erkunden. Unterscheiden können wir auf jeden Fall zwischen verschiedenen Formen der Gästebewirtung, je nachdem, ob Einladungen ausgesprochen wurden, ob eine Frau die Gastgeberin war, wie viele oder was für Besucher eigentlich kamen oder wie intellektuell die Gespräche waren. Aber wir vermeiden hier solche Kategorien und verwenden das Wort Salon umgangssprachlich, um einen Überblick über die breite Palette des zeitgenössischen gesellschaftlichen Lebens in Berlin zu geben. Wenn Intellektuelle sich privat trafen, sprachen sie manchmal über gewichtige Themen, und manchmal lachten sie, klatschten und waren albern. Manche Zusammenkünfte waren formell, ein andermal erschienen Freunde bei derselben Gastgeberin, ohne dass etwas groß geplant worden wäre. Wir brauchen ein weites Panorama der Vergangenheit, damit wir genau erfassen können, was sich im Laufe der Zeit veränderte.7 Nach dem Wiener Kongress spielten jüdische Frauen weniger oft eine herausragende Rolle als Salonnières, wie Fanny Lewald schmerzhaft erfahren musste. Fanny war im Jahr 1811 in Königsberg als Tochter einer vermögenden jüdischen Kaufmannsfamilie zur Welt gekommen, und sie war gescheit, wohlerzogen, empfindsam, talentiert und ehrgeizig. Aber als sie in ihren Zwanzigern war und als einzige Tochter ihrer Eltern, von diesen streng behütet, noch immer im elterlichen Hause wohnte, war sie furchtbar unglücklich. Fannys Vater David Marcus hatte eine komplizierte Einstellung zur Taufe. Er fürchtete, seine traditionellen jüdischen Geschäftspartner in Ostpreußen vor den Kopf zu stoßen, wenn er selbst konvertierte, aber für die jüngere Generation befürworteten er und seine Frau Zipora die Konversion. Folglich willigten die Eltern ein, dass Fanny und ihre Brüder konvertieren könnten, sobald sie im jugendlichen Alter wären. Nach Jahren des Kampfes gegen ihren
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Vater, der überzeugt davon war, seine Familie würde gedemütigt, wenn seine Tochter eine veröffentlichte Romanautorin wurde, fing Fanny tatsächlich an, sich ihren Lebensunterhalt mit der Feder zu verdienen. Im Jahr 1845, als sie 34 war, zog sie schließlich nach Berlin. Ihr Cousin August unterstützte ihre Schriftstellerei, und mit der Zeit wurde sie eine anerkannte, produktive und populäre Autorin von Romanen und politischen Aufsätzen.8 Fannys Heldin war Rahel Levin Varnhagen, und selbst nachdem sie angefangen hatte, ihren eigenen Salon auszurichten, beneidete sie Rahels Kreis während der Jahre des Ancien Régime. In ihrem 1859 erschienenen Roman Prinz Louis Ferdinand rekonstruierte Lewald die Atmosphäre von Rahels erstem Salon, inklusive ausgedachter Wortwechsel zwischen Rahel und Dorothea Veit Schlegel zum Thema Konversion.9 Was Fanny Lewald instinktiv wusste, war, dass SalonGastgeberinnen in den Jahren des Biedermeier immer öfter aus privilegierten Adelsfamilien stammten. Das Verhältnis Juden – Adelige unter den SalonGastgeberinnen hatte sich inzwischen umgekehrt. In den Jahren des Ancien Régime waren neun der 16 Zusammenkünfte, die sich Salons nannten, von Frauen ausgerichtet worden, die entweder Jüdinnen oder jüdischer Herkunft waren.10 Jetzt, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts, waren zwölf der 16 Frauen, die Salons ausrichteten, Adelige, darunter eine Prinzessin und zwei Gräfinnen.11 Trotzdem wäre es ein Fehler, diese Veränderung ausschließlich dem Kastenprivileg zuzuschreiben, so wichtig die Kaste auch war. Denn immerhin beherbergte Berlin inzwischen eine Reihe adeliger Salonnières, die außerordentlich versiert und charismatisch waren. Die bekannteste war Elisabeth von Stägemann, deren Gemahl Friedrich zur Tischgesellschaft gehörte und ein ironischer Beobachter des Streits zwischen Itzig und Arnim war.12 Im Jahr 1819 war Friedrich in den Adelsstand erhoben worden, und er war nun Herausgeber einer Regierungszeitung. Als glühender Liberaler war er empört, als Staatskanzler Hardenberg unter Metternichs repressiver Politik nachzugeben begann. Elisabeth, jetzt 58, zeichnete sich ebenso durch natürliche Schönheit aus wie durch Kunstverständnis und eigene künstlerische Talente. Nach einer Scheidung in jungen Jahren hatte sie ihren eigenen Salon ausgerichtet, und als sie im Jahr 1796 Friedrich heiratete, setzten die beiden, angeregt durch die Begabungen der beiden Töchter Elisabeths, die Tradition fort. Antoinette war eine begnadete Pianistin, und Hedwig veröffentlichte schon als junge Frau Gedichte. Hedwig würde später Ignaz von Olfers heiraten, den Direktor des Königlichen Museums in Berlin. Als Elisabeth gegen Ende der Zwanzigerjahre erkrankte, fungierte Hedwig als Gastgeberin des Stägemann’schen Salons, und später
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sollten sie und Ignaz selber einen wichtigen Salon ausrichten und damit die Familientradition fortsetzen. Jeden Freitag gaben die Stägemanns ihren jour fixe, an diesem Tag stand ihr Haus regelmäßig prominenten adeligen Berlinern offen, die kamen, um beim Kartenspiel zu plaudern, gemeinsam zu musizieren oder laut Romane vorzulesen und Gedichte zu rezitieren. Mehrere bedeutende Persönlichkeiten in unserer Geschichte waren Stammgäste, darunter Staatskanzler Hardenberg, die beiden Humboldt-Brüder, Achim von Arnim, seine Frau Bettina und ihr Bruder Clemens Brentano. Dies war ein renommierter Salon, und Juden wie ehemalige Juden müssen eifrig bemüht gewesen sein, sich dort wohl zu fühlen. Zu den Glücklichen gehörten Regina Frohberg, David Koreff, Jakob Herz Beer, Eduard Gans, Julius Eduard Hitzig und Rahel Varnhagen. Koreff dürfte hocherfreut gewesen sein, dass die Unterhaltung bei den Stägemanns sich häufig seinen Obsessionen wie Mesmerismus, Medien und Magnetismus zuwendete. Koreff war auch ein häufiger Gast im Salon von Henriette von Crayen, einer schönen adeligen Französin, deren Besucher auf Französisch plauderten.13 Ein Porträt Henriettes von 1783 zeigt eine selbstbewusste Frau, die Perlen, Satin und Pelz trägt. In den Zwanzigerjahren war Madame von Crayen über 60, hatte aber dennoch Freude an ihren Vergnügungen. Einige ihrer Gewohnheiten waren ausgesprochen gewagt für das spießige Berlin. So sammelte sie ihre Liebesbriefe in einem musée d’amour und genoss es, an ihren Salon-Abenden ausgewählte Abschnitte daraus laut vorzulesen. Henriette hatte viele Freundinnen bei Hofe, und mehrere preußische Prinzessinnen waren häufige Gäste. Ihre politischen Ansichten waren extrem konservativ, und Karl von Varnhagen ging in seinen Erinnerungen so weit, sie zu beschuldigen, eine bezahlte Spionin des konservativen Innenministers Friedrich von Schuckmann gewesen zu sein. Eine weitere bemerkenswerte adelige Salonnière war Elise von Hohenhausen, die 1820 im Alter von 31 Jahren nach Berlin zog.14 Welche faszinierenden Rollenwechsel wir in ihrem Leben sehen! Mit ihren zahlreichen Arbeiten als Übersetzerin und Journalistin ernährte Elise ihren Mann und die drei Kinder. Ihr Gatte Leopold, ebenfalls Autor, verbrachte derweil seine Tage in der Konditorei Stehely am Gendarmenmarkt, wo er faul herumsaß und seine Freunde löcherte, ihm zu helfen, eine Stelle in der Regierung zu ergattern – ein Ziel, das er nie erreichte.15 Einmal wandte Leopold sich an den Freund seiner Frau, Professor Koreff, um Hilfe bei der Suche nach geeigneter Beschäftigung. Die adelige Ehefrau ernährte also die Familie mit ihren
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literarischen Arbeiten, während der adelige Ehemann sich an den konvertierten Professor um Hilfe wandte, um sich eine Stelle an Land zu ziehen. Die Zeiten hatten sich offenbar geändert, und jüdische Frauen sahen sich nun starker Konkurrenz durch solche feinsinnigen adeligen Salon-Gastgeberinnen ausgesetzt. Auch die größeren Veränderungen in der öffentlichen Meinung spielten eine Rolle, und als die jüdische Emanzipation sowohl realer als auch umstrittener wurde, mögen diejenigen, die darauf setzten, einen Abend in Gesellschaft zu verbringen, durchaus die adeligen Häuser vorgezogen haben. Außerdem wohnten viele der ehemaligen jüdischen Salonnières entweder nicht mehr in Berlin oder waren nicht mehr in der Lage, Gäste stilvoll zu empfangen. Henriette Herz war nach zwei Jahren in Wien und Rom 1819 nach Berlin zurückgekehrt und jetzt Protestantin. Aber dieser Wechsel der Religionszugehörigkeit verbesserte ihr recht eingeschränktes gesellschaftliches Leben nicht sonderlich. Sie blieb zu arm, um ein gastliches Haus in dem Stil zu führen, den sie genossen hatte, als ihr Mann noch lebte, obwohl sie durchaus gelegentlich bescheidenere Ereignisse ausrichtete, die Zeitgenossen als Teegesellschaften bezeichneten.16 Fanny Lewald, die so gern eine Salonnière sein wollte, besuchte Henriette bei ihrem ersten Aufenthalt in Berlin im Jahr 1832 in ihrer spärlich möblierten Wohnung und fand, dass sie eine zutiefst beeindruckende Persönlichkeit war. Lewald erinnerte sich später, wie Herz unter einem Porträt von sich als Dreizehnjährige saß, »unwillkürlich meinte man auf dem Antlitz der Greisin den Widerschein vergangner Tage erblicken zu können«.17 Jetzt fühlte Henriette sich in Berlins renommierteren Salons nicht mehr wohl. Natürlich hatte ihre Zurückgezogenheit nichts mit Loyalität gegenüber den Juden oder dem Judentum zu tun. Nach ihrer Konversion äußerte sie sich sogar ziemlich spöttisch über die »unglücklichen aufgeklärten Juden«.18 Die zwei Meyer-Schwestern, Sophie und Marianne, lebten beide seit Jahren nicht mehr in Berlin. Wie wir uns erinnern, waren beide im Jahr 1788 konvertiert, als Sophie 25 und Marianne 18 Jahre alt war, dann aber von ihren Eltern gezwungen worden, zum Judentum zurückzukehren. Sophie, nun Witwe, reiste in den nächsten Jahren viel, oft in die böhmischen Kurorte, wo sie sich mit Goethe anfreundete, der sie in ihren geistigen Aktivitäten bestärkte. Leider sind nur wenige ihrer Schriften erhalten. Neun Jahre später, im Jahr 1797, bekannten Sophie und Marianne sich beide erneut zu ihrer christlichen Identität, und Sophie, damals 34, heiratete Baron Dietrich von Grotthuß. Das Paar wohnte in Berlin und führte einen sehr exklusiven Salon, zu dessen Gästen mehrere Prinzen zählten. Aber im Jahr 1806 verlor der
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Baron sein gesamtes Vermögen, und sie zogen in die Kleinstadt Oranienburg, wo er der Leiter der örtlichen Poststelle wurde. Marianne, die in demselben Jahr, in dem ihre Schwester den Baron heiratete, einen Grafen geheiratet hatte, entfremdete sich unterdessen ihrem adeligen Gemahl, durfte aber den Titel Frau von Eybenberg benutzen. Sie zog nach Wien, starb aber 15 Jahre später mit gerade einmal 42 Jahren. Ihre Memoiren sind leider verloren gegangen.19 Sophie überlebte ihre jüngere Schwester um 16 Jahre und starb 1828 im Alter von 63 Jahren. Wien war zu einem häufigen Reiseziel für andere jüdische Salondamen geworden, darunter die Itzig-Enkelinnen Marianne Saaling und ihre beiden Schwestern Julie und Rebecca, die ihre jungen Jahre in Berlin verbracht hatten.20 Marianne lebte seit Jahren in Wien bei ihrer Tante Fanny von Arnstein. Im Jahr 1815 wurde sie in Vorbereitung auf eine Ehe mit dem Marquis Marialva Katholikin, aber der Marquis starb vor der Hochzeit. Gerüchte machten die Runde, dass er es sich, was eine Ehe mit ihr betraf, in Wirklichkeit kurz vor seinem Tod anders überlegt habe. In den Zwanzigerjahren kehrte Marianne nach Berlin zurück und wohnte bei ihrer Schwester Julie. Ihre Erbschaft kam ihr gelegen, da sie sich ein neues soziales Betätigungsfeld als Philanthropin schuf, vor allem mit ihrer jährlichen Weihnachtsmesse, bei der große Summen für wohltätige Zwecke zusammenkamen. Dorothea Schlegel war nach zwei Jahren in Rom nach Wien zurückgekehrt. Nach Jahren der Qual und des Kampfes fühlte sie sich jetzt, während der Zwanzigerjahre, von einem Kreis katholischer Freunde geliebt, und Friedrich hatte endlich in einer Regierungslaufbahn Fuß gefasst. Mit ihren jüdischen Ursprüngen hatte Dorothea sich im Laufe der Zeit stärker ausgesöhnt. Kurz bevor Simon Veit im Jahr 1819 starb, schrieb sie ihm einen ergreifenden Brief und bat ihn um Vergebung für die Ungerechtigkeiten, die sie zur Zeit ihrer Trennung begangen habe.21 Sie hatte wieder ein engeres Verhältnis zu ihrer jüngeren Schwester Henriette, die nach Jahren in Wien jetzt in Paris lebte. Das religiöse Gelände war für die beiden Schwestern allerdings arg zerklüftet. Als Dorothea im Jahr 1803 Protestantin wurde und dann fünf Jahre später katholisch getauft wurde, entfremdete sich Henriette von ihrer Schwester. Doch im Jahr 1812 wurde auch Henriette katholisch getauft, um eine Stelle als Gouvernante für eine katholische Familie zu bekommen. Als ihr junger Schüler jedoch in Paris heiratete, stand Henriette auf einmal ziemlich allein da in der Welt, und im Jahr 1824 kehrte sie nach Berlin zurück, um bei Abraham und Lea zu wohnen.22 Während ihrer Pariser Jahre hatte Henriette ein reges gesellschaftliches Leben, aber sie richtete nie ihren eigenen Salon
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aus, und während der Zehnerjahre des 19. Jahrhunderts war sie selten in Berlin. Mehrere Jüdinnen, die damals in Berlin lebten, verfügten durchaus über die Bildung und Erfahrung, die sittlichen Maßstäbe und die Neigungen, die den Grund für erfolgreiche Salonkarrieren legten, richteten aber aus dem einen oder anderen Grund keine Salons aus. Beispielsweise war Lea Mendelssohn nach ihren Jahren in Paris und Hamburg seit 1811 wieder in Berlin. Allerdings wohnte sie mit Abraham und den vier Kindern in einer Mietwohnung, und ihre Jahre als großzügige Gastgeber lagen noch in der Zukunft. Eine andere Persönlichkeit aus den Jahren des Ancien Régime, Philippine Cohen, war nach dem Bankrott und der Abreise ihres Mannes aus Berlin jetzt zu arm, um einen Salon in großem Stil auszurichten.23 Und so fanden Rahel und Karl bei ihrer Rückkehr nach Berlin im Herbst 1819 eine stark veränderte gesellschaftliche Szene vor, und nur wenige jüdische Familien führten noch ein offenes Haus im alten Stil. Ein kleiner Salon wurde von Henriette Solmar ausgerichtet, einer entfernten Verwandten von Rahel, die ebenfalls Christin geworden war und ihren Namen geändert hatte. Ihr Leben lang unverheiratet, lebte sie bei ihrer Mutter, die über viele soziale Kontakte verfügte, und nachdem ihre Mutter gestorben war, zog Henriette zu ihrer verwitweten Schwester und ihrer Nichte. Solmar war eine begabte Sängerin und Pianistin und trat als Solokünstlerin in der Singakademie auf. Zu ihren Gästen gehörten mehrere der prominentesten adeligen Salondamen in Berlin, und sie erfreute sich einer herzlichen Freundschaft mit Rahel und Karl. Solmar war bei ihren Freunden bekannt dafür, bei ihren Salons spannende Gespräche anzuregen, ohne dominant zu erscheinen.24 Ein weiterer kleinerer jüdischer Salon wurde von dem gut situierten Kaufmann Philipp Veit und seiner Frau Caroline ausgerichtet, die an der Neuen Promenade wohnten. Sie nannten ihre regelmäßigen Zusammenkünfte die »Donnerstagabende«. Der Sohn der Veits, Moritz, in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts noch in jugendlichem Alter, würde später an der Berliner Universität seinen Doktor machen und Buchverkäufer und Reformaktivist in der jüdischen Gemeinde werden.25 Aber weder Henriette Solmar noch die Veits richteten großzügige Salons aus. Während der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts bewirteten eigentlich nur zwei der Frauen aus Rahels ursprünglichem Kreis weiter in großem Stil prominente Christen, Sara Levy und Amalie Beer. Keine von ihnen hatte ein inniges Verhältnis zu Rahel gehabt, als sie alle jünger gewesen waren, und das Schicksal hatte sie einander nicht nähergebracht. Beide waren, im Unter-
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schied zu Rahel, Erbinnen gewaltiger Vermögen. Außerdem setzten sich Sara und Amalie für die Modernisierung des Judentums ein statt Rahels Weg der radikalen Assimilation zu gehen. Es ist gut möglich, dass ihre Integration in elitäre christliche Kreise erleichtert wurde, weil die Leidenschaft beider Frauen der Musik galt, nicht Worten und Ideen. Weil die Musik eine universale Sprache war, konnte ein verräterischer Akzent oder ein grammatischer Fehler einen Komponisten, Dirigenten oder Pianisten nicht in Verlegenheit bringen. Im Jahr 1820, drei Jahre nachdem die Beers ihr Haus hergerichtet hatten, um Platz für die Tempelgottesdienste zu schaffen, zogen sie in eine große Villa in der Nähe des Tiergartens.26 Im Jahr 1817 hatten Staatsbeamte mit der Schließung ihres häuslichen Tempels gedroht, aber er blieb bis Dezember 1823 geöffnet. Die Beers erhielten eine bemerkenswerte Trennung zwischen ihren Tempelveranstaltungen am Samstagvormittag und ihrem Salon aufrecht, der einen vollkommen anderen Kreis anlockte. Im Salon scheint Amalie die führende Rolle gespielt zu haben. Ihr jüngster Sohn, Michael, der zu dieser Zeit an der Berliner Universität studierte, stellte fest, sein Vater sei bei gesellschaftlichen Anlässen gewöhnlich zurückhaltend und »sinniert gern in sein Glas hinein«.27 Michaels neuer Freund Harry Heine, der im März 1821 in Berlin auftauchte, um an der Universität zu studieren, war einer der sehr wenigen Gäste im Beer’schen Salon, der auch an den Gottesdiensten teilnahm. Andererseits scheint von den Hunderten Berliner Juden, die an dem einen oder anderen Samstagvormittag im Beer’schen Hause beteten, keiner die Salon-Zusammenkünfte besucht zu haben. Genau genommen gehörten die Beers zu den wenigen bei ihren Salon-Konzerten anwesenden Juden, die noch jüdischen Glaubens waren. Sie müssen sehr stolz darauf gewesen sein, dass fast ein Viertel der gut 50 Gäste, die regelmäßig zu ihren Salons kamen, von adeliger Geburt war.28 Staatskanzler Hardenberg war nach wie vor ein wöchentlicher Gast beim Abendessen, und Wilhelm und Caroline von Humboldt sowie verschiedene prominente Minister und Diplomaten kamen regelmäßig zu Besuch. Bei ihren musikalischen Salons boten die Beers auch vielen Pianisten, Dirigenten und Sängern und natürlich ihrem eigenen Wunderkind Giacomo Auftrittsmöglichkeiten. Die wenigen Gäste jüdischer Herkunft, die in den Beer’schen Salon kamen, waren fast alle getauft oder würden bald getauft werden. Einer dieser Gäste war Rahel selbst, und sie und Karl äußerten sich hinter Amalies Rücken außerordentlich boshaft über sie. Von sich selbst, »die oft bei Amalie Beer zu Gast war, […] schrieb Rahel Varnhagen nicht ohne Selbstironie: ›Ich
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amüsirte.‹«.29 Andere jüdische oder ehemals jüdische Gäste im Salon der Beers waren unter anderem Rahels Bruder Ludwig, David Koreff, Lea und Abraham Mendelssohn, Eduard Gans und Ignaz Moscheles, ein Pianist. Ein weiterer von Rahels gemeinen Kommentaren über die Beers lässt keinen Zweifel daran, dass sie Umgebungen vorzog, wo nur wenige andere jüdischer Herkunft anwesend waren. Einmal berichtete sie in einem Brief, dass sie einen Abend bei den Beers genossen habe, weil es diesmal »so gut und ungemischt dort« gewesen sei.30 Sie glaubte sich völlig zu Recht zu beschweren, als die Beers zu vielen ehemaligen Juden Zutritt gewährten, obwohl sie selbst durchaus von einigen für eine aus der Sippschaft gehalten worden sein mag. So wohl sie sich dabei fühlte, Amalie Beer zu beleidigen, so gekränkt konnte Rahel sein, wenn sie selber das Opfer des Hochmuts von jemand anderem wurde. Ein Vorfall aus dem Winter 1819, nur Monate nach ihrer Rückkehr nach Berlin, zeigt, wie sehr sie litt, wenn gesellschaftlicher Erfolg unerreichbar schien oder nur zu einem hohen emotionalen Preis zu haben war.31 Was Rahel in jenem Dezember so verdross, war, dass Karl, obwohl sie ihn ausdrücklich gebeten hatte, ihr eine Einladung zu den Stägemanns für Silvester zu beschaffen, alleine eingeladen wurde. Angesichts der Tatsache, dass Karl Elisabeth sehr bewunderte und Rahel und Elisabeth nie auf vertrautem Fuß gestanden hatten, können beide nicht völlig überrascht gewesen sein.32 Trotzdem war Rahel gekränkt und gab den »Ärger« zu, wenngleich sie sich mit der Feststellung tröstete, dass sie eben manchmal beleidigt sei, wenn sie nicht ihr »jetziges Leben nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wünschen derselben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr führte, einrichten« könne. Außerdem war Rahel wütend auf sich selbst, dass sie überhaupt aufgebracht war, denn die Stägemanns seien »Personen die ich sonst nicht hätte sehen wollen«. Sie verachtete jene, die sie beleidigten, litt aber dennoch unter deren Zurückweisung. Aber so schmerzlich solche Momente auch waren, so stellt sie in demselben Tagebuch-Eintrag, in dem sie über die Silvesterkränkung klagte, auch klar, dass es um mehr gehe als ihr persönliches Leid. Sie schrieb weiter, dass frühere Bekannte und sogar Freunde gerade dabei seien, ihre sittlichen Maßstäbe zu ändern. Sie klagte über die »große Vergiftung aller Einsicht und Aussicht«.33 Hier meinte sie sicherlich die Abneigung vieler national gesinnter Intellektueller gegen den romantischen, kosmopolitischen Lebensstil ihrer Clique während der Jahre des Ancien Régime. Sie kam zu dem Schluss, dass »tödlicher, namenloser Ärger« wegen des Besuchs bei den Stägemanns sie wahrscheinlich bald umbringen werde. Doch Überlebenskünstlerin, die sie war, fasste sie Mut, in-
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dem sie sich daran erinnerte, dass die Episode sie immerhin gelehrt habe, dass man auch solche Kränkungen wegstecken könne. Während Rahel und Karl sich gerade an ihren neuen Alltag in der Französischen Straße gewöhnten, reagierte ein Kreis jüdischer Hochschulstudenten auf die kürzlichen Hep-Hep-Unruhen mit einem Versprechen, das Judentum zu erneuern. Die Gründungsversammlung ihres Vereins fand ironischerweise am 6. November 1819 statt, einen Tag nachdem Friedrich Julius Stahl konvertiert war.34 Der Studentenkreis nannte die neue Unternehmung »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden«. Charismatischer Kopf der Gruppe war Eduard Gans, einer der Gäste im Beer’schen Salon. Gans war gerade erst nach Berlin heimgekehrt, nachdem er an der Heidelberger Universität seinen Doktor in Jurisprudenz gemacht hatte. Der äußerst begabte und ehrgeizige Eduard hatte einen erschütternden Lebensweg, der das Mitgefühl jedes heutigen Intellektuellen wecken muss, dem all die schrecklichen Entscheidungen erspart bleiben, mit denen Gans seinerzeit konfrontiert war. Seine Lebensgeschichte ist wichtig für uns, weil sein Schicksal von der heiklen Entscheidung abhing, ob er konvertieren sollte oder nicht. Gans erwies sich als ein hervorragender Student in Rechtsgeschichte und strebte eine Professur an. Einige Optimisten legten das Kleingedruckte des Edikts von 1812 so aus, dass ein Jude, der noch jüdischen Glaubens war, ohne Taufe eine akademische Laufbahn einschlagen könne. Aber es gab deutliche Lücken in diesem Gesetz, und Gans’ Geschichte veranschaulicht, wie leer die Versprechungen von 1812 ein Jahrzehnt später waren. Eine Taufe war eine beinahe todsichere Lösung des Problems, und die Versuchung, sich einer unechten Taufe zu unterziehen, deshalb enorm. Eduard war der Sohn wohlhabender und einflussreicher Eltern; sein Vater, Abraham, hatte Preußen schon im Jahr 1807 Geld geliehen. Während der Besatzungszeit hatte Abraham Vorräte an die französischen Truppen verkauft, aber im Jahr 1813, als Preußen anfing, sich zum Krieg zu rüsten, begann er die preußische Armee mit Pferden und Uniformen zu beliefern. Doch als er im Jahr 1813 plötzlich starb, ließ Abraham seine Frau und seine Kinder trotz all seinem Einfluss und seiner Bedeutung mit Schulden statt mit Vermögenswerten zurück. Überdies griff Friedrich Rühs ihn drei Jahre später in gedruckter Form an und bezichtigte ihn, ein Kriegsgewinnler gewesen zu sein. Eine Beleidigung aus der Feder von Rühs konnte schwerwiegende Folgen haben, wenn man bedenkt, welchen Einfluss sein Werk in diesem entscheidenden historischen Augenblick hatte. Um Abrahams verlorenes Vermögen wiederherzustellen, wollte seine Witwe Zipora, eine Tochter der
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bekannten Familie Marcuse, dass ihr erstgeborener und sehr aufgeweckter Sohn Eduard ebenfalls Finanzier wurde. Sie selbst verfügte über eindrucksvolle Beziehungen bei Hofe, wovon der prestigeträchtige Umstand zeugt, dass sie bei der Hochzeit von Königin Luise mit Friedrich Wilhelm III. Brautjungfer gewesen war.35 Aber Eduard hatte schon als Jugendlicher eine Karriere im Finanzwesen leidenschaftlich abgelehnt. Schließlich willigte die Familie ein, dass er Jura studieren sollte, damit er seinen Angehörigen helfen könnte, die Prozesse zu gewinnen, die erforderlich waren, um Abrahams verlorenes Vermögen zurückzuerlangen. Nicht allein, dass Rühs’ Angriff auf seinen Vater eine öffentliche Beleidigung darstellte, war es Eduard auch peinlich, dass er sich nicht freiwillig gemeldet hatte, um in den Befreiungskriegen zu kämpfen. Er ging so weit, hinsichtlich seines Geburtsjahres zu lügen, um den Anschein zu erwecken, er sei zu jung gewesen zum Kriegsdienst.36 Wir begegnen hier einem Dilemma, vor dem viele junge Intellektuelle aus Gans’ Generation standen. Wenn sie Söhne wohlhabender Familien waren, war es gut möglich, dass ihre Väter mit der Belieferung der französischen Armee während der Besatzungszeit Gewinne gemacht hatten. Und wenn der Sohn dann nicht in den Befreiungskriegen gekämpft hatte, war die Blamage eine doppelte. Wir wissen, dass nicht alle jüdischen Kaufleute in diesen Zeiten gut verdienten, dass auch Christen von der Versorgung der französischen Armee profitierten, dass adelige Nationalisten wie Achim von Arnim bis zum Ende des Krieges auf ihrem Grundbesitz ausharrten und dass jüdische Patrioten wie Moritz Itzig im Kampf fielen. Außerdem betätigten sich auch Juden öffentlich als patriotische Philanthropen, beispielsweise wenn Frauen, zu denen auch Rahel, Amalie und Fanny von Arnstein zählten, ehrenamtliche Arbeit für wohltätige Zwecke leisteten. Aber so komplex die Realität auch war, in der öffentlichen Wahrnehmung waren es jüdische Finanziers, die in diesen unruhigen Zeiten ganz besonders profitierten. Die Winkelzüge der allgegenwärtigen Familie Rothschild, die starke Beachtung fanden, trugen sicherlich zu weit verbreiteten Missverständnissen bei. Bedauernswerter armer Gans, verfangen in den wirbelnden Strömungen seiner Zeit. In früheren Jahren, bevor er nach Heidelberg abwanderte, hatte Gans als Student an der Berliner Universität unter dem gelitten, was er als »gesellschaftlichen Boykott« bezeichnete. Im Jahr 1816 klagte er gegenüber Wilhelm von Humboldt über das Problem. Humboldt wohnte damals in Frankfurt am Main, wo er als Mitglied der deutschen Territorialkommission an den Anschlussverhandlungen über offene territoriale Fragen innerhalb des
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Deutschen Bundes beteiligt war, kehrte aber regelmäßig nach Berlin zurück und interessierte sich weiterhin lebhaft für die Politik der Berliner Universität.37 Humboldt schlug vor, Gans solle Kameradschaft »unter Gleichgesinnten und Gleichaltrigen an der Peripherie des Studentenkörpers« suchen.38 Mit anderen Worten, ein prominenter adeliger Staatsmann schlug vor, Gans möge seine Beziehungen zu anderen jüdischen Studenten pflegen. Gans nahm sich diesen Rat zu Herzen, und noch im selben Jahr gründeten er und mehrere Freunde den »Wissenschaftszirkel«. Bei ihren regelmäßigen Treffen hielten die Mitglieder einander Kurzvorträge zu philosophischen Themen von Platon bis Hegel.39 Viele der Beteiligten waren zugleich langjährige Mitglieder der »Gesellschaft der Freunde«, und dass Konflikte wegen eines Glaubenswechsels oftmals die Beziehungen zwischen Freunden und Familienangehörigen strapazierten, war für sie gewiss nichts Neues. Beobachter merkten später an, dass bei manchen Paaren das, »was der eine als geheiligt betrachtete, für den anderen zur Zielscheibe des Spotts wurde«. Naheliegende Spannungsfelder waren Essen und Feiertage. Manchmal waren »Eltern außerstande, an den Tischen ihrer erwachsenen Kinder zu essen, während die Kinder sich schämten, ihre Eltern zu besuchen«.40 Als einige der zum Wissenschaftszirkel Gehörenden im November 1819 ihren neuen »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« gründeten, schlossen sie Konvertiten ganz aus, und die führenden Persönlichkeiten schworen, in diesem Kernpunkt niemals nachzugeben.41 Was die Reform von Realität und Image des zeitgenössischen Judentums betraf, so teilte dieser Kreis junger Intellektueller ehrgeizige Ziele. Wie Mendelssohn lehnten auch Gans und seine Gruppe den weit verbreiteten Gebrauch des Judendeutschen, des in Deutschland gesprochenen jiddischen Dialekts, ab. Ebenso waren sie gegen »Eigendünkel … Aberglauben … Schachergeist … Geldgier … Reduktion alles Wertes auf Geld … Ignoranz, Immoralität, Roheit der Bachurim (Schüler) … Vernachlässigung der Muttersprache … Vernachlässigung des weiblichen Geschlechts … Körperliche Untätigkeit … Oberflächliches Haschen nach Witz und Wirken, daher Verbildung … Roheit in Sprache, Haltung, Umgang, Sitten«.42 Sie hatten vor, die neue Einstellung durch Veröffentlichungen, Vorträge und Unterricht unter jungen Juden überall in Deutschland und Osteuropa zu verbreiten. Die Herausforderungen, die sie in diesem schwierigen historischen Moment auf sich nahmen, waren anregend. Viele der führenden Intellektuellen der Zeit, jüdische wie christliche, sahen oft nur zwei Alternativen, entweder traditionelle jüdische Praxis oder radikale Assimilation durch Kon-
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version und Mischehe. Viele stimmten mit Friedrich Schleiermacher überein, der einmal meinte, »das Judenthum ist schon lange eine todte Religion«, und es als »Mumie« bezeichnete.43 Ein anderer Zeitgenosse erklärte, »daß jüdische Geschichte an ihr Ende gekommen sei«.44 »Wie es in einem Reglement von 1818 hieß, waren die Juden keineswegs anzusehen ›als eine Religionspartei, sondern nur als Trümmer eines aufgelösten Volkes‹.«45 Aber die 35 Mitglieder des neuen Vereins versuchten einen dritten Weg zwischen Tradition und radikaler Assimilation zu eröffnen.46 Unter den älteren Mitgliedern waren David Friedländer, jetzt 69, und der immer noch in dem neuen Tempel aktive Israel Jacobson, der inzwischen 52 Jahre alt war. Andere brillante Persönlichkeiten in dem neuen Klub waren Lazarus Bendavid, der Direktor der Freischule, Aaron Wolfssohn, ein Hauslehrer der BeerKinder, und David Fränkel, der Sulamith-Herausgeber. Die klügsten Männer in dem Verein waren alle noch Anfang 20; zu ihnen gehörten Leopold Zunz, ein Prediger im Beer’schen Tempel, Immanuel Wohlwill, ein Hochschulstudent, Moses Moser, ein Bankangestellter, und Isaak Moses Jost, der bis vor Kurzem Direktor einer örtlichen Schule gewesen war.47 In den fünf kurzen Jahren, bevor der Verein sich 1824 auflöste, erreichten die engagierten Aktivisten eine ganze Menge. Sie gründeten eine Bibliothek, veröffentlichten mehrere gewichtige wissenschaftliche Werke, finanzierten eine Lehranstalt für die jüdische Jugend in Berlin und warben korrespondierende Mitglieder aus Hamburg, Frankfurt und anderen Städten. Eines der Ehrenmitglieder war Mordechai Manuel Noah aus der Stadt New York, der allgemeine Bekanntheit erlangte wegen seines Plans, eine jüdische Kolonie in Buffalo im US-Bundesstaat New York zu gründen. In Berlin kursierte der Witz, man könne die neue Kolonie Ganstown taufen. Glücklicherweise wussten die Vereinsmitglieder sich zu amüsieren, wenn sie nach ihren Sitzungen auf ein Bier in die örtlichen Wirtschaften gingen und Ferientage bei strahlendem Wetter in beliebten Fischrestaurants am Stadtrand verbrachten.48 Nachdem die Vereinsaktivisten sich drei Jahre ihrer Arbeit gewidmet hatten, stieß im September 1822 ein Neuer zu ihrem Klub. Es war Harry Heine, der Freund von Michael Beer. Heine studierte an der Berliner Universität, und auch wenn für die Nachwelt sein Vorname Heinrich war, nannte ihn damals jeder Harry. Als er dem Verein beitrat, lebte Heine, der aus Göttingen gekommen war, schon anderthalb Jahre in Berlin.49 In den Verein geriet er, als er in Hegels Vorlesungsreihe an der Universität Joseph Lehmann, ein aktives Mitglied, kennenlernte. Im Unterschied zu den Vereinsoberen, die in
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der Mehrzahl eine seriöse jüdische Erziehung erhalten hatten, waren Heines jüdische Bildung und Identität minimal. Er war überzeugt davon, dass seine Eltern von ihren Kindern die Konversion erwarteten.50 Dass ausgerechnet jemand aus solchen entfremdeten Verhältnissen dem Verein beitrat, zeigte, dass die Vereinsaktivisten einen Weg gefunden hatten, junge Intellektuelle anzusprechen, denen ihr jüdisches Erbe fremd geworden war. Heine wohnte während seiner Berliner Jahre bei Eduard Gans und Moses Moser, hielt Vorträge in der Lehranstalt des Vereins und half in Zusammenarbeit mit Amalie Beer beim Aufbau einer Hilfsorganisation für Frauen.51 Nachdem er dem Verein beigetreten war, blieb Heine allerdings nur noch knapp ein Jahr in Berlin, doch auch nachdem er die Stadt verlassen hatte, erhielt er die Verbindung zu seinen Freunden aus diesem Kreis weiter aufrecht. Wir wissen, dass er Gottesdienste im Hause der Beers besuchte, und er muss auch nach seiner Abreise aus Berlin zu Besuchen zurückgekehrt sein, denn in einem Brief von 1823 erwähnte er, dass er auf die nächsten Predigten von Leopold Zunz gespannt sei.52 Der Gegensatz zwischen Heines faktischer Beteiligung an dem Verein und seinem öffentlichen Spott über die Reformer ist ein weiteres Beispiel für seine erstaunliche Ambivalenz gegenüber allem Jüdischen. Denn als er im Jahr 1822 seine Briefe aus Berlin veröffentlichte, bestritt er, jemals bei dem Berliner Gebetskreis gewesen zu sein.53 In gedruckter Form und in seinen privaten Briefen kritisierte er die Reformbemühungen und lobte die Traditionalisten. In einem Brief an Immanuel Wohlwill vom 1. April 1823 verspottete Heine den Verein und andere Reformer, weil sie versuchten, »ein evangelisches Christenthümchen unter jüdischer Firma«, zu schaffen. Er kritisierte seine Glaubensgenossen, denn sie »machen sich ein Talles aus der Wolle des Lamm Gottes, und machen sich ein Wams aus den Federn der heiligen-Geiststaube und Unterhosen aus christlicher Liebe, und sie falliren und die Nachkommenschaft schreibt sich: Gott, Christus & Co. …«54 Er verurteilte seine eigenen Freunde für ihre auf Gewinn ausgerichtete Einstellung, obwohl er selber ständig verrückt nach Geld war. In demselben Brief an Wohlwill klagte er weiter: »Die einen, die durch Comödianten ihre Bildung und Aufklärung empfangen, wollen dem Judentum neue Dekorazionen und Coulissen geben, und der Souffleur soll ein weisses Beffchen statt eines Bartes tragen«. Zu dieser Zeit setzte er sich aber offenbar noch für die Reform ein, denn er fuhr fort: »Wir haben nicht mehr die Kraft einen Bart zu tragen, zu fasten, zu hassen und aus Haß zu dulden; das ist das Motiv unserer Reformazion.« Heine war 24, als er dem Verein
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beitrat, und hatte – als Finanzierslehrling eine ebensolche Katastrophe wie sein Vater – bereits eine mögliche Karriere im Geschäftsleben hinter sich. Infolge der geschäftlichen Katastrophen seines Vaters Samson hatte sich sogar Harrys Onkel Salomon als problematische Ersatz-Vaterfigur in sein Leben eingeschaltet. Harry wusste in seinen späten Jugendjahren bereits, dass er Literatur studieren und Gedichte schreiben wollte. Aber es war allgemein bekannt, dass Autoren damals nicht von ihren Worten leben konnten, und deshalb hatte Onkel Salomon den 17-jährigen Harry auf die Handelsschule geschickt, worauf verschiedene Lehrstellen folgten. Eine Zeit lang wohnte Heine sogar bei seinem Onkel in Hamburg und arbeitete in dessen Bankhaus. Dann richtete ihm Onkel Salomon eine eigene Firma ein, »Harry Heine & Co.«, ein Tuchgeschäft, das englische Meterware verkaufte. Aber der verträumte und zarte Harry verachtete dieses Leben und machte sich über die Einwohner Hamburgs lustig, die aussähen wie »lebende Zahlen«, und seine Gläubiger fanden ihn selten in seinem Geschäft vor.55 Just als seine eigene unternehmerische Karriere ins Schwimmen geriet, machte sein Vater Bankrott und wurde von Onkel Salomon, der damit auch gleich das Geschäft des jungen Harry zumachte, für unzurechnungsfähig erklärt. In den kommenden Jahrzehnten würde Heine mit einer Mischung aus Hass und Hoffnung auf seinen Onkel blicken – mit Hass wegen der Art und Weise, wie er seinen Vater behandelt hatte, und doch mit der Hoffnung, dass Onkel Salomon das Talent des Neffen mit seinem Vermögen fördern würde. Heines Schwierigkeiten mit seinem Onkel wurden vergrößert, als die beiden Töchter seines Onkels nacheinander seine Heiratsanträge ablehnten. Als Jugendlicher in Hamburg hatte Harry sich in seine Cousine Amalie verliebt, die ihn jedoch abwies. Später, so vermuten einige, ergriff ihn dann noch eine – ebenfalls unerwiderte – Leidenschaft für Amalies jüngere Schwester Therese. Zeitgenössische und spätere Beobachter tratschten, Harry könnte in der Heirat mit einer seiner Cousinen eine Möglichkeit gesehen haben, auf diesem Wege doch noch vom Vermögen seines Onkels zu profitieren. Heines gehässige Ansichten über die Reform mögen von seiner schwelenden Wut auf seinen Onkel, einen der führenden Reformförderer in Hamburg, beflügelt worden sein. Aber bevor wir uns Harrys Wut zu sehr zu eigen machen, sollten wir uns daran erinnern, dass sein Onkel Salomon in den Jahren, als Harry in Berlin lebte, 200 Taler im Jahr zu dessen Unterhalt beisteuerte, was zwar nicht für einen sehr herrschaftlichen Lebensstil ausreichte, aber genug war, um als unverheirateter Mann bescheiden leben zu können.56
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Als er im März 1821 in Berlin ankam, war Heine bereits ein veröffentlichter Dichter und Essayist. Sein Konflikt zwischen der Rechtswissenschaft und der Schriftstellerei ging weiter und wurde verschärft durch seine Empörung über die konservative Haltung mehrerer seiner Professoren. Während einer Vorlesung von Professor Theodor Schmalz merkte Heine, »daß just das Gegentheil vom Völkerrecht vorgetragen und auf Constituzionsgesinnung geschimpft wurde […], und meine Füße, die mit ihren kleinen Hühneraugen das Treiben der Welt besser durchschauen, als der Geheimerath mit seinen großen Juno-Augen, diese armen, stummen Füße, unfähig, durch Worte ihre unmaßgebliche Meinung auszusprechen, wollten sich durch Trommeln verständlich machen, und trommelten so stark, daß ich dadurch schier ins Malheur kam.«57 Außerhalb des Seminarraums war er in literarischen Kreisen sofort willkommen, und er stellte hocherfreut fest, dass Herausgeber und Verleger begierig auf seine Arbeit waren. Außerordentlich geschätzt wurde er von Karl, der sich als nützlich erwies, weil Heine damals und später in Gesellschaft als »ziemlicher Brummbär« bekannt war, und von Rahel, die half, »seine Manieren aufzupolieren«.58 Karl wurde ein wichtiger Freund für Heine; er sorgte dafür, dass seine Arbeit positiv rezensiert wurde, stellte ihn prominenten Bekannten innerhalb und außerhalb Berlins vor und spendete ihm bei vielen seiner Schwierigkeiten in den kommenden Jahren klugen Rat. Heine freundete sich auch mit den Beers an, deren Heim ganz andere Zerstreuungen bot als jene, die er im Varnhagen’schen Salon fand. Bei den Beers fand er größere Cliquen und musikalische Unterhaltung und schloss Freundschaft mit zweien der Beer-Söhne, Giacomo und Michael. Freunde bemerkten, dass er Amalies Stilgefühl zu schätzen wusste. Sie liebte »JüdischGelb« und wählte es als Farbe für die Wände in ihrem Wohnzimmer. Auch Heine liebte die »citronetten« Farbtöne, die er für seine »Kleydereien« gern auswählte, »da sie dem bräunlichen Vorväter-Teint so wohlig contrastierten«.59 In der Tat demonstrierten Harry und Amalie mit ihrer Freude an der Farbe Gelb beide ihre Treue zur romantischen Mode. Goethe hatte die Titelfigur seines Romans Die Leiden des jungen Werther in Gelb gekleidet, und Gelb war noch Jahrzehnte später beliebt.60 In seiner Kleidung war Heine, »schmächtig, blaß, mit träumerischen blauen Augen und blondem Haar«, ganz Romantiker und trug oft »einen weichen Rock und einen offenen weißen Kragen«.61 Die Beers bestellten ihre Kleidung bei dem Herrenausstatter Jordan und Heese, der die elegantesten Röcke Berlins schneiderte. Das Geschäft befand sich in der Stadtmitte, direkt neben dem Café Josty, wo Käufer sich nach einer Anprobe heiße Schokolade mit Schlagsahne und Florentiner
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genehmigen konnten.62 Heine war so begeistert von den Naschereien in diesem Café, dass er gleich am Anfang seiner Briefe aus Berlin erwähnte, wie großartig sie seien, und an die Götter des Olymp gewandt ausrief: »Wie würde ich euch euer Ambrosia verleiden, wenn ich die Süßigkeiten beschriebe, die dort aufgeschichtet stehen.«63 Wir verlassen das Jahr 1821 mit dem Bild der Beers und Heines, wie sie im Café Josty heiße Schokolade trinken. In den 35 Jahren seit Mendelssohns Tod im Jahr 1786 sind wir Zeugen einer Verwirklichung und sogar Erweiterung seiner Vision von der jüdischen Moderne geworden. Wir werden nun sehen, wie der König und seine Minister die Entstehung dieses dritten Weges behinderten, unterdrückten und scheitern ließen. Wie wir gelernt haben, war das Jahrzehnt nach dem Edikt von 1812 eine besondere Zeit für eine Handvoll glücklicher Juden in Berlin, die eine Möglichkeit gefunden hatten, jüdische Erneuerung und eifrige Teilnahme an der Hochkultur zu verbinden. Den Tag mit einem Besuch der Vorlesung von Professor Hegel an der Universität zu beginnen, den Nachmittag in einem Komitee des neuen Vereins zu verbringen und am Abend dem Salon der Elise von Hohenhausen einen Besuch abzustatten erforderte vielfältige Identitäten, Leidenschaften und Bindungen. Wenn wir nun in das Jahr 1822 vorrücken, werden wir sehen, wie anfällig und angreifbar das Projekt einer harmonischen Modernisierung wurde. Regierungsbeamte waren eifrig dabei, die Optionen zu verbauen und die Konversion zum einzig möglichen Weg der Abkehr vom traditionellen Judentum zu machen.
Heiden im Vaterland, 1822 An einem Tag im Januar 1822 versammelte sich eine Gruppe prominenter Berliner mittleren Alters im Hause des Generals Job von Witzleben.64 An diesem Tag gründeten sie die »Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden«. Diese bescheidene kleine Zusammenkunft ist höchst bedeutsam für unsere Geschichte, denn Witzleben und seine Freunde waren äußerst einflussreich. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit der Konversion zuwandten, dann hatte ihr Handeln Gewicht. Im Jahr 1822 beabsichtigten sie, die Konversion zu einer Bedingung der bürgerlichen Emanzipation zu machen, und bei diesem Ziel waren sie ungeheuer erfolgreich. Sie mischten sich just zu dem Zeitpunkt in die Konversionsdebatte ein, als
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die Krise der Familie allmählich abklang. Denn gerade in den Jahren unmittelbar vor 1830 erleben wir einen steilen Anstieg der Zahl junger erwachsener männlicher Konvertiten, welche die der jüdischen Frauen, die sich für Taufe und Mischehe entschieden, hinter sich ließ. Der neue, durch den WitzlebenKreis angespornte Trend waren Konversionen aus Karrieregründen. Witzlebens Kreis bestand aus Pietisten, und wir wissen, wie wichtig die Konversion oft für pietistische Aktivisten über Generationen hinweg war. Wir entsinnen uns der praktischen pietistischen Missionare des frühen 18. Jahrhunderts, die sich schäbig kleideten, Jiddisch lernten und der kleinen Zahl überwiegend armer Juden, die sich entschlossen, Lutheraner zu werden, Wohnungen, Arbeitsstellen und Almosen verschafften. Ihre gewollte Maskerade als arme Juden war kein großer Absturz auf der sozialen Leiter, da Missionsaktivisten zur damaligen Zeit gewöhnlich ziemlich randständig waren und selten aus privilegierten Elternhäusern stammten. Aus dem Blickwinkel des jüdischen Schicksals ist das Werk der Pietisten insgesamt problematisch, weil sie Juden über Generationen hinweg zu überzeugen suchten, ihren Glauben aufzugeben. Doch ihre Sozialfürsorgeprojekte und ihre lebendigen Gemeinschaften helfen uns zu verstehen, warum die Pietisten andere verlocken konnten, an ihrer Version des Luthertums teilzuhaben. Doch jetzt, in den Jahren des Biedermeier, hatte der Pietismus sich verändert, und es begeisterten sich so viele wohlhabende und einflussreiche Menschen für diese Glaubensrichtung, dass man von den »parfümierten« Pietisten sprach. Zu denen, die sich an jenem Januartag des Jahres 1822 bei Witzleben zu Hause einfanden, gehörten der Hofkaplan Ludwig Theremin, Pfarrer am Berliner Dom, Georg Nicolovius, Leiter der Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht im preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, und Johann Ancillon, der frühere Privatlehrer des Königs. Ihre politischen Ansichten waren unverrückbar rechts. Ancillons Bücher hatten zu denen gehört, die im Oktober 1817 während des Wartburgfestes von radikalen Studenten auf dem Wartenberg verbrannt worden waren, und besonders verachtet wurde er von Hegel, Schleiermacher und Humboldt. Witzleben und seine Freunde würden ganz bestimmt nicht Jiddisch lernen und sich schäbig kleiden, um arme Juden zu überreden, Protestanten zu werden. Jeder hatte den Gipfel seiner Berufslaufbahn erreicht, und mehrere standen auf vertrautem Fuß mit König Friedrich Wilhelm III. Weil sie ihre Überzeugungen mühelos in staatliche Politik umsetzen konnten, »war ihre Religion politisch und waren ihre politischen Ansichten religiös«.65 Ihre Erfolge bei der Einflussnahme auf staatliche Politik
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zeigen, wie schnell die politischen Entscheidungen hinsichtlich der Konversion sich änderten. Erst zehn Jahre waren jetzt vergangen seit dem wunderbaren »Geschenk« des Edikts von 1812, und schon war ein scharfer Konflikt wegen der Konversion ausgebrochen. Die Verfasser des damaligen Gesetzes waren dagegen gewesen, als Bedingung für die bürgerliche Gleichberechtigung die Taufe zu verlangen, aber nun warfen Witzleben und seine Freunde ihren Einfluss für die sehr viel strengere Sichtweise in die Waagschale, dass nur Juden, die nicht mehr jüdischen Glaubens waren, in den Genuss weltlicher Rechte kommen könnten. Ihr ideales Opfer war Gans. Erstes Ziel war, die Politik von oben zu beeinflussen, aber man organisierte auch praktische Projekte, beispielsweise die kostenlose Verteilung von Exemplaren des Neuen Testaments, die Anwerbung von Missionsbevollmächtigten und die Eröffnung von Schulen für jüdische Kinder. Ihre Berliner Gesellschaft lockte sogar Handwerker und Ladenbesitzer an, die sich unbedingt an den Missionsaktivitäten beteiligen wollten.66 Die Aktivisten in der Berliner Gesellschaft betonten, dass sie Juden nicht bewegen wollten, »nur auf dem Papier« zu konvertieren. Sie prangerten unechte Taufen an und erklärten voller Stolz, sie würden potenziellen Konvertiten keinerlei »irdische Vorteile« anbieten.67 Darin kommt die weit verbreitete zeitgenössische Sorge zum Ausdruck, dass die spirituelle Verwandlung ein immer selteneres Motiv für die Taufe werde. Die Sache der Mission lebte nicht nur in Deutschland, sondern auch in England wieder auf. Schon im Jahr 1809 war die »Londoner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden« gegründet worden, eine solide finanzierte und ehrgeizige Organisation, die Broschüren und Zeitschriften herausbrachte, Lehranstalten einrichtete und den meist armen Juden half, sich auf ein Leben als Christen vorzubereiten.68 Die Londoner Gesellschaft gab der Sache in Deutschland ein anderes Gesicht, weil die Missionshäuser und -schulen, die mehr als ein Jahrhundert zuvor in Hamburg und Halle von Pietisten gegründet worden waren, schon lange ihre Pforten geschlossen hatten. Die an den Berliner und Londoner Unternehmungen beteiligten Konvertiten reisten ständig umher, da sie ihre Missionarslaufbahn oft mit einer Taufe in Deutschland begannen, worauf der Umzug nach London und die Aufnahme in die Londoner Gesellschaft folgten, und anschließend kehrten sie nach Deutschland zurück, um Missionsarbeit zu verrichten.69 Diese Netzwerke konnten für zerbrochene Familienbande entschädigen, und sie stellten einen Raum für den vertrauten Umgang mit anderen ehemaligen Juden und mit verständnisvollen Christen zur Verfügung. Einer der aktivs-
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ten konvertierten Missionare der Londoner Gesellschaft während der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts war Julius Anton Eduard. Als Sohn einer verarmten Familie in Posen hatte er sich schon als Junge zur christlichen Praxis und Lehre hingezogen gefühlt. Mit 16 konvertierte er und studierte später Theologie an der Berliner Universität. Irgendwann wurde Eduard als Mitglied in die Londoner Gesellschaft aufgenommen, obwohl er seinen Wirkungskreis in Breslau hatte, wo er jahrzehntelang als Pastor tätig war. Er blieb unverheiratet, und vielleicht war es ein gewisser Trost für ihn, dass er von seinen Gemeindemitgliedern außerordentlich geliebt wurde.70 Der Bekannteste der konvertierten Missionare, der sich der Londoner Gesellschaft anschloss, war der In Franken geborene Joseph Samuel. Als er 28 Jahre alt war, wurde Samuel Protestant und nahm den Namen Friedrich Frey an. Nachdem er einige Zeit an einem lutherischen Seminar in Berlin studiert hatte, reiste er nach London ab, wo er Aktivist in der Londoner Gesellschaft wurde.71 Frey war ambitioniert, was das Missionsprojekt betraf, aber sprunghaft und sexuell ziemlich unverantwortlich. Im Jahr 1816 hatte ihn die Gesellschaft bereits wegen Ehebruchs hinausgeworfen, eine Wendung der Ereignisse, die nicht völlig überraschend gewesen sein kann, da eine seiner Freundinnen die Ehefrau des führenden Förderers der Gesellschaft war. Er verließ Europa schließlich, ließ sich in New York nieder und wurde später Dozent für Hebräisch an der Michigan State University in Pontiac, wo er im Jahr 1850 starb. Wenn man seinen Widerstand gegen die Reform des Judentums bedenkt, überrascht die Feststellung nicht, dass König Friedrich Wilhelm III. recht begeistert von den Zielen der Gesellschaft war und ihre Arbeit gern finanzierte. Obwohl die Berliner Gesellschaft sich in ihrer veröffentlichten Rhetorik vehement gegen opportunistische Taufen aussprach, meldete sie keinen Widerspruch an, als der König jeden Konvertiten mit einem großzügigen Geldgeschenk bedachte. Die weiter ausgreifende politische Stoßrichtung des Projekts wird noch deutlicher, wenn wir erfahren, dass Witzleben und seine Freunde ihre Arbeit aus der umfassenderen europäischen Reichsperspektive betrachteten. Für Berlin im Jahr 1822 klingt das allerdings überraschend, aber die Belege sind eindeutig. In einer auf der Gründungsfeier im Februar 1822 gehaltenen Rede war Sir George Rose, der britische Gesandte in Berlin, erstaunlich freimütig, was den imperialen Kontext des Konversionsprojektes betraf. Er fühle mit den »frommen Christen in Deutschland« mit, die von jenem Gebiet der Heidenbekehrung, zu dem nur Seefahrernationen direkten Zugang hätten, bislang beinahe ausgeschlossen gewesen seien. Aber sie soll-
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ten Mut schöpfen, ermahnte er sie, und Trost darin finden, den Blick auf die Missionarstätigkeit bei jenem alten Gottesvolk zu richten, das mitten unter ihnen oder in ihrer unmittelbaren Umgebung lebe.72 Die Vorstellung, dass die Verwandlung sämtlicher Juden in Christen irgendwie für das Fehlen eines Reiches entschädigen könnte, wirft ein sehr beunruhigendes Licht auf spätere tragische Ereignisse in der deutschen Geschichte. Während General Witzleben und seine Freunde sich darauf konzentrierten, Einfluss auf staatliche Verfahren zu nehmen, ermutigten sie verschiedene jüngere Aktivisten, an den tagtäglichen Projekten zu arbeiten. Einer der Fleißigsten war Friedrich August Tholuck, im Jahr 1822 eine frisch ordinierter Pfarrer und Lehrbeauftragter an der Berliner Universität.73 Tholuck vertrat die Londoner Gesellschaft in Berlin und wurde mit der Übersetzung, Herausgabe und Abfassung von Traktaten auf Trab gehalten, die von beiden Missionsgesellschaften benutzt wurden. An der Universität lehrte er rabbinische Literatur und lockte sowohl christliche als auch noch-jüdische und ehemals jüdische Studenten an. In späteren Jahren, als er in Berlin, Rom und Halle lehrte, umgab Tholuck sich mit einer Reihe junger jüdischer Männer, die letztendlich konvertierten. Vielleicht der bemerkenswerteste seiner Studenten war Sontheim, den Tholuck im Jahr 1820 taufte. Sontheim war aus Breslau gebürtig, diente als Offizier in den Befreiungskriegen und zog dann umher, bis er 1819 in Berlin auftauchte. Später wurde er aktiver Missionar in der Stadt Thorn.74 Tholuck war bei seiner ersten Berufung auf erhebliche Schwierigkeiten an der Berliner Universität gestoßen, weil der einflussreiche Friedrich Schleiermacher die theologischen Ansichten des Neuen zu konservativ fand.75 Schleiermacher hatte durchaus seine Lieblinge, allen voran August Neander. Der »neue Mensch« Neander selbst hatte eine Menge vorzuweisen. Auch seine Mutter und seine sämtlichen Geschwister waren schließlich konvertiert, und seine wissenschaftliche Laufbahn hatte sich glänzend entwickelt. Sein Leben lang Junggeselle, war ihm seine Schwester Gefährtin und Haushälterin. Mit der ungeheuer hilfreichen Förderung Schleiermachers war Neander jetzt Professor für Theologie an der Universität von Berlin, dazu ein produktiver Forscher und auch in der Welt der Mission von Einfluss. Obwohl er heute unbekannt ist, zeigt ein Porträt der bemerkenswertesten Intellektuellen Berlins aus dem Jahr 1830 auch ihn, neben den beiden Humboldt-Brüdern, Schleiermacher und Hegel. Zum Pech für die Missionare blieb ein Fall wie die Verwandlung von David Mendel in den »neuen Menschen« August Neander während der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts eher die Ausnahme. Die Missionare wa-
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ren sich vollkommen bewusst, dass nur wenige Konvertiten durch die Aussicht auf eine spirituelle Wiedergeburt in dem neuen Glauben motiviert wurden. Der Reformer Isaak Markus Jost meinte, die hiesigen Bekehrer seien Narren, weil sie versuchten, mit viel Geld und Getöse ein Ziel zu erreichen, das von ganz allein kommen werde.76 Doch wenn wir uns die schwierigen Entscheidungen genauer ansehen, vor denen Eduard Gans und seine Freunde standen, sehen wir, dass Konversionen aus Karrieregründen nicht von sich aus zunahmen. Vielmehr erleben wir mit dem Nachlassen der familiären Krise und dem häufigeren Auftreten karrieregeleiteter Übertritte, dass eine vom Witzleben-Kreis befürwortete strenge Regierungspolitik die in die Höhe schießenden Zahlen beeinflusste. Ein Jahrzehnt nach dem Erlass des Edikts wurde jetzt all das, was in jenem Gesetz verschwommen formuliert gewesen war, eindeutig klargestellt. Das Edikt war während der vergangenen zehn Jahre von verschiedenen Seiten angegriffen worden, aber man hatte es nicht zurückgenommen. Doch im August 1822, als König Friedrich Wilhelm III. die sogenannte »Lex Gans« erließ, wurde die Chance, mächtig und einflussreich zu werden und gleichzeitig am jüdischen Glauben festzuhalten, nahezu vollständig verbaut. Kurz nach Erhalt seines Doktortitels im Jahr 1819 in Heidelberg hatte Gans sich tapfer um eine Stelle in der Rechtsgeschichte an der Berliner Universität beworben. Staatskanzler Hardenberg und Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein, der Minister für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, unterstützten beide seine Bewerbung. Aber Friedrich Carl von Savigny, der Lehrstuhlinhaber für römisches Recht an der Berliner Universität und seit 1817 Staatsrat im preußischen Justizministerium, war strikt gegen die Berufung von Gans. Savigny wollte aus Preußen einen christlichen Staat machen, was bedeutete, dass Juden, die noch jüdischen Glaubens waren, von einflussreichen und mächtigen Positionen auszuschließen waren. Savigny gehörte zu den Gründern der Tischgesellschaft, war verheiratet mit Bettina von Arnims Schwester Gunda und ein leidenschaftlicher Verächter der liberalen politischen Ansichten seines Rivalen Hegel. Hegel lehrte seit 1818 an der Berliner Universität, und Gans war sein erstklassiger Schüler. Im Spätsommer 1822 wartete Gans mittlerweile seit drei Jahren, dass die Regierung in seiner Kandidatur eine Entscheidung traf. Gans hatte seinen Hut in einem Moment pulsierenden Aufruhrs im deutschen Geistesleben in den Ring geworfen. Seit der Ermordung von Kotzebue durch Karl Sand drei Jahre zuvor hatten die Karlsbader Beschlüsse die Radikalen und Liberalen zum Schweigen gebracht. Der offene politische Di-
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alog in Zeitungen, Zeitschriften und literarischen Gesellschaften und sogar Predigten von den Kanzeln herab waren ausgesprochen gefährlich geworden. Wenn sie sich in Kaffeehäusern, bei Abendgesellschaften und in Salons versammelten, schäumten zornige radikale Intellektuelle vor Wut über die aktuelle Politik, aber wenn sie sich an ihre Schreibtische setzten, um ihre Bücher und Artikel zu schreiben, wurde die Diskussion aufgrund der strengen Zensur befangen und verkappt. Wir müssen zwischen den Zeilen lesen, um die Leidenschaften des Augenblicks zu erfassen. Diese Leidenschaften zu entwirren ist schwierig, denn Debatten entzweiten Zeitgenossen auf komplexe Art und Weise. Liberale und Linke kämpften gegen Konservative, Romantiker kämpften gegen Rationalisten, und die Judenemanzipation wurde von den Zeitgenossen aus jedem Blickwinkel erörtert. Doch all diese Gruppierungen waren überhaupt nicht klar umrissen, und unter den Liberalen waren sowohl Rationalisten wie Hegel als auch Romantiker wie Schleiermacher. Auf Hegels politische Ansichten wurde genau geachtet, über sie wurde viel diskutiert, und sie waren besonders komplex, weil er sowohl von der Linken als auch von der Rechten angefeindet wurde. Radikale Intellektuelle wie Jakob Fries kritisierten Hegels Verbindung mit den mächtigen Persönlichkeiten des preußischen Staates, während Savigny auf der Rechten Hegel als Liberalen verachtete. In dem Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl spielte Schleiermacher eine Schlüsselrolle. Er war jetzt 47 Jahre alt, Professor für Theologie an der Universität und ein prominenter Prediger. Seine politischen Ansichten waren entschieden links, so sehr, dass die Berliner Polizei nach dem KotzebueMord seine Predigten überwachte. Schleiermacher war außer sich, als drei Patrioten, Christian De Wette, Ernst Moritz Arndt und Jakob Fries, nach den Karlsbader Beschlüssen zwangsemeritiert bzw. von ihren Lehrämtern suspendiert wurden, und er machte Hegel Vorwürfe, weil er De Wette nicht verteidigte.77 Der Konflikt zwischen Rationalismus und Romantik ergab ein merkwürdiges Gespann. Denn obwohl Schleiermacher sehr weit links und Savigny sehr weit rechts stand, verschmähten sie als Romantiker beide Hegels Rationalismus. Auch die Politik gegenüber den Juden führte zu sonderbaren Allianzen. Beispielsweise befürwortete Hegel die jüdische Emanzipation ohne Konversion und trat für das Recht von Gans ein, als Jude Professor zu werden. Als leidenschaftlicher Rationalist wünschte Hegel sich einen durch und durch säkularen Staat. Andererseits beharrten Romantiker wie Schleiermacher und Savigny, die Tradition und historische Bräuche wertschätzten, darauf, dass der Staat christlich sein müsse. Die eigenartige Wen-
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dung war, dass, obwohl Savigny und andere Konservative sich der Emanzipation mit allem Nachdruck widersetzten, führende jüdische Reformer deren romantische Einstellung zur Geschichte teilten. Leopold Zunz beispielsweise betrachtete das Judentum als eine sich historisch entfaltende Kultur. In den vier Jahren, seit er an die Universität gekommen war, hatte Hegel als Dozent und Kavalier in der ganzen Stadt ungeheure Popularität erlangt, trotz seiner schwer verständlichen und schwierigen Philosophie und seines langsamen und stockenden Vortragsstils. Außerhalb seines Arbeitszimmers und des Unterrichts wusste er einen guten Wein, Kostümbälle und Kartenspiele mit seinen lebenslustigen Freunden zu schätzen. Einer dieser Freunde war Heinrich Beer, der kaum Sinn für die Feinheiten der geistigen Schöpfungen Hegels gehabt haben dürfte. Giacomos jüngerer Bruder war das einzige der vier Beer-Kinder, das nicht auf irgendeinem Gebiet eine besondere Leuchte wurde. Am Ende wurde Heinrich, der Abraham Mendelssohns Nichte Betty heiratete, sogar von seiner Familie für verrückt erklärt und entmündigt. Manchmal verschwendete er Geld für alberne Ausgaben, wie an dem Tag, als er 6.000 Taler für Spazierstöcke ausgab. Heinrich bewunderte Hegel sehr und war bekannt dafür, ihm wie ein Schatten zu folgen. Sie waren ein so ungleiches Paar, dass keiner ihrer Zeitgenossen die Beziehung ganz verstand. Und Heinrich Heine meinte, dass jeder in Berlin immerfort erstaunt sei über die Vertrautheit des tiefsinnigen Hegel mit Heinrich Beer.78 Zum Pech für Gans war Hegel in dem wilden Gerangel akademischer Politik an der Universität nicht so einflussreich wie Savigny. Doch trotz Savignys starkem Widerstand gegen Gans unterstützte Staatskanzler Hardenberg Gans’ Sache leidenschaftlich und bat fortwährend darum, sein gleichgesinnter Freund Freiherr vom Stein zum Altenstein möge die Berufung von Gans in die Fakultät in Angriff nehmen. Weil er zwischen Hardenberg und Savigny hin und her gerissen war, bestand Altensteins Lösung darin, Zeit zu schinden. Schließlich schritt im August 1822 der König höchstpersönlich ein, um den Fall zu regeln. Die politische Linie der Regierung wurde dahingehend klargestellt, dass nur Christen Staatsbeamte werden könnten. Gans wurde ein Stipendium in Höhe von 1.000 Talern gewährt, und man schlug diplomatisch vor, er solle ins Ausland gehen, um seine akademische Laufbahn weiterzuverfolgen. Viele seiner Freunde erwarteten, dass er Berlin im Jahr 1822 verlassen würde. Aber er blieb in der Stadt, immer noch Präsident des Vereins für Cultur und Wissenschaft des Judentums, und lebte von seiner familiären Erbschaft, während er eine gewaltige und gelehrte Geschichte
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des römischen Rechts schrieb. Zum Pech für ihn und für das Los der Juden starb der große Förderer jüdischen Fortschritts, Staatskanzler Hardenberg, in jenem November. Jetzt waren die Liberalen wirklich verzweifelt, denn Hardenberg war der Beschützer vieler Menschen mit demokratischen politischen Ansichten und ein einflussreicher Befürworter der jüdischen Emanzipation gewesen. Ein guter Grund, warum Staatsbeamte für prestigeträchtige Berufe die Konversion verlangten, war, dass so viele Hochschulabsolventen den Arbeitsmarkt überschwemmten. Hielt man die noch-jüdischen Juden fern, würde der Wettbewerb um die knappen Stellen ein wenig entschärft. Die deutsche Bevölkerung wuchs sehr schnell, und die Einrichtungen der höheren Bildung waren ausgebaut worden, um der Nachfrage gerecht zu werden. Die Zahl der Hochschulstudenten in ganz Deutschland verdreifachte sich zwischen 1800 und 1820 von knapp über 5.000 auf mehr als 15.000.79 Die Zahl der verfügbaren Stellen in den prestigeträchtigen akademischen und freien Berufen hielt definitiv nicht Schritt mit dem Nachschub an ausgebildeten Bewerbern.80 Deshalb verbrachten viele Absolventen ein Jahrzehnt oder mehr als Privatlehrer, Büroangestellte oder Gymnasiallehrer, bevor sie eine volle Stelle mit festem Gehalt bekommen konnten. Mehrere unserer Persönlichkeiten erlitten dieses Los, darunter Fichte und Hegel. Diejenigen, die dagegen waren, dass Juden Professoren wurden, mögen sich durchaus Sorgen gemacht haben, dass die Berliner Universität zu einem Magneten für ehrgeizige jüdische Studenten aus den Ostprovinzen würde. Zu diesem Zeitpunkt war die Zahl jüdischer Studenten in allen deutschen Ländern noch winzig; weniger als drei Prozent der Hochschulstudenten in diesen Jahren waren Juden.81 Aber die Berliner Universität wurde immer attraktiver für jüdische Studenten. Die Grenzen Preußens hatten sich auf dem Wiener Kongress weit nach Osten ausgedehnt, und dank des Edikts von 1812 konnten Juden nun von den Provinzen in die Hauptstadt umziehen. Schon im Jahr 1807 waren sieben Prozent der Studenten in Berlin Juden, und im Jahr 1834 jubelten die Sulamith-Herausgeber, dass mehrere hundert Studenten dort eingeschrieben seien.82 Dieser Wandel war auffallend, weil die jüdische Bevölkerung Berlins in diesen Jahrzehnten kaum wuchs. Während derselben Monate, als Gans und andere ehrgeizige junge jüdische Intellektuelle das Für und Wider einer pragmatischen Taufe erwogen, folgten Lea und Abraham Mendelssohn ihren Kindern und traten zum lutherischen Glauben über. Beide machten in ihren weit verzweigten Großfamilien zahlreiche dramatische Auseinandersetzungen über die Konversion
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durch. Abraham zog sich kurz vor seiner Taufe im Jahr 1822 aus dem Bankgeschäft zurück, das er gemeinsam mit seinem Bruder Joseph gegründet hatte. Als Grund nannte er, künftig mehr Zeit auf die Organisation der Ausbildung seiner begabten Kinder verwenden zu wollen, aber Joseph mag darauf bestanden haben, dass er aus der Firma ausscheide, als Abraham seinem Bruder sein Vorhaben, Christ zu werden, anvertraute. Wir wissen aus der Geschichte von David Lewald, dass es praktische Gründe gab, Konvertierte aus einem Familien-Bankunternehmen herauszuhalten. Auch aufseiten von Leas Familie wurde viel über die Taufe diskutiert. Es muss belastend für Lea und Abraham gewesen sein, so nahe bei Großmutter Bella zu leben, nachdem sie ihre Kinder hatten taufen lassen. Wir können uns vorstellen, dass sie lange und intensiv über die Entscheidung nachdachten, im Jahr 1822 die eigene Taufe in Angriff zu nehmen. Der Moment kam im Herbst jenes Jahres, während die Großfamilie Mendelssohn sich auf einer Bildungsreise durch die Schweiz und Süddeutschland befand. Als man im Sommer aus Berlin aufbrach, umfasste die Reisegruppe Lea, Abraham und die vier Kinder, deren Privatlehrer Karl Heyse sowie die Cousinen Julie und Marianne Saaling. In der Tat passierte es auf dieser Reise, dass Julie und Karl sich ineinander verliebten.83 Unterwegs erhielt Lea einen Brief von Henriette, die ihrer Schwester schrieb: »Nicht wie Zigeuner, aber wie Fürsten, die zugleich Dichter und Künstler wären, reist Ihr!«84 Am 4. Oktober wurden Abraham und Lea in Frankfurt Lutheraner und fügten ihrem Nachnamen offiziell Jakobs neuen Familiennamen Bartholdy hinzu. Einige Forscher haben vermutet, dass Lea und Abraham warteten, bis Großmutter Bella starb, bevor sie konvertierten, um sich ihr Erbe zu sichern.85 Aber diese Interpretation ist sicherlich falsch, denn Bella lebte nach der Taufe der beiden noch zwei Jahre. Einen spirituellen Impuls können wir definitiv ausschließen. Abrahams Briefe an seine Kinder, in denen er die Taufen in der Familie verteidigte, zeigen keine auch noch so flüchtige Spur einer religiösen Empfindung. Vielmehr erläuterte Abraham ihre Entschlüsse in schwammigen weltlichen Begriffen; seine Erklärung gegenüber Fanny lautete: »Wir haben Euch, Dich und Deine Geschwister im Christenthum erzogen, weil es die Glaubensform der meisten gesitteten Menschen ist.«86 Sicher dachten sie noch an andere Aspekte, darunter Karrierepläne für ihre Söhne, den gesellschaftlichen Ruf der gesamten Familie und den Wunsch, sich innerlich deutscher zu fühlen. Wie auch immer der komplexe Mix aus Impulsen beschaffen war, die ihren Entschlüssen zugrunde lagen, neu in der Ge-
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schichte der Konversion war, dass Abraham keine wie auch immer gearteten religiösen Motive heuchelte. Drei Tage nach ihrer Taufe traf die Mendelssohn’sche Reisegesellschaft in Weimar ein, wo man Johann Wolfgang von Goethe besuchte. Im Jahr zuvor hatte Karl Zelter, einer von Felix’ privaten Musiklehrern, den jungen Mendelssohn nach Weimar mitgenommen, damit er vor Goethe spiele.87 Ein Jahre später gemaltes Bild von Goethe und Felix zeigt das ältere Genie mit abwesendem Blick, während der junge Pianist bewundernd zu ihm hinblickt. Die Körpersprache der beiden Figuren symbolisiert auf dramatische Weise das vollkommene Fehlen von Gemeinsamkeit zwischen talentierten Juden und der Hochkultur. An jenem Oktobertag des Jahres 1822 spielte auch Fanny vor Goethe, und er versicherte den stolzen Eltern, dass sie ebenso begabt sei wie ihr Bruder.88 Jahre später, als der Briefwechsel zwischen Zelter und Goethe veröffentlicht wurde, erfuhren die Mendelssohns urplötzlich, was hinter ihrem Rücken gesagt worden war. Wir dürfen nicht vergessen, dass Zelter ein frühes Mitglied der Tischgesellschaft Arnims und Brentanos gewesen war, und viele seiner besten Freunde waren führende Aktivisten in patriotischen Kreisen. Nur Tage bevor er mit Felix in Weimar eintraf, schrieb Zelter Goethe, dass Felix zwar der Sohn eines Juden, aber selber kein Jude sei, zumal es wirklich ein seltener Fall (»eppes rores«) wäre, sollte es ein jüdischer Junge tatsächlich zum Künstler bringen.89 Dass Zelter sich des Jiddischen bedient, um sich ablehnend zu äußern, zeigt die Komplexität seiner Gefühle gegenüber seinen jüdischen Freunden. Natürlich half er seinen jüdischen Freunden, ihre musikalischen Karrieren voranzutreiben, und sie wussten sich mit üppigen Spenden für seine Projekte zu revanchieren. Die Ironie lag darin, dass Zelter hier dieselben Juden beleidigte, denen er half, und zwar in der Sprache, die zu sprechen sie sich weigerten. Als die talentierten Mendelssohn-Kinder langsam erwachsen wurden, gab es Momente, wo die Eltern assimilierter sein wollten als die Kinder. Abraham und Felix hatten im Laufe der Jahre Meinungsverschiedenheiten über den Familiennamen als äußerst wichtiges Kennzeichen. Während der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts, als sein Stern im Aufsteigen begriffen war, begann Felix das Bartholdy ganz wegzulassen und sich auf seinen Konzertprogrammen nur Felix Mendelssohn zu nennen. Abraham war außer sich und erinnerte Felix in einem wütenden Brief daran, dass ein christlicher Mendelssohn ein Ding der Unmöglichkeit sei. Der Name Mendelssohn, gemahnte er Felix, werde immer für ein Judentum im Übergang stehen.90 Ein Name sei wie ein Kleidungsstück und müsse zu Verwendung, Zeit und sozi-
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aler Stellung passen, wolle man sich nicht zum Gespött machen. Einen christlichen Mendelssohn könne es ebenso wenig geben wie einen jüdischen Konfuzius, setzte er hinzu, und mit dem Namen Mendelssohn sei er ipso facto Jude.91 Wir müssen uns fragen, was Moses und Fromet wohl von ihren neuerdings christlichen Nachfahren gehalten hätten. In späteren Jahren sollten Abraham und Lea zu erklären versuchen, dass sie, so wie Moses sein Leben dramatisch verändert habe, indem er 1743 nach Berlin gekommen sei, in seine Fußstapfen getreten seien, indem sie ihr Leben auf andere Weise ebenfalls geändert hätten. Bestimmt war es eine komplexe psychische Aufgabe, das Judentum hinter sich zu lassen, wenn der eigene Vater Moses Mendelssohn hieß. Aber wir wollen uns jetzt von dieser glücklichen Familie verabschieden und uns wieder den wachsenden Problemen derjenigen zuwenden, die bestrebt waren, das Judentum zu ändern, statt ihrer Schicksalsgemeinschaft den Rücken zu kehren.
Schließung des Tempels und »Zu Kreuz gekrochen«, 1823–1825 Während Gans noch überlegte, wie er zu seiner Professur kommen könnte, und die Mendelssohns ganz in der Musik aufgingen, erlebten die Reformer ernsthafte innere und äußere Schwierigkeiten. Im September 1822 gab Leopold Zunz seine bezahlte Stelle als Prediger für den Beer’schen Tempel auf und beklagte sich, dass »Predigen angesichts von Arroganz seitens der Obrigkeit und Gleichgültigkeit seitens der Gemeinde unvereinbar sei mit seiner Ehre«.92 Zunz’ Entschluss, aus den unsicheren Reformgottesdiensten auszusteigen, wirft ein Licht auf die Klassenspannungen, welche die Reformer von ihren Förderern trennten. Zunz und sein Freund Isaak Markus Jost waren vielleicht besonders empfindlich, da beide »inmitten von Armut, Unrat und Unordnung« in einem Waisenhaus in Wolfenbüttel aufgewachsen waren, wo sie einen »herzlosen geregelten Tagesablauf aus Talmudstudien« erduldet hatten.93 Aber ganz unabhängig von ihren persönlichen Dramen können wir uns zu Recht fragen, ob die Feindseligkeit, welche diese Intellektuellen gegenüber den jüdischen Superreichen empfanden, nicht vielleicht ein Luxus war. Sie schienen sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Immerhin finanzierten die Beers und Jacobson die fortschrittlichsten jüdischen Institutionen
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der Zeit, und jeder junge Intellektuelle, der entschlossen war, seinen Beitrag zu dieser Renaissance zu leisten, war auf Förderung von irgendwoher angewiesen. Binnen eines Jahres nach Zunz’ Rücktritt war dann die ganze Episode zu Ende. Im September 1823 versuchte die preußische Regierung, den Tempel endgültig zu schließen. Die Reformer versammelten sich und organisierten einen kurzen zusätzlichen Gottesdienst mit Hymnen auf Deutsch und einer Predigt in der Gemeindesynagoge in der Heidereutergasse. Aber weil diese Gottesdienste so beliebt waren, wendeten sich die Traditionalisten aus Protest an den König. Im Dezember bestimmte ein königliches Dekret, dass die einzige erlaubte jüdische rituelle Praxis fortan in der Gemeindesynagoge stattfinden werde, und zwar ganz nach bestehendem Brauch, ohne die geringsten Neuerungen bei Sprache, Zeremonien, Gebeten oder Hymnen.94 Die Reformer waren enttäuscht und machtlos. Sie waren nicht nur von einem König und einer staatlichen Bürokratie, die der Emanzipation der Juden von vornherein feindlich gesonnen waren, verraten worden, sondern auch von ihrer eigenen religiösen Führung. Die Unterdrückung der jüdischen Reformbewegung erinnert an Scholems Klage über den Fehlstart in die jüdische Moderne. Die Logik der Position Scholems ist, dass die Reformer zum Teil selbst verantwortlich waren für das Debakel, weil sie vorhatten, ein Judentum zu schaffen, das protestantischer, rationaler, deutscher war. Doch seine Kritik ist zu streng und letztendlich unhistorisch. Es widersprach einfach dem Zeitgeist, als Reformer an diesem Ort und zu dieser Zeit die ethnische und nationale Dimension des traditionellen Judentums zu betonen. Zu Scholems eigener Zeit, ein volles Jahrhundert später, fand eine Handvoll nachdenklicher jüdischer Intellektueller dann sehr wohl einen Weg, zutiefst jüdisch und zutiefst deutsch zu denken. Aber damals war diese doppelte ethnische Identität schwach und selten, und im Jahr 1820 war sie gänzlich unmöglich. Weniger als ein Jahr nachdem die Gottesdienste untersagt worden waren, im Mai 1824, hielt Gans’ Verein seine letzte Versammlung ab. Die wissenschaftliche Zeitschrift des Vereins, die Vorträge, das europaweite Netzwerk, all die Anstrengungen der letzten fünf Jahre waren gescheitert. Innerhalb von zwei Jahren hatte das Projekt einer Modernisierung des Judentums zwei gewaltige, man könnte sagen tödliche Schläge eingesteckt. Berlin war landauf, landab als die Hauptstadt der jüdischen Aufklärung bekannt, und sowohl der Verein als auch der neue Tempel waren jeder für sich ungeheuer innovativ. Diejenigen, die eine Konversion erwogen, müssen gespürt haben, dass
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das Judentum immer stärker ins Hintertreffen geriet. Wie wir gesehen haben, strömten die besten und gescheitesten jungen jüdischen Männer aus den Ostprovinzen weiter nach Berlin, um zu studieren, Zeitungen zu lesen und in den Kaffeehäusern zu plaudern und, wenn sie Glück hatten, einen Platz bei einem Hauskonzert oder in einem renommierten Salon zu ergattern. Aber ohne den Verein und den Beer’schen Tempel waren die jüdischen Institutionen in der Zeit erstarrt, spießig und altmodisch. Das abwechslungsreiche Leben, das Heine in den frühen Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Berlin genossen hatte, verschwand, und die Möglichkeiten wurden sehr viel polarisierter. In diesem leidvollen Augenblick bemühten sich Laienaktivisten nach Kräften, die Reformalternative am Leben zu erhalten.95 Einen gewissen Trost fanden sie auf der jährlichen Leipziger Messe, wo die Reformer während der Messewochen moderne Gottesdienste organisierten. Mehrere Jahre lang lockten die Leipziger Gottesdienste, die in einem Hörsaal der Universität abgehalten wurden, über 200 Teilnehmer an, selbst aus so weit entfernten Städten wie Amsterdam und Bukarest.96 Und als im Jahr 1829 in Berlin eine neue Gemeindeschule öffnete, folgte auf die traditionellen Sabbatgebete ein ergänzender Reformgottesdienst mit einer Predigt auf Deutsch und Liedern, die von einem Schülerchor gesungen wurden. Regierungsbeamte schauten weg.97 Familien begingen Feiertage und Ereignisse im Lebenszyklus gelegentlich mit modernen Gottesdiensten im eigenen Heim. Aber es sollte noch einmal 30 Jahre dauern, bis 1854, bevor in Berlin eine neue Reformgemeinde ihre Pforten öffnete.98 In Hamburg erging es den Reformern viel besser, und sie gründeten schon im Dezember 1817 den dauerhaften »Neuen Israelitischen Tempelverein«.99 Heines Onkel Salomon war einer der Förderer des Hamburger Tempels, und Heine selbst besuchte von Zeit zu Zeit die Gottesdienste, kritisch und gereizt wie immer in seinen Reaktionen. Damals und auch später sahen viele in der Reform ein riskantes Unternehmen, das Juden vom Glaubenswechsel abhalten sollte, wie man an der witzigen Karikatur sieht, die Jahrzehnte später, im Jahr 1903, veröffentlicht wurde und auf der ein Rabbiner auf einem Drahtseil über das »Taufwasser« läuft. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts waren Rabbiner und Beamte gleichermaßen gegen die Reform, aber aus völlig entgegengesetzten Gründen. Die Beamten fürchteten, dass eine erfolgreiche Reform die Konversionsraten senken würde. Ihre Analyse entsprach der in den Ordnern der »Fremdstämmigenkartei« entdeckten Realität: In Berlin gingen die Zahlen während der acht Jahre, in denen der Tempel geöffnet
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war, zurück und stiegen nach seiner Schließung wieder an. Nach Ansicht der Beamten waren Reform und Konversion zwei alternative Wege weg vom traditionellen Judentum. Wenn Juden jüdische Rituale ändern konnten, dann konvertierten sie vielleicht nicht so leicht. Ihre Strategie war deshalb, die Reform zu unterbinden, um zu mehr Konversionen anzuregen. Die Rabbiner gingen im Unterschied dazu von einem linearen Modell aus und betrachteten die Reform als einen Schritt fort von der Tradition und die Taufe als einen späteren Schritt auf genau demselben Weg. Die meisten Reformer waren, wie Jacobson, Laienaktivisten, deren Analyse sich mit der der Beamten deckte: dass die Reform eine Alternative zur Konversion wäre. Die Rabbiner waren sich hingegen sicher, dass die Reform bereits zu dem Schub bei den Übertritten geführt hatte. Man darf nicht vergessen, dass die Rabbiner mit dem Staat zusammenarbeiten mussten, um sich den Reformern entgegenzustellen, denn das Edikt von 1812 hatte die Bedeutung des Ausschlusses aus der jüdischen Gemeinschaft von Grund auf verändert. Das religiöse Establishment war zunehmend abhängig vom Staat, in demselben Moment, wo der Staat seine Reihen öffnete, um einzelne Juden als Bürger aufzunehmen, wenn auch als Bürger zweiter Klasse. Diese Situation bringt in Erinnerung, wie Achim von Arnim gezwungen war, sich an den Staat zu wenden, um sich an Moritz Itzig zu rächen. War damals vielen klar, dass die Rabbiner einen kurzfristigen Sieg über die Reform durch eine höchst zweifelhafte Allianz mit einem sehr zynischen staatlichen System erkauften, das keinerlei Sympathie für die Juden oder das Judentum hegte? Um zu verstehen, wie sich das Konversionsmuster in diesen Jahren veränderte, müssen wir Schaubild 5 aus dem Anhang zu Rate ziehen, das die absolute Zahl derer, die sich in jedem Jahr für die Taufe entschieden, in ein Verhältnis zur gesamten jüdischen Einwohnerschaft Berlins setzt. Im Jahr 1815 erreichte der Anteil der Berliner Juden, die sich für die Taufe entschieden, seinen Höchststand. Bis zu den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts wuchs die jüdische Einwohnerschaft Berlins nur gering, und folglich blieb der Zähler der Grundbevölkerung während der Zehnerjahre, als die absolute Zahl der Konversionen anstieg, niedrig. Während der Jahre unmittelbar nach 1815 nahm sowohl die absolute Zahl als auch der Anteil der Juden, die sich für die Taufe entschieden, ab. Schaubild 1 zeigt deutlich, dass die Zahl der Taufen in den Jahren nach 1815, als die Gottesdienste stattfinden durften, drastisch zurückging. Nicht nur gingen die Raten zurück, solange die Reform gedieh, sie stiegen auch wieder, nachdem die Gottesdienste im Jahr 1815 von der Regierung untersagt worden waren. Was wir auf den folgenden
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Seiten untersuchen müssen, ist, ob die Eröffnung des Beer’schen Tempels den Rückgang der Raten nach 1815 erklärt.
Abb. 12. Reformrabbiner läuft Gefahr, ins Taufwasser zu fallen. Ursprünglich veröffentlicht in der satirischen Zeitschrift Schlemihl, 1903. Wenn wir die konvertierte Bevölkerung untersuchen, um zu fragen, welche Juden diese Entscheidung trafen, sehen wir, dass das Geschlecht der Konvertiten auf ziemlich dramatische Weise wechselte. Vor 1820 waren, wie Schaubild 3 zeigt, Frauen und Männer beide zu gleichen Teilen konvertiert oder geringfügig mehr Frauen als Männer. Nach 1820 erleben wir kein einziges Jahr, wo mehr Frauen als Männer konvertierten. Während der Zwanzigerjahre war der Abstand zwischen der hohen Zahl männlicher Konvertiten und einer viel niedrigeren Zahl weiblicher Konvertiten sogar größer als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt während des 19. Jahrhunderts. In Schaubild 4 sehen wir, dass während derselben Jahre, in denen allmählich mehr Männer als Frauen konvertierten, der Anteil konvertierter Frauen, die Christen heirateten, gleichfalls zurückging. Konversionsraten und Mischehenraten
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bewegten sich sogar sehr im Gleichklang, wie aus Schaubild 6 ersichtlich ist. Dieses Schaubild zeigt eindeutig, dass der Zusammenhang zwischen Konversion und Mischehe bei Frauen sehr viel enger war als bei Männern. Eine höhere Gesamtzahl von Männern konvertierte und heiratete jemanden mit einer anderen Konfession, aber ein größerer Anteil der Frauen, die konvertierten, heiratete dann gebürtige Christen. Schaubild 4 zeigt, dass die Mischehenrate selbst anstieg, was eine wichtige Veränderung innerhalb der jüdischen Welt Berlins war. Denn wenn Männer und Frauen aus derselben ethnischen Gruppe es vorzogen, Außenstehende zu heiraten, haben wir einen guten Hinweis darauf, dass die Moral dieser Gruppe schlecht war.100 Doch diese Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen. Denn die Heiratseinträge der schwarzen Ordner enthalten auch Ehen zwischen zwei Konvertierten, und dies waren wahrlich keine ethnischen Mischehen. 10 Prozent der in den Karteikartenordnern aufgeführten Ehen entfallen auf diese Kategorie. Konvertierte, die untereinander heirateten, belegen, dass die Taufe nicht immer ein Schritt auf dem Weg zur echten sozialen Integration war. Wir erinnern uns an Paare wie Magdalena Nawratzki und David Kirchhoff, beide jüdischer Abstammung, aber beide Christen, die im Jahr 1746 geheiratet hatten. Eine der bemerkenswertesten Heiraten zwischen zwei Konvertiten während dieser Epoche vereinte Leas und Abrahams jüngsten Sohn Paul mit Heinrich Heines 22-jähriger Cousine Albertine. Auf ihrem Hochzeitsbild von 1835 trägt Albertine ein großes Kreuz, und vom Fenster ihres Zimmers aus ist eine Kirche zu sehen. Sowohl Paul als auch Albertine waren als Kinder getauft worden, Paul 1816, als er erst vier war, und Albertine 1825, als sie elf Jahre alt war, zusammen mit vieren ihrer Geschwister und ihrem Vater.101 Mehrere andere Persönlichkeiten in unserer Geschichte heirateten ebenfalls über religiöse Grenzen hinweg. Rahels geliebter Bruder Ludwig heiratete Friederike Braun, und Karls Schwester Rosa heiratete David Assing, einen Arzt aus Hamburg. Felix Mendelssohn sollte 1836 die Tochter eines protestantischen Pfarrers, Cécile Jeanrenaud, ehelichen. Auch Heine heiratete, nachdem er 1831 von Deutschland nach Paris gereist war, eine Christin, Crescence Mirat. Heines Freund Karl Marx, der 1824, als er sechs Jahre alt war, von seinem Vater getauft wurde, heiratete seine Jugendliebe Jennie von Westphalen, allerdings mit dem Segen ihres Vaters. Viele konvertierte jüdische Frauen heirateten Christen, darunter Dorothea Mendelssohn, Sophie Meyer und ihre Schwester Marianne, Fanny Lewald und Julie Saaling. Leas und Abrahams älteste Tochter Fanny heiratete den Maler Wilhelm Hensel, und ihre jüngere Tochter Rebekka heiratete den Mathematiker Peter Dirichlet.
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Therese Schlesinger, Tochter eines jüdischen Musikverlegers, ehelichte Mendelssohns engen Freund, den christlichen Sänger Eduard Devrient. Zusätzlich zum Rückgang der weiblichen Konversion und der weiblichen Mischehe sehen wir weitere Anzeichen dafür, dass die Krise der Familie unter den wohlhabenden Berlinern weniger schlimm war als in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Wir sehen mehr in den Ostprovinzen geborene erwachsene männliche Konvertiten aus bescheidenen familiären Verhältnissen, die wohlhabendere in Berlin geborene Konvertiten verdrängten. Auch beim Alter der Konvertiten erlebte diese Epoche eine Umkehrung, wie Schaubild 7 zeigt. Wir haben bereits erfahren, dass die Konversion von Kleinkindern während all der Jahre, die in den schwarzen Ordnern dokumentiert sind, erschreckend hoch war. Nun erfahren wir, dass das Spitzenjahrzehnt der Kinderkonversion zu Beginn des neuen Jahrhunderts lag, als fast 90 Prozent der Getauften fünf Jahre alt oder jünger waren. In jenen Jahren waren nur sechs Prozent in ihren Zwanzigern. Im Laufe der Zeit ging der Anteil der Konvertiten, die so jung waren, allmählich zurück, und während der Zwanzigerjahre waren nur 41 Prozent Kleinkinder, ein Tiefpunkt bei der Kinderkonversion. Jetzt war ein Drittel der Konvertiten in ihren Zwanzigern. Wenn wir ermitteln können, welche Juden konvertierten, können wir besser erklären, warum die Zahlen in den Zwanzigerjahren stiegen. Zu den naheliegendsten Erklärungen, die natürlich überhaupt nicht exklusiv sind, gehören die Arbeit der Missionare, die Unterdrückung der Reform, der Reiz eines prestigeträchtigen Berufs, die Mischehe, der Wunsch, sich deutscher zu fühlen, und sich verändernde Sozialisationsmuster, die es Konvertiten erlaubten, weiter vertrauten Umgang mit der jüdischen Familie und den jüdischen Freunden zu haben. Obwohl der Zeitpunkt einen solchen Eindruck vermittelt, beharren zeitgenössische Beobachter wie Forscher darauf, dass Witzlebens Gesellschaft nicht sehr viele entfremdete Juden für den lutherischen Glauben warb.102 Es ist paradox, dass die Missionsarbeit in Preußen just in jenen Jahren wiederaufgelebt war, als die Zahl der Konvertiten, denen die spirituelle Wiedergeburt als Beweggrund für ihren Entschluss diente, rückläufig war. Doch obwohl die neue Missionsgesellschaft nicht viele Menschen motivierte, aus religiösen Beweggründen zu konvertieren, beeinflusste die Gruppe doch die Konversionsraten. Wie die Rabbiner und wie Achim von Arnim mussten auch ihre Missionare sich, wenn sie etwas verändern wollten, des Staates bedienen. Denn der Witzleben-Kreis machte sich dafür stark, die Lücke im Edikt von 1812 zu schließen, das hinsichtlich der Not-
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wendigkeit der Konversion für Berufe mit hohem Status vage gewesen war. Die Entscheidung gegen Gans im Jahr 1822 machte die Hoffnungen zunichte, dass die Türen zu solchen Berufen Juden offenstünden, die nach wie vor jüdischen Glaubens waren. Die Konversion vieler der Intelligentesten und Ehrgeizigsten der damaligen Zeit, darunter mehrere Personen in unserer Geschichte, kann mit dem brennenden Wunsch erklärt werden, eine berufliche Laufbahn einzuschlagen, die ihren Begabungen angemessen war.103 Das Karrieremotiv trägt auch einiges bei zur Erklärung des Klassen- und Altersmusters, da die ärmeren jungen Männer, die in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts konvertierten, sich während ihres Hoch schulstudiums oder danach zur Taufe entschlossen. Überdies konnte das Karrieremotiv auch das Verhalten von Eltern beeinflussen. Eltern entschieden sich, ihre Kinder taufen zu lassen, um ihnen die inneren Konflikte einer später zu treffenden Entscheidung zu ersparen, wenn sie sich um Positionen bewarben, die nur Konvertiten offenstanden. Ein anderer wahrscheinlicher Einfluss auf Veränderungen bei der Konversionsrate war das 18-jährige Experiment des Reformjudentums. Vielleicht hatten einige derjenigen, die nach 1823 konvertierten, die Taufe früher schon erwogen, waren dann aber Juden geblieben, weil die neuen Gottesdienste ihnen eine alternative Möglichkeit des Jüdischseins boten. Wir wissen, dass Leopold Zunz im Jahr 1823 die Taufe erwog, obwohl er sich letzten Endes entschloss, diesen Schritt nicht zu tun.104 Wenn ein Jude mit so viel Bildung und Überzeugung wie Zunz daran dachte zu konvertieren, wie verlockend muss dieser Schritt erst für jene gewesen sein, deren Bande zum Judentum sehr viel lockerer waren. Wir wissen, dass die Teilnehmer an den Gottesdiensten gewöhnlich junge Erwachsene waren, und wir vermuten, dass viele, wenn nicht die meisten dieser jungen Erwachsenen Männer waren. Und dennoch, Statistiken sind knifflig. Die augenscheinliche Korrelation zwischen dem Verbot der Gottesdienste und dem Anstieg der Konversionen bei erwachsenen Männern könnte ein irreführender Zufall sein. Nur weil viele junge Männer in den Gottesdiensten saßen und weil nach 1823 viele junge Männer unter den Konvertiten waren, können wir nicht davon ausgehen, dass dies dieselben Männer waren. Für diese Schlussfolgerung müssten wir die Namen der Konvertiten mit den Namen derjenigen, die den Beer’schen Tempel besuchten, abgleichen. Ein weiterer Grund, anzuzweifeln, ob die Reform den Anstieg der Konversionen bremsen konnte, ist außerdem der Abwärtstrend bei der Klassenlage der jungen männlichen Konvertiten. Wir wissen, dass die Männer, die
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nach 1830 getauft wurden, gewöhnlich ärmer waren als frühere Konvertiten, eine aus den Spitzenjahren der Krise der Familie resultierende Veränderung. Dies bedeutet, dass sie schwerlich zu den Teilnehmern an den neuen Gottesdiensten gehörten, die meist aus den reicheren Familien kamen.105 Als die Krise der Familie abklang, hatten viele vermögende jüdische Großfamilien dem Judentum bereits den Rücken gekehrt. Denselben Trend können wir verfolgen, wenn wir uns die Berufe ansehen. Statt der konvertierten Finanziers und Kaufleute, die man in den Jahren vor und nach 1800 recht häufig antreffen konnte, waren nun immer mehr Konvertiten Studenten oder Lehrer. Entscheidend für unsere Geschichte ist, dass, selbst wenn die Gottesdienste im Jahr 1823 nicht untersagt worden wären, die Raten trotzdem noch immer hätten ansteigen können. Denn wir können mit gutem Grund bezweifeln, dass die ärmeren jungen Männer, die im Anschluss an ihren Umzug nach Berlin konvertierten, erpicht darauf gewesen wären, Teil der Reform-Subkultur zu werden.106 Wir wissen, wie sehr Intellektuelle wie Zunz und Jost sich über ihre Abhängigkeit von den Beers dieser Welt ärgerten. Noch eine mögliche Erklärung für einen Anstieg der Konversionsraten in diesen Jahrzehnten ist, dass getreue Juden größere Bereitschaft zeigten, Konvertiten in ihre vertrauten gesellschaftlichen und familiären Kreise aufzunehmen. Wir wissen gut, dass die Angst vor Einsamkeit in vorangegangenen Generationen ein sehr guter Grund gewesen war, warum entfremdete Juden jüdisch blieben. In den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts existierten mehrere soziale Räume, wo ehemalige Juden und diejenigen, die noch jüdisch waren, in entspannter Atmosphäre miteinander verkehren konnten. Gerade weil man am Ende beschloss, konvertierte Mitglieder zu akzeptieren, war die »Gesellschaft der Freunde« ein besonderes Ziel für ehemalige Juden, um mit noch-jüdischen Juden Umgang zu haben. Darüber hinaus hießen mehrere jüdische Paare Konvertiten in ihren Häusern willkommen und fanden einen Weg, nach einer solchen Entscheidung ein enges Verhältnis aufrechtzuerhalten. Obwohl Leopold Zunz beschloss, nicht zu konvertieren, waren er und seine Frau Adelheid offenbar ziemlich aufgeschlossen.107 Karl Varnhagen war mit Leopold befreundet, und Adelheid hatte Beziehungen zu mehreren christlichen Frauen. Doch ihre Toleranz gegenüber Konvertiten hatte Grenzen. Adelheid verübelte Rahel anscheinend ihre Apostasie, und wir wissen nicht, ob Rahel jemals Gast in ihrem Hause war.108 Das gesellschaftliche Leben war in der Tat kompliziert. Während Rahel daran gewöhnt war, manche Leute zu sich nach Hause einzuladen, die sich für die Einladung niemals revanchieren würden, weigerten sich die Figuren
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in August Lewalds halb autobiografischem Roman Memoiren eines Bankiers, es ihr gleichzutun. Die Handlung spielt in einer ostpreußischen Stadt in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Der Erzähler und seine Frau werden in den Jahren nach den Befreiungskriegen Katholiken, aber sie sind bestürzt, als die prominenten Christen, die sie zu sich nach Hause einladen, ihre Einladung nicht erwidern. Sie beschließen, in einem Kreis von konvertierten Juden und von Juden, die eine Konversion erwägen, Kontakte zu knüpfen.109 Dass ein solches Netzwerk sogar in August Lewalds Fantasie existieren konnte, lässt darauf schließen, dass die Konversion nicht zwangsläufig zu völliger Einsamkeit führte. Ein weiterer möglicher Grund für die Zunahme der Taufen war der unwiderstehliche Drang, sich eine neue innere Identität zu basteln, von der man meinte, sie müsse national oder kulturell und nicht religiös sein. Lutheraner zu werden war eine nachhaltige Möglichkeit, sich innerlich deutscher zu fühlen, verstärkt durch die christlichen Werte der nationalen Bewegung und staatlicher Institutionen. Rechte wie Linke, rationale Kirchengegner ebenso wie romantische Konservative erachteten die protestantische Glaubenszugehörigkeit zunehmend als notwendig für die staatsbürgerliche Zugehörigkeit und Identität. Als erster weltlicher linker Konvertit war Ludwig Börne das beste Beispiel für diese Tendenz. Um unser Verständnis der Konversionsproblematik zu vertiefen, müssen wir uns das Leben von drei Menschen, Daniel Lessmann, Harry Heine und Eduard Gans, die in diesen Jahren konvertierten, etwas genauer ansehen, damit wir uns aus nächster Nähe ein Bild von der Komplexität individueller Entscheidungen machen können. Lessmann traf im Jahr 1824 in Berlin ein, als er 28 Jahre alt war. Sein Vater war ein glühender maskil gewesen, der den Familiennamen von Lewin in Lessmann änderte, vielleicht zu Ehren von Mendelssohns Freund Gotthold Ephraim Lessing. Daniel war einer der seltenen jüdischen Intellektuellen seines Kreises, der während der Befreiungskriege für Preußen gekämpft hatte und sogar verwundet worden war im Namen der Freiheit. Während er sich in einem kleinen Dorf erholte, verliebte er sich in eine Christin, aber die beiden heirateten nie, und er blieb sein ganzes kurzes und ziemlich unglückliches Leben hindurch unverheiratet. Lessmann wurde als Arzt ausgebildet, aber er praktizierte nie, sondern entfaltete eine rege schriftstellerische und Publikationstätigkeit, in deren Verlauf historische und literaturgeschichtliche Werke sowie Romane und journalistische Arbeiten entstanden.110 In seinen Zwanzigern führte Lessmann ein rastloses Leben, und seine Wanderschaft führte ihn von Wien in verschiedene Städte Italiens, bevor er
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sich schließlich in Berlin niederließ. Er hatte Freunde, die im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« aktiv waren, und in der Tat hatte Zunz ihn schon im Jahr 1821 als außerordentliches Mitglied des Klubs nominiert. In demselben Jahr, als er nach Berlin kam, wurde Daniel getauft, und seine Freunde vermuteten später, dass er mit diesem Schritt gewartet hatte, bis sein Vater starb.111 Nach seiner Konversion kappte Daniel die Verbindungen zu seinen Vereinsfreunden nicht, so wenig, wie sie die Beziehungen zu ihm abbrachen. Moses Moser erinnerte sich später an seine Reaktion auf Lessmanns Entschluss als an einen Wendepunkt in der Bedeutung der Taufe. In einem Brief an seinen Freund Immanuel Wohlwill schrieb Moser, dass es eine Zeit gegeben habe, wo ein solcher Schritt für ihn Grund gewesen wäre, eine Freundschaft aufzukündigen. Doch heute finde er nichts Spirituelles innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, was einen hehren Kampf lohne. Inmitten dieser allgemeinen Zersplitterung müsse jeder Einzelne sehen, wie er sich mit den Eigentümlichkeiten seiner Familienbande arrangiere, die ihn möglicherweise fesselten.112 Obwohl es ihm nach seiner Taufe gelang, sich seine Freunde zu erhalten, fand Daniel nur wenig innere Ruhe, und sieben Jahre später nahm er sich das Leben, indem er sich an einem Baum erhängte. Ein anderer von Lessmanns Kollegen im Verein dachte im Jahr 1824 ebenfalls an Taufe: Heinrich Heine. Um Heines Schicksal zu verstehen, müssen wir seine Lebensgeschichte zusammen mit der beunruhigenden Geschichte seines engen Freundes Eduard Gans untersuchen. Heine hatte Berlin im Mai 1823 verlassen, um bei seiner Familie zu wohnen, die im Jahr zuvor nach Lüneburg umgezogen war. Harry äußerte sich in sarkastischem Ton über Lüneburg, das er die »Residenz der Langeweile« nannte.113 Ruhelos wie immer, reiste er bald ab nach Göttingen, wo er studiert hatte, bevor er 1821 nach Berlin gekommen war, entschlossen, an der dortigen Universität seinen Jura-Abschluss zu machen. Während seiner Göttinger Zeit schrieb er mehrere Kapitel eines im Mittelalter spielenden historischen Romans mit dem Titel Der Rabbi von Bacharach. Wer den Roman heute liest, findet Heines Stimme voller »Klangfülle und Verständnis« für die Situation der Juden seiner Zeit. Doch der Roman blieb unvollendet, und damals wie später vermuteten manche, dass Heine das Buch nicht beenden konnte, weil seine persönlichen Vorbehalte hinsichtlich des Judentums zu stark waren. Im Mai 1825 legte Heine endlich das juristische Vorexamen ab, wenn auch mit einer mäßigen Note. Während er noch überlegte, wie er seine Zukunft gestalten sollte, machte sein Freund Eduard Gans Zwischenstation in Göttingen für einen Besuch. Seit der Entscheidung von 1822, dass die Taufe erforderlich
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wäre, damit er Professor werden konnte, wohnte Gans bei seiner Mutter, wo er mit seinem Mentor, Professor Hegel, beschäftigt war und verschiedene Projekte plante, um Hegels liberale Ansichten zu verbreiten. Aber Gans machte sich Sorgen, denn produktive Tage an seinem Schreibtisch, gute Rezensionen, Gespräche im Kaffeehaus und selbst Hegels Unterstützung waren schwerlich eine Professur. Nachdem der Verein sich im Jahr 1824 aufgelöst hatte, gab es einen Grund weniger, in Berlin zu bleiben, und im darauffolgenden Mai reiste Gans nach Paris ab. Für seinen Unterhalt sorgte das zweijährige Stipendium für ein Auslandsstudium, das Hardenberg ihm 1822 verschafft hatte. Anscheinend dachten viele seiner Freunde, dass er nie nach Berlin zurückkehren würde.114 Auf seinem Weg nach Paris machte Eduard in Göttingen Halt, um seinen Freund Harry zu besuchen. Während dieses Besuchs sprachen die beiden Männer über die Notwendigkeit der Taufe, wenn sie Juraprofessoren werden wollten. Gans’ Mutter drängte ihn nach wie vor, im Handel zu arbeiten, was bedeutete, dass Jude zu bleiben von Vorteil oder vielleicht sogar eine Voraussetzung wäre. Heine andererseits war sich sicher, dass seine Familie eigentlich wollte, dass er konvertierte und eine akademische Laufbahn einschlug.115 Zwei Jahre zuvor, während er daheim bei seiner Familie in Lüneburg an seiner juristischen Doktorarbeit saß, schrieb er an einen Freund in Berlin: »Wie Du Dir denken kannst – kommt hier die Taufe zur Sprache. Keiner von meiner Familie ist dagegen außer ich.«116 Dennoch bekannten sich beide während ihres Wiedersehens in jenem Mai zu den Werten des Vereins, und sie versprachen einander, keiner von ihnen werde »zu Kreuze kriechen«. Aber schon Wochen später, sobald Eduard nach Paris weitergefahren war, brach Harry sein Versprechen, obwohl er gemischte Gefühle gegenüber der Entscheidung hegte. Im Jahr 1823 hatte er Moses Moser geschrieben: »Dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend, wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe. Im lieben Preußen!!! […] Wir leben in einer traurigen Zeit, Schurken werden zu den Besten, und die Besten müssen Schurken werden.«117
Irgendwann im Frühjahr 1825, vermutlich nachdem Eduard nach Paris abgereist war, fing er an, sich zusammen mit Gottlieb Grimm, einem Pastor in Heiligenstadt, einer Kleinstadt in der Nähe von Göttingen, intensiv mit dem lutherischen Glauben zu befassen. Am 28. Juni wurde er getauft und erhielt den Namen Christian Johann Heinrich Heine. »Ein Augenzeuge sprach von einem feuchten Schimmer in Heines Augen, ein anderer von seinem blassen
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Gesicht«, und dass er »beim anschließenden Mittagsmahl … kaum ein Wort« gesprochen habe.118 Warum entschied sich Heine ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, Lutheraner zu werden? Seine berühmteste Bemerkung über die Taufe war, dass sie sein »Entréebillet zur europäischen Kultur« gewesen sei.119 Hier idealisierte er seine eigenen Motive, denn die Taufe sollte sein »Entréebillet« zu seiner eigenen Karriere als Juraprofessor sein. Seine karrieregeleitete Einstellung wurde im Laufe der Jahre zunehmend komisch, denn obwohl Heine »die Eintrittskarte gekauft hatte«, schaffte er es nie, Juraprofessor zu werden. Während der fünf Jahre, die er nach seiner Taufe noch in Deutschland verbrachte, beneidete Harry seine Freunde, die als Privatgelehrte von Geldern ihrer Familien leben konnten. Vor sich selbst rechtfertigte er die Taufe mit der Notwendigkeit, für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen. Später schrieb er an seinen Freund Moser: »Wenn die Gesetze das Stehlen silberner Löffel erlaubt hätten, so würde ich mich nicht getauft haben.«120 Hier dachte er an seinen Freund Eduard oder vielleicht an Giacomo und Michael Beer. Dies war offensichtlich ein schwieriger Zeitpunkt in seinem Leben, denn im Winter 1825 dachte er an Selbstmord, sechs Monate nach seiner Taufe.121 Noch Jahrzehnte nach seinem Glaubenswechsel hegte Heine zwiespältige Gefühle hinsichtlich seiner jüdischen Identität. In einem Brief an Moser im Januar 1826 gab er zu: »Ich bereue sehr, daß ich mich getauft habe; ich seh noch gar nicht ein, dass es mir seitdem besser gegangen sei; im Gegenteil, ich habe seitdem nichts als Unglück.«122 Doch nach dem Ereignis klang er jahrelang keineswegs bedauernd. Als er fünf Jahre später Moritz Daniel Oppenheim für ein Porträt Modell saß, fragte der Maler, ein strenggläubiger Jude, Harry, ob er konvertiert sei. Heine wischte die Frage mit der spöttischen Bemerkung beiseite, »daß es gar nicht weh getan habe – sich einen Zahn ziehen zu lassen, sei viel schmerzhafter«.123 Und ein Jahrzehnt später, als er bereits in Paris war, erklärte er in einem Brief an das Journal des Débats in Paris vom 26. September 1835: »Il n’appartient pas à la religion israélite; il n’a jamais mis le pied dans une synagogue.«124 Unterdessen machte Eduard sich, nunmehr in Paris, an den dritten Band seines Wälzers zur römischen Rechtsgeschichte. Er war hocherfreut, dass David Koreff und Alexander von Humboldt zu der Zeit ebenfalls in Paris waren, ebenso wie der Verleger Johann Friedrich von Cotta, der ihm riet, nach Berlin zurückzukehren, um eine neue liberale Zeitschrift herauszugeben. Eduard beschied Cotta und seine Freunde, dass er dieses Projekt nur übernehmen könne, wenn er endlich Professor an der Universität werden könne.
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Sieben Monate nach seiner Ankunft in Paris trat er in Heines Fußstapfen und wurde am 12. Dezember 1825 lutherisch getauft. Keiner seiner Freunde glaubte, dass seinem Entschluss irgendwelche wie auch immer gearteten religiösen Impulse zugrunde lagen. Freunden gegenüber räumte Gans freimütig ein: »Wenn der Staat törichterweise von ihm verlange … etwas zu bekennen, woran er nicht glaube, dann solle es eben so sein.«125 Kurz darauf schmiedete er Pläne, nach Berlin zurückzukehren, und im März 1826 wurde er an die juristische Fakultät der Berliner Universität berufen und 1828 ordentlicher Professor, sehr zur Freude Hegels und zur Entrüstung Savignys. Gans’ Entscheidung regte viele auf. Heine setzte sich hin und schrieb ein Gedicht, »Einem Abtrünnigen«, in dem er Gans mit schrecklichen Beleidigungen überschüttete. Er muss sich geschämt haben für das Gedicht, denn er veröffentlichte es nie, und Eduard hat es nie gelesen. Einige der Zeilen hätten ihn tief verletzt, beispielsweise: Gestern noch ein Held gewesen, Ist man heute schon ein Schurke.126
Heine war sich vollkommen bewusst, dass er in dem Gedicht seine eigenen Schuldgefühle auf Eduard projizierte, denn an Moser schrieb er: »Ich denke oft an [Gans], weil ich an mich selbst nicht denken will.«127 Gans’ Entscheidung rief in weiteren Kreisen des Judentums Verzweiflung hervor. Wegen seiner öffentlichen Bekanntheit als Reformer wurde seine Konversion als »deprimierender Schlag gegen Hoffnungen auf eine jüdische Emanzipation« empfunden.128 Gans wohnte nach seiner Rückkehr wieder bei seiner Mutter, die sich angeblich mit seiner Taufe abgefunden hatte, obwohl sie ihn manchmal hänselte wegen seines neuen religiösen Status. Nur wie er seine Beziehung zu früheren Vereinsfreunden aufrechterhielt, ist unklar. Mit Leopold Zunz blieb er in Kontakt, aber Zeitgenossen tratschten auch, Gans »könne keinen Juden mehr sehen«.129 Für Zunz mag es durchaus schmerzhaft gewesen sein, mitanzusehen, wie Gans seinen Aufstieg an die Spitze der örtlichen akademischen Welt begann. Zunz’ Diktum, dass die Taufe die Juden in den Augen derselben Regierung erniedrige, welche die Konversion wünsche, mag durchaus in Reaktion auf Gans’ Taufe formuliert worden sein.130 Jetzt, wo er Lutheraner war, konnte Gans anfangen, seine politischen und akademischen Ziele zu verwirklichen. Im Hochsommer 1826 beriefen Gans und Hegel ein Treffen bei Hegel zu Hause ein, um die Zeitschrift zu gründen, die Cotta in Paris vorgeschlagen hatte. Der Plan war, eine »GegenAkademie« zu schaffen, um mit Berlins angesehener Akademie der Wissen-
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schaften zu konkurrieren, die seit Langem Hegels Berufung verweigerte, weil Schleiermacher ihn so leidenschaftlich ablehnte. Gans wurde zum Generalsekretär der neuen Einrichtung ernannt, die den Namen »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« erhielt. Man hatte vor, sich wöchentlich zu treffen, um über Artikel zu sprechen, die zur Veröffentlichung in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik vorgeschlagen worden waren, einer Zeitschrift, die liberale, sogar radikale politische Ansichten vertrat und unter Verzicht auf trockene wissenschaftliche Artikel breite Kreise ansprechen sollte. Sollte es uns überraschen, zu erfahren, dass Gans nicht nur der Organisator, sondern gelegentlich auch der Mäzen war? Einmal, als die Finanzierung des neuen Projekts unzureichend war, schoss Gans 2.000 Taler zu, um die Zeitschrift über Wasser zu halten.131 Trotz seines Status als Neuchrist gab es Parallelen zwischen seinem neuen Projekt und dem inzwischen eingegangenen »Verein für Cultur und Wissenschaft des Judentums«. Offensichtlich genoss es Gans, alternative Institutionen mit umfassenden Mandaten zur Weltveränderung zu schaffen. Jetzt, wo er kein Jude mehr war, war die intellektuelle Programmatik seiner neuen Organisation weiter gefasst, und nun zählten seine Kollegen zu den bedeutendsten Geistern der Zeit. Doch die Funktion des Projekts in seinem Alltagsleben ähnelte auffällig seiner Arbeit für den Verein während der frühen Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts, und einige der Personen, welche die Gesellschaft finanzierten, hatten damals schon zu seinem Kreis gehört, darunter Moritz Veit sowie Lea und Abraham Mendelssohn. Abermals erleben wir hier, dass wohlhabende Juden Geld für eine fortschrittliche kulturelle Einrichtung spenden, und im Gegenzug finden sie einen sozialen Raum, um unter den oberen Zehntausend zu glänzen. Wenn wir das Leben der Mendelssohns, von Daniel Lessmann, Heinrich Heine und Eduard Gans erforschen, stellen wir fest, dass Karrieren, sozialer Aufstieg und neue nationale Identitäten diese Männer zum Kreuz hinzogen. Als ihre Geschwister, Eltern, Cousinen, Cousins und Freunde ebenfalls konvertierten oder zumindest fortfuhren, gesellschaftlich mit ihnen zu verkehren, wurden die emotionalen Kosten der Taufe außerordentlich reduziert. Aber bescherte ihnen die Taufe das, was sie erstrebten? Hatte Heine recht mit seinem Urteil, dass die Besten »Schurken« geworden seien, und wenn er recht hatte, waren diese »Schurken« dann wenigstens glücklich? Dies sind unsere Leitfragen, wenn wir uns nun auf die abschließenden sieben Jahre unserer Reise begeben.
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Die Schattenseite der neuen Identitäten, 1826–1833 Wegen ihrer im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Leistungen wurden Konvertiten wie Rahel Levin Varnhagen, Eduard Gans, Heinrich Heine und Felix Mendelssohn von nah und fern mit den unterschiedlichsten Gefühlen beobachtet, die von Bewunderung über Eifersucht bis hin zu Kritik reichten. Manchmal fanden jene, die sich in ähnlichen Notlagen befanden, Wege, einander zu unterstützen. Aber wie Heines Gedicht über Gans deutlich zeigt, führten parallele Notlagen nicht immer zu Solidarität. Sowohl bei unbekannten Konvertiten als auch bei den allseits bekannten erleben wir Bekundungen großer Feindseligkeit, privat und in der Öffentlichkeit, gegen einen ebenfalls als Juden geborenen Glaubensgenossen, der nach außen hin irgendwie jüdischer wirkte. In dem verzweifelten Bemühen, dem jüdischen Stigma zu entkommen, gingen manchmal Familien- und Freundschaftsbande entzwei und zerbrachen. Nehmen wir zum Beispiel Rahels jüngeren Bruder Ludwig Robert. In dem von ihm gewählten Beruf des Dramatikers fiel Ludwig der Erfolg nicht in den Schoß. Im Jahr 1819, mit 41 Jahren, wurde auch er Lutheraner, um seine geliebte Friederike Braun zu heiraten, die Christin war, aber auch in der Hoffnung, seiner Theaterkarriere auf die Sprünge zu helfen. Vier Jahre zuvor, im Jahr 1815, forderten anlässlich einer Aufführung eines seiner Stücke »Maueranschläge an den Berliner Straßenecken, man möge die ›Sudelei von einem Juden‹ auspfeifen«, allerdings konnten sie »den Erfolg nicht verhindern«.132 Trotz solcher Angriffe engagierte Ludwig sich für das Theater als Forum für Sozialkritik. Er und Rahel sprachen oft über das Problem ihrer jüdischen Herkunft. Nur Monate vor seiner Taufe, während des schicksalhaften Sommers von 1819, tauschten die zwei Geschwister Briefe über die Hep-Hep-Krawalle aus. In jenem Sommer hielten beide sich in Karlsruhe auf, einem der Schauplätze der Angriffe gegen Juden und jüdischen Besitz. Ludwig klagte gegenüber Rahel, dass andere Juden den judenfeindlichen Charakter der Krawalle nicht ernst genug nähmen. Diese Formulierung ist umso bemerkenswerter, als Rahel vier Jahre zuvor in einem ihrer Briefe den Satz »solche Leute, wie wir, können nicht Juden sein« geschrieben hatte. Ludwig war nicht ganz im Reinen mit seiner Entscheidung, sich taufen zu lassen, aber er versuchte seine Schwester, die bereits seit fünf Jahren Christin war, davon zu überzeugen, dass er von der Notwendigkeit der Tat überzeugt war. Es sei ihm mit diesem Schritt jetzt genauso ernst, schrieb er ihr, wie es ihm früher mit der Weigerung, ihn zu vollziehen, ernst gewesen sei.133
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Obwohl er das Theater als ein Forum für Sozialkritik betrachtete, sprach Ludwig in seinen Stücken die jüdische Problematik lieber nicht direkt an. Wie Michael Beer mit seinem Stück Der Paria oder Giacomo Meyerbeer mit seiner Oper Die Hugenotten fand auch er, dass es einen anderen Weg gebe, Wut auszudrücken, dabei aber zu viel traurige Berühmtheit zu vermeiden, und zwar, indem man ein Kunstwerk schuf, das als scharfe Kritik am Vorurteil gegen eine andere Minderheit verstanden werden konnte. Roberts erfolgreichstes Drama, Die Macht der Verhältnisse, erzählte in der Tat die Geschichte eines Adeligen, der sich weigert, ein Duell mit einem Bürgerlichen auszutragen. In dem Stück ist der Sohn eines Pfarrers empört, dass seine Ehre von einem adeligen Beamten verletzt wurde. Der Beleidigte fordert den Adeligen zum Duell, aber als der Adelige sich weigert, sich zu duellieren, beschließt der Beleidigte, den Beamten kaltblütig zu erschießen. Viele waren sich sicher, dass das Stück auf der Arnim-Itzig-Affäre basierte, was Robert aber stets bestritt.134 In einem anderen Stück mit dem Titel Jocko zielte Ludwig auf einen anderen Mann jüdischer Abstammung statt auf einen arroganten Adeligen. Jocko war die Slapstick-Version einer Kurzgeschichte des Schriftstellers, Komponisten, Zeichners und Autors spukhafter Geistergeschichten E. T. A. Hoffmann, der zu der Zeit in Berlin lebte. In dem Stück hat der Besitzer eines echten Schoßäffchens sein Haustier in schicke Klamotten gesteckt und es in die gute Gesellschaft eingeführt. Aber im Verlauf der Geschichte wird die wahre Identität des Affen enthüllt. Als Jocko in Berlin gespielt wurde, gingen, sobald der verkleidete Affe auf der Bühne erschien, Wogen des Gelächters und fröhliche »Saphir! Saphir!«-Rufe durch das ganze Theater.135 Wer, so fragen wir uns unwillkürlich, war Saphir? Im Unterschied zu den meisten anderen Konvertiten aus jenen Jahren erhielt Moritz Gottlieb Saphir eine gründliche religiöse Erziehung und veröffentlichte einige seiner frühen Werke sogar auf Jiddisch. Er wuchs in Lovasberény auf, einem kleinen Dorf in der Nähe von Budapest. Als er zehn Jahre alt war, starb seine Mutter. In seiner Jugend war er ein brillanter Jeschiwa-Schüler und bestimmt für ein Leben als Rabbiner. Während er an einer Jeschiwa in Prag lernte, machte er die Bekanntschaft eines Priesters, der ihn an die weltliche Bildung heranführte. Schnell beherrschte Saphir Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch. Rastlos und ehrgeizig, wie er war, zog er von Prag nach Budapest und weiter nach Wien. Im Jahr 1825, als er 30 Jahre alt war, wandte sich Saphir nach Berlin. Dort begann er zwei umstrittene Zeitungen herauszugeben, die Berliner Schnellpost für Litteratur, Theater und Geselligkeit (ab 1826) und den Berliner
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Courier (1827–29), die zum Bersten voll waren mit beißender Satire. Ironischerweise war einer seiner eifrigsten Leser König Friedrich Wilhelm III. Saphir schrieb selbst viele der Artikel, die berühmt waren für ihren Witz, ihre sexuellen Anspielungen und schelmischen Anekdoten und den ätzenden Spott über die Kommunal- und Landespolitik.136 Die Begeisterung des Königs war umso überraschender, wenn man bedenkt, dass Saphir nicht nur auf radikale Nationalisten zielte, sondern auch auf Monarchisten und Monarchen, Militarismus und Pressezensur.137 Saphir wurde von einigen der bedeutenden Persönlichkeiten Berlins geschätzt, und er überzeugte sogar Hegel persönlich, für seine Zeitungen zu schreiben. Im Dezember 1827 gründete er zusammen mit den Hofschauspielern Friedrich Wilhelm Lemm und Ludwig Schneider in seiner Privatwohnung die literarische Gesellschaft »Tunnel über der Spree«, zu deren Motto man »Ungeheure Ironie und unendliche Wehmut« erkor. Saphir war bekannt für seine extravagante Garderobe und spazierte manchmal mit einer blonden Lockenperücke auf dem Kopf durch die Stadt. Absolut keinen Hehl machte er aus seinem Hass gegen Henriette Sontag, eine ungeheuer beliebte Sängerin, was seinem eigenen Ansehen wenig förderlich war. Manchmal griff er auch andere Juden an, darunter Ludwig Robert und Heinrich Heine. Vielleicht wollte Saphir sich dafür rächen, wie Robert ihn in Jocko verspottet hatte. Doch andererseits konnte Saphir auch ein stolzer Jude sein. Er feierte Humor als jüdischen Charakterzug und betonte, dass die Unterdrückten sich einzig mit Lachen zur Wehr setzen könnten.138 Er reagierte sein Leben lang heftig auf Antisemitismus und bekämpfte ihn tapfer. Antisemiten waren für ihn kranke Individuen, denen der Judenhass ein psychologisches Bedürfnis sei.139 Angesichts seiner linken politischen Ansichten überrascht es nicht, dass Saphir begeistert von Gans’ neuer »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« war. Aber Saphir war zu isoliert, um sich an Gans’ Welt zu beteiligen, wie ein Vorfall im Mai 1826 enthüllt. Einer seiner Freunde hatte eine Zusammenkunft in einem Restaurant organisiert, weil er vorhatte, Saphir mit seinen Kritikern zu versöhnen, und während des Essens wendete sich die Unterhaltung dem Lob Henriette Sontags zu. Saphir gab seine Pläne zum Besten, eine weitere Parodie auf sie zu veröffentlichen. Karl Schall, ein Breslauer Journalist und Theaterdichter, fing an, Saphir lautstark mit Obszönitäten zu belegen und stürmte dann hinaus, gefolgt von allen Gästen der Gesellschaft, sodass Saphir allein am Tisch sitzen blieb. Bei anderer Gelegenheit in ihrer bewegten Beziehung forderte Schall Saphir zum Duell, und Freunde überlegten, wer Saphirs »Sekundant« wäre, falls er getötet wurde. »Schließlich
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hielt eine Mietdroschke an, in der Saphirs Sekundant saß, und ihr entstieg, ausgerechnet, Hegel!« Tatsächlich rettete Hegel die Situation, indem er Saphir überredete, sich bei Schall zu entschuldigen, und dadurch verhinderte, dass das Duell stattfand.140 Nach vier Jahren in Berlin begannen Saphirs öffentliche Forderungen nach Pressefreiheit den König zu verdrießen, und im Jahr 1829 verlor er seine einstweilige Aufenthaltsbewilligung, die ihn berechtigte, in der Stadt zu wohnen. Saphir war nicht durch das Edikt von 1812 geschützt, weil er nie Bürger von Berlin geworden war. Er wollte die Krise lösen, indem er konvertierte, was ihm ermöglicht hätte zu bleiben. Aber wegen seines minderen Status benötigte er eine offizielle staatliche Genehmigung, um die Religion zu wechseln, und sein Gesuch wurde abgelehnt. Diese Entscheidung macht unsere Geschichte nuancenreicher, lässt sie doch darauf schließen, dass nicht hinter jeder die Juden betreffenden Entscheidung, die von staatlicher Seite gefällt wurde, die schlichte Zielsetzung stand, die Zahl der Konversionen zu erhöhen. Aber einmal mehr sehen wir hier den langen Arm des Staates, wie er religiöse Angelegenheiten bestimmt. Saphir reiste bald nach München ab. Drei Jahre später, nachdem sein Vater gestorben war, wurde er Lutheraner. Er heiratete nie. Verlassen wir ihn beim Testament seines Vaters, in dem dieser einen jüngeren Sohn und nicht seinen Erstgeborenen Moritz bat, das jüdische Klagegebet, das Kaddisch, zum Gedenken an ihn zu sprechen.141 Die Diskussion über Saphirs Arbeit und politische Ansichten erregte offensichtlich seine Freunde und Gegner. Als Ludwig Börne im Frühjahr 1828 in Berlin eintraf, ermahnten seine Freunde ihn, Saphir aus dem Weg zu gehen. Börne, dessen politische Ansichten denen Saphirs ähnelten, ignorierte diesen Rat, und während seiner Wochen in Berlin trafen sich Moritz und Ludwig oft zu Spaziergängen im Tiergarten. In seinen Briefen an seine enge Freundin Jeanette Wohl daheim in Frankfurt allzeit das boshafte Klatschmaul, gab Börne zu, dass Saphir »allgemein gehasst und verachtet« werde.142 Börne war im Jahr 1828 seit einem Jahrzehnt Christ und hatte es zum erfolgreichen Herausgeber einer Zeitschrift für Theaterkritik gebracht, überzeugt davon, dass solche Schriftstellerei die öffentliche Wut gegen die gnadenlose Unterdrückung entfachen könne, die das Leben in Deutschland in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts derart erstickte. Zeitgenössische Radikale und Liberale waren begeistert von Börnes Arbeit und überzeugt davon, dass er »die wirkungsvollste Geißel der allgemeinen öffentlichen Empörung war, die das moderne Deutschland je gesehen hatte«. Selbst heute, fast zwei Jahrhunderte später, finden Leser seine satirischen Schriften »ungeheuer wit-
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zig«, und manche finden es unmöglich, ihn zu lesen, »ohne laut loszulachen«.143 Auch Börne wurde angetrieben von schierer materieller Not. Wie Heine wütete auch er gegen eine Vaterfigur, die ihm die finanziellen Mittel für ein Leben als Privatgelehrter verweigerte. Weil der Vater die politischen Ansichten des Sohne so entschieden missbilligte, fiel Ludwigs Erbschaft, nachdem sein Vater im Jahr 1827 gestorben war, sehr viel bescheidener aus, als er erwartet hatte.144 Aber im Gegensatz zu Heine, der Champagner beim Essen und Ausflüge an die See mochte, wenn er sich niedergeschlagen fühlte, war Börne ein Asket und konnte von der Hand in den Mund leben. Privat war Börne weiterhin eng mit Jeanette Wohl liiert, allerdings ohne das normale Drumherum bürgerlichen Lebens. Beide lebten seit vielen Jahren in Frankfurt am Main, und sie schrieben sich tagtäglich mehrere Briefe. Jeanette hatte schon im Jahr 1822 vorgeschlagen, sie und Ludwig sollten nach Berlin ziehen und mit Ludwigs alter Freundin Henriette Herz einen gemeinsamen Hausstand gründen. Aber damals hatte Börne diesen Plan überheblich zurückgewiesen. Nun, sechs Jahre später, als er endlich eine lange aufgeschobene Reise nach Berlin unternahm, war er derjenige, der eine richtige Ehe mit Jeanette vorschlug. Aber seine Konversion im Jahr 1818 erwies sich jetzt als ernsthaftes Hindernis für ihre Vereinigung, denn um heiraten zu können, hätte er zum Judentum zurückkehren müssen, oder sie hätte konvertieren müssen. Aber Jeanette war zu loyal gegenüber ihrer Familie und ihrem jüdischen Glauben, um diesen Schritt zu tun, selbst wenn sie sich eine Ehe mit Ludwig leidenschaftlich gewünscht hätte. Ihr fehlte das Zutrauen in ihre Leidenschaften und seine Aufrichtigkeit, und er sah die Verpflichtung und tägliche Vertrautheit mit gemischten Gefühlen. Die beiden klingen so modern in ihrer Unzufriedenheit. Und so verging das Jahr 1828 ohne ihre Vereinigung, und die Chance kam niemals wieder. Ludwigs Briefe an Jeanette strotzten vor pikantem Klatsch über andere Personen, die er während jener Frühlingsmonate in Berlin kennenlernte oder kennenlernen wollte. Er beschloss, nicht eine Begegnung mit Schleiermacher zu suchen, den er aus der Ferne bewundert hatte, als er im Jahr 1805 Student an der Universität von Halle gewesen war. Sie waren einander damals nicht nahegekommen, und jetzt war sich Börne sicher, dass der berühmte Theologe ihn »nicht leiden« könne, weil Börne für Schleiermacher zu sehr der militante Kirchenfeind und Rationalist sei.145 Wir können seinen Wunsch nachfühlen, Hegel kennenzulernen, dessen politische Ansichten eher nach Börnes Geschmack waren, aber die Gelegenheit ergab sich nie. Einst war er in Henriette Herz verliebt gewesen, als sie 37 und er 17 Jahre alt
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war. Jetzt, wo sie 64 war und allein in bescheidenen Verhältnissen lebte, war Ludwig äußerst wenig mitfühlend. Gegenüber Jeanette bemerkte er: »Ihr faltenreiches Gesicht erschien mir als ein Vorhang, hinter dem sich ihre einstige Schönheit versteckt hielt. Ich zog ihn weg, aber es war nichts dahinter.«146 Rahels und Karls Wohnung in der Mauerstraße 36 war eine naheliegende Anlaufadresse für Ludwig Börne. Nachdem sie im Frühherbst 1819 aus Karlsruhe nach Berlin zurückgekehrt waren, hatten sie zunächst in Mietwohnungen gewohnt, aber im Jahr 1826 hatten sie endlich eine eigene Wohnung gekauft: »Hellblaue, geräumige Zimmer blickten vorne auf die Straße und hinten auf hohe Gartenbäume hinaus. Die Ausstattung war einfach, aber wiederum elegant – Sofas, Rahels Fortepiano, Bücher und Blumentöpfe waren so angeordnet, dass sie wohltuend auf die Besucher wirkten. Zwei Büsten, eine des Prinzen Louis Ferdinand und eine von Friedrich Schleiermacher, gehörten zur Dekoration.«147
Auf den ersten Blick teilten Rahel, Karl und Ludwig viele gemeinsame Freunde, radikale politische Ansichten und eine komplizierte Einstellung zum Jüdischsein. Rahel und Ludwig waren sich einig, dass die Taufe ein positiver und notwendiger Schritt sei, aber keiner der Drei stand der Judenfeindschaft gleichgültig gegenüber. Doch trotz ihrer Gemeinsamkeiten verschonte Börne Rahel und Karl nicht mit seinem kritischen Blick. Sich selbst sah er als den prinzipientreuen Linken, den ihre weltlichen Kompromisse ärgerten. Jeanette schrieb er, dass Karl so erpicht darauf sei, im diplomatischen Dienst zu bleiben, selbst nachdem er seine Stelle in Baden verloren habe, dass er sich bei den herrschenden Eliten einschmeichle. Noch wütender war er auf Rahel wegen ihrer Suche nach prestigeträchtigen Beziehungen.148 Obwohl Ludwig Jeanette versicherte, dass er ihren intellektuellen Scharfsinn bewundere, schätzte er genau dieselben Eigenschaften bei Rahel ganz und gar nicht und klagte gegenüber Jeanette, dass Rahel eine »superkluge Frau« sei, die Fehler mache wegen ihrer »Superklugheit«.149 Ludwigs mangelndes Verständnis für die Verlegenheiten einer klugen Frau, die nicht über seine Möglichkeiten produktiven politischen Engagements verfügte, ist beunruhigend, wenngleich wir wissen, dass seine Kritik an Rahels unterwürfigem sozialem Aufstieg durchaus berechtigt war. Ironischerweise erfuhr Rahel nie, wie sehr Börne sie in seinen Briefen an Jeanette beleidigte. Einer gemeinsamen Freundin schrieb sie, dass sie ihn verehre. In einem Brief, den sie an Börne schrieb, erbot sie sich, »nicht nur seine Wäscherin und Marke-
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tenderin zu sein, sondern auch sein Fahnenträger, Trommler, Trompeter und sein Feldgeistlicher«.150 Während seines Aufenthalts in Berlin in jenem Frühjahr machte Börne auch Abraham und Lea Mendelssohn seine Aufwartung. Die Mendelssohns wohnten seit nunmehr drei Jahren in der Leipziger Straße 3. Ihr neues Haus lag, umgeben von einem großen Garten, in der Nähe des Potsdamer Tors und war einst Teil des Tiergartens gewesen. Lea war hocherfreut, als die Familie im Jahr 1825 dorthin zog. Einer ihrer Enkel, Sebastian Hensel, gab später eine ausführliche Schilderung der Umgebung des neuen Domizils: »Man hatte aus den Fenstern […] die Aussicht auf den sehr grossen Hof, umgeben von niedrigen Seitengebäuden und geschlossen durch die einstöckige Gartenwohnung, über welche hinweg die Kronen der hohen Bäume ragten. […] Alle Fenster sehen nach dem Garten hinaus, in blühende Fliederbüsche, in Alleen schöner alter Bäume, das Weinlaub die Scheiben umrankend. […] Der Garten aber ist ein wahrer Park, mit herrlichen Bäumen, einem Stück Feld, Rasenplätzen und einer höchst angenehmen Sommerwohnung.«151
In dieser besonderen Großfamilie führte die Konversion nicht immer zu Entfremdung.152 Kurz nachdem die Familie eingezogen war, kehrte Abrahams Schwester Henriette, inzwischen 44, aus Paris nach Berlin zurück und richtete sich bei der Familie ein. Sie war schon im Jahr 1812 während ihrer Gouvernantentätigkeit für die Familie Sebastiani gläubige Katholikin geworden. Das Verhältnis zwischen Abraham und seinem noch-jüdischen Bruder Joseph war nicht besonders herzlich, aber Josephs Frau Hinni versuchte eine gewisse Verbindung mit der Familie von Lea und Abraham aufrechtzuerhalten, und mehrere ihrer Kinder hatten ein recht enges Verhältnis. Im Jahr 1825 war es drei Jahre her, seit Abraham sich aus dem Bankunternehmen der Familie zurückgezogen hatte. Josephs und Hinnis Sohn Alexander trat schließlich in die Mendelssohn-Bank ein, und er war eines der wenigen Enkelkinder von Moses und Fromet, das dem jüdischen Glauben treu blieb. Abrahams andere noch-jüdische Schwester Recha, eine geschiedene und ziemlich kränkliche Frau, stand Abraham und seiner Familie nahe. Die ersten Jahre in ihrem neuen Zuhause wurden später von vielen geneigten Beobachtern für die »glücklichste Zeit« der Familie gehalten. Fanny, das älteste der Geschwister, war jetzt 20, eine talentierte Pianistin und Komponistin und führende Solistin in der Singakademie. Abraham jedoch beharrte darauf, dass sie niemals eine öffentliche musikalische Laufbahn einschlagen könne, weil nur wenige begüterte Familien ihren Töchtern gestatteten, Bücher zu veröffentlichen oder aufzutreten. Auch ihr Körper war
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ein ärgerliches Problem für Fanny. Sie hatte wunderschöne große Augen und kräftige, musikalische Hände, klagte aber, dass sie zu mollig und zu klein sei und den krummen Rücken ihres Großvaters Moses geerbt habe.153 Doch in der Liebe hatte sie Glück. Im Jahr 1821 hatte Fanny Wilhelm Hensel kennengelernt, einen Maler, dessen Spezialität während dieser Zeit tableaux vivants (franz., »lebende Bilder«) für die Hofgesellschaft waren. Bei diesen Aufführungen nahmen Schauspieler feste Posen ein, um mittels kunstvoller Kostüme, Bühnenbildern und Musik eine Geschichte bildlich darzustellen. Wilhelm war der Sohn eines armen Brandenburger Pfarrers, machte aber seinen Weg.154 Im Jahr 1823 hatte die Berliner Kunstakademie ihm eine Studienreise nach Italien bewilligt. Vor seiner Abreise machte Wilhelm Fanny einen Heiratsantrag, und ihre Eltern schienen einverstanden zu sein, verlangten aber Verschwiegenheit wegen der Großmutter Bella. Die Sache wurde dann interessant, als Lea und Abraham feststellten, dass Wilhelm überlegte, es seiner Schwester Luise gleichzutun und zum katholischen Glauben überzutreten. Abraham und Lea weigerten sich hartnäckig, ihre protestantische Tochter einen Katholiken heiraten zu lassen, und so verboten sie Fanny, Wilhelm auch nur zu sehen. Uns erscheint ihre Sorge seltsam, wenn man bedenkt, dass Abrahams beiden Schwestern katholisch waren und eine von ihnen im Hause von Lea und Abraham wohnte. Außerdem kann ihr Widerstand gegen die Ehe nicht so heftig gewesen sein, da Abraham Geld nach Rom schickte, um Wilhelm zu unterstützen, solange er dort auf Studienreise war. Wilhelm erwiderte die Freundlichkeit später, indem er half, den Nachlass von Leas Bruder Jakob zu regeln, der 1825 starb.155 Am Ende beschloss Wilhelm, seinen Glauben nicht zu wechseln, und als er 1828 aus Italien zurückkehrte, warb er erneut leidenschaftlich um Fanny. Großmutter Bella war 1824 gestorben, fünf Jahre später heirateten Fanny und Wilhelm. Als die Mendelssohns in ihr neues Haus zogen, war Felix 16, und seine Karriere als Komponist entwickelte sich prächtig. Er hatte bereits mehr als 100 musikalische Werke geschrieben und wurde sehr bewundert für seine Ouvertüre zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum, deren Aufführung im Februar 1827 großen Beifall gefunden hatte. Aber ein paar Monate später erlitt Felix einen herben Rückschlag, als seine komische Oper Die Hochzeit des Camacho nach der Uraufführung abgesetzt wurde. Weil die Oper damals als die angesehenste musikalische Form galt, war Felix der Meinung, dass sein Ansehen durch den fehlgeschlagenen Versuch, eine große Oper zu komponieren, gewaltigen Schaden genommen habe.156 Er floh vor der öffentlichen Demütigung, indem er sich auf eine ausgedehnte Wandertour quer
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durch Deutschland begab, mit langen Aufenthalten in Frankfurt und Heidelberg. Als er in jenem Herbst nach Berlin zurückkehrte, schrieb er sich an der Berliner Universität ein, weil Abraham und Lea auf einer guten Ausbildung bestanden, während er seine musikalische Karriere weiterverfolgte. Einer seiner Lieblingsprofessoren und ein enger Freund der Familie war der frisch berufene Eduard Gans. Gans war ein regelmäßiger Gast bei den Mendelssohns und hoffte gerade zum damaligen Zeitpunkt, Felix’ jüngere Schwester Rebekka zu heiraten. Während Felix’ Karriere allmählich das Leben der anderen drei Geschwister und ihrer Eltern beherrschte, brodelten unter der Oberfläche Spannungen, die gelegentlich auch zum Ausbruch kamen. Abrahams launische Reizbarkeit war ein Problem für die ganze Familie. Fanny liebte Felix innig, war aber auch eifersüchtig auf seinen öffentlichen Erfolg. Weil die Eltern ihr ein öffentliches Leben verweigerten, blieben ihr als einzige Auftrittsmöglichkeit ihre Hauskonzerte. Während Fanny Felix beneidete, ärgerte Rebekka sich über Fanny. Später klagte sie, dass sie neben ihrem Bruder und ihrer Schwester niemals nach eigener Anerkennung habe streben können und die beiden ihr ihren Ruf als Künstlerin gestohlen hätten.157 Auch die Brüder hatten ihre Streitigkeiten. Felix schrieb Paul später, wie er ihn einmal von einem Stuhl gestoßen habe, woraufhin Paul ihn gekratzt habe.158 Nur wie die heimlichen Taufen und Familienintrigen sich auf diese familiären Dramen auswirkten, entzieht sich unserer Kenntnis. Sobald die Familie in die Leipziger Straße gezogen war, entwickelten sich die an jedem zweiten Sonntagnachmittag stattfindenden musikalischen Darbietungen zu wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen. Ihren Schauplatz, den Saal der Gartenwohnung, schildert Sebastian Hensel: »Derselbe fasste mehrere hundert Menschen und bestand nach dem Garten zu aus lauter zurückschiebbaren Glaswänden mit Säulen dazwischen, sodass er in eine ganz offene Säulenhalle zu verwandeln war. Wände und Decke, letztere eine flache Kuppel bildend, waren in etwas barocker, aber phantastischer Weise mit Frescobildern geziert. Hier war das eigentliche Lokal, wo die Sonntagsmusiken ihre volle Ausdehnung gewinnen sollten.«159
Die Teilnehmer an den »Sonntagsmusiken« waren ein Who’s who Berlins im Jahr 1825; mit dabei waren Leopold von Ranke, E. T. A. Hoffmann, Hegel, die beiden Humboldt-Brüder, Karl und Rahel sowie Ludwig und Friederike Robert. Auch viele Persönlichkeiten aus der musikalischen Welt erschienen, darunter Geiger, Dirigenten, Mitglieder der Singakademie und Redakteure von Musikzeitschriften. Die Mendelssohns förderten die Hochkultur auf
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vielfältige Weise, unter anderem, indem sie die Singakademie und die »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« unterstützten. Außerdem bauten sie eine kupferne Hütte für die geomagnetischen Beobachtungen ihres lieben Freundes Alexander von Humboldt, der nach Jahren im Ausland 1827 nach Berlin zurückkehrte.160 Noch im selben Jahr bot Humboldt eine Reihe öffentlicher Vorträge über Geografie an, die im Saal der Singakademie stattfanden und zu denen auch Frauen Zutritt hatten, ein Novum zu der Zeit. Fanny ging hin und frohlockte: »Die Herren mögen spotten soviel sie wollen, es ist herrlich, dass in unsern Tagen uns die Mittel geboten werden, auch einmal ein gescheutes Wort zu hören.«161 Aus unserem zeitlichen Abstand heraus könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass diese reiche und begabte Familie sich schnell und elegant vom Judentum ihres Großvaters Moses entfernt hatte. Doch wenn wir einen Blick hinter verschlossene Türen werfen, sehen wir, wie boshaft einige der christlichen Freunde der Mendelssohns sein konnten. Einer von Felix’ engsten Freunden in jenen Jahren war Adolph Bernhard Marx. Die MendelssohnKinder nannten Marx den »Abbé«, ein vom Klang seiner beiden ersten Initialen abgeleiteter Spitzname. Sein Vater war Arzt in Halle, und Adolph Bernhard war im Jahr 1822 nach Berlin gekommen, um Jura zu studieren, war konvertiert und gab nun eine einflussreiche Musikzeitschrift heraus. Freunde der Familie äußerten sich gelegentlich höchst kritisch über den Abbé und stellten fest, dass noch nie ein Mensch so bestimmenden Einfluss auf Felix erlangt habe.162 Abraham mochte Felix’ Freund, offenbar weil der Abbé für sein Leben gern diskutierte, und der ältere der Mendelssohn-Söhne liebte es ebenso, zu widersprechen wie Widerspruch zu ernten.163 Karl Varnhagen, der die Mendelssohns oft besuchte, äußerte sich in unflätigster Weise hinter dessen Rücken über Marx: »Ich sah ihn zuerst bei Mendelssohn Bartholdy, wo er durch sein gemeines Aussehn und durch sein niedriges Betragen mir sogleich unangenehm auffiel. Er kroch wie eine Schabe vor Felix, äußerte knechtische Bewunderung für denselben … [Marx war] so dick und kurz, so aufgeschwollen, so unangenehm stechend und stickend … ›Der Mensch als Wanze‹, sagte man von ihm.«164 Karl benutzte nicht das Wort jüdisch, um Marx zu beschreiben, aber die Unterstellung ist ganz offensichtlich. Und dies ist umso bemerkenswerter, als Karl sich selbst als Judenfreund sah und von vielen auch so gesehen wurde. Er gefährdete seine Karriere, als er eine Frau jüdischer Herkunft heiratete, und sicher hielt er sich für einen leidenschaftlichen Befürworter der jüdischen Emanzipation. Andere konnten noch strenger gegen den armen Adolph Marx sein. Zelter schrieb an Goethe, dass
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Marx »mit Sole getauft sein mag, weil seine Exkremente von graugrüngelber Farbe sind«.165 Es ist wahrhaftig erstaunlich, wie verhasst manche Konvertiten waren, sogar oder vor allem bei ihren Freunden. Das Jahr 1829 erwies sich als sehr ereignisreich für die Mendelssohns. Das musikgeschichtlich bedeutsame Ereignis war die Aufführung von Bachs Matthäuspassion, die am 11. März stattfand. Zwei Jahre lang hatten Felix und Fanny, ihre Freunde Therese und Eduard Devrient sowie ein Kreis von Sängern und Musikern im Mendelssohn’schen Hause das musikalische Material privat durchgearbeitet. Seltsam ist zweifellos, dass Großmutter Bella, der die Partitur der Musik gehörte, sie Felix schon im Jahr 1823 als Geschenk überreicht hatte. Einige Forscher haben behauptet, dass das Geschenk an Weihnachten gemacht worden sei. Wir können nicht wissen, ob dieses kleine Detail stimmt oder nicht. Wie erstaunlich, wenn es denn stimmte, dass die Großmutter, der so viele Taufen vorenthalten wurden, mit ihrer Großfamilie, deren Mitglieder heimliche Christen waren, ausgerechnet Weihnachten feierte. Plausibler ist natürlich die Vorstellung, dass das Geschenk für eine Chanukka-Feier bestimmt war! Felix’ Freund Eduard Devrient bedrängte Felix beharrlich, Zelter zu bitten, Vorkehrungen für die öffentliche Aufführung des Werkes zu treffen. Eduard war in eine berühmte Theaterfamilie hineingeboren worden und beschloss noch als Jugendlicher, Opernsänger zu werden. Jetzt war er 27, Sänger an der Berliner Oper und seit fünf Jahren verheiratet mit Therese Schlesinger, der konvertierten Tochter des Musikverlegers Adolf Martin Schlesinger. Weil die Familie seiner Frau arm gewesen war, als sie nach Berlin übersiedelte, und Therese recht begabt war, hatte Zelter die Gebühren großzügig erlassen, um ihr Musikunterricht zu geben. Durch Zelter hatte Therese die Mendelssohns kennengelernt, und sie und Eduard wohnten in jenen Jahren in Zimmern im Mendelssohn’schen Haus in der Leipziger Straße.166 Der Legende nach suchten Felix und Eduard Zelter an einem kalten Januarmorgen des Jahres 1829 in seinem Büro im neuen Gebäude der Singakademie auf, unweit von Berlins wichtigstem Boulevard Unter den Linden. Felix, der eine blaue Jacke und ein paar neuer gelber Handschuhe trug, versuchte Zelter zu überreden, die Einrichtungen und Sänger der Singakademie für eine öffentliche Aufführung auszuleihen.167 Zelter war begeistert von Bach, doch er zögerte, einer Aufführung des ehrgeizigen und lange vernachlässigten Werkes durch die Singakademie zuzustimmen. Unter anderem befürchtete er, dass die etablierten Musiker der königlichen Hofkapelle zu Ber-
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lin entrüstet wären, dass Felix die Musik dirigieren würde, in Anbetracht der Tatsache, dass er »der Sohn eines reiches Mannes war und ein Amateur, der nicht seinen Lebensunterhalt mit Musik verdienen musste«.168 Zelter wehrte sich in der Tat heftig, nannte Felix und Eduard »rotznasige Gören«, willigte aber am Ende ein.169 Die Veranstaltung war ein spektakulärer Erfolg für Bach und für Felix Mendelssohn. Am Abend der Aufführung war das Haus binnen zehn Minuten ausverkauft, aber der Saal verfügte nur über 1.000 Plätze, und mehr als 1.000 Interessierte begehrten vergeblich Einlass. Unter den Zuhörern waren der König und seine Familie, Schleiermacher, Hegel und Rahel Varnhagen. Die Aufführung war eine Sensation und das Stadtgespräch in Berlin, und »Mendelssohn war mit einem Schlag zu einer der führenden Persönlichkeiten in der Bewegung für eine historische Aufführungspraxis, ja sogar zu einem der gefeiertsten Dirigenten Deutschlands« geworden.170 Zelter berichtete Goethe in einem Brief über die Aufführung, und Goethe antwortete, es sei gewesen, als habe er von Weitem das Tosen des Meeres vernommen.171 Inmitten all des Jubels gab es mehr als ein paar komische Momente. Später in jenem Monat, bei einem exklusiven Abendessen zu Ehren der Aufführung in Zelters Privatwohnung, wurde Therese Devrient neben einem Herrn platziert, der »mich bat, mir vorlegen zu dürfen; ebenso wollte er mich fortwährend überreden, Wein zu trinken und mir einschenken […] er belästigte mich so mit seiner Galanterie, daß ich mich zu Felix hinneigend fragte: ›Sagen Sie mir doch, wer ist der dumme Kerl hier neben mir.‹ Felix hielt einen Augenblick sein Taschentuch vor den Mund, dann flüsterte er: ›Der dumme Kerl da neben Ihnen ist der berühmte Philosoph Hegel.‹«172 Nur wenigen entging damals das Paradoxon, dass ein vom Judentum Bekehrter half, ein bedeutendes Werk der christlichen Musik zu restaurieren. Im Jahr 1829 war es genau 100 Jahre her, dass Bachs Kirchenmusik komponiert worden war, und es war ein Jahrhundert her, seit Felix’ Großvater geboren worden war. Sechs Monate nach der Bach-Aufführung, am 10. September, feierten die Familie und die breitere Öffentlichkeit Moses Mendelssohns Hundertsten. In allen deutschen Ländern, in Berlin, Dessau, Frankfurt, Dresden und Hamburg wurden Jubiläumsfeiern organisiert, bei denen die Stimmung durch und durch bürgerlich und nichtreligiös war. In Berlin wurde die Gedenkfeier im Saal der »Gesellschaft der Freunde« veranstaltet, und Juden wie Christen nahmen daran teil. Redner priesen Mendelssohns deutsche Publikationen, nicht sein Format als jüdischer Philosoph, und sie tranken auf die Gesundheit des preußischen Königs und die Stadt Berlin. Stro-
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phen zum Gedenken an Mendelssohn wurden zur Melodie eines Liedes von Beethoven gesungen. Kurz, die Erinnerung an Mendelssohns wurde so gestaltet, dass sie in den »Kanon klassischer deutscher Dichter und Denker passte«.173 Alles in allem muss eine solche Stimmung beruhigend für die konvertierten Nachfahren Mendelssohns gewesen sein. In den späteren Jahren dachten Felix’ Freunde und Gegner über die Ironie seines Erbes und seine öffentliche Haltung als christlicher Komponist und Dirigent nach. Fast 20 Jahre später schrieb Heine an Ferdinand Lassalle: »Ich habe Malice auf ihn wegen seines Christelns, ich kann diesem durch Vermögensumstände unabhängigen Menschen nicht verzeihen, den Pietisten mit seinem großen, enormen Talent zu dienen … Je mehr ich von der Bedeutung des letzteren durchdrungen, desto erboster werd ich ob des schnöden Missbrauchs. Wenn ich das Glück hätte, ein Enkel von Moses Mendelssohn zu sein, so würde ich wahrlich mein Talent nicht dazu hergeben, die Pisse des Lämmleins in Musik zu setzen.«174
Die Scheinheiligkeit in Heines privatem Angriff auf Felix Mendelssohn ist ebenso unschwer zu erkennen wie sein ungeheurer Neid auf dessen Reichtum. Gegen Ende jenes bedeutsamen Jahres, am Heiligabend, feierten Lea und Abraham ihren 25. Hochzeitstag. Zum Programm gehörten ein von Eduard Gans geschriebenes Stück, eine Gedichtrezitation von Ludwig Robert und die Aufführung von Musik, die Felix und Fanny komponiert hatten.175 Umgeben von ihren erfolgreichen Kindern und einem großen Kreis von Freunden, Kunden, Anhang, Bewunderern und heimlichen Gegnern, müssen Lea und Abraham überzeugt gewesen sein, dass sie mit ihrer Taufe die richtige Entscheidung getroffen hatten. Niemals hätten sie irgendeine Schattenseite ihrer neuen Identitäten zugegeben, zumindest nicht im Jahr 1829. Während Felix bemüht war, sich in Berlin einen Namen zu machen, lebte Giacomo Meyerbeer, damals 38, in Italien und feierte Riesenerfolge als Komponist großer Opern in italienischem Stil, was seine Bewunderer zu der Sorge veranlasste, seine Musik sei nicht deutsch genug. Giacomo war nicht von der zähen Sorte; »seine echten oder eingebildeten nervösen Beschwerden« vermehrten sich sogar noch im Laufe der Jahre. Wo immer er sich gerade aufhielt, stets blieb er in engem Kontakt zu seiner Familie in Berlin und berichtete treu und brav über seine »nervöse Erschöpfung und alle möglichen Magenbeschwerden, Kopfweh und schmerzhafte Ausschläge«, die ihn veranlassten, in verschiedene Kurorte zu eilen, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen.176 Wir wissen, dass Lea Mendelssohn und Amalie Beer in starker Konkurrenz zueinander standen, was die recht unterschiedlichen Be-
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gabungen ihrer Söhne betraf. Im Jahr 1818 waren die beiden Familien durch die Heirat von Abrahams Nichte Betty und Heinrich Beer miteinander vereint worden. Betty war das einzige Kind von Abrahams älterer Schwester Recha, eines der beiden Mendelssohn-Kinder, die jüdisch blieben. Bettys Leben war nicht leicht gewesen, denn ihre Mutter hatte sich nach ein paar kurzen Jahren einer arrangierten Ehe von Bettys Vater Mendel scheiden lassen und unterstützte ihre Tochter durch eine Tätigkeit als Rektorin eines Mädcheninternats in der Nähe von Hamburg. Betty war konvertiert, kehrte aber zum Judentum zurück, um Heinrich zu heiraten.177 Das Paar hatte ein Kind, das starb, als es erst zehn Jahre alt war. Der dritte Sohn der Beers, Wilhelm, trat in die väterliche Firma ein, verwandte allerdings großen Ernst auf wissenschaftliche und musikalische Arbeiten. Er war ein versierter Sänger und ein leidenschaftlicher Astronom, der seine Forschungen veröffentlichte und ein eigenes Planetarium besaß. Wilhelm heiratete eine Jüdin, aber ihre Töchter konvertierten alle und heirateten in den französischen Adel ein, während ihr einziger Sohn Jude blieb.178 Der jüngste Sohn von Amalie und Jakob, Michael, war ein recht erfolgreicher Dramatiker und ruheloser Geist, der von Paris nach München und nach Berlin und wieder zurück zog und jung starb.179 Die Beers ließen Giacomo ziemlich viel Freiheit, sich die Hörner abzustoßen, beharrten aber, als es Zeit zum Heiraten wurde, darauf, dass die Ehefrau zu ihrer gehobenen gesellschaftlichen Stellung passte. Giacomo war der Erstgeborene, aber der Letzte, der heiratete, im Jahr 1826 mit 33 Jahren. Amalie unternahm beträchtliche Anstrengungen, die richtige Partnerin für die Familie zu finden, und als eine Partie mit einer Nachfahrin Ephraims nicht zustande kam, fiel die Wahl auf Giacomos Cousine ersten Grades Minna Mosson. Die Ehe war anscheinend ohne größere Konflikte, obwohl die beiden wegen Giacomos häufiger musikalischer Reisen, die ihn von Berlin fortführten, nicht viel Zeit miteinander verbracht zu haben scheinen.180 Sämtliche Kinder von Giacomo und Minna konvertierten. So wurden die Beers trotz all ihrer Bemühungen, das Judentum zu reformieren und ihre Söhne dem jüdischen Glauben zu erhalten, nur von einem einzigen jüdischen Enkelkind überlebt. Während die Beers und die Mendelssohns von den Romanzen und Karrieren ihrer Kinder in Anspruch genommen wurden, interessierten sich unsere konvertierten Junggesellen mehr für Politik und Revolution. Im Jahr 1830 ertrugen die Preußen seit nunmehr einem Jahrzehnt die Restriktionen der Karlsbader Beschlüsse. Während Berlin in den Jahren des Ancien Régime
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ein pulsierendes kulturelles Zentrum gewesen war, klagten Zeitgenossen jetzt, ein Vierteljahrhundert später, dass die Stadt ein verschlafenes Provinznest geworden sei. Im Jahr 1834 jammerte ein Bewohner, dass Berlin eine »tote Stadt« sei, wo »zwischen den Pflastersteinen Gras wächst«. Rauchen sei nur auf der nach Charlottenburg führenden Hauptstraße erlaubt.181 Nur wenige Straßen waren gepflastert, und kaum ein Boulevard wurde des Nachts von Gaslaternen beleuchtet. Ratten herrschten unangefochten, und 200.000 Eimer Fäkalien wurden allabendlich durch eine Schwadron Frauen eingesammelt, die den Kot allmorgendlich im Fluss entsorgten.182 Aber während des Sommers 1830 fassten die deutschen Liberalen auf dramatische Weise neuen Mut. Am 3. August wurde der Geburtstag des Königs im großen Hörsaal der Berliner Universität gefeiert, wo Hegel die Laudatio aus Anlass der Verleihung des jährlichen Preises der Akademie der Wissenschaften an den Schriftsteller Karl Gutzkow hielt. Dieser »erfährt soeben, daß er den Preis der Philosophischen Fakultät gewonnen hat, als Unruhe ausbricht. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, daß der französische König Karl X. abgedankt habe.«183 Heine verbrachte den Sommer auf der in der Deutschen Bucht gelegenen Insel Helgoland und hatte eine Liebesaffäre mit einer Sopranistin von der Hamburger Oper. Seit er seinen akademischen Grad in Jura in der Tasche hatte und Protestant geworden war, hatten ihn seine Gedicht- und Prosaveröffentlichungen ziemlich berühmt gemacht. Aber noch musste er finanzielle Sicherheit, berufliche Anerkennung, wahre Liebe oder innere Gelassenheit finden. Die Post kam einmal die Woche nach Helgoland, und als er eines Morgens am Strand die neueste Zeitung las, stellte er hocherfreut fest, dass in Paris eine Revolution ausgebrochen war. Später erinnerte er sich an diesen Moment als »Sonnenstrahlen, eingewickelt in Druckpapier«.184 Er eilte zurück nach Hamburg, wo er die Nachrichten über den sich ausbreitenden Aufstand verfolgte, der Erhebungen in Belgien, Spanien, Griechenland, Parma, Modena, im Kirchenstaat und in Polen nach sich zog. Aber die guten Neuigkeiten für die liberale Bewegung waren nicht zwangsläufig gute Neuigkeiten für die Juden in den deutschen Ländern. In Hamburg wurden die Fensterscheiben im Haus seines Onkels Salomon von wütenden Krawallmachern eingeschlagen, und Heine dürfte mit Bestürzung gesehen haben, dass aufständische Bürger überall in Hamburg Handzettel anschlugen, auf denen stand: »Nieder mit den Juden, der Polizei und den Steuern!«. Auf Flugblättern konnte man Klagen darüber lesen, »daß Judenjungen, die unter der Woche hausieren, sich aufspielten und am Sabbat in den Kaffeehäusern alle Zeitungen mit Beschlag
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belegten«.185 Auch in Hessen-Darmstadt, Karlsruhe, Breslau und München rotteten sich judenfeindliche Unruhestifter zusammen. Aus unserer Sicht ist es verstörend, zu sehen, dass ökonomische Wut sich gegen wohlhabende Juden richtete. Aber Heine und Börne konzentrierten sich ganz auf die Pariser Ereignisse, nicht auf das antijüdische Verhalten ihrer eigenen Nachbarn. Ludwig Börne erholte sich in jenem Juli in einem Kurort im Taunus von einem Gichtanfall, und jeden Morgen spazierte er die Landstraße hinunter, um den Postboten auf halbem Weg abzupassen und früh die neuesten Nachrichten aus den Zeitungen zu erfahren. Als er von der Revolution las, brach er seine Kur sofort ab und eilte heim nach Frankfurt und dann weiter nach Paris. Mit seinen Briefen aus Paris, die ursprünglich Mitteilungen an Jeanette Wohl waren, machte Börne sich einen Namen in Deutschland und darüber hinaus. Heine wollte sich unterdessen ebenfalls unbedingt nach Paris aufmachen, aber noch hielt er sich in Hamburg auf, weil er sich um eine Stelle als Justizbeamter beim Hamburger Senat bewarb. Dieser Traum war jedoch im Februar 1831 ausgeträumt. Er und Ludwig Börne waren schon im Jahr 1827 Freunde geworden, und nun diskutierten sie in Briefen über verschiedene radikale Publikationsprojekte. Aber aus ihren Plänen wurde nichts. Am 1. April 1831 schrieb Heine an Karl Varnhagen in Berlin: »… träume jede Nacht ich packe meine Koffer und reise nach Paris, um frische Luft zu schöpfen.«186 Eine Woche später wurde Harry zum Paris-Korrespondenten für die liberale Augsburger Allgemeine Zeitung ernannt, was seine Geldprobleme auf einen Schlag löste und eine nützliche politische Nische war. Er reiste nach Paris ab und sollte nie wieder in Deutschland leben. Mit 34 Jahren war Heine an seiner glücklichsten Zeit angelangt. Nachdem er der Enge Deutschlands entkommen war, geriet er über Paris und Frankreich regelrecht ins Schwärmen: »Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister. […] Wie ich die Freiheit liebe, liebe ich Frankreich, den heiligen Herd der Freiheit, und ich liebe dessen Flammenwächter, die Franzosen. […] Das Volk von Paris hat die Welt befreit und keinmal ein Trinkgeld dafür genommen.«187
In Paris lebten Harry und Ludwig inmitten einer pulsierenden deutschen politischen Gemeinde, und viele der in Frankreich lebenden Deutschen waren Juden oder ehemalige Juden. Persönliche Beziehungen waren manchmal stürmisch und gelegentlich außerordentlich boshaft. Wieder erleben wir die Schattenseite der neuen Identitäten. Felix Mendelssohn traf 1831 in Paris ein, nach zwei Jahren in London und in verschiedenen Städten auf dem Konti-
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nent. Sein musikalischer Erfolg in Paris war nicht ganz so strahlend wie in London. Er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Heine und holte mit seiner doppelten Kritik, dass Harry nicht nur alles Deutsche schlecht mache, sondern auch noch schlecht Französisch spreche, zum Rundumschlag aus.188 Felix konnte auch Giacomo Meyerbeer nicht leiden, dessen Ambitionen seinen eigenen sicherlich näher waren. Als man Felix sagte, dass er Giacomo ähnele, »ließ er sich die Haare schneiden und anders frisieren, um die Ähnlichkeit zu beseitigen«.189 Felix verließ Paris bald darauf, nachdem er sich von einem leichten Fall von Cholera erholt hatte, die damals in ganz Europa wütete. So hatte diese junge Man einmal mehr überwältigendes Glück. Heine und Meyerbeer erlebten derweil, während die Jahre vergingen, eine schwierige Beziehung. Als er vor einem Jahrzehnt in Berlin eingetroffen war, um an der Universität zu studieren, war Harry von den Beers freundlich empfangen worden. Als Heine dann endlich in Paris lebte, traf im selben Jahr auch Giacomo ein. Er stand jetzt auf dem Gipfel seines Talents und seiner Beliebtheit, aber weil er sein eigenes Vermögen für seine Kunst und einen vornehmen Lebensstil ausgab, riss der Klatsch nicht ab, dass er sich seinen Ruhm irgendwie erkaufe. Meyerbeer war großzügig gegenüber dem stets bedürftigen Heine und versorgte ihn mit »Opernkarten, Essenseinladungen und schlug ihm vor, einige seiner Gedichte zu vertonen«.190 Im Gegenzug hoffte Meyerbeer, dass Heine ihn mit positiven Kritiken in Frankreich und drüben in Deutschland unterstützen würde. Heine wollte unbedingt als Presseagent Meyerbeers fungieren, und es kam vor, dass Meyerbeer ihn tatsächlich bezahlte, damit er einen feindlich gesinnten Journalisten bestach. Wir kennen Heine gut genug, um nicht überrascht zu sein, dass er sich über seine Abhängigkeit von Giacomo ärgerte, und in dem Gedichtfragment »Zur Teleologie« verspottete er die Musik seines Freundes: Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Hayden
Meisterstücke anzuhören – Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! 191
In seinem Verhältnis zu Meyerbeer legte Heine dieselbe Art von Abhängigkeit und Verbitterung an den Tag, die er stets gegenüber seinem Onkel Salomon zeigte.
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Während Heine, Börne und Meyerbeer jeder auf seine Art die Herrlichkeiten von Paris genossen, sah sich Felix veranlasst, nach Berlin zurückzukehren. Die Umstände, die ihn dorthin riefen, erwiesen sich als höchst unerfreulich, nicht nur für seine Karriere, sondern auch für die gesamte Familie Mendelssohn. Die Episode begann, als im Mai 1832 Karl Zelter starb, was bedeutete, dass seine Stelle als Direktor der Singakademie nun frei war. Sein Assistent war beinahe zwei Jahrzehnte lang Carl Friedrich Rungenhagen gewesen, der der interne Kandidat für den Posten war. Lea und Abraham waren verständlicherweise eifrig darum bemüht, ihr Wunderkind zu bewegen, diese angesehene Stelle anzunehmen, und als langjährige Förderer der Singakademie mögen sie durchaus erwartet haben, dass ihre Großzügigkeit und die Großzügigkeit von Leas Tante Sara zu diesem Zeitpunkt vergolten würden. Felix selbst wollte sein Wanderleben nicht unbedingt aufgeben und sich in Deutschland niederlassen, und außerdem widerstrebte es ihm, für sich als Nachfolger Zelters zu werben. Nichtsdestotrotz überredete Abraham ihn, nach Berlin zurückzukehren, und Ende Juni wohnte Felix wieder in dem Gartenhaus an der Leipziger Straße. Später in jenem Sommer begannen die heiklen Verhandlungen. Schleiermacher schlug vor, Rungenhagen und Meyerbeer sollten sich die Leitung teilen, aber aus dieser Idee wurde nichts. Monatelang diskutierten die Mitglieder der Singakademie, und als die Wogen sich glätteten, unterlag Mendelssohn in der abschließenden Abstimmung deutlich, als er nur knapp halb so viele Stimmen erhielt wie sein Rivale. Felix war verzweifelt und bezeichnete seine Niederlage später als das »schlimmste Trauma seines Lebens«. Im Frühjahr 1833 ging er für immer aus Berlin weg, zuerst nach London und dann nach Düsseldorf, wo er die Aufführungen des Niederrheinischen Musikfestes dirigierte. Die Mendelssohns zogen sich derweil aus der Singakademie zurück, ein besonders schwerer Verlust für Fanny, die so selten in den Genuss kam, ihre Talente in einem öffentlichen Rahmen zu präsentieren.192 Uns ist unmittelbar einsichtig, warum die Familie wollte, dass Felix Zelters Direktorposten erbte, und wir fragen uns, warum er in dem Wettbewerb unterlag. Felix’ enger Freund Eduard Devrient war in die internen Debatten eingeweiht und enthüllte später, dass viele in der Singakademie überzeugt davon gewesen seien, dass es sich um eine christliche Institution handle, die sich fast ausschließlich mit geistlicher Musik beschäftige, weshalb es für die Mitglieder vollkommen undenkbar gewesen sei, einen Juden als Direktor vorzuschlagen.193 Forscher, welche die Wahrheit der Geschehnisse erhellen
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wollen, kommen heute nicht voran, weil die Dokumente der Singakademie im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Mehrere Monate nach Felix’ Trauma in Berlin wurde ein weiteres Wunderkind gedemütigt, und dieses überlebte nicht. Am 22. März 1833 starb in München Michael Beer in den Armen seiner Mutter Amalie, fünf Tage nachdem er an Enzephalitis erkrankt war.194 Michael Beer war erst 33, als er starb. Er war in jenem Frühjahr, als er in München wohnte, eingeladen worden, an der Eröffnungszeremonie für einen Ball im Schloss teilzunehmen. Es war vorgesehen, alle Teilnehmer in Paaren marschieren zu lassen. Aber weil er Jude war und auch jüdisch aussah, war keine der adeligen Damen bereit, Beers Arm zu schmücken. Um ihn nicht zu kränken, wurde beschlossen, dass er allein marschieren und dabei mit einem goldenen Stab winken sollte. Aber später verwarf der König persönlich diesen Plan und ließ einen am Boden zerstörten Beer zurück. Um seinen Ausschluss zu kaschieren, gab er vor, krank zu sein, weshalb er sowieso nicht zu dem Ball gehen könne. Aber dann wurde seine vorgetäuschte Krankheit Wirklichkeit, und fünf Tage später war er tot, aus Gründen, die uns heute gar nicht klar sind.195 Es war ein bitteres Los für einen 33-jährigen Mann, nach einer demütigenden Zurückweisung durch die Hofgesellschaft in den Armen seiner Mutter zu sterben. Ebenfalls im März jenes Jahres starb unsere Heldin Rahel. Ihre letzten Jahre waren produktiv und glücklich gewesen. Sie und Karl wurden begeisterte Anhänger der neuen Philosophie von Claude-Henri de Saint-Simon, einem utopischen Sozialisten und Feministen. Die beiden bereiteten ihre Schriften für die Veröffentlichung vor, und Rahels Salon erlebte seine Blütezeit, vor allem als die strenge politische Unterdrückung sich lockerte. Aber nach 1830 häuften sich die Betrübnisse. Ihr Bruder starb in diesem Jahr bei der Cholera-Epidemie, und ihre Gesundheit verschlechterte sich allmählich. Während des Winters 1833 konnte sie tagelang ihr Bett nicht verlassen. Zu ihren Vertrauten in diesen leidvollen Monaten gehörten ihre alte Freundin Bettina von Arnim, ihr Bruder Moritz und ihre Schwägerin Ernestine. Als sie am 7. März starb, war Karl zur Stelle, um ihre letzten Worte der Nachwelt zu überliefern. Nach seiner späteren Erinnerung sagte sie folgendes: »Welche Geschichte! – Eine aus Ägypten und Palästina Geflüchtete bin ich hier und finde Hilfe, Liebe und Pflege von Euch! … Mit erhabenem Entzücken denk’ ich an diesen meinen Ursprung und diesen ganzen Zusammenhang des Geschickes, durch welches die ältesten Erinnerungen des Menschengeschlechts mit der neuesten Lage der Dinge, die weitesten Zeit- und Raumfernen verbunden sind. Was so lange Zeit
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meines Lebens mir die größte Schmach, das herbste Leid und Unglück war, eine Jüdin geboren zu sein, um keinen Preis möchte’ ich das jetzt missen.«
Wer nur dieses Zitat liest, kommt zu Recht zu dem Schluss, dass sie eine verlorene Jüdin war, zumindest im Geiste. Dies war auf jeden Fall Hannah Arendts oft angeführte Interpretation, weshalb sie ihre Rahel-Biografie auch mit diesem Zitat begann.196 Aber Arendt übersprang den Rest von Rahels Betrachtung an jenem schicksalhaften Tag ihres Todes. Denn sie fuhr fort und erzählte Karl: »Lieber August, mein Herz ist im Innersten erquickt; ich habe an Jesus gedacht, und über sein Leiden geweint;: ich habe gefühlt, zum erstenmal es so gefühlt, daß er mein Bruder ist. Und Maria, was hat die gelitten! Sie sah den geliebten Sohn leiden, und erlag nicht, sie stand am Kreuze!«197
Der Kontrast zwischen diesen beiden Zitaten ist ihr wahres doppeltes Vermächtnis für uns. Sie starb froh über ihr jüdisches Schicksal, doch im selben Moment war sie zutiefst mit ihren neuen christlichen Überzeugungen beschäftigt. Rahels Äußerungen auf dem Sterbebett enthüllen ihre schwankende, fragmentierte, brüchige Identität. Die verlorene Jüdin ist da und ebenso die gläubige Christin. Dass jene, die während des bewegten 20. Jahrhunderts von ihr inspiriert wurden, imstande sein würden, nur eine Seite dieser schwierigen Doppelidentität wahrzunehmen, steht völlig im Einklang mit dem jüdischen Los in unserer Zeit. Die Nachfahren der Konvertiten waren ebenfalls gezwungen, sich zwischen einer jüdischen und einer deutschen Identität zu entscheiden. Unsere Untersuchungen haben die raue Wirklichkeit des Bildes aufgedeckt, das Zeitgenossen, die Judentum, Emanzipation und Assimilation alles in allem feindlich gegenüberstanden, von den Konvertiten hatten. Doch gleichzeitig können wir die Entscheidung der Konvertiten, sehr reale Probleme in ihrem Leben durch Taufe zu lösen, in gewisser Weise nachempfinden. Sie wollten hervorragende Berufe, liebevolle Ehen, ein ausgefülltes gesellschaftliches Leben und eine innere Identität als Deutsche. Sie konnten nicht darauf warten, dass die Geschichte ihnen echte Emanzipation brachte. Wer von uns in unserem Jahrhundert kann einwenden, dass sie auf das hätten verzichten sollen, was sie mit einer Taufe so teuer erkauften? Eine der Ironien unserer Konversionsgeschichte ist, dass der spirituelle Aufruhr als Motiv mit zunehmender Dauer des Konversionstrends schwächer und seltener wurde. Aber selbst wenn die Beweggründe pragmatischer Natur waren, müssen wir uns davor hüten, die Konvertiten wegen mangelnden Ehrgefühls vorschnell
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zu verurteilen. Die Geschichte gab ihnen kaum Chancen, sowohl prinzipientreu als auch erfolgreich zu sein, sofern sie nicht in enormen Reichtum hineingeboren worden waren. Selbst wenn ihre Taufen ihnen alles bescherten, was sie wollten, und alles, was sie verdienten, so ist der Umstand, dass dem Judentum in dieser sehr schwierigen Zeit die Besten und Intelligentesten verloren gingen, beunruhigend. In den Jahrzehnten nach unserem Fortgang aus Berlin im Jahr 1833 flaute die Krise der Familie weiter ab, und der Anteil derjenigen, die sich für die Konversion entschieden, ging zurück. Aber das Vermächtnis dieser Epoche ist aufschlussreich. Unsere Konvertiten gaben ein Beispiel für eine wahrhaft feige Art der Assimilation, und der Selbsthass unter den Ehrgeizigen ist bei den jüdischen Deutschen noch lange nach Rahels Tod im Jahr 1833 zu beobachten. So viele der Lebensgeschichten, die wir untersucht haben, deuten darauf hin, dass die Art und Weise, wie sie sich von Familie und Glauben trennten, es vielen Konvertiten schwer machte, Solidarität mit anderen Konvertiten zu empfinden und auszudrücken. Wir haben guten Grund, zu vermuten, dass ihre oftmals öffentliche Feindseligkeit gegenüber jenen, die ihnen selbst ähnlich waren, unter verständnislosen Beobachtern Antisemitismus weckte. Viele von uns, die wir ihre Geschichten hören, ertappen sich dabei, dass sie hin und her gerissen sind und mit zwiespältigen Gefühlen beobachten, wie die Konvertiten in ihren harten Zeiten innerliche Ruhe und Gelassenheit zu finden suchten. Gelegentlich kann man Mitleid mit ihren Bemühungen empfinden und bewundern, wie viel manche Konvertiten erreichten. Auf der anderen Seite sehen wir die schwierigen Folgen für ihre Familien und für die Zukunft des Judentums in Deutschland und darüber hinaus. Wir verlassen sie mitleidig, manchmal entrüstet über sie und ihre boshaften Feinde, oft traurig ob des unablässig schwindenden Raums, in dem sie ihre Träume verwirklichen konnten, ohne schmerzhafte, hin und wieder demütigende Kompromisse eingehen zu müssen. Ein magerer Trost ist, dass wir jetzt, am Ende dieser Reise, verstehen, wie wahrhaft selten es ist, dass Individuen persönliches Glück finden und sich dabei auch noch anständig gegenüber ihrer Familie, ihrer Religion und ihrem Volk benehmen.
Epilog
Ich lebe jetzt seit über 15 Jahren mit den Konvertiten, die in diesem Buch auftauchen. Einige derjenigen, die in der Epoche des Ancien Régime konvertierten, begleiten mich sogar schon sehr viel länger, buchstäblich mein ganzes Erwachsenenleben hindurch. Wie oft habe ich über ihr Leben nachgedacht, mich in ihre Zwangslagen hineinversetzt und ihre Entscheidungen beurteilt. Ich stelle mir vor, wie sie sich die Entscheidungen durch den Kopf gehen ließen, dann einen Prediger zurate zogen, ihren neuen Glauben studierten, sich dem Anlass entsprechend kleideten, aufsagten, was von ihnen verlangt wurde, und als Lutheraner aus der Zeremonie hervorgingen. Wem vertrauten sie ihre neue Identität an und vor wem hielten sie sie geheim? Wer bedauerte es im Laufe der Jahre, und wer war im Reinen mit seiner neuen Identität? Als ich das Projekt anfing, hatte ich sehr viel Verständnis für die Konvertiten, und ohne dieses instinktive Gefühl hätte ich das Buch gar nicht erst in Angriff genommen. Aber im Fortgang der Forschungsarbeit ging mir dieses Verständnis manchmal ab, und ich empfand Enttäuschung über Fälle von offenkundiger Heuchelei, Selbsthass und haarsträubender Eigenwerbung. Eine breite und beunruhigende Kluft tat sich auf zwischen meinen negativen Urteilen über die Konvertiten und der Begeisterung vieler heutiger Akademiker für ethnische Vermischung. Denn viele postmoderne Intellektuelle haben in den letzten Jahren hybride, zusammengesetzte Identitäten gefeiert. Inzwischen stelle ich fest, dass ich wütend über den persönlichen Preis für die radikale Assimilation bin. Aber die Leserinnen und Leser dieses Buches werden zur Begegnung mit diesen Konvertiten sicher alle ihre eigenen Werte und instinktiven Gefühle mitbringen. Ganz unabhängig von unseren persönlichen Einschätzungen hat dieses Buch mehrere Trends hinsichtlich der jüdischen Konversion im modernen Deutschland erhellt. Die zentrale Herausforderung bestand darin, zu zeigen, warum die Zahl der Taufen Anfang des 19. Jahrhunderts in
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Berlin so hoch war und warum sie später zurückging. Statt auf feindseligen Antisemitismus oder dessen Fehlen zu rechnen, bot sich uns mit der komplexen Mischung aus Chance und Diskriminierung während jener Jahre die beste Möglichkeit zur Erklärung der Konversionswelle. Dass Juden in so großer Zahl eine Konversion erwogen, zeigt, wie viele Chancen Berlin damals bot. Und dass so viele sich tatsächlich zu diesem Schritt entschlossen, zeigt, wie begrenzt ihre Optionen waren, solange sie am jüdischen Glauben festhielten. Romantische Liebe und Karriere blieben auch nach dem Edikt von 1812 mächtige Anreize. Als der Kampf um die bürgerliche und religiöse Gleichheit nach 1812 nicht mehr vorankam, wurde die Taufe zum einzigen Weg, einer Zwangsmitgliedschaft in der noch immer verachteten jüdischen Kaste zu entkommen. Schließlich gab es jene, die bereits als Juden über Wohlstand, Bildung und gesellschaftliche Beziehungen verfügten, aber trotzdem konvertierten, um sich innerlich deutsch zu fühlen, um das Gefühl zu haben, ihren Platz in der tonangebenden Gesellschaft zu Recht zu beanspruchen. Wir mögen dem preußischen Staat heute noch so leidenschaftlich verübeln, dass er ehrgeizige Juden zwang, »zu Kreuze zu kriechen«, für die einzelnen Betroffenen war die Taufe dennoch eine Möglichkeit, um Emanzipation praktisch zu erreichen. Martin Walser verwendete die richtigen Wörter, miss verstand die Situation aber zutiefst. Zu sagen, dass Konversion ein zweckbetonter, behelfsmäßiger, problematischer Ersatz für Emanzipation war, ist sicher nicht dasselbe, wie zu behaupten, dass Konversion Emanzipation war. Diese detaillierte Geschichte der Konversion in einer einzigen Stadt erhellt umfassendere Probleme in der Vergangenheit. Weil Deutschland zum klassischen Land radikaler Assimilation wurde, verrät die Geschichte der Konversion uns enorm viel über jüdische und deutsche Erfahrungen. Die Konversionsraten lassen erkennen, wie schwach das Judentum in bestimmten Epochen war, und enthüllen gleichzeitig, wie durchlässig die christliche Gesellschaft war. Tatsächlich wurden die Möglichkeiten im Laufe der Zeit breiter gefächert. Während jemand im 17. Jahrhundert entweder Christ oder Jude sein konnte, tauchte in den Jahren, die wir hier untersucht haben, eine neue Spielart jüdischer Praxis auf. Von diesem Moment an standen Juden vor drei grundlegenden Alternativen. Sie konnten traditionell bleiben, sich der harmonischen Modernisierung verschreiben oder versuchen, dem Judentum ganz zu entkommen. Was genau es bedeutete, einen dieser drei Wege zu wählen, und wie viele und welche Juden verschiedene Richtungen einschlugen, änderte sich mit der Zeit und städte- und länderübergreifend. Aber die
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Möglichkeiten, die sich in dieser Epoche erstmals abzeichneten, legten die Bedingungen für die nachfolgenden Jahrhunderte fest. Die auf diesen Seiten nachgezeichneten biografischen Skizzen zeigen, dass es den Realitäten jener Zeit nicht gerecht wird, den Konvertiten opportunistische Motive und denen, die jüdisch blieben, loyale Motive zu unterstellen. Wenn die Abkehr vom Judentum ein komplexes Gefüge aus Gefühlen, Ambitionen und Wünschen bildete, so gilt dies nicht minder für die Loyalität gegenüber dem alten Glauben. Die Geschichte der Beers und der Rothschilds zeigt anschaulich, dass jene, die jüdisch blieben, vielleicht durchaus fanden, dass diese Identität sehr in ihrem eigenen Interesse liege. Die weltlichen Konvertiten, die gezwungen waren, sich in einer Gesellschaft durchzusetzen, die nach wie vor nach allzu strikten Grenzen zwischen den Bekenntnissen organisiert war, stellen ein besonderes Problem dar, und wir müssen die Möglichkeit berücksichtigen, dass weltliche Motive ehrenhaft sein konnten. Ganz sicher war es nicht ihr Fehler, dass die Regierung echte Emanzipation so schwierig machte und dadurch ehrgeizige Jüdinnen oder Juden zwang, zu konvertieren, damit sie Christinnen bzw. Christen heiraten oder Erfüllung in der Arbeit finden konnten. Die Beweggründe einzelner Konvertiten und größerer Gruppen von Konvertiten zu erfahren trägt zur Verfeinerung unserer Urteile bei. Durch Zurückverlagerung der Geschichte ins 17. Jahrhundert konnte ich das Leben jener Juden untersuchen, die hauptsächlich durch spirituelle und theologische Erfahrungen motiviert waren. Gerade weil ihre materiellen Verhältnisse sich nach der Taufe selten besserten, empfand ich oft Mitgefühl für sie. Ich fühlte mit einem Joseph Guggenheim mit, den seine religiösen Konflikte in den Wahnsinn trieben, oder mit einem Gottfried Selig, der in eine prominente Familie hineingeboren worden war und seine Tage als Vagabund beschloss, der durch Deutschland zog und versuchte, Subskribenten für seine religiösen Publikationen zu finden. August Neander war sicher eine ergreifende Gestalt. Beim Blick in sein bescheidenes Gesicht neben der stolzen Selbstbeherrschung Hegels und Humboldts war ich erschüttert über den langen Weg, den er zurückgelegt hatte – vom Sohn eines Göttinger Geldverleihers bis zum Professor für Theologie an der Berliner Universität. Diese religiösen Konvertiten bezahlten ihre Taufe oftmals mit Entfremdung von ihren Familien und Armut. Aber gerade weil das Ritual der Bekehrung ihre eigenen Überzeugungen ausdrückte, hatten sie eine Chance, innere Ruhe zu finden, sobald sie Christen waren.
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Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die emotionalen Folgen pragmatischer Taufen häufig erschreckend, und ich dachte oft an Lea Mendelssohns Bemerkung von 1799 über »diese ganze Heuchelei«. Nehmen wir zum Beispiel Rahel Varnhagen, die Heldin oder vielleicht Antiheldin dieses Buches. Sie hätte nach ihrer Taufe eine gläubige Christin werden können, aber die Heirat bestimmte die Wahl des Zeitpunkts ihrer Taufe im September 1814. Doch weil Rahels Liebesleben so kummervoll war und romantische Liebe für eine Frau so viel bedeutete, die entschlossen war, dem Schicksal ihrer Geburt zu entfliehen, fühlte ich in dem Moment, wo sie Karl endlich heiratete, mit ihr mit. Dennoch war ich oft außer mir, wenn ihr Verhalten unausgeglichen und von Selbsthass geprägt zu sein schien. So, wenn sie sich über ihre nach wie vor religiösen Breslauer Verwandten lustig machte oder wenn sie jene hofierte, die sie im Gegenzug niemals zu sich nach Hause eingeladen hätten. Dieses öffentliche Verhalten muss ihrer Selbstachtung geschadet haben. Ich frage mich immer noch, ob ihr feiger sozialer Aufstieg wirklich notwendig war, um auch nur minimale Erfüllung als gescheite und ehrgeizige Jüdin zu finden. Ich verglich sie immer stärker mit der Geschäftsfrau Glückel von Hameln, die nur ein Jahrhundert früher gelebt hatte. Weil Glückel so gelassen, so selbstbewusst, so fleißig, so kommunitär war und so geliebt wurde, sehe ich in ihr zusehends ein alternatives Rollenbild für moderne Frauen. Zwischen Glückels Leben und Rahels Leben ging für jüdische Frauen vieles verloren, das abgewogen werden muss gegen das, was gewonnen wurde. Auch die Konversionen des Kreises berühmter Männer, die eine Generation jünger waren als Rahel, stürzten mich in heftige Konflikte, allerdings wegen ganz anderer Probleme. Heine, Börne, Gans, Koreff und Saphir, sie alle entschieden sich im Grunde aus Karriereerwägungen für die Taufe, und der Entschluss von Lea und Abraham Mendelssohn, ihre Kinder taufen zu lassen, war ebenfalls von Plänen für spätere berufliche Rollen motiviert. Natürlich konnte ich mich in ihre Ambitionen oder die ihrer Eltern hineinversetzen und über den Preis jammern, der ihnen abverlangt wurde, damit sie öffentliche Intellektuelle oder Künstler werden konnten. Aber ich ertappte mich dabei, dass ich den stillen Mut eines Mannes wie Leopold Zunz pries, der es vorzog, Jude zu bleiben und auf eine Universitätslaufbahn zu verzichten. Moritz Itzigs Kampagne zur Verteidigung der Ehre seiner Tante in einem Duell machte ihn für mich zum Helden. Wenn ich die begabten Männer, die konvertierten, vom Standpunkt der jüdischen Reform aus betrachtete, erschien mir der Verlust für das Judentum gewaltig. Als Heine
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sich mit der Feder gegen Börne wendete, obwohl sie ein so ähnliches Los hatten, war es mir furchtbar peinlich, wie sein Selbsthass auf verständnislose Beobachter wirken musste. Ebenso fragte ich mich, als Ludwig Robert in seinem Theaterstück Saphir angriff, wie die Zeitgenossen wohl über den Mangel an Solidarität unter diesen ehemaligen Juden gedacht haben mochten. Auch als ich mich in die Motive vertiefte, die Karrierekonvertiten von Kommentatoren des 19. Jahrhunderts unterstellt wurden, ärgerte ich mich. Heinrich Graetz, der gegen Ende des Jahrhunderts schrieb, verzieh diesen Männern ihre Taufen, weil sie, wie er behauptete, die jüdische Sache nur als Konvertiten verteidigen konnten. Ich bezweifelte nicht nur, ob seine These historisch korrekt war, ich war auch empört über sein vollkommen fehlendes Verständnis für die Frauen, die sich für die Taufe entschieden. Wenn ich die Konvertiten wegen ihres Verhaltens gegenüber anderen Juden oder gegenüber ihren christlichen Freunden und Feinden kritisch beurteilte, stand ich unverrückbar in der jüdischen Welt und beklagte den Weggang eines Angehörigen des Volkes. Aber wenn ich mit einem Konvertiten sympathisierte, tat ich es als moderne Kosmopolitin, die Selbstbestimmung und den Mut zur Gestaltung der eigenen Identität pries. Immer wieder kam ich auf die radikale Trennung zwischen individuellen Entscheidungen und Gruppenschicksalen zurück, für viele Völker heute ein ebenso drängendes Problem, wie es das für die Juden in Deutschland war. Jeder einzelne Konvertit mag sich als Individuum richtig entschieden haben, aber hätten sich genug Individuen zur Taufe entschlossen, hätte dies eindeutig Konsequenzen für die jüdische Zukunft gehabt. Wenn außerdem ein einzelner assimilierter Jude einen anderen öffentlich angriff, fanden feindselig eingestellte Kritiker stets Nahrung für ihre Judenfeindschaft. Auch dies war ein oft versteckter Preis, den die Gemeinschaft für extensive Assimilation zu zahlen hatte. Ebenso war die Gemeinschaft betroffen, wenn jene, die sich vom Judentum abwandten, wohlhabend und intelligent waren und über gute Beziehungen verfügten, denn ihre Mittel wurden von jüdischen Wohlfahrtsprojekten und in politischen Kämpfen dringend benötigt. Wir könnten diesen Konflikt durchaus für einen Fall von, wie die Philosophen sagen, »Trittbrettfahrertum« halten. Die Annahme leuchtet ein, dass viele derjenigen, die sich für die Konversion entschieden, nicht wollten, dass das Judentum vollkommen verschwand. Vielmehr suchten sie eine Lösung für etwas, das sie als persönliches Problem empfanden. Sollte, rein hypothetisch, jeder Jude konvertieren, würde das gesamte Volk verschwinden, selbst wenn kein einzelner Konvertit dieses Ergebnis wollte. Bedeutet dies, dass
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einzelne Juden ihre persönliche Entscheidung wegen ihrer möglichen Folgen für die größere Gemeinschaft hätten ändern sollen? Ich bin mir nicht sicher. Viele, welche die großartigen Leistungen von Juden im modernen Deutschland kennen, werden zweifellos darauf hinweisen, dass die Spannungen zwischen Assimilation und Tradition die Kreativität vieler jüdischer Romanciers, Dichter, Forscher und Komponisten weckten. Dies mag stimmen. Aber jeder assimilierte Jude, der erwartet, die Freuden eines Lebens neben einer lebendigen jüdischen Tradition zu genießen, handelt als Trittbrettfahrer des Engagements traditionellerer Juden.1 Selbst wenn ich meinen Blick auf die ganz persönlichen Konsequenzen des Glaubenswechsels verengte, fragte ich mich oft, ob die Konversion ein guter Weg war. Isaiah Berlin beschrieb einmal die Art von Trost in der Welt, die vielen Konvertiten entgehe. Er schrieb: »Wenn ein Mensch über Einsamkeit klagt, meint er damit, dass niemand versteht, was er sagt. Verstanden werden heißt, eine gemeinsame Vergangenheit zu haben, ge meinsame Gefühle und gemeinsame Sprache, gemeinsame Voraussetzungen, die Möglichkeit zu intimer Kommunikation – kurz eine gemeinsame Lebensform. Es handelt sich um ein elementares Bedürfnis des Menschen: das zu leugnen ist ein gefährlicher Irrtum.«2
Aus dieser Perspektive war Konversion selbst auf individueller Ebene ein Fehler. Persönliches Glück wird in unserer Zeit weithin geschätzt, und deshalb wiegt unter all den verschiedenen Urteilen gegen die Konversion dieses für mich – und vielleicht auch für meine Leserinnen und Leser – schwer. Der Drang, die Konvertiten und den gesamten Trend zur Konversion zu bewerten, mag durchaus ein Erbe des Holocaust sein. Die Erzählung dieses Buches beginnt im Jahr 1645 und endet im Jahr 1833, doch der tragische Völkermord war bei unseren Besuchen in früheren Zeiten immer dabei. Die Frage der historischen Kontinuität war für mich ein unentwegter Trommelschlag. Welche Rolle spielte sie also, die Konversionswelle, die Abkehr einiger der Besten und Klügsten vom Judentum? Wir kennen Gershom Scholems strenge Verurteilung selbst der loyalen Juden der Napoleonischen Zeit. Ich habe auf diesen Seiten den Standpunkt vertreten, dass Scholem zu streng und unhistorisch war in seiner Erwartung, dass Gemeindevorsteher und Reformer die traditionelle Autonomie schützen würden, als die Emanzipation mit dem Jahr 1812 zu einer Option wurde. Als ich das Buch beendete, stieß ich zufällig auf einen weiteren zionistischen Angriff auf das deutsche Judentum, und zwar in den Worten von Avraham Burg, einem Abgeordneten der Arbeitspartei in der Knesset in Jerusalem. Burg schrieb, dass »die Juden
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Deutschlands, blind gegen die Realität, selbstgefällig und talentiert, in den Tod gingen, wobei der Zorn, den sie in den Deutschen weckten, ein Todesurteil für die Juden überall bedeutete«.3 Ich schaudere immer noch, wenn ich Burgs Denunziation jener Verhaltensweisen lese, die ich bei meinen Forschungen zutage förderte. Um mich zu beruhigen, bin ich seine Behauptungen eine nach der anderen durchgegangen. Erstens, waren diese Konvertiten prototypisch für alle jüdischen Deutschen in der Neuzeit? Nein, aber sie waren an einem Wendepunkt der Neuzeit besonders exponiert, und sie gaben ein Muster vor, das sich fortsetzte, selbst als der Anteil derer, die sich für die Konversion entschieden, später in dem Jahrhundert abnahm. Zweitens, waren sie blind gegen die Realität? Vielleicht, aber solche Blindheit war vielleicht notwendig, um die persönlichen Risiken auf sich zu nehmen, für die sie sich entschieden. Waren sie, drittens, talentiert? Ja, wir sind hier vielen hervorragenden Konvertiten begegnet, und dies nur in einer einzigen Stadt während eines Zeitraums von gerade mal knapp zwei Jahrhunderten. Was jene Berliner Jahre betrifft, muss man sicher zu Recht davon sprechen, dass oft die Begabtesten die Taufe wählten. Viertens, weckte ihre erfolgreiche Assimilation den Zorn der christlichen Deutschen? Es sieht ganz so aus, als sei das tatsächlich vorgekommen: Achim von Arnim und Wilhelm Grattenauer sind zwei ausgezeichnete Beispiele. Schließlich, liefert dieser Zorn eine weitere Erklärung für die Vernichtung? Hier, denke ich, ist Burg zu weit gegangen. Er gibt den Opfern die Schuld, und außerdem wirft er den Hass auf die assimilierten Juden und den Hass auf die traditionellen Juden in einen Topf. Aber trotz der übertriebenen Schlichtheit seiner Denunziation hat Burg dem gesamten Trend zur Assimilation, den die Konvertiten verkörperten, den Fehdehandschuh hingeworfen. Seine Herausforderung schmerzt, selbst nachdem ich mein Bestes versucht habe, die Konvertiten und das gesamte jüdische Vermächtnis in Deutschland zu verteidigen. Ich übergebe dieses Buch jetzt der umfassenderen Welt. Sie, meine Leserinnen und Leser, können weiter die Rätsel und Paradoxien der jüdischen Assimilation entwirren. Ich unterbreite Ihnen diese generationenübergreifenden Leben in Berlin als Kurzdramen, welche die Spannung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen, dem Gefesselten und dem Freien, dem Ethnischen und dem Kosmopolitischen, dem Traditionellen und dem Modernen enthüllen. Die Erkundung dieser vergangenen Leben muss uns, die wir heute leben, helfen, gute Entscheidungen über Nationen, Glaube und
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Familie zu treffen, im vollen Bewusstsein der Schwierigkeit, Glück in einer Welt brutaler Zwänge zu finden.
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Zahl der Konvertiten
Quelle für sämtliche Daten in den unten stehenden Schaubildern ist die »Fremdstämmigenkartei« im Evangelischen Zentralarchiv, Berlin
Jahr der Konversion
Schaubild 1: Konvertiten in Berlin, 1800–1874 (Zahl der Fälle: 4.635)
Schaubild 2: Alter der Konvertiten, 1800–1874 (Zahl der Fälle: 4.635)
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Jahr der Konversion
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Zahl der Konvertiten
Zahl der Eheschließungen
Schaubild 3: Weibliche und männliche Konversionsraten (Zahl der Fälle: 4.635)
Jahr der Eheschließung
Schaubild 4: Berliner Konvertiten, die Christinnen bzw. Christen heirateten (Zahl der Fälle: 686)
Anhang
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Konversionsrate pro 1.000 Juden in Berlin
Jahr der Konversion
Schaubild 5: Anteil der Berliner Juden, die konvertierten (Zahl der Fälle: 4.635). Zusätzliche Daten für dieses Schaubild stammen aus: Herbert Seeliger: »Origin and Growth of the Berlin Jewish Community«, in: Leo Baeck Institute Year Book 2 (1958), S. 159–68.
weibliche Konvertiten und jüdische Frauen in Berlin, die jemanden mit einer anderen Konfession heirateten, 1800–1846
männliche Konvertiten und Juden in Berlin, die jemanden mit einer anderen Konfession heirateten, 1800–1846
Schaubild 6: Vergleichende Zahlen für Konversion und Mischehe
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Schaubild 7: Alter der Konvertiten nach Jahrzehnt
Anmerkungen
Abkürzungen BAK GJN-B GSA LBIYB MGJD RfS RSA ZAJV ZGJD
Bundesarchiv, Koblenz Grosse Jüdische National-Biographie, Cernauti 1928 Gesamtarchiv der deutschen Juden Leo Baeck Institute Year Book Monatsschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland Rahel-Bibliothek Rahel-Bibliothek, Rahel Varnhagen: Gesammelte Werke, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert und Rachel Steiner, 10 Bde., München 1983 Reichsstelle für Sippenforschung Reichssippenamt (ab 1940) Zentralarchiv für die Geschichte des Jüdischen Volkes, Jerusalem Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland
Kapitel 1: Die schwarzen Ordner 1 Eine wichtige Anregung für meine quantitativen Nachforschungen über diese Epoche war ein Aufsatz von A. Menes: »The Conversion Movement in Prussia during the First Half of the Nineteenth Century«, der ursprünglich auf Jiddisch in YIVO Historishe shriftn 1 (1929) erschien. Die englische Fassung erschien in YIVO Annual of Jewish Social Science 6 (1951), S. 187–203. Menes war überzeugt davon, dass es vor dem Jahr 1816 keine Primärquellenbelege gebe, und es war seine Skepsis, die mich herausforderte, nach Quellen aus dem 18. Jahrhundert zu suchen. 2 Viele Pfarreien besaßen einst spezielle Sammlungen, die sogenannten Judenregister, die persönliche Daten zu individuellen Konversionen enthielten. Nur wenige dieser Judenregister haben, wenn überhaupt, den Krieg überdauert. Persönliche Mitteilung von Dr. Hans Steinberg vom Archiv der evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld, 9. November 1984.
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3 Wenn ich in diesem Buch die Begriffe »Arier« oder »Rasse« verwende, so tue ich dies ausschließlich im historischen Sinne, ohne in irgendeiner Weise zu unterstellen, dass die NSBegriffe irgendeine wissenschaftliche oder moralische Gültigkeit hatten oder haben. 4 Ich bin Nancy Reagin von der Abteilung für Geschichte an der Pace University dankbar dafür, dass sie auf einem Treffen der German Women’s History Study Group im Oktober 1999 in New York diesen Punkt betonte. 5 Katholische Taufen, die in die Bände des Berliner Stadtarchivs aufgenommen wurden, finden sich in keinem der Hauptkirchenbücher, die verwendet wurden, um die Taufkartei oder die Karten für die schwarzen Karteikartenordner im Jebenstraßen-Archiv zu erstellen, weil das Projekt von Anfang an von den protestantischen Kirchen organisiert wurde. 6 Pfarrer Themel beschrieb seine Methode zur Verkartung der Inhalte der Kirchenbücher in einer kleinen Broschüre, die von der Reichsstelle für Sippenforschung verkauft wurde: Wie verkarte ich Kirchenbücher? Der Aufbau einer alphabetischen Kirchenbuchkartei, Berlin 1936: »Bei der Verkartung spielen auch die Fremdstämmigen eine besondere Rolle. Auf sie wird oft zurückgegriffen. Daher ist es notwendig, dass eine Kartei eine besondere Übersicht gibt über das Vorkommen der Fremdstämmigen. Als Fremdstämmige sind in erster Linie Juden, Zigeuner und Neger (Mohren aus Fürstenhäusern) anzusehen. Für die größeren Karteien empfiehlt es sich, eine eigene Fremdstämmigenkartei mit anzulegen« (S. 44). Zum Hintergrund siehe W. Gerlach: And the Witnesses Were Silent. The Confessing Church and the Persecution of the Jews, Lincoln, Nebr., 2000. 7 Eine kurze Schilderung der Namensänderungen des RSA findet sich in dem Eintrag Reichssippenamt bei Hans Branig u.a. (Hg.): Übersicht über die Bestände des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem, Teil 2, Köln/Berlin 1967, S. 136–37. Die vormals in dem Dahlemer Archiv untergebrachten RSA-Akten befinden sich heute im Bundesarchiv. 8 Als Beispiel für die ehrgeizigen Forschungsvorhaben zu diesem Thema kann gelten: Wilhelm Grau: »Die historische Statistik der Judentaufen und Mischehen in Deutschland«, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83, H. 3 (1937), S. 1–5. Die »Forschungsabteilung Judenfrage« hatte ein spezielles Projekt mit dem Titel »Historische Statistik der Judentaufen und Mischehen in Deutschland«. Die vom Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland erstellten Forschungsarbeiten finden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden [Abteilung 211, Nr. 3829]. 9 Zu weiteren Einzelheiten siehe meinen Aufsatz »The Genealogy Bureaucracy in the Third Reich«, in: Jewish History 11 (Herbst 1997), S. 53–78. Zur Arbeit der Forscher des KaiserWilhelm-Instituts siehe Benno Müller-Hill: Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933–1945, Reinbek bei Hamburg 1984. Siehe auch Paul Weindling: Health, Race, and German Politics between National Unification and Nazism, 1870–1945, Cambridge 1989, sowie Horst Seidler und Andreas Rett: Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus, Wien 1982. 10 Diese Einzelheiten finden sich in: »Erblinien weisen deutschen Blutstrom nach«, in: Preußische Zeitung Königsberg, 18. Mai 1938. Die Schätzung zur Anzahl der individuellen Einträge und zu den Gesamtkosten findet sich in den Notizen über eine Besprechung zwischen Beamten der RfS und Wilhelm Stuckart vom Innenministerium am 10. Mai 1938 (Ordner 575, RP 39, Bundesarchiv Koblenz, fortan BAK abgekürzt). 11 Siehe Arthur Czellitzer: Mein Stammbaum. Eine genealogische Anleitung für deutsche Juden, Berlin 1934, S. 3. 12 Zur Frühgeschichte des GSA siehe Karl Jakob Ball-Kaduri: Vor der Katastrophe. Juden in Deutschland 1934–39, Tel Aviv 1967, S. 52–53. Siehe auch Reinhard Rürup: »Das Ende
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der Emanzipation«, und Herbert Strauss: »Jüdische Selbstverwaltung innerhalb der Schranken nationalsozialistischer Politik«, beide in: Arnold Paucker (Hg.): The Jews in Nazi Germany, Tübingen 1986, S. 97–114 und 125–52. 13 Für eine kurze Zusammenfassung von Jacobsons Leben und eine Auswahl aus seinen Erinnerungen siehe »Jacob Jacobson«, in: Monika Richarz (Hg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1918–1945, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 401– 12. Die vollständigen Erinnerungen befinden sich im Archiv des Leo Baeck Institute am Center for Jewish History in New York. Jacobson gehörte dem Verband nationaldeutscher Juden an. Über den Verband siehe Carl Rheims: »The Verband nationaldeutscher Juden«, Leo Baeck Institute Year Book (fortan LBIYB) 25 (1908), S. 243–68. 14 Ich stütze mich hier auf Jacobsons »Bericht über die Tätigkeit des Gesamtarchivs der deutschen Juden 1932–35«, der sich heute im Zentralarchiv für die Geschichte des Jüdischen Volkes in Jerusalem befindet (fortan ZAJV), A 142/90/7a. In demselben Ordner gibt es einen parallelen Bericht für das Jahr 1936. Der Verweis auf das Kartei-Projekt findet sich auf Seite 4 von Jacobsons Bericht für die Jahre 1932–35. 15 Siehe den Abschnitt seiner Erinnerungen, der in Richarz, Jüdisches Leben, S. 408, enthalten ist. 16 Siehe Bryan Mark Rigg: Hitlers jüdische Soldaten. Aus dem Amerik. übers., Paderborn/ München/Wien/Zürich 2003. 17 Ein von einem Herrn Kayser von der RfS im März 1939 an das Reichsministerium des Innern geschicktes Memorandum belegt, dass SS und Gestapo an der Entscheidung beteiligt waren, die RfS in das ehemalige GSA-Archiv zu verlegen. Ihre Begründung lautete, dass die Dokumente, die SS und Gestapo sich während der Reichskristallnacht angeeignet hatten, zu den bereits in dem ehemaligen GSA-Archiv lagernden Dokumenten gehörten. Das Memorandum ist zu finden in BAK, R 39, Bd. 39. 18 Zum Schicksal der Familie Jacobson in den Jahren 1938 und 1939 siehe Richarz, Jüdisches Leben, S. 401. Jacobsons eigenen, unentbehrlichen Publikationen zur frühen jüdischen Geschichte Berlins sind: Jüdische Trauungen in Berlin, 1773–1859, Berlin 1968, und Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin, 1800–1851, Berlin 1962. 19 Als »Mischlinge« galten nach der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1935 Menschen mit einer teilweise jüdischen Abstammung. Dabei wurde unterschieden zwischen »Mischlingen ersten Grades« oder »Halbjuden« mit zwei jüdischen Großeltern und »Mischlingen zweiten Grades« oder »Vierteljuden« mit einem jüdischen Großelternteil. Siehe Stichwort »Mischlinge«, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, Stuttgart 1997. Außerdem Jeremy Noakes: »The Development of the Nazi Policy towards the German Jewish ›Mischlinge‹, 1933–1945«, in: LBIYB 34 (1989), S. 291, Anm. 2. 20 Siehe ebda., S. 341–43. 21 Zu Chelmno siehe Martin Gilbert: The Holocaust. A History of the Jews of Europe during the Second World War, New York 1985, S. 280. 22 Siehe Peter Honigmann: Die Austritte aus der Jüdischen Gemeinde Berlin, 1873–1941. Statistische Auswertung und historische Interpretation, Frankfurt am Main 1988. Ich bin Peter Honigmann dankbar für sein anhaltendes Interesse an diesem Projekt. 23 Für seine Anregungen zu diesen Fragen bin ich meinem Bruder Frederick Hertz dankbar. 24 Siehe Kurt Nowak: »Das Stigma der Rasse. Nationalsozialistische Judenpolitik und die christlichen Nichtarier«, in: Jochen-Christoph Kaiser und Martin Greschat (Hg.): Der Holocaust und die Protestanten, Frankfurt am Main 1988, S. 73–99, und Ursula Büttner:
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»The Persecution of Christian-Jewish Families in the Third Reich«, in: LBIYB 34 (1989), S. 267–90. 25 Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, 2 Bde., Bd. 1: Tagebücher 1933– 1941, Bd. 2: Tagebücher 1942–1945, hg. von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hadwig Klemperer, 4. Aufl., Berlin 1995. Zitat aus Bd. 1, S. 456f. 26 Ich bin Rebecca Bohling (University of Michigan) dankbar, die sich auf einer Sitzung der New Yorker German Women’s History Study Group im Oktober 1999 zu einer früheren Fassung dieses Punktes äußerte. 27 Auf S. 289 seines Werkes The World We Have Lost Further Explored (New York 1984) weist Laslett auf die Arbeit der Freiwilligen hin. 28 Marion Kaplan erwähnt diese Erklärung auf S. 232 in ihrem Buch Between Dignity and Despair. Jewish Life in Nazi Germany (New York/Oxford 1998). 29 Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 9. Aufl., München/Zürich 1997, S. 14. 30 Siehe Shulamit Volkov: »The Dynamics of Dissimilation. Ostjuden and German Jews«, in: Jehuda Reinharz und Walter Schatzberg (Hg): The Jewish Response to German Culture, Hannover, N.H./London 1985, S. 195–211. 31 Baecks Zitat findet sich in: Enzo Traverso: The Jews and Germany: From the Judeo-German Symbiosis to the Memory of Auschwitz, Lincoln, Nebr./London 1995, S. 8. 32 Shemu’el Yosef Agnon: Schira. Aus dem Hebr. übers., Frankfurt am Main 1998, S. 407. 33 Klar zum Ausdruck kommt diese Sichtweise in: Brigitte Kallmann: »Narratives of Jewish Conversion in Germany Around 1800« (Diss., University of Michigan, 1999), S. 1. Ich danke Todd Endelman, dass er mich auf diese ausgezeichnete Dissertation aufmerksam gemacht hat. 34 Das erste Zitat stammt von Theodor Mommsen, zit. aus Hayim Hilel Ben-Sasson (Hg.): Geschichte des jüdischen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Autoris. Übers., 5., um ein Nachw. erw. Aufl., München 2007. Das zweite stammt von Paul Johnson: A History of the Jews, New York 1987, S. 312. 35 Martin Walser: »Wir werden Goethe retten«, in: Der Spiegel, H. 52 (1995), S. 140–46, zit. aus: Spiegel Online. www.spiegel.de/spiegel/print/d-9248037.html 36 Sander L. Gilman: Freud, Identität und Geschlecht. Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1994, S. 171. 37 Der vollständige Titel des Buches lautet Der Untergang der deutschen Juden. Eine volkswirtschaftliche Studie, München 1911. Siehe auch John Efron: Defenders of the Race. Jewish Doctors in Fin-de-siècle Europe, New Haven/London 1994, S. 141–153. Ich danke John Efron für die Erörterung von Felix Theilhabers Schicksal in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. 38 Siehe zwei Aufsätze von Scholem, beide erschienen in: On Jews and Judaism in Crisis. Selected Essays, New York 1976: »Against the Myth of the German-Jewish Dialogue«, S. 61–64, und »Jews and Germans «, S. 71–92. Zum Hintergrund siehe David Biale: Kabbalah and Counter-History, Cambridge, Mass., 1979. 39 Enzo Traverso macht einen wichtigen Unterschied zwischen der Wirklichkeit der Symbiose und dem Mythos von der Symbiose und schlägt vor, wir sollten bestimmte Fälle untersuchen, statt pauschale Thesen zu diesem Punkt aufzustellen. Siehe Traverso, Jews and Germany, S. 8. 40 John V. H. Dippel: Die große Illusion. Warum deutsche Juden ihre Heimat nicht verlassen wollten. Aus dem Amerik. übers., München 2001, S. 29. Ein ganzes Buch, das aus diesem
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Blickwinkel geschrieben wurde, ist John Weiss: Der lange Weg zum Holocaust. Die Geschichte der Judenfeindschaft in Deutschland und Österreich. Aus dem Amerik. übers., Hamburg 1997. 41 Hervorhebung von mir. Es handelt sich um Werner Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1999; diese Worte tauchen im Text des Schutzumschlages der amerikanischen Originalausgabe, The Invisible Wall. Germans and Jews. A Personal Exploration (Washington, D.C., 1998), auf. 42 Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Aus dem Amerik. übers., Berlin 1996. 43 Als Einführung in die Kritiken an Goldhagens Buch siehe Norman G. Finkelstein und Ruth Bettina Birn: Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit. Aus dem Amerik. übers., Hildesheim 1998. 44 Zum gegenwärtigen Gebrauch des Begriffs in der Forschung siehe Sander L. Gilman: Jüdischer Selbsthass. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden. Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1993.
Kapitel 2: Die Epoche religiöser Konversion, 1645–1770 1 Siehe Reinhold August Dorwart: The Prussian Welfare State before 1740, Cambridge, Mass., 1971, S. 120. 2 Zu Lippold siehe den Eintrag zu ihm in der teils deutsch-, teils hebräischsprachigen Encyclopaedia Judaica, hg. von Nahum Goldmann, 10 Bde., Berlin 1928–34, Bd. 10, S. 995–96. Siehe auch: Ruth Gay: Geschichte der Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg. Aus dem Amerik. übers., München 1993, S. 91; Selma Stern: The Court Jew, Philadelphia 1950, S. 47; und den Artikel über Lippold in der englischsprachigen Encyclopedia Judaica, Jerusalem 1971, Bd. 11, S. 287. Für ausführlichere Hintergrundinformationen siehe Werner Heise: Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 1571, Berlin 1932, Reprint Vaduz 1965, Kap. 18; und Eugen Wolbe: Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg, Berlin 1937, S. 21. 3 Dieses Zitat findet sich in: Heinrich Schnee: Die Hoffinanz und der moderne Staat, 4 Bde., Berlin 1953, Bd. 1: Die Institution des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen, S. 50. Viele der Interpretationen Schnees sind antisemitisch, aber einiges von seinem Tatsachenmaterial ist zuverlässig. Für mehr Informationen zu Aarons Ehefrau Esther (später Esther Liebmann) siehe meinen Aufsatz »The Despised Queen of Berlin Jewry, or the Life and Times of Esther Liebmann«, in: Vivian Mann und Richard Cohen (Hg.): From Court Jews to the Rothschilds. Art, Patronage, and Power, 1600–1800, München und New York 1996, S. 67–77. Siehe auch O. Lassally: »Israel Aaron, Hoffaktor des Großen Kurfürsten und Begründer der Berliner Gemeinde«, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 79, Neue Serie 43 (1935), S. 20–31, fortan MGW abgekürzt. 4 Diese Schilderung der materiellen Besitztümer der Wiener Juden stammt von Bernt Engelmann: Berlin. Eine Stadt wie keine andere, Berlin 1986, S. 30. Zum Hintergrund siehe Albert A. Bruer: Geschichte der Juden in Preußen (1750–1820), Frankfurt am Main/New
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York 1991, Kap. 1, und Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin, Berlin 1871; Reprint Berlin 1987, Bd. 1: S. 1–10. 5 Diese Schilderungen Berlins in den Siebzigerjahren des 17. Jahrhunderts stammen aus Alexandra Richie: Faust’s Metropolis. A History of Berlin, New York 1998, S. 52, und Ronald Taylor: Berlin and Its Culture. A Historical Portrait, New Haven/London 1997, S. 34–35. 6 Siehe Richie, Metropolis, S. 54, und Taylor, Berlin, S. 34. 7 Zit. aus Richie, Metropolis, S. 55. 8 Siehe Taylor, Berlin, S. 35. Siehe auch Stefi Jersch-Wenzel: Juden und »Franzosen« in der Wirtschaft des Raumes Berlin/Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus, Berlin 1978. 9 Wie Engelmann, Berlin, S. 31, besonders erwähnt. 10 Ebd., S. 32. 11 Zit. aus Richie, Metropolis, S. 56. 12 Das Zitat stammt aus Stern, Court Jew, S. 47. 13 Die Äußerung, die Aaron für einen Judas hält, findet sich in Stern, Court Jew, S. 184. Die Zitate aus dem falschen Testament stammen aus Schnee, Die Hoffinanz, Bd. 1, S. 55. 14 Zu den demografischen Trends in der jüdischen Geschichte Berlins siehe Herbert Seeliger: »Origin and Growth of the Berlin Jewish Community«, in: LBIYB 3 (1958), S. 159–68. 15 Diese Klage wird besonders erwähnt in: Stern, Court Jew, S. 150. Einige neuere Forschungsergebnisse zu Liebmann finden sich in Gerda Hoffer: Zeit der Heldinnen. Lebensbilder außergewöhnlicher jüdischer Frauen, München 1999, S. 90–108. 16 Für eine anschauliche Schilderung jüdischen Lebens in Berlin in dieser Zeit siehe Werner Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1999, Kap. 3. – Zur Entscheidung der Regierung, den Bau der neuen öffentlichen Synagoge zu unterstützen, siehe Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 19–23, und Bd. 2, S. 46–47. Siehe auch die faszinierende Diskussion über die Berliner Synagoge in Richard Cohen: Jewish Icons. Art and Society in Modern Europe, Berkeley, Kalif., 1998, S. 76–78. 17 Siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 1: Tradition und Aufklärung, 1600– 1780, von Mordechai Breuer und Michael Graetz, Teil 1, insb. Kap. 4, 7 und 8. 18 Zu diesem Punkt siehe ebd. 19 Diese Schilderung von Eulenspiegels Satire stammt aus Elisheva Carlebach: Divided Souls. Converts from Judaism in Germany, 1550–1750, New Haven 2001, S. 70; Eulenspiegels Worte, wie sie in Carlebach, Divided, S. 70, zitiert werden, finden sich in Oskar Frankl: Der Jude in den deutschen Dichtungen des 15., 16. und 17. Jahrhunderts, Mähr.-Ostrau 1905, S. 66. 20 Der von Monika Richarz herausgegebene Band Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit (Hamburg 2001) enthält die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese bedeutende Frau. Die deutsche Ausgabe ihrer Erinnerungen heißt Die Memoiren der Glückel von Hameln. Aus dem Jüd.-Dt. übers. von Bertha Pappenheim, Weinheim/Basel 2005. 21 Zit. aus Nachum T. Gidal: Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik, Gütersloh 1988, S. 93, und Die Memoiren der Glückel von Hameln, S. 75 und 76. Glückel, die jetzt Glikl bas Judah Leib hieß, verwendet hier im Hebräischen leicht abgewandelt einen Ausdruck aus 2. Mose 15,20 (Exodus): »Mit Pauken im Reigen«. Ihre Erwähnung der »Freude wie am Wasserschöpftag« verweist auf eine festliche Zeremonie im alten Jerusalem am letzten Tag des Herbstfestes Sukkot (Laubhüttenfest). Siehe auch den
Anmerkungen
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Aufsatz von Natalie Davis über Glikl in ihrem Buch Women on the Margins. Three Seventeenth-Century Lives (Cambridge, Mass., 1995). 22 Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Institute von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 1: Tradition und Aufklärung, 1600– 1780, von Mordechai Breuer und Michael Graetz, S. 221. 23 Eine differenzierte Erörterung dieser sabbatianischen Konvertiten in Deutschland findet sich in Carlebach, Divided Souls, S. 82–85. 24 Siehe Jacob Katz: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770–1870. Aus dem Engl. übers., Frankfurt am Main 1986, S. 35. Zu Anton siehe Heinrich Graetz: Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, 10 Bde., 3., vermehrte und verbess. Aufl., Leipzig 1897, Reprint Darmstadt 1998, Bd. 10: Von der dauernden Ansiedelung der Marranen in Holland (1618) bis zum Beginne der Mendelssohnschen Zeit (1750), S. 380–81. 25 Ebd., S. 384. 26 Eine Erörterung der vom Sabbatianismus angeregten Konvertiten in Deutschland findet sich in Johann F. A. de Le Roi: Die evangelische Christenheit und die Juden. Unter dem Gesichtspunkte der Mission geschichtlich betrachtet, 4 Bde., Karlsruhe/Leipzig 1884–92, Neudruck 1974, Bd. 1: In der Zeit der Herrschaft christlicher Lebensanschauungen unter den Völkern. Von der Reformation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, S. 134, und in Gershom Scholem: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Ins Dt. übertr., Frankfurt am Main 1992, passim. 27 Eine hilfreiche Zusammenfassung, auf die ich mich hier stütze, liefert Norman Davies: God’s Playground. A History of Poland, 2 Bde., New York 1982, Bd. 1, S. 194–95. 28 Siehe ebd., S. 196. 29 Siehe den ausführlichen Aufsatz über Frank im zweiten Band des Jüdischen Lexikons (Berlin 1928), S. 711–23, sowie den Aufsatz über Frank im Band 6 der Encyclopaedia Judaica (Berlin 1928–34), S. 1071–79. 30 Für den Vergleich mit Amsterdam siehe Miriam Bodian: Hebrews of the Portuguese Nation. Conversos and Community in Early Modern Amsterdam, Bloomington, Ind., 1997. 31 Alexander Altmann: Moses Mendelssohn, University of Alabama Press, Ala., 1973, S. 96. 32 Bei meiner Zusammenfassung über illegale Juden in Preußen habe ich mich gestützt auf Christopher Clark: The Politics of Conversion. Missionary Protestantism and the Jews in Prussia, 1728–1941, Oxford 1995, S. 46 und 47 und Kap. 2, passim. 33 Siehe Rudolf Glanz: Geschichte des niederen jüdischen Volkes in Deutschland, New York 1968. 34 Siehe Adam Sutcliffe: Judaism and the Enlightenment, Cambridge, England, 2003, Kap. 1. 35 Johann Jakob Schudt: Jüdische Merckwürdigkeiten. Vorstellende, was sich Curieuses und denckwürdiges in den neuern Zeyten bei einigen Jahrhunderten mit denen in alle IV. Theile der Welt, sonderlich durch Teutschland, zerstreuten Juden zugetragen; Sammt einer vollständigen Franckfurter Juden-Chronick, Darinnen der zu Franckfurt am Mayn wohnenden Juden, von einigen Jahrhunderten, biß auff unsere Zeiten, merckwürdigste Begebenheiten enthalten, Frankfurt/Leipzig 1917–18, Vorwort zu Teil II. 36 Philipp Jakob Spener: Letzte theologische Bedenken und andere briefliche Antworten, welche von d. sel. Autore erst nach seinem Tode zu ediren, anbefohlen, 2. Aufl., Halle 1721, Bd. 1, Teil 1, S. 286. 37 Zit. aus Clark, Conversion, S. 59.
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38 Siehe Elisheva Carlebach: »Converts and Their Narratives in Early Modern Germany. The Case of Friedrich Albrecht Christiani«, in: LBIYB 40 (1995), S. 73. 39 Siehe Clark, Conversion, S. 20–22, und Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung. Die Stellung der deutschen evangelischen Theologen zum Judentum im 17. Jahrhundert, Tübingen 1988, S. 57. 40 Johann Heinrich Callenberg: Sechste Fortsetzung, Halle 1734, S. 101. Siehe auch Clark, Conversion, S. 65. 41 Clark, Conversion, S. 65. 42 Ebd., S. 76, und auch S. 47–57. Siehe auch Paul Gerhard Aring: Christen und Juden heute und die Judenmission, Frankfurt am Main 1987. 43 Siehe Clark, Conversion, S. 53. 44 Für eine kurze Erörterung von Guggenheims Leben siehe Carlebach, Divided Souls, S. 102, 117, 151 und 168. Die Zitate stehen auf den Seiten 128 und 129. 45 Clark, Conversion, S. 75. 46 Siehe ebd., S. 73. 47 Ebd., S. 51. 48 Das Originalzitat findet sich in Johann Heinrich Callenberg: Christliche Bereisung der Judenörter, Halle 1757, Bd. iii, S. 365. Siehe auch Clark, Conversion, S. 58. 49 Siehe Carlebach, »Converts and Their Narratives«, S. 69. Azriel Shohet kam in seiner Studie Beginnings of the Haskalah among German Jewry in the First Half of the Eighteenth Century (hebräisch; Jerusalem 1960), S. 174–97, zu dem Schluss, dass es in jener Epoche 300 Konvertiten gegeben habe. Shohets Behauptungen wurden angefochten von Benjamin Kedar in seinem Aufsatz »Continuity and Change in Jewish Conversion to Christianity in Eighteenth-Century Germany« (hebräisch), in: E. Etkes und Y. Salmon (Hg.): Studies in the History of Jewish Society in the Middle Ages and in the Modern Period, Jerusalem 1980, S. 154–70. Für eine Zusammenfassung der These von Shohet auf Deutsch siehe Katz, Aus dem Ghetto, S. 45–46. 50 Clark, Conversion, S. 53. 51 Ebd. 52 Zu Magdalena August Navrazky siehe Le Roi, Die evangelische Christenheit, S. 370. 53 Zu Heynemanns Geschichte siehe A. Fürst: Christen und Juden. Licht- und Schattenbilder aus Kirche und Synagoge, Straßburg 1892, S. 120–33, und Kedar, »Continuity and Change«, S. 11–12. Heynemanns Autobiografie ist ebenfalls von Interesse: Johann Friedrich Heinrich Selig: Johann Friedrich Heinrich Seligs, eines Bekehrten aus dem Judentume, eigene Lebensbeschreibung, Leipzig 1783. 54 Siehe Fritz Redlich: »Jewish Enterprise and Prussian Coinage«, in: Explorations in Entrepreneurial History 3, Nr. 3 (1951). 55 Siehe Dolf Michaelis: »The Ephraim Family«, in: LBIYB 21 (1976), S. 207. 56 Zit. aus: Gidal, Die Juden in Deutschland, S. 116. 57 Was Einzelheiten über das Leben dieser drei Familien betrifft, stütze ich mich sowohl auf Steven Lowenstein: The Berlin Jewish Community: Enlightenment, Family, and Crisis, 1770– 1830, New York 1994, S. 26, als auch auf zwei Aufsätze von Michaelis: »The Ephraim Family« und »The Ephraim Family and Their Descendants (II)«, in: LBIYB 24 (1979), S. 225–46. 58 Siehe Rolf-Herbert Krüger: Das Ephraim Palais in Berlin, Berlin 1989. 59 Sein Gehalt wird erwähnt in: Altmann, Mendelssohn, S. 201. Altmann zitiert dort einen Tagebucheintrag von Johann Caspar Lavater aus dem Jahr 1763. Das Tagebuch befindet
Anmerkungen
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sich in der Robert von Mendelssohn Collection in der Staatsbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, C ii, Nr. 24. 60 Der Brief wird zitiert von Altmann, Mendelssohn, S. 97. Das Original ist zu finden in: Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, hg. von Alexander Altmann, Stuttgart 1971ff. (Reprint der Ausgabe Berlin 1929–38), Bd. 11: Briefwechsel, Brief 179, S. 296. 61 Diese Analyse stützt sich auf Barbara Hahn: Die Jüdin Pallas Athene. Auch eine Theorie der Moderne, Berlin 2005. 62 Für Einzelheiten über Mendelssohns Leben in diesen Jahren bin ich Altmann, Mendelssohn, Kap. 2 und 3, dankbar. 63 Siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 1: Tradition und Aufklärung, 1600– 1780, von Mordechai Breuer und Michael Graetz. Zur Lavater-Kontroverse siehe S. #73– 74 Ms. in diesem Band. 64 Diese Behauptung über die von Lessing benutzte reale historische Figur wurde von Sara Meyer von Grotthuß, der Tochter Aaron Meyers, in einem Brief an Johann Wolfgang von Goethe vom 25. Mai 1814 aufgestellt; zitiert in: Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 45. 65 Der Brief war an Aaron Gumpertz gerichtet, im Juni 1754, in: Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Stuttgart 1971ff., Bd. 11, S. 10. 66 Zitat aus einem Brief von Friedrich Lüdke an Lavater vom 23. Januar 1770, in: Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Stuttgart 1971ff., Bd. 7, S. 306. 67 Der Roman wird zusammengefasst in Brigitte Kallmann: »Narratives of Jewish Conversion in Germany Around 1800«, Diss., University of Michigan 1999, S. 117–41. Bei dem Roman handelt es sich um Johann Balthasar Kölbele: Die Begebenheiten der Jungfer Meyern, eines jüdischen Frauenzimmers, von ihr selbst beschrieben, 2 Bde., Frankfurt am Main 1765. 68 Siehe Kallmann, »Narratives«, S. 130.
Kapitel 3: Rahel Levin wird erwachsen, 1771–1810 1 Siehe Heidi Thomann Tewarson: Rahel Levin Varnhagen. The Life and Work of a German Jewish Intellectual, Lincoln, Nebr./London 1998, S. 17. Thomann Tewarson stützt sich auf Friedhelm Kemp: Rahel Varnhagen. Briefwechsel, 4 Bde., München 1983, Bd. 4, S. 365. Inzwischen existiert eine riesige Bibliografie zu verschiedenen Aspekten von Rahel Varnhagens Leben. Die Standardbibliografie aus einer früheren Epoche ist Otto Berdrow: Rahel Varnhagen. Ein Lebens- und Zeitbild, Stuttgart 1900. 2 Dies erwähnt Henriette Herz in ihren Erinnerungen besonders. Rainer Schmitz (Hg.): Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen, Frankfurt am Main 1984, S. 42. 3 Der Brief wird zitiert von Ursula Isselstein: »Der Text aus meinem beleidigten Herzen.« Studien zu Rahel Levin Varnhagen, Turin 1993, S. 30. 4 Das Porträt stammt von Daniel Chodowiecki; zu diesem wichtigen Maler siehe Ronald Taylor: Berlin and Its Culture. A Historical Portrait, New Haven 1997, S. 86–87. 5 Schmitz, Henriette, S. 42. 6 Martin L. Davies: Identity and History. Marcus Herz and the End of the Enlightenment, Detroit 1995, S. 165.
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7 Einen ausgezeichneten Überblick über die Regeln und Gepflogenheiten bei Namensänderungen bietet Dietz Bering: Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812– 1933; Stuttgart 1987. 8 Die Salondamen haben im Laufe der Jahre zunehmende Aufmerksamkeit gefunden. Für eine Zusammenfassung der neueren literaturgeschichtlichen Forschung siehe Barbara Hahn und Ursula Isselstein (Hg.): Rahel Levin Varnhagen. Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, Göttingen 1987. Siehe auch Steven Lowenstein: The Berlin Jewish Community. Enlightenment, Family, and Crisis, 1770–1830, New York 1994, Kap. 9, sowie eine von Norman Altendorfer und Renate Heuer herausgegebene Aufsatzsammlung, Jüdinnen zwischen Tradition und Emanzipation (Bad Soden 1990). 9 Zu den Einzelheiten der Begebenheit siehe Dolf Michaelis: »The Ephraim Family and Their Descendants (II)«, in: LBIYB 24 (1979), S. 230. 10 Davies, Marcus Herz, S. 177. 11 Das Zitat aus Saras Brief vom 20. März 1797 taucht auf in: Barbara Hahn: Die Jüdin Pallas Athene. Auch eine Theorie der Moderne, Berlin 2002, S. 45. 12 Zitat aus dem Brief von 1797 in: Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 45. Der Vorfall wird zusammengefasst in Alexander Altmann: Moses Mendelssohn. A Biographical Study, University of Alabama 1973, S. 298. 13 Schmitz, Henriette Herz, S. 78. 14 Carola Stern: »Ich möchte mir Flügel wünschen.« Das Leben der Dorothea Schlegel, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 53. 15 Die früheste Ausgabe ihrer Erinnerungen ist Joseph Fürst (Hg.): Henriette Herz. Ihr Leben und ihre Erinnerungen, Berlin 1858. Siehe Liliane Weissberg: »Weibliche Körpersprachen. Bild und Wort bei Henriette Herz«, in: Jutta Dick und Barbara Hahn (Hg.): Von einer Welt in die andere. Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1993, S. 71–91. Siehe auch Peter Seibert: »Henriette Herz. Erinnerungen. Zur Rekonstruktion einer frühen Frauenautobiographie«, in: Der Deutschunterricht 41 (1989), S. 37–50. Ein älterer Aufsatz über Herz ist zu finden in: F. Gustav Kühne: Deutsche Männer und Frauen. Eine Galerie von Charakteren, Leipzig 1851, S. 215–43. Siehe auch Hilde Spiel: Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation. Ein Frauenleben an der Zeitenwende 1758–1818, Frankfurt am Main 1962. 16 Um Herz’ Platz im geistigen Leben der Zeit zu verstehen, siehe Davies, Marcus Herz. Siehe auch Altmann, Mendelssohn, S. 267. 17 Steven Lowenstein: The Berlin Jewish Community. Enlightenment, Family, and Crisis, 1770– 1830, New York 1994, S. 36. 18 Altmann, Mendelssohn, S. 98. 19 Siehe Schmitz, Henriette Herz, S. 53. Für eine interessante Erörterung der sozialen Muster der frühen jüdischen Aufklärung siehe Michael Graetz: »A New Sociability«, in: Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 1: Tradition und Aufklärung, 1600–1780, von Mordechai Breuer und Michael Graetz. 20 Siehe Altmann, Mendelssohn, S. 98 und 724. 21 Siehe Stern, Dorothea Schlegel, S. 36. 22 Siehe Altmann, Mendelssohn, S. 724. 23 Einige dieser Probleme mit dieser Interpretation erörtere ich in meiner Studie Die jüdischen Salons im alten Berlin (Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1991).
Anmerkungen
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24 Siehe Altmann, Mendelssohn, S. 350–52. Siehe auch Immanuel Heinrich Richter: Geschichte der jüdischen Reformation. David Friedländer, sein Leben und sein Wirken, Berlin 1861. 25 Zu der Schule siehe Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin, 2 Bde., Berlin 1871; Reprint Berlin 1987, Bd. 1, S. 84, sowie Anmerkungen zu Bd. 1, S. 136–37. 26 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 34. 27 Siehe Altmann, Mendelssohn, S. 738–41. 28 Ebd., S. 741. Die ursprüngliche veröffentlichte Quelle für Herz’ Kommentar ist das Vorwort von Johann Engel zu Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings, S. xiii–xxii. Siehe auch Davies, Marcus Herz, S. 199. 29 Siehe beispielsweise Harry Abt: »Dorothea Schlegel bis zu ihrer Vereinigung mit der Romantik«, Diss., Frankfurt am Main 1925. 30 Siehe Altmann, Mendelssohn, S. 264. 31 Für eine Zusammenfassung der neueren Forschung über König Friedrich siehe Theodor Schieder: Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1983. 32 Mirabeau, wie er in Taylor, Berlin, S. 59, zitiert wird. 33 Der Brief ist abgedruckt in: Rahel-Bibliothek: Gesammelte Werke/Rahel Varnhagen, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert und Rachel Steiner, 10 Bde., München 1983, Bd. 4/1, S. 235, im Folgenden zitiert als Rahel-Bibliothek. 34 Aus den Memoiren wird zitiert in Spiel, Fanny von Arnstein, S. 175. 35 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Aus dem Engl. übers., München/Zürich 1986. 36 Zu der Gesellschaft siehe Ludwig Lesser: Chronik der Gesellschaft der Freunde in Berlin, zur Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens, Berlin 1842, und Hermann Baschwitz: Rückblick auf die hundertjährige Geschichte der Gesellschaft der Freunde in Berlin, Berlin 1892. Was die Bestimmungen der Gesellschaft über die Konversion betrifft, siehe Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 131. 37 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 41, zit. aus: Lesser, Chronik, S. 46. 38 Für eine Zusammenfassung von Brinckmanns Leben und seine Rolle in den Salons siehe meine Studie Die jüdischen Salons im alten Berlin. Für eine ausgezeichnete Zusammenfassung der Korrespondenz zwischen Brinckmann und Gentz über Rahel Levin siehe auch Spiel, Fanny von Arnstein, S. 269–72. 39 Rahels Brief an ihren Bruder Markus vom 8. August 1794 ist abgedruckt in: Rahel Levin: »Bericht von einer Reise nach Schlesien«, in: Ernst-Peter Wieckenberg (Hg.): Einladung ins 18. Jahrhundert, München 1988, S. 62–75. In Auszügen auch abgedruckt in: Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 51–53. 40 Brief vom 8. August 1794 in: ebd., S. 53, und in Wieckenberg, Einladung ins 18. Jahrhundert, S. 68. 41 Selbst die Autorin eines neueren Buches räumt ein, dass Forscher nicht ganz verstehen, warum sie nie eine Ehe mit einem jüdischen Mann einging. Siehe Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 77. Siehe auch Günter de Bruyn (Hg.): Rahels erste Liebe. Rahel Levin und Karl Graf von Finckenstein in ihren Briefen, Berlin 1985. 42 Fanny von Arnsteins Mitgift beispielsweise betrug 70.000 Taler. Siehe auch Spiel, Fanny von Arnstein. Zur Höhe der Mitgift bei einigen von Levins Freundinnen siehe meine Studie Die jüdischen Salons im alten Berlin.
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43 Für eine Zusammenfassung ihrer Beziehung bin ich Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 73–76, dankbar. Siehe auch Arendt, Rahel Varnhagen, passim. 44 Clark, Conversion, S. 53. 45 Meine Darstellung der biografischen Begebenheiten im Leben der Schwestern verdankt sich Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 38–43. Siehe auch Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 167 und 246. 46 Saras Brief an den König wird zitiert in: Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 40–41. 47 Man achte auf den feindseligen Tonfall, in dem Henriette Herz die Geschichte in der Schmitz’schen Ausgabe ihrer Erinnerungen erzählt (S. 79). 48 Siehe Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 167. Siehe auch Arendt, Rahel Varnhagen, S. 112, 130 und 303. Welches genau Saras Motive für die Konversion von 1788 waren, ist nicht klar. Für eine hilfreiche Erörterung der Riten für zurückkehrende Konvertiten im 17. und frühen 18. Jahrhundert siehe Elisheva Carlebach: Divided Souls. Converts from Judaism in Germany, 1500–1750, New Haven/London 2001, S. 28–29. 49 Diese Schätzungen finden sich in meiner Studie Die jüdischen Salons im alten Berlin. 50 Für eine Zusammenfassung des Falles siehe Eugen Wolbe: Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg, Berlin 1937, S. 211–13. 51 Ein Querschnitt durch die zeitgenössische Meinung findet sich bei Stern, Dorothea Schlegel, S. 32–33. Steven Lowenstein legte mir in einer persönlichen Mitteilung im September 1999 nahe, dass Fromet Mendelssohns Abwesenheit von Berlin entscheidend für die Konversion von vieren ihrer Kinder gewesen sei. 52 Für Einzelheiten über die Veit-Söhne siehe Jacob Jacobson (Hg.): Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin, Berlin 1962, S. 69. 53 Siehe Stern, Dorothea Schlegel, S. 97–99. 54 Diese Einzelheiten sind zu finden in: ebd., S. 99. 55 Siehe Ilse Kammerlander: Johanna Fichte. Ein Frauenschicksal der deutschen Klassik, Stuttgart 1969, S. 87. 56 Für eine kurze biografische Skizze siehe Radoslav Tsanoff: »Fichte«, in: The Encyclopedia of Philosophy, Bde. 3 und 4, New York 1967, S. 192–96. Einen ausführlicheren Überblick bietet Fritz Medicus: Fichtes Leben, Leipzig 1914. 57 Tsanoff, »Fichte«, S. 193. 58 Siehe Spiel, Fanny von Arnstein, S. 245–47. 59 Elias zit. aus ebd., S. 250; siehe auch Jacob Jacobson (Hg.): Jüdische Trauungen in Berlin, 1773–1859, Berlin 1968, S. 240. 60 Siehe Ellen Littmann: »David Friedländers Sendschreiben an Probst Teller und sein Echo«, Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland (im Folgenden ZGJD) 6 (1935), S. 92–112. 61 Zit. aus: Werner Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1999, S. 171. 62 Siehe Gustav Friedrich Manz: »Michael Beers Jugend«, Diss., Freiburg 1891, S. 12. 63 Berndt Wessling: Meyerbeer. Wagners Beute – Heines Geisel, Düsseldorf 1984, S. 41. 64 Zur Kunstakademie in dieser Zeit siehe den von der Berliner Kunstakademie herausgegebenen Ausstellungskatalog Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche, Berlin 1988. 65 Grattenauers Original-Pamphlet, Wider die Juden. Ein Wort der Warnung (Berlin 1803) wurde zusammen mit verschiedenen Erwiderungen und Grattenauers Antworten auf die
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Erwiderungen veröffentlicht. Dieses Zitat erschien in Pamphlet 3, S. 8. Für eine Zusammenfassung der Reaktionen zeitgenössischer Intellektueller auf Grattenauers Pamphlete siehe Spiel, Fanny von Arnstein, S. 279–83; das Zitat aus Wider die Juden ebd., S. 279. 66 Siehe Arendt, Rahel Varnhagen, S. 279, und Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 76–77. 67 Siehe Stern, Dorothea Schlegel, S. 24. Philippines Vater hatte zwei Namen: Moses Zülz und Moses Bernhard. Für Einzelheiten über die Familie siehe Jacobson, Trauungen, S. 362– 63. 68 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 246–47, Anm. 22. 69 Siehe Heidi Thomann Tewarson: »German-Jewish Identity in the Correspondence between Rahel Levin Varnhagen and Her Brother, Ludwig Robert: Hopes and Realities of Emancipation 1780–1830«, LBIYB 39 (1994), S. 3–29. 70 Für mehr Einzelheiten über Koreff siehe Friedrich von Oppeln-Bronikowski: David Ferdinand Koreff, Berlin 1928, und Karl August Varnhagen von Ense: Biographische Portraits, Leipzig 1871, S. 1–45. Ich beschäftige mich in meinem Aufsatz »Why Did the Christian Gentlemen Assault the juedischer Elegant? Four Conversion Stories from Berlin, 1816–1825« (LBIYB 40 [1995], S. 85–106) mit Koreff. 71 Siehe Jacobson, Trauungen, S. 241, Anm. 384. 72 Es gibt mehrere Ausgaben seiner Memoiren. Die Originalausgabe heißt Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, 5 Bde., Leipzig 1843. Zu den gekürzten Ausgaben gehören K. A. Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. von Joachim Kühn, Berlin 1925; Karl August Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. von Karl Leutener, Berlin 1954, und Karl August Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Frankfurt am Main 1987 (Werke in fünf Bänden, Bde. 1–3). 73 Siehe Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 93. 74 Einige Historiker haben behauptet, dass es Rahels Freundin Marianne Saaling gewesen sei, die Karl die Stelle bei der Familie Hertz besorgte, aber ein neuerer Aufsatz korrigiert diesen Irrtum. Siehe Hans Hertz: »Wilhelm Ludwig Hertz. Ein Sohn des Dichters Adelbert von Chamisso«, Archiv für die Geschichte des Buchwesens (1970), S. 274. Karls Verbindungsmann zur Familie Hertz, Hermann Eberty, wurde 1776 als Veitel Heimann Ephraim geboren, wurde 1816 zu Viktor Ebers und konvertierte 1828. Siehe Jacobson, Trauungen, S. 370–71. 75 Siehe Varnhagen: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, Leipzig 1843, Bd. 5, S. 159– 69. 76 Ebd., Bd. 5, S. 170. 77 Zu Johann und seiner Frau Sophie, deren Vater Benjamin Ephraim 1806 als Spion für die Franzosen verhaftet wurde, siehe Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 92. Zur Familie Stieglitz siehe Bodo Freiherr von Maydell: Die Stieglitz aus Arolsen. Ihre Vorfahren und Nachkommen, Neustadt 1956. 78 Zu Stieglitz’ Beziehung zu Humboldt siehe Wilhelm Grau: Wilhelm von Humboldt und das Problem des Juden, Hamburg 1935, S. 30–31. Zu Stieglitz’ familiärem Hintergrund siehe Jacobson, Trauungen, S. 349, und einen Aufsatz über Steglitz in: Große Jüdische NationalBiographie, Cernauti 1928, Bd. 6, S. 35–36, fortan GJN-B. 79 Zit. aus Ludwig Schulze: August Neander. Ein Gedenkblatt für Israel und die Kirche, Leipzig 1890, S. 28. 80 Siehe Marshall Dill: Germany. A Modern History, Ann Arbor 1970, S. 73.
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81 Siehe Thomas Stamm-Kuhlmann: König in Preußens großer Zeit: Friedrich Wilhelm III. Der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992; Constance Wright: Louise, Queen of Prussia. A Biography, London 1969. 82 Hannsjoachim W. Koch: Geschichte Preußens. Aus dem Engl. übers., Herrsching 1986, S. 229. 83 Ebd. 84 Siehe Carl Atzenbeck: Pauline Wiesel. Die Geliebte des Prinzen Louis Ferdinand, Leipzig 1925. Für neuere Arbeiten siehe Nina Hess: Der Schwan. Das Leben der Pauline Wiesel 1778–1848, Berlin 1994; Barbara Hahn und Birgit Bosold (Hg.): Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Pauline Wiesel, München 1998; und Barbara Hahn, Birgit Bosold und Ursula Isselstein (Hg.): Pauline Wiesels Liebesgeschichten. Briefwechsel mit K. G. von Brinckmann, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Friedrich Gentz und anderen, München 1998. 85 Zur Zusammenkunft bei Hufeland siehe Ilse Kammerlander: Johanna Fichte. Ein Frauenschicksal der deutschen Klassik, Stuttgart 1969, S. 69. 86 Wright, Louise, S. 133. 87 Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 5 Tle., Leipzig 1927, Tl. 3; Peter Viereck: Metapolitics. From the Romantics to Hitler, New York 1941, S. 63–64. 88 Koch, Geschichte Preußens, S. 230. 89 Wright, Louise, S. 134. 90 Eine hilfreiche Zusammenfassung bietet Jerry F. Dawson: Friedrich Schleiermacher. The Evolution of a Nationalist, Austin/London 1966. 91 Terry Pickett: The Unseasonable Democrat. Karl Varnhagen von Ense, 1785–1858, Bonn 1985, S. 18. 92 Siehe Robert Bigler: The Politics of German Protestantism. The Rise of the Protestant Church Elite in Prussia, 1815–48, Berkeley 1972. 93 Siehe Friedrich Meinecke: Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795–1815), 6. Aufl., Göttingen 1957. 94 Paul Bailleu: Königin Luise, Berlin 1908, S. 206 und 207. 95 Siehe Derek Wilson: Rothschild. A Story of Wealth and Power, London 1988, S. 17–35, sowie die neuere Studie von Niall Ferguson: The House of Rothschild. Money’s Prophets, 1798– 1848, New York 1998. 96 Wright, Louise, S. 155–56. 97 Ebd., S. 154 98 Christopher Clark: The Politics of Conversion. Missionary Protestantism and the Jews in Prussia, 1728–1941, Oxford 1995, S. 87. 99 Artikel »Kottwitz, Hans Ernst, Baron von«, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon in 31 Bänden, hg. von Friedrich-Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Bd. IV, Herzberg 1992, Sp. 560–66. 100 Clark, Conversion, S. 85–86. 101 Kammerlander, Johanna Fichte, S. 113. 102 Wright, Louise, S. 195. 103 Siehe Medicus, Fichtes Leben. 104 Bei dieser Zusammenfassung stütze ich mich auf Helmuth Engelbrecht: Johann Gottlieb Fichte, New York, 1968. 105 Siehe das ältere, aber immer noch nützliche Buch von J. G. Legge: Rhyme and Revolution in Germany. A Study in German History, Life, Literature and Character, 1813–1850, London
Anmerkungen
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1918; Reprint New York 1970; manche Forscher sehen in Fichtes Hinwendung zum Nationalismus einen Riesenfehler. Siehe zum Beispiel Viereck, Metapolitics, Kap. 9. 106 Zit. aus: Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 9. Aufl., München/Zürich 1997, S. 139. 107 Siehe Johann Gottlieb Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, hg. von Richard Schottky, Hamburg 1973, S. 115. Zu einer faszinierenden Debatte über die jüdische Fichte-Rezeption später in dem Jahrhundert siehe Erik Lindner: »Deutsche Juden und die bürgerlich-nationale Festkultur: Die Schiller- und Fichtefeiern von 1859 und 1862«, in: A. Gotzmann, R. Liedtke und T. van Rahden (Hg.): Juden. Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800–1933, Tübingen 2001, S. 182–90. Siehe auch Peter Hacks (Hg.): Ascher gegen Jahn, 4 Bde., Berlin 1991. 108 Rahel-Bibliothek, Bd. 1, S. 328. 109 Siehe den von mir herausgegebenen Band mit Briefen: Briefe an eine Freundin. Rahel Varnhagen an Rebecca Friedländer, Köln 1988. 110 Siehe Petra Wilhelmy: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, Berlin/New York 1989, sowie Wilhelmys neuere Studie Die Berliner Salons, Berlin/New York 2000. Ebenfalls hilfreich ist Barbara Hahn: »Der Mythos vom Salon«, ein Kapitel in Die Jüdin Pallas Athene, S. 75– 98. 111 Siehe Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 5., durchges. Aufl., München 1991, S. 64. 112 Das Arndt-Zitat findet sich in: Luise Schorn-Schütte: Königin Luise. Leben und Legende, München 2003, S. 79. 113 Siehe Charles McClelland: State, Society, and University in Germany, 1700–1914, Cambridge, England, 1980, Kap. 4. Siehe auch Woodruff Smith: Politics and the Sciences of Culture in Germany, 1840–1920, New York/Oxford 1991. 114 Siehe Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 50. 115 Hilfreich ist hier ist die bahnbrechende Arbeit von Monika Richarz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678–1848, Tübingen 1974, S. 99–100. 116 Rahel-Bibliothek, Bd. 4/1, S. 101–2.
Kapitel 4: Emanzipation und Krieg, 1811–1813 1 Zu dieser Beziehung siehe Heidi Thomann Tewarson: Rahel Levi Varnhagen. The Life and Work of a German Jewish Intellectual, Lincoln, Nebr.,/London 198, S. 99–104, sowie die von mir herausgegebene Briefsammlung: Briefe an eine Freundin. Rahel Varnhagen an Rebecca Friedländer, Köln 1988. 2 Siehe Fritz Böttger: Bettina von Arnim. Ihr Leben, ihre Begegnungen, ihre Zeit, Berlin 1990, sowie Konstanze Bäumer und Hartwig Schulz: Bettina von Arnim, Stuttgart/Weimar 1995. Für interessante Einsichten über die Ehe von Bettinas Eltern siehe Ute Frevert: FrauenGeschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 1986, S. 40–41. 3 Siehe Ingeborg Drewitz: Bettine von Arnim. Romantik, Revolution, Utopie, Düsseldorf 1969, S. 36.
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4 Für eine hilfreiche Analyse siehe Helmut Hirsch: »Jüdische Aspekte im Leben und Werk Bettine von Arnims«, Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft 1 (1987), S. 61–73, und Rolf Spinner: Clemens Brentano, oder Die Schwierigkeit, naiv zu sein, Frankfurt am Main 1990. 5 Goethes Lob wird besonders erwähnt in Nicholas Sauls Kapitel »Aesthetic Humanism«, in: Helen Watanabe-O’Kelly (Hg.): The Cambridge History of German Literature, Cambridge 1997, S. 247. 6 In seiner Studie Literary Criticism and Romantic Theory in the Work of Achim von Arnim (New York 1966), S. 138, spricht sich Herbert Liedke für die erste Behauptung aus und schreibt die zweite Reinhold Steig zu: Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe, Berlin/Stuttgart 1901, S. 3. 7 Siehe Philipp Eberhard: Die politischen Anschauungen der christlich-deutschen Tischgesellschaft, Erlangen 1937. Für eine Zusammenfassung der neueren Forschung siehe Charlene Lea: »The Christlich-Deutsche Tischgesellschaft. Napoleonic Hegemony Engenders Political Antisemitism«, in: Hans Schulte und David Richards (Hg.): Crisis and Culture in Post-Enlightenment Germany, Lanham, Md., 1993, S. 98–112. 8 Siehe Karen Hagemann: »Männlicher Muth und Teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002, S. 177. 9 Frevert, Frauen-Geschichte, S. 61. 10 Siehe Karl Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. von J. Kühn, 2 Bde., Berlin 1922–23, Bd. 2, S. 353. 11 Amos Elon: Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743–1933). Aus dem Amerik. übers., München/Wien 2003. Zu einem neueren Versuch, die Ausschlussklauseln der Tischgesellschaft zu verteidigen, siehe Jürgen Knaack: Achim von Arnim. Nicht nur Poet, Darmstadt 1976. 12 Siehe den Artikel über Hitzig in: Allgemeine deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Berlin 1875– 1912, Bd. 9, S. 274–76. 13 Zu diesen Details siehe Anthony Read und David Fisher: Berlin. The Biography of a City, London 1995, S. 59–60. 14 Die beste Quelle zu diesen Konflikten ist Reinhold Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen, 3 Bde., Stuttgart/Berlin 1904, Bd. 3, S. 431. 15 Siehe Ursula Isselstein: Der Text aus meinem beleidigten Herzen. Studien zu Rahel Levin Varnhagen, Turin 1993, S. 76–107. 16 Rahel-Bibliothek, Bd. 9, S. 121. 17 Für eine kurze Zusammenfassung der Verhältnisse von Marwitz’ zu dieser Zeit siehe Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 110–21, und Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 9. Aufl., München/Zürich 1997. 18 Karl August Varnhagen von Ense: Biographische Portraits, Leipzig 1871; Reprint Leipzig 1971, S. 63. 19 Ebd. 20 Isselstein, »Freundschaftsversuch«, S. 77. 21 Der Text ist als Anhang I verfügbar in Eric Werner: Mendelssohn. Leben und Werk in neuer Sicht, Zürich 1980, S. 597–99. Ein Exemplar von Varnhagens Originaltext befindet sich heute im Leo Baeck Institute New York, und Benjamin Maria Baader stellte mir freundlicherweise eine Kopie zur Verfügung. Siehe auch Karl August Varnhagen von Ense: Ausgewählte Schriften, Leipzig 1875, Bd. 18, S. 112–18. Charlene Lea (»Tischgesellschaft«)
Anmerkungen
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merkt an, dass die Gerichtsprotokolle zu dem Fall von Julius Eduard Hitzig auf Ludwig Robert und auf Karl übergingen, dass die Dokumente aber irgendwann verschwanden. 22 Siehe Werner Bollert: Sing-Akademie zu Berlin, Berlin 1966, und Werner, Mendelssohn, S. 12–13. Siehe auch Peter Wollny: »Sara Levy and the Making of Musical Taste in Berlin«, Musical Quaterly 77 (1993), S. 651–88, sowie Steven Mayer: »Moses Mendelssohn and the Bach Tradition«, Fidelio 8, Nr. 2 (1999), S. 4. Die Schriftstücke von Levy und Itzig befinden sich im Familienarchiv Cauer. 23 Siehe George Marek: Gentle Genius. The Story of Felix Mendelssohn, New York 1972, S. 110. 24 Dieses Detail findet sich bei Petra Wilhelmy: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, Berlin/ New York 1989, S. 97. Zu Arnims früherer Beziehung zu Sara Levy siehe Steig, Kleists Berliner Kämpfe, S. 633, Anm. 5. 25 Siehe Lea, »Tischgesellschaft«, S. 96. 26 Sämtliche Zitate aus Werner, Mendelssohn, S. 597–99. 27 Die Einzelheiten hier stammen aus: Hilde Spiel: Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation. Ein Frauenleben an der Zeitenwende 1758–1818, Frankfurt am Main 1962, S. 245. Für eine kurze Erwähnung von Moritz Itzig siehe Jacob Jacobson (Hg.): Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin, Berlin 1962, S. 51, Anm. 2. 28 Siehe Heinrich Schnee: Die Hofffinanz und der moderne Staat, Berlin 1953, Bd. 1, S. 121ff. und 169–76. 29 Siehe Varnhagens Zusammenfassung, wie sie in Werner, Mendelssohn, S. 597, erscheint. Siehe auch Peter-Philipp Riedl: »… das ist ein ewig Schacheren und Zanken … Achim von Arnims Haltung zu den Juden in den Majorats-Herrn und anderen Schriften«, Aurora 54 (1994), S. 72–105. 30 Zit. aus: Heidi Thomann Tewarson: »German-Jewish Identity in the Correspondence between Rahel Levin Varnhagen und Her Brother, Ludwig Robert«, in: LBIYB 39 (1994), S. 26. 31 Siehe Victor Kiernan: The Duel in European History. Honour and the Reign of Aristocracy, Oxford 1988, S. 316. 32 Siehe Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1995, S. 93–108. 33 Einen hilfreichen Überblick bietet Theodore Ziolkowski: Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen. Aus dem Amerik. übers., München 1994. Zu Wilhelm von Humboldts Beteiligung an der Unterdrückung eines möglichen Duells im Jahr 1826 siehe Terry Pinkard: Hegel. A Biography, Cambridge, England, 2000, S. 533–34. 34 Ich stütze mich hier auf Edward Schaub: »J. G. Fichte and Anti-Semitism«, in: Philosophical Review 49 (1940), S. 37–52. 35 Hermann von Boyen: Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, 3 Bde., Leipzig 1889–90, Bd. 3: Der Zeitraum vom Bündniß von Kalisch bis zur Leipziger Schlacht, S. 35. Hervorhebung der Autorin. 36 Stägemanns Bonmot wird von Varnhagen in seiner Zusammenfassung des Itzig-Vorfalls festgehalten, wieder abgedruckt in: Werner, Mendelssohn, S. 599. 37 Siehe Spiel, Fanny von Arnstein, S. 245 38 Dies ist die Formulierung, die Brendan Simms vorschlägt: The Struggle for Mastery in Germany, 1779–1850, Houndmills, England, 1998, S. 79–80.
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39 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 5., durchges. Aufl., München 1991. Es ist interessant, festzustellen, dass Rahel zwei Brüdern der 1811 von Hardenberg Verhafteten nahestand. 40 Diese Zahlen werden angeführt in Jacob Toury: »Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum«, in: Hans Liebeschütz und Arnold Paucker (Hg.): Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850, Tübingen 1977, S. 162–63. Tourys Statistik wird von der neueren Forschung bestätigt. Eine parallele Veranschlagung von 30 der im Jahr 1807 führenden 52 Bankhäuser, die Juden gehörten, wird angeführt in Ilja Mieck: »Von der Reformzeit zur Revolution«, in: Eberhard Bohm u.a. (Hg.): Geschichte Berlins. Von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart, München 1987, Bd. 1, S. 492. 41 Siehe Horst Fischer: Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert, Tübingen 1968, S. 24. 42 Zu dieser Phase in Dorotheas Leben siehe Heike Frank: »… Die Disharmonie, die mit mir geboren ward, und mich nie verlassen wird …«. Das Leben der Brendel/Dorothea MendelssohnVeit-Schlegel, Frankfurt am Main/Bern 1988; Margareta Hiemenz: Dorothea v. Schlegel, Freiburg 1911; G. Schäfer: »Zur Konversion von Friedrich und Dorothea Schlegel«, Begegnung. Zeitschrift für Kultur und Geistesleben H. 2 (1947), und Carola Stern: »Ich möchte mir Flügel wünschen.« Das Leben der Dorothea Schlegel, Reinbek bei Hamburg 1990. 43 Ich stütze mich hier auf Sebastian Hensel: Die Familie Mendelssohn 1729–1847, Leipzig 1924, Bd. 1. Siehe auch den kurzen Artikel über Henriette Mendelssohn in GJN-B 4, S. 338–39, und Jutta Dicks Eintrag zu Dorothea Mendelssohn in: Jutta Dick und Marina Sassenberg (Hg.): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 1993, S. 278– 79. 44 Zelter ohne Angabe der Primärquelle zit. aus: Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin. Auf den Spuren eines Menschenfreunds, Berlin 1998, S. 319. 45 Zu Leas Ausbildung und Persönlichkeit siehe Eka Donner: Felix Mendelssohn Bartholdy, Düsseldorf 1992, S. 14–15. 46 Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 227, Anm. 359. 47 Siehe Heinrich Eduard Jacob: Felix Mendelssohn und seine Zeit. Bildnis und Schicksal eines Meisters, Frankfurt am Main 1959, S. 34–35. Die klassische Studie stammt von C. Mönckeberg: Hamburg unter dem Druck der Franzosen 1806–1814, Hamburg 1864. 48 Das neueste Werk über diese zentrale Familie stammt von Niall Ferguson: The House of Rothschild. Money’s Prophets, New York 1998. 49 Frederic Morton: Die Rothschilds. Ein Portrait der Dynastie. Aus dem Engl. übers., München 1998, S. 44–45; siehe auch Amos Elon: Der erste Rothschild. Biographie eines Frankfurter Juden. Aus dem Engl. übers., Reinbek bei Hamburg 1999. 50 Jacob, Mendelssohn, S. 35. 51 Read und Fisher, Berlin, S. 60. 52 Siehe George L. Mosse: Nationalismus und Sexualität. Bürgerliche Moral und sexuelle Normen. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1985, S. 98; sowie Günther Jahn: Friedrich Ludwig Jahn. Volkserzieher und Vorkämpfer für Deutschlands Einigung, Göttingen 1992, S. 30. 53 Siehe George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen in Deutschland von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich. Aus dem Engl. übers., Frankfurt am Main/Wien/Berlin 1976, S. 103. 54 Read und Fisher, Berlin, S. 60.
Anmerkungen
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55 John Mander: Berlin. The Eagle and the Bear, London 1959, S. 49. 56 Mosse, Nationalisierung, S. 103–04. 57 Zit. aus ebd., S. 104. Mosse zitiert Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Eiselen: Die deutsche Turnkunst, Berlin 1916, S. 253. 58 Mosse, Nationalismus und Sexualität, S. 100–110. 59 Ebd., S. 98. Mosse zitiert Carl Euler: Friedrich Ludwig Jahn, Stuttgart 1881, S. 122. 60 Siehe Liah Greenfeld: Nationalism. Five Roads to Modernity, Cambridge, Mass., 1992, S. 368. 61 Ebd., S. 369. Für die jüngste Zusammenfassung der neuen Forschungen zu diesem Thema siehe Hagemann: Nation, Militär und Geschlecht. 62 Diese Ansicht wird vertreten von Euler, Friedrich Ludwig Jahn, S. 32. Für eine in den letzten Jahren der Deutschen Demokratischen Republik erschienene Textausgabe siehe Peter Hacks (Hg.): Ascher gegen Jahn, 3 Bde., Berlin/Weimar 1991. 63 Siehe Read und Fisher, Berlin, S. 59. 64 Diese Einzelheiten finden sich bei Günter Blöcker: Heinrich von Kleist, oder Das Absolute Ich, Berlin 1960, S. 99. 65 Eda Sagarra: Germany in the Nineteenth Century. History and Literature, New York 2001, S. 12. 66 Ebd., S. 100. 67 Zit. aus Hans Karl Krüger: Berliner Romantik und Berliner Judentum, Bonn 1939, S. 73. Der Originalbrief findet sich in Georg Minde-Pouet (Hg.): Kleists Werke, Leipzig 1936/37), Bd. 1, S. 213. 68 Pinkard, Hegel, S. 419. 69 Read und Fisher, Berlin, S. 61. 70 Der Brief von 1808 ist abgedruckt in: Rahel-Bibliothek, Bd. 1, S. 380. 71 Zum Hintergrund siehe Fischer, Judentum, S. 36–41. 72 Siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871, von Michael Brenner. 73 Steven Lowenstein erwähnt Friedländers wirtschaftliche Stellung in seinem Aufsatz »The Jewishness of David Friedländer und the Crisis of Berlin Jewry«, in: Brown Lectures in the History of the Jews in Prussia (Bar Ilan, Israel, 1993), S. 8. Lowenstein stützt seine Berechnung auf Joseph Meisl (Hg.): Pinkas Kehilat Berlin. Protokollbuch der jüdischen Gemeinde Berlin, Berlin 1962, S. 282, 301, 322. 74 Siehe Paul Robinson Sweet: Wilhelm von Humboldt: a Biography, Columbus, Ohio, 1978, Bd. 1, S. 236–237, und Bd. 2, S. 74–75. 75 Hannah Arendt warf das Problem von Eliten, die der Emanzipation ablehnend gegenüberstanden, in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (München/Zürich 1986) auf. Arendt bestritt hier die vorherrschende Interpretation, wonach die Hofjuden eine positive Rolle im Emanzipationsprozess gespielt hätten, wie von vielen Historikern, unter ihnen Heinrich Schnee und Jacob Katz, behauptet wird. Dass ausgerechnet Schnee und Katz beipflichteten, ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die beiden in so vielem nicht übereinstimmten. Siehe auch Jacob Katz: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770–1870. Aus dem Engl. übers., Frankfurt am Main 1986. 76 Sehe Raphael Mahler: A History of Modern Jewry, London 1971, S. 208. 77 Lowenstein, »David Friedländer«, S. 11. 78 Ebd., S. 10.
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79 Siehe Heinrich Graetz: Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, 11 Bde., Reprint der Ausgabe letzter Hand, Darmstadt 1998, Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848) [1923]. 80 Siehe Ismar Freund: Emanzipation der Juden in Preußen, 2 Bde., Berlin 1912, Bd. 1, S. 165– 66. Freund war überzeugt davon, dass Hardenbergs Engagement für die Emanzipation eher prinzipieller denn persönlicher Natur war. 81 Ebd., S. 221. 82 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 84. 83 Über sein Gut siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2, Kapitel 7, S. 264. Außerdem stütze ich mich auf Jacob Marcus: Israel Jacobson. The Founder of the Reform Movement in Judaism, Cincinnati 1972, S. 107. Für ältere Quellen siehe die Aufsätze über Jacobson in Jüdisches Athenäum, S. 238–39; Jüdischer Plutarch, Wien 1848, Bd. 1, S. 191– 201, und GJN-B, Bd. 3, S. 238–39. 84 Diese Einzelheiten aus Friedländers Brief werden angeführt in: Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 214. Der Brief selbst findet sich in Bd. 2, S. 407–10. 85 Ebd., Bd. 1, S. 219–20. 86 Ebd., Bd. 1, S. 132. 87 Zu Beers Rolle als Ältester siehe Reiner Zimmermann: Giacomo Meyerbeer. Eine Biographie nach Dokumenten, Berlin 1991, S. 15. Siehe auch Wilhelmy, Der Berliner Salon (1989), S. 605–09. Ihr Name wird manchmal Amalia und manchmal Amalie geschrieben. 88 Berndt Wessling: Meyerbeer: Wagners Beute – Heines Geißel, Düsseldorf 1984, S. 26, beschäftigt sich mit den Namenswechseln in der Familie. Zu den Änderungen der Beer’schen Familiennamen siehe auch Dietz Bering: Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812–1933; Stuttgart 1987. 89 Die Gründe, warum Giacomo als Nachnamen Meyerbeer wählte, werden erörtert in: Egon Jacobson und Leo Hirsch: Jüdische Mütter, Berlin 1936, S. 71. 90 Wessling erörtert diese Frage in Meyerbeer, S. 39, wobei er das Wort »jiddelte« benutzt. Zum Hintergrund siehe Sander Gilman: Jüdischer Selbsthass. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden. Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1993. 91 Siehe Zimmermann, Meyerbeer, S. 18. 92 Siehe Heinz Becker: »Einleitung« zu Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher, 4 Bde., Berlin 1960, Bd. 1, S. 45. 93 Michael A. Meyer: The Origins of the Modern Jew. Jewish Identity and European Culture in Germany, 1749–1824, Detroit 1967, S. 208, Anm. 16. 94 Das Testament wird erwähnt in Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 91. 95 Auszüge des Schreibens der Gemeindevorsteher, abgedruckt in: in Ruth Gay: Geschichte der Juden in Deutschland. Von der Römerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg, München 1993, S. 128; siehe auch Fischer, Judentum, S. 28–29. Fischer zitiert Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin, 2 Bde., Berlin 1871, Bd. 1, S. 144ff. 96 So die Bezeichnung in dem Edikt; siehe Gay, Geschichte der Juden, S. 128. 97 Diese berühmte Maxime wurde zuerst im Jahr 1789 in einer Rede in der französischen Nationalversammlung von dem Grafen Stanislas Clermont-Tonnerre geäußert. Siehe Paul Mendes Flohr und Jehuda Reinharz (Hg.): The Jews in the Modern World, New York 1980, S. 104. 98 Siehe Bering, Der Name als Stigma. 99 Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 208.
Anmerkungen
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100 Der Satz taucht in einem Brief auf, den Raumer am 14. Januar 1811 an Burkhard Wilhelm Pfeiffer schickte. Zit. aus: Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 224. Siehe auch Kirsten Meiring: Die christlich-jüdische Mischehe in Deutschland 1840–1933, Hamburg 1998. 101 Für eine übersichtliche Zusammenfassung siehe Werner Mosse: »From Schutzjuden to Deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens«, in: Pierre Birnbaum und Ira Katznelson (Hg.): Paths of Emancipation: Jews, States, and Citizenship, Princeton 1995, S. 73. Für eine ausführlichere statistische Analyse siehe Fischer, Judentum, S. 48, Anm. 67 und 69. 102 Leider ist Berings Behandlung dieses Punktes in Der Name als Stigma (S. 55), wo es um die Unterscheidung zwischen »selbständige[n] Haushalte[n]« und Familien geht, äußerst verwirrend. Wenn man bedenkt, dass das jüdische Berlin im Jahr 1812 bestimmt nicht mehr als 3.300 Einwohner hatte, dann scheint es unmöglich, dass diese Bevölkerung sich auf 1.200 Haushalte mit weniger als drei Personen pro Haushalt verteilte. Alle anderen Schätzungen der Anzahl der Familien in der Gemeinde zur damaligen Zeit deuten darauf hin, dass das Maximum bei um die 600 lag. Trotzdem sind Berings Schlussfolgerungen über den Anteil der Familien, die bestimmte Entscheidungen trafen, wichtig, auch wenn er sich bei seinen geschätzten Zahlen im Irrtum befindet. 103 Zu diesem Punkt siehe Fischer, Judentum, S. 28. 104 Es ist wichtig, hier festzuhalten, dass im Jahr 1812 tatsächlich vier Frauen zu Staatsbürgerinnen gemacht wurden, unter ihnen Amalie Beer. Siehe Jacob Jacobson: »Some Observations on the Jewish Citizens’ Book of the City of Berlin«, in: LBIYB 1 (1955), S. 388. 105 Siehe Isabel Hull: Sexuality, State, and Civil Society in Germany, 1700–1815, Ithaca, N.Y., 1995. 106 Siehe Pickett, Unseasonable Democrat, S. 34; das Zitat stammt aus Rahel Varnhagen von Ense: Briefwechsel, hg. von Friedhelm Kemp, 4 Bde., 2. durchges. und um e. Nachtr. verm. Ausgabe., München 1979, Bd. 2: Rahel und Karl August Varnhagen, S. 186. 107 Die Zeitschrift war das Morgenblatt für gebildete Stände. Meine Quelle ist Carola Stern: Der Text meines Herzens. Das Leben der Rahel Varnhagen, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 168. 108 »Aus Rahels Tagebuch«, in: Rahel Varnhagen: Briefwechsel, hg. von Friedhelm Kemp, 4 Bde., München 1979, Bd. 1, S. 206–07. Siehe auch Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 120–21. 109 Eric Dorn Brose: German History, 1789–1871, Oxford/Providence 1977, S. 72. 110 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 5. durchges. Aufl., München 1991, S. 111. 111 So die Analyse von James Sheehan: German History, 1770–1866, Oxford 1989, S. 313. 112 Read und Fisher, Berlin, S. 61. 113 Peter Paret: Yorck and the Era of Prussian Reform, 1807–1815, Princeton 1966, S. 191–95. 114 Yorck zit. aus: I. v. Pflugk-Hartung: 1813–1815. Illustrierte Geschichte der Befreiungskriege. Ein Jubiläumswerk zur Erinnerung an die große Zeit vor 100 Jahren, Stuttgart/Berlin/Leipzig o. J., S. 43; siehe auch: Peter Paret: Clausewitz und der Staat. Der Mensch, seine Theorien und seine Zeit, Bonn 1993. 115 Siehe Gordon Craig: Die preußisch-deutsche Armee 1640–1945. Staat im Staate. Aus dem Engl. übers., Düsseldorf 1960. 116 Brose, German History, S. 70. 117 Mieck, »Reformzeit«, in: Geschichte Berlins, S. 461, Anm. 19, oder Wilhelm Oncken, Österreich und Preußen im Befreiungskriege, 2 Bde., Berlin 1876/79, Bd. 1, S. 179, zitiert. 118 Siehe Mieck, »Reformzeit«, S. 463, Anm. 30 und 31.
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119 Der Aufruf ist abgedruckt in: www.documentarchiv.de/…/an-mein-volk_friedrich-wilhelmIII-aufruf.html 120 Siehe Craig, Die preußisch-deutsche Armee. 121 Zu einem Gemälde aus der Zeit, das diese Szene zeigt, siehe Wolfgang Schneider: Berlin. Eine Kulturgeschichte in Bildern und Dokumenten, Hanau 1980. 122 Read und Fisher, Berlin, S. 63. 123 Zit. aus: Werner Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1999, S. 114, ohne Angabe der Primärquelle. 124 Eugen Wolbe: Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg, Berlin 1937, S. 238. 125 Siehe Fischer, Judentum, S. 29 und 33. 126 Siehe Ursula Breymayer/Bern Ulrich/Karen Wieland (Hg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere, Frankfurt am Main 1999, S. 68. 127 Diese Schätzung stammt aus Read und Fisher, Berlin, S. 62. 128 Ebd. 129 Siehe Norman Kneeblatt: »Departures and Returns: Sources and Contexts for Moritz Oppenheim’s Masterpiece The Return of the Volunteer«, in: Georg Heuberger und Anton Merks (Hg.): Moritz Daniel Oppenheim. Die Entdeckung des jüdischen Selbstbewusstseins in der Kunst, Frankfurt am Main 2000, S. 113–30. 130 Zur Diskussion siehe Fischer, Judentum, S. 39. 131 Assings Rolle im Krieg wird erörtert in Wolbe, Geschichte der Juden, S. 240. 132 Burgs Erinnerungen, Geschichte meines Dienstlebens (Leipzig 1916), werden zitiert in: Gay, Geschichte der Juden, S. 131. 133 Zu meinen Quellen für diesen Abschnitt gehören Pickett, Unseasonable Democrat, S. 35, und Otto Berdrow: Rahel Varnhagen. Ein Lebens- und Zeitbild, Stuttgart 1902, S. 195–96. 134 Abgedruckt in Stern, Der Text meines Herzens, S. 173, ohne Angabe der Primärquelle. 135 Zur kurzen Erwähnung dieser Liebesaffäre siehe Arendt, Rahel Varnhagen. 136 Berdrow, Rahel Varnhagen, S. 196–206. 137 Stern, Der Text meines Lebens, S. 172, ohne Angabe der Primärquelle für das Zitat. 138 Zu den Einzelheiten siehe Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 128. 139 Zit. aus: Rahel Varnhagen. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Heidi Thomann Tewarson, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2003, S. 97. 140 Rahel-Bibliothek, Bd. 5/3, S. 170. 141 Bei dem Kreis, dem beizutreten sie gebeten wurde, handelte es sich höchstwahrscheinlich um den »Frauen-Verein zum Wohle des Vaterlandes«, der in Jean Quataerts Staging Philanthropy: Patriotic Women and the National Imagination in Dynastic Germany, 1813– 1916 (Ann Arbor 2001), S. 30, erwähnt wird. 142 Siehe Blumenthal, Die unsichtbare Mauer. 143 Sulamith 2, 4. Jahrgang (3. Januar 1816), S. 288. Ein Kommentar findet sich bei Geiger, Geschichte der Juden, »Anmerkungen zum ersten bis vierten Buche«, S. 190. 144 Zur Gründung der Luisenstiftung in Berlin siehe Quataert, Philanthropy, S. 39. 145 Spiel, Fanny von Arnstein, S. 374. 146 Die entsprechenden Elogen finden sich bei Max Freudenthal: Aus der Heimat Mendelssohns, Berlin 1900. 147 Für eine kurze Zusammenfassung ihres Lebens siehe Gerda Hoffer: Zeit der Heldinnen. Lebensbilder außergewöhnlicher jüdischer Frauen, München 1999, S. 126–44. Hoffer stützt
Anmerkungen
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sich auf den Band von Moritz Stern: Aus der Zeit der deutschen Befreiungskriege, Berlin 1914. 148 Siehe Thomann Tewarson, »German-Jewish Identity«, S. 17. 149 Roberts Brief an Rahel vom 18. April 1815 wird zitiert in: ebd. 150 Die Einzelheiten finden sich in Gustav Friedrich Manz: »Michael Beers Jugend« (Diss., Universität Freiburg, 1891), S. 15. 151 Der Brief ist vom 10. Juli 1815 und findet sich in: Becker, Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, S. 278. 152 Zit. aus: Spiel, Fanny von Arnstein, S. 416.
Kapitel 5: Familien der Hochkultur und öffentliche Satire, 1814–1819 1 Siehe Terry Pickett: The Unseasonable Democrat: K. A. Varnhagen von Ense, 1785–1858, Bonn 1985, S. 38. Siehe auch Konrad Feilchenfeldt: Varnhagen von Ense als Historiker, Amsterdam 1970, und Werner Greiling: Varnhagen von Ense. Lebensweg eines Liberalen, Köln 1973. 2 Die Forschung ist sich nicht ganz einig darin, wer den Namen wann annahm. Ich folge hier der Darstellung von Heidi Thomann Tewarson: Rahel Levin Varnhagen: The Life and Work of a German Jewish Intellectual, Lincoln, Nebr./London 1998, S. 139. 3 Siehe Hermann Patsch: »Als ob Spinoza wollte taufen lassen. Biographisches und Rechtsgeschichtliches zu Taufe und Trauung Rahel Levins«, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, Tübingen 1991, S. 149–78, Anm. 56. Laut Patsch konvertierte Markus 1818 und Ludwig 1819; das Datum von Moritz’ Konversion ist ihm nicht bekannt. 4 Siehe ebd., S. 158–59. 5 Siehe Françoise Tillard: Die verkannte Schwester. Die späte Entdeckung der Komponistin Fanny Mendelssohn Bartholdy. Aus dem Franz. übers., München 1994, S. 40. 6 Rahel-Bibliothek, Bd. 5/4, S. 54. 7 Der Brief findet sich in: Rahel-Bibliothek, Bd. 2, S. 536–37. 8 Der Brief ist abgedruckt in: Anna von Sydow: Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, Berlin 1906–16, Bd. 4, S. 395. 9 Zit. aus: Carola Stern: »Ich möchte mir Flügel wünschen«. Das Leben der Dorothea Schlegel, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 258, ohne Angabe der Primärquelle. Hervorhebung im Original. 10 Dies betont Hannah Arendt in Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 9. Aufl., München/Zürich 1997. 11 Ursula Isselstein: »Rahels Schriften I. Karl August Varnhagens editorische Tätigkeit nach Dokumenten seines Archivs«, in: Rahel Levin Varnhagen. Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, hg. von Barbara Hahn und Ursula Isselstein, Görttingen 1987, S. 20. 12 Siehe Stern, Dorothea Schlegel, S. 210. Eine Neuausgabe des Romans ist erschienen: Dorothea Schlegel: Florentin. Roman. Fragmente, hg. von Liliane Weissberg, Frankfurt am Main/Berlin 1987. Siehe auch Heike Frank: »… die Disharmonie, die mit mir geboren ward,
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und mich nie verlassen wird …«. Das Leben der Brendel/Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel, Frankfurt am Main/New York 1988. 13 Hier bin ich der Analyse in Thomann Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 140, dankbar. 14 Ebd., S. 245. 15 Das Wort »unerträglich« stammt von Arendt. Das zweite Zitat ist von Rahel selbst aus einem Brief vom 4. Februar 1820 an Pauline Wiesel (unveröffentlicht), zit. aus: Arendt: Rahel Varnhagen, S. 219. 16 Zit. in: Arendt, Rahel Varnhagen, S. 223; ursprünglich steht die Äußerung in einem Brief an ihren Bruder Moritz vom 29. Januar 1816, veröffentlicht in: Karl August Varnhagen von Ense (Hg.): Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, 3 Bde., Berlin 1834, Bd. 2, S. 375. 17 Dieser Satz stammt aus einem Brief vom 19. Februar 1809, abgedruckt in: Rahel-Bibliothek, Bd. 1, S. 401. 18 Diese Liste liefert Hilde Spiel: Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation. Ein Frauenleben an der Zeitenwende 1758–1818, Frankfurt am Main 1962, S. 418. 19 Zit. aus Sydow, Wilhelm und Karoline, Bd. 4, S. 458. 20 Die Äußerung wird dem Prinzen de Ligne zugeschrieben, zit. aus: Rahel Varnhagen. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Heidi Thomann Tewarson, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1988, S. 106. 21 Siehe mein »Album Amicorum of Rebecca Itzig«, in: Major Intersections. Ausstellungskatalog, Yeshiva University Museum, New York 2000, S. 46–49. 22 Diese Anregung stammt von Spiel, Fanny von Arnstein, S. 290. 23 Brief Stägemanns an seine Frau Elisabeth vom 31. Oktober 1814, zit. aus ebd., S. 427– 28. 24 Ebd., S. 427. 25 Zit. aus ebd., S. 256. 26 Siehe ebd., S. 298. 27 Bei diesem Abschnitt bin ich Stern, Dorothea Schlegel, S. 255–69, zu Dank verpflichtet. 28 Ebd., S. 252. 29 Zum Hintergrund siehe Stefi Jersch-Wenzl, Kapitel 1 von Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871. 30 Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, in: http://www.documentarchiv.de/nzjh/dtba. html 31 Spiel, Fanny von Arnstein, S. 427. 32 Dies sind die Worte von Arendt, Rahel Varnhagen, S. 220. 33 Dieses Detail findet sich bei Thomann Tewarson: Rahel Levin Varnhagen, S. 134. Gleichfalls hilfreich ist Julius Bab: Goethe und die Juden, Berlin 1926. 34 Dieser Brief über Goethes Besuch findet sich in: Rahel-Bibliothek, Bd. 5/4, S. 325–28. 35 Siehe Jacob Marcus: Israel Jacobson: The Founder of the Reform Movement in Judaism, Cincinnati 1972, S: 107. 36 Siehe Nathan Samter: Judentaufen im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1906, S. 61. 37 Zur Bereitschaft der Gemeinde, ihre religiöse Autonomie aufzugeben, siehe Ismar Elbogen: Geschichte der Juden in Deutschland, Berlin 1935, S. 200. 38 Steven Lowenstein: The Berlin Jewish Community: Enlightenment, Family, and Crisis, 1770– 1830, New York 1994, S. 65.
Anmerkungen
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39 Siehe ebd., S. 27, bezüglich des Itzig-Hauses und S. 137 in Bezug auf Jacobsons erste Gottesdienste. 40 Rahel-Bibliothek, Bd. 2, S. 224. 41 Zit. aus: Spiel, Fanny von Arnstein, S. 253. 42 Siehe Caesar Seligmann: Geschichte der jüdischen Reformbewegung von Mendelssohn bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 1922, S. 70. Die Zitate stammen aus Marcus, Jacobson, S. 108. 43 Siehe Marcus, Jacobson, S. 109. 44 Ebd., S. 110. 45 Zu Heinemann siehe den ihm gewidmeten Artikel in der GJN-B, Bd. 3, S. 39; siehe auch Benjamin Maria Baaders Erörterung zu Heinemann in Inventing Bourgeois Judaism: Jewish Culture, Gender, and Religion in Germany, 1800–1870, Bloomington 2004, S. 51–52 und 148. Zu dem »Religions-Fest« siehe Jededja 1 (1817), S. 167–77; 2 (1818–19), S. 1–2 und 207–16. 46 So Leopold Zunz. Siehe Nahum Glatzer: »On an Unpublished Letter of Isaak Markus Jost«, in: LBIYB 22 (1977), S. 130. 47 Siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871. 48 Die Liste der 972 Berliner Juden, die an den Gottesdiensten teilnahmen, findet sich im ZAJV, Ordner K Ge 2/83 und Ordner P17–454. 49 Diese Schätzung stammt aus: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871. Allerdings scheint die Annahme berechtigt, dass bei den 1.000 Teilnehmern Kinder wohl nicht inbegriffen waren, wohingegen die Gesamtbevölkerungszahl Kinder beinhaltet haben dürfte. 50 Ebd. 51 Diese Einzelheiten über den Gottesdienst finden sich in Glatzer, »Jost« (LBIYB), wo Jost über seinen Besuch der Gottesdienste Jacobsons im Jahr 1815 berichtet. 52 Ebd. 53 Siehe Steven Meyer: »Moses Mendelssohn and the Bach Tradition«, in: Fidelio 8 (1990), S. 4. 54 Siehe Michael A. Meyer. »Christian Influence on Early German Reform Judaism«, in: Studies in Jewish Bibliography, History, and Literature in Honor of Edward Kiev, New York 1971, S: 289–303. 55 Martin L. Davies: Identity and History. Marcus Herz and the End of the Enlightenment, Detroit 1995, S. 157–58. 56 So Felix Eberty in seinen Jugenderinnerungen, zit. aus: Heinz Becker: »Einleitung« zu Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, 4 Bde., Berlin 1960, Bd. 1, S. 36. 57 Brief vom 28. Februar 1814, in: Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, S. 274. 58 Siehe Becker, »Einleitung«, in: Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, S. 45. 59 Siehe den kurzen Eintrag zu Eberty in: Jüdisches Lexikon, Berlin 1928, Bd. 4, S. 227. 60 Aus Felix Ebertys Jugenderinnerungen, wie sie in Becker, »Einleitung«, zu Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, S. 37, festgehalten sind. Der vollständige Titel von Ebertys Memoiren, unter dem sie veröffentlicht wurden, lautet Jugenderinnerungen eines alten Berliners, Berlin 1878; Reprint Berlin 1925.
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61 Reiner Zimmermann: Giacomo Meyerbeer. Eine Biographie nach Dokumenten, Berlin 1991, S. 12. 62 Ludwig Geiger erwähnt das Buch in seiner Geschichte der Juden in Berlin, Berlin 1871; Reprint Berlin 1988), Bd. 2: Anmerkungen, Ausführungen und urkundliche Beilagen, S. 222. Der Autor des Gesangbuches war Jeremias Heinemann. 63 Siehe Riv-Ellen Prell: »The Vision of Woman in Classical Reform Judaism«, in: Journal of the American Academy of Religion 50, Nr. 4 (1982). 64 Ich danke Benjamin Maria Baader, dass sie mir ihre Exemplare der Zeitschrift anvertraute, und für viele Gespräche über diese Themen. Der vollständige Titel der Zeitschrift lautet Sulamith. Eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation. 65 Siehe G. Salomon: »Erziehungs- und Schulwesen«, in: Sulamith (1810), S. 183–201. Für einen späteren Zeitraum siehe Abraham Geiger: »Die Stellung des weiblichen Geschlechtes in dem Judenthume unserer Zeit«, in: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 3 (1837), S: 1–14. 66 Siehe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871. 67 Zu Zunz’ Aktivitäten in jenen Jahren siehe ebd. 68 Zu ein paar hilfreichen Verallgemeinerungen hinsichtlich dieser Tendenzen siehe Daniel Boyarin: Unheroic Conduct: The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man, Berkeley 1997, S. 68. 69 Zit. aus David Biale: Eros and the Jews: From Biblical Israel to Contemporary America, Berkeley 1997, S. 161. Das Originalzitat stammt von A. M. Dik: Masekhet Aniyut, Wilna 1878, S. 26. 70 Siehe Leonore Davidoff und Catherine Hall: Family Fortunes: Men and Women of the English Middle Class, 1780–1850, Chicago 1987. 71 Siehe Gustav Friedrich Manz: »Michael Beers Jugend«, Diss., Freiburg 1891, S. 46. 72 Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, S. 29. Diese Analyse stammt von Ritchie Robertson: The »Jewish Question« in German Literature, 1749–1939: Emancipation and Its Discontents, Oxford 1999, S. 206–08 und 317. 73 Bei meiner Zusammenfassung des Stücks und seiner Rezeption stütze ich mich auf Jeffrey Grossman: The Discourse on Yiddish in Germany, from Enlightenment to the Second Empire, Rochester, N.Y., 2000, S. 147–52. Siehe auch Hans-Joachim Neubauer: »Auf Begehr. Unser Verkehr. Über eine judenfeindliche Theaterposse im Jahre 1815«, in: Rainer Erb und Michael Schmidt (Hg.): Antisemitismus und jüdische Geschichte. Studien zu Ehren von Herbert A. Strauss, Berlin 1987, S. 315–37. 74 Siehe Grossman, Discourse, S. 147. 75 K. B. A. Sessa: Unser Verkehr, Leipzig 31816 (http://google.com/books) 76 Zu diesem Punkt siehe Neubauer, »Auf Begehr«. Es scheint in den darauffolgenden Jahren unter Juden eine ziemliche Nachfrage nach illustriertem jüdischen Humor gegeben zu haben. Siehe Peter Gay: Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen Kultur. Aus dem Amerik. übers., München 1989. 77 Die häuslichen Darbietungen von Wurms werden besonders erwähnt von Grossman, Discourse, S. 151. 78 Siehe meinen Aufsatz »The Lives, Loves and Novels of August and Fanny Leewald, the Converted Cousins from Königsberg«, in: LBIYB 46 (2001), S. 95–112.
Anmerkungen
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79 Reproduktionen von einigen Zeichnungen der Figuren aus Unser Verkehr finden sich in: Peter Dittmar: Die Darstellung der Juden in der populären Kunst zur Zeit der Emanzipation, München/London 1992, S. 199–217, und in: Jefferson Chase: Inciting Laughter: The Development of Jewish Humor in Nineteenth-Century German Culture, Berlin/New York 2000. 80 Der Schuckmann-Vorschlag wurde niemals ausgeführt. Siehe Dietz Bering: Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812–1933; Stuttgart 1987. Die Mitteilung des Finanzministeriums wird zitiert in: Tillard, Die verkannte Schwester, S. 44. 81 Zit. aus Jacob Katz: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933. Aus dem Engl. übers., München 1989, S. 97. 82 Für eine kurze Zusammenfassung der Laufbahn von Rühs siehe den Artikel über ihn in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, München 1998, Bd. 8, S. 452. 83 Friedrich Rühs: Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht, Berlin 1816, S. 33. 84 Ebd., S. 39. 85 In einem neueren Aufsatz, der traditionelle Ansichten des Antisemitismus kritisiert, behauptet Zygmunt Baumann, dass Rühs auch als eine Art relativistischer Pluralist verstanden werden könne. Siehe Zygmunt Baumann: »Allosemitism: Premodern, Modern«, in: Bryan Cheyette und Laura Marcus (Hg.): Modernity, Culture and »The Jew«, Cambridge, England, 1998, S. 145. 86 Für eine kluge Interpretation dieser Frage siehe Berdring, Antisemitismus, S. 48–49. Andere Forscher machen die gesamte nationale Bewegung für die Feindschaft gegen liberale Werte verantwortlich. Siehe Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Aus dem Engl. übers., Gütersloh 1966. 87 Zum Thema der Taufe, die Juden »deutscher« mache, siehe Paul Lawrence Rose: Revolu tionary Antisemitism from Kant to Wagner, Princeton 1990, S. 128, und Katz, Anti semitismus. 88 Zu diesem Detail siehe Günter Steiger: Aufbruch, Urburschenschaft und Wartburgfest, Leipzig/Berlin 1967, S. 78. Eine Erörterung des Werkes, das in Wirtshäusern vorgelesen wurde, findet sich in: Meyer, Origins, S. 140. Meyer stützt sich auf Sigmund Zimmern: Versuch einer Würdigung der Angriffe des Herrn Professor Fries auf die Juden, Heidelberg 1816. Zum Hintergrund von Fries’ philosophischen Beiträgen siehe den Artikel über ihn in: Neue Deutsche Biographie, Berlin 1960, Bd. 5, S. 608–09. Forscher, die Fries’ Einstellungen zu Juden erörtern, nehmen ihn als Denker zu anderen Themen selten ernst. Für eine hilfreiche Zusammenfassung siehe George Williamson: »What Killed August von Kotzebue? The Temptations of Virtue and the Political Theology of German nationalism«, in: Journal of Modern History 72 (2000), S. 890–943. 89 Siehe Terry Pinkard: Hegel. A Biography, Cambridge, England, 2000, S. 114–15. 90 Ebd., S. 221 und 352. 91 Leas Brief ist abgedruckt in: Sebastian Hensel: Die Familie Mendelssohn, 3 Bde., 14. Aufl., Berlin 1911, Bd. 1, S. 80. 92 Deborah Hertz: »Why Did the Christian Gentleman Assault the juedische Elegant? Four Conversion Stories from Berlin 1816–1825«, in: LBIYB 40 (1995), S. 94. 93 Siehe Ralph Larry Todd: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Leben, seine Musik. Aus dem Engl. übers., Stuttgart 2008. 94 Ebd., S. 31. Zu Bella Salomons Haus siehe »Von der ›wüsten Stelle‹ zur Top-Adresse«, www.stadt.plan.mitte (9. Juni 2003), S. 1. Es ist faszinierend, zu sehen, dass Bella, obwohl
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sie gegen die Taufe war, im Jahr 1812, als sie Bürgerin wurde, den Familiennamen Bartholdy annahm, wie Jacob Jacobson anmerkt (Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809– 1851, Berlin 1962, Fall 283). 95 Siehe Todd, Mendelssohn. 96 Zu Koreff siehe Friedrich von Oppeln-Bronikowski: David Ferdinand Koreff. Serapionsbruder, Magnetiseur, Geheimrat und Dichter, Berlin 1928. 97 Ebd., S. 61. 98 Für eine Zusammenfassung der neuesten Forschung über ihr Leben siehe Peter Seibert: »Henriette Herz. Erinnerungen. Zur Rekonstruktion einer frühen Frauenbiographie«, in: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung 41 (1989), S. 37–50, sowie Liliane Weissberg: »Weibliche Körpersprachen. Bild und Wort bei Henriette Herz«, in: Jutta Dick und Barbara Hahn (Hg.): Von einer Welt in die andere. Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1993, S. 71–91. Siehe auch Amos Elon: Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743–1933). Aus dem Amerik. übers., München/Wien 2003, S. 91. 99 Siehe Todd, Mendelssohn. 100 Siehe F. Gustav Kühne: Deutsche Männer und Frauen. Eine Galerie von Charakteren, Leipzig 1851, S. 226. 101 Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin, Berlin 1871; Reprint Berlin 1987, Bd. 2: S. 189. 102 Siehe Glatzer, »Jost«, S. 131. 103 Siehe Jeffrey Dawson: Friedrich Schleiermacher: The Evolution of a Nationalist, Austin, Tex., 1966, S. 135. 104 Zu diesen Details siehe Ernst Carl Jarck: C. L. Sand und sein an Kotzebue verübter Mord, Berlin 1831, S. 88. Diese Zusammenfassung stammt von F. Gunther Eyck: »The Political Theories and Activities of the German Academic Youth between 1815 and 1819«, in: Journal of Modern History 27 (1955), S. 31–34. 105 Die Einzelheiten verdanke ich dem Artikel »Wartburgfest 1817« in: Lexikon der Deutschen Geschichte, Stuttgart 1977, S. 1261. 106 Alexandra Richie: Faust’s Metropolis: A History of Berlin, New York 1998, S. 115. 107 Eine hilfreiche Zusammenfassung findet sich in: George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen in Deutschland von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich. Aus dem Engl. übers., Frankfurt am Main/ Wien/Berlin 1976, S. 119. Siehe auch Willi Schröder: Burschenschaftsturner im Kampf um Einheit und Freiheit, Berlin 1967, S. 183–85. 108 Siehe Mosse, Nationalisierung, S. 94. Zu Jahns eigenen Formulierungen siehe Friedrich Ludwig Jahn: »Deutsches Volkstum«, in: Carl Euler (Hg.): Friedrich Ludwig Jahns Werke, Hof 1884, Bd. 1, S. 321. 109 Friedrich Münch: »Jugend-Erinnerungen«, in: Deutsch-amerikanische Monatshefte 1 (Mai 1864), S. 388, zit. von Eyck, »Political Theories«, S. 31, Anm. 13. 110 Für eine gute, kurze Schilderung des Festes siehe Williamson, »What Killed August von Kotzebue?«, S. 922. Zu Saul Ascher siehe Ellen Littmann: »Saul Ascher: First Theorist of Progressive Judaism«, in: LBIYB 5 (1960), S: 107–21. 111 Heinrich Heine: Reisebilder. Die Harzreise 1824, in: Ders.: Werke, Wiesbaden o. J., S. 693. 112 Saul Ascher: Die Germanomanie, Berlin 1815, S. 65–66.
Anmerkungen
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113 Der Student, der diese Empfindungen schilderte, wird in meiner Quelle nicht namentlich genannt. Die Quelle ist Uriel Tal: »Young German Intellectuals on Romanticism and Judaism – Spiritual Turbulence in the Early Nineteenth Century«, in: Salo Wittmayer Baron Jubilee Volume, Jerusalem 1974, S. 920. 114 Zu Börnes geistigen Erfahrungen in seiner Berliner Zeit siehe Orlando Figes: »Ludwig Börne and the Formation of a Radical Critique of Judaism«, in: LBIYB 29 (1984), S. 361. 115 Siehe Norbert Altenhofer: »Henriette Herz und Louise Baruch – Jeanette Wohl und Ludwig Börne«, in: Alfred Estermann (Hg.): Ludwig Börne 1786–1837 (Katalog), Frankfurt am Main 1986, S. 211–21. 116 Figes, »Ludwig Börne«, S. 360. Siehe auch Martin Schneider: Die kranke schöne Seele der Revolution. Heine, Börne, das »Junge Deutschland«, Marx und Hegel, Frankfurt am Main 1980. 117 Ich folge hier der Darstellung von Willi Jasper: Keinem Vaterland geboren. Ludwig Börne. Eine Biographie, Hamburg 1989, S. 66. 118 Ebd. Zum Thema Namensänderungen siehe Bering, Der Name als Stigma, S. 36–43. 119 Laut Chase »war seinen Lesern bewusst, dass Börne selbst aus jüdischen Verhältnissen stammte«. Siehe Chase, Inciting Laughter, S. 77. 120 Für weitere Einzelheiten siehe ebd., S. 94. 121 Diese beiden Ereignisse sind nicht aufgeführt in ebd., S. 95. Aus keinem der Berichte über diesen Vorfall geht jedoch hervor, warum wegen der Verhaftung seine Konversion bekannt wurde. 122 Figes, »Ludwig Börne«, S. 360. 123 Siehe Helmut Bock: Ludwig Börne. Vom Ghettojuden zum Nationalschriftsteller, Berlin 1962, S. 153. 124 Für eine kurze Erwähnung dieser Episode siehe Michael Holzmann: Ludwig Börne. Sein Leben und sein Wirken, Berlin 1888, S. 95. 125 Zu diesem Punkt siehe Georg Heuberger: »Ludwig Börne – Juif de Francfort«, in: Estermann, Ludwig Börne, S. 250. 126 Siehe Jacob Toury: Die politischen Orientierungen der Juden in Deutschland, Tübingen 1966, S. 14. 127 Zu diesem Punkt siehe Ludwig Marcuse: Ludwig Börne. Aus der Frühzeit der deutschen Demokratie, Zürich 1977, S. 100. 128 Siehe Holzmann, Börne, S. 102. 129 Chase, Inciting Laughter, S. 71. Siehe auch Walter Hinderer: »Die Frankfurter Judengasse und das Ghetto Europas. Der praktische Hintergrund von Ludwig Börnes emanzipativem Patriotismus«, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 24 (1974). 130 Friedrich Meinecke: Erlebtes 1862–1901, Stuttgart 1964. Unveränd. Nachdruck der beiden Bände »Erlebtes 1862–1901« und »Straßburg – Freiburg – Berlin 1901–1919«, S. 139. 131 Artikel »Sand«, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 30, Leipzig 1890, S. 338–39. Siehe auch Carl Ludwig Sand: »Zum Achtzehnten des Herbstmonats im Jahr nach Christo achtzehnhundert und siebzehn auf der Wartburg«, in: Carl Ludwig Sand, dargestellt durch seine Tagebücher und Briefe von einigen seiner Freunde, Altenburg 1821. 132 Die Literatur zu Follen ist umfangreich. Zur Einführung siehe Edmund Spevack: Charles Follen’s Search for Nationality and Freedom: Germany and America, 1796–1840, Cambridge, Mass./London 1997. 133 Lewis Feuer: The Conflict of Generations: The Character and Significance of Student Movements, New York 1969, S. 63.
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1 34 Williamson, »What Killed August von Kotzebue?«, S. 891. 135 Aschers Buch trägt den Titel Die Wartburgs-Feier. Mit Hinsicht auf Deutschlands religiöse und politische Stimmung, Berlin 1818. 136 Williamson, »What Killed August von Kotzebue?«, S. 909 und 911. 137 Ebd., S. 918. 138 Ebd., S. 890. 139 Feuer, Conflict, S. 64, Anm. 32. 140 Williamson, »What Killed August von Kotzebue?«, S. 940. 141 Siehe Helmut Reinicke: Gaunerwirtschaft. Die erstaunlichen Abenteuer hebräischer Spitzbuben in Deutschland, Berlin 1983, S. 60. 142 Eleonore Sterling: »Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest«, in: Historia Judaica 12 (1950), S. 119. 143 Feuer, Conflict, S. 64. 144 Ebd., S. 121, Anm. 7. 145 Ein älteres Werk ist C. Krollmann: Warum gab es im Jahre 1819 eine »Judenhetze«?, Berlin 1899. Die neueste und umfassendste Analyse liefert Jacob Katz: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994. 146 Sterling, »Anti-Jewish Riots«, S. 131. 147 Siehe ebd., S. 122, Anm. 10. 148 Eric Werner: Mendelssohn. Leben und Werk in neuer Sicht. Aus dem Amerik. übers., Zürich/Freiburg i. Brsg. 1980, S. 28. 149 Friedrich von Stägemann: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III., hg. von Franz Rühl, Leipzig 1902, Bd. 3, S. 7. 150 Sterling, »Anti-Jewish Riots«, S. 138. 151 Sulamith 6,1, Heft 1 (1819), S. 34. 152 Für eine faszinierende Analyse seiner Reaktion auf diese Unruhen siehe Sander L. Gilman: Jüdischer Selbsthass. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden. Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1993. Die Analyse ist zu finden in: Ludwig Börne: Sämtliche Schriften, Düsseldorf 1964–68, Bd. 1, S. 415–21. 153 »Vernichtung« ist das von Chase, Inciting Laughter, S. 130, benutzte Wort. 154 Zit. aus: Rahel Varnhagen, S. 131. 155 Jacob Katz: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933. Aus dem Engl. übers., München 1989, S. 100 und 102. 156 Sterling, »Anti-Jewish Riots«, S. 131. 157 Einen Überblick über Jolsons Leben bietet Gerhard Masur: Friedrich Julius Stahl. Geschichte seines Lebens. Aufstieg und Entfaltung, 1802–1840, Berlin 1930. Siehe auch Robert Kann: »Friedrich Julius Stahl: A Re-Exmination of his Conservatism«, in: LBIYB 12 (1967), S. 55–74. 158 Masur, Stahl, S. 42–43.
Anmerkungen
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Kapitel 6: Das »Entréebillet zur europäischen Kultur«, 1820–1833 1 Ausgezeichnete Hintergrundinformationen zur Politik Badens in dieser Zeit bietet Dagmar Herzog: Intimacy and Exclusion: Religious Politics in Pre-Revolutionary Baden, Princeton 1966. 2 Der Brief ist abgedruckt in: Rahel-Bibliothek, Bd. 2, S. 609–10, hier zit. aus: Rahel Varnhagen. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Heidi Thomann Tewarson, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2003, S. 112. 3 Ronald Taylor: Berlin and Its Culture. A Historical Portrait, New Haven/London 1997, S. 120. Zur Entstehung des Begriffs Biedermeier siehe Terry Pinkard: Hegel. A Biography, Cambridge, England, 2000, S. 433 und 733, Anm. 29. 4 Alice M. Hanson: Die zensurierte Muse. Musikleben im Wiener Biedermeier. Aus dem Amerik. übers., Wien/Köln/Graz 1987. 5 Ebd. 6 George Marek: Gentle Genius. The Story of Felix Mendelssohn, New York 1972, S. 97. 7 Siehe Ulrich Weckel: »A Lost Paradise of a Female Culture? Some Critical Questions Regarding the Scholarship on Late Eighteenth- and Early Nineteenth-Century German Salons«, in: German History 18 (2000), S. 310–36, und Barbara Hahn: Die Jüdin Pallas Athene. Auch eine Theorie der Moderne, Berlin 2005, vor allem das Kapitel »Der Mythos vom Salon«. Auf Hahns kritische Anmerkungen zu meinem Werk antworte ich im Vorwort zur Neuausgabe von Die jüdischen Salons im alten Berlin, Bodenheim bei Mainz 1998. Siehe auch die Sammlung von Primärquellen, zusammengestellt von Rolf Strube (Hg.): Sie saßen und tranken am Teetisch. Anfänge und Blütezeit der Berliner Salons 1789–1871, München/Zürich 1991; Roberto Simanowski u.a. (Hg.): Europa: ein Salon? Beiträge zur Internationalität des literarischen Salons, Göttingen 1999; und Peter Seibert: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz, Stuttgart 1993. 8 Die neueste Ausgabe von Lewalds Autobiografie ist Fanny Lewald: Meine Lebensgeschichte, hg. von Ulrike Helmer, 3 Bde., Frankfurt am Main 1988. Siehe auch meine zwei Aufsätze über Lewald: »Work, Love, and Jewishness in the Life of Fanny Lewald«, in: Frances Malino und David Sorkin (Hg.): Profiles in Diversity: Jews in a Changing Europe, Detroit 1991, S: 202–22; und »The Lives, Loves and Novels of August and Fanny Lewald, the Converted Cousins from Königsberg«, in: LBIYB 46 (2001), S. 95–112. 9 Der vollständige Titel des Romans lautet Prinz Louis Ferdinand. Ein Zeitbild (Berlin 1859). Siehe auch Marieluise Steinhauer: Fanny Lewald, die deutsche George Sand, Berlin 1937; und die jüngeren Studien: Gudrun Marci-Boehnke: Fanny Lewald. Jüdin, Preußin, Schriftstellerin, Stuttgart 1998; Gabriele Schneider: Fanny Lewald, Reinbek bei Hamburg 1996; und Brigitta van Rheinberg: Fanny Lewald. Geschichte einer Emanzipation, Frankfurt am Main/New York 1990. 10 Dies war die Situation, wie ich sie in meinem Buch Die jüdischen Salons im alten Berlin schildere. 11 Petra Wilhelmy-Dollinger: Die Berliner Salons, Berlin/New York 2000, S. 128ff., führt die Namen von zwölf adeligen Salondamen auf. 12 Meine Schilderung des Stägemann’schen Salons basiert auf ebd., S. 105–07 und 114–15, sowie auf einem früheren Band der Verfasserin mit einem ähnlichen Titel: Petra Wilhel-
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my-Dollinger: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, Berlin 1989, S. 848–60. Siehe F. Gustav Kühnes Kapitel über Elisabeth in: Ders.: Deutsche Männer und Frauen, Leipzig 1851, S. 184–213, und auch Margarete von Olfers: Elisabeth von Stägemann. Lebensbild einer deutschen Frau 1761–1835, Leipzig 1937. 13 Für eine zusammenfassende Darstellung des Crayen’schen Salons siehe Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons (2000), S. 124–25. 14 Zu Elise von Hohenhausen siehe ebd., S. 136–38, und auch Wilhelmy-Dollinger, Der Berliner Salon (1989), S. 687–89. 15 Die Konditorei Stehely war ein Lieblingsort für Andersdenkende im damaligen Berlin. Siehe Julius Schoeps: Bürgerliche Aufklärung und liberales Freiheitsdenken. Aaron Bernstein in seiner Zeit, Stuttgart/Bonn 1992, S. 43, Anm. 101. 16 Interessant ist hier Bernd Wegener: »Über den ästhetischen Thee«, in: Neue deutsche Hefte 30 (1983), S. 284–97. 17 Siehe Martin Davies: Identity or History? Marcus Herz and the End of the Enlightenment, Detroit 1995, S. 162. Fanny Lewalds Erinnerungen an ihren Besuch bei Herz sind zu finden in: »Fanny Lewald bei Henriette Herz: ›Ich habe alle Menschen gekannt‹«, in: Strube, Sie saßen, S. 305. 18 Dies ist die von Davies (Marcus Herz, S. 157) vorgeschlagene Analyse. 19 Siehe die Aufsätze von Barbara Hahn zu jeder der Schwestern in: Jutta Dick und Marina Sassenberg (Hg.): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 112 und 154–55. Ein Artikel zu Sara findet sich in: Wilhelmy-Dollinger, Der Berliner Salon (1989), S. 651–53. Die Schwestern werden besonders erwähnt in: Jacob Jacobson (Hg.): Jüdische Trauungen in Berlin, 1773–1859, Berlin 1968, S. 251, Anm. 408, und in: Ludwig Geiger: »Vor 100 Jahren«, in: ZGJD 3 (Braunschweig 1889), S. 225–26. Siehe auch Karl August Varnhagen: »Frau von Grotthuß und Frau von Eybenberg«, in: Ders: Gesammelte Schriften, hg. von Ludmilla Assing, Leipzig 1874, Bd. 18, S. 75–81. 20 Ich stütze mich hier auf Cécile Lowenthal-Hensel (Hg.): Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts. Zeichnungen von Wilhelm Hensel, Berlin 1981, S. 78–79. 21 Dieser Brief wird erörtert in Jacob Jacobson (Hg.): Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1800–1851, Berlin 1962, S. 79. 22 Zu Henriette Mendelssohn siehe Dick und Sassenberg, Frauen, S. 278–79. 23 Zu Informationen über die Familie Cohen siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 362–63. Jacobson vermerkt, dass die Cohen-Kinder in England bekehrt wurden, bevor ihre Eltern in Berlin die Taufe empfingen. Ein Cohen-Sohn erhielt später den neuen Namen van Baren, und er heiratete eine Christin aus der Familie Hindenburg. Zwei der Cohen-Söhne fielen in den Befreiungskriegen. Siehe Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons (2000), S. 80, sowie Wilhelmy-Dollinger, Der Berliner Salon (1989), S. 623–25. 24 Zu Solmar siehe Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons (2000), s. 156, und WilhelmyDollinger, Der Berliner Salon (1989), S. 840–41. Fanny Lewalds Erinnerungen aus den 1840er-Jahren an Solmars Salon wurden veröffentlicht in Strube, Sie saßen, S. 222–27. 25 Heinrich Heine, der ein Freund von Moritz Veits künftigem Schwager Joseph Lehmann war, wurde von Lehmann zu den Donnerstags-Zusammenkünften bei den Veits mitgenommen. Joseph Lehmann war Buchhändler, später Herausgeber einer Literaturzeitschrift und Direktor einer Eisenbahn. Im Jahr 1831 heiratete er Philipp Veits Tochter Therese. Siehe Jacobson, Judenbürgerbücher, S. 66 und 275. Im Hause der Veits begegnete Heine
Anmerkungen
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zum ersten Mal Gans, Moser, Zunz und anderen. Siehe Hanns Günther Reissner: Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz, Tübingen 1965, S. 93. 26 Für eine Beschreibung der Tiergarten-Villa aus einer etwas späteren Epoche siehe Frederic Bedoire: The Jewish Contribution to Modern Architecture, 1830–1930, Jersey City 2004, S. 220–34. 27 Siehe Reiner Zimmermann: Giacomo Meyerbeer. Eine Biographie nach Dokumenten, Berlin 1991, S. 13. Michaels Bemerkung über seinen Vater wird zitiert von Berndt Wessling: Meyerbeer. Wagners Beute, Heines Geißel, Düsseldorf 1984, S. 25. 28 Zimmermann, Meyerbeer, S. 13. Die Liste der Gäste bei den Beers ist zu finden in: Wilhelmy-Dollinger, Der Berliner Salon (19189, S. 605–09. Siehe auch die Beschreibung des Beer’schen Salons in Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons (2000), S: 149–51. 29 Siehe Wilhelmy-Dollinger, Der Berliner Salon (1989), S. 145. 30 Dieses Zitat findet sich in: Gustav Friedrich Manz: »Michael Beer’s Jugend«, Diss., Freiburg 1891, S. 12. Manz zitiert einen Brief Rahels, der abgedruckt ist in: Ludmilla Assing (Hg.): Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel, 6 Bde., Leipzig 1874–75, Bd. 6, S. 43. 31 Diese Vorfälle hält Rahel in ihren Tagebuch-Einträgen vom 29. und 30. Dezember 1819 fest. Die zitierten Sätze finden sich in: Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, 9. Aufl., München/Zürich 1997, S. 214f. Diese Episode lässt Amos Elons Behauptung, »vieles hatte sich verändert« für Rahel, nachdem sie nach Berlin zurückgekehrt war, und sie sei »eine bemerkenswerte Ausnahme« von der Regel gewesen, dass den Juden auch nach dem Edikt von 1812 die volle Gleichberechtigung weiterhin verwehrt wurde, zweifelhaft erscheinen. Siehe Amos Elon: Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743–1933). Aus dem Amerik. übers., München/Wien 2003, S. 114. 32 Siehe die hilfreiche Erörterung zu diesem Punkt in: Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons (2000), S. 131. 33 Unveröffentlichter Tagebuch-Eintrag vom 29. Dezember 1819, zit. aus: Arendt, Rahel Varnhagen, S. 214. 34 Zu diesem Punkt siehe Reissner, Gans, S. 160. Für eine Sammlung zeitgenössischer Aufsätze siehe Douglas Moggach (Hg.): The New Hegelians: Politics and Philosophy in the Historical School, New York 2006. 35 Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 115. 36 Reissner, Gans, S. 98. 37 Siehe Wilhelm von Humboldt. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, dargestellt von Peter Berglar, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 119. 38 Reissner, Gans, S. 28. 39 Siehe John Toews: Hegelianism: The Path toward Dialectical Humanism, 1805–1841, Cambridge, England, 1980, S. 108. Auf Toews’ Buch von 2004, Becoming Historical: Cultural Reformation and Public Memory in Early Nineteeenth-Century Berlin, Cambridge, England, 2004, wurde ich zu spät aufmerksam, um es hier voll und ganz nutzen zu können. 40 Toews, Hegelianism, S. 104. 41 Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 115ff. 42 Die Auswahl stammt aus dem bemerkenswerten Dokument »Entwurf der am Juden zu verbessernden Gegenstände«, abgedruckt in: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 117–19. 43 Siehe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Über die Religion, in: Ders.: Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner, Berlin 1980, Abt. 1, Schriften und Entwürfe, Bd. 12, S. 282.
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44 Dieses Zitat stammt aus: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer, 4 Bde., München 1995–97, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation, 1780–1871, von Michael Brenner, S. 139. 45 Ebd., S. 139. Meyer zitiert N. N. Glatzer (Hg.): Leopold Zunz. Jude – Deutscher – Europäer, Tübingen 1964, S. 103. 46 Viele dieser Details verdanke ich der akribischen Liste von Vereinsteilnehmern in: Reissner, Gans, S. 174–89. 47 Zu Jost siehe Ismar Schorsch: »From Wolfenbüttel to Wissenschaft: The Divergent Paths of Isaak Markus Jost and Leopold Zunz«, in: LBIYB 22 (1977), S. 109–28. 48 Siehe Reissner, Gans, S. 83. 49 Für Hintergrundinformationen zu dieser Lebensphase Heines siehe Jeffrey L. Sammons: Heinrich Heine: A Modern Biography, Princeton 1979, Kap. 8. Siehe auch Reissner, Gans, S. 93, und Norbert Waszek: »Aufklärung, Hegelianismus und Judentum im Licht der Freundschaft von Heine und Gans«, in: Joseph Kruse u. a. (Hg.): Aufklärung und Skepsis, Stuttgart/Weimar 1999, S. 226–41. 50 Sammons, Heine, S. 109. 51 Zur Beschreibung seiner Lebensarrangements siehe Hugo Bieber (Hg.): Heinrich Heine: Confessio Judaica. Eine Auswahl aus seinen Dichtungen, Schriften und Briefen, Berlin 1925, S. 13. Die Hilfsorganisation für Frauen, bei der Heine mitarbeitete, wird erwähnt in: Philip Kossoff: Valiant Heart: A Biography of Heinrich Heine, New York/London 1983, S. 64. 52 Siehe Bieber, Heine, S. 13. Leider ist das Datum verwirrend, da Zunz seine Stelle als Prediger für den Beer’schen Tempel im Jahr 1822 aufgab. 53 Heines Briefe aus Berlin sind in einer Sammlung mit dem Titel Reisebilder (Leipzig 1981) erschienen. 54 Zit. aus: Ruth Gay: Geschichte der Juden in Deutschland. Von der Römerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg, München 1993, S. 139. Siehe auch Heinrich Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Säkularausgabe, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris, Berlin/Paris 1970ff., Bd. 20: Briefe 1815–1831, S. 71–72. 55 Sammons, Heine, S. 49. 56 Ebd., S. 129 57 Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, hg. von Manfred Windfuhr u. a., Hamburg 1973ff., Bd. 6, S. 192. 58 Sammons, Heine, S. 82. 59 Wessling, Meyerbeer, S. 35 60 Siehe Daniel Purdy: The Tyranny of Elegance: Consumer Cosmopolitanism in the Era of Goethe, Baltimore 1998, Kap. 7. In seinen Briefen aus Berlin, S. 594, erwähnt Heine besonders die Arten von Kleidung, welche die Abneigung eines Menschen gegen banausische Werte ausdrücke. 61 Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 122 und 136. 62 Siehe Wessling, Meyerbeer, S. 35. 63 Heine, Briefe aus Berlin, S. 590. 64 Die Wendung »Heiden im Vaterland« wurde von Anton von Stolberg benutzt und von Christopher Clark: Christopher Clark: The Politics of Conversion. Missionary Protestantism and the Jews in Prussia, 1728–1941, Oxford 1995, S. 89, so zitiert. Clark beruft sich auf eine Dissertation von J. Althausen: »Kirchliche Gesellschaften in Berlin, 1810–1830« (Halle-
Anmerkungen
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Wittenberg 1965, S. 21. Auf viele meiner Punkte auf den folgenden Seiten wurden erstmals in Kap. 4 von Clarks Band hingewiesen. 65 Clark, Politics, S. 131. 66 Ebd., S. 136. 67 Ebd., S. 144. 68 Zu nützlichen Hintergrundinformationen siehe Todd Endelman: Radical Assimilation in English Jewish History, 1656–1945, Bloomington 1990, S. 148–49. 69 Siehe Clark, Politics, S. 137. Zwei andere Bücher sind hier von Interesse: W. T. Gidney: A History of the London Society for the Promotion of Christianity Among the Jews, London 1908, und Stephen Neill: A History of Christian Missions, Harmondsworth, England, 1986. 70 Zu Julius Eduard siehe Johann F. A. de Le Roi: Die evangelische Christenheit und die Juden. Unter dem Gesichtspunkte der Mission geschichtlich betrachtet, 4 Bde., Karlsruhe/Leipzig 1884–92, Neudruck 1974, Bd. 1: In der Zeit der Herrschaft christlicher Lebensanschauungen unter den Völkern. Von der Reformation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, S. 191–92. 71 Zu Frey siehe den Artikel »Apostasie« in: Encyclopaedia Judaica, hg. von Nahum Goldmann, 10 Bde., Berlin 1928–34, Bd. 6, S. 1211, und Endelman, Radical Assimilation, S. 147–48. 72 Die Ansprache von Rose ist im vollständigen Wortlaut abgedruckt in: Neueste Nachrichten 6 (1822), S. 65–70, und wird zitiert von Clark, Politics, S. 133. 73 Die Angaben zu Tholuck basieren auf Le Roi, Christenheit, Bd. 1, S. 128–30. 74 Ebd., S. 130. In der Quelle taucht kein Vorname für Sontheim auf. 75 Ebd. 76 So Jost in einem Brief von 1822 an Meyer Ehrenberg. Der Original-Wortlaut findet sich in: Nahum Glatzer (Hg.): Leopold and Adelheid Zunz: An Account in Letters, 1815–1885, London 1958, S. 34–35. 77 Zu den Konflikten zwischen Schleiermacher und Hegel siehe Toews, Hegelianism, S. 61. 78 Siehe Gustav Karpeles: Heinrich Heine’s Memoirs: From His Works, Letters, and Conversations, 2 Bde., London 1910, Bd. 1, S. 113. 79 Diese Statistik liefert Konrad Jarausch: »The Sources of German Student Unrest, 1815– 1848«, in: Lawrence Stone (Hg.): The University in Society, Princeton 1974, Bd. 2, S. 557. 80 Eine gute Zusammenfassung dieser Probleme findet sich in: Toews, Hegelianism, S. 25. 81 Siehe Jarausch, »Unrest«, S. 534, Anm. 14. 82 Ich stütze mich hier auf Monika Richarz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, Tübingen 1974, S. 99. 83 Siehe Ralph Larry Todd: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Leben, seine Musik. Aus dem Engl. übers, Stuttgart 2008. 84 Zit. aus Sebastian Hensel: Die Familie Mendelssohn 1729 bis 1847. Nach Briefen und Tagebüchern, 3 Bde., Berlin 1879, Bd. 1, S. 133. 85 Siehe Le Roi, Christenheit, Bd. 2, S. 184–85. 86 Hensel, Die Familie Mendelssohn, Bd. 1, S. 86. 87 Zu Zelter siehe Dietrich Fischer-Dieskau: Carl Friedrich Zelter und das Berliner Musikleben seiner Zeit, Berlin 1997. 88 Siehe Peter Mercer-Taylor: The Life of Mendelssohn, Cambridge, England, 2000, S. 44. 89 Brief vom 21. Oktober 1821, zusammengefasst in: Marek, Gentle Genius, S. 114. 90 Mareks Zusammenfassung des Briefes vom 8. Juli 1829 findet sich in: ebd., S. 86. 91 Ebd., S. 87.
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92 Zit. aus dem Artikel über Zunz in der Encyclopedia Judaica, Jerusalem 1971, Bd. 12, S. 701. Hannah Arendt wartet mit einer Analyse des Klassenkonflikts innerhalb des preußischen Judentums auf, die für Zunz’ Angriff auf den Beer’schen Tempel von großer Bedeutung ist. Siehe Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Aus dem Engl. übers., München/Zürich 1986. Siehe auch Luitpold Wallach: Leopold Zunz und die Grundlegung der Wissenschaft des Judentums. Über den Begriff einer jüdischen Wissenschaft, Frankfurt am Main 1938, und Peter Wagner: Wir werden frei sein. Leopold Zunz, 1794– 1886, Detmold 1994. 93 Schorsch, »Wolfenbüttel«, S. 109. 94 Siehe Michael Meyer: Response to Modernity: A History of the Reform Movement in Judaism, New York 1968 95 Für weiterführende Informationen siehe ebd., Kap. 1 und 2; sowie Michael Meyer: »The Orthodox and the Enlightened: An Unpublished Contemporary Analysis of Berlin Jewry’s Spiritual Condition in the Early Nineteenth Century«, in: LBIYB 25 (1980), S. 101–330, und seinen Aufsatz »The Religious Reform Controversy in the Berlin Jewish Community, 1814–1823«, in: LBIYB 24 (1979), S. 139–55. 96 Meyer, Response, S. 57. 97 Siehe Michael Meyer: »›Ganz nach dem alten Herkommen?‹ The Spiritual Life of Berlin Jewry Following the Edict of 1812«, in: Marianne Awerbach und Stefi Jersch-Wenzel (Hg.) Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik, Berlin 1992, S. 236. 98 Siehe Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. und 20. Jahrhundert, 2 Bde., Hamburg 1981, Bd. 1, S. 162–63. 99 Siehe Andreas Brämer: Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Tempel 1817–1938, Hamburg 2000, sowie ders.: »The Dialectics of Religious Reform: The Hamburger Israelitische Tempel in Its Local Context«, in: LBIYB 48 (2003), S. 25–37. 100 Dieses Argument wurde vorgebracht von David Biale: Eros and the Jews: From Biblical Israel to Contemporary America, Berkeley 1997, S. 229. 101 Die Informationen zu Albertine sind spärlich. Siehe Lowenthal-Hensel, Preußische Bildnisse, S. 73–74, und Todd, Mendelssohn. 102 Zusätzlich zu Clark, Politics, S. 37, 132 und 153, siehe auch Clark: »The Limits of the Confessional State: Conversions to Judaism in Prussia, 1814–1843«, in: Past and Present 147 (1995), S. 159–79, und ders.: »Jewish Conversion in Context: A Case Study from Nineteenth-Century Prussia«, in: German History 14 (1996), S. 281–97. 103 Für eine ausgezeichnete Behandlung dieses Kreises siehe Lothar Kahn: »Heine’s Jewish Writer Friends: Dilemmas of a Generation, 1817–1833«, in: Jehuda Reinharz und Walter Schatzberg (Hg.): The Jewish Response to German Culture: From the Enlightenment to the Second World War, Hannover/London 1985, S. 120–36. 104 Wir erfahren dies aus einem Brief, den I. M. Jost am 28. September 1822 schrieb und der zitiert wird in: Glatzer, Leopold and Adelheid Zunz, S. 16. Dieser Quelle ist unmöglich zu entnehmen, wann genau Zunz die Konversion erwog. 105 Ebd., S. 126. 106 Dieses Argument stützt sich auf Themen, die ich über viele Jahre mit Todd Endelman von der University of Michigan diskutiert habe. 107 Reissner, Gans, S. 113. 108 Adelheids Einstellung gegenüber Rahel wird erörtert in: ebd., S. 18, und ihre christlichen Freundinnen sind auf S. 22 vermerkt.
Anmerkungen
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109 Der Roman ist zu finden in: August Lewald: Gesammelte Schriften, Leipzig 1846, Bd. 12, S. 125–388. 110 Hier bin ich Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 129–31, zu Dank verpflichtet. Siehe auch Reissner, Gans, S. 188–89, und den kurzen Eintrag zu Lessmann in: Julius Eduard Hitzig (Hg.): Gelehrtes Berlin im Jahre 1825, Berlin 1826, S. 150. Eine weitere Quelle ist Hanns Günther Reissner: »Daniel Lessmann in Vienna and Verona«, in: LBIYB 14 (1969), S. 203–14. 111 Die Interpretation wird erwähnt in: Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 130, Anm. 27. 112 Siehe Albert Friedländer: »The Wohlwill-Moser Correspondence«, in: LBIYB 11 (1966), S. 272, und Reissner, »Daniel Lessmann«. 113 Weitere Einzelheiten in: Sammons, Heine, S. 96–110. 114 Toews, Hegelianism, S. 129. 115 Siehe Reissner, Gans, S. 108–09. 116 Zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 127. 117 Heines Brief an Moser vom 17. September 1823 zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 128. 118 Zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 129. Todd, Mendelssohn, erwähnt, dass ein linker Intellektueller namens Hermann Franck mit ihm bei der Taufe war. 119 Ernst Elster (Hg.): Heines sämtliche Werke, 7 Bde., Leipzig/Wien 1887–90, Bd. 7, S. 407. 120 Brief vom 14. Dezember 1825, zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 129. 121 Reissner, Gans, S. 113. 122 In einem Brief an Moser vom 9. Januar 1826, zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 129. Siehe auch Sander L. Gilman: Jüdischer Selbsthass. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden. Aus dem Amerik. übers., Frankfurt am Main 1993. 123 Zit. aus Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 136, der die Primärquelle nicht nennt. 124 Heine, Säkularausgabe, Bd. 21, S. 120. 125 Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 130. 126 Ebd., S. 130. 127 Ebd., Zitat aus einem Brief vom 23.April 1826, abgedruckt in: Heine, Confessio Judaica, S. 64. 128 Pinkard, Hegel, S. 541. 129 Johann Braun: »Die ›Lex Gans‹ – Ein Kapitel aus der Geschichte der Judenemanzipation in Preußen«, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 102 (1985), S. 94, Anm. 119. 130 Siehe Glatzer, Lepold and Adelheid Zunz, S. 16. 131 Siehe Reissner, Gans, S. 119. 132 Lowenthal-Hensel, Preußische Bildnisse, S. 89. 133 Siehe Thomann-Tewarson, Rahel Levin Varnhagen, S. 220. 134 Siehe Heidi Thomann-Tewarson: »German-Jewish Identity in the Correspondence between Rahel Levin Varnhagen and Her Brother, Ludwig Robert: Hopes and Realities of Emancipation, 1780–1830«, in: LBIYB 34 (1994), S. 25–26. 135 Zu Roberts Stück siehe Jefferson Chase: Inciting Laughter: The Development of Jewish Humor in Nineteenth-Century German Culture, Berlin/New York 2000, S. 37, Anm. 50. Ich stütze mich hier außerdem auf Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 131–36. 136 Siehe Pinkard, Hegel, S. 542.
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137 Zu Saphir siehe den kurzen Eintrag in: Anon: Gelehrtes Berlin im Jahre 1825, Berlin 1826, S. 235; Paul Friedrich (Hg.): Bilder aus Romantik und Biedermeier, Berlin 1922; Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 131–34; sowie seine eigenen Schriften, darunter Meine Memoiren und anderes, Leipzig 1887, und Ausgewählte Schriften, Brünn o.J. 138 Siehe Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 133. 139 Ebd., S. 133, sowie Saphir, Ausgewählte Schriften, Bd. 10, Teil III, S. 22. 140 Pinkard, Hegel, S. 544. 141 Kahn, »Heine’s Jewish Writer Friends«, S. 134. 142 Siehe Willi Jasper: Keinem Vaterland geboren. Ludwig Börne, eine Biographie, Hamburg 1989, S. 98, zitiert aus der von Jasper herausgegebenen Ausgabe der Berliner Briefe von Ludwig Börne (Berlin 2000, S. 238). 143 Dieses und das vorhergehende Zitat stammen aus Sammons, Heine, S. 134. 144 Siehe Jasper, Börne, S. 97. 145 Ebd., S. 99, Zitat aus einem Brief Börnes, der in Jaspers Ausgabe von Börnes Berliner Briefen (S. 248) enthalten ist. 146 Jasper, Börne, S. 81, Zitat aus Jaspers Ausgabe von Börne, Berliner Briefe, S. 244. Siehe auch Davies, Marcus Herz, S. 162. 147 Diese Einzelheiten finden sich in: Rahel Varnhagen, S. 113. 148 Siehe die ältere Ausgabe von Börnes Briefen, herausgegeben von Ludwig Geiger: Ludwig Börne. Berliner Briefe 1828, Berlin 1905, S. 25. 149 Jaspers Ausgabe der Berliner Briefe, S. 222, 224 und 223, zitiert in Jasper, Börne, S. 86. 150 Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 140. Der Originalbrief ist abgedruckt in: Rahel-Bibliothek, Bd. 9, S. 679–82. 151 Hensel, Die Familie Mendelssohn, Bd. 1, S. 141–43. 152 Dieser Punkt wird erörtert in: Lowenthal-Hensel, Preußische Bildnisse, S. 68. 153 Siehe ebd., S. 28–29. 154 Siehe Ralph Larry Todd: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Leben, seine Musik. Aus dem Engl. übers., Stuttgart 2008. 155 Ebd. 156 Für weitere Details zu Felix’ Karriere siehe Celia Applegate: Bach in Berlin. Nature and Culture in Mendelssohn’s Revival of the St. Matthew Passion, Ithaca/London 2005. 157 Siehe Mercer-Taylor, Mendelssohn, S. 66. 158 Ebd. 159 Hensel, Die Familie Mendelssohn, Bd. 1, S. 141. 160 Todd, Mendelssohn, S. 188. 161 Brief von Fanny am 23. Dezember 1827 an Karl Klingeman, zit. aus: Hensel, Die Familie Mendelssohn, Bd. 1, S. 181–82. 162 Zu Marx siehe Applegate, Bach in Berlin, S. 36–37. Das Zitat über Marx’ Einfluss auf den Mendelssohn’schen Haushalt findet sich in: Todd, Mendelssohn, S. 128; Originalverweis in: Eduard Devrient: My Recollections of Felix Mendelssohn Bartholdy and His Letters to Me, London 1869; Reprint New York 1972, S. 35. 163 Siehe Heinrich Dorn: »Recollections of Felix Mendelssohn and His Friends«, in: Temple Bar (Februar 1872), S. 401. 164 Todd, Mendelssohn, Zitat aus: Christina Siegfried: »›Der interessanteste und problematischste seiner Freunde‹ – Adolph Bernhard Marx«, in: Bernd Heyder und Christoph Spering (Hg.): Blickpunkt Felix Mendelssohn Bartholdy, Köln 1994, S. 35–44, hier S. 38–39. 165 So Zelter in einem Brief an Goethe vom 25. Mai 1826; siehe Werner, Mendelssohn, S. 92.
Anmerkungen
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1 66 Zu den Einzelheiten siehe Lowenthal-Hensel, Preußische Bildnisse, S. 98–99. 167 Marek, Gentle Genius, S. 141. 168 Ebd. 169 Siehe Applegate, Bach in Berlin, S. 30. 170 Mercer-Taylor, Mendelssohn, S. 75. 171 Ebd. 172 Zit. aus: Günther Nicolin (Hg.): Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, Hamburg 1970, S. 394. 173 Siehe Christhard Hoffmann: »Constructing Jewish Modernity: Mendelssohn Jubilee Celebrations within German Jewry, 1829–1929«, in: Rainer Liedtke und David Rechter (Hg.): Towards Normality: Acculturation and Modern German Jewry, Tübingen 2003, S. 40–41. 174 Heines Brief wurde 1846 geschrieben. Lassalle wurde im Gegensatz zu Heine nie getauft; siehe Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 149. 175 Ich stütze mich hier auf die Darstellung von Mercer-Taylor, Mendelssohn, S. 89. 176 Werner Michael Blumenthal: Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerik. übers., München/Wien 1999, S. 207. 177 Siehe Todd, Mendelssohn. 178 Heinz Becker, »Einleitung« zu Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher, 4 Bde., Berlin 1960, Bd. 1, S. 37 und 38. 179 Siehe das Kapitel über Amalie Beer in: Egon Jacobson und Leo Hirsch (Hg.): Jüdische Mütter, Berlin 1936, S. 69. 180 Die Mitgift-Unterlagen sind zu finden in der Beer-Meyerbeer Collection, Leo Baeck Institute, New York City, AR 3185. Die Mitgift für die Ehe betrug 50.000 Taler. 181 Die Äußerungen von Heinrich Laube werden zitiert in: Marek, Gentle Genius, S. 149. 182 Blumenthal, Die unsichtbare Mauer, S. 211–12. 183 Siehe Jasper, Börne, S. 145. 184 Ohne Angabe der Primärquelle zitiert in: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 141. 185 Siehe Blumenthal, Die unsichtbare Mauer, S. 213. 186 Zit. aus: Elon, Zu einer anderen Zeit, S. 144. 187 Zit. aus: Heinrich Heine: Mit scharfer Zunge. 999 Aperçus und Bonmots. Ausgewählt von Jan-Christoph Hauschild, München 1997, S. 67 und 69. 188 Siehe Marek, Gentle Genius, S. 197. 189 Ebd. 190 Sammons, Heine, S. 222, wo sich auch einige nützliche Informationen zum Verhältnis von Heine und Meyerbeer finden. 191 Heine, Werke, S. 518. 192 Meine Zusammenfassung hier stützt sich auf Marek, Gentle Genius, S. 200–205. 193 Ebd., S. 205. Der Autor zitiert Devrient ohne Angabe der Primärquelle. 194 Diese Darstellung stützt sich auf den Artikel über Beer in: Anon: Jüdisches Athenaeum. Galerie berühmter Männer jüdischer Abstammung und jüdischen Glaubens, Leipzig 1851, S. 7–13. 195 Siehe August Friedrich Graf von Schack in: Ein halbes Jahrhundert, Stuttgart 1888, S. 341. 196 Siehe Arendt, Rahel Varnhagen, S. 17. 197 Rahel-Bibliothek, Bd. 1, S. 43–44.
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Epilog 1 Ich danke Martin Bunzl für das Gespräch über dieses Thema in der Philosophie. 2 Isaiah Berlin: »Epilog: Die drei Elemente meines Lebens«, in: Persönliche Eindrücke, hg. von Henry Hardt. Aus dem Engl. übers., Berlin 2001, S. 377. 3 Burg rezensierte Ruvik Rosenthal, Rehov Haprachim 22 (hebräisch, Tel Aviv 2003), in: Haaretz vom 13. Juni 2003.
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Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Aaron, Esther siehe Liebmann, Esther Aaron, Israel 42, 44, 46, 141, 143 Akademie der Wissenschaften 79, 107, 262f., 278 Agnon, Shmu’el Yosef 32f. Ahnenforschungsprojekt der Nationalsozialisten siehe »Fremdstämmigenkartei« Alexander, Zar 100–104 Altenstein, Karl von 243ff. Ancillon, Johann 239 Arendt, Hannah 31, 283 Arndt, Ernst Moritz 111, 204, 244 Arnim, Achim von als Herausgeber von Des Knaben Wunderhorn 117 als Reformgegner 129 Ambivalenz gegenüber Juden 121, 291 Duell mit Moritz Itzig 121–128, 152, 168, 252 Freundschaft mit Sara Levy 122 gründet die Tischgesellschaft 117f. Heirat 117 im Stägemann’schen Salon 225 volkskundliche Projekte 106, 117 während der Befreiungskriege 232 Arnim, Bettina von (geb. Brentano) Freundschaft mit Sara Levy 122 Heirat 117
im Stägemann’schen Salon 225 und Rahel Levin 155f., 282 Arnstein, Fanny von (geb. Itzig) als Philanthropin 166 beschrieben von Karl Varnhagen 80 in Wien 166, 176ff. karitative Arbeit im Krieg 232 Arnstein, Nathan von 166, 176f. Ascher, Saul 205f., 210ff. Assing, David 162, 254 Assing, Rosa (geb. Varnhagen) 162, 254 Aufklärung, jüdische siehe »Haskala« August von Preußen, Prinz 162 Austerlitz, Schlacht von 100f. Bach, Carl Philipp Emanuel 121 Bach, Johann Sebastian 274 Baeck, Leo 32 Bartholdy, Isaak 131 Bartholdy, Jakob (Jakob Salomon) 90, 131, 164, 199ff., 247 Baruch, Louis siehe Börne, Ludwig Beer, Amalie (Malka Wulff) 148 als ehrgeizige Mutter 276f. als Frau der Hochkultur 190f. als Sprecherin des Deutschen und Judendeutschen 148 gesellschaftlicher Einfluss 147, 189f. Heirat 91f. Herkunft 91f.
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karitative Arbeit im Krieg 232 kritisiert von Rahel Levin 91 Namenswechsel 148 Salon 144, 229f. und Michaels Tod 282 und Reformgottesdienste 185ff., 229, 249f. Verleihung des Luisenordens 165 Wertschätzung durch Heinrich Heine 236 Beer, Betty 199, 245, 277 Beer, Heinrich (Henoch) 148f., 199, 245, 277 Beer, Jacob (Juda) Herz als Sprecher des Deutschen und Judendeutschen 148 gründet das Luisenstift 165f. im Stägemann’schen Salon 225 Namenswechsel 148 Reichtum und gesellschaftliche Stellung 91f., 179, 189 Salon 144 und finanzielle Transaktionen 105 und Reformgottesdienste 185, 189, 229, 249f. Beer, Jacob (Meyer) siehe Meyerbeer, Giacomo Beer, Michael als Dramatiker 277 Beitrag zur Kriegsanstrengung 16 Freundschaft mit Heinrich Heine 229, 234, 237 Name 148 Tod 282 über Unser Verkehr 192 Beer, Wilhelm (Wolff) 148f., 169, 277 Beer’scher Tempel siehe Reformgottesdienste Befreiungskriege 160 als preußische Befreiung 116 Anzahl der Freiwilligen 161f. Anzahl der preußischen Teilnehmer 160
Beiträge von Frauen und Juden 160ff. Freikorps 160ff. jüdische Beteiligung 162 Landwehr 127 Schlacht bei Großgörschen (Lützen) 166 Völkerschlacht bei Leipzig 169, 203ff. zeitgenössische Darstellung 127 Behr, Joseph 216 Bendavid, Lazarus 210, 234 Bentheim, Wilhelm Graf von 112, 117, 154, 164, 168, 171 »Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden«, Berlin 238ff. Bernhard, Fanny 97 Bernhard, Isaak 67 Bernhard, Pessel siehe Cohen, Philippine Bernhard, Wilhelmina (Hitzel) 73–94 Bernstein, Aaron 210 Biedermeier 222ff., 239 Börne, Ludwig (Louis Baruch) Beziehung zu Henriette Herz 206, 268 Beziehung zu Jeanette Wohl 207ff., 268 in Paris 279ff. Klatsch 268f. Konversion 207–10, 258, 267, 288 Namenswechsel 206ff. Schriften 268 und der Hass auf die Rothschilds 217 zu den Hep-Hep-Unruhen 217 Börse 129, 148 Braun, Friederike 254, 264, 272 Brede, Auguste 164 Brentano, Clemens 106, 116–123, 164 Brentano, Moritz 215
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Brinckmann, Carl Gustav von 84, 109, 221 Burg, Menno 162 Burgsdorff, Wilhelm von 163 Burschenschaften 125, 203–204 Callenberg, Johann Heinrich 57f. Chamisso, Adelbert von 95 Chassidismus 54 Cohen, Ernst (Ephraim) 94, 97 Cohen, Philippine (Pessel Bernhard) 73, 94–97, 228 Cohen, Sophie 94 Consalvi, Kardinal 177 Cotta, Johann von 261f. Crayen, Henriette von 225 Dalberg, Karl Theodor von, Großherzog von Frankfurt 143 De Lemos, Henriette siehe Herz, Henriette Des Knaben Wunderhorn (Arnim and Brentano) 117 Deutscher Bund 135, 178ff., 233 Devrient, Eduard 255, 274, 281 Devrient, Therese 274f. De Wette, Christian 244 De Wette, Wilhelm Leberecht 211 Dik, Ayzik Meyer 191 Dirichlet, Peter 254 Dönmeh (Sekte) 53 Dreißigjähriger Krieg 41ff. Duell als Männlichkeitsbeweis 152 Duellforderung für Gottlieb Saphir 266f. Funktion 125 in einem Drama von Ludwig Robert 265 und die Arnim-Itzig-Affäre 121–127, 168, 288 Verbreitung über den Adel hinaus 125f.
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Verwicklung von Johann Gottlieb Fichte 126 d‘Urquijo, Don Raphael 93 Eberty, Felix 188f. Eberty, Hermann 97 Edzard, Esdras 57 Edikt von 1671 45f. Edikt von 1812 begrenzte Vorteile für Frauen 153f die daraus resultierende Pflicht, in den Krieg zu ziehen 161 Einschränkungen für die Mischehe 171 finanzielle Aspekte 143–146 Namenswechsel als Folge 154 Streit über 202f. teilweise Zurücknahme 195, 198f., 217, 243 und die Erlaubnis zum Zuzug in die Hauptstadt 246 Verhandlungen durch Israel Jacobson 143f., 183f. Widersprüche 128, 139–143, 150– 54, 231, 243, 255f. Eduard, Julius Anton 241 Emanzipationsgesetz siehe Edikt von 1812 Ephraim, David (Johann Andreas Schmidt) 176 Ephraim, Rebecca (Rebecca Itzig) 176f. Ephraim, Veitel Heine 65–68, 71 Eschwege, Baruch 161 Eskeles, Bernhard von 176 Eskeles, Cäcilie (Cäcilie Itzig) 73, 176 Evangelische Kirche in Preußen 202f. Ewald, Johann 195 Eybenberg, Marianne von (Marianne Meyer) 73, 85ff., 226f., 254 Eybeschütz, Jonathan 52 Fasch, Karl 186
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Fichte, Johann Gottlieb Ansichten über Frauen 118, 212 berufliche Schwierigkeiten 246 Haltung gegenüber den Juden 126, 139 Herkunft 89f. Mitwirkung an den Planungen für die Berliner Universität 111 Nationalismus von 101f., 107ff., 137, 182 stößt zur Tischgesellschaft 118 unter französischer Überwachung 155 Finckenstein, Friedrich Ludwig Karl Fincke von 84f., 93, 129 Fließ, Joseph 87 Follen, Karl 211–14 Fouqué, Friedrich de la Motte 95 Francke, August Hermann 57 Frank, Eva 54 Frank, Jakob (Jankiel Lejbowicz) 49, 53f. Fränkel, David 234 Freikorps 159, 161 Freischule (Jüdische Freischule) 76f., 234 »Fremdstämmigenkartei« 9–25, 27, 30f., 145, 251 Frey, Friedrich (Joseph Samuel) 241 Friedrich I. 46, 57 Friedrich II., der Große 64, 79f., 161 Friedrich Wilhelm siehe Große Kurfürst, Der Friedrich Wilhelm II. 81f., 87 Friedrich Wilhelm III. als Förderer der Berliner Universität 111 als Leser der Werke von Moritz Gottlieb Saphir Begeisterung über »Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden« 241 erlässt Aufruf »An mein Volk« 159
Machtantritt 100 und Eduard Gans 243ff. und Witzlebens Kreis 239 unter Druck seitens der Bevölkerung 139, 157f., 266 Verärgerung über Karl Varnhagen 221 Weigerung, eine Verfassung zu gewähren 196 widersetzt sich Napoleon 100 Wiedersehen mit der Familie 104 Friedländer, David bewirtet von Israel Jacobson 184 Eheschließung 82 Emanzipationsbemühungen 91, 141–46, 179 Gesuch um massenhafte Konversion 90f., 142f. gründet Freischule 77 Herkunft 141 im Berliner Stadtrat 141, 198 im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« 234 Friedländer, Rebecca (Regina Frohberg) 109, 115, 145, 198, 227 Fries, Jakob Friedrich 197f., 211, 214, 218, 244 Frohberg, Regina siehe Friedländer, Rebecca Gad, Esther 73 Gans, Abraham 231 Gans, Eduard 231 als Autor eines Theaterstücks 276 als Gründer des »Wissenschaftszirkels« 234 im Beer’schen Salon 230 im Stägemann‘schen Salon 225 im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« 231–34, 245, 263 in der »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« 261ff.
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Konversion 209, 240, 245, 258, 262, 288 persönliche Probleme 259–63, 272 und die »Lex Gans« 243f., 256 Gans, Zipora (geb. Marcuse) 231f. Gentz, Friedrich 84, 175f., 179, 215 Georg, Johann 56 »Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen« 166 »Gesellschaft der Freunde« 82ff., 131, 233, 257, 275 »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« 263, 266, 273 Goethe, Johann Wolfgang von (seit 1782) 248 Begeisterung für Napoleon 103 Besuch von den Mendelssohns 248 Die Leiden des jungen Werther 74, 85, 138, 237 Erhebung in den Adelsstand 181 Freundschaft mit Sophie von Grotthuß 226 und Des Knaben Wunderhorn 117 und die Matthäuspassion 275 und Rahel Levin 155, 181 Goldhagen, Daniel Jonah 36 Goldstücker, Ernestine 173 Graetz, Heinrich 289 Grafemus, Louise (Esther Manuel) 166f. Grattenauer, Karl Wilhelm 92f., 291 »Großes Erwachen« siehe Pietisten Große Kurfürst, Der (Friedrich Wilhelm von Brandenburg) 41–44, 46, 135, 143 Grimm, Gottlieb 260 Großgörschen, Schlacht bei 127, 166 Grotthuß, Dietrich von 86, 226f. Grotthuß, Sophie von (Sara Meyer) 74, 86f., 226f., 254 Guggenheim, Fromet siehe Mendelssohn, Fromet Guggenheim, Joseph 59, 61, 287
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Gutzkow, Karl 278 Habermas, Jürgen 44, 142f. Ha-Cohen, Jom Tov Ben Jehuda siehe Lippold Hameln, Glückel von 51, 190, 288 Hardenberg, August von fördert jüdische Emanzipation und Karrieren 143f., 155, 179, 200, 243– 46, 260 hebt Verbot von Unser Verkehr auf 192 im Beer’schen Salon 147, 230 in Paris 180 Machtverlust 221, 224 Tod 246 und die Vorsteher der Berliner Gemeinde 150 und Kritik 138 und Reformen 129f., 216 unterstützt Karl Varnhagen 163, 175 unterstützt Reformgottesdienste 202 Hasid, Juda 52 »Haskala« (jüdische Aufklärung) 77ff., 83, 148, 183, 258 Hausierer 55, 65 Hedemann, August von 118, 177 Hedemann, Elisabeth von 177 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 183 Abneigung gegen Johann Ancillon 239 Begeisterung für die französische Herrschaft 103 berufliche Aktivitäten 197, 234, 244f., 262 Ehrung Karl Gutzkows 278 Freundschaft mit Karl Zelter 122 Rationalismus von 244 Rivalität mit Friedrich von Savigny 244 Verhältnis zu Juden 245, 260, 262, 266, 275
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Wie Juden Deutsche wurden
Heidereutergasse, Gemeindesynagoge in der 47f., 187, 250 Heine, Albertine 254 Heine, Heinrich (Harry Heine) äußere Erscheinung 237f. bei Reformgottesdiensten 229, 236 Bewunderung für die Sephardim 55 Eheschließung 254 Hass auf die Rothschilds 217 Herkunft 236f. im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« 234f. in Paris 279ff. Konversion 209, 258–264, 288 kritisiert Felix Mendelssohn 276 kritisiert jüdische Reform 236 Lebensstil 268 Verhältnis zu Saul Ascher 205 verspottet von Moritz Gottlieb Saphir 266 Heine, Salomon 236, 251, 278, 280 Heine, Samson 236 Heinemann, Jeremias 185 Hensel, Wilhelm 254, 270f. Hep-Hep-Unruhen 215–218, 231, 264 Hertz, Fanny 97f., 109 Hertz, Jakob 97 Herz, Henriette (geb. de Lemos) ablehnende Haltung gegenüber Reformgottesdiensten 186 Beziehung zu Ludwig Börne 206, 268 Eheschließung 75, 85 Freundschaft mit Rahel Levin 73 Herkunft 74 ihr Salon 75 in Rom 173 in Wien 178 Isoliertheit von 226f. Konversion 200f. Herz, Leopold von 144 Herz, Marcus 75, 99, 178, 207
Heynemann, Philipp (Gottfried Selig) 63f., 287 Heyse, Karl 247 Hirsch, Solomon 216 Hitzig, Elias Daniel (Elias Daniel Itzig) 90, 95 Hitzig, Julius Eduard (Isaak Itzig) berufliche Aktivitäten 119 ermöglicht Rahel Levins Taufe 172 im Stägemann’schen Salon 225 Konversion 95, 198 und Arnim-Itzig-Duell 84 unter französischer Überwachung 154f. Hitzig, Mirjam (Mirjam Itzig) 90, 95 Hoffmann, E. T. A. 265, 272 Hohenhausen, Elise von 225f., 238 Hohenhausen, Leopold 225f. Hufeland, Christian Wilhelm 67 Hugenotten 43f., 57, 79 Hofjude 39f., 41 Auswirkungen der Konversion, 63f. Esther Liebmann 46, 91 hoher Status 141 Israel Aaron 44 Tradition 187 ungewöhnliche Stellung 60 Humboldt, Alexander von 131, 141, 225, 242 ,273 Humboldt, Caroline von 99, 118, 165, 180, 200, 229 Humboldt, Wilhelm von 242 Abneigung gegen Johann Ancillon 239 Abneigung gegen Tischgesellschaft 118 als Mitglied der deutschen Territorialkommission 232 auf dem Wiener Kongress 175f. besucht jüdische Salons 229, 273 Duellforderung gegen 126 frühes Verhältnis zu Juden 99, 131 im Stägemann’schen Salon 225
Register
Mitwirkung an den Plänen für die Berliner Universität 111 Reaktion auf die Ermordung August von Kotzebues 214 über Juden 173, 176 unterstützt gleiche Rechte für Juden 152, 176, 179 Iffland, August Wilhelm 138 Institutum Judaicum et Mohammedicum 57ff. Isaak, Beer 87 Isaak Fließ, Blümchen 87 Isaak Fließ, Moses 87 Isaak Fließ, Rebecca 55f. Isaak, Moses 38 Itzig, Cäcilie siehe Eskeles, Cäcilie Itzig, Daniel 65, 71, 73, 80, 131 Itzig, Elias Daniel (Elias Daniel Hitzig) 90, 95 Itzig, Fanny siehe Arnstein, Fanny von Itzig, Isaak siehe Hitzig, Julius Eduard Itzig, Isaak Daniel 77, 122 Itzig, Margaret 82 Itzig, Miriam 73, 80, 90 Itzig, Mirjam (Mirjam Hitzig) 90, 95 Itzig, Moritz Identität 127 im Duell mit Achim von Arnim 121–28, 152, 168, 252, 265, 288 Tod 166, 232 während der Befreiungskriege 166, 232 Itzig, Rebecca (Rebecca Ephraim) 176 Itzig, Familie 142 Jacobi, Friedrich Heinrich 78 Jacobson, Israel gesellschaftliche Stellung 179 initiiert Reformgottesdienste 183ff., 202, 234, 249, 252 Verhandlungen um das Edikt von 1812 143
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Jacobson, Jacob 23–26 Jahn, Friedrich Ludwig (Turnvater) 136 antifranzösische Aktivitäten 157 organisiert Turnbewegung 102, 135ff., 204 Popularisierung traditioneller Tracht 135, 204f. seine Vision 137 Vermächtnis 137 Jeanrenaud, Cécile 254 Jedidja (Zeitschrift) 185, 217 Jena und Auerstedt, Schlacht bei 101f., 137 Joachim II. Hektor, Kurfürst von Brandenburg 39 Jolson, Julius (Friedrich Stahl) 219 Jost, Isaak Markus 202, 234, 243, 249, 257 »Judenherberge« 45 »Judenkartei« siehe »Fremdstämmigenkartei« Jüdische Freischule siehe Freischule Karlsbader Beschlüsse 243f., 277 Kirchhoff, David 62, 254 Kleist, Heinrich von 106, 119, 137ff. Klemperer, Victor 29, 34 Klewitz, Wilhelm Anton von 144 Kley, Eduard 149 Kölbele, Johann 69f. Kontinentalsperre 105, 133f., 214 Konversion von Kleinkindern 94, 255 Konvention von Tauroggen 157f. Koreff, David hilft dem Ehemann von Elise von Hohenhausen 225 im Beer’schen Salon 230 im Nordsternbund 95 im Stägemann’schen Salon 225 in Paris 261 Konversion 199f., 288 Kottwitz, Hans Ernst von 107 Kotzebue, August von 205, 212ff., 243f.
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Krüdener, Juliette Baroness von 106 Krypto-Juden, 49, 54 Landtag 158 Landwehr 127, 158ff. La Roche, Marie Sophie 117 Lassalle, Ferdinand 276 Lavater, Johann Casper 68f. Lehmann, Joseph 234 Leiden des jungen Werther, Die (Goethe) 74, 85, 96, 178 Leipzig, Völkerschlacht bei 169, 203ff. Lejbowicz, Jankiel siehe Frank, Jakob Lessing, Gotthold Ephraim 67f., 187, 258 Lessmann, Daniel 258f., 263 Levin, Chaie 71f., 110, 115 Levin, Lipmann siehe Robert, Ludwig Levin, Markus 71f., 84, 163 Levin, Moritz 172 Levin, Rahel (Rahel Varnhagen) 93 als Reformgegnerin 184 begeistert von Claude-Henri de Saint-Simon 282 bei musikalischen Aufführungen 272 Besuch durch Johann Wolfgang von Goethe 181 Beziehung mit Karl Varnhagen 94f., 109, 112, 115ff, 120f., 154, 167ff. bewundert von Fanny Lewald 224 Bewunderung für Friedrich den Großen 80f. Bewunderung für Heinrich von Kleist 138 Bewunderung für Johann Gottlieb Fichte 108f. Eheschließung 173f., 180f., 288 enttäuscht von Berlin 217f., 228, 230 Freundinnen und Freunde 73f., 76, 81, 91, 101, 103, 115ff., 122, 163ff., 173, 228f.
Herkunft 71f ihr Patriotismus 140ff. ihre jüdische Identität 108f., 127, 139, 153ff., 172, 257, 264 ihr Traum 154 im Beer’schen Salon 229 im Stägemann’schen Salon 225 in Prag 163ff., 169 Konversion 109, 171ff., 201, 269, 288 kritisiert von Ludwig Börne 269 Liebesäffären 84f., 93ff., 109 Namenswechsel 80, 173 Projekt zur Versorgung von Verwundeten 164f., 232 Reaktion auf Hep-Hep-Unruhen 217f. Selbsthass 288 Tod, 282 Vergleich mit Louise Grafemus 167 Verhältnis zu Heinrich Heine 237 Veröffentlichung ihrer Briefe 154, 282 Levy, Sara (geb. Itzig) 121ff., 228 Lewald, August 194, 223, 258 Lewald, David 223, 247 Lewald, Fanny 32, 223f., 254 Lewald, Zipora 223 »Lex Gans« 243, 255 Liebmann, Esther (Esther Aaron) 42, 46, 91, 141, 187, 190 Liebmann, Jost 46 Liedertafel 122 Lippold (Jom Tov Ben Jehuda Ha-Cohen) 39ff. »Londoner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden« 240ff. Löning, Karl 214 Louis Ferdinand, Prinz 101, 269 Ludwig XVIII. (König von Frankreich) 170 Luise, Königin 100–106, 111, 165, 232
Register
Luisenstift 165f. Lützen, Schlacht bei siehe Großgörschen, Schlacht bei Luza, Louise 87 Manuel, Esther (Luise Grafemus) 166 Marcuse, Fradchen 73 Marcuse, Nettchen 163 Maria Theresia (Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen) 64 Marialva, Marquis 227 Marwitz, Alexander von der 120, 138 Marwitz, Friedrich August Ludwig von der 129 Matthäuspassion (Bach) 274 Marx, Adolf Bernhard 273f. Marx, Karl 126, 254 Maskilim siehe »Haskala« Maximilian I. Joseph (König von Bayern) 216 Mendel, David siehe Neander, August Mendelssohn, Abraham 130 25. Hochzeitstag 276 als Förderer der Hochkultur 264, 272f. berufliche Aktivitäten 130–35, 215 Eheschließung 131 Familienname 248 im Beer’schen Salon 230 im Berliner Stadtrat 141 in Paris 130, 132 Kinder 132f.,198f., 271f., 281, 288 Konversion 246f., 288 politisches Engagement 141, 198 Verhältnis zu Familienmitgliedern 270f. Mendelssohn, Alexander 270 Mendelssohn, Dorothea (Brendel) siehe Schlegel, Dorothea Mendelssohn, Fanny als Pianistin und Komponistin 248, 270f., 274, 281
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äußere Erscheinung 270f. Brautwerbung und Heirat 254, 270f. Geburt 131 Konversion 177, 248 Verhältnis zu ihrem Bruder Felix 272 Mendelssohn, Felix 248f. als Komponist 271f. als Opfer von Antisemitismus 216 Aufführung der Matthäuspassion 274f. Eheschließung 254 Familienname 248 Geburt 131 in Paris 279f. problematischer Erfolg 264 spielt für Johann Wolfgang von Goethe 248 Mendelssohn, Fromet (geb. Guggenheim) 67, 79, 88 Mendelssohn, Henriette 88, 130, 177, 227, 270 Mendelssohn, Hinni 270 Mendelssohn, Joseph 130, 134, 187, 215, 246, 270 Mendelssohn, Lea (geb. Salomon) 130 25. Hochzeitstag 276 als ehrgeizige Mutter 276 als Förderin der Hochkultur 271f. als Philanthropin 164 Beziehung zu Henriette Mendelssohn 227, 270 Brautwerbung und Heirat 130ff. finanziert »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« 264 Haus in der Leipziger Straße 270 im Beer’schen Salon 230 Konversion 246f. Taufe der Kinder 177f., 246, 288 Wohlstand 135f. Mendelssohn, Moses 63 Eheschließung 67
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Wie Juden Deutsche wurden
gewinnt Preisaufgabe der Akademie der Wissenschaften 79 Herkunft 66, 94 Hundertjahrfeier 275f. Konversionsdruck 63, 66–69, 187 Patriotismus 66, 79 Tod 76, 78f. Mendelssohn, Nathan 177 Mendelssohn, Paul 254, 272 Mendelssohn, Rebekka 131, 272 Mendelssohn, Recha 73, 187, 270, 277 Merkel, Garlieb Helwig 195 Metternich, Klemens Wenzel Fürst von 144, 175, 179, 212, 224 Meyer, Aron 86f. Meyer, Ester 69f. Meyer, Marianne siehe Eybenberg, Marianne von Meyer, Sara siehe Grotthuß, Sophie von Meyerbeer, Giacomo 151 Abneigung von Seiten Felix Mendelssohns 280 Auftritte im Beer’schen Salon 229 Die Hugenotten 265 entscheidet sich gegen Konversion 149f. 199 Erfolge 92, 199, 276 gesundheitliche Probleme 276 in Paris 169, 186f., 199 Namenswechsel 148 Reaktion auf Unser Verkehr 192 Verhältnis zu Heinrich Heine 237, 280 während der Befreiungskriege 169 Michaelis, Johann David 68 Mirat, Crescene 254 Mischehe Anzahl und Häufigkeit 36, 60, 79, 144–45, 253–54 als Erklärung für Konversion 254f. Assimilation durch 233f. Ausmaß ihres Erfolges 29 Diskussion über 84
Edikt von 1812 zur 171 finanzielle Aspekte 146f. und Geschlecht 147 und Salons 147 Missionare siehe Pietisten Montalban, Antoinette von 188 Moscheles, Ignaz 230 Moser, Moses 234f., 259–62 Moses, Meyer 87 Mosson, Minna 277 Münzabwertung 64–68, 71 Nawratzki, Magdalena 62, 254 Neander, August (David Mendel) 98ff., 242, 287 Neumann, Wilhelm 96f., 99, 103 Nicolovius, Georg 239 Noah, Mordechai Manuel 234 Nordsternbund 95–98, 199 Olfers, Ignaz von 224 Oppenheim, Moritz Daniel 261 Pariser Verträge 154 Paulus, Heinrich 195 Pereira, Heinrich von 177 Pereira, Henriette von 177 Philanthropie, patriotische 165, 184, 227, 232 Pietisten 49, 55–62, 106f., 239f. Pogrome 50 Prochaska, Eleonore 167 Ranke, Leopold von 272 Reformrabbiner 253 Reformgottesdienste (Berlin) als Antwort auf die religiöse Krise 182–191 Beer’scher Tempel 149, 186–91, 229, 235, 249, 256 elitäres Denken 202 Frauen und Reform 190f. innovativer Charakter 190, 249ff. Israel Jacobsons Rolle 185f., 234
Register
Konversionsraten 252 Verbot 249ff. während der Leipziger Messe 251 Revolution von 1830 277f. Righini, Vinzenzo 189 Robert, Ludwig (Lipmann Levin) als Hörer der Vorträge Fichtes 109 bei den Mendelssohns 272, 276 beruflicher Weg 95, 264f Eheschließung 254, 264 Geburt 71 im Beer’schen Salon 230 Konversion 264 mit Rahel Levin in Prag 164 Namenswechsel 95 Reaktion auf die Hep-Hep-Unruhen 264 Tod 282 und die Arndt-Itzig-Affäre 124 von Moritz Gottlieb Saphir angegriffen 266 während der Befreiungskriege 166– 169 Rose, Sir George 241 Rotenhan, Hermann von 219 Rothschild, Amschel 134 Rothschild, Carl 134 Rothschild, Familie 105, 215, 217, 232 Rothschild, Gutele 134, 139 Rothschild, James 134 Rothschild, Mayer Amschel 134 Rothschild, Nathan, 134 Rothschild, Salomon 134 Rühs, Friedrich 195–198, 206, 210, 218, 231f. Rungenhagen, Karl Friedrich 281 Saalfeld, Gefecht bei 101 Saaling, Julie 170, 187, 193 Saaling, Marianne (Mirjam Solomon) 73, 166, 198, 227, 247 Saaling, Rebecca 227 Saint-Simon, Claude-Henri de 282
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Salomon, Bella als Gegnerin der Konversion 199, 247, 271 Entfremdung von Sohn Jakob 131 familiäre Spannungen 247 ihr Haus 199 Tod 271 und die Partitur der Matthäuspassion 274 Salomon, Jakob siehe Bartholdy, Jakob Salomon, Lea siehe Mendelssohn, Lea Samuel, Joseph (Friedrich Frey) 241 Sand, Karl Ludwig 211–214, 243 Saphir, Moritz Gottlieb 265ff., 288f. Savigny, Friedrich Carl von 117f., 243ff., 262 Savigny, Gunda von (geb. Brentano) 117, 243 Schall, Karl 266f. Schlegel, August Wilhelm von (seit 1815) 88, 130 Schlegel, Dorothea von (seit 1815) (Brendel Mendelssohn-Veit) Eheschließungen 85 131, 174, 254 Herkunft 76 in Italien 200f. intellektuelles Vermögen 122 in Wien 173f., 178 Konversion 88, 130f., 227 Namenswechsel 73 Scheidung 88f. Schriften 174 und jüdische Ursprünge 227 Wanderjahre 130, 227 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich von (seit 1815) Beziehung mit Dorothea Mendelssohn-Veit 88f., 174 Herkunft 88 in Italien 200f. in Wien 178 Wanderjahre 130
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Wie Juden Deutsche wurden
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 242 Abneigung gegen Johann Ancillon 239 als Förderer der Evangelischen Kirche in Preußen 203 als Gegner von Georg Wilhelm Friedrich Hegel 263 als Gründungsmitglied der Tischgesellschaft 118 als Vertreter der Romantik 244, 268 Ansichten über das Judentum 234 Freundschaft mit Juden 88f., 178, 200, 275 Mitwirkung an den Planungen für die Berliner Universität 111 prominente Stellung 172, 242, 244 religiöser Nationalismus von 103f., 107, 137 über Konversion 88 unter französischer Überwachung 154f. unterstützt Reformgottesdienste, 186 Verhandlungen über Nachfolge Zelters 281 verteidigt antisemitische Studenten 126 Schleiermacher, Henrietta 155 Schlesinger, Adolf Martin 274 Schlesinger, Therese 255, 274 Schmalz, Theodor 237 Schmidt, Johann Andreas (David Ephraim) 176 Scholem, Gershom 35f., 153, 250, 290 Schrötter, Friedrich Leopold von 146, 182 Schuckmann, Friedrich von 194, 225 Schudt, Johann Jakob 55 Schulz, Stefan 60 Schutzjude 141 Selig, Gottfried (Philipp Heynemann) 63f., 287
Sessa, Karl Borromäus Alexander 192– 96 Siebenjähriger Krieg 64, 66, 71 Sabbatianismus 50–54 Singakademie Aufführung der Matthäuspassion 273f. Fanny Mendelssohn in der 270 Förderung durch Juden 184, 272f. Gründung durch Karl Fasch 186 Henriette Solmar in der 228 jüdische Beteiligung 121f. Verhandlungen über Nachfolge Zelters 281f. Solmar, Henriette 266 Solomon, Mirjam siehe Saaling, Marianne Sontag, Henriette 266 Sophie Dorothea (Königin von Preußen) 48 Stägemann, Elisabeth von 224, 230 Stägemann, Friedrich von 127, 177, 216, 224 Staël, Madame de 131 Stahl, Friedrich (Julius Jolson) 219, 231 Stegemann, Johann Jakob 172f. Stein, Karl Reichsfreiherr vom und zum 129, 158f., 216 Stieglitz, Johann (Israel) 98 Stieglitz, Sophie 98 Sulamith (Zeitschrift) 165, 190, 217, 234, 246 Teller, Wilhelm Abraham 90f., 184 Tettenborn, Friedrich Karl Freiherr von 163, 165, 169 Theilhaber, Felix 34f. Theremin, Ludwig 239 Tholuck, Friedrich August 242 Tischgesellschaft, Christlich-Deutsche Antisemitismus 122 Ausschluss von Juden und Frauen 118
Register
eine reine Männersache 136 Mitglieder 117f., 177, 224, 243, 248 Tugendbund 88, 99 Turnbewegung Angriffe von Seiten August von Kotzebues 213 antifranzösische Aktivitäten 157 beeinflusst von Jakob Friedrich Fries und Friedrich Rühs 218 eine reine Männersache 136 organisiert von Friedrich Ludwig Jahn 102, 136 Klassenstruktur 136f., 204 Nationalismus 135–38 Ulrich, Johann Caspar 59 Universität von Berlin 110f., 117, 246, 278 Unser Verkehr (Theaterstück) 192–195, 202, 211, 218 Varnhagen, Rahel siehe Levin, Rahel Varnhagen von Ense, Karl August 94 als preußischer Gesandter für Baden 181, 221 Ärger mit Clemens Brentano 120f., 164 Bekanntschaft mit Fanny von Arnstein 80f., 177 Begeisterung für Claude-Henri de Saint-Simon 282 Bewunderung für Friedrich den Großen 80f. Eheschließung 171–174, 288 Erinnerungen 80f., 225 Herkunft 91–97, 100 im Nordsternbund 98, 199 in Berlin 228–231 in der Tischgesellschaft 117f. in Diensten des Freiherrn von Tettenborn 163, 169f. in Diensten des Grafen von Bentheim 112, 117, 154, 168
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in Paris 180 in Wien 175 kritisiert von Ludwig Börne 269 und Rahel Levin 95f., 109, 112, 115ff., 120f., 154f., 175, 201, 283 unter französischer Überwachung 155 Verhältnis zu Juden 97–100, 120, 237, 257, 273, 279f. Verhältnis zu Staatskanzler Hardenberg 163, 171, 175, 180 Veit, Caroline 228 Veit, Dorothea siehe Schlegel, Dorothea von Veit, Jonas 88f., 201 Veit, Moritz 210, 263 Veit, Philipp 88f., 130, 173, 201, 228 Veit, Simon 76, 87ff., 174, 201, 263 »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« Aktivitäten 233ff. Ausschluss von Konvertiten 233 Gründung 231, 233 innovativer Charakter 250f. Parallelen zur »Gesellschaft für wissenschaftliche Kritik« 263 Vogel, Henriette 138 Walser, Martin 34, 142f., 286 Wartburgfest 203–206, 211f., 239 Wartenburg, Hans David Ludwig Graf Yorck von 157ff. Waterloo, Schlacht von 179 Weber, Bernard Anselm 186 Weber, Carl Maria von 164 Weitsch, Georg 92 Westfälischer Friede 41 Westphalen, Jennie von 254 Wiener Kongress Debatte über Judenemanzipation 178, 215 Eröffnung 171 Friedrich von Stägemann beim 177
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Wie Juden Deutsche wurden
Karl Varnhagen beim 174f. Vergrößerung Preußens 246 Wien während des Kongresses 174ff. Wiesel, Pauline 67, 101, 170 »Wissenschaftszirkel« 233 Witzleben, Job von 238–243, 255 Wohl, Jeanette 209, 267–89, 279 Wohlwill, Immanuel 234f., 259 Wolfssohn, Aaron 148f., 234 Wulff, Liepmann Meyer 187 Wulff, Malka siehe Beer, Amalie Wurms, Albert 192, 194
Zelter, Karl als Direktor der Singakademie 121f., 274f. als Komponist für Reformgottesdienste 186 als Mitglied der Tischgesellschaft 248 als privater Musiklehrer Felix Mendelssohns 248 Einstellung gegenüber Juden 121f., 131, 248, 273f. musikalische Aktivitäten 121f. Tod 281 Zwi, Sabbatai 19–53 Zunz, Adelheid 257 Zunz, Leopold als Prediger bei Reformgottesdiensten 190, 234f., 249f. als Publizist 210 Ansichten über das Judentum 245, 249 entschließt sich gegen die Taufe 256f., 288 im »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« 234