Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 721 Der Erleuchtete
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 721 Der Erleuchtete
Wo die Sonne nie untergeht von H. G. Francis Ein Paradies wird zur Hölle Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide erneut eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den knapp sechs Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Die Hauptsorge Atlans gilt gegenwärtig den Daila des Planeten Aklard, der bereits von Invasoren kontrolliert wird. Und während der Arkonide Unterstützung bei den im Weltraum verstreuten Daila-Mutanten für deren alte Heimatwelt sucht, kommt es zu einem dramatischen Treffen beim Zielstern Gyd. Indessen lassen auch die Vorgänge auf dem Planeten Zyrph, auf dem Atlan sein Raumschiff zurücklassen mußte, an Dramatik nichts zu wünschen übrig.
Mrothyr, der den Kampf um die Freiheit seines Volkes weiterführt, muß schließlich mit der STERNSCHNUPPE vor seinen Verfolgern flüchten und gelangt dabei an den Ort, WO DIE SONNE NIE UNTERGEHT …
Die Hauptpersonen des Romans: Mrothyr - Der Freiheitskämpfer flieht ins All. Lait, Arishka und der Prerk - Mrothyrs Begleiter. Taduk - Ein Daila. Kartrokraet - Ein gewalttätiger Zyrpher. Arcklörn-Ilo - Ein Toter, der über ein Paradies herrscht.
1. »Meinst du nicht, daß die Ligriden uns verfolgen werden?« fragte Arishka. Ihre Haltung verriet die innere Anspannung, unter der sie stand. Sie blickte durch das Frontfenster des U-Boots in das grüne Wasser hinaus, und sie verfolgte das Gurgeln und Rauschen des Wassers, das jede Bewegung des Bootes begleitete. »Sie werden es zumindest versuchen«, erwiderte der Würger. Er saß hinter Mrothyr in einem einfachen Schalensessel. Hinter ihm stand, wie üblich, der Hintergeher. »Wir gehen tief runter«, erklärte Mrothyr, der den Steuerhebel bediente. Er ließ den Tiefenmesser nicht aus den Augen, der sich direkt vor ihm befand. Das Gerät besaß eine Skala, die mit einem roten Feld endete. Ein schimmernder, blauer Punkt bewegte sich langsam auf der Skala abwärts, als der Freiheitskämpfer das Tauchboot nach unten führte. Er war noch weit vom Rotfeld entfernt, das vor kritischen Tiefenbereichen warnte. Durch das Fenster fiel nun kein Licht mehr herein. Das Meer war nun nicht mehr grün, sondern nachtschwarz. Kein Lichtstrahl reichte herab. »Wie tief sind wir?« fragte Lait, nachdem er eine geraume Weile beobachtet hatte, wie der blaue Punkt weiter und weiter auf der Skala nach unten gewandert war. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, obwohl es im Boot nicht sonderlich warm war. »Was meinst du, Mrothyr?«
»Das kann ich nur vermuten. Vielleicht fünf- oder sechshundert Meter? Ich weiß es wirklich nicht.« »Das genügt. Die Ligriden finden uns nicht, wenn wir so tief sind.« »Können wir wenigstens feststellen, wo Norden ist?« erkundigte sich Arishka. »Die STERNSCHNUPPE befindet sich auf einer Insel nördlich von uns. Wie finden wir hin, wenn wir keine Instrumente haben?« Sie sah sich in der Kabine des Tauchboots um. Diese war so eng, daß sie und die drei Männer gerade Platz darin hatten. Mit Instrumenten war das Tauchboot denkbar sparsam ausgerüstet. Außer dem Steuerhebel und dem Tiefenmesser war nur noch ein Monitor für die Unterwasserortung vorhanden. Mrothyr beugte sich über den Steuerhebel. Erst jetzt bemerkte er, daß dieser mit verschiedenen Markierungen versehen war. »Hier sind einige Symbole«, sagte er. »Es könnten Hinweise auf die Richtung sein, in die wir das Boot lenken müssen. Diese drei Sterne sehen aus wie der Pfeil des Nordens.« Er stellte fest, daß der Steuerhebel sich in sich selbst drehen ließ, und es gelang ihm, zwei Richtungssymbole auf eine Linie zu bringen. Leise surrend änderte das Tauchboot seinen Kurs. Es bewegte sich nun auf das Sternbild des Pfeils des Nordens zu. »Ich bin sicher, daß wir jetzt genau auf die Insel zufahren«, sagte er. »Aber es gibt keine vergleichbaren Markierungen für Süden, Westen oder Norden«, bemängelte Arishka. »Die sind auch gar nicht nötig«, erwiderte Mrothyr. »Wenn ich weiß, wie ich den Kurs nach Norden anlegen muß, kann ich jeden anderen Kurs davon ableiten.« Irgend etwas prallte sanft gegen das Tauchboot und erschütterte es. Der Würger bewegte einen Kipphebel an der Wand, und Scheinwerfer flammten am Bug auf. Zwei Lichtkegel stießen ins Wasser hinein und ließen es blau erscheinen. Ein großer, grauer
Fischkörper schob sich mit trägem Flossenschlag vorbei. »Ich finde es unheimlich«, sagte Arishka. »Man kann nichts tun. Wir sind vollkommen auf diese Maschine angewiesen.« »Ich glaube, wir können uns auf sie verlassen«, entgegnete Lait. »Vielleicht hat sie sogar einen Ortungsschutz, der verhindert, daß die Ligriden uns finden.« Die anderen schwiegen, und der Würger schaltete die Scheinwerfer wieder aus. Es gab nichts zu sehen. Mehr als zwei Stunden vergingen, ohne daß sich etwas änderte. »Ich habe keine Ahnung, wie schnell wir sind«, sagte Mrothyr, »aber ich meine, wir sollten auftauchen, um uns oben umzusehen.« Die anderen erhoben keinen Einspruch. Es zog sie ebenso wie ihn nach oben. Die düstere Welt der Tiefsee war ihnen unheimlich, und sie fühlten sich in dem Tauchboot eingeengt. Sie waren froh, als er das Boot nach oben lenkte, doch es verging noch mehr als eine Stunde, bis das Wasser endlich hell wurde und das Boot die Wasseroberfläche durchbrach. Mrothyr öffnete die Luke und stieg nach oben. Eine lange Dünung ließ das Boot sanft schaukeln. Ein frischer Wind blies ihm ins Gesicht. Er empfand ihn als besonders wohltuend, obwohl die Luft im Boot keineswegs stickig gewesen war. »Ist irgend etwas von den Ligriden zu sehen?« fragte Arishka durch das offene Schott. »Nichts«, antwortete er. »Und von der Insel auch nicht.« Er kehrte in das Boot zurück, schloß die Luke und verriegelte sie. Er ließ den Tauchkörper wieder absinken, ging jetzt jedoch nur etwa fünfzig Meter tief, so daß sie durch das Frontfenster etwas sehen konnten. Jetzt zogen immer öfter Schwärme von Fischen an ihnen vorbei. Arishka, der Würger und der Hintergeher legten sich auf den Boden und schliefen bald ein. Sie wachten auch nicht auf, als Mrothyr später abermals auftauchte, und er ließ sie schlafen, da von der Insel noch immer nichts zu sehen war. Nach drei Stunden löste Lait ihn
am Steuer ab, so daß auch er ein wenig schlafen konnte. Als die Nacht hereinbrach, ließ Mrothyr das Tauchboot nur noch treiben, da er fürchtete, in der Dunkelheit auf ein Riff aufzulaufen. Erst als es wieder hell wurde, beschleunigte er wieder. Wie berechtigt seine Vorsichtsmaßnahme gewesen war, zeigte sich schon bald, als das Boot ein Schärengebiet erreichte, das selbst bei Tageslicht schwer zu durchqueren war. Als sich der Tag dem Abend zuneigte, entdeckte Arishka die Insel. Mrothyr ließ das Boot wieder absinken und pirschte sich vorsichtig heran. Als das Wasser flach wurde, tauchte er noch einmal auf, um sich zu orientieren. Er entdeckte einen Wasserarm, der weit ins Innere der Insel reichte, und er folgte ihm, bis er eine Bucht fand, in der er das Boot verstecken konnte. Aus zahlreichen Gebäuden schimmerte Licht herüber. »Sie können noch nicht einmal ahnen, daß wir hier sind«, sagte Arishka. »Ganz sicher hat Cushmancush uns nicht verraten.« »Hoffentlich ist dies die richtige Insel«, bemerkte der Würger. »Wie können wir sicher sein, daß wir sie nicht verfehlt haben?« »Wir werden uns umsehen, und wenn wir einen Raumhafen entdecken, wissen wir, daß wir die richtige Insel angelaufen haben«, erwiderte Mrothyr. »Wir trennen uns. Jeder geht in eine andere Richtung. In zwei Stunden treffen wir uns wieder.« »Der Hintergeher bleibt bei mir«, verlangte Lait energisch. »Es ist seine Aufgabe, mir den Rücken zu decken.« »In diesem Fall könntet ihr eine Ausnahme machen.« Ärgerlich trat der Würger auf ihn zu. »Du scheinst nicht zu wissen, was du da forderst«, entgegnete er. »Seine Religion verbietet ihm, mich allein zu lassen. Er muß mir überallhin folgen, und wenn es in die Hölle ist.« »Gut«, lenkte Mrothyr ein. »Dann bleiben Arishka und ich ebenfalls zusammen. Vielleicht ist diese Lösung sogar noch besser.« Er sicherte das Tauchboot, indem er es an einem Baum vertäute, während der Würger und sein Hintergeher sich bereits entfernten.
Lait ging voran, und der Prerk folgte ihm in einem Abstand von etwa anderthalb Metern. »Mir gefällt das nicht«, sagte Arishka voller Unbehagen, als sie zusammen mit Mrothyr in die entgegengesetzte Richtung ging. »Die beiden müssen ja auffallen.« »Wir können es nicht ändern. Wir können nur hoffen, daß sie sich anders verhalten, wenn es gefährlich wird. Bisher haben sie sich recht gut aus der Affäre gezogen.« Sie nickte. »Das läßt sich nicht leugnen.« Ein dumpfes Grollen näherte sich ihnen und ließ sie verstummen. Der Himmel erhellte sich, eine riesige Lichtkugel erschien, und für einige Sekunden entstand der Eindruck, als stürze ein flammender Meteor auf Zyrph herab. Dann erkannten Mrothyr und die junge Frau, daß ein gewaltiges Raumschiff zur Landung auf der Insel ansetzte. Die aus den Triebwerksschächten austretenden Gase breiteten sich kugelförmig unter ihm aus und bewirkten die Leuchteffekte. »Raumhafen ist also vorhanden«, stellte Mrothyr fest. »Und es dürfte nur wenige Inseln geben, die eine solche Einrichtung haben.« Sie eilten auf einige Flachbauten zu, die zu einer Fabrikationsanlage gehörten, und stießen wenig später auf eine belebte Einkaufsstraße, Zahlreiche Männer und Frauen drängten sich in den Geschäften. Durch die offenen Fenster eines Unterhaltungszentrums hallte Musik. »Sie verhalten sich, als ob alles normal wäre«, sagte Mrothyr. »In den Geschäften wird mehr angeboten, als ich in den großen Städten gesehen habe«, staunte Arishka. »Die Naldrynnen wollen ihre Helfer offenbar bei Laune halten.« Das Warenangebot war allerdings beträchtlich. Nirgendwo hatten die beiden Rebellen etwas Ähnliches gesehen. Sie bogen in eine Straße ein, die genau auf den Raumhafen zuführte, auf dem das Schiff mittlerweile gelandet war. Ein heißer
Wind fegte ihnen von dort entgegen. Er wirbelte Staub und Abfälle hoch, doch darauf achteten sie nicht. Erschrocken blickten sie auf ein überlebensgroßes Laserbild, das mitten über der Straße schwebte. Es zeigte Mrothyr. Eine Schrift darunter verhieß eine hohe Belohnung für denjenigen, der ihn tot oder lebendig bei irgendeiner Polizeistation von Zyrph ablieferte. »Die Belohnung ist so hoch, daß eine Familie ein ganzes Leben lang überdurchschnittlich gut leben kann«, sagte Arishka entsetzt. »Dieser Versuchung wird niemand widerstehen können.« Sie zogen sich zwischen zwei Häuser zurück, zwischen denen es dunkel war, von wo aus sie aber alles beobachten konnten, was auf der Straße geschah. »Es hat keinen Sinn, wenn wir weitergehen«, sagte Mrothyr. »Es wäre zu gefährlich. Noch sind zu viele Leute auf der Straße. Wir kehren zum Boot zurück und warten bis Mitternacht. Dann sehen wir uns am Raumhafen um.« Sie griff nach seinem Arm. »Du kannst niemandem mehr vertrauen«, sagte sie leise. »Die Belohnung ist zu hoch.« »Niemandem? Dir auch nicht?« »Du solltest mich so etwas nicht fragen«, rügte sie ihn. »Das Geld interessiert mich nicht.« Sie kehrten um und eilten zu den Flachbauten zurück. Arishka blickte sich immer wieder um, während Mrothyr so gelassen blieb, als bestünde nicht die geringste Gefahr für ihn. »Wann haben sie das Bild gemacht?« fragte sie verzweifelt. »Das kann überall gewesen sein«, erwiderte er. »Vor Jahren vielleicht schon, als ich in den Untergrund ging und die ersten Aktionen gegen sie geführt habe, während irgendeines Angriffs oder erst vor kurzem, als sie uns mit Grüas Hilfe in die Burg Hachmad Alchkards gelockt haben. Wahrscheinlich haben sie uns über eine längere Zeit hinweg beobachtet.« Sie kehrten zum Tauchboot zurück und setzten sich neben das
geschlossene Schott. Sie waren darauf vorbereitet, beim geringsten Anzeichen einer Gefahr zu fliehen. Längst hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Daher sahen sie Lait und seinen Hintergeher schon sehr früh, als diese nach den vereinbarten beiden Stunden zurückkamen. »Sie sind allein«, flüsterte Arishka. »Hast du geglaubt, sie würden uns verraten?« »Bei der Höhe der Belohnung kann man niemals sicher sein.« Sie griff haltsuchend nach seinem Arm. »Und das können wir auch jetzt noch nicht. Daß die beiden allein sind, muß nicht bedeuten, daß sie nach wie vor zu uns stehen.« »Es würde ihnen nicht bekommen, wenn sie uns verraten.« »Wir sind es«, rief der Würger, als er bis auf wenige Schritte heran war. »Seid ihr schon lange zurück?« »Seit längerer Zeit«, erwiderte Mrothyr. Arishka öffnete die Luke und ließ sich ins Boot gleiten. Lait und sein ständiger Begleiter folgten ihr. Mrothyr wartete noch einige Minuten, in denen er die Umgebung sorgfältig beobachtete. Erst als er sicher war, daß der Würger und der Prerk allein gekommen waren, ging er ebenfalls ins Tauchboot. Er schloß die Luke und ließ das Boot auf den Grund sinken. »Wir haben es auch gesehen«, erklärte der Hintergeher. »Ich erinnere mich an einen ähnlichen Fall, von dem mir ein Freund erzählt hat. Die Naldrynnen haben auf diese Weise einen ihrer gefährlichsten Gegner in die Hand bekommen. Tot.« »Ich war wie erschlagen, als ich das Bild sah«, fügte der Würger hinzu. »Deshalb seid ihr also wieder umgekehrt.« »Der Kampf gegen die Hyptons, die Naldrynnen und die Ligriden wird jetzt noch schwerer werden«, sagte Prerk. Er rückte seinen röhrenförmigen Hut zurecht. Da im Boot wenig Platz war, mußte er sich auf den Boden setzen, um ihn auf dem Kopf tragen zu können. Er nahm jedoch lieber diese Unbequemlichkeit in Kauf, als auf seinen Hut zu verzichten.
»Wir werden hier auf Zyrph nicht mehr kämpfen«, erklärte Mrothyr. »Wir müssen so schnell wie möglich klären, ob die STERNSCHNUPPE sich auf dieser Insel befindet, und dann versuchen wir, mit dem Raumschiff zu fliehen.« »Wir waren am Raumhafen«, erwiderte der Würger. »Dort sind mehrere Raumschiffe, aber wir wissen nicht, ob die STERNSCHNUPPE dabei war.« »Es handelt sich um ein relativ kleines, diskusförmiges Schiff«, sagte Mrothyr. »Es ist etwa vierzig Meter breit und zwanzig Meter hoch. Die Außenhülle ist silbergrau.« »So ein Schiff haben wir gesehen«, antwortete der Hintergeher. »Es wird scharf bewacht«, fügte der Narbige hinzu. Seine Hände glitten über die Kette, die er um den Hals trug. Er nannte sie die würgenden Zähne. Sie bestand aus einem auf Zyrph sonst unbekannten Material und war das äußerliche Zeichen dafür, daß er einer Geheimsekte angehörte. Vier halbmondförmige Narben unter seinen Augen wiesen ihn darüber hinaus als Kettenkämpfer aus, wie es sie nur in den unzugänglichen Eulen-Bergen gab. »Ich erinnere mich daran, wenigstens acht Roboter und zwei Ligriden gesehen zu haben«, ergänzte der Prerk den Bericht. Seine Unterlippe sank schlaff herab. Aus halbgeschlossenen Augen blickte er Mrothyr an, als ob er dicht davor sei einzuschlafen. Er machte meist einen etwas dümmlichen Eindruck. Doch dieser täuschte. Der Hintergeher war tatsächlich erheblich intelligenter als Lait, dem er kompromißlos diente. Er zog die Beine bis an die Brust hoch und legte seine Hände auf die geflochtenen Stiefel. »Es wird kaum möglich sein, an ihnen vorbeizukommen. Ein Freund von mir würde sagen, dazu braucht man eine Armee.« »Und die wirst du unter den gegebenen Umständen kaum finden«, sagte der Würger. »Eher umgekehrt. Sie werden sich gegen dich wenden, um sich das Kopfgeld zu verdienen. Ein Widerstandskämpfer muß sein wie ein Fisch im Wasser. Er muß jederzeit in der Bevölkerung untertauchen kennen. Dir haben die
Ligriden durch das hohe Kopfgeld das Wasser entzogen.« »Und ihr beiden?« fragte Arishka. »Seid ihr nicht versucht, euch das Geld zu verdienen?« »Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwiderte Lait. »Ich erinnere mich nicht daran, jemals eine derart infame Frage gehört zu haben«, sagte der Hintergeher, und seine Lider senkten sich noch ein wenig mehr herab. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen«, sagte Mrothyr. »Es muß eine Möglichkeit geben.« »Hast du nicht gesagt, daß die STERNSCHNUPPE ein denkendes Raumschiff ist?« Der Würger legte den Kopf in den Nacken zurück und lachte lautlos. Dabei öffnete er den Mund weit, und die Adern an seinem Hals traten dick hervor. »Das heißt doch, daß du es noch lange nicht geschafft hast, wenn du an Bord bist. Die STERNSCHNUPPE lebt und hat vielleicht sogar Charakter. Geh ruhig davon aus, daß sie sich weigert, mit dir zu starten, oder dich überhaupt erst an Bord zu lassen.« »Du tust gerade so, als wäre dir das recht«, fauchte Arishka ihn an. »Das wäre es ganz und gar nicht«, erwiderte der Narbige. »Viel Zeit bleibt uns nämlich nicht, wenn wir an Bord sind. Wir müssen sofort starten, oder die Ligriden werden uns wieder aus dem Schiff holen.« »Uns?« fragte Arishka. »Natürlich uns«, bestätigte der Würger. »Oder dachtest du, wir wollen hier bleiben?« »Ich brauche jeden Mann«, erklärte Mrothyr. »Es wird schwer genug werden.« Drei Stunden später kehrte er zusammen mit Arishka in die Stadt zurück. Er wollte das Raumschiff auf jeden Fall mit eigenen Augen sehen, und er hoffte, daß es zu später Stunde wesentlich ruhiger auf den Straßen werden würde. »Es ist kaum noch jemand unterwegs«, bemerkte die junge Frau, als sie sich der Einkaufsstraße näherten. »Auf uns wird niemand
achten.« Die holographische Projektion schwebte noch immer über der Straße. Einige Männer kamen die Straße herauf. Sie lärmten und alberten. »Komm, laß uns verschwinden«, drängte Arishka. »Sie sind betrunken.« »Nein, warte noch«, bat er. Einer der Männer zog plötzlich einen Energiestrahler und feuerte auf die Laserprojektion. Die anderen lachten laut. Sie versprachen sich gegenseitig, sich die Belohnung zu verdienen. »Er ist der einzige von ihnen, der eine Waffe hat«, stellte Mrothyr fest. »Was hast du vor?« wisperte sie. »Ich werde sie ihm wegnehmen«, erwiderte er. »Wir haben keine Waffe, und wir brauchen dringend eine, wenn wir zur STERNSCHNUPPE wollen.« »Ja, du hast recht.« Sie löste sich von ihm und rannte auf die Gruppe der Männer zu. Diese bemerkten sie erst, als sie mitten unter ihnen war. Arishka wirbelte sie auseinander. Mit harten Armstößen drückte sie zwei von ihnen zur Seite, schmetterte einem dritten den Ellenbogen gegen das Kinn, und flog dann mit den Füßen voran auf den Mann zu, der die Waffe hatte. Er versuchte, sie unter seiner Jacke hervorzuziehen, kam jedoch nicht mehr dazu. Die Füße Arishkas prallten gegen seine Brust und warfen ihn um. Als er erneut nach seinem Strahler greifen wollte, war dieser bereits verschwunden, und die junge Frau eilte lautlos wie ein Schatten davon. Sie verschwand zwischen den Häusern. Die Männer machten sich augenblicklich an die Verfolgung. Sie rannten ihr nach, und bei einigen von ihnen schien der Rausch verflogen zu sein. Mrothyr hörte einige dumpfe Schläge, denen gequälte Schreie folgten. Dann überquerte Arishka gelassen die Straße und kehrte zu ihm zurück: Sie reichte ihm den Energiestrahler.
»Warum willst du ihn nicht behalten?« fragte er. »Glaubst du, daß ich ihn benötige?« »Nein, nur deine Gegner«, lachte er, während er mit ihr hinter den Häusern weitereilte. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichten sie den Raumhafen. Von einer Anhöhe aus konnten sie das silbern glänzende Raumschiff sehen. Zwei Ligriden umkreisten es. Sie inspizierten die Roboter, die das Schiff bewachten. »Ich bin sicher, daß das die STERNSCHNUPPE ist«, sagte er. »Ja, aber es sieht nicht so aus, als hätten wir eine Chance«, entgegnete sie. »Es wird zu scharf bewacht.« »Irgendeine Lösung werden wir finden. Mir wird schon noch etwas einfallen.« Mrothyr war voller Zuversicht. Er schien sich durch die Roboter und die Ligriden nicht im geringsten beeindrucken zu lassen. »Könnten wir uns nicht ein anderes Raumschiff aussuchen?« »Unmöglich, Arishka. Mit einem anderen Schiff könnten wir nicht starten, da wir nicht wissen, wie wir es bedienen müssen. Wir kennen uns in der Neuen Technik nicht aus. Die STERNSCHNUPPE ist das einzige Schiff, mit dem die Flucht gelingen könnte, weil sie uns sagen wird, was wir tun müssen, wenn wir erst einmal an Bord sind. Atlan hat gesagt, man kann mit ihr sprechen wie mit einem lebenden Wesen.« »Wo mag der Arkonide sein? Ob er auch hier auf der Insel ist?« »Ich habe gesehen, daß er auf die ZYRPH'O'SATH geführt wurde. Ich konnte fliehen, weil man mich entkommen lassen wollte, aber er wurde an Bord gebracht.« Er bemerkte zwei Roboter, die am Rand des Raumhafens patrouillierten, und er zog sich mit Arishka zurück. Sie gingen über die Geschäftsstraße, die nach wie vor hell erleuchtet war, obwohl sich kaum noch jemand auf ihr aufhielt. »Ich habe Hunger«, sagte die junge Frau. »Irgendwann muß ich etwas essen.«
»Wir müssen einbrechen«, erwiderte er. »Wir können uns schließlich nicht in einem Restaurant bedienen lassen. Man würde mich schnell erwischen.« Einige Männer und Frauen kamen aus einem Lokal hervor. Für einige Sekunden drang laute Musik auf die Straße. Lärmend und schwatzend zog die Gruppe an Mrothyr und Arishka vorbei, ohne auf diese zu achten. Aus ihren Worten ging hervor, daß sie am Raumhafen arbeiteten. Mrothyr deutete auf einen Einkaufsmarkt. »Da finden wir alles, was wir benötigen«, sagte er. »Lait und sein Prerk haben auch schon lange nichts mehr gegessen.« »Ich bin nicht gerade geübt bei Einbrüchen«, entgegnete sie. »Vermutlich lösen wir einen Alarm aus. Wir sollen uns also vorher genau überlegen, was wir mitnehmen wollen, damit wir da drinnen keine Zeit verlieren.« Sie diskutierten kurz darüber, wie sie in das Geschäft eindringen, was sie entwenden, und wie sie wieder herauskommen wollten. Sie überquerten die Straße und tauchten in das Dunkel zwischen dem Versorgungsmarkt und dem Nebengebäude. Als sie sich einer Seitentür näherten, vernahmen sie einen leisen Pfiff. Erschrocken fuhren sie herum. »Ihr wollt doch wohl nicht einbrechen, Freunde?« fragte jemand. Er hatte eine seltsam kehlige Stimme, und er schien Mühe zu haben, das »r« auszusprechen. »Pleashcroyt«, sagte Mrothyr überrascht. Der andere kam leise lachend zu ihnen und streckte ihnen die Hände entgegen. »Ganz recht. Ich bin's«, erwiderte er. Für einen kurzen Moment flammte in einem der Häuser Licht auf und erhellte sein Gesicht. Pleashcroyt hatte eine scharf vorspringende Nase, die jedoch nicht schwarz war wie das übrige Gesicht, sondern nahezu schneeweiß. Er war ein Freiheitskämpfer wie Mrothyr, und bei einem ihrer Einsätze war er verletzt worden. Dabei hatte er die Nase verloren.
Ein zyrpherischer Arzt hatte ihn operiert und ihm in mühsamer Arbeit eine neue Nase transplantiert. Diese hatte jedoch ihre natürliche Pigmentierung verloren, so daß Pleashcroyt ein unverwechselbares Aussehen bekommen hatte. »Ich kann euch nicht raten, in diesen Versorgungsmarkt einzubrechen«, sagte Pleashcroyt. »Das würde euch mit Sicherheit nicht bekommen. Der Markt wird von Robotern abgesichert. Er gleicht einer Falle. Wenn ihr Hunger habt, dann werden wir euch etwas beschaffen.« »Wir?« fragte Mrothyr. »Wir sind mehr als fünfzig«, erklärte Pleashcroyt. »Alle aus unserer ehemaligen Truppe.« »Und wir können ihnen vertrauen?« fragte Arishka. »Und ob ihr das könnt, kleines Mädchen.« Der Mann mit der weißen Nase lachte. Er trug eine rote Kappe auf dem kahlen Schädel. Seine Augen lagen tief unter den mächtigen Augenwülsten verborgen. »Unter ihnen ist nicht ein einziger, der Mrothyr verraten würde, um sich die Belohnung zu verschaffen.« »Was macht ihr hier auf der Insel?« fragte Mrothyr. »Kämpft ihr gegen die Ligriden?« »Nein, wir haben den Kampf aufgegeben. Wir arbeiten mit den Ligriden zusammen, und wir lassen sie dafür kräftig zahlen. Wir haben uns mit ihnen arrangiert. Das heißt, wir tun so. Wir tarnen uns als fügsame Untertanen. Auf diese Weise können wir am meisten für unser Volk tun.« Mrothyr blickte ihn verstört an. Er wollte nicht glauben, was er gehört hatte. Die Männer, die jahrelang unter größten Opfern an seiner Seite gekämpft hatten, sollten sich selbst aufgegeben haben?
2. Die Gespräche in dem Lokal verstummten, als Mrothyr zusammen
mit Arishka und Pleashcroyt eintrat. Die Männer und Frauen an den Tischen wandten sich ihnen zu. Es waren etwa vierzig Männer und dreißig Frauen. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte ein junger Zyrpher. Er hatte ein puppenhaftes Gesicht mit vorquellenden, gelben Augen und einer winzigen Stupsnase. Seine Lippen waren dünn und weich. »Mrothyr wagt sich hierher, obwohl die Ligriden draußen seinen Steckbrief präsentieren und soviel Geld für seinen Kopf bieten, daß man dafür einen halben Kontinent kaufen könnte.« Er erhob sich von seinem Platz, trank sein Glas aus und stellte es achtlos auf den Tisch zurück. Dann ging er mit unsicheren Schritten auf den ehemaligen Anführer der Rebellengruppe zu. »Du hast den Verstand verloren, Mrothyr. Hier im Raum sind wenigstens zehn deiner Weggefährten, die bereit sind, dich zu verkaufen.« Seine Worte hatten eine eigenartige Wirkung auf Mrothyr, dessen Persönlichkeit den Raum bis in den letzten Winkel auszufüllen schien, und unter deren Eindruck alle Männer und Frauen aufstanden, obwohl niemand sie dazu aufgefordert hatte. Seine Augen schienen heller geworden zu sein. Ein loderndes Feuer schien den früheren Freiheitskämpfern entgegenzuschlagen, während gleichzeitig das Gefühl in ihnen aufkam, unmittelbaren Einblick in das Böse zu bekommen. Arishka fühlte, daß sich ein breiter und unüberwindlicher Graben zwischen ihm und ihnen auftat. Während er durch seine Haltung unmißverständlich klarmachte, daß sich an seinen Zielen nicht das geringste geändert hatte, wirkten sie gegen ihn schwach und hilflos. Wenn bei irgend jemandem Widerstand gegen Mrothyr vorhanden gewesen war, so zerbrach dieser in diesen Sekunden. Mrothyr ging zu einem älteren Zyrpher, der allein im hintersten Winkel des Raumes saß. »Scyarshraen«, sagte er. »Ich freue mich, dich zu sehen.« Der Angesprochene blickte ihn mit glänzenden Augen an. Als er
lächelte, entblößte er ein furchterregendes Gebiß. Er trug einen weit ausladenden Schlapphut, an dem leuchtendblau^ Federn befestigt waren. Eine Lederjacke verhüllte seinen abgemagerten Oberkörper nur unzureichend. Die mit roten Tätowierungen verzierte Brust lag nahezu frei. Scyarshraen war der Stellvertreter Mrothyrs gewesen. Er war ein draufgängerischer Mann, der mehr Erfahrung im Widerstand hatte als jeder andere in diesem Lokal. Mrothyr stellte Arishka vor. »Scyarshraen ist ein Freund«, sagte er dann. »Er würde sich eher zerreißen, als mich zu verraten.« »Das brauchst du nicht zu erwähnen«, tadelte der Alte ihn. Er lächelte der jungen Frau zu. »Er hat sich meine Freundschaft erkauft.« »Ist das wahr?« fragte sie, während sie sich ebenso wie die anderen an den Tisch setzte. »Natürlich«, lachte Scyarshraen. »Er hat mich einmal aus dem Feuer geholt. Ohne ihn wäre ich nicht so alt geworden.« Pleashcroyt verließ den Raum. Er kehrte wenig später mit einigen Speisen zurück, die er in einem Nebenraum des halbautomatisierten Restaurants zubereitet hatte. Wie in vielen Häusern dieser Art konnte sich jeder Gast seine Speisen selbst zusammenstellen und tischfertig machen, wenn er wollte. Es gab aber auch Automaten, aus denen man bereits zubereitete Speisen entnehmen konnte. »Du solltest uns allmählich verraten, was für Pläne du hast«, sagte er, setzte sich an den Tisch und rieb sich die weiße Nase, die wie ein Fremdkörper in seinem Gesicht saß. »Auf dem Raumhafen steht die STERNSCHNUPPE. Ich muß zu ihr«, antwortete Mrothyr. »Das schaffst du nicht.« Scyarshraen schob sich den Schlapphut ins Genick zurück. »Hast du gesehen, wie das Schiff bewacht wird?« »Habe ich, Alter, aber ich sehe es als eine Fügung der Götter an, daß ich euch getroffen habe. Überall habe ich euch vermutet, nur
nicht hier. Schließlich haben wir unseren letzten Einsatz mehr als dreitausend Kilometer von dieser Insel entfernt gehabt. Dabei wurden wir getrennt. Ich hätte eher gedacht, daß ihr noch immer oben im Norden seid.« Das Gesicht des Alten verdüsterte sich. Er blickte sich mit ärgerlich aufblitzenden Augen im Raum um. »Die Ligriden haben uns ein Angebot gemacht, und wir sind darauf eingegangen. Wir haben den Widerstand aufgegeben – jedenfalls nach außen hin.« »Tatsächlich aber sind wir nach wie vor bereit, für die Freiheit von Zyrph zu kämpfen«, beteuerte Pleashcroyt. Er sprang auf. »Oder befindet sich jemand im Raum, der etwas anderes behauptet?« Eine junge, dunkelhaarige Frau trat auf den Tisch zu. Kalt und ablehnend blickte sie Mrothyr an. Sie gab sich sehr selbstsicher, doch ihre bebende Unterlippe verriet, daß sie dies ganz und gar nicht war. »Wir kämpfen«, erklärte sie, »aber auf eine andere Art als bisher. Wir tarnen uns als fügsame Untergebene der Ligriden. Wir glauben, daß wir auf diese Weise am ehesten etwas für unser Volk tun können. Du solltest unsere Führung wieder übernehmen. Wir werden dich verstecken und behutsam in das neue System einschleusen. Wenn wir innerhalb dieses Systems Macht gewinnen, werden wir eines Tages auch in der Lage sein, die Ligriden mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.« Scyarshraen lachte. Er zog sich die Hutkrempe tief ins Gesicht. »Halte lieber den Mund, Claera«, fuhr er sie an. »Mrothyr ist nicht der Mann, der seine Prinzipien auf diese Weise verrät.« »Das soll er uns selbst sagen«, forderte die Frau. »Ist das wirklich nötig?« fragte Mrothyr. »Scyarshraen hat recht, und du weißt es.« Er durchschaute seine ehemaligen Weggefährten. Einige von ihnen mochten tatsächlich glauben, daß sie für das Wohl ihres Volkes und ihres Planeten kämpften, aber in Wirklichkeit waren sie
bereits infiziert. Sie wußten den bescheidenen Luxus zu schätzen, die ihnen diese Insel bot. Lange genug hatten sie vieles entbehren müssen und ständig um ihr Leben und ihre Sicherheit fürchten müssen. Sie waren nicht mehr zum Kampfbereit, obwohl sie alle wußten, daß dieser allein Erfolg versprach. »Wir waren gezwungen uns offiziell von dir loszusagen«, fuhr Claera fort. »Das haben wir selbstverständlich nur zum Schein getan, weil wir dadurch Straffreiheit und die zusage fester Anstellungen erlangt haben.« »Was für Naldrynnen, Hyptons und Ligriden der sicherste Weg war, unseren Freiheitskampf ein für allemal niederzuschlagen«, kommentierte Scyarshraen voller Bitterkeit. »Füttere eine Schlange, und sie beißt nicht mehr.« »Hören wir auf damit«, forderte Mrothyr. Er nickte Claera zu. Sie atmete erleichtert auf und kehrte an ihren Platz zurück. »Ich werde Zyrph verlassen und den Kampf um unsere Welt an anderer Stelle führen. Dazu ist nur eine kleine Kerntruppe nötig, mehr nicht. Immerhin benötige ich eure Hilfe für den ersten Schritt. Es wird das letztemal sein, daß ich euch um etwas bitten muß.« »Du willst mit der STERNSCHNUPPE fliehen?« fragte Pleashcroyt. Seine weiße Nase schien noch schärfer als zuvor aus seinem Gesicht hervorzutreten. Nervös rückte er die Kappe auf seinem Kopf zurecht. »Ich glaube, du hast dich in eine Idee verrannt, die sich nicht realisieren läßt.« »Es könnte in der Tat schwierig werden«, bemerkte Scyarshraen. Der Alte schüttelte den Kopf, als könne er nicht begreifen, daß Mrothyr einen derart verwegenen Plan gefaßt hatte. »Ich habe mit einigen ligridischen Soldaten über die STERNSCHNUPPE gesprochen. Sie haben eine geradezu abergläubische Scheu vor dem Schiff.« Claera stand wieder auf und kam einige Schritte näher. »Einer der Ligriden will gesehen haben, daß zwei Techniker, die das Schiff mit ein paar Extras ligridischer Bauart versehen sollten,
schreiend und wie von Sinnen aus der Schleuse gerannt sind. Sie mußten in ein Lazarett gebracht werden.« Pleashcroyt tippte sich an die Schläfe. »Davon habe ich auch gehört«, bekräftigte er die Aussage der Frau. »Sie sind verrückt geworden.« Mrothyr lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin überzeugt davon, daß die STERNSCHNUPPE sehr wohl zwischen Freund und Feind unterscheiden kann«, erwiderte er. »Ich sehe mich als ihr Freund an.« »Du wirst mit ihrer Neuen Technik nicht zurechtkommen«, gab Claera zu bedenken. »Wenn noch nicht einmal die Ligriden es schaffen, wie kannst du dann glauben, daß du mit dem Raumschiff starten und von Zyrph fliehen kannst?« »Ich kann es. Belassen wir es dabei. Mein Problem ist, an das Raumschiff heranzukommen. Es wird zu scharf bewacht. Ich benötige also eure Hilfe.« Pleashcroyt fuhr sich mit dem Zeigefinger über die weiße Nase. »Ich helfe dir«, versprach er. »Und ich bin auch dabei«, erklärte Scyarshraen, der Mann mit dem Schlapphut. Herausfordernd blickte er die anderen an. »Wer noch?« Arishka blickte Mrothyr bewundernd an. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er die Männer und Frauen im Raum in einer solchen Weise beherrschen würde. Sie hatte die ehemaligen Freiheitskämpfer sorgfältig beobachtet. Keiner von ihnen hatte den Raum verlassen. Einige von ihnen waren unruhig und wichen Mrothyrs Blicken aus, aber niemand wagte es, über Claeras Protest hinauszugehen und sich wirklich gegen ihn zu stellen. Mrothyr hatte diese Männer und Frauen in einer Art und Weise herausgefordert, die ihresgleichen suchte. Jeder im Raum wußte, wieviel Geld die Ligriden für ihn zahlen würden. Und er stand ihnen allen allein gegenüber. Schon die Tatsache, daß er sich zu
ihnen gewagt hatte, erstickte offenbar jeden Gedanken an Verrat. Das würde sich später vielleicht ändern, vorläufig aber konnte Mrothyr sicher sein, daß ihm niemand in den Rücken fallen würde. Und er hat keinen Hintergeher! dachte sie zwischen Angst und Bewunderung schwankend. Claera hob die Hand. »Du kannst dich auf mich verlassen«, erklärte sie. »Ich schwöre euch, daß ich jeden von euch umbringe, der auch nur daran denkt, sich das Kopfgeld zu verdienen, das auf Mrothyr gesetzt ist«, rief Scyarshraen. Der Alte blickte sich drohend um, und jeder im Raum spürte, daß er es ernst meinte. »Und solltest du einen verschonen, erledige ich den Rest«, fügte Pleashcroyt mit kehliger Stimme hinzu. »So wahr die Ärzte meine Nase verpfuscht haben. Ich drehe jedem den Hals um, der an Verrat denkt, oder der Mrothyr nur halbherzig hilft. Der alte Geist unserer Truppe soll noch einmal aufleben. Wir bringen Mrothyr in die STERNSCHNUPPE, und niemand wird das verhindern.« Jetzt sprangen alle von ihren Plätzen auf und schworen begeistert, ihrem ehemaligen Anführer zu helfen. »Du wirst sehen, daß uns das angenehme Leben nicht verdorben hat«, rief ein junger Mann. Er ballte beide Hände zu Fäusten. »Die Ligriden werden sich wundern. Wir werden dafür sorgen, daß du mit der STERNSCHNUPPE starten kannst.« Mrothyr war sich darüber klar, daß es einigen seiner ehemaligen Weggefährten darum ging, ihn loszuwerden. Sie sagen sich, daß ich keine Chance habe, jemals zurückzukehren, wenn ich Zyrph erst einmal verlassen habe, überlegte er. Und wenn ich nicht zurückkomme, wecke ich keine unangenehmen Erinnerungen an anstrengende und entbehrungsreiche Zeiten. Sie leben lieber in komfortablen Häusern als in irgendeiner Höhle. Sie werden nur noch einmal mit vollem Einsatz kämpfen, um mich in die STERNSCHNUPPE zu bringen. Danach sind sie für unsere Idee verloren.
* Scyarshraen zog den Schlapphut tief ins Gesicht, so daß seine Augen im Schatten lagen. »Es ist alles vorbereitet«, sagte er zur Mrothyr. Er führte den jungen Rebellen, Arishka, den Würger und den Hintergeher auf den Raumhafen zu. Nur wenige Stunden waren seit dem Besuch in dem Lokal vergangen. Mrothyr war entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Noch hatte er die anderen Freiheitskämpfer im Griff, doch wenn erst einmal ein neuer Tag angebrochen war, konnte der eine oder andere schwankend werden und ihn vielleicht doch verraten. »Wir werden versuchen, die Ligriden abzulenken«, fuhr Scyarshraen fort. »Ihr müßt versuchen, an Bord zu kommen, und ich würde euch empfehlen, euch dabei nicht allzuviel Zeit zu lassen. Alles in allem bleiben uns vielleicht ein paar Minuten.« Er blickte Mrothyr an. »Ich wünsche euch Glück.« »Danke.« Das Landefeld des Raumhafens lag in hellem Licht. Die STERNSCHNUPPE stand etwa einen Kilometer vom Rand des Raumhafens entfernt neben einem gigantischen zylinderförmigen Schiff, das von Robotern entladen wurde. Zahlreiche Ligriden bewegten sich zwischen den Lademaschinen. Sie waren bewaffnet. Ihre Helme glänzten im Licht der Scheinwerfer. Ein Teil der Güter wurde von dem zylinderförmigen Schiff zu einem Kugelraumer gebracht und von diesem aufgenommen. Der Transportweg dorthin wurde von Kampfrobotern abgesichert. »Wir vermuten, daß sich hochwertige Kampfgeräte in den Containern befinden. Wäre es nicht so, würden sie diese Verladung kaum so stark absichern.« »Das ist dumm«, bemerkte der Würger. »Da haben wir uns einen
ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht.« »Im Gegenteil«, widersprach Mrothyr. »Unsere Freunde werden eine Scheinattacke auf diesen Transport führen. Darauf werden die Ligriden sofort reagieren und Sicherheitskräfte von der STERNSCHNUPPE abziehen.« Eine Sirene heulte auf, und aus dem zylinderförmigen Raumer kamen zahlreiche Zyrpher hervor, die darin gearbeitet hatten. Vom Kontrollgebäude des Raumhafens her näherten sich mehrere Gleiter mit Zyrphern der nächsten Schicht. »Es hat geklappt«, sagte Scyarshraen befriedigt. »Seht ihr? Pleashcroyt ist in der ersten Maschine. Seine weiße Nase leuchtet bis hierher.« Sie standen hinter einigen abgestellten Containern am Rand des Landefelds, zusätzlich gedeckt durch einige Büsche. Etwa zwanzig Meter vor ihnen führte eine Steintreppe zu einem ausbetonierten Graben hinab, durch den sie etwa fünfhundert Meter völlig unbemerkt gegen die STERNSCHNUPPE vordringen konnten. Der Graben endete an einem unbewachten Antennenmast. »Los«, befahl Mrothyr. »Wir bleiben dicht beieinander.« »Und was ist, wenn wir getrennt werden?« fragte der Würger. Sein narbiges Gesicht glänzte fettig im Licht der zahlreichen Scheinwerfer. »Ich werde nicht als erster in die STERNSCHNUPPE gehen, weil ich keine Lust habe, verrückt zu werden. Mich wird das Raumschiff bestimmt nicht akzeptieren.« »Richtig«, bestätigte Mrothyr, während er vor den anderen die Steintreppe hinuntereilte. »Deshalb werdet ihr dafür sorgen, daß ich als erster ins Schiff komme.« Weit voraus bei dem zylinderförmigen Raumschiff explodierte ein Sprengsatz, und beim kugelförmigen Raumschiff fielen Schüsse. Eine Alarmsirene heulte auf. Mrothyr lief schneller. Er erreichte das Ende des Grabens und hastete die Treppe zum Antennenmast hinauf. Als er ihn erreichte, konnte er sehen, daß seine ehemaligen Mitkämpfer die Container überfallen hatten, die von dem
Zylinderschiff zum Kugelraumer transportiert wurden. »Die Ligriden greifen ein«, rief der Hintergeher. »Sie verhalten sich genauso, wie wir gehofft haben«, brüllte Scyarshraen. Die Ligriden, die sich bei der STERNSCHNUPPE aufgehalten hatten, rannten auf die Kämpfenden zu, und auch die Roboter bewegten sich in diese Richtung. »Wir können es schaffen«, rief Mrothyr. Er stürmte auf die STERNSCHNUPPE zu. In diesen Sekunden waren er und seine Begleiter vollkommen ungedeckt. Dennoch bemerkten die Ligriden sie erst, als sie das diskusförmige Raumschiff schon fast erreicht hatten. Einer von ihnen schoß mit einem Energiestrahler auf sie, doch die Reichweite der Waffe war zu kurz. Nur ein heißer Luftschwall schlug Mrothyr entgegen. Scyarshraen feuerte auf einen der Roboter, die vor der STERNSCHNUPPE wachten, und es gelang ihm, ihn auszuschalten. Dann aber rückten von allen Seiten Ligriden und Kampfmaschinen heran. Nur noch wenige Meter trennten Mrothyr von den Landestützen des Raumschiffs. Verzweifelt kämpfte er gegen einen Roboter an, der ihn mit seinen Stahlarmen umfangen wollte. Arishka half ihm. Sie sprang mit den Füßen voran gegen den Automaten und kippte ihn um. Mrothyr ergriff ihre Hand und rannte mit ihr zu der heruntergefahrenen Rampe an der Schleuse der STERNSCHNUPPE. Sie erreichten sie, und jetzt zögerte der junge Freiheitskämpfer. Er sah, daß der Würger und sein Hintergeher in einen hoffnungslos erscheinenden Kampf gegen eine Übermacht von Robotern und Ligriden verwickelt waren. »Weiter«, schrie Arishka. »Wir können keine Rücksicht auf sie nehmen.« »Nein, wir müssen ihnen helfen«, widersprach Mrothyr. Er wollte umkehren, doch in diesem Moment gelang es Lait und seinem Prerk, die Roboter und die Ligriden zur Seite zu stoßen und sich zur
Schleuse durchzukämpfen. Arishka riß sie mit sich in das Raumschiff hinein, und das Schott schloß sich hinter ihnen. »Schnell«, rief Mrothyr. Er eilte über einen Gang, der zum Zentrum des Schiffes führte. Jetzt wandte er sich an die STERNSCHNUPPE und sprach sie direkt an: »Wir müssen starten. Ich bin Mrothyr, ein Freund von Atlan. Er hat mir von dir erzählt, und er hat gesagt, daß du uns helfen würdest, wenn wir zu dir fliehen.« »Ich habe beobachtet, was geschehen ist. Ich starte«, antwortete die STERNSCHNUPPE. Arishka und Mrothyr fielen sich erleichtert in die Arme. Sie hörten, daß der Antrieb arbeitete, und sie spürten einen sanften Beschleunigungsdruck. »Danke«, sagte der junge Freiheitskämpfer. »Atlan hatte recht. Auf dich ist wirklich Verlaß.« »Geht jetzt weiter«, bat das Raumschiff. »In meinem Zentrum findet ihr alles, was ihr benötigt.« Ein Schott öffnete sich, und sie gingen hindurch. Sie hatten das Gefühl, es wirklich mit einem denkenden Wesen zu tun zu haben.
3. »Glaubst du, daß wir Zyrph verlassen können?« fragte Arishka, als sie den Kontrollraum des Schiffes erreicht hatten. »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte er. »Ich glaube, dies ist noch mehr als Neue Technik. Die STERNSCHNUPPE funktioniert auch ohne uns«, vermutete Lait. Die Zentrale war rund und hatte einen Durchmesser von etwa sechs Metern. Mrothyr ging zu einigen Monitoren, auf denen eine blau schimmerende Kugel zu sehen war. Diese wurde kleiner. Es sah aus, als ob sie sich rasch von ihr entfernten. »Was ist das?« fragte Arishka. »Bei allen Göttern, das ist Zyrph. Wir sind wirklich gestartet«,
antwortete Mrothyr. Er griff sich an den Hals und pfiff staunend. »Sieh dir das an, Arishka. Dieser kleine Ball ist Zyrph. Es ist der Planet, den wir eben verlassen haben.« Ihre Augen weiteten sich, und sie streckte haltsuchend eine Hand nach einem Sessel aus. »Glaubst du wirklich, daß wir schon so weit von Zyrph entfernt sind? Das kann doch nicht sein. Es gibt nichts, was so schnell ist.« Mrothyr lachte. »Offenbar doch.« Er hob den Kopf und blickte zur Decke hinauf. »Werden wir verfolgt, STERNSCHNUPPE?« »Drei ligridische Raumschiffe folgen uns in großem Abstand«, antwortete das Raumschiff. »Sie holen nicht auf?« »Nein.« »Seltsam«, murmelte Arishka. »Was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist es den Ligriden gelungen, irgendwelche Spiongeräte in der STERNSCHNUPPE unterzubringen, die ihnen ständig melden, wo wir uns befinden.« »Das ist ein Irrtum«, beteuerte das Raumschiff. »Es gibt keine solchen Geräte an Bord.« »Auf jeden Fall können sie uns orten«, stellte Arishka fest. »Das ist sicher.« »Sie können nicht schneller fliegen als wir, nicht wahr?« fragte der Würger. Er blickte Mrothyr flehend an. Ihm war anzusehen, daß er seine neue Umgebung noch nicht als Realität akzeptieren mochte. Sie erschien ihm gar zu phantastisch, so daß er sich wie in einem Traum wähnte. Mrothyr hob ratlos die Arme. »Ich war noch nie in einem Raumschiff«, erwiderte er. »Und ich kann auch nicht sagen, wie schnell die STERNSCHNUPPE ist. Wir werden das Schiff fragen.« »Das brauchst du nicht«, erwiderte die STERNSCHNUPPE bereitwillig. »Die ligridischen Schiffe sind nicht schneller als ich.
Außerdem fliegen wir zur Zeit noch mit Unterlichtgeschwindigkeit. Die Ligriden und ich können erheblich schneller sein. Du solltest mir dein Ziel angeben, damit ich einen entsprechenden Kurs anlegen kann.« »Den Kurs?« Mrothyr blickte Arishka unsicher an. So weit waren seine Pläne noch nicht gediehen. Er wußte nicht, welchen Kurs er angeben sollte, weil er sich über die nächsten Schritte noch gar nicht im klaren war. Bisher hatte er nur daran gedacht, wie er in die STERNSCHNUPPE kommen konnte. Alles, was danach folgen sollte, wollte er sich an Bord überlegen. Doch das mußte das Raumschiff nicht unbedingt wissen. Hat das Schiff eine echte Persönlichkeit? fragte er sich. Davon hat Atlan nichts gesagt. Oder doch? Er ließ sich in einen der Sessel sinken. Wenn das Schiff eine Persönlichkeit hat, wirft es uns womöglich hinaus, sobald wir eine falsche Entscheidung treffen oder unzutreffende Angaben machen. »Über den Kurs sprechen wir vorläufig noch nicht«, erklärte er mit lauter Stimme. »Ich will nicht, daß die Ligriden aus unserem Kurs irgend etwas über unser wahres Ziel herausfinden.« Wie berechnet man den Kurs im Weltraum? fragte er sich. Der Weltraum ist dreidimensional. Das ist eine ganz andere Navigation als auf dem Meer. Wie finde ich mich hier zurecht? Wie entkomme ich den Ligriden? Sie sind erfahrene Kosmonauten – ich nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich tun muß. Er erhob sich und ging einige Schritte in der Zentrale auf und ab. Nur der STERNSCHNUPPE gegenüber keine Schwäche zeigen, hämmerte er sich ein. Egal, ob sie Persönlichkeit hat oder nicht, sie darf nicht glauben, daß ich ihr unterlegen bin. »Geh auf Überlichtgeschwindigkeit«, befahl er. »Unser erstes Ziel ist es, die Ligriden abzuschütteln. Beobachte die Ligriden und melde es mir, wenn sie unsere Spur verloren haben.« Arishka ließ sich lächelnd in einen Sessel sinken. Sie hatte
begriffen, und sie vertraute Mrothyr. Der Narbige erkannte nicht, worum es ging. Hilfesuchend blickte er seinen Hintergeher an, stellte jedoch keine Fragen. Zehn Minuten verstrichen, ohne daß einer von ihnen ein Wort sagte. Dann erschien das normale Bild der Sterne auf den Bildschirmen, und die STERNSCHNUPPE teilte mit, daß sie in den Normalraum zurückgekehrt sei. »Die Ligriden?« fragte Mrothyr. »Sie sind noch immer hinter uns«, antwortete der Raumer. »Noch konnte ich sie nicht abschütteln.« Mrothyr fiel es wie Schuppen von den Augen. »Sie denken, daß ich weiß, wo Atlan jetzt ist«, sagte er leise. »Aber du weißt es nicht?« entgegnete Arishka. »Natürlich nicht. Woher auch?« Nachdenklich blickte er auf die Bildschirme. Er kannte sich in der Galaxis Manam-Turu kaum aus. Er hatte einige bescheidene Kenntnisse über die nähere Umgebung seines Heimatsystems, aber das war auch schon alles. Nur ein unwahrscheinlicher Zufall kann mich in diesen kosmischen Weiten zu dem Ort bringen, an dem Atlan sich aufhält – falls derArkonide überhaupt noch am Leben ist, überlegte er. Insofern kann es mir also eigentlich egal sein, ob die Ligriden uns folgen oder nicht. Ich werde Atlan auf keinen Fall durch meinen Kurs verraten. Ich könnte es gar nicht. Doch er haßte die Ligriden und wollte sie nicht in seiner Nähe wissen. Außerdem konnte der unwahrscheinliche Zufall möglicherweise doch eintreten, und er wollte unter allen Umständen vermeiden, Atlan durch irgendeine Nachlässigkeit zu gefährden. »Also gut«, sagte er zur STERNSCHNUPPE. »Wenn du die Ligriden nicht abschütteln kannst, werde ich es übernehmen.« »Einverstanden«, erwiderte das Raumschiff. »Was soll ich tun? Welchen Kurs befiehlst du?« Mrothyr gab der STERNSCHNUPPE nach kurzer Überlegung den Befehl zu einigen Manövern, bei denen diese nicht nur mehrmals
die Richtung, sondern auch die Geschwindigkeit ändern sollte. Es waren Manöver, die ein Mann wie Atlan sicher als naiv eingestuft hätte, die für einen raumunerfahrenen Mann wie Mrothyr aber doch ein erstaunliches Einfühlungsvermögen in die Problematik erkennen ließ. Die STERNSCHNUPPE führte die Manöver aus. Eine Stunde lang raste sie in wechselnde Richtungen durch den Kosmos, wobei sie mal mit Unterlichtgeschwindigkeit, mal mit Überlichtgeschwindigkeit flog. Die Ligriden aber schienen wie durch unsichtbare Fäden mit ihr verbunden zu sein. Sie blieben ihr beharrlich auf den Fersen. Mrothyrs Kenntnisse von der Raumfahrt und von der ligridischen Technik waren einfach zu gering, als daß er eine so schwierige Aufgabe hätte bewältigen können. »Wir sollten es gemeinsam versuchen«, schlug die STERNSCHNUPPE danach vor. »Wir könnten unsere Erfahrungen austauschen und kommen dann vielleicht zu einem bessern Ergebnis.« »Einverstanden«, erwiderte der Rebell sofort. Er diskutierte kurz mit dem Raumschiff, dieses führte einige weitere Manöver aus – und danach schmolz der Abstand zwischen ihm und den Verfolgern auf etwa die Hälfte zusammen. »Sie holen auf«, erkannte Arishka erschrocken. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Lait, warum sagst du nichts? Oder dein Hintergeher? Warum schweigt er? Ihr wollt doch auch nicht, daß die Ligriden uns erwischen.« »Natürlich nicht«, erwiderte der Würger. Er wandte sich an seinen Prerk und boxte ihm die Faust in die Seite, als könne er dessen Gedanken dadurch anregen. »Los doch, laß hören, was du denkst.« »Ich erinnere mich daran, daß der Würger vorschlagen möchte, in einem Sonnensystem Deckung zu suchen«, bemerkte der Hintergeher würdevoll. Er rückte seinen Hut zurecht, nachdem er mit diesem gegen die Decke gekommen war. »Genau das, und ich denke, das ist eine gute Idee«, bekräftigte der
Würger. Er richtete sich ein wenig höher auf und blickte Mrothyr triumphierend an. Er war überzeugt davon, daß er die Ideallösung für ihr Problem gefunden hatte, und daß sein Prerk seine Gedanken lediglich artikuliert hatte. Mrothyr wandte sich an die STERNSCHNUPPE. »Was hältst du von diesem Vorschlag?« fragte er. »Ich wollte gerade einen entsprechenden Versuch empfehlen«, erwiderte das Raumschiff. »Vielleicht können wir uns in dem Sonnensystem verstecken, das vor uns liegt.« Der Würger legte den Kopf in den Nacken und lachte lautlos. Die STERNSCHNUPPE ging für einige Sekunden auf Überlichtgeschwindigkeit, dann tauchte eine schwach leuchtende, rote Sonne auf den Bildschirmen auf. Sie wurde umgeben von Millionen und Abermillionen von Trümmerstücken zerborstener Planeten. Mrothyr, Arishka, Lait und sein Prerk sahen sich einem unübersehbaren Gewirr von Bruchstücken gegenüber. Nirgendwo schien ein Durchkommen möglich zu sein, und es schien, als rase die STERNSCHNUPPE direkt in ihr eigenes Verderben. Bei der atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der sie in dieses Sonnensystem vorstieß, schien es keine Ausweichmöglichkeit zu geben. »Ich werde eine falsche Spur legen«, verkündete das Raumschiff. »Die Ligriden werden sich täuschen lassen.« Es flog an Tausenden von Bruchstücken vorbei, die, einem geheimnisvollen Gesetz folgend, stets noch im rechten Moment vor ihm auswichen. Arishka und die drei Männer blickten auf die Bildschirme. Sie waren wie gelähmt, und sie glaubten, daß schon im nächsten Moment der tödliche Zusammenprall erfolgen mußte. Dann aber breitete sich hinter dem Raumschiff ein riesiger Feuerball aus. Es schien, als sei eines der Trümmerstücke explodiert. Im gleichen Moment verzögerte die STERNSCHNUPPE, änderte mehrmals den Kurs und landete dann auf einem Asteroiden. Sie sank in einen tiefen Spalt, in dem sie gegen Ortung weitgehend
geschützt war. »Jetzt können wir nur noch in aller Stille abwarten, ob die Ligriden auf meinen Trick hereingefallen sind oder nicht«, erklärte sie. Auf den Bildschirmen war nicht zu erkennen, wo ihre Verfolger waren. »Kannst du die Ligriden orten?« fragte Arishka. »Nein. Ich glaube, sie sind verschwunden«, erwiderte das Schiff. »Dafür haben wir es dann mit anderen zu tun«, bemerkte der Würger. Er deutete auf einen der Monitorschirme. Doch weder Mrothyr noch Arishka konnten etwas erkennen. »Ich sehe nichts«, sagte sie. »Da war eine Bewegung«, behauptete er. »Ich glaube, es war ein Roboter.« »Du irrst dich«, erklärte die STERNSCHNUPPE. »Ich habe alles unter Kontrolle. Niemand und nichts hält sich in meiner Nähe auf.« »Tja, Lait«, sagte der Hintergeher. »Du erinnerst mich an einen Freund von mir. Der hat einmal gesagt: Der Verstand ist unser größtes Vermögen, aber Armut schändet nicht.« Mrothyr, Arishka und der Würger blickten ihn verblüfft an. Dies war das erstemal, daß der Prerk sich provozierend über den Narbigen geäußert hatte. Bisher hatte er sich stets zurückgehalten und war meistens schweigend über das hinweg gegangen, was der Würger getan hatte. »Was willst du damit sagen?« stammelte Lait. »Du siehst Dinge, die nicht vorhanden sind«, erläuterte der Prerk. Seine Unterlippe sank schlaff nach unten, und seine Lider schlossen sich nahezu, als werde er von einer unwiderstehlichen Müdigkeit überfallen. »Ich erinnere mich an eine Sprache, in der man so etwas Delirium nennt.« Der Würger wollte sich auf den Prerk stürzten, doch Mrothyr trat ihm in den Weg. »Schluß jetzt«, befahl er. »Streitereien haben uns gerade noch gefehlt.«
»Ich bin sicher, daß ich mich nicht geirrt habe«, beharrte Lait auf seiner Aussage. »Du könntest einlenken«, sagte der Prerk. »Ich erinnere mich an einen Freund, der zur wahren Persönlichkeit wurde, als er lernte, seine Meinung zu ändern.« »Das brauche ich nicht«, fuhr der Würger auf. »Ich ändere meine Meinung nicht so ohne weiteres.« »Wenn du in den letzten Jahren nie deine Meinung geändert hast, dann fühle mal deinen Puls, vielleicht bist du schon tot.« Mrothyr staunte nur. »Was ist mit dir los, Prerk?« fragte er. »Warum provozierst du ihn?« »Weil die zweite Phase meiner Pflichten begonnen hat«, erläuterte der Hintergeher. »Die erste Phase, die der Stille, ist abgeschlossen.« Nie zuvor hatte er davon gesprochen, daß er andere Pflichten gegenüber dem Narbigen hatte, als unter allen Umständen und in jeder Situation hinter diesem zu bleiben und ihm den Rücken zu decken. Jetzt gab er zu erkennen, daß sein bisheriges Verhalten durch gewisse Vorschriften bestimmt gewesen war. »Dann befindest du dich nun also in einer anderen Phase«, stellte Mrothyr fest. »Wie heißt diese?« »Was reden wir über einen solchen Unsinn?« fragte Lait ärgerlich. »Wichtig ist doch allein, daß da draußen irgend etwas ist, das sich uns nähert. Warum hört ihr mir denn nicht zu?« »Weil die meisten Hühner schon als Eier in die Pfanne gehauen werden«, erwiderte der Hintergeher. »Warum sollte es mit deiner Meinung anders sein?« »Ich drehe dir den Hals um«, drohte Lait. »Das ist einem Würger durchaus angemessen«, lächelte der Prerk, der sich nicht im geringsten beeindruckt zeigte. »Da wir gerade von Hühnern sprechen – weißt du, was zuerst kam? Das Ei oder das Huhn?« Der Narbige stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Ich weiß wirklich nicht, warum ich dich mitgenommen habe«, stöhnte er. »Ich hätte dich den Ligriden überlassen sollen.« »Du willst es also nicht wissen?« »Das ist eine uralte philosophische Frage. Sie interessiert mich nicht.« »Schade.« »Und wenn du jetzt nicht endlich den Mund hältst, werfe ich dir bei der nächstbesten Gelegenheit ein paar Eier an den Kopf.« »Wer mit Eiern wirft, vergreift sich an ungeborenem Leben«, erwiderte der Hintergeher ungerührt. »… sagte mal ein Freund von dir«, lachte Arishka und fügte hinzu: »Hoffentlich wird das nicht noch schlimmer mit euch beiden.« »Ich habe es schwer mit ihm«, seufzte der Prerk. »Er begreift nichts.« Er schien kurz vor dem Einschlafen zu sein, und es hätte Arishka nicht überrascht, wenn er sich in einem Sessel zusammengerollt und die Augen vollends geschlossen hätte. »Ich möchte es wissen«, sagte sie. »Was?« Er blickte sie überrascht an. »Das mit dem Huhn und dem Ei. Was kam zuerst?« »Ich erinnere mich an einen Freund«, antwortete der Hintergeher, »der diese Frage geklärt haben wollte. Er ging in ein Restaurant, bestellte ein Ei und ein Huhn, lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte: Gleich werde ich wissen, was zuerst kommt – das Ei oder das Huhn.« Arishka lachte. Der Narbige aber fuhr zornig herum. »Da siehst du es«, sagte er. »Man darf sich gar nicht mit ihm befassen.« Er zuckte zusammen und beugte sich dann rasch über einen der Monitoren. »Da ist es wieder«, rief er. »Du hast recht«, meldete sich die STERNSCHNUPPE. »Es ist ein Roboter. Er kommt auf mich zu.«
Jetzt sahen die anderen die Maschine ebenfalls. »Und es sind noch mehr da«, triumphierte Lait. »Wenigstens sieben.« »Sie können nichts gegen mich ausrichten«, verkündete das Raumschiff. »Achtung – ich orte Raumschiffe.« Auf den Monitorschirmen erschienen zahllose kleine Reflexe. Sie Schossen zwischen den Trümmerstücken hervor und rasten an der STERNSCHNUPPE vorbei. Diese stieg einige Meter auf, so daß sie eine bessere Übersicht erhielt. Zugleich meldete sie, daß sie die Ligriden ortete. »Die kleinen Raumschiffe rücken gegen sie vor«, berichtete sie, und verdeutlichte mit einigen Ausschnittvergrößerungen, was geschah. Schwärme winziger Raumschiffe stürzten sich auf die ligridischen Raumer. Diese feuerten mit Energiekanonen, trafen jedoch nicht. »Die Winzlinge weichen aus«, stellte Lait verblüfft fest. »Aber das ist doch gar nicht möglich. Kein Mensch kann so schnell reagieren, daß er einem derartigen Feuer entgehen kann.« »Diese können es«, entgegnete der Prerk. Immer wieder rasten die kleinen Raumschiffe auf die Schiffe der Ligriden zu, erwiderten das Feuer jedoch nicht. Sie näherten sich ihnen und flogen, kurz bevor ein Zusammenprall unvermeidlich schien, an ihnen vorbei. Was sie mit diesem Manöver bezweckten, war nicht zu erkennen. Sie erreichten jedoch, daß die ligridischen Raumer plötzlich abbogen und sich entfernten. »Sie verschwinden. Sie lassen sich wirklich von diesen Kleinstraumern von der Jagd auf uns abbringen«, rief Arishka. »Ob sie glauben, daß die STERNSCHNUPPE zerstört wurde?« »Es sieht so aus«, sagte Mrothyr. »Nun gut, uns soll das nur recht sein.« »Die Verfolger haben sich zurückgezogen«, bestätigte das denkende Raumschiff einige Minuten später. »Sie sind im Hyperraum verschwunden.«
»Was wirst du jetzt tun?« fragte Mrothyr. »Ich starte. In diesem Trümmergebiet werden wir Atlan kaum finden.« »Einverstanden«, erwiderte der junge Rebell. »Von mir aus kann es sofort losgehen.« »Richtig«, stimmte der Hintergeher zu. »Immer nach dem Motto: Was du heute kannst besorgen, kannst du dir morgen vielleicht nicht mehr leisten.« »Ich lache übermorgen um fünf Uhr«, gab der Würger verärgert zurück. »Erinnere mich dran.« Mrothyr blickte auf die Monitorschirme. Das Bild, das sich ihnen bot, änderte sich nicht. »Du wolltest starten«, sagte er zu dem Raumschiff. »Worauf wartest du?« »Ich habe mehrfach versucht zu starten, aber es geht nicht«, erklärte die STERNSCHNUPPE. »Irgend etwas hält mich fest. Es tut mir leid. Ich habe auf volle Triebwerksleistung hochgefahren. Normalerweise hätten wir schon weit weg von diesem Asteroiden sein müssen.« Auf den Bildschirmen waren nun mehrere Roboter zu erkennen, die sich in der Nähe des Schiffes aufhielten. Sie hatten unterschiedliche Formen. Einige von ihnen glichen großen Käfern, andere kriechenden Kästen oder Röhren, und andere sahen aus wie Menschen, die in Ritterrüstungen steckten. »Ich werde das Schiff verlassen, um mit den Robotern zu reden«, sagte Mrothyr kurzentschlossen. »Das halte ich für zu gefährlich«, warnte die STERNSCHNUPPE. »Du solltest noch etwas abwarten, bis wir die Lage besser beurteilen können.« »Nein. Ich gehe jetzt.« »Und ich komme mit«, verkündete Arishka. Der Hintergeher rückte seinen röhrenförmigen Hut zurecht und strich dann mit den Fingerspitzen an der schmalen Krempe entlang,
um zu prüfen, ob seine Kopfbedeckung richtig saß. »Natürlich sind der Würger und ich dabei«, erklärte er. »Ich erinnere mich an eine unmißverständliche Äußerung dieses meines Herrn und Meisters.« Die Unterlippe hob sich, und gleichzeitig öffneten sich seine Augen. Mrothyr meinte, ein spöttisches Funkeln in ihnen zu sehen. »Bist du verrückt geworden?« stammelte Lait. »Wer trifft hier die Anweisungen? Du oder ich?« »Selbstverständlich du. Möchtest du lieber an Bord bleiben? Dafür habe ich Verständnis. Wer nachts gut schlafen will, muß tagsüber seine Ruhe haben. Nebenan sind Betten genug. Also – bis später. Ich freue mich auf das Gespräch mit dem Bewahrer der Macht.« Der Narbige zuckte zusammen, und seine Wangen wurden fahlgrau. »Was willst du ihm erzählen?« fragte er. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich sage ihm nur, daß du ständig geschlafen hast.« »Das ist nicht wahr. Ich bin nur im Tauchboot ein wenig zur Ruhe gekommen.« »Willst du mir nicht endlich erklären, was das alles bedeuten soll?« fragte Mrothyr. »Ich meine, Arishka und ich haben ein Recht darauf zu erfahren, um was es bei euch beiden geht.« »Dazu ist es noch zu früh«, lehnte Lait ab. »Habt noch etwas Geduld und schützt mich lieber vor diesem Menschen, der sich plötzlich benimmt, als wäre etwas oder jemand in ihn gefahren.« »Ich verhalte mich so, wie es die uralten Riten unseres Bergvolks vorschreiben«, behauptete der Hintergeher, »und ich sehe mich gezwungen, eine erste Warnung an dich auszusprechen, Lait. Beherrsche dich oder versuche zumindest, dies zu lernen.« Der Würger wurde noch um eine Nuance heller. Seine sonst fast schwarze Haut nahm eine graue Färbung an. Er senkte den Kopf, und plötzlich bildeten sich scharfe Linien von seinen Nasenflügeln herab zu seinen Mundwinkeln. Es war unübersehbar, daß ihn die
letzten Worte seines Prerk hart getroffen hatten. Mrothyr schloß aus seiner Reaktion, daß der Prerk keineswegs nur ein Diener des Narbigen war, sondern vor allem eine Art Wächter, der dessen. Verhalten zu beobachten und zu beurteilen, und der später dem Bewahrer der Macht darüber Bericht zu erstatten hatte. Von diesem hing fraglos das weitere Schicksal Laits ab. »Kommt«, sagte Mrothyr, der weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen wollte. »Wir sehen uns draußen um.« »Hört mir bitte zu«, rief die STERNSCHNUPPE. »Ich habe euch noch etwas zu sagen.« »Wir hören«, antwortete Mrothyr. »Seht auf die Bildschirme. Dort an der Felswand befindet sich ein Schott. Ich strahle es mit einem Scheinwerfer an.« »Ja, wir können es deutlich erkennen«, erwiderte der junge Freiheitskämpfer. »Ich halte es aufgrund verschiedener Beobachtungen für wahrscheinlich, daß man euch auffordern wird, durch dieses Schott in das Innere des Asteroiden zu gehen.« »In das Innere des Asteroiden? Und das sagst du uns erst jetzt? Es gibt also künstlich errichtete Anlagen mitten in diesem Felsbrocken«, tadelte Mrothyr. »Das macht es erst recht notwendig, daß wir uns hier umsehen.« »Ich habe es eben erst herausgefunden. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich einen Tunnel von der unteren Schleuse zu dem Schott legen, so daß ihr ohne Raumanzüge hinübergehen könnt.« »Das werden wir tun, wenn wir wissen, daß es im Innern des Asteroiden eine atembare Atmosphäre gibt«, kommentierte der Narbige. »Kluges Kind«, spöttelte der Hintergeher. »Das ist selbstverständlich«, entgegnete die STERNSCHNUPPE. »Eben das wird Lait auch noch begreifen.« Mrothyr beobachtete den Würger. Der ließ sich dieses Mal nicht provozieren. Seine Lider zuckten ein wenig. Ansonsten verriet
nichts an ihm, daß er die Worte seines Prerk gehört hatte. Dieser schien tatsächlich urplötzlich zu einer völlig anderen Persönlichkeit geworden zu sein. In den Tagen davor war er stets schweigsam gewesen und hatte sich nur sehr selten einmal geäußert. Er hatte den Eindruck erweckt, daß er gar keine eigene Meinung hatte. Das war jetzt ganz anders geworden. Von einer respektvollen Haltung dem Narbigen gegenüber konnte nicht mehr die Rede sein. »Kommt«, sagte Mrothyr. »Wir gehen zur Schleuse. Bis dahin weiß die STERNSCHNUPPE vielleicht schon etwas mehr.« Er ließ sich vom Raumschiff ein Funkgerät geben, das er am Handgelenk tragen konnte, und nahm noch einen Kombinationsstift mit, der in der Zentrale lag. In dem Stift war ein Hochleistungsrechner enthalten. Als sie an der Schleuse waren, meldete sich das Raumschiff erneut. Es teilte mit, daß ein Tunnel errichtete worden war, und daß Raumanzüge nicht erforderlich waren. Die Schleuse öffnete sich. Zwei humanoide Roboter standen davor. »Kommt«, sagte einer von ihnen. Er verneigte sich leicht und trat dann zur Seite, um sie vorbeizulassen. »Es ist alles für euch vorbereitet.« Mrothyr verließ das Schiff als erster. Die anderen folgten ihm. Sie gingen durch den schimmernden Energietunnel bis zu einer Schleuse hinüber. Diese schloß sich hinter ihnen, und Licht flammte auf. Überrascht blieben Arishka und die drei Männer stehen, als sich die Schleuse öffnete und sie in das Innere des Asteroiden sehen konnten. Vor ihnen lag ein hell erleuchteter Felsdom, in dem eine üppige Vegetation bis zur Decke hinaufwucherte. Im Schatten unter den Bäumen saßen und lagen zahlreiche Zyrpher und einige andere Wesen, wie sie ihnen noch nie zuvor begegnet waren. Niemand blickte auf oder erhob sich gar, um sie zu begrüßen. Für sie war es offenbar nicht sonderlich aufregend, daß Besucher gekommen waren.
»Ich hatte eine kalte und sterile Kunstwelt erwartet«, sagte die junge Frau leise. »Aber dies ist wie das Paradies.« Ein Roboter stolzierte heran. Er hatte vier spindeldünne Beine und sechs fingerdicke Arme, die jeweils in einem offenen Behälter endeten. Er neigte seinen Rumpf, der schlank wie ein Besenstiel war, wobei er die Behälter geschickt ausbalancierte, so daß nichts herausfallen konnte. Würdevoll streckte er Mrothyr einen Korb mit Früchten entgegen. »Seid mir willkommen«, sagte er mit hoher Stimme. Er konnte das »S« nicht sauber aussprechen. Es klang mehr wie ein »Sch«. »Eleyion bietet euch alles, was ihr zum Leben benötigt. Greift nur zu. Oder möchtet ihr lieber etwas zu trinken? Bier, Wein oder ein alkoholfreies Getränk? Oder würdet ihr es vorziehen, euch erst unter der Dusche zu erfrischen? Sagt nur, welche Wünsche ihr habt, wir werden sie euch erfüllen.« Bei den Worten »Dusche« und »Wünsche«, bei denen ein »Seh« angebracht gewesen wäre, sprach er ein scharfes »S« aus. Arishka nahm eine Frucht und biß hinein. »Sie schmeckt ausgezeichnet«, lobte sie. »Danke.« »Wir wollen uns zunächst nur einmal umsehen«, erwiderte Mrothyr. »Wir melden uns, wenn wir etwas möchten. Laß uns allein.« »Er sollte uns zu demjenigen bringen, der dafür verantwortlich ist, daß die STERNSCHNUPPE nicht mehr starten kann«, schlug der Würger vor. »Das hat Zeit«, wehrte Mrothyr ab. »Darüber reden wir später. Jetzt möchten wir allein sein.« »Wie ihr wollt.« Der Roboter verneigte sich abermals, wobei er sich so weit nach vorn beugte, daß es aussah, als werde er umkippen. Dann richtete er sich langsam auf, drehte sich um und stakste davon. »Wohin sind wir hier geraten?« fragte Arishka. »Ich hätte wirklich nicht gedacht, daß es im All so etwas gibt.«
Sie gingen bis zu einem kleinen Tümpel. Hier saßen mehrere kahlköpfige Zyrpher auf Bänken. Ihre Uniformen wiesen sie als Raumfahrer aus, die auf naldrynnischen Schiffen Dienst leisteten. Sie scherzten miteinander. Einer von ihnen deutete auf Arishka, und sie standen auf. Zwei von ihnen waren wenigstens 2,10 m groß. Sie hatten ausladende Schultern, und ihre Jacken schienen unter dem Druck der schwellenden Muskeln zu bersten. Sie kamen auf Arishka und die drei Männer zu. »Willkommen in Eleyion«, sagte einer von ihnen. Er zog seine Lippen weit über die Zähne zurück und entblößte dabei ein Gebiß, das noch erschreckender war, als das von Grüa gewesen war. Eine Kapuze bedeckte den haarlosen Schädel. Jetzt schob er sie grinsend bis in den Nacken zurück. »Kartrokraet ist mein Name«, sagte er und kam noch etwas näher heran. Mrothyr, Arishka und die beiden Bergbewohner konnten sehen, daß seine Wangen tätowiert waren. Haarfeine Striche liefen von den Mundwinkeln strahlenförmig zum Hinterkopf hin. Sie wiesen den Mann als Mitglied einer Gemeinschaft aus, die in der Überzeugung lebte, daß es auf Zyrph eine zweite, hochstehende Kultur gab. Die von ihnen gesuchten und bewunderten Zyrpher sollten angeblich auf dem Grund des Meeres oder sogar noch darunter verborgen sein, Mrothyr hatte die Theorien dieser Gemeinschaft nie als glaubhaft anerkannt. Er hielt sie schlicht für Unsinn. Er stellte sich und seine Begleiter vor. »Wir sind erst seit ein paar Minuten hier«, erläuterte er. »Wir konnten nicht wieder starten. Irgend etwas hat uns festgehalten.« Die anderen Zyrpher, die mit Kartrokraet unter dem Baum gelegen hatten, umringten sie. »Ich bin Youyühuin«, bemerkte der Mann, der zuerst mit Kartrokraet herangekommen war. Er hatte tiefliegende, ungewöhnlich kleine Augen, rissige Lippen und eine mächtige Nase, die ihm ein raubvogelähnliches Aussehen verlieh. Auf der
Stirn trug er einen golden schimmernden Metallstern, bei dem nicht zu erkennen war, wie er ihn an der Haut befestigt hatte. »Eine hübsche Puppe hast du da mitgebracht. Ich bin schon immer scharf auf Rothaarige gewesen.« Bei diesen Worten legte er Arishka den Arm um die Schultern und zog sie wild an sich, um sie zu küssen. Sie wehrte sich ebenso wütend wie vergeblich. Mrothyr wollte sich auf ihn stürzen, kam aber nicht an Kartrokraet vorbei. Dieser packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. Seine Faust flog auf den jungen Freiheitskämpfer zu und traf ihn am Kinn. Mrothyr stürzte benommen auf die Knie, versuchte jedoch sofort, wieder auf die Beine zu kommen. Kartrokraet rammte ihm das Knie mit aller Kraft gegen den Kopf und schleuderte ihn damit zurück. Auf seinen Befehl warfen sich die anderen Zyrpher auf Mrothyr, den Würger und den Prerk und schlugen auf sie ein. Gegen eine derartige Übermacht hatten diese keine Chance. Mrothyr spürte die Schläge am ganzen Körper, bis ihn ein weiterer Schlag am Kopf traf und er das Bewußtsein verlor. Als er wieder zu sich kam, schien es keine Stelle an ihm zu geben, die nicht schmerzte. Er lag bis zu den Hüften im Tümpel, und er sah den Würger und seinen Hintergeher, die zusammengekrümmt neben ihm kauerten. Beide bluteten im Gesicht und waren so mit Schrammen und Beulen überdeckt, daß er sie kaum erkannte. Arishka war nicht da.* »Was ist los?« keuchte Lait. »Warum haben sie das getan?« »Wo ist Arishka?« fragte Mrothyr, während er mühsam aus dem Tümpel kroch. »Sie haben mich mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten«, ächzte der Würger. »Und du hast es nicht verhindert.« »Wie hätte ich das tun können?« verteidigte sich der Hintergeher. »Hast du etwa nicht gesehen, daß sie auch über mich hergefallen sind?« Mrothyr hörte Arishka schreien. Er richtete sich auf und sah sich
um. Abermals rief sie seinen Namen. Er kämpfte sich hoch und ging mit unsicheren Schritten auf ein Gebüsch zu, aus dem die Rufe der jungen Frau gekommen waren. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Doch er gab nicht auf. Er hörte die Männer lachen. Arishka schrie noch einmal. Er drängte sich durch die Büsche. Dann sah er, daß Kartrokraet der jungen Frau die Kleider herunterriß. Sie kämpfte wild, konnte jedoch wenig gegen ihn ausrichten. »Schluß«, sagte Mrothyr. Plötzlich waren seine Kräfte wieder da. Er richtete sich hoch auf. Kartokraet und seine Männer brüllten vor Lachen. Sie drehten sich zu ihm um. »Seht euch diesen Burschen an«, brüllte Youyühuin. »Er glaubt doch tatsächlich, daß er uns aufhalten kann.« Doch plötzlich verstummte das Gelächter. Arishka konnte die Hände der Männer abschütteln. »Was ist los?« fragte Kartrokraet. Er blickte Mrothyr an. In dessen Gesicht hatte sich etwas verändert. Seine Augen waren dunkel geworden. Aus ihnen schlug Kartrokraet und den anderen etwas entgegen, was sie zutiefst erschreckte und sie vergessen ließ, daß sie in der Überzahl waren. Arishka flüchtete zu dem jungen Freiheitskämpfer. Sie knüpfte sich mit zitternden Händen die Bluse zu. »Verschwindet«, sagte Mrothyr, ohne die Stimme zu heben. »Geht mir aus den Augen.« Es war wie ein Wunder. Die Uniformierten beugten sich seinem Willen. »Man wird sich doch noch einen kleinen Spaß erlauben dürfen«, murmelte Kartrokraet. Er wirkte plötzlich hilflos, da er erkannte, daß er mit primitiver Gewalt allein nicht erreichen konnte, was er erhoffte. Er zog sich die Kapuze über den Kopf, so daß sie seine Augen beschattete. »Kommt, Leute.«
Die anderen Raumfahrer gehorchten ihm. Sie entfernten sich mit ihm, wobei der eine oder andere noch einen derben Scherz versuchte. Doch niemand lachte. »Es tut mir leid, Arishka«, sagte Mrothyr. »Das hätte nicht passieren dürfen.« »Sie haben uns überrumpelt«, erwiderte sie. »Wir konnten doch nicht damit rechnen, daß unsere eigenen Leute über uns herfallen.« Sie strich sich über das Haar, das sie offen trug und nur mit einigen türkisfarbenen Federn schmückte. Sie hatte eine etwas kantig wirkende Stirn, eine sanft nach oben geschwungene Nase, dünne Lippen und zierliche, außerordentlich scharfe Zähne. Einige blaue Polypen zierten ihre Wangen. Mit wachen Augen beobachtete sie den Würger, der sich ihnen mit schwerfälligen Schritten näherte. Ihm folgte der Hintergeher wie ein Schatten. Auch diesem war anzusehen, daß er noch immer unter den Folgen der Schläge litt. Lait hielt die würgenden Zähne zwischen den Händen. Immer wieder spannte er die Kette ruckartig an. »Ich freue mich darauf, sie Kartrokraet um den Hals zu legen«, sagte er mühsam. Seine Augen waren dick verquollen, und seine Lippen waren aufgerissen. »Er wird bereuen, uns so empfangen zu haben.« »Zunächst hatte ich den Eindruck, ein Paradies betreten zu haben«, seufzte Arishka enttäuscht. »Aber ich scheine mich gründlich geirrt zu haben.« Die anderen Zyrpher, die sich in der Nähe aufhielten, blickten gleichgültig zu ihnen herüber. Niemand schien Anstoß an dem Überfall genommen zu haben. Lediglich ein jugendlicher Zyrpher interessierte sich für sie. Er zog das linke Bein leicht nach. Auch er trug die Uniform der Raumfahrer, sie war ihm jedoch zu groß. Er mußte sie von einem Erwachsenen bekommen haben. »Kann ich euch helfen?« fragte er. »Alle, die hier ankommen, werden von Kartrokraet und seinen Freunden in dieser Weise
empfangen. Ich finde das nicht in Ordnung.« »Wir brauchen Medikamente und irgend etwas, womit wir die Wunden verschließen können«, erwiderte Arishka, die sofort Zutrauen zu dem Jungen faßte. »Ich weiß, wo es so etwas gibt«, antwortete er. »Kommt. Ich führe euch hin.« Er blickte sie ängstlich forschend an. Er hatte Angst, abgewiesen zu werden. »Ihr könnt euch natürlich auch an einen Roboter wenden.« »Wir lassen uns nicht so gern von Robotern bedienen«, erwiderte Mrothyr. »Ich glaube nicht, daß sie uns immer das geben, was wir wirklich wollen.« »Genauso ist es«, bestätigte er und lachte. Er eilte ihnen hinkend voraus und führte sie quer durch die parkähnliche Landschaft zu einem Gang, von dem mehrere Türen abzweigten. Er öffnete eine von ihnen. »Hier ist alles vorhanden, was ihr benötigt«, erklärte er und lachte erneut. »Ihr seid nicht die ersten, die ich hierher bringe.« Mit begehrlich leuchtenden Augen blickte er auf den Kombistift, den Mrothyr aus der STERNSCHNUPPE mitgenommen hatte und jetzt in einer Brusttasche trug. Der junge Freiheitskämpfer bemerkte es. Lächelnd zog er den Stift aus der Tasche und hielt ihn dem Jungen hin. »Willst du?« fragte er. »Es ist Neue Technik.« »Neue Technik ist spitze«, erwiderte der jugendliche Zyrpher. Er nahm den Stift und strich vorsichtig mit den Fingern darüber hinweg. »Danke.« Er wollte den Raum verlassen, doch Lait hielt ihn rasch fest. »Moment mal, Junge«, sagte er. »Du könntest uns erzählen, was hier eigentlich los ist. Wieso sitzen hier so viele Zyrpher herum, ohne irgend etwas zu tun?« »Ihr wißt es wirklich nicht?« fragte er. »Wir haben keine Ahnung«, beteuerte Mrothyr, während er sich
eine Salbe aus einem Schrank nahm, mit der er die Schwellungen im Gesicht behandeln konnte. »Wir wären dir dankbar, wenn du uns ein paar Informationen geben könntest.« »Der Asteroid ist eine Falle«, erwiderte der Junge. »Wir haben alle eines miteinander gemeinsam. Zyrpher, Daila und wer sonst noch hier gefangen ist. Wir sind alle in die Nähe dieses Asteroiden gekommen und dann von den Robotern einkassiert worden. Die Zahl der Gefangenen wächst. Zugegeben, sehr langsam und in großen Abständen, aber sie wächst. Es ist bis jetzt noch niemandem gelungen, diesen Asteroiden wieder zu verlassen.« »Aber ihr scheint nicht schlecht zu leben«, bemerkte der Hintergeher. »Ganz und gar nicht«, bestätigte der Junge grinsend. »Wir können hier so ziemlich alles haben, was wir wollen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn ihr zum Beispiel zeitgenössische zyrpherische Musik hören wollt, nach Waffen fragt oder frischen Laich von Seespinnen verlangt, passen die Roboter. Aber sonst geht alles recht gut.« Er wollte den Raum verlassen, doch Mrothyr rief ihn zurück. »Nicht so schnell«, bat er. »Du hast uns noch nicht gesagt, wessen Gefangene wir eigentlich sind.« »Wessen Gefangene?« Er zuckte mit den Schultern. »Das weiß niemand von uns.« »Wie lange bist du schon hier?« wollte Arishka wissen. »Zwei Jahre.« »Und während dieser ganzen Zeit hat sich derjenige niemals gezeigt, der dich und die anderen hier festgesetzt hat?« »Nicht ein einziges Mal.« »Aber ihr habt versucht, das herauszufinden?« fragte der Prerk. »Natürlich, aber das hat noch keiner geschafft.« »Es ist nicht zu glauben«, staunte Mrothyr. »Jemand hält uns gefangen, aber er zeigt sich uns nicht. Er sagt nicht, weshalb er uns nicht freigibt, oder was er mit uns vorhat.«
»Richtig«, bestätigte der Junge. »Dieser Unbekannte schweigt. Er hat immer geschwiegen. Ich kenne einen Naldrynnen, der seit vierunddreißig Jahren hier lebt.« »Er war der erste, der gefangengenommen wurde?« fragte der Würger. »Nicht der erste«, widersprach der Junge. »Vor ihm sind viele andere hier gewesen. Niemand weiß genau, wie lange diese Falle schon existiert. Wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren. Der Naldrynne ist nur derjenige, der am längsten hier ist.« »Vierunddreißig Jahre«, stöhnte Arishka. »Ich glaube, das würde ich nicht überleben.« »Die Rate derer, die freiwillig aus dem Leben scheiden, ist hoch.« Der junge Zyrpher blickte Arishka bewundernd an. »Du siehst aber nicht wie jemand aus, der so ohne weiteres aufgibt.« »Hat es nie Kämpfe gegeben?« erkundigte sich Mrothyr. »Die Gefangenen müssen sich doch gewehrt haben. Hat niemals jemand versucht, von hier wegzukommen?« »Ganz sicher«, antwortete der Junge. »Ich kann mich nicht daran erinnern, daß so etwas passiert ist, aber die anderen erzählen davon. Nur ist eben jeder Aufstand sinnlos.« »Wie kannst du das schon vorher sagen?« erregte sich der Würger. »Der Mißerfolg steht vorher fest.« »Aber das ist doch Unsinn«, protestierte der Narbige. »Wirklich? Hast du vergessen, daß auch ihr nicht wieder mit eurem Raumschiff starten konntet, nachdem ihr erst einmal gelandet wart.« »Nein. Natürlich nicht.« »Zerstört ruhig alle Roboter, die ihr hier finden könnt. Und dann lauft zu eurem Raumschiff. Ich bin sicher, daß ihr bald zurückkommen werdet, weil ihr doch nicht starten könnt.« Der Würger verfärbte sich. Er ließ sich auf einen Hocker sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Sein Hintergeher schüttelte verzweifelt den Kopf. Arishka und Mrothyr blickten sich an. Sie
begriffen, daß sie für den Rest ihres Lebens an diesen Asteroiden gebunden sein würden, wenn ihnen nicht gelang, woran eine unabsehbare Zahl von Gefangenen vorher gescheitert war. Der Junge lachte. »Jetzt seid ihr ganz schön geschafft«, sagte er belustigt. »Aber tröstet euch. Das gibt sich.« Er wandte sich abermals zum Gehen, doch Mrothyr hob rasch eine Hand und hielt ihn dadurch zurück. »Eine Frage noch: Wer ist Kartrokraet, und was treibt er hier?« »Kartrokraet ist der Chef von Eleyion«, erwiderte der Junge bereitwillig. »Er hat die Macht. Nach seiner Pfeife hat sich alles zu richten. Jeder Neuling wird von ihm und seinen Männern erst einmal verdroschen. Die Frauen werden in anderer Weise begrüßt. Glaube nur nicht, daß sie es schon hinter sich hat, nur weil ihr es dieses Mal verhindern konntet. Kartrokraet zwingt jeden Neuen in die Knie, und wer die Knie nicht beugen will …« Er fuhr sich in einer unzweideutigen Geste mit dem Zeigefinger quer über die Kehle. »Ich begreife das nicht«, stammelte Arishka, der anzumerken war, wie entsetzt sie über diese Eröffnung war. »Wozu das alles? Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist Kartrokraet ein Gefangener wie wir auch. Er kann von den Robotern alles haben, was er braucht. Wozu also ein solcher Machtkampf?« »Er war Kommandant eines Handelsschiffs«, erläuterte der Junge. »Er braucht die Macht wie andere das Wasser zum Trinken.« Er blickte Mrothyr an, und sein Lächeln erstarb. »Du hast Kartrokraet eine Niederlage beigebracht«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie du es gemacht hast, aber alle haben gesehen, daß er vor dir zurückgewichen ist. Das wird er dir nie verzeihen, und er wird sich auch nicht damit zufriedengeben, daß du dich ihm unterwirfst.« »Was willst du damit sagen?« fragte Arishka. »Er wird ihn töten«, erklärte der Junge. »Das ist so sicher wie
dieses Gefängnis.« Er warf den Kombinationsstift in die Luft und fing ihn wieder auf. »Neue Technik ist wirklich klasse. Schade, daß es hier so wenig davon gibt.« Er drehte sich um und eilte hinkend davon. Mrothyr lehnte sich gegen einen Medizinschrank. »Das hört sich nicht gerade gut an«, stellte er fest. »Wir werden uns also etwas einfallen lassen müssen.« Der Würger spannte seine Kampfkette zwischen den Händen. »Ich werde eher sterben als die Knie vor diesem Lumpen beugen«, erklärte er. »Er soll sich nicht einbilden, daß ich ihn anerkenne«, fügte der Hintergeher hinzu. »Mag sein, daß Kartrokraet sich bisher stets durchsetzen konnte. Bei mir wird ihm das jedoch nicht gelingen.« »Und bei mir schon gar nicht«, bekräftigte Arishka ihre Ablehnung. »Dann sind wir uns ja einig«, sagte Mrothyr befriedigt. »Wir haben zwei Ziele. Wir müssen herausfinden, wer uns hier eigentlich gefangenhält, und wir müssen jene Maschine zerstören, die es der STERNSCHNUPPE unmöglich macht, den Asteroiden wieder zu verlassen.« »Wenn wir das erreichen wollen, benötigen wir einen erstklassigen Informanten«, entgegnete der Prerk. Gelassen rückte er seinen röhrenförmigen Hut zurecht, der bei der Schlägerei nur wenig gelitten hatte. »Den besten«, stimmte Mrothyr zu. »Und das kann nur der Naldrynne sein.« Lait fuhr empört auf. »Du willst mit einem Naldrynnen zusammenarbeiten?« entfuhr es ihm. »Ich wußte doch, daß du ein Verräter bist.«
5.
Der Naldrynne war etwa 60 Zentimeter groß und fast ebenso breit. Er war über und über mit einem dichten, silbernen Pelz bedeckt, der an den Schultern und den Unterarmen besonders lang war. Er kauerte auf seinen vier kurzen Beinen und stützte sich mit seinen Armen auf dem Boden ab. Die beiden Augen wirkten noch wesentlich größer als bei einem jüngeren Naldrynnen, und sie waren nicht mehr pechschwarz, sondern grau. Der dreieckige Mund – dessen Spitze nach unten wies – stand offen. Der Alte kauerte unter einem Baum. Hinter ihm erhob sich eine einfache Hütte. Durch die Tür und die Fenster konnte Mrothyr einige bescheidene Einrichtungsgegenstände sehen. Der Naldrynne blickte Mrothyr abweisend an. Dieser mußte sich überwinden, mit einem Vertreter des Volkes zu reden, das er mehr haßte als jedes andere. Die Naldrynnen hielten Zyrph besetzt. Sie trieben Handel mit Zyrph, aber dieser war allzu einseitig, da lediglich die Naldrynnen Gewinne daraus bezogen, währen die Zyrpher ausgeplündert wurden. »Was wollt ihr von mir?« fragte der Naldrynne, bevor Mrothyr oder einer seiner Begleiter noch etwas hätte sagen können. »Siehst du?« Lait lachte wütend auf. »Glaubst du wirklich, daß man mit so einem reden kann? Das ist doch völlig aussichtslos.« Mrothyr ließ sich nicht beeindrucken. Er setzte sich dem Naldrynnen gegenüber auf den Boden und blickte ihn an. »Du bist schon lange hier in diesem Asteroiden«, begann er. »Wenn meine Informationen richtig sind, seit mehr als dreißig Jahren.« »Man hat dich nicht angelogen«, erwiderte der Alte. Seine Augen verengten sich, und die Ablehnung in ihnen wurde noch ausgeprägter. »Und wenn meine Informationen richtig sind, dann bist du noch nicht einmal eine Stunde hier.« »Das stimmt.« »Was fällt dir ein, unter diesen Umständen zu mir zu kommen?«
fauchte der Naldrynne ihn an. »Mir ist selten jemand begegnet, der derart überheblich ist. Verschwinde. Ich will nichts mit dir zu tun haben.« Mrothyr erkannte, daß es sinnlos war, noch länger mit dem Alten zu reden. Er war erfahren genug, um zu wissen, daß ein solches Gespräch mit einer Zustimmung beginnen mußte, wenn es Erfolg haben sollte. Am Anfang dieses Dialogs aber stand ein klares Nein, und er wußte, daß er diese Ablehnung jetzt nicht mehr überwinden konnte. Er mußt einen günstigeren Zeitpunkt abwarten. Er erhob sich. »Dreißig Jahre sind eine lange Zeit«, stellte er fest. »Für manche eine zu lange Zeit, und für einen Naldrynnen wohl ein ganzes Leben. Ich werde dich nicht noch einmal belästigen, Alter. Du könntest das Licht der Sterne ohnehin nicht ertragen.« Er wandte sich ab und entfernte sich einige Schritte. »Warte«, rief der Naldrynne mit schriller Stimme. »Wenn du mir etwas mitzuteilen hast, Alter, dann laß es mich wissen«, entgegnete Mrothyr. »Du wirst sicher jemanden finden, der dich zu mir führt.« »Du wirst zu mir kommen. Morgen. Um die gleiche Stunde.« Mrothyr ging weiter, ohne den Alten zu beachten. »Kompliment«, sagte der Hintergeher. »Jetzt hast du schon zwei Feinde, die dir bei der ersten besten Gelegenheit ein Messer in den Rücken rammen werden. Wenn du so weitermachst, wird sich das auf deine Lebenserwartung auswirken.« Der Junge tauchte plötzlich vor ihnen auf. Er wirbelte den Kombinationsstift in den Händen herum. »Nicht sehr freundlich der Alte, was?« grinste er. »Das kann man wirklich nicht sagen«, seufzte Arishka. »Ich habe einen Tip für euch«, sagte der Junge. »Vielleicht gibt es jemanden, mit dem ihr reden solltet.« »Wer ist das? Und wo ist er?« fragte Mrothyr. »Gibst du mir das Funkgerät, das du am Arm hast?«
»Gern, aber erst, wenn wir bei demjenigen sind, zu dem du uns bringen willst. Und dann möchte ich wissen, wie du heißt.« »Ich bin Trammeryawn«, antwortete der Junge. Er zeigte zur gegenüberliegenden Wand des Felsdoms hinüber. »Und er ist da drüben.« Er lachte vergnügt. »Er bastelt gerade an etwas herum. Wenn die Roboter ihn dabei erwischen, nehmen sie ihm alles weg. Kommt. Ich glaube nicht, daß er überrascht ist, wenn wir bei ihm auftauchen.« Er führte Mrothyr, Arishka, Lait und den Prerk an einer Gruppe von steil aufsteigenden Felsnadeln vorbei, die sich mitten in dem Gewölbe zwischen üppig grünenden Büschen erhoben. Dabei zeigte er lässig auf die Felsen. »Wenn ihr mich mal sucht«, sagte er, »findet ihr mich da drinnen.« »Wie viele Gefangene leben hier eigentlich?« fragte Arishka. »Genau weiß ich es nicht«, antwortete er. »Ich schätze es sind achtoder neuntausend.« Mrothyr blieb stehen. Er glaubte, sich verhört zu haben. Der Felsdom hatte an seiner Basis einen Durchmesser von etwa hundert Metern. Auf einer so kleinen Fläche konnten unmöglich so viele Gefangene leben. »Das kann nicht sein, Trammeryawn«, sagte er. »Wo sollten die wohl sein?« Der Junge lachte. »Oh, dies ist nicht die einzige Höhle. Dies ist nur eine von vielen. Der Asteroid ist vollkommen hohl. Jemand hat mal gesagt, er sieht von innen aus wie ein Schwamm. Eine Höhle schließt an die andere an. Ich habe sie nicht gezählt, aber es müssen wenigstens fünfzig Höhlen sein.« Eine zierliche, humanoide Gestalt näherte sich ihnen. Sie kam aus einer Gruppe von blühenden Büschen hervor. Sie war nur etwa 1,60 m groß und hatte tiefschwarzes Haar, das ihr bis weit über den Rücken herabreichte. Es stand in einem lebhaften Kontrast zu der
leicht gebräunten Haut. Auffallend an diesem Wesen waren die Augäpfel, die bläulich schimmerten und die silbrig glänzenden Fingernägel. »Das ist ein Daila«, sagte Mrothyr leise. »Ich bin noch nie einem von ihnen begegnet, aber ich habe von ihnen gehört.« »Es heißt, daß sie genau wissen, was wir empfinden«, fügte Arishka ebenso leise hinzu. »Ist das der Mann, zu dem du uns führen wolltest?« fragte der Prerk Trammeryawn. »Ja, er ist es«, antwortete der Junge. »Er heißt Taduk, und wie ihr seht, ist er nicht überrascht.« Der Daila blieb vor ihnen stehen. Er lächelte. »Ich habe von euch gehört«, sagte er. »Und da ihr ausseht, als wärt ihr vor kurzem verprügelt worden, seid ihr wohl die Neuen.« »Das sind wir«, erwiderte Mrothyr und stellte seine Begleiter und sich vor. Wortlos reichte er dem Jungen das Funkgerät, als dieser die Hand danach ausstreckte. »Können wir miteinander reden?« »Ich habe den Eindruck, daß es dich mit aller Macht nach draußen drängt«, erklärte der Daila, dessen offenes und sympathisches Wesen Mrothyr sofort einnahm. »Du scheinst ein Mann zu sein, dem die Freiheit seiner Heimat über alles geht.« »Er weiß wirklich, was du empfindest«, wisperte Arishka. »Setzt euch«, bat der Daila und ließ sich zugleich ins Gras sinken. »Möchtet ihr irgend etwas haben? Ich bestelle euch, was ihr wollt. Es redet sich besser, wenn man etwas dabei ißt und trinkt.« »Recht hat er«, stimmte der Würger zu. »Jetzt habe ich Hunger. Ich könnte ein halbes Rind vertilgen.« »Also schön«, stimmte Mrothyr zu, während er sich ebenfalls auf den Boden setzte. »Eine Kleinigkeit kann nicht schaden.« Taduk klatschte in die Hände und rief dadurch einen Roboter herbei. Diesem gab er eine detaillierte Bestellung auf. »Ich habe gehört, daß ihr versucht habt, mit dem Alten zu reden«, sagte er, als sich die Maschine entfernt hatte, um die Speisen und
Getränke zu holen. »Du scheinst gut informiert zu sein«, entgegnete Mrothyr. »Information ist das halbe Leben«, lächelte der Daila. In seinen Augen funkelte ein geheimnisvolles Licht. »Meine Freunde sehen sich in den Höhlen um, und sie sagen es mir, wenn neue Gefangene ankommen. Sie haben mir erzählt, daß ihr zu dem Alten gegangen seid. Es hat keinen Sinn, mit ihm zu reden. Niemand ist länger in diesem Asteroiden als er. Angeblich hat er früher ständig versucht, von hier zu entkommen. Da es ihm nicht gelungen ist, will er auf keinen Fall, daß ein anderer erfolgreicher ist als er. Er ist an seiner eigenen Phantasielosigkeit gescheitert. Er weiß es, aber er will es sich von niemandem unter die Nase reiben lassen.« »Dann wird er uns also nicht sagen, wo wir bei einer Flucht ansetzen können«, stellte Mrothyr fest. »Aber ich könnte euch einige Vorschläge machen, wenn ihr daran interessiert seid«, erwiderte Taduk. »Ich werde unter gar keinen Umständen hier bleiben. Ich will nach Aklard zurück, woher ich gekommen bin. Dorthin zieht es mich mit aller Macht. Meine Heimatwelt ist in Gefahr, und ich werde alles tun, um ihr zu helfen.« »Dann empfindest du für Aklard so wie ich für Zyrph.« »Zur Sache«, drängte der Würger. »Honig könnt ihr euch auch später noch um den Bart schmieren.« »Ja, du hast recht«, stimmte der Daila zu. Er fühlte sich durch die derben Worte des Narbigen nicht beleidigt. »Haben die meisten Gefangenen aufgegeben?« fragte Arishka. »Eigentlich müßten doch alle damit beschäftigt sein, einen Ausweg zu suchen.« »Sind sie aber nicht«, entgegnete Taduk. »In dieser Höhle geht es ruhig zu, aber so ist es nicht überall. In anderen wird gefeiert. Jeder kann soviel essen und trinken wie er will, und es gibt viele, die diese Tatsache bis zum äußersten ausnutzen.« »Viele Gefangene wollen also gar nicht mehr weg?« vergewisserte
sich der Hintergeher. »Genauso ist es«, bestätigte Taduk. Vier Roboter kamen und brachten die bestellten Speisen und Getränke. Mrothyr probierte zurückhaltend, mußte dann aber zugeben, daß alles schmackhaft zubereitet worden war. »So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen«, lobte Lait. Er verschlang Unmengen von gegrilltem Fleisch. »Das Essen ist vorzüglich«, erläuterte Taduk. »Und die Getränke sind es ebenfalls. Das ist der Grund dafür, daß viele nie mehr weg wollen. Sie behindern diejenigen sogar, die auszubrechen versuchen, weil sie Angst haben, daß dadurch ihr Paradies zerstört werden könnte.« »Wo sind die Stellen, an denen ein Ausbruch möglich sein könnte?« »Alle Höhlen sind durch eine Reihe von Durchgängen miteinander verbunden. Aber die sind uninteressant für uns. Wichtig sind nur die Passagen, die zu dem für uns verbotenen Bereich führen. Diese Höhle hat zwei. Eine geht hinaus zu dem Raumschiff, mit dem ihr vermutlich gekommen seid.« »Und die andere?« fragte Arishka. Der Daila zeigte zu einer Stelle an der Felswand des Gewölbes hinüber, an der grünes Licht über den Bäumen schimmerte. »Sie liegt dort.« Trammeryawn erhob sich. Er wirbelte den Kombinationsstift in die Luft und fing ihn wieder auf. »Ich kenne das alles schon«, sagte er. »Ich verschwinde.« Damit schlenderte er davon. »Was hat es mit diesem Durchgang dort auf sich?« fragte Mrothyr. »Was schimmert da so grün?« »Ein Desintegratorfeld«, erklärte der Daila. »Damit ist der Gang abgesichert, durch den die Roboter hereinkommen und wieder verschwinden. Kommt. Ich zeige es euch.« Sie erhoben sich und gingen zur Felswand hinüber. Sie öffnete sich
zu einem etwa drei Meter hohen Durchgang, in dem es grün leuchtete. »Neue Technik«, bemerkte der Narbige. »Daran kommen wir nicht vorbei.« Taduk bückte sich und nahm einen Stein auf. Er warf ihn in das grüne Feld. Der Stein löste sich in Bruchteilen von Sekunden vollständig auf. »Dieses Desintegratorfeld ist ein beliebtes Ziel für Selbstmordkandidaten«, fuhr Taduk fort. »Wer das gute Leben im Asteroiden nicht mehr ertragen kann und aus dem Leben scheiden will, rennt hinein. Ich habe mehrere gesehen, die es getan haben. Es ist ein schneller, schmerzloser Tod.« Arishka wandte sich erschauernd ab. »Hier kommen wir also auf keinen Fall durch«, bemerkte Mrothyr, während sie zu ihren Speisen und Getränken zurückkehrten. »Und wie ist es mit den Felswänden? Hat schon mal jemand versucht, sich durchzugehen?« »Aussichtslos. Ich habe selbst auch an diesen Fluchtweg gedacht. Ich habe die Felsen an mehreren Stellen aufgestemmt. Man kommt ungefähr zwei Zentimeter weit, dann erscheint aus dem Nichts heraus dieses grüne, materievernichtende Feld und frißt das Werkzeug auf. Geht man durch den Boden, erscheint dieses Feld erst nach etwa drei Metern.« »Und an der Decke?« fragte Lait. »Nach zwei Zentimetern«, antwortete der Daila. Arishka ließ sich niedergeschlagen ins Gras sinken. »Dann ist es also aussichtslos?« »Natürlich habe ich auch andere Höhlen untersucht. Ich habe mit anderen Gefangenen zusammengearbeitet. Nirgendwo haben wir eine Stelle gefunden, die nicht durch das grüne Feld gesichert ist.« »Und die Roboter?« fragte der Prerk. »Was ist mit den Robotern? Wie kommen die hindurch?« »Für sie werden Strukturlücken geschaffen«, erläuterte der Daila.
»Diese sind den Robotern konturengenau angepaßt und wandern mit ihnen mit durch den Gang. Niemand könnte den Robotern folgen, ohne getötet zu werden, und mir ist noch keiner begegnet, der ein solches Energiefeld neutralisieren konnte.« »Es gibt also niemanden unter den Gefangenen, der sich wirklich mit der Neuen Technik auseinandersetzt?« fragte der Würger. »Nur der alte Naldrynne kennt sich in der hochentwickelten Technik aus«, erwiderte der Daila. »Niemand weiß so viel wie er. Man hat mir von zahllosen Maschinen berichtet, die er gebaut hat, mit denen er sich aber dennoch nicht befreien konnte.« »Dann sind wir erledigt«, resignierte der Narbige. Er ließ sich auf den Rücken fallen und verschränkte die Arme unter dem Kopf. »Wir könnten zum Raumschiff zurückgehen«, schlug Arishka vor. »Ohne Raumanzug?« fragte Taduk lächelnd. »Das Schiff hat einen Energietunnel errichtet. Wir konnten hindurchgehen, ohne einen Raumanzug zu benutzen.« »Dann geh davon aus, daß dieser Tunnel nicht mehr existiert. Und selbst wenn er noch da wäre, würde das an der Situation nichts ändern. Das Raumschiff kann nicht starten.« »Gibt es denn gar keine Möglichkeit?« fragte Arishka verzweifelt. »Denke darüber nach«, empfahl Taduk. »Der alte Naldrynne bemüht sich seit dreißig Jahren, ohne je auf den erlösenden Gedanken gekommen zu sein.« »Ich gebe nicht auf«, sagte Mrothyr. »Und wenn es noch so aussichtslos aussieht. Ich gebe nicht auf.« »Ich auch nicht«, schwor Taduk. »Vielleicht können wir gemeinsam etwas erreichen. Wir sollten uns jedoch beeilen, denn viel Zeit bleibt uns nicht.« »Der Alte hat dreißig Jahre lang Zeit gehabt«, wunderte der Hintergeher sich. »Warum sollten wir keine Zeit haben?« »Weil es da noch zwei Zyrpher namens Kartrokraet und Youyühuin gibt«, erwiderte der Daila. »Sie werden euch Schwierigkeiten machen.«
* Mrothyr und Arishka saßen etwa zehn Meter von dem grün schimmernden Durchgang entfernt. Sie waren froh, einmal für einige Zeit allein miteinander zu sein. Lait und sein Hintergeher hatten sich nach dem Essen unter einen Busch gelegt, um zu schlafen. Taduk war in eine der anderen Höhlen gegangen. Er hoffte, eine oder mehrere Waffen besorgen zu können, damit sie einem Angriff Kartrokraets nicht völlig hilflos ausgeliefert waren. »Was tun wir, wenn Kartrokraet mit seinen Leuten schon vorher kommt?« fragte die junge Frau. »Ich habe nicht vor, mich auf einen Kampf mit ihm einzulassen«, eröffnete er ihr. »Auch später nicht. Wir müssen uns ganz darauf konzentrieren, wie wir diesen Asteroiden verlassen können.« »Du willst ihm also ausweichen?« »Genau das. Eine andere Wahl haben wir nicht. Erst wenn sich zeigen sollte, daß wir hier wirklich bis zum Ende unserer Tage gefangen sind, werden wir ihn in seine Schranken verweisen.« »Glaubst du, daß wir es schaffen können, Eleyion zu verlassen?« »Ich bin überzeugt davon, Arishka, und ich meine, daß es schnell gehen muß.« »Wegen Kartrokraet?« »Nein, weil ich das Gefühl habe. daß der Asteroid einen geistigen Einfluß auf alle hat, die sich in ihm befinden. Wir müssen ihn verlassen haben, bevor auch wir ihm erliegen.« Ein Roboter ging auf den grün schimmernden Durchgang zu. Mrothyr legte Arishka die Hand auf den Arm, um sie darauf aufmerksam zu machen. Sie beobachteten den Automaten. Er hatte einen ovalen Rumpf, vier dünne Beine und sieben unterschiedlich geformte Arme, war also ein Gebilde, das eine recht komplizierte Kontur hatte. Er lief ohne zu zögern in das grüne Feld hinein, und
plötzlich war er von einem weißlichen Leuchten umgeben. Es schien, als habe sich sein gesamter Körper mit einer millimeterdicken Schicht überzogen. Er eilte durch das Desintegratorfeld, und als er es nach etwa zwei Metern hinter sich gebracht hatte, verschwand das weißliche Schimmern, und durch das Energiefeld hindurch sah er nur noch grün aus. »Ich dachte, man könnte vielleicht hinter einem Roboter hergehen, aber das ist unmöglich«, seufzte Arishka. »Außerdem hätte das wohl längst jemand getan.« »Ich glaube, wir haben nur eine Chance, wenn wir uns auf die STERNSCHNUPPE konzentrieren. Das Raumschiff muß uns helfen.« Er erhob sich und streckte ihr die Hand hin. Sie ergriff sie und stand ebenfalls auf. »Komm. Wir gehen hin.« Sie durchquerten den Felsdom. Als sie an dem Tümpel vorbeikamen, sahen sie mehrere Zyrpher, die sich von Robotern große Krüge mit einem schäumenden Getränk reichen ließen. Es war alkoholhaltig, wie an der Wirkung auf die Männer unschwer zu erkennen war. Einer dieser Männer stellte sich Mrothyr und der jungen Frau in den Weg. Sein kahler Kopf unterstrich, daß er den Zenit seines Lebens bereits überschritten hatte. Auf seiner Oberlippe waren einige Barthaare zu erkennen – eine Ungeheuerlichkeit, da Zyrpher eine abgrundtiefe Verachtung für bärtige Männer hatten. Der Bart galt nicht als Ausdruck der Männlichkeit, sondern als Zeugnis verminderter Intelligenz. Hier aber war der Bart lediglich der Beweis dafür, daß dieser Mann sich selbst aufgegeben hatte. Er legte keinerlei Wert mehr auf sein Äußeres und gab sich nur noch dem angenehmen Leben hin, das ihm ohne jede Gegenleistung geboten wurde. »He, du«, sagte der Bärtige. »Du hast anscheinend noch nicht genug Prügel bezogen. Ich habe gehört, du warst bei dem Alten und wolltest wissen, wie du hier wieder herauskommst.« »Findest du es in Ordnung, daß mitten im All ein Asteroid
existiert, der Raumfahrer festhält und sie dann mit allem versorgt, was sie benötigen? Hast du dich schon mal gefragt, warum das geschieht, und welches Ziel Eleyion damit verfolgt?« An dem Bärtigen vorbei konnte Mrothyr den alten Naldrynnen sehen, der im Hintergrund vor seiner Hütte saß. Mit großen, haßerfüllten Augen blickte er zu ihm herüber. »Nein, habe ich nicht«, antwortete der Mann. Er setzte einen der Krüge vor die Lippen und trank. »Was ist dagegen einzuwenden, wenn ich Nachforschungen anstelle?« »Überhaupt nichts, Kleiner, solange du nicht versuchst, uns unser Paradies zu nehmen.« »Hast du Nachrichten von zu Hause?« »Von zu Hause? Dies hier ist mein Zuhause!« »Ich spreche von Zyrph.« »Zyrph interessiert mich nicht mehr.« »Der Planet befindet sich in den Händen der Ligriden, und die sind alles andere als rücksichtsvoll.« Der Bärtige warf mit dem Krug nach Mrothyr, traf diesen jedoch nicht, da er rechtzeitig auswich. »Laß mich in Ruhe, oder ich gebe Kartrokraet einen Tip, wo und wie er dich erwischen kann.« Mit diesen Worten drehte er sich um und kehrte zu seinen Zechkumpanen zurück. Mrothyr ging enttäuscht weiter. Er blickte zu dem Naldrynnen hinüber, und er spürte instinktiv, daß er von diesem größere Schwierigkeiten zu erwarten hatte als von Kartrokraet. Wo dieser auf körperliche Brutalität setzte, verließ sich der Alte auf seinen Verstand. Der junge Zyrpher glaubte, sein Motiv erkennen zu können. Der Naldrynne lebte in einer Umgebung, die ihm alles ohne jede Anstrengung bot – vor allem tödliche Langeweile. Aus dieser versuchte er sich zu befreien, indem er auf seine Art gegen jeden kämpfte, der ihm mißfiel. Er spann keine Intrigen, sondern er ging mit ganzer Konsequenz vor. Er wollte töten.
Mrothyr fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Er schwieg Arishka gegenüber, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Wir müssen weg, dachte er. So schnell wie möglich. Dies ist kein Paradies, sondern die Hölle. Wir können nur überleben, wenn wir den Asteroiden bald verlassen. »Hast du auf die anderen geachtet?« fragte Arishka. »Nein, habe ich nicht«, erwiderte er. »Sie sind ganz sicher der gleichen Meinung wie dieser Bärtige«, sagte sie. »Keiner von ihnen will, daß du das Geheimnis von Eleyion lüftest. Sie haben noch nicht begriffen, was diese Welt wirklich ist, in der sie leben.« »Ja, allmählich glaube ich das auch.« Sie hatten die Schleuse erreicht, durch die sie das Innere des Asteroiden betreten hatten. Mrothyr versuchte, sie zu öffnen. Er drückte einige Schaltknöpfe an der Wand. »Ihr könnt Eleyion nicht so ohne weiteres verlassen«, sagte plötzlich eine bekannte Stimme hinter ihnen. Das »s« klang wie »seh«. Mrothyr drehte sich überrascht um. Er hatte nicht gehört, daß der Roboter herangekommen war. »Warum nicht?« fragte sie. »Der Energietunnel besteht nicht mehr«, erläuterte die Maschine. »Das Raumschiff hat ihn abgebaut. Ihr benötigt also Raumanzüge, wenn ihr hinausgehen wollt. Solange ihr die nicht habt, wird die Kontrollautomatik der Schleuse das Schott nicht öffnen.« »Dann beeile dich«, sagte Mrothyr, »Womit?«, fragte der Roboter. »Was für eine Frage! Wir benötigen zwei Raumanzüge. Bring sie uns.« »Tut mir leid, das kann ich nicht. Eleyion hat keine Raumanzüge.« Mrothyr schüttelte den Kopf. Er wollte dem Roboter sagen, daß er ihm nicht glaube, sah dann aber ein, daß es sinnlos gewesen wäre, ihn der Lüge zu zichtigen. Wenn die Maschine eine derartige Aussage machte, dann geschah das ganz sicher, weil sie gar nicht
anders konnte. Der Roboter drehte sich um und stakste mit komisch anmutenden Schritten davon. »Vielleicht hat er sogar die Wahrheit gesagt«, bemerkte Arishka. »Könnte nicht sein, daß aus Sicherheitsgründen sofort alle Raumanzüge vernichtet werden, die die Raumfahrer mitbringen?« »Du meinst, damit keiner flüchten kann?« Er nickte. »Genau das wird es sein.« Sie wandten sich von der Schleuse ab, blieben jedoch schon nach wenigen Schritten stehen. Mrothyr zog Arishka hinter einen Baum. »Vorsicht«, flüsterte er. »Kartrokraet und Youyühuin.« Die beiden gewalttätigen Zyrpher kamen aus einer Buschgruppe hervor. Sie redeten lachend miteinander, und ihr schwankender Gang verriert, daß sie nicht mehr nüchtern waren. Beide trugen Gürtel, in denen lange Dolche steckten. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir ihnen aus dem Weg gehen«, sagte der junge Freiheitskämpfer. Er ging mit Arishka an einer Felswand entlang, die sich zwischen Kartrokraet, dessen Begleiter und ihnen erhob. Und dann war es Arishka, die Mrothyr daran hinderte, weiterzugehen. Wenige Schritte von ihnen entfernt öffnete sich ein Durchgang zu einer anderen Höhle. Mehrere Männer, die zu den Freunden Kartrokraets zählten, kamen daraus hervor. Laut schwatzend und lachend zogen sie an Mrothyr und der jungen Frau vorbei. Diese duckten sich und versteckten sich hinter einem Felsbrocken. Dann eilten sie in die benachbarte Höhle, die wesentlich größer war. Sie hatte einen Durchmesser von etwa zweihundert Metern und bot das Bild einer freundlichen Lichtung inmitten eines undurchdringlichen Urwalds. Ein schmaler Bach floß quer hindurch. Zahlreiche Brücken überspannten ihn, und an seinen Ufern gab es Dutzende von Sitzgruppen der unterschiedlichsten Art. Die meisten Plätze waren von Männern und Frauen besetzt, die von Zyrph kamen. Auf den
Tischen stapelten sich Speisen und Getränke für jeden Geschmack. In der Mitte der Halle aber drängten sich Hunderte von Zyrphern zusammen. Als Mrothyr und Arishka näher herangingen, sahen sie, daß es Zuschauer bei einem Schießwettbewerb waren, der mit Hochleistungskatapulten ausgetragen wurde. Die Wettkämpfer verschossen kleine, aber offenbar recht schwere Metallkugeln auf eine Wand aus Kunststoff. »Kannst du sehen, um was es geht?« fragte Arishka. »Einige Kugeln prallen von der Wand ab, andere nicht.« »Die Geschosse müssen offenbar die nötige Wucht haben, damit sie darin steckenbleiben«, erwiderte er. »Und sie müssen so nahe wie möglich bei dem roten Punkt in der Mitte der Platte einschlagen.« Der Jubel der Zuschauer gab ihm recht, als einer der Schützen den rot markierten Punkt an der Tafel traf, und die Kugel von dem elastischen Material nicht zurückgeschleudert wurde. Plötzlich tauchten Kartrokraet und Youyühuin auf. »Ich will schießen«, rief Youyühuin, der Mann mit dem goldenen Stern auf der Stirn, und die Zuschauer machten ihm Platz. Einige der Wettbewerber waren sichtlich enttäuscht. Nur unwillig verließen sie den Kreis, in dem die Schützen stehen mußten. Ein jugendlicher Zyrpher stand an der Zieltafel. Er begutachtete die Treffer. Er hatte flammend rotes Haar, das er auf dem Rücken mit grünen Spangen zusammenhielt. Angesichts dieser Haarpracht, auf die jeder Zyrpher stolz gewesen wäre, verzichtete er auf eine Kopfbedeckung. Er hatte sich lediglich über der Stirn ein feines, blaues Band ins Haar gewunden. »He, du da«, schrie Youyühuin. »Geh zur Seite.« Der Jugendliche reagierte nicht. Youyühuin hob sein Katapult und feuerte eine Kugel ab. Sie prallte dicht neben dem Kopf des Rothaarigen gegen die Zielscheibe. Erschrocken fuhr der Junge herum. »Wieso schießt du, Youyühuin?« rief er. »Du hast dich nicht
eingetragen. Du gehörst zu keiner Mannschaft.« Kartrokraet hob sein Katapult. Der Rothaarige schrie entsetzt auf und versuchte, hinter einen Baum zu fliehen. Er erreichte die Deckung jedoch nicht. Die Stahlkugel traf sein Knie. Schwer verletzt stürzte er zu Boden. »So ergeht es jedem, der es wagt, mit meinem Stellvertreter in diesem Ton zu reden«, sagte Kartrokraet. »Ist noch jemand da, der glaubt, daß wir zu einer der Mannschaften gehören müssen?« »Keiner von uns hat vor, einen derartigen Unsinn zu behaupten«, beteuerte einer der Schützen. »Ich begreife nicht, daß der Rotschopf so dreist sein konnte«, sagte einer der Männer neben Mrothyr. Er hatte müde, fast graue Augen. Seine hängenden Schultern verrieten, daß er nicht den geringsten Ehrgeiz besaß. »Der Junge kann froh sein, daß Kartrokraet ihm die Kugel nicht in den Kopf geschossen hat«, fügte eine kahlköpfige Frau hinzu. Arishka schob ihre Hand unter Mrothyrs Arm. Sie zog ihn sanft zur Seite, und er folgte ihr. Sie blickten sich an, und sie erkannten, daß sie beide das gleiche dachten. Wenn Kartrokraet sie sah, dann würde er mit Stahlkugeln auf sie schießen und ihnen keine Abwehrmöglichkeit lassen. Es gelang ihnen, unbemerkt bis zu einer Sitzgruppe zu kommen, an der sich niemand aufhielt. Sie lag hinter einigen blühenden Büschen und konnte vom Schießplatz her nicht eingesehen werden, während sie von hier aus recht gut beobachten konnten, was dort geschah. Ein etwa zweieinhalb Meter großer, humanoider Roboter trat aus dem Dschungel hervor. Er ging zu dem Verletzten, kniete neben ihm nieder und hob ihn auf die Arme. »Die Kugel hat ihm das Knie zerschmettert«, sagte Arishka. »Youyühuin ist ein Verbrecher, aber niemand wagt ejwas gegen ihn zu unternehmen.« »Nein. Es hätte sich auch keiner aufgeregt, wenn er den Jungen
getötet hätte«, erwiderte Mrothyr. Der Roboter hatte einen tonnenförmigen Rumpf und dicke, säulenartige Beine. Er wirkte außerordentlich plump. »Hoffentlich können sie dem Jungen helfen«, sagte Arishka mitfühlend. »Verstehst du, daß jemand unter solchen Umständen freiwillig in Eleyion bleibt und sich gegen uns stellt, nur weil wir so schnell wie möglich weg wollen?« Mrothyr antwortete nicht. Er hatte nicht zugehört. »Was ist los?« fragte sie und rüttelte seinen Arm. »Stimmt etwas nicht?« Er blickte sie an, und sie hatte den Eindruck, daß er mit seinen Gedanken weit weg gewesen war und erst jetzt zurückkehrte. »Ist etwas nicht in Ordnung mit dir, Mrothyr?« »Oh, ja«, erwiderte er, und seine Augen belebten sich in einer geradezu erschreckenden Weise. »Mir ist soeben klargeworden, wie wir Eleyion verlassen können. Ich habe den Weg gefunden!«
6. Trammeryawn wirbelte den Kombistift in die Luft und fing ihn wieder auf. »Was habe ich gehört?« sagte er zu Mrothyr. »Du hast eine Idee, wie man hier wieder herauskommen kann?« Der junge Rebell lachte. »Wie kommst du auf diesen Unsinn, Trammeryawn?« entgegnete er, wobei er so tat, als sei er maßlos überrascht. »Wer hat dir das erzählt?« Er schüttelte den Kopf, als könne er nicht begreifen, daß der Junge ihm eine derartige Frage gestellt hatte. »Da hast du dich leider geirrt«, schwindelte er. »Wenn ich eine Lösung wüßte, würde ich ganz sicher nicht hier sitzen und
frühstücken.« »Schade«, seufzte Trammeryawn. »Ich dachte, ich könnte den Alten ein wenig ärgern, indem ich ihm deine Idee unter die Nase reibe.« Er lachte, stand auf und schlenderte davon, wobei er den blitzenden Stift immer wieder in die Luft warf und auffing. Mrothyr, der auf dem Boden saß, lehnte sich mit dem Rücken an einen Felsen. Er blickte Arishka, den Würger und den Hintergeher vielsagend an, die ihm gegenüber Platz genommen hatten. »So etwas hatte ich befürchtet«, sagte er. »Der Junge muß uns belauscht haben«, vermutete der Narbige. »Gut, daß du noch nichts Konkretes gesagt hast«, fügte der Prerk hinzu. »Er würde sofort damit zu dem alten Naldrynnen gehen und es ihm berichten, und dann würde der Alte querschießen, um zu verhindern, daß wir schaffen, woran er gescheitert ist.« Taduk kam heran. Er ließ sich neben Arishka ins Gras sinken. »Ich habe einen Nadelstrahler«, berichtete er. »Es ist nur eine kleine Waffe mit geringer Reichweite, aber es ist eine Waffe. Außerdem habe ich eben einen Tip erhalten. Ich glaube, wir sollten Trammeryawn gegenüber vorsichtiger sein.« »Den Eindruck haben wir auch«, erwiderte Mrothyr. »Was war das für ein Tip?« »Ich habe gehört, daß Trammeryawn Lippenlesen kann. Wenn das wahr ist, können wir nicht miteinander reden, ohne von ihm belauscht zu werden. An der Bewegung unserer Lippen kann er erkennen, was wir sagen.« Mrothyr blickte zu Trammeryawn hinüber. Der Junge lehnte an einem Baumstamm und beobachtete sie. Er spielte mit dem Kombistift, den er immer wieder in die Luft warf. »Lange wird sich sowieso nicht verheimlichen lassen, was wir tun«, erklärte der Freiheitskämpfer, wobei er seine Lippen wie zufällig mit den Fingern abdeckte. »Wir wissen noch immer nicht, wie dein Plan aussieht«, sagte Lait,
der dem Jungen den Rücken zuwandte und daher nicht befürchten mußte, daß dieser ihn verstand. »Er hat recht«, drängte der Prerk. »Es wird Zeit, daß du uns informierst.« »Trammeryawn geht weg«, stellte Mrothyr befriedigt fest. »Er weiß, daß er nichts mehr erfahren wird. Also hört zu. Meine Idee ist denkbar einfach. Ich habe einen Roboter mit einem tonnenförmigen Rumpfkörper und stämmigen Beinen gesehen.« »Davon gibt es viele«, wandte Taduk ein. »Wir werden einen dieser Roboter überfallen«, fuhr Mrothyr unbeeindruckt fort. »Und dann werden wir ihn soweit ausschlachten, daß Rumpf und Beine hohl sind. Wenn wir das schaffen, können sich wenigstens zwei von uns darin verstecken.« »Das ist unglaublich«, rief der Daila. Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf. »Jetzt begreife ich. Du willst in der Roboterfüstung durch das Desintegratorfeld gehen.« »Genau das habe ich vor«, bestätigte Mrothyr. »Die Neue Technik wird eine Strukturlücke für mich schaffen und mich durchlassen. Wenn ich erst einmal auf der anderen Seite des grünen Feldes bin, werde ich eine Gelegenheit finden, es auszuschalten. Sob.ald ich das getan habe, können die anderen nachkommen.« »Eine gute Idee«, lobte Taduk, nachdem er seine Überraschung überwunden hatte. »Alles weitere muß sich dann ergeben.« »Dabei gibt es einige Schwierigkeiten zu überwinden«,stellte Mrothyr fest. »Zunächst gilt es, einen dieser großen Roboter zu überwältigen. Dann muß sich zeigen, ob ein Mann allein ihn bewegen kann, oder ob zwei Männer hineinsteigen müssen, und dann werden wir sehen, ob der Roboter über Funk um Hilfe ruft.« Erregt steckten Arishka und die vier Männer die Köpfe zusammen, um über den Plan zu reden. Dabei blickten sie immer wieder auf und sahen sich argwöhnisch um, doch sie entdeckten niemanden in ihrer Nähe. Auch von Trammeryawn war nichts zu sehen. Der neugierige Junge schien sich damit abgefunden zu
haben, daß er nichts erfahren würde. Mrothyr war fest davon überzeugt, daß der Plan gelingen würde. Berechnungen ergaben, daß ein Mann und der Daila Platz in dem Roboter haben würden, und man wurde sich rasch darüber einig, daß Mrothyr es zusammen mit Taduk versuchen sollte. »Wir warten vor dem Durchgang«, sagte Arishka. »Es kann ja nicht lange dauern, bis du das grüne Feld abgeschaltet hast, und wir nachrücken können.« »Die Frage ist, wie wir den Roboter überwinden«, stellte der Würgerklar. »Ich erinnere mich, einige Tips gehört zu haben«, erklärte der Prerk in seiner umständlichen Art. »Ein Freund von mir erzählte, daß die meisten Roboter ihre Schaltelemente auf dem Rücken hinter einer abnehmbaren Platte verborgen tragen. Man muß die Platte abnehmen und die Elemente herausreißen. Sie sind nicht größer als ein Daumennagel.« Taduk schob Arishka die stabförmige Waffe zu. »Du solltest sie haben«, bemerkte er, »damit du dich wehren kannst, wenn Kartrokraet wieder zudringlich werden sollte.« »Danke«, lächelte sie und steckte den Nadelstrahler ein. »Ich hoffe, daß ich ihn nie benötige.« »Dann kommt«, forderte Mrothyr. »Verlieren wir keine Zeit. Wir sehen uns nach einem geeigneten Roboter um. Je früher wir beginnen, desto besser.« »Du hast recht«, stimmte Taduk zu. »Je früher wir es anpacken, desto eher sehe ich Aklard wieder – und darauf kommt es mir an.« Sie ließen die Reste ihres Frühstücks liegen, da sie wußten, daß ein Roboter kommen und alles abräumen würde. Bemüht, möglichst unauffällig zu erscheinen, durchquerten sie die Höhle und strebten zur nächsten hinüber. Hin und wieder blieben sie stehen und redeten miteinander, so als verfolgten sie kein bestimmtes Ziel. Trammeryawn aber konnten sie damit nicht täuschen. Der Junge lehnte an der Tunnelöffnung zur nächsten Höhle. Er hatte beide
Hände in die Hosentaschen vergraben. Enttäuscht blickte er Mrothyr an. »Ich dachte, du hättest mehr Vertrauen zu mir«, sagte er vorwurfsvoll. »Du hast etwas herausgefunden, aber du willst es mich nicht wissen lassen.« »Dafür solltest du Verständnis haben«, erwiderte der Freiheitskämpfer. »Vorläufig ist es nicht mehr als eine Idee, und da ich neu hier bin und die Verhältnisse noch nicht richtig kenne, halte ich lieber den Mund.« »Ach, du hast Angst, daß man dich auslacht?« Der Kombistift wirbelte in die Luft. Trammeryawn fing ihn mit der linken Hand hinter seinem Rücken wieder auf. »Kannst du das nicht verstehen? Der Alte überlegt seit dreißig Jahren, ohne eine Lösung zu finden.« Mrothyr lächelte gewinnend. »Ich bin noch keine zwei Tage hier. Unter solchen Umständen ist es besser, bescheiden zu sein.« »Aber mir könntest du es doch sagen.« »Du erfährst es«, versprach Mrothyr. »Noch heute.« Damit ging er weiter. Trammeryawn wirbelte den Stift in die Luft und fing ihn mit dem Handrücken seiner rechten Hand wieder auf. Er schien ganz in sein Spiel versunken zu sein. Mrothyr führte Arishka, Lait, den Prerk und Taduk in die nächste Höhle, in der zu dieser Stunde noch keine Wettkämpfe ausgetragen wurden. Nur wenige Männer hielten sich hier auf. »Wo sind die alle?« fragte er. »In ihren Schlafräumen«, erwiderte der Daila. »Es gibt mehrere Höhlen, in denen komfortable Wohnungen vorhanden sind. Du kannst dir eine aussuchen, wenn du willst.« »Ich habe nicht vor, so lange zu bleiben«, erwiderte Mrothyr. Ein schmaler Dschungelpfad führte zu einem grün schimmernden Durchgang. Hunderte von farbenprächtig gefiederten Vögeln schwirrten durch das Geäst. Falter in allen Farben des Regenbogens stoben aus dem Unterholz auf.
»Seltsam«, sagte Arishka. »Ich habe gestern weder Vögel noch Insekten gesehen. Alles war so still. Heute aber lebt dieser Urwald.« »Vielleicht wollen sie uns ein wenig Unterhaltung bieten«, vermutete Taduk. »Sie?« fragte die junge Frau. »Wen meinst du damit?« »Die Roboter natürlich. Aber die werden ganz sicher von einer zentralen Recheneinheit gesteuert, von dem Oberroboter sozusagen. Bei diesen Maschinen ist es nicht anders als bei uns. Einer spielt sich immer als Oberhaupt auf.« Sie ließen sich wenige Meter von dem Durchgang entfernt ins Gras sinken, und schon bald tauchte ein bizarr geformter Roboter auf, um nach ihren Wünschen zu fragen. Sie bestellten einige Getränke und warteten. Mehrere Stunden verstrichen. Allmählich belebte sich das Gewölbe. Am Bach wurden wieder Schießwettbewerbe ausgetragen. »Die Männer sind eindeutig in der Überzahl«, bemerkte der Hintergeher. »Ich schätze, das Verhältnis ist etwa zehn zu eins zugunsten der Männer.« »Die meisten Raumschiffe sind eben mit Männern besetzt«, erwiderte Taduk. »Ich wollte, es wäre anders. Dann würde es hier nicht so viele Spannungen geben.« Mrothyr blickte Arishka an. Ihre Augen wurden dunkel. Er erfaßte, daß sie an Kartrokraet dachte, und daß sie sich fürchtete. »Keine Angst«, sagte er leise. »Wir sind bald weg.« »Hoffentlich«, erwiderte sie. Die etwa zweieinhalb Meter große Gestalt eines humanoiden Roboters kam aus dem Durchgang hervor. Die Maschine bewegte sich stampfend voran, und sie schien so schwer zu sein, daß Mrothyr Zweifel kamen. Würde er diese Rüstung überhaupt tragen können? Wir müssen es wagen, sagte er sich. Wir müssen diese Chance nutzen, bevor es zu spät ist. Er ließ den Roboter an sich vorbeigehen, dann sprang er auf. Zusammen mit dem Würger und dem Prerk stürzte er sich auf die
Maschine. Taduk warf sich auf das rechte Bein des Roboters und hielt es fest. Der Automat kippte nach vorn. Er streckte die Arme aus und fing sich mit den Händen ab. Lait verhüllte seine Linsen mit einem Tuch, der Hintergeher band blitzschnell die beiden Beine zusammen, so daß der Roboter nicht mehr aufstehen konnte, und Mrothyr hebelte mit einer Messerklinge eine Platte auf dem Rücken der Maschine auf. »Neue Technik«, sagte er unschlüssig. »Ob das die Schaltelemente sind?« Taduk griff an ihm vorbei und riß ein Plättchen heraus, das kaum so groß war wie einer seiner silbern schimmernden Fingernägel. Der Roboter bewegte sich nicht mehr. »Das war genau richtig«, jubelte der Daila. »Schnell«, drängte Arishka. »Die Maschine darf hier nicht liegenbleiben.« Wortlos packten die vier Männer zu. Sie drehten den Automaten auf den Rücken und trugen ihn einige Meter weiter hinter einige Büsche, wo er von dem Durchgang her nicht gesehen werden konnte. »Ruhig«, mahnte Mrothyr. »Dies ist erst der Anfang. Wir müssen den gesamten Rücken ablösen, damit wir die Mechanik herausnehmen können, die drinnen ist.« Taduk untersuchte den Roboter. »Das sieht nicht gut aus«, kommentierte er. »Wir müssen den Rücken aufschneiden. Dazu benötigen wir einen NadelDesintegrator. Ohne den geht es nicht.« »Kannst du so etwas besorgen?« fragte Mrothyr. »Ich hoffe«, erwiderte der Daila. Verstimmt ließ er die Handwerkzeuge, die er mitgebracht hatte, auf den Boden fallen. »Aber es dauert etwa eine Stunde, bis ich zurück bin.« »Ist es gefährlich?« »Nein, Mrothyr, das ist es nicht. Ich weiß, du denkst an Arishka.
Sie sollte lieber mit mir gehen als hier bleiben. Kartrokraet und Youyühuin sind dort hinten bei den Wettkämpfern. Ich habe ihre Stimmen gehört. Wenn sie hier auftauchen, ist Arishka in Gefahr.« »Gut, dann gehe ich mit dir«, erwiderte die junge Frau. »Ich komme auch mit«, erklärte der Würger. »Hier kann ich ohnehin nicht viel tun.« »Also schön«, stimmte Mrothyr zu. »Beeilt euch.« Er war nicht überrascht, als der Hintergeher hinter Lait herschritt. Dies war die Pflicht des Prerk, und er kam ihr nach. Dabei war ihm anzusehen, daß er es vorgezogen hätte zu bleiben. Als Mrothyr allein war, wandte er sich wieder dem Roboter zu. Durch die Öffnung im Rücken nahm er heraus, was er mit den Händen erreichen konnte, und das war erstaunlich viel. Die Werkzeuge des Daila leisteten ihm dabei gute Dienste. Nach etwa einer Stunde hatte er den Roboter um viele innere Teile erleichtert und dabei dessen Gewicht so erheblich reduziert, daß es ihm gelang, ihn allein aufzurichten. Damit wuchs seine Hoffnung, Eleyion auf dem geplanten Wege verlassen zu können. Voller Ungeduld wartete er auf das Werkzeug, das Taduk holen wollte. Er erwog bereits, den Roboter in das grüne Desintegratorfeld am Durchgang zu halten, um dessen Rückenteil auf diese Weise zu entfernen, als der Daila unversehens neben ihm auftauchte. Er war verschwitzt und sah völlig verstört auf. »Kartrokraet hat uns überfallen«, berichtete er mit fliegendem Atem, »Arishka ist in seiner Hand. Lait und der Prerk sind bei ihnen. Sie kämpfen mit ihnen.« Er reichte Mrothyr den handlichen Desintegratorstrahler, den er besorgt hatte. »Damit kannst du nicht auf ihn schießen«, erläuterte er. »Es ist wirklich nicht mehr als ein Werkzeug. Der Desintegratorstrahl ist nur wenige Zentimeter lang. Dennoch kannst du das Ding auch als Waffe benutzen. Du mußt es nur richtig einsetzen.« Mrothyr steckte das Gerät ein.
»Wo ist Arishka?« fragte er, während er den Daila mit sich zerrte. »Und was ist passiert?« »Ich weiß es nicht. Wir waren auf dem Rückweg, als plötzlich Kartrokraet und seine Männer auftauchten. Sie schlugen uns nieder und nahmen Arishka mit.« Sie traten auf die Lichtung hinaus. Etwa hundert Meter von ihnen entfernt standen Kartrokraet und Youyühuin vor einer großen Menge von Zuschauern. Arishka kniete zwischen den beiden Männern. Diese hielten sie an den flammend roten Haaren gepackt. Sie lachten höhnisch, als Mrothyr sich ihnen langsam näherte. Dieser durchschaute ihr Gehabe, mit dem sie ihre Unsicherheit ihm gegenüber lediglich übertünchten. Sie hatten ihre letzte Begegnung noch nicht vergessen. Mrothyr war sich aber auch darüber klar, daß er sie dieses Mal nicht allein mit Blicken vertreiben konnte. Als ihn noch etwa zwanzig Schritte von den beiden trennten, sah er den Würger. Der Narbige lag mit dem Gesicht nach unten in einer Bodenrinne. Seine Haltung verriet, daß er tot war. Etwa hundert Zyrpher standen auf der anderen Seite der Bodenvertiefung. Es waren hauptsächlich Männer, die an dem Wettkampf teilgenommen hatten. Ihre Augen waren stumpf und leer. Keiner war bereit, gegen Kartrokraet und den Mann mit dem goldenen Stern auf der Stirn Partei zu ergreifen. »Lait hat eine Wunde am Hinterkopf«, flüsterte Taduk erschüttert. »Sie haben ihn von hinten erschossen.« »Komm her«, rief er. »Hol dir deine Freundin ab.« Nie zuvor hatte Mrothyr sich derart verloren gefühlt wie in diesen Sekunden. Er wußte, daß er ganz auf sich allein gestellt war. Auch Taduk konnte ihm nicht helfen. Youyühuin hob das Katapult und zielte auf ihn. »So mutig auf einmal?« fragte der junge Freiheitskämpfer und ging weiter, als verspüre er keine Furcht. »Du wagst es tatsächlich, mich von vorn anzugreifen?«
Youyühuin schoß. Mrothyr bückte sich gedankenschnell. Das Stahlgeschoß raste über ihn hinweg. Es hätte ihm seine blau und grün gestreifte Fellmütze beinahe vom Kopf gerissen. Mrothyr richtete sich blitzschnell wieder auf. Bevor Youyühuin noch einmal schießen konnte, war er bei ihm. Seine Faust traf ihn mit voller Wucht. Der Stellvertreter Kartrokraets stürzte zu Boden, und das Katapult entfiel seinen Händen. Mrothyr nahm es und schleuderte es weit von sich. Dann ließ er sich neben Youyühuin auf die Knie herabfallen und drückte ihm den Desintegrator an den Kopf. »Laß Arishka los«, befahl er Kartrokraet, der von dem Angriff ebenso überrascht worden war wie sein Stellvertreter. Arishka stieß ihren Peiniger zurück. Sie sprang auf und lief zu Taduk hinüber. »Begreift ihr denn nicht?« rief Mrothyr den anderen Männern und Frauen zu. »Wenn ihr schon nicht nach Zyrph zurückkehren wollt, um eure Heimat gegen fremde Mächte zu verteidigen, wenn ihr schon hier leben wollt, wo die Roboter euch alles geben, was ihr verlangt, dann versucht wenigstens, eure Würde zu wahren. Warum laßt ihr euch von einem wie Kartrokraet terrorisieren?« »Einer muß die Macht haben«, entgegnete Kartrokraet. »Du hast keine Macht«, sagte Mrothyr verächtlich. »Die Macht liegt allein bei den Robotern. Sie beherrschen diesen Asteroiden und alles, was in ihm ist.« Youyühuin meinte, einen Moment der Unaufmerksamkeit nützen zu können. Er schlug die Waffe zur Seite und warf sich auf Mrothyr. Dieser wehrte ihn instinktiv ab. Die beiden Männer rollten über den Boden, und plötzlich schlug ein grüner Energiestrahl aus dem Desintegrator, ohne daß Mrothyr dies beabsichtigt hätte. Bevor der Freiheitskämpfer die Waffe zurückreißen konnte, war es schon zu spät. Youyühuin stürzte in den materievernichtenden Strahl, und dieser fraß sich in ihn hinein. Mrothyr sah, daß sich Kartrokraet näherte. Erschrocken stieß er den Sterbenden von sich und richtete
sich auf. Er hielt Kartrokraet den Desintegrator vor die Brust. »Keinen Schritt weiter«, warnte er. Kartrokraet blickte ihn an und wandte sich sofort wieder ab. Sein Gesicht wurde aschfahl. Abermals erkannte er, daß er Mrothyr nicht gewachsen war. »Youyühuin hat deinen Freund getötet«, behauptete er. »Ich wollte es verhindern, aber es war schon zu spät.« »Er lügt«, schrie jemand aus der Menge. »Er selbst war es.« Mrothyr beachtete ihn nicht mehr. Er sah, daß ein Roboter kam und den Narbigen aufhob. Schweigend nahm er die Hand Arishkas und kehrte mit ihr zu dem grün schimmernden Durchgang zurück. Nur Taduk folgte ihnen. Die anderen umringten Kartrokraet und führten ihn in entgegengesetzter Richtung fort. Arishka blickte zu dem toten Würger hinüber, der in das Desintegratorfeld getragen wurde. Als er darin verging, senkte sie den Kopf. »Ich habe ihn gemocht«, sagte sie erschüttert. »Er war anders als wir, aber auf ihn war Verlaß.« »Habt ihr den Hintergeher nicht gesehen?« fragte Mrothyr. »Er muß hier irgendwo sein.« »Er war nicht da«, erwiderte Taduk. »Ich hätte ihn bemerkt.« Er bog vom Dschungelpfad ab, blieb dann aber erschrocken stehen. Trammeryawn saß neben dem ausgeschalteten Roboter auf dem Boden, warf den blitzenden Stift in die Luft und fing ihn wieder auf. »Ich weiß noch immer nicht, was ihr vorhabt«, sagte er und erhob sich ächzend. Mrothyr ging zu ihm. »Hör zu, Trammeryawn«, sagte er. »Gerade eben ist einer von meinen ' Freunden ermordet worden. Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit dir auseinanderzusetzen. Es wäre gut, wenn du mir jetzt nicht auf den Geist gehen würdest.« Der Junge ließ den Kombistift in seiner Jackentasche
verschwinden. »Ich gehe schon«, erwiderte er. »Dennoch finde ich es nicht in Ordnung, daß du mir nichts von deinem Plan verraten willst.« Mrothyr trat schweigend zur Seite, und Trammeryawn begriff. Er schob die Hände in die Tasche und schlenderte an ihm vorbei und den Dschungelpfad entlang. Nach einigen Schritten blieb er stehen. »Zwei von euch fehlen«, sagte er. »Sind beide tot?« »Wir suchen den mit dem hohen Röhrenhut«, erwiderte der Freiheitskämpfer. »Wenn du ihn findest und zu uns bringst, werde ich dir alles genau erklären.« Die Augen des Jungen leuchteten auf. Er griff in die Tasche, holte den Kombistift hervor und ließ ihn durch die Luft wirbeln. »Einverstanden«, entgegnete er. »Ich bin bald mit ihm zurück.« Arishka atmete auf, als er davoneilte. »Endlich«, seufzte sie. »Ich traue ihm nicht über den Weg. Er könnte uns noch mehr Schwierigkeiten machen als Kartrokraet.« »Übertreibe nicht«, bat Taduk. »Er ist nicht mehr als ein neugieriger Junge. Er ist ein bißchen empfindlich. Das ist alles.« Er machte sich nun zusammen mit Mrothyr daran, die Rückenplatte des Roboters zu entfernen und dann alles aus dem Rumpf und den Beinen herauszuholen, was im Wege war. Arishka staunte über das komplizierte Innere des Roboters und die vielen Apparaturen, die in seiner Hülle untergebracht waren. Als schließlich nur noch diese übriggeblieben war, stieg Mrothyr hinein.
7. Mrothyr richtete sich in der Roboterhülle auf. Er konnte erst darin stehen, nachdem er Blätter und kleine Zweige in die Füße der Maschine gestopft hatte, da deren Beine länger als seine waren. Er machte einige unbeholfene Schritte. »Vorsicht«, flüsterte Arishka. »Nicht bewegen. Ein Roboter
kommt.« Eine spinnenähnliche Maschine kam mit schnellen Schritten heran. Arishka hob den Nadelstrahler. Sie glaubte bereits, alles sei nun vorbei, und der gesamte Plan sei gescheitert. Doch die Maschine sammelte groteskerweise einige der Teilstücke auf, die sie aus dem humanoiden Roboter ausgebaut hatten. Dann eilte sie davon. »Habt ihr gesehen?« fragte Taduk erregt. »Die Hülle sieht sie nicht als Abfall an.« »Du hast recht«, sagte Mrothyr. »Das bedeutet, daß wir den Versuch wagen können.« Der spinnenähnliche Roboter hatte nicht alle Einzelteile mitnehmen können. Die Rückenplatte lag zusammen mit anderen Bruchstücken noch im Gras. Arishka nahm sie auf und befestigte sie am Rücken des erbeuteten Roboters, der nun so aussah, als sei er vollkommen intakt. Danach verfolgte sie gelassen, wie die Spinne den Rest der ausgebauten Teile abtransportierte. »Es geht«, sagte Mrothyr. »Fangen wir gleich an.« Er schnitt zwei schmale Schlitze in Augenhöhe in den Brustpanzer, so daß er sehen konnte, wohin er ging. Schwankend und unsicher arbeitete er sich an den grün schimmernden Durchgang heran. Arishka stützte ihn einige Male, damit er nicht umstürzte. Direkt vor dem tödlichen Energiefeld blieb er stehen. »Aufpassen«, murmelte der Daila. »Ein Roboter kommt auf dich zu.« Mrothyr spähte durch die Schlitze nach draußen. Eine humanoide Gestalt kam drohend auf ihn zu, Sie erschien ihm riesig. Die haben begriffen, was geschehen ist, schoß es ihm durch den Kopf, und das Blut schien ihm in den Adern zu gefrieren. Kam der Roboter, um ihn mitsamt der Rüstung in das Desintegratorfeld zu stoßen? Er holte aus, um mit dem Ellenbogen die Rückenplatte wegzustoßen. Er wollte aussteigen, um sich in Sicherheit zu bringen. Doch der Roboter marschierte an ihm vorbei und entfernte sich
schnell. Taduk pfiff erleichtert. »Ich versuche es jetzt«, sagte Mrothyr. Gleichzeitig hob er den rechten Arm, der in der Armhülle des Roboters steckte. Langsam führte er ihn an das Desintegratorfeld heran, und wieder stockte ihm der Atem. Wenn ihn die Neue Technik nicht als berechtigt klassifizierte und als Roboter einstufte, würde sich seine Hand in Staub verwandeln. »Es funktioniert«, stammelte Arishka. »Ein weißes Leuchten umgibt deine Hand.« Er ließ den Arm sinken und zog seine Hand zu sich heran, um sich den Schweiß abzuwischen, der ihm über das Gesicht rann. Taduk nahm die Rückenplatte ab. »Alles klar«, sagte er. »Wann gehen wir durch das Feld?« »Sofort«, entschied Mrothyr. »Und der Hintergeher?« fragte Arishka. »Wenn wir das Feld passiert haben, schalten wir es ab«, erwiderte er. »Dann können wir ihn jederzeit nachholen.« Er entfernte sich einige Schritte mit der Rüstung vom Durchgang, dann forderte er die junge Frau auf, zu ihm hereinzusteigen. Arishka versuchte es einige Minuten lang, mußte dann jedoch einsehen, daß für Mrothyr und sie zusammen zu wenig Platz darin war. Jetzt verließ Mrothyr die Rüstung und ließ sie allein hineinklettern. Er bat sie, einige Schritte zu gehen. Arishka mühte sich ab, konnte die Rüstung jedoch nicht bewegen. Resignierend verließ sie sie wieder. »Es hat keinen Sinn«, sagte sie enttäuscht. »Ich muß warten, bis ihr das Desintegratorfeld abgeschaltet habt.« »Nein«, widersprach er. »Ich gehe jetzt nicht allein oder mit Taduk zusammen. Ich warte auf den Hintergeher.« Arishka legte ihm die Hände auf die Brust und blickte ihn flehend an. »Nein«, bat sie. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir haben schon viel Glück gehabt, daß noch niemand gemerkt hat, was wir hier tun.
Wenn wir warten, halten sie uns womöglich zurück. Und wir wissen nicht einmal, ob der Prerk wirklich noch lebt.« »Sie hat recht«, stimmte der Daila zu. »Ich werde auf deine Schultern steigen, Mrothyr. Dann gehen wir beide durch das Feld, schalten es ab und lassen Arishka nachkommen. Eine andere Möglichkeit besteht nicht.« Der junge Freiheitskämpfer wehrte sich gegen diese Lösung, sah aber schließlich ein, daß sie schnell handeln mußten. Er stieg wieder in die Rüstung und half Taduk zu sich herein. »Wir beeilen uns«, versprach er Arishka. »Hast du den Nadelstrahler?« Sie zeigte ihm die Waffe. »Hab keine Angst um mich«, erwiderte sie. »Ich bin weniger gefährdet als ihr.« Sie befestigte die Rückenplatte und klopfte dann aufmunternd gegen den Stahlpanzer. »Viel Glück«, rief sie. »Bis gleich«, antwortete der Daila. Mrothyr marschierte los. Mit Taduk auf dem Rücken war es noch schwerer für ihn als zuvor. Ihm war jedoch wichtig, daß der Daila dabei war. Zusammen würden sie die Schaltung für das Desintegratorfeld schneller finden. Er zögerte kurz vor dem tödlichen Feld, aber dann ging er hinein. »Falls es Götter zwischen den Sternen gibt, mögen sie mir beistehen«, murmelte Taduk beklommen, als sie das grüne Leuchten umwaberte. »Paß bloß auf, daß du nicht hinfällst.« »Und du solltest mir deine Hände nicht genau auf die Augen legen«, antwortete Mrothyr. Er atmete keuchend. Jeder Schritt wurde zur Qual, und die Robotrüstung schien immer schwerer zu werden. Zentnerlasten schienen aufseine Schultern zu drücken. Taduk hob erschrocken die Hände und legte sie an die Stirn Mrothyrs. »Nimmt denn dieses Feld gar kein Ende?« stammelte er.
»Gleich haben wir es geschafft.« Mrothyr kämpfte sich weiter voran, und plötzlich war er von weißem Licht umgeben. Das Desintegratorfeld lag hinter ihm. In seiner Erleichterung machte er einen Fehler. Er hob den linken Fuß nicht weit genug an, stolperte und stürzte der Länge nach hin. Fluchend stieß der Daila die Rückenplatte weg und kroch aus der Rüstung. »Ich hätte mir beinahe den Kopf eingeschlagen«, klagte er, während er dem Zyrpher half, ebenfalls herauszukommen. Mrothyr wandte sich sofort dem Desintegratorfeld zu. Er hoffte, Arishka zu sehen, doch sie stand nicht auf der anderen Seite des Feldes. Die Stimmen von mehreren Männern hallten zu ihm herüber. Ein angsterfüllter Schrei der jungen Frau folgte. »Schnell«, drängte er. »Da stimmt was nicht. Wir müssen das Feld beseitigen.« Sie befanden sich auf einem Gang, der seitlich von der Desintegratorsperre wegführte. Sie hatten gehofft, hier so etwas wie eine Schalttafel zu finden, von der aus sich das Feld steuern ließ, wurden jedoch enttäuscht. Es waren nichts als glatte, fugenlose Wände vorhanden. »Wir schneiden die Wände auf«, entschied Mrothyr. »Irgendwo muß es Leitungen geben.« Er führte den Desintegratorschneider an der Wand neben dem grünen Feld entlang, und schnitt damit eine tiefe Rinne in die Wandverkleidung. Seine Hoffnung, damit das Desintegratorfeld abschalten zu können, erfüllte sich jedoch nicht. Er blickte durch die Todesfalle hinaus, und jetzt sah er Arishka, die mit Kartrokraet kämpfte. Etwa zwanzig weitere Männer eilten über den Dschungelpfad heran. »Taduk«, schrie Mrothyr. »Schnell. Hilf mir in die Rüstung.« »Zu spät, Mrothyr. Es ist zu spät.« Sie sahen, daß Kartrokraet die junge Frau wegschleppte. Viele der Männer johlten. Keiner von ihnen war bereit, zugunsten von
Arishka einzugreifen. »Sie bringen dich um, wenn du nach draußen gehst«, rief der Daila. Mrothyr hörte nicht auf ihn. Er war wie von Sinnen. Er stellte die Rüstung aufrecht hin und versuchte, hineinzusteigen, obwohl er wußte, daß er keine Chance gegen Kartrokraet und seine Anhänger hatte. Sie würden ihn töten, sobald er die Todesfalle passiert hatte, und sie würden ihm keine Gelegenheit geben, die Rüstung zu verlassen. Auch Arishka erkannte, daß ihre Lage aussichtslos geworden war. Sie ahnte, daß Mrothyr einen Kampf aufnehmen wollte, den er nicht gewinnen konnte. Sie bäumte sich mit äußerster Wildheit auf, und es gelang ihr, sich loszureißen. Sie traf die einzige Entscheidung, die ihr noch blieb, um das Leben Mrothyrs zu retten. Sie rannte auf das Desintegratorfeld zu. Mrothyr sah, daß sich ihre Augen weiteten. »Nein«, schrie er. »Nein, Arishka, tu es nicht.« Sie lächelte ihm zu. Sie zog es vor, sich zu opfern, als sich Kartrokraet zu unterwerfen. Ihre Blicke blieben auf ihn gerichtet. Sie breitete die Arme aus und lief in das tödliche Desintegratorfeld hinein. Mrothyr verfolgte, wie sie sich auflöste. Er brach zusammen und stürzte auf die Knie. Fassungslos vor Entsetzen blickte er in das flimmernde Grün. Er wollte nicht glauben, was geschehen war. In diesem Moment tauchten auf der anderen Seite des Durchgangs Trammeryawn und der Naldrynne auf. Der Junge wirbelte den blitzenden Stift in die Höhe und fing ihn mit dem Unterarm auf. Dann hob er den Kopf, blickte Mrothyr an und lächelte boshaft. Der Alte verengte seine Augen. Er zitterte am ganzen Körper. Der Haß schien ihn zu zerfressen. Kartrokraet sagte etwas zu ihm, aber er hob nur abwehrend eine Hand, und der Zyrpher zog sich eilig zurück. In diesem Moment begriff Mrothyr, daß er den Naldrynnen weit unterschätzt hatte. Nicht Kartrokraet, sondern er hatte die Macht in den Höhlen von Eleyion. Über ihm standen nur noch die
Roboter. »Trammeryawn, du Verräter«, stammelte Taduk. Mrothyr fiel es wie Schuppen von den Augen. Trammeryawn hatte sie die ganze Zeit über bespitzelt und belogen. Ihm hatten sie zu verdanken, daß ihr Unternehmen dieses Ende genommen hatte, ihm und dem alten Naldrynnen. »Komm«, bat der Daila. »Laß uns endlich verschwinden. Gönne ihnen den Triumph nicht, dich weinen zu sehen.« Mrothyr erhob sich. Die Stimme Taduks kam wie aus weiter Ferne zu ihm. Dennoch verstand er ihn, und Widerstand wurde in ihm wach. Er wollte sich bereits abwenden und dem Daila in den Gang folgen, als er eine Bewegung zwischen den Bäumen hinter Kartrokraet und dem Alten bemerkte. Der Hintergeher trat aus dem Unterholz hervor. Eine blutige Schramme zog sich quer über seine Stirn. Seine Unterlippe hing schlaff herab, und die Lider waren halb geschlossen. Doch nun hoben sie sich, und ihre Blicke trafen sich. Der Prerk hob die rechte Hand und gestikulierte kurz. Er zeigte auf Kartrokraet und den Naldrynnen und zog sich wieder ins Unterholz zurück. Mrothyr begriff. Der Hintergeher hatte sich solange versteckt, um zu überleben. Er hatte verfolgt, was geschehen war, und er war entschlossen, Arishka zu rächen. Jetzt wollte er nur, daß Taduk und er den ursprünglichen Plan weiterverfolgten. Ihm aber ging es um noch mehr. Er wollte dieses scheinbare Paradies zerstören. Er hatte den Tod des Würgers hinnehmen müssen. Er war aus religiösen Gründen Hintergeher geworden, doch da Lait niemals mehr nach Zyrph zurückkehren würde, waren seine Bemühungen umsonst gewesen. »Komm«, rief der Daila. »Oder willst du warten, bis sie ebenfalls einen Roboter ausgehöhlt haben und uns folgen?« Mrothyr wandte sich mit brennenden Augen ab und folgte dem Daila. Die Rüstung ließ er achtlos auf dem Boden liegen. Nach wenigen Schritten blieb er stehen. Er meinte, sich nicht mehr
auf den Beinen halten zu können. »Du mußt durchhalten«, sagte Taduk energisch. »Denke an Zyrph. Du hast deine Heimat verlassen, weil du sie aus der Knechtschaft befreien willst. Hast du das vergessen?« »Wie könnte ich das?« erwiderte er mit schwerer Stimme. »Weiter.«
* In den Minuten nach dem Tod Arishkas erwies sich Taduk als Freund. Er half Mrothyr, wo er nur konnte, und er richtete ihn wieder auf. »Ich bin sicher, daß Arishka sich geopfert hat, damit du weiterkämpfen kannst«, sagte er, während sie über den Gang schritten. »Es wäre sicherlich nicht in ihrem Sinn, wenn du jetzt aufgibst.« Mrothyr wußte, daß der Daila recht hatte, aber er konnte den Schmerz nicht so schnell überwinden. Schließlich blieb Taduk stehen. »Habe ich dir eigentlich von dem Funkspruch erzählt, den ich aufgefangen habe?« fragte er. »Nein«, erwiderte der Zyrpher. Sie standen auf einem langen Gang. Weit von ihnen entfernt traten zwei humanoide Roboter aus einer Tür. Langsam näherten sie sich ihnen. »Ich hatte gleich nach meiner Bergung durch die Roboter für einige Stunden Gelegenheit, mit einem Funkgerät zu arbeiten«, berichtete Taduk. »Ich habe einen Funkspruch von meinen Leuten aufgefangen, in dem die Freunde der Sonne zum Mittelpunkt des Lichts gerufen werden. Kannst du damit etwas anfangen?« »Nein. Leider nicht.« »Kann sein, daß unsere dailanischen Mutanten wissen, was das zu bedeuten hat«, murmelte er. Besorgt beobachtete er die beiden
Roboter, die nun schnell näher kamen. Die beiden Maschinen waren humanoid, aber nur etwa anderthalb Meter groß. Dennoch ging eine gewisse Drohung von ihnen aus. Weder Mrothyr noch der Daila wußten, wie sie sich verhalten sollten. Sie befürchteten einen Angriff der Automaten, wollten aber von sich aus nicht gegen sie vorgehen, um keine größere, gegen sie gerichtete Aktion auszulösen. Der Zyrpher nahm sein Desintegratorwerkzeug in die Hand, um sich wehren zu können. Doch die beiden Roboter schritten an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Verblüfft blickten die beiden Freunde ihnen nach. »Sie ignorieren uns«, stellte Taduk überrascht fest. »Es scheint ganz normal für sie zu sein, daß wir uns auf dieser Seite der grünen Schranke aufhalten.« »Auf jeden Fall greifen sie uns nicht an«, entgegnete Mrothyr. »Das ist schon einmal viel wert. Wir können uns also frei in dieser Anlage bewegen, ohne uns ständig von ihnen bedroht fühlen zu müssen.« Er öffnete eine der Türen, die vom Gang abzweigten. Dahinter lag ein kleiner Wohn- und Schlafraum, der einfach, aber ansprechend eingerichtet war. Auch die weiteren Türen führten zu ähnlichen Räumen, die jedoch alle unbewohnt waren. Er legte sich in eines der Betten. »Es ist zu klein für dich«, sagte Mrothyr. Der Daila stieg aus dem Bett und setzte sich in einen der Sessel. Auch der war nicht groß genug für ihn. »Eines scheint sicher zu sein«, sagte er. »Auf dieser Seite der Todesschranken haben auch intelligente Wesen gelebt, aber das ist vermutlich schon lange her. Man sieht keine aktuellen Spuren mehr.« »Davon bin ich nicht überzeugt«, widersprach Mrothyr. »Es kann durchaus sein, daß diese Räume für irgend jemanden vorgesehen waren, der nie erschienen ist. Vielleicht sollten sich diese Räume irgendwann für die Bewohner der Höhlen öffnen.«
Wenig später erreichten sie ein Panzerschott. Es glitt zur Seite, ohne daß sie etwas dazu tun mußten, und gab ihnen den Weg in eine Steuerzentrale frei. »Seltsam«, sagte der Daila. »Es sieht fast so aus, als wären wir willkommen.«
8. Nach zwei Stunden intensiver Arbeit an den Schaltpulten fanden Mrothyr und Taduk Zugang zu den elektronisch gespeicherten Daten der Zentrale. Auf einem mannshohen Bildschirm über dem Steuerpult erschien das Gesicht eines menschenähnlichen Wesens. Es wurde beherrscht von den beiden großen und ausdrucksvollen Augen, deren Farbe zwischen Türkis und Blau schwankte. Sie wurden umgeben von zahllosen Blasen und Warzen unterschiedlicher Größe und Farben. Dabei bildeten die Warzen jeweils kreuzförmige Muster, während die Blasen nach keinem bestimmten System verteilt zu sein schienen. Die Nase war klein und schmal. Auf ihrem Rücken befand sich ein kleiner Kamm, der messerscharf zu sein schien. Sie spaltete sich an ihrer Spitze in zwei mit schwarzen Härchen besetzte Stränge, die zunächst auseinanderstrebten, sich dann aber unter dem Mund wieder zusammenfanden. Zwischen den blauen Lippen glänzte eine Unzahl von dicht hintereinander plazierten Plättchen, die die ganze Mundhöhle auszufüllen schienen. Weißes Haar umrahmte das Gesicht. Es vermittelte den Eindruck von Alter und Würde. »Mein Name ist Arcklörn-Ilo«, sagte der Mann. »Ich vermute, ihr habt einige Fragen an mich.« »Allerdings«, erwiderte Mrothyr. »Zunächst, warum reden wir auf diesem Weg miteinander? Bist du hier irgendwo in diesem Asteroiden? Dann komm her und sprich direkt mit uns.« »Ich bin seit Äonen tot«, erwiderte der Mann. »Mein Bild und
meine Gedanken sind lediglich gespeichert. Der Computer hilft mir, Zeit und Raum zu überwinden und so mit euch zu reden, als sei ich direkt bei euch. Ich habe dieses elektronische Gerät konstruiert und mit den notwendigen Daten versehen. Es erzeugte mein Gesicht und läßt mich so sprechen, als lebte ich noch.« »Neue Technik«, stöhnte Mrothyr. »Ich hätte es mir denken können.« »Tatsächlich spricht die Elektronik mit uns. Es lebt also niemand mehr von deinem Volk?« fragte Taduk. »Nein.« »Dann möchte ich wissen, warum wir hier gefangengehalten werden.« »Niemand wird gefangengehalten«, behauptete Arcklörn-Ilo. »Wir sind nicht freiwillig hier«, betonte Mrothyr. »Und wir wollen den Asteroiden verlassen, aber damit scheinst du nicht einverstanden zu sein.« »Unser Volk hat mir einen Befehl erteilt, und an diesen Befehl muß ich mich halten.« Mrothyr blickte verblüfft auf den Bildschirm. Er glaubte, sich verhört zu haben. Dieser Befehl konnte und durfte ihn nicht betreffen. »Das mußt du uns erklären«, erwiderte Taduk. »Wie ist dieser Asteroid entstanden?« »Du weißt nichts.« »Deshalb frage ich.« »Es ist viel Zeit vergangen.« Mrothyr lehnte sich gegen einen der Sessel. Er hätte sich gern gesetzt, aber es war keine für ihn geeignete Sitzgelegenheit vorhanden. »Eines ist mir klar«, sagte Taduk zu ihm. »Dieser Asteroid wurde vor sehr langer Zeit von einem Volk ausgehöhlt und ausgebaut, das längst verschollen ist. Arcklörn-Ilo scheint zu glauben, daß wir zu
diesem Volk gehören, und er ist der Ansicht, daß wir eigentlich mehr Informationen haben müßten, als wir tatsächlich haben.« »Es fällt mir schwer, ihn nicht als lebendes Wesen zu sehen«, erwiderte Mrothyr. Taduk nickte. Er verstand den jungen Zyrpher. Das Bild Arcklörn-Ilos verschwand, dafür erschienen Bilder einer Stadt. In den Straßen drängten sich Massen von humanoiden Wesen. Sie sahen alle aus wie Arcklörn-Ilo. »Auf dem vierten Planeten unseres Sonnensystems hatten wir Karalkonen eine hochstehende Zivilisation aufgebaut, obwohl unsere Welt nur über äußerst wenige Rohstoffe verfügte«, erläuterte Arcklörn-Ilo. »Wir haben Raumschiffe entwickelt, mit denen wir zu den anderen Planeten fliegen konnten. Wir hofften, dort die Stoffe zu finden, die uns auf lange Sicht hätten retten können. Doch es gab sie nicht in ausreichender Menge.« »Davon ist eine Zivilisation nicht unbedingt abhängig«, bemerkte der Daila. »Wir waren davon abhängig. Wir wußten, daß unsere Kultur dem Untergang geweiht war und daß es keine Hoffnung mehr für unser Volk gab. Wir wollten uns aber nicht mit dem Untergang abfinden. Wir wollten das Ende unserer großartigen Kultur, die wir über Jahrzehntausende aufgebaut hatten, nicht hinnehmen. Wir wollten das retten, was uns mehr bedeutete als unser Leben. Das aber war nur möglich, wenn wir unser Sonnensystem verließen und uns auf einem anderen Planeten in einem anderen Sonnensystem ansiedelten.« »Ihr mußtet eine interstellare Raumfahrt entwickeln«, sagte der Zyrpher. »Genau das«, bestätigte Arcklörn-Ilo. »Doch dazu waren wir nicht in der Lage, weil uns die entsprechenden Rohstoffe fehlten. Wir konnten die dafür notwendige Industrie nicht aufbauen.« »Demnach befand sich euer Volk in einem Konflikt, den es nicht lösen konnte«, stellte der Daila fest. Er blickte auf einen
Monitorschirm, auf dem der Durchgang zu sehen war, durch den sie in diesen Teil des Asteroiden gekommen waren. Ein Roboter war dabei, die leere Hülle zu entfernen. Durch das Grün des Desintegratorfelds waren einige Gestalten zu erkennen. Taduk erhob sich und ging näher an den Bildschirm heran, um Einzelheiten ausmachen zu können. Erschrocken stellte er fest, daß es Kartrokraet war, der vor dem Durchgang an einem Roboter arbeitete. Er höhlte die Maschine aus. Es war unverkennbar, daß der Zyrpher die Absicht hatte, das Desintegratorfeld auf die gleiche Weise zu überwinden wie sie. Erfolgt uns! dachte der Daila. Er wird bald hier sein, und dann geht der Kampf weiter. »Wir mußten eine Lösung finden, und wir haben eine gefunden«, antwortete Arcklörn-Ilo. »Was habt ihr getan?« fragte Mrothyr. »Wir haben den dritten Planeten unseres Sonnensystems in Stücke zerlegt. Die Trümmer wurden ausgehöhlt und in Raumstationen verwandelt, in denen wir überleben konnten, bis eine bessere Lösung erarbeitet war. Wir haben die Roboter gebaut und kleine Raumschiffe für die Roboter. Diese haben keine andere Aufgabe, als jedes Lebewesen, das in ihre Nähe kommt, sofort in Sicherheit zu bringen.« »Auch gegen seinen Willen«, stellte Mrothyr fest. »In Notsituationen können viele gar nicht beurteilen, was gut oder schlecht für sie ist.« »Das mag richtig sein«, gab der Zyrpher zu. »Und weiter? Wie ging es weiter?« »Sobald alle Raumstationen mit einer vorher berechneten Anzahl von Bewohnern versehen waren, sollten die Schiffe und die Roboter als Ausgangsmaterial für den nötigen Treibstoff und andere, genau vorausberechnete Bedarfsgüter dienen.« »Ich verstehe«, nickte Mrothyr. Er blickte den Daila an, und dieser verzog das Gesicht. Er machte damit deutlich, daß er die von
Arcklörn-Ilo geschilderte Idee für haarsträubenden Unsinn hielt. »Unglücklicherweise hatte die Zerlegung des Planeten eine verheerende Wirkung auf die anderen Welten unseres Sonnensystems, vor allem auf den vierten Planeten, auf dem unser Volk lebte.« »Die Trümmerstücke sind auf den vierten Planeten gestürzt?« fragte Taduk. »Schlimmer, der vierte Planet zerbrach ebenfalls. Die Katastrophe kam so schnell, daß alle Evakuierungsmaßnahmen versagten. Die Roboter fanden so gut wie keine Überlebenden. Da wir aber den vorrangigen Auftrag der Roboter aus mir unbekannten Gründen zeitlich nicht begrenzt hatten, trat der zweite Teil des Planes gar nicht erst in Kraft.« »Sie müssen den Verstand verloren haben«, murmelte Mrothyr. »Die Asteroiden sollten also die Bevölkerung des vierten Planeten als Sternenschiffe zu anderen Sonnensystemen bringen?« fragte Taduk. »Genau das war beabsichtigt«, bestätigte Arcklörn-Ilo, »aber kein einziger Asteroid ist gestartet, und die Zahl der Überlebenden wurde immer geringer. Vielleicht lag irgendwo ein Schaltfehler vor. Ich weiß es nicht. Es entzieht sich auch meiner Kenntnis, ob die Überlebenden versucht haben, die Asteroiden auf den Flug zu den Sternen zu bringen, oder ob sie in der Überzeugung lebten, daß die Asteroiden längst auf dem Weg dorthin waren.« »Die Roboter haben verhindert, daß irgend jemand die Höhlen verlassen konnte.« »Die Höhlen wurden abgesichert, damit der Plan nicht von Saboteuren durchkreuzt werden konnte. Ich habe festgestellt, daß eine automatische Schaltung vorliegt, die die Höhlen öffnet, sobald die Asteroiden ein anderes Sonnensystem erreichen.« »Und da die Asteroiden gar nicht erst gestartet sind, wird diese Schaltung niemals aktiviert werden«, entgegnete Mrothyr. »Was is mit den anderen Asteroiden?«
»Es gibt nur noch diesen einen«, erklärte Arcklörn-Ilo. »Die Roboter haben die anderen demontiert und ausgebeutet, um das Überleben der Besatzung von Eleyion zu ermöglichen.« Mrothyr setzte sich auf eine der Schaltkonsolen. Er schloß die Augen. Er konnte kaum fassen, was er gehört hatte. Die Roboter waren keineswegs aggressiv, sie führten lediglich den Befehl aus, den sie vor Jahrtausenden erhalten hatten. Durch sie war Eleyion zur Falle geworden. »Du weißt, daß von deinem Volk niemand mehr lebt?« fragte er Arcklörn-Ilo. »Ich weiß es nicht«, erwiderte dieser. »Mir ist jedoch seit geraumer Zeit niemand mehr begegnet.« »In den Höhlen gibt es nicht einen einzigen von ihnen«, stellte Taduk fest. Er blickte auf den Monitorschirm. Er sah, daß Kartrokraet beängstigende Fortschritte bei seiner Arbeit gemacht hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er die Desintegratorschleuse durchschreiten würde. »Das scheint so zu sein«, gab Arcklörn-Ilo zu. »Die Roboter haben niemanden gesehen.« »In Eleyion leben nur Fremde«, sagte Mrothyr. »Es gibt hier nur Wesen, die mit eurer Idee überhaupt nichts zu tun haben. Sie alle haben selbst Sternenschiffe gebaut, und sie sind nicht darauf angewiesen, mit diesem Asteroiden eine so weite Reise anzutreten. Es ist also völlig sinnlos, daß der Betrieb in Eleyion von dir noch aufrechterhalten wird. Du erreichst damit genau das Gegenteil von dem, was eigentlich beabsichtigt ist. Du ermöglichst nicht die Raumfahrt zu anderen Sonnensystemen, sondern du verhinderst sie.« »Alles neigt sich dem Ende zu«, ergänzte Taduk. »Die anderen Asteroiden sind ausgeschlachtet. Die Vorräte sind weitgehend aufgebraucht. Jetzt bleiben nur noch die kleinen Raumschiffe und die Roboter, und wenn deren Material aufgebraucht ist, muß sich dieser Asteroid selbst auffressen. Danach kommt das Nichts.
Wieviel Zeit bleibt noch bis dahin? Ein Jahr? Ein halbes? Ein Monat?« »238 Tage«, antwortete Arcklörn-Ilo. »Danach kann ich das Leben in den Höhlen nicht mehr garantieren.« »Was für ein Wahnsinn«, stöhnte Taduk. »Da bekämpfen sich Kartrokraet und die anderen bis aufs Messer und haben doch nur eine kurze Überlebensfrist.« »Eleyion muß evakuiert werden«, sagte Mrothyr entschlossen. »Alle müssen den Asteroiden verlassen.« Er wandte dem farbenschillernden Gesicht den Rücken zu. Wofür ist Arishka gestorben? dachte er verzweifelt. »Dies alles muß zu Ende sein«, sagte Taduk. »Ich schlage vor, die Desintegratorfelder abzubauen. Die Raumschiffe der Roboter müssen umgebaut werden zu großen Sternenschiffen, mit denen die Bewohner von Eleyion in ihre Heimat zurückkehren können.« »Ich bin nicht sicher, daß ich eine entsprechende Entscheidung treffen darf«, antwortete Arcklörn-Ilo. »Du mußt dich sogar so entscheiden«, rief Mrothyr leidenschaftlich. »Sollen noch mehr Menschen durch deine Schuld sterben? Das Maß ist voll.« »Ich habe stets gut für alle gesorgt, die in Eleyion untergekommen sind«, verteidigte sich das Elektronenhirn. »Ja, das hast du«, erwiderte der Zyrpher erregt. »Zugleich hast du sie geistig verkümmern lassen. Du hast ihnen jegliche innere Anspannung, jede Herausforderung genommen. Damit hast du genau das Gegenteil von dem getan, was für uns wichtig ist.« »Du behauptest, innere Anspannung und Herausforderungen seien erwünscht?« »Sie sind lebensnotwendig für die geistige Gesundheit der Menschen«, sagte Mrothyr. »Nimm sie ihnen, und sie verkümmern geistig.« »Eine interessante These.« »Es ist keine These, es ist die Wahrheit. Für dein Volk mag etwas
anderes gelten, nicht jedoch für diejenigen, die jetzt in Eleyion sind. Gib sie endlich frei. Deine Mission ist beendet. Werde deiner eigentlichen Aufgabe gerecht und öffne ihnen und uns den Weg zu den Sternen.« Der Daila griff nach dem Arm Mrothyrs, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Dann zeigte er auf den Monitorschirm, den er seit einiger Zeit beobachtet hatte. Eine massige Robotgestalt bewegte sich schwerfällig durch das Desintegratorfeld. »Kartrokraet«, sagte er leise. »Er kommt.« »Schalte endlich ab«, rief Mrothyr. »Du darfst nicht zulassen, daß noch mehr Menschen sterben.« Arcklörn-Ilo gehorchte. Das grüne Leuchten verschwand. Mrothyr und der Daila konnten die Gesichter der Männer und Frauen sehen, die auf der anderen Seite des Durchgangs standen. In ihnen zeichnete sich maßloses Erstaunen ab. Kartrokraet stolperte. Er warf sich haltsuchend herum, und die Rückenplatte seiner Robotrüstung löste sich. In diesem Moment hätte die in der Elektronik gespeicherte Kontur des Roboters nicht mehr gestimmt, und Kartrokraet wäre vom Desintegratorfeld getötet worden. Er stürzte zu Boden und kroch dann hastig aus der Rüstung. Fassungslos blickte er auf den Durchgang, durch den jetzt die anderen nachrückten. Unter ihnen befand sich auch der alte Naldrynne. Er streckte die Arme vor, und er ging langsam und zögernd, als glaube er nicht, was er sah. »Du hast Kartrokraet das Leben gerettet«, sagte Taduk, »aber er wird es dir nicht danken.« »Wir gehen zur STERNSCHNUPPE und starten«, entgegnete Mrothyr. »Wir halten uns gar nicht erst mit ihm auf.« Der Daila rieb sich seine silbern glänzenden Fingernägel am Kinn. »Du nimmst mich mit?« »Ich gehe davon aus, daß du mitfliegen willst«, lächelte Mrothyr. »Es gibt noch mehr Dailaner hier. Für einige von ihnen habe ich
Platz. Die anderen müssen noch so lange bleiben, bis Arcklöm-Ilo ihnen ein Raumschiff zur Verfügung gestellt hat.« »Einverstanden.« Auf einem der Monitorschirme sah Mrothyr, daß Kartrokraet und seine Männer sich der Zentrale näherten. »Ich will zu meinem Raumschiff«, sagte Mrothyr zu Arcklörn-Ilo. »Es ist das Schiff, das als letztes auf diesem Asteroiden gelandet ist. Kann ich es erreichen, ohne daß ich denen begegne, die jetzt hierher kommen?« Eine Luke öffnete sich im Boden. Mrothyr sah, daß ein Schacht in die Tiefe führte. An der Seite befand sich eine Stahlleiter. »Schnell«, drängte Taduk. »Wir müssen weg sein, bevor sich das Schott öffnet.« Mrothyr stieg als erster in den Schacht. Rasch kletterte er nach unten. Der Daila folgte ihm, und über ihm schloß sich die Luke. »Angenehm, wenn man gute Beziehungen zu einem Elektronenhirn hat«, rief er zu dem Zyrpher hinunter. Unter diesem glitt ein Schott zur Seite und gab den Weg in einen kleinen, quadratischen Raum frei. Die Leiter verlängerte sich bis auf den Boden herab, so daß Mrothyr nicht zu springen brauchte. Als auch Taduk unten war, schob sich die Leitet wieder nach oben, und das Schott schloß sich. »Ein Lagerraum«, kommentierte Taduk, während er zur Tür ging und sie öffnete. »Von hier holen die Roboter, was draußen benötigt wird.« Sie traten auf einen Gang hinaus, und als sie einige Schritte gegangen waren, kamen ihnen zögernd einige Zyrpher und Dailaner entgegen. Als diese sie sahen, blieben sie überrascht stehen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte Mrothyr. »Die zentrale Elektronik hat die tödlichen Felder abgeschaltet. Von jetzt an könnt ihr euch überall frei und ungefährdet bewegen.« Er ging an ihnen vorbei. »Wohin willst du?« fragte einer der Zyrpher.
»Zu meinem Raumschiff«, antwortete er. »Wohin sonst? Glaubst du, ich bleibe auch nur eine Minute länger als notwendig?« Er hörte, daß Taduk mit einigen Dailanern sprach. Diese schlossen sich ihm an. »Ich habe einen Funkspruch aufgefangen«, erklärte Taduk. »Darin war die Rede von den Freunden der Sonne und vom Mittelpunkt des Lichts, wohin sie gerufen wurden. Könnt ihr etwas damit anfangen?« Eine lebhafte Diskussion entwickelte sich, für die Mrothyr sich jedoch nicht weiter interessierte. Er trat in einen hell erleuchteten Felsdom hinaus, der einem farbenfrohen Garten glich. Überall wuchsen blühende Bäume und Büsche, und jeder Freiraum schien für Blumenbeete ausgenutzt zu werden. Nur schmale Wege führten hindurch. Mrothyr sah einen Zyrpher unter einem der Bäume stehen. Er trug einen hohen, röhrenförmigen Hut mit schmaler Krempe. »Prerk«, rief er. »Du hier?« Er eilte zum Hintergeher. Dieser drehte sich zu ihm um und blickte ihn ernst an. »Du hast es geschafft, Mrothyr«, sagte er, und er schien nicht überrascht zu sein, den Freiheitskämpfer zu sehen. »Leider zu spät. Arishka ist nicht mehr.« Mrothyr ließ sich nicht anmerken, was er empfand. »Aber nicht für dich«, entgegnete er. »Wir starten mit der STERNSCHNUPPE.« Der Hintergeher schüttelte den Kopf. »Nicht ich«, erwiderte er. »Ich bleibe hier. Ich habe noch zwei Dinge zu erledigen.« »Welche?« fragte Mrothyr. »Ich werde mit Kartrokraet abrechnen. Er ist am Tod Laits und Arishkas schuld. Er wird sterben.« Mrothyr wollte Einspruch erheben, doch er sah dem Prerk an, daß dies vergeblich gewesen wäre. Der Hintergeher würde sich nicht
umstimmen lassen. »Du sagtest, es sind zwei Dinge, die du erledigen mußt.« Jetzt lächelte der Prerk. Er blickte an Mrothyr vorbei ins Leere. »Was nach meiner Rache an Kartrokraet kommt, sagt dir mein Namen«, antwortete er. »Dein Name? Ich verstehe nicht.« »Oh, doch, Mrothyr! Ich bin ein Hintergeher. Ich habe dem Würger überallhin zu folgen.« »Aber der Würgerlebt nicht mehr.« Der Prerk blickte ihn an und lächelte erneut. Mrothyr begriff. »Du willst ihm in den Tod folgen?« fragte er. »Aber das ist doch Wahnsinn. So weit kann deine Pflichterfüllung nicht gehen.« »Ich habe keine andere Wahl.« »Du könntest mit mir kommen. Ich bringe dich irgendwann nach Zyrph, und dann kannst du zu deinen Leuten in die Eulen-Berge zurückkehren.« »Niemals«, erwiderte der Hintergeher. »Das könnte ich nur, wenn Lait die ihm auferlegte charakterliche Wandlung durchgemacht hätte, und wenn er vor mir her in die Berge gehen würde. Doch er lebt nicht mehr. Deshalb bleiben mir die Eulen-Berge für immer versperrt. Der Bewahrer der Macht würde mich niemals akzeptieren. Ich bleibe hier in diesem Asteroiden, und niemand wird mich von diesem Entschluß abbringen.« Mrothyr versuchte dennoch, ihn umzustimmen, schaffte es jedoch nicht. Schließlich verabschiedete er sich von ihm und ging zusammen mit den Dailanern zur STERNSCHNUPPE, die wieder einen Energietunnel erzeugt hatte. Er war traurig und niedergeschlagen. Sein Weg in die Weiten des Kosmos hatte mit schrecklichen Erlebnissen begonnen. Er hatte Arishka, den Würger und jetzt auch den Hintergeher verloren, aber nicht das geringste für die Freiheit seines Volkes erreicht.
* Die Dailaner wußten mit dem Funkspruch etwas anzufangen. Sie sprachen von einem »Treffpunkt der Mutanten«, und sie veranlaßten die STERNSCHNUPPE, diesen anzusteuern. Als das Raumschiff die Überlichtetappe beendete, ortete es eine größere Zahl von Raumschiffen, die in verschiedene Richtungen davonflogen. Eines der Raumschiffe kam Mrothyr bekannt vor. Er glaubte, es schon einmal gesehen zu haben. Er machte Taduk darauf aufmerksam. »Es ist ein dailanisches Forschungsschiff«, sagte dieser erregt. »Bitte, ich muß mit der Besatzung reden. Vielleicht fliegt das Schiff nach Aklard, und ich muß nach Aklard. Verstehst du? Es zieht mich dorthin. Es zerfrißt mich förmlich, daß ich nicht dort bin.« Mrothyr lächelte. Er verstand den Daila. Ihm erging es nicht anders. Er hatte Sehnsucht nach Zyrph. Er bat die STERNSCHNUPPE, das dailanische Forschungsraumschiff anzufunken. »GHYLTIROON«, meldete es sich. Taduk beugte sich nach vorn. »Und mein Raumschiff nennt sich STERNSCHNUPPE«, erwiderte er. »Ich bin auf der Suche nach einem Raumer, der nach Aklard fliegt.« »Da bist du bei uns genau richtig«, antwortete der Funker der GHYLTIROON. Er hatte zahllose Falten unter den Augen, und als er lächelte, schien sich ihre Anzahl noch zu verdoppeln. Doch dann wich dieses Gesicht zur Seite aus, und ein anderes erschien. Es schlug Mrothyr in seinen Bann. Er sah rötlich schimmernde Augen und silbrig helles Haar. Dieses Gesicht würde er nie vergessen. »Atlan«, rief er. »Bist du es wirklich? Du bist den Naldrynnen entkommen?«
Der Arkonide blickte ihn überrascht an, und dann lächelte er. »Der Freiheitskämpfer Mrothyr«, sagte er staunend. »Ich habe oft an dich gedacht, aber ich habe nie damit gerechnet, dich im Raum zu treffen – und dann noch an Bord der STERNSCHNUPPE.« »Dabei liegt gerade das doch nahe«, erwiderte der Zyrpher. »Wie sonst hätte ich Zyrph verlassen sollen?« »Ich komme zu dir herüber«, kündigte der Arkonide an. »Das hatte ich gehofft, Atlan. Ich warte auf dich. Taduk und die anderen Dailaner, die hier sind, werden vermutlich auf die GHYLTIROON wollen.« »Genau das«, rief Taduk dazwischen. »Und ich wäre verdammt froh, wenn wir uns ein bißchen beeilen könnten.«
ENDE
Beim Treffpunkt der Mutanten ist es überraschenderweise zur erneuten Begegnung zwischen Mrothyr und Atlan gekommen. Die STERNSCHNUPPE geht wieder in Atlans Besitz über, und der Arkonide, Chipol, der junge Daila, und der Rebell von Zyrph starten gemeinsam zu einem neuen Abenteuer im Zentrum von Manam-Turu … IM ZENTRUM VON MANAM-TURU – so lautet auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes. Der Roman wurde von Hans Kneifel geschrieben.