Wo hast du das gelernt?
Jennifer Drew
Tiffany 977 01/2 – 2002
Gescannt von suzy_kay Korrigiert von almut k.
1. KAP...
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Wo hast du das gelernt?
Jennifer Drew
Tiffany 977 01/2 – 2002
Gescannt von suzy_kay Korrigiert von almut k.
1. KAPITEL Sie war ein wandelnder Gepäckkarren. Kim Grant zog ihren voll gepackten Rollenkoffer mit einer Hand hinter sich her und trug in der anderen einen alten Hartschalenkoffer vom Trödelmarkt. Alle paar Schritte rutschten ihr die Träger ihres Matchbeutels von der Schulter, und die Umhängetasche mit den Flugtickets, die sie sich um den Hals gehängt hatte, schlug gegen ihre Brust. Ein freundlicher Nachbar, Ben, hatte sie durch das morgendliche Schneegestöber zum Flughafen gefahren und sie vor den Ticketschaltern des Flughafens von Detroit um sechs Uhr früh abgesetzt. Kim lächelte und dachte an den süßen Abschiedskuss. Fast hätte sie sich gewünscht, dass sie nicht fliegen würde, und tatsächlich sah es ganz so aus, als würde ihr Flug ausfallen. Ben war schon lange fort, als sie erfuhr, dass ihr Flugzeug nicht starten würde. Der eisige Wind hatte Schnee auf die Rollbahnen geweht, und deshalb waren alle Flüge abgesagt worden. Und da sie nun auf dem Weg nach Phoenix, ihrer Heimatstadt, war, war dieser Aufschub doppelt ärgerlich. Ihre Wohnung in Detroit war leer, ihre Möbel aus dem Trödelladen verkauft oder verschenkt, und der Schlüssel war wieder beim Vermieter. Es gab für sie nichts mehr in dieser Stadt zu tun, außer dass sie versuchte, nach Arizona zu kommen. Sie musste so schnell wie möglich zu ihrer Schwester. Es war das erste Mal, dass Jane sie wirklich brauchte. Luke Stanton, Janes Mann, war in Afrika, um den Bau einer Niederlassung der Sportartikelfirma zu überwachen, die er für seinen Großvater leitete. Er war nur widerwillig gefahren, denn Jane war zum zweiten Mal schwanger; dieses Mal erwartete sie Zwillinge - Mädchen. Kim war sich sicher, dass Luke so schnell wie möglich nach Hause kommen würde, wenn er von Janes Problemen bei der Schwangerschaft wüsste. Aber Jane war zu starrköpfig, um Lukes Reise zu unterbrechen, indem sie etwas sagte, selbst wenn es durchaus berechtigt gewesen wäre. Nur hatte sie leider Kim erzählt, dass der Arzt ihr viel Ruhe verschrieben hatte. Jane hatte eine Haushälterin, aber sich um den vierjährigen Peter zu kümmern war schon ein echter Liebesdienst. Kim betete ihren Neffen an, obwohl er mehr oder weniger wie ein Klon des wilden Mannes wirkte, der sein Vater gewesen war, ehe die Liebe ihn gezähmt hatte. Der kleine Teufelskerl kletterte so leicht auf Bäume, wie er Treppen stieg, und er nahm das Wort „nein" als persönliche Herausforderung. Es machte Kim nichts aus, ihren Job als Leiterin von Computerkursen aufzugeben. Sie vermisste Phoenix mit seiner goldenen Sonne und dem trockenen Wüstenklima, aber vor allem wollte sie näher bei ihrer Schwester sein. Deshalb war es die reine Freude für sie, dass sie endlich etwas für ihre Schwester tun konnte. Jane hatte sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern aufgezogen und ihr durch sämtliche Krisen geholfen, die ein Teenager durchzustehen hat, und sie hatte dafür gesorgt, dass sie den Abschluss auf dem College machte. Kim sehnte sich danach, Peter wiederzusehen, auch wenn er beim letzten Besuch Sand in ihren Koffer geworfen oder mit ihrem Lippenstift den Badezimmerspiegel beschmiert hatte. Nun war sie auf solche Streiche vorbereitet. Mit ihrer Hilfe würde Jane die Ruhe bekommen, die sie brauchte, und sie, Kim, würde das Vergnügen haben, Lukes Sohn zu zähmen. Aber erst einmal musste sie nach Phoenix kommen. Es gab nur eine Möglichkeit, eine Maschine dorthin zu kriegen: sie musste zu einem anderen Flugplatz. Die Rolltreppe lag vor ihr und war zum Glück gerade frei, so dass Kim genug
Zeit hatte, ihre Koffer auf die abwärts fahrenden Stufen zu stellen. Sie stellte den Rollkoffer auf eine der sich bewegenden Stufen und lud den anderen Koffer obenauf, drückte die Umhängetasche an sich und hüpfte etwas zu spät auf die Stufe hinter ihrem Gepäck. Sie schaffte es nicht, mit beiden hochhackigen schwarzen Lederstiefeln auf eine einzige Stufe zu gelangen, und zudem wickelte sich ihr langer Rock um ihre Knöchel. Kim fiel nach vo rne und fasste instinktiv mit der Hand, die den alten Koffer in der Balance hielt, nach dem Handlauf der Rolltreppe. „Oh nein!" rief sie. Der alte Koffer fiel von seinem schwankenden Posten und sprang beim zweiten Aufprall auf, so dass der gesamte Inhalt herausfiel. Kim sah, wie ihre Seidenwäsche in einem weiten Bogen auf die Stufen segelte. Sie konnte nichts tun; ihr großer Rollenkoffer stand ihr im Weg. Ihre Dessous folgten dem verflixten anderen Koffer - dem vom Flohmarkt - und sammelten sich am Fuß der Rolltreppe zu einem kleinen Berg an. Kim wäre beinahe gestürzt, als sie hastig versuchte, ihre Unterwäsche aufzuheben, konnte sich aber gerade noch festhalten. Sie schob den Rollenkoffer mit einem Tritt beiseite, ging auf die Knie und war so intensiv mit der Rettung ihrer Habe beschäftigt, dass sie um ein Haar ein Paar langer Beine übersehen hätte, die in khakifarbenen Jeans steckten. „Darf ich Ihnen helfen?", fragte die zu den Beinen gehörende Stimme. Kim stopfte gerade einen pfirsichfarbenen Slip in ihre Jackentasche und war viel zu verlegen, um den Mann mit der tiefen Stimme anzuschauen, von dem dieses Angebot stammte. Er stand auf einem silbern schimmernden BH, den Kim unter seinen Stiefeln wegzupfte. „Danke, aber ich schaffe es schon alleine." Sie hielt ihr Gesicht abgewandt und fragte sich, was in sie gefahren war, als sie sich den schwarz-weiß gestreiften Slip gekauft hatte. „Keine Ursache. Es wäre zu schade, wenn die Leute auf Ihren Sachen herumtrampeln würden." Sie folgte seinem Blick zum oberen Ende der Ro lltreppe, wo bereits mehrere Leute standen. Ihr Retter nahm den lädierten Rohmarktkoffer und stopfte Kims Dessous hinein. Es sprach für ihn, dass er sie nicht allzu genau betrachtete, außer als er ihr schwarzes Spitzenhemdchen zu falten versuchte. „Es ist zum Schlafen", sagte Kim hochrot. Die Leute waren die Treppe schon halb hinabgefahren. Kim griff verzweifelt nach den restlichen Kleidungsstücken und konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite treten, als drei grölende junge Männer in schwarzroten Jacken über die letzte Stufe sprangen. Kim wandte ihnen den Rücken zu und überhörte ein anerkennendes Pfeifen, bis sie endlich in ein Paar elektrisierender blauer Augen sah. Ihr Retter in der Not war wirklich ein toller Mann! Von seinem Finger hing ein feuerroter G-String, den er wie eine heiße Kartoffel fallen ließ und dabei den Koffer verfehlte, als Kim ihn ansah. Sie schnappte sich das Teil vom Boden und knüllte es zusammen, weil sie es in die Tasche stecken wollte. Sie überlegte es sich aber anders und warf es mit den restlichen Sachen in den Koffer. Zu ihrer Erleichterung hielt der altmodische Verschluss, nachdem sie den Deckel zugeklappt hatte. „Ich kann Ihnen gar nicht genug danken", sagte sie und versuchte, die Sache herunterzuspielen, obwohl ihr das Ganze aus gesprochen peinlich war. „Kein Problem. Kann ich Ihnen bei dem Gepäck helfen?" Der Fremde schob sich eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus der Stirn, wodurch Kim sein ausgesprochen hübsches Gesicht mit dem markanten Kinn sah. Immer boten ihr die Männer Hilfe an. Ihre Schwester meinte, es wäre, weil sie
so verletzlich aussah, aber Kim wusste, dass sie nicht hilflos war. Sie hatte nur die unglückliche Tendenz zu stolpern, zu stürzen und auszurutschen. Sie arbeitete daran, das zu ändern, aber manchmal ging es noch schief. Wie eben heute. „Tausend Dank, aber ich reise nie mit mehr Gepäck, als ich selber tragen kann." Natürlich wäre etwas Hilfe ganz nett, aber wie konnte sie ihren Koffer einem Mann geben, der gerade ihre Unterwäsche in der Hand gehabt hatte? Im Moment war Kim viel zu sehr damit beschäftigt, seine von langen Wimpern umgebenen Augen zu mustern, die sie skeptisch ansahen. „Okay, aber Sie werden doch wohl nicht dieses Ding da hinter sich herziehen wollen." Er zeigte auf ihre dunkelblaue Strumpfhose, die aus dem Koffer quoll. Dann ging er und ließ Kim zurück; noch einmal öffnete sie den Koffer und stopfte die Strumpfhose in das Durcheinander, damit sie sich nicht wieder verfangen würde. Kim hatte nicht die Nerven, um die vielen Reisenden anzusehe n, die in alle Richtungen davoneilten, und um sich zu fragen, wie viele von ihnen die öffentliche Zurschaustellung ihrer ausgefallenen Unterwäsche mitbekommen hätten. Vollkommen erschlagen von ihrem Gepäck, ging sie zu den Schaltern der Autovermietungen. Wenn sie jetzt schnell loskäme und die Straßen frei wären, könnte sie nach Chicago fahren und den letzten Flug nach Phoenix nehmen. Am ersten Schalter gab es keine Warteschlange, weshalb Kim sich dort anstellte. Leider verkündete ein Schild, dass zurzeit keine Fahrzeuge zur Verfügung standen. Beim zweiten Schalter war ihr breitschultriger Retter zwei Plätze vor ihr in einer langen Schlange. Da die Straßen vermutlich vereist sein würden und mit weiterem Schneefall zu rechnen war, wollte sie das bestmögliche Auto. Zum Glück bekam sie mit, wie die Person ganz vorn in der Schlange mit dem Hinweis weggeschickt wurde, hier gäbe es nur reservierte Wagen. Kim lief zum letzten Schalter. Unterwegs sah sie über ihre Schulter und bekam mit, wie ihr Retter gleichfalls zum Schalter der Econo-Cars ging. Hätte er vorhin nicht angehalten, um ihr zu helfen, hätte er vielleicht längst einen Wagen bekommen und wäre schon unterwegs. Kims Gewissen sagte ihr, dass sie ihn eigentlich vorlassen sollte, aber es war ihre letzte Chance, eine der billigen Kisten zu mieten. Sie musste einfach nach Phoenix. Ihre große Schwester brauchte sie. Himmel, war der Typ schnell! Kim lief, so schnell sie konnte, ihre Umhängetasche schlug ihr gegen die Brust, und der Riemen schnitt in ihren Hals; der Koffer mit den wackeligen Rollen schwankte hinter ihr her. Kim konnte gerade noch einen Zusammenstoß mit dem Gepäckkarren vermeiden, den ein Kind vor sich herschob. Der Kleine hatte hellblonde Haare wie Peter, und wieder sehnte Kim sich danach, ihren Neffen zu sehen. Von dem kleinen Kerl abgelenkt, hatte sie den Abstand zwischen sich und ihrem Mitbewerber schrumpfen lassen. Sie vergaß, dass er vorhin bei ihr den barmherzigen Samariter gespielt hatte, und lief zum Schalter, wo sie gleichzeitig mit ihm ankam. „Ich war zuerst da", keuchte sie, nestelte den Gurt ihrer Umhängetasche aus dem Haar und knallte die schwere Tasche auf den Tresen. „Hier ist meine Kreditkarte." Sie suchte noch danach, als ihr attraktiver Retter von vorhin dazwischenfuhr. „Ich war vor Ihnen da", sagte er, „Aber wenn Sie es so eilig haben, lasse ich Sie gern vor." „Sir, wir haben leider nur noch einen Wagen", erklärte die Frau hinter dem Schalter.
„Ich nehme ihn", sagte der Kerl mit einem Lächeln, das diese Frau becircen sollte, ihm den Schlüssel zu geben. „Warten Sie!" Kim hielt ihm ihre Tasche vor das Gesicht. „Ich war zuerst da. Ich stand hier schon am Schalter, als er noch einen Schritt entfernt war." „Tut mir wirklich Leid", meinte die Blondine. „Dieser Herr hat sich bereits für unseren letzen Wagen entschieden." „Rufen Sie bitte Ihren Vorgesetzten", sagte Kim, die keine Lust hatte, mit einer Frau zu diskutieren, die ihren männlichen Kunden mit riesengroßen Augen ansah. „Das wird auch nichts ändern." Miss Supersüß hörte sich an, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. „Vielleicht rufen Sie ihn doch, damit es hier vorangeht", schaltete sich Kims Konkurrent ein. „Ich muss eine Verbindung in Chicago kriegen, ehe der Sturm alle Inlandsflüge unmöglich macht." „Chicago! Dahin will ich auch. Vie lleicht können wir uns zusammentun", schlug Kim vor, ohne zu bedenken, dass der Mann ja auch ein Serienmörder, ein Betrüger oder ein mieser Fahrer sein könnte. „Das glaube ich nicht." „Ich zahle auch die Hälfte - nein alles. Bitte, ich muss dringend nach Phoenix. Meine Schwester erwartet Zwillinge und ..." „Jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, sie erwartet, dass Sie die Kinder zur Welt bringen!" meinte er, zeigte seine Kreditkarte und klappte die Brieftasche wieder zu. Er ging aufs Ganze. Kim senkte ihre Lider und bedachte ihn mit dem Blick eines verwundeten Vogels, was normalerweise Wirkung zeigte. Darauf war sie nicht gerade stolz, aber in ihrer Verzweiflung wusste sie sich nicht anders zu helfen. Er übersah Kims Anstrengung, so bemitleidenswert wie möglich auszusehen, und wandte ihr die Schulter zu. „Miss, ich bestehe darauf, dass Sie Ihren Chef holen", sagte Kim. Sie hatte angeboten, sich den Wagen zu teilen. Was konnte sie sonst noch tun? Ein rundlicher Mann mit metallgefasster Brille und Doppelkinn kam aus einer Tür, an der ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossen" hing. „Sir", sprudelte Kim los, „hier liegt leider ein Missverständnis vor. Ich hasse es, Ihnen Umstände zu machen, aber ich war wirklich zuerst am Schalter. Mir steht der letzte Wagen zu." Sie stockte, denn das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber sie brauchte diesen Wagen dringend. „Haben Sie gesehen, wer zuerst am Schalter war, Miss Wheeler?", fragte der Vorgesetzte. Sein Kinn wabbelte und verdeckte den Knoten seiner Firmenkrawatte, als er Kim von Kopf bis Fuß musterte. Sein Blick blieb die gewohnten Extrasekunden auf ihren spektakulären Brüsten hängen, die unter der offenen schwarzen Regenjacke zu ahnen waren. „Ich muss dringend nach Chicago und meinen Anschlussflug nach Phoenix erreichen. Meine Schwester ist schwanger, und sie muss viel liegen, damit sie keine Frühgeburt erleidet. Ihr Mann ist nicht da, und ich muss mich um ihren kleinen Jungen kümmern und aufpassen, dass sie sich schont." Kim erzählte ihre Geschichte in einem wahren Wortschwall und musste dabei tief Luft holen, so dass ihr rosa Kaschmirpullover über ihren Brüsten spannte. „Dieser Herr war zuerst da", beharrte Miss Wheeler, wobei sie mit ihren silbern geschminkten Augenlidern klimperte. „Unsere Devise ist, wer zuerst kommt, wird zuerst bedient", entgegnete Mr. Doppelkinn bedauernd. „Es war ein Rennen ohne Sieger, würde ich mal sagen", meinte Kims Mitbewerber. Er schob ihre Tasche zur Seite und legte seine Kreditkarte in die
begierig wartenden Finger mit den roten Nägeln. „Sie können mit mir fahren" „Wunderbar! Ich danke Ihnen! Ich nehme den Betrag auf meine Karte." Wieder kramte Kim in ihrer Tasche. „Lassen Sie. Sie können ja das Frühstück bezahlen, wenn wir aus dem Sturm heraus sind. Wir müssen uns beeilen. So wie es jetzt schneit, werden sie bald den Interstate Highway 94 sperren." Kim seufzte erleichtert. Sie würde wie versprochen zu ihrer Schwester kommen. Der Schreibkram schien ewig zu dauern, und Rick wusste, dass Geduld keine Eigenschaft der Taylors war. Er musste dringend nach Phoenix, aber der Schnee und die durcheinander gepurzelte Unterwäsche hatten sich verschworen, um ihn aufzuhalten. Jetzt hatte er eine alte Kiste gemietet, bei der es fraglich war, ob sie es bis nach Chicago schaffte. Und noch schlimmer, er hatte eine wandelnde Katastrophe als Reisegefährtin dabei. Er lächelte automatisch die Frau hinter dem Schalter an und widerstand dem Drang, ihr das Formular wegzunehmen und es selber auszufüllen. Vielleicht eine Überreaktion, aber sein Bruder hatte schon eine Katastrophen- Ehe hinter sich. Nun rauschte Brian geradewegs in eine zweite, als hätte er nichts aus der kostspieligen Scheidung und den beiden strapaziösen Affären gelernt, die danach gekommen waren. Rick kam fast um vor Ungeduld. Er zog seinen Führersche in heraus und übersah die ziemlich plumpe Anmache der Angestellten. Wann würde sein Bruder endlich begreifen, dass es kein immerwährendes Glück gab? Ihre Eltern waren ein Paradebeispiel: sie hatten zehn Anläufe gemacht, und das Spielchen ging immer noch weiter. Rick trat von einem Fuß auf den anderen; er platzte vor Ungeduld, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Wieso hatten sie die Einladungen zur Hochzeit nicht früher verschickt? Vielleicht hatte Brian sie ja absichtlich zurückgehalten, damit der große Bruder keine Zeit mehr hätte, dem glücklichen Paar Vernunft zu predigen. Sturm hin oder her, er musste noch vor der Zeremonie in Phoenix sein und Brian die Hochzeit ausreden. Wenn Brian die Hochzeit dann nicht absagte, so würde Rick zumindest doch darauf achten, dass sein Bruder einen Ehevertrag abschloss, ehe er sich trauen ließ. Rick hatte sogar schon einen Anwalt aufgesucht, der den Vertrag aufgesetzt hatte. Jedenfalls musste er vor der Hochzeit in Phoenix sein. Sobald die Formalitäten erledigt waren, legte Rick sich den Riemen seiner Reisetasche über die Schulter, und schnappte sich den Matchbeutel seiner Reisegefährtin. Widerwillig griff er auch nach dem Koffer, der die Rolltreppe hinuntergepoltert war. „Kommt mir jetzt gleich eine Ladung Unterwäsche entgege n?" Er besah den Koffer voller Misstrauen und dachte daran, wie die weiche, sexy Unterwäsche herausgefallen war. „Nein, das Schloss ist nicht kaputt, aber ich kann mein Gepäck selber ..." „Ich habe es eilig, Miss - wie heißen Sie eigentlich?" „Kim Grant." „Ich bin Rick Taylor." Er strebte dem Parkplatz zu. Hoffentlich würde die Karre, die er gerade gemietet hatte, die dreihundert Meilen zum O'Hare Airport in Chicago schaffen. Rick hatte keine Mühe, den Wagen zu finden. Es war der Einzige, der auf dem Parkplatz stand. Ricks unerwünschte Begleiterin lachte angesichts des lavendelfarbenen Dinosauriers. „Es ist ein schwerer Wagen. Nicht schlecht auf dem Highway",
meinte sie. „Stimmt, es war ein guter Gebrauchtwagen, als mein Vater so einen wie den da für seine zweite Frau gekauft hat. Jetzt ist er bei Ehefrau Nummer fünf." Er öffnete die Heckklappe, froh, den Koffer mit den Spitzenslips und Seiden-BHs außer Sichtweite zu haben - und hoffentlich auch aus dem Kopf. Vorhin, als er Kim beim Einsammeln der Sachen half, war ihm ganz schön heiß geworden. „Du liebe Güte, fünf Frauen! Welche davon war denn Ihre Mutter?" Taktgefühl war nicht Kims starke Seite, wie Rick feststellte. „Jeder braucht ein Hobby." Es war seine übliche Antwort auf die Kommentare zum Frauenverschle iß seines Vaters. „Meine Mutter war Nummer eins. Haben Sie denn keine Angst, mit einem fremden Mann zu fahren?" Er schlug den Kofferraumdeckel zu und sah die aufregende, aber nervige Frau an, die ihn dazu gebracht hatte, dass er sie mitnahm. Waren ihre Augen wirklich grün? Wohl nur ein Trick der Beleuchtung, aber an ihrem dichten schwarzen Haar und der frechen Stupsnase konnte er nichts aussetzen. Eigentlich entsprach sie äußerlich genau dem Typ, der ihn anzog, wenn er Zeit für Frauen hatte. Leider erwartete sie vermutlich, Mr. Right zu ehelichen und mit ihm auf ewig glücklich zu werden. Solche Frauen mied er, wo er konnte. „Sind Sie ein Axtmörder?", fragte sie und wartete, dass er endlich die Beifahrertür öffnete. „Möglich." „Na ja, ich habe ein paar Kurse Selbstverteidigung gemacht, und das hier sind tödliche Waffen." Sie machte einige Bewegungen mit ihren zarten Händen, die in Lederhandschuhen steckten. Rick hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und sich wegen Brian aufgeregt. Um vier war er wegen eines Fluges aufgestanden, der dann abgesagt worden war. Danach hatte er für eine Frau den Kavalier gespielt, die auf der Rolltreppe ihre Unterwäsche verstreut und danach versucht hatte, ihm den letzten Mietwagen zu stehlen. Es reichte jetzt. Mit einem schnellen Griff fasste er Kim um die Schenkel und hob sie sich auf die Schulter, was ihm einen kleinen Protestschrei ihrerseits einbrachte. „Sagen Sie mir, wenn Sie gefährlich werden", spottete er und hoffte, dass sie davon Abstand nehmen würde, mit ihm zu fahren. „Lassen Sie mich runter!" „Wie heißt das Zauberwort?" „Bitte." Langsam ließ er sie heruntergleiten und genoss den enge n Körperkontakt mehr, als für seinen Seelenfrieden gut war. „Es ist eine ganz schlechte Idee, mit fremden Männern zu fahren. Soll ich Ihr Gepäck wieder ausladen?" „Nein. Und ich fahre zuerst." „Danke - nein." „Okay, dann fahren Sie bis zum Highway. Aber wir wechseln uns ab." „Ich fahre. Steigen Sie ein. Wir haben schon genug Zeit verschwendet." Er schloss die Beifahrertür, nachdem sie auf den roten Ledersitz geklettert war. Er holte tief Luft und setzte sich ans Steuer. „Sie erwarten also, dass ich Ihren Fahrkünsten vertraue, aber meinen trauen Sie nicht?" Sie hörte sich beleidigt an. Das war gut. Wenn sie schmollte, würde er sich kaum vorstellen können, wie sie in dem rosa Slip oder dem schwarzen Spitzenhemd aussehen würde. In der kurzen Zeit, die sie brauchten, um auf den Highway zu kommen, merkte Rick, dass Kim das geringste seiner Probleme sein würde. Es war nämlich ein
ziemlicher Sturm, und Rick war an die Winter im Norden nicht gewöhnt. Ein Sattelschlepper überholte ihn; dem Fahrer schien weder die glatte Fahrbahn noch der Schnee etwas auszumachen, der über die Straße wehte. Rick und Kims lavendelfarbener Dinosaurier vibrierte, hielt aber die Spur, und Rick war froh, dass er keinen leichten Kleinwagen fuhr. „Wo ist eigentlich Ihr Wagen?", fragte Kim. „Mein Wagen?" Gerade wollte Rick einen Lieferwagen überholen, aber ein weiterer Sattelschlepper näherte sich ziemlich schnell auf der linken Spur. „Sind Sie denn nicht mit Ihrem Wagen zum Flughafen gefahren?" fragte sie. „Ich habe den Fahrdienst vom Hotel in Anspruch genommen." „Ach, Sie wohnen wohl nicht hier?" „Brillante Schlussfolgerung." Okay, er war schlecht gelaunt, aber er musste sich aufs Fahren konzentrieren. „Geht mich ja auch nichts an." Sie war verletzt. „Tut mir Leid. Das ist einfach nicht mein Wetter. Ich lebe nämlich unten in Phoenix." „Da bin ich aufgewachsen. Ich habe nur zwei Jahre in Detroit gelebt und gehe nach Phoenix zurück. Meine Schwester wohnt da. Ihr Mann ist ein Prachtstück. Anfangs dachte ich, er wäre zu wild für sie. Man kann sagen, dass sie ihn gezähmt hat." „Das bezweifle ich." Rick nagte an der Unterlippe und wechselte die Spur, um den allzu ängstlichen Fahrer vor ihnen zu überholen. „Sie glauben nicht, dass sie ihn gezähmt hat?" „Nein, aber der arme Kerl hat meine Sympathie, falls es doch gelungen ist. Ich glaube nicht an die Zähmung der männlichen Spezies. " Ein Lastwagen war direkt hinter ihm, und Rick fuhr erleichtert wieder auf die rechte Spur. „Glauben Sie nicht an die Ehe?" „Nein." „Sie kann aber wundervoll sein. Meine Schwester und ihr Mann könnten gar nicht glücklicher sein." „Sind Sie auf der Suche nach einem Mann?" „Nein ... nicht direkt. Ich glaube, dass man nicht zu jung heiraten sollte. Ich bin sechsundzwanzig und noch Single, aber meine Schwester ist der lebende Beweis, dass die Ehe etwas Wunderbares sein kann. Zwei Menschen, die zusammen arbeiten, eine Familie aufziehen ..." Die Ehe ihrer Schwester funktionierte wirklich gut. „Sich betrügen, sich scheiden lassen, wieder heiraten und die Kinder wie Figuren auf einem Schachbrett hin- und herschieben." „Falls Sie doch ein Mörder sind, dann aber wohl ein mürrischer. Sollten Sie nicht eher charmant sein und mich in falscher Sicherheit wiegen?" „Haben Sie denn keine Angst vor diesem Schneesturm?" Ihre Lässigkeit machte ihn gereizt. Er wollte nicht die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen, und er wollte auch nicht, dass sie so vertrauensvoll war. „Das wird eine ganz schön lange Fahrt, oder?", meinte Kim nur und sah auf die Fahrbahn. „Ja. Eine sehr lange Fahrt."
2. KAPITEL
„Ich kann kaum glauben, dass wir es geschafft haben." Dankbar strich Kim über das Armaturenbrett des in die Jahre gekommenen Straßenkreuzers. Wieder tippte der Ehemuffel eine Nummer in sein Handy, während er die Zufahrtsstraße zum Flughafen von Chicago entlangfuhr. „Ich bin auf der Warteliste, aber ... Nein, ich bin jetzt am Flughafen. Sobald ich diese Mühle geparkt habe ... Brian, ein Tag mehr macht doch wirklich nichts aus." „Ich wäre eine ganz schön unglückliche Braut, wenn meine Hochzeit verschoben würde", meinte Kim. „Morgen heiraten sie auf seinem Landsitz - nur die Familie. Der Empfang findet erst am kommenden Wochenende statt", erklärte Rick ihr leise, bevor er ihr wieder in den Hörer sprach. „Ich habe gerade mit der Frau geredet, die mit mir fährt. „Nein, sie kommt nicht mit zur Hochzeit. Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns den letzten Wagen teilen, den die Autovermietung hatte. Ich komme erst spät heute Nacht an ... Sonntag wäre um einiges besser." Kim gähnte; sie freute sich schon darauf, während des Fluges nach Denver zu schlafen. Achterbahnfahrten waren entspannend im Vergleich zu diesem Rennen im Schneesturm quer durch Michigan. Dazu noch mit einem Mann, den sie gar nicht kannte. „Sprich zumindest mit Carlisle", drängte Rick seinen Bruder. „Heutzutage macht jeder einen Ehevertrag. Kein Grund, dass ihre Gefühle dadurch verletzt werden ... Ich verstehe, keine Versprechungen. Aber versuch doch, eine Verschiebung um einen Tag herauszuholen." „Wissen Sie, wo wir hinmüssen?", fragte Kim, nachdem Rick das Handy ausgeschaltet hatte. Sie war erst ein Mal auf dem Chicago O'Hare Airport gewesen. „Ich gehe direkt zum Schalter, sobald ich diese Antiquität geparkt habe. Wenn Sie mit mir mitzockeln wollen, müssen Sie sich beeilen." Mitzockeln! Wie verächtlich das klang. „Ich habe es auch eilig. Und ich stehe auch auf der Warteliste", erinnerte sie ihn. Er sah sie finster an. „Falls es nur noch einen Platz gibt, gehört er mir. Mein Bruder hat versprochen, dass er die Hochzeit bis Sonntag zu verschieben versucht, aber wenn er verliebt ist, schlägt er sogar Saltos rückwärts für die Frau." „Keine Braut will, dass ihre Hochzeit verschoben wird. Haben Sie denn gar keinen Sinn für Romantik?" „Ich hatte die Idee, ein Computerprogramm zu entwickeln, dass berechnen soll, wie gut die Partner zusammenpassen." Rick hatte Kim während der Fahrt einiges von sich erzählt. Er war SoftwareEntwickler, besaß eine eigene Firma und war häufig geschäftlich unterwegs. Kim hatte aber mehr mitbekommen, als er berichtet hatte. Er sorgte sich zu sehr um seinen jüngeren Bruder und das Familienvermögen. Nach einem halben Dutzend Anrufen von seinem Handy war es deutlich, dass er gewohnt war, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Wenn es nicht so lief, wie er wollte, biss er sich auf die Unterlippe. Und er hatte ein tiefes, warmes Lachen, das Kim allerdings nicht oft gehört hatte. Rick seinerseits nahm nicht an, dass Kim besonders lustig wäre, nicht einmal, als sie beschrieb, wie Peter sämtliche Kleidungsstücke aus seiner Kommode geholt und in einen Müllsack gepackt hatte, um mit seinem Vater nach Afrika zu fahren. Als Rick den Parkplatz von Econo-Cars gefunden hatte, tat es Kim fast Leid, das lavendelfarbene Fossil zu verlassen. Die Heizung arbeitete zwar recht sprunghaft und ermöglichte nur tropische Hitze oder arktische Kälte, und ein
Pärchen hatte auf sie gezeigt und über ihre Art zu reisen gekichert, als sie zu einer kurzen Rast angehalten hatten. Aber der Wagen war mit der Würde des Alters weitergefahren und hatte Kim näher zu Jane und Peter gebracht. Rick verhielt sich wie angekündigt. Er packte ihren Matchbeutel und den Koffer und spurtete zum Terminal, womit er Kim zwang, mitsamt dem schwankenden Rollenkoffer gleichfalls zu laufen. Dann ging es langsam voran. Dem allgemeinen Gedränge nach zu urteilen, schien sich ganz Chicago auf dem Flughafen eingefunden zu haben. „Mist!" Rick blieb unvermittelt stehen, so dass Kim gegen seinen Rücken prallte und der Rollenkoffer gegen ihre Beine knallte. „Da sehen Sie, die Verspätungen." Rick wies auf eine Reihe von Monitoren, die an der Decke montiert waren. „St. Louis, Omaha, Denver, L. A. Von Westen her kommt keine Maschine mehr rein. " „Aber hier schneit es doch gar nicht!" Während sie die Monitore betrachtete, wurden zwei weitere Maschinen, die eigentlich gerade landen sollten, als verspätet gemeldet. „Was ist denn los?" „Nichts Gutes. Wir wollen mal nachsehen." Rick nahm Kims alten Hartschalenkoffer auf die andere Seite und klemmte ihn sich unter den Arm, als würde er erwarten, dass Kims Reizwäsche explodierte. Dann ging er weiter zu ihrem Ausgang. Alle Sitze im Warteraum waren belegt, und die Gänge zwischen ihnen dienten als Picknick- und Spielplatz. Kim sah einen Jungen, der seinen kleinen Bruder an einem Trinkwasserbrunnen hochhob, wobei er versuchte, das Gesicht seines jüngeren Bruders unter den Wasserstrahl zu halten. Dieser Unfug machte Kim nur noch begieriger, endlich nach Phoenix zu kommen. Wenn Jane versuchen würde, ihren zappelnden Vierjährigen hochzuheben ... Rick ließ Kim bei dem aufgetürmten Gepäck zurück und ging zur Schlange am Schalter. Als er zurückkam, runzelte er die Stirn. „Kein Problem, einen Flug zu kriegen - wenn wir über Mexico City fliegen wollen." „Sehr witzig." „Eine zweite Wetterfront kommt von Westen her. Der Flughafen von Denver ist schon zu. Westlich von Des Moines startet nichts mehr. Deshalb sind auch so viele Maschinen verspätet." „Und was heißt das für uns?", wollte Kim wissen. „Für uns bedeutet das, dass wir auf dem falschen Dampfer sind." „Soll das ein Vorschlag sein, per Schiff zu reisen?" Sie konnte genau so schnodderig wie er sein. „Nein, es sei denn, Sie wollten immer schon mal den Panamakanal sehe n." „Wie wäre es mit der Bahn? Letztes Weihnachten bin ich per Zug gefahren." „Ein Zug?" Er klang nicht begeistert, gab aber immerhin ein widerwilliges „Kann sein" von sich. „Sicher. Es braucht schon etwas mehr als ein wenig Schnee, um den Desert Chief zum Stehen zu bringen", bekräftigte sie. „Dann nehmen wir den doch." Wieder schwang er sich die Riemen seiner Reisetasche und ihres Matchbeutels über die Schulter, hob ihren Koffer und nahm Kim an die Hand. Sie hasteten weiter, liefen auf den Laufbändern, fuhren Rolltreppen hinab und strebten atemlos dem nächsten Ausgang zu, wo sie ein Taxi erwischen konnten. Eine halbe Million aufgeschmissener Reisender hatte die gleiche Idee gehabt. Kim und Rick kamen aus dem Empfangsgebäude und mussten sofort anhalten und sich um einen Stehplatz auf dem Bürgersteig drängeln, während Busse und Taxen
sich vor ihnen ein Schneckenrennen lieferten. Eine Stretchlimousine war schräg neben dem Bordstein eingeklemmt, begleitet vom Hupen der Taxen, die nicht darum herumfahren konnten, um Gäste aufzunehmen. „So geht es nicht", brummte Rick. „Wir haben keine andere Wahl." Kim kam dicht an ihn heran, um ihn als Deckung zu benutzen, stopfte ihre Umhängetasche unter ihren Rockbund, knöpfte die obersten drei Knöpfe ihrer Regenjacke zu, straffte die Schultern und schob ihren Bauch vor. „Was machen Sie denn?" „Ich besorge uns ein Taxi." „Das schaffen Sie nie." „Ich will mit einem Taxi fahren und keines stehlen." Kim stöhnte laut genug, um ein paar mitfühlende Blicke zu bekommen. Rick packte den Griff ihres Rollenkoffers und tauchte in das Verkehrsgewühl ein, und Kim watschelte hinter ihm her, eine leidende Hochschwangere nachahmend. Rick stritt mit einem Taxifahrer. Der hatte es mollig warm in seinem Taxi und außerdem die beste Chance, sich auf die äußere Spur zu quetschen und auf diese Art aus dem Verkehrsknäuel auszubrechen. „Ich muss warten, bis ich an der Reihe bin. Sie wollen doch nicht, dass ich meine Lizenz verliere, oder?", knurrte er. „Sie sind der einzige, der hier aus diesem Durcheinander herauskommen kann", erklärte Rick. „Ist mir egal. Ich muss ..." „Ist schon mal ein Kind in Ihrem Wagen zu Welt gekommen?" fragte Kim, öffnete die hintere Tür und beförderte sich mit herzzerreißendem Stöhnen ins Wageninnere. „Schon gut." Der Fahrer öffnete widerwillig den Kofferraum und ließ Rick das Gepäck verstauen. Nachdem er sich die Zeit genommen hatte, dem vordersten Taxifahrer eine ausführliche Beschreibung des Zustandes seines weiblichen Fahrgastes zuzuschreien, führte der Fahrer eine regelrechte Rumba mit Anfahren und Bremsen auf, bis er sich endlich aus diesem Alptraum von Verkehr befreit hatte. „Wohin?" „Zur Union Station. Und machen Sie bitte schnell." Kim schnallte sich an und stöhnte. „Hey, was ist das denn? Sie sollten doch ins Krankenhaus." Kim keuchte, jammerte und stieß Rick mit dem Ellbogen an. Sollte er das doch regeln. Sie war in den Wehen. „Wir treffen die Ärztin dort." Rick konnte sonst nicht mal im Notfall dieses Wort sagen. Der Fahrer zuckte mit seinen breiten Schultern. „Kriegen Sie das Baby bloß nicht in meinem Wagen." Rick tätschelte Kims vorstehende Umhängetasche und tat so, als wäre er fasziniert und drückte sie dabei gerade so viel, dass er die harte Ecke der Brieftasche gegen ihren Nabel stieß. Kim stöhnte, als wäre sie wirklich schwanger. „Ist es Ihr erstes Kind?", fragte der Fahrer. „Das braucht immer am längsten." „Das fünfte", keuchte Kim. „Das vierte", sagte Rick. „Wenn man die Zwillinge als eine Geburt zählt." „Wenn du die Arbeit damit hättest, würdest du sie als zwei zä hlen." „Zumindest warst du mit ihnen ja nicht in einem Bus." Rick hatte keinerlei Sinn für Humor.
Kim hatte zu viel damit zu tun, ihr Lachen zu unterdrücken, um den Anblick von Chicago zu genießen. Allerdings fuhren sie ja auch keine Touristenstrecke. Der Fahrer steuerte den Wagen von Spur zu Spur, sobald sich ein Spalt von zehn Zentimetern auftat, und er benutzte ausgiebig die Hupe. Trübe sah der altmodische Bahnhof unter dem grauen Himmel aus, und Kim bekam Heimweh nach der Wüste und nach Phoenix. Der Fahrer öffnete die Tür, und Kim hievte sich schwerfällig hinaus in den beißenden Winterwind. „Bezahl den Fahrer, Liebling", gurrte Kim. Sie sah, wie Rick ein großzügiges Trinkgeld gab, um den Fahrer für ihr Theater zu entschädigen. Rick hatte immerhin ein Gewissen. Das war gut, obwohl es ihr ein Rätsel blieb, warum sie sich überhaupt darum kümmerte. Sie waren wie Öl und Wasser. Er ertrug sie kaum, und sie dachte, dass er herrisch und anmaßend wäre. Vielleicht war es ja edel, sich um den eigenen Bruder zu sorge n, aber Rick hatte die Grenze zwischen Sorge und Einmischung längst überschritten. Kim spielte die Schwangere, bis sie endlich in der riesigen Bahnhofshalle waren. Dann zog sie sich die dicke Umhängetasche aus der Bluse. Mit herausgestrecktem Bauch zu gehe n hatte ihr Rückenschmerzen beschert, und wieder hatte sie Verständnis für die Klagen ihrer Schwester während der Schwangerschaft. Rick stellte sich vor dem Fahrkartenschalter an, und Kim folgte ihm. Eine lange Schlange war vor ihnen und auch an den beiden Schaltern links und rechts. Kim stand dicht gedrängt hinter Rick und musste ihr Gepäck mit Knien und Füßen weiterschieben. Die Ungeduld ließ sie unruhig werden; sie hatte nichts zu tun, außer seine herrliche Rückansicht zu bewundern. Er hatte die Jacke ausgezogen und sie in seine Tasche gesteckt - was Kim nicht konnte, da in ihren Taschen und Koffern kein Platz mehr war. Rick hatte sein Hemd in die Hose gesteckt, die von einem schmalen dunkelbraunen Gürtel gehalten wurde, wodurch seine schlanke Taille betont wurde. Kim bewunderte seine Schultern; sie waren breit ohne die übertriebenen Muskeln, die von hektischem Gewichte stemmen herrühren. Sein dunkelblondes Haar war vom Wind zerzaust, die Locken ließen seinen Nacken so verwundbar wie den eines kleinen Jungen erscheinen. Rick drehte sich um und sah, wie sie seine Rückansicht genoss, und deshalb bückte Kim sich und fummelte am Reißverschluss ihres Rollenkoffers. „Der geht doch nicht auf, oder?", fragte Rick misstrauisch. „Nein, natürlich nicht. Und der andere ist auch nur deswegen aufgegangen, weil er die Rolltreppe heruntergefallen ist, wie Sie sich vielleicht erinnern." Rick blickte skeptisch, aber die Menschenschlange schob sich vor, und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Warteschlange vor ihm. Er hatte einen knackigen Po, fand Kim. Gern würde sie ihn in der Badehose sehen - okay, genauso gern auch ohne. Hoffentlich drehte er sich jetzt nicht um und sah, wie sie rot wurde! Außerdem war sie eine große Freundin langer, starker Beine. Am meisten wurde sie abgeturnt, wenn ein Mann kürzere Beine hatte als sie. Zu dumm, dass jemand mit so ansprechender Verpackung eine Hochzeit ruinieren und eine Romanze zerstören wollte. Endlich waren sie an der Reihe. Kim beugte sich neben Rick zum Fahrkartenschalter. Sie wollte sicher sein, dass er sich nicht die letzte Fahrkarte schnappte und sie zurückließ. „Der Desert Chief ist schon vor zwei Stunden nach Hagstaff abgefahren", sagte der Fahrkartenverkäufer, was ihm offenkundig eine gewisse Befriedigung bereitete. „Welche Züge fahren denn heute noch Richtung Westen?", fragte Rick. „Da haben wir den Prairie Wind, Abfahrt nach Denver um 5.05 auf Bahnsteig
fünf." „Wie lange fährt er?", fragte Rick. „Bis Denver braucht er siebzehn Stunden." Der Verkäufer strich über seinen Schnauzbart; er hatte offenbar keine Eile, seine Fahrkarten zu verkaufen. „Wir nehmen zwei Karten für den Abteilwagen", sagte Kim. Bei ihrer letzten Zugfahrt hatte sie sehr gut im Sitzen geschlafen. „Der Abteilwagen ist ausverkauft." „Was haben Sie sonst noch?" Rick hatte seine Kreditkarte schon hervorgeholt, und Kim suchte noch nach ihrer. „Ich habe noch zwei Mal erster Klasse, einschließlich Mahlzeiten, oder das Familienabteil für zwei Erwachsene und zwei Kinder. Die sind natürlich alle ausverkauft" „Was ist denn zu haben?" Rick sprach langsam und betonte jede einzelne Silbe. „Das normale Schlafwagenabteil für zwei, und zwar im oberen Teil." „Das nehmen wir." Rick war zu allem entschlossen. „Zwei Betten. Jawohl, Sir." „Nein, zwei Abteile." „Das habe ich nicht. Das eine habe ich auch nur, weil es zurückgegeben wurde. Ein normales Schlafwagenabteil für zwei." Rick sah Kim an. „Wollen Sie eine Münze werfen?" „Nein, ich will los." Er starrte sie an, tiefe Falten durchzogen seine Brauen, als würde er innerlich mit sich kämpfen. „Ich muss nach Phoenix. Wir nehmen es", sagte Rick zum Verkäufer. „Das ist aber nicht so, als würden wir ein Auto teilen", protestierte Kim. „Nein, sicher nicht. Wir nehmen es." Rick reichte seine Karte unter dem Glas hindurch. „Buchen Sie die Hälfte des Preises auf meine Karte", sagte Kim und schob ihre Karte gleichfalls durch. „Das ist zu kompliziert. Wir klären das später", bestand Rick und gab ihr die Karte zurück. „Keine Sorge. Sie zahlen Ihren Anteil." Als Rick die Fahrkarten in der Hand hielt, gingen sie durch die Türen, die direkt auf den Bahnsteig führten. Der tägliche Vorortpendelverkehr hatte schon eingesetzt, und von der Arbeit müde aussehende Menschen strömten zu den Toren in Richtung ihrer heimwärts fahrenden Züge. Wieder hatte Rick Kims Wäschekoffer unter den Arm geklemmt, als würde er wichtige Geheimnisse bewachen. Kim brauchte Zeit zum Nachdenken. Sollte sie ein Schlafwagenabteil mit ihm teilen? Etwas in ihr hielt das für eine sehr schlechte Idee. Vielleicht konnten sie ja die Sitze aufrecht lassen, aber Kim bezweifelte, dass Rick das gut finden würde. Er war zu groß, um zusammengesunken auf einem Sitz zu schlafen. Natürlich würden sie in Etagenbetten schlafen, einer über dem anderen. Sie würden einander nicht mehr sehen, wenn das Licht aus wäre. Wen wollte sie da gerade zum Narren halten? Mit Sicherheit würde sie ja wissen, dass er da wäre - unter die Decke gekuschelt, sehr süß und sexy. Stopp! Sie war sich ja nicht mal sicher, ob sie diesen Mann überhaupt mochte! Sicher, er war attraktiv. Der Bronzeton seiner Haut verriet, dass er aus einer Gegend mit warmem Klima stammte. Und sie würde wohlig erschauern, wenn sie seine Bartstoppeln an der Wange spüren sollte. Dennoch war es nun einmal eine Tatsache, dass er ein Fremder für sie war. „Beeilung!", sagte er unwirsch. An die siebzehn Stunden in Ricks Gesellschaft mochte Kim gar nicht denken. Die Männer mochten sie, und meist mochte sie die Männer auch, musste aber
zugeben, dass sie nicht das Glück ihrer Schwester gehabt hatte, den Richtigen zu finden. Nun würde sie also in einem engen Abteil zusammen mit einem sexy Spielverderber sein, der der Meinung war, man könnte per Computerprogramm den richtigen Partner finden. Als sie sich wieder auf ihren Spielverderber besann, war er fünf Schritte vor ihr und ging wegen ihr auch nicht langsamer. Es würde ihm gerade recht sein, wenn sie ihm die beiden Tickets überreichen und dann wieder zum Flughafen fahren würde, um dort auf einen Flug zu warten. Was sie auch getan hätte, wäre sie nicht so verdammt müde gewesen. Außerdem brauchte Jane sie. Ein Gepäckträger stand im Wagen, als sie einstiegen, um ihr Gepäck auf einem Gepäcknetz zu verstauen und sie zu ihrem Abteil im oberen Stock zu bringen. Als der Zug pünktlich um fünf nach fünf abfuhr, saßen Kim und Rick beide in ihrem gemütlichen kleinen Abteil, und fuhren ihrem Schicksal entgegen. Nein, dem Zielort natürlich, wie Kim sich verbesserte - vollkommen sicher, dass sich ihre Wege nach dem Ende der Reise trennen würden.
3. KAPITEL
Das Abendessen war nach Ricks Fast-Food-Maßstäben fast schon fantasievoll. Sie teilten einen Tisch mit zwei Pensionären, die gegenseitig jeweils die Sätze des anderen beendeten. Wie unheimlich, dachte Rick, so lange verheiratet zu sein, dass die Gehirne synchron arbeiten. Rick war zu müde, um ihrem ausführlichen Bericht über eine Fahrt nach British Columbia zu lauschen, aber Kim nickte höflich an den richtigen Stellen und fragte genug, um sie weiterreden zu lassen. Ohne dieses geschwätzige Paar hätte Rick sich mit Kim unterhalten müssen. Er war aber nicht sicher, ob er sich mit seiner Reisegefährtin etwas zu sagen hätte. Daher war er dem gesprächigen Paar in gewisser Weise dankbar. Der Speisewagen leerte sich allmählich, und auch ihre Tischgenossen gingen. Die Angestellten beeilten sich, die letzten Gedecke abzuräumen. Kim hielt sich an einem Becher Kräutertee fest und tat so, als würde sie trinken, obwohl sie nur noch ein paar Tropfen Tee hatte. „Wir sollten auch gehen", meinte Rick. „Ja." Kim sah sehnsüchtig auf das weiße Leinentischtuch, als würde sie gern ihren Kopf auf den Tisch legen und auf der Stelle einschlafen. Rick ahnte, wie ihr zu Mute war. Einen Mietwagen mit einer Fremden zu teilen war eine Sache, aber wie das Abenteuer mit dem gemeinsamen Abteil ausgehen würde, war ihm nicht klar. Obwohl er immer noch mit Brians letztem Schnitzer beschäftigt war, war er der Frau gegenüber nicht gleichgültig, die da mit ihm durch die Gegend zog. Immer wenn er nicht aufpasste, fragte er sich, wie sie wohl in ihren sexy Slips aussehen würde oder einem durchsichtigen Spitzen-BH. Er wollte, er wäre nicht stehen geblieben, um ihr zu helfen, was er jetzt nämlich am allerwenigsten brauchte, war Lust auf eine Frau, die Eau de Palisadenzaun verströmte. Sein Bruder war derjenige, der he iratete - alles, was Rick von einer Frau wollte, war Vergnügen ohne feste Bindung. Sein einziger Versuch, mit einer Frau zusammenzuwohnen, hatte sich als Fiasko entpuppt, als seine Gefährtin angefangen hatte, einen Schaufensterbummel bei Juwelieren zu machen und Porzellanreklame zu studieren. Rick folgte Kim ins Abteil und versuchte dabei, nicht ihren anmutigen Gang zu bewundern. Rick war nicht der einzige, der Kim nachblickte. Die Augen der Männer folgten ihr mit derselben Zwangsläufigkeit, die Murmeln auf einem schrägen Brett nach unten rollen lässt. Wenn sie schon in einem langen schwarzen Rock und einem rosa Pullover diese Wirkung hatte, dann würde sie mit wirklich scharfen Klamotten einen regelrechten Aufstand bewirken. Die meisten Männer im Zug würden wie Hunde darum betteln, das Abteil mit Kim zu teilen. Wieso also fürchtete er sich genau davor? „Ich gehe vielleicht noch in den Salonwagen. Mal sehen, welchen Film sie zeigen", meinte Rick. Besser, er machte da ein Nickerchen, als dass er wach lag und sich vorstellte, wie Kim aussehen würde, wenn sie schlief. „Okay." Kim bot zu seiner Erleichterung nicht an mitzukommen. Hätte sie es getan, hätte er vielleicht den Fehler begangen und ihre Hand genommen, vielleicht auch ihr Handgelenk gestreichelt. Bei dem Gedanken, ihren Puls zu fühlen, durchrieselte ihn ein heißer Schauer. Rick ging zu ihrem Abteil, was ein übertriebenes Wort für die beiden Sitze waren, die einander auf engstem Raum gegenüberstanden, so dass gerade genug Platz für die Beine von Zwergen war. „Ich dachte, wir könnten vielleicht die Sitze aufrecht lassen. Es ist doch nicht so schlimm, im Sitzen zu schlafen", schlug Kim vor.
Rick würde gerne seine Stiefel ausziehen und die Füße hochlegen, aber wo sollte er sie hintun? Er könnte die Füße seitlich an ihre Hüften legen oder sie beide neben Kim auf den Sessel quetschen, aber nicht ohne sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er mit seinen Zehen über ihre Waden fuhr oder unter ihren Rock. Wäre es noch schlimmer, die Betten zu benutzen? Jede Bewegung würde er mitbekommen, jedes Geräusch, das sie im Schlaf machte. Sie würde ihm Albträume verursachen. Aber er würde, wenn sie die Betten benutzten, die dicke Matratze zwischen sich und ihr haben. „Ich würde mich gern langlegen", sagte er. „Na ja, Sie haben schließlich die Fahrkarten gekauft - aber morgen früh rechnen wir dann ab. Ich gebe Ihnen einen Scheck über meinen Anteil." „Das eilt nicht." Liebend gern würde er die ganze Reise bezahlen, um nur eine Stunde mit ihr im selben Bett zu verbringen, aber komischerweise fing er an, sie zu sehr zu mögen, um genau das auszunutzen. Er ging zum Gesellschaftswagen, wobei er sich nicht besonders gut fühlte. Er war aber entschlossen, jegliche Verwicklung mit einer Frau zu vermeiden, der der Sinn nach Heirat stand. Dieser dumme Brian! Rick wünschte, sie wären immer noch Kinder und er könnte ihn mit hinter die Garage nehmen und ihm die Leviten lesen. Anstatt aus den ehelichen Katastrophen ihrer Eltern zu lernen, schien sein Bruder entschlossen, sie zu wiederholen. Rick nahm auf einem Sessel Platz und starrte hinaus auf die schneebedeckten Felder. Zu viel ging ihm im Kopf herum: Brians Hochzeitspläne; die Notwendigkeit, ihn noch einmal anzurufen und um weiteren Aufschub zu bitten. Wenn Rick warten würde, bis der Zug in Denver eintraf, könnte er, Rick, den letzten Teil der Reise arrangieren. Dann könnte er auch mit Sicherheit sagen, wann er in Phoenix ankommen würde. Rick versuchte, sich auf Brians törichtes Benehmen zu konzentrieren, aber wieder kam ihm Kim in den Sinn. Frauen ihrer Art kamen immer mit einem ordentlichen Preis - der Ehe. Es war sein Pech, dass er nun so lange mit dieser großen, überaus attraktiven Brünetten auf engem Raum zusammen sein musste. Rick ließ vor Müdigkeit den Kopf hängen. Das leise Summen der Stimmen im Wagen war eine Ablenkung, und er merkte plötzlich, wie er einem jungen Paar heimlich zuhörte. „Das sollte eigentlich unsere Hochzeitsreise sein!", jammerte die Frau. „Ein Witz ist das! Deine Eltern und dein Bruder lassen uns nie allein!" „Liebes, dass holen wir später nach." „Wieso hat deine Schwester ihre Hochzeit auch so kurz nach unserer geplant? Ich kann einfach nicht glauben, dass wir unsere Hochzeitsreise im gleichen Zug mit deinen Eltern machen." „Das dauert doch nur bis morgen, und du hast ja auch zugestimmt." „Ich kann aber nicht in der Koje schlafen. Es ist wie in einem Sarg." Rick schämte sich, weil er diesem privaten Gespräch lauschte. Es war wie ein Einbruch in die Intimsphäre anderer Leute. Nach dem, was er gehört hatte, gab er diesen verliebten Vögeln höchstens drei Jahre. Dann würde die kleine Braut ihres albernen Ehemanns überdrüssig sein und sich zum richtigen Leben entschließen, was auch immer das war. Dann würden sie auch schon ein Kind haben, und der Junior würde das Glück haben, schließlich drei „Väter" und ein paar Onkel mit dem Recht auf eine Nacht zu besitzen. Auch Rick konnte eigentlich jetzt ins Bett gehen. Wenn er so zynisch war, ertrug er sich selber kaum. Er stand auf, holte sein Waschzeug aus dem Gepäck, putzte sich die Zähne und ging dann wieder zum Abteil.
Der Gepäckträger hatte während Ricks Abwesenheit die Betten gerichtet. Die weißen Laken sahen einladend aus, aber Ricks Gefährtin war nicht da. Er hatte gehofft, sie schlafend und in einem hochgeschlossenen Flanellnachthe md vorzufinden. Stattdessen musste er auf sie warten, während seine fieberhafte Fantasie ihm Bilder von ihr in einem knappen Nachthemd vorgaukelte. Wie sehr wünschte er, dass er nie den Inhalt ihres Koffers erblickt hätte! Rick ließ die Glastür mit dem Vorhang offen und streckte sich auf der unteren Koje aus. Einen Schlafanzug besaß er nicht, weshalb er seine Jeans erst ausziehen würde, wenn Kim in ihrem Bett lag. Er döste vor sich hin, bis sie ihn wachrüttelte. „Ich will das untere Bett." Sie klang missmutig. Ihre Regenjacke war bis oben hin zugeknöpft, und eine Schlafanzughose bedeckte ihre Beine. Ihre flauschigen Hausschuhe ließen ihre Füße größer als seine aussehen, und Rick war einen Augenblick lang dankbar, weil sie eher unschuldig als sexy aussah. Sorgfältig schloss sie die Tür und verriegelte sie, wickelte sich aus der Regenjacke und legte sie auf ihren Matchbeutel. Ricks Impuls, sie auszulachen, erstarb. Sie trug einen altmodischen Männerschlafanzug; er war ihr zu groß, aber die cremefarbene Seide klebte wie eine Plastikplane an Kim und ließ sie so süß und sexy aussehen, dass Rick sie am liebsten auf seine Koje gezogen hätte. „Ich werfe eine Münze", bot er widerwillig an, da er sicher war, dass er auf dem oberen Bett so viel Platz hätte wie in einem Babybett. „Nein." Er sah, dass sie ihre Unterwäsche noch anhatte. Das Rosa ihres BHs konnte man kaum ausmachen. Aber die Brustspitzen zeichneten sich unter der dünnen Seide deutlich ab. „Sie sind um einiges kleiner als ich." Rick streckte sich auf dem unteren Bett aus und fragte sich, welche Zahnpasta sie benutzte. Keine Frau sollte beim Zubettgehen so toll riechen - jedenfalls keine Frau, die für ihn tabu war. „Vielleicht kriege ich Platzangst", entgegnete Kim. „Vielleicht? Sie wissen es nicht?" „Ich habe noch nie in einem Bett geschlafen, in dem ich mich nicht umdrehen kann, ohne mit dem Hintern an die Decke zu stoßen." Rick wollte sie aus der Sicht haben, in welchem Bett auch immer. Es fiel ihm immer schwerer, ihr zu widerstehen. „Nehmen Sie das untere Bett", meinte er resigniert. „Nein, ich bin sehr selbstsüchtig Sie brauchen es mehr als ich. Ich will mich nur noch hinlegen, ehe Sie das Licht ausmachen." Kim drückte sich gegen die verhängte Schiebetür, um Rick Platz zu machen, damit er sich an ihr vorbeizwängen konnte. „Wünschen Sie mir Glück", sagte sie mit rauchiger Stimme. „Ich werde Ihnen helfen." Nur zu gern würde er ihren hübschen, seidenumspannten Po umfassen und sie hochheben. „Jetzt aber." Kim stieg aus ihren großen Pantoffeln - die albernen Dinger hatten sogar Augen und Ohren - und entblößte ihre schlanken Füße mit den rot angemalten Nägeln. Man konnte die Konturen ihres Slips unter der Schlafanzughose erkennen. Die Seide spannte sich straff über ihrem wohlgeformten Po, als sie die Leiter emporkletterte. Am härtesten war es für Rick, die Hände bei sich zu behalten, als Kim oben angekommen war, sich über die Koje beugte und abrupte erstarrte. „Was gibt es?" Rick würde in ernste Schwierigkeiten kommen, wenn Kim jetzt nicht bald
ihren prachtvollen Hintern unter die Decke beförderte. „Ach ... nichts." „Schlüpfen Sie unter die Decke, dann kann ich endlich das Licht ausmachen." „Noch einen Augenblick." „Wofür?" „Ich muss mich erst daran gewöhnen, so wenig Platz zu haben." Musste sie dazu ihren niedlichen Po herausstrecken? „Sie haben es bequemer, wenn Sie unten liegen", schlug er vor und war sich dabei ganz stark der rhythmischen Bewegung des Zuges und der ansteigenden Temperatur im Abteil bewusst. Kim schlug die Decke und das obere Laken zurück und glitt langsam mit einem Bein auf der Matratze entlang. Von seiner Sicht aus sah es für Rick noch herausfordernder aus. „So ist es gut. Jetzt das andere Bein. Rein damit", sagte er. Er war versucht, Kim einen Stoß zu geben und ihr die Decke hochzuziehen. „Kann ich nicht." „Schließen Sie die Augen und rollen sich zusammen", meinte er. „Sie haben gut reden." „Entweder gehen Sie jetzt ins Bett, oder Sie kommen wieder runter", befahl er. „Das geht. Ich bin schon auf Berge gestiegen - aber nicht mehr, seitdem ich mir dabei den Knöchel gebrochen habe. Das hier ist viel leichter - sollte es zumindest sein." „Dann tun Sie es." Kims Pyjamajacke war hochgerutscht und zeigte mehrere Zentimeter ihrer weichen Haut am Rücken. Kim zog das andere Bein hoch und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Rick wollte ihr die Decke überwerfen, hatte aber Angst, sie dabei zufällig zu berühren - oder absichtlich. „Sind Sie okay?" War dieses heisere Kratzen seine Stimme? „Gleich." Sie wackelte unter ihrer Decke, bis sie in Embryohaltung auf der Seite lag und Rick ansah. Ihre Augen waren so fest zusammengekniffen, dass Rick den Wunsch verspürte, ihre Lider durch einen Kuss zu entspannen. „Ich werde das Licht anlassen", bot er an. „Nein! Ich will nichts sehen. Mein Goldhamster hatte einen größeren Stall als das hier." „Dann kommen Sie runter." Rick wusste, wenn man ihn besiegt hatte. „Ich nehme das obere Bett." „Sie passen doch gar nicht rein." „Sie stellen es sich kleiner vor, als es ist." „Nein, es schrumpft, während man darin liegt. Das Dach wird einstürzen und mich zerdrücken." „Kim, kommen Sie runter. Das ist doch töricht. Sie kriegen noch Platzangst." „Glauben Sie?" Hatte er da gerade eine Spur der Befriedigung in ihrer Stimme gehört? „Kommen Sie, oder ich rolle Sie heraus." „Dann stoße ich mir den Kopf." „Schieben Sie Ihre Beine heraus, und ich hebe Sie herunter." Das musste er nicht einmal. Kim kam die Leiter herunter und ging schnurstracks auf das untere Bett zu, wobei sie an seine Hüfte und sein Bein stieß, was wiederum in ihm ein helles Feuer entfachte. „Kann ich bitte das Licht noch anhaben?", fragte Kim leise, nachdem sie sich zugedeckt hatte. „Klar doch." „Ziehen Sie sich nicht die Hose aus?"
„Das habe ich vor." „Da oben können Sie das aber nicht." „Vermutlich nicht." „Sie können es hier tun. Ich mache auch die Augen zu." „Sehr großzügig", meinte er trocken. Sie hatte Recht. Sardinen in einer Büchse hatten mehr Platz als jemand, der in der oberen Koje schlief. „Schaffen Sie es?" Kim lag auf dem Bauch, die Ellbogen aufgestützt, die Finger einer Hand über den Augen. Auch vollständig zugedeckt bot sie eine verlockende Kurvenlandschaft. Rick löste seinen Gürtel, ließ seine Hose die Beine hinabgleiten und stieß sich schmerzhaft an der Tür, als er sich so drehte, dass seine unübersehbare Erregung Kim verborgen blieb. Natürlich riskierte sie einen Blick. Was er auch getan hätte, wenn sie sich ausgezogen hätte. Rick kletterte auf das obere Bett und hoffte, er würde daran denken, sich nachts nicht aufzusetzen. Platz für den Kopf gab es nicht. Er schloss die Augen und wollte schlafen, aber das Licht störte ihn. Es war unbequem, dass er sich nicht richtig umdrehen konnte. Rick hörte Kims sanftes Atmen, das Rascheln der Decke und den leisen Seufzer, als sie es sich bequem machte. Sobald Kim schlafen würde, würde er noch mal in den Salonwagen gehen. Aber es hatte nicht den Anschein, dass sie in der nächsten Zeit einschlafen würde. „Schlafen Sie schon?", flüsterte sie mit sinnlichem Unterton. Zumindest nahm Ricks hellwache Fantasie es so wahr. „Nein." „Ich kann auch nicht schlafen." „Versuchen Sie es." Das sollte sich bestimmt und väterlich anhören; sein Vater war allerdings nie zur Schlafenszeit an seinem Bett gewesen. „Ich komme mir so schuldig vor." „Weswegen?" „Sie sind doch viel zu groß, um da oben zu schlafen. Ich bin zu egoistisch. Wir sollten die Plätze tauschen." „Sie haben doch Platzangst." „Vielleicht habe ich übertrieben." „Sie meinen, Sie haben nur so getan, als ob?" „So was Ähnliches. Ich meine ..." „Ich will nicht wissen, was Sie meinen." Rick kletterte die Leiter hinab, und es war ihm egal, dass sein dunkelblauer Slip keinen Zweifel über seinen Zustand ließ. Kim wählte exakt den gleichen Moment, um sich aus dem unteren Bett zu schälen, wobei sie mit ihm zusammenstieß, als seine Füße den Boden erreichten. „Oh!", sagten sie beide zugleich. „Tut mir Leid", murmelte Kim und lachte dabei. „Das glaube ich Ihnen." Er hatte es nicht geplant, aber ihre Lippen stießen aneinander, als der Zug gerade besonders stark ruckelte. Kim fiel gegen Ricks Brust und um nicht zu fallen, hielt sie sich an ihm fest. Der Schaden war angerichtet. Ricks Lippen streiften ihre, und er spürte die Süße ihres Mundes. „Oh!" Rick erkannte dieses Küss- mich- nochmal-Stöhnen, sobald er es hörte. Wieder
küsste er sie. „Ich ... tut mir Leid", flüsterte sie atemlos. „Muss ich das nicht sagen?" Rick versuchte sich zu erinnern, warum er sie nicht auf das untere Bett ziehen sollte. „Nein, es war mein Fehler, glaube ich." „Hat dich das wach gehalten? Du brauchtest einen Gutenachtkuss." „Sicher nicht!" Rick war froh, dass das Licht an war. Kims Wangen wurden rot, und Rick sah, dass sie eine lausige Lügnerin war. „Vielleicht solltest du deine Hose anziehen." „Du hast geguckt, oder?" Er zog sie an sich. Sie leistete keinen Widerstand. „Meinst du, dieses Abteil ist schalldicht?" Er wusste nicht, ob sie scheu oder naiv oder einfach nur leichtsinnig war, aber es war die letzte Gelegenheit für ihn, die Einladung zu überhören, die er in ihrer Stimme zu vernehmen glaubte. „Geh ins Bett", sagte er heiser. „Ja, das ist wohl besser so. Einen Meckerfritzen, der die Hochzeit seines Bruders ruinieren will, kann ich nicht gern haben." Rick wusste nicht, ob sie erleichtert oder verärgert war. Kim schob sich mit einiger Schwierigkeit an ihm vorbei, wobei sie zu ihrer Genugtuung feststellen konnte, dass zumindest ein Teil von ihm ihren Rückzug ins obere Bett bedauerte. „Willst du das Licht jetzt aushaben?", fragte er. „Ist mir völlig egal." Hatte er da ein Schniefen gehört? Er ließ das Licht an.
4. KAPITEL
Auf einem Regalbrett zu schlafen war nicht leicht, vor allem, da Rick so nahe war, dass sie einfach an ihn denken musste. Kim drehte sich auf die Seite und dachte an den Kuss. Sie hatte ihn nicht erwartet, sich aber doch gefragt, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlen würden. Er hatte einen ungemein süßen Kussmund - genau richtig, um mit der Zungenspitze die Konturen nachzufahren, was sie vorhin nicht getan hatte, denn so ein Kuss war es nicht gewesen. Rick war ein fantastischer Küsser, und die kleine Kostprobe machte ihr Lust auf mehr. Kim drehte sich vorsichtig, weil sie bequemer liegen wollte, hatte aber die Furcht, er könnte ihre Ruhelosigkeit mitbekommen. Keinesfalls sollte er denken, dass er die Ursache für ihre Zappelei wäre. Ein toller Küsser oder nicht, er kam für sie nicht infrage. Kim hatte genug Enttäuschungen erlebt und wollte endlich den Richtigen finden. Jane hatte es geschafft. Ihre ruhige, ernsthafte Schwester hatte ein solches Glück mit Luke. Sie waren verwandte Seelen, und zusammen machten sie auch schöne Babys. Kim konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Ein solches Wunder konnte allerdings nicht mit einem Mann passieren, der Hochzeiten hasste. Rick mochte wie ein Liebesgott aussehen - sogar wie einer küssen - aber er war nicht das Wahre. Seine Art, mit dem Glück seines Bruders umzugehen, war, dessen Ehe zu verhindern. Er handelte vermutlich aus fehlgeleiteter Besorgnis, aber Kim war entschlossen, ihr Herz nicht Rick Taylor in die Hände zu legen, dem Feind jeglicher Romantik. Der Rhythmus der Räder war leicht hypnotisierend, anders als die leisen Atemzüge ihres Reisegefährten. Ihr Gutenachtküsschen hatte ihn nicht wach gehalten. Kim änderte ein weiteres Mal ihre Position und umarmte ihr Kissen. Sie versuchte, das Prickeln ihrer Lippen zu ignorieren. Als der Schlaf endlich gekommen war, wurde er so abrupt unter brechen, dass Kim sich aufsetzte und den Kopf an der Decke stieß. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, als der Zug zum Stehen kam. Kim reagierte instinktiv und kletterte über den Rand ihrer Koje. Ihre Fußspitzen verpassten die erste Stufe der Leiter, und sie fiel rückwärts herunter. „He!" „Ich hab dich." Kims Po prallte auf Ricks Brust. „Lass mich runter!" „Willst du dich nicht bedanken?" „Danke schön. Lass mich jetzt runter!" „Das nächste Mal nimmst du die Leiter." Rick holte tief Luft und ließ Kim herunter. Ihre nackten Füße glitten an seinen langen, behaarten Beinen entlang und streiften seine Füße. Kim wandte sich zur Seite. „Was war das für ein Stoß?" „Der Zug hat angehalten." „Sind wir denn schon irgendwo?" „Ich denke, das ist kein regulärer Halt. Es ist noch nicht mal fünf Uhr." Vom Korridor her kamen Geräusche. Kim schob den Vorhang zur Seite und sah nach draußen. „Es sind Leute draußen." „Ich sehe mal nach, was los ist." Rick zog sich die Hose an, wobei er den Reißverschluss schnell hochzog, aber Kims Neugier hatte ihn schon angesteckt.
Der Korridor war voller Menschen, und Kim streckte ihren Kopf hinaus, hielt sich aber ihre Jacke vor. „Kein Grund zur Beunruhigung", rief ein Mann in Eisenbahneruniform durch den Waggon. „Ein Sattelschlepper ist gegen die Brücke direkt vor uns gekracht. Sie ist deshalb kurzzeitig gesperrt." „Für wie lange?" Rick sprach im Sinne aller. „Bis wir sicher sind, dass sie hält. Wenn allerdings die Träger Schaden genommen haben ..." „Wie lange dauert es, bis Sie das wissen?", unterbrach ein beleibter Mann, der einen blauen Flanellschlafanzug trug. „Ein Inspektor kommt aus Omaha. In ein paar Stunden sollte er da sein. Bis es hell wird, kann er sowieso nicht viel tun. Wir entschuldigen uns für diesen Aufenthalt, aber machen Sie sich keine Sorgen. Gehen Sie wieder schlafen, und unsere Crew wird Ihnen in ein paar Stunden ein schönes Frühstück machen." „Wo sind wir denn?", rief Rick. „In Fort Powell, Nebraska, ungefähr dreizehn Meilen südlich von Keamey. Mit dem Zug ist alles okay." „Was ist, wenn der Zug nicht über die Brücke kann?" fragte der Mann im Flanellpyjama. Der Eisenbahner versuchte, sich zum nächsten Wagen durchzukämpfen. „Es ist noch nichts entschieden, aber wir bringen Sie dahin, wohin Sie müssen." „Vermutlich müssen wir zurück nach Omaha", brummte ein anderer Passagier, als sich die Menge zerstreute. Zurück im Abteil, stellte Rick die Sitze aufrecht und schob das obere Bett an die Wand, damit sie Platz zum Sitzen hätten. Kim sah aus dem Fenster und sah Lichter, wo die Gleise eine Kurve beschrieben. „Es kommt mir alles so unwirkich vor", bemerkte Kim. „Ich sehe mal nach." Rick zog sich seine Stiefel an. „Heißt das, du gehst dort hinaus?" „Der Hügel ist ja hier nicht so steil." „Kannst du das denn, einfach so aus dem Zug gehen?" Rick lachte trocken. „Wir sind doch keine Gefangenen." Kim fühlte sich sehr allein, als Rick fort war. Unter dem Fenster gingen noch weitere Fahrgäste zusammen mit Rick den Hügel hinunter. Männer! Was wollten sie denn beweisen, indem sie im Dunkeln durch knietiefen Schnee pflügten? Sie konnten den Zug ja nicht über die Brücke befördern, indem sie sich die Unfallstelle ansahen. Kim kuschelte sich in den Sitz, wobei sie ihre Jacke als Decke benutzte, und bewies sich zu ihrer eigenen Zufriedenheit, dass der Sitz bequem genug zum Schlafen war. Rick stieg den Abhang hinab, wobei er immer wieder auf dem rauen, schneebedeckten Untergrund ausrutschte. Er war durch diese weitere Verspätung so frustriert, dass er schon selber den Zug über die Brücke schieben wollte. Die Unfallstelle war kaum eine halbe Meile weit entfernt. Rick lief auf das Lichterbündel zu. Was er sah, war alles andere als ermutigend. Ein Sattelschlepper war unter der Eisenbahnbrücke außer Kontrolle geraten und so heftig gegen einen Betonpfeiler geprallt, dass dieser eingestürzt war. Der Sattelschlepper war umgestürzt wie ein Spielzeug im Sandkasten. Rick ging zu einem Straßenarbeiter. „Gibt es eine Chance, dass der Zug über die Brücke darf?" „Klar - in ein paar Jahren, wenn sich die Schreibtischhengste an die Arbeit machen. Ich würde nicht mal mit meinem Motorrad über diese Brücke fahren." Der Mann bestätigte damit Ricks eigene Einschätzung. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde die Traumfrau seines Bruders schon wieder die Scheidung
einreichen und um eine kräftige Abfindung nachsuchen, ehe Rick überhaupt ankäme. Er ging die Straße zurück und starrte über die trostlosen Felder. Als er sich beeilt hatte, um an den Ort des Geschehens zu gelangen, hatte er sich auf die Lichter an der Brücke konzentriert. Nun sah er ein großes Schild mit der Aufschrift „Truck Stop" im Dunst aufscheinen. Entfernungen waren um diese Zeit vor der Dämmerung schwer abzuschätzen, aber es schien ungefähr eine Meile südlich des Zuges zu sein. Eine Fernfahrerraststätte bedeutete Transport, und Rick war bereit, mit allem zu fahren, was sich in Richtung Westen bewegte. Der Hügel schien steiler, als Rick zum Zug zurückging. Aber viel schlimmer würde es sein, ohne Kim weiterzufahren. Sie hatte die lange Fahrt bisher weniger langweilig gemacht. Natürlich folgte daraus gar nichts. Er hatte einen größeren Test bestanden: eine Nacht mit ihr in einem Abteil zu verbringen, das kaum größer als ein Kleiderschrank war. Den kleinen Kuss mal ausgenommen und ebenso seine Fantasien, von denen einige ganz schön scharf waren, hatte er Kim da gehalten, wo sie hingehörte - auf Abstand. Himmel, sie mochte ihn nicht einmal. Wieso auch? Sie bekam bei der Erwähnung des Wortes „Hochzeit" einen verklärten Blick, und er, Rick, schuldetet ihr keine Erklärung wegen Brian. Wenn es die erste größere Romanze seines Bruders wäre, hätte Rick damit leben können. Noch hatte er die neue Frau nicht kennengelernt, aber er hielt es einfach nicht aus, dass sich sein einziger Bruder wie ein Idiot benahm. Als Rick den Zug erreichte, kletterte er in den Waggon, wo sich das Gepäck befand. Einen Moment lang war er versucht, seine Reisetasche zu nehmen und abzuhauen. Im Abteil hatte er nur noch sein Rasierzeug, aber er konnte nicht wissen, was Kim machen würde, wenn er verschwände. Er wusste, sie würde sich sorgen. Sie schlief unter ihrer Regenjacke. Ihre aufregenden langen Beine waren quer über den Gang gelegt. Vielleicht konnte er ihr ja eine Nachricht hinterlassen. Er brauchte Kim nicht aufzuwecken. Er griff in den Winkel zwischen Sitz und Wand, um sich eine der Reklamepostkarten zu nehmen, die hinter einer Landkarte steckten. „Huch!", stieß Kim schläfrig hervor. „Ich habe dich gar nicht zurückkommen hören." Ricks Blick wanderte unwillkürlich zu ihren hübschen Brüsten, die sich verführerisch unter dem Schlafanzugoberteil abzeichneten. Ein Tag oder auch zwei mit Kim allein in einem Abteil wäre nicht das Schlechteste. Doch sein Verstand sagte ihm, dass es das Beste für sie beide wäre, wenn sie sich trennten. „Ich bin wegen meines Rasierzeugs gekommen", erklärte er. Dass er gehen wollte, mochte er ihr nicht sagen. „Wegen mir musst du dich nicht rasieren", wehrte sie ab, auf einmal gar nicht mehr schläfrig. „Das will ich auch nicht." „Hast du etwas erfahren?", fragte Kim. „Nichts Gutes. Zum Glück hat der Fahrer überlebt, aber der Sattelschlepper hat einen Stützpfeiler umgerissen." „Bist du sicher?"" „Ja." „Wie lange dauert es, bis es weitergeht? Ich sorge mich um meine Schwester." „Der Zug wird umgeleitet". Vom langen Aufenthalt sagte Rick nichts. „Du kommst noch rechtzeitig an." „Ich komme an?" „Es gibt ungefähr eine Meile von hier einen Fernfahrerstopp. Da werde ich
hingehen und mir eine Mitfahrgelegenheit suchen. Sonst ist mein Bruder womöglich schon verheiratet, wenn ich komme." „Mit einem Lkw kommst du niemals rechtzeitig hin." „Nein, aber ich kann vielleicht irgendwo südlich von hier einen Flughafen erreichen, der offen ist. Ich werde verrückt, wenn ich noch länger in diesem Zug sitze." „Ich komme mit." „Das ist keine gute Idee." „Wieso nicht?" „Du kannst nicht einfach per Anhalter fahren." „Wieso nicht? Du bist doch bei mir." Kim kletterte auf den Rand des Sitzes und versuchte an ihren Matchbeutel zu gela ngen. „Du kommst nicht mit mir. Du bist viel besser dran, wenn du hier im Zug wartest." „Ich gehe aber mit. Wenn du mich nicht dabei haben willst, gehe ich eben alleine." „Das ist doch verrückt." „Kann sein, aber ich wette drei zu eins, dass ich vor dir einen Wagen bekomme." „Ich dachte, du wettest nicht." „Wenn ich mir ganz sicher bin, tue ich es schon." „Sei vernünftig, Kim." „Ich bin in zwei Minuten fertig und angezogen. Du kannst warten oder auch nicht, es liegt ganz bei dir." „Du machst einen schlimmen Fehler." „Und du nicht? Das heißt dann wohl, du willst ohne mich los. Viel Glück." „Ich werde zwei Minuten warten. Wenn du nicht in genau hundertzwanzig Sekunden zurück bist, gehe ich, und du bleibst hier. Wenn du zurück bist, kommst du mit mir." „Abgemacht! Vergleichen wir die Uhren." Kim sah auf das Zifferblatt ihrer Uhr. „Deine geht fünf - nein, sieben Sekunden nach", meinte sie. „Woher bist du so sicher, dass deine nicht zu schnell geht?" Es war lächerlich, wegen ein paar Sekunden Unterschied aneinander zu geraten. Rick hatte noch nie eine Frau getroffen, die in weniger als zwanzig Minuten angezogen war. „Achtung, fertig, los." Die Regenjacke über die Schulter geworfen, lief Kim auf den Korridor. Rick liebte die Präzision seine Schweizer Uhr mit ihrem komplizierten Hightech-Zifferblatt, das Tag, Stunde, Minute und Sekunde so effizient anzeigte, aber er hatte bislang noch nicht gewusst, wie lang zwei Minuten waren. Was könnte er denn in hundertzwanzig Sekunden schaffen? Sich rasieren, die erste Seite der Morgenzeitung überfliegen, ein Dokument auf dem Computer öffnen und mit der Arbeit anfangen? Er war froh über die Routine in seinem Leben, in dem es weder große Höhen noch bedrückende Tiefen gab. Doch jetzt hatte er das Gefühl, dass die Dinge zunehmend außer Kontrolle gerieten. _ Noch dreißig Sekunden. Kim konnte es nicht schaffen. Zu seiner Überraschung drückte er ihr die Daumen. Dann gewann seine Vernunft die Oberhand, und er sah nichts als Ärger auf sich zukommen, wenn Kim mit ihm weiterzog. „Noch drei Sekunden!" Mit roten Wangen kam Kim ins Abteil gelaufen und hatte die Zufriedenheit einer Siegerin. „Was ist mit deinem Gepäck? Du reist ja nicht gerade ohne." „Weil ich wieder nach Phoenix ziehe, und nicht bloß zu Besuch zu bin. Ehe ich aus Detroit weggega ngen bin, habe ich tonnenweise Sachen per Frachtgut
losgeschickt, was nicht gerade billig war. Aber egal, ich reise nie mit mehr, als ich selber tragen kann." „Natürlich", bemerkte Rick trocken und dachte daran, wie er ihr beim Einsammeln ihrer Dessous geholfen hatte. „Du machst einen großen Fehler." „Eine Wette ist eine Wette. Ich habe gewonnen, also komme ich mit. Es gibt gar nichts, was du dagegen tun könntest." „Der Hügel ist steil." „Du sagtest, es wäre nicht so schlimm." „Das war, ehe ich ihn wieder heraufgestiegen bin." Als würde Brian ihm nicht schon genug Kummer bereiten. Nun musste er sich auch noch um Kim sorgen. „Gehen wir." Es war ihm egal, ob er sich überzeugend anhörte. Das erste Problem war ihr Gepäck, und Rick ging voraus auf dem Weg zum Gepäckwagen. Er war nicht gerade sehr heldenhaft, als er Kim anbot, den großen Rollenkoffer zu nehmen. Sie konnte ihn keinesfalls den schneebedeckten Abhang hinunterbefördern. „Den nehme ich." „Ich lasse ihn einfach den Hügel runterrutschen." „Und wenn er von einem Stein aufgeschlitzt wird? Nein danke. Ich habe schon genug von deinen Sachen gesehen. Das eine Mal muss reichen." Rick nahm den Hartschalenkoffer vom Gepäckfach. „Du kannst ja den Inhalt auf den Matchbeutel und den großen Koffer verteilen." „Geht nicht. Die sind schon zu voll. Wie auch immer, ich will es so." Sie nahm ihm den alten Koffer weg. „Hat der irgendeinen Wiederverkaufswert? Fünfzig Cents? Ich werde dir einen neuen kaufen. Mit dem Ding würde ich nicht trampen." „Da ist kein Platz ..." Rick öffnete den Hartschalenkoffer und den Matchbeutel, voller Furcht, Kim könnte bezüglich des Platzmangels Recht haben. Er schaffte es, ein paar Slips in den schwarzen Beutel zu stopfen, aber das war es auch. Kim half mit, indem sie versuchte, etwas mehr in den Rollenkoffer zu stecken, aber der war schon weit über sein Fassungsvermögen ausgeheult. „Stopf deine Jackentaschen voll", schlug Rick vor. „Nein, ich sehe schon mit dem Schlafanzug unter meinen Sachen so ausgebeult aus." „Den hast du noch an? So was nenne ich Wettbetrug." „Nein. Ich habe anständig und ehrlich gewonnen." Rick wusste, was er zu tun hatte. Er hatte nur für eine kurze Reise gepackt. Es war noch genug Platz in seiner Tasche. „Ich lege den Rest in meine Tasche. Wir können später wieder alles aussortieren." Er versuchte, ihre Reizwäsche nicht anzusehen, als er sie in seine Reisetasche stopfte, aber schon die bloße Berührung bewirkte, dass ihm heiß wurde und er Lust bekam. „Gehen wir", sagte er, nachdem Kim sich vergewissert hatte, dass ihr Koffer leer war. Ricks Reisetasche fühlte sich fünfzig Pfund schwerer an, obwohl ihre Sachen praktisch nichts wogen. Der Schnee war platt getrampelt, was den Abhang etwas übersichtlicher, dafür aber auch gefährlich glatt machte. „Nimm meine Hand", sagte Rick. „Nein, es geht..." Kim stürzte und rutschte zehn Meter bergab, ehe sie endlich zum Halten kam. „Bist du okay?" Rick war ihr rasch gefolgt und hoffte, dass sie sich nicht verletzt hatte.
„Meine Schlafanzughose ist voll Schnee." „Vielleicht gehst du besser zum Zug zurück und ziehst sie aus." „Wartest du solange?" „Das ist wirklich keine gute Idee. Du wolltest warten und mit dem Zug fahren." „Kann ich nicht. Du hast meine Wäsche." „Ich schicke sie dir." „Ich komme mit. Ich muss nur meine Schlafanzughose ausziehe n." „Das kannst du auch, wenn wir am Truck Stop sind." Er nahm ihre Hand und zog sie in den Stand. „Ist das ein Witz? Ich habe die Beine ganz voll Schnee. Die Seide friert mir an der Haut fest. Dreh dich um, und ich ziehe sie aus." Rick sah zum Zug empor. Die meisten, aber nicht alle Fenster waren dunkel. Wie viele lüsterne alte Männer - oder auch junge - mochten Kim wohl zuschauen? Rick konnte sie einfach nicht allein trampen lassen. „Okay, ich bin fertig." Kim winkte mit der Seidenhose wie mit einer Kriegsflagge, was Rick einen Schwall Pulverschnee ins Gesicht wehte. „Entschuldigung." Kim half ihm, die Rocken von den Schultern und aus dem Haar zu fegen. „Macht nichts. Wir müssen weiter. Die Trucker fahren bei Tagesanbruch los." Rick hatte zwar keine Ahnung von den Fahrgewohnheiten der Trucker, aber je schneller sie sich bewegten, desto eher käme er von diesem wandelnden Unglück los. Er stopfte Kims Pyjamahose in seine Jackentasche und fühlte sich wie ein Handlungsreisender, der mit Damenwäsche handelte. Der Weg war länger, als er aussah. Das kalte, graue Licht des frühen Morgens erschien am Himmel, als Rick Kims Koffer in die andere Hand nahm und den schmerzenden Arm beugte. „Ich kann ihn tragen", sagte Kim. „Pass lieber auf, damit du nicht wieder fällst." Und bleib aus meinem Kopf, fügte Rick im Stillen hinzu. Er ging ein oder zwei Schritte vor Kim, was ihn aber nicht davon abhielt, an sie zu denken. Wie kalt mussten ihre Beine jetzt sein, nachdem sie in den Schnee gefallen war! Gern würde er ihr Wärme in ihre wohlgeformten Waden und Schenkel massieren. Er versuchte sich einzureden, dass es nur daher käme, weil er Langeweile hatte. Er war in letzter Zeit zu beschäftigt und auch zu gleichgültig gewesen, um das ganze Ritual durchzumachen, das er brauchte, wenn er Sex mit einer Frau haben wollte, die ihm gefiel. Er war längst überfällig. Jede große, gut gebaute Frau hätte diese Wirkung auf ihn. Kim Grant war naiv, verrückt und neigte zu Unfällen. Dass sie etwas Besonderes war, bildete er sich nur ein. Und Kim wiederum hielt jeden Mann, der bei Hochzeiten nicht in Begeisterung geriet, für herzlos. „Ich bin völlig fertig." Kim ging neben ihm, ihr Atem bildete weiße Wölkchen in der kalten Luft. „Es ist nicht mehr weit, und ich denke, wir haben Glück gehabt." „Wieso?" Sie klang müde. „Schau mal. Das da ist mehr als nur eine Tankstelle. Ich glaube, es ist ein Umschlagplatz, wo die Lastwagen Fracht von den Zügen übernehmen." „Ist das gut?" „Das bedeutet bessere Chancen für die Weiterfahrt. Die Straße unter der Brücke scheint eine gewöhnliche Landstraße zu sein. Der Highway ist da drüben." Rick wies auf die sich bewegenden Lichter hinter dem Truck Stop. „Gut. Ich könnte eine ganze Woche lang schlafen." Sie hinkte hinter Rick her, und er passte sich ihrem Tempo an. Dann nahm er
ihr den Matchbeutel ab, und sie versuchte brav mitzuhalten, aber alle paar Schritte fiel sie zurück. Als sie endlich näher kamen, war Rick wegen der hell erleuchteten Geschäfte, Laderampen und Zapfsäulen beruhigt. Die Service-Station war riesig und hatte ein Restaurant, Zimmer für die Fernfahrer und sogar eine Bushaltestelle. Ricks Füße und Hände waren taub, und seine Beine brannten vor Kälte, aber er sorgte sich mehr um Kim. Der lange Rock schlabberte um ihre Stiefel und sah eher luftig als warm aus, und der eisige Wind hatte ihre Wangen gerötet. Kim hatte mitkommen wollen, aber immer noch fühlte Rick sich schuldig, weil er sie mitgenommen hatte. Ob er es mochte oder nicht, sie waren zusammen auf dem langen Weg: er hatte ihre Unterwäsche.
5. KAPITEL
Kim versuchte nicht zu stolpern, aber ihre Füße fühlten sich an wie Marmor, den man in ihre Stiefel getan hatte, und vom eisigen Wind, der ihr entgegenblies, hatte sie schlimmste Kopfschmerzen bekommen. „Wir sind gleich da", sagte Rick. „Gut“. Schon das Reden war anstrengend. Kim hätte im Zug bleiben können. Die Lichter des Zugs, der immer noch auf dem Gleis stand, erschienen ihr jetzt ungeheuer verlockend. „Ich kann den warmen Kaffee schon von hier riechen", meinte Rick. Das würde nicht reichen, sie aufzuwärmen. So kalt, wie ihr war, würde sie am liebsten in heißem Kaffee baden. Sie näherten sich dem Truck Stop von hinten, wobei sie ein Feld voller Schneewehen durchquerten, die höher waren als Kims Stiefel. Ein kleines Wellblechhäuschen, das abseits des Hauptgebäudes stand, diente als Bushaltestelle, und Rick ging darauf zu. „Wenn ich ein Schließfach mieten kann, wäre das gut, damit wir nicht das ganze Gepäck ins Restaurant schleppen müssen", sagte Rick. „Sehr praktisch." Sie gingen in einen tristen, keinen Raum mit ein paar Plastikstühlen, metallenen Schließfächern und einem unbesetzten Fahrkartenschalter am hinteren Ende. Kim sollte Jane anrufen, aber wie sollte sie ihrer Schwester von irgendwelchen Fortschritten berichten, wenn sie mitten in der Einöde gestrandet waren? Ihre Schwester würde sich Sorgen machen, was in ihrem Zustand bestimmt nicht gut war. Rick brauchte zwei Schließfächer für ihre Sachen. „Lass uns früh stücken gehen und uns nach einer Mitfahrgelegenheit umsehen", sagte er, nachdem alles verstaut war. Kim ging mit ihm zum Restaurant, und ihr wurde bewusst, dass sie schlurfte. Was war los mit ihr? Sie fühlte sich ausgelaugt. Zwei Jahre im Mittleren Westen hätten sie doch winterfest machen sollen, aber Detroit erschien ihr im Vergleich zu den Zuständen hier geradezu paradiesisch. „Danke", meinte Kim, als Rick ihr die Tür aufhielt; sie war überrascht, wie sehr ihr beim Reden der Hals wehtat. Sie war überwältigt von dem durchdringenden Duft des gebratenen Specks und den lauten Männerstimmen. „Ist diese Ecke okay?", fragte Rick. „Klar." Kim glitt auf einen roten Plastikstuhl, froh darüber, sich endlich aufwärmen zu können. „Was nimmst du?" Rick reichte ihr die Speisekarte. „Tee." Kim zog ihre Lederhandschuhe aus und massierte ihre Finger. „Nummer zwei sieht ganz gut aus - Saft, zwei Eier, Schinken oder Wurst, Bratkartoffeln, Toast und Pfannkuchen." Schon der Gedanke an Essen verursachte ihr Übelkeit. „Kannst du das wirklich alles essen?" „Normalerweise nicht, aber wer weiß, wenn wir wieder was in den Magen kriegen." „Wir fahren doch nach Denver, nicht in die Antarktis." „Du bist ganz schön mürrisch heute morgen. Du hättest ja nicht mitzukommen ..." „Sag jetzt nicht, ich hätte im Zug bleiben sollen." Ricks Gesicht verschwamm vor ihren Augen, und sie ha tte am liebsten den Kopf auf den Tisch gelegt und
wäre in Ohnmacht gefallen. „Geht es dir gut?" Rick beugte sich vor. „Mir geht es gut, danke der Nachfrage." „Das ist aber keine gute Idee ..." „Sag das nicht!" Die obere Koje erschien ihr jetzt wie ein himmlisches Plätzchen. Die Kellnerin kam in ihre Nische, freundlich, aber offenbar in Eile. „Haben Sie sich schon etwas ausgesucht?" „Nummer zwei mit Schinken, Orangensaft und schwarzem Kaffee", sagte Rick. „Tee", korrigierte Kim. „Sie nimmt Nummer sechs - Rührei mit Weizentoast", erklärte Rick. „Nein, nur Tee", meinte Kim zur Kellnerin, die schon wieder ging. „Du hättest nicht für mich bestellen müssen, Rick." „Jemand musste es tun. Bist du sicher, dass du wirklich nach Denver trampen willst?" Die kleine sorge nvolle Linie auf seiner Stirn war süß. Noch eine schöne Stelle, die man küssen musste. Kim wollte Rick beruhigen, aber es war schwierig, mit klappernden Zähnen zu reden. Sie biss die Zähne zusammen und wünschte, sie wäre zu Hause, wo immer das wäre. Immer konnte sie nicht bei Jane bleiben. Diese Sache mit dem Umzug stand wie ein riesiger Berg vor ihr: Bewerbungsgespräche, Wohnungssuche, Umschreiben des Führerscheins ... „Kim!" „Entschuldigung. Ich habe gerade nicht aufgepasst." „Du bist gar nicht du selbst!" „Wer bin ich?" Kim nahm diese Bemerkung ernst. Rick griff über den Tisch und berührte ihre Stirn. Seine Finger waren warm und besänftigend. „Ich wäre nicht überrascht, wenn du Fieber hättest." „Ich kriege nie Fieber. Mir geht es gut." „Ich werde mich jetzt mal nach einer Reisemöglichkeit umsehen. Ich bin gleich zurück, sagte Rick. Als er weg war, sackte Kim zusammen und lehnte ihren Kopf an die gepolsterte Rückenlehne ihres Stuhls. Vielleicht war sie ja nicht ganz sie selber, aber immer noch machte es ihr Spaß, sich Rick anzuschauen. Zu dumm, dass sie noch kein Geschenk zum Valentinstag von ihm bekommen hatte. Ihr Lieblingstag stand kurz bevor: Herzen aus Spitze, Schokoladenherzen in einer Schachtel mit einer großen roten Schleife, rote Rosen von einem besonders lieben Freund. Aber ein Skeptiker wie Rick würde wahrscheinlich so etwas Nüchternes wie ein Zeitschriftenabo verschenken, wenn er überhaupt an diesen romantischsten Tag des Jahres dächte. Das Frühstück kam, ehe Rick zurück war. Kim verbrannte sich die Zunge an dem kochend heißen Tee, wickelte den Toast in eine Serviette und steckte ihn für später in ihre Umhängetasche. Das Rührei wurde sie los, indem sie es auf Ricks Teller umfüllte. „Du hast schon gegessen?" Rick war überrascht. „Du musst ja bald ve rhungert gewesen sein. Ich habe eine Fahrt gekriegt, aber wir müssen uns beeilen. Du gehst besser schon auf die Toilette, während ich esse." Nicht einmal ihre große Schwester sagte Kim, wann sie auf die Toilette gehen musste, aber sie konnte nicht einfach so dasitzen und Rick zusehen, wie er seinen Essensberg in Angriff nahm. Er wartete schon an der Tür, als sie zurückkam. „Ich habe mein Frühstück noch nicht bezahlt." Das warme Wasser, das sie sich auf die Wangen gespritzt hatte, gab ihr das Gefühl, innerlich zu glühen. Doch,
vielleicht hatte sie tatsächlich Fieber. „Ich habe das schon erledigt." „Ich schulde dir mittlerweile ein Vermögen." „Ich habe deine Wäsche als Entschädigung." „Es ist der Sattelschlepper mit der rotweißen Aufschrift an der Seite", erklärte Rick, als sie draußen waren. „Ich bringe dich hin und hole dann das Gepäck." „Was hat er geladen?" Kim hatte keine Ahnung, warum das wichtig war. „Ich habe nicht gefragt, aber es ist sicher nichts mit vier Füßen." Der Geruch von Diesel stieg Kim in die Nase und bescherte ihr einen Würgereiz. Auf einmal hatte sie nicht genug Kraft, um in die Kabine zu klettern. „Schaffst du es?" Rick legte den Arm unter ihren Ellbogen, um ihr zu helfen, und sie wollte sich am liebsten an seine breite, einladende Brust lehnen. Was natürlich keine gute Idee wäre. „Klettere rein und halt dich warm. Ich muss das Gepäck holen." „Ich kann es nicht", flüsterte sie heiser. „Du kannst was nicht?" „Ich habe es mir anders überlegt." „Ich glaube nicht, dass du den ganzen Weg zum Zug zurücklaufen solltest. Du siehst nicht gut aus." Kim hatte sich im Spiegel auf der Toilette gesehen. Außer, dass sie rote Wangen hatte, war sie käsebleich „Was ich tun werde", sagte sie so entschlossen wie möglich, „ist, auf den Bus nach Denver zu warten. " „Das dauert noch fünf Stunden." „Ich schlafe solange." „Auf den Stühlen da drinnen? Ich lasse dich doch nicht allein zurück - so krank, und überhaupt." „Ich bin sechsundzwanzig Jahre als und kann selber auf mich aufpassen." „Wirklich? So alt?" Er nahm Kims Hand und führte sie zum Wartehäuschen für die Busse. „Für wie alt hast du mich denn gehalten?" Sollte sie verletzt sein? Eigentlich war es ihr ganz egal, ob er sie für dreißig hielt. „Einundzwanzig, zweiundzwanzig." „Niemals!" „Du hast es mir ja schon gesagt. Es war nur ein Scherz." Es war aber keiner. Sie hatten die Nacht zusammen verbracht und sich nichts über ihr Leben erzählt. War er ein Morgen- oder ein Nachtmensch? Aß er seinen Salat vorweg oder zu seinem Hauptgericht? Mochte er schlanke Brünette? „Wie alt bist du?", fragte sie. „Im März werde ich zweiunddreißig." „Oh, dann hast du ja schon die Schallgrenze überschritten." Das meinte sie nicht so, aber es war ungewöhnlich, einen so tollen Junggesellen wie ihn zu treffen, der noch nicht in festen Händen oder bereits geschieden war. Kim lehnte sich gegen seinen Arm und wünschte, sie würde sich nicht wie schmelzende Gelatine fühlen. „Ich lasse dich ungern hier allein", meinte Rick. „Dies ist doch ein viel besuchter Platz." Bei jedem Schritt, den Kim machte, kam ein neuer Schmerz. „Ich denke, ich könnte auch auf den Bus warten", erklärte Rick mäßig begeistert. „Nein, du musst doch diese Hochzeit verhindern. Wenn du nicht hinfährst, werden die beiden womöglich glücklich." „Du verstehst die Situation nicht." „Was gibt es daran nicht zu verstehen? Ein Mann liebt eine Frau und will sie
heiraten. Und dann kommt der große böse Wolf - ich meine, Bruder ..." Rick öffnete die Tür zum Wartehäuschen und schob Kim mehr oder weniger hinein. „Ich gebe dir meine Karte." Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und gab sie Kim. Sie sah sie an, hatte aber keinen Schimmer, was das bedeutete. „Ruf mich an, wenn du nach Phoenix kommst, damit ich weiß, wohin ich deine Sachen schicken soll." „Ja sicher. Und ich muss noch für den Wagen und den Zug und das Essen bezahlen. Ich schulde dir ja eine ganze Menge." „Das stört mich am wenigsten." Rick ging zu den Schließfächern und holte seine Reisetasche heraus. „Hier ist dein Matchbeutel und der Schlüssel für das andere Schließfach." Kim hätte heulen können. Sie wollte nicht, dass Rick ging, aber sie fand es auch schrecklich, dass er die Hochzeit torpedieren wollte. „Der Fahrer wartet nicht", sagte Rick. „Pass auf dich auf." Wenn ich nicht, wer dann? dachte die unglückliche Kim. „Danke für alles", erwiderte sie hölzern. „Schön, dich kennen gelernt zu haben." Er ging. Warum fragte er nicht nach der Telefonnummer ihrer Schwester oder bat um ein Treffen in Phoenix? Kim ließ sich auf einen der verblichenen grünen Stühle fallen, zu erschöpft, um sich um Bequemlichkeit zu sorgen oder um die Antwort auf ihre Frage. Jane brauchte sie, und sie konnte nicht zu ihr hinkommen. Kim schloss die Augen und versuchte zu vergessen, aber Ricks Gesicht tauchte immer wieder vor ihrem geistigen Auge auf. War das so, wenn man sich verliebte? Ein halbe Stunde später machte sich Rick immer noch Gedanken um Kim. Der Fahrer war sehr gesprächig und war froh über seinen Passagier, aber Rick musste sich sehr anstrengen, um seinen Anteil an der Unterhaltung beizusteuern. Er war selber fertig; der Fahrer hatte es abgelehnt, dass Rick etwas für die Fahrt zahlte, was Rick das Gefühl gab, wach bleiben zu müssen und gelegentliche Kommentare abzugeben, auch wenn sein Geist zurückging zu dem schmuddeligen Wartehäuschen. Kim hatte eine mehrstündige Busfahrt vor sich. Was wäre, wenn sie ernsthaft krank wäre? Zugegeben, sie bekam leicht Hilfe von anderen - wofür er, Rick, der beste Beweis war - aber was war, wenn sie Fieber hatte und sich unklar ausdrückte? Im Restaurant war sie ganz schön weggetreten gewesen, und Rick war sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas gegessen hatte, denn die Rühreiportion auf seinem Teller war verdächtig groß gewesen. Rick sah auf seine Uhr, nachdem er mit dem Fahrer schon eine Dreiviertelstunde unterwegs war. Er konnte kaum glauben, dass es erst Samstag war. Diese Reise schien ewig zu dauern. Wenn Brian die Hochzeit nicht aufgeschoben hatte, blieben Rick nur noch wenige Stunden, um nach Phoenix zu kommen. Schnee stob gegen die große Windschutzscheibe, und die Unterhaltung des Fahrers flaute ab, als er sich auf die schlechter werdenden Straßenverhältnisse konzentrieren musste. Rick vermisste schon das freundliche Dröhnen seiner Stimme Er fand aber, dass er auch noch eine andere freundliche Stimme so vermisste. An der Bushaltestelle merkte Kim nur vage etwas von der Ankunft des Fahrkartenverkäufers, der zur Arbeit erschien, und der wenigen Fahrgäste, die in den Warteraum kamen. Die große Uhr an der Wand zeigte an, dass der Bus nach Denver in einer ha lben Stunde fuhr. Kim sollte allmählich ihre Fahrkarte kaufen und ihren Koffer holen, aber sie konnte einfach nicht genug Energie aufbringen,
um sich vom Stuhl zu erheben. Immer noch tat ihr der Kopf weh, und ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie mit Sand gegurgelt. Kim versuchte an andere Möglichkeiten zu denken, als den Bus zu besteigen. Vielleicht würde sie, wenn sie lang genug säße, sich in eine Statue verwandeln und jemand würde sie mitnehmen. Oder vielleicht würden weitere zehn Minuten Dösen sie wieder beleben. Sie schloss erneut die Augen und verließ sich auf die stille Unterhaltung der anderen Fahrgäste, die sie rechtzeitig wecken sollte. Abrupt erwachte Kim und wusste nicht, ob Minuten oder schon Stunden vergangen waren. „Kim, wach auf." Diese sanfte, einschmeichelnde Stimme kannte sie. „Der Bus fährt in zehn Minuten. Willst du mitfahren?" Vorsichtig blinzelte sie unter ihren Lidern hervor. „Kim, bist du da? Wach auf!" Widerwillig sah sie auf und wusste im selben Augenblick, was es hieß, vor Freude überzuströmen. „Rick, wieso bist du hier?" „Das frage ich mich auch." „Wie bist du zurückgekommen?" Kim versuchte, sich auf praktische Details zu konzentrieren, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. „Mit einem Getreide-Lkw nach Fort Powell, danach habe ich von einem Knaben an einer Tankstelle einen alten Pick-up gemietet. Es ist billiger, mit der Concorde zu fliegen, als mit dir zu reisen." „Ich dachte, du wärest weg." Kratzende Kreide auf einer Tafel macht ein angenehmeres Geräusch als meine Stimme, dachte Kim. „War ich auch. Was ist mit dem Bus? Willst du da mit? Es gibt ein Motel in Fort Powell, falls du etwas Ruhe brauchst." „Du musst doch nach Phoenix." Kim musste ihre Schwester anrufen. Wenn sie sich so fühlte, konnte sie auf keinen Fall zu Jane. Eine bittere Enttäuschung, aber es wäre noch schlimmer, wenn Peter oder Jane sich das einfangen würde, was sie hatte. „Vielleicht ein paar Stunden in einen Bett schlafen ...", schlug Rick vor. „Ich habe auch einen Laden in Fort Powell gesehen. Ich hole dir Aspirin." „Letzter Aufruf!", rief eine hübsche Frau mit grauen Locken. Kim war wach genug, um endlich zu merken, dass diese Frau die, Fahrkartenverkäuferin war, und sie war mit Rick dabei, den Bus nach Denver zu verpassen. „Jetzt fahren wir nicht", sagte Rick und ging zum Schalter. „Können wir einen Fahrplan nach Denver haben?" „Das wird nicht gehen ..." Kim stand auf, und der Raum drehte sich. Rick kam vom Schalter zurück und steckte den Plan in seine Tasche. „Es gibt immer noch einen anderen Bus", stellte er nüchtern fest. „Aber die Hochzeit deines Bruders ..." „Darüber reden wir später." Kim schlief im Lieferwagen, den Kopf an Ricks Schulter gelehnt, und als sie aufwachte, erblickte sie ein unbeleuchtetes Neonschild des E-Z-Motels zu erblicken. „Warte", sagte Rick und stieg aus. Glaubte er etwa, sie würde heraushüpfen und über die Straße zum E-Z-Imbiss und zur Bowlingbahn laufen? Halt! Kim dachte daran, dass sie nett zu ihm sein wollte. Er war zurückgekommen, um sie zu retten. Sie hatte allerdings vergessen wovor. Rick kam mit einem Schlüssel zurück, an dem ein kleiner Holzklotz befestigt
war, das wie ein Z aussah. Es dauerte eine Minute, bis Kim es mit dem E-Z-Motel in Verbindung gebracht hatte. Noch länger dauerte es, bis sie merkte, dass Rick nur einen Schlüssel hatte. „Was machst du jetzt?", fragte Kim, die sich sehnsüchtig ausmalte, sich endlich auf einem richtigen Bett auszustrecken. „Ich gehe zu dem Laden und mache ein paar Anrufe. Mach dir um mich keine Sorgen. Du brauchst jetzt Ruhe." „Danke." Kim fand ihn immer netter. War das möglich ...? Nein, niemals. Er schien nur wie Mr. Richtig, weil sie Fieber hatte, verwirrt war und in jeder Beziehung neben sich stand. Wirklich schade, dass er einen entscheidenden Fehler hatte. Er war sexy und anbetungswürdig und hatte sogar seine süßen Seiten. Wenn er nur nicht dächte, Hochzeiten wären das Totengeläut eines sorglosen Junggesellentums.
6. KAPITEL
Kim hatte kein helles Mobilar mehr gesehen, seitdem der früherer Freund einen ganzen Schwung davon bei einer Nachlassauktion gekauft hatte. Aber das Hotelzimmer hatte immerhin etwas zu seiner Ehrenrettung: ein breites Doppelbett. Es machte nichts, dass die Wände in einem stumpfen Braun gestrichen waren, der Teppich abgewetzt war und das einzige Bild aus einem Kalender stammte. Zumindest konnte Kim sich bequem ausstrecken und schlafen. Sie saß auf der Bettkante, um sich die Stiefel auszuziehen, aber sie schienen zu weit entfernt zu sein. Sie beugte sich vor, griff nach dem linken Stiefel, aber da fing das Zimmer sic h zu drehen an. „Lass mich mal." Rick ging in die Knie, womit er verhinderte, dass Kim umkippte. „Mensch, mir ist ganz schön schwindelig." Wieder legte Rick die Hand auf ihre Stirn, um zu überprüfen, ob sie Fieber hatte. „Du glühst ja richtig. Vielleicht sollte ich dich ins Krankenhaus bringen." „Nein, ich brauche nur ein wenig Schlaf." „Es wäre nicht schlecht, wenn man dich in der Notaufnahme mal untersuchen würde", beharrte Rick. Er hatte gut reden, denn er hatte wahrscheinlich eine Krankenversicherung. Ihr Versicherungsschutz hatte mit dem Ende ihres Jobs aufgehört, und sie schuldete Rick sowieso schon ihre gesamten Ersparnisse für die Fahrkarten und wer weiß was noch. Ihre Schwester würde wohl helfen, wenn sie sie bäte, aber der Knackpunkt bei der Reise war ja, dass sie zur Abwechslung mal Jane helfen wollte. „Das ist doch zu viel Theater, da hinzufahren und dann herumzusitzen", sagte Kim, was nicht ganz falsch war. „Lass mich dir die Stiefel ausziehen." Rick streifte ihr erst den rechten, dann den linken ab. Es war ein gutes Zeichen, dass Kim noch sagen konnte, welcher welcher war. Dann befreite Rick sie von ihren Kniestrümpfen. Kim wusste nicht, was sie sagen sollte. Er ließ sie sich wie ein verhätscheltes Kind fühlen, aber auf eine nette Art. Rick massierte behutsam ihren Fuß, eine Hand unter der Fußsohle, die andere auf ihrem Spann. Wie schaffte er es, aus der Kälte zu kommen und immer noch warme Hände haben? Kim war leicht kitzelig, aber so, wie er ihre Füße behandelte, war es der reine Himmel. Sie schämte sich, als sie vor Vergnügen stöhnte. „Das ist wundervoll. Mein Nacken ist richtig neidisch." „Bist du verspannt vom Schlafen auf einem Stuhl und im Wagen?" Jetzt ließ Rick seinen Zauber am anderen Fuß wirken. „Ich hätte im Zug bleiben sollen", meinte Kim matt. „Rutsch ganz auf das Bett." Rick stand auf und holte sich Pluspunkte, weil er sein „Das habe ich doch gleich gesagt!" für sich behielt. „Das war meine große Chance, etwas für meine Schwester zu tun. Ohne Jane wäre mein Leben in der Kindheit ganz schön mies gewesen. Sie war wie eine Mutter, als ich eine brauchte, und sie ist immer noch meine beste Freundin." „Klingt ganz so, als wäre sie ein besonderer Mensch, was mich aber auch nicht überrascht." Kim hatte erwartet, dass er sagte, auch sie wäre etwas Besonderes, was er aber nicht tat. Stattdessen knetete er ihren Nacken, wobei er überall dort, wo es schmerzte, sanften Druck ausübte. „Das kannst du gut", lobte Kim. „Danke. Ich lasse mich selber gern professionell massieren, weshalb ich mir
ein paar Sachen gemerkt habe." Sie stellte sich vor, wie er auf seinem Bauch lag, nur mit einem Handtuch über dem Po. Es müsste das reinste Vergnügen sein, Massageöl auf seinen geschmeidigen Schultern und dem Rücken zu verteilen. Es würde ihr Spaß machen, seine kräftigen Wadenmuskeln zu lockern und seine muskulösen Schenkel mit den Handkanten zu bearbeiten. „Tu ich dir weh?", fragte er. „Nein, es geht schon viel besser. Wie kann ich dir nur danken?" „Wieso ziehst du dich nicht aus?" „So dankbar bin ich nicht!" „Ich wollte nicht ... ich meine, warum ziehst du dir nicht etwas Bequemeres an und schläfst dann ein bisschen? Ich gehe Aspirin holen." „Ich bin zu müde, um mich umzuziehen." Kim schlug die Bettdecke zurück und wollte darunter kriechen. Das dicke weiße Kissen locke sie, ihren Kopf darauf zu betten. „Zieh zumindest deinen Rock aus, damit du es gemütlicher hast." Das weiße Kopfkissen erschien Kim wie eine Rettungsinsel. Noch ein paar Zentimeter und sie konnte es packen und sich in den Schlaf wiegen, wie sie es als Kind getan hatte. Ihr Kopf fiel auf das Kissen, ihre Augen aber blieben weit offen. Es gab da etwas, das sie wissen musste. „Wieso bist du so gemein zu deinem Bruder?" „Bin ich nicht." Rick holte tief Luft, schien aber über ihre Frage nicht verärgert zu sein. „Brian hat schon eine sehr schlechte Erfahrung mit der Ehe gemacht, und was er an Frauengeschichten vorzuweisen hat, ist entsetzlich. Er kennt die Frau doch noch keine sechs Wochen. Was wäre so schlimm daran, wenn er sie besser kennen lernen würde, ehe er sich auf eine neue Ehe einlässt?" „Glaubst du nicht an Liebe auf den ersten Blick?" Kim drehte sich auf den Rücken und sah Rick an. „Nein. Das ist doch nur Chemie oder, um es ganz direkt zu sagen, Sex. Als du die Rolltreppe runterkamst, hätte ich am liebsten das Gepäck vergessen, dich über die Schulter geworfen und zu einem hübschen Plätzchen gebracht, wo wir ungestört gewesen wären." „Wie ein Höhlenmensch." Ihr Erschauern hatte nichts mit ihrem Fieber zu tun. „Aber mal abgesehen davon, dass man mich dafür verhaftet hätte, wäre es eine reichlich dumme Idee gewesen." Kim war enttäuscht. Es war doch nur Spaß, wieso sagte er ihr dann nicht, was er sonst noch hätte tun wollen? „Das verstehe ich nicht - vorausgesetzt, ich hätte Lust gehabt." „Hättest du es denn?" „Ich weiß nicht." „Eben!", entgegnete er. Musste er das so triumphierend verkünden? „Aber wenn du gewusst hättest, dass ich ein infrage kommender Junggeselle bin, der sich ein schönes Leben macht", fuhr Rick fort, „und wenn ich vor dir einen Diamanten von der Größe eines Hühnereis hätte baumeln lassen, wärest du dann nicht in Versuchung geraten, ganz gleich, ob du viel über mich weißt oder nicht?" „Sicher nicht." Kim war jetzt wütend, aber sie biss sich lieber die Zunge ab, ehe sie erklärte, dass ihr Liebe und Romantik zu viel bedeuteten, als dass sie aus anderen Gründen heiraten würde. Das Fieber hatte sie zwar benebelt gemacht, aber noch nicht idiotisch genug, um ihr Herz einem Ungläubigen darzubieten. „Dann gehörst du zu den Frauen, mit denen sich mein Bruder zusammentut." Rick verzog verächtlich die Mundwinkel.
„Aber es ist sein Leben", erwiderte Kim müde. „Ich weiß." Rick fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und strich es sich aus der Stirn. Zum ersten Mal hatte Kim ihn nervös gesehen. Sie spür te, dass es kein guter Zeitpunkt war, um ihm Ratschläge zu geben. „Alles, was ich von ihm will ist, dass er sich Zeit lässt und noch mal nachdenkt. Ist das so unvernünftig?" Kim erkannte eine rhetorische Frage sofort. Sie drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und sah vor ihren Augen viele Lichter tanzen. Rick beobachtete die schlafende Kim. Er konnte es nicht erklären, aber etwas geschah gerade mit ihm. Er fühlte sich verantwortlich für Kim, auch wenn es nicht seine Idee gewesen war, dass sie mit ihm weiterzog. Tatsächlich war er ihretwegen in größeren Schwierigkeiten als je zuvor, und die Chance, dass er Brians Hochzeit verhindern könnte, wurde mit jeder Stunde geringer. Wie lange würde Kim krank sein? Sie war eine erstaunlich robuste Frau, aber wie lange würde es dauern, bis der Virus seine Arbeit getan hätte? Wer würde auf sie aufpassen, wenn er, Rick, nicht bei ihr wäre? Er hatte schon daran gedacht, Kims Schwester anzurufen, aber er wollte nicht dafür verantwortlich sein, eine Frau aufzuregen, die mit einer schwierigen Schwangerschaft zu tun hatte. Rick trat näher ans Bett, weil er Kim zudecken wollte. Er sah, dass sich ihr Rock um ihre Schenkel gewickelt hatte, und da das sicher sehr unbequem war, fand er, dass er ihn herunterschieben sollte. Sie schlief offenbar, weshalb Rick keine Angst hatte, sie aufzuwecken. Verdammt, sogar ihr leises Schnarchen war süß! Er bezweifelte, ob er jemals ein Paar schönere Beine gesehen hatte; lang und schlank mit der richtigen Fülle an den Waden und Schenkeln. Sie unter einem langen Rock zu verbergen war ein Verbrechen. Rick versuchte, den Stoff zu glätten, was aber nicht gelang. Es gab keinen anderen Weg, es ihr bequemer zu machen, als ihr den Rock auszuziehen. Der Rock hatte einen elastischen Taillenbund, also packte er den Stoff und zog ihn langsam herunter. Da Kim einen Tanga trug, waren ihre Pobacken nur halb bedeckt -ein äußerst erotischer Anblick, der seine Wirkung auf Rick nicht verfehlte. Er fragte sich, ob er sich wirklich nur aus purem Altruismus gezwungen fühlte, bei ihr zu bleiben. Oder war er vielleicht genau so ein Narr wie Brian? Unzufrieden mit sich, seinem Bruder und der unerwünschten Reisegefährtin verließ Rick das Zimmer, ohne den Reißverschluss seiner Jacke zu schließen oder die Handschuhe anzuziehen. Er musste sich jetzt ganz schnell abkühlen. Drei Stunden später hatte Rick sämtliche Quellen der Stadt erschöpft - und sich. Er hatte das Notwendigste im einzigen Laden der Stadt gekauft. Und er aß in der E-Z-Bar, während die Gäste in der Bowling- Bahn auf den sechs Bahnen die Bälle entlangdonnern ließen. Das Knallen der Kegel und das aufgeregte Kreischen der Spieler konnte Rick nicht von seinen Problemen ablenken. Zumindest war das Essen in Ordnung. Der Burger war saftig und heiß, und die Hühnersuppe kam nicht aus der Dose. Rick bestellte etwas für Kim zum Mitnehmen und ging in die Eingangshalle des Motels, wo er ein öffentliches Telefon gesehen hatte. Brian meldete sich nach dem ersten Klingeln. Rick fragte sich einen Moment, wieso Brian nicht bei der Arbeit war, dann fiel ihm ein, dass es ja noch Wochenende war. „Brüderchen!" So nannte Brian ihn meist, wenn er etwas wollte. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören?" Rick hasste dieses Spiel. „Erst die schlechte."
„Melindas Mutter ist von einer Biene gestochen worden." „Ist sie Allergikerin?" „Nein, aber sie wurde direkt in die Nase gestochen. Die ist jetzt rot und dick wie bei einem Clown. Sie will nicht, dass irgendjemand sie sieht, bis die Schwellung abgeklungen ist, deshalb mussten wir die Trauung auf nächsten Samstag verschieben. Sie findet dann kurz vor dem Empfang statt. Melinda ist enttäuscht, aber sie hat es akzeptiert." Rick hätte jubeln können vor Freude. Brians schlechte Nachricht war für ihn gut. Nun blieb ihm trotz allem genügend Zeit für einen letzten Versuch, seinen Bruder wieder zur Vernunft zu bringen. „Was ist die gute Nachricht?", fragte Rick. „Ich hatte ein langes Gespräch mit Melinda wegen eines Ehevertrags. Sie will, dass ich einen machen lasse. So werde ich nie einen Zweifel haben, dass sie mich heiratet, weil sie verrückt nach mir ist." „Hört sich nach einer vernünftigen Frau an", meinte Rick. „Das freut mich." „Natürlich werde ich keinen Vertrag machen." „Was? Du sagtest doch, sie hätte gesagt, es wäre eine gute Idee." „Stimmt, aber ich tue es nicht. Was für eine Botschaft wäre das für die Frau, die ich liebe? Schließlich will ich, dass es für immer ist. Wir haben das Gespräch gehabt, und ich bin froh über meine Entscheidung. Wann wirst du also hier sein?" Rick erklärte seine Lage, ohne Brian von Kim zu erzählen; nur, dass er gestrandet wäre, weil ein Sattelschlepper einen Brückenpfeiler gerammt hätte. Brians schlechte Nachricht war gut für ihn, aber was den Ehevertrag anging, war Brian erschreckend kurzsichtig. Also musste er, Rick, immer noch nach Phoenix und ein ernstes Wort mit Brian reden - und mit dem Anwalt. Doch zumindest blieb ihm jetzt mehr Zeit dafür. Rick verabschiedete sich, nahm die Hühnersuppe, bezahlte den Jungen von der Tankstelle, damit er den Pick- up noch einen weiteren Tag haben konnte, und ging zurück zum Motel, wo er versuchte, ein zweites Zimmer zu mieten. „Tut mir Leid", sagte der Angestellte. „Ich bin heute Nacht ausgebucht. Ein paar Eisenbahner kommen an." „Wo kann ich hie r in der Nähe noch ein Zimmer kriegen?" „Vielleicht in Kearney. Weiß ich aber nicht." Toll! Rick bedankte sich und ging, um nach Kim zu sehen. Ob sie wollte oder nicht, sie würde einen Zimmergenossen kriegen, was für ihn schwerer würde als für sie. Als Rick zurückkam, war das Bett leer, aber Rick hörte die Dusche hinter der geschlossenen Badezimmertür rauschen. Er zog seine Jacke aus, stellte die Tasse mit der Suppe auf die Heizung, damit sie warm blieb, und betrachtete die ungenutzte Seite des Bettes. Er war müde genug, um im Stehen zu schlafen, und es wäre ja noch schöner, wenn er diesen Raum ungenutzt ließe. „Oh, ich habe dich nicht reinkommen hören!" Einige Minuten darauf kam Kim durch die Tür, eingehüllt in einen Bademantel. „Ich habe dir etwas Suppe und Aspirin mitgebracht." „Ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du extra meinetwegen zurückgekommen bist. Ich habe dir doch schon so viele Probleme bereitet." Rick zuckte die Achseln; er mochte es nicht zugeben, auch nicht vor sich selber, dass er es nicht mehr eilig hatte, sie zu verlassen. Er hätte sich weigern können, den Mietwagen mit ihr zu teilen, und er hätte darauf bestehen sollen, dass sie in Chicago auf einen Flug wartete, aber irgendwann hatte er angefangen, sie zu mögen. „Wie geht es dir jetzt?" „Nicht toll, aber ich habe gut geschlafen. Ich denke mal, ich bin aufgewacht,
weil ich hungrig bin. Aber es ist schon komisch, dass ich mich nicht erinnern kann, den Rock ausgezogen zu haben." „Es sah so unbequem aus." Rick versuchte, nonchalant zu klingen, innerlich aber wand er sich. Sie sah ihn an, ohne etwas zu sagen. „Ich habe dir Hühnersuppe aus dem Bowlingcenter mitgebracht. Sie ist nicht schlecht." Er stellte alles auf einen kleinen Schreibtisch. Nun musste er Kim nur noch mitteilen, dass er das Zimmer mit ihr teilen würde. Sie lobte die Suppe, schluckte pflichtgemäß die Pillen und dankte Rick überschwänglich, während sie ihn die ganze Zeit misstrauisch ansah. Was wollte sie denn von ihm? Sollte er ihr sagen, dass sie die aufregendsten Beine besaß, die er je gesehen hatte? „Ich habe meinen Bruder angerufen", erklärte er stattdessen. „Hat er die Hochzeit verschoben?" „Ja. Die Brautmutter ist von einer Biene in die Nase gestochen worden." Kim stippte einen Cracker in ihre Suppe. „Kriegt sie denn Luft?" „Ich denke schon. Aber sie will nicht, dass man sie mit geschwollener Nase sieht. Deshalb heiraten Brian und Melinda unmittelbar vor dem Empfang am kommenden Samstag, weshalb ich die Idee mit dem Trampen sausen lasse und morgen den Bus nach Denver nehme." „Dann können wir heute Nacht hier bleiben. Das freut mich. Mir ist noch immer etwas übel. Hast du ein Zimmer gekriegt?" Wie auch immer sie sich fühlte, er fand, sie sah fantastisch aus. Ihre noch feuchten Locken umrahmten weich ihr Gesicht, und ihre leicht geröteten Wangen machten sie nur noch schöner. „Ja, das einzige, was übrig war. Dieses hier." Er hielt den Atem an und fragte sich, ob Kim widersprechen würde. „Ich denke, das macht nichts. Ich sehe noch schlimmer aus, als ich mich fühle. Vielleicht mache ich noch ein Nickerchen." Sie schlief, während er sich im Fernsehen ein Basketballspiel ansah. Er döste auf dem Sessel mit den hölzernen Armlehnen, blieb aber wach, weil es keine Kopfstütze gab - und keine Möglichkeit, die Frau zu vergessen, die sich nur einen Meter von ihm entfernt unter die Bettdecke gekuschelt hatte. In dieser Situation konnte er einen wirklich schlimmen Fehler machen. Kim würde alles, was zwischen ihnen passierte, sehr ernst nehmen, und je besser er sie kannte, desto sicherer wurde er, dass sie keine Lust auf flüchtige Sex-Abenteuer hatte. Sie wollte eine feste Beziehung, wofür er kein Kandidat war. Er brauchte eine kalte Dusche. Als Kim wieder aufwachte, war es fast acht Uhr abends. Rick ging noch einmal zur Bar in der Bowlingbahn und ließ sich Clubsandwiches und große Becher mit koffeinfreiem Kaffee geben. Hungrig aß er sein eigenes und die Hälfte des anderen Sandwiches. Nach einer Dusche - warm, nicht kalt, weil ihn ja sowieso nichts gegenüber Kim gleichgültig werden ließ - wickelte er sich in die Tagesdecke ein, um auf der Decke ganz an der anderen Seite des großen Bettes zu schlafen. „Ich denke, mein Fieber ist jetzt weg", meinte Kim. „Gut." Rick hielt ihr entschlossen den Rücken zugewandt. „Ein Problem gibt es." „Was?" Ihre gesamte Existenz war ein Problem für ihn. „Ich bin hellwach. Ich habe fast den ganzen Tag geschlafen." „Dann sieh fern. Das macht mir nichts aus." „Ich will dich aber nicht wach halten." Was dachte sie denn, was sie die ganze Zeit tat?
„Nichts schafft das", log er. „Ich bin ganz schön groggy." Dabei konnte er an nichts als an ihre langen Beine denken. „Dann sollte ich wohl den Mund halten." Rick stellte sich vor, wie still sie wäre, wenn er die Lippen auf ihren Mund drückte und sie küsste, bis sie vor Lust keuchte. „Nein, es ist schon okay. Es freut mich, dass du dich besser fühlst." Die Tagesdecke, in die Rick sich gehüllt hatte, war kratzig und roch muffig. Sobald Kim eingeschlafen war, würde er die Tagesdecke beiseite legen und zu Kim unter die Bettdecke schlüpfen. „Ich war noch nie so kaputt. Ich kann mich kaum an das letzte Mal erinnern, als ich Fieber hatte. Das muss gewesen sein, als ich noch ein Kind war", meinte Kim. Rick versuchte nicht zuzuhören, aber ihre Stimme war wie warmer Honig, der über ihm zerlief und ihn einlullte. Kims Stimme gehörte definitiv zu den vielen Punkten, die er an ihr mochte. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte", fügte sie hinzu. „Jemand anders hätte dir geholfen. Die Leute sind gern nett zu dir, was nicht heißt, dass du nicht selber sehr gut auf dich aufpassen könntest." Sicher hatte sie die Gabe, einen Mann dazu zu bringen, sich um sie kümmern. Wieso sonst war er hier und umarmte sein Kissen, obwohl er viel lieber die Frau neben sich umarmt hätte? Eine kalte Dusche würde ihm nicht helfen, denn sie konnte nichts dagegen ausrichten, dass Kim sich in sein Herz geschlichen hatte. „Erzähl mir eine Geschichte", bat sie. „Was?" Er stütze sich auf einen Ellbogen und sah sie in dem schwachen Lacht, das vom Badezimmer herüberkam. Kim saß aufrecht im Bert und hatte die Hände um die Knie gelegt. „Du weißt schon, eine Gutenachtgeschichte." „Ich kenne keine. Geschichten zu erzählen war nicht die Stärke meiner Eltern, wenn einer von beiden zufällig zur Bettzeit da war." „Das ist schade. Ach, ehe ich es vergesse, ich schulde dir noch etwas für einen Telefonanruf. Ich habe meine Schwester angerufen, als du die Sandwiches geholt hast." „Wie geht es ihr?", erkundigte er sich. Er versuchte, sich auf ein längeres Schwätzchen einzustellen, aber er nahm nicht auf, was sie sagte. Was konnte er tun, um sie zum Schlafen zu bringen? Merkte sie denn nicht, was sie mit seiner ständig schwächer werdenden Willenskraft anstellte? „Sie sagte, gut, aber sie klang müde. Sie hat den Fehler gemacht, Peter zu sagen, dass ich käme. Schon um sechs Uhr in der Frühe hat er im Schlafanzug an der Haustür gezeltet." „Hört sich nach einem aufgeweckten Kerlchen an. Bald sieht du ihn ja; jetzt, wo es dir besser geht. Es geht dir doch besser, oder?" Rick brauchte nicht zu fragen. Er musste ihr nur zuhören, suchte aber gegenwärtig nach einem unverfänglichen Gesprächstoff. „Viel besser. Hoffentlich ist es nur ein 24-Stunden-Virus." „Schlaf soll helfen, habe ich gehört." Es raschelte, als sie wieder auf ihr Kissen sank. Rick versuchte, sich nicht vorzustellen, was sie unter ihrem rosaroten Nachthemd trug -falls sie überhaupt etwas darunter anhatte. Obwohl sie ihn so erregte, war er gleichzeitig erleichtert. Er hatte schon Angst gehabt, sie so krank zu sehen, und die Tatsache, dass er sich verpflichtet fühlte, ihretwegen zurückzukommen, war auch unheimlich. Er war wie ein Fisch
gewesen, der anbiss, als er im Flughafen von Detroit den ersten ihrer Slips aufgehoben hatte. Solange sie durch ihr Fieber außer Gefecht gesetzt war, gab es keine Möglichkeit, den Haken aus dem Schlund zu kriegen. „Ich warte auf meine Geschichte", witzelte sie. Wider Willen freute er sich über ihre Bitte. Es war ein Zeichen, dass sie ganz sie selber war. „Gib du den Anfang vor, und ich sehe zu, was ich daraus machen kann", schlug er vor. „Okay. Es waren einmal zwei schöne Prinzen. Einer von ihnen wollte heiraten, aber der andere, der größere, stärkere, ältere Prinz sagte: „Nein, nein, nein. Du kannst nicht heiraten.'" Sie lächelte. „Jetzt bist du dran. " „Der ältere Prinz - er war auch der schönere - schloss seinen Bruder im Verließ ein", antwortete Rick, „und ließ die Möchtegern-Braut im Fluss die Wäsche waschen. Ende des Problems. Ende der Geschichte." „Das ist aber ein fürchterliches Ende." Kim setzte sich wieder mit lautem Geraschel auf. „Ich habe nie behauptet, ein guter Geschichtenerzähler zu sein." „Sag mir eines: heißt das, dass der ältere Prinz alle Hochzeiten hasst oder nur die seines Bruders?" „Die Ehe ist nicht der Punkt. Der witzige, tapfere, talentierte ältere Prinz hat versucht, seinen törichten jüngeren Bruder vor einem schrecklichen Fehler zu bewahren. Der Kerl hatte genügend hübsche Mädchen und Witwen verführt, ohne sich selber zum Idioten zu machen wegen eines albernen Mädels, das auf der Jagd nach einem Ehemann war." „Woher weißt du, dass sie albern war?" „Eine wohlbegründete Vermutung. Schlaf jetzt." „Das sagst du so leicht. Du hast ja nicht den ganzen Tag geschlafen." „Kim, bitte lass mich jetzt schlafen." „Entschuldigung." Sie hörte sich süß zerknirscht an. „Ich sollte nett zu dir sein, nachdem du so viel für mich getan hast." „Ich vergebe dir. Gute Nacht." „Meinst du nicht, dass es ziemlich hart war, den Bruder ins Verließ zu sperren?" „Schon gut. Er kann ja in einem netten, warmen Turm eingesperrt sein, mit Tänzerinnen, die ihn unterhalten." „Er ist aber immer noch eingeschlossen." „Kim, es ist doch nur eine Geschichte. Wieso bist du so von einer erfundenen Geschichte besessen?" „Bin ich nicht, aber ich habe ein Buch über Märcheninterpretationen gelesen. Sie haben immer eine geheime Bedeutung. Weißt du, wieso Dornröschen in Wirklichkeit geschlafen hat?" Rick stöhnte laut und war froh, dass Kim sein Geheimnis nicht kannte. Er hatte eine sehr klare Vorstellung, was er mit dieser schwatzhaften Prinzessin am liebsten tun würde.
7. KAPITEL „Sehr schön. Wir sind in Denver." Kim sah auf die vielen Menschen in der Halle des Flughafens. „Solange wir keinen Flug nach Phoenix haben, sind wir nirgendwo", brummte Rick. Er hatte während der achtstündigen Busfahrt viel geschlafen, aber es hatte ihn in keine gute Stimmung versetzt, wie Kim bemerkte. „Vielleicht haben wir ja unser ganzes Pech schon aufgebraucht", entgegnete sie voller Hoffnung. Sie hatte die Busfahrt genossen. Wenn sie nicht an Ricks Schulter döste, hatte sie das Vergnügen, ihn schlafen zu sehen. Als sein Gesicht entspannt war und sein dunkelblondes Haar ihm in die Stirn fiel, sah er wie ein Junge und zum Anbeißen aus. Sie hatten sich auch im Bus unterhalten. Er hatte ihr davon erzählt, dass er an der Universität von Arizona Basketball gespielt hatte, ein Sport, den er noch immer liebte. Sie hatte zugeben müssen, dass sie immer froh war, wenn sie einen Tennisschläger in der Hand hielt. Beide hörten gern dieselben Jazzmusiker. Er schien nicht genug von Jane, Peter und Luke hören zu können, erzählte aber nicht viel von seiner eigenen Familie. „Ich mag das nicht", sagte er misstrauisch. „Sieht aus, als wären zu viele Leute für einen Sonntagabend hier." „Denver ist eine Drehscheibe. Hier sind immer viele Menschen", erinnerte sie ihn. „Stimmt. Ich suche nach Ärger. Was kann denn noch alles auf dieser Reise schief gehen?" Sie mussten sich an einer Schlange anstellen, die ab und zu zwei Minischritte vorwärts trat, aber als sie endlich drankamen, harten sie den Jackpot. In etwas mehr als einer Stunde würden sie Richtung Phoenix fliegen. Rick gab Kims Gepäck auf, aber behielt seines bei sich, weil es als Handgepäck durchgehen konnte. Er würde am Zielort nicht mehr zum Gepäckband gehen müssen, aber Kim sehr wohl. Plante er das so, damit es keinen langen Abschied gab? „Bist du hungrig?", fragte er, als sie nach dem Einchecken zum Warteraum gingen. „Ich glaube nicht, dass wir Zeit zum Essen haben." „Wir haben Glück, wenn wir im Flugzeug Erdnüsse kriegen. Ich werde mir einen Snack holen." „Ich bleibe lieber hier, wo ich aus dem Fenster sehen kann und passe auf, dass unser Flugzeug nicht ohne uns abhebt." „Es ist noch genug Zeit. Komm mit." „Wieso?" „Ich habe mich daran gewöhnt, dass du bei mir bist." Er lächelte, aber Kim wusste nicht, ob es ein Kompliment war. „Wie auch immer, du musst was trinken. Du bist wahrscheinlich vom Fieber immer noch ganz ausgetrocknet." „Ich bin wieder ganz gesund." „Dann lass mich dir zumindest eine Limonade kaufen." Rick nahm ihren Arm. Sie dachte daran, ihn wegzuziehen, aber was war es denn? Sie erschauerte, wenn er nur ihren Jackenärmel berührte. Dies war der letzte Teil ihrer Reise, und sie wollte wirklich jede einzelne Minute davon mit ihm verbringen. Rick ging vor auf dem Weg zu einem Restaurant, das sich ganz in der Nähe
ihres Flugsteigs befand. Es war ein vornehmes Lokal mit gedämpftem Licht und Kellnern in weißen Jacken. „Haben wir denn noch Zeit dafür?" „Sie sind an Leute gewöhnt, die ihre Maschine kriegen müssen." Kim folgte ihm zu einem Tisch für zwei, der in einer dunklen Ecke stand, genau der richtige Platz für ein Paar, das sich wohl fühlen und unter dem Tisch die Knie aneinander reiben will. Kim rückte ihre Umhängetasche, die sie quer vor der Brust trug, nach hinten. Die Jacke ausziehen wollte sie nicht. Sie wartete lieber in der Schlange, ehe der Pilot an Bord ging, denn sie hasste es, in letzter Minute loszuhetzen. „Für mich nur Tee." Sie musste einfach auf die Uhr sehen. „Wie wäre es, wenn du einen Croque Monsieur mit mir teilst? Ich werde nicht genug Zeit haben, alles allein zu essen." „Vielleicht ein wenig." Kim hatte einen leeren Magen, aber das würde sie jetzt nicht zugeben. „Wir müssen es vielleicht ins Flugzeug mitnehmen. Hier ist es ganz schön voll." Wie um das zu beweisen, stieß ein Gast, der auf der Suche nach einem Tisch war, gegen ihre Rückenlehne. Rick überraschte sie, als er über den kleinen Tisch griff und seine Hand auf ihre legte. „Ich habe es nicht eilig, diese Reise zu vergessen", sagte er. Auch im gedämpften Licht hatte seine blauen Augen auf sie eine hypnotische Wirkung. „Sie ist noch nicht vorbei", sagte Kim leise. Rick versuchte, die Aufmerksamkeit eines Kellners zu erhaschen und holte schließlich einen an den Tisch. „Welches Importbier haben Sie?", fragte Rick. „Wir müssen unseren Flug kriegen!", warf Kim ihn ein. „Wir sind in großer Eile." „Natürlich, ich verstehe." Rick bestellte ein deutsches Bier, und der Kellner versuchte, sofort loszulaufen, um es zu besorgen. Aber Kim war schneller. Sie packte ihn am Ärmel. „Wir sind in großer Eile." „Wir bestellen jetzt", sagte Rick, womit er Kims Drängen halbherzig unterstützte. „Bringen Sie uns ein Croque Monsieur und eine Portion Pommes frites mit zwei Tellern. Und einen Tee." „Kräutertee oder ..." „Egal! Wir wollen unseren Flug nicht verpassen", unterbrach Kim. „Ich werde Ihre Bestellung sofort weitergeben", versprach er. „Noch sind wir nicht in Schwierigkeiten", meinte Rick, von Kims Ungeduld sichtlich amüsiert. „Du hast leicht reden. Du hast noch die ganze Woche Zeit, um die Hochzeit zu sabotieren. Meine Schwester braucht mich jetzt." Das Bier kam sofort, ein dunkles, merkwürdig aussehendes Zeug, das Rick nur schluckweise trank. Der Kellner brachte ein Kännchen heißes Wasser, dazu eine Auswahl von Teebeuteln in ungefähr einem Dutzend Geschmacksrichtungen. Kim brauchte eine Minute, um sich zu entscheiden. Das Essen kam nach einer Weile, aber der Kellner vergaß den zweiten Teller oder ließ sich nicht dazu herab, ihn zu bringen. „Frag bloß nicht!", warnte Kim Rick und legte ihre Hälfte des belegten warmen Stangenbrots auf eine Serviette. „Jede Sekunde geht das Einsteigen los." Sie biss in das krosse Baguette mit dem warmen geschmolzenen Käse, der Fäden zog, die an ihren Fingern klebten, als sie versuchte, sie vom Sandwich zu
trennen. „Keine Eile", meinte Rick mit einer Ruhe, die Kim verrückt machte. „Es ist um einiges leichter, an Bord zu gehen, wenn der erste Ansturm vorbei ist." „Wäre das nicht irgendwo über Flagstaff?" Rick lachte. Kim hörte auf, auf ihre Uhr zu sehen, und knabberte an ihrem Croque, bis auch Rick fertig war. Er hatte Recht. Das Flugzeug hob nie sofort ab, nachdem die Leute eingestiegen waren. War sie schon einmal in einem Flieger gewesen, in dem nicht jemand auf die letzte Sekunde hereinstürzte? „Wir haben genug Zeit", sagte Rick. „Genieß das Essen." Hör auf, meine Gedanken zu lesen und trink endlich dein Glas aus, dachte Kim. „Schau doch", meinte Rick und zeigte auf das Zifferblatt seiner Uhr, nachdem er den letzten Schluck genommen hatte. „Ein perfektes Timing. Unsere Reihe wird vermutlich mit dem Einsteigen dran sein, wenn wir aufkreuzen." „Cool." Bisher hatte sie diesen Ausdruck immer vermieden, aber die Zeiten waren jetzt anders. Sie brauchte einen vollständig neuen Wortschatz für diesen Trip quer durch das ganze Land, der von einer Krise zur nächsten führte. Beide standen sie, und der Kellner kam mit der Geschwindigkeit eines Häschens, dessen Schwanz Feuer gefangen hat. „Ich nehme Ihnen das ab, Sir." Rick gab ihm ein paar Scheine und verzichtete auf das Wechselgeld. „Gehen wir", meinte er. Kim ging vom Tisch weg, aber irgendetwas stimmte nicht. Zwei Schritte weiter wurde es ihr klar. „Oh nein!" „Was gibt's?" „Ich bin bestohlen worden!" „Bist du sicher?" „Rick, ich trage diese Umhänge tasche ständig. Ich weiß, wenn sie zu leicht ist." Kim begann, in ihrer Tasche herumzuwühlen, und ihre schlimmsten Vermutungen bestätigten sich. „Meine Brieftasche ist weg." „Ich habe gesehen, wie du sie eingesteckt hast, nachdem du am Ticketschalter deine n Ausweis gezeigt hast." „Stimmt, aber sieh selber! Sie ist weg!" „Du hattest die Tasche doch immer um. Ich hatte sie die ganze Zeit im Blickfeld. Na ja, fast die ganze Zeit. Ich habe die Speisekarte gelesen." „Jemand ist an meinen Stuhl gestoßen. Da muss es passiert sein." „Wir sollten den Wachdienst holen." „Was war in deiner Brieftasche?", fragte er. „Mein Geld, bis auf das Wechselgeld, das ich in die Tasche getan habe. Sämtliche Papiere, sogar meine Geburtsurkunde, weil ich umziehe. Meinen Sozialversicherungsausweis, all die schönen Fotos von Peter ..." „Kreditkarten?" „Nein, ich habe nur ein paar. Die sind ganz unten in meiner Umhängetasche. Meine Brieftasche war schon zu voll mit dem Pass und ..." „Dem Pass?" „Ich habe einen, weil ich mal nach Guatemala wollte, aber es hat ja nicht geklappt." „Was hat nicht geklappt? Egal, das hier ist jetzt ganz übel. Jemand, der auf Ausweise scharf ist, kann sie geklaut haben. Es war genug Zeug drin, damit
jemand anders du werden kann." „Wir müssen wohl doch zum Wachd ienst." „Ehe du irgendetwas tust, lass uns nachschauen, ob wir die Brieftasche nicht doch finden." „Unter dem Tisch ist sie nicht." „Nein, aber der Dieb wird sie so schnell wie möglich wegwerfen, sobald er sich genommen hat, was er will. Ich tippe, die Brieftasche ist irgendwo in einem Abfalleimer in der Nähe." „Kippen wir also die Abfalleimer um." „Wenn wir Glück haben, sind sie nicht voll", meinte Rick bedrückt. „Wenn ich ein Dieb wäre, würde ich mich auf ein Klo verziehen, um die Beute ganz in Ruhe anzuschauen." „Gut gedacht. Ich sehe bei den Männern nach. Du gehst raus in die Wartezone." „Der Dieb könnte auch eine Frau sein." „Ich habe aber keine Frau ins Restaurant kommen sehen." „Siehst du denn jede Frau, die zufällig in eine Kneipe spaziert, wo du ge rade was trinkst?" Es gab eine Menge von Rick Taylor, von dem sie nichts wusste. „Meistens." Er war verlegen. „Es ist eine Gabe. Alle Männer haben sie." „Das Flugzeug geht gleich." „Dann schnell jetzt. Vielleicht haben wir Glück." Rick eilte zur nächsten Herrentoilette. Kim ging in eine leere Wartezone beim Restaurant und spähte das Innere eines Abfalleimers. Sie konnte einfach nicht ihren Arm in die klamme Tiefe von weggeworfenen Tassen, dreckigen Servietten und sodagetränkten Zeitungen stecken. „Igitt!" Sie hob den Deckel vom Abfalleimer, zog den schwarzen Sack heraus und drückte von außen daran herum, bis Tassen und sonstiger Kram über den Rand schwappten. Der einzig feste Gegenstand im Sack war ein Paar rosa Badelatschen voller Senf. Jede Sekunde konnte das Flugzeug starten. Kim rannte zum nächsten Abfalleimer und schämte sich wegen der Unordnung, die sie hinterließ. Der nächste Behälter verschaffte ihr eine Pause. Kim hielt diesmal den Beutel geschlossen und stampfte mit den Stiefeln darauf herum. Nichts von der Größe einer Brieftasche war zu spüren, dafür tuschelten die Leute allmählich über sie. Kim sah unter den Sitzen nach, an Trinkbrunnen, überall, wo ein geschickter Dieb den legalen Beweis, dass Kim Kim war, weggeworfen haben könnte. Was wäre, wenn ein wirklich gemeiner Krimineller ihre Identität angenommen hätte? Sie würde noch von Interpol und der berittenen kanadischen Polizei gesucht werden! „Man hat mich bestohlen!", zischte sie ein paar jungen Kerlen zu, die ihr mit übertriebenem Interesse zuschauten. „Ich versuche, meine Brieftasche zu finden." „Brauchst du Hilfe?" „Oh, darum kann ich doch niemand bitten ..." Natürlich konnte sie! „Aber das wäre nicht schlecht. Ich hoffe, dass derjenige, der sie geklaut hat, nur das Geld rausnimmt und den Rest wegwirft." „Genau das, was ich auch tun würde", meinte der lange Dünne von den beiden. „Ich nicht. Ich würde alles als Trophäe behalten, was von dir käme", meinte sein mondgesichtiger Freund. Kim schickte sie in eine Richtung und ging selber in eine andere. Wie konnte der Dieb ihr die Brieftasche aus der Umhängetasche nehmen, ohne dass sie etwas davon gemerkt hat? Vermutlich war der Kerl ein Profi. Würde er etwas so Auffälliges tun, wie zum Beispiel, die Brieftasche an einem öffentlichen Ort wegzuschmeißen? Kim hatte keine Ahnung, wo Rick war, aber die Jungen waren ja so nett und
halfen. Das Mindeste, was Kim tun konnte, war, sie zu ermutigen, was aber nicht hieß, dass sie selber noch mehr von dem fremden Dreck anfassen müsste. Kim ging in den Raum, wo sie eigentlich auf ihren Rüg hätte warten sollen. Kein anderer Passagier wartete dort mehr. Ein gelangweilt blickender Angestellter einer Fluggesellschaft telefonierte. „Ist der Flg nach Phoenix schon weg?" Kim spürte, wie es sich anfühlte, wenn das Herz einem bis zum Halse schlug. „Warte mal kurz", meinte der Angestellte ins Telefon. „Ja, Ma'am. Hatten Sie eine Reservierung?" „Ja." Das konnte doch nicht wahr sein! Sie war eingeschlafen, und der ganze Trip gehörte zu einem verrückten Traum. „Tut mir Leid, Miss." „Aber mein Gepäck ist in dem Flugzeug." Der schmallippige Angestellte drückte ein paar Tasten an seinem Computer. „Nein, Ma'am. Da Sie nicht in dem Flugzeug sind, hat man Ihr Gepäck wieder ausgeladen. Wegen der Sicherheitsbestimmungen, verstehen Sie? Deshalb werden Sie zu unseren Ticketschaltern gehen und mit einem unserer Repräsentanten sprechen müssen." Kim drehte sich um; sie sah bereits jede Menge Schreibkram auf sich zukommen. „Du bist doch das Computergenie", sagte sie laut zu sich selbst und gab sich die Antwort: Brieftaschen-Status: keine Meldung. Gepäck-Status: keine Meldung. Rick-Taylor-Status: keine Meldung. Kim blickte nach links und rechts und sah ihre beiden übereifrigen Helfer, die schnellen Schrittes auf sie zukamen. Einer von ihnen wedelte etwas in der Luft. Er wedelte mit etwas! „Ihr habt die Brieftasche?" „Vielleicht ist es deine", meinte der mit dem Mondgesicht. „Oder auch nicht. Ist dein Name Kimberley Grant?" „Ja, das bin ich." „Kannst du das beweisen?" „Gib sie ihr, Biff." Kim mochte den Langen. „Da ist ganz schön viel drin. Ich kann sie nicht einfach irgendjemandem geben." „Sei kein Vollidiot." Sein Freund schnappte danach, aber der gute Biff wollte seine Belohnung. „Hier, ich kann es beweisen." Kim langte tief in ihre Umhängetasche, noch unter ihr Adressbuch und das Notfallpäckchen mit Erdnussbutter-Cracker, und zog eine Kreditkarte hervor. „Da steht mein Name." „Mach keine Zicken mehr", sagte der Freund. Er nahm Biff die Brieftasche ab und gab sie Kim. „Ich bin euch ja so dankbar", meinte sie. „Wie heißt du?" „Gilbert - kurz Gil. Schön, dass wir helfen konnten." „Ich kann euch gar nicht genug danken!" Kim gab Gil einen lauten Schmatzer auf die Wange. „Hast du aber gerade!" Gil grinste breit. „Ach, danke dir auch für deine Hilfe, Biff", setzte sie hinzu. Dann ging sie fort, während das Mondgesicht sich ärgerte und jammerte. Kims Pass steckte noch immer in der Seitenöffnung. Sie fand auch ihre Sozialversicherungskarte, ihre Fotos, sogar den Führerschein aus Michigan. Da machte es fast nic hts aus, dass der Dieb die restlichen Scheine mitgenommen hatte. Kim hatte ihre Identität zurück.
Was sie aber nicht hatte, war Rick. Folgte er immer noch einer Reihe von Abfallbehältern bis außerhalb des Flughafens? Oder hatte er endgültig genug von all ihren Kalamitäten und war für immer aus ihrem Leben verschwunden? Plötzlich war Kim nicht mehr so begeistert wegen ihrer Brieftasche. Sie war in Denver gestrandet, viele Meilen von Jane entfernt, und hatte keine Ahnung, wo Rick steckte. Niedergeschlagen ging sie in die ausgestorbene Wartezone. Sogar der Angestellte der Fluggesellschaft mit seinem Telefon war weg. Da Kim nichts Besseres zu tun hatte, wischte sie die Brieftasche mit einem der Taschentücher ab, die sie immer dabei hatte. Sie hatte die Jungen zu fragen vergessen, wo sie die Brieftasche gefunden hatten. Aber vielleicht sollte sie es auch gar nicht wissen. „Du hast sie ja wieder!" Rick tauchte hinter ihr auf, was sie so erschreckte, dass sie die Brieftasche fallen ließ, wodurch ein Teil des Inhalts verstreut wurde. „Zwei Jungen haben sie gefunden." Rick beugte sich nieder und sammelte die verstreuten Utensilien auf. „Du schaffst es verdammt gut, dir immer wieder von Fremden helfen zu lassen." Kim sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Wenn er jetzt vorhatte, ihr wegen dieses ganzen Zirkusses Vorwürfe zu machen ... „Es tut mir schrecklich Leid", sagte er sanft. Kim setzte sich abrupt hin. Die Sache mit Rick wurde ihr allmählich zu viel. „Sei wenigstens nicht sarkastisch." „Bin ich nicht! Du wolltest ja direkt in die Wartezone gehen. Ich habe auf dem Restaurantbesuch bestanden. Es war alles meine Schuld. Es tut mir wirklich Leid. Es ist mein Fehler, dass wir dieses Mal den Flug verpasst haben." Kim kicherte und konnte gar nicht mehr aufhören. Schließlich lachte sie schallend. Rick fiel in ihr Lachen ein. „Wir sind schon wieder gestrandet, und man hat mein Gepäck aus dem Flugzeug geholt, und wir haben für einen Flug bezahlt, den wir nicht antreten. So etwas ist mir noch nie passiert", meinte Kim atemlos. Rick beugte sich hinunter und legte seine Hände auf die Knie. Auch er konnte nicht aufhören zu lachen. „Rick, geht es dir gut?" „Nein, natürlich nicht." Er kam wieder hoch, nahm sie an den Schultern, und dann berührten sich ihre Lippen. Es war kein schlichter Kuss. Rick zog sie ganz fest an sich und küsste Kim so stürmisch, dass sie bereitwillig die Lippen teilte, um den Kuss zu erwidern. Und auf einmal schien sich die Erde unter ihr zu bewegen. „Ich dachte ..." Wie hätte sie ahnen sollen, dass er so etwas mit seiner Zunge tun konnte? Er verlieh dem Wort „küssen" eine neue Bedeutung. „Brauchst du noch mehr Hilfe, Kimberley?" Biff, der Junge mit dem Mondgesicht, trat so nahe an sie heran, dass seine Schultern ihre berührten. „Das ist einer der jungen Männer, die meine Brieftasche gefunden haben", sagte Kim atemlos. „Vielen Dank." Rick drückte ihm die Hand. „Ja, das war schon eine Arbeit, diesen ganzen Müll durchzuwühlen." „Meiner Freundin war das aber sehr wichtig." Rick zog seine Geldbörse. „Danke für eure Mühe." „Das sollst du mit Gil teilen!", rief Kim den Jungen nach. „Klar, so wie er mit mir geteilt hat", rief er über die Schulter zurück.
„Das brauchtest du nicht zu tun", sagte Kim zu Rick. „Hast du ihm schon eine Belohnung gegeben?" „Nicht direkt. Der Dieb hat mein ganzes Geld geklaut. Aber ich habe ihnen gedankt." Sie beschloss, nicht zu sagen, wie. „Und jetzt sind wir schon wieder gestrandet." Rick legte ihr den Arm um die Schulter. „Ich würde sagen, wir holen mein Gepäck und sehen zu, ob wir einen anderen Flug kriegen." „Gepäck ja, Flug nein." „Nein?" „Nein." „Wie denn dann?" Auf die einzig sichere Art. Ich fahre." „Es ist aber so weit." „Bloß achthundert Meilen oder so." „Draußen ist es dunkel." „Das soll nachts vorkommen." „Wieso hast du mich geküsst?" „Das wüsste ich auch gern." „Mieten wir einen Wagen?" „Besser als einen Hundeschlitten oder ein Schneemobil." „Ich schulde dir einen ganzen Jahreslohn." „Zum Glück für mich hast du noch deinen Ausweis, damit ich dich finden kann, wenn du nicht da bist." Er schulterte seine Reisetasche und ging los. „Dieses Mal fahre ich aber auch", bestand Kim und beschleunigte ihr Tempo, um mit ihm mitzuhalten.
8. KAPITEL
„Erzähl mir was. Ich werde schläfrig." Rick stellte die Scheibenwischer an, weil es schneite. „Wenn mich jemand zu reden bittet, fällt mir nichts ein." Kim hörte sich selber müde an. „Du solltest mich fahren lassen." „Jetzt gibt es aber gerade keine Stelle, um anzuhalten und zu wechseln. Erzähl mir mehr über deinen Neffen, Peter." Rick beschloss, die Wischer anzulassen, sosehr er das Hin und Her der Wischerblätter hasste. „Peter liebt alles, was wackelt, sich dreht oder sabbert. Einmal hat er eine kleine Eidechse gefangen. Er soll zwar nichts Lebendiges mit ins Haus bringen, also hat er sie in einer Keksdose oben auf dem Kühlschrank versteckt - frag mich nicht, wie er da hochgekommen ist. Jane hatte eine Putzfrau mit großem Hunger auf Süßes - den Rest kannst du dir vorstellen. Sie blieb nicht mal, um die Scherben zusammenzufegen." „Und du wirst ihn von allem Ärger fern halten?" „Wahrscheinlich kriegen wir eher zusammen Ärger", gab Kim zu. Leider ging ihr sanftes Lachen im Lärm des Windes unter. Dieses Lachen wurde zu einem seiner Lieblingsgeräusche - kein gutes Zeichen. Die meiste Zeit ging sie ihm im Kopf umher, ein weiteres verstörendes Anzeichen, dass er froh sein konnte, wenn die Fahrt vorbei war. „Bist du müde?", fragte sie. „Wir können ja ein Fragespiel spielen." „Wie geht das?" „Wir stellen abwechselnd Fragen. Hier ist meine erste Frage: Hast du jemals am helllichten Tag draußen nackt gebadet? Wenn du Ja sagst, kriegst du einen Punkt. Wenn du mit Nein antwortest, kriege ich einen. Wer zuerst einundzwanzig Punkte hat, gewinnt." „Ja." „Hast du? Am helllichten Tag? Du musst absolut ehrlich sein." „Immer noch ja." „Haben dich andere Leute gesehen?" „Gehört diese Frage auch zum Spiel?" „Nein, ich bin nur neugierig." „Ja, eine Menge anderer Pfadfinder. Jetzt bin ich dran. Hast du schon mal jemanden geküsst, den du gerade erst kennen gelernt hast?" „Hast du doch gesehen!" „Was gesehen?" „Wie ich Gil geküsst habe - einen der beiden, die meine Brieftasche gefunden haben. Sein bescheuerter Freund war ganz schön schlau, sie mir nicht zu geben. Er ist der, dem du die Belohnung gegeben hast." „Ich nehme das als ein Ja." Rick lachte und wunderte sich, wie leicht sie ihn unterhielt. „Jetzt steht es eins zu eins. Ich bin dran", meinte Kim. „Hast du schon mal heiraten wollen? Denk dran, dass du ehrlich sein musst." „Nein." „Du hast noch keine Frau getroffen, mit der du für immer zusammen sein wolltest?" „Ist das deine nächste Frage?" Rick mochte nicht sagen, was Kim hören wollte. „Ein doofes Spiel", meinte sie. „aber egal, ich habe es auch nur vorgeschlagen, damit du wach bleibst. Wenn du müde wirst, lass mich fahren." Rick fand, dass es sicherer war, wenn er sich selber unterhielt. Er ließ seiner
Fantasie freien Lauf, und da sah er Kims langen, hinreißenden Körper in einem mit Tieren bedruckten Slip und sonst nichts. Leider zauberte seine Fantasie einen weißen Zaun um Kim mit tödlich scharfen Pfählen, um Verführer abzuhalten. Nur ein Mann mit einem gefassten Diamanten konnte zu ihr vordringen. Vielleicht kamen seine Halluzinationen auch von der Höhe, in der sie fuhren. Er starrte in den dicht fallenden Schnee, und die Probleme seines Bruders wurden immer unwichtiger. Rick war immer noch der Biene dankbar, die in die Nase von Brians zukünftiger Schwiegermutter gestochen hatte, aber er, Rick, hatte nun ein viel unmittelbareres Problem, das neben ihm saß. Kim fühlte sich sicher, als sie neben Rick saß, als der Sturm immer heftiger wurde. Das Letzte, was sie wollte, war zu fahren, was Rick aber nicht zu wissen brauchte. Er war so stur, so kurzsichtig, so ... Wie konnte er sie so küssen wie auf dem Flughafen und dann nicht zugeben, dass sie zusammengehörten? „Der Schnee wird immer stärker", meinte Rick. Klar doch, rede nur übers Wetter, dachte Kim und war sauer. „Es kommt auch mehr Wind auf." Rick lenkte nach links, um einer Schneeverwehung auszuweichen. „Sieh die Lichter da vo rne", rief Kim plötzlich. „Was ist denn da los?" Rick bremste sachte ab und hielt wenige Meter vor einer Straßensperre an. Ein Polizist winkte mit einer Taschenlampe. „Der Highway ist geschlossen, Sir", sagte er, als Rick das Fenster heruntergelassen hatte. „Das Rote Kreuz hat im Gemeindesaal der Kirche eine provisorische Unterkunft aufgebaut. Nehmen Sie diese Ausfahrt, fahren Sie an der Ampel nach links, und biegen Sie dann bei der dritten Ampel rechts ab." „Gibt es eine Chance, ein Motelzimmer zu kriegen? " „Das bezweifle ich sehr." Rick steuerte den Wagen eine kürzlich geräumte Abfahrt hinunter, wo sich schon wieder neue Verwehungen bildeten. Kim sah auf ihre Uhr, konnte aber die Zeiger nicht erkennen. „Wie spät ist es?", fragte sie. „Zehn nach drei. Das tut mir alles Leid, Kim." „Was hatten wir denn für Möglichkeiten? Uns auf dem Boden im Flughafen ausstrecken? Das hier ist zumindest was Neues." „Du musst dir merken, wo wir geparkt haben", meinte Rick und wischte den Schnee von der Autonummer, nachdem er den Wagen auf der schwach beleuchteten Zufahrt zur Kirche geparkt hatte. „Noch ein paar Stunden, und der Wagen ist unter einer dicken Schneedecke begraben. Kims Zähne klapperten eher aus Nervosität als vor Kälte, als sie und Rick die Kirche betraten. Die Frau, die sie begrüßte, hatte silbergraue Haare und den Körper eines Teenagers, der in verblichenen Jeans und einem unförmigen Skipullover steckte. „Keine besonders gute Nacht, um mit dem Auto unterwegs zu sein, oder?", meinte sie. „Wir haben noch jede Menge Feldbetten im Gemeinderaum. Die Decken sehen aus wie Aluminiumfolie, aber es sind die Isolierdecken, die auch unser Krankenhaus benutzt. Bad und Toiletten sind den Gang entlang, und die Kaffeemaschine ist immer an. Zum Frühstück gibt es frische Krapfen." „Wir wissen das wirklich sehr zu schätzen", sagte Rick und dankte der freiwilligen Helferin. Sie hatten das Gepäck im Wagen gelassen. Sich bettfertig zu machen hieß nur, ein unbesetztes Feldbett zu finden und Stiefel und Mantel auszuziehen. Sie fanden zwei nebeneinander stehende Betten in dem großen halbdunklen Raum, und Rick schob sie enger zusammen.
In weniger als einer halben Minute war er eingeschlafen. Kim versuchte sich mit offenen Augen vorzustellen, wie der laute Schnarcher zu ihrer Linken mit geschlossenem Mund aussehen würde. Die Schlafgeräusche von Dutzenden von Menschen erinnerten sie an den Zoo von Phoenix, wo jede Tierart ihren ganz eigenen Klang zum allgemeinen Konzert beisteuerte. Rick drehte sich auf die Seite, was auf dem schmalen Feldbett keine geringe Leistung war, und berührte ihren Arm. Kim hielt den Atem an und flüsterte seinen Namen, um sicherzugehen, dass er schlief. Sie mochte die Schwere seiner Hand auf ihrem Oberarm, und sie mochte das Gefühl, mit ihm verbunden zu sein, während er schlief. Durch ein geschicktes Manöver bedeckte sie seine Hand mit ihrer Decke und kuschelte sich an seine Handfläche. Als er den Arm ausstreckte und die Hand auf ihre Brust legte, erstarrte sie. War Rick wach? Nein, sein Atem ging regelmäßig, und seine Hand blieb auf ihrem Kaschmirpullover. Sogar diese unbewusste Berührung reichte, um ihr heiße Schauer durch den Körper zu jagen. Kim legte ihre Hand auf seine, um sie da zu behalten. Kim wusste, sie war in sehr großen Schwierigkeiten. Vom ersten Moment an hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, aber ihr Interesse war oberflächlich gewesen und hätte leicht wieder vergehen können. Dann war er zurückgekommen, weil sie krank war. Er sorgte sich nicht nur um sie, sondern hatte die Leere ausgefüllt, unter der sie immer gelitten hatte, sogar wenn sie mit Menschen zusammen war, die ihr viel bedeuteten. Jetzt dachte sie mehr an ihn, als vernünftig war. Er war nach wie vor nicht der Richtige für sie, aber es war schon zu spät, um ihn einfach vergessen zu können. Rick drehte sich wieder um und zog seine Hand weg. Kim lag mit offenen Augen in einem Raum voller fremder Menschen, und nie hatte sie sich einsamer gefühlt. Es kam ihr wie eine schrecklich lange Zeit vor, bis sie einschlief. Kim wachte auf, als sie Kinderstimmen hörte. „Wir sollen sie doch nicht aufwecken." „Tu ich auch nicht. Ich gucke nur." Kim kniff ihre Augen fester zu. „Geht weg", murmelte sie. „Sie hat was gesagt." „Sie sagte: ,Geht weg'" Vorsichtig öffnete Kim ein Auge und sah einen Schokoladenkrapfen über ihrem Gesicht schweben. „Wohin gehört ihr beiden denn?" Die beiden Kinder kicherten, blieben aber stehen. „Es gibt hier keinen Videorekorder", beklagte sich einer der beiden schwarzhaarigen Engel. „Ich habe den letzten Schokokrapfen gekriegt", sagte seine etwas größere Gefährtin. „Wie schön für dich." Kim sah auf ihre Armbanduhr. Es war fast zehn. „Jason, Joanie, lasst die Dame in Ruhe!" Die Kinder zogen ab, und Kim stand auf, sah sich in dem beige gefliesten Allzweckraum mit seinen hellgrünen Wänden und den an einer Wand aufgestapelten Tischen um. Jetzt, da die Menschen aufgestanden waren und umherliefen, schien der Raum überfüllt sein. Die Decke auf Ricks Feldbett war zu einem ordentlichen Quadrat gefaltet und lag auf dem Kissen, aber von ihm war nichts zu sehen. Kim wusch sich, so gut sie konnte, genehmigte sich dann einen der restlichen Krapfen mit Puderzucker. Immer noch fehlte Rick. Kim durchsuchte das Gebäude, vom Altarraum bis zur Sonntagsschule. Als sie die Idee hatte, auf dem Parkplatz nachzuschauen, hatte sie ein schlechtes Gefühl.
Ihr Mietwagen sollte der fünfte Wagen rechts von einem Laternenpfahl sein. Von der Tür an zählte sie vier Schneehügel und einen leeren Platz. Er war erst kürzlich verlassen worden, und der stetig fallende Schnee hatte die Reifenspuren noch nicht ganz verdeckt, die Rick hinterlassen hatte, als er ohne sie weggefahren war. Wollte er sie zurücklassen, gestrandet, wie sie war, ohne Gepäck, ohne Geld dank des Flughafendiebes - und ohne Abschied? „Rick Taylor, allmählich könnte ich dich hassen!", schimpfte sie laut. Sie musste Jane anrufen. Ihre Schwester wusste immer, was zu tun war, aber wenn Kim jetzt mit ihr spräche, würde sie sicher weinen und Jane damit nur aufregen. Kim streckte sich und beschloss, nicht anzurufen. Es wurde Zeit, dass sie Jane nicht mehr als Seelentrösterin brauchte. Kim ging zurück in den Gemeinschaftsraum und schloss sich einer Gruppe an, die vor einem kleinen Fernsehapparat saß und den Wetterbericht ansah. „Der Raton-Pass ist geschlossen ... Der Sturm lässt noch nicht nach ... Schneehöhe bis zu ..." Wo immer Rick auch war, auf dem Weg nach Phoenix war er nicht. Es konnte noch tagelang dauern, bis der Highway wieder befahrbar war. Kim schob ihre eigenen Sorgen beiseite und half, die kleine Armee der Kinder zu unterhalten, die in der Unterkunft gelandet waren. Rick war länger fort, als er gedacht hatte. Jedes Hotel hatte er überprüft, jedes Motel und jede Pension. Er übersah sämtliche „Belegt"-Schilder und ließ sich sogar dazu herab, Geld anzubieten, aber die alte Stadt an der Eisenbahnstrecke nach Santa Fe war voll mit gestrandeten Autofahrern. Wäre er allein unterwegs, würde er in der Unterkunft schlafen, bis der Pass wieder offen war; aber jetzt wollte er mit Kim alleine sein. Ihm war, als würde er sie schon immer kennen, obwohl sie sich erst vor kurzem begegnet waren. Er brauchte Zeit, um herauszufinden, was zwischen ihnen passierte. Sich gegenseitig in einem Raum mit hundert anderen Leuten besser kennenzulernen, war so gut wie unmöglich. Rick hielt am Red Dog Cafe an, weil er einen Kaffee wollte. Rick setzte sich an die Theke neben zwei Männer von der Telefongesellschaft. Einer war schlank, wettergegerbt und still, aber der Große, der bei ihm war, fing sofort eine Unterhaltung an. Nach einigen Momenten, in denen über das Wetter und Sport geredet wurde, stellte Rick seine entscheidende Frage: „Haben Sie eine Ahnung, wo ich ein Zimmer kriegen kann? Die Stadt scheint ausgebucht zu sein." „Meine Tante hat eine Frühstückspension an der Ostseite. Sie ist aber ganz eigen, an wen sie vermietet. Sagen Sie, dass Art Sie geschickt hat - Art Gries. Ich arbeite ab und zu in der Gegend für sie, wenn ich Zeit habe." „Ich weiß Ihren Tipp zu schätzen", sagte Rick und nannte seinen Namen. Er folgte den Anweisungen bis zu einem blaugrauen viktorianischen Haus mit kitschigem Stuckdekor wie auf einer Weihnachtskarte. Mrs. de la Farge reagierte prompt auf das Bimmeln der Türglocke. Sie trug einen lavendelfarbenen Taft-Morgenrock, der sich über ihrem enormen Busen spannte und viele Rüschen hatte. Jedes einzelne ihrer rostroten Haare war durch Haarspray fixiert, und Rick konnte nur vermuten, dass sich unter der bunten Make-up-Maske auch noch menschliche Haut befand. Mrs. de la Farge war beinahe einsachtzig groß und auf ihre theatralische Art so würdevoll, dass sie Rick im ersten Moment einschüchterte. Erst nachdem Rick den Namen ihres Neffen erwähnt hatte, gab sie zu, dass sie ein freies Zimmer hatte. Dann aber schröpfte sie Rick mit der Erfahrung eines gewieften Halsabschneiders. Rick hätte für das, was sie für eine Suite mit zwei Zimmern verlangte, in einem Fünf-Sterne-Hotel in New York City bleiben können
- angeblich hatte sie sonst nichts frei. Rick musste ein Formular für die Kreditkarte für drei Tage im Voraus unterschreiben. Nachdem das Wohnproblem gelöst war, fuhr er zurück zur Kirche. Zunächst konnte er Kim nicht finden, als er in der Unterkunft ankam. Weder half sie bei der Zubereitung der Sandwiches, noch war sie im Gemeinschaftsraum. Rick ging hinüber zur Sonntagsschule, wo er Kim fand, die in einem der Zimmer auf einem Teppich saß, umgeben von Kindern. Ihr Haar war eine wirre Masse schwarzer Locken, und das winzige Grübchen in ihrer rechten Wange war so küssenswert, dass er weiche Knie bekam. Sie war dabei, eine Geschichte zu erzählen, mit Dialogen in Piepstimme und rauem Gebrüll. Sie sah ihn nicht, und er genoss die Erzählung noch mehr als die Kinder. Am Schluss fing sie an, auf allen vieren zu kriechen und ihr gebanntes Publikum durch den Raum zu führen, wobei sie fast gegen Ricks Beine gestoßen wäre. „Du bist zurück!", rief sie, als sie ihn sah. Sie hörte auf, den Saal zu umkreisen, ihr hübscher, jeansbedeckter Hintern ragte in die Luft wie bei den Kindern, und alle purzelten herum, als Kim stehen blieb. Rick war von ihrer Vorführung betört und sehnte sich danach, Kim in den Arm zu nehmen. Einige Frauen kamen herein, um die Kinder zum Essen zu holen. Kim sah Rick und zog einen Schmollmund. „Es geht mich natürlich nichts an, wo du warst." Sie ignorierte die Hand, die er ihr bot, und kam anmutig auf die Füße. „Hast du gedacht, ich würde dich verlassen?", fragte er. „Ich habe gar nichts gedacht." „Lügnerin." „Okay, ich habe mich um mein Gepäck gesorgt." „Nicht auch um die Fahrt?" „Das auch, würde ich sagen. Aber ich kann auf mich allein aufpassen." „Da bin ich auch ganz sicher." Er grinste. Kim wanderte um die Tische herum, wobei sie ständig darauf achtete, ein Möbelstück zwischen Rick und sich zu haben. Er genoss ihr Ausweichen, aber lieber wäre es ihm gewesen, sie in seinen Armen zu halten. „Ich glaube, du bist zurückgekommen, weil der Pass noch geschlossen ist", meinte Kim. „So?" „Das weißt du doch genau." Sie wurde sorglos und bewegte sich deshalb nicht schnell genug, als er, über ein paar Stühle sprang. Er nahm sie an der Schulter und spürte wieder ihren weichen Pullover, so wie letzte Nacht. Vielleicht hatte er nicht nur davon geträumt, in der Nacht ihre Brust zu umfassen, sondern hatte es wirklich getan. „Ich sollte jetzt beim Mittagessen für die Kinder helfen." „Du hast keine Zeit." „Dem Wetterbericht zufolge habe ich noch ein paar Tage." Sie machte sich von ihm los. „Ich habe ein Plätzchen gefunden, wo wir bleiben können." „Mir geht es hier sehr gut." Er merkte, dass sie keinen Zentimeter nachgeben würde. „Zu dumm. Was soll ich dann mit den beiden Zimmern und der größten Badewanne auf Beinen westlich vom Mississippi machen?" „Wirklich?" Sie starrte ihn ungläubig an. „Da bin ich nämlich gewesen - ich habe nach Zimmern gesucht." „Ein paar Leute, die hier geschlafen haben, haben es auch versucht, sind aber alle zurückgekommen. Warum hattest du Glück?" „Ich habe Kaffee mit jemandem von der Telefongesellschaft getrunken, der
eine Tante hat... Aber dich interessiert das ja nicht. Du hast ja hier so viel Spaß." „Hab ich." „Sag mal, bist du sauer, weil ich gegangen bin, ohne dich zu wecken, oder weil ich zurückgekommen bin?" „Du hättest eine Nachricht dalassen können." „Ich dachte, ich wäre eher zurück." „Und du hast wirklich zwei Zimmer gekriegt?" „Würde ich dich anlügen?" „Ich glaube, ich muss wohl mit dir gehen - du hast meine schönste Unterwäsche. Aber eines der Zimmer nehme ich auf meine Kreditkarte." „Abgemacht. Das regeln wir später." „Dann lass uns jetzt mit den Kindern essen, ehe wir gehen." „Geh du. Ich schaufele die Treppe und den Bürgersteig frei." Er musste sich abkühlen. Es war nach vier Uhr, als Mrs. de la Farge sie in die General-Dodge-Suite führte und sich dabei wie ein Staatsoberhaupt aufführte, das mindere Würdenträger empfängt. „Diese Rosshaar-Sofas stammen von meinem Vorfahren Pierre de la Farge, als er in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts wegen des Silbers westwärts zog." Sie trug ein festes Korsett unter ihrem bodenlangen schwarzen Taftmantel und rauschte wie eine ganze Armee, als sie voranging. „Das Frühstück wird von sieben bis neun im Frühstückszimmer serviert", sagte sie. Kim musste sich den Mund zuhalten, um nicht zu lachen, als Mrs. de la Farge mit schweren Schritten die große Treppe hinabstieg. Als sie in ihren Zimmern waren, ließ Rick Kim als Erste in die tiefe und riesige Badewanne steigen. Die Kacheln waren schwarz und mit goldenen Schwänen gemustert. Noch nie hatte Kim ein schwarzes Handtuch benutzt und hatte sicher auch noch nie hinter unverschlossener Tür in nach Lavendel duftendem Wasser gesessen und sich gewünscht, dass jemand ihr den Rücken schrubbt. Als Rick sein Bad nahm, lag sie unter einem Baldachin auf dem Bett in einem in Rosa und Weiß gehaltenem Zimmer, dessen hohe, schmale Fenster mit gerafftem Chintz verhängt waren. Der rosa Plüschteppich war tief genug, dass Kims Zehen darin versanken, und die Tapete war ein einziger Garten voller üppiger, hellroter Rosen auf beigefarbenem Grund. Es war das Traumzimmer eines zehnjährigen Mädchens, aber die Fantasien, die es in Kim auslöste, waren für Jugendliche nicht geeignet. Einen weiteren Tag würde sie mit Rick allein sein, vielleicht auch zwei. Alles konnte passieren und würde es wahrscheinlich auch, aber wohin würde das führen? Aus dieser neuesten Schwärmerei konnte nichts Gutes werden. Rick hasste Hochzeiten und würde aus ihrem Leben verschwinden, sobald die Kräfte der Natur aufhörten, sich gegen sie zu verschwören. Kim würde aber nicht einfach so in diesem Liebesnest herumsitzen wie ein Lockvogel und warten, bis Rick anbiss. Die Stadt war voller gestrandeter Reisender, und irgendwo musste doch was los sein. Kim wühlte in den Tiefen ihres Koffers und zog ein kurzes, smaragdgrünes Jerseykleid hervor, das an ihren Kurven wie ein zweite Haut anlag und spielerisch um ihre Schenkel schwang. Wegen des Wetters zog Kim sich eine schwarze Strumpfhose und Schuhe mit Plateausohlen an, die hoch genug waren, dass ihre Füße über dem Schnee waren. Sie wollte sich amüsieren. Sie stolzierte in den Salon und traf auf Rick. Er war so verdammt selbstsicher, dass er nur einen kurzen, dunkelblauen
Veloursbademantel trug und sonst nichts, das konnte sie sehen. Sie schwankte, ob sie ausgehen sollte, als sie seine langen, wohlgeformten Beine und die dunklen Haare in seinem tiefen Ausschnitt sah. Wäre es so fürchterlich, mit ihm auf einem der Sofas herumzukuscheln? „Du bist ja angezogen", meinte Rick rau. „Hast du ans Abendessen gedacht?", gab sie kokett zurück und hoffte, er würde ahnen, welche Wirkung er auf sie ausübte. „Ich dachte an eine Pizza ..." „Da ist ein Telefonbuch." Kim ging zu dem kleinen Schreibtisch und blätterte im Branchenverzeichnis die Seiten mit den Restaurants durch. „Hier, ein Familienbüfett, da macht es keinen Spaß. Wir könnten chinesisch essen - nein, da ist was Besseres. Foxy Fred's Rasthaus. Jeden Abend Livemusik, Volkstanz, dicke Steaks, einundsechzig Biersorten." „Ich weiß nicht..." „Ich lade dich ein. Zieh dich an." Sonst weiß ich nicht, was ich tue, fügte sie im Stillen hinzu. „Sie nehmen sämtliche Kreditkarten an, also geht das auf meine Rechnung." „Es ist kalt draußen. Ich dachte, wir könnten ..." „Ich weiß." Und zieh dir was an, ehe ich es mir anders überlege, flehte sie innerlich. Als sie am Rasthaus ankamen, sah Kim sofort, dass es der Ort zum Feiern in Tobago war. Sie mussten warten, bis man ihnen einen Platz an einem der kleinen schwarzen Glastische anbot, die um eine glänzende Tanzfläche standen. „Hey, Touristen! Habt ihr Zimmer hier?" Der Mann, der sie ansprach, war hoch gewachsen, mit breiten Schultern unter seinem karierten Fla nellhemd, und seine Jeans war so eng, dass deutlich wurde, wie groß er überall war. „Ihr Name war das Zauberwort", sagte Rick freundlich. „Hey, ihr kriegt hier vor Mitternacht keinen Tisch. Kommt zu uns." „Ich mag aber nicht einfach so dazwischenplatzen", sagte Rick. „Ich bin mit meinem Cousin hier - kein Problem." Er sprach mit Rick, sah aber Kim an. Kim wusste, wann man sie im Geiste auszog, und dieser Knabe war schon bei ihrem Slip angekommen. Sie machte den Mund auf, weil sie sich ihm eigentlich nicht anschließen wollte, änderte dann aber ihre Meinung. Was konnte schon in einem voll besetzten Rasthaus mit Rick als Aufpasser passieren? Es würde ihm nicht schaden, wenn er merkte, dass sie ihn nicht brauchte, um Spaß zu haben. „Hört sich nach Spaß an", piepste sie, wobei sie Ricks wütenden Blick übersah. Sie folgten dem Mann zu einem Tisch in einer dunklen Ecke und warteten, während er für sie Stühle von anderen Tischen heranholte. „Ich bin Art Gries", meinte er. „Fanny ist meine Tante." „Mrs. de la Farge", erklärte Rick, zu Kim gewandt. „Der alte Fargie war ihr zweiter Mann. Sie hat noch drei weitere gehabt, seitdem er mit einer blonden Tänzerin nach Kalifornien abgehauen ist, aber Fanny trägt seinen Namen gern. Er gibt ihrem Haus Klasse." „Kim Grant." Sie reichte ihm die Hand, und er ergriff sie mit wohltuender Sanftheit. „Und das hier ist mein Cousin, Mac Gries. Er ist mit dem Sattelschlepper von Kansas City hierher gekommen und steckt wie ihr hier fest, weshalb er jetzt bei mir ist." Kim war schon in größeren Rasthäusern gewesen, aber keines war lebhafter
oder lauter gewesen. Als die Band eine Pause machte, war es wie eine plötzliche Taubheit. „Wo wollt ihr hin?", fragte Cousin Mac. „Nach Phoenix." Rick erzählte von den Zuständen auf der Straße, während Art seinen nicht unbeträchtlichen Charme bei Kim spielen ließ. Sie entmutigte ihn nicht gerade, wollte aber auch nicht, dass er ihr in die Pension folgte. Falls er dachte, sie und Rick wären ein Paar, würde sie ihm nicht reinen Wein einschenken. „Schon mal Vo lkstanz gemacht?", fragte Art. „Ein paar Mal. Ich habe zwei linke Füße", gab Kim zu. „Ich habe zwei rechte." Er grinste verschlagen. „Wie wäre es mit einem Versuch?" Kim sah Rick nicht an, und er sagte kein Wort. Als sich die Leute aufstellten, folgte Kim Art mit geschickt zur Schau gestellter Begeisterung. „Oh, bin ich außer Atem!" Kim ließ sich gegenüber von Rick auf einen Stuhl fallen, als sie vom Tanzen zurückkam. Sie atmete schwer, so dass unnötig viel Aufmerksamkeit auf ihre huschen Brüste gelenkt wurde. Art schwatzte am anderen Ende des verrauchten Raumes an einem Tisch voller Damen, aber er würde zurückkommen. Mit Sicherheit. „Schläft er?" Kim nickte in Richtung des Truckers, der zusammengesunken war und mit dem Kinn auf der Brust schlief. „Er ist alle. Sein Cousin sollte ihn nach Hause bringen." „Er ist schon okay. Hier machen sie sowieso in einer Stunde oder so zu. Bist du sicher, dass du nicht auch mal tanzen willst?" „Danke, nein." Er wäre schön blöd, wenn er jetzt hinginge und wie ein Trottel herumhopsen würde, nachdem sie tanzend den Abend mit dem König der Volkstänzer verbracht hatte. Rick kam sich mies vor und mochte sich selber nicht besonders, aber er hatte schlechte Laune, denn eigentlich hatte er den Abend allein mit Kim verbringen wollen. „Ich dachte, du wärest lustiger", bemerkte sie. „Ich habe ja auch Spaß", log er. „Wird auf dem Hochzeitsempfang deines Bruders auch getanzt?" Ihr Gehirn ist eine Einbahnstraße: Hochzeit, Hochzeit, Hochzeit, schoss es Rick durch den Kopf. „Keine Ahnung." „Du wirst die Hochzeit nicht verhindern können." „Nein?" „Wenn zwei Menschen sich wirklich lieben, dann sind Außenstehende völlig egal." „Sprichst du aus Erfahrung?" Sein Plan, mehr über sie zu erfahren, war torpediert worden, und seine unbefriedigte Neugier nagte an ihm. Er wollte über sie sprechen, nicht über seinen Bruder. „Ich hatte ein paar enge Freunde." „Ich frage nicht nach den Freunden." „Es ist nichts dabei herausgekommen, was macht es also?" War da eine Trauer in ihrer Stimme? Ricks Intuition sagte ihm, dass Kim viele Seiten hatte, aber er wollte mehr als nur einen kurzen Blick auf das Innenleben dieser Frau erhaschen. So ein Mist! Er hasste Laienpsychologie - das Hobby seiner Mutter, wenn sie nicht gerade Golf spielte oder heiratete. Jetzt hing er an jedem Wort, das Kim aussprach. Sie war ein Schussel, der die Unterwäsche auf einer Rolltreppe verlor
und die Brieftasche im Restaurant. Wieso nahm er sie trotzdem so ernst? „Hey, Baby, letzte Möglichkeit zu tanzen." Art kam wie eine Raubkatze an den Tisch, die sich an die Beute heranpirscht. Rick wünschte, der Kerl wäre nicht so verdammt liebenswert. „Oh, ich bin völlig fertig", protestierte Kim halbherzig. „Das große Finale wirst du schon mögen. Hast du schon mal Cancan auf Westernart getanzt?" „Das klingt so, als wärest du öfter hier", meinte Rick. „Meist nur am Wochenende, aber ich wollte Mac etwas bieten, wenn er schon hier gestrandet ist." „Scheint so, als hätte er genug Spaß gehabt", meinte Rick, aber die beiden waren schon wieder auf dem Weg zur Tanzfläche und hörten ihn nicht. Er liebte es fast mehr, Kim beim Tanzen zuzusehen, als er es hasste, sie mit Art tanzen zu sehen. Die Männer und Frauen standen einander gegenüber - das mochte Rick - und alle bewegten sich schnell. Kims Rock wirbelte bis zu den Hüften hoch. Sie war keine große Tänzerin - sie geriet fast ständig aus dem Takt aber mit ihren tollen langen Beinen und ihrer ansteckenden Begeisterung stahl sie allen die Show. Er sollte dort bei ihr sein. Warum kämpfte er nicht mit Art um ihre Gunst? Er war beleidigt und nicht stolz darauf. Schlimmer noch, er war wegen einer Frau eifersüchtig, die er erst ein paar Tage kannte, und auf einen Mann, den sie vermutlich nie wieder sehen würde. Der Lärm und der Rauch hatten Rick Kopfschmerzen bereitet, oder vielleicht kamen sie auch daher, weil er sah, wie Kim mit einem Fremden herumtollte. Rick wollte, dass sie lieber mit ihm zusammen wäre, ihn jedem anderen Mann vorzöge, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, eine feste Bindung einzugehen, die genau das bewirken würde. Er war ein Trottel, aber er wusste nicht, wie er das ändern sollte -oder ob er es überhaupt konnte.
9. KAPITEL
Rick legte Kim den Arm um die Schulter, als sie im Schneetreiben über den Parkplatz des Rasthauses gingen. Kim zitterte, weil ihr ein eisiger Wind ins Gesicht blies, und es tat ihr Leid, dass sie keine lange Hose trug. Aber noch mehr bereute sie es, dass sie die Chance verpasst hatte, den Abend mit Rick allein zu verbringen. Sie wusste nicht einmal mehr, was sie hatte beweisen wollen. „Du siehst aus wie ein Schneemann", sagte Rick und bürstete ihren Mantel und ihre Kapuze ab, ehe er die Wagentür öffnete. „Schneemann?" „Schneekönigin." „Einverstanden." Als sie am Wagen angekommen waren, glitt Kim auf den Beifahrersitz und schlang die Arme um sich, um sich zu wärmen. Sie fuhren, ohne einem anderen Wagen zu begegnen. Kim saß auf ihrer Seite und wünschte sich, dass man nie getrennte Vordersitze erfunden hätte. Dies war eine Nacht, wie zum Kuscheln gemacht, und Körperwärme war nur einer der Gründe, warum sie sich an Rick schmiegen wollte. Sie legte eine Hand auf seinen Ellbogen, aber er legte sie auf seinen muskulösen Schenkel. „Ich brauche ein paar Rasierklingen", meinte er mit belegter Stimme. „Es gibt hier einen durchgehend geöffneten Laden an der Tankstelle da vorne." „Ich kann das Neonschild kaum sehen." Kim blickte in das wilde Schneegestöber und fragte sich, ob jede Flocke wirklich eine eigene Form hatte. Es waren ja auch nicht zwei Menschen einander wirklich gleich, vielleicht galt das auch für Schneeflocken. Sicher war kein anderer Mann wie Rick, und sie wollte ihn jeden Moment mehr, den sie zusammen verbrachten. Rick lief in den Laden, während Kim bei laufender Heizung im Wagen wartete. Als sie wieder auf dem Weg zur Pension waren, musste Kim zugeben, dass Rick ziemlich schnell das Geschick entwickelt hatte, im Winter zu fahren. Er parkte den Wagen auf der Straße nahe bei ihrer gegenwärtigen Unterkunft und trampelte einen Pfad, auf dem Kim zur Haustür gehen konnte, aber immer noch klebte der Schnee an ihrer Strumpfhose und auf ihren Schuhen. Madame, wie sie scherzhafterweise Mrs. de la Farge mittlerweile nannten, hatte eine rechteckige Plastikmatte in den Flur gelegt, aber es gab zwischen ihr und den Zimmern eine halbe Meile hochglanzpolierter Böden und Treppen. „Sie wird uns rausschmeißen, wenn wir Spuren hinterlassen", flüsterte Kim. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und sah auf ihre Strumpfhose, die nass vom schmelzenden Schnee war, der auf den Boden zu tropfen drohte. Rick zog seine Stiefel aus und versuchte, den Schnee loszuwerden, der im Hosenaufschlag war. „Es gibt nur eine Lösung", flüsterte er. „Wir ziehen alles aus, was nass ist." Sie machten aus ihren Jacken zwei Bündel, so dass der Schnee nicht heraustropfen konnte, aber Kim spürte, dass auch ihre Strumpfhose bis zu den Waden nass war. „Nicht gucken." Sie drehte Rick den Rücken zu und schälte sich die Strumpfhose von den Beinen und den Füßen. Natürlich schaute er zu, und sein Gesicht bekam einen Ausdruck, der Kims Herz schneller schlagen ließ. „Du bist dran", sagte sie leise. Ricks Reißverschluss glitt so langsam hinunter, dass Kim hörte, wie die Zähne einzeln getrennt wurde. Rick schob seine Hose über die schlanken Hüften, und eine Ausbuchtung wurde unter seinem Slip sichtbar.
„Lass uns ins Bett gehen", sagte Rick. Er sagte es, als wären sie ein Paar, dass schon seit langer Zeit das Schlafzimmer miteinander teilte, aber diese schlichten Worte waren verführerischer als jede ausgefeilte sexuelle Vorführung. „Ja." Stimmte sie zu mehr als nur dem Weg die Stufen hinauf zu? Sie wusste es nicht. Sie sammelte ihre nassen Sachen zusammen und folgte ihm. Ein nervöses Lachen konnte sie unterdrücken, aber gegen den prickelnden Schauer, der sie überlief, war sie machtlos. „Es ist, als wären wir Schüler, die sich lange nach der abgemachten Zeit heimlich ins Haus schleichen", flüsterte sie. „Ich frage mich, ob es hier noch andere Gäste gibt." „Ich nicht." Ricks Stimme war leise und kehlig. Kim mochte das bei einem Mann, den sie verführen wollte. Er schloss die Tür zu ihre Suite auf, ließ Kim zuerst eintreten und seine Sachen auf eine weitere Fußmatte fallen. Kim sah sich in der Suite um, als sähe sie sie zum ersten Mal: ein kleiner viktorianischer Salon mit einem blau-roten Orientteppich. Eine alte Lampe im Erkerfenster ging an, als Rick den Schalter an der Tür betätigte. Links waren das Schlafzimmer und das Bad, beides Räume, die Kim kannte, aber das Zimmer zur Rechten war ein geheimnisvolles Neuland. „Hier ist es nachts richtig gemütlich", meinte Kim. Sie tat legte ihre Sache ebenfalls auf die Fußmatte, während er die Tür zum Flur schloss. „Ja." „Es freut mich, dass Mrs. de la Farge so eine Show abzieht. Es macht ihr offenbar viel Spaß." „Willst du wirklich jetzt über sie reden?", fragte er. „Nicht wirklich." „Oder über ihren Neffen?" Sie genoss den ärgerlichen Unterton in seiner Stimme. „Wohl nicht." „Ist dir kalt?" Rick nahm Kim an die Hand und führte sie ins Wohnzimmer. „Ich friere." Er nahm sie in die Arme und schob ein Bein zwischen ihre kalten Schenkel. Sie presste die Schenkel an sein Knie und genoss es, seine heiße Haut zu spüren. „Wie bist du so warm geblieben? „Das ist mein inneres Feuer." Er senkte den Kopf, und endlich, nachdem er den ganzen Abend hatte warten müssen, küsste er sie. Kim schloss die Augen und fand, dies war der romantischste Moment ihres Lebens. Rick küsste sie sanft und gleichzeitig fast ehrfürchtig. „Du bist so schön", flüsterte er. „Ich habe noch nie jemanden wie dich gesehen." Er hielt sie in seinem Arm umfangen. Seine Lippen streiften ihre geschlossenen Lider, dann ihre Stirn. „Wird dir wärmer?", fragte er. „Irgendwo zwischen kochenden Kessel und einem Schmelzofen." Ohne nachzudenken schob sie ihre Hände unter seine Kamelhaarjacke und den braunen Rollkragenpullover und fuhr ihm über den glatten Rücken. Rick erschauerte, zog sich aber nicht zurück. „Deine Finger sind wie Eiszapfen." „Entschuldige." Sie wollte ihre Hände wegziehen. „Nein. Was für ein Mann wäre ich denn, wenn ich dir nicht helfen würde, warm zu werden."
„Ein Schneemann mit einem Eiszapfen als Herz." „Dafür hältst du mich?" „Ich weiß nicht, was für ein Mann du bist", erwiderte sie ernst. „Du musst jetzt unter ein schönes, warmes Federbett", sagte Rick. Kim zog ihr Hände weg. "Mein Bett hat nur eine dünne Decke und die üblichen Laken, wie man sie auch in Motels findet." „Willst du die Zimmer tauschen?" „Ich kann dich doch nicht bitten, in dem rosa Paradieszimmer für kleine Mädchen zu schlafen." „Du hast ja noch nicht mein Zimmer gesehen." Er lachte, nahm ihre Hand und führte sie ins zweite Zimmer. „Wenn Mrs. de la Farge eine gespaltene Persönlichkeit hat, dann hat ihre finstere Hälfte dieses Zimmer entworfen". meinte Rick. Rick machte das einzige Licht an, eine geschmückte Metallstehlampe mit roten Schwänen auf einen Lampenschirm mit goldenen Fransen. Eine rote Brokattapete schmückte die Wände oberhalb der ebenholzfarbenen Täfelung, und der Orientteppich war ein Gewirr aus roten, lila und blauen Ornamenten. Das Bett hatte wuchtige, geschnitzte Kopf- und Fußteile, mit Pfosten an jeder Ecke, hatte aber eine moderne Matratze in King-Size-Format, die an den Seiten von einem Metallgestell gehalten wurde. Das Deckbett aus Veloursamt war tief dunkelviolett, und schon beim bloßen Anblick wurde es Kim heiß. „Und das sind die Laken." Rick schlug das Deckbett zurück, um glänzende schwarze Laken mit einem perlweißen Muster exotischer Gewächse und Blumen zu enthüllen. „Leg dich rein. Du musst deine Körpertemperatur erhöhen", drängte er. Kim saß auf der Bettkante - nervös, weil das nirgendwo anders hinführen konnte als dazu, dass sie sich verliebte. Rick stand vor ihr, und sie wusste, dies konnte der Wendepunkt in ihrer Beziehung sein. Noch konnte sie ins andere Zimmer gehen - oder aber die Nacht bei Rick bleiben. Sie sah zuerst auf ihre rechte Schulter, dann auf die linke, als würde sie dort kleine Teufel und Engel erwarten, die ihr Ratschläge ins Ohr flüsterten. Ihr Gewissen schwieg, aber ihr Herz gab die einzig mögliche Antwort. „Ich sollte mich wohl ausziehen", sagte sie. „Lass mich dir beim Reißverschluss helfen." Das klang zögerlich, als wäre er ein wenig unsicher. Es kam Kim merkwürdig vor, als müsste sie ihm Sicherheit geben, aber sie war diejenige, die ihr Herz aufs Spiel setzte. Rick trat hinter sie und machte sich an ihrem Reißverschluss zu schaffen. Kühle Luft strich ihr übers Rückgrat, als Rick den Verschluss öffnete. Er zog ihr das Kleid über den Kopf, mit gerade so viel Verlegenheit, dass es liebenswert war, dann trat er zurück und schüttelte den Kopf. „Bist du enttäuscht?" Ihr Instinkt war, die Arme über ihre spärlich bekleideten Brüste zu legen, aber schließlich war sie mit Rick schon so lange zusammen unterwegs. Sie wollte kein Feigling sein nach all dem, was sie zusammen erlebt hatten. „Oh ja, ich bin sehr enttäuscht." Die Art, wie er das sagte, strafte seine Worte Lügen. „Ich sehe die schönsten Brüste der Welt." Kim griff nach seiner Hand und führte sie auf ihre Brüste. Immer noch vor ihr stehend, und nur noch mit Jacke, Hemd und Slip bekleidet, nahm er eine Brust in die Hand und erkundete sie mit der anderen, und Daumen und Zeigefinger beschrieben leichte Kreise auf der seidigen Haut, immer mehr, immer näher bis zur Brustspitze, ohne diese zu berühren. Kim schloss die Augen und gab sich den wunderbaren Gefühlen hin, die seine Liebkosung in ihr auslöste.
Und plötzlich schob er die Hand in ihren BH. Kim schnappte erregt nach Luft. Sein Daumen und Zeigefinger rollten die harte Knospe, bis Kims Lust so intensiv war, dass es fast körperlich schmerzte. „Dein Ärmel kratzt", sagte sie, ängstlich darauf bedacht, nicht zu eifrig zu wirken. Rick lächelte verlegen und zog sich Jacke und Hemd aus und warf sie auf die Erde. „Hey, du hängst deine Sachen ja nicht auf." Sie sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam, nur um ihn nicht merken zu lassen, wie scharf sie auf ihn war. Männer wollten doch immer die Jäger sein. Jedenfalls behaupteten das die Frauenzeitschriften. Aber in der letzten Zeit hatte sie keine gelesen. Und vielleicht hatten sich die Regeln ja auch geändert. „Und das kommt von einer Frau, die an einem öffentlichen Ort eine Spur ihrer Slips verstreut hat? Ich mag übrigens den, den du trägst." Rick nickte in Richtung des knappen pfirsichfarbenen Slips. Dazu trug sie den passenden BH. „Wirklich?" Sie stand auf und tanzte umher, drehte sich im Kreise. Rick hielt sie auf, indem er sich hinter sie stellte und sie an sich zog, so dass der Beweis seiner Begierde ihren Po berührte. Zärtlich glitt er mit der Hand über das seidene Dreieck ihres Slips, und er fuhr an den Hüften mit den Daumen in die Beinausschnitte. Geschickt zog er ihr den Slip herunter, küsste Kim auf die Schultern und den Nacken, während er ihren süßen nackten Po streichelte. „Du bist immer noch kalt", flüsterte er ihr ins Ohr. „Nicht innerlich." Sie schlüpfte aus ihrem Slip und kickte ihn fort. Rick öffnete den Verschluss ihres BH und warf das zarte Nichts durchs Zimmer. Kim wollte Rick anschauen und alles von ihm sehen, aber er blieb hinter ihr, hielt sie umfangen und liebkoste ihre Brüste mit langsamem Streicheln. Begierig sog er den Duft ihrer Haut ein und presste die Wange an ihr Haar. Kims Lust wuchs, und sie wünschte sich, er würde seine Liebkosungen für immer fortsetzen, aber Rick überraschte sie, als er beide Brustspitzen zwischen die Finger nahm und sie sacht nach vorne zog. Hitze durchströmte ihren Körper und verwandelte sich in Ströme glühender Lava, als Rick sie nun aufs Bett legte. Kim erbebte und fragte sich, ob er das merkte. Ihre Brustspitzen waren hart und über die Maßen sensibel, als er eine in den Mund nahm und an ihr saugte. „Du schmeckst fantastisch", flüsterte er und reizte die andere rosabraune Knospe mit seinen Zähnen. Sie wünschte sich, dass er die magischen drei Worte zu ihr sagte, aber sie hatten die Phase des Redens längst hinter sich gelassen. Als Kim die Hand nach ihm ausstreckte, merkte sie, dass er den Slip ausgezogen hatte. Ein wenig scheu wegen seiner Nacktheit, zog sie die Hand wieder fort. Rick wusste, wie er ihr Vergnügen bereiten konnte. Er wärmte sie von den Fingerspitzen bis zu den Zehen mit seinen tiefen, leidenschaftlichen Küssen und sanften, verführerischen Liebkosungen. „Magst du das?", fragte er, als er sachte die weichen Locken zwischen ihren Schenkeln berührte. Ihr Stöhnen war die einzige Antwort, derer sie fähig war. Rick hauchte kleine, heiße Küsse auf ihren Körper, bis das köstliche Gefühl seiner Lippen und die rhythmische Bewegungen seiner Hand auf ihrem Venushügel ihr den Geist vernebelten. Ricks Kinn war leicht stoppelig und fühlte sich so an, wie sie es erträumt hatte; es kitzelte erotisch auf ihrer zarten Haut. Er fuhr mit seinem unrasierten Kinn von der Mulde zwischen ihren Brüsten zur empfindlichen
Innenseite eines Schenkels. Gerade, als Kim dachte, sie hielte es vor Erregung kaum noch aus, spürte sie seine Zunge an ihrem sensibelsten Punkt. Es war so schön, dass ihre Augen sich mit Tränen des Glücks füllten. „Ich liebe dich, wenn du so unrasiert bist", flüsterte sie; ein halbes Geständnis, das ihm noch nicht mal die Hälfte davon verriet, was sie für ihn empfand. „Benutz bloß nicht die Rasierklingen, die du gekauft hast." „Die habe ich vorhin vergessen!" Er erschreckte Kim, indem er vom Bett rollte. „Was ist los?" „Du hast doch nicht ernsthaft angenommen, dass ich wegen Rasierklingen angehalten habe, oder?" Kim war entsetzt über ihre eigene Sorglosigkeit. Nie hatte sie versäumt, sich zu schützen. Ihre einzige Erklärung war, dass sie sich ihm schon so sehr verbunden fühlte, dass sie ihm vollständig vertraute. „Süße, es tut mir Leid." Er nahm ihre Hand und küs ste ihre Finger einzeln. „Die Kondome sind in meiner Jackentasche." Kim sah, wie er zur Tür ging, sein fester Po zum Anbeißen süß im matten Licht der alten Lampe. Rick war ein schöner Mann, und wie sehr wollte sie ihn! Als er ins Zimmer zurückkam, legte er eine große Schachtel auf den Nachttisch. Dann legte er sich wieder zu ihr ins Bett. „Komm her", sagte er und zog sie an sich, nackte Haut an nackter Haut. Er küsste Kim und erkundete ihren Mund mit seiner Zunge. Kim vergaß, dass sie jemals zurückhaltend gewesen war, und umfasste das sichtbare Zeichen seiner Erregung. Sie spürte die kraftvolle Härte unter ihren Fingerspitzen, groß und pulsierend. Es war aufregender als alles, was sie je zuvor erlebt hatte, und sie wünschte, ihr Liebesspiel würde ewig dauern. Mit der freien Hand griff er nach dem eingeschweißten Päckchen, aber sie hielt ihn auf. „Ich möchte das machen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich das kann." Sie wurde durch sein Lächeln und seine sanften Anleitungen ermutigt, als sie sich vor ihn setzte, die Beine über seinen Schenkeln, ihre Füße unter den Kissen verborgen. Vor Vorfreude schwindelig, aber dennoch gierig darauf, ihn zu berühren, beugte sie sich über ihn und legte die Arme um ihn., Auch Rick hatte die Arme um sie geschlungen, und Kim schmiegte sich an seine Brust und liebkoste innig die seidige, leicht salzig schmeckende Haut mit ihrer Zunge. Sie knabberte an einer Brustwarze und dachte, wie winzig seine Brustwarzen waren im Vergleich zu seinem breiten Oberkörper. Rick atmete schwer, und auch Kim hatte Mühe zu atmen. Sie sah ihm in die Augen und verschränkte die Hände hinter seinem Nacken. „Komm." Er stützte ihren Rücken mit einer Hand und tat aufregende Dinge mit der anderen. „Gibt's das denn?" Seine Erregung berührte sie, aber nie hatte' sie versucht - nie gedacht... Er rückte näher und bewies, dass es doch so war. „Wenn es sich nicht gut anfühlt, sag Bescheid", sagte er. „Okay?" „Okay", hauchte sie, dem Moment entgegenfiebernd, in dem sie mit diesem Mann, den sie bis zum Wahnsinn liebte, verschmelzen würde. „Entspann dich", flüsterte er, glitt mit seiner freien Hand unter ihren Po und hob sie auf sich, so dass er sich in ihre seidige Tiefe senken konnte. Kim kam ihm entgegen, wie benommen von ihren überwältigenden Gefühlen. Er bewegte sich sanft in ihr, während er sie mit zärtlichen Küssen beruhigte. Sie hielt sich an seinen Armen fest; entzückt, wenn er die Augen schloss und kraftvoll, aber ohne Hast in sie hineinstieß.
Kim beobachtete Ricks vor Lust verzerrtes Gesicht und spürte, dass er ihr die Führung überließ. In seiner sitzenden Stellung konnte er sich nicht heftig genug bewegen, um zum Höhepunkt zu kommen. Sie musste ihm helfen. Geschmeidig federte sie auf und ab und bog sich ihm entgegen, um ihn immer tiefer in sich hineinzuziehen. Ein leichter Schweißfilm bedeckte ihre Körper, ihr Keuchen erfüllte den Raum. Sie bewegten sich harmonisch im gleichen Rhythmus, ganz dem Diktat der Lust gehorchend. Sie hörte kleine, spitze Schreie und erkannte ganz vage, dass sie es war, die sie ausstieß. Be ide waren sie in höchster Erregung und strebten der Erfüllung zu. Der Höhepunkt war eine Explosion der Gefühle, ein urgewaltiger Wirbelsturm, gegen den sie machtlos waren. Und als die wilden Schauer des Glücks langsam verklangen, fielen Kim und Rick zurück in den großen Kissenstapel, immer noch mit einander verbunden, beide ein wenig atemlos. Er küsste sie auf den Mund und hielt sie fest umarmt. „O Kim, du bist hinreißend." Er streichelte ihre Brüste. „Ich würde mal sagen, du warst auch nicht schlecht." „Würdest du sagen!" Er legte ein Bein über sie, um sie auf die allerschönste Weise gefangen zu halten. „Ich bin sogar ziemlich sicher." Sie seufzte zufrieden, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis nach Schlaf und dem Wunsch, dieses erste Mal möge nie enden. „Für eine Frau, die kein Gefühl für Rhythmus hat, kannst du sich aber ganz schön bewegen", sagte er und lächelte er. „Kein Gefühl für Rhythmus? Wie kannst du das sagen?" „Ich habe dich tanzen sehen." „Oh." Sie griff streichelte ihn. „Wieso hast du nicht mit mir getanzt?" Er gab keine Antwort. „Weil ich immer mal wieder aus dem Takt geraten bin?" Rick drehte sich mit ihr, so dass sie nun unter ihm lag, und beugte sich über sie. „Nein." „Wieso dann?" Kim wollte ihre verletzten Gefühle nicht verstecken. „Ich wollte dir lieber zusehen." „Das reicht nicht." Sie reizte seine Lippen mit ihrem kleinen Finger, bis er ihn in den Mund nahm und daran saugte. Sie zog ihn heraus. „Ich hatte keine Lust zum Ausgehen", gestand er. „Stehst du so auf Pizza?" „Es ist immerhin was zu essen." „Hier ist kein Fernseher", gab sie zurück. In Wirklichkeit hatte sie das gerade erst bemerkt. „Ich bin nicht süchtig danach." „Na ja, es ist ja auch egal, ob du mit mir getanzt hast oder nicht", log sie. „Ich hatte einen guten Partner." „Ja, er ist ein netter Kerl." Kim bemerkte, dass Rick nicht den Namen des Mannes in den Mund nahm. „Ich sollte jetzt wohl in mein Bett gehen." Sie gab Rick einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze. „Sag mir einen Grund." „Ich bin kein bisschen müde. Ich werde dich wach halten", neckte sie ihn. „Versprochen?" Sie rutschte zur Bettkante, aber Rick streckte den Arm aus und hielt sie auf.
„Was für einen hübschen Arm du hast, Großer Wolf." Kim strich über seinen Bizeps. Sie mochte seine Muskeln und die Glätte seiner Schulter. Gab es eigentlich etwas an diesem Mann, was sie nicht mochte? Ja, das gab es, aber jetzt waren sie erst mal noch ein oder zwei Tage wegen des Schnees hier gefangen. Sie mochte nicht an Rick, den Hochzeitsschreck, denken. Er küsste sie lange und innig, hob dann den Kopf und lächelte. „Bist du sicher, dass dir jetzt warm ist?" Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog er das schwere Federbett über sie beide und ließ seine Lippen über Kims Rückgrat nach unten gleiten. „Schlaf jetzt bloß nicht ein", sagte er mit erstickter Stimme, ohne daran zu denken, dass sie ihm ja scherzhaft angedroht hatte, ihn die ganze Nacht wach zu halten. „Als wenn ich das könnte", seufzte Kim. Sie mochte es, wie er ihre Schultern massierte und ihren Rücken mit Küssen überzog. "Hast du das von deiner Masseurin gelernt?" Rick schob das schwere Deckbett zur Seite und wandte seine Aufmerksamkeit einem ihrer Beine zu. Kim kicherte, als Rick mit den Lippen über ihre Fußsohle fuhr, und wand sich vor Vergnügen, als er ihre Kniekehlen küsste. Rick liebkoste auch die Rückseite ihrer Schenkel, und Kim war nun hellwach. Sie ahnte, was als Nächste kommen würde, und Wogen der Lust durchströmten sie. Als Rick dann mit der Zunge unsichtbare Muster auf ihre heiße Haut malte, wusste Kim nicht mehr, ob sie noch mehr von dieser süßen Tortur aushaken könnte. „Rick ..." „Hm ..." Wie konnte sie ihn fragen, ob er schon wieder für sie bereit war? Waren die Männer nicht sehr empfindlich, wenn es darum ging, wie oft sie konnten? „Bist du schon wieder so weit?", stieß sie hervor. Er gab ihr einen kleinen Klaps auf den Po. „Dreh dich um." Jetzt gab es für sie keinen Zweifel mehr. Rick war über ihr und teilte ihre Schenkel mit der Hand. Er wartete nicht, dass sie ihm mit zitternder Hand den Schutz überstreifte, sondern nahm sie mit der ganzen Kraft seiner Leidenschaft. Seine Stöße waren härter und tiefer als beim ersten Mal und drangen in etwas so Elementares und Befriedigendes vor, dass sich Kim vollständig ihrem Gefühl überließ. Sie grub ihre Nägel in seinen Rücken, ohne es zu wollen, und hob die Hüften, um das Vergnügen zu intensivieren, das ihr ganzes Sein erfüllte. Sie erlebte einen rauschhaften Höhepunkt, der nicht enden wollte, und spürte, dass auch Rick den Gipfel erreichte. „Weißt du eigentlich, dass du etwas ganz Besonderes bist?", flüsterte er, als er wieder sprechen konnte und zog die Decke, die bei ihrem wilden Liebesspiel auf den Boden gerutscht war, über sie beide. Eigentlich hatte Kim andere Worte hören wollen, aber sie schlief ein, ehe sie noch länger darüber nachdenken konnte.
10. KAPITEL
Rick wachte auf, um Kim ein weiteres Mal zu lieben. Sie lag an seiner Seite eingerollt, ihr nackter Po an seiner Hüfte, und Rick konnte sich nichts Schöneres vorstellen, den Tag zu beginnen. Vom Fenster her drang graues Licht herein, aber mit so viel reflektiertem Licht vom Schnee war es unmöglich zu sagen, wie spät es war. Rick streckte die Hand zum Nachttisch hin und sah auf die Uhr. Wäre es gemein, sie vor sieben Uhr zu wecken, wenn sie sowieso nicht aus der Stadt herauskonnten? Es war verführerisch. Rick wollte wissen, ob sie sauer war oder gut gelaunt, so früh am Morgen. Mochte sie Sex beim Aufwachen? Würde es so gut wie gestern Abend sein? Rick war nicht gewohnt, auf so vielen Kissen zu schlafen, und sein Hinterkopf tat ihm weh. Vielleicht brauchte er aber auch nur etwas zu trinken, denn er merkte, dass seine Kehle trocken und kratzig war. Sorgfältig, um Kim nicht zu wecken, kroch er aus dem Bett und zitterte, als er die kalte Luft auf seiner Haut spürte. Die bizarre Lampe war immer noch ein schwach erleuchteter Punkt vor der roten Wand, und Rick zog an der Kette, um das Zimmer zu verdunkeln, damit Kim besser schlafen konnte. Als er zurückkam, nachdem er Wasser getrunken hatte, zitterte er vor Kälte. Für das Geld, das er für das Zimmer gezahlt hatte, sollte Mrs. de la Farge wenigstens etwas Wärme spendieren. Kim hatte sich auf den Bauch gedreht und war unter den Kissen hervorgerutscht, schlief aber immer noch. Rick legte sich wieder ins Bett, wobei er aufpasste, dass er sie nicht weckte, und war froh über das Federbett. Er hätte sich gern an Kim geschmiegt, aber er ließ es, denn die Berührung seiner kalten Haut würde sie wecken. Am vergangenen Abend hatte er den besten Sex seines Lebens gehabt, wieso fühlte er sich dann so kaputt? Das war sein letzter Gedanke, bevor er wieder einschlief. Als er aufwachte, sah er, dass Kim seinen Bademantel trug. Sie hatte ihn nicht zugebunden, so dass er ihre schönen Brüste bewundern konnte. „Du trägst meinen Bademantel", meinte er. „Ich habe gebadet. Ich möchte gern etwas von meiner Unterwäsche aus deiner Tasche haben." „Unter einer Bedingung. Für mir die Sachen vor, die ich am schönsten finde." „Du meinst, eine Dessousshow?" Kim war unsicher, lächelte dann aber. „Wieso nicht? Du hast sowieso schon alles von mir gesehen." Sie war niedlich, wenn eine leichte Röte ihre Wangen färbte. Ihr feuchtes Haar war eine einzige Masse von Ringellocken, und ihre Lippen wirkten auch ohne Lippenstift ungeheuer sinnlich. „Zuerst den schwarzen Body." Innerlich stöhnte Rick und fragte sich, wieviel Erregung er vertragen könnte. Kim warf seinen Bademantel an das Bettende und ging hin, um die Lampe anzumachen. Sogar nackt ging sie wie ein Model, wobei das provozierende Wackeln ihres Pos ihre überwältigende Gegenwart noch erhöhte. Sie machte den Reißverschluss seiner Tasche auf und wühlte in den Ecken, bis sie eine Handvoll ihrer seidenen Dessous hervorholte. „Die Regeln sind, dass du nicht aus dem Bett steigst und keine Kommentare abgibst", sagte Kim streng. „Nicht mal pfeifen darf ich?" „Nein, oder die Show ist vorbei."
„Grausames Weib." Kim lächelte und schlüpfte in den schwarzen Spitzenbody. Der bloße Gedanke daran, nachdem er das Teil flüchtig gesehen hatte, hatte Rick geholfen, wach zu bleiben, als er in dem schlechten Wetter gefahren war. Zuzusehen, wie sie es anzog, war aber noch viel, viel aufregender, denn Kim musste sich verführerisch drehen und winden, um ihre Brüste in das knappe Teil hineinzubekommen. „Warte einen Moment." Sie hüpfte auf nackten Füßen aus dem Zimmer und blieb eine halbe Ewigkeit verschwunden. „Tusch!" Ihr Einzug hatte das Warten gelohnt. Sie trug schwarze Pumps mit hohen Absätzen, dazu den Wäschetraum eines jeden Mannes. Die durchbrochene Spitze zeigte das sexy dunkle Dreieck unterhalb ihres Nabels und die rosigen Knospen ihrer Brüste. „Komm her." Er bettelte; ihm war alles egal. „Oh nein. Du wolltest eine Modenschau." Sie schnappte sich noch ein paar Dessous und verschwand, was ihn sehr enttäuschte. Aber er wurde mehr als entschädigt, als sie hereingetänzelt kam und einen Slip mit Dschungelmuster trug, dazu den winzigen passenden BH, der kaum ihre Brustspitzen bedeckte. Sie drehte sich, die Arme über den Kopf, und wiegte verführerisch die Hüften. „Wo hast du das gelernt?" „Das liegt uns Frauen im Blut. Suchst du einen Gewinner aus, wenn ich fertig bin?" „Soll ich?" „Klar, warum nicht?" „Dann zieh dich hier um, bitte." „Ich schäme mich." Er lachte laut. „Das stimmt aber." Kim zog einen Schmollmund. „So was habe ich noch nie gemacht. Ich kaufe mir schöne Wäsche, weil ich sie selber mag." „Du brauchst dich nicht zu schämen", meinte er, um sie zu beruhigen. „Ich freue mich, dass du so etwas Schönes mit mir teilst." Sie blickte skeptisch, zog aber die Dschungelgarnitur aus. Ahnte Kim denn nicht, wie aufregend es war, den Blick über ihren süßen Po wandern zu lassen und über ihre langen, schlanken Beine? Kim führte noch rote, blaue und transparente weiße Spitzenwäsche vor. Ihr Valentinstagsgeschenk hatte große rosa Herzen, die an den richtigen Stellen saßen. „Jetzt kommt das letzte Teil", verkündete sie. „Ich ziehe mich im Salon um." Er nickte, und fragte sich, ob er ein weiteres Dessous überleben würde. „Das trage ich sonst nie", meinte Kim und steckte den Kopf zur Tür herein. „Es ist nämlich sehr unbequem." „Okay." Rick hatte keine Ahnung, was bei einer Frau als bequem galt. „Außerdem", meinte Kim, „habe ich keinen passenden BH dazu." Diesmal tänzelte sie nicht ins Zimmer. Die Arme über der Brust gekreuzt, kam sie langsam herein und trug ein dunkelrotes Dreieck, dass nur von ein paar schmalen Bändern an der richtigen Stelle gehalten wurde. „Ein G-String", meinte Rick. „Du kennst dich ja gut aus. Hast du schon mal Wäsche für eine Frau gekauft?" Sie stand da, die Hände auf die Hüften gestützt, die Ellbogen nach außen gerichtet. Ihre Brustspitzen hatten sich aufgerichtet. „Nie", musste Rick zugeben. „Wenn es nicht bequem ist, willst du es vielleicht ausziehen." „Tu ich auch." Sie schnappte sich seinen Bademantel und stolzierte hinaus, was
Rick eigentlich nicht wollte. Er dachte daran, ihr zu folgen. Gern würde er sie auf die Arme nehmen und sie zum Bett zurücktragen, aber er hatte nicht mehr die alte Energie. Tatsächlich hatte er so etwas wie einen Kater, ohne getrunken zu haben. Kim kam ins Schlafzimmer zurück, eingewickelt in weichen Velours, der ihr bis zu den Knien reichte. „Ich habe ihn weggeworfen." „Wieso?" „Habe ich doch gesagt. Weil er nicht bequem ist." „Du hast dir doch die Mühe gemacht, ihn einzupacken. Wieso hast du ihn dann weggeworfen?"" „Weiß ich auch nicht." Sie war sogar schön, wenn sie eingeschnappt war. „Danke fürs Vorführen." Er sagte es ganz sanft, weil er wollte, dass sie näher käme. „Ich komme mir vor wie eine Idiotin." „Sollst du aber nicht. Das war das Schönste, was je eine Frau für mich getan hat." „Wirklich?" Sie trat näher. „Du hast etwas getan, was du eigentlich nicht wolltest, nur weil du mir einen Wunsch erfüllen wolltest." „Vermutlich." „Komm wieder ins Bett." Sie stand wie angewurzelt da und hielt seinen Badema ntel mit beiden Händen zu. „Kommst es dir hier kalt vor?“ Er griff nach dem Deckbett. „Nein, ich habe nichts davon gemerkt. Hast du inzwischen einen Sieger ausgesucht?" Sie blieb, wo sie war. Er mochte den G-String, weil er am meisten zeigte, aber es schien ihm klug, eine andere Wahl zu treffen. Das weiße Spitzenteil war atemberaubend, der Slip mit den Dschungeltieren weckte in ihm den Drang, sie in seine Arme zu reißen, und der schwarze Spitzenbody mit den Gucklöchern war ein echter Antörner. Es war fast unmöglich zu sagen, welches Dessous er am liebsten mochte, wenn doch der Körper darunter der wahre Gewinner war. „Das Valentinstag-Teil", meinte Rick, womit er das Wäschestück wählte, das am wenigsten nach Erklärungen verlangte. „Das mag ich auch am liebsten!" Kim sprang zu ihm aufs Bett. „Ich liebe den Valentinstag, weil er so romantisch ist." Wieso war er nicht überrascht? „Mir ist kalt", sagte er und hoffte auf ein Angebot, ihn zu wärmen. Nicht einmal ihre heiße Wäsche-Show hatte das so richtig geschafft. „Du Ärmster." Sie legte die Hand auf seine Stirn. "Du fühlst dich nach Fieber an. Hoffentlich kriegst du nicht das, was ich hatte.“ „Ich fange mir nie was ein." Krank zu sein war ihm generell ein Graus, denn das warf alle Pläne durcheinander. „Meine letzt e Wahl ist dieser Bademantel." Kim kannte keine Scheu. Mit einer anmutigen Bewegung ließ sie den Bademantel von den Schultern gleiten und warf ihn in Richtung eines kleinen Sessels auf der anderen Seite des Zimmers. Sie traf nicht ganz, aber Rick bewunderte den Versuch. „Rutsch mal ein bisschen. Ich wärme dich auf", versprach sie. Er machte ihr Platz, obwohl das hieß, dass er seinen Hintern auf eine kalte Stelle des Lakens legen musste. „Deine Füße sind wie Eisblöcke." Damit sagte sie ihm nichts Neues. Sie rieb mit ihren Fußspitzen über seine Füße und presste dann ihre Knie
zwischen seine Beine. „Reibung erzeugt Wärme", bemerkte sie mit der Ernsthaftigkeit eines Professors. Sie fuhr mit ihren Handflächen über seine Schultern und Arme. Rick sah nur, wie ihr Kopf aus dem dunkelvioletten Federbett hervorsah, aber Kim hatte so flinke Finger und Füße, dass sie weit mehr erreichte, als sein Frösteln zu vertreiben. Hatte sie einen Schimmer, was sie ihm antat? Er war doch kein gefühlloser Felsbrocken, und Kim ließ ihren Zauber gefährlich nahe bis zu dem Punkt kommen, an dem keine Umkehr mehr möglich war. „Jetzt bin ich warm", sagte Rick. Eine Untertreibung, denn er stand in Flammen. Sie strich ihm immer noch über den Körper, rieb, streichelte, massierte. Plötzlich streiften ihre geschmeidigen Finger einen Teil seiner Anatomie, den sie besser unberührt ließ, es sei denn ... Rick wollte sie so sehnsüchtig und war selig, dass sie die Initiative ergriffen hatte. Sie hockte über ihm, die Knie seitlich an seinen Hüften und nahm ihn in ihre Hand. „Du bist so groß." Sie sagte das voller Bewunderung und Zufriedenheit. „So hart." Nun wusste er, dass sie Sex am Morgen wollte. Er wollte ihr sagen, es wäre wie beim ersten Mal, aber ein solches Kompliment kam nicht dem nahe, was er fühlte. Es war pure Wonne. „Du bist fantastisch", flüsterte er, schlang die Arme um sie und wusste nicht, ob er sie je wieder gehen lassen würde. Rick döste fast sofort ein, aber Kim konnte nicht schlafen. Sie wollte jede Minute mit ihm auskosten. Sie liebte es, seine behaarten Beine an ihren glatten Waden zu fühlen und fand es süß, wie er seine Hand unter das Kinn legte, wenn er auf der Seite schlief. Kim zählte an den Fingern die Tage ab, seitdem sie ihre Odyssee nach Phoenix angefangen hatten. Wie konnte es erst Dienstag sein? Ihr gesamtes Leben hatte sich in weniger als einer Woche verändert. Rick hatte zuletzt nichts mehr über die Hochzeit gesagt, aber Kim vermutete, dass er seine Meinung nicht geändert hatte. Er war versessen darauf, seinen Bruder vor einem Schicksal zu bewahren, das schlimmer wäre als ein Leben lang im Death Valley zu picknicken. Kleine Haarbüschel wuchsen ihm im Nacken unterhalb des gepflegten Haarschnitts; Zeichen eines vielbeschäftigten Mannes, der keine Zeit hatte, zum Friseur zu ge hen. Was wusste sie von Ricks sonstigem Leben? Er hatte ein Haus in einer vornehmen Gegend von Phoenix, aber er hatte ihr keine Beschreibung davon gegeben, damit sie es sich vorstellen könnte. Was unternahm er mit seinen Freunden? Mochte er Partys oder lieber ruhige Abende? Kim wusste nicht einmal, ob er mit jemandem liiert war. Er war kein Mensch, der sein Privatleben vor Fremden ausbreitete, und nun, da sie keine Fremden mehr waren, gab es so viele Fragen, die sie gern gestellt hätte, wenn sie nicht Angst vor den Antworten gehabt hätte. Rick bewegte sich, streckte sich aus und drehte sich auf den Rücken. „Geht es dir gut?" Kim stützte einen Ellbogen auf und lobte sich im Stillen dafür, dass sie nicht gleich wieder über Rick herfiel. Ihre Selbstbeherrschung war wirklich bewundernswert. „Sollte ich dich das nicht fragen?" Er grinste jungenhaft, und sie beschloss, sich später um sein Leben weitere Gedanken zu machen.
„Ich habe mich nach deiner Gesundheit erkundigt." „Mir geht es gut." Er setze sich auf, schüttelte den Kopf und sank wieder in die Kissen. „Mir ist bloß ein bisschen schwindelig", gab er zu. „Denkst du, wir kriegen hier Frühstück?" Sie streckte die Hand zum Nachttisch aus und nahm seine Uhr. „Es ist fast elf." „Mist. Das Frühstück war von sieben bis neun." „Das wollen wir doch mal sehen." Kim hüpfte aus dem Bett und nahm ihren Dschungelslip vom Sessel. Ihr weißer Spitzen-BH lag oben auf Ricks Sachen, weshalb sie ihn anzog. „Die Farben passen nicht zusammen", spottete Rick. „Was willst du, Frühstück oder noch eine Show?" „Tusch!" „Du hast fürs Frühstück bezahlt, also kriegst du es jetzt auch." Kim zog sich in aller Eile Jeans und einen Pullover an. Als sie zu gehen versuchte, blockierte er den Weg. „Ernsthaft, geht es dir gut nach dem, was passiert ist?" Er legte ihr seine Hände auf die Schultern und sah sie forschend an. „Es könnte schlimmer sein." Sie versuchte, schnodderig zu sein, aber es misslang. „Du bist ein ganz besonderer Mensch. Ich wollte dich nie verletzen." „Dann sei still und gib mir nicht das Gefühl, ein One-Night-Stand zu sein." „Das bist du doch auch nicht." „Okay, eine Nacht, ein Morgen", brummte Kim und war alles andere als stolz über ihre Reaktion. „Ich werde jetzt das Frühstück auftreiben." Sie erzielte einen kleinen Sieg bei Madame. Für eine Frau, die lebte, um andere einzuschüchtern, war sie nicht einmal so hart, vor allem dann nicht, als Kim sie dazu brachte, dass sie über die Reparaturen am Schornstein sprach, die ihr Neffe im Frühjahr ausführen sollte. Kim kam mit einem schweren Frühstückstablett zurück: kalter Schinken, warme englische Muff ins mit einem Gläschen Honig, Gebäck mit Zitronengeschmack, dazu verschiedene Flocken, ein großes Glas Milch und eines mit Orangensaft sowie heißer Kaffee in einer Thermoskanne. Rick war wieder im Bett. „Das Frühstück wird im Salon serviert", verkündete Kim. „Danke, mein Engel, aber vielleicht kann ich schon hier etwas Saft haben, falls du welchen mitgebracht hast." „Du bist krank", meinte Kim mitfühlend. „Du hast das Gleiche wie ich." „Ich brauche bloß ein Nickerchen. Hast du den Straßenzustandsbericht gehört? Dauert das Unwetter an?" „Mrs. de la Farge hatte das Radio an. Unsere Chancen, über den Pass zu kommen, sind fast gleich null." „Munter mich doch noch weiter auf." „Schlimm für dich, hie r festgehalten zu sein, wo du doch zu einer Hochzeit solltest." „Schlimm", wiederholte Rick und grinste breit. „Aber ich wäre durch ein Frühstück im Bett besänftigt." „Dein Appetit ist also zurückgekehrt?" „Ich werde mich dazu zwingen." Kim trug das Tablett an das Bett, schlüpfte aus Jeans und Schuhen und warf sich neben Rick auf die Kissen. „Ich kann mich nicht erinnern, je im Bett gefrühstückt zu haben", meinte sie
und goss sich Milch über ihre Cornflakes. „Ich auch nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass du ..." Rick öffnete den Mund wie ein kleiner Vogel, der auf einen Wurm wartet. Sie hielt einen Löffel mit Cornflakes an seine Lippen und musste lächeln, als ihm ein Tropfen Milch über das Kinn lief. „Es muss da einen Trick geben", meinte sie und wischte ihm das Kinn mit einer rosa Leinenserviette ab. „Üb weiter", meinte er. Das tat sie, aber als der Honig vom Muffin auf seine Brust tropfte, machte sie das Einzige, was eine kluge Frau in so einer Situation tun konnte: sie fing den Honig mit der Zunge auf. Und als Rick sie inständig bat, den gleichen Nachtisch zu bekommen, zog sie ihr Sweatshirt aus und ließ ihn ihre Brustknospen mit dem klebrigen Nektar beklecksen. „Ich dachte, du hättest keinen Hunger", meinte sie und fuhr ihm mit ihren Fingern über den Hinterkopf, während seine Zunge ihr köstliches Werk vollführte. Später am Nachmittag schliefen sie wieder. Als Rick sie aufweckte, hatte sich der Wind gelegt, und die Dämmerung zeigte den nebeligtrüben Anfang einer weiteren Winternacht an. „Ich glaube nicht, dass ich von Madame ein Abendessen erbetteln kann", meinte Kim. „Dann gehen wir eben aus." Rick streckte sich träge. „Wonach ist dir?" Kim ließ ihre Finger wie eine Spinne auf Ricks Oberkörper herummarschieren und fuhr ihm dann mit dem kleinen Finger in den Bauchnabel. „Ich rede vom Essen", sagte Rick. „Bist du sicher, dass du dich zum Rausgehen gut genug fühlst? Ich könnte ja losgehen und uns etwas holen. Und es gibt ja immer noch den Pizzadienst." „Mir ist mehr nach Hühnersuppe." „Das klingt wirklich so, als hättest du dich bei mir angesteckt." „Mach dir keine Vorwürfe. Wenn du den hattest, will ich ihn auch." „Zumindest ist es ein kurzlebiger Virus. Was sind deine Symptome?" „Lüsterne Gedanken und ständige Lust" „Du bist fürchterlich!" Kim zwickte ihn in die Nase und schlüpfte aus dem Bett. Als sie endlich draußen waren, mussten sie an hohen Schneewehen vorbei zu ihrem Wagen gehen, aber sie hatten mit der Windrichtung Glück gehabt. Rick konnte den Wagen ohne viel Schaufelei herausfahren, obwohl Kim schon befürchtete, der Motor würde nicht anspringen. Offensichtlich hatten viele gestrandete Autofahrer einen Hüttenkoller, denn das Familienrestaurant, dass sie am Bat Masterson Boulevard fanden, hatte eine Wartezeit von zwanzig Minuten. Ricks Gesicht war vom kalten Wind gerötet, aber die dunklen Ringe unter den Augen verrieten, dass er sich noch nicht wohl fühlte. „Das sieht gut aus", sagte Kim, als sie die Speisekarte überflog. „Und was nimmst du?" fragte Rick. „Gegrillte Rippchen mit Gemüse der Saison und den berühmten Krautsalat nach Art des Hauses." Nun, da Rick auftaute, sah er noch verhärmter aus. „Oder vielleicht nehme ich nur einen großen Salat" sagte sie aus Freundlichkeit Rick gegenüber, weil sie wusste, wie sie sich gefühlt hatte, als sie krank war. Sie bestellte einen riesigen Salat mit Hähnchenfleisch, Oliven, Gurken und Tomaten. Rick entschied sich für Putenbrust auf trockenem Toast. Davon aß Kim noch
die Hälfte. „Gut, dass ich dich gefüttert habe", neckte er sie auf dem Nachhauseweg. „Sich zu lieben macht einen Riesenhunger." „Wir haben das Essen nicht vermisst, wie du weißt." „Ich habe es nicht mal bemerkt. Mein Geist war wohl woanders." Konnte sie hoffen, dass sein Geist bei ihr - ihnen - war, womöglich auch bei einer gemeinsamen Zukunft nach ihrer Fahrt in all den Stürmen? Kim wusste nicht, was sie denken sollte, sie blickte nur auf die fast leeren Straßen, als sie wieder zu ihrer Pension zurückfuhren.
11. KAPITEL
Hatte Kim wirklich gedacht, dieser Tag würde kommen? Nachdem sie einige Tage im Schnee gefangen waren, fuhren sie nun zusammen ab, aber ihr war immer noch so zu Mute, als müsste sie sich von Rick verabschieden. Sicher, sie würden noch siebenhundertfünfzig Meilen zusammen im Auto sitzen, aber würden sie je wieder eine Badewanne teilen, die groß genug wäre, einen Kabinenkreuzer zu Wasser zu lassen? Würden sie je wieder bei einer Matinee in der Loge eines alten Filmtheaters sitzen? Schon konnte sich Kim nicht mehr an den Namen des Films erinnern, aber sie würde niemals vergessen, wie sie mit Rick in der flackernden Dunkelheit Händchen gehalten hatte, dabei mit ihm Popcorn gegessen, die Knie aneinander gerieben hatte und beide Spaß gehabt hatten wie zwei sexhungrige Teenager. „Das ist eine Premiere", sagte Rick, trat hinter Kim und berührte ihre Brüste. „Wir beide kommen rechtzeitig zum Frühstück bei Fargie." Kim drehte sich in seinen Armen um, legte sie sich um den Hals und bot ihm ihre Lippen zum Kuss. „Hm ... wann müssen wir hier raus?", fragte sie. „Führe mich nicht in Versuchung, Weib. Noch so ein Augenöffner, und ich gehe wie ein Cowboy mit O-Beinen hier raus - wenn ich überhaupt noch gehen kann." „Du hast so eine ganz bestimmte Art zu reden, die mich anmacht." Sie knabberte an seiner Unterlippe. „Wenn du fertig bist, lass uns essen. Der Pass ist offen, aber ich denke nicht, dass wir schnell vorankommen werden." Sie gingen die geschwungene Eichentreppe hinunter. Kim ging zum Frühstückszimmer voran, weil sie sich mittlerweile hier auskannte. An den beiden vergangenen Vormittagen war sie hier unten gewesen, um Mrs. de la Farge ein verspätetes Frühstück auf einem Tablett abzuluchsen. Das Zimmer hatte Tapeten mit grünen Pflanzen und kleinen gelben Blumen auf weißem Hintergrund, und Spitzenvorhänge säumten ein Gruppe hoher, schmaler Fenster, die einen Ausblick auf den in der Ferne aufragenden Berg boten. Es gab nur einen Tisch; er war groß und rund, mit einem grünen Tischtuch bedeckt und vier weißen Platztellern aus Porzellan. Zwei der Stühle waren von einem Mann mit hervorstehendem Kinn, dünnem grauen Haar und einer Frau mit rötlichen Locken und rundem Gesicht besetzt. Ihre Haut war von tiefen Falten zerfurcht, was durch eine großzügige Puderschicht eher betont als verdeckt wurde. „Na ja, da sind ja unsere Flitterwöchner", bemerkte die Frau. „Wir haben so gehofft, Sie kennen zu lernen. Harold und ich haben vor zweiundfünfzig Jahren in genau diesem Haus unsere Flitterwochen verbracht. Natürlich war es damals noch Mrs. Flannagans Pension." „Willst du deinen Frühstücksspeck essen, Josie?", fragte Harold. „Du weißt doch, dass es nicht gut für dich ist." Er nahm sich trotzdem mehrere Stücke mit den Fingern und aß ihn gierig. „Setzen Sie sich", meinte Josie, nachdem Kim höflich sich und Rick vorgestellt hatte. „Donnerstags macht Fanny immer belgische Waffeln, obwohl solchen verliebten Vögeln wie Ihnen ja egal ist, was auf der Speisekarte steht." „Wir sind nicht...", fing Kim an. „Sie wohnen ja in der General-Dodge-Suite. Harold und ich haben da vor zwei Jahren auch gewohnt." „Drei", korrigierte er sie. „Nein, Harold, ich bin sicher, es waren zwei. Wir sind nämlich hierher
gekommen, um Harolds Tante zu besuchen, sie wohnt im Altersheim, deshalb nehmen wir immer hier ein Zimmer." „Pflegeheim." Harold nahm sich eine Portion dicker Waffeln von Josies Teller. „Wie dem auch sei, es ist ja so romantisch, Leute in den Flitterwochen hier zu haben. Ich hatte so gehofft, dass Sie mindestens einmal zum Frühstück kommen würden, ehe wir fahren." „Wir sind nicht in den Flitterwochen", sagte Kim, was ihr einen alles andere als erfreuten Blick von Rick eintrug. „Oh, seien Sie nur nicht wegen eines alten Ehepaars wie uns schüchtern. Wir wissen, wie Frischvermählte sind." Mrs. De la Farges rundliche Küchenhilfe kam mit frisch gepresstem Orangensaft und nahm die Bestellung für Rührei, Würstchen und Waffeln auf. Rick versuchte ein paar Mal, ein Gespräch mit Harold anzufangen, aber Basketball, das Wetter oder die Zustände auf den Straßen konnten Josies Monolog über die Freuden junger Liebe nicht bremsen. Kim aß so schnell, dass sie fertig war, ehe ihr Magen überhaupt wusste, dass sie angefangen hatte. Als sie schließlich im Wagen saßen, hatte Rick immer noch nichts wegen der Flitterwochen gesagt. „Ich denke, wenn man alt ist, sehen alle Jüngeren wie frisch verheiratet aus", meinte Kim. „Ich hoffe, das Ding läuft." Rick betätigte zum fünften oder sechsten Mal die Zündung. Der Motor sprang an, und Kim vermutete, dass Rick keinen Kommentar mehr zum Thema Flitterwochen abgeben würde. Er glaubte nicht an die Ehe, weshalb Josies übertriebene Begeisterung ihn wahrscheinlich nur irritierte. Kim machte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich. Sie war wie Aschenputtel, die den Ball verließ, aber niemand würde hinter ihr mit einem gläsernen Schuh herlaufen. Ihr Prinz hatte sich in einen Kürbis verwandelt. „Bist du sicher, dass es dir gut genug geht, um den ganzen Weg bis Phoenix zu schaffen?", fragte sie. „Mir geht es wieder gut. Es war nur ein 24-Stunden-Virus wie bei dir." „Unsere Viren waren mindestens Cousins ersten Grades", meinte Kim. „Aber wenn du müde wirst, fahre ich." „Vielleicht, wenn wir hinter Albuquerque sind." Die Sonne schien, und der Schnee glitzerte wie Diamanten, was eine gute Entschuldigung war für Kim war, ihre glänzenden Augen hinter einer Sonnenbrille zu verstecken. Sie mussten über so vieles reden, aber Rick hatte mit Harold eine lebhaftere Unterhaltung gehabt als sie jetzt mit ihm. „Ab und zu ist noch Eis auf der Straße", sagte Rick. „Wir kommen nicht schnell voran." „Wir hatten ja schon unsere gute Zeit", brummte Kim, aber Rick ging nicht darauf ein. Nun war es Zeit, dass sie hören wollte, wie wundervoll sie wäre, wie schön, wie besonders und so weiter. Bettgeflüster zählte nicht, solange Kim nicht dasselbe noch mal später zu hören kriegte. Alles, was sie bekam, war Schweigen und eine Landschaft, die zu würdigen Kim derzeit nicht in der Lage war. Sie erreichten Albuquerque am frühen Nachmittag. Es war eine von Kims Lieblingsstädten mit den zerklüftete Sandia Mountains, die die Stadt überragten, und Kim hasste es, dass sie einfach so durchfahren mussten. „Ich wollte immer schon zum Ballonfest hier sein", sagte sie, als Rick kurz anhielt, um zu tanken und sich einen Hamburger zu holen. „Die Altstadt ist so schön."
„Dann sind wohl viele Touristen hier, oder?" „Ja", sagte sie als er hineinging, um das Benzin zu bezahlen. Als Rick zurückkam, saß sie hinterm Steuer. „Ich fahre jetzt", erklärte sie. „Okay." Das klang nicht begeistert, aber er hatte wenigstens nichts dagegen. Sie fuhr, er schlief. Er fuhr, sie schlief. Die abwechselnden Nickerchen machten Sinn, da Rick scharf drauf war, diese Nacht noch nach Phoenix zu kommen. Er wollte am Freitag eintreffen, um die Heirat zu sabotieren, die Hoffnungen seines Bruders für die Zukunft zunichte zu machen und das Glück der armen Braut zu zerstören. Das wäre der Fall, falls Rick es schaffen würde. Kim konnte aber nicht glauben, dass zwei Menschen, die einander wirklich liebten, es zuließen, dass ein anderer ihrer Heiratspläne zunichte machte. Sie musste sich mehr als einmal auf die Zunge beißen, um Rick nicht zu sagen, er hätte kein Recht, sich einzumischen. Er wusste natürlich, wie sie fühlte. Als er wieder einmal mit Fahren an der Reihe war, tat sie so, als würde sie schlafen. Ihre Tage in Tobago waren unglaublich schön gewesen, aber sie hatten auch Kims Begeisterung, bei Jane zu leben, bis das Baby geboren wurde, sehr abgeschwächt. So sehr sie die Familie ihrer Schwester liebte, so sehr sehnte sie sich danach, ein eigenes Heim und eine Familie zu haben - mit Rick. Rick war froh, als er sich nach einer Rast wieder an Steuer setzen konnte. Er sah auf der Straßenkarte nach und fand, dass sie recht gut vorangekommen waren, aber von Tobago nach Phoenix war es verdammt weit. Sie waren später losgekommen, als ihm lieb gewesen war, und die vereisten Stellen in den Bergen hatten ihr Tempo vermindert. „Ich bin nicht so sicher, ob wir es heute noch bis Phoenix schaffen", musste er zugeben, als Kim auf den Beifahrersitz rutschte. „Man kann leicht einschlafen, wenn man im Dunkeln fährt", sagte sie, immer noch nicht gerade bester Laune. Er hätte keine Angst, wenn er alleine wäre. Mit geöffnetem Fenster und laut aufgedrehtem Radio würde er sich durchaus zutrauen, wach zu bleiben. Aber jetzt musste er auch an Kim denken. Auf keinen Fall wollte er ihre Sicherheit gefährden. „Was ist, wenn wir uns ein Motel in Flagstaff suchen und morgen ganz früh weiterfahren?", schlug er vor. „Von da bis Phoenix sind es weniger als zwei Stunden Fahrt." Er sagte allerdings nicht, dass ihm das auch die Möglichkeit gäbe, eine Verabredung mit dem Anwalt seiner Familie einzuhalten. Wenn er auch an der Heirat nichts mehr ändern könnte, würde er dennoch auf dem Ehevertrag bestehen. „Flagstaff ist gut", stimmte sie zu. Es war dunkel, als sie in der Stadt ankamen. Rick mochte diesen Teil seines Heimatstaates, vor allem die prachtvollen Ponderosa-Kiefern, die in den größeren Höhen gut gediehen. Heute Abend aber war er zu müde, um noch irgendetwas zu unternehmen, außer das erste Motel anzusteuern, wo es noch freie Zimmer gab. Vielleicht hatte ihn der Virus härter getroffen, als er dachte, aber die Vision eines weichen Kissens, eines ordentlichen Bettes und von Kim, die in seinen Armen schlief, erschien ihm mit jeder Minute verlockender. Sie fanden ein Zimmer in einem Motel, das ohne jeden Charakter und Schönheit war. Aber nach drei Nächten in Bordell-Atmosphäre war das entspannend, und Rick war hundemüde. „Lassen wir uns eine Pizza kommen?", schlug er vor, als Kim die Heizung
andrehte. „Gute Idee. Wir müssen aber mal unsere Ausgaben durchgehen, damit ich dir meinen Anteil zurückzahlen kann." Nicht einmal im Traum würde Rick ihr auch nur einen Teil der Pensionsrechnung überlassen. Außerdem hatte er jetzt keine Lust auf Abrechnen. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe ja noch deine Wäsche als Pfand." Sie saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Bett und teilten sich eine köstliche Pizza. „Das ist die beste Pizza, die ich je hatte", meinte Kim, nahm sich ein weiteres Stück und fing den tropfenden Käse mit der Zunge auf. „Willst du zuerst unter die Dusche?", bot er ihr an, zu erledigt, sich die Hose auszuziehen, ehe er ins Bett fiel. „Ist mir gleich." Es war nicht gleich. Wenn er zuerst ging und sie ihm Gesellschaft leistete, würde sein Hunger nach Sex sein Bedürfnis nach Schlaf ver drängen, denn sobald sie ihn berührte, setzte sein Verstand aus. „Geh du zuerst", bat er. Als sich die Badezimmertür hinter ihr schloss, zog er sich den Slip aus, dimmte das Licht und rutschte auf die andere Seite des Bettes. Er hatte keinen Zweifel, dass er schlafen würde, ehe die Dusche abgestellt würde. Und er schlief volle acht Stunden, wie ihm ein Blick auf die Uhr verriet, die er vor lauter Erschöpfung nicht mehr abgenommen hatte. Er reckte und streckte sich, aber etwas stimmte nicht. Er tastete mit der Hand, streifte aber nur Decken und Laken. Wo war Kim? Er setzte sich aufrecht hin, und stellte erleichtert fest, dass sie ganz nahe an der Bettkante schlief. Sein erster Impuls war, zu ihr rüberzurutschen und die Arme um sie zu legen, aber er wusste, was dann passieren würde. Sie beherrschten den schnellen Kuss am Morgen nicht - vielleicht würden sie das nie tun. Die bittere Wahrheit war, dass er so schnell wie möglich nach Phoenix musste. Er stand auf, schnappte sich sein Waschzeug und ging unter die Dusche. Kim war schon angezo gen, als er mit einem der dürftigen Motelhandtücher um die Hüfte wieder herauskam. „Macht es dir was aus, wenn wir außerhalb der Stadt in einem Rasthof einen Kaffee trinken?", fragte er. „Dir auch einen schönen guten Morgen." „Guten Morgen, mein Engel." Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. Kim musterte ihn so intensiv, dass er sich schämte, das Handtuch fallen zu lassen und sich anzuziehen. „Das Bad gehört dir", sagte er und war erleichtert, als Kim ihr Zahnputzzeug nahm und hinter der Badezimmertür verschwand. Zehn Minuten später hatte Rick das Gepäck im Wagen verstaut. Er erwartete, dass sie anbot zu fahren, also ging er vor und hielt ihr die Beifahrertür auf. Nicht dass er sich beklagen konnte. Kim war eine verdammt gute Fahrerin. Aber er war so sehr um seinen Bruder besorgt, dass es ihn kribbelig machte, neben ihr zu sitzen und nichts zu tun zu haben. Rick drehte den Zündschlüssel, und wie üblich wollte der Kleinwagen nicht anspringen. Fünf bis sechs Versuche waren Durchschnitt. Nach einem Dutzend vergeblicher Versuche hörte Rick zu zählen auf. „Der Motor ist abgesoffen", stellte Kim fest. Sie hatte Recht, und Rick musste voller Ungeduld warten, ehe er es ein weiteres Mal versuchen konnte. Endlich klappte es. Der Motor heulte auf, doch dann begann er zu stottern.
„Was ist los?", fragte Kim. „Ich bin kein Mechaniker" gab er zurück; er wusste, dass er sich entschuldigen sollte, weil er sie angefahren hatte, aber er war zu verstört dafür. Rick stieg aus und tat, was Männer immer in solchen Fällen taten: Er griff unter das Armaturenbrett, zog den Hebel für die Motorhaubenentriegelung und stellte die Haube auf. Als Rick sich endlich den Motor anguckte, war dieser schon wieder verstummt. „Versuch mal zu starten", sagte er zu Kim. Sie rutschte anmutig auf den Fahrersitz, was er sehr bewundert hätte, wenn er nicht so wütend gewesen wäre, dass er den Wagen am liebsten zertrümmert hätte. Der Motor stotterte sich ins Leben zurück, rasselte, klapperte und soff wieder ab. Dann herrschte Stille. Weder Kim noch Rick bekamen den Motor wieder in Gang. „Was jetzt?" Eine rhetorische Frage, die er stellte. Sie waren hundertfünfzig Meilen vor Phoenix und schlimmer dran neulich in Detroit. „Hier ist der Mietvertrag, und da ist die Notfallnummer", meinte Kim und reichte ihm das Papier. „Das ist wohl jetzt ein Notfall." „Sie bringen sicher einen Ersatzwagen", sagte Kim hoffnungsvoll. Nachdem Rick es bei verschiedenen Nummern vergeblich probiert hatte, hörte er endlich eine menschliche Stimme. „Ich brauche sofort einen Ersatzwagen", sagte er, nachdem er lang und breit den Schaden erklärt hatte. „Es gibt da nur ein Problem, Sir." Natürlich. „Die Firma hat Konkurs angemeldet. Royal Rentals hat zugestimmt, bis zu einer endgültigen Lösung alle laufenden Geschäfte abzuwickeln. Ich sage Ihnen jetzt, was Sie tun müssen." Rick schrieb auf den winzigen Seiten des Motel-Notizblocks mit. „Wir müssen den Wagen abschleppen lassen. Das hier ist die Codenummer, die wir dem Abschleppdienst geben sollen", erklärte Rick Kim. „Meinst du, es bringt was, wenn ich telefoniere? Eine Frau im Stress und so?" „Nein, ich muss was zu tun haben." Eine Stunde und siebzehn Minuten später kam der Abschleppwagen und nahm den Kleinwagen an den Haken. Rick und Kim stiegen zum Fahrer in die Kabine. „Das ist eine Lkw-Vermietung", meinte Kim, als sie ein gutes Stück außerhalb der Stadt gefahren waren. „Wir reparieren für Royal Rental", versicherte der Fahrer. „Ihr müsst nur noch ein paar Formulare ausfüllen." Rick war sicher, dass weniger Schreibkram anfallen würde, wenn er ein Darlehen hätte aufnehmen wollen. Als er endlich sämtliche Formulare ausgefüllt hatte, war der Manager mitfühlend - ein sehr schlechtes Zeichen. „Wir fangen gleich mit der Bearbeitung an", versicherte er. „Sie sollten Ihre Rückzahlung innerhalb von neun Tagen haben." „Ich will einen Wagen, keine Rückzahlung." Rick wollte gegen irgendetwas boxen, riss sich aber zusammen. „Ich muss nach Phoenix." „Tut mir Leid, wir haben hier keine Mietwagen. Wir sind nur ein Reparaturdienst." „Meine Autovermietung hat mir einen Ersatzwagen versprochen, falls der Wagen, den ich gemietet habe, zusammenbricht." „Royal Rentals bietet so etwas nicht an. Ihre Abmachung mit..." „Ja, ich weiß. Sagen Sie mir nur, wie ich einen Wagen kriegen kann." „Tut mir Leid. Die nächste Vermietung ist am Flughafen von Phoenix."
„Wenn ich zum Flughafen von Phoenix kommen könnte, brauchte ich keinen Wagen." „Können wir einen Lkw mieten?", fragte Kim. „Wir haben nur Umzugswagen." „Fein, dann nehmen wir einen", sagte Rick. „Tut mir Leid, Sir. Ich habe keinen vor morgen früh." „Und was heißt das für uns?" „Sie werden die Notfallnummer, die auf Ihrem Vertrag steht, anrufen müssen." „Durch die sind wir ja hierher gekommen!" „Können wir das Gepäck rausholen?", fragte Kim. Sie holten ihre Koffer und Taschen aus dem heruntergekommenen Kleinwagen. „Er war so nett, als er noch lief", meinte Kim niedergeschlagen. „Ungefähr eine halbe Meile von hier ist ein Truckstop." „Willst du etwa trampen?" „Nein. Du hast bessere Chancen, wenn du ohne mein Gepäck losziehst. Wie auch immer, Jane kriegt ihre Wehen zu früh, wenn sie erfährt, dass ich mit einem Trucker gefahren bin. Hast du die vielen Ausweichspuren gesehen, als wir die Berge heruntergefahren sind?" „Ja. Das starke Gefalle ist eine Tortur für die Bremsen. Was machst du denn, wenn ich gehe?" „Ein Taxi zum Motel nehmen und das Zimmer für eine weitere Nacht mieten und mir von der Firma einen Ersatzwagen stellen lassen." „Ich weiß nicht, ob ..." „Wenn du auf den Mietwagen wartest, verpasst du noch die Hochzeit." „Wirst du allein klarkommen?", fragte Rick. „Mir helfen doch die Leute immer." „Du bist klasse." Er küsste sie auf den Mund, zögerte, meinte dann: „Ich werde das nie vergessen. Und dich auch nicht."
12. KAPITEL
Rick küsste Kim auf den Mund und drückte ihr ein paar Geldscheine in die Hand. Seine Lippen waren kalt. Kim hasste es, von ihm Geld anzunehmen und schwor sich, dass sie ihm jeden Cent zurückzahlen würde, auch wenn das hieß, sich von Jane etwas zu leihen, was eigentlich überhaupt nicht infrage kam. „Nimm ein Taxi zurück zum Motel..." Er gab ihr detaillierte Anweisungen bezüglich des Papierkriegs und wie sie einen anderen Wagen bekäme. Törichterweise ließ Kim einen Hoffnungsschimmer zu, was ihre Zukunft mit Rick anging - vielleicht keine Hochzeit, aber zumindest die Chance, mit ihm zusammen zu sein. Worum er sich wirklich sorgte, war die Hochzeit seines Bruders. Er ließ sie bei einer LKW-Reparaturwerkstatt in einer fremden Stadt zurück, mit einem kaputten Mietwagen und ein paar väterlichen Ratschlägen. Zugegeben, sie hatte ihm gesagt, er solle gehen, aber es war doch so, dass er das hätte ablehnen und ihr sagen können, dass sie das Wichtigste in seinem Leben wäre. „Ich schaffe das schon", unterbrach sie ihn. „Sicher doch." Dann war er weg, war schnell die Straße hinuntergegangen - ein Mann, der glaubte, es sei seine Lebensaufgabe, seinen Bruder vor den Schrecken der Ehe zu erretten. Hätte er ähnlich empfunden wie sie, wäre er nicht gegangen, ganz gleich, wie sehr sie ihn gedrängt hätte. Die Hochzeit seines Bruders war wichtig, aber die fand morgen statt, nicht heute. Das Problem bei Tests war die Möglichkeit, dass man durchrasseln konnte. Rick hatte ihr eine Sechs gegeben, und das tat verdammt weh. Sie wollte weinen und schreien, aber sie hatte immer noch das Problem zu lösen, wie sie nach Hause kam. Auto, Bus, Packesel - die Transportart war ihr egal. Sie fing an, indem sie ein Taxi rief, um ins Motel zu fahren. Zufällig bekam sie dasselbe Zimmer, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatten. Sie benutzte ihre Kreditkarte. Es war schlimm genug, dass sie das Taxi mit Ricks Geld hatte bezahlen müssen. Ehe sie sich wieder an den Kundendienst der Mietwagenfirma wandte, rief sie Jane an. „Janie", sagte sie mit erzwungener Heiterkeit, als ihre Schwester abnahm. „Ich komme allmählich näher. Ich bin in Flagstaff." „Toll! Dann bist du wann hier - in zwei Stunden?" „Vielleicht morgen. Der Mietwagen ist kaputt. Ich muss versuchen, einen Ersatz zu kriegen. Für heute sieht es nicht gut aus." „Oh, Kim, es tut mir so Leid, dass du wegen mir so einen Ärger hattest. Aber weißt du was? Luke ist zurück. Er ist früher gekommen, weil er sich Sorgen gemacht hat um mich." Jane sprudelte vor Glück, um Kim freute sich für sie. Gleichzeitig war sie enttäuscht. Nach allem, was sie getan hatte, um nach Phoenix zu kommen, brauchte Jane sie nun nicht mehr. Sie hatte einen wundervollen Mann, und was hatte sie, Kim? Sie war nicht scharf drauf, in die Wiedervereinigung der glücklichen Eheleute zu platzen, und ihr Reisegefährte - sie wusste nicht, wie sie Rick sonst bezeichnen solle - hatte nicht zwei Mal nachgedacht, als er sie verlassen hatte, um seine Kampagne gegen das Eheglück zu führen. „Peter will Hallo sagen." Kim hörte das aufgeregte Geplapper ihres Neffen: Daddy würde für ihn ein Baumhaus bauen. Daddy hat ihm einen Löwen mitgebracht...
„Keinen lebendigen." Luke nahm den Hörer und erzählte Kim, wie sehr er es schätzte, was Kim getan hätte, um nach Hause zu kommen. Er bot an, nach Flagstaff zu fahren und sie abzuholen, aber Kim lehnte das ab. Sie brauchte eine Weile, ehe sie in Janes fröhliche Welt stürzen konnte. „Wag bloß nicht, deine Frau zu verlassen", warnte sie Luke. „Keine Chance!" Kim legte auf und zwang sich, noch einmal die Katastrophe mit dem Mietwagen in Angriff zu nehmen. End lich willigten die Leute vom Verleih ein, einen Wagen nach Flagstaff zu schicken, sobald einer verfügbar wäre. Natürlich hätten sie keinen Fahrer vor morgen Mittag. Inzwischen würden sie einige Formulare ans Motel faxen, die Kim ausfüllen und sofort zurückfaxen sollte. Jane brauchte sie nicht, und Rick war weg. Wenn ein Mann eine Frau wirklich liebte, würde er dann nicht alles andere aufgeben, um bei ihr zu sein? Vielleicht war Ricks Sorge um seinen Bruder ja bewundernswert, aber seine Flucht war ein bitteres Erwachen für Kim. Sie glaubte mit Herz und Seele an die wahre Liebe, aber vermutlich waren sie beide zu unterschiedlich, um die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Kim verbrachte den Rest des Tages damit, sich im Fernsehen Seifenopern anzusehen und Kartoffelchips aus dem Automaten des Motels zu essen. Zum Abendessen bestellte Kim Pizza, warf aber dann das meiste davon in den Müllcontainer. Die Pizza schmeckte nicht, wenn Rick nicht da war, um sie mit ihr zu teilen. Kim schlief an diesem Abend bei einem Film über einen Werwolf ein. Es war schlimm genug, mit einem Talkshow-Gastgeber aufzuwachen, der nichtssagend am Fußende des Bettes grinste, aber das Klopfen musste doch mal aufhören. Jemand pochte an die Tür, und es war erst - Kim sah auf die Uhr - kurz nach acht. Sie musste sich melden, falls es der Ersatzwagen wäre, aber sie hatte auch eine ganze Menge dazu zu sagen, so früh ohne Vorwarnung geweckt zu werden. Einen glücklichen Augenblick lang stellte Kim sich vor, Rick stünde auf der anderen Seite der Tür, aber ein rascher Blick durch den Spion machte diese Hoffnung zunichte. Kim machte die Tür einen Spaltbreit auf und ließ die Kette vorgehängt. Der Mann war klein und zierlich und hatte einen dünnen Schnurrbart. Seine Kleidung aber war eindrucksvoll: ein dunkelblauer Blazer mit silbernen Knöpfen und eine Uniformmütze. „Miss Grant", las er von seiner Unterlage ab. „Ja." „Ihr Wagen steht Ihnen zur Verfügung." „Mein Wagen?" „Ich werde da drüben warten." Er wies auf die Stretchlimousine, die drei oder vier Parkplätze vor Kims Tür einnahm. Sie hatte der Mietwagenfirma die Leviten gelesen, aber eine solche Entschädigung hatte sie doch nicht erwartet. „Hat die Mietwagenfirma Sie geschickt?", fragte Kim. „Nein, Ma'am. Ich fahre für den Executive Limousine Service. Hier sind meine Referenzen." Er zeigte seine Lizenz und einen Ausweis. „Wenn Sie es nachprüfen möchten, kann ich Ihnen gern die Nummer unseres Büros geben." Kim betrachtete das riesige taubengraue Auto. „Nein, der Wagen ist schon genug Bestätigung. Aber wer hat ihn bestellt?" „Tut mir Leid, darüber habe ich keine Information. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"
„Ich bringe mein Gepäck, wenn ich fertig bin." Kim duschte schnell und zog sich an. Vielleicht musste man den Wagen stundenweise bezahlen, weshalb es nicht besonders sinnvoll war, in diesem Motelzimmer länger herumzutrödeln. Das Einzige, was in der luxuriösen Stretchlimousine fehlte, war Rick. Sie hätten den letzten Teil der Reise gemeinsam machen sollen. Der Fahrer, William, verstaute Kims Gepäck, half ihr beim Einsteigen und zeigte Kim den Kühlschrank, in dem ein perfektes kaltes Frühstück auf sie wartete: eine Fruchtschale mit Erdbeeren und Melonenbällchen, Streichkäse in drei Geschmacksrichtungen und Brötchen, Brezeln und feinster Schinken. Kim konnte unter mehreren Säften auswählen oder Champagner trinken. Sie entschied sich, mit Champagner und Erdbeeren anzufangen. Wenn sie Rick nicht so sehr vermissen würde, hätte sie vor Freude gejubelt. Das hier war Komfort der Extraklasse: genügend Platz, um die Beine auszustrecken, elegante burgunderfarbene Ledersitze, dazu eine Gegensprechanlage, falls sie mit William reden wollte, der hinter der Glasscheibe saß. Nachdem Kim alles aus dem Miniatur-Kühlschrank probiert und die kleine Champagnerflasche geleert hatte, war ihr schläfrig zu Mute. Wenn sie von diesem Auto gewusst hätte, dann hätte sie sich nicht den späten Horrorfilm im Fernsehen angeschaut. Kim schreckte aus dem Schlaf hoch. Das war nicht die Interstate 17 nach Phoenix. „Wo sind wir?", fragte sie. William antwortete nicht. Natürlich nicht! Kim musste die Gegensprechanlage benutzen. Aber offenbar hatte sie sie zu häufig benutzt. In ihrer Panik brüllte sie ihre Frage noch einmal: „Wohin bringen Sie mich?" William war zu gut trainiert, um bei Kims Lautstärke zusammenzuzucken. „Nach Sedona, Miss Grant. Die Sprechanlage ist sehr empfindlich." „Ich will aber nach Phoenix." Kim senkte ihre Lautstärke und versuchte sich zu erinnern, ob sie schon mal ein Buch gelesen hatte, in dem die Heldin in einer Limousine gekidnappt wurde. Wie geschickt, auf diese Weise ihre Ängste loszuwerden! Kim war so leichtgläubig gewesen, dass sie sich nun schämte und zugleich bis zur Lächerlichkeit ängstlich war. „Mein Arbeitsplan ist sehr genau, Miss Grant. Es geht jetzt nach Sedona. Sie können gerne in der Niederlassung anrufen, um eine Bestätigung zu erhalten." Dahinter steckte ein Plan. Jeder konnte bei einer Telefonnummer antworten, die man ihr gab und die vorher abgesprochenen Auskünfte erteilen. Aber jeder könnte auch die Wahrheit erzählen, und sie, Kim, würde sich wie ein Idiot vorkommen. Gab es eine Möglichkeit, sich im Wagen zu verbarrikadieren, bis Hilfe käme? Kim testete ihr Handy. Es funktionierte. Reagierte sie nicht doch etwas übertrieben? Wie viele Entführungsopfer bekamen wohl ein Champagnerfrühstück? Mit einem Mal kam Kim sich wirklich lächerlich vor. Lukes Großvater lebte in Sedona. Vielleicht hatte die Familie beschlossen, sie in dessen feudalem Haus zu empfangen. Die piekfeine Stadt, die zwischen den berühmten roten Felsen lag, war ein Mekka für Touristen und ein Zufluchtsort der Reichen. Der Fahrer nahm die scharfen Kurven mit einer Mühelosigkeit, die sie erstaunte. Aber Kim wusste nicht, ob er das Haus ohne ihre Hilfe finden würde. Die Straßen waren schmal und voller Kurven, so dass man sich leicht verfahren konnte.
Kim stellte die Sprechanlage an, bekam aber kein Wort heraus, weil die Limousine gerade in einen Privatweg einbog und durch ein Tor fuhr, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Los Paradisos" stand. Kim war sich sicher, dass sie noch nie hier gewesen war. Die Limousine hielt auf einer kreisförmigen Einfahrt vor einem Hotel im Stil eines spanischen Landsitzes. Kim sah Tennisplätze, Ställe und ein Schwimmbecken, und dann sah sie den Mann, der vor dem Eingang stand. Rick musste die Hochzeit verhindert haben und dann hierher gefahren sein, aber wieso? Er öffnete den Wagenschlag. „Du hast mich hierher geholt!" Kim war zu aufgeregt, um zu wissen, ob sie wütend oder begeistert war. Rick lächelte. Sein Gesicht hatte wieder den sanften, bewundernden Ausdruck, der sie früher so verwirrt hatte. „Hast du deinen Bruder dazu gebracht, die Hochzeit abzusagen?" Nie hätte sie angenommen, dass Rick damit Erfolg haben würde, aber es war die einzige Erklärung. Sonst hätte er in Phoenix sein müssen, um sich für die Feier anzuziehen. „Lass uns darüber in unserem Zimmer reden." „Unserem Zimmer?" Sie sah die Hand, die er ihr anbot, bewegte sich aber nicht. „Bitte steig aus." „Meine Schwester erwartet mich in Phoenix." „Nicht mehr. Ich habe mit ihr gesprochen." „Sie kennt dich doch gar nicht." „Ich war sogar bei ihr zu Hause, aber sie hat mir versprochen, dir nichts zu sagen. Es geht ihr gut. Die beiden passen wirklich gut zusammen. Luke hat seine Reise abgebrochen, weil er das Gefühl hatte, dass Jane ihn brauchte." „Peter erwartet mich." „Er ist sehr beschäftigt, weil er mit seinem Vater Häuserbauen spielt. Er schlägt Nägel in ein Brett, mit einem echten Hammer. Ich habe selber auch Narben, weil ich die Nägel für ihn gehalten habe." „Wirklich?" Noch etwas, das Kim nicht recht glaubte. „Das war nur Spaß, aber ich habe meine Taschen immerhin nach Eidechsen abgesucht, ehe ich gegangen bin." „Wann hast du das alles gemacht?" „Lass uns oben reden." Rick ging zum Fahrer und machte ihm ein Kompliment wegen der guten Arbeit, die er geleistet hätte. Und er gab ihm einen Schein, der William wie ein Lotteriegewinner lächeln ließ; dann lud William Kims Gepäck aus. „Ich habe nicht gesagt, dass ich bleibe." Kim stieg aus und sah einen Hotelangestellten im dunklen Anzug und weißen Hemd und mit blauer Krawatte, der ihr Gepäck nahm. Rick ergriff Kims Hand, und sie hatte keine andere Wahl, außer ihm eine Szene zu machen oder mit ihm zu gehen. „Du bist sauer, weil ich dich in Flagstaff zurückgelassen habe", sagte er leise, so dass nur sie es hören konnte. „Ich bin nicht sauer. Ich habe alles gut geschafft. Ein Wagen kommt gegen Mittag - ein Wagen kommt!" „Das habe ich abgeblasen." „Woher hast du gewusst, dass ich auf deinen Limousinen-Trick hereinfallen würde? Und wann hast du Zeit gehabt, meine Schwester zu besuchen und eine Limousine zu mieten und den ganzen Kram mit der Pleitefirma durchzuarbeiten,
um meinen Ersatzwagen abzusagen und das Zimmer hier zu mieten und ..." „Ich habe doch Leute." „Ich dachte, du wärest Software-Entwickler und berätst Firmen." „Bin ich auch, aber ich kann doch eine Firma nicht alleine führen." „Wie viele Angestellte, hast du denn?" „So um die dreißig." „Oh." Kim beschloss, den Mund zu halten. Sie gingen durch die Hotelhalle, in der die Statue einer Nymphe über einem sanft plätschernden Becken mit einem großen Goldfisch thronte. Die strahlend weißen Stuckwände gaben einen herrlichen Hintergrund ab für die schönste Sammlung indianischer Kunst, die Kim je gesehen hatte. Und das Management war so diskret, dass Kim nicht einmal den Empfangsschalter sehen konnte. Ein Aufzug wartete mit offenen Türen auf sie, und sie fuhren ins oberste Stockwerk. Rick legte die Hand auf ihre Hüfte, um Kim zu ihrem Zimmer zu führen, und Kim war aufgeregt, weil es sich so wundervoll anfühlte. Ihr Gepäck war schon im Zimmer. Ja, Rick musste die Hochzeit gestoppt haben, sonst wäre er nicht hier. Aber wie konnte sie, Kim, mit ihm hier bleiben, wenn er das Glück zweier Menschen zerstört hatte? Das Zimmer war riesig und die Einrichtung war ganz im typischen Stil des Südwestens gehalten, mit Farben, die den warmen Tönen der Wüste entsprachen, was Kim ganz sehr liebte. Das breite Bett passte zur geschnitzten Eichenkommode und dem Kleiderschrank. Rick schloss die Tür und zog Kim in seine Arme; er küsste sie so zärtlich, dass sie zur Überzeugung kam, nichts anderes mehr wäre wichtig. War es aber doch. „Hast du die Hochzeit ruiniert?", fragte sie und wollte sich seinen Armen entziehen. Aber Rick machte keine Anstalten, sie loszulassen. „Nein." „Sie wollten nicht auf deine Einwände hören?" „Ich habe keine vorgebracht." „Nein?" „Ich will über uns reden, nicht über meinen Bruder." Kim wollte das auch, aber sie verstand nichts im Zusammenhang mit der Hochzeit. Hatte Rick einen größeren Streit mit seinem Bruder gehabt? „Wieso bist du nicht in Phoenix bei der Hochzeit?" „Das ist eine sinnlose, archaische Zeremonie, und sie brauchen mich nicht dabei." „Eine Hochzeit ist nicht sinnlos!" „Setz dich, und ich erzähle dir die ganze Geschichte." Er zog sie neben sich auf das Bett und ihre rechte Hand zwischen seine Hände. „Fang an." „Ich bin sofort mit einem Trucker losgekommen, der Waschmaschinen und Wäschetrockner transportiert hat." „Das ist doch völlig überflüssig!" Kim wusste, dass er sie mit diesen Einzelheiten reizen wollte, und ihre Ungeduld war kurz vorm Platzen. „Ich bin nach Hause gefahren und habe erst mal sauber gemacht." „Rick! Gleich erzählst du mir noch, dass du deinen Anrufbeantworter abgehört und die Post aufgemacht hast." Er grinste und drückte ihre Hand. „Nein, ich bin sofort zu meinem Bruder gegangen. Seine Braut war auch da. Sie hatten den Haushalt sozusagen schon eingerichtet." „Das war dir doch überhaupt nicht recht. Sie haben dich nicht um Erlaubnis
gefragt." „Lass mich meine Geschichte weitererzählen." Er hob Kims Hand zu seinen Lippen und küsste ihre Fingerspitzen, bis Kim die Hand wegzog. „Erzähl mir von der Hochzeit." „Ich habe Melinda kennengelernt", fuhr Rick fort, „und ich habe meine Lektion gelernt." „Mochtest du sie? „Ich habe sie vom ersten Moment an angebetet. Sie ist entzückend. Süß und klein und blond und ..." „Ich hab schon verstanden!" Kim zog ihre langen Beine an die Bettkante, damit sie weniger lang erschienen und wünschte, sie hätte daran gedacht, sich für das Abenteuer mit der Limousine schöner anzuziehen. Und niemand hatte sie bisher als klein bezeichnet. „Das Beste an ihr ist, dass sie schrecklich in Brian verliebt ist, obwohl mir nicht klar ist, was sie in meinem Bruder sieht." „Du magst sie wirklich." Kim musste das noch einmal feststellen, um es selbst glauben zu können. „Ja, ich mag sie, und sie ist nicht auf Reichtümer aus. Wirklich, sie ist finanziell vermutlich besser dran als mein Bruder; etwas, das er zu erwähnen vergaß. Er meinte, er wollte, dass ich sie um ihrer selbst willen mag, weshalb ich mir jetzt wie ein Dummkopf vorkomme." „Du hättest sie vorher treffen sollen, ehe du so einen Wutanfall wegen dieser Hochzeit gekriegt hast." „Ich danke dir, dass du versucht hast, dass es mir damit besser geht", sagte Rick und lächelte verlegen. „Ich hätte nicht annehmen sollen, das Brian noch einen Riesenfehler macht, aber was er auf diesem Gebiet vorzuweisen hat, dient mir immerhin als Entschuldigung. Wie konnte ich denn auch wissen, dass beide Taylor-Brüder glücklich würden?" „Ich will mehr davon hören." „Du wolltest die ganze Geschichte, und jetzt kriegst du sie." „Dann sag mir, warum du nicht auf der Hochzeit deines Bruders bist, wenn er diese wundervolle kleine Frau heiratet." „Er will mich nicht dabeihaben." „Nein! Das glaube ich nicht." „Ich habe ihm bis drei Uhr morgens die Ohren voll geredet und ihm erzählt, wie wundervoll du bist. Er meinte, ich wäre ein Trottel, dass ich dich allein gelassen habe, und dieses eine Mal im Leben war mein Bruder klüger als ich. Er bestand darauf, dass es nichts Wichtigeres gäbe, als dass wir die Reise zusammen beenden." „Ich habe dir aber doch gesagt, dass du losfahren solltest", erinnerte Kim ihn. „Du hattest den Mut, mich loszuschicken, obwohl du die Idee, dass ich bei der Hochzeit dazwischenfunke, gehasst hast." Kim zuckte mit den Schultern, und Rick legte ihr den Arm um die Schulter. „Es war nicht nur die Hochzeit", gab er mit einiger Anstrengung zu. „Ich bin vor dir weggelaufen." „Vor mir?" Kim hatte plötzlich Angst, dass dies seine Art sein könnte, sie sanft abzuschieben. „Ich weiß, du suchst nach etwas Dauerndem, einer Bindung für immer. Ich hatte nie den Mut zu diesem Schritt. Ich habe meinen Widerwillen immer auf meine Eltern und ihre Eheprobleme geschoben, aber die Wahrheit ist, dass ich Angst hatte, selber den Schritt zu wagen." „Ich will mit dir so lange zusammen sein, wie du mich willst, ohne
Bedingungen", sagte Kim. Das war das Zeichen für Rick, sie zu küssen. Kim bekam weiche Knie, und Rick musste sie halten. Dann kniete Rick nieder und nahm ihre Hände in seine. „Ich liebe dich, Kim. Ich möchte dich heiraten, wenn du mich willst." „Oh." Das musste ein Traum sein. Sie blinzelte. Er war immer noch da. „Ich weiß, wir kennen uns noch nicht sehr lange", fuhr er fort. „Wenn du denkst, du brauchst mehr Zeit..." „Zeit." Ihr Verstand streikte. „Ich warte so lange, wie du willst, aber ich will es eigentlich nicht", sagte er. „Ich auch nicht." Endlich brachte sie eine intelligente Antwort zu Stande. „Heißt das..." „Willst du wirklich heiraten?" „Ich will dich heiraten. Ich liebe dich, Kim. Du bist das Yin zu meinem Yang, oder ist es genau umgekehrt? Als ich dich in Flagstaff zurückließ, allein gelassen habe, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich konnte nur noch an dich denken." „So geht es dir jetzt..." „Ich habe dich schon immer geliebt. Falls du einen Palisadenzaun willst..." „Einen was?" „Einen Palisadenzaun. Weißt du, solche weißen, spitzen Hölzer um ein süßes, kleines Häuschen mit Schindeldach. " „Würde das in Phoenix nicht komisch aussehen? Eingezäunte Kakteen und Sand?" „Dieser Vorschlag läuft ganz und gar nicht in die Richtung, die mir vorschwebt. Aber solche Überraschungen bin ich ja bei dir gewohnt." Er stand auf und zog sie in die Arme. „Nimmst du das zurück?" Sie liebte ihn so sehr, dass sie Angst hatte zu glauben, er wollte sie wirklich heiraten. „Nein, nein, nein." Er unterstrich seinen Widerspruch mit intensiven, leidenschaftlichen Küssen, die Kims Blut erhitzten. „Wie lange willst du mich noch leiden lassen?", fragte Rick schließlich und rang nach Luft. „Mindestens den Rest deines Lebens." Sie zog ihn eng an sich und rieb sich an seinem weichen, hellblauen Pullover, den er unter seinem schwarzen Sakko trug. „So lange willst du mich warten lassen, bis du mir sagst, dass du mich liebst?" Er hörte sich verwundet an, und Kim wollte ihn mehr als alles andere in der Welt glücklich machen. „Natürlich liebe ich dich! Ich bete dich an. Ich liebe alles an dir. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden so lieben könnte, wie ich dich liebe." Sie legte ihre Hände um sein Gesicht und küsste ihn auf den Mund. Rick hob sie und legte sie auf das große Bett. „Warte!" Kim rollte auf die andere Seite, stand auf und riss die hübsche Tagesdecke mit den Kaktusblüten weg. Die Laken waren rosa mit sandfarbenen Streifen, und Kim liebte sie. Sie liebte das Zimmer, das Hotel, und sie liebte die Überraschung, in einer großen Limousine hierher gefahren worden zu sein. Aber am meisten liebte sie Rick. Er lächelte ihr zu, warf schon das Sakko weg und zog sich das Hemd aus. Kim betrachtete seine breite Brust. „Stopp!", rief sie. „Warum?" Rick blickte verwirrt, aber ließ das Hemd an.
„Wenn wir das feiern, muss es etwas ganz Besonders werden." „Alles an dir ist besonders." Sie erschauerte vor Freude und ging ums Bett herum. Verheiratet! Sie war verlobt und würde Rick Taylor heiraten, und sie war überglücklich. Sie zog ihm das Hemd über den Kopf und beugte sich vor, um ihre Lippen auf seine Brust zu pressen. Sämtliche Ängste, die sie hatte, ihn zu verlieren, waren vergessen, und sie glitt langsam tiefer, zu seinem erregend flachen Bauch. Rick zog den Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose, und Kim öffnete den oberen Knopf und zog den Reißverschluss auf. Als sie ihm die Hose abstreifen wollte, spürte sie etwas Hartes in der einen Hosentasche und hielt inne. „Ah, du hast es gefunden." Rick fasste in die Tasche seiner Hose und holte ein dunkelrotes Kästchen heraus. „Du hattest sogar Zeit, mir einen Ring zu kaufen?" „Ich habe sie mir ge nommen. Ein Freund hat seinen Laden um sechs Uhr früh aufgemacht." „Wann gibst du ihn mir?" „Das wirst du schon sehen." Er warf die Schachtel auf das Bett, ohne sie zu öffnen, und führte zu Ende, was er angefangen hatte, indem er sich seiner restlichen Sachen entledigte. Dann sah er Kim mit schweren Lidern an, und sein Gesicht wurde vor Leidenschaft weich. Kim hatte diesen Blick schon einmal gesehen. Sie erschauerte vor Erwartung. Er zog ihr zuerst die Jeans aus, dann ihren schlichten rosa Alltagsslip. „Den habe ich noch nie gesehen." „Ich wusste ja nicht, dass heute so ein besonderer Tag werden würde", sagte Kim etwas kleinlaut. Sie kam sich einfältig vor, wie sie unten herum nackt, aber mit Schuhen, Strümpfen und einem Pullover dastand, während Rick die schlimmste Unterwäsche betrachtete, die sie besaß. „Das Kaninchen häuten", meinte er und strahlte über beide Ohren. „Was?" „Ich hatte ein Kindermädchen." „Ein Kindermädchen? Wirklich?" „Importiert aus England. Sie sagte immer ,das Kaninchen häuten', ehe sie mir das Hemd auszog." „Es gibt so viel von dir, dass ich nicht weiß." „Ich vermute, ich werde nie alles über dich erfahren." „Ich hoffe nicht." Sie lächelte, weil er ihr den Pullover über die ausgestreckten Arme zog. „Du hattest mal einen ziemlich hübsche n BH." Er öffnete ihren zweitbesten weißen Spitzen-BH und ließ ihn auf das Bett fallen. „Ich habe noch meine Schuhe und Strümpfe an." „Zieh sie aus." Rick war offensichtlich mehr an ihren entblößten Körperteilen interessiert als daran, was sie anhatte. „Da hast du mich noch nie geküsst." Sie schaffte es, aus einem Schuh herauszuschlüpfen. „Gib mir Zeit. Ich komme noch an deine sämtlichen Körperteile, wenn du geduldig bist." Sie war aber nicht geduldig. Sie liebte ihn. Sie liebte es, wenn er sie berührte. Sie liebte es, wenn er sie küsste. Sie liebte alles, was er tat.
Sie legte ihm die Beine um die Hüften und zog ihn mit aller Kraft an sich. „Dieser Schuh muss auch noch weg." Er kümmerte sich darum. „Ich bin ohne dich verrückt geworden. Ich liebe dich bis zum Wahnsinn." „Ich hatte schon Angst, dich nie mehr wieder zu sehen." „Dazu bestand nie eine Chance." „Du hast aber nicht gesagt..." „Ich hatte Angst zu glauben, dass jemand so Besonderes wie du in mein Leben getreten sein könnte." „Glaub es doch einfach!" „Ich liebe dich", hauchte er ihr ins Ohr. Er sagte es, und dieses Bettgeflüster zählte. Ebenso seine langen, langsamen, innigen Küsse und sein unendlich zärtliches Streicheln. Langsam drang er in sie ein. Sie beobachtete sein Gesicht, liebte die leichte Färbung seiner Wangen und die leichte Blässe seiner Lider. Seine Wimpern waren lang und dicht, sein Haar fiel ihm in die Stirn, als er über ihr war. „Deine Augen sind ja offen." Sein intensiver Blick traf ihren. „Ich möchte meine Augen offen halten, damit ich dich immer sehe", flüsterte sie. „Das brauchst du nicht. Ich verschwinde ja nicht." „Versprochen?" „Ich schwöre es." Ihr Herz quoll über vor Liebe und Zärtlichkeit. Er war der Mann, dem ihr Herz gehörte und der einzige, der ihr diese euphorische Lust schenken konnte. „Ganz nett zum Aufwachen", neckte sie ihn, als er neben ihr lag und sie mit einem Arm und einem Bein gefangen hielt. „Was heißt hier aufwachen? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen", wandte er ein. „Das muss ich jetzt noch mal hören. Du weißt seit Flagstaff, dass du mich liebtst?" „Ja. Fünf Minuten, nachdem wir uns getrennt hatten, wurde mir klar, dass ich dich wieder haben wollte, selbst wenn ich den ganzen Weg zurück von Phoenix hätte kriechen müssen, um dich zu kriegen." „Ich dachte ..." Nein, sie wollte diesen so schönen und glücklichen Augenblick nicht verderben. „Dachtest was?" „In Flagstaff dachte ich ... nein, ich war töricht." „Müssen wir wieder das Fragespiel spielen?" Er schob seine Hände zwischen ihre Schenkel, und sie schwamm auf einer Welle unaufhörlicher Lust. „Kein Fragespiel", bat Kim, viel zu abgelenkt, um sich konzentrieren zu können. „Lass mich raten. Du dachtest, du würdest mir nichts bedeuten, weil wir uns nicht mehr geliebt hatten?" „Nein ... nicht direkt." „Wir spielen das Wahrheitsspiel." Sein Finger glitt zu Kims empfindlichster Stelle, und wieder wurde sie vor Lust fast verrückt. „Ich hatte Angst, dass du nicht..." „Süße, du hast mich fertig gemacht. Ich musste einfach meine Batterien wieder aufladen." „Verstehe. Ich erwarte nicht ... ich meine, niemand tut es jede Nacht." „Verlass dich bloß nicht darauf." Er küsste ihre Lider und die Nasenspitze. Kim war selig. „Wie lange haben wir dieses Zimmer?"
„Sie vermieten es nicht stundenweise." Rick lachte. „Ich meinte, vielleicht brauchst du ein Nickerchen?" „Noch nicht." Er griff über Kim hinweg und holte die Schachtel mit dem Ring. „Den hast du noch nicht gesehen. Wenn du ihn nicht magst..." „Keine Chance." Er ließ das Schächtelchen aufschnappen und holte einen großen Dia manten, in glänzendem Gold gefasst, heraus. „Ich mag keine auffälligen Ringe mit vielen kleinen Steinen. Dieser ist makellos, genau wie du." Er hielt den Ring so, dass Kim den Schliff des Diamanten bewundern konnte, und es raubte ihr den Atem. „Er ist so schön." „Wie du." Rick legte den Ring auf ihre Brustspitze. Kim quietschte, als das kalte Metall sie berührte, fand es dann aber sehr erotisch. „Passt der nicht auf meinen Finger?" Es turnte Kim an, und dass Rick die harte, aufgerichtete Brustspitze küsste, erregte sie. „Natürlich, ich will, dass alle Welt ihn an deinem Finger sieht und weiß, dass du mir gehörst. Aber in meiner Vorstellung habe ich ihn schon auf deiner Brust liegen sehen, als ich ihn gekauft habe. Und da sehe nur ich ihn." Kim erschauerte. Nicht vor Kälte. „Ich liebe ihn", flüsterte sie. „Ich liebe dich." „Ich dich auch." „Was denkst du über eine Hochzeit in Las Vegas?" „Wie kommen wir da hin?" „Mit dem Flugzeug, dem Zug, einer Kamelkarawane." „Bei unserem Reiseglück würde das Flugzeug abstürzen, der Zug Feuer fangen und die Kamele im Sandsturm steckenbleiben." „Akzeptiert. Also lieber in Phoenix?" „In Janes Wohnzimmer, aber wir müssen mit dem Storch um die Wette laufen." „Luke meinte, es würde nicht lang dauern", sagte Rick. „Peter wird siche r gern unser Ringträger." „Nur wenn du den Ring an seinem Handgelenk festbindest." „Du kennst ihn schon ganz gut." Rick nahm den Ring und steckte ihn Kim an den Finger. „Nicht so gut, wie ich dich kennen lernen will, mein Engel." - ENDE