Wo ist Helena?
Emma Richmond
Romana 1315 9 - 2/00
Gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL Im Gegenverkehrsbereich auf d...
26 downloads
953 Views
420KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Wo ist Helena?
Emma Richmond
Romana 1315 9 - 2/00
Gescannt von suzi_kay
1. KAPITEL Im Gegenverkehrsbereich auf der Autobahn kurz vor Gatwick hatte der Wind die orangeweißen Markierungskegel umgeworfen, und jeder war gezwungen, auf den Pannenstreifen auszuweichen. Jeder? Außer mir und dem Verrückten, der mit seinem Lastwagen viel zu dicht auffährt und womöglich gleich in meinem Kofferraum landet, ist doch niemand unterwegs, dachte Carenza. Beschleunigen würde sie jedenfalls nicht! Es war schlimm genug, im Dunkeln fahren zu müssen. Bei den heftigen Böen, die den Wagen immer wieder seitwärts drängten, und geblendet vom Widerschein der Lichter im Rückspiegel, war es ein Albtraum! So ein Irrer! Carenza schimpfte. Was war aus den Rittern der Landstraße geworden, den rücksichtsvollen und hilfsbereiten Fernfahrern? Zu denen zählte der hinter ihr bestimmt nicht. Als sie sich der Ausfahrt zum Flughafen näherte, endete der Gegenverkehrsbereich, und der Lastwagen donnerte an ihr vorbei. Während sie den Rücklichtern nachblickte, fühlte sie sich plötzlich verlassen. Du bist verrückt, Carrie, tadelte sie sich und verzog gereizt die Lippen. Wenn sie nicht ihren Skizzenblock vergessen hätte, würde sie jetzt nicht nachts und bei diesem Sturm fahren müssen. Ein Windstoß drückte wieder einmal das Auto seitwärts, und sie war so damit beschäftigt, den Wagen in der Spur zu halten, dass sie die richtige Ausfahrt verpasste. Sie nahm die nächste, weil sie vermutete, auch diese würde sie ans Ziel führen, was sich aber bald als Irrtum herausstellte. Trotzdem fuhr sie weiter, statt umzudrehen und zur Autobahn zurückzukehren. Keine Panik! ermahnte Carenza sich. Sie war hier in Sussex, nicht irgendwo in der Wildnis, und alle Straßen mussten zu einer Stadt führen. Horsham war nicht weit entfernt. Allerdings sah man überhaupt keine Lichter, was seltsam war, da sich in unmittelbarer Nähe doch zwei Autobahnen und ein großer Flughafen befanden. An der nächsten Kreuzung bog sie links ab, weil ein Gefühl ihr sagte, dass sie nun den richtigen Weg gefunden habe, und gelangte in den „St.-Maxims-Forst", ein ziemlich ausgedehntes Waldgebiet. Nervös blickte sie auf die Bäume, die vom Wind wild geschüttelt wurden. Es wäre wohl doch besser, umzudrehen und nach Hause zu fahren. Sie konnte Beck ja am nächsten Morgen anrufen. Der Sturm wurde immer schlimmer und wirbelte abgerissene Zweige über die Straße. Plötzlich fühlte Carenza sich im Auto nicht mehr sicher. Sie erinnerte sich noch gut an den fürchterlichen Orkan einige Jahre zuvor und daran, wie viel Schaden er angerichtet hatte. Bestimmt hätten die Meteorologen diesmal rechtzeitig eine Sturmwarnung im Fernsehen verkündet, beruhigte sie sich, und sofort fiel ihr ein, dass sie ja die Nachrichten nicht gesehen hatte. Es war zwar windig ge wesen, als sie von zu Hause losgefahren war, aber keinesfalls so schlimm wie jetzt. Nun war es allerdings zu spät, sich Vorwürfe zu machen. Im Scheinwerferlicht tauchte ein Gebäude auf, und sie bremste. Es war ein altes Gasthaus mit dem seltsamen Namen „Zum stummen Drachen". Leider war es geschlossen, nutzte ihr also überhaupt nichts, da sie dort nicht nach dem richtigen Weg fragen konnte. Sie fuhr weiter und gelangte schließlich zu einer Kreuzung, an der - wie der Wegweiser anzeigte - eine Straße nach Horsham abging. Am besten fahre ich dorthin, beschloss Carenza. Von Horsham aus kannte sie den Weg zu Becks Anwesen. Mit gestärktem Selbstvertrauen gab sie Gas. Nach einer Weile kam sie an einem großen Tor vorbei, auf dem in goldenen Buchstaben die Wörter „Drachennest" geschrieben standen. Hier scheinen Drachen ja sehr beliebt zu sein, überlegte sie und lächelte. Ein kleines Tier, vielleicht ein Kaninchen oder ein Fuchs, überquerte dicht vor dem Auto überraschend die Straße, und Carenza verringerte das Tempo. Plötzlich hörte sie von draußen ein so lautes Tosen, als würde ein Schnellzug direkt neben ihr vorüberbrausen. Erschrocken blickte sie sich um und traute ihren Augen nicht. Große, alte Bäume wurden vom Wind niedergedrückt wie Grashalme einer Sommerwiese, und sie war mittendrin! Unwillkürlich hatte sie das Tempo noch weiter verlangsamt und trat jetzt aufs Gaspedal. Zu spät! Das Tosen und Brausen verwandelte sich in ein Kreischen, das klang, als wären alle
Furien der Hölle losgelassen worden. Dann neigte sich der Baum rechts vor ihr immer tiefer, und sie sah, dass er brutal entwurzelt wurde und jede Sekunde auf die Straße zu stürzen drohte. Zum Bremsen war es zu spät, deshalb beschleunigte Carenza den Wagen, obwohl ihr klar war, dass es sie wahrscheinlich auch nicht retten würde. Trotzdem war es den Versuch wert. Der Baum krachte aufs Autodach, knapp hinter ihrem Kopf. Von Panik erfüllt, ließ sie sich seitwärts auf den Beifahrersitz fallen, während der riesige Stamm unerbittlich das dünne Metall über ihr zerdrückte.
2. KAPITEL Carenza lag da, die Augen fest geschlossen, hielt den Atem an und wartete. Sie vermeinte beinahe, das Gewicht des Baums zu verspüren und das Knirschen des Metalls zu hören, was aber nicht sein konnte, da der Sturm heulend durchs Auto pfiff. Langsam öffnete sie die Augen. Viel konnte sie nicht erkennen, nur dass die Tür und die Lehne des Fahrersitzes eingedrückt waren, ebenso das Dach. Alle Scheiben waren geborsten, und kleine Glassplitter bedeckten ihre Schenkel. Das alles stellte Carenza ganz sachlich fest. Seltsam, sie empfand keine Panik oder Hysterie, und sie war zum Glück unverletzt geblieben - jedenfalls glaubte sie das. Sie lag völlig verkrampft in einer äußerst unbequemen Position eingeklemmt da. Da sie eine unabhängige junge Frau war, die sich eigenständig durchs Leben schlug, verfiel sie nicht auf den Gedanken, tatenlos darauf zu warten, dass jemand vorbeikam und sie befreite. Vorsichtig hob sie den Kopf und stieß gegen Metall, deshalb senkte sie ihn wieder. Weil der Schaltknüppel unangenehm gegen ihre Hüfte drückte, versuchte sie, ein Stück weiterzurutschen. Dabei ächzte und knirschte das Auto Unheil verkündend, und sie verhielt sich lieber wieder still. Der schwere Baum hindert das Auto daran, weiterzurollen, sagte Carenza sich. Sie vermutete außerdem, dass er keinen weiteren Schaden anrichten konnte, deshalb versuchte sie, die Füße auf den Beifahrersitz zu stellen - beziehungsweise auf das, was davon übrig geblieben war. Das schaffte sie nicht, denn sie konnte die Beine nicht unter dem verbogenen Armaturenbrett herausziehen. Verkrümmt lag sie da, mit dem Gesicht nach unten. Vorsichtig tastete sie nach dem Hebel des Beifahrersitzes, zog daran - und der Sitz schoss wie eine Rakete nach hinten. Carenza fiel auf den Boden und fluchte, als plötzlich die Alarmanlage losging. Was für eine absurde, lächerliche Situation! Wie eigenartig, dass wir Engländer uns meistens zuerst darüber sorgen, womöglich einen schlechten Eindruck zu machen, statt uns zu fragen, wie wir uns fühlen, dachte Carenza. Behutsam richtete sie sich auf und schaffte es, die Rücklehne des Sitzes ganz nach hinten zu klappen. Und jetzt? Konnte man die Heckklappe eines Kombis eigentlich von innen öffnen? Falls es ihr überhaupt gelang, freizukommen und nach hinten zu kriechen! Wenn nicht, muss ich eben warten, bis jemand kommt und mich hier herausholt, dachte sie missmutig, während sie sich angestrengt zu befreien versuchte. Ein Retter würde allerdings wahrscheinlich erst dann erscheinen, wenn es hell wurde oder der Sturm sich gelegt hatte. Und danach klang es noch nicht, obwohl das erschreckende Tosen und Heulen etwas nachgelassen hatte. Ob das ein richtiger Tornado gewesen war? So war es ihr jedenfalls vorgekommen. Allerdings hatte sie noch nie einen Wirbelsturm erlebt, sie kannte dieses Naturereignis nur aus den Nachrichten, und England war ihres Wissens noch nie von einem heimgesucht worden. „Sei endlich still!", schrie Carenza plötzlich die Alarmanlage an. Die vergeblichen Befreiungsversuche raubten ihr die Kraft, und sie war einem Wutanfall nahe. Plötzlich glitt ein Lichtschein über sie und verschwand gleich darauf wieder. Überrascht hob sie den Kopf. „Hallo!" rief sie. „Carenza?" Jemand leuchtete mit einer Taschenlampe durch das zerborstene Seitenfenster. „Können Sie mich sehen?", fragte Carenza törichterweise. „Ja. Sind Sie verletzt?" „Nein, nur eingeklemmt", erklärte sie. Es ist Beck, dachte sie erleichtert. Er war genau der richtige Mann in einer Krise. Als Erstes zog er den Zündschlüssel aus dem Schloss, und die Alarmanla ge verstummte endlich. Wenige Momente später wurde die Heckklappe geöffnet, die Rücksitze wurden
umgelegt, und dann schwankte das Auto Furcht erregend, während Beck hereinkletterte. „Wo genau sind Sie eingeklemmt?" „An den Hüften. Ich kann mich überhaupt nicht bewegen." Und ich mache auf jeden Fall eine Diät, wenn ich hier herauskomme, schwor Carenza sich. Er legte die Taschenlampe weg, umfasste Carenzas Arme und zog. Sie stemmte einen Fuß gegen den Boden und schob mit aller Kraft nach. Es tat weh, so zusammengequetscht zu werden, aber darauf achtete sie nicht. Endlich kam sie frei. „Jetzt aber schnell raus hier!", rief Beck. „Lassen Sie mich doch erst mal wieder zu Atem kommen und..." „Keine Zeit." Er klang so angespannt und drängend, dass sie ausnahmsweise nicht widersprach, sondern sich aus dem Auto zerren ließ - in ein absolutes Chaos draußen. Ein Baum direkt vor ihr sah aus, als würde er jeden Moment ebenfalls entwurzelt werden. Beck umfasste ihren Arm und zog sie aus dem Gefahrenbereich. Rasch kniff sie die Augen zusammen, denn überall wirbelte Staub herum, klammerte sich an Becks Regenjacke fest und folgte ihm blindlings. Sie konnte weder sprechen noch zusammenhängend denken, denn sie brauchte ihre Energie, um sich in Sicherheit zu bringen. Gegen den Sturm konnten sie nicht ankommen, deshalb kehrten sie ihm den Rücken zu. Zweimal stürzte Carenza und wurde von Beck rücksichtslos wieder hochgezogen. Ohne ihn hätte sie es niemals geschafft. Zerrissene Stromleitungen lagen auf dem Boden, und blaue Funken sprühten übers Gras. Sorgfältig vermieden Beck und Carenza diese Stellen, umgingen gestürzte Bäume oder kletterten darüber, wenn ihnen nichts anderes übrig blieb. In der pechschwarzen Dunkelheit fühlte sie sich wie blind, aber er führte sie unerbittlich weiter, bis sie endlich im Windschatten eines Gebäudes anlangten. Es war himmlisch, dem Sturm nicht länger direkt ausgesetzt zu sein. Erschöpft von der Anstrengung, blieben sie einige Momente lang stehen, um Atem zu schöpfen. „Sind Sie okay?", fragte Beck. An seine Schulter gelehnt, nickte Carenza. „Bereit zum Weitergehen?" Wieder nickte sie, und er führte sie entlang einer Steinmauer und um eine Hausecke, hinter der der Sturm sie erneut mit voller Kraft traf. Beck hielt Carenza fest an sich gepresst, suchte in der Jackentasche nach dem Schlüssel und öffnete die Tür. Dann schob er Carenza rasch ins Haus und folgte ihr. Er musste all seine Kraft aufbieten, um die Tür wieder zu schließen. Die plötzliche Ruhe machte Carenza beinah benommen. Zitternd versuchte sie, ihr völlig zerzaustes Haar zu entwirren, und atmete erleichtert tief durch. Noch immer konnte sie die Hand vor Augen nicht sehen und spürte deshalb nur, dass Beck dicht neben ihr stand. Ein Prickeln überlief sie. Dass sie sich seiner Nähe so überdeutlich bewusst war, schockierte sie. Ein Schalter wurde betätigt, aber kein Licht flammte auf. Ohne ein Wort zu sagen, umfasste Beck wieder ihren Arm und führte sie weiter in einen Raum, der von glimmenden Kohlen im Kamin schwach erhellt wurde. Nachdem er Carenza zu einem bequemen Sessel gebracht hatte, schürte Beck das Feuer und legte Holz nach. Sein Schatten wirkte riesig und irgendwie gespenstisch. „Ich mache uns Kaffee", sagte Beck schließlich gelassen und ging in die Küche. Carenza lehnte sich zurück und fuhr jedes Mal zusammen, wenn es draußen vor dem Haus krachte. Der Sturm klang jetzt fast noch schlimmer. Vielleicht ist er wütend, dass ihm die Beute entwischt ist, und er will das Haus kaputtpusten wie der böse Wolf im Märchen von den drei kleinen Schweinchen, dachte sie müde. Nein, hier bei Andrew Beckford, den seine Freunde Beck nannten, war sie in Sicherheit. Schon seit einigen Wochen arbeitete sie als Innenarchitektin für ihn, hatte aber jeden unnötigen Kontakt mit ihm vermieden, weil es so am besten war. Bevor sie Beck zum ersten Mal getroffen hatte, um die Einrichtung des von ihm
geplanten Konferenzzentrums zu besprechen, hatte sie sich keine großen Gedanken über ihren Auftraggeber gemacht. Sie hatte schon von ihm gehört und wusste, dass er Archäologe war, Spezialist für das Bergen historischer Schiffe. Außerdem war er ein bekannter Bergsteiger und Weltenbummler, dazu ein begeisterter Segler, der sogar schon einmal an einer Windjammerregatta teilgenommen hatte. Zu ihrer Überraschung war er nicht arrogant und herablassend - wie Carenza ihn sich vorgestellt hatte -, sondern ruhig und selbstsicher. Vom ersten Augenblick an hatte sie ihn sympathisch gefunden. Er war groß, braunhaarig, und seine grauen Augen blickten meist gelassen, obwohl man ihm anmerkte, dass ihm ein geheimer Kummer zu schaffen machte. Ja, Andrew Beckford gefiel ihr sofort, deshalb stimmte sie zu, für ihn zu arbeiten, ungeachtet der leisen Warnung, die eine innere Stimme ihr zuflüsterte. Als Carenza schließlich herausfand, dass er verlobt war, war es zu spät, den Auftrag noch abzulehnen, auch wenn es das Vernünftigste gewesen wäre. Nun hörte sie Beck in der Küche hantieren und überlegte flüchtig, dass er einen Gasoder Holzherd besitzen musste, wenn er trotz des Stromausfalls Wasser kochen konnte. Schließlich kam Beck mit zwei Bechern dampfenden Kaffees ins Wohnzimmer zurück und reichte ihr den einen, dann stellte er sich neben den Kamin und blickte in die Flammen. Die flackernden Schatten ließen sein Gesicht maskenhaft starr erscheinen, nur die intelligent blickenden, glänzenden Augen wirkten lebendig. „Waren Sie auf dem Weg zu mir?", fragte er und sah unverwandt ins Feuer. „Nicht direkt. Ich habe meinen Skizzenblock im Konferenzzentrum vergessen und daraufhin versucht, Sie dort anzurufen..." „Ich war heute nicht da." „Das habe ich gemerkt. Ich hätte bis morgen warten sollen, aber ich musste einige Maße überprüfen", erklärte Carenza. „Und da Sie eine ungeduldige Person sind ..." bemerkte Beck halblaut. „Ja, leider. Ich ahnte nicht, dass sich ein Orkan zusammenbraut, weil ich den Wetterbericht nicht gesehen hatte. Im März ist es doch oft ziemlich stürmisch, deshalb dachte ich mir nichts Schlimmes." Plötzlich wurde sie befangen und nervös, weil sie mit ihm allein war. „Dann habe ich zu allem Übel auch noch die richtige Autobahnabfahrt verpasst und mich verfahren", fügte sie gespielt munter hinzu. „Was hat es eigentlich mit den Drachen auf sich?" „Welchen Drachen?" „Ich bin an einem Gasthaus ,Zum stummen Drachen' und einem Landsitz namens ,Drachennest' vorbeigekommen. Ist der ,St.-Maxims-Forst' berüchtigt für diese Fabelwesen?" „Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich hängt es mit einer hiesigen Sage zusammen", meinte Beck. „Ich hätte den Drachen fragen sollen, dem ich begegnet bin. Wenn einem aber Bäume fast auf den Kopf fallen, schränkt das die Lust am Plaudern irgendwie ein. Tut mir Leid", entschuldigte Carenza sich dann verlegen. „Wenn ich müde bin, rede ich oft wirres Zeug. Und heute habe ich wirklich einen höllischen Tag hinter mir." Der womöglich noch schlimmer wird, fügte sie im Stillen hinzu. In dem schwach erleuchteten Raum war sie sich Becks noch viel intensiver bewusst als normalerweise. Da sie nicht länger still sitzen konnte, stellte sie den Becher auf den Couchtisch und stand auf. Sie schob die Hände in die Jackentaschen und ging zum Fenster. „Was haben Sie denn draußen gemacht, Beck? Die Sturmschäden begutachtet?" „Nein, ich war auf dem Heimweg. Die Straße war blockiert, deshalb habe ich den Landrover stehen gelassen und bin zu Fuß weitergegangen." „Zum Glück für mich!" Sie wandte sich um und lächelte ihn an, was er wahrscheinlich nicht sehen konnte. „Ich mochte mein Auto, und jetzt ist es hinüber. Deswegen traurig zu sein ist eigentlich eine alberne Keaktion, oder? Immerhin bin ich auch nur knapp dem
Tod entronnen." Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, in dem sie nur ihr Spiegelbild sah. Normalerweise war sie niemals um Worte verlegen, aber jetzt wusste sie nicht, was sie sagen sollte. „Sind Sie hungrig?", fragte Beck. Carenza schüttelte den Kopf. „Ich habe etwas gegessen, bevor ich losgefahren bin." „Würden Sie mich für eine Weile entschuldigen? Ich muss die Tiefkühltruhe leeren." „Ja, natürlich." Nachdem Beck das Zimmer verlassen hatte, setzte sie sich wieder in den Sessel. Mit beiden Händen umfasste sie den Becher und genoss es, wie er ihr die Finger wärmte. Du bist dumm, tadelte sie sich. Hätte sie nicht unüberlegt und ohne auf das Wetter zu achten ihre Notizen holen wollen, würde sie jetzt nicht in der peinlichen Lage stecken, ausgerechnet bei Beck Zuflucht vor dem Sturm suchen zu müssen. Jetzt fehlte nur noch, dass Becks Verlobte hereingeschwebt kam, die schöne Helena, wie Carenza sie spöttisch getauft hatte. Sogar ein Idiot würde die Spannung zwischen mir und Beck bemerken, dachte Carenza. Sie hielt Helena keinesfalls für dumm, auch wenn sie sie nicht näher kannte, sondern nur einmal von weitem gesehen hatte -, und gar nicht näher kennen lernen wollte. Ja, Beck war auch angespannt und befangen. Warum? Wenn er Helena liebt, weshalb sollte er sich zu mir hingezogen fühlen? fragte Carenza sich. Er fand sie attraktiv, dessen war sie sich sicher. Und eben war er genauso wie sie um Worte verlegen gewesen, obwohl er sich normalerweise gut auszudrücken wusste und nicht schüchtern war. Irgendwie hatten sie sich aufgeführt wie zwei Teenager beim ersten Rendezvous. Träumerisch blickte sie ins Feuer und dachte weiter an Beck - so wie sie unaufhörlich an ihn dachte, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Dass sie eingeschlafen war, wurde ihr erst bewusst, als sie aufwachte. Das Feuer im Kamin flackerte hell und verbreitete behagliche Wärme - wie die Decke, die Beck über sie gebreitet hatte. Graues Licht erfüllte das Zimmer, und es war sehr still. Der Sturm hatte sich gelegt, nur der Regen trommelte gegen die Scheiben. Carenza sah sich im Zimmer um und verzog, zugleich kritisch und neiderfüllt, das Gesicht. Der Raum war teuer ausgestattet. Als Innenarchitektin konnte sie fast auf den Penny genau abschätzen, wie viel die Einrichtung gekostet hatte. Die entsprach zwar nicht ihrem Geschmack, denn es gab zu viele kleine Tische mit Lampen und sah aus wie aus einem teuren Einrichtungsmagazin kopiert, war aber durchaus stilvoll. Trotzdem gefiel Carenza eigentlich nur das Feuer im Kamin. Sie war noch nie hier im Haus gewesen. Und Beck hatte sie bisher nur wenige Male im Konferenzzentrum in Gegenwart anderer Leute getroffen. Unglaublich, dass sie hier seelenruhig eingeschlafen war! Wahrscheinlich bin ich in letzter Zeit ständig zu spät ins Bett gegangen, überlegte sie. Das letzte Wochenende war zudem stressig gewesen, weil sie versucht hatte, einen Kunden dingfest zu machen, der ihr noch Geld schuldete. Die dauernde Spannung, ob sie Beck zufällig sehen würde, hielt sie auch oft genug von gesundem Schlaf ab. Warum dachte sie bloß ständig an Beck? Das musste irgendwann zu Schwierigkeiten führen. Er war mit Helena verlobt, die bestimmt sofort merken würde, dass eine andere sich für ihn interessierte. Du bist ganz schön naiv und noch dazu masochistisch, wenn du dir trotz allem Hoffnungen auf ihn machst, tadelte Carenza sich. Gähnend schob sie die Decke beiseite und stellte fest, dass ihre maßgeschneiderte Hose schmutzig und an den Knien zerrissen war und die Stiefel vor Schmutz starrten. Die Jacke hatte auch schon einmal besser ausgesehen! Und ihr, Carenza, tat alles weh. Sie dehnte sich, um die verkrampften Muskeln zu entspannen, dann stand sie auf und ging zu dem reich verzierten Spiegel an der einen Wand. Beim Anblick ihres Spiegelbilds schnitt sie ein Gesicht. Sie sah ja aus wie etwas, das nicht einmal die Katze ins Haus schleppen würde: Ihr langes dunkles Haar war völlig
zerzaust und das Make- up verschmiert. Rasch befeuchtete sie einen Finger und wischte die schlimmsten Spuren weg, dann wandte sie sich vom Spiegel ab. Es gab nichts, womit sie ihr Aussehen hätte verbessern können, denn sie hatte nicht einmal einen Kamm zur Hand. Langsam ging sie in die große Küche und verzog die Lippen. Auch dieser Raum war kostspielig eingerichtet: An der einen Wand stand ein blau emaillierter Kohleherd, die Einbauschränke aus Eichenholz passten genau zum großen Tisch und den Stühlen, die Wandfliesen zum Fußboden, der mit kalten, harten Steinplatten gepflastert war, und die Vorhänge harmonierten farblich mit den Wänden. Hier hatte jemand seine Vorstellung von einer rustikalen Küche verwirklicht. Allerdings sahen Küchen in Landhäusern ganz anders aus, wie Carenza aus Erfahrung wusste. Wo waren die mit Schlamm bespritzten Gummistiefel, die abgetragenen Regenmäntel, und wo war der Korb für den Hund? Wo schlief Becks Hund eigentlich, der auf den eigenartigen Namen Schrauber hörte? Hier bestimmt nicht. Auf dem Herd dampfte Wasser aus einem Kessel, und auf der Arbeitsfläche standen Milch, Zucker und Pulverkaffee. Carenza nahm einen Becher aus dem Schrank, machte sich Kaffee und ging damit zum Fenster. Es regnete heftig, und in der Feme grollte Donner. Sie dachte an die bedauernswerten Aufräumkommandos, die bei diesem Wetter ihre Arbeit verrichteten. Der Sturm hatte großen Schaden angerichtet. Weiß wie frische Narben leuchtete das Holz an den Stellen der Bäume, wo Äste abgerissen worden waren. Viele waren entwurzelt worden und umgestürzt. Dachziegel lagen auf dem Rasen verstreut, vielmehr auf dem, was vom Gras noch übrig geblieben war. Hier hatte jemand eifrig gegraben. Wahrscheinlich sollte der Garten als Nächstes umgestaltet werden. In Gedanken versunken, trank Carenza den Kaffee und fuhr zusammen, als sie hörte, wie die Hintertür geöffnet wurde. Ihr Herz pochte heftig, während sie sich umwandte und Beck anlächelte. Er war völlig durchnässt, und das Haar klebte ihm am Kopf. Freundlich erwiderte er ihr Lächeln, sah ihr aber nicht in die Augen. „Tut mir Leid, dass ich nicht da war, als Sie aufgewacht sind", entschuldigte er sich. „Ich wollte nachsehe n, wie viel Schaden der Sturm angerichtet hat." „Das ist schon okay. Wie schlimm ist es denn?" „Sehr schlimm. Die ,Front', wie die Meteorologen es beschönigend bezeichnen, hat eine Schneise durch Südengland geschlagen, die fast zwei Kilometer breit ist." Er zog die Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl. „Alles, was dem Orkan im Weg stand, wurde zerstört. Glücklicherweise hat er keine größeren Städte getroffen. Das wahre Ausmaß der Schäden lässt sich wahrscheinlich erst innerhalb der nächsten Tage abschätzen. Es wird jedenfalls noch eine Weile dauern, bis es wieder Strom gibt. Haben Sie gut geschlafen?" „Ja, danke." Da Carenza immer sehr direkt war, sagte sie jetzt unverblümt: „Ich habe Helena noch nicht gesehen." Beck blickte beiseite, und in seinem Kinn zuckte ein Nerv. „Sie ist nicht hier." „Ach so." Anscheinend war das ein heikles Thema, das sie besser mied. Sie war entsetzt über sich, weil sie plötzlich hoffte, er könnte sich von Helena getrennt haben. „Wegen des Sturms verzögert sich jetzt bestimmt auch die Neugestaltung des Gartens, oder?", meinte sie. Als er nicht antwortete, sah sie ihn fragend an. „Ist der Rasen nicht deswegen umgegraben, weil Sie den Garten neu anlegen wollen?" „Nein", antwortete Beck schroff. „Entschuldigung, ich wollte nicht ne ugierig sein." Er stützte sich auf den Stuhl, über den er seine Jacke gehängt hatte, und sagte ruhig: „Ich möchte die beiden Bereiche getrennt halten." „Welche beiden Bereiche?", hakte Carenza verwirrt nach. „Mein Haus und das Konferenzzentrum." Beck ging zum Herd und schob den Kessel zurück aufs Feuer. Die Antwort verwirrte Carenza noch mehr. „Warum denn?" „Weil es einfacher ist." Nun wandte Beck sich ihr zu und lächelte erbittert. „Helena ist
verschwunden. Sie hat eines Tages das Haus verlassen und ist nicht mehr zurückgekommen." „Nicht mehr zurückgekommen?", wiederholte sie erstaunt. „Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?" Sie verzog das Gesicht. „Nein, weshalb sollten Sie das tun, es geht mich ja nichts an. Ich bin nur für das Zentrum zuständig, und das wollen Sie ja von Ihren privaten Angelegenheiten getrennt halten." Deshalb hat er mich nie zu sich eingeladen, dachte sie. „Ja."
„Und Helena ist verschwunden, ohne Ihnen zu sagen, wohin?" Obwohl es sie wirklich
nichts anging, war sie doch neugierig. „Ja." „Hatten Sie einen Streit?" „Nein", antwortete er, immer noch einsilbig. „Hat sie einen Liebhaber?" „Das weiß ich nicht." „Und wirklich niemand weiß, wo sie ist?" Carenza fand das unwahrscheinlich. „Richtig." „Und wie lange schon ... ich meine, wann ist Helena ...?" „Verschwunden?", ergänzte Beck die Frage. „Vor zwei Monaten. Sie hat nichts mitgenommen, weder ihren Pass noch ihre Sachen, kein Geld und nicht einmal ihr Auto." „Und?", hakte Carenza nach, als er verstummte, denn sie hatte das Gefühl, er hätte noch nicht alles gesagt. „Und die Leute von der Polizei haben das Grundstück umgegraben. " Kurz blickte sie aus dem Fenster, dann wieder zu Beck. Ihr war elend zu Mute. „Die Polizisten glauben, Sie hätten Helena getötet?", fragte sie schockiert. „Wahrscheinlich nicht, aber .ihr Vater beharrte darauf, dass sie nicht einfach so wortlos davonspaziert wäre. Und die Polizei muss alle Möglichkeiten überprüfen, stimmt's?" „Haben die Beamten das gesagt?" „Ja." Sie runzelte die Stirn und blickte wieder in den Garten. „Warum meinte Helenas Vater, sie wäre nicht aus eigenem Antrieb weggegangen?" „Weil er mich nicht mag und mich nicht für gut genug für seine Tochter hält. Er glaubt, ich sei grausam." „Das sind Sie nicht", widersprach Carenza, ohne zu zögern. Sie hätte ihr Leben darauf verwettet, dass er ein gutherziger Mensch war. Wieso aber wusste sie nichts von Helenas Verschwinden? Normalerweise tratschten die Leute doch und verbreiteten Gerüchte. „Glaubt jeder hier, dass Sie Helena umgebracht haben?" „Ich weiß es nicht. Solche Anschuldigungen kleben jedenfalls wie Pech an einem."
„Aber es gibt doch keine Beweise, oder?", fragte sie.
„Nein."
„Und solange sie nicht gefunden wird ..."
„Stehe ich unter Verdacht", beendete Beck den Satz.
„Das tut mir wirklich Leid für Sie", sagte Carenza ehrlich betroffen.
Er zuckte die Schultern, dann tat er Kaffeepulver in einen Becher und goss das
inzwischen heiß gewordene Wasser dazu. „Ich muss versuchen, Ihnen eine andere Unterkunft zu beschaffen, bis die Straßen wieder frei sind ", verkündete Beck plötzlich. .„Warum?" „Das habe ich Ihnen doch gerade erzählt: Helena ist nicht mehr im Haus." „Geht es Ihnen um meinen guten Ruf oder Ihren?", fragte sie leise. „Um Ihren, Carrie." „Ach, ich glaube, mein Ruf hält das aus. Was mir viel wichtiger ist: Hat sonst jemand hier in der Gegend einen Kohleherd?" Beck lächelte, aber seine Augen blickten ernst. „Nein. Sie können trotzdem nicht hier
bleiben." „Haben Sie Angst, ich könnte über Sie herfallen?", fragte sie rau. „Aber nein, Carenza." „Das würde ich allerdings gern ... Tut mir Leid", entschuldigte sie sich dann schnell und wurde rot. „Manchmal habe ich eine sehr große Klappe." „Passend zu Ihrer Größe?" „Ja." Dass sie groß war und eine üppige Figur hatte, war der Fluch ihres Lebens. Sie hatte sich immer danach gesehnt, klein und zierlich zu sein - so wie Helena, die überhaupt die personifizierte Vollkommenheit war: Sie besaß schulterlanges, leicht gewelltes blondes Haar, weit auseinander stehende blaue Augen und eine perfekte Nase. Ich hingegen habe die Figur einer barocken Statue, und mein Haar wellt sich überhaupt nicht, dachte Carenza. Es konnte keinen größeren Unterschied zwischen zwei Frauen geben. Seufzend betrachtete sie den ruinierten Garten. Sie hatte Helena nur einmal gesehen von einem Fenster des Konferenzzentrums aus - und beobachtet, wie sie sich bei Beck untergehakt und ihn angelächelt hatte. Diese Frau war sich ihrer Anziehungskraft bewusst - und wusste, dass sie geliebt wurde. Ja, der eine Blick hatte genügt, um ihr, Carenza, vor Augen zu führen, wie schlecht ihre Chancen standen. „Müssen Sie jemand benachrichtigen, wo Sie jetzt sind?", erkundigte Beck sich. Sie schüttelte den Kopf. „Das ist gut", meinte Beck trocken. „Ich habe nämlich kein Handy." „Und ich habe meines in der Wohnung liegen gelassen, weil ich nicht lang wegbleiben, sondern nur meine Notizen holen und gleich wieder nach Hause fahren wollte." „Ach so. Es müsste übrigens noch genug warmes Wasser da sein, falls Sie duschen möchten. Das Bad ist im ersten Stock gegenüber der Treppe." Er zögerte kurz und fügte dann hinzu: „Wie ich schon erwähnte, hat Helena ihre Sachen hier gelassen. Nehmen Sie sich davon, was Sie brauchen. Das Zimmer, in dem sie gewohnt hat, ist gleich neben dem Bad." „Danke für das Angebot. Etwas Sauberes zum Anziehen wäre wirklich angenehm." „Wie gesagt, bedienen Sie sich einfach. Ich mache inzwischen Frühstück." Carenza ging nach oben. Sie fühlte sich schäbig aussehend und kraftlos. Es würde sehr stressig werden, mit Beck hier allein zu bleiben, trotzdem wollte sie eigentlich nirgendwo sonst sein. Vor Helenas Tür blieb sie zögernd stehen und gestand sich ein, durchaus neugierig darauf zu sein, wie das Zimmer aussah. Beck schlief offensichtlich nicht hier. Vielleicht hatte er noch nie mit Helena geschlafen. Allerdings konnte Carenza sich auch nicht denken, dass er wie ein Mönch lebte. Nein, sie stellte ihn sich als einfühlsamen und einfallsreichen Liebhaber vor ... Genug jetzt! ermahnte sie sich streng. Es war nicht richtig von ihr, einen Mann zu begehren, der verlobt war. Auch nicht, wenn der sich zu ihr hingezogen fühlte. Als sie die Tür öffnete und ins Zimmer ging, kam Carenza sich wie ein Eindringling vor. Überrascht sah sie sich um. Alles war weiß: die Vorhänge, das Bettzeug, der Teppich und die Möbel. Der einzige Farbtupfer war eine reich verzierte, vermutlich sehr teure Lampe aus türkisfarbenem Glas. Carenza atmete tief durch und öffnete die Schranktür. Dahinter verbarg sich ein begehbarer Schrank, in dem die Sachen ordentlich in Plastik gehüllt an den Stangen hingen. Abendkleider, Tageskleider, elegante Röcke, bequeme Outfits - was man sich nur vorstellen konnte. Auf einem Regal standen die Schuhe aufgereiht, daneben die Handtaschen. In meinem Schrank sieht es immer so aus, als hätte die Armee gerade ein Manöver darin abgehalten, dachte Carenza selbstkritisch. Wenn sie bestimmte Schuhe suchte, musste sie alles vom Bodenbrett des Schranks räumen und dann wieder hineinstopfen. Schuhe, die sie niemals trug, solche, die ihr nicht mehr passten ... Beim Anblick dieser Ordnung wurde sie direkt verlegen und schwor sich, niemals jemand in ihren Schrank sehen zu
lassen. Am besten räumte sie ihn demnächst auf für den Fall, dass sie wie Helena plötzlich von der Bildfläche verschwand. Fordere das Schicksal nicht heraus, Carenza, sagte sie sich. Da ihr Helenas Sachen ohnehin nicht passten, beschloss sie, sich nur Unterwäsche auszuborgen, und zog die Kommodenschubladen auf. Beim Anblick der winzigen, mit Spitzen verzierten Slips lachte sie laut. Mit ihren üppigen Rundungen würde sie sich bestenfalls in einen der Tangas zwängen können. Sie nahm einen heraus, verließ das Zimmer und ging ins Bad. Dessen zugleich funktionelle und elegante Einrichtung gefiel L?!-. Waschbecken, Badewanne und Dusche waren aus einem weißen Granitblock modelliert und wirkten wie eine aus Eis gehauene Skulptur. Die Armaturen schimmerten golden, die Wand- und Bodenfliesen glänzten flaschengrün. Fast war es zu schade, das Bad zu benutzen. Lächelnd zog Carenza sich aus und stellte sich unter die Dusche. Da Helenas Kosmetiksachen nirgends zu sehen waren, benutzte sie Becks Duschgel und Shampoo. Ob die beiden Probleme in der Beziehung hatten? fragte sie sich nach dem Duschen, während sie sich das Haar so trocken wie möglich frottierte. Hatte Helenas Verschwinden Beck überrascht? Das durfte sie ihn allerdings nicht fragen, denn dafür kannte sie ihn nicht gut genug. Sie wusste nur, dass er ihr Herz schneller pochen ließ und ihr erotische Phantasien bescherte. Es war närrisch von ihr gewesen, sich in ihn zu verlieben, da er erstens verlobt war und zweitens einen ganz anderen Typ Frau, verkörpert durch Helena, offensichtlich bevorzugte. Rasch zog sie sich an, dann wusch sie ihren Slip und den BH aus und hängte sie auf den Handtuchhalter, wobei sie ironisch lächelte. Den Anblick so großer, wenn auch durchaus hübscher Dessous, war Beck in seinem Bad bestimmt nicht gewöhnt. Kopfschüttelnd verließ sie das Bad. Solche Gedanken waren doch belanglos. Der Duft von gebratenem Speck wehte ihr auf der Treppe entgegen und weckte ihren Appetit. Beck wandte sich Carenza zu, als sie in die Küche kam. „Sind Sie hungrig?" „O ja, sehr." „Es ist alles fertig. Schenken Sie schon mal den Tee ein, während ich die Teller herrichte?", bat er. Kurz darauf servierte er Speck, Würstchen, Spiegeleier und gebratene Tomaten, dazu Toastbrot. Beim Essen schwiegen Beck und Carenza, und danach blickten sie stumm in ihre Teetassen. Ihr fiel einfach kein unverfängliches Thema ein. „Ich kann nicht gut Konversation machen", entschuldigte er sich schließlich. Sie lächelte. „Ich auch nicht. Habe ich mich bei Ihnen schon für meine Rettung bedankt?" „Dafür brauchen Sie sich doch nicht zu bedanken." Wieder schwiegen sie eine Weile, dann fragte Carenza: „Wo ist eigentlich Ihr Hund Schrauber? Den habe ic h auch noch nicht gesehen." „Schrauber?", wiederholte er leise. „Der ist tot." „Oh! Das tut mir Leid. Werden Sie sich einen neuen Hund anschaffen?" „Nein." „Warum hieß er eigentlich Schrauber?", fragte sie interessiert. „Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name." „Er wurde als Welpe ausgesetzt, und als ich ihn fand, versuchte er gerade, eine Schraube von einem Stück Alteisen abzunagen. Allerdings konnte ich ihn ja nicht gut .Schraubenschlüssel' nennen. Der Name wäre viel zu lang gewesen." „Das leuchtet mir ein. " Beck wechselte das Thema. „Wie läuft es geschäftlich bei Ihnen?" „Ziemlich zufrieden stellend. Ich bin vor kurzem mit dem Einrichten einer umgebauten Scheune fertig geworden. Das war ein einträgliches Projekt. Außerdem habe ich in Croydon ein Geschäft eröffnet." Sie lächelte. „Genauer gesagt, ich habe ein kleines Büro in einem Tapeten- und Textilgeschäft gemietet", verbesserte sie sich. „Ich konnte den
Besitzer überzeugen, dass uns beiden das Vorteile bringt. Er schickt seine Kunden zur Beratung zu mir, dafür wähle ich die Materialien aus seinem Angebot." „Das klingt nach einem Erfolg versprechenden Arrangement", stimmte Beck zu. „Ja, es scheint tatsächlich zu klappen. Und Sie brauchen jetzt auch nicht mehr lange untätig herumzusitzen", fügte sie neckend hinzu. „In wenigen Wochen ist das Konferenzzentrum fertig, dann können Sie sich in die Arbeit stürzen." Beck lächelte ironisch. „Ich habe durchaus genug Arbeit. Das Restaurant geht sehr gut." „Das Restaurant?", wiederholte sie. „Warum so überrascht? Trauen Sie mir nicht zu, ein Lokal zu führen?" „Nein. Doch. Ach, ich weiß nicht", erwiderte Carenza stockend. „Ich hatte angenommen, Sie würden zur Zeit nur auf die Fertigstellung des Zentrums warten." „Wenn es fertig ist, werde ich dafür einen Manager anstellen. " „Ach so", sagte sie, weil ihr sonst nichts einfiel. Sie wusste wirklich wenig über Beck. Eigentlich hatte sie nur Vermutungen über ihn und seinen Lebensstil angestellt und sich aufregende Möglichkeiten erträumt. In Wirklichkeit ging sein Leben sie nichts an - und würde es niemals tun, weil er mit Helena verlobt war. „Und das Restaurant geht, wie Sie sagen, gut?", fragte sie schließlich, als sie merkte, wie lange das Schweigen schon gedauert hatte. „Natürlich", stimmte Beck zu. Es klang zynisch. „Seit Hele na verschwunden ist, sind wir ständig ausgebucht. Jeder will doch einen Blick auf ihren Mörder werfen." „Der Sie nicht sind." „Richtig, aber die Leute glauben eben, was sie glauben wollen. Das ist gut fürs Geschäft. Zur Zeit müssten Sie einen Tisch drei Monate im Voraus reservieren, Carrie." „Sie haben wirklich keine Ahnung, wo Helena sein könnte?" Er schüttelte den Kopf. Langsam ließ sie einen Finger über den Rand der Teetasse gleiten und fragte unüberlegt: „Sind Sie noch mit ihr verlobt? Ich meine, waren Sie es noch, bevor sie verschwand?" „Warum wollen Sie das wissen?" „Ach, nur so ... Ich versuche mir einen Grund vorzustellen, warum Helena verschwunden ist. Ich bin nicht neugierig ... Doch, das bin ich", verbesserte Carenza sich ehrlich, denn sie wollte unbedingt mehr über Helena und deren Beziehung zu Beck erfahren und außerdem wissen, warum er im November so niedergeschlagen gewirkt hatte. Am liebsten hätte sie die Welt für ihn wieder in Ordnung gebracht. Ach ja, wir Frauen glauben wirklich gern, wir seien die Einzigen, die einen Mann trösten können, dachte sie selbstkritisch. „Sie glauben aber nicht, dass sie tot ist, oder?", fügte sie schließlich hinzu. „Nein." „Warum nicht?" Er stand auf und stellte die Teller zusammen. „War Ihr Auto eigentlich versichert?" Sie nickte. „Und kommt die Versicherung auch für einen Mietwagen auf? Sie brauchen doch unbedingt ein Auto, um Ihrer Arbeit nachgehen zu können." „Das weiß ich nicht." „Na ja, falls Sie keinen Ersatzwagen bekommen, könnte ich Ihnen den Landrover leihen", bot Beck ihr an. Er leerte die Reste von den Tellern in den Mülleimer, spülte das Geschirr kurz ab und stellte es in die Spülmaschine. Dann lächelte er und nahm es wieder heraus. „Man gewöhnt sich so sehr an die Annehmlichkeiten des Lebens", meinte er. „An elektrischen Strom zum Beispiel." „Stimmt." Carenza hatte auch nicht daran gedacht, dass der Strom ausgefallen war. „Die leicht verderblichen Sachen habe ich übrigens aus dem Kühlschrank genommen und in die Garage gestellt, wo es kühler ist. Falls Sie also Milch brauchen, finden Sie sie dort."
Carenza nickte und stand auf, um das Geschirr abzutrocknen, das er zu spülen begonnen hatte. So nah neben ihm zu stehen, fand sie fast beklemmend. Damit er nichts merkte, fragte sie sachlich: „Brauchen Sie den Landrover nicht selbst?" Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht viel unterwegs." „Weil Sie hier sein möchten, falls Helena zurückkommt?" „Nein, weil es mir so besser gefällt. Falls ich doch einen fahrbaren Untersatz brauche, nehme ich Helenas Wagen." Nachd em Beck fertig gespült hatte, ging er zum Herd und öffnete den Backofen. Dann streifte er einen Topfhandschuh über, hob den Deckel von einer Kasserolle und rührte den Inhalt um. Carenza lächelte. Beck wirkte dabei überhaupt nicht wie ein Softie, sondern ausgesprochen maskulin. „Vermutlich können Sie erst in einigen Tagen wieder nach Hause", sagte er, während er sich umdrehte. „Das Unwetter hat ganze Waldstriche entwurzelt. Wahrscheinlich könnten Sie nicht einmal zu Fuß nach Horsham gelangen, um sich dort ein Auto zu mieten oder mit dem Zug nach Croydon zu fahren. Ich weiß gar nicht, ob Züge überhaupt verkehren. Falls Sie hier in der Zwischenzeit allein sein wollen, steht Ihnen das Gästezimmer zur Verfügung. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen." Das Zimmer, das direkt neben Helenas lag, gefiel Carenza. Die Wände waren hellblau gestrichen und mit einem violetten Fries verziert, dessen Farbe sich im Muster der Bettdecke und der Vorhänge wiederholte. Auf dem dunkelblauen Teppich standen Möbel aus hellem Massivholz. „Von hier aus können Sie das Restaurant sehen", sagte Beck und ging zum Fenster. Und von hier aus das Bett, dachte Carenza und rief sich sofort zur Ordnung. Nein, sie wollte keine Affäre mit einem verlobten Mann anfangen, nicht einmal, wenn er eine wollte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sich gegen seinen Willen zu ihr hingezogen fühlte. Offensichtlich konnte er sich eisern beherrschen, denn andernfalls hätte er nicht in einem Schlafzimmer mit ihr stehen und ruhig aus dem Fenster sehen können. Schließlich ging sie zu ihm, da ihr keine andere Wahl blieb, und stellte sich neben ihn. Das Blut strömte ihr schneller durch die Adern, als er sie unabsichtlich mit dem Arm streifte. „Ist es das Gebäude da drüben?", fügte Carenza schnell hinzu. „Ja, das hinter den Bäumen." „Sie haben es nicht weit zu Ihrem Arbeitsplatz." Erstaunlich, dass man sich ganz normal unterhalten kann, wenn brennendes Verlangen einen durchflutet, dachte sie. „Vermutlich gehen Sie jeden Tag hin?" „Nein, nur an den Wochenenden, von Freitag bis Sonntag. Und um Ihnen die Frage zu ersparen: Ja, ich bin der Koch." „Sie sind ein Mann mit vielen Talenten. Als Küchenchef hätte ich Sie mir allerdings nicht vorgestellt." Wenn sie nicht schnellstens das Zimmer verließ, würde sie ihn berühren. „Das Koche n habe ich mir selbst beigebracht." Beck klang angespannt. Sie wandte sich ihm zu und stellte fest, dass er sie eindringlich betrachtete. Seine Augen sind so grau wie Wolken, hinter denen sich die Sonne versteckt, dachte sie und hätte am liebsten die Finger über sein markantes Gesicht gleiten lassen und ihn geküsst... „Tun Sie's nicht", warnte er sie rau. „Nein." Mühsam wandte Carenza den Blick ab und blickte wieder durchs Fenster. „Ich dachte, Sie seien Archäologe und Spezialist für historische Schiffswracks", sagte sie ausdruckslos. Ihr Puls raste noch immer, doch dagegen konnte sie wirklich nichts tun. „Das bin ich außerdem." „Dann haben Sie ja viele Berufe. Was tun Sie sonst noch?" „Was immer Sie wollen. Nein, natürlich nicht alles", fügte Beck schnell hinzu und ballte die Hände zu Fäusten. Carenza versuchte angestrengt, ihr inneres Gleichgewicht zu bewahren. „Sie müssen ein fabelhafter Koch sein, wenn das Restaurant so gut geht", sagte sie rasch. „Die Leute
würden nicht wegen des Blicks auf einen potentiellen Mörder kommen, wenn das Essen lausig wäre. Gutes Essen ist wichtiger, als die Sensationslust zu befriedigen. Sie würden mir bestimmt nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, worauf ich Appetit habe." „O doch!" Ach, du liebe Güte, jetzt hatte sie unabsichtlich etwas noch Zweideutigeres gesagt als er. Starr blickte sie auf das Restaurant. „Zum Glück hat der Tornado hier nicht gewütet", sagte sie, entschlossen, ein völlig harmloses Thema anzuschneiden. „Welcher Tornado?", hakte Beck nach. „Der Orkan. Mir kam er vor wie ein Wirbelsturm: wie eine Horde brüllender und kreischender Dämonen, die mich in ihre höllischen Gefilde mitnehmen wollten." „Waren Sie etwa mittendrin im Orkan?" „Ja. Es war schrecklich." Sie erzählte ihm schnell die Einzelheiten ihres Erlebnisses und geriet dabei fast außer Atem. „Ich habe viel zu langsam reagiert", beendete sie den Bericht. „Das hat Ihnen das Leben gerettet", meinte Beck. „Wahrscheinlich haben Sie Recht." Es war Wahnsinn, so dicht neben ihm stehen zu bleiben. Sie tat es trotzdem. „Wissen Sie, ob jemand durch den Sturm umgekommen ist?" Er schüttelte den Kopf. „Nein. Douglas, der Dorfpolizist, hat nichts dergleichen erwähnt. Ich weiß nur, dass der Orkan eine breite Schneise durch den Forst geschlagen hat. Ich habe Douglas übrigens mitgeteilt, dass Sie hier sind." Sie nickte und erschauerte plötzlich. „Sie scheinen noch immer unter Schock zu stehen. Setzen Sie sich doch unten ans Feuer im Kamin." Ich zittere nicht, weil ich unter Schock stehe, sondern neben Ihnen, hätte sie ihm am liebsten erklärt. Aber das wusste er wahrscheinlich ohnehin. Wie er bestimmt auch ahnte, dass sie gegen die Gefühle für ihn ankämpfte. Und sie wusste, dass sie keine Chance bei ihm hatte, was ungeheuer wehtat. Ohne ein weiteres Wort gingen sie nach unten. „Jetzt gehe ich ein bisschen spazieren", verkündete Carenza. „Ich möchte mir das Restaurant ansehen. Und dann kann ich gleich meinen Skizzenblock aus dem Konferenzzentrum holen." „Ich kann Ihnen aber keinen Schirm leihen." „Das macht nichts. Regen tut mir nicht weh." „Nein, aber er macht sehr nass." Beck nahm einen Regenmantel aus einem Küchenschrank. „Nehmen Sie den." Widerstrebend griff sie danach und fragte zögernd: „Hat der Helena gehört?" „Ja. Sie hat ihn allerdings nur selten getragen." Carenza lächelte nichts sagend und zog ihn an. Die Ärmel waren ihr zu kurz, und im Rücken spannte er, aber er würde die schlimmste Nässe abhalten. Sie zog sich die Kapuze über den Kopf und ging nach draußen. Gefühle waren wirklich eine schlimme Sache. Sie überfielen einen plötzlich und brachten einen ganz durcheinander! Seufzend umging sie die entwurzelten Bäume und fühlte sich nach kurzer Zeit erschöpft. Mach dir keine falschen Hoffnungen, nur weil Beck und Helena getrennte Zimmer hatten, ermahnte sie sich. Viele Paare schliefen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht im selben Bett und waren trotzdem ineinander verliebt. Es bedeutete nicht, dass er Helena nicht schrecklich vermisste ... „Nicht da entlang, Miss!" Erschrocken wandte sie sich um und lächelte den jungen Polizisten an, der, wie aus dem Nichts aufgetaucht, plötzlich hinter ihr stand. „Die Leitungen liegen noch auf dem Boden", erklärte er. „Der Strom ist zwar abgeschaltet, aber es ist trotzdem Vorsicht geböten. Außerdem sind in der Richtung viele Bäume halb entwurzelt und könnten noch umstürzen. Wohin wollen Sie denn?"
„Nirgendwohin", antwortete Carenza. „Ich möchte mich nur umsehen. Mein Auto steht irgendwo da drüben. Es ist ein grauer Kombi", fügte sie hinzu. „Es war ein grauer Kombi", verbesserte sie sich, und dummerweise stiegen ihr Tränen in die Augen. „Tut mir Leid." Rasch putzte sie sich die Nase. „Der Verlust ist mir gerade erst richtig bewusst geworden. Ich liebte mein Auto." „Sie meinen den grauen Wagen, über dem ein riesiger Baum liegt?", fragte der Polizist erstaunt. „Ja." „Meine Güte!", rief er. „Sie haben großes Glück gehabt, da heil herauszukommen." „Ja, aber allein hätte ich es nicht geschafft. Mr. Beckford hat mich gerettet." Der Ausdruck des Polizisten änderte sich schlagartig. Weil Beck unter Mordverdacht steht? fragte Carenza sich. Ein anderer Grund fiel ihr nicht ein. Es sei denn, er hatte keine Konzession für das Restaurant oder die Steuern fürs Auto nicht bezahlt. „Ich wohne zur Zeit bei ihm", fügte sie trotzig hinzu. „Bis die Straßen wieder frei sind." „Sie sind Miss Dean, stimmt's?" „Ja." „Mr. Beckford hat mich gebeten, mich nach einer anderen Unterkunft für Sie umzusehen. Er ist..." „Ich weiß, was er ist", unterbrach Carenza den jungen Mann. „Und ich weiß, was Sie glauben, was er sei. Und da irren Sie sich! Ich gehe jetzt besser zurück. Wie lange wird es dauern, bis die Straße geräumt ist?" „Heute klappt es jedenfalls noch nicht. Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass Mr. Beckford ein Mörder ist", fügte er hinzu. „Er weiß aber so gut wie ich, dass es nicht ratsam für eine junge Dame ist, bei einem Mann zu wohnen, der von etlichen seiner Mitmenschen scheel angesehen wird." „Tut mir Leid, dass ich so schroff war", entschuldigte sie sich. „Ich arbeite für ihn und ..." „Sie möchten ihn in Schutz nehmen", beendete der Polizist verständnisvoll den Satz. „Ich sage ja nur, seien Sie vorsichtig." „Okay." Als sie sich umwandte und weiterging, war sie sich bewusst, dass der junge Mann ihr nachsah. Wenn ich Beck jedes Mal verteidige, sobald jemand auch nur etwas leicht Abfälliges über ihn sagt, wird bald jeder hier in der Gegend wissen, dass ich in ihn verliebt bin, dachte sie verzweifelt. Nein, das war sie nicht! Sie kannte ihn doch nur flüchtig. Man war nicht verliebt in einen flüchtigen Bekannten. Trotzdem war sie felsenfest davon überzeugt, dass er seine Verlobte nicht umgebracht hatte. Wieso eigentlich? Bist du neuerdings Hellseherin, Carenza? fragte sie sich ironisch. Wütend trat sie nach einem Ast, zog die Kapuze enger ums Gesicht und ging zum Restaurant. Der schmale Weg dorthin war mit allem möglichen Unrat bedeckt, den der Sturm hergeweht hatte. Vorsichtig stieg sie darüber hinweg und gelangte schließlich zu dem lang gestreckten Nebengebäude, in dem sich Becks Lokal befand. Es gefiel ihr auf Anhieb. Nur ein schlichtes Schild mit der Aufschrift „Die Scheune" hing neben der Tür, ansonsten gab es keinen Hinweis auf ein Restaurant, nicht einmal eine ausgehängte Speisekarte. Carenza ging zu einem der Fenster und blickte nach drinnen. So viel sie erkennen konnte, gab es dort keine geblümten Tischtücher oder üppig verzierte Lampen und Schnickschnack, sondern nur einfache, gut verarbeitete Tische und Stühle. Da es mehr nicht zu sehen gab, ging sie ums Gebäude und entdeckte dort Beck. Er stand, die Hände in die Jackentaschen geschoben, neben der Terrasse und blickte die Wand an. Die Buchstaben „MÖR" waren mit schwarzer Farbe auf die Mauer gesprüht, die Spraydose lag noch da. „Das ist gemein", sagte Carenza leise. „Mir fällt momentan nur ein Wort ein, das mit diesen Buchstaben anfängt."
„Mir auch." „Wer immer das geschrieben hat, ist wahrscheinlich vom Sturm vertrieben worden." „Das ist anzunehmen", stimmte Beck zu. „Sie scheinen weder besonders überrascht noch schockiert zu sein", bemerkte sie. „Nein, denn es passiert mit eintöniger Regelmäßigkeit." Er betrachtete sie kurz. „Sie sehen wie ein nasser Kobold aus, Car-rie." „Nein, wie ein nasser Troll", verbesserte sie ihn. „Für einen Kobold bin ich viel zu groß. Jetzt hole ich meine Notizen", verkündete sie und ging zum Konferenzzentrum weiter. Beck begleitete sie. Sonst kam sie immer von der Straße her, deshalb war sie noch nie in diesem Bereich des Grundstücks gewesen. „Hier geht es lang", sagte Beck, und Carenza folgte ihm einen schmalen Weg entlang, der schließlich zur Straße führte. Hundert Meter weiter vorne lag das Konferenzzentrum. Es war früher der zu einem Herrenhaus gehörige Witwensitz gewesen und wurde nun so umgebaut, dass man dort Tagungen und Seminare abhalten konnte. Drinnen schaute Carenza sich kritisch um und nickte zufrieden. Die Maurer hatten wie versprochen die Wände fertig verputzt. Sie ging in einen Raum zur Linken, um ihr Notizbuch zu holen. „Müssen Sie noch andere Räume kontrollieren?", fragte Beck. „Ja, das eine Bad oben und eins der Schlafzimmer im Anbau. Ihr Restaurant gefällt mir übrigens", sagte sie beiläufig und ging zur Treppe. „Hatten Sie gestern Abend eigentlich geöffnet?" „Nein, sonntags serviere ich nur Mittagessen. Übrigens, was wollte denn der Gesetzeshüter von Ihnen?" „Der junge Mann? Das war nur ein übereifriger Polizist", erwiderte Carenza ausweichend und ging nach oben. „Die Kücheneinrichtung wird nächste Woche geliefert." „Schön. Was hat der Polizist denn gemacht? Sie vom Grundstück zu vertreiben versucht?" „Nein." Carenza seufzte. „Na ja, jedenfalls nicht wirklich. Er meinte bloß, es sei nicht ratsam für mich, hier zu bleiben. Weil Sie in einer heiklen Lage und deshalb angreifbar seien." „Ach so." Ist es wirklich so schlimm? hätte sie ihn am liebsten gefragt. Sie blieb stehen und wandte sich Beck zu. Lange blickten sie einander stumm und ohne zu lächeln an, dann eilte sie weiter. „Was passiert, wenn man Helena niemals findet?", fragte Carenza schließlich. „Keine Ahnung. So weit denke ich nicht voraus. Ich hoffe nur, Ihr Ruf erleidet meinetwegen keinen Schaden", sagte er. „Gehen Sie mir deshalb immer aus dem Weg, wenn ich hier bin?", fragte sie und öffnete die Tür zum Gästezimmer. „Nur wegen meines guten Rufs?" Carenza war sich sicher, dass das nicht stimmte. „Ich bin überze ugt, Sie haben Helena nicht getötet", erklärte sie energisch, während sie das Zimmer durchquerte und ins Bad ging. „Woher nehmen Sie diese Sicherheit?" Beck folgte ihr. „Haben Sie nicht schon oft in der Zeitung gelesen, dass Mörder von ihren Nachbarn für die nettesten Menschen gehalten worden sind?" „Das ist etwas anderes. Sie sind kein Mörder", beharrte sie. „Richtig", stimmte er zu. „Auf die Gefahr hin, ich könnte mich doch als einer entpuppen, halten sich die Leute hier trotzdem von mir fern. Sie möchten nicht in Schwierigkeiten verwickelt werden." „Ihr Restaurant meiden sie aber nicht", meinte Carenza und betrachtete kritisch die Armaturen. „Es geht doch, wie Sie mir gesagt haben, besser denn je." „Das ist etwas anderes, da kommen sie auf ihre Kosten: Essen und Nervenkitzel. Wenn mir aber die Gäste auf der Straße begegnen, wechseln sie wie zufällig auf die andere
Seite und beachten mich nicht." „Ich beabsichtige nicht, Ihnen aus dem Weg zu gehen, Beck! Und wenn Sie jemals jemand brauchen, der Ihnen einen guten Charakter bescheinigt ..." Plötzlich schien die Atmosphäre vor Spannung zu knistern. „Was würden Sie in dem Fall sagen?", erkundigte Beck sich. „Dass Sie einige Wochen für mich gearbeitet haben, in denen wir uns allerdings nur selten begegnet sind? Und was haben Sie über Mr. Beckford bei diesen Begegnungen erfahren? würde der Staatsanwalt fragen. Ach, nicht viel, müsste die Antwort lauten: dass er Hunde mag und gern bei Regen spazieren geht." „Tun Sie das denn?", hakte Carenza nach. „Ach Carrie, was wissen Sie wirklich über mich?" „Dass Sie in mir schmerzliche Sehnsucht wecken", flüsterte sie. „Und mich zum Tagträumen bringen. Obwohl wir uns nicht oft treffen, halte ich immer nach Ihnen Ausschau, wenn ich hier bin. Wie ein Teenager hoffe ich, wenigstens von weitem einen Blick auf Sie zu erhaschen. Ich fühle mich magisch zu Ihnen hingezogen, und wenn ich noch länger so dicht vor Ihnen stehen bleibe, tue ich bestimmt etwas Dummes ... und küsse Sie." Rasch ging Beck beiseite, und sie flüchtete förmlich aus dem Bad. Da sie nicht aufpasste, wohin sie eilte, trat sie auf ein loses Brett und verlor das Gleichgewicht. Beck fing sie auf und hielt sie fest. „Danke", sagte sie leise. Da er sie nicht sofort losließ, wandte sie den Kopf und sah Beck an. Er wirkte bedrückt. Als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, hatte sein Blick warm gewirkt, mögliche Freundschaft versprochen und verraten, dass er sie attraktiv fand. Das hatte Carenza erregend gefunden, und sie hatte sich Hoffnungen gemacht. Nun war Beck auf der Hut. Verlangend und zugleich verzweifelt, sahen sie einander an, weil sie beide genau wussten, dass sie einander nicht näher kommen durften. Wegen Helena. „Es könnte nicht gut gehen", sagte Beck leise. „Das weiß ich." „Ich muss Helena finden, Carenza." „Ja." Plötzlich ließ er sie los. „Kommen Sie mit ins Haus zurück", sagte er. „Wenn ich Ihnen schon sonst nichts geben kann, kann ich Ihnen wenigstens einen Platz vor dem Kamin bieten." Ist ein bisschen Wärme tatsächlich alles, was er mir jemals bieten wird? überlegte sie betrübt.
3. KAPITEL Carenza blickte beiseite und sagte sachlich: „Ich muss noch etwas in einem der unteren Räume überprüfen. Ich treffe Sie dann draußen." Sie eilte hinunter und in den neuen Seitenflügel, der im rechten Winkel angebaut war. Ich bin eine Närrin, tadelte sie sich und ballte frustriert die Hände zu Fäusten. Sie hätte den Auftrag nicht annehmen dürfen - nicht nachdem sie von Becks Verlobung erfahren hatte. Inzwischen hatte Helena ihn verlassen, und damit war die Verlobung doch bestimmt gelöst. Vielleicht war Helena aber nicht freiwillig gegangen, sondern entführt worden - oder Schlimmeres. Jedenfalls fühlte er sich zu ihr, Carenza, hingezogen, und wie war das möglich, wenn er Helena noch liebte? Na ja, manche Männer waren unfähig, treu zu sein. Beck gehörte nicht dazu. Ihr Gefühl sagte ihr das. Und seit wann sind Gefühle verlässliche Ratgeber? fragte sie sich spöttisch. Nüchtern betrachtet wusste sie wirklich fast nichts über ihn. Trotzdem dachte sie unablässig an ihn, und wenn sie mit ihm zusammen war, sehnte sie sich unendlich danach, ihn zärtlich zu berühren. So wie jetzt hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt. Niedergeschlagen kontrollierte Carenza, ob die Lichtschalter in dem einen Raum richtig installiert worden waren, dann verließ sie das Gebäude. Beck wartete draußen auf sie. Schweigend und angespannt gingen sie zum Haus zurück. Noch immer regnete es heftig, und das trübe Wetter passte zu ihrer Stimmung. Vor der Hintertür stand ein Mann, ungefähr in Becks Alter, mit einer Tragetasche in der Hand. Sein blondes Haar war vom Regen völlig durchnässt, und dicke Tropfen liefen ihm übers Gesicht. Er sah Carenza neugierig an und lächelte breit. „Sind Sie auch ein Opfer des Sturms?", fragte er. „Ja, das kann man so sagen", erwiderte sie und rang sich ein Lächeln ab. „Mein Auto wurde von einem umstürzenden Baum getroffen." Der Unbekannte blickte sie nachdenklich an, und sie wusste, er überlegte jetzt, ob sie schon vor dem Orkan hier gewesen war. „Nachher", sagte sie, und er wurde rot. „Die Tür ist nicht abgeschlossen", sagte Beck. „Du hättest nicht auf der Schwelle warten müssen, um so nass zu werden." Er stieß die Tür auf. „Das ist übrigens Carenza Dean, die Innenarchitektin, die das Konferenzzentrum einrichtet. Und das ist mein Nachbar John", stellte er den Besucher beiläufig vor. „Der inständig hofft, dass du den Herd nicht hast ausgehen lassen und er ihn benutzen darf", fügte John hinzu. „Es ist kein Vergnügen, Essen für die Kinder auf einem Rechaud zu kochen." Beck lächelte, aber es schien ihm schwer zu fallen. Er öffnete den Backofen und holte die Kasserolle heraus. „Das hier wollte ich euch demnächst bringen." John sah überrascht aus. „Du hättest nicht für uns zu kochen brauchen", erwiderte er verlegen. „Möchtest du das Essen nicht?" „Doch, natürlich! Vorausgesetzt, du verlangst dafür nicht deine üblichen phantastischen Preise. Wissen Sie, wie viel ein Essen in seinem Restaurant kostet?", fragte er Carenza. Sie schüttelte den Kopf. John war offensichtlich befangen, weil er die zwischen ihr und Beck herrschende Spannung spürte. „Ein Vermögen!" Beck lächelte. „Was presst du da eigentlich so eifrig an deine Brust?", fragte er freundlich. „Es ist jedenfalls nicht Hele..." Zerknirscht verstummte John. „Tut mir Leid, das habe ich nicht so gemeint. Ich und meine verdammt große Klappe", sagte er dann, atmete tief durch und fügte hinzu: „Ich bringe dir die Thermoskannen zurück. Danke dafür. Außerdem sind in der Tasche Kartoffeln und Eier. Ich dachte, die könnte ich auf deinem Herd ..." Er wurde rot und sah Beck flehend an. „Entschuldige bitte! Die dumme
Bemerkung über Helena tut mir wirklich Leid." „Schon gut." Lächelnd schüttelte Beck den Kopf, nahm die beiden Kannen aus der Tasche und stellte stattdessen die Kasserolle hinein. „So, jetzt geh nach Hause, und versorge deine hungrige Familie." John nickte, lächelte Carenza flüchtig an und ging hinaus. „Er ist ein guter Freund", erklärte Beck, zog sich die Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl. Anschließend nahm er Carenza den Regenmantel ab. „Seine Frau Lisa arbeitete in meinem Restaurant." „Was war denn mit den Thermoskannen?", fragte sie neugierig. „Heute Morgen habe ich Tee und heiße Milch nach nebenan gebracht. Peter mag keine kalte Milch auf den Cornflakes." Warum klang er plötzlich so ve rlegen? Weil sie mitbekommen hatte, dass er seinem Nachbarn einen Freundschaftsdienst erwiesen hatte? „Ist Peter Johns Sohn?", hakte Carenza nach. „Ja." Beck hängte den Regenmantel in den Schrank. „Er ist drei Jahre alt und hat eine Zwillingsschwester name ns Jessica. Sind Sie auch hungrig, Carenza?" „Nichtsehr." „Dann mache ich uns Sandwiches, okay? Setzen Sie sich doch inzwischen ins Wohnzimmer an den Kamin." Wollte Beck sie aus dem Weg haben, weil er ihre Nähe nicht ertrug? Carenza fand es jedenfalls immer schwieriger, ihm nahe zu sein und ihre Gefühle unterdrücken zu müssen. Sie ging ins Wohnzimmer, kehrte aber gleich wieder um und kam in die Küche zurück, wo sie sich an den Tisch setzte. Kommentarlos stellte Beck den Wasserkessel auf den Herd neben einen großen Topf, aus dem es appetitlich duftete. „Ich muss das Fleisch aus der Tiefkühltruhe verarbeiten, damit es nicht verdirbt." Am liebsten hätte Carenza ihn berührt, wenigstens seinen Arm gestreichelt. Und sie hätte gern mehr über Beck gewusst - nicht nur, was er tat, sondern auch, was er dachte und empfand. Schweigend beobachtete sie ihn. Er wirkte ruhig und gefasst trotz der Schwierigkeiten, die er wegen Helenas rätselhaftem Verschwinden hatte, aber sie vermutete, dass diese Ruhe nur vorgetäuscht war. „Wo hat er eigentlich geschlafen?", fragte Carenza unvermittelt. Beck wandte sich ihr zu und sah sie verwirrt an. „Ich meine Schrauber", erklärte sie. „Tut mir Leid, ich habe die schlechte Angewohnheit zu sagen, was mir gerade durch den Kopf geht, ohne daran zu denken, dass andere meinen Gedankensprüngen nicht folgen können." Er lächelte. „Der Hund hat hier in der Küche geschlafen." Halblaut fügte er etwas hinzu. Es klang wie: „Wenigstens darauf habe ich bestanden." Sie war sich allerdings nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. „Sie sind doch keine Vegetarierin, oder?", fragte er dann und nahm Roastbeef aus dem Kühlschrank. Carenza schüttelte den Kopf. Nachdem sie die Brote gegessen und Tee getrunken hatten, schlug Carenza den Skizzenblock auf, um sich von Beck abzulenken. „Die Teppiche können nächste Woche verlegt werden", informierte sie ihn. Er drehte den Block zu sich und betrachtete die Skizze. „Sie haben einige Veränderungen vorgenommen", bemerkte er. „Ja, aber keine drastischen: Lediglich die Vorhänge werden anders drapiert, damit die Fenster besser zur Geltung zu kommen." Carenza stand auf und stellte sich hinter ihn. Sie war nahe daran, ihm die Hand auf die Schulter zu legen, überlegte es sich jedoch anders. Nein, sie durfte ihn nicht berühren! „Wenn Ihnen der neue Entwurf nicht gefällt, kann ich ihn wieder ändern." „Mir gefällt er gut." Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und versuchte, sich auf etwas anderes als
den Mann vor ihr zu konzentrieren. „Außerdem habe ich den Elektriker angewiesen, mehr Steckdosen im Konferenzraum anzubringen", berichtete sie. „Eine gute Idee!" „Die Farbe der Vorhänge sagt Ihnen auch noch zu?", fragte Carenza angespannt. „Ja, das Grün wirkt beruhigend. Als wir das Projekt in Angriff genommen haben, sagten Sie doch, wir sollten nichts wählen, was die Aufmerksamkeit auf sich zieht." Beck zieht meine Aufmerksamkeit ständig auf sich, und es wird immer schlimmer, dachte sie. Sie wollte sein Haar streicheln, das noch feucht vom Regen war, und bemerkte, wie wohlgeformt seine Ohren waren .... Plötzlich stand er rasch auf und hätte sie fast umgestoßen. „Ich muss weg", sagte er unvermittelt. „Schreibkram erledigen. Sie kommen hier doch allein zurecht, oder?" „Ja", stimmte Carenza rau zu. „Rühren Sie bitte ab und zu den Eintopf um." „Ist gut." Er nahm die Regenjacke vom Stuhl und ging hinaus. Carenzas Anspannung ließ trotzdem nicht nach. Zittrig setzte sie sich wieder an den Tisch und blickte starr auf die Skizze, wobei sie die Finger darüber gleiten ließ - so wie Beck es getan hatte. Er begehrt mich ebenso sehr wie ich ihn, dachte Carenza. Das durfte nicht so weitergehen! Ob er sich dafür verachtete, weil sie bei ihm Verlangen weckte? Wenn er Helena noch immer liebte ... Dass er etwas für sie, Carenza, empfand, dessen war sie sich so sicher, als hätte er es auf den Skizzenblock geschrieben. Sie war keineswegs eingebildet, aber ihr war durchaus bewusst, dass Männer sie erotisch und anziehend fanden ... Genug jetzt! ermahnte sie sich. Energisch nahm sie den Bleistift, der am Block befestigt war, und zeichnete mehr Details in die Skizze, aber sie war nicht wirklich bei der Sache. Schließlich warf sie angewidert den Stift beiseite und fuhr sich durchs Haar. Bisher hatte ihre Arbeit sie immer förmlich gefangen genommen. Sie konnte stundenlang zeichnen, ohne zu merken, wie die Zeit verging, aber jetzt dachte sie nur noch an Beck. Carenza stand auf, ging zum Herd und rührte den Eintopf um. Was soll ich bloß tun? fragte sie sich. Ihre Gefühle würden nicht einfach von allein vergehen, und noch nie hatte sie Ähnliches empfunden: Sie war zugleich verwirrt und von drängendem Verlangen erfüllt. Vielleicht war Beck ein Frauenheld und begehrte jede halbwegs attraktive Frau? Nein, das glaubte sie nicht. Oder bildete sie sich etwa zu viel auf ihre Reize ein? Was würde geschehen, wenn man Helena fand? Und was, wenn sie verschwunden blieb? Womöglich hatte Beck seine Verlobte in einem Wutanfall getötet ... Nein, das ganz bestimmt nicht. Warum aber hatte Helena ihn verlassen? In Gedanken versunken, rührte Carenza weiter den Eintopf um, obwohl das längst nicht mehr nötig war, und fuhr erschrocken hoch, als die Küchentür geöffnet wurde und John hereinkam. Carenza presste die Hand aufs Herz. „Sie haben mich fast zu Tode erschreckt." „Oh, das tut mir Leid! Ich wollte nur die leere Kasserolle zurückbringen." „Ach so." Sie riss sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab. „Beck ist im Restaurant. Das vermute ich jedenfalls. Er sagte etwas von Papierkram, den er zu erledigen habe. Wie hat Ihr Mittagessen geschmeckt, John?" „Phantastisch. Beck ist ein ausgezeichneter Koch ... was Sie ja wahrscheinlich wissen." „Nein, bisher weiß ich lediglich, wie er Frühstück zubereitet." Plötzlich wurde ihr bewusst, wie verfänglich das klang. „Nur heute Morgen ... Ansonsten haben wir nicht ... ich meine ...." „Sie brauchen mir nichts zu erklären", unterbrach John sie rasch. „Ich weiß doch, er würde niemals ... Ich meine, er liebt Helena. Er ist mein Freund, und ich möchte nicht, dass er noch mehr Schwierigkeiten und Kummer bekommt. Verdammt, das klingt, als
würde ich annehmen, dass Sie ihm Kummer bereiten werden", fügte er, über sich entsetzt, hinzu. „Bitte, vergessen Sie, was ich gerade gesagt habe." „Schon gut." Lächelnd nickte sie. „Wie lange kennen Sie Beck?" „Seit der Kinderzeit. Haben Sie sie jemals kennen gelernt?", fragte er unzusammenhängend. „Helena? Nein." „Sie war wunderschön ... Ist wunderschön", verbesserte er sich schnell. „Beck muss sich wirklich elend fühlen." „Das denke ich auch." „Jeder hier war von ihr begeistert." John schnitt ein Gesicht und schob die Hände in die Jackentaschen, als würde er mit ihnen nichts anzufangen wissen. Carenza fragte sich, ob er in Helena verliebt war. Manche Frauen konnten jedem Mann den Kopf verdrehen. Starr blickte John durch das regenüberströmte Fenster und sagte halblaut: „Ich habe vorhin zwangsläufig bemerkt, dass zwischen Ihnen und Beck eine gewisse ..." „Spannung herrschte", beendete Carenza den Satz. „Wir waren uns über einige Einzelheiten bezüglich des Zentrums nicht einig." Das war gelogen, aber eine innere Stimme warnte sie, mehr zu enthüllen. „Wie Sie wissen, hat er mich als Innenarchitektin engagiert." „Richtig. Sehen Sie, irgendwie möchte ich Beck ständig in Schutz nehmen und wittere überall Gefahr für ihn. Kein Wunder! Die Polizei hat sogar seinen gesamten Rasen umgegraben." „Das hat Beck mir erzählt." Ohne Carenza anzusehen, fügte John hinzu: „Er hat sie nicht umgebracht." „Ich weiß." „Und wenn Sie und ich das wissen, warum sind alle anderen in dieser Gegend bereit, das Schlimmste zu vermuten? Wieso glaubt man Helenas Vater eher als Beck?", fragte John aufgebracht. „Nur weil der alte Trottel fand, Beck wäre nicht gut genug für sie ... Dabei hätte sie keinen Besseren finden können. Ihr Vater behauptete, sie habe sich bei ihm beklagt, Beck sei brutal. Ich bitte Sie! Beck ist zu Grausamkeit gar nicht fähig. Und Helena hätte das nie gesagt. Er vergöttert sie förmlich. Sogar das Reisen hat er aufgegeben, um dauernd bei ihr sein zu können. Und er hat sein Haus verkauft." „Wie bitte?", hakte Carenza verwirrt nach. „Sein Haus im Lake District. Es war zu einsam gelegen." „Und dieses hier ist das nicht?", fragte sie ungläubig. „Verglichen mit dem anderen nicht. Dieses Haus hat früher Becks Eltern gehört. Und wenn ich den Mistkerl erwische, der die Wände beschmiert, dann ..." fügte John unvermittelt hinzu und verstummte dann. Offensichtlich hatte er gemerkt, dass er ihr, einer Fremden, gegenüber viel zu offenherzig war. Gereizt zog er die Schultern hoch. „Beck wehrt sich ja nicht einmal", meinte er dann bekümmert und seufzte. „Er wirkt, als wäre er gar nicht richtig da. Immer ist er ruhig und höflich, und so war er früher nicht. Er konnte ganz schön streitsüchtig und stur sein." „Und was noch?", wollte sie wissen. „Bestimmt war er nicht dauernd auf Streit aus, oder?" „Natürlich nicht. Er ist zäh und setzt sich zugleich ruhig und energisch durch, ist tatkräftig, rücksichtsvoll und unerschrocken", zählte John auf. „Menschen wie ihn trifft man nicht oft. Er ist völlig integer und kompromisslos ehrlich - ein Mann, dessen Beistand man sich in einer Krise ersehnt. Und der nicht ständig quasselt wie ich", fügte er selbstkritisch hinzu. „Jetzt gehe ich besser wieder nach Hause. Ich habe Lisa versprochen, nicht zu lang wegzubleiben." „Soll ich die Thermoskannen auffüllen?", bot Carenza an. „O ja, das wäre prima. Danke." Während sie den Wasserkessel aufsetzte und die Kannen ausspülte, setzte John sich an
den Tisch und blätterte den Skizzenblock durch. „Sind das Entwürfe für das Konferenzzentrum?", erkundigte er sich. „Ja " „Die gefallen mir. Ich kann nicht einmal eine gerade Linie zeichnen. Und ohne Beck ..." Carenza wartete, dass er weitersprach, und fragte sich, warum John ein so dringendes Bedürfnis zu reden verspürte. „Er hat mir einen Job gegeben, als niemand sonst mich einstellen wollte. Ich war nämlich Alkoholiker", erklärte er sachlich. Es war eine einfache Feststellung, die weder trotzig noch beschämt klang. „Lisa hatte gedroht, mich zu verlassen, was man ja verstehen kann. Selbstmitleid ist tödlich, vor allem, wenn man es in Alkohol ertränkt", sagte er halblaut. „Wir verloren unser Haus, und als Beck davon hörte, kam er zu mir und sagte, wenn ich das Trinken aufgeben würde, hätte er einen Job für mich und würde uns im alten Pförtnerhaus wohnen lassen. Ich sollte es renovieren und mich auf dem Grundstück nützlich machen, bis ich etwas Besseres finden würde." John lächelte stolz. „Das habe ich mittlerweile. Ich repariere landwirtschaftliche Maschinen. Die vergangenen Wochen habe ich in Kanada verbracht." „Gibt es dort keine Mechaniker?", fragte Carenza und lächelte. „Doch, natürlich, aber ich bin von einer englischen Firma, die einen neuen Mähdrescher entwickelt hat, rübergeschickt worden, um das Gerät zu etablieren und mögliche Probleme zu beheben. Deshalb habe ich Sie ja bisher nicht kennen gelernt." „Vermutlich wären wir uns auch nicht begegnet, wenn Sie hier gewesen wären, John, da ich für Beck lediglich arbeite und keinen privaten Kontakt zu ihm habe. Wenn mich der Sturm nicht sozusagen in sein Haus verschlagen hätte ..." „Ich weiß", unterbrach John sie. „Und ich weiß, Helena wird zurückkommen." „Und dann gerät alles wieder ins Lot?", fragte sie ruhig. „Ja!" Demnach bin ich die größte Närrin aller Zeiten, mir Hoffnungen auf Beck zu machen, tadelte Carenza sich, während sie die Kannen füllte und zuschraubte. John nahm sie ihr ab und sagte unvermittelt: „Ich schulde Beck unendlich viel. Für ihn würde ich alles tun. Für ihn und Helena." „Ja, das kann ich mir vorstellen", erwiderte Carenza freundlich. Er verabschiedete sich von ihr und ging nach Hause. Nachdenklich sah sie ihm durchs Fenster nach. Er hatte ihr indirekt, aber unmissverständlich zu verstehen gegeben, sie solle die Finger von Beck lassen. Das hätte John sich sparen können, denn sie sagte es sich ohnehin ständig, seit sie Beck zum ersten Mal getroffen hatte. Er kam jetzt, einen großen Karton tragend, aufs Haus zu. War Beck wirklich so, wie John ihn beschrieben hatte: ein perfekter Mann? O nein, so sah sie Beck nicht! Er kam herein und stellte den Karton ab. „Habe ich gerade John weggehen gesehen?", erkundigte er sich und zog die Regenjacke aus. „Ja. Er hat die Kasserolle zurückgebracht. Außerdem hat er behauptet, Sie hätten Helena vergöttert", fügte Carenza unüberlegt hinzu. Beck gab dazu keinen Kommentar ab, sondern hängte die Jacke über einen Stuhl und ging dann zum Herd, um den Kessel aufzusetzen und den Eintopf zu probieren. „Wie ist seine Frau Lisa eigentlich?", fragte Carenza beiläufig „Sehr nett. Was hat John Ihnen noch erzählt?" „Ach, nicht viel", antwortete sie ausweichend. „Carrie, Sie können nicht heucheln", sagte Beck sanft. „Er macht kein Geheimnis daraus, dass er Helena verehrt hat, und meint, mir etwas zu schulden." „Na gut, er hat mir gesagt, Sie hätten das Reisen aufgegeben. Warum haben Sie das getan?" „Das ist eine zu lange Geschichte", erwiderte er abweisend. „Möchten Sie Kaffee?" „Ja, gern." Wenigstens hat er nicht gesagt, er hätte es - wie John behauptet - Helena
zuliebe getan, dachte Carenza. Beck spülte zuerst die Becher, dann holte er Kerzen aus dem Wandschrank und reichte sie ihr zusammen mit einer Schachtel Streichhölzer. „Es wird bald dunkel", erklärte er. „Suchen Sie doch bitte Untertassen, und befestigen Sie die Kerzen darauf, ja?" Sie fand einige kleine Schalen und sogar einen Leuchter, und nachdem sie die Kerzen befestigt hatte, verteilte sie sie im Raum und zündete sie an. Nun erfüllte sanftes Licht die Küche. „Was möchten Sie zum Abendessen?", fragte Beck. „Was haben Sie denn zu bieten? Eintopf, Eintopf oder Eintopf?", erkundigte Carenza sich scherzhaft. Beck rang sich ein Lächeln ab. „Sie haben die Wahl zwischen Eintopf oder Hähnchen." „Hähnchen, bitte." Sie setzte sich an den Tisch und beobachtete, wie Beck das Hähnchen aus dem Kühlschrank nahm und mit einem scharfen Messer geschickt zu zerkleinern begann. Damit konnte man bestimmt jemand umbringen. Nein, so etwas durfte sie nicht denken! „Sie sollten lieber die nassen Jeans ausziehen", sagte sie halblaut. O nein, ich klinge ja schon wie meine Mutter, dachte sie dann. „Die wird auch so trocken", meinte er. Das schon, aber bis dahin schmiegten sie sich hauteng an seine muskulösen Schenkel, und dieser Anblick erregte Carenza. „Haben Sie Helena tatsächlich vergöttert?", fragte sie unvermittelt. Beck seufzte. „Lassen Sie das Thema ruhen, Carrie", bat er ausdruckslos. Als das Wasser kochte, machte er Kaffee und brachte ihr einen Becher voll, dann widmete er sich wieder dem Kochen. Plötzlich klopfte es. Beck legte das Messer hin, ging zur Tür und öffnete. Draußen stand der junge Polizist und machte ein verlegenes Gesicht. „Hallo, Beck, tut mir Leid, Sie zu stören, aber ..." „Kommen Sie doch herein", lud Beck ihn ein und schien über die Störung erfreut zu sein. Der junge Mann nahm die Mütze ab und kam in die Küche. Er lächelte Carenza flüchtig an und begann dann stockend: „Es hat sich herumgesprochen, und jetzt sind wir schon dreißig. Die Leute reden nun mal, und bevor man sich versieht..." „Hat man dreißig von ihnen beisammen", beendete Beck gelassen den Satz. „Genau." Der Polizist blickte auf seine tropfende Mütze, dann auf den Boden, auf dem sich eine kleine Pfütze bildete. „Ich kann denen aber nicht sagen, sie sollen nicht kommen, denn ich kenne sie nicht alle. Jemand ..." „Hat es jemand anders gesagt, und der wieder jemand anders", meinte Beck humorvoll. „Ja", stimmte der Polizist dankbar zu. „Wie es scheint, will jeder aus der näheren Umgebung hierher kommen. Das ist verdammt gefährlich, weil so viele Bäume noch umstürzen könnten." „Ja, aber das Risiko nehmen die Leute gern auf sich, um nachher erzählen zu können, sie hätten mit einem Mörder zu Abend gegessen", erklärte Beck. „Nein!", widersprach der junge Mann, dann seufzte er. „Doch, Sie haben wahrscheinlich Recht. Dass sie Ihretwegen neugierig sind, war doch zu erwarten." „Außerdem können sie sich umsonst von meinen Kochkünsten überzeugen, was sie andernfalls viel Geld kosten würde." Beck lachte. „Na ja, Neugier, Sensationslust und Profitdenken liegen eben in der Natur des Menschen. Damit kann ich mich abfinden. Möchten Sie auch Kaffee, Douglas? Sie sehen aus, als könnten Sie welchen vertragen. Übrigens, wie kommen denn die Räumungsarbeiten voran?" „Langsam. Das Gebiet hier ist auch nicht so wichtig. Um uns kümmert man sich erst, wenn Autobahnen und Hauptstraßen wieder frei sind. Es herrscht wirklich ein höllisches Durcheinander!" Douglas schüttelte den Kopf. „Es ist noch nicht mal klar, wann es wieder Strom und Telefon geben wird."
„Ich komme auch ohne das gut aus. Milch? Zucker?" „Beides bitte." Nachdem Beck dem junge n Polizisten einen Becher Kaffee gebracht hatte, kümmerte er sich weiter um das Essen. „Sie haben mir gar nicht gesagt, dass Sie die gesamte Nachbarschaft verköstigen wollen", sagte Carenza und fügte schnell hinzu: „Entschuldigung, ich klinge wie eine nörgelnde Ehefrau, dabei haben Sie genug Probleme mit Ihrer verschwundenen Verlob..." Entsetzt über ihre Taktlosigkeit, verstummte sie mitten im Satz. „Sie klingen nicht wie eine Ehefrau", beruhigte Beck sie. „Ich habe übrigens meine Nachbarn, die ja wegen des Stromausfalls nicht kochen können, lediglich deswegen eingeladen, damit die Vorräte aus der Tiefkühltruhe sinnvoll genutzt werden. Die würden sonst ja nur verderben." „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?", fragte Carenza kleinlaut. „Im Moment nicht." Beck hatte das Hähnchen völlig zerlegt und nahm nun Gemüse aus dem Kühlschrank, das er in Streifen schnitt. Schweigend trank der Polizist den Kaffee aus. „Vielen Dank", sagte er dann. „Leider habe ich noch keine andere Unterkunft für Miss Dean finden können. Ich versuche es weiter. Und Sie könnten ja die Leute fragen, die nachher zum Essen kommen", schlug er schüchtern vor. „Das werde ich tun. Danke für die Mühe, die Sie sich bisher gemacht haben, Douglas." „Nichts zu danken. Bis später, Beck." Leise verließ der Polizist die Küche und schloss die Tür. Plötzlich fiel Carenza etwas auf, das ihr bisher entgangen war. „Der Polizist! Wenn er hierher gelangt ist, dann müsste ich doch ...." „Nein, Sie sitzen hier noch immer fest", unterbrach Beck sie. „Douglas stammt aus dem Dorf. Er kann auch nicht weg. Die Informationen über die derzeitige Lage bekommt er über Funk." „Ach so." Sie schwieg eine Zeit lang und fragte dann: „Soll ich schon mal Teller bereitstellen?" „Ja, bitte." Beck wies mit dem Kopf auf den Karton. „Sie finden alles Nötige da drinnen." Carenza holte fünf lange Baguettes aus dem Karton, eine Torte in einem Plastikbehälter, Sahne, Besteck und Geschirr. „Es sind nur fünfundzwanzig Teller", bemerkte sie. „Im Schrank sind noch welche. Besteck finden Sie in der Schublade." „Brauchen wir Dessertteller für die Torte?", erkundigte sie sich zaghaft. „Ja." Beck hielt plötzlich mit dem Gemüseschneiden inne und wandte sich ihr zu. „Sie klingen ja wie ein verängstigtes Kind. Hören Sie auf damit, Carrie. Lassen Sie sich nicht von allem, was ich sage, so ..." „Bekümmern?", beendete sie den Satz. „Es macht mich aber nun mal betroffen. Allerdings habe ich keine Angst vor Ihnen. Ich schäme mich nur, weil ich so etwas Dummes gesagt habe, noch dazu in Anwesenheit des Polizisten." „Wenn jeder erst genau überlegen würde, bevor er etwas sagt, würde es keine Gespräche mehr geben", meinte Beck. „Und bitte lassen Sie mich meine Probleme allein lösen, Carrie! Sie brauchen nicht an meiner Seite zu kämpfen - und mir schon gar nicht den Kampf abzunehmen." „Und wenn Helena nicht tot ist, dann drehe ich ihr den Hals um, sobald sie gefunden wird", flüsterte sie vor sich hin. „Was haben Sie gesagt?", erkundigte Beck sich. „Ach, nichts Wichtiges. Ich habe mich nur gefragt, wie die Leute so unverfroren sein können, zu Ihnen zum Essen zu kommen, obwohl sie so schlecht über Sie denken." „Obwohl sie mich für einen potentiellen Mörder halten, meinen Sie. Hören Sie doch bitte auf, mich ständig wie ein rohes Ei zu behandeln. Das macht es nicht leichter." Was macht es nicht leichter? hätte sie am liebsten gefragt, hielt sich aber zurück.
Womöglich würde er ja antworten, dass er ihre Anwesenheit schon schwer genug ertrage - und das wollte sie auf keinen Fall hören. „Ich stelle also dreißig Teller bereit, okay?", fragte Carenza sachlich. „Ja, bitte." Beck nahm eine große Pfanne aus dem Schrank, setzte sie auf den Herd und goss etwas Olivenöl hinein. „Um halb sieben können Sie dann das Brot schneiden und in den Brotkorb tun." „Aye, aye, Skipper!" Carenza salutierte scherzhaft und stellte die Teller auf den Tisch. „John sagte, dieses Haus habe früher Ihren Eltern gehört." „Ja, sie haben es vor drei Jahren gekauft und bis zu ihrem Tod hier gelebt. Mein Vater hat es mir vererbt. Rücken Sie den Tisch weiter vor, und stellen Sie die Stühle anders hin, dann haben wir mehr Platz." Sie nickte und tat, was er ihr aufgetragen hatte. „Haben Sie das Restaurant eröffnet, um einer Beschäftigung nachgehen zu können, nachdem Sie das Reisen aufgegeben hatten?", fragte sie weiter. „Ja. Das Restaurant gab es allerdings schon. Es musste nur neu eingerichtet werden, weil es eine Weile außer Betrieb gewesen war. Mein Vater hatte es eigentlich führen wollen, aber ..." Er blickte auf die Uhr, dann legte er die Hähnchenteile und das geschnittene Gemüse in die Pfanne. Danach brachte er das Gespräch auf weniger persönliche Themen, bis die ersten Gäste eintrafen. Zuerst waren diese befangen und unterhielten sich nur gedämpft, als sich aber immer mehr Leute einfanden, wurde die Stimmung fröhlicher. Beck füllte die Teller, und Carenza reichte sie weiter. Dann setzte sie sich an den Tisch und aß das ausgezeichnete Hähnchen mit Gemüse. Dabei beobachtete sie die Anwesenden, die ihrerseits den Gastgeber verstohlen betrachteten. Neugierig waren sie bestimmt, aber bei den Frauen bemerkte sie vor allem Interesse an Beck, der ja wirklich ein umwerfend attraktiver Mann war und außerdem ein ziemlich abenteuerliches Leben geführt hatte. Er faszinierte die Frauen nun mal, wie Carenza aus persönlicher Erfahr ung bestätigen konnte. „Sie sehen sehr nachdenklich aus", bemerkte eine ältere Frau neben ihr. Carenza war tatsächlich dermaßen in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie die anderen fast vergessen hatte. Nun fuhr sie zusammen und lächelte flüchtig. „Ja, ich habe versucht, unseren Gastgeber auszuloten und festzustellen, was ihn so einzigartig macht." „Er wirkt unbesiegbar", erwiderte ihre Tischnachbarin, ohne zu zögern. „Als könnte nichts und niemand ihn unterkriegen." „Ja", stimmte Carenza nachdenklich zu. Beck war wirklich ein energischer, entschlossener Mann, der bei Problemen all seine Kräfte und Fähigkeiten mobilisierte. „Ich bin übrigens Carenza Dean, von Beruf Innenarchitektin, und kümmere mich derzeit um die Einrichtung des Konferenzzentrums." „Und Sie wohnen hier im Haus?", fragte die ältere Frau viel sagend. „Nur bis die Straßen wieder frei sind." Das klang schroff. „Ich wollte Sie nicht kränken, Miss Dean. Wissen Sie, ich bin nur aus Neugier hergekommen und hatte erwartet, Mr. Beckford grässlich zu finden. Männer, die so viel geleistet haben wie er, sind das oft." „Sie kannten ihn demnach noch nicht?", hakte Carenza nach. „Nein, ich hatte lediglich im Lokalblatt über ihn gelesen und so einiges über ihn gehört. Eigenartig, dass er einen der Polizisten eingeladen hat, die ihn des Mordes verdächtigen. Ich hätte das nicht getan. Mein Name ist, nebenbei bemerkt, Beatie. Und das da ist meine Tochter", fügte sie hinzu und wies mit dem Kopf zu der Gruppe neben der Tür. „Die hochnäsige, unechte Blondine." Carrie verschluckte sich beinah. „Das klingt ja, als würden Sie Ihre Tochter nicht mögen." „Tue ich auch nicht. Sie ist wütend, weil ich unbedingt mitkommen wollte. Das verdirbt ihr den großen Auftritt." Beatie lachte spöttisch. „Sie glaubt, sie hätte Stil. Lachhaft! Sie
haben welchen, Miss Dean." „Oh, danke." „Keine Ursache. Ich nehme nun mal kein Blatt vor den Mund. Sie sehen ein bisschen geheimnisvoll aus, was immer ein Vorteil ist. Sie mögen Mr. Beckford, stimmt's?" „Ja", antwortete Carenza zurückhaltend. „Ja, man ist am besten immer aufrichtig. So wie ich. Ich gebe zu, ich bin aus Neugier hergekommen und um Mr. Beckfords Kochkünste zu testen. Nicht viele von uns können sich die enormen Preise in seinem Restaurant leisten. Nicht dass ich ihm einen Vorwurf mache. Ich würde dasselbe verlangen, wenn ich die Chance hätte - und so gut kochen könnte." Beatie aß den letzten Bissen und fragte dann sehnsüchtig: „Ich vermute, es gibt keinen Kaffee, oder?" Lächelnd stand Carenza auf. „Ich gehe mal fragen." Sie drängte sich zwischen den Leuten hindurch bis zu Beck und berührte seinen Arm. Ein seltsames Prickeln überlief sie plötzlich. „Beatie möchte wissen, ob es Kaffee gibt." „Und wer ist Beatie?" Sie wies auf die ältere Frau. „Sie findet übrigens, wie ich auch, dass Sie unbesiegbar wirken." „Hoffentlich behält sie Recht." Beck machte tatsächlich Kaffee, den sie nacheinander tranken, da es nur zwölf Tassen im Haus gab und er keine vom Restaurant mitgebracht hatte. Eine halbe Stunde später gingen die Gäste. Sie sind nur widerstrebend gegangen, nachdem Beck sie höflich hinauskomplimentiert hat, dachte Carenza lächelnd. „Warum lächeln Sie?", fragte er. „Weil Sie die Gäste so meisterlich losgeworden sind. Ich wäre wahrscheinlich grob geworden." „Ich habe ihnen doch nur gesagt, es sei Zeit, nach Hause zu gehen", erwiderte Beck. „Ja, und alle sind der Aufforderung brav gefolgt. Ich glaube, Sie erwarten einfach, dass man Ihnen gehorcht, stimmt's?" „Finden Sie?" „Ja", bestätigte sie energisch. „Sie hatten übrigens Recht, Beck, dass ich besser nicht bei Ihnen wohnen sollte. Ich finde es sehr schwierig, meine Gefühle zu unterdrücken." „Versuchen Sie es", erwiderte er rau und füllte erneut den Kessel, um heißes Wasser fürs Spülen zu machen. Sie versuchte es ja, aber es funktionierte nicht. „Haben Sie sich erkundigt, ob jemand mich unterbringen kann?" „Nein." Und da es schon ziemlich spät ist, werde ich heute wohl noch bleiben, dachte Carenza. „Haben Sie damals gesehen, wie Helena das Haus verlassen hat?", fragte sie. „Nein." „Sie kamen nach Hause, und sie war verschwunden?", wollte sie wissen. „Richtig, aber darüber sollten wir uns nicht unterhalten", sagte Beck ausdruckslos. Seine Stimme klang immer noch heiser. Er stapelte das Geschirr ins Becken und begann es zu spülen. Schweigend stellte Carenza sich neben ihn und trocknete die Teller ab. „Ich habe noch nie Ähnliches wie jetzt empfunden", sagte sie endlich. „Bitte reden Sie nicht darüber! Ich bin nicht frei, Carrie", erwiderte er. „Helena hat Sie verlassen ..." begann sie, verstummte dann aber und rieb konzentriert einen Teller trocken. Im Fenster sah sie ihr und Becks Spiegelbild Seite an Seite - und doch waren sie unendlich weit voneinander entfernt. „Ich fühle mich, als würde ich mit einem rostigen Messer zerstückelt", flüsterte Carenza schließlich. „Ich möchte Sie brennend gern küssen und kann an nichts anderes mehr denken." Schwer atmend warf sie das Geschirrtuch beiseite. „Ich gehe nach draußen." „Seien Sie nicht albern", sagte Beck schroff. „Es ist stockfinster. Glauben Sie, es würde
mir helfen, wenn hier noch eine Frau unter mysteriösen Umständen spurlos verschwindet?", fügte er hinzu. Das war ein überzeugendes Argument! Da es ihr schwer fiel, auf einem Fleck zu verharren, ging Carenza in der Küche hin und her und fühlte sich wie ein Tier im Käfig. „Wissen Sie, was ich hasse?", fragte sie unvermittelt. „Leute, die immer vernünftig sind." Heftig schob sie die Stühle unter den Tisch. Dann lief sie aus der Küche, die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, wo sie die Tür heftig zuschlug. Immer noch rastlos und erregt, ging Carenza wieder hin und her. Vielleicht würde ihr Verlangen verschwinden, wenn sie Beck küsste? Womöglich fühlten sich seine Lippen obwohl sie fest aussahen - schlaff und feucht an? Möglicherweise küsste er abstoßend schlecht... Sie riss die Tür auf und eilte in die Küche zurück. Beck stand noch am Spülbecken, die Hände im Seifenwasser, und sein Ausdruck wirkte so gequält, dass Carenza unvermittelt stehen blieb. „Ich brauche dich", rief sie mit unbeherrschter Stimme. „Mein ganzes Leben lang habe ich auf einen Mann wie dich gewartet." Er schloss kurz die Augen. „Es kann nicht falsch sein. Helena ist nicht mehr da." Am ganzen Körper bebend, ging sie zu Beck und legte ihm die Hände auf die Schultern. Schaum bedeckte seine nackten Unterarme und, ohne zu überlegen, ließ sie die Finger darüber gleiten. Es fühlte sich unglaublich erotisch an. Bewegungslos beobachtete Beck, was sie tat, dann wandte er sich Carenza zu. Sein Mund war nur noch Zentimeter von ihrem entfernt, und seine Augen glitzerten im flackernden Kerzenlicht. Sie öffnete erwartungsvoll die Lippen, denn sie konnte nicht anders. Dann küsste er sie - und sie gab alle Zurückhaltung auf.
4. KAPITEL Carenza umarmte Beck und schloss die Augen. Der Kuss ließ sie alles vergessen, was ihr jemals etwas bedeutet hatte. Ihr war zu Mute, als würde sie mit Beck verschmelzen, körperlich und seelisch. Noch nie hatte sie Ähnliches empfunden, und es war zugleich beglückend und erschreckend. Endlich legte auch er die Arme um sie, und sie fühlte seine Hände auf dem Rücken, den Druck seiner muskulösen Schenkel an ihren und spürte, dass Beck sie begehrte. Sie erschauerte vor Verlangen. „Mir ist, als wäre ich endlich nach Hause gekommen", flüsterte sie an seinen Lippen. Er hielt plötzlich still, dann löste er sich von ihr und seufzte tief. „Ich darf das nicht tun", sagte er rau. „Warum nicht?" „Versteh doch, Carrie: Solange Helena nicht gefunden wird, fühle ich mich verantwortlich ..." „Wie soll ich dich verstehen, wenn du mir überhaupt nichts erklärst?", unterbrach sie ihn und sah ihn flehend an. „Sprich mit mir darüber. Erzähl mir, was geschehen ist." „Das kann ich nicht, jedenfalls nicht, bevor ich mit ihr gesprochen habe." „Wenn sie noch lebt." „Richtig", stimmte er zu. „Und du glaubst daran, oder?" „Ja." „Warum meldet sie sich dann nicht? Ist sie entführt worden? Leidet sie an Gedächtnisschwund?" Carenza fasste ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. „Rede mit mir, Beck!" „Das kann ich nicht", wiederholte er. Frustriert und wütend zugleich, wandte sie sich ab. „Na gut. Und was würde passieren, wenn Helena jetzt hereinkommen würde?" „Wir würden alles besprechen." „Und dann?", fragte Carenza schroff. „Das würde davon abhängen, was Helena sagt." Sie nahm einen Teller vom Küchenbüfett und warf ihn auf den Boden. „Und wenn sie zu dir zurückkommen möchte, was dann? Dann heißt es: auf Wiedersehen, Carenza. Stimmt's?" „Ich weiß es nicht. Geh jetzt bitte ins Bett." „Allein?" „Allein", bestätigte Beck. „Mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin schon ist." Wieder nahm sie einen Teller und hielt ihn hoch. „Wie viele andere Frauen?" „Ich weiß nicht, was du meinst, Carrie." „O doch. Das tust du", rief sie. „Wenn du Helena liebst, wieso fühlst du dich dann zu mir hingezogen - und mit wie vielen Frauen ist es dir schon ebenso ergangen?" „Mit keiner." Sie presste den Teller gegen die Brust und sah Beck eindringlich an. „Wirklich nicht?" „Wirklich nicht." „Ich warne dich, Beck! Ich nehme Gegebenheiten nicht einfach kampflos hin, wenn ich glaube, sie ändern zu können." „Das merke ich auch gerade." „Kling doch nicht so bedrückt. Das ertrage ich nicht." Sorgfältig stellte sie den Teller zurück, dann bückte sie sich, um die Scherben aufzuheben. „Lass sie liegen", sagte Beck. Carenza achtete nicht auf ihn. Sie fühlte sich, als würde sie ebenfalls zerbrechen. „Du empfindest dasselbe für mich wie ich für dich", behauptete sie überzeugt. „Ja." „Aber uns sind, wie man so schön sagt, die Hände gebunden?"
„Das stimmt." Sie lächelte bitter. „ Na schön, dann muss ich auf Plan B zurückgreifen. " „Und der wäre?", fragte Beck abgespannt. „Plan A sah eine Verführung vor, eine großartige ..." Carenza verstummte und seufzte schmerzlich. „Plan B sind kalte Duschen. Ist doch prima, oder? Es gibt ohnehin kein heißes Wasser. Und ich hoffe, das war einer deiner teuersten Teller." Ohne ein weiteres Wort überreichte sie ihm die Scherben und ging anschließend nach oben. Im Dunkeln tastete Carenza sich zum Bett und setzte sich. Noch nie hatte sie jemand so sehr begehrt wie Beck. Es war verwirrend und erschreckend zugleich. Als sie ihn gefragt hatte, ob er Helena vergöttert habe, hatte er nicht geantwortet. Warum nicht? Weil er sie immer noch liebte? Aber von Liebe war gar nicht die Rede gewesen, weder im Zusammenhang mit Helena noch mit ihr, Carenza. Und wie könnte er mich überhaupt lieben, wenn er mich ebenso wenig kennt, wie ich ihn kenne, dachte sie. Sie zog die Stiefel aus, legte sich aufs Bett und blickte zur Tür, die sie als helleres Viereck in der dunklen Wand erkennen konnte. Sehnsüchtig wünschte sie sich, dass diese sich öffnen und Beck hereinkommen würde. Stöhnend drehte sie sich um und barg das Gesicht in den Kissen. Sie vermeinte noch immer, den Druck seiner Lippen und Hände zu spüren. Brennender Schmerz erfüllte sie, den keine Medizin lindern konnte. So durfte es nicht weitergehen! Sobald die Straßen wieder frei waren, würde sie wegfahren und nie mehr zurückkommen. Wenn ich ein besserer Mensch wäre, würde ich versuchen, das Ganze aus Becks Perspektive zu sehen, sagte Carenza sich. Vorausgesetzt, sie hätte gewusst, was genau seine Sichtweise war! Er weigerte sich allerdings hartnäckig, seine Gefühle zu offenbaren. Da konnte sie sich genauso gut auf ihre konzentrieren! Sie fühlte sich vom Schicksal betrogen. Schon bei der ersten Begegnung war ihr klar geworden, dass sie eine Beziehung mit Beck wollte. Eine dauerhafte, keinen Flirt und keine flüchtige Affäre, sondern eine Bindung für immer. Er war der Mann, mit dem sie alt werden wollte. Das klang absurd. Was machte er jetzt? Saß er am Tisch und trank Kaffee? Dachte Beck an sie? Oder an die schöne Helena, die so dumm gewesen war, ihn zu verlassen? Ich hoffe, sie ist tatsächlich tot, dachte Carenza gehässig und rief sich sofort zur Ordnung. Nein, selbst wenn die Rivalin aus dem Weg war, würde ihr das nicht unbedingt etwas nutzen. Beck fühlt sich zu mir hingezogen, was aber nicht bedeutet, dass er mehr will, sagte Carenza sich. Na gut, er hatte sie geküsst - aber Küsse waren, wie irgendjemand einmal gesagt hatte, billig zu haben. Sie hätte nicht gleich die Beherrschung verlieren dürfen! Keine andere Frau hatte Beck, wie er behauptete, jemals gereizt. Glaubte sie ihm das? Sie war sich nicht sicher. Warum nur war er so undurchschaubar? Gleich stehe ich auf, gehe - nein, taste mich ins Bad und borge mir ein Nachthemd oder einen Pyjama, nahm sie sich seufzend vor und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war heller Tag - und sie hatte zum zweiten Mal in ihren Sachen geschlafen. Sie drehte sich auf den Rücken und sah durchs Fenster. Es regnete noch immer, und sie hatte keine Lust, aufzustehen und einem neuen Tag ins Gesicht zu blicken, der ihr nur Kummer bringen würde. Ob Beck schon wach war? Sie stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus. Würde jemals der Tag kommen, an dem sie an Becks Seite aufwachte? Ich kenne ihn doch kaum, sagte sie sich zum wiederholten Mal. Es änderte allerdings nichts an ihren Gefühlen. Sie begehrte ihn trotzdem. Endlich wandte sie sich vom Fenster ab und ging ins Bad. Dort stand ein Kessel mit dampfendem Wasser für sie bereit. Offensichtlich hatte Beck sie herumgehen gehört und ihr das heiße Wasser nach oben gebracht. Helena verdient einen so liebenswerten Mann wie ihn gar nicht, wenn sie ihn einfach verlassen hat, dachte Carenza aufgebracht. Sie wusch sich, zo g sich an und ging nach unten. „Man hat Helena gefunden", sagte Beck ruhig, als sie in die Küche kam.
Carenza blieb unvermittelt stehen. „Wo?", fragte sie rau. „Ist sie...?" „Am Leben? Ja. Sie ist in Winchester." Fassungslos setzte sie sich an den Tisch und sah Beck starr an. „Möchtest du Kaffee, Carrie?" „Ja, bitte." Sie fühlte sich wie benommen und konnte nicht klar denken. „Woher weißt du es?" „Douglas hat es mir vorhin berichtet. Die hiesige Polizei hat Verstärkung aus anderen Landesteilen erhalten, und zwei Beamte aus Winchester haben Helena anhand des Fotos erkannt, das im Polizeirevier aushängt. Man hat Douglas angefunkt, und er hat es mir gesagt", erklärte Beck emotionslos. „Verstehe. Du klingst nicht sehr begeistert", fügte Carenza herausfordernd hinzu. „Stimmt. Die Aufräummannschaften haben übrigens die ganze Nacht lang gearbeitet. In wenigen Stunden dürften die Straßen frei sein. Ich muss zu Helena fahren und sie sehen, Carrie." „Ja." Was sonst konnte sie sagen? Ihn wie eine Furie anzufauchen würde nichts bringen. Jedenfalls hatte er zugegeben, nicht begeistert zu sein, und das gab Anlass zu Hoffnung. Oder hatte Beck ihr gar nicht richtig zugehört? Weil er wie benommen war - vor Glück? Er reichte ihr einen Becher Kaffee, und sie blickte starr hinein. Hieß es jetzt Abschied für immer nehmen? Nein, nicht unbedingt. Beck hatte ja gemeint, es würde alles davon abhängen, was Helena sagte. „Würdest du mich zum nächsten Bahnhof mitnehmen?", bat Carenza. „Ich fahre dich nach Hause." Sie nickte. Es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Die Situation war einfach aussichtslos. „Ich war bis eben fest entschlossen, einen Riesenkrach zu inszenieren", meinte sie halblaut. „Ach, hast du das nicht schon gestern Abend erledigt?" „Das war doch harmlos, Beck. Du solltest mich mal sehen, wenn ich wirklich in Fahrt bin." Das würde er aber jetzt nicht mehr erleben. „Was hat Douglas noch gesagt?" „Nur dass es Helena gut geht und sie jetzt in Winchester lebt." „Und wenn es sie nie gegeben hätte?", fragte Carenza selbstquälerisch. Selbst Schmerz war ihr jetzt lieber, als sich wie tot zu fühlen. „Es gibt sie aber." Sie lachte freudlos. „Sei doch nicht so pedantisch!" Nachdem sie einige Momente lang geschwiegen hatte, fügte sie hinzu: „Ich habe noch nie einen Mann zu verführen versucht, noch nie die Initiative ergriffen und mit keinem so ungehemmt über meine Gefühle gesprochen wie mit dir. Ich bin anscheinend nicht mehr ganz ich selbst. Jetzt gehe ich spazieren." Rasch stand sie auf und nahm ihre Jacke von der Stuhllehne. „Du hast noch nicht gefrühstückt." „Ich habe keinen Hunger." Sie eilte hinaus und zog im Gehen die Jacke an. Dann hob sie das Gesicht zum Himmel. Der Regen hatte nachgelassen, aber die Tropfen würden trotzdem noch ihre Tränen kaschieren. Sie war besiegt worden, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte. Helena musste wirklich eine ganz besondere Frau sein. Vielleicht sollte ich zu ihr fahren, dachte Carenza. Und was sollte sie dann sagen? Lassen Sie Beck in Ruhe? In der Ferne hörte sie Motorsägen und Bulldozer lärmen. Bald würde die Straße geräumt sein. Wenn ich erst wieder zu Hause bin, wird es mir bestimmt besser gehen, sagte Carenza sich optimistisch. Zwar konnte sie es sich nicht leisten, die Arbeit am Konferenzzentrum vorzeitig aufzugeben, aber sie brauchte ja nicht jeden Tag hierher zu kommen, sondern konnte den Arbeitern telefonisch Anweisungen geben und lediglich ein-bis zweimal pro Woche nach dem Rechten sehen. Beck brauchte sie nicht mehr zu treffen. Ob er Helena jetzt zurückholte? Weshalb aber sollte er das tun? Weil sie ihm viel bedeutet, was du nicht tust, sagte ihr eine innere Stimme. Carenza konnte ihn trotzdem
nicht beschuldigen, ein Schuft zu sein, denn immerhin hatte sie ihn erobern wollen, nicht umgekehrt. Du sehnst dich so verzweifelt nach Liebe, dass du den erstbesten Mann begehrst, der dir halbwegs gefällt, sagte sie sich. Nein, das stimmte nicht. Sie sehnte sich nur verzweifelt nach Beck. Bedrückt ging sie zum Haus zurück. Daneben stand jetzt ein ziemlich alter, mit Schlamm bespritzter La ndrover, der wahrscheinlich Beck gehörte. Nun konnte sie endlich nach Hause. Sie öffnete die Hintertür und stoppte, als sie Beck am Tisch stehen sah. Er wirkte ausgesprochen beherrscht - und natürlich umwerfend attraktiv. Das brachte ihre Gefühle wieder in Aufruhr. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er an Deck einer Yacht stand, unrasiert, das Haar vom Wind zerzaust... Oder wie er einen Gipfel erklomm ... „Bereit zum Aufbruch?", fragte Beck. „Ja." Carenza nahm den Skizzenblock und ihre Handtasche und verließ das Haus. Beck folgte ihr, öffnete ihr die Beifahrertür und wartete, bis Carenza eingestiegen war. Dann ging er ums Auto und setzte sich hinters Steuer. Schweigend fuhren sie los. Er wollte anscheinend nichts erklären, und sie hätte sich eher auf die Zunge gebissen, als ihn etwas zu fragen. Der Orkan hatte noch schlimmere Verwüstungen angerichtet, als Carenza sich vorgestellt hatte. Entsetzt sah sie durchs Fenster auf die zerstörte Umgebung. Tröstlich war nur der Gedanke, dass die Natur sich innerhalb weniger Wochen weitgehend erholen würde. Neue Triebe und Blätter würden die Narben an den Bäumen verdecken, Vögel und Tiere dann wieder Unterschlupf finden .... Und was werde ich in einigen Wochen machen? überlegte Carenza. Immer noch den verlorenen Hoffnungen nachtrauern? Nein, sie würde über den Liebeskummer hinwegkommen. Sie kannte Beck ja nicht einmal richtig. Das sagte sie sich immer wieder wie eine Zauberformel vor. Das gleichmäßige Brummen des Motors versetzte sie allmählich in eine Art Trance. „Geradeaus?", fragte Beck plötzlich. Schlagartig kam Carenza in die Wirklichkeit zurück. „Wie bitte? Ach so! Ja, hier müssen wir geradeaus fahren." Sie dirigierte ihn zu ihrer Wohnung. Er hielt an und machte den Motor aus. „Ich lasse dich dann wissen, wie es ..." „Nein", unterbrach Carenza ihn. „Glaubst du, ich möchte von dir hören, dass du mit Helena wieder glücklich zusammenlebst? Ich werde die Arbeit am Zentrum beenden, dir die Rechnung schicken und dann ..." Ja, dann würde alles aus sein. Sie konnte Beck nicht einmal hassen, obwohl ihr das lieber gewesen wäre. Rasch öffnete sie die Autotür. „Auf Wiedersehen, Beck", sagte Carenza ruhig und stieg aus. Sie sah sich nicht um und hörte ihn nicht einmal wegfahren. Nachdem sie ins Haus gegangen war, schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen. Aus und vorbei, dachte sie. Bevor es überhaupt begonnen hatte. Obwohl es natürlich davon abhing, was Helena sagte. Wenn die Beck nicht mehr wollte .... Carenza knipste das Licht an, stellte erleichtert fest, dass es demnach wieder Strom gab, und schaltete als Nächstes den Boiler ein. Dann ging sie zum Telefon, das ebenfalls funktionierte. Sie rief bei der Versicherung an und bat kurz und bündig um Zusendung eines Formulars für die Schadensmeldung. Anschließend telefonierte sie mit dem Chef der von ihr bevorzugten Malerfirma und verabredete ein Treffen später am Nachmittag. Als Nächstes stand ein langes Bad auf dem Programm. Abends um zehn war Carenza erschöpft, hungrig und niedergeschlagen. Sie aß etwas und ging ins Bett. Die Türklingel weckte sie aus dem Tiefschlaf, und Carenza brauchte einige Momente, um sich zu orientieren. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es zwei Uhr morgens war. Fast noch im Halbschlaf, zog sie den Bademantel an, ging zur Tür und öffnete. Was dumm war, denn es hätte ja sonst jemand sein können. Es war nicht irgendjemand, sondern Beck. Er sah müde aus, und sein Haar war zerzaust.
„Darf ich hereinkommen?" bat er. „Nein." Er tat es trotzdem, schloss die Tür und küsste Carenza stürmisch und so lange, als wollte er nie mehr damit aufhören. Schließlich gab er sie seufzend frei. „Könnte ich eine Tasse Kaffee bekommen?", fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er weiter und suchte die Küche. Carenza hätte ohnehin nichts sagen können. Den Blick so fest auf seinen Rücken gerichtet, als hätte sie Angst, Beck könne verschwinden, falls sie ihn nicht im Auge behielt, folgte sie ihm. „Hast du unter dem Bademantel etwas an?", fragte er, während er im Schrank nach Kaffee suchte. „Nein." „Das ist gut, denn ich habe vor, mit dir ins Bett zu gehen. Sehr, sehr bald." Sie strich sich das Haar zurück und lehnte sich zittrig gegen die Wand. „Warum nicht sofort?", fragte Carenza leise. „Weil ich zuerst mit dir reden muss. Der Kaffee lenkt mich vielleicht davon ab, was ich wirklich möchte. Vielleicht." „Wo ist Helena?" „In Winchester. Möchtest du auch Kaffee?" „Nein." Sie sah ihm zu, wie er den Kaffee machte, und blickte rasch zu Boden, als Beck sich umdrehte. „Letztes Jahr war ich in einen Tauchunfall verwickelt", begann er so ruhig und ausdruckslos, als wäre es für ihn nicht von Bedeutung, sondern nur irgendeine Geschichte. „Ein Mann starb dabei. Während ich im Krankenhaus lag ..." „Du musstest ins Krankenhaus?" unterbrach Carenza ihn entsetzt. „Ja, aber ich hatte nichts Weltbewegendes, nur einige Kopfverletzungen und Rippenbrüche", erklärte er wegwerfend. „Im Krankenhaus lernte ich Helena kennen. Sie war die Schwester des jungen Manns, der tödlich verunglückte. Ich fühlte mich irgendwie an dem Unfall schuldig. Am Abend zuvor hatte ich nämlich telefonisch die Nachricht erhalten, dass meine Mutter gestorben war." Beck sah traurig aus, als er weitererzählte. „Mein Vater war schon seit längerer Zeit schwer krank gewesen, aber meine Mutter starb vor ihm an einem Herzanfall. Mein Hund Schrauber war bei ihnen, wie immer, wenn ich unterwegs war, und sie kam von einem Spaziergang mit ihm zurück, setzte sich ... und starb einfach. Erst am folgenden Abend konnte ich einen Flug nach England bekommen, und dummerweise stimmte ich zu, noch einen Tauchgang mit der Gruppe zu machen, bevor ich nach Hause flog. Für meine Mutter konnte ich ja nichts mehr tun, ich konnte nur um sie trauern." Er blickte Carenza um Verständnis bittend an. „Weißt du, es ist gefährlich, ohne Partner zu tauchen, und das Team brauchte mich", erklärte er. „Es war der letzte Tag der Expedition. Immer wieder denke ich mir, wenn ich nicht getaucht wäre oder dies und jenes anders gemacht hätte, die Gefahr eher erkannt hätte ..." Beck verstummte kurz, dann sprach er weiter. „Helena besuchte mich jeden Tag im Krankenhaus. Ich war ihr dankbar, weil sie mich zu trösten versuchte und mir nicht die Schuld an dem Unfall gab. Schließlich begleitete sie mich sogar zum Begräbnis meiner Mutter, und ich ging mit ihr zur Beerdigung ihres Bruders." „Das war eine traurige Zeit für euch", sagte Carenza mitfühlend. „Ja. Helena und ich blieben anschließend bei meinem Vater. Ich dachte, er wäre so weit in Ordnung. Vielleicht wollte ich das auch nur glauben. Ich musste nach London ins Krankenhaus zu einer Nachuntersuchung ... Die hätte ich auch verschieben können, aber ich dachte, meinem Vater würde es halbwegs gut gehen - jedenfalls so gut es jemand gehen kann, der an Krebs leidet und gerade seine Frau verloren hat, mit der er zweiundvierzig Jahre lang verheiratet war. Ich musste ja auch nur für wenige Tage weg. Und am folgenden Tag starb mein Vater. Helena war bei ihm. Bei all diesen Tragödien war sie an meiner Seite."
Carenza hielt es nicht länger aus. Sie eilte zu Beck und umarmte ihn. Er stellte den Kaffee weg und legte die Arme fest um sie. Das Kinn in ihr Haar geschmiegt, berichtete er gefasst weiter. „Ich war ihr dankbar." „Und was hat Helena empfunden?" „Das weiß ich nicht." Sie lehnte den Kopf an seine Brust und spürte seinen Herzschlag, seine Wärme - und seinen Kummer. „Sie lebt jetzt mit einem anderen Mann zusammen", sagte Beck. Zärtlich sah Carenza zu ihm auf und streichelte seine Wange. „Das heißt, du bist wieder ungebunden?" „Ja, ich bin frei." Im hellen Licht sah sein Gesicht markant und irgendwie hager aus. „Ich konnte dir das alles nicht erzählen, bevor ich nicht wusste, ob es ihr gut geht." „Und geht es ihr gut?" „Ja.“ „Und sie hat keine Gewissensbisse, weil ihr Verschwinden dich unter Mordverdacht gebracht hat?" erkundigte Carenza sich. „Das weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gefragt." Und was hat er sie noch alles nicht gefragt? überlegte sie. Und was sagte er ihr, Carenza, alles nicht? Denn irgendetwas verschwieg er noch, dessen war sie sich sicher. „Warum hast du überhaupt bezweifelt, dass es ihr gut geht?", fragte sie leise. „Dachtest du, sie sei zutiefst bekümmert, weil sie dich geliebt und verehrt hat - und du ihre Gefühle nicht erwidern konntest?" „Nein." Das klang abweisend. „Wieso ist sie verschwunden, ohne ihre Sachen mitzunehmen?" Carenza ließ nicht locker. „Sie war davor nicht ganz gesund gewesen." „Du meinst, sie hatte einen Nervenzusammenbruch?" „Ja, etwas in der Art." „Deinetwegen, Beck?" Er zögerte kurz, bevor er zustimmte. „Zum Teil, ja. Deswegen konnte ich nicht einfach so tun, als hätte es sie nie gegeben, und durfte dir nicht gestehen, wie sehr ich mich zu dir hingezogen fühle. Ich musste zuerst wissen, dass es ihr gut geht." „Weil du dich für sie verantwortlich gefühlt hast?" „Ja." „Hasst ihr Vater dich deshalb, weil sein Sohn auf deiner Forschungsreise gestorben ist und seine Tochter trotzdem mit dir zusammen war?", fragte Carenza mitfühlend. „Ja. Er brauchte einen Sündenbock. Mir machte es nichts aus, dass er mich für die Rolle ausgesucht hatte. Es war ohnehin höchste Zeit für einige Schicksalsschläge", fügte Beck leise hinzu. „Wie meinst du das?" „Ich hatte es bis dahin immer leicht gehabt: ein glückliches Zuhause, Erfolg in der Schule und auf der Universität, schließlich einen Beruf, den ich liebte. Ich konnte es mir außerdem leisten, meinen Hobbys wie Bergsteigen oder Segeln zu frönen. Ja, ich war privilegiert und führte ein herrliches Leben. Innerhalb weniger Monate ging alles in die Brüche. Nun war ich sozusagen an der Reihe, nicht nur die Gunst der Götter zu genießen, sondern ihre Härte zu spüren." Er lächelte verlegen. „Weißt du, als Archäologe neige ich manchmal dazu, wie ein antiker Grieche zu denken. Zuerst glaubte ich damals noch, ich könnte mit allem fertig werden, aber als mein Vater ebenfalls starb, wurde es mir zu viel. Ich verkaufte mein Haus und zog in seines, weil ich dachte, ich könnte die Trauer dann leichter ertragen, aber es hat nicht funktioniert. Ich fühlte mich wie taub und von allem abgeschnitten. Dann traf ich dich, eine energische, fröhliche junge Frau. Es war ein Schock für mich, festzustellen, dass ich dich vom ersten Augenblick an begehrte. Ich hätte dir den Auftrag für das Zentrum gar nicht geben dürfen, das weiß ich."
„Und ich weiß, ich hätte ihn nicht annehmen sollen", sagte Carenza leise. „Ich redete mir ein, dass sich bis zu dem Zeitpunkt, wenn du mit der Arbeit beginnen würdest, meine Lage geändert haben würde." Sanft strich Beck ihr über die Wangen und lächelte, als sie erschauerte. „Dann verschwand Helena, und ich war wütend auf sie, weil sie mich völlig im Ungewissen gelassen hatte. Ich wusste ja nicht, ob sie entführt oder möglicherweise sogar umgebracht worden war oder mich einfach nur verlassen hatte. Deshalb konnte ich mein Leben nicht neu gestalten. Du hast mir erzählt, du hättest immer nach mir Ausschau gehalten, wenn du zum Zentrum kamst, um wenigstens einen Blick auf mich zu erhaschen. Mir ist es mit dir genauso ergangen. Jeden Morgen wartete ich sehnsüchtig darauf, dass du kommen würdest und ich dich von weitem sehen konnte, dein Lächeln und deine strahlenden braunen Augen, lebhaft in einem Moment, nachdenklich im nächsten." Er lächelte sie an und fügte hinzu: „Du hast dich nicht an die üblichen Spielregeln gehalten, Carrie. Du hättest mir nicht sagen dürfen, was du empfindest." „Das wusstest du doch ohnehin. Ich kann meine Gefühle nicht verbergen." „Das stimmt. Mir ist durchaus aufgefallen, wie viel Kummer ich dir bereitet habe, als du bei mir warst, aber ich wollte dir niemals wehtun." „Dann tu es jetzt nicht, Beck." „Das habe ich nicht vor." Carenza wurden die Knie weich, und ihr Herz pochte wie rasend, als er den Bademantel öffnete und die Hände darunterschob. Bei der Berührung erschauerte sie und presste sich eng an ihn. Endlich küsste Beck sie leidenschaftlich. Sie stöhnte verlangend und erwiderte seine Küsse hingebungsvoll, während er sie erregend streichelte. So sehr verlangte sie nach ihm, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Schließlich hob Beck sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo er sie aufs Bett gleiten ließ. Rasch zog er sich aus, wobei er nicht den Blick von ihr wandte, und legte sich schließlich neben sie. „Nimmst du die Pille?", fragte er. „Ja." „Ehrenwort?" „Ehrenwort! Und jetzt hör endlich auf zu reden, Beck!" Sie liebten sich ungestüm und zä rtlich zugleich. Beck war, wie sie es sich vorgestellt hatte, ein einfühlsamer und einfallsreicher Liebhaber, und seine erregenden Liebkosungen brachten ihre Sinne in Aufruhr. Noch nie hatte Carenza Ähnliches empfunden und so heißes Verlangen gespürt. Aufreizend ließ sie die Hände über seinen festen Körper gleiten, und ihr Begehren wuchs immer mehr. Und als sie sich endlich vereinigten, wurde ihre Sehnsucht noch weiter entfacht... und endlich gestillt. Danach lagen sie zufrieden nebeneinander. Beck umfasste Carenzas Gesicht und sah ihr in die Augen. „Weißt du, wie lange ich mich danach gesehnt habe, dich zu lieben?" „Ebenso lange wie ich?" Beck lächelte zärtlich. So hatte sie ihn noch nie lächeln sehen, und ihr wurde warm ums Herz. „Wenn dein Verlangen auch nur annähernd so groß war wie meines, dann musst du unglaubliche Selbstbeherrschung besitzen", bemerkte Carenza. „Die ist auf eine harte Probe gestellt worden, als du in meinem Haus warst. Sie passen sehr gut in meine Arme, Miss Dean." „Ja, weil ich ganz speziell für dich geschaffen wurde. Und nach all dem Aufruhr fühle ich mich jetzt geborgen und geliebt", sagte sie leise. Worte konnten nicht beschreiben, was ihr gerade widerfahren war - und nichts würde dem Erlebnis jemals gleichkommen. Beck war wunderbar und aufregend, und sie liebte ihn. Ob er sie liebte, das würde sie nicht fragen. Sie wollte den Moment genießen und für immer im Gedächtnis bewahren. Es gab einen Himmel auf Erden, daran würde sie sich ab jetzt stets erinnern. Beck neigte sich über Carenza und küsste sie so leidenschaftlich, dass ihr Begehren
erneut entfacht wurde. Erregend streichelte sie ihn und genoss es, seine warme, glatte Haut zu fühlen, dann presste sie sich an ihn. Es dämmerte schon, als sie endlich eng aneinander geschmiegt einschliefen. Um neun Uhr wachten sie auf, weil jemand stürmisch klingelte. Carenza lächelte, zog den Bademantel an und ging zur Tür. „Man hat mir den Mietwagen gebracht", erklärte sie, als sie zu Beck zurückkam. „Möchtest du Kaffee?" „Noch nicht", antwortete er und hielt ihr die Hand hin. Sie nahm sie, und er zog sie zu sich ins Bett und presste sie an sich. „Wohin sollen wir fahren?" „Fahren?" wiederholte sie erstaunt. „Ja. Nach Paris, Rom oder Wien?" Er lächelte. „Ich gebe dir den Tag frei." „Das geht nicht. Ich muss mich mit den Tapezierern treffen. Nachdem du mich gestern nach Hause gebracht hattest, habe ich ihnen gesagt, es müsste alles so schnell wie möglich fertig werden." „Ich habe dir gestern sehr wehgetan", sagte Beck ernst. „Das werde ich nie wieder tun." Sie lächelte. „Dann sei bitte vorsichtig, wenn du mich küsst. Du könntest nämlich eine Rasur gebrauchen." „Gut, ich werde ganz behutsam sein. Und jetzt zieh bitte den Bademantel aus, damit ich deinen Anblick genießen kann. Ich finde dich nämlich wunderschön." „Ja? Ich bin doch so üppig", informierte sie ihn, falls es ihm bisher entgangen sein sollte. „Und warmherzig", fügte er hinzu. „Aber aufbrausend", ergänzte sie. „Richtig. Übrigens, der Teller war nicht teuer." „Das freut mich." Es war schon fast Mittag, als sie endlich bereit waren, die Wohnung zu verlassen. „Ich sehe dich dann im Konferenzzentrum", meinte Beck. „Nein", widersprach Carenza, umarmte ihn und gab ihm noch einen Kuss. „Komm abends zu mir. Ich habe heute viel zu tun." Sie zögerte einen Moment lang, bevor sie hinzufügte: „Erzähle John nichts von uns." „Warum nicht?" Erstaunt sah Beck sie an. „Ach, ich weiß nicht. Meine weibliche Intuition rät es mir." Sie wollte ihm nicht sagen, dass sie befürchtete, John würde sich irgendwie einmischen und damit ihr Glück stören, weil er offensichtlich erwartete und erhoffte, Helena würde sich mit Beck versöhnen. Die Beziehung zwischen mir und Beck geht niemand anders etwas an, dachte Carenza.
5. KAPITEL „Entschuldigen Sie bitte die Verspätung", sagte Carenza zu den Malern. „Ich musste auf den Mietwagen warten." Herzlich lächelnd legte sie ihre Skizzen vor und besprach die anfallenden Arbeiten, dann besorgte sie die benötigten Stoffe und Tapeten und gab Anweisungen, wie die Vorhänge genäht werden sollten. Ihr kam es vor, als schwebte sie auf Wolken. Noch nie hatte sie sich so glücklich gefühlt. Beck wartete schon auf sie, als sie kurz nach sieben Uhr in ihre Wohnung zurückkam. „Ich brauche einen Schlüssel", sagte er, nachdem er Carenza geküsst und ihr eine n großen Strauß Rosen überreicht hatte. „Ich lasse dir einen machen. Danke für die Blumen", erwiderte sie und atmete tief den Duft der Blüten ein. „Schlaf mit mir", bat sie drängend. „Das wollte ich auch gerade vorschlagen." Beck nahm ihr die Blumen wieder ab, legte sie auf den Flurtisch und führte Carenza ins Schlafzimmer. Sie gingen sehr spät zum Essen aus und anschließend wieder ins Bett. Der folgende Tag verlief ähnlich, abgesehen davon, dass Beck - entgegen ihrer strikten Anweisung - ins Konferenzzentrum kam. Verstohlen lächelnd ging Carenza mit ihm in den Anbau, wo sie ungestört sein konnten. „Geh weg", sagte sie leise zu Beck, während sie ihn umarmte. „Ich bin sehr beschäftigt." „Du bist sehr schön." „Nein, ich bin ein Troll." Er lachte und küsste sie. „Sie machen einen förmlich süchtig, Miss Dean", erklärte er dann. „Und ich bin, wie gesagt, sehr beschäftigt und außerdem sehr glücklich, und ich möchte nicht, dass irgendjemand über uns beide Bescheid weiß. Ich möchte unsere Beziehung geheim halten, weil sie etwas ganz Besonderes ist. Komm heute Abend zu mir." „Ganz bestimmt. Morgen und am Samstag wird es allerdings spät." „Ich weiß. Du musst ja im Restaurant arbeiten." „Du könntest bei mir im Haus bleiben, Carrie." „Nein." Sie mochte nicht mit ihm in dem Haus schlafen, in dem er auch mit Helena geschlafen hatte, aber das wollte sie ihm nicht erklären. „Komm lieber zu mir. Es macht dir doch nichts aus, ständig hin und her zu pendeln?" „Nein", antwortete Beck und lächelte. Carenza ließ einen Zeigefinger sanft über seine Lippen gleiten. „Ich sehe dich gern lächeln." „Und ich sehe dich gern nackt." „Ich dich auch." Sie lachte. „Geh weg! Du bringst mich ganz durcheinander." „Und errege ich dich?" „Das auch. Vorsicht, da kommt einer der Arbeiter!" Beck trat einen Schritt zurück und fuhr mit der Hand über die frisch verputzte Wand. „Da ist, wie mir scheint, ein kleiner Buckel." „Nein, die Wand ist völlig glatt!", erwiderte Carenza. Er lächelte den Arbeiter freundlich an und ging hinaus. Sie lachte leise und hätte am liebsten gar nicht mehr damit aufgehört. An diesem Abend schenkte Beck ihr einen Bergkristall als Glücksbringer, am folgenden brachte er eine Packung französischen Kaffees mit. „Der ist für mich", erklärte er. Als das Wochenende kam, hatte Carenza außerdem ein kleines Porzellankaninchen bekommen, das Beck im Wohnzimmer immer wieder an einen anderen Platz stellte, damit es ihm, wie er meinte, nicht langweilig wurde. Außerdem brachte er ihr einen Set Zeichenbleistifte und eine Stoffpuppe mit. „Sie war allein im Laden und sah so traurig aus", erklärte Beck. „Sie heißt Polly."
„Ein hübscher Name." Lachend umarmte Carenza ihn, erfüllt von Liebe.
In der folgenden Woche flogen Carenza und Beck in seinem Privatflugzeug nach Venedig. Noch nie hatte sie sich so glücklich und zufrieden gefühlt. Jede Minute in Becks Gesellschaft war ein Genuss. Er war, je nach Anlass, ernst oder fröhlich und besaß einen trockenen Humor, der sie begeisterte. Hand in Hand schlenderten sie durch die Museen und Galerien, ließen sich in einer Gondel herumfahren und taten sonst all die Dinge, die Verliebte in Venedig tun. Carenzas Liebe zu Beck wuchs mit jedem Tag mehr. Sie hätte es bis dahin nie für möglich gehalten, dass ihr jemand so viel bedeuten könnte. „Was machst du eigentlich tagsüber?", fragte sie ihn, als sie nach dem Ausflug nach Venedig vom Flughafen zu ihrer Wohnung zurückfuhren. „Ich hole den versäumten Schlaf nach." Sie lachte. „Nein, die Frage war ernst gemeint. Das Restaurant hat doch nur an drei Tagen in der Woche geöffnet. Langweilst du dich nicht an den anderen?" „Langweilen? Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht gelangweilt." „Ja, aber was tust du dann?", fragte sie hartnäckig. „Ich schreibe", antwortete er. „Artikel über das Bergsteigen und Archäologie ..." „Sind die veröffentlicht worden?" „Ja." „Ich bin beeindruckt", sagte Carenza aufrichtig. „Schön. Darf ich jetzt übrigens erzählen, dass wir beide ein Paar sind?" „Wem willst du es denn mitteilen?", fragte sie argwöhnisch. „Der ganzen Welt! Die Leute sind ja nicht dumm, und wenn sie sehen, wie ich den ganzen Tag lang vor mich hin lächle, und hören, wie ich bei der Arbeit fröhlich Lieder pfeife ..." „Tust du das wirklich?", fragte sie fasziniert. Er lachte. „O Carrie, was soll ich nur machen? Du bist mein ganzes Glück, und das kann ich nicht länger geheim halten." Plötzlich ernst geworden, fragte sie: „Ist es dir mit Helena ebenso ergangen?" „Nein, und ich möchte nicht über sie reden." „Was hat sie getan?", erkundigte Carenza sich trotzdem. „Wie meinst du das genau?", hakte er vorsichtig nach. „Hatte sie einen Job, oder war sie freiberuflich tätig? Die Sachen, die ich in ihrem Schrank gesehen habe, sind ziemlich kostspielig." „Nein, ich glaube nicht, dass sie jemals richtig gearbeitet hat. Ihre Mutter hat ihr Geld hinterlassen." „Hast du Helena die Kleider gekauft?" „Carrie", sagte Beck warnend, „das geht dich nichts an." „Stimmt. Entschuldige bitte. Denkst du noch an sie?" „Nein." Er hielt vor ihrem Haus an, stellte den Motor ab und wandte sich ihr zu. „Ich mag dich sehr gern und möchte immer mit dir zusammen sein, nicht nur einige Stunden ab und zu. Und ich möchte jeden wissen lassen, dass ich nicht deswegen so glücklich bin, weil Helena wieder aufgetaucht ist." „Nimmt das denn jedermann an?" „Ja." Sanft streichelte Beck ihr Haar. „Die vergangenen acht Monate haben mir so viel Kummer gebracht. Zuerst die vielen Todesfälle und dann Helenas rätselhaftes Verschwinden, dazu das Misstrauen meiner Mitmenschen ..." „Ja, das alles muss schlimm für dich gewesen sein." Carenza schmiegte den Kopf an seine Schulter. Ist Becks jetziges Glücksgefühl vielleicht nur eine normale Reaktion auf all das ausgestandene Leid? fragte sie sich. Würde er, wenn er die Trauerphase endgültig überwunden hatte, nicht mehr mit ihr ... Rasch verdrängte sie den Gedanken. „Ich weiß, es ist egoistisch von mir, aber ich möchte mein Glück mit niemand außer dir teilen, Beck." Lächelnd sah sie zu ihm auf und küsste ihn sanft. „Du bist ein ganz besonderer Mann." „Ach was!"
„Doch. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber du gibst anderen ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit." „Unsinn!" „Du bist einzigartig, und ich habe Angst, dich schon bald wieder zu verlieren", gestand Carenza ihm leise. „Dauernd muss ich daran denken, dass das Schicksal uns nur eine kurze Zeit des Glücks zugemessen haben könnte." „Im Grunde genommen ist alle Zeit zu kurz bemessen. Das habe ich jedenfalls empfunden, als meine Eltern starben", erwiderte Beck nachdenklich. „Sie waren großartige Menschen. Ich wünschte, du hättest sie kennen gelernt." „Das wünsche ich mir auch." Sie umarmte ihn tröstend und wusste zugleich, dass nur die Zeit seinen Schmerz heilen konnte. „Leben deine Eltern noch?", fragte Beck. „Ja, und zwar in Devon. Du wirst sie mögen - ich mag sie jedenfalls", antwortete Carenza und lächelte. „Einen Bruder habe ich auch. Er lebt in Neuseeland, und er ist relativ klein und sehr schlank. Eigentlich hat er den Körperbau, der mir von Natur aus zugestanden hätte." „Ich mag große, kräftige Mädchen", behauptete Beck. „Sie sind sehr brauchbar, wenn es ums Segelsetzen und Ankerlichten geht." „Werde ich denn jemals mit dir segeln?" „Das hoffe ich." Sie lächelten sich an und gingen schließlich ins Haus. Ihr war bewusst, dass Beck sich ihr nicht völlig offenbarte, und sie vermutete, dass er sich seiner Gefühle für sie noch nicht sicher war. Das schmerzte und verunsicherte sie ein bisschen, trübte ihr Glück aber letztlich nicht. In den folgenden Tagen fiel es ihnen immer schwerer, ihre Beziehung geheim zu halten. Beck kam häufig ins Konferenzzentrum unter dem Vorwand, nach dem Rechten zu sehen und zu überprüfen, ob alles termingerecht fertig wurde. Sein wahres Motiv war natürlich, mit ihr zusammen zu sein. Am Freitagnachmittag hängte Carenza gerade die Vorhänge im Gemeinschaftsraum auf, da kam Beck wieder einmal zu ihr. Sie wandte sich ihm zu, um ihn anzulächeln, und stieß alarmiert einen leisen Schrei aus, als er hinter ihr die Leiter hochkletterte. „Lass das, Beck! Man könnte uns entdecken." „Die Arbeiter sind alle im Anbau beschäftigt", informierte er sie triumphierend. „Davon habe ich mich natürlich überzeugt. Lass mich die Vorhänge anbringen! Du solltest nicht so hoch oben auf einer Leiter stehen." „Das ist mein Job." „Nein, dein Job ist es, mich glücklich zu machen", behauptete Beck und küsste sie. „Geh runter." Sie lachte. „Oder wir beide fallen von der Leiter." Er stieg hinunter, hob sie auf seine Arme und stellte sie auf den Boden. „Komm mit ins Haus. Ich möchte etwas mit dir besprechen." „Das können wir doch hier tun", wandte Carenza ein. „Nein, wir könnten gestört werden. Außerdem habe ich dich seit Stunden nicht gesehen." „Du hast mich heute Morgen gesehen." „Du bist eine hartherzige Frau", beklagte Beck sich. „Ich bin eine sehr beschäftigte Frau", verbesserte sie ihn. Sanft umfasste er ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen. „Ich begehre dich, Carrie." Ein erregendes Prickeln überlief sie, und sie flüsterte: „Ich dich auch." „Dann komm mit." Er ließ ihr keine Chance, zu protestieren, sondern fasste sie bei der Hand und zog sie mit sich. Draußen begann er zu laufen, und/sie musste wohl oder übel mithalten, wenn sie nicht fallen wollte. Lachend eilten sie über das Grundstück zum Haus. Dass John sie beobachtete, merkten sie nicht. Sie bemerkten überhaupt nichts, nicht
einmal den kalten Wind. Beck öffnete die Hintertür und zog Carenza nach drinnen. Dort nahm er sie in die Arme und schob sie weiter ins Wohnzimmer, wo er sie auf die Couch drückte. Im Kamin flackerte ein Feuer und verbreitete behagliche Wärme. „Ach, die Bühne ist also schon vorbereitet?", fragte Carenza neckend. „Natürlich." Beck legte sich zu ihr und küsste sie fordernd. „Du warst dir anscheinend völlig sicher, mich hierher locken zu können", meinte sie schließlich. „Absolut sicher. Und jetzt ziehe ich dich aus. Zapple nicht", befahl er ihr scherzhaft. Seine Stimme klang heiser. „Das muss ich aber, weil ich nicht stillhalten kann, wenn du mich so erregend berührst." Carenza schob die Hände unter sein Hemd und streichelte Becks warme, glatte Haut. „Du hast die Tür nicht abgeschlossen." „Es wird schon niemand ins Haus kommen." „Du hast aber viel Vertrauen", spöttelte Carenza. Auch ihre Stimme klang heiser. „Mach wenigstens die Vorhänge zu." „Nein, ich will mich jetzt nicht von dir trennen." „O Beck!" Entspannt ließ sie sich zurücksinken und küsste ihn verlangend. Keiner von ihnen sah den Mann draußen am Fenster, als sie sich gegenseitig auszogen, denn sie waren so mit sich beschäftigt, dass sie nichts wahrnahmen. Nackt lagen sie in dem halbdunklen Raum da, der nur vom flackernden Licht der Flammen erhellt war, und liebten sich lange und zärtlich. „Ich finde es wirklich erstaunlich, welche Empfindungen du in mir weckst", sagte Beck leise, als sie schließlich erschöpft und zufrieden nebeneinander lagen. „Unablässig denke ich an dich und frage mich, wie es dir geht und was du gerade machst." „Mir geht es mit dir genauso", gestand Carenza. „Ich möchte alles wissen, was es über dich zu wissen gibt, und ich möchte dich ständig berühren und mit dir vereint sein. Es ist zugleich erschreckend und wundervoll, und es bestimmt allmählich mein ganzes Leben." Er küsste sie wieder lange und innig, und sie konnte einfach nicht genug von ihm bekommen, ihm nicht nahe genug sein - und sie konnte nicht in Worte fassen, was sie für ihn empfand. Zärtlich streichelte sie seinen Rücken und betrachtete sein markantes Gesicht, bei dessen Anblick ihr Herz jedes Mal schneller schlug. „Jetzt muss ich ins Zentrum zurück", sagte sie endlich, aber es klang nicht sehr energisch und entschlossen. „Um die Vorhänge fertig aufzuhängen." „Mach das doch morgen", schlug Beck vor. „Morgen ist Samstag." „Ich weiß. Ach, du liebe Güte! Wie spät ist es?" Er sah auf die Uhr und stand dann hastig auf. „Das Restaurant öffnet in einer Stunde!" Nackt eilte er aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf. Eine Tür fiel ins Schloss. Lachend presste Carenza ein Sofakissen an sich. Sie lag noch immer auf der Couch, als Beck zehn Minuten später wieder nach unten kam, frisch rasiert und das Haar noch feucht. Er hatte sich umgezogen und trug ein weißes Hemd zu einer schwarzen Hose. Bei ihrem Anblick schüttelte er leicht den Kopf. „Du Faulenzerin! Ich sehe dich später", verkündete Beck. „Bleibst du hier?" „Nein." „Ich lege im Restaurant ein Gedeck für dich auf." „Nein", wiederholte sie leise. Streng sah er sie an. „Du kannst dich nicht immer verstecken." „Ich weiß." „Na schön. Kümmere dich bitte um das Feuer im Kamin, bevor du gehst. Ich muss jetzt weg." Ohne ein weiteres Wort eilte er hinaus. Nein, ich kann mich nicht für immer verstecken, sagte Carenza sich. Langsam stand sie auf, streckte und reckte sich genüsslich und sammelte schließlich ihre Sachen ein. Dann
ging sie ins Bad, um zu duschen. Um zwei Uhr morgens erschien Beck in der Wohnung. Carenza erwartete ihn schon. Der Kaffee lief gerade durch die Maschine, und die Bettdecke war einladend zurückgeschlagen. „Du verwöhnst mich", sagte Beck leise und nahm Carenza in die Arme. „Ja, und zwar gern", erwiderte sie ernst. „Ich möchte alles für dich tun. Von dir kann ich einfach nicht genug bekommen." Mit den Fingerspitzen zeichnete sie die Konturen seines Mundes nach, dann streichelte sie seine Wangen. „Ich kann mich auf nichts konzentrieren und kann an nichts anderes denken als an unser nächstes Treffen - und an dich. Dann lächle ich, obwohl ich vor Sehnsucht fast vergehe. Und wenn ich dich sehe, geraten meine Sinne in Aufruhr." . Und ich habe Angst, dass es nicht lange dauert, fügte sie im Stillen hinzu. Bisher hatten sie niemals Pläne gemacht, sondern jeden Tag so genommen, wie er kam - ganz so, als wollte keiner von ihnen eine Zukunft erwähnen, die sie vielleicht nicht gemeinsam verbringen würden. Sie sahen einander tief in die Augen. „Lass uns ins Bett gehen", sagte Beck leise. Am folgenden Morgen kamen ihr die Ängste, ihn bald wieder zu verlieren, unsinnig vor. „Fahr du jetzt, ich folge dir mit meinem Wagen", sagte sie nach dem Frühstück. „Besser, ich nehme dich mit. Es ist doch albern, mit zwei Autos zu fahren." „Nein, vernünftig", korrigierte sie ihn. „Du musst doch heute Abend im Restaurant arbeiten." „Ja und? Ich kann dich vorher nach Hause fahren." „Nein", beharrte sie. „Doch." „Nein!" Sie lachte, nahm den Schlüsselbund und ging hinaus. Beck kam ihr ins Konferenzzentrum nach und bestand darauf, die Vorhänge aufzuhängen. Dabei stritten sie sich in aller Freundschaft über die beste Methode, Gardinen anzubringen, und hörten deshalb nicht das Auto vorfahren. Da sie mit dem Rücken zur Tür standen, merkten sie überhaupt nichts, bis schließlich jemand leise und zaghaft fragte: „Beck?" Reglos blieb er stehen, und sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos. Er ließ die Hände sinken und wandte sich um. Carenza ebenfalls. „O Beck!" Helena lief auf ihn zu, die blauen Augen voller Tränen, und schmiegte sich in seine Arme wie ein kleines Mädchen, das sich siche r war, nicht zurückgestoßen zu werden. „Es ist heute", sagte sie unter Tränen. „Oder hast du das vergessen?" „Ja." Er seufzte. Carenza stand bewegungslos da und beobachtete die beiden. Schließlich hob Helena den Kopf von Becks Schulter und lächelte traurig. „Würden Sie uns eine Weile allein lassen?", bat sie. „Ja, natürlich", antwortete Carenza beherrscht, wandte sich um und ging in den Anbau. Sie fühlte sich, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen. Welcher Jahrestag ist das wohl für Beck und Hele na? fragte sie sich benommen und blickte starr durchs Fenster auf den ummauerten Hof. Plötzlich sah sie die beiden zu einem blauen Auto gehen. Beck hatte Helena den Arm um die Schultern gelegt. „Wer ist denn die kleine Blondine?", fragte jemand hinter Carenza. Überrascht wandte sie sich um und erblickte einen der Arbeiter. „Eine Bekannte von Mr. Beckford", antwortete sie ruhig. „Warum kann ich nicht eine solche Bekannte haben?", fragte der Mann und lächelte breit. „Was weiß ich", erwiderte sie missmutig.
„Geht es Ihnen nicht gut?", fragte er besorgt. „Doch. Ich denke nur nach. Dass Sie heute hier arbeiten, wusste ich nicht." „Nur heute Vormittag", erklärte der Mann. „Ich dachte mir, ich könnte das Zimmer am Ende des Flurs fertig machen." Sie nickte zustimmend und hörte nicht einmal, wie er verschwand. Zieh keine vorschnellen Schlüsse, ermahnte sie sich, während sie beobachtete, wie das blaue Auto wegfuhr. Dann ging sie in den Aufenthaltsraum zurück und hängte weiter die Vorhänge auf. Anschließend fuhr sie nach Hause. Ein Glück, dass sie mit ihrem Auto gekommen war! Irgendwie musste sie etwas geahnt haben. Sie versuchte, nicht an Helena und Beck zu denken, aber es gelang ihr nicht. Er hatte nicht gesagt, er würde Helena lieben, aber er fühlte sich für ihr Wohlergehen verantwortlich und war ihr dankbar, weil sie ihm in der schweren Zeit beigestanden hatte. Ob sie sonst noch etwas in der Hand hatte, womit sie ihn beeinflussen konnte? Vielleicht war heute der Jahrestag ihres Nervenzusammenbruchs? Sei nicht so gehässig, ermahnte Carenza sich. Sie setzte sich im Wohnzimmer in den Lehnsessel und schloss die Augen. Beck begehrte sie, das hatte er ihr immer wieder versichert. Warum also konnte sie diese Missstimmung nicht überwinden, dieses Gefühl eines drohenden Verhängnisses? Sie nahm die Stoffpuppe, die er ihr geschenkt hatte, und presste sie an sich. „Er will mich wirklich, Polly, und wenn er kommt... falls er kommt..." Er kommt bestimmt, sagte sie sich. Und was würde er dann sagen? Dass Helena ihn brauchte? Carenza legte die Puppe beiseite, stand auf und ging rastlos im Zimmer hin und her. Wieso litt sie plötzlich an fehlendem Selbstvertrauen? Das war doch sonst nicht ihre Art. Jedenfalls wollte sie Beck keine Vorwürfe machen, sondern seine Erklärung abwarten. Falls er kam, nein, wenn er kam. Schließlich hielt sie es nicht länger in der Wohnung aus und ging ins Kino. Von dem Film bekam Carenza nicht viel mit, nur dass er irgendwie von Außerirdischen handelte. Als sie wieder zu Hause war, machte sie sich Rührei und Toast und warf das meiste davon in den Mülleimer, weil sie keinen Appetit hatte. Nun musste sie nur noch wenige Stunden warten, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Als sie schließlich den Schlüssel im Türschloss hörte, fuhr sie zusammen. Sie ging Beck nicht entgegen, sondern blieb, die Arme verschränkt, im Wohnzimmer stehen und wartete. Er sah müde aus. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, aber sie war wie gelähmt. „Sieh mich nicht so an", bat er sie ruhig. „Wie soll ich dich denn sonst ansehen? Bleibt sie?" „Für eine Weile, ja. Carrie ..." „Hast du mit ihr geschlafen?", unterbrach sie ihn. „Nein", antwortete Beck geduldig. „Ich weiß, dass du verletzt bist, aber du verstehst nicht ..." „Dann erklär es mir, Beck! Was will sie von dir?" „Verständnis." Er seufzte. „Trost." „Für wie lange?" „Das weiß ich nicht." „Ich mache dir Kaffee", bot sie unvermittelt an und ging an ihm vorbei in die Küche. „Carrie ..." Er folgte ihr, blieb aber an der Tür stehen. „Hast du ihr von uns erzählt?", fragte Carenza. „Ja." Das war immerhin etwas. „Und was hat sie dazu gesagt?" „Nichts." „Nichts?", wiederholte sie ungläubig und wandte sich ihm zu. „Deine ehemalige Geliebte kommt zu dir, auf der Suche nach Trost oder was auch immer, du sagst ihr, du hättest eine neue Beziehung, und sie sagt nichts dazu?"
„Richtig." Carenza drehte sich wieder um und goss heißes Wasser auf den Kaffee. „Es ist nur Pulverkaffee", sagte sie ausdruckslos. „Ich hatte erwartet, dass du weinen würdest", bemerkte Beck. „Und dass du mich anflehst, dir zu versichern, alles sei noch wie vorher. Möchtest du diese Versicherung nicht hören?" „Nein", antwortete sie kühl. „Doch."
Plötzlich spürte sie seine Hände auf den Schultern. „Nichts hat sich geändert, Carrie."
„Sie wohnt jetzt aber wieder bei dir, oder?"
„Nur für kurze Zeit."
„Weiß sie, dass du jetzt bei mir bist?", erkundigte Carenza sich.
„Ja."
„Ich wette, sie hat keinen Teller zerschmissen."
„Das stimmt." Er drehte sie so zu sich, dass er ihr ins Gesicht blicken konnte. „Mach es
dir doch nicht so schwer." Sanft ließ er eine Fingerspitze über ihre Lippen gleiten, dann neigte er sich Carenza zu und küsste sie verlangend. Sie erwiderte den Kuss hingebungsvoll, obwohl sie zugleich verzweifelt war. „Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren", flüsterte sie schließlich.
„Du hast mich nicht verloren", versicherte Beck ihr.
„Ich dachte, sie hätte einen neuen Partner", sagte Carenza leise.
„Das dachte ich auch. Die jetzige Situation behagt mir überhaupt nicht, aber ..." Er
presste sie an sich und schmiegte die Wange in ihr langes dunkles Haar. „Gestern war der Tag, an dem Helenas Baby hätte geboren werden sollen."
6. KAPITEL Carenza schob Beck weg. „Baby?", fragte sie, und ihre Stimme klang unnatürlich hoch. „Welches Baby?" Sie war so schockiert, als hätte er sie brutal geschlagen. „Helena erwartete ein Kind ... Unser Kind", fügte er hinzu. „Im vergangenen Oktober hatte sie eine Fehlgeburt," Es fiel Carenza schwer, zu sprechen. „Und deshalb hatte sie ..." begann sie heiser. „Einen Nervenzusammenbruch, ja. Darum habe ich ja so verzweifelt versucht, sie zu finden, nachdem sie verschwunden war. Und deshalb erlaube ich ihr jetzt, vorerst bei mir zu bleiben." Da sie nicht mehr klar denken und die überraschende Neuigkeit nicht ganz erfassen konnte, trat Carenza einen Schritt zur ück und fuhr sich durchs Haar. „Es wäre ein Junge geworden", fügte Beck ausdruckslos hinzu. „Du hast das Kind haben wollen", bemerkte sie zittrig. „Ja. Nach den tragischen Ereignissen und all dem Kummer schien es der einzige Lichtblick zu sein, etwas, auf das man sich freuen konnte. Eine neue Familie." „Du hast Helena aber doch nicht geliebt." „Ich mochte sie sehr gern und dachte, wir könnten gut zusammenleben, wenn wir erst einmal den anfänglichen Schock überwunden hätten", erklärte er aufrichtig. „Deshalb hast du dich mit ihr verlobt." Er seufzte. „Wir waren nicht offiziell verlobt, hatten aber die Absicht zu heiraten." „Und dann verlor sie das Baby." „Ja." „Damit dir nicht wieder Ähnliches passiert, hast du mich beim ersten Mal so eindringlich gefragt, ob ich die Pille nehme", stellte Carenza fest. „Eigentlich sollte ich Helena bemitleiden, aber ich tue es nicht. Das ist nicht sehr nett von mir, oder? Dich bedauere ich. Wenn du das Baby wolltest ..." Sie atmete tief durch und stützte sich auf die Arbeitsfläche. „Ich weiß nicht, was ich sagen oder auch nur denken soll. Warum hast du mir das alles nicht schon früher erzählt?" „Helena wollte nicht, dass es jemand erfährt." „Und du fühlst dich noch immer für sie verantwortlich?" „Ja." Dummerweise hätte ich ihn nicht halb so lieb, wenn er nicht ein derart ausgeprägtes Verantwortungsgefühl besitzen würde, dachte Carenza. „Und jetzt hast du zwei Frauen in deinem Leben, und beide machen dir nur Kummer", sagte sie. Als er nichts erwiderte, wandte sie sich ihm zu. Sein gequälter Ausdruck tat ihr unerträglich weh. Sie ging zu Beck, umarmte ihn und schmiegte den Kopf an seine Brust. „Entschuldige bitte. Ich bin ausgesprochen egoistisch. Du erwartest aber nicht, dass Helena und ich Freundinnen werden, oder?" Er lächelte verhalten und küsste sie aufs Haar. „Nein, Car-rie." „Sie wird sich doch bestimmt wieder erholen. Und sich dann Freunde suchen, einen anderen Mann finden ..." „Ja." Und wenn nicht? Wenn Helena sich weiterhin an Beck klammerte, was dann? Wen von ihnen würde er wählen, falls er vor diese Wahl gestellt wurde? Carenza hob den Kopf und lächelte Beck unsicher an. „Komm ins Bett. Es ist spät, und du bist müde." Sie nahm ihn wie ein Kind bei der Hand, führte ihn ins Schlafzimmer und zog ihn aus. Nachdem er sich hingelegt hatte, deckte sie ihn zu und entkleidete sich dann auch. Er lächelte spöttisch, als sie sich neben ihn legte. „Ich brauche keine Ersatzmutter, Carrie", sagte er trocken. „Das weiß ich. Du brauchst aber etwas Freude im Leben, oder?" Sie versuchte, ihm diese Freude zu geben, aber sie beide wussten, dass sie versagte.
Etwas fehlte, etwas war anders. Er konzentrierte sich nicht ausschließlich auf sie, und auch sie dachte immer wieder unwillkürlich an Helena. Als er endlich einschlief, lag Carenza da und betrachtete ihn. Er war so unglaublich attraktiv und trotzdem kein bisschen eingebildet! Er war eben ... Beck. Sie wusste nicht, ob er Launen hatte, wusste nicht genau, was ihn zum Lachen brachte, und wenn sie ihm jetzt Kummer bereitete, würde sie das auch nie wissen. Ich werde Beck verlieren, dachte sie hoffnungslos. Nein, sie musste nur verständnisvoll sein, nachsichtig ... sich in Helenas Lage versetzen. Wie hätte ich mich denn gefühlt? fragte sie sich. Bestimmt wäre sie verzweifelt gewesen. Und sie hätte wie eine Löwin um ihn gekämpft. Jede normale Frau würde das tun. Er aber würde mit ihr nicht über Helena reden, egal, wie frustriert, verzweifelt und zornig er sein mochte. Er würde sich über Helena nicht beklagen und sie nicht schlecht machen, denn das war nicht seine Art. Er fühlte sich verantwortlich, und vielleicht hatte er Schuldgefühle, weil er Helena nicht liebte. Ob sie Beck liebte? Es war schwer vorstellbar, dass sie es nicht tat. Allerdings hatte sie ihn verlassen. Vielleicht hatte sie ihr Leben neu gestalten wollen. Aber heute war der Tag, an dem ihr und Becks Baby hätte geboren werden sollen, und deshalb hat sie ihn gebraucht, dachte Carenza. Helena hatte ja erst vor wenigen Monaten auch ihren Bruder verloren ... Sei nachsichtig, Carenza, befahl sie sich. Seufzend legte sie sich hin, konnte aber nicht einschlafen. Beim Gedanken, dass Beck mit Helena geschlafen hatte, wurde ihr übel. Bisher hatte sie sich ja manchmal gefragt, ob die beiden überhaupt eine sexuelle Beziehung gehabt hatten. Nun wusste sie es. Dass Helena jetzt wieder bei ihm wohnte, war beunruhigend. Was hatte sie vor? Na gut, vielleicht war sie ja wirklich eine liebe, sanfte junge Frau, die zur Zeit Verständnis und Hilfe brauchte. Warum kann ich das aber nicht glauben? überlegte Carenza. Weil sie es nicht wollte? Weil sie die Rivalin hasste, obwohl sie sie nicht kannte? Verstört, weil sie bisher angenommen hatte, einen besseren Charakter zu besitzen, drehte Carenza sich auf die andere Seite und versuchte, endlich einzuschlafen. Wenn sie Helena schlecht machte, würde sie, Carenza, auf jeden Fall als Verliererin dastehen, weil Beck dann von ihr enttäuscht wäre. Und wenn ich nett zu Helena bin, verliere ich ihn dann trotzdem an sie? überlegte sie. Sie musste einfach wissen, wie die Rivalin wirklich war und was Beck von ihr dachte. Man musste seine Feinde kennen ... aber Helena war nicht ihre Feindin, oder? Spät am folgenden Vormittag wachten sie fast gleichzeitig auf und blickten sich lange in die Augen. „Alles in Ordnung?", fragte Beck sanft. „Ja. Beck ... ich muss unbedingt wissen, wie Helena ist", sagte Carenza unvermittelt. Seine Miene wurde völlig ausdruckslos und verriet nicht, ob er zornig oder nur nachdenklich war. „Das weiß ich auch nicht", gab er schließlich zu. „Sie ist jedenfalls nicht wie du." „Ist das gut oder schlecht?", hakte sie nach, um einen humorvollen Ton bemüht. „Gut." Beck streichelte ihr Gesicht, und sie schmiegte sich eng an ihn. „Ich kann, wie die meisten Männer, meine Gefühle nicht deutlich zeigen", fügte er hinzu. „Ich neige dazu, Probleme für mich zu behalten und allein damit fertig zu werden. Als ich Helena kennen lernte, meinte sie anscheinend, dass wir uns gegenseitig trösten sollten - und vielleicht haben wir das getan. Das Schlimmste für mich war damals, mich schuldig am Tod ihres Bruders zu fühlen." „Du hast doch gesagt, du warst nicht für den Unfall verantwortlich" , unterbrach Carenza ihn. „Das war ich auch nicht. Allerdings war ich mit Helenas Bruder zusammen, als es passierte. Mike hatte sich der Forschungsreise erst im letzten Moment angeschlossen und mir erklärt, er sei ein erfahrener Taucher. Den Eindruck hatte ich eigentlich auch, nachdem wir einige Male ohne Zwischenfall zum Wrack getaucht waren und etliche interessante Fundstücke geborgen hatten. Wir waren zu viert und arbeiteten immer
paarweise ..." „Und du hast mit Helenas Bruder ein Team gebildet?", fragte Carenza dazwischen. Beck schüttelte den Kopf. „Nein, Mike arbeitete mit einem jungen Mann namens Lorcan zusammen, mein Partner hieß Nikko. Ich hatte die meiste Erfahrung und war deshalb der Boss. Das Wrack war, wie wir alle wussten, keineswegs stabil, deshalb waren wir sehr vorsichtig. Vielleicht dachte ich bei diesem letzten fatalen Tauchgang zu intensiv an den Tod meiner Mutter, statt mich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Ich weiß bis heute nicht, was wirklich passiert ist." Beck seufzte. „Vielleicht hat Mike etwas gesehen, das er unbedingt haben wollte, und zu heftig daran gezogen. Möglicherweise ist das Wrack aber auch ohne äußere Einwirkung einfach so geborsten. Ich weiß es nicht. Irgendwie muss ich aber etwas geahnt oder gespürt haben, dehn ich schickte Nikko hoch, dann schwamm ich zu den anderen beiden und signalisierte ihnen, ebenfalls nach oben zu gehen. Lorcan hat es noch geschafft - und dann brach das Wrack über mir und Mike zusammen." Beck schwieg lange. Vielleicht erlebte er die Schreckensminuten noch einmal. Als Carenza schon dachte, er würde nicht weitererzählen, sagte er: „Lorcan und Nikko kamen wieder runter und zogen uns unter den Trümmern heraus. Mike war tot. Ich war bewusstlos und wurde mit einem Hubschrauber ins nächste Krankenhaus geflogen, und als ich zwei Tage später wieder zu mir kam, saß Helena an meinem Bett." „Da hast du sie zum ersten Mal gesehen?", erkundigte Carenza sich. „Ja. Sie berichtete mir, was Mike passiert war, aber sie hat mir nie Vorwürfe gemacht, dass ich ihren Bruder nicht gerettet habe, vielleicht weil sie vom Tod meiner Mutter wusste und spürte, wie nahe mir der ging. Jedenfalls hat Helena sehr viel Mitgefühl gezeigt. Nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, verbrachten wir einige Tage in einem Hotel, natürlich in getrennten Zimmern. Aber ..." „Okay, schon gut", mischte Carenza sich ein. Sie wollte keine Einzelheiten hören. „Wenige Wochen nach dem Begräbnis meines Vaters informierte Helena mich, sie sei schwanger", nahm Beck den Bericht wieder auf. „Sie zog zu mir ins Haus meiner Eltern und richtete es neu ein, während ich das Restaurant in Schuss brachte. Dann hatte sie die Fehlgeburt, und danach war sie wie verwandelt..." „Und du hast dich dafür verantwortlich gefühlt?" „Ja. Sie war distanziert und abweisend, wollte nicht, dass ich sie berühre und tröste ... und dann traf ich dich." „Und ich war nicht unterkühlt und unzugänglich, stimmt's?" Vielleicht ist er ja nur deswegen gern mit mir zusammen, weil ich mich ganz normal verhalte, dachte Carenza pessimistisch. „Ich hatte schreckliche Gewissensbisse", erzählte Beck weiter. „Helena hatte das Baby verloren, und ich dachte immer nur an dich. Kein sehr nettes Verhalten, oder?" Aber verständlich, wenn du dich verzweifelt nach einem unkomplizierten Verhältnis gesehnt hast, hätte sie ihm am liebsten gesagt, schwieg aber. Der Gedanke, dass Beck sie nicht mehr brauchen würde, sobald er die Gefühlskrise überwunden hatte, beunruhigte sie. Ihr Selbstvertrauen war zur Zeit ziemlich erschüttert, warum, wusste sie nicht. Und sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass das Schicksal noch einige Schläge für sie und Beck bereithielt. „Aber als du erfahren hattest, dass Helena schwanger war, hast du ihr zuliebe das Reisen aufgegeben?", fragte Carenza leise. „Und stattdessen das Restaurant eröffnet? Das war, meiner Ansicht nach, nett von dir." „Na ja, ich konnte doch nicht weiterhin durch die Welt ziehen, wenn Helena ein Kind von mir erwartete. Eine Familie braucht Stabilität und ein richtiges Zuhause. Ich muss übrigens gleich weg." Sie lächelte ihn an. „Stimmt, das Mittagessen muss gekocht werden. Sehe ich dich später?" „Möchtest du es?"
„O ja. Ich möchte dich immer sehen, Beck." „Dann komme ich gegen sechs Uhr hierher zurück." Sie streichelte ihn und schmiegte das Gesicht an seine Brust, weil ihr Tränen in die Augen stiegen und sie nicht wollte, dass er die sah. Ihr kam es so vor, als würde er für immer Abschied nehmen, was dumm war, da Beck nichts Derartiges angedeutet hatte. Dann küsste sie ihn, und er erwiderte den Kuss zuerst sanft, dann immer drängender, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte. Sie liebten sich mit einer Intensität, als würden sie erwarten, es wäre zum letzten Mal, und nachher umfasste er ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen. „Zieh dich nicht von mir zurück", bat er leise. „Es wird alles gut." „Nach dem Motto: Vertrauen Sie mir, ich bin Arzt?", versuchte Carenza zu scherzen. „Genau!" Sie rang sich ein Lächeln ab und berührte sanft seine Lippen. „So, jetzt stehe ich endlich auf und mache Kaffee." In den folgenden Tagen tat Carenza alles das, was sie bisher auch mit Beck getan hatte, aber sie war nicht mit dem Herzen dabei. Gedanken an Helena verdüsterten ihr Leben wie ein dunkler Schatten, und sie konnte das Gefühl drohenden Unheils nicht abschütteln. Was zwischen Beck und Helena ablief, wusste sie nicht, denn er sprach nicht darüber. Ihre Phantasie gaukelte ihr allerdings ständig ungebeten die beunruhigendsten Bilder vor. Eines Tags besorgte Beck Vorräte fürs Restaurant, und Carenza hängte im oberen Stockwerk des Zentrums die Gardinen auf. Da sah sie Helena aufs Gebäude zukommen. „Es naht mir das Verhängnis", zitierte Carenza halblaut, aber sehr sarkastisch eine Gedichtzeile. Sie hörte die Schritte auf der Treppe, dann im Flur und konnte deshalb genau abschätzen, wann Helena an der Tür erscheinen würde. Carenza wandte sich um. Sie ist noch hübscher, als ich sie in Erinnerung hatte - es ist aber eine Schönheit, die sich nicht lange hält, dachte sie gehässig und schämte sich sofort dafür. Helena wirkte sehr selbstsicher und elegant. Sie trug einen langen Wollrock, dazu eine Jacke, hochhackige Stiefel und hatte perfektes Make- up aufgelegt. Carenza kam sich im Vergleich dazu wie eine Landstreicherin vor. „Hallo", sagte sie langsam. Anmutig lehnte Helena sich gegen den Türrahmen und lächelte. „Sie sind sich doch bewusst, dass Sie Beck nur als Leihgabe haben?", fragte sie sanft. „Ich mache Ihnen natürlich keinen Vorwurf, weil Sie ihn mir abspenstig gemacht haben, denn er ist wirklich ein umwerfend attraktiver Mann. Und reich. Das wussten Sie doch?" Carenza antwortete nicht. „Und obwohl er behauptet, mich nicht zu lieben, wird er mich niemals loswerden", fügte Helena hinzu. „Zwischen uns besteht ein undurchtrennbares Band." „Sie lieben ihn doch nicht", meinte Carenza. „Richtig. Dass ich ihn trotzdem will, verstehen Sie nicht, oder? So großen, kräftigen Frauen wie Ihnen mangelt es ja üblicherweise an Raffinesse - in jeder Hinsicht." „Ach ja? Trotzdem tut es mir aufrichtig Leid, dass Sie Ihr Baby verloren haben", erwiderte Carenza beherrscht. Helena senkte den Blick. Ihre Wimpern waren lang und dicht und wahrscheinlich echt. „Ja, das war ziemlich traurig." „Und - sind Sie deshalb zurückgekommen, weil Sie bei Beck Trost suchen?" „Aber nein", antwortete Helena aufrichtig. „Sondern Ihretwegen." „Ich verstehe. Und woher haben Sie von mir erfahren?" „Von John. Er hat Sie und Beck zusammen gesehen. Nackt", fügte sie hinzu und lächelte hintersinnig. „Der arme John war völlig schockiert. Er ist nämlich in mich verliebt." „Tatsächlich?" „O ja. Das ist doch verständlich. Haben Sie seine Frau schon kennen gelernt? Sie ist so
unansehnlich, die Arme." „Hat John denn all die Zeit über gewusst, wo Sie sich aufhalten, Helena?" Helena lächelte nur und winkte geziert. Dann wandte sie sich um und ging weg. Carenza lehnte sich an die Wand. War Helena tatsächlich so, wie sie sich gab? Sie wirkte wie ein Kind, das das Erwachsensein spielte. Und sie sah so unglaublich jung aus, nicht älter als ein- oder zweiundzwanzig Jahre. Stirnrunzelnd wandte Carenza sich dem Fenster zu und beobachtete Helena, die zur Auffahrt hinübertrippelte. Ja, es gab kein passenderes Wort, um ihren Gang zu beschreiben! Und diese Frau hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Nervenzusammenbruch erlitten? Unvorstellbar! Sehr bedrückt über den Verlust des Babys hatte sie auf Carenza nicht gewirkt. Wieso treibt sie solche Spielchen? überlegte Carenza weiter. Weil es ihr Spaß machte? Weil sie zu dumm war, um zu erkennen, wie viel Kummer sie anderen damit zufügte? Oder war Helena einfach ein intrigantes Biest? Wie benahm sie sich Beck gegenüber? Oder John? Bestimmt nicht so wie eben, so viel war sicher. Beide Männer hatten sich von ihr, wie es aussah, hinters Licht führen lassen. Und zumindest Beck war kein Narr. Bei John war sich Carenza nicht so sicher. Wenn ich Beck von der Begegnung erzähle, stehe ich als die Gehässige da, sagte Carenza sich. Spontan, wie es ihre Art war, beschloss sie, Johns Frau Lisa zu besuchen. Auf dem Weg zum Pförtnerhaus ließ sie sich das Gespräch mit Helena noch einmal durch den Kopf gehen. Vor dem schmucken kleinen Haus sah sie zwei Kinder, die in einer Pfütze spielten. Die Kleinen waren von oben bis unten mit Schlamm bespritzt und amüsierten sich prächtig. Carenza lächelte. Ich hätte auch gern so fröhliche Kinder, dachte sie. Von Beck ... Und wie standen die Chancen, dass sich ihr Wunsch eines Tags erfüllte? Momentan eher schlecht. Sie ging durch den Vorgarten zur Haustür und klopfte. Fast sofort wurde von einer blonden jungen Frau ungefähr in Carenzas Alter geöffnet, die strahlend lächelte. „Sie müssen Carenza sein", sagte sie. „Ja. Und Sie sind Lisa?" „Richtig. Kommen Sie bitte herein. Ich wollte Sie schon seit längerem kennen lernen", sagte Lisa schüchtern und ging in die Küche voran. „Allerdings wollte ich nicht zu Ihnen ins Konfe-renzzeritrum kommen und Sie bei der Arbeit stören." „Warum denn nicht? Es tut doch sonst jeder", erwiderte Carenza viel sagend. Lisa lachte. „Ja, ich habe Helena eben beobachtet. Macht es Ihnen etwas aus, in der Küche zu bleiben? Ich möchte die Kinder im Auge behalten." „Nein, absolut nicht. Die beiden Kleinen haben sichtlich viel Spaß", meinte Carenza und setzte sich an den Tisch. „So wie Sie, bevor Helena aufgetaucht ist?", sagte Lisa und entschuldigte sich sofort für die Bemerkung. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Lisa. Ich bin prinzipiell dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dadurch vermeidet man letztlich Missverständnisse und Scherereien. Sie mögen Helena auch nicht, stimmt's?" „Stimmt." Lisa stellte den Wasserkessel auf und nahm Tassen und Untertassen aus dem Schrank. „John glaubt, in sie verliebt zu sein", fügte sie unverblümt hinzu, konnte aber nicht verbergen, wie bekümmert sie darüber war. „Dann müssen wir etwas unternehmen", erwiderte Carenza. „Sie geht mit Männern offensichtlich ganz anders um als mit Frauen." „Das denke ich auch. Mir ist nur nicht klar, ob sie dumm oder sehr gerissen ist. Sie scheint kein Gewissen zu besitzen. Nehmen Sie Milch und Zucker?" „Ja, beides bitte." „Und weil ich nicht hübsch bin ..." „Doch, das sind Sie", unterbrach Carenza sie energisch. „Und Sie haben ein ganz
bezauberndes Lächeln." Erstaunt sah Lisa sie an. „Wirklich?" „Ja. Das muss John Ihnen doch schon oft gesagt haben." Lisa senkte den Blick und seufzte. „Nicht in letzter Zeit. Ich dachte, es wäre jetzt alles in Ordnung zwischen uns, aber ..." „Also, was unternehmen wir?", fragte Carenza energisch. „Was können wir denn tun?" „Das weiß ich noch nicht, aber ich habe nicht die Absicht, herumzustehen und mich von einem jungen Mädchen ausstechen zu lassen." „Helena ist achtundzwanzig." „Wie bitte?", rief Carenza verblüfft. „Nur ein Jahr jünger als ich?" „Und zwei Jahre jünger als ich", sagte Lisa. Sie sahen einander an, dachten offensichtlich dasselbe und lachten. „Was meinen Sie, würde Beck mal nachsehen, welche Creme Helena verwendet, wenn ich ihn höflich bitte?", überlegte Lisa laut. „Oder welche Vitaminpillen sie schluckt", ergänzte Carenza, und wieder lachten sie. Lisa reichte ihr eine Tasse Tee. „Lieben Sie Beck?" „Ja", antwortete Carenza aufrichtig. „Noch nie habe ich Ähnliches für einen Mann empfunden. Es ist unbeschreiblich." „Ich habe früher so für John empfunden", gestand Lisa traurig. „Früher?" „Ja. Es ist einiges schief gelaufen." „Das tut mir Leid." „Jedenfalls habe ich Beck noch nie so glücklich gesehen", sagte Lisa. „Er lacht, macht Scherze mit uns Angestellten und kann es kaum erwarten, wegzufahren, sobald das Restaurant schließt. Er fährt dann zu Ihnen?" „Ja." „Das können wir doch nicht von Helena kaputtmachen lassen!", rief Lisa aufgebracht. „Also, was unternehmen wir?" „Ich weiß es nicht. Noch nicht. Wir müssen uns etwas ausdenken, um ihre Pläne zu durchkreuzen ... Vielleicht können wir Helena in eine Situation bringen, in der die Männer merken, wie sie wirklich ist - wenn sie zum Beispiel zufällig mit anhören, wie dieses Biest mit Ihnen und mir redet." „Das klingt ziemlich hinterhältig", meinte Lisa zweifelnd. „Ich bin nicht gut im Intrigieren." „Sie stimmen mir aber zu, dass Helenas Verhalten nicht ganz, na ja, normal ist?" „Durchaus! Irgendwie hat sie zwei Gesichter: Zu John ist sie absolut charmant. Sie blickt bewundernd zu ihm auf, lächelt schmeichelnd ... Na ja. Und alle hier in der Gegend, Frauen wie Männer, finden sie wundervoll." „Außer uns beiden." Carenza trank nachdenklich einen Schluck Tee. Dann fragte sie: „Wer ist denn der Mann, mit dem sie in Winchester zusammengelebt hat? Wissen Sie das? Beck sagte mir, sie habe einen neuen Lebensgefährten." „Ich habe keine Ahnung." „Könnten Sie John fragen?" „John?", wiederholte Lisa überrascht. „Ja. Er hat Helena von mir erzählt", erklärte Carenza. „Ich glaube, er wusste die ganze Zeit über, wo sie war." „Und hat niemand etwas gesagt?" Lisa klang schockiert. „Nein, das glaube ich nicht. Wir alle haben uns doch solche Sorgen ihretwegen gemacht. Die Leute von der Polizei haben sogar den ganzen Garten umgegraben." „Ich weiß." John hat allerdings beha uptet, Helena würde wieder auftauchen, erinnerte Carenza sich. Und diese hatte nur gelächelt auf die Frage, ob John ihren Aufenthaltsort gekannt habe.
Sie trank den Tee aus und stand auf. „Jetzt muss ich ins Konferenzzentrum zurück. Wenn Sie etwas herausfinden ..." „Ja, dann sage ich es Ihnen", stimmte Lisa bedrückt zu. „Vielleicht verschwindet Helena ja auch." „Vielleicht." Carenza bezweifelte das. „Danke für den Tee." Sie lächelte Lisa aufmunternd an und verließ das Pförtnerhaus. Da habe ich nicht viel erreicht, dachte sie. Jedenfalls war es gut, zu wissen, dass sie nicht die Einzige war, die Helenas Verhalten seltsam fand. Nachdem sie die Gardinen aufgehängt hatte, suchte sie ihre Sachen zusammen und wollte nach Hause fahren, da erschien John im Konferenzzentrum. Sie sah ihn so hasserfüllt an, dass er zusammenfuhr. Schließlich war er daran schuld, dass Helena zurückgekommen war, und das verzieh sie ihm nicht. „Die beiden gehören zusammen", führte er zu seiner Verteidigung an, denn er hatte den Blick offensichtlich richtig gedeutet. „Ach ja?", fragte Carenza gespielt gelassen und zog sich den Mantel an. „Sie lieben sich." „Rechtfertigen Sie Ihre Einmischung nicht mir gegenüber, John, tun Sie es bei Beck." „Er liebt Helena. Sie waren für ihn nur ..." Sie nahm die Handtasche und ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Was hatte John sagen wollen? Sie, Carenza, wäre nur ein Zeitvertreib für Beck gewesen? Eine Ablenkung? Nein, das glaubte sie nicht. In Gedanken versunken, fuhr sie nach Hause. Es war ja schön und gut, bei Lisa das große Wort zu führen, aber was sollte sie jetzt tun? Am liebsten hätte sie getobt! In wenigen Tagen würde sie die Arbeit im Konferenzzentrum beenden. Und dann? Erst für den Spätsommer hatte sie zwei kleinere Aufträge in Aussicht. Vielleicht sollte sie zu ihren Eltern fahren und einige Tage mit normalen, unkomplizierten Menschen verleben? Möglicherweise hatte Beck Lust, sie zu begleiten. Als er nachmittags zu ihr kam, war er allerdings in einer ungewohnt abweisenden Stimmung, deshalb fragte Carenza ihn lieber nicht. Er stand zuerst nur da und sah sie ausdruckslos an. „Was ist denn los?", fragte sie schärfer, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. „John hatte vorhin ein längeres Gespräch mit mir. Er wirkte ziemlich aufgeregt. Seine Erklärung habe ich zwar nicht ganz verstanden, aber der Kern schien zu sein, dass John dich nicht hatte wütend machen wollen." Sie verschränkte die Arme und sah Beck eindringlich an. „Und was hast du daraus geschlossen?", fragte sie herausfordernd. „Dass du mit John wegen Helena eine Meinungsverschiedenheit hattest." „Das ist nicht ganz richtig", erwiderte Carenza langsam. „Er hat eine Behauptung aufgestellt, und ich habe diese in Zweifel gezogen." „Ist das alles, was du dazu sagen willst?" „Richtig", stimmte sie zu. „Möchtest du Kaffee?" „Ja, gern." Sie wandte sich ab und schaltete die Kaffeemaschine ein. „Ich bin Helena heute begegnet." „Ja, das hat sie mir gesagt." „Und was hat sie noch erzählt?", erkundigte Carenza sich. Als er nicht antwortete, wandte sie sich ihm wieder zu. Er lächelte unverbindlich. „Na schön, du willst es mir also nicht verraten, Beck." „Gehen jetzt wieder Teller zu Bruch?", fragte er beiläufig. „Nein, ich mache nur anderer Leute Porzellan kaputt." „Du bist aber wütend, oder?" „,Gereizt' ist das zutreffendere Wort." Sie nahm einen Becher aus dem Schrank, goss wenig Milch hinein, so wie Beck es bevorzugte, und dann den Kaffee dazu. Nachdem sie
umgerührt hatte, reichte sie Beck den Becher. „Danke", sagte er höflich. „Haben wir jetzt eigentlich Krach miteinander?" „Nein." „Das ist gut." Als er nichts weiter sagte, lehnte sie sich gegen den Küchentresen und sah Beck an. „Hast du nicht etwas vergessen?" .„Ich wüsste nichts. Warum fragst du?" „Ach, eigentlich nur so", antwortete sie beiläufig. „Weil ich erwartet hatte, dass du mir jetzt eine Predigt über die Tugend der Nichteinmischung hältst." „Ich predige nie." „Wer hätte das von dir gedacht", meinte Carenza. Um seine Lippen zuckte es. Sie blieb ernst. „Heute habe ich endlich auch Lisa kennen gelernt", informierte sie ihn. „Ich mag sie." „Ich auch." „Sie behauptet, Helena sei schon achtundzwanzig." „Soviel ich weiß, stimmt das", bestätigte Beck. Carenza richtete sich kerzengerade auf und ging an ihm vorbei. „Finde doch bitte heraus, welche Kosmetika sie ve rwendet. Ein solches Zaubermittel sollte man mit dem Rest der Welt teilen." Im Hinausgehen hörte sie ihn lachen, aber ihr war nicht nach Lachen zu Mute. Im Wohnzimmer setzte sie sich einen Sessel. „John erzählte mir, du seist früher ziemlich streitsüchtig gewesen", rief sie und fing an, in einer Zeitschrift zu blättern. Beck kam herein. „Ich habe manchmal bewusst Diskussionen angefangen, weil ich Leute dazu bewegen wollte, über gewisse Themen nachzudenken", erklärte er. „Das würde ich nicht unbedingt als ..streitsüchtig' bezeichnen." „Nein, ich eigentlich auch nicht. Ich sollte dir lieber sagen, dass ich Helena nicht mag", fügte Carenza beiläufig hinzu. „Ist das eine Information oder eine Warnung?" „Das weiß ich auch nicht so genau." Er nahm ihr die Zeitschr ift ab und warf sie einfach auf den Boden, dann kniete er sich vor Carenza hin. „Hör auf damit", ermahnte Beck sie leise. In seinen Augen schimmerte ein Lächeln. „Ich will aber nicht. Mir ist jetzt nach Boshaftigkeit zu Mute. Helena benimmt sich wie ein kleines Kind." „Und das, mein liebes Mädchen, klingt typisch nach: den Splitter im Auge der anderen, aber nicht den Balken im eigenen sehen." Schmollend verzog sie die Lippen. „Vielleicht sollte ich zu dir ins Haus ziehen, dann könnten wir ein hübsches Dreiecksverhältnis haben", schlug sie vor, ohne ihn anzusehen. „Nein, das halte ich nicht für ratsam", erwiderte Beck trocken. „Du würdest Hackfleisch aus Helena machen." Forschend blickte Carenza ihn an. Ob er das wirklich glaubte? Offensichtlich tat er es. „Worum kämpfst du eigentlich?", fragte er sanft. „Um dich." „Mich hast du schon erobert." „Wirklich?", fragte sie traurig. „Ich habe momentan nicht den Eindruck." Er zog sie hoch, setzte sich in den Sessel und nahm sie auf den Schoß. „Du bist viel zu pessimistisch, Carrie. Helena wohnt zwar vorübergehend bei mir, aber ich sehe sie kaum. Ich verbringe fast meine gesamte Freizeit mit dir. Allerdings werde ich Helena nicht bitten, mein Haus wieder zu verlassen. Wozu auch? Sie weiß, dass ich jetzt mit dir zusammen bin." Ja, er ist mit mir zusammen, aber er liebt mich nicht, dachte Carenza niedergeschlagen. „Sie macht also keine Annäherungsversuche?" „Nein."
„Was hat sie über mich gesagt?"
„Dass sie dich sehr nett findet."
Erstaunt sah sie ihn an. „Nett und zu üppig?"
„Über deine Figur haben wir nicht gesprochen." Um seine Lippen zuckte es, dann
küsste er Carenza. Das hätte sie beruhigen müssen, tat es aber nicht. Wie konnte man eine Rivalin bekämpfen, die unaufrichtigerweise behauptete, einen nett zu finden? Und der auch noch geglaubt wurde -denn Beck glaubte Helena ganz offensichtlich. Außerdem hält er sie allem Anschein nach für eine wirklich reizende Person, und das ist Helena nun absolut nicht, dachte Carenza aufgebracht. „Was ist denn aus dem Mann geworden, mit dem Helena angeblich zusammenlebt?", erkundigte sie sich endlich. „Sie hat mir gesagt, er sei nur ein guter Freund. Jetzt möchte ich wirklich nicht länger über sie reden." Beck klang nun leicht gereizt. Es war wohl besser, das Thema ruhen zu lassen. „Na schön", stimmte Carenza zu und küsste ihn hingebungsvoll. Eine Woche später wohnte Helena noch immer bei Beck. Das Konferenzzentrum war fertig eingerichtet, und Carenza konnte den Abschluss der Arbeiten nicht länger hinauszögern - nicht einmal, indem sie die Bilder zum x-ten Mal umhängte. Sie blickte sich noch einmal gründlich um, um sicherzugehen, dass sie wirklich nichts übersehen oder vergessen hatte, dann sammelte sie ihre Sachen ein und fuhr in ihre Wohnung. „Ich habe vor, mir jetzt einige Tage freizune hmen", verkündete Carenza, als Beck einige Stunden später zu ihr kam. „Ich möchte meine Eltern besuchen. Kommst du mit?" „Ja, gern." „Wirklich?", fragte sie erfreut. „Ganz ehrlich. Mir würde es Montag und Dienstag am besten passen, dann können wir mittwochs zurückfahren." Strahlend lächelte sie ihn an. „Ich rufe sie gleich nachher an und sage, dass wir beide kommen. Und was hältst du vom Konferenzzentrum? Hast du es dir schon angesehen?" „Ja. Es gefällt mir gut. Wie viel schulde ich dir?" „Sehr viel. Du findest es also nur gut?" Er lachte. „Du hast großartige Arbeit geleistet, bist ein sehr talentiertes Mädchen, und ich finde das Zentrum wunderbar. Wir haben übrigens bereits Reservierungen für Ende April." „Oh, schön." „Ich dachte mir, ich könnte das Restaurant im Sommer für ein oder zwei Monate schließen und mir einen Urlaub gönnen. Bis Ende Juni sind wir zwar ausgebucht, aber ich werde Lisa anweisen, bis September keine weiteren Reservierungswünsche anzunehmen. Falls du es mit deinen Terminen vereinbaren kannst, würdest du mich dann auf einem Segeltörn begleiten?" „Nur wir beide?", hakte Carenza hoffnungsvoll nach.
„Nur wir beide", bestätigte Beck.
„O ja, gern!" Nun war für sie die Welt wieder in Ordnung.
Jedenfalls bis zum Montagmorgen. Kurz bevor Carenza mit Beck nach Devon zu ihren
Eltern aufbrechen wollte, rief Helena bei ihr an und sagte, sie habe sich den Knöchel gebrochen.
7. KAPITEL „Carenza, fahr du wie geplant zu deinen Eltern. Ich kann Helena unmöglich allein lassen", sagte Beck. „John arbeitet, Lisa muss sich um die Zwillinge kümmern, und sonst gibt es niemand, der helfen könnte." „Du hast Recht." Carenza rang sich ein Lächeln ab, um zu verbergen, wie enttäuscht sie war. Der Gedanke, dass Helena nun mit ihm allein und sie, Carenza, aus dem Weg sein würde, beunruhigte sie. „Ich komme mit zu dir", verkündete sie unvermittelt. Spöttisch sah er sie an. „Nein, lieber nicht." „O doch", erwiderte sie hartnäckig. „Helena wird wahrscheinlich froh sein, eine Frau bei sich zu haben - die ihr im Bad und beim Anziehen hilft." „Und bei den Vorbereitungen zur Abreise?", fragte er trocken. „Das habe ich nicht gesagt." „Das brauchtest du auch nicht, Carrie. Falls Helena Hilfe bei intimeren Angelegenheiten braucht, kann ich ja Lisa darum bitten." „Lisa mag Helena ebenso wenig wie ich." „Ach was. Du übertreibst ganz schön, weißt du das?", tadelte er sie sanft. Das fand sie nicht. „Was glaubst du denn, was passieren könnte?", fügte Beck hinzu. „So wie ich Helena kenne", antwortete sie bedrückt, „alles Mögliche." „Du kennst sie aber nicht richtig. Fahr du lieber nach Devon." Er lächelte sie an und küsste sie. „Ich sehe dich dann, wenn du zurückkommst, also am Mittwoch. Okay?" Carenza nickte. Nachdem er gegangen war, stand sie noch lange reglos da. Was glaubte sie denn wirklich, was passieren könnte? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass es nichts Gutes sein würde - nichts Gutes für sie zumindest. Und deshalb ... Kurz entschlossen nahm sie ihren Koffer und fuhr zu Beck. Was konnte er schon tun? Sie hinauswerfen? Nachdem sie das Auto hinter seinem Landrover abgestellt hatte, atmete sie tief durch, wie um sich für einen Kampf zu wappnen. Und genau so fühlte sie sich: als würde sie in eine Schlacht ziehen. Beck und Helena waren im Wohnzimmer. Er lehnte am Kaminsims, den Kücken zur Tür. Sie saß im Sessel, den bandagierten Fuß auf einem Schemel, Krücken neben sich, und blickte zu Beck auf. „Es tut mir so Leid, dass ich deine Pläne durchkreuzt habe", sagte sie. Es klang ehrlich, lieb und sanft. „Das ist nicht so schlimm", versicherte er ihr. „Natürlich ist es das. Ich ..." „Wer hat dich eigentlich ins Krankenhaus gebracht?", unterbrach er sie. „Ich bin selbst gefahren", antwortete Helena stolz. „Das war ein bisschen unüberlegt, oder?" „Ich konnte aber doch niemand bitten, weil niemand da war", erwiderte sie überzeugend. „Außerdem habe ich einen Wagen mit Automatik, und da ich mir den linken Fuß verletzt habe, konnte ich durchaus chauffieren." „Und du bist auch allein nach Hause gekommen?" „Ja. Dann erst setzten die Schmerzen richtig ein, und ich fühlte mich völlig hilflos. Da habe ich Panik bekommen und dich angerufen. Es tut mir Leid. Jetzt geht es schon wieder", sagte sie tapfer. „Fahr du ruhig nach Devon." Helena ist wirklich eine phantastische Schauspielerin, dachte Carenza sarkastisch und überlegte kurz, ob sie applaudieren sollte. „Der Fuß ist also nicht gebrochen?", mischte sie sich ein. Beide wandten sich ihr zu. Beck sah resigniert aus, Helena lächelte, nachdem sie Carenza kurz wütend angefunkelt hatte, was ihm entgangen war. „Carenza! Wie schön, Sie hier zu sehen!", sagte Helena und tat so, als würde sie sich
wirklich freuen. „Es wäre doch niederträchtig von mir gewesen", erwiderte Carenza mit derselben geheuchelten Freundlichkeit, „Sie hier hilflos allein mit Ihren Schmerzen zu lassen - und Beck als einziger Gesellschaft." Bewusst vermied sie es, ihn anzublicken. „Sie haben sich den Knöchel also nur verstaucht, stimmt's?", wollte sie wissen. „Carrie!", sagte BeCk warnend. „Ja", antwortete Helena und lächelte sanft. „Am Telefon habe ich wohl etwas übertrieben. Ich war, wie ich schon sagte, in Panik geraten." Sie zuckte hilflos die Schultern und sah reuig aus. „Es hat so wehgetan." „Das kann ich mir vorstellen", meinte Carenza unverbindlich. „Soll ich Tee machen?" „Helena trinkt nur Kaffee", informierte Beck sie. „Dann mache ich eben Kaffee", erwiderte sie, ging in die Küche und setzte den Wasserkessel auf. „Weshalb bist du eigentlich hierher gekommen?", fragte Beck plötzlich hinter ihr. „Um euch zu helfen." „Carrie ..." „Ehrlich!" Sie wandte sich ihm zu und lächelte ihn an. Er erwiderte das Lächeln jedoch nicht. „Das kann nicht gut gehen!" „O doch", erwiderte sie unerschütterlich. „Helena braucht Hilfe, und ich werde dafür sorgen, dass sie die bekommt." „Genau das beunruhigt mich ja so", meinte er ironisch. „In welchem Krankenhaus hat sie sich untersuchen lassen?", erkundigte Carenza sich. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich in dem von Horsham." „Sie hätte sich ein Taxi bestellen sollen. Es ist riskant, mit einem bandagierten Fuß zu fahren." „Das sage ich ihr bestimmt auch noch mal", versicherte Beck ihr. „Gut. Tut sie Zucker in den Kaffee?" „Ja, zwei Löffel. Und viel Milch. Bitte, brüh richtigen Kaffee auf." „Ach, Helena mag keinen Pulverkaffee?", fragte Carenza honigsüß. „Richtig. Ich trinke meinen Kaffee im Arbeitszimmer", informierte Beck sie und verließ die Küche. „Feigling", sagte Carenza leise. Nachdem sie den Kaffee gemacht hatte, brachte sie zuerst Beck eine Tasse, ging dann in die Küche zurück und schenkte sich eine ein. Anschließend richtete sie ein Tablett her und trug es ins Wohnzimmer. Helena würde sicher nicht erwarten, dass sie beide gemütlich beim Kaffee zusammensaßen und plauderten. „Vielleicht sollte ich mir eine kleine Glocke besorgen, um mich melden zu können, wenn ich etwas brauche", überlegte Helena halblaut. „Die hängen wir Ihnen dann um den Hals", erwiderte Carenza und stellte das Tablett ab. „Verzeihen Sie", entschuldigte sie sich dann unaufrichtig. „Ich sollte nicht so gemein sein. Sonst haben Sie doch etwas, worüber Sie sich bei Beck beschweren können - und das wäre so, als würde ich Ihnen die Munition liefern, die Sie gegen mich einsetzen können." „Das wäre wirklich nicht empfehlenswert. Würden Sie mir den Kaffee eingießen?" „Aber gern. Nehmen Sie ein oder zwei Löffel Arsen?" Helena lächelte und nahm die Tasse entgegen. „Ich frage mich, ob ich Sie womöglich unterschätzt habe, Carenza." „Ganz bestimmt!" „Ach so. Na ja, Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, wie man so schön sagt. Sind Sie denn raffiniert genug, um Beck zu halten?" „Das wird sich zeigen", erwiderte Carenza kühl. „Wie lange beabsichtigen Sie, außer Gefecht zu sein?" Wieder lächelte Helena - geziert, gespielt hilflos und zugleich vorwurfsvoll. „Ich
wünschte, Sie würden nach Devon fahren, Carenza. Es wäre doch zu schade, wenn Sie meinetwegen auf Ihren Urlaub verzichten würden. Beck und ich sind wirklich nur gute Freunde. Man kann ihm, wie Sie ja sicher wissen, absolut vertrauen." „Ja, bei ihm bin ich mir völlig sicher", konterte Carenza. „Beck", fügte Helena sanft hinzu und blickte an ihr vorbei, „überrede du sie doch, ihren Urlaub zu machen." Carenza funkelte Helena an und lächelte freudlos. Man sollte nie mit dem Rücken zur Tür stehen, wenn man vor Überraschungen sicher sein möchte, dachte sie. Vor allem, wenn die Rivalin sehen konnte, wer sich näherte, und das Gespräch daraufhin entsprechend steuerte. Beck hakte Carenza unter und führte sie aus dem Wohnzimmer. „Du solltest wirklich zu deinen Eltern fahren." „Nein!" „Doch." Er öffnete ihr die Hintertür und begleitete sie hinaus. „Vertraust du mir denn nicht, Carrie?" „Dir schon." „Dann fahr nach Devon. Ich verspreche dir auch, jede Nacht meine Schlafzimmertür abzuschließen", sagte er humorvoll. Sie blieb stehen und sah zu ihm auf. „Beck ..." begann sie flehend. „Fahr jetzt." Streitlustig blickte sie ihn an, dann wandte sie sich frustriert ab. „Du spielst Helena in die Hände. Das weißt du doch, oder?" „Nein. Jetzt setz dich ins Auto. Ich besuche deine Eltern ein anderes Mal." Carenza stieg ein. Ausdruckslos sah sie Beck noch einmal an und sagte: „Ich glaube nicht, dass ihr Knöchel auch nur verstaucht ist." „Dass du es nicht glaubst, nehme ich dir sogar ab. Allerdings hätte ich dich für wohlwollender gehalten. Warum, um alles in der Welt, sollte Helena lügen? Ich kenne sie, Carrie. Du tust es nicht." O doch, das tat sie. Zumindest war sie überzeugt davon, Helena zu durchschauen. „John wusste die ganze Zeit über, wo sie war, und ...." „Jetzt leidest du an Wahnvorstellungen", unterbrach Beck sie. „Nein! Hör mir zu. John hat es gewusst. Frag ihn doch", bat sie eindringlich. „Und wenn eine Frau einfach verschwinden und nicht einmal ihren Vater benachrichtigen kann, wo sie ist, und das, obwohl die Polizei überall nach ihr sucht, dann ..." Sein Ausdruck wurde starr, und sie wusste, sie war zu weit gegangen. „Fahr nach Devon", sagte Beck ausdruckslos, schloss die Autotür und trat einen Schritt zurück. So hatte Carenza ihn noch nie erlebt. Beck wirkte so ungläubig, als würde er befürchten, sich in ihr bisher geirrt zu haben. Unglücklich sah sie ihn groß an, dann wandte sie sich endlich ab und startete den Motor. Wie machte man einem Mann klar, dass er hinters Licht geführt wurde? Und dass man seinen Freund nicht hatte anschwärzen wollen? Wieso sage ich immer das Falsche, sobald ich nur den Mund aufmache? fragte sie sich angewidert. Und wieso hielt Beck sie nicht für wohlwollend und nachsichtig? Das war sie durchaus - nur eben Helena gegenüber nicht. Auf der langen Fahrt nach Devon hatte sie genügend Zeit, um über all die Ereignisse nachzudenken. Als sie mit Lisa gesprochen hatte, war sie noch voller Selbstvertrauen gewesen und hatte über die Lage sogar gescherzt. Jetzt fand sie sie keineswegs mehr komisch. Beck glaubte, Helena Dank zu schulden. Er kann sie nicht einfach wegschicken, nur weil ich mich mit der jetzigen Situation nicht abfinden will, dachte Carenza. Aber wie viel schuldete er seiner früheren Geliebten tatsächlich? Möglicherweise bin ich ja nur eifersüchtig, überlegte sie weiter. Nein, Helena war tatsächlich eine falsche Schlange, eine Heuchlerin! Warum merkte Beck das nicht? Ich hätte vielleicht ihr Spiel mitmachen sollen, statt Zweifel an ihrem Unfall zu äußern,
sagte Carenza sich. Nein, sie wollte sich nicht verstellen. Weshalb auch? Beck kannte ihre Gefühle. Er war schließlich nicht dumm. Trotzdem hatte er sie weggeschickt, und nun hatte die Rivalin freie Bahn! Wenn ich mir nur sicher sein könnte, dass Beck mich liebt, dachte Carenza. Aber er hatte ihr nie gesagt, was er wirklich für sie empfand, deshalb konnte sie mit ihm nicht über ihre Befürchtungen sprechen oder - wonach ihr zu Mute gewesen wäre - einen richtigen Krach inszenieren, weil Beck sich so einfach einwickeln ließ. Dadurch würde sie ihn nur erbittern und ihn dann - das spürte sie - verlieren. Das wollte sie natürlich nicht, also musste sie sich vorerst fügen: So einfach ließ sich die Situation umreißen. Als Carenza schließlich das Haus ihrer Eltern erreichte, war sie schlecht gelaunt und fühlte sich elend. Den erstaunten Blick ihrer Mutter ertrug sie kaum. „Ach, du kommst allein?", fragte Mrs. Dean. „Ja", bestätigte Carenza mürrisch, küsste ihre Mutter flüchtig und trug dann den Koffer in ihr früheres Zimmer. „Wo ist Dad?" „Wahrscheinlich in der Garage." Mrs. Dean setzte sich aufs Bett. „Was ist passiert?", fragte sie. „Ich habe alles verdorben", antwortete Carenza. „Ach, du liebes bisschen!" „Er hat mich aus dem Haus geschafft wie einen Müllsack -als hätte ich keine Rechte ..." „Und hast du welche?", unterbrach ihre Mutter sie sanft. „Ich weiß es nicht." Carenza seufzte. „Das ist ja das Problem." „Setz dich zu mir, und erzähl mir alles." Müde ließ sie sich auf dem Bett nieder und schilderte die jüngsten Ereignisse. „Dieses Weibsbild kennt unheimlich viele Tricks - mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte", beklagte sie sich schließlich erbittert. „Ich würde wetten, sie hat sich den Knöchel gar nicht verstaucht, sondern ist zu einer Drogerie gefahren, hat sich eine Bandage gekauft und Krücken ge liehen und ... Ach, Mom, sie ist doppelzüngig, hinterhä ltig und gemein zu mir, zu Beck dagegen sanft und lieb." Seufzend gestand sie dann: „Ich hätte das alles trotzdem anders angehen sollen." „Ja", stimmte ihre Mutter mitfühlend zu. „Mach dir aber keine unnötigen Sorgen. Ich nehme an, er wird dich bald anrufen." „Beck kennt eure Nummer nicht." „Die kann er ja herausfinden", tröstete Mrs. Dean sie. „Nicht ohne eure Adresse." Mrs. Dean lächelte nur. „Erzähl mir von ihm." Das tat Carenza ausführlich und schwärmte fast eine Stunde lang über seine liebenswerten Eigenschaften und seine vielen Talente. „Er scheint ja fast ein Heiliger zu sein", meinte Mrs. Dean schließlich. „Nein, das ist er nicht", widersprach Carenza und seufzte wieder. „Aber ich liebe ihn." „Dann lass Helena nicht gewinnen! Und jetzt komm mit nach unten. Du musst doch etwas essen." Betrübt stand Carenza auf und folgte ihrer Mutter in die Küche, wo ihr Vater schon auf sie wartete. Sie küsste ihn zur Begrüßung. „Ich habe dich vorhin ankommen gehört, wollte euch aber nicht stören. Alles in Ordnung?", erkundigte er sich. „Nein", erwiderte sie bedrückt. „Doch", widersprach ihre Mutter. „Jedenfalls wird es das bald wieder sein. Und falls du, mein Lieber, beabsichtigst, dich mit so schmutzigen Händen an den Tisch zu setzen, dann denk lieber noch mal nach." Mr. Dean betrachtete seine Hände, lächelte zerknirscht und ging zum Spülbecken, um sie gründlich zu reinigen. „Ist dein junger Mann nicht mitgekommen?", fragte er. „Deine Mutter hat behauptet, er würde dich begleiten." Carenza lächelte, als sie sah, wie ihre Mutter viel sagend den Kopf schüttelte. Ihr Vater
erwiderte das Lächeln. Carenza versuchte, fröhlich zu sein, aber sie musste dauernd an Beck und Helena denken und fragte sich, was die beiden jetzt machten und miteinander besprachen. „Ich glaube, ich fa hre heute noch zurück", verkündete Carenza unvermittelt am folgenden Tag, als sie mit ihrer Mutter beim Lunch saß, und stand auf. „Ich rufe Beck an." „Nein", widersprach Mrs. Dean und legte ihr eine Hand auf den Arm, um sie aufzuhalten. „Ruf ihn auf alle Fälle an, aber fahre nicht zu ihm zurück, sondern in deine Wohnung. Lass ihn wissen, dass du wieder da bist, erwähne aber Helena mit keinem Wort. Beck muss seine Entscheidungen unbeeinflusst treffen", ermahnte sie ihre Tochter. „Und Helena wird sich irgendwann in ihrem Netz aus Intrigen selbst verstricken." „Ja", stimmte Carenza zweifelnd zu. „Es ist nicht deine Art, die Dinge auf sich beruhen zu lassen, stimmt's?", fragte ihre Mutter. „Lass dir aber wenigstens dieses eine Mal einen Rat von mir geben, Liebes: Du wirst dir Beck nur entfremden, wenn du ihn mit deiner Meinung über Helena konfrontierst. Er ist doch offensichtlich kein Narr." „Außer es geht um Helena", bemerkte Carenza. „Mit der Zeit wird er schon merken, welches Spielchen sie treibt. Allerdings lässt sich niemand gern etwas von anderen sagen. Selbst wenn er zugeben muss, dass du Recht hattest, wird er dir nicht dafür danken, dass du es ihm schon immer gesagt hast." „Da hast du Recht, Mom." „Ich weiß, anderen erteilt man leicht weise Ratschläge." Mrs. Dean lachte. „So wie ich es jetzt tue. Dabei ist jeder seines Glückes Schmied - oder sollte es sein. Nur weil ich mich in deiner Lage anders verhalten würde, bedeutet das nicht, dass mein Verhalten richtig wäre und deines falsch ist. Ich bin eben eine besorgte Mutter, die sich außerdem noch für unfehlbar hält." Carenza lächelte verhalten. „Beck glaubt, er schuldet Helena Dank", erklärte sie bedrückt. „Vielleicht stimmt das ja." „Trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, dass Helena nur ihr eigenes Wohlergehen im Auge hatte, nicht seines." „Vielleicht verträgst du dich mit Helena aber auch nur deswegen nicht, weil sie anlehnungsbedürftig ist und Männer als Stütze benutzt, während du unabhängig und selbstständig bist. Oder macht es dir so schwer zu schaffen, dass sie Becks Baby erwartete?" „Ich weiß es nicht, Mom. Ich würde ja verstehen, dass er eisern zu ihr hält, wenn sie nur ein netterer Mensch wäre. Sie ist aber nicht nett, sondern seltsam! Mir ist sie fast ein bisschen unheimlich." „Und du willst ihn davor bewahren, dass er eine Dummheit begeht, indem er sich selbst treu ist und genau die Eigenschaften zeigt, die ihn dir liebenswert machen? Nämlich Einfühlungsvermögen, Nachsicht und Verantwortungsbewusstsein." Überrascht sah Carenza sie an. „So formuliert..." begann sie und bezweifelte plötzlich ihre Urteilsfähigkeit. „Beachte Helena nicht weiter", riet Mrs. Dean ihr. „Genieße die Gemeinsamkeiten mit Beck, und warte das Ganze ab." „Und wenn sie nie mehr geht?", fragte sie ihre Mutter. „Das wird sie scho n tun", beruhigte Mrs. Dean sie. „So mutlos kenne ich dich ja gar nicht, Carrie." „Sonst bin ich wirklich nicht pessimistisch veranlagt, aber jetzt habe ich solche Angst, Beck zu verlieren, weil er für mich der Mann fürs Leben ist. Noch nie habe ich Ähnliches für einen Menschen empfunden wie für ihn." „Helena zählt, anders als du, vielleicht zu den Frauen, die sich bei einem Mann anlehnen möchten", überlegte Mrs. Dean laut. „Möglicherweise fühlt sie sich von dir
bedroht." Carenza schüttelte den Kopf. „Die nicht!" „Und wenn du dich irrst, Liebes? Es kann ja sein, dass sie Beck zwar nicht liebt, sich bei ihm aber geborgen fühlt und deshalb versucht, ihn mit allen Mitteln an sich zu binden. Wenn sie jetzt eine schwere Zeit durchmacht, braucht sie ihn vielleicht vorübergehend als Stütze. Kannst du ihr gegenüber nicht ein bisschen großherziger sein?" Beck hatte sie das auch gefragt. Ausweichend antwortete Carenza: „Ich wünschte, du würdest sie mal kennen lernen." Sie rang sich ein Lächeln ab. „Mach dir keine Sorge n um mich, Mom. Ich werde schon irgendwie eine Lösung finden. Und heute bleibe ich noch hier." Als sie nachts im Bett lag und sich die Worte ihrer Mutter durch den Kopf gehen ließ, beschloss Carenza, die Lage einmal von Helenas Standpunkt aus zu sehen. Vie lleicht hatte ihre Mutter ja Recht, und Helena brauchte nur kurzfristig Becks Unterstützung. Jedenfalls stimmte eins ganz sicher: Wenn sie, Carenza, ihre Rivalin weiterhin schlecht machte, würde Beck sich ihr entfremden. Am folgenden Morgen fühlte sie sich schon viel selbstsicherer und war auch optimistischer. Nach dem Frühstück versuchte sie ihn anzurufen, aber Helena kam ans Telefon. Höflich bat Carenza sie, Beck an den Apparat zu holen. „Beck ist nicht da", antwortete Helena zuckersüß und legte den Hörer auf. Carenza zählte im Stillen bis zehn, um sich zu beruhigen. Kurz überlegte sie, noch einige Tage bei ihren Eltern zu bleiben, um Beck zu bestrafen, der sie ja schon an diesem Tag zurückerwartete. Dann wurde ihr klar, dass sie damit nur sich strafen würde, denn sie vermisste ihn unendlich. Daher beschloss sie, nach Hause zu fahren und Beck von dort aus nochmals anzurufen. Sollte sich wieder Helena melden, dann telefoniere ich mit Lisa und bitte sie, ihm etwas auszurichten, überlegte Carenza. Nach dem Mit tagessen brach sie auf. Sie umarmte ihre Eltern, versprach sofort anzurufen, sobald sie zu Hause sei, und versicherte ihnen, beim nächsten Besuch länger zu bleiben. Dann setzte sie sich ins Auto und fuhr los. Kurz hinter Dorchester gabelte sich die Straße. Links ging es weiter nach Salisbury und Croydon, rechts nach Sussex. Zu Beck. Ohne zu überlegen, bog Carenza nach rechts ab, obwohl das töricht war. Allerdings konnte sie vor Southhampton immer noch die Autobahn nach London nehmen - wenn ihr dann danach zu Mute war. Um sieben Uhr erreichte sie Horsham. Wolken bedeckten den Himmel. Man sah weder Mond noch Sterne. Carenza war müde und fühlte sich nun doch unbehaglich wegen ihres spontanen Entschlusses. Um halb acht blieb sie vor Becks Haus stehen. Im Wohnzimmer brannte Licht, die Vorhänge waren zugezogen. Zuerst rief sie noch schnell ihre Mutter per Handy an, um ihr zu sagen, sie sei gut angekommen, dann stieg sie aus und ging zur Hintertür. Carenza zögerte. Sollte sie klopfen? Nein! Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und öffnete. Am Küchentisch saß Beck. Allein. Er blickte auf und lächelte. Schnell stand er dann auf, kam zu ihr und nahm sie in die Arme. „Ich habe dich vermisst", sagte er leise. Erleichtert schmiegte sie sich eng an ihn. „Ich dich auch, Beck." Sie umfasste sein Gesicht und sah ihm tief in die Augen. „Ich bleibe nicht lange, wirklich nicht, aber ich musste dich unbedingt kurz sehen. Ich fahre gleich nach Hause ..." „Sei still", sagte er sanft und küsste sie leidenschaftlich. Sie erwiderte den Kuss hingebungsvoll, denn seit zwei Tagen sehnte sie sich unendlich danach. Schließlich hob Beck den Kopf. „Bleib heute Nacht hier", bat er Carenza heiser. „Darf ich das wirklich?" „Ja. Wir gehen früh ins Bett." Lächelnd schmiegte sie sich noch enger an ihn. „Sehr früh?" „Wie wäre es mit sofort?", schlug er vor.
Liebevoll nickte sie. „Es tut mir Leid, dass ich dich vor meiner Abfahrt verärgert habe. Ich kann manchmal sehr dumm sein." „Ich verzeihe dir." Sie waren so mit sich beschäftigt, dass sie nicht hörten, wie Helena sich näherte. Erst als sie sich laut räusperte, wandten sie sich um. Carenza rang sich ein Lächeln ab. „Guten Abend, Helena. Wie geht es Ihrem Knöchel?" „Der tut noch weh." „Das tut mir aber Leid." „Danke für Ihr Mitgefühl." Lächelnd wandte Helena sich Beck zu. „Ihr möchtet wahrscheinlich allein sein. Ich gehe in mein Zimmer." „Danke", sagte er herzlich. Helena humpelte aus der Küche und die Treppe hinauf, Carenza schmiegte sich wieder an Beck. Er ließ eine Fingerspitze über ihre Lippen und Wangen gleiten, dann küsste er sie nochmals stürmisch. Schließlich löste er sich von ihr, schloss die Türen ab und kümmerte sich um das Feuer im Kamin. Endlich kam er zu ihr zurück. „Bist du hungrig?" „Nein." „Durstig?" Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Beck nahm sie bei der Hand und führte sie nach oben in sein Zimmer. Er schloss die Tür, lehnte sich dagegen und umarmte Carenza. „Hattest du einige schöne Tage bei deinen Eltern?", fragte er. „Nein", gestand sie ihm und blickte ihn unverwandt an. „Ich habe nämlich dauernd an dich gedacht. Meine Eltern lassen dich übrigens grüßen." „Grüß sie bei Gelegenheit von mir", sagte er geistesabwesend, während er ihr die Lederweste auszog und auf den Boden fallen ließ. Seine Augen drückten unendliches Verlangen aus, und Carenza stöhnte, während sie an seinem Flanellhemd zerrte und schließlich die Hände über seine nackte Brust gleiten ließ. „Ich wusste bisher nicht, dass ich jemand so sehr vermissen könnte. Dass ich Zärtlichkeit so sehr vermissen könnte", sagte Carenza heiser. Er schob sie etwas von sich, zog ihr den Pullover aus und ließ ihn ebenfalls fallen, dann streichelte er ihre Schultern. „Ich habe den ganzen Nachmittag im Haus verbracht und gewartet und wäre innerhalb von Sekunden aufgebrochen, wenn du mich angerufen und zu dir gebeten hättest." „Heute Morgen habe ich dich zu erreichen versucht", erklärte sie und öffnete seine Gürtelschnalle. „Ich weiß. Helena sagte, die Verbindung sei plötzlich unterbrochen worden." „Das stimmt." Sollte Helena doch sagen, was sie wollte! Ihr, Carenza, war das mittlerweile gleichgültig. Überraschend hob Beck sie hoch und trug sie zum Bett. Dann kniete er sich vor sie hin und zog ihr Stiefel und Jeans aus. Leise flüsterte Carenza: „Ich habe mir neue Dessous gekauft." Er atmete tief durch und blickte zu ihr auf. „Die sind zwar sehr hübsch, müssen aber trotzdem ausgezogen werden!" Langsam streifte er ihr den spitzenverzierten Slip ab und liebkoste ihre empfindsamste Stelle. Dann stand er auf und streifte ihr den BH ab, neigte sich vor und küsste ihre Brüste. Schließlich entkleidete er sich. Zuerst berührten sie einander nur mit den Fingerspitzen, bis die Zärtlichkeiten immer leidenschaftlicher wurden. Beck drückte Carenza schließlich aufs Bett und liebkoste sie so einfühlsam, dass sie völlig hingerissen war. „Ich habe ja schon immer geahnt, dass du erfinderisch bist", sagte sie, als er kurz die Lippen von ihren löste, und seufzte zufrieden. „Nur wenn es sich lohnt", meinte er und wandte sich ihr wieder zu, um die unglaublichsten Empfindungen in ihr zu wecken. „Und dich zu erforschen ist ein reines Vergnügen. Du bist wunderschön, Carenza!"
„Nein, ich bin ein Troll", widersprach sie scherzend. Er lächelte und liebkoste sie weiter erregend mit den Lippen, der Zunge und den Händen, bis sie vor Sehnsucht zu vergehen meinte. Carenza schob ihm die Finger ins dichte Haar. „Bin ich jetzt auch mal an der Reihe?", fragte sie rau. Beck sah ihr so liebevoll in die Augen, dass ihr die Kehle eng wurde. „Ich bitte geradezu darum!", sagte er. Sanft ließ Carenza die Finger über seinen muskulösen Körper gleiten und streichelte ihn aufreizend, bis er vor Verlangen erschauerte. Endlich vereinigte er sich mit ihr, und die Leidenschaft trug sie gemeinsam bis zum Gipfel der Ekstase. „Jetzt möchte ich mit dir zusammen baden", flüsterte Beck mit den Lippen an Carenzas Ohr. „Hast du es dir auch gut überlegt?", fragte sie atemlos. Sie konnte einfach nicht genug von ihm bekommen. „Also gut. Ich kann ohnehin nicht aufhören, dich zu berühren." „Mir geht es mit dir ebenso." Wieder küssten sie sich. Befriedigt schmiegte Carenza sich schließlich an ihn, die Lider waren ihr schwer. Lächelnd zog Beck die Bettdecke über sie beide. „Schlaf jetzt, Carrie", sagte er leise. Sie fühlte sich warm und geborgen. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein. Als sie aufwachte, lag sie noch immer in Becks Armen. Sein Kinn war stoppelig, und seine Züge wirkten entspannt. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Sanft berührte sie seine Wange, und sofort wachte Beck auf. „Guten Morgen", sagte Carenza. Er murmelte etwas und schloss die Augen wieder. Lachend legte sie sich auf ihn und blies ihm sanft ins Gesicht. Daraufhin zog er Carenza eng an sich, und sie spürte, wie sehr er nach ihr verlangte. Sie küsste ihn aufs Kinn und genoss das Gefühl seines Körpers an ihrem. Beck stöhnte verlangend. „Ich werde dich jetzt lieben", informierte sie ihn leise. Er lächelte, öffnete aber noch immer nicht die Augen. Glücklich glitt sie weiter nach unten und erregte ihn mit Fingern. Zunge und Lippen, bis er alles andere als schläfrig war. Danach gingen sie gemeinsam unter die Dusche und trockneten sich anschließend gegenseitig ab. „Ich brauche saubere Unterwäsche aus meinem Koffer", bemerkte Carenza. „Der ist noch im Auto." Lächelnd schob er ihr eine Hand ins nasse Haar und küsste sie lange und genüsslich. Dann ging er ins Schlafzimmer und zog sich an. Als er schließlich mit dem Koffer zurückkam, saß sie auf der Bettkante und versuchte, sich das Haar mit einem Handtuch trockenzureiben. Beck setzte den Koffer ab, nahm das Handtuch und frottierte ihr das Haar. „Helena könnte dir einen Föhn leihen", meinte er. Lächelnd schüttelte Carenza den Kopf. „Mein Haar trocknet auch so schnell genug." „Was möchtest du zum Frühstück?" „Alles, was auf der Speisekarte steht." Sie lachte. „Ich bin fast verhungert." Beck betrachtete ihr ausdrucksvolles Gesicht. „Ich liebe es, wenn du lachst", meinte er zärtlich. „Meinst du das ernst?" „Ja. Und jetzt gehe ich lieber und kümmere mich ums Frühstück, sonst..." Lächelnd ging er hinaus. Sie liebte es auch, wenn er lachte, und plötzlich sehnte sie sich fast schmerzlich nach etwas, das sie nicht genau bestimmen konnte - war es Erfüllung? Sie brauchte Beck so
sehr! Ob Helena ähnlich empfand? Es wird mir nicht schaden, wenn ich wenigstens so tue, als wäre ich ihr gegenüber entgegenkommend, sagte Carenza sich. Vielleicht hatte ihre Mutter ja Recht damit, dass Helena sich bedroht fühlte und sich deshalb so seltsam zwiespältig benahm? Rasch zog Carenza sich an und ging nach unten in die Küche, wo Helena schon am Tisch saß, und wünschte, eingedenk ihres guten Vorsatzes, der Rivalin einen guten Morgen. Dann fügte ^e ruhig hinzu: „Wir werden bestimmt niemals Freundinnen, Helena, daher hat es keinen Sinn, zu heucheln." Sie merkte, ohne hinzusehen, wie Beck sich verspannte, und sagte im selben freundlichen Ton: „Wir können aber wenigstens höflich zueinander sein und den Anschein von Eintracht wahren, oder?" „Ach, Carenza." Helena lachte hell. „Wie albern Sie sind! Natürlich können wir das. Setzen Sie sich doch endlich. Sie trinken morgens lieber Tee, stimmt's?" Es kostete Carenza einige Mühe, an ihrem Vorsatz festzuhalten, denn sie wusste, dass Helena wieder einmal Theater spielte - mit Beck als Zuschauer. „Wie geht es denn Ihrem Knöchel heute Morgen?" Helena schnitt ein Gesicht. „Es ist ja so langweilig, behindert zu sein! Ich dachte, heute würde ich mich schon wesentlich besser fühlen, aber leider ist es nicht so", klagte sie. „Das klingt nicht gut. Hat man den Fuß im Krankenhaus nicht geröntgt?" Als Helena nur den Kopf schüttelte, fügte Carenza hinzu: „Das hätte man aber unbedingt machen sollen. Ich weiß ja, dass es zu wenig Personal in den Krankenhäusern gibt und dort alle überarbeitet sind, aber trotzdem ... Ich finde, Sie sollten sich noch mal genaue r untersuchen lassen." „Ach, Unsinn! Ich bin mir sicher, in ein oder zwei Tagen ist alles in Ordnung mit mir." Zweifelnd sah Carenza sie an und nahm geistesabwesend den Teller, den Beck ihr reichte. Nachdem er auch Helena das Frühstück serviert hatte, setzte er sich zu ihnen an den Tisch. Carenza beantwortete Helenas Fragen zu ihrem Aufenthalt in Devon, lächelte Beck an und berührte unter dem Tisch verstohlen seinen Fuß mit ihrem. Als sie schließlich alle drei aufstanden, zuckte Helena sichtlich zusammen. „Das genügt jetzt", sagte Carenza energisch. „Ich rufe sofort im Krankenhaus an. Sie könnten sich den Knöchel gebrochen haben." „Aber das ist wirklich nicht nötig", protestierte Helena. Carenza achtete nicht darauf, sondern ging zum Telefon und ließ sich vo n der Auskunft die Nummer des Krankenhauses in Horsham geben. „Beck, sag du ihr, sie soll das Ganze lassen", forderte Helena ihn auf. „Das wäre Zeitverschwendung", erwiderte er ungerührt. „Wenn Carrie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann absolut nichts sie aufhalten. Außerdem bin ich zufällig einer Meinung mit ihr." „Ich muss aber gar nicht ins Krankenhaus", beharrte Helena. Inzwischen telefonierte Carenza mit der Stationsschwester der Unfallabteilung. „Ach so. Wenn ich die Patientin zu Ihnen bringe, könnte der Knöchel dann geröntgt werden? Ja, gut. Danke." Stirnrunzelnd legte sie den Hörer auf und fragte Helena: „Sind Sie sich sicher, dass Sie im Krankenhaus von Horsham waren? Die Schwester sagte mir gerade, die Unfallstation sei am Montag geschlossen gewesen und alle Patienten seien in ein anderes Krankenhaus transportiert worden." „Nein, ich bin mir nicht sicher", fuhr Helena sie gereizt an. „Ich bin mir allerdings sicher, dass ich nicht noch einmal dorthin muss." „O doch! Sie könnten schwere Folgeschä den riskieren, wenn Sie den Knöchel nicht gründlich untersuchen lassen. Wahrscheinlich hat man das am Montag - wo immer Sie auch waren - versäumt, weil man plötzlich die doppelte Anzahl Patienten zu versorgen hatte und sich nicht richtig um jeden Einzelnen kümmern konnte. Hat man Ihnen denn nicht gesagt, dass Sie Ihren Hausarzt aufsuchen sollten, wenn es nicht besser wird?" „Nein", erwiderte Helena rebellisch.
„Das hätte man tun müssen. Ich finde, einer von uns sollte Sie jetzt ins Krankenhaus fahren. Wenn Beck zu tun hat, mache ich das." „Nein", wiederholte Helena hartnäckig, stand auf und humpelte, auf die Krücken gestützt, ins Wohnzimmer. Dann schloss sie die Tür. „Beck ..." begann Carenza. „Lass es gut sein", unterbrach er sie ruhig. „Ich rede später mit ihr." Sie zuckte die Schultern. Während sie die Teller vom Tisch räumte, meinte sie halblaut: „Sie könnte als Krüppel enden." „Carrie!" „Das stimmt doch. Welches mag wohl das andere Krankenhaus gewesen sein, in das man die Patienten geschickt hat? Das in Crawley?" „Ich weiß es nicht." Er nahm ihr die Teller ab und stellte sie in die Spülmaschine. „Ich versuche doch nur, mich um Helena zu kümmern." „Das weiß ich." Es klang, als wollte er ihr eigentlich sagen, sie solle das lieber nicht tun. Trotzdem konnte sie das Thema nicht ruhen lassen. „Und wenn sie überhaupt nicht im Krankenhaus war?", fragte sie schließlich. „Carrie ..." „Nein, hör mir zu", unterbrach sie ihn. „Angenommen, sie hat sich selbst verarztet?" Heftig schloss er die Spülmaschine. „Sie hat sich lediglich den Knöchel verstaucht. Ich weiß, dass du dich gern als Wohltäterin aufspielst und andere selbstherrlich zu ihrem Besten zwingst..." „Das tue ich nicht", protestierte Carenza. „Ach nein? Du hast nicht einen der Arbeiter neulich nach Hause geschickt, als du erfahren hattest, dass seine Frau krank war? Und das, obwohl er dir versicherte, seine Mutter kümmere sich um seine Frau?" „Seine Frau brauchte ihn." „Nein, genau das tat sie eben nicht. Und mir willst du ständig - zu meinem Besten vermutlich - deine Sicht von Helenas Verhalten aufzwingen, stimmt's?" „Das ist doch etwas ganz anderes", rief sie schockiert. „Nein. Du bist auch nicht zu Lisa gegangen, um sie über Helena auszuhorchen?", fügte er unerbittlich hinzu. Schweigend sah sie ihn einen Moment lang an. Sein Sarkasmus erschütterte sie. „Lisa hat dir das erzählt?", fragte sie schließlich ungläubig. „Ja. Und können wir jetzt die Angelegenheit endlich auf sich beruhen lassen? Helena ist kein kleines Kind. Wenn sie glaubt, doch eine gründliche Untersuchung zu brauchen, dann fahre ich sie ins Krankenhaus zum Röntgen." Inzwischen kochte Carenza förmlich vor Wut, ließ sich aber nichts anmerken. Ruhig sagte sie: „Schön, ich wollte ja nur sagen, dass sie - falls sie eine Abneigung gegen Krankenhäuser hat oder Ärzten nicht vertraut - sich den Knöchel selbst bandagiert haben könnte." „Nein, in Wirklichkeit wolltest du sagen, dass Helenas Knöchel gar nicht verletzt ist." „Vielleicht stimmt das ja. Schon gut, schon gut", sagte sie nachgiebig, als sie sah, wie sich seine Miene verfinsterte. „Sie ist deine Freundin, nicht meine. Ich fahre jetzt besser nach Hause." „Eine gute Idee." Die Wut übermannte sie nun fast, aber Carenza rang sich ein Lächeln ab. „Ich hätte wohl doch auf den Rat meiner Mutter hören sollen. " „Und der war?" „Mich nicht einzumischen und einfach abzuwarten." „Deine Mutter ist eine kluge Frau. Schade, dass die Tochter nicht wie sie ist. Ich hole deinen Koffer." „Wie nett von dir!" Sie verzog die Lippen und folgte Beck nach oben. „Natürlich, wenn du hören könntest, wie Helena mit mir redet..."
Er antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig, weil seine Haltung verriet, wie angespannt und wütend er war. „Und es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass sie sich den Knöchel nicht einmal verstaucht hat, sondern nur Theater macht", trumpfte Carenza auf. „Es besteht auch die Möglichkeit, dass du mein Haus nicht lebend verlässt!" Das klang nicht nach einem Scherz. Beck stieß die Tür auf und betrachtete das Chaos im Zimmer. „Räumst du eigentlich nie etwas weg, Carenza?" „Nein, das überlasse ich immer dem Personal", erwiderte sie sarkastisch, während er das gebrauchte Handtuch aufhob und ins Bad brachte. „Hast du inzwischen mit John gesprochen?", wollte sie wissen. „Ja", antwortete er schroff. „Er behauptet, nicht gewusst zu haben, wo sie sich aufgehalten hat." „Da haben wir's: Carenza lügt, Carenza denkt sich Hirngespinste aus, Carenza ist eine durch und durch gemeine Person. Ich weiß gar nicht, warum du dich in den vergangenen Wochen überhaupt mit mir abgegeben hast." „Das weiß ich auch nicht." Er warf ihre Sachen in den Koffer und wandte sich ihr dann zu. „Sonst noch was?" „Nein." Starr sah er sie an, sein Ausdruck wirkte hart. „Ich habe keine Familie mehr, aber ich habe Freunde, Carenza. Wenn du nicht akzeptieren kannst, dass ich meinen Freunden Dank schulde und ihnen gegenüber Verpflichtungen habe ..." „Kurz gesagt, ich bedeute nicht die ganze Welt für dich", unterbrach sie ihn. „Richtig. Wenn du das nicht erträgst, ist dazu nichts mehr zu sagen. Ich beabsichtige nicht, meine Freunde über Bord zu werfen, nur weil du sie nicht magst." „Helena versucht, einen Keil zwischen dich und mich zu treiben." „Nein, Carenza, du tust das." Sie lächelte verzerrt und fragte dann: „Das meinst du ernst, oder?" „Ich meine, dass du eifersüchtig bist, obwohl dazu überhaupt kein Grund besteht. Ich meine, dass du gekränkt bist, und deshalb habe ich die Hälfte von dem, was du eben gesagt hast, nicht für bare Münze genommen. Helena hat nun mal mein Baby erwartet ..." „Und damit kann ich nicht konkurrieren." „Es geht doch nicht um einen Konkurrenzkampf", erwiderte Beck mühsam beherrscht. „Für mich sieht es aber genau so aus. Bist du dir sicher, dass es dein Kind war?", fragte sie gehässig und schämte sich sofort dafür. „Entschuldige bitte. Es tut mir Leid. Das wollte ich nicht sagen." Mit einem Ausdruck des Abscheus wandte er sich ab und schloss den Koffer. Sie eilte zu Beck und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir ehrlich Leid. Das wollte ich wirklich nicht sagen. Ich bin nur so wütend." Beck richtete sich auf, schob ihre Hand weg und sagte kühl: „Du hast es aber gesagt, was bedeutet, dass du es gedacht hast." Dann nahm er den Koffer und trug ihn nach unten. Carenza war elend zu Mute, ja, ihr war direkt übel. Am liebsten hätte sie gegen irgendetwas getreten, um sich abzureagieren, wusste aber, dass sie allein an dem Zerwürfnis mit Beck schuld war. Mutlos eilte sie aus dem Zimmer. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen, sagte sie sich kleinlaut.
8. KAPITEL Auf dem Treppenabsatz stand Helena und belastete absichtlich den angeblich verletzten Knöchel. „Habt ihr euch gestritten?" „Nein", log Carenza. „Vielleicht hat Beck entdeckt, dass er dicke Frauen doch nicht mag." Angewidert eilte sie an Helena vorbei. „Ich bin nicht dick", rief Carenza aufgebracht. „Von hinten sehen Sie aber so aus." Sie wandte sich um und funkelte Helena an. Diese lächelte. „Auf Wiedersehen", sagte sie sanft. Carenza biss die Zähne zusammen und ging nach draußen, wo Beck neben ihrem Auto wartete. „Das Gepäck ist im Kofferraum", informierte er sie kühl. „Danke", erwiderte sie kurz angebunden. Sie war gekränkt und wusste, dass sie gegen Helena einen aussichtslosen Kampf führte, aber sie weigerte sich, den Rückzug anzutreten oder zu lügen, nur um die Beziehung zu Beck zu retten. Und als sie daran dachte, wie selbstgefällig Helena gerade eben ausgesehen hatte, konnte sie sich nicht länger zurückhalten. „Sie nutzt dich nur aus", sagte sie nachdrücklich. „Bist du so blind, das nicht zu sehen? Und sie macht deine Freundschaften kaputt. Die zu John, Lisa - und zu mir." „John und Lisas Probleme sind deren Angelegenheit." „Sie sollten es sein", verbesserte sie ihn. „Und sie wären es auch, wenn nicht eine bestimmte Person ganz bewusst zum eigenen Vergnügen einen Keil zwischen die beiden treiben würde. Ich weiß, dass du Helena schon viel länger kennst als mich und ihr Dank schuldest, aber warum hörst du mir nicht wenigstens zu? Ich lüge nicht, Beck." „Das habe ich auch nicht behauptet", sagte er ausdruckslos. „Ich meine vielmehr, du irrst dich und siehst vieles verzerrt." Er öffnete ihr die Autotür. „Auf Wiedersehen, Carenza." Sie stöhnte gereizt auf. „Lass mich wissen, wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist." „O nein, so funktioniert das nicht, meine Liebe." Schockiert sah sie ihn an. „Was?", flüsterte sie ungläubig. „Du meinst, das ist ein endgültiger Abschied?" „Ja." „Wegen Helena?" „Nein, weil du nicht der Mensch bist, für den ich dich gehalten habe", antwortete Beck, wandte sich um und ging ins Haus. Carenza wurde blass. Sie streckte die Hand aus und wollte ihm nacheilen, dann ließ sie die Hand sinken. Es war vorbei? Nein, er konnte doch nicht alles aufgeben, was sie geteilt hatten, nur weil sie Helena schlecht gemacht hatte. Oder doch? Sie eilte zur Hintertür und wollte sie öffnen, stellte aber fest, dass diese sich nicht rührte, obwohl sie es mehrfach versuchte. Beck hat abgeschlossen? dachte Carenza wie benommen und schlug mit der Faust gegen das Holz. „Beck!", rief sie. Nichts. „Du Schuft", flüsterte sie, wandte sich um und eilte zu ihrem Auto. Sie stieg ein und schlug die Tür zu. Mit aufheulendem Motor fuhr sie ab. Lisa stand beim Pförtnerhaus und versuchte, sie durch Winken zum Halten zu veranlassen, aber sie fuhr weiter. Lisa hatte sie hintergangen und Beck den Inhalt des vertraulichen Gesprächs verraten! Und das verstand sie nicht. Es ist also vorbei, sagte Carenza sich beharrlich, während sie nach Hause fuhr. Zu Ende. Finito. Und falls Beck kam, nein, wenn er kam, würde sie ihm nicht aufmachen! Habe ich denn gelogen? dachte sie aufgebracht. Nein. Ein falsches Spiel getrieben? Nein. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Na gut, sie war nicht sehr diplomatisch gewesen, aber sie hatte nicht gelogen, sondern nur versucht, ihm zu helfen. Und dafür hatte er ihr vorge worfen, sie sei selbstherrlich. Und kein sehr netter Mensch.
Wütend schlug sie aufs Lenkrad. Als sie nach Hause kam, war sie in einer so aggressiven Stimmung, dass sie sogar einen Panzer eigenhändig aus dem Weg geräumt hätte, falls ihr einer in die Quere gekommen wäre. Der Anrufbeantworter hatte mehrere Nachrichten aufgezeichnet, darunter zwei von potenziellen Auftraggebern. Carenza rief sofort zurück und verabredete sich noch für denselben Nachmittag. Sie nahm beide Aufträge an: den eines jungen Ehepaars aus Birmingham, dessen Haus Carenza einrichten sollte, und zwar wenn möglich sofort, und einen weiteren, der nicht so eilte und den sie anschließend zwischen ihre anderen Verpflichtungen einschieben konnte. Noch immer erfüllt von Wut und Empörung, packte sie ihre Sachen und verließ die Wohnung. Von außen ließ sie den Riegel einschnappen, zu dem nur sie den Schlüssel besaß. Beck würde also nicht hineinkönnen, selbst wenn er nach Croydon kommen würde. Dann setzte sie sich ins Auto und fuhr nach Birmingham. Das Haus, das sie einrichten sollte, lag außerhalb der Stadt in einer landschaftlich reizvollen Umgebung. Die Besitzer, ausgesprochen sympathische Leute, ließen Carenza völlig freie Hand sowohl bei der Gestaltung als auch bei den Kosten, was der Traum jedes Innenarchitekten war. Unter anderen Umständen hätte sie die Arbeit genossen, nun aber fühlte sie sich verraten und - einsam. Außerdem konnte sie Helenas gehässige Abschiedsworte nicht vergessen. Ich bin nicht dick, versicherte Carenza sich immer wieder und schwor sich, wegen ihres Aussehens keine Komplexe zu bekommen. Nein, sie war ein so genanntes Prachtweib: groß, temperamentvoll und - das musste sie zugeben - üppig. Immer wieder ging ihr auch das letzte Gespräch mit Beck durch den Kopf. Sie würde ihn aber nicht anrufen. O nein! Sie würde einen Mann doch nicht anbetteln, zu ihr zurückzukommen und ihr seine Liebe zu schenken. Carenza vergrub sich in die Arbeit, ließ häufig Mahlzeiten aus und schlief schlecht. Zwei Wochen später hatte sie viel von ihrer strahlenden Vitalität eingebüßt, die Beck so fasziniert hatte. Ihre Auftraggeber bestaunten ihre Energie und Hingabe an die Arbeit, waren aber wegen ihrer ständigen Aggressivität etwas alarmiert. Die Arbeiter nahmen sich in Acht vor Carenza. Ihr war das durchaus bewusst, und sie fand, sie würde sich wie eine Sklaventreiberin benehmen, aber sie konnte es nicht ändern. Sie musste einfach jede Minute des Tags beschäftigt sein, um die Gedanken an Beck zu verdrängen. Es gelang ihr allerdings nicht. Oft fühlte sie sich, als hätte sie etwas ganz Wesentliches verloren. Gewicht hatte sie schon eingebüßt, wie sie beim Blick in den Spiegel gelegentlich feststellte. Du hast dich mal für verführerisch gehalten? verspottete sie sich. Jetzt sah sie so verführerisch aus wie ein toter Fisch. Und das machte sie noch wütender. Eines Morgens entfernte sie Tapeten, unterstützt von einigen Arbeitern, die sie eindeutig für verrückt hielten, weil sie die Wände attackierte, als wären sie ihre persönlichen Feinde. Plötzlich glaubte sie, an Wahnvorstellungen zu leiden: Sie hörte Becks Stimme. Carenza hielt mit der Arbeit inne und lauschte angespannt. Dann ging sie langsam vors Haus. Dort stand Beck neben seinem Landrover und sprach mit dem Baumeister. Beck sah müde, erschöpft und ziemlich schlecht gelaunt aus - und trotzdem umwerfend attraktiv und irgendwie gebieterisch. Als hätte er ihren Blick gespürt, wandte er sich ihr zu. Lange sahen sie einander unverwandt an. Es kam ihr vor wie eine kleine Ewigkeit. Schließlich kam der Baumeister zu ihr, schob sie auf Beck zu und ging ins Haus. Ich bin noch nicht bereit, Beck wieder zu sehen, dachte Carenza verstört. „Was machst du denn hier?", fragte sie beiläufig. „Ich suche dich", erwiderte er ruhig. „Du siehst schrecklich aus." „Vielen Dank für das Kompliment", erwiderte sie ironisch. „Wie hast du mich gefunden?" Und wieso hast du mich überhaupt gesucht? fügte sie im Stillen hinzu.
„Indem ich jedes Einrichtungsgeschäft in Croydon angerufen habe, bis ich endlich auf das stieß, in dem du arbeitest. Dann bin ich hingefahren, und da die Tür zu deinem Büro nicht abgeschlossen und der Geschäftsbesitzer mit einem Kunden beschäftigt war, bin ich einfach hineingegangen und habe in deinem Terminkalender geblättert." Beck erzählte das völlig distanziert, aber er beobachtete sie dabei genau. „Sehr, sehr aufmerksam geblättert." „Ich verstehe."
„Außerdem habe ich mehrmals Nachrichten auf deinen Anrufbeantworter gesprochen
..." „Den habe ich nicht mehr abgehört, seit ich hier bin", gestand Carenza. „Das ist nicht sehr professionell." „Stimmt. Und was ..." begann sie und verstummte. „Geschieht jetzt weiter, wolltest du fragen? Das hängt von dir ab. Ich weiß nur, was ich möchte." Mühsam wandte sie den Blick von Beck ab und blickte starr auf einen Blumenkasten vor dem Haus. Ihr Herz klopfte wie rasend. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, denn sie war sich über ihre Empfindungen nicht ganz klar. Sie war zugleich aufgewühlt, verletzt - und noch immer wütend auf ihn. „Sie hat gesagt, ich sei dick", sagte sie endlich zusammenhangslos.
Verwirrt sah Beck sie an. „Wer?"
„Helena."
„Du bist nicht dick", beruhigte er sie sanft.
„Das finde ich auch. Heute ist übrigens Freitag", informierte sie ihn, obwohl er das
bestimmt wusste. „Ja und?" „Müsstest du nicht um diese Zeit für die ersten Gäste im Restaurant kochen?" „Doch, aber ich habe einen Aushilfskoch eingestellt", erklärte Beck. „Hast du etwa abgenommen, weil Helena behauptet hat, du seist zu dick?" „Nein." „Hattest du keinen Appetit?" „Ich war zu beschäftigt, um zu essen." „Und jetzt bist du zu beschäftigt, um mich anzusehen?", fragte er mit leisem Spott. „Natürlich nicht", versicherte Carenza nachdrücklich, blickte aber nicht auf. „Kannst du von hier weg? Für eine Stunde oder so? Wir könnten irgendwo Mittag essen", schlug Beck vor. „Ich bin nicht hungrig." Er seufzte. „Tu mir das bitte nicht an, Carrie." „Was denn?" „Zahl es mir nicht heim. Nicht so. Nicht auf Helenas Art." „Ich zahle dir nichts heim. Ich will nur ... Du hast gesagt, ich sei selbstherrlich und würde immer andere zu ihrem Glück zwingen wollen." Eine Träne rollte ihr plötzlich über die Wange. „O verdammt!" Beck eilte zu Carenza und nahm sie in die Arme. „Ich habe das gesagt, weil ich zornig war. Und enttäuscht, dass du nicht so warst, wie ich gedacht hatte. In letzter Zeit hatte ich so viele Enttäuschungen erlitten ... Bitte, hass mich nicht." „Das tue ich nicht. Bist du zu mir zurückgekommen?"
„Ich hoffe es."
Sie nickte, atmete tief durch und blickte endlich zu ihm auf. „Ich weine nicht",
informierte sie ihn. Und wage ja nicht, mir zu widersprechen, drückte ihr Tonfall aus. „Natürlich nicht", bestätigte Beck sanft. „Wo wohnst du zur Zeit?" „In einem Hotel in der Nähe. Meine Auftraggeber bezahlen mir das Zimmer." „Na, dann komm." Er führte sie zum Landrover, ließ sich erklären, wie er zum Hotel gelangte, und dort begleitete er sie sofort auf ihr Zimmer.
„Du behandelst mich wie ein widerspenstiges Kind", beklagte Carenza sich empört. „Entschuldige, das wollte ich nicht. Ich lasse uns etwas zu essen bringen, okay?" Während er im Restaurant des Hotels telefonisch eine Mahlzeit bestellte, stand Carenza mitten im Zimmer und fragte sich, was, um alles in der Welt, sie jetzt tun sollte. Beck war zu ihr zurückgekommen, aber ihre Beziehung würde nie wieder wie vorher sein. Alle hatten sie unwiderrufliche Dinge gesagt, und vielleicht würde Helena immer zwischen ihnen stehen. Ob sie noch bei Beck wohnte? Carenza war sich klar darüber, dass sie Beck entsetzlich vermisst hatte und ihn weiterhin begehrte, aber war sie bereit, sic h mit seiner Beziehung zu Helena abzufinden? Obwohl sie, Carenza, davon ja schon immer gewusst hatte, hatte sie sich auf eine Beziehung mit ihm eingelassen, ohne an die Konsequenzen zu denken, weil sie einfach nicht daran hatte denken wollen. Nun war möglicherweise der Zeitpunkt gekommen, endlich vernünftig zu entscheiden, statt den Gefühlen nachzugeben. Ob das einfach wird? fragte sie sich. Sie brauchte Beck ja nur anzusehen, und sofort war sie nicht mehr fähig, klar zu denken! Als er mit Telefonieren fertig war, wandte sie sich ihm zu und betrachtete sein Gesicht. Er wirkte so müde und gestresst, dass sie am liebsten zu ihm gegangen wäre und ihn umarmt hätte, aber sie hielt sich zurück. „Man schickt uns etwas herauf", sagte er. „Weißt du, wie oft ich mir in den letzten Wochen unser Wiedersehen vorgestellt habe?" Sie lachte leise. „Na ja, dass der Zimmerservice dabei eine Rolle spielen würde, habe ich mir nicht ausgemalt." „Glaubst du, ich hätte nicht auch oft daran gedacht? An das Wiedersehen, meine ich", erwiderte er befangen. Anscheinend fiel es ihm ebenfalls schwer, die Situation zu meistern. Vielleicht weil es ihm schwer fiel, die Enttäuschung über sie, Carenza, zu überwinden? Es klopfte, und Beck ging zur Tür und öffnete. Ein Kellner brachte ein Tablett mit Sandwiches und Tee herein und zog sich diskret wieder zurück, nachdem er ein Trinkgeld erhalten hatte. Carenza setzte sich an den Tisch, Beck nahm, ihr gegenüber Platz. Sie war zwar nicht hungrig, zwang sich aber, zwei Sandwiches zu essen und Tee zu trinken. „Du siehst müde aus", stellte sie schließlich ruhig fest. „Das bin ich auch. Müde und bekümmert. Und irgendwie beschämt, weil ich mich so dumm benommen habe." Rastlos stand er auf, schob die Hände in die Hosentaschen und ging zum Fenster. Dort blieb er stehen, den Rücken ihr zugewandt. Carenza wartete erst einmal ab. Um nicht rechthaberisch und zudringlich zu wirken, hielt sie es für besser, einfach nur ohne Unterbrechung und Erklärungen zuzuhören. Und auf keinen Fall wollte sie Beck gestehen, dass sie ihn liebte. Er sah zwar genauso elend aus, wie sie sich fühlte, aber das musste ja nicht daran liegen, dass er sie vermisst hatte. Als er jedoch weiterhin schwieg, fragte sie endlich: „Was ist mit Helena?" „Die ist weg." „Und geht es ihr besser?" Beck lachte erbittert. „Besser? Ihr hat doch gar nichts gefehlt. Du hattest Recht, und ich hatte Unrecht. Ich kann manchmal sehr dumm sein. Das weißt du ja inzwischen. Verzeih mir." „Ich war wütend auf dich, weil mir allmählich der Verdacht kam, dass du in Bezug auf Helena richtig vermutet hattest", erklärte Beck. „Und das wolltest du nicht wahrhaben?" „Richtig. Wer gesteht sich schon gern ein, ein Narr gewesen zu sein? Als du gegangen warst ... nein, nachdem ich dich weggeschickt hatte", verbesserte er sich, „war ich nicht..." „Du hast die Tür abgeschlossen", unterbrach sie ihn vorwurfsvoll.
„Ja, denn hätte ich das nicht getan, hätte ich mich sofort mit dir versöhnt. Du sahst so verzweifelt aus, und die Erinnerung daran verfolgt mich seitdem wie ein Albtraum. Ich konnte mich aber nicht gleichzeitig mit dir und Helena befassen." „Befassen?", hakte sie nach. „Ja: fragen, reden, herausfinden, wer von euch beiden Recht hatte ... Stell dich nie zwischen zwei Frauen, das ist mein Motto. Ich war das alles so verdammt leid, Carrie. Die Probleme mit Helena, mit John ... ich wollte einfach in Ruhe mein Leben führen." Er lächelte grimmig. „Helena mag es nicht, wenn Leute das tun." Obwohl Carenza sein Gesicht nicht sehen konnte, spürte sie, wie verletzt und gekränkt er war. „Und kaum warst du weg, erschien ein Mann bei mir", berichtete Beck. „Der Zeitpunkt war wirklich perfekt gewählt. Das Baby war nicht von mir", fügte er unvermittelt hinzu. „Wie bitte?", fragte sie schockiert. „Das Baby, das Helena verloren hatte, war gar nicht von mir", wiederholte er. „Du hattest also auch in dem Punkt Recht." „Ich hatte es aber nicht so gemeint, sondern wollte nur Helena schlecht machen", erwiderte sie. Dann stand sie so schnell auf, dass sie beinah den Tisch umgestoßen hätte, und eilte zu Beck. „Lieber Himmel, ich hatte es wirklich nicht ernst gemeint. Ich bin, wie du weißt, nun mal temperamentvoll. Nicht dass ich brülle oder mit Sachen um mich werfe ..." „Nein, du lässt nur absichtlich Teller fallen", fügte er hinzu. „Ja, und ich sage Dinge, die ich nicht so meine. Dabei will ich den anderen nicht absichtlich wehtun, ich überlege nur nicht vorher. Und weil ich Helena nicht mochte, weil ich mich von ihr bedroht fühlte und weil sie sich dir gegenüber nie so gezeigt hat wie mir ..." Sie verstummte hilflos, da sie wusste, wie sehr ihn das alles schmerzen musste. Zögernd legte sie ihm die Hände auf die Schultern und zwang ihn, sich ihr zuzuwenden. Der qualvolle Ausdruck in seinen Augen war ihr fast unerträglich. „So lange habe ich dich vermissen müssen", sagte Beck betrübt und umarmte sie. „So verdammt lange. Warum hast du niemand gesagt, wo du bist?" „Es ist doch jetzt erst zwei Wochen her, dass ..." „Und kamen die dir nicht auch wie eine Ewigkeit vor?", unterbrach er sie. „Ja", stimmte sie zu. „Wie zwei Ewigkeiten." Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter und legte ihm die Arme um die Taille. „Ich wusste weder, wo deine Eltern leben, noch, wo dein Büro ist", beklagte Beck sich. „Du hast es aber schließlich herausgefunden", beruhigte sie ihn. „Ja, mit viel Mühe." „Ich wollte in Bezug auf Helena nicht Recht behalten", erklärte Carenza und kam auf das frühere Thema zurück. „Sie war aber so seltsam. Wenn du nicht in Hörweite warst, dann ..." „Ich weiß", unterbrach er sie. „Lisa hat es mir erzählt. Sie hat mir auch gestanden, dass John tatsächlich die ganze Zeit über gewusst hatte, wo Helena sich aufhielt. Die hatte ihn angefleht, niemand etwas zu verraten, weil sie angeblich Zeit für sich allein brauchte." „Und er war in sie verliebt", behauptete Carenza. „Ja, zumindest ein bisschen, denke ich." „Bestimmt hatte John ein schlechtes Gewissen, weil er dich hinters Licht geführt hat, obwohl du doch so viel für ihn getan ?! hast", meinte sie. „Übrigens, wer war denn der Mann, der so un• erwartet auftauchte?" „Helenas früherer Liebhaber. Der wirkliche Vater des Babys", antwortete Beck. „Etwa der, bei dem sie in Winchester lebte?" „Ja, der", stimmte er müde zu. Stirnrunzelnd hob sie den Kopf. „Sie hat ihn deinetwegen verlassen und ist dann zu ihm zurückgegangen, nachdem sie das Baby verloren hatte?" „Ja." Sanft ließ Beck die Hände über ihren Rücken gleiten. „Sein Geschäft hatte
Bankrott gemacht, er hatte alles Geld verloren - und Helena wollte nicht mit einem mittellosen Mann liiert sein, vor allem nicht, als sie schwanger war." „Wusste er denn davon?" „Nein, damals nicht. Ich möchte dich küssen", sagte Beck unvermittelt r au. Carenza seufzte leise, presste die Lippen auf seine und erfüllte ihm beglückt den Wunsch, bis sie kaum noch atmen konnte. Beck erwiderte den Kuss fordernd und ungestüm. Schließlich hob er den Kopf und sah sie ernst an. „Ich liebe dich", sagte er heiser. „Das wollte ich dir bisher nicht verraten, weil ich es mir selbst nicht eingestehen wollte." „Für den Fall, dass du dich in deinen Gefühlen irrst?", fragte sie sanft. „Nein, das war nicht der Grund. Ich sehnte mich danach, dich zu lieben, aber nach all den Tragödien war ich von der Angst erfüllt, das Schicksal herauszufordern, wenn ich mir mein Glück eingestehen würde. Und dann warst du verschwunden, und es war zu spät, dir meine Liebe zu gestehen. Um auf Helena zurückzukommen: Sie mochte ihren Bruder nicht einmal", fügte er aufgebracht hinzu, und plötzlich war es so, als hätte das zärtliche Zwischenspiel niemals das Gespräch unterbrochen. „Sie hatte ihn schon mehr als vier Jahre nicht gesehen. Über seinen Tod wurde natürlich in den Zeitungen berichtet, und ich wurde auch erwähnt: Expeditionsleiter, reich ..." „Und attraktiv", fügte Carenza hinzu und zeichnete die Konturen seines Munds mit der Fingerspitze nach. „Liebst du mich wirklich?" „Wirklich und wahrhaftig", bestätigte Beck und küsste sie erneut. „Es war alles geplant, Carrie. Nein, nicht unsere Beziehung", sagte er verwirrend und lächelte sie an. „Ich meine natürlich, Helena hatte alles geplant. Du bringst mich ganz durcheinander. " „Wie schön! Erzähl weiter." „Alles geplant", wiederholte er. „Und alles nach Plan ausgeführt. Ich hätte nie gedacht, dass man mich hinters Licht führen könnte. Deshalb war ich so zornig, als ich die Wahrheit herausfand - als Helena mir gestand, das Kind sei nicht von mir gewesen." „Das tut mir so Leid für dich." Da Carenza nun sah, worauf das Gespräch hinauslief, hielt sie sich mit kritischen Kommentaren zu Helena vernünftigerweise zurück. Dass diese Beck ausgenutzt hatte, als er trauerte, als er körperlich und seelisch verletzt war, würde sie der Rivalin allerdings niemals verzeihen. „Sie ist so außergewöhnlich attraktiv, da ist es doch verständlich, dass du eine Affäre mit ihr hattest", flüsterte Carenza. Er schob sie so heftig von sich, dass sie beinah hingefallen wäre. „Was ist denn?", rief sie erschrocken und besorgt zugleich. „Was ist los?" „Ich hatte niemals eine Affäre mit Helena. Wie kommst du überhaupt darauf?" „Du hast ..." „Ich habe nie gesagt, sie und ich hätten eine Affäre", unterbrach Beck sie. „Nein, du hast gesagt ..." Sie versuchte, sich seine Worte ins Gedächtnis zu rufen, aber es gelang ihr nicht. „Ich erinnere mich nicht mehr. Jedenfalls wolltest du sie heiraten und hast mit ihr zusammengelebt." „In getrennten Zimmern, Carrie! Ein Verhältnis hatten wir wirklich nicht. Sie kam in der Nacht, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, zu mir ins Hotelzimmer. Das habe ich dir doch erzählt, stimmt's?" „Ja, schon, aber ... ich hatte angenommen, von da an hättet ihr so weitergemacht." „Das haben wir nicht. Sie kam damals in mein Zimmer, in Tränen aufgelöst und scheinbar völlig verstört über den Tod ihres Bruders. Ich nahm sie in die Arme, tröstete sie ..." Er verstummte kurz und schloss die Augen. „Sie hat mich benutzt", sagte er dann. „Und ich habe mich benutzen lassen." S„Weil du geglaubt hast, sie wäre aufrichtig bekümmert gewesen. Deswegen brauchst du dich nicht zu schämen", tröstete Carenza ihn. .„Ich schäme mich nicht, ich bin wütend. Sie hatte es bis in die kleinste Einzelheit
geplant", rief er ungläubig. Dass jemand so berechnend sein konnte, ging offensichtlich über sein Verständnis. „Sie war erst wenige Wochen schwanger, musste aber so bald wie möglich mit mir ins Bett steigen, damit sie behaupten konnte, das Kind sei von mir. Das hat sie mir vor kurzem ins Gesicht gesagt. Und dann gelacht", fügte er fassungslos hinzu. „Weil du ihr geglaubt hattest?" „Ja. Und weißt du, was mir dauernd durch den Kopf geht, Carrie? Wenn sie das Baby nicht verloren hätte, wäre ich jetzt mit ihr verheiratet!" „Ein schrecklicher Gedanke!" „Wenn Harvey nicht erschienen wäre ..." „Wer ist denn das?", fragte sie. „Helenas früherer Liebhaber. Sie hat ihn auf dieselbe Art wie mich verlassen, ohne ein Wort zu sagen - und das zweimal." „Warum ist sie eigentlich zu dir zurückgekommen?", wollte Carenza wissen. „Bestimmt nicht, weil es der Tag war, an dem das Baby hätte geboren werden sollen, oder?" „Nein, sondern weil John sie angerufen und von dir erzählt hatte. Sie wollte auf Nummer Sicher gehen und zwei Männer am Gängelband halten, bis sie sich für einen von beiden endgültig entschieden hatte. Wenn ich mit ihr nicht diesen bewussten Streit gehabt hätte, wäre die Wahrheit niemals ans Licht gekommen. " „Das glaube ich auch. Ich wünschte, ich wäre bei dem Streit dabei gewesen", sagte sie und sah, wie sich sein Ausdruck veränderte. „Um dir beizustehen, Beck", fügte sie schnell hinzu. „Dann kam auch noch John dazu, und Helena stürzte sich wie eine Furie auf ihn." „Wieso ist John ... Beck, ich verstehe nicht, wie das alles zu Stande kam. Erklär es mir. Wie hat Harvey Helena gefunden? Wusste er die ganze Zeit über, wo sie war?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, Harvey war genauso gutgläubig wie ich. Er liebte sie. Als sie ihn zum ersten Mal verließ -meinetwegen -, konnte er sie nicht aufspüren. Daraufhin arbeitete er Tag und Nacht, um ein neues Geschäft aufzubauen und um genug Geld zu verdienen, damit er ihr, falls sie zu ihm zurückkam, den Lebensstil bieten konnte, den sie erwartete. Harvey kannte ihre Launen und Fehler - jedenfalls glaubte er das -, trotzdem liebte er sie immer noch." „Und zu ihm ist sie zurück, nachdem sie dich sitzen gelassen hatte?", fragte Carenza. „Ja." „Und dann hat John sie dort angerufen und ihr erzählt, du seist an einer anderen Frau interessiert..." „Was Helena natürlich nicht dulden konnte, denn sie hatte mich noch nicht endgültig abgeschrieben", beendete Beck den Satz. „Also kam sie, ohne Harvey zu informieren, zu mir. Er probierte beim Versuch, sie aufzuspüren, alle Telefonnummern in ihrem Adressbuch durch, erreichte schließlich John, und der erzählte ihm, wo sie sich aufhielt." „Harvey kannte aber die besonderen Umstände nicht, oder?" „Richtig. Er kam zu mir, um sich mit Helena auszusprechen, und platzte mitten in den Streit, der dadurch ausgelöst worden war, dass sie vergessen hatte zu humpeln. Da ist mir natürlich klar geworden, dass sie mir die ganze Zeit über etwas vorgemacht hatte, und ich konnte immer nur denken: Carenza ist verschwunden, und ich sitze hier mit diesem Biest." In seinen Augen blitzte bei der Erinnerung daran helle Wut auf. „Wie konnte ich mich nur so betrügen lassen?", fragte er bitter. „Weil du an das Gute im Menschen glaubst. Du bist so ehrlich und aufrichtig, dass du nicht erwartest, andere könnten gemein und hinterhältig sein", antwortete Carenza. „Übrigens freue ich mich überhaupt nicht, in Bezug auf Helena Recht behalten zu haben." „Warum habe ich bloß nicht erkannt, das frage ich mich immer und immer wieder, dass sie mich im Krankenhaus nicht aus Mitleid mit mir und nicht aus Kummer wegen ihres Bruders aufgesucht hat, sondern aus reiner Berechnung! Sie war nicht in mich verliebt, ihr war sogar egal, was für einen Charakter ich hatte. Sie hätte mich auch zu bezirzen
versucht, wenn ich ein Schurke gewesen wäre. Wie kann es nur solche Menschen geben?" „Das weiß ich auch nicht", erwiderte Carenza. „Ich hätte nie geglaubt, so naiv zu sein." Beck stöhnte. „Du denkst eben noch immer, Frauen wären sanft, lieb und aufrichtig, stimmt's?" „Na ja, vielleicht hast du Recht. Wir Männer werden heutzutage nicht mehr als Beschützer und Ernährer betrachtet und sehnen uns trotzdem noch immer nach einer anschmiegsamen, femininen Frau als Lebensgefährtin." „Nach einer Frau wie mir?", fragte sie scherzhaft, denn sie fand nicht unbedingt, dass sie dieser Beschreibung entsprach. Er lächelte. „Nein, ich meine eine mütterliche, fürsorgliche Frau wie Lisa", erwiderte er humorvoll. „Da du Lisa erwähnst: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie dir verraten hat, was ich ihr gesagt hatte. Ich mochte sie auf den ersten Blick und habe ihr vertraut." „Sie hat nichts verraten", gestand Beck. „Wie bitte? Du hast aber doch gesagt..." „Sie hat mir nur erzählt, dass du sie besucht hast, weshalb, hat sie mir nicht verraten." „Beck, wie konntest du mir das nur verschweigen! Ich hätte sie aus Wut beinah überfahren, als sie mich aufzuhalten versuchte", rief sie, obwohl das natürlich übertrieben war. „Es tut mir Leid. Ich war auch wütend, denn ich wollte Helena nicht bei mir haben weil sie mir mit ihrem Geschwätz unglaublich auf die Nerven gegangen ist ... Hör auf zu lächeln, Carrie." „Entschuldige", sagte sie, und ihre Augen leuchteten. „Ich muss mich bei dir für vieles entschuldigen." „Nein." „Weißt du, Carrie, ich wusste, dass ich in dir die ideale Partnerin gefunden hatte, eine Frau, mit der ich lachen und die ich lieben konnte. Eine Gefährtin und Geliebte. Und dann dachte ich plötzlich, ich hätte mich in dir gründlich getäuscht. Und deshalb habe ich dich weggeschickt." Er seufzte tief. „Und für Helena hast du wirklich niemals Ähnliches empfunden wie für mich?" „Nein, niemals!" „Hat sie ..." Verlegen verstummte Carenza. „Nach dem ersten Mal noch weiter mit mir schlafen wollen?", ergänzte Beck den Satz. „Ja, aber nicht, weil sie mich für einen begnadeten Liebhaber hielt", fügte er selbstironisch hinzu. „Jetzt weiß ich, dass sie mich nur am Gängelband zu halten versuchte. Ich sollte ihr verfallen - so wie unzählige Männer es, ihrer Behauptung nach, getan haben. Ich war aber nicht in sie verliebt, ich fühlte mich nicht einmal zu ihr hingezogen. Na gut, ich kann nicht sagen, dass ich sie überhaupt nicht mochte. In erster Linie war ich ihr dankbar." Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Hinterhältigkeit verstehe ich nicht. Warum können manche Menschen nicht sagen, was sie wirklich meinen? Oh, entschuldige. Du warst ja völlig aufrichtig - und ich habe der falschen Frau geglaubt." Carenza lächelte verhalten und ließ die Hände über seine muskulöse Brust gleiten. „Warum war sich John so sicher, dass du Helena vergöttert hast?" „Weil sie es ihm gesagt hat. Sie konnte sehr überzeugend sein." Da sie ihre Lektion gelernt hatte, zog Carenza nun keinen voreiligen Schluss, sondern fragte: „Warum ist sie beim ersten Mal verschwunden, ohne ihre Sachen mitzunehmen?" „Sie hat mich verlassen, weil sie sich bei mir langweilte, aber sie hat es auf eine Art getan, die es ihr erlaubte, zu mir jeder Zeit zurückzukommen. Ob sie Gedächtnisschwund, einen Nervenzusammenbruch oder sonst etwas für ihr Verschwinden angeführt hätte, sie wusste, man würde ihr glauben. Jeder glaubte ihr. Vielleicht weil sie so jung und hilflos wirkte. Und natürlich hat sie ihren Abgang so mysteriös inszeniert, um mich in Schwierigkeiten zu bringen. Weil sie mich bestrafen
wollte." „Dafür dass du sie nicht geliebt hast?" „Nein, weil ich mich nicht an ihre Spielregeln gehalten habe. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt fähig ist zu lieben, aber sie erwartet, dass Männer sie lieben. Wahrscheinlich braucht sie das Gefühl, geliebt zu werden. Deshalb ist sie zu Harvey zurückgegangen. Sie hatte gehört, dass er sich ein neues Leben aufbaut und wieder gut verdienen würde, und alles getan, um ihn erneut zu betören." „Der arme Harvey!" „Ja, er war völlig verstört, als er von dem Baby hörte." „Weil er sie wirklich liebte?" „Ja. Und John sah aus, als hätte ihn unversehens ein Ziegelstein getroffen, als Helena endlich ihren wahren Charakter offenbarte. John versteht Hinterhältigkeit genauso wenig wie ich." „Lisa auch nicht", fügte Carenza hinzu. „Hat sie ihm verziehen?" „Noch nicht. Darüber möchte ich im Moment nicht reden." „Ich muss es aber wissen", sagte sie energisch. „Wirklich. Bitte verrat es mir. Es ist wichtig für mich, Beck." Er nickte. „Ist Helena wieder zu Harvey zurückgegangen?", fragte sie weiter. „Nein. Er wollte sie nicht. Sein Schmerz ist momentan zu tief. Ich weiß nicht, wo Helena jetzt ist. Sie hat ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. Sie war nicht einmal beschämt. Nein, sie lachte und meinte, alle Männer seien Narren und leicht zu manipulieren. Carrie, sag jetzt nicht, dass sie damit Recht hatte", warnte er. „Ich wollte nichts sagen." Sie lächelte. „Wie lange bist du hier noch beschäftigt?" „Noch einen Monat." Traurig flüsterte sie: „Ich werde dich vermissen." „Ich reise nicht ab." „Nein? Was wird denn so lange aus dem Restaurant?" „Ich fahre an den Freitagen morgens hin und komme sonntags zurück. Hier kann ich dich abends sehen, wenn du mit der Arbeit fertig bist, und morgens, bevor du gehst." „Und nachts?", fragte Carenza vielsagend. „Nachts wirst du in meinen Armen liegen. Oder hast du etwas dagegen?" „Nein." „Ich lasse dich nie wieder weggehen, Carrie." „Ich will ja gar nicht, dass du mich gehen lässt." „Wenn ich Helena nicht kennen gelernt hätte, könnten du und ich jetzt schon verheiratet sein." „Verheiratet?", flüsterte Carenza. „Ja. Möchtest du mich nicht heiraten?" „O doch", stimmte sie wie benommen zu und schmiegte sich eng an ihn. Beck umarmte sie und presste seine Wange an ihr Haar. „Ich kann es fast nicht glauben, dass alle Schwierigkeiten überwunden sind." „Ich bin einfach nur dankbar dafür. In der letzten Zeit habe ich mich so elend gefühlt, Beck." „Ich mich auch. Heirate mich bald." „Mit Vergnügen!" Beck fuhr Carenza zur Arbeit zurück. An der Tür lächelte er sie an und küsste sie. „Wann hörst du auf?" „Um fünf Uhr." „Dann erwarte ich dich in deinem Hotelzimmer genau fünf Minuten später." Er öffnete ihr die Tür und schob Carenza ins Haus. Niemand arbeitete. Als sie hereinkam, blickten alle Arbeiter sie an, und einer nach dem anderen begann zaghaft zu lächeln.
Zerknirscht erwiderte sie das Lächeln. „Ich muss mich bei euch dafür entschuldigen, dass ich bisher so unausstehlich war. Aber, wisst ihr, ich dachte, er liebt mich nicht mehr." „Und jetzt wissen Sie, dass er es doch tut?", fragte einer der Männer.
„Ja, jetzt weiß ich es ganz sicher."
„Na prima. Hier, Ihr Spachtel, Miss Dean."
Lachend warf sie das Werkzeug in die Luft und fing es wieder auf. „Die Chefin braucht
keine Tapeten abzukratzen. Die Chefin macht Pläne." „Sagen Sie das mal Ihrem Liebsten", scherzte der Arbeiter. „Das werde ich. Darauf können Sie wetten", sagte sie leise. Sie konnte einfach nicht aufhören zu lächeln.
EPILOG Sechs Wochen später erfüllte sich für Carenza ein Kindheitstraum, denn ihre Trauung fand in dem großartigen Herrenhaus aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert statt, das in der Nähe ihres Elternhauses stand. Weder sie noch Beck hatten eine große Hochzeit gewollt. Es waren nur engste Familienmitglieder und Freunde eingeladen. Er hatte ihrem Bruder den Flug von Neuseeland bezahlt und kam auch für die Übernachtung der Gäste im Hotel auf. Carenza trug ein langes cremefarbenes Seidenkleid, verziert mit Stickerei und Perlen, und dazu einen extravaganten, breitkrempigen Hut. Das dunkle Haar hatte sie locker aufgesteckt. Sie stand lächelnd an der offenen Terrassentür, von der aus man den ummauerten Garten überblickte, und beobachtete Beck. Er war auf dem Rasen und hielt Lisas und Johns Zwillinge auf dem Arm. Sie konnte nic ht hören, was er zu den Kleinen sagte, die feierlich nickten. In dem Moment blickte Beck auf, und er sah so strahlend und glücklich aus, dass Carenza die Kehle wie zugeschnürt war. Neben sich hörte sie ein unterdrücktes Schluchzen und wandte rasch den Kopf. „Tut mir Leid", entschuldigte sich ihre Mutter. „Ich glaube nicht, dass ich jemals einen so glücklichen Bräutigam gesehen habe. Er wirkt nicht nervös, nicht ängstlich, nein, einfach nur glücklich." „Und das macht dich traurig?", neckte Carenza ihre Mutter sanft. „Nein, ich weine vor Freude. Ihr beide liebt euch wirklich, stimmt's?" „ja. „Ihr seid wie füreinander geschaffen." „Das finde ich auch", bekräftigte Carenza und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Garten zu. Beck stellte die Kinder auf den Boden, blieb noch einen Moment lang hocken und sagte etwas zu ihnen. Sie lächelten strahlend und liefen dann zu ihren Eltern, die in der Nähe standen und sich an der Hand hielten. Es war so schön, zu sehen, dass John und Lisa ihre Probleme und Zwistigkeiten überwunden hatten. Carenzas Herz begann wie rasend zu pochen, als Beck auf sie zukam. Er war so groß, beeindruckend und umwerfend attraktiv! Heiße Liebe durchflutete sie. Beck war ihr Ehemann, ihr Liebhaber, ihr Freund. Er ging die Terrassenstufen hoch und blieb vor Carenza stehen. Tief sah er ihr in die Augen. „Hallo", sagte er und streckte die Hände aus. Sie legte ihre hinein. „Du siehst aus wie eine Lady aus der Zeit König Eduards: wunderschön, geheimnisvoll und elegant." „Danke für das Kompliment. Ist das nicht ein herrlicher Tag?", fügte sie dankbar hinzu. „Ja. Ich mag deine Familie." „Sie mögen dich auch." Wahrscheinlich vermisste er seine Eltern sehr, besonders an einem Tag wie diesem, aber sie hielt es für rücksichtsvoller, nichts dazu zu sagen. „Wollen wir jetzt aufbrechen?", fragte Beck leise. Sie nickte. Gemeinsam gingen sie zu ihren Gästen, um sich zu verabschieden. Carenza umarmte ihren Bruder und ihre Freunde. Beck begnügte sich mit Händeschütteln. Die Zwillinge folgten ihm überallhin. Jessica hatte sich eine Blume hinters Ohr gesteckt, um mit Peter mithalten zu können, der eine im Knopfloch trug. Carenza lächelte die Kleinen an, und sie erwiderten strahlend das Lächeln. Als sie Lisas Blick auffing, fragte sie: „Alles in Ordnung?" Lisa nickte. Vor der Hochzeit hatten sie keine Zeit gehabt, sich ausführlich zu unterhalten, denn Carenza war mit den Vorbereitungen für den großen Tag beschäftigt gewesen, seit sie aus Birmingham zurückgekommen war. Als sie und Beck schließlich zu ihren Eltern traten, blickte ihre Mutter sie lange an, dann sagte sie zu ihm: „Ich weiß, wir können dir deine Familie nicht ersetzen. Es würde uns sehr freuen, wenn du..." „Danke", unterbrach er sie und machte es ihr - und vermutlich sich - damit einfacher. „Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir diese Worte bedeuten." Sanft legte er ihr die
Hände auf die Schultern. „Ich würde dich ja gern umarmen und küssen, aber ich habe Angst, deinen tollen Hut zu zerdrücken." Mrs. Dean lachte fröhlich, nahm ihre Kopfbedeckung ab und warf ihn beiseite. Dann umarmte sie Beck herzlich. Danach schüttelte er Mr. Dean die Hand. „Ich werde Carenza hüten wie meinen Augapfel", versprach Beck. „Das weiß ich." Stolz blickte Mr. Dean seine strahlend schöne Tochter an, dann umarmte er sie fest. „Ich brauche dir gar kein Glück zu wünschen, weil ich mir sicher bin, dass du es gefunden hast und immer behalten wirst. Beck ist ein guter Mann." „Ich weiß", stimmte Carenza bewegt zu, und Tränen schimmerten in ihren Augen. „Und jetzt fahrt endlich los, ihr beiden", sagte Mr. Dean rau und konnte seine Rührung kaum verbergen. Carenza blinzelte kurz, nahm Beck bei der Hand und ging mit ihm zu dem bereitstehenden Auto. Eilfertig öffnete ihnen der Chauffeur die Wagentür. „Ich weine wirklich nicht", informierte Carenza ihren Ehemann, während sie einstiegen und sich auf den Rücksitz setzten. „Das sehe ich", erwiderte Beck und wischte ihr sanft eine Träne von der Wange. „An einem Tag wie heute wird man einfach manchmal von seinen Gefühlen übermannt", erklärte Carenza heiser. „Was hast du eigentlich zu den Zwillingen gesagt?", fragte sie dann neugierig. Beck lächelte. „Ich habe mich nur bei ihnen bedankt, dass sie zur Hochzeit gekommen sind und sich so mustergültig benommen haben." „Sie sind wirklich entzückend." „Ja. Da sind wir ja schon." Sie waren vor dem Haus ihrer Eltern angekommen, wo sie sich umziehen und reisefertig machen wollten. Ihr war irgendwie seltsam zu Mute, als sie beim Aussteigen Becks Hand nahm. „Es ist plötzlich alles so anders", sagte Carenza und lächelte befangen. „Das ist eigenartig." „Nein", widersprach er und öffnete ihr die Tür. „Es ist doch ein ganz neuer Anfang, ein neues Abenteuer." In der Eingangshalle blieben sie stehen. Er sah Carenza ernst an. „Ich möchte mich immer an dich erinnern, wie du heute bist, an jeden einzelnen Augenblick dieses Tags. Meine Frau!" Plötzlich lächelte er und berührte die breite Krempe ihres Huts. „Der ist wirklich bezaubernd, aber ich möchte dich unbedingt küssen, und er hindert mich daran." Mit bebenden Fingern nahm sie den Hut ab und warf ihn achtlos beiseite. Dann löste sie das Haar und schüttelte den Kopf. „Besser so?", fragte sie und legte Beck die Hände auf die Brust. „Viel besser", bestätigte er und küsste Carenza leidenschaftlich. Schließlich sah er auf. „Ich liebe dich, Carrie." „Und ich liebe dich." Zärtlich zeichnete sie mit den Fingerspitzen die Konturen seines markanten Gesichts nach. Sie begehrte ihn leidenschaftlich und glaubte nicht, dass es jemals anders sein würde. „Wie viel Zeit haben wir?", fragte sie heiser. „Nicht genug", antwortete Beck bedauernd. „Mein Flugzeug startet in einer Stunde." „... und bringt uns nach Paris ", sagte sie, von Vorfreude erfüllt. „Ja, nach Paris und morgen nach New York, wo wir einen ausgedehnten Einkaufsbummel machen werden, bevor es weiter zu den Bermudas geht." „Es ist schön, verwöhnt zu werden." Carenza seufzte glücklich. „ Ich weiß aber gar nicht, wie ich dich verwöhnen kann ", meinte sie. „O doch, das tust du", erwiderte Beck und lächelte sie viel sagend an. „Du weißt es ganz genau." Erfüllt von heißer Liebe, küsste sie ihn. „Hilf mir beim Umziehen", bat sie ihn dann. „Aber gern!" Hand in Hand gingen sie lachend nach oben.
-ENDE