BASTEI
Wildwest-Roman Band 1130
Wo ist mein Bruder, Desperado? Ein neuer mitreißender Roman von FRANK CALLAHAN
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BASTEI
Wildwest-Roman Band 1130
Wo ist mein Bruder, Desperado? Ein neuer mitreißender Roman von FRANK CALLAHAN
Sie hetzten ihn durch die Gluthölle der Arizona-Wüste. Apachen, die sein Pferd, seine Waffen und seinen Skalp erbeuten wollten. Wes Montgomery hatte kaum noch eine Chance. Bitterkeit erfüllte den hageren Mann. Er war auf den Trail gegangen, um seinen verschollenen Bruder zu suchen, von dem er seit Monaten kein Lebenszeichen mehr erhalten hatte. Die Suche hatte den einsamen Reiter in die Gila-Wüste geführt, und nun sah es ganz danach aus, als wäre er am Ende aller Fährten angelangt. Sein erschöpftes Pferd stolperte nur noch. Es würde diese furchtbare Strapaze nicht mehr lange durchhalten. Die Apachen kamen immer näher, und der Tod streckte seine Knochenhand aus...
In einer Mulde, die von einer Felsengruppe umgeben war, zügelte Wes Montgomery sein erschöpftes Pferd und ließ sich müde aus dem Sattel gleiten. Auch Wes war am Ende seiner Kräfte angelangt. Er nahm die Winchester aus dem Sattelholster, und im nächsten Augenblick sah er, wie ein krampfartiges Zittern den Körper des Pferdes durchlief. Der graue Wallach, der bisher so zäh durchgehalten hatte, stieß ein fast menschlich wirkendes Seufzen aus. Dann brach das treue Tier langsam auf den Vorderhänden ein. Ein Anblick, bei dem sich Wes Montgomerys Magen zusammenkrampfte. Denn er wußte, daß es mit dem Grauen zu Ende ging. Und das bedeutete auch für Wes, daß er wahrscheinlich das Ende seiner Fährte erreicht hatte. Nun mußte er sich zum letzten Kampf stellen. Einer gegen drei. Die drei Apachen hatten ihre zähen Mustangs gezügelt. Stolz saßen die roten Krieger in den einfachen Fellsätteln. Die nackten, bronzefarbenen Oberkörper glänzten im Sonnenlicht. Jeder trug eine Feder im fast schulterlangen, pechschwarzen Haar. Wes hob die Winchester an die Schulter. Er wußte, daß sich noch genau vier Kugeln im Röhrenmagazin der Waffe befanden, und in seinem Revolver war noch eine ganze Trommelfüllung. Insgesamt also zehn Schuß noch. Zehn Kugeln gegen drei Apachen, die zu allem entschlossen waren. Ein klagendes Röcheln durchdrang die Stille. Dann folgte ein dumpfer Fall. Sand wirbelte auf, und die winzigen, kristallartigen Körner senkten sich wieder und blieben auf dem Fell des ermatteten Tieres liegen. Wes nahm die Winchester in die Linke und zog mit der Rechten den Revolver, einen Smith & Wesson, Kaliber .44. Er richtete die Waffe auf den Kopf des Wallachs, aber er zögerte noch. Auf der einen Seite war es richtig, wenn er die Leiden der Kreatur mit einem gezielten
Schuß abkürzte. Auf der anderen Seite mußte er bedenken, daß eben diese eine Kugel unter Umständen sein eigenes Leben retten konnte. Die schrillen Schreie der drei Apachen rissen ihn aus seinen schweren Gedanken. Die drei roten Teufel hatten sich zum Angriff entschlossen. Wes wirbelte herum. Sand wirbelte unter den unbeschlagenen Hufen der Apachenmustangs. Tief geduckt lagen die halbnackten, sehnigen Gestalten über den struppigen Hälsen der Mustangs, und das Krachen von Gewehrschüssen übertönte gleich darauf alle anderen Geräusche. Die drei wollten es nun endgültig wissen, nachdem sie den weißen Mann nun schon so lange gejagt hatten. Wes Montgomery begann ebenfalls zu feuern. Und er wußte, daß er verloren war, wenn er zu überhastet seine letzten zehn Kugeln verschoß, ohne zu treffen. Eine Kugel traf seinen linken Arm. Heißer Schmerz durchzuckte ihn, und die Gewalt des Einschlags riß ihn halb um die eigene Achse. Die Winchester war leergeschossen. Wes griff mit der Rechten zum Revolver, und als er wieder aus seiner Deckung auftauchte, sah er, daß nur noch ein Apache übriggeblieben war. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob Wes den Revolver. Dem angeschossenen Mann war es schwindlig geworden vor Schmerzen. Nur der Wille zu überleben ließ in ihm noch einmal eine letzte verzweifelte Flamme aufflackern. Blindlings feuerte er in die Staubwolke hinein, die der Apache mit seinem heranbrausenden Mustang aufwirbelte. Wes zählte die Schüsse mit. »Eins – zwei – drei – vier...« Während er noch für die letzten beiden Schüsse den Zeigefinger krümmte, begann um ihn herum die Welt zu versinken. Er spürte nicht mehr, wie er zusammenbrach und auf der
heißen Erde hart aufschlug… *** Als er erwachte, herrschte tiefe Stille ringsum. Noch immer brannte die Sonne mit erbarmungsloser Wucht auf ihn hinab. Stöhnend kam er auf die Beine. Quälende Übelkeit stieg in ihm hoch. Keuchend erbrach er, doch es war mehr nur ein Würgen, denn er hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Langsam wurde Wes Montgomerys Zustand etwas besser. Die funkelnden Sterne und kreisenden Nebelschleier vor seinen Augen verschwanden. Er starrte in die sengende Sonne. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Wes taumelte zu seinem Pferd, das regungslos am Boden lag. Es war tot. Wes streichelte sanft über das staubverkrustete Fell seines treuen Gefährten, der ihn seit vielen Jahren in Not und Gefahr begleitet hatte. Einer der Indianer-Mustangs war tot, die beiden anderen waren auf und davon. Wes Montgomery wurde sich seiner aussichtslosen Lage mehr denn je bewußt. Er war nun ohne Pferd, ohne Munition und ohne Wasser, befand sich inmitten dieser Wüste, in die ihn die Indianer getrieben hatten. Der verwundete Mann kannte sich hier nicht aus, wußte weder, wo sich die nächste Wasserstelle befand, noch wo es hier Menschen gab, die ihm helfen konnten. Resignierend senkte Wes den Kopf, doch dann straffte sich sein hagerer, ausgemergelt wirkender Körper. Solange noch ein Funken Leben in ihm war, würde er kämpfen. Er hob seinen nutzlos gewordenen Revolver auf und halfterte ihn. Wes warf noch einen kurzen Blick zu seinem Pferd, sah
einige Geier, die mit schräggelegten Köpfen herüberäugten und sich bald über diese Mahlzeit hermachen würden. Der hagere Mann setzte sich in Bewegung, obwohl schon bald seine Füße tiefe Schleifspuren im Sand zurückließen. Er taumelte mehr, als er ging. Meile um Meile schleppte sich der Verwundete dahin. Sein keuchender Atem war das einzige Geräusch, das ihn begleitete. Im Schatten einiger großer Kakteen ließ sich Wes einfach hinfallen. Er war am Ende. Es war aus und vorbei mit ihm. Der hagere Mann hatte keine Kraft mehr, auch nur noch hundert Yards durch dieses höllische Land zu taumeln. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt. Wes Montgomery lag auf dem Rücken. Der Schatten der Kakteen tat ihm gut. Wenigstens war er nicht mehr den höllischen Sonnenstrahlen ausgesetzt. Vielleicht konnte er sich ein wenig erholen und in der kommenden Nacht seinen Höllentrail fortsetzen. An diesen Hoffnungsschimmer klammerte sich Montgomery, obwohl er ahnte, daß ihn Hunger, Durst und seine Verwundung vielleicht bis dahin schon längst umgebracht haben würden. Außerdem gab es hier noch andere Gefahren, die einem geschwächten und waffenlosen Mann zum Verhängnis werden konnten. Es gab Klapperschlangen und Wölfe, Coyoten und Geier, die bald in ihm einen Leckerbissen sehen würden. Wes Montgomery schloß die Augen. Eigentlich befand er sich wirklich in einer höllischen Pechsträhne, dachte der erschöpfte Mann. Zuerst hatte man ihn in Nogales hinterrücks niedergeschlagen und ihm sein ganzes Geld geraubt. Und dann war er den Apachen über den Weg geritten. Er dachte in diesem Moment an seinen Zwillingsbruder Tob, den er nun schon seit fast einem Jahr suchte und dessen Aufenthaltsort er einfach nicht finden konnte. Immer wieder verliefen alle Spuren und Fährten im Sand.
Wes war sich aber sicher, daß sein Bruder Tob sich hier irgendwo in Arizona aufhalten mußte. Fünf Jahre hatte er ihn nicht gesehen. Seit jenem Tag, als Tob über Nacht verschwunden war. Er hatte das harte Leben auf der kleinen Pferderanch nicht mehr ausgehalten. Bestimmt hatte er gehofft, sich sein Leben leichter und angenehmer gestalten zu können. Tob konnte natürlich nicht ahnen, daß sein Zwillingsbruder nur ein Jahr später Gold in einem Creek gefunden hatte. Genügend Goldnuggets, um beiden Brüdern ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Vor einem Jahr hatte sich Wes auf den Weg gemacht, um seinen Bruder zu finden. Er wollte ihn an dem Reichtum teilhaben lassen, hatte ihm längst verziehen, daß er ihn damals schmählich im Stich gelassen hatte. Diese Gedanken gingen Wes Montgomery durch den Kopf. Er fühlte eine tiefe Müdigkeit in sich aufsteigen. Obwohl er sich wach zu halten versuchte, schlief der Verwundete doch schon nach wenigen Minuten ein. Als Wes erwachte, verglühte die Sonne am Horizont und ließ das flache Land nochmals golden aufleuchten. Montgomery stützte sich auf seinen unverletzten Arm. Ein Krächzen drang aus seiner Kehle. Seine Zunge schien sich zu einem selbständigen Wesen entwickelt zu haben, das ihm nicht mehr gehorchte. Sie war aufgequollen und füllte den Rachenraum fast vollkommen aus. Der Durst brachte den hageren Mann an den Rand des Wahnsinns. Vor seinen Augen flimmerte es. Nur mühsam gelang es ihm, seine Umgebung wahrzunehmen. Wes versuchte, unter ungeheuren Anstrengungen, auf die Beine zu kommen. Er schaffte es nicht. Sein verwundeter Arm fühlte sich tot und taub an. Verkrustetes Blut bedeckte den Boden. Wes stöhnte wie ein waidwund geschossenes Tier auf.
Endlich konnte er sich wenigstens aufsetzen. Sein verdreckter Stetson rutschte vom Kopf und gab einer dunkelblonden Haarpracht Raum. Ein leichter Wind spielte mit den strähnigen Haaren. Wasser, dachte der hagere Mann. Wasser, sonst ist es bald aus mit mir. Abermals versuchte Wes, auf die Beine zu kommen, doch es gelang ihm wieder nicht. Tiefe Verzweiflung drohte den Erschöpften zu übermannen. Nochmals nahm er seine ganze Kraft zusammen. Endlich stand er schwankend auf den Beinen. Alles schien sich um ihn zu drehen. Wes taumelte einige Yards, als sich sein im Sand schleifender Stiefel an einem kleinen Felsbrocken verfing. Hart schlug der hagere Mann zu Boden. Ein Schmerzenslaut kam von seinen aufgesprungenen Lippen. Wes wußte, daß er es nicht mehr schaffen würde, nochmals auf die Beine zu kommen. Schwerfällig wälzte er sich auf den Rücken. Die Sonne verschwand wie eine blutrote Fackel am Horizont. Bald würden die Schatten der Nacht herangekrochen kommen und ihr engmaschiges Netz über das rauhe Land werfen. Ein dunkler Schatten tauchte plötzlich vor dem hageren Mann auf. Die glühenden Lichter eines riesigen Wüstenwolfes starrten Wes unverwandt an. Montgomery sah die schrecklichen Fänge des Tieres, das sich nur zehn Yards entfernt niederkauerte, ihn jedoch keinen Moment aus den Augen ließ. Es mußte ein schon älteres und daher sehr erfahrenes Tier sein. Die Rute peitschte den Boden. Staub wirbelte auf, der im leichten Wind verwehte. Das sandfarbene Fell des Tieres trug Spuren von Kämpfen. Ein heiseres Knurren durchdrang die Stille. Der Wüstenwolf
fletschte seine spitzen Zähne. Wes Montgomery lag wie erstarrt. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Eine kalte Hand wanderte über seinen ausgebrannten Körper. Dann legte sich der erste Schock in dem erschöpften Mann. Seine Hand tastete zum Revolver, erkannte jedoch noch rechtzeitig die Nutzlosigkeit dieser Bewegung. Wes zog sein Green-River-Messer aus dem Gürtel. Er hatte kaum noch die Kraft, die Waffe halten zu können. Er würde gegen den riesigen Wolf nicht mehr Chancen haben als ein Schneeball in einer Bratpfanne, unter der man ein Höllenfeuer entfacht hatte. Regungslos starrten sich der Mann und der Wolf an. Das Tier witterte jetzt herüber. Wieder peitschte seine buschige Rute den Boden. Der Wolf erhob sich auf seinen hohen Beinen und begann, den am Boden sitzenden Mann zu umkreisen. »Heiliger Rauch«, murmelte Wes. »Mir bleibt auch gar nichts erspart.« Der Wolf hatte seine Runde beendet und kauerte sich erneut vor dem Erschöpften und Halbverdursteten nieder. Wes senkte das Messer. Warum greift der Wolf nicht an? dachte Wes. Spielt er nur mit mir, so wie eine Katze mit einer Maus spielt, die sie bereits sicher hat? Oder ist er satt und wartet jetzt nur, bis ich einfach umfalle? Irgend etwas stimmt da nicht. Der Wolf schob sich jetzt langsam auf allen vieren näher. Dabei drang ein leises Knurren an die Ohren von Wes Montgomery. Die Ohren des Tieres waren aufgestellt. In diesem Moment erkannte Wes den sich lautlos heranschiebenden Körper einer Klapperschlange. Die lidlosen Augen waren auf den Wüstenwolf gerichtet. Er schien auch das Ziel der Klapperschlange zu sein.
Das erfahrene Tier sprang nun knurrend auf die Beine. Wes blickte atemlos hinüber. Wenn der Wolf jetzt das Weite suchte, war er zwar der Bestie entkommen, doch die Klapperschlange würde sich dann seiner annehmen. Der Wüstenwolf schien sich irgendwie herausgefordert zu fühlen. Er flüchtete nicht, sondern stellte sich der Schlange zum Zweikampf. Vielleicht ist das meine letzte Chance, dachte der erschöpfte Wes Montgomery und versuchte verzweifelt, auf die Beine zu gelangen. Er schaffte es nicht. Dann kroch er langsam auf allen vieren davon, ahnte aber, daß er weder dem Wolf noch der Schlange auf diese Weise entkommen konnte. Währenddessen tobte ein erbitterter Kampf zwischen den beiden so ungleichen Tieren. Doch der Wüstenwolf war erfahren und entging dem Biß der blitzschnell zustoßenden Schlange. Mit einem mächtigen Sprung war er hinter der Klapperschlange, dann schlossen sich auch schon seine mächtigen Fänge kurz hinter dem Kopf der Schlange um deren sich wütend windenden Leib. Es knirschte, als der Wolf zubiß. Wes blickte in dieser Sekunde zurück. Er wollte seinen Augen nicht trauen, doch der Lobo schaffte es wirklich, mit der nun wild zuckenden Schlange fertig zu werden. Der Wolf ließ nicht locker und brachte sich immer wieder aus dem Bereich des wütend um sich schlagenden Schlangenkörpers. Schließlich erlahmten die Kräfte des Reptils. Der Wüstenwolf ließ den Schlangenkörper los und stieß dann ein Heulen aus, das dem verwundeten und erschöpften Mann durch Mark und Bein ging. Wes wendete sich dem Tier zu. Eine weitere Flucht war sinnlos. Vielleicht hätte er eine winzige Chance gegen die Schlange gehabt, doch dem Lobo
konnte er auf diese Weise nicht entkommen. Wes hob sein Messer hoch, reckte es dem riesigen Tier entgegen, das mit blutigen Lefzen näher getrottet kam. Der Wolf setzte sich erneut, hob den Kopf an und heulte wieder in die Abenddämmerung, die sich rasch über das rauhe Land ausbreitete. Jetzt duckte sich der Lobo. Gleich würde er springen und Wes Montgomerys Leben ein Ende setzen. *** Der riesige Lobo sprang nicht. Er kam auf allen vieren näher gekrochen, schnüffelte zu Wes herüber, so als wehe von dort eine Witterung, die er irgendwie kannte und die ihn davon abhielt, sich auf den erschöpften und fast verdursteten Mann zu stürzen. Montgomerys Hand senkte sich. Er konnte das seltsame Gebaren des Tieres nicht verstehen und machte sich Gedanken darüber. Jedenfalls bestand im Moment keine Gefahr von Seiten des Tieres. Trotzdem würde Wes kaum den kommenden Morgen erleben. Er war bereits zu sehr geschwächt. Eine bleierne Schwere hielt seinen Körper in den Klauen. Wes schloß die Augen. Verzweifelt kämpfte er gegen die unerbittliche Müdigkeit an. Er fühlte sich ausgelaugt und zerschlagen. Blutverlust, die großen Strapazen der Hetzjagd, keine Nahrung und vor allem fehlendes Wasser hatten den sonst so harten und widerstandsfähigen Mann zerbrochen. Als er die Augen öffnete, sah er, daß der Wüstenwolf verschwunden war. Es wurde kalt. Die gnadenlose Hitze wurde nun von einer durchdringenden Kälte abgelöst. So war es nun einmal in diesem Land.
Bleiches Mondlicht sickerte vom Himmel. Fern und klar strahlten die Sterne am samtenen Himmel. Wes Montgomerys Blick war in unergründliche Fernen gerichtet. Er nahm seine Umgebung kaum noch wahr. Er zuckte nur zusammen, als er plötzlich schleichende Schritte vernahm. Dann heulte der Wolf, und er mußte ganz in der Nähe sein. Wes richtete sich auf. Nochmals zwang er seinen Körper dazu, seinen Befehlen zu gehorchen. Der Wolf saß nur drei Schritte von ihm entfernt. Seine Augen leuchteten wie zwei kleine Scheinwerfer. Er sprang nun auf die Beine und schüttelte sich wie ein Hund. Wes glaubte im ersten Moment, daß es zu regnen begonnen hatte, stellte jedoch dann fest, daß die Wassertropfen von dem Lobo kamen, als sich dieser geschüttelt hatte. Wasser! Irgendwo mußte Wasser sein und zwar so reichlich, daß sich das Tier darinnen gebadet hatte. Wes Montgomery verdrängte die Schatten, die seinen Körper niederzwangen. Wenn er die Wasserstelle erreichen würde, dann hatte er noch eine Chance, seinem grausamen Schicksal zu entkommen. Der Wolf spähte herüber, verhielt sich abwartend. Wes hatte das Gefühl, daß das Tier schon öfters mit Menschen in Berührung gekommen war. Vielleicht war es sogar ein zahmer Wolf. Das Tier setzte sich in Bewegung, lief einige Yards in eine bestimmte Richtung und hielt dann genauso, als wolle es auf den erschöpften Mann warten. In diesem Moment schickte der Lobo sein klagendes Geheul erneut herüber. Wes Montgomery begann zu kriechen. Auf allen vieren
schob er sich über den wüstenartigen Boden, folgte so dem Wolf, der wieder heulte und sich in Bewegung setzte. Nach einigen Yards wiederholte sich alles wieder. Der Wolf wartete immer wieder auf Wes Montgomery. Der Verwundete wußte wirklich nicht, woher er nochmals diese Kräfte mobilisierte, doch irgendwie geschah es, und es kam ihm wie ein Wunder vor. Yard um Yard folgte er dem Wolf. Seine Kleidung schabte über den Boden. Jeder Muskel seines geschundenen Körpers schmerzte. Sein Kopf dröhnte wie eine Glocke, auf den jemand in schöner Regelmäßigkeit mit einem Knüppel daraufschlug. Wes glaubte fast zu ersticken. Seine Zunge war noch mehr angeschwollen. Ein heiseres, unartikuliertes Krächzen kam aus seinem weitaufgerissenen Mund. Die Kühle der Nacht hatte Wes ein wenig erfrischt, trotzdem wußte er, daß er sich nicht mehr lange wie ein Wurm fortbewegen konnte. Auch diese letzten Kräfte drohten zu erlahmen. Er mußte immer größere Pausen einlegen. Mehrmals kämpfte er erfolgreich gegen die dunklen Wolken einer Ohnmacht an, die ihn schmatzend verschlingen wollten. Es war bereits mehr ein Dämmerzustand, in dem sich der hagere Mann befand. Einmal riß ihn der Lobo aus diesem Zustand, als er dicht herangekommen war und ein klagendes Geheul anstimmte. Irgendwie mechanisch setzte sich Wes Montgomery darauf wieder in Bewegung. Und dann konnte er das Wasser riechen. Ja, es war wirklich so. Er roch das kühle Naß, und es mußte ganz in der Nähe sein. Irgendein Urinstinkt gab dem verwundeten und fast verdursteten Mann nochmals neue Kräfte. Plötzlich patschten seine Hände in die so lange entbehrte Flüssigkeit. Gier überkam Montgomery, trotzdem sagte ihm sein
Verstand, daß er jetzt nicht allzuviel trinken durfte, denn sonst war er kurz vor seiner Rettung verloren. Wes trank einige Schlucke, dann tauchte er seinen ganzen Kopf in den Wassertümpel, den der Wolf gefunden hatte. Montgomery fühlte eine große Übelkeit in sich aufsteigen. Würgend erbrach er das Wasser wieder, nahm jedoch erneut ein paar Schlucke. Diesmal nahm es sein geschundener Körper an. Bald fühlte der knapp dem Tode entgangene Mann die Wirkung des Wassers, das ihm köstlicher als der beste Wein geschmeckt hatte. Die Benommenheit wich. Wieder nahm Wes Montgomery ein paar Schlucke, tauchte nochmals seinen Kopf hinein und wälzte sich dann auf den Rücken, ehe er seinen Oberkörper aufrichtete. Der Wolf saß ungefähr zehn Schritte entfernt, äugte herüber und rollte sich dann zusammen, als wollte er schlafen. »Gut... gut... mein... Bester«, krächzte Wes, ehe er sich ebenfalls ausstreckte und in einen todesähnlichen Schlaf fiel. Es war bereits hell, als Montgomery wieder zu sich kam. Langsam kam die Erinnerung. Er richtete sich auf. Von dem Lobo war nichts zu sehen. Wes fuhr sich über die Augen. Hatte er dies alles geträumt? Kopfschüttelnd kroch er zu dem kleinen Wassertümpel, stillte seinen Durst und glitt dann mit dem ganzen Körper in die kühle Flut. Das kalte Wasser erfrischte ihn. Er fühlte sich besser. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen flach und rot über das rauhe Land. Wes Montgomery fühlte, daß es ihm jetzt viel besser ging, obwohl sein Magen knurrte, als hätte sich dort ein ganzes Rudel hungriger Wölfe versammelt. Wes sah sich um. Er erinnerte sich an den Wolf, der ihm unzweifelhaft das Leben gerettet hatte. Er selbst hätte diese Wasserstelle niemals gefunden. Außerdem wäre er zu schwach gewesen, um die Gegend abzusuchen, auch wenn er die ungefähre Lage des Wasserloches gekannt hätte.
Wo war der Lobo geblieben? Wes fühlte sich erfrischt. Er sah nach seiner Wunde und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß diese sich nicht entzündet hatte. Er zerriß sein Hemd und legte einen neuen Verband an. Dann wankte er auf die Beine. Wes war überrascht, daß es so prächtig ging. Auch die ersten Schritte bereiteten ihm keine großen Schwierigkeiten, doch schon bald merkte er, daß sein Körper noch immer ausgelaugt war und sich nicht so schnell erholen konnte. Montgomery beschloß, in der Nähe der Wasserstelle zu bleiben, denn er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Die Sonne wanderte höher. Es begann warm zu werden. Wes trank nochmals und suchte sich dann einen schattigen Platz zwischen zwei Felsbrocken. Natürlich war dieser Platz hier nicht ungefährlich. Sicher kannten ihn die Indianer. Bestimmt wurde er auch von Tieren aufgesucht, die hier ihren Durst stillen wollten. Und Wes wurde sich wieder einmal bewußt, daß er trotz seines Messers praktisch waffenlos war. Plötzlich tauchte der Wolf vor Wes Montgomery auf. Zehn Yards entfernt blieb er stehen. Ein drohendes Knurren klang aus seinem aufgerissenen Maul hervor. Wes erhob sich. »Aber, aber, mein Bester«, sagte er ruhig und mit viel Wärme in der Stimme, die ihm wieder gehorchte. »Du wirst dich doch nicht plötzlich unfreundlich mir gegenüber benehmen. Erst hast du mir zweimal das Leben gerettet, und nun knurrst du mich so unfreundlich an.« Der Wolf schien auf die Stimme des hageren Mannes zu lauschen. Das heisere Knurren verstummte. Der Wolf trabte einige Schritte auf Wes zu und verhielt dann. Es war ein wirklich prächtiges Tier. Wes verstand nun auch, warum es den Kampf mit der Klapperschlange gewonnen hatte.
Dieser Lobo war sicher ein Einzelgänger, obwohl er bestimmt der Leitwolf eines großen Rudels sein könnte. Ohne Wes aus den Augen zu lassen, lief er langsam an dem hageren Mann vorbei, erreichte die Wasserstelle und begann zu saufen. Dann lief er auf Montgomery zu, der erschrocken zusammenzuckte und sein Messer zog. Kurz vor Wes schlug der Lobo einen Bogen, lief weiter, wandte sich dann dem Verwundeten zu und heulte lautstark. Montgomery blieb regungslos stehen. Was wollte das Tier? Der Wolf kam zurück, heulte, machte kehrt und lief wieder einige Schritte. Ich soll ihm folgen, dachte Wes. Er möchte mich wieder irgendwo hinführen. Montgomery warf einen hilflosen Blick auf den Wassertümpel und starrte dann zu der immer höher steigenden Sonne, deren sengende Strahlen einen heißen Tag versprachen. Hier würde er für Indianer ein leichtes Opfer werden. Irgendwie vertraute er dem Lobo, hoffte, daß das Tier ihn nochmals retten würde. Wes Montgomery folgte dem prächtigen Tier. *** Wes hatte seine Kräfte überschätzt. Obwohl ihm der brennende Durst genommen worden war, fühlte er jetzt wieder deutlich, wie ausgelaugt sein Körper war. Die Hetzjagd, die Verwundung und nun seit drei Tagen ohne feste Nahrung hatten ihm sehr zugesetzt. Schon länger als drei Stunden war er dem gelbhaarigen Wolf durch die Wüste gefolgt. Der Lobo schien seinen Weg genau zu kennen, er zögerte niemals, sondern folgte einer bestimmten Fährte. Ab und zu blieb er stehen, um auf Wes Montgomery zu
warten, dessen Schritte immer unsicherer wurden. Wes ahnte, daß er es nicht mehr lange durchhalten würde, dem Lobo zu folgen. An den Schleifspuren, die seine Stiefel gezogen hatten, sah man deutlich, daß der Verwundete bald nicht mehr weiterkonnte. Wes hatte trotzdem bemerkt, daß das Land fruchtbarer wurde. Ein spärlicher Graswuchs hatte hier und da eingesetzt. Auch wuchsen Büsche und Bäume zahlreicher. Das Gelände wurde hügeliger. Neue Hoffnungen stiegen in dem hageren Mann auf. Erneut zwang er seinen geschwächten und geschundenen Körper vorwärts. Nochmals gab Wes Montgomery alles. Und dann glaubte er an einen Spuk oder eine Fata Morgana, als er eine kleine Blockhütte zwischen den sich sanft schwingenden Hügeln entdeckte. Der Wolf heulte mehrmals auf und lief auf die Hütte zu. Auf einer Koppel weideten Pferde. Gerettet, dachte Wes. Ich bin in Sicherheit. Langsam stolperte er näher. Menschen waren nicht zu sehen. Still und verlassen lag alles vor dem herantaumelnden Mann, der seinen Körper nochmals vorwärts zwang. Der Wolf, der ihn wieder in die Zivilisation zurückgeführt hatte, war verschwunden. Er tauchte auch in den nächsten Minuten nicht wieder auf. Wes hatte die Blockhütte erreicht. Sie war nicht sehr groß. Die Tür war verschlossen. Wes klopfte dagegen. Nichts rührte sich. Wes Montgomery setzte sich auf die kleine Bank, die vor der Hütte stand. Langsam bekam er seinen keuchenden Atem wieder unter Kontrolle. Seine Schußwunde schmerzte wieder, und Hunger wütete in seinen Eingeweiden. Mit geschlossenen Augen blieb Wes einige Minuten sitzen.
In der Hütte rührte sich noch immer nichts. Plötzlich sah Wes zwei Grabhügel, die sich nur wenige Yards entfernt befanden. Zwei schlichte Holzkreuze, die bereits einen verwitterten Eindruck machten, standen auf den Gräbern. War die Hütte verlassen? Lagen dort die Eigentümer dieses kleinen Anwesens? Dagegen sprachen die beiden Pferde, die sich im Corral befanden und an den spärlichen Grashalmen zupften. Wes Montgomery lief langsam zu den Grabhügeln hinüber, versuchte dann, die Inschrift auf dem einen Kreuz zu entziffern. Sein Herzschlag beschleunigte sich plötzlich. Für einen Moment wurde es ihm schwarz vor Augen. Nochmals blickte er auf die Inschrift auf dem von Wind und Wetter angegriffenen Kreuz. Es gab keine Zweifel. Wes Montgomery las: Hier ruht Tob Montgomery, gestorben am 18. Juli 1878 durch Mörderhand Wes ging zum nächsten Grab. Hier ruht Britta Montgomery Gestorben durch Mörderhand Dies entzifferte der hagere Mann. Wes ging auf die Knie. Der leichte Wind spielte mit seinen langen Haaren. Er fühlte eine innere Leere. Für einige Sekunden war er zu keinem klaren Gedanken fähig. Er hatte endlich seinen Bruder gefunden, jedoch unter Umständen, die er sich niemals gewünscht hatte. Tob war tot. Diese Britta mußte wohl seine Frau gewesen
sein. Gestorben durch Mörderhand, dachte Wes. Der hagere Mann kaum taumelnd auf die Beine. Seit ungefähr einem Jahr waren die beiden bereits tot. Wes Montgomery wandte sich um und starrte genau in den Lauf einer Winchester. Der Oldtimer hielt das Gewehr mit entschlossenem Gesichtsausdruck. In seinem wettergegerbten Gesicht spielte kein Muskel, nur der lange weiße Vollbart wehte im Wind. »Nehmen Sie die Hände hoch, Mister«, knarrte seine Stimme. »Ich bin zwar ein alter Mann, habe jedoch noch immer die Kraft, meinen Zeigefinger krumm zu machen.« Wes Montgomery glaubte ihm. Hinter dem Oldtimer tauchte nun eine ältere Frau auf. Sie kam rasch näher und blickte den hageren Mann wie eine Geistererscheinung an. »Stecken Sie das Gewehr weg, Mister«, sagte Wes tonlos. »Ich bin waffenlos und beinahe in der Wüste umgekommen, in die mich Apachen getrieben hatten. Ein Wolf rettete mir das Leben. Er führte mich auch zu dieser Hütte.« Die Frau, eine Mexikanerin, trat noch einen Schritt näher. »Nimm das Gewehr weg, Joe«, herrschte sie plötzlich mit kräftiger Stimme den Oldtimer an. Der Alte erschrak so, daß er beinahe abgedrückt hätte. »Siehst du nicht, daß der Señor halb tot ist, du alter Esel? Er hat gute Augen. Und außerdem erinnert er mich sehr an Tob.« Wes Montgomery räusperte sich. Dann deutete er zu dem Grabhügel von Tob hinüber. »Ich bin Wes Montgomery. Tob war mein Bruder. Ich habe ihn endlich gefunden.« Den beiden alten Leuten blieb die Spucke weg. Der Oldtimer ließ seine Winchester sinken, dann fuhr er sich durch seinen wallenden Vollbart. »By gosh«, murmelte er. »Tobbys Bruder. Gut, daß Sie endlich kommen, Mister.«
»Später, später«, bestimmte die Alte. Sie mußte Mexikanerin sein und schien ihren Mann unter der Fuchtel zu haben. »Kommen Sie, Señor. Sie legen sich am besten erst einmal hin, während ich Ihnen etwas zu essen mache. Joe, mein Mann, wird sich um Ihre Wunde kümmern. Er versteht viel davon. Dann werden Sie erst einmal ein paar Stunden schlafen. Über alles weitere reden wir später.« Wes nickte, denn er wußte, daß er jeden Moment zusammenbrechen würde. »Sind die Indsmen noch auf Ihrer Fährte?« schnaufte der Oldtimer und blickte in die Richtung, aus der der hagere Mann gekommen war. Er spuckte aus. »Ich habe sie allegemacht, das ganze Rudel. Ich hatte viel Glück. Wenn dieser Wolf nicht aufgetaucht wäre, dann...« Der alte Joe grinste. »Ist eine Story für sich, Mister. Kommen Sie jetzt mit ins Haus, sonst fängt Dolores wieder zu schreien an. Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen, denn sie hört sehr schlecht. Um ehrlich zu sein: Sie ist fast taub.« Wes Montgomery hätte bei einem besseren Gesundheitszustand bestimmt gegrinst, doch er nickte nur. Der Erschöpfungszustand war wieder sehr weit fortgeschritten. Er folgte dem Oldtimer in die Hütte und zog seine verschmutzten Kleidungsstücke aus. In eine Decke gehüllt lag er auf einer alten Liege. Joe kümmerte sich um seine Wunde, während ihm seine Frau eine Hühnerbrühe einflößte. Dann wußte der hagere Mann nichts mehr. Er versank in unbekannte Tiefen, die ihn verschlangen, als wollten sie ihn niemals wieder freigeben. *** Als Wes Montgomery erwachte, wußte er nicht, daß er mehr als vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte. Er fühlte sich
erholt, der Erschöpfungszustand war gewichen. Er verspürte nur einen fast bösartigen Hunger, der in seinen Eingeweiden wütete. Seine Wunde schmerzte nicht mehr. Er blickte auf den Verband und wußte, daß die Schußverletzung ihm nicht mehr lange Schwierigkeiten machen würde. Wes Montgomery richtete seinen Oberkörper auf. Dolores, die ältere Mexikanerin, erschien in der Türöffnung. Sie strahlte über ihr breites Gesicht. Ihre Figur hatte enorme Dimensionen erreicht. Auf ihrer Oberlippe bildete sich ein dunkler Bartflaum. »Hallo, Amigo«, sagte sie. »Endlich aufgewacht, Señor? Na, geht es Ihnen besser?« Wes nickte. Dann deutete er auf seinen Bauch. »Ich habe Hunger wie ein Bär nach dem Winterschlaf. Sonst geht es mir ausgezeichnet. Nochmals vielen Dank, daß Sie und Ihr Mann sich so sehr um mich gekümmert haben. Schätze, daß ich fix und fertig gewesen bin.« Sie nickte und reichte ihm eine Tasse mit Wasser. »Ölen Sie Ihre Stimme, Señor Montgomery. Ich bringe Ihnen gleich etwas Hühnerbrühe. Anschließend bekommen Sie etwas Festes zwischen die Zähne. Wäre gelacht, wenn ich Sie nicht wieder auf die Beine bringen würde.« Sie rauschte davon. Eine Stunde später ging es Wes ganz ausgezeichnet. Sein Magen hatte die feste Nahrung angenommen. Langsam spürte der hagere Mann seine Kräfte zurückkehren. Er hatte von Dolores Kleidungsstücke bekommen und wußte, daß sie seinem ermordeten Bruder Tob gehörten. Sie paßten ausgezeichnet. Wes saß auf der Bank vor der kleinen Hütte. Die Sonne stand schon sehr schräg und würde in spätestens einer Stunde untergehen. Die drückende Hitze nahm ab,
obwohl es am Horizont noch immer heiß flimmerte. Old Joe kam von der Pferdekoppel herangeschlendert. Er zog an einer unansehnlichen Pfeife, die zwischen einer Zahnlücke steckte, und grinste Wes freundlich an. Er setzte sich neben den hageren Mann. »Hör zu, Wes«, sagte er. »Ich sehe dir an, daß tausend quälende Fragen auf deiner Seele brennen. Ich werde sie dir der Reihe nach beantworten. Zuerst zu dem Wolf. Zu Lobo, wie er von deinem toten Bruder getauft wurde.« Der Oldtimer fluchte, da ihm die Pfeife ausgegangen war. Umständlich zündete er sie wieder an. »Der Wolf wurde von Tobby gezähmt. Er rettete ihm das Leben, als er in eine Falle geraten war. Ich habe das Tier nie so richtig gemocht, doch dein Bruder hing rührend an ihm. Die beiden haben sich auch gut verstanden, obwohl Lobo sich niemals wie ein zahmer Hund benahm. Ich habe immer großen Respekt vor ihm gehabt.« Wes nickte. Er verstand jetzt auch, warum er von dem Wolf nicht angegriffen worden war. Das Tier mußte sich irgendwie an seinen toten Herrn erinnert haben. Wes und Tob waren Zwillingsbrüder und sahen sich zum Verwechseln ähnlich. »Warum wurden mein Bruder und seine Frau ermordet?« fragte Montgomery. Seine Stimme klang hart. Seine Lippen preßten sich fest aufeinander. Der Oldtimer zuckte mit den Achseln. »So recht weiß ich es nicht, Wes. Es waren drei Männer, ungefähr in Tobbys Alter. Sie kamen nachts und gaben deinem Bruder nicht den Hauch einer Chance. Sie knallten ihn nieder. Britta, seine Frau und meine Tochter, warf sich dazwischen und fand ebenfalls den Tod. Die drei Hombres stellten die ganze Hütte auf den Kopf. Sie suchten etwas Bestimmtes und müssen es auch gefunden haben. Dann verschwanden sie so spurlos, wie sie aufgetaucht waren.«
Der Alte schwieg, hing seinen düsteren Gedanken nach, während er seine Pfeife nervös von einem Mundwinkel in den anderen schob und Wes dann fragend anblickte. »Ich habe Tobby vor fünf Jahren aus den Augen verloren, Joe. Er verschwand bei Nacht und Nebel, hatte es satt, auf einer Pferderanch zu schuften, die kaum etwas abwarf. Wir hatten sie von unseren Eltern übernommen, die schnell hintereinander gestorben waren. Seit einem Jahr suche ich meinen Bruder. Und jetzt habe ich ihn durch Zufall gefunden.« »Es gibt da noch etwas, Wes«, sagte der alte Joe. »Tobby und Britta haben einen Sohn. Er ist jetzt zwei Jahre alt und befindet sich bei meiner Tochter Caroline in Redstone. Für Dolores und mich war es unmöglich, für das Kind zu sorgen.« Wes blickte auf. »Wenn ich es mir so recht überlege«, sagte er ernst, »dann bin ich gerade Onkel geworden. So ist es doch, Joe?« Der Oldtimer lächelte bitter. »Sicher, Wes, vielleicht solltest du Caroline in den nächsten Tagen besuchen. « »Gute Idee, Joe. Kannst du mir die Mörder meines Bruders beschreiben?« Haß färbte die sonst so klare Stimme des hageren Mannes dunkel. Old Joe sah ihn mit leicht schräggelegtem Kopf an. »Du willst Gerechtigkeit, Wes«, sagte er. »Das ist richtig, mein Junge. Wenn ich nicht schon zu alt gewesen wäre, dann hätte ich mich darum gekümmert. Doch ich gehöre zum alten Eisen, kann mich kaum noch auf einem Pferderücken halten.« Er grinste und klopfte seine Pfeife aus. »Es waren harte Jungs, Wes. Revolvermänner, wenn mich nicht alles täuscht. Sie kannten Tobby gut. Ich hatte fast den Eindruck, als wären sie einmal alle zusammengeritten. Ich habe mir so meine Gedanken gemacht«, fügte er schulterzuckend hinzu. »Weiter, Joe«, sagte Wes ungeduldig. »Ich werde die Kerle
finden und mit ihnen abrechnen. Ich bin es Tob und seiner Frau schuldig!« Es zeigte sich in diesen Sekunden, wie nahe der Tod seines Bruders dem hageren Mann ging. Wieder legte sich dieser harte Zug um seine Mundwinkel. »Es gibt da noch etwas«, meinte Old Joe. »Einen Brief von Tobby, der an dich gerichtet ist. Irgendwie schien mein Schwiegersohn von seinem Ende geahnt zu haben. Vielleicht wußte er auch, wie tief er in der Klemme saß. Der Brief ist an dich gerichtet, Wes. Ich hätte das Schreiben gerne abgeschickt, doch wir hatten keine Adresse. Tobby versäumte, sie auf den Umschlag zu schreiben. Ich werde dir den Brief holen.« Der Oldtimer erhob sich. Leicht gekrümmt lief er zu der kleinen Blockhütte hinüber. Gedankenversunken saß Wes Montgomery auf der Bank. Sein Entschluß stand fest. Er würde den Tod seines Bruders sühnen, und auch seiner Schwägerin, die er niemals gekannt hatte. Er dachte an den kleinen Sohn seines Bruders, und ein eigentümliches Gefühl beherrschte für einige Zeit den harten Mann. »Ich werde mich um dich kümmern, mein Kleiner«, flüsterte Wes Montgomery. »Du wirst es immer gut bei mir haben. Es soll dir an nichts fehlen.« In diesem Moment sah Wes Lobo, den Wolf, der zwischen einigen Büschen aufgetaucht war. Das Tier kam geschmeidig näher. Die gelben Augen waren unverwandt auf den hageren Mann gerichtet. Wenige Yards vor Montgomery kauerte sich der gezähmte Wolf nieder und legte seinen Kopf auf beide Vorderpfoten. »Hallo, Lobo«, sagte Wes freundlich. »Na, da bist du ja wieder, du Herumstreuner. Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt, daß du mir das Leben gerettet hast.« Schon bei den ersten Worten hatte Lobo den Kopf gehoben. Natürlich verstand er nicht, was Wes Montgomery da sagte,
doch es mußte der Klang der Stimme sein, den er kannte. Wes erinnerte sich jetzt, daß seine Stimme und die seines Bruders immer sehr ähnlich geklungen hatten. Früher hatten sie anderen Leuten öfters Streiche gespielt, denn kaum jemand hatte die Zwillinge auseinanderhalten können. »Komm schon her, Lobo«, lockte Wes' Stimme. »Du hast dich mit meinem Bruder gut verstanden, warum sollten wir uns denn nicht verstehen?« Lobo starrte ihn noch immer unvermindert an. Montgomery blickte in die funkelnden Wolfslichter und konnte sich eines Schauderns nicht erwehren. Der Wolf kam einige Schritte näher, schnüffelte herüber, blieb jedoch dann stehen. Wes Montgomerys ausgestreckte Hand übersah er einfach. »Wir werden schon noch Freunde, Lobo«, sagte Wes sanft. »Ich erinnere dich bestimmt stark an deinen Herrn, doch ich bin nur der Bruder. Trotzdem werden wir uns vertragen.« Wieder hatte der langbeinige Wolf auf die Stimme von Montgomery gelauscht. Dann machte er kehrt und legte sich einige Yards weiter zu Boden. Old Joe kam aus der Hütte, machte einen großen Bogen um Lobo und reichte Wes einen verknitterten Briefumschlag. »An meinen Bruder Wes«, stand auf dem Umschlag. »Mach ihn schon auf«, sagte der Oldtimer. Seine listigen Augen funkelten. »Kannst dir vorstellen, was es mich für Überwindung gekostet hat, den Brief nicht zu öffnen.« Er grinste. Wes Montgomery öffnete den Brief. Dann hielt er das engbeschriebene Blatt Papier in den Händen. Wes begann zu lesen: Lieber Wes, wenn du diesen Brief jemals in die Hände bekommen solltest, dann werde ich tot sein. Es ist mir nicht gelungen,
meiner Vergangenheit zu entfliehen. Es tut mir schon lange leid, daß ich dich damals im Stich gelassen habe. Bitte verzeihe mir nachträglich. Ich konnte damals jedoch nicht anders, war wohl noch zu jung, um die Tragweite meiner Entscheidung sehen zu können. Lieber Wes, jeder macht wohl Fehler in seinem Leben. Manchmal muß man teuer dafür bezahlen. Ich ritt vor einigen Jahren mit drei rauhen Burschen. Wir überfielen eine Bank und konnten mit fünfzigtausend Dollar fliehen. Im Geiste sehe ich jetzt dein entsetztes Gesicht vor mir. Tut mir leid, doch es ist wirklich so gewesen. Heute bereue ich diese Stunde von ganzem Herzen, nicht nur, weil mich meine Vergangenheit eingeholt hat, der ich zu entkommen gehofft hatte, sondern auch weil ich damals vor Jahren Unrecht getan habe. Lieber Bruder, brich nicht voreilig den Stab, denn ich befand mich damals in einer furchtbaren Klemme. Ich war blank, ohne einen Cent in den Taschen. Arbeit oder einen einigermaßen vernünftigen Job gab es nirgends. So kam ich vom rechten Wege ab. Wes Montgomery senkte den Brief und blickte in Old Joes Augen, die ihn neugierig anstarrten. Der hagere Mann las weiter: Lieber Wes, der Überfall gelang, wir wurden gejagt. Ich konnte als einziger mit der Beute entkommen. Was mit meinen Partnern geschah, erfuhr ich nicht, doch ich fand mich auch nicht am vereinbarten Treffpunkt ein. Ich unterschlug die fünfzigtausend harten Bucks. Bitte verdamme mich nicht, denn die Hölle habe ich mir bereits selbst bereitet. Ich tauchte unter und kaufte mir schließlich in der Einöde von Arizona diese kleine Pferderanch. Als ich dann noch Britta fand und später heiratete, hielt ich mich für einen besonderen Glückspilz. Doch mit meiner Glückssträhne geht es wohl zu Ende.
Meine drei ehemaligen Partner haben mich aufgespürt. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, sie zu besiegen. Die drei Jungs heißen Hal Hopkins, Ken Rossvelt und Wayne Strawberry. Wes las weiter. In den nächsten Zeilen wurden die Mörder seines Bruders genau beschrieben. Tob Montgomery schrieb dann weiter: Der größte Teil der Beute des Banküberfalls befindet sich noch in meinem Besitz. Vielleicht sollte ich das Geld verstecken oder an irgendeine Regierungsstelle zurückgeben. Vielleicht mache ich es so. Lieber Bruder, ich möchte dir noch versichern, daß bei dem Banküberfall niemand getötet oder auch nur verwundet wurde. Du kannst ganz beruhigt sein. Nun muß ich schließen. Sollte es mir nicht gelingen, die Burschen zu schlagen oder mich mit ihnen einigen zu können, dann wird dir meine Frau Britta diesen Brief zusenden. Sie kennt deine Adresse. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich um meine Frau und meinen kleinen Sohn kümmern würdest. Es grüßt dich Dein Bruder Tob So endete der Brief. Wes Montgomery blieb einige Minuten regungslos sitzen. Sein Blick war in unermeßliche Fernen gerichtet. Tiefer Schmerz hatte sich in sein Gesicht eingegraben – Schmerz um seinen Bruder, den er immer von ganzem Herzen geliebt hatte. Old Joe wagte nicht, ihn zu stören. Er erhob sich sogar geräuschlos und verschwand in der Hütte. Wes Montgomery saß lange auf der kleinen Bank. Längst war die Dunkelheit hereingebrochen. In der klaren Nacht waren die vielen Sterne gut zu sehen. Lobo, der Wolf, schob sich näher. Wes Montgomery beachtete ihn nicht. Zu sehr war er mit seinem toten Bruder in Gedanken beschäftigt.
Tobby war also ein Verbrecher geworden, der seine Beute nicht mit seinen Partnern geteilt hatte. Sie hatten ihn schließlich gefunden und ermordet. Tob hatte dies alles geahnt und diesen Brief geschrieben, den seine Frau an den Bruder hätte abschicken sollen. Niemand konnte ahnen, daß auch sie von den Mördern umgebracht werden würde. Kalter Haß wuchs in Wes Montgomery. Diese Halunken hätten seinem Bruder einen Denkzettel verpassen können, das wäre in Ordnung gewesen. Sie hatten aber zwei Menschen ermordet, obwohl sie die Beute schon sicher hatten. Hal Hopkins, Ken Rossvelt und Wayne Strawberry, so hießen diese drei Banditen. Wes hatte sich diese Namen gut eingeprägt, und auch die Beschreibungen der drei Typen würde er nicht so schnell wieder vergessen. Sein weiterer Weg stand fest. Ich werde Tobby und seine Frau rächen, dachte der hagere Mann. Rache für meinen toten Bruder! Wes Montgomery erhob sich. Er fühlte sich wieder schwach und elend, hoffte jedoch, in ein paar Tagen die Verfolgung der Mörder aufnehmen zu können. *** »Hast du dir das alles auch gut überlegt?« fragte Old Joe ernst, obwohl es in seinen dunklen Augen bereits vor Zustimmung funkelte. Wes nickte. »Okay, mein Junge, dann gib diesen Hundesöhnen Saures. Schick sie in die Hölle, oder bringe sie an den Galgen, wo sie hingehören. Ich drücke dir die Daumen, Wes.« Der hagere Mann nickte. »Ich muß auch das von meinem Bruder verursachte Unrecht
wiedergutmachen«, sagte er. »Ich will versuchen, wenigstens einen Teil der Beute an die Bank zurückzugeben. Den Rest werde ich aus eigener Tasche drauflegen. Die Banditen sollen an diesem Blutgeld keine große Freude haben.« Dolores war herangetreten. »Du reitest zuerst nach Redstone. Grüße unsere Tochter von uns und auch den kleinen Wesley.« Wes nickte. Er fühlte sich schon fast wieder im Vollbesitz seiner Kräfte. »Ich danke euch«, sagte Wes. »Ihr hört auf jeden Fall wieder von mir. Und wenn es klappt, so wie ich es mir vorgestellt habe, dann nehme ich euch alle mit nach Texas auf meine Ranch.« Wes tippte sich an die Krempe seines Stetsons, nickte den beiden treuen Seelen nochmals zu und ritt los. Das Pferd hatte früher seinem Bruder Tob gehört und war ein prächtiger Rappwallach, mit dem sich Wes schon seit einigen Tagen angefreundet hatte. Redstone lag fünf Meilen im Norden. Wes Montgomery ließ es langsam angehen, trotzdem war es ein gutes Gefühl, sich wieder den Reitwind um die Nase wehen zu lassen und hoch auf einem Pferd zu sitzen. Plötzlich sah er einen huschenden Schatten neben sich. Sein Pferd reagierte überhaupt nicht. Normalerweise hätte es in Panik ausbrechen müssen, denn es war ein Wolf, der neben dem Tier trottete und zu Wes äugte. »Hallo Lobo«, rief der hagere Mann. »Willst du mich begleiten? Ist das wirklich dein Ernst? Dann sieh dich aber vor. Viele Menschen werden bei deinem Anblick sofort zu schießen beginnen. Keiner weiß, daß du zahm bist.« Der Wolf ließ sich nicht beirren. Zäh trottete er hinter Wes her. Manchmal war das Tier verschwunden, dann tauchte es wieder auf. Wes wußte, daß Lobo ihn als seinen neuen Herrn
anerkannte. Dann kam die Stadt Redstone in Sicht. Sie lag in einem kleinen Tal. Mächtige rote Felsen erhoben sich zu beiden Seiten und gaben der Stadt den Namen. Montgomery war hier noch niemals gewesen. Langsam ritt er die Mainstreet entlang. Staub wirbelte unter den Hufen seines Pferdes. Menschen blieben stehen. Einige grüßten freundlich herüber. Andere starrten ihn an, als wäre er ein Wundertier mit drei Köpfen. Wes lächelte. Bestimmt würden viele denken, daß Tob wieder aus dem Grab auferstanden sei. Er sah seinem Zwillingsbruder sehr ähnlich, ritt dessen Pferd und trug dessen Kleidung. Vor Carolines kleinem Haus kletterte der hagere Mann aus dem Sattel. Dolores hatte es ihm genau beschrieben, daß ein Irrtum ausgeschlossen war. Dann kam auch schon eine junge Frau aus dem Haus. Sie mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein. Langes rotes Haar, das wie poliertes Kupfer glänzte, fächerte über ihre Schultern. Die grünen, freundlich blickenden Augen waren auf den Ankömmling gerichtet. Staunend blickte sie Wes an. Wes Montgomery nickte, während sein Blick auf der schlanken Frau ruhte. Er sah die kleinen, feste Brüste unter dem Kleid, das den Körper der jungen Frau wie eine zweite Haut umgab. »Hallo«, sagte er, »mein Name ist Wes Montgomery. Ich bin Tobbys Bruder. Darf ich hereinkommen, Caroline?« Sie nickte. »Sei mir herzlich willkommen, Wes«, sagte sie freundlich und reichte ihm die Hand. »Im ersten Moment habe ich schon geglaubt, Tobby vor mir zu haben, doch bei genauerem Hinsehen wußte ich, daß es nur sein Bruder sein konnte. Er hat oft von dir gesprochen, Wes Montgomery.« Wes folgte Caroline McGill in das kleine Haus. Wie Wes
bereits wußte, verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt damit, daß sie für die Bürgerfrauen von Redstone nähte und schneiderte. Sie deutete auf einen Stuhl. »Setz dich, Wes. Bestimmt bist du gekommen, um nach dem kleinen Wesley zu sehen. Ich hole ihn.« Montgomery blickte ihr bewundernd hinterher, erhaschte einen Blick ihrer langen Beine, als der Saum des Kleides hochgewirbelt wurde. Caroline kam schon nach kurzer Zeit zurück und führte ein kleines Kind an der Hand. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder war groß. Der kleine Wesley blickte Wes neugierig an und lachte dann. »Scheinst ein freundliches Kerlchen zu sein«, lächelte Montgomery. »Na, dann komm mal her zu deinem Onkel.« Er öffnete beide Arme. Der Kleine kam auch schon auf ihn zugeschossen. Wes riß ihn hoch und wirbelte mehrmals mit dem kleinen Burschen um die eigene Achse. Das Kerlchen jubelte vor Vergnügen. Vorsichtig stellte ihn Wes dann wieder auf die kurzen Beinchen. Zärtlich fuhr er dem kleinen Burschen über das gelockte Haar. »Onkel«, sagte Wesley. »Du... Onkel...« Wes nickte und zog eine Tüte Kandiszucker aus seiner Jackentasche. Fragend blickte er Caroline an, die lächelnd nickte. »Prima, Onkel«, sagte Wesley. »Schmeckt gut.« Dabei patschte er sich auf den Bauch. Wes wandte sich wieder Caroline zu, die ihn in den letzten Minuten forschend gemustert hatte. »Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht?« sagte Wes irgendwie verlegen. »Ich kenne mich mit kleinen Kindern nicht so aus.« »War schon okay, Wes. Was soll nun werden? Willst du
Wesley mit dir nehmen? Dein Bruder erzählte von einer Ranch. Vielleicht hast du selbst Kinder, und deine Frau würde sich freuen, nochmals Zuwachs zu bekommen. « Wes Montgomery grinste und blickte die schöne Frau ungläubig an. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe weder Frau noch Kinder. Doch auf meiner Ranch ist genügend Platz für Wesley. Ich habe auch Dolores und Old Joe bereits eingeladen. Vielleicht kommst du uns besuchen, Caroline?« Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht«, sagte sie und musterte ihn forschend. »Reitest du gleich zu deiner Ranch zurück?« »Erst werde ich mir die drei Hombres vorknöpfen, die meinen Bruder und seine Frau ermordet haben. Zwar ist bereits über ein Jahr vergangen, doch ich kenne die Namen dieser drei Hundesöhne. Ich werde sie vernichten.« Wes Montgomerys Stimme klang haßerfüllt. Caroline runzelte die Stirn. Ihre schönen Augen hatten sich leicht verengt. »Sheriff Donovan wird dir vielleicht Näheres sagen können«, meinte sie dann ruhig. »Er verfolgte damals diese drei Banditen, kam jedoch erfolglos von seinem Trail zurück. Willst du es wirklich wagen, dich mit diesen Mördern anzulegen?« Wes nickte. »Sicher, Caroline, das bin ich wohl Tobby und Britta schuldig. Ich bin schon ein harter Bursche, der manchen Kampf hinter sich hat. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.« »Tue ich das?« fragte sie, während kleine Lichter in ihren Augen tanzten. Wes wurde verlegen. »War auch nur so eine Redensart, Caroline. Freut mich, dich kennengelernt zu haben. Ich reite jetzt weiter. Vorher werde
ich diesem Donovan einen Besuch abstatten.« Wes erhob sich. Sie sah ihn enttäuscht an. »Soll ich nicht wenigstens einen Kaffee machen, Wes?« fragte sie und erhob sich ebenfalls. Wes Montgomery hatte plötzlich das Gefühl, die schöne Frau schon jahrelang zu kennen. Er spürte eine große Gemeinsamkeit zwischen Caroline und sich, die er sich nicht erklären konnte. Der schönen Frau schien es ähnlich zu gehen. Wes trat auf Caroline zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie mußte den Kopf leicht in den Nacken legen, um Wes ins Gesicht sehen zu können. »Ich komme wieder, Caroline«, sagte er leise. »Wir beide sollten uns näher kennenlernen.« Er machte kehrt und ging zur Tür. »Viel Glück, Wes«, rief ihm Caroline hinterher. »Viel Glück und komme gesund wieder.« Wes drehte sich nochmals um. Sein Blick erfaßte die rothaarige Frau und den kleinen Wesley, der vergnügt an dem Kandiszucker lutschte. »Ich komme wieder«, antwortete er rauh. Dann verließ er das kleine Haus. Zum Sheriffs-Office waren es nur wenige Schritte. Wes hatte das Office bereits gesehen, als er durch Redstone geritten war. Er klopfte gegen die angelehnte Tür und trat ein. Hinter einem alten Schreibtisch saß ein grauhaariger Mann. Er schob seinen Stetson in den Nacken und nahm seine Stiefel von der Schreibtischkante, als er Wes erkannte. »Sie sind Tobbys Bruder«, sagte Sheriff Donovan und fuhr sich über seinen eisgrauen Schnurrbart. »Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Gut, daß Sie endlich aufgetaucht sind. Ich hätte Sie längst benachrichtigt, wenn wir Ihre Adresse gekannt
hätten.« Wes nickte. »Hallo, Sheriff. Nett, Sie zu sehen. Yeah, ich bin Wes Montgomery und habe einige Fragen an Sie.« Der grauköpfige Sheriff nickte. Er erhob sich, trat zu einem kleinen Wandschrank und kam mit einer fast vollen Whiskyflasche und zwei Gläsern zurück. »Schießen Sie los, Mister Montgomery«, sagte er, während er zwei Gläser vollschenkte. Er schob Wes ein Glas hinüber und prostete ihm zu. Nachdem sie getrunken hatten, blickte er Wes fragend an. »Es geht um diese drei Killer, Sheriff. Ich möchte gerne alles wissen, was Sie in Erfahrung bringen konnten.« Der alternde Sternträger kratzte sich am Hinterkopf. »Da gibt es nicht viel zu sagen, Mister Montgomery. Ich verfolgte die drei Halunken fast eine ganze Woche, geriet sogar in einen Hinterhalt und entkam nur mit knapper Not. Diese Hombres sind gnadenlose Hyänen, die über Leichen gehen. Ich verlor ihre Fährte in der Nähe von Bogales.« Wes nippte an seinem Glas. »Sie nehmen an, daß die drei Banditen nach Mexiko rüber sind?« fragte er dann. »Sicher, Mister Montgomery. Ich habe Nachricht an die dort zuständigen Behörden gegeben, doch niemals etwas gehört. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Tobby, Ihr Bruder, war hier in der Gegend sehr beliebt. Wir mochten ihn alle. Ich verstehe nur nicht, warum er sich nicht an mich gewandt hatte. Ich hätte ihm zu helfen versucht.« Obwohl Wes genau wußte, warum sein Bruder die Hilfe des Gesetzes nicht in Anspruch genommen hatte, zuckte er nur mit den Schultern. Dann erhob er sich. »Was werden Sie tun?« fragte Sheriff Donovan, obwohl er es bereits ahnte. »Ich werde diese Burschen suchen, bis ich sie vor meinem Revolver habe«, erwiderte Wes tonlos. »Sie werden verstehen, daß ich nicht anders handeln kann!«
Der Gesetzeshüter lächelte ernst. »Es wird ein Höllentrail für Sie, Mister Montgomery. Ich werde Ihnen da nichts Neues sagen. Ihre Chancen stehen schlecht. Mexiko ist groß. Wie wollen Sie da drei Hundesöhne finden?« Donovan erwartete keine Antwort auf seine Frage. Wes hatte auch keine Lust, ihm zu sagen, daß er die Namen der drei Burschen und ihre genaue Beschreibung kannte. Damit konnte ein Mann wie er schon etwas anfangen. Wes verabschiedete sich von Sheriff Donovan und ging dann zu der kleinen Bank, wo er einen Scheck einlöste. Caroline stand vor ihrem Haus und hielt den kleinen Wesley an der Hand, als er zu seinem Pferd ging. Wes zögerte einen kurzen Augenblick, dann ging er auf Caroline zu. »Hier sind fünfhundert Dollar«, sagte er. »Sorge bitte weiter für den Kleinen, bis ich mich um ihn kümmern kann.« Sie wollte abwehren, doch er drückte ihr das Geld einfach in die Hand. Der kleine Wesley krähte vergnügt. Sein ganzer Mund war von dem Kandiszucker verschmiert. »Ich habe bei deinen Eltern mein Testament hinterlegt«, sagte Wes ruhig. »Sollte ich von meinem Ritt nicht mehr zurückkommen, dann bekommt der kleine Wes alles, was mir gehört.« Wes Montgomery schwang sich auf sein Pferd, nickte Caroline nochmals zu und trieb den Wallach an. »Ich werde für dich beten, Wes Montgomery«, flüsterte Caroline. »Komm gesund zurück.« Sie blickte dem hageren Mann nach, bis er zwischen den Häusern am Ende der Straße verschwunden war. *** Es war drei Stunden vor Mitternacht, als Wes Montgomery die Stadt Nogales an der mexikanischen Grenze erreichte. Er hatte einen langen Ritt hinter sich.
Pferd und Reiter waren voller Staub und Schmutz. Vor einem Saloon, zu dem auch ein Hotel gehörte, schwang sich der hagere Mann müde aus dem Sattel. Er zog einen Dollar aus seiner Westentasche und warf diesen einem halbwüchsigen Mexikanerjungen zu. »Bring mein Pferd in den Mietstall, Amigo mio«, sagte er. »Kümmere dich um das Tier.« Der Junge nickte. Si, si, Señor«, sagte er eifrig. Seine Augen glänzten. Für einen ganzen Dollar würde er noch viel mehr tun, denn so ein Dollar war hier ein Vermögen. Wes nahm seine Satteltaschen über die Schulter und betrat das Hotel. Hinter dem Rezeptionspult stand ein kleines verhutzeltes Männchen. Als er Wes erkannte, klatschte er vor Freude in beide Hände und kam rasch näher. »Schön, dich zu sehen, Wes«, klang die helle Piepsstimme des kleingeratenen Mannes auf. »Du bekommst auch mein bestes Zimmer. Bleibst du für länger?« Wes nickte und ergriff die Hand von Raoul Martinez, seinem langjährigen Freund. »Liegt wohl ein langer Ritt hinter dir, Wes? Ich lasse dir ein Zimmer herrichten. Morgen unterhalten wir uns dann. Ist es dir so recht?« »Okay, Raoul. Wenn du noch für ein heißes Bad und ein reichliches Abendessen sorgen würdest, dann wäre ich rundum zufriedengestellt, alter Freund.« Der Mexikaner wieselte davon. Eine Stunde später streckte sich der hagere Mann im Bett aus. Bald verkündeten seine gleichmäßigen Atemzüge, daß er eingeschlafen war und sich von den Strapazen seines Rittes erholte. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne weckten Wes Montgomery. Er erhob sich, machte sich zurecht und saß bald
seinem alten Freund Raoul Martinez beim Frühstück gegenüber. Wes erzählte Raoul alles, was in den letzten Wochen geschehen war. Der kleine Mexikaner hörte aufmerksam zu und spitzte die Lippen, als Wes die drei Mörder beschrieb, die seinen Bruder umgebracht hatten. »Kannst du mir irgendwie helfen, alter Junge?« fragte Wes. »Diese drei Hundesöhne müssen schon hier in Nogales gewesen sein. Überleg mal, Raoul, fünfzigtausend Dollar hatten die in ihren schmutzigen Pfoten. Da muß doch auch bei dir etwas hängengeblieben sein.« Der schmächtige Mexikaner nickte und fuhr sich mit der Hand durch sein gelichtetes Haar. »Die Namen sagen mir überhaupt nichts, Wes. Wenn ich recht überlege, dann kommen mir die Kerle nach deiner Beschreibung bekannt vor.« Raoul Martinez schloß beide Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Plötzlich nickte er und blickte Wes Montgomery strahlend an. »Ich hab's, Wes. Muß über ein Jahr her sein. Diese drei Höllenhunde waren hier in Nogales, doch sie hielten sich mehr im ›Dancing-Palace‹ auf. Die hatten es auf die Honey-Bees von Rosa Gomez abgesehen. Die müssen einige Dinge mit den Girls angestellt haben, daß ganz Nogales davon gesprochen hat. Drei Tage und Nächte haben die niemanden mehr in Rosa Gomez' Etablissement hineingelassen.« Raoul grinste immer stärker. »Vielleicht solltest du dich mit dieser Rosa Gomez unterhalten«, meinte er dann. »Nimm dir aber ein paar Scheinchen mit. Diese alternde Dame steht auf harte Bucks. Bestimmt kann sie dir weiterhelfen.« »Danke, Amigo«, sagte Wes. »Bestimmt hast du mir sehr geholfen. Ich werde jetzt einen Spaziergang machen. Vor heute mittag brauche ich überhaupt nicht im ›Dancing-Palace‹
nachzusehen. Die Girls schlafen wohl noch alle.« Wes unternahm einen ausgiebigen Spaziergang, schaute sich auch im mexikanischen Teil von Nogales um und verbrachte so die nächsten Stunden. Anschließend speiste er im Restaurant und genehmigte sich einen Drink, ehe er zum ›Dancing-Palace‹ schlenderte. Rosa Gomez war eine ältere, fette Frau, die vor zwanzig Jahren einmal eine Schönheit gewesen sein mochte. In einem geblümten Kleid, das ihre quellenden Formen kaum bändigen konnte, kam sie auf Wes Montgomery zu. »Meine Mädchen haben alle noch frei«, sagte sie sofort und musterte Wes scharf. »Wenn Sie wollen, dann reserviere ich Ihnen eines der Girls für heute abend.« Montgomery winkte ab. »Darum geht es mir nicht, Ma'am. Ich habe eine große Bitte. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich würde Ihnen für diese Gefälligkeit einen gewissen Betrag zahlen.« Der Blick der fülligen Frau wurde noch forschender. Ihre Augen verengten sich. »Okay, Mister. Was soll's denn sein? Ich verdiene gern ein paar Bucks nebenbei. Spucken Sie es schon aus!« Wes nickte. »Ich suche ein paar Freunde von mir. Ihre Namen sind Hal Hopkins, Ken Rossvelt und Wayne Strawberry.« Die Besitzerin des Hauses zuckte mit den Schultern. »Namen sind wie Schall und Rauch, Mister. Besonders hier in unserem Gewerbe. Vielleicht können Sie mir Ihre drei Freunde beschreiben, Mister...?« »Wes Hanson«, sagte er. »Sicher, Ma'am, ich werde Ihnen die Beschreibungen geben, muß natürlich hinzufügen, daß ich die Jungs seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen habe. Die können sich in der Zwischenzeit sehr verändert haben. Sie sagten mir aber damals, daß sie in die Nähe von Nogales wollten, vielleicht auch rüber nach Mexiko.«
Rosa Gomez nickte. Wes konnte ihrem Gesicht nichts ansehen, als er nun die Beschreibung der drei Mörder gab. Die füllige Frau schüttelte einige Sekunden später den Kopf. »Sorry, Mister, ich habe an sich ein gutes Gedächtnis, kann mich jedoch nicht an diese drei Hombres erinnern. Tut mir wirklich leid, denn ich hätte mir gern ein Scheinchen dazuverdient.« Sie erhob sich. Wes Montgomery bedankte sich bei der fülligen Frau und verließ den ›Dancing-Palace‹, der in Wirklichkeit nichts anderes als ein Freudenhaus war. Raoul Martinez empfing den hageren Mann mit einem fragenden Blick. Sein Lächeln verlor sich, als er Wes Montgomerys düsteres Gesicht sah. »Keinen Erfolg, Wes?« fragte er. »Nichts. Diese Rosa Gomez kennt diese drei verdammten Höllenhunde anscheinend nicht. War nichts aus ihr herauszubekommen. Was mache ich jetzt, Raoul?« »Reite rüber nach Mexiko, Wes. Sieh dich dort um. Du mußt auf dein Glück vertrauen. Spurlos können die Kerle nicht untergetaucht sein, und schon gar nicht mit fünfzigtausend harten Dollars. Ich verstehe nicht, warum sich Rosa Gomez nicht an die drei rauhen Burschen erinnern konnte.« Wes nickte düster. »Ich bleibe noch bis morgen, Raoul. Dann reite ich nach Mexiko. Vielleicht finde ich eine Spur.« »Tu das, alter Freund«, lächelte der kleine Mexikaner. »Ich drücke dir die Daumen.« *** Das Zimmer lag im sanften Halbdunkel. Silbernes Mondlicht fiel durch das geöffnete Fenster herein. Ein lauer Wind bauschte die Gardinen.
Wes Montgomery lag in dem breiten Bett und schlief. Seine gleichmäßigen Atemzüge gingen in diesem Moment in einen Schnarchton über. Der hagere Mann wälzte sich auf die Seite. Er ahnte nicht die Gefahr, die sich auf leisen Sohlen näherte. Die Türklinke bewegte sich sachte nach unten. Dann öffnete sich die Tür zu einem Spalt. Hart funkelnde Augen spähten herein. Die Tür wurde weiter geöffnet, zwei dunkle Schatten betraten das Zimmer, starrten auf den schlafenden Mann und wußten, daß er für sie eine leichte Beute werden würde. Grinsend nickten sich die beiden Eindringlinge zu. Einer der Männer hielt einen Revolver in der Faust. Er beugte sich über den Schlafenden und rammte diesem den Lauf der Waffe in den Bauch. Montgomerys Schnarchen brach ab. Ein erstickter Laut verließ seine Kehle. »Keinen Laut, mein Freund«, zischte die Stimme des Eindringlings. »Und bleib schön still liegen, sonst puste ich dir einige Unzen Blei in den Bauch!« Montgomery blieb wie erstarrt liegen. Der hagere Mann hatte die Augen geöffnet. Er starrte auf den grinsenden Hombre, der nun einen Schritt zurücktrat. Metallisch funkelte der Lauf des Colts. Noch ein Mann schob sich in seinen Blickwinkel. Auch er grinste überheblich. »Raus aus dem Bett, Mister«, knurrte der Bursche. »Aber keine unvorsichtige Bewegung!« Wes richtete sich auf, schielte nach seinem Revolvergürtel, der über der Stuhllehne hing, zwar in greifbarer Nähe, doch wegen des auf ihn gerichteten Colts unerreichbar. »Was soll das, Gentlemen?« fragte Wes Montgomery ruhig. Seine Schlaftrunkenheit war verschwunden. Seine Gedanken überschlugen sich, versuchten, einen Ausweg aus dieser bösen Klemme zu finden. Und daß er in der Klemme saß, wußte Wes ganz genau,
obwohl er die beiden Eindringlinge nicht kannte. »Aufstehen!« knurrte der Fremde böse. »Wir können dir auch ein wenig helfen, doch du würdest es bereuen. Laß nur die blöde Fragerei, du bekommst sowieso keine Antwort darauf.« Wes schob beide Beine über die Bettkante. Die beiden Hombres wichen zurück. Sie waren keine Anfänger, boten Wes Montgomery keine Angriffsfläche. »Anziehen, alter Junge. Los, Beeilung, sonst nehmen wir dich in Unterhosen mit.« Sie grinsten beide. Wes musterte die Kerle, während er sich anzog. Er hatte sie noch nie gesehen. »Fertig?« fragte einer der Männer. Er war noch jung, machte jedoch einen sehr verwegenen Eindruck. Der andere Mann war einige Jahre älter und wirkte wie ein schwarzer Panther. Alles an ihm war geschmeidig. »Fertig!« sagte Wes Montgomery, dann warf er sich wie ein Tiger auf den Mann, der seine Waffe auf ihn gerichtet hatte. Der Fellow mußte damit gerechnet haben, denn er steppte gedankenschnell zurück, und Wes Montgomery landete unsanft auf den Dielenbrettern. Die beiden Kerle lachten leise. »Wir wissen, daß du ein mutiges Bürschchen bist. Du solltest jedoch nicht übertreiben«, knarrte dann die Stimme des Mannes, der an einen Panther erinnerte. »Beim nächstenmal blase ich dir eine Kugel durch deinen verdammten Schädel«, knurrte der andere Bursche. »Los, Mister, wir fesseln dir jetzt die Hände auf den Rücken und du...« Wes winkte ab. »Okay, okay«, sagte er. »Ich werde vernünftig sein. Ihr braucht mich nicht zu fesseln, denn ich bin waffenlos. Oder habt ihr vielleicht Angst vor mir?«
Sie grinsten breit. »Dann raus mit dir, Mister. Wir werden einen kleinen Spazierritt machen. Deine Nase gefällt einigen Jungs nicht.« Unbemerkt verließen die drei Männer das Hotel. Drei Pferde warteten am Hintereingang. Die beiden Kidnapper nahmen Wes Montgomery in die Mitte. Wieder mußte er sich eingestehen, daß er nicht den Hauch einer Chance hatte. Die beiden Kerle verstanden ihr Handwerk. Ein Revolver war immer auf Wes gerichtet. Der hagere Mann überlegte, warum er von wildfremden Männern aus dem Bett geholt worden war. Was hatte dies alles zu bedeuten? Hing es vielleicht mit den drei Mördern zusammen, auf deren Fährte er ritt? Wes glaubte auch schon bald, eine Erklärung für alles zu haben. Er dachte an diese Rosa Gomez. Sie mußte die Kerle gekannt haben und hatte diese nun informiert. Und die wollten nun wissen, wer sich nach ihnen erkundigt hatte. So konnte es gewesen sein. Wes Montgomery ahnte, daß dann sein Leben keinen rostigen Cent mehr wert war. Wenn es wirklich die drei Halunken waren, die seinen Bruder und dessen Frau kaltblütig ermordet hatten, dann würden sie auch mit ihm kurzen Prozeß machen. Und sie hatten diese beiden Schießer geschickt, die ihn holen sollten. Einer der Burschen warf ihm einen spöttischen Blick zu und grinste dann. »Jetzt hast du wohl die Hosen voll, Mister, was?« Wes zuckte mit den Schultern. »Mir wäre bedeutend wohler, wenn ihr mir endlich sagen würdet, um was es überhaupt geht. Ich habe nämlich nicht den blassesten Schimmer.« Der Mann grinste stärker.
»Wirklich nicht, Mister? Vielleicht sollen wir dir ein paar Grüße von Hopkins, Rossvelt und Strawberry ausrichten. Sind doch alte Freunde von dir, oder nicht?« Wes hatte es geahnt. Er ließ sich aber nichts anmerken, sondern spielte seine Rolle gut, als er antwortete. »Prächtig, Jungs, prächtig. Nach diesen Burschen suche ich schon seit geraumer Zeit. Wir sind alte Bekannte, haben uns aber vor einigen Jahren aus den Augen verloren. Warum aber diese Umstände, um mich zu benachrichtigen? Mußtet ihr mich zu dieser Zeit aus dem Bett holen?« Die beiden Revolvermänner wirkten plötzlich unsicher. Sie warfen sich kurze Blicke zu. »Wir wollen auf Nummer Sicher gehen«, sagte einer plötzlich. »Wir bringen dich zu unserem Boß. Der wird dann entscheiden, ob du ein alter Bekannter von ihm bist oder nicht.« »Geht in Ordnung, Jungs. Vielleicht solltet ihr eure Eisen wegstecken, das Ding könnte aus Versehen losgehen, und es macht üble Löcher, die ich aus Erfahrung kenne.« Wes Montgomery deutete auf seinen linken Arm. Die Gunner hatten den Verband gesehen, als sich Wes angekleidet hatte. »Apachen«, fuhr Wes fort. »Sie hetzten mich vor einigen Wochen, und ich konnte ihnen nur mit knapper Not entgehen.« Langsam legte sich das Mißtrauen der beiden Revolvermänner. Sie halfterten sogar ihre Waffen. Ihre Aufmerksamkeit ließ jedoch keine Sekunde nach. Der hagere Mann war außerdem unbewaffnet und ritt immer noch zwischen den Burschen. Trotzdem rechnete er sich eine kleine Chance aus. Doch im Moment wollte Wes noch nichts riskieren. Viel einfacher konnte er an die Mörder seines Bruders nicht mehr herankommen. Wenn die beiden Schießer ihn zu diesem Strawberry brachten, war ihm geholfen.
Wes wußte natürlich, daß der Killer die Ähnlichkeit mit Tobby sofort entdecken würde. Und dann konnte es verdammt rauh werden. Wes Montgomery war aber schon immer ein Mann gewesen, der einen hohen Einsatz spielte. Der weitere Ritt verlief schweigend. Die drei Reiter legten Meile um Meile zurück. Bald begann der Morgen zu dämmern. Die drei Reiter befanden sich längst in Mexiko. Wes sah hin und wieder Viehherden weiden. Sie mußten langsam in die Nähe einer großen Hazienda kommen. War es Strawberrys Hazienda? Anders konnte es wohl nicht sein. Wes bereitete sich darauf vor, bald mit den beiden Burschen abzurechnen. Es würde nicht einfach werden. Wes würde es jedoch riskieren. Dieser Strawberry würde ihn gnadenlos umbringen lassen, sobald er erkennen würde, daß er Tobbys Bruder war. Die Entscheidung wurde dem hageren Mann abgenommen. Ein Reiter schob sich zwischen den Büschen hervor. Er ritt einen prachtvollen schwarzen Hengst. Der Mann war wie ein mexikanischer Haciendero gekleidet. Wes Montgomery erkannte ihn sofort. Es gab überhaupt keinen Zweifel. Dieser Mann war Wayne Strawberry. Einer der drei Schufte, die seinen Bruder und dessen Frau ermordet hatten. Wes murmelte einen leisen Fluch. Seine Chancen waren auf den Nullpunkt gesunken. Er blickte in das längliche Gesicht von Strawberry, sah es in dessen Augen ungläubig aufglimmen und ahnte, daß dieser ihn bereits erkannt hatte. Wes wollte sein Pferd antreiben, um wenigstens so noch einen Vorteil herauszuholen, als Strawberry auch bereits seinen Revolver in der Faust hielt. Die beiden Schießer blickten ihren Boß verdutzt an, folgten
dann sofort dessen Beispiel. Drei Colts waren auf den hageren Mann gerichtet, der mit unbewegtem Gesicht auf seinem Pferd saß und glaubte, seine letzte Chance verspielt zu haben. »Hol's der Teufel«, stieß Wayne Strawberry hervor und musterte Wes von allen Seiten. »Wenn ich nicht genau wüßte, daß Tobby Montgomery tot wäre, dann würde ich annehmen, daß er von den Toten auferstanden ist!« Er grinste gemein. Die drei Hombres bildeten eine gerade Linie vor Wes, der in die Mündungen von drei Colts starrte. »Du bist Tobbys Bruder, nicht wahr?« fuhr der Killer fort. »Und jetzt reitest du auf meiner Fährte und auf der von meinen beiden Partnern. Mit dir haben wir schon lange gerechnet. Irgendwann mußtest du kommen. Und auf Rosa Gomez war schon immer Verlaß, Montgomery. Du hättest auf deiner Ranch in Texas bleiben sollen. Jetzt ist es zu spät für dich, du Narr.« Strawberry lachte schallend. Seine beiden Gunner stimmten in dieses Gelächter mit ein. Wes lächelte ebenfalls, obwohl ihm danach überhaupt nicht zumute war. »Wir sollten uns irgendwie einigen, Mister Strawberry«, sagte Wes mit ruhiger Stimme. Diese Anwort verblüffte den Banditen. Er kratzte sich mit dem Revolverlauf unterm Kinn. »Einigen, Montgomery? Du scheinst wohl nicht alle Tassen in der Kommode zu haben?« »Aber sicher, Strawberry. Ich möchte nur den Anteil, der meinem Bruder zusteht. Sonst nichts.« Wes wußte genau, welchen Unsinn er in diesen Minuten verzapfte, doch er mußte Zeit gewinnen. Egal wie, vielleicht bot sich ihm in den nächsten Sekunden eine bessere Chance. Wayne Strawberry blickte ihn an, als wäre er total verrückt.
Der Mörder tippte sich an die Stirn. »Du warst wohl zu lange in der Sonne, Montgomery. Wenn du dich über uns lustig machen willst, dann schneide ich dir die Ohren ab, ehe wir dich umlegen. So einen Unsinn habe ich noch nie gehört. Er will seinen Anteil! Mann, bei dir piepst es aber ganz gewaltig im Oberstübchen.« Wes schüttelte den Kopf. »Hör zu, Strawberry. Du darfst mich wirklich nicht für einen Narren halten. Wenn ich bis mittag nicht wieder in Nogales bin, dann wird jemand einen Brief dem dortigen Sheriff übergeben. Darinnen steht alles haargenau. Mit Namen und Beschreibungen. Ihr seid geliefert, und auch hier in Mexiko seid ihr vor dem Gesetz nicht sicher. Ich habe euch in der Falle. Meinen Bruder kann ich nicht mehr lebendig machen, doch ich will seinen Anteil. Ich bin pleite, kann jeden Cent gebrauchen.« Wayne Strawberry zog die Nase hoch. Wieder blickte er Wes an, als wäre dieser verrückt. »Du hast wirklich einen Dachschaden, Montgomery. Hier in Mexiko sind wir sicher. Niemand wird dir deine Märchen abnehmen. Wir sind angesehene Bürger dieses Landes. Weißt du, was wir gleich mit dir machen werden?« Wes ahnte es. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Er starrte in die dunklen Mündungen der drei Revolver und wußte, daß dort der Tod in Form von ein paar Unzen heißen Blei hervorbrechen würde. »Legt ihn um!« befahl Wayne Strawberry. »Schickt diesen Narren zur Hölle!« *** Wes Montgomery duckte sich. In seinem bleichen Gesicht zuckte es. Wie gebannt starrte er auf die beiden Schießer, die
nun ihre Colts anhoben und auf ihn zielten. Aus und vorbei, dachte der hagere Mann. In diesem Moment schnellte ein schlanker Körper wie ein Pfeil durch die Luft. Wolfsgeheul schmetterte in die Stille. Lobo! Lobo, der Wolf, hatte in dieses grausame Spiel eingegriffen. Er hatte die beiden Schießer aus den Sätteln gerissen und stürzte sich in dieser Sekunde auf Strawberry, der vor Schreck wie gelähmt auf seinem Pferd saß. Die Pferde keilten aus, als nochmals das schreckliche Wolfsgeheul erschallte. Strawberry purzelte wie eine Puppe aus dem Sattel und prallte hart am Boden auf. Montgomery hatte sich aus dem Sattel geschnellt, warf sich auf einen der Gunner, der gerade wieder hochtaumelte und seinen Colt auf Lobo richten wollte. Wes schlug dem blutüberströmten Mann den Revolver aus der Hand und knallte ihm seine Rechte gegen den Kinnwinkel. Heißes Blei fauchte an Wes' Kopf vorbei. Der hagere Mann warf sich zu Boden, erreichte den Colt und wirbelte herum. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, denn Wayne Strawberry griff ein. Er schoß zu überhastet, so verfehlte sein heißes Blei den hageren Mann um wenige Zoll. Dafür traf Wes richtig. Strawberry wurde wie vom Schlag eines Giganten zurückgewirbelt. Mit einem gellenden Schrei auf den Lippen brach er zusammen und blieb regungslos liegen. Wes kreiselte herum und schoß auf den anderen Banditen, der gerade auf ihn anlegte. Auch diese Kugel traf. Dies alles war in wenigen Sekunden geschehen. Träge verwehte der Pulverdampf. Der andere Revolvermann lag regungslos auf dem Rücken und getraute sich nicht, sich zu bewegen. Lobo, der Wolf, stand über ihm. Seine Fangzähne waren nur wenige Zoll von der Kehle des
Banditen entfernt. Ein dumpfes Grollen kam aus dem geöffneten Rachen des Wolfes. Das Gesicht des Banditen überzog sich mit kaltem Schweiß. Die Augen drohten aus den Höhlen zu fallen. Sein Körper zitterte jetzt, als hätte er Schüttelfrost. »Zurück, Lobo«, rief Wes und hatte überhaupt keine Ahnung, ob ihm das Tier gehorchen würde. Lobo gehorchte. Er trottete einige Schritte zurück, blickte Wes kurz an, richtete aber dann sein Augenmerk erneut auf den Banditen, der sich sofort wieder zurückfallen ließ. Wes staunte. »Bleib nur schön liegen, mein Guter«, sagte er. »Bei der geringsten falschen Bewegung macht Lobo Hackfleisch aus dir.« Der Bandit seufzte, verdrehte die Augen und fiel zurück. Besinnungslos blieb er liegen. Seine Nerven hatten das rauhe Spiel nicht durchgehalten. Wes ging zu dem anderen Banditen. Er war tot. Die Kugel mußte ihm genau ins Herz gefahren sein. Dann ging Wes Montgomery zu Wayne Strawberry hinüber. Der Mörder seines Bruders lag auf dem Rücken. Auf seiner Brust befand sich eine übel aussehende Wunde. Im Rhythmus des schlagenden Herzens floß der kostbare Lebenssaft hervor. Wes sah, daß dem Mörder nicht mehr zu helfen war. Er war am Ende seines Lassos angekommen. Wes beugte sich hernieder, starrte in das bleiche und zuckende Gesicht des Sterbenden. »Vorbei«, sagte Wes leise. »So schnell kann sich alles ändern, Strawberry. Noch vor wenigen Sekunden hast du den Befehl gegeben, mich zu töten, und nun liegst du hier und wirst die nächsten Minuten nicht überleben.« Wayne Strawberry schluckte schwer.
Große Schmerzen mußten durch seinen Körper toben. Seine Fingerspitzen krallten sich in den Boden. »Wo finde ich die beiden anderen?« fragte Wes Montgomery und brachte seinen Mund dicht an das Ohr des Killers. »Fahr... zur... Hölle«, murmelte der Bandit. Dann streckte sich sein Körper. Der Kopf fiel zur Seite. Ein letzter Seufzer verwehte. Wes richtete sich auf. Sein Gesicht wirkte hart. Er hatte kämpfen und töten müssen. Lobo hatte ihm schon wieder das Leben gerettet. In letzter Sekunde war das Tier aufgetaucht. Wes hatte den Wolf in den letzten Tagen aus den Augen verloren gehabt, hatte angenommen, daß Lobo längst wieder zur kleinen Ranch in der Nähe von Redstone zurückgekehrt war. Lobo stand noch immer vor dem Banditen, der wieder zu sich gekommen war und noch immer am ganzen Körper zitterte. Wes Montgomery trat dicht zu dem Wolf, der ihn aus seinen schrägliegenden funkelnden Augen ansah. Wes konnte sich eines unheimlichen Gefühles nicht erwehren. Langsam näherte sich die Hand des hageren Mannes dem struppigen Fell des Tieres. Der Wolf knurrte und wich einen Schritt zur Seite, wo er stehenblieb. »Na, dann eben nicht, alter Freund«, murmelte Wes. »Ich wollte dir nur danken, denn ohne dich wäre ich eine leichte Beute für die Geier geworden. Steh' auf, Bandit!« knarrte Wes' heisere Stimme. Der Revolvermann kam taumelnd auf die Beine. In seinen Augen brannte noch immer eine heiße Angst. Er zitterte noch immer. Seine Zähne schlugen klappernd aufeinander. »Deine beiden Partner sind tot, mein Junge. Eigentlich sollte ich dich fertigmachen, doch an so einem Halunken, wie du es bist, mache ich mir die Hände nicht schmutzig. Ich gebe dir
eine letzte Chance, Bandit!« Ein leichter Hoffnungsschimmer trat in die flackernden Augen des Revolvermannes, dem nichts mehr von seiner Lässigkeit und Gefährlichkeit geblieben war. »Ich mache alles, was Sie wollen, Sir«, stotterte er. »Nur nehmen Sie diese Bestie weg. Ich werde alles...« »Schon gut, Bandit«, knurrte Wes. »Ich möchte von dir wissen, wo ich Hopkins und Rossvelt finde!« Der Bandit schluckte. »Ich höre die Namen zum zweitenmal, Sir. Sie haben sie beim Herritt schon einmal erwähnt. Es sollen wohl die Partner von Strawberry sein, oder irre ich mich da?« Wes Montgomery lächelte humorlos. »Streng deine graue Masse da unter deiner Schädeldecke ein wenig an.« Wes warf einen vielsagenden Blick auf Lobo, der zustimmend knurrte und seine Zähne zeigte. Selbst dem hageren Mann wurde es ganz anders, als er das mächtige Gebiß des Wolfes sah. Der Bandit schluckte mehrmals. Sein Adamsapfel schien zu einem selbständigen Wesen geworden zu sein. »Es sind die Partner von Strawberry«, fuhr Wes fort, als ihn der Bandit irritiert ansah. »Spuck es aus, sonst schwinge ich mich auf das Pferd und reite los. Was dann mit dir geschieht, kannst du dir bestimmt denken.« Der Bandit fiel auf die Knie. Er streckte dem hageren Mann seine Hände entgegen. »Ich weiß es nicht, Sir. Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist. Ich hatte keine Ahnung, daß Strawberry irgendwelche Partner hat. Ihm gehört die Hazienda, die nur noch wenige Minuten entfernt liegt.« Wes glaubte dem Kerl plötzlich. Die drei Mörder schienen sich vor einem Jahr getrennt zu haben. Jeder machte mit seinem Beuteanteil dann, was er
wollte. Wes gab sich aber noch nicht zufrieden. Er durfte diese Chance nicht leichtfertig aus den Fingern geben. »Lebte Strawberry alleine auf seiner Hazienda?« fragte Wes. »Gibt es eine Frau oder sonstige Personen, die man als seine Erben bezeichnen könnte?« Der Kerl, dessen Namen Wes nicht einmal wußte, schüttelte schnell den Kopf. »Mister Strawberry lebte allein. Natürlich hatte er öfters eine Puta, die ihn umsorgte, wie es sich für einen Mann in seiner Position und mit seinem Geld gehörte. Viele Leute arbeiteten für ihn. Die Hazienda ist groß. Er hatte aber weder Frau, noch Kinder.« Wes nickte. »Okay, mein Freund. Du schwingst dich jetzt auf dein Pferd. Wir reiten gemeinsam zur Hazienda. Kein Ton zu anderen Leuten, daß der Jefe tot ist. Ich will mich auf der Hazienda ein wenig umsehen. Und noch etwas, Bandit: Sollte ich irgendwann herausfinden, daß du mich vorhin angelogen hast, dann wirst du dich nicht mehr lange deines Lebens erfreuen. Ich verspreche es dir ganz feierlich. Hast du mich verstanden?« Der Bandit seufzte tief und nickte dann. Dabei schielte er zu dem Wolf hinüber, der sich mittlerweile niedergekauert hatte, jedoch noch immer sehr gefährlich wirkte. »Los, an die Arbeit, Bandit. Beerdige Strawberry und deinen Kumpanen. Dann machen wir uns los.« Der Bandit kam auf die Beine, nahm seinen kleinen Klappspaten aus der Satteltasche und begann zu graben. Lobo wich nicht von seiner Seite. Wes Montgomery untersuchte in der Zwischenzeit die Taschen von Wayne Strawberry. Er fand einige hundert Dollar, auch Pesos und Ausweispapiere. Der hagere Mann verwahrte alles in seiner Satteltasche auf. Eine halbe Stunde später ritten sie los.
Die Hazienda des toten Strawberry war das Ziel. Wes Montgomery hoffte, dort irgendwelche Hinweise auf Hopkins und Rossvelt zu finden. *** Wes Montgomery war von einigen mexikanischen Bediensteten erstaunt gemustert worden, hatte sich jedoch nicht darum gekümmert. Der Bandit, dessen Name George Best war, folgte ihm aufs Wort, obwohl Lobo, der Wolf, wieder spurlos verschwunden war. Wes nahm aber an, daß sich das Tier noch immer in der Nähe aufhielt, jedoch größere Menschenansammlungen mied. Wes befand sich in diesem Moment im Büro von Wayne Strawberry. George Best stand in einer Ecke des Zimmers und rührte sich nicht. Er trug zwar seinen Revolver, Wes hatte aber die Patronen aus der Waffe genommen. Der hagere Mann ging systematisch vor. Die verschlossenen Schubladen des protzigen Schreibtisches setzten ihm keinen Widerstand entgegen. Einen Tresor konnte der hagere Mann nicht finden. Wes wollte schon die Suche aufgeben, als er entdeckte, daß eine der Schubladen einen doppelten Boden hatte. Montgomery fand in dem Versteck den Betrag von zehntausend Dollar und außerdem einen Hinweis auf eine Hazienda in der Nähe der Stadt Cananea, die sich ungefähr hundert Meilen von hier entfernt befand. Außerdem fand er einen zweiten Hinweis, der sich auf einen Ort namens Cucurpe bezog. Hielten sich dort die beiden anderen Mörder auf, die seinen Bruder und dessen Frau ermordet hatten? Wes Montgomery würde der Sache nachgehen. Er nahm die zehntausend Dollar an sich. Er hoffte, insgesamt auf fünfzigtausend Dollar zu kommen, um die Beute des
Bankraubes, an dem auch sein Bruder damals beteiligt gewesen war, zurückzuzahlen. George Best, der Revolvermann, spähte aus zusammengekniffenen Augen herüber, als er sah, daß Wes die zehntausend Dollar in seiner Tasche verstaute. Er bekam richtig gierige Augen, als er die Dollarflut sah. »Dich juckt es wohl schon wieder, was?« stieß Wes Montgomery hervor. »An deiner Stelle würde ich das Geld vergessen. Es stammt aus einem Banküberfall, und ich werde es dem rechtmäßigen Eigentümer wieder zurückgeben.« Der Gunner gab keine Antwort. In diesem Moment wurde die Tür weit aufgerissen, und eine junge Mexikanerin huschte herein. Die langen schwarzen Haare wehten wie eine Fahne hinter ihr her. Die blutroten, sehr sinnlich wirkenden Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Schrei. Das rassige Girl stoppte ab, als wäre es gegen eine unsichtbare Barriere gelaufen. »Was geht hier vor?« rief sie mit schriller Stimme. Sie wandte sich an den Gunner. »Was will dieser Mann hier, Señor Best? Wo ist Señor Strawberry? Los, antworte, ehe ich dir die Augen auskratze!« Wes Montgomery hatte sich aufgerichtet und war hinter dem Schreibtisch hervorgekommen. »Strawberry ist tot«, sagte Wes hart. »Ich mußte ihn erschießen, sonst hätte er mich umgebracht.« Die feurige mexikanische Tigerkatze stand wie erstarrt. Ihr gebräuntes Gesicht war um einige Nuancen fahler geworden. Ihr üppiger Busen hob und senkte sich schwer unter dem dünnen Kleid. »Tot?« fragte sie mit zitternder Stimme. »Tot, und du Hundesohn hast ihn umgebracht!« Sie warf sich plötzlich nach vorn. Wes Montgomery wurde überrascht, spürte auch schon die langen Fingernägel der sich
wie eine Furie gebärdenden Frau. Sie schrie, hämmerte mit den Fäusten auf Wes ein, biß, kratzte und war zu einer tobenden Wildkatze geworden. Wes sah aus den Augenwinkeln heraus, daß sich George Best plötzlich bewegte. Der Revolvermann glaubte in diesem Moment, eine Chance zu bekommen. Wes konnte kein Risiko eingehen. Hart stieß er die tobende Frau von sich, die zu Boden stürzte, und schnappte seinen Colt aus der Halfter. Best blieb wie erstarrt stehen. Ein verlegenes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Er ließ den Feuerhaken sinken, den er vom Kamin genommen hatte. Der Schießer zuckte mit den Schultern. »Sie dürfen es mir nicht verübeln, Sir. Ich mußte diese Chance nutzen. Sie hätten an meiner Stelle auch nicht anders gehandelt. Oder vielleicht nicht?« Wes Montgomery grinste. »Wirf das Ding weg, Bandit. Das nächste Mal bekommst du heißes Blei von mir.« Wes behielt seinen Revolver in der Faust, als die außer Rand und Band geratene Mexikanerin sich wieder auf ihn stürzen wollte. »Zurück«, schepperte seine Stimme. »Verdammt noch mal, nehmen Sie Vernunft an. Ich bin noch nie einer Frau auf diese Art und Weise zu nahe getreten. Wenn Sie sich jedoch nicht zusammennehmen, dann versohle ich Ihnen den Hintern.« Die Mexikanerin starrte ihn ungläubig an. Ein heiseres Schluchzen brach von ihren zuckenden Lippen. »Dein Amigo oder Jefe, egal wie ich ihn nennen soll, ist ein Bandit und Mörder gewesen, schönes Kind«, sagte Wes Montgomery rauh. »Er ist tot. Niemand wird ihn wieder lebendig machen können. Pack dein Zeug und verschwinde von dieser Ranch. Laß mich in Frieden, mehr will ich nicht.« Sie sah ihn aus haßerfüllten Augen an.
Wes glaubte schon, daß sie sich abwenden und das Zimmer verlassen wollte, als sie plötzlich herumfuhr. In ihrer Hand befand sich ein kleiner Derringer-Colt, den sie aus einer Falte ihres langen Rockes gezogen haben mußte. Sie schoß sofort beide Läufe ab. Wes starrte in die auf ihn zukommenden Feuerlanzen. Obwohl er seinen Revolver noch immer in der Faust hielt, schoß er nicht. Die beiden Geschosse zischten an seinem Kopf vorbei, ohne ihn auch nur zu ritzen. Der stinkende Pulverdampf breitete sich aus und legte sich schwer auf die Lungen. Wes hatte Glück gehabt. Großes Glück sogar, denn aus dieser kurzen Entfernung hätte das heiße Blei aus dem Derringer tödlich sein können. Montgomery duckte sich reaktionsschnell, denn die rassige Mexikanerin warf den leergeschossenen Colt nach ihm. »Genug«, knarrte Wes' Stimme. »Genug, mein Täubchen. Mach jetzt schnell eine Fliege, sonst bekommst du eine Abreibung, wie du sie noch nie bekommen hast. Capito?« Sie warf Wes einige mexikanische Schimpfworte an den Kopf, daß dessen Wangen sich leicht röteten. »Raus«, zischte er dann. Sie eilte davon. Wes glaubte zu wissen, daß dieses heißblütige Geschöpf bald die ganze Hazienda rebellisch machen würde. »Komm mit, Bandit«, sagte Wes. »Wir reiten. Du wirst mich noch ein paar Meilen begleiten, ehe ich dich laufenlasse.« George Best starrte ihn mißtrauisch an, dann nickte er jedoch ergeben und lief vor Wes her. Durch den Hinterausgang erreichten sie ihre Pferde. Auf dem großen Hof der Hazienda herrschte Lärm. Die Mexikanerin schrie und zeterte. Der Schießer winkte nur ab. »Die Mexikaner riskieren nichts, Mister. Die haben vor einem schnellen Revolver riesige Angst. Sie haben ihrem
Patron zwar treu gedient, doch sie werden nicht für ihn kämpfen. Dafür bezahlte Strawberry Leute wie mich und andere.« Wes Montgomery stellte schon bald fest, daß sie nicht verfolgt wurden. Fünf Meilen weiter zügelte der hagere Mann sein Pferd. Der Revolvermann wurde noch blasser unter seinem forschenden Blick. Abwehrend hob er die Hände. »Schon gut«, murmelte Wes. »Runter vom Gaul. Dann kannst du die Beine in die Hand nehmen und verschwinden. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, dann verschwinde hier aus dieser Gegend.« George Best kletterte aus dem Sattel. Er nickte kurz, machte kehrt und war bald zwischen den Büschen und hinter einigen Felsbrocken verschwunden. Wes Montgomery setzte seinen Ritt fort. Er wußte jetzt, wo er die beiden anderen Mörder finden konnte. Einer von ihnen war tot: Wayne Strawberry hatte seine Neugierde mit dem Leben bezahlen müssen. Doch die Jagd würde weitergehen. *** Der Tag neigte sich seinem Ende zu, die Schatten wurden länger. Die Hitze eines langen Tages nahm ab. Ein leichter Wind brachte Kühle und Linderung. Wes Montgomery zügelte sein Pferd. Er befand sich in der Nähe von Cananea, einer kleinen mexikanischen Stadt. Dort mußte sich nach Wayne Strawberrys Notizen ein weiteres Mitglied des Mördertrios befinden. Wes zuckte zusammen, als sich zwei Reiter zwischen den Hügeln abhoben, die ihn bereits entdeckt haben mußten. Sie hielten genau auf den hageren Mann zu. Wes Montgomery lüftete seinen Revolver in der Halfter. Er
wußte, daß sich hier in der Gegend viele mexikanische Banditen herumtrieben, die gern den Gringos die harten Bucks abnahmen. Mißtrauisch musterte er die beiden Reiter, die gemächlich herangeritten kamen. Die beiden Greaser machten keinen vertrauenerweckenden Eindruck. In ihren bärtigen Gesichtern funkelten harte Augenpaare. Patronengurte waren um Hüfte und Schulter gewunden. Nur ihre Waffen machten einen gepflegten Eindruck. Die riesigen Sombreros wippten bei jedem Schritt der klapprig wirkenden Pferde. Vor Wes Montgomery zügelten sie ihre Tiere und schoben die großen Hüte in die Nacken. »Hallo, Amigo«, sagte einer mit krächzender Stimme. Sein dünnlippiger Mund war zu einem breiten Grinsen verzogen, doch in seinen Augen stand der Tod. »Was wollt ihr, Amigos?« fragte Wes ruhig. Seine Hand hing dicht hinter dem Kolben seines Colts. »Wir sind arme mexikanische Vaqueros«, sagte der andere der beiden Mexikaner fast bittend. »Haben Sie nicht eine kleine Spende für uns, Americano?« Sie spielten mit ihm. Wes wußte es genau. Dieses rauhe Spiel schien ihnen Freude zu bereiten. Wes lächelte hart. »Hört zu, ihr beiden armen Vaqueros«, sagte Wes grimmig. Die beiden letzten Worte dehnte er leicht. »Ihr habt kein Greenhorn vor euch. Also entscheidet euch schnell. Entweder ihr reitet weiter und laßt mich in Frieden, oder ihr bekommt von mir heißes Blei, daß ihr daran ersticken werdet.« Die beiden Mexikaner wußten nun, was die Stunde geschlagen hatte. Wes hatte ihnen eine goldene Brücke gebaut. Wenn sie weiterritten, war alles erledigt, wenn nicht, dann würde der hagere Mann bis zum letzten Atemzug kämpfen. »Du verstehst uns falsch, Amigo«, grinste der eine. »Wir
wollten wirklich nur ein paar Dollarscheinchen. Weißt du, wir finden keine Arbeit und müssen doch auch leben, wir...« Diese Worte sollten Wes Montgomery einschläfern, ihn ablenken, denn jetzt zogen die beiden mexikanischen Banditen wie auf ein geheimes Kommando hin. Sie konnten Wes Montgomery weder überraschen noch schlagen. Noch ehe sie ihre Revolver auch nur aus der Halfter hatten, blickten sie in die Mündung seines Colts. Sie nahmen die Hände von den Waffen, als wären diese glühend heiß geworden. In ihren Gesichtern stand heilloser Schrecken. Sie wußten, daß sie diesmal an den Falschen geraten waren, daß dieser nun ihr Leben in der Hand hatte. »Greift schon zum Himmel, ihr Anfänger«, knurrte der hagere Mann. »Ich hatte euch gewarnt. Normalerweise sollte ich euch abknallen wie tollwütige Hunde.« Wes lächelte, während die beiden Hombres derart schwitzten, daß ihnen die Brühe über das Gesicht lief, als würde es ziemlich stark regnen. Die beiden gingen durch eine kleine Hölle in diesen Minuten. Wes gönnte es ihnen. Er wußte, daß diese Kerle ihn gnadenlos abgeknallt hätten, nur um an ein paar Dollars zu kommen. Daß er über zehntausend harte Bucks bei sich hatte, konnten die beiden Strauchdiebe überhaupt nicht wissen. »So, Amigos, und nun nehmt ihr eure Revolver an den Fingerspitzen aus den Halftern. Ist ganz klar, Hombres. Mehr brauche ich euch doch nicht zu sagen.« Sie nickten. Gleich darauf polterten die Revolver auf die Erde. Wes halfterte seinen Colt, sah, daß die beiden Burschen aufatmeten und wieder Farbe ins Gesicht bekamen. »Ich lasse euch am Leben, wenn ihr mir eine Auskunft gebt«, sagte Wes leise. »Ich suche einen Hal Hopkins oder einen Ken Rossvelt. Vielleicht haben diese Compadres eine Hazienda hier in der Nähe. Na, wie sieht es aus? Wollt ihr mir diese Frage beantworten?«
Die beiden mexikanischen Banditen sahen sich an. Einer leckte sich über die wulstigen Lippen. »Die Namen sind uns nicht bekannt, Señor«, sagte er artig. »Es gibt aber einige Americanos hier in diesem Distrikt, die Haziendas besitzen. Würden Sie uns die Männer beschreiben? Wenn wir sie kennen, geben wir Ihnen gerne Auskunft.« Wes nickte lächelnd. Dann beschrieb er die beiden Mörder. Schon an den Gesichtern der beiden mexikanischen Buschräuber sah er, daß sie die Americanos kannten. Wes glaubte auch, so etwas Ähnliches wie Angst in ihren Augen zu sehen. »Na, was ist los, ihr beiden Heldensöhne?« endete Wes Montgomery. »Kennt ihr die beiden Muchachos?« Sie schüttelte sofort die Köpfe. Ihre Gesichter schimmerten grau wie Holzasche. Wes zauberte seinen Colt in seine Rechte. Drohend ließ er die beiden Mexikaner in die dunkle Mündung sehen. »Los, spuckt es aus, Amigos. Ihr habt keine andere Wahl. Ich bin ein alter Freund von den beiden und suche sie schon seit geraumer Zeit. Ich weiß, daß sie sich hier in der Nähe aufhalten. Wovor habt ihr Angst? Ihr könnt nur einmal sterben. Im schlimmsten Falle wird es jetzt und in dieser Minute sein!« »Reiten Sie zurück in die Staaten«, sagte einer der Greaser mit belegter Zunge. »Sie reiten in ein großes Unglück, Señor. Wir wollen Ihnen nur helfen.« »Schon gut, Amigos, bueno. Macht euch nur keine Sorgen um mich, denn ich kann gut für mich sorgen. Wo finde ich die beiden Männer? Ich frage kein zweitesmal mehr!« Wes Montgomerys Stimme klirrte vor Härte. Die beiden mexikanischen Banditen wußten, daß der hagere Mann am Ende seiner Geduld angekommen war. »Bueno, Señor«, krächzte der Mexikaner. »Wir haben Sie gewarnt. El Toro wird Ihnen die Haut bei lebendigem Leib
abziehen. Er hat über zwanzig Reiter in den Sätteln.« »Wer ist El Toro?« »Die Beschreibung paßt genau auf den Mann, den Sie Ken Rossvelt nannten. Hier nennt man ihn El Toro. Er ist ein sehr mächtiger Mann in diesem Distrikt. Seine Freunde sind sehr einflußreich. Sogar der Gouverneur verkehrt bei ihm.« Wes Montgomerys Gesicht blieb unbewegt. »Prächtig«, antwortete er. »Ich habe euch doch gesagt, daß dieser El Toro, oder wie immer ihr ihn auch nennen mögt, ein alter Bekannter von mir ist. Wo finde ich ihn?« »Ganz in der Nähe von Cananea, Señor. Nur wenige Meilen von hier. Die Hazienda heißt El Toro. Daher gab man seinem Besitzer auch den Namen.« Wes nickte zufrieden. »Gracias, Amigos, ihr habt mir sehr geholfen. Und jetzt verzieht euch. Verlaßt diese Gegend, sonst gebe ich El Toro einen Tip, daß ihr mir seinen Aufenthaltsort verraten habt.« Das Erschrecken lief heiß über die Gesichter der beiden mexikanischen Strauchdiebe. Sie rissen ihre Pferde herum und galoppierten davon, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihnen her. Gleich darauf waren sie verschwunden. Wes saß noch einige Minuten nachdenklich im Sattel. Nun wußte er, wo er den zweiten Mörder finden würde. Ken Rossvelt war ein mächtiger Mann geworden, hatte über zwanzig rauhe Gesellen um sich geschart und schien hier selbst für die Mexikaner wichtig geworden zu sein. Wes ritt zwischen einige Büsche und schwang sich aus dem Sattel. Er aß ein wenig von seinem kalten Proviant, nahm ein paar Schlucke aus seiner Wasserflasche und spülte mit einem guten Tropfen Whisky hinterher. Es war längst Nacht geworden. Die Geräusche der Tierwelt waren zu vernehmen. Der Wind sang leise in den Bäumen. Bleich schimmerte die Scheibe des Mondes am Horizont. Von den beiden Mexikanern war nichts mehr zu hören. Sie
waren auch nicht zurückgekehrt, um ihre Revolver zu holen. Wes Montgomery ritt weiter. Bald tauchten die Lichter der kleinen mexikanischen Stadt Cananea aus der Dunkelheit auf. Obwohl Wes gerne wieder einmal unter Menschen gewesen wäre und auch eine warme Mahlzeit nicht ausgeschlagen hätte, ritt er einen Bogen um die Ortschaft herum. Ein Fremder, noch dazu ein Gringo, würde hier Verdacht erregen. Und Wes wollte den Mörder Rossvelt nicht zu früh warnen, hoffte, diesen Hundesohn überraschen zu können. Bald erkannte er die Lichter einer großen Hazienda, die noch größer als die von Wayne Strawberry war. Sogar ein kleines Dorf gehörte zu der Hazienda. Wes suchte sich einen günstigen Beobachtungsplatz auf einem kleinen Hügel, nahm ein Fernrohr aus der Tasche und blickte lange auf die Hazienda hinunter. Dort herrschte reges Leben. Man feierte ein Fest, oder eine Hochzeit. Vielleicht fünfzig oder siebzig Personen bewegten sich dort und wimmelten wie Ameisen durcheinander. Wes Montgomerys Plan stand sofort fest. Er hatte sich in Nogales auch mit einem mexikanischen Anzug eingedeckt. Dazu gehörte auch ein etwas kleinerer Sombrero, der zwar einen reichlich zerdrückten Eindruck machte, bei Nacht würde man dies jedoch nicht so genau sehen. Wes zog sich um. Unter den vielen Gästen würde der hagere Mann bestimmt nicht auffallen. Er hoffte es wenigstens. Dann machte er sich auf den Weg. Einmal glaubte er, einen gleitenden Schatten zwischen den Büschen zu sehen. Lobo, der Wolf, dachte der hagere Mann, war sich jedoch nicht ganz sicher. *** Die Fiesta war im vollen Gang. Musikinstrumente lärmten durch die Nacht. Stimmengewirr
schallte dem hageren Mann entgegen. Die Menschen, die an diesem Fest teilnahmen, hatten alle schon einiges über den Durst getrunken. Ihr lautes Lachen schallte über den Hof der Hazienda, wo man eine große Tafel aufgebaut hatte. Fackeln, Kerzen und bunte Lampions erhellten die Nacht. Diener eilten geschäftig hin und her. Ein Ochse briet über einem großen Feuer. Der aromatische Geruch des Fleisches entlockte Wes Montgomerys Magen ein lautes Knurren. Wes sah festlich gekleidete Frauen und Männer, aber auch einige Vaqueros, die Wache hielten. Unter den Gästen machte er auch ein halbes Dutzend Männer aus, die wohl zu Ken Rossvelts Leibgarde gehörten, denn sie trugen ihre Revolver sehr tief geschnallt und machten alle einen harten Eindruck. »Gracias«, nickte Montgomery und nahm ein Glas von einem Tablett, das ein Diener gereicht hatte. Wes nippte an dem Tequila, während er sich langsam durch die Menschenmenge schob. Ken Rossvelt hatte er bisher noch nicht entdeckt. Der hagere Mann, der jetzt wie ein Mexikaner gekleidet war, aß eine große Portion von dem gebratenen Ochsenfleisch, dazu einige Tortillas und fühlte sich dann wohler. Er nahm seinen Rundgang auf, hielt sich aber immer ein wenig außerhalb des Lichtscheins. Wes wollte kein Risiko eingehen. Bisher war der hagere Mann auch nicht weiter aufgefallen. Dies änderte sich aber plötzlich, als ein Mann aus einem Busch auf ihn zutrat und ihm prüfend ins Gesicht sah. Der Mann war ein Weißer, ein Americano, der zu Rossvelts Leibgarde gehören mußte. »Hallo«, grinste der Schießer. »Wen haben wir denn da? Die Verkleidung ist nicht besonders originell, Mister. Mein Boß ist nicht kleinlich. Er hätte Sie auch eingeladen, wenn Sie nicht diesen billigen mexikanischen Anzug angezogen hätten.« Wes grinste und schob seinen Sombrero in den Nacken.
»Um ehrlich zu sein, mein Freund«, sagte er leise. »Ich kam zufällig vorbei, sah das Fest und wollte mir einen hinter die Binde gießen, hoffte, überhaupt nicht aufzufallen. Bin nämlich pleite. Drüben in Arizona wurde mir der Boden zu heiß unter den Füßen. Sie werden mich doch nicht hochgehen lassen. Wäre mir direkt peinlich, dieses wunderbare Fest zu stören.« Der Gunner grinste. »Wer bist du, mein Freund?« »Wes Hanson«, sagte Montgomery. »Wenn du willst, haue ich ab.« Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Vielleicht kann ich bei meinem Boß ein Wort für dich einlegen. Wir suchen noch ein paar harte Hombres. Und du siehst mir genauso aus, als könntest du mit deinem Eisen gut umgehen. Und der Einfall, hier einfach hereinzuplatzen, läßt darauf schließen, daß du nicht nur Stroh unter deinem Hut hast.« Die beiden Männer grinsten. »Wäre schon gut«, meinte Wes. »Einen Job kann ich gebrauchen. Bezahlt dein Boß auch gut?« »Erstklassig«, meinte der Schießer. Seine blaßblauen Augen funkelten. Er hatte einen grausamen Mund und kleine Zähne, die Wes unwillkürlich an eine Maus erinnerten. »Hundert Dollar im Monat, dazu alles andere frei. Es gibt auch öfters Extraprämien.« Er beugte sich zu Wes herüber. »Wir haben ein tolles Ding vor, doch ich darf nicht darüber reden. Erst muß dich der Boß unter die Lupe nehmen. Wenn du okay bist, darfst du bestimmt schon mitmachen.« Wes Montgomery nickte zufrieden. Vorläufig schien keine Gefahr zu bestehen, dachte der hagere Mann. »Was wird hier eigentlich gefeiert?« fragte er den Revolvermann, der grinste, »Nichts Besonderes, Amigo. Mein Boß hat gerne Leute um sich. Wichtige Leute, denn eine Hand wäscht die andere. Du
verstehst mich schon, mein Bester. Muß weiter und meinen Rundgang machen. Ich werde den Boß verständigen. Weiter hinten, im Garten, befindet sich ein kleiner Pavillon. In einer Stunde kannst du den Boß dort treffen. Vielleicht gibt er dir eine Chance. Einverstanden?« Wes nickte. Der Revolvermann und Leibwächter von Ken Rossvelt verschwand so unauffällig, wie er gekommen war. Montgomery nippte an seinem Drink, der ihm auf einmal nicht mehr schmecken wollte. Auch die ganze übrige Sache schmeckte ihm auf einmal nicht mehr so richtig. Sein Instinkt sagte ihm, daß irgend etwas nicht stimmen konnte. Reagiert man denn so, wenn man einen wildfremden, ungeladenen Besucher auf einem Fest antrifft? Konnte es sein, daß Rossvelt vielleicht schon gewarnt war und diese Lösung wählte, um hier kein größeres Aufsehen zu erregen? Diese Gedanken schossen dem hageren Mann durch den Kopf. Er beschloß, höllisch auf der Hut zu sein. Die ganze Gesellschaft interessierte ihn auf einmal nicht mehr. Das bedrückende Gefühl in seiner Magengegend wollte einfach nicht verschwinden. Wes schlug sich zwischen die Büsche, rempelte dabei beinahe ein Pärchen um, das sich innig umschlungen hielt. Der hagere Mann murmelte eine Entschuldigung und lief weiter. Der Mann fluchte auf spanisch hinter ihm her. Das Mädchen kicherte albern und trunken. Dann blieb Wes Montgomery wie erstarrt stehen. Seine Überraschung löste sich dann aber sofort. Er glitt in den Schatten eines mächtigen Baumstammes, spähte von dort hervor und erkannte Ken Rossvelt. Es gab keinen Zweifel. Der Mörder unterhielt sich mit dem Revolvermann, den
Wes noch vor einigen Minuten gesprochen hatte. Eine Fackel warf zuckende Schatten, die gespenstisch zwischen Büschen und Bäumen geisterten. Rossvelt! Bei seinem Anblick wurde der üble Druck in Wes Montgomerys Magen noch starker. Sein toter Bruder hatte seinen Mörder gut beschrieben. Wes würde Rossvelt unter Tausenden von anderen Männern sofort herauskennen. Es lag einmal daran, daß der Mörder ein richtiges Pferdegesicht hatte, wie man manchmal sagt. Außerdem hinkte der breitschultrige Mann leicht, als er sich mit dem Gunner in Bewegung setzte und langsam herangeschlendert kam. Wes spitzte die Ohren. »Die Beschreibung stimmt«, vernahm Wes die heisere Stimme des Schießers. »Er sieht genauso aus, wie ihn uns Manuel beschrieben hat. Was sollen wir tun, Boß? Dieser Texaner hält sich drüben bei den anderen Gästen auf.« Ken Rossvelt fuhr sich durch sein schwarzes Haar, das wie das Gefieder eines Habens glänzte. Dann lächelte er zynisch. »Deine Idee mit dem Pavillon war gut, Chester. Dieser Hundesohn wird uns in die Falle gehen. Wir machen ihn fertig und lassen ihn unauffällig verschwinden. Kein Hahn wird nach ihm krähen. Ich verlasse mich ganz auf dich, Chester.« Der Schießer nickte. »Geht in Ordnung, Boß. Wir überrumpeln ihn. Wollen Sie den Kerl sehen, ehe wir ihn über den Jordan schicken?« »Sicher, Chester. Ich werde dem Hombre ein paar Grüße für die Hölle mitgeben.« Der Mörder lachte hämisch. »Kümmere dich um den Hombre, laß ihn nicht aus den Augen«, fuhr er dann fort. »Und unterschätzt diesen Kerl nicht. Er hat meinen Partner Wayne Strawberry bereits zur Hölle geschickt. Wayne unterschätzte diesen Kerl.«
Chester nickte und verschwand zwischen den Büschen. Wes Montgomery machte sich ganz klein, denn der Leibwächter ging nur wenige Schritte an ihm vorbei, entdeckte den hageren Mann jedoch nicht, der sich wieder Ken Rossvelt zuwandte, der einige Sekunden unschlüssig stehengeblieben war. Dann ging dieser einen schmalen Pfad entlang, der unbeleuchtet war und zwischen Büschen und Bäumen verschwand. War dies die Chance für Wes Montgomery? Der hagere Mann zögerte nicht lange. Geschmeidig wie ein Panther folgte er dem Mörder seines Bruders und dessen Frau. Wes hatte rasch aufgeholt und vernahm vor sich die stampfenden Schritte von Ken Rossvelt. Wes Montgomerys Augen hatten sich mittlerweile an die samtene Dunkelheit gewöhnt. Der schmale Pfad verbreiterte sich in diesem Moment. Der hagere Mann sah die schattenhaften Umrisse eines kleinen Hauses schimmern. Ken Rossvelt schritt genau darauf zu, drehte sich nicht um, rechnete wohl mit keinem Verfolger. Wes schloß dichter auf, hielt sich jedoch immer in sicherer Deckung. Irgendwo flog ein Vogel auf, der krächzend ein paar Runden zog. Der Mörder hatte das kleine Haus in diesem Moment erreicht. Vom Hof der Hazienda klangen das Gelächter der Menschen und die Musik der mexikanischen Band herüber. Ehe Rossvelt die Tür öffnete, drehte er sich um und blickte sich um. Zufrieden nickend zog er einen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche und schloß die Tür auf. Wes huschte wie ein Schatten heran, tauchte hinter Rossvelt auf, der jedoch in diesem Moment wie eine gereizte Klapperschlange herumfuhr. Ehe sich Wes versah, spürte er den Lauf eines Revolvers, der hart gegen seinen Bauch drückte und ihm für einige Sekunden die Luft nahm. Der Bandit grinste gemein. Wes
Montgomery stand wie erstarrt, wagte sich nicht zu bewegen, denn sonst wäre er ein toter Mann gewesen. Obwohl er seinen Revolver in der Hand hielt, hatte er vorerst nicht den Hauch einer Chance. »Hab' ich mich also doch nicht getäuscht«, knurrte Rossvelt jetzt. Sein Pferdegesicht verzog sich triumphierend. »Reiner Instinkt, Montgomery. Ich ahnte, daß du irgendwo im Dunklen herumschleichst und eine Chance suchst, mich umzulegen.« Wes atmete langsam ein. Er war in die Falle gegangen, hatte Ken Rossvelt zu sehr unterschätzt. »Laß dein Eisen schon fallen«, bellte die Stimme des Verbrechers. »Sonst drücke ich ab!« Wes Montgomery hatte keine andere Wahl, als diesem Befehl zu folgen. Sein Colt polterte zu Boden. Wieder lachte der Mörder. »Fein, Montgomery. Du stellst dich noch dämlicher an, als es dein Bruder getan hat. Verstehe nicht, warum ich mich in all den Wochen und Monaten vor dir gefürchtet habe.« Er rammte Wes den Revolver noch fester in den Leib. »Los, hinein mit dir in die Hütte.« Er gab Wes einen harten Stoß, der den hageren Mann in das kleine Haus hineintaumeln ließ. Dumpf krachte die Tür ins Schloß. Die Dunkelheit war absolut. Ehe Wes aber diese Chance nutzen konnte, flammte das zuckende Licht einer Fackel auf. Er schloß geblendet die Augen, warf sich trotzdem vorwärts und spürte noch einen harten Schlag gegen seinen Schädel, ehe es wieder dunkel um ihn wurde. Vorbei. Dies war Wes Montgomerys letzter Gedanke, dann schlugen die dunklen Wogen der Bewußtlosigkeit über ihm zusammen. *** Wes öffnete die Augen.
Sein Kopf schien jeden Augenblick zu zerspringen. Die Helligkeit der zuckenden Fackel blendete ihn. Erst langsam schälte sich das häßliche Pferdegesicht von Ken Rossvelt hervor. »Wird ja Zeit, daß du wieder aufwachst, mein Lieber«, lächelte der Bandit. »Möchte schon noch ein paar Worte mit dir reden, ehe ich dich abknalle.« Montgomery richtete seinen Oberkörper auf. Er befand sich noch immer in der kleinen Hütte. Der Halunke stand zwei Schritte von ihm entfernt, den schweren Peacemaker auf ihn gerichtet. »Schön ruhig, Montgomery«, zischte er jetzt. »Bei der geringsten falschen Bewegung fülle ich dich mit Blei, klar?« Wes glaubte ihm aufs Wort. »Ich wurde rechtzeitig informiert, du Bastard«, fuhr Rossvelt fort. »Auch Hal Hopkins weiß Bescheid. Strawberry konntest du überrumpeln, weil er dich einfach nicht für voll genommen hat. Du wirst dir die Zähne bereits an mir ausbeißen.« Der Mörder schmunzelte, als habe er einen besonders guten Witz gemacht. Wes Montgomerys Gesicht blieb unbewegt. Lauernd suchte er nach einer Chance, die es aber im Moment nicht gab. Der Bandit hielt alle Trümpfe in der Hand. »Dein Bruderherz hat schon früher die hellsten Töne von dir gespuckt, Montgomery. Noch kurz bevor er starb, schwor er uns, daß du ihn rächen würdest.« Der hagere Mann dachte in diesem Moment an seinen toten Bruder, der mit seinem Namen auf den Lippen gestorben war. Dies gab dem hageren Mann neue Kraft. Irgendwie mußte es ihm gelingen, aus dieser verteufelten Klemme herauszukommen. Seine Muskeln spannten sich. Ken Rossvelt merkte es nicht, denn er fühlte sich zu sicher.
»Dies alles wollte ich dir sagen, Montgomery, ehe ich dich umlege«, zischte der Killer. Sein Revolver ruckte einige Zoll nach vorn. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Er würde jede Sekunde schießen. Wes Montgomery schnellte sich vom Boden ab, während die Schußdetonation auch schon aufbrüllte. Das heiße Blei zog eine blutige Spur über den Rücken des hageren Mannes. Wes prallte gegen die Beine des Killers, ehe dieser einen zweiten Schuß anbringen konnte. Montgomery vernahm den entsetzten Schrei von Rossvelt, der mit dieser Wendung nicht mehr gerechnet hatte und überrascht worden war. Die beiden Männer stürzten zu Boden. Nochmals brüllte der Revolver auf. Wes hatte das Gefühl, daß ihm die Trommelfelle platzten, denn der Colt war dicht an seinem Kopf losgegangen. Wes schlug zu. Seine Faust landete genau in dem verzogenen Gesicht des Killers, dessen Kopf zurückgeworfen wurde und hart am Boden aufschlug. Montgomery brachte einen weiteren Hieb an. Mit der anderen Hand hatte er den Revolverarm des Killers umschlungen. Er würde dessen Druck nicht lange standhalten können, denn es war der Arm, der vor Wochen von einer Indianerkugel durchbohrt worden war und der sofort zu schmerzen begann. Ken Rossvelt bäumte sich jetzt auf, und es gelang ihm, den hageren Mann von seinem Körper zu werfen. Wes fiel auf den Rücken, rollte sich zur Seite. Eine Kugel wimmerte über die Stelle, wo er sich gerade noch befunden hatte. Rossvelt schrie triumphierend auf. Sein Schrei ging in ein klagendes Gewimmer über, als der hagere Mann sich gegen ihn warf und ihm den Colt aus der Hand schlug. Der Mörder taumelte zurück. Aus seiner Nase quoll Blut,
das über das Kinn sickerte und im Hemdkragen verschwand. Wes registrierte dies rein mechanisch, während seine Faust schon wieder nach vorn schoß und genau den Kinnwinkel des Mannes traf, der seinen Bruder und dessen Frau ermordet hatte. Rossvelt taumelte zurück, dann fing er sich und warf sich gegen den hageren Mann, der den Verbrecher mit einem wuchtigen Hieb gegen die Brust empfing. Wie zwei Verrückte hämmerten die beiden Männer aufeinander ein. Die klatschenden Schläge wurden nur von ihrem Keuchen und Stöhnen übertönt. Sie wollten sich gegenseitig vernichten. Dann ließen sie für Sekundenbruchteile voneinander ab, rangen nach Atem, ehe sie wieder übereinander herfielen. Wes legte seine ganze Kraft in einen weit hergeholten Schlag, der den Mörder auch von den Beinen warf. Montgomery stand leicht vornübergebeugt da. Sein Herz hämmerte ihm bis zum Halse. Seine Fäuste waren aufgeschlagen. Seine Verwundung schmerzte. Ken Rossvelt wälzte sich auf den Rücken. Sein Gesicht war gezeichnet von Wes' Hieben. Er spuckte einen Zahn aus und setzte sich stöhnend auf. Doch dann brachte er seinen Revolver hervor, auf den er zufällig gefallen war. Er drückte sofort ab. Wes hatte es nur seiner gedankenschnellen Reaktion zu verdanken, daß er nicht getroffen wurde. Die Kugel fuhr nur durch seine aufgebauschte Jacke hindurch. Der hagere Mann warf sich nach vorn. Seine Hand umklammerte den Revolverarm von Rossvelt. Ein wütendes Ringen um die Waffe setzte ein. Die beiden erbittert kämpfenden Männer wälzten sich über den Hüttenboden. Wieder keuchten sie, als bekämen sie keine Luft. Der Revolver befand sich dicht vor Montgomerys Gesicht.
Mit letzter Kraft drückte er den langen Lauf zur Seite. Rossvelts andere Faust hämmerte ihm gegen den Kopf. Wes hatte im ersten Moment das Gefühl, bewußtlos zu werden. Er überwand diese Schwäche. Wieder rollten sie sich überschlagend durch die Hütte. Wes kam unten zu liegen. Der Körper des Verbrechers lastete schwer auf ihm. Noch immer umschraubte seine Hand den Revolverarm des Killers. In dem Moment, wo er loslassen würde, hatte der hagere Mann dieses grausame Spiel verloren. Wes zog jetzt seine Beine an. Ken Rossvelt schrie auf, bekam das Übergewicht und flog über Wes' Kopf hinweg. In diesem Moment brüllte der Revolver auf. Der Pulverdampf kratzte in Wes Montgomerys Kehle. Aus geweiteten Augen starrte er auf Ken Rossvelt, der von seiner eigenen Revolverkugel durchbohrt worden war. Blut floß aus einer Wunde dicht über dem Herzen. Der Mörder starrte ihn aus großen Augen an. In der erschlaffenden Hand hielt er noch immer den Revolver. Nur langsam beruhigte sich Wes Montgomerys Atem. Eine zentnerschwere Last war von ihm gefallen. Dann beugte er sich zu dem Verbrecher hinunter, dessen Augen bereits glasig geworden waren. Ken Rossvelts Körper zuckte mehrmals, dann streckte er sich. Sein Kopf fiel zur Seite. Er war tot. Wes richtete sich auf. Er halfterte den Colt und eilte zur Tür. Er öffnete diese vorsichtig und spähte hinaus. Die Schüsse konnten nicht ungehört verhallt sein. Irgend jemand mußte sie gehört haben. So war es auch. Irgendwo knackten Zweige. Schwere Stiefeltritte näherten sich. Wes huschte zur Tür hinaus und schlug sich in die Büsche. Keine Sekunde zu früh, denn zwei Männer rannten
den Weg entlang. Aus der nur angelehnten Hüttentür fiel flackernder Fackelschein heraus. Gleich darauf gellte ein Entsetzensschrei durch die Nacht. Sie hatten den toten Rossvelt entdeckt. Wes Montgomery rannte los. Er wußte, daß er bald ein ganzes Rudel hartgesichtiger Hombres auf seiner Fährte haben würde. Wes rannte durch den großen Park, hechtete über eine Adobemauer und eilte dann auf den kleinen Hügel zu, wo er sein Pferd versteckt hatte. Wieder war er außer Atem, als er das Tier erreichte. Er schwang sich in den Sattel und jagte davon. Bald hatte ihn die Nacht verschluckt. *** Wes Montgomery war entkommen. Seine Verfolger hatten nach ein paar Stunden aufgegeben. Bestimmt war ihnen unterwegs eingefallen, daß ihr Boß tot war. Niemand würde ihnen mehr einen Cent Lohn bezahlen. Und die Revolvermänner von Ken Rossvelt lebten nur von Revolverlohn. Wes war weitergeritten, kam in die Nähe von Cucurpe. Montgomery war noch vorsichtiger geworden. Er wußte, daß der dritte Mann des Mördertrios, Hal Hopkins, bereits gewarnt war. Ken Rossvelt hatte es angedeutet. Vielleicht sollte er aufgeben? Dieser Gedanke beschäftigte Wes Montgomery eine Zeitlang. Doch dann straffte sich sein Körper. Er würde seinen Höllenritt fortsetzen. Außerdem hatte er die fünfzigtausend Dollar noch nicht zusammen, die er der geschädigten Bank zurückzahlen wollte.
Bei seiner schnellen Flucht von Rossvelts Hazienda hatte er dort keinen Cent mitnehmen können. Wes hoffte, die fehlenden vierzigtausend Dollar von Hal Hopkins zu bekommen. Er schlug um die kleine mexikanische Stadt einen Bogen, näherte sich dann einer kleinen Farm. Dort hoffte der hagere Mann Auskünfte über Hopkins zu erhalten. Ein paar Hunde umringten kläffend sein Pferd, als er auf den Hof ritt. Die Hütte war ärmlich. Einige magere Rinder weideten nebenan und zupften an den spärlichen Grashalmen. Niemand war zu sehen. Die Ankunft des hageren Mannes konnte unmöglich überhört worden sein. Wes glitt aus dem Sattel und stakste zu der Hütte hinüber. Die Tür war nur angelehnt. »Hallo«, rief er laut, um das Gebell der Hunde zu übertönen, die ihn umringten und nach ihm zu schnappen versuchten. Die Tür öffnete sich. Das verängstigte Gesicht einer jungen Mexikanerin wurde sichtbar. Sie mochte höchstens sechzehn Jahre alt sein, hatte jedoch bereits die Formen einer voll erblühten Frau. Wes lächelte gewinnend und tippte sich an die Krempe seines verstaubten Stetsons. »Buenos Dias«, sagte der hagere Mann freundlich. »Bist du allein? Kann ich deine Eltern sprechen?« Sie nickte und deutete zu den Stallungen hinüber, die sich unter einigen mächtigen Bäumen duckten. Der Stall machte einen erbärmlichen Eindruck. Wes hatte das Gefühl, daß er jeden Moment zusammenstürzen würde. Trotzdem betrat Wes Montgomery den aus rohen Brettern zusammengenagelten Schuppen. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er einen schon älteren Mann, der im Stroh lag und sich nicht bewegte.
Der Mann schnarchte. Der Geruch von billigem Whisky lag in der Luft. Montgomerys Magen krampfte sich zusammen. Es stank gotterbärmlich auch noch nach anderen Ausdünstungen. Montgomery rüttelte den Schlafenden an der Schulter. Der Mann rülpste, murmelte sinnloses Zeug und drehte sich auf die andere Seite, wo er sofort weiterschnarchte. Wes sah sich hilflos um. Das mexikanische Girl huschte herein. Es hielt einen Eimer, der mit Wasser gefüllt war, in den Händen. Montgomery nahm ihn ihm schweigend ab, dann schüttete er das Wasser dem Betrunkenen über den Kopf. Der Mann fuhr knurrend hoch, spuckte Wasser, ruderte mit beiden Armen wie ein Ertrinkender und riß die Augen auf. Es dauerte immerhin noch einige Sekunden, ehe er überhaupt wußte, was geschehen war und wo er sich befand. Er fluchte, warf seiner Tochter einen wenig liebenswürdigen Blick zu und starrte Wes Montgomery wütend an. Der hagere Mann hatte in der Zwischenzeit eine Zehndollarmünze aus seiner Tasche gezogen und hielt sie dem Mexikaner unter die Nase. »Tut mir leid, daß ich Sie so unsanft geweckt habe«, sagte Wes. »Ich möchte gerne eine Auskunft von Ihnen.« Er ließ die Geldmünze in die offene Hand des Mexikaners fallen, der sie sofort einsteckte. »Sprechen Sie, Señor«, sagte er mit heiserer Stimme. Seine Trunkenheit war ihm kaum noch anzusehen. »Ich suche einen Mann namens Hal Hopkins.« Dann beschrieb er den dritten Mann des Mördertrios. Schon bei den ersten Worten war der ältere Mexikaner bleich geworden. Nachdem Wes geendet hatte, fingerte er die Dollarmünze wieder aus seiner zerrissenen Jacke hervor und wollte sie Montgomery zurückgeben. Wes winkte ab. »Nun mal langsam, Alter«, grinste er. »Wovor hast du Angst? Hopkins wird nicht erfahren, daß ich seinen Aufenthaltsort von dir erfahren habe.«
Das Gesicht des Mexikaners blieb verschlossen. Stur schüttelte er den Kopf. Alle Bemühungen von Wes Montgomery, die Meinung des Alten zu ändern, blieben erfolglos. Der Mexikaner hatte Angst. Tödliche Angst. Schließlich gab es Wes auf und verließ den Schuppen. Die junge Mexikanerin folgte dem hageren Mann. »Sie dürfen es ihm nicht übelnehmen, Señor«, sagte sie. Bitterkeit lag in ihrer Stimme. »Der Grund und Boden hier gehört Señor Hopkins. Wir sind auf ihn angewiesen. Wir würden alles verlieren. Sind Sie Señor Montgomery?« Wes staunte. Fragend blickte er das hübsche Girl an. Dann nickte er bedächtig. Sie schielte zum Eingang des Stalles hinüber. Ihr Vater war nicht zu sehen. »Vater wird gleich losreiten müssen, um Ihre Ankunft zu melden. Wenn er es nicht tun würde, wäre er schon morgen ein toter Mann. Señor Hopkins kennt keine Gnade.« Sie schwieg. Ihre dunklen Augen, die an glühende Kohlen erinnerten, blickten plötzlich haßerfüllt. »Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte Wes. Hufschläge ertönten in diesem Augenblick. Der Stall mußte noch einen anderen Ausgang haben. Montgomery erkannte den alten Mexikaner, der aber schnell hinter einigen Kakteen verschwunden war. »Ich hasse diesen Teufel«, stieß das rassige Mexikanermädel hervor »Vor ein paar Wochen ließ er mich mit Gewalt auf seine Hazienda bringen und dort...« Sie sprach nicht weiter. Wes wußte aber, was sie ausdrücken wollte. Mit einer anmutigen Handbewegung strich sie sich eine Strähne ihres nachtdunklen Haares aus der Stirn. »Ihr Kommen wurde uns gemeldet, Señor Montgomery. Nicht nur uns, sondern jedem Rancho in der Umgebung. Dieser Bastard scheint eine Höllenangst vor Ihnen zu haben, Señor.
Sie werden jedoch kaum eine Chance gegen diesen Teufel haben, außer Sie würden sofort die Flucht ergreifen. Über zwanzig rauhe Hombres stehen in den Diensten von Hopkins. Er beherrscht hier das ganze Land.« Sie lächelte bitter. »Fliehen Sie, Señor Montgomery. Er wird Sie töten lassen. Er ist ein Satan.« Wes schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn erwischen und dem Gesetz übergeben, schönes Kind«, sagte er ruhig. »Yeah, er ist ein Teufel, er war der Boß eines Mördertrios. Die beiden anderen stehen bereits vor einem höheren Richter. Ich gebe nicht auf.« »Ich werde zur Heiligen Jungfrau beten«, sagte die Mexikanerin ernst. »Vielleicht wird sie diesmal meine Bitten erhören.« »Wo finde ich seine Hazienda?« fragte Montgomery. Sie erklärte es ihm mit wenigen Worten. »Sie wollen also wirklich kämpfen?« fragte sie. Forschend sah sie ihn mit ihren dunklen Augen an. Der hagere Mann nickte mehrmals und wollte zu seinem Pferd gehen. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich habe noch eine Nachricht für Sie, Señor. Sie sollten es wissen und nicht unvorbereitet losreiten.« Ein dumpfer Druck breitete sich plötzlich in Wes Montgomerys Magen aus. Er ahnte, daß etwas sehr Unangenehmes auf ihn zukommen würde. Fest preßte er die Hand des schönen Mädchens. Sie hatte schon wieder diesen resignierenden Zug um ihre Mundwinkel. »Hopkins hat zwei Gefangene, die er als Geiseln gegen sie einsetzen will. Er will Ihr Leben gegen das der beiden Gefangenen tauschen und ist ganz sicher, daß Sie darauf eingehen werden.« »Gefangene? Geiseln?« Wes Montgomerys Gedanken überschlugen sich. Eine kalte Faust griff nach seinem Herzen.
»Eine Frau und ein kleines Kind«, sagte die junge Mexikanerin und sah die geisterhafte Blässe, die das Gesicht des hageren Mannes überzog. Wes stöhnte laut auf. »Caroline und der kleine Wesley«, flüsterte er tonlos. »Er hat sie in seiner Gewalt.« Diesen Schock mußte Wes Montgomery erst einmal verdauen. Seine Chancen, Hopkins zu bekommen, waren von einem Augenblick zum anderen null und nichtig geworden. »Tut mir leid, Señor, daß ich Ihnen diese schlechte Nachricht mitteilen mußte«, sagte das Girl. Sie blickte Montgomery traurig an. »Ich erfuhr es vor einigen Tagen auf Hopkins' Hazienda.« Wes nickte. Sein Körper straffte sich. Er blickte die Mexikanerin fest an. »Wo befinden sich die Gefangenen? Ich muß es wissen, es ist sehr wichtig für mich!« »Auf der Hazienda«, sagte sie. »Wo, kann ich Ihnen nicht sagen. Sie müssen es selbst herausfinden.« Wes fuhr dem Mädchen sachte über das Haar. »Ich danke dir«, sagte er leise. »Du hast mir noch nicht einmal deinen Namen gesagt.« »Conchita«, lächelte sie. »Ich bete für Sie, Señor.« Sie winkte ab, als er ihr Geld geben wollte, machte kehrt und verschwand wie ein scheues Reh in der kleinen Hütte. Wes schwang sich auf sein Pferd, das in der Zwischenzeit am Wassertrog gesoffen hatte. Montgomery jagte aus dem Hof des kleinen Rancho hinaus. Es würde erst in ungefähr zwei Stunden dunkel werden, bis dahin mußte er sich verbergen. Vorher hatte er überhaupt keine Chance, sich der Hazienda von Hopkins zu nähern. Seine Gedanken waren bei Caroline und dem kleinen Sohn seines toten Bruders. Er wußte, daß Hopkins über Leichen ging. Er würde diese Trumpfkarte unbedingt einsetzen. Und dann?
Verzweiflung drohte den hageren Kämpfer zu übermannen. Er mußte dagegen ankämpfen. Dann kamen seine kühlen Überlegungen zurück. Der Bastard von Hopkins durfte ihn nicht vor Mitternacht erwischen. Wes begann, seine Spuren zu verwischen. Hal Hopkins war bestimmt bereits von dem alten Mexikaner gewarnt worden. Wes konnte dem Alten nicht böse sein, der unter Zwang handelte. Seine Tochter dagegen war ein sehr mutiges Mädchen gewesen. Wes dachte voller Hochachtung an die kleine Conchita. Wes ritt einen kleinen Hügel empor, um einen besseren Ausblick zu haben. Die letzten Yards legte er zu Fuß zurück, um nicht schon von weitem gesehen zu werden. Das Land war in Aufruhr. Wes Montgomery sah über ein Dutzend Staubwolken, die sich in verschiedenen Richtungen bewegten. Es hatte den Anschein, als hätte der letzte Mann des Mördertrios einige hundert Leute in die Sättel gebracht. Wes suchte sich einen geschützten Ort, von wo aus er weit in der Ferne sogar die Umrisse der Hazienda sehen konnte. Steiniger Boden umgab den hageren Mann. Er hoffte, daß die Hufabdrücke seines Pferdes nicht bis hierher verfolgt werden konnten. Immer wieder sah er Reitertrupps, die ruhelos und wie aufgescheucht die Gegend absuchten. Einer der Trupps kam ungefähr dreißig Yards entfernt vorbei. Sie entdeckten Wes jedoch nicht. Langsam begann sich die Helligkeit des Tages zu verlieren. Bald würden die Schatten der Nacht kommen und Wes Montgomery in einen samtenen Mantel hüllen. Der hagere Mann zuckte zusammen, als plötzlich ein dunkler Fleck zwischen den Felsen auftauchte. Blitzschnell zog Wes seinen Revolver. Dann senkte er die Waffe. Es war Lobo, der Wolf.
Seit Tagen war er verschwunden gewesen, nun tauchte er wie ein Phantom aus dem Nichts auf. »Hallo, mein Guter«, sagte Montgomery. Wie immer lag viel Wärme in seiner Stimme, wenn er mit dem halbwilden Wolf sprach. Lobo hinkte näher. Jawohl, er hinkte, zog die rechte Vorderpfote nach und belastete sie nicht. Er knurrte leise. Seine gelben Augen blickten starr auf den hageren Mann. Lobo kauerte sich dicht vor Wes auf den Boden. In seinem schmutzigen Fell hingen Dornen. »Na, dann zeig mir mal deine Pfote«, sagte Wes Montgomery leise. »Vielleicht kann ich dir helfen, alter Junge.« Lobo knurrte stärker. Der Atem der Gewalt umwehte den Wolf. Die Wildheit in seinen Lichtern war nicht zu übersehen. Die blitzenden Fänge hielten Wes zurück, nach dem Tier zu greifen. »Na, komm schon, mein Guter. Ich will dir nur helfen. Bestimmt hast du Schmerzen. Laß mich nach deiner Pfote sehen. Du bist doch gekommen, weil du von mir Hilfe erwartest. Sind wir nicht Freunde, Lobo?« Der Wolf hatte wieder mit gestellten Ohren herübergespäht. Die Wildheit in seinen Augen war gewichen. Er knurrte auch nicht mehr so stark. Durch Wes ging ein Ruck. Bisher hatte er den Wolf noch niemals berührt. Nun würde ihm keine andere Wahl bleiben, wenn er nach der Verletzung sehen wollte. Er beugte sich vor. Im ersten Moment hatte es den Anschein, als wollte der Wolf zurückweichen, doch dann reckte er Montgomery seine verletzte Pfote hin, so, als hätte er dies tausendfach geübt. Wes war erstaunt, nutzte dann aber schnell die sich ihm
bietende Chance. Er untersuchte die Pfote und fand auch schon bald einen Dorn, der sich tief in die Hautfalte zwischen den Ballen eingedrückt hatte. Wes mußte sogar sein Messer zu Hilfe nehmen, um diese kleine Operation zu bewerkstelligen. Er schaffte es. Lobo hatte alles mit einer derartigen Geduld über sich ergehen lassen, daß Montgomery den Kopf schüttelte. »So, nun ist alles wieder in Ordnung«, sagte der hagere Mann und ließ die Pfote los. »Versuch mal zu laufen, Lobo.« Der Wolf trat vorsichtig auf die verletzte Pfote, machte ein paar Schritte und konnte wieder richtig laufen. Er blickte Wes an und jaulte kurz auf. »Schon gut, mein Bester«, rief der hagere Mann. »Ich kann überhaupt nicht mehr gutmachen, wie du mir in den letzten Wochen geholfen hast. Gerne geschehen, Lobo.« Der Wolf legte sich zwischen zwei kleine Felsspalten. Unverwandt starrte er Montgomery an. »Du willst also hierbleiben, Lobo«, sagte Wes leise. »Das ist ausgezeichnet. Dann kann ich beruhigt ein paar Stunden schlafen. Du wirst mich sicher beim Anzeichen einer geringsten Gefahr wecken. Na, ist es so?« Der riesige Wolf zeigte sein prachtvolles Gebiß. Beinahe sah es aus, als würde er grinsen, als er so sein Maul aufriß. Wes Montgomery legte sich unter einen Busch. Seinen Colt hielt er in seiner Faust. Ein paar Stunden entspannender Schlaf würden ihm guttun. Der hagere Mann schlief trotz seiner gefährlichen Situation, in der er sich befand, sofort ein. Lobo, der Wolf, hielt Wache. *** Heißer, fast bestialischer Atem ließ Wes Montgomery
erwachen. Dicht vor ihm befanden sich die leuchtenden Augen des riesigen Wüstenwolfes. Als Wes hochruckte, wich der Wolf zurück. Seine Rute peitschte den Boden. Das Tier lag geduckt am Boden. Wes war sofort hellwach. Er lauschte auf die nächtlichen Geräusche. Nach dem Stand des Mondes mußte es kurz nach Mitternacht sein. Wes Montgomery konnte Hufschläge vernehmen, die immer lauter durch die Nacht schallten. Jemand näherte sich. Der hagere Mann glitt zu seinem Pferd und hielt dem Tier die Nüstern zu. Ein Wiehern und lautes Schnauben konnten ihn in Teufels Küche bringen. Dann verklangen die Hufschläge in der Ferne. Wes schwang sich in den Sattel. Vorher hatte er die Hufe seines Tieres mit Lappen umwickelt, um den Hufschlag zu dämpfen. Langsam ritt er los, nutzte jede sich nur bietende Deckungsmöglichkeit, erkannte jedoch schon nach ungefähr einer Meile, daß er zu Pferd niemals die Hazienda erreichen würde. Überall sah er Reitertrupps. Viele von den suchenden Männern hatten Fackeln in den Händen. Auch auf den Hügeln erkannte Wes die sich deutlich abhebenden Silhouetten von Wachtposten. Hal Hopkins versuchte alles, um Wes Montgomery in seine Gewalt zu bekommen. Seinen Trumpf hatte der letzte des Mördertrios bisher nicht ausspielen können. Obwohl Wes von den Gefangenen wußte, hatte Hopkins bisher den hageren Mann damit nicht erpressen können. Hopkins mußte annehmen, daß Montgomery von der gefangenen Caroline und dem kleinen Wesley keine Ahnung hatte. Aus diesem Grund hatte er bestimmt auch die Suche so forciert. Wes grinste hart, als er von seinem Pferd stieg. Er sah sich
nach dem Wolf um, doch Lobo war wieder einmal in der rauhen Wildnis des mexikanischen Landes verschwunden. Wes hoffte nur, daß er nicht zufällig von einem der vielen Reiter und Wächter gesehen wurde. Sie würden auf den Wolf ohne Gnade das Feuer eröffnen. Montgomery verbarg sein Pferd zwischen einigen Büschen, griff seine Winchester und lüftete den Revolver in der Halfter. Er schlich los. Bis zur Hazienda mochten es noch drei oder vier Meilen sein. Er mußte zu Fuß gehen. Mit dem Pferd wäre er zu schnell den vielen Suchtrupps in die Hände gefallen. Eigentlich war es heller Wahnsinn, was Wes Montgomery da vorhatte. Hal Hopkins hatte sich hundertprozentig abgesichert. Vielleicht fünfzig Leute suchten nach dem hageren Mann. Bestimmt hielten sich noch ein halbes Dutzend oder auch mehr rauhe Jungs auf der Hazienda auf. Und dann hatte der Mörder noch immer die beiden Gefangenen, die er rücksichtslos als Geiseln einsetzen würde. Diese Gedanken gingen dem hageren Mann durch den Kopf, während er Schritt vor Schritt setzte und den fernen Lichtern der großen Hazienda immer näher kam. Wes Montgomery behielt seine Umgebung scharf im Auge, überlegte fast jeden Schritt genau und war bald wie in Schweiß gebadet, denn diese Konzentration kostete ihm Kraft und Nerven. Und dann hatten sie ihn. Es ging ganz schnell und ohne daß der hagere Mann eine Möglichkeit hatte, dies vorerst abwenden zu können. Zwei Männer wuchsen vor Wes Montgomery aus dem Boden. Kaltes Mondlicht wurde auf den Läufen der Gewehre reflektiert. Die beiden Männer grinsten. »Greif zum Himmel, Montgomery«, zischte eine heisere Stimme.
»Greif zum Mond, du Armleuchter!« sagte die andere. Wes stand wie erstarrt. Sie hatten ihn voll in der Klemme. Einer von ihnen brauchte nur einen Schuß abzufeuern, dann würden sie von allen Seiten herbeigestürzt kommen. Das hagere Gesicht des Überraschten verzog sich nicht. Seine Lippen waren nur hart aufeinandergepreßt. Die beiden Hombres fühlten sich sehr sicher. Und es waren Revolvermänner. Daran gab es überhaupt nichts zu zweifeln. Die Winchester des hageren Mannes polterte zu Boden. Mit erhobenen Armen stand er vor den beiden Schießern. Sie lachten spöttisch. »Möchte nur wissen«, sagte einer, »warum sich der Boß so die Hosen vollmacht. Diese Schießbudenfigur hatte doch überhaupt nicht den Hauch einer Chance.« Der andere Gunner nickte. »Soll uns recht sein, Buck. Wir haben uns die Prämie beinahe im Schlaf verdient.« Er grinste gemein. Sein hartes, gewalttätiges Gesicht, das mit großen Narben versehen war, wandte sich wieder Wes Montgomery zu, der noch immer regungslos stand. Und doch wußte der hagere Mann, daß er bald alles auf eine Karte setzen mußte. Einer der Kerle legte das Gewehr neben sich auf den Boden und zog ein paar richtige Handschellen aus seinem Hosenbund. Grinsend trat er langsam näher, achtete natürlich darauf, nicht in die Schußlinie zu kommen. Wes wußte, daß es gleich wieder hart auf hart gehen würde. Und eigentlich hatte er überhaupt keine Chance. Doch dann half ihm wieder das Schicksal. Und zwar in Form des Wolfes. Lobo brach wie ein Ungewitter zwischen den Büschen hervor. Seine riesigen Fänge gruben sich in den Arm des Schießers, der das Gewehr auf Wes gerichtet hatte.
Sein gellender Aufschrei ging in dem wütenden Wolfsgeheul unter. Wes Montgomery handelte sofort. Er warf sich nach vorn, denn auch der andere Bandit war in diesem Moment zu Tode erschrocken. Er war halb herumgewirbelt, ließ die Handschellen fallen, schnappte nach seinem Revolver, um seinem Partner zu Hilfe zu kommen. Wes war auch schon heran. Wie ein Panther warf er sich gegen den Schießer, der unter dem Ansturm wie eine Puppe umgeworfen wurde. Wes Montgomery schlug hart zu. Der Schießer seufzte tief und stürzte zur Seite, wo er regungslos liegenblieb. Der andere Mann aus Hal Hopkins' rauher Horde lag am Boden. Lobo stand über ihn gebeugt. Seine Fänge waren nur wenige Zoll von der Kehle des Mannes entfernt. Ein dumpfes Grollen klang aus dem weitgeöffneten Rachen. Gelb funkelten die Augen des Wolfes. Der Schießer lag wie tot da, nur seine weitaufgerissenen Augen, in denen es irr funkelte, verrieten, daß noch Leben in dem Mann war. Wes hatte längst seinen Revolver gezogen. Zuerst legte er dem von ihm Niedergeschlagenen die Handschellen an. Der Mann war noch immer bewußtlos. Dann trat er zu dem anderen Hombre. Lobo wich mit einem Knurren zurück. Sein Maul war blutig, doch die dem Tier angeborene Wildheit brach nicht durch. Der Arm des am Boden liegenden Mannes sah schrecklich aus. Der Verwundete stöhnte in diesem Moment. Der grausame Schmerz grub sich in sein Gesicht und entstellte es zu einer verzerrten Fratze. Montgomery trat den Revolver mit dem Fuß zur Seite. Dann lauschte er in die Nacht. Vorerst rührte sich nichts. Hoffnung keimte auf, daß der schrille Schrei nicht von anderen Männern der Suchtrupps gehört worden war.
Sekunden verstrichen endlos lange, wurden nur durch das heisere Stöhnen des Verwundeten unterbrochen, der immer noch mit hervorquellenden Augen auf den Wolf starrte, der jedoch kein Interesse mehr an dem Hombre zeigte. Der andere Schießer war noch immer bewußtlos. Wes fesselte ihm auch die Beine und steckte ihm einen Knebel in den Mund. Dann holte er Verbandszeug aus einer Satteltasche und legte dem Verwundeten einen Notverband an. »Eigentlich sollte ich dich töten«, knurrte er dabei. »Beim geringsten Laut, den du von dir gibst, werde ich es auch tun. Vielmehr mein Freund dort drüben!« Montgomery deutete auf Lobo, dessen Augen wie glühende Kohlen in der Dunkelheit funkelten. Der Verwundete schluckte nur mehrmals, gab jedoch keine Antwort. Der Hombre würde keine Schwierigkeiten mehr machen. Wes war davon überzeugt. Der hagere Mann trat zum Pferd des Gunners, nachdem er dem Verwundeten Fußfesseln angelegt hatte und auch den gesunden Arm an den Körper gebunden hatte. »Der Wolf ist immer in der Nähe, Amigo mio«, zischte seine harte Stimme. »Riskier nur nichts, mein Junge. Das nächste Mal springt dir Lobo an die Kehle. Und dann gibt es keine Chance mehr für dich. Ist das klar?« Der Bandit nickte. Noch immer stand ein unbeschreibliches Entsetzen in seinen geweiteten Augen. Wes Montgomery nahm seine Winchester vom Boden auf und lief weiter. Einmal glaubte er, den dunklen Schatten des Wolfes nur wenige Schritte entfernt zu sehen. Lobo war zu einem starken Verbündeten für ihn geworden. Wieder einmal hatte er ihn aus einer fast aussichtslosen Klemme herausgepaukt. Der hagere Mann konzentrierte sich auf seine Umgebung. Die Lichter der Hazienda kamen näher. Wes schob sich
zwischen dornigen Sträuchern hindurch, umging riesige Kakteen, die wie Geisterwesen aussahen, und kletterte über Felsen und anderes Geröll. Plötzlich vernahm Montgomery einen dumpfen Fall. Gleich darauf heulte Lobo. Wes lief es eiskalt den Rücken hinab. Er beschleunigte seine Schritte und sah auch schon bald einen dunklen Körper langgestreckt am Boden liegen. Lobo stand über sein Opfer gebeugt, die Fänge nur wenige Zoll von der weiß leuchtenden Kehle eines Mannes entfernt, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Wes trat näher, und der Wolf wich knurrend zur Seite. Tobby mußte das Tier in bestimmt langjähriger Arbeit dermaßen abgerichtet haben. Der am Boden liegende Mann rührte sich nicht, obwohl er unverletzt war. Seine Augen starrten Wes wie eine übernatürliche Erscheinung an. Es war ein Mexikaner, der hier zwischen den Büschen gelauert hatte. Montgomery ahnte, daß sich bestimmt noch mehr Posten zwischen hier und der Hazienda befanden. Er fesselte den Mann und knebelte ihn. Dann setzte er seinen Weg fort. Bald konnte er die einzelnen Gebäude der großen Hazienda deutlich unterscheiden. Auf dem Hof flackerte ein großes Feuer. Einige Gestalten bewegten sich im Feuerschein. Der hagere Mann schlich noch näher. Weit hinter sich erkannte er immer noch die Suchtrupps, die nach ihm fahndeten. Hal Hopkins mußte wirklich eine höllische Angst vor ihm haben. Lobo befand sich jetzt in Wes Montgomerys Nähe, schlich vor ihm her, als wollte er ihm den Weg von etwaigen Hindernissen säubern. Wie eine Raubkatze schnüffelte er immer wieder. Dann stockte das Tier. Seine Rute peitschte über den Boden.
Noch tiefer duckte sich der Wolf. Gefahr, signalisierte es in dem hageren Mann. Er glitt ebenfalls zu Boden, verschmolz mit der Dunkelheit, die nur hier und da von den silbernen Strahlen des Mondes unterbrochen wurde. Wes schlängelte sich wie ein Indianer näher, bis er neben Lobo kauerte. Vor ihm befand sich eine kleine Mulde. Zwei Männer hatten es sich dort bequem gemacht, ahnten nichts von der drohenden Gefahr, die sich nur wenige Yards von ihnen entfernt befand. Einer von den Burschen schlief, der andere döste vor sich hin. Das Gewehr hielt er in der Armbeuge. Jetzt gähnte der Mann, als wollte er ein halbes Dutzend Fliegen auf einen Schlag verschlingen. Wes warf sich nach vorn. Ehe der Mann den Mund wieder schließen konnte, traf ihn der Lauf von Montgomerys Winchester über den Schädel. Er fiel, ohne einen Laut von sich zu geben, auf die Seite. Auch Lobo war in die kleine Mulde geglitten. Regungslos stand er vor dem Schlafenden. Wes beeilte sich, auch diesen Mann kampfunfähig zu machen. Die Hazienda war jetzt nur noch ungefähr zweihundert Yards entfernt. Wes Montgomery konnte sogar einzelne Stimmen vernehmen. Er erkannte auch einige Wachtposten, die um das Haupthaus der Hazienda und zwischen den Nebengebäuden patrouillierten. Hopkins wollte kein Risiko eingehen. Wes Montgomery lächelte hart. Bis hierher hatte er es geschafft. Und er wollte noch mehr erreichen. Der hagere Mann war ganz ruhig geworden. Nicht einmal sein Herzschlag ging schneller. Er wußte, daß es bald um alles gehen würde. Entweder konnte er diesen Kampf für sich entscheiden, oder er würde sterben müssen.
Einen anderen Weg gab es kaum. Wo befanden sich die beiden Gefangenen? Wohin hatte sie der letzte Mann des Killertrios geschleppt? Er schlich weiter. Lobo war plötzlich verschwunden. Vielleicht behagten ihm die vielen Menschen und die lodernden Flammen nicht. Montgomery schob sich durch das hüfthohe Gras, erreichte einige Büsche, die ihm gute Deckung gaben. Plötzlich sah er einen dunklen Schatten, der sich zwischen zwei Bäumen hervorschob und der aufmerksam herüberspähte. War er entdeckt worden? Schweiß bildete sich auf Wes Montgomerys Stirn. Sollte in letzter Sekunde alles verloren sein? Er duckte sich noch tiefer, spähte zu dem Mann hinüber, der unentschlossen stehengeblieben war, sich jedoch dann langsam in Bewegung setzte. Er kam genau auf den Platz zu, an dem sich der hagere Mann versteckt hatte. Wes Montgomery hielt den Atem an. Der hagere Mann konnte noch immer hoffen, denn der Wächter hatte noch keinen Alarm gegeben. Anscheinend war er sich seiner Sache nicht sicher und wollte sich durch einen falschen Alarm nicht bei seinen Gefährten blamieren. Trotzdem würde es hart werden. Montgomery wußte es. Der Wächter würde nicht ahnungslos in die Falle tappen. Die Schritte kamen näher. Wes machte sich noch kleiner, verschmolz ganz mit dem Boden. Dann spannte sich sein Körper zum Sprung. Er mußte auf jedem Fall dem Wachtposten zuvorkommen. Der Mann war jetzt heran. Montgomery konnte deutlich seine funkelnden Augen sehen. Der Mann war kein Mexikaner, trug seinen Revolver tief am Oberschenkel. Er spähte zwischen die Blätter, konnte jedoch den hageren Mann nicht entdecken.
Wes hatte den Atem angehalten, hoffte, daß der Hombre endlich wieder verschwinden würde. Der Mann gab nicht auf. Er trat noch näher und stocherte mit dem Lauf der Winchester in den Busch hinein. Dicht neben Montgomerys Kopf knallte der Gewehrlauf gegen den Boden. Wes unterdrückte ein Stöhnen, doch dann handelte er. Er packte den Lauf des Gewehres und zog mit seiner ganzen Kraft. Der Wächter wurde förmlich in das Gebüsch hineingerissen und war so überrascht, daß er nicht einmal einen Schrei ausstieß. Alles andere war einfach. Wes schlug dem Stürzenden die Handkante gegen den Hals. Mit einem leisen Röcheln blieb der Mann liegen. Wes lauschte in die Nacht. Waren auch diese Geräusche ungehört verhallt? Er hoffte es. Es knackte immer wieder einmal in den Büschen. Auch andere Geräusche wurden von Kleintieren und Vögeln verursacht. Er fesselte den Bewußtlosen, knebelte ihn und zog ihn tiefer in das Dickicht. Dann schlich Wes weiter. Hundert Yards hatte er noch bis zum Haupthaus der Hazienda zu überbrücken. Dann sah er die gefangene Caroline. Dicht hinter dem Feuer war sie an einem Pfahl angebunden worden. Ihre Augen waren geschlossen. Das lange rote Haar glänzte unter den zuckenden Flammen wie poliertes Kupfer. Bleich leuchtete das Gesicht der schönen Frau. Ihre Kleidung war zerrissen. Es sah gerade so aus, als wäre man nicht besonders zimperlich mit Caroline umgegangen. Eine heiße Wut stieg in Wes Montgomery auf. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Brennender Haß ließ seinen hageren Körper für Sekundenbruchteile erbeben. Dann hatte sich Wes wieder unter Kontrolle. Von dem zweijährigen Wesley konnte Montgomery nichts entdecken. Bestimmt befand sich das Kind im Innern des
Hauses und schlief. Es würde von diesem grausamen Geschehen nicht viel mitbekommen haben. Von Hopkins war nichts zu sehen. Wes erinnerte sich an die Beschreibung. Er würde den kleingewachsenen Mörder sofort erkennen. Wes dachte an die riesige Stirnglatze des Hombres und an die Hasenscharte am Mund. Er mußte Hopkins haben. An Caroline würde er ungesehen nicht herankommen und dann sämtliche Schießer am Hals haben. Es mußte ihm gelingen, den Trumpf von Hopkins zunichte zu machen. Wenn es Wes Montgomery gelang, Hopkins zu bekommen, dann würde er Caroline freilassen müssen. Minuten vergingen. Drüben am flackernden Lagerfeuer gab es eine Art Wachablösung. Ein Dutzend Männer war aus einem flachen Gebäude getreten. Einige gähnten, andere zogen sich noch an. Die am Feuer kauernden Hombres und auch einige der Wachtposten verschwanden. Die Zeit wurde knapp. Bestimmt würde man bald die von Wes niedergeschlagenen Männer vermissen. Dann wußte man, daß er sich hier aufhielt. Wes schlich weiter. Er wollte den aufklingenden Lärm der Wachablösung für sich ausnutzen. In diesen Sekunden lauerte man nicht auf jedes Geräusch. Außerdem waren auch noch ein paar Wächter aus ihren Schlupfwinkeln gekommen, von deren Existenz Wes vorher keine Ahnung gehabt hatte. Die Zeit war günstig. Wes Montgomery schaffte es, bis an die Rückwand des Hauses zu gelangen. Er versteckte das Gewehr unter einem Strauch, lief weiter, suchte nach einer Möglichkeit, ins Haus zu gelangen. Alle Fenster und Türen waren verschlossen. Dann mußte sich Wes blitzschnell unsichtbar machen, denn ein Wachtposten kam ums Haus. Er lief dicht an dem hageren Mann vorbei, ohne ihn zu sehen. Plötzlich vernahm Montgomery einen gellenden Schrei, der nur von einer Frau stammen konnte.
Caroline! Kalte und heiße Schauer überfluteten den Körper des mutigen Mannes, der sich bis hierher in die Höhle des Löwen gewagt hatte. Er spähte um die Hausecke. Es war wirklich Caroline gewesen, die diesen Schrei ausgestoßen hatte. Einige Männer waren damit beschäftigt, die junge Frau loszubinden. Wenige Schritte entfernt stand Hal Hopkins. Über sein häßliches Gesicht lief ein breites Lachen. Er hatte beide Arme in die Hüften gestützt und blickte seinen Leuten zufrieden zu. Wes hatte keine Chance, um eingreifen zu können. Er wäre nicht weit gekommen. So behielt sein Verstand die Kontrolle über seinen Körper und verhinderte eine Unbesonnenheit »Bringt mir das Täubchen ins Haus«, rief Hopkins. Seine Stimme klang hohl und schrill. »Ich will sie mir ein wenig vornehmen, ehe dieser Hundesohn von Montgomery kommt. Du hast doch nichts dagegen, wenn wir ein wenig Spaß miteinander haben, mein Engel?« Er lachte siegessicher, ganz so wie ein Mann, dem überhaupt nichts mehr geschehen konnte und dessen Sieg nur noch eine Frage der Zeit war. Die Männer hatten das sich sträubende Mädchen bis dicht vor den Mörder gezerrt. Caroline spuckte ihm mitten ins Gesicht. Das Gelächter brach ab, dann schnellte seine Hand nach vorn und traf klatschend Carolines Wange. Der Kopf der Frau wurde zurückgeworfen. Tränen netzten ihre bleichen Wangen, doch kein Schmerzenslaut kam von ihren zusammengepreßten Lippen. »Bringt sie ins Haus«, knurrte der Bandit. »Los, Leute, ihr werde ich gleich die Überheblichkeit austreiben. Die wird mir in spätestens einer halben Stunde aus der Hand fressen.« Hal Hopkins lachte wieder siegessicher.
Wes Montgomery hatte genug gesehen. Er eilte zur Rückseite des Hauptgebäudes, konnte gerade noch dem Wachtposten ausweichen, der neugierig nach vorn eilte, um nichts zu versäumen. Der hagere Mann handelte sofort. Er drückte eine Scheibe eines Kellerfensters ein, hoffte, daß dieses nicht von einem Wächter bemerkt werden würde. Dann war er im Innern des Hauses. Dunkelheit hüllte ihn ein. Wes versuchte, sich zu orientieren, erkannte auch bald die schwachen Umrisse einer Tür. Knarrend wich sie zurück. Wes stieg vorsichtig eine Treppe empor, die auch verschiedene Geräusche von sich gab. Von irgendwoher klang Lärm. Es waren die Männer, die Caroline ins Haus zerrten. Wes hätte keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können. Wie ein lautloses Phantom bewegte er sich den Gang entlang. Schritte kamen näher. Suchend sah sich der hagere Mann um, entdeckte eine angelehnte Tür und schlüpfte hinein. Vorsichtig sah er sich um, entdeckte ein Bett und eine winzige Gestalt auf dem Laken. Montgomery trat näher und stand vor dem kleinen Wesley, der fest schlief. Die Schritte vor der Tür wurden lauter. Wes vernahm den schnellgehenden Atem einiger Männer und ein gequältes Stöhnen, das nur von Caroline stammen konnte. Der hagere Mann preßte sich gegen die Wand. Der Revolver in seiner Hand war auf die Tür gerichtet. Er atmete auf, als der Trupp vorbeiging. Wes Montgomery spähte zur Tür hinaus, sah drei Männer – darunter Hal Hopkins – und die schöne Frau, die versuchte, sich gegen die eisernen Griffe der beiden anderen Männer zu wehren. Der Trupp hielt jetzt vor einer Tür. Hopkins öffnete diese, und Caroline wurde in das Zimmer hineingestoßen. Der
Banditenboß wandte sich an seine beiden Wachthunde. »Geht nur, Jungs. Ich werde mit der kleinen Tigerkatze schon allein fertig. Achtet gut darauf, daß ihr diesen Hundesohn von Montgomery erwischt. Denkt an die Prämie, Jungs!« Die Männer nickten und setzten sich grinsend in Bewegung. Sie ahnten nicht, wie nahe sie an Montgomery vorbeigingen, der sich wieder in das Zimmer zurückgezogen hatte. Die Schritte verklangen. Gleich darauf gellte Carolines schriller Schrei durch das Haus. Wes Montgomery setzte sich wie ein Panther in Bewegung. Die Stunde der Abrechnung war gekommen. *** Caroline wußte sich zu wehren. Die Geräusche, die aus dem Zimmer drangen, sprachen dafür. Wes Montgomery stand vor der geschlossenen Tür. Sein Herz hämmerte hart. Der heiße Zorn wollte sich nicht legen. Caroline schrie. Sie mußte in großer Not sein. Wes Montgomery wollte die Tür öffnen, als er ein Geräusch hinter sich vernahm. Ehe er herumwirbeln konnte, spürte er den harten Druck eines Revolvers in seinem Rücken. Für Sekundenbruchteile war er wie gelähmt. Ein eiskalter Atem schien seinen Körper zu streifen und diesen erbarmungslos in den Klauen zu halten. Ein spöttisches Lachen tönte hinter ihm auf. Der Druck des Colts verstärkte sich. »Beweg dich nur nicht, Hombre«, sagte eine eiskalte Stimme. »Nur eine falsche Bewegung, dann bist du ein toter Dummkopf, Amigo. Los, nimm schon die Patschehändchen hoch!«
Wes hatte keine andere Wahl. Die Arme glitten in Schulterhöhe, trotzdem hielt er noch immer seinen Revolver in der rechten Faust. Wes wußte nicht, ob dies der Fremde in seinem Rücken in der Dunkelheit des Ganges übersehen hatte. Aus dem Zimmer kamen wieder Geräusche, so als würde dort eine Art Hetzjagd veranstaltet. Gegenstände polterten zu Boden. Carolines ängstliche Stimme war zu hören, dann ertönte das spöttische Lachen von Hopkins. »Du kannst doch jetzt nicht stören, Amigo«, sagte der Mann hinter ihm. »Der Boß will diese Puta ein wenig herannehmen. Ist doch nicht weiter schlimm, wenn er ein wenig Spaß haben will.« Wes stand noch immer wie erstarrt. Der Druck der Waffe in seinem Rücken blieb nach wie vor. Er spürte den heißen Atem seines Gegners im Nacken. »Wir können jetzt nicht stören, Amigo mio. Lauf nur langsam weiter. Die Jungs draußen werden sich freuen, daß wir dich endlich haben. Tag und Nacht Wache schieben ist auch nicht jedermanns Sache. Und wir machen es nun schon fast vierzehn Tage.« Wes setzte sich langsam in Bewegung. Bis zur Tür, die ins Freie führte, waren es ungefähr zwanzig Yards. Wes Montgomery wußte, daß er es innerhalb dieser Distanz schaffen mußte, den Burschen hinter sich zu erledigen, sonst hatte er das Spiel verloren. Wenn erst die anderen Männer von Hopkins eingriffen, dann war es aus und vorbei mit ihm. Sein Gegner war jedoch ein erfahrener Mann, der genau den richtigen Abstand hielt. Wes würde es nicht gelingen, nach hinten auszutreten und so den Burschen außer Gefecht zu setzen. Die Nerven des hageren Mannes waren zum Zerreißen gespannt. Die Schweißschicht auf seinem Gesicht hatte sich
verstärkt. Der dumpfe Druck in seinem Magen verstärkte sich. Noch zehn Yards. Wes lief langsamer, der Mann in seinem Rücken verringerte ebenfalls seine Schrittgeschwindigkeit. Es wurde heller. In diesem Moment mußte der Hopkins-Mann den Revolver erkannt haben, den Montgomery noch immer in der erhobenen Hand hielt. Für einen kurzen Augenblick verschlug es dem Schießer den Atem. »Stop«, keuchte er plötzlich. Wes blieb stehen. Wieder bohrte sich der Revolverlauf hart in seinen Rücken, dann wurde dem hageren Mann der Revolver aus der Hand gewunden. Wes Montgomery trat in dieser Sekunde wie ein gereizter Mustang nach hinten aus, doch er erwischte den Hombre nicht, der bereits wieder zurückgesprungen war. Ein spöttisches Gelächter schallte zu Wes herüber. »Versuch das nur nicht noch mal, du Bastard«, knarrte die rauhe Stimme seines Bezwingers. »So, geh weiter, Amigo. Meine Freunde da draußen werden Augen machen, wenn sie...« Seine Worte gingen in einem Gurgeln unter. Dann klang ein Stöhnen auf, das Wes durch Mark und Bein ging. Ein Gegenstand polterte zu Boden, dann plumpste ein noch schwererer Gegenstand zu Boden. Wes Montgomery war herumgefahren. Sein Herzschlag schien für einen kurzen Moment stillzustehen, dann warf er sich nach vorn auf den Schießer zu, der am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Lobo, der Wolf, stand über ihn gebeugt. Sein wildes Knurren tönte durch den Gang. Wes konnte an dem Leibwächter von Hopkins keine Verletzung feststellen. Das plötzliche Auftauchen des Wolfes mußte den Schießer dermaßen erschreckt haben, daß er ohnmächtig geworden war.
Wes strich fast zärtlich durch das struppige und schmutzige Fell des Tieres, das wieder einmal genau im richtigen Moment eingegriffen hatte. Dann eilte der hagere Mann weiter, auf die Tür zu, hinter der Caroline in diesem Moment schon wieder schrie. Ihre Schreie gingen in ein klagendes Wimmern über. Unterwegs hatte Wes seinen Revolver aufgehoben, über den er gestolpert war. Wes Montgomery stieß die Tür so weit und so hart auf, daß sie gegen die Wand knallte. Der hagere Mann stürmte ins Zimmer. Auf dem breiten Bett sah er zwei Körper. Caroline schrie immer noch, wehrte sich gegen den Mörderboß, doch ihre Kräfte drohten zu erlahmen. Wes sah, daß er wirklich in letzter Sekunde gekommen war. Hal Hopkins wandte ihm jetzt sein häßliches Pferdegesicht zu. Jähes Entsetzen überfiel den letzten Mann des Mördertrios. Er sah die auf sich gerichtete Waffe, stieß einen Schrei aus und ließ die schreiende Frau los. Wes Montgomery wagte nicht zu schießen, denn es bestand die Gefahr, Caroline zu treffen. Und dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Er hatte natürlich nicht mit der Cleverness von Hopkins gerechnet, denn dieser sprang nicht aus dem Bett, wie es Montgomery angenommen hatte, sondern er riß seinen Revolver aus dem Gürtel, der über dem Stuhl hing, und richtete den Lauf auf die erstarrte Caroline, die erst in diesem Augenblick den hageren Mann entdeckt hatte. Die Mündung von Hal Hopkins' Revolver preßte sich hart gegen den Kopf der schönen Frau. Das siegessichere Lächeln auf dem Gesicht des Killers brachte Wes zur Raserei. Er hatte keine Augen für den Anblick, den Caroline bot. Er sah nur in das hämisch feixende Gesicht von Hopkins, der nun wieder alle Trümpfe in der Hand hielt.
»Laß fallen, Montgomery«, zischte der Mörder dann scharf. »Laß fallen, sonst lege ich die Puppe um!« Wes glaubte ihm, trotzdem ließ er seinen Revolver nicht sinken. Haßerfüllt starrten sich die beiden unerbittlichen Gegner an. »Du glaubst wohl, daß ich Spaß mache«, knurrte Hopkins. »Gut, du hast es geschafft, bis zu mir vorzudringen, ohne von meinen Männern geschnappt zu werden. Doch nun ist Schluß. Ein Mann sollte wissen, wann er seinen letzten Chip verspielt hat.« Wes Montgomery lächelte in diesem Augenblick, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. »Wenn du der Lady auch nur ein Haar krümmst, du Bastard, dann bist du selbst ein toter Mann«, sagte Wes Montgomery und wunderte sich selbst über die fast unnatürliche Ruhe in seiner Stimme. Hal Hopkins grinste nur. Furchtlos blickte er in die Mündung des auf ihn gerichteten Revolvers. Dann zuckte er mit den Schultern. »Kommt ganz darauf an, wieviel dir das Leben von diesem hübschen Kind wert ist. Hat sich ganz schön wild aufgeführt, die Kleine.« Er grinste gemein. Carolines Gesicht hatte sich mit einer tiefen Röte überzogen. Ihre Augen flackerten. Wes sah die große Angst, die den Körper der schönen Frau beben ließ. Sie bewegte sich noch immer nicht. Im gewissen Sinn stand die Partie hier unentschieden, obwohl Wes Montgomery dabei die schlechteren Karten besaß. Er würde niemals das Leben einer Frau in Gefahr bringen, nur um seine eigenen Interessen durchzusetzen. »Also, was ist los?« bellte die Stimme des Killers auf. »Meinst du, ich will hier ewig liegenbleiben? Laß dein Eisen
fallen und ergib dich in dein Schicksal. Mit dir werde ich kurzen Prozeß machen, verspreche dir jedoch, daß ich dann diese Frau und den kleinen Kerl laufenlasse. Na, ist das nicht ein prächtiger Vorschlag, mein lieber Montgomery?« Seine Stimme triefte vor Hohn und Spott. Wes' Lippen preßten sich hart aufeinander. Schon wollte er seinen Colt fallen lassen, als sich ein dunkler Schatten in das Zimmer schlich. Wolfsgeheul erschallte. Hal Hopkins zuckte zusammen, als wäre der Leibhaftige persönlich erschienen. Und Caroline zeigte in diesem Augenblick, daß sie eine Frau war, die auch zu kämpfen verstand. Sie nutzte diese Sekunde des Erschreckens bei dem Mörder. Ihre Hand fuhr blitzschnell nach oben und stieß den Revolver mit einem Schrei zur Seite. Der Colt ging zwar los, und die Feuerlanze versengte das kupferne Haar der schönen Frau, doch die Unze Blei fetzte nur in die Rückwand des Bettes. Hal Hopkins, der Mörder, war überrascht worden. Ehe es ihm gelang, seinen Revolver erneut auf die mutige Frau zu richten, war Wes Montgomery heran. Er schoß nicht, sondern schlug mit dem langen Revolverlauf zu. Er traf den Killer am Kopf. Wes hatte aber nicht mit der Zähigkeit dieses Höllenhundes gerechnet. Hal Hopkins gab nicht auf. Aufstöhnend ließ er sich aus dem Bett fallen, während er gellend um Hilfe schrie. Der Ruf mußte von seinen Leuten außerhalb des Hauses bestimmt gehört werden. Wes Montgomery riß seinen Revolver hoch, denn es blieb ihm keine andere Wahl, als zu schießen, denn der Mörder war an den zweiten Colt in seinem Revolvergürtel herangekommen und war im Begriff, die Waffe hochzureißen.
In dieser Sekunde schnellte ein dunkler Schatten durch die Luft. Ein wütendes Geheul ertönte, dann ein gurgelnder und erstickter Laut. Wes ließ die Waffe sinken. Mit bleichem Gesicht wandte er sich Caroline zu, die sich aufgerichtet hatte und einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Der hagere Mann warf noch einen Blick auf Hal Hopkins und sah, daß für den Mörder seines Bruders jede Hilfe zu spät kam. Lobo hatte sich zurückgezogen und kauerte knurrend am Boden. Der Killer hatte sich beim Sturz auf den Boden das Genick gebrochen. Seine Augen starrten blicklos zur Decke. »Raus«, zischte Montgomery. »Wir müssen das Zimmer schnellstens verlassen, denn hier wird gleich die Hölle los sein. Wir müssen rüber in das Zimmer, wo sich der kleine Wesley aufhält, sonst werden uns die anderen Banditen mit dem Kleinen erpressen.« Caroline reagierte sofort. Sie sprang aus dem Bett und folgte dem hageren Mann, der vorneweg lief. Sie vernahmen Schritte und Stimmen. Hal Hopkins' letzter Schrei war nicht ungehört verhallt. Sie rannten über den dunklen Gang. Wes stolperte beinahe, denn Lobo jagte zwischen seinen Beinen hindurch. Am anderen Ende des Ganges tauchten Männer auf. Sie hielten Waffen in den Händen. Die ersten Schüsse peitschten den Gang entlang. Heißes Blei wimmerte heran. Endlich hatten Caroline und Wes Montgomery die Tür erreicht, die in das Zimmer führte, in dem der kleine Sohn des toten Tob Montgomery schlief. Wes warf sich zu Boden und erwiderte aus der Tür das Feuer auf die herankommenden Hopkins-Männer. Zwei von ihnen brachen schreiend zusammen. Die anderen warfen sich zu Boden oder zogen sich zurück. Die Schüsse verstummten. Träge verwehte der Pulverdampf, der dem hageren Mann in
der Kehle kratzte. Er schob sich ins Zimmer zurück und starrte auf Caroline, die sich ein Bettlaken umgehängt hatte. Sie nahm den kleinen Wes aus dem Bett. Das Kerlchen war aufgewacht und schrie. Als er Caroline erkannte, klammerte er sich fest an die schöne Frau. Seine Tränen versiegten, als Caroline tröstend auf ihn einredete. Stimmengewirr und wütende Schreie ertönten auf dem Gang. Jemand mußte den toten Hopkins gefunden haben. Wes hatte seinen Revolver aufgeladen. Er hatte keine andere Wahl, als abzuwarten. Vielleicht gaben die Burschen auf, wenn sie sich erst mit dem Gedanken vertraut gemacht hatten, daß ihr Boß tot war und es sich nicht mehr lohnte, ohne Bezahlung zu kämpfen. Wes spähte wieder zur Tür hinaus. Er erkannte einige Männer am Ende des Ganges, die erregt miteinander diskutierten. Montgomery konnte leider nicht verstehen, worüber die Burschen sich dort unterhielten. Als sie seinen Kopf entdeckten, wandten sie sich ihm alle wie auf Kommando zu. Für einige Augenblicke herrschte ein tödliches Schweigen, dann ergriff Wes Montgomery die Initiative. »Hört zu, Leute«, rief er. »Ich bin Wes Montgomery, der Mann, auf den ihr alle so lange gelauert habt. Euer Boß ist tot, denn er wehrte sich bis zuletzt. Er wird euch keinen lausigen Cent mehr zahlen. Es liegt jetzt an euch, ob ihr euch mit einem blauen Auge aus der Affäre ziehen wollt. Laßt uns in Frieden und verschwindet.« Die Banditen schwiegen. Deutlich merkte man ihnen an, daß der Boß fehlte. Jetzt waren sie nur ein zusammengewürfelter Haufen, der es gewohnt war, sonst nur zu gehorchen. »Überlegt nicht lange, Leute. Wenn ihr angreift, dann erwischt es eine ganze Reihe von euch. Warum wollt ihr eure Haut zu Markte tragen, wo schon längst für euren ehemaligen
Boß alles verloren und vorbei ist?« Die Worte des hageren Mannes hatten Eindruck gemacht. Trotzdem war noch keine Entscheidung gefallen. Doch diese Entscheidung wurde den rauhen Burschen in diesem Moment abgenommen. Eine harte Stimme erschallte. »Gebt auf, Jungs. Hier spricht Sheriff Donovan. Das Haus ist von mexikanischen Rurales umstellt. Hier kommt keine Maus ungesehen mehr raus. Alle Wachtposten wurden überwältigt. Ihr habt nur eine einzige Möglichkeit: Ergebt euch, sonst gibt es ein Blutvergießen. Mehr habe ich nicht zu sagen!« Diese Worte schlugen wie eine Bombe ein. Wes Montgomery fiel eine Zentnerlast von der Seele. Er legte Caroline seinen Arm um die Schulter, die sich fest an ihn schmiegte. Ihre Augen strahlten. »Gerettet«, murmelte sie leise. »Endlich ist dieser grauenhafte Alptraum vorüber.« *** »Ich hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt«, sagte der Sheriff von Redstone und zog an seiner qualmenden Pfeife. »Caroline und der kleine Wes wurden entführt, und das konnte ich mir einfach nicht gefallen lassen.« Er lächelte. Wes und Caroline erwiderten sein Lächeln. Sie saßen alle drei auf der großen Terrasse der Hazienda. Das Grau des beginnenden Tages besiegte die Schatten der Nacht. Es war nebelig und feucht, doch dies störte die drei Menschen nicht. Die mexikanischen Polizisten hatten sämtliche Burschen von Hal Hopkins' rauher Horde eingesammelt und festgenommen. Es war zu keinem Kampf mehr gekommen. Die Hombres
hatten sich ihre Niederlage eingestehen müssen und sich ergeben. Einige von ihnen würden mit Sicherheit hinter Gitter wandern. Der Teniente der mexikanischen Rurales hatte manchmal genickt, als er einen der Kerle erkannte. »Also weiter«, fuhr der grauköpfige Sheriff fort. »Ich folgte der Fährte bis zur Grenze. Dann gelang es mir, die mexikanische Polizei für die Sache zu interessieren. Trotzdem wäre ich zu spät gekommen, wenn du nicht alles so bravourös in die Hände genommen hättest.« Er nickte dem hageren Mann anerkennend zu. Wes Montgomery zuckte nur mit den Schultern. »Ich hatte eine ganze Menge Glück«, sagte er. »Und ohne Lobo würde ich schon längst einige Fuß unter der Erde liegen.« Alle starrten auf den Wolf, der am Boden lag und geduldig ertrug, daß der kleine Wesley auf ihm herumturnte. Auch der Sheriff schüttelte den Kopf. »Wenn ich das irgend jemandem später erzähle, wird man mich für einen Lügner halten.« Alle lachten. Lobo hob den Kopf und erhob sich. Der kleine Wesley purzelte zu Boden und wurde von Caroline schnell aufgehoben. Der Wolf machte ein paar Schritte auf Wes zu, heulte kurz auf und verschwand im Dämmerlicht des beginnenden Tages. »Eingebildet ist er auch noch«, jammerte der Sheriff. »Bestimmt glaubte er, daß wir über ihn lachen.« »Lobo kommt wieder«, sagte Wes. »Trotz allem ist er ein wildes Tier geblieben, das sich keine Zwänge auferlegen läßt. Doch ich glaube, daß wir ihm alle sehr viel zu verdanken haben.« Sie nickten. Wes Montgomerys zärtlicher Blick ruhte für einige Augenblicke auf Caroline, die den kleinen Wesley fest an sich gedrückt hielt, so, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
»Wir werden bald aufbrechen«, sagte Montgomery plötzlich. »Ich muß noch mit der mexikanischen Polizei sprechen.« Sheriff Donovan und auch Caroline sahen ihn neugierig an, doch der hagere Mann schüttelte den Kopf. Er dachte daran, daß er die Angelegenheit mit den fünfzigtausend Dollar noch regeln mußte, die die Bank zurückerhalten sollte. Er blickte Caroline tief in die Augen. Die schöne Frau errötete leicht. »Mein Angebot gilt immer noch«, sagte Wes Montgomery. »Meine Ranch in Texas wartet auf dich, Caroline. Auf dich, den kleinen Wesley und auf deine Eltern. Na, willst du es dir nicht noch überlegen und mitkommen?« Sheriff Donovan erhob sich plötzlich. Mit unverständlichem Gemurmel verschwand er in Richtung des Haupthauses. Wes sah ihm mit einem feinen Lächeln hinterher. Dann fiel sein Blick wieder auf die schöne Frau. »Komm mit, Caroline«, sagte er mit viel Wärme in der Stimme. »Wir sollten es miteinander versuchen. Gib uns eine Chance. Schon diesem Dreikäsehoch zuliebe. Ich...« Sie unterbrach ihn mit ruhiger Stimme. »Wenn du mich willst, Wes, dann folge ich dir bis ans Ende der Welt. Ich habe dich vom ersten Moment an gemocht, als ich dich gesehen habe.« Wes Montgomery trat lächelnd auf Caroline zu und schloß sie in seine Arme. ENDE