Zärtliche Worte flüstert der Wind Anne Mather
Mittelmeerträume 62 / 3
2 1999
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Zärtliche Worte flüstert der Wind Anne Mather
Mittelmeerträume 62 / 3
2 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von Geisha0816
Vor fünf Jahren erlebte Laura Fleming die schlimmste Enttäuschung ihres Lebens. Ihre große Liebe Raphael verließ sie, um nach Spanien zurückzukehren und Elena, die Frau, die seine Familie für ihn ausgesucht hat, zu heiraten. Es hat lange gedauert, bis Laura ihren Schmerz überwand. Als sie eine Anzeige in der Zeitung findet, daß Rafael für seinen kle inen Sohn eine Erzieherin sucht, bewirbt sie sich. Seine Tante, die das Gespräch führt, stellt Laura sofort ein. Aufgeregt reist sie auf den Landsitz nach Spanien, wo sie ein kühler Empfang erwartet. Rafael, der vor einiger Zeit seine Frau verlor, scheint keineswegs begeistert Ober ihre Einstellung. Trotzdem spürt Laura, daß sie ihm nicht gleichgültig ist - gibt es ein neues Glück für sie?
1. KAPITEL Die prächtige Fassade des Hotels lag der großen Grünfläche des Parks zugewandt. Das Eingangsportal aber befand sich an der Seite in einer Sackgasse, als wolle es sich schützen vor unwillkommenen Gästen. Es ist diese Art von Hotels, die einschüchtern, die überwältigend die eigene Bedeutungslosigkeit spüren lassen, dachte Laura. Entschlossen stieg sie die Stufen zum Portal hinauf. Sie lächelte dem uniformierten Portier zu, als er ihr die Tür öffnete, und trat in eine Welt aus flaschengrünen Teppichen und hellbraunem Holz. Hinter der Tür zögerte Laura. Sie blickte zu der hochmodernen Rezeption, von wo ihr eine elegante Empfangsdame fragend entgegensah. Laura gab sich einen Ruck und schritt über den weichen Teppich auf sie zu. "Mein Name ist Laura Fleming. Ich habe eine Verabredung mit Senora Madralena." "O ja, Miss Fleming". Die Empfangsdame nickte und schaute in ein Notizbuch. "Ihre Verabredung ist um drei Uhr, nicht wahr?" "Ja, richtig." Laura überlegte schnell, ob sie etwa schon zu spät gekommen war. Aber die Empfangsdame deutete auf die Uhr. "Es ist jetzt fünf Minuten vor drei. Bitte nehmen Sie noch einen Augenblick
Platz. Die Senora ruht immer nach dem Essen. Ich werde der Gesellschafterin melden, daß Sie gekommen sind." "Ja, danke", sagte Laura lächelnd. Sie trat ein paar Schritte zurück und ließ sich in einen tiefen Sessel fallen. Sie war froh über diesen kurzen Zeitaufschub, denn jetzt begann sie doch etwas nervös zu werden. Mit leicht bebenden Fingern nahm sie eine Zigarette aus ihrer Handtasche und zündete sie an. Tief inhalierte sie den Rauch. Nervtötend dieses Herumsitzen, dachte Laura, verrückt muß ich gewesen sein. Da saß sie nun in diesem Luxushotel, um sich jemandem vorzustellen, bei dem sie gar nicht arbeiten wollte. Sie hatte doch einen guten Job. Wie hatte sie sich nur auf diese Annonce in der "Times" melden können? Und wenn Senora Madralena tatsächlich die Dame ist, überlegte sie weiter, die ich vermute - was mache ich dann? Aber Neugierde und so viele andere ungeklärte Dinge waren stärker gewesen als ihre Vernunft. Impulsiv wie sie war, hatte sie angerufen und um einen Gesprächstermin gebeten. Sie stand auf und ging ein paar Schritte. Was sollte sie antworten, wenn Senora Madralena ihr die Stelle wirklich anbot? Welche Entschuldigung könnte sie angeben, wenn sie ablehnte? Immerhin war es möglich, daß Raphael ihren Namen bei seiner Frau erwähnt hatte. In diesem Fall könnte es sogar zu einer Szene kommen. Gräßlicher Gedanke. Sie preßte die Handflächen aneinander. Noch war Zeit, noch konnte sie umkehren und das Hotel verlassen, als wäre nichts geschehen. Die Senora kannte nur ihren Namen, nichts weiter. Laura starrte hinaus auf die sonnige Straße - warum ging sie nicht? Welche dumme, sentimentale Schwäche zwang sie zu bleiben? Und dann war es zu spät. "Miss Fleming?" Erschrocken fuhr Laura herum und stand einer schlanken jungen Frau gegenüber, die wesentlich kleiner war als sie.
Farblos und unaufdringlich, ja beinahe altmodisch gekleidet, hatte sie ihr volles dunkles Haar zu einem festen Knoten geschlungen. In ihren Augen lag ein Ausdruck von Erstaunen und dünner Feindseligkeit. Laura vermutete, daß ihre Erscheinung und ihr rot leuchtendes Haar Anlaß für diesen mißbilligenden Blick war. "Ja, ich bin Laura Fleming." Sie streckte der jungen Frau die Hand entgegen. "Ich heiße Rosetta Burgos", antwortete die andere langsam, "Gesellschafterin von Senora Madralena. Ich möchte Sie zu den Räumen der Senora geleiten, sie hat sich nach dem Essen ein wenig hingelegt. Siesta, Sie verstehen?" Kühl und distanziert war die Stimme. Laura glaubte plötzlich, sich gar keine Gedanken mehr machen zu müssen. Wenn Rosetta Burgos auch nur den geringsten Einfluß hatte, gab es für sie keine Chance, diese Stellung zu bekommen. Im Lift, der sie zum Apartment der Senora brachte, konnte Laura sich nicht genug wundern. Weshalb brauchte Raphaels Frau eine Gesellschafterin? Raphael war doch wirklich Gesellschaft genug. Es sei denn - der Gedanke kam ungewollt -, sie lebten getrennt. Aber nein! Das war unwahrscheinlich. Raphael war nicht der Typ Mann, der absentiert leben konnte. Irgendeine Situation hätte ihn herausgefordert. Hatte nicht sie selbst seinen eisernen Willen zu spüren bekommen, seine absolute Unfähigkeit nachzugeben, wenn ihm irgend etwas zuwider war? Senora Madralenas Apartment lag im zweiten Stock. Die Fahrstuhltüren glitten auf, und Laura folgte Rosetta Burgos mit weichen Knien, hoffend, daß sie diese Prüfung gut überstehen möge. Durch eine weißlackierte Tür betraten sie eine komfortable Wohndiele. Rosetta bat Laura Platz zu nehmen, während sie der Senora melden wolle, daß sie angekommen sei. Laura setzte sich auf einen Stuhl im Regency-Stil mit hoher Rückenlehne. Sie fühlte sich gänzlich fehl am Platz unter all den
Zeugen vergangener Jahrhunderte. Rosetta Burgos paßte viel besser hierher. Ihr gravitätisches Benehmen, der Schnitt ihres Kleides, alles an ihr schien viktorianisch. Laura konnte nur hoffen, daß der Lebensstil in Spanien nicht ebenso kalt und unpersönlich war. An der anderen Seite des Raumes öffnete sich eine Tür. Laura sprang hastig auf, als eine ältere Dame den Raum betrat. Sie stützte sich auf einen Ebenholzstock. Trotz ihrer Zartheit und offensichtlichen Gebrechlichkeit strahlte diese Frau eine respektfordernde Würde aus. Rosetta Burgos führte die Dame zu einem Sofa und blieb dann wie eine Statue neben ihr stehen. Laura runzelte die Stirn. Dies konnte nicht Raphaels Frau sein! Wahrscheinlich war der Name doch nicht so selten, wie sie geglaubt hatte. Wie kam sie nur aus dieser Situation heraus, bevor es größere Probleme gab? Die ältere Dame betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit. Es waren nicht gerade beifällige Blicke, aber es lag wenigstens keine offene Feindschaft darin wie in denen Rosettas. "Miss Laura Fleming?" fragte sie mit starkem Akzent. Laura nickte. "Ja, Madame." "Ich bin Luisa "Madralena. Bitte nehmen Sie doch wieder Platz. Ich freue mich, daß Sie gekommen sind." Laura setzte sich. Ihre Finger spielten unruhig mit dem Lederriemen ihrer Handtasche. Sie wartete auf die unausbleiblichen Fragen. Aber die Senora schien sich die Fragen noch aufzuheben, denn sie sagte: "Sie haben meine Annonce in der Times gelesen, Miss Fleming. Wir suchen eine Erzieherin für meinen Großneffen, der jetzt vier Jahre alt ist." "Für Ihren Großneffen?" wiederholte Laura leise. Ihr Puls ging ein wenig schneller. "Ja, für meinen Großneffen Carlos. Mein Neffe ist Witwer. Der Kleine wird von einer älteren Kinderfrau betreut. Wir wünschen für ihn eine Erzieherin, die sein Englisch erweitert,
ihm das Lesen und einige Zahlen beibringt. Sie wissen sicher, wie ich es meine." Laura schluckte. Es fiel ihr schwer, sich auf das zu konzentrieren, was die Senora sagte. "Ja, ich verstehe." "Gut. Diese Stellung ist eine feste Verpflichtung. Wenn Carlos alt genug ist, kommt er selbstverständlich auf ein College. Das setzt der Position zeitliche Grenzen. Weitere Kinder, die eine Erzieherin brauchen, wird es in der Familie nicht geben." "Ja, sicher." Laura nickte. "Und ... die Familie lebt in Spanien?" "Ja." Senora Madralena spielte mit dem Knauf ihres Stockes. "Da liegt nun unser Problem." "Wieso, bitte?" Laura war gespannt. "Miss Fleming, wir wohnen in Andalusien. Für mich ist es der schönste Teil Spaniens. Ein herrliches Gebiet. Doch ich bin befangen. Ich bin selbst Andalusierin." "Ich verstehe Sie gut, Senora." "Andalusien ist nicht Madrid oder Barcelona. Und Costal, hier hat mein Neffe seinen Besitz, ist ein sehr abgelegener Ort. Es gibt nur eine Straße, sie fährt hinein und wieder heraus. Was ich sagen will, Miss Fleming: Es gibt keine Geschäfte, keine Kinos, keine Vergnügungen irgendwelcher Art. Natürlich kann man fischen oder schwimmen, doch führt man bei uns nicht das Leben, das eine moderne junge Engländerin gewöhnt ist." Lauras Handflächen waren feucht geworden. Raphaels Frau war tot. Er war Witwer. Dieser Gedanke begann sich in ihrem Kopf festzusetzen. Das alles war schrecklich, doch eine unsinnige kleine Hoffnung begann in ihr zu wachsen. Es gab jetzt auch keinen Zweifel mehr. Der Ort Costal war ihr durch Erzählungen von Raphael ganz deutlich in Erinnerung. Sie war aus Neugierde hergekommen. Um zu erfahren, wie es Raphael seit ihrer Trennung vor fünf Jahren ergangen war. Sie brauchte gar keine Stellung! Ihre Arbeit an der Privatschule für
Vorschulkinder war erfolgreich. Sie hatte dort beste Chancen. All ihre Freunde lebten in London. Warum suchte sie so beharrlich nach einer Entschuldigung, um diese Stellung eventuell doch anzunehmen? Raphael Madralena hatte sie vor fünf Jahren verlassen und jede Verbindung abgebrochen. Er hatte nach Spanien zurück gemußt, um Elena Marques zu heiraten, mit der er seit seiner Kindheit verlobt gewesen war. Seine Beziehung zu Laura war sehr leidenschaftlich gewesen, doch seine Zuneigung zu ihr wurde letzten Endes vom Verstand beherrscht, niemals von seinen Gefühlen. Tatsächlich hatte Laura immer bezweifelt, daß er jemals etwas Unkontrolliertes tun könnte. Er hatte sie verlassen - für immer. Sie fror plötzlich. Hatte sie so wenig Stolz, eine Stellung in seinem Hause anzunehmen, obwohl sie wußte, daß er sie dafür verachten würde? Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Welcher Irrsinn hatte sie dazu verleitet, in dieses Hotel zu kommen? Sie war doch ganz glücklich. Sie ,war unabhängig, und wenn sie jetzt an Raphael dachte, war es nicht mehr so schmerzlich wie am Anfang. Er lebte sein Leben, in einem anderen Land, in einer anderen Atmosphäre. Senora Madralena hatte sie nachdenklich betrachtet. "Geht es Ihnen nicht gut, Miss Fleming?" fragte sie mitfühlend. "Sie sind blaß geworden. Vielleicht ist es die Hitze in diesen Räumen. Rosetta, öffne bitte das Fenster." Rosetta Burgos löste sich aus ihrer Erstarrung und öffnete ein Fenster. Laura befeuchtete ihre Lippen. "Sie ... Sie beschreiben den Besitz Ihres Neffen als einen Ort, der Probleme aufwirft", sagte sie etwas stockend. Senora Madralena seufzte und hob beide Hände in einer resignierenden Geste. "Ja, Miss Fleming, so ist es. Es gab eine Menge Bewerbungen für die Stelle. Die meisten glaubten, Spanien bedeute Urlaub. Die Stellung in unserem Hause
betrachteten sie als eine Art Ruheposten. Diese Bewerbungen mußten wir zurückweisen. Einige haben uns auch abgeschrieben. Um ehrlich zu sein, ich hatte eigentlich an jemanden gedacht, der etwas älter wäre und sich nicht gleich in den erstbesten Spanier verliebt, der Komplimente macht. Unsere spanischen Männer können unerhört charmant sein, aber selten sind sie ernst zu nehmen." Bei den Worten der Senora fühlte Laura einen Stich. Sollte sie gewarnt werden, daß auch ihr so etwas passieren könne? "Ja, ich begreife", kam es hastig von ihren Lippen. "So fand ich also viele Bewerberinnen unpassend. Andere wieder, die ich gern genommen hätte, fürchteten die Einsamkeit. Sicher ist es nicht einfach für ein junges Mädchen, sich von einer Stadt wie London loszureißen, um in einer Umgebung zu leben, die keinerlei gesellschaftliche Annehmlichkeiten bietet." "Da haben Sie wohl recht", stimmte Laura zu. Immer noch war sie in größter Verlegenheit und im Zweifel mit sich selbst. Sie sollte nicht hier sein. Sie sollte keinesfalls akzeptieren, wenn ihr die Stellung angeboten wurde. Sie mußte Raphael Madralena endlich aus ihrem Leben streichen - ganz und für immer. "Und nun, Miss Fleming", unterbrach die Senora ihre Gedanken, "kommen wir zu Ihnen und Ihren Fähigkeiten." Laura zuckte zusammen. "O ja, natürlich. Zur Zeit arbeite ich als Erzieherin an einer Privatschule für Vier- bis Sechsjährige, einer Vorschule. Ich habe aber auch schon eine Stellung als Erzieherin in einer Privatfamilie gehabt. Bei den Kindern eines Botschafters an der spanischen Gesandtschaft in London." "Ach wirklich?" Die Senora schien erfreut. "Bei einem Botschafter, sagten Sie? Darf ich seinen Namen wissen?" "Gern. Es war Senor Enrico Valdes." "Enrico! Ein guter Freund unserer Familie! Mein Neffe Raphael war auch einmal längere Zeit in London. Ich weiß, daß er Enrico oft besuchte. Vielleicht sind Sie ihm damals begegnet, Miss Fleming?"
Laura errötete. "Schon möglich." Sie lächelte unsicher. "Sein Name ist Madralena. Don Raphael Madralena. Laura schluckte. "Ja, könnte sein, der Name kommt mir bekannt vor." Wieder fühlte sie die prüfenden, feindseligen Blicke Rosettas, die sich zwar kaum für den gesellschaftlichen Gedankenaustausch der beiden interessierte, dafür aber genau Lauras Reaktionen beobachtete. Ich muß mich zusammennehmen, dachte Laura. Die Angelegenheit wurde immer mühsamer. Am liebsten hätte sie sich mit einer Entschuldigung verabschiedet. Ganz sicher würde die Senora ihrem Neffen berichten, daß sich die ehemalige Erzieherin der Valdes beworben hatte. Was würde er denken? Die alte Dame schnippte mit dem Finger. "Rosetta, wir wollen Tee trinken. Miss Fleming, Sie nehmen doch den Tee mit uns?" "Danke, Senora, gern." Laura blickte auf ihre Hände. "Ist das Interview damit beendet?" Die Senora hob leicht die Schultern. "Was mich betrifft, Miss Fleming, Ihre Tätigkeit im Hause der Valdes ist mir Empfehlung genug. Ob Sie aber die Stellung annehmen wollen - das ist Ihre Entscheidung. Sie waren die letzte auf meiner Liste. Wenn Sie sich negativ entscheiden, reise ich am Wochenende zurück und werde versuchen, in Spanien jemanden zu finden." "Es gibt Agenturen", warf Laura schüchtern ein. "Agenturen wählen nach Methoden aus, die ich nicht akzeptieren kann. Beste Referenzen, gute Ausbildung und Qualitäten garantieren noch lange nicht für die richtige Persönlichkeit. Ich ziehe es vor, selbst zu wählen. Ich brauche dazu das Gespräch, den persönlichen Kontakt." Sie zögerte einen Augenblick. "Ich glaube kaum, daß es meinen Neffen sehr interessiert, wen ich auswähle. Für ihn zählt nur, daß ihm Carlos keine Belastung ist." Schnell brach sie ab, als sie merkte, daß sie schon zuviel gesagt hatte. "Rosetta", rief sie ungeduldig, "bitte kümmere dich um den Tee."
Einen Moment lang fühlte Laura Sympathie für das junge Mädchen, das da herumkommandiert wurde. Aber die Feindseligkeit in den Augen Rosettas verwischte das Mitgefühl augenblicklich. Ein adrettes Zimmermädchen mit weißer Servierschürze brachte den Tee und appetitliche Sandwiches. Laura war zu aufgeregt, um essen zu können. Der Tee tat ihr gut. Sie unterhielt sich lebhaft mit der Senora und beantwortete alle ihre Fragen ausführlich. Rosetta beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, aber sie ließ Laura kaum aus den Augen. "Sagen Sie, Miss Fleming", fragte die Senora plötzlich, "haben Sie hier Familienbindungen - oder vielleicht einen jungen Mann, den Sie heiraten möchten? " Laura versuchte zu lächeln. "Meine Eltern sind tot, Senora, eine Tante hat mich aufgezogen. Sie ist auch verstorben. Ich wohne in Kensington mit einer Freundin zusammen. Natürlich habe ich ein paar Verehrer, doch nichts Ernsthaftes." Die Senora machte erstaunte Augen. "Gewiß, die persönliche Freiheit der Engländerinnen ist ja sprichwörtlich." Dann blickte sie Rosetta an. "Rosetta, würde dir ein solches Leben nicht auch Spaß machen? Diese Freiheit, zu leben und auch zu lieben, wie und wen man will?" "Nein", erklärte Rosetta und schüttelte den Kopf, "ich wünsche mir diese Freiheit nicht, Dona Luisa. Sie ist verwirrend und schwierig, mich würde sie einsam machen. Außerdem glaube ich, daß eine völlig selbstsichere Frau niemals die wirkliche Liebe und Sympathie eines Mannes findet. Es ist nicht die Aufgabe der Frau, die Initiative zu ergreifen. Wir sollten nicht vergessen, daß wir weibliche Wesen sind." Laura preßte ihre Hände zusammen. "Sie wollen sagen, daß eine Frau ihren vorbestimmten Platz im Leben hat und da sollte sie auch bleiben?" Rosetta senkte die Lider. "Ja, genau das meine ich. Männer machen sich lustig über Frauen, die versuchen, männliche
Vorrechte nachzuäffen. Ihr Engländerinnen habt vielleicht eure Freiheit erreicht, aber ihr habt damit mehr verloren als gewonnen." Die Senora lachte. "Du bist sehr streng, mein Kind. Aber nun genug damit. Miss Fleming, Sie haben uns kennengelernt, und Sie hatten Zeit, ein wenig nachzudenken. Die Stellung gehört Ihnen, wenn Sie sich entschließen können, zu uns zu kommen. Es sind gute Bedingungen. Nur die Umgebung ist einsam, wie ich schon sagte. Was halten Sie also davon?" Laura zögerte noch, und die Senora fuhr fort: "Sie sind nicht ganz das, was ich mir unter der Erzieherin meines Großneffen vorgestellt habe, das muß ich zugeben. Allein Ihr Haar, diese schimmernde kupferrote Pracht, ist ganz unüblich. Sie sind auch etwas jung, obwohl ich Ihnen Verantwortungsbewußtsein nicht absprechen möchte. Dennoch mag ich Sie - soweit ich Sie hier kennenlernen konnte. Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, wenn Sie zustimmen." "Sie wollen meine Entscheidung sofort?" "Es wäre mir sehr angenehm." "Wahrscheinlich hat Miss Fleming Angst, daß ihre persönliche Freiheit an einem so isolierten Platz wie bei uns bedroht ist", bemerkte Rosetta spitz. Wenn sie geglaubt hatte, ihre Worte würden Laura zu einer negativen Entscheidung veranlassen, so hatte sie sich geirrt. Im Gegenteil. Die Versuchung war zu groß. Und ob Raphael sie für ihre Schwäche verachten würde oder nicht, es war ihr gleichgültig. Sie wollte diese Stellung. Sie wollte nach Spanien. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als diesen einen Mann, Raphael, wiederzusehen. "Du mußt von Sinnen sein, Laura." Linda Barratt stand hinter Laura und fuchtelte aufgeregt mit den Armen. Sie teilte mit Laura die kleine Wohnung und arbeitete als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Die beiden Mädchen kannten sich seit ihrer Kindheit.
Laura saß an dem kleinen Frisiertisch und massierte sich gedankenverloren eine Tagescreme in die Haut. Sie blickte im Spiegel zu ihrer Freundin. "Fang doch nicht wieder damit an, Linda. Wir haben es nun schon so oft durchgesprochen. Ich weiß, daß es verrückt ist. Doch das hilft mir überhaupt nicht. Ich muß nach Spanien. Ich muß ihn wiedersehen. Und ich werde fahren." Linda warf sich auf ihr Bett. Verständnislos schüttelte sie den Kopf. "Wegen dieser verrückten Laune gibst du hier eine großartige Stellung auf. Wenn Raphael Madralena dich sieht, ich schwöre dir, der schickt dich Expreß nach London zurück. Hast du dir das schon mal überlegt? Verdammt noch mal, er hat dir vor fünf Jahren den Laufpaß gegeben. Er ist nach Spanien zurückgerauscht, hat geheiratet und sich überhaupt nicht darum gekümmert, ob du leidest. War das nicht deutlich genug? Du kannst doch nicht so hinter ihm herlaufen! Du rennst in dein Unglück, Laura." Laura zuckte die Schultern. "Es ist nicht zu ändern." "Lächerlich! Du bist vierundzwanzig und kein alberner Teenager mehr. Ich kann dich nicht verstehen. Hast du denn keinen Stolz? Und was ist mit Gordon? An ihn denkst du gar nicht. Der wird hier sicher nicht einsam herumlaufen, während du dich in der andalusischen Wüste herumtreibst." "Ach, hör schon auf", sagte Laura lachend. "Gordon und ich sind gute Freunde, mehr nicht. Selbst wenn er ernsthafte Absichten hätte, so würde mich das nicht interessieren." "Und warum nicht? Er ist ein feiner Kerl. Er hat ein gutes Einkommen, und in einigen Jahren wird er Geschäftsführer bei Lawtons sein." "Willst du mich etwa verkuppeln, Linda?" Linda zog eine Grimasse. "Ich will, daß du glücklich wirst, Laura. Schließlich habe ich vor fünf Jahren alles miterlebt. Ich weiß, was du durchgemacht hast. Wenn du jetzt nach Spanien
gehst, wird der ganze Katzenjammer wieder von vorn anfangen." Laura senkte den Kopf. "Ich erwarte ja nicht, daß es einfach wird, Linda. Ich erwarte nicht einmal, daß Raphael mich überhaupt beachtet", erwiderte sie leise. "Wie du schon sagtest, es ist fünf Jahre her. Er hat viel erlebt in der Zwischenzeit. Ach, ich weiß es selbst nicht, vielleicht war es Schicksal, daß mir diese Annonce in die Hände geriet." "Schicksal", spottete Linda. Sie griff nach ihren Zigaretten. "Ich halte es nicht für gut. Ganz gleich, was für Argumente du vorbringst. Du wirfst hier alles über den Haufen, nur um diesen Mann wiederzusehen." Laura beendete ihr Make-up und studierte ihr Gesicht im Spiegel. Linda hatte recht. Sie meinte es gut mit ihr, und Laura wußte, daß sie sich in eine gefährliche Strömung begab. Es nützte jetzt nichts mehr. Sie hatte Senora Madralena ihr Wort gegeben, und sie mußte es halten. Wie immer es ausgehen würde, darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie preßte die Lippen zusammen. Ob Raphael sie überhaupt wiedererkennen würde? Vielleicht hatte sie sich in diesen fünf Jahren sehr verändert. Eine Schönheit war sie nie gewesen. Ihre Züge waren zu unregelmäßig, um wirklich schön zu sein. Sie hatte große Äugen, ein wenig schrägstehend, braun mit virrisierendem Grün gemischt. Ihre Brauen waren kräftig, die gebogenen Wimpern dunkel und dicht als Kontrast zu den kupferroten, halblangen Haaren. Sie hatte einen großen, ausdrucksvollen Mund, eine schmale Nase. Sie war größer als der Durchschnitt, mit auffallend langen, schlanken Beinen. Zweifellos war sie attraktiv, und viele Männer bestätigten ihr das immer wieder. Vielleicht war der leichte Spott, mit dem sie sich selbst betrachtete, der Grund, weshalb sie sich seit der Affäre mit Raphael Madralena nicht mehr recht verlieben konnte, ob man sie nun attraktiv fand oder nicht.
Sie stand auf. "Ich bin spät dran, kannst du mich zur Schule bringen?" Linda besaß einen Motorroller. Obwohl sie morgens in eine andere Richtung fahren mußte, nickte sie. Dann drückte sie ihre Zigarette aus. "Ich hab dich doch nicht verärgert, Laura? Es tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken." Laura lächelte. "Sei nicht albern, Linda. Du kannst mir immer sagen, was du denkst. Hast ja auch recht. Aber - wie soll ich's ausdrücken - du warst niemals ganz schrecklich verliebt. Du bist so wunderbar sachlich. Wenn du einmal wirklich liebst, wirst du mich auch verstehen." Linda schüttelte sich. "Der Himmel möge mich bewahren. Du liebst ihn also immer noch, nicht wahr?" "Nein, so ist das nicht." Laura war sich ganz sicher. "Nein, ich liebe ihn nicht mehr, der Kummer ist weg. Ich bin wie betäubt, verstehst du? Außerdem wird es hier bald Winter. Es wird herrlich sein, in tropischen Temperaturen zu leben." "Es gibt Tausende von Jobs in tropischer Umgebung", meinte Linda trocken. "Deshalb hättest du nicht diesen annehmen müssen." Laura legte ihren Arm um die Schulter der Freundin. "Nein, das hätte ich nicht. Aber ich habe es getan. Und wenn ich in sechs Wochen nicht wieder in London bin, kannst du die zweite Hälfte der Wohnung deiner kleinen Schwester anbieten, wenn sie mit dir zusammen leben will." "Beryl? Du machst Witze", spöttelte Linda. "Glaubst du, ich lasse mir mein Leben von meiner geschwätzigen kleinen Schwester zerstören? Aber mach dir keine Sorgen um mich. Ich warte erst einmal ab." Es war heiß in der kleinen Kabine des Inter-City-Flugzeugs, das Laura von Madrid nach Malaga brachte. Sicher gab es auch hier eine Klimaanlage, aber sie funktionierte wohl nicht so gut wie die in dem eleganten Jet, mit dem sie von London nach Madrid geflogen war. Dennoch, dachte sie, ist es besser als eine
stundenlange Bahnfahrt. Außerdem hatte sie gar keine Wahl gehabt, Senora Madralena hatte alle Vorbereitungen für die Reise getroffen. Die Senora war vor zehn Tagen nach Spanien zurückgekehrt. Laura hatte seitdem keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt. Ein paar Tage hatte sie in der Erwartung eines Briefes oder Telegramms gelebt, mit der Mitteilung, Don Raphael Madralena bedaure, den Vorvertrag lösen zu müssen. Doch eine solche Nachricht war nicht eingetroffen. Ob Raphael überhaupt interessiert genug an der Erzieherin seines Sohnes war, um deren Namen zur Kenntnis zu nehmen? Sie blinzelte aus dem Fenster. Weiße Wolkenschichten glitten unter den Tragflächen vorbei. Und da bog das kleine Flugzeug auch schon zur Landung ein. Unter ihr lag das Mittelmeer, an der Küste zogen sich die Hügel hin. Madrid hatte ihr schon einen Eindruck von den phantastischen Farben des Südens vermittelt. Doch die Küstenlandschaft hier hatte ihre besonderen Reize. Der Boden mit üppig grünen Feldern kam immer näher. Schon setzten sie zur Landung auf dem südlichsten Flugplatz der Provinz auf. Als sie ihr Handgepäck zusammenraffte, spürte sie den interessierten Blick eines Mannes. Er sah gut aus, und zu ihrem Ärger merkte sie, daß sie errötete. Es konnte nur ihre innere Unruhe sein, die sie so empfindlich machte. Draußen traf sie die Hitze wie ein Schlag. Sie war froh, auf dem Flughafen von Madrid die Kleider gewechselt zu haben. Aber September in London war eben nicht September in Andalusien. Jetzt trug sie ein duftiges, modisches Baumwollkleid in lichtem Blau. Ihr Haar hatte sie mit einem gleichfarbigen Band festgebunden. Sie hoffte, so für die Stellung, die sie antreten wollte, seriös genug zu wirken. Von den Lebensgewohnheiten auf dem Besitz der Madralenas wußte sie nur wenig. Während ihrer Freundschaft mit Raphael in London hatte er erzählt, daß er in Costal mit
seinem Vater und seiner jüngeren Schwester zusammenlebte. Seine Mutter war damals schon tot gewesen. Als der Vater dann starb, mußte Raphael nach Spanien zurück, um die Verwaltung der Güter zu übernehmen. Und Senora Luisa Madralena hatte nichts Persönliches über ihren Neffen gesagt, natürlich nicht. Laura ging durch die Ankunftshalle zum Ausgang. Dort blieb sie stehen und blickte über den Vorplatz. Es war später Nachmittag, die Sonne brannte glücklicherweise nicht mehr so stark. Anscheinend war niemand gekommen, urn sie abzuholen, obwohl die Senora es ihr zugesagt hatte. Sie war enttäuscht.
2. KAPITEL "Pardon, Senorita, kann ich Ihnen behilflich sein?" Laura wandte sich um und entdeckte den Mann aus dem Flugzeug. "Vielen Dank, nein, ich werde abgeholt!", antwortete sie kühl und drehte dem Fremden den Rücken zu. Aber der Mann war nicht so leicht abzuschütteln. '"Vielleicht kann ich doch etwas für Sie tun, Senorita",, versuchte er es wieder. "Sie sind bestimmt Engländerin. Hier trifft man nur wenige Frauen, die einen so wunderbaren Teint haben. Vielleicht hat sich das Fahrzeug, das Sie abholen sollte, verspätet. Darf ich mich Ihnen vorstellen, ich bin Pedro Armes. Kann ich Sie vielleicht mitnehmen?" Laura preßte die Lippen zusammen. "Ich bin Ihnen sehr dankbar, Senor, wirklich, aber ich brauche Ihre Hilfe nicht. Sie verschwenden Ihre Zeit." Damit ging sie ein paar Schritte von ihm fort. Er folgte ihr. "Das ist doch keine Zeitverschwendung für mich, Senorita", sagte er einschmeichelnd. "Besuchen Sie Freunde in Malaga? Oder werden Sie hier Ihre Ferien verbringen?" "Weder noch, Senor", erwiderte sie kurz! "Nein? Sie sind doch nicht etwa hier, um zu arbeiten? Was für eine Stellung könnte eine so junge und attraktive Dame wie Sie wohl übernommen haben?"
Laura wurde ungeduldig. "Sie werden lästig", versetzte sie schroff. "Ist das die berühmte charmante Art der Spanier, Besucher in ihrem Land zu begrüßen?" Pedro Armes lachte und zeigte blendendweiße Zähne. Er war ein attraktive r Mann, und er wußte es. Offensichtlich war es neu für ihn, von einer Frau so behandelt zu werden. Laura wandte sich wieder ab, ärgerlich, daß niemand kam, um sie abzuholen und sie aus dieser Situation zu befreien. Sie befaßte sich schon mit dem Gedanken, daß Raphael es strikt abgelehnt hatte, sie kommen zu lassen, und die Nachricht durch einen unglücklichen Zufall nicht mehr in ihre Hände gelangt war. Da berührte jemand ihren Arm. Erschrocken drehte sie sich um. Sie sah einen älteren Mann in dunkelgrüner Chauffeuruniform. Erleichtert atmete sie auf. "Miss Fleming?" fragte der Mann zögernd. "Ja." "Ich bin Villand, der Fahrer von Don Raphael. Ich soll Sie abholen. Ist das Ihr Gepäck?" Laura war froh, endlich aus der Nähe von Pedro Armes zu kommen. Armes jedoch betrachtete das Intermezzo noch nicht als beendet. "Hola, Jaime, como esta?" fragte er überrascht. Der alte Chauffeur blickte ihn nur kurz an. "Buenos dias, Senor Armes", murmelte er, nahm Lauras Gepäck und ging beladen zu der großen Limousine, die in der Nähe parkte. Laura sah zu Armes hin und war erstaunt über dessen verschlossenen Gesichtsausdruck. Sie hatte ihn bisher nur lächeln sehen. Als er sich wieder zu Laura wandte, war seine Miene liebenswürdig wie bisher. "Senorita"; sagte er, "dann sind wir ja Nachbarn. Sie.müssen die neue Erzieherin von Carlos sein, habe ich recht?" "Sie kennen die Familie Madralena?" fragte sie steif. "O ja, und ob ich die Madralenas kenne! Aber Sie sind eine echte Überraschung für mich. Wie wollen Sie sich in Costal
unterha lten? Es ist ein abgelegener Fleck. Ich werde mich um Sie kümmern müssen, damit Sie nicht so einsam sind." Ungeduldig verdunkelten sich Lauras Augen. "Ich bitte Sie, Senor, kümmern Sie sich nicht um meine Angelegenheiten." Abrupt drehte sie sich um und ging auf das Auto zu. Sie wunderte sich über sich selbst. Warum hatte sie eine so merkwürdige Abneigung gegen diesen Mann? Vielleicht lag es am Ton seiner Stimme, als er sagte, er kenne die Madralenas. Doch jetzt wollte sie nicht mehr daran denken, sie hatte genügend eigene Probleme. Außerdem durfte sie nicht vergessen, daß sie nicht als Gast nach Costal kam, sondern als Angestellte des Hauses Madralena. Villand half ihr in den Rücksitz des Wagens. Sie hätte viel lieber vorn bei ihm gesessen. Aber er war ein Fahrer der alten Schule, er schien auch nicht gerade redselig zu sein. Wenn Laura angenommen hatte, sie könne ihn vielleicht dieses oder jenes fragen, so war das ein Irrtum. Zudem ging es gleich eine kurvenreiche Strecke bergan, und sie war vollauf damit beschäftigt, sich in den steilen Biegungen auf ihrem Sitz zu halten. Sie hatten den Gipfel des Puerto del Leon erreicht, die Abfahrt ins Tal begann. Vor ihnen gabelte sich der Weg. Villand schlug den Weg zur Küste ein. Sie fuhren durch ein Tal, Häuser lagen versteckt hinter hohen Wällen, kühl wirkende, schattige Parks mit Palmen und Zitronenbäumen umgaben sie. Dann Weingärten und Gräben, die das Wasser in Kanäle leiteten, um die Pflanzen zu bewässern. Menschen in dunklen Gewändern und breitkrempigen Hüten arbeiteten auf den Feldern. Schwere Düfte drangen zu ihr, hin und wieder hörte sie das Klingen einer spanischen Gitarre. Die eigenartige Ausstrahlung dieser Landschaft nahm von ihr Besitz. Soviel Schönheit, so wunderbare Farben - das Erlebnis überwältigte sie. Selbst der Gedanke, daß sie in Kürze Raphael gegenüberstehen würde, war nicht mehr so beunruhigend.
In der Nähe der Küste fuhren sie an einem Fluß entlang. Gegenüber auf dem Wiesenland weideten Herden von Stieren. Sie hatte von diesen Stieren von Raphael gehört. Auch seine Familie züchtete Stiere für die Corrida. So spürte sie mit klopfendem Herzen, daß sie sich Costal näherten. Jetzt bog der Wagen auf eine Landstraße, die direkt zur Küste führte. Laura konnte die salzige Luft schmecken, sie hörte die schrillen Schreie der Möwen. Interessiert schaute sie aus dem Wagenfenster. Sie kamen in eine karge Hügellandschaft, die sich weit in den Atlantik hineinstreckte. Wirklich eine einsame, wilde Gegend, dachte Laura, genau wie es die Senora beschrieben hatte. Auf der einen Seite war ( die Flußmündung die natürliche Begrenzung des Vorgebirges, auf der anderen rollte der Atlantik mit großen Wellen an die zerklüfteten Felsen. An der Mündung standen einige ländliche Häuser, etwas weiter unten befand sich ein kleiner Hafen mit angeketteten Fischerbooten. "Das ist Costal, Senorita", brummelte Villand. Es war die erste Bemerkung seit der Abfahrt vom Flughafen. "Jetzt ist es nur noch ein kurzes Stück." Laura lehnte sich in die Polster zurück. Die Begegnung mit Raphael stand nun unmittelbar bevor. Aber sie wollte sich nicht aus der Fassung bringen lassen, wie immer er auch reagieren mochte. Nachdem der Ort hinter ihnen lag, fuhr das Auto eine Küstenstraße entlang, die die Kurven von Malaga zu einer harmlosen Spazierfahrt werden ließen. Endlich passierten sie nach einer letzten Nadelkurve ein hohes Gittertor. Am Ende der langen Auffahrt stand das Madralena-Haus mit seiner Front direkt zum Atlantik. Der Wagen hielt vor einem weiteren Tor, das in einen Innenhof führte. Mit weic hen Knien stieg Laura aus. Ein bewundernder Ausruf ließ sich nicht vermeiden beim Anblick des Gebäudes. Aus dicken grauen Steinen gebaut, hatte es
ausgesprochen maurischen Charakter, mit Innenhöfen und Baikonen. Blumen in allen Farben waren in Beeten angelegt und in Tonschalen arrangiert. Jasminbüsche standen an den Seiten, Kletterrosen rankten an der Hauswand hoch. In der Mitte plätscherte eine große Fontäne. Der Boden des Hofes war mit buntem Mosaik ausgelegt und das Ganze vergoldet durch den Schein der untergehenden Sonne. Überwältigt blieb Laura vor dem Tor stehen. Da kam seitlich aus dem Haus eine ältere Frau auf sie zu. Sie war schwarz gekleidet, das graue Haar zu einem strengen Knoten gebunden. Die Personifizierung der Haushälterin, dachte Laura. Nervös wartete sie auf das, was ihr bevorstand. Die Frau wandte sich zuerst an Villand, der Lauras Gepäck aus dem Wagen nahm. Es klang nicht gerade freundlich, was sie ihm in Spanisch sagte. Dann warf sie einen abschätzenden Blick auf Laura. "Kommen Sie, Miss Fleming, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Dona Luisa hält Siesta, und Senorita Rosetta ist im Augenblick nicht zu Hause." "Vielen Dank." Laura lächelte. "Sind Sie Don Raphaels Haushälterin?" "Si, Senorita. Ich bin Maria. Bitte kommen Sie mit." Laura nahm einen ihrer Koffer auf und folgte der Frau. Zu ihrer Enttäuschung gingen sie nicht durch den prächtigen Haupteingang, sondern seitlich um das Haus herum zu einer kleineren Tür, die in eine Halle führte. "Diesen Eingang wollen Sie bitte benutzen, wenn Sie allein sind, Senorita", erklärte Maria kurz. "Wenn Sie mit dem Pequeno, unserem jungen Herrn, zusammen sind, können Sie sich selbstverständlich frei im Haus bewegen." "O ja, Carlos. Wann kann ich ihn sehen?" "Das müssen Sie mit Don Raphael besprechen, Senorita." Damit geleitete sie Laura in das erste Stockwerk hinauf. Laura folgte der Haushälterin und schwankte ein wenig mit ihrem schweren Koffer. Da aber alle Angestellten hier schon
etwas bejahrt schienen, fand sie es gut, daß sie wenigstens einen Koffer selbst trug. Sie erreichten einen Treppenabsatz, und Maria öffnete eine Tür zu einem großen, sonnendurchfluteten Zimmer. Schwere venezianische Vorhänge milderten das Sonnenlicht, den Fußboden bedeckten kühlende Fliesen. Der ganze Raum war in den Farben Hellgelb und Apfelgrün ausgestattet. Laura war begeistert. Maria öffnete eine weitere Tür. "Das ist Ihr Badezimmer. Wenn Sie sich frisch gemacht haben, kommen Sie bitte herunter in die Küche. Lisa wird Sie dann zu Don Raphael bringen." Laura bedankte sich und stellte den Koffer ab. "Wartet Don Raphael schon auf mich?" Maria verschränkte ihre Arme über der Brust. "Jaime ist zu spät gekommen. Er sollte schon vor einer Stunde mit Ihnen hier sein. Aber er ist ein langsamer Fahrer." Sie machte eine resignierte Bewegung. "S o kamen Sie zu spät. Dona Luisa erwartete Sie früher, noch vor der Rückkehr von Don Raphael." "Vor seiner Rückkehr?" Laura hatte plötzlich trockene Lippen. "Don Raphael war verreist?" "Er ist heute aus Madrid zurückgekehrt. Er hat dort Stiere verkauft, Senorita." Laura war bestürzt. Maria merkte es und versuchte zu erklären: "Es war alles arrangiert, bevor er auf die Reise ging, Senorita. Dona Luisa sollte eine Erzieherin engagieren. Sie trifft keine Schuld. Don Raphael ist nicht gerade geduldig, aber er wird schon warten müssen, bis Sie sich ein wenig zurechtgemacht haben." Sie lächelte Laura zu und ging. Laura ließ sich auf das Bett fallen. Raphael hatte also bis heute nicht gewußt, daß sie kommen würde. Ihre Besorgnis war begründet gewesen. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß sie es war, die diese Stellung antreten wollte. Kleine Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn. Sie nahm sich zusammen und stand auf. Was immer auch passierte,
sie war nun einmal hier. Ob man ihr gestattete zu bleiben, mußte sie abwarten. Der Vertrag, den sie bei Senora Madralena in London unterzeichnet hatte, lautete auf einen Monat Probezeit. Sollte Don Raphael ihr den Aufenthalt hier verweigern, hatte sie keine Chance. Aber jetzt mußte sie zunächst einmal ruhig bleiben. Panik würde nicht helfen. Und schließlich, was hatte sie zu fürchten? Er konnte sie nicht mehr verletzen. Aller Kummer der Vergangenheit war überwunden. Oder nicht? Warum hatte sie plötzlich den Wunsch, auf und davon zu gehen, weit weg von hier, von dem prächtigen Besitz der Madralenas? Sie trat an eines der großen Fenster und schaute hinaus. Ein herrlicher Blick: Gern hätte sie hier noch ein wenig gestanden. Doch der Gedanke, daß Don Raphael wartete, machte sie nervös. Eilig lief sie ins Badezimmer, kühlte ihr Gesicht, um wieder Haltung zu gewinnen. Aufmerksam betrachtete sie sich im Spiegel. Die Frisur saß korrekt. Sie kämmte nur die beiden gelockten Strähnen über den Ohren etwas aus. Dann zog sie Brauen und Lippen nach. Zu mehr blieb keine Zeit. Das Kleid mußte genügen. Glättend strich sie mit beiden Händen über den Stoff, dann ging sie aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Maria hatte ihr nicht gesagt, wo sich die Küche befand, doch sie brauchte nur dem appetitlichen Duft nachzugehen. Eine delikate Mischung von gebratenem Fleisch und Knoblauch zeigte ihr den Weg. Dann stand sie vor einer mächtigen Tür, die sie vorsichtig öffnete. Vor ihr lag ein großer gekachelter Raum. Ein viereckiger Tisch stand dominierend in der Mitte. Zwiebeln und Knoblauchgirlanden hingen an Holzpfosten. In einem ausladenden Grill drehten sich Schweinshaxen. Maria und eine Küchenfrau standen am Tisch und putzten Gemüse. Etwas unsicher blieb Laura an der Tür stehen.
Maria bemerkte sie und lächelte ihr zu. "Schon fertig?" fragte sie überrascht. "Sehr gut. Lisa!" rief sie, und ein Hausmädchen kam aus einer Speisekammer. Lisa war zierlich, dunkeläugig, sympathisch. Neugierig sah sie Laura an. Maria erteilte ihr auf Spanisch Anweisungen. Lauras Sprachkenntnisse waren nicht gut genug, um Einzelheiten zu verstehen. Lisa nickte und sagte dann in langsamem Englisch zu Laura: "Bitte kommen Sie mit, Senorita." Laura folgte ihr über lange Flure in den Haupttrakt des Hauses. Sie durchschritten eine Galerie. An holzgetäfelten Wänden hingen die Ahnenbilder der Madralenas. Laura zögerte ein wenig, als sie Raphaels Porträt entdeckte. Wie unnahbar und distanziert der Blick seiner Augen wirkte. Sie fröstelte unwillkürlich. Die Galerie mündete in eine weite Halle mit Fenstertüren zum Innenhof. Schon lagen einige Teile im Schatten, die Sonne begann unterzugehen. Lisa knipste einen Schalter an, und das Licht vieler Lampen erstrahlte. Laura blieb einen Moment stehen, sah sich fasziniert um. "Kommen Sie bitte, Senorita", mahnte Lisa leise. Laura hätte ihr gern ein paar Fragen gestellt, unterließ es jedoch. Von dem Hausmädchen würde sie wohl kaum erfahren, was sie wissen wollte. Wenige Augenblicke später standen sie vor einer mit prächtigen Perlmuttornamenten ausgelegten Doppeltür. "Das Arbeitszimmer von Don Raphael." Lisa klopfte. Gleich darauf öffnete sie die Tür, bedeutete Laura einzutreten und ging. Laura befand sich in einem Raum, dessen dunkle, zeremonielle Atmosphäre sie bedrückte. Sie stand dem Mann gegenüber, von dem sie in jener Nacht vor fünf Jahren für immer Abschied genommen hatte. Sie wußte nicht, was sie erwartet hatte, ganz gewiß jedoch war sie nicht darauf gefaßt gewesen, ihn so verändert zu sehen.
Dieser Mann dort hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Raphael, den sie damals geliebt hätte. Sehr groß und sehr dunkel hatte er immer gewirkt, aber niemals düster - wie jetzt. Hager war er geworden, so schmal und scharf das Gesicht. Sein dichtes, glänzendes Haar schien an den Schläfen schon ein wenig grau. Sie wußte, er war fünfunddreißig, doch er sah älter aus. Was mochte er erlebt haben? Welche Erfahrungen und Enttäuschungen hatten ihre Spuren hinterlassen? Unentschlossen blieb Laura in der Tür stehen. Raphael Madralena stand vor einem der Fenster, hinter ihm der rote Horizont. Raphael paßte in die Atmosphäre dieses Raumes. Selbst in Straßenanzug und weißem Hemd war er jeder Zoll ein spanischer Grande. Wie hatte sie nur jemals glauben können, daß sie diesem Mann etwas bedeutete? Ein Mädchen wie sie. Plötzlich spürte Laura drängend den Wunsch zu fliehen. Endlich stieß Raphael sich vom Fenster ab und machte ein paar Schritte auf sie zu. Er hatte noch immer die gleitenden Bewegungen, die träge Eleganz, die sie stets an die verhaltene Wildheit einer Raubkatze erinnert hatten. "Ich habe mich also nicht geirrt", sagte er langsam und musterte sie intensiv. "Du bist es wirklich." "Ja, ich bin es", antwortete sie stockend. "Guten Tag." Wie unpersönlich, dachte sie verzweifelt. Sie hatte sich selten so unbehaglich gefühlt. In ihrer Einfalt hatte sie geglaubt, daß sich zwar die Umstände ändern können, doch die Menschen müßten grundsätzlich die gleichen bleiben. Offensichtlich war das hier nicht der Fall. Sie wußte weder die Geringschätzigkeit, mit der er sie betrachtete, zu deuten, noch die harten Linien in seinem Gesicht. Am schlimmsten aber war der Gedanke, daß der Mann ihr gegenüber ihr gänzlich fremd war. Nur ein leichtes Vibrieren ihrer Nerven erinnerte sie noch an die Intimität, die es einst zwischen ihnen gegeben hatte. Sie liebte Raphael nicht
mehr, dennoch hatte er noch immer die gleiche starke Ausstrahlung. Er trat hinter seinen Schreibtisch. "Komm, setz dich", forderte er sie auf und deutete auf den großen Stuhl. Zögernd nahm sie Platz. Raphael setzte sich ebenfalls. Aus einem kostbar geschnitzten Kasten nahm er eine lange dünne Zigarre, die er sorgfältig anzündete. Kalt fragte er: "Warum hast du das getan?" Laura verschränkte die Hände in ihrem Schoß. "Ich weiß es nicht", gestand sie. "Ich glaube, es war Neugierde." Das klang ziemlich erbärmlich, sie wußte es. "Neugierde", stieß er hervor. "Du warst neugierig auf mich?" Laura schluckte. "Ja." "Wieso?" Sie zuckte die Schultern. "Ich weiß es wahrhaftig nicht. Die Anzeige deiner Tante kam mir in die Hand, ich las deinen Namen und ..." Sie brach ab. "Das klingt alles recht albern, ich weiß." "Nein, nicht albern", überlegte er, "eigensinnig." Er schüttelte den Kopf. "Du erstaunst mich. Kommst einfach so hierher in mein Haus, bewirbst dich um die Stelle einer Erzieherin für meinen Sohn, rein aus einer Laune heraus, einem Impuls. Aus Neugierde, wie du sagst." Laura biß sich auf die Lippen. "Das stimmt nicht ganz, Don Raphael." Sie mußte sich verteidigen. Das ging besser, wenn sie förmlich wurde. "Ich gestehe, daß meine Bewerbung bei Senora Madralena zunächst aus einer Laune heraus geschah. Ich hatte gar nicht die Absicht, die Stellung anzunehmen. Das war vielleicht ein wenig verantwortungslos. Doch nachdem ich mit der Senora gesprochen hatte, habe ich die Stellung mit aller Ernsthaftigkeit angenommen. Ich bin Erzieherin, und Sie, Don Raphael, haben ein Kind, das eine Erzieherin braucht."
Raphael reagierte herrisch. "Wie konntest du dir einbilden, daß ich das erlauben würde?" rief er böse. "Du hättest wissen müssen, daß diese Situation unmöglich ist." Laura neigte den Kopf. "Ich weiß es - jetzt." Entschuldigend fügte sie hinzu: "In England schien es gar nicht so unmöglich." Die Worte kamen stockend und unsicher. Wie konnte sie ihm nur erklären, daß er in England für sie immer noch der Mann gewesen war, den sie einmal sehr geliebt hatte, der ihr vertraut war? Während er hier in Spanien, in diesem phantastischen Haus eben Don Raphael Madralena war, der Herr eines Riesenbesitzes. Sie hatte nicht voraussehen können, wie verändert er war. Hier konnte sie selbst nicht mehr glauben, daß er sie einmal unendlich begehrt und ihr das auch immer wieder leidenschaftlich gestanden hatte. Don Raphael lehnte sich in seinen Sessel zurück. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre und fragte dann etwas weniger aggressiv: "Warum bist du nicht verheiratet? Du bist sehr schön. Sicher gab es viele junge Männer, die gern mit dir gelebt hätten." Laura richtete sich abwehrend auf. "Ich wollte nicht heiraten, Don Raphael." Und um von sich abzulenken, fügte sie hinzu: "Es tut mir leid, daß Ihre Ehe so tragisch end en mußte." "Ach wirklich?" Seine Gesichtszüge wurden wieder hart. "Hat Luisa dir meine Familiengeschichte erzählt?" "Natürlich nicht." "Nein?" Er tupfte die Asche von seiner Zigarre. "Das überrascht mich. Ich dachte, du hättest vielleicht Mitleid mit dem armen, einsamen Mann. Bist gekommen, um mir deine Sympathie und dein Verständnis anzubieten!" Betroffen blickte Laura ihn an. Wie höhnisch das klang. Er macht sich lustig über mich, dachte sie schmerzlich. Wie immer sie auch über ihre frühere Verbindung dachte, für ihn war es wohl nie mehr als eine rein erotische Beziehung gewesen.
"Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen?" murmelte sie und stand auf. "Sei nicht so empfindlich, Laura", sagte er und senkte die Lider. "Immerhin bist du gekommen, obwohl du wußtest, welche Situation dich hier erwartet. Es ist doch verständlich, daß mich deine Gründe interessieren." Laura bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen. "Kann ich jetzt gehen?" fragte sie leise. "Nein, Senorita, das können Sie nicht!" Er legte den Kopf zurück und betrachtete sie herrisch. Laura holte tief Luft. "Was erwarten Sie noch? Was wollen Sie von mir hören, damit Sie zufrieden sind? Sie haben mir doch bereits klargemacht, daß Sie mich hier nicht wünschen." Sein Blick flackerte. "Habe ich das? Ich kann mich nicht erinnern, diese Worte gebraucht zu haben!" "Bitte hören Sie auf, mich zu quälen", bat Laura. "Gibt es eine Transportmöglichkeit zum Flugplatz Malaga?" Mit einer geschmeidigen Bewegung stand er auf. "Wie schnell du bereit bist aufzugeben, Laura", erwiderte er sarkastisch und war mit zwei schnellen Schritten bei ihr. "Mir scheint, als hättest du dir ein vollkommen unrealistisches Bild von mir gemacht. Und nun, mit der Wirklichkeit konfrontiert, ist es nicht nach deinem Geschmack!" Laura blickte zu ihm auf. "Ich habe versucht, Ihnen meine Gründe zu erklären." Sie war froh, wenigstens äußerlich einigermaßen gefaßt zu wirken. "Doch haben Sie offensichtlich den Eindruck, daß ich als Erzieherin Ihres Sohnes nicht geeignet bin." Raphael Madralenas Blick verengte sich. "Ich habe auch nicht gesagt, daß ich dich für ungeeignet halte." Laura wurde klar, daß Raphael die Gründe für ihr Kommen völlig mißverstanden hatte. "Nun, was wollen Sie dann?" fuhr sie auf. Er runzelte die Stirn. "Soll ich ganz ehrlich sein?"
Laura nickte. Er lächelte spöttisch. "Also gut, zunächst folgendes: Kannst du dir meine Reaktion vorstellen, als ich vor wenigen Stunden erfuhr, daß die Frau, die für die Erziehung meines Sohnes engagiert wurde, die gleiche Frau ist, der ich vor fünf Jahren in London begegnet bin?" Laura nickte wieder. "Ja, ich kann es mir vorstellen", sagte sie unsicher. Raphael schaltete die Schreibtischlampe an. Das warme Licht bannte die Schatten ein wenig, die sich im Raum verbreitet hatten. "Willst du dich nicht wieder setzen?" fragte er. "Oder hast du Angst vor mir?" Laura schüttelte den Kopf und setzte sich wieder.
3. KAPITEL Raphael ging ruhelos im Zimmer hin und her. Nach einer Weile blieb er am Fenster stehen, schaute einige Sekunden hinaus und wandte sich ihr dann wieder zu. "Du bist so geduldig, Laura. Viel geduldiger als damals, soweit ich mich erinnere." Laura errötete. "Ich bin älter geworden", sagte sie. "Reifer. Jedenfalls in manchen Dingen." "Aber nicht weniger impulsiv", warf er ein. "Zugegeben", meinte Laura. Rasch kam er auf sie zu. "Du hast keine Vorstellung, wie mir zumute war", stieß er hervor. "Du hattest Zeit, deinen Entschluß zu überdenken. Aber ich? Mir blieben nur ein paar Minuten, bevor du wieder in mein Leben, tratest. Ich will offen sein: Hätte ich die Möglichkeit gehabt, dein Kommen zu verhindern, ich hätte es getan. Ich kann dich wirklich nicht hierbehalten!" Laura war bei seinem Ausbruch blaß geworden. Erschrocken blickte sie ihn an, Er stand dicht neben ihr, stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch. "Madre de Dios, schau mich nicht so an!" rief er. "Glaubst du, ich habe mir diese Situation gewünscht? Sei versichert, ich finde sie unmöglich. Nur vergiß nicht, ich habe sie nicht heraufbeschworen!" Laura lehnte sich zurück. "Dann verstehe ich nicht, warum Sie sie unnütz verlängern wollen? Ich bin bereit, dieses Haus
sofort zu verlassen. Sie können Dona Luisa erklären, warum. Es ist mir ganz egal, was Sie sagen!" Raphael schüttelte den Kopf. "Nein. Nein, so geht das nicht." Er drückte seine Zigarre aus. Schon wieder mit Spott in der Stimme fuhr er fort: "Vielleicht verdienst du eine Strafe dafür, daß du kamst, um das Gleichmaß und den Frieden meiner Tage zu stören." Lauras Augen wurden groß. "Was meinen Sie damit?" "Ich werde das gleich erklären. Vorher aber beantworte mir eine Frage: Habe ich mich verändert? Hättest du mich wiedererkannt?" Laura fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. "Ja, wiedererkannt hätte ich dich. Aber du hast dich sehr verändert." "Ich bin einige Jahre älter geworden." "Das ist es nicht", sagte sie und wandte sich von ihm ab. "So? Was hast du sonst noch entdeckt?" Sein Ton war wieder sarkastisch. Laura überging die Frage. "Warum finden Sie, ich sollte bestraft werden?" "Habe ich das gesagt? Also gut, Senorita. Ich glaube, daß Sie für Carlos recht nützlich sein werden. Für meinen Sohn." Laura' runzelte die Brauen. "Bitte, nehmen Sie mich ernst!" "Ich nehme Sie ernst. Wirklich, ich bin überzeugt, Sie sind eine gute Erzieherin." Laura stand auf. Sie mußte diese Situation beenden. "Ich..., ich möchte die Stellung nicht mehr antreten", erklärte sie. Raphaels Augen verdunkelten sich. "Tut mir leid, aber ich muß darauf bestehen, daß Sie die Stellung annehmen." "Sie bestehen darauf?" Laura war fassungslos. "Si, Senorita, ich bestehe darauf. Sie haben in London einen Vertrag unterzeichnet, bei meiner Tante. Für eine Probezeit von einem Monat", antwortete er mit unnachgiebiger Arroganz. "Sie werden bleiben, Senorita. Ende des Monats sprechen wir wieder darüber." Er ging zur Tür und zog an einer reich bestickten
Seidenschnur. "Keine Sorge. Der Monat wird sehr schnell vergehen!" Laura schüttelte verständnislos den Kopf. "Warum bestehen Sie darauf? Vor wenigen Minuten haben Sie noch gesagt, Sie wollen mich hier nicht haben." "Das will ich immer noch nicht", erklärte er. "Aber unglücklicherweise kommen gute Erzieherinnen hier in Costal nur selten vorbei." Laura hatte sich kaum von der kalten Indifferenz seiner Worte erholt, als sie ein leises Klopfen hörte. Lisa kam herein. "Bringen Sie Senorita Fleming in ihr Zimmer zurück", wies Raphael an und trat wieder hinter seinen Schreibtisch. "Die Senorita wird mit der Familie zu Abend essen." "Aber ...", begann Laura, und er fiel gleich ein: "Heute können Sie freilich in Ihrem Zimmer essen. Sie sind sicher müde von der Reise, da ist die Unterhaltung mit allen Familienmitgliedern etwas anstrengend." "Danke, Senor", murmelte Laura und wandte sich zur Tür. "Lisa, bringen Sie Senorita Fleming nach dem Essen zu Carlos", rief er dem Mädchen zu. "Gern, Senor." Lisa schloß die schwere Tür hinter sich. Laura atmete tief auf. Lisa betrachtete sie nachdenklich. "Er ist gar nicht so furchterregend, unser Herr", sagte sie mit einem Lächeln. "Sie werden sich bestimmt an ihn gewöhnen." Laura befeuchtete ihre Lippen. "Das hoffe ich sehr." Die Speisen, die Lisa ihr später auf einem Tablett brachte, waren delikat angerichtet, aber Laura aß wenig. Ihr Magen revoltierte, und der Kopf schmerzte. Sie konnte nicht begreifen, weshalb Raphael sie gezwungen hatte zu bleiben. Während ihr Verstand noch nach einem Weg suchte, schnellstens von hier wegzukommen, spürte sie im Gefühl, daß sie ja bleiben wollte. Das verwirrte sie vollends. In Raphaels Wesen lag soviel Bitterkeit, soviel Enttäuschung, sie konnte das nicht verstehen. Ein- oder zweimal während ihrer
Unterhaltung hatte sie das Gefühl gehabt, daß er ihr etwas näherzukommen schien. Aber immer wieder entfernte er sich gleich von ihr, wurde zum Fremden. Warum? Wie sahen seine Erinnerungen an die Ze it mit ihr aus? Wußte er nichts mehr von den Zärtlichkeiten, von seiner Leidenschaft? Das alles war für ihn wohl sehr lange her. Ihr Problem war viel schwerwiegender. Laura hatte eigentlich von Anfang an gewußt, daß sie diesen Mann nicht bis zur letzten Konsequenz lieben durfte. Von Erziehung und Herkunft paßten sie gar nicht zueinander. Dennoch waren Versuchung und Begehren in beiden stärker gewesen als alle Vernunft. Und sie war damals erst neunzehn gewesen, fast zu jung. Raphael arbeitete damals an der spanischen Botschaft, bei den Valdes war er ein gerngesehener Gast. Von der ersten Begegnung an hatte Laura den besonderen Magnetismus zwischen ihnen gespürt. Eines Abends hatte er dann vor dem Haus der Valdes auf sie gewartet. Er wußte, es war ihr freier Abend. Sie nahm seine Einladung zum Essen an, und hinterher hatten sie zusammen getanzt. Er war kein Mann, mit dem man spielen konnte. Von Anfang an bestand die Gefahr, sich in ihn zu verlieben. Als er ihr erzählte, er sei seit seiner Kindheit in Spanien mit einem Mädchen verlobt, hatte sie versucht, sich von ihm zu lösen. Doch es war zu spät, sie hatte bereits den Kopf verloren und schaffte es nicht mehr, zumal Raphael sie auch nicht gehen lassen wollte. Immer wieder versicherte er ihr, daß diese Verlobung ihm nichts bedeute, da er sich nur an sie gebunden fühle. Sie hatte ihm nur zu gern geglaubt. Ein Mann, der keinen Abend ohne sie sein mochte, der sie so einhüllte in seine leidenschaftliche Liebe - wie konnte ein solcher Mann ernsthaft daran denken, ein anderes Mädchen zu heiraten? Spanien, Elena und sein Leben dort waren weit entfernt.
Laura zweifelte nicht daran, daß er bei ihr bleiben würde. Erst als die Nachricht eintraf, daß sein Vater gestorben sei und man erwarte, daß er zurückkehre, um den Familienbesitz zu übernehmen, wurde ihr klar, wie verschieden die Welten waren, aus denen sie beide stammten. Sein anerzogener Sinn für Tradition forderte auf einmal, sich von ihr zu trennen. Obwohl er schwor, sie mehr als alles auf Erden zu lieben, erklärte er doch gleichzeitig, daß er Elena heiraten müsse, so wie es vor Jahren unter den Familien abgesprochen worden war. In der Nacht vor seiner Abreise hatten sie eine schreckliche Auseinandersetzung. Laura war außer sich, sagte ihm furchtbare Dinge, während er ihr begreiflich zu machen versuchte, was Tradition in Spanien bedeute. Schließlich riß er sie in seine Arme, um ihr zu beweisen, daß seine Entscheidung nichts mit seinen Gefühlen zu tun hätte. Auch er litt, behauptete er. Aber hatte er damals wirklich ebenso gelitten wie sie? Laura trat auf den Balkon und betrachtete die Aussicht. Es war dunkel geworden, sie sah den Mond aufgehen. Tief atmete sie die frische Seeluft ein. Wie wunderschön das alles hier war. Das stilvolle Haus, dieser ganze Besitz, der so viel Ehrwürdigkeit ausstrahlte. Sie überlegte, wieviel Arbeit, wieviel Kampf und Verzicht es gegeben haben mochte über Generationen, um das alles zu dem zu machen, was es heute war. Plötzlich wurde ihr klar, daß Raphael hier in dieser Umgebung eine ganz andere Persönlichkeit sein mußte, als er es in London zwischen Parks und Hochhäusern hatte sein können. London hatte wohl seine Wildheit und Urwüchsigkeit gemildert. Hier war es anders. Hier mußte er herrisch sein, um sich. durchzusetzen, zu vieles hing allein von ihm ab. Laura fröstelte. Wo war der Wunsch geblieben, so schnell wie möglich wieder abzureisen? Was war es, was sie hier hielt? Wollte sie nicht in diesem schönen Haus bleiben, in seiner
Nähe, vielleicht als Erzieherin seines Sohnes doch wieder Einfluß auf ihn gewinnen? Sie kehrte ins Zimmer zurück. Sie mußte verrückt sein. Noch immer besaß Raphael für sie diese magische Anziehungskraft, unerklärbar, allen Vernunftgründen zuwider. Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Es ist Sex, reines körperliches Begehren, sagte sie sich. Dieser Mann war groß und schlank, dunkelhaarig, genau ihr Typ. Sie kannte seinen muskulösen Körper, seine straffe Haut. Jede Frau mußte ihn unerhört attraktiv finden. Auch er hatte sie begehrt. Ihre Verbindung hatte sich deshalb zu einer Intensität gesteigert, in der man Leidenschaft mit Liebe verwechselt. Ja, so war es. Und nun fand sie es eine gute Idee, hergekommen zu sein. Da Raphael so völlig verändert war, konnte sie endlich von ihren Gefühlen befreit werden. Es gab viele attraktive Männer in der Welt. Der Mann vom Flugplatz zum Beispiel, dieser Pedro Armes. Er war charmant und vielleicht noch zu haben. Wenn dieser Monat zu Ende ging, würde sie um eine Lebenserfahrung reicher sein. Hoffentlich war sie bis dahin mit sich selbst ins reine gekommen. Nach einiger Zeit klopfte es an ihre Tür. Es war Lisa. "Ich möchte Sie zum Pequeno bringen, Senorita", sagte sie lächelnd. Laura folgte ihr die Treppen hinunter. Um Carlos' Kinderzimmer zu erreichen, durchquerten sie wieder die Haupthalle. Laura war nervös. Sie hatte Angst, Don Raphael noch einmal zu begegnen. Doch sie trafen niemanden auf der großen Treppe aus Marmor. Eine Flügeltür führte zu den Räumen des Kindes, die alle ineinander übergingen. Sie betraten ein großes Spielzimmer. Am Boden sah Laura einen kleinen Jungen, der mit Bausteinen spielte. Er wurde von einer älteren Frau beaufsichtigt, die
ebenso schwarz gekleidet war wie die übrigen Hausangestellten. Als Laura eintrat, stand die Frau höflich auf. Lisa stellte vor, und sie sprachen miteinander. Laura hörte sofort, daß die Frau Engländerin war. Sie hieß Dawn Latimer. Lisa ließ sie allein. Nach ein paar Worten rief Dawn leise: "Komm, Carlos, begrüße deine neue Erzieherin." Der Junge stand sofort auf. Er kam heran und stellte sich neben seine Kinderfrau. Bei seinem Anblick hatte Laura ein seltsames Gefühl. Er sah Raphael so ähnlich, daß es beinahe weh tat. Das gleiche schwarze Haar, die gleichen fast düsteren Augen und ein sonderbar feierlicher Ausdruck im Gesicht, den auch Raphael manchmal hatte. Mit seinem weißen Seidenhemd und den schwarzen Samthosen sah er sogar nicht aus wie die Kinder, die Laura bisher betreut hatte. Er machte den Eindruck, als habe er noch nie draußen im Gras herumgetobt, sich noch nie seine Knie aufgeschlagen oder gar einmal ein Loch in die Hose gerissen. Er war so zurückhaltend, so demütig, daß es sie ängstigte. Schüchtern streckte er ihr die Hand entgegen. Laura ergriff sie sanft und hielt sie einen Moment fest, ehe er sie wieder zurückziehen konnte. Höflich wartend stand er da, bis sie ihn ansprach. Sie hockte sich hin und sagte: "Du bist also Carlos. Wie alt bist du?" "Ich bin vier Jahre alt, Senorita", antwortete er sofort. "Sind Sie gekommen, um mir Unterricht zu geben?" Laura zog die Augenbrauen zusammen. "So kann man es vielleicht nennen. Aber keinen schweren Unterricht, weißt du. Du sprichst schon sehr gut englisch." Dawn Latimer mischte sich ein. "Es war mein Vorschlag, daß Carlos eine englische Erzieherin haben sollte. Es ist wahr, er spricht recht gut englisch, er ist ein intelligentes Kind. Aber ich dachte, man könnte schon an etwas mehr Grammatik und Mathematik denken."
Laura richtete sich auf. "Ist er dafür nicht noch ein bißchen zu jung? Er ist doch erst vier. In England besuchen Kinder in dem Alter einen Kindergarten und werden spielend an die Dinge herangebracht. Vor allem sollten Kinder unter Kindern sein. Hat Carlos keine Spielkameraden?" Dawn zog einen Stuhl für Laura heran. "Wollen Sie sich nicht setzen, Miss Fleming? Wissen Sie, Carlos ist nicht so wie andere Kinder. Er ist vor allem kein Engländer." Sie setzte sich ebenfalls. "Carlos ist Spanier, und spanische Kinder haben nicht die Freiheit unserer englischen. Außerdem leben wir hier an einem abgelegenen Platz, wie Sie sicher schon bemerkt haben. Hier gibt es leider keine anderen Kinder, mit denen er spielen könnte." "Überhaupt keine Kinder?" "Freilich gibt es Kinder im Dorf. Aber sie kommen nicht hierher. Ich glaube auch nicht, daß Don Raphael es erlauben würde." Laura wunderte sich. "Es wäre aber besser für Carlos, wenn er Kinder um sich haben könnte. Irgendwelche sind immer noch besser als gar keine." "Glauben Sie mir", erklärte Dawn, "ich habe das auch immer wieder vorgeschlagen. Aber seit Dona Elenas Tod hat Don Raphael wenig Bewegungsfreiheit gegeben." Laura schluckte. "Wie länge ist das jetzt her?" "Beinahe drei Jahre", antwortete Dawn. "Über den Tod von Dona Elena wird hier im Hause nicht gesprochen, Miss Fleming." Die Worte bestürzten Laura. Sie hätte gern mehr darüber erfahren, aber sie fragte nicht. "Sind Sie schon lange in diesem Haus?" Miss Latimer nickte. "Beinahe fünfunddreißig Jahre." "Dann müssen Sie ja schon hier gewesen sein, als Don Raphael noch ein Kind war?" "Ich war bei seiner Geburt dabei", erklärte Dawn.
Laura wurde nachdenklich. Sie konnte sich Raphael als Kind vorstellen. Ein Kind wie Carlos, aber sicherlich nicht so scheu und still. "War er wie Carlos?" "Er sah ihm ähnlich. Nur sein Temperament war anders. Er war ein sehr lebhaftes Kind, er hatte auch viel mehr Freiheit. Zumindest bis seine Mutter starb." "Wie alt war Raphael da?" "Etwa sieben Jahre, glaube ich. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Jedenfalls war es eine Tragödie. Sie und ihre Schwester kamen bei einem Autounfall ums Leben. Der Wagen wurde von Don Raphaels Vater gesteuert." "Schrecklich", murmelte Laura. "Wie hat es Don Raphael aufgenommen?" "Es war schlimm, wie Sie sich vorstellen können. Er hatte ein sehr zärtliches Verhältnis zu seiner Mutter. Ich glaube, damals hat er sich dann mir stärker zugewandt. Ich habe versucht, die Lücke ein wenig zu füllen." "Dann müssen Sie ihn sehr gut kennen?" Dawn lächelte. "Ich glaube schon. Haben Sie ihn schon kennengelernt? " "Ja", sagte Laura und schaute zu Carlos hin. "Ich hatte; eine Unterhaltung vor dem Essen mit ihm. Dona Luisa hat mich engagiert." "Ich weiß. Don Raphael wußte gar nicht, daß die Senora in England Erfolg hatte. Er ist erst heute nachmittag von einer Geschäftsreise zurückgekommen." "Ich hörte es." "Dona Luisa führt hier den Haushalt", berichtete Dawn; weiter. "Sie kam kurz nach dem Tod von Don Raphaels Mutter hierher. Es sollte nur für eine gewisse Zeit sein, doch dann blieb sie. Jetzt hat sie eine Gesellschafterin, die sie in vielem unterstützt." "Senorita Burgos?"
Dawn bestätigte das. "Rosetta Burgos ist Don Raphaels Cousine zweiten Grades. Ihre Mutter war seine Cousine." "Ich verstehe", meinte Laura. Das erklärt Rosettas Haltung in London, überlegte sie und fügte hinzu: ."Sie ist noch ziemlich jung, finde ich, als Gesellschafterin einer älteren Dame." Dawn blickte sie von der Seite an. "Sie werden noch lernen, daß es in Spanien nichts Wichtigeres gibt, als für die Familie da zu sein", sagte sie. Laura dachte, daß dies nichts Neues für sie war, sie hatte es selbst schmerzvo ll genug erlebt ... Am nächsten Morgen wachte Laura sehr früh auf. Sie packte ihre Koffer aus, machte sich zurecht und ging hinunter in die Halle und öffnete die schwere Haustür. Neugierig schaute sie sich um. Kein Mensch war zu sehen. Hier lag der Gemüsegarten, Obstbäume spendeten Schatten. Rechterhand erblickte sie das Meer, sehr blau und sehr weit. Links breitete sich Weideland aus, es gab weder Baum noch Strauch. Das Haus war von einer dicken Mauer umgeben. An manchen Stellen bröckelte sie etwas ab. Kle ine glockenförmige Blumen wuchsen in Büscheln aus den Steinen, wilde Rosen und andere rankende Pflanzen überdeckten teilweise die Stellen, die von der salzigen Luft und den Winden des Atlantik schadhaft geworden waren. Laura durchquerte den Gemüsegarten und schlüpfte durch eines der Löcher in der Mauer ins Freie. Hier war es kühler. Der Wind verfing sich in ihren Haaren, wehte ihr die Strähnen ins Gesicht. Das Band flog weg. Laura lachte, es störte sie nicht. Dieser Morgen wird eine wunderschöne Erinnerung sein, wenn ich wieder in London bin, dachte sie. Sie stieg durch das hohe Gras, riß einen Halm aus und kaute daran. Sie kam sich vor wie allein auf der Welt. Glücklich genoß sie die Weite und den Wind. Sie ging auf die Küstenlinie zu, neugierig, wie es wohl dahinter aussehen mochte. Sie bemerkte
nicht, daß sie sich schon weit vom Haus und der schützenden Mauer entfernt hatte. Plötzlich hörte sie hinter sich das Geräusch von trampelnden Hufen. Einen Augenblick war sie zutiefst erschrocken. Die Stiere, dachte sie, die Stiere, die hier gezüchtet wurden. Nirgends gab es einen Baum oder einen Strauch, hinter den sie hätte flüchten können. Die Gefahr schien immer näher zu kommen. Sie drehte sich schnell um und sah erleichtert, daß es ein Reiter war, der auf sie zukam. Ohne ihn genau zu erkennen, wußte sie sofort, daß es Raphael war. Er ritt einen prachtvollen schwarzen Zuchthengst. Ihr Herz begann zu klopfen. "Hast du den Verstand verloren oder willst du hier Selbstmord begehen?" schrie er sie an. Er war so wütend, daß seine Stimme sich überschlug. Darauf war Laura nicht gefaßt gewesen. Sie starrte ihn an, den Grashalm noch zwischen den Lippen. "Die Stiere, nicht wahr?" fragte sie atemlos. "Natürlich die Stiere! Du mußt sie doch auf der Fahrt hierher gesehen haben! Mein Gott, Laura, sie haben nicht das stoische Temperament der Rinder Englands. Sie werden für die Corrida gezüchtet, für den Stierkampf." "Ich weiß, was Corrida bedeutet", versetzte sie kühl, böse über ihre eigene Dummheit, "Sie hätten sich nicht aufregen brauchen. Es ist weit und breit kein Stier zu sehen. Außerdem", sie sah sich um, "bin ich ja nicht weit gegangen. Ich wollte mich nur ein wenig umschauen." "Ein wenig umschauen." Raphael verdrehte die Augen. "Auf dem Weideland der Kampfstiere!" Laura betrachtete ihn fasziniert. Er trug weiche schwarze Lederhosen, dazu die gleiche Weste über einem weitärmeligen weißen Seidenhemd. Den breitkrempigen, flachen schwarzen Hut hatte er aus der Stirn nach hinten geschoben. Das wellige dunkle Haar war vom Wind zerzaust. Eine herrische Gestalt, ein
Mann, der sich seiner Macht bewußt war. An diesem Morgen schienen sich die tiefen Linien geglättet zu haben, nur der Ärger verdüsterte seine Züge. Eine neue Welle von Gereiztheit glitt über sein Gesicht. "Ich kann nur hoffen, du lebst lange genug, um meinem Sohn etwas beizubringen. Oder vielleicht kann er dir etwas von seiner Intelligenz vermitteln. Das Kind weiß es jedenfalls besser. Carlos würde niemals allein auf dem Weideland spazieren gehen!" Jetzt wurde auch Laura ärgerlich. "Sie wollen mich nur beleidigen!" Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Sie wandte den Kopf und sah aus der Entfernung ein großes schwarzes Tier herantrotten. Sie erstarrte. Raphael beobachtete sie. Laura war sicher, daß er das Tier ebenfalls bemerkte, dennoch sagte er: "Nun, Senorita, dann bitte ich um Vergebung für meine unnötige Zurechtweisung. Und noch viel Spaß bei Ihrem Spaziergang!" Mit einem leichten Tippen an seinen Hut warf er das Pferd herum und ritt davon. Entsetzt blickte Laura ihm nach. Er konnte doch nicht einfach davonreiten, sie hier schutzlos dem wilden Tier überlassen! Inzwischen war der Stier näher gekommen, er stand jetzt direkt zwischen ihr und der schützenden Mauer des Hauses. Mit tückischen Augen schien er zu ihr herüberzustarren. Sie hatte entsetzliche Angst. Don Raphael nachblickend, fluchte sie vor sich hin. Wie konnte et so grausam sein? Wütend spuckte sie den Grashalm aus und begann in wilder Panik mit fliegenden Haaren hinter ihm herzulaufen. Sie verlor dabei ihre Sandalen, das harte Gras zerstach ihre Füße. Jeden Moment, so dachte sie, würde sie das Donnern der Hufe hinter sich hören. In ihrer Einbildung spürte sie schon den heißen Atem des Tieres in ihrem Nacken. Fiel Raphael denn
nichts auf? Er kümmerte sich nicht im geringsten um sie. Kein einziges Mal drehte er sich um. Als Laura nach einiger Zeit weder donnernde Hufe noch den Atem des Tieres hinter sich vernahm, wich ihre Angst einer rasenden Wut. Sie erreichte Don Raphael und schlug dem Hengst mit großer Wucht auf das Hinterteil. Der plötzliche Schlag erschreckte das Pferd, es keilte aus und stieg mit den Vorderbeinen in die Luft. Es sah gefährlich aus, doch Raphael hatte das Tier wenige Augenblicke später wieder in der Gewalt. Erschöpft ließ sich Laura der Länge nach ins Gras fallen. Ärger und Wut verwandelten sich in Scham darüber, daß sie sich so hatte gehen lassen. Und wenn eine ganze Herde wilder Stiere über sie hinweggerast wäre, sie wäre nicht aufgestanden. Doch es war ihr nicht vergönnt zu verschnaufen. Sie wurde hart angepackt und hochgezogen. Der heiße Atem, der jetzt über ihr Gesicht strich, war der Don Raphaels. "Dafür verdienst du Prügel!" fuhr er sie an. "Was wolltest du damit erreichen?" Laura blitzte ihn wütend an. "Ich wünschte, du wärst von diesem verdammten Pferd gefallen!" schrie sie. "Und wenn ich ein Mann wäre, würde ich dich jetzt verprügeln!" "Wirklich?" "Wirklich!" Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, es gelang ihr nicht. "Wenn Santos gestürzt wäre und sich ein Bein gebrochen hätte.:." Sie fiel ihm ins Wort. "Wenn ..., wenn dieser Stier ... Himmel, wo ist er denn?" Sie schaute sich in jäher Panik um. "Städter sollten lernen, zwischen Stieren und Kühen zu unterscheiden", sagte Raphael eisig. "Auch sein Temperament sollte man unter Kontrolle halten. Du benimmst dich wie ein Schulmädchen, Laura. Hattest du nicht gesagt, du seist reifer geworden?"
Laura machte sich mit einem Ruck frei. "Du ... Sie meinen, das war eine Kuh?" "Genau, Senorita!" bestätigte er höhnisch. "Sie haben mich in dem Glauben gelassen, es wäre ein Stier." Wieder stieg Zorn in ihr auf. "Habe ich das? Wieso?" Natürlich hatte er es nicht direkt gesagt. Es war eine Kombination von Umständen, die ihr den falschen Eindruck vermittelt hatten. "Du Scheusal!" brauste sie auf. "Du hast genau gewußt, wie ich reagieren würde!" Don Raphael zuckte mit den Schultern. "Vielleicht hast du etwas dabei gelernt", erwiderte er kühl. Laura preßte die Nägel in ihre Handflächen. "O ja, das habe ich", stieß sie hervor. "Nicht nur über Stiere, Don Raphael." Sie wandte sieh ab, atmete tief durch und bemühte sich, gelassen und mit Haltung davonzugehen. Dabei zitterte sie vor Aufregung. Er war schuld, daß sie sich lächerlich gemacht hatte. Dennoch hätte sie wissen müssen, daß er sie niemals einem wilden Stier ausgesetzt hätte. Sie schluchzte auf. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Es war eine absolut verrückte Situation. Am schlimmsten, weil sie sich eingestehen mußte, daß seine so grobe Berührung und seine körperliche Nähe ihr ein wildes Vergnügen bereitet hatten. Sie eilte ins Haus. Nur jetzt niemandem begegnen. Sie mußte allein sein.
4. KAPITEL Erst unter der kühlenden Dusche wurde Laura wieder ruhiger. Sorgfältig frottierte sie sich ab, zog ihren Bademantel an und ging ins Zimmer zurück. Um wieder wie eine Erzieherin auszusehen, wählte sie ein etwas streng geschnittenes marineblaues Kleid mit weißem Kragen und weißen Manschetten. Ihr Haar schlang sie zu einem Knoten, dann ging sie in die Küche hinunter. Maria kam gerade aus dem Garten. "Guten Morgen, Senorita, haben Sie einen Wunsch?" "Kann ich mit Carlos im Kinderzimmer frühstücken?" fragte Laura sie. "Don Raphael sprach gestern nur vom Abendessen mit der Familie." Maria antwortete kurz: "Ich habe Don Raphael so verstanden, daß Sie stets mit der Familie essen werden." "Er hat gewiß nicht jede Mahlzeit gemeint, Maria", versuchte sie es noch einmal. "Bis ich andere Anweisungen habe, Senorita, ist für Sie am Familientisch gedeckt", erklärte Maria bestimmt. Sie bemerkte Lauras Enttäuschung und fügte hinzu: "Es tut mir leid, Miss Fleming, aber ich habe meine Anordnungen. Wenn Sie gern im Kinderzimmer essen wollen, sprechen Sie doch bitte mit Don Raphael." "Schon gut, danke, Maria. Würden Sie mir bitte den Weg zeigen?"
Maria geleitete sie den Korridor entlang bis zur Haupthalle. Dann betraten sie einen kleinen, hellen Frühstücksraum. In der Mitte stand ein prachtvoll gedeckter runder Tisch. Der Raum war behaglich eingerichtet, und als Laura Dona Luisa am Tisch sitzen sah, war sie erleichtert. Sie hatte sich davor gefürchtet, vielleicht mit dem Hausherrn allein zu sein. Jetzt erschien ihr der Gedanke lächerlich. Es lag wohl an Don Raphaels Haltung, daß sie bei allen Dingen, die ihn betrafen, dieses Gefühl der Unsicherheit befiel. Dona Luisa begrüßte sie liebenswürdig. "Guten Morgen, Miss Fleming. Ich bin froh, daß Sie gut angekommen sind. Wie war die Reise?" Laura lächelte und setzte sich ihr gegenüber. "Danke, ich hatte eine sehr angenehme Reise, Senora." "Nennen Sie mich Dona Luisa, Senora klingt so förmlich", warf die alte Dame ein. "Wir leben doch unter einem Dach. Haben Sie Carlos schon gesehen?" "Ja, gestern abend nach dem Essen." "Gut. Was halten Sie von ihm?" "Was ich von ihm halte, Senora? O Entschuldigung, Dona Luisa." "Ich möchte es wissen. Sicher hat Dawn Latimer Sie nicht darüber im unklaren gelassen, wie Raphael seinen Sohn erzieht." Laura wurde verlegen. "Es war eine sehr kurze Begegnung, Dona Luisa. Wir haben nur wenig miteinander gesproche n. Wenn ich ehrlich sein darf, ich finde, das Kind ist etwas einsam für sein Alter." "Carlos lebt so, wie ein wohlerzogener spanischer Junge zu leben hat", wurde Laura von einer kalten Stimme unterbrochen. Sie wandte sich um. Rosetta Burgos war ins Zimmer gekommen. Sie hatte frische Brötchen geholt, die sie jetzt auf den Tisch stellte. Dona Luisa schüttelte den Kopf. "Ach Rosetta, du würdest natürlich nicht das geringste gegen Raphaels Anordnungen
sagen. Das Kind ist aber wirklich zuviel allein. Das wissen wir alle." Laura hörte dem Wortwechsel zu. Sie spürte, hier ging etwas vor, was sie nicht erwartet hatte. Rosetta Burgos schien ihrem Cousin Raphael ganz besonders verbunden zu sein. Vielleicht war alles schon abgesprochen, dachte sie. Cousin und Cousine zweiten Grades, das war kein Hinderungsgrund, wenn der Herr auf Madralena noch einmal heiraten sollte. Rosetta zog energisch an einer hängenden seidenen Kordel. Darauf nahm sie neben Dona Luisa Platz. "Carlos ist ein außerordentlich intelligentes Kind", setzte die alte Dame die Unterhaltung fort, während sie ein Brötchen mit den Händen zerbrach. "Das ist eine Tatsache. Jedoch wäre es besser, wenn er Kinder in seinem Alter zum Spielen hätte!" "Genau das meine ich", stimmte Laura zu, froh, daß sie mit ihren Überlegungen nicht allein war. "Es muß doch in der Nähe ein paar Kinder geben. Wohnen denn entlang des Weidelandes keine Familien?" "Nur im Dorf", schaltete sich Rosetta ein. "Sie wollen Carlos doch nicht etwa mit diesen Leuten zusammenbringen?" "Warum denn nicht?" fragte Laura eifrig. "Kinder sind nicht für die Verhältnisse ihrer Eltern verantwortlich." "Aber aus einem Kind wird das, was die Eltern daraus machen", entgegnete Rosetta. "Beruhige dich, Rosetta", besänftigte Dona Luisa, "gewissermaßen hast du ja recht. Es gibt nur einen Besitz am Weideland, das ist Madralena. Das einzige akzeptable Gut in der Nähe, gehört einem Junggesellen. Pedro Armes, er ist Künstler." "Ich habe ihn kennengelernt", berichtete Laura, ihre Abneigung gegen ihn ganz vergessend. "Er kam mit dem gleichen Flugzeug nach Malaga wie ich. Villand war ihm bekannt, er begrüßte ihn." "Sie haben seine Bekanntschaft gemacht?" fragte Rosetta befremdet.
Laura war etwas verlegen. "Nicht direkt", wich sie aus. "Villand kam zu spät, und Senor Armes bot mir seine Hilfe an. Natürlich habe ich abgelehnt." "Wie finden Sie ihn?" wollte die Senora wissen. Nun errötete Laura. Sie suchte noch nach Worten, da sprach die Senora schon weiter: "Vielleicht sollten Sie wissen, meine Liebe, daß Senor Armes auf Madralena kein gern gesehener Gast ist." "Ach so", murmelte Laura und war auf einmal neugierig. "Warum nicht?" Rosetta hob die Augenbrauen. "Die Gründe sind rein familiärer Natur, Senorita", erklärte sie abweisend. Laura war überrascht, daß Dona Luisa einen so anmaßenden Ton gestattete. Doch die alte Dame war wohl schon mit anderen Dingen beschäftigt, denn sie sagte: "Ich bin gespannt, wie Sie mit Carlos zurechtkommen, Miss Fleming. Sicher wird Ihr Einfluß gut für ihn sein. Ich weiß, er wächst unter Erwachsenen auf, sein Leben ist völlig verschieden von dem anderer Kinder. Wie Rosetta schon sagte, spanische Kinder haben nicht die Freiheit der Kinder in Ihrem Land. Versuchen Sie, unsere Art zu verstehen, Miss Fleming, dann werden auch wir versuchen, Sie zu verstehen." Sie tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. "Dennoch muß ich Sie warnen. Don Raphael läßt sich von honigsüßen Phrasen nicht einwickeln. Sollten Sie glauben, daß Ihre Art zu leben die einzig richtige sei, werden Sie Schwierigkeiten haben." "Danke für Ihren Rat, Senora." Laura lächelte etwas gequält. Es würde nicht leicht sein, sich mit modernen Anschauungen durchzusetzen. Laura hatte gedacht, nach den Ereignissen an diesem Morgen keinen Bissen hinunterzubringen, doch Kaffee, frische Brötchen und leckere Konfitüre dufteten so gut, daß sie Hunger verspürte. Sie fühlte sich dann nach dem Frühstück wieder wesentlich
besser und war bereit, es mit allem aufzunehmen, sogar mit Rosettas spitzer Zunge. Sie entschuldigte sich bei den Damen und machte sich auf den Weg zu Carlos' Räumen. Im Kinderzimmer hatten Miss Latimer und Carlos ebenfalls gerade ihr Frühstück beendet. Dawn säuberte Carlos Hände und Gesicht. Als sie Laura erblickte, lachte sie ihr fröhlich entgegen. "Da haben Sie Ihren Schützling. Frisch, sauber und erwartungsvoll!" "Guten Morgen, Carlos", begrüßte Laura den Jungen. "Wie geht es dir heute morgen?" "Sehr gut, vielen Dank." Er betrachtete sie nachdenklich. "Werden Sie mir jetzt Unterricht geben?" "Nicht gleich Unterricht. Ich glaube, wir sollten uns erst einmal ein bißchen kennenlernen. Glaubst du, dein Papa würde erlauben, daß wir in den Garten gehen? Es ist ein so wunderschöner Tag. 'Ich möchte den Unterricht erst beginnen, wenn ich ihn gesehen habe." Dawn stimmte zu. "Dagegen kann er nichts haben. Bleiben Sie aber bitte innerhalb der Mauer. Es kann sonst gefährlich werden." "Ich weiß, die Stiere", bemerkte Laura und entschied, nichts von ihrem Erlebnis heute morgen zu erzählen. "Sie sehen gefährlich aus." "Sie sind auch gefährlich. Es ist noch nicht lange her, da wurde einer der Aufseher angegriffen und erheblich verletzt." Laura schüttelte sich. "Wie kann man sie dann frei herumlaufen lassen?" "Das Dorf ist eingezäunt. Da besteht keine Gefahr. Und wenn sie das richtige Alter haben, werden sie für den Stierkampf verkauft." "Ja, ich hörte davon. Ich habe noch nie einen Stierkampf gesehen. Waren Sie schon einmal dabei?" fragte sie Dawn. "Ich habe schon einen gesehen", kam es stolz von Carlos.
"Wirklich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen." Laura schaute fragend zu Dawn. "Stimmt das?" Dawn hob die Hände. "Gewiß. Warum nicht? Der Stierkampf gehört in Spanien zum Leben. Man muß ihn kennen, so wie bei uns das Fußballspiel." "Unvorstellbar!" wunderte Laura sich. "Wollen wir jetzt gehen, Carlos?" Der Junge war bereit und ergriff ihre Hand. Zusammen gelangten sie in den mit Mosaiksteinen ausgelegten Innenhof. Die Sonne ließ die bunten Blumen aufleuchten. Der Duft war berauschend. Sie spazierten an der Fontäne vorbei. Carlos tauchte seine Finger in das Wasserbecken und blickte zu Laura auf. "Erzählen Sie mir von Ihrem Zuhause?" Etwas wie Sehnsucht schwang in seiner Stimme. "Von meinem Zuhause?" wiederholte Laura, dann lächelte sie. "Aber gern. Ich habe natürlich nicht ein so großes und schönes Haus wie du. Ich habe nur eine Wohnung, und die teile ich mit einem anderen Mädchen. Weißt du, was eine Wohnung ist?" Carlos schüttelte den Kopf. Laura setzte sich auf den Beckenrand und erzählte: "Eine Wohnung hat mehrere Zimmer und liegt in einem großen Haus, in dem es viele solcher Wohnungen gibt. Alle Wohnungen sind abgeschlossen voneinander und haben eine Eingangstür, die sie wiederum abschließt von dem großen Haus. So wie eine Haustür, ein Eingang, weißt du?" "So wie ein Appartement?" "Ja, genau so." "Papa hat ein Appartement in Madrid", sagte Carlos gelangweilt. "Haben Sie Brüder oder Schwestern?" "Nein."
"Ich auch nicht", seufzte Carlos. "Ich hätte gern Geschwister. Bei meinen Cousins, da sind viele Kinder im Haus. Ich bin ganz allein." Laura nahm wieder seine Hand. "Ich bin ja auch noch da", sagte sie lächelnd. "Komm, zeige mir den Garten. Hast du eine Schaukel?" "Was ist eine Schaukel?" Laura beschrieb eine Schaukel, und Carlos schüttelte den Kopf. "Ich habe ein Auto", berichtete er wichtig. "Es hat einen richtigen Motor." Laura war überrascht. "Wirklich?" "Ja. Ich habe überhaupt sehr viele Spielsachen. Sie sind oben im Kinderzimmer." "Hast du auch Tiere?" "Was für Tiere?" "Na, Kaninchen, Hamster oder einen kleinen Hund." "Nein, so etwas habe ich nicht. Es gibt so viele Tiere auf unserem Besitz. Mein Vater sagt, ich kann sie mir ansehen, wann immer ich will." "Das ist aber nicht dasselbe", meint Laura erklärend. "Wenn man Tiere hat, die einem selbst gehören, muß man auch für sie sorgen, sie füttern und sauber halten." Doch hörte sie mit ihren Erklärungen auf, als sie das gelangweilte Gesicht des Jungen sah. Auf dem Rasen stand eine Laube mit einem gemeißelten Steinsitz, von dem aus man auf die Küstenlinie blicken konnte. "Komm,, setzen wir uns", schlug Laura vor. Sie strich über den von der Sonne erwärmten Stein. "Reden wir über unsere Hobbys. Das sind Dinge, die man gern tut. Vielleicht können wir später einiges davon mit in den Unterricht hineinnehmen." Carlos setzte sich neben sie und blickte sie interessiert an. "Ja, bitte, erzählen Sie mir etwas über Hobbys." Einen Augenblick überlegte Laura, dann begann sie: "Hobbys sind Dinge, die man tut, weil sie Spaß machen, wie Lesen,
Malen oder Basteln. In England tun das viele Leute, sie spielen auch Spiele oder sammeln Raritäten. Ich habe mal Briefmarken gesammelt." Carlos verstand. "Ja, Libby sammelt Blumen, die preßt sie in einem Buch." "Libby? Meinst du Miss Latimer?" "Ja, ich nenne sie Libby. Haben Sie sie gern?" "Sehr gern", antwortete Laura. "Ich glaube, sie ist wie eine Mutter zu dir. Kannst du dich an deine Mutter erinnern, Carlos?" "Nein, gar nicht. Ich war noch ein Baby als sie starb", sagte er mit dünner Stimme. "Könnten wir nicht auch irgend etwas sammeln, Miss Fleming?" Laura schaute ihn fragend an. "Findest du nicht, daß Miss Fleming sehr förmlich klingt? Wenn du nur Laura sagst, wird es deinem Vater nicht recht sein. Kannst du dir nicht einen Namen für mich ausdenken?" Carlos krauste die Nase. "Wie wäre es mit Senorita Laura?" schlug er vor. Laura lachte. "Das ist ja noch länger als Miss Fleming. Also lassen wir es zunächst dabei. Es wird uns schon noch etwas einfallen, ja?" Die Zeit verging schnell. Beide konnten gar nicht glauben, daß es bereits halb zwölf war, als Lisa kam und sie zum zweiten Frühstück rief. Die heiße Schokolade stand schon im Haus für sie bereit. Sie gingen zurück ins Kinderzimmer. Carlos zeigte Laura seine Spielsachen. Es war alles ordentlich zusammengepackt und aufgeräumt, so daß Laura bezweifelte, ob er wirklich Freude daran hatte. Das muß anders werden, beschloß sie bei sich, ganz gleich, ob Raphael böse wurde oder nicht. "Sie sehen ja ganz aufgeregt aus, Miss Fleming", sagte Dawn, als Laura zu ihr kam. "Bitte, sagen Sie doch Laura zu mir", bat sie die Kinderfrau. "Da wäre wohl jeder verblüfft, wenn er ein so fabelhaft
aufgeräumtes Kinderzimmer sähe. Hat Carlos eigentlich noch nie etwas kaputtgemacht? Oder etwas herumliegen lassen?" Dawn lachte. "Laura, Carlos ist Spanier. Haben denn die Valdes, bei denen Sie in London arbeiteten, ihre Kinder nicht genauso erzogen?" Laura überlegte. "Nein. Die Valdes waren nicht ganz so spanisch, denn sie lebten in England. Ich kann einfach nicht glauben, daß alle Spanier ihre Kinder derart streng erziehen. Wieviel Zeit verbringt Carlos eigentlich mit seinem Vater?" "Das ist wieder etwas ganz anderes", meinte Dawn unsicher. "Don Raphael ist ein sehr beschäftigter Mann." "Zu beschäftigt, um Zeit für seinen Sohn zu haben? Das meinen Sie doch, oder?" Laura blickte sie forschend an. Dawn machte eine hilflose Gebärde. "Es wird seine Gründe haben, meine Liebe, verurteilen Sie nicht alles so schnell. Ich weiß, Don Raphael wirkt streng und schroff. Aber er war nicht immer so. Das kam erst nach Elenas Tod ..." Ihre Stimme verebbte. Gern hätte Laura noch weitere Fragen gestellt, doch sie wollte nicht, daß Dawn sich Gedanken über ihre Wißbegierde machte. Lisa tauchte in der halboffenen Tür auf. "Das Essen wird aufgetragen, Senorita. Dona Luisa bittet Sie zu Tisch!" "Danke", sagte Laura und wandte sich zu Miss Latimer. "Glauben Sie, man wird mir erlauben, daß ich hier esse, mit Ihnen und dem Kind? Soll ich fragen? Natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist", setzte sie hinzu. "Ich würde mich freuen", antwortete die Kinderfrau. "Ich halte es aber für besser, Sie sprechen vorher mit Don Raphael. Es war sein Wunsch, daß Sie mit der Familie essen." Laura ahnte es. Sie empfand es als Strafe, die Raphael ihr zugedacht hatte. Das Essen mit der Familie bedeutete so etwas wie eine Mutprobe für sie. Sie trat an einen Spiegel und glättete ihr Haar. "Ich hätte mich erfrischen und umziehen sollen", murmelte sie, "aber die Zeit ist so rasch verflogen."
Carlos kam auf sie zu und ergriff ihre Hand. "Kommen Sie heute nachmittag wieder?" Es klang wie eine Bitte. Laura war gerührt. "Sicher komme ich wieder." Sie beugte sich zu ihm. "Hat es dir heute morgen auch soviel Spaß gemacht wie mir?" "Sehr viel Spaß", stimmte er begeistert zu. "Vergessen Sie bitte nicht zu überlegen, was wir sammeln wollen." "Bestimmt nicht. Es wird mir sicher etwas einfallen. Adios, Carlos!" Während sie zum Eßzimmer hinunterging, fühlte sie wieder diesen Druck im Magen. Er stellte sich immer ein, wenn sie annehmen mußte, Don Raphael zu begegnen. Doch Dona Luisa und Rosetta saßen allein am Tisch. Es war in einem kleineren Nebenraum gedeckt. Dona Luisa erklärte, daß sie stets hier mit Rosetta esse, wenn sie unter sich waren. "Das Zimmer ist gemütlicher und für das Personal bequemer", sagte die Senora. "Don Raphael ist heute nicht im Haus, und wir haben keine Gäste." Laura nahm gern ein Glas Sherry. Dabei erfuhr sie, daß der Wein aus einem weiteren Besitz der Madralenas stammte, aus den Weingärten der Familie in der Nähe von Cadiz. "Don Raphael ist heute hingefahren", erzählte Dona Luisa. Die Suppe wurde serviert, "Während seiner Reise nach Madrid ist dort viel Arbeit liegengeblieben." Laura aß mit Appetit, der Vormittag hatte sie hungrig gemacht. Als sie einmal aufsah, schaute sie direkt in die kalten Augen Rosettas. "Sagen Sie, Senoritä", fragte Rosetta von oben herab, "haben Sie heute morgen schon mit dem Unterricht begonnen?" Laura runzelte die Stirn. Sie hatte das Gefühl, Rosetta wisse genau, daß sie mit Carlos den ganzen Morgen im Garten gewesen war. Anscheinend wollte sie das vor der Senora erwähnen. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und
antwortete ebenso kühl: "Nein. Carlos und ich müssen erst einmal miteinander bekannt werden." Rosetta zog die Mundwinkel herab. "Das kommt doch mit der Zeit von allein." "Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Kinder den Lehrer erst kennenlernen müssen", erklärte Laura sachlich. "Der Lehrer muß dem Kind vertraut sein. Außerdem ist Carlos noch zu jung, um regelmäßig Unterricht zu haben. Alles sollte mehr spielend geschehen." Rosetta warf einen Blick auf Dona Luisa, die der Auseinandersetzung stumm folgte. "Haben Sie keine Angst, man könnte das negativ auslegen und annehmen, Sie wollten mit dieser Art Ihre Zeit hier nur verlängern?" Laura verschluckte sich fast, und jetzt griff Dona Luisa ein. "Ich gebe Miss Fleming recht", sagte sie beruhigend. "Carlos ist ein einsames Kind und wird einen schnellen Wechsel nicht so leicht bewältigen. Ich finde es durchaus vernünftig, schrittweise vorzugehen. Was aber die Dauer der Anstellung betrifft, Rosetta, so bist du offensichtlich nicht über die glänzenden Möglichkeiten unterrichtet, die eine Erzieherin mit den Qualitäten von Miss Fleming hat." Nun. errötete Rosetta. "Immerhin ist diese Position kein Ferienaufenthalt, Dona Luisa. Das haben Sie selbst gesagt! " Dona Luisa winkte ab. "Wenn Miss Fleming Freude an ihrer Arbeit hat, sollten wir ihr das Vergnügen gönnen. Ich glaube, du bist eifersüchtig, Rosetta. Vielleicht würdest du lieber Carlos betreuen als eine wunderliche alte Frau wie mich." Rosetta richtete sich auf, um zu widersprechen, aber die Senora ließ sie nicht zu Worte kommen. "Oder liegt es daran, daß Carlos Don Raphaels Sohn ist, Rosetta? Der Junge gleicht seinem Vater in vielen Dingen. Möglicherweise findet eine junge Frau als Erzieherin des Sohnes auch die besondere Beachtung des Vaters. Mehr als die Gesellschafterin seiner Großtante!"
Laura schaute auf ihren Teller. Auch wenn sie Rosetta nicht besonders mochte, zu hören, wie sie in ihrer Gegenwart verspottet wurde, war nicht angenehm. Sie wünschte, die Mahlzeit wäre schon vorbei, obwohl sie gerade erst begonnen hatte. Sie mußte noch heute eine Gelegenheit finden, Don Raphael um die Erlaubnis zu bitten, im Kinderzimmer zu essen, bei Miss Latimer und Carlos. Sie wollte keine Feindschaft. Sicher würde Rosetta sie für den spöttischen Ton ihrer Tante verantwortlich machen. Sie wollte auch kein Geschwätz über Don Raphael hören. Wenn Rosetta wünschte, Raphael näherzukommen, dann viel Glück. Nachdem Carlos seinen Mittagsschlaf beendet hatte, fragte Laura Dawn nach einem direkten Weg hinunter zum Strand. Die Siesta hatte sie in ihrem Zimmer verbracht, dabei einen kurzen Brief an Linda geschrieben. Jetzt fühlte sie sich erfrischt und voller Tatendrang. Dawn überlegte ein paar Augenblicke. "Normalerweise nimmt man den bequemen Weg zum Strand am Dorf vorbei. Unser Strand hier ist nämlich nur über die Klippen zu erreichen und daher etwas gefährlich. Es gab einmal eine in die Felsen gehauene Treppe." Sie wandte sich zum Fenster. "In alten Zeiten steuerten die Schiffe in die kleine Bucht hier, und die Leute kamen über die steilen Felsstufen zum Madralena-Haus. In der Bucht gingen sie vor Anker, denn dieser Teil des Vorgebirges war nicht bewacht." Laura und Carlos bekamen große Augen. "Das klingt ja mächtig aufregend. Gab es hier Schmuggler?" "Das nehme ich an. Doch sie schmuggelten menschliche Fracht." Laura klatschte in die Hände. "Die Mauren?" Dawn nickte.' "Ich bin sicher, so manche Familie hier an der Küste wird in ihrer Ahnenreihe gewisse maurische Merkmale vorzuweisen haben."
Laura schaute zur Carlos hinunter. "Tatsächlich?" "Ohne Zweifel", bestätigte Miss Latimer. "Auch die Madralenas sind eine recht wilde Familie! Zur Zeit der Inquisition gab es eine ganze Menge Gerüchte. Das habe ich in der Familienchronik gelesen. Wenn Sie Don Raphael besser kennengelernt haben, werden Sie merken, daß auch er zeitweilig unbarmherzig sein kann!" Laura zuckte zusammen. Sie wußte genau, was Dawn damit sagen wollte. Da fuhr diese fort: "Niemand zweifelt hier an Raphaels Autorität. Doch die Liebenswürdigkeit, die ich an ihm kannte, hat er schon vor Jahren aufgegeben." Laura schaute sie an. "Glauben Sie, ich verschwende hier nur meine Zeit?" "Mit Raphael?" Dawn zuckte die Schultern. "Es hängt von so vielen Dingen ab, glaube ich. Als ich noch jung war, habe ich um Raphael gekämpft, und sicher hatte ich auch einige Erfolge. Doch da lebte seine Mutter noch. Nach ihrem Tod war sein Vater völlig unzugänglich. Raphael blieb aber immer ein natürliches, freundliches Kind. Er änderte sich erst nach seiner Rückkehr aus England, nachdem er Elena geheiratet hatte. Nach Elenas Tod wurde er so hart, wie er heute ist." Laura fragte mit etwas aufgeregter Stimmer. "Er hat Elena sehr geliebt, nicht wahr?" "Möglich", sagte Miss Latimer nur kurz. Dann wechselte sie das Thema. Ausgerüstet mit Dawn Latimers guten Ratschlägen machten sich Laura und Carlos auf, die Klippen zum Strand hinunterzuklettern. Raphael hätte ihnen sicher den richtigen Weg über die Klippen zeigen können, doch Laura hatte keine Lust, mit ihm die Klingen zu kreuzen über mögliche Gefahren eines solchen Ausflugs. Also fragte sie ihn nicht. Für Carlos war es ein richtiges Abenteuer. Er wurde lebhaft und zeigte echte Begeisterung. Laura mußte ihn zurückhalten, denn er wäre am liebsten gleich über die Mauer geklettert. Ein
Stückchen gingen sie am Felsengrat entlang. Schließlich fanden sie, überwachsen von hartem Ried und Strohblumen, den Beginn einer bemoosten Treppe, die in Serpentinen steil abwärts führte. Es reizte sie mächtig, da hinunterzusteigen, doch mit einem kleinen Kind war ein solches Unternehmen zu riskant. "Da können wir nicht hinunter, mein Kleiner", sagte sie betrübt. "Es ist zu gefährlich. Siehst du, wie die Stufen ausgetreten sind? Weiter unten wird das Meer noch größeren Schaden angerichtet haben." Carlos' Miene verfinsterte sich. "Ich dachte, Sie würden dieses Abenteuer wagen", sagte er enttäuscht. "Niemals erlebe ich etwas." Laura wollte ihn besänftigen, wurde aber von einer barschen Stimme unterbrochen. Don Raphael war plötzlich da, riß seinen Sohn von der Hand der Erzieherin los und nahm ihn auf den Arm. "Sie haben es bestens verstanden", schimpfte er ärgerlich, "in der kurzen Zeit von vierundzwanzig Stunden nicht nur sich selbst, sondern jetzt auch noch meinen Sohn in gefährliche Situationen zu bringen!" Laura starrte ihn entsetzt an. "Ich bitte um Verzeihung ..." "Was für eine Lektion wollten Sie Carlos hier erteilen?" fragte er sarkastisch. "Wollten Sie ihm das bröckelnde Felsgestein zeigen, von dem jeden Augenblick unter Ihren Füßen ein weiteres Stück wegbrechen kann?" Laura preßte die Hände zusammen. "Ich wollte keine Lektion erteilen, Senor. Und Carlos war auch nicht in Gefahr." "Sie wollten nichts entdecken, nichts erforschen?" "Selbstverständlich nicht. Ich bin doch nicht verrückt!" Sie versuchte sich zusammenzunehmen, denn sie spürte, wie die Erregung in ihr emporkroch. Raphael schaute sie skeptisch an. Carlos streichelte seine Wange.
"Miss Fleming hatte gerade gesagt, wir gehen nicht hinunter", verteidigte er Laura. "Sie sagte, es sei zu gefährlich. Und ich war enttäuscht." "Wirklich?" Don Raphael schaute zu Laura. "Dann erklären Sie mir bitte, was Sie hier wollten." "Wir wollten die Treppe suchen. Die alte Schmugglertreppe. Ich dachte, es wäre interessant für Carlos, den Strand zu entdecken." "Entdecken! Entdecken! Dieses Wort kann ich nicht mehr hören!" rief Don Raphael ungeduldig. "In London, Senorita, entdeckt man. Hier setzt man sich höchster Gefahr aus!" "Sie irren sich!" versetzte Laura aufgebracht. Sie konnte nicht mehr an sich halten. "Carlos war keinen Moment in Gefahr! Er ist ein normaler vierjähriger Junge, der langsam müde wird, immer nur behütet und geschont zu werden. Es gibt einen Unterschied zwischen natürlicher Neugier und Unverantwortlichkeit. Warum sollten wir nicht hierherkommen und die Treppe suchen? Solange ich bei dem Kind bin, wird Carlos nichts geschehen." Don Raphael setzte Carlos auf den Boden und steckte seine Hände tief in die Taschen seines dunklen Anzugs. Wahrscheinlich war er gerade von seinem Inspektionsbesuch des Weinguts zurückgekommen. Laura überlegte, wer ihm gesagt haben könnte, wohin sie gegangen waren. Dawn Latimer? Doch das bezweifelte sie. Die Kinderfrau war im Stuhl eingedöst, als sie mit Carlos fortgegangen war. Dann dachte sie an Rosetta, die immer wieder versuchte, sie anzuschwärzen. Natürlich, Rosetta hatte ihr Weggehen mit Carlos beobachtet und Don Raphael hinterhergehetzt. Wenn Rosetta wüßte, wie gern sie von hier fortginge, würde sie vielleicht Ruhe geben. Aber das stimmt ja gar nicht, dachte Laura. Sie wollte nicht fort. Sie war Carlos schon sehr zugetan, unabhängig von den
Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit. Und sie gestand sich ein, daß es ihr eine rein feminine Befriedigung verschaffte, ihrerseits Don Raphaels Autorität herauszufordern. "Merken Sie sich bitte trotzdem", sagte Don Raphael, indem er sich halb zum Haus umwandte, "Ihre Anstellung hier ist die einer Erzieherin und nicht die eines Spielkameraden für meinen Sohn." Laura unterdrückte ihren Ärger. "Kann ich denn nicht beides für ihn sein?" Don Raphael blickte über die Schulter zu ihr zurück. "Und wenn ich Sie entlasse?" Laura zuckte die Schultern. "Das wäre Ihr gutes Recht." "Hol's der Teufel", murmelte er erbittert und ging mit beschleunigten Schritten auf den Eingang des Hauses zu. Laura war zögernd stehe ngeblieben. Carlos' kleine Hand ergriff fest die ihre, er blickte ängstlich zu ihr auf. "Ist alles in Ordnung, Miss Fleming?" fragte er leise. "Sie werden doch nicht wieder fortgehen, nicht wahr?" Laura schluckte. Dann beugte sie sich zu ihm und nahm ihn in die Arme. "Nein", antwortete sie. Und doch konnte sie ihn nicht ansehen, weil sie nicht wußte, wie das alles enden würde.
5. KAPITEL Carlos bekam an diesem Abend sein Essen sehr früh. Dann verbrachte er eine Stunde mit seinem Vater, bevor er vo n Miss Latimer ins Bett gebracht wurde. Laura hatte währenddessen ihre freie Zeit. Sie badete, kleidete sich an und machte sich für das Abendessen zurecht. Zuletzt tupfte sie etwas von ihrem Lieblingsparfüm auf die Schläfen und hinter die Ohren. An das Abendessen wagte sie gar nicht zu denken. Es würde eine Feuertaufe zu bestehen geben, wenn Raphael anwesend war. Sie nahm sich fest vor, schnellstens zu einer Regelung zu kommen, die es ihr ermöglichte, künftig im Kinderzimmer zu essen. Um das zu erreichen, mußte sie natürlich mit Raphael sprechen. Die Vorstellung war nicht gerade angenehm. Warum nur endete jede Unterhaltung mit ihm in Aufregung und Unbehagen? Er hatte sie doch fast gezwungen zu bleiben! Dennoch behandelte er sie so abscheulich. Irgend etwas war mit ihm geschehen, die Ursache seiner Verbitterung konnte nicht nur Elenas Tod sein. Sie zündete sich eine Zigarette an, trat ans Fenster und genoß den Ausblick. Vielleicht hatte er sie auch belogen, als er sagte, er liebe seine Verlobte nicht. Gegen sieben Uhr fünfzehn ging sie hinunter. Lisa hatte ihr mitgeteilt, daß die Familie um sieben Uhr dreißig das
Abendessen einnahm. Es sei üblich, daß man sich vorher im großen Wohnraum zu einem Aperitif traf. Laura hätte gern auf diese Begegnung verzichtet, doch konnte sie sich nicht ausschließen. Die Instruktionen waren von Dona Luisa gekommen. Als Laura den großen Wohnraum betrat, war nur Don Raphael anwesend. Es war ein sehr kostbar und luxuriös eingerichtetes Zimmer mit holzgeschnitzter Decke und goldfarbene n Vorhängen, die bis zum Boden reichten. Raphael, im Abendanzug, düster und nachdenklich wie immer, saß an der kleinen Bar in der Ecke. Er hielt einen Cognacschwenker in der Hand, den er versonnen drehte. Bei Lauras Eintreten blickte er hoch. Halb bewundernd, halb spöttisch betrachtete er sie. Sie versuchte sich von seinem Blick nicht verwirren zu lassen. Ihr gefiel die Art nicht, wie er sie ansah. Vielleicht war ihm der schwingende Rock zu modisch. In London war diese Mode längst alltäglich. Langsam ging sie, die Umgebung bewundernd, durch den Raum. Vor einem Regal mit kleinen Figuren blieb sie stehen. Sie wünschte in diesem Augenblick, daß wenigstens Rosetta anwesend wäre. Die Stille war unerträglich. Endlich erhob sich Raphael lässig aus seinem Sessel. "Darf ich Ihnen einen Drink anbieten, Senorita? Vielleicht einen Sherry?" So gelassen wie möglich wandte sie sich ihm zu. "Vielen Dank, nein." Darauf blickte sie in die Vitrine zurück. "Sie sind wunderbar", sagte sie, auf die Jadefiguren weisend. Er kam zu ihr und stellte sich dicht hinter sie. Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken. "Ah, noch immer das gleiche Parfüm?" Laura antwortete nicht. Dann begann er zu erklären: "Mein Vater hat mit dieser Sammlung vor vierzig Jahren begonnen. Seit seinem Tod habe
ich das eine oder andere Stück dazuerworben. Allerdings nicht viel." "Haben Sie kein Interesse daran, Senor?" Sie drehte sich nicht um. "Nein, kein großes. Meine Interessen liegen mehr auf praktischen Gebieten. Das Gut hier und die Weingärten in Cadiz, das sind meine Welten." Laura zwang sich, ruhig zu bleiben. "Sicherlich fordert Ihr Besitz nicht Ihre ganze freie Zeit. Jeder Mensch braucht nach harter Arbeit etwas Entspannung. Die meisten haben ein Hobby." Er ging um sie herum und musterte sie von oben bis unten. "Und Sie, meine Liebe, wissen natürlich ganz genau, was für Grundbedürfnisse - hm - jeder Mann so hat." Laura ärgerte sich. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein, einen so sarkastischen Ton ihr gegenüber anzuschlagen? Außerdem hatte er ihr regelrecht das Wort im Munde verdreht. Überhaupt, mußte er denn immer den Herrn des Hauses hervorkehren? "Das habe ich nicht gesagt", erwiderte sie steif. "Aber vielleicht haben Sie gerade das gemeint?" sagte er mit aufreizender Gelassenheit. "Immerhin sprachen wir nicht von irgendeinem Menschen, sondern von mir. Und ich bin nun einmal ein Mann, nicht wahr?" Das brauchte er nicht auch noch zu betonen! Jetzt hätte Laura doch ganz gern einen Drink gehabt, wenn auch nur, um etwas in der Hand zu halten. Es war ausgesprochen hinterhältig von Raphael, sich so nahe neben sie zu stellen. Er wußte todsicher um die Wirkung auf sie. "Sie sind ein Meister der Dialektik, Don Raphael, und ich habe nicht die geringste Absicht, mich mit Ihnen zu messen." Laura bemühte sich, ruhig zu sprechen, aber ihre Stimme klang, als hätte sie zuviel geraucht. Sie räusperte sich und sah ihm direkt in die Augen. "Bitte, können wir diese alberne
Auseinandersetzung nicht beenden? Ich weiß nicht, warum, aber offensichtlich müssen Sie mir dauernd zeigen, wie unangenehm Ihnen meine Anwesenheit ist. Ich finde Ihr Verhalten ziemlich verletzend." Einen Augenblick lang bekamen seine Augen einen fast zärtlichen Ausdruck. Laura war verwirrt. Sie fürchtete, er könne sie gleich in die Arme nehmen, und so trat sie schnell einen Schritt zurück. Dabei stieß sie gegen die Vitrine, und das Glas klirrte leise. Raphaels Miene verdüsterte sich. "Meine Güte", sagte er, "ich glaube langsam, du mißverstehst mich absichtlich. Warum willst du nur, daß ich dich wie eine Angestellte behandle? Ich kann es nicht, zwischen uns ist zuviel geschehen. Sei doch vernünftig!" "Das ist doch wohl die Höhe!" explodierte Laura. "Wenn Sie nicht dauernd in der Pose des Diktators durchs Haus liefen, könnte alles ganz vernünftig sein!" "Schluß jetzt!" unterbrach er sie wild. Laura nahm keine Notiz davon. "Sie müssen wissen, daß ich mich gegen jeden Ihrer Versuche wehre, mein Leben zu regeln, nur weil Sie mir ein Gehalt zahlen ..." "Sei endlich still!" Plötzlich packte er sie bei den Schultern, seine Augen glühten vor Zorn. "Bilde dir nicht ein, daß du wegen unserer früheren Verbindung Vorrechte genießt und dir alles herausnehmen kannst!" "Unsere frühere Verbindung", wiederholte Laura spöttisch. "Du hast mir klargemacht, daß der Mann, den ich in London kannte, nicht mehr existiert. Tatsächlich bezweifle ich, ob es ihn je gab, außer in meiner Einbildung!" "Was meinst du damit?" fragte er schneidend. Umsonst versuchte sie sich loszuwinden. "Der Mann, den ich kannte, war menschlich.'" Sie flüsterte fast. "Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Fehlern und Schwächen. Aber mit Herz. Jedenfalls habe ich mir das damals eingebildet", setzte sie
verzweifelt hinzu. "Das war sicher sehr dumm von mir, nicht wahr, Raphael?" "Du begreifst die Kompliziertheit dieser Situation nicht, Laura", sagte er mit rauher Stimme und lockerte seinen Griff. Sie nahm die Gelegenheit wahr und trat einen Schritt zurück. Keinen Augenblick zu früh. In diesem Moment ging die Tür auf, und Rosetta Burgos kam in den Salon. Mit den Augen eines Inquisitors beobachtete sie das Paar. Sie bemerkte Lauras gerötete Wangen und den brütenden Ausdruck in Raphaels Gesicht. Scharf fragte sie: "Was ist?" Sie blickte ihren Cousin an. "Raphael, hattest du Meinungsverschiedenheiten mit Miss Fleming?" Raphael ging zur Hausbar und goß sich einen Cognac ein. Dann sagte er ohne besondere Betonung: "So kann man es nennen, Rosetta. Aber wie geht es meiner Tante heute abend? Sie ist sonst immer die erste an der Bar." "Dona Luisa läßt sich entschuldigen, sie hat Kopfweh. Sie wird nicht am Essen teilnehmen." "Also gut." Raphael kippte seinen Drink. "Dann brauchen wir nicht länger zu warten. Gehen wir, ich bin ohnehin in Eile. Ich habe nach dem Essen noch eine Verabredung." Rosetta schien enttäuscht. Laura jedoch war erleichtert. So konnte sie gleich nach dem Essen hinauf in ihr Zimmer gehen und endlich allein sein. Das Essen war vorzüglich. Die Unterhaltung zog sich etwas mühsam dahin. Zunächst war Rosetta noch gesprächig, aber sie bekam von Raphael nur monotone Antworten. Offensichtlich hatte er keine Lust zu reden. So wurde sie auch langsam still. Aber Laura ließ sie nicht aus den Augen. Um abzulenken, wandte Laura sich an Raphael: "Wäre es Ihnen recht, wenn ich künftig im Kinderzimmer esse, Senor?" Unter seinem prüfenden Blick wurde sie etwas fahrig und stieß geräuschvoll gegen ihren Teller. "Verzeihung! Ich würde das wirklich gern, wenn Sie nichts dagegen haben, Don Raphael."
"Ich dachte, die Mahlzeiten mit uns wären Ihnen eine willkommene Abwechslung von Ihren erzieherischen Pflichten", meinte er sarkastisch. Laura preßte die Lippen zusammen. "Vielleicht schätzen Sie die Gesellschaft Ihres Sohnes nicht, ich dafür um so mehr, Senor", erwiderte sie leise und hatte die Genugtuung, daß Rosettas Augen sieh ungläubig weiteten. Don Raphael tupfte sich den Mund mit der Serviette und nahm einen Schluck Wein. "Ich hatte nicht die Absicht, Senorita, meinen Sohn mit einem Spielkameraden zu versorgen, als ich Sie engagierte." Laura wog ihre Antwort ab. "Ich kann mich nicht erinnern, daß diese Frage bei meiner Einstellung diskutiert wurde. Aber wenn ich nicht auch Spielkamerad für Ihren Sohn sein kann, wem sollte ich dann meine Aufmerksamkeit widmen, Senor?" Sie richtete ihren Blick groß auf Raphael, schlug ihn dann aber rasch nieder, als er sie durchdringend ansah. Sie wußte nicht, was in sie gefahren war. Vielleicht lag es einfach an Rosetta. Don Raphael sah aus, als würde er gleich explodieren, dennoch sagte er ruhig: "Ich hoffe, Sie nehmen diese Unterhaltung nicht ernst." Damit gab er ihr eine unerwartete Möglichkeit zum Rückzug. Doch sie wollte nicht verstehen. Sie wollte ihn aufregen, ihm die Maske der Gleichgültigkeit herunterzerren. Irgendwo, mußte doch eine Spur des Mannes zu finden sein, den sie gekannt und einmal geliebt hatte. Ihr Herz schlug wild. "Aber sicher meine ich das ernst, Senor. Sie können doch nichts dagegen haben, wenn ich mir wünsche, mit Carlos im Kinderzimmer zu essen, oder? Ich bin sicher, Senorita Burgos teilt Ihren Standpunkt nicht." Rosetta richtete sich steif auf. "Sie vergessen, Senorita, wer Sie in diesem Hause sind. Hier hat doch wohl nicht die Erzieherin zu bestimmen!"
Raphael trank seinen Wein aus. Hart stellte er das Glas auf den Tisch zurück. "Vergeuden wir nicht die Zeit mit lächerliche n Diskussionen. Wenn Ihnen wirklich so viel daran liegt, noch mehr Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, so bin ich einverstanden, daß Sie das Frühstück und das Mittagessen mit ihm einnehmen. Zum Abendessen erwarte ich Sie an der Familientafel, ist das klar?" Laura nickte. Es war ein armseliger Sieg. Das Abendessen war das wichtigste des ganzen Tages. Raphaels Bestehen darauf, daß sie daran teilnahm, konnte nur bedeuten, daß es ihm Freude machte, sie zu quälen und zu demütigen. Endlich war auch die Tortur die ses Essens vorüber. Sie schob ihren Stuhl zurück und entschuldigte sich. Es gab keinen ersichtlichen Grund, noch zu bleiben. Mit zitternden Knien erreichte sie ihr Zimmer. Sich mit Raphael auf ein Wortgefecht einzulassen war entnervend. Erschöpft sank sie auf ihr Bett. Es schien ihr unmöglich, das vier Wochen lang durchzuhalten. Aber am nächsten Morgen waren Ängste, Kummer und Probleme nur noch halb so schlimm. So ging Laura leichten Herzens zu Carlos und Dawn Latimer, um mit ihnen zu frühstücken. Carlos war glücklich, sie zu sehen. Es tat ihr wohl, seine Sympathie und Herzlichkeit zu spüren., Dawn zeigte ihr dann den Raum, der für den Unterricht vorbereitet war. Ein quadratisches, helles Zimmer mit einem Pult, einem Arbeitstisch, einer großen Tafel und Rega len. "Sehr sachlich", sagte Laura trocken. "Doch was bringe ich einem vierjährigen Kind hier bei? Es wäre viel besser für ihn, wenn wir draußen herumstreifen und andere Kinder treffen könnten. Dawn, glauben Sie, Don Raphael hätte etwas dagegen, wenn wir mit Villand nach Costal führen? Vielleicht wäre das ein hübscher Ausflug?" "Don Raphael ist heute nach Cadiz gefahren", antwortete Dawn. "Fragen Sie doch Dona Luisa, sie wird sicher nichts
dagegen haben. Sie können den Hafen besichtigen und nachher in einem Cafe eine Schokolade trinken." "Ja, das ist gut. Ich werde sie fragen." Glücklicherweise war Dona Luisa allein, als Laura ihre Bitte vortrug. Und sie beschloß mitzukommen. "Costal ist ein hübscher kleiner Ort", sagte sie. "Je schneller Carlos die Bekanntschaft mit den Leuten auf seinem späteren Besitz macht, um so besser." "Ist er denn noch nie in Costal gewesen?" "Er ist noch ein bißchen jung, Senorita. Seine Ausflüge waren beschränkt auf Besuche bei Freunden der Familie in Sevilla und Cadiz. Einmal verbrachte er ein paar Wochen bei seinen Cousins in Jerez." Der Ausflug nach Costal war ein Erfolg. Dona Luisa, fest auf ihren Stock gestützt, begleitete sie in ein Kaffeehaus. Dampfende Schokolade wurde serviert, und Carlos durfte sich seinen Kuchen selbst aussuchen. Er plapperte munter drauflos, es machte ihm viel Spaß. Später - Dona Luisa blieb im Wagen sitzen - machte Laura mit ihm einen Rundgang durch den Hafen. Danach gingen sie hinunter zum Strand. Der Ort lag direkt an der Mündung des Flusses und war noch von den Gezeiten betroffen. Da gerade Ebbe war, schlug Laura vor, ein Stück durch das Watt zu wandern, nach Muscheln und kleinem Getier zu suchen. Als Laura Carlos aufforderte, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, war er zunächst entsetzt. Doch als Laura ihre Sandalen hoch in die Luft schleuderte, fand er das komisch und entledigte sich seiner Schuhe und Strümpfe auf die gleiche Weise. Dann schlitterten sie durch den Matsch, der feuchte Sand quoll durch ihre Zehen. Es war ein herrliches Abenteuer für Carlos. Laura verdrängte den Gedanken an die Reaktion seines Vaters, wenn er sie hier so sehen würde. Sie wollte sich auf keinen Fall den Tag verderben lassen.
Sicher fühlte sich Raphael seinem Sohn gegenüber doppelt verpflichtet, um ihm auch die Mutter zu ersetzen. Doch war Carlos nun einmal ein vierjähriges Kind, es mußte mehr für ihn geben, als brav auf hohen Stühlen zu sitzen, der Unterhaltung von Erwachsenen zuzuhören oder steif Rede und Antwort zu stehen. Er mußte auch ausgelassen sein dürfen, ein richtiger Junge und nicht nur ein gut erzogener kleiner Herr. Schließlich, was hatte sie schon zu verlieren? Don Raphael konnte sie hinauswerfen, na wenn schon. Dann hatte Carlos wenigstens eine heitere Erinnerung an einen schönen Tag wie heute. Gegen Mittag kehrten sie nach Madralena zurück. Sie hatte noch genügend Zeit, sich umzuziehen und zu erfrischen. Während des Essens berichtete Carlos seiner Kinderfrau, was sie alles angestellt hatten. Seine Wangen waren gerötet, ein Leuchten lag in seinen Augen. Dawn bemerkte es mit Freude. Nachdem Carlos zur Mittagsruhe hingelegt worden war, sagte sie zu Laura: "Ich glaube, in Dona Luisa haben Sie eine Verbündete." Laura nickte und rekelte sich in einem bequemen Stuhl. "Ich glaube auch", meinte sie. "Vielleicht hat sie mich deshalb engagiert. Eine spanische Erzieherin wäre vielleicht angemessener gewesen." "Möglich." Dawn setzte sich zu ihr. "Doch glaube ich, daß eine englische Erzieherin vorzuziehen ist. Carlos spricht ebensogut englisch wie spanisch. Sein Vater wünscht, daß er später eine englische Universität besucht. Nur natürlich also, daß seine Ausbildung von Anfang an auf dieses Ziel ausgerichtet ist." "Sicher", bestätigte Laura. Dann, wie von einer Eingebung getrieben, fragte sie: "Erzählen Sie mir etwas über Don Raphael. Sie sagten, er war eine Zeitlang in England." Sie zögerte einen Moment. "Wann war das?"
"Bevor er heiratete. Es muß etwa fünf Jahre her sein. Warum?" "Ich habe zu dieser Zeit bei der Familie Valdes gearbeitet. Dona Luisa erwähnte, daß er die Familie oft besuchte." "Ich verstehe. Haben Sie ihn dort getroffen?" Laura schluckte. Sie war froh, daß die Unterhaltung durch das Eintreten von Lisa unterbrochen wurde. Als sie hörte, Don Raphael sei zurückgekommen und wünsche sie sofort in seinem Arbeitszimmer zu sprechen, fuhr sie hoch. "Ach du liebe Zeit", rief sie. "Dona Luisa hat ihm sicher von unserem Ausflug heute morgen erzählt!" Dawn versuchte sie zu beruhigen. "Keine Aufregung, Laura. Es kann ja auch etwas ganz anderes sein." Laura folgte Lisa, die sie bis zur Tür des Arbeitszimmers begleitete, und klopfte. Es wurde sofort "Herein" gerufen, und Laura trat ein. Das Arbeitszimmer lag in vollem Sonnenlicht. Laura war so geblendet, daß sie an eine Halluzination glaubte, als sich gleich zwei Gestalten von den Sesseln erhoben. Doch dann erkannte sie beide, und neue Befürchtungen stiegen in ihr auf. Der Mann, der dort bei Don Raphael stand, war Pedro Armes, ihr Bekannter vom Flugplatz. Der Künstler, von dem Dona Luisa so abträglich gesprochen hatte. Er mußte ihre Überraschung spüren, denn er sagte scherzhaft: "Das haben Sie sicher nicht erwartet, daß ich wirklich komme, um mich von Ihrem Wohlergehen zu überzeugen, nicht wahr, Senorita?" Laura schüttelte nur den Kopf, denn Don Raphael ergriff das Wort. "Senor Armes hat mir erzählt, daß er Ihre Bekanntschaft im Flugzeug von Madrid nach Malaga gemacht hat, Senorita." Sie erwiderte vorsichtig: "Nun, nicht direkt meine Bekanntschaft, Senor. Als niemand von Madralena am Flugplatz war, bot mir Senor Armes seine Hilfe an. Ich habe freilich abgelehnt."
"So war es, aha." Don Raphael sah zu Pedro Armes. "Wie Sie sehen, Senor, geht es Miss Fleming gut, und sie ist Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit dankbar." Pedro lächelte amüsiert. "Ich bin sicher, daß Miss Fleming auch für sich selbst sprechen kann, Don Raphael. Habe ich recht, Senorita?" Laura warf Raphael einen etwas hilflosen Blick zu. "Ja, selbstverständlich. Wie Don Raphael schon sagte, bin ich mit meiner Stellung hier sehr glücklich. Es war nett von Ihnen, sich nach mir zu erkund igen." "Vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden. Es geht mir nicht allein darum, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Ich wollte Sie wiedersehen und fragen, ob Sie mir die Ehre erweisen wollen, einen Abend in meiner Gesellschaft zu verbringen. Sicher wird Ihnen Don Raphael einmal freigeben." Laura erschrak. "Ich ...., ich weiß nicht ...", begann sie, doch Raphael unterbrach sofort: "Miss Fleming ist nicht bereit, Einladungen anzunehmen, Senor", erklärte er scharf. "Sie hätten wohl besser noch etwas warten sollen, bevor Sie Ihre Aufmerksamkeit auf sie lenken." Pedro Armes musterte Raphael spöttisch. "Wie üblich, Don Raphael, maßen Sie sich Entscheidungen über andere Menschen an." "Wenn solche Entscheidungen notwendig sind, ja", erwiderte Raphael im gleichen Ton. Laura war die Situation äußerst peinlich. Es stand so viel Abneigung zwischen den beiden Männern. Sie fühlte, das hatte wenig mit ihr zu tun, doch das änderte nichts. Auch das Hintergründige der Unterhaltung in ihrer Gegenwart war ihr unangenehm. Sie hatte wirklich nichts übrig für Pedro Armes, aber auch die Anmaßung von Raphael, einfach über sie zu bestimmen, paßte ihr nicht. Sie zog das Gespräch an sich.
"Ich denke, Senor Armes, Sie werden warten müssen, bis ich weiß, wann und wieviel Freizeit ich haben werde." Pedro lächelte sie erfreut an. "Selbstverständlich, Senorita, Sie haben recht. Es war vielleicht wirklich etwas verfrüht, jetzt schon zu kommen. Ihre Anwesenheit hier in der Nähe hat mich dazu gebracht. Ich würde mich immens freuen, Sie zu einem späteren Zeitpunkt wiedersehen zu dürfen." "Gut", sagte Laura abschließend, "lassen wir es dabei." Pedro Armes lachte jetzt. "Großartig. Ich bewundere Ihr Temperament und Ihre Schlagfertigkeit, Senorita." Er blickte zu Raphael. "Sie nicht auch, Raphael?" Damit verbeugte er sich, küßte Laura die Hand und ging hinaus. Laura war froh, das überstanden zu haben. Sie wandte sich ebenfalls zum Gehen, doch Raphael hielt sie auf. "Setze dich bitte, ich möchte mit dir sprechen." Laura drehte sich um. "Bitte, jetzt keine weiteren Maßregelungen." Raphael schaute sie fast bestürzt an. Dann ging er zu seinem Schreibtisch, warf sich in den Sessel und stützte die Ellbogen auf die Platte. Er wirkte niedergeschlagen und verletzlich. Als ihm bewußt wurde, daß er sich hatte gehen lassen, richtete er sich mit einem Ruck auf. "Nein, Laura, keine weiteren Maßregelungen. Im Gegenteil. Ich möchte, daß du abreist." Laura sank auf einen Stuhl. Diese völlig unerwartete Reaktion von Raphael traf sie so, daß sie nicht fähig war, etwas zu sägen. Während der letzten Tage hatte sie unaufhörlich an eine Möglichkeit zur Flucht gedacht. Noch gestern abend hatte sie überlegt, wie sie das wohl vier Wochen aushalten sollte. Dauernder Streit, dauernde Wortgefechte. Aber jetzt, wo er ihr anbot zu gehen, wollte sie nicht mehr. Sie hatte sich gegen ihn aufgelehnt, weil er sie zwang, diese Stellung trotz allem anzunehmen. Daß er sie nun jedoch zurückwies, änderte die Perspektiven. Welche Gründe hatte er? Offenbar befand er sich
psychisch in einem erbarmenswürdigen Zustand, und sie war sicher, daß auch das mit ihr gar nichts zu tun hatte. Sie durfte nicht nachgeben. Sie wollte bei Carlos bleiben. Und bei Raphael. Sie mußte beiden helfen. So nahm sie allen Mut zusammen und sagte fest: "Ich möchte nicht gehen, Senor." Er schien verblüfft. "Sag das noch einmal!" "Ich sagte, ich möchte bleiben. Ich möchte gern weiter mit Carlos arbeiten. Ich habe ihn gern, und ich glaube, er mag mich auch." "Ach tatsächlich!" Raphaels Ton wurde wieder sarkastisch. "Senorita, Sie haben aber keine andere Wahl!" "Wieso nicht?" Laura runzelte die Brauen. "Enthält der Vertrag, den ich mit Dona Luisa schloß, nicht auch für mich einige Rechte?" Don Raphael lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Natürlich, auch Sie haben Rechte, Senorita. Sie können nur wenig damit anfangen. Ich glaube kaum, daß Sie es riskieren werden, ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Sie hätten wenig Chancen, noch dazu als Ausländerin." Laura rief ungeduldig: "Ich habe einen Vertrag geschlossen! Sicher wird sich irgend jemand bereit finden, mich anzuhören." Auch Raphael wurde ärgerlich. "Wollen Sie mir drohen?" "Drohen?" wiederholte Laura atemlos. "Ja, drohen." Er betrachtete sie einen Augenblick sehr eingehend. Dann rückte er seinen Stuhl zurück und stand auf. "Selbstverständlich bekommen Sie den vollen Monat bezahlt." "Ich will Ihr Geld nicht", entgegnete sie kurz. Nachdenklich blickte er auf einmal zur Tür. "Jetzt verstehe ich", sagte er langsam. "Sie wollen Madralena nicht verlassen, weil sich ja Umstände ergeben könnten, die Ihnen Vorteile bringen, nicht wahr?" Laura war verwirrt. "Was meinen Sie?" Er beugte sich zu ihr. "Ich meine unseren gemeinsamen Freund, Pedro Armes, Senorita." Er richtete sich wieder auf und
verschränkte die Arme über der Brust. "Klar, das wäre ein Leckerbissen für ihn. Er wird außerordentlich interessiert sein an dem Vertrag und seinen Klauseln." "Das ist doch lächerlich!" Laura vergaß ihre Zurückhaltung. "Sie wissen sehr gut, daß Sie alle Trümpfe in der Hand haben. Sie kümmern sich doch nie um andere Menschen. Sie denken stets nur an sich selbst. Sie denken nicht einmal an Ihren Sohn. Manchmal bezweifle ich, ob Sie seine Existenz überhaupt zur Kenntnis nehmen." Sie sprang hoch. "Schon gut, schon gut. Ich werde gehen. Aber wenn eines Tages Ihr eigener Sohn sich gegen Ihren Despotismus auflehnt, geben Sie nicht anderen die Schuld. Suchen Sie die Ursachen bei sich selbst." Sie wollte zur Tür. Doch er packte sie bei den Schultern. "Es hat noch niemand gewagt, so mit mir zu sprechen, Senorita!" "Dann wird es höchste Zeit! Nenne mich jetzt nicht Senorita, Raphael. Ich heiße Laura. Und da wir nun einmal dabei sind, werde ich dir noch etwas sagen. Ich weiß nicht, was mit dir geschehen ist. Aber etwas hat dich zerstört. Wie ein Gemälde, das irgend jemand so böse übermalt hat, daß man das Original dahinter nicht mehr erkennen kann. In welcher Gedankenwelt lebst du eigentlich?" "Laura, um Himmels willen, schweig!" Er hielt sie noch fester. "Du hast eine gefährliche Zunge." "Vielleicht bist du selbst schuld daran!" "Wie meinst du das?" "Du weißt, was ich meine." Sie blitzte ihn wütend an. "Du und deine spanischen Sitten, diese Unbarmherzigkeit, die einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Aus diesem Stolz heraus hast du vielleicht Elena geheiratet. Sie ist tot, das tut mir sehr leid, aber ich kann nichts dafür. Keiner kann sie dir zurückbringen. Wenn du sie jedoch so sehr geliebt hast, hättest du in London lieber allein bleiben und Briefe an sie schreiben
sollen, anstatt deine Zeit damit zu verbringen, mein Leben zu zerstören." "Du Hexe", murmelte er und grub seine Finger in ihre Schultern. "Du verdammte Hexe!" Laura hatte keine Angst vor seiner Wut, sondern vor dem Wechsel in seiner Haltung. Er hatte sie eng an sich gezogen. Seine Augen blickten verlangend auf ihren Mund. Sein Griff war hart und unerbittlich, sie konnte sieh nicht rühren. Es ging noch immer die gleiche Faszination von ihm aus, und es schien ihr, als ob auch er sie noch immer begehre. Er trug ein dunkelblaues Seidenhemd, das am Hals offen stand. Sie fühlte sich seinem braunen Körper erregend nahe. Ihre ganze Sehnsucht erwachte. Sie wußte ja noch, wie es war, wenn er sie umarmte. Immer hatte er es verstanden, sie zur höchsten Erfüllung all ihrer körperlichen Wünsche zu bringen. Nur jetzt nicht schwach werden, dachte sie. Und plötzlich, ohne Vorwarnung, ließ er sie los. Sie taumelte und mußte sich am Schreibtisch festhalten, um nicht zu fallen. "Geh!" stieß er hervor und wandte sich von ihr ab. "Bitte geh jetzt. Ich muß allein sein." Laura bebte. "Und ... darf ich bleiben?" "Natürlich bleibst du. Nur jetzt muß ich allein sein!"
6. KAPITEL Laura wußte nicht mehr, wie sie in ihr Zimmer gekommen war. Sie warf sich auf ihr Bett und wühlte den Kopf ins Kissen. Eine Närrin war sie, eine verdammte Närrin, zu glauben, daß sie diesen Mann nicht mehr liebte. Wie hatte sie sich einbilden können, daß ihre Zuneigung gestorben war? Endlich wußte sie auch, daß allein ihre Sehnsucht nach Raphael und ihre Liebe zu ihm sie getrieben hatten, diesen Job in Spanien anzunehmen. Die letzten Minuten in seinem Arbeitszimmer hatten ihr die Erkenntnis gebracht, daß er noch immer die gleiche Anziehung auf sie ausübte wie vor Jahren. Freilich, er war noch viel härter und schroffer geworden als früher, doch in seinen Armen hatte sie gespürt, wie der Funke übersprang. Sie würde in Madralena bleiben. Die Stellung war ihr sicher, wenigstens für die nächsten vier Wochen. Doch ihre eigene Sicherheit hatte sie verloren. Sie liebte diesen Mann, sie würde ihn immer lieben. Er durfte es nur nicht wissen. In den nächsten Tagen sah sie Raphael nur selten. Abends waren stets Dona Luisa und Rosetta Burgos anwesend, die von ihm ablenkten. Laura konnte es so einrichten, daß sie immer erst dann m den Salon kam, wenn die beiden bereits da waren. So brauchte sie mit Raphael nicht allein zu sein. Auch er war sehr reserviert und schien ein Zusammentreffen mit ihr vermeiden zu wollen. Er nahm sein Essen ein, sprach
über geschäftliche Dinge mit Dona Luisa oder Rosetta und verschwand dann wieder in seinem Arbeitszimmer. Einmal kamen Rosetta und er nicht zum Essen. Dona Luisa erzählte ihr, die beiden seien zu einer Dinnerparty bei Freunden in Cadiz eingeladen. Cadiz war recht weit entfernt, so hörte Laura erst spät in der Nacht den Wagen zurückkehren. Sie hatte nicht schlafen können. Unbewußt wartete sie die ganze Zeit auf die Rückkehr der beiden. Sie hörte ihre Stimmen, als sie unter ihrem Fenster vorbei durch den Innenhof gingen. Das war es wohl, was Rosetta sich wünschte. Laura war sicher, daß Rosetta den Job bei Dona Luisa nur angenommen hatte, um Raphael nahe zu sein. So, wie die alte Dame es vor einigen Tagen beim Frühstück angedeutet hatte. Am nächsten Morgen, während sie mit Carlos und Dawn Latimer im Kinderzimmer frühstückte, bekamen sie unangemeldeten Besuch. Laura mußte eine kleine Verlegenheit verbergen, als Don Raphael ins Zimmer trat. Er sah fabelhaft aus in Reithosen und dem weißen, gerüschten Seidenhemd. "Buenos dias, Senora, Senorita", begrüßte er sie gutgelaunt und gab seinem Sohn die Hand. "Ich hoffe, es geht Ihnen gut?" Carlos schaute seinen Vater fragend an. "Hallo, Papa, was machst du hier im Kinderzimmer? Du kommst doch sonst nicht hierher." Laura überlegte noch, ob er wohl mit seinem Sohn allein sprechen wollte, aber da sagte Don Raphael schon: "Da ich gestern durch eine Einladung unsere gemeinsame Spielstunde nicht einhalten konnte, dachte ich, du hättest vielleicht Lust, heute morgen mit mir zusammenzusein. Die Arbeit auf dem Gut läuft von allein, und ich habe etwas Zeit, mich mit dir zu beschäftigen." Nachdenklich betrachtete Carlos seine vom Frühstück verklebten Finger. "Du möchtest, daß ich jetzt mit dir in dein Arbeitszimmer komme?" Es klang nicht gerade sehr erfreut.
Raphael stutzte. "Es scheint dir nicht zu passen?" Er warf Laura einen Blick zu. "Ich dachte, es würde dir Spaß machen, einmal den Unterricht zu schwänzen!" "Ach, wir machen ja gar keinen Unterricht", erklärte Carlos fröhlich und erschrak, als er sah, wie Lauras Augen sich weiteten. Raphael wandte sich an die Erzieherin. "Keinen Unterricht? Nun, Miss Fleming, was tun Sie dann?" Dawn schaltete sich ein, bevor Laura etwas sagen konnte. "Miss Fleming unterrichtet das Kind mit modernen Methoden, Don Raphael. ,Durch Spielen lernen' heißt das heute. Carlos lernt, obwohl sich dessen nicht bewußt ist." Raphaels Blick ruhte unverwandt auf Laura. "Tatsächlich?" Sie schaute zu ihm auf. "Ja, Senor. Sie werden finden, daß dies wesentlich interessanter für ein Kind ist und auch wirkungsvoller." Laura hörte, wie er den Atem einzog. "Also", sagte er dann und betrachtete Carlos, "da du dich offensichtlich nicht gern von deiner Erzieherin trennen möchtest, schlage ich vor, wir drei machen zusammen eine Autofahrt. Dabei kann mir Miss Fleming noch etwas mehr über ihre modernen Unterrichtsmethoden erzählen, einverstanden?" "O ja, Papa", jubelte Carlos begeistert. "Ich liebe Autofahrten. Miss Fleming und ich, und manchmal auch Dona Luisa, sind schon öfter ausgefahren!" "Interessant", meinte Don Raphael. "Es scheint, ich bin tatsächlich hinter dem Mond in meinem eigenen Hause und kenne den Stand deiner Ausbildung überhaupt nicht." Er schlug mit seiner Reitpeitsche leicht gegen seine Stiefel. "Abmarsch in einer halben Stunde? Ich warte unten." Mit federnden Schritten verließ Raphael den Raum. Nachdem er gegangen war, rief Dawn leise: "Schau an, es scheint, der Hausherr bekommt allmählich wieder menschliche Züge!"
Laura kicherte. "Glauben Sie wirklich?" "Immerhin hat er Sie nicht sofort hinausgeworfen!" "Hm", machte Laura versonnen, "das hat er nicht." Punkt neun Uhr dreißig erschienen Carlos und Laura am Haupteingang. Sie gingen durch den Innenhof zum großen Tor, wo Don Raphaels Wagen stand. Es war ein kontinentaler Sportwagen, Extraanfertigung. Als Laura an das Supermodell dachte, das er damals in London fuhr, war sie nicht überrascht. Er war immer ein Autonarr gewesen, dazu ein exzellenter Fahrer. Die Aussicht auf eine Ausfahrt in diesem Wagen bereitete ihr echtes Vergnügen. Zu ihrer Überraschung wurde Carlos allein in den Fond gesetzt, sie bekam ihren Platz vorn neben Raphael angewiesen; So mit ihm im Wagen zu sitzen weckte wieder Erinnerungen, und sie wandte sich hastig ab, als er mit temperamentvollem Schwung den Fahrersitz einnahm. Zunächst fuhren sie langsam durch das Weideland bis zur Hauptstraße. Es war ein ungewöhnlich trüber Morgen ohne Sonne. Doch für Laura war der Tag alles andere als trüb. Er hatte einen seltsamen Zauber, wehmütig und verwirrend. Eine ganze Weile war Raphael still. Nur Carlos plapperte aus dem Fond des Wagens, er war aufgeregt und glücklich. Dann erreichten sie eine Ortschaft, Raphael fuhr langsamer. "Ich dachte, es wäre vielleicht interessant, sich Algeciras anzusehen. Es ist ein Fischerhafen, man nennt ihn auch das Tor nach Afrika. Vielleicht kein besonders schöner Ort, aber der Hafen ist sicher eindrucksvoll für Carlos." Laura blickte ihn unsicher von der Seite an, suchte nach Spott in seinen Zügen. Doch nichts davon war zu entdecken. So nahm sie seine Erklärungen hin und fühlte sich erleichtert. Er hatte recht, die Häuser waren schäbig, die Straßen schmal. Nur der Kai bot ein fesselndes Bild. Am Ende der Bucht sah man den Felsen von Gibraltar auftauchen. Interessiert betrachteten sie die Bastion auf der Felsspitze. Den Wagen
hatten sie in einer Seitenstraße geparkt und schlenderten nun am Kai entlang. Sie lehnten sich über den Hafenwall, studierten die Boote und ihre Landung. Es gab so viel zu sehen und zu entdecken, daß Carlos' Mund nicht stillstand. Laura befürchtete schon, das Geplapper wäre Don Raphael zuviel. Doch heute wirkte er richtig entspannt. Während sein Sohn aufgeregt über die Riesenberge von Früchten redete, die in die Schiffsbäuche verladen wurden, sprach er zu Laura in Untertönen. "Führen Sie auf diese Weise den Unterricht durch?" fragte er, lässig zurückgelehnt an den Wall. "Nicht so direkt", sagte Laura. "Natürlich gibt es stets, einen theoretischen Aspekt zu jeder praktischen Demonstration." "Und welchen praktischen Nutzen erwarten Sie von dieser Besichtigung des Hafens?" "Carlos nimmt die Arbeit im Hafen mit seinem Verstand auf", erklärte sie mit Sorgfalt. "Diese real erlebte Szene bedeutet viel mehr für ihn, als es geschriebene Worte können. Wenn wir zurück sind, wird er sich bemühen, auf seine eigene Weise ein Bild vom Hafen zu malen. Wir reden über die Dinge, die er gesehen, über die Früchte und das Gemüse, das hier angebaut wird." Laura wandte sich wieder dem Hafen zu. "Vielleicht fertigen wir auch Boote aus Papier an. Der Unterricht wird mit dieser Methode lebendiger. Das Kind muß nicht nur zuhören, es ist aktiv mit den Händen und gleichzeitig mit dem Kopf. Die Tage, wo Kinder am Pult stillsitzen und blankes Wissen in leere Köpfe hineinpumpen mußten, sind Gott sei Dank vorüber." Zu ihrer Überraschung lächelte Raphael. Der Umschwung seiner sonst so finsteren Stimmung war so verblüffend, daß Laura an sich halten mußte, um ihre tiefe Freude darüber nicht zu verraten. "Sie sind sehr überzeugend", sagte er bewundernd. "Wissen Sie eigentlich, daß die meisten spanischen Familien eine formale Ausbildung bevorzugen?"
Laura hob die Schultern. "Möglich. Und Sie, Senor?" Er ging darauf nicht ein, sondern fragte leise: "Nennen Sie mich nur beim Vornamen, wenn Sie wütend sind?" Laura sah ihn beschwörend an. "Bitte, ich glaube, es ist besser so, Senor", murmelte sie. "Sie haben mir aber meine Frage nicht beantwortet." Er stöhnte ein wenig. "Also gut. Ich bemerke eine deutliche Stärkung seines Vertrauens. Ich finde auch, daß er lebhafter und sicherer geworden ist. Da die Veränderung nicht durch mich hervorgerufen wurde, kann ich diesen positiven Beginn doch nicht mit altmodischen Methoden, die ich vielleicht durchsetzen könnte, wieder zerstören." Laura schaute ihn groß an. "Danke, Senor. Doch könnten Sie selbst noch etwas mehr für ihn tun", sagte sie drängend. "Carlos braucht noch mehr Beachtung und Liebe." Sie senkte den Kopf. "Die von Ihnen ausgewählte und bestimmte Stunde, die er täglich mit Ihnen verbringt, ist für Sie nicht mehr als eine Pflicht. Das Kind merkt das." Raphael zündete sich eine vo n seinen langen, dünnen Zigarren an. "Spielen Sie sich nicht wieder als Moralapostel auf!" murrte er. "Das will ich nicht", erklärte sie. "Ich bin ehrlich der Ansicht, Sie schenken dem Jungen zu wenig Beachtung: Ich kann ja verstehen, daß er Sie immer wieder an Ihre verstorbene Frau erinnert, es ist ein Jammer, aber vergessen Sie nicht, das Kind lebt und fühlt." "Ich will mit Ihnen nicht über Elena diskutieren!" erwiderte Raphael scharf. Laura erschrak. "Es tut mir leid", flüsterte sie und starrte ins Wasser. Raphael beugte sich ein wenig vor. "Laura, du verstehst überhaupt nichts. Und ich kann es dir nicht erklären. Mein Gott, ich habe sie nicht geliebt. Wie oft habe ich dir das gesagt? Du
müßtest es doch wissen." In seiner Stimme war ein Unterton von Qual. Einen Moment lang legte Laura ihr Gesicht in ihre Hände. "Aber du hast sie geheiratet", murmelte sie. "Ja, ich habe sie geheiratet." Raphael atmete tief. "Dafür gab es Gründe." "Ich weiß", sie winkte ab, "die Familienehre." Hinter ihrem Sarkasmus versuchte sie ihren Schmerz zu verbergen. "Ja, auch das", gab er zu. "Ich konnte damals nicht ahnen, was für ein Martyrium es werden würde. Ich habe immer nur dich gewollt, Laura. Vielleicht kam es deshalb dazu ..." Er unterbrach sich, und sie merkte, wie er sich innerlich wieder von ihr entfernte. Ich hätte nicht herkommen dürfen, dachte sie entsetzt. Welche verborgenen Gefühle wurden dadurch bei ihm nun wieder aufgerührt? Carlos nutzte die Gesprächspause und ergriff die Hand seines Vaters. "Sieh doch, Papa; sieh nur. Der Mann da sagt, wir können ein Boot mieten, wenn wir wollen", rief er. "Bitte, Papa, laß uns ein Boot mieten!" "Ach, weißt du, Pequeno", begann Raphael unsicher und fing Lauras Blick auf. Im nächsten Moment neigte er sich zu seinem Sohn hinunter. "Also gut, mein Kleiner, dann machen wir eine Bootsfahrt. Du bist der Kapitän und ich der Steuermann." Er blickte spöttisch an sich herunter. Die Vorstellung, in diesem korrekten dunklen Anzug in ein Ruderboot zu steigen, war doch etwas komisch. Laura lachte. Als Carlos ihr winkte mitzukommen, schüttelte sie den Kopf. "Nein, danke, Carlos, geh mit deinem Papa, und paß auf, daß er sich seinen Anzug nicht zu sehr bespritzt. Viel Spaß! Wir sehen uns in einer halben Stunde. Ich werde ein paar Besorgungen machen." Carlos blickte seinen Vater an. "Sollen wir sie gehen lassen?" fragte er.
Raphael nickte. "Warum nicht, junger Mann? Sie hat mich dir anvertraut Also dann, Miss Fleming, machen Sie Ihre Besorgungen. Adios, bis nachher!" "Adios!" rief sie und wandte sich zur Straße. Mit raschen Schritten ging sie auf die Läden zu. Sie brauchte diese halbe Stunde, um mit sich ins reine zu kommen, und war Carlos dankbar für diese Möglichkeit. Sie war auch glücklich darüber, daß es ihr allmählich gelang, Raphael zu einem mehr freundschaftlichen Verhältnis zu seinem Sohn zu bringen. Als sie zurückkehrte, warteten Carlos und Raphael schon an der Hafenmauer. Der Junge war begeistert, und auch Raphael schien gelockert und aufgeräumt. Offensichtlich hatte ihm diese halbe Stunde gutgetan. "Wir waren weit draußen in der Bucht", erzählte Carlos strahlend. "Gerade kamen die Fischerboote herein. Wir sind beinahe gekentert, nicht wahr, Papa?" Seine Augen blitzten. "Carlos spinnt Seemannsgarn wie alle Kapitäne", bemerkte Raphael trocken. "W ir wurden nur von einer Welle hochgehoben, aber dann hatte ich das Steuer wieder sicher in der Hand." Alle drei lachten. Raphael nahm seinen Sohn an die Hand und legte wie zufällig einen Arm um Lauras Schultern. "Haben Sie alles erledigen können?" "Danke, ja. Fahren wir jetzt nach Madralena zurück?" Er schaute auf seine schwere goldene Uhr. "Ich finde, wir könnten uns im ,Reina Christina' noch einen Kaffee genehmigen, einverstanden?" Sie setzten sich auf die Terrasse des eleganten Hotels. Aber kaum hatten sie Platz genommen, da wurde Raphael von einem Paar begrüßt, das auch Carlos gut kannte. Bei der Vorstellung erfuhr Laura, daß es sich um die Geschwister Marques handelte. Allerdings sagte ihr der Name noch nichts. Teresa Marques war eine attraktive Frau, ungefähr in Raphaels Alter. Carlos nannte
sie Tante Teresa. Anscheinend waren es nahe Freunde der Familie. Laura unterhielt sich mit Ricardo Marques, der eine Menge über England wissen wollte. Es plauderte sich angenehm mit ihm, da er natürlich und liebenswürdig war. Zwischendurch beobachtete sie Raphael, der mit Teresa Marques sprach. Seine gelöste Stimmung schien wieder verflogen zu sein. Immer verschlossener wurden seine Züge. Laura wunderte sich. Aber erst auf der Rückfahrt nach Madralena brachte eine Frage von Carlos sie auf die Lösung dieses Rätsels. "Tia Teresa ist so, wie meine Mama war, nicht wahr, Papa?" sagte Carlos leise zu Raphael. Der Junge zuckte zusammen, als er den harten Blick seines Vaters auffing. Er saß diesmal zwischen ihnen, und Laura legte beruhigend ihre Hand auf die Knie des Kindes. Raphael erklärte schroff: "Ricardo und Teresa sind Elenas Geschwister." "Ich verstehe." Laura nickte. Im Hafen von Algeciras hatte sie heute einen Raphael erlebt, der auch heiter und witzig sein konnte. Je mehr sie sich nun dem Gut näherten, um so ausgeprägter wurde der Ausdruck von Bitterkeit auf dem Gesicht, von Überdruß. Selbst Carlos war still geworden, er hatte den Stimmungswechsel seines Vaters wohl gespürt. Seine Begeisterung war verschwunden. Steif, mit ausdrucksloser Miene saß er auf dem Rücksitz, jeder Zoll ein guterzogener spanischer Junge. Die Ähnlichkeit zwischen dem großen und dem kleinen Madralena war so frappierend, daß Laura am liebsten gelacht hätte. Aber das wagte sie nicht. Es vergingen einige Tage, ehe Laura Raphael wieder begegnete. Er war viel außer Haus und nahm auch an den gemeinsamen Abendmahlzeiten nicht teil. Carlos und sie hatten einen Rhythmus gefunden, wie sie ihre Stunden einteilten. Sie verbrachten viel Zeit im Garten. Sie
studierten die Blumen, den Aufbau der Blätter, betrachteten Insekten. Dann wieder saßen sie über Büchern, die noch aus Raphaels Schulzeit stammten. Carlos war ein aufmerksamer Schüler, er lernte schnell. Am Ende der zweiten Woche konnte Carlos bereits seinen Namen schreiben und eine Menge einfacher Wörter in den Büchern lesen. Laura fand heraus, daß er gern malte und besonders geschickt mit Farbstiften umging. Viele seiner Bilder hingen bald an den Wänden des Kinderzimmers und im Schulraum. Der mühsamste Teil des Tages war für Laura nach wie vor das Abendessen am Familientisch. Jeden Tag von neuem die Spannung: Wird Raphael da sein oder nicht? Und wenn er nicht da war, die überwältigende Enttäuschung, die ihr schon lächerlich vorkam. Dona Luisa zeigte großes Interesse an den Fortschritten des Jungen. Sie war ein häufiger Gast im Kinderzimmer, um sich Carlos' Talente vorführen zu lassen. Er brauchte auch jemanden, dem er seine Arbeiten zeigen konnte. Ganz abgesehen von ihren eigenen Wünschen hoffte Laura daher, Raphael würde sich öfter einmal erinnern, daß er einen Sohn hatte. Nur einmal seit ihrem Ausflug nach Algeciras hatte er eine Stunde mit Carlos verbracht. Das war ganz früh am Morgen, noch bevor sie zum Frühstück gekommen war. Er hatte den Jungen zum Reiten abgeholt. Carlos sollte mitreiten zu einer weiter entfernt liegenden Weide, wo sich die Stiere befanden, die demnächst für die Corrida freigegeben wurden. Laura war beunruhigt, daß Raphael den Kleinen zu den gefährlichen Tieren mitgenommen hatte. Dawn versicherte ihr jedoch, daß dem Kind unter dem Schutz des Vaters ganz gewiß nichts passieren konnte. Da Laura bis dahin nicht gewußt hatte, daß Carlos schon reiten konnte, fragte sie, ob es wohl auch für sie möglich sei, zusammen mit Carlos auszureiten. Dawn hatte ihre Zweifel.
"Ich glaube nicht, daß Don Raphael Ihnen erlauben wird, auf dem Weideland zu reiten", meinte sie. "Sie müssen bedenken, daß Sie es nicht gewohnt sind, mit Stieren umzugehen." Laura hatte ihr inzwischen von ihrem Zusammenstoß mit Raphael am ersten Morgen ihres Aufenthalts hier erzählt. "Sie mögen recht haben", gab sie zu. "Doch welche Erfahrungen hat Raph - ich meine Don Raphael?" Sie errötete bei ihrem Versprecher. Dawn neigte den Kopf zur Seite. "Don Raphael ist selbst Stierkämpfer. Wußten Sie das nicht?" Laura starrte sie an. "In der Arena?" "Natürlich. Spanier brauchen diese Spannung. Sie brauchen die Gefahr und die Corrida." Laura war blaß geworden. "Das habe ich nicht gewußt", sagte sie matt und wandte sich ab. Der Gedanke, daß sich Raphael den gefährlichen Hörnern eines Stieres aussetzte, war beinahe unerträglich. "Jetzt hat er allerdings seit Jahren keinen Stierkampf mehr mitgemacht", fuhr Dawn fort. "Er beschränkt sich darauf , die Tiere zu züchten." Noch immer war Laura irritiert. "Gibt es in Costal auch eine Arena?" "So kann man es kaum nennen. Es ist ein Feld mit wenigen Zuschauerplätzen. Die jungen Männer des Ortes versuchen hier ihre Stierkampfgelüste abzureagieren. Doch die Tiere werden selten getötet." "Nimmt Don Raphael an diesen Spielen in Costal teil?" "Ich weiß es nicht." Dawn betrachtete Laura eingehend. "Was bedeuten all diese ängstlichen Fragen, Laura? Um Himmels willen, Sie haben sich doch nicht etwa in Raphael verliebt, oder?" Sie runzelte die Stirn. "Also, das hätte gerade noch gefehlt!" Laura wollte eben etwas Erklärendes sagen, als Carlos aufgeregt aus dem Kinderzimmer gerannt kam, um sie zu holen.
Erleichtert über diese Ablenkung, entfloh sie den forschenden Blicken der Kinderfrau.
7. KAPITEL Wenige Tage später erhielt Laura einen Brief. Neugierig riß sie den Umschlag auf, denn sie hatte keine Ahnung, wer ihr den Brief geschickt haben könnte. Er war von Pedro Armes. Er fragte höflich an, ob er sie heute abend zum Essen ausführen dürfe. Sie zeigte Dawn die Einladung, die sie befremdet anblickte. "Wollen Sie etwa annehmen?" "Ich weiß nicht. Glauben Sie, ich sollte gehen?" "Ich kann das nicht entscheiden", wich Dawn aus. "Aber vielleicht wäre es gar nicht so verkehrt." "Wie meinen Sie das?" Dawn versuchte zu erklären: "Ach, es würde Ihnen guttun, einmal von Madralena wegzukommen und andere Eindrücke zuhaben." "Sie sind sehr klug, Dawn." Laura betrachtete sie nachdenklich. Die Kinderfrau lächelte. "Im Gegenteil. Wenn ich es wäre, hätte ich die merkwürdigen Zusammenhänge zwischen Ihnen und Don Raphael schon am ersten Tag Ihres Hierseins bemerken müssen. Sie kennen Don Raphael schon lange, nicht wahr? Sie haben ihn gekannt, bevor Sie nach Madralena kamen." "Ja", antwortete Laura unsicher, "ich kenne ihn schon lange. Und was halten Sie davon?"
Dawn machte eine resignierende Handbewegung. "Don Raphael ist ein verbitterter Mann. Ich glaube nicht, daß er sich je ändern wird. Denn was ihn so erbittert, ist etwas, bei dem ihm niemand helfen kann." Laura warf ungeduldig den Kopf zurück. "Was ist es denn bloß? Was macht ihn so böse, so grausam?" "Es ist etwas, das ich Ihnen nicht sagen kann, Laura", antwortete Dawn verzagt. "Natürlich nicht", versetzte Laura gekränkt. "Sie sind seine ihm ergebene Kinderfrau." "Wenn ich wüßte, daß es ihm hilft, ich schwöre Ihnen, Laura, ich würde reden", sagte Dawn ruhig. "Aber es ist eine sehr alte Geschichte, und ich glaube nicht, daß es etwas nützt, wenn ich Ihnen die Wahrheit sage." Laura winkte ab. "Ich verstehe schon." Dann raffte sie sich aber doch zu einer weiteren Frage auf. "Bitte sagen Sie mir wenigstens eines ehrlich: Waren Raphael und seine Frau glücklich?" "Sie sind noch so jung, Laura." Dawn seufzte hörbar. "Hier ist die Liebe wie Wein, den man zum Essen trinkt. Hat man ihn, ist man glücklich, hat man keinen Wein, so wird deshalb der Geschmack am Essen nicht schlechter." "Sie meinen, sie haben sich nicht geliebt?" drängte Laura. "Liebe ist Luxus", kommentierte Dawn. "Nicht jeder kann ihn sich leisten." "Na gut, ich verstehe." Laura blickte wieder auf den Brief. "Ich denke, ich werde die Einladung annehmen. Warum soll ich nicht mal etwas anderes kennenlernen als dieses Haus?" "Don Raphael wird es nicht recht sein, fürchte ich", murmelte Dawn. "Das glaube ich auch. Aber was soll's!" Pedro Armes hatte vorgeschlagen, sie kurz vor sieben Uhr abzuholen. Laura fragte Dona Luisa um Erlaubnis und erhielt sie. Unglücklicherweise war Rosetta dabei. Aber früher oder
später würde es Raphael ja doch erfahren, daß sie mit Pedro ausgegangen war, warum also nicht gleich durch Rosetta! Laura kleidete sich mit besonderer Sorgfalt. Sie wählte ein elegantes Chiffonabendkleid, dessen weiter Rock in allen Blautönen schimmerte. Sie legte einen langen weißen Seidenschal um den Hals, die Enden fielen über den Rücken, der tief ausgeschnitten war. Heute abend ließ sie ihr schönes Haar locker herabfallen. Sie sah sehr jung und attraktiv aus und bedauerte ein wenig, daß Raphael sie nicht so sehen konnte. Als sie in die große Halle kam, betrachtete Pedro Armes sie mit unverhohlener Bewunderung. Er hatte sich mit Dona Luisa unterhalten. Laura bedankte sich noch einmal für den freien Abend und Dona Luisa wünschte ihr angenehme Unterhaltung. Pedro fuhr einen großen, hellen Mercedes. Schnell erreichten sie ein elegantes Hotel, auf dessen Terrasse er einen Tisch bestellt hatte. Man konnte die ganze Bucht überblicken. Einige Gäste grüßten Pedro, bewundernde Blicke folgten dem Paar. Pedro war ein amüsanter Gesellschafter und das Essen vorzüglich. Laura genoß den Abend. Da Pedro als Künstler weit in der Welt herumgekommen war, kannte er viele interessante Leute und konnte köstliche Geschichten erzählen. Er berichtete von seiner Studienzeit in Paris und Florenz und wie er eines Tages völlig unerwartet das Haus, in dem er jetzt wohnte, von einer alten Tante geerbt hatte. "Ich glaube, erst nachdem ich durch das Erbe wohlhabend wurde, stellte sich auch der Ruhm ein", spöttelte er und nahm einen Schluck Wein. "Vorher habe ich nur wenige meiner Arbeiten verkaufen können. Ich mußte sehr bescheiden leben. Plötzlich gehörte ich zur Gesellschaft und bekam die großen Kunden. Dann zog ich nach Costal und richtete mir hier ein Atelier ein. Es stimmt schon, wenn man sagt wo Geld ist, kommt Geld dazu!" "Klingt ein wenig zynisch, finden Sie nicht?" sagte Laura leise und schaute in ihr Glas. "Immerhin hatten Sie zu dieser
Zeit Ihre Studien abgeschlossen und Erfahrungen gesammelt. Deshalb bekamen Ihre Arbeiten vielleicht erst zu diesem Zeitpunkt den richtigen künstlerischen Wert." "Sehr lieb, mir das zu sagen. Ich selbst bin nicht so sicher", erwiderte er trocken. "Eins ist freilich richtig. Mit den Jahren wurden meine Arbeiten reifer." Er betrachtete intensiv ihr Gesicht "Vielleicht werde ich Sie eines Tages malen, Senorita, Sie sind ein interessantes Objekt. Diese besondere Tönung Ihres Haares, es ist weder rot noch Kupfer ..., sehr anregend für einen Maler. Tizian hätte gewiß die richtige Farbbezeichnung dafür gefunden!" Laura wurde verlegen. Sie versuchte das Thema zu wechseln. "Erzählen Sie mir, woran Sie zur Zeit arbeiten?" "Augenblicklich male ich das Porträt einer gräßlichen alten Dame, deren Familie das Bild in ihre Ahnengalerie aufnehmen will", antwortete er lachend. "Sie müssen mich einmal in meinem Atelier besuchen. Ich habe einen unschätzbaren Hausdiener, der glücklich wäre, als Chaperone aufzutreten." Sie unterhielten sich angeregt, redeten über dies und das. Nur einmal, als die Sprache zufällig auf Don Raphael kam, wurde Pedro Armes plötzlich schweigsamer. Laura spürte es und wunderte sich. Was stand hinter dieser sichtbaren Abneigung zwischen den beiden Männern? "Ich glaube, es wird Zeit zu gehen", sagte Pedro nach einer Weile. "Da es aber noch zu früh ist, Sie wieder nach Madralena zurückzubringen, schlage ich vor, Sie kommen noch ein Stündchen mit zu mir. Ich möchte Ihnen gern einige von meinen Arbeiten zeigen." Laura zögerte. Sie wußte, sie sollte besser ablehnen. Eine wohlerzogene Spanierin würde das jedenfalls tun. Doch sie war Engländerin. Außerdem interessierte es sie, was für ein Talent hinter der zynischen Fassade von Pedro Armes steckte. "Einverstanden", sagte sie. Er stand schon hinter ihr und zog den
Stuhl zurück. "Ich hoffe, Sie haben die Wahrheit gesagt und haben einen Hausdiener?" Pedro lachte. Da er angenehm überrascht war, daß sie so natürlich blieb und sich nicht zierte, brachte er sie in fröhlicher Stimmung zum Wagen. Es war ein wunderbarer Abend, der dunkle Himmel mit Sternen übersät. Jasmin und Mimosen dufteten. Während der Fahrt hielt Pedro die Unterhaltung geschickt von allen persönlichen Dingen frei. Sie sprachen über das ausgezeichnete Essen, die besonderen Gewürze, er zählte ihr die vielen Arten von spanischen Weinen auf. Ganz kurz streiften Sie dabei das Weingut der Madralenas, wo ein berühmter guter Wein wuchs. Aber Laura spürte deutlich, daß er nicht über die Belange von Don Raphael zu reden wünschte. Sein Haus stand etwas höher gelegen auf der anderen Seite von Costal. Es war ähnlich gebaut wie das der Madralenas, nur kleiner und etwas weniger maurisch im Stil. Wie er vorausgesagt hatte, wurden sie von seinem Butler empfangen. Da Laura keinen Wein mehr wollte, bestellte Pedro Kaffee in sein Atelier. Da standen Staffeleien mit Ölbildern in den verschiedensten Stadien der Fertigstellung. An den Wänden hingen Studien und Skizzen. Laura sah,- daß er außerordentlich charakteristisch malte, mit viel Talent und Einfühlungsvermögen. Sein Stil gefiel ihr, und sie sagte es ihm. Zu ihrer Überraschung blieb er bescheiden bei all seinem Talent. Sie begann sich wieder zu frage n, was wirklich zwischen den beiden Männern vorgefallen sein mochte, die eher dazu geschaffen schienen, gute Freunde zu sein. Der Butler brachte den Kaffee. Sie tranken und rauchten, und Pedro blätterte seine Skizzen durch. Die Studien von Kinderköpfen gefielen Laura besonders. Sie fragte ihn, ob er auch Bilder von seiner eigenen Familie hier im Atelier hätte. Er
verneinte es. Seine Eltern waren gestorben, Geschwister hatte er keine. "Waren Sie nie verheiratet?" fragte sie. Er schüttelte den Kopl "Nein. Nur einmal habe ich eine Frau geliebt. Sie ist sehr früh gestorben." "Wie schrecklich." Laura wandte sich ab. Plötzlich hörte man das Telefon läuten. Pedro fluchte leise und ging zur Tür, als der Butler rief, es sei für ihn. "Entschuldigen Sie bitte", murmelte er und verließ das Studio. Laura trank ihren Kaffee, stellte die Tasse zurück und wanderte durch den Raum, um die Bilder zu betrachten. Dutzende von angefangenen Zeichnungen, Gemälde, schon gerahmt und noch ungerahmt. Man konnte müde werden vom Schauen. Als sie zur Sesselecke zurückkehrte, entdeckte sie auf dem Boden ein gefaltetes Papier. Es mußte wohl aus den Skizzen gefallen sein, die Pedro vorhin durchgeblättert hatte. Sie nahm es auf. Unbewußt entfaltete sie den Zettel und sah einige Zeilen in spanischer Sprache. Ihr Blick blieb auf der Unterschrift haften, dort stand: "Elena". Plötzlich hörte sie Schritte. Eine Art Panik erfaßte sie. Wenn sie den Zettel fallen ließ, hätte Pedro vielleicht geglaubt, sie habe ihn gefunden und gelesen. Das wäre peinlich geworden. Sie öffnete also hastig ihre Abendtasche, schob den Zettel hinein und tat so, als zöge sie gerade ihr Taschentuch heraus. Pedro betrat das Atelier, er wirkte verärgert. "Tut mir außerordentlich leid, Senorita", sagte er in sachlichem Ton, "es war Ihr Arbeitgeber. Er hat eben erst erfahren, daß Sie heute abend mit mir zusammen sind und sich jetzt hier in meinem Atelier befinden. Er hat befohlen, daß ich Sie sofort nach Madralena zurückbringe!" Laura preßte das Taschentuch einen Moment an die Lippen. "Wie unangenehm", murmelte sie. "Ich hatte nicht angenommen, daß es notwendig wäre, Don Raphael über das, was ich in meiner freien Zeit vorhabe, zu informieren."
"Das habe ich auch nicht angenommen", erwiderte Pedro gereizt. "Dieser Mann ist ein Diktator. Bitte kommen Sie, Senorita, ich möchte nicht das Risiko eingehen, daß er die Polizei ruft." Bis zum Madralena-Haus war es nicht weit, doch bei der Ankunft bebte Laura vor Nervosität. Der Brief in ihrer Tasche ängstigte sie. Die Gefahren, die er heraufbeschwören konnte, waren unausdenkbar. Pedro geleitete sie bis zur Tür. Dort verabschiedete er sich mit einem Handkuß. Laura schaute ihm nach, als er davonfuhr. Es war erst kurz nach zehn, dennoch hatte sie das Gefühl, die halbe Nacht unterwegs gewesen zu sein. Eine verstörte Lisa empfing sie in der Halle. "Senorita, wie gut, daß Sie da sind. Don Raphael erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer.". Laura spielte die Überraschte. "Um diese Zeit?" "Ja, Senorita. Bitte, kommen Sie." Sie gingen den langen Korridor ent lang bis zu Raphaels Arbeitszimmer. Lisa klopfte an die Tür und verschwand. "Herein", hörte Laura die herrische Stimme. Äußerlich ruhig trat sie ein. Don Raphael saß hinter seinem Schreibtisch. Er trug ein schwarzes Seidenhemd, am Hals offen. Aus dem Ausschnitt schaute eine goldene Kette mit Anhänger hervor. Sein Anblick war für Laura so faszinierend, daß sie erschauerte. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte sie. Sie sagte so arrogant wie möglich: "Guten Abend. Ich konnte nicht annehmen, Sie über Einzelheiten informieren zu müssen, wenn ich einen freien Abend habe." Raphael musterte sie kritisch. Dann stand er auf und kam ein paar Schritte auf sie zu. "Werden Sie nicht unverschämt, Senorita. Ich schätze, man hat Ihnen den Inhalt meines Telefongesprächs mitgeteilt."
"Richtig." Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, um bei dem angeschlagenen Ton zu bleiben. "Da ich nun zurückgekehrt bin, wie Sie es befohlen haben, Senor, werden Sie mir wohl erlauben, daß ich in mein Zimmer gehe. Ich glaube kaum, daß eine spanische Inquisition notwendig wäre!" "Hör auf, Laura!" fuhr er sie an. "Wir müssen miteinander reden. Ich kann nicht erlauben, daß du Pedro Armes wiedersiehst." Laura dachte wieder an den Brief in ihrer Tasche. Wenn das, was sie vermutete, tatsächlich stimmte, konnte sie seine Reaktion verstehen. Aber das alles hatte nichts mit ihr zu tun. Sie wollte den kleinen Sieg nicht aufs Spiel setzen, den sie erfochten hatte. Er konnte schließlich von ihren Gefühlen für ihn nichts ahnen, und sie war nicht bereit, sie ihm zu zeigen. "Das meinen Sie doch nicht im Ernst, Senor?" erwiderte sie sarkastisch. "Was ich in meiner freien Zeit mache und mit wem ich sie verbringe, ist allein meine Sache." Raphael beherrschte sich offensichtlich nur mühsam. "Solange du in meinem Haus lebst, wirst du dich an meine Anweisungen halten!" "Und wenn ich mich weigere?" Sie schaute ihm direkt in die Augen. "Laura", beschwor er sie, "in Gottes Namen, tu mir das nicht an!" Sie blieb weiter arrogant. "Was, bitte? Deine Eitelkeit verletzen?" Raphael wandte sich ab. Er packte die hohe Stuhllehne so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Den Kopf hielt er leicht gebeugt. Laura konnte seinen sehnigen, braunen Nacken sehen, den sie früher so oft mit ihren Lippen liebkost hatte. Sie erinnerte sich, wie gern sie damals ganz dicht hinter ihm stand, ihre Arme unter seinen Armen hindurch um ihn schlang. Wie er sich dann plötzlich herumgedreht, sie in seine Arme genommen und sie geküßt hatte in wild aufwallendem Begehren.
"Du erwartest zuviel von mir", stieß er mühsam hervor. Laura atmete tief durch und trat hinter ihn. "Findest du?" Da er nicht antwortete, fuhr sie fort: "Ich habe wohl immer, zuviel von dir erwartet. Auch damals in London habe ich zuviel erwartet. Da konnte ich ja noch nicht wissen, wie hart und grausam du in Wirklichkeit bist." "Du verstehst mich nicht, Laura. Du kannst mich nicht verstehen!" "Du hast recht, ich verstehe dich wahrhaftig nicht. Ich bin ja auch keine Spanierin. Ich bin nur ein einfaches englisches Mädchen, das nicht glauben konnte, der Mann, der sie angeblich so leidenschaftlich liebte, sei imstande, eine Verstandesheirat einzugehen. Was hast du in den Nächten mit Elena empfunden? Hast du jemals an mich gedacht, wenn du sie umarmtest, Raphael? Und woran hast du gedacht, als sie dein Kind trug?" Ihre Stimme brach. Mit einem gepreßten Laut drehte er sich zu ihr herum und riß sie an sich. Er drückte sie so fest an seinen Körper, daß er ihr weh tat. Dann küßte er sie. Die Ereignisse des Abends hatten Laura so erregt, daß sie nicht mehr widerstehen konnte. Ihre Lippen öffneten sich unter seinem Kuß. Sie hob die Hände und wühlte in seinem dichten Haar. Es war so, wie es immer gewesen war, nur noch viel gefährlicher. Nach fünfjähriger Trennung brach ihre Leidenschaft voll wieder auf. Sie sehnten sich nacheinander, als wollten sie alles nachholen, was sie versäumt hatten. Raphael hörte nicht auf, sie zu küssen. Er küßte ihre Augen, ihre Ohren, ihren Hals, ihre Brüste. Er murmelte Liebkosungen in seiner Sprache, die Laura nicht verstand. Aber sie fühlte seine Glut. Endlich kam sie zu sich. Es durfte nicht sein! Obgleich ihr Körper nach der Erfüllung verlangte, mußte sie ihrem Verstand folgen, der sie warnte.
Sie machte nur eine leichte, abwehrende Bewegung. Raphael spürte es und ließ sie sofort los. Sie stand einen Moment verloren, Tränen stiegen ihr in die Augen. "Geh jetzt, Laura", stieß er rauh hervor, "oder, bei Gott, ich bin nicht mehr verantwortlich für die Konsequenzen!" Laura starrte ihn an, dann floh sie aus dem Zimmer. Wie gehetzt lief sie den Korridor entlang. Es war ihr gleichgültig, ob jemand sie sah oder nicht. Sie wollte nur fort, weit fort.
8. KAPITEL Ihr war, als hätte sie Stunden auf dem Bett gesessen, aufgewühlt mit brennenden Augen. Endlich zog sie sich aus, ging ins Badezimmer und nahm eine Dusche. Ihr wurde etwas besser. Als sie die Decke des Bettes zurückschlug, fiel ihre Abendtasche zu Boden, so daß der ganze Inhalt verstreut auf dem Teppich lag. Da sah sie den Brief wieder, den sie bei Pedro Armes gefunden hatte. Ungeduldig stopfte sie alles ins Täschchen zurück. Nur den Brief behielt sie in der Hand. Sie glättete ihn auf dem Bett. Er war in Spanisch geschrieben, und sie hatte nur einzelne Worte davon aufnehmen können. Dennoch wußte sie instinktiv, daß es ein Liebesbrief war, datiert am 14. August vor drei Jahren. Sie überlegte, daß es kurz vor Elenas Tod gewesen sein mußte. Mit Hilfe eines Wörterbuchs versuchte sie den Text zu übersetzen, ohne daran zu denken, daß sie eine Indiskretion beging. Elena war tot, niemand konnte mehr gekränkt werden, und vielleicht würde dieser Brief ihr eine Erklärung für Raphaels Verbitterung geben. Als sie alles übersetzt hatte, las sie die Zeilen Wort für Wort: "Pedro, mein Geliebter, ich kann Dir nicht sagen, wie sehr ich mich danach sehne, morgen bei Dir zu sein. Noch kann ich kaum glauben, daß wir uns bald für immer gehören werden. Raphael wird niemals verstehen, daß ich ihn verlasse. Obwohl ich ihm doch gar nichts bedeute. Er liebt nur das Kind. Aber ich
kann nicht mehr länger warten, ich will mein Leben mit Dir teilen. Carlos braucht mich nicht, er hat Dawn Latimer. Heute nacht werde ich bestimmt nicht schlafen können, ich bin einfach zu aufgeregt. Ich denke, ich nehme ein paar Schlaftabletten, von denen, die Dr. Lopez Dona Luisa verschrieben hat. Damit die Stunden schneller vergehen, mein Liebster. Bis morgen. Deine Elena." Laura las den Brief mehrmals, bevor sie ihn vorsichtig zusammenfaltete und wieder in die Abendtasche steckte. Ihre Ahnung war also richtig: Elena hatte Pedro Armes geliebt. Was hatte Pedro heute abend zu ihr gesagt? Die einzige Frau, die er einmal liebte, sei gestorben. Es mußte Elena gewesen sein. Laura legte die Hand über die Augen. Was für eine Tragödie, dachte sie, wie entsetzlich war das alles. Dann löschte sie das Licht. Nun kannte sie auch den Grund für die Abneigung Raphaels gegen Pedro. Er mußte von der Liebe seiner Frau gewußt haben. Aber wie er nun einmal veranlagt war, hätte er nie in eine Scheidung eingewilligt. Laura rollte sich auf den Bauch und versuchte, alle Gedanken an Pedro, Elena und Raphael auszuschalten, doch es gelang ihr nicht. Wenn das die Gründe der Verbitterung Raphaels waren, so hatte er immerhin drei Jahre Zeit gehabt, um darüber hinwegzukommen. Warum hatte er es immer noch nicht geschafft? Er konnte sie, Laura, nie wirklich geliebt haben, sonst wäre er doch gekommen oder hätte ihr geschrieben, daß er Witwer geworden war. Aber nichts dergleichen. Und als sie nach Madralena kam, hatte er sie beinahe wieder aus dem Haus getrieben. Doch alles gab keinen Sinn. Es sei denn, sie fand sich endgültig mit dem Gedanken ab, daß es nichts als reiner Sex gewesen war, der ihn an sie gefesselt hatte ... Endlich schlief Laura ein. Ihre Träume waren voller Ungeheuer, voller Ängste.
Morgens erwachte Laura wie zerschlagen. Sie fühlte sich so müde, als wäre sie gerade erst zu Bett gegangen. Sie beschloß zunächst, den Brief zu zerreißen, aber etwas hielt sie davon ab. So versteckte sie ihn ganz hinten in einer der Schubladen und legte ein paar Tücher darüber. Es hielt sie heute nicht im Haus, und sie machte den Vorschlag, mit Carlos nach Costal zu fahren. Maria brauchte Fisch für die Küche, Laura bot an, ihn am Hafen zu besorgen. Maria dankte erfreut. Villand fuhr Laura und Carlos bis zum Marktplatz des kleinen Ortes. Dann verschwand er, um Besorgungen zu machen. Carlos und Laura wanderten am Hafen entlang, verglichen die Fischpreise und schauten zu, wie die Fischer ihre Netze flickten. Es war ein angenehmer Tag, nicht zu heiß, nicht zu windig. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Mit einem der Fischer kam Laura ins Gespräch und sagte ihm verwundert, wie ruhig es heute sei. Er lachte mit zahnlosem Mund. "Es la corrida!" rief er und warf die Arme in die Luft. "Stierkampf, Senorita!" Carlos sprang hin und her. "El toro, Laura, el toro!" In seiner Begeisterung vergaß er ganz, Miss Fleming zu sagen. "Bitte, wir wollen hingehen und zuschauen!" "Ich weiß nicht", meinte Laura unsicher. Carlos hatte sich aber bereits losgerissen. Quer über den Marktplatz rannte er auf eine Straße zu, die aus dem Zentrum des Ortes hinausführte. Ihr blieb keine Wahl, sie mußte hinterher. Sie begann zu laufen, um das Kind einzuholen. Am Ende der Straße hörte sie schon das Johlen der Menge: "Öle!" und wieder "Öle!" Laura fand Carlos am Rande der Menschenmenge, die die Arena verdeckte. Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich, drängelte sich durch die Reihen. Merkwürdigerweise war
niemand böse, sie lachten alle den Jungen an, traten beiseite und ließen ihn mit Laura durch. Bald erkannte sie, warum man so höflich zu ihnen war. Der Matador war Raphael Madralena. Groß und dunkel stand er in der Arena und wirkte doch so verwundbar. Er trug enganliegende, reich bestickte Hosen und ein weißes Seidenhemd. Ihr Herz begann wie rasend zu klopfen. Als sie den äußeren Ring der Arena erreichten, wurde ein großer Stier eingelassen, der auf den Mann in der Mitte zustürzte. "Papa!" rief Carlos überrascht. Er schaute aufgeregt zu Laura hoch. "Es ist Papa, Laura! Hast du es gewußt?" Laura schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht sprechen, weil sie befürchtete, Raphael könnte ihre Stimmen hören, die englische Sprache verstehen und vielleicht die Konzentration verlieren. "Psst", machte sie und legte die Finger an ihre Lippen. Jetzt bewegte sich der Matador. Er schwang ein rotes Satintuch hinter seinem Rücken hervor, hielt es einen Moment an der Seite und ließ einen Degen daruntergleiten. Der Stier hatte ihn fast erreicht. Er senkte den Kopf Und rannte, die Hörner vorgestreckt, auf das Tuch zu, das Raphael sofort zurückzog. Nur Millimeter von seinem Körper entfernt raste das Biest vorbei, stoppte, wandte sich wieder zurück, um erneut anzugreifen. Es war ein gefährliches Tier. Das spürte sogar Laura, die zum ersten Mal so etwas sah. Die Menge war begeistert. Laura saß regungslos, erstarrt vor Angst. Carlos spürte das und begann zu schreien. Sofort blickte Raphael in die Menge. Ahnungsvoll fand er, was er suchte. Sein Blick verdüsterte sich. Der Stier witterte das Abgelenktsein des Matadors und stieß erneut zum Angriff vor. Raphael, nur einen Moment unkonzentriert, verfehlte zwar den tödlichen Ausfall, aber das eine Hörn des Stieres verletzte ihn oberhalb der Hüfte. Laura sah, wie auf dem weißen Hemd ein Blutfleck erschien, der sich schnell ausbreitete.
Sofort waren mehrere Männer in der Arena. Sie schrien und schwenkten ihre Hüte, um die Aufmerksamkeit des Stieres von dem Matador abzulenken. Raphael ging an den Ring der Arena, vorsichtig, als habe er starke Schmerzen, kletterte er über den Holzzaun, eine Hand auf die verletzte Seite gepreßt. Als er näher kam, hatte er keinen Blick für Laura. Er sah nur seinen Sohn, der jetzt bitterlich schluchzte. "Papa, Papa!" Carlos stürzte auf seinen Vater zu und klammerte sich an ihn. "He, Carlos", versuchte Raphael ihn zu beruhigen, "schau doch, ich lebe noch. Es bestand gar keine Gefahr!" "Es ist immer gefährlich", heulte Carlos. "Dawn hat es gesagt, und Laura auch. Ein Stierkampf ist gefährlich. Und jetzt bist du verletzt. Mußt du sterben?" "Natürlich nicht." Ein älterer Mann trat zu ihnen. Raphael schaute auf. "Ja, Doktor Perez, ich komme." Er erhob sich, und Carlos fragte sofort: "Wohin gehst du, Papa?" "Nur zu Dr. Perez in die Praxis, ich lasse mich verbinden", erklärte Raphael sorglos. "Geh du mit Miss Fleming, wir sehen uns später." Damit mußte Carlos sich zufriedengeben. Er trippelte hin und her und sprach kein Wort. Er schien durch die Verletzung seines Vaters und den Anblick des Blutes arg geschockt zu sein. Als Raphael mit etwas steifem Gang zurückkam, lief er ihm entge gen und ergriff liebevoll seine Hand. Laura ging neben ihnen her. Sie fühlte sich betroffen. Sie hatte den Eindruck, daß Raphael ihr die Schuld gab an dem, was geschehen war. Vermutlich glaubte er, sie habe Carlos hierhergebracht, um das Schauspiel mit anzusehen. "Ich muß noch den Fisch für Maria besorgen", sagte sie entschuldigend. "Carlos kann ja gleich mit Ihnen nach Madralena zurückfahren. Ich komme später mit Villand nach."
"Nein", widersprach Raphael, "wir werden zusammen nach Madralena zurückfahren. Es war ein Fehler herzukommen." "Wessen Fehler?" versetzte Laura herausfordernd. "Was soll die Frage?" "Ich meine diesen Kampf. Halten Sie das Leben für so wertlos, daß Sie es aufs Spiel setzen, Senor? Wie konnten Sie die Gefühle Ihres Sohnes derart strapazieren?" Carlos schaute von einem zum anderen. Er war erstaunt. "Warum ist Miss Fleming so aufgeregt?" fragte er ernsthaft. "Miss Fleming spricht von Gefühlen, Pequeno, es hat nichts mit dir zu tun", sagte Raphael und setzte mit Wärme hinzu: "Komm, mein Kleiner, wir gehen schon voraus zum Auto, während Miss Fleming ihre Besorgungen macht." "Ja, Papa." Carlos schaute noch einmal zu Laura hoch. Sie drehte sich rasch um, damit niemand den Schmerz in ihren Augen sehen konnte. In der nächsten Woche hatte Laura viel Muße, über ihre Position nachzudenken. Nach dem Stierkampf schien Raphael endlich klarzuwerden, daß Carlos mehr Zeit mit ihm brauchte, als er ihm bisher gewidmet hatte. Er kam oft schon morgens ins Kinderzimmer, nahm seinen Sohn mit auf Ausflüge zum Weingut und zu geschäftlichen Besprechungen nach Cadiz. Laura wurde nie eingeladen. Carlos regte es ein paarmal an, bis er merkte, daß sein Vater Laura nicht dabeihaben wollte. Miss Latimer sagte nichts, doch sie beobachtete die Traurigkeit in Lauras Augen. Eines Tages sagte sie: "Nun haben Sie nur noch ein paar Tage, dann ist die Probezeit vorbei, Laura." Mit unruhigen Fingern zündete sich Laura eine Zigarette an. "Ja, und?" meinte sie mit gespielter Gleichgültigkeit. Begütigend fuhr Dawn fort: "Versuchen Sie nicht, mich zu belügen, mein Kind. Sie sind bei dem Gedanken todunglücklich, nicht wahr?"
Laura zog tief den Rauch ein. "Ich wünschte, der Monat wäre schon vorbei", erwiderte sie. "Meine Freundin in London vermißt mich sehr. Wir haben zusammen eine Wohnung, und sie ist gar nicht gern allein." Dawn setzte sich in den bequemen großen Lehnstuhl und nahm ihre Strickarbeit auf. "Was werden Sie in London beginnen?" fragte sie sanft. "Suchen Sie sich eine neue Stellung?" "Das werde ich wohl müssen", antwortete Laura ein wenig hilflos. "Ach, Laura", rief Dawn ungeduldig, "ich wünschte, ich könnte etwas für Sie tun!" Laura schüttelte den Kopf. "Bitte, lassen Sie uns nicht darüber reden, Dawn. Wohin ist Carlos heute mit seinem Vater?" "Ich glaube, sie sind nach Sevilla gefahren", meinte Dawn nachdenklich. "Rosetta ist mit dabei." Laura wunderte sich. "Rosetta Burgos?" Dawn blickte konzentriert auf ihre Strickarbeit. "Sie war oft mit Vater und Sohn unterwegs in letzter Zeit." Nach einer Pause fuhr sie leise fort: "Rosetta hofft, die zweite Senora Madralena zu werden." Laura wurde blaß. "Ich habe es mir schon gedacht", murmelte sie, "nur habe ich nie geglaubt ..." Ihre Stimme verlor sich. "Wird sie Erfolg haben?" "Das bezweifle ich. Ich glaube, Don Raphael wird es nicht wagen." Laura starrte die Kinderfrau an. "Warum nicht wagen?" Sie hockte sich auf eine Fußbank vor Dawn. "Bitte, Sie müssen mir sagen, was ihn so furchtbar verändert hat! Erzählen Sie es mir, Dawn. Ich bleibe doch nicht mehr lange. Die Wahrheit kann also niemandem mehr weh tun." Dawn legte ihre Strickarbeit aus der Hand. "Vielleicht sollten Sie es wirklich hören", sagte sie wie zu sich selbst. "Gut, Laura,
ich werde es Ihnen erklären. Sie wissen, daß Madralena schon seit vielen Generationen im Besitz der Familie ist." Laura nickte. "Ja, das weiß ich." "Dieses Land ist eingehüllt in seine Tradition, in Legenden und Aberglauben. Es ist ein Land der Überlieferungen. Vielleicht sind deshalb die Menschen so bereit, das Unglaubliche zu glauben." Sie dachte einen Augenblick nach. "Die Geschichte beginnt vor über hundert Jahren. Damals war Raphaels Urgroßvater Herr auf Madralena. Ein stolzer Mann, ein schöner Mann, wie es heißt, Raphael soll ihm sehr ähnlich sein. Zu jener Zeit waren Zigeuner in der Nähe, und Carlos Madralena, Raphaels Urgroßvater, verliebte sich in eine von ihnen. Carmelita soll eine Schönheit gewesen sein. Doch Carlos war bereits verheiratet. Als das Unvermeidliche geschah und Carmelita ein Kind erwartete, kam es zu einer Katastrophe. Carmelitas Großmutter verlangte, daß das Kind im Haus Madralena aufgenommen und anerkannt werden sollte. Das war für damalige Verhältnisse unvorstellbar. Don Carlos jedenfalls wies das Ansinnen strikt zurück. Und damit begann das Drama, von da an gab es die Tragödien. Carmelitas Großmutter soll damals die Familie mit einem Fluch belegt haben!" Laura schaute ungläubig. "Das kann nicht Ihr Ernst sein!" "Sie haben noch nicht alles gehört. Warten Sie, bevor Sie urteilen. Dieser Fluch war kein alltäglicher. In gewissen Abständen, so lautete er, sollte der jeweilige Herr auf Madralena für den Tod seiner Ehefrau verantwortlich sein!" Laura war fassungslos. "Und das hat man wirklich geglaubt?" "Aber ja. Lassen Sie mich fortfahren, das erklärt vieles. Carlos Madralenas Frau starb ein Jahr danach." "Hat er sie umgebracht?" "Nein, so einfach ist das nicht. Sie starb im Kindbett." "Das passiert doch manchmal", warf Laura ungeduldig ein.
"Gewiß. Doch sie war eine normale, gesunde Frau, die bereits drei Kinder geboren hatte. Es gab keinen ersichtlichen Grund, warum sie starb." "Und weiter?" "Wir kommen jetzt zu Raphaels Großvater, Felipe Madralena. Er war ebenfalls verantwortlich für den Tod seiner Frau." "Warum? Was passierte?" "Helena Madralena war eine passionierte Jägerin und ging oft mit Felipe auf die Jagd. Ein ziemlich unübliches Hobby in der damaligen Zeit. Sie starb draußen im Wald. Überliefert ist, daß Felipe sie unglücklicherweise erschoß." "Na also, ein Unfall" "Ich weiß, was Sie sagen wollen. Eine Anzahl von Unglücksfällen, von Zufällen. Aber doch sehr merkwürdig, finden Sie nicht?" "Und Raphaels Mutter?" fragte Laura. "Sein Vater chauffierte den Wagen, als sie bei dem Autounfall starb. Ich dachte, das wußten Sie?" "Ja, ich habe es gewußt. Merkwürdig natürlich." Laura fühlte sich auf einmal beklommen und erhob sich. "Und nun auch noch Elena", fuhr Dawn fort. Laura zuckte zusammen. "Elena? Wieso? Hat er ..., hat Raphael sie getötet?" "Nein, sie hat Selbstmord begangen. Aber Raphael hält sich für schuldig. Sie hatten eine furchtbare Auseinandersetzung in der Nacht, in der sie starb." Laura schlug die Hände vors Gesicht. "Mein Gott, was für eine Situation!" Dawn legte ihr den Arm um die Schultern. "Ach Kind, mein armes Kind." Laura begann zu weinen, und sie nahm sie ganz in die Arme. Laura empfand die warme Mütterlichkeit dieser Frau und fühlte sich bei ihr geborgen. Als sie sich etwas gefaßt hatte, sagte Dawn:
"Am besten gehen Sie jetzt ins Bad und erfrischen sich ein bißchen, bevor Don Raphael und Carlos zurückkommen. Wir wollen den Jungen nicht erschrecken." Laura nickte. "Danke", murmelte sie, '"danke für die Zuneigung." Dawn sah sie an. "Wie gern würde ich etwas für Sie tun, wenn ich nur könnte. Ich liebe Raphael wie eine Mutter, Laura. Auch ihn würde ich gern glücklich wissen. " In ihrem Zimmer wusch Laura sich das Gesicht und trug leichtes Make-up auf. Ihre Augen brannten, und sie sah verzweifelt aus. Linda hatte ja so recht gehabt. Alles, was in Madralena passierte, war nur ein Aufreißen von Wunden, die eigentlich schon vernarbt waren. Zwei Tage später wurde sie aufgefordert, in Don Raphaels Arbeitszimmer zu kommen. Hastig lief sie hinauf, um sich umzuziehen. Sie hatte mit Carlos im Garten gespielt, fühlte sich verschwitzt und schmutzig. Sie überlegte, wie Carlos reagieren würde, wenn er erfuhr, daß sie in Kürze abreiste. Er war in letzter Zeit dauernd mit Rosetta Burgos zusammen. Laura konnte es schon nicht mehr hören, wie besitzergreifend Rosetta über ihren Cousin sprach, wenn sie Dona Luisa in allen Einzelheiten ihre Ausflüge mit Raphael schilderte. Einmal hatte Laura Carlos nach Rosetta gefragt. Er schien nicht gerade begeistert von ihr. Ihm war wohl klar, daß ihr nicht an ihm, sondern nur an seinem Papa etwas lag. Auf dem Weg die Treppe hinunter befestigte Laura noch das Band um ihr Haar. Nur noch wenige Tage, dann war das Ende des Monats gekommen, und sie hatte keinen Zweifel, daß Raphael wünschte, sie solle Madralena verlassen. Sie klopfte und trat ein. Raphael saß hinter seinem Schreibtisch und schien sehr beschäftigt. Bei ihrem Eintreten stand er auf und bat sie, auf dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.
"Sie wissen, Sönorita, daß Ihre Probezeit bei uns beinahe zu Ende ist", begann er. "Ja, Senor", bestätigte sie förmlich. "Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mit Ihrer Arbeit und der Art, wie Sie mit Carlos umgegangen sind, außerordentlich zufrieden bin", fuhr er im gönnerhaften Ton eines Arbeitgebers fort. "Carlos hat sich ausgezeichnet entwickelt unter Ihrer Obhut. Es scheint, daß Sie recht haben, mit mehr Freiheit entwickelt sich ein Charakter wesentlich besser." "Vielen Dank, Senor." Laura war richtig warm geworden. Lag es an der Hitze oder an ihren Nerven? "So wird meine Bitte keine Überraschung für Sie sein", sagte Raphael. "Ich möchte, daß Sie in Madralena bleiben und mir Ihre feste Anstellung als Erzieherin bestätigen." Vor ihren Augen schien das Zimmer zu schwanken. Sie hielt sich an den Stuhllehnen fest. Don Raphael sah sie forschend an. "Geht es Ihnen nicht gut, Senorita?" fragte er besorgt. Laura konnte nur mit Mühe antworten. "Doch, doch, es geht mir gut, danke. Sie sagten, ich soll bleiben?" Raphaels Züge überschatteten sich ein wenig. "Natürlich, Sie müssen mir doch zugehört haben." Laura spürte, daß auch er nicht so sicher war, wie es den Anschein hatte. "Aber warum?" fragte sie. "Warum?" Raphael griff nach einer seiner Zigarren. "Ist das nicht klar, Senorita?" Laura schüttelte den Kopf. "Mir ist es nicht klar. Wie können Sie überhaupt annehmen, daß ich bleiben will? Um weiter so behandelt zu werden wie vom ersten Tag an?" Jetzt hatte sie ein wenig Sicherheit zurückgewonnen. Raphael zündete seine Zigarre an und drehte sie zwischen den Fingern. "Ich war der Meinung, das Kind bedeute Ihnen sehr viel", antwortete er kühl.
"Carlos? Ja, er bedeutet mir wirklich sehr viel. Doch das allein kann nicht der Grund sein, Senor." "Was meinen Sie?" fragte er ungeduldig. "Senorita Burgos könnte die Erziehung des Kindes übernehmen. Die Arbeit bei Dona Luisa füllt sie doch kaum aus." Laura wurde rot bei ihren dummen Worten. "Senorita Burgos?" Raphael war erstaunt. "Was soll dieses Gerede über Rosetta?" "Sie scheint absolut fähig zu sein, Carlos zu betreuen", versuchte sie es weiter. "Sie haben eine Menge Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht. Carlos wird seine Zuneigung auf ..." "Genug jetzt", unterbrach er sie und kam um den Schreibtisch herum. "Glauben Sie wirklich, Sie können die Wahl meiner Gesellschaft kritisieren, Senorita?" Laura erhob sich ebenfalls. "Ganz und gar nicht", antwortete sie. "Aber ich beabsichtige auch nicht, meine Stellung hier in eine Dauerstellung umzuwandeln." Raphael blickte sie eindringlich an. Er schien ergründen zu wollen, was sie dachte. An ihrem Mund blieb sein Blick haften. "Bitte, Laura, du darfst nicht von hier fortgehen." Sie schluckte. Sie durfte ihm nicht erlauben, an ihr Gefühl zu appellieren. "Warum sollte ich bleiben?" fuhr sie auf. "Sie könnten sich wieder einfallen lassen, an Stierkämpfen teilzunehmen, und ein weinender kleiner Junge bliebe zurück, wenn Sie ernsthaft verletzt würden. Ich könnte das nicht ertragen." "Ich bin kein unerfahrenes Kind, Laura!" rief er wild. "Ich bringe mich nicht selbst in Gefahr!" "Ach, wirklich nicht? Wie war es denn das letzte Mal? Der Stier hätte Sie töten können." "Ich wurde abgelenkt!" "Nur eine kleine Unaufmerksamkeit liegt zwischen Leben und Tod!" rief sie leidenschaftlich.
"Ich war doch nur leicht verletzt, möchtest du dich überzeugen?" Mit schnellem Griff lockerte er die Krawatte und knöpfte sich das Hemd auf. Sie sah seine entblößte braune Haut. An der Seite klebte ein großes Pflaster. Er zerrte es herunter, so daß die schon heilende Wunde offen lag. Deutlich waren die Einstiche der Naht zu sehen. Es war eine lange, ziemlich tiefe Narbe. Laura wandte sich gequält ab. "Nun? Werde ich am Leben bleiben?" fragte er sie aufreizend. "Hör auf, darum geht es gar nicht", murmelte sie. Sie war völlig konsterniert. "Worum geht es dann?" Er stellte sich dicht hinter sie. "Ich dachte immer, du seist tapfer. Bist du so zimperlich, daß dich ein bißchen Blut umwirft?" Er spürte ihre Schwäche und versuchte, sie für sich zu nützen. "Ich kann nicht bleiben", sagte sie leise und wußte genau, wenn er sie jetzt berühren würde, wäre es mit ihrer Selbstkontrolle vorbei. Sie hörte, wie er tief atmete. "Bleibst du, wenn ich verspreche, nie mehr in die Arena zu gehen?" "Warum willst du so etwas gerade mir versprechen?" "Wenn du da bist, brauche ich den Stierkampf nicht, Laura", sagte er mit Nachdruck. Schnell wandte sie sich zu ihm um, "Aber in der vorigen Woche brauchtest du ihn!" "Du weißt, was vorangegangen war!" Seine dunklen Augen brannten. Er richtete sich Hemd und Krawatte wieder und fragte herausfordernd: "Also, was ist? Wie entscheidest du dich?" "Ich weiß es nicht, Raphael. Ich weiß es wirklich nicht", flüsterte sie. Raphael trat hinter seinen Schreibtisch. Es war, als wolle er Abstand zwischen sich und Laura schaffen. "Dann denke nach. Denke gut nach, Laura." Damit setzte er sich wieder.
Mit unsicheren Schritten ging Laura zur Tür. Sie blickte noch einmal zurück, aber Raphael hob nicht den Kopf. Schnell ging sie hinaus.
9. KAPITEL Als Laura ins Kinderzimmer kam, konnte Dawn Latimer ihre besorgte Neugier nicht verbergen. "Lisa erzählte mir, daß Don Raphael Sie gerufen hat", empfing sie sie. Laura nickte. "Er will, daß ich bleibe." Dawn starrte sie an. "Daß Sie bleiben? Hat er Ihnen erklärt, warum er das will?" "Er sagte, er sei zufrieden mit meiner Arbeit. Meine freizügige Art, mit Carlos umzugehen, festige seinen Charakter." "Und was haben Sie geantwortet?" "Daß ich nicht bleiben könnte", erklärte Laura. "Hat er das ohne weiteres akzeptiert?" "Nein, hat er nicht." Laura senkte den Kopf. "Er war ..., er war sehr beharrlich und drängte mich." Dawn beobachtete sie nachdenklich. "Sagen Sie, Laura ..., wie beharrlich war er?" Laura wurde verlegen. "Ach Dawn, Sie wissen ja selbst, wie beharrlich er sein kann!" "Lieben Sie ihn, Laura?" Die Frage kam unerwartet, doch Laura beantwortete sie ehrlich. "Ja", sagte sie still, "ich liebe ihn. Ich habe ihn schon vor fünf Jahren ge liebt, als er in England war. Ich arbeitete damals bei der Familie Valdes. Dort habe ich Raphael
kennengelernt. Doch entschuldigt das keinesfalls unser Verhalten." "Wie meinen Sie das?" Laura wandte sich ab. "Raphael war damals bereits mit Elena verlobt. Er sagte es mir kurz nachdem ..., nun ja, nachdem wir Freunde geworden waren." "Ich verstehe. Raphael kehrte nach Spanien zurück, als sein Vater starb, und heiratete Elena. Das erklärt Ihre Schwierigkeiten mit ihm. Warum sind Sie hergekommen? Hat er Sie darum gebeten?" Laura schüttelte den Kopf. "Ich bewarb mich auf eine Anzeige, die Dona Luisa in eine englische Zeitung gesetzt hatte." Dawn betrachtete sie gedankenvoll. "Und als Sie erfuhren, daß er Witwer geworden war, akzeptierten Sie das Angebot?" "Mehr oder weniger ja. Nur bildete ich mir ein, daß ich ihn nicht mehr liebe." "Liebt Raphael Sie?" "Bestimmt nicht. Er hat mich nie geliebt. Aber ich glaube, ich habe ihn rein physisch angezogen. Vielleicht ist das in gewissem Sinne auch heute noch der Fall. Mehr ist es gewiß nicht." "Sind Sie da so sicher?" "Doch", bestätigte Laura, "ich bin sicher." "Weil er Elena geheiratet hat? Er hat sie niemals geliebt", sagte Dawn überzeugt. Laura trat ans Fenster. "Warum hat er sie dann geheiratet?" "Vielleicht weil er Angst hatte." "Angst, wovor? Vor mir, vor Elena oder vor seiner Familie?" "Nein. Er fürchtete vielleicht den Fluch." Laura ging ein paar Schritte auf und ab. "Das ist doch verrückt." "So verrückt finde ich das gar nicht", widersprach Dawn. "Sie hätten das gleiche Schicksal erleiden können." "Ich liebe Raphael!" sagte Laura beschwörend.
"Liebte Elena ihn nicht?" "Nein, ich weiß, daß sie ihn nicht liebte!" Dawn runzelte die Stirn. "Sie kennen die Geschichte mit Pedro Armes?" Laura nickte. Bevor sie noch weitere Erklärungen abgeben konnte, stürmte Carlos ins Zimmer. "Laura!" Seit dem Tag des Stierkampfes nannte er sie so. "Dona Luisa sucht dich, sie ist unten im Salon." Carlos drückte ihre Hand. "Bitte, bleib nicht so lange fort, ich muß dir ein neues Spiel zeigen!" Laura ging eilig aus dem Zimmer. Sie wunderte sich, warum die Senora sie sprechen wollte. Im Salon fand sie aber nur Rosetta Burgos vor. "Entschuldigung", sagte sie höflich, "ich hörte, daß Dona Luisa mich zu sprechen wünscht." "Schon möglich", versetzte Rosetta, "doch ich möchte Sie zuerst sprechen, Senorita." Laura zögerte. "Ich wüßte nicht, worüber wir miteinander zu sprechen hätten, Senorita Burgos." Rosetta ließ sich in einen Sessel fallen, ohne Laura auzufordern, Platz zu nehmen. Sie betrachtete sie prüfend. "Wie ich hörte, sind Sie noch unentschlossen, ob Sie als Carlos' Erzieherin bei uns bleiben oder nicht?" "Sie sind gut informiert", warf Laura ein. "Eben. Und ich möchte nicht länger im Zweifel bleiben, sondern von Ihnen wissen, wie Sie sich entscheiden werden." Lauras Augen wurden schmal. "Sobald ich zu einer Entscheidung gekommen bin, werde ich es Don Raphael wissen lassen", gab sie kühl zurück. Rosetta lächelte provokant. "Sie glauben wohl, Raphael besonders gut zu kennen, Senorita?" Einen Moment war Laura unsicher. "Wie soll ich das verstehen?"
Rosetta verzog geringschätzig den Mund. "Sie leben jetzt einen Monat in diesem Haus, und ich habe Sie sehr genau beobachtet. Sie waren entzückt, wie Don Raphael Sie behandelte und daß er Ihnen bei Carlos freie Hand ließ. Ich glaube, Sie machen sich völlig falsche Vorstellungen von Don Raphaels Freundlichkeit, meine Liebe!" Laura hätte fast gelacht, die Situation war einfach grotesk. "Worauf wollen Sie hinaus, Senorita?" "Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?" Rosetta stand auf. "Es ist wohl Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß ich in letzter Zeit sehr viel mit Don Raphael zusammen war?" "Durchaus nicht", antwortete Laura leise. "Dann wird es Sie auch nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, daß ich in Kürze Herrin auf Madralena sein werde!" spielte Rosetta ihren Trumpf aus. Laura nahm sich zusammen. Sie hätte um nichts in der Welt vor Rosetta ihre Gefühle gezeigt. "Tatsächlich?" sagte sie ruhig und mit ein wenig Sarkasmus in der Stimme. "Das ist eine Überraschung!" "Sie werden unverschämt!" rief Rosetta, die sich über den spöttischen Ton ärgerte. "Im Gegenteil, ich wünsche Ihnen viel Glück", erwiderte Laura im gleichen Ton. "Ist das jetzt alles?" Rosetta kniff die Lippen zusammen. "Reizen Sie mich nicht, Senorita! Ich wollte Ihnen das mitteilen, damit Sie diese Tatsache bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen." Laura warf den Köpf zurück. "Das klingt ja fast wie eine Drohung. Aber zu Ihrer Beruhigung: Meine Entscheidung ist bereits gefallen, Senorita." Ihr Ton wurde kalt. "Und zwar schon, bevor ich diesen Raum betrat. Ich werde Madralena Ende der Woche verlassen, wie es vorgesehen war!" Rosettas Mund umspielte ein dünnes Lächeln. "Ich freue mich, daß wir uns so gut verstanden haben, Senorita."
Auch Laura brachte ein Lächeln zustande. "Kann ich jetzt mit Dona Luisa sprechen?" Rosetta zuckte die Schultern. "Meinetwegen. Sie hofft, Sie zum Bleiben überreden zu können. Ich glaube, sie hat Sie in ihr Herz geschlossen", setzte sie gleichgültig hinzu. Wie gern hätte Laura ihr ein paar Dinge über Raphael in das stolze Gesicht geschleudert. Dinge, die niemand sonst wußte Und die Rosettas Haltung gewiß ins Wanken gebracht hätten. Doch sie hütete ihre Zunge. Es würde nichts nützen. Nur eine Bemerkung konnte sie sich nicht verkneifen. "Senorita Burgos", sagte sie, "fürchten Sie sich gar nicht vor dem Fluch, der auf den Frauen der Madralenas liegt?" Rosetta wandte sich ihr zu. "Angst vor dem Fluch? Das sind doch Altweibergeschichten!" "Nicht ganz!" behauptete Laura. Rosetta lachte. "Auf alle Fälle ist es ein Schwindel in bezug auf Raphaels Mutter!" Vergnügt blickte Rosetta sie an. "Ach, Sie können es ruhig wissen: Raphaels Mutter steuerte den Unglückswagen selbst. Dona Luisa hat es mir erzählt, sie war selbst dabei. Ich mußte ihr allerdings schwören, es niemandem weiterzuerzählen, weil Raphaels Vater es so wünschte. Er wollte die ganze Schuld auf sich nehmen!" "Dona Luisa hätte so etwas doch nicht verschweigen dürfen", versetzte Laura. Rosettas Blick war auf einmal hochmütig. "Was geht Sie das überhaupt an, Senorita?" Laura winkte ab. "Ich meinte nur. Es geht mich selbstverständlich nichts an." "Glauben Sie nur nicht, daß Raphael das etwas ausgemacht hätte. Er ist in erster Linie ein Madralena. Wie immer deren Leidenschaften auch sein mögen, sie folgen stets ihrer Tradition!" "Ich weiß", murmelte Laura und machte sich auf den Weg zu Dona Luisa.
Die alte Dame war ehrlich enttäuscht, als Laura ihr ihre Entscheidung mitteilte. "Aber meine Liebe", klagte sie, "Carlos ist mit Ihnen ein ganz anderes Kind geworden. Und Raphael hat endlich eingesehen, daß er ihn wie einen kleinen selbständigen Menschen behandeln muß. Sie haben Doppeltes erreicht." "Es ist mir wirklich unmöglich zu bleiben, Dona Luisa. Es gibt so viele Dinge ...".. Dona Luisa unterbrach sie. "Es ist Raphael, nicht wahr?" Laura schluckte. "Sieht man mir das an?" Dona Luisa schüttelte den Kopf. "Nicht Ihnen, Raphael merkt man es an. Er betrachtet Sie ununterbrochen. Das heißt, wenn er glaubt, daß es niemand bemerkt." Laura wurde verlegen. "Dona Luisa, das ist falsch beobachtet, glauben Sie mir. Rosetta sagte mir gerade, daß sie und Raphael..." Sie brach ab. Die Senora runzelte die Stirn. "Ach, so ist das, ich hätte es wissen müssen. Vielleicht ist sie von den Voraussetzungen her die Richtige. Immerhin sollte Raphael wirklich wieder heiraten. Rosetta würde endlich vernünftig werden und versorgt sein. Sie braucht die feste Hand eines Mannes." "Und die Madralenas heiraten nur passende Frauen", setzte Laura fort. Die alte Dame nickte. "Ich fürchte, ja. Carlos braucht außerdem eine Mutter. Brüder oder Schwestern wären auch gut für ihn." "Und die Liebe?" rief Laura. Sie konnte sich nicht mehr zusammennehmen. "Hat denn Liebe überhaupt keine Bedeutung in einer Ehe?" Dona Luisa blieb gelassen. "Liebe kommt von allein mit der Zeit." "Das bezweifle ich", versetzte Laura. "Sie kann doch nicht wie eine Pflanze in einem Treibhaus gezüchtet werden!"
Dona Luisa wurde etwas kühler. "Senorita, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Meine eigene Heirat wurde beschlossen, als mein Mann und ich noch Kinder waren. Es war eine kurze Ehe, doch sie war glücklich. Obwohl wir nicht unendlich verliebt ineinander waren." Laura wandte sich zur Tür. "Entschuldigen Sie mich bitte", murmelte sie. "Ich habe noch viel zu tun." "Gewiß", entgegnete die Senora. Laura schlüpfte rasch aus der Tür. Sie hatte Angst, in Tränen auszubrechen. Sie konnte den Standpunkt dieser Menschen einfach nicht verstehen. Sie nahm auch am Essen nicht teil, entschuldigte sich mit Kopfweh. Sie blieb auf ihrem Zimmer und begann, ihre Sachen zu ordnen. Morgen war ihr letzter Tag. Sie mußte ihre Abreise vorbereiten. Der Gedanke, Carlos verlassen zu müssen, war am schlimmsten. Wie sehr sich auch sein Verhältnis zu seinem Vater gebessert hatte, sie wußte genau, daß der Junge sie vermissen würde. Sie hatten sich prächtig verstanden. Ganz sicher war er auf dem besten Weg, eine gefestigte kleine Persönlichkeit zu werden. Unter Rosettas Obhut würde er bald wieder in die wohlerzogene Indifferenz zurückfallen, die er gezeigt hatte, als sie sich kennenlernten. Dawn Latimer war ja schon ein wenig zu alt, um mit dem lebhaften Kind richtig umzugehen. Carlos brauchte jemanden, der mit ihm herumtollte, er brauchte dauernd Anregungen, um seine eigene Phantasie zu entwickeln. Laura konnte nur hoffen, daß Raphaels Interesse an seinem Sohn anhielt. Laura setzte sich auf den Balkon und rauchte eine letzte Zigarette, bevor sie zu Bett ging. Sie dachte daran, was Rosetta ihr von Raphaels Mutter berichtet hatte. Doch das alles hatte mit ihr gar nichts mehr zu tun. Raphael mußte sein Leben leben. Laura drückte ihre Zigarette aus. Sie dachte an Elena und den
Liebesbrief. Sie konnte nur ahnen, daß irgend etwas passiert war, daß das Fortgehen der beiden verhindert hatte. Was wäre wohl geschehen, wenn die Flucht von Elena und Pedro geglückt wäre? Es hätte einen Skandal gegeben, gewiß. Aber wenigstens keinen Selbstmord, und Raphael hätte sich um das Wie und Warum nicht so viele Gedanken zu machen brauchen. Mittlerweile hatte Laura wirklich Kopfschmerzen vom vielen Grübeln. Sie stand auf und ging zu Bett. Am nächsten Morgen besprach sie mit Dona Luisa ihre Abreise für den nächsten Tag. Die Senora war einverstanden, als Laura vorschlug, mit dem Zug nach Madrid zu fahren. "Es wird leichter sein, einen Platz im Zug zu bekommen als eine Flugpassage", stimmte sie zu. "Überlassen Sie die Organisation mir. Rosetta soll sich darum kümmern." "Vielen Dank." Jetzt stand ihr noch das Schwerste bevor. Sie mußte Carlos mitteilen, daß sie abreiste. Wie es dem Kind erklären? Wie weit konnte sie überhaupt mit ihren Erklärungen gehen? Ihm überhaupt nichts zu sagen und morgen einfach nicht mehr dazusein, das brachte sie nicht über sich. Während sie noch nach einer Formulierung suchte, platzte Rosetta ins Kinderzimmer. Mit sichtlich befriedigtem Lächeln trat sie auf Laura zu. "Ihr Zug geht morgen früh um neun Uhr dreißig", las sie aus einem Notizbuch vor. "Villand wird Sie nach Malaga bringen. Abfahrt gegen sieben Uhr;" Laura legte einen Finger an die Lippen und blickte zu Carlos. "Bitte, Senorita'', flüsterte sie, "nicht jetzt." Rosetta hob die Augenbrauen. "Wieso nicht, Senorita? Bilden Sie sich ein, Sie wären hier unentbehrlich? Nur weil Carlos Ihnen etwas Freundschaft entgegenbringt? Sie müssen nicht glauben, daß ihm das Herz bricht, wenn Sie gehen!" Carlos' Gesicht war plötzlich wie versteinert. Der Junge hatte sein Spiel vergessen. Er nahm Lauras Hand und fragte angstvoll:
"Was sagt Rosetta? Du gehst fort? Bitte, Laura, das stimmt doch nicht, oder?" Rosetta zog das Kind von Laura fort. "Doch, Carlos, Miss Fleming verläßt uns. Hat sie es dir noch nicht gesagt?" Laura hätte Rosetta ohrfeigen können. "Sie gemeines Biest!" sagte sie außer sich. "Warum tun Sie so etwas?" Gleichgültig zuckte Rosetta die Schultern. "Er muß es doch wissen. Sie hätten es ihm schon längst sagen sollen." "Das wollte ich gerade, aber auf meine Weise", fuhr Laura sie an. Dann nahm sie Carlos bei den Schultern. "Mein kleiner Carlos, höre mir bitte zu", sagte sie weich, "ich muß gehen, aber damit stürzt die Welt nicht ein." "Hören Sie doch mit dem sentimentalen Quatsch auf", unterbrach Rosetta sie ärgerlich. "Carlos, du wirst eine neue Erzieherin bekommen. Dieses Mal werde ich sie auswählen!" Carlos stieß Rosetta zurück. "Ich will von dir nichts hören", schrie er. Sein Gesicht war auf einmal blutleer. "Carlos!" Rosetta trat drohend auf ihn zu. "Sofort entschuldigst du dich", schrie sie zurück. "Nein! Das werde ich nicht!" Er klammerte sich an Laura. "Laura, bitte, du darfst nicht weggehen. Du darfst einfach nicht!" "Ich muß aber gehen, Carlos." Sie versuchte sich von ihm zu lösen. "Ich will es dir erklären." "Was ist da zu erklären?" rief das Kind ungeduldig. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Voller Haß schrie er Rosetta an. "Geh weg! Ich will dich nicht sehen. Du kannst mir Laura nicht wegnehmen. Du nicht!" "Carlos!" "Bitte, Liebling, sei vernünftig." Laura nahm seinen Kopf in ihre Hände. "Ich habe es so gewollt", sagte sie, jetzt auch den Tränen nahe. "Ich glaube dir nicht!" Carlos blickte Laura groß an, und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Einen Moment preßte er die
Lippen zusammen. "Es ist Papa, nicht währ? Papa wünscht, daß du fortgehst?" "Nein, aber nein ..." Rosetta ergriff Carlos und drehte ihn zu sich herum. "Miss Fleming geht von allein, bevor man sie gezwungen hätte, nach England zurückzukehren", erklärte sie fest. "Was fällt dir ein, so mit mir zu sprechen? Du benimmst dich wie ein Straßenjunge. Das ist ihre Erziehung!" "Laß mich los!" Carlos entwand sich ihrem Griff. "Warum gehst du nicht weg? Ich will dich hier nicht haben. Mein Papa will dich auch nicht haben!" "Carlos ..." Laura wollte ihn beruhigen, doch Rosetta stieß sie weg und schlug Carlos hart ins Gesicht. Laura war entsetzt, Carlos hörte auf zu weinen. Sein Gesicht war von Haß verzerrt. Sekundenlang starrte er Laura an, dann drehte er sich um und war wie der Blitz zur Tür hinaus. Rosetta wollte voller Wut hinter ihm her. "Lassen Sie das Kind in Ruhe!" fuhr Laura sie an. "Als künftige Stiefmutter sollten Sie versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen!" "Vertrauen!" wiederholte Rosetta verächtlich. "Wenn, Sie dafür verantwortlich sind, wie Carlos sich hier aufführt, werden Sie eine Menge Fragen zu beantworten haben. Ich werde nicht hinter ihm herrennen", sagte sie auf einmal arrogant. "Sein Vater wird schon wissen, was er mit ihm macht, wenn ich ihm von seinem ungeheuerlichen Benehmen erzähle!" Rosetta ging zur Tür. "Übrigens, versäumen Sie morgen früh Ihren Zug nicht. Es würde mir äußerst mißfallen, Ihnen hier im Hause noch einmal zu begegnen." Nachdem Rosetta das Zimmer verlassen hatte, sank Laura auf einen Stuhl. Sie hatte geahnt, daß Rosetta hart und böse war, aber nicht einen solchen Grad von Grausamkeit vermutet. Was sollte aus Carlos werden? Raphael wußte wahrscheinlich gar nicht, wie sie den Jungen behandelte. Wie könnte er sonst die Heirat mit einer solchen Frau in Erwägung ziehen?
Laura erhob sich. Carlos mußte gefunden werden, bevor Raphael von den Ereignissen erfuhr. Es mußte jemand dabeisein, wenn der Vater seinen Sohn, aufgehetzt von den Berichten Rosettas, bestrafen wollte. Und niemand außer ihr würde es wagen, dem Herrn von Madralena entgegenzutreten. Schnell lief sie die Treppen hinunter. Es war schon später Nachmittag. Dawn hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Ob Carlos zu der kleinen Laube im Garten gelaufen war? Sie hatten öfter dort gesessen und sich unterhalten. Es war ein ideales Versteck. Laura lief durch den Garten, kämpfte sich durch die dicken Büsche der Bougainvillea und anderes Gestrüpp, das die Laube so gut barg. Die Zweige streiften ihr Gesicht, kleine Blütenblätter fielen auf die Erde. Doch die Laube lag verlassen. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und suchte alle Winkel ab. Wo konnte er sonst sein? Er war so gar nicht der Typ eines ungebärdigen, trotzigen Kindes. Sie fühlte sich ein wenig verantwortlich für sein Benehmen, doch böse sein konnte sie ihm nicht. Solange er sich mit seinem Freiheitsdrang nicht in Gefahr brachte, war es ja nicht so schlimm. Der Besitz war auch nicht so unwegsam, daß jemand darin verlorengehen konnte. Draußen auf dem Weideland konnte er nicht sein. Er kannte die Gefährlichkeit der Stiere zu gut. Langsam ging Laura durch den Garten zurück. Sie kam an das Loch in der Mauer, durch das sie bei ihrem ersten Abenteuer auf Madralena geschlüpft war. Sie schaute hindurch. Sie konnte weit über das flache Land hinausschauen. Hier war Garlos nicht, sonst hätte sie die kleine Gestalt erblicken können. Nein, er mußte sich irgendwo versteckt haben. Aber wo? Sie blickte um sich, langsam wurde sie ratlos. Sie blickte auch immer wieder zum Haus zurück. Keine Spur von Raphael oder dem Hauspersonal. Suchte denn niemand nach dem Kind?
Dann erreichte sie den Steinweg, der zu den Klippen führte. Als sie die Pforte zu den Klippen geöffnet fand, erstarrte sie. War Carlos etwa zu der geheimnisvollen Treppe gegangen? Das durfte nicht sein! Er hatte doch von ihr und Raphael gehört, wie gefährlich das war. Aufgeregt beugte Laura sich weit über die Klippen hinaus. Von Carlos keine Spur. Sie rief seinen Namen. Keine Antwort. Nur der Wind strich sausend durch die trockenen Gräser. Wenn sie wissen wollte, ob er da unten war, mußte sie hinunterklettern. Von hier aus konnte sie ihn nicht sehen. Der Felsen streckte sich weit ins Meer. Da gerade Ebbe war, sah sie ihn in seiner ganzen kantigen Schroffheit. Sie begann den Abstieg. Zuerst waren die Stufen noch halbwegs begehbar, obwohl sie weit auseinanderlagen. Mit jedem Schritt jedoch, den sie tiefer kam, wurde es schwieriger. Die Stufen waren abgebröckelt, vom Meer ausgewaschen, mit glitschigem Moos und Tang bewachsen. Laura mußte höllisch aufpassen, damit sie nicht ausrutschte. Die Treppe war in Serpentinen angelegt. Als sie an einer äußeren Kurve ankam und hinunterblickte, bemerkte sie, daß es keine weiteren Stufen gab. Carlos konnte das Ende der Treppe so schnell nicht erreicht haben, das war unmöglich. Und sie entdeckte auch Gott sei Dank nirgends einen abgestürzten Körper. Hier war er also nicht. Erleichtert atmete Laura auf und machte sich daran, die Stufen wieder hinaufzuklettern. Plötzlich blieb ihr Fuß in einem Gestrüpp von Seegras hängen. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte. Auf einem Felsvorsprung dicht am Rand der Klippen blieb sie liegen. Unter ihr ging es etwa zwanzig Meter in die Tiefe. Ihr wurde schwindlig bei dem Anblick. Sie versuchte, sich vom Rand des Abhangs zurückzurollen, aber ein rasender Schmerz im Knöchel durchzuckte sie. Auch der eine Arm schien verletzt und die Hüfte. Nach und nach bewegte sie alle Glieder,
um festzustellen, ob irgend etwas gebrochen war. Das schien nicht der Fall, auch der Knöchel war wohl nur verstaucht. Sie verschnaufte ein paar Minuten. Dann blickte sie nach oben, und ihr wurde schwarz vor Augen. Wie sollte sie jemals den Rückweg schaffen? Noch war Ebbe. Aber bei Flut stand ein Teil der Stufen unter Wasser. Wie sie feststellte, befand sie sich noch auf dem unteren Teil der Treppe, der in Kürze vom Wasser überspült sein würde. Sie richtete sich halb auf und versuchte, auf allen vieren ein paar weitere Stufen zu erklimmen. Es ging, wenn auch unendlich langsam. Sollte sie es tatsächlich schaffen, wieder in die Höhe zu kommen, wie sollte sie ins Haus gelangen, wenn sie nicht gehen konnte? Was für ein ruhmreiches Ende ihrer Zeit hier in den Diensten des Don Raphael Madralena! Rosetta hätte etwas zum Lachen. Vor Selbstmitleid bekam Laura nasse Augen. Dann riß sie sich zusammen. Jammern hatte keinen Zweck. Bald würde es dunkel sein, und die Flut setzte bereits ein. Von einer Stufe zur anderen mußte sie immer wieder ausruhen, um Atem zu schöpfen. Die Knie waren aufgeschunden, die Wunden brannten wie Feuer. Der Knöchel schwoll an, ihr Gesicht war zerkratzt. Es schienen Stünden vergangen, bis sie endlich oben war. Keine Minute zu früh. Unter ihr gurgelten das Wasser und die kraftvollen Wellen. Sie blieb ein wenig im trockenen Gras liegen. Dann versuchte sie, auf die Beine zu kommen. Wenn sie ihr Gewicht verlagerte, konnte sie es bis zum Haus schaffen. Mühsam humpelte sie zur Gartenpforte. Die Sonne ging unter. In wenigen Minuten würde es ganz dunkel sein. Die letzten Meter bis zur Seitenpforte des Hauses. Laura sehnte sich nach einem warmen Bad und nach ihrem Bett. Vor allem hoffte sie von Herzen, daß man Carlos inzwischen gefunden hatte. Vielleicht war er auch von selbst zurückgekehrt. Dem Kind durfte einfach nichts passiert sein!
Plötzlich flog ein Nachtvogel ganz nahe vor ihrem Gesicht auf. Laura bekam einen solchen Schreck, daß sie das Gleichgewicht verlor. Sie stürzte und spürte noch, wie sie mit dem Kopf auf etwas Hartes schlug. Dann wußte sie nichts mehr.
10. KAPITEL Laura war, als schwebe sie durch Bäume, deren Blätter ihr Gesicht streiften. Ein sanfter Wind kühlte ihre Stirn. Da waren auch Stimmen in ihrem Traum, doch alles war weit entfernt und unwirklich. Feste Arme hielten sie an einen warmen Körper gepreßt. Sie öffnete die Augen ein wenig. Elektrische Lampen. Sie sah eine Treppe, und sie wurde getragen. Sie wurde eine Treppe hinaufgetragen - von Raphael. Raphael! Langsam kam sie wieder zu Bewußtsein. Aber sie hatte entsetzliche Kopfschmerzen und erinnerte sieh nicht an das, was geschehen war. Ihr Blick flatterte. Raphael schaute sie an. Seine Miene war besorgt. Doch er sprach nicht mit ihr, er sprach spanisch. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Als sie den oberen Treppenabsatz erreichten, sah sie Lisa. Jemand folgte ihr. Was war nur los? Warum wurde sie von Raphael getragen? Er brachte sie in einen großen Raum. Rosefarbene Vorhänge hingen an den Fenstern, eine ebenfalls rosefarbene Decke lag über einem breiten Bett. Sie sank in weiche Kissen, ihr Körper entspannte sich. Raphael legte eine Decke über sie. Als er sich aufrichtete, sah sie hinter ihm das erschrockene Gesicht Marias. Raphael sprach leise, in gepreßtem Ton, ganz anders, als er sonst vor Leuten mit ihr sprach. "Mein Gott, Laura, wir waren
so entsetzt. Wir befürchteten, du seist über die Klippen gestürzt!" "Carlos?" flüsterte sie. "Er ist da. Alles in Ordnung. Später erzähle ich dir alles. Jetzt überlasse ich dich Marias Obhut. Der Arzt wird gleich hiersein. Du bist in guten Händen." Lauras Lippen waren trocken und aufgeplatzt. "Ich bin die Stufen hinabgestiegen", murmelte sie mehr zu sich selbst. "Ich weiß", sagte Raphael gequält. "Wann wirst du endlich lernen, daß auch ich nicht alles ertragen kann, Laura?" Leidenschaftlich sah er sie an. "Ich bin nur ein Mensch, und ich liebe dich so sehr!" Er schaute sich nach Maria um. "Ich kann jetzt nicht sprechen. Ich komme später zu dir." Damit ging er aus dem Zimmer. Laura blickte ihm ungläubig nach. Sie hatte das Gefühl, wieder bewußtlos zu sein und zu träumen. Oder hatte Raphael wirklich gesagt, daß er sie liebe? Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Und wenn, was bedeutete das schon? Es war nicht das erste Mal, daß er ihr das sagte. Und was war daraus geworden? Gar nichts! Was er im Grunde meinte, war, daß er sie begehrte, daß er sie haben wollte. So wie man hier einer Geliebten die Liebe anbietet, dachte Laura. Der Ehefrau bot man Schutz und Hingabe, Haus und Besitz, aber Liebe? Liebe war hier Luxus, hatte Dawn gesagt. Mit einem Aufstöhnen vergrub Laura ihr Gesicht in den Kissen. Tränen strömten aus den Augen. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Jetzt löste sich der Schock der letzten Stunden. Dann wurde sie von ihren verschmutzten und zerrissenen Sachen befreit. Erst jetzt sah sie, wie zerschunden ihr Körper war. Behutsam legten Maria und Lisa ihr einen Bademantel um und führten sie ins Nebenzimmer. Ein wohltuendes Bad mit heilenden Kräutern war schon vorbereitet. Lisa half ihr, sie
wusch ihr das Haar und frottierte es. Einer ihrer leichten Schlafanzüge wurde geholt und Laura fürsorglich wieder zu Bett gebracht. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie sich nicht in ihrem Zimmer befand. Dies war ein äußerst luxuriös ausgestattetes Schlafzimmer. Auf ihre Frage antwortete Maria, sie möge sich keine Gedanken machen, sondern einfach nur ausruhen. Dr. Perez erschien und untersuchte sie gründlich. Er stellte einen verstauchten Knöchel fest und ein paar angebrochene Rippen. Außer den Hautabschürfungen diagnostizierte er noch einen leichten Schock. Sie habe viel Glück gehabt bei ihrem Sturz, sagte er zu ihr. Nachdem alle Wunden versorgt, der Knöchel bandagiert und sie einen heißen Beruhigungstrank bekommen hatte, wurde sie müde. Sie schmiegte sich in die Kissen und entspannte sich. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Noch einmal versuchte sie sich zu erinnern, was passiert war, nachdem sie die Klippen wieder erstiegen hatte. Doch die Augen fielen ihr zu, sie schlief ein. Es war heller Sonnenschein, als sie erwachte. Erschrocken dachte sie, daß sie eigentlich jetzt im Zug sitzen müßte. Sie fuhr hoch. Doch bei der schnellen Bewegung bekam sie heftige Stiche im Kopf, der ganze Körper schmerzte. Schnell ließ sie sich wieder in die Kissen fallen. Die Tür wurde leise geöffnet, und Maria schaute herein. "Ah, Senorita", sagte sie lächelnd. "Sie sehen schon viel besser aus. Wie fühlen Sie sich?" Laura stöhnte leise. "Ganz gut, danke. Wie spät ist es, Maria?" "Etwas nach elf Uhr, Senorita. Sie haben lange geschlafen." Sie klatschte in die Hände. "Und jetzt gibt es einen guten Kaffee und Frühstück!" Vorsichtig schüttelte Laura den Kopf. "Bitte, nur etwas Kaffee. Hungrig bin ich nicht."
Maria schien bestürzt. "Wirklich? Das muß ich aber gleich Dr. Perez..." "Nein, Maria, ich bin nicht krank", protestierte Laura hastig. "Ich habe nur keinen Hunger." "Darüber spreche ich dann mit Don Raphael", sagte sie entschlossen. "Er hat mir aufgetragen, ihm jeden Ihrer Wünsche sofort mitzuteilen." "Ich bin so furchtbar leichtsinnig gewesen", gestand Laura kleinlaut. "Don Raphael wird sehr ungehalten und böse mit mir sein." "Don Raphael ist nur um Ihr Wohlergehen besorgt, Senorita", erwiderte Maria. "Nach der schrecklichen Aufregung gestern abend ist es ja auch natürlich, daß er genau wissen möchte, wie es Ihnen geht!" "Nach welcher Aufregung?" fragte Laura. "Sie waren schließlich verschwunden, Senorita, einfach unauffindbar." "Ich? Verschwunden?" wiederholte Laura. "Ich habe nach Carlos gesucht und konnte ihn nirgends finden!" "Der Pequeno hatte sich in einem Wandschrank versteckt", berichtete Maria. "Aus Angst vor seinem Vater, nachdem er mit Senorita Rosetta diese Auseinandersetzung hatte." "Das wissen Sie auch?" "Als Ihr Verschwinden bekannt wurde und das ganze Haus vergeblich durchsucht worden war, hat Don Raphael Carlos intensiv verhört. Senorita Burgos ebenfalls. Wir wurden alle verhört. Der Pequeno behauptete, Senorita Rosetta habe Sie fortgeschickt!" Laura unterdrückte ein Lächeln. Genau das hatte Carlos angenommen. Aber sie wollte noch mehr wissen. "Ich muß wohl im Garten ohnmächtig geworden sein?" Maria erzählte weiter. "Sie waren die glitschigen Stufen an den Klippen hinuntergestiegen. Wir fanden Blutspuren auf den Steinen, verstehen Sie?"
"Und alle glaubten ..." "Ja! Don Raphael war ganz wild vor Aufregung. Doch dann fanden wir Sie endlich im Garten. Sie müssen gefallen und mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen sein." Laura dachte nach. "Ich erinnere mich ..., ein Nachtvogel hat mich so erschreckt, daß ich hinfiel ..." "Das mag sein, Senorita. Es war ein schreckliches Durcheinander, bevor man Sie gefunden hat. Als bekannt wurde, daß Sie Carlos suchten, ging Don Raphael sofort zu den Klippen. Danach war er völlig verstört." Laura hätte gern noch mehr gehört, doch Maria erinnerte sich an ihre Pflichten, fand wohl auch, daß sie schon zuviel gesagt hatte. Sie wandte sich zur Tür. "Ich werde mich jetzt um Ihren Kaffee kümmern, Senorita." Laura hatte viel Besuch an diesem Morgen. Dona Luisa kam zuerst. Mit mütterlichem Lächeln betrachtete sie Laura. "Nun werden Sie doch nicht abreisen, meine Liebe." "Dr. Perez sagte, in ein paar Tagen sei alles wieder in Ordnung. Dann bin ich wieder reisefähig." Dona Luisa stützte sich auf ihren Stock. "Glauben Sie, Miss Fleming? Nun, wir werden sehen. Sie haben uns allen einen schönen Schrecken eingejagt." "Das tut mir entsetzlich leid", versicherte Laura. "Ich habe mich dumm benommen!" Dona Luisa legte den Kopf auf die Seite. "Nicht dumm, Senorita, Sie handelten vielleicht etwas unüberlegt. Das ist aber nicht Ihre Schuld. Rosetta war ausgesprochen grausam zu dem Jungen." Laura erschrak. "Sie wissen von dem Streit?" "Meine liebe Laura, Don Raphael hat hier eine Art Inquisitionsgericht abgehalten. Mein Neffe kann verheerend konsequent sein, wenn es die Situation erfordert", sagte die alte Dame. "Arme Rosetta! Ich glaube, sie wird sich davon nie wieder erholen."
"Mein Gott, was habe ich angerichtet!" rief Laura. Dona Luisa hob die Schultern. "Es scheint, die Atmosphäre auf Madralena wurde ein für alle Male geklärt", sagte sie fast ein wenig spöttisch. "Jedenfalls glaube ich, daß die Melancholie der letzten Jahre endlich vorbei ist." Laura fühlte einen scharfen Stich. Meinte Dona Luisa damit, daß Raphael Rosetta dann doch gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle? Dona Luisa wandte sich zur Tür. "Ich werde jetzt gehen. Wir sehen uns, wenn es Ihnen gutgeht und Sie wieder laufen können." "Ja, Dona Luisa, und vielen Dank für Ihren Besuch." Sie wünschte sich, so bald wie möglich reisen zu können. Der Gedanke an Rosetta und Raphael war ihr unerträglich. Je eher sie Hunderte von Kilometern zwischen Madralena und sich gebracht hatte, um so besser. Es war ein Irrtum von Raphael, zu glauben, sie hierbehalten zu können, wenn er Rosetta heiratete. Nein, seine Geliebte würde sie nicht werden. Wenig später besuchten sie Dawn und Carlos. Carlos sprang sofort auf ihr Bett, umarmte und küßte sie. Er rief ganz glücklich: "Rosetta ist weg! Papa hat sie fortgeschickt!" Laura blickte zu Dawn. "Ist das wahr?" Dawn lachte. "Ja, es stimmt. Sie war wohl doch etwas zu weit gegangen mit Carlos. Sie wird bei Verwandten in Sevilla bleiben. Dona Luisa meinte, sie würde ohne Gesellschafterin auskommen." Laura konnte es nicht fassen. "Aber, aber ..."stammelte sie. Dawn hob die Hand. "Versuchen Sie das nicht zu analysieren. Ich nehme an, man wird Sie auffordern zu bleiben." "Das muß ich ablehnen." Laura schaute schnell zu Carlos, doch das Kind war davon keineswegs beeindruckt. "Papa hat gesagt, du bleibst", erklärte er überzeugt. "Außerdem ist Rosetta jetzt fort, und es ist niemand anders da.
Libby kann schließlich nicht alles allein machen", setzte er altklug hinzu. Laura seufzte schwer. "Dawn, das ist eine unmögliche Situation." "Ach, wirklich?" Carlos und Dawn fuhren beim Klang der Stimme herum. Laura fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Mit lässiger Eleganz trat Raphael an ihr Bett. "Papa, Papa, Laura wird hierbleiben, nicht wahr?" rief Carlos. Raphael zog ihn zu sich hoch. "Geduld, junger Mann." Er lächelte und wandte sich zu Dawn: "Bitte, Miss Latimer, bringen Sie Carlos ins Kinderzimmer. Ich komme später." Als die Kinderfrau und Carlos gegangen waren, strich sich Laura nervös eine Locke aus der Stirn. "Ich habe dir viel Schwierigkeiten gemacht." Raphael ging nicht darauf ein. Er setzte sich zu ihr aufs Bett. "Laura, was ich dir gestern abend sagte, stimmt. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr!" Alles in Laura vibrierte. "Das hast du schon einmal gesagt." Sie wandte ihr Gesicht ab. Sie wollte sich von seiner Ausstrahlung nicht überwältigen lassen. Zärtlich nahm Raphael ihr Gesicht in seine Hände und drehte es wieder zu sich. "Ich weiß, Laura. Ich bin damals ein Narr gewesen. Ich verspreche dir, es kommt nie mehr vor." Laura wollte sich frei machen. "Ein Mensch kann sich nicht innerhalb eines Monats so ändern", rief sie gequält. "Ich verlasse Madralena. Ich habe eine Stellung, jederzeit kann ich nach London zurück!" "Und wenn hundert Jobs in England auf dich warten, du bleibst in Spanien, auf Madralena!" versetzte er entschlossen. "Ich weiß, daß du mich auch liebst, ich sehe es in deinen Blicken, ich spüre es, wenn du mich berührst, bei dem Kuß. Versuche nicht, es zu leugnen!"
Laura bemühte sich noch immer, zwischen sich und ihm einen Abstand zu schaffen, "Ich le ugne ja nicht, daß ich dich liebe", sagte sie hilflos. "Ich will nur mehr, als du zu geben bereit bist." Raphaels Augenbrauen zogen sich zusammen. "Ich biete dir mein Leben, meine Liebe, mein Haus, meinen ganzen Besitz. Ist dir das nicht genug?" Fassungslos starrte sie ihn an. "Ich begreife nicht." "Dann muß ich wohl deutlicher werden. Ich möchte, daß du meine Frau wirst!" Damit beugte er sich ungestüm zu ihr, preßte seine Lippen auf ihren Mund und nahm sie fest in die Arme. "Laura", flüsterte er, "bitte La ura, ich liebe dich so." Sie stöhnte leise. Die leidenschaftliche Umarmung bereitete ihr Vergnügen, aber auch Schmerzen. Raphael spürte es und ließ sie sofort los. "Verzeih, Laura, ich habe dir weh getan", entschuldigte er sich. "Du ahnst nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, dir das zu sagen. Du bist die einzige Liebe meines Lebens. Elena hat mir nichts bedeutet. Es ist schrecklich, ich weiß, aber es ist die Wahrheit." Laura streichelte ihm sanft über das Gesicht. "Du hast sie geheiratet", erinnerte sie ihn sanft. Er mußte den Blick von ihr abwenden, zu sehr verlangte es ihn, sie wieder in die Arme zu nehmen. "Versuche mich zu verstehen, Liebste. Du kennst die Geschichte mit den mysteriösen Todesfällen in meiner Familie. Es hat mein Leben überschattet. Meine eigene Mutter, jedenfalls glaubte ich das, wurde durch die Unachtsamkeit meines Vaters getötet." "Das stimmt doch gar nicht!" "Ich weiß es jetzt. Rosetta hat es mir gestanden." Laura konnte sich vorstellen, wie sie ihm das ins Gesicht geschleudert hatte. Sie kannte Rosettas Zartgefühl! "Und weiter?"
"All das wollte ich dir sagen, in der Nacht, bevor ich von London nach Spanien zurückflog. Doch du wolltest mir nicht zuhören. Nachdem ich dann Elena geheiratet hatte, kam ich nach England zurück, um dich wiederzutreffen." Er hob die Hand, als Laura etwas erwidern wollte, und fuhr fort: "Sage mir jetzt nicht, daß du das ungeheuerlich findest. Ich wußte das selber sehr gut. Ich gebe zu, ich war ein arroganter Snob. Doch ich konnte nicht ohne dich leben. Ich wollte dich bitten, trotzdem mir zu gehören. Ich wollte dich einfach nicht verlieren. Aber du hattest die Stellung gewechselt, du warst nicht mehr bei den Valdes." Laura starrte ihn an. "Du wolltest, daß ich deine Geliebte werde?" Raphael neigte den Kopf und blickte sie forschend an. "Hättest du es mir verweigert?" "Ich weiß es nicht. Mein Verstand sagt ja. Doch ich bin nicht sicher." Er beugte sich nahe zu ihr. "Immer war es so mit uns, immer gab es Auseinandersetzungen und Leidenschaft, Ärger und Zärtlichkeit, Glück und Schmerz." Lauras Augen füllten sich mit Tränen. "Und jetzt?" "Nun bist du hier. Du kannst meine Gefühle nicht ermessen, als du in mein Arbeitszimmer kamst, so jung, so begehrenswert, so schön. Ich glaubte, ich müßte dich hassen." "Ich war sicher, daß es so war", murmelte sie an seinen Lippen. "Warum bist du nach Elenas Tod nicht gekommen? Oder ist die Frage geschmacklos?" "Es ist eine vernünftige Frage. Dennoch kann ich dir keine vernünftige Antwort geben. Vielleicht lag es daran, daß ich nach dieser fürchterlichen Geschichte mit Elena nun erst recht nicht an dich als meine Frau denken durfte. Ich hätte ja auch dich damit gefährdet, verstehst du das?" "Ja, das verstehe ich." Sie schaute ihn liebevoll an ."Ich hätte das Risiko auf mich genommen."
"Aber ich nicht, Laura." Er spürte durch die leichte Seide ihres Pyjamas ihre warme Haut, und sein Blick verdunkelte sich. "Ich bete dich an. Alles würde ich für dich tun, Laura, aber ich konnte dich nicht in Gefahr bringen. Jetzt ist das anders. Und dafür muß ich dir danken." "Wieso?" fragte sie überrascht. "Als Lisa heute morgen deine Sachen zusammenpackte, fand sie in einem der Schubkästen einen Brief. Ich weiß nicht, wie er dahingekommen ist, doch es war ein Brief an Pedro Armes, von meiner Frau geschrieben an dem Abend, bevor sie starb." "An dem Abend, als sie starb?" wiederholte Laura. "Du meinst..." "Ich glaubte immer, sie hätte Selbstmord begangen. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten. Aber glaubst du an Selbstmord bei einer Frau, die vorhatte, am nächsten Tag mit ihrem Geliebten fortzugehen? Nein, mein Liebling. Dieser Brief beweist, daß es ein Unglücksfall war. Sie erwähnt, daß sie Schlaftabletten von Dona Luisa nehmen wollte." Laura war unendlich erleichtert. "Dann nahm sie versehentlich zuviel." "Ja, mein Herz", murmelte er. "Ich habe diesen Brief gefunden, Raphael", sagte Laura. "In Pedro Armes' Atelier, an dem Abend, als ich seine Arbeiten besichtigte." Raphael war erstaunt. "Warum hast du ihn mir nicht gezeigt?" "Ich dachte, er würde dich nicht interessieren, nicht auf diese Weise. Außerdem hatte ich Angst, alte Wunden aufzureißen. Deine schreckliche Bitterkeit, glaubte ich, käme von dem Wissen, wie deine Frau zu Pedro Armes gestanden hat. Ich konnte ja nicht wissen, daß du mich liebst." "Warum nicht?" Raphael vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. "Laura, meine Liebste, ich habe niemals eine andere Frau geliebt."
"Es ist wie in einem Traum", murmelte Laura glücklich. "Und Carlos?" "Er betet dich an, genau wie ich. Ich fürchte, wir werden eine neue Erzieherin suchen müssen!" Laura lachte. "O nein, mein Lieber, ich werde beides kombinieren. Ich war schon immer der Meinung, er ist noch zu jung für wirklichen Unterricht. Jetzt werde ich ihn auf meine Weise erziehen, ja?" Raphael lächelte. "Ganz, wie du es willst." Laura legte ihre Arme um seinen Nacken. "Und der Stierkampf?" "Nur wenn du mich wegschickst", versprach er ernsthaft.
-ENDE