DAVID GERROLD
Raumschiff Enterprise 26 Zwischen den Welten
Aus dem Amerikanischen übertragen von Hermann Martlreiter
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DAVID GERROLD
Raumschiff Enterprise 26 Zwischen den Welten
Aus dem Amerikanischen übertragen von Hermann Martlreiter
GOLDMANN VERLAG
Der Goldmann Verlag
ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann
Made in Germany
1. Auflage 3/92
© STAR TREK ® THE GALACTIC WHIRLPOOL
© 1980 by Paramount Pictures Corporation.
Published by arrangement with Bantam Books,
a division of Bantam, Doubleday, Dell Publishing Group, Inc.
© der deutschsprachigen Ausgabe 1992
by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: Luserke/Chaffee, Friolzheim
Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
Druck: Eisnerdruck, Berlin
Verlagsnummer: 23621 Redaktion: Hermann Urbanek
Lektorat: SN
Herstellung: Peter Papenbrok
ISBN 3-442-23621-5
»Es riecht nach Sommer…«, flüsterte Garcia. Und als wäre es von ihren Worten herbeigerufen worden, schwirrte ein einzelnes Insekt durch das Loch, das sie herausgeschnitten hatten. Sie starrten es erstaunt an: Es war eine Honigbiene. Eine vertraute, schwarzgelb gestreifte Honigbiene. Sie schwirrte einen Augenblick lang neugierig um sie herum und versetzte sie alle mit ihrem Mut in Erstaunen; dann verschwand sie wieder – da sie weder Blumen noch Düfte vorgefunden hatte – durch die Tür zurück in den… Sommer.
VORWORT
Als ich das erste Mal mit David Gerrolds schriftstellerischer Tätigkeit in Berührung kam, schrieb ich bezüglich des Entwurfs, den er für die Geschichte mit dem Titel »The Trouble with Tribbles« vorlegte, in einer Notiz an Gene L. Coon folgenden Kommentar: »Eine schrullige Idee, und bestimmt besser als viele der Arbeiten, die wir bereits in Auftrag haben. Ich schlage vor, die Geschichte zu kaufen und für das Drehbuch einen erfahrenen Schriftsteller zu engagieren…« Während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir ein, daß ich David schon seit dreizehn Jahren kenne. Und nicht nur das, er ist immer noch ein enger und lieber Freund. Ich muß diesen Mann ganz einfach mögen. Und ich tue es auch – aber es dauerte eine Weile. Als ich ihn das erste Mal traf, war er ein junger Mann, der gerade das College beendet hatte, und er neigte dazu, etwas unverfroren zu sein, besonders, was seine schriftstellerische Tätigkeit anbelangte. Ich selbst dagegen hatte mich bereits als Schriftstellerin und Redakteurin in der Fernsehindustrie etabliert. Ich hatte ganz unten angefangen und mich nach oben gekämpft, was damals wie heute nicht einfach war, und fest von ihm erwartet, daß er das gleiche tun würde. Nun, auch bei ihm dauerte das eine ganze Weile. Ich konnte aus unmittelbarer Nähe beobachten, wie David auf mühsame Art seine Lektionen lernte, und zwar, wie es sich für einen angehenden Schriftsteller gehörte, indem er schrieb. Zunächst einige Drehbücher, dann Kurzgeschichten und seinen ersten Roman, und schließlich gab er eine Science-fiction-Anthologie heraus und arbeitete zusammen mit Larry Niven an einem weiteren Roman. Gute Freunde wurden wir dann eigentlich in
jener Übergangszeit zwischen dem Ende der STAR TREKSerie Anfang 1969 und dem Beginn der Trickfilmserie 1973, als wir uns bei Diskussionen trafen und auf TREK-Kongressen im ganzen Land Vorträge hielten. Seit dieser Zeit arbeitete David für mich (an STAR TREK/Zeichentrickepisoden, FANTASTIC JOURNEY und LOGAN’S RUN); ich habe für ihn gearbeitet (an LAND OF THE LOST und einer frühen Fassung von BÜCK ROGERS); wir kennen unsere jeweiligen Ausreden, warum die Geschichte zu spät erscheint. (Das passiert eigentlich immer.) David hat sich einen Ruf als Schriftsteller erworben, was vier Nebula- und drei HugoNominierungen – und nicht zuletzt der E. E. Smith Memorial Award for Imaginative Fiction belegen. Was Sie in den Händen halten, ist sein achtzehntes Buch, und zwar STAR TREK-Literatur, die nicht mehr viel mit der »schrulligen Idee«, die es wert ist, dafür ein bißchen Geld zu investieren, gemeinsam hat. Man sagt, daß sich Schriftsteller in ihrer Arbeit zu erkennen geben, und es ist wahr, daß alle Schriftsteller Teile ihrer selbst und ihrer Erfahrung (und manchmal auch ihre Ängste und Träume) zu Papier bringen. Sieht man David auf Kongressen – als Zeremonienmeister oder Teilnehmer eines Kostümwettbewerbs, als gewandter Leiter einer Diskussionsrunde, beim Rezitieren von Stellen aus seinem Werk oder wenn er über den Stand der Science-fiction oder der Technik im allgemeinen spricht – dann erhält man einen Eindruck davon, wer und wie er ist. Aber man würde ihn noch nicht wirklich kennen. Liest man einen Teil seiner Bücher, könnte man meinen, man kenne ihn gut, was aber auch nicht zutrifft. (Immerhin erscheint David persönlich in einem Großteil seiner Bücher, wenngleich auch nur als junger, schmächtiger Fähnrich, der seinen routinemäßigen Pflichten nachgeht.)
Davids Persönlichkeit besteht aus vielen komplexen Teilen, die von Lesern oder Kongreßteilnehmern meist gar nicht wahrgenommen werden. Hier seien einige davon erwähnt: Da gibt es zum Beispiel den David, der es ertrug, bei einem Kongreß drei Stunden lang dazusitzen, bis man ihm das schwierige und unangenehme Make-up von PLANET OF THE APES aufgelegt hatte, damit er bei seinen Auftritten als Zeremonienmeister als »Cornelius« erscheinen konnte. Nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag ging er – immer noch als Affe geschminkt und kostümiert, versteht sich – zur Bar hinauf, um sich einen Bananendaiquiri zu bestellen. Der Mann hinter der Theke musterte ihn und antwortete: »Gorillas werden hier nicht bedient.« Worauf sich David würdevoll aufrichtete und den Mann anschnauzte: »Rassist. Ich bin Schimpanse!« Es gibt den David, der, sobald er hört, daß ein Freund oder ein Projekt in Schwierigkeiten steckt, sofort mit den Worten reagiert: »Natürlich. Wie kann ich helfen?« Es gibt den David, den der Tod von Dog, der ihm in seiner frühen Periode als junger, um sein Dasein kämpfender Schriftsteller zur Seite stand, tief traf. Später suchte er das Tierasyl auf, fand einen struppigen, weißen Welpen, zahlte hundertzweiunddreißig Dollar und überbot alle anderen, weil der Welpe wie Dog aussah. David hielt sich für einen reinen Hundeliebhaber, aber als er das Tierasyl mit dem neuen Haushaltsmitglied verließ, bemerkte er eine schmächtige, großäugige Schildpattkatze, die mit ihrem einzigen, orangefarbenen Jungen verlassen in einem Käfig saß. »Die auch«, sagte er zum Leiter – auf diese Weise kam Gerrolds Haushalt zu seinen beiden ersten Katzenbewohnern. Da gibt es den David, der eine Anzahl junger Schriftsteller, unter ihnen Kathleen Sky und Diane Duane, ermutigte, das
Handwerk lehrte und mit konstruktiver Kritik herausforderte. Und nebenbei brachte er ihre ersten Verträge zustande. Es gibt den David, der mich bat, ihn zu begleiten, weil er einen gemeinsamen Freund, der ebenfalls Schriftsteller war, eines Abends zum Essen einladen wollte. Dieser Mann bezahlte grundsätzlich immer für die anderen, und niemand hatte daran gedacht, auch ihn einmal einzuladen. Außer David. Wie ich schon sagte, David hat viele Seiten. In diesem letzten Abenteuer der U.S.S. Enterprise und ihrer Besatzung erleben Sie die Sensibilität, den prickelnden Sinn für Humor, die Intelligenz und die Überraschungen dieses mitreißenden Erzählers. Lehnen Sie sich zurück, und genießen Sie zusammen mit ihm diese Reise. D. C. Fontana
1
Der Weltraum. Die letzte Grenze. Eine tödliche Leere. Billionenfach glüht eine Unzahl von Sternen wie sorgenvolle Sonnenstäubchen auf und wirbelt im Takt der würdevollen Gavotte, die die Zeit mit ihnen tanzt. Wie entfernte Staubpartikel, die von einem silbrigen Mondstrahl erfaßt und erleuchtet werden, sind sie kleine Leuchtsignale und Hoffnungsträger, nicht länger mehr so unerreichbar, so allumfassend. Und dennoch – so weit weg… Der Verstand kann diese Unermeßlichkeit, diese Leere, diese Stille, nicht erfassen… Hier wird selbst der Staub nach der Anzahl seiner Atome pro Kubikkilometer gemessen. Und in dieser unendlichen Leere bewegt sich etwas… Ein unscheinbares Stück Metall. Fast unbedeutend. So allein. So weit von zu Hause entfernt… So weit von allem entfernt – Von einer näheren Perspektive aus betrachtet, entpuppt sich das Stück Metall als ein mächtiges Fahrzeug. Ein Schiff aus Metall und Träumen, das von unweit entfernten Sternen und allzu gähnender Leere umgeben ist. In seinem Innern – träumen vierhundertdreißig Seelen denselben Traum: mutig dorthin zu gehen, wo bisher noch niemand war. Auf der Suche nach neuem Leben. Neuen Welten. So vieles vom Universum ist noch unbekannt. Und soviel davon liegt jenseits jeglichen Wissens…
Und dennoch macht sich die Menschheit auf den Weg, sie sucht und forscht. Das Föderations-Sternenschiff Enterprise. NCC 1701. Sie ist der Stolz der Sternenflotte, der Stolz der gesamten Menschheit. Vor allem aber ist sie der Stolz ihres eigenen Captains, eines gewissen James Tiberius Kirk, ein Mann von einzigartiger Zielstrebigkeit und außergewöhnlichen Fähigkeiten. Falls er nicht der beste Commander in der Flotte ist, so ist er zumindest dem, der nach ihm kommt, meilenweit voraus. Jahre zuvor, an der Akademie, hatte sich eben dieser spezielle Fähnrich, James T. Kirk, in einer ganz besonderen Debatte über die Tugenden einer Republik so sehr hervorgetan, daß ihm seine Klassenkameraden den Spitznamen »Der Letzte der Claudier« gaben, in Anlehnung an die Familie, die die ersten sechs Kaiser des antiken Roms hervorgebracht hatte – Cäsar, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius und Nero. Dieser Spitzname hielt sich nur etwa drei Minuten, bis ein höherer Offizier, ein Engländer namens Graves, der den Geschichtsunterricht für die Kadetten abhielt, bemerkte: »Der letzte der Claudier? Ganz und gar unwahrscheinlich. Ein Claudier ja, aber eher einer der früheren – wie vielleicht Tiberius.« Der Dozent hatte damit auf den einzigen Makel von James angespielt, der sich später einmal bei seinem Urteilsvermögen als Captain als störend erweisen könnte: seiner Ungeduld. Diese Eigenschaft war in dem jungen Mann so stark ausgeprägt, daß sie manchmal kein Gefühl für Mitleid oder ähnliches aufkommen ließ. Kirk betrachtete es als Ermahnung. Wenn er merkte, daß er wütend oder frustriert wurde, sprach er zu sich selbst immer wieder, wie einen Mantra oder eine beruhigende
Konzentrationsübung, die Worte »James Tiberius Kirk… James Tiberius Kirk.« Tiberius war das Zauberwort. Es gebot ihm Einhalt. Und ließ ihn nachdenken. Es war eine unangenehme Assoziation, und die Erinnerung an den Grund, warum man ihm diesen Namen gegeben hatte, war doppelt unangenehm. Immerhin handelte es sich um den Namen eines Mannes, der kein Mitleid gehabt hatte, sondern die Verantwortung, weise über die seiner Regentschaft anvertrauten Leben zu herrschen, mißbraucht hatte. Egal, welche Fehler James T. Kirk jemals in seinem Leben oder während seines Kommandos machen würde, er würde bestimmt nicht denselben Fehler begehen – und niemandem einen Grund geben, ihn mit seinem Namensvetter auf eine Stufe zu stellen. Statt dessen wollte er so rational, intelligent und human wie nur möglich handeln, was bedeutete – und erforderte – so positiv wie möglich zu handeln. Das gab ihm einen Sinn für bewußtes Mitgefühl. Als James Kirk das Kommando der Enterprise übernommen hatte, war dieser Prozeß zu einem psychisch bedingten Reflex geworden. Er dachte ganz einfach »James Tiberius Kirk…«, und der Name – sein Name – erinnerte ihn sofort an seinen hart erkämpften Maßstab von Gerechtigkeit und Moral, einen Maßstab, den er über jeden anderen Verhaltenskodex stellte, selbst über den Ethischen Kodex der Sternenflotte. Die Aktionen eines James Tiberius Kirk würden – mußten – so bewundernswert und untadelig wie ihm überhaupt nur möglich sein, unabhängig von externen und willkürlichen Anforderungen und Bedingungen. Oft stand er neben seinem Kommandosessel und trommelte mit den Fingern geistesabwesend auf der Arm- oder Rückenlehne herum. Sein Instinkt machte ihn zu einem Mann der Tat, einem Problemlöser, der schnell handelte. Er besaß die
Fähigkeit, Entscheidungen treffen zu können, und das machte ihn für die Sternenflotte so wertvoll. Die Flotte besaß zum Beispiel bessere Navigatoren, von denen einer Fähnrich Chekov war. Und bessere, logisch begabtere Denker wie zum Beispiel Mr. Spock. Aber in der gesamten Sternenflotte gab es niemanden, der dieses Talent hatte, in kritischen Augenblicken die richtige Entscheidung zu fällen. Es war seine Menschlichkeit; und weil sie so sehr ein Akt der Selbstkontrolle und ein bewußter Teil seines Entscheidungsprozesses war, konnte er sie auch nicht in einem Wutausbruch verlieren. Da war auch immer dieser gewisse Moment der Bedachtsamkeit. Wenn er ungeduldig mit den Fingern ein zweites Mal auf der Armlehne trommelte, so handelte es sich dabei nicht um Ungeduld wegen einer Entscheidung, sondern Ungeduld über sich selbst, weil er bewußt und vorsätzlich human handeln mußte, anstatt es instinktiv zu tun. Er wünschte sich, es wäre ein Gefühl des Herzens und nicht bloß ein verstandesmäßiger Vorsatz. Schließlich und endlich spielte es jedoch keine Rolle, woher sein Mitgefühl kam – solange seine Handlungsweise davon gesteuert wurde. Und im Fall von James Kirk war die Beurteilung der Sternenflotte korrekt. Hätte er sich bei seinen Entscheidungen auf seinen rein menschlichen Instinkt verlassen, wäre er wohl auf alles, was ihn wütend machte und frustrierte, losgegangen. Wie zum Beispiel jetzt. Ein klingonischer Schlachtkreuzer war ihm bereits dreimal in diesem Sektor gemeldet worden und war immer wieder wie ein Geist durch die Netze der Tiefraumsensoren geschlüpft. Man konnte nicht mit Gewißheit sagen, ob er sich wirklich hier befand oder nicht, und selbst die kompliziertesten Computer der Sternenflotte konnten nur Wahrscheinlichkeitsschätzungen, die nicht besser als bloße Vermutungen waren, aufstellen.
Es gab keine spezielle Bedrohung… jetzt noch nicht. Aber auf Mordred und Guinevere, zwei der Monde des Gasriesen Arthur, gab es Bergbaukolonien, auf dem dritten Mond, Lancelot, der in der Trojanischen Position lag, befand sich eine Forschungsstation, und alle drei Monde waren dem Schutz der Föderation unterstellt, weshalb die Enterprise abrupt zu diesem sonst eher unwichtigen Quadranten geschickt worden war, um diesen Berichten auf den Grund zu gehen. Dieser Auftrag entsprach der wahren Diplomatie des Kalten Krieges. Man mußte Flagge zeigen, um zu demonstrieren, daß die Föderation bereitstand und willens war, ihren rechtmäßigen Einflußbereich zu verteidigen und die Rechte seiner Bürger zu wahren. Wahrscheinlich fischten die Klingonen nur im trüben, sozusagen, um die Abwehrbereitschaft zu testen, aber selbst auf diese Scheinmanöver mußte man reagieren. Denn wenn die Strategen unter den Politikern des Klingonen-Imperiums eine Schwäche der Föderation spürten, würden sie diese sofort zu nutzen wissen. Kirk hatte für seine Mission genaueste Anweisungen erhalten: »Suche nach unbekanntem Schiff oder Schiffen aufnehmen und Ermittlungen anstellen. Falls besagte Schiffe einem neutralen oder verbündeten Einflußbereich angehören, bieten Sie ihnen, falls nötig, jede mögliche Hilfe an. Die Sternenflotte und die Föderation werden Sie dabei voll unterstützen. Sind besagte Schiffe unbekannter Natur, ergreifen Sie die festgelegten Maßnahmen, um friedliche und freundschaftliche Kontakte zu knüpfen. Sind besagte Schiffe jedoch feindlicher Natur, so ist es Ihre Aufgabe, einer eventuellen Bedrohung der Föderation und ihrer Bürger entgegenzutreten und diese zu beseitigen. Sie sind dazu ermächtigt, alle Schritte, die Sie und Ihre beratenden Offiziere in diesem Falle für nötig halten, zu unternehmen, bis hin zur
und einschließlich der Aufbringung und/oder Zerstörung besagter feindlicher Schiffe.« Diesen Befehlen hatte Admiral La Forge die Bemerkung hinzugefügt: »Mögen Sie im Geist der Humanität handeln.« Kirk hatte gelächelt, als er das sah. Der Admiral war ein alter Freund. Seit Admiral George La Forge vor über zweihundertsiebzig Erdenjahren den leichten Kreuzer U.S.S. Detroit in Dienst gestellt hatte, waren aus der La ForgeFamilie immer wieder exzellente Offiziere der Sternenflotte hervorgegangen. Der gegenwärtige Admiral La Forge war es gewesen, der James T. Kirk vor vielen Jahren für eine Berufung an die Akademie empfohlen hatte. Dieses Vertrauen wollte Kirk durch seinen Dienst in der Flotte ehren. Er war gewillt, alles zu tun, was sein Eid an die Sternenflotte von ihm verlangte. Es war jedoch die Untätigkeit, die ihn verrückt machte. Zwölf Tage lang hatten sie jetzt den Quadranten in einer immer breiter werdenden Spirale, deren Zentrum im letzten, bekannten Hochwahrscheinlichkeitsnexus lag, abgesucht, aber wenn es ein klingonisches Schiff – oder irgendein Schiff – in dem Quadranten gab, dann hatten sie es noch nicht gefunden. Nicht einmal die mit Fernsensoren ausgestatteten Tiefraumbojen meldeten irgendeinen Kontakt oder die Wahrscheinlichkeit eines solchen. Es war zum Verrücktwerden. In seiner Ungeduld stellte Kirk sogar die Klugheit der Sternenflotte, die diese Mission befohlen hatte, in Frage. Wenn sie jedesmal, wenn die Klingonen an der Grenze ein Täuschungsmanöver durchführten, einen Kreuzer der Sternenschiff-Klasse losschickte, zog sie Besatzungen und Material aus Gebieten ab, in denen diese dringend gebraucht wurden. Auf diese Weise konnten die Klingonen durch einen
ständigen Ablenkungsprozeß sowohl die Verteidigung als auch die Wirtschaft der Sternenflotte schwächen. Aber die Sternenflotte wußte es am besten. Jedenfalls meistens. Kirk stieß einen sanften, aber deutlich vernehmbaren Seufzer aus. »Sir –?« Es war Leutnant Uhura. »Wie bitte?« »Leutnant?« »Ich dachte, Sie sagten etwas.« »Nein – nein, Leutnant. Ich habe nur nachgedacht, das ist alles.« Er konzentrierte sich wieder auf den großen, vorderen Hauptbildschirm. Darauf war ein vom Computer erstelltes Schema ihrer Suchvektoren über eine Vielzahl von wahrscheinlichen Keilstücken, die je nach ihrer Priorität mit bestimmten Farben gekennzeichnet waren, gelegt. Es hätte ebensogut eine routinemäßige Übung im Simulator der Akademie sein können, mit denselben, substanzlosen Ergebnissen. Kirk merkte, daß er schon wieder mit den Fingern auf der Armlehne trommelte und zwang sich dazu, aufzuhören. Er ging über die Brücke zur Wissenschaftsstation. Mit unbewegtem Gesicht blickte Spock von seinem verkleideten Schirm hoch, als er hörte, daß Kirk näherkam. »Spock…?« Kirks Gesicht drückte Hoffnung aus. »Etwas Neues?« »Negativ, Captain.« Kirk nickte verärgert. »Irgendwo gibt es einen klingonischen Schlachtkreuzer mit einem äußerst selbstzufriedenen Captain. Das scheint wieder eines von Koloths kleinen Manövern zu sein. Der lacht sich wahrscheinlich kaputt über die Eselsjagd, auf die er uns geschickt hat.«
Spock antwortete mit der üblichen, vorsichtigen Gleichgültigkeit. »Es ist eine wohlbekannte Tatsache, Captain, daß Klingonen sich leicht amüsieren.« Kirk hatte sich bereits abgewandt – jetzt drehte er sich wieder um. »Mr. Spock, das klang verdächtig nach einem Scherz.« Spock hob bedächtig eine Augenbraue und erwiderte kühl den starren Blick des Captains. »Entschuldigung, Spock, ich habe mich vergessen.« Es war ein sanftes Spiel, das Kirk mit seinem halbvulkanischen Wissenschaftsoffizier trieb. Indem er Spock tadelte, versuchte er, den menschlichen Teil seiner Seele zu erreichen. Kirk hatte noch nie eine Veranlassung gesehen, sich zu überlegen, ob Spock diese Vorgangsweise überhaupt mochte. Er konnte Spocks Verärgerung dessen Gesichtsausdruck entnehmen. Falls er überhaupt über ihre Beziehung nachdachte, dann war es die implizierte Verneinung von Spocks menschlicher Hälfte, die Kirk zwar nicht für schmerzlich, aber doch irgendwie unlogisch hielt. Falls man dieses Wort überhaupt auf Spock anwenden konnte. Spock senkte nachdenklich seine Stimme. »Captain, da Sie schon hier sind, es gibt eine… Anomalie, die von einer der Tiefraumbojen aufgezeichnet wurde – aber die Ablesungen sind unklar. Die Anomalie befand sich vor einiger Zeit an den äußersten Randgebieten des Sensorennetzes – und es handelte sich um eine Sublichtablesung. Alles, was wir darüber haben, sind Wahrscheinlichkeitsfaktoren.« »Könnte es sich um unsere klingonischen Freunde handeln?« »Das ist bei diesen Ablesungen eher unwahrscheinlich. Ein klingonisches Schiff wäre bei dieser Entfernung nicht registriert worden. Es ist etwas, das entweder sehr groß ist oder eine sehr hohe Sublichtgeschwindigkeit besitzt. Oder beides. Was immer es ist, die Fluktion seiner einzigartigen Hülle
wurde als Ausdruck einer sehr großen, realisierten Masse mit einer spezifischen Vektorqualität registriert.« Leicht amüsiert beobachtete Kirk seinen Ersten Offizier. Wie sehr die Vulkanier es doch liebten, sich fachlich auszudrücken. Was solls, im Moment hatte er andere Probleme. »Aber es ist kein klingonisches…?« »Nein, kein Klingone«, bestätigte Spock. »Wäre es möglich, daß Sie… äh, irgendeine Idee haben, worum es sich bei dem Objekt handeln könnte, Mr. Spock?« »Die Anomalie könnte ein Artefakt sein…« »Aber –?« »Aber es wäre unlogisch, ohne weitere Informationen darüber Vermutungen anzustellen.« »Richtig.« Das war eine der Antworten, die Kirk bereits kannte. Falls Spock eine Idee bezüglich einer Angelegenheit hatte, dann bezog er sie für gewöhnlich in seinem Datenbericht mit ein. Das gehörte zur persönlichen Effizienz, die seine vulkanische Herkunft verlangte – aber Kirks Psyche besaß die ebenso krampfhafte Angewohnheit, eine persönliche Bestätigung haben zu müssen. Er mußte ganz einfach fragen. Kirk hatte schon immer das vage, innere Gefühl gehabt, daß die Vulkanier, was ihr logisches Denken betraf, etwas zu vorsichtig waren, und daß ein Teil dieser Vorsicht sich dagegen wehrte, Informationen freiwillig herauszugeben, obwohl ihm seine langjährige Erfahrung mit Mr. Spock gezeigt hatte, daß dies nicht der Fall war. Zumindest nicht bei Mr. Spock. Kirk begann, laut zu denken. »Wir könnten es überprüfen, oder?« Er legte die Hände lässig auf den Rücken und schaukelte auf den Fersen. Spock nahm eine nicht minder lässige Haltung neben Kirk an – allerdings ohne auf den Fersen zu schaukeln. »Das wäre nicht unlogisch.«
»Immerhin haben wir diesen Quadranten zwölf Tage lang vergeblich nach einem klingonischen Schiff abgesucht… und wir sollten schließlich nicht gänzlich mit leeren Händen zurückkehren.« Spock nickte beipflichtend. »Die Sternenflotte würde in jedem Fall wollen, daß die Anomalie überprüft wird – und da wir schon mal hier sind, können wir ihr die Mühe gleich ersparen…« »Schließlich haben wir einen ziemlich großen Raumsektor abgesucht und trotzdem in diesem Quadranten sonst nichts gefunden…« Außerdem sind wir frustriert und gelangweilt; es wäre eine Abwechslung. Und gut für die Moral. Aber diesen Teil sprach er nicht laut aus. Chekov und Sulu sahen vom Steuer auf. Allmählich wich ihre Belustigung echtem Interesse. Auch Leutnant Uhura blickte von ihrer Kommunikationskonsole hoch. »– andererseits«, fuhr Kirk, der keinen Aspekt des Problems außer acht lassen wollte, fort, »– ist es definitiv nicht unser klingonisches Phantom, oder?« »Das ist äußerst unwahrscheinlich«, meinte Spock. »Dann könnte man es also auch als – «, Kirk suchte vorsichtig nach den richtigen Worten, »- als Pflichtversäumnis betrachten, wenn wir die Suche abbrechen und nachsehen, was diese – diese Anomalie ist, meinen Sie nicht auch?« »Zweifellos.« »Und dennoch – «, fuhr James T. Kirk fort, indem er den Gedanken wie ein Schüler von Sokrates, der sich über einen Zankapfel ärgerte, fortsetzte. »Und dennoch – was ist, wenn diese – diese Anomalie etwas…« er hob die Hände, als ob er den Gedanken damit einfangen wollte, »etwas ist, das über die Erfahrungswerte der Sensorenbojen hinausgeht… Eine neue klingonische Taktik vielleicht?«
Spock neigte den Kopf nachdenklich zur Seite. »Daran hatte ich auch schon gedacht. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein klingonisches Kriegsschiff Ausweichmanöver unternimmt, um vor allem die Tiefraumsensorennetze irrezuführen. Ich dachte mir, die Anomalie könnte vielleicht der sensorische ›Geist‹ eines abgeschirmten Schiffs sein…« Kirk griff den Gedanken auf. »Wie stehen die Chancen für diese Möglichkeit, Mr. Spock?« Er schien sich allerdings dafür nicht sonderlich zu interessieren, denn er schaukelte immer noch hin und her, während er auf den Bildschirm starrte. Auch Spock betrachtete tief in Gedanken versunken das Bild. »Immerhin gab es keine der verräterischen Spuren, die auf ein abgeschirmtes Schiff hindeuten ließen – ich würde sagen, die… die Chancen, daß es sich um einen klingonischen Schlachtkreuzer handelt, stehen eins zu tausend.« »Eins zu tausend…« sann Kirk nach. »Eins zu tausend. Selbst dann, selbst wenn es nur- wie war das, eins zu tausend – ist, sollten wir dann keine Nachforschungen anstellen?« Sulu und Chekov sahen sich an. Chekov begann, das Problem auf seinen Astrogationscomputer zu legen. Sulu bereitete sich schon mal darauf vor, den neuen Kurs einzugeben. Spock blieb sachlich: »Wahrscheinlich stehen die Chancen nicht mal eins zu zehntausend…« »Eins zu zehntausend – «. dachte Kirk nach. »Vielleicht nicht einmal eins zu hunderttausend… oder gar zu einer Million-«, fuhr Spock fort. Kirk drehte den Kopf und sah ihn an. »Damit helfen Sie uns nicht weiter, Mr. Spock.« »Tut mir leid, Captain.« Auf Kirks Gesicht lag jedoch ein Lächeln. »Aber würden Sie nicht auch sagen, Mr. Spock, daß, egal, wie die Chancen stehen -sei es nun ein Klingonenschiff oder nicht – wenn wir
es nicht untersuchen, wir überhaupt nicht herausfinden, was es jetzt wirklich ist, oder was meinen Sie?« »So ist es«, gab Spock zu. »Und unsere Mission lautet… neues Leben zu finden…« . »… Und neue Welten«, fügte Spock hinzu. »Dann sind wir uns einig.« Kirk drehte sich zum Steuer. »Mr. Chekov – « »Kurs bereits ermittelt und startbereit, Keptin!« sagte Chekov begeistert. Kirk war keineswegs überrascht. »Mr. Sulu?« »Eingegeben, Sir!« Kirk sah Spock an. Spock betrachtete Kirk mit halberhobener Augenbraue. Es war ein Augenblick gegenseitigen Verstehens. Captain James Tiberius Kirk vom Sternenschiff Enterprise wandte sich wieder seinem Steuermann zu und sagte: »Also gut, Mr. Sulu – sehen wir nach, was es ist.« Sulu erwiderte das Grinsen seines Captains und drückte auf den Startknopf.
2
Tatsächlich hatte Spock bereits seit geraumer Zeit über die Anomalie gegrübelt, bevor er seinem Captain etwas davon erwähnte. Die ganze Sache war äußerst vage, und die Möglichkeit eines Fehlers war so groß, daß Spock einen sicheren Anhaltspunkt haben wollte, bevor er es meldete. Unglücklicherweise war die statistische Wahrscheinlichkeit eines derartigen Artefakts zu gering, um überhaupt so etwas wie Gewißheit aufkommen zu lassen. Das Ding – was immer es auch sein mochte – war definitiv nicht das klingonische Schiff, das sie suchten, dessen konnte er sich sicher sein. Aber worauf die Messungen tatsächlich hindeuteten, war ein Artefakt, das so unwahrscheinlich war, daß seine erste Reaktion darin bestand, die Verläßlichkeit der Sensorensonde, die den Fall gemeldet hatte, nochmals zu überprüfen, um sicherzugehen, daß mehr als nur eine bloße Wahrscheinlichkeit dahintersteckte. Das Problem war, daß die Singularitätshülle der Anomalie so nahe an der Empfindlichkeitsschwelle des Abtastsystems der Sonde registriert wurde, daß es legitime Gründe dafür gab, die Existenz der Anomalie zu bezweifeln. Es gab keine Möglichkeit, festzustellen, ob es sich um eine Fluktion des tatsächlichen Wahrnehmungsvermögens oder lediglich um einen momentanen Ausschlag übriggebliebenen Instrumentenrauschens handelte. Was schließlich für Spock den Ausschlag gab, war eine gründliche Überprüfung des Abtastsystems der Tiefraumboje. Die gesamte, durch Querverweise belegte Empfindlichkeit der Boje lag bei –151 db, ±0,2 db. Die Wahrscheinlichkeitshülle der Anomalie wurde lediglich 0,85 über dieser Schwelle
registriert, aber eine Systemanalyse der Instrumente und der Computerkapazität ließ vermuten, daß selbst eine derart geringe Abweichung der Zuverlässigkeit auch von den Prüfkreisen als meßbare Abweichung der Referenzebenen des Geräts registriert werden würde. Und natürlich hätte eine derartige Abweichung auch ein entsprechendes Gefälle der Informationszuverlässigkeit durch die Logikkreise der Wahrscheinlichkeitsmonitore der Sonde selbst ausgelöst. Daß ein solches Gefälle in den Speichern nicht registriert worden war, war für Spock ein sicheres Anzeichen, daß sich zumindest die Sonde nicht irrte. Die einzig logische Schlußfolgerung war, daß es einen Reizfaktor dafür geben mußte. Soviel war er bereit zuzugestehen. Weit entfernt von der Sonde gab es etwas, das nur schwach geortet wurde, aber dennoch groß und/oder schnell genug war, um eine deutliche Wellenbewegung im Spannungsfeld des Sublichts auszulösen, eine Wellenbewegung, die groß genug war, um von der technischen Ausrüstung einer Tiefraumabtastboje über eine Distanz von mehreren Trillionen Kilometern registriert zu werden. Unglaublich! Es müßte sehr groß sein – vielleicht von der Größe eines kleinen Asteroiden – und/oder sich mit sehr großer Sublichtgeschwindigkeit fortbewegen – vielleicht mit halber Lichtgeschwindigkeit. Einfach unglaublich! Es gab Zeiten, in denen es in der Tat eine schwere Verantwortung für ihn darstellte, die Fassung so zu behalten, wie es seine vulkanische Herkunft vorschrieb. Die Tatsache, daß er noch mehrere Stunden auf weitere Informationen über die Anomalie warten mußte, genügte fast, ihn zu einem Anfall von Ungeduld hinzureißen. Nicht, daß er ein solches Gefühl jemals zeigen würde, aber seine bloße innere Existenz genügte,
um bei ihm Gewissensbisse und möglicherweise Ärger über sich selbst hervorzurufen. Spock benötigte eine halbe Sekunde, um die Existenz solcher Gedanken wahrzunehmen, dann legte er sie in dem Teil seines Gedächtnisses zu den Akten, der dafür vorgesehen war, zusammen mit dem Entschluß, seine Verhaltensregeln zu überprüfen. Vielleicht sollte er zusätzliche Meditationsübungen machen, um seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Er durfte nicht zulassen, daß die menschlichen Einflüsse um ihn herum seinen analytischen Sinn beeinträchtigten, indem sie seine interne Kontrolle schwächten. Für diesen gesamten Prozeß von Analyse und Beschluß hatte er drei Sekunden benötigt, und schon fragte er sich, ob er nicht zu lange gebraucht hatte, um zu den geeigneten Schlußfolgerungen zu kommen – und ebenso, ob dies nicht ein zusätzlicher Hinweis auf die menschlichen Einflüsse sowohl in ihm als auch um ihn herum war. Spock entschloß sich jedoch, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen – zuviel Selbstanalyse war kontraproduktiv, da sie zuviel wertvolle Zeit verbrauchte, ohne lohnende Resultate zu erzielen. Der vulkanische Satiriker T’Pshaw hatte es folgendermaßen ausgedrückt: »Die Überbetonung der Überprüfung der eigenen Rationalität ist ein Zeichen dafür, daß man seine Rationalität überprüfen lassen sollte.« Der terranische Philosoph Solomon Short hatte es so auf den Punkt gebracht: »Dieses neurotische Trachten nach einem gesunden Verstand macht uns noch alle verrückt.« Das war vielleicht eine unorthodoxe Art der Formulierung, aber der Gedanke war richtig. Nachdem er diese Überlegungen abgeschlossen hatte, wandte sich Spock wieder seiner Wissenschaftsstation zu und begann, spezifische Analyseprogramme für den Zeitpunkt, da sie die Anomalie erreichten, zu erstellen. Vor allem ihr Ursprung würde von besonderem Interesse sein.
Hinter ihm war Captain Kirk wieder zu seinem Kommandosessel zurückgegangen und diktierte gerade eine private Aufzeichnung: »Logbuch des Captains, Sternzeit 4496. i. Wir haben unsere Suche abgebrochen, um das Auftauchen einer… einer sensorischen Anomalie zu überprüfen. Der Erste Offizier Spock betont die äußerste Unwahrscheinlichkeit, daß die Anomalie einen Bezug zum Objekt unserer Patrouille aufweist. Dennoch ist die Anomalie so ungewöhnlich, daß eine Überprüfung… lohnend erscheint.« Er zögerte und runzelte die Stirn. Was gäbe es noch zu sagen? Nichts, entschloß er sich, und schaltete ab. »Leutnant Uhura«, sagte er, »wie groß ist der projizierte Subraumradius bei der Anomalie?« »Hundertdreiundsechzig Stunden, plus oder minus zwanzig Minuten, Captain.« Sie drehte sich in ihrem Sessel zu ihm herum und streckte die Hand reflexartig nach dem Feinbergergerät in ihrem linken Ohr aus. Kirk nickte unzufrieden. Er mochte es nicht, wenn er sich so weit außerhalb des Kommunikationsbereichs der Sternenflotte befand. Es würde fast sieben Tage dauern, bis eine Nachricht per Subraumradio die nächste Sternbasis erreichte, und vierzehn Tage, bis sie eine Antwort erhielten. Er murrte leise etwas vor sich hin, dann sagte er: »Senden Sie ein verschlüsseltes Gutachten über die Situation. Die Enterprise übernimmt für die Dauer der Untersuchung die lokale Rechtsprechung. Wir berufen uns auf den Abschnitt über die Lokale Verantwortung im Kodex der Sternenflotte.« »Jawohl, Captain.« Sie drehte sich zu ihrer Konsole um und verschlüsselte seine Befehle. Der Abschnitt über die Lokale Verantwortung im Kodex erteilte nicht nur eine absolute Vollmacht, sondern verlangte vom Captain eines Schiffs, die Kontrolle über jedwede Situation zu übernehmen, die innerhalb des Einflußbereichs und der Rechtsprechung der Föderation, aber außerhalb der
unmittelbaren Kontrolle oder der beratenden Nähe einer bevollmächtigten Sternbasis lag. Ein Subraumradius von 36 Stunden oder mehr erforderte es automatisch, daß sich der Captain eines Schiffs auf den Abschnitt über die Lokale Verantwortung berief. Das mochte etwas penibel sein, war aber notwendig. Nachdem Leutnant Uhura die Subraumnachricht abgeschickt hatte, widmete sie sich wieder ihrer vorherigen Aufgabe, die darin bestand, eine Anzahl von Kontaktsignalen vorzubereiten, falls es sich bei der Anomalie um ein funktionierendes Artefakt handelte. Es wurden nämlich nicht nur die Standardruffrequenzen, eine Vielzahl von Signalen, die »friedliches Schiff« oder etwas Äquivalentes für alle gegenwärtig bekannten und weltraumfahrenden Gattungen bedeuteten, benötigt, sondern ebenso eine Anzahl primärer Kontaktsignale, falls das Schiff von Mitgliedern einer unbekannten Rasse bemannt war. Es mußte zwar nach einem festen Wortlaut vorgegangen werden, aber ein Kommunikationsoffizier mußte auch in der Lage sein, sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Zum Beispiel deutete die Tatsache, daß sich die Anomalie mit viertel bis halber Lichtgeschwindigkeit fortbewegte, darauf hin, daß den Erbauern etwas Schnelleres als Lichtgeschwindigkeit unbekannt war, woraus gefolgert werden konnte, daß wahrscheinlich auch kein Subraumradio existierte. Wenn das so war, dann gab es wahrscheinlich auch keine multidigitalen Übertragungsmöglichkeiten (die ja auch von den Menschen erst nach dem Subraumradio entwickelt wurden), was zusätzliche Modifizierungen an der Art des Signals, das gesandt wurde, erforderte. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten, Informationen zu senden und zu empfangen, und man konnte nichts voraussetzen. Falls es inner halb des Artefakts Bewohner gab, was noch nicht sicher war, dann
mußte die Enterprise darauf vorbereitet sein, Signale zu senden, die diese nicht nur empfangen, sondern auch übertragen konnten. Es würde zum Beispiel nichts bringen, ein Ultrakurzwellen-Signal mit 100 Megahertz zu senden, wenn das Artefakt lediglich Mittelwellen-Signale mit einer Frequenz um die 100 Kilohertz empfangen konnte. Und unabhängig von FM oder AM, was, wenn die Information digital kodiert war? Wie viele Bits? Und welche Musterrate? Wie viele Kanäle pro Bandbreite? Das alles wurde noch wesentlich komplizierter, wenn man die Probleme erwog, ein Videosignal zu senden. Auf welches Farbspektrum soll man sich beziehen? Wie viele Bilder pro Sekunde? Wie viele Linien pro Abtastung? Werden überhaupt Linien abgetastet? Ist es vielleicht eine Spiralenabtastung? Im Uhrzeigersinn oder entgegen? und so weiter… Chekov hatte es auch nicht leichter. Seine Aufgabe bestand darin, die wahrscheinliche Position der Anomalie zu bestimmen, ihre Flugbahn zu extrapolieren und einen Abfangkurs zu berechnen. Für diese Arbeit besaß er lediglich das bißchen Information von der Tiefraumsonde, nämlich die Vektorqualität, nicht mehr – er hatte keine präzisen Messungen von ihrer Geschwindigkeit. Deshalb arbeitete er mit einem vierdimensionalen (zeitvariablen) Vektorkeil. Die wahrscheinlichen Kurse, die das Objekt einschlagen konnte, ließen sich in einem konisch geformten Fächer darstellen, der sich mit der Entfernung vom Bezugspunkt astronomisch verbreiterte: der Abtastposition der Tiefraumsonde. Er hatte damit begonnen, Sulu einen Kurs zu übermitteln, der vom Abtastbereich der übertragenden Sonde abbog und in die generelle Richtung der georteten Position des Gespensts ging. Von dort aus konnten sie dann beginnen. Es würde eine Weile dauern, diese Entfernung zu überbrücken. In der Zwischenzeit konnte er eine genauere Flugbahn für das Gespenst berechnen.
Ging man davon aus, daß der projizierte Vektorkeil ein genau zu bestimmender, geometrischer Ort war, dann kannten sie zumindest die Grenzen der Gegend, die sie absuchen mußten. Falls es ihnen gelang, bis auf fünf Trillionen Kilometer an das Objekt heranzukommen, würden sie es entdecken. Und je näher sie dran waren, desto besser konnten sie nach Bedarf ihren Abfangkurs korrigieren. Das Problem bestand jedoch darin, daß Chekov wegen Mangels an Informationen über die ursprüngliche Geschwindigkeit des Objekts ein zu großes Areal an Möglichkeiten in Betracht ziehen mußte. Die erste Meldung der Tiefraumsonde über das Gespenst war bereits fast einen Monat alt, und das Objekt konnte sich fast überall innerhalb eines Kegels von 45 Lichttagen Länge und der doppelten Breite an seiner vorderen Oberfläche befinden, einem kreisförmig begrenzten Areal, das sich um eine Lichtminute pro Minute ausdehnte. Selbst das Sonnensystem der Erde hatte nur einen Durchmesser von 14 Lichtstunden. Es konnte gut sein, daß die Enterprise auch dieses Objekt zwölf Tage lang – oder noch länger -jagte, und zwar mit dem gleichen Mißerfolg, den sie bei der Verfolgung der Klingonen gehabt hatten. Das erinnerte den nachdenklich gewordenen Chekov an ein altes russisches Sprichwort, das von einer »wilden Elchjagd« handelte. Er seufzte und entschloß sich schließlich für das, was einige Navigatoren die »Moskaulösung« nannten. Er zielte direkt auf das Zentrum des Ziels, schloß die Augen und betete. In Wirklichkeit hatte er jedoch eine modifizierte Moskaulösung angewandt – er ermittelte den Kurs für eine expandierende Spirale, die durch das Zentrum des Wahrscheinlichkeitskegels ging – aber das Prinzip war dasselbe. Man schloß die Augen und betete. Und vertraute auf sein Glück.
Trotzdem war Chekov mit sich selbst zufrieden, als er das Programm schließlich in den Computer eingab Und es dann an der Anzeigentafel für Mr. Sulu abrief. Sulu grinste Chekov an und startete es.
3
Aller Wahrscheinlichkeit nach gab es überhaupt kein Objekt. Die Chancen dafür, daß es existierte, waren sehr gering. Und falls es tatsächlich ein Objekt gab, dann waren die Chancen, es zu entdecken, noch geringer. Allen logischen Maßstäben zufolge waren die Chancen einer Entdeckung sogar so gering, daß sie phantastisch anmuteten. Das berüchtigte Murphysche Zusammentreffen verschiedenster Umstände nahm sich vergleichsweise unvermeidbar aus. Aber schließlich handelte es sich hier um die U.S.S. Enterprise. Deshalb fanden sie es nach 39.14 Stunden. Und dreiundzwanzig Sekunden. Das war der erste Kontakt. Es würde noch eine Stunde und zweiunddreißig Minuten dauern, bis sie das Objekt eingeholt hatten. Auf der Brücke war Captain Kirk sehr zufrieden. »Ich wußte, daß sie gut sind«, sagte er zu sich selbst. »Ich hatte ganz einfach nur nicht gemerkt, daß sie so gut sind.« Das Objekt besaß gewaltige Ausmaße. Selbst aus dieser Entfernung bestätigten die Instrumente, daß seine Masse mehrere Megatonnen betrug. Und es war schnell. Zumindest für ein Sublichtobjekt. Es bewegte sich mit annähernd einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit vorwärts. Das Problem der Enterprise bestand weniger darin, es zu lokalisieren, als es einzuholen. Paradoxerweise waren die meisten modernen Sternenschiffe so konstruiert worden, daß sie sich entweder sehr schnell oder sehr langsam fortbewegten (auf einer kosmischen Skala gemessen). Die Geschwindigkeiten zwischen diesen beiden
Extremen waren nur sehr schwer zu erreichen. Warum sollte sich ein Sternenschiff mit einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, wenn es durch seinen Solantrieb die Fähigkeit besaß, mehrfache Lichtgeschwindigkeit zu erreichen? Und für die Manöver innerhalb eines Sternensystems, wo höhere augenblickliche Geschwindigkeiten unwirtschaftlich und überflüssig waren, war ein Impulsantrieb mehr als ausreichend. Dieser Impulsantrieb war zwar sehr effektiv, aber wie die Ionenantriebstechnologie, auf der er basierte, hatte auch er seine Grenzen. Um ein Sternenschiff auf ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit zu bringen, wäre eine mehrtägige Beschleunigung notwendig. Die Alternative bestand darin, die Solgeschwindigkeit abzubremsen, die zwar ein steileres Gefälle darstellte, aber in diesem Fall befände sich die Enterprise wenigstens auf der nach unten gerichteten Seite der Gleichung. Dies konnte erreicht werden, indem man die Solfelder des Sternenschiffs mit einer sorgfältig kalkulierten Diskrepanz neutralisierte. Die Energie dieser Diskrepanz würde sich, anstatt in die MaterieAntimaterieeinheiten zurückgeführt zu werden, direkt auf die Masse der Enterprise und ihrer Insassen übertragen. Wenn sie korrekt gerechnet hatten, erhielten sie das Drittel an Lichtgeschwindigkeit, das sie benötigten, um ihre Flugbahn an das Objekt anzugleichen. Hatten sie sich jedoch geirrt, würde sich die Energie als Hitze manifestieren und das Sternenschiff zusammen mit seiner Besatzung zu Rohplasma verbrennen, noch bevor ihre Nervenenden diese Tatsache registrierten. Das Problem war heikel.
Aber… dies war schließlich die Enterprise. Kirk machte sich
keine Sorgen.
Am Steuer hatte Sulu bereits damit begonnen, mit den Sichtsensoren den vor ihnen liegenden Raum abzutasten, obwohl sie sich im Radius von eintausend Kilometern befinden mußten, um ein genaues Bild zu erhalten. Er blickte eifrig nach vorne. Neben ihm bereitete Chekov schon seine bewußt unausgewogene Neutralisation des Solantriebes vor. »Fünfzehnhundert Kilometer«, sagte Chekov. »Wir arbeiten uns heran.« Er drückte auf die Knöpfe. »Maßnahmen zur Drosselung des Solantriebs eingeleitet. Alle Systeme auf grün.« Es war ein spannungsgeladener Moment. Kirk ging zu seinem Navigator und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Gute Arbeit, Mr. Chekov.« »Da ist es – «, sagte Sulu plötzlich. Ein dunkler Fleck im Zentrum des Bildschirms, fast unsichtbar. Mit einem Knopfdruck änderte er das Abtastspektrum. Das Objekt strahlte Hitze aus, weshalb es dunkelrot glühte. Aber das war alles, was es ausstrahlte. »Noch fünf Sekunden bis zur Drosselung«, sagte Chekov. »Achtung, und vier… und drei… und zwei… und eins… und…« DJe Lichter wurden vorübergehend etwas matter, dann leuchteten sie wieder in voller Stärke. An den Bildschirmen war die Geschwindigkeitsänderung des Schiffs abzulesen. » – und wir sind immer noch hier«, sagte Kirk leise. Chekov sah zu ihm hoch. »Hatten Sie etwa daran gezweifelt? Ich erinnere mich, daß wir einmal auf der Gagarinstation eine Simulation hatten, als…« »Später, Mr. Chekov.« Kirk deutete auf einen Monitor. »Sie müssen sich noch um die Feinabstimmung kümmern. Für Kurskorrekturen benutzen Sie bitte den Impulsantneb. Gehen Sie bis auf hundert Kilometer ran und halten Sie diese Position. Leutnant Uhura, leiten Sie die Maßnahmen zur Kontaktaufnahme ein.«
Kirk warf einen Blick auf die Schirme, die über Spock hingen. Deren Informationsgehalt war jedoch Null. Das Objekt zeigte keinerlei Anzeichen, daß es die Enterprise überhaupt wahrnahm. Kein Radar, keine Subraumdetektoren, keinerlei Abtaster. Zumindest nichts, was auf einem der Energiespektren funktionierte, die die Enterprise aufgrund ihrer technischen Ausstattung hätte entdecken können. Und dennoch… »Alarmstufe Rot«, befahl Kirk. »Alle Positionen in Bereitschaft.« Eigentlich war der Befehl überflüssig. Die gesamte Schiffsbesatzung befand sich bereits in Alarmbereitschaft. Sämtliche vierhundertdreißig Personen, die sich auf dem Schiff befanden, waren neugierig und wollten wissen, was sich da abspielte. Das Bild vom vorderen Schirm wurde überall auf der Enterprise übertragen. Als sie sich näherten, berührte Sulu nachdenklich seine Schalter. Als er das Bild in voller Vergrößerung auf den Schirm legte, ging ein hörbares Raunen durch die Besatzungsmitglieder auf der Brücke. Selbst Spock schien verblüfft zu sein. Zumindest nach vulkanischen Maßstäben. Es war dunkel. Und riesig. Es verhüllte die Sterne hinter sich. Und es war ein Artefakt. Ein künstliches Objekt. Jemand hatte es gebaut. Aber auf dem Objekt gab es keine Lichter, die die facettenreichen Oberflächen beleuchtet hätten. Keine glitzernden Fenster oder durchsichtigen Kuppeln. Alles war still und leer, fast trostlos vor dem Hintergrund aus Samt und Juwelen. Hier, so weit entfernt von allem, verloren in der Tiefe zwischen den Sternen, gab es kaum genug Licht, das von einer vereinzelten, metallenen Oberfläche reflektiert worden wäre. Es gab keinerlei Maßstab – und trotzdem war seine bloße
Masse drohend und überwältigend. Seine Präsenz war unbestreitbar. Es war eine Stadt im Weltraum. Verhüllt und riesengroß. Eine schwarze Insel. Ein majestätisches Rad, in Schweigen und Geheimnis gehüllt, das sich langsam in der Nacht drehte. Für einen langen Augenblick erfaßte das Schweigen der Dunkelheit auch die Brücke der Enterprise. Die Männer und Frauen des Sternenschiffs standen still und ehrfürchtig da, fasziniert von dem Schauspiel, das sich ihnen bot. Einige von ihnen waren mit dieser Erfahrung vertraut. Sie erlebte jedesmal eine Neuauflage, wenn sie in die Nähe einer weiteren Facette des universalen Lebenswillens kamen. Ein Artefakt, ein Schiff, ein außerirdisches Wesen – selbst eine Nachricht –, das alles wies auf eine unendliche Vielfalt des Kosmos hin, die sie in stummes Erstaunen versetzte. Es gab ein Sprichwort, das angeblich auf den terranischen Philosophen Solomon Short zurückging: »Es gibt keine Atheisten auf Sternenschiffen.« Da er jedoch in einer Zeit lebte, in der es noch keine Sternenschiffe gab, verstand die Menschheit erst ein Jahrhundert später, was er wirklich gemeint hatte. Und dann wurde die Wahrheit dieses Ausspruchs allen so offenkundig, daß er zu einem Klischee wurde – außer natürlich in Momenten wie diesem. Wieder einmal standen Repräsentanten der Menschheit an der Schwelle zu einer Entdeckung, und die Wahrheit des Klischees, der entscheidende Grund, warum es so war, ließ sich an einer Welle freudiger Emotionen feststellen, einem Gefühlsausbruch, der in den Herzen all derer aufwallte, die vor einem Bildschirm standen und in stillem Staunen lächelnd, grinsend, selbst lachend und applaudierend zuschauten. Außer Spock natürlich. Er brüstete sich damit, einen guten Geschmack zu haben und seine inneren Prozesse nicht zur Schau zu stellen. Wie ekelhaft waren doch die meisten
Gefühle. Sein Gesicht hätte einen Ausdruck des Widerwillens angenommen, wäre das nicht auch wieder eine Zurschaustellung von Gefühlen gewesen. Er hob nachdenklich eine Augenbraue, bemerkte, daß das Objekt auf seine Weise »bemerkenswert« war und wandte sich wieder seinem überdachten Schirm zu. Eine Entdeckung bereitete Spock keine Freude. Sehr wohl aber das Wissen, was daraus zu gewinnen war. Es war nicht das Geheimnis, das ihn reizte, sondern die Lösung. Schließlich setzte Kirk dem Begeisterungstaumel ein Ende. Trotzdem war seine Stimme leiser als sonst. »Mr. Sulu, werfen Sie etwas Licht auf dieses Objekt. Leutnant Uhura?« »Reaktion negativ, Captain.« »Versuchen Sie es weiter. Mr. Chekov, gehen Sie bis auf fünfundzwanzig Kilometer ran. Mr. Spock, senden Sie einen Subraumstrahl, der alle fünfzehn Minuten auf den neuesten Stand gebracht wird, an die Sternenbasis.« Er ging zum Kommandosessel und berührte die Schalter an der Armlehne. »Mr. Scott, Dr. McCoy, auf die Brücke, bitte.« Leise trommelte er mit den Fingern auf die Armlehne. Der erste von Sulus Scheinwerfern beleuchtete das Ding vor ihnen und verwandelte es von einem sperrigen, schwarzen Klotz in eine fantastische Verkettung von Rädern in Rädern, mit einer Spindel aus Eis und Metall und Speichen aus schlanken Türmen. In eine runde Hängebrücke, die sich um einen Zylinder wand und mit den verschiedensten Dingen verziert war. Das Auge konnte die Unmenge von Details und sich krümmender Formen nicht verarbeiten – weitere Scheinwerfer wurden eingeschaltet und sandten neue Schattenmuster über das Gebilde. Und die Fernsonden schickten ebenfalls ihr Licht, dessen Strahlen sich seitwärts über die vielen Oberflächen neigten.
In diesem Lichtbad verwandelte sich das Objekt zu einer gespenstischen Vision. Durch die Lichtreflexe fing es zu lodern an. Metall-, Glas-, Mylar-, Plastik- und Keramikoberflächen glitzerten so hell wie am Tag ihrer Fertigstellung. Das Rad wurde zu einer Stadt, die Stadt zu einer Insel, die Insel zu einer Zivilisation, die sich majestätisch in den dunklen Tälern der Nacht um sich selbst drehte. Spitzen und Türme und Minarette, Brücken und Türmchen und Plattformen. Und das alles passierte in den Schattierungen perlenartigen Glanzes: glitzernde Pastellfarben, rosa, korallenrot und türkis, einem Grau, das rosafarben und mit weißen und gelben Streifen durchzogen war. Purpurrote Schatten fegten über die Ebenen eines blassen Sorbetts. Diamantfarbene Facetten fingen das Licht auf und warfen es zurück; tiefblaues Metall glühte. Das Objekt nahm den gesamten Bildschirm ein und dehnte sich weiter aus, als sie näherkamen. Die Einzelteile wirbelten durcheinander und flitzten an den Augen der Enterprise vorbei, als würden sie ein eigenes Wettrennen veranstalten. Zu schnell, um deutlich wahrgenommen zu werden, verschwommen sie zu Trugbildern von Städten und Dörfern, Flughäfen und Autobahnen, Raffinerien, Häfen – das Auge gaukelte dem Verstand etwas vor; oder war es umgekehrt? Die Oberflächenkonturen dieses – dieses Dings -waren zu verwirrend. Der Verstand übertrug sie aus Mangel an Bezugspunkten in vertraute Begriffe. Kirk mußte sich dazu zwingen, sich vom Bildschirm abzuwenden. Das Schauspiel hatte eine magische Anziehungskraft. »Sulu, dämpfen Sie die Scheinwerfer.« Sein Gesicht verkrampfte sich unmerklich. »Tiberius…« flüsterte er. »Tiberius…« Etwas daran war wie ein Auslöser… so geschichtsträchtig… irgend etwas war da.
Die Tür hinter ihm zischte auf. Er drehte sich um und sah, wie Scotty und Pille zusammen hereinkamen. »Scotty? Was halten Sie davon?« Chefingenieur Montgomery Scott blieb unverbindlich. »Aye, es ist ziemlich groß, soviel ist sicher.« »Ich hätte gerne den Konstrukteur kennengelernt«, sagte Pille. »Ich würde ihm gerne die Hand schütteln… oder die Klaue… oder die Pfote… oder den Fangarm…« »Ich würde lieber die Bauunternehmer kennenlernen«, sagte Scotty. »Das sind die wahren Genies. Sie sind die Burschen, die dafür sorgten, daß es funktioniert.« Kirk drehte sich zu Spock um, der das Trio bereits mit der Gleichgültigkeit vulkanischer Ungeduld betrachtete. »Worum es wirklich geht, Commander Scott, ist die Frage, warum es gebaut wurde. Wer hat es gebaut und warum ist es hier?« Alle drei schauten ihn erwartungsvoll an. »Was vermuten Sie also?« fragte Kirk. »Vulkanier stellen niemals Vermutungen an«, sagte Spock. »Die Fakten sind wie folgt: Es bewegt sich mit einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit fort. Daraus läßt sich schließen, daß die Erbauer keinen Solantrieb besaßen. Ebensowenig gibt es Anzeichen von Impulstriebwerken. Nach unseren Maßstäben scheint die Technologie primitiv zu sein. Die Größe des Objekts bildet einen Ausgleich zu seiner Unfähigkeit, sich schneller als das Licht fortzubewegen. Es ist offensichtlich ein interstellares Schiff. Seine Erbauer haben vielleicht erkannt, daß eine solche Reise Jahrhunderte dauern würde, und deshalb vielleicht kein Schiff, sondern eine ganze Welt erbaut. Eine Zivilisation, wenn Sie so wollen. Sie sind seit Jahrhunderten unterwegs und haben noch eine jahrhundertelange Reise vor sich.« Er schwieg kurz und fügte dann hinzu: »Die maschinentechnischen Lösungen einiger ihrer Langzeitprobleme müssen faszinierend sein…«
»Warum gibt es keine Lichter auf ihrem Schiff?« fragte Scotty. »Wer würde sie sehen, Commander? Sie sind Lichtjahre vom nächsten Ort, wo es Leben gibt, entfernt.« »Aber wie sieht es mit der Kommunikation aus?« unterbrach sie Uhura. »Ich habe sie gerufen, seit wir in Reichweite sind, aber bisher keinerlei Antwort erhalten.« »Vielleicht erwarten sie nicht, daß jemand sie hier draußen ruft. Offenbar besitzen sie auch keine Subraumkommunikation.« »Und ein dichtgebündelter Laserstrahl zu ihrer Basis? Die Centaurikolonie und die Erde benutzten diese Art der Kommunikation fast ein ganzes Jahrhundert lang, bevor Subraum entwickelt wurde. Trotz der Zeitverzögerung von viereindrittel Jahren war es besser als gar keine Kommunikation.« »Vielleicht…« meinte Spock, »haben sie niemanden zurückgelassen, mit dem sie sprechen könnten.« »Oder aber – «, unterbrach Kirk, » – das Schiff ist ein Wrack. Vielleicht sind seine Erbauer schon seit langer Zeit tot.« »An diese Möglichkeit hatte ich auch schon gedacht, Captain. Aber im Moment sollten wir uns mehr um die mögliche Gefahr, die davon ausgeht, kümmern. Das Objekt strahlt Hitze aus. Das könnte bedeuten, daß in seinem Innern immer noch lebenserhaltende Bedingungen existieren. Was wiederum voraussetzt, daß etwas im Innern diese Bedingungen aufrechterhält. Etwas Intelligentes.« »Das könnte auch der Bordcomputer sein«, bemerkte Scotty. Kirk fragte: »Spock, welche Ablesungen erhalten Sie über das Innere?« »Sehr konfuse, Captain. Die äußere Hülle ist ziemlich gut abgeschirmt.« Er sah ziemlich verlegen aus und ging zu
seinem Schirm zurück. Spock zeigte nur ungern eine Schwäche. Kirk wandte sich an Scotty. »Können Sie eine Mannschaft hineintransportieren?« Scotty schüttelte den Kopf. »Das möchte ich lieber nicht versuchen. Wenn das Äußere genügend abgeschirmt ist, um die Sensoren zu täuschen, dann bezweifle ich, einen genauen Landeplatz auf einem Zielort erhalten zu können. Und der Umstand, daß sich das Biest auch noch um sich selbst dreht, macht es fast unmöglich, eine Feldstabilität während der Rekonstruktion zu garantieren. Sie könnten, noch bevor Sie ganz angekommen wären, in eine Mauer rutschen, Sir.« Kirk seufzte. »Das hatte ich befürchtet. Also gut – beginnen Sie mit den Vorbereitungen für einen manuellen Eintritt. Nur für den Fall des Falles.« Er drückte den Knopf in der Armlehne. »Leitende Angestellte bitte in den Lagebesprechungsraum.«
4
Den Lagebesprechungsraum eines Raumschiffes stellt man sich im allgemeinen als einen einfachen, kahlen Raum vor, der zwischen Schiffswand und Korridor liegt und nichts außer einem Tisch und Stühlen enthält. Diese Vorstellung ist zwar richtig, aber irreführend. Tatsächlich ist der Lagebesprechungsraum eine zweitrangige Informationszentrale, während die Brücke das Hauptinformationszentrum des Sternenschiffes ist. Die scheinbar kahlen Wände des Lagebesprechungsraums sind in Wirklichkeit großformatige Bildschirme, die Bilder von allen Computerspeichern auf dem Schiff abrufen können. Was Laien dabei nicht ganz verstehen ist, daß diese zweitrangige Informationszentrale auch eine einzigartige und äußerst wichtige Abteilung auf dem Schiff ist, wichtiger sogar als die Brücke; während andere Abteilungen dazu dienen, entweder die Leistung eines Muskels oder eines Sinnesorgans zu verstärken, soll in der Informationszentrale spezifisch die Gehirnleistung erhöht werden. An diesen Ort kommt ein Captain, um schwierige Kommandoentscheidungen zu überdenken, insbesondere solche, die nicht nur seine Besatzung und sein Schiff, sondern auch seine eigene Stärke, Klugheit und Menschlichkeit auf die Probe stellen. Es geht dabei um Probleme, die für einen Mann allein zu groß sind, und die er nicht im stillen Kämmerlein für sich allein entscheiden kann, denn sie erfordern das Vertrauen der Führungsoffiziere – aus diesem Grund sind Lagebesprechungssitzungen nicht leicht zu nehmen. Es gibt ein Motto der Sternenflotte, das jedem neuen Kadetten in der
Akademie vom ersten Tag an eingebleut wird: »Alle deine Probleme werden zuerst im Lagebesprechungsraum gelöst.« Es liegt in der Verantwortung des Captains, Entscheidungen zu treffen. Es ist die Aufgabe der beratenden Offiziere, alle Informationen, die dieser Entscheidung dienlich sind, vorzutragen. Einschließlich ihrer Bedenken und besonders auch ihrer Befürchtungen. Ein Captain braucht nicht nur Informationen, die sein Vorhaben unterstützen. Viel wichtiger sind Informationen, die es einer Prüfung unterziehen, die nicht damit übereinstimmen und so dazu zwingen, das Problem von so vielen verschiedenen Standpunkten aus wie möglich zu betrachten. Das ist eine Tradition der Sternenflotte und nur wenige Männer sind in den Rang eines Captains aufgestiegen, ohne einen gesunden Respekt vor der Weisheit dieser Tradition entwickelt zu haben. Die Qual des halsstarrigen Captains ist mehr als eine freche Hinterzimmerballade: »…Er hat seine Zweifel und zeigt sie nicht; er täuscht sich vielleicht, aber wird es nie wissen!« James T. Kirk zeigte seinen Respekt vor der Tradition der Sternenflotte, alles frei zu diskutieren, nicht nach außen hin. Statt dessen setzte er eine sorgfältig berechnete Maske auf, gab sich bewußt neutral, wie ein unbeschriebenes Blatt. Er lehnte sich mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zurück und ließ seine Offiziere die Angelegenheit untereinander diskutieren. Er griff in die Diskussion nur ein, um sie zu einem Konsens und schließlich einer Entscheidung zu führen (es gab Kurse für Gesprächsführung, und ein Captain mußte auch daran teilgenommen haben). Kam es zu einer Übereinstimmung, so war damit gewöhnlich die richtige Entscheidung schon offensichtlich und mußte nicht extra befohlen werden. Manchmal war es erstaunlich, wie gut ein Problem gerade dann gelöst wurde, wenn sich ein starker Befehlshaber mit seinen guten Absichten im Hintergrund hielt. Und auch dazu
gab es ein passendes Motto der Sternenflotte: »Die Fähigkeit eines Captains kann am besten daran beurteilt werden, wie gut sein Schiff ohne ihn auskommt.« Wenn Verantwortung gut verteilt wird, reagiert eine Mannschaft darauf. Spock erläuterte gerade die Alternativen. »Wir können – und wir werden – weiterhin auf allen Frequenzen versuchen, Funkkontakt herzustellen. Die Wahrscheinlichkeit liegt allerdings bei etwas mehr als 73,42%, daß es kein empfindungsfähiges Leben mehr an Bord des Schiffes gibt, wenn wir nicht innerhalb von drei Tagen eine Antwort erhalten. Falls wir eine Antwort erhalten, werden wir natürlich sofort in den Erstkontaktmodus überwechseln und entsprechend dem Standardprogramm so lange fortfahren, bis eine Abweichung davon durch die Umstände erforderlich wird. Erhalten wir keine Antwort, so haben wir zwei Möglichkeiten. Erstens können wir seine Position über Subraumstrahlung mitteilen und zu unserem ursprünglichen Auftrag – der Suche nach dem Raumschiff der Klingonen, das in diesem Quadranten gesichtet wurde – zurückkehren. Diese Möglichkeit wirft natürlich die Frage auf, wie wir von hier zur Sternenflotte zurückkehren, und in diesem Fall muß eine solche Handlungsweise nicht unbedingt als Entscheidungsschwäche betrachtet werden. Dieses Raumschiff befindet sich schon seit langer Zeit im All. Wenn noch einige Wochen oder Monate mehr vergehen, bis wir Kontakt mit ihnen aufnehmen, in denen wir die Situation klären, so hat das keine entscheidende Bedeutung. Wir sind nicht unter Zeitdruck. Außerdem, die ethischen Grenzen einer Verwicklung – « Kirk schaltete einen Moment lang ab. Irgend etwas in seinem Hinterkopf hatte auf einen Satz im Vortrag des WissenschaftsOffiziers reagiert: »…wirft die Frage auf… zur Sternenflotte
zurückkehren…« Nun, wo? Oh, ja! Kirk erinnerte sich jetzt. Truman. Hier endet die Verantwortung. Nein, entschied Kirk für sich; das wäre wie ein Eingeständnis, daß die Enterprise mit einer solchen Situation nicht fertig werden könnte. Und das wäre genauso, als ob man sagen würde, daß James T. Kirk es nicht wert sei, Captain der Sternenflotte zu sein. Aus diesem Grund kam diese Möglichkeit nicht in Frage. Aber er erwartete nicht, daß er das laut sagen mußte. Schließlich war das die Enterprise. Wenn sie nicht damit fertig wurde, wer dann? »Deshalb müssen wir, wenn wir selbst diese Aufgabe übernehmen«, sagte Spock gerade, »die Situation nicht nur von unserem Standpunkt aus betrachten, sondern auch aus der Sicht der Bewohner des anderen Schiffes. Wenn es dort keine Bewohner gibt, ist es natürlich kein Problem; wenn es aber bewohnt ist, dann werden wir, mit Ausnahme der unwahrscheinlichsten Umstände, deren Erfahrungswerten zufolge – und auch gemäß ihres Weltbildes – fremdartige Wesen sein.« »Und einige von uns – «, unterbrach Dr. McCoy mit einem schiefen Lächeln zur Seite, » – sind noch fremdartiger als andere.« »Dr. McCoy«, sagte Spock trocken, »Humor ist gelegentlich der höchste Ausdruck menschlicher Intelligenz; häufiger jedoch ist er letzte Zuflucht für den, dem es daran mangelt.« Er sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. McCoy zog seine eigene Augenbraue ebenfalls hoch. Spock, sichtbar verärgert – soweit so etwas bei einem Vulkanier möglich ist – sagte: »Jeder hier würde es sehr schätzen, wenn Sie sich mit Ihren Äußerungen auf das Problem beziehen würden…« Kirk lächelte innerlich. »Fahren Sie fort, Spock«, forderte er ihn auf. Die Bezeichnung Diskussion war hier manchmal nicht ganz zutreffend. Auseinandersetzungen im
Lagebesprechungsraum konnten auch boshaft, ermüdend und emotional sein. Spock und McCoy zum Beispiel versäumten kaum eine Gelegenheit, die philosophischen Ansichten des anderen aufs Korn zu nehmen. Das war der einzige Weg, wie sie ihre Sympathie füreinander ausdrücken konnten. »Daß wir für sie fremdartige Wesen sein werden«, fuhr Spock fort, »läßt sich schon aus der Tatsache ableiten, daß ihr Schiff sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen kann. Eine Zivilisation, die den SAL* -Antrieb kennt, würde nicht so viel Energie in den Bau eines Multigenerationenschiffs investieren. Daher ist es berechtigt, davon auszugehen, daß es zu einem schweren Kulturschock kommen kann, ganz gleich, wie wir uns im Verlauf der Kontaktaufnahme mit ihnen verhalten.« Kirk hörte sich Spocks Hypothese aufmerksam an. »Aber es hat sich gezeigt, Spock, daß sich die meisten Kulturen, die den Weltraum erforschen, unabhängig davon, ob sie den SALAntrieb kennen, in der Regel schon der Möglichkeit bewußt sind, daß es andere Lebensformen geben könnte, die sich von ihrer eigenen unterscheiden; sogar schon, bevor es zu ersten Begegnungen kommt – man kann nicht zu anderen Welten reisen, ohne sich vorher zu fragen, was man dort finden wird – und dieses Bewußtsein sollte den Kulturschock beim Erstkontakt bedeutend vermindern.« Spock nickte zustimmend. »Aber die Möglichkeit bleibt. Was wir hier haben, ist eine Zivilisation, die so isoliert war wie keine andere Zivilisation jemals zuvor. Außerdem ist es eine Zivilisation, die Zeit gehabt hat, ihre Strukturen zu festigen; eine Art kultureller Versteinerung, wenn Sie so wollen. Aus der Größe und Konstruktion des Schiffes läßt sich schließen, daß die Schiffsbewohner keine Kenntnis des Einfrierens oder anderer Schlaftechniken hatten. Statt dessen mußten sie sich *
SAL = schneller als Licht/Überlicht
eine vollständige Welt aufbauen, um ihr Leben während ihrer Reise zu erhalten. Daraus ergibt sich auch, daß ihre Lebenszeit begrenzt ist und daß es sich um ein Multigenerationenschiff handeln muß. Und wenn dem so ist, dann bedeutet das, daß seit seinem Start viele Generationen auf diesem Schiff gelebt haben; wir sind Lichtjahre entfernt von jeder Welt, die möglicherweise einmal ihre Heimat gewesen sein könnte. Daher sind wir weit entfernt von der ersten gestarteten Generation. Sie haben nie eine Welt außer dieser gekannt; von dieser Welt ist ihre psychologische Einstellung dem Universum gegenüber geprägt worden. Wahrscheinlich halten sie sich selbst für schwach, einsam – und irgendwie außergewöhnlich in den Augen der Schöpfung. Sie haben nicht mal den psychologischen Einfluß eines Ursterns als Mittelpunkt, der ihrer Kultur Stabilität geben würde. Für die Leute dort drinnen, wer immer sie auch sind, existiert nur diese eine Welt im Universum, abgetrennt von allem und einmalig. Sie können nur eine verzerrte Wahrnehmung ihrer eigenen Bedeutung im Universum haben. Allein schon die Tatsache ihrer Isolierung von allem, was in natürlichem Zustand vorliegt, muß zu solch einer beschränkten Auffassung über die Natur führen – « »Warten Sie eine Sekunde, Mr. Spock – «, das war Chekov. »Das ist alles gut und schön, aber sie haben doch wohl Bücher und Tonbänder.« »Mr. Chekov, Sie haben selbst Bücher und Tonbänder. Glauben Sie daran, daß eine Hexenhütte einfach aufstehen und auf Hühnerbeinen weiterlaufen kann?« Chekov sah überrascht aus. »Natürlich kann sie das nicht – das ist doch nur ein altes Märchen.« »Sie haben aber einige sehr überzeugende Holobänder von dieser Geschichte.« »Aber ich weiß trotzdem, daß es nur eine Geschichte ist.«
»Nicht, wenn Sie auf Baba Yaga leben würden, einer Insel vor der Küste des südwestlichen Kontinents des Planeten Mussourgsky. Während der Regenzeit kommt es in verschiedenen Teilen der Insel zu Überschwemmungen, und es ist oft notwendig, den Wohnsitz zu verlegen; aus diesem Grund gibt es dort keine dauerhaften Strukturen. Statt dessen werden die meisten Gebäude auf beweglichen Stelzen errichtet. Für die Kinder, die dort leben, ist die Hütte der Baba Yaga Geschichte, ein wahres Märchen, und so kennen sie es. Wenn Sie dort aufgewachsen wären, würden Sie auch daran glauben.« Spock schwieg einen Moment lang und sagte dann in einem allgemeineren Tonfall: »Der Punkt ist, es ist gut möglich, daß die Bewohner dieses sonderbaren Schiffes, das sich nur ein paar Kilometer unter dieser Schiffswand befindet, die Geschichte ihrer eigenen Herkunft für einen Mythos halten; trotz der Bestätigung durch Beweise, die sich vielleicht in den Computerspeichern befinden, denn diese Individuen haben nicht die Erfahrung gemacht, daß solche Dinge möglich sind, ebenso wie Mr. Chekov die persönliche Erfahrung mit gehenden Häusern fehlt. Diese Leute können nicht wissen – nur glauben – welche ihrer Bänder der Wahrheit entsprechen und welche Märchen sind; wenn sie überhaupt Vernunft besitzen, werden sie dazu neigen, die Greuelgeschichten als Märchen abzutun, und für diese Leute werden Geschichten über Planeten Greuelgeschichten sein. Ganz gleich, auf welchem bewußten Wissensstand sie sich befinden, ihr unbewußtes Weltbild bestimmt die – entschuldigen Sie den Ausdruck – Reaktionen aus ihrem Bauch.« Spock sah alle Offiziere, die um den Tisch herumsaßen, an. »Aus diesem Grund rate ich hier zu äußerster Vorsicht. Die Umwelt, die sie für sich selbst geschaffen haben, erfordert komplizierte psychologische Anpassungsweisen, und wir werden die
meisten dieser Anpassungsmechanismen untersuchen müssen.« »Anpassungsmechanismen –?« fragte Kirk. »Zum Beispiel sind sie sich zwar sicherlich bewußt, welche Anforderungen ihre künstliche Ökologie stellt, und welche Technik benötigt wird, um sie aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig könnte das aber auch die äußere Grenze ihres Verständnisses der gesamten Ökologiewissenschaft sein. Der Rest wäre natürlich nur Theorie, Computersimulation; sie hätten kaum echte Kenntnisse über Existenzweisen, die nicht streng kontrolliert und am Leben erhalten werden müssen. Begriffe wie »Wildnis« und »Freiheit« könnten bedeutungslos für sie sein. In einer solchen Welt wären Dogmen absolut, denn sie müßten so sein. In einer solchen Welt gäbe es keine Veränderung, denn Veränderung könnte gefährlich sein für die Stabilität der Gesellschaft. Sicherlich gäbe es Ventile wie wechselnde Modestile, Sportwettkämpfe und verschiedene Arten von Wettbewerben, aber das alles wäre Ersatz. Das intensive Interesse einer Kultur an bestimmten Ventilen ist ein guter Beweis dafür, wie wichtig und notwendig es ist, daß sie als Ersatz dienen. Das wesentliche Merkmal einer solchen Kultur wäre ihr Widerstand gegen Herausforderungen, die gegen ihre Grundüberzeugungen gerichtet sind; in diesem Fall, ihre Einmaligkeit. Wir repräsentieren nicht nur eine fremdartige Spezies für diese Kultur, wir repräsentieren auch eine fremdartige Denkweise. Wir könnten so anders sein als alles, was sie bisher in Erfahrung gebracht haben, daß sie vielleicht nicht in der Lage sind, uns in einer vernunftgemäßen Weise wahrzunehmen.« Schweigen herrschte, während die verschiedenen Offiziere, die um den Tisch versammelt waren, über diese Auffassung nachdachten und versuchten, sich mit den Schlußfolgerungen daraus zu befassen.
»Also… Sie behaupten«, fragte Kirk nach, »daß unsere Gegenwart ausreichen könnte, um diese Leute in den Wahnsinn zu treiben…?« Spock sah gelassen drein. »Wahnsinn ist zwar nicht der Ausdruck, den ich gewählt hätte, denn er enthält eine sehr negative Bedeutung, aber der Gedanke ist richtig. »Irrationales Verhalten« wäre eine geeignetere Bezeichnung und sehr wahrscheinlich die Folge. Wenn ich einen Ihrer terranischen Philosophen zitieren darf: »Manchmal ist irrationales Verhalten die einzige rationale Antwort auf eine irrationale Situation.« Wir werden ihre Vorstellungen von der Natur des Universums erschüttern und das Gefühl ihrer Einmaligkeit. Mit Sicherheit zeigt die Tatsache, daß sie auf unsere Versuche, Kontakt aufzunehmen, nicht reagiert haben, deutlich den Grad ihrer Isolation an. Offensichtlich wollen sie andere gar nicht hören, weil sie nicht glauben, daß es überhaupt noch andere gibt.« Spock kam nachdenklich zum Schluß. »Natürlich basiert dies alles auf der unwahrscheinlichen Möglichkeit- die weniger als 27% beträgt –, daß es noch empfindungsfähige Bewohner auf diesem Schiff gibt.« »Warum ist das so unwahrscheinlich?« warf McCoy ein. »Irgend jemand muß es gebaut haben. Wenn sie intelligent genug waren, es zu bauen, warum sollten sie dann nicht klug genug sein, das Schiff und ihr eigenes Leben zu erhalten?« Spock wandte absichtlich seinen Blick vom Doktor ab und fuhr fort, als hätte dieser überhaupt nicht gesprochen. »Maschinen versagen. Besonders Maschinen, die vom günstigsten Anbieter konstruiert wurden. Die Wahrscheinlichkeit eines Versagens an Bord eines Schiffes steigt mit der Länge der verstrichenen Zeit. Nach einer gewissen Zeitdauer ist ein Fehler irgendeiner Form unvermeidlich. Nach Ablauf eines langen Zeitraums macht die Gesamtheit aller einzelnen Fehler, die sich angehäuft haben,
das Überleben der Schiffsbewohner problematisch. Bei 27% handelt es sich um eine großzügige Schätzung.« Mit affektierter, gedehnter Sprechweise meldete sich McCoy erneut zu Wort: »Wenn Sie so denken, was schlagen Sie dann in bezug auf die Enterprise vor?« Spock wandte langsam seinen Kopf zu ihm um und sah den Doktor verächtlich an. »Dr. McCoy, die Enterprise wurde zum Teil von Vulkaniern entworfen… und das sollte für sich selbst sprechen.« Kirk erlaubte sich zu lächeln. »Lassen Sie uns zu dem eigentlichen Thema zurückkehren, ja? Wir haben ein Schiff. Sie antworten nicht auf unsere Versuche, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wir können uns nicht hineinbeamen, also müssen wir entweder eine Tür finden oder gewaltsam eindringen. Wenn wir einbrechen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß die Bewohner – falls es welche gibt – eine solche Handlung als feindlich betrachten. Als Invasion vielleicht. Wir müssen auf die Möglichkeit einer… militärischen Reaktion vorbereitet sein. Scotty?« Kirk wandte sich an seinen Chefingenieur. »Welche Waffensysteme werden sie wahrscheinlicherweise besitzen?« »Tja, Captain, es wird eine primitive Bewaffnung sein. Die Hyperlichtgeschwindigkeit ist der Schlüssel zu einem großen Teil der fortgeschrittenen Technologie. Ohne sie besitzen sie wahrscheinlich weder Phaser noch irgendwelche Antimateriewaffen und wahrscheinlich nicht einmal magnetische Disruptoren. Es gibt keine verräterischen Kennzeichen auf der Außenwand des Schiffes. Sie könnten Paralysatoren besitzen – aber das wäre nur dann eine Gefahr für uns, wenn wir uns auf der gleichen DNASchwingungsfrequenz befinden würden wie sie. Es ist möglich, daß sie über Explosivgeschoßwaffen verfügen, aber ich würde solche Waffen nicht an Bord meines Schiffes haben
wollen. Ich wette, daß sie statt dessen Elektrowaffen einsetzen. Betäubungsgewehre oder Feuerwerfer sind am wahrscheinlichsten, aber auch Wurfpfeilgewehre sind möglich. Sie könnten auch verschiedene Giftgas- und chemische Anlagen besitzen, aber die sind selten sofort wirksam und möglicherweise gefährlich für die lebenserhaltenden und ökologischen Systeme des Schiffes; das gleiche gilt auch für biologische Waffen, so daß ich sagen würde, daß hier auch spezifische Vektorwaffen unwahrscheinlich sind. Wenn diese Leute bisher keine Erfahrungen mit menschlichen Wesen gemacht haben, ist es schwer, vorauszusagen, was sie uns entgegenschleudern werden.« Kirk hörte sich den Bericht an. Eine Sache wurde immer klarer. »Es ist offensichtlich, daß wir nicht genügend Informationen über das Schiff und die Leute haben, die es bauten, um zu einer endgültigen Einschätzung zu kommen. Und es sieht so aus, als ob wir nicht sehr Viel mehr Informationen bekommen werden, ohne an Bord zu gehen. Ich gehe nicht gern so vor. Aber wir sind in einer Situation, in der wir nicht entscheiden können, ob wir an Bord gehen sollen, solange wir nicht an Bord gehen und herausfinden, ob wir es tun müssen. Das gefällt mir nicht.« Es war still am Tisch. Auch den beratenden Offizieren gefiel das nicht. Aber abgesehen davon galt immer noch die oberste, geheiligte Regel der Sternenflotte, die über allen anderen stand: Artikel Eins der Sternenflottencharta, der den wesentlichen Auftrag aller, die den Diensteid ablegen, klar festlegt: »…fremde, neue Welten zu entdecken, neue Lebensformen und unbekannte Zivilisationen zu suchen, unerschrocken dorthin zu gehen, wo bisher noch nie zuvor jemand gewesen ist…«
Und das war, nachdem alles andere gesagt und getan worden war, das letzte entscheidende Wort bei jedem Beschluß, und sogar ein Captain mußte sich dem beugen. Aber natürlich gab es niemanden, der Artikel Eins jemals in Frage stellte. Man trat der Sternenflotte nicht bei, wenn man nicht von einem Verlangen besessen war, das mehr als Neugierde war; einem Hunger nach Wissen. Die Offiziere der Sternenflotte machten ihre Arbeit nicht, weil sie es mußten, sondern weil sie es wollten. »Also gut«, sagte Kirk und rückte seinen Stuhl vom Konferenztisch weg. »Packen wir’s an.«
5
Auf dem vorderen Bildschirm der Brücke hatte Mr. Scott eine Abbildung des gigantischen Schiffes erzeugt, die sich fast genauso majestätisch im Kreis drehte wie das nur einige Kilometer entfernte Schiff selbst. »Was wir hier haben«, erklärte Scotty, »ist ein Zylinder mit einem Durchmesser von zehn Kilometern und einer Länge von fast fünfundzwanzig Kilometern. An jedem Ende befinden sich drei Fusionsanlagen. Eine von ihnen arbeitet vielleicht noch. Die Wärmeabstrahlung zeigt einen schwachen Betrieb an – entweder das oder die Anlage ist erst kürzlich abgeschaltet worden –, aber ich glaube, daß sie noch in Betrieb ist, weil ein ausgeklügeltes Wärmeaustauschsystem noch arbeitet; sie verwenden Wasser, um die Restwärme durch die Schiffswand zirkulieren zu lassen.« In Scottys Stimme schwang Bewunderung mit für die Konstrukteure, die bereits seit Jahrhunderten tot waren. Auf dem Bildschirm leuchtete die künstlich erzeugte Abbildung rot auf, um den Standort des noch arbeitenden Fusionsreaktors und die Umrisse des Zirkulationssystems auf dem Schiff anzuzeigen, das sich bis zum Mittelpunkt des Zylinders erstreckte. »Aber nur eine Hälfte des Schiffes wird auf diese Weise geheizt, wie Sie sehen können«, sagte Scotty. »Die andere Hälfte, in der keine der Anlagen mehr arbeitet, ist kalt. Wenn überhaupt noch Wärme in den hinteren Teil des Schiffes gelangt, dann nur das, was vom vorderen, beheizten Teil durchsickert.« Kirk nickte nachdenklich. Spock trat einen Schritt vor und sagte: »Offensichtlich hatten sich die Erbauer dieses Schiffs die Funktionsweise nicht so vorgestellt.«
»Oh, nein«, sagte Scotty. »Das Schiff wird von einer Reihe von Ionentriebwerken gesteuert. Sehen Sie diese vierundzwanzig Säulen, die längs durch den Zylinder verlaufen? Das sind die magnetischen Röhren. Je nach Steuerungsprogramm können sie in jeder Richtung verwendet werden. Genauso klug durchdacht ist, daß das Schiff die gleiche Anzahl von vierundzwanzig Schubleistungstriebwerken an jedem Ende besitzt. Sie können die Geschwindigkeit in einer Flugbahn erhöhen und herabsetzen, ohne daß das Schiff einen Rundflug über den Mittelpunkt machen muß.« Wieder grinste Scotty bewundernd. »Meiner Meinung nach sind zwei Fusionsaggregate nötig, um diese Maschinen zu betreiben und mindestens ein weiterer Reaktor, um Energie für die lebenserhaltenden Funktionen des Schiffes bereitzustellen. Das ist der Reaktor, der jetzt arbeitet. Die Antriebsanlagen sind ausgefallen, wahrscheinlich schon seit einiger Zeit, denn das ganze System ist kalt. Ich meine kalt, Captain. Dort ist kaum noch Restwärme feststellbar. Sie treiben offensichtlich seit langer Zeit im All herum. Legt man die wahrscheinlichste Menge an Wärmeabstrahlung zugrunde, so sind diese Maschinen schon über ein Jahrhundert abgestellt.« »Über ein Jahrhundert!!« Das war Chekov, der sich umdrehte und Scotty mit überraschtem Gesichtsausdruck anstarrte. »Ja«, nickte der Chefingenieur. Kirk erhob langsam eine Hand und unterbrach sie. »Ich schätze Ihr… äh, Interesse, Mr. Chekov, aber als Navigationsoffizier könnten Sie Ihre Talente besser unter Beweis stellen, indem Sie den Kurs des Schiffes zurückverfolgen und nach dem Planeten suchen, von dem sie stammen. Mit dem Wissen, daß sie seit mindestens hundert Jahren herumtreiben, sollte es Ihnen möglich sein, herauszufinden, wo sie sich befanden, als ihre Energie zu Ende
ging. Und wenn Sie die Spur von da aus zurückverfolgen, sollten Sie zu einigen Vermutungen gelangen.« »Die Sache ist nicht so einfach, Captain Kirk«, sagte Chekov mit seinem starken Akzent. »Je mehr Systeme sie seit ihrem Start besucht haben, um so schwieriger wird das Ganze – aber ich werde versuchen, es herauszufinden!« Hastig fügte er hinzu: »Wenn es möglich ist, es herauszufinden.« Kirk verbarg seine Belustigung, indem er sich zu Mr. Scott umdrehte. »Machen Sie weiter, Scotty.« »Also, wie Sie im Vergleich der Abbildung mit dem wirklichen Schiff sehen können, sind dem Grundzylinder viele Dinge hinzugefügt worden; dieser riesige Ring um das Mittelstück beispielsweise, der ihn wie ein Rad aussehen läßt. Das sieht verdächtig nach dem Ring eines Wasserstoffstrahltriebwerks aus. Und wenn es eines ist, dann verwendeten sie ihre Ionenantriebswerke nur, um Antriebsgeschwindigkeit zu erreichen und schalteten dann um. Aber wenn das der Ring für ein Strahltriebwerkssystem ist, was passierte dann mit dem System?« Kirk rieb sein Kinn, während er nachdachte. Er fand jedoch keine Antwort darauf. »Wie steht es mit Eingängen, Scotty?« »Hm, es gibt mehrere – aber Mr. Spock hat sich dazu Gedanken gemacht.« Kirk drehte sich in seinem Stuhl herum. »Mr. Spock?« Der Halbvulkanier und Wissenschaftsoffizier nickte seinem Captain zu. »Wenn sie sich erinnern, Captain, ich habe eine Hypothese über die Schwächen in der Weltanschauung der Bewohner und die Dogmen, die notwendig wären, um eine solche Weltanschauung zu stützen, aufgestellt. Außerdem darüber, welches Potential für mögliche Feindseligkeiten dadurch erzeugt wird. Ich schlage vor, daß wir unmittelbaren Kontakt mit wem oder was auch immer im vorderen Teil des Schiffes vielleicht noch am Leben ist, vermeiden, indem wir
durch das Heck eindringen. Das wird uns die Möglichkeit geben, uns ein Bild von der Lage zu verschaffen, bevor wir uns für ein bestimmtes Vorgehen entscheiden müssen.« »So etwas wie… zuerst bei den Nachbarn durch’s Fenster schauen, bevor man an eine Türe klopft?« »Wie bitte?« Spock sah verwirrt aus, ordnete die Bemerkung dann aber schnell als umgangssprachlichen Ausdruck ein. »Ich glaube, das ist es, was ich sagen wollte, Captain.« Kirk war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um sich über Spocks Verwirrung zu amüsieren; er sah sich nochmals die Abbildung auf dem Bildschirm genau an. Er bemerkte, daß er geistesabwesend auf dem Knöchel seiner rechten Hand herumbiß und zwang sich, seine Hand herunterzunehmen. Statt dessen begann er, auf der Armlehne herumzutrommeln. Das Problem war, sagte er zu sich selbst, bei jedem Schritt überlegt und vorsichtig vorzugehen – der ganze Verlauf erschien dadurch so mühsam und frustrierend. Sogar wenn Ereignisse in halsbrecherischer Geschwindigkeit abliefen, was fast immer der Fall war, machten gerade der ununterbrochene Entscheidungsprozeß – und die notwendigen Überlegungen dazu – diese Aufgabe zu einer Herausforderung. Aber es gab auch Zeiten – erschreckend kurze Momente – in denen nicht sofort eine klare Lösung für ein Problem zu finden war, jedenfalls nicht für ihn, aber schnell eine Entscheidung getroffen werden mußte. In solchen Momenten – wenn er zwar verschiedene Lösungen sah, aber nicht wußte, welche davon er bevorzugen sollte, – war er am meisten abhängig von der Klugheit und Erfahrung seiner Berater. Jetzt war einer dieser Momente gekommen. Nichts würde geschehen, bis er eine Entscheidung getroffen hatte und er, Captain James. T. Kirk vom Sternenschiff Enterprise, mußte einen Teil seiner Verantwortung an einen anderen abgeben.
Glücklicherweise war diese andere Person Commander Spock, dessen Auffassungen im allgemeinen außergewöhnlich waren; aber schon dieses kleinste bißchen Machtverlust reichte aus, um Kirk zu zermürben. Er bemerkte plötzlich, daß jeder auf der Brücke darauf wartete, daß er etwas sagte. Er sah sich aufmerksam um und meinte dann: »Ja, ich stimme Ihnen zu. Lassen Sie uns also mit dem nächsten Schritt in dieser Richtung weitermachen. Schicken Sie eine Mannschaft runter, Mr. Scott.« »Aye, Captain – wir werden sie auf dem Heck absetzen. Und die ersten beiden werde ich mit einer Raumfähre hinschicken, um die TCP* -Einheit an dieser Stelle zu verankern. Wenn ich zuerst eine Koordinations-Plattform nach unten bringe, wird es keine Transporterprobleme geben.« »Richtig.« Kirk nickte und ging zu seinem eigenen Platz auf der Brücke zurück, um sowohl die Vorbereitung der Raumfähre als auch der Koordinations-Plattform anzuordnen. Die Raumfähre erreichte langsam das riesige Schiff; ein weiteres Beispiel für Kirks überlegtes und vorsichtiges Vorgehen. Fähnrich Kelly saß am Steuer; Praktikant N’Komo war ihr Copilot. Kirk befand sich immer noch auf der Brücke der Enterprise und beobachtete alles von seinem Kommandound Kontrollsessel aus. Das Rendezvousmanöver selbst war eine einfache Aufgabe; Kirk hatte seine beiden rangniedrigen Offiziere damit beauftragt, um zu sehen, wie gut sie der Verantwortung gewachsen waren. Er nickte anerkennend, als Fähnrich Kelly die Raumfähre in eine Position direkt hinter dem Schiff auf dieselbe Rotationsachse brachte und eine Drehbewegung einleitete, die genau mit der Umlaufbewegung *
TCP = Transporter Coordinating Platform = Transporter-KoordinationsPlattform
des größeren Schiffes übereinstimmte. Der große Zylinder mit seinem Rad, das wie ein Gürtel um ihn lag, und die winzige Raumfähre wirbelten gemeinsam im Kreis, als ob sie um eine riesige Spindel gewickelt wären, aber sie waren nicht verbunden. Tatsächlich war es wohl das reinste Nichts, das in diesem oder einem anderen Universum vorhanden war. »Aye«, sagte Scotty, »die hat ein gutes Auge dafür.« Er wandte sich wieder seinem Steuerpult zu. »Lassen Sie die Sonde runter.« Eine kleine Luke öffnete sich am Bug der Fähre. Ein Gerät, das wie eine Spinne aussah, glitt heraus und zog eine silberne Leine hinter sich her. Es bewegte sich ständig vorwärts, auf das Heck des riesigen Schiffes zu, geradewegs in das Zentrum seiner Rotation, der Südpolachse, hinein. Die Sonde berührte das Heck, schien einen Augenblick lang zu zögern und verankerte sich dann selbst. Das Ende der Leine blieb an dem riesigen Schiff befestigt, die Spinne aber begann, zur Raumfähre zurückzuklettern. »Aye, gut…« atmete Scotty erleichtert auf. Er drehte sich zu Kirk um. »Der Kontakttrupp hat sich bereits zur Raumfähre hinübergebeamt, Captain.« Kirk nickte bestätigend. »Sie können weitermachen, Scotty.« Einige Augenblicke später begann sich die Spinne wieder der Leine entlang auf das fremde Schiff zuzubewegen. Diesmal waren zwei Gestalten in Raumanzügen und eine TCP-Einheit an ihr verankert: Mannschaftsmitglied Zweiter Klasse Micah Omara und Mannschaftsmitglied Erster Klasse Ussef Stokely. Die TCP-Einheit hieß George. Die Männer blieben an der Fangleine verankert, als sie die Außenwand des fremden Schiffes berührten. Sie sicherten sofort die TCP-Einheit und aktivierten sie. Auf der Brücke bemerkte Scotty eine Reihe von grünen Lichtern, die
Betriebsbereitschaft anzeigten, und wandte sich zu Kirk um. »Wir haben jetzt den Transporter bekommen, Captain.« »Gut. Der Rest des Forschungsteams soll sich umziehen und bereitmachen.« Er berührte den Kommunikationsknopf auf seiner Armlehne. »Mr. Stokely, Mr. Omara, das war gute Arbeit. Sie können mit der vorläufigen Untersuchung der Schiffsaußenwand beginnen.« »Aye, aye, Sir.« Dann schalteten beide ihre Helmkameras an und gefestigten ihre Halteleinen an der Verankerung; dann machten sie ihre Sicherheitsschlingen von der Verankerung los. Da sich die Verankerung im Rotationszentrum befand, waren sie hier schwerelos; »unten« konnte jede Richtung vom Zentrum aus sein. Und je weiter man sich fortbewegte, um so mehr wurde es »unten«. Stokely und Omara waren zwei menschliche Fliegen auf einem Metallteller in einer rotierenden Nacht; während sie sich aus dem Zentrum herausarbeiteten, verstärkte sich allmählich der Eindruck, daß sie sich an einer riesigen Wand befanden. Sie waren wie zwei Bergsteiger, die sich einen immer steiler werdenden Hang hinunterarbeiteten – während die Empfindung der Schwerkraft mit jedem Schritt zunahm. »Schau nicht runter«, warnte Stokely. »Das ist schwankender Boden unter den Füßen.« Sie arbeiteten sich zu einer der eingedämmten Kuppeln vor, die Scotty als Fusionsanlagen identifiziert hatte. Sie waren in einem gleichseitigen Dreieck um das Schiffsheck angeordnet. Direkt »unter« ihnen schimmerten Lichter auf der Transporter-Koordinations-Plattform, und zwei weitere Gestalten in Raumanzügen tauchten auf, die sofort nach dem Geländer der Plattform griffen, nachdem sie sich materialisiert hatten. Sie verankerten ihre Halteleinen, wie Stokely und Omara es getan hatten und begangen, sich nach außen und unten zu einer der anderen Fusionskuppeln vorzuarbeiten.
Zwei weitere Gestalten fingen fast unmittelbar darauf an, sich zu materialisieren. Auf der Brücke der Enterprise wurden die Bilder, die von den einzelnen Helmkameras aufgenommen wurden, nun von zusätzlichen Bildschirmen übertragen. Die metallische Oberfläche des fremdartigen Schiffes leuchtete nur unter dem Licht der verschiedenen Sondenstrahler und der Enterprise auf. Mr. Spock sah plötzlich von seiner Wissenschaftsstation hoch. »Captain?« Kirk sah zu ihm hinüber. »Spock?« »Das zweite Team hat Mikrofone an der Außenwand des Schiffes angebracht. Ich glaube, Sie sollten sich das anhören.« Er berührte einen Knopf auf seinem Schaltpult und die Geräusche wurden auf der gesamten Brücke verstärkt, Geräusche von Maschinen und andere Töne vermischten sich miteinander: ein mechanisches Surren herrschte vor, etwas Hohes und Winselndes überlagert vom weichen Säuseln von Luft, die in Bewegung war, und einem Geräusch wie von einem Wasserfall. Und ein anderes, leiseres Geräusch, ein tiefes Poltern und etwas Gurgelndes, und etwas, das wie das Tuckern eines altmodischen Motors klang und sehr weit weg, sehr schwach und entfernt, ein Klang wie… Stimmen? Ein entfernter chaotischer Chor. »Es sieht so aus, als ob doch jemand zu Hause ist…« Kirk drehte sich herum, um Uhura anzusehen. »Leutnant Uhura, gibt es schon etwas?« Sie schüttelte ihren Kopf, während sie mit einer Hand das Feinbergergerät in ihrem Ohr berührte. »Tut mir leid, Captain. Immer noch keine Antwort. Ich versuche es weiter.« »Captain – « Das war Scotty. »Wir haben etwas auf der Außenwand gefunden – « Das wacklige Bild auf dem vorderen Bildschirm – es wurde von einer Helmkamera übertragen – zeigte einen tiefen Kreis
auf der Außenwand des Schiffes. Eine Türöffnung. Das Bild schwoll an, als der unsichtbare Träger sein Gesicht so dicht wie möglich an das Glas brachte. Eine gedruckte Zeile auf dem unteren Rand des Bildschirms identifizierte den Träger als Mannschaftsmitglied Stokely. Er leuchtete mit seinem Strahler direkt in die Türöffnung hinein, richtete ihn hierhin und dorthin und versuchte, Einzelheiten auf der anderen Seite der Scheibe zu erkennen. Der Lichtstrahl verschwand in der Dunkelheit – – dann, unerwartet und erschreckend, war da plötzlich etwas am Fenster und starrte sie an. Ein Gesicht, grotesk verzerrt durch die Glasscheibe – mit dem Kopf nach unten und einem fast unbeschreiblichen Gesichtsausdruck – die Augen waren aufgerissen vor Erstaunen oder Entsetzen und rollten hin und her, um von einer der Gestalten im Raumanzug zur anderen zu starren; der Mund war vor Schrecken geöffnet – und die Haut des Wesens war dunkel, faltig und mit verfilzten Haar besetzt. Dann, fast genauso plötzlich, war das Gesicht verschwunden, und sie starrten auf eine leere Türöffnung. Auf der Brücke der Enterprise hatte sich Kirk halb aus seinem Stuhl erhoben; jetzt setzte er sich wieder zurück. »Scotty«, sagte er ruhig, »beamen Sie einen Schneidelaser und eine transportable Schleusenkammer hinüber. Wir gehen hinein. Leutnant Uhura, spielen Sie das Band nochmals ab.« Noch einmal füllte die Türöffnung den Bildschirm aus. Noch einmal erschien das Angst einjagende Gesicht darauf. »Da, frieren Sie es ein«, befahl Kirk. »Nun drehen Sie das Bild, bis das Gesicht von der richtigen Seite her zu sehen ist.« Auf dem riesigen vorderen Bildschirm war das rätselhafte Gesicht mit einem Ausdruck von Bestürzung und Erschrecken eingefroren – aber in diesem Gesichtsausdruck spiegelte sich der der Männer und Frauen auf der Brücke der Enterprise. Die
Bewohner des fremden Schiffes waren Menschen – es war nicht zu leugnen und unglaublich – Menschen!
6
Eine transportable Schleusenkammer ist beim Anbordgehen eines unbekannten Schiffes vorgeschrieben, wenn die Verwendung eines Transporters aus dem einen oder anderen Grund nicht ratsam erscheint. Ohne eine direkte Einladung an Bord eines Schiffes zu gehen, gilt als Verstoß gegen die Weltraumetikette. In den Fällen aber, wenn einem Captain der Sternenflotte nichts anderes übrigbleibt, als diesen Schritt zu unternehmen, ist es ein noch größerer Verstoß gegen die Etikette, die Integrität des anderen Schiffes dadurch zu verletzen, indem man seine Außenwand beim Anbordgehen zum offenen All hin aufbricht. Tatsächlich ist ein solches Vorgehen von einigen Kulturen sogar als feindseliger Akt betrachtet worden und daher nicht besonders empfehlenswert. In solchen Situationen ist die transportable Schleusenkammer daher die geeignetste Lösung. Die Einheit selbst ist ein großer, aufblasbarer Plastiksack mit einer weiten Öffnung an dem einen Ende und einer luftdichten Tür am anderen Ende. Die Öffnung der Pseudoblase wird rasch an der Außenwand des Schiffes versiegelt. Wenn die Außenwand vom Inneren des Sacks aus eröffnet wird, füllt die Atmosphäre aus dem Schiffsinneren die transportable Schleusenkammer aus. Das führt natürlich zu einem geringen Druckabfall innerhalb des aufgebrochenen Schiffes, aber das ist immer noch besser, als die Luft ins Vakuum ausströmen zu lassen. Je größer das Schiff ist, um so weniger macht sich der Druckabfall bemerkbar; tatsächlich ist bei allem, was größer als eine Vergnügungsyacht ist, die Gesamtveränderung des Drucks vernachlässigbar.
Die transportable Schleusenkammer verschafft unmittelbaren Zugang zur Atmosphäre des aufgebrochenen Schiffes. Wenn die Gaszusammensetzung, Spurenelemente, Temperatur, Ionisierung, Feuchtigkeit und Luftdruck bestimmt – und angeglichen – sind, kann ein direkter Zugangsschlauch angeschlossen werden. In der Zwischenzeit muß nach dem Füllen der Schleusenkammer mit Luft als dringendste Maßnahme eine luftdichte Tür in das Loch eingebaut werden, das zuvor in die Außenwand des Schiffes geschnitten worden ist; eine weitere Sicherheitsmaßnahme, die sowohl der gesunde Menschenverstand als auch die Sicherheitsvorschriften der Sternenflotte bei Erstkontakt vorschreiben. Wenn das alles durchgeführt ist, kann die Schleusenkammer endlich ihren Zweck erfüllen, und einzelne Personen können durch die Außentür in die Luftblase hineingehen und von dort aus das Schiff selbst betreten. Nach den Vorschriften der Sternenflotte mußte bei diesem speziellen Kontaktverfahren zuerst der Zugangsschlauch angeschlossen werden, bevor das Schiff betreten werden durfte. Kirk war fast zu ungeduldig, um den Anschluß des Schlauchs von der Raumfähre an die transportable Schleusenkammer abzuwarten. Wenn sie angeschlossen war, konnte sich der Rest des Kontakttrupps direkt zur Raumfähre hinüberbeamen und dann den Zugangsschlauch benutzen und direkt in das fremde Wrack (?) hineingehen, ohne daß sie sich dazu vorher umziehen mußten. Aber das Gesicht am Fenster – das ließ ihn zögern. Fliegendreck. Das war zweifellos ein Beispiel für einen »FliegendreckVorfall«: In der Sternenflottenakademie werden neue Rekruten auf der Lunarstation beauftragt, einen Raumanzug anzulegen und mit einem Geländewagen fünfzig Kilometer südlich zur Feuchtigkeitsgewinnungsanlage zu fahren und anschließend
zurückzukehren. Dem Anschein nach wird dabei getestet, ob der Kadett fähig ist, einen persönlichen Auftrag sicher auszuführen. In Wirklichkeit wird seine Fähigkeit getestet, mit dem Unerwarteten fertig zu werden. Wenn der Rekrut den immer im Schatten liegenden Gernsback-Krater erreicht und sich auf der inneren Böschung bergabwärts bewegt, wird er schnell die Bildung von etwas, das ihm wie eine Ansammlung von Fliegendreck erscheint, auf dem Gesichtsschild seines Helms bemerken. Die meisten Kadetten bemerken die Flecken auf ihren Helmen erst, nachdem sie zwei- oder dreimal versucht haben, sie abzuwischen; dann fangen sie an, sich zu wundern. »Fliegendreck?!! Auf dem Mond?!!« Natürlich ist die Antwort klar. Die Räder des Geländewagens werfen winzige Körnchen von Mondstaub auf, die im Niederschlag der Feuchtigkeitsanlage Klumpen gebildet haben. Aber natürlich wird jemand, der die besonderen und eigenartigen Bedingungen nicht versteht, unter denen es in einer Mondlandschaft zur »Ausfällung« kommen kann, nicht in der Lage sein zu begreifen, was es mit dem Fliegendreck auf dem Gesichtsschild seines Helms auf sich hat. Er wird vergeblich versuchen, ihn zu säubern. In dieser Situation gibt es mehrere Möglichkeiten, wie ein Kadett reagieren kann: Er kann zur Basis zurückkehren. Er kann die Fahrt zur Feuchtigkeitsanlage fortsetzen und die unaufhörliche Bildung von Fliegendreck ignorieren. Oder er kann anhalten und Bericht erstatten. Letzteres wird verächtlich als »Hilferuf« bezeichnet. Kadett James T. Kirk hatte einfach den Geländewagen angehalten, war ausgestiegen, hatte sich kurz die Räder angeschaut, war zur Rückseite des Geländewagens gegangen, hatte zwei Platten aus biegsamem Kunststoff und eine Heftklammerpistole herausgenommen und behelfsmäßige Kotflügel auf die Räder des Geländewagens markiert. Bevor er wieder einstieg, war er nochmals um den
Wagen herumgegangen und hatte ihn betrachtet. Befriedigt darüber, daß er nichts übersehen hatte, war er wieder hineingeklettert und hatte seinen Weg zur Station fortgesetztnur ein bißchen langsamer als vorher. Die Ausbilder, die die Kadetten beurteilten und ihn durch das hochleistungsfähige Teleskop der Feuchtigkeitsanlage beobachtet hatten, gaben ihm eine hohe Punktzahl für Verständnis und Anpassungsfähigkeit in unbekannten Situationen. Niemand, der bei diesem Test durchfällt, wird jemals zum Kommandanten eines Sternenschiffes ernannt werden. Für diese Leute gibt es andere Positionen in der Sternenflotte; die Ernennung zum Kapitän eines Schiffes der Sternenflotte gebührt nur den Männern, die unbekannten und unerwarteten Situationen gewachsen sind. Die Männer, die den Test bestanden haben, müssen Verschwiegenheit schwören; der »Fliegendreck-Vorfall« ist ein vertrauter Begriff unter den Angehörigen der Führungsschicht und bezieht sich auf das unerwartete Ereignis, das nicht mit dem Verstand vorausgesagt werden kann und alle vorherigen Hypothesen über ein Problem völlig über den Haufen wirft. »Insektendreck-VorfallEreignis« verlangt eine sofortige Neueinschätzung der möglichen Vorgangsweisen, einschließlich der Möglichkeit, daß man es mit einer Unterbrechung des rationalen Denkvermögens zu tun haben könnte. Der »FliegendreckVorfall« wird bisweilen auch »eine Überraschung« genannt. Unvernünftigerweise jagte ein bestimmter Gedanke in Kirks Kopf herum. Was auch immer von diesem Augenblick an geschah, welche Erklärung es für die Existenz dieses Wracks gab, dieser einzigartige Moment – das Gesicht am Fenster – würde einer von den Augenblicken sein, über die am meisten geschrieben werden würde; nicht nur in den Geschichtsbüchern für das Laienpublikum, sondern auch und gerade in den Lehrbüchern für Kadetten an der Akademie. Wie
er und die Besatzung der Enterprise in den nächsten Stunden und Tagen vorgingen und welche Entscheidungen sie trafen, würden unzählige Generationen von Raumfahrtstudenten genau untersuchen. Das war eine belastende Erkenntnis. Nichts läßt eine Entscheidung so ungeheuerlich erscheinen wie die Geschichte, die einem dabei über die Schulter schaut. Logischerweise wollte er die Situation in Ruhe überdenken – aber logischerweise wußte er schon, daß es keine logische Einschätzung gab. Während seiner langen Zusammenarbeit mit Mr. Spock hatte er etwas über Logik und ihre Beziehung zu Entscheidungen gelernt. Dies war eine der Situationen, in der die schlechteste Vorgangsweise sein könnte, zu lange zu zögern. Was für intelligente Wesen sich auch immer auf diesem Schiff befanden, sie konnten es nicht wagen, ihnen Zeit zu geben, eine feindliche Reaktion vorzubereiten. Andererseits konnte ein unüberlegtes Stürmen des Schiffes auch Feindseligkeit bei seinen Bewohnern hervorrufen. Aber dritterseits (wie Leutnant Arex sagen würde)… war die transportable Schleusenkammer schon angebracht und mit Luft gefüllt, und der Zugangsschlauch wurde gerade an dem dafür vorgesehenen Platz versiegelt. Tatsächlich hatte er seine Entscheidung schon getroffen. James T. Kirk hatte den Ruf, dort vorzustürmen, wo die Andorianer sich fürchten, ihren Fuß aufzusetzen, und daß diese Schwäche ihn wahrscheinlich eines Tages umbringen würde – aber als er zum Transporter-Raum voranging, erinnerte er sich selbst: »Ich werde keines meiner Besatzungsmitglieder irgendwohin schicken, wohin ich nicht selbst gehen würde.« Das war seine übliche Rechtfertigung dafür, sich in jeder neuen Situation aktiv an vorderster Front zu beteiligen, und manchmal nahm er sogar die Aufgaben des Kontakttrupps vorweg.
Sobald die transportable Schleusenkammer in Betrieb war, wurde eine Flaschenprobe mit Luft aus dem fremden Schiff zur Raumfähre zurückgebracht, um zur Analyse in die Enterprise gebeamt zu werden. Bis der Zugangsschlauch an der Schleusenkammer versiegelt war, würde die genaue Zusammensetzung der Gase und Spurenelemente bekannt sein. Da mit Feindseligkeiten zu rechnen war, war es unbedingt erforderlich, einen schnellen Fluchtweg durch den Zugangsschlauch vorzubereiten. In einem Notfall wird ein Zugangsschlauch direkt an einer Luke des beschädigten Schiffes angebracht oder, wenn keine Luke zur Verfügung steht, an einer »Türschachtmarkierung« auf der Außenwand, wo es möglich ist, einen Notfallausgang herauszuschneiden. Aber das hier war kein Notfall. Für eine Situation wie diese gab es besondere Verfahren, die entwickelt worden waren, um dem Captain eines Sternenschiffes flexibles Handeln zu ermöglichen. Der Zugangsschlauch war ein durchsichtiger Kunststoffschlauch, groß genug für ein durchschnittliches, empfindungsfähiges Wesen, um hindurchzugehen; er war mit einer Glasfaserspirale gerippt, um ihm Festigkeit und Formbeständigkeit unter wechselnden Druckbedingungen zu geben. Er führte vom Bug der wirbelnden Raumfähre zu einem Punkt fast viereinhalb Kilometer von der Rotationsachse entfernt. Das Schiff selbst hatte einen Durchmesser von fast zehn Kilometern und eine Länge von vierundzwanzig Kilometern. Die Speichen des Rades, die um sein Mittelstück angebracht waren, erstreckten sich zehn weitere Kilometer vom Schiffsrumpf nach außen. Und wenn Scottys Vermutung richtig war, so war das alles nur der Überrest eines größeren Gebildes. Interessanterweise hatte Spock berechnet, daß die Simulation der inneren Schwerkraft, die durch die Wirkung der Zentrifugalkraft entstand, von einem Individuum, das auf der
Innenseite des wirbelnden Rumpfes stand, mit einem Wert von annähernd 1,75G empfunden werden würde. Eine Schwerkraft, wie sie auf der Erde herrschte, würde man etwas näher am Rotationszentrum des Schiffes vorfinden. An der Stelle, an der sie den Zugangsschlauch angeschlossen hatten, betrug der Wert der Schwerkraft 1,33G. Der Zugangsschlauch war in einem Winkel von 45 Grad am Schiff angebracht, so daß sein Ansatzstück als Treppe diente. Kirk ging als erster durch den Zugangsschlauch, dicht gefolgt von Spock. Sie zogen sich rasch am Geländer entlang, bis die Empfindung der Schwerkraft stark genug wurde, um die Treppen »hinunterzuhüpfen«, wobei sie zwei oder drei auf einmal nahmen; schließlich zwang die ständig zunehmende Anziehungskraft sie aber, langsamer zu werden und in einem vorsichtigeren Tempo weiterzugehen. Das Gefährliche daran, in einem Zugangsschlauch, zu stürzen, ist, daß die Anziehungskraft auf einen fallenden Körper zunimmt und ihn immer schneller werden läßt. Durch einen unvorsichtigen Schritt sind schon Leute ums Leben gekommen; aus diesem Grund gab es alle zehn Meter Sicherheitsnetze. Unten führten die drei Mitglieder des Installationstrupps – die sich immer noch in der versiegelten Raumfähre befanden – ihre letzten Sicherheitskontrollen an der neuen Luke durch. Hinter ihnen, im Vordeck des Zugangsschlauches, bereiteten Stokely und Omara die Kontakttruppausrüstung für sich selbst und die beiden hochrangigen Offiziere vor, die ausgewählt worden waren, sie zu begleiten. Als Kirk und Spock vorsichtig aus dem Treppenschacht des Zugangsschlauchs in das Vordeck stiegen – sie akklimatisierten sich gerade an die um ein Drittel höhere Schwerkraft – ging Stokely auf sie zu und händigte jedem von ihnen einen Phaser und einen Kommunikator aus; Spock gab er einen wissenschaftlichen Tricorder, der bereits genau einjustiert war.
Kirk nickte und wandte sich dem Installationstrupp zu, der noch in der Schleusenkammer arbeitete. »Wie lange dauert es noch, bis wir es öffnen können?« funkte er hinüber. Durch die transparente Wand konnte er die Kadettin mit dem Prüftricorder sehen. Sie schüttelte ihren Kopf. Kirk erkannte die Frau nicht; sie mußte eine der neuen Praktikantinnen sein. Sie funkte zurück: »Wir warten auf die Analysen, um die Atmosphäre anzugleichen.« Aber noch während sie redete, piepste ihr Kommunikator; es war das Analysenlabor. »Sind Sie sicher, daß diese Atmosphärenprobe aus diesem Schiff stammt?« »Ich habe sie selbst entnommen. Warum?« »Weil es Luft ist.« »Luft?« »Richtig. Sauerstoff, Stickstoff und Spurenelemente.« Die Kadettin sah verwirrt aus. Kirk und Spock wechselten einen Blick. Kirk dachte, daß er eigentlich überrascht sein müßte, aber er war es nicht. Nicht nach diesem Gesicht am Fenster. Irgendwie… schien diese auffallend kleine Überraschung genau richtig zu sein. Das Analysenlabor sagte gerade: »Oh, es gibt einige kleine Unterschiede zwischen ihr und der normalen Erdatmosphäre; der Druck ist ein bißchen niedriger, eine geringfügig andere Zusammensetzung der Spurenelemente und so weiter; aber die Gesamtzusammensetzung ist sehr wohl innerhalb der Grenzwerte und erreicht fast das Optimum der Justman-Kurve – und die verbleibende Differenz könnte leicht eine Folge spezifischer, lebenserhaltender Anpassung sein – aber Sie können die Luft unbesorgt einatmen. Es ist nur zu beachten, daß sie eine geringfügig höhere Konzentration an CO2 enthält, so daß ich vorschlagen würde, zusätzliche Sauerstoffflaschen zusammen mit Energie-Rationen mitzunehmen; Sie werden da drin schneller ermüden – besonders bei diesem Wert von
1,33G. Aber abgesehen davon gibt es keinen Grund dagegen, die Tür einfach zu öffnen und reinzugehen.« Kirk und Spock sahen sich noch einmal an. Kirk sah sich in der Kammer um, der transportablen Schleusenkammer mit ihrer neuinstallierten Luke am einen Ende und der Luke zum Treppenschacht am anderen Ende, so daß sie auch als Notfallschleusenkammer dienen konnte. Er sah durch die Wände auf den Zugangsschlauch selbst, die entfernte Raumfähre, die Transporter-Koordinations-Plattform hoch an der Wand über ihnen – all die sorgfältigen Vorkehrungen, die sie getroffen hatten, um die Unversehrtheit der Atmosphäre an Bord des Schiffes zu erhalten – und sie grinsten sich an. Manchmal sind alle diese Vorkehrungen im Weltall – oh, nur nicht darüber nachdenken. »Öffnen«, befahl er.
7
Sie betraten die Schleusenkammer und öffneten die Luke durch einen Druck auf die Schalttafel. Drei grüne Lampen leuchteten Betriebsbereitschaft signalisierend auf, und die drei ineinander übergehenden Sicherheitstüren öffneten sich geräuschlos. Der Raum vor ihnen lag im Dunkeln. Ein leicht modriger Geruch wehte aus der Öffnung herüber. Omara bewegte sich vorsichtig mit einer Weitwinkelleuchte darauf zu; er neigte sich nach vorn und suchte die Dunkelheit ab. Sie konnten einen Raum erkennen, der nicht größer war als die Schleusenkammer, in der sie standen. An den Wänden war nichts Besonderes zu erkennen. An der gegenüberliegenden Wand gab es eine Tür. Kirk runzelte nachdenklich die Stirn. »Sehen Sie sich die Dicke der Außenwand an, Spock.« »Offensichtlich kannten die Konstrukteure noch keine Schutzschilde für Metall, das unter einer starken Beanspruchung steht; was bedeuten würde, daß sie auch keine Kenntnisse über die Abschirmung von Spannungsfeldern besaßen. Aber das war zu vermuten. Wenn sie Kenntnisse der Spannungsfeldphysik hätten, müßten sie auch einen Hyperlichtgeschwindigkeitsantrieb besitzen.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Dieser Schiffsrumpf bildet wahrscheinlich nur eine äußere Schale. Ich wäre nicht überrascht, noch mindestens eine oder sogar mehrere innere Schalen zu finden.« Kirk bestätigte die Bemerkung mit einem Nicken. Er hatte genau das gleiche gedacht. Die Konstruktion dieses Schiffes erwies sich als ausgeklügeltes System von Feinheiten auf einer ursprünglich primitiven Konstruktion. Stokely schnüffelte. »Die Luft riecht verbraucht… muffig.«
»Es ist sicher genug, Männer.« Kirk schritt durch die offene Luke und schaltete dabei seine eigene Handstrahlerleuchte ein. Der Raum war unauffällig und grau. Spock ging geduckt durch die Luke und tastete die Umgebung mit seinem Tricorder ab, gefolgt von Stokely und Omara; sie hatten schon ihre Raumanzüge abgelegt. Stokely war groß und stattlich, Omara klein und dunkelhäutig. Trotz ihres unterschiedlichen Aussehens waren sie einer der besten Kontakttrupps der Sternenflotte. Nun bewiesen sie es. Während Omara schnell im Raum die Runde machte und ihn fachmännisch abtastete, bewegte sich Stokely auf die Tür in der gegenüberliegenden Wand zu. Es gab dort keinen elektronischen Schalter, um sie zu öffnen. Sie hing in einer Metallschiene und war mit einem mechanischen Riegel eingeklinkt. Stokely griff nach dem Schloß und drehte es im Uhrzeigersinn; es gab einen kurzen Widerstand, dann öffnete es sich klickend. Stokely hielt an und starrte dann auf das Schloß, während er über die Bedeutung dessen, was er gerade getan hatte, nachdachte. Er hatte die Tür geöffnet. Ein bißchen zu leicht. Das Schloß hatte sich genau in der richtigen Höhe befunden und sich im Uhrzeigersinn geöffnet, so wie die meisten von Menschen entworfenen Schlösser. Er hatte so sicher gewußt, wie es zu öffnen war, als ob er mit Türen der gleichen Bauweise aufgewachsen wäre. Er sah etwas verblüfft aus, als ihm das klarwurde. Kirk und Spock warfen sich einen Blick zu. Alles paßte zusammen. Kirk begann etwas Bestimmtes zu vermuten… »Machen Sie weiter«, sagte er und schnallte seinen Phaser ab. »Öffnen Sie die Tür.« Die Tür blieb einen Moment lang hängen und quietschte dann protestierend, als Stokely sie aufstieß. Omara ging dicht hinter ihm, um den Raum dahinter auszuleuchten.
Der zweite Raum war größer als der erste, aber genauso unauffällig und grau. Am gegenüberliegenden Ende gab es eine weitere Gleittüre, aber diese stand offen. Der Raum dahinter lag in der Dunkelheit verborgen. Vorsichtig bewegten sie sich darauf zu, während Spock seinen Tricorder wie einen Schutzschild vor sich hielt. Stokely schnallte seine eigenen Strahlleuchte ab, und nun erforschten drei Lichtquellen die Dunkelheit. Kirk erhob eine Hand und gebot Schweigen. »Hört mal…« Sie zögerten. Omara fragte: »Wasser…?« Tatsächlich war der Boden hier feucht und vom Korridor her kam unaufhörlich das Geräusch fallender Wassertropfen. Plötzlich eine Bewegung in der Dunkelheit – Sie wirbelten mit schußbereiten Phasern herum – »Nicht schießen!« Es war ein runder, farbiger Ballon, der einen Meter über dem Boden schwebte. Ein leuchtendroter Ballon?!! Stokely und Omara wechselten einen Blick. »Feiert da jemand eine Geburtstagsparty?« . »Wohl kaum«, sagte Kirk. Alle sahen ihn mit plötzlichem Interesse neugierig an, sogar Spock. »Sie wissen, was das ist?« »Es ist ein Treibballon. So nennt man sie – oder manchmal auch Landstreicher, Vagabunden oder Luftstromer. Es sind heliumgefüllte Blasen. In den Anfängen der Raumfahrt wurden sie auf allen Raumschiffen verwendet. Heutzutage gibt es sie nur noch auf bestimmten Ausbildungsschiffen der Akademie und auf historischen Schiffen. Sie wurden benutzt, um langsam entstehende Lecks zu entdecken. Wenn ein Schiff in irgendeinem Bereich anfängt, Luft druck zu verlieren – langsamer, als es von gewöhnlichen Meßgeräten festgestellt werden kann – wird sich das auf die innere Luftströmung
auswirken; die Landstreicher bewegen sich zu den Lecks hin. Sie suchen die Stelle und sammeln sich dort an. Das nennt man einen Landstreicherdschungel; genau da befindet sich das Leck.« Spock machte einen Schritt nach vorne und fing den Treibball mit einer Hand ein. Er untersuchte ihn sorgfältig und ließ ihn dann ohne eine weitere Bemerkung wieder los. Er hing fast bewegungslos in der Luft und drehte sich nur langsam um sich selbst. Die Atmosphäre dieses Schiffes bewegte sich entgegengesetzt zur Drehbewegung und der Treibballon spiegelte diese Bewegung wider. Omara schritt durch die Tür und drehte sich schnell im Kreis, um mit seinem Handstrahler alle Richtungen abzuleuchten. Stokely deckte ihn mit seinem Phaser; Kirk und Spock folgten ihnen. Sie befanden sich in einem weiten Korridor, der wegen der Kondensation feucht war. Wasser tropfte von den Wänden und bildete Pfützen auf dem Boden. Der Korridor war unbeleuchtet. Ihre Handstrahler konnten die Dunkelheit nur ein kurzes Stück durchdringen. In der Ferne verschwand der Gang in einer Krümmung nach oben in der Finsternis. Da waren schwache Geräusche. – Schwingungen, die durch die Außenwand des Schiffes weitergeleitet wurden. Die Geräusche deuteten auf Maschinen und Stimmen hin; aber sogar mit Spocks Tricorder, der mit einem Verstärker und einer Echtzeitlogistik ausgerüstet war, konnten sie nicht eindeutig feststellen, woher die Geräusche kamen. Vielleicht waren die Computer der Enterprise in der Lage, einen Sinn in diesem Lärm zu erkennen. Kirk richtete seine Handleuchte in die Richtung und anschließend in die Gegenrichtung zur Drehbewegung. Hier und da sahen sie einige ausgebleichte, graue Treibballons im Tunnel hängen. Dünne Wasserrinnsale flossen in Gegenrichtung zur Drehbewegung an ihren Stiefeln vorbei.
In der Mitte des Korridors verliefen vier Metallschienen. Spock bückte sich, um sie genauer zu untersuchen. »Wahrscheinlich für den Transport schwerer Maschinen.« Er richtete sich wieder auf, und sah auf seinen Tricorder. »Captain, irgendwo auf diesem Korridor bewegen sich Wärmequellen.« Kirk nahm die Information ausdruckslos zur Kenntnis. »Phaser auf Betäubung stellen«, ordnete er an. Sein Funkgerät piepte. Er verlagerte sein Gewicht, um die Handleuchte wieder an seiner linken Hüfte festzuschnallen, dann nahm er den Phaser in die linke Hand und schnallte seinen Kommunikator von seiner rechten Hüfte ab. Er wechselte Kommunikator und Phaser in seinen Händen, holte Luft und ließ das Gerät aufschnappen. »Hier Kirk.« »Captain – «. Es war Uhura. Sie berichtete knapp: »Langstreckensensoren orten ein Geisterschiff; es scheint ein Kriegsschiff der Klingonen zu sein, möglicherweise ein Kreuzer der Drachenklasse. Es ist ein sehr schwacher Schatten, nicht einmal eine zuverlässige Aufzeichnung; wir lassen gerade eine ‘Wahrscheinlichkeitsabtastung anfertigen.« »Auf welchem Kurs befindet es sich?« Uhuras Antwort löste sofort Beunruhigung aus. »Es sieht so aus, als ob es absichtlich im Grenzbereich der Reichweite unserer Sensoren bleibt.« »Nahe genug für uns, um es zu sehen, aber zu weit entfernt, um es klar erkennen zu können…«, sagte Kirk zu sich selbst. »Das ist ein alter Trick – «. Er machte seinem Ärger Luft, beugte sich aber schon der Entscheidung, die er zu treffen hatte. Er sprach in den Kommunikator: »Danke, Leutnant. Sagen Sie Leutnant Riley, daß er sich im Transportraum melden und zum Kontakttrupp stoßen soll. Und Mannschaftsmitglied Garcia ebenfalls.« Er drückte auf einen
Knopf auf seinem Kommunikator. »Transporter-Raum, zwei Mann an Bord beamen.« »Sir…?« Der Transporter-Fähnrich sagte zögernd, fast verlegen: »Könnten Sie durch den Zugangsschlauch hinaufsteigen und sich von der Raumfähre aus herüberbeamen lassen? Wir haben hier Schwierigkeiten mit unserem Monitronbrennpunkt – wegen der Außenwand – und wir können nichts hochbeamen, bevor wir ihn nicht neu kalibriert haben. Und sogar dann werden wir einen Koordinationsmodulator oder einen Brennpunktkommunikator benötigen, wenn wir etwas an Bord dieses Schiffes transportieren wollen.« Kirk wollte etwas sagen, aber dann sah er in Spocks unbewegtes Gesicht und sagte lieber nichts. »Bleiben Sie in Bereitschaft, Transporter-Raum. Mr. Spock?« Er schritt durch die Tür, stieg durch die offene Luke und murmelte etwas vor sich hin. Spock folgte ihm pflichtgemäß. Stokely sah Omara an. »Was hat er gesagt?« »Etwas über zwei Burschen mit Namen Murphy und Finagle. Er möchte sie zur Abwasserwartung versetzen.« »Yeah«, stimmte Stokely zu.
8
Leutnant Kevin Riley war gründlich in den Erstkontaktverfahren der Sternenflotte ausgebildet worden; bei Simulationsproblemen hatte er eine höhere Punktzahl erreicht als alle anderen Mitglieder seiner Klasse. Aber dann hatte sich dieser Vorfall mit dem Kapellarnerchor ereignet, und obwohl nichts Bestimmtes behauptet worden war, hatten doch einige das Gefühl, daß Leutnant Riley irgendwie zu den Unstimmigkeiten beigetragen hatte, die in der Folge entstanden waren. Riley war sogar zu Kirk gegangen und hatte ihn um seine Versetzung gebeten; er hatte es zwar nicht so klar ausgedrückt, aber er war der Meinung, er hätte Schande über sein Schiff gebracht und es bliebe ihm nichts anderes übrig, als so zu handeln. Es war eine Ehrensache. Aber Captain Kirk lehnte seinen Versetzungsantrag ohne Kommentar ab. Und so hatte die Sache fast zwei Wochen lang geruht – bis Leutnant Riley in der Sporthalle des Schiffes unerwartet mit dem Captain zusammengestoßen war und Kirk ihn aufgefordert hatte, mit ihm gemeinsam den Kampf Mann gegen Mann zu trainieren. Riley konnte ihn zweimal auf den Boden niederdrücken, aber die anderen sieben Runden gingen an den größeren, erfahreneren Kirk. Anschließend gab Kirk ihm einige technische Hinweise und sie kämpften noch drei weitere Runden. Riley gewann zwei von ihnen – aber obwohl Kirk sich selbst bedeutungsvoll auf den Bauch klatschte und etwas über die zusätzlichen Kilos grunzte, die sich bei ihm angesammelt hatten, hegte Riley immer noch den Verdacht, daß der Captain mindestens eine der Runden absichtlich
verloren hatte. Das gab ihm den Mut, die Ablehnung seines Versetzungsantrags zur Sprache zu bringen. Kirk antwortete nicht sofort; er nahm sich ein Handtuch und ging in die Sauna. Riley folgte ihm. Drinnen schwieg Kirk einen Augenblick, dann sagte er: »Wenn ich Ihrer Versetzung zustimme, Riley, wird dieser Schandfleck Sie während Ihrer gesamten Karriere in der Sternenflotte verfolgen. Niemand wird offen etwas darüber sagen, in keiner Akte wird irgend etwas darüber stehen – aber Sie wissen, wie die Gerüchteküche arbeitet. Wenn ich Ihre Versetzung genehmige, ist das genauso, als würde ich sagen, daß ich kein Vertrauen mehr in Sie habe. Das Beste, was ich jetzt für Sie tun kann, ist, Sie an Bord der Enterprise zu behalten und Sie beweisen zu lassen, daß Sie ein fähiges und zuverlässiges Mitglied der Besatzung sind. Das Beste, was Sie tun können, ist, nicht das Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten zu verlieren. Jeder macht Fehler, Riley – selbst ein Captain –, aber diejenigen, die wieder aufstehen und an ihrer Aufgabe weiterarbeiten, sind für die Sternenflotte am wertvollsten.« Er hörte auf zu sprechen, um Riley Gelegenheit zu geben, über das, was er gesagt hatte, nachzudenken. Nach einer Weile fügte er ruhig hinzu: »Kirks Gesetz, Riley, lautet: Das erste Mal kann es ein Unglücksfall gewesen sein, das zweite Mal ein Zufall – aber ein drittes Mal läßt dann auch Ihren Captain wie einen Idioten aussehen.« Er ließ seine Worte nachwirken, dann erhob er sich von der Rotholzbank, verließ die Sauna und ließ Riley zurück, der dort saß und schwitzte. Und nachdachte. Später wurde Riley noch etwas anderes klar. Captain Kirk kam eigentlich nie während der Alphaschicht in die Sporthalle; denn da hielt er sich gewöhnlich auf der Brücke auf. Er nahm sich die Worte des Captains zu Herzen und bewarb sich erneut für den aktiven Dienst im Kontakttrupp der Enterprise; dieser Dienst war eine der heikelsten Aufgaben an
Bord eines Schiffes. Das Verhalten eines Kontakttrupps einer neuen Spezies gegenüber konnte die Art der Beziehungen mit dieser Spezies über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte danach beeinflussen. Es war eine schwierige Aufgabe und Riley war entschlossen, seinen Captain nicht noch einmal zu enttäuschen. Riley stand mit Stokely, Omara und Garcia im Korridor. Alle waren bewaffnet; ihre Phaser waren auf Betäubung eingestellt. Sie hatten ihre Weitwinkelleuchten an ihren Handgelenken festgeschnallt, um die Hände freizuhaben. Marilyn Garcia aus dem Analysenlabor trug den wissenschaftlichen Tricorder. »Wir müssen dicht beieinander bleiben«, sagte Riley. »Und achten Sie auch auf Rückendeckung.« »Ich wäre nicht so scharf darauf, Leutnant.« Das war Omara. »Sie werden hier Dinge vorfinden, die ganz anders sind als das, was Sie kennen.« Riley sah ihn kühl an. »Wir werden sehen. Gehen wir jetzt nach draußen.« Die anderen nahmen schweigend ihre Positionen ein. Mr. Spock hatte ihnen vorgeschlagen, den Korridor zuerst in Richtung der Drehbewegung zu erkunden und zu versuchen, mit den Lebens formen, die sie vor kurzem entdeckt hatten, Kontakt aufzunehmen. Der Korridor war breit genug für einen Geländewagen; aber die Decke war nur drei Meter hoch. Sie bewegten sich langsam hindurch, während das Licht ihrer Handstrahler sich durch die Dunkelheit bohrte und in der aufwärtsführenden Krümmung des weiten Stollens verschwand. Sie setzten ihren Weg entlang der Wasserflüßchen fort, die die Metallschienen auf dem Boden mit einer schmierigen Schicht glitschigen Schlamms überzogen hatten. Garcia bückte sich, um einige Proben zu entnehmen, die sie sachkundig auf Objektträger aufstrich und dann in einen Behälter fallen ließ, den sie an ihrer Seite trug;
sie lächelte Riley an. »Ich vermute, daß es eine Algenart ist, aber es gibt hier kein Licht. Vielleicht ist es ein Ölfresser, eine maßgeschneiderte Bakterie. Früher wurden solche für industrielle Zwecke benutzt; sie sondern einen Ölrückstand ab, der vor Rost schützt. Aber das ist nur eine Vermutung.« »Das ist interessant«, sagte Riley. Er betrachtete den Schlamm -und Mannschaftsmitglied Garcia – mit neuem Respekt. Aber er würde sich nicht ablenken lassen. Nicht dieses Mal. Er gab ihnen ein Zeichen, weiterzugehen. Auf beiden Seiten des Korridors befanden sich Türen. Einige waren verschlossen. Die offenen Türen führten in Räume verschiedener Größe, die ebenso gleichförmig waren wie der Raum, den sie zuerst betreten hatten. Sie versuchten nicht, eine der verschlossenen Türen zu öffnen. Ab und zu gab es Schächte mit Leitern, die aus ihnen herausführten und oben durch die Decke stießen. Riley sah sie sich von oben bis unten an und entdeckte, daß sie zickzackförmige Ausbuchtungen hatten, die verhindern sollten, daß Gegenstände vom Zentrum des Schiffes zur Außenwand fielen und von dort wieder wegsprangen. Nein, sie würden das nicht erkunden – jetzt jedenfalls nicht; allem, was ihre Sicht behinderte, war nicht zu trauen. Er wies Garcia an, alles mit ihrem Tricorder abzutasten; Scotty würde später jedenfalls die Bilder davon sehen wollen. Eine der ersten Regeln beim Kontaktversuch war, daß alles – ganz gleich, wie klein oder unbedeutend es im Augenblick auch erscheinen mochte – wichtig genug war, um es für die Analyse festzuhalten. Omara hatte ebenfalls einen Tricorder und tastete die Umgebung ab, während sie sich weiterbewegten. Plötzlich kamen sie zu einer Abzweigung des Korridors. Ein Seitengang öffnete sich zu ihrer Linken; er verlief in Richtung des vorderen Teils des Schiffes. Er war ebenso groß wie der Korridor, in dem sie sich befanden und hatte ebenfalls
Schienen, die in der Mitte verliefen. Sie richteten ihre Handstrahler den Gang hinunter und entdeckten dabei einige Treibballons, die hier und da herumschwebten, aber weiter unten wurde das Licht von der Dunkelheit verschluckt. Das Geräusch des Wassers war hier lauter, und es gab seltsame, widerhallende Töne. Wie von Ratten vielleicht, nur größer. Riley schnipste den Kommunikator auf. »Hier Riley. Wir befinden uns an einer Abzweigung. Der neue Gang scheint nach vorne zu führen. Was schlagen Sie vor, Sir?« Mr. Spocks Stimme klang ruhig. »Wir haben eine Netzaufzeichnung Ihrer Position, Leutnant. Sie haben sich um zehn Grad in Drehrichtung weiterbewegt. Bleiben Sie noch einen Augenblick in der gegenwärtigen Position.« Es gab eine Pause – vielleicht beriet sich der Wissenschaftsoffizier mit dem Captain – dann war Spocks Stimme erneut zu vernehmen. »Gehen Sie langsam den Korridor hinauf, Leutnant, aber gehen Sie vorsichtig vor.« »Ja, Sir. Riley Ende.« Er schnallte den Kommunikator wieder fest. Er fragte sich, was auf der Brücke vor sich ging. Kirk hatte das ganze Schiff in volle Alarmbereitschaft versetzt. Wahrscheinlich standen sie alle herum und warteten ab, ob das Geisterschiff der Klingonen etwas unternahm, obwohl sie höchstwahrscheinlich wußten, daß es überhaupt nicht auftauchen würde – und daher richtete der Captain seine gesamte Aufmerksamkeit auf Kevin Riley und sein Kontaktteam. Er wischte sich über die Stirn. Er konnte das Gewicht der Verantwortung fast körperlich spüren. Er schluckte, gab seinem Trupp ein Zeichen weiterzugehen, und sie trotteten vorsichtig den neuen Gang hinunter. Hier floß kein Wasser durch die Mitte; statt dessen bildete es hier und da Pfützen auf dem Boden, dort wo er an die Wand stieß, die entgegengesetzt zur Drehrichtung lag. Auf beiden Seiten der Schienen gab es Gehwege, die einmal mit einem Teppich
ausgelegt gewesen waren. Jetzt waren es nur noch ausgebleichte, harte Matten. Die ursprüngliche Farbe war nicht mehr auszumachen. Über ihren Köpfen waren Reihen von Leuchttafeln angebracht, die schon seit langem erloschen waren. Gelegentlich gab es Entlüfter und Behälter an den Wänden, einige von ihnen waren mit unbekannten Symbolen beschriftet – unbekannt, aber irgendwie… weckten sie dunkel Erinnerungen an etwas. Plötzlich erweiterte sich der Korridor. Es war so etwas wie eine Kreuzung. Der Korridor wurde zu einem weiten, kreisförmigen Schacht; der Seitengang wurde zu einem Balkon, der um ihn herum verlief und sich dann auf der anderen Seite fortsetzte. Ein weiterer Seitengang kreuzte den Korridor im rechten Winkel, und zwischen den größeren waren auch noch einige kleine Gänge angebracht. Aber es war der Schacht selbst, der Rileys Aufmerksamkeit anzog; er ging nach vorne ans Geländer, um sich alles genau anzusehen und wies Omara an, die Szene festzuhalten. Ihre Handstrahler beleuchteten Schienen, die durch den Schacht nach oben in Richtung zum Drehzentrum und nach unten in Richtung zur Außenwand weiterliefen. »Aufzüge?« fragte Garcia. »Vielleicht – sehen Sie, dort könnten sie angehalten haben, dort drüben.« Stokely deutete hinüber. Riley drehte seine Handleuchte in alle Richtungen – sie befanden sich in einem Gewölbe mit Baikonen und Türen an allen Seiten. Es gefiel ihm nicht, das war der perfekte Ort für einen Hinterhalt. Aber als er Garcia ansah, schüttelte sie ihren Kopf. Ihr Tricorder zeigte keine Lebensformen innerhalb der Reichweite des Geräts an. Riley öffnete wieder seinen Kommunikator. »Enterprise? Können Sie mich hören?«
»Bestätigt, Leutnant«, kam Spocks Antwort kühl zurück. Riley wollte Spock gerade fragen, in welcher Richtung sie seiner Meinung nach weitergehen sollten, aber dann fiel ihm etwas ins Auge, was im Lichtstrahl von Stokelys Weitwinkelstrahler zu erkennen war – eine Wendeltreppe, die um die Schachtwände nach oben verlief. Er folgte ihr mit dem Blick weiter und weiter nach oben, wo er einen schwachen, gelben Schimmer bemerkte. Riley sagte langsam: »Wir haben vor, diese Treppe hinaufzusteigen… Sir…« Er gab Garcia ein Zeichen, ihren Tricorder nach oben zu richten. Das Funkgerät schwieg einen Augenblick lang. Dann kehrte Spocks Stimme zurück: »Sie können weitermachen, Leutnant.« Riley atmete tief aus und entspannte sich; dann setzte er sein freundlichstes Lächeln auf und deutete Stokely und Omara an, rechts herumzugehen, während Garcia und er im Kreis nach links gingen. Der Zugang zur Wendeltreppe befand sich fast direkt gegenüber ihrer Position. Die Treppe war ihrer Größe nach für menschliche Wesen gebaut worden. Alle – die drei Männer und die Frau – standen vor den nach oben führenden Stufen und wechselten Blicke voller… Besorgnis. Riley nahm die erste Stufe und schaute dann zu den anderen zurück. »Nun? Kommen Sie?« Sie kletterten langsam hinauf, während sie den Lichtstrahl ihrer Handstrahler ständig im Schacht auf und ab gleiten ließen; sie erforschten jeden Winkel und jeden Spalt – fanden aber nur Winkel und Spalte. Gelegentlich kamen sie an Türen und kleineren Gängen vorbei, aber Riley kletterte auf das Licht in der Ferne zu. Garcia stellte fest, daß sie erst ein Drittel des Weges bis zum Zentrum des Schiffes zurückgelegt hatten. Sie befanden sich immer noch innerhalb der äußersten Schale;
bisher hatten sie noch keinen Beweis dafür gefunden, daß es überhaupt eine innere Schale gab. Es gab Stellen, an denen die Stufen mit Wasser und Schlamm bedeckt waren. Stokely rutschte einmal fast aus, was ihm einige schadenfrohe Bemerkungen von Omara einbrachte. Sie stiegen weiter nach oben und wurden ein- oder zweimal von kleinen, herabfließenden Wasserläufen getroffen, die in den Schacht hinunterstürzten Und unten in der Stille verschwanden. Die Stufen verliefen weiter nach oben bis zu einer anderen Kreuzung wie der, die sie unten verlassen hatten. Garcia und Omara tasteten sie ab, dann gab Riley ihnen ein Zeichen, nach oben weiterzugehen. Sie kamen an zwei weiteren Kreuzungen vorbei, an der dritten ließ Riley sie anhalten, um eine Pause zu machen. Omara keuchte und versuchte immer noch, ruhig zu atmen. »Die Schwerkraft ist hier geringer.« »Sie ist immer noch höher als die, die auf der Erde herrscht. Aus welchem Grund könnte jemand ein Raumschiff mit hohen G-Werten gebaut haben?« klagte Stokely. »Wenn es ein Kolonistenschiff war, wie Mr. Spock annimmt, dann konnten sie nicht unbedingt wissen, welche Art von Planet da auf sie wartete. Vielleicht hatten sie deshalb Ebenen mit höherer Schwerkraft eingerichtet, damit sie anfangen konnten, sich an höhere G-Werte zu akklimatisieren, sobald sie wußten, daß es erforderlich war. Das ist nur eine Vermutung«, sagte Riley. Er öffnete wieder den Kommunikator. »Mr. Spock? Wir befinden uns an der dritten – oder ist es die vierte? – Kreuzung. Ich glaube, es gibt nur noch drei weitere, bis wir oben sind.« »Es ist die vierte Kreuzung, Leutnant. Wir empfangen immer noch starke Signale von Ihnen, aber versuchen Sie bitte, bei Ihrer Zählung etwas genauer zu sein. Haben Sie mit dem Tricorder noch weitere Bewohner des Schiffes entdeckt?«
Riley schüttelte seinen Kopf, dann wurde ihm bewußt, daß der Wissenschaftsoffizier ihn nicht sehen konnte. »Nichts, Sir.« Spock antwortete teilnahmslos: »Sie sind nahezu einen Dreiviertelkilometer innerhalb des Schiffes, Leutnant. Wachsamkeit ist angeraten.« »Aye, aye, Sir – « Ein plötzliches Geräusch, irgend etwas rasselte über den Boden – Riley fuhr herum und zielte mit seinem Phaser in die Richtung – Da war nichts – – nein, einen Augenblick mal, dort! – Eine Armbrust?!! Die auf dem Deck lag –? Er ging darauf zu und – Sie stürzten aus der Dunkelheit und brüllten wie Bestien – Riley war fast zu überrascht, um zu feuern, aber Garcia schoß mit ihrem Phaser über seine Schulter hinweg auf die Umrisse von sieben schwerfälligen Gestalten. Sie ließen sich an Seilen von oben herunterfallen – und sie hatten Gesichter, wie den Alpträumen von Klingonen entsprungen – sie trugen Schuppen, Klauen und Felle und – Dann fand Riley seine Fassung wieder, und sein Finger war am Abzug, noch bevor er sicher war, worauf er schoß – das Aufleuchten der Phaser wirkte wie Schmetterbälle aus Licht in diesem riesigen, finsteren Schacht – von den Wänden hallten die durchdringenden Schreie zurück, und das plötzlich aufblitzende Licht, das die Wände reflektierten, blendete sie. Zwei der riesigen Angreifer stürzten, ein anderer kreischte gellend; etwas krabbelte grunzend in eiligem Rückzug über das Deck – Und dann war es vorbei. Und die Angreifer waren verschwunden. Drei Körper lagen auf dem Deck. Riley sah die
anderen Mitglieder des Kontakttrupps an. Noch keiner von ihnen hatte etwas gesagt. »Sind alle in Ordnung?« Stokely und Omara nickten beide, aber ohne damit aufzuhören, sich ständig im Kreis zu drehen und die Umgebung mit ihren Handstrahlern und einem plötzlich hartgewordenen Gesichtsausdruck abzusuchen. Garcia sah mitgenommen aus, aber sie drehte sich ebenfalls mit ihrem Tricorder im Kreis und tastete ab. »Sie sind jetzt weg«, sagte sie. Riley bestätigte es. Sie näherten sich langsam den drei liegenden Körpern. Der Kommunikator piepste. Riley bemerkte, daß er ihn immer noch geöffnet in seiner Hand hielt. Er hob ihn in Mundhöhe. »Wir sind in Ordnung. Nur ein kleines, äh – Mißverständnis.« »Leutnant Riley, berichten Sie!« »Bleiben Sie dran, Sir«, schnauzte er zurück. Er richtete seinen Lichtstrahl auf einen der Angreifer. Das Ding – die Kreatur – was immer es auch war – schien eine Sammlung der schlimmsten Teile zu sein, die von einem Dutzend verschiedener abscheulicher Wesen stammten. Es hatte die Größe eines Menschen, aber lange Arme wie die eines Bären mit riesigen Metallklauen, einen Schuppenpanzer und Stacheln auf seinem Rücken, und ein Gesicht, das nur aus gefletschten Zähnen bestand. Vorsichtig stieß er die Waffe mit seinem Fuß an – eine Machete. Garcia stellte sich neben ihn und tastete das Wesen mit ihrem Tricorder ab. »Betäubt?« fragte er. »Tot«, berichtete sie. »Dieser hier hat ein gebrochenes Genick.« Sie sah nach oben. Riley folgte ihrem starren Blick
auf ein Seil, das immer noch vor und zurück schwang. »Die beiden anderen – «, sagte sie. »Ich weiß nicht.« »Sicher ist, daß sie häßlich – « begann Riley und verstummte. Garcia hatte sich zu der Kreatur niedergebückt und das Gesicht heruntergezogen. Es war eine Maske. Und der Schuppenpanzer und die Klauen waren ebenfalls ein Teil der Verkleidung. Auch die beiden anderen Schreckenswesen waren nichts als Maskerade. Darunter befanden sich Menschen. Garcias Tricorder zeigte es an. Rileys Gesicht zog sich kurz schmerzlich zusammen, dann schnipste er den Kommunikator auf und begann mit seinem Be richt.
9
Captain James Tiberius Kirk vom Sternenschiff Enterprise war sehr verärgert über einen speziellen namenlosen Kommandanten der Klingonen. Solange dieser Kriegskreuzer innerhalb der Reichweite der Sensoren blieb, konnte er die Brücke seines Schiffes nicht verlassen. Kampfbereitschaft gehörte zu dem Teil seiner Verantwortung, den er nicht an andere delegieren konnte. Aber ebensowenig konnte er die Erforschung dieses seltsamen Wracks aufgeben, um die Verfolgung des Klingonenkreuzers auf zunehmen und ihn abzufangen. An der Akademie hatte es einmal einen Kurs gegeben, der sich mit Situationen dieser Art auseinandersetzte. Es war einer der freiwilligen Kurse, die von den Oberklasseschülern zum Nutzen der Unterklasseschüler angeboten wurden: Es war eine zwanglose Vortragsreihe, deren Ziel es war, die Kunst des kreativen Fluchens zu fördern. Es hatte sich schon seit langem erwiesen, daß ein gewisses Maß an Flüchen und Verwünschungen ein gesundes Ventil war, gut, um sich vom Druck der Macht und Verantwortung zu befreien und dadurch die Belastung zu vermindern, unter der ein Captain steht. Kreatives Fluchen wurde als Vorbeugung gegen Magengeschwüre sehr empfohlen, und mehrere Generationen von Kadetten hatten diese Kunst zu neuen Höhepunkten an Originalität erhoben – und gleichzeitig bewiesen, daß Genies eine Art von Humor haben können, der von Grund auf anders ist als der gewöhnlicher Sterblicher. »Der Große Vogel der Galaxis« beispielsweise war in einer denkwürdigen Sitzung erfunden worden, und daraus war eine
völlig neue Kategorie von Flüchen und Verwünschungen geboren worden. Flüche und Verwünschungen, die obszön und sexuelle oder religiöse Anspielungen enthielten, wurden als amateurhaft betrachtet. Ein Fluch, der Anerkennung verdiente, mußte beim Zuhörer gleichzeitig Empfindungen von Schmerz und Lachen hervorrufen; er mußte bewirken, daß Tränen in die Augen stiegen; in der Tat, ein wirklich einfallsreicher Fluch mußte sogar Spuren im Streßfeld selbst hinterlassen. Und er mußte bewirken, daß sich alle Zuhörer innerhalb von drei Parsek umdrehten und schockiert und bewundernd große Augen machten. Ein gemäßigter Sternenflottenfluch konnte ein Ei in seiner Schale gerinnen lassen, ein starker Fluch schaffte das schon, bevor das Ei überhaupt gelegt worden war. Die verwirrte Fakultät der Akademie hatte diesen von Studenten abgehaltenen Kurs einige Jahre lang toleriert – bis zur Schlacht von Donatu V. Da hatte ein belagerter Captain der Sternenflotte als Antwort auf die Forderung der Klingonen, sich zu ergeben, »Mertz!« entgegnet und damit soviel Verwirrung bei den Translatoren der Klingonen gestiftet, daß die Verstärkungstruppen genug Zeit hatten, einzutreffen und diese Auseinandersetzung für die Föderation zu entscheiden. Seitdem wurde die Teilnahme am Kursus für Kreatives Fluchen aktiv gefördert und Meisterschaft in dieser Kunst wurde als Beweis für eine besondere Begabung an Einfallsreichtum betrachtet, die bis jetzt der Aufmerksamkeit und Analyse entgangen war. Aber alles, was James Tiberius Kirk in diesem Augenblick einfiel zu sagen, war: »Möge sein Maschinenraum ein Testlabor für die siebte Begleiterscheinung des Murphyschen Gesetzes werden.« Spock sah seinen Captain mit hochgezogener Augenbraue an. Uhura drehte sich um und starrte ihn an. Scotty schaute von
seinem Steuerpult auf. Chekov und Sulu tauschten besorgte Blicke aus und drehten sich in ihren Stühlen um, um Kirk anzusehen. Wenn das das Beste war, was ihr Captain zuwege brachte, dann befanden sie sich tatsächlich in ernsten Schwierigkeiten. Offensichtlich war James Tiberius Kirk so verärgert, daß er seine Wut nicht mal in einer richtigen Verwünschung abreagieren konnte. Aber Kirk war nicht so sehr verärgert, sondern vielmehr völlig davon in Anspruch genommen, die Situation zu analysieren. Er wußte ganz genau, daß der Phantomkreuzer nicht näher kommen und weder eine feindliche Handlung noch sonst irgend etwas unternehmen würde. Alles, was er bezweckte war, von der Sternenflotte gesichtet zu werden und sie von ihren anderen Aufträgen abzuhalten. Es war ein sehr hinterhältiges und sorgfältig vorbereitetes Manöver, und einzig und allein dazu gedacht, sie zu ärgern und zu frustrieren. Und es hatte Erfolg. Kirk bemerkte, daß er wieder auf der Armlehne herumtrommelte. »Ich hoffe, dieser Klingone hat viele ehrgeizige Söhne«, sagte er zu sich selbst, dann merkte er, daß Spock abwartend neben seinem Stuhl stand. »Spock?« Spock ließ sich nicht anmerken, ob er die Bemerkung gehört hatte. »Captain, da ist immer noch die Sache mit Leutnant Riley und seinem Kontakttrupp…« »Das habe ich nicht vergessen, Spock.« Tatsächlich übertrugen die oberen Bildschirme überall auf der Brücke ununterbrochen die Bilder aus Stokelys und Garcias Tricordern. Im Idealfall hätte sich Kirk hinübergebeamt, um eine Inspektion vor Ort durchzuführen, aber diese Möglichkeit war ihm durch die Anwesenheit dieses Kriegskreuzers der Klingonen verwehrt, der nur seine Zeit verschwendete. So
blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: Entweder Rileys Trupp zurückzurufen oder sie weitermachen zu lassen. Die Erstkontaktverfahren der Sternenflotte basierten auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen, und die Kapitäne wurden angewiesen, ihre Kontakttrupps als »entbehrlich, wenn es absolut erforderlich ist«, zu betrachten. Das Problem war, die näheren Umstände zu bestimmen – und das war natürlich dem Ermessen des Captains überlassen. Es war Kirks Entscheidung, und daran ging kein Weg vorbei. Natürlich mußte früher oder später ein Kontakttrupp bis zum vorderen Teil des Schiffes vordringen, um diejenigen zu finden, die diese eine Fusionsanlage, die noch in Betrieb war, warteten – so daß ein Rückzug zu diesem Zeitpunkt das Erforderliche nur verschieben würde. Und gleichzeitig den feindlich gesinnten Wesen Gelegenheit geben würde, eine wirksamere Verteidigung aufzubauen. Es gab daher kein vernünftiges Argument für einen Rückzug, außer vielleicht die Sicherheit des Kontakttrupps zu wahren – und der Kontakttrupp konnte als entbehrlich betrachtet werden. Wenn es absolut erforderlich war. Aber es war auch nicht ratsam, Kontakttrupps verkommen zu lassen. Denn das konnte sowohl das Vertrauen einer Besatzung in ihren Captain schwächen als auch ihre Bereitschaft, in Kontakttrupps zu arbeiten. Er erhob sich aus seinem Stuhl und ging zu einem unbesetzten Steuerpult auf der Backbordseite der Brücke hinüber. Insgeheim ging er noch einmal alle Aufnahmen vom Angriff durch, dann warf er einen Blick auf die Computerauswertung der Leistung jedes einzelnen Mannschaftsmitglieds innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden, aber besonders die von Riley. Es war eine Frage der Kompetenz – nicht so sehr, wie Riley sich in der Vergangenheit bewährt hatte, sondern vielmehr, wie
er sich in der Zukunft bewähren würde –, aber der einzige Blick auf die Zukunft war Rileys Vergangenheit. Alle Daten, alle Kurven, alle Tabellen, die der Computer für ihn erstellen konnte, konnten keine Antwort auf die eine Frage geben, die für Kirk am dringlichsten war – eine Frage, die menschliches Urteilsvermögen erforderte. Aber das war nun mal der Grund, warum Kirk Captain war und nicht der Computer. Und auch nicht Mr. Spock. Es war eine Frage des… von etwas, das er nicht genau fixieren konnte. »Tiberius!« sagte er zu sich selbst – und plötzlich wußte er, was für eine Frage es war. Es war eine Frage des Mitfühlens, des Einfühlungsvermögens. Und als ihm das klarwurde, wußte er auch die Antwort darauf. Er erinnerte sich an ein Gespräch in der Sauna des Schiffes. Es ging nicht nur darum, daß Riley seine Kompetenz beweisen mußte; auch Kirk mußte sein neugewonnenes Vertrauen in den Leutnant beweisen. Es ist leicht, Vertrauen zu haben, wenn es durch nichts in Frage gestellt wird. Erst wenn jemand Grund zum Zweifeln hat, erweist sich der Wert des Vertrauens. Er drehte sich um und sagte: »Leutnant Uhura, sagen Sie Leutnant Riley, er soll weitermachen wie ursprünglich angeordnet.« »Aye, aye, Captain.« Uhura übermittelte es; sie war mit der Entscheidung einverstanden. Kirk konnte sehen, daß seine übrigen Offiziere auf der Brücke ebenfalls zustimmten; er sah erleichtertes Lächeln und fühlte ein allgemeines Nachlassen der Spannung. Gut, dachte er, sie haben verstanden. Wenn Kirk Riley zurückgerufen hätte, hätte er damit gezeigt, daß er dem rangniedrigen Offizier nur vertraute, wenn er ihn unter Kontrolle hatte. Und das hätte wahrscheinlich den letzten Rest von Rileys Glauben an sich selbst erschüttert. Und Captain James T. Kirk hätte sich als Heuchler erwiesen.
Aber der wirkliche Grund, warum Kirk sich dazu entschieden hatte, Riley weitermachen zu lassen, beruhte auf etwas Tiefergehendem. Da war einmal ein gewisser Leutnant James T. Kirk gewesen, der eines Tages einen Fehler begangen hatte – und da hatte es einen gewissen Captain gegeben, der ihm die Chance geboten hatte, diesen Fehler wiedergutzumachen und sich dabei selbst zu bewähren. Die Umstände waren unwichtig, aber Kirk erinnerte sich an das Gefühl, von dem er damals besessen gewesen war: Er wollte lieber sterben bei dem Versuch, sich des Vertrauens seines Captains würdig zu erweisen, als mit dem Schandfleck seines früheren Versagens weiterzuleben. Natürlich war er nicht dabei gestorben, und nachdem er seinen Auftrag erfolgreich abgeschlossen hatte, hatte sein Captain ihn privat in seine Kabine kommen lassen und ihm gesagt, daß er eine wichtige Prüfung bestanden hatte. »Jeder Idiot kann für sein Schiff sterben, James; was wirkliches Genie erfordert, ist das Überleben. Danach suchen wir bei unseren Offizieren – nicht nur nach der Fähigkeit, Probleme zu lösen, sondern ebenso nach der Fähigkeit, zu überleben – so daß er weitermachen kann, das nächste Problem zu lösen und das nächste und das nächste. Denn wozu ist ein Offizier gut, der sich selbst zerstört? Der einzige Weg, wie wir herausfinden können, ob ein Offizier diese Überlebensfähigkeit hat, ist, ihn in Situationen zu bringen, die das direkt auf die Probe stellen. Erinnern Sie sich daran, wenn Sie eines Tages selbst Captain geworden sind.« Kirk hatte sich daran erinnert. Tatsächlich plante er schon, die gleiche kleine Unterredung mit Leutnant Kevin Riley zu führen, wenn dieser zur Enterprise zurückgekehrt war. Wenn er überlebte.
10
Als der Befehl des Captains durchkam, war Rileys erste Reaktion Überraschung – dann breitete sich zögernd ein Grinsen über sein jungenhaftes Gesicht aus. »Yeah…« sagte er, »fangen wir an. Holen wir uns ein Stück vom Kuchen.« Omara blickte ihn finster an. »Meinen Sie? Sie werden bald ein anderes Lied singen, Leutnant Riley.« Riley zögerte einen kurzen Augenblick lang, dann beschloß er, die Bemerkung ganz einfach zu überhören. Er winkte die Gruppe weiter. Noch vorsichtiger als zuvor setzten sie ihren Aufstieg in Richtung des Lichtschimmers fort. Omara schüttelte verwundert seinen Kopf, verlagerte dann sein Gleichgewicht und folgte ihnen nach. Stokely hatte eine Infrarotbrille aufgesetzt, um Wärmequellen in der Dunkelheit erkennen zu können, aber es erfolgten keine weiteren Angriffe, und sie erreichten das obere Ende ohne Zwischenfall. Die Stufen führten über einen letzten Treppenabsatz auf einen verlassenen Platz. Die Lichtquelle war immer noch über ihnen, immer noch zu hoch, um sie deutlich erkennen zu können. »Wie hoch ist die Schwerkraft hier?« fragte Stokely. »Sie scheint geringer zu sein.« »Null Komma sieben neun«, antwortete Garcia. »Wir haben schon einen weiten Weg zurückgelegt.« Die vier Mitglieder des Trupps bewegten sich von dem Treppenschacht weg und überquerten vorsichtig den Platz. Ihre Handleuchten waren hier fast überflüssig; der Lichtschein von oben tauchte den Raum in ein unheimliches Zwielicht. Sie
ließen sie trotzdem brennen, aber Stokely schob die Infrarotbrille auf seine Stirn. Riley dachte auf einmal über diese Brille nach – wenn Stokely sie schon vorher getragen hätte, wären sie vielleicht nicht von diesem Angriff überrascht worden. Stokely erwiderte mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck seinen Blick; seine Hand war in der Bewegung, die Brille auf seine Stirn zu schieben, erstarrt. Er hatte das gleiche erkannt. Aber Riley sagte nichts. Er konnte sehen, daß Stokely sich selbst schon Vorwürfe machte, die viel härter waren als alles, was er jemals sagen konnte. Außerdem wußte Riley genau, was Stokely jetzt fühlte – ein brennendes Schamgefühl, weil er seine Kameraden im Stich gelassen hatte. Riley dachte an Kirk. Und an sich selbst. Und an Stokely. Er sagte: »Stokely, wollen Sie die Spitze übernehmen?« Stokely sah verwirrt aus. »Oh – Yeah, sicher.« Er erlaubte sich ein erleichtertes Lächeln. Riley grinste zurück. Der Platz führte nach allen Seiten in Korridore – die meisten von ihnen waren in Dunkelheit getaucht. Der Kontakttrupp orientierte sich an der Tiefenradarnetzaufzeichnung der Enterprise und begann dann, sich zum Bug des gigantischen Schiffes vorwärtszubewegen. Der Korridor war breit, aber dunkel. Stokely setzte seine Infrarotbrille wieder auf. Dieser Korridor war anders als die, in denen sie vorher gewesen waren. Er war breiter, und die Decke war höher. Und es gab Höhlen auf beiden Seiten, die vielleicht einmal irgendeine Art von Geschäften gewesen waren – jetzt aber nichts weiter als kahle Öffnungen darstellten. Schutt lag auf dem Boden verstreut, und es hingen sogar Spinnweben von den nackten Streben herab. Die Luft war hier trocken – und roch muffig. »Wißt ihr, woran mich das erinnert –?« flüsterte Omara. Keiner antwortete.
»An die Ruinen der Alten Stadt. New York.« Er verstummte. Die Luft machte das Atmen hier schwer. Eine Stimme in Rileys Kopf meldete sich. Er mußte sich konzentrieren, um dahinterzukommen. Etwas, was man ihm früher einmal beigebracht hatte – »Stelle die nächste Frage!« Er dachte darüber nach, während sie vorsichtig weiter über den Korridor schlurften. Schließlich fragte er: »Wieso?« Nach einer Weile gähnte Omara und sagte: »Ich glaube, wegen der Größenverhältnisse von allem hier…« Riley dachte darüber nach. Er gähnte auch. Er hob eine Hand und sagte: »Halt. Leuchtet mal alles rundherum mit euren Strahlern ab.« Sie taten es. »Sie haben recht, Omara, es sieht wirklich wie die Alte Stadt aus, nicht wahr.« Er hustete einmal, um seinen Hals freizumachen – begriff dann, was hier vor sich ging und schaffte es noch, zu keuchen: »etwas ist nicht in Ordnung mit der Luft hier! Setzt eure Sauerstoffmasken auf!« Aber schon die Anstrengung beim Schreien ließ ihn vor Benommenheit taumeln. Er stürzte, während er nach der Maske tastete. Neben ihm war Garcia schon zu Boden gefallen, und Omara brach an der Wand zusammen. Riley schlug hart auf den Boden auf, aber er wehrte sich dagegen, das Bewußtsein zu verlieren; verschwommen erinnerte er sich noch an den Umgang mit der Atemmaske, der ihnen so lange eingetrichtert worden war, bis sie ihn im Schlaf beherrschten. Er atmete langsam und tief. Während er die Atemzüge zählte, rollte er sich herum und merkte, daß er neben Stokely lag – der gerade an seiner Maske herumtastete, um sie in die richtige Position zu bringen. Ihre Blicke trafen sich. Riley nickte zu Garcia hin; sie lag näher bei Stokely. »Ich kümmere mich um Omara.« Und dann mußte er nochmals den Atem anhalten. Er wartete nicht darauf, festzustellen, ob Stokely ihn verstanden hatte; er begann sich zur Wand hinüberzukämpfen. Omara war ohnmächtig
geworden, ohne die Warnung vor der Luft überhaupt zu hören; seine Sauerstoffmaske steckte immer noch in der Tasche seiner Überlebensausrüstung. Riley gelang es nicht, die Maske herauszuziehen, denn seine Finger fühlten sich so dick wie Elefantenbeine an. Aber es gab keine Zeit zu verlieren – Omara schien sich im Koma zu befinden. Riley entsiegelte die Maske von seinem Gesicht und stülpte sie über Omaras Nase und Mund. Die Nervenbahnen in der Maske übernahmen die Kontrolle über Omaras Atmung. Er begann, nach Luft zu schnappen. Rileys Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Omaras Sauerstoffmaske – aus irgendeinem Grund ließ sie sich nicht aus der Tasche ziehen – etwas klemmte und hielt sie fest; es war der Luftschlauch! Riley riß die Maske mit einem Ruck los und zog sie mit beiden Händen über sein Gesicht. Er brach über Omaras Brustkorb zusammen und saugte gierig an dem zarten Atem des Lebens. Hinter ihnen waren Geräusche zu hören – er zählte fünf Atemzüge, dann fünf weitere, dann stützte er sich auf einem Arm hoch, um nachzusehen. Stokely und Garcia arbeiteten sich zu ihnen vor. Riley deutete mit der Hand nach hinten und der vierköpfige Kontakttrupp begann, auf Händen und Knien denselben Weg, den sie gekommen waren, wieder zurückzukriechen. Sie erreichten den Eingang des Korridors und brachen, immer noch nach Luft ringend, zusammen. »Das ist ein polarisiertes Sauerstoffeld«, keuchte Marilyn Garcia. »Die Luft enthält Sauerstoff – deshalb hat der Tricorder kein Warnsignal gegeben – aber es ist nicht die Art von Sauerstoff, die wir atmen können – « Sie mußte aufhören zu sprechen und vergrub ihr Gesicht wieder in der Sauerstoffmaske.
»Ich bin vertraut mit der Chemie, Garcia«, gelang es Riley zu antworten. Sie lagen einen Augenblick lang da, während die Luft ihre Kehlen reizte. Stokely drehte sich herum, so daß er den offenen Platz überblicken konnte; er hielt seinen Phaser locker vor sich. Als Riley ihn fragend anblickte, sagte er: »Falls diese – feindseligen Wesen – nochmals angreifen – « »Das ist eine gute Idee«, sagte Riley. Omara und Garcia nahmen ebenfalls eine wachsame Position ein. »Ein Sauerstoffeld – «, wunderte sich Omara. »Wow…!« »Jemand will andere unter allen Umständen davon abhalten, diesen Gang hinunterzugehen – «, sagte Garcia. »Wahrscheinlich – die feindseligen Wesen – «, antwortete Riley, und schon bevor er es ausgesprochen hatte, wußte er, daß das die Antwort darauf war. »Wer auch immer sich an dem anderen Ende des Gangs befindet, will keine Besucher. Und offensichtlich verfügen sie auch über die Technik, um das zu bewerkstelligen.« Er atmete tief ein. »Ich schätze, wir werden ihnen einen Besuch abstatten müssen.« »Wer-?« »Wie denn?« »Was-?!!« Riley deutete auf Stokely. »Die Phaser, wenn wir die auf Streustrahlung einstellen, ionisieren wir die Luft. Ionisation zerstört ein Sauerstoffeld. Und wenn wir unsere Sauerstoffmasken an die Flaschen anschließen, statt über Extraktion zu atmen, werden wir keine Probleme bekommen.« Omaras Augen verengten sich. »Das sollten Sie besser zuerst mit dem Captain besprechen, Riley.« »Sicher«, sagte Riley. »Sie haben kein Vertrauen in meine Einschätzung der Situation, nicht wahr? Also gut.« Er lächelte boshaft. »Hören wir uns die Musik an – « Er schnipste den
Kommunikator auf. »Hier Riley. Wir sind in ein Sauerstoffeld gelaufen. Trotzdem haben wir keine Probleme. Wir machen weiter. Ich nehme an, das Sauerstoffeld zeugt von angewandter Intelligenz.« Spocks Stimme kam gedämpft zurück: »Das gesamte Schiff zeugt davon, Leutnant. Wir halten weiterhin die Tricordermonitoraufzeichnung aufrecht, würden es aber schätzen, wenn Sie Ihren verbalen Berichten mehr Aufmerksamkeit widmen würden. Sie können weitermachen.« »Aye, aye, Mr. Spock.« Riley ließ seinen Kommunikator wieder zuschnappen. Er sah Omara an. »Noch irgendwelche Fragen?« Omara hatte absichtlich ein ausdrucksloses Gesicht gemacht; jetzt breitete sich darin widerwillig ein respektvolles Lächeln aus. »Ich glaube, ich habe Sie nicht richtig eingeschätzt, Leutnant – ich dachte – ach, lassen wir das.« Er zuckte die Schultern und grinste: »Darf ich um den nächsten Tanz bitten?« Riley atmete erleichtert auf – konnte er diese Sache denn nie vergessen machen? Er schwang sich auf seine Füße und streckte Omara die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. »Es wird keine Probleme geben«, bemerkte er.
11
Mit angelegten Sauerstoffmasken begab sich der Kontakttrupp wieder in den dunklen Korridor hinunter, Omara und Riley Seite an Seite an der Spitze. Riley zählte leise im Rhythmus: » – und eins und zwei und drei – «. Auf »drei« feuerte er seinen Phaser nach vorne ab, eine weitreichende, blaue Feuergarbe, die wie ein Blitz in der Luft sprühte, » – und vier und fünf und sechs – «. Auf »sechs« feuerte Omara nach vorn, und nun zerstörte sein Phaserstrahl das Sauerstoffeld. Und dann fing Riley wieder von vorn zu zählen an. Sie bewegten sich vorsichtig vorwärts und hielten sich unwillkürlich an den Rhythmus von Rileys ständigem Zählen. Das ununterbrochene Aufblitzen ihrer Phaser erleuchtete den Korridor wie ein Signalfeuer, aber sie waren so nah an den Lichtquellen, daß sie nur flüchtige Eindrücke von dem gewinnen konnten, was in der weiten Dunkelheit vor ihnen verborgen lag – beziehungsweise dahinter. Riley überprüfte die Ladung seinem Phasers. Glücklicherweise war nicht viel Energie notwendig, um ein Sauerstoffeld zu zerstören. Fast jede elektrische Ladung war dazu geeignet. Ihre Waffen waren auf die niedrigste Stufe der Betäubung eingestellt. Ein menschliches Wesen, das von dem Strahl getroffen wurde, würde nur ein leichtes Prickeln verspüren – eine Empfindung, die jedem vertraut ist, der schon einmal einen Hochleistungs-Phaser abgefeuert und dabei die intensive elektrostatische Aufladung der Luft in der Umgebung des Strahls gespürt hat. In der Sternenflotte gab es einen alten Witz darüber, daß der Phaser die einzige Waffe war, die einem eine Gänsehaut verursachte, ganz gleich, ob man davor oder dahinter stand.
Jedes Aufblitzen ihrer Phaser hinterließ glitzernde Nadelköpfe aus Licht, die nur für einen Augenblick aufleuchteten, bevor sie schnell erloschen. Der Kontakttrupp bewegte sich durch ein fantastisches Funkeln und Sprühen – unter anderen Umständen wäre dieser Anblick ein Vergnügen gewesen. Als ihre Phaserstrahlen aufhörten, Funken in die Luft zu sprühen, wußten sie, daß sie vor den schlimmsten Wirkungen des Sauerstoffelds in Sicherheit waren. Hier war der Gang mit Schutt bedeckt, und die Wände waren versengt wie durch Explosivwaffen – aber die Spuren waren alt und mit Staub bedeckt. Trotzdem machten sie eine Rast, damit Garcia ihren Tricorder über eine der größeren Aushöhlungen im Boden halten konnte. »Das sieht so aus, als ob es ein Wohngebiet gewesen ist«, sagte Stokely. »Apartments, Innenhöfe – sehen Sie, es gab sogar kleine Höfe, die von der Hauptstraße abgewandt lagen.« Er deutete nach oben. »Und sogar Balkone – Sie müssen Ihr Vorstellungsvermögen ein bißchen gebrauchen, aber man kann sehen, was es mal gewesen sein könnte, nicht wahr?« Garcia betrachtete den Architekturstil mit geschultem Blick. Sie sagte leise: »Das ist keine schlechte Vermutung – aber wir sollten jetzt noch nichts endgültig festlegen.« Plötzlich befanden sie sich am Ende des Tunnels. Er endete einfach in einer Sackgasse. Die Wand war eine leere Fläche, die aussah wie ein Flickwerk aus Metall. Sie standen da und starrten sie an, dann sahen sie sich gegenseitig an. Riley zuckte die Schultern. »Das war zu erwarten.« Er schnipste den Kommunikator auf. »Hier Riley. Wir sind in einer Sackgasse gelandet.« Er betrachtete die Wand von oben bis unten. »Ich vermute, daß das hier nicht zur ursprünglichen Konstruktion gehörte.
Garcia, tasten Sie die Wand bitte ab. Das Metall sieht aus wie ein verrückter Fleckenteppich. Die haben alles, was sie zur Verfügung hatten, mit hineingeschweißt. Das Sauerstoffeld und jetzt diese Wand hier sind wahrscheinlich ihre ersten Verteidigungslinien gegen die Feinde auf dieser Seite.« Er zögerte, dann sprach er es trotzdem aus. »Wir werden sie aufschneiden müssen.« »Verstanden, Leutnant«, antwortete Spock. »Bitte bleiben Sie dran.« Die vier Mitglieder des Kontakttrupps standen da und warteten. Riley zog sich seine Sauerstoffmaske vom Gesicht herunter und sog prüfend die Luft ein. »Scheint in Ordnung zu sein«, sagte er. Omara grinste ihn an. »Ich werde abwarten, wenn Sie nichts dagegen haben, und sehen, ob Sie umfallen oder nicht.« »Was halten Sie davon, Garcia? Können wir die Wand durchschneiden?« Sie sah von ihrem Tricorder auf – sie hatte die Flickwerkmauer aus unmittelbarer Nähe abgetastet. »Kein Problem, Riley. Es handelt sich nicht mal um Metall, sondern um Teile aus geschäumtem Neogips. Es dient hauptsächlich als Baumaterial. Es ist widerstandsfähig, aber wenn man es hoch genug erhitzt, schmilzt es wie Butter.« »Wir sind so weit gekommen«, bemerkte Stokely, »es wäre Zeitverschwendung, jetzt wieder umzukehren.« »Genau das denke ich mir auch«, sagte Riley. »Und außerdem haben wir auf unserem Weg schon ein Loch in ihre Außenwand geschnitten – noch eine weitere Wand aufzuschneiden, macht auch keinen großen Unterschied mehr, oder?« Fast wie eine Antwort darauf piepste der Kommunikator. Er klappte ihn auf und Kirks Stimme kam leise durch. »Riley«, fragte der Captain, »glauben Sie, daß Sie damit fertigwerden?«
»Ja, Sir! Ich bin ganz sicher.« Und dann bemerkte er, daß er ein bißchen zu schnell geantwortet hatte. Er hoffte, daß er sich nicht wie ein Narr angehört hatte. Aber aus Kirks Stimme war nicht herauszuhören, ob er es wahrgenommen hatte. »Also gut, Leutnant. Machen Sie weiter. Und Riley – « »Sir?« »Oh, nicht so wichtig.« »Sir?« »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie vorsichtig sein sollen«, gab Kirk zu. »Aber unter diesen Umständen war wohl offensichtlich, daß Sie sich darüber selbst schon im klaren sind.« Und dann fügte er noch hinzu. »Viel Glück.« Riley empfand eine Aufwallung von Stolz. »Danke, Sir.« Er grinste, als er abschaltete. Omara und Stokely wechselten zustimmende Blicke und stellten ihre Phaser neu ein. Omara nahm einen Stift aus seiner Ausrüstung und zeichnete rasch die Umrisse einer Tür auf die Oberfläche der blockierenden Mauer. Als Riley den Kommunikator wieder an seinem Gürtel fixiert hatte, standen die beiden schon bereit und warteten auf seinen Befehl. Und grinsten genauso breit wie er. »Jetzt sagen Sie es schon«, drängte Stokely. Riley nickte. »Sie können feuern, sobald Sie dazu bereit sind, Grisly. Ich glaube, so lautet der entsprechende Befehl, oder?« Omara warnte: »Setzen Sie lieber Ihre Sauerstoffmaske wieder auf, Sir. Man kann nie wissen, was in dieser Wand drin ist. Einige dieser Dinger geben toxische Gase ab, wenn sie brennen.« Er wartete, bis Riley damit fertig war und ihm ein Zeichen mit dem Daumen gegeben hatte, dann drehte er sich zu seinem Partner um und machte eine »Bitte nach Ihnen, mein Herr«-Geste.
Stokely nahm sie wohlwollend zur Kenntnis und richtete dann seinen Phaser mit vorgetäuschter Unbekümmertheit auf die Wand. Ein nadeldünner, blauleuchtender Strahl schnitt im Bogen eine Seite auf, quer hindurch, dann die andere Seite herunter und unten quer zurück. Es entwickelte sich fast kein Rauch, nur ein schwaches Rinnsal schwelender, schwarzer Flüssigkeit, die sich zischend in einen schnell hart werdenden Pudding verwandelte. Riley sah Stokely und Omara fragend an. Der Strahl hatte die äußeren Umrisse einer Tür herausgeschnitten, aber – Omara erhob eine Hand zur »Einen Augenblick, bitte«-Geste. Er ging zur Wand hinüber, lüftete seine Sauerstoffmaske, spitzte seinen Mund und blies mit behutsamer Eleganz sanft dagegen. Der perfekt ausgeschnittene Umriß einer Tür kippte langsam nach innen – und da war Licht! Strahlend und warm und blendend – ein vertrautes gelbes Glühen, das sie verwirrt einen Augenblick lang denken ließ, daß sie eine Tür in eine andere Welt gefunden hatten – – und da war der Duft von Blumen! Und Farnen! Und anderen Dingen, die nicht so einfach zu identifizieren waren, aber jedes von ihnen ebenso wunderbar und verwirrend. Klee! Salbei! Wilder Fenchel! Und Erdbeeren?!! Sie waren umgeben von einem berauschenden Zauber. Alle Arten von Gewächsen hatten ihren Duft in der Luft verbreitet: Ein Geruch von saftigem Grün, reich und holzig und wundersam. »Es riecht nach Sommer…«, flüsterte Garcia. Und als wäre es von ihren Worten herbeigerufen worden, schwirrte ein einzelnes Insekt durch das Loch, das sie herausgeschnitten hatten, und ging auf Entdeckungsflug. Sie starrten es erstaunt an: Es war eine Honigbiene. Eine vertraute, schwarzgelb gestreifte Honigbiene.
Sie schwirrte einen Augenblick lang neugierig um sie herum und versetzte sie alle mit ihrem Mut in Erstaunen; dann verschwand sie wieder – da sie bei dieser näheren Untersuchung weder Blumen noch Düfte vorgefunden hatte – durch die Tür zurück in den… Sommer.
12
Sie gingen in einen Korridor voll Licht hinein.
Es blendete sie – sie setzten ihre Brillen auf, aber immer noch
blinzelten sie gegen das funkelnde, farbige Licht.
Über ihnen schimmerten in großer Höhe weißglühende Lichter wie eine Ansammlung winziger Sonnen – auf allen Seiten waren sie von Grünem umgeben. Die Besatzungsmitglieder bewegten sich langsam weiter – überwältigt – durch ein Labyrinth von Behältern, die ihnen bis zur Brust reichten, jeder von ihnen voll großblättriger Pflanzen, deren holzige Stengel sich gierig dem Licht entgegenstreckten. Es waren riesige Kletterpflanzen, die an den Metallstützen des Raums hochkletterten, und jede von ihnen war mit gigantischen Tomaten beladen. Riley, Stokely, Omara und Garcia starrten verwundert darauf und fühlten sich plötzlich klein. Die Kletterpflanzen waren grüne Säulen, die eine in Felder aufgeteilte Landschaft übersäten. Es gab unendlich viele Behälter; Reihe um Reihe von grünen Behältern und grünen Säulen breitete sich vor ihnen aus und verloren sich in einer weißen Fläche in der Ferne. Auf beiden Seiten sahen sie die Reihen in einer sanften Kurve aufwärts verlaufen, um dann wieder in einem verschwommenen Lichtschein zu verschwinden. Das war nicht nur eine im Weltraum hängende Stadt, die die Enterprise da entdeckt hatte; das war eine ganze Nation! Ein Kontinent! Eine Welt mit Reichtümern und einer eigenen Ökologie! Ihre Tricorder zeichneten alles geräuschlos auf. Riley war der erste, der seine Sprache wiederfand. »Wir haben die Farm gefunden…« flüsterte er.
»Eine von ihnen, jedenfalls«, sagte Garcia. »Es gibt wahrscheinlich noch andere.« Riley sah sie an. »Diese hier baut hauptsächlich Tomaten an. Und einige freundliche Kameraden, wie Basilikum – aber hauptsächlich Tomaten. Das bedeutet, sie müssen andere Farmen für andere Feldfrüchte haben. Sehen Sie, wie die Pflanzen hier Nutzen aus der niedrigeren Schwerkraft auf dieser Ebene ziehen, um an den Stützen hochzuklettern. Diese dort muß mindestens zehn Meter hoch sein – und sehen Sie sich die Größe der Frucht an dieser Kletterpflanze an!« »Eine niedrige Schwerkraft hat auch ihre Vorteile«, sagte Riley. Garcia warf ihm einen Blick zu – vielleicht hatte er nicht erwartet, daß sie es mitkriegen würde, aber sie hatte es – diese besondere Bemerkung war die Pointe einer der schmutzigsten Geschichten in der Sternenflotte (dem Vernehmen nach die genaue Beschreibung eines Vorfalls, der sich zwischen einem bestimmten lüsternen Chefingenieur und der weiblichen Delegierten einer der L 5-Nationen ereignet hatte; aber es war ebensogut möglich, daß die Geschichte frei erfunden war, da es nicht möglich war, in einer höflichen Art und Weise Nachforschungen an der Quelle selbst anzustellen…). Riley schaute schon in eine andere Richtung. »Junge«, sagte Garcia. »Was würde ich dafür geben, mir ihre anderen Farmen anzusehen! Das ist wirklich außergewöhnlich. Einfach erstaunlich.« »Also bitte, Garcia«, sagte Stokely. »Sie haben doch schon Farmen gesehen.« »Ja, aber noch nie so etwas Primitives in einem so großen Maßstab. Das ist keine Museumsausstellung, Stokely. Das Leben dieser Leute hängt von dieser Farm ab. Deshalb verteidigen sie sie auch so tatkräftig vor den Wilden. Ich bin
überrascht, daß wir so leicht hereingekommen sind. Das ist ein sehr deutlicher Beweis. Wir haben es offensichtlich mit einer sehr fähigen – und strukturierten – Gesellschaft zu tun. Sie sind anpassungsfähig und in der Lage, von den Materialien, die sie zur Hand haben, Gebrauch zu machen.« Sie deutete darauf. »Schauen Sie – das wurde nicht als Farm entworfen. Das sind nur die Decksaufbauten des Schiffes, diese Stützen dort. Was auch immer hier vorher war, ist vollständig abmontiert worden, so daß diese Farm angelegt werden konnte – wahrscheinlich noch mehr Geschäfte und Häuser wie die, an denen wir vorbeigekommen sind.« Die Männer warfen sich gegenseitig Blicke zu. Omara sprach die Frage aus. »Aber was ist mit ihren ursprünglichen Farmen passiert, daß sie diese hier aufbauen mußten?« »Vielleicht ist das die einzige«, vermutete Stokely. »Vielleicht wurde sie zusätzlich zu den anderen errichtet – vielleicht, um eine größere Bevölkerung zu versorgen?« »Das bezweifle ich.« Garcia schüttelte ihren Kopf. »Das paßt nicht zu dem, was wir bisher gesehen haben. Ich würde sagen, daß die Sperranlagen des Schiffes Beweis sind für eine Art von – Zusammenbruch; irgendeine physische Katastrophe, oder eine ökologische, vielleicht auch ein sozialer Umbruch. Die Wilden, zum Beispiel – was bringt ein Volk dazu, zu einer primitiven Existenzform zurückzukehren? Diese Farm aber ist ein Beweis dafür, daß jemand etwas Neues auf den Ruinen aufbaut.« Plötzlich hörte sie mit einem überraschten Gesichtsausdruck auf zu sprechen. »Haben Sie bemerkt, was passiert ist?« Sie sah von einem zum anderen. »Was?« »Wann haben wir angefangen, die feindlichen Wesen »Wilde« zu nennen?«
Stokely, Omara und Riley schauten sich an und zuckten verwirrt die Schultern. »Feindliche Wesen, ja – «, sagte Garcia, » – aber wir wissen nicht sicher, daß sie Wilde sind. Wir haben hier eine Behauptung aufgestellt, möglicherweise eine unfaire. Wir erlauben uns außerdem, uns mit denen zu identifizieren, die diese Farm errichtet haben, weil sie über Technologie verfügen.« Riley grinste. »Jetzt hören Sie sich an wie der Captain.« Garcia grinste direkt zurück. »Das muß ich wohl auch. Ich habe bei ihm an der Akademie studiert. Als rangniedriger Offizier hat er den Teilbereich über grundsätzliche Vorgehensweisen bei Erstkontakt mit fremden Lebewesen unterrichtet. Ich fand es faszinierend. Er sagte immer, daß es gefährlich ist, in einer Situation Sympathie zu empfinden – wenn man nicht bereit ist, für beide Seiten Verständnis aufzubringen. Er ist einer der Gründe dafür, warum ich beschlossen habe, in den Kontaktdienst zu gehen und warum ich auf der Enterprise bin.« »Das hier ist eigentlich nicht… fremd – «. Omara deutete auf die nicht zu übersehenden Tomaten um sie herum. »Aus diesem Grund ist es potentiell sogar noch gefährlicher, – es ermutigt uns, die Situation für das zu halten, als was sie uns erscheint – und das sollten wir vielleicht nicht tun. Die erste Regel bei Erstkontakt ist, allen ersten Eindrücken zu mißtrauen; sie sind gewöhnlich falsch.« Garcia bemerkte, daß sie anfing, pedantisch zu klingen. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern war… tolerant und belustigt. »Nun gut«, sagte sie. »Der Unterricht ist beendet. Machen wir weiter.« »Ich möchte zuerst einen Bericht abgeben«, sagte Riley und nahm den Kommunikator vom Gürtel. Trotz des Wissens, daß ihre Tricorder ununterbrochen ihre Daten überwachten und an
die Enterprise weiterleiteten, waren die Beobachtungen des Kontakttrupps vor Ort durch nichts zu ersetzen. Aber bevor er seinen Kommunikator aufklappen konnte, sagte Omara: »Warten Sie – « und deutete nach vorne. »Sehen Sie – « Weit entfernt, gerade noch in Sichtweite, bewegte sich etwas. Es war nur ein dunkles Flimmern vor einem Horizont voller Licht, aber es bewegte sich auf sie zu. »Vielleicht haben sie uns noch nicht gesehen – « winkte Riley sie zurück. »Gehen Sie in Deckung.« Die vier zogen sich zurück und teilten sich auf, Riley und Garcia gingen in den linken Seitengang, Stokely und Omara glitten in den gegenüberliegenden Gang. Garcia spähte schon auf die Anzeige ihres Tricorders. »Es sieht so aus, als ob es nur eine Person ist – mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent.« »Pst«, sagte Riley. Er schnallte seinen Kommunikator wieder fest, machte seinen Phaser los und überprüfte nochmals, daß er auf Betäubung eingestellt war. Omara und Stokely sahen, was er getan hatte und nahmen ebenfalls ihre Waffen zur Hand, aber Riley winkte sie zurück. Jetzt war das Wesen nah genug, um es – nein, sie – klar erkennen zu können. Eine Frau. Eindeutig eine Frau. Sie trug einen kurzen Rock, Sandalen und als Oberbekleidung eine Jacke, die zugleich als Halfter und als Arbeitstasche diente. Sie sah nicht älter als siebzehn aus – aber dieser Eindruck konnte täuschen. Sie konnte auch erst zwölf oder schon fünfzig sein. Da die Alterungsprozesse wahrscheinlich metabolisch kontrolliert wurden, war es unmöglich, sicher zu sein. Als sie näherkam, sprach sie in ein kleines Funkgerät, das sie in der Hand hielt: »Ist sehen Durchbruch, Allrah. Ist nicht sehen Dämonen jetzt.« Sie blieb nur wenige Meter von da entfernt stehen, wo sie sich versteckten. Riley und Omara
wechselten Blicke über den offenen Korridor. Die Frau trug ein sehr gefährlich aussehendes, hochwirksames Wurfpfeilgewehr. Sie drehte sich langsam um und überblickte das ganze Gebiet. »Ist beste rufen Quarantäne. Ganzer Sektor. Sieht aus nicht beschädigt. Ist brauchen Sicherheit und Säuberung.« »Stehnbleiben«, antwortete das Gerät. »Halten Position. Gehen Deckung.« »Check-check«, erwiderte sie und schnallte das Gerät wieder an ihrem Gürtel fest. Sie ließ sich in eine wachsame Position auf ein Knie sinken und hielt ihr Wurfpfeilgewehr vor sich. Riley sank wieder hinter den Behälter zurück. Wenn sich die Frau nur einige Meter vorwärts bewegte, würde sie ihn sehen. Er biß sich nachdenklich in die Unterlippe. Wenn er sich ihr zeigte, würde sie wahrscheinlich einen Wurfpfeil in seine Brust feuern. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, daß das eine fatale Wirkung haben würde. Die Bewohner dieses Schiffsteils standen offensichtlich im Krieg mit den Wilden – nein, mit den feindseligen Wesen. Er warf einen weiteren Blick auf sie. Ihr Haar war kurz geschnitten. Sie trug kein Make-up. Ihre Haut hatte eine dunkle Farbe wie Schokolade – aber er konnte nicht sicher sein, ob es ihre natürliche Farbe war oder ob sie vom ständigen Arbeiten unter diesem Licht gebräunt war. Ihre Gesichtszüge waren wohlgeformt; ihre hohen Wangenknochen gaben ihrem Gesicht einen leicht arroganten Ausdruck. Sie drehte sich zu ihm um, und einen kurzen Augenblick lang war Riley fast sicher, daß sie ihn zwischen den Blättern sehen konnte – aber als sie nicht reagierte und fortfuhr, vorn und hinten alles abzusuchen, atmete er langsam aus. Ihre Augen hatten das durchdringendste Blau, das er jemals gesehen hatte. Er ließ sich selbst in eine kniende Position herab und legte einen Finger an seine Lippen, um den anderen anzudeuten, daß
es weiterhin notwendig war, sich ruhig zu verhalten. Er schüttelte nachdrücklich seinen Kopf. Er begann sich zu fragen… ob sie sie entwaffnen konnten? Nein, das könnte riskant sein. Er sah auf den Phaser in seiner Hand. Nein, nur als allerletztes Mittel würde er – Sein Kommunikator piepste. Die Augen der Frau weiteten sich und – – sie wirbelte herum und – – etwas flog pfeifend an Rileys rechtem Ohr vorbei und – – er rollte sich seitwärts über den offenen Korridor, feuerte mit seinem Phaser eine Salve von drei schnellen Blitzen ab und – – kam auf seine Füße hoch und hielt seinen Phaser immer noch schußbereit, aber die Frau war neben ihrer Waffe zusammengebrochen. »Farge!« sagte er. Garcia bewegte sich schon zu ihr. »Sie hat alle drei Schüsse abbekommen – « »Lebt sie noch?« »Gerade noch – « »Sehen Sie –!« wies Stokely sie hin. Weit entfernt bewegte sich eine Gruppe schwarzer Gestalten auf sie zu. Sie rannten. Riley schnipste den Kommunikator auf Transporterraum. »Fünf Leute hochbeamen. Sofort!« »Warten Sie!« rief Stokely und nahm etwas von seinem Gürtel ab. Ein Fernkoordinationsmodul für den Transporter, so daß sie oder ein anderer Trupp an denselben Punkt zurückgebeamt werden konnten. Er befestigte es an der Unterseite eines der Behälter, wo es nicht so leicht gesehen werden konnte. »Beeilen Sie sich«, schnauzte Riley. Er brachte seinen Phaser wieder nach oben, aber er wollte ihn nicht wieder benutzen,
wenn es nicht unbedingt notwendig war; es würde später nur um so schwieriger sein, einen friedlichen Kontakt herzustellen. Aber dieser Sicherheitstrupp, oder was immer es war, kam näher. Sie konnten ihre Schritte auf dem Deck hören. Und sie waren schwer bewaffnet. »Befestigt und in Funktion«, sagte Stokely. »Transporterraum, Energie.« Die Luft um sie herum füllte sich mit Funken und ein Regen von Wurfpfeilen schoß harmlos durch den Raum, wo sie sich gerade noch aufgehalten hatten.
13
Dr. Leonard »Pille« McCoy musterte die bewußtlose junge Frau auf dem Tisch mit dem Blick eines erfahrenen Arztes. Der Schirm am Kopfende des Bettes zeigte an, daß ihre Lebensfunktionen gefährlich niedrig waren. »Wird sie durchkommen?« fragte Riley. Er sah besorgt aus. McCoy wandte den Blick nicht vom Handterminal, das er gerade überprüfte. »Ich sage nicht die Zukunft voraus, Leutnant. Ich versuche lediglich, ihr zu helfen.« Dann fügte er etwas freundlicher hinzu: »Sie hat wirklich eine Chance, denn sie ist ja jung und kräftig. Gehen Sie jetzt und melden Sie sich beim Captain, ich komme schon alleine zurecht.« Dann sagte er zu Schwester Chapel: »Geben Sie ihr Deo-Fünf intravenös mit zweiprozentigem Adrenal-4.« Chapel sah ihn fragend an. »Ich weiß, ich weiß – aber es wird sie nicht umbringen und ihr wenigstens etwas Kraft geben. Solange ich nicht sicher bin, daß ihr Stoffwechsel rein menschlich ist, werde ich nichts Drastischeres unternehmen. Machen Sie einen Abstrich und eine vollständige Untersuchungsreihe; vor allem aber die Aminosäurenreihe, die Protein- und Enzymanalysen, und beginnen Sie mit einem genetischen Diagramm, wenn dazu noch Zeit ist. Das Labor soll mit den Chromosomen 6 und 7 beginnen, und lassen Sie mir die Zahl der Hy-3-Aktivatoren bestimmen.« »Jawohl.« Chapel war schon unterwegs. Allein mit seinem Patienten sank McCoy langsam in einen Stuhl, der neben dem Bett stand und überprüfte nochmals die Anzeigen der Lebensfunktionen. Das alles gefiel ihm ganz und
gar nicht. Er streichelte die Hand der jungen Frau, aber sie bewegte sich nicht. Im Augenblick konnte man nur abwarten. Aber daran war McCoy gewöhnt. Ein Großteil des Heilungsprozesses hängt von der Fähigkeit des Arztes ab, zu erkennen, wann er abwarten, nachdenken und vor allem die Situation neu beurteilen sollte. Anstatt zu heilen, hilft ein guter Arzt in den meisten Fällen dem Kranken, sich selbst zu heilen, und die Begabung eines Arztes läßt sich oft an seiner Geduld messen. Einige Minuten später saß er immer noch da, als Kirk eintrat. »Pille – «, sagte er. »Ich weiß es nicht«, sagte McCoy, »also frag nicht.« »Woher weißt du, was ich fragen wollte?« »Ich lese Gedanken. Du wolltest fragen, wie es ihr geht und wann sie wieder sprechen können wird. Zunächst möchte ich aber sicher sein, daß sie nicht stirbt. Sie ist schrecklich zierlich und hat eine ziemlich kräftige Ladung abbekommen. Du könntest Riley sagen, er braucht das nächste Mal nicht so schieß wütig zu sein.« »Er hatte Angst, Pille. Und wer sagt, daß ein anderer unter den gleichen Umständen nicht dasselbe getan hätte?« Pille sah nicht gerade überzeugt aus. Aber bevor er antworten konnte, piepste das Intercom. Er ging hin. »Hier McCoy.« Eine Frauenstimme: »Hier ist das Labor, Sir. Sie ist ein Mensch. Zu hundert Prozent. Blutgruppe A positiv. Die Details kommen in den Speicher, sowie wir sie ausgebrütet haben.« »Danke«, sagte McCoy und schaltete ab. Er ließ einige Graphiken auf dem Bildschirm aufleuchten und überflog sie, dann wandte er sich wieder Kirk zu. »Wir schaffen es.« Er zog ein Injektionspistole auf und machte sie fertig. Als er damit den entblößten Unterarm der jungen Frau berührte,
zischte es leise. McCoy reckte sich, um nochmals die Anzeigen auf dem Bildschirm zu lesen. Zwei der orangefarbenen Anzeigen waren wieder leicht angestiegen. Eine dritte begann, etwas schneller zu steigen. »Gut«, sagte er. »Sie steht immer noch unter Schock, aber nicht mehr lange. Dieses Zeug wird sie in einen sanften Schlaf versetzen.« »Kannst du sie wecken?« McCoy drehte sich zu ihm um. »Physisch kann sie schon damit fertig werden, Jim – aber hast du schon mal an den mentalen Schock gedacht, den sie kriegen wird?« »Eh?« »Was ist, wenn diese Leute so isoliert waren, daß sie an nichts anderes mehr als ihr eigenes, kleines Universum glauben? Wenn das der Fall ist, wird sie einen ziemlichen Kulturschock davontragen. Und das wird noch das geringste Übel sein.« Kirk atmete lauter als sonst aus, aber es war nicht direkt ein Seufzer. »Du hast ja recht, Pille. Aber wir müssen sie trotzdem befragen.« »Ich weiß«, sagte McCoy gereizt, »- und was ich versuche, dir zu erklären, ist, daß sie im Moment ein Verhör vielleicht nicht verkraften würde.« »Eine Befragung, Pille. Das Wort heißt ›Befragung‹.« »Ich bin Arzt und nicht Semantiker. Ich kann mir nur schwer den Unterschied zwischen Befragung und Verhör erklären.« Kirk wußte, daß es sinnlos war, mit McCoy zu streiten. »Also gut, Pille. Wie lange wird es dauern?« McCoy gab einen mißmutigen Laut von sich. Er wog sämtliche Möglichkeiten ab, dann sagte er: »Ich möchte, daß sie von selbst aufwacht.« Als ob das ein Stichwort gewesen wäre, kam vom Krankenbett ein Geräusch.
Die junge Frau hatte sich auf ihre Ellbogen erhoben und starrte sie neugierig und argwöhnisch an. »Wer ihr?« fragte sie. Als sie die merkwürdige Umgebung wahrnahm, riß sie die Augen auf. »Wo das?« McCoy trat zu ihr ans Bett. »Kein Grund zur Besorgnis, junge Dame. Bald wird es Ihnen wieder gut gehen, und keiner wird Ihnen etwas tun.« Kirk ging an die gegenüberliegende Seite des Krankenbetts. »Sie befinden sich auf dem Föderations-Sternenschiff Enterprise, und ich bin Captain James T. Kirk.« Sie musterte ihn kurz, dann verengten sich plötzlich ihre blauen Augen. »Gibt nur einen Captain!« Kirk nickte sanft. »So sollte es auch sein. Ich bin der Captain dieses Schiffs. Wer ist der Captain Ihres Schiffs, und welchen Namen besitzt es?« »Ist Dämonentrick? Ja! Ihr Dämonen! Ist nicht trauen Schwindlern! Feinde!« McCoy sah zu Kirk hin. »Sie darf sich nicht aufregen, Jim.« Er streckte die Hände nach ihren Schultern aus, um sie sanft aufs Bett zurückzudrücken, aber sie rollte sich zur Seite. Plötzlich drehte sie sich wieder um und versetzte McCoys rechter Wange einen Faustschlag, der ihn zur gegenüberliegenden Wand taumeln ließ. Er sagte noch »Uff«, als ihm durch den Aufprall die Luft aus den Lungen gedrückt wurde, dann sackte er in sich zusammen. Die junge Frau rollte sich vom Bett, landete sicher auf dem Boden und stand, das Bett zwischen ihnen, Kirk gegenüber. Sie ging in Kampfstellung, die Hände drohend verkrampft. Kirk entspannte sich bewußt und hielt die Hände hoch. »Ich bedrohe Sie nicht«, sagte er. »Sie sind unser Gast.« »Ihr Dämonen!« zischte sie. »Ist nicht sterben kampflos.«
»Wer redet denn vom Sterben«, sagte Kirk. »Sie sind hier nicht in Gefahr. Der Mann, den Sie gerade niedergeschlagen haben, ist der Arzt, der Ihnen das Leben gerettet hat.« Sie blickte kurz hinter sich, sah aber dann sofort wieder Kirk an. »Ist Trick! Ja«, sagte sie beharrlich. »Nein«, sagte Kirk sanft. »Ist kein Trick.« »Ist nicht glauben.« »Was kann ich tun, um Sie zu überzeugen?« Sie fing an, nachzudenken. Ein Stirnrunzeln legte sich über ihre düsteren Gesichtszüge. Hinter ihr fing McCoy zu stöhnen an und begann, sich hochzurappeln. Er schnappte sich einen gebrauchsbereiten Injektor von der medizinischen Einheit. Kirk ließ sich nichts anmerken. »Wir wollen Sie nicht verletzen«, sagte er mit bewußt sanfter Stimme. »Ich bin Captain James T. Kirk vom Sternenschiff Enterprise. Sie befinden sich auf der Enterprise. Und nicht mehr auf Ihrem eigenen Schiff. Wir fanden Ihr Schiff – oder besser, Ihre Welt – als treibendes Wrack vor. Ihr Schiff ist mehr als zwanzig Lichtjahre von der nächsten menschlichen Kolonie entfernt. Sie können von Glück sagen, daß wir Sie gefunden haben. Ihr Schiff treibt aus der Galaxis hinaus. Sie befinden sich bereits oberhalb der Ebene der Ekliptik.« »Ist kein Gerede mehr!« unterbrach sie ihn. »Ist Geschwafel. Kindersprache. Märchengeschichte. Ist – ist – « Sie wurde nervös und zögerte. Und McCoy trat hinter sie und drückte ihr die Injektionspistole auf den entblößten Arm. Leise zischte es – Sie wirbelte herum und starrte ihn schockiert, als hätte man ihr Vertrauen mißbraucht, an – – dann taumelte sie langsam nach vorne in seine ausgebreiteten Arme. McCoy fing sie sanft auf und hielt sie fest, als wäre er ihr Vater. Dann strich er ihr übers Haar. »Bald geht es dir wieder gut, kleines Mädchen, spätestens dann, wenn
du aufhörst, dich zu fürchten.« Über ihre Schulter hinweg blickte er seinen Captain an. »Hörst du vielleicht jetzt auf den Rat deines Arztes?«
14
Sämtliche Offiziere und Abteilungsleiter erwarteten den Captain im Lagebesprechungsraum und unterhielten sich angeregt miteinander. Als Kirk hereinschlenderte und seinen Platz am Tischende einnahm, verstummte das allgemeine Gemurmel. »Also«, begann er. »Wir haben alle die Berichte des Kontakttrupps gesehen. Sie haben alle Außergewöhnliches geleistet, wenn man die schwierigen Umstände, unter denen sie arbeiten mußten, berücksichtigt. Nehmen Sie bitte zu Protokoll, daß ich allen eine Belobigung in ihre Akten eintragen lasse. Und jetzt, da es so viele Fragen gibt, hätte ich auch gern ein paar Antworten.« Er blickte in die Runde. »Mr. Chekov, haben Sie den Kurs des Schiffs zurückverfolgt?« Chekov sah etwas verlegen drein. »Äh… ja, Keptin, aber er ist so unwahrscheinlich, daß wir eine zweite Simulationsreihe laufen lassen.« »Die Möglichkeit, daß Sie sich täuschen, besteht natürlich, Mr. Chekov. Diese Erfahrung ist für uns alle etwas Alltägliches. Aber wenigstens für die Akten: welchen Ursprung hat Ihre erste Simulation ermittelt?« »Äh – Sie werden es kaum glauben – ich weiß, ich konnte es mir selbst kaum vorstellen – aber, äh – « »Kommen Sie bitte zur Sache.« » – Äh, die Erde.« »Die Erde?« »Nun, zumindest das Erdsystem. Unsere – äh, Wahrscheinlichkeit liegt bei dreiundfünfzig Prozent. Sie müßten auf ihrem Weg einige andere Sternensysteme besucht haben, eine Schleife um deren Sonnen gemacht haben, um in
eine neue Flugbahn für ihr nächstes Ziel zu kommen – aber die Kurse gleichen sich fast bis aufs Haar mit Mr. Spocks Simulation dessen, was ein Kolonistenschiff tun würde – « Er stockte und warf dem Vulkanier einen hilfesuchenden Blick zu. Spock nickte gelassen. »Falls wir davon ausgehen, daß es sich hier um ein Kolonistenschiff handelt – denn das scheint es tatsächlich zu sein –, dann stellt auch Mr. Chekovs Simulation eine Verkettung mehrerer aufeinanderfolgender, äußerst schlechter Entscheidungen dar. Falls sie, was naheliegt, das Erdsystem vor ungefähr einhundertfünfundachtzig Jahren verlassen haben, müssen sie als erstes Sirius-B angesteuert haben. Da sie keinen Planeten vorfanden, den sie ohne umfangreiches Terraforming, was zur damaligen Zeit ihre technischen Möglichkeiten überstieg, nutzen konnten, hätten sie keine andere Wahl gehabt, als sich auf den Weg zu ihrem nächsten voraussichtlichen Reiseziel zu machen, Wolf 359. Mr. Chekovs Hypothese, der ich zustimme, ist, daß das Fehlen geeigneter Planeten um diese ersten beiden Sterne so offensichtlich war, daß keine entscheidenden Bremsmanöver eingeleitet wurden. Vielmehr wurde das Schiff in eine neuerliche Schleife um die Sonne gebracht, um eine neue Flugbahn zu erhalten und die resultierende Schwungkraft in eine neue Richtung zu leiten. Mit entsprechend großen Segeln hätten sie dann auch den Solarwind nutzen können, um an Schnelligkeit zu gewinnen. Natürlich mit dem Ziel, die Reisezeit bis zum nächsten Stern zu verkürzen. Falls sie das, wie Mr. Chekov meint, mehrere Male in Folge taten, könnten sie eine beträchtliche Geschwindigkeit erreicht haben. Und damit sind wir bei der schlechten Planung gelandet. Wir müssen annehmen«, fuhr Spock fort, »daß die Bewohner des Schiffs, die sich nunmehr in der dritten oder vierten
Generation befanden, früher oder später ungeduldig wurden. Das Grundkonzept bei Generationsschiffen dieses Typs war immer, daß sie die Hälfte der Reise beschleunigen und die andere Hälfte das Tempo drosseln. Aber dieses Konzept setzte immer einen geeigneten und bewohnbaren Planeten in der Nähe des Zielsterns voraus. Mit Abtastungen in großer Reichweite – selbst einfachster und grundlegendster Art – ist es möglich, lange vor Eintritt in ein Sternensystem dessen Eignung festzustellen. Diese Tatsache muß die Kolonisten dazu ermutigt haben, den Drosselungsprozeß so lange hinauszuzögern, bis sie nahe genug herangekommen waren, um entscheiden zu können, ob sie die Energiequellen in die Abbremsung investieren sollten oder nicht. Dies würde zwar einen wesentlich schärferen Bremsvorgang erfordern, aber die Chancen, einen geeigneten Planeten zu finden, waren zu gering, um ein derartiges Glücksspiel zu rechtfertigen. Sah ein Planet vielversprechend aus, leitete man das Bremsmanöver ein, aber keine Sekunde zu früh. Auf diese Weise sparte man sich seine Schwungkraft. Sollte sich das System in jeder Hinsicht als unbewohnbar erweisen, hatte man immer noch seine ursprüngliche Geschwindigkeit. Man zieht eine Schleife um die Sonne und ist bereits mit Höchstgeschwindigkeit auf dem Weg zum nächsten Zielort – während man immer noch beschleunigt. Für die Bewohner des Schiffs muß die Chance, die nächste Etappe der Reise um zehn oder fünfzehn Jahre zu verkürzen – falls der schlimme Fall eintrat, daß sie ihre Reise fortsetzen mußten – sehr verlockend gewesen sein. Für diejenigen, die die Wahl hatten, den Rest ihres Lebens auf dem Schiff zu verbringen oder aber vielleicht doch noch auf einem Planeten herumwandern zu können – etwas, was sie bisher noch nicht kannten und auch nie kennenlernen würden, falls sie nicht die
Gelegenheit beim Schopf packten – mußte es die einzig mögliche Handlungsweise gewesen sein. Da es ihnen aber nicht vergönnt war, einen Planeten zu finden, war ihr Geschwindigkeitszuwachs so groß, daß ein endgültiges Abbremsen innerhalb der nötigen Zeitspanne nicht nur außerordentlich schwierig, sondern praktisch unmöglich war. Wäre ein geeigneter Planet entdeckt worden, wäre es zu spät zum Abbremsen gewesen.« »Aber sie müssen doch bemerkt haben – « meinte Uhura. »An einem bestimmten Punkt, ja. Aber da gibt es zwei Möglichkeiten. Nehmen wir einmal an, sie verloren einen Teil ihres Antriebssystems – zum Beispiel, wenn ein Reaktor ausfällt und es keine Möglichkeit gibt, ihn zu reparieren. Was dann? Sie verlieren einen Teil ihrer Bremskapazität. Bisher deutet alles daraufhin, daß sie mehrere Reaktoren verloren haben. Eine zweite, vielleicht sogar wahrscheinlichere Möglichkeit, wenn man die Umstände als auch den Bericht des Kontakttrupps in Erwägung zieht, wäre, daß es eine Art sozialen Aufstand gab. Eine Meuterei vielleicht.« Bei diesem Wort drehten sich sämtliche Köpfe in Spocks Richtung. Meuterei? Selbst Kirk sah besorgt aus. »Stellen Sie sich doch mal vor…« sagte Spock. »Ein Planet wird entdeckt. Hero’s Star zum Beispiel. Aus der Entfernung sieht er bewohnbar aus. Selbst bei näherer Betrachtung erscheint er vielversprechend. Aber periodisches Aufflackern des Zentralgestirns setzt den Planeten solch intensiver, harter Strahlung aus, daß ein Leben dort bestenfalls in Grenzbereichen möglich ist. Aber – falls Sie in Ihrem ganzen Leben noch nie einen Fuß auf einen Planeten gesetzt haben, und dieser Planet Ihre einzige Chance auf ein endgültiges Zuhause ist, welche Rolle spielt da ein Strahlungsausbruch, der nur alle dreiundzwanzig Jahre einmal auftritt?« Er blickte in die Runde.
Einige der Offiziere starrten auf ihre Hände, die sie auf den Tisch gelegt hatten. Andere waren kreidebleich geworden, weil sie das Ausmaß der Situation noch gar nicht begriffen hatten. »Mr. Spock«, sagte Kirk sanft, »ich wußte gar nicht, daß Sie soviel… Mitleid… haben können…« »Mitleid hat nichts mit Logik zu tun, Captain. Ich extrapoliere lediglich einen möglichen Umstand aus den vorliegenden Indizien – inklusive meines eigenen Wissens über das menschliche Verhalten.« Er erwiderte Kirks spöttischen Seitenblick, indem er ihn kalt anstarrte. »Darf ich fortfahren?« »Bitte.« »Geht man von diesen Vermutungen aus – denn mehr sind es nicht – würde ich sagen, daß die Entscheidung darüber, ob man auf Hero’s Star bleibt oder die Reise zum nächsten Planeten fortsetzt, möglicherweise einen Bürgerkrieg entfacht hat – der vielleicht schließlich zur Meuterei führte. Möglicherweise machte es sich eine Partei zum Ziel, das Schiff manövrierunfähig zu machen, um es an der Weiterreise zu hindern, weshalb es jetzt eben ein Wrack ist. Der Krieg wurde nie entschieden, und die Überlebenden leben in den entgegengesetzten Enden des Schiffs, als Bauern und… Wilde. Natürlich basiert diese Extrapolation lediglich auf den Indizien, die bisher vorliegen, aber das letzte System, das dieses Schiff möglicherweise durchquert haben könnte, war tatsächlich das von Hero’s Star, und die Flugbahnen und Geschwindigkeiten, die Mr. Chekov errechnet hat, passen außergewöhnlich gut zu dieser Hypothese.« Kirk warf einen Blick über den Tisch auf seinen Ersten Offizier. »Danke, Mr. Spock. Eine exzellente Darstellung. Wie hoch… ist die Wahrscheinlichkeitsrate… dieser Hypothese?« Spock blickte ins Leere, während er kalkulierte. »Mindestens neunzig Prozent.«
»Oh«, sagte Kirk augenzwinkernd. »Dann ist es ja nichts weiter als eine bloße Vermutung.« Spock sagte: »Für einen Vulkanier, ja.« Kirk ging nicht weiter darauf ein. Er wollte gerade Mr. Chekov nach seiner zweiten Simulationsreihe fragen, als sich Mr. Scott zu Wort meldete. »Aye, Mr. Spock, eine schöne Geschichte, die Sie da erzählen, aber sie ist nicht viel wert. Es gibt keine Aufzeichnung, daß ein Schiff dieser Art jemals die Erde verlassen hätte. Ich kenne mich mit dem Schiffsbau aus und würde wissen, ob ein solches Schiff in den letzten dreihundert Jahren gebaut wurde. Der Kostenaufwand wäre nicht nur in Megaeinheiten, sondern sogar Makroeinheiten gegangen, und derartige Kosten sowie ein Bauprojekt in dieser Größe lassen sich nicht geheimhalten.« »Wenn Sie meinen, Mr. Scott.« Spock fixierte den Chefingenieur mit ausdruckslosem Gesicht. »Wenn Sie über den Bau dieses Schiffs im erdnahen Raum nichts wissen, dann wissen Sie eben nichts davon. Aber das Schiff ist hier, nur einige Kilometer entfernt. Und die junge Frau in Dr. McCoys Bordlazarett spricht eine veränderte, aber immer noch erkennbare Form Erdsprache. Daher ist eher wahrscheinlich, daß Ihr Wissen und nicht die Herkunft dieses Schiffs fraglich ist.« Er wartete geduldig auf Scotts Antwort. Scotty nahm es nicht persönlich. Aber er verschränkte die Arme vor seiner Brust und hielt Spocks Blick stand. »Wie auch immer, Mr. Spock, aber ein solches Schiff wurde niemals im erdnahen Raum gebaut. Und ich muß es wissen, denn ich war ranghöchster Ingenieur in den San Francisco Docks, als die Enterprise und drei ihrer Schwesterschiffe gebaut wurden. Und das ist das einzige Dock, das die Kapazität besitzt, ein derartiges Schiff überhaupt zu entwerfen – und glauben Sie mir, ich habe des öfteren ältere Aufzeichnungen durchgesehen, um zu lernen, wie meine Vorgänger mit Problemen des
Schiffsbaus fertig geworden sind. Nein, Mr. Spock. Dieses Schiff stammt aus keinem mir bekannten Dock.« Bevor sich jemand zu Wort melden konnte, hob Kirk die Hand. »Meine Herren«, sagte er. »Vielleicht haben Sie beide recht. Ich schlage vor, daß unser nächster, logischster Schritt darin besteht, die Historikabteilung der Enterprise aufzusuchen.« Er blickte einen nach dem anderen fragend an. »Einverstanden?« Er war bereits aufgestanden, ohne auf ihre Antworten zu warten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
15
Trotz bester Absichten von Planern, Gestaltern und Erbauern gibt es bei Sternenschiffen immer wieder einige wenige Teile, die aus irgendeinem Grund letztlich doch wieder modifiziert werden – gewöhnlich, um den besonderen Bedürfnissen oder der Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Besatzung entgegenzukommen. Die Enterprise bildete in diesem Zusammenhang keine Ausnahme. Normalerweise ist die Historikabteilung eines Sternenschiffs, gemessen an der Größe der Schiffsbibliothek, eine kleinere Datei – was nicht zuletzt auch damit zu tun hatte, daß Sternenschiffcaptains dazu tendierten, eher Geschichten zu machen, als sie zu studieren. Aber in dieser Hinsicht war James T. Kirk ebenfalls eine Ausnahme. Bevor er mit der Enterprise auf seine erste Patrouillenfahrt ging, hatte er befohlen, das Niveau der Schiffsbibliothek entscheidend zu verbessern, so daß es nunmehr mit den Speichern des Sternenflottenkommandos vergleichbar war. Der dritte Sportraum des Schiffs war daraufhin umgebaut worden, damit die zusätzlichen Speichertanks untergebracht werden konnten. Als Erklärung hatte Kirk lediglich gesagt: »Wenn man von den Fehlern anderer lernen kann, muß man sie nicht selber machen.« Wann immer also die Enterprise mit einem anderen Schiff oder einer Sternbasis zusammentraf, bat der Schiffsbibliothekar automatisch um neueste Daten für sämtliche Bereiche der Bibliothek und bot als Austausch an, was immer an unklassifizierter Information von ihm erbeten wurde. Die Enterprise sammelte auch routinemäßig die
Bibliotheken von anderen Quellen, speziell diejenigen außerirdischer Kulturen, auf die sie bei ihren Patrouillen stieß. Im ersten Jahr von Kirks Kommando als Captain der Enterprise hielt die Admiralität der Sternenflotte diese Politik für eine interessante Marotte und harmlose Spinnerei. Einige Captains malten, um sich zu entspannen, andere wiederum spielten Schach; James T. Kirk aber sammelte die Summe allen menschlichen Wissens, das im Universum existierte. Und dann kam es zu der berühmten Begegnung mit MacMurray. MacMurray war ein Freibeuter gewesen, der einen bewohnbaren Planeten an einem ziemlich unwahrscheinlichen Ort entdeckt hatte. Er nannte ihn Noah, weil er drei Sonnen hatte. Die Sonnen dagegen benannte er nach seinen drei Katzen: Signpost, Shadow und Fred. Kurze Zeit später errichtete er an der Küste des einzigen Kontinents dieses Planeten für sich selbst ein Kaiserreich – das in Wirklichkeit eine Kolonie von Außenseitern, Unzufriedenen und Ausgestoßenen war, aber MacMurray als Machtbereich genügte. Er und sein Gefolge erklärten sich zu einer unabhängigen Technokratie, hißten eine Flagge über dem Gerichtsgebäude und stellten eine Messingkanone in den Rasen davor. Die Föderation beachtete ihn so gut wie gar nicht. Selbst als Kaiser MacMurray ein Botschafterschiff der Sternenflotte anforderte, um seine diplomatischen Gesandten zur Föderation zu schicken, wurde das schlichtweg ignoriert. Aus irgendeinem Grund wurde die Subraumnachricht nicht einmal bestätigt. MacMurray blieb keine andere Wahl. Diese Brüskierung konnte nicht einfach hingenommen werden. Die Beleidigung mußte vielmehr gerächt werden. Er erklärte der Föderation den Krieg.
Das MacMurray-Kaiserreich kaperte die nächsten drei Handelsschiffe, die in seinen einzigen Hafen einliefen. Das vierte Schiff, das kam, war die Enterprise. Nach einer kurzen Beurteilung der Lage kapitulierte James T. Kirk sofort. Aber er übergab ihm nicht nur die Enterprise, sondern auch die Sternenflotte und die gesamte Föderation. Dann übertrug er ihm die Herrschaft über das gesamte bekannte Universum und sämtliche Bereiche, die erst noch entdeckt werden mußten. Und alles andere, was dabei noch nicht enthalten war. MacMurray war mit dem, was er erreicht hatte, äußerst zufrieden. Er erklärte alle Feindseligkeiten für beendet und ließ sich hochbeamen, um höchstpersönlich das Kommando über die Enterprise zu übernehmen. Bevor er ihm die absolute Befehlsgewalt übertrug, hielt es James T. Kirk für nötig, den neuen Herrscher der Galaxis über den momentanen Stand der Dinge zu unterrichten. Er brauchte sieben Minuten, um all die lokalen Kriege und Unstimmigkeiten, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in offene Feindseligkeiten ausgeartet waren, aufzulisten. Nicht etwa, sie zu erklären, sondern nur, sie aufzuzählen. Er benötigte weitere sieben Minuten, um dem zukünftigen Alleinherrscher beizubringen, wie wichtig es war, daß jedes einzelne der aber und aber Milliarden von Individuen, die auf allen bekannten Planeten lebten – nicht nur die Menschen, sondern alle empfindungsfähigen Rassen – glücklich und zufrieden ein erfülltes Leben führte, wenn er nicht gleich eine Revolution haben wollte. Dann schilderte er ausführlich einige der speziellen Bedürfnisse gewisser Kulturen, und zwar besonders diejenigen bestimmter Fleischfresser, die ihre Beute lebend verspeisten. Schließlich wies er auf diverse Probleme hin, die des Kaisers sofortige Aufmerksamkeit erforderten, und was er ihnen wohl raten würde, in bezug auf selbige zu unternehmen?
Dabei erwähnte er das Scheitern der Verhandlungen über den Romulanischen Vertrag, die besorgniserregenden neuen Bündnisse der Klingonen, den Drogenhandel, dessen Zentrum im Orion lag, und natürlich die Haushaltsplanung für das kommende Budgetjahr und gewisse inflationäre Taktiken, die bereits zu drei Regierungsumbildungen geführt hatten und noch nicht überarbeitet worden waren, da dies viel politisches Fingerspitzengefühl erforderte. Kaiser MacMurray hörte exakt fünfundvierzig Minuten lang zu, dann dankte er ab. Nun, das war nicht ganz der richtige Ausdruck, Kirk weigerte sich, den Rücktritt des Kaisers anzunehmen. So plötzlich führerlos geworden, würde die Galaxis im Chaos versinken. MacMurray überlegte zwei Minuten lang, welche Alternativen er hatte. Dann übertrug er James T. Kirk einen neuen Posten, den er zusammen mit seiner gegenwärtigen Aufgabe als Captain der Enterprise ausüben sollte. Kirk wurde gebeten, die Position eines Königlich-Ministerialen Generalbevollmächtigten, der das Oberkommando im Universum führte, einzunehmen. Und zwar wohlweislich nicht nur des bisher bekannten Universums, sondern auch derjenigen Bereiche, die erst noch entdeckt werden mußten. Er ließ ein Pergament aufsetzen, um die Ernennung kundzutun. Kirk nahm den Posten huldvoll an. Er unterzeichnete sofort ein Dokument, das allen unterstellten Rassen und Planeten die Autonomie, die sie bisher genossen hatten, zurückgab, und wies sie des weiteren an, ihre lokalen Probleme, so gut es ging, selbst zu lösen, da der Kaiser Wichtigeres zu tun hatte. Das Pergament hing er in den Erholungsraum des Schiffs, damit die gesamte Besatzung der Enterprise sah, daß sie es nicht mit einem gewöhnlichen Sternenschiffcaptain zu tun hatte. Und dann wurde zur Feier eine große Fiesta abgehalten.
Der gesamte Zwischenfall hatte weniger als zwei Tage in Anspruch genommen. Die Party dagegen dauerte eine ganze Woche. Niemand wurde getötet. Und niemand verletzt – abgesehen von einigen Katern und zwei Fähnrichen, die in der allgemeinen Konfusion einen Thermalkonverter zerlegt und ihn anschließend mit sich selbst als Inhalt wieder zusammengebastelt hatten. (Zu ihrem eigenen Verdruß und McCoys Ärger hatte man sie Stück für Stück herausbeamen müssen.) Die Handelsschiffe und ihre Besatzungen wurden freigelassen, und zwar vollbeladen mit Noahs Hauptexportartikel, Krystallin-G, einem industriell hergestellten Wachs, als Belohnung für ihren Mut während der Gefangenschaft. Des weiteren wurden ihnen Urkunden ausgestellt, die bekanntgaben, daß sie nunmehr zur Königlichen Handelsmarine gehörten, die dem wohlwollenden Schutz des Kaisers der Galaxis (derzeit abwesend) unterstand. Zum Sternenflottenkommando zurückgekehrt, fand Kirk heraus, daß MacMurrays ursprüngliche Nachricht zwar tatsächlich empfangen worden war, jedoch für einen Jux gehalten wurde. Kurze Zeit darauf änderte man die Vorgehensweise der Sternenflotte: Jetzt mußten alle Nachrichten bestätigt werden, egal, wie fremdartig sie den Offizieren, die sie empfingen, auch vorkommen mochten – außer, diese wurden von einem Offizier, der mindestens den Rang eines Captains innehatte, ausdrücklich dazu ermächtigt, anders zu handeln. In seinem Bericht merkte Kirk an, daß ihm die Idee dazu gekommen war, weil er die Auslandsbeziehungen des 18. Jahrhunderts studiert hatte. Mehrere Schiffskapitäne hatten es für zweckdienlich gehalten, lokalen hawaiianischen und afrikanischen Königen seitens ihrer eigenen Monarchen
Hochachtung zu zollen – obwohl sie sie aufgrund ihrer Bewaffnung hätten ausrotten können – da es bequemer und praktischer war, sich gegenseitig zu respektieren. MacMurray hatte keinen Krieg gewollt, und selbst wenn, dann hätte er keinen führen können – er wollte lediglich beachtet werden. Und respektiert. Das war alles. Wenn man einen alten Mann glücklich machen konnte, indem man ihm etwas vorspielte (und damit auch gleich eine Entschuldigung für eine Party auf einem Planeten, der ansonsten eher als grausam galt, mitlieferte), dann konnte kaum noch davon die Rede , sein, daß man das Raumfahrtrecht nicht zugunsten der Menschlichkeit beugen sollte. Die Sternenflottenadmiralität schloß sich dieser Ansicht an, und Kirk wurde entsprechend belobigt. Er wurde in seinem Amt als Königlich-Ministerialer Generalbevollmächtigter des Kaisers MacMurray bestätigt. Danach schickte die Sternenflotte in regelmäßigen Abständen eine Botschafterdelegation zu Noah (der offiziell als Mündel der Föderation aufgelistet war), um ihm zu melden, daß die Galaxis so gut, wie es unter den momentanen Umständen zu erwarten war, verwaltet wurde. Kaiser MacMurray erkundigte sich stets nach dem Wohlbefinden eines gewissen James T. Kirk, und wenn man ihm versicherte, daß sein KöniglichMinisterialer Generalbevollmächtigter und Oberkommandierender des Universums auf Patrouille war und aktiv seinen Pflichten nachging, dann verkündete er ein neues, königliches Fest und überhäufte alle, die in seiner Nähe waren, mit Geschenken und Titeln. Auch verkauft das Mac-MurrayKaiserreich jährlich genügend Ehrenherzogtümer in der gesamten Galaxis, um den Unterhalt seiner eigenen Botschafterflotte, einem dreiundvierzig Jahre alten, von einem Krieg übriggebliebenen Shuttle, bestreiten zu können.
Außer dem prunkhaften Pergament an der Wand von Erholungsraum Sechs ist James T. Kirks einzige Erinnerung an den Vorfall eine Aktennotiz, daß er der einzige Captain in der Geschichte der Sternenflotte ist, der jemals vor dem Feind kapitulierte. Kurz nach diesem Zwischenfall mit MacMurray ordnete die Sternenflotte an, daß die Bibliotheken sämtlicher Sternenschiffe, Schiffe der Kreuzerklasse und darüber, auf den Stand der Enterprise gebracht wurden. Außerdem wurde der freie Austausch von Bibliotheken, wie er von der Enterprise praktiziert wurde, zum Modell einer Sternenflottenpolitik, die sich »Verbreitung menschlichen Wissens« nannte und von den Schiffen sämtlicher Föderationsmitglieder durchgeführt wurde. James T. Kirk war sich niemals sicher, ob es eine direkte Beziehung zwischen dem einen und dem anderen Vorfall gab, aber trotzdem war es ein interessantes Zusammentreffen.
16
Die Schiffsbibliothek befand sich gleich gegenüber dem Lagebesprechungsraum. Wegen der Symmetrie, nach der die Scheibe entworfen worden war, besaß der Raum dieselbe Größe und Form, aber statt eines einzelnen großen Tisches im Zentrum war er in Computerstationen aufgeteilt, von denen jede einzelne einen nach Fachgebieten geordneten Zugang zur Bibliothek ermöglichte. Eigentlich konnte jeder Terminal der Enterprise (und davon gab es in jedem Raum mindestens einen und mehrere in den verschiedenen Korridoren) als Zugang zur Bibliothek, die in den Speichertanks untergebracht war, benutzt werden. Der Raum, den man allgemein »die Bibliothek« nannte, war deshalb weder ein Lagerhaus noch als Zugang absolut notwendig, sondern vielmehr ein Hauptkontrollzentrum für den Umgang mit Informationen auf breitgefächerter Basis: eine Anzahl von Terminals mit spezifischen Datenverarbeitungsfunktionen. Der Raum diente zusätzlich als Videokontrollstudio für die internen Schiffskanäle und gelegentlich als sekundäre Einsatzkontrolle für spezialisierte Operationen. So, wie die »Historikabteilung« angelegt war, handelte es sich weniger um einen realen Ort als um einen mentalen Zustand. Von der Bibliothek getrennt gab es einen Datentank, der aus einem kleinen Theater bestand, das zehn Sitzgelegenheiten und eine Kontrollkonsole im hinteren Teil besaß. Ein großer Wandbildschirm beherrschte den vorderen Teil des keilförmigen Raums. Der Schiffshistoriker bevorzugte eben diesen Raum als Hauptterminal, weil der große Bildschirm das Überprüfen von
Details visueller Daten wie Fotografien oder Bilder erleichterte. Gelegentlich benutzte er ihn auch, um einige der alten Spiele in der Schiffsbibliothek, wie zum Beispiel Space War und Dungeon, zu spielen. Er war von der Vergangenheit fasziniert – vielleicht, weil sie ihm im Vergleich zur nüchternen Gegenwart so schrecklich romantisch erschien. Er war ein dünner Bursche, hager, mit einem wirren, braunen Haarschopf. Für den Dienst in der Sternenflotte schien er zu jung zu sein, aber offenbar glich er diesen Umstand durch seine Fähigkeiten aus. Die Konkurrenz an der Akademie war groß, so daß sich weniger geeignetes Personal nicht lange halten konnte. Als der Captain, der Erste Offizier, der Chefingenieur und der Navigator seinen kleinen Zufluchtsort betraten, erhob er sich. Er wischte einige Krümel von seiner Uniform und schob einen Essensbehälter zur Seite. Erst dann nahm er schlampig Haltung an. Er war über das Erscheinen der ranghöchsten Offiziere mehr als verblüfft. »Sirs?« sagte er. Kirk nickte als Antwort und bemerkte an Spock gerichtet: »Ich glaube nicht, daß ich, seitdem ich das Kommando übernommen habe, schon einmal hier war. Bis jetzt bestand dazu wohl noch keine Veranlassung – hm, vielleicht ist eine überraschende Inspektion einiger Teile des Schiffs längst überfällig.« Er betrachtete den jungen Mann, der neben der Konsole stand. »Wie heißen Sie?« »Äh – alle nennen mich ›Specks‹, Sir.« »Specks?« »Äh, ja, Sir.« »Specks«, wiederholte Kirk langsam, als wolle er den ungewöhnlichen Namen gegen das Licht halten, um festzustellen, was sich dahinter verbarg. Aber er sah nichts. »Nun, Specks, Ihr Captain braucht Sie für ein paar Nachforschungen.«
»Jawohl, Sir.« Specks nahm wieder seinen Platz hinter der Konsole ein und erweckte den großen Schirm zum Leben. Seine Hände flogen über die Schalter. »Äh – « Kirk war sprachlos. Er hatte sein Anliegen noch nicht einmal vorgebracht. Aber wenn er es sich recht überlegte, dann war das auch gar nicht nötig. Es war offensichtlich, worüber er Informationen benötigte. Jeder an Bord der Enterprise hätte sich das vorstellen können. Er nahm es mit einem Achselzucken hin und sah Spock an. Spock betrachtete ihn mit erhobener Augenbraue. Kirk sagte: »Der Ursprung dieses Schiffs könnte das Erdsystem sein. Zumindest behauptet das Mr. Chekov. Wenn das wahr ist, dann müßten Sie irgendeine Aufzeichnung über seinen Bau besitzen. Es müßte das Erdsystem vor ungefähr hundertfünfundachtzig plusminus zehn Jahren verlassen haben.« »Hm«, sagte Specks. »Ich glaube, da täuscht er sich ein wenig, einen Augenblick, bitte – « er fuhr mit der Hand über die Konsole und faßte nach einem Drahtgestell, das zwei Linsen zusammenhielt. Dann postierte er das merkwürdige Ding auf seinem Nasenrücken und spähte durch die Linsen auf die vor ihm liegenden Bildschirme. Kirk und Spock tauschten nochmals einen Blick aus. »Äh«, sagte Kirk, »was ist das für ein Ding?« »Mein Dienstausweis«, sagte der Historiker unverbindlich, ohne hochzublicken. Spock eilte Kirk zu Hilfe. »Augengläser, oder Brillen, wie sie gewöhnlich genannt wurden, waren eine populäre Form von Prothese zur Korrektur einfacher Sehschwächen, und zwar bis weit in das 21. Jahrhundert, als sich die Hornhautkorrekturen schließlich durchsetzten. In unserer heutigen Zeit werden Brillen nur noch für bestimmte Sehzwecke benutzt, wie zum Beispiel die Nah- oder Fernvergrößerung, oder einfach nur
zum Schutz. Ich würde sagen, der Name ›Specks‹ ist die Abkürzung für ›spectacles‹, das englische Wort dafür. Das war einmal der übliche Spitzname für Leute, die dieses Gerät trugen. Wahrscheinlich ist es bifokal, denn so kann das Besatzungsmitglied sowohl seine Kontrolltafel als auch den Wandbildschirm schärfer sehen.« »Danke, Mr. Spock.« Kirk bemerkte, daß man durch die Zusammenarbeit mit einem Vulkanier allerlei Triviales erfuhr. »Sirs? Würden Sie bitte mal hinschauen?« Alle vier Offiziere drehten sich um und betrachteten den großen Schirm. Dieser hatte sich in ein Fenster zum Weltraum verwandelt. Dort drehte sich ein gigantischer Zylinder majestätisch im Licht eines unsichtbaren gelben Sterns. Trotz des Fehlens von Maschinen und Strahltriebwerk kam ihnen die Struktur sofort bekannt vor. Dahinter schien ein blauweißer Planet wie ein Regen tropfen im Frühling, und hinter dem Planeten ein kristallweißer Mond, der mit Kratern übersät war. Verärgert trat Scotty vor. »Das kann nicht sein – ich kenne jedes Schiff, das von meinem Dock stammt.« »Aber das ist kein Schiff, Mr. Scott – « Specks war vorübergehend etwas verunsichert. »Merken Sie denn nicht, was Sie da gefunden haben? Die verschwundene Kometenkolonie!« Kirk war verblüfft; Scotty sah aus, als hätte man ihm einen Fußtritt versetzt; Chekov stotterte unverständliches Zeug. Mr. Spock nickte langsam. »Natürlich…« sagte er. »Das ist die einzige Antwort, die einen Sinn ergibt.« Er drehte sich zu Kirk um. »Captain, ich muß mich entschuldigen. Ich hätte sie erkennen müssen.« »Schon gut, Spock. Wir machen alle mal einen Fehler. Es muß Ihre menschliche Hälfte gewesen sein.« »Zweifellos.«
Specks plapperte immer noch – »Das ist, als hätte man die zehn verlorenen Stämme Israels gefunden – oder die verlorene Kolonie von Roanoke, Virginia. Ich dachte, Sie hätten sie sofort erkannt, Sirs. Ich konnte nicht verstehen, warum Sie mich nicht wegen des Rests der Geschichte kontaktierten – « »Moment mal – «, unterbrach ihn Kirk. »Warum fangen wir nicht von vorne an – « Er unterbrach sich, um zu Spocks Gunsten anzumerken: »Auch ich muß meine Kenntnisse in Jüngerer Geschichte auffrischen. Also…?« »Sirs?« Der Historiker deutete auf die Sessel. »Wenn Sie es sich gemütlich machen wollen, ich, äh, habe mir die Freiheit genommen, eine kurze Präsentation dieses Materials für diesen, äh, Fall bereits im voraus vorzubereiten.« Kirk sah seine Offiziere an. »Meine Herren? Setzen wir uns.« Specks fing mit einer Reihe von Entwürfen an. »Die frühen Entwurfskonzepte für den Bau«, erklärte er. »Es war als erste L 5-Konstruktion geplant. Hier können Sie den Plan für die Farmen sehen, diese weite, offene Fläche in der Mitte. Das Bauwerk ist ein gigantischer, hohler Zylinder, wobei die Landschaft auf der Innenwand der Hülle eingerichtet wurde. Zusätzlich gibt es jeweils fünf bis fünfundzwanzig Ebenen mit Büros, Theatern, sanitären Einrichtungen, Luftschächte, Fabriken, Lebenserhaltungsmaschinen, Recyclingstationen und ähnliches, die in Schalen um diese innere Sektion herumgebaut wurden. Die Anzahl der Ebenen hängt von der jeweiligen Form der Landschaft ab. Sie wollten Berge, Hügel, Seen etcetera. Eine richtige Wildnis. Deshalb verlegten sie ihre Stadt und die Industrie quasi in den ›Untergrund‹. Bei entsprechender Bauweise – « an dieser Stelle wechselte Specks zu einer anderen Serie von Fotos, die das Gerüst einer unvollendeten ›Gebirgskette‹ im Innern der Schale zeigte. » – konnten sie eine große Bandbreite an Gravitationen, Druckverhältnissen und Temperaturbedingungen in eben jener
Wildnis simulieren. Durch Kontrolle der Luftzirkulation, der Lichtverhältnisse, Feuchtigkeit und Isolation nach jeweiligen natürlichen Gegebenheiten – Berge, Flüsse –, konnten sie im Umkreis von wenigen Kilometern einen Regenwald, eine Wüste, eine Gebirgswiese und eine gemäßigte Zone aufstellen. Eine Umwelt in Taschenformat. Sehr clever. Ebenso konnten sie die Jahreszeiten für ihre Farmen kontrollieren und die Getreideproduktion mit drei Sommern im Jahr erhöhen. Sie waren die Pioniere für den Anbau in niedriger Gravitation. Das Gemüse wurde riesengroß.« Jetzt zeigte Specks Bilder des Kolonistenschiffs, die es gegen Ende der Fertigstellung seiner ersten Konstruktionsphase zeigten. Ohne die riesigen Fusionsmaschinen an beiden Enden und den gigantischen Reifen um die Mitte sah es merkwürdig nackt aus. Auch fehlten viele der zusätzlichen Geräte, die über die Hülle verstreut waren und erst später angebracht worden waren. Statt dessen ragten aus den Enden des Zylinders zwei riesige Solarkollektoren, die sich konstant zur Sonne hin ausrichteten. »Man muß wirklich die Genialität dieser Leute bewundern«, sagte Specks. »Hier ist es, kurz vor der Fertigstellung. Schauen Sie sich die Größe dieser Solarkollektoren an. So primitiv, und doch haben sie soviel bewirkt.« Kirk flüsterte Spock zu: »Ob ein Historiker in zweihundert Jahren wohl das gleiche über uns sagt?« Spock sagte trocken: »Sehr wahrscheinlich.« Specks tat, als hätte er nichts gehört. Glücklich fuhr er mit seiner Vorlesung fort. »Die ursprüngliche Absicht war natürlich, mit diesem Bauwerk die Trojanische Position L 5 einzunehmen und dadurch ein gleichseitiges Dreieck mit der Erde und dem Mond zu bilden. Es sollte die erste, große Industriebasis im Weltraum werden. Da der Energieverlust beim Austritt aus der Mondgravitation geringer ist, sollte Erz
vom Mond zur L 5-Position katapultiert werden, wo es als Rohmaterial für die Konstruktion der Station, der Solarenergiesatelliten und damit verwandter Technologien genutzt werden sollte. Um Ihnen den historischen Kontext zu verdeutlichen: dieses Projekt betrachtete man als letzte Hoffnung, die Energiekrise des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Zu jener Zeit waren Energiequellen besonders knapp, und die Konstruktion von Solarkraftwerken, die in eine Umlaufbahn geschickt wurden, wurde als beste Möglichkeit erkannt, den wachsenden Appetit der Menschheit nach Elektrizität auf einer permanenten Basis zu befriedigen – « »Ist dieser ganze geschichtliche Hintergrund nötig, mein Junge?« unterbrach ihn Scotty. »Nun, es ist eine ziemlich interessante Geschichte, Mr. Scott, Sir –, und sie hat einen Bezug dazu, warum sich dieses Schiff hier draußen am Rande des Nichts befindet, und – « »Scotty…« Kirk legte seinem Chefingenieur die Hand auf den Arm. »Laß ihn doch seine Geschichte erzählen«, flüsterte er. »Es ist seine einzige Chance, ein Teil dieser Operation zu sein.« Dann sagte er lauter: »Nur zu, äh, Specks.« »Ja, Sir. Nun, was passierte – einen Moment, ich muß nur das richtige – ah, hier ist es – in diesem Bild können Sie sehen, daß hier ein anderes Gebilde, ein größeres, im Bau ist. Ich überspringe jetzt etwas, um Ihnen das zu zeigen. Ich weiß, das ganze ist etwas verwirrend, aber lassen Sie mich Ihnen erklären, was da passierte – schauen Sie, da gab es diese drei Nationen, die USA, Japan und die Sowjetunion – sie bauten die L 5 als Gemeinschaftsprojekt, mit etwas Hilfe ihrer Verbündeten. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie politische Gegner waren, aber ihre gemeinsamen Energiebedürfnisse führten zu diesem kooperativen Unternehmen. Ansonsten wäre ihre jeweilige Wirtschaft eine Geisel der energieexportierenden Nationen geblieben – zur damaligen Zeit wurden hauptsächlich
fossile Brennstoffe benutzt, was ziemlich primitiv war und eine Menge Schmutz erzeugte – Öl, Kohle und zum Teil natürliches Gas. Diese Stoffe richteten großen Schaden in der Atmosphäre an und wirkten sich auch aufs Wetter aus. Jedenfalls, bevor die L 5-Station als in sich geschlossene Umwelt in Betrieb ging, funktionierten bereits die einzelnen Industriezweige. In den ersten achtzehn Monaten bauten und installierten sie vier Solarenergiesatelliten. Die totalen Energieimporte der Mitgliedsnationen dieser Allianz wurden um mehr als drei Prozent gesenkt. Die beteiligten Regierungen waren von diesem schnellen Erfolg so begeistert, daß sie für den Satellitenbau mehr Geldmittel zur Verfügung stellten, um den Fortgang des Projekts zu beschleunigen.« An diesem Punkt wechselte Specks zu einer Serie von Weltkarten. »Natürlich hatte das alles eine große Wirkung auf die energieexportierenden Nationen, die jetzt ihre eigene Wirtschaft durch die fehlenden Einkünfte bedroht sahen. Sonnenenergie ist sauber und billig. Das Sonnenlicht gibt es umsonst, und im Weltraum stellt es eine konstante, durch nichts unterbrochene Quelle dar. Man muß es lediglich einfangen. Fossile Brennstoffe dagegen sind teuer, ineffizient und schmutzig. Das Problem der Umweltverschmutzung ist schon Grund genug, sie zu vermeiden. Jeder Solarenergiesatellit erhöhte die Energieunabhängigkeit der Mitgliedsstaaten und reduzierte die Umweltverschmutzung, die durch fossile Brennstoffe entstand. Drei Prozent in einem Jahr, fünf Prozent im nächsten Jahr, acht Prozent im übernächsten Jahr – es gibt nichts, was in diesem Universum einem freien Mittagessen näherkäme.« Specks ließ die Karten vom Schirm verschwinden. »Und jetzt«, sagte er, »sind wir an dem Punkt angelangt, an dem eine sehr schlechte Entscheidung getroffen wurde. Ich denke, es war dieser Entschluß, der die darauffolgenden Ereignisse fast
unvermeidbar werden ließ. Die Entwicklungsländer der Erde wollten mit den neuen ›Solarmächten‹ einen Vertrag über den Kauf eigener Satelliten machen – aber nach langer politischer Debatte entschieden sich die Solarmächte, lediglich Elektrizität, aber keine Satelliten zu verkaufen. Diese würden sie an jeden Fleck der Erde, den der Käufer wollte, abstrahlen, er mußte lediglich eine Empfangsstation bauen, und die Energie wäre billig und reichlich vorhanden – aber der Kollektorensatellit würde den Solarmächten gehören. Das sah für die Entwicklungsländer aus, als kämen sie vom Regen in die Traufe. Sie würden damit ja ihre Elektrizität immer noch von anderen kaufen. So oder so wäre ihre Wirtschaft dem, der ihnen die Energie verkaufte, auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert gewesen. Und nach soundsovielen Jahrzehnten internationaler Erpressung seitens der verschiedenen Weltmächte kamen den Nationen der Dritten Welt die Motive aller verdächtig vor. Diesen Nationen blieb nichts anderes übrig, als ein eigenes, internationales Kartell zu formen, um ihre eigene Industriestation im Weltraum und eigene Energiesatelliten zu bauen; ansonsten wäre die wachsende Weltraumindustrie für immer und ewig von den Solarmächten kontrolliert worden. Natürlich sagten die Solarmächte, daß ihnen dieser Versuch willkommen sei, aber in Wirklichkeit war das nicht der Fall – denn auf beiden Seiten gab es Leute, die den Weltraum als neue politische Waffe, mit der man Macht über andere erringen konnte, ansahen – und viele dieser Individuen waren damals äußerst einflußreich. Dem Projekt der Dritten Welt wurde daher alles andere als Hilfe zuteil. Diese Entscheidung von seiten einiger Politiker war sehr kurzsichtig, und ich vermute, daß der Ausdruck ›Erdenmentalität‹ aus jener Zeit stammt.
Aber trotz ihres Mangels an eigenen Mitteln hielten die Nationen der Dritten Welt durch. Sie bildeten mit den Ländern, die reich an Öl waren und sich an dem Unternehmen als Finanzpartner beteiligten, eine Allianz. Das hatte für beide Seiten Vorteile, und die Tatsache, daß sie sich damit für so manchen Groll, der sich angestaut hatte, revanchieren konnten, kam ihnen auch sehr gelegen, denn Ressentiments gab es genug.« Specks zeigte jetzt wieder Fotos der L 5-Station, aber in einem fortgeschritteneren Entwicklungsstadium. Man konnte Schiffe erkennen, die daran andockten, aber sie besaß immer noch weder Fusionsmaschinen noch den Strahlenantrieb. »Man muß sich vorstellen, daß das alles in einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten ablief. Am Ende dieser Periode hatte sich die L 5 Station als Stadt im Weltraum, ja fast als eigene Nation etabliert. Sie besaß eine eigene Regierung und hatte eigene Gerichtshöfe, Steuern, Bräuche und vor allem eine zahlreiche und sehr intelligente Bevölkerung. Man mußte schon entweder sehr klug oder sehr reich sein, um an Bord der L 5 zu gelangen. War man intelligent, konnte man dort arbeiten. War man reich, konnte man als Tourist hinkommen. Obwohl die Station den gesetzlichen Status eines kooperativen Protektorats besaß, funktionierte sie vielmehr wie eine Demokratie im Taschenformat, so daß die Solarmächte in Wirklichkeit nur sehr wenig Macht über die L 5-Station hatten – und wie hätten sie diese auch geltend machen können? Aber die Fiktion der Legalität bestand zwanzig Jahre lang, weil sie funktionierte und weil es keinen zwingenden Grund gab, sie zu ändern. Zu diesem Zeitpunkt kam fast dreißig Prozent der Elektrizität der Mitgliedsnationen aus dem Weltraum – natürlich besaßen sie ihre eigenen Satelliten – und ihre wirtschaftliche Lage war wesentlich stärker geworden. Fusionsenergie existierte jetzt nicht mehr nur auf dem
Reißbrett. In der Praxis war sie eine lebensfähige Alternative sowohl zu Öl als auch zu Solarenergie – und man machte sich Sorgen, daß das Abstrahlen von Mikrowellen auf breiter Basis zurück zur Erde ebenfalls subtile, aber nachteilige ökologische Auswirkungen haben könnte. Ebenso hatten die ölexportierenden Nationen begonnen, ihre Preise zu senken, um mit der Solarenergie und der neuen Fusionsenergie wettbewerbsfähig bleiben zu können. Vielleicht taten sie das auch bewußt, um eine weitere Entwicklung zu verlangsamen. Das alles führte dazu, daß die Solarmächte anfingen, weniger Geldmittel für ihr Satellitenprogramm bereitzustellen. Der Druck, bauen zu müssen, war nicht mehr so stark. Sehen Sie jetzt, wie komplex die Situation geworden ist? Das Streichen der Gelder schädigte die Wirtschaft der L 5-Station. Mehr als tausend Arbeiter sollten zur Erde zurückgeschickt werden – aber sie wollten nicht zurück. Zu diesem Zeitpunkt war die L 5-Station bereits ein angenehmer Wohnort geworden. Sauber, nicht überlaufen und mit einem Freizeitangebot, das es sonst nirgendwo gab. Es gab sogar eine Fläche, auf der der Marsboden simuliert wurde, um die Siedler, die zu den neuen Marskolonien auswanderten, auszubilden. Sie wollten keinen so großen Teil ihrer Gemeinschaft verlieren, deshalb boten sie der Allianz der Dritten Welt – die gerade größere organisatorische Probleme zu bewältigen hatte – vertraglich an, ihr geplantes L 5-Projekt für sie zu bauen. Ein Projekt dieser Größenordnung hätte es ihnen ermöglicht, ihre gegenwärtige Wirtschaft aufrechtzuerhalten, ja sogar zu expandieren und als Wirtschaftsmacht zu wachsen. Wieder wäre es ein für beide Seiten vorteilhaftes Arrangement gewesen, aber die politische Realität war anders. Die Solarmächte legten gegen das Angebot zwar kein Veto ein, führten aber eine Obstruktionspolitik, indem sie alle möglichen Gründe finanzieller, legaler und politischer Art fanden, warum
L 5 ihre Energien nicht in den Bau einer Station für die Allianz der Dritten Welt stecken sollte. Das Gerangel dauerte sieben Monate, während sich auf beiden Seiten die Gemüter erhitzten. Schließlich erklärte die L 5-Station ihre Unabhängigkeit als Nation. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden erkannten dreiunddreißig der Staaten der Allianz der Dritten Welt ihre Existenz als Nation förmlich an, und der Vertrag für den Bau einer zweiten L 5 wurde unterzeichnet. Als sich der Groll der Solarmächte gelegt hatte, war es für sie bereits zu spät. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren. Die einzige Alternative wäre ein Krieg gewesen – in dem die Regierung der L 5 einen strategischen Vorteil gehabt hätte. Schließlich befanden sie sich außerhalb der Schwerkraft der Erde. Sie brauchten keine Bomben, sondern lediglich Steine abzuwerfen. Und falls notwendig, konnten sie sämtliche Solarsatelliten zerstören – allein dieser Akt hätte den Solarmächten dreißig Prozent ihrer Stromkapazität entzogen. Oder sie hätten die Mikrowellenstrahlen jener Satelliten benutzen können, um gezielt und präzise militärische Ziele zu zerstören. Deshalb«, sagte Specks, der wieder auf das Foto zurückkam, das die beiden Stationen im Weltraum zeigte, wobei eine davon noch im Bau war, »zwang das Ergebnis dieser Krise alle Nationen der Erde zu der Erkenntnis, daß sie sich gegenüber der politischen Erpressung aus dem Weltall im Nachteil befanden – aber vom historischen Standpunkt aus betrachtet waren sie durch ihre eigene Anwendung politischer Erpressung selbst daran schuld. Sie ließen ihren Gegnern keine andere Wahl. Die internationalen Beziehungen jener Zeit waren daher äußerst empfindlich. Innerhalb von zwei Jahren zum Beispiel baute man nicht weniger als fünf Raumstationen zu militärischen Zwecken – alle in sicherer Entfernung von der L
5. Das Konzept einiger dieser Militärstationen war so grandios wie das der ursprünglichen L 5. Jetzt überspringen wir nochmals einige Jahre. Ich werde nicht sämtliche einzelnen Begebenheiten, die dazu führten, schildern – denn es handelte sich lediglich um eine von mehreren hintereinanderfolgenden politischen Krisen – aber die Allianz der Dritten Welt fing an, auseinanderzubröckeln. Zum einen, weil Dürre und Hungersnot die Mittel der Entwicklungsländer erschöpft hatten, zum andern, weil durch das weitverbreitete Wachstum von Fusionsenergie, Wasserstoff-, Methan- und Alkoholbrennstoffen plus allerlei anderer Quellen wie Biomasse, Geotherme, Windenergie, Ozeanturbinen und so weiter – natürlich in Verbindung mit der Sonnenenergie – sich die Nachfrage nach Öl drastisch reduziert hatte. Die ölexportierenden Nationen besaßen nicht mehr die Geldmittel, um den Bau der L 5 noch weiter zu finanzieren. Das Kartell brach zusammen. Manche meinten, daß es das Opfer seiner eigenen schlechten Planung wurde – andere wiederum sagten, daß der Zusammenbruch von Agenten der Solarmächte, die darauf hinarbeiteten, die Wirtschaft der Mitgliedsnationen des Kartells zu untergraben, gefördert worden war. Keine dieser Behauptungen wurde jemals bewiesen – und falls sie wahr waren, hätte man die Beweise wegen der Kriegsgefahr, die sie hervorgerufen hätten, vernichten müssen. So, jetzt haben wir also eine funktionsfähige L 5-Station und eine, die fast fertiggestellt ist. Die Solarmächte machten das Angebot, die zweite Station zu kaufen und fertigzustellen, aber die L 5-Nation lehnte ab. Statt dessen nahmen sie selbst eine Hypothek auf und beendeten den Bau alleine. Wie Sie sehen, wurden damals sämtliche Entscheidungen aus politischen Gründen gefällt: nämlich dem Streben nach Macht in der einen oder anderen Form. Und jetzt wartete auch noch der seit dreißig Jahren schwelende, gegenseitige Groll darauf,
endgültig beglichen zu werden. Mehrere Militärstationen waren mittlerweile in Betrieb, zahlreiche Rechnungen kamen auf die L 5 -Station zu, und diese war nicht in der Lage, diese Schulden zu bezahlen. Die Weltwirtschaft war schwer angeschlagen – denn der Zusammenbruch des Kartells hatte eine weltweite Rezession ausgelöst –, und es war einfach unmöglich, die Bauprojekte, die benötigt wurden, um die Wirtschaft der L 5 zu sanieren, zu finanzieren. Hilfe aus einem anderen Teil des Sonnensystems war auch nicht zu erwarten, da sie eine stolze und unabhängige Gruppe von Leuten waren und nicht mehr viele Freunde hatten. Jetzt muß ich leider meine Geschichte unterbrechen, um Ihnen ein wenig mehr Hintergrundinformationen zu geben – tut mir leid, daß es so lange dauert, Sir – « »Nein, nein,« sagte Kirk, »machen Sie ruhig weiter, äh, Specks. Um es mit Mr. Spocks Worten zu sagen, ich finde dieses Stück Geschichte… faszinierend.« »Ja, Sir. Danke, Sir. Nun, was ich sagen wollte war, daß man in jener Zeit ziemlich viele psychologische Studien über die Bewohner der L 5 machte, da niemand wußte, was mit einer Bevölkerung, die so isoliert und in einer derart künstlichen und strukturierten Umgebung wie sie lebte, passieren würde. Wie würde sich die Loslösung von der – der karmischen Verbindung mit der Heimat auswirken? Deshalb wurde über die gesamte erste Generation hin die gesamte Bevölkerung psychologisch überwacht, und zwar jeder einzelne von ihnen in unterschiedlichem Ausmaß. Und jetzt, da sie sich an der Schwelle zur zweiten Weltraumgeneration befanden, begannen sich gewisse langfristige und immer wiederkehrende Muster… äh, abzuzeichnen. Schiffsbewohner schienen zum Beispiel einen ›Raum‹ anders wahrzunehmen als Oberflächenbewohner, besonders was die Vorstellung eines Territoriums betraf. Die Theorie war, daß die
Veränderbarkeit der Gravitation im Schiff – das heißt, die Tatsache, daß man die gesamte innere Ökologie für die jeweilige Gravitation, die man haben wollte, oder gar keine Gravitation, strukturieren konnte – eine eher dreidimensionale Wahrnehmung der Bezugspunkte fördert. Eine holistische Sicht. Es ist fast unmöglich, sein eigenes Territorium in einem Volumen genauso wirksam zu verteidigen wie in einer Ebene. Deshalb schlug dreidimensionales Schach nie so ein, wie man es sich vorgestellt hatte. Wie auch immer, das Fehlen eines Gebietsanspruchs im Bewußtsein eines Schiffsbewohners trägt zur Entwicklung des, äh, ›Sternwärtssyndroms‹ – manchmal auch der ›Lichtjahrmillionenblick‹ genannt – bei. ›Sternenseitiger‹ scheinen in die Unendlichkeit sehen zu können. Und irgendwie scheinen sie sich immer im Einklang mit sich selbst, ihren Körpern und den Räumen, in denen sie sich aufhalten, zu befinden. Heutzutage ist das für den Großteil der Menschheit ganz normal, wir betrachten es als selbstverständlich, daß wir uns durch die Tatsache, den Wundern des Universums ausgesetzt zu sein, ›entfaltet‹ haben. Wir nennen dieses Phänomen ja auch den ›Sinn für Wunder‹ – aber denken Sie daran, daß es zu jener Zeit für den Großteil der Menschheit etwas Neues war. Die Oberflächenbewohner, die, äh, ›Schmutzseitigen‹ – « Kirk bemühte sich, die Ausdrucksweise zu ignorieren. Die Sternenflotte mißbilligte die Nachsilbe » – seitigen«, da es sich im falschen Zusammenhang elitär oder abfällig anhörte. » – erkannten langsam diesen Unterschied zwischen sich und den Weltraumbewohnern. Es war nicht einmal eine bewußte Wahrnehmung, sondern eher ein leichtes Ressentiment. Ich stelle es mir wie die Situation zwischen den letzten Neandertalern und den ersten Cro-Magnon-Menschen vor – «
»Äh – Specks«, unterbrach ihn Kirk, » – Sie können mit Ihrer Geschichte fortfahren. Wir kennen uns mit dem Sternwärtssyndrom ganz gut aus.« »Ja, Sir. Was ich klarmachen wollte war, daß sich auf der Erde die Angst ausbreitete, daß sich die Sternenseitigen so vom Rest der Menschheit losgelöst fühlen und ihren Verantwortungssinn verlieren könnten, daß sie sich selbst als… äh, Götter, betrachten würden. Man glaubte, daß die langfristige Isolation in einer Umgebung, die sie völlig kontrollieren konnten, diese Art von unterschiedlicher Wahrnehmung erzeugen konnte. Äh, diese Frage ist nie ganz beantwortet worden, wie sich gleich herausstellen wird. Das, zusammen mit den verschiedenen Formen von Neid, Groll und Ressentiments – vor allem dem Bewußtsein, daß das Leben im Himmel eine begünstigte Stellung bedeutete – arbeitete gegen die Bewohner der L 5. Viele hatten das Gefühl, die L 5-Nation irgendwie jahrelang subventioniert zu haben – oder zumindest ihre Wirtschaft – und sie meinten, es wäre an der Zeit, daß die L 5 -Nation einen Teil ihrer Schulden an die Erde zurückzahlt. Und so weiter. Für die ersten Siedler war es eine schlimme Zeit. Es war die größte Krise, die sie jemals erlebt hatten, und ihre Position war nicht mehr so stark wie zehn Jahre zuvor, als sie ihre Unabhängigkeit erklärt hatten. Was sie taten, war unorthodox – aber ihr einziger Ausweg. Sie besiedelten die zweite L 5. Dann garantierten sie der Kolonie die Unabhängigkeit und erlaubten ihr, eine eigene Nation zu werden, genauso wie die erste L 5 zehn Jahre vorher. Jetzt gab es also zwei Nationen im All, eine davon stark verschuldet, die andere frei und unbelastet. Die meisten Nationen der Erde gaben widerstrebend nach und erkannten die neue Nation an, weil sie nicht merkten, was die L 5-Siedler vorhatten.
Und was diese taten, kam für alle Erdenbewohner überraschend. Zunächst schlossen sie ihren Flughafen und leiteten den gesamten Verkehr auf das zweite Gebilde um. Kurze Zeit später zwangen sie alle Nichtbewohner und deren Betriebe zur Räumung und verlegten sie ebenfalls in die zweite L 5. Sie entfernten einfach jeden aus ihrer Welt, der nicht den Lichtjahrmillionenblick besaß. Über die Vorgänge der letzten Tage erzählten die Flüchtlinge einige merkwürdige Geschichten, und manche Vorgänge schienen äußerst mysteriös gewesen zu sein. Erstens einmal importierten sie unglaublich viele seltsame Dinge. Saatgut, Bibliotheken, Entwürfe, seltene Metalle, Industriegüter, die verschiedensten Tierarten – hauptsächlich für den Ackerbau, aber genug für einen kleinen Zoo – und so viele Vorräte, Ausrüstungsgegenstände und Informationen, als würden sie sich auf eine lange Belagerung einrichten. Niemand wußte genau, was die L 5-Nation vorhatte. Geheimdienstagenten auf der zweiten Anlage beobachteten einen regen Betrieb auf der Hülle des Schiffs, aber es hatte sich noch keine klare Hypothese herauskristallisiert. Ein Großteil der industriellen Aktivitäten konzentrierte sich auf sechs Fusionsantriebseinheiten, die sie eigentlich für die Allianz der Dritten Welt bauen sollten. Diese Einheiten waren ursprünglich für eine Flotte von Langstreckenschiffen geplant worden, die zu den äußeren Planeten reisen und nach Möglichkeit Basen auf geeigneten Monden einrichten sollten. Dieser Handel war natürlich durch den Zusammenbruch der Allianz hinfällig geworden, und die Einheiten hatten seitdem darauf gewartet, fertiggestellt zu werden. Jetzt wurden die Einheiten jedoch offensichtlich fertiggestellt – obwohl es keine Raumschiffflotte gab, in die man sie installieren konnte – hm, und da gab es auch noch ein Rechtsproblem. Der Eigner dieser sechs Einheiten befand sich
mit einer Anzahl von Parteien, die eine Zwangsvollstreckung bewirken wollten, in einem Rechtsstreit – als sich daher die Nachricht verbreitete, daß die L 5-Station die Antriebseinheiten fertigstellte, war die Empörung unter den Handelsgesellschaften, Allianzen, Regierungen, Anwälten und Politikern groß. Fünf Tage lang verweigerte die L 5-Station die Antwort, dann gab sie die knappe Erklärung, daß sie in weiteren fünf Tagen eine Erklärung abgeben würde, und nach Ablauf dieser Frist gab sie bekannt, daß die Antriebsaggregate verstaatlicht worden seien und die beiden ersten in drei Tagen getestet werden würden. Das führte natürlich zu einem erneuten Aufschrei der Empörung, und es wurden sogar drei Kriegsschiffe der Solaren Allianz von ihren Mondumlaufbahnen aus zur Station in Marsch gesetzt. Aber sie kamen zu spät. Anstatt die Aggregate zu testen, zündete sie die Kolonie mit voller Kraft und beschleunigte aus der L 5-Position hinaus. Innerhalb weniger Tage wurde ihre Absicht erkennbar. Sie schickten sich selbst auf eine lange, kometenartige Umlaufbahn. Die drei Kriegsschiffe, die ihr nachjagten, konnten nicht mithalten. Sie hatten weder genug Treibstoff noch genügend Vorräte – obwohl sie einen mutigen Versuch unternahmen. Eines der Kriegsschiffe nahm den zusätzlichen Treibstoff und die Vorräte der anderen beiden Schiffe auf, aber selbst so konnte es sie nicht einholen. Die L 5-Station hatte gewissermaßen eine unbegrenzte Reichweite, weil sie völlig autark und unabhängig war. Nun, wenn es vorher einen Aufschrei der Empörung gegeben hatte, so entstand jetzt ein politischer Tumult. Ausschreitungen seitens derer, die sich betrogen fühlten – und Applaus von denjenigen, die sich darüber freuten, daß jemand den
Großmächten eins ausgewischt hatte. Aber es half alles nichts. Die L 5-Nation befand sich außer Reichweite jeglicher bekannten menschlichen Behörde. Ihr kometenartiger Orbit sollte sie fast bis in die Bahn des Uranus führen und anschließend so nahe an die Sonne heranbringen, wie die Venus ihre Umlaufbahn zog. Es war eine ziemlich große Schleife. Und sie sollten erst in etwas mehr als zehn Jahren zurückkehren, genug Zeit, damit sich die Gemüter der Menschheit wieder abkühlen konnten. Und das war bitter nötig. Aber die Planer der L 5 waren in der Wahl ihrer Umlaufbahn äußerst gerissen gewesen. Sie flogen nahe genug an Mars heran, um an einige Schiffe anzukoppeln, etwas Ware und sogar einige Passagiere auszutauschen. Ein Jahr später, während sie den Asteroidengürtel überflogen (sie befanden sich etwas über der Ekliptikebene; auf dem Rückweg sollten sie sich etwas darunter befinden), koppelten sie an mehrere Minenschiffe an und tauschten wieder Erz und Industriegüter gegen Lebensmittel ein. Ein Jahr später befanden sie sich nahe genug an Jupiter, damit dessen Kolonien einen Ankopplungsversuch machen konnten, was auch für diese entscheidend war, denn der Zusammenbruch der Allianz der Dritten Welt hatte die Pipeline zu mehreren Kolonien auf den Jupitermonden unterbrochen. Wie Sie sehen, schuf die Kolonie für sich selbst eine völlig neue Situation. Sie waren zu einer wandernden Welt geworden – das interplanetarische Äquivalent einer Nomadenkarawane, die seltene Güter von fernen Orten bringt. Sie konnten Passagiere aufnehmen und schwerkraftmäßige und klimatische Bedingungen schaffen, die mit denen jeder einzelnen Welt, die sie besuchten, identisch waren. Und das war besonders
wichtig, denn die Passagiere konnten sich jetzt selbst nach und nach an die höheren oder niedrigeren Gravitationen, zu denen sie reisten, gewöhnen. Auch suchten die medizinischen Einrichtungen auf der L 5 ihresgleichen. Ein Hin- und Rückflug auf dem Kometenschiff konnte zehn Jahre lang dauern, aber für manche Reisende – besonders Kolonisten – war die langsame Reise vorzuziehen. Das Schiff stellte eine saubere und gesunde Umgebung dar. Wesentlich angenehmer als die meisten damaligen Orte auf der Erde, geschweige denn die Kolonien. Es war eine Welt, in der man vor Krieg, Klima und Politikern sicher war. Als Folge davon verließen die Reisenden das Schiff nur ungern, aber es erhielten nur diejenigen eine permanente Aufenthaltserlaubnis, die beweisen konnten, daß sie die Lebensqualität an Bord des Schiffes bereicherten. In den folgenden dreißig Jahren machte die Kometenkolonie drei komplette Runden von den inneren zu den äußeren Planeten und erhöhte das interplanetarische Handelsvolumen um etwa 5000%. Was mich zur letzten politischen Entscheidung der Geschichte bringt. Niemand hat etwas gegen Erfolg. Und der finanzielle Erfolg der L 5-Station in ihrer neuen Rolle war unbestreitbar. In der Mitte der zweiten Runde befanden sich vier neue L 5 Konstruktionen im Bau – drei davon wurden von Unternehmen, deren Basis auf der Erde war, finanziert, die vierte vom Mond. Die wirtschaftlichen Vorteile lagen auf der Hand. Es gab Märkte, die nur mit dieser Art der langsamen Reise gedeckt werden konnten. Eine Stadt im Weltraum mag zwar langsamer sein, aber wenn man genug Zeit zur Verfügung hat – und sowieso mit dem Rest des Sonnensystems in ständiger Verbindung steht – ist es wesentlich bequemer als ein Fackel- oder Schleuderschiff.
Aber natürlich wurde durch diese enorme Investition in interplanetarisches Reisen das interstellare Entwicklungsprogramm vorübergehend eingestellt. Der Wanderer – wie das Schiff nunmehr genannt wurde – hatte sich zu einer ziemlich geschlossenen, aber visionären Gesellschaft entwickelt. Die Wanderer betonten nachdrücklich, daß sich die Menschheit ins Universum ausbreiten müßte. Obwohl Antworten nicht mehr zu Lebzeiten zu erwarten waren, meinten sie, daß es Geheimnisse gäbe, die die Menschheit unbedingt erforschen mußte. Die Streichung des Sternenschiffprojekts zugunsten kurzsichtigerer Ziele war eine Weigerung, diese Herausforderung anzunehmen. Während der zweiten Hälfte der dritten Runde nahmen die Wanderer seltsamerweise keine Passagiere mehr auf und bestanden darauf, soviele Touristen und andere Nichtbewohner wie nur möglich vom Schiff zu weisen. Es hieß, sie brauchten Platz, um Siedler und Ausrüstungsgegenstände zu einer neuen Basis auf Titan zu bringen. Es stimmte auch, daß sie genug Ausrüstung und Nahrungsmittel für eine ganze Kolonie an Bord nahmen. Erst später kam heraus, daß die Triplanetarische Titanentwicklungsgesellschaft eine Scheinfirma war – nämlich um den wahren Grund für den Warenkauf im großen Stil zu verheimlichen. Die Wanderer zogen eine Schleife um die Sonne und verschwan den. Nach dem Durchgang befanden sie sich nicht da, wo sie eigentlich sein sollten. Zunächst gab es Spekulationen, daß sie ihre Umlaufbahn falsch berechnet hätten und in die Sonne gefallen wären – aber das wurde als unwahrscheinlich abgetan. Es war ein Hobbyastronom auf dem Mond, der sie mit einem selbstgebauten, vier Meter langen Fernrohr entdeckte. Sie wären weit von dem Punkt entfernt, an dem man sie vermutet hatte.
Statt dessen waren sie viel weiter draußen – während sie immer noch beschleunigten. Sie hatten ein zwanzig Kilometer langes Sonnensegel aufgezogen, und als sie die Umlaufbahn der Erde passierten, schalteten sie ihre Fusionsmaschinen auf volle Kraft. Das Strahlentriebwerk haben sie erst viel später angebracht. Dazu haben sie wahrscheinlich das Trockendock abgebaut. Wenn Sie diesen Ausschnitt hier mit dem auf dem anderen Foto vergleichen, werden Sie die große Ähnlichkeit erkennen. Die nächsten drei Monate beschleunigten sie immer mehr. Sie verabschiedeten sich von unserem Sonnensystem und wandten sich den Sternen zu. Ein kühnes Unterfangen. Ihre letzte Nachricht enthielt die Worte: Unsere Enkel werden mit den Sternen zusammentreffen. Der Laserkontakt wurde für einige Zeit aufrechterhalten – in der Tat sogar bis zu ihrer Schleife um Sirius-B. Dann hörte er auf. Und wurde nicht wieder aufgenommen. Man nahm an, daß ihnen ein größeres Unglück zugestoßen war.« Kirk lehnte sich vor und klopfte seinem Navigator auf die Schulter. »Gute Arbeit, Chekov.« Dann schwang er seinen Sessel zu Specks herum. »Eine exzellente Schilderung – äh, Specks. Sie gibt auf viele Fragen Antwort. Genauer gesagt, ich habe mehr Dinge über den Wanderer erfahren, als ich wissen wollte. Mein Kompliment. Wenn Sie diese Präsentation auf den Bibliothekskanal legen würden, bin ich sicher, daß sich auch der Rest der Mannschaft ebenfalls dafür interessiert.« »Äh – Sir? Sie befindet sich bereits seit gestern auf dem Bibliothekskanal.« Spock blickte betreten drein. »Mr. Spock, wußten Sie davon?« Spocks Blick wich zur Seite aus. »Es ging alles sehr schnell in letzter Zeit, Captain.«
Kirk nickte. »Richtig. Auch Vulkanier machen Fehler.« Als Spock beleidigt dreinsah, fügte er hinzu: »Aber nur sehr selten, nicht wahr?« Und er grinste. Spock wandte sich an Specks. »Gibt es noch mehr Informationen, Fähnrich?« »Eigentlich nicht, Sir. Es wurde nie der Versuch unternommen, nach der verlorenen Kolonie zu suchen. Man hielt es für sinnlos. Entweder waren sie am Leben, aber außer Kontakt – oder tot. In beiden Fällen gab es nichts, was man für sie tun konnte. Dennoch gab es jede Menge Spekulationen. Es wurden sogar Romane geschrieben und Filme produziert, mit dem Anspruch, die wahre Geschichte zum Inhalt zu haben – aber das war natürlich unmöglich. Niemand wußte es sicher. Abgesehen von den politischen Intrigen bei ihrer Konstruktion und der Tatsache, daß sie ein Pionier der langsamen Schiffahrt war, ist der einzige Anspruch der Kolonie auf Berühmtheit das Geheimnis, das sie umgibt. Und darüber könnte ich Ihnen, wenn Sie wollen, eine ganze Menge erzählen.« Kirk stand auf und mußte sich nach dem langen Vortrag erst einmal etwas dehnen. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, für heute ist es genug, Specks. Sie haben gute Arbeit geleistet. Jetzt gibt es einiges, worüber wir uns Gedanken machen müssen.« An seine Offiziere gerichtet, sagte er: »Meine Herren? Schließen wir die Sitzung?«
17
Vor der Bibliothek wandte sich Kirk an Spock. »Was meinen Sie, Mr. Spock?« »Ich denke, der Fähnrich hätte sich wesentlich kürzer fassen können.« Kirk warf ihm einen Blick zu. »Warum? Hatten Sie etwas Besseres zu tun?« Spock zuckte die Achseln. Kirk hatte bereits den Mund geöffnet, um noch etwas zu sagen, besann sich aber eines besseren. Eines der Dinge, die einem an der Akademie gesagt werden, ist, daß ein Großteil der Führungsqualitäten darin besteht, mit dem Handeln zu warten, bis die Situation reif dazu ist. Und wenn man schon mal weiß, daß man warten muß, dann kann man auch die Zeit sinnvoll nutzen. Deshalb sagte er: »Nein, ich meinte den Wanderer – ist das der offizielle Name?« Spock nickte. »Ich glaube schon. Ich hatte noch nicht damit begonnen, Alternativen, die Sie in Erwägung ziehen konnten, zu formulieren, Gaptain.« »Es scheint, daß wir zumindest ein KulturReorientierungsteam einsetzen und anschließend die nächste Sternbasis bevollmächtigen müssen, einen Schlepper mit Solantrieb zu organisieren, mit dem wir das Schiff in einen sicheren Hafen bringen können. Chekov soll die nächste Basis, die sich dafür eignet, ermitteln. Sagen Sie Uhura, daß sie die Logbucheintragungen verschlüsseln und vorausschicken soll. Außerdem muß ein neuer Kontakttrupp instruiert werden. Wir müssen noch mal rein und den Captain dieses Schiffes finden – « Sie gingen in Richtung des Aufzugs. »Und wir sollten mit
dieser jungen Frau sprechen, um herauszufinden, mit welcher Art von Leuten wir es zu tun haben werden.« McCoy blickte mürrisch drein, als sie das Bordlazarett betraten, aber das war ja nichts Neues. »Nun, Pille? Ist sie schon aufgewacht?« McCoy sagte: »Sie steht kurz davor. Sie zeigte vor kurzer Zeit Anzeichen, daß sie aufwachen würde, deshalb habe ich sie an die Summbox angehängt, bis ihr hiersein konntet.« Kirk nickte verständnisvoll. »Warum gibst du ihr kein leichtes Beruhigungsmittel, bevor du sie aus der Narkose holst?« »Wenn du meinst – aber das könnte sie am Ende noch mehr verwirren.« »Ich hatte dabei eigentlich mehr an dich gedacht, Pille. Sie scheint ziemlich kriegerisch veranlagt zu sein. Ich mag es nicht, wenn man meinen Chefchirurgen derart im Bordlazarett herumwirft.« McCoy rieb sich die Wange. »Ja, ich kann den Schmerz immer noch fühlen.« Kirk sah genauer hin. »Und in ein paar Stunden wirst du ihn auch zur Schau tragen. Das wird ein ziemliches Veilchen, Pille.« Sie gingen in das andere Zimmer, und McCoy drückte auf einen Schalter an der Bettseite. Die junge Frau stöhnte und wand sich unter der Decke. Dann gähnte sie und verhielt sich wieder ruhig. Kirk sah McCoy an. »Wars das schon?« »Die Summbox ist ausgeschaltet. Wenn sie will, kann sie jederzeit aufwachen.« »Offensichtlich will sie nicht.« Kirk berührte ihre Schulter und schüttelte sie sanft. »Äh – Fräulein? Hallo?«
»Äh – « Sie gähnte, dann rieb sie sich die Augen und drehte sich auf die Seite. »Nur noch ein paar Minuten – « Kirk, Spock und McCoy blickten einander an. Kirk versuchte es nochmals. »Es ist Zeit zum Aufwachen.« Schwerfällig schlug sie nach seiner Hand. »In Ruhe lassen.« Dann hielt sie inne. Und wachte sofort auf. Und setzte sich plötzlich hoch. Und starrte. Ihr Blick wanderte von einem zum andern – bis ihr plötzlich die Fremdartigkeit von Spock auffiel. »Wer Sie?« wollte sie wissen. »Und wo in Rumpf dies?« Kirk sagte flüsternd: »Jetzt geht das schon wieder los.« Dann sagte er zu der jungen Frau: »Ich weiß, daß es schwer für Sie ist, dies zu verstehen – « Sie sah ihn mißtrauisch an. »Ihr Dämonen? Wilde?!! Mich töten? Auffressen? Zur Sklavin machen?« »Das alles zusammen wäre etwas schwierig«, sagte McCoy. »Vor allem in dieser Reihenfolge.« Sie runzelte die Stirn über ihn. »Ist Witz? Machen lustig?« »Wir sind Freunde«, schaltete sich Kirk ein. »Wir wollen Ihnen nichts Böses. Sie haben uns mit – jemand anderem verwechselt. Wir sind weder Dämonen noch Wilde. Und wir werden Ihnen nichts tun. Mein Name ist Kirk. Und das ist Spock. Und der da ist Dr. McCoy.« Er vermied es, die Enterprise zu erwähnen. »Haben Sie einen Namen?« »Aber – « Sie war ängstlich und verwirrt. Sie zog sich rücklings auf das Bett zurück und hielt die Decke vor sich. »Müssen – Wilde sein. Dies untere Decks, ja?« »Nein, ist nicht. Ich meine, das sind nicht die unteren Decks Ihres Schiffs.« »Ich kenne Schiff! Ich bin Kriegerin! Ich bin Wächterin! Ich kenne Schiff. Dies kein Platz, den ich kenne – deshalb ist unteres Deck!«
Kirk warf Spock einen hilfesuchenden Blick zu, aber dieser blieb ungerührt. »Fräulein? Haben Sie einen Namen?« Sie sah ihn nur wütend an. »Was wir hier machen, kann man nicht gerade Kommunikation nennen, oder?« Als Geste des Friedens und der Freundschaft breitete er die Arme aus und ging einen halben Schritt auf sie zu, aber sie fuhr zusammen und wich zurück. »Ich bin kein Wilder. Ich weiß, mir wird zwar ab und zu der Vorwurf gemacht, mich wie ein solcher zu benehmen, und ich weiß auch, daß unser Äußeres für Sie ungewöhnlich ist – vor allem das von Mr. Spock – aber ich versichere Ihnen, daß wir weder Wilde noch Dämonen sind. Mein Name ist James T. Kirk, und ich bin Captain eines Sternenschiffs – aber ich gehöre nicht zu Ihrem Schiff. Dies ist ein anderes Schiff. Ihr Schiff ist der Wanderer und meines ist die Enterprise. Die Enterprise ist ein Sternenschiff, das in der Lage ist, sich schneller als das Licht zu bewegen – und wir sind von der Erde.« »Sie machen Unsinn«, sagte sie, aber ihr Widerstand schwand. »Wie – wie können wir woanders als auf Schiff sein?« Und dann spürte sie die Wirkung seiner Worte. »Erde? Sie sagen Erde?« »Ein Planet. Unser Planet. Ihr Planet. Damals. Die Heimatwelt Ihrer Vorfahren.« Und dann fiel ihm plötzlich etwas ein. »Erinnern Sie sich an eine – eine Nachricht, die die ersten Wanderer zur Erde zurückschickten? Unsere Enkel werden zwischen den Sternen mit den euren zusammentreffen? Nun, wir sind die Enkel – wir sind gekommen, um euch zu treffen.« Sie fing an zu überlegen. Ein langer Augenblick verstrich, während sie sich alles durch den Kopf gehen ließ. Kirk, Spock und McCoy sahen sich gegenseitig an.
Endlich blickte sie hoch. »Wo wir?« »Wir in – Entschuldigung. Wir befinden uns an Bord des Föderations-Sternenschiffs Enterprise. Es ist ein Sternenschiff und in der Lage, von einem Stern zum andern zu reisen.« »Ist verrückte Geschichte«, sagte sie. »Immer verrückter. Drei Verrückte. Alte Märchen. Welten. Himmel. Aridere Schiffe – « »Es gibt andere Schiffe – « Kirk sah langsam etwas frustriert aus. »Pille? Spock?« »Frag mich nicht. Ich bin Arzt und kein Theologe.« »Pille!« »Entschuldigung.« »Kindersprache«, sagte das Mädchen. »Ich höre diese Geschichten schon einmal, vor langer Zeit. Ist Legende, ja? Aber Sie glauben, oder? Ist verworren. Ist Wahrheit oder Lüge? Wenn Geschichte wahr ist, ich bin verrückt. Aber ich bin nicht verrückt, also ihr müßt sein. Ist Verrückte oder Dämonen.« Jetzt zeigte auch Kirk langsam Anzeichen von Besorgnis. »Äh – schauen Sie mal, Fräulein. – wie kann ich Ihnen beweisen, daß wir keine Dämonen sind?« »Ist nichts. Man sagt, Verrückte, Wilde und Dämonen erzählen halbe Wahrheiten überzeugender als die ganze Wahrheit. Ist Dämonentrick, damit ich glaube, ich verrückt, ja?« »Pille? Spock?« Kirk winkte die beiden herbei. Er senkte die Stimme. »Was haltet ihr davon – ah, wenn wir sie auf die Brücke bringen und ihr ihre eigene Welt von außen zeigen?« Spock sah nachdenklich drein. »Das scheint der einzig logische Weg zu sein, Captain. Denn bis jetzt haben Sie nur wenig oder gar nichts erreicht.« »Auf der anderen Seite, Jim«, gab McCoy zu bedenken, »verlangst du viel von dem Mädchen. Du willst, daß sie in
wenigen Augenblicken ihr gesamtes Weltbild über den Haufen wirft. Das wäre auch für uns nicht einfach. Vielleicht wäre Spock dazu in der Lage – angesichts höherer Logik – aber menschliche Wesen sind nicht so kühl überlegend, und du mußt deshalb sanft mit ihr umgehen.« Kirk dachte über beide Standpunkte nach. Dann wandte er sich wieder an das Mädchen. »Hören Sie – ah, Sie wissen, wie Wilde aussehen. Sehen wir für Sie wie Wilde aus?« Sie betrachtete sie sorgfältig. Dann schüttelte sie den Kopf. »Sehen wir wie Dämonen aus? Oder Verrückte?« Sie betrachtete nochmals alle, dann deutete sie auf Spock. »Er ist Dämomen aussehen.« Dann, nach einem zweiten Blick. »Aber nur ein wenig. Ist freundliches Gesicht.« Sowohl McCoy als auch Kirk drehten sich um, um sich Spocks Gesicht anzusehen. Freundlich? Spock erwiderte ihre Blicke unbewegt und kommentarlos. Kirk wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Sie scheinen zu denken, daß Wilde immer Menschen verletzen – haben wir Sie bisher verletzt?« Sie dachte nach. »Ist Trick?« »Ist kein Trick.« »Ist nicht verletzt.« »Warum – trauen Sie uns dann nicht – wenigstens ein bißchen? Sie haben nichts zu verlieren.« Kirk mußte sich zurückhalten. Innerlich wurde ihm etwas klar. Nichts zu verlieren? Das wußte sie nicht. »Hm – hören Sie, ich verspreche Ihnen etwas. Ich verspreche Ihnen, daß Sie zu Ihrem eigenen Schiff zurückkehren werden – zu Ihrem Zuhause. Und es wird Ihnen nichts Schlimmes passieren. Wir wollen Ihnen nur vorher etwas zeigen. Wir werden jede Ihrer Fragen beantworten. Als Gegenleistung bitten wir Sie lediglich, daß Sie sich das, was wir Ihnen zeigen werden, sehr genau ansehen. Verstehen Sie?«
Sie sah beleidigt aus. »Ist verstehen! Sie glauben, ich Kind?« »Nun – ich, äh – es ist nur – « Kirk sah etwas durcheinander aus und schaute zunächst Spock und McCoy, dann wieder das Mädchen an, »- es ist nur, daß Sie nicht gerade das, was wir kooperativ nennen, waren – ah, bis jetzt.« Sie sah nachdenklich aus. »Ist wie lange hier?« »Nur ein paar Stunden. Wann immer Sie bereit sind.« »Ist jetzt bereit. Ist Kriegerin. Immer bereit.« Als sie aus dem Bett schlüpfte, fiel Kirk etwas ein. »Ich möchte Sie gerne etwas fragen. Wir haben einige Schwierigkeiten, Ihre Sprache zu verstehen. Können Sie denn uns verstehen?« »Ist leicht. Ist Sprache wie alte Tonbänder. Niemand spricht so. Außer in Spiel. Oder Kirche.« Kirk sah sie an. »Können Sie das? Ich meine, können Sie so mit uns reden, wie wir es tun?« Sie starrte ihn merkwürdig an. Und sagte: »Sicher. Wenn ich will. Aber es scheint doch eine ziemliche Energieverschwendung zu sein, so viele zusätzliche Worte in einen Satz zu packen, um das gleiche damit auszudrücken.«
18
Die Aufzugstür öffnete sich mit einem zischenden Geräusch. Mit aufgerissenen Augen betrat das Mädchen die Brücke. Kirk und McCoy flankierten sie, während Spock ihnen in diskretem Abstand folgte. »Das hier«, sagte Kirk, »ist das Nervenzentrum meines Schiffs.« »Ist gelehrt – Verzeihung. Man lehrte uns, daß es nur ein Schiff gäbe. Das Schiff. Es gibt… Legenden, Geschichten vergangener Tage – und Bilder – « Sie verfiel in Schweigen, grübelte über etwas nach und sagte dann abrupt: »- aber eigentlich glaubte niemand diese Geschichten. Sie waren – Hirngespinste. Sie hatten nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Und – selbst wenn – niemand von uns lebt lange genug, um das Ende der Reise zu erleben. Deshalb ist die ganze Frage nach den – Planeten und Sternen – oh, ich weiß Wort nicht. Tut leid. Ist schwierig. Ich nicht Schauspielerin. Nicht fähig – für das.« »Schon gut. Ich glaube, wir verstehen, was Sie meinen. Sie sind – das heißt, Sie teilen uns mehr mit, als Sie glauben.« Kirk nahm sie an der Hand und führte sie zum Sessel des Captains. »Jetzt bleiben Sie hier stehen und schauen nach vorn auf diesen großen Bildschirm. Mr. Sulu?« Der Steuermann berührte einen Schalter auf seiner Tafel, und der vordere Bildschirm fing zu leuchten an. »Ist Sterne?« »Ja«, nickte Kirk. »Das sind Sterne.« »Ist Bilder. Zuhause ich sehe Bilder von Sternen. Wir haben auch Sterne. Ein Jahr ich Dienst bei Gruppe, die ausgebrannte Sterne an Decken ersetzt. Ist wichtige Arbeit.«
»Äh, das glaube ich – aber die hier sind anders. Das sind wirkliche Sterne. Eure Lichter sind nur Imi- äh, eure Lichter sind simulierte Sterne, die wie echte aussehen sollen.« Sie überlegte. »Aber – Geschichten sagen alle, daß wirkliche Sterne groß sind – « »Ja, das stimmt – « »Aber diese Sterne sind klein – aber sie sehen nur deshalb so klein aus, weil sie so weit weg sind.« Sie drehte sich um und starrte ihn ungläubig an. »Captain?« sagte Spock. »Dieses Mädchen hat ihr ganzes Leben in einer Umgebung verbracht, in der die Gegenstände höchstens fünfzig Meter von ihr entfernt waren. Wenn überhaupt.« Kirk verstand. Er drehte sich nochmals zu Sulu um. »Steuermann, haben Sie etwas Entsprechendes in der Bibliothek?« »Sofort, Captain.« Er drückte auf die Tastatur, betrachtete den Bildschirm und drückte dann nochmals. Das Bild auf dem vorderen Schirm flimmerte, dann zeigte es ganz deutlich die Oberfläche Capellas, des roten Giganten, aus der Perspektive eines in nächster Entfernung fliegenden Satelliten. Ein siedendes, schäumendes Inferno. Eine riesige, kochende Oberfläche gequälten Lichts. Das Mädchen prallte ängstlich vom Bildschirm zurück – aber als sie merkte, daß es nur ein Bild war und außer ihr niemand Angst zeigte, nahm sie sich zusammen und starrte wieder auf den Bildschirm. Ihre Nervosität hatte sich gelegt. Einen Augenblick später schrumpfte das Bild zur Größe eines Nadelkopfs zusammen. »Und so sieht der Stern aus der Entfernung aus«, sagte Kirk. »Aber es gibt so viele – «, sagte sie. »Wie ist das möglich?« »Es gibt mehr Sterne, als Sie sich vorstellen können«, sagte Kirk. »Ich kann nicht anfangen, Ihnen zu zeigen, wie viele
Lichter es am Himmel gibt – obwohl ich es gerne versuchen würde.« Sie sah ihn seltsam an. »Ist was?« Kirk sagte: »Ich würde Ihnen gerne die Sterne zeigen.« »Zeigen, jetzt.« Sie zeigte ein verblüfftes Gesicht. »Zeigen, ja?« »Ich meinte – ich würde sie Ihnen gerne einmal von der Oberfläche eines Planeten aus zeigen.« »Planet?« »Eine Welt. Nicht wie ein Raumschiff. Ein Schiff ist wie ein – ein Container. Es enthält die guten Dinge und bewahrt sie vor den schlechten.« »Wie die oberen Decks nicht die Dämonen der unteren Decks hereinlassen.« »Ah, so ähnlich – aber eine Welt, ein Planet – « Er suchte nach den richtigen Worten. »Ein Planet hat keine Wände.« »Dann ist kein Schutz. Ich glaube nicht, ich mag Planet.« »Ja. Nun – ich denke, ein Planet ist letztendlich eine Sache des individuellen Geschmacks, nicht wahr? Mr. Sulu, haben Sie einige Bilder von Planeten?« »Aye, aye, Captain.« Er programmierte eine neue Serie von Bildern ein. Ein wirbelndes, blendendes Lichtkaleidoskop – eine pastorale Wunderlandschaft – ein Leuchtturm an einer stürmischen Küste, die von hochroten Brechern gepeitscht wird – blaue und purpurrote Wolken, die über einen gelben Himmel streichen – Lichtstrahlen, die die Düsternis eines Waldes voll dunkelgrüner Riesenschafgarben durchdringen – ein zehn Meter großer Stachel fisch, der aus dem Ozean von Satlin hochspringt – eine unfruchtbare Wüste unter einem Nadelstich von Helligkeit – ein Rollfeld orangeroter Blüten, die sich einer entfernten Stadt mit smaragdfarbenen Kirchtürmen entgegenstrecken – ein Segelflugzeug, das seine
langsamen Kurven vor dem Hintergrund eines Teppichs aus gelben Zirrus-Kumuluswolken zieht- eine Tarantel, die hinter ihrem Schutz, einem gezackten Brocken leuchtend schwarzen Kri stalls, hervorschnellt. Das Mädchen starrte darauf. Verblüfft. Wie in Trance. »Ist Trick. Ist, muß sein – aber – « Dann verfiel sie in ein langes Schweigen, während sie sich auf die Unterlippe biß. Und starrte weiter auf die Bilder – – ein silbriger Mond über einem verzauberten Meer – ein Abhang mit funkelnden Espen, die goldfarben unter einem hochaufragenden, bedrohlichen Gebirge glitzerten – eine Schlucht mit verschiedenen Schichten in braunen, roten, schwarzen, bernstein- und ockerfarbenen Schattierungen; am unteren Bildrand, kaum sichtbar, ein kleines Flugzeug, das über dem Silberband des Flusses, der die Schlucht gegraben hat, schwebt – »Nein – ist nicht – ist nicht möglich – ist simuliertes Bild, oder? Ist Modell – muß Dämonentrick sein! Man warnte vor den Tricks der Dämonen. Ich wußte nicht, daß es so – so – « Sie wirbelte zu Kirk herum. »Warum tun Sie mir das an?« Kirk machte einen Fehler. Er ging einen Schritt auf sie zu, um sie zu beschwichtigen. Er griff nach ihren Händen – Sie sprang zurück und ging in Kampfstellung. Das Mannschaftsmitglied aus dem Maschinenraum sprang über das Geländer auf sie zu, aber sie entledigte sich seiner mit einem Schulterwurf – ein Sprung zur Seite, und sie war an der Aufzugstür – die sich zischend hinter ihr öffnete. Sie schlüpfte seitwärts hinein -und die Tür schloß sich hinter ihr. Kirk und Spock tauschten einen vielsagenden Blick aus. »Sie kann nicht entkommen.« Kirk nickte, mußte sich aber dennoch über sich selbst ärgern. Er ging zu seinem Kontrollsessel.
McCoy schüttelte den Kopf. »Ich habe euch gewarnt. Die Wahrscheinlichkeit eines Kulturschocks war groß – « »Wir hatten keine andere Wahl, Pille.« Kirk schaltete den Kommunikationskanal des Schiffs ein. »Sicherheitsalarm. An alle Decks. Ein Mädchen vom Wanderer läuft frei an Bord der Enterprise herum. Sie darf nicht verletzt werden. Ich wiederhole, sie darf nicht verletzt werden. Bringt sie zur Brücke.« Plötzlich öffnete sich hinter ihm wieder die Aufzugstür. Ein ängstliches und ziemlich durcheinandergebrachtes Mädchen stand da und schluchzte: »Er fährt nicht hoch – er fährt nicht hoch – « Dann zischte die Tür wieder zu. Kirk und Spock tauschten erneut einen Blick aus. Kirk ging auf die Tür zu. Aber sie öffnete sich kein drittes Mal. »Captain, offenbar glaubt sie, daß sie sich immer noch an Bord des Wanderers befindet. Der Gedanke, daß sie sich auf einem anderen Schiff befinden könnte, ist für sie so schwer zu akzeptieren wie für einen mittelalterlichen Mönch, der sich vorstellen soll, sich auf einer anderen Welt zu befinden. Mit anderen Worten, so gut wie unmöglich.« »Das wird schwieriger als ich dachte.« Eine Erinnerung an eine. alte Geschichte stieg in ihm hoch- die Nacht, als ein Drachenvogel aus seinem behelfsmäßigen Verschlag bei Spiderport entkam. Sie fanden ihn, weil er eine Spur von zerfleischten Hunden und Affen hinter sich ließ. Warum erinnerte ihn diese Situation daran –? Wahrscheinlich, weil das Mädchen in ihrer eigenen Welt eine Kriegerin war – und eine gute obendrein. Das hatte sie im Bordlazarett zur Genüge bewiesen. Spock sagte gerade etwas. » – Wie würden Sie sich fühlen, Captain, wenn Sie der historischen Wahrheit, die die Basis für die allgemeine, menschliche Auffassung von Gott bildete, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünden? Sie könnten nur
schwer akzeptieren, daß das, was vorher eine spezialisierte Form des Glaubens war – eine, die keinen direkten Einfluß auf alltägliche Ereignisse zu haben scheint – tatsächlich eine sehr reale und greifbare Existenz besitzt, mit der man sich auseinandersetzen und die man akzeptieren muß. Dadurch würde Ihre Auffassung von der Funktionsweise des Universums völlig umstrukturiert werden müssen. Und wenn Sie damit nicht fertigwerden könnten – würden Sie wahrscheinlich ziemlich verrückt werden.« McCoy blickte zuerst ihn und dann Kirk wütend an. Aber er sagte nichts. Es gab nichts, was noch gesagt werden mußte. Kirks Gesichtsausdruck sprach Bände.
19
Sie hatte sich verirrt; Und sie rannte. Die Welt war plötzlich – so zerrissen. Voller Gesichter, die sie noch nie gesehen hatte! Und sie roch anders! Nicht schlecht – aber anders. Und als sie versuchte, mit dem Aufzug hochzufahren – gab es kein hoch. Wie sollte sie da zu den oberen Decks zurückkehren können? Sie schluchzte. »Ich will nach Hause – Bitte! Bring mich nach Hause!« Eine sanfte, fast angenehme Stimme antwortete ihr: »Wohin wollen Sie denn? Sie müssen sich deutlicher ausdrücken.« »Irgendwohin – weg! In Sicherheit!« Wer war das? Die Stimme sagte: »Ich entdecke Angst und Stress. Das Bordlazarett befindet sich auf Wohndeck 6.« Und dann bewegte sich der Aufzug. Zuerst nach unten – und dann seitwärts! Entsetzt packte sie den Griff an der Wand und schrie und schrie und schrie Als die Tür endlich aufging, floh sie, ohne zu schauen, wohin, vorbei an verblüfften weißen Gesichtern, drehte sich plötzlich, vorbei an offenen Korridoren und Türen – aber die Bodenkrümmung war völlig falsch – der Boden krümmte sich überhaupt nicht! Sie machte eine neunzig Grad Drehung nach rechts, den ersten Korridor hinab und lief weiter – aber der Boden krümmte sich noch immer nicht nach oben! Statt dessen krümmte er sich seitwärts und führte sie im Kreis zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Da waren Männer, in roten Hemden, die diese merkwürdig aussehenden Waffen hielten – entsetzt taumelte sie an ihnen vorbei. Sie sahen sie – »Hey!« – und rannten ihr nach.
Sie brauste durch ein Knäuel von Männern und Frauen, streckte sie zu Boden, und lief dann einen anderen Korridor entlang – und noch einen, der in sicherer Dunkelheit lag – sie rannte hinein und – es war eine Sackgasse. Sie drehte sich um, um sich ihren Verfolgern zu stellen – sie wollte kämpfend sterben – Aber hinter ihr befand sich lediglich das helle, viereckige Licht des Tunneleingangs. Der Korridor war leer – und dann trat eine Gestalt in das Licht – sie war dünn und hielt die Hände hoch. »Hallo – «, rief er. »Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Kevin Riley, der Bursche, der – nein, ich glaube, Sie erinnern sich nicht. Hm, also – es tut mir leid, daß Sie sich so fürchten.« »Kommen Sie nicht näher.« Er breitete die Arme als Geste des Einverständnisses aus. »Kein Problem. Ich werde Sie nicht verletzen. Ehrlich. Und auch sonst niemand hier. Captain Kirk ist bereits auf dem Weg hierher.« »Ist kein Captain Kirk. Ist nur ein Captain.« »Also – Fräulein, äh – Sie werden uns schon ein bißchen trauen müssen – « »Kann nicht trauen Dämonen!« »Wir wollen Sie zu Ihrer eigenen Welt zurückbringen. Wir wollen, daß Sie uns dabei helfen, mit Ihren Leuten zu sprechen.« »Prophet –? Sie wollen, daß ich Prophet werde?« »Wie?« »In Legende. Ende der Reise. Die Wanderer werden von den Besuchern empfangen. Die Besucher wählen einen zum Propheten aus.« »Und wer werden diese Besucher sein –?« »Sie werden die – die Kinder derer sein, die zurückgelassen wurden.«
»Ah, verstehe. Nun, diese Beschreibung paßt eigentlich auf uns, denke ich – äh, schauen Sie mal, ich schreie nur ungern quer über den ganzen Korridor. Kann ich etwas näherkommen?« Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern ging einfach ein paar Schritte vorwärts. »Ist das in Ordnung?« Sie antwortete nicht. »Wir sind die Nachkommen der Menschen der Erde.« »Aber, Geschichte ist nicht wahr. Ist Fabel. Ist, um Bedeutung zu studieren, nicht – eigentliches Ereignis. Ist unmöglich. Wie können wir von denen, die wir zurückließen, empfangen werden? Ohne uns im Kreis zu bewegen. Und das tun wir nicht. Deshalb müssen Sie wilder Dämon sein.« »Äh, nicht direkt, obwohl ich schrecklich sein kann, wenn ich zuviel getrunken habe – aber Sie können mich Kevin nennen, wirklich. Wir haben uns sehr, sehr schnell fortbewegt, um euch einzuholen. Schneller als das Licht.« Sie schnaubte verächtlich. Am Ende des Korridors erschienen drei weitere Gestalten; Silhouetten – aber sie konnte an der Art, wie sie dastanden, erkennen, wer sie waren: der eine, der sich selbst als Captain bezeichnete, der Große mit den seltsamen Ohren und der, den sie »Pille« nannten. Sie schrak zurück. »Halten Sie sie von mir fern. Sie erzählen Lügen.« Riley drehte sich zu den anderen um. »Sir? Könnten Sie noch eine Minute warten? Bitte?« Kirk und Spock sahen sich an. Dann gingen sie mit einem Achselzucken ein paar Schritte zurück. »Sehen Sie?« sagte Riley. »Man kann uns doch trauen. Also, wenn Sie wollen, können Sie hier in dieser Ecke so lange, wie Sie es für nötig halten, bleiben – und niemand wird Sie belästigen – aber, äh, früher oder später werden Sie Hunger kriegen oder wollen sich vielleicht etwas saubermachen oder – was ich sagen will ist, daß ich bei Ihnen bleibe und dafür
sorge, daß Ihnen niemand etwas tut, wenn Sie sich dann wohler fühlen.« »Wer sein?!!« verlangte sie. »Ich sagte es schon. Ich bin Kevin Riley.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Das weiß ich bereits. Ich will wissen, wer ihr seid.« »Wir sind Menschen wie Sie. Wie Ihre Leute. Und wir sind die Besatzung eines Sternenschiffs. Eines anderen Sternenschiffs. Und Sie befinden sich im Moment darauf.« »Wie kann ich zurückkehren?« »Wir bringen Sie zurück. Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir können Sie zurückbeamen oder aber – « Er schwieg und überlegte. »Ja, vielleicht – wir sollten es Ihnen zeigen – « Er blickte nochmals in den Korridor zurück, dann blickte er wieder das Mädchen an. »Warten Sie bitte hier – gehen Sie nicht weg.« Dann ging er ans Ende des Korridors und unterhielt sich flüsternd mit den anderen. Sie beobachtete sie mißtrauisch, wartete aber. Sie konnte sowieso nicht an ihnen vorbei – und selbst wenn, wohin sollte sie dann fliehen? Dann kam Kevin Riley zurück. »In Ordnung. Ich habe mit ihnen gesprochen. Wenn Sie bereit sind, bringen wir Sie jetzt zu Ihrer Welt zurück.« »Ist Wahrheit?« »Ist Wahrheit. Großes Pfadfinderehrenwort.« Er hielt die rechte Hand hoch. Sie starrte ihn an. Pfadfinderehrenwort? »Sie – Pfadfinder?« Er nickte feierlich. »Wolfsrudel Nummer 11340, Van Nuys, Kalifornien.« Sie machte einen halben Schritt nach vorn, faßte sich dann wieder und zog sich erneut zurück. Dann fragte sie: »Was ist Leitspruch?«
»Allzeit bereit.« Sie riß die Augen auf – das konnte kein Trick sein. Wilde konnten unmöglich wissen – – Und dann brach sie weinend zusammen. Sie konnte es nicht mehr zurückhalten. So vieles war ihr zugestoßen, Seltsames und Schreckliches, und alles so verwirrend – sie begrub ihr Gesicht in den Händen und begann heftig zu schluchzen. Riley schaute sie an und sah – keine verängstigte Frau – sondern ein erschrockenes kleines Mädchen, dessen Welt soeben zusammengebrochen war. Er konnte nicht anders. Er ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. »Schon gut«, flüsterte er. »Alles wird wieder gut – wie heißt du?« Zuerst antwortete sie nicht, sondern weinte immer noch – obwohl sie sich umdrehte, in seine Brust schluchzte und sich fest an ihn klammerte. Dann, nach einer Weile, brachte sie fertig zu sagen: »Ich heiße – Katholin.« »Katholin – ein schöner Name – « Dabei strich er ihr über die Haare. Sie schniefte. »Meine Freunde nennen mich – Katwen.« »Katwen?« »Katholin Arwen.« »Ich bringe dich wieder nach Hause, Katholin.« »Noch nicht- noch eine Minute.« Sie klammerte sich noch eine Weile an ihn. Riley gelang es, einen verstohlenen Blick auf das offene Ende des Korridors zu werfen. Er sah, daß Kirk, Spock und McCoy scheinbar gleichgültig die Decken, Wände und Böden musterten – nur zu ihnen schauten sie nicht herüber. »Ich – ich bin jetzt bereit.« Er sah ihr ins Gesicht. Auf ihren Wangen lagen immer noch die Spuren ihrer Tränen. Er wischte sie mit den Fingerspitzen weg. »Ich werde nicht zulassen, daß dir jemand etwas tut, Katholin Arwen – Katwen.« Dann nahm er ihre Hand und
führte sie ans Ende des Korridors. Dort drückte er auf eine Schalttafel in der Wand, worauf das Ende des Tunnels auseinanderging, aufglitt und Shuttledeck 3 enthüllte. Ein riesiger Raum, dessen grelles Licht sie blendete. Und flach – absolut, geometrisch, distanziert und erschreckend flach. Einen solchen Raum hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Ein vereinzeltes, kleines Shuttle wartete auf sie. Bewegungsunfähig stand sie mit weitaufgerissenen Augen da. Riley mußte sie nach vorne ins Licht führen. Nachdenklich folgten ihnen Kirk, Spock und McCoy.
20
Eigentlich gab es auf der Enterprise drei Shuttledecks. Das Hauptdeck befand sich am hinteren Ende des Maschinenraummoduls, aber die beiden kleineren Befehlsdecks waren im unteren Teil der Hauptscheibe, nahe den Rändern, untergebracht. Die Beiboote fielen aus diesen Decks eher heraus als daß sie starteten. Die Befehlsdecks wurden außer von den Wartungstrupps nur selten benutzt, und die darin befindlichen Shuttles hatten eine äußerst geringe Reichweite. Sie konnten dazu benutzt werden, von einem Schiff zum anderen zu fliegen oder Passagiere und Fracht zu einer nahegelegenen Raumstation zu transportieren, aber für Fahrten über 1250 Kilometer oder von länger als sechs Stunden Dauer reichten der Brennstoff und die Lebenserhaltungssysteme der Beiboote nicht. Ein Beiboot konnte bequem sechs Passagiere, und wenn sie wohlgesinnt waren, auch noch mehr aufnehmen. Als sie aus dem Deck in die Dunkelheit hinabfielen, klammerte sich Katwen mit den Händen an die Armlehnen ihres Sessels. Aber sie blieb ruhig. Schließlich war sie eine Kriegerin, und eine Kriegerin zeigte keine Furcht. »Keine Angst«, flüsterte Riley. »Captain Kirk ist einer der besten Sturzflug-Jockeys der Flotte. Als er noch auf der Akademie war, gewann er in zwei hintereinanderfolgenden Jahren die Goldkrone.« Riley konnte sich für das Thema richtig begeistern. »Er erfand den Tiberianischen Rückenflug – und nach wem glaubst du, ist wohl das Kirk’sche Ausweichmanöver benannt? Das ist das mit der obligatorischen Siegerdoppelrolle am Ende – denn wenn man die überlebt, hat man ganz sicher gewonnen.«
Sie sah ihn nur verständnislos an. »Na ja, kümmere dich nicht um mein Geschwätz.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den vorderen Luken zu. Der beleuchtete Rahmen des Shuttledecks lag schnell hinter ihnen. Kirk sprach ins Mikrofon – »Jetzt, Sulu« – und plötzlich schalteten sich die Außenlichter der Enterprise ein und zeigten das Schiff in seiner ganzen Pracht. Katwen stockte der Atem, als sie sah, wie groß es war. Kirk drehte sich um und grinste. »Auch ich bin von diesem Anblick immer wieder berührt.« Dann wandte er sich wieder seinen Schaltern zu. Der sanfte, seitliche Stups der Beschleunigung war das einzige Anzeichen, daß er das Beiboot in eine andere Richtung brachte. In Relation zu dem riesigen Sternenflottenschiff flogen sie jetzt nach oben, über die Hauptscheibe hinaus. Und jetzt konnten sie auch den Wanderer im Hintergrund sehen. Langsam drehte sich der riesige Zylinder in der Leere. Die Schatten seiner gewaltigen Strukturen bewegten sich träge über seine Außenhülle. Die Lichter der Sonden tauchten das Schiff in leuchtendes Silber. Katwen keuchte und schrie plötzlich – »Das ist sie! Das ist die Welt – « Sie verstummte und blickte zur Enterprise zurück. Ihr verblüffter Blick wanderte von Kirk zu Riley, dann selbst zu Spock und McCoy, und schließlich wieder zurück zu Kirk. »Sie sagten die Wahrheit, oder?« Er warf ihr einen mitleidsvollen Blick zu. »Das Schlimme daran war, daß wir wußten, wie schwer es für Sie sein würde, das alles zu verstehen.« Aber sie sah schon wieder zur Luke hinaus. »Die Welt – sie ist so klein.« »Nein, das ist nur eine Sinnestäuschung. In Wirklichkeit ist sie sehr groß.«
Kirk betätigte einige Schalter, und das Beiboot bewegte sich vorwärts. Das ferne Schiff nahm an Größe zu, während die Enterprise an ihnen vorbeischwebte. Katwen riß erstaunt die Augen auf, als sie näherkamen. Sie konnte den Blick nicht von der Luke wenden. »Das sind die hinteren Fusionseinheiten – sie sind seit Generationen nicht mehr in Betrieb. Oh, und das muß das Strahltriebwerk sein – und hier sind die Langstreckenradarantennen und – « Kirk starrte sie an. »Sie kennen sich mit dieser ganzen Ausrüstung aus?« »Natürlich. Jeder kennt sie. Ich habe meine Geographieaufgaben gemacht. Erforschen Sie etwa nicht Ihre eigene Welt?« »Welten. Plural. Wir erforschen alle unsere Welten. Aber verstehen Sie denn auch, wozu all diese Gegenstände gut sind?« »Natürlich.« »Hm – eine Frage. Wer, glauben Sie, erbaute diese Geräte?« »Menschliche Wesen natürlich. Männer und Frauen wie wir.« »Auch die Hülle des Schiffs?« »Natürlich.« »Und wo waren all diese Leute, bevor die Welt erbaut wurde?« Sie sah ihn an. »Im anderen Schiff. Wissen Sie, es gab noch ein anderes L5-Gebilde.« »Aber woher kam dieses andere Schiff? Wer baute es?« »Menschen natürlich. Ich dachte, Sie kennen sich in Geschichte aus.« Sie mußte sich wirklich wundern. »Es gab kleine Schiffe, bevor die großen gebaut wurden.« »Aber – woher kamen die ersten Schiffe?« Sie zuckte die Achseln. »Ich bin keine Theologin. Über solche Dinge denke ich nicht nach. Fragen über den Ursprung
der Welt sollte man denen überlassen, die – die – « Sie verstummte. »Was wollen Sie mir eigentlich sagen?« Kirk beschäftigte sich wieder mit seinen Schaltern. Riley berührte Katwens Schulter. »Ich denke, er will dir verständlich machen, daß die Schiffe – und zwar alle – eine künstliche Umwelt sind. Sie mußten gebaut werden. Und das bedeutet, daß es eine Zeit gab, bevor sie gebaut wurden. Und die Leute lebten auf Planeten. Auf einem Planeten. Er heißt Erde. Es würde dir dort gefallen. Für Menschen ist es die beste Welt im ganzen Universum.« »Aber das liegt Generationen zurück.« »Wir waren vor weniger als sieben Monaten auf der Erde.« Sie sah ihm in die Augen, als könne sie dort die Wahrheit seiner Aussagen überprüfen. »Wirklich? Die Erde? Die legendäre Heimatwelt existiert wirklich?« Riley nickte. »Ich wurde dort geboren.« Sie fing zu zittern an. »Ihr – ihr seid Götter – wenn ihr nicht Dämonen seid, dann müßt ihr Götter sein!« Sie sank auf die Knie, nahm Rileys Hände und vergrub ihr Gesicht in seinem Schoß. »Vergebt mir, meine Gebieter. Vergebt mir.« Hinter ihnen deckte sich McCoy mit einer Hand die Augen zu und räusperte sich. Kirk hüstelte an seinen Kontrollschaltern, um seine Verlegenheit zu verbergen. Nur Spock blieb gleichgültig. »Äh – «, sagte Riley, indem er sie wieder auf ihren Sessel zog. »Nein, wir sind keine Götter – « »Die Legenden erzählen vom Ende der Reise. Die phantasievollste Geschichte ist die, daß wir mit denen, die wir zurückließen – den Besuchern – zusammentreffen – und sie für uns wie Götter sein werden.« Riley hielt ihre Hände. »Dann bist auch du ein Gott – denn deine Vorfahren stammen auch von der Erde.« Er begann, ihr von der Reise zu erzählen, den riesigen Entfernungen zwischen
den Sternen, und dem Traum – der einzigartigen Vision, die die menschliche Rasse hinaus ins All getrieben hatte. Er sprach von der Hoffnung auf Entdeckungen und den erfreulichen Wundern des Alls. Er erzählte ihr von der Lichtjahrmillionenvision und von den Leuten, deren Sehnsucht nach den Sternen so groß war, daß sie gerne im Weltraum starben, damit eines Tages ihre Nachkommen sie kennenlernen könnten. »Und es gab Fragen, die beantwortet werden mußten, schwierige Fragen – ist es moralisch richtig, mehrere Generationen deiner Nachkommen zu einem harten Leben allein in der Leere zwischen den Sternen zu verdammen? Denn ohne die Möglichkeit, sich schneller als das Licht fortzubewegen, dauert es mindestens drei Generationen, bis man eine andere Sonne erreicht hat.« Aber dann sprach er wieder von Wagnis und Mut und Träumen, und wie die Geschichte ihrer Welt – des Wanderers – zu einer Legende innerhalb der Welten der Menschheit wurde. Die verlorene Kolonie. Die ersten, tapferen Männer und Frauen, die sich zu den Sternen hinausgewagt hatten. Die in das Meer der Nacht hinausgesegelt waren. »Wenn wir für dich Götter sind, Katwen – dann bist du mit deinem Volk – dann seid auch ihr für uns Götter, weil ihr die ersten Sternenreisenden der Menschheitsgeschichte seid. Wäre die Frage nach eurer Welt nicht unbeantwortet geblieben, hätte vielleicht für Jahrhunderte niemand gewagt, euch zu folgen.« Bei diesem letzten Punkt schwindelte Riley ein bißchen. Die Vorarbeiten für Schiffe, die sich schneller als das Licht fortbewegen konnten, waren schon lange bevor der Wanderer die Bahn Neptuns (der zu der Zeit der äußerste Planet war, da sich Pluto gerade auf der sonnennäheren Etappe seiner Umlaufbahn befand) kreuzte und für immer das Sonnensystem verließ, begonnen worden.
Aber diejenigen, die sich an Bord des Wanderers befanden, hatten nie etwas von den geheimen Entwicklungsprojekten des Solantriebs gehört, die damals gerade im Gange waren. Zu jener Zeit befand sich auch der Impulsantrieb gerade in den ersten Testphasen. Die Technologie, die die Reise des Wanderers unnötig machte, hatte bereits das Planungsstadium hinter sich. Aber aus politischen Gründen erfuhren die Männer und Frauen der Kolonie nichts davon. Und als die Schiffe der Sternenflotte endlich soweit entwickelt waren, daß sie nach der verlorenen Kolonie suchen konnten, waren bereits so viele Jahre verstrichen, daß man nicht wissen konnte, wohin sie verschwunden war. Katwen hörte still zu und wollte nur gelegentlich den einen oder anderen Punkt erläutert haben. Es gab so vieles, das sie nicht verstand. »Ich – ich merke langsam, daß ich in einem einzelnen Korridor des Universums gelebt habe – aber das Universum besteht nicht nur aus Korridoren.« Wieder kullerten Tränen über ihre Backen. »Ich freue mich, Kevin Riley, die Gabe so großen Wissens zu erhalten – aber ich bin auch traurig – weil ich jetzt alles ein bißchen besser verstehe – « Sie deutete auf den Wanderer, dessen Größe immer noch zunahm, je weiter sie sich ihm näherten. Er füllte ihr ganzes Blickfeld aus, obwohl sie noch viele Kilometer von ihm entfernt waren. »Meine Welt – wir befinden uns im Krieg. Und zwar schon so lange, daß sich kein Lebender mehr an die Zeit erinnert, als es keine Kämpfe gab. Vor vielen Generationen gab es eine Meuterei. Eine schreckliche Schlacht.« Kirk und Spock warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu. Spocks Extrapolation war richtig gewesen. Katwen fuhr fort. »Die Rebellion wurde niedergeschlagen – aber nicht, ohne großen Schaden an der Welt angerichtet zu haben. Dann wurden strenge Kontrollen durchgeführt. Die überlebenden Rebellen flohen in die unteren Decks, wo sie
seither leben. Manchmal überfallen sie den zivilisierten Teil der Welt. Aber die Grenze wird gut bewacht. Wie du gesehen hast.« Riley nickte. »Das stimmt. Ich – ich war derjenige, der dich gefangennahm, Katwen.« »Du?« Er nickte. »Es tut mir leid, wenn ich dir weh getan habe – aber ich kann nicht sagen, daß es mir leid tut, dich an Bord der Enterprise gebracht zu haben. Sonst würden wir jetzt nicht miteinander sprechen.« Sie nahm die Information auf, ohne ein Urteil darüber abzugeben. Dann starrte sie wieder zur Luke hinaus. »Meine Welt – ich dachte, sie wäre gut, ein stolzer Ort. Und ich glaubte daran, und ich glaubte an mein Leben als Kriegerin. Jetzt – bin – bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie ist so klein, so zerbrechlich, nicht wahr…?« »Alle Welten sind zerbrechlich«, sagte McCoy. »Selbst die Erde. Deshalb müssen wir sie bewahren. Und weise auf ihnen leben.« »Mein Volk – vielleicht sind wir auch nicht mehr so weise – « fügte sie hinzu. »In den Schulen lehrt man uns unsere Geschichte, den Traum von den Sternen, die Reise, die Meuterei und die neue Lebensordnung. Unsere -^ unsere nationale Bestimmung ist in der Zwischenzeit nicht mehr so edel. Niemand spricht von den Sternen. Wenn jemand vom ursprünglichen Traum spricht, gibt es immer jemanden, der ihm antwortet, daß wir erst nach den Sternen suchen können, wenn der letzte Funke von Rebellion im Keim erstickt ist. Die Reise ist bis zur Unterdrückung der Rebellion aufgeschoben. Aber niemand versucht wirklich, die Wilden zu besiegen. Es gibt zu viele von ihnen, und da die Welt zu groß ist, gibt es viele Orte, an denen sie sich verstecken können. Deshalb geht
der Krieg immer weiter. Und keiner träumt mehr von den Sternen.« Kirk war die ganze Zeit über merkwürdig still gewesen, als hätte er sich scheinbar völlig auf das Steuern des Beiboots konzentriert. Jetzt, da sich das kleine Gefährt entlang der riesigen Hülle des Wanderers bewegte – in der Luke sah sie wie eine gigantische Metallwand aus –, drehte er sich um und sah Katwen in die Augen. »Wie viele Menschen leben an Bord Ihrer Welt, Katwen?« »Das kann ich nicht genau sagen – « »Was schätzen Sie?« Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Ohne die Wilden dazu zurechnen – und niemand weiß, wie viele es genau sind – obwohl ich glaube, daß sie nicht mehr so zahlreich wie früher sind – nicht, seit die Behelfsfusionseinheiten ausgeschaltet wurden und diesen Teil der Welt in Dunkelheit tauchten – würde ich schätzen, daß vielleicht dreitausend Menschen in der Welt leben.« Kirk warf Spock einen entsetzten Blick zu. Auch auf McCoys Gesicht lag der Ausdruck von Besorgnis. Alle drei dachten das gleiche. Spock sprach es aus. »Als der Wanderer das Erdsystem verließ, lebten dreißigtausend Menschen darauf. Und er war auf dreimal so viele Bewohner ausgelegt.« Katwen sah ihn an. »Was sagen Sie da –?« »Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand – daß Ihre Welt möglicherweise im Sterben liegt.« Sie antwortete nicht darauf, sondern drehte sich um und betrachtete die riesige, metallene Landschaft hinter dem Fenster. Ihr Gesicht war unbewegt. Dann sagte sie: »Ich glaube, ich bin noch nicht in der Lage, zu meinem Volk zurückzukehren. Ich – ich wüßte nicht, was ich ihm sagen sollte.« Sie sah Kirk, Riley, Spock und McCoy an. »Können
wir zur Enterprise zurückkehren? Ich muß Ihnen einige Fragen stellen.« Mit einem sanften Lächeln fuhr Kirk zu ihr herum. »Das war eigentlich alles, was wir von Ihnen wollten. Ich schätze, wir mußten wohl so lange warten, bis Sie es selbst wollten.« Sie sah ihn neugierig an. »Ich habe ein Recht darauf, meine Meinung zu äußern.« »Typisch Frau – «, wollte McCoy gerade sagen, aber Spock fiel ihm ins Wort. »Unter den gegebenen Umständen«, sagte der Wissenschaftsoffizier, »ist das eine völlig logische Entscheidung.«
21
Wieder im Lagebesprechungsraum: Kirk, Spock, McCoy, Scotty, Uhura sowie die Leiter der anderen Abteilungen. »Wo ist Chekov?« »Er kommt später«, sagte Uhura. »Er wartet darauf, daß der Computer einige seiner Berechnungen bestätigt.« »In Ordnung«, sagte Kirk. »Wir fangen ohne ihn an. Mal sehen, welche Alternativen sich uns bieten.« »Eh, ich denke – «, unterbrach ihn ein jugendlicher, weiblicher Leutnant. »Ich denke – wir, eh, müssen uns – hier, eh – an die Oberste Direktive – eh, erinnern – und es scheint mir – eh, daß, nachdem wir alles – eh, berücksichtigt haben – daß es, eh – starke rechtliche Gründe für die – eh, Tatsache gibt – daß diese – eh, Leute sich als autonome Welt betrachten – und eh, eh – in so einem Fall wäre die Oberste Direktive sicher – eh, anzuwenden.« Kirk nickte nachdenklich. Munker war die Rechtsberaterin der Enterprise, und trotz ihrer Neigung, immer aufgeregt zu sein, galt sie als einer der scharfsinnigsten Juristen der Sternenflotte. Er sagte: »Nein, ich glaube nicht, daß dies einer der besonderen Fälle ist, in denen die Oberste Direktive anzuwenden wäre. Hier handelt es sich vielmehr um den klaren Fall eines bewohnten Wracks. Und in einem derartigen Fall müssen wir uns bei den Bewohnern bemerkbar machen und unsere sofortige Hilfe anbieten.« »Aber eh – eh, wenn man in Betracht zieht, daß diese Leute nicht ohne weiteres die Existenz anderer Schiffe akzeptieren, dann ist der bloße Akt, uns ihnen bemerkbar zu machen – eh, tatsächlich ein klarer und vorliegender Fall der Einmischung in
eh, die Stabilität ihrer Kultur, und das, eh – wäre, eh – eh, eine Verletzung der Obersten Direktive.« Kirk lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete sie. Sie sah nicht schlecht aus mit ihrem dunklen, gelockten Haar und den kecken Gesichtszügen – aber ihr Gesichtsausdruck war nahezu immerwährend verstört. Er atmete laut aus. Das war das einzige Anzeichen von Ärger, das er sich vor einem Untergebenen gestattete. »Wie kommt es – «, er richtete seine Worte an die ganze Gruppe, » – wie kommt es, daß jedesmal, wenn wir erörtern, ob die Oberste Direktive anzuwenden ist, wir am Ende gegen sie verstoßen?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schon gut. Das ist nur eine rhetorische Frage. Vielleicht besteht darin der Sinn der Obersten Direktive: daß wir es uns zweimal überlegen, bevor wir uns einmischen. Jedenfalls haben wir uns auf den Lokalen Autonomie-Paragraphen berufen, und meiner Meinung nach ist Grund genug, diesen Kontaktversuch zu rechtfertigen, daß wir dadurch technische Hilfe leisten können. Natürlich bedeutet das auch, daß die Einwohner ihren Krieg beenden müssen…« er lächelte, »… aber unter den gegebenen Umständen wäre das wahrscheinlich ein Schritt in die richtige Richtung. Also, abgesehen von der rechtlichen Frage – «, er nickte Munker zu, » – gibt es noch andere Gründe, warum wir keinen Kontakt mit dem Captain des, Wanderers aufnehmen sollten?« Er blickte in die Runde. »Keine? Gut. Dann sollten wir zur nächsten Überlegung weitergehen. Die Durchführung der Operation.« Nachdenklich bemerkte Spock: »Captain, wir haben bereits gesehen, wie extrem die junge Frau vom Wanderer, Katholin Arwen, reagierte, als sie mit der Existenz der Enterprise konfrontiert wurde – und es waren drastische Schritte nötig, sie von der Wahrheit der Situation zu überzeugen. Ich schlage vor, wir unterbrechen die Diskussion kurz und halten uns vor Augen, welche Wirkung ein derartiger Kulturschock
hervorruft, wenn er mit dreitausend Individuen multipliziert wird.« »Dieses Risiko müssen wir wahrscheinlich auf uns nehmen.« »Jim – «, unterbrach McCoy. »Es ist kein Risiko, das wir auf uns nehmen müssen, sondern die Leute an Bord des Wanderers. Und denen bleibt bei dieser Geschichte überhaupt keine Wahl.« »Pille, das Problem ist mir durchaus bewußt. Allein der Akt der Kontaktaufnahme wird unvermeidlich zu einem kulturellen Schock führen. Aber wir müssen sie kontaktieren, um ihnen unsere Unterstützung anbieten zu können. Es gibt keine andere Möglichkeit – wenn du weißt, wie wir sie fragen können, ob sie unsere Hilfe brauchen, ohne ihnen mitzuteilen, daß wir existieren, dann würde ich das gerne hören.« »Jim, es muß eine bessere Lösung geben. Das Mädchen, vielleicht –?« »Aber werden sie auf sie hören? Denk doch an die Dynamik der Situation. Sie wird schon einen sehr überzeugenden Beweis liefern müssen, sonst glauben sie, daß sie von den Dämonen einer Gehirnwäsche unterzogen worden ist.« »Eh, ich denke, eh – vielleicht sollten wir – eh, eine andere, eh, Möglichkeit in Betracht ziehen – « Kirk sah zu Munker hinüber. »Ja, Leutnant?« »Eh, aufgrund der eh – extremen Ungewißheit – eh, dieser Situation – und, eh, ihrer Ungewöhnlichkeit – eh, wäre es vielleicht das beste – eh, die Entscheidung hinauszuzögern, bis wir – eh, die Genehmigung der – hm, Sternenflotte eingeholt haben.« Ein sichtbarer Anflug von Verärgerung huschte über Kirks Gesicht, aber er hatte sich schnell wieder im Griff. »Dies ist nicht die Art und Weise, wie wir auf der Enterprise die Dinge handhaben, Munker«, sagte er kühl. »Uns wurde das Recht erteilt, im Namen der Sternenflotte Entscheidungen zu treffen,
weil man von uns erwartet, daß wir aufgrund unserer Intelligenz die richtigen Entscheidungen treffen, ohne mit der Operationsbasis Rücksprache zu halten. Es gibt Situationen, in denen der Zeitabstand selbst mit Subraumradio dies verbietet. Wenn wir diese schwierigen Entscheidungen nicht selbst fällen können, sollten wir auch nicht die Machtmittel dieses Sternenschiffs befehligen dürfen – und diese Philosophie betrifft jeden an Bord des Schiffs, vom Captain abwärts.« »Ich – eh, verstehe das durchaus, Captain, aber eh – eh, vielleicht ist dies eine Situation, die, eh, unsere, eh, Fähigkeiten übersteigt. Und, eh, ich denke, wir sollten eh – eh, diese Möglichkeit in Betracht ziehen.« Kirk schloß die Äugen und dachte einen Augenblick lang nach. Als erstes mußte er sich dazu zwingen, das Zaudern seiner Rechtsberaterin zu übergehen. »Sehen Sie – «, er wandte sich jetzt direkt an sie. »Die Sternenflotte besteht auf einem Raumjuristen an Bord, der uns bezüglich unserer Rechtslage berät. Und so soll es auch sein. Aber lassen Sie mich eines deutlich klarstellen, Leutnant – das Versäumnis, eine Entscheidung zu fällen, ist in sich selbst schon eine Entscheidung. Und zwar fast immer die falsche. Wir sind hier, um eine Entscheidung zu fällen und nicht, um sie zu verschieben.« »Eh – ich verstehe, Sir. Aber – eh, eh, hier handelt es sich nicht um eine Situation von, eh, äußerster Dringlichkeit – und eh, das hat einen Einfluß auf unsere Rechtslage. Und da gibt es zum Beispiel folgenden Präzedenzfall – « Die Tür des Lagebesprechungsraums zischte auf und herein kam ein völlig aufgelöster Chekov. Kirk war für die rechtzeitige Unterbrechung dankbar. »Tut mir leid, daß ich zu spät komme, Keptin, aber da gab es noch einige Berechnungen zu vervollständigen, und da ich sichergehen wollte, ging ich sie ein zweites Mal durch – «
Mit fröhlichem Wohlwollen hob Kirk die Hand. »Schon gut, Mr. Chekov, Sie haben nichts verpaßt.« »Danke.« Chekov ging schnell zu seinem Sessel. Munker sprach bereits weiter. »Ah, da gibt es folgenden Präzedenzfall, eh – bezüglich Sternbasis – « Kirk wollte ihr gerade ins Wort fallen, als Chekov, der sich noch nicht einmal hingesetzt hatte, sie unterbrach. »Dazu haben wir nicht die Zeit«, sagte er kategorisch. Und sein Gesicht drückte blankes Entsetzen aus. Als sich sämtliche Köpfe in seine Richtung drehten, sagte er: »Dieses Schiff – der Wanderer – in dreizehn Monaten ist ihm nicht mehr zu helfen.« »Eh?« »Sie steuern genau auf Ellisons Stern – einen katastrophalen variablen Stern – besser gesagt, die größte katastrophale Variable in diesem Spiralarm der Galaxis, zu.« »Aber – eh, eh – der ist fast zwei Lichtjahre entfernt – eh, da haben wir bestimmt noch Zeit.« »- und die Fusionsmaschinen dieses Schiffes müssen dreizehn Monate lang mit voller Kraft arbeiten, um die für die Rettung notwendige Kurskorrektur vorzunehmen – « Chekov fuhr fort, als hätte er Munkers Einwände gar nicht gehört, »– und falls sie überhaupt irgendeine Art von brauchbarer Flugbahn erhalten wollen, müssen sie innerhalb von fünfzehn Tagen anfangen zu beschleunigen. Und das bedeutet, daß sie ihre Fusionsmaschinen sofort aufladen müssen. Das hier ist keine Frage des Gesetzes, Keptin – außer natürlich, Sie zählen Newtons drei Bewegungsgesetze dazu. Und den Rest moderner Physik.« »Aber eh, eh – wir können sie sicher davon abhalten, mit dem Stern zusammenzustoßen – « Chekov schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Wenn es nur darum ginge, daß sie sich auf einem Kurs befinden, auf
dem sie möglicherweise mit dem Stern zusammenstoßen, dann hätten wir noch ein Jahr Zeit zur Verfügung – aber sie fliegen nicht einmal nahe genug an ihm vorbei, um in Gefahr zu geraten. Was passieren wird ist, daß der Stern gerade genug Anziehungskraft auf sie ausüben wird, um ihren Kurs zu verändern – und zwar auf signifikante Weise. Sie werden auf einen neuen Kurs gebracht werden, der um hundertelf Grad von ihrem bisherigen abweicht. Und dieser neue Kurs führt sie direkt zum – «, Chekov verstummte, und Kirk konnte die Schweißtropfen auf seiner Stirn sehen, »- direkt zum… galaktischen Mahlstrom.« Im Lagebesprechungsraum herrschte betroffenes Schweigen. Captain Kirk hatte sich erhoben und starrte über den Tisch zu Chekov, der am anderen Ende saß, hinüber. »Was -?« »Tut mir leid, Keptin – das ist der Grund meines Zuspätkommens. Ich mußte meine Zahlen genau nachprüfen. Aber es gibt keinen Zweifel.« Kirk sank wie gelähmt in seinen Sessel zurück. Er hatte gewußt, daß sie in der Nähe waren – aber wie nahe? Man stelle sich ein Schwarzes Loch vor. Falls das überhaupt möglich ist. Ein Ort, an dem das Universum den Boden verliert; wo die Anziehungskraft so stark ist, daß selbst das Licht ihr nicht entkommen kann. Ein Ort, in dem Zeit und Raum in einen Wirbel der Unmöglichkeit gesogen und selbst die Gesetze der Physik bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden. Jetzt stelle man sich dazu noch ein zweites vor. Man stelle sich vor, wie die beiden im klassischen Zweikörperproblem der Astrophysik umeinander herumwirbeln. Nur daß das Herumwirbeln nicht stabil ist. Die beiden Singularitäten rasen wie wild aufeinander zu, wirbeln um sich
herum, um anschließend wieder in den Weltraum hinaus zu beschleunigen. Die ineinandergreifenden Ellipsen ihrer Umlaufbahnen sind wie riesige Propeller mit einem Durchmesser von drei Lichtjahren. Man stelle sich vor, wie dieser Propeller sich träge dreht und sich durch das Nichts des Weltraums schneidet: ein gigantisches, alles zermahlendes Rad der Zerstörung. Man stelle sich vor, wie dieses Rad über eine Milliarde Jahre lang durch die Galaxis fegt und mit seinen ungeheuer starken Gravitationswellen eine verheerende Wirkung auf alles, was sich ihm nähert, ausübt. Sterne explodieren durch die kleinste Berührung damit zu Supernovae, Sonnensysteme werden zu Staub zertrümmert. Planeten treiben als Irrläufer durch die Dunkelheit, erfroren und allein. Dieser schäumende Strudel ist wie eine trichterförmige Einbahnstraße ohne Boden. Man kann Fragmente von Sternen sehen, die in seinem Mahlstrom gefangen sind – lange Lichtstreifen immer noch brennenden Gases. Einige dieser Leichen sind glühende Neutronenbälle mit einem Durchmesser von nur wenigen Kilometern. Die Cherenkovstrahlung glüht wie ein Signalfeuer um die beiden großen Löcher. Materie streift durch den Weltraum, um im Nichts zu verschwinden. Ein abgeplatteter, roter Gigant verflacht zu einer Scheibe und wird zu einem dunkelroten Ring um eines der Löcher herum. Ein blauweißer Punkt wird von den beiden entgegengesetzten Zugkräften auseinandergerissen. Ein Karussell dreier Neutronensterne dreht vorbei und löst sich auf, als es auf den bodenlosen Trichter des Grauens zutreibt. Hundert Sterne sind in diesem Gravitationsstrudel gefangen, tausend Planeten werden noch folgen. Kein leichter Tod –
denn einige dieser Welten sind schon so lange gefangen, wie die Zeit fließt. Tausende, ja unzählige Objekte wirbeln um dieses Grauen herum. Einmal darin gefangen, verlangsamt sich die Zeit zu einem Kriechen, und man fällt auf ewig ins Bodenlose. Das Licht ist so verzerrt und die Strahlung so stark, daß nicht einmal die hochentwickeltsten Detektoren der Sternenflotte genau bestimmen können, was in dem riesigen Kahlschlag der Propellerrotoren, die von diesen beiden sich umkreisenden Schwarzen Löchern gebildet werden, vor sich geht. Dieser kosmische Wirbel – der galaktische Mahlstrom – wälzt sich weiter und immer weiter, grollt durch die Zeit, verzehrt alles, was sich ihm in den Weg stellt und schneidet eine Bresche von dreißig Lichtjahren Breite durch die Galaxis. In etwas mehr als drei Millionen Jahren wird er auch die Erde verschlingen. Kirks Problem lag, zeitlich gesehen, etwas näher. »Der Mahlstrom«, sagte Chekov, »befindet sich fünfzehn Lichtjahre hinter Ellisons Stern. Das heißt, sein Zentrum liegt dort. Er hat im Moment seine größte Ausdehnung erreicht, bei der die beiden Singularitäten am weitesten voneinander entfernt sind. Dadurch liegt der Rand seines Wirkungsbereiches in ziemlicher Nähe von uns. Kosmisch gesprochen, natürlich.« Spock sagte ruhig: »Selbst bei dieser Entfernung befinden wir uns immer noch gut innerhalb des Erfassungsbereichs der feststellbaren Ereignisse. Genauer gesagt, wir werden uns wahrscheinlich mit Zeitverzögerungen zweiten Grades auseinanderzusetzen haben und unsere Inertialuhren bei der nächsten Rückkehr zur Basis nachstellen müssen. Meine Berechnungen laufen darauf hinaus, daß sich bereits jetzt
schon eine Diskrepanz von sieben Mikrosekunden angehäuft hat.« »Soviel?« fragte Kirk. Spock nickte. »Die Hauptfläche des Mahlstroms hat lediglich einen Durchmesser von knapp über vier Lichtjahren, aber die harte Strahlung, die von den Teilkörpern ausgeht, reicht, um selbst im Bereich von sechs Lichtjahren vom Zentrum entfernt tödlich zu sein. Im Mahlstrom befinden sich eine Anzahl von Novae und Supernovae. Der Raum in der unmittelbaren Nachbarschaft ist sichtbar gekrümmt, und zwar bis in eine Entfernung von zehn Lichtjahren, wenn man vom Zentrum ausgeht.« Chekov nickte enthusiastisch. »Und die Schleife des Wanderers um Ellisons Stern bewirkt, daß sie direkten Kurs aufs Zentrum nehmen. Das ist das Problem. Würden sie sich lediglich in einem schiefen Winkel nähern, könnten sie sich wieder herausmanövrieren – falls es ihnen gelänge, sich irgendwie vor der Strahlung abzuschirmen. Aber der Mahlstrom fängt alles im Umkreis von zehn Lichtjahren. Und bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit des Wanderers werden sie sich drei Jahre, nachdem sie Ellisons Variable passiert haben, in dessen Reichweite befinden.« »Drei Jahre -?« Das war Munker. »Oh, jetzt – kann ich wirklich nicht mehr zustimmen, äh – « Kirk ignorierte sie. »Weiter, Chekov.« »Selbst wenn man davon ausgeht, daß sie alle sechs Fusionsaggregate auf volle Kraft bringen können, würde es vier Jahre dauern, bis sich ihre Geschwindigkeit wieder verringert. Es ist, wie wenn man eine Breitseite abfeuert, Keptin – nur umgekehrt, Sie können es nicht verfehlen, egal, was sie tun – es ist einfach zu groß – außer, sie bewegen sich rückwärts. Aber dafür sind sie zu schnell. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, sie davon abzuhalten, eine Schleife um
Ellisons Variable zu ziehen. Wenn uns das gelingt, dann werden sie dem Mahlstrom entkommen – allerdings knapp. Und wenn sie ihren Kurs ändern sollen, dann müssen sie ihre Maschinen aufladen, und zwar womöglich gestern.« Für die Hälfte eines Herzschlags barg Kirk den Kopf in seinen Händen. Dann blickte er hoch und in die Runde. Sein Blick blieb auf Munker haften. »Ich glaube, es gibt nichts mehr, worüber wir noch diskutieren müßten. Die Umstände nehmen uns die Entscheidung ab. Es bleibt uns nichts anderes übrig als einzudringen und den Captain des Schiffs zu finden. Und was die rechtlichen Einwände betrifft – « und dabei blickte er Munker direkt in die Au gen, » – erlaubt uns der Sternenflottenkodex, diese Überlegungen in Situationen von schwerwiegender Bedeutung außer acht zu las sen. Und dies ist bestimmt ein solcher Fall.« Und nach einer kur zen Pause fügte er mit dem Anflug eines Augenzwinkerns hinzu: »Dies ist in jeder Hinsicht eine Angelegenheit äußerst schwerwiegender Art.«
22
Vor der Tür blieb Katwen zögernd stehen. »Was ist los?«
»Ich habe Angst«, sagte sie ganz einfach.
»Schon gut«, sagte Riley. Er nahm ihre Hände und sah ihr in
die Augen. »Ich bin ja bei dir.«
Sie schluckte, dann nickte sie. »Also gut«, sagte sie und ging durch die Tür. In dem Raum waren nur wenige Leute anwesend. Sie sahen neugierig hoch, dann unterhielten sie sich weiter. »Sie wollen nicht unhöflich sein«, flüsterte Riley. »Deshalb versuchen sie so krampfhaft, sich normal zu verhalten.« »Oh«, sagte Katwen, während sie die beiden Leutnants Arex und M’ress anstarrte. Drei Arme?!! Und eine sprechende Löwin?!! Riley zog sie an einen Tisch und zwang sie, sich hinzusetzen. »Nein, auch das sind keine Dämonen«, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage. Er klopfte auf den Tisch und sagte: »Menü.« Die Oberfläche wurde mit einem dreidimensionalen Display aus Wörtern und Bildern erhellt. »Ist Essen –?« »Ist Bilder von Essen. Wenn du etwas siehst, was dir schmeckt, deute einfach drauf.« »Ist alles unbekannt –,« »Alles? Wie wärs mit etwas Obst?« »Obst ist gut.« »Und vielleicht einen Salat.« Sie nickte. »Und vielleicht etwas Kaltes zu trinken?« Sie nickte wieder. »Du auswählen.«
Er klopfte nochmals schnell auf den Tisch, sagte einige Kodeworte, worauf die Tischplatte wieder zu einer Tischplatte wurde. »Wo Essen?« »In einer Minute. Es dauert etwas – « »Oh.« Sie saß da, starrte auf den Tisch und wußte nicht, was sie sagen sollte. Dann blickte sie im Raum umher – an der Wand neben Kevin hing eine auffällige, schlecht kalligraphierte, mit Blattgold überladene Proklamation, die in einem verglasten Holzrahmen steckte. Sie stand auf, um sie besser sehen zu können. »Oh, eh – « Riley erhob sich schnell. »Das ist etwas, was man dem Captain überreicht hat – « »Darf ich mal sehen?« Sie ging näher ran, betrachtete es schielend und fuhr mit einem Finger an den leuchtenden Buchstaben entlang. Dabei sprach sie die Worte nach, als ob sie Schwierigkeiten mit ihnen hätte. Als ihr Gesichtsausdruck ernst wurde, begann Kevin, sich Sorgen zu machen. » – ›verleihen wir dieses Patent‹ – ›generalbevollmächtigter Botschafter des bekannten sowie des unbekannten Universums‹ – das… das heißt – « Verärgert, als hätte man sie betrogen, drehte sie sich zu Kevin um. »Ihr seid Götter! Jawohl!« »Eh – äh – « »Ist Beweis! Steht ›Unterzeichnet, Kaiser des Universums‹. Nur ein Gott kann solche Titel tragen. Kaiser des Universums. Herrscher der Planeten – « Er streckte die Hand nach ihr aus. »Katwen – nein, wir sind keine Götter. Das ist ein Scherz.« »Ist Scherz –?« Sie schaute ihn ungläubig an. »Ist Scherz.« »Welche Art von Scherz ist Blasphemie? Stellst du mich vielleicht auf Probe?«
Riley schüttelte nochmals den Kopf. »Schau mal, Katwen, es gibt zu viele Welten – das Universum ist groß und – oh, hey, da ist unser Essen!« Riley war für die Unterbrechung dankbar. Das Funkeln des schiffsinternen Transporterstrahls begann, sich auf der Tischoberfläche zu einer Form zu verdichten. Katwen drehte sich in seine Richtung und starrte ihn an. Dann verblaßte das Funkeln, und vor ihnen standen ein knackiger, grüner Salat, eine Obstschale und ein großes Glas Eistee. »Ihr seid Götter – « Riley schloß für einen Moment die Augen, sprach ein stilles Gebet, dann öffnete er die Augen wieder. »Katwen, vor langer Zeit lebte ein großer Mann – er lebte, noch bevor eure Welt erbaut wurde. Er sagte, daß jede hinlänglich fortgeschrittene Technologie wie Zauberei aussehen würde. Flugzeuge – du weißt, was ein Flugzeug ist, oder? Fernsehen. Computer.« Er deutete auf den Tisch. »Transporter.« Sie sah mißtrauisch aus, setzte sich aber wieder an den Tisch. »Ich werde dir vertrauen«, verkündete sie. »Für jetzt.« Dann fiel ihr wieder die Gedenktafel ein. »Aber was bedeutet – das?« »Hm. Ich hatte befürchtet, daß du danach fragst. Es gibt viele, unendlich viele Planeten. Tausende. Kein einzelnes Staatswesen kann all diese vielen Planeten regieren. Es gibt noch ein altes Sprichwort: ›Das Gesetz endet mit der Atmosphäre.‹« »Das kenne ich. Wurde zuerst von Erstem Captain gesagt, als er Unabhängigkeit erklärte.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ich bin indirekter Nachkomme von Erstem Captain.« »Das dürfte in der Zwischenzeit wohl auf alle Bewohner des Wanderers zutreffen.« »Oh, ja – ist so. Jeder mit jedem verwandt. Deshalb so schwer, etwas geheimzuhalten.«
»Nun, ich weiß, wer das als erstes gesagt hat. Solomon Short. Nur daß er sagte: alles ist miteinander verbunden.« »Ich habe falsch?« Riley wurde verlegen. »Nein. Nur anders. Anders ist nicht immer falsch. Genauer gesagt, vielleicht ist anders kaum jemals falsch.« Sie nickte und betrachtete das Essen, das vor ihr stand. Langsam nahm sie eine Karotte vom Teller und biß hinein. »Ist süß – «, sagte sie, »ist gut. Nicht ganz so gut wie unsere, aber ihr seid auch keine Farmer, oder?« »Nein, wir sind keine Farmer.« Sie legte die Karotte wieder hin und fragte: »Kevin Riley – sag mir doch – wie ist es, Erde zu leben?« »Hä?« »Wie ist es – «, sie sprach langsam, um die richtigen Worte zu sa gen, » – wie ist es, in Erde zu leben?« »Ist – «, fing er an, dann sagte er: »Hm – auf. Nicht in. Auf der Erde.« »Oh. Wie ist es, auf Erde zu leben?« »Eh – wir leben auf der Oberfläche des Planeten. In Gebäuden. Wir gehen nach draußen. Wir fahren in Fahrzeugen herum. Wir fliegen mit Schiffen, segeln mit Booten – « »Booten?« »Booten. Eh – Boote. Ein Boot ist – nun, da gibt es zum Beispiel mitten in Hollywood einen See. Das ist Wasser. Viel Wasser. Vorher war da ein großes Loch. Das füllte man mit Wasser und nannte es Marathonsee. Und dann gab es da kleine, hölzerne Schalen -Boote genannt – in denen konnte man sitzen, und die schwammen auf dem Wasser – « »Ist albern, nicht wahr? Was dann?« »Nun… das macht man nicht alleine. Man geht mit jemand, den man mag, und man sitzt da und redet miteinander, und nach einer Weile beugt man sich hinüber und küßt sich und – «
»Hallo, ihr beiden – « Riley und Katwen sahen verblüfft hoch. »Oh, eh – das ist Specks. Unser Historiker. Er weiß wahrscheinlich mehr als alle anderen an Bord der Enterprise über den Wanderer. Hallo, Specks.« Leise fügte er hinzu: »Möchten Sie sich vielleicht zu uns setzen?« »Warum nicht?« Specks zog einen Stuhl herbei und ließ sich hineinplumpsen. »Ich versuchte gerade, Katwen von der Erde zu erzählen. Sie wollte wissen, wie es ist, auf einem Planeten zu leben.« »Das haben Sie doch schon auf Bildern gesehen, oder?« Katwen sah den Fremden, der diese seltsamen Drahtgestelle im Gesicht trug, an. »Ja. Kevin Riley zeigte Bilder. Aber wir haben Bilder auf Wanderer. Ist blau. Und rund. Und von weißen Wirbeln durchzogen.« »Das ist das Wetter.« »Ich weiß. Wir haben auch Wetter. Ich arbeitete einmal beim Wettertrupp. Ließen Winter drei Extrawochen andauern. Dann Sonnen für kurzen, aber heißen Sommer gestellt. Dieses Jahr machen wir sehr feuchtes Wetter.« »Äh – nicht ganz, Katwen. Wir haben zwar auf der Erde eine Wetterkontrolle – aber selbst wenn wir diese nicht hätten, hätten wir immer noch Wetter. Es ist ein natürliches Phänomen.« »Natürlich?« »Im Freien. Überall.« »Im Freien. Kevin Riley benutzte gleiches Wort. Was bedeutet im Freien?« Specks sah Riley an. »Im Freien?« »Im Freien«, bestätigte Riley. Katwen sah ihn erwartungsvoll an. »Nun, es ist ein – ein – weißt du, wir leben auf der Oberfläche des Planeten. Auf seinem Äußeren. Wenn wir uns innerhalb eines Hauses befinden, sind wir drinnen. Wenn wir
nach draußen gehen und kein Haus mehr um uns herum ist, sind wir im Freien.« »Haus. Ist unterirdisch?« »Nein. Ist Bauwerk. Wie kleines Schiff, aber es bewegt sich nicht.« Riley hielt inne. »Jetzt fange ich schon an, so wie du zu sprechen. Es ist wie eine – « Sie wartete nicht, bis er fertig war. »Wenn das wahr, dann wo waren Leute in Bildern?« »Hä?« »Du zeigtest mir Bilder von Erde. Blau, rund, weiß durchzogen. Erinnerst du dich? Wo waren Leute. In Erde? In Haus? Wo war Haus?« »Ja«, sagte Specks zu Riley, »jetzt sehe ich euer Problem.« Riley griff nach einer Orange. »Also – versuchen wirs mal so. Die Erde ist rund, so wie das hier, ja?« »Wenn du so sagen«, sagte Katwen zweifelnd. »Ja, ich sage es so. Nun, die Leute sind über den ganzen Planeten verstreut, aber der Planet ist so groß und die Leute im Verhältnis dazu so klein, daß, wenn man weit genug weg ist, um zu sehen, daß der Planet rund ist, man die Leute nicht mehr sieht. Der Planet ist so groß, daß man meint, er wäre flach, wenn man am Boden steht. Man merkt nicht, daß er rund ist.« Katwen nahm ihm die Orange weg Und betrachtete sie nachdenklich. »Nun, du sagen, Leute leben auf Oberfläche davon?« »Von der Erde. Richtig.« Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Und ich kann darauf stehen hier, ja? Mit nichts zwischen mir und Weltraum –?« »Atmosphäre. Da ist die Atmosphäre.« »Aber was hält Atmosphäre?« »Die Anziehungskraft.«
»Aber wenn ich irgendwo anders stehe, hier zum Beispiel – «, und sie zeigte auf die Unterseite der Orange,» – dann falle ich runter, oder? Atmosphäre fällt auch runter?« »Hä? Nein. Man kann oben oder unten stehen. Wo immer man mae. Die Schwerkraft hält dich am Boden.« Katwen sah ihn skeptisch, mit erhobener Augenbraue, an – und plötzlich fühlte Riley denselben inneren Zweifel, den er immer dann spürte, wenn ihn Mr. Spock mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansah. Sie sagte: »Eure Schwerkraft geht von außen nach innen?« »Hä? Was? Nochmals bitte.« »Anziehungskraft in Wanderer drückt alles von innen nach außen.« Sie zeigte es mit der Orange an. »Aha.« Riley und Specks tauschten Blicke aus. »Sprich weiter.« »Jetzt sagt ihr, daß Gravitation auf Erde umgekehrt ist und alles von außen nach innen zieht. Richtig?« »Ja – « »Ich bin verwirrt.« »Du bist verwirrt?« Riley wandte sich an Specks. »Eh – ich weiß, es gibt eine Erklärung, Specks – ich weiß es ganz bestimmt. Aber wie kann ich es ihr erklären?« »Ganz einfach, Riley. Sie müssen nur das Problem definieren.« Er griff über den Tisch und nahm Katwen die Orange aus der Hand. »Passen Sie auf. Im Wanderer erhält man Gravitation, weil er sich um sich selbst dreht, oder?« »Richtig. Das nennt man Zentrifugalkraft.« »Und weil er sich um sich selbst dreht, geht die Anziehungskraft von innen nach außen, richtig? Deshalb leben die Leute auf der Innenseite.« Er drehte die Orange in seinen Fingern. »Nun, auf der Erde ist es umgekehrt. Die Gravitation zieht von außen nach innen. Und das kommt daher – « sagte er
triumphierend, »weil sich die Erde in die andere Richtung dreht!« Er biß in die Orange und grinste Riley an. »Hey –!« sagte Riley nach einem kurzen Moment der Verwirrung, aber Specks war bereits aufgestanden und weggegangen. »Ist kluger Mann«, sagte Katwen. »Macht Logik ganz deutlich.« »Eh, ja, richtig.« Riley entschloß sich, das Thema nicht wieder aufzuwärmen. Wenn sie zufriedengestellt war, war er es auch. Jemand anders konnte ja versuchen, ihr den Kopf zurechtzusetzen. Später. Viel später. Gedankenverloren nahm er eine zweite Orange und drehte sie zwischen den Fingern herum. Mann – dachte er – das war schon eine tolle Erklärung! »Leutnant Riley?« sagte eine sanfte Stimme, die aus der Luft kam. Sie schien sich direkt hinter seinem Ohr zu befinden. »Wer das?« Katwen sah verblüfft hoch. »Ist Stimme zuvor gehört. In Seitwärtsaufzug.« »Das ist der Schiffscomputer«, erklärte er ihr. »Ja?« »Captain Kirk würde gerne Sie und Fräulein Arwen im Lagebesprechungsraum sehen. Sofort. Danke.« »Danke«, sagte Riley. Er seufzte und sichob seinen Sessel nach hinten. »Komm, Katwen – «
23
Kirk erwartete sie bereits. Er war allein, und sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. »Katwen«, sagte er. »Es tut mir leid. Wir sind in Zeitdruck. Es gibt schlechte Nachrichten. Und noch schlimmere Neuigkeiten.« Er deutete auf einen Sessel. »Bitte setzen Sie sich. Sie auch, Riley.« Er setzte sich ihnen gegenüber an eine Tischecke. »Katwen – wir hatten hier eine – eine Konferenz. Es gibt da ein Problem. Ihre Welt – der Wanderer- ist in großer Gefahr. Sie müssen Ihren Captain darüber informieren. Sie müssen zurückkehren.« Furchtlos hielt sie seinem Blick stand. »Welche Art von Gefahr?« »Es gibt einen Ort – einen Ort in der Galaxis, den man den galaktischen Mahlstrom – oder galaktischen Strudel – nennt.« Riley fiel fast aus seinem Sessel. »Polos Bolos!« schrie er. »Setzen Sie sich, Leutnant. Ja, Polos Bolos.« Katwen sah verwirrt aus. Kirk streckte seine Hand aus und legte sie auf die ihre. »Vor hundertfünfzig Jahren gab es ein Forschungsschiff. Es hieß Marco Polo. Der Captain wurde auf einige Unregelmäßigkeiten bei einer bestimmten Röntgenstrahlenschleuder, einem Neutronenstern, neugierig. Deshalb kam er hierher, um Nachforschungen anzustellen. Am Neutronenstern selbst gab es nichts Ungewöhnliches – abgesehen von der Tatsache, daß alle Neutronensterne ungewöhnlich sind – aber die Unregelmäßigkeiten gingen von einem Punkt hinter dem Neutronenstern aus. Der Neutronenstern befand sich auf einer direkten Linie mit diesem Ding – was immer es sein mochte – und der Erde und
blockierte auf diese Weise die Sicht auf das, was sich auf der anderen Seite befand.« Er verstummte und goß sich ein Glas Wasser aus dem Krug, der auf dem Tisch stand, ein. »Was sie vorfanden, nachdem sie weit genug vorgedrungen waren, um hinter den Neutronenstern sehen zu können, kann man buchstäblich als ›galaktischen Schrecken‹ bezeichnen. Ich weiß nicht, wieviel Sie davon verstehen können, aber da gibt es zwei Schwarze Löcher, die einander umkreisen. Wie Bolos. Wissen Sie, was Bolos sind?« »Ja. Wir setzen sie gegen Wilde ein. Ich war auch in Bolotrupp.« »Nur daß die, von denen ich spreche, eine viel größere Wirkung erzielen«, sagte Kirk. »Jedes Schiff, das den Bolos zu nahe kommt, ist dem Untergang geweiht. Dabei wird man nicht nur von den schrecklichen Gravitationskräften des Strudels eingesaugt. Bereits viel früher würde jeder an Bord des Schiffs wegen der intensiven Dosis harter Strahlung sterben. Selbst die Schutzschilde der Enterprise könnten nichts dagegen ausrichten. Würde nur ein Zehntel Prozent der Strahlung durchkommen, wäre es immer noch eine tausendfach tödliche Dosis.« Seine Stimme klang nervös. »Es tut mir leid, Katwen – aber wenn es uns nicht gelingt, Ihren Captain davon zu überzeugen, daß er seine Maschinen sofort aufladen und den Kurs seines Schiffs ändern muß, wird sich der Wanderer in dreizehn Monaten auf direktem Kurs zu den Bolos befinden.« »Dreizehn Monate –? Aber – « »Ich weiß. Es hört sich an, als hätten wir noch viel Zeit. Aber der Wanderer muß jetzt mit der Kursänderung beginnen. Fast direkt vor uns liegt ein Stern. Seine Anziehungskraft ist sehr stark. Sie wird den Wanderer in die tödliche Umlaufbahn ziehen – und einige Jahre später in die Bolos. Ich weiß, es
klingt, als drohe keine unmittelbare Gefahr, aber glauben Sie mir, das Gegenteil ist der Fall.« »Ist Dämonentrick?« sagte sie leise. »Häh?« Kirk sah verwirrt aus. War das die alte Katwen, die da sprach? Katwen sagte: »Ist, was sie sagen werden. Ist Dämonentrick. Ist keine Möglichkeit, wie ich sagen kann. Wie kann eine Person beweisen?« Riley nahm ihre andere Hand. Er hielt sie in beiden Händen.
Kirk sagte: »Daran haben wir bereits gedacht. Einige meiner
Besatzungsmitglieder meinen, wir sollten einfach hineingehen
– eindringen –, die Kontrolle über den Wanderer übernehmen und alles Erforderliche tun, um das Schiff in Fahrt zu bringen. Andere wiederum meinen wie ich, daß dies ein schrecklicher Fehler wäre. Ihr Volk hat eine lange Geschichte der Guerillakriegsführung hinter sich. Es kennt seine eigene Welt. Es weiß, wie man sie am Leben erhält. Aber auch, wie man sie stillegt. Wenn wir Gewalt anwenden, würde Ihr Volk uns bekämpfen, und zwar beide Parteien, Ihre Seite und die Wilden. Das wollen wir nicht. Die Alternative besteht darin, daß Sie – eine respektierte Bürgerin – Ihren Captain informieren.« »Aber – die Wilden haben Kontrolle über Antriebsmaschinen. Ist Grund für ganzen Krieg. War Meuterei. Rebellen wollten bei Planeten haltmachen. Besatzung wollte weiterfliegen. Rebellen kämpften. Drosselten schließlich Maschinen. Seitdem ist Krieg. Können nicht Maschinen aufladen, solange Schiff geteilt ist. Krieg muß beendet sein, bevor Schiff sich bewegt. Ich frage Sie, Captain Kirk, wie soll ich Krieg beenden? Ich sage meinem Volk, daß Welt dem Untergang geweiht ist, wenn wir nicht Krieg beenden, ist das, was Sie wollen? Sie meinen, sie glauben?« Sie strich sich unbewußt ein Haar aus dem Gesicht
und sagte: »Ist Geschichte. Ist Mann, der von Dämonen gefangengenommen wird. Lebt lange Zeit mit ihnen. Warum sie ihn nicht töten, weiß er nicht. Aber er merkt, daß sie gute, freundliche Leute sind, die Frieden wollen – genauso wie wir. Das sagt er zumindest. Er kömmt zu wirklicher Welt zurück und erzählt Volk. Wilde nicht Wilde. Sie Brüder. Wir schließen Frieden, nicht? Was glauben Sie geschieht? Wir töten ihn. Wir stellen ihn wegen Blasphemie vor Gericht. Er von Wilden Gehirnwäsche unterzogen, deshalb kein richtiges menschliches Wesen mehr. Kennen Sie Strafe für Blasphemie? Ist sehr alt. Wird Kreuzigung genannt. Wissen Sie, welche Nachricht dieser Mann versucht zu bringen? Liebet euch. Wir sagen ihm, du widerrufst diesen Glauben und stirbst nicht. Er sagt, er kann nicht widerrufen. Wahrheit ist Wahrheit. Widerrufen ändert nicht Wahrheit. Jemand muß Wahrheit sagen, sonst niemand erfährt sie. Er stirbt. Er gewillt für zwei Worte zu sterben. Liebet einander. Ist verrückt, ja? Vielleicht nicht – ich weiß nicht mehr. Geschichte ist sehr alt. Vielleicht nicht einmal wahr, vielleicht Fabel. Aber ich weiß eins. Wenn man sagt, Krieg muß enden, dann ist man Gotteslästerer. Und Strafe für Blasphemie ist Tod. So oder so, Captain, ich muß sterben. Wenn ich Wahl habe, dann lieber später, nicht früher.« Kirks Blick wanderte von Katwen zu Riley und dann wieder zurück zu Katwen. »Ich verstehe Ihr Problem. Wir werden Ihnen einen Beweis mitgeben. Mr. Spock stellt das Paket gerade zusammen. Ein Sichtgerät, einige Tonbänder, einige einfache Geräte, die unsere Technologie repräsentieren – und was immer Sie glauben – « »Captain?« meldete sich Riley. »Ich könnte mitgehen. Wenn es an Bord des Wanderers nur dreitausend Leute gibt, dann kennen sie sich gegenseitig vom Sehen. Was könnte als Beweis überzeugender sein als eine Person, die sie noch nie zuvor gesehen haben?«
Kirk öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber schloß ihn dann wieder. »Leutnant Riley, Sie haben recht. Aber wenn schon, dann sollte ich gehen.« »Sir? Bei allem Respekt, aber es könnte gefährlich sein. Äußerst gefährlich sogar. Für diesen Zweck gibt es die Kontakttrupps. Die Sternenflotte mag es nicht, wenn sich ihre Captains in Gefahr begeben. Nicht etwa, weil sie sich Sorgen machten, daß ein Captain in den eigenen Tod läuft – nein, sondern lediglich, weil sie nicht wollen, daß ihre Investition in seine Fachkenntnis und seine Ausbildung verschwendet wird, Sir.« Kirk hob eine Augenbraue. »Leutnant Riley, diesen Kurs habe ich schon gehalten, als Sie noch gar nicht bei der Sternenflotte waren.« »Ja, Sir, ich weiß. Dann erinnern Sie sich bestimmt auch an den Abschnitt über die schwerste Aufgabe des Kontakttrupps – nämlich, den Captain zurückzuhalten und ihn daran zu erinnern, daß er zuallererst für das Schiff verantwortlich ist. Auch das gehört zu den Aufgaben des Kontakttrupps.« Kirk war verärgert. Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Verdammt, Riley. Ihre Ausbildung war zu gut.« »Ja, Sir. Danke, Sir. Ich habe Ihre Dissertation studiert. Und ebenso den Bericht, den Sie über die Umstände verfaßten, die zu dem Unfall, der Captain Pike zum Krüppel machte, führten. Darin kamen Sie zu dem Schluß, daß Captain Pikes einziger Fehler darin bestand, daß er seinem Kontakttrupp nicht gestattete, das volle Risiko, das ein Teil seiner Aufgabe ist, zu tragen.« »Riley, jetzt werde ich Ihnen mal etwas sagen – kein Captain riskiert gerne das Leben seiner Mannschaft. Aber das gehört zu unserem Job. Die Risiken. Ich hatte unrecht, als ich diesen Bericht schrieb, weil ich zu jener Zeit noch nicht Captain gewesen war, noch nie die Verantwortung eines Kommandos
getragen hatte und es einfach nicht besser wußte. Die Sache ist ganz einfach: wenn man ein Leben retten kann, indem man zugunsten dieser Person etwas vorsichtiger und selbst etwas kühner ist – dann verhält man sich so, ohne zu fragen.« Dieses Argument akzeptierte Riley widerspruchslos. »Aber«, entgegnete er, »es ist auch eine Tatsache, daß der Mann, der sich am besten für das Amt des Captains eines Sternenflottenschiffs eignet, auch gewillt ist, persönliche Risiken auf sich zu nehmen, um der Antwort auf ein Problem auf den Grund zu gehen. Und solche Männer müssen häufig daran erinnert werden, ihrer jeweiligen Besatzung die Chance zu geben, sich zuerst mit der Situation auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck gibt es an Bord von Sternenflottenschiffen Besatzungen, Sir. Damit ein Captain nicht alles allein machen muß. Sein Job ist es, zu wissen, wann er Verantwortung übertragen muß.« Katwens Blick war von einem zum aridem gewandert. »Ich verstehe diese Auseinandersetzung nicht«, sagte sie. »Aber wenn mein Volk in Gefahr ist, sollten wir dann nicht etwas tun, statt zu reden? Wenn darum geht, wer mitgeht – « sie deutete auf Kevin Riley, » – dann bin ich für ihn.« Dann bohrte sie ihm den Zeigefinger in die Brust. »Nicht Beleidigung für Sie, Captain Kirk. Aber Kevin Riley zeigt mir seine Welt. Jetzt zeige ich Kevin Riley meine.« Captain James T. Kirk vom Sternenschiff Enterprise machte den Mund zu. Er hatte bei einer Diskussion den kürzeren gezogen. Und das an Bord seines eigenen Schiffs. »Tiberius!« sagte er leise zu sich selbst. »Also gut«, sagte er, während er aufstand und seinen Stuhl zurückschob. »Dann gehen wir an die Arbeit.«
24
Die Enterprise erschien ihr wie eine Welt aus Räumen, aus zu vielen Räumen – von denen einer ungewöhnlicher als der andere aussah. Und jetzt dieser Raum – leer, bis auf eine Konsole, die einer kreisförmigen Nische gegenüberlag – er beunruhigte sie von allen am meisten. Sie fragte nach einem Schiff – wie dem Beiboot. Sie sagten ihr, dies wäre der Transporterraum. Und dann versuchten sie, ihr den Transporter zu erklären. Ihr Blick wanderte von einem Gesicht zum andern, von Spock zu McCoy, von Kirk zu Riley. Alle nickten ihr zu. Der, der McCoy hieß, zwinkerte ihr zu und gestand: »Auch mir fällt schwer, es zu glauben.« Sie wandte sich an Riley. »Kevin Riley, manchmal denke ich, ist alles Trick von Wilde. Dumme Show, um mich von Wahrheit abzulenken. In meiner Welt machen wir dumme Shows. Ist sehr gut. Ich war einmal Star. War sehr gut, weil mich Leute erst erkannt, nachdem ich Make-up abnehme. Ist manchmal schwer, an Enterprise zu glauben – manchmal habe ich gedacht, vielleicht alles, was ich tun muß, ist richtigen Aufzug finden und nach Hause zu gehen. Jetzt hier Aufzug. Ihr nennt es Zelle. Was ist, wenn das alles Trick? Ich denke – betrüge ich mein Volk? Ich mache mir Sorgen, Kevin Riley – aber dann denke ich an dich, und wie gut du Katwen behandelst. Ist nicht Handeln eines Wilden. Ich glaube, ich vertraue.« Riley schluckte. »Ich – ich werde versuchen, dein Vertrauen nicht zu enttäuschen, Katwen Arwen.«
Sie sah ihn ernst an. »Du wirst versuchen? Auf Wanderer haben wir Sprichwort. Wenn jemand sagt ›ich werde versuchen‹ der Teil, den er nicht laut sagt, ist › – aber es wird mir vielleicht nicht gelingen.‹ Wirst du mich im Stich lassen, Kevin Riley? Ist das, was du mir sagst?« Riley schüttelte den Kopf. »Ich werde dich nicht im Stich lassen, aber – ich habe eine Verpflichtung gegenüber meinem Schiff, und sie geht immer vor.« »Ist gut. Verpflichtung zu meiner Welt geht auch vor. Ist gut wir uns verstehen. Also, wie funktioniert Transporter?« Riley sagte: »Er ist eigentlich nur eine größere Version des Geräts, das das Essen nach der Bestellung auf den Tisch liefert.« »Ist aber auch nicht wissen, wie das funktioniert.« Ruhig sagte Spock: »Es ist ein Prozeß in mehreren Stufen. Zunächst wird der Körper kartographisch erfaßt – daher der Funkeneffekt – dann werden die einzelnen Moleküle auseinandergenommen und in Photonenwellen umgewandelt.« »Photonen wellen?« Spock meinte trocken: »Photonenwellen: das Interferenzmuster in einem kohärenten Transporterstrahl – das eine viel präzisere und kontrolliertere Entwicklung desselben Prinzips, das auch einen Phaserstrahl produziert, darstellt – in Phase gebrachtes Licht, aber von sehr hoher Frequenz. Genauer gesagt, die Frequenz nähert sich den theoretischen Grenzen der Vibrationsfähigkeit von Materie in diesem speziellen Raum-Zeit-Gefüge. Der Strahl besitzt die Fähigkeit, verschiedene Arten von Materialien zu durchdringen. Falls sich das Ziel jedoch zu schnell bewegt oder gut abgeschirmt ist, wird die Zentrierung problematisch. Weniger als 99.999% Exaktheit ist – «, er zögerte nur ganz kurz, » – kaum wünschenswert. Zum Zeitpunkt, da die Interferenzmuster verschmelzen, rematerialisiert das transportierte Objekt.«
»Häh?« Sie blickte verständnislos drein. Spock fuhr fort: »Es ist wirklich ganz einfach. Der Verschmelzungsort wird von den separaten Frequenzen der individuellen Strahlen kontrolliert, die den Megastrahl des Transporters bilden. Diese Aufgabe wird normalerweise gänzlich vom Sender übernommen, aber in besonders schwierigen Situationen – wie zum Beispiel das Beamen auf den Wandererbenutzen wir die Hilfe eines Koordinationsmoduls, das wie ein Signal funktioniert, mit dessen Hilfe der Ort angepeilt werden kann. Die Information, die mit dem Strahl gesandt wird, existiert nicht im Strahl selbst, sondern in den Oberwellen der verschiedenen Interferenzmuster, die die separaten Strahlen erzeugen. Obwohl dreidimensionale Oberwellen über die gesamte Länge des Strahls erzeugt werden, handelt es sich um chaotische Anordnungen, die nicht übereinstimmen. Zum Zeitpunkt, da alle Oberwellen wieder in Phase gebracht werden – dem Zeitpunkt der Zentrierung – werden alle verschiedenen Frequenzen nochmals exakt so aufeinander abgestimmt, wie sie es zum Zeitpunkt des Transports waren, und die Photonenwellen fallen in ihre materiellen Äquivalente zurück – dabei bilden sie eine exakte Originalkopie des Musters, das sie im Moment der Auflösung bildeten. Ich hoffe, daß es Ihnen jetzt klarer ist.« Sie drehte sich zu Kevin um. »Können wir auch ein Beiboot nehmen?« »Es ist völlig sicher«, beruhigte er sie. »Wirklich.« »Klingt nicht so.« »Es ist sicherer als das Beiboot. Denn wenn es irgendein Problem gibt, kann die Polarität des Monitronstrahls umgekehrt werden, und anstatt zu einem Ziel transportiert zu werden, wird man zum Ausgangspunkt zurückgestrahlt.« »Oh.«
»Solange die Enterprise in der Lage ist, die Zentrierung auf einen geometrischen Ort aufrechtzuerhalten, können wir jeden beliebigen Ort anbeamen.« »Ist auch Waffe? Nein? Strahl explodiert bei Feind? Bumm! Großer Streich den Dämonen – alle lachen.« »Katwen – « Das war Kirk. »Wir sind kein Kriegsschiff. Unsere Waffen sind zur Verteidigung da. Unsere Mission ist friedlicher Natur.« Ihre Augen verengten sich. »Ist Sprichwort auf meiner Welt, Captain – ist viele Sprichwörter, aber dies hier passend. Wenn du Waffe trägst, dann, weil du erwartest, sie zu benutzen. Ob Sie beabsichtigen oder nicht, Sie haben Fähigkeit, meine Welt zu zerstören, demonstriert. Das muß ich meinem Volk sagen. Ist, was ich meinte, als ich von Pflicht gegenüber eigener Welt sprach. Meine Nachricht – die Worte, die ich meinem Captain mitteilen muß – ist, daß unsere Welt zerstört werden wird. So oder so. Wenn er nicht hört auf Stimme der Vernunft, werden Sie Gewalt benutzen, oder?« Kirk sah Spock bestürzt an. Wie hatte sie von diesem Alternativplan erfahren? Er hätte eigentlich geheim sein sollen. »Niemand mir davon erzählt, Captain. Ich kann mir vorstellen. Ich verstehe das – euch alle. Ich bin nicht Marionette. Ich bin Kriegerin. Ich führe Befehle aus. Ich überbringe Ihre Nachricht, weil ich meine Welt liebe und nicht Zeuge ihrer Zerstörung werden will. Aber wie auch immer mein Captain sich letzten Endes entscheidet, ich werde seine Befehle ausführen, denn das ist meine Aufgabe als Kriegerin. Nächstes Jahr bin ich vielleicht etwas anderes. Wenn ich Philosophin geworden bin, werde ich mit Captain streiten und seine Befehle nicht befolgen – selbst auf das Risiko hin, aus den oberen Decks vertrieben zu werden. Aber ich stehe zu meinem Treueid. Heute denke ich wie Kriegerin. Ich schaue. Ich höre zu. Ich denke wie jemand, der bewaffneten Mann
sieht. Ich denke hart. Meine Welt ist Ende. Das weiß ich. Ich weiß nicht, was danach kommt. Bin nicht sicher, ob es meine Entscheidung ist. Bin sicher, daß ich nicht mag, wenn mir Last aufgebürdet wird. Aber Aufgabe von Krieger auch, eine Last auf sich zu nehmen. Egal, wie unangenehm.« Sie sah Riley an. »Du machst Aufgabe weniger unangenehm. Aber trotzdem kein Vergnügen.« Dann wandte sie sich wieder an Kirk. »Ist verstanden?« Er nickte. »Ich habe verstanden.« Sie drehte sich zu Riley um. »Was machen wir jetzt?« »Wir stellen uns auf diese Bühne.« Furchtlos stieg sie auf das Podium. »Ist Abenteuer. Bisher ihr mir nichts getan. Ich versuche.« »Stell dich auf den Zentrierungspunkt – « Riley deutete darauf. Sie sah ihm zu, wie er seine Füße auf der Platte postierte und machte es ihm nach. Dann sah sie zu Kirk, Spock und McCoy hinab. »Ist vergessen, etwas zu fragen. Warum hat er komische Ohren?« »Das erzähle ich dir später«, beeilte sich Riley zu sagen. »Wir müssen los.« »Hokay-dokay. Wie?« »Er macht es«, sagte Riley und deutete mit dem Finger hin. »Der Bursche hinter der Konsole. Wenn du bereit bist, sagst du ›Energie‹.« »Energie –?« wollte sie fragen – aber bevor sie das Wort zu Ende sprechen konnte, standen sie bereits inmitten der Tanks, die zur Farm des Wanderers gehörten – genau dem Ort, wo Stokely das Koordinationsmodul deponiert hatte. Katwen blickte verdutzt um sich. »Ist gleicher Ort –! Wie macht er das?« »Ich dachte, Mr. Spock hätte es dir klargemacht.«
»Oh, ja. Wie Schlamm. Ist altes Sprichwort. Klar wie Schlamm. Weiß nicht, was bedeutet, aber jeder sagt es.« Sie nahm seine Hand. »Hier lang. Ich sehe deine Welt. Jetzt siehst du meine.«
25
Als sie an den Farmen vorbei waren, legten sie weite Strecken in verlassenen, nur schwach beleuchteten Korridoren zurück. Sie kreuzten sich mit anderen Gängen, die sanft nach oben führten. Aus der Ferne nahmen sie Lichtkegel und die Geräusche verschiedener Aktivitäten wahr. Da war auch eine merkwürdig dissonante, aber komplizierte und unwiderstehliche Musik: eine barocke Klangstruktur, die nur ganz leise über die Schwelle des Bewußtseins drang. Sie merkte, wie er zuhörte, und erklärte: »Ist Jahreszeit der Nachdenklichkeit. Wir haben Jahreszeiten in Wanderer gekennzeichnet durch Farbe des Lichts, Temperatur, Feuchtigkeit und Musik. In dreizehn Tagen beginnt Jahreszeit der Hoffnung. Ist schöne Zeit, Vorbereitung auf Jahreszeit der Freude.« »Das hoffe ich auch«, sagte Riley. »Uns bleiben nur noch dreizehn Tage.« Er zögerte kurz, dann fügte er hinzu: »Aber wenn wir erfolgreich sind, dann wird es wirklich eine Jahreszeit der Hoffnung sein, meinst du nicht auch?« Sie gab ihm keine Antwort. Sie erreichten einen Aufzugsschacht. Es war ein großer, offener Raum, mit Gleisen für acht verschiedene Wagen gleichzeitig. Diese Gleise reflektierten die vielen Lichter, die entlang des riesigen Schachtes angebracht waren. Sie erstreckten sich so weit nach oben, bis sie in einem leuchtenden Fleck verschwammen. Nach unten verschwanden sie in der Dunkelheit. »Nur zwei Wagen laufen hier«, erklärte Katwen, als sie einstiegen. Die Wände des Aufzugs waren aus Glas, und als sie zu den Lichtern nach oben fuhren, hatte Riley die Gelegenheit,
in jedes der verschiedenen Stockwerke einen neugierigen, flüchtigen Blick zu werfen. »Kommt das alles bei euch an?« fragte er in den Kommunikator. »Kein Problem«, lautete die Antwort der Enterprise. »Wir sind bereits bei der Rahmenanalyse des alten Materials. Das ganze Schiff ist abgestimmt, Riley.« (Das ist es, was ich hören wollte) dachte er. (Lieber Gott, hoffentlich mache ich jetzt keine Dummheit – ) Der Aufzug blieb stehen. Sie betraten einen belebten Platz. Die Menschen hatten einen aufrechten und anmutigen Gang. Sie trugen helle, leichte Kleidung; hauptsächlich Shorts, ärmellose Hemden, Umhänge, Kilts und einfache, robenartige Wickelkleider. Das Schuhwerk bestand in erster Linie aus Sandalen und Slippern. Keines der beiden Geschlechter schien einen bestimmten Stil zu bevorzugen. Alle schienen das, was sie für bequem hielten, zu tragen. Falls es bestimmte Normen gab, konnte Riley sie nicht entdecken. Das Haar wurde meistens lang herabfallend getragen. Und dann begannen die »Wanderer«, von ihm Notiz zu nehmen. Zunächst nur mit schnellen, neugierigen Blicken. Dann zeigte ein Kind mit dem Finger auf ihn und fragte etwas zu laut: »Mami – wer das?« Erstaunt über diese Frage drehten sich weitere Personen nach ihm um. Jemand rief: »Katwen!« Aber es klang eher erschrocken als über das Wiedersehen erfreut. Und jemand anders fragte sich laut: »Ist das ein Wilder?« »Vielleicht ist Gefangener – « » – Katwen muß entkommen sein – « » – sieht unverletzt aus – «
» – hat wahrscheinlich körperliche Schäden jetzt – ist bekannt, wie grausam in unteren Decks – « »Muß Hölle sein – « »Sieht gut aus – sogar für Dämon – « »Pst! Willst du, daß man dich einliefert?« Katwen ignorierte das Gemurmel. Sie nahm Riley am Arm und bewegte sich zielstrebig durch die Menge, die vor ihnen zurückwich. Einige Leute starrten ihnen nach, aber niemand folgte ihnen. Als sie am Großteil der Menge vorbei waren, blieb Riley stehen und blickte Katwen an. »Bist du in Ordnung?« Ihre Unterlippe zitterte ein wenig. Aber sie sagte: »Ist funktioniert. Wir müssen gehen. Captain wird wissen, wir sind hier. Keine Zeit zu verlieren – aber wir müssen zunächst Dr. Hobie aufsuchen. Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Ist müssen ihm erklären.« Sie zog ihn seitwärts in einen engen, verlassenen Korridor. Dann deutete sie auf seinen Kommunikator und legte einen Finger an die Lippen. »Häh –? Oh!« Riley verstand und schaltete seinen Monitor ab. »Was gibt es?« »Hör mir zu, Kevin Riley. Ist sehr gefährlich. Nicht einmal deinem Captain das sagen. Will ihm nicht Grund geben, es nicht zu versuchen. Aber Captain Frost ist dogmatischer Mensch. Altmodisch. Sehr religiös. Eine-Welt-Doktrin. Nicht an alte Geschichten glaubt. Nennt sie entzweiende Fantastereien. Alte Bräuche sehr unterdrückt. Alter Glaube illegal. Alte Tonbänder zerstört. Ist gefährlich, über andere Welten außer mit Verachtung zu sprechen. Wir riskieren unser Leben, wenn wir diese Häresie sagen. Müssen Wissenschaftsrat überzeugen, unsere einzige Hoffnung. Sonst Captain Frost weigert sich einfach, zuzuhören.« Sie sah ihn eindringlich an. »Ist sehr ängstlich. Ist viel, worum Angst haben muß.«
Er nahm ihre Hand. »Ich bin bei dir. Was immer geschieht, ich verspreche, daß dir nichts passiert – glaubst du mir?« »Möchte schon glauben.« »Das reicht mir«, sagte Riley. Er schaltete den Monitor wieder ein. »Tut mir leid«, sagte er zu dem Mann, der den automatischen Logbuchaufzeichner der Enterprise bediente. »Eine private Angelegenheit.« »Ja, Riley«, kam es lakonisch zurück. »Vielleicht verschwendest du in Zukunft nur deine eigene Zeit auf dein Liebesleben. Wir haben hier eine Arbeit zu erledigen.« Riley antwortete nicht. »Gehen wir«, sagte er zu Katwen.
26
Dr. Hobie war ein massiger, freundlich aussehender Mann mit grauen Schläfen. Sein Blick wanderte von Katwen zu Riley und dann wieder zu Katwen zurück. »Katwen – ist gedacht, du wärst – von Wilden gefangengenommen worden.« »Ist viel schlimmer. Ist vielleicht Ende der Reise.« »Häh?« Er sah verdutzt drein. Sie erzählte ihm, was ihr zugestoßen war und wo sie die letzten sechsunddreißig Stunden verbracht hatte. Hobie hörte ihr ruhig zu und bat sie nur gelegentlich, das eine oder andere Detail genauer zu erklären. Mehrmals sah er während der Erzählung Riley neugierig an, und die Tonbänder studierte er mit großem Interesse, aber auch großer Furcht. »Ist möglicherweise Dämonentrick?« sagte er, während er nochmals einen Blick auf Riley warf. »Nein, nicht möglich. Zu überzeugend. Wilde haben nicht Mittel zu solcher List. Aber – wenn Geschichte wahr ist, Katwen, ist aufschreckendste Wahrheit seit Meuterei – nein, seit Anfang der Welt. Dies – dies bestätigt Häresien und zerstört Captains Doktrin. Würde auch Macht des Captains zerstören. Er würde nicht zulassen. Und selbst wenn man Captain überzeugt – was zweifelhaft ist – Kulturschock würde uns zerstören. Welt würde solche durcheinandergebrachte Vorstellung nicht akzeptieren.« »Sie haben keine andere Wahl«, sagte Riley. »Ihre Welt wird sonst untergehen. So einfach ist das leider.« »Ist kein Beweis dafür«, sagte Hobie, »außer dem, was Sie uns liefern. Wenn wir Ihre Geschichte nicht als wahr akzeptieren, dann wir auch nicht Ihren Beweis von der Gefahr für Welt.«
»Aber Sie haben lebenden Beweis –!« Katwen deutete auf Riley. »Dies ist kein Dämon!« Hobie schüttelte den Kopf. »Er ist Außenseiter. Laut Definition sind alle Außenseiter Dämonen. Denen man nicht trauen kann.« »Moment mal«, sagte Riley. »Sie sollen doch Wissenschaftler sein, oder? Das bedeutet, daß Sie nach wissenschaftlicher Methodik vorgehen, richtig? Sagen Sie mir, welchen Beweis Sie brauchen – was immer Sie wollen – ich erbringe ihn. Ich habe die Mittel der Enterprise zur Verfügung. Schießen Sie los, Dr. Hobie.« Der Mann sah besorgt aus. »Möchte gerne glauben – weil es viele Fragen beantworten würde. Viel Wissen ging verloren. Das Buch… schließt die neuen Doktrinen aus – wir sind inmitten unseres Reichtums ein verarmtes Volk. Ist sogar Häresie, das anzusprechen, aber ein denkender Mensch kann sich nur wundern. Über viele Generationen hinweg haben wir versucht, uns einzureden, daß dies beste aller möglichen Welten ist, aber ist sie das wirklich? Wie war Welt vor Meuterei. Ist gefährlich… anzudeuten, daß bessere Welt war. Ist besser, man glaubt, wir sind stärker, weil wir Ungläubige und Häretiker ausgestoßen haben – aber sind wir es wirklich?« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Als er sie wieder senkte, zitterte sie. »Ist zuviel, Katwen. Zuviel verlangt. Alle Überzeugungen wegwerfen, weil, wenn nicht, Welt untergeht. Verpackung zu bequem. Fühlt sich wie Falle an. Captain Frost will Wissenschaftsrat auflösen. Dies könnte Vorwand sein, den er braucht. Muß nachdenken. Muß nachdenken.« »Ist keine Zeit!« »Muß Zeit sein!« Nochmals fragte Riley: »Welchen Beweis wollen Sie?« »Ist bereits mehr Beweis erbracht als ich brauche.« Hobie drehte sich zu Riley um. »Sie meinen, ich mir über diese
Fragen noch keine Gedanken gemacht? Ist lange, sorgenvolle Stunden der Qual. Wissenschaftsrat ist es freigestellt, Hypothesen über Ursprung des Universums, Entwicklung der Sterne, Funktionsweise des Körpers aufzustellen – aber nicht erlaubt, wirkliche Fragen zu überdenken – wie, woher wir kommen? Was ist Seele? Wohin führt unser Kurs? Wie sind wir hierhergekommen? Das sind gefährliche Fragen – und jetzt bombardiert ihr uns damit und verlangt, daß wir uns sofort entscheiden. Ist einfach zuviel. Wir verbringen Leben damit, zu lernen, wie man diese Fragen vermeidet, damit wir überleben können. Jetzt sagen Sie, wir sowieso nicht überleben – außer, wir suchen Konfrontation. Ist Dilemma, Kevin Riley. Ist keine leichte Aufgabe. Sie müssen verstehen.« Riley hatte schon den Mund geöffnet, um eine barsche Antwort zu geben, besann sich dann aber eines besseren. Er dachte an Katwen, wie sie vor Furcht zusammengekauert in dem dunklen Korridor der Enterprise gesessen war. Leise sagte er: »Ja, ich verstehe. Ich wünschte, ich wüßte einen einfacheren Weg. Aber, Dr. Hobie, die Wahrheit ist, daß wir nicht die Zeit haben, es auf die leichte Tour zu versuchen. Es muß sofort etwas geschehen.« Hobie überlegte einen Moment. Er drehte sich von ihnen weg und spielte mit einem Luzitblock auf seinem Schreibtisch herum. Darin war eine glitzernde Spirale eingebettet. In ihr glühten und funkelten winzige Lichtkügelchen. »Ist angeblich Ehrung«, sagte er. »Aber Ehrung ist wertlos, wenn man nicht willens ist, ihrer würdig zu sein. Ist immer gewundert, warum Wahrheit so gefährlich ist. Kennen Sie dieses Sprichwort, Kevin Riley? Wahrheit immer gefährlich. Ist, weil Wahrheit immer die Lüge, an der man festhält, bedroht. Wußte immer, daß dieser Tag kommen würde. Hoffte, er käme nicht zu meinen Lebzeiten. Der Tag, an dem Wahrheit gesagt werden muß.« Seine Augen waren feucht. »Ich hätte nie gedacht, daß
Mut sich so erschreckend anfühlen kann. Ich denke, deshalb muß es wohl Mut sein – um Furcht zu überwinden.« Er stellte den Luzitblock ab. »Ich werde mit euch zum Captain gehen. Ich werde versuchen, euch vor seinem Zorn zu schützen.« Riley und Katwen sahen sich mit einem hoffnungsvollen Lächeln auf den Lippen an. Riley nahm ihre Hand. Vielleicht, vielleicht gab es doch eine Chance – Und dann war plötzlich die Hölle los. In einem Funkenregen explodierte die Tür nach innen. Überall war Rauch – inmitten von Lichtblitzen und lärmendem Getöse flogen Gegenstände in der Luft herum –, und dann sah es so aus, als strömte etwas, das eine Tausendschaft schwarzgekleideter Männer einer Sturmtruppe zu sein schien, wie eine Legion aufgeregter Ameisensoldaten in den Raum. Einer von ihnen entdeckte Riley und hob seine Waffe – und dann gingen die Lichter vollständig aus.
27
Nachdem sie sich die Wiederholung zum fünften Mal auf dem Hauptbildschirm angeschaut hatten, preßte Kirk die Lippen so fest aufeinander, daß man sie kaum noch sehen konnte. Das war das einzige Zeichen von Emotion, das er zeigte. Direkt hinter ihm saß McCoy mit seinem üblichen, mürrischen Gesicht. Spock war ruhig und gelassen. Die Wiederholung neigte sich dem Ende zu: ein plötzliches Herumwirbeln des Bildes, die stämmigen Krieger, das Aufblitzen von Mündungsfeuer – dann nichts. Kirk drehte sich zu Spock um. »Analyse?« »Primitive Betäubungswaffen. Offenbar Elektroneninterruptoren von niedrigem Niveau. Nicht gerade lebensgefährlich, aber sie können mikroelektronischen Geräten großen Schaden zufügen. Wie zum Beispiel der Schnittstelle zwischen der Energieversorgung und den lichtleitenden Verarbeitungschips in Rileys Tricorder. Glücklicherweise ist es einfach, auf die Ersatzschnittstelle umzukalibrieren.« »Richtig«, sagte Kirk. »Und wie teilen wir ihm das mit?« »Falls er noch am Leben ist – « Spock ignorierte die erschrockenen Blicke, die ihm Scotty, Uhura und Chekov plötzlich zuwarfen. McCoy sah verärgert aus. Aber Kirk kannte die leidenschaftslose Art seines Ersten Offiziers bereits zu genau, »- findet er es vielleicht selbst heraus. Ansonsten können wir bestenfalls eine Aktivierung per Fernauslöser erreichen. Wir könnten mit einem dichtgebündelten Transporterstrahl durchkommen – « »Aye«, unterbrach ihn Scotty. »Aber das setzt voraus, daß wir ihn lokalisieren können. Und ohne das Signal eines Tricorders oder Kommunikators ist das unmöglich.«
Spock nickte zustimmend. Er fuhr fort: »Da es Mr. Scott so eilig hat, seine eigenen Unfähigkeiten zu offenbaren, möchte ich vorschlagen, daß wir versuchen, das Gerät mit einem direkten Signal wieder in Gang zu bringen. Das Tricordergerät, das Riley trug, besaß eine Subraumkapazität von kurzer Reichweite. Falls die Lichtführungskreise nicht völlig zusammengebrochen sind, könnten wir die Elektronik des Geräts umgehen, direkt mit den Hauptverarbeitsungselementen kommunizieren und sie direkt reprogrammieren.« Kirk nickte. Geistesabwesend sagte er: »Weiter, Mr. Spock. Nur zu.« Aber seine Augen waren noch immer auf den vorderen Bildschirm gerichtet. »Aber ich denke«, sagte er leise, »daß wir ein dringlicheres Problem haben als nur den Kontakt zu Leutnant Riley wiederherzustellen. Dieses Schiff. Seine Fusionsreaktoren müssen wieder zusammengeschlossen werden. Und es sieht nicht so aus, als hätten wir es mit einem vernünftigen Kommando zu tun.« »Offensichtlich nicht«, meinte Spock. Kirk drehte sich zu Scotty um. »Uns bleibt nichts anderes übrig. Beamen Sie Ihre Boardingtrupps zur Shuttleverbindungsstelle hinüber. Sie sollen dort auf meine Befehle warten. Dann brauche ich einen Sicherheitstrupp, der sich im Haupttransporter-Raum bereit halten soll. Leutnant Uhura, ich möchte, daß Sie sie instruier ren. Zeigen Sie ihnen Rileys Band. Und Specks soll ihnen Karten vom Wanderer geben. Sie sollen in das Schiff eindringen, es immobil machen und den Kontrollraum besetzen. Bewaffnen Sie sämtliche Trupps mit Schlafbomben. Phaser werden auf Betäubung gestellt. Das gleiche gilt für Ihre Reaktortrupps, Scotty. Alle Trupps warten auf mein Signal. Chekov, falls dieses Klingonenschiff nochmals auftaucht, gehen wir sofort auf Alarmstufe Rot – und in diesem Fall, Sulu, müssen die
Schutzschildparameter so eingestellt werden, daß sie auch den Wanderer miteinschließen.« Sulu drehte sich um und sah seinen Captain an. »Eine gefährliche Überdehnung, Sir – « »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Kirk. Er warf einen schnellen Blick in die Runde. »Irgendwelche Fragen? Gut. Dann los.« Er drehte sich zum Bildschirm um, um sich den Wanderer nochmals genau anzusehen. »Mr. Spock, haben Sie jemals etwas von Robert dem Weisen gehört?« Spock schüttelte den Kopf. »Man kann nicht von mir erwarten, mit der gesamten Kultur der Erde vertraut zu sein, Captain.« »Er lebte vor langer Zeit, aber er sagte etwas, was für unsere Si tuation sehr treffend ist. ›Es gibt kein Problem, das nicht mit ein bißchen Anstrengung noch komplizierter gemacht werden könnte.‹« Spock nickte. »Eine äußerst intelligente Bemerkung.« »In der Tat«, stimmte ihm Kirk zu.
28
Riley kam in einem finsteren, ihm unbekannten Raum wieder zu sich. Er lag auf dem Rücken. Als er versuchte, sich zu bewegen, merkte er, daß er sich nicht abstützen konnte. Seine Arme waren gefesselt. Die Anstrengung verursachte ein unangenehmes Schädelbrummen und Schwindelgefühl. Ein helles Licht, das direkt über seinen Füßen seinen Ursprung hatte, schien auf ihn herab. Dahinter konnte er die Umrisse dreier Gestalten erkennen. »Ist nicht so häßlich wie die meisten«, sagte eine sanfte Männerstimme. »Vielleicht sollten in Zoo ausstellen.« »Ist keine gute Idee. Vielleicht erregt Mitgefühl.« »Ist jetzt wach«, bemerkte der dritte. »Warte. Ist heben hoch.« Riley fühlte, wie sich der Tisch unter ihm bewegte und ihn in eine aufrechte Position brachte, so daß er seinen Befragern gegenüberstand. Das Licht fiel jetzt direkt in seine Augen. Er kniff die Augen zusammen. »Könntet ihr das bitte herunterschalten?« »Es spricht?« fragte einer der Umrisse. »Ist wahrscheinlich Nachahmung. Achtet nicht darauf.« »Verdammt!« sagte Riley, nahm sich aber dann zusammen. »Ich bin kein Wilder«, sagte er so sanft es ging. »Ich bin Leutnant Kevin Riley, und ich will mit Captain Frost sprechen. Und wo ist Katwen? Und Dr. Hobie?« Die Schattengestalten ignorierten ihn. Riley ließ nicht locker. »Hört mich an. Eure Welt ist in Gefahr. In nur wenigen Jahren werdet ihr wahrscheinlich alle tot sein – ich kann es beweisen. Ihr müßt mich anhören.«
Die Gestalten besprachen etwas miteinander. Sie sahen Riley nicht einmal an. »Seht mich an!« schrie Riley. »Hört mir zu! Es ist wichtig! Eure Welt war verschwunden – für Hunderte von Jahren vom Rest der Menschheit getrennt – endlich haben wir euch gefunden! Aber wenn ihr nicht zuhört, könnte es das Ende eurer Reise bedeuten!« Eine der Silhouetten sah daraufhin hoch. Sie – nein, er – trat ins Licht und sah Riley in die Augen. »Hör zu, Wilder. Verstehst du, was ich sage?« »Ja, ja – bitte – « Der Mann – er trug einen grünen Laborkittel – legte eine Hand auf Rileys Mund. »Halt’s Maul. Hör mit dem Gerede auf. Predige uns bloß nicht deine miesen Gotteslästerungen. Sonst müssen wir dich wieder schlafen legen. Sprich nicht. Überhaupt nicht. Wenn du verstehst, nicke mit dem Kopf.« Riley~ biß sich auf die Lippen – und nickte. »Gut«, sagte der Mann, trat aus dem Lichtkegel und ging zur Konsole zurück, an der seine beiden Kollegen immer noch arbeiteten. Plötzlich ertönte ein Geräusch in der Dunkelheit, das Geräusch einer Tür, die sich zischend öffnete. Drei Gestalten betraten den Raum. Riley war sich nicht sicher, aber er dachte, eine der Gestalten war vielleicht – Der Neuankömmling an der Spitze sagte etwas zu den drei Gestalten an der Konsole; diese nickten und gingen schweigend hinaus. Einer der anderen ging zur Konsole und hantierte daran herum. Das Licht, das Riley blendete, erlosch, während der Rest des Raums hell erleuchtet wurde. Riley blinzelte verwirrt. Er hatte recht gehabt: einer der Neuankömmlinge war Dr. Hobie. Er schien sich nicht wohlzufühlen. Die Gestalt an der Konsole war ein Techniker, der einen schwarzen Anzug trug. Es war der dritte, der Rileys
Aufmerksamkeit erregte. Er sah – fast – freundlich aus: birnenförmig, dickbäuchig, kahl werdend, mit einem Büschel hellroten Haares um die Schläfen. Er hatte Apfelbäckchen und lächelte. »Wie fühlst du sich?« fragte er. »Keine Angst. Du kannst jetzt reden.« Riley zögerte und wog seine ersten Worte sorgfältig ab. »Werden Sie mich losbinden?« Frost lächelte: »Tut mir leid, aber das ist nicht möglich. Ich bin sicher, du verstehst, warum. Aus Sicherheitsgründen.« »Dr. Hobie haben Sie auch nicht gefesselt.« »Dr. Hobie ist mein Wissenschaftsoffizier. Man fesselt doch nicht seine eigene Besatzung. Du dagegen bist ein Fremder.« »Hat Ihnen Dr. Hobie erzählt, warum ich hier bin?« »Ja, das hat er. Und er zeigte mir auch deine Bilder. Ich muß sagen, eine sehr überzeugende Darbietung. Das heißt natürlich nicht, daß sie mich überzeugt hat, aber ich kann verstehen, wie es dir gelingen konnte, Katwen zu überlisten. Sie ist noch ein Kind und noch nicht wirklich raffiniert oder reif genug, den komplexen Verstand eines Wilden zu durchschauen. Sie ist leichtgläubig – aber jetzt, Wilder, hast du es mit jemandem zu tun, der dir überlegen ist, und wir erkennen genau, wie albern deine Erzählung wirklich ist. Dieser Unsinn, sich schneller als das Licht fortzubewegen, zum Beispiel. Glaubst du, die Erbauer hätten diese Reise unternommen, wenn es nicht notwendig gewesen wäre?« »Aber – aber«, stotterte Riley. »Der Solantrieb ist möglich! Wie wäre ich sonst hierhergekommen?« Frost seufzte mitleidig. »Wie du hierhergekommen bist, ist offensichtlich. Woher deine Wahnvorstellungen kommen, ist etwas ganz anderes. Hobie, erzählen Sie diesem armen Teufel etwas von Überlichtantrieben.« Hobie sah besorgt aus, aber er trat vor und sagte: »Es ist möglich, mit einem Einsteinschen ›Gedankenexperiment‹ zu
beweisen, daß es unmöglich ist, sich schneller als das Licht fortzubewegen. Verstehen Sie, was ein Einsteinsches ›Gedankenexperiment‹ ist? Nun, ich will es Ihnen erklären. Ein Philosoph namens Einstein setzte als gegeben voraus, daß einige Experimente völlig und ganz im Kopf durchgeführt werden können. Das sind Gedankenexperimente. Nun denn, eines der klassischen Experimente ist es, zu beweisen, daß eine Fortbewegung, die schneller als das Licht ist, das Gesetz der Erhaltung der Energie verletzt – « Hätte sich Riley bewegen können, wäre er vom Tisch gesprungen. »Nein!« schrie er. »Das ist falsch! Das ist keine wissenschaftliche Methode! Sie stellen kein Experiment an, um eine Tatsache zu beweisen oder zu widerlegen, sondern um eine Hypothese zu prüfen!« »Ruhe!« sagte Frost. »Laß es ihn erklären.« Frost nickte dem Techniker an der Konsole zu, und plötzlich war Riley gelähmt. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen und war kaum in der Lage, zu atmen. Jeder Atemzug war mühsam. Er fuhr fort. »Nehmen wir an, es gibt einen Beobachter, der sämtliche Informationen über das ihn umgebende Universum über das Licht, das seine Taster erreicht, erhält – so wie Sie und ich unsere Umgebung mit den Augen wahrnehmen. Ein Raumschiff befindet sich ein Lichtjahr vom Beobachter entfernt. Er kann es durch ein sehr starkes Radioteleskop sehen – wir nehmen an, daß , es für dieses Gedankenexperiment ein Signal aussendet.« Riley wollte schreien, aber die Luft wurde ihm im Hals abgeschnürt. Er hatte entsetzliche Angst davor, ersticken zu müssen, aber Hobie, dem seine Lage scheinbar nicht auffiel, leierte weiter seinen Text herunter. Er sagte: »Jetzt nehmen wir an, daß dieser Beobachter sich unserem Beobachter mit einer Geschwindigkeit nähert, die schneller als das Licht ist. Offensichtlich wird es lange vor den
Lichtwellen, die bei seinem Abflug entstanden, in die Nähe unseres Beobachters gelangen. Somit sieht unser Beobachter jetzt nicht nur die Lichtwellen des Schiffs in seiner ursprünglichen Position – das heißt, das Licht, das noch unterwegs ist-, sondern auch das Licht, das von der neuen Position des Schiffs ausgeht. Ihm scheint es, als wäre ein zweites Schiff aus dem Nichts aufgetaucht. Unser Beobachter müßte meinen, das Schiff hätte sich verdoppelt. Einfach so, aus dem Nichts! Und das widerspricht natürlich dem Gesetz von der Erhaltung der Energie. Das war ein klassisches Beispiel, und über das Gesetz von der Erhaltung der Energie läßt sich nicht streiten.« Niedergeschlagen beendete Hobie seinen Vortrag. Er sah nicht gerade glücklich aus. Frost nickte dem Techniker erneut zu, und der Druck auf Rileys Brust lockerte sich etwas. »Nun, Wilder, was sagst du dazu?« Riley brauchte einen Moment, um Luft zu schnappen. Er wollte seine nächsten Aussagen sorgfältig formulieren. Langsam sagte er: »Aber es bleibt eine Tatsache, daß ich hier bin. Wie erklären Sie sich das?« Frost verschränkte die Arme. Ruhig sagte er: »Ein Dämon lügt immer.« Riley spürte eine richtige Wut im Bauch. Wenn er nur für einen Moment frei wäre – um diesem selbstgefälligen Dummkopf einen Hieb versetzen zu können – aber nein, er mußte sachlich bleiben, egal, wie anstrengend es war. »Was glauben Sie wohl, ist der Grund, warum ich hier bin?« Frosts Augen blickten trügerisch sanft. »Die Frage stelle ich dir, Wilder«, sagte er, indem er sich auf einen Hocker setzte. »Was ist der Zweck dieser Farce? Was glaubst du, damit zu erreichen? Du hast doch nicht etwa erwartet, daß man dir diese frevelhafte Geschichte abnimmt, oder?«
Riley antwortete bewußt im Plauderton: »Nun, Sir, eigentlich beweist eben genau diese Frevelhaftigkeit die Wahrheit meiner Geschichte. Können Sie sich etwa vorstellen, daß jemand sich das alles ausdenkt?« »Ganz schön schlau«, bemerkte Frost. Er sah Hobie an. »Sehen Sie, Hobie – es ist gefährlich, sich mit einem Dämon einzulassen. Sie haben auf alles eine Antwort.« Hobie sah etwas verlegen aus. »Ist wahr – ja, aber selbst unausgegorene Idee verdient faire Anhörung. Vielleicht können wir etwas lernen.« »Von einem Wilden? Lächerlich.« Riley überlegte blitzschnell. Was würde Captain Kirk an seiner Stelle sagen? Wie würde Spock wohl diese Situation meistern? Schnell sagte er: »Hören Sie mir wenigstens einmal zu, Captain Frost, mehr verlange ich gar nicht. Sie haben meine Geschichte von Katwen und Dr. Hobie erfahren, nicht wahr? Jetzt sagen Sie mir bitte – was ist Ihrer Meinung nach der eigentliche Zweck meiner Mission?« »Die Autorität des Captains zu unterwandern natürlich. Die Rebellion geht weiter. Das solltest du wissen – schließlich ist es doch euer Credo, nicht wahr?« »Wenn ich wirklich ein Rebell wäre, träfe das wohl zu – aber überlegen Sie mal: besteht nicht auch eine noch so geringe Möglichkeit, daß es eine so starke Bedrohung für dieses Schiff gibt, daß es einer Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Wilden bedarf, um sie zu überleben?« »Geringe Möglichkeit besteht«, gab Frost zu, »ist aber nicht sehr wahrscheinlich.« »Was müßte ich tun oder sagen, um Sie davon zu überzeugen, daß etwas Derartiges tatsächlich im Gange ist?« Frost dachte nach. »Aber ich bin der Captain. Bestünde wirklich eine Gefahr für dieses Schiff, dann bin ich der erste, der es weiß – und nicht irgendein primitiver Wilder.«
Riley bohrte weiter. »Was kann ich tun, um Sie zu überzeugen?« Frost lächelte ihn freundlich an. »Überhaupt nichts, mein Lieber. Wenn der Tag kommt, an dem der Captain dieses Schiffs einem Wilden ernsthaft zuhört, dann wird es Zeit für einen neuen Captain. Ich bin lediglich hierhergekommen, um dich zu beobachten. Du bist nämlich ein Kuriosum – ein Wilder, der die Funktionen eines menschlichen Wesens mit bemerkenswerter Genauigkeit nachahmen kann. Wenn du der Repräsentant einer neuen Generation von Mutanten sein solltest, müssen wir noch stärker auf unsere Verteidigung achten. Wir können uns keine weitere Verseuchung unserer Bevölkerung leisten. Arme Katwen. Sie war so ein liebes Kind.« »Was?« Frost überhörte Rileys Frage. Er drehte sich zu Hobie um. »Also, Hobie. Ich bin gekommen. Ich habe zugehört. Ich habe dieser Geschichte soviel Glauben geschenkt, wie sie verdient. Sie ist amüsant und ungewöhnlich. Aber ich habe nichts gesehen, was eine weitere Überlegung dieses Unsinns nötig machen würde. Das Bemerkenswerteste, das ich heute sah, ist, daß dieser Wilde erst vor kurzem gebadet wurde. Das ist zwar ungewöhnlich, aber kaum… welterschütternd. Entledigen Sie sich seiner auf die übliche Weise.« Sie gingen auf die Tür zu. »Nein – wartet!!« schrie Riley. Sie blieben stehen und blickten neugierig zurück. »Ist noch etwas?« »Das ist das Ende der Reise. Sie müssen es versuchen, Captain Frost. Bitte! Ihr Volk vertraut Ihnen – Sie herrschen über sein Leben. Sie können es retten!« Frost zuckte die Achseln und drehte sich weg. »Ist toben. Ist immer dasselbe.«
»Dr. Hobie – « schrie Riley. »Wir dachten, Sie hätten uns geglaubt!« »War nur gewillt, zuzuhören«, murmelte Hobie. »Gehört zu meinem Job als Wissenschaftler, aber – « Er sah beunruhigt aus. Sein Blick schnellte zu Frost, dann zurück zu Riley, » – aber Vernunft immer Oberhand. Tut leid. Mochte Sie eigentlich, Riley. Ist nettester Wilde, den jemals getroffen.« Er zuckte entschuldigend die Achseln und folgte Frost zur Tür. »Ich bin kein Wilder!« brüllte Riley. »Sie schwachsinniger Pavian!« Frost berührte Hobies Schulter. »Sehen Sie? Früher oder später zeigt ein Wilder immer sein wahres Gesicht.« Er blickte zu Riley zurück. »Ich bin der Captain dieses Schiffs. Erst wenn die Stämme der Wilden meine Autorität anerkennen, gibt es eine Wiedervereinigung. Du kannst einen Anfang machen, indem du mir die Herrschaft über meine Reaktoren zurückgibst. Erst dann können wir über Vertrauen sprechen.« In Frosts Gesicht lagen Härte und Bitterkeit, die auf eine lange zurückliegende Kränkung zurückgehen mußten. Riley wand sich in seinen Fesseln. »Wir können Ihnen die Macht wiedergeben – wir können es – aber zuerst muß das Vertrauen da sein – Captain Frost, bitte, geben Sie uns eine Chance – « Aber Riley sprach ins Leere. Frost hatte sich bereits umgedreht und den Raum verlassen. Hobie sah Riley verlegen an, dann hastete er hinterher. Der Techniker fummelte an der Konsole herum, und Riley verlor schlagartig das Bewußtsein.
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Sie beließen ihn nicht in wachem Zustand. Er kam in einem anderen Raum zu sich, umringt von weiteren, undeutlichen Gestalten. Sie stellten ihm Fragen, und er antwortete. Er wollte die Wahrheit sagen, nicht vertuschen. Dann versetzten sie ihn wieder in Schlaf. Später war er in einem anderen Raum, und sie gaben ihm Drogen und stellten ihm weitere Fragen – oder wieder die gleichen. Sie verdrahteten ihn mit physischen Tastern und stellten wieder Fragen. Sie betäubten und weckten ihn so beiläufig, wie man ein Computerprogramm ein- und ausschaltet. Er verlor jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Und dann – nach scheinbar ewig andauernden Befragungen – wurde er zu einem großen, offenen Platz gebracht, der beleuchtet und mit Menschen gefüllt war. Sie werkten an ihm herum, und plötzlich fühlte er Schmerz. Sein Verstand identifizierte das Gefühl als einen der Reizbarkeitsfaktoren. Sie mußten ihm eines der linksläufigen Adrenaloide gegeben haben. Der Schmerz wurde stärker, und jede Empfindung eine Qual. Er fing an zu hassen, ohne etwas dagegen tun zu können. Er wollte diesen ignoranten, grinsenden Affen Empfindungsvermögen einbläuen – aber sie hielten seine Arme fest. Er wurde an irgendwelche Schnüre gefesselt. Er begann, um sich zu schlagen und zu schreien – »Heb dir das für die Show auf«, sagte einer von ihnen. »Es wäre schade, wenn du deine Energien an uns verschwendest. Wir kennen eure Wildheit bereits.« »Hä?« Riley drehte sich um, aber der, der ihn angesprochen hatte, war bereits verschwunden. Verlier nicht die Beherrschung! sagte sich Riley. Er atmete ein paarmal tief durch. »Hört mich an«, sagte er ruhig. »Diese
Welt wird zerstört werden. Sie fällt in einen kosmischen Mahlstrom. Da ist ein Schwarzes Loch – ihr fliegt zwar noch nicht darauf zu, aber das wird schon bald der Fall sein. Da ist ein Stern. Seine Gravitation lenkt den Kurs eures Schiffs auf den Strudel zu. Er ist so groß, und wir sind bereits so nahe dran, daß es nur noch eine Chance gibt, den Kurs dieser Welt zu ändern, aber es muß sofort geschehen. Oh, bitte, hört mir doch zu – was kann ich bloß tun, damit ihr mich ernst nehmt?« »Siehst du?« sagte einer der Fremden zu einem anderen. »Ist faszinierende Geschichte, die es erzählt. Ist vielleicht ein Beweis mehr für Verbindung zwischen Märchenerzähler und Wahnsinn. Märchenerzähler haben Zugriff zu Genauigkeit der Wahrnehmung verloren; nächster Schritt ist Schizophrenie und völlige Auflösung der Persönlichkeit. Armer Bursche. Klima unter den Wilden erzeugt nichts anderes als Wahnsinn.« Riley konnte nicht anders. Er begann wieder zu toben. Und zu schreien. Er fing an zu fluchen. »Ihr blöden Affen. Ihr verdient all das, was euch zustoßen wird!« Sie brachten ihn auf einen größeren Platz, so groß, daß er die. Wände nicht sehen und so hell, daß er kaum die Augen öffnen konnte. Er hatte sich so lange in der Dunkelheit aufgehalten, daß das Licht schmerzte und sich seine Augen mit Tränen füllten. Er blinzelte und kniff die Augen zusammen, dann versuchte er, sie sich zu reiben, konnte aber nicht, weil seine Hände vorne zusammengekettet waren. Auch die Füße hatten sie ihm gefesselt. Um ihn herum wogte ein Meer von Gesichtern. Lautes Stimmengeplappere umgab ihn. Die Lautstärke der Buhrufe und Pfiffe schwoll an, als er zum Zentrum der Bühne gestoßen wurde. Bühne? Er sah sich um.
Er stand auf einer großen, erhöhten Plattform. Und da war Katwen! Auch sie war gefesselt. Sie sah verstört aus. Sie sah ihn im selben Moment und rief: »Kevin Riley! Ich dachte, du wärst – « Dann versetzte ihr einer von der Sturmtruppe einen Schlag, der sie verstummen ließ. Riley zuckte vor dieser Gewalttätigkeit zusammen. »Halte durch, Katwen«, rief er. Dann fügte er impulsiv hinzu: »Ich liebe dich.« Er spürte den Schlag, den man ihm versetzte, kaum. Als sie ihn wieder auf die Beine zogen, grinste er, und Katwen lächelte zurück. Ein Lächeln inmitten des Terrors. Plötzlich erschien Captain Frost. Er war in eine glitzernde Robe gehüllt und von einem Sonnenbanner aus Licht gekrönt. Er hob eine Hand, und die Menge verstummte sofort. Er warf einen Blick auf Katwen und Riley. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme samtweich, aber seine Worte waren eisig. »Ihr habt gegen das Schiff gesündigt. Und ihr seid hierhergebracht worden, vor das höchste aller Tribunale, um euch für eure Verbrechen zu verantworten. Beide habt ihr beschlossen, Feinde des Schiffs zu sein. Ihr habt die schwärzeste aller Blasphemien begangen. Eure Ketzereien gehören zu den sündhaftesten unter den Ketzereien und können auch nicht durch die erlösende Reinigung des öffentlichen Widerrufs gesühnt werden. Für das, was ihr versucht habt, kann es keine Vergebung geben.« Er sah Riley an. »Als Rebell von den unteren Decks bist du der Sünde gegenüber dem Schiff schuldig, weil du es unterlassen hast, für das Schiff zu arbeiten. Du lebtest von der Energie des Schiffs, ohne durch deine Arbeit jemals für eine Rückzahlung dieser Schuld zu sorgen. Du hilfst nicht bei der Instandhaltung, daher bist du ein Parasit. Du und deinesgleichen sind des Diebstahls an den Früchten unserer Arbeit schuldig.«
Dann sah er Katwen an. »Und dir, Katwen, wurde die Aufgabe anvertraut, diejenigen, die für das Schiff arbeiten, vor denen zu schützen, die uns zerstören und die Früchte unserer Arbeit stehlen wollen. Wir, das Volk, vertrauten dir. Doch du hast dieses Vertrauen mißbraucht und bist ein unheiliges Bündnis mit unseren Feinden eingegangen.« Er verstummte, faltete die Hände und senkte sorgenvoll den Blick. »Es ist fürwahr ein trauriger Anlaß. Wir tun, was wir tun müssen, nicht in Wut, sondern in Sorge. Aber wir müssen es tun, weil das Überleben des Schiffs das einzige Ziel ist, das den Vorrang vor allen anderen Belangen hat.« »Sie niederträchtiger Dummkopf!« schrie Riley. »Wenn Sie das wirklich glaubten, dann würden Sie auf mich hören. Ihre ganze Welt wird sterben! Alle – sogar die Wilden. Obere Decks, untere Decks, alles wird – « Die Schläge ließen ihm schwarz vor den Augen werden. »Du wirst nicht sprechen«, sagte Frost. »Wir haben deine Gotteslästerungen lange genug ertragen.« »Und ich Ihre Dummheit!« schrie Riley zurück. »Ihr Volk wird sterben! Warum fragen Sie es nicht, wie es sich bei dem Gedanken fühlt? Warum geben Sie ihm keine Chance, selbst darüber zu entscheiden?« Wieder schlugen sie ihn nieder, aber er wollte immer noch nicht still sein. »Sie scheinheiliger, selbstsüchtiger, herausgeputzter Schwindler – « Die Menge brüllte. Die gesamte Welt wurde hysterisch. Der Raum drehte sich im Kreis. Riley wurde schwindlig. Er brach zusammen. Aber er blieb bei Bewußtsein und kam wieder in die Höhe. Immer noch schreiend. Immer noch versuchte er, die Geräuschkulisse aus Tausenden von Kehlen zu übertönen. »Knebelt ihn«, sagte Frost. »Nichts mehr von diesem Unsinn.«
Beißend und um sich schlagend kämpfte er, aber sie waren zu sechst und hielten ihn wie in einem Schraubstock gefangen. Aber hinter seinem Knebel schrie er immer noch. Frost ignorierte ihn. »Wenn du Schiff nicht zu Lebzeiten dienst«, sagte er, »dann im Tod. Ist der Wille dieser Obrigkeit, daß ihr beide zusammen mit übrigem Abfall der Welt hinausgeworfen werdet. Eure Körper werden zum Nutzen des Schiffs in ihre Bestandteile zerlegt. Auf diese Weise zahlt ihr eure Energieschuld an Gesellschaft zurück.« Er sah sie beide abwechselnd an. Riley spürte, wie er seitlich auf einen Kreis aus roter Farbe gestoßen wurde. Er sah, daß ein Wächter Katwen in dieselbe Position brachte. Sie hatte die Augen vor Furcht weit aufgerissen. »Ihr gehört jetzt dem Molekularkonverter«, sagte Frost, und diesmal lag in seinem Blick der Anflug eines Lächelns. Er drehte sich nach vorne zu der Menge, die sich wieder beruhigt hatte, und sagte: »Es soll geschehen.« Riley sah zu Katwen hinüber, und dann – Er verlor ruckartig den Boden unter den Füßen und befand sich im freien Fall. Irgendwo in der Nähe hörte er Katwen schreien – und dann wurden sie beide von der Dunkelheit verschluckt –
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Es gab einen Wirrwarr der Empfindungen – Es ist – nur ein freier Fall – schrie Rileys Verstand. Aber bevor seine Reflexe diese Information erhielten und darauf reagieren konnten, fing ihn etwas auf und zog ihn mit einem Ruck aus der Luft. Irgendwie spürte er, daß Katwen das gleiche passierte – ihr Schrei wich einem Laut der Überraschung, und er merkte, daß auch sie sich im Netz verheddert hatte. Und irgendwo läutete eine Alarmglocke. Sie hingen in der Dunkelheit, und das Netz vibrierte immer noch von ihrem Aufprall. »Wir leben noch«, sagte Riley keuchend. »Bewege dich nicht, Katwen. Bleib ruhig, bis wir wissen, wo wir sind – « »Ist Netz!« schrie Katwen zurück. »Ist untere Decks! Wilde! Deine Leute müssen uns befreien, bevor sie uns fangen – « Sie versuchte bereits, sich seitwärts gegen die Wand des Schachts zu schwingen. Rileys Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Weit über sich sah er das schwache Leuchten der Öffnung, die eher an einen Mond als an das obere Ende eines Schachts erinnerte. »Wenn uns Wilde fangen, werden uns töten und aufessen – « Plötzlich ging flackernd ein orangefarbenes Licht an. Aus der Dunkelheit tauchten Fackeln und grinsende Gesichter auf. Katwen keuchte und unterdrückte einen Schrei des Entsetzens. Riley hielt seine gefesselten Hände hoch und sagte: »Ist Freund! Nicht töten! Nicht töten! Muß mit Anführer sprechen! Verstanden?« »Ist keine Freunde auf dem oberen Deck!« fauchte eines der Gesichter zurück. »Sei still!«
Ein anderer zischelte ihm etwas zu und stieß ihn mit seiner Waffe. Riley schwieg und wartete ab, was geschehen würde. Während die Wilden – es waren ihrer mindestens sechs – das Netz einholten, dauerte die Verwirrung an. Während dieser Arbeit unterhielten sie sich miteinander. Riley konnte nicht alles verstehen, aber der allgemeine Ton ihrer Stimmen war weniger feindlich, als er erwartet hatte. Die Wilden kippten sie auf den Boden eines staubigen Korridors, dann untersuchten sie ihre Fesseln und nickten zufrieden. »Halten noch. Gute Arbeit vom Captain, oder?« Darauf fingen alle zu lachen an. Sie waren mit unförmigen, schwarzen Jacken und kurzen Hosen bekleidet und mit Messern und Armbrüsten bewaffnet. Alle waren klein und untersetzt. »W-was werdet ihr mit uns tun?« fragte Katwen. »Ist Wahl einfach«, grinste einer der jüngeren Wilden, der nicht älter als sechzehn sein konnte. »Rebellion anschließen oder sterben. Hä?« Katwen biß sich auf die Lippe und drehte sich weg. Riley sagte: »Schaut mal, Jungs, versteht mich bitte nicht falsch – ich mag den Captain auch nicht mehr als ihr – aber – « »Ruhe!« schnauzte ihn der Anführer, der etwas größer als die anderen war und an die vierzig sein mochte, an. »Ist kein Reden!« Er Stieß Riley seine Armbrust in den Rücken. »Au! He! Passen Sie gefälligst auf Ihren Schweinespieß auf! Ich bin ein Freund!« Der Offizier – denn dafür hielt ihn Riley mittlerweile – kam mit seinem Gesicht ganz nahe an Riley und sagte: »Ist einer der Invasoren, oder? Wir sehen dein Schiff. Wir sehen, wo ihr einbrechen. Ihr versucht, obere Decks zu erreichen, ja? Mit Captain Allianz bilden und Rebellen jagen, ja? Ist nicht
gelungen, oder? Captain wirft euch mit anderem Abschaum hinaus. Captain berühmt für Hinauswurf. Ist Witz – Captain ist unser bester Rekrutierer. Jetzt, ihr in unseren Händen; du nennst dich selbst Freund? Ist bereits drei Männer getötet. Ist Heuchelei, oder? Halte uns nicht auch für dumm! Du kommst mit uns, wir hören deine Geschichte an. Ist besser gut, Fremder! Ist besser gut für dich.« Er stieß Riley nochmals in den Rücken und schob ihn vorwärts. »Au! He! Paß auf meine Nieren auf!« Der Offizier deutete auf zwei der Männer, von denen einer der sechzehnjährige Junge war, der vorher gesprochen hatte. »Ist Eskorte. Kommt mit mir. Der Rest von euch patrouilliert weiter Entsorgungsschacht. Ist müssen jetzt höhere Quoten erfüllen.« Dann nahm er eine der Fackeln aus ihrem improvisierten Halter und ging in den Korridor. Riley und Katwen warfen sich einen unentschlossenen Blick zu, dann gingen sie hinterher. Die beiden, die als Eskorte dienten, folgten ihnen. Schweigsam gingen sie durch leere Korridore. Einige davon waren von den Kampfspuren geschwärzt, anderen fehlte die Vertäfelung, so daß man die blanke Stützkonstruktion sehen konnte. Aber alle waren dunkel und dreckig. Sie gingen durch Korridore, die voller Pfützen waren, dann sprangen sie über einen Strom, der aus der Dunkelheit sickerte und auf einen offenen Schacht zufloß, bei dem er sich in einen Wasserfall verwandelte. Es gab feuchte Flächen, die verrotteten. An manchen Stellen waren die Wände vom Pilz befallen. Oder die Pilze wuchsen aus den Ecken. Sie erreichten eine breite, abschüssige Rampe, auf deren Boden vier Reihen verschiedener Gleise angebracht waren. Ein altertümlich aussehender Karren war an der Wand befestigt. Der Offizier scheuchte einen müde aussehenden Mann vom Sitz und sah Riley und Katwen an. »Einsteigen«, befahl er.
Während sie einstiegen, suchte Riley im Karren nach einem Motor, aber es gab keinen. Es war lediglich eine simple Plattform auf Rädern, eine Kiste mit vier Bänken für die Passagiere und einem Laderaum. Nachdem sie sich gesetzt hatten, lockerte der Offizier die Bremse. Der Karren fing an, nach vorne den Abhang hinunterzurollen, wobei seine Geschwindigkeit langsam zunahm. »Natürlich«, sagte Riley. »Das Gleis bewegt sich spiralförmig von der Zentralachse des Schiffs weg. Man braucht keinen Motor, da es ständig bergab geht. Unten gibt es wahrscheinlich einen Aufzug, der die Karren wieder hochbringt, oder?« Der Offizier drehte sich um und sah ihn an. »Für einen Fremden sehr scharfsichtig. Ist besser vorsichtig, wie?« Verdutzt musterte Katwen Riley. »Kevin Riley, du bist wirklich ein Fremder, nicht wahr? Diese Leute dich nicht kennen. Du nicht kennst untere Decks. Du sprichst Wahrheit.« »Das versuche ich dir schon die ganze Zeit zu erklären!« sagte Riley zu ihr. »Sag bloß nicht, du hast schon wieder daran gezweifelt.« »Ist leid, Kevin Riley, aber ist so viele verschiedene Dinge von soviel verschiedenen Leuten erzählt worden. Wollte dir glauben, dann dir nicht glauben, dann wollte meinem eigenen Volk glauben – sie haben mich weggebracht, Kevin Riley; mir Fragen gestellt, mir gesagt, du lügst. Mir gesagt, es gibt keinen Ort namens Enterprise – ich war Opfer von Betrug von unteren Decks. Ist nicht wollte glauben das. Ist begonnen, an jedem zu zweifeln. Aber ist – ich beginne jetzt besser zu verstehen. Auf oberen Decks nicht verstehen wollen, nicht wissen, wie – sie bekämpfen die Wahrheit so entschlossen, wie ich es tat – sie nicht hören wollen, selbst wenn ich ihnen sage. Sag mir, Kevin Riley, ist Welt jetzt dem Tod geweiht?«
»Ich hoffe nicht, Katwen.« Er versuchte, ihre Hand zu nehmen, aber die Handschellen machten es ihm schwer. »Captain Kirk gibt nicht so schnell auf.« Der Karren bewegte sich jetzt schneller. Ab und zu bremste der Offizier, um die Geschwindigkeit niedrig zu halten. Die Räder quietschten unbarmherzig. Die Miene des Mannes war nachdenklich; wahrscheinlich dachte er über die Bedeutung von Katwens und Rileys Gespräch nach. Obwohl sie nach unten rollten, wies der Korridor vor ihnen eine leichte Neigung nach oben auf. Vor ihnen wurde das schwache Glühen eines Lichts sichtbar, das den Schacht heraufkam. Der Offizier runzelte die Stirn und nahm seine Armbrust zur Hand, als das Glühen des Lichts stärker wurde. »Alle hinlegen«, sagte er. Er spannte die Armbrust und löste die Bremse. Die Geschwindigkeit des Karrens nahm in erschreckender Weise zu. Plötzlich war das Licht direkt vor ihnen und blendete sie. »Deine Leute!« fauchte er Katwen an. »Ein weiterer Stoßtrupp von den oberen Decks!« Er feuerte einen Bolzen auf eines der gleißenden Lichter ab. Es zerstob in einem Funkenregen. Ein Blitz zischte über ihre Köpfe hinweg – ein Phaserstrahl?!! Der Karren quietschte, als er nach unten schoß. Riley streckte den Kopf nach oben und sah, wie ein Trupp von Männern, die mit ihren Waffen auf sie zielten, zur Seite stob – und wie eilig eine Barriere auf die Gleise geworfen wurde und – Er wurde heftig gegen die Vorderwand geschleudert, als der Karren gegen das Hindernis prallte – nein, es durchbrach – sie rollten immer noch, aber etwas langsamer – Riley sah nach hinten – einige von dem Stoßtrupp liefen hinter dem Karren her – – Einer von ihnen brach plötzlich mit einem Pfeil in der Brust zusammen –
Ein anderer zückte eine Waffe, die Riley bekannt vorkam, ein Betäubungsgewehr – und als er es erkannte, schrie ein Teil seines Verstands bereits »Oh, nein – nicht schon wieder!« Und dann wurde es dunkel vor seinen Augen.
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Etwas polterte. Und quietschte. Und vibrierte.
Er befand sich in Bewegung.
Er rieb sich die Stirn – es summte wie ein Photonenkristall in
einer oszillierenden Matrix. Wo war er?!!
Und dann war er sofort hellwach – sie waren immer noch in dem Karren und rasten wie wild nach unten! Und beschleunigten immer noch! Finsternis umgab sie – gelegentlich flitzten Lichtflecke vorbei, und einmal dachte Riley, verblüffte Gesichter gesehen zu haben – aber die Dunkelheit vor ihnen war ungebrochen. Sie konnten in alles mögliche hineinrasen! Eine Wand aus Ziegelsteinen – einen weiteren leeren Schacht – bei dieser Geschwindigkeit war es egal, worauf sie prallten, es würde in keinem Fall angenehm sein. Wie schnell waren sie überhaupt? Vielleicht hundert Stundenkilometer? Riley konnte es nicht sagen. Dann rollten sie über eine Unebenheit, und eine kurze Schrecksekunde lang dachte Riley, sie wären entgleist und würden selbst jetzt noch in den Tod rasen, aber nein – der Karren rollte immer noch kreischend in die Dunkelheit hinab. Riley drehte sich auf seiner Bank um. »Katwen!« Ein unterdrückter Laut kam vom Boden des Karrens. Er packte sie und zog sie in seine Arme. Sie war von dem Schuß aus dem Betäubungsgewehr immer noch bewußtlos. Wahrscheinlich ging es den beiden Männern, die sie eskortierten, nicht anders. Sie hatten die gesamte Wucht des Strahls abbekommen. Mit Katwen in den Armen spähte Riley nach vorne und suchte nach dem Offizier, der den Karren gesteuert hatte. Auch
er lag ausgestreckt am Boden. Riley streckte die Arme nach dem Bremshebel aus, konnte ihn aber nicht erreichen. Er legte Katwen wieder zurück auf den Boden und kletterte über die Bank vor ihm. Dann packte er den Bremshebel und zog ihn fest nach oben. Aber es geschah nichts. Es schien… sinnlos. Vielleicht funktionierten die Bremsen bei dieser Geschwindigkeit nicht. Riley kannte sich bei bestimmten mechanischen Geräten nicht besonders gut aus. Maschinen mit beweglichen Teilen waren ihm schon immer zu kompliziert gewesen. Nochmals betätigte er den Hebel. Ein kratzendes Geräusch ertönte, aber die Bremsen griffen immer noch nicht. »Ich muß irgend etwas falsch machen.« Riley packte den am Boden liegenden Offizier und zog ihn in eine aufrechte Position. Dann schlug er ihm ins Gesicht. »Komm schon, Junge! Wach auf! Wach auf!« Plötzlich war ein Licht vor ihnen zu sehen, schwach und orangefarben. Beim genaueren Hinsehen wurde es – zu einer Art Bahnhof! Drei Frauen von den unteren Decks kauerten dort mit ihren Armbrüsten im Anschlag – und starrten sie verdutzt an, als sie sahen, daß Riley einen ihrer Krieger in den Armen hielt – Und dann waren sie an ihnen vorbei und direkt vor sich konnte Riley eine Art Rahmengestell sehen – ein Netz! Sie prallten mit voller Wucht darauf, und für einen Moment neigte sich der Karren nach vorne, und Riley dachte, daß er umkippen würde – dann hörte er, wie das Netz zerriß. Sie waren durch und rasten weiter wie auf einer Achterbahn nach unten. Wieder zog Riley an der Bremse – und hielt plötzlich den Hebel in der Hand. Er fluchte und legte ihn auf den Boden. Dann zog er den Offizier mit sich über die Bank und begann, sich zum hinteren Teil des Karrens vorzuarbeiten. Wenn der
Karren schließlich doch gegen etwas prallte, war ihre Überlebenschance größer, wenn er sie alle nach hinten brachte. Er warf einen Blick nach vorn, gerade rechtzeitig, denn er sah eine Stelle, an der das Gleis plötzlich nach oben ging. Und noch bevor er überhaupt richtig wußte, wie ihm geschah, rollten sie schon diesen Abhang hinauf. Der Karren bewegte sich bereits langsamer, da sie gegen die simulierte Gravitation des Wanderers immer mehr an Schwung verloren. Rileys Erleichterung hielt sich in Grenzen. Natürlich mußte es irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen für den Fall, daß ein Wagen außer Kontrolle geriet, geben – der Karren lief jetzt ganz langsam –, aber was war mit dem Abhang? In Kürze würden sie wieder zurückrollen. Riley drehte sich um und schaute nach, wie steil der Abhang hinter ihnen wirklich war- und wünschte sich im gleichen Augenblick, er hätte es nicht getan. Dann fiel ihm Katwen ein, und er krabbelte auf der Bank herum, um sie wieder auszugraben. Sie erwachte gerade – Der Karren kam für einen kurzen Moment zum Stillstand, und dann – Riley schubste Katwen hinaus auf den Boden und taumelte hinter ihr her. Der Karren rutschte wieder zurück. Und etwas machte klick. Und klick. Und klick. Und klick. Mit diesem regelmäßigen Klicken rollte der Karren sanft zurück. Ein weiteres Bremssystem. Eine Art Sperrad, das in den Boden eingebaut worden war, um einen Karren, der sich selbständig gemacht hatte, aufzufangen und zu verhindern, daß er in den Haupttunnel zurückrollte.
Keuchend lag Riley auf dem abschüssigen Boden und sah zu, wie der Karren langsam und sanft von ihnen weg und nach unten fuhr. Er versuchte, sich zur Seite zu rollen, um nachzuschauen, wo Katwen war, aber es war schwer, sich zu bewegen. Und dann machte er eine Entdeckung – er war immer noch an Händen und Füßen gefesselt. Alles, was er gerade getan hatte, hatte er trotz der Fesseln geschafft. Unwillkürlich fing er zu lachen an. Soeben hatte er Genie und Heldentum des Tiers im Menschen in einer extrem kritischen Lage demonstriert – und es gab keine Zeugen! Und natürlich würde ihm niemand diese Geschichte abnehmen. Er seufzte wehmütig. Dann hörte er hinter sich ein Geräusch. Er rollte zur Seite und sah Katwen, wie sie gerade versuchte, sich in eine sitzende Position zu hieven. »Was ist geschehen?« fragte sie. »Ich erkläre es später«, antwortete Riley. Er deutete auf den Karren. »Sie sind immer noch drin. Und bewußtlos.« »Ist Chance, zu fliehen!« sagte Katwen. Fliehen? An Flucht hatte Riley überhaupt noch nicht gedacht. Er hatte lediglich aus dem Karren kommen wollen, bevor dieser an einer Wand zerschellte. Er dachte nach. »Wohin?« fragte er. »Zurück zu den oberen Decks? Wohl eher nicht. Kennst du dich in diesem Teil des Schiffs aus? Ich bezweifle das. Und selbst wenn wir den Weg zu einer Leiter, einem Aufzug oder einer Treppe finden, wäre es wahrscheinlich gefährlich. Truppen der einen oder anderen Seite halten sie sicher unter Bewachung.« »Ist nicht notwendig, Leiter zu finden. Wir gehen einfach im Kreis. Decks nicht konzentrisch, sondern spiralförmig. Erzeugt Vorstellung, daß Raum größer. Ist in Geographie gelernt.
Dauert wahrscheinlich viel länger, aber wir trotzdem oben ankommen.« Riley starrte sie an. Er brach in lautes Staunen aus. »Katwen, dein Wissen stellt die erstaunlichste Mischung aus Ignoranz und Genialität dar«, sagte er zu ihr. »Manchmal ist es kaum zu glauben.« »Ist Information, in die nur Captain eingeweiht«, sagte sie mit einem Achselzucken. »Hä?« »Ist einige Dinge, die nicht für gemeines Volk bestimmt. Ist wahrscheinlich zu gefährlich. Für gemeines Volk. Und Schiff. Rebellion beweist, daß gefährliches Wissen kontrolliert werden muß.« Riley hielt sich zurück. Er dachte angestrengt und sorgfältig darüber nach, was er ihr antworten sollte. Vielleicht dachte er etwas zu angestrengt nach, denn Katwen sagte: »Ist Stirnrunzeln, Kevin Riley. Warum?« Er sagte: »Tut mir leid, Katwen. Daß man dir das Recht genommen hat, Wahrheiten zu kennen – selbst wenn sie unangenehmer Natur sind.« »Hä?« Sie sah verwirrt aus. »Aber deshalb gibt es Captain, Kevin Riley – um Verantwortung zu tragen.« »Und was, wenn der Captain einen Fehler macht? Was ist, wenn er sich täuscht?« »Captain täuscht sich nie. Ist Gesetz. Captain ist immer Captain, und Captain hat immer recht.« Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Ist das nicht der Anlaß für die Rebellion gewesen?« »Ist nicht wissen, Kevin Riley. Rebellion gehört zu den Dingen, die man nicht diskutiert. Ist gefährlich.« »Hm. Und wer entscheidet, wann etwas für das Volk zu gefährlich ist?«
»Vor der Rebellion war Aufgabe von Captain und Rat – aber Rat zettelte Rebellion an, deshalb Captain jetzt einzige Autorität. Kein Rat mehr – außer Wissenschaftsrat von Captain.« Riley dachte darüber nach. Er wußte, was er sagen wollte, aber dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort. Er versuchte, nicht ohne Schwierigkeiten, sich hochzurappeln. Die Fesseln erschwerten jede Bewegung. »Komm«, sagte er. »Wir fliehen?« »Nein«, seufzte er. »Wir stellen uns. Wir folgen dem Karren.« Weit unter ihnen rollte er noch immer klickend den Abhang hinunter. »Zum Captain können wir nicht zurück. Wir haben nur noch eine Chance. Da unten. Die Leute von den unteren Decks sind für diese Welt vielleicht die letzte Chance, Katwen.« »Ist Wilde – «, protestierte sie, aber nicht sehr überzeugend. Widerstrebend folgte sie ihm. Auf einer Seite des Schachts gab es eine Treppe. Riley hielt sich mit beiden gefesselten Händen am Geländer fest und hopste von einer Stufe zur nächsten. So begannen sie ihren langsamen Abstieg.
32
Am Fußende des Schachts hatte sich ein Haufen Leute um den angekommenen Karren versammelt. Die Männer sahen schmuddelig und unrasiert aus. Die Frauen waren ausgemergelt. Die Kinder sahen mürrisch und kränklich aus. Als Riley und Katwen auf sie zugehopst kamen, drehten sich sämtliche Köpfe in ihre Richtung. In ihrer Mitte standen die drei Wächter, die ebenfalls mit dem Karren gefahren waren. Sie sahen benommen und verwirrt aus. Der Offizier nahm gerade einen Schluck aus einem Krug. Er senkte ihn und sah sie an. »Ist nicht versucht zu entkommen?« Riley schüttelte den Kopf. »Wir haben eine Nachricht für euch. Ist nicht unsere Absicht zu entkommen. Ist Absicht, Nachricht zu überbringen.« Der Offizier nickte und sagte: »Kommt mit.« Riley streckte die Hände aus, damit der Mann die Fesseln aus Kunststoff sehen konnte. »Ist es möglich, die hier zuerst zu entfernen?« Der Mann sagte: »Ist nicht Verfahrensweise, Gefangene ohne Erlaubnis freizulassen, aber – «, er grinste, » – ist offensichtlich ihr keine Flucht plant.« Er sprach mit jemandem aus der Menge, und sofort wurde ein Werkzeugkasten gebracht. Kurze Zeit darauf waren Riley und Katwen von ihren Fuß- und Handfesseln befreit. Dann salutierte Riley. »Leutnant Kevin Riley vom Föderations-Sternenschiff Enterprise unter dem Kommando von Captain James T. Kirk.« Der Mann nickte anerkennend. »Ich habe Ihr Schiff gesehen, Leutnant Kevin Riley. Es ist… beeindruckend. Ist wahr, daß Ihre Leute schneller als das Licht reisen?«
»Ist wahr…« »Es ist zum Weinen. Unsere Reise dauert nun schon – was?« Katwen war vorgetreten. »Ich bin Katholin Arwen, bekannt als Katwen, Kriegerin, Beschützerin der Republik des Captains von Wanderer. Obere Decks.« Dann fügte sie hinzu: »Aber exkommuniziert…« »Ist Glück für dich«, sagte der Mann grimmig, aber ohne weitere Erklärung. »Ich bin Squadrant-Commander Lasker, stehe euch zu Diensten.« Er salutierte ebenfalls. »Kommt mit. Ihr müßt euch mit dem richtigen Captain treffen.« Vor ihnen teilte sich die Menge. Die Leute starrten sie immer noch neugierig an. Dann betraten sie einen der seitlichen Tunnel des Transporterschachts. Unwillkürlich stellte Riley fest, daß alle Leute von den Unterdecks dieselbe graue Kleidung trugen: zerlumpte Hemden und Shorts, Sandalen und Ponchos. Die meisten von ihnen waren klein und von gebückter Haltung – und meist mit dicken Muskeln bepackt. Ihre Blicke waren hart, und Riley machte sich über ihre physischen Charakteristika Gedanken. Die Leute auf den oberen Decks waren alle groß und anmutig und – Aber natürlich! Die Leute auf den oberen Decks lebten alle in einer simulierten Schwerkraft, die zwischen 0,3 und 0,9 der Erdnorm lag, während diese Leute ihr Leben in einer Gravitation zwischen 1,1 und 1,75 der Erdnorm verbrachten. Was er sah, war der Unterschied zwischen einer Bevölkerung, die von der Gravitation gehemmt wurde, und einer, die fast völlig ohne deren Auswirkungen lebte. Diese Leute mußten wahrscheinlich für den Versuch, in einer derart extremen Umwelt zu überleben, schwer büßen. Mit Arteriosklerose, hohem Blutdruck und diversen anderen Erkrankungen von Herz und Nieren. Mit Überentwicklung der Muskulatur als Ausgleich für den Energieaufwand, der für alltägliche Verrichtungen nötig war. Mit krummen Beinen,
Senkfüßen, Herzrhythmusstörungen und Schleimbeutelentzündungen. Von Störungen der Knochenbildung, die zu Verknöcherungen und Deformierungen führten, gar nicht zu reden. Emphyseme und Krankheiten, die durch hohen Blutdruck entstanden, schienen an der Tagesordnung zu sein. Bisher hatte er nur wenige alte Leute gesehen. Der Tod trat in den unteren Decks offenbar früh ein. Verärgert mußte er an das Paradies ein paar Stockwerke darüber denken. Wie war es überhaupt möglich gewesen, daß eine solche Teilung geschehen konnte? Und wie lebten diese Leute eigentlich? Wie lösten sie das Problem der Ernährung? Riley dachte an die düstere, orangefarbene Korridorbeleuchtung – sie sah wie eine Art Notbeleuchtung aus. Er war sich nicht sicher, aber die Platten sahen wie altmodische Glühplatten, die die Thermalenergie der Umgebung mangels anderer Energiequellen in niedere Lichtqualität umwandelten, aus. Unwillkürlich fing er zu zittern an. Vielleicht war das der Grund, warum diese Korridore so kalt waren. Die Glühplatten brauchten die Körperwärme der Bevölkerung auf. Aber aus Angst, kein Licht mehr zu haben, wagten sie es nicht, sie auszuschalten. Plötzlich bog Lasker ab und führte sie in einen ehemaligen Lagerraum, der zu einer Art Büro und einer Art Guerillahauptquartier umfunktioniert worden war. Riley dachte darüber nach – ja, wahrscheinlich mußten diese Menschen ständig in Bewegung sein. Kein Ort in den unteren Decks war sicher genug, um sich als permanente Basis zu eignen. Ihre beste Verteidigungsmöglichkeit bestand darin, sich von Ort zu Ort zu bewegen. Und tatsächlich sah es auch jetzt so aus, als wären sie im Begriff, weiterzuziehen. Ein untersetzter, dunkelhaariger Mann musterte sie. Er hatte dicke, struppige Augenbrauen und blickte so finster wie das
Innere eines Ofens drein. Katwen schreckte angstvoll zurück und klammerte sich an Rileys Arm. »Ist Satan selbst!!« Der Mann lächelte aufrichtig. »Es ist schon lange her, daß man mich so nannte. Aber auch die letzte Exekution liegt schon lange zurück.« Er nahm sich einen unförmigen Keks von einer Platte, die auf dem Tisch stand. »Wenn ihr hungrig seid, bedient euch. Nicht gerade vom Feinsten, aber das Beste, was wir zu bieten haben.« Sein Blick wanderte von Riley zu Katwen und wieder zurück zu Riley. »Was habt ihr verbrochen?« »Ist nichts Schlimmes getan«, sagte Katwen. Der Mann zuckte die Achseln. »Natürlich nicht. Niemand tut das. Weswegen hat man euch angeklagt?« »Häresie.« »Oho! Häresie! Gotteslästerer sind lustiger!« »Was werden Sie mit uns machen?« »Nichts. Wenn ihr wünscht, euer Leben hier unten mit uns zu verbringen, so ist euch das freigestellt. Offensichtlich könnt ihr nicht zu den oberen Decks zurückkehren. Seid ihr wahrhaftig Feinde der oberen Decks, so macht euch das zu unseren Verbündeten. Wollt ihr euch jedoch hier unten auf andere Weise durchschlagen, so habe ich ebenfalls nichts dagegen. Es gibt einige kleinere Siedlungen, aber sie sind nicht sehr erfolgreich. Und auch nicht sehr gastfreundlich, wenn ich das hinzufügen darf.« »Haben Sie keine Angst davor, daß ich zurückkehre und dem Captain verrate, wo Sie zu finden sind?« fragte Katwen. »Captain hat Ihnen den Tod geschworen, Satan.« »Bitte«, der Mann hob eine Hand. »Ich bin Gomez. Ich bin der Captain meiner Leute, aber ich mag nicht so genannt werden. Dieser Mann – da oben – «, er verdrehte die Augen zur Decke, »hat dafür gesorgt, daß uns die Welt zuwider ist. Und nein, ich habe keine Angst vor dem, was du deinem
Captain erzählen wirst. Er hat dich bereits zum Tod verurteilt. Was glaubst du wohl, was passiert, wenn du zurückkehrst – falls du überhaupt durch die Verteidigungslinien deiner Leute kommst? Nein, darüber mache ich mir keine Gedanken. Außerdem sind wir, wie du vielleicht schon bemerkt hast, Nomaden. Wir ziehen alle drei Tage weiter.« Riley trat vor. »Sir, ich bin Leutnant Kevin Riley vom Föderations-Sternenschiff Enterprise.« »Das dachte ich mir. Sie sehen nämlich nicht wie ein gewöhnlicher Gotteslästerer aus. Und ich bin Satan, der Dämon der unteren Decks, auch bekannt unter dem Namen Luzifer, Baal, Beelzebub oder wie sie mich sonst noch nennen. Captain Frost – ist er immer noch am Leben? Schade – ist ein religiöser Fanatiker. Sagen Sie, Leutnant Riley, kennt ihr Captain die Situation hier?« »Ich glaube schon.« »Vor über hundert Jahren fand dieses Schiff einen Planeten, auf dem menschliche Wesen überleben konnten. Aber alle dreiundzwanzig Jahre gab der Hauptplanet des Systems einen Schauer harter Strahlung ab. Der damalige Captain – Captain Shiras – meinte, wir hätten keine andere Wahl, als zu unserem nächsten Ziel weiterzufliegen. Die Siedler wollten aber nicht. Es stand zur Wahl, ob man eine echte Welt besiedelte oder eine weitere Generation sein wollte, die innerhalb dieser Metallwände lebte und starb. Unsere Vorfahren wollten die erste Generation sein, die auf einer neuen Welt lebte. Sie akzeptierten daher nicht das Urteil des Captains, daß die Welt unbewohnbar war, und so war die Rebellion geboren. Die Siedler glaubten, daß der Captain seine Macht über die Welt nicht aufgeben wollte. Der Captain dagegen behauptete, die Siedler wären tollkühn und irregeleitet. Die Siedler verlangten, daß man die Welt wenigstens in eine Umlaufbahn um den Planeten brachte, damit man ihn aus der Nähe
beobachten und wir dann herausfinden konnten, ob er bewohnbar sei oder nicht. Captain Shiras weigerte sich und befahl fortgesetzte Beschleunigung zum nächsten Stern, der auf unserem Kurs lag. Daraufhin legten unsere Vorfahren vier der Fusionseinheiten des Schiffs still. Jetzt besaßen die Maschinen dieser Welt keine Energie mehr. In den Kämpfen, die folgten, wurden auf, beiden Seiten viele Leute getötet – einschließlich der Männer und Frauen, die wußten, wie man die Maschinen des Schiffs wieder in volle Betriebsfunktion bringen konnte. Shiras und seinen Anhängern gelang es, einen Teil der Energie der beiden verbliebenen Einheiten zu den hinten gelegenen Maschinen umzuleiten, und sie änderten den Kurs wie geplant. Als die Meuterer dies entdeckten, war das Schiff bereits unterwegs. Sie rächten sich, indem sie einen Gegenangriff starteten und dem Kontrollraum, der Navigation und den Computerabteilungen die Energiezufuhr abschnitten. Sie sagten, sie würden die Energiezufuhr wieder instandsetzen, wenn Shiras sich bereiterklärte, umzukehren. Sie sagten, dies sei in weniger als fünf Jahren möglich, wenn man die Geschwindigkeit verringerte und umdrehte. Diese Pattsituation dauerte drei Monate, dann starb Captain Shiras unter mysteriösen Umständen. Nach seinem Tod dachten unsere Vorfahren, daß sie nunmehr mit den oberen Decks Frieden schließen könnten – aber nein, der Nachfolger des Cap-tains, verflucht sei sein Name, war noch abgebrühter – man mochte es kaum für möglich halten – als sein Vorgänger. Er behauptete, die Meuterer hätten den Captain umgebracht – was aber nicht stimmte – und erklärte uns den Krieg. Und seitdem befinden wir uns im Kriegszustand.« Riley sagte: »Captain Gomez – es ist unbedingt erforderlich, den Schiffsmaschinen Energie zuzuführen. Der Wanderer ist auf Kurs in eine Katastrophe. Dieses Schiff wird in den galaktischen Mahlstrom fallen!«
»Wie?« »Zwei schwarze Löcher, die in den ausgefallensten Bahnen um sich selbst rotieren und in ihrem Sog eine Ansammlung kosmischer Trümmer mit sich führen, von denen ein Astrophysiker Alpträume bekäme. Die Kurskorrekturen hätten schon gestern durchgeführt werden müssen!« Seufzend sank Gomez in seinen Sessel zurück. »So sieht also das Ende der Welt aus. Hören Sie mich an, Kevin Riley. Selbst wenn wir die Fusionsmaschinen starten könnten, würde es nichts bringen. Captain Frost hat die Kommandoabteilungen dieses Schiffs unter Kontrolle. Die Befehle müssen dort gegeben werden. Und Sie wissen ja, was Frost von Ihrer Geschichte hält.« »Was meinen Sie mit ›selbst wenn wir könnten‹?« »Nun, ich meinte es wörtlich. Sehen Sie sich um. Sehen Sie irgendwelche Bücher? Nein. Nicht einmal elektrisches Licht. Captain Frost hat die Kontrolle über die Elektrizität des Schiffs. Wir müssen Wandplatten benutzen, die bei Raumtemperatur glühen – die Energie dafür kommt von unserer Körperwärme. Und wenn einer der Unsrigen stirbt, schmelzen wir das tierische Fett seines Körpers, um Kerzen herzustellen. Manchmal überfallen wir die oberen Decks und versuchen, ein Stromkabel anzuzapfen, um unsere Energiezellen wieder aufzuladen. Aber hauptsächlich müssen wir unsere Wände mit Decken und Schaumstoff behängen, damit unsere Wärme nicht in die verlassenen Teile des Schiffs abzieht. Wir haben kein Licht, keine Wärme, und das bißchen Nahrung, das wir haben, stammt von den Abfällen aus den oberen Decks. Wir haben zwar Farmen. Aber sie sind klein und erbärmlich, und ihr Licht wird von einem Männertrupp erzeugt, der die nötigen Generatoren mit Pedalen antreibt. Wir haben keine Fabriken. Unsere Kleidung wird aus
wiederverwertetem Segeltuch geschnitten. Unser Leben besteht aus einem ständigen Überlebenskampf. Wir haben nicht einmal die Zeit, unseren Kindern die einfachsten Dinge zu lehren – nicht einmal das Lesen! Könnt ihr lesen?!!« Er sah Katwen und Riley an. »Natürlich könnt ihr. Darüber müßt ihr gar nicht lange nachdenken!« Gomez ging zu einem Aktenschrank und zog ein altes Buch heraus. »Schaut mal. Wißt ihr, was das ist? Das ist das Logbuch des ersten Captains. Es datiert vom Tag, an dem dieses Schiff die L 5-Position verließ und in die Kometenumlaufbahn einschwenkte. Es ist das Zeichen meines Amtes als rechtmäßiger Captain dieses Schiffs. Vom Volk gewählt. Und wißt ihr was? Ich kann es nicht einmal lesen! Ich kann nicht lesen! Dreiundsechzig Jahre lang gab es hier keinen Captain, der lesen konnte! Sämtliche Bücher, das gesamte Wissen, wie man dieses Schiff wieder voll funktionsfähig machen kann, ist oben zu finden! In den Händen derer, die zu blind sind, es zu nutzen,’ und zu selbstsüchtig, anderen den Zugang zu gewähren. Ja, wenn wir könnten, würden wir die Fusionsaggregate schon starten! Aber es geht nicht, weil wir nicht wissen, wie!« »Aber – « »Oh, ja, natürlich wissen wir etwas über die Aggregate! Schließlich haben wir sie über Generationen hinweg instandgehalten. Aber was wir wissen, wurde mündlich von Generation zu Generation weitergegeben – und würden Sie Ihr Leben dieser Art von Wissen anvertrauen? Ich nicht.« »Haben Sie Captain Frost Verhandlungen angeboten?« »Wir haben seit dreiundsechzig Jahren keinem Captain mehr Verhandlungen angeboten. Das letzte Mal, als wir versuchten, mit einem Captain der oberen Decks Frieden zu schließen, war es ein Trick. Ein Hinterhalt. Er tötete vier unserer Anführer. Wir wagten es nicht, noch jemals einem Captain zu trauen. Außerdem haben wir nichts, womit wir noch handeln könnten.
Wir geben ihm die Kontrolle der Fusionsaggregate als Gegenleistung für was? Wir setzen die Energiegewinnung wieder instand und geben ihm die volle Herrschaft über das Schiff – und damit die Macht, uns zu jagen und schließlich zu vernichten. Nein, Kevin Riley – dann lieber so. So können wir wenigstens noch eine Weile überleben. Solange ich für meine Leute verantwortlich bin, geht es mir in erster Linie um ihr Überleben. Wenn wir nicht überleben können, spielt es keine Rolle, ob uns das Schiff überlebt.« Er verstummte und starrte die beiden an. Fasziniert musterte Riley die Augen von Gomez. Es war derselbe harte und verbitterte Blick, den er in den Augen von Frost entdeckt hatte, ein Schmerz, der lange zurücklag und nie ganz geheilt worden war. Katwen brach als erste das Schweigen. Sie sagte: »Ich – ich wußte nicht. Darf ich – Ihnen meine Hilfe anbieten? Ich kann lesen. Ich kann es euch beibringen. Ist einmal als Lehrer gearbeitet – « Gomez war fassungslos. »Wie? Nun, ja – danke.« Dann trat Riley vor. »Sir? Ich glaube, wir könnten uns gegenseitig helfen, Sie und ich – wenn Sie es versuchen wollen. Wenn Sie uns vertrauen könnten – « Gomez sagte: »Vertrauen ist das einzige, was wir hier unten wirklich haben. Und zwar im Überfluß, Kevin Riley. Wir überleben, weil wir voneinander abhängig sind. Alleine wäre es unmöglich. Deshalb haben wir Vertrauen. Wir müssen es haben.« »Danke«, sagte Riley. »Vielleicht kann ich Ihnen etwas anbieten, das mit Vertrauen in Zusammenhang steht – das Wort heißt Hoffnung.« »Hoffnung«, sagte Gomez. »Dieses Wort haben wir schon lange nicht mehr gehört.« Er seufzte. »Hoffnung war hier unten ein leeres Wort. Und dennoch – muß ich zugeben – ist es
ein Wort, an das wir glauben wollen. Ich gehe ans Fenster, Kevin Riley. Ich schaue. Ich sehe Ihr Schiff. Ich kann nicht anders. Ich hoffe. Vielleicht bringen Sie einen Wandel. Aber zum Guten oder zum Schlechten? Wenn es irgend etwas gibt, das ich tun kann, um meinem Volk zu helfen, dann will ich es riskieren, nochmals zu hoffen. Laßt uns miteinander reden. Laßt uns einen Anfang machen.« Er streckte die Hand aus.
33
Die Dunkelheit der Korridore war entnervend. Stokely und Omara standen leise am Empfangsdeck, an das das Shuttle wie mit einer Nabelschnur angekoppelt war, Wache. Der Landetrupp, bestehend aus zwanzig bewaffneten Sicherheitsleuten, stand still in kleinen Gruppen um den einzigen Ausgang herum. Sie trugen Kampfanzüge und Schutzhelme, um gegen die Armbrüste der Wilden und die Betäubungsgewehre der Bewohner der oberen Decks geschützt zu sein. Im Hauptkorridor außerhalb der beiden Räume, in denen sich der Landetrupp gesammelt hatte, war ein Licht angebracht worden. Es hielt die Dunkelheit der Korridore zurück und schuf ein helles Niemandsland. Gelegentlich konnte man hören, wie sich in der Dunkelheit dahinter etwas bewegte, und die Abtastungen der Tricorder zeigten menschliche Formen an – aber als ein Scheinwerfer in den Schacht gerichtet wurde, war nichts zu sehen. Ein unheimliches Gefühl machte sich breit, und die Spannung war fast greifbar. Stokely sah Omara an. »Ich weiß, daß sie uns beobachten. Ich komme mir in dem ganzen Licht wie eine lebende Zielscheibe vor. Es ist, als wäre man von den Schattengespenstern Malavars umzingelt. Du greifst danach, und greifst ins Leere. Ich glaube, die Chance, sie zu überraschen, ist nicht sehr groß.« Omara verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ein Scheißjob ist das hier. Warum müssen wir eine Welt angreifen, um sie zu retten?« Stokely zuckte die Achseln. »Es ist nicht unsere Aufgabe, Entscheidungen zu fällen.«
»Und wenn, glaubst du, daß wir dann hier wären?« »Ich weiß schon, wo ich jetzt gerne wäre. Wenn ich an die Kleine denke, die ich auf Wrigley zurückgelassen habe – « »Oh, nein – «, stöhnte Omara. »Wenn du mir noch einmal von dieser naiven Linda erzählst – « »Hey!« unterbrach ihn Stokely. »Was war das?« »Hä?« Stokely hielt den Tricorder vor sich und tastete die Dunkelheit ab. »Da ist eine Gestalt. Nein, zwei – drei Gestalten.« Omara hatte sofort das Gewehr im Anschlag und nahm eine geduckte Stellung ein. Stokely rief durch die hinter ihnen liegende Tür: »Sicherheitsdienst! Alarmstufe Rot!« »Nicht schießen!« ertönte ein Schrei. »Nicht schießen! Wir sind Freunde! Ich bin es, Riley!« »Ha?« Stokely gab eine Sequenz in seinen Tricorder ein, worauf der Scheinwerfer hinter ihm herumschwenkte und in die Dunkelheit stach – und auf Riley, Katwen und jemanden, den sie in dem gleißenden Licht nicht erkennen konnten, fiel. Alle drei hielten sich blinzelnd die Hände vor die Augen, um sie vor dem starken Licht zu schützen. Omara wollte bereits das Gewehr senken, aber Stokely zischte ihm zu: »Sei auf der Hut! Es könnte ein Trick sein.« Er rief: »Kommt langsam und mit erhobenen Händen näher.« Er musterte seinen Tricorder, während sie den Korridor heraufkamen. Innerhalb seiner begrenzten Reichweite waren keine anderen menschlichen Formen auszumachen. »In Ordnung«, sagte er. »Kommt herein.« »Ist mißtrauische Leute«, sagte der unbekannte, untersetzte Mann. »Ihr lernt schnell, nicht wahr?« »Leg das Gewehr weg, Omara – oder ich sage Scotty, wer den Destillierapparat in der Syntheseabteilung gebaut hat.«
»Das war durchaus legal«, protestierte Omara, aber er senkte seine Waffe. »Ja, aber ziemlich plump. Und nicht sehr effektiv. Scotty zeigte uns, wie man es richtig macht.« Omara grinste. »Es ist Riley«, sagte er. »He! Was ist passiert? Bist du in Ordnung?« »Ja, uns geht es gut – und das ist Squadrant-Commander Lasker, amtierender Stellvertreter von Captain Jesus Garcia Gomez, dem echten Captain des Wanderers – zumindest ist er nach den Regeln der Sternenflotte der gesetzmäßige.« Er drehte sich zu Stokely um. »Gib mir bitte deinen Kommunikator. Sie haben mir meinen bei der Verhaftung abgenommen – auf den oberen Decks. Und ihr braucht es mit der Wache nicht so genau zu nehmen. Die Stämme von den unteren Decks werden euch nicht angreifen. Zumindest nicht, bis Commander Lasker die Möglichkeit gehabt hat, mit Captain Kirk zu verhandeln.« Riley schnipste den Kommunikator auf. »Transporterraum. Hier Riley. Bitte drei Personen hinüberbeamen.« »Riley –?!!« kam die ungläubige Antwort, und dann ein schnelles »Jawohl, Sir«. Riley trat einen Schritt von Stokely und Omara weg, zeigte Lasker und Katwen, wo sie sich hinstellen sollten und sagte: »Energie.« Funken erfüllten die Luft, dann waren sie weg. Omara sah Stokely an. »Die Leute kommen und gehen hier aber auf die seltsamste Art und Weise.«
34
Sofort wurden eine Kommunikationsverbindung und zwei Techniker auf den Wanderer gebeamt. Nachdem die Verbindung hergestellt worden war, berief Kirk eine Sitzung des Führungsstabs im Hauptbesprechungsraum ein. Die vordere Wand des Raums schimmerte, »verschwand« und wurde zum Inneren des Büros von Gomez in den unteren Decks. »Captain Gomez«, bestätigte Kirk seine Position. »James T. Kirk von der Enterprise steht zu Ihren Diensten.« Gomez sah überwältigt aus. »Wer sind all diese anderen Leute?« Kirk sah hinter sich. »Das sind alles Führungsoffiziere meiner Besatzung. Wissenschaftsoffizier Spock, Chefingenieur Scott, Kommunikationsoffizier Uhura, Stabsarzt McCoy – « »Ein Arzt?« Kirk nickte. »Captain Kirk, entschuldigen Sie meine Dreistigkeit, aber meine Leute brauchen Hilfe. Unsere Kinder sterben. Ihr Leutnant Kevin Riley erzählte mir von den hohen Idealen der Sternenflotte. Er benutzte das Wort ›Hoffnung‹. Mein Volk glaubt nicht mehr, daß es noch Hoffnung gibt, so sehr es dazu gewillt wäre. Können Sie uns Ihren Arzt schicken? Und Nahrungsmittel?« Kirk sah McCoy an. Pille war bereits aufgestanden. »Bin schon unterwegs.« Zu Scotty sagte er: »Ich brauche eine medizinische Einheit vom Typ Drei mit Zusatzausstattung. Beginnen wir mit den Standard-Modulen für Hilfeleistung bei Katastrophenfällen. Sobald ich genauere Details kenne, nehme ich selbst weitere
Ergänzungen vor. Ich brauche Chapel und einen Trupp Sanitäter – Haupttransporter-Raum.« Und schon war er draußen. Kirk wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Captain Gomez, was brauchen Sie noch?« »Danke, Captain Kirk – wir brauchen etwas, um uns gegen die Krieger der oberen Decks zu verteidigen, aber – « Kirk hob die Hand hoch. »Das kann warten. Als erstes müssen wir den Wanderer retten.« »Meine Prioritäten sind zwar anders gelagert, Captain Kirk, aber ich werde Ihnen zuhören.« Kirk nahm seinen Platz am Tisch des Lagebesprechungsraums ein. »Mr. Spock, Ihre Situationsanalyse, bitte.« Spock nickte. »Die Leute von den oberen Decks halten den Kontrollraum des Wanderers. Die Leute von den unteren Decks haben die Fusionsaggregate, aber nicht die Kontrolle darüber. Vier der Fusionsaggregate sind außer Betrieb. Die beiden übrigen sind funktionsfähig, aber momentan ist nur eines davon ans Netz angeschlossen. Der Energieoutput ist minimal. Nicht genug, um volle Lebenserhaltung für das Schiff zu liefern, von der Energie für die Masseantriebe des Stahltriebwerks ganz zu schweigen. Auch die Bibliothek befindet sich in der Gewalt der Bewohner der oberen Decks. Zweifellos enthält sie vollständige technische Details der Bauund Funktionsweise des Schiffs, aber sie scheinen sich selbst bewußt in Unkenntnis der Lage versetzt zu haben. Die Leute der unteren Decks wissen, daß sie an Bord eines Schiffs leben, aber sie leben in solcher Armut, daß es keine Möglichkeit gibt, dieses Wissen anzuwenden. Die begrenzte Ökologie des Wanderers wird so lange in diesem Muster festgefahren sein, wie die Zivilisation der oberen Decks die Kontrolle über die Reichtümer und das Wissen des Wanderers behält.«
Spock blickte in die Runde. »Wir müssen zweierlei erreichen, wenn wir den Wanderer retten wollen. Als erstes müssen wir alle sechs Fusionsaggregate in volle Betriebsbereitschaft bringen. Zweitens müssen wir uns Zugang zum Kontrollraum des Wanderers verschaffen. Zweifellos wird uns Captain Gomez den notwendigen Zugang zu den Aggregaten gewähren, so daß einzig das Problem des Kontrollraums übrigbleibt.« An dieser Stelle wurde er von Gomez unterbrochen. »Der Zugang zu den Fusionsaggregaten wird ebenfalls ein Problem sein.« Sie sahen ihn verblüfft an. Gomez erklärte: »Haben Sie schon darüber nachgedacht, was nach der Rettung des Wanderers passiert? Wohin sollen wir dann gehen? Sie werden diese Welt völlig umgekrempelt haben.« Er stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum. Jetzt konnte man sehen, wie klein er wirklich war. »Mein Volk lebt in der Dunkelheit. Die Dunkelheit ist unser Verbündeter. Als die ersten Rebellen in die unteren Decks flohen, schalteten sie die Lichter ab, um sich zu schützen. Auf diese Weise war es uns möglich, die Angriffe von den oberen Decks zu überleben. In der Dunkelheit können wir uns verstecken. Wir können sie in einen Hinterhalt locken. Wir können zuschlagen, weglaufen und wie von Geisterhand verschwinden. Wir sind Guerillas, weil wir es sein müssen. Wenn Sie die Aggregate wieder anschließen, wird den Lebenserhaltungssystemen der unteren Decks Energie zugeführt. Es wird Licht geben. Wie können wir uns dann noch verstecken? Captain Frost wird uns, sobald er weiß, daß es Licht gibt, sofort angreifen.« »Die Alternative – « sagte Kirk. »Die Alternative ist die Vernichtung des Wanderers und all seiner Bewohner.«
Gomez zuckte die Achseln. »Wenn ich und meine Leute tot sind, brauche ich mir darüber wohl keine Gedanken mehr zu machen, oder?« Ein Anflug von Verärgerung legte sich auf Kirks Gesicht. Er verbarg ihn, indem er sich abwandte. »Tiberius«, murmelte er. Dann wandte er sich wieder Gomez zu. »Was verlangen Sie, Captain?« Langsam sagte Gomez: »Ich will die Garantie, daß mein Volk nicht den Leuten von den oberen Decks schutzlos ausgeliefert wird. Wir wollen Waffen, um uns gegen sie verteidigen zu können.« »Wozu? Um Ihren wahnwitzigen Krieg fortzusetzen?!« Kirk war jetzt wirklich verärgert. »Merken Sie denn nicht, daß dies so oder so das Ende Ihrer Reise ist? Wenn wir den Wanderer retten, besteht für Ihr Volk nicht mehr die Notwendigkeit, so wie bisher weiterzuleben. Die Sternenflotte kann einen Planeten für euch finden – wenn ihr das wollt. Oder wir können euch in einem geeigneten System in eine permanente Umlaufbahn führen. Aber egal, wie Sie sich entscheiden, Ihre Isolation ist beendet. Die Kriegsgründe werden irrelevant sein. Captain Gomez, ich will Ihnen die beste Garantie überhaupt geben – nämlich Frieden.« »Mit Frieden haben wir keine Erfahrung, Captain Kirk. Wir kennen nur den Argwohn.« »Aber natürlich kennen Sie den Frieden aus Erfahrung«, konterte Kirk. »Als ich meinen Arzt schickte, gab ich Ihnen eine Demonstration des Vertrauens, das zwischen Völkern existieren kann. Ich habe ihn geschickt, ohne zu fragen. Sie haben ihn gebraucht. Die Mission der Sternenflotte ist nicht nur, neues Leben zu finden – sondern alles Leben, wo immer wir es finden, zu bewahren. Das steht in der Präambel unserer Satzung. Jedes Leben ist einzigartig. Deshalb ist jedes Leben heilig. Was nützt es, den Wanderer zu retten, wenn seine
Bewohner entschlossen sind, das Töten fortzusetzen? Unser Ziel ist, das Leben an Bord zu retten, nicht nur das Schiff.« Er machte eine Pause und starrte wütend das teilnahmslose Bild von Gomez an. Dieser blickte finster drein. Er sagte: »Captain Kirk – das sind alles schöne Worte. Aber ich weiß aus Erfahrung, daß niemand etwas gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Alles hat seinen Preis. Was ist der Preis, den Sie und Ihre Föderation schließlich von uns verlangen werden?« Kirk breitete die Hände aus. »Was können Sie der Föderation bieten? Diese Frage wird immer gestellt, wenn ein Schiff Kontakt zu einer neuen Zivilisation erhält. Manchmal ist die Antwort, daß die neue Zivilisation sehr wenig in Bezug auf Wissen oder Güter zu bieten hat. Manchmal muß man die Frage auch umkehren: Was kann die Föderation Ihnen bieten?« Kirk drehte sich plötzlich um. »Mr. Spock.« Spock sah Kirk mit erhobener Augenbraue an. »Es gibt eine vulkanische Geschichte, die alte Frau und das Kind – erzählen Sie sie bitte.« Spock sah im ersten Moment etwas verblüfft aus, begann dann aber leise mit der Geschichte: »Auf Vulkan gab es eine Frau, die viele Jahrhunderte alt war – sie hatte das Ende ihrer Jahre erreicht und beschloß, zu sterben. Einen Tag vor ihrem Tod ging sie hinaus in die Felder und begann, ein Stück Boden zum Bepflanzen vorzubereiten. Ein Kind, das auf seinem sehlat ritt, kam vorbei. Es hatte noch nicht gelernt, daß es sich nicht schickt, laut zu lachen. Das Kind sah, wie die Greisin arbeitete, und blieb stehen. Es fragte: ›Was tun Sie?‹ Die Greisin sagte: ›Ich pflanze eine Familie von Dalmbäumen.‹ Das Kind lachte lauthals, weil es ihm widersinnig erschien, daß eine Frau ihres Alters eine Familie von Dalmbäumen pflanzte. Jeder andere Vulkanier hätte das Kind wegen dieser
Zurschaustellung schlechter Manieren gerügt – nicht aber diese vulkanische Greisin, die weise war und wußte, daß Kinder sich nicht immer im klaren darüber sind, daß ihre Manieren zu wünschen übrig lassen. Deshalb fragte sie ganz ruhig: ›Warum lachst du, kleine Person?‹ Und das Kind antwortete: ›Wie lange wird es dauern, bis Ihre Dalmbäume Früchte tragen?‹ Und die alte Frau antwortete: ›Diese Bäume werden nicht vor hundertfünfzig Jahren Früchte tragen.‹ Das Kind sagte: ›Aber Sie planen doch, morgen zu sterben. Sie werden nicht mehr hier sein, um sich an den Früchten zu erfreuen. Ich lache über Ihre Dummheit. Vielleicht haben Sie zuviel Zeit mit Leuten von der Erde verbracht.« Kirk verdrehte die Augen zur Decke und beschloß, die Bemerkung zu ignorieren. Spock fuhr fort: »Die alte Frau arbeitete weiter. Sie grub den hartgebackenen Boden um, indem sie die Erde mit einem Werkzeug, das drei Zacken besaß, lockerte. Nach einer kurzen Weile sagte sie: ›Als ich noch ein kleines Kind war, nicht größer als du, kleine Person, gab es Dalmfeigen zu essen. Eines Tages fragte ich meinen Vater, woher diese Dalmfeigen gekommen waren. Er sagte mir, daß vor zweihundert Jahren eine meiner Vorfahrinnen so aufmerksam war, einen Tag vor ihrem Tod eine Familie von Dalmbäumen zu pflanzen, damit ich in den Genuß ihrer Früchte käme. Er sagte mir, das wäre ein Geschenk an mich gewesen, obwohl sie mich nie kennen und ich auch sie nur als Geschichte kennenlernen würde. Jede Generation sorgt für die nächste, kleine Person. Niemals kann ich das Geschenk, das mir meine Vorfahrin gab, zurückzahlen – sei es so etwas Einfaches wie eine Schale Dalmfeigen oder etwas so Vornehmes wie das gesamte vulkanische Wissen – es sei denn, ich gebe es an die, die mir folgen werden, weiter. Das ist mein Geschenk an sie. Eines Tages wirst du hier
vorbeikommen und diese Dalmfeigen kosten, und dann wirst du dich an die alte Frau, die sie pflanzte, erinnern – und du wirst für meinen Weitblick dankbar sein. Eines Tages wirst du deine eigenen Dalmbäume pflanzen. Obwohl du nicht mehr in den Genuß ihrer Früchte kommen wirst. Unlogisch? Nein, mein Ururenkel, ich verhalte mich nicht unlogisch. Diejenigen, die nicht pflanzen, verhalten sich unlogisch, weil sie ihre Schuld nicht bezahlen. Wenn du von den Dalmfeigen ißt, mußt du auch pflanzen.‹ Das Kind dachte über das, was die Frau gesagt hatte, kurz nach. Dann stieg es vom Rücken seines sehlats und half der alten Frau beim Pflanzen.« Spock war fertig und sah Kirk an. Kirk lächelte. »Danke, Spock. Ihre Ururgroßmutter war eine sehr kluge Frau.« »Danke, Captain«, sagte Spock. Kirk drehte sich zum Bild von Gomez um. »Fangen Sie jetzt an, etwas von der Mission der Sternenflotte zu verstehen, Captain Gomez? – Als Vulkan der Föderation beitrat, wurde die Satzung der Sternenflotte geändert – die Frau in dieser Geschichte gehörte zum Personenkreis, der an der Neufassung mitarbeitete. Sie war es, die uns die Zukunft wies. Und das ist der Verdienst Vulkans für die Sternenflotte und die Föderation. Dieser Beitrag war wertvoller als alle anderen. Ich weiß nicht, was Ihr Volk der Föderation bieten kann – aber das wußten wir von Vulkan auch erst, nachdem sie der Föderation beigetreten waren.« Die Züge von Gomez waren weicher geworden. »Captain Kirk«, sagte er. »Wenn ich Ihnen vertraue und mich täusche, wird mein Volk meinen Namen über Generationen hinweg verfluchen.« An dieser Stelle lächelte er. »Nur, daß Sie mir sagen, daß, falls ich Ihnen nicht traue, es keine Generationen mehr geben wird. Wenn ich Ihnen schon glaube, dann muß ich Ihnen wohl auch trauen. Ich will es so sagen: Ich glaube Ihnen
– aber was Vertrauen angeht, so habe ich damit keine große Erfahrung. Es ist nicht gerade einfach, nicht wahr?« Er sah den Sternenschiffcaptain an. Ob er ihn wohl verstanden hatte? James T. Kirk lächelte sanft und sagte: »Nein, ganz bestimmt nicht.« Gomez nickte. »Aber wir müssen einen Anfang machen. Tun wir es.« Er trat vor, schien dann aber etwas verwirrt. »Ist verwirrend. Ich komme, um Ihre Hand zu schütteln, und Sie sind nicht hier. Wie besiegeln wir Vertrag?« »Ihr Wort reicht mir vollkommen.« »Und Ihres mir auch – aber trotzdem schüttle ich meine Hand für Sie.« Gomez grinste und gab sich selbst unter kräftigem Schütteln einen energischen Händedruck. Kirk grinste zurück und ahmte die Geste nach. »Dann mal an die Arbeit- ich brauche Specks hier, und ich will, daß die Pläne des Wanderers auf diesen Bildschirm gelegt werden. Wir müssen diesen Kontrollraum finden.«
35
Scotty brachte seinen ranghöchsten Technikerstab und eine Anzahl von Ersatzkonsolen mit. Als Specks damit begann, die Pläne des Wanderers von der Bibliothek auf die Schirme der einzelnen Konsolen zu legen, bemerkte er Kirks Überraschung. Er blickte kaum hoch, als er sagte: »Sie sagten doch immer, daß Sie eine vollständige Schiffsbibliothek haben wollten, Sir.« »Ich weiß…«, antwortete Kirk. »Aber – « Statt den Satz zu beenden, zuckte er nur mit den Achseln. Dann drehte er sich zu Mr. Spock um. »Ich frage mich, was wir sonst noch in dieser Biblio thek haben, wovon wir nichts wissen.« Spock war ungerührt. »Captain, das gesamte Wissen, das in den Tanks dieses Schiffs gespeichert ist, ist so groß, daß selbst der Index zum Index zum Index die Kapazität des menschlichen Gehirns übersteigt.« »Oh«, sagte Kirk. »Weshalb ich an Bord dieses Schiffs bin.« »Oh«, sagte Kirk nochmals. »Danke, Mr. Spock.« »Keine Ursache.« Kirk wandte sich an seinen Chefingenieur. »Haben Sie schon was, Mr. Scott?« »Aye, und zwar nichts Gutes. Wir können nicht einfach hineinplatzen, Captain. Wir müßten uns jeden Zentimeter vorkämpfen, und sie sind oben. Natürlich würden wir es schaffen, aber es könnte Wochen dauern.« »Solange haben wir nicht Zeit.« »Aye, das weiß ich. Deshalb habe ich nach einer alternativen Route gesucht. Ich denke, wir könnten einen Trupp Männer in
diesen Luftschächten da und da hochschicken. Das verdoppelt unsere Chancen, daß eine der Gruppen durchkommt.« »Das sieht gut aus, aber ich möchte, daß Sie Ihren Plan nochmals mit Captain Gomez durchgehen. Er kennt das Gebiet besser als wir. Versetzen Sie die Landetrupps auf Bereitschaftsstufe Grün, aber sie sollen vorsorglich in Alarmbereitschaft bleiben.« »Aye, Sir.« Kirk wandte sich wieder an Spock. »Wir sind im Begriff, zwei verschiedenen Kulturen einen massiven Kulturschock zu verabreichen. Ich möchte, daß unsere Operation abgesichert wird und wir so schnell wie möglich die Kontrolle übernehmen, bevor sie eine Chance haben, überhaupt zu reagieren. Ich sage es ungern, weil es so verdammt abgebrüht klingt – aber falls wir zu den Leuten auf den oberen Decks vordringen, müssen wir sie vorher völlig demoralisieren. Die Möglichkeit einer Massenhysterie besteht sowieso, egal, was wir tun. Dieses Schiff ist ökologisch gesehen äußerst zerbrechlich – und wenn sie in Panik geraten, aktivieren sie vielleicht ihr ureigenstes Äquivalent einer ›Weltuntergangswaffe‹ und vernichten damit nicht nur sich selbst, sondern reißen uns alle mit ins Verderben.« Spock nickte. »Sie fangen an, wie ein Vulkanier zu denken, Captain. Mein Kompliment.« Kirk sah ihn von der Seite an. »Danke, Mr. Spock. Irgendwelche Vorschläge, die Sie gerne machen würden?« Spock blickte nachdenklich drein. »Wir sollten die Einführung eines Phänomens in Betracht ziehen, das den Bewohnern des Wanderers so unbekannt ist, daß sie durch seine bloße Erscheinung gelähmt sein werden. Krieger können nicht gegen etwas kämpfen, das sie nicht verstehen.«
»Hm«, sagte Kirk. Er ließ sich die Idee durch den Kopf gehen, dann sagte er zu Uhura: »Rufen Sie Kevin Riley und Katwen.« Sobald sie da waren, nahm Kirk sie zur Seite. »Katwen, sehen Sie mal – das hier ist zu einer Einsatzzentrale geworden. Wir planen gerade eine Invasion der oberen Decks. Wenn wir das Schiff retten wollen, müssen wir den Kontrollraum des Wanderers erobern. Wir haben nicht mehr die Zeit, mit Captain Frost Kontakt aufzunehmen. Aber wir wollen die Bewohner der oberen Decks weder unnötig schockieren noch ihnen Schaden zufügen. Unser Plan ist daher, Ihr Volk so zu überraschen, daß es vor Erstaunen wie gelähmt sein wird und es zu keinen Kampfhandlungen kommt. Verstehen Sie?« Katwen sah verwirrt und bestürzt aus, aber sie nickte. »Ich verstehe.« »Wir haben da einige… ah, Geräte. Sie schweben in der Luft und erzeugen um sich herum große, dreidimensionale Bilder. Wir können Elefanten oder Drachen oder andere Geschöpfe als wirklich erscheinen lassen. Diese Vorrichtungen benutzen wir für Umzüge – « »Umzüge?« »Karnevalsumzüge. Festlichkeiten.« »Oh.« » – und es scheint mir, daß Sie und Riley vielleicht diese Geräte für uns programmieren könnten. Sie liefern eine Beschreibung der Wesen, die in Geschichten Ihres Volkes auftauchen – vor allem in Kindergeschichten – « »Oh, Sie meinen, wie Herumtreiber, Straßenköter und Brummbären?« »Herumtreiber, Straßenköter und Brummbären? Ja, genau. Riley soll diese Tiere zum Leben erwecken. Sie brauchen gar nicht furchterregend auszusehen – genauer gesagt, es ist wahrscheinlich besser, wenn das Gegenteil der Fall ist. Sie
sollen nur recht groß sein und möglichst albern aussehen. Und unbeholfen wie ein Korb voller Welpen sein. Gestalten Sie sie so, daß die Leute, die sie sehen, lauthals lachen müssen.« »Captain Kirk, das wird helfen, Leben zu retten?« »Das hoffe ich sehr, Katwen.« »Dann werde ich es tun. Ich werde Ihnen viele Herumtreiber, Straßenköter und Brummbären machen.« »Gut. Holen Sie mich, wenn Sie die ersten fertiggestellt haben. Ich möchte doch zu gerne wissen, wie diese Herumtreiber und Straßenköter aussehen.« »Und Brummbären!« »Ja, und die Brummbären natürlich.« Während sie hinausgingen, merkte Kirk, daß ihm Spock einen merkwürdigen Blick zuwarf. »Herumtreiber und Straßenköter und Brummbären?« fragte Spock. »Stimmt etwas nicht, Mr. Spock?« »Nun ja, es ist nur etwas ungewöhnlich, wenn der Captain eines Sternenschiffs Herumtreiber, Straßenköter und Brummbären zur Lösung eines Problems heranzieht.« »Vor allem die Brummbären, Mr. Spock.« Spock hob eine Augenbraue. »Captain, vielleicht haben Sie gerade die erste logische Anwendung der Unlogik entdeckt.« Kirk warf seinem Ersten Offizier einen forschenden Blick zu. »Das verursacht Ihnen Kopfweh, nicht wahr?« »Nein, lediglich Gehirnschmerzen.«
36
Mit jeder weiteren Sekunde bewegten sich die beiden Schiffe auf einen katastrophalen Treffpunkt zu, an dem die Gesetze der Physik bis zur Unverständlichkeit verzerrt wurden. Das große Schiff war finster. Majestätisch drehte sich der gigantische Zylinder in der Nacht. Neben dieser Stadt im Himmel nahm sich die Enterprise wie ein Zwerg aus, aber dafür war sie hell erleuchtet. In periodischen Abständen erschien auf ihrer Hülle ein neuer Lichtpunkt, der seinerseits auf der Oberfläche des Wanderers einen neuen Lichtfleck erzeugte. Auf der Brücke der Enterprise vergewisserte sich Captain James Tiberius Kirk noch einmal, daß der Plan durchführbar war. Das geschah jedesmal dann, wenn er Mitglieder seiner Besatzung in eine lebensbedrohliche Situation schicken mußte. Und jedesmal zögerte er – und fragte sich dabei immer wieder, ob das Risiko auch wirklich absolut notwendig war. Das war der wichtigste Teil seines Jobs als Captain eines Sternenflottenschiffs – wenn es um menschliches Leben ging, mußte er j die richtige Entscheidung treffen. »Tiberius«, sagte er zu sich selbst so leise, daß sich dabei seine Lippen kaum bewegten. Sein vorsätzliches Mitgefühl meldete sich in seinem Kopf. Ja, das Risiko war notwendig. Das war es immer, sonst würde er nicht zögern und sich fragen, ob dem wirklich so war. Er drückte auf die Knöpfe an seiner Armlehne. »Scotty, sind Sie bereit?«
»Aye, Captain. Alle Geräte befinden sich am richtigen Platz und in Bereitschaft. Und zwei Dutzend von Rileys Kobolden warten auf ihren Einsatz.« »Gut.« Kirk berührte einen anderen Knopf. »Alle Einheiten! Stufe Gelb. Für Stufe Rot bereithalten. Auf mein Signal gehen wir vor.« Er stand auf. »Mr. Spock?« Sein Erster Offizier stand neben ihm auf. »Wir befinden uns bei Landetrupp Zwei. Wenn Ihr Zeitplan korrekt ist, müßten wir den Kontrollraum zum gleichen Zeitpunkt betreten, zu dem Scotty das erste dieser Fusionsaggregate ans Netz anschließt.« »Wenn der Plan funktioniert, wird auch der Zeitplan korrekt sein.« »Richtig.« Kirk drehte sich zu Uhura um. »Irgendwelche Spuren von diesen Klingonen?« »Nein, Sir. Alle Sensoren waren in den letzten einunddreißig Stunden still. Direkt vor uns ist zwar ein toter Winkel – wegen des Einflusses von Polos Bolos –, aber ein Schiff, das sich dort versteckt, hätte andere Probleme, als nur mit uns Fangen zu spielen.« Kirk grinste. »Gut.« Er nickte ihr zu. »Sie sind in der Hierarchie an vierter Stelle, Sie übernehmen das Kommando. Passen Sie auf mein Schiff auf, Uhura.« »Aye, aye, Sir.« Sie steckte den Feinbergermonitor aus und nahm im Kommandosessel Platz. Kirk und Spock betraten den Turbolift. »HaupttransporterRaum«, sagte Kirk und hielt sich am Wandgriff fest. Der Aufzug bewegte sich nach unten. Kirk warf Spock einen Blick zu. »Diesmal komme ich endlich an Bord des Wanderers. Denken Sie nur, Spock – ein Stück lebendiger Geschichte. Eine der ersten Städte, die im Raum gebaut wurden. Und noch dazu vor dem Zeitalter der interstellaren Raumfahrt.« Er wollte noch hinzufügen: »Ist das nicht auch für Sie ein
atemberaubendes Gefühl?« Aber dann fiel ihm ein, mit wem er gerade sprach, und er sagte nichts. Spock konnte sich jedoch einen Kommentar nicht verkneifen. Er sagte: »Ich glaube, Sie wollten gerade eine emotionale Erklärung abgeben, Captain. Oder etwa nicht? Ich frage mich oft, warum Menschen in bedeutenden Momenten das Bedürfnis haben, diese Erfahrung in emotionale Ausdrücke zu fassen.« »Ah, aber das ist es doch gerade, Spock. Wir fühlen das Bedürfnis. Vielleicht, weil uns das dabei hilft, die Erfahrung besser aufzunehmen und zu verstehen. Haben Sie schon jemals daran gedacht, Spock, daß es vielleicht einen sehr logischen Grund dafür gibt, warum Menschen Emotionen haben?« »Nein«, sagte Spock. »Das habe ich nicht.« Sein Gesicht drückte die übliche Ungerührtheit aus. »Vielleicht sollten Sie das mal. Ah, da wären wir.« Der Aufzug blieb stehen, und Kirk, der einen momentan etwas verblüfften Spock hinter sich ließ, trat hinaus. »Eine interessante Frage«, sagte Spock hinter seinem Rücken. »Und zudem bemerkenswert, wenn man bedenkt, von wem sie stammt.« Er folgte ihm mit nachdenklicher Miene. Sie betraten den Transporterraum gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die letzte Sechsergruppe auf der Transporter-Plattform auflöste. Eine Anzahl von Transporter-Koordinationsmodulen waren auf den Wanderer hinübergebeamt worden, und die Männer von Gomez hatten sie zu den Standorten gebracht, die Scotty für sie auf einer Hauptkarte des Schiffs ausgewählt hatte – wegen der spiralförmigen Anordnung der Schiffsdecks war es möglich, die gesamte Welt entweder als eine Anzahl von Querschnitten oder als einen einzigen langen Streifen zu kartographieren. Waren die Koordinationsmodule einmal
aufgestellt, war es möglich, die Trupps zu Schlüsselpositionen innerhalb des Schiffsrumpfs des Wanderers zu beamen. Kirk und Spock stiegen auf die Transporter-Plattform. Sie nickten dem Transporterchef zu. »Energie, Mr. Kyle.« Die Welt um sie herum fing zu flimmern an, und sie befanden sich an Bord des Wanderers.
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Riley, Stokely und Omara erwarteten sie bereits zusammen mit drei anderen Sicherheitsleuten. Kirk begrüßte sie mit einem Kopfnicken, zog den Kommunikator heraus und schnipste ihn auf. »Scotty, wir befinden uns an Bord des Wanderers. Wie ist Ihre Lage?« »Wir haben die beiden ersten Fusionsaggregate geöffnet – aye, es sind wirklich schöne Maschinen, Captain – aber die Zündlaser wurden schon vor langer Zeit zerstört. Und wir haben nicht die nötige Ausrüstung für eine Rekonstruktion dieser Art.« »Scotty – irgendwas müssen Sie doch tun können!« »Aye, das hoffe ich. Ich habe da eine Idee, die gerade vom Computer berechnet wird. Wenn es uns gelingt, eine Phaserkanone mittleren Energieniveaus zu rekalibrieren – und sie in dieses Gestell zu zwängen –, können wir die Zündung vielleicht auf diesem Weg auslösen. Das zusätzliche Problem besteht nur darin, daß ich erst dann, wenn die Planstudie abgeschlossen ist, wissen werde, ob es möglich ist.« »Wie lange meinen Sie, wird das dauern?« »Das kann man nicht sagen, Captain. Aber ich habe die Jungs schon dementsprechend ausgerüstet, damit sie bereit sind, wenn die Nachricht hereinkommt.« »Gut so. Bleiben Sie dran. Kirk Ende.« Kirk wechselte auf einen neuen Kanal. »An alle Einheiten. Alarmstufe Rot. Ich wiederhole, Alarmstufe Rot. Volle Alarmbereitschaft. Fertig zum Einsatz.« Er drehte sich zu Riley um. »Sind Sie soweit?« »Ja, Sir.« »Dann wollen wir mal sehen, was Sie zu bieten haben.«
Riley grinste. »Jawohl, Sir!« Einem Koffer, der am Boden stand, entnahm er eine glänzende Kugel und aktivierte sie. Sie entschwebte seinen Händen, während sich ein Lichtschein um sie herum formte. Dieser schwoll an und wurde immer größer. Ein schrilles Summen ertönte. Je mehr sich jedoch das Lichtfeld ausdehnte und Gestalt und Form annahm, desto tiefer wurde der Ton. Ein sechsbeiniges Etwas blies sich wie ein Ballon auf. Es war rosafarben und purpurrot – nein, grün und orangefarben – nein, blau und grün – Kirk schauderte und sah weg. »So albern ist das gar nicht, oder, Spock?« »Gar nicht so albern? Woher soll ich das wissen?« Die Tonhöhe des Summens hatte sich in ein fast unangenehmes tiefes Knurren verwandelt. Der große Kopf des Ballonwesens schwenkte herum, um Kirk zu betrachten. Sein langer, salamiartiger Schwanz peitschte in die andere Richtung und schlug lautstark gegen die Wand. Der Herumtreiber blinzelte mit großen, feuchten Augen und sagte: »Coeurl?« Seine Stimme war erstaunlich flüssig und fast feminin. »Coeurl? Coeurl?« »Das ist also ein Herumtreiber?« »Das ist ein Herumtreiber.« Riley ging auf die Illusion zu und sagte: »Befehl: Herumtreiben! Aktivieren.« »Coeurl«, sagte der Herumtreiber, nickte und liebkoste Riley feucht, dann drehte er sich um und trappte den Korridor hinab. »Coeurl? Coeurl?« rief er, als er in der Dunkelheit verschwand. Der Ruf des Herumtreibers war noch einige Zeit zu vernehmen, dann wurde er von der Entfernung geschluckt. Kirk sah Riley an. »Gute Arbeit, Leutnant. Eh – wohin geht er jetzt?« »Oh, er wird seinen Weg zu den oberen Decks selbst finden. Alle Spielzeuge wurden mit einer Karte des Wanderers
programmiert. Sie gehen die Müllrutschen hinauf, weil das der schnellste Weg ist – und einige von ihnen nehmen das gleiche Loch, durch das Captain Frost Katwen und mich hinunterwarf. Wenn wir sie jetzt loslassen, sind die ersten in zehn Minuten dort.« »Richtig. Also los.« »Ja, Sir!« Riley grinste. »Mit Vergnügen.« Er winkte den anderen. Sie begannen, den Rest der glänzenden Kugeln aus der Schachtel herauszunehmen und sie zu aktivieren. Der Korridor füllte sich mit Herumtreibern. Und Straßenkötern. Und Bären. »Chartreusefarbene Bären?« fragte Kirk. »Und lavendelfarbige. Wir haben lauter verschiedene Farben. Huch! Sehen Sie sich mal den an – « Das war eine sich windende, purpurrote Python. Nebenbei hatte sie auch noch spiralförmige Streifen mit blauen Rändern. »Meinen Sie nicht, Sie haben sich etwas zu sehr gehen lassen, Riley?« »O nein, Sir, überhaupt nicht.« »Oh. Gut.« Riley sah vorübergehend etwas verblüfft drein. »Sie meinen doch nicht etwa, ich hätte übertrieben, Sir?« »Äh«, sagte Kirk hinter vorgehaltener Faust. Sein Gesicht blieb unbewegt. »Nein, nein, natürlich nicht. Die Idee ist – eh – die Leute von den oberen Decks zu verunsichern. Das erreichen wir hiermit ganz bestimmt. Meinen Sie nicht auch, Mr. Spock?« »Zweifellos.« Kurze Zeit darauf waren die letzten der Herumtreiber, Straßenköter, Brummbären, Boas und Bandersnatchi den Korridor hinausgestampft und -galoscht, -geplappert und gegluckt, -gekrallt und -geschlittert, und in den unteren Decks war wieder Ruhe eingekehrt.
»War’s das?« Kirk holte tief Luft. »Ja, Sir.« »Gut. Gehen wir!« Über eine Zugangsröhre fuhren sie nach oben. Ein vertikales Förderband, das mit Hand- und Fußgriffen besetzt war, lief die Röhre entlang hoch. Der Landetrupp hatte seine eigenen Energiepackungen an den altertümlichen Induktionsmotoren angeschlossen. Die Maschine quietschte und kreischte und schlug auch gelegentlich Funken, aber das Band lief hoch. Das obere Ende des Schachts war versiegelt. »Können wir es durchschneiden?« Spock tastete die stumpfe, graue Oberfläche mit dem Tricorder ab. »Wir können hindurchschneiden«, sagte er. »Aber das würde Wochen dauern. Der Schacht wurde mit ein paar Hundert Metern Schaumbeton verplombt.« »Großartig«, sagte Kirk. »Spock? Sie haben die Karte. Gibt es noch einen anderen Schacht?« Spock schüttelte den Kopf. »Ich schlage vor, wir umgehen ihn. Wenn wir diesen Tunnel nehmen, erreichen wir einen Zugangsschacht, der uns bis hinauf zum Kern bringt. Captain Gomez bestätigt das. Wir können uns im Kernbereich nach vorne bewegen und von der Zentralachse zu den oberen Decks hinuntersteigen.« Enttäuscht runzelte Kirk die Stirn. Er schnipste seinen Kommunikator auf. »Scotty, Lagebericht.« »Aye, Captain – so ein Schlamassel. Wir können es schaffen, aber es wird Stunden dauern. Vielleicht Tage.« »In Ordnung, machen Sie weiter.« Er wechselte den Kanal und kontaktierte die beiden anderen Landetrupps, die ebenfalls versuchten, die oberen Decks zu erreichen. Sie hatten das gleiche Problem. Ihre Zugangsschächte waren ebenfalls verplombt worden.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Riley – Ihre Spielzeuge! Sie halten sie besser zurück. Sie sollen doch erst kurz bevor wir durchbrechen auf den Plan treten.« »Ja, Sir.« Riley schnipste seinen eigenen Kommunikator auf und gab ein kodiertes Signal durch. »Das läuft nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe«, sagte Kirk. »Spock, Sie und ich beamen uns zurück. Die Trupps sollen weitermachen. Solange sich der Transporter auf jeden ausgegebenen Kommunikator einstellen läßt, können wir uns jederzeit dem Trupp mit den meisten Chancen anschließen. Riley, Sie bringen Ihre Leute nach achtern und versuchen es mit dem dortigen Schacht. Benachrichtigen Sie mich, wenn Sie oben sind.« Er schnipste seinen Kommunikator auf. »Enterprise. Beamen Sie zwei Personen hinüber.«
38
Auf die Brücke zurückgekehrt, verlangte Kirk Lageberichte sämtlicher Abteilungsleiter. Die Situation war unverändert – in allen Ressorts festgefahren. Kirk kontaktierte McCoy. »Pille, wie sieht es mit dem Gesundheitszustand der Leute aus?« Das Gesicht des Arztes blickte bitter vom großen Schirm herunter. »Schrecklich ist das hier, Jim. Eine ganze Bevölkerung leidet unter den Langzeiteffekten schlechter Ernährung. Für die Kinder ist es am schlimmsten, Jim. Mit ein wenig Hühnerbrühe ist da nichts zu machen. Wir benötigen ein gutes und zukunftsorientiertes Rehabilitationsprogramm. Dieses Mädchen, Katwen, ist für die Kleinen fürwahr ein Geschenk Gottes.« »Brauchst du irgendetwas?« McCoy schüttelte den Kopf. »Wir haben genügend Nachschub. Und alle sind sehr hilfsbereit. Wir haben es hier nicht mit einem Pöbel zu tun. Diese Leute können zupacken. Aber am meisten macht mir der Kulturschock Sorgen. Für sie sind wir- so eine Art Zauberer.« »Fremde Wesen einer anderen Welt?« riet Kirk. McCoy nickte ob des gelungenen Vergleichs. »Zunächst sind sie etwas eingeschüchtert. Das ist die erste Phase. In der dritten Phase fangen sie an, uns unsere Technologie und die Möglichkeiten, die sie uns gibt, übelzunehmen. In Phase Fünf werden sie ungeduldig, reagieren heftig und werden möglicherweise gewalttätig.« »Ich glaube, bis dahin vergeht noch etwas Zeit, Pille.« »Stimmt, Jim. Aber du solltest verstehen, daß es ein Gefühl des Unbehagens erzeugt, wenn man sich einer anderen Gruppe
völlig ausliefert – selbst wenn es letztendlich zum eigenen Vorteil ist.« »Ich verstehe die Situation.« »Du mußt langsam Erfolge nachweisen, Jim. Du hast Versprechungen gemacht, und sie erwarten Ergebnisse. Ich kann keine unmittelbaren Resultate erzielen. Die Behandlung einer Hungersnot dauert mindestens solange wie ihre Verbreitung. Deshalb hängt alles von dir ab.« »Wie immer«, stimmte ihm Kirk mißmutig zu. Er berührte die Armlehne. »Kirk Ende.« Er wirbelte zu seinem Kommunikationsoffizier herum. »Uhura – haben Sie eigentlich dieses Subraumsignal zu Rileys Tricorder gesandt?« »Ja, Sir, aber die Reaktionen waren unzusammenhängend widersprüchlich, und dann kam Riley zurück, weshalb es nicht mehr erforderlich war, weiterzumachen.« »Ich habe eine Idee, Uhura – wenn wir entweder diesen Tricorder oder diesen Kommunikator in Betrieb setzen könnten, könnten wir einen Trupp direkt hindurchbeamen. Können Sie daran arbeiten?« »Es könnte eine Zeitlang dauern- das Problem besteht nicht nur im Kodieren und Rekalibrieren, sondern da wären auch noch die Signalphase, die Sendeachse und die Tatsache, daß sich der Brennpunkt bewegt. Das alles kompliziert das Verfahren.« »Dann fangen Sie am besten sofort damit an«, sagte Kirk. »Oder meinen Sie nicht?« »Ja, Captain.« Sie drehte sich zu ihrer Konsole zurück und rief das Problem auf ihrer Tafel ab. Kirk saß einen Moment lang schweigend da. Geistesabwesend biß er sich auf den Knöchel der rechten Hand. Plötzlich drückte er auf den Kommunikatorknopf der Armlehne. »Scotty? Eine Frage.«
»Aye, Captain?« »Wir haben doch immer noch ein Transportermodul auf dieser Farm in den oberen Decks, oder? Wo Riley zum ersten Mal das Mädchen traf.« »Aye, richtig – oh, ich verstehe. Können wir unsere Landetrupps da hindurchbeamen?« »Ja, warum nicht? Alle anderen Möglichkeiten scheinen blockiert zu sein.« Zunächst kam aus dem Kommunikator nur Schweigen. Scotty dachte über das Problem nach. Schließlich sagte er: »Ich mache mir Sorgen wegen der Entfernung, Captain. Über die Zugangsschächte wären wir direkt beim Kontrollraum herausgekommen. Für jeglichen Widerstand wäre es dann zu spät gewesen. Wenn wir den Weg über die Farmen nehmen, müssen wir für jeden gewonnenen Meter bezahlen. Und es ist schließlich ihr Gebiet. Und obendrein befinden sie sich auf einer Anhöhe.« »Hm«, sagte Kirk. »Ich wußte, daß es ein Gegenargument gab.« »Aber«, fügte Scotty hinzu, »wenn es sein muß, ist es nicht unmöglich.« Kirk grunzte zustimmend. Er fragte: »Wie ist denn bei euch die Lage?« »Wir machen gewisse Fortschritte, Captain. Aber wir sind immer noch weit davon entfernt, wenigstens die erste dieser Schönheiten anschließen zu können. Die Männer von Gomez mögen zwar die besten Absichten gehabt haben, aber trotzdem befinden sie sich in einem schrecklichen Zustand. Es ist eine Schande, Captain, so gute Maschinen so verkommen zu lassen.« »Ich weiß, Mr. Scott – aber diese Leute hatten andere Dinge im Kopf. Kirk Ende.« Er gestattete sich ein mitfühlendes
Lächeln. Scottys Weitblick wurde manchmal… von seinen eigenen, spezifischen Sorgen getrübt. Kirk überdachte das Problem nochmals. Er drückte wieder auf einen Knopf. »Mr. Kyle, wie viele TransporterKoordinationsmodule haben Sie schon auf den Wanderer gebracht?« »Siebzehn Module befinden sich jetzt an Ort und Stelle. Und in den Händen unterschiedlichsten Enterprise-Personals befinden sich weitere dreiundvierzig Kommunikatoren und Tricorder.« »Ist es möglich«, fragte Kirk, »all diese verschiedenen Punkte zu einem Netz zu verknüpfen? Können wir auf Grund unserer Kenntnis der Baupläne des Wanderers eine Position innerhalb dieses Netzes vorausberechnen und eine Sonde hindurchbeamen, die, falls der Landeplatz lebensfähig ist, als Koordinator fungieren würde?« »Das’ klingt gut, Captain, und wir tüfteln schon seit einiger Zeit an diesem Problem herum. Mr. Spock schlug dasselbe bereits letzte Nacht vor, aber – « Kirk sah Spock leicht überrascht an; ungerührt erwiderte Spock den Blick, » – das Problem liegt darin, daß sich das Schiff um sich selbst dreht und zuviel Schwermetall im Rumpf enthält. So etwas neigt dazu, bestimmte Phasenbeziehungen innerhalb des Strahls durcheinanderzubringen. Selbst wenn wir einen präzisen Fixpunkt hätten, würde es das Fehlen eines Koordinators fast unmöglich machen, die Deltabeziehungen wieder zu vereinheitlichen, und das sind die primären Regler.« »Ich verstehe.« Kirk beendete das Gespräch. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf der Armlehne, Als der Kommunikator piepste, antwortete er fast automatisch. »Hier Kirk.« »Riley, Sir. Wir sind oben – und Sie werden es niemals glauben, was wir entdeckt haben!«
»Wir sind schon unterwegs – « Er war schon aus dem Sessel gesprungen. »Spock, gehen wir.«
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Zum Zeitpunkt, da Kirk und Spock hinüberbeamten, waren Riley und sein Team bereits durchgebrochen. Der Captain und sein Erster Offizier materialisierten in einem kleinen Raum vor einer sehr breiten, offenen Tür. Mit kleinen Sprüngen konnte Kirk feststellen, wie gering die simulierte Gravitation in der Nähe der Schiffsachse war. Die Seite hinter der Tür lag im Halbdunkel. Ein frischer Wind pfiff leise durch die Dunkelheit. »Hier«, sagte Riley und gab Kirk eine Brille. »Die werden Sie noch brauchen.« Kirk runzelte die Stirn und nahm sie in Empfang, setzte sie aber nicht auf. Dann trat er durch die offene Tür. Für einen Moment verlor er die Orientierung. Er stand auf dem Abhang eines Hügels unter einem sternen übersäten Himmel. Der Wind rüttelte an seinem Hemd. Spock gesellte sich still zu ihm. Sie lauschten in die Dunkelheit. Kirk blickte sich langsam um. Hinter ihnen war eine Lichtsilhouette, die Tür auf dem Hügel, durch die sie gekommen waren. Vor ihnen lag weit entfernt ein schwaches Glühen – es wurde von einer Hügelkette verdeckt. Kirk holte zweimal tief Luft. »Riechen Sie mal, Spock. Erde. Acker. Wasser. Regen. Und hören Sie – ist das ein Fluß?« »Klingt jedenfalls so.« Etwas heulte in weiter Ferne. Kirk fiel ein, daß er das Nachtsichtglas in der Hand hielt. Er hob es vor die Augen. Und schaute. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen scharf eingestellt hatten.
Und selbst dann hatte er Mühe, das Bild aufzulösen. Die perspektivischen Linien waren falsch – nein,, anders als die, an die er gewöhnt war. Anstatt sich gleichmäßig in die Ferne zu erstrecken, bogen sie sich nach oben. Sie befanden sich in einer gigantischen Höhle – – einer Welt des Halbdunkels – Die Umgebung war kreisförmig. Hügel, Berge, Flüsse, Bäume – Kirks Intellekt sagte ihm, daß er sich im Innern eines riesigen Zylinders befand, aber auf emotionaler Basis hatte er diese Realität noch nicht begriffen – bis jetzt. »Das ist ihre Wildnis«, flüsterte er. Er bot Spock das Nachtsichtglas an. Spock schüttelte den Kopf. »Ich brauche es nicht. Nicht nur eine Wildnis, Captain – ein Wildreservat, eine Farm, eine Erinnerung an Zuhause, ein Testlabor für neues Gelände, ein Erholungspark – und vielleicht sogar ein Zufluchtsort.« Kirk hielt das Glas nochmals vor die Augen. »Schauen Sie nur – da drüben – Berge. Und hinter dem Fluß, eine Wüste.« »Faszinierend«, bemerkte Spock. »Sie haben die verschiedensten Landschaften und Ökologien simuliert. Die Flüsse stellen natürliche Barrieren dar.« Er deutete darauf. »Sehen Sie, man kann diesen Nebenfluß bis weit in die Ferne verfolgen. Von hier aus scheint er durch drei verschiedene Gegenden hindurchzufließen. Wahrscheinlich gibt es noch mehrere Flächen auf der anderen Seite des Gebirges. Ich bin mir sicher, daß sie einen Teil dieses Kernraums benutzten, um die Landschaft jeder Welt, die sie zu kolonisieren beabsichtigten, zu simulieren, obwohl sein eigentlicher Zweck gewesen sein muß, einen funktionierenden Datenspeicher genetischen Materials zu bilden.« Einen Moment lang standen sie still da, dann fragte Spock nachdenklich: »Captain, riechen Sie etwas?«
Kirk schnupperte in die Luft. »Nein, warum? Sie etwa?« »Nein«, sagte Spock. »Und das ist ungewöhnlich. Normalerweise müßten wir Pflanzen aller Art riechen.« Er bückte sich, um das Haubengewächs am Boden zwischen ihren Füßen zu untersuchen. »Es ist ein Pilz.« Er nahm den Tricorder ab und las die Ergebnisse. »Ein Nachtschattengewächs. Es ernährt sich hauptsächlich von der Luftfeuchtigkeit. Stärkeres Licht würde es wahrscheinlich vernichten – « Er begriff und verstummte. Auch Kirk hatte begriffen. »Dies ist eine Wüste, Spock. Als die Lichter ausgingen, gingen sie in der gesamten Welt aus. Und die Welt starb.« Hier in der Dunkelheit konnte Kirk die Bitterkeit seiner Worte noch deutlicher spüren. »Das beantwortet die Frage nach dem Schicksal ihrer Farmen, Captain.« »Verschwinden wir von hier«, brummte Kirk. Er trat in den erleuchteten Raum zurück. Spock folgte ihm. Riley musterte gerade einen tragbaren Monitor. Als Kirk eintrat, sah er hoch. »Haben Sie dieses Glühen bemerkt, Sir? Wir haben einige Sonden hingeschickt, um die Ursache zu erkunden.« Er hielt Kirk den Monitor hin. »Es ist eine kleine Siedlung. Eine Farm. Die Lichter sind tragbare Geräte. Eine der anderen Sonden zeigt an, daß die Glühplatten an der Zentralachse fast völlig inaktiv sind. Die Lumen, die sie ausstrahlen, sind nicht stark genug, um vom Auge wahrgenommen zu werden.« Kirk nickte nachdenklich. »Schleusen Sie eine dieser Sonden ein, dann können wir sie als Transporterbrennpunkt benutzen. Wir beamen unseren Landetrupp nach vorne und dringen durch diese Siedlung ein. Sie werden kaum damit rechnen, daß wir von oben kommen – «
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Der Landetrupp materialisierte auf dem schattigen Abhang eines Hügels, von dem man ein kleines, helles Tal überblicken konnte. Die weiter unten gelegenen Böschungen waren in bunte Beete eingeteilt und von hohen Türmen umgeben, die für gleißende Lichtzusammenballungen sorgten. »Eine Oase des Lichts in dunkler Wildnis«, sinnierte Kirk. »Schaut zu verwundbar aus.« »Sie wird bestimmt gut verteidigt«, stimmte ihm Spock zu. »Wir sind wahrscheinlich nicht die ersten Invasoren, die versuchen, über diese Route einzudringen.« »Darin liegt das Problem. Die Stämme von den unteren Decks versuchten über Generationen hinweg, jede nur mögliche Route zu probieren. Und die Leute der oberen Decks hatten ebenso lange Zeit, jede nur mögliche Verteidigung zu entwickeln.« Stokely und Omara inspizierten die Anlage bereits. Die anderen Mitglieder des Trupps hatten damit begonnen, eine Schützenlinie zu bilden. Kirk berührte Rileys Ellbogen. »Bringen Sie Ihre Spielsachen in Stellung. Sobald wir einen Eingang finden, lassen Sie sie los.« »Ja, Sir.« Kirk überprüfte die Stellungen seines Trupps und gab den Leu ten das Signal zum Vorrücken. Dann sah er zu Spock. Der vulkanische Wissenschaftsoffizier hatte den Tricorder auf eine Langstreckenabtastung eingestellt. Er sah hoch. »Es scheint verlassen zu sein, Captain.« »Hoffen wir, daß es so bleibt.« Sie rutschten den grasbedeckten Abhang hinab. Das Gras auf den Hügeln war gelblich, da es sich sehr nahe an der einzigen
Lichtquelle des Kernraums befand. Die Grashalme waren breit und zerbrechlich. Die Fußstapfen der Besatzungsmitglieder schlugen regelrechte Wunden in den Gras wuchs. Am Fuß des Abhangs verlief ein schmaler Fluß. Träge wand er sich durch die Felder. »Scheint, als würden wir nasse Füße kriegen«, seufzte Kirk. Er gab seinen Truppen das Zeichen, hindurchzuwaten. Glücklicherweise war der Bach nur einige Meter breit. Riley kam als erster am anderen Ufer an. Er machte drei Schritte und plötzlich – – Lag er platt auf der Nase.
»Was zum –!?!! Jemand hat mir ein Bein gestellt.«
Vorsichtig näherten sich Kirk und Spock. Spock richtete den
Strahl seiner Taschenlampe auf den Boden. Ganz schwach war eine schimmernde, in der Luft hängende Linie zu erkennen. »Eine einfibrige Faser?« fragte Riley und rieb sich das schmerzende Schienbein. »Das ist unwahrscheinlich. Sonst hätte es Ihnen die Beine durchgeschnitten«, sagte Spock. »Allerdings glaube ich, daß Sie das Alarmsystem aktiviert haben, Leutnant.« Riley erhob sich schnell und zog seinen Phaser. »Richtig«, sagte Kirk. Er blickte nach hinten und vergewisserte sich, daß der Rest des Trupps aus dem Wasser gestiegen war. Spock richtete wegen der Männer seinen Lichtstrahl noch immer auf den Draht. Vorsichtig stiegen sie drüber. »Phaser auf Betäubung«, befahl Kirk. »Und paßt auf, wo ihr hintretet.« Sie durchquerten das Feld mit seinen niedrigen Reihen gelb blättriger Pflanzen. »Knollengewächse«, bemerkte Spock. »Sie enthalten ungemein viel Protein.« Er bückte sich, brach ein Blatt an einer der Pflanzen ab und roch daran. Dann probierte er es vorsichtig. »Die Blätter sind eßbar. Das hatte ich
vermutet. Bei einem derart begrenzten Anbaugebiet muß jeder Teil der Pflanze brauchbar sein.« Spock warf den Rest des Blatts zu Boden. Kirk grinste ihn an. »Wenn Sie Ihren Salat nicht aufessen, gibt es auch kein Dessert, Mr. Spock.« »Wie bitte, Captain?« »Schon gut. Was glauben Sie wohl, was für eine Anlage das da drüben sein könnte?« Spock spähte hinüber und richtete dann seinen Tricorder darauf. »Ich glaube, Captain, Sie haben gerade den Eingang zu den oberen Decks gefunden.« Plötzlich blieb Spock stehen – als hätte er etwas gehört. Langsam drehte er sich um und richtete seinen Kopf auf. »Spock, was ist das?« »Ich weiß nicht – « Etwas flackerte über ihnen – Erstaunt blickten sie nach oben. Glühwürmchen? Vom Berggipfel vor ihnen flogen helle Lichtpunkte auf sie zu. Kirk streckte die Hand nach Riley aus, der ihm automatisch das Nachtsichtglas gab. Spock richtete bereits seinen Tricorder auf die Punkte. Die Lichtpunkte waren jetzt nahe genug. Es^ah wie ein ganzer Schwarm aus – »Vögel?« fragte Riley. »Männer mit Flügeln –?« sagte Kirk. »Flugmaschinen. Das hätten wir uns bei der niedrigen Gravitation eigentlich denken können«, antwortete Spock. Und noch während sie sprachen fielen bereits die ersten Speere auf sie herab und bohrten sich zischend in den Boden. »Zerstreut euch!« schrie Kirk. Er feuerte seinen Phaser ab – und sein Ziel explodierte in einen orangefarbenen Feuerball.
»Was zum –? Spock?« »Die Flügel bestehen zum Teil aus Plastik. Es ist instabil. Etwas im Strahl entzündet es«, antwortete Spock. Die flammenden Trümmer fielen direkt vor ihnen schräg zu Boden. Die Schreie des Fliegers wurden vom Krachen des zusammenbrechenden Gestells übertönt. Unschlüssig stellte Kirk das Feuer ein. Er wollte diese Männer – oder Frauen – er konnte es nicht feststellen – nicht töten, sondern nur aufhalten. Die simulierte Gravitation war gering. Ein Sturz würde sie schlimmstenfalls verletzen, aber nicht töten. Aber in ihren Flügeln und Flugharnischen würden sie verbrennen. Aber die Speere fielen immer noch auf sie herab. Hinter ihm schrie einer der Männer vor Schmerz auf, als eines der Geschosse seinen Oberschenkel durchbohrte. »Sollen wir feuern?« schrie Riley. Drei der Flieger kamen im Sturzflug heran und warfen etwas ab, was wie Wasserballons aussah. Sie klatschten naß auf dem Boden auf. Wolken eines übelriechenden Gases stiegen auf. Kirk biß sich auf die Lippe, faßte einen Entschluß und feuerte kurz dreimal hintereinander. Die Flieger schrien auf, als sich ihre Flügel entzündeten: »Feuer einstellen!« befahl Kirk. Er stand mit zusammengekniffenen Augen auf und versuchte, trotz Gas und Rauch festzustellen, ob die anderen Flieger abdrehten. Sie taten ihm den Gefallen nicht. »Captain, das ist Gas – « Kirk hustete laut. »Das rieche ich auch, Spock – « Er stellte seinen Phaser auf Streufeuer ein und verbrannte die nächstliegende Wolke, anschließend zerstörte er mit dem normalen Strahl die Gasbombe selbst. Die anderen Mannschaftsmitglieder folgten seinem Beispiel.
»Captain – « Spock deutete mit dem Phaser in eine Richtung. »Schauen Sie – « Vom Berggipfel erhob sich bereits der nächste Schwarm. Kirk sagte etwas. Spock sah ihn erstaunt an. »Wir müssen den Rückzug antreten. Wir können nicht eindringen, ohne sie alle zu töten. Und dieser Preis wäre zu hoch. Es muß einen besseren Weg geben.« Und plötzlich gab es Licht. Nicht nur das Licht der Farmtürme, sondern eine Art Morgendämmerung – ein durchdringendes Glühen, das die Welt wie in einen Nebel einhüllte. Und es wurde heller. Es verwandelte sich in Tageslicht, hell und leuchtend – Die Flieger beendeten ihre Attacken und kreisten verwirrt über ihren Köpfen. Zwei von ihnen stießen zusammen und stürzten hilflos auf den Abhang des Hügels zu. Wegen der Rotation des Wanderers fielen sie seitwärts. Kirk schnipste seinen Kommunikator auf. »Scotty, was ist los?« »Wir haben soeben das erste der Fusionsaggregate wieder angeschlossen, Captain – allerdings mit einem unvorhersehbaren Energieverlust. Ich weiß nicht, wohin sie abfließt – « »Ich schon. Gerade gingen im Kernbereich die Lichter an.« Kirk blinzelte in das Glühen und war von dem Blick, der sich ihm bot, überwältigt. Die Welt krümmte sich in der Ferne. Der Horizont war ein weit entfernter Kreis. »Ich wollte Sie gerade rufen, Captain. Wer immer auch diese Fusionsaggregate abdrehte, der sabotierte auch das Kontrollnetz. Und überall auf dem Schiff gehen die Lichter an.« »Captain«, sagte Spock, »die Flieger ziehen sich zurück.« »Scotty, lassen Sie diese Lichter leuchten. Wenn Sie das können.«
»Aye, Captain. Das müssen wir. Wir basteln gerade einen Monitor hinein, damit wir unsere eigenen Kontrollen installieren können, aber das wird eine Weile dauern. Der Himmel weiß, welche Dämonen wir loslassen, wenn wir die anderen Aggregate ans Netz anschließen.« »Darüber brauchen Sie sich im Moment keine Gedanken zu machen. Arbeiten Sie einfach nur weiter.« Kirk stellte seinen Kommunikator auf eine andere Frequenz. »Enterprise, wir haben einen Verletzten. Bereiten Sie sich vor, ihn hochzubeamen. Und nehmen Sie die anderen Landetrupps auf und setzen Sie sie bei uns ab. Wir gehen rein.« Kirk klappte den Kommunikator zu. »Riley, aktivieren Sie Ihre Spielzeuge. Wir müssen soviel Verwirrung wie nur möglich anstiften.«
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Der Eingang zu den oberen Decks war täuschend einfach. Eine im Boden eingelassene Treppe führte zu einer versiegelten Tür. Die Tür war verschlossen. Natürlich. Kirk nickte Riley zu. Dieser stellte den Strahl seines Phasers so dünn wie eine Nadel ein und begann mit dem Durchschneiden. Nach einer Weile hörte er auf und sagte: »Sie ist ziemlich dick, Captain. Das kann noch dauern.« »Daran gewöhne ich mich langsam, Leutnant. Machen Sie weiter.« Kirk drehte sich zu Spock um. »Haben Sie schon gemerkt, daß, wann immer wir in diesem Schiff an eine Tür kommen, diese nicht nur verschlossen, versiegelt oder sonst irgendwie abgesichert ist. Und wenn sie sich dann endlich öffnet, werde ich weggerufen.« Spock nickte. »Der Zufall täuscht oft ein bestimmtes Muster vor, Captain.« »Trotzdem ist es frustrierend.« Kirk konzentrierte sich wieder auf Rileys Fortschritt. Der Leutnant war noch nicht einmal zur Hälfte durch. Kirk seufzte ungeduldig, dann fing er an, die Landschaft um sich herum zu betrachten. Sie war herrlich – und erschreckend zugleich. Weit über sich konnte er noch einen weiteren Fluß ausmachen, der sich durch eine ockerfarbene Wüste schlängelte. Außer den Grünflächen, die um das Farmgebiet herum lagen, bestand der Rest des Kernraums aus einem ernüchternden Blick auf gelbe Erde, schwarze Hügel und
braune Wüsten. Das einzige, was überlebt hatte, waren Flechten, Pilze und verwelktes Gras. »Das ist also ihr Paradies«, sagte Kirk traurig. »Das also haben sie den Rebellen der unteren Decks vorenthalten.« »Es war nötig, die Welt zu zerstören, um sie zu retten«, bemerkte Spock. »Wie bitte?« »Ein Zitat aus der Geschichte Ihrer Erde«, sagte Spock. Kirk war einen Augenblick lang still. Dann sagte er: »Menschliche Wesen hatten nicht so lange Zeit wie die Vulkanier, um… vernünftig denken zu lernen.« Nachdenklich bemerkte Spock: »Bei Ihnen bestand auch kein so großes Bedürfnis. Bedenken Sie doch, Captain – die vulkanische Kultur ist gezwungenermaßen rational, weil die vulkanische Rasse notorisch heißblütig ist. Sozusagen.« Kirk warf seinem Ersten Offizier einen Blick zu. »Ich habe mich oft gefragt, Spock, ob sich unsere beiden Rassen nicht vielleicht in völlig entgegengesetzte Richtungen entwickeln. Vulkanier neigen dazu, Emotionen unter Kontrolle zu halten – ja sogar zu unterdrücken. Menschliche Wesen versuchen dagegen zu lernen, wie sie statt dessen ihre Gefühle nutzen können. Nach menschlichen Maßstäben sind Vulkanier emotional zurückgeblieben.« »Ganz bestimmt, Captain. Und beide Verhaltensweisen sind durchaus gerechtfertigt. Mein eigenes – ah, Gefühl – « Spock wählte das Wort bewußt aus, » – sagt mir, daß man seine Emotionen erst beherrschen muß, bevor man sie nutzen kann.« Kirk akzeptierte Spocks Gegenargument bereitwillig. Im Augenblick hatte er nicht die richtige Antwort parat. Aber er behielt die Angelegenheit im Gedächtnis. Später würde ihm vielleicht etwas einfallen. Dann rief Riley: »Ich bin fast durch, Captain.« »Gut – «
Kirks Kommunikator piepste. Er schnallte ihn los, schnipste ihn auf und sagte: »Hier Kirk.« Es war McCoy. »Jim, wir haben ein Problem.« »Was gibt es, Pille?« »Es ist das Licht – in den unteren Decks ist überall das Licht an -und es ist zu intensiv für diese Leute. Sie haben ihr ganzes Leben in der Dunkelheit verbracht, und jetzt sind sie so paralysiert, als wären sie alle erblindet. Ihre Augen versagen bei dem intensiven Lichteinfall den Dienst.« »Kannst du etwas für sie tun, Pille?« »Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, was ich tun könnte. Gomez spricht bereits von Verrat, Jim – am besten kommst du sofort.« Hinter sich hörte Kirk Riley sagen: »Geschafft! Wir sind durch!« Kirk atmete auf. »Ich wußte es.« Dann sagte er zu McCoy: »Ich bin schon unterwegs.« Er wechselte die Frequenz des Kommunikators. »Enterprise. Transporterraum – «
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Das Büro von Gomez war mit Segeltuch drapiert worden. Trotzdem tauchte das grelle Licht der Glühplatten den Raum in ein diffuses, braunes Glühen. Der untersetzte, dunkelhaarige Mann sah wütend aus. »Ich bin ungeschützt, Kirk! Mein Volk kann sich nicht bewegen, weil es nichts sieht!« Kirk hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Er trat an eine der Wände und hob einen der Stoffetzen hoch. Der Schein der Glüh platte war sogar für ihn zu grell. »Ich verstehe.« Er schnipste den Kommunikator auf. »Scotty – gibt es eine Möglichkeit, das Licht in den unteren Decks auszuschalten?« Scottys Stimme klang verzweifelt. »Aye, die gibt es – aber wir haben sie noch nicht gefunden. Tut mir leid, Captain, aber wer immer hier oben am Netz herumgebastelt hat, hat gute Arbeit geleistet – « »Großartig.« Kirk klappte den Kommunikator wieder zu. Gomez trat vor und sah Kirk ins Gesicht. »Was werden Sie unternehmen?« »Das weiß ich noch nicht. Warten Sie, bis ich die Lage fertig eingeschätzt habe – « »Dazu haben wir keine Zeit. Zwei meiner Späher berichten, daß ein Überfallkommando der oberen Decks bereits gemerkt hat, daß sämtliche Lichter des Wanderers angegangen sind. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.« Kirk schnipste nochmals den Kommunikator auf. »Enterprise. Beamen Sie zwei Sicherheitstrupps zu den unteren Decks. Bewaffnen Sie sie mit Phasergewehren.« »Verstanden«, kam Uhuras Antwort.
Kirk klappte den Kommunikator zu und sah zu Gomez hinab. »Damit müßte Ihr dringendstes Problem eigentlich gelöst sein.« »Kirk, Sie verstehen nicht. Der Grund, warum wir hier in den unteren Decks solange überleben konnten, liegt darin, daß wir in fünf verschiedene Stämme unterteilt sind. Kein einziger Stamm weiß je, wo sich mehr als zwei der anderen aufhalten. Jeder Stamm wechselt nach drei Tagen den Standort. Der Kontakt untereinander wird durch Läufer, die man als Angehörige beider Stämme betrachtet, aufrechterhalten. Sie haben nicht genug Männer, um fünf Stämme zu schützen, oder? Nein – das dachte ich mir – und für uns gibt es keine Möglichkeit, die anderen Stämme über die Geschehnisse zu informieren. Jetzt sind alle von uns ungeschützt.« Kirk überlegte kurz. »Aber sie haben noch keine Angriffstrupps heruntergeschickt, oder? Können Sie Späher aufstellen? Wir können Männer an jeden Punkt, wo ein Überfallkommando auftaucht, entsenden, um sie zu stoppen.« »Das hilft nichts, Kirk. Ihre Männer können überall auftauchen. Sie befinden sich direkt über uns. Verstehen Sie denn nicht – wo immer wir auch sind, sie sind immer über uns. Sie brauchen lediglich eine der Luken zu öffnen und können direkt herunterkommen!« Kirk wandte sich ab, um nachzudenken. Er bemerkte, wie McCoy ihn mit großen Augen und einem sorgenvollen^ Gesicht anstarrte. Und Chapel. Und wer war das -? Oh, Specks, der Historiker. Er polierte nachdenklich seine Augengläser. Katwen stand steif neben ihm. Eine Idee formte sich in Kirks Kopf. Sein Kommunikator piepste. »Also was jetzt –?« Er schnipste ihn auf. »Hier Kirk.« »Hallo – hallo – mache ich das richtig?« Eine unbekannte Stimme kam aus dem Lautsprecher.
»Das ist Dr. Hobie!« sagte Katwen. »Er ist Vorsitzender von Wissenschaftsrat des Captains! Auf oberen Decks!« »Er muß Rileys Kommunikator haben«, sagte Kirk. Er öffnete den Kanal. »Hallo – können Sie mich hören? Dr. Hobie? Hier spricht Captain James T. Kirk vom Sternenschiff Enterprise.« »Hallo – hören Sie – ist nicht viel Zeit – Captain Frost hat entdeckt, daß es in den unteren Decks wieder Licht gibt. Nennt es Wunder. Ruft heiligen Krieg aus. Ist Chance, Teufel der Hölle auszulöschen.« »Dr. Hobie – hören Sie – können Sie diesen Kanal geöffnet lassen?« »Eh – nein – sie marschieren gerade auf. Jeder, der eine Waffe tragen kann, wird bewaffnet. Wenn sie mich finden – « »Also gut – passen Sie auf. Da ist ein roter Knopf. Drücken Sie darauf, bitte. Das schaltet den automatischen Transponder ein – tun Sie das – Dr. Hobie?« Es kam keine Antwort. Kirk wechselte schnell den Kanal. »Uhura – haben Sie mitgehört?« »Ja, Sir – und noch während er dran war, habe ich den automatischen Transponder von hier aus aktiviert. Jetzt haben wir einen Brennpunkt, Captain. Und der ist ziemlich nahe an der Stelle, wo wir den Kontrollraum vermuten.« »Uhura, ich könnte Sie küssen!« »Captain!« »Eh – im übertragenen Sinn – natürlich.« »Natürlich«, sagte sie, aber aus ihrer Stimme klang Enttäuschung. Gomez packte plötzlich Kirk am Arm. »Was machen Sie eigentlich? Er sagte, die Truppen sammeln sich bereits zum Angriff! Sie könnten innerhalb von Minuten hier sein!«
»Einen Augenblick, Captain – « Kirk befreite seinen Arm und wechselte nochmals den Kanal. »Scotty – Sie können die Lichter nicht ausschalten, oder?« »Nein, Captain. Es geht nicht.« »Können Sie die Lichtintensität verstärken?« »Warum wollen Sie denn das?« »Können Sie es oder nicht, Scotty?« »Aye – indem ich die Leistung dieses Aggregats erhöhe – das wäre einfach. Die Lichtabgabe der Glühplatten ist fast unbegrenzt – bis zu ihrem Schmelzpunkt, meine ich natürlich.« »Gut. Hören Sie zu – ich brauche eine Art SchutzbrillenFilter – für unsere Landetrupps – « »Oh, ich habe verstanden – eine großartige Idee, Captain. Ich kümmere mich sofort darum.« »Sie haben fünfzehn Minuten Zeit.« »Es wird nicht mal halb so lange dauern – « Und weg war er. Kirk wandte sich an Gomez. »Sammeln Sie Ihre Leute. Und zwar in einem Raum, wo die Glühplatten verdeckt sind. Sie sollen ihre Augen abschirmen. Wir geben Ihren Läufern Schutzbrillen, die sie über den Augen tragen können. Sie sollen die anderen Stämme warnen. Können Sie das tun?« »Was ist Ihr Plan?« »Sie haben gesehen, wie Ihre Leute auf zuviel Licht reagieren. Wir werden das Lichtniveau noch verstärken – so daß es sogar die Leute von den oberen Decks blendet! Also los jetzt – holen Sie Ihre Läufer!« Kirk öffnete nochmals den Kommunikator. »Enterprise, alle Landetrupps zurückholen und mit neuen Koordinaten losschicken. Uhura kennt den Brennpunkt. Eine Person sofort hinüberbeamen – Energie – «
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Schließlich – und endlich – fügten sich die Teile wie bei einem Puzzle zusammen. Kirk nahm von Scotty eine Schutzbrille in Empfang und betrat zusammen mit Riley, Stokely, Omara und Spock die Transporter-Plattform. Der zweite und der dritte Trupp standen im Korridor und warteten auf ihren Einsatz. »Sind Sie bereit, Scotty?« »Aye, Sir, das bin ich.« Scotty strahlte vor Stolz. »Dann mal los.« Scotty ging zur Transporterkonsole und leitete den Befehl an seine Mannschaft weiter. »Die Lichter werden immer heller, Sir.« Kirk sah Spock an. »Vielleicht komme ich diesmal ans Ziel.« Er drehte sich nach vorn. »Energie – « – und sie materialisierten in strahlendem Weiß. Hastig legte Kirk die Schutzbrille an. Sie befanden sich in irgendeineiner Kammer – ein Laboratorium? Macht nichts, es war egal. Rileys Kommunikator lag zusammen mit seinem Tricorder in einem glockenförmigen Gefäß auf dem Arbeitstisch. Der Handphaser war nicht dabei. Mit gezückten Phasern schwärmten sie in einem Kreis aus. Spock tastete die Umgebung mit dem Tricorder ab. Hinter ihnen materialisierte bereits der zweite Trupp. Sie schwärmten ebenfalls aus. Als der dritte Trupp hereingebeamt war, deutete Spock auf eine Doppeltür am Ende des Raums. »Hier lang, Captain.« Selbst durch die Schutzbrille sah alles weiß aus. Die Korridore waren weiß. Ihre Kleider waren weiß. Die Leute, die
an ihnen vorbeistolperten und sich die Hände vor die Augen hielten, waren totenbleich. Die Wände fühlten sich warm an. Und inmitten dieser allgegenwärtigen weißen Farbe trappte etwas Rotes, Purpur- und Orangefarbenes durch den Korridor auf sie zu. »Coeurl?« fragte es. »Coeurl? Coeurl?« Es blieb stehen, neigte den Kopf zur Seite, blinzelte, machte nochmals ›Coeurl‹, zuckte dann die Achseln, und, während seine sechs Beine wie festgewachsen am Boden blieben, drehte es Kopf und Schwanz im Uhrzeigersinn um den eigenen Körper und schaute in die andere Richtung. Und lief wieder den Gang zurück. »Wenn sie das nicht demoralisiert, Spock, dann fällt mir nichts mehr ein.« »Mich verwirrt es allemal, Captain.« Er deutete nach oben. »Wir gehen jetzt hier rauf.« Sie rannten eine lange, gekrümmte Rampe hinauf – und bremsten ab, weil sie plötzlich einer Schwadron von Zwanzig Kriegern der oberen Decks gegenüberstanden. Sie bewegten sich einer nach dem anderen an der Wand entlang und kamen langsam auf sie zu. Jeder der Männer hatte eine Hand vor den Augen und die andere an der Wand. Der vorderste sah sie – irgendwie – und begann, an seinem Gewehr herumzufummeln. Kirk wartete nicht ab, was er tun würde, sondern feuerte seinen Phaser ab. Nochmals. Nochmals. Und nochmals. Sämtliche Männer fielen betäubt zu Boden. »Tiberius«, sagte er. »Kommen Sie, Spock. Wohin jetzt?« Spock wies die Richtung. Sie gingen auf der gekrümmten Rampe weiter, bogen oben nach links ab, rannten durch eine verlassene Halle, einen engen Korridor, ein Observationstheater und – standen in einer Sackgasse. »Eh – Spock?«
»Tut mir leid, Captain, aber gemäß Specks’ Lageplänen müßte sich der Eingang zum Kontrollraum genau hier befinden.« Kirk seufzte. »Ich hätte es wissen müssen. Ein weiterer Ort, der mir den Zugang verweigert. Irgendwie muß der Eingang versiegelt worden sein.« »Oder getarnt«, meinte Spock. Kirk fing an, die Wand genauestens zu untersuchen. Sie war mit eng aneinanderliegenden, vertikalen Leisten verziert. Fugen waren nicht zu sehen. Stirnrunzelnd trat Kirk einen Schritt zurück. Er hob den Phaser, als wolle er ihn abfeuern, senkte die Waffe dann aber wieder. »Lieber nicht. Am Ende beschädige ich etwas, das wir vielleicht noch brauchen.« »Sehr intelligent, Captain.« »Danke, Spock.« Plötzlich bemerkte Kirk etwas – ein einzelner Treibballon kroch langsam am Fuß der Wand entlang. Noch während er hinsah, rollte er zur Seite. Kirk kam näher, hob den kleinen Ballon auf und legte ihn wieder an die gleiche Stelle. Wieder kroch er an der Wand entlang, angetrieben von den Luftströmen des Raums. Und wieder erreichte er dieselbe vertikale Leiste und sprang weg. Kirk preßte sein Gesicht an die Stelle. Er rümpfte die Nase. »Spock? Was denken Sie?« Spock preßte sein Gesicht an die gleiche Stelle. »Vielleicht ein Luftzug?« »Wahrscheinlich wurde die ursprüngliche Versiegelung beschädigt, als man die Tarnung anbrachte.« Sie traten zurück, und Kirk stellte seinen Phaser auf Nadelstrahl ein. Um sicher zielen zu können, hielt er ihn mit beiden Händen und zog schnell eine Linie an der Fuge entlang. Sie rauchte, schmolz und blätterte ab. Hinter der falschen Wand war der Umriß
einer zweiten Tür zu sehen. Kirk beeilte sich, den Rest der Tarnung wegzuschneiden. Sobald sie beseitigt war, kam Spock herbei und gab in die Schlösser ein Notfall-Überlagerungs-Programm ein. Kirk schnipste den Kommunikator auf. »Scotty, Sie können jetzt die Glühplatten herunterdrehen. Wir sind beim Kontrollraum. Wir müßten gleich in Sicherheit sein.« Er wartete auf die Bestätigung, dann drehte er sich zu den hinter ihm wartenden Besatzungsmitgliedern um. »Riley, Sie übernehmen hier das Kommando. Teilen Sie sich in drei Gruppen und blockieren Sie sämtliche Zugänge zu diesem Areal. Lassen Sie niemand durch, außer auf meinen oder Spocks ausdrücklichen Befehl.« »Ja, Sir.« Kirk öffnete nochmals den Kommunikator. »Enterprise, auf Herüberbeamen der Behelfsbrückenbesatzung vorbereiten.« Uhuras Stimme kam zurück. »Sie trainieren immer noch am Simulator.« »Egal. In zwei Minuten schicken wir sie auf das Original.« »Aye, aye, Sir!« Kirk trennte das Gespräch und drehte sich zu Spock um. »Wie kommen Sie voran?« Spock machte weiter, ohne hochzublicken. »Die Schalterkodierung scheint geändert worden zu sein. Das Überlagerungsprogramm funktioniert nicht.« Spock tastete die Schloßverkleidung nochmals mit dem Tricorder ab und runzelte kühl die Stirn. Er hob eine Augenbraue. »Die Logik verlangt nach einer Alternativlösung.« Er trat von der Tür zurück, schnallte den Phaser ab, justierte den Strahl und sprengte ein Loch in das Schwermetall. Kirk enthielt sich eines Kommentars.
Als die Tür, die an den Rändern immer noch rauchte, auseinanderfiel, sprang Kirk, gefolgt von Spock, Stokely und Omara, hindurch. Hier war die Lichtstärke normal. Sie nahmen die Schutzbrillen ab und blickten ehrfurchtsvoll um sich. Der Kontrollraum war riesengroß. Sie befanden sich in einem riesigen Saal, dessen Apparaturen hufeisenförmig im Zentrum angeordnet waren. Drei Reihen von Konsolen waren gegenüber einem Diorama von Bildschirmen angebracht. In der Mitte befand sich ein großer Drehstuhl. Und als er sich umdrehte, befanden sie sich Auge im Auge mit – »Captain Frost, nehme ich an?« »Sie sind also der Thronanwärter, Kirk?« Frost hielt Rileys fehlenden Handphaser direkt auf Kirks Bauch gerichtet. Kirk breitete die Hände aus und bemühte sich um ein freundliches Lächeln. »Das war ich, als ich hereinkam. Captain James Tiberius Kirk vom Sternenschiff Enterprise. Zu Ihren Diensten.« Er verbeugte sich höflich. »Wollen Sie bitte die Waffen fallen lassen –?« »Sie tun besser, was er sagt«, sagte eine neue Stimme. Kirk drehte sich um und sah – »Dr. Hobie?« »Captain Kirk – bitte lassen Sie die Waffe fallen.« Hobie hielt eine äußerst tödlich aussehende Waffe in der Hand, aber seine Stimme klang kleinlaut. Kirk zuckte die Achseln und ließ den Phaser auf den Teppich fallen. »Macht, wie er sagt«, rief er den Männern hinter sich zu. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Spock, als er den Tricorder zu Boden legte, den Transponder aktivierte. Auf diese Weise bekam Uhura auf der Brücke der Enterprise alles mit.
»Captain Frost – « begann Kirk. Er hielt die Hände nicht hoch, sondern hatte sie weit ausgebreitet. »Dieses Schiff befindet sich in ernster Gefahr.« »Ich bin hier der Captain. Und ich entscheide, wann das Schiff in Gefahr ist. Und meine Entscheidung ist, daß eine größere Gefahr von denen ausgeht, die sich Macht ohne Wissen anmaßen.« »Da kann ich Ihnen nur beipflichten«, sagte Spock. »Spock, bitte.« Kirk öffnete den Mund, um weiterzusprechen, aber Frost fiel ihm ins Wort. »Ich gehört Geschichte von Ihrem Kevin Riley. Brauche sie nicht nochmals hören. Komme hier herauf, um Kontrollschalter nachzusehen. Ich interessante Dinge gefunden – « Er deutete auf einen der Monitore. »Ist das Ihre Welt, Kirk?« Auf dem Bildschirm war die Enterprise zu sehen. »Ja, das ist mein Schiff.« »Ist sehr klein. Sieht albern aus. Schlecht konstruiert.« Kirk tauschte mit Spock einen Blick aus. Komischerweise mußte er an Scotty denken und war dankbar, daß sein ChefIngenieur diese letzte Bemerkung nicht hören konnte. Frost sagte: »Mein Wissenschaftsoffizier, Dr. Hobie, hat interessante Theorie. Schiff ist offenkundig kindliche Konstruktion. Erzählen Sie ihnen, Hobie.« Hobie schien sich in seiner Rolle nicht wohl zu fühlen, dennoch sagte er: »Ist meine Meinung, daß ein so – verhältnismäßig – kleines Schiff wahrscheinlich nicht über Mittel verfügt, eine menschliche Besatzung soweit in den Weltraum zu bringen. Zumindest nicht ohne bedeutende, technologische Fortschritte. Und es ist unmöglich, daß uns ein Schiff von der Erde ohne Schneller-als-Licht-Fähigkeit einholen könnte.« »Wie Sie sehen«, fuhr Frost fort, »bleiben uns dann zwei Möglichkeiten. Entweder könnt ihr mit Schneller-als-Licht-Ge
schwindigkeit fliegen, oder aber ihr seid Außerirdische. Schneller-als-Licht-Geschwindigkeit ist jedoch unmöglich – sonst wäre der Wanderer nicht auf diese Reise geschickt worden – und wenn ihr Außerirdische wärt, wäre euer Aussehen nicht so menschlich. Wir untersuchten euren Kevin Riley äußerst sorgfältig. Und ihr sprecht eine Abart unserer Sprache. Euer sogenanntes Schiff ist offensichtlich gar kein Schiff, sondern lediglich ein… ein kindliches Konstrukt. Der einzige Schluß, der sich daraus ergibt, Thronanwärter Kirk, ist, daß es sich hier um einen riesigen, unglaublichen Betrug handelt.« Kirk machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Frost fiel ihm erneut ins Wort. »Nein, ich werde Ihnen nicht zuhören. Sie müssen mir zuhören. Es wird Sie sicher ärgern, daß meine überlegene Intelligenz Ihren sorgfältig ausgearbeiteten Plan, so clever er auch sein mag, so leicht durchschaut hat.« Unerwarteterweise lächelte Frost. »Nun denn – für mich liegt auf der Hand, daß die Wilden der unteren Decks sich einen derart gerissenen Streich wohl kaum ausdenken konnten. Deshalb handelt es sich hier um einen von langer Hand geplanten Putsch meiner eigenen politischen Feinde auf den oberen Decks. O ja, ich bin mir der Tatsache bewußt, daß es eine Untergrundbewegung gibt, mit versteckten Farmen und Kindern, die gelegentlich nicht registriert werden. Ich habe schon seit langem auf eine Allianz zwischen dem Untergrund und den Stämmen der unteren Decks gewartet – « Kirk warf Spock einen Blick zu. Die Logik dieses Mannes war mehr als verwirrend. »Können Sie dem folgen, Spock? Ich glaube, mich hat er abgehängt.« »Ich kann ihm folgen, Captain. Aber einfach ist es nicht.« Kirk sagte: »Captain Frost – meinen Sie nicht, daß die geringe Möglichkeit bestünde, daß die unwahrscheinliche
Erklärung ein Fünkchen Wahrheit enthält? Sie sind doch im Besitz von Instrumenten – können Sie denn die vor Ihnen liegende Gefahr nicht erkennen?« Frost sagte: »Ist möglich, es gibt vielleicht Grund, Kurs des Wanderers zu ändern. Ist nur Möglichkeit, die ich einräume. Aber ist wahrscheinlicher, daß Kursänderung nur Vorwand ist, Ihre Meuterei zu rechtfertigen. Aber selbst wenn Möglichkeit wahr ist, ist es Entscheidung, die von Captain gefällt werden muß.« Der Handphaser zitterte, richtete sich dann aber wieder auf die Mitte von Kirks Bauch. Kirk beäugte ihn mißtrauisch. Langsam kam er ihm immer größer und größer vor. »Captain Frost, bitte hören Sie mir zu – « Kirk versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. Frost schüttelte den Kopf. »Wozu? Ich bin hier der Captain. Sie sind ein Eindringling. Wenn Sie wirklich der Captain eines Schiffs sind, dann kennen Sie doch die Gesetze und Traditionen des Weltraums. Wenn Sie den rechtmäßigen Captain eines Schiffs entmachten wollen, sind Sie ein Meuterer und Pirat. Und ich habe das Recht, Sie zu toten.« »Ein Pirat? Äh – « »Genau.« »Captain Frost – wenn wir zusammenarbeiten, wird es zu unserem beiderseitigen Vorteil sein. Aber wenn nicht – nun, Sie können mich vielleicht töten. Aber das Unvermeidbare werden auch Sie nicht aufhalten können. Und das Unvermeidbare ist, daß dieses Schiff dem Untergang geweiht ist – außer, alle an Bord arbeitender das Gemeinwohl zusammen.« »Sie sprechen von Zusammenarbeit? Sie? Ihre Männer sind bereits in mein Schiff eingedrungen. Sie lassen Ihre albernen Illusionen auf unseren Korridoren herumknurren – glücklicherweise können unsere Disruptoren Ihre Projektoren ohne weiteres zerstören. Sie steigern die Lichtintensität unserer
Glühplatten. Sie feuern auf meine Männer. Das meiste habe ich von hier aus beobachtet. Ich habe Kameras. Ich habe Augen im Kopf. Sie haben meine Flieger in Brand geschossen, obwohl sie nur ihre Felder schützen wollten. Wenn es Ihnen wirklich um Zusammenarbeit ginge, würden Sie nicht diese Meuterei anzetteln. Sie und Ihre Männer sind Fanatiker^ Terroristen und Wahnsinnige – Sie sprechen von Gemeinwohl und Zusammenarbeit und meinen damit Tyrannei. Ich tat, was ich tun mußte, um mein Volk zu verteidigen. Das ist meine Verantwortung – und jetzt soll ich diese Verantwortung mißbrauchen, nur weil Sie auf Grund Ihrer selbstgerechten Engstirnigkeit keine andere Lösung sehen.« Kirk nickte nachdenklich. »Ich verstehe Ihren Standpunkt. Also gut, Captain Frost – sagen Sie mir, was ich Ihrer Meinung nach tun sollte.« »Ich möchte, daß Sie mir dabei helfen, die rebellierenden Stämme, die die unteren Decks des Schiffs terrorisieren, zu unterwerfen, damit wir sie wieder einbürgern können. Helfen Sie mir dabei, die Herrschaft über mein Schiff zurückzuerlangen. Und dann können wir über die Richtung, die das Schiff den Plänen seiner Erbauer zufolge einschlagen sollte, reden.« Kirk senkte die Hände und ließ sich in den nächstbesten Sessel fallen. »Tut mir leid, Frost«, sagte er im Plauderton. »Das ist nicht machbar. Wir haben ganz einfach nicht mehr die nötige Zeit dazu.« Kirk wußte, daß es ein gefährliches Manöver war, aber irgendwie mußte er die feindlichen Beziehungen glätten. Spock und die anderen beobachteten ihn neugierig. Frost wirbelte herum und sah ihm ins Gesicht. »Und Sie wagen es, von Zusammenarbeit zu sprechen?« »In vernünftigen Grenzen natürlich. Ich meine, wenn wir ganz ehrlich sind – « sagte er in bewußt beiläufigem Ton, » –
müssen wir doch logisch vorgehen.« Hinter sich konnte er direkt hören, wie sich Spocks Augenbrauen in die Stirn hoben. Er fuhr fort: »Auch Sie müssen Kompromisse machen. Meinen Sie nicht auch, daß die Rettung des Schiffs zunächst einmal das wichtigste ist?« Frost sah aus, als würde ihn Kirks Vermessenheit amüsieren. Er sagte: »Ich finde Sie charmant – aber bei Verrat kann es keine Kompromisse geben – und Ihre Prioritäten sind völlig falsch gereiht. Zunächst einmal muß man die Kontrolle über das Schiff erringen, bevor man es retten kann.« »Aha, da liegt der Hase im Pfeffer. Ich habe die Kontrolle über die Fusionsaggregate. Sie über die Brücke. Sie können mir die Kontrolle nicht entreißen. Und ich kann Ihnen die Kontrolle nicht entreißen. Deshalb müssen wir uns wohl gegenseitig vertrauen.« »Sie sind kein so guter Captain wie Sie meinen, Kirk. Sie haben bisher nicht gelernt, daß man niemandem trauen kann.« Kirk seufzte. »Und Sie haben niemals gelernt, daß ein guter Captain Vertrauen haben muß.« »Und das«, sagte Frost, »ist vielleicht der Grund, warum wir nicht zusammenarbeiten können. Weil Sie ein Narr sind.« »Ein Pirat? Ein Narr? Entscheiden Sie sich.« Kirk kam sich wie ein Schelm vor. Er wirbelte zu Spock herum und kehrte Frost absichtlich den Rücken zu. »Ich glaube, da müssen wir die Meinung eines Dritten einholen. Spock?« »Captain – « Spock sah so kleinlaut aus, wie ein Vulkanier nur konnte – also nicht sehr viel. »Das ist wirklich ein Fall von sechs aus einem und ein halbes Dutzend aus dem anderen – « »Spock –?« »Genug!« schrie Frost. »Ihr alle, an die Wand.« Er schwenkte bedeutungsvoll den Phaser. »Sie auch, Narr!« »Nun, damit wäre die Sache wohl erledigt – « Kirk erhob sich langsam aus seinem Sessel und –
– dann brach die Hölle los! Plötzlich materalisierten sich überall im gesamten Kontrollraum Männer in Kampfanzügen und Helmen! Frost stand auf, wirbelte herum – und seine Waffe begann im Transportereffekt zu funkeln – In Panik fing Frost zu feuern an. Der Handphaser sprühte Funken – – und er wurde vom Transportereffekt erfaßt!
Und dann implodierte er – Frost war plötzlich in Flammen
gehüllt. Der Feuerball wurde leuchtendweiß – und brach mit Donnergetöse zusammen. Die Erschütterung fegte Kirk von den Beinen. Die anderen stürzten zu Boden und blieben flach ausgestreckt liegen, um sich vor der Glut zu schützen. Drückende Hitze schlug ihnen entgegen. Und dann war alles ruhig. Kirk sah als erster hoch. Captain Frost war verschwunden. Verbrannt. An der Stelle, wo er gestanden war, lag nur noch ein Häufchen Asche – Er hatte nicht einmal mehr Zeit zum Schreien gehabt. Plötzlich rief Hobie: »Keiner bewegt sich!« Er hatte seine Pistole auf Kirk gerichtet. Kirk stand langsam auf und breitete die Hände aus. »Feuer einstellen!« Er machte einen Schritt nach vorne, dann noch einen. »Dr. Hobie – Sie haben über den Kommunikator mit mir gesprochen. Sie haben uns vor dem Angriff gewarnt, den Captain Frost gegen die unteren Decks geplant hatte. Sie wollten Leben retten.« »Ich wollte an Sie glauben, Kirk. Das will ich immer noch. Aber – « Der Lauf der Pistole wackelte nervös. »Jetzt weiß ich nicht, ob ich kann. Die ganze Zeit über, als Sie Frost baten, Ihnen zu vertrauen, haben Sie ihn bereits betrogen. Vielleicht
planen Sie gerade in diesem Augenblick, auch mich zu betrügen.« Kirk sprach langsam. »Dr. Hobie, es ist schwierig, einem Menschen, der mit einer Waffe auf einen zielt, zu vertrauen.« Hobie betrachtete die Waffe, die er in der Hand hielt, dann sah er Kirk an. »Ich weiß, daß Ihre Technologie der unseren überlegen ist. Ich glaube Ihre Geschichte. Und an Ihr Schiff und Ihre Technologie. Die Beweise sind eindeutig. Aber beantworten Sie mir das: Welche Waffe richten Sie in diesem Augenblick auf mich f Was werden Sie als nächstes tun?« Kirk machte einen Schritt zur Seite, bückte sich langsam und hob Spocks Tricorder auf. Er hielt ihn hoch, damit Hobie sehen konnte, was er machte – dann schaltete er ihn absichtlich aus. »Jetzt kann uns die Enterprise weder sehen noch hören. Jetzt ist es eine Sache zwischen Ihnen und mir, Hobie – entweder Sie vertrauen mir jetzt, oder Sie drücken ab.« Hobie schüttelte den Kopf. »Das ist eine hohle Geste, Kirk. Und wir beide wissen es.« Kirk stimmte ihm zu. »Sie haben recht. Aber im Moment kann ich Ihnen nichts anderes bieten. Vertrauen verlangt nicht nach Garantien. Man vertraut oder vertraut nicht. Sie können mich jetzt töten, Hobie – dann würde Sie wahrscheinlich einer meiner Männer betäuben. Alle unsere Waffen sind auf Betäubung gestellt. Oder aber Sie vertrauen mir. Egal was passiert, wir werden den Kurs dieses Schiffs auf alle Fälle ändern und versuchen, das Leben der Leute an Bord zu retten. Aber eines sage ich Ihnen – wenn wir, die Männer und Frauen der Enterprise, dies mit Gewalt durchsetzen müssen, wird es den Geist Ihrer Zivilisation zugrunde richten. Ihr Volk würde sich für immer seines Erbes schämen. Auf der anderen Seite«, sagte Kirk, »können Sie die Pistole hinlegen und sich darum kümmern, Ihr Volk wieder zusammenzuführen und uns dabei helfen, die Veränderungen,
die an dem Schiff vorgenommen wurden, seit es das Erdsystem verlassen hat, herauszufinden. Mein Chef-Ingenieur ist ein fähiger Mann – aber dieses Schiff ist einfach zu groß – und es besteht durchaus die Möglichkeit, daß er es nicht schafft, alle Maschinen zeitgerecht ans Stromnetz anzuschließen. Ihre Leute jedoch – Sie besitzen die Kenntnisse – und Sie sind der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Dr. Hobie. Sie wissen, wie man diese Kenntnisse benutzt, und Sie haben die Autorität. Ihre Leute werden auf Sie hören, und wenn sie es von alleine schaffen können, warum sollten es dann meine Leute tun – sei es mit Gewalt oder wie auch immer. Und was Sie, was alle’, die hier auf dem Schiff leben, zurückgewinnen können, ist der Stolz auf euch selbst.« Hobie machte ein sorgenvolles Gesicht während er Kirks Worten lauschte. Er sagte: »Kirk – das geht alles so schnell – « Kirk fügte hinzu: »Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen, der Ihnen vielleicht… helfen kann.« Langsam öffnete er den Kommunikator und stellte den Kanal ein. »McCoy. Verbinde mich bitte mit Gomez.« »Gomez? Den Satan?« »Wohl kaum.« Kirk lächelte sanft. Plötzlich bellte es aus dem Kommunikator. »Hier Gomez.« Kirk übergab Hobie seinen Kommunikator. »Sprechen Sie mit ihm.« »Hier spricht Dr. Hobie.« »Von den oberen Decks?« »Ja.« »Sie halfen dabei, Leben zu retten. Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet.« »Ja. Äh – Gomez – « »Captain Gomez. Ich bin im Besitz des Logbuchs. Ich wurde vorschriftsmäßig gewählt.«
»Eh, Captain Gomez. Wir müssen miteinander reden. Sie und ich. Kirk sagt, wir müssen uns gegenseitig vertrauen.« Einen Moment lang war es still. Dann sagte er: »Sie können Kirk vertrauen.« »Das weiß ich. Die Frage, die ich beantwortet haben muß, ist: kann ich Ihnen trauen?« »Wir haben dasselbe Problem, Sir.« Wieder schwieg Gomez. Dann sagte er: »Jeder der Stämme besitzt ein Logbuch, Dr. Hobie. Jedes dieser Logbücher beschreibt detailliert eine Sabotage, die gegen dieses Schiff ausgeführt wurde.« Kirk und Spock tauschten einen Blick aus. Davon hatte ihnen Gomez noch gar nichts erzählt. Natürlich benötigte er etwas, womit er handeln konnte – der Mann war schließlich kein Narr. Hobie sagte: »Wenn ich Ihren Leuten Nahrung garantiere – und Zugang zum Kernraum, damit sie ihre eigenen Farmen gründen können – erhalte ich dann Zugang zu Ihren Logbüchern?« »Und Wissen?« fragte Gomez. »Lehrer? Und Zugang zur Schiffsbibliothek? Einschließlich der verbotenen Bänder? Und wie sieht es mit den anderen Stämmen aus? Sind sie miteingeschlossen?« »Ich – ich sehe schon jetzt, daß es nicht einfach sein wird«, gestand Hobie. »Es gibt viel zu tun.« Gomez antwortete: »Sir, wir können uns nicht bis in alle Ewigkeit bekriegen.« »Ich weiß«, sagte Hobie traurig. »In drei Jahren wird dieses Schiff sterben. Captain Frost konnte seine eigenen Instrumente nicht lesen, aber ich schon. Captain Gomez, wir müssen zusammenarbeiten. Wir haben keine andere Wahl.« »Dann hatte Kirk also recht.«
»In dieser Hinsicht, ja, aber – « Hobie setzte sich in einen Sessel und legte die Pistole auf einer Konsole ab. » – Captain Gomez, haben Sie nicht auch gemerkt, daß er und seine Besatzung schon seit geraumer Zeit auf dem Wanderer herumpfuschen, ohne etwas zu erreichen? Die wissen doch gar nicht, was sie tun. Wenn wir uns zusammentun, meinen Sie dann nicht auch, daß wir ihnen dann demonstrieren könnten, wie man ein Schiff wie dieses führen sollte?« »Ich will ihn schon seit einiger Zeit hinauswerfen und mich selbst um die Angelegenheit kümmern.« Kirk grinste Spock an. »Überlassen Sie mir bitte Ihren Kommunikator«, sagte er. Spock händigte ihn aus. Kirk öffnete einen Kanal. »Enterprise. Wir sind in Sicherheit.« Scottys Stimme kam zurück. »Aye, Captain, aber das war knapp. Wir haben unsere Monitronzellen zum Platzen gebracht. Der Haupttransporter-Raum wird für einige Zeit außer Betrieb sein.« Kirk sagte: »Natürlich. Jetzt, wo ich hinüberbeamen will.« »Wir schicken die Besatzung für die Behelfsbrücke mit dem Frachttransporter hinüber. Dann können wir Sie abholen.« »Ich glaube nicht, daß sie gebraucht werden, Scotty. Die Schiffsbewohner scheinen die Situation im Griff zu haben – und so soll es ja auch sein.« Kirk schaltete ab und drehte sich zu Spock um. »Wie war das gleich wieder mit diesem ›sechs aus einem und ein halbes Dutzend aus dem anderen‹?« Spock zuckte unschuldig die Achseln. »Das schien mir zu diesem Zeitpunkt die richtige Antwort zu sein.« Kirk schüttelte den Kopf. Bei der Sternenflotte gab es ein Sprichwort: »Frage einen Vulkanier immer nur das, was du nicht wissen willst.« Es bewahrheitete sich immer wieder.
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Riley fand Katwen in einem schmutzigen Raum inmitten schmutziger Kinder. Sie erzählte ihnen gerade eine Geschichte über ein Kind, das zu viele Fragen stellte. Die Kinder kicherten nervös, als trauten sie sich immer noch nicht, laut zu lachen. Aber ihre Augen leuchteten. »Katwen –?« Sie sah hoch. »Ich muß jetzt auf die Enterprise zurück.« Katwen deutete ihm an, daß er noch ein bißchen warten sollte. Zu den Kindern sagte sie: »Muß sprechen. Wartet.« Sie ging mit ihm auf den Korridor hinaus. »Ist stolz darauf, dich zu kennen, Kevin Riley.« »Ich weiß nicht, wann wir uns jemals wiedersehen werden, Katwen.« Sie nahm seine Hände. »Ich auch nicht. Ich dich bereits vermisse.« Sie sah auf die Hände, die sie hielt, hinab, und dann wieder in sein Gesicht. Sie blinzelte, und Riley konnte sehen, daß aus den Winkeln ihrer hellblauen Augen Tränen kullerten. »Ist vielleicht etwas… was nicht sein soll…«, gelang es Riley zu sagen. Seine Kehle war wie zugeschnürt und die Worte wollten einfach nicht herauskommen. »Habe gelernt, dich zu mögen, Katwen.« »Mögen –?« »Ist wie… Liebe. Ist Anfang von Liebe.« »Liebe«, wiederholte sie sanft. »Liebe gehörte nicht zu den Dingen, die ich bisher kennengelernt hatte. Bis jetzt.« Plötzlich preßte Riley ihre Hände zusammen. »Katwen – ich habe Captain Kirk gefragt, ob ich als Teil der
Übergangsbesatzung hierbleiben könnte – damit ich dich nicht verlassen muß.« »Ist möglich?« »Ist nicht. Noch nicht. Vielleicht nie. Tut mir leid.« »Mir auch.« Dann hielten sie sich lange in den Armen. Er roch die Wärme ihres Haars, und sie klammerte sich fest an seine Schultern. »Lehrer?« piepste eine schrille Kinderstimme. »Ist Geschichte jetzt zu Ende erzählen?« Katwen löste sich aus der Umarmung und blickte auf ein schmutziges Kindergesicht, das die Augen neugierig und erwartungsvoll aufgerissen hatte, hinab. »Ist jetzt zu Ende erzählen«, lächelte sie. »Geh wieder hinein.« Sie sah Riley an und küßte ihn schnell. »Dich immer mögen, Kevin Riley.« Dann war sie verschwunden. Riley blieb im Korridor stehen und hörte noch eine Weile zu, dann schnallte er den Kommunikator los und gab der Enterprise das Signal, ihn hinüberzubeamen.
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Chekov sah bedrückt aus. »Es gibt gute und schlechte Nachrichten, Keptin.« James T. Kirk warf seinem Navigator einen argwöhnischen Blick zu. »Chekov, Sie gelten doch als der Beste. Wollen Sie mir etwa sagen, daß Sie… versagt haben?« Chekov wirkte beleidigt. Und als er zu sprechen anfing, war sein Akzent noch schlimmer als sonst. » Weenn Miisterr Scott die Aggregate vor Ablauf der dreizehn Tage angeschlossen hätte, hätte ich den Wanderer ohne Hilfe von außen retten können. Aber er schaffte es nichts und ich konnte es nicht schaffen, und das ist die schlechte Nachricht.« Kirk lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Und weiter?« »Die gute Nachricht ist, daß ich eine Möglichkeit zum Schwiindeeln herausgefunden habe.« »Schwindeln?« »Ja.« Chekov blickte stolz drein. »Anstatt zu versuchen, den Wanderer von Ellisons Variabler wegzulenken, schicken wir das Schiff jetzt genau hinein.« »Hinein?« »Nun, nicht direkt hinein, aber fast hinein. Das Schiff wird um den Stern eine Schleife machen und seine Anziehungskraft für einen Steinschleudereffekt benutzen. Dadurch kommt es auf direkten Kurs zu Malcors Pride. Das ist die gute Nachricht.« Kirk lächelte breit. »Das ist in der Tat eine gute Nachricht. Auf diesem Planeten befindet sich bereits eine Kolonie. Sie haben die Sternenflotte um neue Siedler ersucht, und die Sternenflotte wollte die Bitte erfüllen. Es gab nur keine Schiffe für diesen Zweck. Wir müssen einige Subraumnachrichten
abschicken. Und es wird einiger Papierkram nötig sein, um das Ganze legal zu machen.« »Aye, Keptin.« »Oh, und Chekov – « »Sir?« »Gute Arbeit. Danke.« »Danke Ihnen, Sir.« Kirk blickte in die Runde. Er fühlte sich wieder wohl auf der Brücke der Enterprise. Es war ein guter Platz. Riley trat neben ihn und legte ihm einen Bericht zum Unterschreiben vor. »Der Wanderer ist in Sicherheit, Sir. Unsere Übergangsbesatzung wurde bereits an Bord gebeamt, und sie wird solange auf dem Schiff bleiben, bis die Sternenflotte ein anderes Schiff schickt. Eine kulturelle Mission wird wahrscheinlich notwendig sein.« »Sie haben recht, Leutnant. Ich habe das ebenfalls empfohlen.« »Ich dachte, ich wäre als erster auf die Idee gekommen – « Kirk betrachtete den schlanken jungen Mann. »Kevin«, sagte er, »Sie sind in Ordnung. Ich habe bei einigen Dingen etwas mehr Erfahrung, das ist alles. Eines Tages werde ich Ihnen die Geschichte von einem gewissen Leutnant Kirk und dem – « Er verstummte. »Ach was, das ist unwichtig. Vielleicht erzähle ich Ihnen die Geschichte gar nicht. Übrigens, haben Sie eigentlich noch diesen letzten Herumtreiber eingefangen?« »Nein, Sir. Sein Transponder scheint unterbrochen zu sein. Heute morgen sah man ihn, wie er eine der neuen Farmen in der Kernzone durchquerte. Er gab immer noch ›Coeurl‹ von sich.« Kirk nickte. »Nun, vielleicht können sie auf dem Wanderer eine neue Mythologie ganz gut gebrauchen. Die mit den Dämonen auf den unteren Decks war doch nicht so ganz das Gelbe vom Ei.«
»Ja, Sir.« »Oh, Riley, und noch etwas – « »Sir?« »Haben Sie sich schon von Katwen verabschiedet?« »Ja, Sir.« Kirk zog eine väterliche Miene. »Ich weiß, wie schwierig solche Abschiede sein können – « »Äh, Sir – ich mochte sie, äh, zwar sehr – aber es hätte nicht geklappt. Sie macht ihre Karriere – und ich meine – und, äh – « »Ich verstehe, Leutnant.« »Ja, Sir. Danke, Sir.« Riley trat zurück, salutierte und verließ die Brücke. Kirk schickte ihm einen fast herzlich zu nennenden Blick nach. Er drehte sich um und merkte, daß ihn Spock seltsam ansah. »Mr. Spock? Was ist denn los?« »Nichts, Captain. Es ist nur, daß – « »Nur zu, Spock.« »Captain – ich glaube nicht, daß die Brücke eines Sternenschiffs der geeignete Platz ist, um über die Paarungsgewohnheiten einer Spezies zu sprechen.« »Da haben Sie wahrscheinlich recht, Mr. Spock.« Kirk erwiderte gelassen den Blick seines vulkanischen Ersten Offiziers. »Aber das ist der Preis, den wir für unsere übertriebenen Emotionen bezahlen müssen.« Spock meinte kühl: »Captain, für mich spielt es keine Rolle, was ein menschliches Wesen mit seinen oder ihren Emotionen anstellt.« Dann fügte er hinzu: »Solange sie es nicht auf der Straße treiben und die Pferde zum Scheuen bringen.« »Richtig«, grinste Kirk. »Das werden wir uns merken.« Hinter sich hörte er, wie Leutnant Uhura nur mit Mühe ein Lachen unterdrückte.
Kirk drehte sich nach vorn. »Mr. Sulu, ist dieses klingonische Phantom jemals wieder gesichtet worden?« »Nein, Sir.« »Hm, vielleicht hat es die Gegend verlassen. Sind wir in Sicherheit?« »Aye, aye, Captain.« »Gut. Nehmen Sie Kurs auf Tiefraumstation K-7. Ich könnte etwas Ruhe gebrauchen – «