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John Curtis Abrechnung vor Tortugas Küsten 1. »In ein paar Stunden ist die Hölle los«, sagte Ben Brighton nach einem abermaligen Blick in den Himmel. An Bord der ›Isabella VIII.‹ gab es keinen Mann, der seine Worte bezweifelte. Erst ein paar Stunden war es her, daß sie zusammen mit der Roten Korsarin die Schlangen-Insel verlassen hatten - bei strahlend blauem Himmel und ruhiger See. Aber dann hatte sich der Himmel verändert. Das anfängliche Blau war erst einem grünlichen Ton gewichen, später war das Grün mehr und mehr in ein schwefliges Gelb übergegangen, das nun schon gut ein Drittel des Himmels bedeckte und sich von Westen her weiter und weiter ausdehnte. Auch der Seewolf hatte in den letzten Stunden mehr als einen besorgten Blick zum Himmel emporgeschickt. Er kannte sich mittlerweile in der Karibik aus und wußte, wie schnell sich das Wetter dort ändern konnte. Ed Carberry, der Profos, trat zu Ben Brighton und Hasard. »Das wird ein Höllenwetter«, sagte er nur. »Wir sollten zusehen, daß wir irgendwo einen Nothafen finden.« Er deutete auf die einige Kabellängen voraussegelnde Karavelle der Roten Korsarin. »Der Zweimaster hält das Wetter nicht durch. Ferris hat ihn zwar wieder hervorragend zusammengeflickt, aber das Schiff ist zu klein. Da, Backbord voraus, das müßten die Caicos-Inseln sein. Ich weiß, daß es auf der größten von ihnen eine tiefeingeschnittene Bucht gibt, die Schutz bieten würde. Wenn ihr auf mich hört, dann setzen wir jetzt jeden Fetzen Tuch, den unsere Lady tragen kann, und segeln dem Teufel ein
Ohr ab. Vielleicht können wir ihm ein Schnippchen schlagen.« Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der ›Isabella VIII.‹, ein Hüne von Gestalt, fuhr sich durchs rote Haar. Nachdenklich sah er Carberry an, dann glitt sein Blick zum Himmel hoch, dessen Farbe immer bedrückender und unheimlicher wurde. Das blaue Wasser der Karibik sah schon fast schwarz aus, hell leuchteten erste Gischtkronen zu ihnen herüber. Ferris Tucker kannte den Profos besser als die meisten anderen an Bord. Er wußte, daß sich dieser Mann vor Tod und Teufel nicht fürchtete. Um so bedenklicher stimmte es ihn, daß ausgerechnet Carberry vorschlug, einen Nothafen anzulaufen. Das war noch nie dagewesen. »Ich glaube, Ed hat recht«, sagte er in die Stille hinein. »Wir sollten die Rote Korsarin verständigen. Wenn sie klug ist, dann zieht sie mit. Ihr Zweimaster ist ein starkes, gutes Schiff, aber bei einem Hurrikan hilft ihr das auch nicht viel.« Der Seewolf hatte bisher zu allem geschwiegen, er wußte jedoch, daß er sich schnell entschließen mußte. Die Wetter in der Karibik waren äußerst tückisch, zudem befanden sich die beiden Schiffe in gefährlicher Nachbarschaft von kleineren und größeren Inseln, das allein schon konnte bei einem losbrechenden Hurrikan tödlich werden. »Signalisiert Siri-Tong, daß sie auf Rufweite heransegeln soll«, sagte er, und die erste Bö, die in diesem Moment durch die Takelage der ›Isabella‹ fuhr und das Schiff weit nach Backbord überholen ließ, unterstrich seine Worte. Am westlichen Horizont hatte sich ein winziger schwarzer Fleck gebildet, fast nur ein Punkt und für das bloße Auge gerade noch in dem schwefligen Gelb zu erkennen. Ferris Tucker flitzte zur Kuhl hinunter und von dort auf das Vorkastell der ›Isabella‹, das aber genauso wie das Achterkastell wesentlich flacher gehalten war als bei Galeonen ihrer Größe sonst üblich. Unterwegs griff er sich Will Thorne, den Segelmacher.
»Will, ein paar Fetzen her, mit denen ich der Roten Korsarin signalisieren kann!« stieß er hervor, und der Segelmacher begriff sofort. Er wußte, daß zwischen ihnen und der Karavelle der Piratin eine ganze Reihe Signale zur Verständigung verabredet worden war, und zwar schon im Hinblick darauf, daß sie Caligu, den Schrecken der Karibik, jagen wollten. Der Segelmacher tauchte in die Vorpiek, war aber schon Minuten später wieder an Deck. In den Händen hielt er zwei rechteckige, yardgroße Lappen, die er an hölzerne Stiele angeschlagen hatte. Ferris nahm sie ihm aus der Hand, dann begann er mit beiden Segeltuchstücken kreisende Bewegungen auszuführen. Der Erfolg zeigte sich sofort, Siri-Tongs scharfen Augen war das Signal nicht entgangen, denn ohnehin warf sie von Zeit zu Zeit einen Blick zu der in ihrem Kielwasser dahinsegelnden ›Isabella‹ hinüber. Und sooft sie es tat, geriet sie von neuem in inneren Aufruhr, denn sie war weit entfernt davon, mit den Ereignissen auf der Schlangen-Insel dem verlorenen Kampf um die ›Isabella‹ und ihrer Errettung aus den Fangarmen des Riesenkraken durch den Seewolf fertig zu sein. Ihre Gedanken kreisten ständig um diesen Mann und seine Besatzung, SiriTong hatte in ihrem ganzen Piratendasein so etwas noch nie zuvor erlebt. Sie sah die Signale und reagierte sofort. Die Karavelle fiel ab und schob sich wenig später neben die heransegelnde Galeone. Der Seewolf legte die Hände trichterförmig an den Mund. Dann brüllte er der Roten Korsarin zu, was er vorhatte. »Wir laufen die große Caicos-Insel an. Südliche Bucht. Segelt voraus, ihr seid schneller. Wir kriegen einen Hurrikan, der sich gewaschen hat. Der schlägt unsere Schiffe kurz und klein, dann ist es aus mit unserer Jagd auf Caligu!« Er sah, wie Siri-Tong ihn einen Moment lang anstarrte, dann jedoch nickte. Anschließend gab sie die nötigen Befehle.
Die Karavelle ging sofort hoch an den Wind, ihre roten Lateinersegel blähten sich, während das Schiff weit nach Backbord krängte. Der Zweimaster der Roten Korsarin zog an der ›Isabella‹, die bei diesem Wind durch ihre rahgetakelten Masten im Nachteil war, vorbei und drehte dann nach Backbord ab, genau auf die dunkle Silhouette zu, die sich als feiner, gezackter Strich an der Kimm abzeichnete. Auch auf der ›Isabella‹ trieb Carberry die Männer jetzt mit seiner Donnerstimme an. Völlig unnötig, denn die Männer hatten den Himmel gesehen und wußten, was ihnen drohte. Der Himmel bezog sich mehr und mehr, der winzige schwarze Fleck vergrößerte sich. Er stand im Westen wie ein unheimliches Auge, das die beiden Schiffe böse anzustarren schien. Die Sonne verschwand in dem schwefligen Gelb, das Wasser wirkte nunmehr schwarz. Der Wind nahm zu, vereinzelt jagten Böen über die See und peitschten Gischtkronen auf die Wogen. »Niedergänge verschalken!« befahl Hasard, und der Schiffszimmermann nickte nur. Mit ein paar Mann ging er sofort an die Arbeit. Die schweren Bohlentüren, die ins Schiffsinnere führten, wurden gesichert. Die Eingänge zum Vor- und Achterkastell ebenfalls. Tucker wußte genau, was es bedeutete, wenn die Decks von überkommenden Brechern überflutet wurden und das Wasser die Türen zerschmetterte und sich den Weg ins Schiff bahnte. Auf diese Weise waren schon viele große und durchaus seetüchtige Galeonen gesunken. Carberry scheuchte die übrigen Männer unterdessen in die Takelage. Sie setzten jeden Fetzen, den die ›Isabella VIII.‹ zu tragen vermochte, denn der Seewolf und seine Männer waren sich darüber im klaren, daß sie jetzt mit dem Tod um die Wette segelten. Einem Tod, der sie aus dem schwarzen Auge anstarrte, das sich weiter und weiter am Horizont hochschob
und dabei ständig größer wurde. * Zur selben Stunde, rund hundertfünfzig Meilen südlich der Caicos-Inseln, bahnten sich ebenfalls schlimme Ereignisse an. Die »Schildkröte«, eine üble Spelunke, die sich Caligu und seine Spießgesellen in einer der Grotten an der Südseite der Insel eingerichtet hatten, war das Hauptquartier des riesigen Piraten. Dort hielt Caligu zusammen mit Maria Juanita, seiner ihn ständig begleitenden Geliebten, und seinen wüsten Kerlen noch wüstere Gelage ab. In dieser Grotte wurde gesoffen, gehurt und geprügelt. Nicht selten gab es Tote, und die warf man der Einfachheit halber gleich ins Wasser, wo die Haie über sie herfielen. Denn die See zwischen Tortuga und den anderen vorgelagerten Inseln wimmelte nur so von diesen gefährlichen Räubern, und längst hatten die Haie gemerkt, daß es an der Schildkröteninsel oft fette Beute für sie gab, vor allem an der Steilklippe westlich des Hafens, der sogenannten »Totenrutsche«. An diesem Tag, an dem sich über der Karibik ein Hurrikan zusammenbraute, hielt Caligu, vor dem die ganze Inselwelt der Karibik zitterte, wieder eins seiner Gelage ab. Das Gegröle der Betrunkenen und das Girren und Gekreische der Weiber in der Grotte drang weit über die Insel. Nur ein Unterschied zu seinen sonstigen Gelagen bestand: Caligu war diesmal noch nicht sinnlos betrunken, sondern er befand sich in einem Zustand, in dem ihm jeder, der ihn kannte oder der auch nur von ihm gehört hatte, in weitem Bogen aus dem Wege ging. Maria Juanita beobachtete ihn aus schmalen Augen. Sie kannte Caligu von allen seinen Kreaturen am besten. Mehr noch sie verstand es, Caligu um den kleinen Finger zu wickeln, wenn ihr das notwendig erschien. Sie beeinflußte seine Entscheidungen weit mehr, als es ihm je bewußt wurde,
aber sie hütete sich auch, Caligu das merken zu lassen. Maria Juanita hatte eine harte Zeit hinter sich und diese Zeit hatte ihre Spuren an ihr hinterlassen. Eine brandrote Messernarbe durchzog ihr Gesicht - eines der Andenken aus ihren gemeinsamen vielen Zusammenstößen mit dem Seewolf, die jedesmal ihr Ende in vernichtenden Niederlagen gefunden hatten. Maria Juanita kannte keinen Menschen, den sie so glühend haßte, wie den Seewolf. Denn er hatte sie um alles gebracht, was sie sich in langen Jahren in der Neuen Welt als spanische Hure zusammen mit den anderen Mädchen erschuftet hatte. Jedenfalls sah Maria Juanita das so. Bei den Cayman-Inseln war sie auf Caligu gestoßen, und der wilde Pirat hatte sie sich genommen, ob ihr das paßte oder nicht, indem er ihren vorherigen Liebhaber kurzerhand umbrachte. Zunächst hatte Maria Juanita auch Caligu gehaßt, glühend gehaßt für all die Demütigungen, die der Pirat ihr vor den Augen der Mädchen zufügte. Aber dann war plötzlich alles anders geworden. Sie hatte erkannt, was in diesem Caligu steckte. Ganz abgesehen davon, daß sie ihm schon nach wenigen Wochen völlig verfallen war, benutzte sie ihn als ihr Werkzeug. Sie suggerierte ihm in all den Nächten, die sie mit dem riesigen Piraten verbrachte, was er unternehmen sollte und was nicht. Sie hetzte Caligu auf den Seewolf, immer wieder und sie hatte auch ihren Haß auf diesen Mann niemals vergessen. Als sie dann ihre Jagd nach der letzten, entscheidenden Schlacht in der Windward Passage hatten abbrechen müssen und die ›Isabella‹ mit ihrer Beute für immer verschwunden war, hatte sich der Haß Juanitas auf den Seewolf nur noch tiefer in ihr Bewußtsein gebrannt. Und irgendwie spürte sie, daß sie dem Seewolf und seinen Männern noch einmal in der Karibik begegnen würden. Allerdings hatte Caligu die Zeit nach dem endgültigen
Verschwinden des Seewolfs und seiner ›Isabella‹ aus den karibischen Gewässern genutzt. Er hatte Beutezüge unternommen und auch reiche Beute gemacht. Niemals ließ er einen seiner Gefangenen am Leben, alle wurden entweder bestialisch umgebracht oder den Haien in der Karibischen See zum Fraß vorgeworfen. Auch auf Tortuga, der Schildkröteninsel, hatte sich Caligu zum absoluten Herrscher emporgeschwungen. Er verfügte neben seiner eigenen Galeone - einem Beuteschiff - noch über zwei andere Schiffe. Zwei schnelle Karavellen, die zumeist die Aufgabe hatten, den Gegner aufzuspüren, zu stellen und lahmzuschießen. Und bisher hatte diese Taktik auch immer geklappt. Caligu hob einen schweren Krug und leerte ihn auf einen Zug. Dann rülpste er laut und vernehmlich und sah Maria Juanita aus schmalen Augen an. »Du denkst wieder an diesen verfluchten Bastard von Seewolf«, sagte er und langte blitzschnell zu. Seine dunklen Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und starrten Maria Juanita an. Wie bei Maria Juanita zog sich auch über seine Wange eine breite Messernarbe. Unter seiner dunklen Haut spielten die Muskeln, seine leicht wulstigen, sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. »He, besorg ich es dir nicht gut genug?« grölte er plötzlich in die Grotte hinein. »Oder warum denkst du ständig an diesen dreimal verfluchten Hurensohn von Seewolf?« Er zog Maria Juanita zu sich heran und langte ihr unter den Rock, dessen raffinierter Schnitt ihren vollkommenen Körper voll zur Geltung brachte. Maria Juanita entzog sich geschickt seinen Händen. »Du weißt genau, warum ich an diesen Dreckskerl denke. Ich habe es dir schon oft genug gesagt. Dieser Hund kehrt in die Karibik zurück, eines Tages taucht er hier wieder auf. Er hat uns alle hereingelegt, oder glaubst du etwa immer noch, daß
dieser Kerl und seine Männer all die Schätze, die seine ›Isabella‹ geladen hatte, nach England gesegelt und dort der Königin brav abgeliefert haben?« Sie entzog sich Caligu mit einer geschmeidigen Bewegung, als er erneut zupacken wollte. Caligu lachte dröhnend, und das war der Moment, in dem seine Galgenvögel begannen, zu ihrem Anführer hinüberzusehen. Langsam - weil sie witterten, daß etwas in der Luft lag - rückten sie näher. »Als ob ich je so ein Dummkopf gewesen wäre, das zu glauben. So dämlich ist niemand, eine solche Beute abzuliefern. Mit dem, was diese verfluchte ›Isabella‹ an Schätzen in ihrem Rumpf hatte, können der Seewolf und seine Bastarde bis in alle Ewigkeit ein Leben führen, von dem wir nur träumen werden!« Das Gesicht des Piraten verzerrte sich, denn in diesem Moment tauchten alle jene bitteren Niederlagen vor seiner Erinnerung auf, die der Seewolf ihm damals zugefügt hatte. Und zwar immer dann, wenn Caligu sich bereits am Ziel seiner Wünsche gewähnt, wenn er schon geglaubt hatte, den Seewolf endgültig in der Falle zu haben. Er sprang auf und riß sein langes Entermesser heraus. »Wo immer mir dieser Hundesohn begegnet«, brüllte er in die plötzliche Stille hinein, »werde ich ihn niedermachen und abstechen wie einen tollen Hund!« Unwillkürlich zogen sich die Männer einige Schritte zurück. Sie kannten Caligu, und sie wußten, daß man sich besser von ihm fernhielt, wenn er in dieser Stimmung war. Nur einer, ein Mann, der noch nicht lange zu seiner Crew zu gehören schien, begriff das offenbar nicht. Er trat einen Schritt auf Caligu zu. »Du nimmst das Maul ziemlich voll, nach allem, was ich über die Sache gehört habe«, sagte er. »Wenn das so einfach gewesen wäre, wie du heute tust, dann hätte dir dieser Seewolf niemals entwischen dürfen.« Caligu fuhr herum. Seine kohlschwarzen Augen begannen zu
glühen. Seine leicht wulstigen Lippen verzerrten sich, und die Flügel seiner geraden, schmalen Nase begannen zu beben. Langsam ging er auf den Neuling zu. »Ich nehme also mein Maul zu voll?« fragte er gefährlich leise. »Und du lausige Ratte wagst es, mir das ins Gesicht zu sagen? Wo warst du verfluchter Dreckskerl denn, als wir in der Windward Passage gegen den Seewolf kämpften? Und wir hätten ihn auch erwischt, wenn nicht dieser Verrückte mit seinem riesigen Schiff aufgetaucht wäre, dieser verdammte Wikinger! Der Seewolf saß in der Falle, und er wußte es auch. Aber dieser tollwütige Bursche, der hat dann alles verdorben. Der Teufel mag wissen warum, denn er selbst ist dabei mit Mann und Maus in die Luft geflogen!« Der Neuling begriff noch immer nicht, daß Caligu ihm eine allerletzte Chance gab, zu verschwinden und sich nie wieder blicken zu lassen. Er sah ihn an - ein Riese von Gestalt, unter dessen gelbbrauner Haut die Muskelstränge spielten. »Du warst längst aus dem Gefecht, als das passierte. Dein Schiff hatte der Seewolf in Brand geschossen. Du hättest diesen Burschen also auf gar keinen Fall erwischt.« Caligu stand wie erstarrt. Zum erstenmal sah er diesen Mann mit vollem Bewußtsein, und tausend Gedanken schossen durch seinen Kopf. Wer war dieser Kerl? Was gab ihm die Dreistigkeit, ihm, Caligu, hier vor seinen Männern solche Dinge zu sagen? Caligus Rechte mit dem Messer zuckte hoch, aber noch einmal beherrschte er sich. Caligu trat noch näher an den ihm inzwischen unheimlichen Fremden heran. »Wer bist du?« fragte er, und wieder klang seine Stimme gefährlich leise. »Gehörst du zu meinen Männern? Wie kommst du hierher?« Der Hüne mit der gelbbraunen Haut blickte den Piraten gelassen an. »Ich gehöre noch nicht zu euch, doch vielleicht habe ich Lust,
in deine Crew einzutreten, Caligu«, erwiderte er. »Aber erst wollte ich mich mal umsehen auf Tortuga, und was ich gesehen habe, gefällt mir ganz gut. Auch von dir habe ich schon eine Menge gehört, vielleicht bist du der richtige Mann für das, was ich zu bieten habe!« Caligu ließ unwillkürlich das Messer sinken, und auch Maria Juanita trat einen Schritt näher. »Zu bieten? Mir? Los, raus mit der Sprache, oder du verläßt die Grotte nicht mehr lebend!« Der Fremde grinste geringschätzig. »Du nimmst das Maul schon wieder zu voll, Caligu paß mal auf!« Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er dem völlig überraschten Piraten das Entermesser entrissen und es ihm mit der Spitze an den Hals gesetzt. Caligu stand stocksteif, denn er wußte plötzlich, was für ein gefährlicher Bursche dieser Fremde war. »Bei der geringsten Bewegung stoße ich zu, Caligu«, sagte er drohend. »Mit mir kannst du nicht so umspringen wie mit deinen Kerlen, merk dir das!« Caligu wich alles Blut aus den dunklen Wangen, sein Gesicht nahm eine graue Farbe an. Aber nicht vor Angst - der Pirat kannte dieses Wort gar nicht, sondern vor Wut und Haß. Er wußte nur eins, daß er diese Schlappe nicht auf sich sitzen lassen durfte, oder mit seiner Herrschaft auf Tortuga war es ein für allemal vorbei. Und wieder bezwang er seine Wut. »Nimm das Messer weg«, erklärte er. »Laß uns vernünftig miteinander reden. Was hast du mir zu sagen?« Der Fremde blickte Caligu mißtrauisch an. Die plötzliche Nachgiebigkeit des Piraten ließ ihn stutzig werden. Aber dann überzog wieder jenes geringschätzige Grinsen sein Gesicht, für das allein schon Caligu ihn kaltblütig umgebracht hätte. Der Fremde nahm das Messer vom Hals des Piraten, aber er
hielt es so, daß er dennoch jeden Augenblick zustoßen konnte. »Ich gehörte früher zur Mannschaft Siri-Tongs, der Roten Korsarin«, sagte er dann. »Ich weiß alles, was passiert ist. Damals wollte ich dich umbringen dafür, was du mit ihr getan hast, Caligu. Aber ich habe es mir anders überlegt. Es ist besser, ich schlage mich auf eure Seite, denn Siri-Tong wird früher oder später von deiner Hand sterben, ihre Tage sind gezählt. Schade, daß ich niemals jenen geheimen Schlupfwinkel kennengelernt habe, von dem die anderen Kerle der Crew häufig sprachen. Ich weiß nicht einmal, wo er liegt, es war für mich als neuen Mann an Bord unmöglich, darüber etwas in Erfahrung zu bringen. Aber ich sage dir, Caligu, dieses Weibsbild hortet dort Schätze, auch wenn es ein dunkles Geheimnis um diese Insel zu geben scheint, in deren Hafen kein normaler Sterblicher einzulaufen vermag. Sie muß mit dem Teufel im Bunde sein, denn ich hörte einen der Männer sagen, daß nur sie selbst das Ruder führt, wenn die wilden Wasser der Hölle das Schiff durch das riesige Felsentor reißen!« Caligu hörte dem Fremden verständnislos zu. Er wußte einfach nicht, wovon dieser Kerl dort faselte. Er kannte die Karibik und alle ihre Inseln genau, aber von einer solchen Insel hatte er noch nie etwas gehört. Doch der Fremde ließ ihm keine Zeit zu weiteren Überlegungen. »Aber nicht das war es, was ich dir berichten wollte, Caligu. Ich wüßte Beute für dich und deine Männer. Ein spanisches Schiff, mit Gold und Silber beladen, das durch die Windward Passage nach Norden segelt und in den nächsten Tagen in diesen Gewässern aufkreuzen wird. Siri-Tong wußte davon, und sie wird versuchen, es sich zu holen. Du kannst dann zwei Sachen gleichzeitig erledigen: Siri-Tong und den Spanier.« Caligu hatte aufmerksam zugehört.
»Warum hast du Siri-Tong verlassen?« fragte er, während sich seine Gedanken überschlugen. »Sie hat mich auspeitschen lassen, weil ich das von ihr wollte, was du dir genommen hast. Und ich habe noch Glück gehabt, normalerweise wäre ich dafür gehängt worden.« Caligu starrte den Fremden immer verständnisloser an. Dieser Kerl mußte ein Narr sein, ausgerechnet ihm das alles zu erzählen. Aber gerade, weil er es tat, mußte es noch einen gefährlichen Haken bei der Sache geben. »Und wie willst du mich jetzt daran hindern, den Spanier zu kapern und mit Siri-Tong abzurechnen?« fragte er lauernd. »Auch ohne dich?« Wieder überzog das Gesicht des Fremden ein spöttisches Lachen. »Gar nicht, denn ich werde dir jetzt noch etwas sagen: Diesem einen Schiff werden weitere folgen. Ich kenne den Hafen, aus dem sie auslaufen und den Kurs, den sie segeln werden. Du kannst mit einem Schlage ein reicher Mann werden, aber ein Viertel der Beute gehört mir. Nur wenn du diese Bedingungen erfüllst, werde ich dir verraten, wo du die anderen Schiffe findest. Ich weiß, daß du eine Galeone und zwei Karavellen hast, dazu Mannschaften, die sich vor dem Teufel nicht fürchten. Du könntest es schaffen, jetzt kommt es allein auf dich an.« In Caligus Augen war bei den letzten Worten des Fremden ein begehrliches Funkeln getreten. Aber dann dachte er wieder daran, wie dieser Kerl ihn vor seinen Leuten gedemütigt hatte nein, das schrie nach sofortiger Vergeltung. Solche Schmach konnte nur mit Blut abgewaschen werden. Beute hin Beute her. Außerdem würde er das eine Schiff kapern. Hatte er es erst, dann würden ihm die Spanier schon ein Liedchen davon singen, von wo aus und auf welchem Kurs die anderen Schiffe segeln würden. Caligu hatte seinen Entschluß gefaßt. Dieser gelbhäutige Affe
dort war ein Narr, und er würde für seine Frechheit büßen. Genau in diesem Augenblick registrierte Caligu den Blick, den ihm Maria Juanita zuwarf, und das Murren, das von seinen Männern zu ihm herüberdrang. Caligu handelte blitzschnell. Aus dem Stand warf er sich plötzlich mit einer wilden Drehung zur Seite, dabei schlug er gleichzeitig mit der Linken zu. Der Schlag, der den Fremden traf, noch während seine Rechte mit dem Entermesser nach vorn zuckte, war von furchtbarer Wucht, denn Caligu hatte ihn aus der Drehung seines bärenstarken Körpers abgefeuert. Es war auch nicht das erstemal, daß er mit diesem Schlag einen Gegner von den Beinen holte. Der Schlag fegte den Fremden zur Seite, er strauchelte, stürzte, und dabei entglitt ihm das Entermesser Caligus. Der Pirat warf sich mit einem federnden Sprung nach vorn, packte das Messer, riß es vom Boden hoch und stieß es dem Fremden mit einer gedankenschnellen Bewegung in den Leib. Der Hüne mit der gelbbraunen Haut brüllte auf, aber Caligu hatte die Klinge seines Entermessers tief in die Bohlen des Fußbodens der Grotte gerammt und seinen Gegner auf diese Weise am Boden festgenagelt. Der Fremde schrie, verzweifelt schnellte er die Arme hoch, die Hände griffen nach dem Entermesser, aber Caligu war schneller. Er packte das Entermesser und hielt es erbarmungslos fest. »So verreckt jeder, der es wagt, Caligu zu beleidigen!« brüllte er in die Grotte. »Hat noch jemand Lust, mit mir Streit anzufangen? Er soll nur kommen, ich werde ihn auf die gleiche Weise zur Hölle schicken!« Die Bewegungen des Fremden wurden schwächer. Aber seine dunklen Augen öffneten sich noch einmal. »Ich verfluche dich, du Bastard! Du unterschätzt die Rote Korsarin, sie wird dich töten und ihre Schmach mit deinem Blut abwaschen, schade, daß ich dich ihr nicht mehr ans
Messer liefern kann ...« Ein letztes Aufbäumen ging durch seinen gewaltigen Körper und Caligu glotzte ihn an wie eine Erscheinung. Er hatte die letzten Worte des Fremden noch gerade verstanden. Aber dann ging der Zorn mit ihm durch. Er zuckte hoch, riß das Messer aus den Bohlen und packte den Toten. Allein mit der freien Linken wuchtete er ihn hoch, ließ sein Entermesser fallen und schleuderte den Fremden seinen Männern entgegen. »Werft ihn den Haien zum Fraß vor!« brüllte er, außer sich vor Wut. »Schafft ihn zur Totenrutsche und laßt euch erst wieder hier sehen, wenn die Haie ihn zerrissen haben!« Gleich darauf packte er Juanita. »Komm her, jetzt feiern wir ein Fest! Die Rote Korsarin will Caligu töten! Ho! Und dann schickt sie einen solchen Narren, um Caligu in ihre Falle zu locken? Sie wird sich wundern, sie wird sterben, viele Stunden lang und viele Tode! Sie wird um Gnade winseln, aber Caligus Ohren werden sie nicht hören! Her mit dir, Juanita! Zeig Caligu, was du kannst!« Mit einem Ruck riß er ihr die Kleider vom Leib. Eins der Mädchen, das sich hinten bei den Männern befand, die immer noch den Toten in ihren Fäusten hielten und ihren Anführer anstarrten, kreischte auf und riß sich ebenfalls die Kleider vom Leib. Eine wüste Orgie begann und Juanita sträubte sich nicht. Sie hatte in der Neuen Welt weit Schlimmeres erlebt. Außerdem galt es, Caligu bei Laune zu halten, denn sie hatte bereits wieder einen Plan, zu dessen Ausführung sie ihn brauchte. Die erste Sturmbö fegte über Tortuga und heulte durch den Hafen. Auch über der Schildkröteninsel hatte sich der Himmel bezogen. Und von Westen her drängten schwefliges Gelb und schwarze Wolken heran, die in Minutenschnelle die Sonne verfinsterten. *
2.
An Bord der ›Isabella VIII.‹ waren auf allen Decks Strecktaue gespannt. Der Himmel war jetzt fast schwarz, unaufhörlich wälzten sich schwere Brecher heran. Sprühende und leuchtende Gischtkronen gaben den Wogen ein unheimliches Aussehen. Die Galeone arbeitete schwer. Immer wieder holte sie weit nach Backbord über. Einen Teil ihrer Besegelung hatte der Seewolf bereits reffen lassen. Wenn der Bug des ranken Seglers eintauchte und eine der Wogen donnernd an ihm zerschellte, ergoß sich eine wahre Sintflut über die Decks. Die schweren Siebzehnpfünder hatte Ferris Tucker festlaschen lassen, alle Niedergänge und Luken waren verschalkt. Sogar Dan O’Flynn, der sich auch bei diesem Wetter als Ausguck im Hauptmars befand und ganz bestimmt nicht dazu neigte, seekrank zu werden, war bei den wilden Bewegungen der ›Isabella‹ mittlerweile recht blaß um die Nase geworden. Und doch hatte der Hurrikan noch gar nicht begonnen, dies waren erst seine Vorboten. Hasard knüppelte sein Schiff durch die schwere See. Er wußte wie jeder andere Mann an Bord, daß es diesmal ums Leben ging. Denn was sich da im Westen über und vor ihnen zusammenbraute, war etwas, was sie nicht einmal am Kap der Dämonen erlebt hatten. Die große Caicos-Insel wuchs mit jeder Minute, die sich die ›Isabella‹ durch die See kämpfte, höher vor ihnen auf. Von dem Zweimaster der Roten Korsarin war weit und breit nichts mehr zu sehen. Der Seewolf ahnte, daß auch sie die Lage genauso eingeschätzt hatte wie er. Kam noch hinzu, daß sie sich in der Karibik wahrscheinlich weitaus besser auskannte als er. Die ›Isabella‹ hielt auf die Ostspitze der Insel zu. Dort gab es eine tiefeingeschnittene Bucht, die vor dem von Westen herannahenden Hurrikan Schutz gewähren würde. Es hing jetzt
alles davon ab, ob sie es schaffen würden, diese Bucht noch vor Ausbruch des Orkans zu erreichen. Der Seewolf hatte keine sonderlich große Erfahrung mit Hurrikans, aber soviel wußte er doch: Wetter dieser Art wechselten ihre Windrichtung blitzschnell. Es war daher ein beträchtliches Risiko, das er einging, indem er auf die Insel zusegelte. Denn wenn der Hurrikan sie erwischte, dann konnte er die ›Isabella‹ ebensogut auf die Klippen werfen, wie er sie nach Westen jagen konnte. Hinzu kamen noch die gefährlichen Kreuzseen, die sich im sogenannten Auge des Hurrikans bildeten und ein Schiff innerhalb weniger Minuten in ein Wrack verwandeln mochten. Der Seewolf hatte von alledem gehört, es gab Berichte über diese entsetzlichen Stürme in der Karibik. Niemand wußte genau, wieviele Schiffe, besonders der Spanier, ihnen bereits zum Opfer gefallen waren. Hasard beobachtete scharf die Takelage. Die Galeone tauchte mit dem Backbordschanzkleid fast ein, so tief drückte der Sturm sie herunter. Aber gerade dadurch lag sie trotz der gewaltigen Seen, die unter ihrem Rumpf hindurchrollten oder sich über ihre Decks ergossen, immer noch verhältnismäßig ruhig in der See. Und sie lief gute Fahrt mit jeder Minute, mit jeder Meile, die sie zurücklegte, verbesserten sich die Überlebenschancen der Seewölfe. Aber dann erwischten sie die ersten Ausläufer des Hurrikans, kurz bevor sie die Ostseite der Insel passierte. Die Männer hörten die Bö heranheulen. Mit ihr wuchs ein gigantischer Brecher aus der pechschwarzen See hoch. Ein greller, blendender Blitz zuckte in die See, ihm folgte ein krachender Donner. Und dann wurde die ›Isabella‹ emporgerissen. Gurgelnde Wasserfluten ergossen sich über das Schiff, verzweifelt klammerten sich die Männer an den Strecktauen fest. Carberry spürte nur noch, wie ihm die gurgelnde, grünschwarze Flut die Beine wegriß, wie seine Hände den Halt verloren, und wie er von den kreiselnden
Wassermassen davongewirbelt wurde. Da half keine Kraft, da half kein Festkrallen, da half gar nichts. Er vergaß in seiner panischen Furcht, bei diesem Sturm über Bord gespült zu werden, die Leine, die an einem der Strecktaue verankert war und die ihn sicherte. Er spürte nur, wie sein Körper über das Hauptdeck wirbelte, irgendwann knallte er gegen eins der Geschützrohre, dann hob ihn die gurgelnde See über das Schanzkleid der Galeone und riß ihn mit sich fort. Das Großsegel wurde von der Bö aus den Lieken gefetzt, knatternd flatterte es im Wind, aber das sahen weder Hasard noch Ben Brighton noch Pete Ballie und Smoky, die am Ruder standen, denn in diesem Moment brach eine weitere See über dem Achterkastell zusammen. Sie hatte eine solche Wucht, daß sie die Galeone herumwarf, das Achterkastell tief in die See drückte und den Bug des Schiffes nach oben steigen ließ. Männer stürzten und rollten über das Hauptdeck, die ›Isabella‹ holte so weit über, daß ihr Backbordschanzkleid in der gischtenden See völlig verschwand. Dann kippte sie mit dem Bug in den Abgrund, der sich nach der gewaltigen See, die sie von achtern überlaufen hatte, vor ihr auftat. Und diesmal stieg das Heck aus der See und hing sekundenlang im Himmel. Hasard, ebenfalls durch eine Leine gegen das Überbordgehen gesichert, rutschte auf dem Achterkastell entlang und krachte gegen die Five-Rail. Der Schmerz war so heftig, daß er ein paar Sekunden wie paralysiert liegenblieb, kaum imstande, Luft zu holen. Dann war plötzlich alles vorbei. Langsam richtete sich die ›Isabella‹ wieder auf. Fluchend und mit verzerrten Gesichtern rappelten sich die Männer hoch. Ferris Tucker erblickte die außenbords hängende Sicherungsleine zuerst. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn. »Ed!« brüllte er. »Ed!« Er stürzte zum Schanzkleid, packte
die Leine und begann wie ein Wilder an ihr zu zerren. Stenmark und Batuti sprangen hinzu und halfen ihm. Erst Sekunden später spürten sie Widerstand und atmeten auf. Sie verdoppelten ihre Anstrengungen, dann tauchte der Profos auf, aber sie sahen gleich, daß er längst das Bewußtsein verloren hatte. »Verdammt, schneller, oder Ed säuft uns jetzt noch ab!« Ferris Tuckers gewaltige Pranken packten zu. Sie zerrten den Profos an Bord, packten ihn und hielten ihn fest, als ein neuer Brecher die ›Isabella‹ überrollte. Als das Wasser abgelaufen war, stellte der hünenhafte Schiffszimmermann den Profos kurzerhand auf den Kopf und bedeutete Batuti und Stenmark, ihn so zu halten. Dann schlang er seine Arme um den Profos und begann zu pressen. Ein Zucken ging durch den gewaltigen Körper Carberrys, dann brach er das Seewasser aus, das ihm in die Lungen eingedrungen war. Er hustete, krächzte, gurgelte und schließlich fluchte er. »Verdammt noch mal, welcher Affenarsch hat mich denn da ...« Wildes, befreites Gelächter antwortete ihm, und der Schiffszimmermann stellte ihn kurzerhand wieder auf die Füße. Carberry hustete, krächzte und spuckte noch eine Weile, und zwischendurch wurde die ›Isabella‹ noch von ein paar Brechern überrollt, aber sie waren harmlos gegen den, der den Profos über Bord gespült hatte. »He, Ed, fluche nur ruhig weiter und zieh dir dabei deinen Affenarsch in Streifen ab!« Ferris Tucker feixte. »Dann wissen wir jedenfalls, daß du deinen Ausflug außenbords überlebt hast!« Carberry sah die Gefährten an. Dann schlug er dem Schiffszimmermann seine Pranke auf die Schulter. »Wird euch der alte Carberry nicht vergessen, Jungs. Ohne euch wäre ich abgesoffen wie eine Ratte.«
Er warf einen Blick zur Takelage hoch. »O verflucht!« brüllte er plötzlich, als er das zerfetzte Großsegel sah, und sein nächster Blick streifte den Seewolf, der in merkwürdig verkrümmter Haltung auf dem Achterkastell stand, immer noch nach Luft ringend. »Wir stehen hier ‘rum und quatschen dämliches Zeug, während da oben der Teufel los ist! Los, Jungs, in die Wanten, oder ich ziehe euch die Haut von euern Affenärschen!« brüllte er, und gegen diese Stimme war sogar die Bö machtlos, die eben heranheulte. »Wenn uns noch so ein Bursche erwischt wie eben, dann gute Nacht, ›Isabella‹!« Die Männer erwachten aus ihrer Erstarrung. Er sah, wie sie ihre Sicherungsleinen lösten und aufenterten. Das war der Moment, in dem die ›Isabella‹ die Ostseite der Caicos-Insel erreicht hatte. Dunkle Felsen türmten sich vor ihnen an Steuerbord auf, die Einfahrt zu einer tiefen, unüberschaubaren Bucht wurde sichtbar. Gleichzeitig spürten sie, wie die See ruhiger wurde, weil die hohen Felsen der Insel sie gegen den von Westen heranbrausenden Hurrikan abschirmten. Die ›Isabella‹ schwang herum, während die Männer im Rigg damit beschäftigt waren, das knatternde und wild schlagende Großsegel zu bergen. Der Seewolf richtete sich keuchend auf, der Schmerz in seinen Rippen ließ nur langsam nach. »Ben, wir haben es geschafft«, sagte er nur, und in seinen eisblauen Augen tanzten kleine Funken. »Soweit wie möglich in die Bucht hinein, die hohe Felsbarriere dort hinten wird uns Schutz bieten. Dann runter mit den Segeln, Anker werfen. Was dann passiert, müssen wir über uns ergehen lassen. Wir können nur hoffen, daß der Hurrikan nicht ausgerechnet durch diese Bucht kreiselt!« Die ›Isabella‹ stampfte und rollte und schlingerte durch die Bucht. Dann sichtete Dan O’Flynn im Hauptmars den Zweimaster der Roten Korsarin. Er lag bereits tief im Innern
der Bucht vor Anker, die roten Segel waren geborgen. * Die beiden Schiffe hatten unwahrscheinliches Glück. Der Hurrikan änderte seine Richtung buchstäblich in letzter Sekunde. Sein Zentrum zog nördlich der großen Caicos-Insel Vorbei, nur die Ausläufer streiften die Bucht. Aber das genügte, um die Männer an Bord der Schiffe in Furcht und Schrecken zu versetzen. In der Bucht der Insel wuchsen Brecher hoch und zerschellten donnernd an den Klippen. Ferris Tucker und seine Männer standen angelascht auf der Back, bereit, sofort den Ersatzanker auszubringen, falls die Ankertrosse brechen sollte. Blitze zuckten hernieder, dann begann ein wolkenbruchartiger Regen. Er prasselte mit solcher Wucht an Deck, daß überall auf der ›Isabella‹ wahre Wasserfontänen aufsprangen. Er wurde so dicht, daß die Männer, die sich auf der Back der ›Isabella‹ befanden, das Hauptdeck nicht mehr sehen konnten. Dieses Wetter, dieser trommelnde, vom Sturm gepeitschte Regen, hielt stundenlang an. Es wurde Nacht, und noch immer heulte der Sturm mit unverminderter Stärke durch die Bucht. Manch ein Blick streifte den Seewolf, der genau wie seine Männer Stunde um Stunde an Deck geblieben war. Sie wußten, daß sein Entschluß, die Bucht anzulaufen, ihnen allen das Leben gerettet hatte. Aber auch auf Tortuga war die Hölle los. Über der ganzen Karibik hatte sich dem Hurrikan folgend ein Sturmtief aufgebaut. Caligu stand am Eingang der Grotte, die sein Hauptquartier bildete und in der noch kurz zuvor sein Kampf auf Leben und Tod mit dem Fremden stattgefunden hatte. Ein dunkler Blutfleck auf den Bohlen erinnerte daran. Caligu kochte. Ihm paßte der Sturm überhaupt nicht, denn er
wußte, daß sich das spanische Schiff mit den Gold und Silberbarren an Bord zu dieser Stunde bereits im nördlichen Teil der Windward Passage befinden mußte. Und daß es ihm, sofern es diesen Sturm, der einer der wildesten war, an den sich der riesige Pirat erinnern konnte, überdauerte, wahrscheinlich entwischen würde. Caligu wußte nicht, warum, aber er hatte keinen Augenblick daran gezweifelt, daß ihm der Fremde bezüglich des spanischen Schiffes die Wahrheit gesagt hatte. Er mußte einer jener Kontaktmänner und Spione gewesen sein, die die Rote Korsarin auf den Inseln stationiert hatte, um immer rechtzeitig über Silber- oder Goldtransporte unterrichtet zu sein. Das bedeutete aber, so überlegte Caligu weiter, daß es hier irgendwo noch ein Schiff geben mußte, das mit der Roten Korsarin zusammenarbeitete. Denn wie sonst erhielt sie die notwendigen Informationen? Caligu ballte die Hände zu Fäusten. Dieses Schiff würde er finden, sobald er von seinem nächsten Raubzug zurückgekehrt war. Nur lag es denn überhaupt im Hafen von Tortuga? Oder befand es sich nicht viel eher auf Hispaniola oder Cuba? Caligu stampfte mit dem Fuß auf. Egal, er würde es schon herausfinden. Und wenn diese verfluchte Rote Korsarin so dumm war, wirklich auf ihn zu lauern und den Spanier als Lockvogel zu benutzen, dann sollte sie sich wundern. Seine Rechte zuckte hoch. Unwillkürlich tastete er nach der gerade erst verheilten Messerwunde, die ihm die Rote Korsarin in der rechten Seite seines Brustkorbs beigebracht hatte und wegen der er auch jetzt noch manchmal Blut spuckte. Ein böses Grinsen überzog Caligus Züge. Diese Siri-Tong war eine Wildkatze, die sich nicht so einfach zähmen ließ. Aber sie war weit und breit verdammt die hübscheste Frau in der Karibik, die ihm jemals unter die Augen getreten war. Caligu atmete schneller, als jetzt einige Szenen in seiner Erinnerung wieder aufstiegen. Und dann hatte er seinen
Entschluß gefaßt. Die Sturmböen hatten etwas von ihrer Stärke verloren, ebenfalls der Regen. Er würde auslaufen, sofort. Und es sollte einer seiner Männer wagen, sich zu weigern. Abrupt drehte der Pirat sich um und ging in die Grotte. Maria Juanita, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte und genau wußte, an was Caligu jetzt dachte, wurde um einen Schein blasser. Sie kannte den Wagemut dieses Hünen, und sie kannte auch seine Brutalität, gegen die es keinen Widerspruch mehr gab, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Unwillkürlich stellte sie ihren Krug Wein auf den Bohlentisch und blickte Caligu erwartungsvoll an. Der Pirat verkündete seinen Männern seinen Entschluß auf seine Weise. Er trat an einen der langen Tische, packte die schwere Holzbohle, hob sie von den Böcken, auf denen sie ruhte, und schleuderte sie zur Seite. Weinkrüge, riesige Portionen von gebratenem Fleisch, Stühle und kreischende Weiber, die nackt oder halbnackt hier und da auf den Knien eines Piraten gesessen hatten, polterten durcheinander. Roter Wein ergoß sich in Strömen auf die Bohlen. »Schluß jetzt mit Saufen, Fressen und Huren!« brüllte Caligu. »An Bord mit euch, oder ich werde euch Beine machen. Wir laufen aus, wir werden uns jetzt den Spanier und diese verfluchte Rote Korsarin holen!« Die Männer, die zum Teil fluchend in ihrem eigenen Wein am Boden lagen, neben oder auf sich die Mädchen, verstummten plötzlich. Sie blickten Caligu an und hörten den Sturm, der draußen vor der Grotte noch immer über Tortuga heulte. Einer von ihnen, ein gefährlich aussehender Kerl mit einem Mongolenbart, sprang auf. Er funkelte Caligu aus seinen jettschwarzen Augen an. »Bei diesem Wetter? He du mußt verrückt sein, Caligu! Was
glaubst du denn wohl, wie wir zwischen den Inseln hindurchsegeln sollen, die Brecher werden uns ...« Mit einem Satz war Caligu bei ihm. Er drosch ihm die Faust ins Gesicht, daß sich der Mann aus dem Stand überschlug. »Noch jemand?« brüllte er. »Hat noch jemand etwas dagegen, daß wir segeln?« Keiner der Männer rührte sich. Sie kannten Caligu, und keiner unter ihnen traute sich zu, mit ihm fertig zu werden. Wie geprügelte Hunde verließen die Kerle die Grotte. Sie schleppten den Bewußtlosen mit. Zurück blieb ein Chaos aus umgestürzten Stühlen, Weinlachen auf den Bohlen und herumliegenden Speiseresten. * Unterdessen kämpfte sich die spanische Galeone ›Santa Magdalena‹ durch die Brecher der Windward Passage. Aber sie befand sich schon wesentlich weiter nördlich, als Caligu vermutete. Capitan Don Pedro hatte sich auf dem Achterkastell festgelascht. Sein Schiff fuhr nur die nötigste Besegelung. Die ›Santa Magdalena‹ war eine schwer gebaute, dickbauchige Galeone mit sehr hohem Achterkastell und einem weit über den Bug hinausragenden Vorkastell. Sie führte als Bewaffnung zwanzig 14-Pfünder, auf dem Vor- und Achterkastell je drei Drehbassen und zusätzlich auf dem Vorkastell eine Bombarde. Don Pedro war bewußt, daß keines der spanischen Silberschiffe allein segeln durfte, sondern daß die strikte Anweisung lautete, wegen der Piraten, von denen es in der Karibik mehr als genug gab, nur im Geleit zu fahren. Aber er hatte auf diese Anordnung keine Rücksicht nehmen können, wenn er das Geleit, das von Havanna nach Spanien aufbrechen sollte, noch rechtzeitig erreichen wollte. Außerdem handelte es sich bei Captain Don Pedro um einen erfahrenen Mann, der
schon viele Kämpfe bestanden hatte und sich nicht so leicht vor Tod und Teufel fürchtete. Das einzige, was ihm an dieser Reise nicht gefiel, war die Tatsache, daß er die Tochter eines hohen spanischen Beamten von Panama und ihren Verlobten hatte an Bord nehmen müssen. Normalerweise hätte er auch nicht den Weg durch die Windward Passage eingeschlagen, aber er hatte noch etwas auf Jamaica zu erledigen gehabt, und dann war er durch die starken westlichen Winde gezwungen worden, diesen Kurs zu nehmen. Denn das ewige Aufkreuzen gegen den Wind, das haßte er wie die Pest. Sein Schiff hatte etliche Sturmschäden erlitten. Die Mannschaft war schon seit Stunden dabei, das hereingeschlagene Wasser zu lenzen. Nirgendwo im Inneren der Galeone gab es ein auch nur halbwegs trockenes Plätzchen, seine eigene Kapitänskammer eingeschlossen, denn die Brecher hatten die Scheiben der Fenster des Achterkastells kurz und klein geschlagen. Auch seine Kammer bildete ein einziges Chaos von Wasser, zerweichten Seekarten, nassen Kleidern und zerborstenen Möbeln. Wie es mit dem Pulver in der Pulverkammer stand, das mußte man später feststellen. Fünf Mann seiner Besatzung hatte er durch überkommende Brecher verloren, die Großrah war an Deck gestürzt und hatte weitere zwei Seeleute erschlagen. All das war nicht geeignet, die schlimme Laune Don Pedros zu bessern, die ihn schon seit Stunden gepackt hatte. Als jetzt die Tochter des spanischen Beamten zusammen mit ihrem Verlobten das Achterdeck betrat, verfinsterte sich seine Miene noch mehr. Er konnte keine Passagiere bei diesem Wetter an Deck gebrauchen, schon gar nicht diese beiden. Er starrte ihnen entgegen. Seine Augen waren rotgerändert, vom Salzwasser und vor Übermüdung hatten sich die Lidränder entzündet. Er löste die Leine, mit der er sich am Besanmast festgelascht
hatte. Langsam trat er auf die beiden zu. »Ich hatte Sie gebeten, bei diesem Wetter unter Deck in Ihrer Kammer zu bleiben!« sagte er nicht ohne Schärfe. Die junge Frau, bleich und hohläugig von der Seekrankheit, stützte sich auf das Schanzkleid. Aber ihre dunklen Augen funkelten den Capitan wütend an. »Sehen Sie sich die Kammer einmal an, Capitan!« erwiderte sie, und auch ihre Stimme hatte einen scharfen Klang. »Alles ist klatschnaß, was in Schränken oder Schubladen war, liegt jetzt auf dem Boden zerstreut herum. Ich habe einfach keine Lust mehr, dort unten in diesem Schweinestall von einer Kammer zu hausen. Außerdem läßt der Sturm nach, und ich denke, meinem Verlobten und mir wird etwas frische Luft guttun. Außerdem: Der Hafenkapitän hatte sie vor dem Sturm gewarnt, sie hätten mit dem Auslaufen noch warten können, dann wäre uns allen dieses Wetter erspart geblieben. Im übrigen unterstehen weder mein Verlobter noch ich Ihrem Kommando. Wenn Sie klug sind, laufen Sie den nächsten Hafen an und lassen erst einmal die Schäden an Ihrem Schiff ausbessern, bevor Sie die Reise nach Havanna fortsetzen!« Die junge Frau warf den Kopf in den Nacken und wollte den Capitan einfach stehenlassen. Aber dem Capitan platzte in diesem Moment der Kragen. Mit einem blitzschnellen Griff zog er seine Passagierin zu sich herum und starrte sie an. »So, in den nächsten Hafen soll ich segeln? Danken Sie Gott, Senorita, wenn ich dazu nicht gezwungen sein werde. Auf diesen Inseln, auf Hispaniola und auf Cuba wimmelt es nur so von Piraten. Von Tortuga ganz zu schweigen. Und die sind ganz besonders scharf auf so arrogante junge Frauen wie Sie. Wenn wir überhaupt eine Chance haben, ungeschoren durch die Windward Passage zu gelangen, dann bei diesem Wetter, denn die Schiffe der Piraten sind zwar meist sehr schnelle zweimastige Karavellen, aber solchem Wetter sind sie nicht
gewachsen, und das ist unsere Chance! Solange dieses Schiff hier seetüchtig ist, wird weitergesegelt. Sollte sich das Wetter wieder verschlechtern, dann werde ich Sie und Ihren Verlobten unter Deck schaffen lassen, falls Sie meine Anordnungen nicht befolgen. Wenn nötig, sogar mit Gewalt. Ich bin dafür verantwortlich, daß Sie beide Havanna wohlbehalten erreichen.« Er ließ die junge Frau los, deren Verlobter eben nach seinem Degen gegriffen hatte. »Sie wagen es, meine Verlobte zu berühren?« schrie er den Capitan an. Don Pedro versetzte ihm einen Hieb auf den Unterarm, der den Degen sofort wieder ins Gehänge zurücktrieb. »Lassen Sie Ihren Degen stecken, Senor«, sagte er dumpf. »Und beten Sie zu Gott, daß Sie ihn auf dieser Reise nicht noch brauchen, um Ihr Leben und das Ihrer Verlobten gegen aufenternde Piraten zu verteidigen!« Damit wandte er sich ab und begab sich auf einen Rundgang durchs Schiff, um überall nach dem Rechten zu sehen. Und er nahm sich vor, der Pulverkammer mit ein paar Leuten einen Besuch abzustatten. Die Abenddämmerung hatte begonnen, der Sturm weiterhin nachgelassen. Die ›Santa Magdalena‹ lief mit guter Fahrt dem unausweichlichen Verhängnis entgegen. * Die ›Isabella VIII.‹ und der ranke Zweimaster der Roten Korsarin lagen eine Kabellänge voneinander entfernt in der Bucht von Grand Caicos. Der Sturm hatte zwar nachgelassen, aber noch immer liefen wilde Kreuzseen durch die Bucht und setzten den Männern an Bord der beiden Schiffe schwer zu. Zweimal schon hatte sich der Anker der Roten Korsarin losgerissen, zweimal hatten die Männer Hasards unter Einsatz
ihres Lebens der Besatzung des Zweimasters dabei geholfen, das treibende Schiff wieder zu verankern. Aus diesem Grund befand sich der Seewolf zu dieser Stunde an Bord des Schiffes der Roten Korsarin, denn die letzte Aktion hatte er selbst geleitet, weil er Ferris Tucker und seine Männer der Ankerwache nicht von der ›Isabella‹ abziehen wollte. Die Rote Korsarin hatte Hasard in ihre Kammer gebeten, und Hasard mußte innerlich bei dem Gedanken grinsen, daß der alte O’Flynn und Dan, die das ganz bestimmt beobachtet hatten, jetzt schon wieder Unheil witterten. Denn sowohl der Bruder als auch der Vater von Gwen, seiner Frau, wachten eifersüchtig darüber, daß sich zwischen dem Seewolf und der bildhübschen Roten Korsarin nichts anbahnte. Daß aber längst ein Funke zwischen ihnen übergesprungen war, das wußte Hasard genausogut wie Siri-Tong. Nur Hasard dachte nicht daran, sich auf irgend etwas einzulassen. Das war er Gwen und den Kindern schuldig. Außerdem wußte er genau, daß er bei seinen Männern jeden Respekt verlieren würde, wenn er sich in dieser Beziehung nicht einwandfrei verhielt. Vom Tode seiner Frau ahnte er ja zu dieser Zeit noch nichts, und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte das auch nichts an seiner Haltung geändert. Trotzdem war es ein Spiel mit dem Feuer, denn Siri-Tong war nicht nur eine faszinierende Frau, sondern sie glich einem Vulkan, der jeden Moment zum Ausbruch kommen konnte. Die Rote Korsarin sah den Seewolf aus ihren dunklen Augen an, während sie ihm wortlos einen Becher erstklassigen Rum hinüberschob. Sie beobachtete jede Regung Hasards, und es entging ihr nicht, daß auch der Seewolf sie kaum aus den Augen ließ. »Also, Madame, was haben wir so Wichtiges miteinander zu besprechen?« fragte der Seewolf schließlich, dem das Schweigen in der Kammer irgendwie auf die Nerven ging.
Siri-Tong bedachte ihn wieder mit einem prüfenden Blick, und dabei tanzten auf dem Grund ihrer nachtschwarzen Augen winzige Funken. »Zu besprechen eigentlich nichts, Seewolf«, sagte sie. »Aber ich wollte Ihnen etwas erzählen, damit Sie wissen, warum ich so hinter diesem Caligu her bin und nicht ruhen werde, bis dieser Hund tot ist.« Der Seewolf horchte auf. Andeutungsweise wußte er, daß Siri-Tong diesen Piraten haßte, wie nur eine Frau einen Mann zu hassen vermochte. Er ahnte auch den Grund, aber Genaues hatte er nicht in Erfahrung bringen können. Interessiert beugte er sich vor. »Das würde mich in der Tat interessieren, Madame, Sie wissen, daß auch meine Männer und ich mit diesem Burschen so manchen Strauß ausgefochten haben, und nicht immer war unsere Lage dabei als rosig anzusprechen. Es wäre töricht, Caligu zu unterschätzen, er ist ein äußerst gefährlicher und zu allem entschlossener Gegner. Dabei ist er durchaus kein Feigling, sondern ein Mann, der zu kämpfen weiß. In der Windward Passage hat nur das Eingreifen eines alten Freundes meine Männer und mich gerettet, ohne ihn wären wir samt unserer ›Isabella‹ geliefert gewesen. Aber seine mutige Tat kostete ihn und allen seinen Männern das Leben.« Der Seewolf sah die Szene wieder vor sich. Er sah die riesige Gestalt Torfin Njals, des Wikingers, vor sich, hörte sein dröhnendes Lachen, mit dem er an der ›Isabella‹ vorübersegelte, vernahm wieder das Krachen, als sich die riesige Galeone des Wikingers in den Gegner bohrte, der die ›Isabella VIII.‹ so hart bedrängte, daß der Seewolf keinerlei Chance mehr gehabt hätte, dem tödlichen Rammstoß zu entgehen. Und dann stand vor seinen Augen wieder der Feuerball der gewaltigen Explosion, die die gegnerische und die Galeone des Wikingers zerrissen und alle Männer dieser beiden Schiffe zerfetzt hatte.
Danach war die Schlacht in der Windward Passage entschieden gewesen. »Sie meinen den ›Wikinger‹?« fragte die Rote Korsarin in seine Gedanken hinein. Der Seewolf blickte sie überrascht an. »Ja, Sie kennen Torfin Njal und seine Männer?« »Ja, ich war einige Male bei ihm und seinen Männern auf jener Insel, auf der er seinen Schlupfwinkel hatte. Er hat damals schon von Ihnen und Ihren Männern gesprochen und sich sehnlichst gewünscht, Ihnen einmal wiederzubegegnen.« Die Augen der Roten Korsarin hatten für einen Moment einen weichen, verträumten Ausdruck angenommen, und Hasard spürte sofort, daß es zwischen ihr und dem Wikinger mehr gegeben haben mußte, als lediglich gelegentliche Treffs. Siri-Tong ließ dem Seewolf jedoch keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspinnen, denn auch sie hatte sich jetzt weit vornübergebeugt, den schweren Becher mit Rum in der Hand. »Ich werde diesen Caligu stellen und töten!« zischte sie, und alle Verträumtheit war aus ihren Augen verschwunden. »Er wird sterben und jeder, der damals dabei war, ebenfalls!« Die Rote Korsarin war aufgesprungen. Sie spürte den Blick der eisblauen Augen des Seewolfs auf sich, und ein Prickeln jagte über ihre Haut. »Bei was dabei war?« fragte Hasard, und er bemerkte, wie sich das Funkeln ihrer Augen verstärkte. Die Rote Korsarin vergaß alle Zurückhaltung. Sie glitt auf den Seewolf zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. Ihre Linke krallte sich in seine Schulter, und ihr Atem ging nur noch stoßweise vor Erregung. »Du willst es wissen, Seewolf? Du willst wissen, was dieser Dreckskerl mit mir getan hat, nachdem er mich heimtückisch überfallen und an Bord seines Schiffes geschleppt hatte? Gut, ich will es dir erzählen, damit du weißt, wozu dieses Schwein
fähig ist. Er und diese dreimal verfluchte Hure Maria Juanita, die dabeistand und lachte!« Siri Tong hob den schweren Becher und leerte ihn bis zur Neige. Dann setzte sie sich vor dem Seewolf auf den schweren Bohlentisch ihrer Kammer. »Damals wußte ich noch nicht viel von diesem Caligu, als ich zum erstenmal den Hafen von Tortuga mit meinem Zweimaster anlief. Ich hatte von ihm gehört und erfahren, daß er ein gewalttätiger und gefährlicher Bursche sein sollte, der auf Tortuga den Ton angab. Ich hätte diese Teufelsinsel auch niemals angelaufen, weil ich wußte, welch ein Gelichter dort auf mich wartete. Aber Sturmschäden, die ich auf offener See nicht ausbessern konnte und die auch zu schlimm waren, um damit in meinen damaligen Schlupfwinkel zurückzukehren, zwangen mich dazu.« »Damaligen Schlupfwinkel? War das noch nicht die Schlangen-Insel, Siri-Tong?« Die Rote Korsarin schüttelte den Kopf. »Nein, sie war es nicht. Die Schlangen-Insel kannte ich damals noch nicht. Von ihr hatte ich gerade erst von einem der alten Indianer etwas erfahren, die damals noch die Schätze am Auge der Götter bewachten ...« Siri-Tong unterbrach sich abrupt, denn auch Hasard war bei dieser Bemerkung fast vom Stuhl hochgefahren. »Am Auge der Götter? Meinst du etwa ...« Siri-Tongs Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an. »Ich habe dir gesagt, daß ich Torfin Njal, den Wikinger kannte, also auch seinen Schlupfwinkel. Ich war mit ihm am Auge der Götter, aber lassen wir das, denn das hat mit dem, was ich dir erzählen will, nichts zu tun. Wir liefen an einem Abend in Tortuga ein. Unser Zweimaster sah böse aus. Einer der schlimmen Stürme, nicht ganz so stark wie dieser, dem wir eben noch entronnen sind, hatte mein Schiff buchstäblich kurz und klein geschlagen. Wir hatten sogar Mühe, am Kai
festzumachen. Da an diesem Abend doch nichts mehr unternommen werden konnte, entließ ich meine Männer an Land, und das hätte ich besser nicht getan. Denn kaum waren sie von Bord, da stand dieser Caligu schon auf meinem Schiff. Ein riesiger Kerl, der mich eine ganze Weile nur anstarrte. Ich wußte sofort, daß dieser Hundesohn nicht an Bord erschienen war, um mich auf der Schildkröteninsel willkommen zu heißen, denn ich sah das gierige Funkeln seiner Augen. Erst nach einer ganzen Weile glitten seine Blicke über mein Schiff. Er erkannte sofort trotz der Schäden daß mein Zweimaster ein ganz ausgezeichneter Segler war. Dann trat er dicht an mich heran. Ich war so unvorsichtig, diese Bestie an mich heran zulassen. Damals wußte ich zwar schon gut mit dem Degen umzugehen und meine Männer an Bord im Zaum zu halten, aber sonst war ich noch dumm. Viel zu dumm für einen Kerl wie diesen Caligu. ›Was suchst du hier auf Tortuga?‹ fragte er mich. ›Hat man dir nicht gesagt, daß niemand ohne Caligus ausdrückliche Erlaubnis in diesen Hafen einläuft?‹ Ich begriff in diesem Moment noch nicht, was dieser verdammte Bastard von mir wollte. ›Du siehst doch, daß mein Schiff Beschädigungen erlitten hat, die ich ausbessern muß‹, erwiderte ich. ›Und seit wann gehört Tortuga dir, Caligu?‹ fragte ich, so dumm wie ich damals war. Caligu trat einen Schritt zurück und funkelte mich an. ›Wer, zum Teufel, bist du?‹ fragte er. ›,Was gibt einem Weib die Frechheit, so mit Caligu zu reden?‹ Und wieder beging ich einen nahezu tödlichen Fehler. Dieser Kerl, dieser großmäulige Pirat, widerte mich plötzlich an. Ich riß meinen Degen heraus und setzte ihn dem Bastard auf die Brust. Das ging so schnell, daß sogar Caligu keine Zeit fand, meiner Klinge auszuweichen. ›Man nennt mich die Rote Korsarin‹, sagte ich. ›Und wenn du es nicht anders willst, dann werden wir hier und jetzt
miteinander um Tortuga kämpfen. Hoffentlich bist du mit dem Entermesser oder dem Degen auch so gut wie mit dem Maul!‹ Caligu war überrascht, aber ich sah, welch ein Zorn in ihm tobte. Ich hatte ihn überrumpelt, und er war meiner Klinge hilflos ausgeliefert, jedenfalls dachte ich das. Er starrte mich an. ›Nimm den Degen weg. Gut, wir werden kämpfen‹, erwiderte er schließlich, und ich war dumm genug, ihm zu glauben. Ich trat einen Schritt zurück, und genau in diesem Moment hörte ich hinter mir das Geräusch nackter Sohlen, die über die Planken meines Schiffes huschten. Dann kriegte ich eins über den Schädel.« Siri-Tong goß sich erneut Rum ein und reichte dem Seewolf ebenfalls einen frischgefüllten Becher. Sie wirkte in diesem Moment verkrampft, ihre vollen Lippen waren verkniffen und ihre mandelförmigen Augen nur noch Schlitze. Hasard schwieg, er ahnte schon, was jetzt kommen würde. Und er behielt auch recht. Siri-Tong hatte die schmalen Hände zu Fäusten geballt. »Ich will mich kurz fassen, Seewolf«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen dumpfen, gepreßten Klang. »Ich wurde wieder wach, als ein paar von Caligus Kerlen mir Wasser über den Körper gossen. Ich wollte aufspringen, aber ich konnte nicht, denn diese Bestie hatte mich auf eine Gräting binden lassen. In welcher Lage, das brauche ich dir wohl nicht erst zu erzählen.« Die Rote Korsarin atmete schwer, ihre schwarzen Augen waren voller Haß. »Es dauerte eine Weile, bis ich wieder ganz klar im Kopf war, aber dann bemerkte ich, daß die Kerle Caligus mich umstanden und mich gierig anstarrten. Denn ich war nackt.« Wieder schwieg Siri-Tong eine Weile, und Hasard hatte sich erhoben. Er legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter, und die Rote Korsarin wehrte sich nicht.
»Sprich nicht weiter, Siri-Tong«, sagte er leise. »Ich weiß auch so, was du jetzt sagen wirst ...« Die Rote Korsarin, die eben noch in sich zusammengesunken auf dem Tisch gesessen hatte, fuhr hoch. Mit einer heftigen, raschen Bewegung wischte sie den Arm des Seewolfs von ihrer Schulter. Ihre Augen waren weit geöffnet, als sie Hasard anblickte. »So, du weißt, was ich jetzt sagen will? Nein, Seewolf, du weißt es nicht. Ich werde es dir beweisen. Es muß endlich raus aus mir, ich muß es endlich einmal einem Menschen sagen, hörst du?« Sie hatte sich bei den letzten Worten in seine Segeltuchjacke verkrallt. »Als ich endlich wieder voll bei Sinnen war, trat Caligu auf mich zu. Er starrte mich eine Weile an, und ich spürte, wie die Scham mir fast das Bewußtsein zu rauben drohte. Er hatte eine Peitsche in der Hand und schlug sofort zu. Hier da kannst du es noch sehen!« Mit einem Ruck hatte sie ihre Bluse von den Schultern gestreift und Hasard blickte auf eine brandrote Narbe, die sich unterhalb ihrer festen Brüste quer über den Leib zog. Siri-Tong streifte ihre Bluse wieder über. ›Seht sie euch an, Männer!‹ brüllte er dann. ›Rote Korsarin nennt sich diese kleine, dreckige Hafenhure!‹ Und dann lachte er, und schlug wieder zu - diesmal traf seine Peitsche meine Beine aber die Striemen waren nicht so tief und sind inzwischen so gut wie verheilt. Die Männer an Deck seines Schiffes, auf dessen Planken sie ein Feuer entzündet hatten, lachten grölend. Ich konnte einen Teil der Gesichter sehen, die mich anstarrten, und ich habe keins vergessen, kein einziges.« Wieder schwieg Siri-Tong eine kurze Weile, aber dann straffte sich ihr Körper. »Caligu trat mich, schlug mich mit Händen und Fäusten, und
ich war wehrlos, mußte alles das über mich ergehen lassen, ohne auch nur ein Glied rühren zu können. Ich höre seine Stimme immer noch: ›Wenn ich mit dir fertig bin, du Hure, dann wird kein Mann mehr unter deinem Kommando segeln! Dein Schiff ist in meiner Gewalt, dich werde ich mit an Bord nehmen, für meine Männer, damit sie auch auf See ihren Spaß haben!‹ Anschließend fiel er über mich her. Wie ein Tier, wie eine Bestie in Menschengestalt. Ich bin fast gestorben vor Scham, vor Zorn, vor Ekel. Ich habe ihn angespuckt, aber Caligu hat nur gelacht. Und diese Maria Juanita, diese Schlampe, hat zugesehen und auch gelacht. Irgendwann dann geschah etwas. Wie es dazu kam, habe ich erst später erfahren. Eine Handvoll von Männern stürmte auf Caligus Schiff. Der Pirat und seine Kerle wurden von diesem Angriff völlig überrascht und auf das Achterkastell zurückgedrängt. Dann schnitt mich jemand los, wer es war, daß weiß ich bis heute noch nicht. Aber dieser Mann warf mir gleichzeitig einen Degen zu und auch ein Hemd, mit dem ich meine Blößen bedecken konnte. Auf Caligus Schiff begann ein wilder Kampf. Das Feuer, daß Caligus Kerle an Deck entzündet hatten, war verloschen, ausgetrampelt von all den Füßen vermutlich, die durch die Flammen gerast waren. Nur der Mond gab etwas Licht und dann stand ich Caligu gegenüber.« Siri-Tong starrte den Seewolf an. »Mein Haß kannte keine Grenzen. Ich wollte ihn töten, und deshalb sprang ich ihn an. Ich vergaß alles, was um uns herum geschah, mit meinem Degen und der Kraft, die mir mein Zorn verlieh, jagte ich über das Hauptdeck bis zum Vorderkastell. Und dann traf ihn mein Degen irgendwo in die Brust. Ich höre ihn heute noch aufschreien, sehe ihn gegen das Schanzkleid prallen und über Bord kippen. Leider bin ich nicht hinterher gesprungen. Ich dachte, ich hätte ihn getötet. Heute weiß ich,
daß diese Juanita ihn gerettet und ihn wieder gesund gepflegt hat. Es gab viele Tote in dieser Nacht, denn auch die anderen Piraten ergriffen die Gelegenheit, um sich von Caligus Joch zu befreien. Erst gegen Morgen wurde es still auf der Schildkröteninsel. Wir suchten die ganze Insel ab, aber Caligu und seine Dreckskerle blieben wie vom Erdboden verschluckt, und einige meinten, der Teufel persönlich habe ihnen zur Flucht verholten. Später halfen mir dann einige der anderen Piraten, mein Schiff wieder seetüchtig zu machen. Vier Mann lebten noch von meiner alten Crew, ich mußte mich nach neuen Leuten umsehen, und ich fand sie auch. Du kennst sie. Sie sind genau das, was Tortuga zu bieten hatte.« Siri-Tong blickte Hasard an. »Jetzt weißt du, was auf Tortuga passiert ist. Diese Rechnung ist noch offen, für beide Seiten. Und niemand wird mich davon abbringen, diesen Schänder solange zu jagen, bis ich ihn vor meinem Degen habe. Erst dann werde ich vergessen, erst dann wird mich wieder ein Mann berühren!« Sie sprang mit einer geschmeidigen Bewegung vom Tisch. Noch einmal schenkte sie aus dem kleinen Faß die Becher voll. Aber der Seewolf gab sich noch nicht zufrieden. »Und der Wikinger«, fragte er, »welche Rolle hat er in deinem Leben gespielt?« Siri-Tongs Gesicht verschloß sich von einer Sekunde zur andern. »Vielleicht werden Sie es einmal erfahren, Seewolf. Vielleicht auch nicht. Heute nur soviel: in der Bucht, über dem das Auge der Götter liegt, gab es noch ein anderes Schiff, einen schwarzen Segler. Wenn Sie dort gewesen sind, dann müssen sie ihn gesehen haben. Er spielte in meinem Leben eine Rolle und mit ihm auch der Wikinger.« Wieder versteifte sich Hasards Körper. Er dachte daran, was
sie damals in jener Bucht vorgefunden hatten. Alte und neue Wracks, ausgebleichte Gerippe. An Bord des schwarzen Seglers von der Sonne ausgedörrte und zum Teil mumifizierte Tote, von denen niemand wußte, woran sie gestorben waren. Und er dachte an die Legenden, die sich um diesen schwarzen Segler gerankt hatten, er dachte an das, was ihm damals Ribault über dieses Schiff und über diese geheimnisvolle Bucht berichtet hatte. Aber wieder ließ ihm die Rote Korsarin keine Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Sie war jetzt wieder völlig auf Distanz - schon das plötzliche Sie, das sie wieder benutzte, zeigte es ihm. Nur, in ihren dunklen Augen war immer noch so etwas wie ein warmer, unergründlicher Schimmer, wenn sie ihn ansah, und gerade das beunruhigte den Seewolf zutiefst. Denn Siri-Tong war keine Frau, die ein Mann übersehen oder ignorieren konnte. »Ich werde jetzt an Bord meines Schiffes zurückkehren, Madame«, sagte er um eine Spur zu förmlich und ihm war in diesem Moment, als wenn ein wissendes, spöttisches Lächeln um ihre Mundwinkeln zuckte, aber Siri-Tong sagte nichts. Kurze Zeit später befanden sie sich wieder an Deck. Der Sturm hatte weiterhin nachgelassen, aber noch immer rollten die Wogen durch die Bucht und zerrten die beiden Schiffe an ihren Ankertauen. Der Seewolf warf einen prüfenden Blick in den Himmel. Die ersten Sterne wurden sichtbar, hinter den Bergen der Insel versank der fahle Mond und warf letztes, glitzerndes Silberlicht über die dunkle See. »Wir werden bald guten Wind haben, Seewolf«, vernahm Hasard Siri-Tongs Stimme neben sich. »Sie sollten jetzt wirklich an Bord Ihrer ›Isabella‹ zurückkehren, auf den Gesichtern Ihrer Männer lese ich, daß sie mich am liebsten den Haien zum Fraß vorwerfen würden!« Ein helles, leises Lachen begleitete ihre Worte, dann war die
Rote Korsarin verschwunden, nachdem sie den Seewolf noch einmal ganz leicht und flüchtig am Arm berührt hatte. Hasard ging zu den Männern hinüber, die am Schanzkleid auf ihn warteten, um ihn wieder zur ›Isabella‹ hinüberzurudern. Stenmark, der lange Schwede, warf ihm einen prüfenden Blick zu. Smoky, das alte Schlitzohr, grinste von einem Ohr bis zum ändern. Luke Morgan spielte den Gleichgültigen, aber es gelang ihm nur schlecht. Nur Batuti, der riesige Gambia-Neger, sagte, was alle dachten: »Können froh sein, Hasard, daß Dan und altes O’Flynn nicht hier. Kratzen Seewolf beide Augen aus, ja! Dieses Korsarin Siri-Tong Satansweib - Teufel persönlich auf Welt geschickt, um zu versuchen Seewolf!« Dabei rollte Batuti geradezu furchterregend mit seinen Augen und alle brachen schließlich in schallendes Gelächter aus. * Als Hasard die ›Isabella‹ betrat, nachdenklich, noch ganz unter dem Eindruck dessen, was er von der Roten Korsarin erfahren hatte, verließen drei Schiffe Tortuga. Die Galeone Caligus und zwei schnelle Karavellen. Sobald sie die schützende Bucht verlassen hatten, empfing sie die grobe See, die unaufhörlich von Westen heranrollte und die Schiffe innerhalb weniger Minuten unter einem dichten Gischtschleier verschwinden ließen. Caligu stand auf dem Achterdeck seines Schiffes. Ihn störte die grobe See nicht im geringsten. Ihm war es ähnlich ergangen wie der Roten Korsarin. Vor seinen Augen war die Vergangenheit noch einmal lebendig geworden. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen, wenn er an dieses Teufelsweib dachte, dem er eine der schwersten Niederlagen auf Tortuga verdankte. Auch wenn er später die Herrschaft über die Insel wiedergewonnen hatte. Vergessen hatte er nichts, und er brannte darauf, dieser Siri
Tong wiederzubegegnen, um Rache zu nehmen, Rache für Tortuga! Unwillkürlich glitt seine Linke zur rechten Brustseite. Die alte Wunde schmerzte wieder, und in seinem Mund war der süßliche Geschmack von Blut. Caligus Züge verzerrten sich, als ihn gleich darauf ein Hustenanfall schüttelte. Aber er wußte, das ging vorüber. Diese Rote Korsarin hatte ihn angeschlagen, aber sie hatte ihn nicht umgebracht, und das sollte sie noch spüren! Maria Juanita beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sie war diesem Mann und seiner animalischen, brutalen Natur mit Haut und Haaren verfallen. Sie wußte es, aber sie zog aus dieser Erkenntnis auch ihren Nutzen. Denn bei Caligu verhielt es sich ähnlich. Auch sie brannte darauf, der Roten Korsarin noch einmal gegenüberzustehen. Maria Juanita spürte die Gefahr, die ihr von dieser Frau ständig drohte, das allein war schon Grund genug, daß sie sterben mußte. Grausam und lange, mit mehr Schmerzen, als jeder normale Mensch ertragen konnte. Die beiden Karavellen segelten schon etliche Kabellängen voraus. Immer wieder verschwanden sie zwischen den hohen Wogen. Juanita grinste böse bei dem Gedanken, wenn sie daran dachte, wie die Männer an Bord dieser beiden Schiffe jetzt auf Caligu schimpften, wie sie Caligu verfluchten bei jedem Brecher, der ihr Schiff überrollte. Aber es half ihnen nichts, es gab niemanden mehr auf Tortuga, der sich Caligu zu widersetzen wagte. Und jener Fremde, der das gewagt hatte, den hatten die Haie längst gefressen. An diesem Punkt ihrer Überlegungen stutzte Maria Juanita. Doch, über diesen Fremden mit der gelbbraunen Haut mußte sie noch nachdenken. Und auch über das, was er über jene seltsame Insel erzählt hatte, auf der unvorstellbare Schätze lagern sollten. Sie berührte Caligu leicht am Arm, und der hünenhafte Pirat
wandte sich zu ihr um. »Ich geh in unsere Kammer. Wir haben noch Zeit, noch ist es nicht soweit. Wenn du willst, werde ich auf dich warten, Caligu!« Der Pirat griff blitzschnell zu. »Und ob ich will - mach dich schön für mich Maria Juanita, Caligu ist gleich bei dir!« Maria Juanita entzog sich seinem Griff, aber um ihre Lippen spielte ein zufriedenes Lächeln. 3. Die Inspektion Capitan Don Pedros hatte ein katastrophales Ergebnis gebracht. Der Sturm war in seinen Auswirkungen noch ärger gewesen, als der Capitan angenommen hatte. Brecher hatten die schweren Bohlentüren, die ins Innere des Achterkastells führten, eingedrückt und das Wasser bis weit ins Schiffsinnere gespült. Auch in die Pulverkammer. Don Pedro sah sich die Verwüstungen an. Zorn erfaßte ihn, denn niemand an Bord der ›Santa Magdalena‹ schien daran gedacht zu haben, Türen und Luken gegen die Gewalt der überkommenden Brecher zu sichern. Praktisch bedeutete das, daß die ›Santa Magdalena‹ fast wehrlos sein würde, wenn Piratenschiffe sie angriffen. Der Capitan stürmte an Deck. Er mußte jetzt retten, was noch zu retten war. Jeder Mann, der von den Pumpen abgezogen werden konnte, mußte in die Pulverkammer. Das noch trockene Pulver mußte in Fässer gefüllt werden, das nasse Pulver über Bord. Dann sollte der Segelmacher Kartuschen nähen, damit die Geschütze rasch nachgeladen werden konnten. Capitan Don Pedro hastete zum Achterdeck hoch. Er hatte fünf Leute im Sturm verloren, für die anstehenden Arbeiten war jetzt jede verfügbare Hand nötig.
Ein boshaftes Grinsen umzuckte seine Lippen. O ja jede Hand! Auch dieser Laffe von Passagier, der sich vorhin ihm gegenüber so aufgespielt hatte, würde jetzt lernen, was Arbeit unter Deck war. Don Pedro befahl seinen Ersten Offizier zu sich. »Senor Rodriguez, Sie werden sofort jeden verfügbaren Mann zusammen mit dem Waffenmeister und Segelmacher in die Pulverkammer schicken. Auch Senor Gonzales, den wir als Passagier an Bord genommen haben. Uns bleibt keine Wahl, unsere Pulvervorräte sind zum größten Teil von Seewasser verdorben, wir müssen retten, was zu retten ist, und das schnell!« Rodriguez hob die Brauen. »Senor Capitan, ich möchte doch zu bedenken geben, daß Senor Gonzales und seine Verlobte ...« »Sie tun, was ich befohlen habe!« schnitt der Capitan ihm das Wort ab. »Ich verantworte das, sofern das erforderlich werden sollte. Wir befinden uns in einer Notlage, das rechtfertigt jede Maßnahme, solange sie der Sicherheit unseres Schiffes dient.« Der Erste Offizier salutierte ergeben, dann verließ er das Achterkastell. Im stillen verwünschte er diesen Auftrag, denn er wußte, daß es jetzt gleich Ärger geben würde. Verdammt noch mal, wie kam dieser Capitan nur auf die Idee, den Neffen des Gouverneurs von Havanna zu solchen Arbeiten heranzuziehen? Hatte den Capitan denn der Teufel geritten? Senor Rodriguez überquerte das Quarterdeck. Weiter vorn, zwischen den Geschützen, im Windschatten des Schanzkleides und der schweren Lafetten, sah er die beiden stehen, das junge, in seinen Augen recht hübsche Mädchen und den etwas stutzerhaften Senor Gonzales. Unwillkürlich blieb er stehen. Diesen Capitan sollte der Teufel holen. Der Kerl mußte komplett verrückt sein, wenn er das von ihm verlangte. Überhaupt war der Alte schon seit
einiger Zeit recht merkwürdig. Allein schon dieses eigensinnige Beharren auf das sofortige Auslaufen trotz der Warnung des Hafenkapitäns, trotz der drohenden Anzeichen für diesen Sturm, der ja dann auch prompt mit aller Macht über sie hergefallen war. Doch dann hob Senor Rodriguez die Schultern und ging weiter. Befehl war Befehl, oder er brachte sich selber in Teufelsküche! Dicht vor dem jugen Gonzales blieb er stehen und salutierte. »Senor, darf ich Sie für einen Moment bitten? Ich habe Ihnen einen Befehl des Kapitäns zu überbringen.« Gonzales runzelte die Stirn. »Einen Befehl?« brauste er auf. »Senor, was soll das bedeuten? Hier an Bord hat mir kein Mensch etwas zu befehlen, ich werde mich sofort beim Capitan beschweren ...« In diesem Moment wurde ihm das Unsinnige seiner Worte klar. Der Erste Offizier war einen Schritt zurückgetreten und hatte die Hand an seinen Degen gelegt. »Senor Gonzales, ich verbiete Ihnen, in diesem Ton mit einem Offizier Ihrer Allerkatholischsten Majestät zu sprechen. Wenn Sie sich nicht mäßigen, muß ich das leider als eine schwere Beleidigung auffassen und Sie um Genugtuung bitten!« Auch er spürte, wie der Zorn über diesen jungen Gecken in ihm aufwallte. Vielleicht hatte der Capitan doch recht, wenn er diesen Burschen mal ein wenig zusammenstauchte. Plötzlich sah Senor Rodriguez die Dinge in einem völlig anderen Licht, zumal auch ihm aufgefallen war, was für ein selbstherrliches, arrogantes Pärchen da zu ihnen an Bord gestiegen war. Senor Rodriguez wurde dienstlich, seine Miene eine einzige, eisige Unnahbarkeit. »Also gut, Senor, wenn Sie nicht wollen, dann werde ich Ihnen eben hier im Beisein Ihrer Verlobten mitteilen, was mir
der Capitan aufgetragen hat.« Er legte eine Pause ein, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, während Gonzales, die Hand immer noch am Degen, ihn aus schmalen Augen anstarrte. Die junge Frau, Dona Elvira, schob sich näher an die beiden heran, damit ihr nur ja kein Wort entging. »Also, was haben Sie mir vom Capitan mitzuteilen? Um was läßt er mich ersuchen?« Dieser Satz war in einem so arroganten Ton gesprochen worden, daß dem ersten Offizier das Blut in den Kopf schoß. »Er läßt Sie um nichts ersuchen, Senor!« zischte er den überraschten Gonzales an. »Der Capitan hat mich beauftragt, Ihnen seinen Befehl zu übermitteln, daß Sie sich sofort in die Pulverkammer zu verfügen haben, um dort dem Segelmacher und dem Waffenmeister und einigen anderen Männern zu helfen, die Pulvervorräte zu sortieren, weil Seewasser in die Pulverkammer eingedrungen ist.« Gonzales glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Seine Rechte umkrampfte den Griff des Degens, sein Gesicht war bei den Worten des ersten Offiziers kreidebleich geworden. »Was hat mir der Capitan befohlen?« fragte er leise und glaubte es noch immer nicht. »Ich soll in die Pulverkammer, um dem Segelmacher und dem Waffenmeister und einigen anderen Männern ...« Erst in diesem Moment wurde ihm bewußt, welch eine Ungeheuerlichkeit, welch eine tödliche Beleidigung dieses Ansinnen für ihn darstellte. Wie in Trance hörte er die Worte des ersten Offiziers, während sich plötzlich vor seinen Augen rote Kreise zu drehen begannen. Gonzales litt unter regelrechten Anfällen von Jähzorn, und jetzt packte er ihn von einer Minute zur ändern. Die bereits zuvor auf dem Achterkastell erlittene Demütigung durch den Capitan trug in diesem Moment auch noch ihren Teil dazu bei.
»... unser Schiff befindet sich in einer Notlage, das gibt dem Capitan das Recht, jede ihm erforderlich scheinende Maßnahme zur Sicherheit der ›Santa Magdalena‹ zu ergreifen. Ich darf Sie daher bitten, dem Befehl unverzüglich Folge zu leisten ...« Mehr hörte Senor Gonzales nicht. Seine Rechte fuhr mit dem Degen hoch. Die lange, spitze Klinge zischte durch die Luft und bohrte sich dem völlig überraschten Senor Rodriguez in die Brust. Aus weitaufgerissenen Augen starrte er seinen Mörder an. Seine Lippen öffneten sich zu einem Schrei, aber Rodriguez brachte keinen Laut heraus. Ein Blutschwall drang aus seinem Mund, dann stürzte er auf die Planken des Decks. Dona Elvira, die diese Wahnsinnstat ihres Verlobten beobachtet hatte, taumelte entsetzt zurück und prallte gegen den Hauptmast, der sich nur wenige Schritte hinter ihr befand. Sie begriff in diesem Moment gar nichts, sie nahm nicht einmal wahr, daß Senor Gonzales bereits über das Hauptdeck aufs Achterkastell zu jagte, den gezückten Degen in seiner Rechten. Sie sackte vielmehr am Großmast zusammen und blieb dort bewegungslos liegen. Gonzales hatte die Stufen erreicht, die zum Achterkastell hochführten. Er jagte sie hoch. »Was?« schrie er dabei. »Mir, dem Neffen des Gouverneurs von Havanna, eine solche Beleidigung? Das kann nur mit Blut abgewaschen werden!« Seine Stimme überschlug sich, und das war der Moment, in dem er auf das Achterkastell sprang. Capitan Don Pedro stand wie erstarrt, er konnte nicht glauben, daß das geschehen war, was er mit eigenen Augen hatte ansehen müssen. »Sie Wahnsinniger!« brüllte er auf, als er den jungen, jähzornigen Spanier auf sich zustürmen sah, Schaum vor dem Mund. Er riß seine Pistole aus seinem Gürtel, statt nach dem Degen
zu greifen. Mit einer Handbewegung spannte er den Hahn, riß die Waffe hoch und drückte ab. Aber nur ein leises Klicken erklang, das Pulver war naß, die Pistole versagte. Seine Rechte fuhr zum Degen und ließ die nutzlose Pistole fahren, die polternd auf die Planken fiel. Aber es war bereits zu spät, denn der Rasende war heran. Noch bevor der Capitan seinen Degen ganz aus der Scheide hatte, fuhr dem Capitan die lange, spitze Klinge seines Gegners in den Leib. Capitan Don Pedro schrie auf. Mit einem Ruck riß er den Degen aus seinem Körper, preßte seine Hände vor die Wunde und taumelte gegen das Schanzkleid des Achterkastells. Aber Gonzales war jetzt wie in einem Rausch. Er drang auf den tödlich Verwundeten ein, stieß dabei unartikulierte Laute aus und stemmte ihn mit furchtbarer Kraft über das Schanzkleid. Capitan Don Pedro erkannte die Gefahr, seine starken Seemannshände griffen zu, erwischten den Tobenden am linken Arm und zogen ihn unbarmherzig mit in den Sturz hinein. Verzweifelt wehrte sich Gonzales, der in diesem Moment aus seinem Jähzorn erwachte, aber es half ihm nichts. Der Capitan rutschte über das Schanzkleid, in wildem Schmerz krümmte er sich zusammen und warf gleichzeitig den Oberkörper zurück. Das gab den Ausschlag. Mit einem gellenden Schrei verschwand Gonzales zusammen mit seinem zweiten Opfer hinter dem Backbordschanzkleid. Sekunden später schlugen die beiden Körper ins Wasser. Der Capitan ging sofort unter, und er zog seinen Mörder mit sich in die Tiefe. Nicht einmal im Tode ließ er ihn los. *
Auf der ›Santa Magdalena‹ herrschte Totenstille. Die Männer, die das grausige Geschehen beobachtet hatten, begriffen dennoch nicht sogleich, was passiert war. Als erster erwachte der Steuermann, ein breitschultriger Spanier mit etlichen Narben im Gesicht, aus seiner Erstarrung. Seine Stimme dröhnte über Deck, er jagte die Männer in die Wanten. »Mann über Bord alles klar bei Halse!« schrie er, und jetzt erst schienen auch die schwerfälligsten der Seeleute zu kapieren, was geschehen war. Einer der Spanier, der am Großmast vorbeirannte, versetzte der bewußtlosen Dona Elvira einen derben Tritt in die Kehrseite. Er hatte diese beiden arroganten Nichtstuer sowieso nicht leiden können. Die ›Santa Magdalena‹ schwang herum. Schwerfällig ging sie auf Gegenkurs, und sie brauchte solange dazu, daß es dem Steuermann, der jetzt das Kommando übernommen hatte, wie eine Ewigkeit erschien. Sie suchten die See ab, setzten trotz des immer noch hohen Seegangs ihre beiden Boote aus, aber sie fanden weder den Capitan noch seinen Mörder. Die See hatte sie verschlungen, und sie gab ihre Opfer nicht wieder frei. Stunden später lag die ›Santa Magdalena‹ wieder auf ihrem alten Kurs. Sie wurde von dem starken Westwind näher und näher auf die nördlichen Ausläufer Hispaniolas zugetrieben, die zusammen mit dem gegenüberliegenden Cuba die schmälste Stelle der Windward Passage bilden. Der Steuermann wußte, daß jetzt nur noch mühsames Kreuzen helfen würde, im ersten Anlauf schafften sie die Durchfahrt nicht mehr. Wieder schwang die ›Santa Magdalena‹ herum. Dona Elvira, von der ganzen Mannschaft wie eine Aussätzige gemieden, stand am Schanzkleid des Achterkartells und starrte auf die See. Der Schock des Geschehenen steckte noch tief in ihr, und
sie spürte und sah die feindseligen Blicke der Mannschaft, sobald einer der Männer in ihre Nähe geriet. Aber sie traute sich nicht unter Deck, so gern sie sich verkrochen hätte. Irgendwie spürte sie, daß dies alles erst der Anfang allen Unheils war, das dem Schiff bevorstand. Und dunkel ahnte sie, daß sie Havanna nie mehr erreichen würde. Den toten ersten Offizier hatte der Segelmacher eingenäht, er sollte gegen Abend, sobald sie die Windward Passage hinter sich gelassen hatten, auf Seemannsart bestattet werden. Es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die vom Segelmacher und vom Steuermann gefordert hatten, jene Hexe, die mit dem Mörder an Bord gekommen war, auch gleich mit einzunähen. Nur mit Mühe hatte sich der Steuermann gegen die aufgebrachten und von Furcht und Aberglauben heimgesuchten Männer durchsetzen und das Allerschlimmste verhindern können. Natürlich war das alles Dona Elvira auch nicht verborgen geblieben. Innerlich zitterte sie vor Angst. Es war am Nachmittag. Die ›Santa Magdalena‹ hatte gerade wieder eine Halse zu einem neuen langen Schlag gefahren, da erschallte aus dem Ausguck der Galeone der Ruf: »Mastspitzen Steuerbord voraus!« Der Steuermann, Pablo Sanchez, fuhr herum. Er starrte in die angegebene Richtung, und auch er sah sie Minuten später. Er stieß einen ellenlangen Fluch aus, denn diese Mastspitzen, die genau den Kurs seines Schiffes kreuzten, konnten nichts Gutes bedeuten. »Klarschiff zum Gefecht!« brüllte er, und im stillen beglückwünschte er sich jetzt, daß er den Segelmacher und den Waffenmeister jenen letzten Befehl Don Pedros noch hatte ausführen lassen, wegen dem es an Bord der Galeone drei Tote gegeben hatte. Die Spanier starrten zu den Mastspitzen hinüber, die sehr schnell über die Kimm wuchsen und schon jetzt zwei jener Karavellen mit Lateinertakelung erkennen ließen, wie sie von
den Piraten der Karibik bevorzugt wurden. Einige der Männer bekreuzigten sich, ehe sie daran gingen, die Geschützpforten hochzuziehen und die fertigen Segeltuchkartuschen in die Rohre der Vierzehnpfünder zu schieben. Sie bekreuzigten sich zu Recht, denn die beiden Schiffe, die die Galeone ebenfalls entdeckt hatten, gehörten zu Caligus Dreiergeschwader. 4. Eine Stunde später meldete eine der Karavellen Caligu, daß sie das Silberschiff der Spanier aufgespürt hätten. Der hünenhafte Pirat verzog das Gesicht zu einem bösen Grinsen. Dann packte er Maria Juanita und zog sie zu sich heran. »Heute läßt Caligu die verdammten Spanier wieder tanzen, Schätzchen!« grölte er und hob einen schweren Rumkrug an die Lippen. »Und du, Maria Juanita, wirst bestimmen, was für Tänze sie uns vortanzen sollen! Ja, Caligu kennt dich, du hast ja immer die besten Ideen!« Er lachte laut und hielt Maria Juanita den Krug an die Lippen, und sie trank gierig. Denn jetzt galt es, sich in Stimmung zu bringen. »Gib den Männern auch Rum, Caligu«, gurrte sie, und ihre geschickten Hände glitten über seinen nackten Oberkörper. »Du wirst sehen, sie kämpfen noch mal so gut.« Der Pirat lachte dröhnend. »Geh, gib ihnen Rum, Schätzchen. Laß sie saufen, aber wer dann nicht mehr kämpfen kann, weil er zu besoffen ist, den wirft Caligu den Haien zum Fraß vor. Sag ihnen das auch, und jetzt geh!« Er hieb ihr seine Pranke auf den Hintern, und Maria Juanita rannte kreischend davon.
Caligu warf einen Blick zum Himmel, und gleichzeitig verfinsterten sich seine Gesichtszüge. Der Sturm hatte nachgelassen, aber der Wind, der die Wolken hinweggefegt hatte, trieb jetzt etwas anderes über den Kimm hoch. Eine diffuse, graue Masse, die schnell an Ausdehnung gewann und auf geheimnisvolle Weise irgendwie aus der See emporzusteigen schien. Caligu stieß einen Fluch aus, so gemein, daß sogar der Steuermann seiner Galeone, der etliches gewöhnt war, erblaßte. Der hünenhafte Pirat kannte das, was da über die See heranwallte. Und er wußte auch, daß der Wind jede Sekunde einschlafen konnte. Und noch trennten sie etliche Meilen von dem spanischen Silberschiff! Mit Donnerstimme jagte er die Mannschaft in die Takelage. »Setzt jedes Segel, das Masten und Rahen tragen, und beeilt euch, oder der Spanier wird uns entwischen!« Caligu warf wieder einen Blick auf die See. Noch blies der Wind unverändert. Nicht günstig für seine Galeone, solange sie sich noch auf Westkurs vorwärtskämpfen mußte, aber er füllte die Segel. Die Piraten enterten auf, und es zeigte sich, daß auch Caligus Männer ihr Handwerk verstanden. Die ersten Nebelschwaden erreichten Caligus Schiff zwei Stunden später. Bleiche, hauchdünne Schwaden krochen von vorn über das Schiff, glitten über die Schanzkleider, breiteten sich an Deck der Galeone aus. Vor Caligus Augen verschwand die See, auch das helle Sonnenlicht wich einem unbestimmten, gespenstischen Grau. Der Pirat warf einen Blick in die Takelage. Auch der Wind hatte spürbar nachgelassen. Die Segel schlugen bisweilen und klatschten an die Masten. Caligu wußte, was das bedeutete. Der Wind würde zu schralen beginnen, von nun an ständig seine Richtung ändern und dabei schwächer und schwächer werden,
bis er schließlich ganz einschlief. Wieder fluchte der Pirat. Aber dann überzog plötzlich ein Grinsen sein Gesicht. Er hatte in diesem Augenblick rollenden Kanonendonner vernommen, der irgendwoher aus der Nebelbank zu ihm herüberdrang. Die beiden Karavellen waren am Feind. Sie hatten ihren Gegner aufgespürt und würden nicht mehr lockerlassen, bis der Spanier lahmgeschossen und damit reif zum Entern war! Noch lief auch die Galeone Caligus etwas Fahrt, mit jeder Minute näherte sie sich der Stätte des Kampfes, eines Kampfes, bei dem es nur Sieger und nur Tote geben würde. Maria Juanita trat zu Caligu. »Hörst du es, Caligu?« fragte sie. »Das Silberschiff ist unser, und daran wird auch der Nebel nichts mehr ändern!« * Weitaus besser standen die Dinge bei dem Seewolf und der Roten Korsarin. Die ›Isabella VIII.‹ und Siri-Tongs Zweimaster hatten die Bucht bereits lange vor Sonnenaufgang verlassen. Anfangs hatten beide Schiffe noch gegen schwere See anzukämpfen gehabt, aber je weiter sie nach Süden vordrangen, desto besser wurde es. Der Wind blies beständig aus West, und alle Segel auf den beiden Schiffen standen prall. Der Zweimaster der Roten Korsarin ließ die ›Isabella‹ bald hinter sich, denn für ihn war der westliche Wind geradezu ideal, um hohe Fahrt zu laufen. Die rahgetakelte Galeone, die sich nicht so hoch am Wind segeln ließ wie ein Schiff mit Lateinersegeln, lief zwar auch gute Fahrt, aber sie tat sich doch entschieden schwerer. Als die Sonne über den Horizont stieg, leuchteten die Segel von Siri-Tongs Zweimaster blutrot auf. Hasard sah, wie SiriTong ihm noch einmal vom Achterkastell aus zuwinkte, ehe ihre Karavelle schließlich kleiner und kleiner wurde.
Nicht ohne Sorge blickte Hasard ihr nach. Was Siri-Tong tat, war bodenloser Leichtsinn oder Tollkühnheit. Sie wußte genau, daß Caligu grundsätzlich nur im Verband operierte, und welche Chancen rechnete sie sich denn aus, falls sie auf seine beiden Karavellen und die Galeone des Piraten stieß ? Wieso vertraute sie eigentlich so sehr darauf, daß Caligu auch in die Falle lief, die sie ihm mit dem spanischen Silberschiff gestellt hatte? Er erinnerte sich, daß Siri-Tong das einmal irgendwann erwähnt hatte, als sie darüber berieten, wie sie Caligu am besten erwischen könnten. Dieser Pirat war ein schlauer und gerissener Bursche, der weit mehr konnte, als Gegnern die Hälse durchzuschneiden. Der Seewolf seufzte. Es wäre sinnlos gewesen, die Rote Korsarin zurückhalten zu wollen. Ihr Haß auf den Piraten war grenzenlos, und Hasard verstand das nur zu gut. Er warf einen Blick in die Takelage. Wenn sie noch etwas höher an den Wind gingen und etwas nach Westen ausholten, dann würden sie später um so schneller auf Tortuga zusegeln und sich die mühsame Kreuzerei ersparen, falls der Wind doch noch drehte. Er wandte sich an Ben Brighton, der neben ihm stand und genau wie er die Segel beobachtete. »Ben, was meinst du, dreht der Wind?« Ben Brighton, der auf der ›Isabella‹ die Stelle des Bootsmanns und ersten Offiziers versah, antwortete nicht sofort. »Der Himmel ist mir zu klar«, sagte er schließlich. »Ich traue dem Wetter nicht. Wenn du mich fragst, dann sollten wir etwas weiter nach Westen segeln, um Legerwall zu vermeiden. Es könnte uns sonst passieren, daß wir zu nahe an eine Küste geraten und dieser verdammte Caligu uns von Luv her auf segelt!« Der Seewolf nickte nur kurz. Noch einmal blickte er zu dem Zweimaster Siri-Tongs hinüber. Aber der war inzwischen
etliche Kabellängen voraus und hielt genau auf die Windward Passage zu. »Ich kann nur hoffen, daß Caligu den Köder angenommen hat. Wissen wir denn, wie zuverlässig dieser Kerl ist, den sie auf Tortuga auf Caligu angesetzt hat? Mir ist da überhaupt noch so manches schleierhaft, Ben. Sie hat mir vorhin an Bord ihres Schiffes so manches erzählt, und was ich gehört habe, war schlimm und genauso niederträchtig, wie Caligu ist. Aber wie funktioniert ihr System, nach dem sie erfährt, wann spanische Schiffe aus welchem Hafen auslaufen und wann nicht? Und welchen Kurs sie segeln werden? Da muß es dann doch jemanden geben, der ihr diese Botschaften zur SchlangenInsel bringt! Jemand, der hundertprozentig zuverlässig ist, dem sie völlig vertraut!« Ben Brighton sah den Seewolf an. »Ich habe mir das auch schon überlegt. Und ich bin zum gleichen Schluß gelangt wie du. Aber wer kann das sein? Wer hat ein Schiff? Wer kann hier zwischen den karibischen Inseln mit diesem Schiff und seiner Mannschaft herumsegeln, ohne daß Caligu das spitzkriegt?« Die beiden Männer schwiegen eine Weile, und keiner von ihnen ahnte in diesem Moment, daß Siri-Tong ein Geheimnis vor ihnen verbarg, das die Seewölfe eines Tages fast um ihren Verstand bringen sollte. * Die ›Isabella‹ hatte ihren Kurs geändert, die Männer braßten die Segel schärfer an. Der Bug der Galeone hob und senkte sich, und das Schiff erwies sich als ein vorzüglicher Segler. Smoky, der auf dem flachen Vorderkastell hockte, spie voller Hochachtung nach Lee aus. »Dieser alte Ramsgate in Merry Old England ist ein Könner ersten Ranges, Arwenack, darauf kannst du einen lassen«, sagte er und kraulte dem Schimpansenjungen den Nacken.
»Dieser Bursche hat mehr Ahnung vom Bau schneller und guter Schiffe als alle, die ich bisher kennengelernt habe.« Matt Davies tauchte bei ihm auf. »He, seit wann führst du Selbstgespräche, oder solltest du dich mit Arwenack unterhalten haben?« fragte er und grinste dabei. Luke Morgan und Jeff Bowie schoben sich hinter Matt die Stufen herauf. »Tatsächlich, der alte Smoky quasselt mit dem Schimpansen«, frozzelte Luke Morgan den Decksältesten. Aber Smoky ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Arwenack besitzt mehr Verständnis als ihr drei zusammen«, erwiderte er seelenruhig. »Zumindest kann er eins, was ihr bis jetzt noch nie gelernt habt, und du am allerwenigsten, Luke: Er hört wenigstens zu!« In diesem Moment tauchte Ed Carberry ebenfalls auf dem Vorderkastell auf. Er sah die vier Männer an, und seine Miene verfinsterte sich sofort. »Also hat man da noch Töne?« fragte er, und das Grollen in seiner Stimme verhieß nichts Gutes. »Braucht ihr eigentlich erst eine Extraeinladung, oder soll ich euch Feuer unter euern verdammten Affenärschen machen? Los, aufs Hauptdeck mit euch, oder glaubt ihr, Al und ich wollen die Geschütze allein gefechtsklar machen?« Luke Morgan fuhr herum. »Geschütze gefechtsklar machen?« fragte er. »Ist dieser verdammte Caligu etwa schon in Sicht?« »Du bist noch blöder, Luke, als ich das schon längst befürchtet habe. Wir haben noch nie gewartet, bis uns so ein Scheißkerl wie dieser Caligu überrascht. Außerdem ist da unten etwas im Gang. Ferris und Hasard stecken dauernd die Köpfe zusammen, und Ferris ist dabei, so ein paar eigentümliche Gestelle zusammenzuzimmern. Batuti und der Segelmacher helfen ihm dabei, also ich habe so etwas noch nicht gesehen. Aber die Kerle lassen nichts raus, das sind die reinsten Geheimbündler!«
Smoky sprang auf, und Arwenack, der erschrocken zur Seite flitzte und wie der Blitz in der Takelage verschwand, keckerte empört. Dan, der wieder einmal im Großmars hockte und als Ausguck fungierte, streckte seinen Kopf über den Rand des Korbes. »He, verdammt noch mal, was gibt es denn nun schon wieder da unten?« brüllte er, verstummte jedoch, als sein Blick zufällig auf Hasard, Ferris Tucker, Batuti und den Segelmacher fielen, die gerade dabei waren, wieder eines der seltsamen Gestelle am Schanzkleid aufzubauen. Er kriegte direkt einen langen Hals, und auch der alte O’Flynn sauste über das Hauptdeck, daß man das Tacken seines Holzbeines weithin an Bord der ›Isabella‹ hörte. Auch er blieb bei der Gruppe um Hasard stehen, und seine Augen zogen sich mißtrauisch zusammen. »He, Ferris, alter Haifisch«, sagte er, »was wird denn das, wenn’s fertig ist? Ihr könnt doch ‘n alten Kerl wie mich nicht einfach so verarschen! Also los, raus mit der Sprache!« Aber der hünenhafte Schiffszimmermann schüttelte nur den Kopf. »Da müßt ihr Hasard fragen, ich sage gar nichts dazu!« Und damit arbeitete er weiter. Der alte O’Flynn stampfte ärgerlich mit seinem Holzbein auf, dann sah er den Kutscher an, der sich ebenfalls eingefunden hatte und die Szene beobachtete. »He, Kutscher, weißt du, was da für ein Mummenschanz veranstaltet wird? Aber du weißt das gleich gar nicht, denn dein Horizont reicht ja sowieso nicht über den Rand deiner Kochtöpfe und Tiegel hinaus ...« Fluchend sprang Old O’Flynn zur Seite, als der Kutscher die Pütz Seewasser, die er in der Hand hielt, schwungvoll in seine Richtung entleerte. Wie wild ruderte er dabei mit den Armen, um die Balance nicht zu verlieren, und ihn rettete nur die Nagelbank des Großmastes, gegen die er prallte.
»Du solltest das Maul nicht immer so voll nehmen, Alter!« fauchte der Kutscher, der es nun einmal nicht leiden konnte, wenn man seine Bemühungen, der Crew stets ein anständiges Essen vorzusetzen oder ihre Wunden zusammenzuflicken, sofern dies notwendig wurde, nicht entsprechend respektierte. »So dämlich wie du bin ich nämlich noch lange nicht. Ich weiß genau, was Hasard mit diesen Gestellen vorhat. Und ich gehe jede Wette ein, daß sich Ferris die Sache ausgetüftelt hat!« Dem alten O’Flynn blieb vor Erstaunen der Mund offen, aus dem er soeben einen saftigen Fluch entlassen wollte. »Ho, du weißt es also?« höhnte er, aber seine Stimme klang eher unsicher. »Hört, hört, unser Kutscher weiß das, was wir alle nicht wissen! Das muß doch ein ganz verdammt kluges Kerlchen sein. So, und jetzt ‘raus mit der Sprache, aber wenn du dein Maul zu voll genommen hast, Kutscher, dann werde ich dir mit meinem Holzbein ein paar überziehen, daß du alle Teufel in der Hölle brüllen hörst und tanzen siehst! Also?« Er humpelte heran, und auch Carberry trat drohend näher, das Rammkinn ganz nach vorn gereckt. Ein Alarmzeichen beim Profos, das jeder kannte. Der Seewolf hatte seine Arbeit unterbrochen, und blickte den Kutscher ebenfalls aufmerksam an. Er hatte sich über diesen sonst so stillen Mann schon oft seine eigenen Gedanken gemacht, und jetzt war er wirklich gespannt. Der Kutscher ließ sich nicht zweimal bitten, und dem Seewolf entging nicht, daß Dan in geradezu halsbrecherischer Weise aus dem Mastkorb hing, damit ihm nur ja nichts entging. Der Kutscher warf sich in Positur. Er war zwar nur von schmächtiger Gestalt, aber jeder Mann an Bord der ›Isabella‹ wußte, daß er dennoch über ganz beachtliche Kräfte verfügte und ein verwegener Kämpfer sein konnte, wenn die Stunde es erforderte. Er streckte die Brust heraus und plusterte sich auf, denn alle sahen ihn an, und sogar Stenmark, der lange Schwede,
bedachte ihn mit einem respektvollen Blick. »Also, das ist doch ganz einfach«, sagte er. Und dann erklärte er den völlig überraschten Männern, was es seiner Meinung nach mit den rätselhaften Gestellen für eine Bewandtnis hatte. Ferris Tucker hatte ebenfalls den Zimmermannshammer aus der Hand gelegt und starrte den Kutscher an wie eine Erscheinung. Hasard trat auf den Kutscher zu. »Er hat recht, genauso verhält es sich. Verdammt, Kutscher, du bist ja ein ganz abgefeimter Halunke, ich habe gar nicht gewußt, was in dir steckt!« Der Kutscher wurde vor Verlegenheit tatsächlich rot, aber er fing sich schnell wieder. »Dazu gehörte doch nicht allzuviel«, murmelte er. »Jeder, der nur ein bißchen Grips in seinem Schädel hat, der mußte das doch sehen, der ...« Carberry räusperte sich, aber er tat es auf eine Weise, die den Kutscher augenblicklich verstummen ließ. Nur der alte O’Flynn ließ sich nicht stören, er schlug dem Kutscher seine Rechte auf die Schulter, daß er fast in die Knie ging. »Verdammt, ich habe dir vorhin unrecht getan, Freund«, sagte er vernehmlich. »In meiner Kiste liegt noch eine Buddel Rum, die gehört dir, nein, keine Widerrede, oder ich schnalle mein Holzbein ab, klar? Ich werde sie dir jetzt sofort heraufholen.« Und damit humpelte er im Eiltempo davon. Die Besatzung hatte sich um den Seewolf und den Kutscher geschart. »Gut, ich wollte es euch später sagen, aber jetzt ist es ja schon heraus. Caligu wird seinen Spaß an dieser Überraschung haben, falls wir ihn erwischen. Drei oder vier Mann werden jetzt sofort mit Ferris üben, damit nachher alles klappt. Du, Kutscher, bist dabei. Ich will doch mal sehen, wie du dich dabei anstellst. Also, los, sobald Ferris mit diesem Gestell hier fertig ist, fangen wir an. Aber Vorsicht, das sag ich euch, mit
diesen Teufelsdingern ist nicht zu spaßen! Ihr habt es ja selbst gesehen!« Der Seewolf dachte in diesem Moment genau wie seine Männer an die endlosen und entsetzlichen Stunden, die sie mit der ›Isabella‹ zwischen Schiffswracks und Toten im Tang der Sargassosee gesteckt hatten, ohne jede Hoffnung, diese Hölle je wieder lebend zu verlassen. Und den Männern liefen sogar jetzt noch bei der Erinnerung an diese Stunden eiskalte Schauer über den Rücken. Aber der Seewolf ließ ihnen keine Zeit, zuviel darüber nachzudenken. Einen Teil scheuchte er an die Geschütze, eine Gruppe begann damit, die Drehbassen gefechtsklar zu machen. Eine andere, das große Boot nach genauen Instruktionen Carberrys auszurüsten und es zum sofortigen Abfieren vorzubereiten. Batuti, Big Old Shane, Ferris Tucker, den Kutscher und Bob Grey, einen in technischen Dingen aller Art ganz besonders beschlagenen Engländer, behielt er bei den Gestellen. Er hatte nicht die Absicht, diese Männer später auch alle dort einzusetzen, aber er wollte bei dieser Gelegenheit gleich eine Crew schaffen, die im Ernstfall mit jener geheimnisvollen Waffe umzugehen verstand, die sie auf dem Schiff der schlitzäugigen Fremden in der Sargassosee entdeckt hatten. Batuti rollte vor Begeisterung die Augen. »Caligu schon tot, schon kaputt«, sagte er. »Armes Caligu, du ganz bestimmt wieder eins auf Nase kriegen.« Aber dann wurde er plötzlich ernst. Er dachte an die Rote Korsarin, und wenn er auch nicht die Gründe kannte, warum sie Caligu so haßte, Batuti hatte ein Gespür dafür, daß diese Frau als Gegner ganz verdammt gefährlich war. Der Wind hielt an, und die ›Isabella‹ legte Meile um Meile zurück. Erst als Hasard nach Stunden einen Blick zum Horizont warf, stieß er eine Verwünschung aus. Ben Brighton, der ebenfalls sah, was sich da vor ihnen
zusammenbraute, nickte nur in seiner bedächtigen, gründlichen Art. »Ich habe es gewußt, Hasard, einem Wetter wie diesem darf man nie trauen. Wenn ferne Dinge plötzlich näher und näher rücken, dann braut sich immer etwas zusammen.« Ben Brighton behielt recht. Es braute sich tatsächlich etwas zusammen, und die Seewölfe kriegten das auch zu spüren. 5. Pablo Sanchez, der Steuermann der ›Santa Magdalena‹, der nach den entsetzlichen Ereignissen an Bord seines Schiffes das Kommando übernommen hatte, sah die dichte Nebelbank, die vor ihnen auftauchte. Er wandte sich um und schickte einen Blick zu der Piratenkaravelle hinüber, die eben drehte, um einen neuen Angriff auf sein Schiff zu fahren. Die Nebelbank könnte unsere Rettung sein! schoß es ihm durch den Kopf. Vielleicht gelingt es uns, in ihrem Schutz zu entwischen! Pablo Sanchez zog eine grimmige Grimasse. Er war alles andere als ein Feigling, aber er hatte längst begriffen, daß er gegen die beiden Piratenschiffe mit seiner schwerfälligen Galeone und seiner demoralisierten Mannschaft keine Chance mehr hatte. Außerdem kannte er die Taktik dieser KaribikPiraten nur zu gut, denn es war keineswegs der erste Strauß, den er mit ihnen ausfocht. Diese kleinen, schnellen Karavellen waren zumeist nur Fühlungshalter. Eine Galeone konnte sie nicht abschütteln, aber sie holten dann das eigentliche und schwerer bewaffnete Schiff heran. Wieder wandte Pablo Sanchez sich um. Und er bemerkte, daß auch seine Männer zu dem Piraten hinüberstarrten, der nur langsam herumschwang, weil der Wind zu einem derartigen
Manöver kaum ausreichte. Die ›Santa Magdalena‹ hingegen konnte zu diesem Zeitpunkt mit ihren großen Rahsegeln jedes bißchen Wind voll ausnutzen, das sich anbot. Die Nebelbank rückte näher, und wenn sie sie rechtzeitig erreichten, dann hatten die Piraten das Nachsehen, wenigstens für eine Weile. Die ›Santa Magdalena‹ schien Glück zu haben. Ihr Bug tauchte in die Nebelbank, dann verschwand der Fockmast, danach der Hauptmast und dann geschah es. Ein Schatten wuchs vor dem Schiff auf und glitt genau aus dem Nebel auf sie zu. Pablo Sanchez erstarrte, er begriff sofort, was das bedeutete. Das war die zweite Karavelle, und die segelte genau auf Kollisionskurs. Sanchez reagierte schnell viel schneller, als er sich das je selber zugetraut hätte. Mit einem Satz flankte er über die Schmuckbalustrade, kam federnd auf und lief zum Rudergänger am Kolderstock hinüber. Zu langen Ruderkommandos blieb keine Zeit mehr, wenn die beiden Schiffe nicht zusammenprallen sollten. Ohne ein Wort stemmte er sich in den Kolderstock, und die ›Santa Magdalena‹. lief noch genügend Fahrt, um auf das Ruder zu reagieren. Sie schwang nach Steuerbord herum, die einzige Möglichkeit, dem Piraten noch auszuweichen, Der Steuermann wußte, daß seine Männer an den Geschützen standen, die brennenden Lunten in der Hand. Viel von dem nassen Pulver hatten sie nicht mehr retten können, aber für ein paar Breitseiten reichten die Vorräte und die fertigen Segeltuchkartuschen noch aus. Sanchez bedeutete dem Rudergänger, den Kurs unter allen Umständen beizubehalten, ganz gleich, was dabei mit den Segeln geschehen würde, dann raste er auch schon los, zum Geschützdeck hinüber. Er gab seinen Männern einige leise Befehle, anschließend
enterte er ein Stück in die Wanten des Großmastes auf, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Er sah die Karavelle der Piraten wie einen Schemen herangleiten, und er wußte, daß sie die ›Santa Magdalena‹ in nur wenigen Yards Abstand passieren würde. Auch die Piraten hatten den Gegner jetzt entdeckt, gedämpftes Gebrüll klang zu den Spaniern hinüber. Die Piraten versuchten ebenfalls, dem drohenden Zusammenstoß auszuweichen, denn die Mannschaft der kleinen Karavelle war viel zu schwach, um es mit der zahlenmäßig weit stärkeren Crew der Galeone aufzunehmen. Pablo Sanchez nutzte seine Chance eiskalt und ohne zu zögern. Die Karavelle, die auch jetzt durch den dichten Nebel nur undeutlich zu erkennen war, glitt an Backbord vorüber. »Feuer!« Der Steuermann brüllte den Befehl in die weißen Schwaden hinein, die immer dichter zu werden schienen. Die zehn Vierzehnpfünder an Backbord entluden sich donnernd. Grelle, meterlange Mündungsfeuer zuckten aus den Rohren. Dichter schwarzer Qualm wölkte hoch, der Nebel schien sekundenlang zu glühen. Die Breitseite wie auch das Zusammentreffen mußte die Piraten völlig überrascht haben. Um so verheerender war die Wirkung der schweren Eisenkugeln und der durch Ketten miteinander verbundenen Stangenkugeln, die die kleine Karavelle aus der geringen Distanz mit furchtbarer Wucht trafen. Die beiden Masten wurden auf der Stelle nur einen knappen Yard über Deck abrasiert. Sie kippten zur Seite, die Segel, das laufende und das stehende Gut klatschten an Deck und bildeten sofort ein undruchdringliches Chaos. Schreie hallten über das Wasser, Feuerschein durchzuckte den Nebel, im nächsten Moment waren die beiden Schiffe aneinander vorbei, und der Nebel verschluckte die Karavelle. Die Spanier brachen in Triumphgeschrei aus, aber der Steuermann stoppte sie sofort.
»Seid still, ihr verdammten Narren!« überschrie er sie. »Von jetzt an herrscht absolute Stille an Bord. So ein Glücksfall wird uns nicht noch einmal aus der Klemme helfen. Der Nebel ist unsere Chance, aber er ist nur dann unsere Chance, wenn uns die Piraten nicht aufspüren!« Die Männer an Bord verstummten schlagartig, sie wußten, daß ihr Steuermann recht hatte. Dona Elvira stand totenblaß auf dem Achterkastell. Sie zitterte am ganzen Körper, denn sie wußte ganz genau, was ihr blühen würde, wenn die Piraten das Schiff wiederfinden und entern würden. Ihre Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander. Sanchez trat zu ihr. »Sie sollten besser unter Deck gehen, Senorita«, sagte er. »Es ist besser, wenn meine Männer nicht mehr daran denken, daß Sie an Bord sind. Sie haben noch nicht vergessen, was passiert ist und Don Pedro besaß das Vertrauen und den Respekt der Männer. Noch immer liegt die Leiche des von Ihrem Verlobten ermordeten Senor Rodriguez an Deck. Hören Sie auf mich, gehen Sie in die Kammer des Kapitäns, auch wenn es dort noch so unwirtlich sein mag!« Dona Elvira sah ihn an, und ihre Lippen zitterten, in ihrem Gesicht zuckte es unablässig. »Glauben Sie, Senor Sanchez, daß wir gegen die Piraten eine Chance haben? Glauben Sie, daß wir ihnen entkommen werden?« Der Steuermann blickte zur Seite. So arrogant dieses Mädchen auch gewesen sein mochte, so sehr er sich über sie und ihren Verlobten geärgert hatte, jetzt tat sie ihm leid. Aber dennoch beschieß er, aufrichtig zu sein. »Ich kann es nur hoffen, Dona Elvira«, sagte er leise. »Ich habe es von Anfang an für einen Fehler gehalten, durch die Windward Passage an Tortuga vorbeizusegeln, denn ich wußte, daß wir Gefahr liefen, von den Piraten, die dieses Gebiet kontrollieren, aufgespürt zu werden. Aber Don Pedro hat nichts
davon wissen wollen. Hören Sie mir jetzt genau zu, Dona Elvira, und glauben Sie mir, daß ich es gut mit Ihnen meine. Es gibt hier in diesen Gewässern einen Kerl namens Caligu. Wenn es seine Fühlungshalter sind, die uns aufgespürt haben, dann gibt es für uns keine Chance mehr, zu entkommen. Wenn dieser Kerl unsere Galeone angreifen und entern sollte, dann werde ich Sie eigenhändig töten, ehe ich Sie diesem Teufel überlasse. Und auch ich werde mir den Tod geben, denn ich weiß, was es bedeutet, gefoltert zu werden.« Dona Elvira wurde kreidebleich. Mühsam wahrte sie die Fassung. Dann lehnte sie sich plötzlich an die Brust des Steuermanns. »Ja, Senor, versprechen Sie mir, daß Sie mich dieser Bestie nicht lebend überlassen werden, lieber ... will ich tot sein, als das ...« Sie schluchzte, und ein Weinkrampf schüttelte ihren Körper. Sanchez beruhigte sie, so gut es ging. Dann hob er ihren Kopf hoch und sah sie an. »Ich bin nicht mehr jung, Dona Elvira. Und ich habe es nicht fertiggebracht, Ihnen diese schlimme Wahrheit zu verschweigen. Wenn es zum Äußersten kommen sollte, dann können Sie sich auf mich verlassen, das verspreche ich. Aber noch ist es nicht soweit. Und eines habe ich gelernt, man soll nie aufgeben, sofern auch nur noch eine geringe Hoffnung besteht, zu überleben!« Er sah sie eine Weile an. Dann legte er plötzlich einen Arm um ihre Schulter. »Dona Elvira, ich habe es mir überlegt. Sie würden es allein in der verwüsteten Kammer unseres toten Kapitäns doch nicht aushalten. Bleiben Sie ruhig hier oben bei mir. Aber halten Sie sich in meiner Nähe auf, nur dann vermag ich Sie zu schützen!« Die junge Frau sah ihn dankbar an, dann nickte sie nur, und noch immer rannen die Tränen über ihre eingefallenen
Wangen.
* Caligu hatte die zweite Karavelle, die brennend aus der Nebelbank herausgelaufen war, gesichtet. Sein Gesicht verzerrte sich. »Ha! Was ist das?« brüllte er. »Und ich habe gedacht, diese Idioten hätten den Spanier lahmgeschossen!« Er wollte zum Hauptdeck hinunter, aber Maria Juanita hielt ihn zurück. »Ich habe sofort gehört, daß es nicht unsere Geschütze waren, die geschossen haben, Caligu. Wenn wir den Spanier jetzt noch kriegen wollen, dann werden wir ihn suchen müssen. Aber überlege mal, die Karavelle ist eben aus der Nebelbank herausgekommen. Der Wind weht nur noch schwach, und er wird gleich ganz einschlafen. Weit kann der Spanier also auch noch nicht sein. Wie wäre es, wenn du etwa dorthin, in die Richtung, ein paar Breitseiten in den Nebel abfeuern würdest? Irgendwo dort muß dieser verfluchte Don doch stecken. Vielleicht gerät sein Schiff sogar in Brand, vielleicht erzielst du wirklich einen Treffer! Schieß mit allem, was du hast, mit den Geschützen, mit Kugeln und Stangenkugeln, mit den Drehbassen und mit Musketen. Schon das Geschrei der Spanier könnte uns ihren Standort verraten. Aber laß der anderen Karavelle signalisieren, daß sie jetzt nicht in die Nebelbank hineinsegeln soll, sonst treffen wir am Ende noch unser eigenes Schiff!« Caligu starrte die brennende Karavelle an, die nichts mehr war als ein treibendes Wrack. Die Mannschaft hatte es noch nicht einmal geschafft, die Taue zu kappen, an denen die Masten immer noch hingen und das Schiff stark nach Steuerbord krängten. Und er sah die andere Karavelle, die offensichtlich den Gefährten zu Hilfe eilen wollte.
Er stieß einen wüsten Fluch aus, aber dann packte er Juanita plötzlich. »Du hast recht, Schätzchen! Du bist nicht nur eine gute Liebhaberin, sondern du bist klug, gefährlich klug. Es muß schlimm sein, dich zum Feind zu haben, aber jetzt werde ich tun, wozu du mir geraten hast!« Caligu jagte zum Geschützdeck hinunter, indem er einfach über die Schmuckbalustrade des Achterkastells setzte. »Los, beeilt euch, Ihr Hunde!« schrie er die Männer an den Kanonen an. »Und du, Steuermann, halst jetzt nach Steuerbord, los, Juanita, sag ihm, wie er steuern soll!« Die Galeone Caligus schwang herum. Wenig später löste sich die erste Breitseite donnernd aus ihren Geschützen und fuhren die yardlangen Stichflammen der Kanonen über die See. Caligu lauschte, aber nichts rührte sich. »Weiter nach Steuerbord!« brüllte er. »Höher die Rohre, ihr sollt euch tummeln, sage ich!« grölte er und versetzte einem der Männer, der ihm nicht schnell genug arbeitete, einen Tritt in den Hintern, daß der Mann mit dem Schädel gegen die Lafette des schweren Geschützes prallte und augenblicklich das Bewußtsein verlor. Caligu sah den Mann zusammenbrechen und regungslos liegenbleiben. Wilde Wut packte ihn. »Was?« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Was, du faules Schwein bleibst einfach liegen? Dir wird Caligu zeigen, was mit denen passiert, die seine Befehle nicht schnell genug ausführen!« Er bückte sich, riß den Bewußtlosen hoch und warf ihn mit einem weiten Schwung über Bord. Nebelschwaden zogen bereits über das Schiff. Die Männer an den Geschützen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten und den riesigen Piraten anstarrten, hörten den Körper ihres Gefährten in die See klatschen. Caligu, rasend vor Wut, sprang auf sie zu.
»Noch einer?« schrie er sie an. »Will noch jemand zu den Haien?« Die Männer, in deren Augen eben noch Feindseligkeit aufgeflackert war, duckten sich, fuhren mit den Wischern in die Rohre, schoben Kartuschen ein, verdämmten sie, rammten dann Kugeln oder Stangenkugeln drauf, verdämmten wieder. »Feuer!« Die Stimme Caligus dröhnte über das Deck, und wieder entluden sich krachend die Geschütze. Fetter, schwarzer Qualm begann zusammen mit dem dichter und dichter werdenden Nebel die Galeone des Piraten einzuhüllen. Diesmal hatte der Pirat mehr Gluck als Verstand, denn die zweite Salve lag voll im Ziel. * Pablo Sanchez sah das Aufblitzen der Mündungsfeuer sogar noch durch den Nebel hindurch. Es war, als ob plötzlich eine gewaltige Entladung die Nebelwand durchzucke. Instinktiv duckte er sich hinter das massive Schanzkleid, und ganz automatisch riß er die wie erstarrt dastehende Dona Elvira mit sich auf die Planken. Und dann heulte es heran. Pablo Sanchez hatte einen Moment das Gefühl, als ob das Ende der Tage gekommen sei und das Jüngste Gericht begonnen habe. Er spürte die schweren, dumpfen Einschläge der zwanzigpfündigen Kugeln, er hörte das Bersten und Splittern in der Takelage, die von den Stangenkugeln zerfetzt wurde, und er hörte das Schreien und Brüllen der Verwundeten, die sich an Deck in ihrem Blut wälzten. Der Großmast neigte sich zur Seite, ganz langsam, wie von unsichtbaren Gewalten gezogen, neigte er sich und stürzte dann an Deck. Rahen und Segel begruben die Männer unter sich, Taue verhedderten sich an Deck, im Fockmast ächzten Blöcke
knirschschten die Pardunen und rissen schließlich unter der gewaltigen Belastung. Pablo Sanchez sprang auf. Seine Hand fuhr zum Degen, er wußte, daß mit dieser Salve die Todesstunde der ›Santa Magdalena‹ begonnen hatte, wenn nicht noch ein Wunder geschah. Aber es geschah keins. Die Verwundeten stöhnten und schrien. Eingeklemmt unter den Trümmern der Takelage, begraben unter den Segeln. Irgendwo hatte jemand die brennende Lunte fallengelassen, und jetzt entlud sich donnernd eines der Geschütze. Musketenfeuer knatterte auf. Von irgendwoher spuckten Drehbassen gehacktes Blei in das herrschende Chaos. Und dann blitzte es wieder auf. Die zweite Salve, von der Galeone Caligus abgefeuert, lag wieder voll im Ziel. Die Einschläge der schweren Eisenkugeln schüttelten die ›Santa Magdalena‹ durch. Weitere Stangenkugeln rasierten auch den Fockmast ab, Brandpfeile zischten durch den Nebel heran und setzten das Durcheinander von Segeln augenblicklich in Brand. Pablo Sanchez bückte sich und hob die zuckende und zitternde Dona Elvira auf. Aber er sah sofort, daß hier jede Hilfe zu spät kam, und er sein gegebenes Versprechen nicht mehr zu halten brauchte. Ein Holzsplitter war ihr in die Brust gedrungen. Noch bevor er etwas zu ihr sagen konnte, sackte sie in sich zusammen. Ihre Augen starrten ihn blicklos an. Langsam ließ er sie wieder auf die Planken gleiten, dann blickte er sich um. Eine kleine Gruppe von Männern versuchte krampfhaft, das mittschiffs immer wieder auflodernde Feuer zu löschen - vergebens. Pablo Sanchez lief zu ihnen. Wasser brauchten sie, die Flammen durften sich nicht weiter ausdehnen. Und dann wieder dachte er plötzlich, daß es ja sowieso egal sei, verloren waren sie so oder so. Pablo Sanchez wollte etwas zu seinen Männern sagen, da sah
er plötzlich die triefend nassen Gestalten, die wie Schemen in dem ganzen chaotischen Durcheinander auftauchten, sich über die Schanzkleider schwangen und dann mit Enterbeilen und Messern auf ihn und seine Männer eindrangen. Allen voran Caligu, der riesige Pirat. Pablo Sanchez sprang zurück. Er begriff gerade noch, daß die Piraten sich nach der zweiten Salve, die die ›Santa Magdalena‹ getroffen hatte, ins Wasser gestürzt haben mußten und zu ihrer Beute herübergeschwommen waren. Trotz der Haie, von denen die Gewässer hier nur so wimmelten. Pablo Sanchez sah Caligu auf sich zustürmen, ein langes Entermesser in der Rechten. Er riß seinen Degen hoch, und ließ Caligu voll in die lange, spitze Klinge laufen, aber der Pirat lachte nur. Was scherte ihn schon ein Degen? Mit dem Belegnagel, den er in der Linken hielt, wischte er die Klinge zur Seite, dann zuckte das Entermesser hoch zum tödlichen Stoß. Aber der Spanier war schneller. Er duckte sich, unterlief den tödlichen Stoß, und wieder zuckte seine Degenspitze auf den Piraten zu. Caligu sah die Klinge und wußte, daß er diesmal nicht mehr ausweichen konnte. Er sprang aus dem Stand hoch, packte eines der herumhängenden Taue, stieß sich ab und pendelte zurück. Der Stoß von Sanchez ging ins Leere, und wieder lachte Caligu dröhnend, der längst begriffen hatte, daß er es mit dem Kapitän des Schiffes zu tun hatte und daß dieser Kerl gefährlich war, sogar für ihn, Caligu. Der Steuermann wich zurück, als der Pirat wieder auf ihn zupendelte. Sein Degen zischte vor, und diesmal erwischte er Caligu am Arm. Caligu spürte den Schmerz, er ließ sich einfach fallen, rollte sich über die Planken und sprang wieder auf. Blut lief über seinen Unterarm, ein heftiger Schmerz breitete sich bis zur
Schulter aus. Caligu sah rot. Ohne jede Rücksicht auf den Degen des Spaniers stürzte er vorwärts. Die vorschnellende Klinge fegte er abermals zur Seite, diesmal mit dem nackten linken Arm, denn den Belegnagel hatte er fallen gelassen, als er nach dem Tau gegriffen hatte. Für einen winzigen Moment verwirrte den Spanier dieser ungestüme Angriff des Piraten, der Reflexe wie ein wildes Tier zu haben schien. Er warf sich zur Seite, aber Caligu hatte damit gerechnet. Die beiden Männer prallten so heftig zusammen, daß der Degen des Spaniers in hohem Bogen davonwirbelte. Caligu nutzte seine Chance sofort. Er stieß sofort zu, und sein Messer durchbohrte Sanchez Brust. Einen Moment stand der Spanier wie erstarrt. Dann durchlief seinen Körper ein heftiges Zittern, begleitet von dem dröhnenden Lachen Caligus, der sein Opfer packte und es in hohem Bogen über Bord warf. Pablo Sanchez spürte den Aufschlag auf die Wasseroberfläche nicht mehr. Er war tot, bevor sein Körper in der See verschwand. Überall auf der ›Santa Magdalena‹ tobte der Kampf, aber die Spanier waren von den Piraten bereits bis zum Vorderkastell zurückgedrängt worden. Und immer wilder griffen die Piraten an. Schließlich hob ein alter, grauhaariger Seesoldat die Hände. »Wir ergeben uns, hört auf!« rief er. Er sagte es so laut, daß ihn jeder an Bord verstand. Auch Caligu, der eben in langen Sätzen über das Hauptdeck heranfegte. Abrupt blieb Caligu stehen, seine Augen waren nur noch Schlitze, sein linker Arm voller Blut, genau wie die Klinge seines Entermessers, das er in der Hand hielt. »Waffen weg!« sagte er nur, und die Spanier befolgten seinen Befehl sofort. Der alte Soldat trat einen Schritt vor, er wollte etwas sagen, aber Caligu schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Weißt du, wer ich bin?« fragte er und trat auf den Alten zu. Der Alte schüttelte den Kopf. Caligu starrte ihn an. Dann drehte er sich zu seinen Spießgesellen herum und blickte sie an. »Er weiß es nicht. Holt Maria Juanita, sie soll es ihm sagen und auch, was das bedeutet! Fesselt sie! Sucht schwere Ketten! Nehmt euch den Alten mit, er wird wissen, wo auf diesem Schiff die Ketten und die Eisenfesseln verwahrt werden.« Die Piraten grinsten, dann packten zwei von ihnen den Alten und stießen ihn vor sich her, einen der Niedergänge hinunter. Ein anderer wollte sich übers Schanzkleid schwingen, um zu der ganz in der Nähe liegenden Galeone Caligus hinüber zu schwimmen, aber in diesem Moment drangen Rufe aus dem immer dichter werdenden Nebel herauf. »He, Caligu! Wirf mir ein Tau herab, damit ich raufklettern kann!« Caligu lief zum Schanzkleid. »Los, ein Tau!« befahl er. Im nächsten Moment hielt er eins in seinen Pranken. Er warf es hinunter und ganz undeutlich erkannte er den Schemen eines Bootes an der Bordwand der ›Santa Magdalena‹. Maria Juanita schwang sich als erste über das Schanzkleid. Sie fragte nichts, sie sah auch so, daß sich das Schiff fest in Caligus Händen befand. Der Pirat grinste sie an. »Die Spanier wissen nicht, wer ich bin«, sagte er nur. »Ich wollte dich gerade holen lassen, damit du es ihnen beibringst. Du verstehst dich darauf, Maria Juanita, und wir werden wieder ein Fest feiern wie auf dem letzten Spanier, den wir gekapert haben!« Caligu hörte wieder die Schreie der Gefolterten, sah wieder die zuckenden Flammen der Feuer, die sie an Bord des Spaniers entzündet hatten und um das sie die Spanier tanzen ließen, die ganze Nacht ...
Tanzen! Ja, das war’s, was er wollte! »Laß sie tanzen, Maria Juanita, so wie damals! Aber warte, erst wollen wir sehen, was diese Galeone in ihrem Bauch hat. Caligu will das Silber und das Gold sehen, mit seinen eigenen Händen betasten, dies ist ein großes Schiff, und es hatte viele Soldaten an Bord.« Er ging mit Maria Juanita davon. Auf dem Achterkastell, wo die tote Dona Elvira lag, blieb Maria Juanita stehen. Mit dem Fuß drehte sie die Leiche um. »Schade, Caligu, daß sie schon tot ist«, sagte sie, »die wäre die Richtige für dich ge ...« Einer der Piraten stürzte an Deck. Seine Kleidung war klatschnaß, sein Gesicht wirkte bleich. »Sie säuft ab, Caligu!« schrie er den Piraten an. »Sie hat den ganzen Bauch voll Silber und Gold, aber sie nimmt so viel Wasser durch ein paar Lecks, daß sie in spätestens einer Stunde zu den Fischen geht!« Caligu und Maria Juanita standen ein paar Sekunden wie erstarrt. Dann sausten sie los, geradewegs auf den Niedergang zu, aus dem der Pirat eben aufgetaucht war. Sie brauchten nicht weit hinunterzusteigen. Sie vernahmen das Rauschen und Brodeln des eindringenden Wassers auch so. Caligu stieß eine Verwünschung aus, dann raste er die Stufen wieder hoch. Er sprang an Deck. »Der Kahn säuft ab. Werft die Spanier über Bord oder schlagt sie tot, beeilt euch, wir haben nicht mehr viel Zeit! Dieser ganze verfluchte Kahn steckt voller Gold und Silber!« Die Piraten zögerten nicht. Grauenhafte Szenen spielten sich kurz darauf an Bord der ›Santa Magdalena‹ ab, aber die Piraten kannten kein Erbarmen. Keiner der Spanier überlebte das Massaker. Wenig später durchzogen die dreieckigen Rückenflossen der Haie die Wasseroberfläche. Der Alte, der sich ergeben hatte und dessen Beispiel die anderen gefolgt waren, starb zuletzt.
Noch ehe sie ihn vom Schanzkleid zu den Haien hinunterstießen, drehte er sich ein letztes Mal um. »Caligu!« rief er mit weithin schallender Stimme. »Ich verfluche dich für diesen Mord an Wehrlosen. Ich verfluche dich und deine Bande von Mördern. Ihr werdet alle sterben, und der Teufel in der Hölle wartet schon auf euch!« Dann, bevor einer der Piraten Hand an ihn legen konnte, sprang er. Caligu stand wie erstarrt. Das hatte noch keiner gewagt, nie hatte ihn jemand verflucht. Und Caligu verspürte plötzlich die Furcht, die in ihm aufstieg, die Furcht davor, daß dieser Fluch des Alten ihn verfolgen und einholen würde. Ihn, Maria Juanita und alle anderen. Er ahnte nicht, daß genau in dem Moment, als der Alte sprang, die von der ›Santa Magdalena‹ angeschossene Karavelle kenterte und ihre Besatzung dem gleichen grauenvollen Tod auslieferte, wie ihn Caligu und seine Mörder die wehrlosen Spanier, die sich ergeben hatten, sterben ließen. Gewaltsam riß sich Caligu von seinen dunklen Ahnungen los, während seine große Galeone bereits neben der sinkenden ›Santa Magdalena‹ festmachte, aber nur so, daß sie sich jederzeit sofort wieder von ihr lösen konnte. Caligu und seine Spießgesellen schufteten wie die Besessenen. Die ›Santa Magdalena‹ hielt sich länger, als sie gedacht hatten, und es gelang ihnen, die kostbare Ladung auf ihr eigenes Schiff hinüberzumannen. Aber dann legten sie schleunigst ab, und eine knappe Viertelstunde später sackte das spanische Schiff auf ebenem Kiel weg wie ein Stein. Ein paar Luftblasen blubberten hoch, Trümmer schossen an die Oberfläche, ein gewaltiger Strudel zeigte die Stelle an, an der sie ihre letzte Fahrt angetreten hatte. Alles andere verschluckte der Nebel und deckte seine weißgrauen Schwaden wie ein Leichentuch über diese Stätte des Grauens.
Caligu beging einen verhängnisvollen Fehler. Seine Gier nach dem Silber und dem glitzernden Gold war so groß, daß er alles andere um sich herum vergaß. Mit dröhnender Stimme trieb er seine Leute immer wieder an, die Beute im Rumpf der Galeone zu verstauen. Aber mit keinem Gedanken dachte er mehr an die Rote Korsarin, die ihm mit diesem Schiff eine tödliche Falle gestellt hatte. 6. Siri-Tong hatte aus ihrem Zweimaster wirklich alles herausgeholt, was herauszuholen war. Auch sie hatte schon sehr früh bemerkt, was sich im Westen an Steuerbord zusammenbraute. Und dann hatte sie, genau wie der Seewolf und seine Männer, den Kanonendonner gehört. Schwach nur zunächst, aber mit jeder Meile, die ihr Zweimaster mit seinen roten Segeln zurücklegte, lauter. Neben ihr auf dem Achterdeck stand der Boston-Mann, ein großer, dunkelhaariger Engländer, der das Vertrauen der Roten Korsarin in ganz besonderem Maß genoß. Beim ersten Kanonendonner hatte ihm die Rote Korsarin einen schnellen, fragenden Blick zugeworfen. Aber der Boston-Mann hatte geschwiegen. Nur seine Linke war über den großen, goldenen Ohrring geglitten, den er im linken Ohrläppchen trug. Seine dunklen Augen hatten sich verengt, und in seiner sonnenverbrannten, von Wind und Wetter gegerbten Haut hatten sich plötzlich Hunderte von winzigen Fältchen gezeigt. Siri-Tong ließ ihn und fragte nichts. Sie wußte, daß der Boston-Mann ihr sowieso erst antworten würde, wenn er seiner Sache sicher war. Wieder rollte Kanonendonner über die See. Siri-Tong und der Boston-Mann horchten angestrengt.
»Sie kämpfen in jener Nebelbank Steuerbord voraus«, sagte der Boston-Mann schließlich. »Und ich gehe jede Wette ein, es ist Caligu, der das spanische Silberschiff gestellt hat!« Die Rote Korsarin nickte, ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Hast du deswegen so lange überlegt, Boston-Mann, um mir das zu sagen? Und wieso Silberschiff, es hat mindestens soviel Gold wie Silber an Bord, so lautete die Information, die ich erhielt, und bisher waren Informationen dieser Art immer zuverlässig.« Auch der Boston-Mann grinste. Aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Madame, nicht das war es, worüber ich nachgedacht habe. Ich hätte einen Plan, wie wir diesen Caligu zur Strecke bringen können, ohne ihn auch sogleich zur Hölle zu schicken. Er wird uns ausgeliefert sein, wehrlos wie ein Neugeborenes!« Die Rote Korsarin sah den Boston-Mann prüfend an, während abermals Kanonendonner über die See rollte und bereits die allerersten feinen Nebelschwaden nach dem Zweimaster griffen, durch seine Wanten und über die Decks zogen. »Was für einen Plan? Du hattest schon viele gute Ideen, die uns zum Erfolg und zum Sieg verhalfen.« Wieder überlegte der Boston-Mann eine Weile, und Siri-Tong wußte, daß er jetzt seinen Plan noch einmal in allen Einzelheiten durchdachte. Aber dann sah er sie plötzlich an. »Ja, so wird es gehen, Madame! Und wir gewinnen Zeit, bis der Seewolf und seine Männer ebenfalls zur Stelle sind.« Siri-Tongs Gesicht verschattete sich. »Du weißt, daß ich den Seewolf schätze, er und seine Männer sind tapfer und verwegen. Aber das hier, die Abrechnung mit Caligu, ist allein meine Sache. Brauchen wir ihn also wirklich?« Der Boston-Mann nickte. »Wir brauchen ihn. Wir müssen damit rechnen, daß wir gegen drei Gegner zugleich zu kämpfen
haben. Dabei kann auch der Tapferste nicht gewinnen, und Sie wissen das auch ganz genau, Madame. Falscher Stolz kann uns nur verderben.« Siri-Tong wollte aufbrausen, aber sie beherrschte sich, denn sie wußte, daß der Boston-Mann recht hatte. »Sprich weiter!« forderte sie ihn auf. »Wir müssen zunächst erreichen, daß Caligu mit seiner Galeone nicht mehr fliehen kann, auch wenn er das vielleicht möchte. Und deshalb schlage ich folgendes vor: Wir segeln in die Nebelbank, das ist zwar gefährlich, weil man einen Gegner erst viel zu spät bemerkt. Aber wenn uns der Nebel verbirgt, dann setzen wir sofort unser Boot aus, das aber über eine lange Leine mit dem Zweimaster verbunden bleibt. Wir werden die Galeone Caligus suchen und ihr Ruder mittels eines Pulverfasses, das wir an ihrem Heck in die Luft jagen, zerstören. Dann haben wir Caligu fest, denn er wird das Silber und das Gold auf seine Galeone gebracht haben und sein Schiff bestimmt nicht verlassen!« Siri-Tongs Augen leuchteten auf. Ja, so ging es, so kriegten sie diesen verfluchten Caligu und schnitten ihm jede Fluchtmöglichkeit ab. »Also los, Boston-Mann! Auf was warten wir noch! Bereite das Boot vor und das Pulverfaß. Laß die Riemen umwickeln, damit kein quietschender Laut uns Verrät. Und sorge dafür, daß alle Geschütze an Bord unseres Schiffes ab sofort feuerbereit sind.« Siri-Tong suchte die Kimm hinter ihrem Zweimaster ab. Dort irgendwo mußte sich der Seewolf mit seiner ›Isabella‹ befinden. Sie schrak beinahe zusammen, als sie plötzlich die hohen Masten der ›Isabella‹ Backbord achteraus erblickte. Sehr weit weg noch, aber doch deutlich zu erkennen. Ihr war sofort klar, daß der Seewolf weiter nach Westen ausgeholt hatte, und jetzt bei nahezu achterlichem Wind mit Vierkant gebraßten Rahen auch noch das letzte bißchen Wind ausnutzte,
das ihm zur Verfügung stand, und daß sein Schiff bei achterlichem Wind weitaus schneller war als ihr Zweimaster. Irgendwie spürte sie in diesem Moment sogar so etwas wie Erleichterung, daß sie den großen Mann mit den eisblauen Augen wieder in ihrer Nähe wußte. Denn Siri-Tong war sich durchaus darüber im klaren, mit welch einem übermächtigen Gegner sie jetzt zu kämpfen hatte. Der Nebel wurde dichter. Der Zweimaster mit den roten Segeln verschwand in der Nebelbank. Eine Weile noch glitt er langsam dahin, und alle an Bord des Schiffes horchten auf das Grollen der Geschütze und dann auf die plötzliche Stille, die dem rollenden Donner folgte. Kurz darauf vernahmen sie gedämpfte Schreie. Siri-Tongs Gesicht verfärbte sich für einen winzigen Moment. Denn sie wußte, welcher Art Szenen sich jetzt dort abspielten. »Segel runter!« befahl sie leise. »Boot aussetzen. Du, BostonMann, übernimmst das Kommando über das Schiff, bis ich wieder an Bord bin. Sechs Männer an die Riemen, Juan begleitet mich außerdem, mit ihm werde ich das Pulverfaß an der Galeone Caligus anbringen und zünden!« Juan, der Bootsmann des Zweimasters und immer etwas eifersüchtig auf den Boston-Mann, stampfte heran. Seine dunkle Hautfarbe und der Schnitt seines wilden Gesichts wiesen ihn als Kreolen aus. Siri-Tong traute ihm nicht sonderlich, aber sie schätzte ihn, weil er ein guter Seemann war, der hart zuzupacken verstand und auch schon des öfteren bewiesen hatte, daß er technische Probleme zu meistern wußte. »Los, kümmere dich ums Boot, nimm genug Leine mit, damit wir in dieser erbärmlichen Suppe auch wieder zu unserem Schiff zurückfinden«, wies sie ihn an und Juan grinste nur. Er verschwand sofort in Richtung Hauptdeck, wo ein paar Männer eben dabei waren, das Boot abzufieren. Sie bemühten sich, dabei so wenig Geräusch zu verursachen, wie es eben möglich war. Eine knappe Viertelstunde später legte das Boot ab. Fast
lautlos tauchten die Riemen im Takt ins Wasser, aber immer wieder hielten die Männer auf ein Zeichen der Roten Korsarin inne, um Geräusche einzufangen, und sich über die Richtung klar zu werden, in die sie pullen mußten, um auf Caligus Schiff zu treffen. Und dann zuckte Siri-Tong plötzlich zusammen. Sie vernahm, aus weiter Ferne zwar, aber doch deutlich genug, um ihr eiskalte Schauer über den Rücken zu jagen, das dröhnende Lachen des riesigen Piraten, jenes Lachen, an das sie sich so gut erinnerte und das auch jetzt noch die alte, die grenzenlose Wut und Mordgelüste in ihr auflodern ließ, wie sie sie damals verspürt hatte. Sie wartete ab, bis Caligu verstummte, aber dann glaubte sie die Richtung zu kennen, so schwer das auch im Nebel zu beurteilen war. »Weiter«, flüsterte sie, und unwillkürlich duckten sich die Männer an den Rudern, als sie das Funkeln ihrer Augen bemerkten. »Etwas mehr nach Steuerbord«, befahl sie. Juan bediente die Ruderpinne, aber auch er versteifte sich unwillkürlich, als er in diesem Moment einen Blick zu der Roten Korsarin hinüberschickte. Siri-Tong saß hochaufgerichtet auf ihrer Ducht, neben sich das Pulverfaß, aus dem die Lunte heraushing und das sie mit Teer gegen Wasser gründlich abgedichtet hatten. Ihre Lippen bewegten sich, und Juan verstand auch was sie sagte. »Die Stunde der Abrechnung ist da, Caligu. Noch bevor die Nacht den heutigen Tag auslöscht, bist du tot ...« * Selten war es Caligu gelungen, so reiche Beute zu erwischen, wie diesmal. »Maria Juanita, verstehst du, warum dieser idiotische Spanier mit einer solchen Ladung allein durch die Windward Passage
gesegelt ist? Die Spanier wissen doch ganz genau, daß dieser ganze Raum von uns kontrolliert wird! Wieso segeln sie nicht im Geleit?« Maria Juanita wog einen kleineren Goldbarren in der Hand. »Havanna«, sagte sie dann. »Hast du vergessen, Caligu, daß fast alle Silber- und Goldtransporte in Havanna zusammengestellt werden? Von dort aus gehen die großen Geleitzüge in See. Vielleicht wollte dieser Don auch dorthin ...« Caligu lachte. »Scheißegal, Maria Juanita!« grölte er dann, hob einen Krug, der bis zum Rand mit bestem Rum gefüllt war, an die Lippen und trank in langen Schlucken. Dann reichte er Juanita den Krug. »Es ist mir völlig egal, wohin die Dons wollten. Wir haben ihre Schätze, und jetzt können wir endlich das tun, was wir schon immer wollten: Wir werden die Herren der Karibik sein! Wir werden Tortuga in eine uneinnehmbare Festung verwandeln, und Caligu wird über Tortuga und die Karibik herrschen. Alle sollen vor Caligu zittern, alle, Maria Juanita!« Wieder nahm er einen gewaltigen Schluck und rülpste hinterher so laut und so ungeniert, daß ein paar seiner Piraten unwillkürlich stehenblieben und zu ihm und Maria Juanita herüberstarrten. Schweiß lief über ihre Körper. In dem dichten Nebel, der die Galeone des Piraten einhüllte, herrschte eine stickige Schwüle. Hinzu kam, daß die Gold- und Silberbarren ihr Gewicht hatten und die Männer Caligus schon seit etlichen Stunden wie die Berserker schufteten, um die Schätze im Bauch ihrer Galeone zu verstauen. »He, Caligu! Wann kriegen wir endlich was zu saufen?« schrie einer der Kerle zu den Piraten und zu Maria Juanita herüber. »Wann feiern wir endlich den Sieg und die Beute?« In seiner Stimme war Aufsässigkeit, und Caligu bemerkte das sehr wohl. Er fuhr herum.
»Ihr sauft und ihr feiert, wenn Caligu das sagt. Wenn dir das nicht paßt, dann werden wir jetzt gleich klären, wer hier an Bord die Befehle gibt, also, was ist?« Caligu hatte sein Entermesser mit einer blitzschnellen Bewegung herausgerissen und war mit einem Satz bei dem Mann. Der Pirat duckte sich, wich zurück, und wieder brach Caligu in sein dröhnendes Gelächter aus. Dann wandte er sich ab. Als er wieder bei Maria Juanita stand, verengten sich plötzlich seine kohlschwarzen Augen. »Aber da ist noch etwas. Fast hätte ich es vergessen. Diese Siri-Tong und ihre Insel!« Caligu stampfte plötzlich mit dem Fuß auf, seine Züge, nicht zuletzt unter dem Einfluß des vielen Rums, den er getrunken hatte, verzerrten sich. »Ho! Wo gibt es in diesem Meer eine Insel, die Caligu nicht kennt? Wir werden sie suchen, wir werden sie finden, und dann wird Siri-Tong ihre Schätze an Caligu abliefern, ehe sie stirbt oder ...« Caligu unterbrach sich plötzlich, und über seine Züge huschte ein gemeines Grinsen. »O nein, sie wird nicht sterben. Sie wird Caligus Sklavin sein, sie wird alles tun, was Caligu will, alles. Ich werde sie in einer Höhle an die Felsen schmieden lassen, damit sie nicht fliehen kann, und dann wird Caligu sie besuchen, nachts! O nein, Caligu hat nichts vergessen ... eine hübsche Frau und so wild, Juanita ...« Weiter gelangte Caligu nicht. Plötzlich übertönte eine helle, scharfe Stimme die wüsten Reden des Piraten. »Ich glaube nicht, daß du das tun wirst, denn du wirst tot sein. Auch ich habe nichts vergessen, du Schwein, und die Stunde der Rache ist da!« Ein Schemen huschte über das Deck der Galeone, und gleich darauf verspürte Caligu, der die Stimme Siri-Tongs sofort erkannt und wie erstarrt dagestanden hatte, einen so heftigen
Stoß in seinem Rücken, daß er sich vor Schmerz zusammen krümmte, aufbrüllte und quer über das Achterdeck seiner Galeone katapultiert wurde. Maria Juanita fuhr herum, und im selben Moment verspürte sie einen geradezu irrsinnigen Schmerz in ihrem Gesicht. Ihr war, als zöge jemand ihr eine glühende Klinge quer über die Stirn und die noch unverletzte Wange. Blut schoß aus dem klaffenden Schnitt, lief ihr in die Augen und blendete sie. Maria Juanita schrie, und in diesem Moment traf sie ein fürchterlicher Hieb auf den Schädel, der sofort ihr Bewußtsein auslöschte. Siri-Tong packte sie, schleuderte sie über die Schmuckbalustrade aufs Hauptdeck hinunter, und dann wollte sie sich auf Caligu stürzen, der eben wieder auf die Beine kam und sich ebenfalls mit entsetzlichem Gebrüll auf seine alte Feindin und Rivalin in der Karibik stürzen wollte. Doch weder er noch die Rote Korsarin konnten ihr Vorhaben verwirklichen. Eine gewaltige Stichflamme stieg über dem Achterkastell der Piraten-Galeone hoch. Es war, als ob das schwere Schiff in diesem Moment von der Faust eines Giganten getroffen wurde. Dem Blitz, der den Nebel zerfetzte, die Männer an Deck der Galeone taumeln und ihre Gold und Silberbarren an Deck poltern ließ, folgten die Druckwelle der Explosion und dann ein Donnerschlag, der Siri-Tong fast betäubte. Sie spürte, wie sie von der Druckwelle gepackt wurde, eine unvorstellbare Gewalt sie über das Schanzkleid warf und ihr schlanker, biegsamer Körper in der aufspritzenden See verschwand. Siri-Tong war so benommen, daß sie in diesem Moment nicht mehr an die Haie dachte, deren Rückenflossen sie neben und hinter ihrem Boot gesehen hatte, als sie nach der Galeone Caligus suchten und schließlich das Pulverfaß unter dem Heck arn Ruder befestigten. Aber so benommen sie auch war, sie hielt ihren Degen fest und begann fast automatisch zur Oberfläche emporzuschwimmen.
Sie spürte nichts von der Kühle des Wassers, denn Haß loderte in ihren Adern, in ihrem Herzen. Sie hatte, als sie die Lunte am Pulverfaß in Brand setzte, gehört, was Caligu zu Juanita gesagt hatte. Von da an wußte sie nicht mehr genau, was sie tat. Sie erinnerte sich jetzt lediglich, daß es wie ein Blutrausch über sie hereingebrochen war, daß sie gar nicht mehr anders gekonnt hatte, als sich am Ruder hochzuziehen und auf das Achterkastell der Galeone zu stürmen, um Rache zu nehmen für die Schmach, die dieser Mann ihr angetan hatte und in Gedanken immer wieder von neuem antat. An das Pulverfaß, an die glimmende Lunte unter sich hatte sie nicht mehr gedacht. Auch nicht daran, daß sie dann ganz allein Caligu und seiner Mannschaft gegenüberstehen würde, denn ihre Männer im Boot mußten sich schleunigst zurückziehen, wenn sie nicht von dem explodierenden Pulverfaß ebenfalls zerrissen werden wollten. Das alles schoß Siri-Tong durch den Kopf, als sie auftauchte. In dem Augenblick, in dem sie die Wasseroberfläche erreichte, hörte sie das Gebrüll der Piraten und die Stimme Caligus. Krachend entluden sich über ihr die schweren Geschütze der Galeone. Caligu hatte die Nerven verloren, er glaubte den Zweimaster der Piraten schon neben seinem Schiff und ließ blindlings eine Breitseite nach der anderen in den Nebel feuern. Siri-Tong tauchte. Es war, als wäre die Hölle um sie herum ausgebrochen. Sie ahnte nicht, daß Caligu ihr mit diesen Breitseiten das Leben rettete. Denn ein großer Hai, der eben von unten her aus der Tiefe auf sie zuschoß, drehte bei diesem Inferno von Lärm und in das Wasser schlagenden Geschossen wieder ab und verschwand augenblicklich in der Tiefe und mit ihm andere, die ständig um die Galeone Caligus herumgestrichen waren. Siri-Tong schwamm um ihr Leben. Sie wußte von dieser Reaktion der Haie nichts, aber sie wußte, daß sie da waren und überall unter und neben ihr lauerten.
Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie sehr sie die Kontrolle über sich verloren hatte und an welch einem dünnen Fädchen ihr Leben gehangen hatte und noch hing. Ein Schatten tauchte neben ihr auf, kräftige Fäuste packten zu und zogen sie ins Boot. Juan beugte sich über sie, und auch Bill The Deadhead, der einen massiv goldenen Totenkopf um den Hals trug, starrte sie an wie eine Erscheinung. »Wahrhaftig, sie lebt«, sagte er nur. »Die muß der Meeresgott persönlich beschützt haben, oder sie ist mit dem Teufel im Bunde!« Einer der Männer bekreuzigte sich. Aber die Rote Korsarin ließ ihnen keine Zeit. »Zum Schiff, rasch!« stieß sie hervor. »Ich will diesen Bastard dort vernichten, keiner soll entkommen, sie werden sterben, alle!« Wieder bekreuzigten sich die Männer, denn Siri-Tong wirkte in diesem Moment wie eine Göttin des Todes. Ihre schwarzen Augen schienen zu glühen, ihre Bluse war zerfetzt, eine ihrer festen Brüste lag bloß. Aber das alles störte Siri-Tong in diesem Moment nicht, sie wollte Rache an Caligu, zu einem anderen Gedanken war sie in diesem Moment nicht mehr fähig. Die Männer holten die Leine ein, die sie mit dem Zweimaster der Roten Korsarin verband. Und es war, als ob die Natur jetzt die Regie über den letzten Teil des Dramas übernahm, das sich vor Tortugas Küsten abzuspielen begann. Ein Windstoß fuhr durch den undurchdringlichen Nebel, und im selben Moment dröhnten abermals schwere Geschütze auf. Ihr Donner rollte über die See, eine weitere Salve antwortete. Siri-Tong stand hochaufgerichtet im Heck ihres Bootes. »Der Seewolf!« sagte sie. »Der Seewolf ist da, und er ist genau zur rechten Zeit eingetroffen!« 7.
Auch die ›Isabella‹ war in die Nebelbank gelaufen. Hasard hatte den Zweimaster der Roten Korsarin darin verschwinden sehen, später die gewaltige Explosion vernommen, die einen Teil des Achterkastells der Galeone Caligus zerfetzte, und gleich darauf auch den rollenden Donner der Breitseiten, die der Pirat blindlings in den Nebel feuern ließ. Der Seewolf wurde plötzlich von Sorge um Siri-Tong gepackt. Er ahnte, daß ihr hitziges Temperament sie zu etwas hingerissen hatte, was ihr leicht das Leben kosten konnte oder sogar bereits gekostet hatte. Auf der ›Isabella‹ herrschte Schweigen, als das Schiff in die Nebelbank hineinglitt. Angestrengt lauschten die Männer auf das wüste Gebrüll, das von Backbord voraus zu ihnen herüber drang, soweit sich das in diesem verdammten Nebel überhaupt lokalisieren ließ. Deutlich hörten sie die gewaltige Stimme des Piraten heraus, der wieder einen seiner entsetzlichen Wutanfälle erlitten hatte und jetzt an Bord seines Schiffes wie ein Irrer herumtobte. Caligu sah die bewußtlose Maria Juanita, sah die entsetzliche, klaffende Wunde, sah ihren blutigen Schädel. Er hielt sie für tot, und nach kurzem Niederknien bei ihr war er wieder aufgesprungen, zum Schanzkleid gestürzt und hatte nach SiriTong gesucht. »Siri-Tong, du verdammte Hure, wenn du noch einen Funken Mut hast, dann komm her und kämpfe mit Caligu, oder muß ich dich erst an den Haaren an Bord schleppen?« Er erhielt keine Antwort. Statt dessen dröhnten unweit von ihm die schweren Geschütze der ›Isabella‹ plötzlich auf. Blitze durchzuckten den Nebel, andere Kanonen, die er sofort als die einer seiner Karavellen erkannte, antworteten. Und dann vernahmen die entsetzten, genervten Piraten wilde Schreie, gleich darauf eine weitere schmetternde grellweiße Explosion, deren Druckwelle den Nebel wegfegte und ihm und seinen
Männern ein Bild des Grauens zeigte. Gleichzeitig fegte eine Windbö über die ganze grauenhafte Szenerie und riß den Nebel noch weiter auf. Caligu starrte entgeistert auf die Stelle, an der sich eben noch seine Karavelle befunden hatte. Er sah die Trümmer, er hörte die wilden Schreie der wenigen Überlebenden. Ein gigantischer Rauchpilz verbreitete sich, und aus ihm glitt jetzt ein Schiff heraus, wie er es noch nie gesehen hatte. Flaches Vorderkastell, flaches Achterkastell, überhohe Masten, überbreite Rahen. Und hinter diesem unheimlichen Segler tauchten undeutlich die roten Segel von Siri-Tongs Zweimaster auf. Caligu starrte die beiden Schiffe an wie Geistererscheinungen. Doch dann waren sie plötzlich wieder verschwunden, eine Nebelbank hatte sich zwischen sie und die Piraten-Galeone geschoben. Und ununterbrochen drangen die Schreie von Verwundeten und Sterbenden zu ihm herüber. Caligu hörte plötzlich die Segel schlagen, auch seine Galeone hatte eine Bö erreicht. Caligu begriff seine Chance sofort. »Ho, Siri-Tong, du verfluchte Hure, du glaubst, du hast Caligu schon? Du wirst dich wundern!« Er lief zum Hauptdeck, während sein ruderloses Schiff bereits eine leichte Drehung vollführte. Mit gewaltiger Stimme feuerte er seine Männer an, die Geschütze zu laden und ein Boot auszusetzen. Er hatte sich genau gemerkt, von wo der fremde Segler und der Zweimaster der Roten Korsarin auf ihn zusegelten. Er würde den beiden Schiffen einen heißen Empfang bereiten! Er griff sich zwei seiner Männer, die besten Bogenschützen, die er hatte. »Los, in die Wanten mit euch. Schießt diesen verdammten Bastarden die Segel in Brand! Die sollen sich wundern, noch ist Caligu nicht tot, noch kämpft Caligu!« Aber dann, Sekunden nach seinen letzten Worten, geschah
etwas völlig Unerwartetes, etwas, was er noch nie erlebt hatte und wofür er auch keine Erklärung wußte. Zwei, drei feurige Bahnen zischten aus der Nebelwand auf seine Galeone zu. Schneller als jeder Pfeil, viel schneller. Die unheimlichen Flugkörper schlugen in die Takelage seiner Galeone, und dann zerplatzten sie plötzlich. Rote Flammen schienen in den großen Segeln der Galeone sekundenlang hin und her zu geistern und sich in ihnen festzukrallen. Und schon brannte die Takelage lichterloh. Caligu stand an Deck, das lange Entermesser in der Rechten und stierte zu den schnell um sich greifenden Flammen hoch. Einer seiner Männer schrie auf, auch an Deck tanzten an einer Stelle diese unheimlichen kleinen roten Flammen herum und fraßen sich in die Planken. Ein Kübel Seewasser, das einer der Piraten auf sie schüttete, störte sie nicht. Sobald das Wasser verlaufen war, flackerten sie wieder auf. Caligu war mit einem Satz bei den Flammen, deren eigenartige rubinrote Farbe sie als etwas Fremdes, Unheimliches auswies. Er versuchte es selbst mit einem weiteren Kübel Wasser vergeblich. Er versuchte die Flammen zu ersticken, ebenfalls ohne Erfolg. Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. Zum erstenmal begriff er, daß er an einen Gegner geraten war, der ihm nicht nur gewachsen, sondern sogar weit überlegen war. Er stieß einen wilden Schrei aus, und in diesem Moment glitt die ›Isabella‹ aus ihrer Nebelwand hervor. Caligu erblickte den großen, schwarzhaarigen Mann, der mit anderen Männern auf dem Vorderkastell seines Schiffes stand, den Degen in der Rechten, die Radschloßpistole in der Linken. Caligu sah die eisblauen Augen, das harte, entschlossene Gesicht und er wußte, wer dieser Gegner war. »Seewolf!« schrie er. »O du verdammter Bastard, bist du endlich wieder da? Ich werde dich aufschlitzen. Erst dich und dann die kleine Hure Siri-Tong, die sich in deinem Gefolge
befindet! Komm her, du Hund, Caligu wartet!« Mit einem wilden Satz sprang er auf eins der Geschütze, dann jagte er zum Achterkastell hoch. Über ihm loderten die Flammen, vom Hauptdeck stieg weißlicher, unangenehm riechender Rauch empor, der seinen Männern die Augen verätzte und sie blendete. Caligu wußte, daß es jetzt um Tod und Leben ging, aber er war bereit. Und wenn es sein allerletzter Triumph sein sollte, diesen Seewolf zur Hölle zu schicken! Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, je näher die ›Isabella‹ heransegelte, und ein paarmal zischte die Klinge seines Entermessers durch die Luft. Der Seewolf sah es, und er steckte seine Radschloßpistole wieder in den Gürtel, nachdem er die beiden Hähne entspannt hatte. Caligu wollte kämpfen gut, sollte er! * Ferris Tucker, Batuti, Big Old Shane, der Kutscher und auch die anderen Männer der ›Isabella‹-Crew starrten auf das brennende Piratenschiff, dann wieder auf die Holzgestelle, die der Schiffszimmermann am Schanzkleid montiert hatte. Was waren das denn nur für kleine längliche Flugkörper, die der Seewolf aus seiner Kammer geholt und dann in die Gestelle geschoben hatte? Kleine längliche Dinger, die an langen Holzstäben befestigt waren und von denen sie eine ganze Kiste voll auf dem Schiff der schlitzäugigen, fremdartigen Männer in der Sargassosee gefunden hatten? Woher stammten diese Männer und ihr Schiff? Woher hatten sie diese unheimliche Waffe, die gefährlicher war als selbst Big Old Shanes Pulverpfeife, die eine viel größere Reichweite und eine ungeheure Treffgenauigkeit hatte, wenn man es richtig anstellte?
Sie wußten es genausowenig wie der Seewolf, der keine Ahnung hatte, daß die Chinesen schon vor langer Zeit Raketen konstruiert hatten, die sie auch als Waffe zu verwenden verstanden. Sie wußten nichts davon, daß die Chinesen ähnlich wie die Griechen ein Feuer erfunden hatten, das sich nicht mehr löschen ließ, wenn es einmal brannte. Aber sie begriffen, daß sie mit diesen kleinen Flugkörpern eine Waffe an Bord der ›Isabella‹ hatten, die sie jedem anderen noch so schwer bewaffneten und noch so großen Schiff überlegen sein ließ. Carberry schob sein Rammkinn vor, während er zu schnuppern begann. Er spürte, wie der weißliche Rauch, der von der brennenden Galeone Caligus aufstieg, in seinen Augen zu brennen begann. War das etwa eine weitere teuflische Eigenschaft dieser Wunderwaffe? Er fuhr sich mit den Fingern über die Augen. Egal, die ›Isabella‹ näherte sich der Piraten-Galeone nunmehr schnell. Ed Carberry führte eins der Enterkommandos, Ferris Tucker das andere. Und er würde diesem Gelichter da drüben gehörig Feuer unter den Affenärschen machen. Auf diese Stunde hatte der Profos lange genug gewartet! Jetzt würden die offenen Rechnungen beglichen, und zwar endgültig! Er blickte sich um. Der Zweimaster der Roten Korsarin glitt heran. Aber bei seinem Anblick erschrak Carberry. Himmel, wie sah das Schiff denn aus? Was war mit dem Zweimaster passiert? Die Takelage verwüstet, das Deck ein einziges Chaos! Carberry hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, außerdem tauchte Siri-Tongs Schiff gerade wieder in einer Nebelbank unter und entzog sich damit seinen Blicken. Siri-Tong würde zu spät kommen. Bei diesem Gedanken grinste der Profos. Ehe ihr Zweimaster Caligus Galeone erreichte, war längst alles gelaufen! Er sah die neben ihm stehenden Seewölfe an. Batuti, der wieder seinen riesigen Morgenstern in der Rechten hielt, Ferris Tucker, dessen Pranken sich um den Schaft seiner gewaltigen
Axt geschlossen hatten, Matt Davies und Jeff Bowie, die beide wie beiläufig ihre scharfgeschliffenen Hakenprothesen polierten und in der anderen Hand jeder ein langes Entermesser hielten. Ein gefährliches, ein tödliches, völlig aufeinander eingespieltes Gespann! Carberry konnte ansehen, wen er wollte auf allen Gesichtern die gleiche tödliche Entschlossenheit. Dann war es soweit. Der Bug der ›Isabella‹ bohrte sich in die Seite der PiratenGaleone. Hasard, Carberry und Ferris Tucker sprangen gleichzeitig, und im nächsten Augenblick war an Deck von Caligus Schiff der Teufel los.
Caligu erwartete den Seewolf auf dem Achterkastell. Sein dunkles Gesicht war nur noch eine einzige Grimasse, jeder Muskel seines hünenhaften Körpers gespannt. »Endlich!« stieß er heiser hervor. »Endlich habe ich dich vor meiner Klinge, du verfluchter Bastard! Diesmal ist es aus mit dir, Caligu schickt dich zur Hölle!« Hasard stand sprungbereit vor dem Piraten. Seine eisblauen Augen waren kalt wie Gletschereis, »Rede nicht, kämpfe endlich, du Großmaul!« provozierte er den Piraten. Caligu stieß einen wilden Schrei aus, seine Rechte mit dem Entermesser schoß vor, und Hasard wollte den Stoß parieren, aber Caligu hatte nur eine Finte gestartet. Hasards Hieb ging ins Leere, und im selben Moment dröhnte neben ihm das Gelächter Caligus auf. »Du warst schon mal schneller, du Hund! Hat Siri-Tong, die Hure, dir das Blut aus den Adern gesaugt?« Der Seewolf warf sich zur Seite, so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Trotzdem erwischte ihn der Stoß
Caligus noch an der rechten Seite. Die Klinge des Entermessers drang ihm durchs Hemd, schlitzte die Haut über seinen Rippen auf, glitt aber an den glatten Knochen ab. Der Seewolf spürte den Schmerz wie Feuer über seinen Körper rasen. Einen Moment krümmte er sich zusammen und rang nach Luft, da war Caligu schon wieder heran. Der Pirat sah, wie sich das Hemd des Seewolfs blutrot färbte. Wieder stieß er sein dröhnendes Gelächter aus. »Stirb, du Bastard!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Caligu ist nicht so dumm, sich mit dir auf einen langen Kampf einzulassen. Fahr zur Hölle, du Hurensohn!« Er riß das schwere Entermesser hoch und schlug zu. Abermals warf sich Hasard zur Seite. Die Klinge zischte an ihm vorbei. Der Schlag war mit solcher Wucht geführt, daß sie sich tief in die Planken des Achterkastells der Piraten-Galeone bohrte. Caligu stieß einen Fluch aus. Er riß das Entermesser aus den Planken und verlor dabei kostbare Zeit. Der Seewolf hatte ebenfalls zum Schlag ausgeholt. Aber auch Caligu sah die Klinge des Degens heranzischen, und auch er warf sich zur Seite, rollte sich blitzartig über die Planken des Achterkastells und stand sofort wieder. Der Hieb des Seewolfs hatte ihn nur ganz knapp verfehlt, und Caligu begriff, daß er vor diesem Mann höllisch auf der Hut sein mußte, wenn er diesen Kampf für sich entscheiden wollte. Der Pirat blieb auf Distanz. Die beiden Gegner umkreisten einander, und jeder wartete auf den Ausfall des anderen. Hasard verspürte höllische Schmerzen. Die Wunde über seinen Rippen blutete nicht nur stark, sondern sie setzte ihm auch erheblich zu. Er mußte diesen Kampf beenden, und zwar schnell. Caligu schien seine Gedanken zu erraten, denn er blieb vorsichtig auch weiterhin auf Distanz und lauerte auf seine
Chance, auf einen Moment der Unachtsamkeit des Seewolfs. Auf dem Hauptdeck der Galeone tobte unterdessen ein erbitterter Kampf Mann gegen Mann. Die Piraten waren den Seewölfen zahlenmäßig weit überlegen, und zu kämpfen verstanden die Kerle auch. Ferris Tucker schlug mit seiner Axt wie ein Berserker um sich, Batuti mit seinem Morgenstern ebenfalls. Ed stand vor zwei niedergestreckten Gegnern, Dan und sein Vater, der alte O’Flynn, kämpften Seite an Seite gegen eine Gruppe von Piraten, die wild vom Vorschiff her auf sie eindrangen. Über ihnen brannte die Takelage, hinter ihnen die Decksplanken und immer wieder zogen dichte Nebelschwaden über das Schiff. Plötzlich entlud sich donnernd eine der Drehbassen. Keiner der Seewölfe wußte später zu sagen, wer sie abgefeuert hatte, aber ihr gehacktes Blei fuhr in eine Anzahl von Piraten, die gerade auf Ferris Tucker eindrangen, der sich nur noch mühsam der Übermacht seiner Gegner erwehrte. Schreie, stürzende Männer, die sich in ihrem Blut an Deck herumwälzten und ein Fluch, der den Kämpfenden fast den Atem verschlug. Ein Teil der Ladung hatte das Holzbein des alten O’Flynn getroffen. Es zersplitterte in tausend Stücke und warf den Alten gegen Big Old Shane, der eben auf ein paar Piraten mit einer riesigen Keule eindrang, die er sich an Bord der ›Isabella‹ angefertigt hatte. Big Old Shane geriet ins Wanken und stürzte ebenfalls. Stenmark, Smoky und Matt Davies, die das wüste Geschrei der heranstürmenden Piraten hörten, sprangen hinzu. Old Flynn war mit dem Schädel gegen eine Nagelbank geprallt und hatte das Bewußtsein verloren. Dan schirmte ihn sofort ab und deckte den Bewußtlosen zusammen mit Luke Morgan gegen die Piraten. Das war der Moment, in dem auch der Zweimaster der Roten Korsarin Caligus Galeone erreichte.
Siri-Tong und ihre Männer enterten an Deck, und nun zeigte es sich, daß sie zu kämpfen verstanden. Siri-Tong blickte sich um, sie suchte Caligu, und dann stockte ihr plötzlich der Atem. Denn eben unternahm der Pirat einen wütenden Ausfall gegen den Seewolf. Sein Entermesser zuckte vor, und der Seewolf parierte den Stoß mit seinem Degen. Gleichzeitig rammte er Caligu seinen Schädel in die Magengrube und katapultierte ihn auf diese Weise quer übers Achterdeck. Caligu rang nach Luft, denn dieser Kopfstoß seines Gegners war für ihn völlig überraschend erfolgt. Aber jetzt war der Seewolf am Zuge. Er gab dem Piraten keine Chance mehr, sich von dem Stoß zu erholen. Mit ein paar Sätzen war er heran und riß seinen Degen hoch. Noch einmal gelang es Caligu, der tödlichen Klinge auszuweichen, noch einmal zischte sein Entermesser mit furchtbarer Wucht haarscharf am Schädel des Seewolfs vorbei. Aber dann stieß Hasard erneut zu. Und diesmal verfehlte sein Degen den Gegner nicht. Die spitze Klinge bohrte sich in Caligus Brust, durchstieß seinen Körper und nagelte den Piraten am Steuerbordschanzkleid seiner Galeone fest. Caligu starrte den Seewolf an. Seine braune Haut verlor jäh alle Farbe, seine leicht wulstigen Lippen bewegten sich. Aus den Augenwinkeln erblickte er noch Siri-Tong, die eben aufs Achterkastell sprang und ruckartig stehenblieb, als sie sah, daß sie zu spät erschienen war. Caligu starrte sie an, dann kehrte der Blick seiner bereits brechenden Augen zum Seewolf zurück. »O du dreimal verfluchter Bastard, jetzt hast du doch ...« Er sackte plötzlich in sich zusammen. Im Fallen riß er Hasards Degen aus dem Schanzkleid, dann lag er regungslos auf den Planken seines Schiffes. Kein Muskel zuckte mehr an seinem Körper. Caligu, der Schrecken der Karibik, war tot. Hasard bückte sich, nahm seinen Degen auf, und dann drehte
sich plötzlich alles vor seinen Augen. Siri-Tong, die jetzt erst sein blutdurchtränktes Hemd bemerkte, sprang hinzu und fing ihn auf, bevor der Seewolf ebenfalls auf das Achterdeck stürzte. Mit unheimlicher Kraft hielt sie den Seewolf fest. Sie wußte, daß er nicht zusammenbrechen durfte, das konnte nur allzuleicht verheerende Folgen bei den Seewölfen haben, die in diesem Moment Seite an Seite mit ihren Männern auf dem Hauptdeck und dem Vorderkastell gegen die Piraten kämpften. Der Seewolf kam schnell wieder zu sich, und Siri-Tong schleppte ihn zur Schmuckbalustrade, wo er sich auf sie stützte, bis die feurigen und blutigen Kreise, die sich vor seinen Augen drehten, wieder verschwanden. Ein paar Minuten später war der Kampf entschieden. Einige der Piraten sprangen über Bord, andere fielen unter den gewaltigen Streichen der Seewölfe, der Rest wurde von SiriTongs Männern niedergemetzelt. Nicht einer überlebte. Wirklich keiner? * Maria Juanita war aus ihrer Ohnmacht erwacht, kurz bevor die ›Isabella‹ heran war. Vor Schmerzen halb wahnsinnig, vom Blutverlust geschwächt, schleppte sie sich zum Schanzkleid an der Seite der Galeone, an der sie das Boot vertäut wußte, das Caligu hatte abfieren lassen, um nach seiner Feindin, der Roten Korsarin, zu suchen. Maria Juanita wußte, daß alles verloren war. Sie begriff, daß Caligu diesmal nicht davonkommen würde, daß seine letzte Stunde unwiderruflich geschlagen hatte. Aber sie wollte sein Schicksal nicht teilen, sie dachte in diesem Moment nur daran, zu überleben und sich an der Roten Korsarin zu rächen. Maria Juanita ließ sich einfach über Bord fallen, und niemand bemerkte es. Der Schmerz, den das eindringende Seewasser in ihrer schrecklichen Wunde verursachte, die die Rote Korsarin
ihr geschlagen hatte, brachte sie fast um den Verstand. Aber Maria Juanita war zäh. Fast bewußtlos schwamm sie auf das Boot zu, das sie wie einen dunklen Schemen vor sich gewahrte. Sie erreichte es und schaffte es auch noch, sich an Bord zu ziehen. Sogar die Leine, an der es hing, löste sie noch und hatte dann noch die Kraft, das Boot mittels des einen Riemens, den sie von der Ducht nahm, von der Galeone abzustoßen. Erst dann brach sie bewußtlos zusammen. Der Stoß trieb das Boot in eine Nebelbank, und so entkam Juanita unbemerkt. Halb tot, fast verdurstet, von der Sonne verbrannt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt erreichte sie schließlich die Küste Tortugas, und dort fanden sie zwei Piraten, die sie zur Südseite der Schildkröteninsel brachten. Für Juanita folgten Wochen hohen Fiebers, in denen sie ständig mit dem Tode rang. Aber sie überlebte, und sie erholte sich sogar wieder. Doch bevor dies alles geschah, schufteten die Seewölfe wie die Berserker. Sie wußten, daß ihnen nicht allzuviel Zeit blieb, denn das unheimliche Feuer der schlitzäugigen Fremden fraß sich weiter und weiter in die Galeone des toten Piraten. Sie mannten einen großen Teil des Silbers und Goldes auf die ›Isabella‹, und Siri-Tongs Männer halfen ihnen dabei, indem sie den Rest kurzerhand auf ihren Zweimaster schafften. Unterdessen kümmerten sich der Kutscher und Siri-Tong um den Seewolf. Hasard hatte wieder einmal gewaltiges Glück gehabt. Die Klinge des Piraten hatte ihm lediglich eine stark blutende und äußerst schmerzhafte Fleischwunde geschlagen. Der Kutscher wollte den Seewolf in seine Kammer schaffen lassen, aber Hasard wehrte energisch ab. »Doch nicht wegen so einer Lappalie, Kutscher«, sagte er nur und wankte an Deck. Der Kutscher blickte ihm und Siri-Tong nach. »Schöne Lappalie!« knurrte er. »Ein bißchen tiefer und ein bißchen mehr mit der Spitze der Klinge getroffen, Seewolf,
und wir hätten dich einbalsamieren und als Galeonsfigur auf der ›Isabella‹ verwenden können!« Er schüttelte den Kopf und verschwand brummelnd in seiner Kombüse. Er hatte keine Zeit, sich mit diesem widerspenstigen Patienten weiterhin zu befassen, schließlich erwartete die abgekämpfte Crew jetzt ein handfestes Essen von ihm. Und wenn er das nicht schnell herbeischaffte, dann würden sie ihm wahrscheinlich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch abziehen ... Der Kutscher zog ein süßsaures Gesicht. Genau das hatte ihm dieser Grobian von Profos für diesen Fall angedroht. Und dabei hatte er wirklich erschreckend genug ausgesehen. Ein Auge total zu, das Hemd voller Blut, auf der Stirn eine hühnereigroße Beule, die immer weiter anschwoll. Der Kutscher lachte leise in sich hinein, während er Feuer entfachte und mit den Töpfen und Tiegeln hantierte. Und natürlich waren auch das alles Lappalien, na klar! Dann dachte er plötzlich an Old Flynn, dem eine Drehbasse der Piraten-Galeone das Holzbein zerschmettert hatte. Du meine Güte, so hatte er noch nie einen Menschen fluchen hören! Selbst der Profos war ganz blaß geworden, als der Alte, aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht, plötzlich loslegte. Und jetzt würde es Ferris Tuckers und Old Shanes Aufgabe sein, dem Alten so schnell wie möglich ein neues Holzbein anzufertigen! Der Kutscher fuhr herum, als sich die Tür zu seiner Kombüse knarrend öffnete. Er griff bereits nach einer der Pfannen, um sie dem Eindringling auf den Schädel zu schlagen, denn er haßte Besuche dieser Art wie die Pest. Aber dann sank seine Hand herab, denn der Eindringling war kein anderer als Arwenack, der Schimpanse, das Maskottchen der Seewölfe. »He! Herein mit dir. Nur die anderen, diese nachgemachten Affenärsche, die bleiben draußen! Also, was gibt es denn, mein Freund?« fragte er und streckte die Rechte aus.
Mit einem Satz war der Schimpanse bei ihm und umschlang ihn mit seinen langen Armen. »Na, na!« Der Kutscher streichelte ihn beruhigend, denn erst jetzt verspürte er, daß der arme Kerl am ganzen Körper zitterte. »Nanu, Arwenack, was ist denn los? Was, zum Teufel, wird denn da an Deck wieder ...« Ein berstender Knall ließ ihn verstummen. Die Töpfe und Tiegel in seiner Kombüse tanzten scheppernd auf dem Herd herum, und der Kutscher hastete mit einem Fluch zur Tür, immer noch den Schimpansen im Arm, der völlig verstört zu sein schien. Als er das Deck betrat, sah er gerade noch, wie die über und über brennende Galeone Caligus kenterte. Unweit von ihr pullten Männer ein Boot aus Leibeskräften auf die ›Isabella‹ zu, am Heck stand Ferris Tucker an der Ruderpinne. Er hatte die Sprengladung angebracht, als das Schiff des toten Piraten gar keine Anstalten machte, endlich zu den Fischen zu gehen. Einen Moment blieb die Galeone auf der Seite liegen, hoch ragten die immer noch brennenden Rahen in nebligen Himmel. Dann wälzte sie sich langsam und schwerfällig herum. Steil stieg das hohe Achterkastell aus der See, dann trat die Galeone Caligus mit dem Bug voran ihre letzte Fahrt in die Tiefe an. Caligu und alle anderen Toten, die sich noch an Bord befunden hatten, nahm sie mit sich. Siri-Tong, die sich immer noch auf der ›Isabella‹ befand und neben dem Seewolf stand, starrte ihr nach. »Du hast mir zwar die Arbeit abgenommen, Seewolf«, sagte sie leise, »aber meine Schande ist getilgt. Caligu hat mit seinem Leben gebüßt, die Karibik ist von ihm und seiner Bande von Halsabschneidern befreit. Später, wenn wir einmal Zeit dazu finden, werde ich dir noch ein paar Dinge erzählen, von denen du nichts weißt, die dich aber bestimmt interessieren werden. Du aber solltest mir dann auch etwas über jene
Männer berichten, bei denen ihr diese kleinen Flugkörper gefunden habt, jene Waffe, der kein Schiff widerstehen kann.« Sie berührte ganz leicht seine Hand, anschließend wandte sie sich zum Gehen. Bevor sie sich über das Schanzkleid schwang, winkte sie ihm noch einmal zu. Gleich darauf legte ihr Boot ab und ein paar Männer ihrer Crew pullten sie zu ihrem Zweimaster hinüber, dessen rote Segel eben von der Besatzung wieder gesetzt wurden. * Eine halbe Stunde später segelten die beiden Schiffe in Richtung Schlangen-Insel davon. Der Zweimaster der Roten Korsarin hatte den Kampf nicht so gut überstanden wie die ›Isabella‹ der Seewölfe. Die Trümmer der Piratenkaravelle, die nach einem Volltreffer aus den Culverinen der ›Isabella‹ in die Luft geflogen war, hatten im Rigg und auf Deck des Zweimasters schwere Verwüstungen angerichtet. Die Rote Korsarin hatte unter ihren Männern im Gegensatz zu Hasard sogar Tote zu beklagen, die von an Deck fallenden Mastteilen der Karavelle und von herabstürzenden Spieren erschlagen worden waren. Siri-Tong war diesem Schicksal selbst nur entgangen, weil sie der Boston-Mann im letzten Moment zur Seite geschleudert hatte. Diese Schäden mußten behoben werden, ehe an weitere Aktionen gedacht werden konnte. Außerdem galt es, die Beute auf der Insel abzuladen, denn sie belastete die beiden Schiffe erheblich. Es war, als ob mit dem Ende des Kampfes auch die Natur ein Einsehen hatte. Der Nebel wurde vom aufkommenden Wind weggefegt. Die ›Isabella‹ und der Zweimaster der Roten Korsarin segelten an Tortugas Küsten vorbei. Vergeblich würde man dort auf die Rückkehr Caligus warten, vorbei war es mit seinen wüsten Gelagen, und sicher würden auch auf
Tortuga die Menschen erlöst aufatmen, wenn sie von der Abrechnung vor den Küsten der Schildkröten-Insel erfuhren. * Edwin Carberry, Ferris Tucker, Smoky und Dan O’Flynn hatten es sich auf dem Vorderkastell der ›Isabella‹ bequem gemacht. Sie waren gerade dabei, eine Runde auszuwürfeln, als Big Old Shane auf der Back auftauchte. Der einstige Schmied und Waffenmeister aus Arwenack sah ihnen eine Weile zu. Dann ließ er sich nieder und nahm Dan den Würfelbecher aus der Hand. »Hört mal einen Moment zu, ihr Experten«, sagte er und beugte sich gleichzeitig vor. Gespannt richteten sich die Augen der vier Männer auf Old Shane, denn wenn der sich auf diese Weise in ein Spiel einmischte, dann mußte es schon um wichtige Dinge gehen. »Ich war eben beim Seewolf. Ich glaube, Hasard hat wieder einen verwegenen Plan ausgebrütet, aber so sehr ich ihn auch bekniet habe, er läßt nichts raus. Aber es muß etwas ganz Großes sein, was ihm im Kopf herumspuckt. Er hat mir so ein paar merkwürdige Fragen gestellt.« Dan sprang auf, aber der Waffenmeister zog ihn sofort wieder auf die Planken. »Sei kein Narr, Dan. Diese Sache bleibt vorerst unter uns, klar?« Er sah Ferris Tucker nachdenklich an. »Und wir beide, wir sollten mal darüber nachdenken, wie wir den Zweimaster Siri-Tongs am schnellsten wieder zusammenflicken. Und noch etwas. Ich glaube, daß wir ein wachsames Auge auf ein paar Männer ihrer Mannschaft haben sollten, auch das deutete der Seewolf an. Es muß da so einige Brüder geben, die ihre eigenen Pläne haben. Pläne, mit denen weder die Rote Korsarin noch Hasard sonderlich einverstanden sein dürften.« Carberry räusperte sich. »Ich werde den Kerlen persönlich die
Haut ...« Er unterbrach sich plötzlich. »Ho, Ferris, mal ganz unter uns: Was hältst du eigentlich von dieser Siri-Tong?« Der rothaarige Hüne sah ihn überrascht an. »Wie meinst du das?« fragte er dann vorsichtig nach einem Blick auf Dan. »Verdammt noch mal, ich meine immer alles so, wie ich es sage!« ranzte Carberry ihn an. »Aber um noch deutlicher zu werden: auf wessen Seite steht sie eigentlich, oder auf wessen Seite wird sie stehen, wenn es mal hart auf hart geht, he?« Wieder warf Ferris Tucker einen unbehaglichen Blick auf Dan, der das aber offensichtlich nicht bemerkte, sondern sich erhob und davonschlenderte, nachdem er irgend etwas vor sich hingebrummelt hatte. Tucker starrte ihm entgeistert nach. »Verdammt noch mal, was ist mit Dan los? Ist doch sonst nicht seine Art, einfach zu verduften? Verstehst du das, Ed?« Der Profos schwoll langsam an. »Natürlich verstehe ich das. Zufällig ist nämlich Hasards Frau seine Schwester. Und damit ist er der Schwager des Seewolfs. Geht das in deinen rothaarigen Schädel?« fragte er böse. »Er hat einfach die Nase von dieser Siri-Tong voll, so hübsch und so tapfer sie auch sein mag. Denn daß die Rote Korsarin Feuer gefangen hat, das dürfte sogar so einem Walroß wie dir nicht entgangen sein. Also, willst du mir jetzt meine Frage beantworten oder nicht?« Auch Carberry hatte sich erhoben und blickte den Schiffszimmermann unter zusammengezogenen Brauen an. »Na gut.« Ferris Tucker blickte sich noch einmal sicherheitshalber um. »Sie wird sich immer auf die Seite des Seewolfs schlagen, Ed, das ist mal sicher. Und ich denke, daß das der Punkt ist, auf den wir etwas aufpassen sollten. Ich kenne Hasard lange genug, aber schließlich ist auch er nur ein Mann, genau wie jeder von uns.«
Carberry nickte. Dann überzog plötzlich ein Grinsen sein narbiges Gesicht, das durch das eine zugeschwollene Auge und die dicke Beule an der Stirn, die auch schon in allen Farben zu schimmern begann, noch furchterregender aussah als sonst. »Also, wenn ich mir vorstelle, daß ich dieser Siri-Tong auch eines Tages die Haut in Streifen von ihrem ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn die Männer auf dem Vorderkastell brachen in ein so unbändiges Gelächter aus, daß sogar der alte O’Flynn, dessen Laune sich seit dem Verlust seines Holzbeins und weil sein Stumpf immer noch von dem Schlag grün und blau angelaufen war auf dem absoluten Nullpunkt befand, ganz irritiert zu ihnen hinüberblickte. »Verdammte Bande!« knurrte er und lud Dan ein, der eben auf ihn zutrat, sich neben ihn zu setzen. »Du solltest deinem alten Vater etwas Rum zum Einreiben für seinen Beinstumpf vom Kutscher besorgen, mein Junge«, sagte er grollend. »Du kannst mir dann auch beim Einreiben helfen!« Dan blickte ihn an, dann überzog sein junges Gesicht ebenfalls ein Grinsen. »Klar, tu ich doch glatt!« sagte er und verschwand in Richtung Kombüse. Der Alte O’Flynn rieb sich die Hände, und als er Dan schließlich mit einem Krug Rum zurückkommen sah, hatte sich seine Laune schon wieder um etliche Grade gebessert. Währenddessen segelte die ›Isabella‹ der Schlangen-Insel Meile um Meile entgegen. In ihrem Kielwasser folgte der Zweimaster der Roten Korsarin. Manchmal sahen die Männer den Seewolf unruhig auf dem Achterkastell auf und abwandern. Aber sie deuteten seine Unruhe falsch, denn sie führten sie auf die hübsche Siri-Tong zurück. In Wirklichkeit hatte Big Old Shane mit seiner Vermutung recht. Der Seewolf knobelte sich bei diesen Wanderungen übers Achterdeck wirklich das tollste Unternehmen aus, das er
je gestartet hatte. Aber er schwieg sich eisern aus, nicht einmal Ben Brighton, der seine Unruhe fast körperlich spürte, verriet er ein Sterbenswörtchen von dem, was er plante. Und das war auch gut so, wie sich später noch zeigen sollte. ENDE Wölfe im Schafspelz von Roy Palmer Die dickbauchige Galeone hieß ›Flor de Espana‹, und sie war das Flaggschiff des Geleitzuges, der mit den Schätzen der Neuen Welt beladen zurück nach Spanien segeln sollte. Nur waren die Würfel des Schicksals bereits gefallen und hatten anders entschieden. Denn an Bord der »Blume von Spanien« hatten drei Seeleute angeheuert, deren Handwerk die Freibeuterei war - Seewölfe ...