Sylvia Veit Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung?
Interdisziplinäre Organisationsund Verwaltungsforschung Band 16 ...
82 downloads
1243 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Sylvia Veit Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung?
Interdisziplinäre Organisationsund Verwaltungsforschung Band 16 Herausgegeben von Thomas Edeling Werner Jann Dieter Wagner
Sylvia Veit
Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung? Deutschland und Schweden im Vergleich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Universität Potsdam, 2009 Gefördert durch ein Promotionsstipendium des Graduiertenkollegs Modern Governance (Universität Potsdam)
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17112-8
Danksagung
Die Autorin möchte sich an dieser Stelle bei allen bedanken, die geholfen haben, die vorliegende Arbeit Wirklichkeit werden zu lassen. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Werner Jann, der meinen akademischen Werdegang in den letzten Jahren entscheidend gefördert hat. Prof. Dr. Thomas Edeling danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und für zahlreiche hilfreiche Kommentare im Rahmen der Veranstaltungen des Graduiertenkollegs Modern Governance der Universität Potsdam, welches mich mit einem großzügigen Promotionsstipendium unterstützte. Dr. Peter Wordelmann danke ich für einen ersten praktischen Zugang zu dem Thema dieser Arbeit im Rahmen der Durchführung einer Gesetzesfolgenabschätzung zum Kinder- und Jugendhilfegesetz in Sachsen-Anhalt sowie für viele interessante Fachgespräche. Prof. Dr. Kai Wegrich, Dr. Klaus Jacob, Tobias Bach, Magnus Erlandsson, Julia Fleischer, Thurid Hustedt, Bastian Jantz, Jeppe Jörgensen und Markus Seyfried danke ich für ihre Unterstützung sowie für ihr, oftmals sehr kurzfristig angefragtes, Feedback. Unabdingbar für das Gelingen der empirischen Arbeit war die Kooperationsbereitschaft meiner Interviewpartnerinnen und -partner in Deutschland und Schweden, die mir nicht nur ihre Zeit zur Verfügung stellten, sondern auch das Vertrauen und die Offenheit, welche für ein solches Gespräch nötig sind. Danken möchte ich auch Dr. Dominik Böllhoff, Christina Fors und Ronny Kay, mit denen ich mehrere lange Hintergrundgespräche führen konnte. Der Potsdam Graduate School und dem Institut für Management und Organisation (Potsdam) danke ich für Druckkostenzuschüsse zur Publikation dieses Buches. Zuletzt möchte ich meiner Familie danken und mich bei meinen Kindern für die vielen Stunden, die ich nicht mit ihnen, sondern vor dem Computer verbracht habe, entschuldigen.
Berlin, im Oktober 2009 Sylvia Veit
Inhalt
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ......................................................................10 TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................13 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ........................................................................14 1 EINLEITUNG ...............................................................................................15 1.1 Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe ...............................17 1.2 GFA und SKM als zentrale Reforminstrumente ......................................21 1.3 Forschungsinteresse .................................................................................23 1.4 Fallauswahl ..............................................................................................29 1.5 Aufbau des Buches und Methodologie ....................................................31 2 EXEKUTIVE GESETZESVORBEREITUNG IN DEUTSCHLAND UND SCHWEDEN ...................................................35 2.1 Gesetzesvorbereitung in der bundesdeutschen Exekutive: Ein Blick in die ‚black box’ .....................................................................35 2.1.1 Normtypen und Anzahl der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene ......................................36 2.1.2 Die Ministerialverwaltung im Prozess der Gesetzesvorbereitung . . .42 2.1.3 Die Bedeutung von Sachverständigen, Interessengruppen, Landesregierungen und Parteien ......................................................52 2.1.4 Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen auf Bundesebene: Entwicklungslinien und Reformkontext .............61
2.2 Rationale Politikgestaltung durch Transparenz und Beteiligung? Mythos und Realität der Gesetzesvorbereitung in Schweden .................81 2.2.1 Das schwedische Verwaltungssystem ..............................................82 2.2.2 Normtypen und Anzahl der Rechtsvorschriften ...............................89 2.2.3 Vorstrukturierung von Politikinhalten im Kommissionswesen ........93 2.2.4 Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung .......................103 2.2.5 Interessenverbände: Kommissionskorporatismus, Verwaltungskorporatismus oder Entkorporatisierung? ..................109 2.2.6 Parlament und Parteien im Gesetzgebungsprozess ........................116 2.2.7 ‚Bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen: Entwicklungslinien und Reformkontext .........................................119 2.3 Wesentliche Charakteristika der exekutiven Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden ...................................................................138 3 EMPIRISCHE ERGEBNISSE ZUR IMPLEMENTATION VON FOLGENABSCHÄTZUNGEN ........................................................145 3.1 Methodisches Vorgehen .........................................................................145 3.2 Erfüllung der GGO-Kriterien zur Folgenabschätzung in Deutschland. .148 3.2.1 Anforderungen der GGO und Prüfkriterien ....................................148 3.2.2 Stand der empirischen Forschung ..................................................153 3.2.3 Empirische Analyse von Gesetzentwürfen der Jahre 1999, 2003 und 2006 ......................................................157 3.2.4 Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen ......180 3.3 Erfüllung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden .........184 3.3.1 Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden .........................184 3.3.2 Stand der empirischen Forschung ..................................................191 3.3.3 Empirische Analyse zur Darstellung von Gesetzesfolgen in Propositionen der schwedischen Regierung ...................................205 3.4 Vergleich der Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden ...............................................................225 3.5 The same procedure as every year? Kontinuitäten und Veränderungen der Folgenabschätzungspraxis in drei Jahrzehnten ...............................230 3.5.1 Deutschland ....................................................................................231 3.5.2 Schweden ........................................................................................236 8
4 ERKLÄRUNG DER IMPLEMENTATIONSUNTERSCHIEDE IN DEUTSCHLAND UND SCHWEDEN .................................................241 4.1 Theoretischer Rahmen: Der Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie ..............................................................................241 4.1.1 Isomorphie als Folge des Legitimitätsstrebens von Organisationen .........................................................................244 4.1.2 Ebenen der Strukturanpassung von Organisationen........................249 4.1.3 Untersuchungsleitende Hypothesen ...............................................252 4.2 Konflikthypothese ..................................................................................256 4.2.1 Herstellung und Absicherung der Durchsetzungsfähigkeit von Gesetzentwürfen ......................................................................258 4.2.2 Vorentscheidungsmacht der Ministerialverwaltung und informationelle Entlastung der Politik ...........................................264 4.3 Kontrollhypothese ..................................................................................270 4.3.1 Kontrolle und Transparenz in Deutschland ....................................272 4.3.2 Kontrolle und Transparenz in Schweden ........................................282 4.3.3 Fazit: Die Bedeutung von politischer Unterstützung, Interessen und Zuständigkeiten ......................................................294 4.4 Kognitionshypothese .............................................................................295 4.4.1 Verwaltungskultur in Deutschland und Schweden .........................296 4.4.2 Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten in Deutschland und Schweden .......................................................303 4.4.3 Fazit: Zur Bedeutung von Verwaltungskultur und Ausbildungshintergrund .................................................................311 5 FAZIT UND AUSBLICK ...........................................................................313 5.1 Forschungsfrage 1: Über große und kleine Implementationslücken .....315 5.2 Forschungsfrage 2: Über die Ursachen der Implementationsunterschiede ..........................................................317 5.3 Ausblick: Lessons Learned ....................................................................325 LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................329 9
Abkürzungsverzeichnis
AA AaS Abb. Art. AuPZ BBG BbesG Begr. Bet. BGBl BK BLV BMAS BMBF BMBl BMELV BMF BMFSFJ BMG BMGS BMI BMJ BMU BMVBS BMVg BMWA BMWi BMZ BT-Drs. C DEBR Dir. dms DÖV
10
Auswärtiges Amt Auswirkungen auf das Staatsbudget Abbildung Artikel Aus Politik und Zeitgeschichte Bundesbeamtengesetz Bundesbesoldungsgesetz Begründung zum Vertrag (bei Vertragsgesetzen) Betänkande (Gutachten, Stellungnahme) Bundesgesetzblatt Bürokratiekosten Bundeslaufbahnverordnung Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerialblatt Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bundestags-Drucksache Centerpartiet (Zentrumspartei) Directors and Experts of Better Regulation Direktiv (Direktive der schwedischen Regierung) der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management Die Öffentliche Verwaltung
Ds. DS EG ENBR ESV EU EVIA E-VSF FFU FDP Fp FUD GESTA GFA GFE GG GGO GGO II GOBReg H HoV Hrsg. id. IDV IP INSM ISA ITPS Kap. KGSt KU LP M MAS MATISSE MISTRAL MPIfG NKR NKRG NoE
Departementsserien (Veröffentlichungsreihe der Kanzlei der Ministerien) Denkschrift Europäische Gemeinschaft European Network for Better Regulation Ekonomistyrningsverket (Nationale Schwedische Behörde für Finanzmanagement) Europäische Union Evaluating Integrated Impact Assessments Elektronische Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Forschungsstelle Umweltpolitik der Freien Universität Berlin Freie Demokratische Partei Folkpartiet Liberalerne (Liberale Partei) Företagens Uppgiftslämnardelegation Datenbank zum Stand der Gesetzgebung des Bundes Gesetzesfolgenabschätzung Gesellschaft zur Förderung der Entbürokratisierung Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Besonderer Teil Geschäftsordnung der Bundesregierung Hypothese Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand Herausgeber Identisch Individualism Index Informationspflichten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Integrated Sustainability Assessment Institut för tillväxtpolitiska studier (Institut für wachstumspolitische Studien) Kapitel Kommunale Gemeinschaftsstelle Kleine Unternehmen Legislaturperiode Moderata samlingspartiet (Moderate Sammlungspartei) Masculinity Index Methods and Tools for Integrated Sustainibility Assessment Meetinstrument Administratieve Lasten Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung in Köln Nationaler Normenkontrollrat Gesetz zur Einsetzung des Nationalen Normenkontrollrates Network of Excellence
11
NPM NUTEK
New Public Management Verket för Näringslivsutveckling (Schwedisches Amt für Wirtschaftsentwicklung) NNR Näringslivets Regelnämnd (Verband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung) OECD Organisation for Economic Cooperation and Development o.D. ohne Datumsangabe PDI Power Distance Index Prop. Proposition PVS Politische Vierteljahresschrift RF Regeringsformen (Gesetz über die Regierungsform) RIA Regulatory Impact Assessment RR Riksdagens Revisorer (Revisoren des Reichstags) RRV/RiR Riksrevisionsverket/Riksrevisionen (Schwedischer Rechnungshof) RSV Riksskatteverket (Zentralamt für Finanzwesen) s.a. siehe auch SAF Svenska Arbetsgivar Föreningen (Schwedischer Arbeitgeberverband) SAP Socialdemokraterna (Sozialdemokratische Partei) SB Statsrådsberedningen (Kanzlei des Ministerpräsidenten) SCB Statistiska Centralbyrån (Statistisches Zentralamt) SCM Standard Cost Model SEAMLESS System for Environmental and Agricultural Modelling; Linking European Science and Society SFS Svensk författningssamling (Schwedische Gesetzessammlung) SKM Standardkosten-Modell Skr. Skrivelse (Schreiben) SOU Statens Offentliga Utredningar (Öffentliche Untersuchungskommissionen des Staates) SME Small and Medium Sized Enterprises SWE Schweden TEP The Evaluation Partnership UAI Uncertainty Avoidance Index VV Verwaltungsvorschriften VwVR Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes WP Wahlperiode WZB Wissenschaftszentrum Berlin ZfG Zeitschrift für Gesetzgebung ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen
12
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:
Anzahl der Gesetze nach Wahlperioden (BRD)...............................38 Exekutive Gesetzesentwicklung in Deutschland und Schweden...142 Gliederung des Vorblattes (GGO II und novellierte GGO) ...........150 GGO-Quelle und Prüfkriterien.......................................................152 Auswirkungen auf Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und die Verbraucher (BRD)............................................................173 Tabelle 6: Anforderungen zur Folgenabschätzung in der schwedischen Kanzlei der Ministerien und abgeleitete Prüfkriterien...................187 Tabelle 7: Zwölf Fragen der Folgenabschätzung für kleine Unternehmen laut § 3 Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820)............................190 Tabelle 8: Prüfkriterien des NNR-Regelindikators.........................................203 Tabelle 9: Einfluss vorbereitender Kommissionen auf ausgewählte Prüfkriterien (SWE)........................................................................222 Tabelle 10: Formale Erfüllung der Prüfvariablen in deutschen Gesetzentwürfen 2006 nach Struktur des Gesetzesvorblattes........281 Tabelle 11: Ausbildungshintergrund der administrativen Elite in Schweden 1971 und 1990...........................................................311
13
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Kommissionsmitglieder 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen (SWE). .96 Abb. 2: Experten und Sachverständige 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen....97 Abb. 3: Formaler Gesetzgebungsprozess in Schweden..................................110 Abb. 4: Mehrheitsverhältnisse in den Behördenvorständen (SWE)...............116 Abb. 5: Ursprung der analysierten Gesetzentwürfe (BRD)............................158 Abb. 6: Seitenanzahl der Gesetzestexte (BRD)..............................................160 Abb. 7: Seitenanzahl der Gesetzesbegründungen (BRD)...............................161 Abb. 8: HoV (BRD, alle Gesetzentwürfe)......................................................165 Abb. 9: HoV (BRD, ohne Vertragsgesetze)....................................................167 Abb. 10: „Keine Haushaltsauswirkungen“ nach Entwurfsverfasser (BRD).....168 Abb. 11: Angaben zum Vollzugsaufwand (BRD).............................................169 Abb. 12: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (BRD).................171 Abb. 13: Auswirkungen auf die Wirtschaft (BRD)...........................................172 Abb. 14: Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (BRD)........175 Abb. 15: Angaben zu Bürokratiekosten in Gesetzentwürfen (BRD)................179 Abb. 16: Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen..........183 Abb. 17: NNR-Regelindikator 2002–2007.......................................................204 Abb. 18: Ursprung der analysierten Propositionen...........................................207 Abb. 19: Seitenanzahl der Propositionsbegründungen.....................................208 Abb. 20: Kostenfolgen für das Staatsbudget nach Ministerien (SWE).............214 Abb. 21: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (SWE).................215 Abb. 22: Angaben zur Finanzierung der Regelungsvorschläge (SWE)............216 Abb. 23: Auswirkungen auf Kommunen, Wirtschaft und Umwelt (SWE).......219 Abb. 24: Formale Erfüllung der Folgenabschätzung (SWE)............................224 Abb. 25: Formale und tatsächliche Erfüllung BRD und SWE..........................226 Abb. 26: Anteil der Quantifizierungen BRD und SWE....................................230 Abb. 27: Hypothesen zur Erklärung von Implementationsdefiziten.................256 Abb. 28: Reaktion der Ministerialverwaltung auf konfligierende Umweltanforderungen........................................................................258 Abb. 29: Formale Prüfkompetenzen der Ressorts (BRD).................................276 14
1 Einleitung
Mit dem Schlagwort ‚better regulation’ wird ein Reformbereich der Staats- und Verwaltungsmodernisierung bezeichnet, der sich im letzten Jahrzehnt vorwiegend in Europa entwickelt hat. Sein Ziel ist die Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie die Erhaltung von Wohlstand und Lebensqualität im Zeitalter der post-industriellen Wissensgesellschaft und der Globalisierung. Wichtige Impulse hierfür kamen von der OECD, die seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr nur als Promotor einer Deregulierung und der Privatisierung staatlicher Infrastrukturmonopole auftrat, sondern auch die generelle qualitative Verbesserung von Rechtsvorschriften durch ex ante Evaluationen und Folgenabschätzungen propagierte (OECD 1995, 1997, 2004b). Der ‚better regulation’-Boom der letzten Jahre lässt sich jedoch nicht allein auf wirtschafts- und sozialpolitische Ziele zurückführen, sondern hat auch viel mit der Frage nach der Legitimität politischer Entscheidungen, und damit auch mit der Frage nach der Legitimität etablierter staatlicher Entscheidungsstrukturen, zu tun. Vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen politischen Entscheidens – man denke z.B. an die wachsende Politikverdrossenheit und die sinkende Bindungskraft der politischen Parteien, aber auch an die hohe Komplexität von Entscheidungsinhalten und Entscheidungsfindungsprozessen in verschiedenen Politikfeldern – gewinnt die Output-Legitimation politischer Entscheidungen immer mehr an Bedeutung. Um dauerhaft Legitimität zu erhalten, müssen politische und administrative Akteure nachweisen, dass ihre Entscheidungen sachlich angemessen und effizient sind, und dies nicht nur im Nachhinein (ex post, z.B. durch Evaluationen), sondern bereits im Prozess der Politikentwicklung (ex ante). In besonders hohem Maße gilt dies für die Europäische Kommission, deren demokratische Input-Legitimation eher schwach ist. Die Europäische Kommission investiert deshalb viele Ressourcen in den Nachweis, dass ihre Entscheidungen in einem gerechten, transparenten Verfahren zustande kommen, dass sie sachlich richtig und effektiv sind und dass ein Abwägungsprozess zwischen verschiedenen Alternativen im Hinblick auf Kosten und Nutzen stattfindet.
So verwundert es wenig, dass die Europäische Kommission diejenige Institution ist, welche sich im letzten Jahrzehnt zu einem zentralen ‚Treiber’ von ‚better regulation’ entwickelt hat.1 Durch die Vergabe von Forschungsprojekten2 und die Institutionalisierung eines europaweiten Netzwerkes von Reformexperten3 förderte die Europäische Kommission die politische Wahrnehmung und das längerfristige Agenda-Setting des Reformthemas nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in den Mitgliedsstaaten. Die entstandenen Forschungs- und Politiknetzwerke haben entscheidend zu einer europaweiten Diffusion bestimmter Instrumente der besseren Rechtsetzung beigetragen (Wegrich 2009b; Radaelli 2005). Zentrale Bedeutung erlangten dabei verschiedene Varianten der Politikoder Gesetzesfolgenabschätzung (s.a. Kap. 1.2). Die sich im Reformbereich ‚better regulation’ widerspiegelnde Kritik an der Produktion von Rechtsnormen ist in einem weiteren Kontext ein Ausdruck bzw. ein Element der alten Kritik an der Steuerungsfähigkeit des Staates, ebenso wie die Modernisierungsbemühungen in hohem Maße darauf abzielen, diese Steuerungsfähigkeit zu erhöhen. Normative theoretische Grundlagen hierfür gehen auf die beiden amerikanischen Forscher Lerner und Lasswell (1951) und deren Idee einer interdisziplinären Problemlösungswissenschaft (Policy Sciences), welche politische Entscheidungsprozesse mit wissenschaftlicher Unterstützung verbessert, zurück. Dementsprechend sind viele Inhalte des Reformbereiches ‚better regulation’ keine Neuerfindung des aktuellen Diskurses (Jann et al. 2005; s.a. Böhret/ Hugger 1979; Mayntz 1980; Fricke 1983). Insbesondere diejenigen Maßnahmen, welche dazu dienen sollen, den Prozess der Gesetzesvorbereitung und Entscheidungsfindung zu rationalisieren, indem das Wissen über die Auswirkungen von geplanten Regulierungen durch systematische wissenschaftliche Analysen verbessert wird, waren in der Vergangenheit jedoch durch eine erhebliche Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gekennzeichnet. In der Regel verloren diese Rationalisierungsansätze nach einer Phase der Reformeuphorie rasch an Bedeutung und bewirkten keine nachhaltigen Veränderungen im politisch-administrativen System und im Prozess der Politikformulierung und -entscheidung. 1
2 3
16
Seit Erscheinen des Weißbuchs „Europäisches Regieren“ (COM 2001 428 final) und des Berichtes der Mandelkern-Gruppe für bessere Rechtsetzung (BMI 2001) im Jahr 2001 entstand auf EU-Ebene ein umfangreiches Reformprogramm zu ‚better regulation’ (Konzendorf et al. 2005; Meuwese 2008). MATISSE, EVIA, ENBR, SEAMLESS, NoE (s.a. Kap. 3.2.2 und 3.3.2). Zu nennen sind z.B. das Gremium „Directors and Experts of Better Regulation“ (DEBR) und die Finanzierung von Vernetzungsaktivitäten im Rahmen von ENBR und NoE.
Die vorliegende Arbeit setzt sich vor diesem Hintergrund mit der Frage auseinander, ob die im Kontext des aktuellen Reformbooms eingeleiteten Maßnahmen zur systematischen Verbesserung der Wissensbasis politischer Entscheidungsträger von den mit der Vorbereitung neuer gesetzlicher Regelungen betrauten Akteuren besser umgesetzt werden als die in der Vergangenheit gescheiterten Reformansätze. Hierfür werden in einem ersten Abschnitt der Einleitung (Kap. 1.1) zentrale Begriffe definiert. Der zweite Teil (Kap. 1.2) dient der Erläuterung der wesentlichen Instrumente zur Erhöhung des Wissens über Gesetzesfolgen in der Modernisierungswelle des letzten Jahrzehnts. Kap. 1.3 konkretisiert die forschungsleitende Fragestellung und stellt das Untersuchungsdesign und den Aufbau dieses Buches vor.
1.1 Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe Der einleitend kurz umrissene Reformbereich der ‚better regulation’ ist durch eine Vielfalt von Begrifflichkeiten zur Beschreibung des Reformfeldes insgesamt sowie seiner Teilbereiche geprägt. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass Reformen und Modernisierungsbemühungen immer mit innovativen Schlagwörtern, Instrumenten, Methoden und Programmen verbunden sind, und zwar auch dann, wenn der tatsächliche Innovationsgehalt gar nicht so groß ist. Forschung zu Reformfragen ist nicht selten normativ geprägt. Begrifflichkeiten werden aus der politischen Praxis übernommen, in der ihnen ein bestimmter Bedeutungsgehalt gegeben wurde, welcher sich je nach politischem Hintergrund und je nach Herkunftsland unterscheiden kann. Begriffliche Vielfalt, vage Definitionen und ein hohes Maß an Überlappung zwischen Reformtermini erfüllen in der Praxis verschiedene Funktionen (z.B. Herstellung von Mehrheitsfähigkeit für politische Entscheidungen, Abgrenzung von anderen Reformakteuren mit eigenen Konzepten etc.). Zur Beschreibung des hier interessierenden Reformbereiches werden im Deutschen am häufigsten die Begriffe ‚bessere Regulierung’ und ‚bessere Rechtsetzung’ genutzt. Daneben spielen weitere Schlagworte wie Bürokratieabbau oder Entbürokratisierung (Jann/Wegrich 2005, 2008), ‚moderne Regulierung’ (Empter et al. 2005), Rechtsvereinfachung und Deregulierung (Jann et al. 2005) eine wichtige Rolle. Im Englischen wird zudem manchmal von ‚smart regulation’ (Gunningham/Grabosky 1998) statt von ‚better regulation’ gesprochen. Alle diese Begriffe lassen breiten Spielraum für Interpretationen, was deren inhaltliche Bedeutung angeht. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit, die sich 17
mit der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung4 in der aktuellen Reformwelle beschäftigt, ist eine Definition und Abgrenzung der verwendeten Terminologie wichtig, um den Forschungsinhalt möglichst klar zu definieren und um das Forschungsprojekt in den breiteren Reformkontext richtig einordnen zu können. Regulierung wird in einer engen Definition begriffen als der Erlass von Geund Verboten bzw. Anzeige- und Genehmigungspflichten durch den Staat. Dieses Verständnis von Regulierung bzw. regulativer Steuerung findet sich vor allem in der wissenschaftlichen Literatur zur Kategorisierung von externen Steuerungsinstrumenten im Rahmen der Policy-Analyse wieder (siehe z.B. Schubert 1991). Im Kontext von ‚better regulation’ hingegen ist die Charakterisierung des Regulierungsbegriffs umfassender. Regulierung wird als Gesamtheit staatlicher Steuerung und Programme, unabhängig von den konkreten Steuerungsmodi und -instrumenten, definiert (Baldwin/Cave 1999: 2; Jann et al. 2005: 51). Der Reformbereich ‚better regulation’ umfasst demnach alle Maßnahmen, welche die Qualität staatlicher Politikformulierung und/oder deren Umsetzung und Anwendung verbessern sollen (s.a. Wegrich 2009a). ‚Better regulation’ ist deshalb ein umfassenderes Konzept als dies durch den im Deutschen gebräuchlicheren Terminus ‚bessere Rechtsetzung’ abgebildet wird. Bessere Rechtsetzung bezieht sich per Definition nur auf ein bestimmtes Steuerungsinstrument (das gesetzte Recht) und eine bestimmte Phase des Policy-Cycles (den Prozess der Rechtsetzung). ‚Bessere Rechtsetzung’ ist also ein Teilbereich von ‚better regulation’. Doch welche Inhalte stehen dahinter? ‚Bessere Rechtsetzung’ ist ein normatives Konzept, das im Detail politisch mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt wird. Konsens ist jedoch die Grundannahme, dass ‚mehr Information’ bzw. ‚mehr Wissen’ zu ‚besseren’ politischen Entscheidungen führt, d.h. zu Entscheidungen, deren wesentliche positive und negative Folgen den zuständigen Entscheidungsträgern in der Entscheidungssituation bewusst waren und von diesen gegeneinander abgewogen wurden (Idealbild der rationalistischen Entscheidungstheorie). Während smart regulation oder moderne Regulierung aus der politischen Praxis stammende Variationen von ‚better regulation’ sind, besitzen die Begriffe Bürokratieabbau/Entbürokratisierung, Deregulierung und Rechtsvereinfachung eine jeweils etwas abweichende inhaltliche Bedeutung, auch wenn es erhebliche 4
18
Der Begriff Folgenabschätzung wird in dieser Arbeit als übergeordnete Bezeichnung für Verfahren und Vorschriften zur ex ante Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen im Rechtsetzungsprozess verwendet. Die Verpflichtung, Haushaltsauswirkungen eines Gesetzes im Rahmen der Entwurfsbegründung darzustellen, ist ein Beispiel hierfür.
Überschneidungen gibt und die Begriffe in der Praxis oft nicht scharf voneinander abgegrenzt werden. Bürokratieabbau umfasst selbstverständlich viel mehr Bereiche als ‚better regulation’. Bürokratiekritik bezieht sich umgangssprachlich auf eine Vielzahl von Phänomenen, wie zum Beispiel übertriebene Hierarchisierung, langsame Bearbeitung von Fällen, Unpersönlichkeit und Unflexibilität in Bezug auf den Einzelfall, unverständliche Formulare oder zu viele Regeln und daraus folgende übertriebene Komplexität (z.B. im Steuerrecht). Jann und Wegrich unterscheiden in Anlehnung an Mayntz drei Ebenen der Bürokratiekritik mit verschiedenen Sub-Dimensionen: die Aufgabenebene (zu viele Aufgaben werden vom Staat wahrgenommen/geregelt), die Regulierungsebene (es gibt zu viele Regulierungen, die darin festgelegten materiellen Standards sind zu hoch, die Regulierungen sind schlecht gemacht etc.) und die Organisationsebene (Zahl der staatlichen Behörden, ihre Arbeitsweise und das Verhalten der Mitarbeiter etc.). Ausgehend von dieser Kategorisierung ist ‚better regulation’ ein Teilbereich des Bürokratieabbaus. Deregulierung bezieht sich auf die Reduzierung materieller Standards der staatlichen Regulierungen in einem bestimmten Sektor, um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die unternehmerischen Entwicklungspotentiale möglichst wenig einzuschränken. Deregulierung ist also ein konkreterer Begriff als ‚better regulation’ mit relativ klar definierten Zielen und normativen Präferenzen. Rechtsvereinfachung ist ein verwandter, aber wesentlich unschärferer Terminus. Unter Rechtsvereinfachung werden in der Praxis Maßnahmen zur Deregulierung verstanden, aber auch Rechtsbereinigungsmaßnahmen und ein besserer Zugang zum Rechtsbestand. Auf EU-Ebene werden auch die Bemühungen zur Beschleunigung des Verfahrens der Verabschiedung von Rechtsnormen häufig als ein Teilelement der Rechtsvereinfachung kommuniziert (Konzendorf et al. 2005: 9). Während die bisher diskutierten Begrifflichkeiten normative Prioritäten und politische Reformmoden widerspiegeln, wird in der Wissenschaft zunehmend versucht, werturteilsfreie Kategorien zu finden und die Reformpolitik zur Modernisierung des rechtlichen Rahmens als eigenständiges Politikfeld zu beschreiben. Die Begriffe Meta-Governance, Meta-Politik und Meta-Regulierung sind Ausdruck dieses wissenschaftlichen Diskurses. Bisher hat sich jedoch keiner dieser übergeordneten Begriffe in der akademischen Debatte als Standard durchsetzen können. Meta-Governance ist ein sehr breites Konzept und bezieht sich auf die Organisation der Bedingungen, unter denen allgemein verbindliche 19
Entscheidungen in Märkten, Hierarchien und Netzwerken produziert werden (Jessop 2002: 152). Meta-Politik ein etwas enger gefasster Begriff. Nach Wegrich ist Meta-Politik (oder Meta-Policy) dadurch gekennzeichnet, dass Normen und Standards gesetzt werden, die den Regulierungsprozess und damit (indirekt) auch das Ergebnis in grundsätzlich allen Regulierungsfeldern beeinflussen sollen (Wegrich 2009a: 7; s.a. Jann/Wegrich 2008; Langer 2007). Der Terminus Meta-Regulierung zielt in eine ähnliche Richtung. Er wurde um die Jahrtausendwende von einigen Autoren benutzt, um die staatliche Überwachung gesellschaftlicher (meist unternehmerischer) Selbstregelungsmechanismen, z.B. in Form von Selbstverpflichtungserklärungen, zu beschreiben (Gunningham/Grabosky 1998; Parker 2002; Morgan 2003: 490). In einer weiteren Auslegung bezeichnet Meta-Regulierung die Festlegung von Regeln, die den Rahmen für das Zustandekommen von staatlichen Programmen und Steuerungsentscheidungen (inklusive Nicht-Steuerungsentscheidungen) bilden: „Actors, therefore, are constrained by the presence of institutional rules that discipline the life-cycle of regulation. As such, better regulation is not a policy like other sector-level regulatory policies (…). It is a meta-policy, namely a type of meta-regulation.” (Radaelli 2007b)
Morgan betont die reflexive Dimension von Meta-Regulierung als ‚Regulierung des Regulierungsprozesses’: „The notion of meta-regulation is simple at heart: it captures a desire to think reflexively about regulation, such that rather than regulating social and individual action directly, the process of regulation itself becomes regulated.” (Morgan 2003: 490)
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Implementation von Politik zur Meta-Regulierung im Rahmen der Reformen zur besseren Rechtsetzung, die seit Mitte/Ende der 1990er Jahre in zahlreichen europäischen Ländern auf die Agenda gelangt sind. Verfahren zur ex ante Folgenabschätzung bilden den Kern dieser Reformbemühungen, wobei in den ersten Jahren des Reformbooms sog. Regulatory Impact Assessments (RIA), im Deutschen als Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) bezeichnet, das zentrale Reforminstrument darstellten, während ab 2004/2005 in vielen europäischen Ländern ein zweites Instrument – das auf den Abbau bürokratischer Lasten abzielende Standardkosten-Modell (SKM) – in den Fokus der ‚Reformer’ geriet.
20
1.2 GFA und SKM als zentrale Reforminstrumente Regulatory Impact Assessments kommen ursprünglich aus den USA, wo sie von unabhängigen Regulierungsagenturen produziert werden. Charakteristisch für die europäische ‚GFA-Variante’ ist der im Vergleich zu den USA unterschiedliche institutionelle Kontext: Während RIAs in den USA vor allem ein Element der Diskussion auf der Ebene von Regulierungsagenturen und sektoralen PolicyNetzwerken sind, wird das Instrument in Europa als Kommunikationswerkzeug zwischen Regierung und Parlament sowie zwischen Regierung und Bürgern verstanden (Radaelli 2005: 11). Ziel einer GFA ist es, im Rechtsetzungsprozess auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher Untersuchungen (z.B. der Auswertung von Statistiken, der Befragung von Normadressaten u.Ä.) verschiedene Regelungsoptionen sowie deren intendierte und nicht-intendierte Folgen zu analysieren und die Ergebnisse dieser Analyse in einem eigenständigen Dokument darzustellen. Den politischen Entscheidungsträgern soll damit eine bessere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Unterschieden wird zwischen einer integrierten GFA, welche die Konsequenzen von Regelungseingriffen in einem umfassenden Sinne erfassen will und spezifischen GFA-Varianten, deren Hauptfokus entweder auf bestimmten Gruppen von Normadressaten (z.B. kleinen und mittleren Unternehmen – KMU), auf bestimmten materiellen Folgenaspekten (z.B. den Auswirkungen auf die Umwelt) und/oder auf einer bestimmten Folgenart (z.B. nur Regulierungskosten unter Ausklammerung des Nutzens) liegt. Während auf spezifische Normadressatengruppen oder Sektoren begrenzte Folgenabschätzungsverfahren in vielen europäischen Ländern, ebenso wie von der Europäischen Kommission, bereits in den 1980er und frühen 1990er Jahren eingeführt wurden, verbreiteten sich integrierte Folgenabschätzungen erst im letzten Jahrzehnt in nennenswertem Umfang. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang das von der Europäischen Kommission etablierte System zur Durchführung von integrierten Folgenabschätzungen zu Kommissionsentwürfen (siehe z.B. Meuwese 2008; TEP 2007; SEC (2008) 120; Renda 2006) welches seit 2003 im Rahmen einer interinstitutionellen Vereinbarung (zumindest formal) auf die anderen beiden EUOrgane (den Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament) ausgedehnt wurde (OJ 2003 C 321/01). In der Praxis sind die Folgenabschätzungssysteme vieler europäischer Staaten heute de facto nicht so umfassend und integrierend angelegt, wie es dem normativen Ideal des EU-Modells entspricht, sondern sie konzentrieren sich auf bestimmte Folgenaspekte (Jacob et al. 2009). Ökologische und soziale Folgenbewertungen erhalten dabei meist weniger Gewicht als 21
Regulierungsfolgen im wirtschaftlichen Bereich, weshalb die institutionalisierten Vertreter von Umweltinteressen und sozialen Fragen dem Reformbereich oft skeptischer gegenüber stehen als Vertreter von Wirtschaftsinteressen und die entsprechenden zuständigen staatlichen Instanzen (z.B. Wirtschaftsministerien). Die Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM stammt ursprünglich aus den Niederlanden.5 Das heute als Standardkosten-Modell bezeichnete Messverfahren zielte ursprünglich vorrangig auf eine Evaluation des bestehenden Rechtsbestandes (Nullmessung) sowie auf die Identifikation von Maßnahmen zum Bürokratieabbau ab. Bürokratiekosten werden im SKM sehr eng definiert als diejenigen Kosten, welche Unternehmen durch auf staatliche Regulierungen zurückzuführende Informationspflichten (z.B. das Ausfüllen von Anträgen oder das Führen von Statistiken) entstehen. Um diese Kosten zu errechnen, befragt man Unternehmen zum mit der Erfüllung staatlicher Informationsanforderungen verbundenen Zeit- und Kostenaufwand. Die standardisierten und in Zusammenarbeit mit Fachexperten validierten Daten werden anschließend segmentiert und mit dem Tarif, der Häufigkeit der Erfüllung und der Anzahl der betroffenen Unternehmen multipliziert. Am Ende steht eine monetäre Angabe zu den mit einer Rechtsvorschrift, einem Rechtsbereich oder einem bestimmten Ereignis (z.B. Unternehmensgründung) verbundenen Bürokratiekosten. Im ex ante Bereich wird die Bürokratiekostenabschätzung eingesetzt, um unnötige administrative Lasten für bestimmte Zielgruppen (Unternehmen, Verwaltung, Bürger) bereits frühzeitig zu identifizieren und das Bewusstsein für Bürokratiekosten im politischen Entscheidungsprozess zu stärken. Die Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM ist demnach eine Unterform der GFA. Von anderen Folgenabschätzungsansätzen unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich auf einem klar begrenzten, sehr kleinen Teil aller Regulierungsfolgen beschränkt und zudem ausschließlich die Kostenseite betrachtet. GFA und SKM basieren auf den gleichen Grundannahmen. So wird implizit davon ausgegangen, dass Wissen eine wichtige Ressource im politischen Entscheidungsprozess darstellt und dass Entscheidungen durch Informationen über Gesetzesfolgen beeinflusst werden können. GFA und SKM zielen also normativ darauf ab, Gesetzgebung durch ein erhöhtes Informationsniveau im Vorfeld politischer Regelungsentscheidungen zu verbessern. Der politische Prozess wird zudem im Sinne des Policy-Cycles idealtypisch als sequentielle Aufeinanderfolge verschiedener Phasen (Problemdefinition, Politikformulierung, Entschei5
22
Dort entwickelte und erprobte Beratungsunternehmen EIM in den 1990er Jahren (damals unter der Bezeichnung MISTRAL) ein Modell zur Messung von Bürokratiekosten.
dung, Implementation) betrachtet. Inspiriert durch die Vorstellungen rationalistischer Entscheidungstheorien wird davon ausgegangen, dass es eine zentrale Entscheidungsarena gibt und dass Entscheidungen innerhalb dieser Arena argumentativ und diskursiv verhandelt werden (s.a. Hertin et al. 2009).
1.3 Forschungsinteresse Um die forschungsleitende Fragestellung stärker zu konkretisieren, wird im folgenden Abschnitt zunächst eine idealtypische Kategorisierung der Gesetzgebungskritik vorgenommen. Diese dient der Einordnung und Abgrenzung der Fragestellung dieser Arbeit von anderen Themenfeldern und Problemstellungen. Anschließend wird genauer definiert, mit welcher Art von Vorschriften zur Folgenabschätzung, mit welchen Akteuren und mit welchem Teil des Gesetzgebungsprozesses sich das vorliegende Buch beschäftigt. Kritik an der Gesetzgebung gibt es schon immer, sie ist ein notwendiges Element jeder demokratischen Gesellschaft. Versucht man die dominanten und immer wiederkehrenden Inhalte dieser Klagen zu systematisieren, so fällt auf, wie vielfältig sowohl die Kritikpunkte als auch deren Adressaten sind. Die Kritik an der Produktion von Rechtsvorschriften lässt sich idealtypisch in vier Kategorien6 unterteilen: Quantität, gesetzestechnische Qualität, inhaltliche Qualität und materieller Regelungsinhalt. x
6
Quantität: Unter Schlagworten wie Normenflut, Gesetzesinflation oder Überregulierung wird häufig Kritik an der zu großen Anzahl an Rechtsvorschriften wie z.B. im deutschen Steuerrecht oder im Acquis Communautaire geäußert. Bemängelt wird, dass die Gesellschaft überreguliert sei und die Handlungsspielräume und -freiheiten der Unternehmen, aber auch diejenigen des Staates und des Bürgers zu stark eingeschränkt würden. Diskutiert werden grundsätzliche Alternativen zur Regulierung gesellschaftlicher Problemfelder durch den Staat (wie z.B. Selbstregulierung und Ko-Regulierung) ebenso wie Möglichkeiten zur übersichtlicheren und nachhaltigeren Gestaltung von Rechtsvorschriften. Kritisiert wird auch die hohe Änderungsfrequenz von
Siehe hierzu auch Jann/Wegrich (2008), welche drei Subdimensionen der Kritik an „zu viel Regulierung" unterscheiden: 1) Kritik am Ausmaß der Normproduktion, 2) Kritik an Umfang und Niveau der materiellen Standards und 3) Kritik an der administrativen Ausgestaltung von Regulierungen (insbesondere Dokumentations- und Informationspflichten).
23
x
x
x
24
Rechtsnormen, zu deren Konsequenzen eine mangelnde Übersichtlichkeit, Rechtsunsicherheit, hohe informationelle und administrative Belastungen der Normadressaten und ein (zu) geringer Befolgungsgrad gehören. Gesetzestechnische Qualität: Hierzu gehören Klagen über fehlerhafte und handwerklich schlecht gemachte Gesetze, die beispielsweise Widersprüchlichkeiten zu anderen Normen sowie sprachliche Unklarheiten und Uneindeutigkeiten enthalten. Eine Folge davon ist neben den vielen nachträglichen Korrekturen von Rechtsnormen eine zunehmende Überlastung der Gerichte, welche in hohem Maße Aufgaben des Gesetzgebers übernehmen, indem sie mit ihren Urteilen Normen konkretisieren und damit Rechtssicherheit schaffen. Die Kritik an der ‚technischen’ Qualität der Gesetze vernachlässigt häufig, dass Mängel wie unklare und weit zu interpretierende Rechtsbegriffe und Einzelvorschriften meist nicht die Folge eines schlecht ausgeübten ‚Handwerks’ durch Ministerialbeamte sind, sondern die Ergebnisse politischer Kompromiss- und Mehrheitsbildungsprozesse. Inhaltliche Qualität: Unter diese Kategorie fallen Klagen über einen schlecht informierten Gesetzgeber, der weder vorhandenes Wissen über Wirkungszusammenhänge in einem Regelungsfeld ausreichend nutzt, noch in genügendem Ausmaß eigene Untersuchungen über die zu erwartenden Regelungsfolgen anstellt. Dazu gehört Kritik an den unzureichenden Konsultationsmechanismen im Rechtsetzungsprozess, an mangelnden Rückkopplungsmechanismen zwischen den Akteuren der Normformulierung, des Vollzugs und den Normadressaten sowie aus der Perspektive des Gesamtsystems an den vorherrschenden Prinzipien der selektiven Perzeption von Problemen sowie der negativen Koordination. Denn das hat zur Folge, dass Synergieeffekte nicht genutzt werden, suboptimale Lösungen strukturell begünstigt werden und die Regelungseingriffe der verschiedenen Teileinheiten des Gesamtsystems sich nicht systematisch gegenseitig ergänzen und unterstützen, sondern manchmal sogar gegenläufig sind (siehe z.B. Pfeiffer/Faller 1997). Materieller Regelungsinhalt: Die Kritik am konkreten Regelungsinhalt spiegelt häufig schlicht und einfach widerstreitende Interessen verschiedener gesellschaftlicher Akteure wider und wird in der Regel von denjenigen Gruppen geäußert, die ihre Interessen nicht in ausrei-
chendem Maße integriert sehen. Neben dieser konkreten, durch Interessen oder Ideologien motivierten Kritik gibt es auf einer höheren Abstraktionsebene einen Diskurs darüber, inwieweit das Potential zur Einflussnahme und Interessenvertretung für verschiedene gesellschaftliche Gruppen in gleichem oder eben nicht in gleichem Maße besteht.7 Kritisiert wird meist, dass gut organisierte, ressourcenstarke Interessenverbände mit langjährigen Kontakten zu ‚ihrer’ Fachverwaltung und ‚ihren’ Fachpolitikern deutlich mehr Einfluss auf die Ausgestaltung neuer Regelungen nehmen können als weniger gut organisierte, ressourcenarme Gruppen, wie z.B. Arbeitslose.8 Die Einbindung verschiedener Betroffenengruppen in einer frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses ist einerseits sinnvoll, weil dadurch die Informationsbasis der Ministerialbeamten verbreitert wird. Andererseits ist speziell die frühe und einseitige Einbindung bestimmter gesellschaftlicher Interessen und die Exklusion anderer Gruppen von Normadressaten ein aus demokratietheoretischer Sicht problematisches Thema (siehe z.B. Rohwetter 2005). Alle vier dargestellten Kategorien der Gesetzgebungs- bzw. Regulierungskritik spiegeln sich in normativen Verlautbarungen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen sowie in konkreten Entscheidungen und Maßnahmen des einleitend beschriebenen Reformbereiches bessere Regulierung wider. Die forschungsleitende Fragestellung dieser Arbeit bezieht sich auf die dritte Kategorie der Gesetzgebungskritik, nämlich auf die Kritik an der mangelhaften Berücksichtigung vorhandenen Wissens über das Gesamtsystem Gesellschaft sowie die unzureichende Nutzung von Verfahren zur Wissensgenerierung durch die mit der Erarbeitung von Rechtsvorschriften betrauten Akteure in der Exekutive (Ministerialverwaltung, ggf. Personal von Agencies). Dass Ministerialbeamte und andere administrative Akteure, die Aufgaben der Regelungsvorbereitung ausüben, zum Teil erheblichen Einfluss auf den Inhalt von Rechtsentwürfen ausüben können, ist in der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Forschung schon lange bekannt (Müller 1986). Man spricht von einer Vorentscheidungsmacht der Ministerialbeamten, die insbesondere in eher technischen 7 8
Zur Notwendigkeit der Integration schwach organisierter Interessen in die Politikformulierung siehe z.B. Mayntz/Scharpf 1973: 122ff. Zur Theorie der ungleichen Vertretung gesellschaftlicher Interessen in der Entscheidungsarena vgl. Olson 1965; zu den unterschiedlichen Sichtweisen auf die Rolle der Verbände als Unterstützer oder Blockierer des demokratischen Staates vgl. Streeck 1999.
25
und nicht auf der Agenda der Medien und/oder der politischen Spitze stehenden Regelungsbereichen zum Tragen kommt. Bereits Max Weber charakterisierte den Informationsvorsprung der Bürokraten gegenüber den Politikern als ein wesentliches Machtmittel der Verwaltung (Weber 1972: 128f). Reformbemühungen zur Verbesserung der Gesetzesqualität (im Sinne einer verstärkten Generierung und Nutzung von Sachwissen) zielen aufgrund der großen Bedeutung administrativer Akteure für die Ausgestaltung von Regelungsentwürfen häufig auf die Verbesserung der Strukturen und Prozesse in der (Ministerial-)Verwaltung ab. Vorschriften zur Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen, teilweise verknüpft mit Konsultationspflichten bestimmter Akteure im Rechtsetzungsprozess, stellen einen weit verbreiteten Lösungsansatz dar. Diese Vorschriften zielen darauf ab, Ministerialbeamte zu einer strukturierten Folgenanalyse und zur Herstellung von Transparenz über die Ergebnisse dieser Analyse zu verpflichten, um politischen Entscheidungsträgern eine bessere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Es sind also zwei grundsätzliche Ziele mit Maßnahmen zur Folgenabschätzung verbunden: 1) eine Begrenzung des Machtpotentials der Ministerialbürokratie durch Reduzierung ihres Informationsvorsprungs und 2) eine Optimierung der Wissensnutzung im Rechtsetzungsprozess zu Gunsten einer möglichst hohen Qualität des Endproduktes (des Gesetzes). Wie bereits erwähnt, gelten die Bemühungen zur systematischen Integration von Folgenabschätzungen in den Rechtsetzungsprozess in den letzten Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern als nur begrenzt erfolgreich. Empirische Untersuchungen hierzu sind allerdings rar gesät. Die wenigen vorhandenen Studien setzten sich meist nur mit einer kleinen Stichprobe auseinander oder beschränkten sich auf internationale Vergleiche der Reformansätze auf Ebene der formalen Institutionalisierung. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor diesem Hintergrund am Beispiel zweier westeuropäischer Länder (Deutschland und Schweden) mit der Frage, ob die These eines Implementationsdefizites für Vorschriften zur Folgenabschätzung trotz des aktuellen Reformbooms um eine ‚bessere Rechtsetzung’ (weiterhin) zutreffend ist. Auch wenn für die meisten Staaten eine Implementationslücke konstatiert wird, variiert die Performanz von Land zu Land erheblich. Es soll deshalb über die erste Frage hinausgehend untersucht werden, von welchen Faktoren der Grad der Implementation von Maßnahmen zur Folgenabschätzung abhängt und wie sich Implementationsunterschiede erklären lassen. Während die Generierung von politikfeldübergreifenden, repräsentativen Daten zum Implementationsgrad von Folgenabschätzungen in Deutschland und 26
Schweden eine empirische Forschungslücke schließt, knüpft die Frage nach Erklärungsansätzen für Implementationsunterschiede im deutschen Wissenschaftskontext vor allem an Untersuchungen von Mayntz und Scharpf aus den 1970er und frühen 1980er Jahren an (Mayntz/Scharpf 1973; Mayntz 1980). In neuerer Zeit bilden die vergleichenden Untersuchungen zur Implementation von Folgenabschätzungen in Europa von Radaelli (2005, 2007a,c), Jacob et al. (2008) und Hertin et al. (2007, 2009) sowie die Berichte der OECD, die Evaluationen der nationalen Rechnungshöfe und die Auftragsevaluationen zum Impact Assessment System der EU (TEP 2007) wichtige Anknüpfungspunkte. Insgesamt ist für diese Studien ein gewisses Theoriedefizit zu konstatieren. Eine positive Ausnahme bilden die Bemühungen von Radaelli und De Francesco im Hinblick auf eine bessere theoretische Fundierung (Policy-Learning, Regulatory State) der häufig stark normativ gefärbten und technokratischen RIA-Forschung (Radaelli/De Francesco 2007). Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit gehen die meisten existierenden Studien von dem normativen Bild einer RIA aus und prüfen dann anhand von Analysen der institutionellen Verankerung und formalen Vorschriften (z.B. Jacob et al. 2008) und/oder mit Hilfe von Fallstudien und/oder Experteninterviews die Anwendung des Instrumentes (z.B. Meuwese 2008). Einschätzungen zu den Ursachen von Implementations- oder Nutzungsdefiziten basieren häufig auf eher kontextunabhängigen Faktoren wie z.B. Zeitoder Ressourcenknappheit, fehlende oder zu schlechte Unterstützungsmaterialien und mangelnde Fortbildung des Personals (z.B. Rennings et al. 2009) sowie auf Organisations- und Institutionalisierungsfragen im engeren Sinne, während das Gesamtsystem der Politikformulierung mit den daraus resultierenden Rationalitäten, Zwängen und Anreizmechanismen in unterschiedlichen Staaten oft nur oberflächlich einbezogen wird. Dieser Fakt spiegelt sich darin wider, dass Forschung zu Folgenabschätzungen bisher nur selten an die Ergebnisse der Policy-Forschung, insbesondere der Evaluations- und Implementationsforschung anknüpft. Die vorliegende Arbeit will deshalb keine ‚normative Instrumentenforschung’ betreiben, sondern einen substantiellen Beitrag zur Policy-Forschung im Bereich der Meta-Regulierung zu leisten. Der institutionelle Kontext der Politikformulierung ist dabei von entscheidender Bedeutung, um zu verstehen, unter welchen Bedingungen und auf welche Art und Weise Vorschriften zur MetaRegulierung (hier: Vorschriften zur Folgenabschätzung) umgesetzt werden. Instrumente wie GFA und SKM werden in der Regel formal im Rechtsetzungsprozess verankert, indem Anforderungen an die Darstellung von Gesetzesfolgen, z.B. im Rahmen von Regierungsvorlagen, formuliert werden. Diese Anforde27
rungen können in variierendem Grade rechtlich institutionalisiert sein. Während eine formale Regelung dieser Aspekte im Rahmen von Gesetzen international eher die Ausnahme ist, ist die Verankerung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften durchaus üblich. Ergänzend (und manchmal auch ausschließlich) sind Regeln zur Darstellung von Gesetzesfolgen meist in verschiedenen Handbüchern, Checklisten oder anderen Arten von Unterstützungsdokumenten abgefasst. Die Untersuchung der Fragestellung nach den wesentlichen Einflussfaktoren auf die Implementation von Folgenabschätzungen im Rechtsetzungsprozess erfolgt in der vorliegenden Arbeit ausgehend von den formalen Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden. Referenzobjekt der Analyse sind also nicht die eingangs erwähnten ‚Instrumente’ GFA und SKM, sondern die in Rechtsnormen und/oder offiziellen Handbüchern oder Checklisten festgeschriebenen Vorgaben zur Darstellung von Gesetzesfolgen.9 Die zentrale Bedeutung von GFA und SKM im aktuellen Reformdiskurs ist jedoch der wesentliche Auslöser dafür, sich mit der alten Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer standardmäßigen Integration von Verfahren zur Wissensgenerierung verbunden mit der Verpflichtung, die gewonnenen Erkenntnisse an die politischen und administrativen Entscheidungsträger weiterzugeben, zu beschäftigen. Zu betonen ist, dass sich dieses Buch ausschließlich mit der Darstellung von Gesetzesfolgen durch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. Die ebenfalls interessante Frage nach der Nutzung dieser Informationen durch die Regierung und durch die Legislative wird nur insoweit tangiert, als dass die Auswirkungen von Nutzungserwartungen auf das Interesse einzelner Akteure an der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung thematisiert werden. Der parlamentarische Gesetzgebungsprozess wird weitgehend ausgeklammert. Die Legislative spielt in dieser Forschungsarbeit nur dann eine Rolle, wenn das Machtverhältnis von Regierung und Parlament sowie die Informationsasymmetrien zwischen Exekutive und Legislative (sowie die Anreize der Exekutive, diese zu verringern) im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragestellungen diskutiert werden. 9
28
Nicht einbezogen werden spezifische Maßnahmen zur Folgenabschätzung im Umweltbereich (Umweltverträglichkeitsprüfung und Strategische Umweltprüfung in Deutschland, miljökonsekvensbeskrivningar in Schweden), da sich diese weniger auf Gesetze, sondern auf Planungsund Genehmigungsvorhaben (Umweltverträglichkeitsprüfung) bzw. eine übergeordnete Programmplanung (Strategische Umweltprüfung) beziehen. Ebenfalls nicht betrachtet werden die Technikfolgenabschätzungen im Auftrag des Deutschen Bundestages, da der Fokus der Arbeit auf der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung liegt.
1.4 Fallauswahl Für die Fallauswahl war ausschlaggebend, dass es sich um zwei EU-Mitgliedsstaaten mit ähnlichen Inhalten in den formalen Regeln zur Folgenabschätzung handeln sollte, für welche möglichst große Differenzen hinsichtlich des Implementationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung erwartet werden konnten. Die Fallanalyse von zwei Ländern mit hoher Differenz in Bezug auf die zu erklärende Variable (Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung) zielt darauf ab, die nicht verallgemeinerungsfähigen Resultate der Länderstudien gegeneinander spiegeln zu können. Durch dieses Vorgehen sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die einerseits die reale Komplexität der Fälle und der systemischen Zusammenhänge nicht so stark reduzieren, wie das bei quantitativen Studien üblicherweise der Fall ist, es aber andererseits ermöglichen, auf Basis theoretischer Erkenntnisse vom konkreten Fall zu abstrahieren. Das auf diese Art und Weise gewonnene Wissen ist zwar im strengen wissenschaftstheoretischen Sinne nicht verallgemeinerbar, nach Auffassung der Autorin ist das Vorgehen jedoch adäquat für die Generierung von fundierten Erkenntnissen über die beiden Fälle und es leistet darüber hinaus einen Beitrag zur vergleichenden Systemforschung, insbesondere zum Verständnis der wichtigen Stellschrauben bei der Implementation von Meta-Regulierungs-Vorschriften in den Rechtsetzungsprozess. Über die genannten Faktoren hinaus spielten forschungspragmatische Gründe (Sprachkenntnisse und Feldzugang) bei der Fallauswahl eine Rolle. Alle genannten Kriterien treffen auf die ausgewählten Untersuchungsobjekte Deutschland und Schweden zu. Beides sind EU-Mitgliedsstaaten und in beiden Ländern wurden zwischen 1995 und 2000 unter dem Reformlabel GFA (in Schweden: ‚konsekvensutredning’ bzw. Simplex-Analyse als eine Form der KMU-Folgenabschätzung) die bereits vorher existierenden Regelungen zur Folgenabschätzung im Rechtsetzungsprozess in ähnlicher Art und Weise erweitert und verändert (siehe Kap. 2.1.4 und 2.2.7). Zusätzlich ergänzte man diese Reformbemühungen in Schweden ab 2003 und in Deutschland ab 2006 durch die Einführung der Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM. Die Erwartung eines unterschiedlichen Implementationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden basierte auf vorhandenen Einschätzungen von Experten und auf einigen wenigen Evaluationen sowie auf wissenschaftlichen Arbeiten zur Gesetzesvorbereitung in den beiden Ländern. Für den Fall Schwedens erwartete die Autorin einen höheren Implementationsgrad als für Deutschland, weil Schweden traditionell als ein Land 29
gilt, in dem Gesetze besonders sorgfältig vorbereitet werden und wo Folgenabschätzungen und Verfahren zur Herstellung von Transparenz über konkurrierende Einschätzungen verschiedener Stakeholder fest im Politikformulierungsprozess verankert sind. Eine besondere Rolle spielt hierbei das schwedische Kommissionswesen. In Schweden werden größere Gesetzgebungsvorhaben in der Regel nicht schwerpunktmäßig innerhalb der Ministerialverwaltung vorbereitet, sondern es werden zu deren Erarbeitung staatliche Untersuchungskommissionen eingesetzt, welche relativ unabhängig von der Regierung agieren können und im Vorfeld der Rechtsetzung umfassende Recherchearbeiten durchführen und alternative Lösungsmöglichkeiten im Hinblick auf deren Vor- und Nachteile bewerten (OECD 2007). Am Ende ihrer durchschnittlich zweijährlichen Arbeit legt jede Kommission ein Gutachten vor, welches publiziert wird und eine wichtige Grundlage für die weitere Rechtsetzungstätigkeit der Ministerialverwaltung darstellt (s.a. Kap. 2.2.3). Deutschland mit seiner formalisierten Regelungskultur, einem hohen Grad an Politikverflechtung im föderalen System und einem geschlossenen System der Regelungsvorbereitung (Kernaufgabe der Ministerialverwaltung, abgeschottete und intransparente Prozesse der Beteiligung und der Wissensgenerierung) gilt als ein Land, in dem bisherige Versuche zur Verbesserung der Darstellung von Gesetzesfolgen weitgehend gescheitert sind.10 Nennenswert sind die 1984 eingeführten „Blauen Prüffragen“ (Kap. 2.1.4) und die bereits erwähnten Innovationsbemühungen der letzten Jahre unter dem Label der GFA (Sachverständigenrat Schlanker Staat 1998, Bundesrechnungshof 2004, OECD 2004a). Ob diese Annahmen über einen hohen Implementationsoutput in Schweden und einen geringen Umsetzungsgrad in Deutschland tatsächlich zutreffen, wurde bisher nicht in umfassender Art und Weise empirisch geprüft. Insbesondere lagen bisher keine Daten darüber vor, ob und in welchem Ausmaß Differenzen zwischen den verschiedenen materiellen Folgenabschätzungsanforderungen vorliegen (z.B. Darstellung von Haushaltsauswirkungen, Darstellung von Kosten für KMU, Darstellung von Alternativen) und wie diese zu erklären sind. Dieses Empiriedefizit soll durch die vorliegende Studie verringert werden.
10 Aufgrund der komparativen Anlage des Buches wird ausschließlich die Bundesebene betrachtet.
30
1.5 Aufbau des Buches und Methodologie Im Folgenden wird der Aufbau des Buches erläutert, gleichzeitig werden wesentliche Merkmale des methodischen Vorgehens erklärt. Während im ersten, einleitenden Kapitel eine kurze Einführung in das Forschungsthema gegeben und das Untersuchungsdesign dargestellt wurden, enthält das zweite Kapitel eine ausführliche Darstellung und Charakterisierung der Rechtsetzung in Deutschland und Schweden. Es wird sowohl auf formale und reale Merkmale des Rechtsetzungsprozesses als auch auf elementare Strukturmerkmale der Politikformulierung eingegangen. Besonderes Augenmerk gilt den an der Formulierung von Gesetzentwürfen beteiligten Akteuren und deren Einflussmöglichkeiten. Die Darstellungsweise entspricht einer dichten Fallbeschreibung, d.h. die einzelnen Charakteristika der Rechtsetzung werden nicht analytisch getrennt und vergleichend abgehandelt, sondern es werden der deutsche und der schwedische Fall jeweils gesondert beschrieben. Auf diese Art und Weise kann der Komplexität der Systeme am besten Rechnung getragen werden. Damit einhergehend besteht das Ziel von Kap. 2 darin, die zentralen Merkmale der Politikformulierung bzw. die Gesetzgebung in beiden Ländern herauszuarbeiten und dem Leser die wesentlichen Grundlagen für das Verständnis der nachfolgenden empirischen Analyse und der Diskussion der Hypothesen zu vermitteln. Zudem wird ein deskriptiv gehaltener historischer Überblick über Reformen zur besseren Rechtsetzung in beiden Ländern seit Anfang der 1970er Jahre als Hintergrundinformation zur Einordnung der aktuellen Reformbemühungen gegeben. Kap. 2 endet mit einer zusammenfassenden Gegenüberstellung der Rechtsetzung in Deutschland und Schweden, wobei wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal kurz benannt werden. Methodische Basis der Systembeschreibungen in Kap. 2 bilden umfangreiche Literaturrecherchen, Dokumentenanalysen (für formale Vorgaben: Rechtstexte, interne Vorschriften und Regierungsdokumente) und Experteninterviews mit Ministerialbeamten11 in Deutschland und Schweden. Das dritte Kapitel enthält eine ausführliche Beschreibung der empirischen Ergebnisse zur Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden. Die primärempirische Untersuchung des Imple11 Der Begriff „Ministerialbeamte“ wird im Folgenden als Sammelbegriff für alle im höheren Dienst tätigen Mitarbeiter/innen in Bundesministerien und für die äquivalenten schwedischen Mitarbeiter/innen der Kanzlei der Ministerien benutzt. In der Begriffsverwendung in dieser Arbeit bezieht er sich nicht nur auf Berufsbeamte, sondern auch auf Angestellte. Im schwedischen System gibt es keinen Beamtenstatus wie in Deutschland.
31
mentationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden erfolgt ausgehend von den formalen Anforderungen an eine Darstellung von Folgenaspekten im Zusammenhang mit Gesetzentwürfen der jeweiligen nationalen Regierungen. Im deutschen Fall hat eine Darstellung der Gesetzesfolgen im Rahmen der Gesetzesbegründung und in zusammenfassender Art und Weise auf dem Gesetzesvorblatt zu erfolgen, während Folgenaspekte in Schweden üblicherweise in den Propositionen der Regierung an den Reichstag beschrieben werden. Diese Propositionen basieren oft auf den Vorarbeiten von Kommissionen, so dass die Ergebnisse der Folgenabschätzungen der Kommissionen im Rahmen der Regierungsvorlagen meist noch einmal zusammenfassend dargestellt werden. Der Untersuchungszeitraum ist das Jahr 2006. Um belastbare Daten für eine größere Zahl von Fällen zu generieren, führte die Autorin eine Vollerhebung im Untersuchungszeitraum durch, d.h. alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung (bzw. der Regierungsfraktionen) und alle Propositionen der schwedischen Regierung aus dem Jahr 2006 wurden daraufhin geprüft, ob und mit welchem Informationsgehalt Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen erfüllt wurden oder nicht. Ergänzend zur primärempirischen Erhebung wertete die Autorin sekundärempirisches Material aus. Hauptziel dieses Vorgehens war es, Aussagen über die landesspezifischen Entwicklungen (Kontinuitäten und Veränderungen) in der Darstellung von Gesetzesfolgen im Zusammenhang mit den Reformbemühungen seit Mitte der 1990er Jahre treffen zu können. Da sich zeigte, dass die Datenlage für Schweden wesentlich besser war als für Deutschland, wurden für den deutschen Fall weiterführende eigene Erhebungen durchgeführt.12 Im Ergebnis der empirischen Untersuchungen zum Implementationsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung bestätigt sich die Ausgangsannahme, dass Vorschriften zu Folgenabschätzung in Schweden in höherem Maße implementiert sind als in Deutschland. Es zeigt sich aber auch für den schwedischen Fall eine deutlich erkennbare Implementationslücke. Für beide Länder ergeben sich hinsichtlich des Implementationsgrades erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen materiellen Folgenaspekten (siehe Kap. 3.4). Ergänzend führte die Autorin sowohl für Deutschland als auch für Schweden stichprobenartige Untersuchungen von Gesetzentwürfen aus den 1970er Jahren durch, um langfristige Entwicklungen in der Praxis der Folgendarstellung sichtbar zu machen (siehe Kap. 3.5).
12 Analyse von Gesetzentwürfen aus den Jahren 1999 und 2003 (Vollerhebung) im Hinblick auf die Darstellung von Gesetzesfolgen analog zur empirischen Untersuchung für das Jahr 2006.
32
Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Frage, wie die Implementationsunterschiede von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden erklärt werden können. Hierfür werden zunächst drei Erklärungshypothesen aus der Theorie des soziologischen Neo-Institutionalismus abgeleitet. Hypothese 1 erklärt Differenzen im Implementationsgrad durch konfligierende Umweltanforderungen, auf welche die Ministerialorganisation(en) mit einer Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur reagieren. Hypothese 2 stellt vor allem auf die Bedeutung von Kontrolle und Transparenz für die Ebene (Formal- oder Aktivitätsstruktur) und den Grad der Implementation ab. Hypothese 3 betont die Notwendigkeit der Kompatibilität vorherrschender Denkweisen, Interpretationsmuster und Deutungssysteme mit Reforminhalten für eine erfolgreiche Implementation neuer Verfahren, Methoden und Instrumente. Empirische Grundlage der Hypothesenprüfung (Kap. 4.2. bis 4.4.) sind neben den empirischen Daten aus Kap. 3 umfangreiche Dokumentenanalysen und zahlreiche Experteninterviews mit deutschen und schwedischen Ministerialbeamten und anderen relevanten Reformakteuren. Im Fazit (Kap. 5) werden die zentralen Erkenntnisse dieses Buches zusammengefasst. Die wesentlichen Argumentationsstränge werden überblicksartig dargestellt und es wird herausgearbeitet, worin der wissenschaftliche Mehrwert der Forschungsarbeit liegt. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die gewonnenen Erkenntnisse für die Ausgestaltung und die Erfolgsaussichten von Reformbemühungen um ‚bessere Rechtsetzung’ in Deutschland und in Schweden besitzen.
33
2 Exekutive Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden
Zur Annäherung an die Forschungsfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Verfahren der Folgenabschätzung in den deutschen und den schwedischen Rechtsetzungsprozess sind Kontextinformationen zur Politikformulierung im Allgemeinen und zur Ausarbeitung von gesetzlichen Regelungen im Besonderen sowie zu essentiellen Merkmalen des politisch-administrativen Entscheidungssystems unabdingbar. Das folgende Kapitel enthält deshalb eine Beschreibung von Akteuren, Prozessen und Strukturen der Gesetzesvorbereitung auf Bundesebene in Deutschland (Kap. 2.1) sowie in Schweden (Kap. 2.2). Das Erkenntnisinteresse und das Hauptaugenmerk der Darstellungen liegen auf der Phase der Entwurfserstellung bis hin zum Kabinettsbeschluss. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren wird aufgrund des Forschungsfokus dieser Arbeit, der sich auf die Ministerialverwaltung als Vollzugsinstanz von Vorschriften zur Folgenabschätzung richtet, nicht näher betrachtet, Gleiches gilt für Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Parlaments. Darüber hinaus werden die Schwerpunkte der politischen Bemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ in beiden Ländern seit Ende der 1960er Jahre dargestellt. Das Kapitel endet mit einer vergleichenden Zusammenfassung der wesentlichen Charakteristika der Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden (Kap. 2.3).
2.1 Gesetzesvorbereitung in der bundesdeutschen Exekutive: Ein Blick in die ‚black box’ Die vorparlamentarischen Entscheidungsprozesse im politisch-administrativen System der BRD werden in Anlehnung an Eastons Modell des politischen Systems (1953) häufig als ‚black box’ bezeichnet, da die Erstellung von Rechtsentwürfen innerhalb der Ministerialverwaltung von nicht involvierten Akteuren nur schlecht nachvollzogen werden kann. Das deutsche System der Gesetzesvorbereitung gilt als abgeschottet.
Koordinations- und Abstimmungsprozesse finden in geschlossenen Netzwerken statt, Beteiligungsverfahren und deren Ergebnisse werden nur selten transparent gemacht. Charakteristisch sind eine Dominanz negativer Koordinationsmechanismen (Scharpf 1993), eine hohe fachliche Spezialisierung der federführenden Einheiten und ein ausgeprägter juristischer Fokus, welcher Fragen der Einpassung ins bestehende Normengefüge und der Verfassungsmäßigkeit einen besonders hohen Stellenwert beimisst. Im Folgenden soll etwas Licht ins Dunkel der ‚black box’ der exekutiven Gesetzesvorbereitung gebracht werden. In Kap. 2.1.1 wird zunächst kurz dargestellt, welche Arten von Rechtsvorschriften in Deutschland unterschieden werden und welche Akteure die formalen Entscheidungskompetenzen zur Verabschiedung dieser Vorschriften besitzen. Thematisiert wird auch, inwieweit das in der Einleitung erwähnte Phänomen der Normenflut der Realität entspricht.
2.1.1 Normtypen und Anzahl der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene Nach der Art der Rechtsquelle lassen sich in Deutschland vier verschiedene Typen von Rechtssätzen unterscheiden, welche in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen: Verfassung, formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und öffentlich-rechtliche Satzungen. Verwaltungsvorschriften hingegen sind keine Rechtssätze im juristischen Sinne, da sie per Definition nicht allgemein verbindlich sind, sondern nur verwaltungsinterne Gültigkeit besitzen. Die Verfassung unterliegt nach Art. 79 Abs. 3 GG einer Ewigkeitsgarantie, d.h. eine Abschaffung des föderalen Systems (der Gliederung des Bundes in Länder), der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder der Grundrechte ist unzulässig. Darüber hinaus sind Verfassungsänderungen nach Art. 79 Abs. 2 GG mit einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich. Der Gesetzesbegriff wird in ‚formelle Gesetze’ und ‚materielle Gesetze’ differenziert. Formelle Gesetze sind Rechtsnormen, die von den verfassungsmäßig berufenen Trägern der gesetzgebenden Gewalt (Bundestag und Bundesrat) in einem vom Grundgesetz vorgeschriebenen Verfahren erlassen werden. Gesetzgebung im materiellen Sinne (‚materielle Gesetze’) umfasst jeden Erlass von Rechtssätzen mit Außenwirkung. Rechtsverordnungen und Satzungen werden deshalb zwar als Gesetze im materiellen Sinne, nicht jedoch im formellen Sinne bezeichnet. Wenn in der vorliegenden Arbeit von Gesetzen gesprochen 36
wird, so sind damit Gesetze im materiellen Sinne gemeint. Der Prozess des Zustandekommens von Rechtssätzen (materiellen Gesetzen) wird allgemein als Rechtsetzungsprozess bezeichnet. Der Begriff Gesetzgebungsprozess hingegen bezieht sich üblicherweise ausschließlich auf die Entstehung von formellen Gesetzen. Formelle Bundesgesetze in Deutschland können entweder Zustimmungsoder Einspruchsgesetze sein. In welchen Fällen eine Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz erforderlich ist, legt das Grundgesetz fest. Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat kein absolutes Veto einlegen, sondern eine abweichende Position lediglich dadurch zum Ausdruck bringen, dass er – nachdem er ggf. den Vermittlungsausschuss angerufen hat – Einspruch gegen das Gesetz einlegt. Der Einspruch des Bundesrates kann anschließend durch den Bundestag mit absoluter Mehrheit überstimmt werden (suspensives Veto). Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze hat sich im Laufe der Entwicklung der BRD aufgrund von Unitarisierungstendenzen sowie einer zunehmenden Politikverflechtung (Scharpf 1985, 1994b) im Exekutivföderalismus erhöht und lag vor der Föderalismusreform I, die im Sommer 2006 verabschiedet wurde, bei über 50% (Burkhart/Manow 2006). Rechtsverordnungen werden im Gegensatz zu formellen Gesetzen nicht von der Legislative, sondern von der Exekutive erlassen. Hierzu muss nach Art. 80 Abs. 1 GG eine spezielle Ermächtigung durch das Parlament vorliegen, deren Inhalt, Zweck und Ausmaß im zugehörigen Gesetz festgelegt wird. Rechtsverordnungen beruhen also auf der Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen von der Legislative auf die Bundesregierung als Kollektivorgan, auf einzelne Bundesminister oder auf Landesregierungen. Nach Art. 80 Abs. 2 GG sind Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers aufgrund des hohen Anteils zustimmungspflichtiger Gesetze auf Bundesebene sowie der Ausführung der meisten Bundesgesetze durch die Länder13 häufig an die Zustimmung des Bundesrates gebunden. Öffentlich-rechtliche Satzungen sind Rechtssätze, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Kreisen, Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie Hochschulen, Kammern, Sozialversicherungsträger) zur Regelung ihres Aufgabenbereiches mit Wirksamkeit für die ihnen angehörenden 13 Die Ausführung von Bundesgesetzen ist in den meisten Fällen Sache der Länder (entweder als eigene Angelegenheit der Länder nach Art. 84 GG oder im Auftrag des Bundes nach Art. 85 GG). Nur in wenigen, im GG festgelegten Politikbereichen besitzt der Bund einen eigenen Verwaltungsunterbau, der mit der Durchführung von Gesetzen betraut ist (ausführlich siehe z.B. Bach/Jann 2009).
37
oder unterworfenen Personen erlassen werden. Die Satzungsbefugnis wird durch eine gesetzliche Grundlage verliehen. Öffentlich-rechtliche Satzungen können Rechte und Pflichten des Bürgers unmittelbar berühren (z.B. Bebauungsplan einer Gemeinde, Prüfungsordnung einer Hochschule). Seit den 1970er Jahren wurde in Deutschland immer wieder Kritik an der ‚Normenflut’ (Klatt 1986: 94; Holtschneider 1991) oder Gesetzesinflation (Burghart 1996: 22 ) geäußert. Gemeint ist damit die sich ständig erhöhende Anzahl der gültigen Rechtsvorschriften, die eine korrekte Erfassung der Rechtslage für Bürgerinnen und Bürger ohne juristische Unterstützung kaum noch ermöglicht. Ein Blick auf die statistischen Daten zeigt jedoch, dass diese Diagnose nur teilweise zutreffend ist. Die folgenden Darstellungen beziehen sich nur auf Gesetze und Rechtsverordnungen, Satzungen werden aufgrund fehlenden Datenmaterials ausgeblendet. Tabelle 1: Anzahl der Gesetze nach Wahlperioden (BRD) WP
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Gesetzesvorlagen
805
861
606
621
654
546
670
485
751
522
595
895
923
864
643
Gesetzesbeschlüsse
545
511
424
426
461
335
516
354
139
320
369
507
566
559
400
Quelle: Von Beyme 1997: 70. Stand der Gesetzgebung (GESTA) 13. bis 15. Wahlperiode.
Betrachtet man die Anzahl der pro Wahlperiode (WP) verabschiedeten formellen Gesetze seit Gründung der BRD, so sind zwar Schwankungen erkennbar, es zeigt sich aber kein eindeutiger Auf- oder Abwärtstrend. Spitzenwerte treten in den ersten Jahren nach der Gründung der BRD auf (mehr als 500 Gesetze pro WP), wo die Konsolidierung des Rechtsstaates im Vordergrund stand. Seit Ende der 1950er Jahre war die Anzahl der pro WP verabschiedeten Gesetze deutlich geringer (mit Ausnahme der Regierung Brandt von 1972–1976). Seit der Wiedervereinigung ist die Anzahl der beschlossenen Gesetze wieder auf das Niveau der Gründungsjahre gestiegen. Betrachtet man die Entwicklung der Gesamtzahl14 der gültigen Gesetze und Rechtsverordnungen, so lässt sich eine Zunahme der Anzahl der Normen im Zeitverlauf nachweisen. In der Regel werden mehr neue Gesetze verabschiedet 14 Das geltende Bundesrecht (Sachgebietsbezeichnung des Fundstellennachweises A) umfasste im Mai 2007 1.813 Gesetze und 2.771 Rechtsverordnungen. (Stand: 11.05.2007, BT-Drs. 16/5323).
38
als alte Gesetze außer Kraft gesetzt. Zwar führen Rechtsbereinigungsaktionen ebenso wie Kodifikationen regelmäßig zu deutlichen Reduktionen in der Gesamtzahl der Rechtsnormen, der Trend zu mehr Gesetzen bleibt dadurch jedoch ungebrochen. Zum einen sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche neue Regelungsmaterien entstanden (z.B. Atomkraft, Gentechnik, Internet), zum anderen hat die EU das föderale System Deutschlands um eine zusätzliche Ebene erweitert. Drittens führte die Privatisierung staatlicher Infrastrukturmonopole seit Ende der 1980er Jahre zu wachsenden Regulierungserfordernissen in den entsprechenden Sektoren und viertens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, liegt es in der Logik unseres politischen Systems, dass sich die Mehrheitsfraktionen im Parlament über die Ausübung ihrer Aufgabe als ‚Gesetzgeber’ profilieren. Die Zunahme der Anzahl der Gesetze im Zeitverlauf ist allerdings moderater als die Debatte über die ‚Normenflut’ erwarten lässt. So gab die Bundesregierung 1977 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag an, dass das Bundesrecht 1.480 Gesetze und 2.280 Rechtsverordnungen umfasse (BT-Drs. 8/212). Dreißig Jahre später enthielt das geltende Bundesrecht 333 Gesetze und knapp 500 Rechtsverordnungen mehr als 1977 (Mai 2007: 1813 Gesetze und 2771 Rechtsverordnungen, BT-Drs. 16/5323). Abschließend soll noch kurz auf die bereits eingangs erwähnten Verwaltungsvorschriften eingegangen werden, die zwar aufgrund ihrer (formal) fehlenden Außenwirkung15 keine Rechtssätze sind und damit streng genommen nicht zur Rechtsetzung gehören, welche aber in Reformbemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ meist mit eingeschlossen sind. In der Regel beschränkt sich diese Inklusion jedoch auf politische Lippenbekenntnisse, während konkrete Handlungsanleitungen oder Vorgaben zur Verbesserung von Verwaltungsvorschriften noch viel seltener sind als bei materiellen Gesetzen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Tatsache, dass der 2006 in Deutschland eingesetzte Nationale Normenkontrollrat (NKR) bisher fast ausschließlich Gesetze und Rechtsverordnungen, aber kaum allgemeine Verwaltungsvorschriften geprüft hat. Das wesentliche Zielobjekt der Reformen zur besseren Rechtsetzung in Deutschland sind Gesetze und Rechtsverordnungen. Da Verwaltungsvorschriften eine hohe Relevanz für die Implementation von Rechtsvorschriften16 in Deutschland besit15 Die formale Definition als Vorschriften, die nur den Innenbereich der Verwaltung berühren, ist umstritten, da Verwaltungsvorschriften in der Praxis häufig eine nicht unerhebliche Außenwirkung besitzen (z.B. im Steuerrecht). 16 „In manchen Bereichen determinieren und steuern Verwaltungsvorschriften das alltägliche Handeln der Verwaltungsangehörigen stärker als die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften.“ (BMI 1992b: 28).
39
zen, sollen sie an dieser Stelle kurz näher charakterisiert werden. In den nachfolgenden Teilen des Buches werden Verwaltungsvorschriften (ebenso wie Rechtsverordnungen) ausgeklammert, da sich die empirische Untersuchung aufgrund der vergleichenden Perspektive auf (formelle) Gesetze beschränkt. Verwaltungsvorschriften unterscheiden sich von Rechtsverordnungen und Gesetzen durch den Grad ihrer Verbindlichkeit. Während Gesetze und Rechtsverordnungen allgemein verbindlich und einklagbar sind, besitzen Verwaltungsvorschriften nur eine interne Verbindlichkeit für Behörden oder Bedienstete der öffentlichen Verwaltung; es sind also Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden, Verwaltungsstellen oder Bedienstete ergehen und die dazu dienen, Organisation und Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen. Verwaltungsvorschriften sollen für eine Vielzahl von Fällen gelten. Anordnungen für den Einzelfall werden dagegen meist als Weisungen bezeichnet. Eindeutige Regelungen zur Zuständigkeit, für das Zustandekommen, die inhaltliche und formale Gestaltung sowie die Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften gibt es nicht. Dies spiegelt sich u.a. in der Vielfalt der Bezeichnungen von Verwaltungsvorschriften wider (Verwaltungsverordnungen, Erlasse, Verfügungen, Richtlinien, Bekanntmachungen, Dienstanweisungen etc.). Verwaltungsvorschriften beruhen auf der Organisationsgewalt der Regierung und bedürfen daher keiner gesetzlichen Grundlage. Der Bestand an Verwaltungsvorschriften ist unübersichtlich. Ellwein kritisierte bereits Ende der 1980er Jahre, dass nur ein Teil der Verwaltungsvorschriften veröffentlicht sei, wobei die Überschaubarkeit durch verschiedene Publikationsarten (Bundesanzeiger, BGBl, Ministerialblatt, Staatsanzeiger, verschiedene Datenbanken etc.) zusätzlich erschwert würde (Ellwein 1989: 27ff). Erst 2006 begann die Bundesregierung mit der Entwicklung einer Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes (DB VwV Bund)17. Seit Ende November 2007 ist VwV Bund über das Internet frei zugänglich. Allerdings gibt die Datenbank keinen vollständigen Überblick über alle Verwaltungsvorschriften. Die Bundesministerien haben jeweils mehr oder weniger umfangreiche Teillisten ihrer Verwaltungsvorschriften in die Datenbank eingespeist. Nicht sichtbar sind diejenigen Verwaltungsvorschriften, welche einer Ausnahmeregelung unterliegen (z.B. Verwaltungsvorschriften zur Durchführung von Rechtsakten der EU) oder bereits in anderen Datenbanken (VV-Steuer, VV Sozial- und Arbeitsrecht, 17 Kabinettsbeschluss zum Ausbau der Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes vom 31. Mai 2006, GMBl 46/2006. Die Entwicklung der Datenbank VwV Bund erfolgte durch das BMI in Zusammenarbeit mit der juris GmbH.
40
Bundesrechtsdatenbank, Datenbank E-VSF, Förderdatenbank des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Startothek, Infothek der Bundespolizei) archiviert sind. Deshalb hat beispielsweise das Bundesministerium der Finanzen (BMF), in dessen Bereich laut BT-Drs. 16/4741 im Jahr 2007 mehr als 5.000 Verwaltungsvorschriften gültig waren, in der Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes nur einige Dutzend Verwaltungsvorschriften veröffentlicht. Es ist anzunehmen, dass ein großer Anteil der übrigen Verwaltungsvorschriften in der bereits länger existierenden Datenbank VV-Steuer publiziert ist. VV-Steuer ist jedoch kostenpflichtig. Die Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes gewährleistet also keinen Gesamtüberblick über die Anzahl der gültigen Verwaltungsvorschriften. Trotzdem stellt die Datenbank eine gewisse Verbesserung im Zugang zu Verwaltungsvorschriften dar. Nach Auskunft der Bundesregierung im Zuge einer Kleinen Anfrage der FDP zu Verordnungen und Verwaltungsvorschriften betrug die Gesamtzahl der Verwaltungsvorschriften, welche „Gesetze oder Verordnungen mit unmittelbarem Bezug zu Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen interpretieren“ (BT-Drs. 16/4741: 3), im März 2007 auf Bundesebene 5.663 (BT-Drs. 16/4741). Ein Großteil davon (5.112) entfiel auf das BMF. Verhältnismäßig viele Verwaltungsvorschriften wurden außerdem für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (143), das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (84), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (82) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (81) ausgewiesen. Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: D
D D
D
Die Anzahl der pro LP neu verabschiedeten Gesetze und Rechtsverordnungen ist schwankend (kein eindeutiger Auf- oder Abwärtstrend). Besonders viele Gesetze wurden in den Gründungsjahren der BRD sowie in der Zeit nach der Wiedervereinigung verabschiedet. Die Gesamtzahl der Rechtsnormen wächst moderat. Während die Erarbeitung, Gestaltung und Publikation von Gesetzen und Rechtsverordnungen ausführlichen Regulierungen unterliegt, ist der Bestand an Verwaltungsvorschriften unübersichtlich und es gibt keine allgemeinen Vorschriften über deren Zustandekommen, deren inhaltliche und formale Gestaltung sowie deren Veröffentlichung. Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ beziehen Verwaltungsvorschriften zwar meist formal mit ein, konzentrieren sich jedoch in der Praxis v.a. auf Gesetze und Rechtsverordnungen. Satzungen werden komplett ausgeklammert. 41
2.1.2 Die Ministerialverwaltung im Prozess der Gesetzesvorbereitung Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Frage, warum Vorschriften zur Folgenabschätzung im Rechtsetzungsprozess häufig nicht oder nur unzureichend implementiert werden. Um sich mit dieser Frage auseinander zu setzen, ist es zunächst wichtig, ein Verständnis für das System der Gesetzgebung auf Bundesebene zu entwickeln und zu verstehen, welche Prozesse, Strukturen und Anreizsysteme die Erarbeitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen in Deutschland prägen. In der wissenschaftlichen Literatur wird davon ausgegangen, dass die Ministerialverwaltung in dieser Phase des Gesetzgebungsprozesses eine zentrale Rolle spielt (Smeddinck 2006: 156; Jann/Bogumil 2009: 27). Die Ministerialverwaltung ist auch diejenige Instanz, welche Vorschriften zur Folgenabschätzung implementieren soll, indem sie im Prozess der Erarbeitung von Gesetzentwürfen entsprechende Analysen durchführt und deren Ergebnisse anschließend im Rahmen der Gesetzesbegründungen (sowie in komprimierter Fassung auf den Vorblättern) darstellt. Nachfolgend wird der Prozess der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung in Deutschland chronologisch beschrieben. Ziel ist es, die wesentlichen Merkmale des Prozesses der Erarbeitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen herauszuarbeiten und Aufgaben und Einflussmöglichkeiten der Ministerialverwaltung in diesem Prozess zu spezifizieren. Sucht man nach allgemeinen Regeln für die Rechtsetzungsarbeit in der Ministerialverwaltung, wird man erst auf der Ebene der Geschäftsordnungen fündig. Im Grundgesetz sind zwar Vorschriften zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren festgelegt, es enthält jedoch keine Regelungen zur Gesetzesvorbereitung durch die Ministerien. Auf der Ebene von Gesetzen sind strukturelle Vorgaben für die Rechtsetzungsarbeit in Ministerien vor allem für das nachgeordnete Recht zu finden. Meist beziehen sich diese auf spezifische Anhörungs- und Beteiligungspflichten (s.a. König 1987: 123ff). Detaillierte Vorschriften für die Rechtsetzungsarbeit der Ministerien finden sich in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), welche als allgemeine Verwaltungsvorschrift eine Dienstanweisung für den inneren Geschäftsbetrieb der Bundesministerien ist, sowie in der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg). Darüber hinaus existieren innerhalb der einzelnen Ressorts eine Vielzahl von Hausanordnungen, Dienstanweisungen oder Rundschreiben, die auch die Behandlung von Rechtsetzungsvorhaben betreffen können (König 1987: 125f).
42
Gesetzesvorlagen können vom Bundesrat, aus der Mitte des Bundestages oder von der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht werden. In der Praxis ist die Form der Regierungsvorlage die häufigste. So gingen in der 15. WP (2002–2005) des Deutschen Bundestages 70% der verabschiedeten Gesetze auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. 22% der erfolgreich verabschiedeten Gesetze im genannten Zeitraum stammten aus der Mitte des Bundestages, 4% gingen auf Initiativen des Bundesrates und weitere 4% auf gemeinsame Initiativen zurück (GESTA 15. WP). Während der Anteil der Regierungsvorlagen an allen verabschiedeten Gesetzentwürfen seit 1990 konstant bei ca. 70% liegt, war er seit Anfang der 1970er Jahre kontinuierlich gesunken (7. WP 1972– 1976: 83% Regierungsentwürfe). In den 1950er und 1960er Jahren lag der Anteil der Regierungsentwürfe an den erfolgreichen Gesetzesvorlagen bei ca. 80% (Von Beyme 1997: 70; GESTA; eigene Berechnungen). Die anderen Verfassungsorgane haben also in den letzten Jahrzehnten zunehmend von der Möglichkeit zum Einbringen eigener Gesetzesinitiativen in den Bundestag Gebrauch gemacht. Diese Tatsache ändert jedoch nichts daran, dass auch heute noch die Regierung diejenige Instanz ist, welche für den größten Teil aller Gesetzesvorlagen steht. Erfolgreiche Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages stammen häufig auch aus der Feder von Angehörigen der Exekutive und werden nur aus Zeitgründen offiziell von den Mehrheitsfraktionen des Parlaments initiiert. Grundsätzlich ist der Einfluss der Ministerialverwaltung auf die Entwurfsgestaltung bei Regierungsvorlagen und bei den meisten Entwürfen der Regierungsfraktionen besonders groß, aber auch bei Initiativen aus Bundestag oder Bundesrat kann die Ministerialverwaltung erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Rechtstexte ausüben, indem Ministerialbeamte Formulierungshilfen für das Parlament geben oder beratend tätig werden. Die Initiative für Gesetzgebungsvorhaben, die in der Ministerialverwaltung vorbereitet werden, kann grundsätzlich zentral oder dezentral geprägt sein. Zentrale Programminitiativen sind eher selten (Schmidt/Treiber 1975b). Typische Beispiele für zentrale Programminitiativen sind im Rahmen von Koalitionsvereinbarungen festgelegte Politiken oder Maßnahmen in Problemfeldern, die längerfristig auf der Medienagenda stehen und akuten politischen Handlungsbedarf hervorrufen. Bei zentralen Programminitiativen legt die politische Leitung der Ministerien die Vorgaben zur Programmausarbeitung fest bzw. kommuniziert die zusammen mit anderen politischen Akteuren festgelegten Entscheidungen an die mittlere Leitungsebene (Abteilungs- und Unterabteilungsleiter) bzw. die Arbeitsebene des Ministeriums (Referate), auf welcher diese dann umgesetzt wer-
43
den. Sowohl das Agenda-Setting als auch die Entscheidungsabläufe und -inhalte sind meist eher politisch geprägt (Smeddinck/Tils 2002). Im Gegensatz zu zentralen Programminitiativen zeichnen sich dezentrale Programminitiativen dadurch aus, dass sie inhaltlich auf den Aufmerksamkeitsbereich und den Aktionsraum der organisatorischen Einheit, von der sie ausgehen, beschränkt bleiben (Schmidt/Treiber 1975b). Um Gesetzgebungsprojekte im Rahmen von dezentralen Programminitiativen findet eine politische oder öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung – wenn überhaupt – meist erst in einer späten Phase des Gesetzgebungsprozesses statt. Das federführende Referat besitzt in solchen Fällen deutlich größere Handlungsspielräume als bei zentralen Programminitiativen. Bei der Durchsetzung von dezentralen Programminitiativen bei der politischen Leitung von Ministerien spielt aufgrund des hierarchischen Aufbaus und der Linienorganisation der Ministerien die mittlere Leitungsebene eine wichtige Rolle. Werden dezentrale Programminitiativen von der mittleren Leitungsebene blockiert, sind neben Argumentations- und Überzeugungsbemühungen der Referate verschiedene Ausweichstrategien üblich. Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang das Umgehen des hierarchischen Dienstwegs durch ‚institutionelle Umsetzer’. Dabei handelt es sich um Personen, die keine Positionen in der zuständigen hierarchischen Linie des Ministeriums besetzen, sondern außerhalb dieser Hierarchie stehen, welche aber die Aufmerksamkeit der politischen Spitze erregen können (z.B. persönliche Referenten des Ministers oder wichtige Parlamentarier) (Schmidt/Treiber 1975b). Unabhängig davon, ob die Programminitiative zentral oder dezentral war, wird ein erster Gesetzentwurf üblicherweise innerhalb des federführenden Ministeriums im zuständigen Referat erarbeitet (‚Hausentwurf’). Bei der Erarbeitung des Hausentwurfes besitzt das federführende Referat im Rahmen seiner Fachkompetenz häufig erhebliche Handlungsspielräume. Konkrete politische Vorgaben sind eher selten und v.a. bei der sogenannten ‚politischen Gesetzgebung’ zu finden. Als ‚politische Gesetzgebung’ werden Regelungsvorhaben bezeichnet, die über einen gewissen Zeitraum hinweg ein zentrales Thema der politischen und öffentlichen Auseinandersetzung bilden. Davon unterschieden wird die ‚administrative Gesetzgebung’, deren Inhalte meist gar nicht auf der Medienagenda landen und die vorrangig von der Verwaltung ausgehandelt und gestaltet wird (Smeddinck/Tils 2002: 314ff, s. a. Kap. 4.1.2). ‚Politische Gesetzgebung’ ist oft durch eine zentrale Programminitiative gekennzeichnet, während ‚administrative Gesetzgebung’ häufiger auf dezentrale Initiativen zurückgeht. Die Begriffe sind jedoch nicht identisch, d.h. auch ‚administrative Gesetzgebung’ kann von der Ministeriumsspitze zentral initiiert und gesteuert sein. 44
Der Hausentwurf wird zunächst innerhalb des ‚Hauses’ (d.h. im federführenden Ministerium) abgestimmt. Neben der Leitungsebene eines Ressorts sind an der Abstimmung des Hausentwurfes in der Regel weitere materiell betroffene Fachreferate sowie Querschnittseinheiten wie Haushalts- oder Rechtsreferate beteiligt (König 1987: 133). Liegt ein abgestimmter ‚Hausentwurf’ vor, beginnt die Phase der Ressortabstimmung – der ‚Hausentwurf’ wird zum ‚Referentenentwurf’. Laut § 45 GGO sollte das federführende Bundesministerium die von der Gesetzgebung betroffenen Bundesministerien (= alle Bundesministerien, deren Geschäftsbereiche berührt sind), Bundesbeauftragten und Beauftragten der Bundesregierung frühzeitig in die Vorarbeiten und die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes einbeziehen. In der Praxis erhalten die anderen Ressorts jedoch häufig erst im Zuge der Ressortabstimmung die Möglichkeit zur Stellungnahme. Zum Teil findet vor der vollständigen Ressortabstimmung eine Vorabstimmung mit einzelnen Ministerien statt. So berichtete eine Mitarbeiterin des BMI im Experteninterview, dass deren Entwürfe vor der ‚großen Ressortabstimmungsrunde’ in der Regel in einer kleinen Vorrunde mit dem Finanz- und dem Justizministerium im Hinblick auf Rechtssystematik bzw. Kosten abgestimmt würden. In der Ressortabstimmung werden das BMI und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) in jedem Fall konsultiert. Sie sind beide für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und die Einfügung des Gesetzentwurfes in die bestehende Rechtsordnung zuständig (siehe hierzu Kap. 4.2.1). Grundsätzlich zu beteiligen sind auch der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (§ 45 Abs. 3 GGO) sowie der NKR (§ 45 Abs. 1 GGO). Darüber hinaus ist es Aufgabe des federführenden Referates zu entscheiden, wer noch an der Abstimmung zu beteiligen ist und in welchen Schritten die Koordination durchgeführt wird. Es liegt ebenfalls in der Verantwortung des federführenden Ministeriums sicherzustellen, dass den konsultierten Instanzen genügend Zeit zur Prüfung und Erörterung von Fragen ihres Zuständigkeitsbereiches bleibt (§ 45 Abs. 4 GGO). Die diesbezüglich notwendigen Entscheidungen werden in der Regel vom Referatsleiter bzw. von der Referatsleiterin getroffen. Die zu beteiligenden Behörden sowie der NKR (vgl. zu letzterem Kap. 2.1.4 und 4.2.1) erhalten innerhalb einer festgelegten Frist die Möglichkeit zur Stellungnahme und zu Änderungsvorschlägen. Die übliche Frist für Stellungnahmen der Ressorts beträgt laut GGO vier Wochen. In der Praxis ist jedoch eine Fristsetzung von ein bis zwei Wochen die Regel (Interview BMJ 2007, Interview NKR-Sekretariat 2007). Dabei obliegt es den zu beteiligenden Ministerien selbst zu entscheiden, welches Referat für die hausinterne Abstim45
mung der Stellungnahme des Ministeriums die Federführung innehaben soll. Der Geschäftsverteilungsplan der Ministerien trifft hierzu die nötigen Festlegungen. In der Regel sind die Ansprechpartner für bestimmte Programmvorhaben dem federführenden Ressort aber aus langjähriger Kooperation bekannt, so dass es über die Frage der Federführung bei Mitprüfungsaufgaben meist keine Auseinandersetzungen gibt (Sperl 2001). Nachdem die Stellungnahmen der Ressorts eingegangen sind, werden sie durch das federführende Ministerium geprüft und es wird ggf. eine neue Fassung des Entwurfes erarbeitet. Die Erarbeitung dieser Neufassung kann erheblichen Verhandlungs- und Abstimmungsaufwand zwischen den Ressorts verursachen, insbesondere bei kontroversen Vorhaben mit konfliktären Stellungnahmen und gegensätzlichen Änderungsvorschlägen. Die Abstimmung der überarbeiteten Fassung erfolgt üblicherweise entweder im Rahmen von Ressortbesprechungen oder durch bilaterale Kompromissverhandlungen. Bei Ressortbesprechungen werden die vom federführenden Ministerium erarbeiteten Lösungsalternativen in einer persönlichen, gemeinsamen Besprechung mit Vertretern aller betroffenen Ministerien mündlich erörtert und im Idealfall zu einer Kompromisslösung geführt. Bilaterale Besprechungen haben den Vorteil, dass es häufig leichter ist, in einem kleineren Rahmen einzelne strittige Elemente zu einer einvernehmlichen Lösung zu führen. Nachteilig ist allerdings der damit verbundene nachträgliche Koordinationsaufwand, da es zur ministeriellen Praxis gehört, „den anderen beteiligten Ressorts die Ergebnisse dieser bilateralen Übereinkünfte mitzuteilen und möglicherweise in der Folge bilateraler Koordination entstandene neue Einwände der anderen Ressorts ebenso in die gesamte Abstimmung mit einzubeziehen. Der Koordinationsbedarf kann dadurch leicht immense Ausmaße annehmen.“ (Sperl 2001: 35). Konnte auf Arbeitsebene (Referenten) oder unter Einbeziehung der unteren Leitungsebenen (Referatsleiter, Unterabteilungsleiter) keine Lösung für einen eventuellen Konflikt gefunden werden, wird die Klärung der Streitfrage auf höhere hierarchische Ebenen verlagert. In der Regel wird versucht, das Problem zunächst auf der Abteilungsleiterebene zu lösen. Ist dies nicht möglich, finden Gespräche auf Staatssekretärsebene statt. Erst dann, wenn auch auf dieser Ebene kein Kompromiss gefunden werden konnte, wird der umstrittene Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt (§ 17 GOBReg).
46
Neben den Ressorts werden in der Regel die Länder, die kommunalen Spitzenverbände18 sowie ggf. Gewerkschaften, Fachkreise und Verbände an der Entwurfserstellung beteiligt. Das Bundeskanzleramt ist über die Beteiligung zu unterrichten und bei „Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung muss seine Zustimmung eingeholt werden“ (§ 47 Abs. 2 GGO). Zeitpunkt, Umfang und Auswahl der zu beteiligenden Verbände und Fachkreise sind dem federführenden Ministerium überlassen (§ 47 Abs. 3 GGO). Bei kleineren Gesetzesvorhaben lassen sich diese Beteiligungen oft schriftlich abwickeln, bei größeren oder umstrittenen Vorhaben sind jedoch häufig Besprechungen nötig: „Ein häufiger Ablauf ist: Besprechung mit den zu beteiligenden Ressorts, Besprechung mit den Ländern, Anhörung der Fachkreise und Verbände, erneute Ressortbesprechung unter Berücksichtigung der Besprechungen mit Ländern und Verbänden.“ (König 1987: 137)
Der externe Abstimmungsprozess ist insbesondere in ‚etablierten’ Politikfeldern dadurch gekennzeichnet, dass ein fester Kreis von Verbänden und Fachspezialisten konsultiert wird, der dem federführenden Referat durch langjährige Zusammenarbeit bekannt ist. Viele Fachreferate besitzen eine relativ konstante Umwelt, was zu einer Routinisierung des Beteiligungsverfahrens beiträgt. Schmidt und Treiber zogen in ihrer informativen Studie aus den 1970er Jahren daraus die Schlussfolgerung, dass eine problemspezifische und systematische Erfassung der von einer Rechtsvorschrift betroffenen externen Akteure den Referatsleitern vielfach unnötig erscheine und dass die Routinisierung des Beteiligungsverfahrens seine Problematisierung verhindere. Problematisiert würde dann nur noch, ob der Kreis der Beteiligten diesmal groß oder klein zu halten sei und ob die Beteiligung eher früh oder eher spät erfolgen solle (Schmidt/Treiber 1975b). Die im Konsultationsprozess abgegebenen Stellungnahmen zu einem Gesetzentwurf werden in Deutschland von offizieller Seite aus meist nicht publiziert. Einige Verbände veröffentlichen ihre Stellungnahmen jedoch im Internet. 18 § 41 GGO: „Zur Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, die Belange der Länder oder der Kommunen berühren, soll vor Abfassung eines Entwurfes die Auffassung der Länder und der auf Bundesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbände eingeholt werden.“; § 47 GGO: „Der Entwurf einer Gesetzesvorlage ist Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und den Vertretungen der Länder beim Bund möglichst frühzeitig zuzuleiten, wenn ihre Belange berührt sind. Ist in wesentlichen Punkten mit der abweichenden Meinung eines beteiligten Bundesministeriums zu rechnen, hat die Zuleitung nur im Einvernehmen mit diesem zu erfolgen. Soll das Vorhaben vertraulich behandelt werden, ist dies zu vermerken.“
47
Bevor eine Gesetzesvorlage dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt wird, ist sie dem BMJ zur Prüfung in rechtssystematischer und rechtsförmlicher Hinsicht (Rechtsprüfung) zuzuleiten (zu den Inhalten der Rechtsprüfung siehe Kap. 4.3.1). Die Frist zu dieser abschließenden Prüfung beträgt in der Regel vier Wochen, kann aber unter bestimmten Bedingungen verkürzt oder bei umfangreichen Entwürfen auf acht Wochen verlängert werden (§ 50 GGO). Alle Gesetzentwürfe und alle Entwürfe für Verordnungen der Bundesregierung sind nach § 15 GOBReg der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten. Auf dem Vorblatt und in der Gesetzesbegründung sind bestimmte, in §§ 43 und 44 GGO und § 16 Abs. 3 GOBReg näher beschriebene Kriterien darzustellen, beispielsweise die zu erwartenden Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden oder die Auswirkungen auf gleichstellungspolitische Fragen (siehe Kap. 3.2.1 und 4.3.1). Bei Gesetzentwürfen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung muss dargestellt werden, warum eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist. Die Fachreferate des Bundeskanzleramtes erstellen zur Vorbereitung der Kabinettssitzung einen sogenannten Kabinettvermerk, in dem eine Empfehlung für die Beschlussfassung des Kabinetts abgegeben wird. Eventuell vorhandene Probleme können bei der einige Tage vor der Kabinettssitzung stattfindenden Besprechung der Staatssekretäre angesprochen werden. In der traditionell am Mittwoch Vormittag stattfindenden Kabinettssitzung findet die formale Beschlussfassung19 über zur Entscheidung stehende Gesetzesund Verordnungsentwürfe oder allgemeine Verwaltungsvorschriften statt. Der Finanzminister besitzt ein suspensives Veto, d.h. er kann nach § 26 GOBReg Widerspruch gegen Beschlüsse der Bundesregierung mit finanzieller Bedeutung erheben. Wird Widerspruch erhoben, muss eine erneute Abstimmung in einer anderen Kabinettssitzung stattfinden. Der Beschluss gilt dann als angenommen, wenn die Mehrheit der Kabinettsmitglieder dafür stimmt und der Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin mit der Mehrheit stimmt. Gleiche Rechte kommen dem Innen- und dem Justizministerium bei Fragen der Vereinbarkeit von Gesetz- und Verordnungsentwürfen mit geltendem Recht zu. Des Weiteren 19 Die wichtigsten Beschlussfassungen werden nur formal im Kabinett getroffen. In der Realität sind die Entscheidungen zuvor in informellen Koalitionsgremien (z.B. der Koalitionsrunde oder in Koalitionsausschüssen) vorbereitet worden (Gros 2000). Zudem gibt es ein entlastendes System von interministeriellen Ausschüssen und Kabinettsausschüssen zur Vorklärung und Vorentscheidung. Diese Ausschüsse werden von Ministerialbeamten dominiert, da sich die Minister häufig durch ihre Staatssekretäre oder andere Beamte vertreten lassen. Nur in besonders wichtigen Ausschüssen wie dem Sicherheitsrat sind in der Regel die Minister selbst anwesend (Rudzio 2006).
48
besitzen das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ein besonderes Initiativ- und Vertretungsrecht in frauen- bzw. verbraucherpolitischen Angelegenheiten (§ 15a und § 21 Abs. 4 GOBReg). Obwohl Entscheidungen im Kabinett formal per Mehrheitsbeschluss20 getroffen werden können, wenn einschließlich des Vorsitzenden21 die Hälfte der Bundesminister anwesend ist, kommen die Abstimmungen in der Praxis fast immer zu einem einstimmigen Ergebnis (Mertes 2000; von Beyme 1997: 144.). Konflikte zwischen den Ressorts wurden bereits im Vorfeld ausgeräumt. ‚Kampfabstimmungen’ hingegen zeigen meist ein baldiges Ende der Regierungskoalition an. Für viele Regelungsentwürfe sind jedoch gar keine Ressortstreitigkeiten zu erwarten, da es sich um kleinere fachliche Korrekturen, gesetzestechnische Anpassungen oder Anschlussregelungen handelt. Diese werden dann meist im abgekürzten Umlaufverfahren erledigt. Die Kabinettsvorlage wird dann ohne vorherige Abstimmung an alle Ministerien versandt. Die Ministerien haben innerhalb einer festgesetzten Frist die Möglichkeit zum Widerspruch. Erfolgen keine Einwände, dann gilt der Entwurf nach Ablauf der Frist als von der Bundesregierung beschlossen. Beschlüsse der Bundesregierung werden also regelmäßig ohne konkrete Beratung zwischen den Ressorts gefällt (kritisch hierzu Epping 1995). Ist ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung beschlossen, leitet ihn der Bundeskanzler als ‚Regierungsentwurf’ zusammen mit Vorblatt und Begründung zunächst dem Bundesrat zu, welcher im ersten Durchgang in einer Frist von sechs Wochen Stellung nehmen kann. Nach erfolgter Stellungnahme des Bundesrates erarbeitet das federführende Bundesministerium ggf. eine Gegenäußerung aus, die dem Bundeskanzleramt als Kabinettsvorlage zuzuleiten ist (§ 53 Abs. 1 GGO) und nach Beschluss der Bundesregierung der Begründung des Gesetzentwurfes beim Einbringen der Gesetzesvorlage in den Bundestag beigefügt wird. Anschließend wird der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Im Bundestag finden drei Lesungen statt (Überweisung an Fachausschüsse nach 1. Lesung, Beratung im Ausschuss und ggf. Anhörung von Sachverständigen, Vorstellung und Beratung der Ausschussarbeit in 2. Lesung, Abstimmung nach 3. Lesung), bevor ein Gesetz mit einfacher Mehrheit (= Mehrheit der Stimmen) 20 § 24 Abs. 2 GOBReg: „Die Bundesregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.“ 21 Sitzungen der Bundesregierung finden unter Vorsitz des Bundeskanzlers und im Falle seiner Verhinderung unter dem Vorsitz des Stellvertreters des Bundeskanzlers statt (§ 22 GOBReg).
49
beschlossen werden kann. Anschließend wird das Gesetz an den Bundesrat weitergeleitet, der je nach Art des Gesetzes (Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz) ein suspensives oder ein aufschiebendes Veto besitzt. Bei Einwänden des Bundesrates wird ggf. der Vermittlungsausschuss mit dem Ziel einer Kompromissfindung einberufen. Beschlüsse im Bundesrat werden (außer bei Verfassungsänderungen) mit absoluter Mehrheit gefällt, wobei die einzelnen Bundesländer ihre Stimmen einheitlich abzugeben haben. Ist ein Gesetz von den zuständigen Verfassungsorganen beschlossen worden, wird es vom Bundespräsidenten unterschrieben und in dessen Auftrag vom BMJ im Bundesgesetzblatt verkündet. Für die Arbeitsweise der Ministerialverwaltung bei der Gestaltung von Politik (hier: Gesetzentwürfen) wurden in der deutschen verwaltungswissenschaftlichen Literatur zwei vorherrschende Prinzipien identifiziert: die ‚selektive Perzeption’ von Problemen und Lösungen sowie die ‚negative Koordination’ bei der Abstimmung von Entwürfen. Unter ‚selektiver Perzeption’ (March/Simon 1958: 127ff; Mayntz/Scharpf 1973b) wird die in den Fachreferaten von Ministerien bestehende Tendenz zur Aufmerksamkeitsbeschränkung auf den eigenen Zuständigkeitsbereich verstanden. Probleme jenseits dieser Grenzen werden weniger deutlich wahrgenommen und für nicht so wichtig gehalten (Scharpf 1973: 81). Insofern sucht das federführende Referat vor allem nach optimalen Lösungen für ein bestimmtes Teilproblem. Gesamtgesellschaftlich betrachtet führt die Summe der optimalen Lösungen für ein Teilproblem jedoch nicht zur optimalen Lösung des Gesamtproblems, wenn die Interdependenzen der Teilprobleme untereinander unbekannt sind, weil Maßnahmen in einem Bereich Folgeprobleme in einem anderen Bereich auslösen können (Schmidt/Treiber 1975b: 158). Die selektive Perzeption von Problemen und Lösungen ist eine Folge des hohen Grades an Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Ministerialverwaltung. Verstärkend wirken die Größe der Ministerialverwaltung des Bundes und die spezifischen Merkmale der internen Aufbauorganisation der Ministerien (hierarchische Linienorganisation mit hoher Leitungstiefe und geringer Leitungsspanne auf der Arbeitsebene). In einem deutschen Bundesministerium arbeiten im Schnitt 1.150 Beamte und Angestellte (ohne Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt; Bundeshaushaltsplan 2006). Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit knapp 377 Mitarbeitern ist das kleinste Ministerium, gefolgt vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit 490 Mitarbeitern, vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, 538 Mitarbeiter) und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und 50
Reaktorsicherheit (BMU, 670). Besonders große Ministerien sind (neben dem Auswärtigen Amt) das Verteidigungsministerium (BMVg, 2.225 Mitarbeiter) und das BMF (1.974). Das hohe Ausmaß an Spezialisierung in der Ministerialbürokratie spiegelt sich in der horizontalen und vertikalen Gliederung der Bundesministerien wider. Bogumil und Jann (2009: 155) geben eine Unterteilung der Bundesministerien in über 1.000 Referate, ca. 210 Unterabteilungen und 110 Abteilungen an. Es existieren eine Vielzahl von Kleinstreferaten, in denen manchmal nur eine oder zwei Personen arbeiten. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Zuständigkeiten der Referate sehr speziell sind, gleiches trifft auf die Expertise der Referenten zu. Die Tendenz zur selektiven Perzeption in der hierarchisch und hochgradig arbeitsteilig organisierten deutschen Ministerialverwaltung wird dadurch verstärkt, dass der vorherrschende Abstimmungsmechanismus derjenige der ‚negativen Koordination’ (Mayntz/Scharpf 1973b; Scharpf 1993, 1994a; Hustedt/ Tiessen 2006) ist. Darunter versteht man die Tatsache, dass federführende Referate ihre Vorhaben zunächst weitgehend unabhängig von anderen Organisationseinheiten in der Ministerialbürokratie bis zur Entscheidungsreife entwickeln und es erst dann den mitprüfenden Referaten zur Stellungnahme vorlegen. Diese prüfen die Referentenentwürfe vor allem im Hinblick auf mögliche negative Auswirkungen auf den eigenen Bereich. Die Frage, inwieweit das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen zu einer erwünschten Gesamtwirkung führt, wird bei dieser Art der Koordination kaum beachtet. Die gemeinsame Vorbereitung von Gesetzentwürfen im Rahmen von interministeriellen Projekt- oder Arbeitsgruppen nach dem Prinzip der ‚positiven Koordination’ im Sinne einer „simultanen Problemverarbeitung für übergreifende Zusammenhänge“ (Müller 1986) bildet die Ausnahme. Auch Vorschläge wie die Einrichtung von Planungsstäben zur Stärkung positiver Koordinationsmechanismen haben sich in der deutschen Ministerialbürokratie nicht durchsetzen können, ebenso wie Formen der Matrix- oder Mehrlinienorganisation sich bisher nicht regulär etabliert haben (Bogumil/Jann 2009: 156). Die dominierende Einlinienorganisation stärkt das Prinzip der ‚negativen Koordination’. Daraus ergibt sich die für Deutschland häufig als typisch beschriebene Tendenz zum Herunterkoordinieren von PolicyEntwürfen und zum Inkrementalismus (Politik der kleinen Schritte: Lindblom 1979; Wildavsky 1979). Die Größe der deutschen Ministerialverwaltung stellt einen nicht unerheblichen Machtfaktor dar, da die exekutive Arbeitsebene im Vergleich zur politischen Führungsmannschaft und auch im Verhältnis zum mit deutlich geringeren personellen Ressourcen ausgestatteten Parlament einen erheblichen Wissensvor51
sprung besitzt. Dieser Wissensvorsprung bezieht sich nicht nur auf eine fachliche Expertise, sondern auch auf politikstrategisches Wissen, da Interaktionsbeziehungen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren in der Phase der Entwurfserstellung in Deutschland nicht transparent gemacht werden müssen. Einflussnahme erfolgt vielfach auf informellem Wege und ist nur für diejenigen Akteure möglich, welche den entsprechenden Zugang zum federführenden Ministerium besitzen. Die Ergebnisse des formellen Konsultationsverfahrens müssen nicht publiziert werden. Die in der Ministerialverwaltung stattfindenden Entscheidungsprozesse in der Phase der Gesetzesvorbereitung sind damit in hohem Maße intransparent. Verstärkt wird die einflussreiche Position der Ministerialverwaltung dadurch, dass nicht selten die gesamten Vorbereitungsarbeiten für einen Gesetzentwurf vom federführenden Ministerium gesteuert werden. Ungeachtet der starken Position der Ministerialverwaltung besitzen verschiedene externe Akteursgruppen ebenfalls ein erhebliches Einflusspotential auf die Ausgestaltung von Gesetzentwürfen, welches sie nicht erst im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, sondern bereits in der Phase der Entwurfserstellung nutzen. Goetz (2007: 165) konstatiert, dass in den letzten Jahrzehnten starke Wandlungsprozesse im bundesdeutschen Politikformulierungsprozess stattgefunden hätten und dass es mittlerweile gar nicht mehr die Ministerialverwaltung sei, welche die Substanz der meisten Policy-Entwürfe gestalte und präge. In der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur vielfach rezipiert ist zudem das empirische Phänomen der Politikformulierung in Netzwerken, welche die Deutungshoheit über bestimmte Policy-Probleme und politische Lösungsansätze für sich beanspruchen und in denen die Ministerialverwaltung zwar häufig vertreten ist, aber eben nur als ein Akteur unter mehreren, die im Netzwerk politische Entscheidungen vorbereiten, aushandeln und häufig weitgehend determinieren (z.B. Sabatier 1993, Mayntz 1993, Jann/Wegrich 2008). Der folgende Abschnitt setzt sich deshalb mit Rolle und Einfluss anderer relevanter Akteursgruppen im Prozess der Gesetzesvorbereitung auseinander.
2.1.3 Die Bedeutung von Sachverständigen, Interessengruppen, Landesregierungen und Parteien In der wissenschaftlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, dass (neben der Ministerialbürokratie des Bundes) Landesregierungen, Parteien und Verbände besonders einflussreiche Akteure im Rechtsetzungsprozess des Bundes sind (Pappi et al. 1995; von Beyme 1997: 48). Eine weitere, von Interessengruppen 52
und Parteien nicht immer ohne Weiteres abgrenzbare Akteursgruppe, deren Einfluss häufig thematisiert und problematisiert wird, sind Sachverständige oder Experten (z.B. Goetz 2007), welche die Regierung bzw. die Ministerialbürokratie bei der Politikformulierung beraten und notwendiges Sachwissen zur Verfügung stellen. Das Parlament als formeller Gesetzgeber hat de facto häufig nur einen relativ geringen Gestaltungsspielraum, da die politische Vorabstimmung bereits im Rahmen formeller (z.B. Koalitionsausschuss, Ressortbesprechung etc.) und informeller Gremien (z.B. die ‚kleine Elefantenrunde’ unter Bundeskanzler Kohl Mitte der 1980er Jahre oder die üblichen informellen Verhandlungen mit Interessengruppen) erfolgt ist und die konkrete Ausarbeitung und Abstimmung von Details des Regelungsentwurfes durch die Ministerialbürokratie dominiert wird (Fromme 1994; von Beyme 1997: 54ff). Der Fakt, dass die Entscheidungsgewalt der demokratisch legitimierten Legislative durch die Ministerialbürokratien des Bundes und der Länder, Parteien, Verbände sowie verschiedene Arten von ‚Beratern’ eingeschränkt wird, spiegelt sich beispielsweise in Klagen über regelungswütige und Eigeninteressen verfolgende Beamte (‚Beamtenstaat’), über einen sich von den tatsächlichen Wünschen und Bedürfnissen der Bürger entfernenden ‚Parteienstaat’, über die Macht der Wirtschaftsverbände oder einzelner Unternehmen und über eine wachsende ‚Expertokratie’ wider.
2.1.3.1 Sachverständige und Interessengruppen Politikberatung durch Experten und Sachverständige außerhalb der öffentlichen Verwaltung22 wird einerseits als notwendiges Element politischer Steuerung in modernen, komplexen Gesellschaften gesehen und andererseits skeptisch beäugt, wenn vermutet wird, dass unter dem Deckmantel der unabhängigen Expertise Partikularinteressen vertreten und durchgesetzt werden. Die Formen der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung, der Ministerialverwaltung und der Legislative durch externe Experten und Sachverständige im Politikformulierungsprozess sind vielfältig. Neben der Möglichkeit der Politikvorbereitung durch zeitlich begrenzte Sachverständigenkommissionen gibt es zahlreiche dauerhaft angelegte Expertengremien (Räte und Beiräte). In bestimmten Bereichen wie z.B. der technischen Normung werden Entscheidungskompetenzen sogar formal an Fachleute delegiert (Voelzkow 1996). 22 Die Generierung, Strukturierung und Aufarbeitung von Wissen als Beratungsleistung gegenüber der Bundesregierung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Ministerialverwaltung und vieler oberer Bundesbehörden (Barlösius 2008; Weingart/Lentsch 2008: 164ff.; Jann/Veit 2009).
53
Experten nehmen außerdem auf Politikformulierungsprozesse Einfluss, indem sie Auftragsstudien durchführen, Gutachten und Expertisen erstellen und andere Beratungsleistungen anbieten (s.a. Mai 2006: 270). Die genannten Formen der direkten fachlichen Beratung werden ergänzt durch eher indirekte Formen, wie z.B. die Publikation und medienwirksame Vermarktung bestimmter Lehrmeinungen und Ergebnisse, durch welche ein möglichst großer gesellschaftlicher Konsens über bestimmte Themen hergestellt werden soll. Von besonderer Relevanz für die Vorbereitung von komplexen Gesetzgebungsvorhaben ist die Etablierung von Expertenkommissionen, deren Bedeutung im Folgenden kurz charakterisiert werden soll. Ausschlaggebend für die Entscheidung über das Einsetzen einer Expertenkommission können verschiedene Faktoren sein. So kann eine Expertenkommission eingesetzt werden, um Zeit zu gewinnen, also eine politische Entscheidung aufzuschieben oder ggf. sogar abzuwenden (symbolische Politik). Kommissionen werden häufig auch dann etabliert, wenn grundsätzliche Reformen angestoßen werden sollen und innovative Lösungen gesucht werden. Expertenkommissionen dienen zwar der Generierung von Wissen und der sachlichen Bewertung verschiedener Steuerungsoptionen, noch wichtiger aber scheint ihre Funktion als Arena zur Vorstrukturierung politischer Entscheidungen und zur Kompromiss- und Konsensfindung (z.B. Rürup/Tiemann 2006) in der Verhandlungsdemokratie zu sein (Siefken 2006: 221). Das spiegelt sich beispielsweise in der meist von den Regierungsparteien gesteuerten Auswahl ‚ihrer’ Experten sowie. Der von einigen Autoren aus der Verhandlungsfunktion der Kommissionen gezogene Schluss einer Entmachtung der Entscheidungsakteure (Tils/Bornemann 2004; s.a. von Blumenthal 2003) im politisch-administrativen System lässt sich jedoch empirisch nicht belegen (Murswieck 2003: 125). Im Verlauf ihrer Tätigkeit werden Sachverständigenkommissionen vom zuständigen Fachreferat im für den Regelungsbereich federführenden Ministerium betreut. Berichte von Sachverständigenkommissionen werden publiziert und häufig öffentlichkeitswirksam debattiert. Im darauf folgenden Diskussionsund Aushandlungsprozess werden die Eckpunkte für eine geplante Regelung in Entscheidungsnetzwerken, welche je nach Thema unterschiedlich zusammengesetzt sind und aus Politikern und Spitzenbürokraten, aber auch aus externen Policy-Akteuren bestehen können, mehr oder weniger detailliert festgelegt. Diese Vorgaben bilden den Rahmen, in welchem das federführende Referat anschließend den Gesetzentwurf ausarbeitet. Dass Kommissionsentwürfe von der Regierung ‚eins zu eins’ übernommen werden, ist in Deutschland – anders als in Schweden – nicht üblich (Interview BMJ 2007). 54
Entgegen der unter Schlagworten wie ‚Kommissionitis’ oder ‚Berliner Räterepublik’ (v.a. in der ersten Legislaturperiode der Regierung Schröder) verschiedentlich geäußerten Vermutung über eine Zunahme der Bedeutung von Expertenkommissionen in der Politikformulierung (Leicht 2001), ist die Gesamtanzahl der Kommissionen und Beiräte in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen (1990: 189; 2002: 125). Siefken (2006: 217) zeigte in einer empirischen Studie, dass die Blütezeit der Beratungsgremien Ende der 1970er Jahre lag.23 Die anfangs erwähnte Wahrnehmung einer ‚Kommissionitis’ unter Schröder lässt sich v.a. auf die erhöhte Medienberichterstattung (Siefken 2006: 219f) über die zu brisanten politischen Themen eingesetzten Kommissionen zurückführen. Die Einbindung von fachlichen Experten in den Gesetzgebungsprozess ist in vielen Fällen nicht trennscharf von der Einflussnahme durch Verbände24, Nichtregierungsorganisationen und durch Vertreter von Einzelinteressen (z.B. großer Unternehmen)25 zu trennen. So stellen Interessengruppen der Ministerialverwaltung vielfach ‚ihre’ Experten für bestimmte Fragen zur Verfügung oder formal unabhängige Experten vertreten in Anhörungen oder Kommissionen bestimmte Interessen, ohne dass dies transparent gemacht wird (Mai 2006: 27). Der Einfluss und die Beteiligung von Interessengruppen und Experten im Gesetzgebungsprozess kann problematisch sein, wenn Interessenvertreter die Gesetzgebung stark mitprägen und gleichzeitig aufgrund der Intransparenz des exekutiven Prozesses der Gesetzeserstellung keine demokratische Kontrolle dieser Einflussnahme erfolgt. Die Einbindung verschiedener Betroffenengruppen in einer frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses26 ist einerseits sinnvoll, weil dadurch die Informationsbasis der Ministerialbeamten verbreitert wird. 23 Einschränkend ist zu erwähnen, dass die Zeitreihe von Siefken aufgrund fehlenden statistischen Materials leider nicht vollständig und mit gewissen methodischen Unsicherheiten behaftet ist. Im Gegensatz zum quantitativen Rückgang der Anzahl der Kommissionen haben sich die für Beiräte und Kommissionen bereitgestellten finanziellen Ressourcen zwischen 1969 und 1999 vervierfacht (Unkelbach 2001). 24 Die Verbändelandschaft in Deutschland ist durch einen Trend zu Heterogenisierung und Spezialisierung der Interessen gekennzeichnet (Lösche 2006: 337). Zu Funktionen, Formen und Wandlungsprozessen der Verbände in Deutschland gibt es eine umfangreiche wissenschaftliche Diskussion, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird. Einen guten Einstieg und Überblick geben Streeck 1994, Sebaldt/Straßner 2004 und 2006 sowie von Winter/ Willems 2007. 25 Zunehmend lassen große Unternehmen ihre Interessen nicht mehr ausschließlich über Verbände vertreten, sondern betreiben eigenständige Lobbyarbeit (Lösche 2006: 336). 26 Zur Einbindung verbandlichen Sachverstandes in Politikformulierung und -implementation in Form von Beiräten o.Ä. siehe Mai 2006: 269.
55
Andererseits ist speziell die frühe und einseitige Integration bestimmter Interessenvertreter und die Exklusion anderer Gruppen von Normadressaten ein aus demokratietheoretischer Sicht problematisches Thema. Ein Beispiel hierfür ist die Einbindung von großen Anwaltskanzleien als juristische Berater in den ministeriellen Rechtsetzungsprozess (z.B. Gathmann 2009). Auf Grund der hohen Komplexität und der notwendigen juristischen Expertise ist von außen kaum nachvollziehbar, inwieweit juristische Berater durch bestimmte Feinheiten in den Formulierungen Klientelinteressen ihrer Mandanten vertreten und durchsetzen (z.B. Rohwetter 2005). Die Beziehungen zwischen Ministerialverwaltung und Verbänden sind in einigen Politikfeldern (Mai 1999) so stabil und eng, dass von ‚eisernen Dreiecken’ (iron triangle) aus Fachpolitikern, Fachbeamten und Fachverbänden gesprochen wird (Heclo 1978). Nicht selten spiegelt sich diese jahrelange Beziehung (Reutter 2001), welche trotz unterschiedlicher Positionen zur Entwicklung eines gemeinsamen Problemverständnisses führt und pragmatische Lösungen fördert, auch in Personalien wider. So ist es kein Einzelfall, dass Verbandsfunktionäre in die Exekutive oder in das Parlament wechseln oder umgekehrt frühere Minister, pensionierte Beamte oder ehemalige Abgeordnete Funktionen in Verbänden übernehmen.27 Neben der informellen Einflussnahme von Interessengruppen durch persönliche Kontakte zum federführenden Ministerium sowie durch verschiedene Arten von Beratungsleistungen und Öffentlichkeitsarbeit (Lösche 2006: 338) können Interessenvertreter und Verbände formal im Rahmen des Konsultationsverfahrens Einfluss auf die Ausgestaltung von Gesetzentwürfen nehmen. Die Einflussnahme von Interessengruppen im Rechtsetzungsprozess muss jedoch – wie bereits erwähnt – gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit nicht transparent gemacht werden und „verbleibt (…) vielfach im schöpferischen Halbdunkel“ (von Beyme 1997: 208.). Jann vertritt aus diesem Grunde die These, dass Gesetzesvorbereitung in Kommissionen im Vergleich zum üblichen intransparenten Aushandlungsprozess im ministeriell gesteuerten Verfahren demokratischer sei, da durch die Öffentlichkeitswirksamkeit der Kommissionen der Konsensfindungsprozess und die Einflussnahme von Interessen transparenter würden (Jann 2004a).
27 Siehe hierzu z.B. die Diskussion zur möglichen Übernahme des Postens des Hauptgeschäftsführers beim Bundesverband der Deutschen Industrie durch den Bundestagsabgeordneten und Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Norbert Röttgen Anfang 2007. Ein anderes Beispiel ist der Fall des ehemaligen Wirtschaftsministers Clement, der 2006 einen Aufsichtsratsposten beim Energiekonzern RWE übernahm.
56
Während Interessenvertreter und Verbände im Prozess der Ausarbeitung von Rechtsnormen also sowohl auf formellem als auch auf informellem Wege mit der Ministerialbürokratie interagieren, ist ihr Einfluss beim Agenda-Setting und der Festlegung der allgemeinen Ziele als eher gering einzuschätzen. Die Interessenvertretung der Verbände in Deutschland ist in der Regel defensiv, d.h. Verbände werden nur dann aktiv, wenn sie mit bestimmten Maßnahmen eines Programms nicht einverstanden sind, aber sie sind selten selbst die Initiatoren und Agenda-Setter neuer Policies. Während klassische Verbände als eher selten als Agenda-Setter auftreten, haben sich verschiedene andere Akteure der Politikberatung in den letzten Jahren zunehmend als Initiatoren und Anstoßgeber für innovative politische Lösungen etabliert. Dazu gehören beispielsweise die traditionell stark im US-System verankerten, aber in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnenden Denkfabriken (Think Tanks) (Thunert 2003), insbesondere auch als Politik- und Gesellschaftsberater agierende operative Stiftungen wie z.B. die Bertelsmann- oder die Hertie-Stiftung (Welzel 2006: 280; Pautz 2008) sowie Unternehmensberatungen oder Consulting-Firmen, welche sich durch ihr Engagement in Agenda-Setting-Prozessen Expertise zu innovativen Methoden und Instrumenten aneignen und im Erfolgsfall später durch kommerzielle Aufträge von den angestoßenen Innovationsprozessen profitieren. Ein gutes Beispiel für die beschriebenen Entwicklungstendenzen ist die Einführung des Standardkosten-Modells in Deutschland (s.a. Kap. 2.1.4). Im Prozess des Agenda-Setting zum SKM in Deutschland spielten Wirtschaftsverbände – trotz eines originären Interesses ihrer Mitglieder an diesem Thema – kaum eine Rolle, während die Bertelsmann-Stiftung ebenso wie verschiedene Unternehmensberatungen die Etablierung des Themas in der politischen Entscheidungsarena ebenso wie die Methodenentwicklung nicht unerheblich beeinflussten.
2.1.3.2 Parteien und Länder In Charakterisierungen des bundesdeutschen Föderalismus fällt häufig der Begriff des ‚Exekutivföderalismus’. Mit dieser Bezeichnung ist das Phänomen der zahlreichen, intensiven und häufig informellen Kontakte zwischen Bundes- und Länderebene innerhalb der Exekutive aufgrund der spezifischen institutionellen Architektur des Bundesstaates (Gesetzgebungskompetenzen überwiegend beim Bund, Verwaltungskompetenzen überwiegend bei den Ländern) gemeint. Wagener prägte zur Beschreibung der engen Verbindungen zwischen Fachbürokraten des Bundes und der Länder den Begriff der ‚Fachbruderschaften’ und beklagte 57
die ‚Ressortkumpanei’ (Wagener 1979), welche die Gestaltungs- und Kontrollfunktion der Legislative (insbesondere der Landesparlamente) stark einschränke. Im formellen Gesetzgebungsverfahren ist die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes in der Institution des Bundesrates strukturell verankert. Die Zustimmungserfordernisse des Bundesrates wurden in der BRD (gestützt durch das Bundesverfassungsgericht) weit ausgelegt, was als ‚Gegenreaktion’ der Länder auf die extensive Nutzung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund interpretiert wurde. In der 14. und 15. WP lag der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze bei über 50% (Burkhart/Manow 2006). Ein zentrales Ziel der im Sommer 2006 von der Großen Koalition durchgesetzten ersten Stufe der Föderalismusreform war die Reduzierung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze als ein Element der Entflechtung des vertikal und horizontal verzahnten Mehrebenensystems in Deutschland. Der hohe Grad an Politikverflechtung (d.h. an institutionalisierten Mitwirkungsrechten, sich überschneidenden Zuständigkeiten und Koordinations- und Abspracheerfordernissen) wird häufig als Ursache für die mangelnde Reformfähigkeit Deutschlands gesehen. Im bundesdeutschen Rechtsetzungsprozess werden die Länder nicht nur am formellen Konsultationsverfahren beteiligt, sondern spielen auch auf informeller Ebene eine bedeutende Rolle. Abstimmungserfordernisse im Hinblick auf die für viele Gesetze notwendige Zustimmung im Bundesrat werden bereits vor Beginn des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens antizipiert. Zudem sind Fachbürokraten der Länder bei der Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften aufgrund ihrer Vollzugsnähe wichtige Wissenslieferanten für die Ministerialbeamten des Bundes. In Bezug auf den Einfluss der Länder im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene ist die Verquickung von Landes- und Parteiinteressen ein komplexes und schwieriges Thema. Ob Landes- oder Parteiinteressen in föderalen Verhandlungsprozessen dominieren, hängt von vielerlei Faktoren ab (Mehrheitsverhältnisse Bundestag und Bundesrat, Politikfeld, Thema) und wird kontrovers diskutiert. So schlussfolgerte Leunig aus einer Untersuchung ausgewählter Gesetzgebungsvorhaben, dass „der Parteienwettbewerb – abgesehen von Vorwahlzeiten – weder zu Blockaden noch zu einer Verdrängung von Landesinteressen führen muss“ (Leunig 2003). Benz hingegen vertritt die Auffassung, dass der Föderalismus durch eine kompetitive Parteipolitik überformt sei, in welcher die Akteure nicht in erster Linie die Interessen ihrer Gebietskörperschaft, sondern die ihrer Partei vertreten würden. Dies wiederum erschwere Verhandlungslösungen, v.a. bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, und erhöhe die Gefahr für Politikblockaden (Benz 2003). 58
Unabhängig vom Disput über das Ausmaß parteilichen Einflusses im föderalen Abstimmungsprozess, besteht Einigkeit darüber, dass nicht nur Landesinteressen, sondern auch Parteiinteressen eine bedeutende Rolle im Prozess der Erarbeitung und Durchsetzung neuer Rechtsvorschriften spielen, und zwar nicht erst im parlamentarischen Verfahren, sondern bereits in der Phase der Entwurfserstellung. So konstatierte Manow (2005: 249) angesichts einer zunehmenden Parteipolitisierung des bundesdeutschen Föderalismus, „dass die von Frido Wagener für die 1960er und 1970er beschriebenen vertikalen Fachbruderschaften zwischen Bundes- und Landesverwaltungen heute ergänzt, diszipliniert und teils überlagert werden durch vertikale Parteibruderschaften und Parteischwesterschaften“. Der Einfluss von Parteien auf die Ministerialbürokratie spiegelt sich auch in den Zahlen zur Parteimitgliedschaft wider, die seit Anfang der 1970er Jahre zumindest für den Bereich der administrativen Führungspositionen deutlich angestiegen sind (s.a. Kap. 4.2.2). Während der im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung hohe Anteil von Parteimitgliedern in der Ministerialverwaltung vor allem ein Indiz dafür ist, dass das Verfassungsideal der Trennung von Politik als Entscheider und Verwaltung als ausführender Instanz mit der Realität wenig zu tun hat, zeigt sich der konkrete Einfluss von Parteien auf die Ausarbeitung von Referentenentwürfen in den Ministerien in der Bedeutung formeller und informeller parteipolitischer Gremien im Gesetzgebungsprozess. Manow (2005) vertritt die Auffassung, dass Koalitionsarbeitsgruppen den Entscheidungsprozess zunehmend dominierten, womit eine Informalisierung des Abstimmungsprozesses einhergehe. Er konstatiert, dass sich durch die Koalitionsarbeitsgruppen „ein paralleler Instanzenzug etabliert“ hätte, der erst den Konsens der Fraktionsexperten der Koalitionsparteien sichert und diesen dann von den Fraktions- und Parteispitzen absegnen lässt. Dieser Koalitionskompromiss würde anschließend an das zuständige Ressort zur administrativen Umsetzung weitergeleitet: „Mit dem Bedeutungszuwachs von Koalitionsarbeitsgruppen in den Prozessen politischer Entscheidungsfindung geht (...) eine (...) Sequenzänderung (...) einher, die das bekannte Bild einer Zweiteilung in eine administrativ dominierte ‚Formulierungsphase’ und eine darauf folgende politisch geprägte ‚Durchsetzungsphase’ als nicht mehr zutreffend erscheinen lässt. Heutige politische Entscheidungsprozesse folgen vielmehr häufig einer (...) umgekehrten Sequenz (…). Tendenziell wird hierdurch (…) das gesamte Regelwerk der GGO, das die formalisierten Einspruchsrechte mitbetroffener Ressorts regelt, in seiner Kraft abgeschwächt, weil das (...) komplizierte Geschäft des politischen Interessenausgleichs zwischen den Regierungspartnern nicht im Nachhinein gefährdet werden soll.“ (Manow 1996: 103)
59
Manow zieht aus dem Bedeutungszuwachs der Koalitionsarbeitsgruppen den Schluss einer Parteipolitisierung exekutiver Entscheidungsprozesse, die dazu führe, dass die Ministerialbürokratie nicht mehr der Primäradressat verbandlicher Einflussnahme sei, sondern dass neben der Vertretung in Beiräten oder Sachverständigenkommissionen die Einbindung in die relevanten Fachausschüsse der Parteien für die Verbände zumindest eine vergleichbare Bedeutung gewonnen hätte. Damit einher ginge ein Bedeutungsverlust der formell institutionalisierten Einfluss- und Einspruchsmöglichkeiten. Hintergrund der Aufwertung parteipolitischer Gremien sei die Verstärkung der Kontrolle des Koalitionspartners über die ansonsten vom zuständigen Ressort dominierte Politik. Die Informalisierung politischer Entscheidungsverläufe müsse jedoch nicht automatisch zu einer Schwächung des bürokratischen Einflusses auf die Rechtsetzung führen, sondern könne „auch einen Zuwachs an ministerialbürokratischer Durchsetzungskraft verursachen. Dieser Zuwachs resultiert hier in erster Linie aus der ‚befreienden’ Wirkung, die die Milderung des Konsenserfordernisses in der innerexekutiven Abstimmung mit sich bringt.“ (Manow 1996: 104f; s.a. Döhler/Manow 1992: 87; Nullmeier/Rüb 1993: 189). Die informelle Interessenabstimmung verdrängt die formellen Einflussmöglichkeiten v.a. dann, wenn es sich um Entscheidungsprozesse handelt, die stark politisiert sind (politisch sensible Themen wie z.B. Lauschangriff oder Asylkompromiss) (Manow 1996: 106; s.a. Smeddinck/Tils 2002: 297ff). Auch dann, wenn die programmatischen Positionen der Parteien weit auseinander gehen, gewinnen informelle parteipolitische Abstimmungsprozesse gegenüber dem formellen von der Ministerialverwaltung dominierten Verfahren an Bedeutung (Manow 1996: 105). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass neben den internen Akteuren der Ministerialverwaltung externe Interessenverbände, individuelle Interessenvertreter (z.B. große Unternehmen), Parteipolitiker der Bundes- und Landesebene, Fachbürokraten der Länder sowie verschiedene Arten von Experten und Sachverständigen sowohl informell als auch auf formellem Wege Einfluss auf die exekutive Erarbeitung von Gesetzentwürfen nehmen. Der Prozess der Gestaltung und Ausformulierung von Regierungsentwürfen ist im föderalen System der BRD durch umfangreiche Abstimmungs- und Koordinationserfordernisse charakterisiert, welche die Schaffung einer mehrheitsfähigen Entscheidungsgrundlage zu einer komplizierten und langwierigen Aufgabe machen. Diese Strukturmerkmale können nicht ohne Auswirkungen auf die ‚Erfolgsaussichten’ von Vorschriften zur Folgenabschätzung sein. Auf diesen Zusammenhang wird später noch genauer einzugehen sein.
60
2.1.4 Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen auf Bundesebene: Entwicklungslinien und Reformkontext Zum Abschluss dieses einführenden Kapitels zur Gesetzesvorbereitung in Deutschland wird ein historischer Überblick zu den politischen Bemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen in den letzten vier Jahrzehnten gegeben. Mit Hilfe dieser Darstellung der langfristigen Entwicklungslinien sollen prägende Ideen (sowohl auf instrumenteller Ebene als auch auf Ebene der dominanten Reformleitbilder, s.a. Jann 2002a), Erfahrungen und Erkenntnisse nachgezeichnet werden. Dieses Vorgehen erleichtert die kontextbezogene Interpretation der empirischen Ergebnisse zur Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung (Kap. 3) und verhindert, dass bei der Diskussion der Hypothesen in Kap. 4 historische Pfadabhängigkeiten und kulturelle Prägungen (z.B. durch Leitbilder) vernachlässigt werden. Die nachfolgende Beschreibung setzt sich ausführlich mit Maßnahmen zur Verbesserung der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung des Bundes auseinander, während andere zum Reformbereich der ‚besseren Rechtsetzung’ gehörende politische Initiativen zwecks Einordnung in einen weiteren Kontext nur kurz angerissen werden. Die Darstellung der Entwicklung beginnt in den 1970er Jahren, da in dieser Zeit in der BRD die ersten strukturellen Reformversuche im Bereich der Politikformulierung stattfanden.
2.1.4.1 Die 1970er Jahre: Die Strukturen der Entscheidungsfindung intelligenter gestalten In der Regierungszeit der Großen Koalition 1966–1969 bestand aufgrund der Mehrheitsverhältnisse erstmals die Möglichkeit, grundsätzliche strukturelle Reformen der zwei Jahrzehnte zuvor im Rahmen der Staatsgründung festgelegten grundsätzlichen Architektur des politisch-administrativen Systems der BRD durchzusetzen. Der wesentlichste Schritt hierbei war die 1969 beschlossene ‚Große Finanzreform’, welche auf die Klärung finanzpolitischer Zuständigkeiten für Kooperationen zwischen Bund und Ländern abzielte (Einführung der Gemeinschaftsaufgaben, gemeinsame Planung in Planungsausschüssen und Bund-Länder-Kommissionen). Auch im Bereich der Verwaltungsreform legte die Große Koalition die Grundsteine für im Laufe der 1970er Jahre umgesetzte Reformvorhaben. Von besonderer Bedeutung hierbei war die Gründung der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform Ende 1968 (s.a. Bohne 2006: 61
60ff). Die aus Vertretern aller großen Bundesministerien bestehende Projektgruppe sollte reformpolitische Themen als Querschnittsinstitution im politischadministrativen System verankern. Leitidee war die Vorstellung eines ‚aktiven Staates’, der mit Hilfe der Wissenschaft Maßnahmen vorausschauend und rational plant, Synergieeffekte nutzt und aus Erfahrung lernt. Man hoffte, dadurch Problemen wie der mangelnden Beachtung langfristiger Gesetzesfolgen, den zum Teil erheblichen Wirkungsdefiziten politischer Programme sowie dem Fehlen eines Gesamtkonzepts der politischen Steuerung entgegenwirken zu können. Die von der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform mit verschiedenen Studien beauftragten Sozialwissenschaftler identifizierten für den Bereich der Gesetzesvorbereitung die starke Arbeitsteilung in der Ministerialverwaltung (sehr kleine Basiseinheiten, kaum Problemverarbeitungskapazitäten an der Spitze, Ressortegoismen) verbunden mit dem vorherrschenden Prinzip der ‚negativen Koordination’ als wesentliche Ursache für unbefriedigende Politikergebnisse. Sie schlugen deshalb vor, die Basiseinheiten in den Ministerien zu vergrößern (breitere Zuständigkeitsbereiche, mehr Personal pro Referat, flexiblere Aufgabenverteilung), so dass Arbeitsspitzen besser aufgefangen werden können und die Entsendung von Mitarbeitern in referats- oder ressortübergreifende Arbeits- oder Projektgruppen möglichst häufig praktiziert werden kann. Einheitenübergreifende Arbeits- oder Projektgruppen wurden als probates Mittel gesehen, um den Mechanismus einer ‚positiven Koordination’ in der Politikentwicklung zu stärken. Unterstützend sollten Planungsabteilungen oder -stäbe eingerichtet werden.28 Ein weiterer wichtiger Reformvorschlag, der Anfang der 1970er Jahre intensiv diskutiert wurde, war die Flexibilisierung der Laufbahnordnung für das Personal im höheren Dienst. Man hoffte, damit die Dominanz einer legalistischen Perspektive in der Ministerialverwaltung abzubauen und stattdessen die Perspektiven anderer Disziplinen stärker in den Politikformulierungsprozess zu integrieren (Mayntz/Scharpf 1973c). Angelehnt an die Vorstellung einer ‚aktiven Politik’ und verbunden mit dem Glauben, dass sich politische Entscheidungsprozesse durch wissenschaftliche Methoden ‚rationalisieren’ lassen (im Sinne einer Verstärkung eines Problemlösungsmodus im Sinne der rationalistischen Entscheidungstheorie) fanden in den 1970er Jahren eine Reihe von Projekten statt, die innovative Methoden zur Verbesserung der Gesetzesvorbereitung testeten (Böhret/Hugger 1979, 1980). Im Jahr 1976 veröffentlichte das BMI in diesem Zusammenhang einen 28 Eine Übersicht zu den Reformvorschlägen der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform gibt Müller 1978. Zur Auflösung der Projektgruppe Ende 1975 siehe Lepper 1976.
62
Leitfaden für das „Verwaltungsplanspiel als Testverfahren im Entscheidungsprozess“ (BMI 1976), welcher in der Anwendungspraxis aber keine Bedeutung erlangte. Darüber hinaus wurden Ende 1976 die GGO-Vorschriften zur Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung stark erweitert. So war in der alten GGO II von 1960 lediglich festgelegt gewesen, dass in der Gesetzesbegründung „die voraussichtlichen Kosten der Ausführung des Gesetzes (Haushaltsausgaben, Sach- und Personalkosten) unter Hervorhebung der zu erwartenden Mehrausgaben und Mindereinnahmen“ (§ 37 GGO II vom 10. März 1960), aufgegliedert nach Bund, Ländern und Gemeinden, darzustellen (zu schätzen oder zu errechnen) seien. Weitere Vorschriften zur Folgendarstellung existierten nicht. Mit der Novellierung der GGO II Ende 1976 wurden die bestehenden Vorschriften zur Darstellung der Kostenfolgen für den Staat spezifiziert und ausgeweitet. Dahinter stand die Idee, staatliches Handeln besser und langfristiger zu planen und vorausschauend zu gestalten. Hinzu kamen folgende Regelungen: D D
D
D D
Darstellung der Auswirkungen von Gesetzentwürfen auf die Einnahmen und Ausgaben (brutto) der öffentlichen Haushalte; Aufgliederung der auf den Bundeshaushalt entfallenden Kosten für den Zeitraum der jeweils gültigen mehrjährigen Finanzplanung des Bundes nach den Hauptgruppen des Gruppierungsplans; Angabe, ob und inwieweit die auf den Bund entfallenden Mehrausgaben oder Mindereinnahmen in der mehrjährigen Finanzplanung berücksichtigt sind; Angabe, auf welche Weise für vorgesehene Mehrausgaben oder Mindereinnahmen des Bundes ein Ausgleich gefunden werden kann. Stärkung von Quantifizierungen: „Die Beträge sind im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen zu errechnen, notfalls zu schätzen.“ (§ 40 Abs. 2 GGO II vom 15.10.1976)
Neben den genannten umfassenden Erweiterungen in Bezug auf die Darstellung von Gesetzesfolgen im staatlichen Bereich, wurde die GGO II um Regelungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen im wirtschaftlichen und ökologischen Bereich erweitert: D
Darstellung, „in welcher Höhe sich die Maßnahmen voraussichtlich auf Einzelpreise und auf das Preisniveau, besonders auf das Verbraucherpreisniveau, auswirken werden“;
63
D D D D
Erläuterung, „wie sich die Maßnahmen voraussichtlich sonst noch auf den Verbraucher auswirken werden“; Angabe, „ob Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind oder nicht“; Darstellung anderer wesentlicher Lösungsmöglichkeiten und Erläuterung der Erwägungen, die zu ihrer Ablehnung geführt haben; Darlegung wesentlicher abweichender Meinungen der kommunalen Spitzenverbände (alle Zitate: § 40 Abs. 2 GGO II vom 15.10.1976).
Die GGO-Novellierung umfasste außerdem die Einführung eines Gesetzesvorblattes, welches auf einer Druckseite Auskunft über Zielsetzung, Lösungsvorschlag, Alternativen und Kosten eines Gesetzentwurfes gibt. Wie später noch zu zeigen ist, sind viele dieser in den 1970er Jahren eingeführten GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung noch heute so oder in ähnlicher Art und Weise gültig. Die dargestellten Vorschriften, welche dazu dienen sollen, die systematische Beachtung von bestimmten Folgenaspekten im Gesetzgebungsprozess zu fördern und das Nachdenken über Alternativen zu stärken, spiegeln deutlich den Reformgeist dieser Zeit wider. So sind in den Vorschriften zur Finanzplanung die Vorstellungen der aktiven Politik und der ‚Planungseuphorie’ zu erkennen, während die Vorgaben zur Alternativenerläuterung und zur Darstellung verschiedenster Folgenaspekte die Idee einer Förderung der ‚positiven Koordination’ reflektieren. Als die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform Mitte der 1970er Jahre aufgelöst wurde, hatte die politische Unterstützung umfassender struktureller Maßnahmen zur Binnenmodernisierung des politisch-administrativen Systems infolge der ersten Ölkrise und drängender wirtschaftlicher Probleme bereits stark nachgelassen. Die Phase der ‚Planungseuphorie’ war vorbei. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verschob sich die Schwerpunktsetzung der Verwaltungsreform von Fragen der Wirkungsoptimierung hin zum Thema Entbürokratisierung (Ellwein/Hesse 1985; Seibel 1986; Voigt 1993; Jann 2004b).29 Beim politischen Agenda-Setting (Kabinettsbeschluss zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung vom 13.12.1978) spielte das liberal-konservative politische Lager in Verbindung mit der aufkommenden Kritik an der keynesianischen Wirtschaftspolitik der Sozialdemokraten 29 Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre wurden in allen deutschen Bundesländern (mit Ausnahme des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz) und auf Bundesebene Kommissionen zu verschiedenen Aspekten der Entbürokratisierung eingesetzt (Auflistung siehe Seibel 1986: 150f).
64
und am Ausbau des Wohlfahrtsstaates eine entscheidende Rolle (BT-Drs. 8/212; BT-Drs. 8/1206), bevor sich das Thema Entbürokratisierung seit Anfang der 1980er Jahre (Seibel 1986: 138f) zu einem klassischen Konsensthema30 gewandelt hat. Bei der politischen Vermarktung des Entbürokratisierungsthemas spielte der Appell an die negativen Erfahrungen des Individualbürgers mit ‚seiner’ Bürokratie (dem Finanzamt, der Kraftfahrzeugzulassungsstelle etc.) eine wichtige Rolle (Seibel 1986: 138f). Inhaltlich konzentrierten sich die Bürokratieabbaubemühungen auf Bundesebene auf den Gesetzgebungsbereich. Die Beseitigung von Überregulierung (verbunden mit einer besseren Kontrolle der Kostenfolgen staatlicher Rechtsvorschriften) bildete das zentrale Thema. Auf der Verlautbarungsebene bezogen sich viele programmatische Äußerungen außerdem auf die Schaffung von ‚mehr Bürgernähe’. Die Mehrzahl der konkreten politischen Initiativen auf Bundesebene widmete sich nach einer Einschätzung der renommierten Sozialwissenschaftlerin Renate Mayntz jedoch nicht dem Verhältnis von Staat und Bürger, sondern bezog sich „direkt oder indirekt auf das Überregulierungsproblem, sowohl im Hinblick auf eine Reform des Gesetzgebungsprozesses selbst wie auch auf Rationalisierungen bei bestehendem Recht (Verwaltungsverfahrensrecht, Statistikbereinigung, Vereinfachung im Baurecht)“ (Mayntz 1980: 11). Die politische Schwerpunktsetzung beim Themenbereich „Überregulierung“ auf Bundesebene ergab sich logisch aus der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Die vorrangig mit dem Vollzug betrauten Länder und Kommunen hingegen wandten sich vor allem dem Problem der Bürgerferne zu. Das BMI führte am 19. und 20. Juni 1980 in Bonn eine SachverständigenAnhörung von zahlreichen Wissenschaftlern und einigen Verbandsvertretern zu den Ursachen der Bürokratisierung in der öffentlichen Verwaltung durch (BMI 1980a,b). Mayntz wurde vom BMI damit beauftragt, die Anhörung wissenschaftlich auszuwerten und erörterte in diesem Zusammenhang insbesondere diejenigen Themenbereiche der Anhörung, welche sich auf den Gesetzgebungsprozess bezogen. Sie kam zu dem Schluss, dass Überregulierung systemimmanent sei (Parteienwettbewerb, selektive Perzeption von Problemen im politischadministrativen System) (Mayntz 1980). Um der Problematik der Überregulierung und deren negativen Folgen entgegen zu wirken, sei es deshalb notwendig, 30 Die Parteien vertraten allerdings unterschiedliche Schwerpunktsetzungen: Grüne und SPD setzten den Akzent vor allem auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Bürger, während Konservative und Liberale Effizienzsteigerungen und die Entlastung der Wirtschaft von den Folgen der Überregulierung in den Mittelpunkt ihrer Politik stellten (Seibel 1986: 139, 141).
65
„den Prozess der Gesetzesentwicklung bewusst so zu gestalten, dass Überregelungstendenzen neutralisierende Gegenkräfte darin eingebaut sind. Dazu wären zunächst Kriterien zu formulieren, die bei der Gesetzesentwicklung als Entscheidungsgrundlage berücksichtigt werden können. Diese ließen sich durch entsprechende Verfahrensvorschriften im Prozess der Gesetzesentwicklung verankern. Weiter ließen sich Verfahren oder Institutionen entwerfen, die auf die Beachtung dieser Kriterien hinwirken.“ (Mayntz 1980: 23). Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen arbeitete Mayntz aus den verschiedenen Gutachten drei Hauptkriterien heraus (Ist eine staatliche Intervention notwendig? Welches der alternativen Interventionsinstrumente ist das günstigste? Was ist, nach getroffener Instrumentenwahl, bei der näheren Ausgestaltung des Programms zu berücksichtigen?). Die in diesen Grundfragen zum Ausdruck kommende Vorstellung einer Verbesserung der Gesetzesvorbereitung im politisch-administrativen System durch das Aufstellen von bestimmten Informations- und Entscheidungsregeln hatten sich bereits in den GGO-Änderungen 1976 niedergeschlagen und waren auch für die weitere Entwicklung des Reformbereiches in Deutschland prägend. Schon 1980 wurden jedoch auch einige der Hauptschwierigkeiten mit dieser Art von Instrumenten richtig erkannt, z.B. die Tendenz von Fachpolitikern und Fachbeamten, die Frage nach der Notwendigkeit einer Regelung zu bejahen sowie Nutzen über- und Kosten unterzubewerten. Ebenfalls thematisiert wurde bereits damals die häufig fehlende (empirische) Erkenntnisgrundlage und hohe Unsicherheit bei ex ante Einschätzungen gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Vorstellung, eine rationale Entscheidung über das beste Mittel zur Erreichung politischer Ziele mit Hilfe bestimmter Prüffragen und Analysetechniken herbeizuführen, wurde von Mayntz aufgrund der tendenziell stärkeren Gewichtung politischer Handlungsrationalitäten vor Sachrationalitäten im politischen Prozess (und somit auch in der Programmentwicklung) als realitätsfern erkannt (Mayntz 1980: 45, 90). Sie plädierte allerdings dafür, bestimmte wichtige Kriterien wie z.B. die indirekten Kostenfolgen (für nicht-staatliche Normadressaten) im Entscheidungsprozess zu stärken und somit auch stärker zum Thema politischer Auseinandersetzung zu machen – ein Argument, welches später zum Beispiel in der Diskussion um die Bürokratiekostenmessung mit dem SKM wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurde (Jann/Wegrich 2008):
66
„Während direkte Staatsausgaben etwa im Bereich sozialer Sicherheit unmittelbar der Kontrolle des Gesetzgebers unterliegen (…), liegen die durch regulative Programme verursachten Kosten ganz überwiegend beim privaten Sektor, der sie aufbringen muss, um die gesetzlichen Normen, Standards usw. zu erfüllen. Diese Kosten aber werden bei der Gesetzgebung selbst typischerweise nicht bedacht, sind auch in der Regel gar nicht bekannt, so dass hier die sonst wirksamen, beschränkenden politischen Mechanismen fehlen. Das heißt, dass die Kostenfrage als restriktives Kriterium generell, insbesondere aber im Hinblick auf die indirekten Kosten einer Unterstützung im Entscheidungsprozess bedarf. Die Formulierung und Präzisierung restriktiver Kriterien wird, wenn kein weiterer Impetus dahintersteht, nicht viel mehr als eine Ermahnung erwirken. Deswegen wird es darauf ankommen, institutionelle und prozedurale Rahmenbedingungen zu schaffen, die im politischen Alltag die systematische Beachtung der Entscheidungskriterien wahrscheinlicher machen.“ (Mayntz 1980: 46.)
Im Rahmen der Anhörung wurden verschiedene Instrumente zur ‚besseren Rechtsetzung’ vorgeschlagen, z.B. die Verlängerung von Konsultationsfristen der Landesbehörden bei der Bundesgesetzgebung, um diesen Zeit für Nachforschungen auf den nachgeordneten Ebenen zu lassen und somit den Einfluss des Erfahrungswissens der vollziehenden Instanzen im Rechtsetzungsprozess zu stärken (BMI 1980a: 231) oder die Verbesserung der unmittelbaren Repräsentanz der Vollzugspraxis in Anhörungsverfahren (BMI 1980a: 229). Ziel dieser Maßnahmen sollte es sein, die ‚Vollzugsblindheit’ bei der Gesetzesvorbereitung zu verringern und praktische Vollzugsfragen sowie Kostenaspekte stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Man thematisierte außerdem die verstärkte Nutzung nachträglicher Evaluationen von Gesetzen, die Durchführung einer Aufgabenkritik (Mayntz 1980: 102ff) sowie Verfahren zur Erprobung von Programmen wie Planspiele, Praxistests oder Modellsimulationen (Mayntz 1980: 97ff). In der Praxis blieben die genannten Testmethoden auf wenige Einzelfälle beschränkt31, da es sich jeweils um relativ aufwändige Verfahren handelt, welche für eine standardmäßige Integration in die Gesetzesvorbereitung nicht geeignet sind. Im Rahmen der wissenschaftlichen Anhörung 1980 betonten die Sachverständigen mehrfach, dass vorbereitende Analysen genauso wie nachträgliche Wirkungskontrollen schon lange zum festen Repertoire der Gesetzgebung gehörten (unabhängige Kommissionen, Beiräte, Sachverständigenräte, Anhö31 Eine in den 1980er Jahren durchgeführte Ressortumfrage hatte ergeben, dass zwischen 1971 und 1987 nur insgesamt elf Rechtsetzungsvorhaben durch Planspiele oder Praxistests ergänzt wurden (BMI 1992b).
67
rung von Experten und Interessenvertretern, Berichtspflichten zu bestimmten Gesetzen/Politikbereichen, Evaluationen). Kritisiert wurde allerdings, dass 1) diese Verfahren vor allem ad hoc und nicht systematisch genutzt würden, 2) insbesondere die wissenschaftlich- systematischen Verfahren (wie z.B. Simulationen) bisher kaum eingesetzt würden und 3) die Ergebnisse der Analysen nur unzureichend berücksichtigt würden (Mayntz 1980: 108f). Zum letzten Punkt ist zu erwidern, dass die Übernahme von Analyseergebnissen ohne politischen Diskurs und die damit verbundenen Modifizierungen demokratietheoretisch problematisch und insofern normativ nicht wünschenswert ist. Wichtig ist v.a., „dass die faktische Durchführung von Tests, Evaluierungen usw. schon allein dadurch wirkt, dass Informationen erzeugt werden. Zumindest im Rahmen jedes kontrovers verlaufenden Gesetzgebungs- und Planungsprozesses werden diese Informationen von der Gruppe, deren Argumente sie wissenschaftliche untermauern können, in den Auseinandersetzungsprozess eingebracht werden.“ (Mayntz 1980: 109f, s.a. Derlien 1976).
2.1.4.2 Die 1980er und 1990er Jahre: Verbesserte Gesetzesvorbereitung durch Prüflisten und Handbücher Im Oktober 1982 gelangte Helmut Kohl nach einem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt an die Macht. Er erklärte die Entbürokratisierung zu einem politischen Schwerpunktthema der folgenden Legislaturperiode. Schon in der Regierungserklärung wurde allerdings deutlich, dass Entbürokratisierung nicht in erster Linie mit der Binnenmodernisierung administrativer Strukturen gleichgesetzt wurde, sondern dass unter dem Schlagwort der Entbürokratisierung Staatsaufgaben reduziert (Privatisierung) und der Umfang und die Intensität staatlicher Regulierungen verringert werden sollten (Deregulierung32): „Wirksamkeit und Überzeugungskraft staatlichen Handelns wachsen, wenn der Staat darauf verzichtet, zu viele Bereiche des Lebens zu regeln. In der Vergangenheit hat der Staat im Übermaß Aufgaben an sich gezogen. Umkehr ist dringend geboten. Es muss uns gelingen, das Recht zu vereinfachen und Überreglementierungen zu beseitigen.“ (Regierungserklärung vom 4. Mai 1983)
32 Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung verfolgten die Ressorts auch Maßnahmen, die in Wirklichkeit der Durchsetzung materieller Ziele der Deregulierung dienten, z.B. im Arbeitsrecht (Seibel 1986: 154f).
68
Am 13. Juli 1983 legte die Regierung Kohl einen Kabinettsbeschluss vor, der die politischen Zielvorstellungen zur Entbürokratisierung konkretisierte. Jedes Ressort wurde dazu aufgefordert, Rechts- und Verwaltungsvorschriften in seinem Bereich daraufhin zu prüfen, ob diese aufgehoben oder vereinfacht werden könnten. Nachdem bereits zahlreiche Bundesländer Kommissionen zur Rechtsbereinigung und zur Entbürokratisierung eingesetzt hatten (ausführlich Seibel 1986; Helmrich 1989) richtete man auf Bundesebene die „Unabhängige Kommission Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ mit einer Geschäftsstelle im BMI ein. Die Waffenschmidt-Kommission nahm am 28.11.1983 ihre Arbeit auf und war bis 1998 tätig. In dem nach dem Vorsitzenden Horst Waffenschmidt (damals Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern) als Waffenschmidt-Kommission bezeichneten zwölfköpfigen Gremium arbeiteten Verbandsvertreter, Vertreter aus Ländern und Kommunen sowie jeweils ein Richter, ein Wissenschaftler und ein Bundestagsabgeordneter33. Die Waffenschmidt-Kommission publizierte Mitte der 1980er Jahre mehrere Berichte zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung (BMI 1985; BMI 1986; BMI 1987), welche zahlreiche Vorschläge der Ressorts zur Rechtsbereinigung sowie zur Vereinfachung gesetzlicher Vorschriften und von Verwaltungsverfahren enthielten. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre versuchte die Waffenschmidt-Kommission, ihre Aktivitäten zur Rechtsvereinfachung und Deregulierung auf besonders relevante Problembereiche oder Politikfelder zu konzentrieren (BMI 1990; BMI 1992a; BMI 1994a,b; BMI 1995b; zusammenfassend: BMI 1995a). Insgesamt waren die Erfolge zwar nur begrenzt34, im Statistikbereich35 sowie bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (BMI 1990)36 konnten allerdings umfassende Vereinfachungsbemühungen angestoßen werden. Auch wenn ‚bessere Rechtsetzung’ im Sinne einer Stärkung von Wirkungsfragen und Nachhaltigkeitsaspekten im Rechtsetzungsprozess in der Ära Kohl 33 Der BT-Abgeordnete Herbert Helmrich (CDU) hatte 1982 die „Gesellschaft zur Förderung der Entbürokratisierung“ (GFE) gegründet. Die GFE spielte als Akteur in der Entbürokratisierungspolitik der 1980er Jahre eine nicht unerhebliche Rolle, da sie Gutachten zu Einzelproblemen vergab und Tagungen ausrichtete und somit zur Mobilisierung und Verbreitung von Sachverstand sowie zum Agenda-Setting beitrug (Seibel 1986: 156). 34 Konzentration auf Rechtsbereinigung, aber auch hier geringere Erfolge als auf Länderebene (Zahlen siehe Waffenschmidt 1994: 876; Grimm/Brocker 1999: 59.) Eine Bilanz zu den Aktivitäten der Waffenschmidt-Kommission ziehen Jann/Wewer 1998: 7; s.a. Möschel 1994. 35 Der Interministerielle Ausschuss für Koordinierung und Rationalisierung der Statistik (IMAStatistik) überprüfte mit Hilfe einer Fragebogenaktion 1994 das gesamte Programm der Bundesstatistik auf Anpassungs- und Rationalisierungsmöglichkeiten. 36 Am 24.02.1994 wurde darüber hinaus die „Unabhängige Expertenkommission zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren“ (Schlichter-Kommission) berufen.
69
keinen Schwerpunkt der verwaltungspolitischen Reformbemühungen bildete, wurden in der Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses angestoßen. Die bekannteste und theoretisch weitreichendste politische Entscheidung in diesem Bereich bestand in der Einführung der „Blauen Prüffragen“ (Prüffragen für Rechtsvorschriften des Bundes, Kabinettsbeschluss vom 11.12.1984) im Jahr 1984. Es handelte sich dabei um Prüfstandards für Gesetzentwürfe, welche den federführenden Ministerialbeamten zehn Grundfragen (mit jeweils detaillierten Unterfragen) zur Beantwortung aufgaben. Mit der Einführung des (wegen des Drucks auf blauem Papier gemeinhin als „Blaue Prüffragen“ bezeichneten) Fragenkatalogs versuchte man, über die prozedurale Institutionalisierung von Prüfanforderungen (ergänzend zur gut funktionierenden Rechtsförmlichkeitsprüfung) zu einer systematischeren Beachtung von Notwendigkeits-, Wirksamkeits- und Kostenkriterien bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen zu kommen (Fricke 1983). Fünf Jahre nach Einführung der „Blauen Prüffragen“ verabschiedete die Bundesregierung im Dezember 1989 einen ambitionierten und umfassenden Maßnahmenkatalog zur Verbesserung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Fortbildung und organisatorische Institutionalisierung der „Blauen Prüffragen“, verstärkte Nutzung von Planspielen und Praxistests sowie ebenenübergreifenden Arbeitsgruppen zur Bewertung der Vollzugseignung, bessere Nutzung von Datenbanken, mehr Transparenz etc.) (BMI 1989). In der Praxis blieben diese Maßnahmen, ebenso wie die zeitgleich verabschiedete „Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes (VwVR)“37, weitgehend bedeutungslos. Eine Ausnahme bildete die geplante Erarbeitung von zwei Handbüchern zur Unterstützung der Gesetzgebungsarbeit in den Bundesministerien: So veröffentlichte das Justizministerium 1991 das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ (BMJ 1991) und das Bundesministerium des Innern gab 1992 das „Handbuch zur Vorbereitung von Rechtsund Verwaltungsvorschriften“ (BMI 1992b) heraus. Letzteres enthält u.a. eine „Arbeitshilfe zur Ermittlung der Durchführungskosten von Gesetzen“ (BMI 1992b: 41f) sowie ein „Merkblatt für die Preiswirkungsklausel in Kabinettsvor37 Die VwVR-Richtlinie beschrieb Mindestanforderungen an Verwaltungsvorschriften des Bundes (Durchführung einer Notwendigkeitsprüfung, deutliche Kennzeichnung nicht-bindender Informationen im Zusammenhang mit Verwaltungsvorschriften, verständliche Gestaltung, Kennzeichnung des Verhältnisses zu anderen Verwaltungsvorschriften, geeignete Bekanntmachung, Systematisierung in einem Ordnungssystem, regelmäßige Überprüfung auf die Notwendigkeit ihrer Fortgeltung, Anpassung und Verbesserung).
70
lagen, insbesondere in Gesetzes- und Verordnungsbegründungen“ (BMI 1992b: 42-44; BMWi 1989). Die Handbücher stellen bis heute wichtige Orientierungshilfen für die Ministerialbeamten im Rechtsetzungsprozess dar. Eine Zusammenführung der beiden Handbücher, wie im Beschluss von 1989 vorgesehen, fand aber nie statt. Als Fazit der Reformbemühungen um eine Verbesserung des Rechtsetzungsprozesses in den 1980er Jahren ist festzuhalten, dass zwar umfassende Unterstützungsmaterialien für die Ministerialbeamten entwickelt wurden, darüber hinausgehende Beschlüsse und Maßnahmen aber meist nur symbolischer Natur waren und die Rechtsetzungspraxis nicht wesentlich veränderten. Dies gilt auch für die „Blauen Prüffragen“, welche in den Ressorts selten bis gar nicht angewendet wurden (BT-Drs. 14/29; Zypries/Peters 2000: 324). Auch die Ergänzung der GGO II von 1996 konnte hier keine Abhilfe schaffen (Anpassungsänderung der GGO II, GMBl 1996: 449ff).38 So stellte der Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ 1998 fest, dass die Frage nach gesetzespolitischen Alternativen bzw. nach den Kosten einer Regelung im Gesetzesvorblatt meist völlig unsubstantiell mit „keine“ beantwortet wird (Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ 1998: 18, 20) und forderte deshalb eine Überarbeitung der „Blauen Prüffragen“, um mehr Transparenz der Ergebnisse vor allem gegenüber der Legislative und der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Der Sachverständigenrat verlangte darüber hinaus eine strikte Notwendigkeitsprüfung gesetzgeberischer Vorhaben und die Durchführung einer konsequenten gesamt-gesellschaftlichen GFA, welche insbesondere die Kostenfolgen neuer Regulierungen für die öffentlichen Haushalte, die Wirtschaft und für Private überprüft. Während die „Blauen Prüffragen“ praktisch bedeutungslos blieben und Rechtsbereinigungs- und Vereinfachungsbemühungen durch die WaffenschmidtKommission und die Ressorts in den 1980ern (ebenso wie in den 1990er Jahren) nur inkrementelle Veränderungen bewirkten, bildeten in der Regierungszeit von Bundeskanzler Kohl (wie bereits in der ersten Regierungserklärung von 1983 angeklungen) Deregulierung und Privatisierung die wesentlichen Schwerpunkte der Modernisierung des öffentlichen Sektors.39 Diese Prioritätensetzung spiegelte sich im thematischen Fokus der Berichte der Waffenschmidt-Kommission (BMI 1990, 1992, 1994a, 1994b, 1995b) ab Ende der 1980er Jahre wider, wurde 38 Mit der Anpassungänderung von 1996 wurde der Begriff des Vollzugsaufwands neu eingeführt. Wurden schon vorher in den „Blauen Prüffragen“ und der GGO II unterschiedliche Kostenbegriffe verwendet, so wurde die begriffliche Vielfalt damit noch einmal erweitert, was die Praktikabilität der Regelungen mit Sicherheit nicht erhöhte (Zypries/Peters 2000: 325). 39 Zum durch die NPM-Bewegung angeregten Paradigmenwechsel siehe Goetz 1997.
71
aber beispielsweise auch darin deutlich, dass 1987 ein „Deregulierungsbericht“ eingeführt und eine „Unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierung“ (die sogenannte Deregulierungskommission) eingesetzt wurden. Viele Vorschläge aus den 1990 und 1991 vorgelegten Berichten dieser Kommission wurden von der politischen Ebene übernommen und im Juni 1992 vom Bundeskabinett beschlossen. Bereits 1989 war das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novelliert worden. 1992 beschloss die Bundesregierung, eine Reihe von marktwidrigen Regulierungen abzubauen (in den Bereichen Versicherungswesen, Verkehr, Energiewirtschaft, Technisches Prüfwesen, Rechtsberatung und Arbeitsmarkt) (Jann/Wewer 1998: 8). Besonders große Auswirkungen auf Größe und Struktur der Bundesverwaltung hatte die Anfang der 1990er Jahre beschlossene Privatisierung von Bahn, Post und Flugsicherung. Entbürokratisierung in den 1990er Jahren bestand somit in erster Linie in Maßnahmen zur Deregulierung, in der Reduzierung von Staatsaufgaben und -ausgaben (Bogumil 2001: 47) und in der Gestaltung der damit verbundenen Übergangsprozesse (z.B. Personalabbau). Im Vordergrund stand die Rückgewinnung von (finanziellen) Handlungsspielräumen durch Aufgabenkonzentration und Effizienzorientierung. Ökonomisierung und Binnenmodernisierung des öffentlichen Sektors durch die Orientierung am Management privater Unternehmen (‚New Public Management’ bzw. das von der KGSt entwickelte ‚Neue Steuerungsmodell’) und die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten zwischen Staat und Privaten gewannen in den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung. Die Konzentration auf Privatisierung, Deregulierung und Effizienz in der Ära Kohl spiegelte sich auch im für diese Zeit prägenden Leitbild des ‚Schlanken Staates’ wider. Im Bereich der ‚besseren Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen gab es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre kaum nennenswerte Aktivitäten, u.a. weil die Wiedervereinigung Deutschlands Politik und Verwaltung vor viele Herausforderungen und neue Aufgaben stellte, so dass in dieser Zeit nur geringe Aufmerksamkeit und wenige Ressourcen für einen Reformbereich vorhanden waren, der bisher vor allem durch umfassende Verlautbarungserklärungen und viele normative Ideen und Konzepte, aber durch wenig konkrete Erfolge charakterisiert war.
72
2.1.4.3 Ende der 1990Jahre bis 2005: GFA als Kernelement der Reformbemühungen Gegen Ende der 1990er Jahre zeigte sich immer deutlicher, dass eine stärkere Effizienzorientierung im öffentlichen Sektor und Privatisierungen zwar wichtige Modernisierungsimpulse gaben, aber keineswegs ausreichend waren, um auf die großen Herausforderungen der post-industriellen deutschen Gesellschaft (demografische Entwicklung und Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme, wirtschaftlicher Strukturwandel und Globalisierung, Regieren im Mehrebenensystem der EU, Lösung globaler Probleme) angemessen zu reagieren. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Staates und den gesellschaftlichen Wohlstand langfristig zu sichern, müssen staatliche und private Akteure zusammenwirken. Das von der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 geprägte Leitbild des ‚aktivierenden Staates’ zielte deshalb darauf ab, Eigenverantwortung und -initiative zu stärken und Unternehmertum zu fördern. Verwaltungsmodernisierung am Übergang zum neuen Jahrtausend hieß auch, über die vielfältigen Formen der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf nationaler, multinationaler und internationaler Ebene zu reflektieren und Strukturen zu entwickeln, die unter diesen Bedingungen eine angemessene Interessenvertretung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gewährleisten sowie Muster der Entscheidungsfindung in Arenen außerhalb des politisch-administrativen Systems regulieren und kontrollieren (Re-Regulierung im Zusammenhang mit der Privatisierung von Infrastrukturleistungen). Für den Bereich der ‚besseren Rechtsetzung’ bedeutete dies vor allem die Förderung gesellschaftlicher Selbstregelungsmechanismen sowie die Entwicklung von Maßnahmen, welche Bürger, Unternehmen und die öffentliche Hand spürbar entlasten und damit Handlungsspielräume erweitern. Wichtig war außerdem die Integration in den europäischen Reformkontext zur ‚besseren Rechtsetzung’, da viele Regelungsentscheidungen heute nicht mehr allein auf nationaler Ebene getroffen werden. Die Neuorientierung der Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ weg von einer einseitigen Orientierung auf Deregulierung und Vereinfachung und hin zu der breiteren Zielsetzung, eine „Höhere Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht“40 zu erreichen, manifestierte die erste Regierung Schröder (1998–2002) mit dem Regierungsprogramm „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ (BMI 2000a). In diesem Zusammenhang beschloss die 40 „Höhere Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht“ war einer von vier Reformbereichen des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“.
73
Bundesregierung im Dezember 1998 die Gesamtnovellierung der GGO und die Zusammenführung der bisherigen Teile I und II in einer Rechtsnorm. Im Zuge der Novellierung sollten auch die „Blauen Prüffragen“ zusammengefasst bzw. auf das Wesentliche konzentriert und unmittelbar in die GGO aufgenommen werden (Interview BMI 2006).41 Die Empfehlung des Sachverständigenrates „Schlanker Staat“ zur Etablierung einer umfassenden GFA wurde im Kontext der GGO-Novellierung aufgegriffen. Die neue GGO wurde von einer Arbeitsgruppe im BMI (AG O1), zum Teil in Zusammenarbeit mit einer interministeriellen Arbeitsgruppe42, erarbeitet (ausführlich Zypries/Peters 2000; Sperl 2001). Externe Beratung erfolgte durch den Wissenschaftler Gunnar Folke Schuppert, welcher einen Abwägungskatalog zur Prüfung der Möglichkeiten einer Selbstregulierung entwickelte. Dieser Abwägungskatalog wurde der neuen GGO als Anlage 7 beigefügt, blieb in der Praxis aber bedeutungslos. Die Aufnahme der GFA in die GGO wurde vom BMI stark vorangetrieben, während einige andere Ministerien dem eher skeptisch gegenüber standen: „Das war kein Selbstläufer, dass eine Gesetzesfolgenabschätzung als Regelung in die GGO kam. Das bedurfte schon der Intervention und des Einsatzes der Staatssekretärin, von Frau Zypries, damit das in dieser Form aufgenommen wurde. Es gab die Erfahrung mit der Einführung des Anspruches auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr, der zunächst zu erheblichen Kosten führte. Es ist fraglich, ob ein solcher Anspruch zu dem damaligen Zeitpunkt mit einer ernsthaften Gesetzesfolgenabschätzung eingeführt worden wäre. Daher bestand die Sorge: Wenn wir eine wirklich ernsthafte Gesetzesfolgenabschätzung einführen, dass das für manche Gesetze das „Aus“ bedeuten könnte. Gesetzesfolgenabschätzung löst natürlich viele Ängste aus, weil in dem Moment, wo aufgeschrieben wird, was ein Gesetz kostet – das ist zunächst der Hauptpunkt bei der Gesetzesfolgenabschätzung – und dieses transparent dargestellt wird, ist natürlich der Widerstand etwas durch zu bekommen, noch einmal ein Stück stärker. Insofern bestanden da schon erhebliche Widerstände, aber entscheidend war, dass letztlich der politische Wille für die Einführung da war.“ (Interview BMI 2006)
41 Die Überarbeitung der GGO-Regelungen zur Darstellung der finanziellen Auswirkungen von Gesetzesvorhaben war auch vom Bundesrechnungshof angeregt worden (BT-Drs. 14/29). 42 In der im Sommer 1998 eingerichteten interministeriellen Arbeitsgruppe waren neben dem BMI das BMJ, das BMF, das BMWi, das BMVg und das BMVBW vertreten. Die interministerielle Arbeitsgruppe erarbeitete einen Novellierungsvorschlag für die alte GGO I. Die Überarbeitung der GGO II erfolgte in einer ersten Version durch die AG O1 und wurde anschließend zusammen mit dem ersten Teil als Gesamtnovelle der GGO in der interministeriellen Arbeitsgruppe beraten.
74
Am 26. Juni 2000 wurde die novellierte GGO vom Bundeskabinett beschlossen. Sie trat am 1. September 2000 in Kraft (BMBl 2000: 526ff). Im Zuge der Novellierung erhielt der Terminus Gesetzesfolgen eine zentrale Stellung in der GGO (§§ 43 und 44). Damit verbunden war der Anspruch, nicht nur die Berücksichtigung bestimmter Folgenaspekte wie der Kosten für die öffentlichen Haushalte im Rechtsetzungsprozess sicherzustellen, sondern alle wesentlichen Auswirkungen eines Regelungsentwurfes standardmäßig zu evaluieren. Vor der Novellierung hingegen war zwar in der GGO II vorgeschrieben gewesen, dass die Auswirkungen auf bestimmte Bereiche (wie Verkehr, Umwelt, Preise etc.) in der Gesetzesbegründung darzustellen seien; eine umfassende Folgenabschätzung für alle Bereiche wurde jedoch nur als eine Unterkategorie der „Blauen Prüffragen“ im Rahmen der Anlage 11 der GGO II erwähnt.43 Im Vergleich zwischen der alten GGO II und der novellierten GGO des Jahres 2000 fällt weiterhin auf, dass die Vorschriften zur Abschätzung der Haushaltsauswirkungen in der alten GGO II detaillierter waren als nach der Novellierung. So ist in der novellierten GGO keine Definition mehr dazu zu finden, was genau unter den Kosten der Ausführung eines Gesetzes bzw. unter Vollzugskosten zu verstehen ist. Zudem fiel die Anforderung, den Personalbedarf explizit anzugeben und aufzuschlüsseln weg. Darüber hinaus wurden Fragen der Praktikabilität und des Kosten-Nutzen-Verhältnisses in der novellierten GGO nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Neu hinzu kam hingegen die Anforderung, dass das federführende Ressort in der Gesetzesbegründung festlegen muss, ob und wann eine Evaluation des Gesetzes vorgenommen werden soll. Ergänzend zur GGO-Novellierung ließ das BMI als eines der Leitprojekte des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ ein Handbuch zur Gesetzesfolgenabschätzung (Böhret/Konzendorf 2001) sowie einen dazugehöriger Leitfaden (BMI 2000b) erarbeiten, der in einer Pilotphase anhand von acht ausgewählten Gesetzesvorhaben erprobt wurde (BMI 2002). Darüber hinaus initiierte das BMI ein Projekt zur verbesserten Beteiligung von Ländern und Kommunen im Rechtsetzungsprozess (BMI 2003). Zudem wurde richtig erkannt, dass eine Umsetzung der neuen GFA-Anforderungen der GGO nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn das Personal eine entsprechende Schulung im Hinblick auf Inhalte und Methoden der GFA erhält. Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung begann deshalb damit, im Grundseminar Gesetzgebung ein Modul zu Verfahren und Instrumenten der GFA anzubieten. 43 Dort war unter Punkt 2 („Welche Alternativen gibt es?“) die Teilfrage 2.3.: „Welche Handlungsinstrumente sind unter Berücksichtigung der (…) Nebenwirkungen, Folgewirkungen (…) am günstigsten?“ zu finden.
75
Einige Ressorts er- oder überarbeiteten eigene Unterstützungsmaterialien zur GFA. Die interministerielle Arbeitsgruppe „Gender Mainstreaming“ entwickelte unter Leitung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2002 eine Handreichung zu § 2 GGO „Geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung. Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften“ (BMFSFJ 2002, neuere Fassung: BMFSFJ 2007) mit ausführlicheren Hilfestellungen für die spezifische Analyse geschlechtsbezogener Gesetzesfolgen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) verbreitete ein „Merkblatt zur Ermittlung der Kostenfolgen und Preiswirkungen von Gesetzesvorlagen, Vorlagen von Rechtsverordnungen und von Verwaltungsvorschriften“ (BMWi 2007, 2009), welches der Unterstützung der federführenden Ressorts bei der Abschätzung von Kostenfolgen für die Wirtschaft und Preisfolgen dient. Das Merkblatt gibt Hinweise zu vorhandenen Datensätzen des Statistischen Bundesamtes, zu Kostenarten und Preisindizes und betont, dass qualitative Tendenzaussagen ausreichend seien, wenn Quantifizierungen aufgrund fehlender empirischer Grundlage oder aufgrund des zu hohen Aufwands einer empirisch-analytischen Analysen nicht möglich seien. Nachdem die rot-grüne Koalition nach den Bundestagswahlen 2002 erneut die Regierung stellen konnte, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom März 2003 die „Agenda 2010“ als umfassendes Reformprogramm zur Erneuerung des Sozialsystems und zur Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands an. Im Hinblick auf die notwendige Modernisierung des öffentlichen Sektors verabschiedete das Bundeskabinett am 26. Februar 2003 unter dem Titel „Mittelstand fördern – Beschäftigung schaffen – Bürgergesellschaft stärken“ Eckpunkte der „Initiative Bürokratieabbau“ sowie ein 13 Punkte umfassendes Sofortprogramm. Als wichtige Aufgabenbereiche wurden u.a. die bürger- und wirtschaftsfreundliche Ausgestaltung neuer Gesetze und Verordnungen unter konsequenter Berücksichtigung sämtlicher Regelungsfolgen und die Vermeidung neuer unnötiger bürokratischer Belastungen bereits im Vorfeld nationaler Gesetzgebung (insbesondere auf europäischer und internationaler Ebene) genannt. Die „Initiative Bürokratieabbau“ umfasste auch zahlreiche Projekte, die sich mit der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigten (BMI 2004). Ein Schwerpunkt lag dabei auf Vereinfachungsmaßnahmen. Ein Projekt beschäftigte sich jedoch auch explizit mit der GFA (Projekt „Gesetzesfolgenabschätzung bei Steuergesetzen“ des BMF44). 44 Mit Hilfe der Einrichtung einer zentralen Kopfstelle im BMF sowie der Schaffung spezialisierter Arbeitseinheiten bei der neuen Behörde „Bundeszentralamt für Steuern“ sollten Gesetzesfolgenabschätzungen systematisch durchgeführt werden.
76
Nachdem die Pilotprojekte zur GFA schon einige Zeit abgeschlossen waren, zeigte sich bald, dass die neuen GGO-Regelungen nicht in der vorgesehenen Art und Weise umgesetzt wurden (s.a. Kap. 3.2.2). Das im Jahr 2001 vom BMI herausgegebene „Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung“ (Böhret/Konzendorf 2001) bot zwar eine umfassende Übersicht zu den Methoden der GFA, galt aber als viel zu kompliziert, um eine realistische Chance auf Beachtung in Prozessen der Programmentwicklung zu erhalten (Jann et al. 2005). Das BMI erstellte deshalb 2005 eine neue Arbeitshilfe zur GFA für die im Rahmen der Rechtsetzung tätigen Arbeitseinheiten, welche konkret abzuarbeitende Prüfschritte formuliert und praxisrelevante Beispiele und Formulierungshilfen zur Verfügung stellt (Bundesregierung 2006). Aufgrund der wachsenden Bedeutung der EU-Ebene in vielen Politikfeldern veröffentlichte das BMI 2006 außerdem einen Leitfaden zur Folgenabschätzung in der Europäischen Union, der den Ressorts Handlungsvorschläge zur frühzeitigen Mitwirkung an Folgenabschätzungen der EU-Organe machte (BMI 2006).
2.1.4.4 ‚Bessere Rechtsetzung’ 2005-2009: Bürokratiekosten reduzieren Mit der Machtübernahme der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2005 veränderten sich die politischen Schwerpunkte im Reformbereich der ‚besseren Rechtsetzung’. Kernelement der neuen Strategie wurde das sich im gesamten europäischen Raum rasch verbreitende Standardkosten-Modell (SKM). Der Hauptfokus der Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ verengte sich damit von der Idee einer umfassenden GFA auf die durch Regulierungen hervorgerufenen bürokratischen Lasten (s.a. Beus 2007; Jann/ Jantz 2008). Bürokratieabbau wurde zur ‚Chefsache’ erklärt und die zentrale Zuständigkeit für das Thema vom BMI ins Bundeskanzleramt verlagert (s.a. Jantz/Veit 2009). CDU und SPD verankerten die Einführung des SKM verbunden mit der Einrichtung eines unabhängigen Nationalen Normenkontrollrates45 im Koalitionsvertrag (zum Agenda-Setting SKM siehe Bach et al. 2009; Holthusen 2009). Im April 2006 konkretisierte die Regierung ihre politischen Vorhaben im Rahmen des „Programms für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“. Ein von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erarbeitetes „Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates“ (NKRG) wurde im August 2006 verabschiedet (BGBl I 2006: 1866), die acht Mitglieder des 45 Vorbild war das unabhängige Gremium ACTAL in den Niederlanden.
77
Gremiums am 13. September per Kabinettsbeschluss bestimmt. Im Dezember 2006 erweiterte man die GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung um die Verpflichtung, auf dem Gesetzesvorblatt und im Rahmen der Gesetzesbegründung46 Transparenz über Informationspflichten und Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und die öffentliche Verwaltung herzustellen. Aufgabe des NKR ist es laut § 4 Abs. 2 NKRG, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Bundesministerien sowie Entwürfe für allgemeine Verwaltungsvorschriften vor deren Vorlage an das Bundeskabinett im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze einer standardisierten Bürokratiekostenmessung zu überprüfen. Hierzu legt § 2 Abs. 2 NKRG fest: „Bürokratiekosten im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. Informationspflichten sind auf Grund von Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln. Andere durch Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift entstehende Kosten sind nicht umfasst. Bei der Messung der Bürokratiekosten ist das StandardkostenModell (SKM) anzuwenden. Die international anerkannten Regeln zur Anwendung des Standardkosten-Modells sind zugrunde zu legen.“
Parallel zu den Maßnahmen zur Verankerung des SKM-Verfahrens im ex ante Bereich begann das Statistische Bundesamt Anfang 2007 mit einer Messung der Bürokratiekosten für Unternehmen im gesamten deutschen Bundesrecht.47 Organisatorisch institutionalisierte man den Reformbereich über die Etablierung des NKR hinaus durch die Verankerung der Zuständigkeit im Bundeskanzleramt auf Ebene der Staatsminister48 sowie auf Arbeitsebene (Geschäftsstelle Bürokratieabbau), durch die Etablierung eines Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau als interministeriellem Lenkungs- und Koordinationsgremium sowie durch die Benennung von Ansprechpartnern in den Ressorts, welche regelmäßig im Rahmen einer Ressortansprechpartnerrunde zusammenkommen (Jann/Jantz 2008; Jantz/Veit 2009). Im Februar 2007 legte das Bundeskabinett fest, dass die mit dem Bundesrecht verbundenen Bürokratiekosten für Unternehmen bis 2011 um 25% reduziert werden sollen. 46 Gleiches gilt für Entwürfe von Rechtsverordnungen. 47 Inklusive der auf internationalem und EU-Recht beruhenden Informationspflichten; zum Stand der Messungen vgl. Bericht der Bundesregierung zur Anwendung des SKM (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007). 48 2006-2008 Staatsministerin Hildegard Müller (teilweise vertreten durch Bernhard Beus).
78
Zur praktischen Realisierung der ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten im Rechtsetzungsprozess entwickelten der NKR und die Geschäftsstelle Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt in Abstimmung mit den Bundesministerien einen „Leitfaden für die ex ante Abschätzung der Bürokratiekosten nach dem Standardkosten-Modell“ (NKR 2007, 2008), dessen Implementation durch Schulungen von Ministerialbeamten unterstützt wird (NKR 2007: 22). Bei der Durchführung von Bürokratiekostenabschätzungen zu ‚ihren’ Referentenentwürfen bietet das Sekretariat des NKR den Ministerialbeamten Unterstützung in methodischen Fragen an. Nehmen die für einen Regelungsentwurf federführend zuständigen Beamten im Vorfeld keinen Kontakt zu Mitarbeitern des NKRSekretariats auf, dann wird der NKR erst im Rahmen der Ressortabstimmung über den Entwurf in Kenntnis gesetzt und erhält die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Frist für die Stellungnahme beträgt laut GGO mindestens vier Wochen, in der Praxis sind die Fristen aber meist enger gesetzt. Die Stellungnahme des NKR zu den mit dem Regelungsentwurf verbundenen Bürokratiekosten sowie zur Qualität der vorgenommenen SKM-Schätzung wird den Gesetzesoder Verordnungsentwürfen vor der Zuleitung ins Kabinett bzw. später in Bundestag und Bundesrat angehängt und ist somit öffentlich zugänglich. Während der NKR direkt im Anschluss an die Aufnahme der Darstellung von Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und die öffentliche Verwaltung in die GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung im Dezember 2006 damit begann, die Darstellung von Bürokratiekosten für Unternehmen in Gesetzentwürfen der Bundesregierung zu überprüfen, wurden Maßnahmen für Bürger und die öffentliche Verwaltung zunächst zurückgestellt. Erst 2008/09 beschäftigte man sich intensiver mit der Frage, wie eine konkrete Umsetzung von SKM-Verwaltung (Klippstein/Röttgen 2009) und SKM-Bürger aussehen könnte (Jann et al. 2009). Im November 2008 wurde der Leitfaden der Bundesregierung für die ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten um eine methodische Anleitung zur Bürokratiekostenschätzung für Bürger ergänzt (Bundesregierung 2008a, NKR 2008). Seit Anfang 2009 ist die ex ante Schätzung der (zeitlichen) Belastung von Bürgern mit Informationspflichten bei neuen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen obligatorischer Teil der Vorbereitung von Regierungsvorlagen. Die Darstellung der im Zusammenhang mit neuen Gesetzgebungsvorhaben zu erwartenden Bürokratiefolgen für Bürger wird vom NKR analog zum Verfahren für SKM-Unternehmen im Zuge der Ressortabstimmung überprüft. Vergleicht man die Einführung der Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM 2006/2007 mit der Einführung der GFA seit 2000, sind insbesondere die Unterschiede in der politischen Unterstützung des Themas sowie in der organi79
satorischen Verankerung des Verfahrens offensichtlich. Während für die Implementation der GFA kaum zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden, wurde die SKM-Einführung von der politischen Führung personell, finanziell und mit Worten stark unterstützt. Neben der Etablierung der zentralen Zuständigkeit für die Bürokratieabbaupolitik mit dem SKM im Bundeskanzleramt, schuf die Regierung ein umfangreiches organisatorisches Netz zur Koordination und Unterstützung der Anwendung des Abschätzungsverfahrens. Jährliche Berichtspflichten des NKR an den Bundeskanzler (§ 6 Abs. 2 NKRG) erhöhen die Verbindlichkeit der Umsetzung der Reformen zusätzlich. Für die Jahre 2008/09 sind (neben den bereits erwähnten) Diskussionen um die Ausweitung der Anwendungspraxis des SKM auf Bürger und Verwaltung einige weitere Aktivitäten und Diskurse zu erwähnen, die allesamt durch Überlegungen zur erneuten Ausweitung der Reforminhalte weg von der engen Fokussierung auf Bürokratiekosten für Unternehmen gekennzeichnet sind. Dabei sind drei Diskussionsstränge besonders hervorzuheben: D
D
80
Im Fortschrittsbericht zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vom Oktober 2008 kündigte die Bundesregierung an, zukünftig im Rahmen der GFA auch die Auswirkungen auf eine nachhaltige Entwicklung zu untersuchen (Bundesregierung 2008b: 211). Für diese Verbindung von Nationaler Nachhaltigkeitsstrategie und Gesetzgebungsverfahren hatten sich sowohl die zuständigen Akteure im Bundeskanzleramt als auch der Parlamentarische Beirat für Nachhaltige Entwicklung stark gemacht. Die Bertelsmann-Stiftung ließ im Herbst 2008 eine Studie zur Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen der GFA erstellen (Jacob et al. 2009), die Erfahrungen aus anderen Ländern auswertete und ein mögliches Verfahren für Deutschland vorschlug. Im Mai 2009 wurde die GGO geändert und neu eingefügt, dass im Rahmen der Gesetzesbegründung darzustellen ist, „ob die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“ (§ 44 GGO). Das BMI erarbeitete in Kooperation mit anderen Ressorts eine neue Arbeitshilfe zur GFA (BMI 2009), welche eine einfache Anleitung zur Durchführung der GFA in fünf Schritten gibt und die gleichzeitig die Vorgaben des § 44 Abs. 1 GGO („Gesetzesfolgen“) in Form eines Fragenkataloges konkretisiert. Die Frage der Auswirkungen auf die Nachhaltige Entwicklung ebenso wie der Leitgedanke einer risikobasierten Regulierung wurden dabei mit aufgegriffen.
D
Ähnlich wie in den Niederlanden entwickelte sich in Deutschland eine intensive Debatte über die Ausweitung des SKM in Richtung einer Messung der gesamten Regulierungskosten. Die Bertelsmann-Stiftung, einer der wichtigsten ‚Treiber’ der Ausweitungsdiskussion – publizierte u.a. ein „Handbuch zur Messung von Regulierungskosten“ (Bertelsmann-Stiftung 2009a) sowie einen internationalen Vergleich von Methoden zur Messung von Regulierungskosten (Bertelsmann-Stiftung 2009b), der NKR thematisierte in seinem Jahresbericht 2009 die Erweiterung seiner Prüfkompetenzen in Richtung Regulierungskosten (NKR 2009c: 64ff) und eine Studie des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) plädierte ebenfalls dafür, das SKM nach niederländischem Vorbild zu einer vollständigen Regulierungskostenmessung auszubauen (VCI 2009).
Festzuhalten ist, dass ‚bessere Rechtsetzung’ in Deutschland ein Thema ist, welches bereits seit mehreren Jahrzehnten zum Kernrepertoire der verwaltungspolitischen Agenda auf Bundesebene gehört. Nach den Wahlen 2005 wurde die politische Unterstützung und Aufmerksamkeit für den Reformbereich mit der Verlagerung der Zuständigkeit für das Regierungsprogramm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom BMI ins Bundeskanzleramt gestärkt. Die Einrichtung des NKR als unabhängiges Kontrollgremium ist eine Neuerung im Organisationsgefüge der Exekutive, welche allgemein als erfolgreich wahrgenommen wird. Ob dieses ‚Erfolgsmodell’ auch zur Stärkung anderer Politikinhalte genutzt werden kann, wird kontrovers diskutiert (Jann/Wegrich 2008).
2.2 Rationale Politikgestaltung durch Transparenz und Beteiligung? Mythos und Realität der Gesetzesvorbereitung in Schweden Politikformulierung im Allgemeinen und Gesetzgebung im Besonderen wird für den schwedischen Fall häufig mit dem Bild eines transparenten und stärker als in anderen Ländern durch sachliche Kriterien und rationale Argumente geprägten Entscheidungsmodus assoziiert. Das folgende Unterkapitel beschreibt die wesentlichen Charakteristika des schwedischen Rechtsetzungsprozesses und geht dabei in besonderem Maße auf die Rolle des Kommissionswesens und die Funktion der Ministerialverwaltung bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen ein. Darüber hinaus wird über die Bedeutung und den Einfluss von Interessengruppen und Parteien im vorparlamentarischen Stadium der Gesetzgebung 81
reflektiert und es wird dargestellt, welche Maßnahmen die schwedischen Reformpolitik zur ‚besseren Rechtsetzung’ in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Um denjenigen Lesern, die mit dem politisch-administrativen System Schwedens nicht vertraut sind, ein besseres Verständnis dieser Arbeit zu ermöglichen, erfolgt zunächst eine kurze Beschreibung und Charakterisierung der Organisation der schwedischen Staatsverwaltung.
2.2.1 Das schwedische Verwaltungssystem Der öffentliche Sektor in Schweden wird in drei Ebenen unterteilt: Zentral- bzw. Reichsebene (‚rik’), Regionalebene (‚län’) und Kommunalebene (‚kommuner’). In der Arbeitsverteilung zwischen den Ebenen hat es im Laufe der letzten Jahrzehnte zahlreiche Veränderungen gegeben. So wurden ehemals kommunale Angelegenheiten, wie die Arbeitsvermittlung und die Polizei, verstaatlicht. Der größere Anteil der Aufgaben ging jedoch im Zuge von Dezentralisierungsbemühungen von den höheren Ebenen an die Kommunen über (Kommunalisierung öffentlicher Aufgaben, s.a. Jann/Tiessen 2008). Zu den obligatorischen Aufgaben der Kommunen gehören heute u.a. das Schulwesen, die staatliche Fürsorge, das Bauwesen, das Wohnungswesen, das Rettungswesen, die Wasserwirtschaft und Bibliotheken. Hinzu kommen freiwillige kommunale Aufgaben wie Kultur, Freizeit und Straßen. Die Pflichtaufgaben der regionalen Ebene49 liegen v.a. im Gesundheitswesen. In bestimmten Bereichen wie z.B. dem öffentlichen Verkehr arbeiten Kommunen und Regionen zusammen. Da die Rechtsetzung auf zentralstaatlicher Ebene im Zentrum dieses Buches steht, wird im Folgenden nicht näher auf die regionale und kommunale Ebene in Schweden eingegangen, sondern ausschließlich das Verwaltungssystem auf Reichsebene beschrieben. Charakteristisch für den Aufbau der zentralen Staatsverwaltung in Schweden ist ein organisatorischer Dualismus (ausführlich Premfors et al. 2003: 60ff), womit die Zweiteilung in eine relativ kleine ‚Kanzlei der Ministerien’ (‚regeringskansliet’) (Premfors et al. 2003: 117; Jann/Tiessen 2006; Kaiser 2007: 92)
49 Schweden ist territorial in 21 Verwaltungsregionen (‚län’) gegliedert. Auf regionaler Ebene existiert eine Parallelstruktur zwischen zentralstaatlicher und kommunaler Verwaltung. Die ‚länsstyrelser’ bilden die regionale Ebene der Zentralregierung und werden von einem von der Regierung ernannten ‚landshövding’ geleitet. Die gewählten regionalen Selbstverwaltungsorgane der ‚län’ hingegen heißen ‚landsting’ und die regionale Exekutive heißt ‚landstingstyrelse’ (Jann/Tiessen 2008).
82
und in vergleichsweise große, zentrale Verwaltungsbehörden50 (‚ämbetsverk’ und/oder ‚myndigheter’) gemeint ist. ‚Ämbetsverk’ werden diejenigen Zentralbehörden (Premfors et al. 2003: 165) genannt, die der Kanzlei der Ministerien direkt unterstellt sind, deren Wirkungsradius das gesamte Staatsgebiet umfasst und die in Untereinheiten aufgeteilt sind (z.B. das Amt für Naturschutz, das Reichspolizeiamt oder das Zentralamt für Straßenwesen).51 Daneben gibt es noch eine Vielzahl kleinerer Behörden (‚myndigheter’52), die häufig sehr spezialisierte Aufgaben wahrnehmen. Einige dieser kleinen Behörden haben eine ratgebende oder informierende Rolle (z.B. das schwedische Amt für Gentechnologie), andere dienen v.a. der Wissensproduktion (z.B. das Staatliche Institut für Wirtschaftsforschung) und wieder andere übernehmen typische Verwaltungsaufgaben (z.B. der Pressesubventionsausschuss) (Premfors et al. 2003: 164ff). In den letzten Jahren wurde der Begriff ‚ämbetsverk’ immer seltener benutzt, stattdessen werden die zentralen Verwaltungsbehörden heute im Allgemeinen alle als ‚myndigheter’ bezeichnet. Der Dualismus der Verwaltungsorganisation schlägt sich in einer klaren Aufgabenverteilung zwischen den Fachministerien (‚departement’) in der Kanzlei der Ministerien und den zentralen Verwaltungsbehörden nieder. So ist die Formulierung, Koordination und Abstimmung der Entwürfe von Gesetzen und Rechtsverordnungen Aufgabe der Fachministerien53, während die Politikimplementierung verbunden mit der Ausfertigung konkreter Ausführungsbestimmungen von den zentralen Verwaltungsbehörden übernommen wird. Das Personal in der Kanzlei der Ministerien ist gekennzeichnet durch eine große Nähe zur Politik verbunden mit einer stark ausgeprägten Loyalität gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und durch ein Selbstverständnis als ‚Verwaltungselite’ (Premfors/Sundström 2007: 35). Die einzelnen Referenten sind meist für relativ große Sachgebiete verantwortlich. Sie besitzen deshalb ein breites politikfeldbezogenes Fachwissen und sind weniger spezialisiert als ihre Kollegen in den zentralen Verwaltungsbehörden (Premfors/Sundström 2007: 192). 50 Zu Größe, Aufgaben und Funktionsmechanismen der zentralen Verwaltungsbehörden in Schweden siehe Tiessen 2007. 51 Derzeit gibt es ca. 70 ‚ämbetsverk’, wobei die genaue Bezifferung aufgrund von Abgrenzungsproblemen umstritten ist. 52 ‚Myndigheter’ heißen alle staatlichen Behörden. ‚Ämbetsverk’ sind ebenfalls ‚myndigheter’, sie besitzen jedoch bestimmte spezielle Merkmale. 53 Die Formulierung von ersten Entwürfen wird, wie später noch zu zeigen ist, nicht selten an zentrale Verwaltungsbehörden oder Kommissionen delegiert, Koordination und Abstimmung des finalen Entwurfes sind jedoch die Kernaufgabe der Ministerialverwaltung.
83
Der Aufbau und die Struktur der Kanzlei der Ministerien in Schweden sind kaum reguliert. In der Verfassung wird lediglich angegeben, dass es eine Kanzlei der Ministerien zur Vorbereitung von Regierungsangelegenheiten gibt und dass diese aus verschiedenen Fachministerien besteht. Zudem legt die Verfassung fest, dass der Ministerpräsident unter seinen Ministern die Leiter der Ministerien auswählt. Nähere Bestimmungen zur Organisation und Arbeitsweise der Kanzlei der Ministerien sind in einer Verordnung niedergeschrieben (SFS 1996: 1515) und können somit relativ leicht verändert werden (Premfors et al. 2003: 147). Anders als im deutschen System, in dem jedes Bundesministerium eine eigenständige Behörde bildet, sind die Fachministerien in Schweden seit einer Strukturreform im Jahre 1997 formal in einer Behörde, der Kanzlei der Ministerien, mit einem gemeinsamen Behördenchef (‚statsminister’) und gemeinsamer Verwaltungszentrale54 (‚förvaltningsavdelningen’) zusammengefasst. Hinter dieser Reform stand die Hoffnung auf Effizienzsteigerungen (z.B. durch eine zentrale Verwaltungsabteilung) sowie auf Verbesserungen der strategischen Steuerungsfähigkeit durch die Eindämmung von Ressortegoismen und eine vereinfachte Koordination (Kaiser 2007: 91). Inwiefern diese Ziele mit der Reform tatsächlich erreicht werden konnten, ist umstritten. In der Forschung wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die organisatorischen Veränderungen symbolischer Natur waren und kaum Auswirkungen auf die tatsächlichen Abläufe innerhalb der Kanzlei der Ministerien hatten (Jacobsson 2001; Erlandsson 2000). Dafür spricht, dass sich die Häufigkeit der interministeriellen Kontakte ebenso wie die Beteiligung von Ministerialbeamten an ressortübergreifenden Arbeitsgruppen seit 1980 nur in geringem Maße erhöht hat (Premfors/Sundström 2007: 173). Trotz Strukturreform ist die Arbeit in der Kanzlei der Ministerien deshalb immer noch v.a. durch vertikale Kommunikationsmuster gekennzeichnet (Premfors/Sundström 2007: 182). Andere Untersuchungen hingegen weisen darauf hin, dass die Reform durchaus zu Veränderungen geführt hat. So kommt Thomas Persson in einer Studie über die Kanzlei der Ministerien aus dem Jahre 2003 zu dem Ergebnis, dass die Reform von 1997 eine Stärkung der Kanzlei des Ministerpräsidenten (‚statsrådsberedningen’) bewirkt habe. Die Kanzlei des Ministerpräsidenten ist (vergleichbar dem Bundeskanzleramt in Deutschland) die Regierungszentrale im engeren Sinne und übernimmt Führungs- und Koordinationsaufgaben innerhalb der Kanzlei der Ministerien. 54 Die Verwaltungszentrale ist für die interne Verwaltung der Kanzlei der Ministerien zuständig (Bibliothek, Archiv) und unterstützt die Fachministerien z.B. in IT-Fragen oder bei Personalangelegenheiten. Die Verwaltungszentrale wird nicht von einem Minister geleitet, sondern von einem „Verwaltungschef“.
84
Trotz des formalen Zusammenschlusses in einer Behörde, sitzen die Fachministerien weiterhin in unterschiedlichen Gebäuden und besitzen jeweils eigene Geschäftsordnungen. Die politische Leitung der Fachministerien besteht aus ein bis drei Ministern sowie Staatssekretären, ‚politischen Sonderberatern’ und Pressesekretären. Sie alle sind politische Beamte und werden bei einem Regierungswechsel meist ausgetauscht. Die Staatssekretäre übernehmen ähnlich wie die beamteten Staatssekretäre in Deutschland Führungsaufgaben innerhalb des Ministeriums und gegenüber anderen staatlichen Organen. Die Funktion der ‚politischen Sonderberater’ (‚politisk sakkunniga’) hingegen kann recht stark variieren. Zum Teil fungieren diese in ähnlicher Art und Weise wie die Parlamentarischen Staatssekretäre in Deutschland als Bindeglied zwischen Ministerium und Parlament, zum Teil leiten sie eigene Fachbereiche des Ministeriums. Nicht immer übernehmen die ‚politischen Sonderberater’ interne Führungsaufgaben, sie können auch in erster Linie als Berater des Ministers wirken. Unterstützt wird die politische Leitung durch eine Reihe von zentralen Sekretariaten (z.B. Rechtssekretariat, Planungs- und Budgeteinheit, Internationales Sekretariat, Verwaltungseinheit). Außerdem gibt es in den meisten Ministerien einen Verwaltungsdirektor (‚expeditionschef’) und einen Direktor der Rechtsabteilung (‚rättschef’). Der Verwaltungsdirektor ist dafür verantwortlich, dass im Ministerium getroffene Entscheidungen mit geltendem Recht vereinbar sind. Die Zuständigkeit des Direktors der Rechtsabteilung bezieht sich auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen des Ministeriums. In vielen Ministerien werden die Aufgaben des Verwaltungsdirektors und des Direktors der Rechtsabteilung von ein und derselben Person wahrgenommen (Premfors/Sundström 2007: 43ff). Unterhalb der Leitungsebene sind die Fachministerien in Sacheinheiten strukturiert, welche von einem ‚departementsråd’ (entspricht in etwa dem Rang eines Ministerialdirigenten in Deutschland) geleitet werden. Innerhalb dieser Sacheinheiten findet zu wesentlichen Teilen die politikformulierende Arbeit der Regierung statt (Vorbereitung von Propositionen, Ausfertigung von Kommissionsdirektiven etc.). Auch die Steuerung der zentralen Verwaltungsbehörden erfolgt in hohem Grad durch die Sacheinheiten. In der Realität weichen die Fachministerien in unterschiedlichem Ausmaß von der dargestellten Grundstruktur ab. So besitzt beispielsweise das Finanzministerium oberhalb der Sacheinheiten zusätzlich Abteilungen mit einem Abteilungsleiter (Premfors/ Sundström 2007: 43ff). Die Kanzlei der Ministerien hat insgesamt ca. 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Regeringskansliet 2006: 140, inklusive Kommissionsangestellte). 85
Aufgrund der organisatorischen Zugehörigkeit der Auslandsvertretungen zum Außenministerium ist dieses mit ca. 1.400 Mitarbeitern personalmäßig am stärksten besetzt. Auch die Verwaltungszentrale besitzt mehr als 650 Mitarbeiter. Das Personal der übrigen Fachministerien schwankt zwischen 150 (Verteidigung, Landwirtschaft) und 450 (Finanzen) (Regeringskansliet 2006: 140). Insgesamt ist die Zahl der Angestellten in der Kanzlei der Ministerien in den letzten Jahrzehnten sukzessive angestiegen. Ende der 1960er Jahre waren ca. 1.500 Personen in der Kanzlei der Ministerien beschäftigt. Anfang der 1980er Jahre hingegen waren es bereits 2.600. Im Laufe der 1980er Jahre blieb diese Zahl relativ konstant. Anfang der 1990er Jahre begannen die Personalzahlen erneut zu wachsen. 2003 erreichten sie eine Größe von 4.500 Mitarbeitern und sind seitdem auf diesem Niveau geblieben (Premfors/Sundström 2007: 61). Der Anstieg der Personalzahlen in den 1990er Jahren und den ersten Jahren nach dem Jahrtausendwechsel war zwischen den einzelnen Bereichen nicht gleichmäßig verteilt, sondern konzentrierte sich in besonderem Maße auf die Kanzlei des Ministerpräsidenten, die Verwaltungszentrale sowie das Justizministerium, deren Personal sich zwischen 1995 und 2006 jeweils fast verdoppelte. Die Ursachen für den starken Personalanstieg sowohl in der Kanzlei des Ministerpräsidenten als auch im Justizministerium sind u.a. in der schwedischen EU-Mitgliedschaft zu finden. Die Zuständigkeit und Koordination der EUPolitik wurde in einer eigenen Abteilung innerhalb der Kanzlei des Ministerpräsidenten verankert.55 Das traditionell große Außenministerium hingegen verzeichnete im selben Zeitraum sogar eine leicht sinkende Anzahl an Mitarbeitern (Regeringskansliet 2005a: 161). Die Personalzahlen der übrigen Fachministerien sind seit den 1990er Jahren etwas angestiegen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kanzlei der Ministerien im Laufe der Jahrzehnte immer größer geworden ist. Zwischen 1995 und 2005 lag der Anstieg der Personalzahlen bei insgesamt 19%, was im Vergleich zu einer Gesamtwachstumsrate des öffentlichen Dienstes in Schweden zwischen 1995 und 2004 von ca. 2% ein sehr hohes Wachstum ist. Von einigen Autoren wird das Wachstum der Personalzahlen in der Kanzlei der Ministerien in den letzten Jahren auf die Einführung des Modells der ‚Ziel- und Resultatsteuerung’ im Rahmen des New Public Managements zurückgeführt. Die Nachfrage nach präzisen politischen Zielen und Direktiven sei deshalb stark angestiegen (ebenso wie das durch die Kanzlei der Ministerien auszuwertende Material), und dieser 55 Von einigen Autoren wird der Anstieg der Mitarbeiterzahl der Kanzlei des Ministerpräsidenten als Indikator dafür gewertet, dass sich die Position der Kanzlei als zentraler Koordinationsinstanz der Regierungspolitik in den letzten Jahren verstärkt hat (Premfors/Sundström 2007: 123).
86
gestiegene Steuerungs- und Informationsverarbeitungsbedarf würde durch eine Erhöhung der Personalzahlen aufgefangen. In welchem Verhältnis stehen die Kanzlei der Ministerien und die zentralen Verwaltungsbehörden zueinander? Die zentralen Verwaltungsbehörden sind in Schweden zwar einem Ministerium zugeordnet, es gibt aber keine direkte und individuelle Ministerverantwortlichkeit wie in Deutschland (Jann/Tiessen 2008), sondern die Behörden sind der Regierung direkt unterstellt. Regierungsbeschlüsse erfordern den Konsens aller Regierungsmitglieder. Diese kollektive Ministerverantwortlichkeit ist in der Verfassung verankert. Entscheidungen werden von der Regierung kollektiv getroffen und verantwortet (s.a. Blondel/ Müller-Rommel 1997). Ein einzelner Minister kann somit prinzipiell keine bindenden Beschlüsse für die zentralen Verwaltungsbehörden fassen (Jann/ Tiessen 2006; Halvarson et al. 2003). Charakteristisch für den schwedischen Staatsaufbau ist die starke Unabhängigkeit der zentralen Verwaltungsbehörden. So ist zwar in der Verfassung einerseits festgelegt, dass die staatlichen Verwaltungsbehörden der Regierung unterstellt sind, andererseits räumt die Verfassung den Behörden jedoch auch ein hohes Maß an Selbständigkeit ein. Diese Selbständigkeit bezieht sich auf Beschlüsse, welche die Ausübung behördlicher Aufgaben gegenüber Privaten oder Kommunen betreffen und auf die Ausführung von Gesetzen. Weder die Regierung noch der Reichstag oder die beschließenden Organe der Kommunen dürfen laut Verfassung in das Recht der Behörden zur selbständigen Ausführung von Gesetzen und Erfüllung behördlicher Aufgaben eingreifen.56 In der Praxis heißt das, dass die Regierung zwar eine Behörde mit der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe – z.B. der Messung administrativer Lasten für Unternehmen – beauftragen kann und bestimmte Ziele und Rahmenbedingungen festlegt. Wie die Behörde diese Aufgabe konkret ausführt, liegt jedoch nicht im Ermessen der Regierung und kann durch diese nicht auf direktem Wege beeinflusst werden. Trotzdem verfügen Regierung und Reichstag über verschiedene Möglichkeiten zur Steuerung und Kontrolle der Verwaltungsbehörden. Neben allgemeinen Gesetzen und Rechtsvorschriften zur Tätigkeit der Behörden spielt vor allem die Finanzierung über das Budget eine erhebliche Rolle bei der Steuerung der Behörden. Hinzu kommen Zielvorgaben der Regierung, spezielle Instruk56 Regeringsformen Kap. 11, Art. 7: „Keine Behörde, und auch nicht der Reichstag oder die beschließenden Organe der Kommunen, darf entscheiden, wie eine Verwaltungsbehörde in bestimmten Fällen in Angelegenheiten entscheidet, welche die Ausübung behördlicher Aufgaben gegenüber Privaten oder Kommunen oder die Ausführung von Gesetzen betreffen.“ (s.a. Ahlbäck Öberg 2003: 152).
87
tionen für jede Behörde sowie ein regelmäßiger Dialog zwischen Ministerium und Verwaltungsbehörde über die Performanz der behördlichen Tätigkeiten. Hinzu kommt ein jährlicher Rechenschaftsbericht an die Regierung. Ein wichtiges Instrument der Regierung zur Steuerung der zentralen Verwaltungsbehörden ist deren Befugnis zur Benennung der Behördenleiter. Die OECD stellte in ihrem Bericht zur Regulierungsreform in Schweden 2007 fest, dass diese „Nominierungsmacht“ (OECD 2007: 7) in den letzten Jahren immer systematischer genutzt wurde. Bezüglich der Leitung der zentralen Verwaltungsbehörden57 in Schweden existieren mehrere Modelle (Premfors et al. 2003: 167): D
D
D
Behördenleiter und Aufsichtsrat: Eine weit verbreitete Variante ist die Installation eines allein verantwortlichen Behördenchefs (Generaldirektor, Oberdirektor), der durch einen Aufsichtsrat kontrolliert wird. Behördenleiter und Laienvorstand: Eine zweite Form ist die Implementation einer Doppelspitze aus einem Behördenleiter und einem Laienvorstand58, dessen Mitglieder von der Regierung ernannt werden. Vorstand: In einem dritten Modell nimmt ein kollektives Leitungsgremium die gesamte Führungsverantwortung wahr.
Das zweite Leitungsmodell aus Behördenchef und Laienvorstand war in Schweden lange dominanierend. In den 1980er verstärkte sich jedoch die Kritik an den mit diesem Modell verbundenen uneindeutigen Verantwortungsverhältnissen, auch das korporative Prinzip der Einbindung von Verbänden in die Verwaltungsleitung wurde kritisiert. Deshalb gewannen in den 1990er Jahren die beiden anderen Modelle an Bedeutung (Premfors et al. 2003: 168). Behördenleiter bzw. Vorstandsmitglieder werden für einen Zeitraum von in der Regel sechs Jahren von der Regierung ernannt (Jahn 2003: 102). Alle anderen Personalien innerhalb der Behörden können von diesen selbständig entschieden werden. Nachdem die wichtigsten Merkmale des schwedischen Verwaltungssystems als relevante Hintergrundinformationen für den deutschen Leser dargestellt worden sind, kommt der folgende Abschnitt wieder auf das Kernthema der Untersuchung zurück und gibt einen Überblick über die verschiedenen Normtypen, den jeweiligen formalen Entscheidungsmodus und deren quantitative Bedeutung in Schweden. 57 Aufgrund der fehlenden Relevanz für das Thema werden die sogenannten ‚länsstyrelser’ als staatliche Behörden mit regionalem Wirkungskreis hier nicht weiter erwähnt. 58 Mit der etwas irreführenden Bezeichnung Laienvorstand ist gemeint, dass die Vorstandsmitglieder nicht Angestellte in der betreffenden Behörde sind (Rothstein 1988: 237).
88
2.2.2 Normtypen und Anzahl der Rechtsvorschriften Das Recht, generell bindende Rechtsvorschriften zu beschließen, ist in Schweden zwischen dem Parlament (‚riksdag’) und der Regierung verteilt. Unterschieden werden Gesetze mit Verfassungscharakter, einfache Gesetze sowie von der Regierung zu erlassende Rechtsverordnungen. Die Verfassung Schwedens besteht aus vier Grundgesetzen: dem Gesetz über die Regierungsform (‚regeringsformen’) aus dem Jahre 1974, der Thronfolgeordnung (‚successionsordningen’) von 1810, der Pressefreiheitsverordnung (‚tryckfrihetsförordningen’) von 1949 und dem Gesetz über die freie Meinungsäußerung (‚yttrandefrihetslagen’) von 1991. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden schlicht von „Verfassung“ gesprochen, wenn das Gesetz über die Regierungsform (RF) gemeint ist. Beziehen sich die Darstellungen auf eine andere Verfassungsnorm, dann wird dies explizit erwähnt. Neben den vier Grundgesetzen gibt es das Reichstagsgesetz, welches eine Zwischenstellung zwischen Verfassungsnorm und normalem Gesetz einnimmt. Verfassungsgesetze können nach Kap. 8 § 15 RF durch zwei zustimmende Beschlüsse des Reichstages mit einer dazwischen liegenden Wahl erlassen, geändert oder aufgehoben werden. Der erste Beschluss muss dabei mindestens neun Monate vor der Reichstagswahl gefasst worden sein (Kap. 8 § 15 RF). Eine zusätzliche formale Hürde besteht darin, dass ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung über die vorgeschlagene Verfassungsänderung verlangen kann. Änderungen der Hauptbestimmungen des Reichstagsgesetzes unterliegen denselben rechtlichen Hürden wie die vier Grundgesetze, es sei denn, dass bei einer Abstimmung im Reichstag eine Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen, die mehr als 50% der Mitglieder des Reichstages entsprechen muss, für die Änderung votiert (s.a. Jann/Tiessen 2008). Zusatzbestimmungen des Reichstagsgesetzes können genauso wie einfache Gesetze mit einer einfachen Mehrheit der Stimmen im Parlament geändert werden. Der Reichstag kann die Regierung zur Verabschiedung von Rechtsverordnungen ermächtigen (Kap. 8 §§ 7 bis 10 RF). Inhalt und Ausmaß dieser Ermächtigung wird im zugehörigen Gesetz geregelt. In bestimmten, in der Verfassung festgelegten, Fällen ist für den Erlass von Rechtsverordnungen keine Ermächtigung des Reichstages erforderlich (Kap. 8 § 13 RF). Der Reichstag kann festlegen, dass ihm bestimmte Rechtsverordnungen der Regierung zur Prüfung vorgelegt werden müssen (Kap. 8 § 12 RF). Zentrale Verwaltungsbehörden besitzen kein direkt aus der Verfassung ableitbares Recht zum Erlass von Rechtsnormen. Die Verfassung lässt jedoch zu, dass das Normgebungsrecht von Parlament und Regierung in einem gewis89
sen Ausmaß per Ermächtigung an Behörden delegiert werden kann (Kap. 8 § 11). Neben Vorschriften (‚föreskrifter’) können Behörden in Schweden auch sogenannte ‚Allgemeine Ratschläge’ (‚allmänna råd’) ausfertigen. Als ‚Allgemeine Ratschläge’ werden generelle Empfehlungen über die Anwendung einer Rechtsvorschrift bezeichnet, die angeben, wie man in bestimmten Situationen handeln kann oder sollte (SFS 1976: 725, § 1). ‚Allgemeine Ratschläge’ sind im Unterschied zu Vorschriften nicht bindend und benötigen auch keine Ermächtigung des Gesetzgebers. Ratschläge oder Empfehlungen, die sich auf einen anderen Bereich als auf die Anwendung/Ausführung von Rechtsvorschriften beziehen, sind von dem Begriff ‚Allgemeine Ratschläge’ nicht mit erfasst (Ds. 1998: 43). Werden Verwaltungsbehörden von der Regierung zur Ausfertigung von Vorschriften ermächtigt, dann werden die entsprechenden Vorschriften von den Behörden eigenständig ausgearbeitet, einem mehrstufigen59 Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen und schließlich – je nach Leitungsmodell – vom Vorstand oder vom Behördenleiter verabschiedet. ‚Allgemeine Ratschläge’ benötigen nicht immer einen formellen Beschluss des Vorstands/Behördenleiters, sondern werden zum Teil auch von Abteilungsleitern der Behörden erlassen und verantwortet. In den letzten Jahren hat es sich zunehmend durchgesetzt, dass zentrale Verwaltungsbehörden einen standardisierten ‚Vorschriftenprozess’ publizieren.60 Dies erhöht einerseits die Transparenz über behördeninterne Prozesse der Normentwicklung und Entscheidung und setzt andererseits gewisse Standards, beispielsweise in Bezug auf die Durchführung von Folgenabschätzungen. Die rechtliche Normgebungsmacht in Schweden wurde in den letzten Jahren ein Stück weit dezentralisiert. Zum einen erfolgte diese Dezentralisierung durch die zunehmende Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an die Regierung durch den Reichstag, zum anderen durch Ausgestaltung von Gesetzen als Rahmengesetze. Rahmengesetze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in erster Linie allgemeine Ziele und Richtlinien festlegen, während die präzise Rechtsetzung der Regierung, den Verwaltungsbehörden oder den Kommunen überlassen wird. Auch die Regionen können eigene Rechtsvorschriften, z.B. 59 1) ‚internremiss’: Abstimmung innerhalb der Behörde; 2) ‚samråd’: Abstimmung mit anderen betroffenen Behörden; 3) ‚externremiss’: umfassendes externes Konsultationsverfahren; 4) unter bestimmten Bedingungen Prüfung des Vorschlags durch das Zentralamt für Außenwirtschaft (innerhalb von drei Monaten) und ggf. Abänderung; 5) bei Änderungen infolge der Stellungnahme des Zentralamtes für Außenwirtschaft ggf. erneute externe Konsultation. 60 Vorreiter waren das Schwedische Zentralamt für Katastrophenschutz (‚räddningsverket’), das Schwedische Zentralamt für Landwirtschaft (‚jordbruksverket’) und das Staatliche Amt für Arzneimittelwesen (‚lädemedelsverket’).
90
über Naturreservate oder lokale Verkehrsvorschriften, erlassen. Kommunen besitzen in Schweden laut Verfassung das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Zwar können Kommunen genauso wie die Verwaltungsbehörden zum Erlass von Vorschriften ermächtigt werden (Kap. 8 § 11), die Verfassung enthält aber keine spezifischen Rechte der Kommunen und Regionen, d.h. die der subnationalen Ebene eingeräumten Kompetenzen und Entscheidungsspielräume können theoretisch jederzeit von der Zentrale widerrufen werden (Jann/Tiessen 2008). Rechtsvorschriften der Kommunen und der Regionen werden aufgrund der fehlenden Relevanz für die Fragestellung dieser Arbeit im Folgenden nicht näher behandelt. Stellt man sich die Frage, wie viele gültige Gesetze, Rechtsverordnungen und Vorschriften der zentralen Verwaltungsbehörden es in Schweden gibt, so fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Rechtsvorschriften (ebenso wie in Deutschland) mit abnehmender Hierarchiestufe zunimmt. Die Gesamtzahl der schwedischen Gesetze und Rechtsverordnungen ist seit dem Jahr 2000 ungefähr konstant und liegt bei 3.200 bis 3.300 (davon 1/3 formelle Gesetze und 2/3 Rechtsverordnungen). Betrachtet man die Entwicklung der Normenanzahl im Zeitverlauf, so wird evident, dass sich die Gesamtanzahl der gültigen Gesetze und Rechtsverordnungen in Schweden seit Beginn der politischen Bemühungen um eine Reduzierung des Normenbestandes seit Mitte der 1980er Jahre (siehe Kap. 2.2.7.2) deutlich verringert hat. 1985 waren ca. 3.900 Gesetze und Rechtsverordnungen in Kraft.61 Ähnliche Tendenzen wie für die Gesamtanzahl der Gesetze und Rechtsverordnungen lassen sich für die pro Jahr verabschiedeten Gesetzesänderungen konstatieren: Während in den 1980er und in der ersten Hälfte der 1990er Jahre jährlich mehr als 200 Regelungsvorhaben neu in Kraft traten, sank die Anzahl der pro Jahr verabschiedeten Gesetze und Rechtsverordnungen Ende der 1990er Jahre auf ca. 170 und befindet sich seitdem auf diesem Niveau (Regeringskansliets rättsdatabaser, Stand: 2006). Der größte Teil der schwedischen Rechtsetzung erfolgt durch Verwaltungsbehörden. Ein Fall, für welchen dies besonders deutlich wird, ist das Schwedische Lebensmittelgesetz (SFS 2006: 804). Dieses relativ knapp gehaltene Gesetz wird ergänzt durch mehr als 100 Vorschriften von Verwaltungsbehörden, die insgesamt über 1.800 Seiten lang sind (OECD 2007: 78). Welche Verwaltungsbehörden zur Ausfertigung von Vorschriften berechtigt sind, ist per Verordnung (SFS 1976: 725) festgelegt. Seit 1976 sind alle zentralen Verwaltungsbe61 Der Rückgang hängt z.T. damit zusammen, dass 1986 eine umfassende Rechtsbereinigung nach dem Guillotine-Prinzip stattfand (OECD 2007: 9f).
91
hörden in Schweden dazu verpflichtet (SFS 1976: 725, § 18), ein Verzeichnis sämtlicher gültiger Vorschriften und ‚Allgemeinen Ratschläge’ zu führen sowie dieses Verzeichnis regelmäßig zu drucken und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Hinsichtlich der Entwicklung der Anzahl der Vorschriften und ‚Allgemeinen Ratschläge’ der zentralen Verwaltungsbehörden lässt sich ähnlich wie bei Gesetzen und Rechtsverordnungen eine starke Abnahme seit Mitte der 1980er Jahre festhalten. So gibt es heute ca. 8.200 (OECD 2007: 9) gültige Vorschriften der Verwaltungsbehörden, 1994 waren es 12.200 und 1986 mehr als 20.000 (RRV 1996: 50, zitiert nach: Premfors et al. 2003: 281). Ungefähr die Hälfte davon sind externe Vorschriften und knapp 30% interne Vorschriften. Bei den übrigen 20% handelt es sich um rechtlich nicht bindende ‚Allgemeine Ratschläge’ (Sterzel 2004). Zusammenfassend lässt sich festhalten: D
D
D
Die Anzahl der jährlich in Kraft getretenen Gesetze und Rechtsverordnungen ist in Schweden ebenso wie die Gesamtzahl dieser Arten von Rechtsnormen seit den 1980er Jahren deutlich zurückgegangen. Heute gibt es in Schweden ca. 3.300 gültige Gesetze und Rechtsverordnungen. Diese Zahlen überraschen wenig angesichts der Dezentralisierungstendenzen in der Normgebung. Der quantitativ größte Teil der schwedischen Rechtsetzung erfolgt durch fachlich spezialisierte, zentrale Verwaltungsbehörden (Agencies). Zentrale Verwaltungsbehörden erlassen zwei Arten von Normen: Rechtlich bindende Vorschriften (häufig zur Konkretisierung und Ausführung von Gesetzen und Rechtsverordnungen) sowie ‚Allgemeine Ratschläge’. Insgesamt gibt es derzeit 8.200 Vorschriften und ‚Allgemeine Ratschläge’. Die rechtlich bindenden Vorschriften bilden quantitativ gesehen die Mehrheit (80%).
Daraus folgt, dass im schwedischen Rechtsetzungssystem die zentralen Verwaltungsbehörden eine wichtige Rolle spielen. Diese Tatsache spiegelt sich nicht nur in der Anzahl der erlassenen Vorschriften wider, sondern auch darin, dass Beamte der zentralen Behörden häufig den Vorsitz der für die Gesetzesvorbereitung in Schweden außerordentlich bedeutenden staatlichen Untersuchungskommissionen innehaben (SOU 1999: 121). Im nächsten Kapitel wird die Institution des Kommissionswesens und deren Rolle für die Vorbereitung von Gesetzen näher beleuchtet.
92
2.2.3 Vorstrukturierung von Politikinhalten im Kommissionswesen Öffentliche Untersuchungskommissionen des Staates (‚statens offentliga utredningar’, kurz: SOU), im Folgenden als Kommissionen bezeichnet, werden in Schweden zu bestimmten Themenbereichen von der Regierung eingesetzt und führen im Vorfeld der Rechtsetzung umfassende Recherchearbeiten und Untersuchungen durch. Sie analysieren die wesentlichen Entwicklungslinien eines Policy-Bereiches und systematisieren aktuelle Problemfelder. Auf dieser Grundlage erarbeiten die Kommissionen alternative Lösungsvorschläge für die Regierung und bewerten diese (in unterschiedlicher Intensität und Schwerpunktsetzung) im Hinblick auf zu erwartende politische Steuerungswirkungen. Die von einer Kommission entwickelten Policy-Empfehlungen werden im Rahmen eines Schlussgutachtens (‚betänkande’) publiziert. Häufig veröffentlichen die Untersuchungskommissionen bereits vor Erstellung des Schlussgutachtens ein oder mehrere Teilgutachten (‚delbetänkande’), die sich mit bestimmten Unteraspekten des Themas auseinandersetzen. Alle Kommissionsgutachten werden einem ausführlichen und offenen schriftlichen Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen. Die Kommissionsgutachten und die Stellungnahmen aus dem RemissVerfahren bilden die Grundlage für die Erstellung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen in der Kanzlei der Ministerien.62 Die Regierungsentwürfe können mit den Kommissionsvorschlägen identisch sein, manchmal weichen sie aber auch erheblich davon ab. Ziele, Arbeitsweise und -dauer sowie das Budget der Kommissionen legt die Regierung im Rahmen von sogenannten Kommissionsdirektiven (im Folgenden kurz: Direktiven) fest. Gelegentlich wird der Untersuchungsauftrag an die Kommissionen zu einem späteren Zeitpunkt noch durch sogenannte „Zusatzdirektiven“ ergänzt. Direktiven der Regierung werden von der für den Problembereich zuständigen Einheit eines Fachministeriums ausgearbeitet. Sie sind meist zwischen zehn und 20 Seiten lang, in Einzelfällen aber auch etwas kürzer oder etwas umfangreicher.63 Die Direktiven enthalten üblicherweise eine Zusammenfassung des Untersuchungsauftrages, eine Beschreibung der Gründe für die Einberufung der Kommission, eine detaillierte Beschreibung der Untersuchungsziele und -inhalte sowie Angaben zur Durchführung (z.B. zu evaluierende Folgenaspekte, Kostenberechnungen, zu nutzende Unterstützungsmateria62 Ca. 15% der Kommissionsberichte werden von der Regierung fallen gelassen und nicht zu einem Gesetzentwurf ausgearbeitet (Jann/Tiessen 2008). 63 Eigene Auszählung der Autorin.
93
lien, einzubeziehende Akteure oder Institutionen64) und zum Zeitplan. Darüber hinaus formulieren die Direktiven meist den expliziten Auftrag an die Kommissionen, die aus ihren Politikvorschlägen resultierenden rechtlichen Änderungen in konkrete Gesetzes- oder Verordnungsentwürfe zu fassen. Die Arbeitsdauer von Kommissionen in Schweden reicht von einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren. Seit der Kommissionsreform im Jahr 1982 hat sich die durchschnittliche Arbeitszeit von Kommissionen deutlich verringert (RR 1996/97: 6), sie liegt gegenwärtig bei knapp zwei Jahren. Im Gegensatz zur Zeit vor 1982 ist es heute üblich, den Kommissionen im Rahmen der Direktiven klare zeitliche Vorgaben zu machen. Eine empirische Studie von Johansson verdeutlicht, dass nach 1982 der Anteil der Kommissionen, welche ihr Schlussgutachten nach drei oder mehr Jahren ablieferte, rapide sank (1982: 39%; 1988: 17%) (Johansson 1992: 75). Zudem waren bis Mitte der 1970er Jahre in weniger als einem Viertel der Kommissionsdirektiven Zeitvorgaben enthalten, während 1988 93% der Direktiven zeitliche Begrenzungen für die Kommissionsarbeit setzten (Johansson 1992: 81). Bei der politischen Steuerung der Kommissionen spielen neben den Direktiven die per Regierungsbeschluss erfolgenden Festlegungen zur personellen Zusammensetzung eine wichtige Rolle. Die Besetzung der Kommissionen weist eine große Bandbreite auf. Je nach Problemlage können sie nur aus ein oder zwei Personen bestehen oder aber ein großes Gremium aus Vertretern der öffentlichen Verwaltung, Sachverständigen und Experten65, Interessenvertretern und Parlamentsmitgliedern sein. Formal unterscheidet die Kommissionsverordnung (SFS 1996: 119) zwei Typen von Kommissionen: Kommissionen mit einem Vorsitzenden und mehreren stimmberechtigten Mitgliedern (dazu gehören auch die sogenannten Parlamentarischen Kommissionen) sowie Einmannkommissionen (‚särskild utredare’) (Gunnarsson/Lemne 1998: 13). In der Praxis variieren Bezeichnung66 und Zusammensetzung der Kommissionen doch deutlich 64 Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat es sich immer mehr durchgesetzt, den Kommissionen im Rahmen der Direktiven explizit vorzuschreiben, mit welchen Institutionen sie sich bei ihrer Arbeit beraten sollen (Johansson 1992: 81). 65 In der Terminologie des Kommissionswesens wird zwischen Sachverständigen und Experten unterschieden. Sachverständige sind für einen längeren Zeitraum (häufig für die gesamte Arbeitsperiode der Kommission) an die Kommission gebunden, während Experten nach Bedarf kurzfristig zur Kommissionsarbeit hinzugezogen werden. Sachverständige und reguläre Kommissionsmitglieder unterscheiden sich in der Praxis kaum. Beide Gruppen haben z.B. das Recht, im Rahmen von „Reservationen“ schriftlich abweichende Positionen publik zu machen. 66 Üblich sind Organisationskomitee, Delegation, Arbeitsgruppe, Untersuchung, Rat oder Kommission (Gunnarsson/Lemne 1998: 38).
94
stärker als dies in der Kommissionsverordnung vorgesehen ist. So kann beispielsweise ein ‚särskild utredare’ sowohl Kommissionsmitglieder als auch Sachverständige an sich gebunden haben und damit einer normalen Kommission ähneln. Während bis Anfang der 1980er Jahre die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder Beamte aus den zentralen Verwaltungsbehörden waren, bilden seit Mitte der 1980er Jahre Parteivertreter die größte Gruppe (siehe Abb. 1) (SOU 1999: 121: 29; Johansson 1992: 69). Die abnehmende Bedeutung von klassischen Beamten (‚ämbetsmann’) aus den zentralen Verwaltungsbehörden betrifft vor allem Kommissionen mit mehreren stimmberechtigten Mitgliedern, während Einmannkommissionen auch heute noch häufig von einem Behördenvertreter geleitet werden (SOU 1999: 121: 29). Auch beim Anteil der Verbandsvertreter zeigen sich deutliche Differenzen zwischen Einmannkommissionen und den Kommissionen mit mehreren Mitgliedern. Während Einmannkommissionen nur sehr selten von Verbandsvertretern geleitet werden, lag der Anteil der Verbandsvertreter an den Kommissionsmitgliedern in größeren Kommissionen in der Blütezeit des schwedischen Korporatismus in den 1950er und 1960er Jahren bei 20%, sank dann bis 1985 kontinuierlich auf unter 10%, stagnierte in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auf diesem Niveau und stieg danach wieder etwas an. 1995 besaßen 14% der Kommissionsmitglieder (ohne Einmannkommissionen) einen Hintergrund als Verbandsvertreter (SOU 1999: 121: 29). Insgesamt ist die Anzahl der Kommissionen, in welchen Vertreter aller wichtigen Interessengruppen eines Politikfeldes vertreten sind, in den letzten drei Jahrzehnten gesunken (Ullsten 2003). Für die Arbeitsweise, den Diskurs und die Entscheidungsfindung im Kommissionswesen sind nicht nur die stimmberechtigten Mitglieder von Bedeutung, sondern auch die nicht-stimmberechtigten Sachverständigen und Experten. Daten zum beruflichen Hintergrund dieser Gruppe liegen leider nur für den Zeitraum 1955–1989 vor. Die deutlich größte Berufsgruppe unter den Sachverständigen und Experten waren 1989 die Beamten aus zentralen Verwaltungsbehörden (42%), gefolgt von den Ministerialbeamten (33%). Interessant sind die eindeutigen Entwicklungslinien in diesen beiden Berufsgruppen, welche sich bei der Betrachtung der Zeitreihe zeigen (siehe Abb. 2). Verbandsvertreter, Repräsentanten von privaten Unternehmen und Wissenschaftler stellten die übrigen drei relevanten Berufsgruppen unter den Sachverständigen und Experten im Kommissionswesen dar. Politiker hingegen, welche unter den stimmberechtigten Mitgliedern die größte Gruppe bildeten, spielten als Sachverständige oder Experten im Kommissionswesen keine Rolle. 95
Abb. 1: Kommissionsmitglieder 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen (SWE) 60
50
40
30
20
10
0 195557
195773
197376
197678
197879
SAP +C
SAP
SAP
C+Fp+M
Fp
197981
198182
C+Fp+M C+Fp
198288
198889
SAP
SAP
P olit iker
M inist erialbeam t er
Behörde
Verband
P rivat e
W issenschaft ler
Anmerkungen: Angaben in %. Zeiträume nach Regierung (SAP = Sozialdemokratische Partei; C = Zentrumspartei; Fp = Liberale Partei; M = Moderate Sammlungspartei); Kategorien „Sonstige“ und „keine Angabe“ in Abb. nicht enthalten; Datenquelle: Johansson 1992, S. 67; eigene Grafik.
96
Abb. 2: Experten und Sachverständige im schwedischen Kommissionswesen 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen 70 60 50 40 30 20 10 0 195557
195773
197376
197678
197879
SAP +C
SAP
SAP
C+Fp+M
Fp
197981
198182
C+Fp+M C+Fp
198288
198889
SAP
SAP
P olit iker
M inist erialbeam t er
Behörde
Verband
P rivat e
W issenschaft ler
Anmerkungen: Angaben in %. Zeiträume nach Regierung (SAP = Sozialdemokratische Partei; C = Zentrumspartei; Fp = Liberale Partei; M = Moderate Sammlungspartei); Kategorien „Sonstige“ und „keine Angabe“ in Abb. nicht enthalten; Datenquelle: Johansson 1992, S. 67; eigene Grafik.
Unabhängig von der Zahl der stimmberechtigten Mitglieder sowie der Sachverständigen und Experten besitzt jede Kommission ein Kommissionssekretariat im zuständigen Fachministerium. Das Kommissionssekretariat kümmert sich um die laufende Kommissionsarbeit, führt Teilstudien durch, bereitet die Beschlüsse 97
der Kommission vor und dokumentiert diese. Im Normalfall ist es auch das Kommissionssekretariat, welches ausgehend von den Beschlüssen und Vorgaben der Kommissionsmitglieder die schriftlichen Gutachten der Kommission ausformuliert (Premfors et al. 2003: 157). Mitarbeiter des Kommissionssekretariats haben üblicherweise einen Hintergrund als Beamte in einer zentralen Verwaltungsbehörde (65–75%), oder sie stammen aus dem federführend zuständigen Ministerium (20–25%) (Johansson 1992: 68). Zwar ist es auch in anderen Staaten üblich, bestimmte politische Entscheidungen außerhalb der regierungseigenen Verwaltung im Rahmen von Sachverständigenkommissionen vorzubereiten, jedoch nicht im selben Ausmaß wie in Schweden, wo fast alle wichtigen politischen Entscheidungen durch eine, zum Teil aber auch durch mehrere Kommissionen vorbereitet werden. Betrachtet man die Anzahl der staatlichen Kommissionen, so lässt sich die ‚große Zeit’ des Kommissionswesens in Schweden auf den Zeitraum von 1965 bis 1980 datieren. Mitte der 1960er Jahre erhöhte sich die Anzahl der Kommissionen von 250 auf 300. 1980 erreichte die Anzahl der Kommissionen mit 422 ihren Höhepunkt. Danach setzte ein starker Rückgang ein. 1987 gab es ‚nur’ noch 195 Kommissionen, die staatlichen Ausgaben für die Kommissionen waren von 230 Mio. SEK 1981/82 auf 120 Mio. SEK 1986/87 gesunken. Das Personal der Kommissionen verringerte sich zwischen 1981 und 1988/89 um zwei Drittel. Der Rückgang der Gesamtanzahl der Kommissionen in den 1980er Jahren hing eng mit der Kommissionsreform 1982 zusammen, welche neben der bereits erwähnten Begrenzung des Zeitrahmens eine Verringerung der Anzahl der Kommissionen zum Ziel hatte. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stieg die Gesamtanzahl der Kommissionen im Zusammenhang mit den beiden Regierungswechseln 1991 und 1994 wieder an und lag seit Mitte der 1990er Jahre bis 2004 konstant bei ca. 300 aktiven Kommissionen pro Jahr (Skr. 2002/03: 103; Skr. 2003/04: 103; Skr. 2004/05: 103; Gunnarsson/Lemne 1998: 33; Premfors et al. 2003: 155). 2005 sank die Gesamtanzahl der Kommissionen wieder etwas (280). Im Wahljahr 2006 war der Rückgang noch deutlicher (236 Kommissionen) (Skr. 2005/06: 103; Skr. 2006/07: 103). Unabhängig vom quantitativen Rückgang in der Anzahl der Kommissionen im Vergleich zu den 1970er Jahren bilden staatliche Untersuchungskommissionen in Schweden heute weiterhin eine fest verankerte und wichtige Institution im Politikformulierungsprozess. Die enorme Bedeutung des Kommissionswesens spiegelt sich in den von der Regierung zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel wider. Fast ein Fünftel der Ressourcen der Kanzlei der Ministerien (außer Außenministerium) entfallen auf das Kommissionswesen (Untersuchung für das Jahr 1997, Gunnarsson/Lemne 1998: 13). 98
Das Kommissionswesen bildet auch deshalb ein wichtiges Charakteristikum des schwedischen politischen Systems und der politischen Kultur, weil dessen historische Wurzeln bereits bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen.67 Kommissionen werden problemorientiert eingesetzt. Das Fachwissen von Sachverständigen und Experten sowie die Verwendung sozialwissenschaftlicher Methoden bei der Beurteilung des Status Quo und bei der Bewertung alternativer Handlungsoptionen spielen in der Kommissionsarbeit eine wichtige Rolle. Deshalb wurde in der Wissenschaft zum Teil davon gesprochen, dass das Kommissionswesen Ausdruck eines „rational orientierten“ schwedischen Politikstil sei (Anton 1969). Empirische Studien zeigen, dass diese Einschätzung zwar tendenziell zutrifft, jedoch deutlich eingeschränkt werden muss. So kam Johansson Anfang der 1990er Jahre auf Grundlage mehrerer Fallstudien im Kommissionswesen zu dem Schluss, dass bei den zentralen politischen Fragestellungen sachliche Argumente nur eine untergeordnete Rolle spielen und stattdessen das Streben nach politischem Einfluss im Vordergrund steht. „Wissen“ stellt im Prozess der Entscheidungsfindung eine wesentliche Machtressource dar, um eigene Interesse durchzusetzen und Einfluss auszuüben: „Was sich auch zeigt ist, wie wenig sachlich die verschiedenen Akteure in der Kommissionsarbeit über wichtige Fragen diskutieren. Möglicherweise beruht dies darauf, dass die Teilnehmer die gegenseitigen Positionen gut von früher kennen. Man hat sich bereits in anderen Kommissionen oder auf anderen Arenen getroffen. Sicher ist es möglich, die ‚technisch beste’ Lösung für weniger wichtige Teile der Untersuchungsarbeit zu finden. (…) Aber bei den zentralen Fragen ist dies weniger üblich. Bei der Kommissionsarbeit geht es stattdessen vor allem um das Streben der verschiedenen Akteure nach Einfluss. Wissen scheint ein wichtiges Mittel beim Austragen dieser Konflikte zu sein.“ (Johansson 1992: 240)
Obwohl politische Interessen, Macht und Einfluss in der Kommissionsarbeit eine nicht unbedeutende Rolle spielen, kann konstatiert werden, dass die Institution des Kommissionswesens einen sachlichen Diskurs über politische Lösungsansätze auf Basis umfassender und transparenter Untersuchungen zum Problemfeld fördert, da – wie auch im oben genannten Zitat erwähnt – die Akteure ihre Interessen durch nachvollziehbare Argumente untermauern müssen, um im diskursiven Verhandlungsprozess erfolgreich zu sein. Von großer Bedeutung ist hierbei das im Remiss-Verfahren strukturell verankerte Öffentlichkeitsprinzip, 67 Für eine historische Darstellung bis Anfang des 20. Jahrhunderts, leider nur auf schwedisch, siehe Hesslén 1927; eine Darstellung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liefert Meijer 1956.
99
welches eine Aushandlung von interessengeleiteten politischen Kompromissen in geschlossenen Netzwerken ohne die Unterstützung durch Sachargumente und ohne öffentliche Kontrolle erschwert.68 Neben der Generierung und Strukturierung von Wissen über Probleme und Lösungen erfüllen Kommissionen im schwedischen Prozess der Gesetzesvorbereitung eine weitere wichtige Funktion: Sie übernehmen die Vor-Abstimmung von Regelungsvorschlägen, indem sie verschiedene gesellschaftliche Akteure in die Gestaltung von Reformvorhaben mit einbeziehen. Diese Vorstrukturierung und Aushandlung von Politikinhalten findet in zwei Stufen statt: 1) in der Kommissionsarbeit durch die Integration relevanter gesellschaftlicher Interessengruppen und 2) im Remiss-Verfahren zum Kommissionsgutachten durch die Möglichkeit zur Stellungnahme und Intervention in einer frühen Phase des Rechtsetzungsprozesses. Dadurch wird die gesellschaftliche und parlamentarische Akzeptanz von Gesetzentwürfen der Regierung gefördert. Die Kompromiss- und Konsensorientierung ist im Kommissionswesen strukturell darin verankert, dass sich die Kommissionsmitglieder auf ein Schlussgutachten einigen müssen. Allerdings besitzen (wie bereits erwähnt) die Kommissionsmitglieder und Sachverständigen die Möglichkeit, eine sogenannte ‚reservation’ zu schreiben, falls zu bestimmten Fragen kein Konsens erzielt werden konnte. Besonders ausgeprägt ist die Integrations- und Kompromissförderungsfunktion von Kommissionen im Falle der sog. ‚Parlamentarischen Kommissionen’. Als Parlamentarische Kommissionen werden diejenigen Kommissionen bezeichnet, zu deren Mitgliedern mindestens zwei Parlamentarier gehören. Unterschieden werden Parlamentarische Kommissionen, in denen alle Reichstagsparteien mitarbeiten und solche, in welchen nur die größten Fraktionen vertreten sind. Insbesondere durch die Mitarbeit in den alle Reichstagsparteien umfassenden Parlamentarischen Kommissionen werden Mitglieder der Oppositionsparteien frühzeitig am Politikformulierungsprozess beteiligt und können ihre Vorstellungen und Positionen einbringen. Durch die formelle Einbindung und Integration in die konsensorientierten Strukturen des Kommissionswesens werden die Möglichkeiten der Opposition zur Entwicklung von grundsätzlichen Gegenentwürfen zur Regierungspolitik sowie zur Äußerung von Kritik an den Gesetzgebungsvorhaben der Regierung eingeschränkt. Im Gegensatz zum verbreiteten Bild der Kommissionen als Arenen eines argumentativen und offenen Diskurses über Politikgestaltung wurden sie in Schweden von einigen Forschern 68 Das bedeutet nicht, dass es nicht auch in Schweden sog. ‚sub-governments’ gibt, aber deren dauerhafte Etablierung und Abschließung nach außen wird durch strukturelle Merkmale des schwedischen Systems deutlich erschwert.
100
dafür kritisiert, dass sie politische Entscheidungen zugunsten der Vorstellungen der etablierten Akteure eines Politikbereiches (Verwaltung und Interessengruppen, Fachpolitiker der Regierungsparteien) präjudizieren und einschränken (Jann 1989: 392). Hier zeigt sich eine gewisse Ambivalenz in den Argumenten: Kommissionen stellen einerseits institutionalisierte und geschlossene Entscheidungsnetzwerke dar und verringern damit den Wettbewerb von Politikinhalten in anderen Arenen (z.B. im Reichstag im Falle der Parlamentarischen Kommissionen), andererseits unterliegen sie durch Publikationspflichten und das Remiss-Verfahren einer öffentlichen Kontrolle. Ihr nicht-dauerhafter und formeller Charakter trägt zudem dazu bei, dass die Akteurskonstellationen in den PolicyNetzwerken transparent bleiben und sich nicht zu stark verfestigen können, schließlich müssen Entscheidungen über die Zusammensetzung von Kommissionen im Einzelfall immer wieder neu ausgehandelt werden. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen an allen Kommissionen deutlich verringert. So waren Anfang der 1980er Jahre noch ein Drittel aller Kommissionen Parlamentarische Kommissionen, Mitte der 1990er Jahre betraf dies ein Fünftel und 2002 lag der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen nur noch bei einem Zehntel aller Kommissionen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Parlamentarische Kommissionen, in denen Repräsentanten aller Reichstagsparteien vertreten sind, heute viel seltener sind als in den 1970er und 1980er Jahren (RiR 1996/97: 6; RiR 2004: 2). Auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint die Tatsache, dass sich trotz der abnehmenden Bedeutung Parlamentarischer Kommissionen der Anteil der Parteipolitiker im Kommissionswesen in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht hat (SOU 1999: 121). Betrachtet man die Daten näher, löst sich dieser Gegensatz jedoch auf, da Parlamentarische Kommissionen als Kommissionen definiert werden, in denen mindestens zwei Parlamentsparteien vertreten sind. Die Zunahme der Parteivertreter im Kommissionswesen lässt sich deshalb darauf zurückführen, dass in immer mehr Kommissionen nur die größte (Regierungs-)Partei vertreten war. Diese empirischen Phänomene sind ein Ausdruck der wachsenden Steuerung des Kommissionswesens durch die Regierung seit Anfang der 1980er Jahre, in der Forschung meist als „Politisierung des Kommissionswesens“ (Gunnarsson/Lemne 1998: 55) bezeichnet. Die groß angelegte schwedische „Machtuntersuchung“ 1990 sprach von einem „Bedeutungsverlust des Kommissionswesens“ (SOU 1990: 144). Forscher konstatierten, dass die Kommissionen als Instrument zur Generierung neuen Wissens (Fors/Uhrwing 2003: 7) und zur Kompromissfindung (Gunnarsson/Lemne 1998: 13; Jahn 2003: 103) an Bedeu101
tung verloren hätten. Kritisiert wurde, dass die Kommissionen zu stark durch die Regierung gelenkt werden und deshalb ihre Konsensbildungsfunktion nicht mehr erfüllen. Letzteres äußere sich - wie die Kommission zu „Demokratie und Macht in Schweden“ 1990 feststellte - beispielsweise darin, dass unaufgelöste Meinungsgegensätze, welche im Kommissionswesen in den ‚Reservationen’ ihren Ausdruck finden, zugenommen hätten (SOU 1990: 44: 188; s.a. Johansson 1992: 232). Zudem wurden in den 1980er und 1990er Jahren immer mehr Einmannkommissionen (Johansson 1992: 91; s.a. Gunnarsson/Lemne 1998: 13) eingesetzt. 1960 waren ca. ein Drittel aller Kommissionen Einmannkommissionen, 1995 hingegen betraf dies zwei Drittel (SOU 1999: 121: 29). Weitere Indizien für eine Verringerung der Unabhängigkeit der Kommissionen sind die zunehmende Steuerung der Kommissionen über Direktiven der Regierung (beginnend in den 1960er Jahren bis Mitte der 1990er Jahre) (Johansson 1992: 81)69 und die bereits dargestellten Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der Kommissionen, insbesondere der sich erhöhende Anteil von Sachverständigen und Experten aus der Ministerialverwaltung70 und von Parteipolitikern als Kommissionsmitgliedern, verbunden mit einem sinkenden Anteil von klassischen Verwaltungsbeamten (aus den zentralen Verwaltungsbehörden) (Johansson 1992: 67). Zusammenfassend sind folgende Merkmale und Entwicklungstendenzen des schwedischen Kommissionswesens festzuhalten: D D
D
Fast alle wichtigen Gesetzgebungsvorhaben in Schweden werden durch Kommissionen vorbereitet. Kommissionen dienen der Erarbeitung und Analyse von politischen Handlungsmöglichkeiten, ihre Ergebnisse (Gutachten) werden einem offenen und schriftlichen Konsultationsverfahren unterzogen. Bereits im Kommissionswesen werden gesetzgeberische Steuerungsoptionen vorabgestimmt. Die Arbeitsweise der Kommissionen ist konsensorientiert. Empirische Daten konstatieren jedoch seit Anfang der 1980er Jahre eine abnehmende Bedeutung der Kommissionen als Foren der gesamtgesellschaftlichen Konsensbildung: sinkende Anzahl Parla-
69 Seit 1995 ist die absolute Zahl der Kommissionsdirektiven (inklusive Zusatzdirektiven) relativ konstant (1995: 165; 2006: 141) (Regeringskansliet 2006: 101). 70 In einer Interviewstudie 2005 äußerten sich viele Kommissionsmitglieder und -sekretäre kritisch gegenüber der Rolle von Ministerialbeamten in den Kommissionen: „Die Vertreter der Ministerien sitzen (…) im Allgemeinen nur dabei und bewachen bereits von Anfang an feststehende Positionen.“ (Regeringskansliet 2005b: 64).
102
D
D
mentarischer Kommissionen mit Vertretern aller Parteien, weniger Kommissionen mit Vertretern aller wichtigen Interessengruppen eines Politikfeldes, mehr Einmannkommissionen, mehr Reservationen. Seit der Kommissionsreform im Jahr 1982 ist die Arbeitszeit der Kommissionen deutlich kürzer geworden, gleichzeitig werden jährlich mehr Kommissionen neu eingesetzt. Die Gesamtzahl der Kommissionen hingegen ist (nach einem deutlichen Rückgang bis Ende der 1980er Jahre) seit Mitte der 1990er Jahre konstant. Anfang der 1980er Jahre setzte ein Prozess der Politisierung des Kommissionswesens ein. Damit ist die stärkere Steuerung der Kommissionen durch die Regierung bzw. eine sinkende politische Unabhängigkeit gemeint. Diese Tendenz spiegelte sich in einer quantitativen Zunahme und wachsenden Detailliertheit der Direktiven bis Mitte der 1990er Jahre, in der prozentualen Zunahme des Anteils regierungsnaher Kommissionsmitarbeiter (Regierungsparteivertreter als Mitglieder, Ministerialbeamte als Sachverständige oder Experten) und in der wachsenden Bedeutung leicht steuerbarer Einmannkommissionen wider.
Trotz der aufgezeigten Veränderungstendenzen können Kommissionen in Schweden auch heute noch in einer gewissen Unabhängigkeit von der Regierung agieren und leisten nicht selten einen wesentlichen Beitrag zur Offenlegung, Diskussion und Abstimmung widerstreitender Positionen. 71 Sie entlasten damit die Ministerialverwaltung, deren Rolle und Aufgaben im Prozess der Gesetzesvorbereitung im Zentrum des folgenden Unterkapitels steht, von Aufgaben der Vorabstimmung von Politikinhalten, der Wissensgenerierung und der Alternativenbeurteilung.
2.2.4 Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung Nach der schwedischen Verfassung haben die Regierung, einzelne Mitglieder oder Gruppen des Reichstages sowie ständige Ausschüsse das Recht, Gesetzentwürfe in den Reichstag einzubringen oder (nur im Falle parlamentarischer Initiativen) die Regierung aufzufordern, Gesetzentwürfe vorzubereiten. Das Initiativrecht der Reichstagsabgeordneten ist an einen bestimmten Zeitraum des 71 Dass viele Konflikte schon im Kommissionswesen gelöst werden, zeigt anschaulich die Fallstudie von Erlandsson zur Entstehung der Proposition zur Raubtierpolitik 2001.
103
parlamentarischen Jahres gebunden (die sogenannte „allgemeine Motionszeit“). Die ‚allgemeine Motionszeit’ erstreckt sich über die ersten fünfzehn Tage nach Einbringen des Budgetvorschlages im Anschluss an die parlamentarische Sommerpause (spätestens bis zum 20. September in Nicht-Wahljahren). Danach beschränkt sich das Initiativrecht der Reichstagsmitglieder auf Änderungsanträge (sog. ‚Folgemotionen’) zu Regierungsentwürfen. Die Gesetzesinitiativen der Mitglieder des Reichstages haben in der Regel nicht die Form einer fertigen Gesetzesvorlage, sondern enthalten lediglich die Aufforderung an die Regierung, Lösungsvorschläge für bestimmte Angelegenheiten zu entwickeln (Jann/Tiessen 2008). Motionen werden ohne Behandlung im Plenum den Ausschüssen zugewiesen, die diese beraten und mit einem zustimmenden oder ablehnenden Votum dem Plenum wieder vorlegen. Anschließend kann der Reichstag die Regierung beispielsweise zur Einsetzung einer Kommission auffordern. Insgesamt gehen ca. ein Fünftel der Gesetzesinitiativen auf den Reichstag zurück. In vier Fünftel der Fälle hingegen kommt der formale Anstoß für Gesetzgebungsvorhaben von der Regierung72, häufig durch Einsetzen einer Kommission. Auch wenn das schwedische Kommissionswesen im internationalen Vergleich von herausragender Bedeutung ist, werden bei weitem nicht für alle Regelungsvorhaben Kommissionen eingesetzt. Bei weniger umfangreichen Problemstellungen wird in der Regel eine Einheit des zuständigen Ministeriums mit den Vorbereitungsarbeiten betraut (s.a. Kap. 3.3.3 zum Anteil der Propositionen aus dem Jahr 2006, welche durch Kommissionen vorbereitet wurden). Üblich ist es auch, die grundlegenden Vorbereitungsarbeiten für neue Regelungen an eine zentrale Verwaltungsbehörde zu delegieren oder private Beratungsunternehmen mit Zuarbeiten zu beauftragen (Premfors et al. 2003: 158f). Politikformulierung in Schweden ist keine Aufgabe, die ausschließlich von der Ministerialverwaltung wahrgenommen wird, sondern sie geschieht zu bedeutenden Anteilen im Rahmen des Kommissionswesens sowie durch Zuarbeiten der staatlichen Behörden oder von anderen Institutionen. Auch die im Rahmen des Remiss-Verfahrens getätigten Stellungnahmen bilden eine wichtige Grundlage für die Erstellung von Regelungsentwürfen. Aufgabe der Ministerien ist es vor allem, den auf eine Vielzahl von Akteuren verteilten Politikformulierungsprozess zu steuern und zu koordinieren (Premfors et al. 2003: 146). Zudem sind die Ministerien dafür verantwortlich, 72 Vom wem die Initiative für Gesetzesänderungen oder neue Gesetze real ausgegangen ist, lässt sich im Nachhinein oft nur schwer feststellen. Trotz der formalen Dominanz der Regierung spielt der Reichstag dabei ebenfalls oft eine wichtige Rolle (s.a. Jann 1989: 383f; Zahlen aus Jann/Tiessen 2008).
104
auf Grundlage der vorhandenen Materialien den finalen Regierungsentwurf (Proposition) zu erstellen und diesen politisch so abzustimmen, dass er vom Kabinett verabschiedet werden kann. Wie intensiv die politische Führung in den Prozess der Propositionserstellung eingreift, hängt ebenso wie in Deutschland stark davon ab, ob es sich um ein öffentlich und politisch stark diskutiertes Thema handelt oder nicht. Bei Themen, die weniger im Rampenlicht stehen, sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Ministerialverwaltung in der Regel größer und die Steuerungseingriffe der Politik seltener und finden im Prozessverlauf meist erst relativ spät statt (Erlandsson 2001: 43). Hilfestellung für die Ministerialbeamten beim Ausformulieren von Gesetzentwürfen bieten verschiedene Handbücher und Leitfäden, z.B. die „Richtlinien für die Gesetzessprache“ (PM 1994: 4), das „Schwarze Buch“ (PM 2004: 1) mit einer Liste von in Rechtstexten nicht zu verwendenden Wörtern und Phrasen oder die im Jahr 1969 erstmals von der Kanzlei des Ministerpräsidenten unter der Bezeichnung „Grünes Buch“ herausgegebenen Richtlinien für das Schreiben von Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen und Rundschreiben. Diese umfangreichen Richtlinien, die zuletzt im Jahr 1998 in einer neuen Auflage herauskamen (Ds. 1998: 66), enthalten vorrangig technische Hinweise zur Verwendung von Rubriken, zum Einleitungstext, zu Sprache und Redaktion sowie zur Formulierung von bestimmten Inhalten (wie z.B. von Strafbestimmungen oder Bestimmungen über das In- und Außerkrafttreten von Vorschriften). Von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus das sogenannte „Propositionshandbuch“ (Ds. 1997: 1), welches auf reichlich 150 Seiten praxisorientierte Hinweise zu rechtlichen Regelungen und zur Erstellung von Propositionen gibt, und verschiedene Unterstützungsmaterialien zur Folgenabschätzung und Qualitätssicherung im Rechtsetzungsprozess (siehe Kap. 3.3.1) sowie zur Rechtsetzung in der EU (PM 2005: 3). Daneben enthalten Handbücher für die zentralen Verwaltungsbehörden (Ds. 1988: 43; Ds. 2004: 45) und das Kommissionshandbuch (Ds. 2000: 1) hilfreiche Hinweise, die auch für den Bereich der Kanzlei der Ministerien Relevanz besitzen (Ds. 1997: 1: 84). Liegt ein erster Regelungsentwurf vor, wird dieser zunächst hausintern innerhalb des zuständigen Fachministeriums (mit anderen betroffenen Sacheinheiten sowie mit der politischen Spitze im Ministerium) abgestimmt. Ist die hausinterne Abstimmung abgeschlossen, erfolgt die Abstimmung mit anderen betroffenen Ministerien im Rahmen eines interministeriellen schriftlichen Konsultationsverfahrens (‚delning’). Das zuständige Ministerium sendet im Rahmen dieses Verfahrens einen Entwurf an die anderen Ministerien, welche innerhalb einer Frist von mindestens fünf Arbeitstagen schriftlich dazu Stellung nehmen 105
können (Premfors/Sundström 2007: 54ff; Ds. 1997: 1: 89). Kann auf der Arbeitsebene keine Einigkeit über einen Entwurf erzielt werden, dann wird die Abstimmung auf die Staatssekretärsebene gehoben. Ist auch hier keine Einigkeit möglich, landet die strittige Frage auf der Agenda der Minister. Die „Verordnung über die Kanzlei der Ministerien“ in Schweden legt fest, dass Regierungsangelegenheiten, die den Zuständigkeitsbereich mehrerer Ministerien berühren, gemeinsam vorbereitet werden sollen. Wie diese „gemeinsame Vorbereitung“ aussehen soll, ist nicht näher geregelt (SFS 1996: 1515, § 15). In der Praxis kann die gemeinsame Vorbereitung auf vielfältige Art und Weise geschehen: per E-Mail, durch informelle Gespräche, Treffen oder die Bildung von interministeriellen Arbeitsgruppen. Anders als man vermuten könnte, hat jedoch weder die Tatsache, dass die Kanzlei der Ministerien seit 1997 eine Behörde ist noch das Gebot der gemeinsamen Vorbereitung zu einer erkennbaren Zunahme der aktiven, horizontalen „positiven Koordination“ (Scharpf 1993) geführt. Dominierendes Kommunikationsprinzip in der Kanzlei der Ministerien ist weiterhin die vertikale Kommunikation. Interministerielle Arbeitsgruppen gibt es heute nicht wesentlich häufiger als vor 30 Jahren. Gemeinsame Vorbereitung von Regierungsentwürfen findet in der Regel nicht aktiv statt (Premfors/Sundström 2007: 189). Die Vorstellungen und Positionen sowie die möglichen Einwände anderer Einheiten sind den für einen Entwurf zuständigen Ministerialbeamten in der Regel gut bekannt und werden bei der Vorbereitung von Regelungen von Anfang an mit berücksichtigt. Regelungsvorschläge werden häufig ohne direkten Kontakt mit anderen Einheiten in einer Art und Weise gestaltet, von der die zuständigen Einheiten annehmen, dass sie von anderen betroffenen Einheiten oder Ministerien akzeptiert werden. Horizontale Abstimmung von Regelungsentwürfen in Schweden hat also meist einen eher passiven und antizipierenden Charakter (Premfors/Sundström 2007: 189f). Eine wesentliche Grundlage für das effektive Funktionieren dieses Systems ist nach Premfors und Sundström (2007: 192) die geringe Größe der Kanzlei der Ministerien, welche nahe Kontakte zwischen Ministerialbeamten und Politikern sowie zwischen unterschiedlichen Sacheinheiten und Fachministerien ermöglicht. Nach dem der Regelungsentwurf intra- und interministeriell abgestimmt wurde und bevor das federführende Ministerium oder die zuständige interministerielle Arbeitsgruppe die endgültige Regierungsvorlage (‚proposition’) erstellt, wird eine große Anzahl betroffener Institutionen in einem speziellen Konsultationsverfahren (‚remiss’) zu den Vorschlägen befragt. Die Liste der Organisationen, die in das Remiss-Verfahren einbezogen werden, wird vom zuständigen Ministerium festgelegt und ist häufig sehr umfangreich. Darüber hinaus können 106
auch Organisationen, die auf dieser Liste nicht berücksichtigt wurden und sogar einzelne Bürger eine Stellungnahme abgeben. Das Konsultationsverfahren zeichnet sich durch einen hohen Grad an Offenheit aus. Die an die Regierung im Laufe der in der Regel mindestens dreimonatigen Konsultationsfrist (Ds. 1997: 1: 32) gesandten Stellungnahmen sind ebenso wie die Abschluss- und Zwischenberichte der Kommissionen öffentlich zugänglich (Öffentlichkeitsprinzip). Die Integration aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen in das Remiss-Verfahren bewirkt, dass den Opponenten einer Regelung ‚der Wind aus den Segeln genommen’ wird, schließlich können sie umfassend Stellung nehmen und werden gehört. Anton vergleicht dieses Verfahren mit dem Prinzip einer Geiselnahme, in welcher die Geiseln mit den Geiselnehmern sympathisieren, Verständnis für deren Handeln entwickeln und Möglichkeiten zum Widerstand deshalb nicht mehr nutzen: „Since the number of participants is typically large, particularly on major proposals, remiss procedures have the effect of creating a large number of agency and interest group organizations who, because they have participated in shaping a proposal, are effectively prevented from opposing it. We have elsewhere referred to these processes as the ‚hostage principle’. (…) Hostages are the essential ingredient of Swedish political consensus.” (Anton 1980: 165)
Seit Oktober 2008 muss spätestens im Rahmen des formalen Remiss-Verfahrens eine Konsultation des Regelrates (‚regelråd’) erfolgen. Der Regelrat ist ein unabhängiges Beratungsgremium der schwedischen Regierung, welches nach dem Vorbild von ACTAL in den Niederlanden und vom NKR in Deutschland eingerichtet wurde. Er besteht aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern (Dir. 2008: 142), die durch ein Sekretariat unterstützt werden. Der Regelrat ist dem Wirtschaftsministerium zugeordnet. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, ob neue Regulierungen so formuliert worden sind, dass sie möglichst geringe administrative Lasten für Unternehmen mit sich bringen. Darüber hinaus ist der Regelrat für eine Qualitätsprüfung der Folgenabschätzung zuständig. Seine Stellungnahmen erfolgen schriftlich (Dir. 2008: 57). Nach Abschluss des Remiss-Verfahrens wird der Gesetzentwurf ggf. noch einmal geändert und einer finalen Abstimmungsrunde in der Kanzlei der Ministerien unterzogen. Die der Regierung und dem Reichstag zum Beschluss vorgelegten Propositionen enthalten nicht nur den oder die Gesetzentwürfe, sondern darüber hinaus umfangreiche Informationen zum Problembereich, den Ergebnis-
107
sen vorbereitender Kommissionen, den Vorschlägen der Remiss-Instanzen sowie zu Alternativen und Folgen der vorgeschlagenen Regelungen. Bevor das Kabinett einen Beschluss fällt, werden die meisten Propositionen dem 1979 eingerichteten Gesetzgebungsrat (‚lagråd’) zur rechtsförmlichen Prüfung sowie zur Stellungnahme zu Fragen der Zweckmäßigkeit und Umsetzung vorgelegt. In Kap. 8 § 18 der schwedischen Verfassung ist festgelegt, unter welchen Bedingungen ein Gesetzentwurf durch den Gesetzgebungsrat, ein aus Richtern des Obersten Gerichtshofes (‚högsta domstolen’) und des Obersten Verwaltungsgerichtshofes (‚regeringsrätten’) bestehendes Gremium, geprüft werden muss. Die Liste der Fälle, in denen ein Gutachten des Gesetzgebungsrates eingeholt werden soll, ist umfangreich und führt in der Praxis dazu, dass der Gesetzgebungsrat in der Mehrzahl der Fälle konsultiert wird. Inhaltlich beschäftigen sich die Gutachten des Gesetzgebungsrates einerseits mit rechtsförmlichen Fragen (Einpassung ins bestehende Normengefüge, Verhältnis der Paragraphen untereinander, Auswirkungen auf die Rechtssicherheit) und andererseits mit Fragen der Zweckmäßigkeit sowie mit möglichen Umsetzungsproblemen. Bei der Prüfung der Zweckmäßigkeit stehen rein rechtliche Fragen im Mittelpunkt, politische Einschätzungen und Abwägungen sollen in der Stellungnahme des Gesetzgebungsrates keine Rolle spielen. Propositionen werden von der gesamten Regierung kollektiv beschlossen, bevor sie dem Reichstag vorgelegt werden. Um einen Beschluss fällen zu können, müssen bei der Kabinettssitzung mindestens fünf Minister anwesend sein. Die meisten Propositionen legt die Regierung dem Reichstag im Monat März vor. Diese Tatsache ist dadurch begründet, dass der Reichstag zwischen Juni und September eine Sommerpause hat. Sollen also Propositionen noch innerhalb des laufenden (Reichstags-)Jahres verabschiedet werden können, dann muss die Proposition spätestens Mitte März in den parlamentarischen Prozess gebracht werden. Besonders wichtig ist dies in Wahljahren, wo alle Vorhaben, die noch in der laufenden Wahlperiode durchgesetzt werden sollen, bis Mitte März an den Reichstag weitergeleitet werden müssen. Die Monate Februar und März sind daher eine besonders arbeitsintensive Zeitperiode in der Kanzlei der Ministerien (Premfors/Sundström 2007: 58). Nachdem die Regierungsvorlage im Reichstag angekommen ist, haben die Abgeordneten innerhalb eines bestimmten Zeitraums (normalerweise 15 Tage) die Möglichkeit, sich schriftlich zur Proposition zu äußern. Diese Art der Stellungnahme wird als ‚Folgemotion’ bezeichnet. Folgemotionen können sowohl von einzelnen Abgeordneten als auch von Gruppen von Delegierten abgegeben werden. In wichtigen Fragen geben Parteigruppen ihre Ansichten und Stand108
punkte zu bestimmten Fragen in Parteimotionen bekannt. Die Proposition der Regierung sowie die Folgemotionen der Reichstagsmitglieder bilden die Grundlage der folgenden Ausschussarbeit. Die Ausschüsse führen häufig Anhörungen durch oder stellen zusätzliche eigene Untersuchungen an. Am Ende legt der Ausschuss ein Gutachten (‚utskottsbetänkande’) zum Beschluss vor, das anschließend im Reichstag debattiert und ggf. beschlossen wird. Danach wird die Regierung durch ein kurzes formelles Schreiben (‚skrivelse’) über den Reichstagsbeschluss informiert. Anschließend verkündet die Regierung das Gesetz in der Schwedischen Gesetzessammlung (Svensk författningssamling: SFS).73
2.2.5 Interessenverbände: Kommissionskorporatismus, Verwaltungskorporatismus oder Entkorporatisierung? Verbände spielen bei der Politikformulierung und -implementation in Schweden traditionell eine wichtige Rolle.74 Eine international vergleichende Studie aus den 1970er Jahren hob hervor, dass die intensive Integration von Interessengruppen in die Politikformulierung und sehr enge Kontakte zwischen Verwaltung und Verbänden insbesondere auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden typisch für das schwedische System seien (Anton 1980: 133). Verbände wirken in Schweden regelmäßig an den von der Regierung eingesetzten Kommissionen mit (Kap. 2.2.3). Sie erhalten Kommissionsgutachten und Regelungsvorschläge der Regierung im Rahmen des Remiss-Verfahrens zur Stellungnahme, sie werden in den Reichstagsausschüssen angehört, sie pflegen direkte Kontakte zu Parlamentsmitgliedern und Beamten in der Kanzlei der Ministerien (Petersson 1989) und sie sind in den nationalen Verwaltungsbehörden auf unterschiedlichem Niveau vertreten. Große Interessenorganisationen haben meist regelmäßigen Kontakt zu ‚ihren’ Behörden (Lundquist 1992: 229). Die institutionalisierte Integration großer Interessenorganisationen in die öffentliche Verwaltung wurde zwar seit den 1980er Jahren verschiedentlich kritisiert, dominierend ist in Schweden jedoch eine Betonung der positiven Seiten der Interessenrepräsentation (Expertise, Unterstützung der Verwaltung etc.) (Rothstein 1988; Lundquist 1992: 231). 73 Für eine kurze Übersicht zum schwedischen Gesetzgebungsprozess in englischer Sprache siehe OECD 2007: 18, in deutscher Sprache siehe Jann/Tiessen 2008. 74 Schweden wird im internationalen Vergleich als ein Land mit besonders starken und einflussreichen Interessenorganisationen gesehen (SOU 1990: 44; s.a. Rothstein 1992).
109
Abb. 3: Formaler Gesetzgebungsprozess in Schweden Initiative (Parlament, Regierung, externe Akteure und/oder EU) Gesetzesvorbereitung durch Kommission Gutachten (publiziert in der SOU-Reihe) Vorbereitungsarbeiten durch zentrale Verwaltungsbehörden Studie, Bericht oder Gesetzentwurf, ggf. Remiss
Remiss Zusammenstellung der Stellungnahmen (Publikation als separates Dokument in der Ds-Reihe)
Gesetzesvorbereitung in der Kanzlei der Ministerien Departementspromemoria (ggf. publiziert in der Ds-Reihe)
Delning (Abstimmung zwischen den Fachministerien) keine Publikation
Remiss Zusammenstellung der Stellungnahmen (Publikation als separates Dokument in der Ds-Reihe und Zusammenfassung in der Proposition)
Gesetzgebungsrat Lagrådets yttranden (Publikation in der Proposition)
Regierungsentwurf Proposition (Publikation als Reichstagsdokument = Riksdagtrycket del B)
Parlamentarisches Verfahren Motionen, Ausschussgutachten, Debatte und Beschluss, „Skrivelser“ des Reichstags (publiziert als Reichstagsdokumente = Riksdagtrycket del D, E, A, F)
Ausfertigung des Gesetzes Gesetz (publiziert in der Schwedischen Gesetzessammlung SFS)
110
Zuarbeiten von externen Institutionen (Consultants, Verbände oder wissenschaftliche Einrichtungen)
Forscher weisen zunehmend darauf hin, dass sich das schwedische System des Korporatismus in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten gewandelt habe. In Bezug auf die Politikformulierung wird dieser Wandel häufig an einer Entkorporatisierung des Kommissionswesens festgemacht (Ullsten 2003). Als Ursache hierfür wird angegeben, dass sich der Einfluss der Kommissionen auf politische Entscheidungen verringert hat (SOU 1990: 44: 187; Ullsten 2003: 43) und die Verbände demzufolge zunehmend andere Formen der Einflussnahme nutzen. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch ein sehr differenziertes Bild, was eindeutige Schlussfolgerungen erschwert. So zeigte eine Studie von Ullsten (basierend auf zahlreichen Interviews mit Vertretern von Interessenverbänden), dass sich weder die Arbeitsweise der Kommissionen noch die Möglichkeiten der Interessenvertreter, im Rahmen des Kommissionswesens Einfluss auszuüben, deutlich verändert haben. Auch der Gesamtanteil der Interessenvertreter in den Kommissionen hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich gewandelt (Ullsten 2003: 43; Johansson 1992: 67)75, und war – so muss ergänzt werden – nie besonders hoch (siehe Kap. 2.2.3). Was die Politikformulierung im Kommissionswesen angeht, waren korporative Elemente schon immer dem Beamtenstaat (ämbetsmännastaten) untergeordnet (SOU 1999: 121: 28). Interessenorganisationen spielten im Kommissionswesen vor allem dann eine Rolle, wenn es sich um größere Kommissionen mit mehreren stimmberechtigten Mitgliedern handelte. In den, meist von Beamten geleiteten, sogenannten Einmannkommissionen wirkten in der Regel keine Verbandsvertreter mit. Der Korporatismus beschränkte sich zudem schon immer auf bestimmte Sektoren, traditionell die Landwirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, während er in der Justiz-, Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik kaum eine Rolle spielte (SOU 1999: 121: 28). In einigen Sektoren, insbesondere der Landwirtschafts- und Kommunikationspolitik, ist der Anteil der im Kommissionswesen (außer Einmannkommissionen) vertretenen Interessenverbände seit den 1960er Jahren deutlich zurückgegangen (SOU 1999: 121: 28), während er in anderen Sektoren (z.B. Arbeitsmarktpolitik) konstant ist. Wenn man von Entkorporatisierung des Kommissionswesens (Ullsten 2003: 44) spricht, dann bezieht sich dieses Phänomen also vor allem auf einzelne Sektoren. Darüber hinaus lässt sich allgemein feststellen, dass der Anteil der Kommissionen, in denen alle wichtigen Organisationen und widerstreitenden Interessen in einem Feld vertreten sind, in den letzten Jahrzehnten insgesamt deutlich gesunken ist. Kategorisiert man die Kommissionen 75 Die gegenteilige Position bezieht Jonsson 1989: 148.
111
nach der vorherrschenden Policy nach Lowi76, so fällt weiterhin auf, dass redistributive Policies im Kommissionswesen eine immer geringere Rolle spielen. Außerdem ist der Anteil der Interessenvertreter an den Kommissionsmitgliedern im redistributiven Bereich stark gesunken. Diese Erkenntnisse untermauern die These eines gewachsenen Konfliktniveaus in der schwedischen Gesellschaft (Kap. 4.4.1). Politische Entscheidungen mit einer strukturell umverteilenden Wirkung können deshalb im konsensorientierten Kommissionswesen nicht mehr so gut bearbeitet werden und werden in andere, meist stärker konfliktorientierte Arenen verlagert. Inwiefern diese Thesen zutreffen, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht empirisch überprüft werden. Festzuhalten ist: D
D
D
Interessenverbände waren und sind in Schweden in bestimmten Sektoren (insbesondere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik) üblicherweise in größeren Untersuchungskommissionen vertreten, während sie in anderen Sektoren nie eine größere Rolle gespielt haben. Entkorporatisierungstendenzen im Kommissionswesen lassen sich empirisch nur für den Landwirtschaftsbereich und die Kommunikationspolitik belegen. Die sinkende Bedeutung der Kommissionen als konsensbildende Institutionen für die Gesamtgesellschaft spiegelt sich jedoch darin wider, dass Kommissionen, in welchen alle wichtigen Interessengruppen eines Feldes vertreten sind, in den letzten Jahren seltener geworden sind.
Eindeutiger als für den Bereich des Kommissionswesens zeigt sich ein Wandel des korporatistischen Systems in Schweden im Bereich der zentralen Verwaltungsbehörden (Svensson/Öberg 2003: 5; Lewin 1992). Bis in die 1980er Jahre hinein war es üblich (und wenig umstritten, siehe z.B. Rothstein 1988: 23777), dass Interessenorganisationen in den Laienvorständen der zentralen Verwaltungsbehörden vertreten waren. Der gesamtgesellschaftliche Konsens über die positiven Wirkungen des Verwaltungskorporatismus im schwedischen Modell bekam erst Risse, als Anfang der 1980er Jahre am Beispiel der staatlichen 76 Lowi unterscheidet Policies nach ihren vorherrschenden Wirkungen u.a. in distributive und redistributive Policies. Distributive Politik besteht aus Leistungen und Ressourcen, die verteilt werden, ohne dass dies auf Kosten eines anderen Beteiligten geht (z.B. Kindergeld, Steuerbefreiungen für den Eigenheimbau etc.). Redistributive Politik hingegen zielt auf eine Umverteilung ab (z.B. progressive Besteuerung, Lowi 1964). 77 Eine Ausnahme bildeten marxistische Gruppen, welche den Verwaltungskorporatismus bereits in den 1970er Jahren kritisierten.
112
Schulaufsicht erstmals eine politische Diskussion über den Einfluss von Partikularinteressen auf die öffentliche Verwaltung entflammte, in deren Konsequenz die entsprechenden Leitungsgremien zu Expertengremien umstrukturiert wurden (s.a. Rothstein/Bergström 1999: 9). 1985 schlug eine öffentliche Kommission vor, dass die Interessenorganisationen als Vertreter einer bestimmten Klientel nicht länger direkt in die Verwaltungsführung integriert werden sollten, sondern stattdessen eine ratgebende Funktion ausüben sollten (SOU 1985: 40: 129). Dieser Vorschlag wurde im Folgenden kontrovers diskutiert, wobei die Befürworter des alten Systems betonten, wie wichtig es sei, dass die Verwaltung ihre Aktivitäten im Dialog mit den Betroffenen entwickle, während die Gegner des alten Systems den unkontrollierten politischen Einfluss der Interessenorganisationen kritisierten. Eine im Anschluss an das 1985er Kommissionsgutachten vorgelegte Proposition (Prop. 1986/87: 99) der Regierung veränderte zwar nur wenig am bestehenden System des Verwaltungskorporatismus, aber das Thema stand seit diesem Zeitpunkt immer wieder auf der politischen Agenda und wurde seitdem immer wieder problematisiert. Im Januar 1991 beschloss der schwedische Arbeitgeberverband SAF („Svensk Arbetsgivareföreningen“; seit 2001 „Svensk Näringsliv“) nach umfassenden internen Diskussionen, sich ab 1992 einseitig aus allen staatlichen Leitungsfunktionen sowohl auf zentraler als auch auf regionaler/lokaler Ebene zurückzuziehen (s.a. Rothstein/Bergström 1999).78 Den Hintergrund dieser Entscheidung bildeten verschiedene Faktoren. Bedeutenden Einfluss hatten mit Sicherheit verwaltungspolitische Strukturveränderungen zur Erhöhung der politischen Steuerbarkeit der Behörden in den 1980er Jahren, welche bewirkten, dass die ehrenamtlichen Vorstände der Behörden zentrale Entscheidungskompetenzen an die leitenden Beamten (d.h. die Generaldirektoren der staatlichen Behörden) abgeben mussten und damit wichtige Einflussmöglichkeiten verloren. Diese verwaltungspolitischen Veränderungen führten dazu, dass SAF durch Integration in die Behördenvorstände politische Entscheidungen mittrug und legitimierte, während die Organisation gleichzeitig immer weniger Einfluss auf eben diese Entscheidungen hatte. Verstärkend wirkte zudem die ideologisch bedingte Skepsis von SAF gegenüber dem öffentlichen Sektor. Die Möglichkeiten des Verbandes zur Ausübung einer politischer Opposition wurden durch die bestehenden korporatistischen Arrangements also stark beschränkt. Rothstein/ Bergström fassen treffend zusammen:
78 Mit Ausnahme des allgemeinen Pensionsfonds sowie des Arbeitsgerichts.
113
„Ganz klar ist in jedem Fall, dass die Organisation [SAF; Einfügung der Autorin] das Gefühl hatte, für eine Politik einzustehen und diese zu legitimieren, hinter welcher sie selbst nicht vollständig stand. (…) Da die Einwände von SAF gegenüber einer Beteiligung an der Behördenleitung umso stärker wurden, je mehr sich die Macht der ehrenamtlichen Vorstände verringerte, kann man annehmen, dass SAF nicht länger Verantwortung für eine Politik übernehmen wollte, die sie nicht beeinflussen konnte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass SAF 1992 seine Repräsentanten in denjenigen Gremien behielt, die nicht an Einfluss verloren hatten, z.B. dem Arbeitsgericht.“ (Rothstein/Bergström 1999: 79f)
Hinzu kam ein weiteres Argument, welches sich auf Fragen des Agenda-Setting bezog. So bemängelte SAF am Verwaltungskorporatismus, dass man zwar Einfluss auf diejenigen Fragen ausüben könne, welche in den Behörden diskutiert werden, dass man jedoch keinen Einfluss darauf hätte, welche Fragen dies seien. Der Austritt aus den Behördenvorständen wurde von SAF als ein Weg gesehen, diese Situation zu ändern und den eigenen Einfluss auf das Agenda-Setting zu erhöhen (Rothstein/Bergström 1999: 80).79 Nach dem Rückzug von SAF aus den Leitungsgremien der öffentlichen Verwaltung veränderte sich auch die staatliche Politik in Bezug auf verwaltungsorganisatorische Fragen. Die bürgerliche Regierung schaffte das korporative Repräsentationsprinzip ab. Behördenvorstände werden seitdem nicht mehr mit Repräsentanten von Interessengruppen besetzt, sondern mit Personen, welche der Regierung gegenüber durch ein persönliches Mandat verantwortlich sind. Somit wurde der korporative Mechanismus (Interessenvertreter übernehmen Verantwortung für ausgehandelte Entscheidungen und disziplinieren ihre Mitglieder) zwar formal außer Kraft gesetzt, in der Realität blieb er jedoch bestehen. Das heißt, dass Vertreter von Interessenverbänden, die heute in einem Behördenvorstand sitzen, zwar formal ein persönliches Mandat besitzen, in der Praxis jedoch weiterhin als Vertreter der entsprechenden Interessenorganisation wahrgenommen werden (Svensson/Öberg 2003: 9). Quantitativ hat sich der Anteil der Interessenvertreter in den Behördenvorständen im Zuge der politischen Veränderungen in den 1990er Jahren sichtbar verändert. Waren 1976 noch 36% der Vorstandsmitglieder Interessenvertreter, so betrug deren Anteil 1997 nur noch 27% und 2001 26%. Im Gegenzug wuchs der Anteil der Beamten (1976: 41%; 2001: 47%) und der 79 Ähnlich argumentierte SAF auch in Bezug auf das Kommissionswesen. Im Laufe der 1980er Jahre hatte SAF seine „Kommissionspolitik“ so geändert, dass der Status als Experte demjenigen als stimmberechtigtes Mitglied vorgezogen wurde, um mehr Handlungsfreiheit zu erhalten (Johansson 1992: 104).
114
Politiker (1976: 23%; 2001: 26%) an den Vorstandsmitgliedern. Hervorzuheben ist außerdem, dass immer mehr Interessenvertreter, die in Behördenvorständen sitzen, keinen Verbandshintergrund haben, sondern Unternehmensvertreter sind.80 1997 kamen noch zwei Drittel der Interessenvertreter in den Vorständen aus den Verbänden und ein Drittel aus Unternehmen. 2001 hingegen lag der Anteil der Unternehmensvertreter schon bei über 50% aller Interessenvertreter in Vorständen (Sandberg 2003: 56). Deutlich wird die abnehmende Repräsentation von Interessenverbänden in Behördenvorständen auch, wenn man die Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse betrachtet (siehe Abb. 4). Vor dem Hintergrund des Reichstagsbeschlusses zur Abschaffung des korporativen Repräsentationsprinzips in den Vorständen sind die Veränderungen jedoch als eher gering einzuschätzen, da Interessenvertreter immer noch eine wichtige Gruppe in den Behördenvorständen bilden (Sandberg 2003: 56f; Bjerstedt 1997: 26). Zudem hatte SAF 1992 im Zusammenhang mit dem Rückzug aus direkten Steuerungsfunktionen in der öffentlichen Verwaltung signalisiert, dass der Arbeitsgeberverband trotzdem an einer weiteren Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden in ratgebender Funktion interessiert sei. So wurden in den folgenden Jahren parallel zu den behördlichen Leitungsgremien zahlreiche beratende Ausschüsse gebildet (Rothstein/Bergström 1999: 28). Rothstein und Bergström kommen für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu dem Schluss, dass Vertrauen und Konsensorientierung als Merkmale des politischen Prozesses in der Arbeitsmarktpolitik an Bedeutung verloren hätten und dass die Konflikt- und Konfrontationsbereitschaft zugenommen hätten. Durch den Rückzug der Verbände aus der politischen Mitverantwortung hätten sich die Interaktionsmuster stark verändert. Die Anreize, über einen Dialog gemeinsame Lösungen und Konsens zu erreichen, hätten sich stark verringert. Im Gegenzug hätte die ideologisch bedingte Konfrontation als Politikstil an Bedeutung gewonnen. Der Rückzug von SAF aus den meisten staatlichen Behörden ist laut Rothstein und Bergström nicht als Beginn einer Veränderung des schwedischen Verwaltungskorporatismus zu werten, sondern als dessen Schlusspunkt (Rothstein/Bergström 1999: 151ff). Vom Ende des Korporatismus in Schweden zu sprechen ist jedoch nicht gerechtfertigt. Die häufig mit dem Begriff der Entkorporatisierung (Svensson/Öberg 2003: 5; Lindvall/Rothstein 2006: 48) beschriebenen Veränderungen im schwedischen System des Korporatismus (z.B. die deutlich verringerte Repräsentation von Interessenverbänden in Behördenvor80 Zur Rolle der Vertreter der privaten Wirtschaft hat Eklund eine qualitative Studie basierend auf Tiefeninterviews mit Vorstandsmitgliedern aus der Wirtschaft durchgeführt (Eklund 2003).
115
ständen und die Veränderungen im Kommissionswesen) sind zwar nicht zu leugnen (Ullsten 2003: 15; Lewin 1992), im internationalen Vergleich spielen die Verbände in Schweden jedoch immer noch eine wichtige Rolle und sind stark in den Prozess der Politikformulierung und -umsetzung integriert (s.a. Jann/Tiessen 2008; Svensson/Öberg 2002; 2003: 4). Betont werden sollte, dass die gesunkene formale Integration von Interessenverbänden in die verschiedenen Phasen des politischen Prozesses in Schweden nicht automatisch mit einem verringerten Einfluss dieser Gruppen gleichzusetzen ist. Eine gewachsene Einflussnahme auf informellem Wege ist zwar bisher empirisch nicht nachgewiesen. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass die Professionalisierung der Lobbyisten in Schweden in den letzten Jahren zugenommen hat (SOU 1999: 21; Svenssion/Öberg 2002).
Anteil der Vorstände (in %), in denen die jeweilige Gruppe die relative M ehrheit besitzt
Abb. 4: Mehrheitsverhältnisse in den Behördenvorständen (SWE) 60 50 40 Beam t e 30
P olit iker Int eressenvert ret er
20 10 0 1976
1997
2001
Angaben in %. Quelle: Sandberg 2003, S. 58 (eigene Grafik).
2.2.6 Parlament und Parteien im Gesetzgebungsprozess Der schwedische Reichstag wird heute im internationalen Vergleich meist als relativ einflussreich beschrieben (als „politikschaffendes“ Parlament, Jacobsson/ Sundström 2006: 55f). Eine wichtige Ursache für den vergleichsweise großen 116
Einfluss des schwedischen Parlaments (bzw. genauer: der Oppositionsfraktionen) im Gesetzgebungsprozess bilden die weit verbreiteten Minderheitsregierungen, welche politisch motivierte grundsätzliche Änderungen im parlamentarischen Verfahren eher begünstigen. Minderheitsregierungen setzten sich in Schweden mit der Verfassungsänderung von 1971, welche die erste Kammer der Legislative abschaffte, als Regelfall durch. Das Zweikammersystem hatte den im 20. Jahrhundert dominierenden Sozialdemokraten häufig zu stabilen Regierungsmehrheiten verholfen. Nach der Verfassungsreform waren in Schweden meist Minderheitsregierungen an der Macht (von 1970–1976, von 1978–1979 und von 1981–2006). Die Einflussnahme der Nichtregierungsparteien im parlamentarischen Verfahren gewann dadurch an Bedeutung. Eine besondere Rolle im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess spielt das Ausschusswesen, da jeder Entwurf einen Ausschuss durchlaufen muss und insbesondere in Zeiten von Minderheitsregierungen wesentliche Kompromisse und Absprachen von den Mitgliedern der Parlamentsausschüsse ausgehandelt werden. Die Arbeit in den Ausschüssen ist nicht öffentlich (Jahn 2003). Aktuelle Zahlen zu der Änderungsfrequenz von Gesetzentwürfen der Regierung in Schweden liegen leider nicht vor. Für die 1970er und 1980er Jahre zeigte eine Studie von Mats Sjölin (1993), dass der Anteil der Regierungsentwürfe mit wesentlichen inhaltlichen Modifikationen in der parlamentarischen Phase im Untersuchungszeitraum (1972–1987) erheblich schwankte. In denjenigen Jahren, in welchen Schweden durch schwache Minderheitsregierungen regiert wurde, lag der Anteil der im Reichstag substantiell geänderten Regierungsentwürfe zwischen 18% und 26%. In Zeiten von Mehrheitsregierungen oder bei Minderheitsregierungen mit einem relativ stabilen Unterstützungsblock81 im Parlament hingegen wurden deutlich weniger Gesetzentwürfe der Regierung substantiell geändert (8% bis 11% bei Mehrheitsregierungen; 9% bis 14% bei starken Minderheitsregierungen) (Sjölin 1993: 172; s.a. Jann/Tiessen 2008).82 Betrachtet man die empirischen Befunde von Sjölin, so bestätigt sich zwar, dass im Falle von Minderheitsregierungen die Oppositionsparteien im Reichstag mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben als bei Mehrheitsregierungen. Insgesamt ist die Änderungsfrequenz von Regierungsentwürfen im schwedischen Parlament trotzdem eher gering, weshalb der Reichstag manchmal als ‚ratifizierendes 81 Zur Rolle der beiden Blöcke (sozialistisch, bürgerlich) im schwedischen Parteiensystem siehe Sjölin 1993: 28. 82 Etwas abweichende Zahlen finden sich bei Isberg 1982 und Sundelin 1979.
117
Parlament’83 oder als „Förderband“ (Jann/Tiessen 2008) für Gesetzentwürfe der Regierung bezeichnet wurde. Diese Vergleiche vernachlässigen jedoch, dass wichtige Einflussmöglichkeiten der Parlamentsparteien und der einzelnen Abgeordneten in Schweden außerhalb des formalen parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses liegen. Wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten besitzt und nutzt das Parlament, indem es die Regierung im Rahmen der Allgemeinen Motionszeit zur Auseinandersetzung mit bestimmten politischen Fragen und zur Entwicklung von Lösungsvorschlägen auffordert. Wenn die Regierung in der Folgezeit eine staatliche Untersuchungskommission einsetzt, Studien in Auftrag gibt oder politische Programme entwickelt, dann gehen diese Initiativen häufig auf Anstöße aus dem Parlament zurück. Schließen sich im Falle von Minderheitsregierungen Oppositionsparteien und eine oder mehrere der die Regierung stützenden Parteien aus dem regierungsnahen politischen Block zusammen, um bestimmte PolicyAnstöße zu geben, dann werden diese Themen in der Regel von der Regierung aufgegriffen. In der Entwicklung ihrer Politikinhalte orientiert sich die Regierung dann meist an den (zum Teil konkreten und detaillierten) Vorstellungen der entsprechenden Parlamentsparteien. Parteien und Abgeordnete nehmen darüber hinaus Einfluss auf die Vorbereitung von Regierungsentwürfen, indem sie informelle Kontakte zu Fachministerien und Behörden pflegen. Parlamentarier werden häufig auch formal in den Prozess der Gesetzesvorbereitung durch die Regierung einbezogen, indem sie in staatlichen Untersuchungskommissionen mitarbeiten. Wie in Kap. 2.2.3 beschrieben, wurden in den 1970er Jahren oft sogenannte Parlamentarische Kommissionen mit Mitgliedern aller Reichstagsparteien zur Ausarbeitung von Regelungsentwürfen eingesetzt. In diesen Gremien hatten alle Parlamentsparteien die Möglichkeit, politische Aushandlungsprozess in einer frühen Phase zu beeinflussen. Die integrierende und konsensfördernde Funktion der Parlamentarischen Kommissionen förderte das ‚Durchwinken’ von Regierungsentwürfen im Parlament, schließlich hatte die Abstimmung und Kompromissfindung bereits in der Kommissionsarbeit stattgefunden. Heute spielen Parlamentarische Kommissionen eine weitaus geringere Rolle, gleichzeitig hat die Einbindung von Parteipolitikern der Regierung in das Kommissionswesen seit den 1980er Jahren zugenommen (siehe Kap. 2.2.3). 83 Jann (1989: 405) relativiert diese Annahme, indem er auf die außerhalb des formalen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens liegenden Einflussmöglichkeiten der Abgeordneten hinweist.
118
Eine innovative Maßnahme, um Änderungen von Regierungsentwürfen im parlamentarischen Verfahren abzuwehren und die parlamentarische Unterstützung der Regierung zu stärken, wurde von der sozialdemokratischen Minderheitsregierung Persson II (2002–2006) genutzt. Die Regierung Persson II hatte nach der Wahl 2002 mit den Grünen und den Linken einen sogenannten ‚Zusammenarbeitsvertrag’ ausgehandelt, welcher u.a. festlegte, dass jede ‚Zusammenarbeitspartei’ eine eigene ‚Zusammenarbeitskanzlei’ (‚samarbetskansli’) in der Kanzlei der Ministerien mit jeweils acht ‚politischen Sachverständigen’ erhalten sollte. Formell waren die ‚Zusammenarbeitskanzleien’ der Verwaltungszentrale zugeordnet und sie wurden über das Budget der Kanzlei der Ministerien finanziert. Die ‚Zusammenarbeitskanzleien’ wurden auf Initiative des jeweils zuständigen Staatssekretärs nach Abschluss der interministeriellen Konsultation in die Abstimmung von Regierungsentwürfen einbezogen. Auch wenn es im Zuge der Konsultation der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ zu Änderungen in den Regierungsentwürfen kam, wurden die übrigen Ministerien nicht noch einmal konsultiert. Stattdessen mussten die Änderungen von der Kanzlei des Ministerpräsidenten gutgeheißen werden. Premfors und Sundström (2007: 111) betonen, dass die Etablierung der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ die Stellung der Kanzlei des Ministerpräsidenten innerhalb der Regierung stärkte und die Fachministerien zum Vorteil der Zusammenarbeitsparteien schwächte. Die Etablierung der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ war ein Versuch, die ‚Zusammenarbeitsparteien’ stärker in den Prozess der Formulierung von Regierungsentwürfen einzubinden. Damit sollte deren Loyalität gegenüber der Regierungspartei gestärkt werden. Die Möglichkeiten der parlamentarischen Opposition, Einfluss auf Regierungsentwürfe zu nehmen und wesentliche Änderungen durchzusetzen, wurden durch diese Konstellation verringert.
2.2.7 ‚Bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen: Entwicklungslinien und Reformkontext Das folgende Unterkapitel widmet sich den schwedischen Reformbemühungen zur Verbesserung der Rechtsetzung. Zentrales Ziel ist es, analog zu den Darstellungen für den deutschen Fall (Kap. 2.1.4) die wesentlichen Entwicklungen seit Ende der 1960er Jahre darzustellen und herauszuarbeiten, in welchen Bereichen die Schwerpunkte der schwedischen Modernisierungsbemühungen lagen bzw. liegen. Die Darstellung beschränkt sich auf die im Zentrum dieses Buches stehenden Maßnahmen zur ex ante Folgenabschätzung. Andere Reformbereiche 119
der ‚besseren Rechtsetzung’ werden nur insoweit betrachtet, als dass eine Einordnung der Bedeutung von Folgenabschätzungen in den gesamten Reformkontext vorgenommen wird.
2.2.7.1 Die 1970er Jahre: Einschränkung und Kontrolle der Kostenfolgen für den Staat Ebenso wie in Deutschland war die Verbesserung von rechtlichen Regelungen durch die strukturierte Bereitstellung von Informationen über deren Folgen spätestens seit den 1970er Jahren ein wichtiges Thema, welches in Schweden in engem Zusammenhang mit dem Ausbau (und der Krise) des Wohlfahrtsstaates stand. Betrachtet man den Anteil der Staatsbediensteten an der Gesamtbevölkerung Schwedens, so lag die große Expansionsperiode des schwedischen Wohlfahrtstaates zwischen Ende der 1950er und Anfang der 1980er Jahre: Von 8% im Jahr 1960 stieg deren Anteil auf 17% im Jahr 1980. Diese Entwicklung ging einher mit einer Politik, die durch die Verteilung großzügiger staatlicher Leistungen an breite gesellschaftliche Gruppen gekennzeichnet war. Charakteristisch war dabei ein öffentliches Monopol oder Fast-Monopol der Produktion dieser Wohlfahrtsdienstleistungen. Öffentliche Ausgaben und Steuern schossen in die Höhe, um 1970 avancierte Schweden zum OECD-Land mit der höchsten Staatsquote. Stark beeinflusst war die Größe und spezifische Ausformung der schwedischen Wohlfahrtspolitik (deren Hang zur Einheitlichkeit, zu ‚Großbetriebslösungen’ und zum öffentlichen Produktionsmonopol) durch das historische Erbe einer großen und einflussreichen schwedischen Staatsverwaltung (Premfors et al. 2003: 57f). Im Zusammenhang mit der Blütezeit des Wohlfahrtsstaates war die Anzahl der staatlichen Untersuchungskommissionen und insbesondere der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen seit Mitte der 1960er Jahre immer weiter gestiegen (s.a. Kap. 2.2.3). Eine umfassende Vorbereitung staatlicher Politik und eine Einbettung von Steuerungsentscheidungen in die schwedische Konsenskultur im Wohlfahrtsstaat bildeten wichtige Charakteristika des Politikformulierungsprozesses. Während der ökonomischen Krise in den 1970er Jahre zeigten sich erste Schwachpunkte und Problembereiche des ‚Schwedischen Modells’. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einer wachsenden Bürokratiekritik, gelangte 1976 erstmals nach mehreren Jahrzehnten sozialdemokratischer Alleinherrschaft eine bürgerliche Regierung (die erste von insgesamt vier bürgerlichen Regierungen zwischen 1976 und 1982) an die Macht. Verwal120
tungspolitische Reformen avancierten zu einem politischen Schwerpunktthema und es wurden mehrere große verwaltungspolitische Kommissionen eingesetzt (Premfors et al. 2003: 267). Die übergeordnete Zuständigkeit für verwaltungspolitische Reformen blieb, wie bisher, beim Finanzministerium. Die Erhöhung der Effizienz im öffentlichen Sektor und die Reduzierung von Staatsausgaben (durch neue Steuerungsmodelle und Dezentralisierung) sowie eine Verwaltungsvereinfachung (im Sinne eines verbesserten Services für Bürger und Unternehmen) bildeten die zentralen politischen Ziele. Einsparungen und Rationalisierungen entwickelten sich im Laufe der 1970er Jahre zu den dominanten verwaltungspolitischen Reformleitbildern. Die Verbesserung der Rechtsetzungstätigkeit der zentralen Verwaltungsbehörden stellte in diesem Zusammenhang einen wichtigen Teilbereich der Reformen dar. Mit dem Wachstum des Wohlfahrtsstaates in den 1950er und 1960er Jahren war auch die Anzahl der Rechtsvorschriften von Behörden gestiegen. Diese Entwicklung, insbesondere die negativen Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung und die Handlungsspielräume für Unternehmen, wurde von Kommunen und Wirtschaftsvertretern harsch kritisiert. Zwar war bereits 1970 die sogenannte „Begrenzungsbekanntmachung“ (SFS 1970: 641) in Kraft getreten, welche staatliche Behörden dazu verpflichtete, neue oder abgeänderte Vorschriften, Anweisungen oder „Allgemeine Ratschläge“ der Regierung zur Prüfung vorzulegen, wenn diese „geltende Standards oder angewendete Normen beeinflussen oder in einem mehr als unwesentlichen Grad zu direkten oder indirekten Kostenerhöhungen“ (SFS 1970: 641) führen könnten, in der Praxis war die „Begrenzungsbekanntmachung“ aber weitgehend wirkungslos geblieben. 1977 wurde die „Begrenzungsbekanntmachung“ deshalb dahingehend erweitert, dass die Kostenfolgen von Regelungsentwürfen durch die zuständigen Behörden quantifiziert bzw. berechnet werden sollten. Nicht nur auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden, sondern auch im Kommissionswesen versuchten die bürgerlichen Regierungen, die systematische Analyse der Kostenfolgen von Gesetzesvorschlägen durchzusetzen. So führte man im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise 1978 und 1980 „generelle Direktiven“ zur Darstellung der Kostenfolgen von Kommissionsvorschlägen sowie zu deren Finanzierung ein (Dir. 1978: 40; Dir. 1980: 20; Dir. 1984: 5). Mit der Direktive aus 1978 (der sog. „Nulldirektive“) hielt man die Kommissionen dazu an, kostenwirksame Vorschläge möglichst durch Umverteilungen und Prioritätensetzungen innerhalb des betreffenden Sachgebietes zu finanzieren. Die Zusatzdirektive von 1980 ging sogar so weit, dass Kommissionen keine erhöhten
121
Staatsausgaben mehr vorschlagen sollten, wenn nicht gleichzeitig im selben Regelungsgebiet Einsparungspotentiale aufgezeigt würden.
2.2.7.2 Die 1980er Jahre: Erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Normadressaten und gesamtgesellschaftliche Kostenfolgenabschätzung Anfang der 1980er Jahre verschob sich die Hauptpriorität der Reformbemühungen vom Fokus auf Kosten im staatlichen Bereich auf die Verringerung der Bürokratiebelastungen von Normadressaten, insbesondere von Kleinen Unternehmen (KU) und Kommunen. 1981 wurde die Kommissionsverordnung dahingehend geändert, dass Kommissionen in ihren Gutachten die Effekte ihrer Vorschläge für die kommunale Selbstverwaltung beschreiben mussten, wenn kommunale oder regionale Sachverhalte berührt wurden (SFS 1976: 119, § 13). 1982 trat neben einem Gesetz zur Verbesserung der Bedingungen für kleine Unternehmen eine Verordnung in Kraft, welche die staatlichen Behörden dazu verpflichtete, Unternehmen und Kommunen am Prozess der Erarbeitung neuer Formulare und anderer Systeme zur Informationseinsammlung zu beteiligen (SFS 1982: 668). Zur Umsetzung dieser Verordnung bildeten mehrere Wirtschaftsverbände 1982 die Dachorganisation FUD (Företagens Uppgiftslämnardelegation), welche später in NNR (Näringslivets Regelnämnd) umbenannt wurde. NNR ist das Beratungsorgan der Wirtschaft, wenn es um mit staatlichen Vorschriften verbundene Informationsanforderungen für Unternehmen geht. Die Konsultation des NNR ist seit 1982 immer dann obligatorisch, wenn mit einer Vorschrift neue Informationsanforderungen für Unternehmen verbunden sind oder Formulare geändert bzw. neu eingeführt werden. 1982 fand in Schweden nach sechsjähriger Regierungszeit von liberalen und/oder bürgerlichen Parteien ein Machtwechsel statt und die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Olof Palme übernahmen die Regierungsgeschäfte. Mit Hilfe einer Währungsabwertung (unter dem Schlagwort des Dritten Weges) kurbelten die Sozialdemokraten die immer noch kriselnde Wirtschaft an. Es breitete sich ein starker Optimismus und Zukunftsglaube aus, sowohl unter Politikern als auch in der schwedischen Öffentlichkeit (Premfors et al. 2003: 273). Als Lehre aus der Bürokratiekritik in den 1970Jahren, welche immer noch anhielt, schuf die sozialdemokratische Regierung ein eigenständiges Verwaltungsreformministerium (civildepartement). Angestrebt wurde die Entwicklung eines verwaltungspolitischen Reformprogramms („Erneuerungsprogramm“), welches nicht nur aus lose gekoppelten und unzusammenhängenden Einzelmaßnahmen 122
besteht, sondern eine umfassende und durchdachte Reformstrategie enthält. Außerdem erkannte man den politischen Nutzen und die Bedeutung der Vermittlung von Ideen und Leitbildern für den Erfolg verwaltungspolitischer Reformen. Auf Konferenzen und Vorträgen warb der damalige Zivilminister intensiv für seine „Erneuerungspolitik“ (Premfors et al. 2003: 276ff). Schwerpunkte des „Erneuerungsprogramms“ lagen vor dem Hintergrund des ökonomischen Aufschwungs weniger im Bereich von Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen, sondern vor allem im Ziel einer Verbesserung des Verhältnisses von Verwaltung und Bürger (Service, Transparenz und Partizipation als demokratische Werte) und in einer Modernisierung der interorganisatorischen Steuerung durch eine verstärkte Outputorientierung.84 Im Feld der besseren Rechtsetzung konzentrierte sich die sozialdemokratische Reformpolitik auf eine quantitative Reduzierung des Normenbestandes (Außerkrafttreten von Normen mit Beweislastumkehrung, systematische Durchsicht der Bemächtigungen und Regierungsaufträge an zentrale Verwaltungsbehörden) und konnte hier einige Erfolge erzielen (siehe Kap. 2.2.2). Auf kommunaler Ebene initiierte man ab 1984 den Modellversuch „Freie Kommunen“ (fri kommuner). Im Rahmen des Modellversuchs erhielten Kommunen und Regionen Ausnahmegenehmigungen von vielen staatlichen Rechtsvorschriften (experimentelle Deregulierung) (Premfors et al. 2003: 281f). Bezüglich der im Zentrum dieser Arbeit stehenden Folgenabschätzungen im Prozess der Politikformulierung auf zentraler Ebene wurden in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bis zur erneuten Regierungsübernahme durch eine bürgerliche Koalition im Jahr 1991 eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, welche die Folgenabschätzungstätigkeit der Behörden, Ministerien und Kommissionen bei der Erstellung von Rechtsvorschriften sowie die Partizipationsmöglichkeiten von Normadressaten auf Behördenebene verbessern sollten. Auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden wurde die „Begrenzungsbekanntmachung“ 1987 durch die „Begrenzungsverordnung“ (SFS 1987: 1347) ersetzt und darin festgelegt, dass Behörden bei der Ausarbeitung neuer Vorschriften nicht nur deren kostenmäßige und andere Folgen untersuchen müssen, sondern auch dazu verpflichtet sind, den von der Regelung Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Der schwedische Rechnungshof erhielt in diesem Zusammenhang von der Regierung den Auftrag, eine Methode für die gesamtwirtschaftliche Folgenabschätzung zu entwickeln und publizierte 84 Einen guten Überblick zur in den 1980er Jahren in Schweden eingeführten „Resultatsteuerung“ gibt Tiessen 2007; s.a. Naschold/Bogumil 2000.
123
1988 eine Informationsschrift zur Methodenfrage (RRV 1988). Ab Januar 1990 weitete man die Vorschriften der Begrenzungsverordnung durch ein gemeinsames Rundschreiben (C 1989: 7) der Kanzlei des Ministerpräsidenten, des Finanz- und des Innenministeriums auf Beschlussunterlagen von Gesetzen und Rechtsverordnungen innerhalb der Kanzlei der Ministerien aus. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Finanzministeriums, des Innenministeriums, der Kommunen und Provinziallandtage und des Rechnungshofes entwickelte die vom Rechnungshof vorgeschlagene Methode zur gesamtwirtschaftlichen Folgenabschätzung weiter und stellte 1991 ein einheitliches Modell für Folgenabschätzungen im öffentlichen Sektor vor (RRV 1991: 2). Im Kommissionswesen setzten die Sozialdemokraten in den 1980er Jahren v.a. auf eine Reduzierung der Arbeitszeit sowie auf eine verstärkte Prüfung von Bürokratieabbau- und Dezentralisierungspotentialen durch die Kommissionen sowie auf eine inhaltliche Ausweitung der Vorschriften zur Kostenfolgenabschätzung: D
D
Zeitliche Straffung: Im Rahmen der Reform der Kommissionsverordnung 1982 begrenzte die sozialdemokratische Regierung die Arbeitszeit der Kommissionen auf in der Regel maximal zwei Jahre (mit klaren zeitlichen Vorgaben in der Direktive). Die Regierung begann außerdem damit, Untersuchungsaufträge in verstärktem Maße an zentrale Verwaltungsbehörden zu delegieren (Premfors et al. 2003: 275). Erweiterung der Vorgaben zur Kostenfolgenabschätzung: 1984 wurde eine Direktive zum Umgang der Kommissionen mit den Kostenfolgen ihrer Vorschläge (Direktive zur ökonomischen Ausrichtung von Kommissionsvorschlägen, Dir. 1984: 5) erlassen.85 Dabei blieben die in der bürgerlichen Regierungszeit erlassenen Vorschriften zur Darstellung der Finanzierung von Ausgabenerhöhungen oder Einnahmenverminderungen durch Rationalisierungen und Einsparungen im selben Sachgebiet erhalten. Zudem wurde festgelegt, dass Kostenberechnungen nicht nur Kosten für den Staat, sondern auch für die Kommunen, den Sozialversicherungssektor, Unternehmen und Private enthalten sollten und dass sowohl direkte als auch indirekte Kostenfolgen betrachtet werden sollten. Etwas schwammig legte man darüber hinaus fest, dass die Kommissionen auch andere wichtige Folgen analysieren müssten.
85 Die Direktive 1980: 20 wurde durch die Direktive 1984: 5 ersetzt.
124
D
D
Verbesserte Zusammenarbeit von Behörden: Besondere Aufmerksamkeit sollten die Kommissionen auf Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Behörden mit dem Ziel einer Verringerung der Sektoralisierung der Gesellschaft legen (Dir. 1984: 5). Förderung der Dezentralisierung: Auch Maßnahmen zur Beseitigung unnötiger Bürokratie und zur Dezentralisierung von Verwaltungsaufgaben seien durch die Kommissionen zu prüfen und sollten gefördert werden (Dir. 1984: 5).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Fokus von Folgenabschätzungen, welcher zur Zeit der bürgerlichen Regierungen 1976 bis 1982 vorrangig auf einer Analyse und Verringerung der Kostenfolgen für den Staat lag, in der sozialdemokratischen Regierungszeit 1982 bis 1991 erheblich erweiterte. Die Folgen für andere Verwaltungsebenen gerieten ebenso wie die Folgen für Bürger und Unternehmen stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Man versuchte zudem, bereits im Kommissionsstadium systematisch Ideen zum Bürokratieabbau zu generieren und die Partizipationsmöglichkeiten von Bürgern und Unternehmen insbesondere im behördlichen Vorschriftenprozess zu verbessern, um unnötigen Bürokratieaufwand zu vermeiden.
2.2.7.3 Die erste Hälfte der 1990er Jahre: Notwendigkeitsprüfung und Diversifizierung der Vorgaben zur Folgenabschätzung Nach den Reichstagswahlen 1991 gelangte eine Koalition aus vier bürgerlichen Parteien an die Spitze des Staates. In Folge des Regierungswechsels wurde die Zuständigkeit für den Bereich der Verwaltungspolitik wieder in das Finanzministerium verlagert. Nach Einschätzung des schwedischen Sozialwissenschaftlers Rune Premfors war dieser Wechsel weniger ein Ergebnis eines „Revierstreits“ zwischen Finanz- und Zivilministerium, sondern eher ein Ausdruck der erneuten verwaltungspolitischen Prioritätensetzung im finanziellen Bereich (Premfors et al. 2003: 292). Bereits unter sozialdemokratischer Führung war ab Ende der 1980er Jahre eine Stärkung des Wettbewerbs und ein Rückzug des Staates in verschiedenen Wirtschaftssektoren zu einem wichtigen Thema geworden. Die Liberalisierungstendenzen und Bemühungen um eine Reduzierung des öffentlichen Sektors durch Privatisierungen intensivierten und beschleunigten sich ab 1991. Verschlankung und Wettbewerb bildeten die zentralen Reformleitbilder der 1990er Jahre. 125
Eine wichtige politische Zielvorstellung jener Zeit bestand darin, den Staat „auf seinen Kern“ zu reduzieren. Bereits im Kommissionsstadium sollte deshalb eine Auseinandersetzung mit der Frage stattfinden, ob ein Sachverhalt überhaupt vom Staat geregelt werden muss. 1994 verabschiedete die bürgerliche Regierung die „Direktive zur Prüfung öffentlicher Verpflichtungen“ (Dir. 1994: 23)86 (und ersetzte damit die „Direktive zur ökonomischen Ausrichtung von Kommissionsvorschlägen“ aus dem Jahr 1984). Die Direktive legte fest, dass jede Kommission in ihrem Tätigkeitsbereich prüfen muss, welche Aufgaben weiterhin vom Staat erledigt werden sollten und welche nicht. Analysiert werden sollte außerdem, welche Möglichkeiten zur Einsparung von Kosten, zur Steigerung der Effektivität sowie zur Erhöhung der staatlichen Einnahmen es im Tätigkeitsbereich der Kommissionen gäbe. Die bereits Ende der 1970er Jahre eingeführten Vorschriften zur Darstellung der Kostenfolgen und zur Finanzierung blieben bestehen. Die Anforderungen an eine Folgenabschätzung wurden durch umfassende Quantifizierungsvorgaben verschärft: „Alle Folgen der Kommissionsvorschläge sollen identifiziert, quantifiziert und so weit wie möglich abgeschätzt werden. Sowohl die Ausgangslage als auch die Veränderungen in Folge der Kommissionsvorschläge sollen finanziell und wenn möglich volkswirtschaftlich beschrieben werden." (Dir. 1994: 23)
Im Zuge der bereits erwähnten politischen Schwerpunktsetzungen in den Bereichen Privatisierung, Deregulierung und Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit seit Ende der 1980er Jahre und in Anpassung an internationale Entwicklungen (insbesondere: Deregulierungsinitiativen der EU) setzte die schwedische Regierung 1993 die sog. Deregulierungskommission (avregleringsdelegationen) ein. Die Kommission legte im Mai 1994 ein Gutachten zum Thema „Deregulierung für Wachstum und mehr Arbeitsplätze“ vor. In diesem Gutachten nannte die Kommission neben der Schaffung eines Systems zur Deregulierung die Erhöhung des Wissens über Gesetzesfolgen und die Erleichterung der Arbeitsbedingungen von kleinen Unternehmen als wesentliche Schwerpunkte einer Politik zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Schweden. Als 1994 die Sozialdemokraten wieder die Macht übernahmen, betonten sie die Kontinuität in der schwedischen Verwaltungspolitik und setzten die Privatisierungs- und Deregulierungspolitik der bürgerlichen Regierung fort (Premfors et al. 2003: 298). Darüber hinaus beanspruchte die bevorstehende EU-Mitglied86 Darüber hinaus hatte die bürgerliche Regierung bereits 1992 eine Direktive zur Darstellung regionalpolitischer Konsequenzen verabschiedet (Dir. 1992: 50).
126
schaft weite Kapazitäten der zuständigen Instanzen, musste doch die schwedische Verwaltung an die EU-Anforderungen angepasst werden. Im Bereich der besseren Rechtsetzung setzten die Sozialdemokraten ihre in den 1980er Jahren eingeleitete Reformpolitik hin zu einer umfassenden GFA zunächst fort. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang der schwedische Reichstag, aus welchem wichtige Impulse für die Reformpolitik und ein Druck zum Agenda-Setting stammten (siehe u.a. Budgetproposition 1991 und 1993; Motion 1992/93: K 312). Hintergrund hierfür war das Verständnis von Folgenabschätzungen als Instrument zur Stärkung der Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung und gegenüber der Ministerialverwaltung (Motion 1992/93: K 312). Folgende Maßnahme wurden ergriffen, um Kommissionen, Ministerien und Behörden zur Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen zu verpflichten: D
D
D
Die Vorschriften zur Folgenabschätzung im Kommissionswesen wurden um zwei allgemeine Direktiven erweitert: 1994 um die Direktive zur Analyse gleichstellungspolitischer Folgen (Dir. 1994: 124) und 1996 um die Direktive zur Darstellung der Folgen auf die Kriminalität und die kriminalitätsvorbeugende Arbeit (Dir. 1996: 49). Im Jahr 1995 publizierte die Kanzlei des Ministerpräsidenten eine Checkliste (PM 1995: 2) zur Durchführung von Folgenabschätzung bei der Erstellung neuer Rechtsverordnungen und Gesetzen. Ebenfalls 1995 beschloss die Regierung im Rahmen der Werksverordnung (SFS 1995: 1322), welche die allgemeinen Rahmenbedingungen der Steuerung, Organisation und Tätigkeit staatlicher Behörden regelt, neue Vorschriften zur Durchführung von Folgenabschätzungen bei der Rechtsetzung durch zentrale Verwaltungsbehörden. In der Werksverordnung wurde nicht mehr von „gesamtwirtschaftlicher Folgenabschätzung“ gesprochen, sondern schlicht von „Folgenabschätzung“ (im Schwedischen: konsekvensutredning). Die veränderte Wortwahl war nicht nur ein Formalismus, sondern spiegelte sich inhaltlich darin wider, dass die Regelungen zur Darstellung der Folgen neuer Vorschriften in der Werksverordnung wesentlich detaillierter und umfassender waren als vorher. Von der Durchführung von Folgenabschätzungen ausgenommen waren lediglich Vorschriften und Allgemeine Ratschläge, die nur Tätigkeiten innerhalb von Behörden berührten (interne Vorschriften) sowie Vorschriften über von den Behörden erhobene Gebühren. Die Verpflichtung zur Durchführung von Folgenabschätzungen 127
war ansonsten ausnahmslos und umfasste sämtliche neue oder geänderte Vorschriften und Allgemeine Ratschläge, unabhängig davon, ob es sich um geringere Anpassungen oder bedeutende Veränderungen im Regelungsfeld handelte (SOU 2004: 23: 211).87 Die Zuständigkeit für die Unterstützung der zentralen Verwaltungsbehörden bei der Durchführung von Folgenabschätzungen sowie für deren Qualitätssicherung erhielt laut § 27 Abs. 2 der Werksverordnung seit 1995 die Nationale Schwedische Behörde für Finanzmanagement (Ekonomistyrningsverket). Das Ekonomistyrningsverket veröffentlichte 1996 einen Leitfaden zur Durchführung von Folgenabschätzungen in den zentralen Verwaltungsbehörden. Weitere Maßnahmen zur organisatorischen Institutionalisierung der Folgenabschätzungen laut Werksverordnung wurden nicht getroffen.
2.2.7.4 Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Simplex-Folgenabschätzung Nachdem mit der Werksverordnung eine allgemeine Verpflichtung zur Durchführung von Folgenabschätzungen eingeführt worden war, traten 1999 darüber hinaus mehrere Vorschriften in Kraft, welche Ministerien und Behörden, aber auch die öffentlichen Untersuchungskommissionen zu einer speziellen Folgenabschätzung in Bezug auf kleine Unternehmen (KU) verpflichteten (= SimplexFolgenabschätzung). Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung war zum einen, dass die Regierung Göran Persson nach den Parlamentswahlen im September 1998 die Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung zu ihrem wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziel für die kommende Legislaturperiode erklärt hatte und dabei insbesondere die Notwendigkeit zur Verbesserung der Bedingungen kleiner Unternehmen hervorhob. Man argumentierte, dass fast alle in Schweden ansässigen Unternehmen eher klein seien88, aber gerade diese Gruppe besonders stark von mit Regulierungen verbundenen Lasten und Hürden betroffen sei, da sie im Gegensatz zu großen Unternehmen nicht die Ressourcen hätten, um 87 Diese Gleichbehandlung aller Vorschriften in Bezug auf die Verpflichtung zur Folgenabschätzung wurde vom schwedischen Rechnungshof 1998 kritisiert (RRV 1998: 33). Der Rechnungshof äußerte die Auffassung, dass Folgenabschätzungen aufgrund des fehlenden Proportionalitätsprinzips in vielen Fällen nur oberflächlich durchgeführt würden. Zudem bestünde die Gefahr, dass die Durchführung von Folgenabschätzungen nur noch als bürokratische Routine ohne inhaltliche Wirkungen aufgefasst werde. 88 1998 hatten 98% der schwedischen Unternehmen weniger als 19 Angestellte.
128
spezialisierte Fachabteilungen mit den entstehenden Verwaltungs- und Informationsaufgaben zu betrauen (Regeringskansliet 2001: 6). Zum anderen hatte eine im Herbst 1996 von der Regierung eingesetzte Kommission zum Thema der Beseitigung von Hindernissen für die Gründung und das Wachstum kleiner Unternehmen (Dir. 1996: 70) (im Folgenden kurz: KU-Kommission) im Juni 1998 ihren Abschlussbericht vorgelegt (SOU 1998: 94). In diesem wurde unter anderem empfohlen, eine spezielle Folgenabschätzung in Bezug auf KU durchzuführen, wenn diese von einer geplanten Regelung in größerem Umfang beeinflusst werden könnten, sowie KU-Panels einzurichten. Die Panels sollten als Ergänzung zu den traditionellen Untersuchungs- und Konsultationsverfahren fungieren, um in geeigneten Fällen Vorschläge für neue Regulierungen zu testen. Davon erhoffte man sich ein konkretes und direktes Feedback über praktische Probleme. Die KU-Kommission schlug außerdem vor, dass bei der Einführung neuer oder Veränderung bestehender Regelungen eine Verpflichtung zur frühzeitigen Konsultation von Wirtschaftsvertretern eingeführt werden solle. In Bezug auf die Etablierung wirksamer Strukturen zur Umsetzung von spezifischen Simplex-Folgenabschätzungen unterbreitete die KU-Kommission den Vorschlag, im Wirtschaftsministerium eine spezielle Einheit zur Übernahme von Leitungs-, Kontroll-, Unterstützungs- und Koordinierungsaufgaben in Bezug auf die Durchführung von Folgenabschätzungen89 und den Einsatz von KU-Panels einzurichten. Für die konkrete Durchführung der Simplex-Folgenabschätzungen sollten dezentral diejenigen Einheiten verantwortlich sein, die den Regelungsentwurf erarbeiten. In den zentralen Verwaltungsbehörden sollten Ansprechpartner für das Thema festgelegt werden. Bezüglich einer zentralen organisatorischen Verankerung der Reformpolitik wurde vorgeschlagen, in jedem Ministerium einen Staatssekretär mit Zuständigkeit für Fragen der Regulierungsreform zu benennen. In Folge der Vorschläge der KU-Kommission wurde, wie bereits erwähnt, in den Jahren 1998/1999 der Aufbau eines neuen Systems für Folgenabschätzungen für kleine Unternehmen eingeleitet. Die Durchführung von SimplexFolgenabschätzungen wurde dabei auf drei Ebenen in Form von Rechtsvorschriften verbindlich festgeschrieben:
89 Korrekterweise wurde im Bericht noch von Problem- und Folgenabschätzungen (PKA: „problem- och konsekvensanalyser“) gesprochen. Dieser Begriff wird heute jedoch nicht mehr verwendet, sondern das Verfahren wird wie im internationalen Sprachgebrauch üblich einfach als Folgenabschätzung bezeichnet.
129
D
D
D
Dies betraf zum einen die Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820), welche über die allgemeinen Vorschriften der Werksverordnung hinausging und alle staatlichen Behörden zur Durchführung von besonderen Folgenabschätzungen für kleine Unternehmen verpflichtete. Zum anderen traten 1999 Richtlinien zur Durchführung von Folgenabschätzungen im Bereich der Kanzlei der Ministerien in Kraft (Beschluss der Staatssekretärsgruppe mit besonderer Zuständigkeit für Regulierungsvereinfachung vom 30.03.1999). Zum dritten wurde 1998 eine neue Kommissionsverordnung (SFS 1998: 1474) verabschiedet, die u.a. Bestimmungen über die Verpflichtung von Kommissionen zur Folgenabschätzung enthielt.
Die wesentlichen Inhalte dieser Vorschriften sowie der in der Folge herausgegebenen Handbücher (Kommissionshandbuch, Simplex-Handbuch) sind in Kap. 3 ausführlich dargestellt. Um die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen in denjenigen staatlichen Untersuchungskommissionen zu fördern, die sich mit KU-relevanten Themen beschäftigen, verankert die schwedische Regierung seit 2001 in den entsprechenden Kommissionsdirektiven die Verpflichtung, den Dachverband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung (NNR) bezüglich der Abschätzung der Folgen für die Wirtschaft und Unternehmen zu konsultieren (OECD 2007: 46). Für die Koordination und Leitung der operativen Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen (sowie mit „Regulierungsvereinfachung“, welches das übergeordnete Reformschlagwort in Schweden war) richtete man – wie von der KU-Kommission empfohlen – im Wirtschaftsministerium eine spezielle Einheit, die sogenannte Simplex-Einheit, ein (Dnr. N1998/3110). Im Jahr 2001 gab das Wirtschaftsministerium zur Unterstützung von Ministerien, Behörden und Kommissionen bei der Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen und bei der Anwendung der Simplex-Checkliste (siehe Tab. 7) ein Handbuch heraus (Regeringskansliet 2001). Im Handbuch wurden zu jeder der zwölf Fragen der Simplex-Checkliste ein- bis zweiseitige Hinweise zu deren Bearbeitung und kurze praktische Beispiele gegeben. Ergänzend zur Publikation des Simplex-Handbuches organisierte die Simplex-Einheit Fortbildungen (Halbtagsfortbildung für den Bereich Regulierungsvereinfachung als Teilelement eines umfangreicheren Fortbildungsangebotes).90 90 Diese Fortbildungsveranstaltung wurde laut Regierungsauskunft 2003 von 300 Beamt(inn)en in Schlüsselpositionen durchlaufen (Skr. 2002/03: 8).
130
Um die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen durch die zentralen Verwaltungsbehörden besser unterstützen und kontrollieren zu können und um den seit 2000 jährlich vorgelegten Regierungsbericht an den Reichstag über die Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen vorzubereiten, war in § 4 der Simplex-Verordnung festgelegt worden, dass die zentralen Verwaltungsbehörden jährlich spätestens bis zum 1. Februar der Regierung über praktische Erfahrungen und Resultate ihrer Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen berichten sollten. Zudem waren die Behörden seit Herbst 2000 dazu aufgefordert, ihre Simplex-Folgenabschätzungen der Simplex-Einheit im Wirtschaftsministerium vorzulegen. Diese Vorschrift zusammen mit der Zuständigkeit der SimplexEinheit für die Qualitätssicherung der Simplex-Folgenabschätzungen in der Kanzlei der Ministerien und für die kritische Prüfung von Kommissionsdirektiven im Hinblick auf Simplex-Anforderungen führte dazu, dass die SimplexEinheit jährlich eine sehr große Anzahl an zu prüfenden Materialien zugesandt bekam. Allein im Jahr 2000 erhielt die Simplex-Einheit 284 Simplex-Folgenabschätzungen von den zentralen Verwaltungsbehörden (Skr. 2000/01: 143: 10). Hinzu kamen Dokumente für das Kommissionswesen und die Propositionen der Kanzlei der Ministerien. Darüber hinaus sollte die Simplex-Einheit laufenden Kontakt zu den Behörden pflegen, Fortbildungen organisieren, Hilfestellung bei der Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen geben und Kontaktorgan für kleine Unternehmen in Regulierungsfragen sein (Skr. 1999/2000: 148: 14). Für die Simplex-Einheit, die nur aus wenigen Sachbearbeiter(inne)n und einem Leiter bestand, war die Vielzahl dieser Aufgaben personell nicht zu bewältigen (Interview NUTEK 2005; Interview Schwedisches Wirtschaftsministerium 2005). Während die Defizite der Simplex-Einheit für die zentralen Verwaltungsbehörden vor allem im Bereich der mangelnden Kontakte und Hilfestellungen bei der Anwendung von Folgenabschätzungen lagen (Skr. 2000/01: 143; Interview Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005), konnte sich die Einheit aufgrund einer zu geringen Unterstützung durch die politische Spitze und aufgrund fehlender Sanktionsmöglichkeiten auch regierungsintern nicht als durchsetzungsfähiges Gremium etablieren. In der Folge wurde die Simplex-Einheit im Herbst 2004 aufgelöst. Die Zuständigkeit für Fragen der Regierungsvereinfachung und für die Simplex-Folgenabschätzung innerhalb der Kanzlei der Ministerien ging an die Abteilung „Unternehmen“ im Wirtschaftsministerium über, während die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der Simplex-Verordnung in den zentralen Verwaltungsbehörden ab Januar 2005 an die „Nationale Behörde für Wirtschaftsentwicklung“ (NUTEK) delegiert wurde (SFS 2004: 1371). Diese strukturelle Veränderung im Simplex-System wird 131
durch einen Mitarbeiter des NNR insbesondere durch die nachlassende politische Unterstützung erklärt: „It was changed for many reasons. One was that they didn‚t want to have this inside the government (…). The first is that I think they haven‚t put enough effort on this, they are not interested in it. That‚s my view. Because you have to see what happened: The government is pressed by the Parliament to do this [better regulation measures; comment by the author]. This is nothing that comes from heart. They are pressed with the decision from 2002, so they have to move in some directions. And (…) they answer to this because they have failed a lot of times, either they understand or they don‚t understand that this is a matter of very high political concern. If they don‚t put very high political pressure in the matter you will have no results.” (Interview NNR 2005)
Die Regierung merkte, dass sich mit dem Simplex-System im ex ante Bereich kaum gut zu ‚vermarktende’ politische Erfolge generieren ließen, weshalb sich die politische Spitze zunehmend auf konkrete, gut zu kommunzierende Vereinfachungsmaßnahmen konzentrierte und den eher ‚lästigen’ Bereich der SimplexFolgenabschätzung so weit wie möglich auf Behördenebene verlagerte, was auch den Vorteil mit sich brachte, dass ggf. auftretende Misserfolge nicht mehr direkt der Regierung angelastet werden konnten: „It was a lot of politics when it [Simplex] was established in 1998 (…). They went out with lot of papers and statements (...), then they came into the ordinary world and they found out that it was not so easy to simplify as they said from the beginning. So it’s become some kind of heavy burden.“ (Interview NNR 2005)
Die von den zentralen Verwaltungsbehörden durchgeführten Simplex-Folgenabschätzungen ebenso wie die Berichte der Behörden über ihre Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen werden seit Januar 2005 an NUTEK geschickt. Zeitgleich erweiterte die Regierung auch die in § 4 der Simplex-Verordnung festgelegte Verpflichtung zur jährlichen Berichterstattung dahingehend, dass die Behörden zusätzlich zu den praktischen Erfahrungen und Arbeitsresultaten in Bezug auf Simplex-Folgenabschätzungen nun auch darüber Rechenschaft ablegen mussten, welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung des Regelungsumfeldes für Unternehmen von den Behörden in Angriff genommen wurden oder geplant waren. Diese Erweiterung stand in engem Zusammenhang mit dem 2004 eingeleiteten Aktionsprogramm der Regierung Persson zur Reduzierung administrativer Lasten für Unternehmen (Skr. 2004/05: 48). 132
2.2.7.5 Reformfokus seit 2004: Abschätzung administrativer Lasten für Unternehmen Wie bereits dargestellt, war die Reduzierung des bürokratischen Aufwands für die Adressaten von Rechtsvorschriften, insbesondere für Unternehmen, in Schweden bereits in den 1980er Jahren ein wichtiges Thema gewesen. Im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Schwerpunktsetzung im Bereich der Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen Unternehmen seit Ende der 1990er Jahre geriet die Frage nach der Reduzierung des Bürokratieaufwands für die Wirtschaft erneut auf die politische Agenda. Ein erstes – wenn auch sehr vages – Ziel für die Reduzierung der administrativen Lasten von Unternehmen wurde von der schwedischen Regierung bereits im Jahr 2000 formuliert. In einem Schreiben an den Reichstag verkündete die Regierung, dass „innerhalb einer Dreijahresperiode die mit Regulierungen verbundenen administrativen Lasten für kleine Unternehmen deutlich zu verringern“ (Skr. 1999/2000: 148: 12) seien. Die administrativen Lasten sollten dabei am besten als „verwendete Stunden und Kronen in kleinen Unternehmen“ (Skr. 1999/2000: 148: 13) gemessen werden. Nach den Reichstagswahlen vom September 2002, bei denen die sozialdemokratische Regierung Göran Persson in ihrem Amt bestätigt wurde, räumte die Regierung jedoch ein, dass sie ihrem selbst gesteckten Ziel nicht gerecht geworden sei. Der Reichstag übte erheblichen politischen Druck im Hinblick auf die Etablierung von Reformaktivitäten aus. Die sozialdemokratische Minderheitsregierung erhielt im Parlament Unterstützung durch die Linkspartei und die Grünen, was jedoch keinesfalls hieß, dass in Sachfragen automatisch gemeinsam agiert wurde.91 Dies verstärkte die Handlungsmöglichkeiten der parlamentarischen Opposition. So waren es bei der hier interessierenden Thematik die parlamentarischen Oppositionsparteien zusammen mit den Grünen, welche die Messung administrativer Lasten erstmals auf die politische Agenda gebracht hatten. Sie waren es auch, die Ende 2002 einen Parlamentsbeschluss zum Thema durchsetzten, in dessen Folge die Regierung die Durchführung von konkreten Messungen der Bürokratiebelastungen von Unternehmen sowie die Entwicklung des bereits erwähnten Aktionsprogramms mit konkreten Maßnahmen zur Lastenreduzierung ankündigte (Bet. 2002/03:NU1).
91 Dieses Phänomen beschrieb Sjölin bereits im Jahr 1993 als ein typisches Merkmal der schwedischen Minderheitsregierungen (Sjölin 1993: 43).
133
Anfang 2004 startete die schwedische Regierung ein erstes Pilotprojekt zur Messung der administrativen Lasten mit Hilfe des in den Niederlanden entwickelten Standardkosten-Modells (SKM) im Bereich der Mehrwertsteuergesetzgebung. Noch im selben Jahr folgten weitere Messungen im Steuerbereich. In den folgenden Jahren wurden in Schweden Messungen in allen bürokratieintensiven Rechtsbereichen durchgeführt (s.a. Veit 2008a: 74ff). Anders als in Deutschland wurde für die interne Koordination der SKM-Messungen keine Institution neu geschaffen, sondern auf bestehende Strukturen zurückgegriffen. Die Zuständigkeit für die Koordination der SKM-Messungen erhielt die zentrale Verwaltungsbehörde NUTEK, welche, wie oben bereits erwähnt, ab Januar 2005 auch für die Simplex-Folgenabschätzungen auf Behördenebene zuständig war. NUTEK führte jedoch nicht alle operativen Aufgaben selbst aus, sondern beauftragte Beratungsfirmen mit der Durchführung der Messungen. Eine einheitliche Methodenanwendung im Messprozess versuchte NUTEK durch die Aufrechterhaltung eines laufenden Kommunikationsprozesses mit den Beratungsunternehmen sicherzustellen.
2.2.7.6 Aktuelle Entwicklungen Die im Herbst 2006 an die Macht gelangte bürgerliche Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt beließ zwar die Verantwortung für die Durchführung der Messungen bei NUTEK, etablierte aber im Gegensatz zur Vorgängerregierung auch eine sichtbare organisatorische Zuständigkeit zum übergeordneten Thema Regulierungsvereinfachungen in der Kanzlei der Ministerien, bestehend aus einer Staatssekretärsgruppe zur Koordinierung der Regulierungsvereinfachungs-Politik und einer inter-ministeriellen Arbeitsgruppe. Zudem wurden in allen Ministerien für die Koordination der Regulierungsvereinfachungspolitik zuständige Einheiten sowie Ansprechpartner für Regulierungsvereinfachungen in denjenigen Abteilungen, die wirtschaftsrelevante Fragen bearbeiten, benannt. Weiterhin wurde bereits in der Budgetproposition 2007 angekündigt, in der Kanzlei der Ministerien ein dem Nationalen Normenkontrollrat in Deutschland ähnliches Gremium zu etablieren. Im Folgejahr wurde der aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern bestehende, dem Wirtschaftsministerium zugeordnete, aber formal unabhängige ‚regelråd’ berufen. Seit Oktober 2008 muss spätestens im Rahmen des formalen Remiss-Verfahrens eine Konsultation des Regelrates (‚regelråd’) erfolgen. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, ob neue Regulierungen so 134
formuliert worden sind, dass sie möglichst geringe administrative Lasten für Unternehmen mit sich bringen. Darüber hinaus ist der Regelrat für eine Qualitätsprüfung der Folgenabschätzung zuständig. Seine Stellungnahmen erfolgen schriftlich (Dir. 2008: 57). Die Einrichtung des Regelrates ist zum einen auf verschiedene politische Ursachen (Regierungswechsel, internationale Diffusion eines bestimmten Organisationsmodells zum Bürokratieabbau mit dem SKM, OECD-Evaluation der Regulierungsreform in Schweden 2007) zurückzuführen, zum anderen aber auch auf ein inhaltliches Defizit im Bereich der Integration des SKM-Modells in den ex ante Bereich der Rechtsetzung. So wurden in Schweden zwar erfolgreiche SKM-Nullmessungen durchgeführt und Reduzierungsmaßnahmen eingeleitet, eine systematische Abschätzung der mit neuen Vorschriften verbundenen Bürokratiekosten fand aber in der Praxis bisher nicht statt (s.a. Veit 2008b). Das ‚blinde Auge’ der politischen Entscheidungsträger im ex ante Bereich spiegelte sich darin wider, dass Bürokratiekostenabschätzungen für neue Vorschriften bis Ende 2007 weder rechtlich vorgeschrieben waren noch organisatorisch institutionalisiert wurden. Ende 2007 trat jedoch eine neue Verordnung zu Folgenabschätzungen in Kraft (SFS 2007: 1244).92 In dieser Verordnung wird die ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten erstmals rechtlich fixiert und in das breiter angelegte Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung integriert. Die Verabschiedung einer eigenständigen Folgenabschätzungs-Verordnung war in Schweden bereits seit mehreren Jahren ein politisches Thema. Der Hauptgrund für die Etablierung einer neuen rechtlichen Regelung bestand in der Tatsache, dass in Schweden seit der Etablierung der Simplex-Folgenabschätzung Ende der 1990er Jahre ein doppeltes Folgenabschätzungssystem existiert hatte. Dieses implizierte, dass staatliche Behörden für alle Vorschriften mit Auswirkungen auf KU zwei Folgenabschätzungen durchführen mussten: eine allgemeine Folgenabschätzung nach der „Werksverordnung“ und eine Simplex-Folgenabschätzung – ein Umstand, der viel Kritik auf sich zog. So merkte z.B. das für einen großen Anteil der Simplex-Folgenabschätzungen stehende93 Schwedische Zentralamt für Landwirtschaft bereits im Jahr 2000 an, dass die Doppelverpflichtung zu Folgenabschätzungen nach Werks- und Simplex-Verordnung nicht 92 Neben den allgemeinen Vorschriften zu Folgenabschätzungen gibt es auch fachspezifische Verordnungen, welche die Durchführung von Folgenabschätzungen vorschreiben (z.B. die Verordnung zur Verwaltung der Wasserqualität SFS 2004: 660). Auf diese politikfeldspezifischen Vorschriften wird im Folgenden nicht eingegangen. 93 Eine Mitarbeiterin von NUTEK schätzte 2005, dass 40–50% aller Simplex-Folgenabschätzungen, die NUTEk erhält, vom Schwedischen Zentralamt für Landwirtschaft stammen.
135
praktikabel sei und Unverständnis bei den Mitarbeitern des Amtes hervorrufen würde (Skr. 1999/2000: 148: 8). Obwohl die zwischen Dezember 2001 und Februar 2004 tätige Sachverständigenkommission zur Erneuerung der „Werksverordnung“ in ihrem Abschlussgutachten für eine Integration der zwei Folgenabschätzungssysteme in eine eigenständigen Verordnung über Folgenabschätzungen plädierte (SOU 2004: 23) und dieser Vorschlag im Konsultationsprozess breite Zustimmung erfuhr (Skr. 2005/2006: 49), trat die neue Verordnung erst nach einer langen ,Denkpause’ des Wirtschaftsministeriums (und einem Regierungswechsel, durch den sich der politische Druck auf das Thema deutlich erhöhte, Interview NUTEK 2005) in Kraft (SFS 2007: 1244). Die Vorschriften der Simplex- und der Werksverordnung verloren zum Jahresende 2007 ihre Gültigkeit. Nach der Folgenabschätzungs-Verordnung vom Dezember 2007 müssen Verwaltungsbehörden in Schweden „so früh wie möglich“ eine Folgenabschätzung durchführen. Wie bisher müssen die kostenmäßigen und anderen Folgen einer Vorschrift oder eines Allgemeinen Ratschlages vor der offiziellen Beschlussfassung untersucht und in einer Folgenabschätzung dokumentiert werden. Neu eingeführt wurde das Prinzip der Proportionalität, d.h. die Folgenabschätzung ist je nach Bedeutung des Entwurfes „in dem Umfang, der im Einzelfall notwendig ist“ (SFS 2007: 1244, § 4 Abs. 1) durchzuführen. Außerdem enthält die aktuelle Folgenabschätzungs-Verordnung deutlich mehr Ausnahmetatbestände, die einen Verzicht auf das Durchführen einer Folgenabschätzung rechtfertigen. Im Unterschied zur Simplex-Verordnung sind kleine Unternehmen im neuen Folgenabschätzungssystem Schwedens nur noch ein Punkt unter vielen. Insgesamt wird die Analyse wirtschaftsrelevanter Folgen im Vergleich zu anderen Folgenaspekten besonders betont. Die Abschätzung von Bürokratiekosten bildet einen Teilbereich der relativ detailliert geregelten Verpflichtungen zur Analyse der Auswirkungen von Rechtsnormen auf Unternehmen, wobei nicht nur die Bürokratiekosten darzustellen sind, sondern auch der Zeitaufwand, den die Rechtsvorschrift für Unternehmen mit sich bringt. Darüber hinaus enthält die Folgenabschätzungs-Verordnung eine Verpflichtung der Behörden zur laufenden Beobachtung ihrer Vorschriften und Allgemeinen Ratschläge: „Haben sich die grundlegenden Voraussetzungen der Regelung geändert, so muss diese überprüft werden und eine neue Folgenabschätzung durchgeführt werden.“ (SFS 2007: 1244, § 8 ) Nach der neuen Folgenabschätzungs-Verordnung teilen sich das Ekonomistyrningsverket und NUTEK die Zuständigkeit für Methodenentwicklung, Unterstützung der Behörden und Fortbildung, wobei NUTEK eine ,koordinierende Verantwortung’ trägt. 136
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass ,bessere Rechtsetzung’ und Bürokratieabbau in Schweden – ebenso wie in Deutschland – seit vielen Jahren parteipolitische und gesellschaftliche Konsensthemen sind. Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesetzgebung durch Folgenabschätzungen ließen sich auf der formalpolitischen Entscheidungsebene relativ leicht durchsetzen, da sie unkontrovers waren. Ein Mitarbeiter des NNR illustrierte am Beispiel der Simplex-Verordnung und der Verordnung zur Verhinderung administrativer Lasten aus dem Jahr 1982, dass sich die formalen Entscheidungen politisch sehr leicht durchsetzen ließen, aber dass es hinsichtlich der konkreten Umsetzung später durchaus zu heftigen Kontroversen kam: „No one was against it. No one has been against anything actually but the problems came later on in the discussion. So there was a non-socialistic government in 1982 implemented this ordinance about reporting burden, there was no discussion, very little discussion. And it was very little discussion about this ordinance about Simplex. It was actually thought that it would solve a lot of problems. So the discussions came up afterwards. Very much.” (Interview NNR 2005)
Dieses Zitat zeigt deutlich, dass die Herstellung einer politischen Entscheidung zur Durchführung von Folgenabschätzungen oder zu Beteiligungspflichten bestimmter Akteure zur Förderung des Bürokratieabbaus in Schweden häufig leicht war und unkontrovers verlief, weil Themen wie Bürokratieabbau und ,bessere Rechtsetzung’ auf einer abstrakten und unkonkreten Ebene keine politischen Gegner hatten und haben. Kommt es hingegen zur Umsetzung dieser Maßnahmen, zeigt sich schnell, dass auch von diesen Maßnahmen politische Interessen tangiert werden. Politische Konflikte brechen dann auf, wenn es um konkrete Regelungsfelder und konkrete Gesetzgebungsvorhaben geht (Jann 2004b und 2007). Die Implementation von Folgenabschätzungen im Gesetzgebungsprozess kann deshalb nicht losgelöst vom politischen Prozess der Aushandlung und Abstimmung von Interessen betrachtet werden.
137
2.3 Wesentliche Charakteristika der exekutiven Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden Im Folgenden werden die wesentlichen Charakteristika der Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden und die zentralen Merkmale der Reformbemühungen zur ,besseren Rechtsetzung’ in beiden Ländern zusammengefasst. Deutschland ist als föderaler Staat durch eine Aufgabentrennung zwischen Bundes- und Länderebene verbunden mit einem hohen Grad an vertikaler und horizontaler Politik- und Verwaltungsverflechtung gekennzeichnet. Während der Bund vorrangig gesetzgeberisch tätig wird, ist die Gesetzesausführung in den meisten Fällen den Ländern überlassen (Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder als Normalfall). Umgekehrt besitzen die Länder zwar nur relativ wenige eigene Gesetzgebungskompetenzen, wirken aber über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit und besitzen dadurch ein erhebliches Vetopotential. In Schweden hingegen gibt es keine zweite Kammer des Parlaments, der Staatsaufbau ist unitarisch. Wesentliches Kennzeichen der schwedischen Zentralverwaltung ist ein Dualismus zwischen einer relativ kleinen Kanzlei der Ministerien, deren Aufgabe die Politikformulierung und Vorbereitung von Entscheidungen ist, und großen zentralen Verwaltungsbehörden, welche für den Vollzug von Gesetzen und Verordnungen verbunden mit der Ausfertigung von Ausführungsvorschriften zuständig sind. Ein einzelner Minister kann in Schweden im Prinzip nicht steuernd in die Tätigkeiten der zentralen Verwaltungsbehörden eingreifen, da es keine individuelle Ministerverantwortlichkeit wie in Deutschland gibt, sondern alle Beschlüsse (zumindest formal) von der Regierung als Kollektiv getroffen werden. Ebenso wie die deutschen Bundesländer sind die zentralen Verwaltungsbehörden in Schweden in der Ausführung der Gesetze relativ frei. Die Regierung kann zwar Ziele setzen und bestimmte Rahmenbedingungen festlegen, die Wahl der Mittel bleibt aber den Fachbehörden überlassen. Ein wichtiges Instrument (neben anderen, wie Personal und Budget) für Regierung und Ministerialverwaltung, um die Verwaltungsbehörden zu steuern, ist deshalb die Festlegung von Prozeduren zur Entscheidungsfindung. Zu dieser Art von „Institutionenpolitik“ (s.a. Jann et al. 2005) gehört auch die im Zentrum dieser Arbeit stehende Regulierung von Verfahren zur Folgenabschätzung. Aufgrund des schleichenden Verlustes der Vormachtstellung der Sozialdemokraten, war in Schweden seit den 1980er Jahren eine Tendenz zur stärkeren zentralen Steuerung der Behörden zu verzeichnen (Johansson 1992: 241). Dies ist ein Grund dafür, warum sich Reformmaßnahmen zur ,besseren Rechtsetzung’ in Schweden in hohem Maße 138
auf die Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden konzentrieren. Die Steuerung erfolgt über Institutionenpolitik, weil eine inhaltliche Steuerung nur in sehr eingeschränktem Maße zugelassen ist. Ähnliche Mechanismen zur Nutzung von Vorgaben zur Folgenabschätzung als Möglichkeit zur Steuerung durch die Ministerialverwaltung gelten für das schwedische Kommissionswesen. In der BRD hingegen kann der Bund laut Verfassung keine Verfahrensregeln für Normgebungsprozesse auf Landesebene festlegen. ‚Bessere Rechtsetzung’ als Institutionenpolitik mit dem Ziel einer erhöhten zentralen Steuerung der Länder spielt deshalb in Deutschland keine Rolle.94 Neben den genannten Unterschieden im Staatsaufbau und in der funktionalen Aufgabenteilung bei der Ausführung von Gesetzen, besteht eine weitere wesentliche Differenz zwischen Deutschland und Schweden in den Strukturen der Gesetzesvorbereitung. Während in Deutschland die meisten Gesetze von Beamten der Ministerialverwaltung selbst ausgearbeitet werden, wird ein erheblicher Teil der Vorbereitungsarbeit in Schweden an unabhängige Kommissionen oder an zentrale Verwaltungsbehörden delegiert. Die Ministerialverwaltung in Deutschland ist stärker als diejenige in Schweden eine Fachverwaltung, für die Wissensgenerierung und -aufarbeitung ein wichtiger Aufgabenbereich im Prozess der Politikformulierung und insbesondere der Gesetzgebung ist. Die Hauptaufgabe der Mitarbeiter der schwedischen Kanzlei der Ministerien besteht hingegen darin, die meist von Kommissionen oder Behörden entwickelten und häufig bereits vorabgestimmten95 Gesetzentwürfe innerhalb des politisch-administrativen Systems durchzusetzen. Gesetzesvorbereitung in Schweden ist also, anders als in Deutschland, formal auf mehrere Institutionen verteilt. Diese Unterschiede im Aufgabenspektrum spiegeln sich auch in den Personalzahlen wider. Insgesamt hatte die bundesdeutsche Ministerialverwaltung 2006 knapp 17.500 Mitarbeiter/innen96, während zur selben Zeit in der schwedischen Kanzlei der Ministerien rund 4.500 Mitarbeiter/innen angestellt waren. 97 Mit Ausnahme des Außenministeriums, in welchem ca. 1.400 Mitarbeiter/innen beschäftigt sind, arbeiten in einem schwedischen Fachministerium im Schnitt 94 Bund und Länder besitzen jeweils eine eigene Reformagenda. Das bedeutet aber nicht, dass Reformen zur besseren Rechtsetzung in Bund und Ländern deutlich unterschiedliche Schwerpunkte besitzen und andersartige Instrumente propagieren. Der Reformbereich auf beiden Ebenen ist durch einen hohen Grad an Isomorphismus geprägt. 95 Durch die Mitarbeit von Partei-, Behörden- und Verbandsvertretern in Kommissionen und durch deren Teilnahme am Remiss-Verfahren. 96 Quelle: Bundeshaushaltsplan 2006. Ohne Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und ohne Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. 97 Quelle: Regeringens årsbok 2006: 142.
139
ca. 260 Personen98, während in einem deutschen Bundesministerium durchschnittlich rund 1.150 Beamte und Angestellte tätig sind.99 Die Größe der Ministerien schwankt in Schweden von ca. 150 (Landwirtschaft, Verteidigung) bis hin zu deutlich mehr als 400 Mitarbeiter/innen in den großen Ministerien Finanz (458) und Wirtschaft (415). Das Außenministerium mit seinen rund 1.400 Mitarbeitern ist eine Ausnahme, da die Auslandsvertretungen in die Personalberechnung mit eingehen. Deutlich kleiner als die Fachministerien ist in beiden Ländern die Regierungszentrale (Kanzlei des Ministerpräsidenten in Schweden: 106 Mitarbeiter/innen; Bundeskanzleramt: 449 Mitarbeiter/innen). Zwar ist die Kanzlei der Ministerien heute deutlich größer als vor einigen Jahrzehnten, im Vergleich zu den größten zentralen Verwaltungsbehörden oder beispielsweise zur Stadtverwaltung von Stockholm ist sie jedoch immer noch eine überraschend kleine Institution. Die unterschiedliche Größe der Ministerialverwaltung in Deutschland und Schweden hat mehrere Gründe und lässt sich nicht allein auf die Differenzen in der Staatsgröße zurückführen. Eine wichtige Ursache ist die bereits erwähnte Auslagerung der ersten Phase der Gesetzesvorbereitung (Alternativenentwicklung, erste Abstimmung, Entwicklung eines Entwurfes) in unabhängige Untersuchungskommissionen und zentrale Verwaltungsbehörden in Schweden, welche das übliche Vorgehen zur Erarbeitung größerer Regelungsvorhaben bildet. Die Delegation von Vorbereitungsarbeiten an obere Bundesbehörden oder Kommissionen und Beiräte ist zwar auch in Deutschland übliche Praxis, wird aber nicht so umfassend und weitreichend praktiziert wie in Schweden. Die Ministerialverwaltung in Schweden muss sich kaum mit Aufgaben der Informationsbeschaffung auseinandersetzen, sondern sie erhält meist sehr detailliert ausformulierte Vorschläge von den Kommissionen, die bereits ein öffentliches Konsultationsverfahren durchlaufen haben. Aufgabe der Ministerialverwaltung ist die politische Koordination und Abstimmung der Entwürfe, so dass diese im Kabinett mehrheitsfähig sind und gute Durchsetzungschancen im Parlament haben. In Deutschland ist auch die konkrete Ausarbeitung eines ersten Entwurfes sowie die Eruierung der Positionen verschiedener Gruppen von Normadressaten in den meisten Fällen Aufgabe der Ministerialverwaltung, weshalb deutlich mehr personelle Ressourcen vorgehalten werden müssen. Informationsbeschaffung und -verarbeitung für die Regierung ist in Deutschland eine der Hauptaufgaben der Bundesministerien (König/Knoll 2001). 98 Ohne Auswärtiges Amt, Kanzlei des Ministerpräsidenten und Verwaltungszentrale. 99 Ohne Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt.
140
Eine zweite wichtige Ursache der Größendifferenz zwischen den Ministerialverwaltungen Deutschlands und Schwedens liegt im bereits erwähnten Dualismus des schwedischen Verwaltungssystems. Politische Programme werden in der Kanzlei der Ministerien oft nicht bis ins Detail ausgearbeitet, sondern es wird ein Rahmen vorgegeben, welcher von den Fachbeamten in den zentralen Verwaltungsbehörden durch die Entwicklung und Umsetzung von Policy-Maßnahmen (auch in Form von Rechtsvorschriften) konkretisiert wird. Premfors und Sundström stellten deshalb in ihrer Studie zur Kanzlei der Ministerien aus dem Jahr 2007 treffend fest: „Gäbe es den Dualismus nicht, so käme der schwedische Staat nicht mit so einer kleinen Organisation an der Spitze aus.“ (Premfors/ Sundström 2007: 35) Dass die beiden größten Fachministerien in Deutschland, das Finanzministerium und das Verteidigungsministerium, zusammen fast so groß sind wie die gesamte Kanzlei der Ministerien in Schweden (inklusive Auslandsvertretungen des Außenministeriums) lässt sich zudem auf bestimmte Charakteristika des deutschen Verwaltungssystems zurückführen. In Deutschland werden nur wenige Aufgaben von der Bundesverwaltung selbst ausgeführt. In den Bereichen, wo dies der Fall ist (z.B. Wehrverwaltung und Finanzverwaltung) schlägt sich das deutlich im Umfang der Ministerien nieder.100 Im Falle des für nur wenige Rechtsnormen federführend zuständigen Verteidigungsministeriums hat die Größe des Ministeriums wenig mit der Organisation der Politikformulierung zu tun, im Falle des Bundesministerium der Finanzen jedoch schon, schließlich steht das BMF für viele Gesetze und Rechtsvorordnungen sowie für einen Großteil der gültigen Verwaltungsvorschriften in Deutschland. Aufgrund der Größe und hierarchischen Linienorganisation der Ministerien in Deutschland, welche durch eine hohe Leitungstiefe und geringe Leitungsspanne auf der Arbeitsebene (den Referaten) gekennzeichnet ist, sind Ministerialbeamte in deutschen Fachministerien meist sehr stark spezialisiert. Schwedische Mitarbeiter/innen der Kanzlei der Ministerien werden im Gegensatz dazu eher als Politikfeldexperten mit einem breiteren Zuständigkeitsgebiet charakterisiert. Hinzu kommt eine flexiblere Organisationsstruktur der Ministerien in Schweden mit in der Regel geringerer Leitungstiefe als in Deutschland. Stabsartige Strukturen sind in Schweden weiter verbreitet und auch die Basiseinheiten der schwedischen Fachdepartements zeichnen sich durch eine große Nähe zur Politik aus. Die Größe und die Art der Binnenorganisation haben 100 Insgesamt ist die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Bundesverwaltung in Deutschland die Ausnahme, da in den meisten Politikfeldern die Länder die Ausführung der Gesetze und Rechtsverordnungen (entweder im Auftrag des Bundes oder als eigene Angelegenheit) übernehmen.
141
erheblichen Einfluss auf die Art der Problemperzeption sowie die Koordination und Abstimmung von Politikinhalten zwischen den Ressorts. Die stark spezialisierten Referate der Ministerien in Deutschland neigen zur selektiven Wahrnehmung von Problemen und politischen Lösungen. Tabelle 2: Exekutive Gesetzesentwicklung in Deutschland und Schweden Arenen der Politikformulierung Aufgaben der Ministerialverwaltung Personal der Ministerialverwaltung Verfahren
BRD Ministerialverwaltung Entwurfsentwicklung und -abstimmung Laufbahnbeamte, Spezialisten
Koordinationsmodus
Hausabstimmung, Ressortabstimmung, externe Konsultationen negative Koordination
Transparenz
gering
SWE Kommissionswesen und Ministerialverwaltung Abstimmung Verwaltungskarriere, Generalisten Hausabstimmung, Ressortabstimmung, externe Konsultationen negative Koordination (abgeschwächt) hoch (Kommissionswesen), gering (Ministerialverwaltung)
Zwar stellt die ,selektive Perzeption’ auch in Schweden ein Problem dar, sie wird jedoch abgeschwächt durch einen breiteren Zuständigkeitsbereich der Basiseinheiten. Gleiches gilt für den vorherrschenden Abstimmungsmodus der ,negativen Koordination’, der in Deutschland durch die hierarchische Linienorganisation und die geringe Verbreitung interministerieller Projekt- und Arbeitsgruppen im Prozess der Gesetzesvorbereitung manifestiert wird. In Schweden hat die Zusammenlegung der Fachministerien in einer Behörde Ende der 1990er Jahre zwar nicht die erwünschten Erfolge hinsichtlich einer Verstärkung der fachbereichsübergreifenden horizontalen Zusammenarbeit mit sich gebracht. Die Erfassung politikfeldübergreifender Problemzusammenhänge und -lösungen wird jedoch durch die Institution des Kommissionswesen, das Gebot der ,gemeinsamen Vorbereitung’ von Gesetzentwürfen und die nicht nur in Ausnahmefällen erfolgende Bildung von inter-ministeriellen Arbeitsgruppen gefördert. Zwar findet eine aktive ressortübergreifende Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben in der Kanzlei der Ministerien regelmäßig statt, in der Mehrzahl der Gesetzgebungsvorhaben hat die horizontale Abstimmung jedoch eher einen passiven und 142
antizipierenden Charakter. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden im Hinblick auf die vorherrschenden Koordinationsmechanismen sind also nicht grundsätzlicher Natur, sondern graduell (siehe Tab. 2). Der von Scharpf geprägte Begriff der ,negativen Koordination’ beschreibt die Realität vieler Abstimmungsprozesse in der schwedischen Ministerialbürokratie ebenso gut wie in der deutschen Bundesverwaltung, allerdings existieren in Schweden mehr strukturelle Gegenkräfte zur Förderung ,positiver Koordinationsmechanismen’. Ein weiterer Faktor, in welchem sich das deutsche und das schwedische System wesentlich unterscheiden und der Einfluss auf die Art der Gesetzesvorbereitung hat, ist die übliche Form der Regierungsbildung. Während in Deutschland Mehrheitsregierungen in Form einer „Minimal Winner Coalition“ (d.h. kleinstmögliche Koalition, meist aus zwei Parteien bestehend, Lijphart 1984) der Normalfall sind, amtieren in Schweden häufig Minderheitsregierungen. So waren in dem skandinavischen Land von 1945–1951, 1957–1968, 1970–1976, 1978–1979 und von 1981–2006 Minderheitsregierungen an der Macht. Die Sozialdemokraten waren im gesamten letzten Jahrhundert dominierende Partei Schwedens. Während sie von 1945–1976 konstant die Regierung stellten, geriet seitdem etwas Bewegung in die vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse. Zwischen 1976 und 1982, von 1991–1994 und seit 2006 stellten bürgerliche Parteien die Regierung (meist in Koalitionen aus mindestens drei Parteien, Hartmann 2004: 55). In Deutschland gibt es zwei große Volksparteien, die in der Regel in Koalition mit einer kleineren Partei die Regierung stellen. Dabei hatte sich bis in die 1980er Jahre hinein ein stabiles Dreiparteiensystem mit der FDP als dem ,Zünglein an der Waage’ etabliert. Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag und der festen Verankerung als vierter Partei im Parteiensystem sowie mit den Erfolgen der PDS bzw. später der Partei DIE LINKE vor allem in den fünf neuen Bundesländern und Berlin veränderte sich die grundsätzliche Architektur des bundesdeutschen Parteiensystems ebenso wie die potentiellen Koalitionsmöglichkeiten. In Deutschland sind Exekutive und Legislative in hohem Maße miteinander verschmolzen. Die Trennlinie verläuft weniger zwischen Regierung und Parlament als zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit auf der einen Seite und parlamentarischer Opposition auf der anderen Seite. Während die parlamentarischen Oppositionsparteien anders als bei den Minderheitsregierungen in Schweden dadurch im Bundestag in einer sehr schwachen Position sind, besitzen sie häufig ein erhebliches Vetopotential über den Bundesrat. Die Dominanz von Minderheitsregierungen in Schweden wird vielfach damit erklärt, dass es sich um eine Gesellschaft mit insgesamt relativ geringem Konfliktniveau und hoher Konsensorientierung handelt, welches sich auch im 143
Parteienspektrum niederschlägt. Im Falle von Minderheitsregierungen besitzen die Oppositionsparteien im Reichstag eine relativ starke Position gegenüber der Regierung, da die Minderheitsregierungen keine grundsätzlich abgesicherten Mehrheiten besitzen. Die Regierung muss also je nach Sachfrage Koalitionspartner für einzelne Gesetzgebungsvorhaben finden. Trotzdem ist es auch in Schweden so, dass viele gesetzgeberische Entscheidungen nicht erst im Parlament ausgefochten werden, sondern bereits vorher in anderen Gremien formell oder informell abgestimmt wurden. Das Parlament nimmt seine Einflussmöglichkeiten vielfach bereits in der Initiierungsphase von Policies wahr, indem es die Regierung im Rahmen der allgemeinen Motionszeit zur Bearbeitung bestimmter Probleme auffordert und politische Vorstellungen, die dann von der Regierung antizipiert werden, frühzeitig kommuniziert (Jann 1989: 405ff). Während Parlamentsmitglieder ebenso wie Verbandsvertreter in Deutschland normalerweise nicht formal in den Prozess der Gesetzesvorbereitung durch die Regierung integriert werden, ist eine solche formale Einbindung von Interessenvertretern und Parlamentarier im Kommissionswesen und über die Behördenvorstände in Schweden durchaus üblich, wenn auch in abnehmender Tendenz wie z.B. die sinkende Anzahl stimmberechtigter Interessenvertreter im Kommissionswesen seit Mitte der 1970er Jahre zeigt. Parlamentarier, Parteien und Interessenvertreter gestalten den Prozess der Alternativenauswahl und Politikkonkretisierung in Schweden in hohem Maße inhaltlich mit. In Deutschland erfolgt die Einflussnahme von Parteien und Verbänden auf die Rechtsetzung v.a. auf informellem Wege über Kontakte zwischen Verbänden und Ministerialbeamten sowie über Absprachen der Koalitionspartner, die über die politische Leitung der Ministerien an die Beamten herangetragen werden. Die geringere institutionalisierte Integration von Parteien in die vorparlamentarische Phase der Gesetzesvorbereitung bedeutet nicht, dass die Einflussmöglichkeiten der Parteien in Deutschland kleiner wären. Die Einflussnahme ist jedoch insgesamt weniger transparent. Besonders deutlich wird dies im Gesetzgebungsverfahren am Konsultationsprozess. In Schweden, wo das Öffentlichkeitsprinzip in der Verfassung verankert ist, werden alle Stellungnahmen eines Konsultationsverfahrens veröffentlicht und es wird transparent dargestellt, welche Positionen warum und von welchen Akteuren übernommen wurden. In Deutschland hingegen werden zwar auch externe Akteure im Gesetzgebungsverfahren konsultiert, deren Positionen und der Einfluss dieser auf eventuelle Änderungen im Entwurf werden jedoch nicht öffentlich zugänglich gemacht. Ob das im Januar 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland hier zu einem Kulturwandel beitragen wird, ist offen. 144
3 Empirische Ergebnisse zur Implementation von Folgenabschätzungen
Das folgende Kapitel setzt sich empirisch mit der Integration von Folgenabschätzungen in den Prozess der exekutiven Gesetzeserstellung in Deutschland und Schweden auseinander. In Kap. 3.1 wird zunächst kurz die methodische Vorgehensweise erläutert, bevor in Kap. 3.2 und 3.3 die Ergebnisse einer Untersuchung deutscher und schwedischer Regierungsvorlagen aus dem Jahr 2006 101 vorgestellt werden. Um die erhobenen Daten einordnen und mit sekundärempirischem Material vergleichen zu können, wird eine Übersicht zu den Erkenntnissen früherer Studien zur Implementation von Folgenabschätzungen der Beschreibung der eigenen primärempirischen Daten jeweils vorangestellt. Kap. 3.4 enthält einen Vergleich der Untersuchungsergebnisse für Deutschland und Schweden anhand derjenigen Prüfkriterien, die in beiden Ländern Gültigkeit besitzen. Mit Hilfe von Kap. 3.5 werden die Resultate zur Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland und Schweden 2006 in eine längerfristige zeitliche Perspektive eingeordnet, indem sie mit einer Stichprobe deutscher und schwedischer Gesetzesvorlagen aus den 1970er Jahren verglichen werden. Dieses Vorgehen soll dabei helfen, dauerhafte landesspezifische Charakteristika sowie Veränderungen in der Ausformulierung von Regierungsvorlagen zu neuen Gesetzentwürfen zu erkennen.
3.1 Methodisches Vorgehen Um den Implementationsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden zu untersuchen, führte die Autorin eine Analyse deutscher und schwedischer Gesetzesmaterialien durch.
101 Für Deutschland wurden wegen des Fehlens sekundärempirischer Daten ergänzend die Jahre 1999 und 2003 untersucht.
Während eine Abgrenzung des zu untersuchenden Materials im schwedischen Fall relativ einfach war (alle Propositionen der Regierung, die Gesetzentwürfe enthalten), gestaltete sich der Auswahlprozess im deutschen Fall etwas komplizierter, da viele Regierungsentwürfe aus Zeitgründen (Umgehung des Bundesrates in erster Instanz) über die Mehrheitsfraktionen des Parlaments in den Bundestag eingebracht werden (von Beyme 1997: 176f). Auch dann, wenn Initiativen der Fraktionen der Regierungsparteien tatsächlich aus der Mitte des Bundestages stammen, üben sachverständige Ministerialbeamte häufig einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesetzesvorlagen aus (Busse 1996: 445f). In die vorliegende Untersuchung wurden deshalb nicht nur alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung, sondern auch alle Entwürfe der Regierungsfraktionen einbezogen.102 Als Prüfkriterien fungierten diejenigen Folgenabschätzungsaspekte, welche in Deutschland bzw. in Schweden durch Rechtsvorschriften, Handbüchern und/ oder Leitfäden als verbindliche Elemente einer ex ante Folgenabschätzung von Gesetzentwürfen festgeschrieben sind (Kap. 3.2.1 und 3.3.1). Die Analysegrundlage bildeten für Deutschland die Vorblätter und Begründungen von Gesetzentwürfen und für Schweden die Propositionen der Regierung, welche einen oder mehrere Gesetzentwürfe zu einem Problemfeld enthalten und darüber hinaus umfangreiche Hintergrundinformationen zum Politikformulierungsprozess, zum Problemfeld und zur vorgeschlagenen Problemlösung geben. Der Untersuchungszeitraum war das Jahr 2006 und es handelte sich für diesen Zeitraum um eine Vollerhebung. Die Analyse umfasste deshalb für Deutschland etwas mehr Dokumente (154 Regierungsentwürfe) als für den schwedischen Fall (132 Propositionen). Um herauszufinden, inwieweit die GGO-Änderung im Jahr 2000 in Deutschland zu Änderungen im Grad der Erfüllung der Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen in den Vorblättern und Begründungen der Entwürfe führte, wurden neben den Gesetzentwürfen des Jahres 2006 für den deutschen Fall zusätzlich alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen aus den Jahren 1999 (vor der GGO-Novellierung) und 2003 (nach der GGO-Novellierung) im Hinblick auf die Prüfkriterien untersucht. Unterschiede und Entwicklungen im Zeitverlauf können so sichtbar gemacht werden. Den drei Erhebungszeiträumen (1999, 2003, 2006) ist gemeinsam, dass es sich jeweils um das Jahr nach der Bundestagswahl in drei verschiedenen Legislaturperioden handelt. Nachwahljahre wur102 Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Opposition wurden nicht mit in die Untersuchung einbezogen, da im Zentrum des Interesses die Gesetzesvorbereitung und Umsetzung von Folgenabschätzungsanforderungen innerhalb der Bundesministerien steht.
146
den deshalb ausgewählt, weil die Gesetzgebungstätigkeit hier aufgrund der noch ausstehenden Zeit bis zur nächsten Parlamentswahl ohne zusätzliche Beeinflussung durch Wahlkampf und die damit verbundenen Zwänge (Zeitdruck, Stimmengewinnung) stattfinden kann. Zudem sollte der erhobene Zeitraum möglichst vergleichbare Rahmenbedingungen aufweisen. Es wurde nicht als sinnvoll angesehen, direkt nach Inkrafttreten der novellierten GGO im Jahr 2000 Untersuchungen durchzuführen, da neue Regelungen immer eine gewisse Übergangszeit benötigen, bevor sie sich ggf. als neue Routinen etablieren (oder nicht, wenn eine Implementation ausbleibt oder nur unvollständig erfolgt). Für den schwedischen Fall erfolgten keine weiteren primärempirischen Erhebungen, da die Datenlage zur Implementation von Folgenabschätzungen wesentlich besser ist als in Deutschland (siehe Kap. 3.3.2) und es deshalb möglich war, Entwicklungen für den gleichen Zeitraum (1999–2006) mit Hilfe von sekundärempirischen Studien nachzuzeichnen. Bei der Bewertung der Implementation von einzelnen Folgenabschätzungskriterien wird zwischen ‚formaler Erfüllung’ und ‚tatsächlicher Erfüllung’ von Anforderungen zur Analyse von Gesetzesfolgen unterschieden. Unter ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird eine fundierte inhaltliche Prüfung bestimmter Kriterien der besseren Rechtsetzung verstanden, die sich in der Regierungsvorlage in Form von ausführlichen und mit einer Begründung versehenen Aussagen niederschlägt. Eine ‚formale Erfüllung’ hingegen liegt schon dann vor, wenn im Gesetzesvorblatt und/oder in der Gesetzesbegründung bzw. in der Proposition eine Aussage zur entsprechenden Variable zu finden ist, selbst wenn das Statement nur sehr kurz ist und nicht begründet wird. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ wird also als Teilmenge der ‚formalen Erfüllung’ definiert. Die Differenz zwischen ‚formaler Erfüllung’ und ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird im Folgenden als ‚rein formale Anpassung’ bezeichnet, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Folgenabschätzungskriterium durch ein floskelhaftes, in vielen Gesetzentwürfen so oder in ähnlicher Art und Weise zu findendes Statement ‚abgehakt’ wird, ohne dass substantielle Begründungen geliefert werden. Im gewählten Untersuchungsdesign nicht erfasst werden Fälle, in welchen aus strategischen oder taktischen Gründen auf eine Darstellung der Ergebnisse von Folgenabschätzungen verzichtet wurde, um die Durchsetzungsfähigkeit eines Entwurfes nicht zu gefährden. Insofern ist bei der Interpretation der Daten zu beachten, dass eine ‚rein formale Erfüllung’ ebenso wie ein Nichterfüllung nicht automatisch bedeutet, dass keinerlei Folgenuntersuchungen stattgefunden haben. Die Ergebnisse zeigen lediglich, dass der Verpflichtung zur Darstellung von bestimmten Folgenaspekten nicht nachgekommen wurde. Um den Zusam147
menhang zwischen realer Informationsbeschaffung und Analyseaktivität im Prozess der Entwurfserstellung und der letztendlichen Folgendarstellung in den offiziellen Begleitdokumenten zum Gesetzentwurf im Einzelfall zu verstehen, wäre ein auf konkrete Gesetzgebungsvorhaben bezogenes Fallstudiendesign erforderlich, dessen Nachteil jedoch darin läge, dass keine umfassenden und repräsentativen Daten gewonnen werden. Die Entscheidung für das beschriebene Untersuchungsdesign erscheint gerechtfertigt, wenn man in Augenschein nimmt, dass Folgenabschätzungen in Europa (anders als in den USA) in der Regel als Kommunikationswerkzeuge zwischen Regierung und Parlament verstanden werden (Radaelli 2005: 11). Es geht also um Machtprozesse zwischen diesen Institutionen. Der Grad der Herstellung von Transparenz in den Regierungsvorlagen ist zur Erfassung der Rolle von Folgenabschätzungen und zur Einschätzung des Implementationsgrades aus dieser Perspektive ein geeigneter Indikator.
3.2 Erfüllung der GGO-Kriterien zur Folgenabschätzung in Deutschland Das folgende Unterkapitel setzt sich empirisch mit der Frage nach dem Implementionsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland auseinander. Kap. 3.2.1 stellt die derzeit gültigen Folgenabschätzungsanforderungen bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen durch die Bundesregierung detailliert dar und erläutert die aus der GGO abgeleiteten Prüfkriterien für die von der Autorin durchgeführte primärempirische Untersuchung von Gesetzesvorblättern und -begründungen. Kap. 3.2.2 gibt eine Übersicht zum Stand der empirischen Forschung zur Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland. Kap. 3.2.3 beschreibt die empirischen Ergebnisse im Hinblick auf die einzelnen Prüfkriterien. Abschließend wird in Kap. 3.2.4 dargelegt, ob und in welchem Ausmaß sich die ‚formale Erfüllung’ und die ‚tatsächliche Erfüllung’ von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland unterscheiden.
3.2.1 Anforderungen der GGO und Prüfkriterien Am 1. September 2000 trat in Deutschland eine novellierte Fassung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in Kraft. Im Zuge dieser GGO-Novellierung waren u.a. die Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen durch die federführenden Einheiten der Ministerien im Rahmen der 148
Gesetzesbegründungen und auf dem Gesetzesvorblatt überarbeitet und modifiziert worden (s.a. Kap. 2.1.4.3). Wesentliche Neuerungen der GGO bestanden D D D D D
in einer Aufnahme des umfassenden Begriffs der „Gesetzesfolgen“ in den GGO-Text; in der neu eingeführten Verpflichtung, zur Frage einer ex post Evaluation des Gesetzes Stellung zu nehmen; in der Streichung der expliziten Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen für Umwelt und Verkehr; in der Straffung der Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen für die öffentlichen Haushalte und den Vollzug sowie in der expliziten Aufnahme einer Notwendigkeitsprüfung in den GGOText (vorher nur als Anhang im Rahmen der „Blauen Prüffragen“) verbunden mit der Integration eines Prüfkataloges zur Beurteilung von Regulierungsalternativen (insbesondere der Frage, ob eine Aufgabenerledigung durch Private möglich ist).
Diese Aufzählung der Modifizierungen im Rahmen der GGO-Novellierung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche Textfragmente aus der alten GGO II in identischer Form oder nur mit marginalen Änderungen übernommen wurden, so dass in einigen Bereichen (z.B. Darstellung der Ziele, der Aufgliederung der Kostenfolgen nach Gebietskörperschaften, der Preiswirkungen, der Auswirkungen auf die Wirtschaft) kaum Unterschiede zwischen der novellierten und der alten GGO bestanden. Die Vorschriften zur Gliederung des Gesetzesvorblattes wurden im Rahmen der Novellierung nur geringfügig modifiziert. So ersetzte man den Gliederungspunkt A „Zielsetzung“ durch „Problem und Ziel“. Außerdem wurde unter Gliederungspunkt D der Begriff „Kosten“ durch das neutralere „finanzielle Auswirkungen“ ersetzt. Neu eingeführt wurde zudem, dass die finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte bereits auf dem Vorblatt nach den Gebietskörperschaften Bund, Ländern und Kommunen aufgegliedert werden müssen (siehe Tab. 3). Sechs Jahre nach der GGO-Novellierung wurde das Gesetzesvorblatt im Zuge der Einführung der Bürokratiekostenmessung mit dem SKM zudem um den Gliederungspunkt F „Bürokratiekosten“ erweitert (GGOÄnderung vom 1.12.2006103). Im Vergleich zu den anderen Vorgaben zur Gliede103 Der § 44 GGO wurde um die Anforderung erweitert, dass die „Bundesministerien (…) die Bürokratiekosten im Sinne des § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates ermitteln und darstellen [müssen]“.
149
rung des Vorblattes ist Punkt F stark ausdifferenziert. So muss angegeben werden, wie viele Informationspflichten für Unternehmen, Bürger/innen und die Verwaltung eingeführt, vereinfacht und/oder abgeschafft werden, wie viele Unternehmen bzw. welche Kreise davon betroffen sind, in welcher Periodizität die Informationspflichten anfallen sowie welche Mehrkosten und/oder Kostenreduzierungen erwartet werden (Tab. 3). Tabelle 3: Gliederung des Vorblattes (GGO II und novellierte GGO) Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Besonderer Teil (GGO II); Stand: 1999 A. Zielsetzung B. Lösung C. Alternativen D. Kosten der öffentlichen Haushalte, differenziert nach Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand und Vollzugsaufwand
E. Sonstige Kosten (z.B. Kosten für die Wirtschaft, Kosten für soziale Sicherungssysteme)
Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung (Stand: 31.12.2006) A. Problem und Ziel B. Lösung C. Alternativen D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, getrennt für Bund, Länder und Kommunen, differenziert nach Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand und Vollzugsaufwand E. Sonstige Kosten (z.B. Kosten für die Wirtschaft, Kosten für soziale Sicherungssysteme, Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau) F. Bürokratiekosten (seit 1.12.2006) Es werden Informationspflichten für a) Unternehmen, b) Bürgerinnen und Bürger und c) die Verwaltung eingeführt/vereinfacht/abgeschafft Anzahl: betroffene Unternehmen/Kreise: Häufigkeit/Periodizität: erwartete Mehrkosten: erwartete Kostenreduzierung:
Tabelle 4 gibt einen Überblick zu den Vorschriften zur Folgenabschätzung in der novellierten GGO, inklusive der Änderungen des Jahres 2006 zur Bürokratiekostenmessung, und den daraus abgeleiteten Prüfkriterien für die empirische Untersuchung von Gesetzesvorblättern und -begründungen. Darüber hinaus wurden einige weitere Variablen zur Strukturierung der Untersuchungsgesamtheit erhoben (Datum des Gesetzentwurfes, federführendes Ministerium, Seiten150
anzahl, Art des Gesetzes, Rolle der EU).104 Ausgeklammert wurden Regelungen zur rechtstechnischen Prüfung der Entwürfe, zur Darstellung eventuell vorgenommener Rechtsvereinfachungen sowie Vorschriften zur sprachlichen Verständlichkeit und redaktionellen Prüfung, da diese Aspekte zwar im weiteren Sinne zur ‚besseren Rechtsetzung’ gehören, im engeren Sinne aber keine Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beinhalten und für die Fragestellung dieser Forschungsarbeit insofern keine zentrale Rolle spielen. Obwohl in den §§ 42 bis 45 GGO ausschließlich von Gesetzentwürfen die Rede ist, gelten die Vorschriften der GGO zur Darstellung von Gesetzesfolgen nach § 62 Abs. 2 GGO in gleichem Maße für Rechtsverordnungen und (unter bestimmten Bedingungen) für allgemeine Verwaltungsvorschriften. Bei Rechtsverordnungen ist die Durchführung einer Folgenabschätzung nach § 44 GGO nur dann nicht erforderlich, wenn keine anderen Folgen, als die bereits in der jeweiligen Gesetzesbegründung dargestellten, zu erwarten sind. In einem solchen Fall ist in der Begründung des Entwurfes der Rechtsverordnung auf die bereits erfolgte Darstellung in der Gesetzesbegründung zu verweisen. Für Verwaltungsvorschriften kommen die GGO-Regelungen zur Folgenabschätzung nach § 70 Abs. 1 GGO nur dann zur Anwendung, wenn der Entwurf nicht ohne Weiteres aus sich heraus verständlich ist oder wenn eine Folgenabschätzung aus anderen Gründen sachdienlich ist. Die GGO hält in § 69 Abs. 3 fest, dass auf die Verringerung und Vereinfachung bestehender Vorschriften hinzuwirken und dass die Notwendigkeit neuer Verwaltungsvorschriften zu begründen sei. Außerdem sind nach § 70 Abs. 2 GGO Angaben über die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte zur Vorlage an das Kabinett oder den Bundesrat beizufügen, wenn und soweit sie nicht schon im Rahmen der Begründung eines Gesetzes oder einer Verordnung gemacht wurden.
104 Ein allgemeines Prüfkriterium „Gesetzesfolgen“ wurde nicht erhoben, da eine intersubjektiv nachprüfbare Operationalisierung dieser Variable sehr schwierig ist. Verwiesen wird deshalb auf die Darstellung konkreter Gesetzesfolgen in bestimmten Bereichen sowie auf die qualitative Analyse einzelner Gesetzentwürfe (Kap. 3.5).
151
Tabelle 4: GGO-Quelle und Prüfkriterien Bereich
GGO (Stand: März 2008)
Prüfkriterium für die empirische Erhebung
Zieldefinition
§ 43 Abs. 1 (1) Anlage 5 zu § 42 Abs. 1 § 43 Abs. 1 (3) (4) § 44 Abs. 2 und 3
ĸ Zieldefinition
Alternativen Bund, Länder, Gemeinden
ĸ Alternativen ĸ Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (HoV)
ĸ Nachvollziehbarkeit der HoV ĸ Aufgliederung HoV nach Gebietskörperschaften
ĸ Vollzugsaufwand ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zum Vollzugsaufwand
ĸ Aufgliederung Vollzugsaufwand nach Gebietskörperschaften Sonstige Kosten
§ 44 Abs. 4
ĸ Kosten für die Wirtschaft ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Kosten für die Wirtschaft
ĸ Auswirkungen auf Einzelpreise ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Auswirkungen auf Einzelpreise
ĸ Auswirkungen auf Preisniveau und Verbraucher
ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Gleichstellung
§ 42 Abs. 5
Befristung
§ 43 Abs. 1
Evaluation Bürokratiekosten (ab 1.12.2006)
§ 44 Abs. 6 § 42 Abs. 1 § 44 Abs. 5 § 45 Abs. 1
152
Auswirkungen auf Preisniveau und Verbraucher ĸ Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung ĸ Aussage zu einer möglichen Befristung des Gesetzentwurfes ĸ ex post Evaluation ĸ Vorhandensein der Kategorie F (Bürokratiekosten) auf dem Vorblatt ĸ Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und Verwaltung ĸ Berechnungsgrundlage SKM ĸ Stellungnahme NKR
3.2.2 Stand der empirischen Forschung Im Folgenden wird ein Überblick über existierende wissenschaftliche Studien sowie über Berichte von Institutionen aus Politik und Verwaltung gegeben, die sich mit Fragen der Implementation von Folgenabschätzungen in der bundesdeutschen Ministerialverwaltung beschäftigen. Die Übersicht beschränkt sich auf empirische Studien oder Berichte, die nach der GGO-Änderung im Jahr 2000 erschienen sind: D
D
DEBR-Studie: Im Auftrag der DEBR-Gruppe (Directors and Experts of Better Regulation), einem Gremium der EU bestehend aus Experten der Nationalstaaten im Bereich ‚bessere Rechtsetzung’, führte das italienische Institut Formez (Centro di Formazione Studi) 2003-04 eine Studie zur GFA-Praxis in zehn EU-Staaten, unter anderem in Deutschland, durch. Methodische Basis war ein von administrativen Experten ausgefüllter Fragebogen zum nationalen GFA-System verbunden mit Beispielen für eine GFA. Die Länderstudien gingen jedoch kaum über die formalrechtliche Ebene hinaus und lieferten insofern wenig Input zur Bewertung der Implementation der GFA in Deutschland. Grundsätzlich wurde eingeschätzt, dass die Implementation aufgrund der kurzen Zeitspanne seit der Einführung der GFA noch nicht weit fortgeschritten sei (DEBR 2004). Bundesrechnungshof: Im Jahr 2004 führte der Bundesrechnungshof eine stichprobenartige Untersuchung von 25 Gesetzgebungsvorhaben im Hinblick auf die Beachtung der GGO-Anforderungen zur GFA durch. Er stellte fest, dass ein großer Teil der untersuchten Gesetzesmaterialien die Kriterien der GGO nur unzureichend berücksichtige (BT-Drs. 15/4200: 106), dass Zahlen zu Gesetzesauswirkungen häufig nicht begründet werden konnten und dass unbeabsichtigte Nebenwirkungen bei der Begründung der Gesetzesvorlagen keine größere Aufmerksamkeit fanden. Im Hinblick auf die Umsetzung der GFA durch die Ministerialbeamten kritisierte der Rechnungshof vor allem das mangelnde Bewusstsein für den Nutzen des Instrumentes, die zu geringen Ressourcen für eine fundierte Folgenanalyse sowie das Fehlen praxisorientierter Hilfsmittel. Der Rechnungshof wies zudem darauf hin, dass Termindruck und bindende politische Zielsetzungen nicht selten die Durchführung einer den Vorgaben entsprechenden GFA verhindern würden (BT-Drs. 15/4200: 104ff). 153
D
D
OECD: Eine 2004 durchgeführte Evaluation der OECD zur Regulierungsreform in Deutschland kritisierte in Bezug auf die GFA eine „erhebliche Umsetzungslücke“ (OECD 2004a: 19), wobei einschränkend zu erwähnen ist, dass diese Bewertung sich vor allem auf Expertenmeinungen stützte und keine belastbare empirische Grundlage hatte. Die OECD konstatierte eine geringe Anwendung der GFA und gab umfangreiche Empfehlungen zur verbesserten Integration des Verfahrens in den Rechtsetzungsprozess (OECD 2004a: 80ff). MATISSE: Im Rahmen des von der Europäischen Kommission 20052008 geförderten Projektes MATISSE (kurz für: Methods and Tools for Integrated Sustainibility Assessment) setzte sich eine internationale Forschergruppe unter anderem mit der Anwendung von integrierten Nachhaltigkeitsbewertungen (Integrated Sustainability Assessment = ISA)105 im Politikformulierungsprozess auseinander. Zur Evaluation der Praxis der Nachhaltigkeitsbewertung auf Bundesebene in Deutschland wurden Fallstudien zu sieben Gesetzgebungsvorhaben durchgeführt. Eine wesentliche Erkenntnis aus diesen Fallstudien ist, dass die GFA vom federführenden Ministerium häufig als eine Formalität betrachtet wird, während Folgenabschätzungen in der Praxis als fragmentierte Einzelanalysen verschiedener betroffener Ministerien erfolgen und in Art und Tiefe je nach Regelungsvorhaben erheblich variieren: „Often, a considerable range of impacts will be analysed, but mostly from cognate ministries rather than the lead ministry. The results of these fragmented analysis processes are not brought together in an overall assessment, but negotiated politically during the extensive interministerial coordination process.” (Hertin et al. 2007: 12). Die Publikationen des MATISSE-Projektes betonen darüber hinaus, dass Gutachten und Studien über zu erwartende Gesetzesfolgen in Deutschland vor allem als politische Munition im regierungsinternen ‚Häuserkampf’ (dem kon-
105 Der Begriff der integrierten Nachhaltigkeitsbewertung wird weiter definiert als die GFA: „(...) Integrated Sustainability Assessment (ISA) has been defined as a cyclical, participatory process of scoping, envisioning, experimenting, and learning through which a shared interpretation of sustainability (...) is developed and applied in an integrated manner, in order to explore solutions to persistent problems of unsustainable development. ISA is conceptualised as a complement to other forms of sustainability assessment, such as Sustainability Impact Assessment, Integrated Assessment and Regulatory Impact Assessment. Whereas these other forms of assessment fulfil the pragmatic need for ex ante screening of incremental sectoral policies that are developed within the prevailing policy regime, ISA is conceptualised as a support to longerterm and more strategic policy processes (Hertin et al. 2007: 3).
154
D
D
D
fliktären Prozess der Entscheidungsfindung zwischen den verschiedenen Fachministerien) benutzt werden und dass die Praxis von Folgenabschätzungen und anderen Verfahren der ex ante Evaluation von Politikentwürfen in Deutschland durch mangelnde Transparenz und einen hohen Grad an Informalität gekennzeichnet ist. ENBR: Bei diesem von der Europäischen Kommission 2006-2008 finanzierten Projekt (ENBR steht für European Network for Better Regulation) handelte es sich um Aktivitäten zur Etablierung eines europäischen Netzwerks mit 18 Partnerinstitutionen. ENBR verfolgte das Ziel, den Grad und die Art und Weise der Implementation von Verfahren zur Folgenabschätzung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu verbessern. Zu diesem Zweck wurde eine Datenbank mit Beispielen für Folgenabschätzungen aus den verschiedenen Ländern eingerichtet. Darüber hinaus war die Publikation jährlicher Fortschrittsberichte über den Stand der Implementation von Folgenabschätzungen in den EU-Mitgliedsstaaten geplant, dies wurde aber nicht umgesetzt. EVIA: Im Rahmen des von der Europäischen Kommission finanzierten EVIA-Projektes (Evaluating Integrated Impact Assessments) wurde die bisher umfangreichste Evaluation der nationalen Systeme zur Folgenabschätzung in der Europäischen Union durchgeführt. Dies beinhaltete eine Analyse der formalen Regelungen und institutionellen Verankerung von RIAs für 27 EU-Mitgliedsstaaten und die EU, eine Durchführung von 22 konkreten Fallstudien in vier Ländern (Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Polen) und auf EU-Ebene und eine Befragung von Ministerialbeamten und Stakeholdern in drei Ländern (BRD, Großbritannien, Niederlande) und auf EU-Ebene. Eine über die Formalebene hinausgehende Implementationsstudie von GFA oder SKM in Deutschland wurde im Rahmen des Projektes nicht durchgeführt. Die Fragebogenerhebung unter deutschen Ministerialbeamten zeigte, dass Ministerialbeamte in Deutschland skeptischer als ihre Kollegen in den Niederlanden und Großbritannien sind, wenn es um die Bewertung des Nutzens von Quantifizierungen und Monetarisierungen im Rahmen von Folgenabschätzungen geht (Jacob et al. 2008: 8). Jahresberichte des NKR: In den Jahresberichten des NKR wird dargestellt, wie viele Gesetzes- und Verordnungsentwürfe durch den NKR geprüft wurden, wie sich die Anzahl der gültigen Informationspflichten in den geprüften Entwürfen entwickelt hat und wie sich die Gesamtbelastung mit Bürokratiekosten verändern würde, wenn im parlamentari155
schen Verfahren keine weiteren Änderungen der Entwürfe erfolgen (was de facto meist nicht zutrifft). Nicht dargestellt wird, ob der NKR tatsächlich alle Rechtsentwürfe der Ministerien erhalten hat und in welchem Ausmaß und in welcher Qualität die GGO-Vorschriften zur Darstellung von Bürokratiekosten umgesetzt werden. Zwar geben die Berichte einige ‚weiche’ Informationen zur Frage der Umsetzung in den Ressorts (z.B.: „gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“, NKR 2007: 6), deren Bedeutungsgehalt sicher zum Teil politischer Natur ist, eine tatsächliche Evaluation der Implementation findet im Rahmen der Berichte aber nicht statt. Betrachtet man das existierende empirische Material zur Frage der Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland, so fällt auf, dass es bisher keine umfassende und repräsentative empirische Untersuchung zur Umsetzung der GGO-Anforderungen gibt. Die vorhandenen wissenschaftlichen Studien beziehen ihre Erkenntnisse vorrangig aus einzelnen Fallbeispielen/-studien (DEBR, MATISSE) oder aus einer Analyse der Formalstruktur (DEBR, OECD, EVIA) verbunden mit Experteneinschätzungen (DEBR, OECD, ENBR, EVIA). Zudem besitzen alle Studien einen eindeutigen ‚Instrumentenfokus’ (in der Regel auf die GFA, meist im europäischen Vergleich) und gehen nicht von den rechtlich verankerten Vorschriften zur Folgenabschätzung im Gesetzgebungsprozess aus, sondern von einem normativen Ideal der GFA, gegen welches die Ländererfahrungen gespiegelt werden. Ein weiteres Defizit ist, dass keine der Untersuchungen in umfassender Weise auf die Erfüllung der einzelnen materiellen Anforderungen eingeht (außer Bundesrechnungshof, allerdings ist hier die Stichprobe viel zu klein), sondern man in der Beurteilung in der Regel auf einer allgemeinen Ebene der Bewertung der Folgenabschätzungspraxis verbleibt. Eine Selbstbeobachtung des politisch-administrativen Systems in Form von Evaluationen zur Folgenabschätzung fehlt. Ein Ausnahme bilden die seit 2007 jährlich publizierten Berichte des NKR zur Umsetzung der Bürokratiekostenmessung, die jedoch nur einen kleinen und sehr spezifischen Ausschnitt der GGO-Anforderungen beleuchten. Die genannten Lücken werden durch die vorliegende Arbeit geschlossen, indem auf breiter empirischer Basis ein inhaltlich umfassendes Bild der Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in der bundesdeutschen Ministerialverwaltung gezeichnet wird.
156
3.2.3 Empirische Analyse von Gesetzentwürfen der Jahre 1999, 2003 und 2006 Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und Regierungsfraktionen bezüglich der Erfüllung der in Kap. 3.2.1 erläuterten Prüfkriterien zur Folgenabschätzung dargestellt.
3.2.3.1 Merkmale der Untersuchungsgesamtheit Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Untersuchung um eine Vollerhebung aller Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sowie Gesetzentwürfe der Regierungsfraktionen (ohne Haushaltsgesetze) aus den Jahren 1999, 2003 und 2006.106 Insgesamt wurden 391 Gesetzesvorlagen analysiert (1999: 103; 2003: 136; 2006: 152). Die meisten Gesetzentwürfe stammten aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) und dem Bundesministerium der Justiz (BMJ). Diese beiden Ministerien stehen jeweils für rund 16% aller untersuchten Entwürfe. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) brachten im Untersuchungszeitraum nur sehr wenige Gesetzentwürfe in den Bundestag ein (Abb. 5). Da die Abgrenzung zwischen Änderungsgesetzen (Novellen) und neuen (Stamm-)Gesetzen in der Literatur umstritten ist (von Beyme 1997: 64)107, wurde auf eine Differenzierung dieser beiden Gesetzesarten verzichtet, wobei bekannt ist, dass ein Großteil der Gesetzgebung der Änderung bestehender Vorschriften dient und regelmäßig nur sehr wenige neue Stammgesetze verabschiedet werden. Unterschieden wurde lediglich zwischen Gesetzen, welche der Ratifikation oder der Umsetzung von internationalen Verträgen dienen (im Folgenden: Vertragsgesetze) und allen anderen Gesetzen (Änderungs- und Stammgesetze). Haushaltsgesetze wurden nicht in die Untersuchung einbezogen. Betrachtet man die drei Untersuchungszeiträume, so ist festzustellen, dass der Anteil der Vertragsgesetze 1999 am größten war (37%). 2003 waren 34% der untersuchten Vorlagen Vertragsgesetze und 2006 lag deren Anteil bei 28%. Differenziert nach den Ressorts zeigt sich, dass der Anteil der Vertragsgesetze beim 106 Quelle: Drucksachenbände des Deutschen Bundestages. 107 Während eine Kategorisierung als Änderungsgesetz bei Einzelnovellen unumstritten ist, sind Mantelgesetze und Ablösungsgesetze nicht immer eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen.
157
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) besonders groß ist (66%). Auch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) dienen überdurchschnittlich viele Gesetze der Ratifizierung von internationalen Verträgen (47%). Abb. 5: Ursprung der analysierten Gesetzentwürfe (BRD) BM Z BM Vg BM BF BM FSFJ BM W A BM W i AA BM AS BM G + BM GS BM ELV BM U BM I Andere BM VBS RegFrak BM J BM F
1 2 4 5 11 15 16 17 18 18 20 21 34 35 49 62 63 0
10
20
30
40
50
60
70
Anmerkungen: Angaben zu Gesetzentwürfen sind absolute Zahlen. In der Kategorie „Andere“ sind gemeinsame Gesetzentwürfe verschiedener Ministerien sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zusammengefasst.
Der Einfluss des EU-Rechts ist zwischen 1999 und 2006 angestiegen. Waren 1999 knapp 16% aller Entwürfe auf EU-Anforderungen zurückzuführen, betraf dies 2003 bereits 23% der Gesetzesvorlagen. 2006 lag der Anteil der EU-induzierten Gesetzentwürfe bei rund 30%. Diese Ergebnisse befinden sich vom Niveau her zwischen den Resultaten einer von Ulrich Karpen et al. im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) durchgeführten Studie, die den Anteil der durch EU-Recht beeinflussten Gesetze und Rechtsverordnungen im Zeitraum von Herbst 2005 bis zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause 2007 auf 26% datiert (Karpen et al. 2007) und den Berechnungen von Annette Elisabeth Töller, die für die 15. LP (2002–2005) des Deutschen Bundestages einen EU-Anteil an der Gesetzgebung von 34,6% ausmacht (Töller 2006). Die sich auf wenige Prozentpunkte belaufenden Differenzen zwischen den Untersu158
chungen von Karpen et al., Toeller und der vorliegenden Studie sind auf unterschiedliche Erhebungszeiträume, auf nicht deckungsgleiche Untersuchungsgesamtheiten sowie auf Differenzen in der Operationalisierung zurückzuführen. Der auf eine Äußerung des EU-Kommissionschefs Jacques Delors Ende der 1980er Jahre zurückgehende Mythos einer im Bereich von 80% liegenden Dominanz der EU für den nationalen Gesetzgeber, der später unter anderem durch eine Publikation des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog108 und durch eine Schätzung der Konrad-Adenauer-Stiftung genährt wurde109, wird durch diese Zahlen stark relativiert (Moravcsik/ Töller 2007). Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass bei den empirischen Untersuchungen weiche Mechanismen der Einflussnahme der EU (z.B. durch die Offene Methode der Koordinierung) nicht mit erhoben wurden. Töller und Moravcsik ziehen deshalb den Schluss, dass die tatsächliche Europäisierung der deutschen Gesetzgebung zwar über den genannten Zahlen liegt, aber mit Sicherheit auch deutlich unter dem Mythos der 80% (Moravcsik/Töller 2007). Je nach Politikbereich variierte der Anteil der EU-induzierten Entwürfe erheblich. Ein besonders starker Einfluss der EU zeigte sich bei den Gesetzentwürfen110 des BMU. Auch bei den Gesetzentwürfen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), des Gesundheitsministeriums (BMG) und des BMJ lag der EU-Einfluss etwas über dem Durchschnitt, während der EU-Einfluss beim BMF, beim BMVBS und beim BMI unterdurchschnittlich war. Am schwächsten war der Einfluss der EU bei den Entwürfen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Bei der Mehrzahl der untersuchten Gesetzentwürfe (59%) umfasste der Entwurfstext nur ein oder zwei Seiten. Lässt man die – meist einseitigen – Gesetzentwürfe außer Acht, bei denen es um die Ratifizierung internationaler Verträge geht (kurz: Vertragsgesetze), reduziert sich dieser Anteil jedoch erheblich: Von denjenigen Regelungsvorlagen, die keine Vertragsgesetze waren, beinhalteten 39% einen ein- bis zweiseitigen Gesetzestext. Im Vergleich der drei untersuchten Jahrgänge ist tendenziell ein Absinken des Anteils der ein- bis zweiseiti108 Der Direktor des Centrums für Europäische Politik in Freiburg, Lüder Gerken, und Roman Herzog behaupteten, dass 84% der deutschen Gesetze aus Brüssel stammen. Zur Berechnungsgrundlage siehe Plehwe 2007: 7. 109 Röhl (2006) schätzte den Anteil der auf EU-Recht zurückzuführenden Gesetzgebung in der BRD auf 70%. 110 Die Darstellung in diesem Absatz bezieht sich ausschließlich auf diejenigen Bundesministerien, die in den drei untersuchten Jahren mindestens zehn Gesetzentwürfe zu verantworten hatten. Alle anderen Ministerien wurden aus der Betrachtung der Verbindung zwischen Ministerium und EU-Einfluss aufgrund zu geringer Fallzahlen ausgeklammert.
159
gen Entwurfstexte festzustellen: Waren 1999 noch insgesamt 71% der Entwürfe maximal zwei Seiten lang, betraf dies 2003 60% und 2006 nur noch 50% der Entwürfe. Im Gegenzug nahm die Zahl der Entwürfe mit drei bis vier Seiten (1999: 13%; 2003: 14%; 2006: 18%) ebenso wie die der fünf- bis sechsseitigen Entwürfe (1999: 5%; 2003: 8%; 2006: 12%) zu. Auch der Anteil der Entwürfe mit mehr als elf Seiten war 2003 und 2006 größer als 1999 (Abb. 6). Abb. 6: Seitenanzahl der Gesetzestexte (BRD) 80
Gesetzentwürfe in %
70 60 50 40 30 20 10 0 1-2 Seiten
3-4 Seiten
5-6 Seiten
1999
7-8 Seiten
2003
9-10 Seiten Mehr als 10 Seiten
2006
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe eines Jahres (inklusive Vertragsgesetze).
Der Rückgang der ein- bis zweiseitigen Entwürfe im Zeitverlauf lässt sich zum Teil mit dem sinkenden Anteil der meist nur wenig Gesetzestext umfassenden Vertragsgesetze erklären. Aber auch bei den übrigen Gesetzen ging der Anteil der sehr kurzen Entwurfstexte zwischen 1999 und 2006 stark zurück. Waren 1999 53% der Nicht-Vertragsgesetze nur ein bis zwei Seiten lang, so betraf dies 2003 nur noch 39% und 2006 33%. Insgesamt ist also für die drei Untersuchungsjahre im Zeitverlauf eine Tendenz hin zu längeren Gesetzestexten zu konstatieren. Die Darstellung der Gesetzesfolgen und anderer wichtiger Aspekte der besseren Rechtsetzung erfolgt im Vorblatt von Gesetzentwürfen und – meist in aus160
führlicherer Art und Weise – in den Gesetzesbegründungen. Betrachtet man die Seitenanzahl dieser Begründungen, so zeigen sich eine tendenzielle Zunahme des Umfangs der Gesetzesbegründungen im Zeitverlauf (siehe Abb. 7). Der Anteil derjenigen Gesetze, deren Begründung bis zu fünf Seiten umfasste, halbierte sich zwischen 1999 und 2006, während sich der Anteil der Gesetze mit einer sechs- bis zehnseitigen Begründung fast verdoppelte. Die durchschnittliche Gesetzesbegründung 1999 umfasste neun Seiten, während sie 2003 15 Seiten und 2006 13 Seiten lang war. Bei der Interpretation dieser Mittelwerte ist zu beachten, dass die hohe durchschnittliche Seitenzahl für 2003 durch mehrere „Ausreißer“ mit ungewöhnlich langen Begründungsschreiben in diesem Jahrgang zustande kommt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Gesetzesbegründungen 2003 und 2006 im Vergleich zu 1999 deutlich länger waren. Abb. 7: Seitenanzahl der Gesetzesbegründungen (BRD) 70
Gesetzentwürfe in %
60 50 40 30 20 10 0 1-5 Seiten
6-10 Seiten 11-15 Seiten 16-20 Seiten 21-25 Seiten Mehr als 25 Seiten
1999
2003
2006
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe eines Jahres (ohne Vertragsgesetze).
Für die Implementation von Folgenabschätzungen ist dabei besonders interessant, ob und inwieweit sich die Länge des „Allgemeinen Teils“ (AT) der Gesetzesbegründungen im Untersuchungszeitraum verändert hat. Festzustellen ist, dass sich der Anteil der nur eine Seite umfassenden Ausführungen im AT seit 1999 deutlich reduziert hat (1999: 40%; 2003: 29%; 2006: 23%), ebenso wie der 161
Anteil derjenigen Gesetze, in deren Begründung kein AT vorhanden ist, kleiner geworden ist (1999: 4%; 2003: 2%; 2006: 1%). Der Anteil der Gesetze, in welchen der AT zwei oder mehr Seiten umfasst, ist hingegen seit 1999 angestiegen (1999: 56%, 2003: 69%; 2006: 76%). Besonders viele ‚lange’ AT in den Gesetzesbegründungen gab es 2003: Während 1999 lediglich 3% der AT mehr als sieben Seiten hatten, waren es 2003 über 15% und 2006 knapp 6%. Vertragsgesetze, die der Ratifikation von internationalen Verträgen dienen, besitzen einen abweichenden formalen Aufbau. Statt der Gesetzesbegründung gibt es eine sogenannte „Begründung zum Vertragsgesetz“ sowie eine „Denkschrift“ zu dem jeweiligen Übereinkommen. Auch bei dieser Art von Gesetzen ist eine leichte Tendenz hin zu längeren Begründungen festzustellen. Während die „Begründung zum Vertrag“ 1999 noch in 100% der Fälle nur eine Seite umfasste, gab es 2003 und 2006 einige Entwürfe von Vertragsgesetzen mit zweioder dreiseitigen Begründungen (2003: 15%; 2006: 10%). Betrachtet man die Denkschriften, fällt auf, dass 1999 noch 29% aller Vertragsgesetze eine einseitige Denkschrift aufwiesen, während dies 2006 nur noch bei 5% der Fall war. Im Durchschnitt waren die Denkschriften 1999 zweieinhalb Seiten lang, 2003 und 2006 hingegen vier Seiten lang. Fasst man die auf den letzten Seiten vorgestellten Merkmale der Untersuchungsgesamtheit in den drei Jahren 1999, 2003 und 2006 zusammen, so fällt auf, dass die Gesetzestexte im Zeitverlauf länger geworden sind, ebenso wie der Umfang der Begründungsschreiben zugenommen hat. Diese Ergebnisse könnten als Indizien für eine wachsende Verrechtlichung und als Reaktion auf die zunehmende Komplexität der Regelungsmaterien gewertet werden. Dass solche Interpretationen ohne das Betrachten einer längeren, empirisch fundierten Zeitreihe nicht vorschnell vorgenommen werden sollten, zeigt das Beispiel der Anzahl der Gesetzesvorlagen in den drei untersuchten Jahren. Während 1999 insgesamt 105 Gesetzentwürfe der Regierung/Regierungsfraktion in den Bundestag eingebracht wurden, waren es 2006 fast 50% mehr (152). Wie in Kapitel 2.1.1 empirisch belegt wird, wäre die auf den ersten Blick nahe liegende Interpretation, dass die Gesetzgebungstätigkeit immer mehr zunimmt, nicht richtig. Die Anzahl der verabschiedeten Gesetze ist in den letzten 60 Jahren relativ konstant geblieben, ein ‚Aufwärtstrend’ bezüglich der pro Legislaturperiode verabschiedeten Gesetzentwürfe ist nicht zu verzeichnen. Inwiefern die Gesetzestexte und deren Begründungen im Zeitverlauf länger geworden sind, bedarf also weitergehender Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden können und sollen. Festzuhalten ist jedoch, dass im Hinblick auf die hier betrachteten drei Untersuchungszeiträume die Länge der Gesetzestexte und -begründun162
gen im Zeitverlauf zugenommen hat, ebenso wie der Einfluss der EU größer geworden ist. Ob die zunehmende Länge der Gesetzesbegründungen auch bedeutet, dass Gesetzesfolgen 2003 und 2006 besser und ausführlicher dargestellt wurden als 1999, ist im nächsten Abschnitt zu klären.
3.2.3.2 Zieldefinition und Alternativen Eine Zieldefinition war in den Gesetzesvorblättern und -begründungen aller untersuchten Entwürfe zu finden. Der Grad der Detailliertheit dieser Zielbeschreibung war jedoch sehr unterschiedlich und reichte von allgemeinen und nicht näher erklärten Oberzielen wie beispielsweise „Förderung der deutschen Wirtschaft“ (BT-Drs. 16/637) zu ausführlicheren Problem- und Zielbeschreibungen. Dass die Anforderung, eine Aussage über die Ziele des Gesetzentwurfes zu tätigen, formal immer erfüllt wurde, ist angesichts der Tatsache, dass eine Zielbeschreibung den ersten Gliederungspunkt auf dem Gesetzesvorblatt bildet (Herstellung von Transparenz), wenig verwunderlich. Die Anreize, sich zu diesem Punkt zu äußern, sind somit sehr hoch. Die Motivation, sich tatsächlich intensiver mit Zielfragen auseinander zu setzen, wird von dieser Maßnahme hingegen kaum beeinflusst. Es ist eine bekannte und in der Wissenschaft weit akzeptierte Erkenntnis der Steuerungsdebatte und der Policy-Forschung, dass die Beschreibung konkreter Steuerungsziele im politischen Prozess nicht selten sogar kontraproduktiv ist, da eine solche die Durchsetzungschancen eines Entwurfes vermindern kann. Ziele nicht oder nur unpräzise zu beschreiben, kann im politischen Entscheidungsprozess dazu dienen, Gesetzentwürfe mehrheitsfähig zu machen, indem Zielkonflikte in die Implementationsphase verschoben werden. Ziele werden deshalb oft so beschrieben, dass sie verschieden interpretierbar und möglichst konsensfähig sind. Die Auswertung der im Gesetzesvorblatt angegebenen Anzahl von Alternativen kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der GGO-Novellierung im Jahr 2000 und der damit verbundenen stärkeren Gewichtung der Alternativen-Darstellung (Prüfkatalog zur Feststellung von Selbstregulierungsmöglichkeiten in Anlage 7 der GGO) die Zahl der Fälle, in denen die Frage nach Alternativen schlicht mit „keine“ beantwortet wurde, in den letzten Jahren angestiegen ist. Bereits 1999 war es so, dass ein sehr großer Anteil der Gesetzentwürfe (86%) die Aussage enthielt, dass keine Alternativen bestünden. 2003 betraf dies 90% der untersuchten Entwürfe und 2006 betrug der Anteil dieser Kategorie sogar 94%. Eine Al-
163
ternative wurde 1999 in jedem zehnten Gesetzentwurf angegeben, 2003 nur noch in jedem zwölften und 2006 in jedem zwanzigsten Entwurf. Die Angabe von zwei oder drei Alternativen war schon 1999 mit 3,9% sehr gering. 2003 lag der Anteil dieser Kategorie bei 1,5% und 2006 bei 0,7%. Betrachtet man die Verteilung der Alternativen-Angaben auf die einzelnen Ministerien, fällt auf, dass eine oder mehrere Alternativen am häufigsten bei den Entwürfen der Regierungsfraktion angegeben wurden (22% der Fraktionsentwürfe gaben mindestens eine Alternative an). Von den Regierungsentwürfen waren die Gesetzesvorlagen des BMAS111 (15%), des BMI und des BMVBS (je 14%) diejenigen, in denen am häufigsten eine oder mehrere Regelungsalternativen genannt wurden. Das BMJ gab in 6% der Fälle mindestens eine alternative Regelungsoption an, das BMF in 5% und das Wirtschaftsministerium (BMWi)112 in 4% seiner Entwürfe. Sieben Ministerien (AA, BMBF, BMELV, BMFSFJ, BMU, BMVg, BMZ) beantworteten die Fragen nach Alternativen im Gesetzesvorblatt bei allen untersuchten Entwürfen (in allen drei Untersuchungsjahren) mit „keine“, wobei einschränkend erwähnt werden muss, dass es sich bei diesen Ministerien – abgesehen vom BMELV und vom BMU – um Ministerien mit sehr geringer Gesetzgebungsaktivität handelt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Gesetzentwürfe der untersuchten Jahre, trotz gewisser Unterschiede zwischen den Ressorts, nur sehr selten alternative Regelungsmöglichkeiten erwähnten.
3.2.3.3 Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte Für die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte (ohne Vollzugsaufwand) ergibt sich ein differenziertes Bild (Abb. 8). Auf hohem Niveau befindet sich der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, für die angegeben wurde, dass sie „keine Auswirkungen“ auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte hätten (1999: 54,4%; 2003: 58,5%; 2006: 53,9%). Im Zeitverlauf fallen zwei Tendenzen auf: Zum einen wurde nach der GGO-Novellierung deutlich seltener als vorher überhaupt keine Aussage zu den Haushaltsauswirkungen getätigt (2003: 0,7%; 2006: 1,3%; zum Vergleich 1999: 5,8%). Zum anderen ist der Anteil derjenigen Entwürfe, in denen zumindest eine partielle Quantifizierung der Kostenfolgen durchgeführt wurde, in den letzten Jahren größer geworden (1999: 19,4%; 2003: 23,7%; 2006: 25%). 111 Inklusive BMWA-Entwürfe, die sich auf Arbeitsmarktfragen beziehen. 112 Wegen der wechselnden Ressortzuschnitte ohne 2003.
164
Abb. 8: Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (BRD, alle Gesetzentwürfe) 65 60 55
Gesetzentwürfe in %
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage
keine Auswirkungen
qualitative Aussage
1999
2003
monetäre Aussage
tatsächliche Erfüllung
2006
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.
Um herauszufinden, inwieweit die Haushaltsauswirkungen tatsächlich überprüft wurden, ist es sinnvoll, zu analysieren, wie häufig die Aussage „keine Haushaltsauswirkungen“ mit einer substantiellen Begründung versehen war. Addiert man zum prozentualen Anteil derjenigen Entwürfe, die gar keine Aussage zu den Haushaltsauswirkungen enthielten, die Entwürfe dazu, für welche angegeben wurde, dass sie „keine Auswirkungen“ hätten, ohne dass dies näher begründet wurde, dann erhält man den Anteil der Entwürfe, für welche eine ‚rein formale Anpassung’ konstatiert werden kann. Insgesamt ist der Grad der ‚rein formalen Anpassung’ seit 1999 gesunken bzw. positiv ausgedrückt: Die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Verpflichtung zu Beschreibung von Haushaltsauswirkungen ist in den letzten Jahren um zehn Prozentpunkte gestiegen (Abb. 8, letzte Kategorie). Unter ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird eine fundierte inhaltliche Prüfung der Haushaltsauswirkungen verstanden, die sich in der Gesetzesvorlage in Form
165
von mit einer Begründung versehenen Aussagen niederschlägt. ‚Tatsächliche Erfüllung’ heißt also, dass entweder eine qualitative oder monetäre Beschreibung der Haushaltsauswirkungen zu finden war oder dass die Aussage, dass „keine Auswirkungen“ entstünden, nachvollziehbar begründet wurde. Die Zunahme der ‚tatsächlichen Erfüllung’ beim Prüfkriterium Haushaltsauswirkungen im Zeitverlauf lässt sich allerdings nicht mehr beobachten, wenn man die Stichprobe ohne Vertragsgesetze analysiert. Der Anteil der Vertragsgesetze hat sich, wie bereits dargestellt, seit 1999 deutlich reduziert, was Auswirkungen auf die Gesamtergebnisse haben kann, wenn man davon ausgeht, dass bei Vertragsgesetzen besonders selten Angaben zu den Haushaltsauswirkungen getätigt werden. Betrachtet man ausschließlich die Stamm- und Änderungsgesetze (ohne Vertragsgesetze), dann ergibt sich ein von der Untersuchungsgesamtheit der jeweiligen Jahre abweichendes Bild. So bleiben zwar die anfangs beschriebenen Tendenzen erhalten (weniger Entwürfe ohne Aussage zu den Haushaltsauswirkungen, mehr Quantifizierungen), aber im Unterschied zu den in Abb. 8 dargestellten Resultaten zeigt sich, dass 1999 fast doppelt so viele Stamm- und Änderungsgesetze qualitative Beschreibungen der Haushaltsauswirkungen enthielten wie 2003. Damit einhergehend lässt sich für die Stammund Änderungsgesetze keine eindeutige Tendenz bezüglich der ‚tatsächlichen Erfüllung’ im Zeitverlauf feststellen (Abb. 9). Wie häufig die Frage nach den Haushaltsauswirkungen in den Gesetzentwürfen mit „keine Auswirkungen“ beantwortet wurde, variierte je nach Ministerium erheblich. In den Entwürfen des BMJ und des BMVBS wurde besonders häufig angegeben (71% bzw. 69%), dass „keine Haushaltsauswirkungen“ damit verbunden seien, während die Entwürfe des BMF besonders selten (30%) „keine Haushaltsauswirkungen“ implizierten. Die Unterschiede zwischen den Ministerien lassen sich zum Teil auf die verschiedenen Regelungsmaterien zurückführen. So ist einleuchtend, dass privatrechtliche Regelungen des BMJ häufig keine direkten Haushaltsauswirkungen mit sich bringen, während Regulierungen des BMF meist finanzielle Fragen unmittelbar tangieren. Monetäre Angaben zu den Haushaltsauswirkungen wurden besonders häufig vom BMF (41% monetäre Aussagen) und vom BMI (33% monetäre Aussagen) getätigt. Besonders selten fand eine Quantifizierung der finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte in den Gesetzentwürfen des BMELV (0%), des BMJ (3%) und des BMU (5%) statt.
166
Abb. 9: Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (BRD, ohne Vertragsgesetze) 65 60 55
Gesetzentwürfe in %
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage
keine Auswirkungen
qualitative Aussage
1999
2003
monetäre Aussage
tatsächliche Erfüllung
2006
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Stamm- und Änderungsgesetze des jeweiligen Jahres (ohne Vertragsgesetze).
Laut § 44 Abs. 3 GGO müssen die Haushaltsauswirkungen von neuen Gesetzen für die Gebietskörperschaften einzeln aufgegliedert werden. Diese Vorschrift wurde in den untersuchten Jahrgängen zunehmend besser erfüllt. Während 1999 noch in 42% der Fälle keinerlei Aufschlüsselung nach Gebietskörperschaften erfolgte, betraf dies 2003 nur noch 38% und 2006 32% der Fälle. Eine komplette Aufgliederung der Haushaltsauswirkungen für alle drei staatlichen Ebenen (Bund, Länder und Gemeinden) erfolgte allerdings auch 2006 nur in 47% der Fälle (1999: 46%, 2003: 51%). Bei 21% der Gesetzentwürfe aus dem Jahr 2006 wurde die Aufschlüsselung nach Gebietskörperschaften aber immerhin teilweise vorgenommen, während der Anteil dieser Kategorie 1999 und 2003 nur jeweils 11% betrug.
167
Abb. 10: „Keine Haushaltsauswirkungen“ nach Entwurfsverfasser (BRD) BMF RegFrak BMWi
30 39 47 47
BMG + BMGS BMAS BMELV BMU AA BMI
47 48 50 50 52 64
BMWA BMVBS BMJ
69 71 0
20
40
60
80
100
Anmerkungen: Angaben in %. Für das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n < 10) keine Angaben gemacht. Das BMWA und das BMGS existierten in dieser Form nur im Untersuchungsjahr 2003. Das BMG, das BMAS und das BMWi existierten in den Untersuchungsjahren 1999 und 2006.
Ebenso wie für das Prüfkriterium ‚Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand’ lässt sich für die in Gesetzesvorblättern und -begründungen beschriebene Kategorie Vollzugsaufwand feststellen, dass der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, in welchen gar keine Aussage zu diesem Thema zu finden ist, seit 1999 deutlich gesunken ist (Abb. 11). So wurde 1999 noch in 28% der Fälle „keine Aussage“ zum Vollzugsaufwand gemacht. 2003 betraf dies nur noch 14% und 2006 11%. Auf hohem Niveau befand sich jedoch auch 2006 noch der Anteil der Gesetzentwürfe, für welche konstatiert wurde, dass sie „keinen Vollzugsaufwand“ verursachten. Tendenziell ist der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, in welchen der Vollzugsaufwand entweder beschrieben oder sogar berechnet wird, seit 1999 größer geworden. So wurde 1999 in 37% der Fälle der Vollzugsaufwand beschrieben oder quantifiziert, 2003 lag der Anteil bei 43% und 2006 fielen bereits 53% in diese Kategorie. Insgesamt ist die ‚tatsächliche Erfüllung’ (letzte Spalte der Abb. 11) der GGO-Verpflichtung, den Vollzugsaufwand von Gesetzen darzustellen, in den
168
letzten Jahren deutlich gestiegen. Dieser Anstieg lässt sich zum einen auf einen stark gesunkenen Anteil an Entwürfen ohne Aussage zum Vollzugsaufwand zurückführen, zum anderen spielt eine Rolle, dass die Angaben zum Vollzugsaufwand in jüngerer Zeit häufiger als früher mit einer substantiellen Begründung versehen waren. Anders als beim Prüfkriterium Haushaltsauswirkungen, verändert sich beim Vollzugsaufwand keine der dargestellten Tendenzen, wenn man die Häufigkeitsauswertungen nur für die Stamm- und Änderungsgesetze (= ohne Vertragsgesetze) durchführt. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ befindet sich allerdings ohne Vertragsgesetze auf noch höherem Niveau: Während die ‚tatsächliche Erfüllung’ für die gesamte Untersuchungsmenge 1999 bei 42%, 2003 bei 48% und 2006 bei 67% lag (siehe Abb. 11, letzte Spalte), betrug sie ohne Vertragsgesetze 1999 52%, 2003 54% und 2006 71%. Abb. 11: Angaben zum Vollzugsaufwand (BRD) 70 65 60 55 Gesetzentwürfe in %
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage
kein Vollzugsaufwand
qualitative Aussage
1999
2003
monetäre Aussage
tatsächliche Erfüllung
2006
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.
169
Betrachtet man die Verteilung der Aussagen zum Vollzugsaufwand auf die federführenden Ministerien113 ergibt sich ein differenziertes Bild (Abb. 12). Die Anforderung der GGO, dass eine Aussage zum Vollzugsaufwand neuer bzw. geänderter Gesetze erfolgen muss, wird in den Gesetzentwürfen des BMI, des BMELV und des BMU besonders gut erfüllt (vollständige Compliance, d.h. in allen untersuchten Gesetzentwürfen wird eine Aussage zum Vollzugsaufwand gemacht). Keine Aussage zum Vollzugsaufwand erfolgte am häufigsten in den Gesetzentwürfen der Regierungsfraktionen (37%), des BMF (29%) und des BMAS (24%). In absoluten Zahlen wurden monetäre Aussagen zum Vollzugsaufwand am häufigsten vom BMJ (sieben Gesetzentwürfe) getätigt, gefolgt vom BMI und vom BMF (jeweils fünf Gesetzentwürfe). Da die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe je Ministerium jedoch sehr unterschiedlich ist, sind die prozentualen Angaben aussagekräftiger. Prozentual gesehen ist der Anteil der Gesetzentwürfe mit einer monetären Aussage zu den Vollzugskosten beim BMF am größten (36%), gefolgt vom BMI (24%), vom BMG (22%) und vom BMJ (11%). Bei allen anderen Ministerien und auch bei den Gesetzentwürfen der Regierungsfraktion beträgt der Anteil der Gesetzesvorlagen, die monetäre Aussagen zum Vollzugsaufwand enthalten, weniger als 10%. Fasst man die beiden Kategorien ‚monetäre Aussage’ und ‚qualitative Aussage’ zusammen und betrachtet somit den Anteil der Gesetzentwürfe je Ministerium, welche den Vollzugsaufwand entweder in Worten oder mit Zahlen beschreiben, dann zeigt sich, dass das BMU (65%) und das BMWA (64%) hier ‚Spitzenreiter’ sind. Am Ende der Skala befinden sich das BMVBS (40%), das BMAS (35%) und das AA (25%). Gleichzeitig sind das auch diejenigen Ministerien, in deren Gesetzentwürfen am häufigsten entweder keine Aussage zum Vollzugsaufwand getätigt wurde oder konstatiert wurde, dass kein Vollzugsaufwand entstünde. Bei der Betrachtung der Aufschlüsselung des Vollzugsaufwands nach Gebietskörperschaften fällt auf, dass diese Anforderung in jüngerer Zeit seltener erfüllt wurde. So erfolgte 1999 in 26% der Fälle, in denen der Gesetzentwurf eine Aussage zum Vollzugsaufwand enthielt, keine Aufgliederung nach Gebietskörperschaften, 2003 betraf dies 32% und 2006 sogar 36%. Eine Aufschlüsselung für alle drei Ebenen wurde 1999 in 49% der Fälle durchgeführt, 2003 bei 42% und 2006 nur bei 31% der Gesetzentwürfe. 113 In die Analyse der Daten nach Ministerien wurden das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ aufgrund der geringen Fallzahlen (n 10) nicht mit einbezogen.
170
Gesetzentwürfe des jeweiligen M inisterium s in %
Abb. 12: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (BRD) 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 RegFrak BMF
keine Aussage
BMAS BMWi
AA
BMG + BMVBS BMWA BMGS
kein Vollzugsaufwand
qualitative Aussage
BMJ
BMU
BMI
BMELV
monetäre Aussage
Anmerkungen: Für das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n<10) keine Angaben gemacht. Das BMWA und das BMGS existierten in dieser Form nur im Untersuchungsjahr 2003. Das BMG, das BMAS und das BMWi existierten in den Untersuchungsjahren 1999 und 2006. Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Ministeriums (bzw. der Regierungsfraktion).
3.2.3.4 Auswirkungen auf die Wirtschaft und Preiswirkungen Die Beschreibung der Auswirkungen neuer oder veränderter Rechtsvorschriften auf die Wirtschaft hat sich zwischen 1999 und 2006 etwas verbessert (Abb. 13). So wurde der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, in denen Auswirkungen auf die Wirtschaft gar nicht erwähnt werden, fast halbiert (1999: 21%, 2006: 11%).114 Der Anteil der Gesetze, welche laut Gesetzesvorblatt und -begründung keine Auswirkungen auf die Wirtschaft mit sich bringen, lag 1999 bei 63% und ging 2003 auf 49% bzw. 2006 auf 47% zurück. Mehr als verdoppelt hat sich der Anteil der Gesetzentwürfe, für welche die Auswirkungen auf die Wirtschaft quali114 Ohne Vertragsgesetze reduziert sich der Anteil der Entwürfe ohne eine Aussage zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft noch stärker (auf ca. ein Drittel, von 26,6% im Jahr 1999 auf 7,7% im Jahr 2006).
171
tativ beschrieben wurden (1999: 16%, 2003: 32%, 2006: 39%). Monetäre Aussagen über die Auswirkungen von Gesetzentwürfen auf die Wirtschaft waren auch 2006 sehr selten. Konkrete Zahlen wurden nur in knapp 2% der Fälle genannt. Die Nachvollziehbarkeit der Aussagen über Gesetzesauswirkungen auf die Wirtschaft wurde in den letzten Jahren ebenfalls etwas verbessert. 1999 war für 60% derjenigen Gesetzentwürfe, die eine Angabe über die Auswirkungen auf die Wirtschaft enthielten, nicht zu erkennen, auf welcher sachlichen Grundlage diese Aussagen getroffen wurden. 2003 betraf dies nur noch 51% der Entwürfe und 2006 48%. Trotz dieser leichten Verbesserung ist darauf hinzuweisen, dass immer noch für knapp die Hälfte der Entwürfe unklar ist, auf welcher Basis die im Gesetzesvorblatt und der -begründung zu findenden Aussagen zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft getroffen werden. Abb. 13: Auswirkungen auf die Wirtschaft (BRD) 100 90 Gesetzentwürfe in %
80 70
1999
60
2003
50
2006
40 30 20 10 0 keine Aussage
keine Auswirkungen
qualitative Aussage
monetäre Aussage
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.
Betrachtet man die Verteilung der Aussagen zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft auf die einzelnen Ministerien, so zeigt sich, dass Ministerien mit engerem Kontakt zur Wirtschaft (BMWA 73% bzw. BMWi 53% und BMELV 62%) besonders häufig die Auswirkungen konkret beschrieben haben. Besonders selten 172
erfolgte eine Beschreibung der Auswirkungen auf die Wirtschaft in den Gesetzentwürfen, die federführend vom BMI (10%), BMAS (18%), AA (19%) sowie vom BMVBS (23%) verantwortet wurden. „Keine Aussage“ zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft – und damit ein Nichterfüllen der GGO-Anforderung, Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Gesetzesbegründung darzustellen – erfolgte prozentual gesehen am häufigsten beim AA (31%), beim BMF (28%), beim BMJ (16%) und beim BMU (15%).115 Tabelle 5: Auswirkungen auf Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und die Verbraucher (BRD) Auswirkungen auf Einzelpreise (%)
Jahr
Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau und Verbraucher (%)
1999
2003
2006
1999
2003
2006
Keine Aussage
17
15
14
10
10
8
Keine Auswirkungen
69
71
62
86
80
87
Qualitative Aussage
14
14
24
4
10
5
Quantitative Aussage
0
0
1
0
0
0
Bei der Untersuchung des Prüfkriteriums Auswirkungen auf Einzelpreise fällt auf, dass dieser Aspekt in allen drei Jahren nur für einen geringen Anteil der Gesetzentwürfe beschrieben wurde. So enthielten 1999 und 2003 jeweils 14% aller Gesetzentwürfe Aussagen zu den Auswirkungen auf Einzelpreise, 2006 traf dies auf 24% zu (Tab. 5). Im Jahr 2006 wurden auch erstmals Auswirkungen auf Einzelpreise quantifiziert, allerdings lediglich bei einem einzigen Gesetzentwurf. Ein Großteil der Gesetzentwürfe beinhaltete die Angabe, dass aufgrund der neuen Rechtsvorschrift keine Auswirkungen auf Einzelpreise zu erwarten seien 115 In die Auswertung der Daten nach Ministerien wurden das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ aufgrund der geringen Fallzahlen (n10) nicht mit einbezogen.
173
(Tab. 5). In der Regel handelte es sich dabei um ein floskelhaftes Statement, welches in einer Vielzahl von Gesetzesvorblättern und -begründungen in identischem Wortlaut zu finden war. Bei der Analyse der Aussagen in der Kategorie Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau und die Verbraucher fällt auf, dass die Angabe „keine Auswirkungen“ noch häufiger ist als bei der Frage nach Einzelpreisen ( Tab. 5). In allen drei Untersuchungsjahren wurde für mehr als 80% der Gesetzentwürfe angegeben, dass sie keine Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau hätten. Nur selten wurden erwartete Auswirkungen näher beschrieben (1999: 4%, 2003: 7%, 2006: 5%). In den meisten Fällen (69%) war zudem nicht erkennbar, auf welcher Basis die getätigten Aussagen zu den Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau und die Verbraucher beruhten.
3.2.3.5 Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter In Bezug auf die Darstellung der Folgen neuer oder geänderter Gesetzgebung für die Gleichstellung der Geschlechter sind auf den ersten Blick deutliche Veränderungen sichtbar (Abb. 14). So wurde diese Frage 1999 bei 94% der Gesetzentwürfe gar nicht thematisiert. 2003 war in 79% der Fälle keine Aussage zu diesem Thema zu finden, während dieser Anteil 2006 auf 48% gesunken war. Aufgeschlüsselt nach Ministerium116 war die formale Erfüllung dieses Prüfkriteriums beim AA (100% keine Aussage) und beim BMVBS (86% keine Aussage) besonders schlecht. Für 45% der Gesetzentwürfe aus 2006 wurde konstatiert, dass sie keine Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung hätten und in 7% der Gesetzentwürfe wurden konkrete Auswirkungen beschrieben. Betrachtet man diese Ergebnisse genauer, fällt auf, dass es zwar große Verschiebungen zwischen den beiden Kategorien „keine Aussage zum Thema“ und „keine Auswirkungen“ gab. Der prozentuale Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, für die konkrete Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter beschrieben wurden, hat sich jedoch gar nicht so stark verändert. So wurden 1999 in 3,9% der Fälle konkrete Auswirkungen beschrieben, 2003 in 6,7% und 2006 in 7,2% aller untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahrgangs. Das ist zwar fast eine Verdopplung der prozentualen Anteile, angesichts des geringen Niveaus handelt es sich jedoch de facto nur um einige wenige Gesetzentwürfe. 116 In die Analyse der Daten nach Ministerien wurden das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ aufgrund der geringen Fallzahlen (n10) nicht mit einbezogen.
174
Abb. 14: Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (BRD) 100 90 Gesetzentwürfe in %
80 70 60
1999
50
2003
40
2006
30 20 10 0 keine Aussage zum Thema
keine Auswirkungen
Auswirkungen beschrieben
Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.
Die Tatsache, dass sich die ‚formale Erfüllung’ der Anforderung, Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter zu prüfen, zwischen 1999 und 2006 deutlich verbessert hat, ist auf die Aktivitäten der im Mai 2000 eingerichteten interministeriellen Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming unter Leitung des BMFSFJ zurückzuführen. Diese Arbeitsgruppe entwickelte eine Arbeitshilfe zu § 2 GGO: „Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften“, die im Jahr 2002 als Prototyp angenommen und anschließend erprobt wurde. Nach einer Evaluation der Erfahrungen mit der Arbeitshilfe und einer Überarbeitung wurde diese im Februar 2004 den Ressorts zur Anwendung übergeben. Im Erhebungsjahr 2003 befand sich die Arbeitshilfe also in einer Erprobungsphase, erste Auswirkungen sind in den Daten zu erkennen (Abb. 14). 2006 war die Arbeitshilfe bereits seit zwei Jahren eingeführt, der Anteil der Gesetzentwürfe, welche eine (formale) Aussage zu den gleichstellungspolitischen Auswirkungen enthalten, hat sich deutlich erhöht.
175
3.2.3.6 Aussagen zur Befristung der Gesetze und zur ex post Evaluation Laut § 43 Abs. 1 GGO muss in der Begründung zu Gesetzesvorlagen der Bundesregierung erläutert werden, ob das Gesetz befristet werden kann. Diese Vorschrift wurde in den untersuchten Gesetzentwürfen in den meisten Fällen nicht erfüllt. So enthielten 1999 96% der Gesetzentwürfe keine Angabe zu einer möglichen Befristung. 2003 betraf dies 88% der Entwürfe und 2006 89%. Wenn im Gesetzesvorblatt oder der -begründung eine Angabe zur Befristung zu finden war, dann war dies häufig die Aussage, dass eine Befristung nicht möglich sei, z.B. weil EU-Vorgaben dies nicht erlaubten (1999: 1%; 2003: 8%; 2006: 8%). Die Ergebnisse zeigen auch, dass befristete Gesetzentwürfe insgesamt sehr selten waren. 1999 war einer von 103 untersuchten Entwürfen befristet und 2003 waren drei von 136 Entwürfen befristet. 2006 war kein einziger Entwurf komplett befristet. Etwas häufiger wurden einzelne Paragraphen befristet oder Befristungen in anderen Rechtsvorschriften (Verlängerung von befristeten Gesetzen oder befristeten Maßnahmen) durch die Gesetzesänderung geregelt. Damit widerlegen diese empirischen Ergebnisse für die Bundesebene die von einigen Autoren konstatierte These, dass Gesetze oder einzelne Vorschriften in Gesetzen immer häufiger mit einem Verfallsdatum belegt würden (Wegrich et al. 2005: 21). Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass die hier vorliegende Untersuchung nur Gesetze auf Bundesebene betrachtet. Auf Ebene der Bundesländer spielen Befristungen eine deutlich größere Rolle. So hat Hessen im Jahr 2001 eine standardmäßige fünfjährige Befristung für Gesetze und Rechtsverordnungen eingeführt.117 Eine Verlängerung der Befristung soll nur nach einer erfolgreich verlaufenen Evaluierung möglich sein. Auch Nordrhein-Westfalen führte im Jahr 2003 eine grundsätzliche Pflicht zur Verankerung von Befristungen in Gesetzentwürfen der Landesregierung ein. Gesetze und Verordnungen treten danach zu einem bestimmten Datum außer Kraft, es sei denn, im Rahmen der Beweislastumkehr wird plausibel begründet, warum eine Verlängerung der Regelung notwendig ist. In § 44 Abs. 7 GGO ist festgeschrieben, dass in der Begründung zum Gesetzentwurf durch das federführende Ressort festzulegen ist, „ob und nach welchem Zeitraum zu prüfen ist, ob die beabsichtigten Wirkungen erreicht worden sind, ob die entstandenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen stehen und welche Nebenwirkungen eingetreten sind.“ Diese Vor117 Ein ähnliches Verfahren schlug auch die „Mandelkern-Gruppe für bessere Rechtsetzung“ vor (BMI 2001).
176
gabe besitzt in der Praxis wenig Relevanz. So wurde in allen drei untersuchten Jahren für mehr als 90% aller Entwürfe keinerlei Aussage zu einer eventuellen ex post Evaluation gemacht. Dass eine ex post Evaluation nicht vorgesehen sei, wurde 2003 und 2006 in jeweils einem Fall angegeben. Der Anteil der Fälle, in denen eine nachträgliche Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes ausdrücklich vorgesehen ist, lag 1999 bei 8%, 2003 bei 9% und 2006 bei 7%. Aufgeschlüsselt nach Ministerien118 zeigen sich nur geringe Unterschiede. Lediglich das BMU stellt eine Ausnahme dar – hier enthielten ‚nur’ 70% der untersuchten Gesetzentwürfe keine Aussage zur ex post Evaluation.
3.2.3.7 Bürokratiekostenmessung im Rahmen der Gesetzesvorbereitung Am 01.12.2006 trat eine Änderung der GGO in Kraft. Diese legte fest, dass zukünftig zusätzlich zu den bestehenden Folgenabschätzungskriterien im Rahmen der Vorblätter und Begründungen von Gesetzen oder Rechtsverordnungen die von den Bundesministerien zu ermittelnden Bürokratiekosten dargestellt werden müssen (siehe Kap. 2.1.4.4). Eine Untersuchung119 von 429 Regierungsentwürfen aus den Jahren 2007 bis 2009120 zeigte, dass die Ministerien der Verpflichtung zur Darstellung der Bürokratiekosten in der Mehrheit der Fälle nachgekommen. So war die Kategorie Bürokratiekosten in fast allen Gesetzentwürfen auf dem Vorblatt enthalten (98%). Für 53,9% der Entwürfe wurde konstatiert, dass sie keine Auswirkungen auf die Wirtschaft mit sich brächten. Weitere 3,3% enthielten zwar Aussagen zu Bürokratiekosten, wiesen aber nicht – wie laut GGO vorgesehen – die Informationspflichten konkret aus. 7,3% aller Entwürfe beinhalteten konkrete Angaben zu den IP, aber keine Quantifizierung der Bürokratiekosten. Für 22,1% der Entwürfen hingegen wurden sowohl die IP ausgewiesen als auch die Bürokratiekosten konkret benannt. 13,4% der Entwürfe enthielten keine Aussage zu den Bürokratiekosten für die Wirtschaft (Abb. 15). Laut SKM-Leitfaden (NKR 2007, 2008) und GGO enthält eine nachvollziehbare Bürokratiekostenabschätzung nicht nur Angaben zu Informationspflichten und Bürokratiekosten, sondern es muss auch die Berechnungsgrundlage transparent gemacht werden (s.a. Tab. 3; zum Rechenmodell SKM siehe Kap. 118 BMVg, BMFSFJ, BMBF und BMZ wurden wegen geringer Fallzahlen (n 10) nicht mit einbezogen. 119 Gemeinsames Forschungsprojekt mit Kai Wegrich. 120 Erhebungszeitraum 1.3.2007 bis 8.5.2009.
177
1.2). Es ist deshalb anzugeben wie viele Unternehmen betroffen sind, in welcher Häufigkeit Informationspflichten anfallen (Periodizität), welcher Zeitaufwand zum einmaligen Erfüllen einer IP durchschnittlich veranschlagt wird, von welchem Tarif ausgegangen wird und welche Datenquellen genutzt wurden. Diese detaillierten Angaben wurden jeweils für ca. die Hälfte der Regierungsentwürfe, welche IP für die Wirtschaft enthielten, getätigt, während Angaben zu den Datenquellen nur selten erfolgten. Von denjenigen Regierungsentwürfen, für welche IP für die Wirtschaft ausgewiesen sind (= Grundgesamtheit ohne „keine Aussage zu BK“ und ohne „keine BK“, n=125), ist/sind: D D D D D
die Anzahl der betroffenen Unternehmen in 58% der Fälle ausgewiesen; die Periodizität in 50% der Fälle ausgewiesen; der Zeitaufwand zum einmaligen Erfüllen einer IP in 48% der Fälle ausgewiesen; der Tarif in 46% der Fälle ausgewiesen; Angaben zu den Datenquellen in 18% der Fälle enthalten; in 10% der Fälle werden Datenquellen und Erhebungsmethoden im Detail transparent gemacht.
Ein prominentes Exempel für einen Gesetzentwurf, in dem die Bürokratiekosten in beispielgebender Weise ausgewiesen wurden, ist der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (BT-Drs. 16/4841). Darin ist die Anzahl der neuen, vereinfachten oder abgeschafften Informationspflichten sowohl für die Wirtschaft als auch für Bürger und Verwaltung im Gesetzesvorblatt ausgewiesen. Alle Informationspflichten wurden in der Gesetzesbegründung zudem genau dargestellt (konkrete Benennung mit Paragraphenangabe) und die Bürokratiekosten für die Wirtschaft in Euro für jede Informationspflicht einzeln angegeben (inklusive Zahl der betroffenen Unternehmen und Periodizität). Die konkrete Benennung und teilweise Monetarisierung der Informationspflichten hatte im Falle des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 zur Folge, dass diese Aspekte im parlamentarischen Prozess der Entscheidungsfindung eine gewisse Aufmerksamkeit erhielten. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Bundestag wurde das Thema Informationspflichten zweimal aufgegriffen, einmal seitens der FDP zur Kritik an der Regelungsausgestaltung und einmal seitens der Regierungsfraktionen, um die Vorteile einer bestimmten Teilregelung herauszustellen (Plenarprotokoll 16/92 vom 30.03.2007). Die FDP stellte zudem eine Kleine Anfrage zum Thema „Bü178
rokratiekosten und Unternehmenssteuerreformgesetz 2008“, welche konkret auf die mit einzelnen Informationspflichten verbundenen Bürokratiekosten einging (BT-Drs. 16/4791; BT-Drs. 16/4915). Abbildung 15: Angaben zu Bürokratiekosten in Gesetzentwürfen (BRD) 80
Anteil an allen Entwürfen in %
70 60
Wirtschaft Bürger
50
Verwaltung
40 30 20 10 0 keine Aussage Aussage „keine zu BK BK“
IP ausgewie-sen, IP ausgewie-sen qualitative keine Aussage ohne u. QuantiAngabe von IP Quantifizierung fizierung
Quelle: Forschungsprojekt SKM-Evaluation Kai Wegrich und Sylvia Veit; Grundgesamtheit: 429 Regierungsentwürfe, die zwischen dem 1.3.2007 und dem 8.5.2009 dem Bundestag vorgelegt wurden.
Während Bürokratiekosten für die Wirtschaft, wenn sie durch Gesetzentwürfe neu entstehen oder sich verändern, häufig quantifiziert werden, trifft dies auf Bürokratiekosten für Bürger und die öffentliche Verwaltung nicht zu (Abb. 15). Der sehr geringe Quantifizierungsgrad bei den IP für Bürger und Verwaltung entspricht einem Beschluss des NKR vom 23.11.2006, welcher festlegt, dass in der ersten Phase der Implementation der Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM die Informationspflichten für Bürger und Verwaltung zwar ausgewiesen werden müssen, eine Quantifizierung hingegen (vorerst) nur für die Bürokratiekosten der Wirtschaft erfolgen solle. Erst seit dem 1.1.2009 sollen auch Bürokratiekosten für Bürgerinnen und Bürger (zeitlich) quantifiziert werden, wäh179
rend das Thema SKM-Verwaltung weiter offen blieb (s.a. Kap. 2.1.4.4). In der Praxis findet man jedoch nur zwei Gesetzentwürfe, für welche Bürokratiekosten für Bürgerinnen und Bürger quantifiziert wurden. Diese geringen Zahlen sind nicht nur auf darauf zurückzuführen, dass eine Quantifizierung der BK für Bürger erst in den letzten Monaten des Untersuchungszeitraums vorgeschrieben war, sondern lassen sich auch dadurch erklären, dass Bundesgesetze den Bürger nur selten konkrete Informationspflichten auferlegen. Der Bund ist in Deutschland per se eher ‚bürgerfern’, da die Implementation von Bundesgesetzen in der Regel eigene Angelegenheit der Länder ist. Welchen Umfang Bürokratiekosten für Bürger haben, hängt deshalb (nicht ausschließlich, aber doch in erheblichem Maße) von der Art des Vollzugs ab, der sich von Bundesland zu Bundesland und von Kommune zu Kommune erheblich unterscheiden kann (Jann et al. 2009; NKR 2009a,b). Der NKR ist dafür zuständig, die Durchführung der Bürokratiekostenabschätzung durch die Ressorts zu überprüfen und eine Stellungnahme dazu abzugeben. 80,5% der untersuchten Entwürfe enthielten eine Stellungnahme des NKR. Öffentliche Kritik an der Qualität der durchgeführten Bürokratiekostenabschätzungen wird in den NKR-Stellungnahmen nur selten geübt: Dass die Bürokratiekostenabschätzung nicht nachvollziehbar sei, wird für 1,5% derjenigen Entwürfe, die eine Stellungnahme des NKR enthielten, konstatiert. Weitere 5,8% der Stellungnahmen enthielten die Aussage, dass die BK-Abschätzung nur teilweise nachvollziehbar sei. Auch zur Frage der Alternativenprüfung äußert sich der NKR nur selten explizit kritisch: 3,8% der Stellungnahmen enthielten die Aussagen, dass sinnvolle Alternativen, die weniger Bürokratiekosten verursachen würden, nicht vollständig geprüft worden seien. Bedenken des NKR in Bezug auf die Notwendigkeit der eingeführten IP werden in 4% der Fälle in den Stellungnahmen geäußert. Diese eher niedrigen Anteile kritischer Stellungnahmen verbunden mit den gleichzeitig relativ guten Befolgungsraten der Bürokratiekostenabschätzung deuten darauf hin, dass der NKR kooperativ agiert und dass potentielle Konfliktpunkte bereits im Zuge der Ressortabstimmung geklärt werden, ohne dass eine formale Intervention nötig wird (s.a. Kap. 4.3.1.1).
3.2.4 Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen Auf Grundlage der in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Ergebnisse der empirischen Untersuchung soll nun auf die Frage eingegangen werden, ob und inwieweit sich die ‚formale Erfüllung’ und die ‚tatsächliche Erfüllung’ 180
der untersuchten Folgenabschätzungsanforderungen der GGO unterscheiden (zur Definition von ‚formaler’ und ‚tatsächlicher Erfüllung’ siehe Kap. 3.1). Einschränkend ist zu erwähnen, dass für die Variablen „Zieldefinition“ und „Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“ nur Aussagen über den Grad der ‚formalen Erfüllung’ getroffen werden können, da die ‚tatsächliche Erfüllung’ dieser Prüfkriterien nicht mit erhoben wurde. Der Bereich der Bürokratiekostenabschätzung bleibt wegen des abweichenden Erhebungszeitraums ausgeklammert. Beim Vergleich der ‚formalen Erfüllung’ mit der ‚tatsächlichen Erfüllung’ (Abb. 16) fällt auf, dass die ‚formale Erfüllung’ der meisten Variablen deutlich über der ‚tatsächlichen Erfüllung’ liegt. Insbesondere gilt dies für das Prüfkriterium „Alternativen“, bei dem der Grad an ‚rein formaler Anpassung’ besonders hoch ist.121 Ausnahmen bilden die beiden Variablen „Befristung“ und „ex post Evaluation“, für welche sich nur sehr geringe oder keine Differenzen zwischen formaler und tatsächlicher Erfüllung in Bezug auf die drei untersuchten Jahre konstatieren lassen. Betrachtet man die Ergebnisse differenziert nach dem Erhebungszeitraum, ergeben sich einige interessante Entwicklungen: D
D
D
Insgesamt befindet sich die ‚formale Erfüllung’ bei den meisten Variablen auf einem hohen Niveau (mehr als 80% bei sieben Prüfkriterien). Stark davon abweichend ist die ‚formale Erfüllung’ der Variablen „Befristung“ und „ex post Evaluation“ sehr niedrig (12% und weniger). Auffällig ist dabei, dass die beiden Variablen mit sehr niedriger formaler Erfüllung keinen eigenständigen Gliederungspunkt auf dem Gesetzesvorblatt bilden. „Gleichstellung“ befindet sich bezüglich der formalen Erfüllung auf mittlerem Niveau. In Bezug auf die ‚formale Erfüllung’ ist für keine Variable ein sinkender Trend im Zeitverlauf zu verzeichnen. Eine starke Erhöhung der formalen Erfüllung zwischen 1999 und 2006 lässt sich bei den Prüfkriterien „Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“ (+47%; von 6% 1999 auf 53% 2006), „Vollzugsaufwand“ (+17%), „Kosten für die Wirtschaft“ (+10%) und „Befristung“ (+7%, was fast eine Verdreifachung bedeutet) erkennen (Abb. 16). Im Gegensatz zur ‚formalen Erfüllung’ ist die ‚tatsächliche Erfüllung’ bei fast allen Variablen recht niedrig. Vergleichsweise hoch ist die ‚tatsächliche Erfüllung’ beim Vollzugsaufwand, bei den Haushaltsauswir-
121 Dies kann dadurch erklärt werden, dass die Frage nach Alternativen zwar für alle Gesetzentwürfe beantwortet wurde, diese Antwort in 91% der Fälle jedoch nur aus dem Wort „keine“ bestand.
181
D
D
D
D
kungen und den Kosten für die Wirtschaft (Abb. 16). Besonders niedrige Werte erzielen die Variablen „Alternativen“, „ex post Evaluation“ und „Befristung“. Während die ‚formale Erfüllung’ des Prüfkriteriums „Alternativen“ in allen drei Jahren gleich ist, nimmt die ‚tatsächliche Erfüllung’ deutlich ab und hat sich 2006 im Vergleich zu 1999 mehr als halbiert. Eine ähnliche Tendenz lässt sich für die Variable „Auswirkungen auf Verbraucher und Preisniveau“ feststellen, bei der sich die ‚tatsächliche Erfüllung’ zwischen 1999 und 2006 ebenfalls fast halbiert, während die ‚formale Erfüllung’ ungefähr auf dem gleichen (hohen) Niveau bleibt. Für die Variablen „Vollzugsaufwand“, „Kosten für die Wirtschaft“ sowie „Befristung“ ist ein umgekehrter Trend feststellbar, d.h. die ‚tatsächliche Erfüllung’ nimmt zwischen 1999 und 2006 deutlich zu. Für das Prüfkriterium „Befristung“ lässt sich diese Zunahme mit der im Jahr 2000 neu in der GGO verankerten Verpflichtung zur Darstellung von Befristungsmöglichkeiten im Rahmen der Gesetzesbegründung erklären. So verdreifachte sich die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Variable „Befristung“ zwischen 1999 und 2003 (allerdings auf sehr niedrigem Niveau). Besonders groß ist die Erhöhung der ‚tatsächlichen Erfüllung’ im Zeitverlauf außerdem bei der Variable „Vollzugsaufwand“ (+24% zwischen 1999 und 2006). Während die ‚tatsächliche Erfüllung’ beim Kriterium „Vollzugsaufwand“ 1999 und 2003 niedriger ist als bei der Variable „Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand“, ist es 2006 umgekehrt (‚tatsächliche Erfüllung’ bei Vollzugsaufwand höher als bei den Haushaltsauswirkungen).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass – abgesehen von der floskelhaften Beantwortung der Frage nach Alternativen – vor allem die Auswirkungen der Gesetzentwürfe im staatlichen Bereich (Haushalt, Vollzug) und auf ökonomische Faktoren dargestellt werden, wobei die ‚tatsächliche Erfüllung’ bei den ökonomischen Kriterien deutlich niedriger ist als bei den Auswirkungen auf die öffentliche Hand. Eine Erklärung hierfür ist die Tatsache, dass nicht alle Regelungsentwürfe wirtschaftsrelevante Fragen tangieren, während Haushalts-und Vollzugsfragen fast immer eine Rolle spielen. Insgesamt befindet sich die ‚tatsächliche Erfüllung’ der verschiedenen GGO-Kriterien auf einem eher niedrigen Niveau. Insbesondere Fragen der Befristung und der Evaluierung werden in den meisten Fällen trotz vorhandener GGO-Vorschrift nicht behandelt. 182
Abbildung 16: Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen
Alternativen
Haushaltsauswirkungen
Vollzugsaufwand
Kosten Wirtschaft
Auswirkungen auf Einzelpreise
Auswirkungen auf Verbraucher und Preisniveau
ex post Evaluation
Befristung
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
"fo rm ale Erfüllun g" 1 9 99
"fo rm ale Erfüllun g" 2 0 0 3
"fo rm ale Erfüllun g" 2 0 0 6
"t at säch lich e Erfüllun g" 1 9 9 9
"t at säch lich e Erfüllun g" 2 0 0 3
"t at säch lich e Erfüllun g" 2 0 0 6
100
183
3.3 Erfüllung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden Das folgende Kapitel setzt sich mit der Implementation von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Schweden auseinander. Der Fokus des primärempirischen Teils liegt dabei ebenso wie in Deutschland auf Gesetzentwürfen der Regierung (Propositionen), welche in Schweden aber – anders als in Deutschland – in hohem Maße auf Informationen basieren, die durch staatliche Untersuchungskommissionen, zentrale Verwaltungsbehörden und im Rahmen des öffentlichen Konsultationsverfahrens gewonnen wurden. Kapitel 3.3.1 gibt eine Übersicht über die formalen Vorschriften zur Folgenabschätzung im schwedischen Rechtsetzungsprozess. Kapitel 3.3.2 stellt vorhandene empirische Studien zur Implementation von Folgenabschätzungen in Schweden vor und beschreibt deren wesentlichen Ergebnisse. Kapitel 3.3.3 enthält die Ergebnisse der empirischen Untersuchung aller schwedischen Propositionen des Jahres 2006 in Bezug auf die Darstellung von Gesetzesfolgen und Kap. 3.3.4 vergleicht ‚formale’ und ‚tatsächliche Erfüllung’. Ebenso wie für den deutschen Fall beschränkt sich die empirische Studie auf Gesetzentwürfe, während Rechtsverordnungen ausgeklammert werden. Für die im schwedischen Rechtsetzungsprozess sehr bedeutsame Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden wird keine eigene empirische Untersuchung durchgeführt, sondern es wird auf vorhandene Studien zurückgegriffen.
3.3.1 Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden Da sich die Vorschriften zur Folgenabschätzung im Rechtsetzungsprozess für die verschiedenen Akteure bzw. Formen der Rechtsetzung in Schweden in einigen Punkten unterscheiden, werden in der folgenden Darstellung der Regelungen drei Ebenen differenziert: die staatlichen Untersuchungskommissionen, die Ministerialverwaltung und die zentralen Verwaltungsbehörden.
3.3.1.1 Kommissionen Im Zuge der politischen Bemühungen um bessere Rechtsetzung in Schweden Ende der 1990er Jahre trat am 1.1.1999 eine neue Kommissionsverordnung (SFS 1998: 1474) in Kraft. Die alte Kommissionsverordnung aus dem Jahr 1976 sowie die in Kapitel 2.2.7 erwähnte „Direktive zur Darstellung regionalpolitischer Konsequenzen“ von 1992 (Dir. 1992: 50), die „Direktive zur Analyse 184
gleichstellungspolitischer Folgen“ von 1994 (Dir. 1994: 23) und die „Direktive zur Darstellung der Folgen auf die Kriminalität und die kriminalitätsvorbeugende Arbeit“ von 1996 (Dir. 1996: 49) wurden in die neue Kommissionsverordnung integriert und somit außer Kraft gesetzt. Im Rahmen der Novellierung der Kommissionsverordnung gliederte man alle bestehenden allgemeinen Vorschriften zur Darstellung der Folgen von Kommissionsvorschlägen in den Kommissionsgutachten in ein Rechtsdokument ein. Neu hinzu kamen zwei Anforderungen: die Beschreibung der Folgen von Kommissionsvorschlägen für die Arbeitsvoraussetzungen, die Wettbewerbsfähigkeit oder andere Rahmenbedingungen von kleinen Unternehmen im Verhältnis zu größeren Unternehmen (als Folge der Einführung des Simplex-Systems) sowie die Beschreibung der Möglichkeiten zur Erreichung der integrationspolitischen Ziele (als Folge einer politischen Schwerpunktsetzung in diesem Bereich Ende der 1990er Jahre). Zusammenfassend enthält die seit 1999 gültige Kommissionsverordnung folgende Vorschriften zur Folgenabschätzung: D
D
D
Vorschläge aus den Gutachten von staatlichen Untersuchungskommissionen, welche Kosten oder Einnahmen des Staates, der Kommunen oder der Provinziallandtage beeinflussen, müssen einer Kostenberechnung unterzogen werden. Über diese Kostenberechnung muss im Gutachten Rechenschaft abgelegt werden. Für Kostenerhöhungen oder Einnahmenverminderungen für den Staat müssen die Kommissionen einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten (§ 14 Kommissionsverordnung). Wenn ein Vorschlag Bedeutung für a) die kommunale Selbstverwaltung, b) die Kriminalität und die kriminalitätsvorbeugende Arbeit, c) die Beschäftigung und den öffentlichen Sektor in unterschiedlichen Teilen des Landes, d) die Arbeitsvoraussetzungen, die Wettbewerbsfähigkeit oder andere Rahmenbedingungen von kleinen Unternehmen im Verhältnis zu größeren Unternehmen, e) die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen oder f) die Möglichkeiten zur Erreichung der integrationspolitischen Ziele hat, sollten die Konsequenzen für das jeweilige Gebiet im Kommissionsgutachten angegeben werden (§ 15 Kommissionsverordnung). Welche Folgenbeschreibungen in einem konkreten Gutachten enthalten sein müssen, wird im jeweiligen Untersuchungsauftrag der Regierung, der Direktive, konkretisiert (§ 16 Kommissionsverordnung).
185
In Folge der Novellierung der Kommissionsverordnung wurde im Jahr 2000 das Kommissionshandbuch („kommittéhandboken“, Ds. 2000: 1) aktualisiert. Das Handbuch enthält Informationen und Richtlinien für Kommissionsvorsitzende, -sekretäre und andere im Kommissionswesen Tätige und konkretisiert die Vorgaben der Kommissionsverordnung. So beinhaltet das Kommissionshandbuch unter anderem ein Kapitel zu „Kostenberechnungen und anderen Folgenanalysen“. Darin wird dargestellt, auf welche Art und Weise Kommissionen Kostenund Einnahmekalkulationen durchführen sollten (s.a. RRV 1996: 38) und wie sie überprüfen können, ob eine Aufgabe durch den Staat wahrgenommen werden sollte oder nicht (s.a. RRV 1996: 41). Zudem werden Richtlinien für die in der Kommissionsverordnung genannten Folgenabschätzungsbereiche – kommunale Selbstverwaltung, Kriminalität, regionalpolitische Konsequenzen für Beschäftigung und den öffentlichen Sektor, kleine Unternehmen, Gleichstellung zwischen Männern und Frauen, integrationspolitische Ziele – festgelegt. Es wird jedoch betont, dass auch andere als die genannten Bereiche einer Folgenabschätzung unterzogen werden sollten, wenn dies notwendig ist. Welche anderen Bereiche dies betrifft, sollte aus der jeweiligen Direktive hervorgehen oder sich aus der Natur des Regelungsgegenstandes ergeben (Ds. 2000: 1: 51). Für die Folgenabschätzung in Bezug auf kleine Unternehmen legt das Kommissionshandbuch fest, dass die zwölf Fragen umfassende Liste aus § 3 der Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820) – die sogenannte Simplex-Checkliste – auch für Kommissionen Geltungskraft besitzt (vgl. Tabelle 7). Die Messung administrativer Lasten mit dem Standardkosten-Modell wurde für Kommissionen nicht institutionalisiert. So spielen Fragen der durch neue Regelungen entstehenden administrativen Lasten für kleine Unternehmen zwar im Rahmen der SimplexAbschätzung eine Rolle, nach Beginn der SKM-Messungen in Schweden im Jahr 2003 wurden jedoch keine weiteren Vorschriften zur Messung administrativer Lasten im Kommissionswesen eingeführt und es fand auch keine Erweiterung des Handbuches zu diesem Aspekt statt.
3.3.1.2 Kanzlei der Ministerien (inklusive Prüfkriterien für die empirische Erhebung) Die Anforderungen zur Durchführung von Folgenabschätzungen in der Kanzlei der Ministerien sind in den Simplex-Richtlinien (Regeringskansliet 1999), im Propositionshandbuch (Ds. 1997: 1), in einer Checkliste der Kanzlei des Ministerpräsidenten (PM 1995: 2) und in einem Rundschreiben des Finanzministeri186
ums (Finansdepartementets cirkulär nr. 1997: 1) dargelegt. Im Unterschied zu den Folgenabschätzungen der Kommissionen und der Verwaltungsbehörden gibt es für die Kanzlei der Ministerien bisher keine rechtlich bindenden Vorschriften in Form einer Verordnung oder eines Gesetzes. Eine Ausnahme bilden zwei Anforderungen, die inhaltlich den Maßnahmen zur besseren Rechtsetzung zugeordnet werden können. Dies betrifft zum einen die in der schwedischen Verfassung niedergeschriebene Verpflichtung dazu, Gesetzentwürfe unter bestimmten Bedingungen dem Gesetzgebungsrat zur Stellungnahme zuzuleiten und zum anderen die ebenfalls verfassungsmäßig niedergeschriebene Verpflichtung zur Durchführung von Konsultationen. Abgeleitet aus in Handbüchern, Richtlinien und Checklisten niedergeschriebenen Kriterien zur Folgenabschätzung in der Kanzlei der Ministerien ergaben sich die in Tabelle 6 dargestellten Prüfvariablen und Prüfbereiche für die empirische Erhebung. Tabelle 6: Anforderungen zur Folgenabschätzung in der schwedischen Kanzlei der Ministerien und abgeleitete Prüfkriterien Bereich
Prüfkriterium für die empirische Erhebung
Alternativen
ĸ Alternativen ĸ Auswirkungen auf das Staatsbudget (AaS) ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den AaS ĸ Zeithorizont der Angaben zu den AaS ĸ Vollzugsaufwand ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zum Vollzugsaufwand ĸ Aussagen zur Finanzierung ĸ Kosten für die Wirtschaft ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Kosten für die Wirtschaft ĸ Administrative Lasten für Unternehmen ĸ Auswirkungen auf KU (Simplex-Analyse) ĸ Auswirkungen auf die Kommunen ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Auswirkungen auf die
Staat
Wirtschaft
Kommunen
Kommunen Umwelt Evaluation
ĸ Auswirkungen auf die Umwelt ĸ ex post Evaluation
187
Konkret ist Folgendes vorgeschrieben: D
D
D
D
188
Alternativen: Laut Checkliste der Kanzlei des Ministerpräsidenten (PM 2005: 2, Fragen 5 und 6.2) sind die Nullalternative (Was passiert, wenn man den rechtlichen Status Quo beibehält?) und die Veränderungsalternative im Hinblick auf erforderliche Ressourcen und zu erwartende Steuerungseffekte zu prüfen. Darüber hinaus ist die Frage zu beantworten, welche alternativen Steuerungsinstrumente eingesetzt werden können. Auch das Propositionshandbuch (Ds. 1997: 1: 71f) legt fest, dass alternative Regelungsoptionen einer GFA zu unterziehen sind, um herauszufinden, welche Alternative die günstigste ist (in Bezug auf Kosten für Adressaten, Umwelt, Volkswirtschaft und Staatsfinanzen). Staat: Eine Folgenabschätzung soll klären, welche Regelungsalternative die Staatsfinanzen, auch längerfristig, am wenigsten belastet (Ds. 1997: 1: 71f; PM 1995: 2, Fragen 5.3, 6.1 und 6.2). Jedes Ministerium muss sicherstellen, dass nicht nur die Kostenfolgen im eigenen Zuständigkeitsbereich, sondern auch diejenigen Effekte finanziert werden, die in den Bereich eines anderen Ressorts fallen (Ds. 1997: 1: 71f). Wirtschaft: Eine Folgenabschätzung soll klären, welche Regelungsalternative die Wirtschaft am wenigsten belastet und welche Auswirkungen für Unternehmen zu erwarten sind (Ds. 1997: 1: 71f; PM 1995: 2, Fragen 5.3 und 6.2.). Veränderungen der administrativen Lasten für Unternehmen sind in der Datenbank „Malin“ zu registrieren; dies ist in keinem der offiziellen Handbücher explizit niedergeschrieben, taucht aber in einer Reihe von Publikationen der bis 2008 für die Umsetzung der Bürokratiekostenabschätzung zuständigen zentralen Verwaltungsbehörde NUTEK auf. Laut der Richtlinien für die Kanzlei der Ministerien über eine besondere Folgenabschätzung für die Bedingungen kleiner Unternehmen soll eine Simplex-Folgenabschätzung (KU-Analyse) dann durchgeführt werden, wenn in der Kanzlei der Ministerien Regelungen erwogen werden, die Auswirkungen auf kleine Unternehmen erwarten lassen. Die Simplex-Analyse orientiert sich an den Fragen der Simplex-Checkliste (Tab. 7), Analyseumfang und -tiefe richten sich nach der Bedeutung des Regelungsvorhabens. Kommunen: Es ist darzulegen, welche Auswirkungen für die Kommunen mit den verschiedenen Regelungsalternativen verbunden sind, insbesondere welche Kosten den Kommunen entstehen (PM 1995: 2, Fragen 5.3 und 6.2).
D
D
Umwelt: Im Zusammenhang mit prinzipiellen Beschlüssen der Regierung sind die Auswirkungen auf die Umwelt (positive und negative) zu beschreiben (Ds. 1997: 1: 71f). Evaluation: Es ist darzulegen, auf welche Art und Weise das Regelungsvorhaben weiter verfolgt, wie es evaluiert werden soll (PM 1995: 2, Frage 7).
Über die genannten Prüfkriterien hinaus wurden weitere Variablen zur Strukturierung der Untersuchungsgesamtheit (analog zu Deutschland waren dies: Datum, federführendes Ministerium, Seitenanzahl des Gesetzentwurfes sowie der Begründungsschreiben und Anhänge) sowie zur Gesetzesvorbereitung durch Kommissionen, zum Konsultationsverfahren und zur Rolle der EU erhoben.
3.3.1.3 Zentrale Verwaltungsbehörden Die Praxis der Folgenabschätzungen der zentralen Verwaltungsbehörden erhielt mit der Folgenabschätzungs-Verordnung vom Dezember 2007 eine neue rechtliche Basis (siehe Kap. 2.2.7.6). Da diese Neuordnung für eine Bewertung der Implementation von GFA und SKM im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit (2000 bis Herbst 2007) nicht relevant ist, werden im Folgenden lediglich diejenigen folgenabschätzungsrelevanten Vorschriften vorgestellt, die zu dieser Zeit gültig waren. Relevante Rechtstexte hierfür sind die Werksverordnung und die Simplex-Verordnung. Neben allgemeinen Regelungen zur Steuerung, Organisation und Tätigkeit staatlicher Behörden enthielt § 27 der von 1995 bis 2007 gültigen Werksverordnung Vorschriften zur Folgenabschätzung beim Ausfertigen behördlicher Ausführungsvorschriften zu Gesetzen und Rechtsverordnungen. Demnach sollten die Behörden, bevor eine neue Vorschrift beschlossen wird, sorgfältig erwägen, ob dies die zweckmäßigste Maßnahme ist (SFS 1995: 1322, § 27, Satz 1). Außerdem verpflichtete man die Behörden dazu, die kostenmäßigen und anderen Folgen der Vorschrift zu untersuchen und diese Untersuchung in Form einer Folgenabschätzung zu dokumentieren (SFS 1995: 1322, § 27, Satz 2). Anderen staatlichen Behörden, den Kommunen, den Provinziallandtagen, Verbänden und anderen kostenmäßig oder in sonstiger Art und Weise Betroffenen sowie der „Nationalen Schwedischen Behörde für Finanzmanagement“ (Ekonomistyrningsverket) musste laut Werksverordnung die Möglichkeit gegeben werden, sich zum Regelungsgegenstand und zur Folgenabschätzung zu äußern (SFS 189
1998: 441, § 27, Satz 3). Zudem gibt es in Schweden bereits seit den 1970er Jahren die Regelung, dass die Behörden das Einverständnis der Regierung zum Beschluss einer Vorschrift beantragen mussten, wenn diese Vorschrift für deren Adressaten zu steigenden Kosten führt (SFS 1995: 1322, § 27, Satz 4). Tabelle 7: Zwölf Fragen der Folgenabschätzung für kleine Unternehmen laut § 3 Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820) Die Folgenabschätzung soll sich auf folgende Fragestellungen stützen: 1) Was ist das Problem und was passiert, wenn keine Regelung erfolgt? 2) Gibt es alternative Lösungen? 3) Welche administrativen, praktischen oder anderen Maßnahmen müssen kleine Unternehmen infolge der Regelung treffen? 4) Welchen Zeitaufwand bringen die Regelungen für kleine Unternehmen mit sich? 5) Zu welchen Lohnkosten, anderen Kosten oder Ressourcenbelastungen führen darüber hinaus die Regelungen? 6) Können die Regeln zu einer Veränderung der Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil für kleine Unternehmen führen oder deren Wettbewerbsvoraussetzungen verschlechtern? 7) Werden die Regelungen kleine Unternehmen in anderer Hinsicht beeinflussen? 8) Kann die Befolgung der Regeln kontrolliert werden, und wie sollen die Effekte der Regeln für kleine Unternehmen erfasst und evaluiert werden? 9) Sollten die Regeln nur eine begrenzte Zeit gültig sein, um eventuelle negative Effekte für kleine Unternehmen zu verhindern? 10) Sollte besondere Rücksicht auf die Bedingungen kleiner Unternehmen im Hinblick auf die Zeit des Inkrafttretens genommen werden? 11) Existiert Bedarf an speziellen Informationsleistungen? 12) Wie hat die notwendige Beratung mit der Wirtschaft und mit betroffenen Behörden stattgefunden, und welche bedeutenden Gesichtspunkte sind dabei zu Tage getreten?
190
Die Simplex-Verordnung (SFS 1998:1820), welche am 1.2.1999 in Kraft und am 31.12.2007 außer Kraft trat, legte fest, dass staatliche Behörden bei der Erarbeitung von neuen oder der Änderung bestehender Vorschriften, welche bedeutende Auswirkungen insbesondere auf die Arbeitsvoraussetzungen oder das Konkurrenzvermögen von kleinen Unternehmen haben können, so zeitig wie möglich eine Simplex-Folgenabschätzung durchführen müssen. Die Analyse sollte in dem Umfang durchgeführt werden, wie dies im Einzelfall erforderlich ist (§ 2). Nach § 3 der Simplex-Verordnung sollte sich die Simplex-Folgenabschätzung – angelehnt an die OECD-Checkliste für Entscheidungsfindungen in der Rechtsetzung – auf zwölf Fragen stützen (OECD 1995). Diese beziehen sich auf Notwendigkeit, Regelungsalternativen, entstehende Kosten und administrativen Aufwand für kleine Unternehmen, mögliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, auf vorgesehene ex post Evaluationen oder Befristungen sowie auf die Ergebnisse der Befragung von Normadressaten (Tabelle 7).
3.3.2 Stand der empirischen Forschung Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über empirische Studien, die sich mit Fragen der Implementation von Folgenabschätzungen in Schweden, differenziert nach den drei Ebenen Kommissionswesen, Kanzlei der Ministerien und zentrale Verwaltungsbehörden, beschäftigen. Die Übersicht beschränkt sich auf Materialien, welche sich auf die Zeit zwischen 2000 und 2007 (den hier interessierenden Untersuchungszeitraum) beziehen. Einbezogen werden neben wissenschaftlichen Untersuchungen die jährlichen Berichte der schwedischen Regierung zu ihrer Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen. Nicht erwähnt werden solche Studien, die sich ausschließlich mit der Ebene der Formalstruktur (z.B. Jacob et al. 2008) beschäftigen. Da sich die von der Autorin durchgeführte quantitative Studie zur Darstellung von Gesetzesfolgen in den Propositionen der schwedischen Regierung in Kap. 3.3.3 aufgrund des komparativen Untersuchungsdesigns nur auf die Ministerialebene (und damit implizit auch auf das Kommissionswesen) bezieht, werden für die Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden nicht nur existierende Berichte und Untersuchungen kurz vorgestellt, sondern darüber hinaus im Rahmen von Experteninterviews gewonnene Erkenntnisse zum Implementationsgrad von Folgenabschätzungen im behördlichen Rechtsetzungsprozess dargestellt.
191
3.3.2.1 Folgenabschätzungen im Kommissionswesen Wie in Kap. 2.2.3 bereits ausführlich dargestellt wurde, ist die Durchführung sozialwissenschaftlicher Folgenanalysen eine originäre Aufgabe der staatlichen Untersuchungskommissionen in Schweden. Es steht also außer Frage, dass die Kommissionen Folgenabschätzungen durchführen und sich zu den erwarteten Auswirkungen ihrer Vorschläge sowie zu Entwicklungen im Regelungsfeld äußern. Unabhängig davon stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die in der Kommissionsverordnung vorgeschriebenen allgemeinen Anforderungen zur Folgenabschätzung in Kommissionen befolgt werden und wie tief gehend und umfangreich (sowohl bezüglich des Themenspektrums als hinsichtlich der verwendeten Methoden) die Untersuchungen der Kommissionen sind. Empirisches Material zu diesen Fragen wurde in Schweden in den letzten Jahren vor allem im Rahmen der Diskussion um die Qualität des Kommissionswesens durch staatliche Auftragsstudien generiert. So führten zwei schwedische Wissenschaftler 2003 (Forss/Uhrwing 2003) im Auftrag der Verwaltungszentrale der Kanzlei der Ministerien eine Untersuchung von 20 zwischen Ende 2000 und Anfang 2002 veröffentlichten Kommissionsgutachten122 durch. Ein Aspekt, welcher im Rahmen dieser Studie zur Qualität des Kommissionswesens beleuchtet wurde, war die Durchführung von Folgenabschätzungen durch die staatlichen Untersuchungskommissionen. Die Forscher fanden heraus, dass für die Mehrzahl der untersuchten Kommissionen im Rahmen der Kommissionsdirektiven keine über die in Kap. 3.3.1.1 dargestellten allgemeinen Vorschriften zur Folgenabschätzung der Kommissionsverordnung hinausgehenden Anforderungen zur Analyse spezifischer Folgenaspekte beschrieben wurden. Insgesamt enthielten nur 30% der untersuchten Direktiven Anforderungen für eine spezifische Form der Folgenabschätzung. Es zeigte sich jedoch, dass die Kommissionen, deren Direktiven spezifischen Folgenabschätzungsanforderungen beschrieben, nicht identisch mit denjenigen waren, welche tatsächlich Folgenabschätzungen durchgeführten. Insgesamt kam die Studie zu dem Ergebnis, dass nur fünf der 20 Gutachten eine gründliche Folgenanalyse der in ihren Gutachten enthaltenen Regelungsvorschläge enthielten. Weitere vier Gutachten beinhalteten zwar eine Folgenabschätzung, diese wies aber gewisse Mängel auf. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die Eva122 Auswahlkriterien waren eine möglichst gleiche Verteilung zwischen den Ministerien sowie eine Berücksichtigung von sowohl langen als auch kurzen (zeitlicher Faktor), umfassenden und eng eingegrenzten (inhaltlicher Faktor/Untersuchungsauftrag), billigen und teuren Untersuchungen (Ressourcenausstattung).
192
luationsstudie erhebliche methodische Mängel aufweist. So bleibt beispielsweise unklar, wie der Begriff Folgenabschätzung im Rahmen der Untersuchung definiert wurde und nach welchen Kriterien die Autoren die Qualität der Folgenabschätzungen bewerteten. Zum anderen sind 20 Gutachten im Vergleich zu einer Gesamtzahl von ca. 100 Kommissionsgutachten jährlich eine relativ geringe Stichprobe, so dass keine Verallgemeinerungen möglich sind. Ebenfalls im Jahr 2003 führte das Statistische Zentralamt eine Fragebogenerhebung durch, in welcher sich knapp 100 Kommissionsmitarbeiter zur Nützlichkeit der Ausführungen im Kommissionshandbuch zu „Kostenberechnungen und anderen Folgenanalysen“ für die praktische Kommissionsarbeit äußerten. 35% der Befragten meinten, dass die Ausführungen zu „Kostenberechnungen und anderen Folgenanalysen“ zu kurz gefasst seien. Weitere 28% meinten, dass die zur Durchführung solcher Analysen notwendigen Informationen im Kommissionshandbuch fehlen würden. Unter den Kommissionssekretären, welche den Großteil der Schreibarbeit der Kommissionen erledigen und auch für die Erarbeitung des Schlussgutachtens zuständig sind, war der Anteil der Personen, die das Kommissionshandbuch wenig hilfreich fanden, noch größer: 38% der Kommissionssekretäre empfanden die Ausführungen zu Folgenabschätzungen als zu kurz gefasst und 31% meinten, dass wichtige notwendige Informationen fehlen würden (Regeringskansliet 2005b: 92). Der schwedische Rechnungshof untersuchte im Jahr 2004 die „Veränderungen im Kommissionswesen“ (RiR 2004: 2) und kam dabei unter anderem zu dem Ergebnis, dass Vorschriften der Kommissionsverordnung zur Folgenabschätzung von den Kommissionen nur schlecht befolgt werden. Um die Praxis der Kostenabschätzungen im Kommissionswesen zu evaluieren, analysierte der Rechnungshof acht zufällig ausgewählte Kommissionsgutachten des Jahres 2002. Drei der Kommissionsgutachten beinhalteten keinerlei Aussagen zu Kostenberechnungen. In zwei Kommissionsgutachen waren die Kostenkalkulationen ausführlich und gut dokumentiert, zwei weitere enthielten konkrete Zahlenangaben, allerdings war die Basis der Berechnungen nicht vollständig nachvollziehbar. Ein Kommissionsgutachten enthielt die Einschätzung, dass bedeutende Kostenerhöhungen für den Staat zu erwarten seien, gleichzeitig wurde konstatiert, dass die Höhe der Kosten derzeit nicht abschätzbar sei. Neben den Kostenberechnungen evaluierte der Rechnungshof in zwei Fällen123 die Durchführung der Simplex-Folgenabschätzung und in einem Fall die Abschätzung der Folgen 123 Eine Bewertung erfolgte nur für diejenigen Kommissionen, für welche eine solche Folgenabschätzung in der Kommissionsdirektive explizit vorgeschrieben war.
193
auf die Gleichstellung der Geschlechter und kam zu dem Ergebnis, dass diese Anforderungen lediglich sehr oberflächlich erfüllt wurden. Der Rechnungshof berichtete darüber hinaus, dass die vom Kommissionsservice der Verwaltungszentrale in der Kanzlei der Ministerien seit 2001 durchgeführten halbtätigen Fortbildungsveranstaltungen zu einzelnen Aspekten von Folgenabschätzungen seitens der Kommissionssekretäre wenig nachgefragt würden. Seit 2004 hätten ca. 100 Personen eine solche Fortbildung durchlaufen, mehr als die Hälfte davon zur Simplex-Folgenabschätzung und weitere 40 zur Analyse von Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung. Ein Seminar zur Berechnung von Kostenfolgen sei bisher aufgrund fehlender Nachfrage noch nicht zustande gekommen (RiR 2004: 2: 53ff). Weitere Hinweise zur Implementation von Folgenabschätzungen im Kommissionswesen gibt eine Interviewstudie, welche 2005 im Auftrag der Arbeitsgruppe zur Qualität im Kommissionswesen der Kanzlei der Ministerien durchgeführt wurde. Interviewt wurden 15 Kommissionssekretäre, Kommissionsvorsitzende und Verwaltungsdirektoren sowie zwei Forscherinnen und zwei Vertreter der regierungseigenen Revisionsinstanzen. Die Mehrheit der Interviewten vertrat die Auffassung, dass zur Durchführung von gut durchdachten Folgenabschätzungen mehr Unterstützung benötigt würde. Die Folgenabschätzungen würden oft stiefmütterlich behandelt und zum Teil erst am Ende der Untersuchungsarbeit durchgeführt. Viele Interviewte meinten außerdem, dass die Anforderungen an Folgenabschätzungen in den Direktiven deutlicher ausformuliert werden sollten. Eine Folgenanalyse könne prinzipiell beliebig umfangreich sein. Zudem seien Folgenabschätzungen sehr ressourcenintensiv. Alle Kommissionen seien deshalb in gewissem Maße gezwungen, ihre Aktivitäten im Bereich der Folgenabschätzung zu begrenzen. Bei der Eingrenzung und Prioritätensetzung in Bezug auf die Folgenabschätzungen würde mehr Anleitung benötigt (Regeringskansliet 2005b: 62). Eine weitere relevante Quelle stellen die laut Simplex-Verordnung seit dem Jahr 1999 (bis zum Außerkrafttreten der Verordnung Ende 2006) jährlich dem Reichstag vorgelegten Berichte der schwedischen Regierung über die Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen dar (Skr. 2000/01: 143; Skr. 2002/03: 8; Skr. 2003/04: 8; Skr. 2004/05: 48, Skr. 2005/06: 49). Diese Berichte setzen sich unter anderem mit der Durchführung von Simplex-Analysen im Kommissionswesen auseinander. Die zur Implementation des Verfahrens gegebenen Informationen aus den Berichten sind allerdings eher dürftig. So gab die Regierung im Jahr 2000 an, dass eine Analyse aller in diesem Jahr vorgelegten Abschlussgutachten gezeigt hatte, dass nur in drei Fällen Rechenschaft über eine spezielle Simplex194
Folgenabschätzung abgelegt wurde, wobei zwei von diesen Analysen äußerst kurzgefasst waren und nicht alle Aspekte der Checkliste aus dem Kommissionshandbuch behandelten (Skr. 2000/01: 143: 12). In den späteren Jahresberichten lieferte die Regierung zwar Zahlen dazu, in wie vielen Fällen im Rahmen von Kommissionsdirektiven ein Auftrag zur Durchführung einer Simplex-Analyse an Kommissionen erteilt worden war, sagte aber nichts zum tatsächlichen Befolgungsgrad und zur Qualität der Kommissionsanalysen. Der letzte erschienene Regierungsbericht von 2005 berichtete über aus Simplex-Analysen einzelner Kommissionen resultierende Vereinfachungsvorschläge, tätigte aber keinerlei allgemeine Aussagen zum Umfang der Simplex-Folgenabschätzungen im Kommissionswesen. Die Informationen der Regierungsberichte zur Implementation von Simplex-Analysen bleiben insgesamt auf einem oberflächlichen, weit interpretierbaren Niveau, was angesichts der Hauptfunktion von Berichten an den Reichstag (vorrangig positive Kommunikation der Regierungserfolge, möglichst wenig Angriffsfläche für Kritik bieten) wenig überraschend ist. Während die Regierungsberichte kaum konkret werden und schwedische Forscher sowie der Rechnungshof, wie beschrieben, zu einer relativ kritischen Einschätzung in Bezug auf die Folgenabschätzungstätigkeit der staatlichen Untersuchungskommissionen gelangen, kommen internationale Studien zu deutlich optimistischeren Bewertungen. So wird positiv hervorgehoben, dass Folgenabschätzungen in Schweden meist frühzeitig durchgeführt würden (vor Auswahl einer Regulierungsoption, durch die Kommissionen) und dass das System der Konsultationen sehr transparent sei (DEBR 2004). Sieben, im Rahmen eines großen EU-Forschungsprojektes durchgeführte, qualitative Fallstudien zu konkreten Gesetzgebungsvorhaben in Schweden (Hertin et al.: 45) zeigten, dass sich der Prozess der Folgenabschätzung in Schweden meist nicht vom normalen Arbeitsprozess der Kommissionen trennen lässt, was durch die Aufgabenzuschreibung und die Tradition der staatlichen Untersuchungskommissionen in Schweden erklärt werden kann. Hervorgehoben wurde zudem, dass die Folgenabschätzungstätigkeit der Kommissionen nicht selten einen erheblichen Beitrag zum ‚policy learning’ leistet (Hertin et al. 2006: 34, 39), aber auch, dass umfassende Folgenanalysen meist nur für bestimmte Aspekte durchgeführt werden (Hertin et al. 2006: 16). Die Evaluation der OECD zur Regulierungsreform in Schweden im Jahr 2007 kam zu ähnlichen Ergebnissen. So wurde betont, dass alternative Lösungen und deren Folgen im Rahmen des Kommissionswesens in Schweden ausführlich analysiert werden, auch wenn nicht immer alle formalen Folgenabschätzungsanforderungen erfüllt werden: 195
„It is often stipulated in the Terms of Reference for Committees‘ work that the consequences of the proposals shall be evident in their reports, which consists often of 200–400 pages. Alternative solutions, their advantages and disadvantages, are often described, as well as opinions of different interest groups. Committees‘ reports are in Sweden an extensive assessment of the issue. They are not, however, a technical RIA, as those produced in other OECD countries.” (OECD 2007: 41)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Folgenabschätzungen im Sinne einer Analyse von alternativen Politikoptionen tief im System des schwedischen Kommissionswesens verankert sind. Gleichzeitig scheint die Arbeit im Kommissionswesen wenig formalisiert zu sein. Auf Methoden und Verfahren fokussierte Unterstützungsmaterialien wie das Kommissionshandbuch werden als wenig hilfreich empfunden. Die Simplex-Analysen wurden in den wenigen evaluierten Fällen nur oberflächlich durchgeführt. Aus den Studien heraus ist zu erkennen, dass die Kommissionsmitarbeiter in vielen Fällen Folgenabschätzungen als eine zusätzliche Aufgabe wahrnehmen. Sie differenzieren demnach zwischen ihren traditionellen, normalen Tätigkeiten und einer darüber hinaus durchzuführenden Folgenabschätzung, während die großen Überschneidungen zwischen den beiden Bereichen in den schwedischen Studien und Berichten kaum identifiziert werden. Internationale Studien hingegen nehmen viel expliziter Bezug auf die normale Kommissionsarbeit, welche zwar nicht allen formalen Anforderungen der Reforminstrumente entspricht (z.B. gibt es keinen gesonderten RIA-Bericht), in der Praxis aber die Idee einer Folgenabschätzung (Diskussion von Alternativen, Analyse der Auswirkungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, transparente Kommunikation der Ergebnisse) besser umsetzt, als dies in vielen anderen europäischen Staaten der Fall ist.
3.3.2.2 Kanzlei der Ministerien Zur Folgenabschätzungstätigkeit in der Kanzlei der Ministerien ist deutlich weniger Material vorhanden als zum Kommissionswesen. So gibt es abgesehen von der Evaluation der OECD (2007), die sich v.a. auf Experteneinschätzungen stützt, keine Studie zu diesem Thema. Die Berichte der Regierung an den Reichstag über die Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen124, die von 1999 bis 124 Bei der Bewertung dieser Materialien ist zu beachten, dass es sich um Selbstdarstellungen der Regierung gegenüber dem Reichstag handelt, deren Ziel eher eine Vermittlung der eigenen Erfolge als der Verweis auf Defizite ist.
196
2005 jährlich erschienen sind, geben zwar teilweise Auskunft über die Anzahl der Simplex-Folgenabschätzungen im Bereich der Kanzlei der Ministerien, sagen aber wenig über die Qualität dieser Verfahren: D
D
D
D
Der ersten beiden Regierungsberichte aus den Jahren 1999 und 2000 lieferten keine konkreten Informationen zur Implementation von Simplex-Folgenabschätzungen in der Kanzlei der Ministerien. Lediglich im zweiten Bericht wurde konstatiert, dass infolge des Simplex-Systems „eine Anzahl von Vorschlägen modifiziert“ worden sei und dass es „große Fortschritte“ gibt (Skr. 2000/01: 143: 11). Im dritten Bericht (2002) wurde angeben, dass die Simplex-Gruppe im Wirtschaftsministerium täglich ein bis zwei Regulierungsvorschläge (Gesetze und Verordnungen) aus den Ressorts prüfe. Zwischen 2001 und August 2002 seien insgesamt 78 Simplex-Folgenabschätzungen geprüft worden, was dazu führte, dass ca. 20 der Vorschläge zurückgezogen oder substantiell geändert wurden (Skr. 2002/03: 8: 10). Der vierte Regierungsbericht (2003) ging kaum auf das Thema ein. Es wurde lediglich konstatiert, dass die Simplex-Folgenabschätzungen in den meisten Fällen von den Fachministerien durchgeführt werden. Weder zur Qualität der Analyse noch zu den Auswirkungen von möglichen Interventionsversuchen der Simplex-Gruppe wurden Angaben gemacht. Im fünften Regierungsbericht (2004) wurde angekündigt, dass das Folgenabschätzungssystem in der Kanzlei der Ministerien – angepasst an internationale Entwicklungen (insbesondere EU) – zukünftig breiter angelegt werden soll (Skr. 2004/05: 48: 5ff). Darüber hinaus enthielt der fünfte, ebenso wie der sechste und letzte Bericht an den Reichstag keine substantiellen Informationen zu den Simplex-Analysen in der Kanzlei der Ministerien (Skr. 2005/06: 49: 13, 41).
Die OECD schätzt das Potential des schwedischen Folgenabschätzungssystems auf Ebene der Ministerien als hoch ein, konstatiert jedoch, dass das Funktionieren des Systems aufgrund fehlender Sanktionsmechanismen in erheblichem Maße von einem Konsens in der Kanzlei der Ministerien über die Wichtigkeit von qualitativ hochwertigen Folgenabschätzungen abhängen würde (OECD 2007: 45). Die OECD betont zudem die Bedeutung der Better Regulation Unit in der Abteilung Unternehmen des Wirtschaftsministeriums (ehemals SimplexGruppe) für die Qualitätskontrolle der Simplex-Folgenabschätzungen. Eine derartige zentrale Kontrolle der Umsetzung findet für die allgemeinen Regelungen 197
zur Folgenabschätzung in der Kanzlei der Ministerien, niedergeschrieben in der Checkliste der Kanzlei des Ministerpräsidenten (PM 1995: 2, Fragen 5.3 und 6.2) von 1995, nicht statt, sondern deren Anwendung wird von den Rechtsabteilungen der Fachministerien überprüft. Die OECD zieht daraus den Schluss, dass Folgen für kleine Unternehmen effektiver analysiert werden als das generelle Ziel, Belastungen der wirtschaftlichen Entwicklung durch Regulierungen so gering wie möglich zu halten: „The degree of compliance with the Checklist for Legal Drafters on the other hand is not scrutinised by the Better Regulation Unit. Nevertheless, each ministry has a legal division that checks that the Checklist for Legal Drafters is followed when drafting regulation. At ministerial level there seems to be a clear and effective focus on the impact of regulation when it comes to SMEs. However, the effort towards mitigation of the impacts of regulation in general seems to be less in focus.” (OECD 2007: 46)
Als Fazit ist festzuhalten, dass die empirische Informationslage zu Folgenabschätzungen in der Kanzlei der Ministerien im Vergleich zum Kommissionswesen und im Vergleich zu den zentralen Verwaltungsbehörden (siehe folgender Abschnitt) sehr dünn ist. Eine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema gibt es bisher nicht. Diese Lücke wird mit der vorliegenden Arbeit geschlossen (siehe Kap. 3.3.3).
3.3.2.3 Zentrale Verwaltungsbehörden Die umfassendste Basis für eine Einschätzung der Implementation von Folgenabschätzungen durch die zentralen Verwaltungsbehörden in Schweden im Untersuchungszeitraum 2000 bis 2006 bilden die laut § 4 der Simplex-Verordnung jährlich vorzulegenden Berichte der Behörden über ihre Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen, welche wiederum die Grundlage für die bis 2005 ebenfalls einmal im Jahr erschienenen Berichte der Regierung an den Reichstag über die Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen darstellten. Bei der Bewertung dieser Materialien ist zu beachten, dass es sich um Selbstdarstellungen der Behörden gegenüber der Regierung handelt und dass sie sich nur auf Simplex-Folgenabschätzungen (SFS 1998: 1820) und nicht auf allgemeine Folgenabschätzungen nach der Werksverordnung (SFS 1995: 1322) beziehen. Weitere Hinweise zur Implementation von Folgenabschätzungen auf Behördenebene geben die Jahres-
198
rechenschaftsberichte von NUTEK, von der Autorin durchgeführte Experteninterviews sowie eine Evaluationsstudie aus dem Jahr 2003, in welcher 22 Folgenabschätzungen des Zentralamtes für Landwirtschaft im Hinblick auf bestimmte Qualitätsfaktoren analysiert wurden. Die Evaluation der OECD zur Regulierungsreform in Schweden aus dem Jahr 2007 enthält keine über eine Beschreibung des formalen RIA-Systems hinausgehenden Informationen zur Implementation von Folgenabschätzungen auf Ebene der Behörden. Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Inhalte der Regierungsberichte zur Frage der Implementation von Simplex-Analysen in zentralen Verwaltungsbehörden dargestellt: D
D
Regierungsbericht 1999: Bezüglich der Durchführung von SimplexFolgenabschätzungen äußerten viele Behörden, dass sie schon in Form der Remiss-Verfahren und der engen Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und anderer Betroffener bei der Ausarbeitung neuer Vorschriften zahlreiche Aktivitäten entfalten, um fundierte Beschlüsse vorzubereiten. In dieser Äußerung verdeutlichte sich eine gewisse Abwehrhaltung gegenüber dem neuen Instrument, zumal bei einigen Behörden wenig Verständnis für die Doppelverpflichtung zur Durchführung von Folgenabschätzungen laut Werksverordnung und laut Simplex-Verordnung bestand. Trotz der zum Teil vorhandenen Skepsis wurde die SimplexCheckliste (vgl. Tab. 7) von mehreren Behörden als sehr praktisches Werkzeug beschrieben, als dessen wichtigsten Effekt man den Zwang zum Nachdenken über die dort angesprochenen Fragestellungen ansah. Zur Anzahl der durchgeführten Simplex-Folgenabschätzungen machten die meisten Behörden keine Angaben. Nur vier von 31 Verwaltungsbehörden, die für das Jahr 1999 einen Bericht über ihre Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen vorlegten, hatten im Laufe des Jahres irgendeine Art von Kontakt mit der Simplex-Einheit im Wirtschaftsministerium gehabt (Skr. 1999/2000: 148: 6-9). Regierungsbericht 2000: Die Simplex-Gruppe im Wirtschaftsministerium erhielt im Jahr 2000 insgesamt 284 Simplex-Folgenabschätzungen der zentralen Verwaltungsbehörden zur Kenntnisnahme vorgelegt. Die meisten Behörden vertraten in ihren Berichten125 die Auffassung, dass die Simplex-Verordnung ihnen ein gutes Werkzeug für die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen an die Hand gegeben hat. Die
125 Für das Jahr 2000 legten 48 zentrale Verwaltungsbehörden einen Bericht laut Simplex-Verordnung vor, wobei jedoch nur 32 von diesen KU-relevante Regulierungen erarbeitet hatten und somit zur Durchführung von Folgenabschätzungen verpflichtet waren.
199
D
D
D
200
Verordnung trage dazu bei, dass den Angelegenheiten kleinerer Unternehmen mehr Aufmerksamkeit gewidmet würde. In Bezug auf die in der Simplex-Checkliste nachgefragte Beratung mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden gaben die meisten Behörden an, dass die Beratung mit NNR und anderen Wirtschaftsverbänden schon lange ein Teil ihrer obligatorischen Arbeitsroutinen in der Rechtsetzungsarbeit sei (Skr. 2000/01: 143: 8). In Bezug auf die Frage, welche Unterstützung die Behörden zukünftig benötigten, äußerte eine Mehrzahl den Wunsch nach umfassenderer Information, nach mehr Fortbildung sowie nach einer Weiterentwicklung der Methoden. Einige Behörden wünschten sich auch eine engere Zusammenarbeit mit der Simplex-Gruppe im Wirtschaftsministerium. Regierungsbericht 2002: In Bezug auf die Anwendung von SimplexFolgenabschätzungen wurde konstatiert, dass deren Qualität von Behörde zu Behörde variiere. Verbesserungsvorschläge für die Arbeit der Behörden mit Folgenabschätzungen erwartete sich die Regierung von den Ergebnissen der Untersuchungskommission zur Werksverordnung (SOU 2004: 23). Insgesamt nahm im dritten Regierungsbericht das Thema der Verringerung administrativer Lasten deutlich mehr Raum ein als in den Vorjahren. Regierungsbericht 2003: Die Behörden schätzten ihre Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen überwiegend positiv ein. Zum Teil wurden sogar da, wo es nicht unbedingt gefordert war, Simplex-Folgenabschätzungen durchgeführt. Beratung mit Betroffenen geschah in den meisten Behörden kontinuierlich und als ein natürlicher Teil des Beschluss- und Erarbeitungsprozesses, auch außerhalb des Remiss-Verfahrens (zum Beispiel in Form von Kundentreffen, durch informelle Kontakte oder durch speziell etablierte Beratungsgremien) (Skr. 2004/05: 48: 26ff). Regierungsbericht 2004: Der Umgang mit Simplex-Folgenabschätzungen im Zusammenhang mit EU-Regelungen nahm im fünften Regierungsbericht viel Raum ein. Die Kritik der Behörden zielte auf die mangelnde Angepasstheit der Simplex-Verordnung an die Rahmenbedingungen der EU ab. Beispielsweise steuere das EU-Recht im Falle des Lebensmittelamtes (Livsmedelsverket) die Ausarbeitung von Vorschriften durch die Behörden in so starkem Maße, dass das Lebensmittelamt keine Vorschläge zurückziehen oder wesentlich ändern kann. Zudem gäbe es Umsetzungsfristen, die keine Zeit für eine ausführliche Folgenuntersuchung oder Verlängerung der Remiss-Zeiten lassen (Skr.
D
2003/2004: 8: 9). Die Regierung reagierte auf diese Kritik mit der Einführung einer neuen Standardvorlage für Stellungnahmen in EU-Fragen (Skr. 2003/2004: 8: 9). Ebenso wie im Vorjahr erhielten Fragen der Verringerung administrativer Lasten und der Vereinfachung von Regulierungen im vierten Regierungsbericht viel Aufmerksamkeit. Regierungsbericht 2005: Einige Behörden konstatierten, dass die Simplex-Verordnung keinen ihrer Regelungsvorschläge substantiell beeinflusst hätte, andere hingegen äußerten sich dahingehend, das die Simplex-Verordnung zu einer strukturierteren Berücksichtigung der Bedingungen kleiner Unternehmen im Rechtsetzungsprozess geführt hätte und dass die Simplex-Folgenabschätzungen zudem eine Kontrollfunktion gegenüber der Einführung unnötiger administrativer Lasten ausübten. Als äußerst wichtige Maßnahme bezeichneten viele Behörden die Integration von Werks- und Simplex-Verordnung, um unnötige Doppelarbeit zukünftig zu vermeiden. Verschiedene Formen der Konsultation von Normadressaten wurden in den allermeisten Behörden umfassend genutzt, meist bereits in einer frühen Phase des Rechtsetzungsprozesses (vor dem formellen Remiss-Verfahren). Hervorzuheben ist auch, dass seit 2005 viele Behörden einen eigenen standardisierten ‚Vorschriftenprozess’ eingeführt haben, der den Rechtsetzungsprozess transparenter machen und gleichzeitig die Beachtung wesentlicher Prüfkriterien sicherstellen soll.
Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie zur Implementation von Folgenabschätzungen in schwedischen Behörden 2003 wurden 22 Folgenabschätzungen des Schwedischen Amtes für Umweltschutz (Statens Naturvårdsverk) im Hinblick auf verschiedene Prüfkriterien analysiert. Im Ergebnis attestierte die Studie der Behörde, die innerhalb Schwedens als eine der Vorreiter-Institutionen im Hinblick auf die Durchführung von Folgenabschätzungen gilt, eine gute Befolgung der bestehenden GFA-Anforderungen (Åsa Persson 2003: 13). Der Umfang der Folgenabschätzungsdokumente schwankte erheblich (1 bis 85 Seiten), der Durchschnitt lag bei zehn Seiten. Kritisch wurde angemerkt, dass die Folgenabschätzungen meist sehr spät durchgeführt würden und v.a. der nachträglichen Legitimierung oder ‚Rationalisierung’ bereits getroffener Entscheidungen dienten (Åsa Persson 2003: 18). Ein interessantes Ergebnis der Studie bestand in der Erkenntnis, dass die Behörde zur Erstellung der Folgenabschätzungen häufig auf externe Berater zurückgriff.
201
Von der Verfasserin durchgeführte Experteninterviews bestätigen, dass Simplex-Folgenabschätzungen in Schweden auf Behördenebene formal weitgehend implementiert worden sind (Interviews Universität Stockholm 2007, NUTEK 2007, Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005126), während dies auf die Ebene der Ministerien und Kommissionen nicht in gleichem Maße zutrifft (Interview Universität Stockholm 2007). Die Publikation von Folgenabschätzungen durch die Behörden erfolgt allerdings unsystematisch. Meist sind die Folgenabschätzungsdokumente zwar im Rahmen des Remiss-Verfahrens über das Internet öffentlich zugänglich, danach werden sie aber in der Regel nicht an zentraler Stelle auf den Websites der Behörden abgelegt (Internetrecherche der Autorin; OECD 2007: 53). Die Anzahl der von den Behörden produzierten und NUTEK zur Kenntnisnahme zugeleiteten Simplex-Folgenabschätzungen belief sich 2005 auf 182 und 2006 auf 234 Stück. Die Qualität dieser Folgenabschätzungen variierte erheblich (NUTEK 2006; Interviews NUTEK 2005, Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005). Nicht selten wurden die Folgenabschätzungsdokumente erst am Ende des Rechtsetzungsprozesses produziert (‚formale Anpassung’, Interview Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005). Während NUTEK anfangs keine Evaluation der Qualität der Simplex-Folgenabschätzungen der Behörden vornahm (abgesehen von einer Notiz auf dem Registrationsblatt, ob die Folgenabschätzung „gut“, „weniger gut“ oder „weder gut, noch schlecht“ sei), werden seit 2007 systematisch bestimmte Kriterien der Simplex-Verordnung geprüft (Anzahl betroffener Unternehmen genannt? Alternativen dargestellt? Etc.). Allerdings existiert bisher keine offizielle Auswertung dieser Datensammlung. Die Qualität ist für NUTEK häufig v.a. dann schwer einzuschätzen, wenn es sich um technische Regelungen handelt, die ein hohes Maß an Fachwissen erfordern (Interview NUTEK 2005).
3.3.2.4 Evaluationen des NNR In den bisherigen Darstellungen zum empirischen Forschungsstand in Bezug auf die Implementation von Folgenabschätzungen in Schweden fehlt ein zentraler Akteur, der seit 2002 regelmäßig Evaluationen zur Qualität von Regelungsentwürfen publiziert: der Dachverband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung (NNR). 126 Ca. 40–50% der Simplex-Folgenabschätzungen, die NUTEK vorgelegt wurden, stammten vom Zentralamt für Landwirtschaft.
202
Tabelle 8: Prüfkriterien des NNR-Regelindikators Prüfkriterium Zusammenfassung
Beschreibung Existiert eine zusammenfassende Beschreibung des Inhalts des Regelungsvorschlages? Bisherige Regelung Wird die bisherige Regelung des Sachverhaltes dargestellt? Alternativen beschrieben Werden Alternativen zur vorgeschlagenen Regelung beschrieben? Zeitige Konsultation Wurden Betroffene konsultiert, bevor der endgültige Regelungsvorschlag fertiggestellt wurde? Anzahl Unternehmen Wird beschrieben, wie viele Unternehmen und welche Branchen von der neuen oder geänderten Regelung betroffen sind? Kosten/Unternehmen Wurden die Kosten der vom Regelungsvorschlag Betroffenen berechnet? Totale Kosten Wurden die Gesamtkosten für alle betroffenen Unternehmen berechnet? Wettbewerbsaspekt Wurden Wettbewerbsfragen analysiert? Goldplating Wird klar und deutlich dargelegt, wie sich die Regelung zum EU-Recht verhält? Remiss-Zeit Belief sich die Konsultationszeit auf mindestens drei Wochen? Simplex-Analyse Wurde eine Simplex-Analyse durchgeführt? Administrative Lasten Welche Auswirkungen hat der Vorschlag auf die administrativen Lasten von Unternehmen? EU-basiert Basiert der Vorschlag auf EU-Regelungen?
Die wesentlichen Daten des jährlich publizierten ‚Regelindikators’ des NNR werden im Folgenden kurz dargestellt. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Methodik des NNR wissenschaftlichen Standards nicht genügt, da einige Prüfkriterien unzureichend operationalisiert sind und der subjektive Faktor bei der Bewertung deshalb recht hoch ist. So basiert beispielsweise die Einschätzung der Auswirkungen eines Regelungsvorschlages auf die administrativen Lasten für Unternehmen allein auf einer auf Erfahrungswissen basierenden Einschätzung des jeweiligen Bearbeiters innerhalb des NNR und nicht (wie die konkreten Zahlen des NNR suggerieren) auf SKM-Schätzungen oder Unternehmensbefragungen (Interview NNR 2005). Die Datenbanken des NNR differen203
zieren zudem nicht nach der Art des Rechtsvorschlages, sondern beziehen jeweils alle Vorschläge ein, die der NNR zur Stellungnahme erhält (Kommissionsvorschläge, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Regierung, behördliche Vorschriften). Tabelle 8 gibt einen Überblick über die Prüfkriterien des NNRRegelindikators, Abb. 17 veranschaulicht die Entwicklung der Ergebnisse des NNR-Regelindikators zwischen 2002 und 2007. Abb. 17: NNR-Regelindikator 2002–2007 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 2002
2003
2004
2005
2006
Zusammenfassung
Bisherige Regelung
Alternativen beschrieben
Zeitige Konsultation
Anzahl Unternehmen
Kosten/Unternehmen
Totale Kosten
Wettbewerbsaspekt
Goldplating
Remiss-Zeit
Simplex-Analyse
Administrative Lasten erhöht
Administrative Lasten verringert
Administrative Lasten unverändert
2007
EU-basiert
Anmerkungen: Angaben in % derjenigen Regelungsentwürfe des jeweiligen Jahres (Kommissionsgutachten, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Regierung, Entwürfe für behördliche Vorschriften), die NNR zur Stellungnahme vorgelegt wurden. Rot markiert: abnehmender Trend; Fett markiert: zunehmender Trend.
204
Die Daten aus dem NNR-Regelindikator deuten auf folgende Entwicklungstendenzen hin: D D D D
D
D
D
D
In schwedischen Rechtsentwürfen ist in den meisten Fällen eine Zusammenfassung enthalten. Die Mindestdauer des schriftlichen Konsultationsverfahrens beträgt in der Regel drei Wochen. Relativ häufig (> 50%) werden zudem die bisherigen Regelungen (rechtlicher Status Quo) im Rechtsentwurf beschrieben. Die Kostenfolgen von rechtlichen Regelungen ebenso wie die totalen Kosten für Unternehmen werden nach Einschätzung des NNR hingegen nur sehr selten dargestellt. Nur in 25% der Fälle findet eine zeitige Konsultation von Normadressaten (d.h. Konsultation vor Fertigstellung eines ausgearbeiteten Regelungsvorschlages) statt. Der Anteil der Entwürfe, für welche eine Simplex-Analyse durchgeführt wurde, hat sich in den letzten Jahren verringert, während die administrativen Lasten gestiegen sind. Ein besonders positiver Trend zeichnet sich laut NNR bei der Angabe der Anzahl der betroffenen Unternehmen ab: Enthielten 2002 nur 6% der Entwürfe derartige Zahlenangaben, waren es 2007 40%. Die NNR-Daten zeigen außerdem einen besonders hohen Anstieg 2007 beim ‚goldplating’, wobei der NNR zu diesem Punkt selbst eingesteht, dass die methodische Basis eigentlich keine Bewertung zulässt und der Anstieg darauf zurückzuführen ist, dass in den Regelungsentwürfen überhaupt dargestellt wurde, wie sie sich zum EU-Recht verhalten (denn das war das eigentliche Prüfkriterium, die Bezeichnung ‚goldplating’ ist insofern irreführend, NNR 2007: 8).
3.3.3 Empirische Analyse zur Darstellung von Gesetzesfolgen in Propositionen der schwedischen Regierung Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchung von Propositionen der schwedischen Regierung vorgestellt. Ziel ist die Generierung empirischer Erkenntnisse über den Grad der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung bei der Gesetzesvorbereitung im Bereich der Kanzlei der Ministerien.
205
3.3.3.1 Merkmale der Untersuchungsgesamtheit Es wurden 132 Propositionen der schwedischen Regierung aus dem Jahr 2006 ausgewertet, welche insgesamt 549 einzelne Gesetzentwürfe enthielten. Bei der Interpretation dieser Zahl muss beachtet werden, dass in Schweden – anders als in Deutschland – jede Änderung eines Gesetzes als eigenständiger Gesetzentwurf aufgeführt wird.127 In Deutschland hingegen ist es üblich, in einem Änderungsgesetz mehrere inhaltlich miteinander verbundene Änderungen verschiedener bestehender Gesetze zusammenzufassen. In Schweden erfolgt eine ähnlich geartete Zusammenfassung im Rahmen der Propositionen. Vergleicht man die Anzahl der schwedischen Propositionen des Jahres 2006 mit der Anzahl der Gesetzesvorlagen der deutschen Bundesregierung im selben Jahr, so sind die Unterschiede relativ gering (Schweden: 132 Propositionen, Deutschland: 154 Gesetzentwürfe der Bundesregierung). Die meisten Propositionen der Untersuchungsgesamtheit (Abb. 18) stammten aus der Feder des Justizministeriums (32%), gefolgt vom Finanzministerium (20%), vom Sozialministerium (14%), vom Wirtschaftsministerium (12%) und vom Umweltministerium (10%). Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur trug für 5% der Regierungsvorlagen die federführende Verantwortung. Landwirtschafts- und Außenministerium waren für jeweils 4% der Propositionen federführend verantwortlich. Das Schlusslicht bildete das Verteidigungsministerium (1%). Mehr als ein Drittel der untersuchten Propositionen (34%) enthielten Regelungen zur Umsetzung von EU-Recht. Bei der Interpretation dieser Angaben ist zu beachten, dass zwar einige Propositionen vollständig der Umsetzung von EU-Richtlinien oder der Anpassung an EU-Verordnungen dienten, andere jedoch nur einzelne Regelungen zur EU-Rechtsanpassung umfassten und gleichzeitig Regelungen nationalen Ursprungs enthielten. Von denjenigen Ministerien, die 2006 mehr als zehn Propositionen vorlegten, wiesen das Wirtschaftsministerium (50%), das Umweltministerium (46%) und das Finanzministerium (42%) einen besonders hohen Anteil EU-induzierter Entwürfe auf, während der EUEinfluss beim Justizministerium (24%) und beim Sozialministerium (17%) unterdurchschnittlich war. 127 36% der untersuchten Propositionen der schwedischen Regierung enthielten einen Gesetzes(änderungs)vorschlag, 18% enthielten zwei und 11% drei Gesetzentwürfe. 8% aller Regierungsvorlagen bestanden aus mehr als zehn einzelnen Gesetzentwürfen. Im Durchschnitt enthielten die untersuchten Propositionen vier Gesetzentwürfe.
206
Abbildung 18: Ursprung der analysierten Propositionen Umweltministerium
13
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
7
Außenministerium
4
Sozialministerium
18
Wirtschaftsministerium
16
Justizministerium
42
Landwirtschaftsministerium
5
Verteidigungsministerium
1
Finanzministerium
26
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
Anmerkung: Angaben zur Anzahl der Propositionen sind absolute Zahlen.
Bei der Analyse der deutschen Gesetzentwürfe wurde erhoben, wie viele Seiten Gesetzestext in den Entwürfen enthalten waren. Eine solche Analyse ist für den schwedischen Fall jedoch nicht aussagekräftig, da Änderungsvorschläge grundsätzlich in einer Synopse dargestellt werden. Eine Vergleichbarkeit der Zahlen wäre somit nicht gegeben. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine Darstellung der Seitenanzahl der Entwurfstexte verzichtet. Eine gewisse Vergleichbarkeit besteht jedoch im Hinblick auf den Indikator „Seitenumfang der Gesetzesbegründungen“. In Abb. 19 ist dargestellt, wie sich der Seitenumfang der Gesetzesbegründungen auf die untersuchten Regierungsvorlagen verteilt. Die Begründungen der Propositionen in Schweden sind in der Regel sehr umfangreich. Fast die Hälfte aller Propositionsbegründungen des Jahres 2006 umfasste mehr als 40 Seiten, 20% waren sogar mehr als 80 Seiten lang. Der Mittelwert lag bei 54 Seiten. Hinzu kamen durchschnittlich 45 Seiten Anlagen, welche zusätzliche Informationen wie zum Beispiel ein Verzeichnis der Konsultationsinstanzen, frühere Regelungsentwürfe, Zusammenfassungen von Kommissionsberichten, Ergebnissen von Studien oder den Text von EU-Richtlinien enthielten. Insgesamt waren die Propositionen aus 2006 im Durchschnitt 115 Seiten lang.
207
Abb. 19: Seitenanzahl der Propositionsbegründungen 20 18 16 14
Pro p o sitio n en (%)
12 10 8 6 4 2 0 1-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 91S S S S S S S S S 100 S
> 100 S
Anmerkung: S=Seiten; Seitenangaben ohne Entwurfstext und ohne Anlagen.
Die meisten Propositionen (93%) enthielten in ihrem Inhaltsverzeichnis einen eigenständigen Gliederungspunkt zur Kostenfolgenabschätzung (unter dem Titel „Folgen“, „Folgenabschätzung“ oder „Ökonomische Folgen“), welcher Angaben zu den Kosten für den Staat und ggf. für die Wirtschaft enthielt. Anderen Folgenaspekten sowie möglichen Regelungsalternativen wurde im Rahmen der übrigen Gliederungspunkte im entsprechenden sachlichen Zusammenhang Aufmerksamkeit geschenkt. Der Textteil zum Gliederungspunkt Kostenfolgenabschätzung umfasste in der Regel nur wenige Seiten: Bei knapp zwei Dritteln aller Propositionen war er nur eine oder zwei Seiten lang. Nur bei 9% aller Propositionen umfasste der Gliederungspunkt zur Kostenfolgenabschätzung mehr als vier Seiten.
208
3.3.3.2 Art der Gesetzesvorbereitung und Konsultationen Eine schwedische Besonderheit ist die Vorbereitung von Gesetzentwürfen im Rahmen des Kommissionswesens (s.a. Kap. 2.2.3). In der vorliegenden empirischen Studie erfolgte die Vorbereitung der Regelungsentwürfe in 46% der Fälle mit Unterstützung einer oder mehrerer staatlicher Untersuchungskommissionen, für weitere 8% wurde die externe Erarbeitung einer Studie oder eines Berichtes in Auftrag gegeben. Häufig wurden solche Studien durch eine oder mehrere der zentralen Verwaltungsbehörden erstellt, welche im Gegensatz zu den Ministerien Implementationsaufgaben wahrnehmen und mehr direkten Kontakt mit den Regelungsadressaten haben. In fast 20% der Fälle beruhten die Propositionen auf mehreren vorbereitenden Studien und/oder den Gutachten von mehreren Kommissionen. In 46% der untersuchten Regierungsvorlagen enthielten die Propositionsunterlagen keine Hinweise auf vorbereitende Kommissionen oder Auftragsstudien/Berichte. Die durchschnittliche Arbeitszeit der zur Vorbereitung der 2006 in den Reichstag eingebrachten Propositionen eingesetzten Kommissionen betrug 21 Monate. Diese Zahl bestätigt die Angaben von Staffan Magnusson (2001) sowie von Kim Forss und Marie Uhrwing (2003: 45), welche die durchschnittliche Arbeitszeit der staatlichen Untersuchungskommissionen in Schweden auf zwei Jahre beziffern. Bei der Interpretation dieser Zeitangaben ist jedoch darauf zu achten, dass die Anzahl der Mitarbeiter im Kommissionswesen erheblich variieren kann. Auch die Komplexität des Regelungsfeldes und die Quantität der Kommissionsarbeitszeit stehen keineswegs in einem einfachen linearen Zusammenhang zueinander. Die Dauer der durch die Regierungsdirektiven vorgegebenen Arbeitszeit von Kommissionen hängt unter anderem davon ab, wie dringend ein politisches Problem angegangen werden muss. So arbeiteten zum Beispiel die beiden infolge der Terroranschläge am 11. September 2001 auf das World Trade Center eingesetzten Kommissionen nur jeweils 16 bzw. zwölf Monate an ihrem Gutachten (SOU 2003: 32 und SOU 2005: 70). Ähnlich verhält es sich bei neuen Technologien, deren Entwicklung in einem sehr schnellen Tempo vor sich geht und insofern relativ kurzfristige Regelungen erforderlich macht. Beispielsweise arbeitete die Kommission zur Untersuchung der Möglichkeiten der gemeinsamen Ausnutzung von Mobilfunkmasten durch verschiedene Anbieter nur neun Monate an ihrem Bericht (SOU 2005: 97). Im Gegensatz dazu tagte die Kommission zur Rentierhaltung 50 Monate lang (SOU 2001: 101). In Schweden ist es üblich, die von den Kommissionen vorgelegten Gutachten (Teil- und Schlussgutachten) zum Remiss auszusenden, d.h. einem für alle 209
interessierten Teilnehmer offenen, schriftlichen Konsultationsverfahren zu unterziehen. In der Regel wird eine Liste der Konsultationsteilnehmer den Propositionen als Anlage beigefügt. In der hier untersuchten Stichprobe betraf dies 91% der Fälle.128 In 9% der Fälle hingegen war aus den Propositionen heraus nicht ersichtlich, wer am Remiss-Verfahren zum Kommissionsgutachten teilgenommen hat. Die wichtigsten Ergebnisse des Remiss-Verfahrens in Bezug auf die zukünftige gesetzliche Regelung werden in Schweden normalerweise im Rahmen der Proposition dargestellt (2006: 92%129). Die Anmerkungen der RemissInstanzen werden dabei meist inhaltlich nach bestimmten Teilfragen strukturiert. Eine ausführliche Zusammenfassung der Remiss-Antworten existiert darüber hinaus üblicherweise in Form eines eigenständigen Dokumentes des federführenden Ministeriums, auf das in den Propositionen ebenfalls verwiesen wird. Der nächste Schritt des Gesetzgebungsverfahrens nach Abschluss des Remiss-Verfahrens zum Kommissionsbericht (bzw. nach Abschluss alternativer Verfahren zur Informationsbeschaffung, beispielsweise über externe Studien, Berichte der Verwaltungsbehörden oder Input durch andere gesellschaftliche oder politische Akteure) besteht in der Erstellung einer Proposition in der Kanzlei der Ministerien. Für 55% der Propositionen wurde angegeben, dass der oder die Gesetzentwürfe innerhalb des federführenden Ministeriums erarbeitet worden sind. In 3% der Fälle setzte man eine interministerielle Arbeitsgruppe ein. 42% der Propositionen des Jahres 2006 enthielten keine Aussage darüber, auf welche Art und Weise die verwaltungsinterne Gesetzesvorbereitung erfolgte. Die Daten zeigen, dass in zwei Drittel der Fälle, in denen die Propositionen durch Kommissionen, externe Studien oder Studien der zentralen Verwaltungsbehörden vorbereitet wurden, keine Angabe zur Gesetzesvorbereitung innerhalb der Kanzlei der Ministerien gemacht wurde. Es kann davon ausgegangen werden, dass in der Mehrzahl dieser Fälle die Gesetzentwürfe weitgehend von den Kommissionen oder aus den Gutachten der zentralen Verwaltungsbehörden übernommen wurden und kein stark davon abweichender, eigenständiger Referentenentwurf des Ministeriums erarbeitet wurde. Diese Resultate verdeutlichen, dass trotz des organisatorischen Zusammenschlusses der Fachministerien in der Kanzlei der Ministerien (siehe Kap. 2.2.1) die meisten Gesetzentwürfe federführend innerhalb eines Fachministeriums erarbeitet oder von Kommissionen/Be128 Die Prozentangabe bezieht sich auf die Gesamtzahl der Propositionen, zu deren Vorbereitung mindestens eine Kommission eingesetzt wurde. 129 Die übrigen 8% verteilen sich wie folgt: 5% keine Darstellung der Inhalte der Stellungnahmen der Konsultationsteilnehmer im Haupttext, aber Verweis auf die Zusammenfassung der Fachministerien; 3% keine Angabe zu den Inhalten der Remiss-Äußerungen.
210
hörden übernommen wurden, während fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppen zur Erarbeitung von Gesetzen die Ausnahme bildeten. Die innerhalb der Kanzlei der Ministerien erarbeiteten Gesetzentwürfe wurden meist einem schriftlichen Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen (89% der betreffenden Propositionen). Angaben über die Remiss-Teilnehmer waren entweder im Haupttext der Proposition (18%) oder in einer Anlage (80%) zu finden. Nur in Ausnahmefällen enthielten die Propositionen keine Angabe darüber, welche Akteure sich am Remiss-Verfahren beteiligt hatten (2%). Die Anmerkungen der Konsultierten wurden meist im Haupttext der Proposition wiedergegeben (90%). In den übrigen Fällen stellten die Propositionen keine Transparenz über die Aussagen der Konsultierten her (1% Verweis auf andere Veröffentlichungen, 9% keine Angabe zu Inhalten der Remiss-Stellungnahmen). Eine alternative oder ergänzende Möglichkeit zum schriftlichen Konsultationsverfahren ist es, betroffene Institutionen zu einem Konsultationstreffen (‚remissmöte’) einzuladen. Diese Variante der Konsultation wurde für zwölf Propositionen (9% der Untersuchungsgesamtheit) genutzt. In neun Fällen wurde das Konsultationstreffen dabei als ergänzendes Instrument zum schriftlichen Remiss-Verfahren benutzt. In drei Fällen fand ausschließlich ein Konsultationstreffen und kein schriftliches Verfahren statt. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Meinungen und Einschätzungen der von einem Gesetzentwurf betroffenen Behörden und Normadressaten auf informellem Wege einzuholen. Diese Art der Informationsbeschaffung als Ersatz für ein schriftliches Konsultationsverfahren oder ein Konsultationstreffen im Gesetzgebungsverfahren sollte laut Propositionshandbuch jedoch die Ausnahme bleiben (Ds. 1997: 1: 27). Die erhobenen Daten bestätigen, dass diese Anforderung in der Praxis erfüllt wird. Nur für 3% aller Propositionen wurde angegeben, dass die Informationsbeschaffung auf informellem Wege erfolgte und dass weder ein schriftliches Remiss-Verfahren noch ein Konsultationstreffen durchgeführt wurde. Insgesamt wurde für 10% aller Propositionen angegeben, dass Informationen auf informellem Wege beschafft wurden. Der informelle Weg wurde dabei in vielen Fällen, ergänzend zum formellen Konsultationsverfahren zur Klärung bestimmter Teilaspekte genutzt. Meist stellte der Propositionstext Transparenz darüber her, mit welchen Institutionen auf informellem Wege Informationen ausgetauscht wurden. In zwei Fällen wurde jedoch keine genaue Angabe dazu gemacht, wer auf informellem Wege konsultiert wurde. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist darauf zu achten, dass wahrscheinlich nicht in allen Fällen angegeben wurde, inwieweit informelle Wege bei der Informationsbeschaffung eine Rolle gespielt haben. 211
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zu den Inhalten von fast allen Propositionen (98%) mindestens eine formelle Konsultation stattgefunden hat, bevor diese in den Reichstag eingebracht wurden. Häufig hatten die betroffenen Parteien sogar an mehreren Stellen des Gesetzgebungsprozesses die Möglichkeit, ihre Ansichten einzubringen, da Remiss-Verfahren sowohl zu den Kommissionsberichten als auch zu möglichen Referentenentwürfen stattgefunden haben. In der Regel fanden die Konsultationen schriftlich statt und waren durch ein hohes Maß an Transparenz geprägt. So war meist gut nachvollziehbar, wer konsultiert wurde und welche Positionen und Anmerkungen von den Konsultationsinstanzen hervorgebracht wurden. Vor dem formellen Kabinettsbeschluss werden Vorschläge für Gesetzesänderungen oder für neue Rechtsnormen unter bestimmten, in Kap. 8 § 18 der schwedischen Verfassung (RF) festgelegten Bedingungen dem Gesetzgebungsrat zur rechtsförmlichen Prüfung sowie zur Stellungnahme zu Fragen der Zweckmäßigkeit und Umsetzung vorgelegt (s.a. Kap. 2.2.4). 82% der Propositionen des Jahres 2006 wurden dem Gesetzgebungsrat zur Stellungnahme unterbreitet. Weitere 14% der Propositionen enthielten die Angabe, dass eine Anhörung des Gesetzgebungsrates aufgrund der Beschaffenheit des Regelungsinhaltes nicht notwendig oder der Regelungsinhalt selbst von sehr geringer Relevanz sei. 4% der Propositionen beinhalteten keine Aussage zur Frage einer Anhörung des Gesetzgebungsrates.
3.3.3.3 Umsetzung der Anforderungen zur Folgenabschätzung Der Untersuchung der Propositionen in Bezug auf die Befolgung von Vorschriften zur Folgenabschätzung ist voranzustellen, dass der Darstellung möglicher ‚Folgen’ in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen sowie einer Abwägung des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen in den Propositionsentwürfen grundsätzlich ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Charakteristisch waren darüber hinaus eine relativ ausführliche Darstellung des Ist-Zustandes (Status Quo), eine Begründung des Regelungsbedarfes sowie das Vorhandensein komplexer Problem- und Zielbeschreibungen. Zu beachten ist, dass in der empirischen Analyse der Propositionen des Jahres 2006 nur diejenigen Elemente einer Folgenabschätzung erhoben wurden, welche in den einschlägigen Richtlinien, Handbüchern und Checklisten für die Kanzlei der Ministerien enthalten sind. Darüber hinaus gibt es bestimmte Folgenabschätzungselemente, welche sehr häufig geprüft wurden, die aber für die ministerielle Ebene nicht explizit vorge212
schrieben sind. Dazu gehören die potentiellen Auswirkungen des Regelungsvorschlages auf das Gerichtswesen und die Klagehäufigkeit, auf welche in vielen Propositionen eingegangen wird. Auch eine Beschreibung der Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter, auf integrationspolitische Ziele und auf die Kriminalität ist für die Erarbeitung von Gesetzentwürfen in der Kanzlei der Ministerien nicht direkt vorgeschrieben. Häufig werden diese Punkte aber in den Propositionen trotzdem erwähnt, da sie für das Kommissionswesen im Rahmen des Kommissionshandbuches (Ds. 2000: 1) als relevante Elemente einer Folgenabschätzung beschrieben werden. Grundsätzlich wird bei der Folgenbeschreibung weniger schematisch vorgegangen als in deutschen Gesetzesbegründungen, sondern es werden die im spezifischen Fall für relevant erachteten inhaltlichen Bereiche einer Folgenabschätzung unterzogen130, während nicht zutreffende Fragen nicht erörtert werden. Ein schematisches Abhaken von Anforderungen durch eine floskelhafte Beantwortung der Folgenfrage für bestimmte Bereiche ist in den schwedischen Propositionen deutlich seltener als in den deutschen Gesetzentwürfen zu finden. Ebenso wie die deutschen Gesetzentwürfe wurden die schwedischen Propositionen des Jahres 2006 daraufhin überprüft, ob Alternativen zur vorgeschlagenen Regelungsoption bzw. zu bestimmten Regelungsaspekten im Rahmen der Gesetzesvorbereitung betrachtet und im Begründungstext zur Proposition dargestellt wurden. Es zeigte sich, dass in 94% der Fälle Alternativen betrachtet wurden und nur in 6% der Fälle im Propositionstext keine Alternativen angegeben waren. Häufig stammten alternative Vorschläge aus den Reihen der Konsultationsinstanzen, zum Teil stellten aber auch die Entwurfsverfasser die Vor- und Nachteile verschiedener alternativer Regelungsoptionen von sich aus ausführlich dar. Die Vorschläge von Konsultationsteilnehmern wurden im Propositionstext zum Teil lediglich erwähnt, meist war es aber so, dass im Anschluss dargestellt wurde, warum dieser Vorschlag von der Regierung aufgegriffen wurde oder warum dies nicht der Fall war. Eine explizite Prüfung der Nullalternative fand meist nicht statt. Es wurde jedoch in der Regel umfangreich dargelegt, wie die derzeitige rechtliche Regelung aussieht und welche Probleme aufgetreten sind. Dieses Vorgehen kommt einer Nullalternativenprüfung sehr nahe. Ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung über neue Regulierungen ist die Frage, mit welchen Kosten für die öffentliche Hand und mit wie viel Vollzugsaufwand diese verbunden sein werden. Die Analyse der Propositionen aus 2006 130 Beispielsweise wurde zu einer der untersuchten Propositionen eine Kinderfolgenabschätzung, d.h. eine Abschätzung der Auswirkungen des Entwurfes auf Kinder und deren Lebensverhältnisse durchgeführt.
213
ergab, dass die Kostenfolgen, welche aufgrund der geplanten Gesetzentwürfe für die öffentliche Hand entstehen, bei fast jedem zweiten Entwurf (49%) qualitativ beschrieben wurden. Reichlich ein Viertel der Propositionen (26%) enthielt darüber hinaus quantitative Angaben zu den finanziellen Auswirkungen für den Staat. 11% der Propositionen beinhalteten keine Aussage zu den Kostenfolgen für den Staat und für 14% der Entwürfe wurde angegeben, dass die geplanten Regelungseingriffe keine finanziellen Auswirkungen auf das Staatsbudget hätten. Zeitliche Aspekte spielten bei der Kostenkalkulation in vielen Fällen keine Rolle: So wurde der Verpflichtung, die Folgenabschätzung längerfristig anzulegen (PM 1995: 2, Frage 6.1), lediglich in einem Drittel der Entwürfe (33,6%) nachgekommen, während bei den übrigen zwei Dritteln keine längerfristige Kalkulation der Kostenfolgen für den Staat erfolgte.
Pro positionen d es jeweilig en M in isterium s in %
Abb. 20: Kostenfolgen für das Staatsbudget nach Ministerien (SWE) 10 0 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Finan zm in ist erium
keine Aussage
Just izm inist erium W irt schaft sm inist erium So zialm in ist erium
keine Auswirkun gen
qualit at ive Aussage
Um welt m inist erium
m o net äre Aussage
Anmerkungen: Für das Landwirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n<10) keine Angaben gemacht.
Bei der Betrachtung der Kostenfolgen für die öffentliche Hand aufgeschlüsselt nach Ministerien131 (vgl. Abb. 20) zeigt sich, dass das Umweltministerium besonders häufig keine Angabe zu den finanziellen Folgen für den Staat gemacht 131 Die Prozentangaben dieses Absatzes beziehen sich jeweils auf den Anteil an der Gesamtanzahl der untersuchten Propositionen des jeweiligen Ministeriums.
214
hat (31%). In den Propositionen des Finanzministeriums hingegen war besonders selten keine Angabe zu den Kostenfolgen für die öffentliche Hand enthalten (4%). Gleichzeitig ist das Finanzministerium dasjenige Ministerium, in dessen Propositionen am häufigsten konstatiert wird, dass keine Kostenfolgen für den Staat entstünden (31%). Eine Monetarisierung der Kostenfolgen ist ebenfalls beim Finanzministerium am häufigsten zu finden (42%). Am seltensten werden die finanziellen Folgen für den Staat in den Propositionen des Wirtschaftsministeriums quantifiziert (6%). Zum zu erwartenden Vollzugsaufwand war in 15% der Propositionen keine Aussage zu finden. 10% beinhalteten die Aussage, dass die Neuregelung keine Auswirkungen auf den Vollzugsaufwand hätte. In den meisten Fällen (62%) wurde der Vollzugsaufwand, häufig aufgeschlüsselt auf die verschiedenen vom Vollzug des Gesetzes berührten Behörden, qualitativ beschrieben. Eine konkrete monetäre Aussage zu den Vollzugskosten enthielten 13% der Regierungsvorlagen. Abb. 21: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (SWE) Propositionen des jeweiligen M inisterium s in %
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Finanzm inist erium
Just izm inist erium W irt schaft sm inist erium Sozialm inist erium
keine Aussage
kein Vollzugaufwand
qualit at ive Aussage
Um welt m inist erium
m onet äre Aussage
Anmerkungen: Für das Landwirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n<10) keine Angaben gemacht.
215
Abb. 22: Angaben zur Finanzierung der Regelungsvorschläge (SWE) n eue Gebüh r un d St euersen kung n eue Gebüh r un d Budget um v ert eilung freiwilliger Versuch , k ein e Fin an zierung erfo rderlich M ehr- bzw. M inderk o st en wurden im Budget jahr bereit s ein k alkuliert Um v ert eilun g im Budget Gebüh ren -/St euersen kung n eue Gebühren o der Gebühren - bzw. St euererhö h un g im Rah m en des Budget s t rifft n ich t zu kein e Aussage 0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
P ro p o sit io n en in %
Interessant, wenn auch aufgrund der geringen Fallzahlen nur bedingt aussagekräftig, ist eine Betrachtung der Verteilung der Aussagen zum Vollzugsaufwand nach federführendem Ministerium132 (Abb. 21). Es zeigte sich, dass das Sozialministerium am häufigsten keine Aussage zum Vollzugsaufwand gemacht hat (28%), während in den Propositionen des Umweltministeriums am häufigsten eine qualitative oder monetäre Aussage zum Vollzugsaufwand getätigt wurde (92%). Monetäre Angaben wurden ebenso wie in Deutschland am häufigsten vom Finanzministerium gemacht (27%). Gleichzeitig war das Finanzministerium aber auch das Ressort, in dessen Propositionen am häufigsten angegeben wurde, dass keine Vollzugskosten entstünden (23%). 132 Die folgenden Prozentangaben beziehen sich jeweils auf den Anteil an der Gesamtanzahl der untersuchten Propositionen des jeweiligen Ministeriums. Diejenigen Ministerien, welche 2006 weniger als zehn Propositionen vorgelegt haben (Landwirtschafts-, Verteidigungs- und Außenministerium sowie Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur), wurden nicht mit in die Analyse einbezogen.
216
Neben der Darstellung der Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und des Vollzugsaufwands sind die Ministerien in Schweden dazu verpflichtet, in Propositionen Aussagen zur Finanzierung der vorgeschlagenen Regelungen zu machen. 75% der untersuchten Propositionen enthielten Angaben zur Finanzierung. Mit Abstand am häufigsten wurde dabei die Aussage getätigt, dass eventuell auftretende Mehrkosten im Rahmen der entsprechenden Etats des bestehenden Budgets finanziert werden sollten (41% der Propositionen) oder dass die Mehrkosten im laufenden Budgetjahr bereits mit einkalkuliert worden seien (10% der Propositionen). Bei weiteren 5% sollte eine Finanzierung über eine Umverteilung im Budget erfolgen. In 12% der Fälle sollten neue Maßnahmen durch die Einführung einer neuen Gebühr und/oder eine Gebühren- oder Steuererhöhung finanziert werden, während eine Gebühren- und/oder Steuersenkung nur in 2% der Fälle anvisiert wurde (Abb. 22). Aufschlussreich ist eine Betrachtung der Aussagen zu den Kosten für die öffentliche Hand und zur Finanzierung in einer Kreuztabelle. Hier wird deutlich, dass in relativ vielen Fällen Kosten für die öffentlichen Haushalte beschrieben oder sogar quantifiziert wurden. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass diese Kosten im Rahmen der bestehenden Etats zu finanzieren seien. So war für 47% derjenigen Entwürfe, welche laut Propositionsschreiben mit Kostenfolgen verbunden sind, eine Finanzierung in den bestehenden Etats vorgesehen. Dies zeigt, dass Kostenneutralität ein wichtiges Kriterium für die Durchsetzungsfähigkeit neuer Regelungsentwürfe bildet und dass ein hoher Druck besteht, neue Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln umzusetzen sowie Umstrukturierungen oder andere Arten der Erhöhung der Effizienz zu nutzen, um die notwendigen Ressourcen freizusetzen. Zu den Anforderungen an eine Folgenabschätzung im schwedischen Gesetzgebungsprozess gehört es, die Auswirkungen auf die Kommunen darzustellen (Ds. 1998: 43: 64). Die formale Erfüllung dieser Vorgabe ist deutlich niedriger als bei den bisher beschriebenen Kriterien (Haushalt, Vollzug, Finanzierung). So enthielten 64% der Propositionen keine Aussage zu den Gesetzesfolgen für die kommunale Ebene. Für 5% der Propositionen wurde angegeben, dass die neuen Regelungen keine Auswirkungen auf die Kommunen hätten. Eine qualitative Beschreibung der Auswirkungen erfolgte für 28% der Fälle. 3% der Propositionen beinhalteten monetäre Aussagen zu den Auswirkungen auf die Kommunen (Abb. 23). Untersucht man die schwedischen Propositionen im Hinblick auf die Darstellung der Auswirkungen auf die Wirtschaft, so zeigt sich eine höhere formale Befolgungsrate als bei den Auswirkungen auf die Kommunen, aber eine niedri217
gere als bei den Prüfkriterien Haushaltsauswirkungen, Vollzugsaufwand und Finanzierung. 38% der Propositionen enthielten keine Aussage zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft (Abb. 23). Für weitere 8% wurde angegeben, dass keine Auswirkungen zu erwarten seien. Bei jedem zweiten Entwurf hingegen wurden die zu erwartenden Folgen im wirtschaftlichen Bereich qualitativ beschrieben. Quantifizierungen waren nur selten zu finden (4%). Betrachtet man die Darstellung der Auswirkungen auf die Wirtschaft aufgeschlüsselt nach den verschiedenen Ministerien133, können zwei Gruppen unterschieden werden. Auf der einen Seite stehen das Umwelt-, das Wirtschafts- und das Finanzministerium, bei denen jeweils mehr als 80% der Propositionen eine Darstellung der Auswirkungen auf die Wirtschaft enthielten. Auf der anderen Seite befinden sich das Justiz- und das Sozialministerium, in deren Entwürfen wirtschaftliche Folgen mehrheitlich nicht beschrieben wurden: Nur 40% der Propositionen des Justizministeriums und 28% der Propositionen des Sozialministeriums enthielten eine Aussage zu den Auswirkungen der Regelungsvorschläge auf die Wirtschaft. Mit der Einführung spezieller Richtlinien für die Kanzlei der Ministerien zu einer besonderen Folgenabschätzung in Bezug auf kleine Unternehmen (Simplex-Folgenabschätzung) Ende der 1990er Jahre verfolgte die damalige Regierung das Ziel, die Bedürfnisse kleiner Unternehmen schon in der Politikformulierungsphase stärker zu berücksichtigen. 29% der Propositionen des Jahres 2006 enthielten Aussagen über die Folgen der neuen Regelungen für kleine Unternehmen. Dabei ist zu beachten, dass der Umfang und die Qualität dieser Folgendarstellung sehr stark variierte. Insgesamt wurden nur sehr wenige umfassende KU-Analysen im Sinne der Simplex-Checkliste durchgeführt. In der Regel beschränkte sich die KU-Analyse auf die Darstellung einiger weniger Aspekte der Folgen für kleine Unternehmen. Die Messung administrativer Lasten für die Wirtschaft mit Hilfe des Standardkosten-Modells spielt in Schweden seit mehreren Jahren eine zentrale Rolle beim Bürokratieabbau und wurde seit 2003 für eine Vielzahl von Rechtsbereichen umgesetzt. Bei den 2006 dem Reichstag vorgelegten Propositionen wurde in 77% der Fälle keine Angabe zu diesem Thema gemacht.134 8% der Propositionen enthielten die Ankündigung, dass sich die administrativen Lasten verringern 133 Aufgrund der geringen Fallzahlen (n<10) wurde eine eigenständige Aufschlüsselung der Antwortkategorien für das Landwirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur nicht vorgenommen. Die Ausführungen im folgenden Absatz beziehen sich deshalb nur auf das Umwelt-, das Wirtschafts-, das Finanz-, das Justiz- und das Sozialministerium.
218
würden, während in 10% der Fälle eine Erhöhung der administrativen Lasten für Unternehmen angekündigt wurde. Weitere 5% der Propositionen beinhalteten eine Beschreibung der administrativen Lasten, jedoch ohne dass eindeutig konstatiert werden konnte, ob es sich insgesamt um eine Erhöhung oder eine Verringerung handelte. Eine konkrete quantitative Aussage im Sinne des zu erwartenden Arbeitsaufwands pro Unternehmen war nur in einer einzigen Proposition zu finden. Einschlägige Begriffe, die sich aus der SKM-Methode zur Abschätzung administrativer Lasten ergeben (Informationspflichten, Bürokratiekosten), waren in den schwedischen Propositionen nicht enthalten, d.h. administrative Lasten wurden ohne die Verwendung der einschlägigen Reformterminologie beschrieben. Die zu erwartenden Umweltauswirkungen wurden für 22% der Propositionen thematisiert, für weitere 5% wurde angegeben, dass keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten seien. 73% der Propositionen enthielten keine Aussagen über mögliche Umweltauswirkungen (Abb. 23). Abb. 23: Auswirkungen auf Kommunen, Wirtschaft und Umwelt (SWE) 80 70 60 keine Aussage
50
keine Auswirkungen 40
qualitative Aus sage monetäre Aussage
30 20 10 0 Auswirkungen auf die Auswirkungen auf die Auswirkungen auf die Kommunen Wirtschaft Umwelt
Anmerkung: Angaben in % der untersuchten Propositionen
134 In einigen Propositionen wurde dargestellt, inwieweit sich die administrativen Lasten für die öffentliche Verwaltung erhöhen oder verringern. Die vorliegende Darstellung bezieht sich ausschließlich auf administrative Lasten für die Wirtschaft.
219
Laut der von der Kanzlei des Ministerpräsidenten herausgegebenen Checkliste zur Folgenabschätzung (PM 1995: 2) ist die ex post Evaluation von Gesetzen ein wichtiger Aspekt, mit dem man sich bereits vor dem Inkrafttreten neuer Gesetze auseinandersetzen sollte. Von den Propositionen des Jahres 2006 enthielten 30% die Angabe, dass eine ex post Evaluation vorgesehen sei. Die übrigen 70% beinhalteten keine Aussage zu diesem Thema. Interessant ist eine Aufschlüsselung der Ergebnisse nach Ministerien, welche verdeutlicht, dass für 85% der Propositionen des Umweltministeriums eine Evaluation vorgesehen war. Bei den übrigen Ministerien135 hingegen lag die ‚ex post Evaluationsquote’ bei ca. 20%, beim Wirtschaftsministerium sogar nur bei 13%. Grundsätzlich fiel in den Propositionstexten auf, dass Vorschläge für Gesetzesänderungen in vielen Fällen auf bereits durchgeführte Evaluationen zurückgingen. Das Durchführen von Evaluationen und darauf aufbauendes Policy-Learning (Hertin et al. 2006) scheint demnach in Schweden nicht unüblich zu sein, was u.a. auf die Tradition der Gesetzesvorbereitung in Kommissionen zurückzuführen ist.
3.3.3.4 Gesetzesvorbereitung in Kommissionen und Darstellung von Gesetzesfolgen in den Propositionen der Kanzlei der Ministerien Die Generierung von Informationen über ein Problemfeld sowie die zu erwartenden Auswirkungen verschiedener Regelungsalternativen ist in Schweden eine Aufgabe, welche die Ministerialverwaltung häufig nicht selbst wahrnimmt, sondern an staatliche Untersuchungskommissionen auslagert, deren Arbeitsschwerpunkte von der Regierung im Rahmen von Direktiven festgelegt werden. Geht man davon aus, dass die ex ante Analyse von Gesetzesfolgen traditionell eine Aufgabe der Kommissionen und weniger der Ministerialverwaltung ist, müsste sich dies auch in den empirischen Daten der vorliegenden Untersuchung widerspiegeln. Im Folgenden wird deshalb überprüft, ob die Erfüllung der Anforderungen zur Folgenabschätzung in denjenigen Propositionen, die durch eine oder mehrere Kommissionen vorbereitet wurden, besser ist als in denjenigen Propositionen, welche nicht auf vorbereitenden Arbeiten von Kommissionen basieren. Im Vergleich der beiden Gruppen (Tab. 9) fällt auf, dass sich die Ausprägungen der einzelnen Prüfkriterien zwischen denjenigen Entwürfen, die nicht auf den Vorarbeiten von Kommissionen beruhten (nicht-kommissionsbasierte 135 Aufgrund der geringen Fallzahlen (n<10) wurde eine eigenständige Aufschlüsselung der Antwortkategorien für das Landwirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur nicht vorgenommen.
220
Propositionen: Spalte 3) und derjenigen Entwürfen, welche durch Kommissionen vorbereitet wurden (kommissionsbasierte Propositionen: Spalte 4) in ihrem prozentualen Anteil deutlich unterscheiden. So wurden für kommissionsbasierte Entwürfe hinsichtlich der meisten Prüfkriterien deutlich häufiger qualitative und monetäre Aussagen getätigt und seltener keine Angaben gemacht als für nichtkommissionsbasierte Entwürfe. Auch ex post Evaluationen sind für Kommissionsentwürfe deutlich häufiger vorgesehen als für Propositionen, die nicht durch Kommissionen vorbereitet wurden (Tab. 9). Eine Ausnahme bilden jedoch die drei Prüfkriterien „Auswirkungen auf die Wirtschaft“, „Administrative Lasten für Unternehmen“ und „Simplex-Analyse“, für welche die Unterschiede zwischen kommissionsbasierten Propositionen und nicht-kommissionsbasierten Propositionen nur sehr gering sind. In der näheren Betrachtung fällt auf, dass es sich bei diesen drei Prüfkriterien um diejenigen handelt, welche wirtschaftsbezogene Folgenaspekte abbilden. Dieses Phänomen lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass die inhaltlichen Regelungsmaterien der durch Kommissionen vorbereiteten Propositionen ‚wirtschaftsferner’ sind als die Regelungsmaterien der rein ministeriellen Propositionen und dass deshalb kein höherer Grad der Erfüllung der wirtschaftsbezogenen Folgenabschätzungskriterien nachgewiesen werden kann. Anhaltspunkte für eine Bestätigung dieses Erklärungsansatzes liefert eine Betrachtung der Verteilung der Variablenausprägungen für „Gesetzesvorbereitung in Kommissionen“ aufgeschlüsselt nach dem federführenden Ministerium. Dabei zeigt sich, dass nur 31% der Propositionen des Wirtschaftsministeriums und 27% der Propositionen des Finanzministeriums in Kommissionen vorbereitet wurden. Beim Umweltministerium hingegen gehen 77% auf die vorbereitende Arbeit von Kommissionen zurück. Weiterhin wurden vier von insgesamt fünf Entwürfen des Landwirtschaftsministeriums und drei von insgesamt fünf Entwürfen des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Kommissionen vorbereitet. Beim Sozial- und Justizministerium gehen jeweils 44% bzw. 48% der Propositionen auf die Vorarbeit von Kommissionen zurück. Es wird also deutlich, dass die Propositionen derjenigen Ministerien mit einem hohem Anteil an wirtschaftsrelevanten Regelungen (Wirtschafts- und Finanzministerium) seltener in Kommissionen vorbereitet wurden als die Propositionen anderer Ministerien.
221
Tabelle 9: Einfluss vorbereitender Kommissionen auf ausgewählte Prüfkriterien (SWE) Variable Angabe von Alternativen Kosten für den Staat
Vollzugsaufwand
Auswirkungen auf Kommunen
Auswirkungen auf die Wirtschaft
Simplex-Analyse Administrative Lasten für Unternehmen
Auswirkungen auf die Umwelt Evaluation vorgesehen
Ausprägung
Ohne Kommission
Mit Kommission
Nein Ja Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Monetäre Angabe Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Monetäre Angabe Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Monetäre Angabe Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Monetäre Angabe nein ja Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Quantitative Angabe Keine Aussage Keine Auswirkungen Qualitative Aussage Keine Aussage Ja
10 90 17 18 45 20 23 13 55 10 77 4 18 0 38 11 48 3 73 27 77 0 23 0 79 7 14 89 11
2 98 3 10 54 33 7 7 71 16 49 5 39 7 38 3 52 7 69 31 75 2 21 2 67 2 31 49 51
Quelle: Propositionen 2006 Schweden; eigene Berechnungen; Angaben gerundet.
222
Die Vergleichsdaten verdeutlichen zudem, dass die Propositionsbegründungen bei kommissionsbasierten Entwürfen wesentlich umfangreicher als bei nichtkommissionsbasierten Entwürfen waren. Während die Begründung bei 61% der durch Kommissionen vorbereiteten Entwürfe mehr als 40 Seiten lang war, traf dies bei den nicht-kommissionsbasierten Entwürfen nur 37%. 45% der Begründungen der nicht-kommissionsbasierten Entwürfe umfassten sogar nur maximal zwanzig Seiten, während dies für die kommissionsbasierten Entwürfe nur auf 20% der Propositionen zutraf. Der Vergleich der beiden Gruppen zeigt auch, dass kommissionsbasierte Entwürfe wesentlich seltener der Umsetzung von EURecht dienten als nicht-kommissionsbasierte Entwürfe. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die empirische Analyse die Annahme einer umfassenderen Folgenabschätzung im Kommissionswesen im Vergleich zur Ministerialverwaltung bestätigt. Sie zeigt außerdem, dass Kommissionen je nach Politikfeld unterschiedlich häufig eingesetzt werden, dass Kommissionen eher selten für die nationale Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben eingesetzt werden und dass ex post Evaluationen für Gesetzentwürfe, die auf die Vorarbeiten von Kommissionen zurückgehen, deutlich häufiger vorgesehen sind als für Regelungsvorhaben, die v.a. in der Ministerialverwaltung vorbereitet wurden.
3.3.3.5 Formale Erfüllung der Prüfkriterien in schwedischen Propositionen Basierend auf den in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Ergebnissen soll abschließend eine Übersicht über den Grad der ‚formalen Erfüllung’ von Folgenabschätzungsanforderungen in schwedischen Propositionen gegeben werden (Abb. 24).136 Den höchsten Grad an ‚formaler Erfüllung’ (über 90%) wiesen die Kriterien „Darstellung der Art der Konsultation“, „Gesetzgebungsrat“ und „Alternativen“ auf. Bei der Prüfvariable „Darstellung der Art der Konsultation“ lag die Befolgungsrate sogar bei 100%, d.h. in allen untersuchten Propositionen war eine Aussage zur Art der durchgeführten Konsultation(en) zu finden. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um ein schriftliches RemissVerfahren, dessen Teilnehmer im Anhang der Proposition aufgelistet wurden und dessen Ergebnisse in der Proposition strukturiert nach inhaltlichen Problemfeldern dokumentiert wurden. Eine Aussage dazu, ob der Gesetzgebungsrat kon136 Die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Anforderungen wird im anschließenden Kap. 3.4 im deutschschwedischen Vergleich behandelt.
223
sultiert wurde oder nicht, war in 96% der Propositionen zu finden. Alternativen wurden in 94% der Fälle beschrieben. Auch die Kategorie „Kostenfolgen für den Staat“ wies mit 89% einen hohen Grad an formaler Erfüllung auf. Der Faktor Zeit spielte bei der Darstellung der Kostenfolgen häufig keine Rolle: Nur bei 34% aller Propositionen wurden die Kostenfolgen für den Staat für eine längere Zeitperiode dargestellt oder es wurde begründet, weshalb eine längerfristige Aufschlüsselung der Kosten nicht möglich sei. Aussagen zur Finanzierung der Folgen der neuen bzw. geänderten Rechtsvorschriften waren in drei Viertel der Propositionen zu finden. Der Vollzugsaufwand der geplanten Regelungen wurde in 85% der Fälle dargestellt. Die formale Erfüllung dieser Anforderung war damit zwar etwas niedriger als bei der Verpflichtung zur Darstellung der Kostenfolgen für den Staat, sie befand sich aber immer noch auf einem hohem Niveau. Während die formale Erfüllung in Bezug auf die finanziellen Auswirkungen für den Zentralstaat und dessen öffentliche Verwaltung auf relativ hohem Niveau lag, wurden Auswirkungen auf die Kommunen deutlich seltener thematisiert. Nur bei 36% der Propositionen war eine Aussage zu diesem Thema zu finden. Abb. 24: Formale Erfüllung der Folgenabschätzung (SWE) Adm in ist rat iv e Last en für die W irt sch aft KU-An aly se ex p ost Ev aluat io n Auswirk un gen auf die Um welt L an gfrist ige Ko st en k alk ulat io n für den St aat Auswirk un gen auf Ko m m un en Auswirk un gen auf die W irt sch aft Fin anzierung Vo llzugsaufwand Ko st en fo lgen für den St aat Alt ern at iv en Aussage zum T h em a Geset zgebun gsrat Darst ellun g Art der Ko n sult at io n 0
10
20
30
40
50
60
70
80
Fo rm ale Erfüllun g in % der P ro p o sit io n en
Quelle: Propositionen der schwedischen Regierung an den Reichstag 2006 (n=132).
224
90
100
Auswirkungen auf die Wirtschaft wurden in 62% der Fälle dargestellt. Deutlich seltener waren explizite Aussagen zu den Auswirkungen der veränderten Rechtslage auf kleine Unternehmen zu finden (29%). Administrative Lasten für Unternehmen wurden in 23% der Propositionen thematisiert. Die formale Erfüllung der Anforderungen zur Darstellung der Auswirkungen für die Umwelt sowie zur Darstellung des weiteren Vorgehens in Bezug auf eine Evaluation der Neuregelung(en) lag jeweils bei knapp 30%. Es zeigen sich also deutliche Differenzen zwischen den einzelnen Prüfkriterien im Hinblick auf deren ‚formale Erfüllung’. Bevor diese Daten in Kap. 3.5 mit der Darstellung von Gesetzesfolgen in den 1970er Jahren verglichen werden, stellt der folgende Abschnitt die empirischen Resultate für Deutschland und Schweden in vergleichender Perspektive einander gegenüber.
3.4 Vergleich der Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden Die vergleichende Darstellung der Ergebnisse erfolgt im Hinblick auf diejenigen sechs Prüfkriterien, welche sowohl in Deutschland als auch in Schweden bei der Ausformung neuer Gesetze berücksichtigt werden müssen (Darstellung von Alternativen, Auswirkungen auf den Staatshaushalt, Vollzugsaufwand, Folgen für die Wirtschaft, Administrative Lasten für Unternehmen und ex post Evaluation). Betrachtet man zunächst die ‚formale Erfüllung’ der Prüfkriterien, schneidet Deutschland etwas besser ab als Schweden. Wie Abb. 26 zeigt, war die ‚formale Erfüllung’ sowohl bei der Darstellung von Alternativen als auch bei der Darstellung der Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte, des Vollzugsaufwands, der Bürokratiekosten für Unternehmen137 und der Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland 2006 höher als im selben Zeitraum in Schweden. Besonders groß war der Unterschied zwischen den beiden Ländern bei den Bürokratiekosten für Unternehmen (BRD: 87%; SWE: 23%) und bei den Auswirkungen auf die Wirtschaft (BRD: 89%; SWE: 62%). Bei den übrigen drei Variablen betrug die Differenz in der formalen Erfüllung zwischen Deutschland und Schweden jeweils weniger als zehn Prozentpunkte. Bei der Variable „ex post Evaluation“ kehrte sich das Verhältnis um: Die ‚formale Erfüllung’ dieser Anforderung befand sich in Deutschland auf einem deutlich niedrigerem Niveau als in Schweden (BRD: 7%; SWE: 30%). 137 Abweichender Erhebungszeitraum für Deutschland: 2007-2009.
225
Abbildung 25: Formale und tatsächliche Erfüllung BRD und SWE 99
100 90
100 94 94
89
89
87
89 85
% aller untersuchten Gesetzentwürfe 2006
80
80
80 67
70 62 61 60 50
55 48
40 30 30 30
23 23
20 6
10
7
7
0 Wirtschaftliche Folgen
Formale Erfüllung (BRD)
Administrative Lasten für Unternehmen
Vollzugsaufwand
Tatsächliche Erfüllung (BRD)
Haushaltsauswirkungen (Staat)
Darstellung von Alternativen
Formale Erfüllung (SWE)
ex post Evaluation
Tatsächliche Erfüllung (SWE)
Anmerkungen: Abweichender Erhebungszeitraum für die Variable „Administrative Lasten für Unternehmen“ (2007-2009). Keine Angabe zur ‚tatsächlichen Erfüllung’ bei „Administrative Lasten für Unternehmen“, da dieses Kriterium nicht mit erhoben wurde.
Anders sehen die Ergebnisse aus, wenn man nicht nur die ‚formale Erfüllung’ betrachtet, sondern die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Anforderungen zur Folgenabschätzung mit einbezieht (Abb. 25). Während die ‚formale Erfüllung’ bei fünf von sechs Prüfkriterien (außer ex post Evaluation) in Deutschland höher war als in Schweden, ist es bei der ‚tatsächlichen Erfüllung’ genau umgekehrt, was sich durch das eklatante Auseinanderklaffen von formaler und tatsächlicher Erfüllung in Deutschland erklären lässt. Für den schwedischen Fall hingegen sind nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Merkmalen festzustellen, eine ‚rein formale Anpassung’ an Anforderungen zur Folgenabschätzung spielt in Schweden also eine wesentlich geringere Rolle als in Deutschland. Wurden bestimmte Kriterien nicht geprüft, so enthielten die Propositionen in der Regel gar keine Aussage zu diesem Aspekt. Dessen ungeachtet waren auch unter den schwedischen Propositionen einige Fälle zu finden, in denen Folgenabschätzungsaspekte
226
formal ‚abgehakt’ wurden. Im Folgenden werden die Ergebnisse für die sechs Prüfkriterien in vergleichender Perspektive zusammengefasst. Alternativen Während die Verpflichtung, in Gesetzesvorblättern und -begründungen Auskunft über Alternativen zu geben, in Deutschland formal in allen Fällen erfüllt wurde, lag die ‚tatsächliche Erfüllung’ auf sehr niedrigem Niveau. 94% der untersuchten Entwürfe enthielten lediglich die knappe und in der Regel nicht mit einer Begründung versehene Aussage, dass keine Alternativen bestünden. In Schweden hingegen sind formale und tatsächliche Erfüllung der Anforderung zur Darstellung von Alternativen als identisch zu bewerten. Alternativen wurden in den Propositionen meist mehrfach erwähnt, beispielsweise in der Begründung der Regelungsnotwendigkeit (als Darstellung der Nullalternative) und im Rahmen der Darstellung des Kommissionsgutachtens und der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens (transparente Darstellung von und Auseinandersetzung mit Alternativvorschlägen aus dem Kommissionsgutachten und aus dem Konsultationsprozess). Das Parlament erhält mit der Proposition in Schweden ein Dokument, welches viele Details des Entstehungsprozesses des finalen Gesetzentwurfes transparent macht und damit nicht zahlreiche Alternativen bereits in der vorparlamentarischen Phase komplett ausblendet. Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte Die Anforderung, Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte darzustellen, wurde in Deutschland in höherem Maße als in Schweden formal erfüllt (BRD: 99%, SWE: 89%). Wie bei der Frage nach Alternativen (wenn auch in geringerem Ausmaß) ist jedoch für den deutschen Fall ein deutlicher Unterschied zwischen formaler und tatsächlicher Erfüllung dieser Anforderung zu konstatieren. So enthielten zwar nur 1% aller Entwürfe aus 2006 keine Angabe zu den Haushaltsauswirkungen, für weitere 44% wurde jedoch konstatiert, dass sie keine finanziellen Auswirkungen für den Staat hätten, ohne diese Angabe zu begründen. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass es sich um eine rein formale Anpassung handelte. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Anforderung zur Darstellung von Haushaltsauswirkungen lag demnach in Deutschland bei ca. 55%. In Schweden hingegen hatten zwar ‚nur’ 89% der Propositionen die Anforderung zur Darstellung der Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte formal erfüllt, die ‚tatsächliche Erfüllung’ lag aber nur wenig darunter (80%). Interessant ist, dass der Anteil derjenigen Entwürfe, die monetäre Angaben zu den Kostenfolgen enthielten, in Deutschland und Schweden ungefähr gleich war (siehe Abb. 26). Der Haupt227
unterschied zwischen den beiden Ländern lag also darin, dass in Schweden deutlich häufiger als in Deutschland die Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte qualitativ beschrieben (jedoch nicht berechnet) wurden, während in Deutschland viel häufiger als in Schweden angegeben wurde, dass der Entwurf keine Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte hätte. Vollzugsaufwand Die ‚formale Erfüllung’ der Anforderung, den mit einer Umsetzung der Regelungsentwürfe verbundenen Vollzugsaufwand darzustellen, unterscheidet sich zwischen Deutschland und Schweden nur in geringem Maße (BRD: 89%; SWE: 85%). Bei genauerer Betrachtung werden jedoch erhebliche Unterschiede erkennbar. So lag die ‚tatsächliche Erfüllung’ in Schweden bei 80%, in Deutschland aber nur bei 67%. Hauptursache hierfür ist die Tatsache, dass für knapp ein Viertel der deutschen Entwürfe behauptet wurde, dass sie keinen Vollzugsaufwand verursachten, ohne diese Aussage zu begründen. Monetäre Angaben zum Vollzugsaufwand waren in beiden Ländern selten (BRD: 10%; SWE: 13%; s.a. Abb. 26). Bürokratiekosten für Unternehmen Die ‚formale Erfüllung’ der Anforderung zur Darstellung von Bürokratiekosten für die Wirtschaft in Deutschland liegt weit über derjenigen in Schweden (s.a. Kap. 4.2.1.1). Einschränkend ist zu erwähnen, dass bei diesem Prüfkriterium für den deutschen Fall eine andere Stichprobe zugrunde gelegt wurde (429 Entwürfe zwischen 3/2007 und 5/2009138), da die ex ante Bürokratiekostenmessung in Deutschland erst ab 1.12.2006 verbindlich eingeführt wurde. Monetäre Angaben zu den Bürokratiekosten enthielten in dieser Stichprobe 22% der deutschen Regierungsentwürfe. In Schweden hingegen beinhaltete 2006 nur eine Proposition (0,8%) quantitative Angaben zu den Bürokratiekosten (Abb. 26). Auswirkungen auf die Wirtschaft Während formale und tatsächliche Erfüllung bei den wirtschaftlichen Auswirkungen in Deutschland weit auseinander klafften (84% formal, 49% tatsächlich), waren die beiden Merkmale in Schweden fast identisch ausgeprägt (62% formal, 61% tatsächlich). Ein rein formales ‚Abhaken’ der Verpflichtung zur Darstellung der ökonomischen Folgen spielte in Schweden kaum eine Rolle.
138 Datenerhebung im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes mit Kai Wegrich.
228
Ex post Evaluation Diese Variable scheint auf den ersten Blick eine Ausnahme zu sein, da die ‚formale Erfüllung’ dieser Anforderung in Schweden höher war als in Deutschland. Dieser Unterschied rührt v.a. daher, dass es bei den deutschen Gesetzentwürfen bei dieser Variable keine ‚rein formale Anpassung’ gab. Ex post Evaluation ist nicht als Gliederungspunkt des Gesetzesvorblattes vorgesehen, weshalb nur dann eine Aussage zu dem Thema getätigt wurde, wenn tatsächlich eine Evaluation vorgesehen war. In Schweden verhielt es sich ähnlich, allerdings auf höherem Niveau. So enthielten 30% der schwedischen Propositionen die Angabe, dass eine ex post Evaluation vorgesehen sei, während dies in Deutschland nur auf 7% der Gesetzentwürfe zutraf. Abschließend ist festzuhalten, dass die ‚formale Erfüllung’ der Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland bei fünf von sechs Variablen größer war als in Schweden, während die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Prüfkriterien bei allen fünf Vergleichsvariablen in Schweden größer war als in Deutschland (Abb. 25). Am deutlichsten trat diese Differenz in der ‚tatsächlichen Erfüllung’ bei der Alternativendarstellung zutage. Während Alternativen in fast allen schwedischen Propositionen diskutiert wurden, enthielten die Begründungen der deutschen Gesetzentwürfe fast nie Aussagen zu den Vor- und Nachteilen verschiedener Regelungsalternativen. Bei der Darstellung der „Kostenfolgen für den Staat“ und bei der Variable „ex post Evaluation“ lag die ‚tatsächliche Erfüllung’ in Schweden um 25 bzw. um 23 Prozentpunkte höher als in Deutschland. Geringere, aber immer noch deutliche Differenzen in der ‚tatsächlichen Erfüllung’ zwischen den beiden Ländern zeigten sich beim Vollzugsaufwand und bei der Darstellung der wirtschaftlichen Folgen, wo Schweden jeweils 13 Prozentpunkte vor Deutschland lag. Obwohl die ‚tatsächliche Erfüllung’ in Schweden deutlich über derjenigen in Deutschland lag, waren Quantifizierungen in schwedischen Propositionen nur unwesentlich häufiger zu finden als in deutschen Gesetzentwürfen. Der Anteil der Gesetzentwürfe, die quantitative Angaben zu bestimmten Folgenaspekten enthielten, befand sich in beiden Ländern auf ähnlich niedrigem Niveau. Am häufigsten waren Quantifizierungen in Deutschland und Schweden bei der Darstellung der Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Ungefähr jeder vierte Gesetzentwurf beinhaltete monetäre Angaben zu diesem Prüfkriterium. Wirtschaftliche Folgen hingegen wurden in beiden Ländern nur in wenigen Ausnahmefällen quantifiziert. Der deutlichste Unterschied zwischen Deutschland und Schweden in Bezug auf Quantifizierungen ließ sich hinsichtlich der Angaben zu 229
den administrativen Lasten für Unternehmen feststellen, wo Deutschland sechs Prozentpunkte vor Schweden lag (Abb. 26). Als Fazit ist festzustellen, dass es sowohl in Deutschland als auch in Schweden zum Teil erhebliche Implementationslücken in Bezug auf die Darstellung von Gesetzesfolgen im Rahmen der Regierungsvorlagen gibt, welche je nach Prüfkriterium unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Allerdings befindet sich die ‚tatsächliche Erfüllung’ in Schweden fast bei allen Prüfkriterien auf einem höheren Niveau als in Deutschland. Eine Ausnahme bildet die Darstellung der mit den neuen oder geänderten gesetzlichen Regelungen verbundenen administrativen Lasten für Unternehmen, welche in Deutschland besser umgesetzt wird als in Schweden. Abbildung 26: Anteil der Quantifizierungen BRD und SWE 30 25
26
25 % der Gesetzentwürfe 2006
22,1 20
15
13 9,9
10
4
5 2
0,8 0 Wirtschaftliche Folgen
Administrative Lasten für Unternehmen Deutschland
Vollzugsaufwand
Haushaltsauswirkungen (Staat)
Schweden
Anmerkunge: Abweichender Untersuchungszeitraum für das Prüfkriterium „Administrative Lasten für Unternehmen“ (2007-2009).
230
3.5 The same procedure as every year? Kontinuitäten und Veränderungen der Folgenabschätzungspraxis in drei Jahrzehnten Um Entwicklungen der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung im Sinne von Beharrungs- oder Wandlungstendenzen sichtbar zu machen, werden die empirischen Ergebnisse für das Jahr 2006 im Folgenden mit einer Stichprobe von Gesetzentwürfen aus dem Jahr 1977 verglichen. Das Jahr 1977 wurde deshalb als Vergleichsjahr ausgewählt, weil im Zusammenhang mit der Novellierung der GGO II in Deutschland Ende 1976 zahlreiche Vorschriften zur Folgenabschätzung in Kraft traten, die noch heute in ähnlicher Art und Weise in der GGO verankert sind (s.a. Kap. 2.1.4.1). Auch in Schweden gab es seit Anfang der 1970er Jahre verstärkte Bemühungen, gezielte Abschätzungen von Kostenfolgen im Rechtsetzungsprozess zu institutionalisieren. Zwar kann der im Folgenden beschriebene Vergleich der Darstellung von Gesetzesfolgen in Regierungsvorlagen zwischen 1977 und 2006 keine Kausalzusammenhänge klären, aber er erlaubt es, langfristige Kontinuitäten in der Ausgestaltung von Gesetzesbegründungen/-vorblättern bzw. Propositionen zu erkennen sowie Bereiche zu identifizieren, in welchen in den letzten drei Jahrzehnten substantielle Veränderungen stattgefunden haben. Das methodische Vorgehen bei der Analyse von Regierungsvorlagen aus dem Jahr 1977 war identisch zu demjenigen, welches bei der empirischen Untersuchung der Gesetzentwürfe aus dem Jahr 2006 zur Anwendung kam. Für Deutschland und Schweden wurden nach diesem Verfahren jeweils knapp 30 Regierungsvorlagen analysiert. Darüber hinaus wurde eine tiefergehende Fallanalyse für zwei deutsche und zwei schwedische Gesetzentwürfe des Jahres 1977 durchgeführt, indem Aufbau, Umfang und Folgendarstellung dieser Entwürfe mit thematisch ähnlichen Gesetzesvorlagen, die zwischen Ende der 1990er Jahre und 2006 erschienen sind, verglichen wurden.
3.5.1 Deutschland Die Einführung der GFA auf Bundesebene im Jahr 2000 wurde von der damaligen Bundesregierung ebenso wie von anderen ‚Reformpromotoren’ als Innovation dargestellt. Diese für die politische Sphäre typische Art der Kommunikation und der Nutzung neuer (oder eben auch häufig nicht besonders neuer) Maßnahmen zur politischen Selbstdarstellung entspricht jedoch nur teilweise der Realität. Die Forderung nach der Analyse von Gesetzesfolgen ist kein neues Phänomen (s.a. Kap. 2.1.4) und war auch schon in den 1970er Jahren in der GGO ver231
ankert. Die 1977 gültige Fassung der GGO (Besonderer Teil, GGO II) enthielt zahlreiche der heute noch gültigen Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen im Rahmen der Entwurfsbegründungen: So bestand bereits 1977 die Anforderung, Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte differenziert darzustellen, Alternativen zu erläutern sowie Auswirkungen auf Preise und Verbraucher zu beschreiben. Während die Darstellung von Auswirkungen auf die Umwelt seit der Novellierung der GGO im Jahr 2000 nicht mehr explizite Erwähnung in der GGO findet, war diese Vorschrift 1977 noch in der GGO enthalten. Im Gegensatz zu heute existierte 1977 noch nicht die Anforderung, Auswirkungen auf die Wirtschaft darzustellen, gleichstellungspolitische Wirkungen zu erläutern, die Frage einer Befristung zu erörtern sowie auf eine mögliche Wirkungskontrolle des Gesetzes einzugehen. Auch die Darstellung von ‚Gesetzesfolgen’ im Allgemeinen war 1977 noch nicht vorgeschrieben. Im Hinblick auf die Struktur der Regierungsentwürfe bestehen nur geringe Unterschiede zwischen 1977 und 2006. Die grundsätzliche Architektur der Regelungsentwürfe ist gleich (Vorblatt, Anschreiben an den Bundestag, Gesetzestext, Begründung, ggf. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung). Das Gesetzesvorblatt war 1977 im Hinblick auf Kostenfragen noch nicht so stark ausdifferenziert wie 2006. Die ersten drei Gliederungspunkte des Vorblattes waren 1977 und 2006 identisch (A Zielsetzung, B Lösung, C Alternativen). Der vierte Gliederungspunkt hingegen hieß 1977 schlicht „D. Kosten“, während 2006 zwischen „Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand“, „Vollzugsaufwand“, „Sonstigen Kosten“ und seit Ende 2006 „Bürokratiekosten“ unterschieden wird. Die Begründungen der Gesetzentwürfe waren 1977 wie heute in einen „Allgemeinen Teil“ und einen „Besonderen Teil“ (Erläuterung der Einzelvorschriften) gegliedert. Inhaltlich enthielt der „Allgemeine Teil“ 1977 häufig eine kurze Beschreibung des allgemeinen Hintergrundes, eine Darstellung der wesentlichen Inhalte der angestrebten Regelung, die Klärung des Verhältnisses zu anderen Rechtsnormen sowie eine Begründung, warum eine Rechtslücke besteht. Auch die Thematisierung der in der GGO festgeschriebenen Folgenaspekte erfolgte 1977 im Rahmen des „Allgemeinen Teils“ der Gesetzesbegründung. 2006 sah dies ähnlich aus, allerdings wurde häufig zusätzlich die Frage der Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung sowie das Verhältnis zum EU-Recht thematisiert. Der Umfang des „Allgemeinen Teils“ der Gesetzesbegründung war 1977 ebenso wie 2006 meist deutlich geringer als der seitenmäßige Umfang des „Besonderen Teils“, welcher die einzelnen Paragraphen näher erläutert und deshalb später eine wichtige Quelle für juristische Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften darstellt. 232
Beim Vergleich der Darstellung von Gesetzesfolgen in Regierungsentwürfen des Jahres 1977 mit Gesetzentwürfen der Bundesregierung aus dem Jahr 2006 zeigten sich folgende Ergebnisse: D
D
D
D
Zielsetzung, Lösungen und Alternativen: Ebenso wie für die heutigen Regierungsvorlagen, kann für die untersuchten Gesetzentwürfe aus 1977 konstatiert werden, dass die Unterpunkte „Zielsetzung“ und „Lösung“ in allen Fällen eine mehrzeilige Beschreibung enthielten, während die Frage nach Alternativen bei den meisten Gesetzentwürfen mit „keine“ beantwortet wurde. In 93% der Fälle enthielt der Gliederungspunkt „Alternativen“ des Gesetzesvorblattes im Jahr 1977 die Angabe, dass keine Alternativen bestünden (2006: 94%). In der Regel wurde diese Aussage nicht begründet. Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte: Auch hinsichtlich der Darstellung der Kostenfolgen für den Staat sind die Differenzen zwischen 1977 und 2006 gering. Damals wie heute lag die ‚formale Erfüllung’ dieser Kategorie auf einem sehr hohen Niveau. Angesichts der vielfältigen Bemühungen in späteren Jahren, die Darstellung der Kostenfolgen zu verbessern, überrascht die Tatsache, dass fast 50% der untersuchten Gesetzentwürfe des Jahres 1977 quantitative Angaben zu den Kostenfolgen für die öffentliche Hand enthielten (2006: 28% Quantifizierungen). Die monetären Angaben wurden dabei in der Regel danach aufgegliedert, ob es sich um Kosten für den Bund, die Länder oder die Kommunen handelte. Zwar lassen die Ergebnisse für die Gesetzentwürfe aus 1977 aufgrund der Größe der Stichprobe keine Verallgemeinerungen zu, es kann jedoch trotzdem davon ausgegangen werden, dass Kostenfolgen für die öffentliche Hand 1977 zumindest nicht weniger Aufmerksamkeit erhielten, als dies 2006 der Fall war. Vollzugsaufwand: Deutliche Unterschiede zwischen 1977 und 2006 traten in Bezug auf die Darstellung des Vollzugsaufwandes auf. So beinhalteten 1977 ca. die Hälfte der untersuchten Gesetzentwürfe keine Angabe zum Vollzugsaufwand, während 2006 nur noch 11% der Entwürfe keine Angabe zum Vollzugsaufwand enthielten. Auswirkungen auf die Wirtschaft: Aussagen zu diesem Thema waren 1977 deutlich seltener zu finden als 2006. So wurden 1977 in 45% der Fälle Angaben zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft gemacht, während dies 2006 auf fast doppelt so viele Gesetzentwürfe (89%) zutraf. Allerdings war der Anteil der Entwürfe, für welche konstatiert wurde, 233
D
D
D
D
234
dass sie keine Auswirkungen auf die Wirtschaft hätten, 2006 sehr groß (47%), während eine solche Angabe 1977 nur selten gemacht wurde. Der Anteil der Gesetzentwürfe, in denen die konkreten Auswirkungen auf die Wirtschaft mit Worten beschrieben oder quantifiziert wurden, war 1977 und 2006 ähnlich (1977: 40%; 2006: 41%). Insofern ist davon auszugehen, dass die Einführung der Kategorie „Sonstige Kosten“ auf dem Gesetzesvorblatt dazu geführt hat, dass häufiger als früher formal eine Aussage zu den wirtschaftlichen Folgen getätigt wird. Substantielle Änderungen in der Darstellung der wirtschaftlichen Aspekte sind zwischen 1977 und 2006 jedoch nicht feststellbar. Preiswirkungen: Folgen für Preise und Preisniveau wurden 1977 in 14% der Fälle beschrieben, weitere 27% gaben an, dass der Gesetzentwurf keine Auswirkungen auf Preisfragen hätte. Die übrigen 59% enthielten keine Aussage zu diesem Thema. Damit war der Anteil der Gesetzentwürfe ohne Aussage zu den Preiswirkungen 1977 deutlich größer als in jüngerer Zeit. Allerdings ist auch hier feststellbar, dass konkrete Beschreibungen von Preiswirkungen 1977 fast genauso häufig waren wie 2006 (1977: 14%, 1999: 14%, 2003: 14%, 2006: 24%). Verbraucher: Ähnliches gilt für die Darstellung der Auswirkungen auf die Verbraucher. Zu dieser Kategorie wurde 2006 in 86% der Fälle eine Aussage gemacht, allerdings meist in floskelhafter Art und Weise („keine Auswirkungen“). Der Anteil der Gesetzentwürfe, die tatsächlich substantielle Aussagen zu den Auswirkungen auf die Verbraucher enthielten, war 1977 sogar größer als 2006. Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter: Dieser Aspekt wurde 1977 in keinem einzigen der untersuchten Gesetzentwürfe dargestellt. 2006 lag der Anteil der Gesetzentwürfe, die substantielle Aussagen zu den Auswirkungen auf gleichstellungspolitische Fragen enthielten, bei 7%. Die tatsächlichen Veränderungen gegenüber 1977 sind also gering. Für die Frage der gleichstellungspolitischen Auswirkungen ist jedoch für 2006 zumindest eine nicht unerhebliche formale Thematisierung zu konstatieren, da zwar nur selten konkrete Auswirkungen beschrieben wurden, aber in 45% der Entwürfe die Aussage zu finden war, dass die vorgeschlagenen Regelungen keine Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter hätten. Ex post Evaluation: Keiner der untersuchten Gesetzentwürfe aus dem Jahr 1977 enthielt Aussagen zur ex post Evaluation, während 2006 8% der Entwürfe eine Aussage zu diesem Thema beinhalteten.
Insgesamt zeigen die Resultate der quantitativen Untersuchung von Gesetzentwürfen aus dem Jahr 1977 und der Vergleich mit den empirischen Ergebnissen für das Jahr 2006 ein hohes Maß an Kontinuität in Bezug auf die Darstellung von Gesetzesfolgen in den Regelungsmaterialien. Auch die Ergebnisse von zwei Fallstudien139 zu einzelnen Gesetzesvorhaben bestätigen, dass in Deutschland seit 1977 kein substantieller Wandel in der Ausgestaltung von Gesetzesbegründungen stattgefunden hat. Die Resultate zeigen, dass zwar die im Laufe der Jahre erweiterten GGO-Anforderungen zur standardmäßigen, expliziten Thematisierung bestimmter Faktoren auf dem Vorblatt und im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung geführt haben, sich aber insgesamt kein stärkerer Fokus auf die Darstellung der zu erwartenden positiven und negativen Folgen im Verhältnis zu den gesetzten Zielen durchsetzen konnte. Eine der wesentlichsten Veränderungen im Vergleich zu 1977 besteht also darin, dass 2006 eine ‚rein formale Anpassung’ an Vorgaben zur Folgenabschätzung, die sich in kurzen floskelhaften Aussagen auf dem Gesetzesvorblatt oder in der -begründung niederschlägt, viel häufiger auftritt als vor dreißig Jahren. Juristischen Aspekten, wie der Einpassung ins Normengefüge und der Wechselwirkungen einzelner Vorschriften untereinander, wurde in den deutschen Gesetzesbegründungen sowohl 1977 als auch 2006 deutlich mehr Aufmerksamkeit eingeräumt als breiter fokussierten, sozialwissenschaftlichen Wirkungsanalysen. Die Einführung der „Blauen Prüffragen“ 1984 und der GFA 2000 haben somit kaum Veränderungen in der substantiellen Darstellung von Gesetzesfolgen bewirkt, sondern lediglich zu einem höheren Anteil der rein formalen Thematisierung bestimmter Aspekte geführt. Die Dominanz juristischer Fragestellungen in Deutschland spiegelt sich darin wider, dass der „Besondere Teil“ der Gesetzesbegründung mit Auslegungshinweisen zu den einzelnen Paragraphen in der Regel wesentlich umfangreicher ist als der „Allgemeine Teil“. Umfangreiche Hintergrundinformationen zum Regelungsbereich und statistische Daten oder Ergebnisse von Studien werden nur unzureichend dargestellt. Die Gesetzesbegründung stellt keine Transparenz über den Prozess der Gesetzesvorbereitung, beteiligte Akteure und deren Positionen sowie getroffene Entscheidungen her. Sie spiegelt nicht das Für und Wider eines Regelungsproblems und des gefundenen Lösungsansatzes wider, sondern hält an einem von der GGO vorgegebenen starren Muster fest, was zudem häufig nur durch inhaltsleere Floskeln ‚gefüllt’ wird. Ein substantieller Wandel deutet sich lediglich bei der Darstellung des Vollzugsaufwandes an (zu Erklärungsansätzen für dieses Phänomen siehe Kap. 4.3.1). 139 BT 8/319 und BT 14/1857 (Düngemittel); BT 8/1347 und BT 16/6140 (GmbH-Gesetzgebung).
235
3.5.2 Schweden Bei der vergleichenden Auswertung von Propositionen der schwedischen Regierung aus dem Jahre 1977 mit Regierungsvorlagen aus dem Jahre 2006 zeigte sich zunächst, dass die Propositionen damals anders strukturiert wurden, als dies in jüngerer Zeit üblich ist. Propositionen sind gegenwärtig meist so aufgebaut, dass neben einer Darstellung des Vorbereitungsprozesses und der gültigen Regelungen mehrere inhaltliche Kategorien gefunden werden, unter welchen jeweils konkrete Lösungsvorschläge, Anmerkungen der Remiss-Instanzen und Erklärungen der Regierung aufgeführt werden. Hinzu kommt im letzten Teil der Proposition in der Regel ein allgemeiner Abschnitt zu Kostenfolgen sowie ein Abschnitt, der sich auf einzelne Paragraphen bezieht. 1977 hingegen waren die Propositionen in erster Linie zeitlich und weniger stark inhaltlich strukturiert. Wie 2006 auch wurde in einem einleitenden Teil kurz auf den Gang der Vorbereitungsarbeiten (z.B. welche Kommissionen eingesetzt wurden) eingegangen und ausführlich dargestellt, wie der Problembereich derzeit rechtlich geregelt ist. Anschließend folgte eine Beschreibung der Regelungsvorschläge der vorbereitenden Kommission und/oder anderer Akteure (beispielsweise von zentralen Behörden oder großen Verbänden). Der darauffolgende Abschnitt enthielt die Stellungnahmen der im Rahmen des Remiss-Verfahrens konsultierten Behörden, Verbände und anderer Akteure zu einzelnen inhaltlichen Fragen. Der letzte Hauptgliederungspunkt 1977 bestand aus den Ausführungen des vortragenden Berichterstatters der Regierung (‚Föredraganden’), welcher die Vorschläge der Kommissionen oder anderer Instanzen, die Einwände der Remiss-Instanzen, den Reformbedarf und die allgemeinen Rahmenbedingungen der Policy noch einmal zusammenfasste sowie darüber hinaus darstellte, welche Regelung die Regierung letztlich vorschlägt. Zusätzlich wurde deutlich gemacht, in welchen Punkten die Regierung von den Kommissionsvorschlägen abweicht und warum. Die Darstellung möglicher Kostenfolgen sowie anderer Gesetzesfolgen war meist ebenfalls in diesen Punkt integriert. In einigen Fällen wurde außerdem in einem besonderen Teil (‚Specialmotivering’) auf die Begründung einzelner Paragraphen eingegangen. Bezogen auf die Seitenzahl waren die Ausführungen der Propositionen 1977 im Schnitt ähnlich umfangreich wie 2006 (1977: 51 Seiten; 2006: 54 Seiten). Allerdings ist bei der Interpretation dieser Zahlen zu beachten, dass bestimmte Inhalte, wie die Zusammenfassung der Kommissionsvorschläge, das Verzeichnis der Remiss-Instanzen oder die Darstellung von deren Äußerungen, 1977 standardmäßig in den Propositionsbegründungen dargestellt wurden, wäh236
rend diese Passagen 2006 meist entweder dem Propositionstext als Anlage beigefügt oder (im Falle der Remiss-Äußerungen) in einem eigenen Dokument publiziert wurden, auf welches in der Proposition verwiesen wird. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass die Anlagen 2006 durchschnittlich 45 Seiten umfassten, während sie 1977 nur 20 Seiten lang waren. Der Anteil der Propositionen, welche durch Kommissionen vorbereitet wurden, war 1977 und 2006 ungefähr gleich. Deutlich erkennbar sind allerdings Unterschiede in Bezug auf die Länge der Arbeitszeit der Kommissionen. Die Kommissionen, welche zur Vorbereitung der dem Reichstag vorgelegten Propositionen eingesetzt wurden, tagten 2006 durchschnittlich 21 Monate lang. 1977 lag die Arbeitsdauer der Kommissionen der Stichprobe hingegen im arithmetischen Mittel bei 37 Monaten. Auffällig ist, dass sich bezüglich der Arbeitszeit der Kommissionen 1977 zwei Gruppen unterscheiden lassen. Ungefähr die Hälfte der untersuchten Kommissionen war ungefähr ein Jahr lang tätig (mit einem Spielraum von +/- vier Monaten), während die andere Hälfte sehr langfristig arbeitete (zwischen drei und neun Jahren). So tagte beispielsweise die Kommission zur Alkoholpolitik mehr als neun Jahre lang (Regeringens proposition 1976/77: 108). Remiss-Verfahren zu den Kommissionsgutachten fanden 1977 wie 2006 in mehr als 90% der Fälle statt. Auch die Transparenz darüber, wer am Konsultationsverfahren teilgenommen hat und welche Anmerkungen gemacht wurden, war 1977 in gleichem Maße gegeben wie 2006. Etwas geringer als 2006 war die Transparenz 1977 im Hinblick auf die Vorbereitungsarbeiten in den Ministerien. Remiss-Verfahren zu den Gesetzesvorlagen der Ministerien (‚departementspromemoria’) fanden 1977 nur in der Hälfte der Fälle statt, während 2006 89% der Ministeriumsentwürfe einem Remiss unterzogen wurden.140 Dies könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Ministeriumsentwürfe in jüngerer Zeit stärker als noch vor dreißig Jahren von den Kommissionsvorschlägen abweichen und ein eigenständiges Remiss-Verfahren daher eher angebracht erscheint (Interview Universität Stockholm 2007). Hinsichtlich der Darstellung von Gesetzesfolgen kam die vergleichende Analyse von Propositionen des Jahres 1977 und Propositionen des Jahres 2006 zu dem Ergebnis, dass kaum Unterschiede festzustellen sind, wenn es um die Darstellung von Zielen, Lösungen, Alternativen, Vollzugsaufwand sowie um Auswirkungen auf die Kommunen und die Wirtschaft geht. Auch die fallspezifi140 Zu beachten ist allerdings, dass die Fallzahlen für 1977 zu gering sind, um verallgemeinerbare Schlüsse ziehen zu können.
237
sche Diskussion von Gesetzesfolgen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen war 1977 bereits genauso verbreitet wie 2006. Deutlich erkennbare Veränderungen sind bei den Prüfkriterien „Haushaltsauswirkungen“, „Finanzierung“, „Auswirkungen auf kleine Unternehmen“ und „ex post Evaluation“ festzustellen. Im Detail sind folgende Ergebnisse festzuhalten: D
D
D
238
Zielsetzung, Lösungen und Alternativen: Eine Darstellung der mit den Regelungsinhalten der Propositionen verfolgten politischen Ziele war 1977 genauso wie 2006 in allen Fällen zu finden. Gleiches trifft auf die Beschreibung des Problemhintergrundes, der derzeit gültigen Regelung sowie der mit dieser Regelung verbundenen Probleme (Änderungsbedarf) zu. Alle diese Aspekte gehörten und gehören standardmäßig zu jeder Proposition. Auch die Darstellung von Alternativen war 1977 wie 2006 weit verbreitet, wobei in den meisten Fällen keine ausführliche Untersuchung der Folgen verschiedener Regelungsalternativen stattfand, sondern die Alternativen (häufig nur bezogen auf Detailregelungen) sowie deren Vor- und Nachteile lediglich kurz diskutiert wurden. Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte: Bei diesem Prüfkriterium zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen 1977 und 2006. So enthielten 52% der untersuchten Propositionen aus dem Jahr 1977 keine Angabe zu den Kostenfolgen für die öffentliche Hand, 2006 hingegen nur 11% der Fälle. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte 2006 in fast 90% der Fälle beschrieben wurden, während dies 1977 für etwas weniger als 50% der untersuchten Propositionen zutraf. Die Anforderung zur Thematisierung von Haushaltsauswirkungen scheint sich also stärker durchgesetzt zu haben. Monetäre Aussagen waren jedoch 1977 sogar etwas häufiger als 2006 in den Propositionen zu finden (1977: 33%; 2006: 26%). Vollzugsaufwand: Bei dieser Variable waren die Unterschiede zwischen 1977 und 2006 geringer als bei den haushaltswirksamen Kostenfolgen. So beinhalteten 1977 26% der untersuchten Propositionen keine Aussage zu diesem Thema, während dies 2006 15% der Propositionen betraf. 2006 enthielten zudem 10% der Propositionen die Aussage, dass keine Vollzugskosten zu erwarten seien, 1977 wurde dies für keine einzige Proposition behauptet. Qualitative Beschreibungen des Vollzugsaufwands enthielten jeweils knapp zwei Drittel der Propositionen (1977: 63%; 2006: 62%). Quantifizierungen waren in beiden Jahren selten (1977: 11%; 2006: 13%).
D
D
D
D
D
D
Finanzierung: 1977 beinhalteten mehr als die Hälfte (56%) der untersuchten Propositionen keine Aussage zur Finanzierung. Eine Finanzierung über neue Gebühren, Steuererhöhungen oder Umverteilungen im Budget sollte (wie auch 2006) bei reichlich einem Viertel der Propositionen erfolgen. Nur in 11% der Fälle kündigte man 1977 an, dass die Finanzierung im Rahmen des Budgets erfolgen solle. Diese Finanzierungsform wurde dagegen 2006 für 41% der Propositionen genannt. Dementsprechend kleiner war 2006 der Anteil der Propositionen, in denen keine Aussage zur Finanzierung zu finden war. Auswirkungen auf die Kommunen: Auswirkungen auf die Kommunen wurden 1977 genauso wie 2006 für reichlich ein Viertel der Propositionen thematisiert. Auswirkungen auf die Wirtschaft: Aussagen zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft waren 1977 und 2006 jeweils in etwas mehr als der Hälfte der Fälle zu finden. Monetäre Aussagen erfolgten 1977 für 11% der Propositionen, 2006 jedoch nur für 4%. Die Aussage, dass die vorgeschlagenen Regelungen „keine Auswirkungen“ auf die Wirtschaft hätten, wurde 1977 in keinem einzigen Fall getätigt, während 2006 8% der Propositionen diese Aussage enthielten. Auswirkungen auf kleine Unternehmen: Auf die besonderen Bedingungen kleiner Unternehmen wurde 1977 nur sehr selten eingegangen (nur in drei von 27 Propositionen fand diese Gruppe gesonderte Erwähnung), während die Auswirkungen auf KU 2006 in 29% der Fälle thematisiert wurden. Andere Gesetzesfolgen: Andere Gesetzesfolgen als die hier genannten wurden 1977 jeweils themenspezifisch in den Propositionen dargestellt. Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass in fast allen Propositionen auf die Problematik von Gesetzesfolgen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eingegangen wurde, ebenso wie in der Regel eine Abwägung von Kosten und Nutzen stattfand. Ex post Evaluation: Auf eine geplante Evaluation wurde 1977 etwas seltener als 2006 hingewiesen (1977: 19%; 2006: 30%).
In Bezug auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit Gesetzesfolgen sind in den meisten Bereichen nur geringe Differenzen zwischen 1977 und 2006 festzustellen. Deutliche Unterschiede treten genau in den Bereichen zutage, die im Mittelpunkt der Reformbemühungen zur besseren Rechtsetzung standen. Dies betrifft zum einen die Darstellung der Kostenfolgen von Gesetzen, die 2006 im Ver239
gleich zu 1977 bei einem erheblich höheren Anteil der Gesetze erfolgte und zudem detaillierter ausgeführt wurde. Die Bemühungen zur Stärkung des Kostenbewusstseins haben jedoch nicht dazu geführt, dass häufiger als früher konkrete Zahlen genannt werden. Der Anteil der Quantifizierungen war 2006 sogar etwas geringer als 1977. Ein zweiter Bereich, für den deutliche Unterschiede zwischen 1977 und 2006 zu konstatieren sind, ist die Darstellung der Gesetzesfolgen für kleine Unternehmen. Dieser Faktor erhielt durch die programmatische Schwerpunktsetzung der schwedischen Regierung Ende der 1990er Jahre (Simplex) ein besonderes Gewicht. Die Darstellung des Problemhintergrundes, die Abwägung von Alternativen, die Diskussion möglicher Folgewirkungen, die Schaffung von Transparenz über abweichende Positionen und die Bezugnahme auf umfangreiche Vorstudien, häufig durch Kommissionen, spielten in Schweden schon in den 1970er Jahren eine deutlich größere Rolle als in der BRD. 141 Dies spiegelt sich z.B. darin wieder, dass die Propositionen im Schnitt erheblich umfangreicher als deutsche Gesetzesbegründungen sind und dass Faktoren wie dem Problemhintergrund oder den Anmerkungen der Remiss-Instanzen viel Platz eingeräumt wird. Insofern sind einige der Forderungen, die im Rahmen der Reformen zur besseren Rechtsetzung in Deutschland gestellt werden, in Schweden schon lange in die Gesetzesvorbereitung integriert und fest verankert. Formale Anpassungen an Vorschriften zur Folgenabschätzung, die in Deutschland weit verbreitet sind, spielen in Schweden eine wesentlich geringere Rolle. Allerdings ist auch für den schwedischen Fall eine leichte Zunahme der ‚formalen Anpassung’ im Zeitverlauf zu verzeichnen (auf niedrigem Niveau). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich in den schwedischen Propositionen eine Rechtsetzungskultur widerspiegelt, die viel Wert auf Transparenz und Diskurs legt. Deutsche Gesetzentwürfe hingegen sind kein Spiegelbild einer gesellschaftlichen Diskussion, sondern Dokumente, welche die juristische Qualität von Rechtsnormen untermauern sowie die rechtliche Auslegung der Vorschriften lenken sollen. Ihr Hauptfokus im Hinblick auf Folgenabschätzungen liegt häufig auf einer Absicherung der formalen Erfüllung gültiger Vorschriften im Rahmen eines starren, vorgegebenen Darstellungsschemas und weniger auf einer Diskussion von Lösungsvorschlägen und deren Wirkungen. An diesen Unterschieden hat sich auch durch die Reformen zur besseren Rechtsetzung in den letzten drei Jahrzehnten wenig geändert. 141 Fallstudien zu Prop. 1976/77: 117 und Prop. 2000/01: 44 (Elterngeld); Prop. 1976/77: 121 und Prop. 2003/04: 111 (Änderungen im Strafgesetz).
240
4 Erklärung der Implementationsunterschiede in Deutschland und Schweden
Die empirischen Untersuchungen des vorangegangenen Kapitels haben gezeigt dass in Deutschland und Schweden Implementationslücken in Bezug auf die Erfüllung von Verpflichtungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen bestehen, aber auch, dass sich Grad und Ausprägung dieser Implementationslücken sowohl im Ländervergleich als auch im Vergleich der verschiedenen Prüfkriterien unterscheiden. Das folgende Kapitel setzt sich mit den Ursachen dieser Umsetzungsdefizite auseinander. Dabei wird von drei, aus neo-institutionalistischen Theorieansätzen hergeleiteten, Hypothesen ausgegangen. Die empirische Basis der Diskussion der Hypothesen bilden – neben dem Literatur- und Dokumentenstudium – von der Autorin zwischen 2005 und 2007 durchgeführte Experteninterviews mit Ministerialbeamten, Behördenmitarbeitern, Wissenschaftlern sowie mit Mitarbeitern von Verbänden und Stiftungen.
4.1 Theoretischer Rahmen: Der Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie Der soziologische Neo-Institutionalismus142 entwickelte sich, anfangs v.a. in der amerikanischen Organisationsforschung und Soziologie, seit Mitte der 1970er Jahre. Richtungsweisend waren zwei inzwischen als Klassiker geltende Texte: ein 1977 im „American Journal of Sociology“ erschienener Aufsatz von John W. Meyer und Brian Rowan über den Einfluss institutioneller Mythen auf die Formalstruktur von Organisationen und ein 1983 publizierter Artikel von Walter W. Powell und Paul J. DiMaggio über den institutionellen Isomorphismus. Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der neo-institutionalistischen Theorierichtung in den 1980er Jahren besaßen außerdem die Arbeiten von Lynne G. Zucker (1983) und Richard W. Scott (1986). 142 Einen Überblick über Ausprägungen des (Neo-)Institutionalismus (ökonomisch, historisch, soziologisch, rational choice) geben Göhler/Kühn 1999, Edeling 1999 und Senge/Hellmann 2006.
Wichtige Merkmale des soziologischen Neo-Institutionalismus sind die Skepsis gegenüber dem Modell des rein rationalen Akteurs (siehe z.B. Edeling 2002: 232), das Interesse an Institutionen als unabhängigen Variablen (Verfahren und Programme einer Organisation, aber auch Akteure und Interessen werden als durch institutionalisierte Erwartungen und Regeln konstituiert betrachtet), eine Affinität zu kognitiven und kulturellen Erklärungen und ein Interesse an den Eigenschaften von supraindividuellen Analyseeinheiten, welche nicht auf Aggregationen oder direkte Folgen der Merkmale oder Motive von Individuen reduziert werden können (Powell/DiMaggio 1991b: 8). Es werden die Stabilität institutioneller Komponenten, die Homogenität von Organisationen sowie die symbolische Rolle der formalen Struktur hervorgehoben. Damit ist gemeint, dass Organisationen nicht als ‚Blaupausen’ ihrer Formalstruktur fungieren: Formale Regeln und vorgegebene Prozeduren werden nicht immer befolgt und die realen Aktivitäten stimmen somit nicht unbedingt mit den Vorgaben der Formalstruktur überein (Meyer/Rowan 1991: 43). Ursache dieser Diskrepanz ist die Tatsache, dass der formalen Struktur die Funktion zukommt, Anforderungen und Erwartungen der Umwelt zu erfüllen (Walgenbach 1999: 319) und sie nicht – wie traditionellerweise häufig angenommen – vorrangig der Koordination und Kontrolle der Organisationsaktivitäten dient (Meyer/Rowan 1991: 43). Menschliches Verhalten wird von den Vertretern des soziologischen NeoInstitutionalismus als in der Regel unreflektiert und routiniert beschrieben. Institutionen sind deshalb zwar das Resultat menschlicher Aktivitäten, jedoch nicht notwendigerweise ein Produkt bewussten Designs (Powell/DiMaggio 1991b: 8, 14). Ronald L. Jepperson (1991: 149) definiert Institutionen als „socially constructed, routine-reproduced (…) program or rule systems (…) [which] operate as relative fixtures of constraining environments and are accompanied by takenfor-granted-accounts“. Institutionen nehmen einen regelähnlichen Status in sozialen Überlegungen und Handlungen ein (Powell/DiMaggio 1991b: 9). Institutionalisierung umfasst in diesem Verständnis diejenigen Prozesse, „by which social processes, obligations, or actualities come to take a rule like status in social thought and action.“ Institutionalisierung wird von den Neo-Institutionalisten einerseits als Prozess verstanden, durch den sich bestimmte soziale Beziehungen und Handlungen zu nicht mehr zu hinterfragenden entwickeln, andererseits als Zustand, in welchem geteilte Kognitionen definieren, „what has meaning and what actions are possible“ (Zucker 1983: 2). Institutionalisierung ist aus dieser Perspektive vor allem ein kognitiver Prozess.
242
Institutionalisierung heißt auch, dass die von den Menschen einer Gesellschaft geteilten Deutungssysteme als objektive und externe, d.h. als außerhalb der Individuen liegende und historisch vor ihnen bestehende Strukturen betrachtet werden (Berger/Luckmann 1966; Berger et al. 1973). Skripte und Schemata unterstützen die routinemäßige Reproduktion von Institutionen. Unter Schema wird allgemein ein von konkreter Erfahrung abstrahierender Wissensbestand oder Wissensrahmen ähnlich einem Schubladensystem verstanden. Im Prozess der Informationsverarbeitung werden Schubladen geöffnet oder bleiben geschlossen; neue Schubladen können gebildet werden. Schemata entlasten das Informationsverarbeitungssystem. Sie strukturieren Erfahrungen, ergänzen eingehende Informationen und bilden die Basis für Problemlösungen und Handlungen (Matthes 2004). Skripte sind im Gedächtnis einer Person gespeicherte Schemata, die quasi-automatische Handlungen bzw. Sequenzen von Handlungen beschreiben, welche zu spezifischen Situationen oder organisatorischen Regeln gehören (z.B. Lord/Foti 1986: 29). In Organisationen erfüllen Skripte zwei zentrale Funktionen: Sie ermöglichen es dem Organisationsmitglied, Ereignisse und Situationen in der Organisation zu verstehen, und sie bieten zugleich Richtlinien für ein diesen Ereignissen oder Situationen angemessenes Handeln (Gioia/Manz 1985: 529). Die routinemäßige Reproduktion von Institutionen durch Skripte und Schemata in Organisationen erfolgt so lange, bis eine Störung in der Umwelt den Reproduktionsprozess unterbricht. Im Extremfall können Institutionen deshalb fortbestehen, obwohl keiner mehr ein Interesse an ihnen hat (Walgenbach 1999: 322). Institutionalisierte Regeln bilden zum einen die Kriterien, an denen Individuen ihre Präferenzen festmachen, zum anderen beschränken sie die Möglichkeiten des Handelns. Der neo-institutionalistische Theorieansatz zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dass dem im ökonomischen Denken dominierenden Effizienzkriterium nur ein begrenzter Einfluss auf die Ausgestaltung von Organisationsstrukturen zugestanden wird. Es wird davon ausgegangen, dass in der Realität häufig unklar ist, ob ganze Organisationen oder bestimmte Organisationselemente effizient arbeiten oder nicht. Insofern ist die tatsächliche Effizienz keineswegs das entscheidende Kriterium für den Erfolg und das Überleben von Organisationen, sondern es ist „eine Frage der Definition, Präsentation und Konstruktion (…), ob etwas als effizient eingeschätzt wird oder nicht. Kulturelle Vorlieben und Voreingenommenheiten und kurzfristige Moden und Zeitgeistströmungen spielen (…) bei der ‚Effizienzdiagnose’ eine wichtige Rolle.“ (Preisendörfer 2005: 146). Für die Vertreter des Neo-Institutionalismus ist es deshalb weniger wichtig, wie effizient eine Organisation ist, sondern es spielt eine Rolle, inwieweit die 243
Organisation von ihrer Umwelt als legitim wahrgenommen wird. Legitimität ist also das entscheidende Kriterium. Um überleben zu können, müssen Organisationen Unterstützung und Anerkennung von außen bekommen. Nur dann ist ein ausreichender Zufluss von für das Weiterbestehen notwendigen Ressourcen gewährleistet. Deshalb ist es von elementarer Bedeutung, dass Organisationen sich der Umwelt gegenüber so präsentieren, dass die gewünschte Legitimität gewährleistet ist und bleibt. Hierfür kann es sogar notwendig sein, Techniken, Verfahren oder Managementmethoden zu übernehmen, die dem internen Streben nach einer effizienten Produktion bestimmter Güter oder Dienstleistungen entgegenstehen.
4.1.1 Isomorphie als Folge des Legitimitätsstrebens von Organisationen Das Streben nach Legitimität führt nach Ansicht neo-institutionalistischer Forscher tendenziell zu einer Strukturangleichung (Isomorphie) von Organisationen und deren Umwelt. Eine besondere Rolle bei dieser Strukturangleichung spielen nach Powell und DiMaggio die sogenannten „organisationalen Felder“, welche gekennzeichnet sind durch ein erhöhtes Ausmaß an Interaktionen zwischen den beteiligten Organisationen, die Entstehung von scharf definierten inter-organisatorischen Herrschaftsstrukturen und Koalitionsmustern, eine Erhöhung der Informationsbelastung, mit welcher die Organisationen in einem Feld kämpfen müssen und die Entwicklung eines wechselseitigen Bewusstseins unter den Mitgliedern des Feldes, dass sie in ein gemeinsames Vorhaben/Unternehmen involviert sind (DiMaggio 1983). Organisationale Felder entwickeln zu Beginn ihres Lebenszyklus eine beträchtliche Vielfalt an Ansätzen und Formen. Wenn ein Feld jedoch einmal gut etabliert ist, gibt es einen starken Schub in Richtung Homogenisierung (Powell/DiMaggio 1991a: 64). Zwar entstehen organisationale Innovationen in der Regel, um die Performanz einer Organisation zu verbessern. Wenn sich die Innovation jedoch im organisationalen Feld verbreitet, dann spielt bei deren Übernahme weniger eine Leistungsverbesserung, sondern vielmehr die damit verbundene Legitimitätssteigerung eine Rolle (Meyer/Rowan 1977, eine wichtige empirische Studie hierzu stammt von Tolbert/Zucker 1983). Zur Beschreibung dieses institutionellen isomorphen Wandels, dessen Ziel eine Legitimitätssteigerung ist, haben Powell und DiMaggio eine analytische Typologie entwickelt, die drei relevante Veränderungsmechanismen beschreibt: Isomorphismus durch Zwang (coercive isomorphism), durch mimetische Prozesse (mimetic processes) und durch normativen Druck (normative pressure). 244
Der Isomorphismus durch Zwang resultiert aus formalem und informalem Druck von Organisationen auf andere, von ihnen abhängige Organisationen und aus kulturellen Erwartungen innerhalb der Gesellschaft, in welcher die Organisationen agieren. In diese Kategorie gehört beispielsweise organisationaler Wandel, welcher durch die Änderung bestehender oder die Einführung neuer Rechtsvorschriften direkt hervorgerufen wird. Grundsätzlich ist es so, dass die Existenz einer gemeinsamen rechtlichen Umwelt viele Aspekte von Organisationsverhalten und -struktur beeinflusst und damit viele organisatorische Ähnlichkeiten schafft (Powell/DiMaggio 1991a: 67). Isomorphismus durch Zwang muss aber nicht durch solche stark formalen Zwänge wie staatliche Regulierung ausgelöst werden, es kann sich dabei auch um Phänomene eher informalen Drucks handeln, wie zum Beispiel die Anpassungserfordernisse von Zulieferern an einen Kraftfahrzeugproduzenten. Die zweite analytische Kategorie, der Isomorphismus durch mimetische Prozesse, geht davon aus, dass sich Organisationen in der Gestaltung ihrer Strukturen und Prozesse an anderen Organisationen orientieren. Unsicherheit ist dabei ein bedeutender Einflussfaktor. Powell und DiMaggio beziehen sich in diesem Punkt auf Cyert und March (1963), welche schon in den 1960er Jahren konstatiert hatten, dass dann, wenn eine Organisation einem Problem mit unklaren Ursachen oder unklaren Lösungen gegenübersteht, die Imitation der Lösungen anderer eine praktikable Lösung mit geringen Kosten sein kann. Organisationen tendieren dazu, sich selbst nach ähnlichen Organisationen in ihrem Feld zu modellieren, die sie als legitimierter oder erfolgreicher wahrnehmen (Powell/ DiMaggio 1991a: 70). Die Organisation, die als Modell dient, kann sich dessen nicht bewusst sein oder auch gar nicht den Wunsch haben, kopiert zu werden – sie dient einfach als bequeme Quelle von angemessenen neuen Praktiken. Modelle können sich somit auch (aus Sicht der als Modell dienenden Organisation) ‚unbeabsichtigt’ verbreiten, entweder indirekt durch Mitarbeitertransfers oder explizit durch Beratungsorganisationen oder Wirtschaftsverbände. Innovationen werden übernommen, um die eigene Legitimität zu erhöhen und zu demonstrieren, dass man versucht, ein bestimmtes Problem zu lösen oder ein Ziel zu erreichen (z.B. Qualitätssicherung durch Qualitätsmanagementsysteme). Grundsätzlich weisen Powell und DiMaggio (1991a: 69f, 75) auf zwei Faktoren hin, die den Isomorphismus durch mimetische Prozesse fördern: eine unsichere Beziehung zwischen Mitteln und Zwecken sowie Uneindeutigkeit oder Unklarheit in Bezug auf die Ziele einer Organisation. Der dritte Mechanismus, der Isomorphismus durch normativen Druck, geht davon aus, dass sich die Mitglieder verschiedener Professionen innerhalb einer 245
Organisation erheblich unterscheiden, während sie große Ähnlichkeiten in Bezug auf Denkhaltungen und Orientierungen zu Mitgliedern derselben Profession in anderen Organisationen aufweisen. Zwei Aspekte der Professionalisierung sind wichtige Quellen des Isomorphismus: formale Ausbildung und professionelle Netzwerke. Durch die Professionalisierung und die damit verbunden Mechanismen der Definition und Verbreitung von normativen Regeln über organisationales und professionelles Verhalten wird ein Pool von fast austauschbaren Individuen geschaffen, die ähnliche Positionen in verschiedenen Organisationen besetzen und ähnliche Orientierungen und Einstellungen besitzen, welche die Einflüsse der jeweiligen Organisation selbst überlagern können. Damit werden Unterschiede in Struktur und Verhalten der einzelnen Organisationen verringert. Dieser Effekt ist umso stärker, je größer das Vertrauen auf akademische Zeugnisse bei der Personalauswahl ist und je stärker das Personal in Berufs- und Fachverbänden organisiert ist (Powell/DiMaggio 1991a: 71, 75f). Die Filterung des Personals spielt also eine wichtige Rolle bei der Förderung des normativen Isomorphismus. In vielen organisationalen Feldern ist es so, dass Personal in der Regel von Firmen oder Institutionen aus derselben Branche oder von einer begrenzten Anzahl Ausbildungseinrichtungen angeheuert wird (wie z.B. die administrative Elite in Frankreich von der Ecole Nationale d‚Administration in Paris). Homogenisierung wird darüber hinaus durch gemeinsame Beförderungspraktiken und Anforderungen der Qualifikationsebene für bestimmte Positionen gefördert. Die Rekrutierungsmechanismen und Karrierewege sind also sehr homogen und tragen somit dazu bei, dass Personen in Schlüsselpositionen gelangen, die dazu tendieren, Probleme ähnlich zu betrachten, dieselben politischen Lösungsansätze/Politikinhalte, Prozeduren und Strukturen normativ zu befürworten und als legitim anzusehen und Entscheidungen in ähnlicher Art und Weise anzugehen. Professionelle Netzwerke überspannen Organisationen und stellen eine schnelle Verbreitung von neuen Modellen sicher. Organisationale Felder, deren Arbeitskräfte stark durch Professionen geprägt sind, zeichnen sich durch einen starken Statuswettbewerb aus. Organisationales Prestige und organisationale Ressourcen sind Schlüsselelemente für die Rekrutierung von Personal. Homogenisierung wird auch dadurch gefördert, dass Organisationen versuchen, dieselben Vorteile und Dienstleistungen wie ihre Wettbewerber anzubieten (Powell/ DiMaggio 1991a, S. 71f). Wenn Organisationen in einem organisationalen Feld eine zentrale Stellung erlangen, sind diese somit nicht nur Modelle, an denen sich andere Organisationen in der Gestaltung ihrer Struktur orientieren, sondern ihr Leitungspersonal nimmt auch in den Berufs- und Wirtschaftsverbänden re246
gelmäßig eine einflussreiche Position ein. Das hat zur Folge, dass die Strukturen der Organisationen mit zentraler Position noch häufiger kopiert werden (Walgenbach 1999: 336). Die Diffusion der GFA in Europa stellt ein gutes praktisches Beispiel für isomorphe Tendenzen in organisationalen Feldern dar. Zwar wurde die GFA in den meisten EU-Staaten ab Mitte der 1990er Jahre als innovatives Verfahren auf die politische Agenda gesetzt, das Thema der besseren Rechtsetzung besaß aber in den meisten Ländern eigentlich keinen besonderen Neuigkeitswert. Im Verlauf der Jahrzehnte hatte es immer wieder Aktivitätsschübe zur Verbesserung staatlicher Regulierung gegeben, in deren Zentrum jeweils spezielle Instrumente oder Verfahren standen. Anfangs waren die Bezeichnungen und Inhalte der Folgenabschätzungsverfahren in den verschiedenen Ländern noch sehr unterschiedlich und griffen zum Teil auf schon existierende Vorläufer (z.B. das „Compliance Cost Assessment“ in Großbritannien, welches seit Mitte der 1980er Jahre existierte) zurück. Spätestens gegen Ende der 1990er Jahre setzte sich jedoch die einheitliche Terminologie GFA bzw. im englischen Sprachraum (R)IA durch. Der EU-weite Trend zur Angleichung der Inhalte, also dessen, was unter einer Folgenabschätzung jeweils verstanden wird, entwickelte sich deutlich langsamer als die begriffliche Anpassung. Noch 2004 kamen Forscher der Universität Bradford in einer Studie zu dem Schluss, dass RIAs je nach Land in unterschiedlicher Art und Weise interpretiert und verstanden würden (Centre for European Studies 2004, S. 216; s.a. Radaelli 2005). Trotzdem sind auch im inhaltlichen Verständnis von RIA isomorphe Tendenzen zu erkennen, die analytisch dem von Powell und DiMaggio identifizierten Isomorphismus durch mimetische Prozesse zuzuordnen sind. Orientiert wird sich dabei vor allem an der EU-Kommission, welche im Jahr 2003 eine integriertes IA-System mit den drei Schwerpunkten wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen einführte und damit alle sektoralen Abschätzungsverfahren ersetzte. Der EU-Ansatz wird als Orientierungsmodell für nationale Lösungen benutzt, weil der Druck besteht, in diesem Bereich nach außen zu signalisieren, dass man ‚etwas tut’. Die EU, speziell die Kommission, wird dabei als verhältnismäßig erfolgreich wahrgenommen, da sie sehr viel in ihre Selbstdarstellung als Modernisierer in Bezug auf bessere Regulierungen investiert, eine große Zahl von Kommissionsmitteilungen u.Ä. zum Thema publiziert hat, Forschungsaufträge verteilt und versucht, alle drei EU-Organe sowie die Mitgliedsstaaten in diesen Kommunikationsprozess einzubeziehen (Konzendorf et al. 2005). Gleichzeitig trifft ein zweites, von Powell und DiMaggio identifiziertes, Merkmal zu: Unsicherheit über Ursachen und Lösungen. Die Frage, wie Überre247
gulierung und mangelhafte Rechtsvorschriften entstehen, ist sehr komplex und die verschiedenen Antworten, die es darauf gibt, sind es ebenfalls. Hinzu kommen eine Vielzahl von im Laufe der Jahre diskutierten Möglichkeiten (von Planspielen und Praxistests über experimentelle Deregulierung bis hin zu Sunset-Legislation und Evaluationsklauseln, um nur einige zu nennen), die fast alle bisher keiner systematischen Evaluation unterzogen worden sind (Jann et al. 2005) und deren Wirksamkeit sehr stark vom jeweiligen politischen Rahmen und den Implementationsbedingungen abhängig ist. Somit ist unklar, welche Maßnahmen tatsächlich wirksam sind, d.h. die Regulierungsqualität verbessern. Diese Unsicherheit über Ursachen und effiziente Lösungen führt dazu, dass praktikable Lösungen von als erfolgreich wahrgenommenen Organisationen (oder in dem Fall auch Ländern) übernommen werden und dass man sich auch in der inhaltlichen Ausgestaltung der Instrumente an die Modellorganisationen zunehmend annähert. Wenn die EU das Instrument in einer bestimmten Art und Weise anwendet und dies als Erfolg nach außen darstellen kann, dann erzeugt die Anwendung desselben Instrumentes für einen Mitgliedsstaat quasi automatisch einen Legitimitätsgewinn. Nicht nur bei RIA, sondern auch bei der Verbreitung des SKM-Verfahrens in Europa, sind isomorphe Tendenzen evident. Das Standardkosten-Modell wurde ursprünglich in den Niederlanden entwickelt und hat sich seit 2002/2003 fast im gesamten europäischen Raum verbreitet. Vorreiter der SKM-Einführung waren nach den Niederlanden die skandinavischen Länder und Großbritannien. Es folgten zahlreiche ost- und westeuropäische Staaten (u.a. Deutschland) sowie die EU. Waren anfangs noch verschiedene Instrumente zur Messung von Bürokratiekosten in der Diskussion (Müller 2005), so verengte sich die Debatte innerhalb kurzer Zeit fast ausschließlich auf das Standardkosten-Modell. Neben den als vorbildlich geltenden Referenzländern Niederlande und – später – Großbritannien spielte bei der Vereinheitlichung der Methoden und Strukturen auch die sich bildende europäische SKM-Community eine nicht unerhebliche Rolle. Reformprotagonisten aus verschiedenen EU-Staaten gründeten ein internationales SKM-Netzwerk, zahlreiche Konferenzen, Expertentreffen und Pilotstudien wurden organisiert. Es sind also für die Diffusion des SKM-Modells in Europa (s.a. Wegrich 2009b) sehr starke isomorphe Tendenzen auszumachen, welche sowohl Elemente der theoretischen Kategorie des Isomorphismus durch mimetische Prozesse enthalten (Vorbild Niederlande) als auch Elemente des Isomorphismus durch normativen Druck (Bildung eines professionellen Netzwerks).
248
4.1.2 Ebenen der Strukturanpassung von Organisationen An die theoretische Erklärung und empirische Beobachtung isomorpher Tendenzen schließt sich die Frage an, ob die jeweiligen Strukturanpassungen von den betroffenen Organisationen real vollzogen werden oder nur formal erfolgen. Hierzu gibt es keine einheitliche Position der Neo-Institutionalisten. Powell und DiMaggio (1991a) gehen grundsätzlich von einer realen Strukturanpassung aus, während Meyer und Rowan (1977, 1991) die Auffassung vertreten, dass eine Anpassung häufig nur auf der Ebene der Formalstruktur stattfindet. Nach Meyer und Rowan sind die Formalstruktur und die Aktivitätsstruktur von Organisationen nur lose gekoppelt (s.a. March/Olsen 1976; Weick 1976). Die organisationale Anpassung an Umweltanforderungen bleibt im Wesentlichen auf die Fassade der Formalstruktur beschränkt. Ursache hierfür ist, dass sich in modernen Gesellschaften auch die institutionellen Umwelten von Organisationen immer stärker ausdifferenzieren. So entstehen neue Bereiche mit ihren jeweils eigenen institutionalisierten Regeln und Anforderungen und mit eigenen Vorgaben darüber, welche Elemente ‚rationale’ Mittel zur Erreichung wünschenswerter Ziele sind. Was in den einzelnen Umwelten als rational erachtet wird, kann sich erheblich unterscheiden und auch widersprüchlich sein (Walgenbach 1999: 324). Meyer und Rowan verwenden für diese unterschiedlichen Rationalitätsvorstellungen den Begriff Rationalitätsmythen. In modernen Gesellschaften haben die Mythen, die formale Organisationsstrukturen hervorbringen, zwei Haupteigenschaften (Meyer/Rowan 1991: 44): 1) Sie sind rationalisierte und unpersönliche Beschreibungen, die verschiedene soziale Ziele als technische identifizieren und in regelähnlicher Art und Weise die angemessenen Mittel zur rationalen Erreichung dieser technischen Ziele spezifizieren. 2) Sie sind hoch institutionalisiert und werden deshalb ganz selbstverständlich als legitim angenommen. Rationalitätsmythen werden in die Formalstruktur einer Organisation integriert, weil sie als angemessen, rational und notwendig betrachtet werden: „As rationalizing institutional myths arise in existing domains of activity, extant organizations expand their formal structure so as to become isomorphic with these new myths.“ (Meyer/Rowan 1991: 46). Durch das Design einer Formalstruktur, welche sich an die Beschreibungen von Mythen in der institutionellen Umwelt hält, kann eine Organisation demonstrieren, dass sie auf kollektiv wertgeschätzte Ziele angemessen reagiert und erhält so Legitimität (Meyer/ Rowan 1991: 50). Wie gehen Organisationen nun mit den unterschiedlichen, sich möglicherweise widersprechenden Anforderungen aus den institutionellen Umwelten um 249
und erfüllen gleichzeitig noch die internen aufgabenbedingten Effizienzerfordernisse? Die Lösung liegt in der Entkopplung von Formalstruktur und realen Aktivitäten sowie in einer ‚Logik des Vertrauens’ (Meyer/Rowan 1991: 57). In einer Organisation, die sich inkonsistenten Umweltanforderungen gegenüber sieht, werden strukturelle Elemente untereinander und von den tatsächlichen Organisationsaktivitäten entkoppelt. Dadurch kann widersprüchlichen Umweltbedürfnissen Rechnung getragen werden: „Entkopplung ermöglicht es der Organisation, legitimierte formale Strukturen aufrecht zu erhalten, während die tatsächlichen Aktivitäten als Reaktion auf aktuelle und praktische Erfordernisse variieren.“ (Walgenbach 1999: 339). Die Organisation kann dadurch eine breite Legitimität beibehalten, während sie es gleichzeitig vermeidet, Konflikte zu internalisieren. Notwendige Voraussetzung hierfür ist jedoch das Vorhandensein von Vertrauen und dem ‚guten Glauben’ der internen und externen Akteure: „What legitimates institutionalized organizations, enabling them to appear useful in spite of the lack of technical validation, is the confidence and good faith of their internal participants and their external constituents.” (Meyer/Rowan 1991: 58)
Die in den 1970er Jahren u.a. von James G. March und Johan P. Olson, Karl E. Weick sowie von Meyer/Rowan vertretene Entkopplungsthese wurde Ende der 1980er Jahre von Nils Brunsson aufgegriffen. Dieser unterscheidet in Anlehnung an die Terminologie von Meyer und Scott (1981) zum einen die technische Umwelt einer Organisation und zum anderen deren institutionelle Umwelt. Während die technische Umwelt Organisationen in Bezug auf ihre Produkte und Resultate bewertet und unterstützt, spielen für die institutionelle Umwelt drei andere Faktoren eine wesentliche Rolle: Strukturen, Prozesse und Ideologien: x
x
250
Organisationen erzielen Unterstützung aus der Umwelt, indem sie sich so strukturieren, dass sie allgemein als fair, sinnvoll, effizient, rational, modern etc. betrachtet werden. Gleichzeitig können sie diese Unterstützung aber auch verlieren, wenn sie die Normen der Umwelt in Bezug auf Strukturen nicht aufgreifen. Ähnliches gilt für Prozesse. So muss beispielsweise ein Ministerialbeamter bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen bestimmte Prozessanforderungen erfüllen. Missachtet er die Prozessanforderungen, kann dies erhebliche negative Folgen sowohl für ihn selbst als auch für das Ministerium insgesamt mit sich bringen, und zwar unabhängig von der Qualität des Gesetzentwurfes.
x
Ein weiterer wesentlicher Faktor sind Ideologien, also Sichtweisen, die von Organisationen proklamiert werden. Organisationen können demnach Legitimität erwerben, indem sie bestimmte Ideologien glaubhaft nach außen vertreten.
Nach Brunsson werden Organisationen in der Realität nicht nur über Produkte oder nur über Strukturen, Prozesse und Ideologien bewertet, sondern sie umfassen alle vier Faktoren und müssen für jeden dieser Faktoren Normen der Umwelt reflektieren. Die institutionelle Umwelt ist nicht für alle Organisationen gleich wichtig, aber moderne Gesellschaften scheinen eine wachsende Zahl an Normen hervorzubringen, die das Verhalten von Organisationen prägen (Brunsson 1989: 6). Brunsson vertritt (wie Meyer/Rowan) die These, dass Organisationen auf nicht kompatible Anforderungen der institutionellen und der technischen Umwelten reagieren, indem sie die formale Organisationsstruktur, welche institutionelle Normen abdeckt und sich schnell an neue Moden und Gesetze anpassen kann, von der informalen, handlungskoordinierenden Struktur – den tatsächlichen Aktivitäten einer Organisation – entkoppeln. Er geht jedoch noch weiter, indem er 1) drei nur lose gekoppelte Ebenen einer Organisation beschreibt (talk, decision und action) und 2) konstatiert, dass die lose Kopplung auf den drei Ebenen nicht nur die formelle und informelle Struktur betrifft, sondern auch Prozesse und Ideologien: „Talk, decisions and products are mutually independent instruments used by the political organization in winning legitimacy and support from the environment (...) hypocrisy is a fundamental type of behaviour in the political organization: to talk in a way that satisfies one demand, to decide in a way that satisfies another, and to supply products in a way that satisfies a third.” (Brunsson 1989: 27)
Für diese organisationale Strategie, mit unterschiedlichem Verhalten auf der talk-, decision- und action-Ebene inkonsistenten Umweltanforderungen gerecht zu werden, verwendet Brunsson den Begriff der ‚Heuchelei’. Das daraus entstehende Konfliktpotential muss nicht notwendigerweise entschärft oder vermieden werden, damit Organisationen erfolgreich sein können, sondern Brunsson meint, dass es für eine Organisation sinnvoll sein kann, Konflikte zu kultivieren: „I suggest that it may be useful for the organization to cultivate and demonstrate its conflicts. (…) to have problems is often a vital solution for an organization, whereas solutions can sometimes be a serious problem.“ (Brunsson 1989: 10)
251
Brunsson begründet seine These damit, dass unlösbare Probleme gut dafür geeignet sind, viele verschiedene Ideen und Werte zu reflektieren. Sie können endlos aus allen Richtungen diskutiert werden, ohne jemals eine Lösung zu erreichen, währenddessen es nur selten konkrete Problemlösungen gibt, welche die gleiche Vielzahl von Ideen reflektieren und damit genauso viele Umweltanforderungen gleichzeitig erfüllen (Brunsson 1989: 23). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich unterschiedliche Implementationsgrade institutionentheoretisch durch die Inhomogenität und Komplexität der Organisationsumwelt und die Bewertung des Legitimitätsgewinns, den sich Organisationen aus einer Veränderung ihrer Strukturen versprechen, erklären lassen. Organisationen müssen sich den institutionellen Erwartungen und Ansprüchen verschiedener Umwelten anpassen. Diese Erwartungen und Ansprüche können durchaus gegensätzlich sein. Eine Lösung aus dem durch Widersprüchlichkeiten in den Umweltanforderungen entstehenden Dilemma liegt in der Entkopplung verschiedener Ebenen organisationalen Handelns. Politische Verlautbarungen (talk), politische Entscheidungen (decision) und tatsächliches Umsetzungshandeln (action) werden nur lose aneinander gekoppelt. Um die notwendige Legitimität aus der Umwelt zu erhalten, kann es manchmal ausreichen, Lippenbekenntnisse verlautbaren zu lassen oder die formalen Strukturen der Organisation ein Stück weit anzupassen, ohne dass die tatsächlichen Abläufe zur Produktion von Gütern oder Dienstleistungen modifiziert werden. In einigen Fällen ist es aber auch notwendig, tatsächliche Veränderungen durchzusetzen.
4.1.3 Untersuchungsleitende Hypothesen Aus den dargestellten theoretischen Überlegungen lassen sich drei Hypothesen zur Erklärung der Implementationsunterschiede von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden ableiten, die im Folgenden näher erläutert werden: Hypothese 1 (Konflikthypothese) bezieht sich auf konfligierende Umweltanforderungen, Hypothese 2 (Kontrollhypothese) auf die Bedeutung von Kontrolle und Transparenz und Hypothese 3 (Kognitionshypothese) auf kulturell geprägte Interpretationsmuster. Die Konflikthypothese geht auf die Grundannahme der Neo-Institutionalisten zurück, dass Organisationen ihre Legitimität vor allem aus der Erfüllung von Umweltanforderungen beziehen, während die Effizienz der Produktion bestimmter Güter (im hier betrachteten Fall von Rechtsvorschriften) eine weniger wichtige Rolle spielt. Umweltanforderungen können jedoch widersprüchlich 252
sein. Wenn zwei oder mehrere Umweltanforderungen zueinander im Konflikt stehen und eine Erfüllung aller Vorgaben/Anforderungen auf Ebene der Aktivitätsstruktur einer Organisation aus diesem Grund nicht möglich ist, dann reagieren Organisationen darauf mit einer Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur. Ob eine Umweltanforderung lediglich durch eine Anpassung des talk symbolisch implementiert wird, ob die Formalstruktur angepasst wird oder ob sich die realen Aktivitäten der Organisationsmitglieder wandeln, hängt dabei von dem zu erwartenden Legitimitätsgewinn ab. Wenn Umweltanforderungen zueinander in Konflikt stehen und eine gleichzeitige Erfüllung der Vorgaben auf Ebene der Aktivitätsstruktur einer Organisation nicht möglich ist, wird diejenige Anforderung implementiert, welche den höheren Legitimitätsgewinn erwarten lässt (oder bei deren Nicht-Erfüllung der größere Legitimitätsverlust zu erwarten wäre). Vorschriften zur Folgenabschätzung stehen mit zwei wichtigen Anforderungen, welche die politischen Entscheidungsträger an die Ministerialverwaltung stellen, in Konflikt: mit der Herstellung einer Durchsetzungsfähigkeit für Regelungsentwürfe (Abstimmung, Mehrheitsfindung) und mit der Anforderung, die politische Leitung des Ministeriums informationell zu entlasten. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Hypothese: Konflikthypothese: Eine über die formale Anpassung hinausgehende Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung in der Ministerialverwaltung ist nur dann wahrscheinlich, wenn daraus keine wesentlichen Widersprüche zu bereits institutionalisierten Anforderungen der Politik resultieren.
Die zweite Hypothese – hier als Kontrollhypothese bezeichnet – geht davon aus, dass trotz der in der Konflikthypothese beschriebenen Widersprüche zwischen den Vorschriften zur Folgenabschätzung und den sich aus den Anforderungen der politischen Leitung ergebenden Funktionalitäten des Rechtsetzungsprozesses eine über die Formalstruktur einer Organisation hinausgehende Implementation von Folgenabschätzungsvorgaben dann erfolgen kann, wenn ein oder mehrere Akteure vorhanden sind, welche – entweder aufgrund eigener Interessen oder aufgrund eines politischen Mandates – die Anwendung und Umsetzung der Vorschriften zur Folgenabschätzung kontrollieren. Entscheidend für den Implementationsgrad ist dabei jedoch nicht nur die Existenz eines ‚Kontrolleurs’, sondern auch dessen Kontrollvermögen, welches in Zusammenhang mit finanziellen und personellen Ressourcen, formalen Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten, dem Grad der Einbindung in etablierte Verfahren der Politikformulierung, dem Potential zur Ausübung von Macht und Einfluss sowie mit Fragen der 253
Transparenz steht. Der Implementationsgrad hängt also davon ab, ob es einen ‚Kontrolleur’ gibt, ob dieser die tatsächlichen Abläufe und Aktivitäten der Organisation durchschauen kann (Transparenz) und welche Möglichkeiten er zur Durchsetzung seiner Interessen besitzt. Organisationen, die – wie die Ministerialverwaltung in Deutschland – als ‚black box’ funktionieren (also deren interne Aktivitäten, Arbeits- und Entscheidungsprozesse von außen nur schwer nachvollzogen werden können), fällt es demzufolge leicht, Umweltanforderungen durch eine bloße Anpassung des talk oder durch Entscheidungen ohne Auswirkungen auf die tatsächlichen Organisationsaktivitäten zu befriedigen. In transparenteren Systemen hingegen ist eine Befriedigung von Umweltanforderungen durch symbolische Anpassungen schwieriger. Hieraus ergibt sich folgende Hypothese: Kontrollhypothese: Wenn es einen Akteur gibt, der aufgrund seiner Interessenlagen oder aufgrund eines politischen Mandates die Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung kontrolliert, dann ist eine über formale Anpassungen hinausgehende Implementation umso wahrscheinlicher, je transparenter die Politikformulierungsaktivitäten der Ministerialverwaltung sind und je mehr Kontrollkompetenzen dieser Akteur besitzt.
Die dritte Hypothese, die sog. Kognitionshypothese, stellt vor allem auf die Interpretationsbedürftigkeit von Regeln ab. Ob und wie Vorschriften zur Folgenabschätzung umgesetzt werden, hängt aus dieser Perspektive davon ab, wie diese innerhalb der Ministerialorganisation(en) interpretiert werden. Bei der Interpretation spielen Skripte und Schemata als routinemäßig reproduzierte Institutionen eine wichtige Rolle (siehe Kap. 4.1.1). Auf neue Anforderungen wird ausgehend von diesen routinierten Denk- und Handlungsweisen reagiert. Die Interpretationsmuster sind ein wesentliches Charakteristikum von Organisationen und sie werden, wie im Zusammenhang mit der These zum Isomorphismus durch normativen Druck (Powell/DiMaggio, siehe Kap. 4.1.2) erwähnt, durch eine gemeinsame formale Ausbildung und professionelle Netzwerke zusätzlich stabilisiert. Die Entwicklung neuer Routinen ist nach dem dargestellten Ideenzusammenhang über durch Umweltstörungen ausgelöste Kommunikation unter Organisationsmitgliedern möglich – über Kommunikation, in der es eben nicht um die Erfassung und Konzipierung objektiver Tatbestände geht, sondern um das Verständnis der Organisationsmitglieder vom Funktionieren ihrer Organisation und über angemessenes Handeln (Kieser 1999). Das Entstehen neuer organisatorischer Lösungen wird als Erwerb neuer Wahrnehmungen der organisato254
rischen Realität, neuer Ziele, neuer Interpretationen für organisatorisches Handeln und neuer Interaktionsmuster durch die Organisationsmitglieder konzipiert. Versuche zur Änderung der Aktivitäten von Organisationsmitgliedern müssen demnach vor allem darauf abstellen, deren Kognitionen zu verändern (Kieser 1999: 297, 306; s.a. Taylor/Lerner 1996). Für die Erklärung von Implementationsdefiziten von Vorschriften zur Folgenabschätzung lässt sich aus den dargestellten theoretischen Gedanken die These ableiten, dass eine Implementation dann wahrscheinlich ist, wenn die vorherrschenden Skripte und Schemata in der Ministerialverwaltung möglichst gut zu den mit der Einführung von Instrumenten zur Folgenabschätzung anvisierten Reforminhalten passen. Diese ‚Passfähigkeit’ kann entweder kulturell bedingt gegeben sein und/oder sie kann durch Leitbilder143, Veränderungen in der Personalstruktur o.Ä. bewusst herbeigeführt werden. Brunsson und Olson (1993: 22) schreiben hierzu: „Incremental transformations (…) will succeed as long as they are consistent with the established institutional identity of the organization.“ Reformen müssen also mit der Organisationskultur kompatibel sein, um implementiert zu werden: Kognitionshypothese: Werden Vorschriften zur Folgenabschätzung als sinnvolle Instrumente zur Verbesserung der Organisationsaktivitäten und zur Legitimitätserhöhung interpretiert, dann ist eine über formale Anpassungen hinausgehende Implementation wahrscheinlich.
Analysiert man das Verhältnis dieser drei Hypothesen zueinander aus einer theoretisch-konzeptionellen Perspektive heraus, so befindet sich die Kognitionshypothese auf einer anderen strukturellen Ebene (Senge/Hellmann 2006: 41) als die beiden anderen Hypothesen (Abb. 27), schließlich beeinflussen Kognitionen (hier im Sinne von in Organisationen vorherrschenden Wirklichkeitswahrnehmungen und Interpretationsmustern von Regeln) sowohl die Wahrnehmung und Deutung von Konflikten und angemessenen Reaktionsweisen auf diese als auch das Kontrollvermögen von Akteuren (z.B. indem diesen Akteuren eher kooperativ oder eher konfrontativ begegnet wird, was aufgrund der Informationsasymmetrien zwischen federführendem Ministerium und Kontrollinstanz ein sehr wichtiger Faktor ist). Auch die Konflikthypothese und die Kontrollhypothese stehen in einem gewissen Wechselverhältnis: Veränderte formale Kontrollkompetenzen (Kontrollhypothese) können den Umgang mit konfligierenden Umweltanforderungen erheblich beeinflussen (Konflikthypothese). 143 Zu Bedeutung und Wandel verwaltungspolitischer Leitbilder in der BRD siehe Jann 2002a.
255
Abbildung 27: Hypothesen zur Erklärung von Implementationsdefiziten
Konflikthypothese
Kontrollhypothese
Kognitionshypothese
Typologisiert man die Hypothesen anhand der Unterscheidung von Scott (2008) in eine kognitive, normative und regulative Säule der Institutionalisierung, so beschäftigt sich die Kognitionshypothese mit der kognitiven Säule, die Kontrollhypothese mit der regulativen Säule (wobei sie etwas über Scotts Definition hinausgeht) und die Konflikthypothese mit der normativen Säule, also mit der Frage, welches Verhalten vor dem Hintergrund konfligierender Umweltanforderungen für ‚angemessen’ gehalten wird. In den folgenden drei Unterkapiteln werden die Konflikthypothese, die Kontrollhypothese und die Kognitionshypothese in Bezug auf die empirischen Daten aus Kap. 3 intensiv diskutiert und es wird geklärt, inwiefern sie dazu beitragen, Umsetzungsdefizite von Meta-Regulierungen (hier am Beispiel von GFA-Vorschriften) besser zu verstehen.
4.2 Konflikthypothese Eine der Grundannahmen des soziologischen Neo-Institutionalismus besteht darin, dass Organisationen ihre Legitimität vor allem aus der Erfüllung von Umweltanforderungen beziehen. Die erste hier zu diskutierende Hypothese zur Erklärung der Implementationsunterschiede zwischen Deutschland und Schweden geht davon aus, dass konfligierende Umweltanforderungen eine wesentliche Rolle spielen, wenn man die Implementation von Folgenabschätzungen erklären will. Implementationslücken in Form von ‚rein formalen Anpassungen’ bzw. 256
einer geringen tatsächlichen Erfüllung von Vorschriften zur Folgenabschätzung entstehen in dieser theoretischen Perspektive deshalb, weil eine über die Formalebene hinausgehende Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung im Widerspruch zu anderen Umweltanforderungen steht, welche für die Aktivitäten der federführenden Einheiten in der Ministerialverwaltung im Prozess der Gesetzesvorbereitung eine größere Relevanz144 besitzen als die Anforderungen zur Folgenabschätzung (idealtypische Reaktionsmöglichkeiten der Ministerialverwaltung auf konfligierende Umweltanforderungen aus neo-institutionalistischer Perspektive siehe Abb. 28). Der Verzicht auf eine Implementation kann aus Sicht der Ministerialverwaltung durch die dominanten Funktionalitäten und Strukturmerkmale der Rechtsetzung begründet werden. Handlungsleitendes Kriterium der Ministerialverwaltung im Gesetzgebungsprozess ist nicht die Effektivität und Effizienz eines Gesetzes im Hinblick auf Impact und Outcome145 (d.h. das Finden einer möglichst zielgenauen und kostengünstigen Regelung), sondern es sind andere Arten von Anforderungen (Koordination und Mehrheitsfindung, Stimmenmaximierung, begrenzte zeitliche und kognitive Ressourcen der politischen Entscheidungsträger), welche den Prozess der Gesetzesvorbereitung prägen. Viele Elemente der existierenden Prozesse und Strukturen der Rechtsetzung, welche aus Perspektive der rationalistischen Entscheidungstheorie zu suboptimalen Ergebnissen führen, erfüllen wichtige politische Funktionalitäten oder dienen der Entlastung der politischen Spitze. Elemente der besseren Rechtsetzung stehen den tatsächlichen Funktionalitäten realer Politikformulierungsprozesse deshalb zum Teil diametral entgegen. Die Konflikthypothese wird im Folgenden anhand der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung bzw. konkreter zwischen Regierung/politischer Leitungsebene der Ministerien und der Arbeitsebene der Ministerien diskutiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass ‚die Politik’ zwei wichtige Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung auf der ministeriellen Arbeitsebene stellt. Dies betrifft zum einen die Herstellung politisch-administrativer Durchsetzungsfähigkeit für einen Regelungsentwurf (Kap. 4.2.1) und zum 144 Die Relevanz von Umweltanforderungen definiert sich über den bei einer Erfüllung der Umweltanforderung zu erwartenden Legitimitätsgewinn für eine Organisation/einen Akteur bzw. den bei einer Nicht-Erfüllung der Umweltanforderung zu erwartenden Legitimitätsverlust. 145 Impact wird hier verstanden als die Reaktionen der Adressaten eines politischen Programms (bzw. hier: eines Gesetzes) auf das Implementationsoutput der im politisch-administrativen System getroffenen Steuerungsentscheidungen, Outcome als die Reaktionen des Gesamtsystems. Impact und Outcome beeinflussen idealtypisch wiederum die Inputfaktoren, welche neue Politikformulierungsprozesse in Gang setzen können (Jann/Wegrich 2009).
257
anderen die informationelle Entlastung der politischen Entscheidungsträger (Kap. 4.4.2). Abb. 28: Reaktion der Ministerialverwaltung auf konfligierende Umweltanforderungen
Umwelt 1
Umwelt 2
Umwelt 3
Anforderungen
Ministerialverwaltung
Reaktion auf konfligierende Umweltanforderungen
Anpassung des “ talk” Anpassung der FormalAnpassung der Aktivi(Verlautbarungsebene, struktur (z.B. Einrichtung tätsstruktur (tatsäch4.2.1z.B. Herstellung und Absicherung der Durchsetzungsfähigkeit von in Gesprächen, von zuständigen Einheiten, liche Erfüllung, reale Gesetzentwürfen P ressemitteilungen) formale Anpassung) Verhaltensänderung)
Die Anforderung, politische Durchsetzungsfähigkeit für einen Gesetzentwurf herzustellen, besitzt je nach Akteursperspektive (Leitung des federführenden Ministeriums oder Regierung als Kollektivorgan) verschiedene Facetten. So besteht eine wesentliche Anforderung der Leitung des federführenden Ministeriums darin, die regierungsinterne Durchsetzungsfähigkeit für die Entwürfe des eigenen Ressorts zu gewährleisten. Das bedeutet, dass ein Regelungsentwurf mit 258
den anderen Fachministerien abgestimmt werden muss, so dass er im Kabinett beschlussfähig wird. Die Regierung als Kollektivorgan hingegen stellt die Anforderung, dass der Gesetzentwurf in der Legislative mehrheitsfähig sein soll. Beide Aspekte der Herstellung von Durchsetzungsfähigkeit werden im Folgenden für Deutschland und Schweden näher beleuchtet. Die vorgenommene Trennung zwischen den Anforderungen der Leitung des federführenden Ministeriums und den Anforderungen der Regierung als Kollektivorgan ist analytischer Natur, um verschiedene Aspekte der Widersprüche zwischen Vorschriften zur Folgenabschätzung und der Herstellung von politischer Durchsetzungsfähigkeit besser herausarbeiten zu können.
4.2.1.1 Analytische Perspektive 1: Anforderungen der Ressortleitung Betrachtet man zunächst die Herstellung regierungsinterner Durchsetzungsfähigkeit für Gesetzentwürfe in Deutschland und Schweden, so sind einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennbar. Gemeinsam ist dem regierungsinternen Abstimmungsprozess in beiden Ländern, dass andere Fachministerien Gesetzentwürfe grundsätzlich daraufhin prüfen, ob diese den eigenen Ressortinteressen widersprechen, d.h. ob sie negative Auswirkungen auf den eigenen Zuständigkeitsbereich haben oder Klientelinteressen des jeweiligen Fachministeriums berühren. Während dieser Aspekt in Schweden in der Regel die wesentliche Hürde bildet, spielen in Deutschland darüber hinaus parteipolitische Interessen eine große Rolle. In Deutschland wird – im Unterschied zu Schweden, wo Einparteien-Minderheitsregierungen den Normalfall bilden (siehe Kap. 2.3) – die Regierung üblicherweise durch eine Koalition aus zwei Parteien146 gebildet. Im regierungsinternen Abstimmungsprozess sind deshalb nicht nur die Eigeninteressen der Ressorts von Bedeutung, sondern jeder Gesetzentwurf muss auch daraufhin überprüft werden, ob er parteipolitischen Interessen desjenigen Koalitionspartners widerspricht, der die Ressortleitung innehat. Eine zusätzliche Abstimmungshürde ergibt sich zudem aus dem föderalen Staatsaufbau Deutschlands. Da die meisten Gesetze nicht durch den Bund, sondern durch die Länder (oder Kommunen im Auftrag der Länder) ausgeführt werden und die Länder durch die Institution des Bundesrates weitgehende Mitentscheidungsrechte auf Bundesebene besitzen, ist eine Abstimmung von Gesetzentwürfen mit den Län146 Die CDU/CSU wird hier der Einfachheit halber als eine Partei bezeichnet, auch wenn es de facto zwei Parteien mit klar abgegrenzten räumlichen Zuständigkeitsgebieten (d.h. ohne Konkurrenz auf demselben räumlichen Gebiet) sind.
259
dern häufig unabdingbare Voraussetzung für deren Durchsetzungsfähigkeit. Dabei sind wiederum nicht nur föderale Eigeninteressen, sondern auch Parteiinteressen von erheblicher Bedeutung. In Schweden hingegen spielen nicht nur Partei- und Regionalinteressen eine weniger wichtige Rolle im vorparlamentarischen Prozess der Abstimmung von Gesetzentwürfen, sondern die Komplexität der Abstimmungsanforderungen an das federführende Ministerium wird zusätzlich dadurch reduziert, dass Gesetzentwürfe in Schweden häufig durch staatliche Untersuchungskommissionen vorbereitet werden, die wichtige Funktionen hinsichtlich der Vorabstimmung und gesellschaftlichen Konsensbildung wahrnehmen. Externe Interessengruppen, welche in Deutschland vor allem vermittelt über ,ihre’ Fachministerien Einfluss ausüben, haben in Schweden bereits im Kommissionswesen und in der folgenden Konsultation die Möglichkeit zur Artikulation und ggf. zur Durchsetzung ihrer Interessen gehabt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Abstimmungsprozess von Gesetzentwürfen in Deutschland bis zur Kabinettsreife dadurch gekennzeichnet ist, dass er 1) stark durch die Ministerialverwaltung gesteuert wird und 2) aufgrund der Vielzahl von beteiligten Akteuren und Vetospielern sehr komplexer Natur ist. Die Anforderung der politischen Leitung an das federführende Referat, Durchsetzungsfähigkeit für einen Regelungsentwurf herzustellen, ist von größerer Bedeutung als die Anforderung zur Erfüllung der Vorschriften zur Folgenabschätzung, weil der zu erwartende Legitimitätsgewinn für ein Ministerium wesentlich größer ist, wenn es eine gesetzliche Regelung erfolgreich durchsetzen kann, als wenn es die Vorschriften zur Folgenabschätzung tatsächlich befolgt. Dieses Primat der politischen Durchsetzungsfähigkeit und Kompromissfindung gegenüber Folgenabschätzungsanforderungen wird durch den folgenden Interviewausschnitt aus einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Bundesministeriums des Innern mit langjähriger praktischer Erfahrung in der materiellen Erarbeitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen treffend illustriert. Als Ursachen für die praktischen Umsetzungsdefizite bei den „Blauen Prüffragen“ und bei den GGO-Anforderungen zur besseren Rechtsetzung stellt diese heraus: „Ja, die ‚Blauen Prüffragen’ wurden im Prinzip nicht angewandt. (…) Sie müssen das Gesetz über verschiedene Ebenen bringen und mit den verschiedensten Personen abstimmen und das führt immer wieder zu Kompromissen. An einem Punkt, das hört sich jetzt vielleicht komisch an, ist es egal, ob das noch der bestformulierteste Satz oder die klarste Regelung ist oder ob sie wirklich notwendig ist, wenn Sie den Kompromiss in der Sachfrage erreichen, stimmen Sie der ‚unklareren’ Regelung zu, wenn Sie damit alle in ein Boot bekommen. Die sachliche Einigung hat im
260
Zweifel Vorrang vor der rechtlich strukturellen. (…) In meinem Bereich entstehen viele Gesetze und wir versuchen immer, technisch gute Gesetze zu erarbeiten: keine Doppelregelungen, klare Gesetzessprache, nichts regeln was unnötig ist, also all dieses zu realisieren, was in den ‚Blauen Prüffragen’ oder auch jetzt der GGO in kleinerer Form aufgenommen ist. Aber die ersten Einschnitte gibt es immer schon in den Ressortabstimmungen. Das sind in der Regel drei bis vier Abstimmungen über die verschiedenen Ebenen bis zur Staatssekretärsebene. In unserem Bereich kommen gesetzlich verankerte Beteiligungspflichten der Verbände hinzu, so dass auch sie eingebunden werden müssen. Dann kommen noch verschiedene Beauftragte hinzu wie z.B. Gleichstellungsbeauftragte, Schwerbehindertenbeauftragte. Im Ergebnis müssen Sie letztlich die verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Intentionen unter ein Dach bringen. (…) Sie können immer nur mit der Philosophie antreten, gute Gesetze zu produzieren, aber sie können dieses Ziel am Ende nicht mehr ganz steuern.“ (Interview BMI 2006)
Es bestehen wenig Anreize, Folgenaspekte, welche die politische Durchsetzungsfähigkeit eines Gesetzentwurfes gefährden könnten (insbesondere betrifft dies die Kostenseite), konkret darzustellen: „Also man kann perfekte Modelle entwickeln, wenn es viel kostet, wird es schwierig. Das betrifft insbesondere die eher weichen Faktoren (…), wie z.B. Implementierungsstrategien. Das zu berechnen ist nicht immer einfach. In diesen Fällen erfolgt eine wirkliche Gesetzesfolgenabschätzung manchmal nur zögerlich. Um bei dem Beispiel ‚Einführung von Leistungsbezahlung’ zu bleiben: (…). Wenn darunter die Kosten für Fortbildung und Implementierung stehen, erschwert das den Kompromiss. Deswegen ist man da eher zurückhaltend. Das gilt auch für Umstellungskosten von Verfahren, Strukturen oder Software.“ (Interview BMI 2006)
Ein mit Kostenfolgenabschätzung und Preiswirkungsanalyse befasster Mitarbeiter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie betont, dass umfassende Folgenabschätzungen in vielen Fällen politisch nicht erwünscht seien: „Und der Knackpunkt ist einfach, (…) wie Gesetze (…) auf den Weg gebracht werden. Also eigentlich sollte es ja so sein: Man hat ein Problem, analysiert das und überlegt sich eine Regelung. Oder ob man überhaupt eine Regelung dazu braucht und prüft Alternativen. Aber so läuft es in der Praxis nicht, weil das im politischen Raum entschieden wird: Das ist ein Problem, das muss innerhalb von zwei Tagen so und so gelöst werden. Und damit ist ja eigentlich schon mal die Variantenfreiheit weg und letztendlich auch die Entscheidungsoffenheit. Da ist schon das Ergebnis mehr oder minder vorgegeben und dann geht es einfach nur noch darum, wie administriere ich das. Und deswegen ist es auch sehr oft bei Gesetzesvorlagen, die das
261
besondere Anliegen einer Partei oder eines Ministers sind, so, dass Sie dazu auch nichts Kritisches mehr aufschreiben können. (…) Es [die umfassende Darstellung von Gesetzesfolgen] ist also, denke ich, politisch in vielen Fällen nicht gewünscht.“ (Interview BMWi 2006)
Geht man davon aus, dass die Umweltanforderung, Durchsetzungsfähigkeit für einen Gesetzentwurf herzustellen, für die federführenden Einheiten in der Ministerialverwaltung eine höhere Priorität besitzt als die Umweltanforderung, Gesetzesfolgen darzustellen, dann ist eine über eine formale Anpassung hinausgehende Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung nur dann wahrscheinlich, wenn daraus keine wesentlichen Widersprüche zu der Anforderung, Durchsetzungsfähigkeit herzustellen, resultieren. Für den deutschen Fall ergibt sich jedoch der erheblicher Widerspruch, dass es für die regierungsinterne Durchsetzungsfähigkeit eines Gesetzentwurfes von elementarer Bedeutung ist, ob das federführende Ministerium seinen Informationsvorsprung gegenüber anderen Ministerien erhalten kann. Informationen stellen im politischen Aushandlungsprozess ein ganz wesentliches Machtmittel dar, welches nicht ohne Weiteres aus der Hand gegeben wird. Entscheidungen darüber, wer welche Informationen wann erhält, sind ein wichtiges Steuerungsinstrument. Das Interesse des federführenden Ministeriums, diese Möglichkeit zur Ausübung von Einfluss über Informationen und damit zur Erhöhung der Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Gesetzentwürfe, aufgrund von Vorschriften zur Herstellung von Transparenz über die Ergebnisse von Folgenabschätzungen aus der Hand zu geben, ist in Deutschland gering. Für den schwedischen Fall hingegen besitzt dieses Argument kaum Relevanz, da wesentliche Teile der Gesetzesvorbereitung in staatliche Untersuchungskommissionen ausgelagert werden. Entscheidungsnetzwerke in der Politikformulierung Schwedens können deshalb nicht dieselbe Geschlossenheit und Intransparenz erreichen wie in Deutschland. Da Kommissionsgutachten und damit auch die Ergebnisse von im Kommissionswesen durchgeführten Folgenabschätzungen veröffentlicht werden und fast immer ein umfassendes und offenes Konsultationsverfahren stattfindet, dessen Ergebnisse wiederum öffentlich zugänglich sind, stellt „Information“ für die schwedische Ministerialverwaltung kein vergleichbares strategisches Machtmittel dar. Insofern stellen Vorschriften zur Folgenabschätzung auch keine Gefahr dar, dieses Machtmittel zu verlieren. Die schwedische Ministerialverwaltung stellt im Rahmen der Propositionen üblicherweise die bereits öffentlich verfügbaren Informationen über zu erwartende Gesetzesfolgen noch einmal zusammen und nutzt diese zur Begründung 262
ihrer Entscheidungen. Alternativen werden dabei nicht per se ausgeblendet, sondern argumentativ widerlegt. Die Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung enthält für die schwedische Ministerialverwaltung somit deutlich weniger Konfliktpotential und funktionalitätsbedingte Widersprüche zu der Anforderung, Durchsetzungsfähigkeit für Gesetzentwürfe herzustellen. Hinzu kommt, dass es im schwedischen Abstimmungsprozess in der Regel weniger Akteure gibt, welche die Ergebnisse von Folgenabschätzungen als argumentatives Futter zur Unterstützung ihrer Opposition gegen den Entwurf nutzen können (siehe oben, geringe Anzahl von Akteuren im Abstimmungsprozess und kein Vetopotential der regionalen Ebene oder einer Koalitionspartei).
4.2.1.2 Analytische Perspektive 2: Anforderungen der Regierung als Kollektivorgan Während bisher vor allem auf die sich aus den Anforderungen der Leitung des federführenden Ministeriums zur Erarbeitung durchsetzungsfähiger Entwürfe im Kabinett ergebenden Widersprüche zur Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung eingegangen wurde, wird nun die analytische Perspektive der Regierung als Kollegialorgan eingenommen. Die Anforderung zur Herstellung von Durchsetzungsfähigkeit bezieht sich hier vor allem auf das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren. Grundsätzliches Ziel ist es, dass Regierungsentwürfe im Parlament eine Mehrheit finden und möglichst wenig verändert werden. Da in Deutschland üblicherweise Mehrheitsregierungen an der Macht sind und die Fraktionsdisziplin in der Regel sehr hoch ist, sind die Mehrheiten für Regierungsentwürfe im Bundestag in der Regel gesichert. Eine Darstellung von (möglicherweise unerwünschten) Gesetzesfolgen aufgrund von Vorgaben zur Folgenabschätzung stellt jedoch eine potentielle Gefährdung dieser Durchsetzungsfähigkeit dar, da die Oppositionsparteien diese Argumente für ihre Zwecke ausnutzen und vermittelt über die Medien und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung die Regierung zum Umsteuern zwingen könnten. Vorschriften zur Folgenabschätzung stellen also aus Sicht der deutschen Regierung kein Instrument dar, welches die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Entwürfe erhöhen kann. Im Gegenteil, potentiell könnte eine tatsächliche Implementation von Folgenabschätzungsanforderungen die Stellung des Parlaments (bzw. aufgrund der realen Trennlinie zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit auf der einen Seite und parlamentarischer Opposition auf der anderen Seite) im Gesetzgebungsverfah-
263
ren stärken, woran die jeweilige Regierung kein Interesse haben dürfte. Ähnliche Mechanismen gelten für den Bundesrat. In Schweden gestaltet sich die Situation vor allem deshalb anders, weil in dem skandinavischen Land häufig Minderheitsregierungen an der Macht sind. Die parlamentarische Mehrheit für Regierungsentwürfe ist somit meist nicht durch die Regierungsfraktionen abgesichert, sondern die Mehrheiten müssen je nach Sachfrage immer wieder neu beschafft werden. Wechselnde Abstimmungskoalitionen verschiedener Parteien sind dabei durchaus üblich, was die in der Einleitung erwähnte These über den rationalen und pragmatischen schwedischen Politikstil stützt. Sachargumente sind zur themenspezifischen Mehrheitsbeschaffung ebenso hilfreich wie die Schaffung eines unterstützenden Klimas in der Öffentlichkeit. Regierungsvorlagen müssen also Überzeugungsarbeit leisten, was durch eine umfangreiche Darstellung des Entscheidungsfindungsprozesses und eine Diskussion der wesentlichen Pro- und Kontra-Argumente geschieht. Folgenabschätzungen haben deshalb in Schweden eine bessere Chance, tatsächlich in den Politikformulierungsprozess integriert zu werden. Sie stehen nicht im selben Maße wie in Deutschland im Widerspruch zur Herstellung und Sicherung der Durchsetzungsfähigkeit von Gesetzentwürfen.
4.2.2 Vorentscheidungsmacht der Ministerialverwaltung und informationelle Entlastung der Politik Neben der Durchsetzung von Gesetzentwürfen besteht eine zweite wichtige Anforderung der politischen Leitung eines Ressorts an die ministerielle Arbeitsebene in der Reduktion von Informationen. Diese Anforderung besteht grundsätzlich unabhängig von anderen landesspezifischen Merkmalen des Gesetzgebungsprozesses, da die Informationsverarbeitungskapazitäten der Leitungsebene in einem hierarchisch aufgebauten Ministerium immer geringer sind als diejenigen der zahlreichen spezialisierten Untereinheiten. Von ‚unten’ nach ‚oben’ findet also ein Prozess der Filterung und Reduzierung von Informationen statt. Zwar kann es in Ausnahmefällen erwünscht sein, dass in der zuständigen Basiseinheit im Ministerium verschiedene Alternativen zur Lösung eines politischen Problems ausgearbeitet werden, in der Regel besteht die Präferenz der politischen Leitung aber in bereits vorabgestimmten Entwürfen. Das bedeutet, dass die federführende Arbeitseinheit Vorstellungen der politischen Spitze – wenn sie nicht explizit geäußert werden (und das ist die Regel) – antizipieren muss. Der
264
frühzeitige Ausschluss von Alternativen durch die Ministerialverwaltung (Vorentscheidungsmacht) ist dabei in den meisten Fällen politisch gewollt. In der wissenschaftlichen Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass der Einfluss der Ministerialbeamten bei Gesetzgebungsvorhaben mit routinehaftem oder eher technischem Charakter besonders groß ist (Lundquist 1992: 97). In der Regel handelt es sich dabei um Themen, über die keine öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung stattfindet („administrative Gesetzgebung“, Smeddinck/Tils 2002: 314). Die fehlende öffentliche Diskussion und die relativ geringe Steuerungsintensität seitens der Politik führen dazu, dass die Handlungsoptionen und Einflussmöglichkeiten der Ministerialverwaltung in solchen Fällen oft sehr groß sind. Das bedeutet, dass bei administrativer Gesetzgebung die Ziele, Inhalte und Formen von Gesetzentwürfen in hohem Maße durch die Basiseinheiten der Ministerialverwaltung vorentschieden werden147, genauso wie strategische Entscheidungen über den Gang des Verfahrens vielfach ohne Mitsprache der politischen Leitung auf der Arbeitsebene der Ministerien gefällt werden. Quantitativ gesehen bildet diese Art der administrativen Gesetzgebung, aufgrund der begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten der politischen Entscheidungsträger und der Konzentration auf wenige Themen auf der Medienagenda (Themenökonomie), die Mehrheit aller Regelungsverfahren (Smeddinck/ Tils 2002: 314ff). Politikformulierungsprozesse, die über eine gewisse Zeitspanne ein zentrales Thema der politischen und öffentlichen Auseinandersetzung sind („politische Gesetzgebung“, Smeddinck/Tils 2002: 308), werden hingegen in wesentlich höherem Maße politisch gesteuert. Der Gestaltungsspielraum der Verwaltung ist in diesen Fällen deutlich geringer. Während die Alternativenauswahl bei „politischer Gesetzgebung“ also in erheblichem Ausmaß durch politische Akteure (Minister, Koalitionsarbeitsgruppen u.a.) mitgestaltet bzw. manchmal sogar determiniert wird, finden in der Mehrheit der Gesetzgebungsverfahren („administrative Gesetzgebung“) nur selten und häufig erst spät im Prozess direkte Interaktionen mit der politischen Spitze statt. Mayntz und Scharpf stellten für die Politikformulierung im politisch-administrativen System der BRD schon 1973 in einer Studie fest, dass Programmalternativen in der deutschen Ministerialverwaltung in einem horizontal verlaufenden Kommunikationsprozess ausdiskutiert werden. In die vertikalen Kommunikationskanäle gelangen in der Regel nur bereits abgeklärte Argumente. Lediglich bei konfliktträchtigen Alternativen wird die Entscheidung mit der nächsthöheren Hierarchieebene vorab geklärt. Die empirische Forschung in 147 „Vorentscheidungsrecht“ der Ministerialverwaltung (Smeddinck/Tils 2002: 301).
265
Schweden deckte für die Kanzlei der Ministerien ähnliche Mechanismen auf (Premfors/Sundström 2007: 55, Erlandsson 2001: 43 am Beispiel des Landwirtschaftsministeriums). Welche Schlussfolgerungen sind aus diesen Erkenntnissen hinsichtlich der Implementation von Folgenabschätzungen zu ziehen? Das Basisargument der in diesem Abschnitt diskutieren Hypothese besteht darin, dass Implementationsdefizite eine Reaktion auf widersprüchliche Umweltanforderungen sind. Somit stellt sich die Frage, ob Widersprüche zwischen der von der Politik explizit oder implizit artikulierten Anforderung an eine Informationsreduktion und den in der GGO (Deutschland) bzw. in verschiedenen Richtlinien, Checklisten und Handbüchern (Schweden) niedergeschriebenen Anforderungen zur Folgenabschätzung bestehen. Vorschriften zur Folgenabschätzung verfolgen das Ziel einer Verbesserung der Informationsgrundlage für politische Entscheidungsträger und somit einer Erhöhung der zu verarbeitenden Informationen. Anforderungen der politischen Leitung an eine Informationsreduktion hingegen haben eine entgegengesetzte Intention und delegieren damit originär politische Gestaltungsaufgaben an die Ministerialverwaltung. Die dezisionistische Vorstellung einer klaren Trennung zwischen administrativen Akteuren (als neutralen Informationslieferanten) und politischen Akteuren (als legitimierten Entscheidungsträgern) wird dadurch als realitätsfern entlarvt. Die Theorie liefert hierbei ein plausibles Argument dafür, dass die Ministerialverwaltung mit zunehmender Anzahl und Komplexität der Regelungsmaterien sogar in einem wachsenden Ausmaß politische Aufgaben und (Vor-)Entscheidungen übernehmen muss. Diese Entwicklung spiegelte sich in der modernen Gesellschaft in einer wachsenden (Partei-)Politisierung in vielen westlichen Ländern wider.148 Höhere Verwaltungsbeamte verstehen sich in der Regel nicht als neutrale und machtlose Ausführende politischer Vorgaben, sondern durchaus als einflussreiche Mitgestalter der Politik. Aberbach et al. stellten in einer international vergleichenden Untersuchung bereits 1981 fest, dass die Vermischung der Rollen von Politikern und Beamten in der politischen und administrativen Elite besonders stark sei (Aberbach et al. 1981, neuere Studien für Deutschland vgl. Schwanke/Ebinger 2006; Derlien 2008). Für Deutschland kam Steinkemper bereits 1974 auf Grundlage der Auswertung einer Befragung von Beamten in Führungspositionen zu ihrem beruflichem Werdegang und zu ihrer Parteiidentifikation zu dem Schluss, dass nur etwa die 148 Die wachsende Politisierung der Ministerialbürokratie wurde als Reaktion auf eine Tendenz zur Bürokratisierung der Politikformulierung interpretiert (Mayntz 1983).
266
Hälfte der höheren Ministerialbeamten ‚klassische Bürokraten’149 seien, während die andere Hälfte dem Typus des ‚politischen Bürokraten’150 zuzuordnen sei. Viele Führungskräfte in der Ministerialverwaltung verstanden ihre Arbeit als Möglichkeit der Einflussnahme auf politische Entscheidungen und der Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse (Steinkemper 1974: 96f). Spätere Untersuchungen bestätigten diese Erkenntnisse und zeigten zudem eine steigende Tendenz in Bezug auf die (Partei-)Politisierung von Ministerialbeamten (Machura 2000: 11). Waren 1970 noch 72% der Bonner Staatssekretäre und Abteilungsleiter Parteilose, sank der Anteil der Parteilosen bis Anfang der 1980er Jahre auf unter 50% und lag 1994 bei nur noch 40% (Derlien 2002: 242). 2005 waren 75% der Staatssekretäre, 60% der Abteilungsleiter und ein Drittel der Unterabteilungsleiter Parteimitglieder (Schwanke/Ebinger 2006). Es gilt als ‚offenes Geheimnis’, dass eine (Partei-)Politisierung der Ministerialverwaltung in der BRD, trotz des verfassungsmäßigen Verbots, auch auf der Ebene der Unterabteilungsleiter und darunter stattfindet. So waren beispielsweise während der Regierungszeit von Helmut Kohl 1995 ein reichliches Drittel der Unterabteilungsleiter der Bundesministerien CDU/CSU-Mitglieder (Derlien 2002: 243). Zum Ende der Regierungszeit von Gerhard Schröder hingegen traf dies nur noch auf 5% zu, was verdeutlicht, dass es auch ohne die formelle Möglichkeit zur Versetzung von politischen Beamten in den einstweiligen Ruhestand, welche in Deutschland nur für Abteilungsleiter und beamtete Staatssekretäre besteht, einen Personalaustausch gegeben hat. Derlien und Mayntz zeigten in einer Ende der 1980er Jahre durchgeführten Untersuchung, dass Ministerialbeamte ihre Funktion zunehmend als politisch interpretieren und überwiegend Gefallen an einer Tätigkeit im Zwischenbereich von Verwaltung und Politik finden. So hatten noch 1970 45% der befragten Beamten angegeben, dass ihnen die politische Seite ihrer Arbeit sehr gut gefiele. 1987 hingegen traf dies auf drei Viertel der Befragten zu (Derlien 1995: 102ff). Die im Jahr 2005 durchgeführte Konstanzer Elitestudie zeigte, dass sich in der Selbstzuordnung der Spitzenbeamten zu idealtypischen Rollenbildern im Vergleich zu 1987 kaum Veränderungen ergeben haben. Allerdings ergab die Konstanzer Studie auch, dass 2005 deutlich mehr Beamte 149 Als ‚klassischer Bürokrat’ wird ein Beamtentyp bezeichnet, der ihm übertragene Aufgaben entsprechend den Intentionen seiner Auftraggeber ausführt, ohne eigene Einstellungen zur Richtschnur seines Handelns werden zu lassen (Steinkemper 1973: 5). 150 Die Bezeichnung ‚politischer Bürokrat’ geht auf Putnam zurück und ist nicht zu verwechseln mit dem rechtlich definierten Typ des politischen Beamten. Putnam meint, dass die Handlungsorientierung politischer Bürokraten eher problemorientiert und nicht in erster Linie verfahrensorientiert (wie beim klassischen Beamten) sei (Putnam 1973).
267
als 1987 eine (teilweise) Überlappung der Rollen von Politikern und Beamten wahrnahmen, was möglicherweise ein weiteres Indiz für eine zunehmende Verschmelzung der Rollenbilder (Schwanke/Ebinger 2006) und der realen Aufgabenteilung ist. Für Schweden ist eine ähnliche Tendenz hin zu einer zunehmenden Politisierung der Ministerialverwaltung nachweisbar. Grundsätzlich gilt die Kanzlei der Ministerien in Schweden aufgrund ihrer geringen Größe und aufgrund ihrer Funktionsbestimmung im Gesetzgebungsprozess (vor allem Koordination und Abstimmung, Wissensgenerierung erfolgt durch Kommissionen und zentrale Verwaltungsbehörden) als sehr politiknah. In den letzten Jahrzehnten hat die formelle Trennung von Politik und Verwaltung, die sich beispielsweise darin widerspiegelte, dass noch in den 1970er Jahren die administrative Elite Schwedens vorrangig aus Beamten ohne parteipolitischen Hintergrund bestand (Matheson et al. 2007: 37), jedoch an Bedeutung verloren. Der realen Funktionsund Aufgabenvermischung entsprechend ist ein parteipolitischer Hintergrund des Führungspersonals in der Kanzlei der Ministerien (aber auch in den zentralen Verwaltungsbehörden) heute durchaus üblich: „Over the last three decades, an increasing percentage of senior administrators in the Government Office and the agencies have a political background as members of some political party, whereas the enrolment of the population at large in political parties is rapidly falling.” (Molander/Nilsson/Schick 2002: 10)
Trotzdem ist zu betonen, dass das Prinzip der politischen Neutralität – auch für administratives Führungspersonal – tief in der politischen-administrativen Kultur Schwedens verankert ist. Parteimitgliedschaften sind zwar üblicher geworden, das bedeutet aber nicht zwingend, dass das Parteibuch identisch mit der regierenden Partei sein muss, um in Führungspositionen in der Kanzlei der Ministerien zu gelangen oder zu bleiben. Dass auch nach einem Regierungswechsel Personal nur sehr selten ausgetauscht wird ist ein Faktor, der den kulturell verankerten Neutralitätsgedanken veranschaulicht (Matheson et al. 2007). Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die Rollenbilder in der politischen und administrativen Elite sowohl in Deutschland als auch in Schweden in den letzten Jahren zunehmend vermischt haben und von einer wachsenden Politisierung der Ministerialverwaltung in beiden Ländern gesprochen werden kann, wobei die Parteipolitisierung in Deutschland stärker ausgeprägt ist als in Schwe-
268
den.151 Diese Belege sind Ausdruck der wachsenden Bedeutung einer Entlastung von politischen Entscheidungsträgern durch die Ministerialverwaltung, indem diese eine Vielzahl von politischen Entscheidungen fällt, ohne sie im Einzelnen mit der politischen Leitung abzustimmen. Hieran wird deutlich, dass eine umfassende Darstellung der Vor- und Nachteile verschiedener Regelungsalternativen als Informationsbasis für eine politisch zu fällende Entscheidung der Anforderung an eine Reduktion der Informationen für die politische Leitungsebene widerspricht. Mayntz und Scharpf zeigten für die deutsche Ministerialverwaltung bereits vor drei Jahrzehnten, dass Vorlagen mit Alternativen in der Praxis von der administrativen Leitungsebene häufig als ‚unausgereift’ zurückgewiesen werden, da eine wichtige Aufgabe der Arbeitsebene eben nicht vorrangig in der Vervollständigung von Informationen für Entscheidungsträger, sondern in der die Präferenzen der politischen Leitung antizipierenden Informationsreduktion sowie der Vorentscheidung und Vorabstimmung von Regelungsentwürfen liegt. Diese Tatsache spiegelt sich in den empirischen Daten zur Implementation von Anforderungen zur Folgenabschätzung für Deutschland (Kap. 3.2.3) deutlich darin wider, dass Alternativen in deutschen Gesetzentwürfen fast nie genannt, geschweige denn umfassend analysiert werden. Der Regelfall ist eine ‚rein formale Anpassung’ an die GGO-Vorschriften zur Darstellung von Alternativen. Der hohe Grad an ‚rein formaler Anpassung’ hinsichtlich der Anforderung zur Darstellung von Alternativen im Gesetzesvorblatt und in der Gesetzesbegründung ist eine Reaktion der Ministerialbeamten auf widersprüchliche Anforderungen: Zum einen verlangt die politische Führung eindeutige Vorlagen, zum anderen erfordern die Vorschriften der GGO und andere Beschlüsse zum Thema ‚bessere Rechtsetzung’ die Prüfung und Darstellung von Alternativen. Gelöst wird dieser Konflikt, indem die Alternativenfrage mit „keine“ beantwortet wird. So werden die GGO-Vorschriften formal erfüllt, während sich die realen Aktivitäten an den Anforderungen der politischen Leitung orientieren.152 Die empirische Untersuchung schwedischer Propositionen zeigte, dass eine ‚rein formale Anpassung’ an die Vorschrift, Alternativen darzustellen, nicht existierte. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Anforderung zur Darstellung von Alternativen befand sich in Schweden auf sehr hohem Niveau. Wie sind diese Ergebnisse zu interpretieren, wenn man davon ausgeht, dass in Schweden ähnlich wie in 151 Letzteres ist angesichts der Unterschiede zwischen dem deutschen und dem schwedischen Regierungs- und Parteiensystem und der daraus resultierenden Konkurrenz zwischen zwei großen Volksparteien in Deutschland nicht weiter verwunderlich. 152 Dieses Verhalten entspricht der unter anderem von Brunsson (1989) beschriebenen Entkopplung von formalem und tatsächlichem Organisationshandeln.
269
Deutschland Informationsreduktion eine wichtige Anforderung der politischen Entscheidungsträger ist? Hierzu ist es zunächst wichtig, die empirischen Ergebnisse genauer zu betrachten. Der hohe Grad an ‚tatsächlicher Erfüllung’ in Bezug auf die Darstellung von Alternativen in den schwedischen Propositionen bedeutet nämlich nicht, dass tatsächlich eine gleichwertige Analyse verschiedener Regelungsalternativen erfolgte. Eine umfassende Alternativenanalyse inklusive der vergleichenden Bewertung von Kosten und Nutzen ist in Schweden ebenso wenig wie in Deutschland üblich, was sich durch dieselben Widersprüche zwischen informationeller Entlastung einerseits und dem normativen Ideal einer umfassenden Alternativenanalyse andererseits erklären lässt. Anders als in der BRD werden in Schweden alternative Vorschläge, die z.B. im Kommissionswesen diskutiert oder im Rahmen des Remiss-Verfahrens geäußert wurden, in den Propositionen aufgegriffen, und es wird begründet, warum diese Vorschläge übernommen worden sind oder nicht. Das Öffentlichkeitsprinzip als ein wesentlicher Grund hierfür wird im folgenden Abschnitt ausführlich diskutiert.
4.3 Kontrollhypothese Trotz der beschriebenen Widersprüche zwischen den Funktionalitäten des Gesetzgebungsprozesses und der Herstellung von Transparenz über durchgeführte Folgenabschätzungen in Deutschland, wurden der Vollzugsaufwand und die Haushaltsauswirkungen von Gesetzentwürfen im Jahr 2006 in mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle auf den Gesetzesvorblättern und in den Gesetzesbegründungen nachvollziehbar dargestellt. Um dieses Phänomen zu erklären, wird auf eine zweite, ebenfalls auf der Basis neo-institutionalistischer Theorieansätze entwickelte, Hypothese zurückgegriffen. Danach kann eine über die Formalebene hinausgehende Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung dann gegeben sein, wenn ein oder mehrere Akteure vorhanden sind, welche – entweder aufgrund eigener Interessen (wie der NNR in Schweden) oder aufgrund eines politischen Mandates (wie der NKR in Deutschland) – die Umsetzung der Vorschriften zur Folgenabschätzung kontrollieren. Entscheidend für den Implementationsgrad ist dabei jedoch nicht nur die Existenz eines ‚Kontrolleurs’, sondern auch dessen Kontrollvermögen, welches in engem Zusammenhang mit Kompetenzen/Zugriffsmöglichkeiten und Fragen der Transparenz steht. Die dahinterstehende theoretische Argumentation ist, dass es in einem eher transparenten System der exekutiven Politikformulierung wie etwa in Schweden 270
schwieriger ist, Entscheidungen nicht zu implementieren und trotzdem die notwendige Legitimität aus den verschiedenen Organisationsumwelten (zum Beispiel: zentrale Verwaltungsbehörden von der Regierung oder Regierung vom Parlament) zu erhalten, als dies in einem ‚black box’-System wie dem der deutschen Ministerialverwaltung der Fall ist. Begründet wird dies dadurch, dass in einem transparenten System eine Nicht-Implementation von Umweltanforderungen von außen leichter durchschaut werden kann als in einem intransparenten System. In ‚black box’-Systemen können Umweltanforderungen leichter durch ‚schöne Reden’ (talk) oder formale Anpassungen (decision without action) befriedigt werden.153 Der Grad der Übereinstimmung von talk und decision lässt sich auch in intransparenten Systemen noch relativ leicht kontrollieren, die Kopplung zwischen decision und action hingegn nicht. Die darstellten Annahmen sind jedoch nicht nur aus theoretischer Perspektive interessant, sondern auch deshalb, weil das Fehlen ausreichender Kontrollmechanismen in der bisherigen Forschung und in Einschätzungen von Praktikern meist als ein Hauptgrund für die mangelnde Beachtung von Folgenabschätzungsanforderungen herausgestellt wurde. So identifizierte man die mangelnden Kontrollmöglichkeiten und die fehlende Transparenz bei der Erfüllung von Prüfstandards bereits im Zusammenhang mit der Diskussion über die „Blauen Prüffragen“ in Deutschland als wesentliche Erklärungen für deren praktische Irrelevanz (Sachverständigenrat Schlanker Staat 1998: 18; Interview BMI 2006), ebenso wie fehlende Kontrollmöglichkeiten häufig als Grund für die Umsetzungsmängel der GFA genannt werden (OECD 2004a; Interview BMJ 2007). Auch für Schweden betonte die OECD in ihrer Evaluation der dortigen Regulierungsreform 2007, dass das Fehlen von Kontrollprozeduren eine der Hauptursachen für Implementationsdefizite von Verfahren zur Folgenabschätzung sei: „There are plenty of consultation procedures, but no institutional checks that forces reluctant parties to commit themselves when assessing the actual impact of their legislation. An exception to this situation is the role of the Better Regulation Unit at the Ministry of Industry, Employment and Communications, which has the possibility to demand the need for amendments to the RIAs.” (OECD 2007: 50)
Die Relevanz von Kontrolle und Transparenz für den Grad der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung wird im Folgenden auf Basis der empirischen Erkenntnisse aus Kap. 3 diskutiert. 153 Zur Terminologie von talk, decision und action siehe Kap. 4.1 und Brunsson 1989.
271
4.3.1 Kontrolle und Transparenz in Deutschland Um die Bedeutung von Kontrolle und Transparenz für die Implementation der GGO-Anforderungen in Deutschland zu diskutieren, wird im Folgenden zunächst die formale regierungsinterne Institutionalisierung von Kontrollmechanismen im Gesetzgebungsprozess betrachtet.
4.3.1.1 Die regierungsinterne Institutionalisierung von ‚Kontrolle’ in Deutschland Im Verfahren der Ressortabstimmung von Gesetzentwürfen auf Bundesebene sind verschiedene Instanzen mit Kontrollaufgaben betraut. Das BMJ ist laut § 46 Abs. 1 GGO für die rechtssystematische und rechtsförmliche Prüfung von Gesetzesvorlagen (Rechtsförmlichkeitsprüfung, heute: Rechtsprüfung) zuständig. Dabei gelten „das vom Bundesministerium der Justiz herausgegebene Handbuch der Rechtsförmlichkeit und die vom Bundesministerium der Justiz im Einzelfall gegebenen Empfehlungen“ (§ 42 Abs. 4 GGO). Die Rechtsförmlichkeitsprüfung gibt es bereits seit der Gründung der BRD. Sie wurde als Reaktion auf die schwache Stellung des Reichsjustizministeriums in der Weimarer Republik eingeführt154, um durch eine zentrale Prüfzuständigkeit eines von sektorspezifischen Verwaltungsinteressen freien Ressorts Recht und Verfassungstreue der Fachministerien sicherzustellen. Das BMJ, „frei von Bindungen an Verwaltungsinteressen, allein auf die Wahrung des Rechts bedacht“, wurde als diejenige Instanz gesehen, die „zur Erfüllung dieser Aufgabe in besonderem Maße berufen“ ist (Erster Tätigkeitsbericht der Bundesregierung „Deutschland im Wiederaufbau“, zit. nach BMJ 1999, Teil A, Kap. 1). In der GGO sind keine näheren Erläuterungen zum Inhalt der Rechtsprüfung enthalten. Das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ beschreibt die Aufgaben der Rechtsprüfung wie folgt: „Sie [die Rechtsprüfung] setzt schon bei der Vorfrage an, ob die geplante Regelung in dem vorgesehenen Umfang notwendig ist, um das angegebene Regelungsziel zu erreichen. Im Mittelpunkt der Rechtsprüfung steht dann, ob die Regelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Die Prüfung konzentriert sich auf die Verfassungsmäßigkeit, die Vereinbarkeit mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, so154 Das Reichsjustizministerium besaß in der Weimarer Republik keine besonderen Prüfrechte. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit oblag allein dem Reichsministerium des Innern (siehe Reichsministerium des Innern 1926).
272
weit der EG-Bezug offenkundig ist oder von dem vorlegenden Ressort entsprechende Fragen gestellt werden, sowie auf die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Ferner wird geprüft, ob sich die vorgesehenen Regelungen widerspruchslos in die bestehende Rechtsordnung einfügen: Ist die Systematik richtig? Wird die Hierarchie der Normen beachtet? Sind die Bezüge klar (z.B. starre oder gleitende Verweisungen)? Werden doppelte und widersprüchliche Regelungen vermieden? Sind die Regelungsinhalte eindeutig und für die Normadressaten verständlich formuliert? Ist das Verhältnis von Regel und Ausnahme sachgerecht? Sind die Sanktionen angemessen? Sind die Vorschriften problemlos anwendbar? Wird das Vertrauen auf die Beständigkeit rechtlicher Regelungen durch zu häufige Änderungen gestört?“ (BMJ 1999, Teil A, Kap. 1)
Dieses Zitat zeigt, dass die Anforderungen an eine Rechtsprüfung im „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ sehr weit ausgelegt werden. So gehören laut Handbuch unter anderem Fragen der Notwendigkeitsprüfung, eine Beurteilung der Praktikabilität, der Verständlichkeit, der Angemessenheit der Sanktionen und der Nachhaltigkeit der Regelung zu einer Rechtsprüfung. In der Praxis beschränkt sich die Rechtsprüfung jedoch meist auf die Prüfung der Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit geltendem Recht (vertikale Rechtsprüfung als Prüfung der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und horizontale Rechtsprüfung als Prüfung der Einpassung in das Bundesrecht) sowie auf rechtstechnische Fragen der Entwurfsgestaltung (Interview BMJ 2007). Innerhalb des Bundesministeriums der Justiz wird die Rechtsprüfung in der Praxis von verschiedenen Referaten wahrgenommen, die auf bestimmte Rechtsgebiete/Ressorts spezialisiert sind (Mitprüfungsreferate). Für Grundsatzfragen der Rechtsprüfung ist ein gesondertes Referat zuständig, welches auch die eigenen Entwürfe des BMJ überprüft. Nach Abschluss der Rechtsprüfung bescheinigt das Mitprüfungsreferat des BMJ dem federführenden Referat, dass keine rechtlichen Bedenken bestehen. Das federführende Ministerium kann nun in dem Anschreiben der Kabinettsvorlage vermerken (§ 51 GGO), dass das BMJ die rechtsförmliche und rechtssystematische Prüfung nach § 46 Abs. 1 GGO bestätigt hat. Während die Rechtsprüfung im beschriebenen, umfassenden Sinne durch das BMJ erfolgt, ist die Zuständigkeit für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzentwürfen zwischen dem BMJ und dem BMI geteilt. § 45 Abs. 1 GGO legt hierzu fest: „Zur Prüfung von Rechtsnormen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz sowie in allen übrigen Fällen, in denen Zweifel bei der Anwendung des Grundgesetzes auftreten, sind die Bundesministerien des Innern und der Justiz zu beteiligen.“
273
Die Zuständigkeit von Justiz- und Innenministerium für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzentwürfen ist im Kabinett mit besonderen Rechten dieser Ministerien verbunden. So besitzen das BMI und das BMJ laut § 26 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) ein suspensives Veto im Kabinett in Bezug auf Fragen der Vereinbarkeit von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen mit geltendem Recht. Das BMI und das BMJ können demnach gegen Beschlüsse des Kabinetts Widerspruch einlegen, wenn sie diese für unvereinbar mit geltendem Recht halten. Um den Beschluss trotzdem durchzusetzen, ist eine erneute Abstimmung des Kabinetts in einer anderen Sitzung erforderlich, wobei die Anwesenheit des Innen- bzw. Justizministers oder eines Vertreters erforderlich ist und der Bundeskanzler mit der Mehrheit stimmen muss. Für die Prüfung der Haushaltsauswirkungen und des Vollzugsaufwands von Gesetzentwürfen ist das Bundesministerium der Finanzen zuständig.155 Hinsichtlich der Rolle des BMF bei der Prüfung der Kostenfolgen von Gesetzentwürfen für die öffentlichen Haushalte sind die Vorgaben der GGO und der GOBReg umfassend. So kann das BMF laut § 44 Abs. 2 GGO allgemeine Vorgaben für die Darstellung der Auswirkungen von Gesetzentwürfen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte festlegen, hat aber von dieser Möglichkeit bisher keinen Gebrauch gemacht. Berechnungen oder Schätzungen dieser Kostenfolgen durch Bundesministerien haben im Benehmen mit dem BMF zu erfolgen. In Kabinettsvorlagen ist nach § 51 GGO anzugeben, mit welchen Kosten Bund, Länder oder Kommunen bei der Ausführung des Gesetzes belastet werden und ob das BMF sein Einverständnis erklärt hat. In der GOBReg ist in § 16 Abs. 3 zudem festgeschrieben, dass bei der Vorlage von Gesetzentwürfen mitzuteilen ist, „dass die Ausführung des Gesetzes Bund, Länder oder Gemeinden nicht mit Kosten belastet oder, wenn dies der Fall ist, ob der Bundesminister der Finanzen nach Kenntnis von dem Plane des Gesetzes Widerspruch erhoben hat. Fehlt der Vermerk, so sorgt der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes dafür, dass er nachgeholt wird.“ Nach § 26 Abs. 1 GOBReg besitzt der Bundesminister der Finanzen ein suspensives Vetorecht bei Beschlüssen der Bundesregierung von finanzpoliti155 Diese Regelung ist neben der Vorschrift zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch das Innenministerium die älteste Prüfvorgabe in Bezug auf Gesetzesfolgen in Deutschland. Bereits in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien in der Weimarer Republik war Folgendes festgelegt: „Wenn die Ausführung eines Gesetzes Reich, Länder oder Gemeinden mit Kosten belasten würde, sind der Reichsminister der Finanzen und der Präsident des Rechnungshofs als Reichssparkommissar schon vor der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs zu beteiligen.“ (§ 26 GGO 1926). Weitere Vorschriften zur Folgenprüfung waren in der Geschäftsordnung der Reichsministerien in der Weimarer Republik nicht festgelegt.
274
scher Bedeutung. Die dargestellten formalen Regelungen, welche nicht nur die Zuständigkeit des Finanzministeriums für die Prüfung der Haushaltsauswirkungen von Gesetzentwürfen sowie ein Vetorecht des BMF enthalten, sondern auch besondere Kompetenzen des Bundeskanzleramtes vorschreiben, wenn keine Angaben zu den Kostenfolgen eines Gesetzes für Bund, Länder oder Gemeinden gemacht werden, stellen eine wesentliche Erklärung dafür dar, dass die ‚formale Erfüllung’ dieser Prüfanforderung in Deutschland bei nahezu 100% liegt. Auch die ‚tatsächliche Erfüllung’ ist bei denjenigen Prüfkriterien, für deren Umsetzungskontrolle das BMF verantwortlich ist, deutlich höher als bei allen anderen Folgenabschätzungsanforderungen. Eine Mitarbeiterin des BMI bezeichnet das BMF als ‚Hauptmahner’ in Bezug auf die Umsetzung der GFA in Deutschland: „Das BMF ist heute der Hauptmahner in diesem Punkt [in Bezug auf die Umsetzung der GFA], weil es natürlich in erster Linie um Kosten geht. Fehlt etwas oder ist nicht ordentlich berechnet oder rechnet das BMF anders, dann gibt es eben Auseinandersetzungen über diese Kosten. Das BMF mahnt auch an, wenn zum Beispiel Verwaltungsabläufe, die verändert werden müssen, nicht genügend bei den Kosten berücksichtigt sind.“ (Interview BMI 2006)
Für die Einhaltung der GGO-Vorschriften zur Darstellung von mit einem Gesetzesvorhaben verbundenen Bürokratiekosten richtete die Bundesregierung im September 2006 den Nationalen Normenkontrollrat ein. Laut GGO-Änderung vom 1.12.2006 ist der NKR im Verfahren der Ressortabstimmung zu Gesetzentwürfen grundsätzlich zu konsultieren. Aufgabe des NKR ist es laut § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG), Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Bundesministerien sowie Entwürfe für allgemeine Verwaltungsvorschriften vor deren Vorlage an das Bundeskabinett im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze einer standardisierten Bürokratiekostenmessung zu überprüfen.
275
Abb. 29: Formale Prüfkompetenzen der Ressorts (BRD)
BMF: Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte des Bundes, der Länder oder der Kommunen Suspensives Veto im Kabinett in finanzpolitischen Fragen
BMW i: Auswirkungen auf die Wirtschaft, Preiswirkungen
Stellungnahm e als Teil des Regierungsentwurfs
NKR: Prüfung der Bürokratiekostenmessung
276
BMJ: Rechtsprüfung, inklusive Prüfung der Verfassungsmäßigkeit
Bestätigung der Rechtsprüfung in der Kabinettsvorlage und suspensives Veto im Kabinett in Fragen der Verfassungsm äßigkeit
Referentenentwurf
Übrige Re ssorts: Materielle Beteiligungsund Prüfpflichten ohne besondere formale Durchsetzungskompetenzen
Suspensives Veto im Kabinett bzgl.Verfassungsm äßigkeit BMI: Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und der widerspruchslosen Einfügung in die bestehende Rechtsordnung, diverse materielle Prüfzuständigkeiten (z.B. Belange der Kommunen)
Die Vorschriften zur Prüfung von Gesetzentwürfen der Bundesministerien durch den NKR hinsichtlich der von den federführenden Ministerien durchzuführenden Bürokratiekostenabschätzung sind sehr detailliert (siehe Kap. 2.2.7.5). Der NKR gibt eine Stellungnahme zur Bürokratiekostenabschätzung ab, die zusammen mit der ggf. erfolgten Antwort der Bundesregierung der Kabinettsvorlage beigefügt wird und später als Teil des Regierungsentwurfes an Bundestag und Bundesrat weitergeleitet wird. Dabei wird nur die letzte Stellungnahme des NKR veröffentlicht.156 Die Ministerien haben also die Möglichkeit, nach Beanstandungen des NKR Anpassungen und Verbesserungen der Bürokratiekostenabschätzung vorzunehmen und dadurch ein positives Votum des NKR zu erzielen, ohne dass vorherige Beanstandungen publiziert werden. Über die mit der Publikation der Stellungnahmen verbundene Schaffung von Transparenz hinaus verfügt der NKR über keine weiteren formalen Sanktionsmöglichkeiten. Innerhalb des NKR wird die Arbeit mit Hilfe eines Berichterstattersystems bewältigt. Jedes NKR-Mitglied und jeder Mitarbeiter des Sekretariats ist für bestimmte Ressorts zuständig und übernimmt die Vorbereitung der Stellungnahmen zu den aus diesem Ressort stammenden Entwürfen. Die Beschlussfassung in den NKRSitzungen erfolgt formal nach dem Mehrheitsprinzip. In der Praxis fallen Entscheidungen jedoch in der Regel im Konsens aller Mitglieder. ‚Kampfabstimmungen’ hat es bisher nicht gegeben. Aufgrund der Vielzahl der zu prüfenden Rechtsvorschriften werden auf den in der Regel wöchentlich stattfindenden Sitzungen des NKR nicht alle Stellungnahmen im Plenum diskutiert. Unkontroverse Fälle beschließt der NKR deshalb ohne Aussprache (Interview NKR 2007). In Anlage 8 zu § 45 Abs. 1 GGO, welcher die Beteiligung betroffener Bundesministerien an der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen regelt, ist festgelegt, welches Ministerium unter welchen Bedingungen in die Ressortabstimmung zu einem Gesetzentwurf einzubeziehen ist. Damit verbunden ist die Zuweisung von Mitprüfungspflichten für bestimmte Folgenaspekte im Rechtsetzungsprozess. So ist beispielsweise das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend für die Prüfung der Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung und der Vereinbarkeit mit dem Wohl von Kindern zuständig, während das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung Auswirkungen auf den Verkehr evaluiert und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit prüft, ob Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. 156 Erfolgten als Reaktion auf Beanstandungen des NKR an der Bürokratiekostenabschätzung der federführenden Ministerien in einer ersten Stellungnahme Anpassungen in der Darstellung der Bürokratiekosten und wurde der NKR daraufhin erneut konsultiert, so wird nur diese Stellungnahme dem Gesetzentwurf angehängt.
277
Kosten für die Wirtschaft, insbesondere auch für mittelständische Unternehmen, sowie die Auswirkungen des Gesetzes auf Einzelpreise, das Preisniveau sowie die Auswirkungen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher sind laut GGO vom federführenden Referat im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie darzustellen. Die GGO legt somit für die Rechtsprüfung sowie für die Einhaltung der Vorschriften zur Darstellung von bestimmten materiellen Gesetzesfolgen (öffentlichen Haushalte, Bürokratiekosten etc.) Kontrollinstanzen fest, die allerdings – wie dargestellt wurde – in unterschiedlichem Maße formale Kompetenzen dazu besitzen, eine Beachtung der jeweiligen Folgenaspekte sicherzustellen (Abb. 29). Eine übergeordnet zuständige Instanz für die Prüfung der Darstellung von Gesetzesfolgen nach § 44 Abs. 1 GGO gibt es in Deutschland nicht. Die GGO legt lediglich fest, dass das BMI Empfehlungen zur Ermittlung von Gesetzesfolgen geben kann und dass die Darstellung der voraussichtlichen Gesetzesfolgen im Benehmen mit den jeweils fachlich zuständigen Bundesministerien zu erfolgen hat. Die Fachministerien müssen also, abgesehen von den bereits dargestellten Ausnahmen (BMJ, BMF, NKR), lediglich angehört werden, besitzen aber keine formalen Kompetenzen zur Sanktionierung von Verstößen gegen die GGO-Regelungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen. Dazu ein Interviewpartner aus dem BMWi: „Benehmen, das heißt eigentlich nichts anderes, als dass wir unsere Vorschläge machen, der andere kann sie übernehmen, muss sie aber nicht. Eine stärkere Form wäre Einvernehmen, dann hätten wir die Möglichkeit, das zu blockieren. Aber das sieht die GGO nicht vor, insoweit sind dann die Einflussmöglichkeiten relativ gering. Wir monieren vieles, aber wird eben auch, aus welchen Gründen auch immer, nicht übernommen.“ (Interview BMWi 2006)
Einschränkend weist derselbe Interviewpartner darauf hin, dass Kritik trotz fehlender formaler Kompetenzen in der Praxis vom federführenden Referat nicht selten aufgegriffen und der überarbeitete Entwurf erneut zur Konsultation vorgelegt wird. Ursache hierfür ist das zwar nicht formal vorgesehene, aber in der Praxis übliche Konsensprinzip für Kabinettsentscheidungen. Die in einigen Ministerien existierenden Referate, die laut Geschäftsverteilungsplan und/oder Organigramm für Gesetzesfolgenabschätzungen zuständig sind (zum Beispiel im BMI und im BMJ), führen nach Kenntnis der Autorin keine Qualitäts- oder Umsetzungskontrolle hinsichtlich der Darstellung von Gesetzesfolgen laut GGO durch, sondern sie sind in der Regel für die Koordination 278
von Reformaktivitäten zur ‚besseren Rechtsetzung’ im Ministerium zuständig und beteiligen sich an den einschlägigen Reformprojekten der Bundesregierung (Interview BMJ 2007). Eine Ausnahme bildete im Untersuchungszeitraum (2006) das Referat I C 5 (Bürokratiekostenmessung, Gesetzesfolgenabschätzung und Spezielle Projekte des Bürokratieabbaus) im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, welches nicht nur koordinierend und projektbezogen für den Reformbereich „bessere Rechtsetzung“ im BMWi zuständig ist, sondern auch eine explizite Zuständigkeit für die Prüfung der Darstellung von wirtschaftsbezogenen Kosten- und Preiswirkungen besitzt (BMWi 2007). Es ist festzuhalten, dass das regierungsinterne formale Kontrollsystem für die Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen dezentral organisiert und vom formellen Kontrollvermögen her schwach ausgeprägt ist. Ausnahmen sind die Kompetenzen des BMF hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und die Kompetenzen des NKR bei der Bürokratiekostenmessung. Mechanismen für die Kontrolle der Beachtung nicht-institutionalisierter (d.h. nicht in den Zuständigkeitsbereich eines Fachministeriums oder eines/einer Beauftragten der Bundesregierung fallender) Folgenaspekte existieren nicht. Der im Vergleich zu allen GGO-Vorschriften besonders geringe Grad an ‚tatsächlicher Erfüllung’ beim Prüfkriterium ex post Evaluation ist dadurch zu erklären, dass innerhalb der Bundesregierung keine Instanz existiert, welche für die Prüfung dieses Aspekts zuständig ist. Neben dem, abgesehen von einigen Ausnahmen, schwachen internen Kontrollsystem besteht ein weiterer Grund für das insgesamt relativ niedrige Niveau der ‚tatsächlichen Erfüllung’ von Folgenabschätzungsanforderungen in den stark eingeschränkten Möglichkeiten externer Akteure (außerhalb der Ministerialverwaltung), eine Umsetzungs- und/oder Qualitätskontrolle durchzuführen. Die Kontrolle externer Akteure muss sich deshalb auf die formale Erfüllung beschränken, weil 1) die von der Ministerialverwaltung durchgeführten formellen und informellen Konsultationen in der Regel nicht für alle Gruppen von Normadressaten gleichermaßen zugänglich sind und weil 2) in deutschen Gesetzentwürfen keine Transparenz über die Teilnehmer am Konsultationsverfahren und deren Positionen hergestellt wird. Insofern ist beispielsweise für einen nicht in den Prozess der Gesetzesvorbereitung involvierten Parlamentarier aufgrund der Angaben in der Regierungsvorlage nicht einzuschätzen, welche Folgenaspekte aus strategischen Gründen nicht erwähnt oder diskutiert werden und welche Argumente von Konsultationsteilnehmern berücksichtigt wurden oder nicht. Eine externe Kontrolle der Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen ist also in der Regel nur auf formaler Ebene möglich, da der Wissensvorsprung der Exe279
kutive gegenüber potentiellen Kontrolleuren viel zu groß ist. Methodisch-systematische Kontrollen wie die des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2004 sind zwar möglich, bisher existiert im deutschen System aber kein Akteur, der Interessen/Zuständigkeit und Ressourcen für eine solche Art der Qualitätsprüfung besitzt.
4.3.1.2 Die Bedeutung einheitlicher Strukturvorgaben der Regierungsvorlagen für formale Anpassungsreaktionen Während die ‚tatsächliche Erfüllung’ der meisten Folgenabschätzungsanforderungen in Deutschland relativ niedrig ist, tritt eine ‚rein formale Anpassung’ in Deutschland wesentlich häufiger auf als in Schweden (Kap. 3.4). Dieses Phänomen steht in einem deutlichen Zusammenhang zu den transparenzschaffenden, klaren Strukturvorgaben für die Darstellung von Gesetzesfolgen im Rahmen des Gesetzesvorblattes in Deutschland. So ist in der GGO eindeutig festgelegt, welche Gliederung das Vorblatt von Gesetzentwürfen aufweisen muss. Zudem gibt die GGO vor, dass das Vorblatt möglichst nicht mehr als eine Textseite umfassen soll. In der Praxis sind die Vorblätter meist etwas länger (üblicherweise zwei bis drei Seiten). Trotzdem ist auf den ersten Blick erkennbar, ob zu bestimmten Folgenabschätzungsaspekten eine Aussage getätigt wurde oder nicht. Ein Blick auf die Empirie zeigt, dass zu denjenigen Variablen, die als eigenständiger Gliederungspunkt des Vorblattes (vgl. Tabelle 3) aufgeführt werden, fast immer auch dann eine Aussage getätigt wurde, wenn offensichtlich entweder gar keine inhaltliche Prüfung dieses Aspekts stattgefunden hatte oder die Ergebnisse dieser Prüfung nicht im Rahmen des Vorblattes oder der Begründung publik gemacht werden sollten. Dies mündete in eine Vielzahl floskelhafter oder Auswirkungen verneinender Statements in den Gesetzesvorblättern, deren Informationsgehalt für die parlamentarischen Entscheidungsträger und den Bundesrat gering ist. Tabelle 10 verdeutlicht, dass alle Prüfvariablen (mit Ausnahme der Aufgliederung der finanziellen Auswirkungen nach Bund, Ländern und Gemeinden), welche laut GGO in der Gliederung des Vorblattes enthalten sind, eine sehr hohe formale Erfüllungsrate von über 85% aufwiesen, während diejenigen, die nicht im Vorblatt enthalten sind, in deutlich geringerem Ausmaß formal erfüllt wurden. „Auswirkungen auf Einzelpreise“ bildete insofern eine Ausnahme, als dass dieser Punkt häufig im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf das Preisniveau und die Verbraucher mit behandelt wurde. „Gleichstellung“ wies deshalb 280
höhere Erfüllungsraten auf, weil eine Implementation dieses Prüfaspektes durch eine Reihe von Maßnahmen der Interministeriellen Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming unterstützt wurde, was dazu führte, dass gleichstellungspolitische Auswirkungen in einigen Gesetzentwürfen sogar als eigenständiger Punkt auf dem Vorblatt enthalten waren (abweichend von der GGO-Vorgabe). Auch hierbei handelte es sich jedoch in erster Linie um eine ‚rein formale Anpassung’ an die Vorgaben. Tabelle 10: Formale Erfüllung der Prüfvariablen in deutschen Gesetzentwürfen 2006 nach Struktur des Gesetzesvorblattes 2006 auf dem Gesetzesvorblatt aufgeführte Variablen157
2006 auf dem Gesetzesvorblatt nicht aufgeführte Variablen
Zieldefinition
Auswirkungen auf Einzelpreise
Alternativen
Gleichstellung
Haushaltsauswirkungen
Befristung
Aufgliederung der Haushaltsauswirkungen nach Gebietskörperschaften
Ex post Evaluation
Vollzugsaufwand Aufgliederung des Vollzugsaufwandes nach Gebietskörperschaften Kosten für die Wirtschaft Auswirkungen auf Verbraucher und Preisniveau Formale Erfüllung < 15%
Formale Erfüllung > 85%
Keine Schattierung: formale Erfüllung 50–70%
Dass die Gliederungsvorgaben der GGO für das Gesetzesvorblatt Auswirkungen auf den Grad der ‚formalen Erfüllung’ besitzen, belegen auch die Resultate des in Kap. 3.5 dargestellten Vergleichs von Gesetzentwürfen des Jahres 1977 mit Entwürfen aus neuerer Zeit in Bezug auf die Darstellung des Vollzugsaufwandes. Während 1977, als Vollzugsaufwand noch keine Kategorie des Gesetzesvorblattes bildete, nur ca. die Hälfte der untersuchten Gesetzentwürfe Angaben zum Vollzugsaufwand enthielten, traf dies 2006 auf 89% der Entwürfe zu. Ähn157 Bürokratiekosten wurden erst ab Dezember 2006 als eigenständiger Gliederungspunkt des Vorblattes eingeführt und werden hier deshalb nicht mit aufgeführt.
281
liches gilt für die Darstellung der Auswirkungen auf Preise und Preisniveau sowie die Verbraucher. Die ‚formale Erfüllung’ dieser Anforderungen hat sich seit 1977 deutlich erhöht, da es heute übliche Praxis ist, unter dem Stichpunkt „Sonstige Kosten“ eine kurze Aussage zu den Preiswirkungen und den Auswirkungen auf Verbraucher zu tätigen. Die Kategorie „Kostenfolgen für den Staat“ hingegen, welche sowohl 1977 als auch 2006 auf dem Gesetzesvorblatt zu finden war, wies im Vergleich der beiden Untersuchungsjahre keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der ‚formalen Erfüllung’ auf. Klar strukturierte Gliederungsvorgaben für Gesetzesbegründungen scheinen also die ‚formale Erfüllung’ von Vorschriften zur Folgenabschätzung zu fördern. Für deren ‚tatsächliche Erfüllung’ ist hingegen viel entscheidender, ob es eine Instanz gibt, die ein Interesse und das Vermögen zur Ausübung einer Implementationskontrolle hat.
4.3.2 Kontrolle und Transparenz in Schweden Im folgenden Unterkapitel wird die Erklärungskraft der Kontrollhypothese für den schwedischen Fall diskutiert. Dabei stellt ein erster Teil die Kontrollmechanismen auf Ebene der Kommissionen und in der Kanzlei der Ministerien dar. Ein zweiter Teil beschäftigt sich mit dem Kontrollsystem bei den zentralen Verwaltungsbehörden und ein dritter Teil thematisiert die Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips für die Implementation von Folgenabschätzungsanforderungen.
4.3.2.1 Organisatorische Institutionalisierung von Kontrolle in der Kanzlei der Ministerien und im Kommissionswesen Die Arbeitsprozesse der schwedischen Regierung sind dadurch gekennzeichnet, dass sie relativ wenigen formalen Regeln unterworfen sind (Hertin et al. 2006; OECD 2007). Dies wird schon allein dann deutlich, wenn man die schwedische „Verordnung über die Kanzlei der Ministerien“ (SFS 1996: 1515) mit der deutschen GGO hinsichtlich des Seitenumfangs vergleicht – die GGO ist wesentlich umfangreicher und regelt Vorgänge in der Ministerialverwaltung recht detailliert. In den allgemeinen Vorgaben für die Kanzlei der Ministerien wird, anders als in Deutschland, nicht eindeutig festgelegt, welche Ministerien an der Vorbereitung von Gesetzentwürfen unter welchen Umständen zu beteiligen sind und welche Prüfaufgaben diesen Ministerien jeweils zufallen. Stattdessen wird nur 282
ganz allgemein festgelegt, dass Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich mehrerer Ministerien fallen, gemeinsam vorbereitet werden sollen. Welches die Zuständigkeitsbereiche der Fachministerien sind, wird in einer Anlage der „Verordnung über die Kanzlei der Ministerien“ aufgeführt. Für die Einhaltung der Vorgaben der Folgenabschätzungsvorgaben der Checkliste der Kanzlei des Ministerpräsidenten (PM 1995: 2) waren im Untersuchungszeitraum dieser empirischen Studie (2006) die Rechtsabteilungen der Fachministerien zuständig. Eine zentrale Instanz zur Kontrolle der Umsetzung der Checkliste gab es bis zur Einsetzung des Regelrates im Oktober 2008 nicht (OECD 2007: 43). Die in der Kanzlei der Ministerien durchgeführten Folgenabschätzungen für kleine Unternehmen (Simplex) wurden im Rahmen des interministeriellen Konsultationsverfahrens der Abteilung Unternehmen im Wirtschaftsministerium zugeleitet (bis 2004: der Simplex-Einheit, Regeringskansliet 1999). Die OECD sprach dieser Einheit eine Qualitätssicherungsfunktion in Bezug auf die Simplex-Folgenabschätzungen zu: „This Unit is always included in the compulsory circulation for comment within the government offices that precedes the adoption of new or amended regulations, if the proposal concerns small business. The Unit scrutinises all proposals that other ministries want to present and makes sure that the impact assessment is taken into account and that its quality is acceptable, only at ministerial level.” (OECD 2007: 20)
Die OECD betonte darüber hinaus, dass das Wirtschaftsministerium nicht nur Stellung nimmt, sondern aufgrund formaler Kompetenzen tatsächlich Änderungen durchsetzen kann, wenn Simplex-Folgenabschätzungen eine zu schlechte Qualität haben oder die Folgen für kleine Unternehmen nicht gut genug beachtet wurden (OECD 2007: 50). Dieser Einschätzung ist nur bedingt zu folgen: Das schwedische Wirtschaftsministerium hat, genauso wie alle anderen Ministerien, wegen des Einstimmigkeitsprinzips im Kabinett Kompetenzen zur Durchsetzung seiner Interessen, besitzt aber keine Sonderstellung: „It is not stated anywhere that we should actually guarantee the quality of the Impact Analysis made by others within (…) government offices. And it has never been like that. We never really had that particular power. But however, the issue as such is our responsibility. (…) Since our job here at the business division is to make sure that the business perspective influences the final proposal, the Impact Assessment is the tool that we make sure that they use. (Interview Schwedisches Wirtschaftsministerium 2005)
283
Hinsichtlich der Durchführung von Folgenabschätzungen im Kommissionswesen besteht die wesentliche Einflussmöglichkeit der Regierung in der Formulierung von expliziten Aufträgen zur Evaluierung bestimmter Folgenaspekte im Rahmen der Kommissionsdirektiven. Nach Einführung des Simplex-Folgenabschätzungssystems hat das Wirtschaftsministerium verschiedene Anstrengungen unternommen, um ein höheres Bewusstsein für die Folgen von Regelungsvorschlägen für kleine Unternehmen zu schaffen, beispielsweise indem Vertreter der Simplex-Einheit als Experten in die Kommissionen entsendet wurden, indem Beratungspflichten mit dem NNR in den Direktiven verankert wurden oder indem Treffen mit Mitarbeitern des Kommissionssekretariats stattfanden, in welchen die Anforderungen an eine Simplex-Folgenabschätzung beschrieben wurden (Interview Schwedisches Wirtschaftsministerium 2005, NNR 2005). Darüber hinausgehende Kompetenzen zur Kontrolle der Durchführung von Folgenabschätzungen im Kommissionswesen besitzt die Regierung nicht (zur Rolle des NNR siehe Kap. 4.3.2.3). 4.3.2.2 Kontrollmechanismen auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden158 Das schwedische Folgenabschätzungssystem war bis Ende 2007 dadurch gekennzeichnet, dass allgemeine Anforderungen zur Folgenabschätzung in der Werksverordnung geregelt waren, während für Vorschriften der zentralen Verwaltungsbehörden mit Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und Wettbewerbsverhältnisse kleiner Unternehmen darüber hinaus die Simplex-Verordnung zur Anwendung kam. In beiden Verordnungen waren unterschiedliche Festlegungen hinsichtlich der Kontrolle der Umsetzung der Anforderungen zur Folgenabschätzung enthalten. In der Werksverordnung war in § 27 Abs. 3 geregelt, dass die Verwaltungsbehörden, bevor sie eine Vorschrift beschließen, „staatlichen Behörden, Kommunen, Provinziallandtagen, Verbänden und anderen, die kostenmäßig oder auf eine andere Art und Weise wesentlich betroffen sind, sowie dem ‚Ekonomistyrningsverket‚ die Gelegenheit geben müssen, sich zum Sachverhalt sowie zum Inhalt der Folgenabschätzung zu äußern.“ Zudem wurde auch die schon in den 1970er Jahren eingeführte Vorschrift beibehalten, dass die Behörden das Einverständnis der Regierung zum Beschluss einer Vorschrift beantragen mussten, 158 Auf die Veränderungen durch die neue Folgenabschätzungs-Verordnung seit 1.1.2008 wird hier aufgrund der fehlenden Relevanz für den Untersuchungszeitraum nicht eingegangen. Eine Übersicht hierzu gibt Kap. 2.2.7.6.
284
wenn diese Vorschrift für deren Adressaten zu steigenden Kosten führt (SFS 1995: 1322, § 27, Satz 4). Das ‚Ekonomistyringsverket’ wurde per Verordnung als diejenige Instanz festgelegt, welche standardmäßig Stellung zu den von staatlichen Behörden durchgeführten Folgenabschätzungen nehmen kann, erhielt aber darüber hinaus keine besonderen Kompetenzen zur Durchführung einer Umsetzungskontrolle. Auch in der Verordnung mit allgemeinen Instruktionen für die Tätigkeit des ‚Ekonomistyrningsverket’ ist lediglich festgelegt, dass die Behörde die Anwendung der Vorschriften der Werksverordnung zur Folgenabschätzung beobachten soll (SFS 2003: 884, § 2). Die Anzahl der dem ‚Ekonomistyrningsverket’ jährlich vorgelegten Folgenabschätzungen laut Werksverordnung lag in der Größenordnung von vier- bis fünfhundert. Eine Kontrolle, ob die Behörden Folgenabschätzungen für alle neuen oder geänderten Vorschriften vorlegen, fand nicht statt. Sowohl das Kommissionsgutachten zur Reform der Werksverordnung (SOU 2004: 23) als auch mehrere von der Autorin durchgeführten Experteninterviews (Interview NUTEK 2005, Schwedisches Wirtschaftsministerium 2005) weisen darauf hin, dass das ‚Ekonomistyrningsverket’ den Behörden nur sehr selten eine Rückmeldung zu ihren Folgenabschätzungen gab. Die geringe Priorität, welche das ‚Ekonomistyrningsverket’ der Arbeit mit Folgenabschätzungen der Behörden gab, ist auf eine nur geringe politische Unterstützung dieses Themas zurückzuführen. Das äußerte sich u.a. darin, dass im jährlichen ‚Regleringsbrev’ (Regulierungsbrief) der Regierung, der wesentliche Arbeitsbereiche und innerhalb dieser Arbeitsbereiche zu erreichende Ziele des ‚Ekonomistyrningsverket’ festlegt, das Thema der Folgenabschätzungen laut Werksverordnung nicht erwähnt wird. Während die Folgenabschätzungen laut Werksverordnung an das ‚Ekonomistyrningsverket’, also eine auf derselben Hierarchieebene befindliche Instanz, die keinerlei Zugriffs- oder Weisungsrechte gegenüber anderen zentralen Behörden besitzt, gesendet werden mussten, erhielt die Zuständigkeit für Folgenabschätzungen laut Simplex-Verordnung zunächst das Wirtschaftsministerium. Wie bereits in Kap. 2.2.7.4 beschrieben, war die relativ kleine Simplex-Einheit im Wirtschaftsministerium jedoch nicht in der Lage, den Behörden substantielles Feedback zu den Simplex-Folgenabschätzungen zu geben und gleichzeitig Unterstützungsaufgaben wie Methodenentwicklung, Fortbildung und Ähnliches adäquat zu erfüllen. Ab Januar 2005 erhielt deshalb NUTEK die Zuständigkeit für die SimplexFolgenabschätzungen in den Behörden. Die Verordnung mit allgemeinen Instruktionen für die Tätigkeiten von NUTEK legt hierzu in § 7a fest, dass NUTEK andere Behörden bei ihrer Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen u.a. 285
durch die Entwicklung und Verbreitung geeigneter Methoden unterstützen soll. Darüber hinaus sollte NUTEK an der internationalen Arbeit zur besseren Regulierung teilnehmen und die Berichte der Behörden laut § 4 der Simplex-Verordnung entgegennehmen und für die Regierung aufbereiten (SFS 2005: 200). Zu betonen ist, dass die zentralen Verwaltungsbehörden ihre Simplex-Folgenabschätzungen auf freiwilliger Basis an NUTEK zu sendeten. So war in § 4 der Simplex-Verordnung zwar festgelegt, dass die Behörden NUTEK jährlich einen Bericht über die praktischen Erfahrungen und Resultate ihrer Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen vorzulegen hatten, eine Konsultationspflicht von NUTEK wie diejenige des ‚Ekonomistyrningsverket’ laut Werksverordnung war jedoch in der Simplex-Verordnung nicht enthalten. NUTEK erhielt seit 2005 jährlich ca. 200 Folgenabschätzungen zur Kenntnisnahme vorgelegt (NUTEK 2005, 2006). Während die Prüfung der SimplexFolgenabschätzungen durch NUTEK anfangs unstrukturiert verlief, begann NUTEK 2007 damit, bestimmte Qualitätsfaktoren der Simplex-Folgenabschätzungen systematisch zu prüfen (z.B., ob die Anzahl der betroffenen Unternehmen genannt wurde und ob Alternativen dargestellt wurden) und die qualitätsbezogenen Daten zu speichern (Interview NUTEK 2007). Die Behörden erhielten von NUTEK kein standardmäßiges Feedback zu ihren Folgenabschätzungen (Interview Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005), bei Bedarf wird allerdings eine telefonische oder schriftliche Rückmeldung zu methodischen Fragen gegeben. Laut Experteninterview war es nicht in allen Fällen möglich, ein substantielles Feedback zu geben, zum einen aufgrund der personellen Ressourcen bei NUTEK159, welche eine umfassende Qualitätsprüfung nicht zuließen und zum anderen deshalb, weil insbesondere eine Einschätzung der Folgen technischer Regelungen eine hohe Fachexpertise und Spezialisierung erfordern (Interview NUTEK 2005). Über die Prüfung der behördlichen Simplex-Folgenabschätzungen hinaus war NUTEK seit Anfang 2005 für die Durchführung von Fortbildungen160 und 159 Im Jahr 2005 arbeiteten im Bereich „Regelverbesserung“, der neben der Zuständigkeit für die Simplex-Folgenabschätzung auch die Koordination der Messung administrativer Lasten und die Unterstützung der Behörden bei Vereinfachungsmaßnahmen umfasst, laut Jahresrechenschaftsbericht von NUTEK 5,5 Personen. 2006 belief sich die Anzahl der Jahresarbeitskräfte im Bereich Regelverbesserung auf sieben Personen. 160 2005 führte NUTEK Inhouse-Fortbildungen bei drei zentralen Behörden und 2006 bei fünf zentralen Verwaltungsbehörden durch (NUTEK 2005). Seit 2006 veranstaltete NUTEK zusammen mit der Schwedischen Behörde für Finanzmanagement (‚Ekonomistyrningsverket’) regelmäßig Standardfortbildungen zum Thema Rechtsetzung und GFA. Nach Auskunft einer Mitarbeiterin von NUTEK war die Nachfrage nach diesen Veranstaltungen sehr hoch, was auf einen hohen
286
die Bereitstellung von Unterstützungsmaterialien für die Behörden zuständig. Ab 2005 organisierte NUTEK ein jährliches Seminar (‚Kontaktforum’) für die für Folgenabschätzungen zuständigen Ansprechpartner in den zentralen Verwaltungsbehörden. Ziel des Forums ist es, den Fortbildungs- und Beratungsbedarf der Behörden in Bezug auf Folgenabschätzungen sowie die Methodenentwicklung möglichst bedarfsgerecht auszurichten. Schon beim ersten Treffen des Forums im April 2005 äußerten mehrere Behördenvertreter, dass ein elektronischer Simplex-Tool zur Unterstützung der Durchführung von Folgenabschätzungen sinnvoller sei als Handbücher und ähnliche gedruckte Materialien. Diesen Anforderungen entsprechend entwickelte NUTEK ein internetbasiertes ‚Folgenabschätzungswerkzeug’ (konsekvensanalysverktyg). Die Hauptfunktion des Folgenabschätzungswerkzeugs bestand darin, den Behörden eine formal korrekte ‚Abarbeitung’ aller Teilschritte einer Folgenabschätzung zu ermöglichen, ohne dass es notwendig ist, Rechtsverordnungen, Handbücher und Leitlinien zu durchforsten. Rechenmodelle, Simulationstools, interaktive Elemente oder Ähnliches waren in dem elektronischen Tool nicht enthalten. Bei der Entwicklung des Tools erhielt NUTEK Unterstützung von einer eigens eingerichteten ‚Referenzgruppe’, in der drei Behörden161 und der NNR vertreten waren. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sowohl NUTEK als auch das ‚Ekonomistyrningsverket’ formal nur die Kompetenz besaßen, die Behörden bei der Durchführung von Folgenabschätzungen zu unterstützen. Die beiden Behörden konnten also Feedback zur Qualität der Folgenabschätzungen geben, waren aber nicht dazu berechtigt, irgendeine Art von Sanktionen auszusprechen und verfügten auch nicht über ein Vetopotential. Der NNR identifizierte das ‚schwache Mandat’, welches NUTEK von der Regierung in Bezug auf die Umsetzungskontrolle von Simplex-Folgenabschätzungen erhielt, als ein wesentliches Problem: „When it comes to their [NUTEKs] role in RIAs they do not have any authority to communicate to the Environment Board for example: you have to check this and this and this. They have to write a long nice letter instead of just saying to them: check this, you have to check this before you issue this regulation. They do not have that role. So (…) they have a weak mandate.” (Interview NNR 2005)
Für den hohen Grad an formaler Implementation der Simplex-Verordnung auf Behördenebene spielte NUTEK insofern eine nicht unbedeutende Rolle, als dass Informationsbedarf und eine entsprechende Praxisrelevanz des Themas in den Behörden hindeutete. 161 Staatliche Chemikalieninspektion, Zentralamt für Landwirtschaft, Buchführungsausschuss.
287
NUTEK bis zur Abschaffung der Simplex-Verordnung Ende 2007 für die Zusammenstellung des Berichtes an die Regierung über die Arbeit der zentralen Verwaltungsbehörden mit der Simplex-Verordnung zuständig war. Dieser jährliche Bericht stellte Transparenz über die behördlichen Aktivitäten her und war somit ein Druckmittel für die Behörden, die Simplex-Verordnung tatsächlich umzusetzen. Berichtspflichten stellten demnach ein wichtiges Kontrollmittel dar, das eine Nicht-Anwendung der Simplex-Verordnung zumindest in denjenigen zentralen Verwaltungsbehörden verhinderte, deren Zuständigkeitsbereich nicht nur indirekt, sondern explizit die Erstellung von KU-relevanten Vorschriften umfasste.
4.3.2.3 Externe Implementationskontrolle durch Transparenz?: Das Öffentlichkeitsprinzip und die Rolle des NNR Vergleicht man das regierungsinterne Kontrollsystem in Bezug auf die Umsetzung von Folgenabschätzungsanforderungen in Schweden mit Deutschland, so lassen sich zwar für die Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden plausible Argumente für eine relativ gute Befolgung der Folgenabschätzungsvorschriften finden (Herstellung von Transparenz über Berichtspflichten, Hierarchieprinzip, Möglichkeit der Kontrolle der behördlichen Befolgung von Folgenabschätzungsvorschriften durch die Regierung). Das interne Kontrollsystem für die Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen innerhalb der Kanzlei der Ministerien und für die Kommissionen ist jedoch schwach ausgeprägt. So besteht lediglich bei der Simplex-Folgenabschätzung eine klare Verantwortungszuweisung hinsichtlich der Umsetzungskontrolle, diese ist aber nicht mit besonderen formalen Kompetenzen verbunden. Es lässt sich also gut erklären, weshalb die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen in den zentralen Verwaltungsbehörden besser funktioniert als in der Kanzlei der Ministerien. Es lässt sich aber aus Perspektive der Kontrollhypothese bisher nicht erklären, warum die ’tatsächliche Erfüllung‚ der Anforderungen zur Folgenabschätzung in Schweden in der Ministerialverwaltung trotz schwächerer rechtlicher Basis und eines schwachen Kontrollsystems auf höherem Niveau liegt als in Deutschland. Dieser Implementationsunterschied wird – abgesehen vom Erklärungsgehalt der Konflikthypothese (Kap. 4.2) – aus Sicht der Kontrollhypothese verständlicher, wenn man die Kontrollmöglichkeiten für externe Akteure (zum Beispiel für das Parlament oder für Verbände) betrachtet, welche in Deutschland stark durch den hohen Grad an Intransparenz über Politikformulierungsprozesse 288
und die damit verbundenen Entscheidungen über die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung bestimmter Positionen beschränkt werden. In Schweden hingegen ist die Existenz des sogenannten Öffentlichkeitsprinzips ein wichtiges Charakteristikum des politischen Systems. Dieses Prinzip besitzt eine jahrhundertealte Tradition und geht bereits auf das Pressefreiheitsgesetz von 1766 zurück (Lundquist 1993: 76). Das Öffentlichkeitsprinzip ist – genauso wie die Grundrechte der Rede- und Informationsfreiheit – auch heute in der Verfassung verankert (SFS 1949: 105) und beinhaltet, dass alle Vorgänge in Ministerien und Behörden, die nicht einer besonderen Geheimhaltung unterliegen, öffentlich zugänglich sein müssen. Jeder Bürger hat das Recht, ihn (gleich aus welchem Grunde) interessierende Verwaltungsvorgänge einzusehen. Das Öffentlichkeitsprinzip in Schweden ermöglicht eine im internationalen Vergleich besonders hohe Transparenz des politisch-administrativen Systems (Jann/Tiessen 2008). Die im Öffentlichkeitsprinzip verankerte Verpflichtung zur Transparenz ist ein wesentlicher Grund dafür, dass alternative Regelungsvorschläge in Schweden im Rahmen der Propositionen fast immer dargestellt und diskutiert werden. Da Ministerialbeamte in Schweden seit Jahrzehnten daran gewöhnt sind, gegenüber der Öffentlichkeit über alle Schritte der Regelungsvorbereitung rechenschaftspflichtig zu sein, hat sich die transparente Darstellung des Politikformulierungsprozesses inklusive der argumentativen Auseinandersetzung mit Einwänden, Positionen und Empfehlungen zum Standard entwickelt: „To the bureaucracy, knowledge of the public nature of documents is an incentive for thoroughness and carefulness in dealing with a matter, which can be expected to result in greater adherence to the rule of law.” (Lundquist 1993: 76)
Allerdings sind alle Dokumente, die im Zuge der Vorbereitung von politischen Entscheidungen produziert werden, erst dann öffentlich, wenn die Regierung die Entscheidung vorlegt: „Those documents which the bureaucrats create during their preparation of a decision, such as memoranda, rough drafts, etc., are official documents only if they are filed with the decision. The justification for citizens not having immediate access to these documents is that this enables the authorities to carry out their work in peace and quiet.” (Lundquist 1993: 77)
Die Wirkung des Öffentlichkeitsprinzips in Schweden ist eher indirekter Natur. Die direkte Kontrolle der Verwaltungstätigkeit durch den einzelnen Staatsbürger
289
auf Grundlage des Öffentlichkeitsprinzips spielt in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Zum großen Teil erhalten die Bürger ihre Informationen über die Massenmedien. Die Beziehung zwischen der Bürokratie und den Massenmedien ist somit von besonderer Bedeutung, wenn es darum geht, die Auswirkungen des Öffentlichkeitsprinzips auf administratives Implementationshandeln zu beurteilen. So werden beispielsweise die Analyseergebnisse und -vorschläge von staatlichen Untersuchungskommissionen in der Mehrzahl der Fälle von den Massenmedien aufgegriffen.162 Die Herstellung einer möglichst guten Beschlussgrundlage, welche die Folgen ausgewogen betrachtet und transparent erklärt, aus welchem Grunde Entscheidungen wie getroffen werden, ist aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips und der damit verbundenen erhöhten Kontrollmöglichkeiten durch externe Akteure (Medien, Parlament etc.) somit in Schweden besonders wichtig. Hinsichtlich der Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung besitzen externe Akteure in Schweden aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips deutlich bessere Möglichkeiten, eine Umsetzungskontrolle durchzuführen und dadurch auf eine tatsächliche Erfüllung der Vorschriften hinzuwirken. In der Praxis wird diese Möglichkeit in Schweden vor allem vom ’Verband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung‚ (NNR) ausgenutzt. Der NNR besitzt seit 1982 ein rechtliches Mandat als verpflichtend zu beteiligende Konsultationsinstanz in allen staatlichen Regelungsverfahren, welche mit Belastungen für Unternehmen verbunden sein könnten (SFS 1982: 668). Der NNR gibt regelmäßig Stellungnahmen zu Vorschriftenentwürfen von Behörden, Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Ministerien und zu Kommissionsgutachten ab. Hierzu greift der personell eher schwach ausgestattete NNR, welcher derzeit vier Mitarbeiter beschäftigt, häufig auf seine Verbandsmitglieder und das entsprechende Netzwerk aus Sachgebietsexperten und Interessenvertretern der Unternehmen zurück. Die Qualität der Einbeziehung des NNR in den Politikformulierungsprozess unterscheidet sich jedoch deutlich, je nachdem, ob es sich um Kommissionsgutachten oder um Rechtsentwürfe der Ministerien oder der zentralen Verwaltungsbehörden handelt. Während die Konsultation bei letzteren eher formal abläuft (schriftliche Stellungnahme, keine persönlichen Treffen, kein längerer Interaktionsprozess zwischen NNR und den federführenden Ein162 Im Rahmen einer Studie der Verwaltungsabteilung der Kanzlei der Ministerien 2003 wurden 20 Kommissionsgutachten u.a. daraufhin analysiert, ob deren Analyseergebnisse und -vorschläge von den Medien aufgegriffen wurden. Dies war in den meisten Fällen zutreffend (70%, Forss/ Uhrwing 2003: 43).
290
heiten), findet eine Einbeziehung des NNR in die Kommissionsarbeit häufig frühzeitig, intensiv und prozessbegleitend statt: „We (…) are consulted rather often, but the way we are consulted is much more of high quality with the committees than with other kinds of proposals. Because we then have a discussion with the secretary (…). When it comes to proposals from the government or from the authorities you are just one part among others. A lot of people (…) give them their views on the proposals. We have another role concerning the committees than we have with other proposals.” (Interview NNR 2005)
Über die Vertretung bestimmter Positionen im Rahmen des Konsultationsprozesses hinaus besteht ein wesentliches Druckmittel des NNR in der Herstellung von Öffentlichkeit und im Agenda-Setting. So führt der NNR eigene Qualitätskontrollen von Rechtsvorschriften durch, prüft die Umsetzung von Folgenabschätzungsanforderungen und fertigt Studien zu einzelnen Folgenaspekten (wie beispielsweise den Kostenfolgen von Rechtsnormen für Unternehmen) an. Der NNR ist deshalb ein wichtiger Akteur bei der Anregung und Durchsetzung von Reformen zur besseren Rechtsetzung in Schweden und wirkt als ’externer Stachel‚ im Hinblick auf Qualität und Umsetzung. Nicht zu vergessen ist dabei, dass der NNR aufgrund seines Hintergrundes als mit speziellen Aufgaben betrauter Dachverband für eine Vielzahl von Wirtschaftsverbänden, nur auf die Beachtung und Darstellung bestimmter Folgenaspekte hinwirkt. Somit hat der NNR wesentlichen Anteil daran, dass Auswirkungen auf die Wirtschaft in Schweden in mehr als 60% der Propositionen dargestellt werden (vgl. BRD: 49%). Zwar wurde in der vorliegenden Studie nicht untersucht, bei wie vielen Gesetzentwürfen die Wirtschaft tatsächlich tangiert ist. Es ist aber davon auszugehen, dass eine ’tatsächliche Erfüllung‚ von über 60% ein sehr hohes Implementationsniveau bedeutet, da nicht alle Gesetzentwürfe Themen behandeln, die Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lassen und eine ’rein formale Anpassung‚ in Schweden sehr selten war. Wie die Darstellung der Ergebnisse des NNR-Regelindikators in Kap. 3.3.2.4 zeigt, haben sich durch die Herstellung von Transparenz und öffentlichem Druck in den letzten Jahren einige deutliche Verbesserungen hinsichtlich der Darstellung wirtschaftsrelevanter Folgen in Regelungsentwürfen durchsetzen lassen. So lag der Anteil der dem NNR vorgelegten Entwürfe, welche die Anzahl betroffener Unternehmen konkret benannten, 2002 bei 6%, während 2007 bereits 40% der Entwürfe der NNR-Stichprobe derartige Zahlenangaben enthielten. Hinsichtlich der Berechnung der Kostenfolgen
291
für Unternehmen hat allerdings auch der NNR keinen wesentlichen Fortschritt erzielen können. Quantifizierungen sind weiterhin sehr selten.
4.3.2.4 Warum spielt ’rein formale Anpassung‚ in der schwedischen Kanzlei der Ministerien kaum eine Rolle? Während in den vorangegangenen Abschnitten eine Reihe von Gründen für den existierenden Grad der ’tatsächlichen Erfüllung‚ von Folgenabschätzungsanforderungen in Schweden ausgearbeitet wurden, fehlt bisher eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen, dass eine ’rein formale Anpassung‚ auf Ebene der Ministerien in Schweden kaum eine Rolle spielt. Für Kommissionen und Behörden wurde diese Frage nicht empirisch untersucht. Experteninterviews, eigene Betrachtungen einer Stichprobe von behördlichen Simplex-Analysen und die Ergebnisse anderer Evaluationen geben aber Hinweise darauf, dass dies auf Behördenebene anders ist, d.h., dass eine ‚rein formale Anpassung’ auf Behördenebene durchaus eine nennenswerte Rolle spielt. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen. So ist die rechtliche Grundlage der Folgenabschätzungen auf Behördenebene klar in Verordnungen geregelt, während die rechtliche Basis der Folgenabschätzungspraxis in der Kanzlei der Ministerien sehr schwach ist. Die Simplex-Vorschriften für die Kanzlei der Ministerien z.B. waren in einer internen Richtlinie festgehalten (die im Internet nicht publiziert wurde). Andere Folgenabschätzungsanforderungen haben gar keine rechtlich bindende Form, sondern sind nur in Checklisten und Handbüchern verzeichnet. Eine rein formale Erfüllung der Folgenabschätzungsanforderungen in der Kanzlei der Ministerien ist also aus juristischer Perspektive nicht nötig, da keine Sanktionen hinsichtlich der Nichtbeachtung formaler Verfahrensanforderungen zu befürchten sind. Auf Behördenebene hingegen ist 1) das Kontrollsystem stärker ausgebaut und 2) ist es durchaus denkbar, dass eine Nichterfüllung der in Verordnungen festgelegten Verfahrensanforderungen z.B. von Konsultationsteilnehmer beklagt und ggf. von den zuständigen Stellen sanktioniert werden könnte. Ein weiterer Grund für den weitgehenden Verzicht auf eine ‚rein formale Anpassung’ in der Kanzlei der Ministerien, welcher im Vergleich zu den deutschen Gesetzentwürfen besonders offensichtlich ist, besteht in der Nicht-Existenz eines Vorblattes und in der flexiblen Struktur der Propositionen in Schweden. Die Gliederung der schwedischen Propositionen ist abgesehen von einigen festen Unterpunkten variabel und richtet sich flexibel nach dem jeweiligen Re292
gelungsinhalt. Insofern ist zum einen weniger transparent, auf welche Punkte der Folgenabschätzung eingegangen wird und auf welche nicht, zum anderen besteht keine Veranlassung, aufgrund einer vorgegebenen Struktur bestimmte Aspekte zumindest rein formal beleuchten zu müssen. Ausnahmen bilden die Darstellung von Auswirkungen auf kleine Unternehmen und der finanziellen Auswirkungen für den Staat. Während in Bezug auf die Simplex-Folgenabschätzung durch die Existenz der Staatssekretärsrichtlinien und die spezielle Aufmerksamkeit des Wirtschaftsministeriums Anreize bestanden, diese zumindest formal ‚abzuhaken’, ist die Existenz der ‚rein formalen Anpassung’ beim Prüfkriterium „Haushaltsauswirkungen“ dadurch zu erklären, dass die Mehrzahl der Propositionen (2006: 93%) einen Gliederungspunkt „Folgen“/„Folgenabschätzung“ oder „Ökonomische Folgen“ enthält (Kap. 3.3.3.1). In Bezug auf diese Variable besteht deshalb eine höhere Transparenz und insofern auch ein gewisser Druck, sich zu diesem Punkt zumindest formal zu äußern. Bei den zentralen Verwaltungsbehörden ist dies wiederum anders. Die Simplex-Folgenabschätzung stellte auf Behördenebene meist ein eigenständiges Dokument dar, auf welchem im Rahmen von wenigen Seiten (häufig waren es nur ein bis zwei Seiten, Interview NNR 2005) die zwölf Fragen der Simplex-Checkliste abgearbeitet wurden und welches nicht selten erst am Ende des Rechtsetzungsprozesses erstellt wurde, um den formalen Anforderungen Genüge zu tun. Beim Vergleich der Propositionen der Kanzlei der Ministerien aus dem Jahr 1977 mit denjenigen aus dem Jahr 2006 in Kap. 3.5 fiel auf, dass ‚rein formale Anpassung’ vor dreißig Jahren ein völlig unbekanntes Phänomen war. Heute spielt sie in Schweden zwar immer noch keine große Rolle (insbesondere im Vergleich mit Deutschland), aber in Einzelfällen ist sie für alle Prüfkriterien – und in größerem Ausmaß bei den Variablen „Haushaltsauswirkungen“ und „KMU-Analyse“ (Erklärung für diese Ausnahmen siehe vorheriger Absatz) – anzutreffen. Eine einfache Deutung dieses Phänomens besteht darin, dass zum einen 2006 deutlich mehr Regeln und Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen in verschiedenen Verordnungen, Richtlinien und Handbüchern niedergeschrieben waren, als dies 1977 der Fall war. Zum anderen wurden die möglicherweise positiven Erfahrungen mit der ‚Lösung’ von Reformanforderungen durch formale Anpassungsreaktionen in anderen Bereichen (zum Beispiel bei Simplex) in Einzelfällen von Ministerialbeamten ‚kopiert’, um formale Anforderungen so zu erfüllen, dass die Entwurfserstellung verfahrensmäßig nicht kritisierbar ist.
293
4.3.3 Fazit: Die Bedeutung von politischer Unterstützung, Interessen und Zuständigkeiten Abschließend ist festzuhalten, dass die Kontrolle der Beachtung von Folgenabschätzungsanforderungen auf Ministerialebene sowohl in Deutschland als auch in Schweden dezentral organisiert ist. Für bestimmte Bereiche, wie beispielsweise die Folgen neuer Gesetze auf die Wettbewerbsfähigkeit, auf große Unternehmen oder auf die Staatsfinanzen, existieren mit den entsprechenden Fachministerien originäre Kontrollinstanzen. Dies ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die ‚tatsächliche Erfüllung’ von Vorschriften zur Darstellung der Haushaltsauswirkungen und des Vollzugsaufwands sowohl in Deutschland als auch in Schweden vergleichsweise hoch ist. Vorschriften zur Folgenabschätzung können von diesen Akteuren genutzt werden, um die eigenen Interessen gegenüber anderen Fachministerien besser durchsetzen zu können. Dabei besitzen die einzelnen Fachministerien in Schweden formal ein Vetopotential, da alle Beschlüsse von der Regierung kollektiv getroffen werden müssen. In Deutschland verfügt das Finanzministerium über ein suspensives Veto im Kabinett, wenn es um Haushaltsauswirkungen geht, ebenso wie das Justiz- und das Innenministerium eine solches Veto bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzentwürfen besitzen. Zwar werden in Deutschland Beschlüsse formal von der Mehrheit der Kabinettsmitglieder getroffen, de facto sind solche Kampfabstimmungen aber selten. Real existiert in Deutschland deshalb ein ähnlich hoher interministerieller Einigungsdruck wie in Schweden. Folgenaspekte, die im bestehenden System der interministeriellen Abstimmung keine große Rolle spielen, weil es sich um Querschnittsthemen handelt oder weil die Betroffenheit der Normadressaten diffus und argumentativ schwer fassbar ist, werden im bestehenden System nur dann erfasst, wenn entsprechende Zuständigkeiten etabliert werden. Dies trifft zum Beispiel auf den Bereich der Bürokratiekostenabschätzung zu. Im empirischen Vergleich zwischen Deutschland und Schweden zeigt sich, wie wichtig Fragen der organisatorischen Institutionalisierung von Kontrolle und ein nachhaltiges Interesse einflussreicher politischer Akteure bei derartigen Querschnittsthemen sind: Die äußerst geringe Implementation der Bürokratiekostenabschätzung im schwedischen Rechtsetzungsprozess verdeutlicht, dass strukturell bedingte, günstigere Anreizstrukturen für die Implementation von Folgenabschätzungen keine Auswirkungen haben, wenn Zuständigkeiten für einen neu zu implementierenden Analyseaspekt nicht klar benannt und mit Unterstützung der politischen Spitze etabliert werden. Bürokratiekosten wurden in 294
Schweden nur in einer einzigen Proposition des Jahres 2006 quantifiziert. Zwar enthielt knapp ein Viertel der Propositionen eine qualitative Aussage zu administrativen Lasten, diese stand aber meist im Zusammenhang mit der in Schweden üblichen ausführlichen Darstellung der Regelungsfolgen und hatte nichts mit der SKM-Einführung zu tun. Belegt wird dies neben der fehlenden Quantifizierung dadurch, dass einschlägige Begriffe wie Informationspflichten oder Bürokratiekosten nicht auftauchen. Die ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten war 2006 weder organisatorisch noch rechtlich institutionalisiert, sondern nur auf der Verlautbarungsebene verkündet worden.163 Anders gestaltet sich die deutsche SKM-Strategie. In Deutschland wurde von Anfang an eine organisatorische Verankerung (NKR als pflichtgemäß zu beteiligende, unabhängige Kontrollinstanz), ergänzt durch die Institutionalisierung politischer Unterstützung, für das Bürokratiekostenthema vorgenommen. Die empirischen Daten (Kap. 3.2.3.7) – insbesondere der vergleichsweise hohe Anteil an Quantifizierungen – belegen, dass diese Strategie erfolgreich war.
4.4 Kognitionshypothese Die dritte, auf neo-institutionalistischer Grundlage entwickelte Hypothese über Implementationsdefizite und -unterschiede von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden stellt die Bedeutung kultureller Prägungen in den Vordergrund. Als „software of the mind“ (Hofstede/Hofstede 2005) führen diese dazu, dass Vorschriften oder Instrumente auf eine bestimmte Art und Weise interpretiert werden. Diese Interpretationen sind handlungsleitend für den Umgang der Ministerialverwaltung mit den an sie gestellten (Umwelt-)Anforderungen. Basierend auf diesen theoretischen Grundannahmen ist eine über eine formale Anpassung hinausgehende Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung dann wahrscheinlich, wenn diese Vorschriften als sinnvolle Instrumente zur Verbesserung der Arbeit der Ministerialorganisation interpretiert werden Eine solche positive Interpretation kann vielfältiger Natur sein, z.B. können Vorschriften zur Folgenabschätzung als Möglichkeit zur Lösung von bestimmten Problemen im Arbeitsprozess oder zur Optimierung des Outputs der Rechtsetzungsaktivitäten verstanden werden oder sie können so ausgelegt werden, dass eine Anwendung der Verfahren mit Imagegewinnen verbunden ist. Werden 163 Dieses Defizit ist in Schweden erkannt worden, weshalb im Oktober 2008 nach dem Vorbild des NKR in Deutschland ein mit klaren Kompetenzen ausgestattetes unabhängiges Gremium (regelråd) zur Wahrnehmung der Umsetzungskontrolle etabliert wurde.
295
Vorschriften zur Folgenabschätzung hingegen dahingehend interpretiert, dass eine tatsächliche Anwendung der Verfahren für die eigenen Ziele und die eigene Arbeit irrelevant oder eher kontraproduktiv ist (z.B. bürokratischer Mehraufwand, Erhöhung der Probleme bei der Abstimmung der Entwürfe, nicht umsetzbar, irrelevant hinsichtlich der tatsächlich wichtigen Fragen im Rechtsetzungsprozess), dann erfolgt (maximal) eine formale Anpassung, während die tatsächlichen Aktivitäten und Handlungen in der Ministerialorganisation davon nicht berührt und somit auch nicht verändert werden. Das folgende Unterkapitel diskutiert die Bedeutung vorherrschender Interpretationsmuster und Deutungssysteme für die Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung in der deutschen und in der schwedischen Ministerialverwaltung. Hierzu werden zunächst die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verwaltungskultur in beiden Ländern dargestellt. Anschließend gibt die Autorin einen Überblick zum Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten in Deutschland und Schweden, da formale Ausbildung und professionelle Netzwerke eine erhebliche Prägekraft für die vorherrschenden Orientierungsmuster und Einstellungen besitzen (Powell/DiMaggio 1991a: 69f, 75). Ein letzter Abschnitt widmet sich der Frage, welche Schlussfolgerungen sich daraus in Bezug auf die Interpretation von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden ziehen lassen.
4.4.1 Verwaltungskultur in Deutschland und Schweden In diesem Abschnitt sollen wesentliche Merkmale der deutschen und der schwedischen Verwaltungskultur beschrieben werden. Kultur wird dabei als eine bestimmte Art der mentalen Programmierung im Sinne von vorherrschenden Deutungsmustern und Ansichten innerhalb einer bestimmten Gruppe (hier: der Ministerialbeamten) verstanden: „Culture consists of unwritten rules of the social game. It is the collective programming of the mind that distinguishes the members of one group or category of people from others.” (Hofstede 2005: 4). Ausgehend von diesem grundsätzlichen Kulturbegriff erschließt sich auch der Begriff der Verwaltungskultur. So wird Verwaltungskultur im Rahmen dieser Arbeit in Anlehnung an eine Kategorisierung von Werner Jann relativ eng definiert als „die in einer (oder allen) Verwaltungen vorhandenen Orientierungsmuster. Träger dieser Verwaltungskultur sind damit die Mitglieder bestimmter Organisationen; Verwaltungskultur ist eine spezifische Form von Organisationskultur.“ (Jann 1983: 28). Empirische Untersuchungen zur Verwaltungskultur im 296
Sinne dieser Definition sind rar gesät, was angesichts der Schwierigkeiten bezüglich einer Operationalisierung von Kulturmerkmalen nicht weiter verwunderlich ist. Eine in ihrem Umfang einzigartige Studie zu kulturellen Unterschieden zwischen Nationen wurde vor mehr als dreißig Jahren von Geert Hofstede durchgeführt. Er befragte über 100.000 Mitarbeiter eines multinationalen Konzerns in 40 Ländern zu ihren Werten und Einstellungen und verglich diese Ergebnisse mit Sekundärdaten. Im Ergebnis identifizierte er vier grundlegende Kulturdimensionen (Hofstede 1980; Darstellung nach Jann 2002b: 439ff): D D
D D
Power Distance Index (PDI) = Machtgefälle: Akzeptanz gesellschaftlicher und individueller Machtunterschiede; Uncertainty Avoidance Index (UAI) = Toleranz gegenüber Unsicherheit: Bereitschaft zur Akzeptanz unsicherer Situationen und Tendenz zur Kontrolle (z.B. durch vorgeschriebene Verhaltensregeln); Individualism Index (IDV) = Individualismus: Verhältnis zwischen Individualität und Kollektivität in einer Gesellschaft; Masculinity Index (MAS) = Maskulinität: das Vorherrschen traditionell „männlicher“ Werte wie beispielsweise Materialismus oder von eher dem weiblichen Geschlecht zugeschriebenen Orientierungen (z.B. soziale Werte).
Schweden und Deutschland wurden damals bei „Machtgefälle“ und „Individualismus“ der gleichen Gruppe zugeordnet. Macht und Autorität sowie deren offensichtliche Ausübung oder Zurschaustellung wurden in beiden Ländern eher negativ bewertet. Der Individualismusindex hingegen lag in beiden Ländern im oberen Drittel, d.h. die Verantwortung für sich selbst und die eigene Familie wurde eher beim Individuum als in kollektiven Strukturen (bei Organisationen, beim Staat) gesehen, wobei diese Tendenz in Schweden stärker ausgeprägt war als in Deutschland. Deutliche Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland zeigten sich in den Dimensionen „Maskulinität“ und „Vermeidung von Unsicherheit“. Hinsichtlich der Kulturdimension der „Maskulinität“ ergaben Hofstedes Untersuchungen für Deutschland ein Vorherrschen ‚männlicher’ Werte, während für Schweden die Dominanz von eher ‚weiblichen’ Werten und Einstellungen konstatiert wurde. Bei der „Vermeidung von Unsicherheit“ befand sich Deutschland im Mittelfeld, während dieser Index in Schweden sehr niedrig war. Das bedeutet, dass die Bereitschaft zur Akzeptanz unsicherer Situationen in Schweden größer war als in Deutschland und dass in Deutschland eher die Ten-
297
denz bestand, unsichere Sachlagen durch die Setzung von klaren Verhaltensvorschriften zu regeln. Jann vertritt die Auffassung, dass sich aus den Kulturdaten von Hofstede – obwohl sie unabhängig von der öffentlichen Verwaltung erhoben wurden – Schlussfolgerungen für organisatorisches Verhalten und die Strukturen im öffentlichen Sektor ziehen lassen. Von besonderer Relevanz für die hier interessierende Fragestellung nach der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung ist die Konsequenz, welche Jann aus den Unterschieden in der „Toleranz gegenüber Unsicherheit“ zieht. Bei einem hohen UAI lässt sich danach erwarten, dass klare Instruktionen und Vorgaben sowie schriftliche Regeln bevorzugt werden und dass mehr rituelles Verhalten vorhergesagt werden kann (Jann 2002b: 441f). Die Tatsache, dass der UAI in Hofstedes Untersuchung in Deutschland wesentlich höher war als in Schweden, ist im Hinblick auf die Themenstellung der vorliegenden Arbeit in zweierlei Hinsicht interessant: D
D
298
Der höhere UAI in Deutschland erklärt, warum die Rechtsetzungsaktivität in der Ministerialverwaltung in Deutschland im Rahmen der GGO viel detaillierter geregelt ist als die Arbeit der Ministerialverwaltung in Schweden im Rahmen der „Verordnung für die Arbeit der Kanzlei der Ministerien“. Ähnliches gilt für die Vorschriften zur Folgenabschätzung: Die Unterschiede im UAI zwischen Deutschland und Schweden machen plausibel, warum Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland in detaillierter Art und Weise in der GGO festgeschrieben wurden, während sie sich in Schweden vor allem aus Handbüchern und Ähnlichem herleiten lassen, aber für die Ebene der Kanzlei der Ministerien überwiegend nicht rechtsförmlich festgelegt worden sind. Das Phänomen der ‚rein formalen Anpassung’ in Deutschland und die im Unterschied zu Schweden sehr gleichförmige inhaltliche Gliederung der Gesetzesbegründungen lassen sich ebenfalls mit Hilfe der Tendenz zum rituellen Verhalten in Deutschland erklären. Die Ausgestaltung der Gesetzesbegründungen in Schweden ist deutlich abwechslungs- und facettenreicher (niedriger UAI). Dem entspricht auch die ebenfalls von Jann geäußerte Vermutung zu einer geringeren Risikobereitschaft, je höher der UAI ist. Je mehr man sich zumindest formal an bestehenden Entwürfen und Vorgaben orientiert und je weniger man von diesen abweicht, umso geringer das Risiko, dass man ‚etwas falsch macht’ und aufgrund dieser Gestaltungs- und Formulierungsfragen bei anderen Akteuren des politisch-administrativen Systems ‚aneckt’.
Hofstedes Untersuchung verbunden mit den Schlussfolgerungen für die öffentliche Verwaltung, die Jann daraus zieht, gibt also Hinweise darauf, dass insbesondere die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden in der „Toleranz gegenüber Unsicherheit“ Variationen in der Ausgestaltung und Implementation von Anforderungen zur Folgenabschätzung erklären können. Eine empirische Untersuchung dieses Zusammenhangs steht jedoch aus. Zum einen sind Hofstedes Daten mehr als dreißig Jahre alt und beziehen sich auf den Privatsektor und zum anderen kann nicht ohne Weiteres von einem Kausalzusammenhang ausgegangen werden. Im Hinblick auf die erste der oben genannten Thesen haben die Größe der Ministerialverwaltung und der Grad der organisatorischen Unabhängigkeit der Fachministerien in Deutschland möglicherweise erheblich mehr Einfluss auf die Detailliertheit formaler Prozessregeln als die im UAI abgebildete, kulturell bedingte „Toleranz gegenüber Unsicherheit“. Die Erklärung des hohen Grades an ‚rein formaler Anpassung’ in Deutschland durch geringe Risikobereitschaft und eine Tendenz zu ritualisiertem Verhalten hingegen ist nach Einschätzung der Autorin eine plausible Hypothese, deren Überprüfung jedoch zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben muss. Während die Untersuchung von Hofstede sich nicht explizit mit den kulturellen Werten der öffentlichen Verwaltung beschäftigte, sondern auf Basis eines breit angelegten internationalen Vergleichs versuchte, grundsätzliche Unterschiede nationaler Kulturen zu extrahieren (die sich dann natürlich auch in der jeweiligen Verwaltungskultur widerspiegeln), werden im Folgenden Erkenntnisse aus Studien vorgestellt, die sich konkret mit der öffentlichen Verwaltung beschäftigten. Als wesentliche Charakteristika der politisch-administrativen Kultur Schwedens wurden in der wissenschaftlichen Literatur häufig deren langfristige Orientierung (Suche nach nachhaltigen Problemlösungen), Sachlichkeit und Kompromissorientierung (Sjölin 1993: 145; Rustow 1955) aufgeführt, weshalb oft davon gesprochen wurde, dass Verwaltungsaktivitäten und Rechtsetzung in Schweden eine eher rationale Orientierung haben (Gustafsson 1987: 18; zur rationalen Orientierung s.a. Anton 1969; Anton 1980; Elder et al. 1982; Jann 1983: 512). Dies führte zu teils euphorischen Einschätzungen der Politikformulierung in dem skandinavischen Land. So konstatierte Richard F. Tomasson im Jahr 1970, dass keine moderne Gesellschaft bei der Erarbeitung von Gesetzen so viel Wissen über sich selbst produziert und nutzt wie die schwedische: „No modern society has or utilizes more knowledge about itself in writing legislation and in running its day-to-day affairs than does Sweden.” (Tomasson 1970: 274; zit. nach Gustafsson 1987: 19). Auf Basis einer vergleichenden Studie zur politi299
schen und administrativen Kultur in fünf europäischen Ländern (Großbritannien, Deutschland, Italien, Niederlande, Schweden) und den USA bestätigte Thomas J. Anton zehn Jahre später, dass schwedische Eliten weniger als in anderen westlichen Ländern durch Ideologien geprägt seien und stattdessen einen eher pragmatischen, problem- und sachfragenorientierten Fokus hätten (Anton 1980: 157). Anton interpretierte dies als Beleg für die Tradition einer rationalen Problemlösungsorientierung im schwedischen Politikformulierungsprozess. Die Vorbereitung und Herstellung politischer Entscheidungen in Schweden sei deshalb weniger als in anderen Ländern durch politische Machtkämpfe und Interessenkonflikte geprägt, sondern eher an sachlich angemessenen, wissensbasierten und konsensfähigen Lösungen orientiert: „No image of modern Swedish politics is more widely celebrated than of the rational, pragmatic Swede, studying problems carefully, consulting widely, and devising solutions that reflect centuries of practices seem impossibly civil and altogether impenetrable. (…) Studies of policy-making at all levels of Swedish government (…) have documented the extraordinary extent to which those activities follow a problem-solving mode: decisions are made very deliberately, sometimes requiring years before a choice is made; few decisions are ever made without a great deal of preparatory research followed by pre-planning for administrative implementation; administrators and politicians involved in these deliberations show remarkable willingness to agree with one another and, once agreement has been reached, an even more remarkable unwillingness to display lasting opposition to decisions they regard as unfavourable for them.” (Anton 1980: 158)
Auch wenn dieses Bild der Politikformulierung in Schweden vielleicht etwas idealistisch ist, so wird doch deutlich, dass viele Aspekte, die mit Hilfe von Folgenabschätzungen in den politisch-administrativen Prozess der Gesetzesvorbereitung eingebracht werden sollen, in Schweden traditionell eine wichtige Rolle spielen: „Decisions are themselves structured to avoid lasting opposition. Seldom are there overwhelming ‚winners’ oder clear-cut ‚losers’. The typical political/administrative choice distributes a little bit of some benefit to all involved participants, excluding non from some share of the ‚action’.“ (Anton 1980: 159)
Jann bezeichnete in seiner Studie zu staatlichen Programmen und zur Verwaltungskultur aus dem Jahr 1983 die schwedische Verwaltungskultur als „kooperative Kontaktkultur“, welche durch die Schlagworte Kooperation, Überschau300
barkeit, Offenheit und Konsens gekennzeichnet sei (Jann 2002b: 443). Zwei grundlegende kulturelle Werte der schwedischen Gesellschaft spielten dabei eine besondere Rolle: 1) die geringe Bewertung gesellschaftlicher Konflikte und die Bevorzugung von Konsens und 2) das grundsätzliche hohe Niveau gegenseitigen Vertrauens (Jann 1983: 513). Schwedische Politikinhalte zeichneten sich durch die Menge der einbezogenen Beziehungen und den Versuch der Integration aus. Politische Programme würden in einem umfassenden, langfristigen Prozess formuliert und seien längerfristig angelegt. Die Politikformulierung in der BRD beschrieb Jann mit den Merkmalen einer starken Detailliertheit, Zersplitterung und Fragmentierung. Es sei deshalb kaum möglich, einen umfassenden Überblick über die Ausgestaltung von Politikinhalten in einem Sektor zu erlangen. Diese Kompliziertheit hinge, so Jann, zum einen mit dem föderalen System zusammen, zum anderen spielten aber auch Abstimmungen auf der horizontalen Ebene, welche in Deutschland vor allem durch rechtliche Regelungen geprägt seien, eine Rolle: „Das Ergebnis all dieser Charakteristika, ergänzt durch spezifische Eigenheiten wie ‚Besitzstandswahrung’ und ‚Gleichbehandlung’, ist ein weitgehender Immobilismus. Je fragmentierter, komplizierter, formalisierter und (...) detaillierter Policies werden, desto unbeweglicher und bewahrender sind sie auch. Veränderungen finden zwar statt, aber Steuerung muss oft über den langen und mühsamen Weg der Verabschiedung von Gesetzen gehen, so dass allenfalls noch inkrementale Anpassungen, aber keine gestaltenden Veränderungen mehr möglich sind.“ (Jann 1983: 518)
Basierend auf diesen Erkenntnissen bezeichnete Jann die deutsche Verwaltungskultur als formalisierte Regelungskultur, „d.h. formalisierte Beziehungen nehmen eine wichtige Stellung ein. Wenn wiederum versucht wird, grundlegende gesellschaftliche Werthaltungen als Bedingungen dieses Systems zu identifizieren, ist auf der einen Seite die besondere Betonung des Konflikts (…) zu nennen, die aber durch eine weitgehende Dominanz gesellschaftlichen Misstrauens flankiert wird.“ (Jann 1983: 518). Zwar wird die Beschreibung der deutschen Verwaltungskultur als formalisierte Regelungskultur noch heute viel rezipiert (s.a. Jann/Wegrich 2008), gleichzeitig weisen Ergebnisse der Policy-Forschung darauf hin, dass Politikformulierung zunehmend außerhalb der formalen Institutionen im Rahmen von Netzwerken stattfindet. Die Dominanz staatlicher Akteure in diesen Netzwerken wird zunehmend in Frage gestellt. Der Staat wird als ein Akteur unter anderen beschrieben, zwar als ein ‚besonderer Akteur’, aber eben nicht als derjenige, welcher Entscheidungsprozesse hierarchisch lenke.
301
Werner Jann und Kai Wegrich kommen deshalb zu dem Schluss, dass die generelle Diagnose einer bürokratischen Regelungskultur in Deutschland nicht mehr zutreffend sei. Sowohl das Bild einer ausschließlich auf formalisierte Beziehungen und Abläufe ausgerichteten, legalistischen Verwaltung als auch das Bild einer kooperativen Verwaltung und Netzwerkkultur bilden reale Entwicklungstendenzen ab. Diese Bilder sind jedoch nicht geeignet, die Komplexität kultureller Phänomene pauschal zu erfassen, sondern sie stellen verschiedene Elemente der Verwaltungskultur dar, die je nach Verwaltungsebene und Sektor unterschiedlich stark ausgeprägt sein können (Jann/Wegrich 2008). Auch Klaus Goetz sprach bereits 1997 von einer Pluralisierung der Verwaltungskulturen in Deutschland (Goetz 1997: 180). Ebenso wie man die Beschreibung deutscher Verwaltungskultur als formalisierte Regelungskultur im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte zunehmend relativierte, wurde auch das Bild des rationalen Politikformulierungsprozesses in Schweden seit den 1980er Jahren differenziert und eingeschränkt (Lindvall/Rothstein 2006: 50). Der schwedische Forscher Mats Sjölin konstatierte Anfang der 1990er Jahre (1993: 45): „There is substantial evidence to indicate that the foundations of the traditional political style were somewhat eroded during the 1970s and 1980s.” Bereits Ende der 1980er Jahre kam eine empirische Untersuchung164 zur schwedischen Bürokratie und der Dezentralisierung politischer Macht zu dem Ergebnis, dass die Beschreibungen der rationalen schwedischen politisch-administrativen Kultur nicht mehr der Realität entsprächen und dass sich die administrative Kultur in Schweden seit Anfang der 1970er Jahre stark verändert hätte. Als Ursachen dieses Wandlungsprozesses identifizierte man organisatorische Veränderungen (Kommunalreform, Entstehung neuer zentraler Verwaltungsbehörden etc.), welche zu einer stärkeren Spezialisierung innerhalb der öffentlichen Verwaltung geführt hätten. Der Autor der Studie, Gunnel Gustafsson, behauptete, dass sich die administrative Kultur in Schweden derjenigen in anderen westlichen Ländern immer mehr annähere und dass die formelle und informelle administrative Kultur stärker als früher auseinander fielen. Das bedeute, dass Faktoren wie Sachlichkeit, Langfristigkeit, klare Arbeits- und Verantwortungsteilung und Kompromissbereitschaft zwar in den formellen Abläufen und Regulierungen weiterhin dominant seien, dass sich aber gleichzeitig eine informelle Verwaltungskultur entwickelt hätte, deren Handlungsorientierung kurzfristiger 164 Die Studie basiert auf Fallstudien und Experteninterviews mit Behördenleitern, Staatssekretären und regionalen Führungskräften aus Uppsala und Västerbottens län.
302
und flexibler sei und welche weniger kompromissorientiert sei. Symbolische Politik als Mittel zur Herstellung von Mehrheitsfähigkeit und/oder zur Verschiebung von realen Problemlösungen gewänne an Bedeutung. So hätte beispielsweise die Zahl der offiziellen Dokumente, in denen langfristige Fragen behandelt würden bzw. Politik ‚geplant’ würde, seit 1970 stark zugenommen (Aufstellen von Plänen für alle möglichen Politikbereiche). Gleichzeitig hätte inoffiziell, d.h. in den tatsächlichen Abläufen bei der Aufstellung und Implementation konkreter politischer Maßnahmen, eine kurzfristigere Perspektive begonnen zu dominieren. Kurz- und Langfristigkeit existierten relativ konfliktfrei nebeneinander, wie groß die Schnittmenge zwischen diesen beiden Welten sei, hänge stark vom jeweiligen Sektor ab (Gustafsson 1987: 28ff). Auch Rune Premfors und Göran Sundström bestätigen in einer Studie zur Kanzlei der Ministerien aus dem Jahr 2007, dass das Konfliktniveau in der schwedischen Politikformulierung zugenommen hätte, was sich daran zeige, dass die horizontalen Kontakte zwischen den Fachministerien heute häufiger konfliktbehaftet seien als in den 1970er Jahren (Premfors/Sundström 2007: 182). Diese Befunde sprechen dafür, dass sich die schwedische Kultur der Vermeidung von Konflikten und der Konsensorientierung in den letzten Jahrzehnten etwas gewandelt hat. Trotzdem gilt weiterhin die Einschätzung, dass das schwedische System durch die strukturell und kulturell verankerte Konsensorientierung, die Auslagerung der Gesetzesvorbereitung in das Kommissionswesen, die Offenheit und Transparenz von politischen Entscheidungsfindungsprozessen und aufgrund seiner vergleichsweise homogenen Gesellschaftsstruktur einen Entscheidungsmodus begünstigt, der sich stärker als in vielen anderen Staaten am Ideal der rationalen Entscheidungstheorie orientiert. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass das Ideal der politischen Neutralität und Sachlichkeit in Schweden immer noch stark im Wertesystem der Ministerialbeamten verankert ist (Matheson et al. 2005).
4.4.2 Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten in Deutschland und Schweden Wie gezeigt wurde (Kap. 3.5), spielen in den deutschen Gesetzesbegründungen juristische Aspekte (Konkretisierung bzw. Erklärung der rechtlichen Vorgaben, Einpassung ins Normengefüge etc.) eine größere Rolle, als dies in Schweden der Fall ist. Währenddessen werden (sozialwissenschaftliche) Fragen der Folgen der vorgeschlagenen Regelung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in 303
Schweden häufiger als in Deutschland thematisiert. Befördert wird die vorrangige Beschäftigung mit einer bestimmten Art von Fragestellungen (und die Vernachlässigung anderer Aspekte oder Perspektiven) durch die formale Ausbildung der Ministerialbeamten. In den 1970er Jahren wiesen Gerhard Brinkmann et al. auf Basis einer empirischen Untersuchung darauf hin, dass das Juristenmonopol in Deutschland zusammen mit dem legalistischen Fokus in der Aufgabenbearbeitung eine restriktive Bedingung für Regierungs- und Verwaltungsreformen bildet. Dabei wiesen sie zunächst nach, dass 41% der in der Studie betrachteten Arbeitsvorgänge ohne Bezug zu Rechtsvorschriften waren. In einem zweiten Schritt wurde überprüft, ob es in der vorschriftenspezifischen Beurteilung der Arbeitsakte ausbildungsspezifische Unterschiede gab. Die hierarchische Position der Beamten und das Aufgabengebiet wurden dabei konstant gehalten. Es zeigte sich, dass sich die Juristen bei der Ausübung ihrer Aufgaben weitaus häufiger auf Vorschriften bezogen und seltener im normfreien Raum tätig waren als Ministerialbeamte mit einem anderen Ausbildungshintergrund. Konformität mit Normen wurde von den Juristen weit höher eingeschätzt als die Orientierung an Sachaufgaben. Brinkmann et al. sahen darin ihre These vom übertriebenen Legalismus der Ministerialbeamten bestätigt (Brinkmann et al. 1973: 353; Schmidt/Treiber 1975b: 231ff). In einem Vergleich mit dem öffentlichen Dienst in den USA kamen sie zu dem Schluss, dass die Dominanz von Juristen und die vorherrschende Beschäftigung mit juristischen Fragestellungen einer sachgerechten Lösung der komplexen Aufgaben der Ministerialverwaltung nicht zuträglich sei: „[Die] starke Beschäftigung der deutschen Verwaltungsbeamten mit juristischen Problemen [ist] als eine Hypertrophie anzusehen, die der sachgerechten Lösung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung nicht zuträglich ist. Damit die öffentliche Verwaltung ihre komplexen Aufgaben besser lösen kann, muss sie diese übertriebene Affinität zu juristischen Fragen (...) aufgeben.“ (Brinkmann et al. 1973: 164; zit. nach Schmidt/Treiber 1975b: 211)165
Auch Günther Schmidt und Hubert Treiber zogen 1975 aus verschiedenen empirischen Studien die Schlussfolgerung, dass politische Probleme infolge der Dominanz juristischer Ausbildung zu stark legalistisch anstatt problem- und sachalternativ orientiert behandelt würden (Schmidt/Treiber 1975b: 238). Hinzu kom165 Schmidt/Treiber stellten den von Brinkmann et al. postulierten Zusammenhang allerdings in Frage und betonten, dass diese Studie lediglich die Dominanz der Juristen nachweise, nicht aber, dass in den USA ‚sachgerechtere’ Lösungen gefunden würden als in der BRD.
304
men spezifische Kommunikationsmuster. So wiesen Brinkmann et al. nach, dass innerhalb der Ministerialverwaltung Juristen am häufigsten mit Juristen reden, aber auch die anderen Ausbildungsgruppen weitgehend unter sich bleiben (Brinkmann et al. 1973: 233ff). Möglicherweise wird der Trend zur selektiven Perzeption durch die professionelle Sozialisation (den Ausbildungshintergrund) der Ministerialbeamten zusätzlich verstärkt. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, ob die von Brinkmann et al. kritisierte Dominanz der Juristen innerhalb der deutschen Ministerialverwaltung immer noch existiert und wie sich die disziplinäre Zusammensetzung der Ministerialbeamten seit den 1970er Jahren entwickelt hat.
4.4.2.1 Juristenmonopol in Deutschland? Es gibt kein umfassendes aktuelles statistisches Datenmaterial zum Ausbildungshintergrund von Ministerialbeamten in Deutschland, relativ gut erforscht ist jedoch die Gruppe der Spitzenbeamten. Hierzu gab es neben einigen international vergleichenden Studien (Armstrong 1973; Putnam 1976; Aberbach et al. 1981) zur administrativen Elite auch zahlreiche nationale Untersuchungen (Steinkemper 1974; Derlien/Mayntz 1989; Derlien 1995; Schwanke/Ebinger 2006; Derlien 2008). Die sog. Arbeitsebene des höheren Verwaltungsdienstes in den Ministerien, die Referenten sowie die Referatsleiter wurden in diesen Elitestudien nicht mit erforscht. Dementsprechend ist die Datenlage für diese Gruppen der Ministerialbeamten deutlich schlechter als für die administrativen Führungskräfte. Die eingeschränkte Verfügbarkeit statistischen Datenmaterials lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass es für den höheren Dienst in der Ministerialverwaltung in Deutschland keine zentralen Auswahlverfahren gibt. Abgeleitet aus dem Ressortprinzip besitzt jedes Bundesministerium eine eigene Personalhoheit, weshalb jedes Ministerium die Einstellung von Personal in den höheren Dienst in eigener Verantwortung und Zuständigkeit durchführt. Personalentscheidungen über Führungskräfte werden hingegen vom Kabinett kollektiv getroffen. Ministerialbeamte in der BRD sind in der Regel Berufsbeamte, welche eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat besitzen und lebenslang alimentiert werden.166 Der Einstieg in den höheren Dienst erfolgt für die Mehrzahl des Per166 Daneben arbeiten in den Bundesministerien auch Angestellte des öffentlichen Dienstes, deren Arbeitsverhältnis vertraglich geregelt ist. In der Regel handelt es sich dabei um Seiteneinsteiger, welche als Angestellte eingestellt werden, um die strengen gesetzlichen Vorgaben für Beamte zu
305
sonals der Bundesministerien in der niedrigsten Position (Regierungsrat) mit anschließender Laufbahnkarriere (‚Laufbahnbeamte’). Daneben gibt es Seiteneinsteiger, welche direkt in höhere Positionen gelangen.167 Die Einstellungsbedingungen für Ministerialbeamte sind in Art. 33 GG, im Bundesbeamtengesetz (BBG), im Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) und in der Bundeslaufbahnverordnung (BLV) gesetzlich geregelt (Goetz 1999). Bis 1953 konnten in der BRD nur Bewerber mit einer juristischen Ausbildung in den höheren Verwaltungsdienst eintreten. Mit der Änderung des § 19 Abs. 2 BBG 1953 und der Schaffung einer Ausbildungs- und Prüfungsordnung für nicht-juristische Anwärter auf den höheren Dienst im Jahr 1963 wurde dieses Monopol aufgehoben und die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ausbildung der juristischen Ausbildung als Zugangsvoraussetzung für den höheren allgemeinen Verwaltungsdienst gleichgestellt (Schmidt/Treiber 1975b: 205; Lang 2005: 122). Trotzdem blieben die Dominanz der Juristen und das Juristenaufstiegsmonopol168 in der höheren Beamtenschaft erhalten (Steinkemper 1974; Derlien/Mayntz 1989). Eine empirische Befragung von höheren Beamten in Spitzenpositionen im Jahr 1972 ergab einen Juristenanteil von 63% der Spitzenbeamten169 auf Bundesebene (Steinkemper 1974: 20).170 Renate Mayntz und Hans-Ulrich Derlien kamen 15 Jahre später zu einem fast identischen Ergebnis (1987: 62,6%, Derlien/Mayntz 1989: 52). Auch heute liegt der Anteil der Juristen an der administrativen Elite auf ähnlichem Niveau (Konstanzer Elitestudie 2005: 60,8%). 171 Der hohe Juristenanteil unter dem administrativen Führungspersonal auf Bundesebene hat sich seit Anfang der 1970er Jahre kaum verändert. Bärbel Steinkemper wies darauf hin, dass ein Juristenanteil von ca. zwei Dritteln der administrativen Spitzenpositionen sogar schon seit der Weimarer Republik eine konstante Größe umgehen. Angestellte, die längere Zeit in der Ministerialverwaltung arbeiten, werden in der Regel nach einiger Zeit verbeamtet. Hierfür ist die Zustimmung des Bundespersonalausschusses nötig (Goetz 1999: 161). 167 In der Konstanzer Elitestudie 2005 lag der Anteil der Seiteneinsteiger unter den Befragten (administrative Elite vom Unterabteilungsleiter aufwärts) bei 24% (Schwanke/Ebinger 2006). 168 Je höher die hierarchische Position von Mitarbeitern der obersten Bundesbehörden, umso höher der (ohnehin sehr große) Juristenanteil (Brinkmann et al. 1973: 54). 169 Befragt wurden auf Bundesebene alle Spitzenbeamten bis zur Ebene der Unterabteilungsleiter. 170 Für die Länderebene wurde sogar noch ein höherer Juristenanteil festgestellt (70% der politischen Beamten und 73% der nicht-politischen Bürokraten). 171 Im Rahmen der Konstanzer Elitestudie wurden 132 Spitzenbeamte (Beamtete Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter) befragt. Im Hinblick auf den Fokus der vorliegenden Studie ist zu beachten, dass die für die Gesetzesvorbereitung praktisch in erster Linie zuständigen Referatsleiter und Referenten nicht mit befragt wurden.
306
gewesen sei (Steinkemper 1974: 20).172 Hintergrund für die Dominanz von Juristen in der administrativen Elite war und ist die Sichtweise, dass Juristen als Generalisten flexibel einsetzbar sind (Mayntz 1997: 150): „Mit der Bevorzugung der Juristen ist die Vorstellung verbunden, dass Verwaltungsbeamte des höheren Dienstes jederzeit an jeder Stelle einsetzbar sein sollen; ihre Ausbildung soll nicht fachspezifisch sein, sondern sie befähigen, in bestimmten Kategorien zu denken, mit Logik und Sachlichkeit Probleme in bestimmter Weise anzugehen und zu lösen. Als ‚Generalisten’ sollen sie sich der ‚Spezialisten’ – der Techniker und Wirtschaftler – bedienen.“ (Steinkemper 1974: 19)
Ähnliche Denk- und Deutungsmuster sowie eine gemeinsame Sprache der Juristen im höheren Verwaltungsdienst gewährleisten außerdem eine funktionierende Kommunikation zwischen den Ministerien (Steinkemper 1974: 19). Trotz des konstanten Juristenanteils an der Verwaltungselite der BRD sind in den letzten beiden Jahrzehnten gewisse Veränderungen hinsichtlich des Ausbildungshintergrundes feststellbar. Katja Schwanke und Falk Ebinger konstatierten 2006 im Vergleich mit den Ergebnissen von Mayntz/Derlien aus dem Jahr 1987, dass sich eine Öffnung der politisch-administrativen Elite in Bezug auf deren akademische Ausbildung abzeichne. So absolviere zwar noch immer die Mehrheit der befragten Spitzenbeamten das Staatsexamen in Jura, jedoch erwarben diese vermehrt zusätzlich einen sozialwissenschaftlichen Abschluss als Nebenfach oder Aufbaustudium (Schwanke/Ebinger 2006: 232). Die meisten der 2005 befragten Spitzenbeamten, welche keine juristische Ausbildung besaßen, waren Wirtschaftswissenschaftler (13,3%), gefolgt von Politik- und Sozialwissenschaftlern (10%) und von Naturwissenschaftlern (9,2%). Die übrigen 6,7% der Befragten gaben ein anderes Studienfach an. Der Anteil der Wirtschaftswissenschaftler hatte demnach gegenüber 1987173 etwas abgenommen (1987: 17,7%). Politikund Sozialwissenschaftler wurden 1987 noch nicht als eigene Gruppe erfasst. Insofern ist davon auszugehen, dass sich deren Anteil zwischen 1987 und 2005 erhöht hat. Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit wurde im September 2007 eine Anfrage an alle Bundesministerien174 zum Ausbildungshintergrund ihrer Ministerialbeamten gestellt. Ziel dieser Anfrage war es, aktuelle Daten zum Ausbildungshintergrund der im Rahmen der Konstanzer Elitestudie (Schwanke/ 172 Derlien spricht von einem Juristenanteil von 77% im Jahr 1954 (Derlien 1995: 93). 173 Derlien/Mayntz befragten 1987 147 Spitzenbeamte auf Bundesebene. 174 Außer Auswärtiges Amt.
307
Ebinger 2006) nicht mit erfassten Referenten und Referatsleiter zu gewinnen. Zum einen wurde die Frage gestellt, welchen Studienhintergrund die im jeweiligen Ministerium tätigen Referenten und Referatsleiter haben. Zum anderen sollten Erkenntnisse über die Rolle des absolvierten Studienganges bei der Rekrutierung von neuem Personal für das Ministerium gewonnen werden. Um Auskünfte hierzu zu bekommen, wurde gefragt, wie groß der Anteil der Juristen, Wirtschaftswissenschaftler sowie anderer stark vertretener Studiengänge an den Neueinstellungen des letzten Jahres (2006) war. Neun von 13 befragten Ministerien haben die Fragen beantwortet. 175 Es zeigte sich, dass der Juristenanteil auf der Arbeitsebene der Ministerien je nach Ressort stark variiert. So kann im BMI und im BMJ durchaus von einem ‚Juristenmonopol’ gesprochen werden (ca. 80% Volljuristen im BMI176, volljuristischen Ausbildung als übliche Voraussetzung für eine Tätigkeit im BMJ177). Kein Monopol, aber eine Dominanz von Juristen findet man im zivilen Bereich des Verteidigungsministeriums (61%178), im Finanzministerium (59%179) und im Wirtschaftsministerium (55%180). Die zweitgrößte Gruppe in den beiden letztgenannten Ministerien bilden die Wirtschaftswissenschaftler. Am geringsten war der Anteil der Referenten/Referatsleiter mit juristischer Ausbildung 2006 im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (aufgrund der hohen Bedeutung von fachlicher Expertise in diesem Bereich) und im Bundesministerium für Bildung und Forschung (aufgrund der vergleichsweise geringen Rechtsetzungstätigkeit und der hohen Bedeutung der Bewertung von Förderanträgen und Ähnlichem aus fachlicher Sicht), wo jeweils nur ca. ein Drittel der Beamten des höheren Dienstes Juristen waren.181 Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit lieferte keine konkreten Zahlen, gab aber an, dass „verstärkt Referenten mit naturwissenschaftlicher Ausbildung eingestellt würden“. 182 Sozialwissenschaftler waren auf Referatsebene lediglich in zwei Ministerien, im BMI und im BMBF, in nennenswerter Größenordnung vertreten. 175 BMWi, BMJ, BMI, BMF, BMVg, BMBF, BMELV, BMU und BMVBS. 176 Schriftliche Auskunft der Arbeitsgruppe Z1 im BMI vom 24.10.2007. 177 Schriftliche Auskunft des Referates ZA1 im BMJ vom 24.09.2007. 178 Anteil der Juristen an allen Referatsleitern im zivilen Bereich des BMVg. Schriftliche Auskunft des Referates PSZ/Z im BMVg vom 29.11.2007. 179 Anteil der Juristen an allen höheren Ministerialbeamten im BMF. Schriftliche Auskunft des Referates ZA2 im BMF vom 29.10.2007. 180 Anteil der Juristen an allen Neueinstellungen 2006 im BMWi. Telefonische und schriftliche Auskunft des Referates ZA2 im BMWi vom 25.09.2007. 181 Schriftliche Auskunft des BMELV (30.11.2007) und des Referates Z11 im BMBF (3.12.2007). 182 Schriftliche Auskunft des Referates ZG/1 im BMU vom 3.12.2007.
308
4.4.2.2 Schweden: Wandlungsprozesse im Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten Ebenso wie in Deutschland bildete die juristische Ausbildung in Schweden traditionell den üblichen Hintergrund für eine Karriere in der Zentralverwaltung (Premfors 2003: 186; Ehn 1998: 78). Formell war bis 1964 ein Abschluss in Jura sogar notwendige Voraussetzung, um in den Staatsdienst in einem Ministerium einzutreten.183 Auch in den zentralen Verwaltungsbehörden dominierten die Juristen. Heute hat sich dieses Bild stark verändert. Die Juristenausbildung verlor in Schweden bis Ende der 1990er Jahre stetig an Bedeutung (Wallin et al. 1999: 66).184 Dann änderte sich dies jedoch wieder, da mit der EU-Mitgliedschaft einer hoher Bedarf an juristischer Fachkompetenz im Zuge der Anpassung des nationalen Rechts an die EU-Vorgaben entstanden war. In der Kanzlei der Ministerien dominieren heute drei Ausbildungsrichtungen: Jura, Wirtschaftsund Sozialwissenschaften (Ehn 1989: 79; Premfors et al. 2003: 186). Der schwedische Sozialwissenschaftler Peter Ehn stellte in einer Auswertung von Datenmaterial zur administrativen Elite aus zwei großen international vergleichenden Forschungsprojekten (1971 und 1990) fest, dass der Anteil der Juristen in administrativen Führungspositionen in Schweden 1990 deutlich geringer war als 1971 (vgl. Tabelle 11) und bestätigte damit die Beobachtung eines Rückgangs des Juristenanteils in der Verwaltungselite (Ehn 1998, 2003; s.a. Aberbach et al. 1981; Aberbach 2003; Dierickx 2003; Derlien 2003; Wilson/ Barker 2003). Besonders stark war dieser Rückgang bei den Ministerialbeamten in Leitungspositionen – der Juristenanteil halbierte sich hier zwischen 1971 und 1990. Gleichzeitig verdoppelte sich der Anteil der Humanisten/Sozialwissenschaftler unter den Ministerialbeamten nahezu. Insgesamt waren 1990 jeweils ein Drittel der befragten Ministerialbeamten Juristen und Humanisten/Sozialwissenschaftler. Ein reichliches Viertel waren Ökonomen und nur 8% hatten einen sonstigen Ausbildungshintergrund. Noch deutlicher wird der gesunkene Juristenanteil, wenn man die Befragten in Verwaltungsdirektoren sowie Direktoren der Rechtsabteilung einerseits und übrige Ministerialbeamte andererseits un183 Es gab jedoch die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung, wenn die Dienststelle eine andere Ausbildung erforderlich machte. Solche Ausnahmegenehmigungen waren in den Jahren vor 1964 immer verbreiteter geworden (Christoffersson 1983: 172f; s.a. Livh 1964). 184 Linde wies schon zwischen 1957 und 1967 einen sinkenden Juristenanteil unter den administrativen Führungskräften nach (Linde et al. 1970); Christoffersson zeigte, dass der Anteil der Juristen unter den Mitarbeitern in den Ministerien zwischen 1964 und 1981 auf allen Ebenen zurückgegangen war, auf der untersten Ebene (Referenten) sank der Anteil der Juristen am stärksten, von 60% auf 30% (Christoffersson 1983: 174).
309
terteilt. Für erstere ist eine juristische Ausbildung unabdingbar. Unter den Verwaltungsdirektoren sowie Direktoren der Rechtsabteilung ist deshalb kaum eine Verringerung des Juristenanteils zu verzeichnen. Umso größer ist jedoch der Rückgang des Juristenanteils unter den übrigen Ministerialbeamten (Ehn 1998: 79). Tabelle 11: Ausbildungshintergrund der administrativen Elite in Schweden 1971 und 1990 Juristen
Humanisten/ Sozialwissenschaftler
Ökonomen
Techniker/ Naturwissenschaftler
Sonstige
1971
1990
1971
1990
1971
1990
1971
1990
1971
1990
Staatssekretäre
15
10
46
45
31
35
8
0
0
10
Leitende MB*
65
34
17
32
13
26
4
4
0
4
Behördenchefs**
34
26
5
20
13
9
25
17
23
29
Quelle: Ehn 1998: 79. MB=Ministerialbeamte; *„departementsråd“; entspricht Rang eines Ministerialdirigenten in Deutschland; ** „verkschef“ = Generaldirektoren/Leiter zentraler Verwaltungsbehörden. Angaben in % bezogen auf die Gesamtzahl der Befragten der jeweiligen beruflichen Position.
Neuere Studien bestätigen die abnehmende Bedeutung einer juristischen Ausbildung innerhalb der Kanzlei der Ministerien. So zeigten Rune Premfors und Göran Sundström in einer Fragebogenuntersuchung (2007: 77), dass 2005 nur noch 25% der Referenten und 34% des Leitungspersonals in der Kanzlei der Ministerien sich selbst als Juristen bezeichneten. Premfors und Sundström verglichen ihre Ergebnisse mit einer Studie von Torbjörn Larsson aus dem Jahr 1980. Damals waren noch 35% der Referenten und 47% der Führungskräfte Juristen (Larsson 1986). Jeweils ca. ein Viertel der Referenten und der Führungskräfte in der Kanzlei der Ministerien ordneten sich selbst in der 2005er Befragung als Wirtschaftswissenschaftler ein. Weitere 40% der Referenten waren Sozialwissenschaftler. Im Leitungsbereich lag der Anteil der Sozialwissenschaftler bei 27%. Auf der Arbeitsebene in der Kanzlei der Ministerien sind die Sozialwissenschaftler also mittlerweile die dominante Gruppe, während auf Leitungsebene weiterhin die Juristen die größte Ausbildungsgruppe bilden. 310
4.4.3 Fazit: Zur Bedeutung von Verwaltungskultur und Ausbildungshintergrund Die letzten beiden Abschnitte stellten wichtige empirische Erkenntnisse zur deutschen und schwedischen Verwaltungskultur sowie zum Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten dar. Im Ländervergleich fällt auf, dass sich die disziplinäre Zusammensetzung des Personals der deutschen Ministerialbürokratie seit den 1970er Jahren trotz Politisierungstendenzen nur wenig verändert hat. Zwar ist nachweisbar, dass der Anteil der Sozial- und insbesondere der Wirtschaftswissenschaftler an den administrativen Führungskräften zugenommen hat (Lang 2005) und dass viele Juristen, die in den höheren allgemeinen Verwaltungsdienst eintreten, ein sozialwissenschaftliches Ergänzungsstudium absolvieren, an der grundsätzlichen Dominanz der Juristen (v.a. in Führungspositionen) hat sich jedoch wenig geändert. Juristen gelten nach wie vor (trotz Bürokratisierung der Politik und Politisierung der Bürokratie) als die geeigneten Generalisten für eine Tätigkeit in der Ministerialverwaltung (ergänzend zu den Spezialisten für den jeweiligen Fachbereich des Ressorts). Diese Tatsache mag nicht förderlich sein für eine Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung, deren grundsätzliche Reformidee in einer ex ante Evaluation realer Gesetzeswirkungen mit sozialwissenschaftlichen Methoden besteht, es ist aber auch mit Sicherheit nicht der einzige Grund für die (mit Ausnahme weniger Prüfvariablen) große Implementationslücke in Deutschland. Genauso wichtig ist die von Jann herausgearbeitete Betonung des Konflikts in der deutschen Verwaltungskultur, welche eine negative Interpretation von Vorschriften zur Folgenabschätzung fördert. Eine Darstellung und Diskussion negativer Gesetzesfolgen wird als Gefahr für die Durchsetzungsfähigkeit des Entwurfes gewertet. Insofern besteht wenig Interesse, die GGO-Anforderungen tatsächlich zu erfüllen. Ein hohes Maß an formaler Anpassung, die sich in immer wiederkehrenden Floskeln zu bestimmten Folgenaspekten äußert, wird durch eine Tendenz zu rituellem Verhalten und formalisierten Abläufen gefördert. Die Zusammensetzung des Personals in der schwedischen Kanzlei der Ministerien hingegen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt. Während Anfang der 1970er Jahre die Juristen noch als Generalisten bevorzugt wurden, wird diese Rolle nun mehreren Disziplinen zugesprochen: Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen. Im Gegensatz zu einigen Ressorts der deutschen Ministerialverwaltung spielen Absolventen naturwissenschaftlicher oder technischer Studiengänge in der schwedischen Kanzlei der Ministerien keine Rolle mehr. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass technische Regulierungen und Ausführungsvorschriften von Gesetzen und Rechtsverordnungen in 311
Schweden von den zentralen Verwaltungsbehörden ausgefertigt werden, weshalb die Spezialisten mit dem entsprechenden Ausbildungshintergrund auch nicht in der Kanzlei der Ministerien arbeiten, sondern in den zentralen Verwaltungsbehörden zu finden sind. In der Kanzlei der Ministerien hingegen geht es vor allem darum, politiknahe Aufgaben der Abstimmung und Herstellung von Durchsetzungsfähigkeit für Gesetzentwürfe wahrzunehmen sowie die juristische Qualität von Regelungsentwürfen abzusichern. Dies sind Aufgaben, die von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen besonders gut wahrgenommen werden können. Der Wandel im Ausbildungshintergrund der Mitarbeiter der Kanzlei der Ministerien spiegelte sich in der in Kap. 3.5 durchgeführten vergleichenden Analyse von Propositionen des Jahres 1977 mit Regierungsvorlagen aus neuerer Zeit wider. Juristischen Fragestellungen wurde 1977 mehr Aufmerksamkeit gewidmet als 2006, was auf den gewandelten Ausbildungshintergrund der schwedischen Ministerialbeamten zurückgeführt werden kann. Der Vergleich mit Deutschland zeigt aber auch, dass der Ausbildungshintergrund nur einen Teil der Differenzen zwischen Schweden und Deutschland erklären kann. Die schwedischen Propositionen von 1977 wiesen bereits wesentliche Merkmale der heutigen Regierungsvorlagen auf: Gesetzesfolgen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wurden umfassender beleuchtet als in Deutschland, der Politikformulierungsprozess wurde transparent gemacht und Alternativen wurden benannt und diskutiert, obwohl die Kanzlei der Ministerien zu diesem Zeitpunkt noch von Juristen dominiert wurde. Mehr Erklärungskraft als der Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten hat deshalb die traditionelle Kultur der Gesetzesvorbereitung in Schweden, die eng mit der Institution des Kommissionswesens verbunden ist. Im Rahmen der Kommissionen spielen rechtstechnische und rein juristische Fragen kaum eine Rolle, der Fokus der Kommissionsarbeit ist eher problem- und sachorientiert sowie auf eine Konsenssuche zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen ausgerichtet. In Kap. 3.3.3.4 wurde gezeigt, dass die ‚tatsächliche Erfüllung’ von Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen bei den von Kommissionen vorbereiteten Regelungsvorhaben meist deutlich besser war als bei den Rechtsentwürfen, die schwerpunktmäßig in der Kanzlei der Ministerien entwickelt wurden.
312
5 Fazit und Ausblick
Die Vorstellung, politische Steuerungsentscheidungen durch eine Erhöhung der Informationsverarbeitungskapazitäten des politisch-administrativen Systems zu verbessern, bildete in der Mitte des letzten Jahrhunderts in den USA den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Policy-Analyse. Die Pioniere der Disziplin, Daniel Lerner und Harold Lasswell (1951), verbreiteten die Idee einer „interdisziplinären Problemlösungswissenschaft für die Gesellschaft“, die sich wissenschaftlicher Analysemethoden bedient und normativ auf die Rationalisierung politischer Entscheidungsprozesse abzielt. In Deutschland waren ähnliche Tendenzen ausschlaggebend für die Gründung der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform durch die Bundesregierung Ende der 1960er Jahre sowie für zahlreiche weitere Reformversuche in den folgenden Jahrzehnten. Neben Fragen der Organisation und Koordination bildete die Strukturierung des Gesetzgebungsprozesses ein wichtiges Ziel der Versuche zur Erhöhung der Effektivität und Effizienz staatlicher Steuerung. Heute erleben derartige Reformansätze unter dem Schlagwort der besseren Rechtsetzung (bzw. in einer breiteren Perspektive unter dem Label ‚bessere Regulierung’) eine Renaissance. Verfahren zur ex ante Abschätzung von Gesetzesfolgen spielen in diesem Kontext eine zentrale Rolle. In der Vergangenheit waren ähnliche Ansätze zur Verbesserung der Qualität politischer Steuerungseingriffe in Deutschland (z.B. „Blaue Prüffragen“) jedoch durch eine erhebliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gekennzeichnet. Meist verloren die Rationalisierungsbemühungen nach einer Phase der Reformeuphorie schnell an Bedeutung und bewirkten keine nachhaltigen Veränderungen im Prozess der Politikformulierung sowie -entscheidung. Während Gesetzesvorbereitung in Deutschland durch einen hohen Grad an Politikverflechtung im föderalen System, durch eine formalisierte Regelungskultur und durch ein ‚black box’-System der Politikformulierung (Dominanz der Ministerialverwaltung, abgeschottete und intransparente Prozesse der Beteiligung und der Wissensgenerierung) gekennzeichnet ist, wird der Rechtsetzungsprozess in Schweden in der wissenschaftlichen Literatur häufig als transparent, offen und an Sachfragen orientiert beschrieben.
Aufgrund dieser Unterschiede liegt die Vermutung nahe, dass Instrumente zur Folgenabschätzung in Schweden auf Bedingungen treffen, die eine Implementation eher unterstützen als dies in Deutschland der Fall ist. Vor diesem Hintergrund setzte sich die vorliegende empirische Studie im deutsch-schwedischen Vergleich mit zwei Forschungsfragen auseinander: D D
In welchem Grad sind Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden implementiert? Wie lassen sich der jeweilige Implementationsgrad und die Implementationsunterschiede zwischen den Ländern erklären?
Das Buch leistet damit einen Beitrag zur anwendungsbezogenen, empirisch-analytischen Policy-Forschung und beschäftigt sich – im Gegensatz zu einem Großteil der vorhandenen Literatur über Folgenabschätzungen und bessere Rechtsetzung – explizit nicht mit ‚normativer Instrumentenforschung’. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht nicht die Frage, wie eine geeignete Methode oder ein besonders Erfolg versprechendes Instrument zur (Gesetzes-)Folgenabschätzung aussehen könnte. Ebenso wenig geht es darum, Implementationserfolg ausgehend von einer technischen Instrumentendefinition zu messen, wie dies in einigen EU-Forschungsprojekten versucht wurde. Das zentrale Erkenntnisinteresse dieser empirischen Studie lag darin – und das ist bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom konkreten Instrument der besseren Rechtsetzung – herauszufinden, welche institutionellen Faktoren eine Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung (bzw. auf höherem Abstraktionsniveau: zur Meta-Regulierung) in den beiden untersuchten Ländern fördern oder einschränken.
5.1 Forschungsfrage 1: Über große und kleine Implementationslücken Die Grundlage der Untersuchung des Implementationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden bildete eine quantitative Inhaltsanalyse aller Gesetzentwürfe der Regierungen beider Länder aus dem Jahr 2006 (BRD n=154; SWE n=132). Um langfristige Veränderungen sichtbar zu machen, analysierte die Autorin zusätzlich eine Stichprobe von Gesetzentwürfen aus den 1970er Jahren und wertete Sekundärliteratur aus. Da für den deutschen Fall kaum auf vorhandenes Datenmaterial zurückgegriffen werden konnte, erfolgten hierzu weitere eigene empirische Erhebungen (Analyse aller Regierungsvorlagen aus den Jahren 1999 und 2003). Prüfkriterien für die Analy314
se der Gesetzesmaterialien waren die in Deutschland bzw. in Schweden zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt als verbindliche Elemente einer Folgenabschätzung festgelegten materiellen Anforderungen (Darstellung von Alternativen, Haushaltsauswirkungen, Vollzugsaufwand, Auswirkungen auf Preisniveau und die Verbraucher, Bürokratiekosten etc). Im Ergebnis der empirischen Untersuchung zeigte sich, dass sowohl in Deutschland als auch in Schweden zum Teil erhebliche Implementationslücken hinsichtlich der Darstellung von Gesetzesfolgen im Rahmen der Regierungsvorlagen existieren, welche je nach Prüfkriterium unterschiedlich stark ausgeprägt sind. In der Auswertung der empirischen Daten erfolgte eine Differenzierung zwischen tatsächlicher und formaler Erfüllung der Vorschriften zur Folgenabschätzung. ‚Formale Erfüllung’ bedeutete, dass ein Folgenaspekt im Rahmen der Gesetzesmaterialien erwähnt wurde (unabhängig von der Qualität der Aussagen). Eine ‚tatsächliche Erfüllung’ lag dann vor, wenn eine Regierungsvorlage substantielle inhaltliche Aussagen zu einem Folgenaspekt enthielt. Die Differenz zwischen formaler und tatsächlicher Erfüllung wurde als ‚formale Anpassung’ bezeichnet, d.h. es handelte sich um Statements zu einem Prüfkriterium, die sehr kurz waren und einen floskelhaften Charakter aufwiesen. Während sich die ‚formale Erfüllung’ der meisten Prüfkriterien in Deutschland 2006 auf höherem Niveau befand als in Schweden, ergab sich für die ‚tatsächliche Erfüllung’ ein umgekehrtes Bild. Für Deutschland ist ein eklatantes Auseinanderklaffen zwischen formaler und tatsächlicher Erfüllung zu konstatieren. Formale Anpassungen in Form von floskelhaften kurzen Aussagen, die in vielen Gesetzentwürfen identisch oder fast identisch zu finden waren, bilden in der bundesdeutschen Ministerialverwaltung eine übliche Art und Weise, auf Vorschriften zur Folgenabschätzung zu reagieren. Wie andere Forschungsarbeiten gezeigt haben, bedeutet dies jedoch nicht, dass im Prozess der Gesetzesvorbereitung in Deutschland keine Folgenuntersuchungen in Form von Studien, Berichten, Befragungen oder Ähnlichem durchgeführt werden (Hertin et al. 2007), sondern dieses Ergebnis zeigt lediglich, dass die Bundesministerien regelmäßig keine Transparenz über die Ergebnisse solcher Vorstudien herstellen. Im schwedischen Fall hingegen sind nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Merkmalen festzustellen; eine formale Anpassung an Anforderungen zur Folgenabschätzung spielt in Schweden also eine wesentlich geringere Rolle als in Deutschland. Wurden bestimmte Kriterien nicht geprüft, so enthielten die schwedischen Regierungsvorlagen (Propositionen) in der Regel gar keine Aussage zu diesem Aspekt. Insgesamt verdeutlichte die empirische Untersuchung, dass sich die Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung, verstan315
den als eine substantielle und nachvollziehbare Thematisierung zu erwartender Regelungseffekte, in Schweden insgesamt auf deutlich höherem Niveau befand als in Deutschland. Eine Ausnahme bildete die Darstellung der mit neuen oder geänderten gesetzlichen Regelungen verbundenen administrativen Lasten für Unternehmen, welche in Deutschland deutlich häufiger erfolgte als in Schweden und v.a. auch im Hinblick auf die Quantifizierung der Bürokratiekosten bemerkenswert gute Resultate zeigte. Ein Vergleich der Regierungsvorlagen aus dem Jahr 2006 mit Gesetzentwürfen aus den 1970er Jahren verdeutlichte, dass das Phänomen der ‚formalen Anpassung’ in Form von floskelhaften, Auswirkungen verneinenden Aussagen in den Gesetzesbegründungen und auf den Gesetzesvorblättern in Deutschland in den letzten dreißig Jahren stark zugenommen hat. Im Hinblick auf die substantielle Darstellung von Gesetzesfolgen waren hingegen kaum Unterschiede zwischen damals und heute erkennbar. Eine Ausnahme bildete die Variable Vollzugsaufwand, die heute wesentlich häufiger thematisiert wird, als dies früher der Fall war. Wurde 1977 noch in 50% der Fälle keine Angabe zum Vollzugsaufwand gemacht, so betraf dies 2006 nur noch 11% der Entwürfe. In Schweden zeigte sich ebenso wie für die meisten untersuchten Prüfkriterien in Deutschland ein hohes Maß an Kontinuität, was die Darstellung von Gesetzesfolgen im langfristigen Zeitvergleich angeht. Deutliche Unterschiede traten jedoch genau in den beiden Bereichen zutage, die im Mittelpunkt der schwedischen Reformbemühungen zur besseren Rechtsetzung in den letzten Jahrzehnten standen. Dies betraf zum einen die Darstellung der Kostenfolgen von Gesetzen, die 2006 im Vergleich zu 1977 bei einem erheblich höheren Anteil der Gesetze erfolgte und zudem detaillierter ausgeführt wurde (was jedoch nicht mit einem höheren Anteil an Quantifizierungen verbunden war). Zum anderen waren für den Bereich der Darstellung der Gesetzesfolgen für kleine Unternehmen deutliche Unterschiede zwischen 1977 und 2006 zu konstatieren. Dieser Faktor erhielt durch die programmatische Schwerpunktsetzung der schwedischen Regierung Ende der 1990er Jahre verbunden mit der Einführung der Simplex-Verordnung, des Simplex-Handbuches sowie struktureller Maßnahmen ein besonderes Gewicht. Im deutsch-schwedischen Vergleich der Gesetzesmaterialien fällt auf, dass sich an den grundlegenden Unterschieden in der Ausgestaltung von Regierungsvorlagen in den beiden Staaten in den letzten drei Jahrzehnten trotz ähnlich ausgerichteter Reformen zur besseren Rechtsetzung wenig geändert hat. In den schwedischen Propositionen wurde und wird viel Wert auf Fragen der Transparenz, auf Informationssammlung und -darstellung zu gesellschaftlichen Proble316
men sowie auf die Diskussion der gewählten Lösungen gelegt. Deutsche Gesetzentwürfe hingegen waren und sind kein Spiegelbild einer gesellschaftlichen Diskussion, sondern Dokumente, welche die juristische Qualität von Rechtsnormen untermauern sowie die rechtliche Auslegung der Vorschriften lenken sollen. Ihr Hauptfokus im Hinblick auf die Anforderungen zur Folgenabschätzung liegt häufig auf einer Absicherung der formalen Erfüllung gültiger Vorschriften im Rahmen eines starren, vorgegebenen Darstellungsschemas und weniger auf einer Diskussion von Lösungsvorschlägen und deren Wirkungen.
5.2 Forschungsfrage 2: Über die Ursachen der Implementationsunterschiede Die Implementationsunterschiede zwischen Deutschland und Schweden wurden in diesem Buch mit Hilfe des Theorieansatzes des soziologischen Neo-Institutionalismus erklärt. Diese Theorierichtung geht davon aus, dass Organisationen Legitimität erhalten, indem sie vielfältige Anforderungen ihrer institutionellen Umwelten aufgreifen. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Formalstruktur von Organisationen, welche so gestaltet wird, dass sie die Rationalitätsmythen der institutionellen Umwelten widerspiegelt. Dadurch kann eine Organisation demonstrieren, dass sie auf kollektiv wertgeschätzte Ziele angemessen reagiert. Die vielfältigen, an eine Organisation herangetragenen Umweltanforderungen sind in der Regel nicht konsistent und konfliktfrei, sondern können im Widerspruch zueinander oder zu den internen Aktivitätsanforderungen einer Organisation stehen. Organisationen reagieren auf diese Widersprüche mit der Entkopplung von Verlautbarungsebene (talk), formaler Entscheidungsebene (decision) und realen Aktivitäten (action). In einer Organisation, die sich inkonsistenten Umweltanforderungen gegenüber sieht, werden strukturelle Elemente untereinander und von den tatsächlichen Organisationsaktivitäten entkoppelt. Dadurch kann widersprüchlichen Umweltbedürfnissen Rechnung getragen werden. Obwohl die Entkopplungsthese unmittelbar einleuchtet und den meisten Menschen schnell zahlreiche Beispiele für deren Relevanz einfallen, ist sie zunächst nichts anderes als eine Deskription für ein empirisches Phänomen. Weiterführend stellt sich die Frage, wovon es abhängt, ob auf eine Umweltanforderung lediglich mit ‚Sonntagsreden’ und Absichtserklärungen reagiert wird, ob formale Entscheidungen getroffen werden oder ob tatsächlich ein Prozess in Gang gesetzt wird, der zu einer Veränderung der Organisationsaktivitäten führt.
317
Die Frage nach der Erklärung der Kopplung von formalen Entscheidungen (decision) und realem Organisationshandeln (action) bildete das zentrale Thema des theoretisch-analytischen Teils dieses Buches (Kap. 4). Sowohl in Deutschland als auch in Schweden wurden formale Entscheidungen über Vorschriften zur Folgenabschätzung getroffen. Die Implementation hingegen fiel sehr unterschiedlich aus. Auch wenn in beiden Staaten von einer Implementationslücke (d.h. von einer losen Kopplung von decision und action) gesprochen werden muss, wurden die Vorschriften zur Folgenabschätzung im Prozess der Gesetzesvorbereitung in Schweden in höherem Maße tatsächlich erfüllt als dies in Deutschland der Fall war. Eine erste, auf Basis neo-institutionalistischer Ideen entwickelte Hypothese zur Erklärung von Implementationsunterschieden besteht in der Annahme, dass Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland in höherem Maße als in Schweden in Konflikt zu anderen relevanten Umweltanforderungen bezüglich der Art und Weise der Gesetzesvorbereitung stehen. Diese ‚Konflikthypothese’ wurde im Laufe der Forschungsarbeit konkretisiert, wobei die Autorin zwei Anforderungen identifizierte, welche für die Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung von besonderer Bedeutung sind: die Herstellung und Absicherung der politischen Durchsetzungsfähigkeit für einen Gesetzentwurf und die informationelle Entlastung der politischen Entscheidungsträger. In der näheren Betrachtung des deutschen und des schwedischen Falls zeigten sich abweichende Muster im Grad der Konflikte, welche diese beiden Anforderungen gegenüber den Vorschriften zur Folgenabschätzung hervorrufen. Für Deutschland wurde zunächst nachgewiesen, dass die Anforderung der politischen Leitung an das federführende Referat, Durchsetzungsfähigkeit für einen Regelungsentwurf herzustellen, von größerer Bedeutung ist als die Anforderung zur Erfüllung der Vorschriften zur Folgenabschätzung, weil der zu erwartende Legitimitätsgewinn für ein Ministerium (ebenso wie für die Regierung als Kollektivorgan) wesentlich größer ist, wenn es eine gesetzliche Regelung erfolgreich durchsetzen kann als wenn es die Vorschriften zur Folgenabschätzung tatsächlich befolgt. Gleichzeitig zeigte sich, dass Vorschriften zur Folgenabschätzung in einem erheblichen Widerspruch zur regierungsinternen Durchsetzungsfähigkeit eines Gesetzentwurfes stehen, da die Durchsetzungsfähigkeit in hohem Maße davon abhängt, ob das federführende Ministerium seinen Informationsvorsprung gegenüber anderen Ministerien aufrecht erhalten kann. Informationen stellen im politischen Aushandlungsprozess ein Machtmittel dar. Entscheidungen darüber, wer welche Informationen wann erhält, sind ein wichtiges Steuerungsinstrument. Das Interesse des federführenden Ministeriums, diese 318
Möglichkeit zur Ausübung von Einfluss mittels Informationen (und damit zur Erhöhung der Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Gesetzentwürfe) aufgrund von Vorschriften zur Herstellung von Transparenz über die Ergebnisse von Folgenabschätzungen einzuschränken, ist in Deutschland gering. Ein ähnlicher Mechanismus gilt für die Regierung als Kollektivorgan, welche wenig Interesse daran hat, den Oppositionsparteien im Parlament argumentatives ‚Futter’ an die Hand zu geben, welches bei geschickter strategischer Nutzung in Hinblick auf mediales Agenda-Setting und Beeinflussung der öffentlichen Meinung die Durchsetzung der Regierungsvorlage gefährden könnte. Für Schweden besitzt diese Argumentation aus zweierlei Gründen kaum Relevanz: Erstens finden wesentliche Teile der Gesetzesvorbereitung in staatlichen Untersuchungskommissionen statt und zweitens sind häufig Minderheitsregierungen an der Macht, die sich Mehrheiten im Parlament themenbezogen immer wieder neu beschaffen müssen. Entscheidungsnetzwerke in der schwedischen Politikformulierung besitzen nicht dieselbe Geschlossenheit und Intransparenz wie in Deutschland. Da Kommissionsgutachten – und damit auch die Ergebnisse von im Kommissionswesen durchgeführten Folgenabschätzungen – veröffentlicht werden und fast immer ein umfassendes und offenes Konsultationsverfahren stattfindet, dessen Ergebnisse wiederum öffentlich zugänglich sind, stellt Information für die schwedische Ministerialverwaltung kein vergleichbares strategisches Machtmittel dar. Insofern ist mit den Vorschriften zur Folgenabschätzung auch nicht die Gefahr verbunden, dieses Machtmittel zu verlieren. Die Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung enthält für die schwedische Ministerialverwaltung somit deutlich weniger Konfliktpotential und funktionalitätsbedingte Widersprüche zu der Anforderung, Durchsetzungsfähigkeit für Gesetzentwürfe herzustellen. Neben der Durchsetzung von Gesetzentwürfen besteht eine zweite wichtige Anforderung der politischen Leitung eines Ressorts an die ministerielle Arbeitsebene in der Reduktion von Informationen. Diese Anforderung besteht grundsätzlich unabhängig von anderen landesspezifischen Merkmalen des Gesetzgebungsprozesses, da die Informationsverarbeitungskapazitäten der Leitungsebene in einem hierarchisch aufgebauten Ministerium immer geringer sind als diejenigen der zahlreichen spezialisierten Untereinheiten. Von unten nach oben findet also ein Prozess der Filterung und Reduktion von Informationen statt. Zwar kann es in Ausnahmefällen erwünscht sein, dass in der zuständigen Basiseinheit im Ministerium verschiedene Alternativen zur Lösung eines politischen Problems ausgearbeitet werden, in der Regel besteht die Präferenz der politischen Leitung aber in bereits vorabgestimmten Entwürfen. Vorschriften zur 319
Folgenabschätzung, insbesondere diejenigen zur umfassenden Alternativendarstellung und -bewertung stehen hierzu im Widerspruch. Sowohl in Deutschland als auch in Schweden wird auf diesen Widerspruch mit einer Entkopplung reagiert. Eine umfassende Abschätzung der Folgen alternativer Regelungsoptionen findet weder in Deutschland noch in Schweden statt. Während die übliche Reaktion der deutschen Ministerialverwaltung in einer formalen Anpassung besteht, werden in Schweden durchaus Alternativen dargestellt. Die Alternativendarstellung erfolgt allerdings auch in Schweden nicht für alle Regelungsoptionen gleichwertig, sondern die präferierte Regelungsvariante wird üblicherweise umfassend diskutiert, während Alternativvorschläge meist kurz und knapp beschrieben werden. Dass Alternativen in schwedischen Propositionen nicht nur formal abgehandelt werden, hängt mit der Institution des Kommissionswesens sowie mit dem verfassungsmäßig und kulturell fest verankerten Öffentlichkeitsprinzip zusammen, das eine hohe Transparenz über Akteure im Gesetzgebungsprozess und deren Positionen herstellt. Mit der Bedeutung von Transparenz und Kontrolle setzt sich die zweite Hypothese, die sog. Kontrollhypothese, auseinander. Danach kann eine über die Formalebene hinausgehende Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung dann gegeben sein, wenn ein oder mehrere Akteure vorhanden sind, welche – entweder aufgrund eigener Interessen (wie der NNR in Schweden) oder aufgrund eines politischen Mandats (wie der NKR in Deutschland) – die Umsetzung der Vorschriften zur Folgenabschätzung kontrollieren. Entscheidend für den Implementationsgrad ist dabei jedoch nicht nur die Existenz eines Kontrolleurs, sondern auch dessen Kontrollvermögen, welches in engem Zusammenhang mit Kompetenzen/Zugriffsmöglichkeiten und Fragen der Transparenz steht. In einem transparenten System kann eine Nicht-Implementation von Umweltanforderungen von außen leichter durchschaut werden als in einem intransparenten System. In ‚black box’-Systemen können Umweltanforderungen leichter durch ‚schöne Reden’ (talk) oder formale Anpassungen (decision without action) befriedigt werden. Der Grad der Übereinstimmung von talk und decision lässt sich auch in intransparenten Systemen noch relativ leicht kontrollieren, die Kopplung zwischen decision und action hingegen nicht. Die Untersuchungen ergaben sowohl für den deutschen als auch für den schwedischen Fall, dass das regierungsinterne formale Kontrollsystem für die Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen dezentral organisiert ist. In beiden Ländern gibt es keine übergeordnete oder unabhängige Instanz, die für den gesamten Bereich der Folgenabschätzung zuständig ist. Für bestimmte Aspekte, wie beispielsweise die Folgen neuer Gesetze auf die Wettbewerbsfä320
higkeit, auf große Unternehmen oder auf die Staatsfinanzen, existieren mit den entsprechenden Fachministerien originäre Kontrollinstanzen. Dies ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die ‚tatsächliche Erfüllung’ von Vorschriften zur Darstellung der Haushaltsauswirkungen und des Vollzugsaufwands sowohl in Deutschland als auch in Schweden vergleichsweise hoch ist. Vorschriften zur Folgenabschätzung können von diesen Akteuren genutzt werden, um die eigenen Interessen gegenüber anderen Fachministerien besser durchsetzen zu können. In Deutschland besitzen das Finanzministerium, das Innenministerium und das Justizministerium weitergehende formale Kontrollkompetenzen als die anderen Ressorts. Die Stellungnahmen des NKR müssen dem Regierungsentwurf beigefügt werden und entfalten ihre Wirksamkeit somit indirekt über die Herstellung von Transparenz. Das Finanzministerium besitzt ein suspensives Veto im Kabinett, wenn es um Fragen der Haushaltsauswirkungen geht. Gleiches gilt für das Innen- und das Justizministerium in Fragen der Verfassungsmäßigkeit. In Schweden ist kein Ministerium mit herausgehobenen Kontrollrechten in Bezug auf Folgenabschätzungen ausgestattet, allerdings ergibt sich aus dem Prinzip der Kollektivbeschlüsse im Kabinett, dass formal jedes Fachministerium ein Vetorecht besitzt. Folgenaspekte, die in der interministeriellen Abstimmung keine große Rolle spielen, weil es sich um Querschnittsthemen handelt oder weil die Betroffenheit der Normadressaten diffus und argumentativ schwer fassbar ist, werden im bestehenden System nur dann erfasst, wenn entsprechende Zuständigkeiten etabliert werden. So ist der im Vergleich zu anderen Folgenabschätzungsanforderungen besonders geringe Grad an tatsächlicher Erfüllung beim Prüfkriterium ex post Evaluation in beiden Ländern dadurch zu erklären, dass innerhalb von Regierung und Ministerialverwaltung keine Instanz existiert, welche für die Prüfung dieses Aspekts zuständig ist. Ein weiteres Beispiel für einen im bestehenden System der Fachressorts bisher nicht erfassten Aspekt ist die Bürokratiekostenabschätzung. Anders als bei der ex post Evaluation wurde hier im deutschen Fall mit der Etablierung des NKR eine organisatorische Institutionalisierung von Kontrolle vorgenommen, was sich auch in den empirischen Resultaten zur Implementation widerspiegelt. Die äußerst geringe Anwendung der Bürokratiekostenabschätzung in der schwedischen Kanzlei der Ministerien im Untersuchungsjahr 2006 hingegen verdeutlicht, dass strukturell bedingte, günstigere Anreizstrukturen für die Implementation von Folgenabschätzungen keine Auswirkungen haben, wenn Zuständigkeiten für einen neu zu implementierenden Analyseaspekt nicht klar benannt und mit Unterstützung der politischen Spitze etabliert werden. 321
Zwar wurde die Bürokratiekostenabschätzung in Deutschland vergleichsweise gut implementiert, alle anderen untersuchten Folgenabschätzungskriterien werden jedoch in Schweden besser erfüllt als in Deutschland. Für diesen Fakt ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Möglichkeiten zur Ausübung einer externen Umsetzungskontrolle in Schweden deutlich besser sind als in Deutschland. Die Kontrolle externer Akteure muss sich in Deutschland auf die formale Erfüllung beschränken, weil 1) die von der Ministerialverwaltung durchgeführten formellen und informellen Konsultationen in der Regel nicht für alle Gruppen von Normadressaten gleichermaßen zugänglich sind und weil 2) in deutschen Gesetzentwürfen keine Transparenz über die Teilnehmer am Konsultationsverfahren und deren Positionen hergestellt wird. Insofern ist beispielsweise für einen nicht in den Prozess der Gesetzesvorbereitung involvierten Parlamentarier aufgrund der Angaben in der Regierungsvorlage nicht einzuschätzen, welche Folgenaspekte aus strategischen Gründen nicht erwähnt oder diskutiert werden und welche Argumente der Konsultationsteilnehmer berücksichtigt wurden oder nicht. Eine externe Kontrolle der Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen ist also in der Regel nur auf formaler Ebene möglich, da der Wissensvorsprung der Exekutive gegenüber potentiellen Kontrolleuren viel zu groß ist. In Schweden hingegen besitzen externe Akteure (Parlamentarier, NNR) aufgrund der hohen Transparenz über die Ergebnisse der Kommissionsarbeit und über durchgeführte Konsultationen deutlich bessere Möglichkeiten, eine Umsetzungskontrolle durchzuführen. Im Rahmen der Untersuchungen wurde festgestellt, dass eine ‚rein formale Anpassung’ an Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland eine viel größere Rolle spielt als in Schweden. Dieses Phänomen wird durch einen relativ simplen Mechanismus gefördert. So gibt es in Deutschland seit den 1970er Jahren ein Gesetzesvorblatt, auf dem überblicksartig verschiedene Folgenaspekte angesprochen werden. Das Ausfüllen dieses Vorblattes gehört zur standardmäßigen Praxis der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung. Auch dann, wenn Folgenaspekte nicht analysiert wurden oder man aus politikstrategischen oder anderen Gründen keine Aussagen über zu erwartende Regelungseffekte machen will, muss zu jedem der Unterpunkte des Vorblattes (Zielsetzung, Lösung, Alternativen, Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, Sonstige Kosten, Bürokratiekosten) ein kurzes Statement abgegeben werden. Die formale Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen wird dadurch gefördert. In Schweden weisen die Propositionen keine feste Struktur auf. Sie besitzen kein Vorblatt und sind umfangreiche Dokumente, die nach inhaltlichen Gesichtspunkten gegliedert werden. Eine formales Abhaken von Folgenabschät322
zungsanforderungen ist aufgrund dieser eher intransparenten Struktur nicht angezeigt. In schwedischen Propositionen ist es nicht üblich, floskelhafte Aussagen einzubauen, die dazu dienen, Vorschriften zur Folgenabschätzung formal zu erfüllen. Wenn zu einem Prüfkriterium keine Untersuchung stattgefunden hat oder aus taktischen Gründen keine Aussage gemacht werden soll, dann wird dieser Folgenaspekt in der Proposition in der Regel gar nicht erwähnt. Das Phänomen der rein formalen Anpassung tritt in Schweden lediglich beim Prüfkriterium der Kostenfolgen für den Staat in nennenswerten Umfang auf, was sich dadurch erklären lässt, dass dieser Folgenabschätzungsaspekt der einzige ist, welcher in vielen (aber nicht in allen) Propositionen unter einem eigenen, standardmäßigen Gliederungspunkt abgehandelt wird. Die dritte in diesem Buch diskutierte Hypothese über Implementationsdefizite und -unterschiede von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden setzt sich mit der Bedeutung vorherrschender Interpretationsund Deutschungsmuster auseinander (Kognitionshypothese). Vorschriften oder Instrumente werden von Organistaionsmitgliedern auf eine bestimmte Art und Weise interpretiert. Für Vorschriften zur Folgenabschätzung, genauso wie für andere Formen der Meta-Regulierung, sind diese Interpretationen handlungsleitend für die Reaktion der Ministerialverwaltung auf die an sie gestellten (Umwelt-)Anforderungen. Eine über die formale Anpassung hinausgehende Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung ist dann wahrscheinlich, wenn diese Vorschriften als sinnvolle Instrumente zur Verbesserung der Arbeit der Ministerialorganisation interpretiert werden. Eine solche positive Interpretation kann vielfältiger Natur sein, zum Beispiel können Vorschriften zur Folgenabschätzung als Möglichkeit zur Lösung von bestimmten Problemen im Arbeitsprozess oder zur Optimierung des Outputs der Rechtsetzungsaktivitäten verstanden werden oder sie können so ausgelegt werden, dass eine Anwendung der Verfahren mit Imagegewinnen verbunden ist. Werden Vorschriften zur Folgenabschätzung hingegen dahingehend interpretiert, dass eine tatsächliche Anwendung der Verfahren für die eigenen Ziele und die eigene Arbeit irrelevant oder eher kontraproduktiv ist (z.B. bürokratischer Mehraufwand, Erhöhung der Probleme bei der Abstimmung der Entwürfe, nicht umsetzbar, keine Relevanz hinsichtlich der tatsächlich wichtigen Fragen im Rechtsetzungsprozess), dann erfolgt (maximal) eine Anpassung der Formalstrukturen/formale Anpassung, während die tatsächlichen Aktivitäten und Handlungen in der Ministerialorganisation davon nicht berührt und insofern auch nicht verändert werden. Der formale Ausbildungshintergrund und die Einbindung in professionelle Netzwerke besitzen eine erhebliche Prägekraft für vorherrschende Deutungs323
und Interpretationsmuster. Bis in die 1960er/1970er Jahre hinein arbeiteten in Schweden und in Deutschland üblicherweise Juristen in der Ministerialbürokratie. Während sich an dieser Tatsache trotz Politisierungstendenzen im deutschen Fall in den letzten Jahrzehnten kaum etwas geändert hat, setzte in Schweden ein Wandlungsprozess ein, der dazu führte, dass die Kanzlei der Ministerien heute von drei Disziplinen dominiert wird: Wirtschaftswissenschaftlern, Juristen und Sozialwissenschaftlern. Auf der Arbeitsebene der Ministerien sind die Sozialwissenschaftler mittlerweile sogar die dominante Gruppe. Der große Anteil Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler in der schwedischen Kanzlei der Ministerien fördert eine Interpretation von Vorschriften zur Folgenabschätzung als sinnvollen Maßnahmen zur Optimierung der eigenen Arbeit, da Idee, Methodik und Erkenntnisinteresse von Folgenabschätzungen diesen Disziplinen näher stehen als dem juristischen Denken, in welchem Gesetzgebung häufig als Kunst und das Produkt Gesetz somit als möglichst gut komponiertes Kunstwerk verstanden wird (z.B. König 1987: 141). Der formale Ausbildungshintergrund beeinflusst zwar den Grad der Implementation von Folgenabschätzungen, die ja auf eine ex ante Evaluation realer Gesetzeswirkungen mit sozialwissenschaftlichen Methoden abzielen, es ist aber nicht der einzige Grund für die (mit Ausnahme weniger Prüfvariablen) große Implementationslücke in Deutschland. Genauso wichtig ist die Betonung des Konflikts in der deutschen Verwaltungskultur, welche eine negative Interpretation von Vorschriften zur Folgenabschätzung fördert. Eine Darstellung und Diskussion negativer Gesetzesfolgen wird als Gefahr für die Durchsetzungsfähigkeit des Entwurfs gewertet. Ein hohes Maß an formaler Anpassung, die sich in immer wiederkehrenden Floskeln zu bestimmten Folgenaspekten äußert, wird gefördert durch eine Tendenz zu rituellem Verhalten und formalisierten Abläufen. Für die geringere Implementationslücke der Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden ist neben dem Ausbildungshintergrund die Institution des Kommissionswesens von besonderer Relevanz. Im Rahmen der Kommissionen spielen rechtstechnische und rein juristische Fragen kaum eine Rolle, der Fokus der Kommissionsarbeit ist eher problem- und sachorientiert sowie auf eine Konsenssuche zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen ausgerichtet. Im Kommissionswesen hat sich somit in Schweden schon lange eine Gesetzgebungskultur entwickelt, die den Reformideen der Folgenabschätzungen sehr nahe steht. Langfristige Erfahrungen und Vertrautheit mit dieser Art der Gesetzesvorbereitung im Kommissionswesen fördern eine positive Interpretation der Idee einer Folgenabschätzung in der Kanzlei der Ministerien.
324
5.3 Ausblick: Lessons Learned Stellt man sich die Frage nach dem wesentlichen praktischen Erkenntnisgewinn dieser Forschungsarbeit, so besteht eine zentrale Beobachtung darin, dass Implementationsprobleme in Bezug auf Vorschriften zur Folgenabschätzung kein ‚technisches’ Problem darstellen, welches mit Hilfe von besseren Unterstützungsmaterialien, mehr Fortbildung und innovativen Methoden behoben werden kann. Die Idee einer Folgenabschätzung hat sich aus der Tradition der rationalistischen Entscheidungstheorie heraus entwickelt. Es werden normativ ähnliche Ziele verfolgt wie bei den Versuchen zur strukturellen Umgestaltung des politisch-administrativen Systems in der Phase der aktiven Politik (z.B. durch die Einrichtung von Planungsabteilungen). Arbeitsteilung und Spezialisierung, hierarchische Organisation und negative Koordination in der Ministerialverwaltung führen in der Politikformulierungsphase zu einer selektiven Perzeption von Problemen und zu suboptimalen Entscheidungen. Folgeprobleme in anderen Bereichen werden von der federführenden Einheit strukturell vernachlässigt. Der Abstimmungsmodus der negativen Koordination, wonach zahlreiche Akteure im Laufe des Rechtsetzungsprozesses einen Entwurf lediglich daraufhin überprüfen, ob er negative Auswirkungen auf den eigenen Bereich hat, während mögliche Synergien nicht genutzt werden, hat zur Folge, dass Regelungsentwürfe so weit herunter koordiniert werden, bis eine häufig fehlerhafte und wenig zielführende Kompromissformel übrig bleibt. Folgenabschätzungen sollen dem entgegenwirken, indem eine (möglichst unabhängige) Analyse von Regelungsalternativen und deren Folgewirkungen durchgeführt wird, welche Kraft des rationalen Arguments effektive und effiziente politische Lösungen unterstützt. Der Hauptkritikpunkt an dieser Vorstellung ist das Ausblenden diverser struktureller und kultureller Merkmale, welche den Prozess der Politikformulierung und -entscheidung prägen und die durch Folgenabschätzungen nicht einfach ‚ausgehebelt’ werden können. Insofern werden viele Vorschriften zur Folgenabschätzung nicht oder nur formal implementiert, weil sie zentralen Anforderungen des politischen Prozesses (z.B. der Herstellung von Durchsetzungsfähigkeit für einen Regelungsentwurf) widersprechen. Ob und inwieweit es möglich ist, trotz dieser Einschränkungen zu einem verbesserten Implementationsoutput in Bezug auf Folgenabschätzungen zu gelangen, steht aus verschiedenen, in diesem Buch ausführlich erläuterten Gründen in einem engen Zusammenhang mit Merkmalen des politisch-administrativen Systems. Im Vergleich mit Schweden zeigt sich, dass ein transparentes und offenes System der Politikformulierung zahlreiche Charakteristika aufweist, 325
welche die Erfüllung von Folgenabschätzungsanforderungen und die nachvollziehbare Diskussion von alternativen Regelungsoptionen fördern. Für Deutschland lassen sich aus der empirischen Untersuchung und der Hypothesenprüfung im Vergleich mit dem schwedischen Fall folgende Schlüsse ziehen, welche eine Basis für zukünftige Überlegungen in Bezug auf die Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung von Folgenabschätzungen in Deutschland bilden könnten: D
D
D
D
D
326
Für Regierung und Ministerialverwaltung in Deutschland bestehen kaum positive Anreize, Transparenz über Gesetzesfolgen herzustellen. Die substantielle Erfüllung von Vorschriften zur Folgenabschätzung stellt in vielen Fällen real sogar eine Bedrohung dar, da sie die Durchsetzungsfähigkeit von Entwürfen gefährden kann. Formale Anpassung ist deshalb aus Sicht der Ministerialverwaltung eine rationale Reaktion auf Vorschriften zur Gesetzesfolgenabschätzung. Für das Parlament, insbesondere für die Oppositionsparteien, stellen Folgenabschätzungen eine Chance dar, um Macht und Einfluss der Ministerialverwaltung und der Regierung zu begrenzen. Das Parlament ist deswegen auch diejenige Institution, welche eine verbesserte Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung einfordern könnte. Ein wesentlicher Grund dafür, dass Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland kaum erfüllt werden, besteht in der Intransparenz der exekutiven Gesetzesvorbereitung. Ein Aufbrechen des ‚black box’Systems durch die Herstellung von Transparenz über durchgeführte Konsultationen, die Beteiligten und deren Positionen würde die Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung fördern, indem der Stellenwert von Informationen als Machtmittel der Ministerialverwaltung beschränkt und reduziert würde. Die Beispiele des Finanzministeriums (Haushaltsauswirkungen) und des NKR (Bürokratiekosten) zeigen, dass Implementationserfolge in einem engen Zusammenhang mit der organisatorischen Institutionalisierung von Kontrolle stehen. Um Folgenaspekte im politischen Abstimmungsprozess zu stärken, ist es deshalb unabdingbar, dass innerhalb des politisch-administrativen Systems eine Instanz vorhanden ist, welche die Kompetenzen und ein Interesse zur Ausübung einer Implementationskontrolle besitzt. Der im Vergleich zu allen GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung besonders geringe Implementationsgrad beim Prüfkriterium ex post Evaluation ist dadurch zu erklären, dass innerhalb der Bundesregierung
D
D
keine Instanz existiert, welche für die Prüfung dieses Merkmals zuständig ist. Möchte man den Aspekt der ex post Evaluation stärken, wäre es also zunächst notwendig, hierfür klare Zuständigkeiten zu benennen. In Frage kämen aufgrund des Querschnittscharakters des Themas das Finanz- oder Innenministerium, aber auch eine Zuweisung der Zuständigkeit zum Nationalen Normenkontrollrat wäre denkbar. Während sich die Inhalte der meisten Folgenabschätzungsanforderungen in Deutschland und in Schweden ähnelten, trat ein bedeutsamer Unterschied zwischen den Ländern hinsichtlich der Auswirkungen von Rechtsvorschriften auf die Klagehäufigkeit und die Arbeitsbelastung der Gerichte hervor. In Schweden wurden diese Aspekte in sehr vielen Propositionen im Zusammenhang mit der Darstellung des Vollzugsaufwandes behandelt, in Deutschland hingegen fand nur in wenigen Ausnahmefällen eine Thematisierung dieser Fragen statt. Zwar wird die Thematik im „Handbuch zur Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ erwähnt, in der Praxis spielte die durch neue Vorschriften zu erwartende Klagehäufigkeit in den untersuchten Gesetzesbegründungen aber kaum eine Rolle. Die hohe Anzahl von Gerichtsverfahren und Klagen in Deutschland stellt vor allem aus Kostengründen ein erhebliches Problem dar. Insofern sind die Auswirkungen von neuen rechtlichen Regelungen auf die Klagehäufigkeit und die Gerichte eine wichtige Größe, welche im Zusammenhang mit Folgenabschätzungen in Deutschland zukünftig mehr Beachtung finden sollte. Die Nicht-Thematisierung der Auswirkungen im Bereich der Judikative überrascht insbesondere deshalb, weil der Juristenanteil in deutschen Ministerien deutlich größer ist als in Schweden. Eine Stärkung des Anteils von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern als Generalisten in den deutschen Bundesministerien wäre wünschenswert, damit eher im Fokus dieser Disziplinen liegende Fragestellungen und Methoden im Prozess der Gesetzesvorbereitung einen größeren Stellenwert erhalten. Juristische Fachkenntnisse sind unabdingbar für eine gut funktionierende Gesetzesvorbereitung, aber sie sollten ergänzt werden durch die Expertise von eher auf gesamtgesellschaftliche soziale Entwicklungen und empirische Fragen fokussierten Sozialwissenschaftlern sowie durch Wirtschaftswissenschaftler, die ein ausgeprägtes Bewusstsein für Kostenfragen und eine hohe Fachkompetenz im Hinblick auf die Beurteilung volkswirtschaftlicher Entwicklungen besitzen.
327
Insgesamt zeigen die Analysen, dass die Idee einer umfassenden Gesetzesfolgenabschätzung und Alternativenbetrachtung im existierenden System der Gesetzesvorbereitung der BRD nur geringe Erfolgsaussichten hat. Um die Transparenz über ex ante Analysen zu erhöhen und einen sachlichen Diskurs über Alternativen zu fördern, wäre ein Aufbrechen der in vielen Bereichen bestehenden geschlossenen Politikformulierungsnetzwerke nötig. Denkbar ist das verstärkte Einsetzen von ad hoc Kommissionen, die Politikalternativen entwickeln, welche anschließend publiziert und vermittelt über die Medien in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden. Im Gegensatz zu den manchmal geäußerten Bedenken gegenüber einer Expertokratie sieht die Autorin im vermehrten Einsatz von Sachverständigenkommissionen eine Möglichkeit zur Stärkung der demokratischen Legitimation politischer Entscheidungen und der Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung, da der Politikformulierungsprozess dadurch offener und transparenter gestaltet und das Informations- und Deutungsmonopol der etablierten Netzwerkteilnehmer aufgebrochen werden kann. Innerhalb der Ministerialverwaltung widerspricht die Vorstellung einer umfassenden Folgenanalyse der Logik und Organisation der Abstimmungsprozesse und Koordinationsmodi. Erfolgversprechend ist deshalb vor allem die Stärkung einzelner Prüfaspekte durch die Etablierung oder Benennung von Kontrollinstanzen verbunden mit Konsultations- und Transparenzpflichten.
328
Literaturverzeichnis
Aberbach, Joel D./Putnam, Robert D./Rockman, Bert A. (1981): Bureaucrats and Politicians in Western Democracies. Cambridge/Massachusetts/London: Routledge. Aberbach, Joel D. (2003): The U.S. Federal Executive in an Era of Change. In: Governance 16. 373–399. Ahlbäck Öberg, Shirin (2003): Förvaltning och revision. In: Mattson/Petersson (2003): 148–162. Anton, Thomas J. (1969): Policy-Making and Political Culture in Sweden. In: Scandinavian Political Studies 4. 88–102. Anton, Thomas J. (1980): Administered Politics. Elite Political Culture in Sweden. Boston: Nijhoff. Armstrong, John A. (1973): The European Administrative Elite. Princeton: Princeton University Press. Bach, Tobias/Jann, Werner (2009): Animals in the administrative zoo: organizational change and agency autonomy in Germany. Unpublished manuscript. Potsdam. Bach, Tobias/Jantz, Bastian/Veit, Sylvia (2009): Verwaltungspolitik auf Bundesebene: Eine Bilanz der großen Koalition. Aufsatz für die Tagung “Bilanz der Großen Koalition”. Sektion “Staatslehre und politische Verwaltung” in Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Bremen. 26.–27. März 2009. Baldwin, Robert/Cave, Martin (1999): Understanding Regulation: Theory, Strategy and Practice. Oxford: Oxford University Press. Barlösius, Eva (2008): Zwischen Wissenschaft und Staat? Die Verortung der Ressortforschung. WZB-Diskussionspapier. Berlin: WZB. Benz, Arthur (2003): Reformpromotoren oder Reformblockierer? Die Rolle der Parteien im Bundesstaat. In: AuPZ 53. 29/30. 32–38. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1966): The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge. New York: Doubleday. Berger, Peter/Berger, Brigitte/Kellner, Hansfried (1973): The Homeless Mind. Modernization and Cousciousness. New York: Random House. Bergman, Torbjörn (1997): Schweden: Minderheitsregierungen als Regel und Mehrheitskoalitionen als Ausnahme. In: Müller/Strøm (1997): 239–288. Bertelsmann-Stiftung (2007): Jenseits des Ressortdenkens? Reformüberlegungen zur Institutionalisierung strategischer Regierungsführung in Deutschland. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Bertelsmann-Stiftung (2009a): Handbuch zur Messung von Regulierungskosten. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Bertelsmann-Stiftung (2009b): Internationale Methoden zur Messung von Regulierungskosten. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Beus, Bernhard (2007): Der Abbau von Bürokratie als politisches Ziel – die Maßnahmen der Bundesregierung. In: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 5. 1. 68– 77. Bjerstedt, Staffan (1997): Särintressen i statliga verksstyrelser. Politiska institutioner och strategisk agerande 25, Uppsala: Uppsala universitet. Blondel, Jean/Müller-Rommel, Ferdinand (Hrsg.) (1997): Cabinets in Western Europe. 2. Auflage. London: Macmillan. Blümel, Willi/Merten, Detlef/Quaritsch, Helmut (Hrsg.) (1987): Verwaltung im Rechtsstaat. Festschrift für Carl Hermann Ule. Berlin/Bonn/München: Carl Heymanns Verlag. Bohne, Eberhard (2006): Kriterien und institutionelle Voraussetzungen des Bürokratieabbaus. In: Verwaltung und Management 12. 2. 60–64. Bogumil, Jörg (2002): Verwaltungsmodernisierung und aktivierender Staat. In: perspektiven des demokratischen sozialismus. Zeitschrift für Gesellschaftsanalyse und Reformpolitik 22. 1. 43–65. Bogumil, Jörg/Jann, Werner/Nullmeier, Frank (Hrsg.) (2006): Politik und Verwaltung. PVS Sonderheft 37. Bogumil, Jörg/Jann, Werner (2009): Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland. 2. überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag. Böhret, Carl/Hugger, Werner (1979): Bessere Gesetze durch Test der Entwürfe? In: ZfParl 10. 254–259. Böhret, Carl/Hugger, Werner (1980): Der Praxistest von Gesetzentwürfen am Beispiel des Referentenentwurfes eines Jugendhilfegesetzes (JHG). Baden-Baden: Nomos. Böhret, Carl/Konzendorf, Götz (2001): Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung (GFA). Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften. Baden-Baden: Nomos. Börnhöft, Petra (2007): Experten drängen Regierung zu Bürokratieabbau. In: DER SPIEGEL vom 17.09.2007. Brinkmann, Gerhard/Pippke, Wolfgang/Rippe, Wolfgang (1973): Die Tätigkeitsfelder des höheren Verwaltungsdienstes. Arbeitsansprüche, Ausbildungserfordernisse, Personalbedarf. Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen. Opladen: Westdeutscher Verlag. Brunsson Nils (1989): The Organization of Hypocrisy: Talk, Decision and Action in Organizations. Chichester: John Wiley. Brunsson Nils/Olsen Johan P. (1993): The Reforming Organization. London/New York: Routledge. Bundesakademie für Öffentliche Verwaltung im Bundesministerium des Innern (1995): Öffentliche Verwaltung von morgen. Festakt und Fachtagung aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Bundesakademie. Baden-Baden: Nomos. Burghart, Axel (1996): Die Pflicht zum guten Gesetz. Berlin: Duncker & Humblot.
330
Burkhart, Simone/Manow, Philip (2006): Was bringt die Föderalismusreform? Wahrscheinliche Effekte der geänderten Zustimmungspflicht. MPIfG Working Paper 06/2006. Busse, Volker (1996): Zur Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung – Politik, Kooperation und Planung heute. In: Verwaltungsarchiv 87. 3. 445–461. Centre for European Studies on the University of Bradford (2004): Project on Indicators of Regulatory Quality. Final Report. Bradford: University of Bradford. Chapman, Richard A. (Hrsg.) (1993): Ethics in Public Service. Edinburgh: Edinburgh University Press. Christoffersson, Ulf (1983): De statligt anställda i Sverige. In: Lundquist/Ståhlberg (1983): 154–187. Christoffersson, Ulf/Molin, Björn/Månsson, Lennart/Strömberg, Lars (1972): Byråkrati och politik. En studie av den svenska statstjänstemannakåren, Stockholm: Bonniers. Cogliancese, Cary (2003): Empirical Analysis and Administrative Law. Regulatory Policy Program Working Paper RPP-2002-10. Cambridge, MA: Center for Business and Government. Cyert, Richard/March, James G. (1963): A Behavioral Theory of the Firm. Englewood Cliffs N.J.: Prentice-Hall. De Francesco, Fabrizio (2006): Towards an ‚Impact Assessment State’ in Europe? Paper presented at the 56th Political Studies Association Annual Conference in April 2006. Reading. DEBR (2004): A comparative analysis of Regulatory Impact Assessment in ten EU countries. A report prepared by the Italian, Irish and Dutch Presidencies of the Council of the European Union. Dublin: DEBR. Derlien, Hans-Ulrich (1976): Die Erfolgskontrolle staatlicher Planung. Baden-Baden: Nomos. Derlien, Hans-Ulrich (1995): Karrieren, Tätigkeitsprofile und Rollenverständnis der Spitzenbeamten. In: Bundesakademie für Öffentliche Verwaltung im BMI: 90–107. Derlien, Hans-Ulrich (2002): Öffentlicher Dienst im Wandel. In: König (2002): 229–253. Derlien, Hans-Ulrich (2003): Mandarins or Managers? The Bureaucratic Elite in Bonn, 1970 to 1987 and Beyond. In: Governance 16. 401–428. Derlien, Hans-Ulrich (2008): Die politische und die administrative Elite der Bundesrepublik, in: Jann/König (2008): 91-328. Derlien, Hans-Ulrich/Frank, Stefan/Heinemann, Silke/Lock, Stefan (2005): The German Public Service – Structures and Statistics. Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 35. Bamberg: Universität Bamberg. Derlien, Hans-Ulrich/Mayntz, Renate (1989): Party Patronage and Politicization of the West German Administrative Elite 1970–1987 – Towards Hybridization? In: Governance 2. 384–404. Dierickx, Guido (2003): Senior Civil Servants and Bureaucratic Change in Belgium. In: Governance 16. 321–348.
331
Döhler, Marian/Manow-Borgwardt, Philip (1992): Korporatisierung als gesundheitspolitische Strategie. In: Staatswissenschaft und Staatspraxis 3. 1. 64–106. Dunkel, Monika/Beller, Kai (2007): Bürokratie-TÜV macht Druck auf die Regierung. In: Financial Times Deutschland vom 19.09.2007. Easton, David (1953): The Political System: An Inquiry into the State of Political Science. New York: Knopf. Edeling, Thomas (1999): Einführung: Der Neue Institutionalismus in Ökonomie und Soziologie. In: Edeling et al. (1999): 7–15. Edeling, Thomas/Jann, Werner/Wagner, Dieter (Hrsg.) (1999): Institutionenökonomie und Neuer Institutionalismus. Überlegungen zur Organisationstheorie. Opladen: Westdeutscher Verlag. Edeling, Thomas (2002): Organisationen als Institutionen. In: Maurer/Schmid (2002): 219-235. Egle, Christoph/Ostheim, Tobias/Zohlnhöfer, Reimut (Hrsg.) (2003): Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998–2002. Wiesbaden: VS Verlag. Ehn, Peter (1998): Maktens Administratörer. Ledande svenska statstjänstemäns och politikers syn på tjänstemannarollen i ett förändringsperspektiv. Stockholm Studies in Politics 59. Stockholm: Stockholms universitet. Ehn, Peter/Erlandsson, Magnus/Ivarsson-Westerberg, Anders/Vifell, Åsa (Hrsg.) (2001): Processer i regeringskansliet – sex fallstudier. Score Rapportserie 2001: 9. Stockholm: Stockholms universitet. Ehn, Peter/Isberg, Magnus/Linde, Claes/Wallin, Gunnar (2003): Swedish Bureaucracy in an Era of Change. In: Governance 16. 429–458. Eklund, Magnus (2003): Vad representerar näringslivsrepresentanten? In: Svensson/Öberg (2003): 77–99. Elder, Neil/Thomas, Alastair H./Arter, David (1982): The Consensual Democracies? The Government and Politics of the Scandinavian States. Oxford: Martin Robertson. Ellwein, Thomas/ Hesse, Joachim Jens (Hrsg.) (1985): Verwaltungspolitik und Verwaltungsvereinfachung. Baden-Baden: Nomos. Ellwein, Thomas (1989): Verwaltung und Verwaltungsvorschriften. Notwendigkeiten und Chancen der Vorschriftenvereinfachung. Opladen: Westdeutscher Verlag. Elvander, Nils (1969): Intresseorganisationerna i dagens Sverige. 2. Auflage. Lund: Gleerup. Empter, Stefan/Frick, Frank/Vehrkamp, Robert (Hrsg.) (2005): Auf dem Weg zu moderner Regulierung. Eine kritische Bestandsaufnahme. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Epping, Volker (1995): Die Willensbildung von Kollegialorganen. Am Beispiel der Beschlußfassung der Bundesregierung. In: DÖV 48. 17. 719–724. Erlandsson, Magnus (2000): Reformer i regeringskansliet. Om hur femton myndigheter blev till en. Stockholm: Stockholms universitet. Erlandsson, Magnus (2001): Sammanhållen rovdjurspolitik. Om processen bakom regeringens proposition 2000/01: 57. In: Ehn, Peter et al. (2001): 34–51.
332
Falk, Svenja/Rehfeld, Dieter/Römmele, Andrea/Thunert, Martin (Hrsg.) (2006): Handbuch Politikberatung, Wiesbaden: VS Verlag. Florack, Martin/Grunden, Timo (Hrsg.) (2009): Regierungszentralen. Führung, Steuerung und Koordination zwischen Formalität und Informalität. Wiesbaden: VS Verlag. Forss, Kim/ Uhrwing, Marie (2003): Kvalitet i utredningsväsendet – utveckling och tillämpning av en modell för att bedöma kvaliteten på kommittéarbeten. En rapport skriven på uppdrag av kommittéservice. Stockholm: Förvaltningsavdelingen. Fortin, Yvonne (1996): Autonomy, responsibility and control: the case of central government agencies in Sweden. In: OECD (1996): 33–44. Frederickson, George H. (1980): New Public Administration, Alabama: University of Alabama Press. Fricke, Peter (1983): Modelle zur Institutionalisierung einer Gesetzeskontrolle. Speyer: Hochschule für Verwaltungswissenschaften. Fromme, Friedrich Karl (1994): Die bedingte Freiheit des Gesetzgebers. In: Letzgus (1994): 501–512. Gioia, Dennis A./Manz, Charles C. (1985): Linking cognition and behavior: A script processing interpretation of vicarious learning. In: Academy of Management Review 10. 527–539. Grauhan, Rudolf-Richard (1969): Modelle politischer Verwaltungsführung. In: PVS 9. 2/3. 269–284. Ganghof, Steffen/Manow, Philip (2005): Mechanismen der Politik. Strategische Interaktion im deutschen Regierungssystem. Schriften des MPIfG. Frankfurt/M.: Campus. Gathmann, Florian (2009): Wahlkampf mit dem Shootingstar. In: SPIEGEL-ONLINE vom 12.08.2009. Göhler, Gerhard/Kühn, Rainer (1999): Institutionenökonomie, Neo-Institutionalismus und die Theorie politischer Institutionen. In: Edeling et al. (1999): 17–42. Goetz, Klaus (1999): Senior Officials in the German Federal Administration: Institutional Change and Positional Differentiation. In: Page/Wright (1999): 147–177. Grimm, Christoph/Brocker, Lars (1999): Die Rolle der Parlamente im Prozess der Gesetzesfolgenabschätzung. In: ZfG 14. 58–67. Gros, Jürgen (2000): Das Kanzleramt im Machtgeflecht von Bundesregierung, Regierungsparteien und Mehrheitsfraktionen. In: Korte/Hirscher (2000): 85–105. Gunningham, Neil/Grabosky, Peter (1998): Smart Regulation: Designing Environmental Policy. Oxford: Oxford University Press. Gunnarsson, Viviann/Lemne, Marja (1998): Kommittéerna och bofinken. Kan en kommitté se ut hur som helst? Rapport till expertgruppen för studier i offentlig ekonomi. Ds 1998: 57. Stockholm: Finansdepartmentet. Gustafsson, Gunnel (1987): Decentralisering av politisk makt. En studie av svensk byråkrati i kontakt med sin omvärld. Helsingborg: Carlssons. Halvarson, Arne/Lundmark, Kjell/Staberg, Ulf (2003): Sveriges Statsskick – Fakta och perspektiv. 12. Auflage. Stockholm: Liber.
333
Harrington, Winston/Morgenstern, Richard D. (2004): Evaluating regulatory impact analyses, Washington D.C.: OECD. Hartmann, Jürgen (2004): Das politische System Deutschlands im Kontext. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag. Hartwich, Hans-Hermann (Hrsg.) (1983): Gesellschaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik. Wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. 4.–7. Oktober 1982 an der Freien Universität Berlin. Tagungsbericht. Opladen: Westdeutscher Verlag. Heclo, Hugh (1978): Issue networks and the executive establishment. In: King (1978): 87–124. Heinelt, Hubert/Getimis, Panagiotis/Kafkalas, Grigoris/Smith, Randall/Swyngedouw, Erik (Hrsg.) (2002): Participatory Governance in Multi-Level Context: Concepts and Experience. Opladen: Leske + Budrich. Helm, Dieter (2006): Regulatory reform, capture and the regulatory burden. In: Oxford Review of Economic Policy 22. 2.169–185. Helmrich, Herbert (1989): Entbürokratisierung: Dokumentation und Analyse, München: Beck. Henningsen, Bernd (1986): Der Wohlfahrtsstaat Schweden, Baden-Baden: Nomos. Heritier, Adrienne (Hrsg.) (1993): Policy Analyse: Kritik und Neuorientierung. In: PVS Sonderheft 24. Opladen: Westdeutscher Verlag. Hertin, Julia et al. (2007): The Practice of Policy Assessment in Europe. An Institutional and Political Analysis, MATISSE Working Paper 6. Hertin, Julia et al. (2009): Rationalising the policy mess? Ex ante policy assessment and the utilisation of knowledge in the policy process. In: Environment and Planning A 41. 1185-1120. Hesse, Konrad (1962): Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe: Müller. Hesslén, Gunnar (1927): Det svenska kommittéväsendet intill år 1905, dess uppkomst, ställning och betydelse, Uppsala: Lundequist. Hofstede, Geert (1980): Culture’s Consequences. International Differences in Work-Related Values, Beverly Hills/London: Sage. Hofstede, Geert/ Hofstede, Gert Jan (2005): Cultures and Organizations. Software of the Mind. Intercultural Cooperation and Its Importance for Survival. New York: McGraw-Hill. Holthusen, Imeke (2009): Die Anwendung des Standardkosten-Modells auf den Bereich Bürger: Agenda Setting in Großbritannien und Deutschland. Potsdamer Diskussionspapiere zur Verwaltungswissenschaft 5. Potsdam: Potsdamer Universitätsverlag. Holtschneider, Rainer (1991): Normenflut und Rechtsversagen – Wie wirksam sind rechtliche Regelungen? Baden-Baden: Nomos. Hustedt, Thurid/Tiessen, Jan (2006): Central Government Coordination in Denmark, Germany and Sweden. An Institutional Policy Perspective, Forschungspapiere Regierungsorganisation in Westeuropa 2. Potsdam: Universitätsverlag.
334
Isberg, Magnus/Andersson, Lars-Göran (1982): Parliament and Policy Research in Sweden, Manuscript. Stockholm: University of Stockholm. Ismayr, Wolfgang (Hrsg.) (2003): Die politischen Systeme Westeuropas. Opladen: Leske + Budrich. Ismayr, Wolfgang (Hrsg.) (2008): Gesetzgebung in Westeuropa. EU-Staaten und Europäische Union. Wiesbaden: VS Verlag. Jacob, Herbert (1963): German Administration Since Bismarck: Central Authority versus Local Autonomy. New Haven/London: Yale University Press. Jacob, Klaus et al. (2008): Improving the Practice of Impact Assessment – Policy Conclusions from EVIA. Berlin: FFU. Jacob, Klaus/Veit, Sylvia/Hertin, Julia (2009): Gestaltung einer Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung. Studie der Freien Universität Berlin im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung. Jacobs, Scott (2006): Current trends in Regulatory Impact Analysis: The Challenges of Mainstreaming RIA into Policy-Making. Dublin: Jacobs & Associates. Jacobsson, Bengt (2001): Hur styrs Regeringskansliet? Om procedurer, prat och praktik. Score Rapportserie 2001: 8. Stockholm: Stockholms universitet. Jacobsson, Bengt/Sundström, Göran (2006): Från hemvävd till invävd. Europeiseringen av svensk förvaltning och politik, Malmö: Liber. Jahn, Detlef (2003): Das politische System Schwedens. In: Ismayr (2003): 93–130. Jann, Werner (1983): Staatliche Programme und „Verwaltungskultur”. Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung 49. Opladen: Westdeutscher Verlag. Jann, Werner (1989): Parlamente und Gesetzgebung. Akteure und Ressourcen der parlamentarischen Gesetzgebung im internationalen Vergleich. Speyer: Hochschule für Verwaltungswissenschaften. Jann, Werner (2002a): Der Wandel verwaltungspolitischer Leitbilder: Von Management zu Governance? In: König (2002): 279–303. Jann, Werner (2002b): Verwaltungskultur. Ein Überblick über den Stand der empirischen und international vergleichenden Forschung. In: König (2002): 425–447. Jann, Werner (2004a): Governing with Commissions. Vortrag auf der 30. Jahreskonferenz der „Association for the Study of German Politics” am 14. April 2004. Oxford. Jann, Werner (2004b): Stellungnahme bei der Öffentlichen Anhörung des Innenausschusses zum Thema „Bürokratieabbau“, Deutscher Bundestag, 15. WP, Protokoll Nr. 15/40, Innenausschuss Protokoll 40. Sitzung. Berlin. 186–190. Jann, Werner (2007): Stellungnahme zum Fragenkatalog der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für die öffentliche Anhörung zu den Verwaltungsthemen am 8. November 2007. K-Drs. 073. Berlin: Deutscher Bundestag. Jann, Werner/Döhler, Marian/Fleischer, Julia/Hustedt, Thurid/Tiessen, Jan (2005): Regierungsorganisation als Institutionenpolitik: Ein westeuropäischer Vergleich. Forschungspapiere Regierungsorganisation in Westeuropa 1. Potsdam: Universitätsverlag.
335
Jann, Werner/König, Klaus (Hrsg.): Regieren zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck. Jann, Werner/Döhler, Marian (Hrsg.) (2007): Agencies in Westeuropa. Wiesbaden: VS Verlag. Jann, Werner/Tiessen, Jan (2008): Gesetzgebung im politischen System Schwedens. In: Ismayr (2008): 99–131. Jann, Werner/Veit, Sylvia (2009): Politicisation of Administration or Bureaucratisation of Politics? The case of Germany. Paper presented at the 5th ECPR General Conference 2009 at the University of Potsdam. Jann, Werner/Wegrich, Kai (2009): Phasenmodelle und Politikprozesse: Der Policy Cycle. In: Schubert/Bandelow (2009): 75–114. Jann, Werner/Wegrich, Kai (2005): Gefangen im Eisernen Dreieck. Über zu viel Bürokratie nur zu jammern bringt nichts. Jedes Gesetz muss auf seine Kosten geprüft werden. In: DIE ZEIT vom 17.11.2005. Jann, Werner/Wegrich, Kai (2008): Wie bürokratisch ist Deutschland? Und warum? Generalisten und Spezialisten im Entbürokratisierungsspiel. In: dms 1. 1. 49–72. Jann, Werner/Wegrich, Kai/Jantz, Bastian/Veit, Sylvia (2009): Bürokratieabbau für Bürger. Internationale Erfahrungen und Lehren für Deutschland. Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Jann, Werner/Wegrich, Kai/Veit, Sylvia (2005): Verfahren und Instrumente erfolgreicher (De-)Regulierung. Pilotstudie der Universität Potsdam im Auftrag der BertelsmannStiftung. In: Empter, Stefan et al. (2005): 47–77. Jann, Werner/Wewer, Göttrik (1998): Helmut Kohl und der „schlanke Staat“. Eine verwaltungspolitische Bilanz. In: Wewer (1998): 229–266. Jantz, Bastian/Veit, Sylvia (2009): Steuerung von Querschnittspolitik durch das Bundeskanzleramt: Das Beispiel Bürokratieabbau. In: Florack/Grunden (2009): i.E. Jepperson, Ronald L. (1991): Institutions, Institutional Effects, and Institutionalism. In: Powell/DiMaggio (1991): 143–163. Jessop, Bob (2002): Governance and Metagovernance: On Reflexivity, Requisite Variety, and Requisite Irony. In: Heinelt et al. (2002): 33–58. Johansson, Jan (1992): Det statliga kommittéväsendet. Kunskap, kontroll, konsensus, Stockholm: Stockholms universitet. Jonsson, Rolf (1989): Fackligt inflytande och politisk demokrati. Lund: Lunds universitet. Kaiser, André (2007): Ressortübergreifende Steuerung politischer Reformprogramme. Was kann die Bundesrepublik Deutschland von anderen parlamentarischen Demokratien lernen? In: Bertelsmann-Stiftung (2007): 12–54. Karpen, Ulrich/Breutz, Iris/Nünke, Anja (2007): Die Gesetzgebung der Großen Koalition in der ersten Hälfte der Legislaturperiode des 16. Deutschen Bundestages (2005– 2007). Studie im Auftrag der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Kaufman, Herbert (1977): Red Tape: Its Origins, Uses, and Abuses. Washington D.C.: Brookings Institution.
336
Kay, Ronny (2008): Bürokratieabbau in den Niederlanden: Quantitative Verfahren zur Bewertung von bürokratischen Lasten: eine Analyse des Standard-Kosten-Modells im Kontext der regulierungspolitischen Agenda zur Reduzierung der Informationsbefolgungskosten für Unternehmen. Potsdamer Diskussionspapiere zur Verwaltungswissenschaft. 1. 3. Potsdam: Potsdamer Universitätsverlag. Kieser, Alfred (Hrsg.) (1999): Organisationstheorien. 3. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. King, Anthony (Hrsg.) (1978): The New American Political System. Washington D.C.: American Enterprise Institute. Klatt, Harmut (1986): Verwaltungskontrolle durch das Parlament. In: Wehling (1986): 92–114. Klippstein, Gerhard/Röttgen, Norbert (Hrsg.) (2009): Kommunen als Bürokratieopfer. Abschlussbericht zur ersten Studie zur Übertragung des Standardkosten-Modells auf die öffentliche Verwaltung. Bielefeld: Fachhochschule des Mittelstands. König, Klaus (1987): Gesetzgebungsvorhaben im Verfahren der Ministerialverwaltung. In: Blümel et al. (1987): 121–141. König, Klaus (Hrsg.) (2002): Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert. Baden-Baden: Nomos. König, Klaus/Knoll, Thomas (2001): Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale. In: Westphalen (2001): 289–293. Konzendorf, Götz/Wordelmann, Peter/Bölck, Susanne/Veit, Sylvia (2005): Better Regulation at the European Union level. Milestones on the way to Better Regulation, Study for the 44th meeting of the Directors General responsible for Public Administration of the EU member states. Luxembourg: Ministère de la Fonction Publique et de la Réforme Administrative. Korte, Karl-Rudolf/Hirscher, Gerhard (Hrsg.) (2000): Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik? Über den Wandel von Politikstilen in westlichen Demokratien. Berichte und Studien der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Band 81. München: HannsSeidel-Stiftung. Langer, Tobias (2007): Zur Diskussion um die Messung administrativer Lasten: Die Anwendbarkeit des Standard-Kosten-Modells auf die öffentliche Verwaltung. Diplomarbeit. Potsdam: Universität Potsdam. Lang, Florian (2005): Die Verwaltungselite in Deutschland und Frankreich 1871–2000. Regimewechsel und Pfadabhängigkeiten. Baden-Baden: Nomos. Larsson, Torbjörn (1986): Regeringen och dess kansli. Samordning och byråkrati i maktens centrum. Lund: Studentliterattur. Leicht, Robert (2001): Alles Verhandlungssache. Das Kommissionswesen blüht, das Parlament verkümmert. In: DIE ZEIT 22/2001. Lepper, Manfred (1976): Das Ende eines Experiments. Zur Auflösung der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform. In: Die Verwaltung 9. 1. 478–499. Lerner, Daniel/Lasswell, Harold D. (1951): The Policy Sciences. Recent developments in scope and method. Stanford: Standford University Press.
337
Letzgus, Klaus/Hill, Hermann/Klein, Hans Hugo (1994): Für Recht und Staat. Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag. München: Beck. Leunig, Sven (2003): Föderale Verhandlungen. Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess. Frankfurt am Main: Lang. Lewin, Leif (1992): Samhället och de organiserade intressena. Stockholm: Norstedts. Lijphart, Arendt (1984): Democracies: patterns of majoritarian and consensus government. New Haven: Yale University Press. Lindblom, Charles E. (1979): Still Muddling, not yet Through. In: Public Administration Review 39. 517–626. Linde, Claes et al. (1970): Personalrekryteringen till vissa svenska förvaltningar 1957 och 1967. Stockholm: Stockholms universitet. Linde, Claes/Wallin, Gunnar (1992): After the Tide? Patterns of Politicizations among Swedish Administrative Elite. Paper presented at IPSA-conference in Stockholm. Lindvall, Johannes/Rothstein, Bo (2006): Sweden: The Fall of the Strong State. In: Scandinavian Political Studies 29. 1. 47–63. Livh, Carin (1964): De högre statstjänstemännens utbildning, Statsvetenskaplig inistitution vid Göteborgs universitet. Göteborg: Göteborgs universitet. Lösche, Peter (2006): Lobbyismus als spezifische Form der Politikberatung. In: Falk et al. (2006): 334–342. Lord, Robert/Foti, Rosanne J. (1986): Schema theories, information processing, and organizational behaviour. In: Sims/Gioia (1986): 20–48. Lowi, Theodore (1964): American Business, Public Policy, Case Studies, and Political Theory. In: World Politics 16. 677–693. Lundquist, Lennart (1992): Förvaltning, stat och samhälle. Lund: Studentlitteratur. Lundquist, Lennart (1993): Freedom of Information and the Swedish Bureaucrat. In: Chapman (1993): 75–91. Lundquist, Lennart (1994): Statsvetenskaplig förvaltningsanalys. Problem, trender och program. Lund: Studentlitteratur. Lundquist, Lennart/Ståhlberg, Krister (1983): Byråkrater i Norden. Utvecklingsdrag i statstjänstemanna-kårerna under efterkrigstiden. Åbo: Åbo Akademi. Machura, Stefan (2000): Wie politisiert ist die Ministerialverwaltung? München: Universität der Bundeswehr. Magnusson, Staffan (2001): Evaluation of legislation: Swedish experience. Proceedings of the Council of Europe’s legal co-operation and assistance activities (2000-2001). Mai, Manfred (1999): Wissenschaftliche Politikberatung in dynamischen Politikfeldern. In: ZfParl 30. 3. 93–117. Mai, Manfred (2006): Verbände und Politikberatung. In: Falk et al. (2006): 268–274. Manns, Julia (2007): Quantifizierung der öffentlichen Informationskosten – Erfahrungen aus den Niederlanden bei der Ausdehnung des Anwendungsbereiches des StandardKosten-Modells. Diplomarbeit. Potsdam: Universität Potsdam. Manow, Philip (1996): Informalisierung und Parteipolitisierung – Zum Wandel exekutiver Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik. In: ZfParl 27. 1. 96–107.
338
Manow, Philip (2005): Die politische Kontrolle der Ministerialbürokratie des Bundes. In: Ganghof/Manow (2005): 245–275. March, James G./Olsen, Johan P. (1976): Ambiguity and Choice in Organizations. Bergen: Universitetsförlaget. March, James G./Simon, Herbert A. (1958): Organizations. New York: Wiley. Matheson, Alex/Weber, Boris/Manning, Nick/Arnould, Emmanuelle (2007): Study on the Political Involvement in Senior Staffing and on the Delineation of Responsibilities Between Ministers and Senior Civil Servants. OECD Working Papers on Public Governance 6. Paris: OECD. Matthes, Jörg (2004): Die Schema-Theorie in der Medienwirkungsforschung: Ein unscharfer Blick in die „Black Box”. In: Medien und Kommunikationswissenschaft 52. 545–568. Mattson, Ingvar/Petersson, Olof (Hrsg.) (2003): Svensk författningspolitik. Stockholm: SNS-förlag. Maurer, Andrea/Schmid, Michael (Hrsg.) (2002): Neuer Institutionalismus: zur soziologischen Erklärung von Organisation, Frankfurt/M.: Campus. Mayntz, Renate (1980): Gesetzgebung und Bürokratisierung. Wissenschaftliche Auswertung der Anhörung zu Ursachen einer Bürokratisierung in der öffentlichen Verwaltung. Bonn: BMI. Mayntz, Renate (1983): Politisierung der Bürokratie. In: Hartwich (1983): 475–486. Mayntz, Renate (1993): Policy-Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen. In: PVS Sonderheft 24. 39-56. Mayntz, Renate (1997): Soziologie der öffentlichen Verwaltung. Heidelberg: UTB. Mayntz, Renate/Scharpf, Fritz W. (1973a): Kriterien, Voraussetzungen und Einschränkungen aktiver Politik. In: dies. (1973): 115–145. Mayntz, Renate/Scharpf, Fritz W. (1973b): Planungsorganisation. München: Piper. Mayntz, Renate/Scharpf, Fritz W. (1973c): Vorschläge zur Reform der Ministerialverwaltung. In: dies. (1973): 201–231. McCubbins, Mathew D./Noll, Roger G./Weingast, Barry R. (1987): Administrative Procedures as Instruments of Political Control. In: Journal of Law, Economics & Organization 3. 2. 243–277. Meijer, Hans (1956): Kommittépolitik och kommittéarbete. Lund: Lunds universitet. Mellbourn, Anders (1979): Byråkratins ansikten. Rolluppfattningar hos svenska högre statstjänstemän. Stockholm: Liber. Mertes, Michael (2000): Führen, koordinieren, Strippen ziehen: Das Kanzleramt als des Kanzlers Amt. In: Korte/Hirscher (2000): 62–84. Meuwese, Anne (2008): Informing the EU legislator through impact assessments. London: Kluwer Law International. Meyer, John W./Rowan, Brian (1977): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony. In: American Journal of Sociology 83. 340–363.
339
Molander, Per/Nilsson, Jan-Eric/Schick, Allen (2002): Does Anyone Govern? The Relationship between the Government Office and the Agencies in Sweden. Stockholm: Centre for Business and Policy Studies. Moravcsik, Andrew/Töller, Annette Elisabeth (2007): Brüssel regiert nicht Deutschland. In: Financial Times Deutschland vom 10.02.2007. Morgan, Bronwen (2003): The Economization of Politics: Meta-Regulation as a Form of Nonjudicial Legality. In: Social Legal Studies 12. 489–523. Möschel, Wernhard (1994): Erstarrung durch Bürokratisierung und Reglementierung. In: Letzgus et al. (1994): 807–820. Müller, Christoph (2005): Regierungsdichte- und Bürokratieindex (ReBiX). In: Empter et al. (2005): 79–201. Müller, Edda (1978): Konzeptionen und Umsetzungsstrategien der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform zur Verbesserung der internen Ministerialorganisation. In: Schatz et al. (1978). Müller, Edda (1986): Organisationsstruktur und Aufgabenerfüllung. In: DÖV. 10–15. Müller, Wolfgang C./Strøm, Kaare (Hrsg.) (1997): Koalitionsregierungen in Westeuropa. Wien: Signum. Murswieck, Axel (2003): Des Kanzlers Macht: Zum Regierungsstil Gerhard Schröders. In: Egle et al. (2003): 117–135. Naschold, Frieder/Bogumil, Jörg (2000): Modernisierung des Staates. New Public Management in deutscher und internationaler Perspektive. Opladen: Leske + Budrich. NNR (2003): Vilken kvalitet håller statens konsekvensanalyser av förslag som rör företag? Regelindikator 2003. Stockholm: NNR. NNR (2004): Vilken kvalitet håller statens konsekvensanalyser av förslag som rör företag? Regelindikator 2004. Stockholm: NNR. NNR (2005): Vilken kvalitet håller statens konsekvensanalyser av förslag som rör företag? Regelindikator 2005. Stockholm: NNR. NNR (2006): Hur ser krånglet för företagen ut? Regelindikator 2006. Stockholm: NNR. NNR (2007): Regelindikator 2007. En utvärdering av den svenska regeringens regelförenklingsarbete. Stockholm: NNR. Nullmeier, Frank/Rüb, Friedrich W. (1993): Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozialstaat zum Sicherungsstaat. Frankfurt: Campus. OECD (1995): Recommendation of the Council of the OECD on Improving the Quality of Government Regulation. Paris: OECD. OECD (1996): Performance Management in Government: Contemporary Illustrations. Public Management Occasional Papers 9. Paris: OECD. OECD (1997): Regulatory Impact Analysis: Best Practices in OECD Countries. Paris: OECD. OECD (2004a): OECD Prüfung im Bereich Regulierungsreform. Deutschland – Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung. Paris: OECD. OECD (2004b): Regulatory Impact Analysis (RIA) Inventory. Paris: OECD.
340
OECD (2007): Government capacity to assure high quality regulation in Sweden. OECD reviews of regulatory reform. Regulatory reform in Sweden. Paris: OECD. Olson, Mancur (1965): The logic of Collective Action. Cambridge: Harvard University Press. Page, Edvard C./Wright, Vincent (1999): Bureaucratic Elites in Western European States. Oxford: Oxford University Press. Pappi, Franz-Urban/König, Thomas/Knoke, David (1995): Entscheidungsprozesse in der Arbeits- und Sozialpolitik. Frankfurt: Campus. Parker, Christine (2002): The Open Corporation: Effective Self-Regulation and Democracy. Cambridge: Cambridge University Press. Pautz, Hartwig (2008): Think-tanks in Germany: the Bertelsmann Foundation’s role in labour market reform. In: Zeitschrift für Politikberatung (ZPB). 1. 3/4. 437–457. Persson, Thomas (2003): Normer eller nytta? Om de politiska drivkrafterna bakom Regeringskansliets departementsindelning. Uppsala: Uppsala universitet. Persson, Åsa (2006): Characterizing the Policy Instrument Mixes for Municipal Waste in Sweden and England. In: European Environment 16. 4. 213–231. Persson, Åsa (2003): Economic rationality in environmental regulatory decision-making. A study of Regulatory Impact Assessment in Sweden and the United Kingdom. London: Elsevier. Petersson, Olof (1989): Maktens nätverk: En undersökning av regeringskansliets kontakter. Stockholm: Carlsson. Pfeiffer, Ulrich/Faller, Bernd (1997): Qualität des Verwaltungshandelns: zur Modernisierung der Bundesministerien. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Pfeil, Florian (2006): Regierungswechsel in der Hochburg der Sozialdemokratie: Die Wahlen zum Schwedischen Reichstag vom 17. September 2006. In: ZfParl 37. 4. 763–777. Plehwe, Dieter (2007): Zahlenpolitik. EU-Recht und nationalstaatliche Gesetzgebung. In: WZB-Mitteilungen. 117. 7–11. Polke-Majewski, Karsten (2007): Zeitfresser vom Amt. In: ZEIT online vom 19.09.2007. Powell, Walter W./DiMaggio, Paul J. (1983): The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organzational Fields. In: The American Sociological Review 48. 147–160. Powell, Walter W./DiMaggio, Paul J. (1991a): The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organzational Fields. In: Dies. (1991): 63– 82. Powell, Walter W./DiMaggio, Paul J. (1991b): Introduction. In: Dies. (1991): 1–38. Powell, Walter W./DiMaggio, Paul J. (Hrsg.) (1991c): The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago/London: University of Chicage Press. Premfors, Rune et al. (2003): Demokrati och byråkrati. Lund: Studentlitteratur. Premfors, Rune/Sundström, Göran (2007): Regeringskansliet. Stockholm: Liber.
341
Putnam, Robert D. (1973): The Political Attitudes of Senior Civil Servants in Western Europe: A Preliminary Report. In: British Journal of Political Science 3. 3. 257– 290. Radaelli, Claudio M. (2005): What Does Regulatory Impact Assessment Mean in Europe? Exeter: AEI Brookings Joint Center for Regulatory Studies. Radaelli, Claudio M. (2007a): Diffusion without convergence: how political context shapes the adoption of regulatory impact assessment. In: Journal of European Public Policy 12. 5. 924–943. Radaelli, Claudio M. (2007b): Towards Better Research on Better Regulation, Paper delivered to the Advanced Colloquium on Better Regulation. University of Exeter, 25– 26 January 2007. Exeter. Radaelli, Claudio M. (2007c): Desperately seeking regulatory impact assessments: diary of a reflective researcher, Paper delivered to ENBR workshop on „Better regulation and the policy process”. 5 July 2007. Lissabon. Radaelli, Claudio M./De Francesco, Fabrizio (2007): Regulatory Impact Assessment, Political Control and the Regulatory State, Paper delivered to the Fourth General Conference of the ECPR, 6–8 September 2007. Pisa. Renda, Andrea (2006): Impact Assessment in the EU: The State of the Art and the Art of the State. Brussels: Centre for European Policy Studies. Rennings, Klaus/Achtnicht, Martin/Hertin, Julia (2009): Experiences with Integrated Impact Assessment – Empirical Evidence from a Survey in Three European Member States. In: Environmental Policy and Governance 19 (in press). Reutter, Werner (2001): Deutschland. In: Ders./Rütters (2001): 75–101. Reutter, Werner/Rütters, Peter (Hrsg.) (2001): Verbände und Verbandsysteme in Westeuropa. Opladen: Leske + Budrich. Röhl, Klaus-Heiner (2006): Bürokratieabbau : Analysen und Handlungsempfehlungen. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung. Rohwetter, Marcus (2005): Ihr Wort wird Gesetz. Wenn Ministerien und Parlament die Gesetzesarbeit zu schwierig wird, springen internationale Anwaltskanzleien gern ein. In: DIE ZEIT vom 6.10.2005. Rothstein, Bo (1988): State and Capital in Sweden: The Importance of Corporatist Arrangements. In: Scandinavian Political Studies 11. 35–260. Rothstein, Bo (1992): Den korporative staten. Stockholm: Norstedts. Rothstein, Bo/Bergström, Jonas (1999): Korporatismens fall och den svenska modellens kris. Stockholm: SNS förlag. Rudzio, Wolfgang (2006): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: Müller. Rürup, Bernd/Tiemann, Heinrich (2006): Praxisorientierte Politikberatung am Beispiel der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission). In: Falk et al. (2006): 390–399. Rustow, Dankwart A. (1955): The Politics of Compromise. A Study of Parties and Cabinet Government in Sweden. Princeton: Princeton University Press.
342
Røvik, Kjell A. (1998): Moderne organisasjoner. Trender i organisasjonstenkningen ved tusenårsskiftet. Bergen: Fagbokforlaget. Sabatier, Paul A. (1993): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik. In: PVS Sonderheft 24. 116-148. Sachverständigenrat „Schlanker Staat” (1998): Abschlussbericht, 2. Aufl. Bonn. Sandberg, Johan (2003): Korporatismen i myndighetsstyrelserna. In: Svensson/Öberg (2003): 47–75. Scharpf, Fritz W. (1985): Die Politikverflechtungs-Falle. Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich. In: PVS 26. 4. 323–356. Scharpf, Fritz W. (1993): Positive und negative Koordination in Verhandlungssystemen. In: Heritier (1993): 57–83. Scharpf, Fritz W. (1994a): Games real actors could play. Positive and negative coordination in embedded negotiations. In: Journal of Theoretical Politics 6. 1. 27–53. Scharpf, Fritz W. (1994b): Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa. Frankfurt am Main: Campus. Schatz, Heribert/Reese, Jürgen/Wender-Luetjohann, Astrid/Müller, Edda (Hrsg.) (1978): Studien zur Reform von Regierung und Verwaltung 10. 1. Bonn: Verein für Verwaltungsreform und Verwaltungsforschung. Schmidt, Günther/Treiber, Hubert (1975a): Bürokratie und Politik. Zur Struktur und Funktion der Ministerialbürokratie in der Bundesrepublik Deutschland. München: Wilhelm Fink Verlag. Schmidt, Günther/Treiber, Hubert (1975b): Zur Programmentwicklung der Ministerialorganisation. In: Dies. (1975): 122–162. Schubert, Klaus (1991): Politikfeldanalyse. Eine Einführung. Opladen: Leske + Budrich. Schubert, Klaus/Bandelow, Nils (Hrsg.) (2009): Lehrbuch der Politikfeldforschung 2.0, München: Oldenbourg. Schwanke, Katja/Ebinger, Falk (2006): Politisierung und Rollenverständnis der deutschen Administrativen Elite 1970 bis 2005 – Wandel trotz Kontinuität. In: Bogumil et al. (2006): 228–249. Scott, Richard W. (1986): Grundlagen der Organisationstheorie. Frankfurt am Main/New York: Campus. Scott, Richard W. (2008): Institutions and Organizations, 3. Aufl., Thousand Oaks: Sage. Sebaldt, Martin/Straßner, Alexander (2004): Verbände in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag. Sebaldt, Martin/Straßner, Alexander (Hrsg.) (2006): Klassiker der Verbändeforschung, Wiesbaden: VS Verlag. Seibel, Wolfgang (1986): Entbürokratisierung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Die Verwaltung. 2. 137–162. Senge, Konstanze/Hellmann, Kai-Uwe (Hrsg.) (2006): Einführung in den Neo-Institutionalismus. Mit einem Beitrag von W. Richard Scott. Wiesbaden: VS Verlag. Siefken, Sven T. (2006): Expertenkommissionen der Bundesrepublik. In: Falk et al. (2006): 215–227.
343
Sjölin, Mats (1991): „Decline of Parliaments“-tesen och den svenska riksdagens makt under 1970- och 1980-talet. Lund: Lunds universitet. Sjölin, Mats (1993): Coalition Politics and Parliamentary Power. Lund Political Studies 78. Lund: Lund University Press. Sperl, Jakob (2001): Koordination in der Ministerialverwaltung. Diplomarbeit. Potsdam: Universität Potsdam. Smeddinck, Ulrich (2006): Integrierte Gesetzesproduktion. Der Beitrag der Rechtswissenschaft zur Gesetzgebung in interdisziplinärer Perspektive. Baden-Baden: Nomos. Smeddinck, Ulrich/Tils, Ralf (2002): Normgenese und Handlungslogiken in der Ministerialverwaltung. Die Entstehung des Bundes-Bodenschutzgesetzes: eine politik- und rechtswissenschaftliche Analyse, Baden-Baden: Nomos. Smith, Eivind/Petersson, Olof (Hrsg.) (2004): Konstitutionell demokrati. Stockholm: SNS förlag. Ståhlberg, Krister (1987): The Politicization of Public Administration: Notes on the Concept, Causes and Consequences of Politicization. In: International Review of Administrative Sciences 53. 3. 363–382. Steinkemper, Bärbel (1974): Klassische und politische Bürokraten in der Ministerialverwaltung der Bundesrepublik Deutschland. Köln u.a.: Heymanns. Sterzel, Fredrik (2004): Lagstiftningsmakten och förordningsmakten. In: Smith/Petersson (2004). Streeck, Wolfgang (Hrsg.) (1996): Staat und Verbände: Neue Fragen, neue Antworten? In: PVS Sonderheft 25. 7–34. Streeck, Wolfgang (1999): Verbände als soziales Kapital: Von Nutzen und Nutzung des Korporatismus in einer Gesellschaft im Wandel. MPIfG Working Paper 1999/2. Köln: MPIfG. Sundelin, Lars (1979): Hur har de senaste tio årens regeringer klarat sig i riksdagen (Manuscript). Statsvetenskapliga Institutionen. Stockholm: Stockholms universitet. Sundström, Göran (2003): Stat på villovägar. Resultatstyrningens framväxt i ett historiskinstitutionellt perspektiv. Stockholm: Stockholms universitet. Svensson, Torsten/Öberg, Per Ola (2005): Labour Market Organisations’ Participation in Swedish Public Policy Making. In: Scandinavian Political Studies 25. 4. 295–315. Svensson, Torsten/Öberg, Per Ola (Hrsg.) (2003): Korporatismen i det nya millenniet. Uppsala: SMIF. Svensson, Torsten/Öberg, PerOla (2003): Korporatismen vid millennieskiftet. In: Dies. (2003): 3–13. TEP (2007): Evaluation of the Commission’s Impact Assessment System. Brussels: European Commission. Thunert, Martin (2003): Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik? In: ApuZ. 51. 30–38. Tiessen, Jan (2007): Die Resultate im Blick? Kontraktsteuerung in Schweden. In: Jann/Döhler (2007): 138–171.
344
Tils, Ralf/Bornemann, Basil: Im Schatten der Regierung? Tendenzen der Entparlamentarisierung und Gegenstrategien. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 17. 3. 43–54. Töller, Annette Elisabeth (2006): How European Integration Impacts on National Legislatures: The Europeanization of The German Bundestag. Center for European Studies. Program for the Study of Germany and Europe. Working Paper Series 06.2. Harvard: Centre for European Studies. Tolbert, Pamela S./Zucker, Lynne G. (1983): Institutional Sources of Change in the Formal Structure of Organizations: The Diffusion of Civil Service Reform, 1880– 1935. In: Administrative Science Quarterly 28. 22–39. Tomasson, Richard F. (1970): Sweden: Prototyp of Modern Society. New York: Random House. Ullsten, Anna (2003): Intresseorganisationernas deltagande i kommittéväsendet. In: Svensson/Öberg (2003): 15–45. Unkelbach, Alexandra (2001): Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien. Empirische und rechtliche Eckdaten des deutschen Gremienwesens auf Bundesebene. Speyerer Forschungsberichte 216. Speyer: Hochschule für Verwaltungswissenschaften. VCI (2009): Bürokratie- und Regulierungskosten in der chemischen Industrie. Potentiale zu ihrer Reduktion. Frankfurt am Main: VCI. Veit, Sylvia (2008a): Reformen auf die sanfte Art. Bürokratieabbau und Anwendung des Standardkosten-Modells in Schweden. In: ZfG 23. 1. 68–85. Veit, Sylvia (2008b): Versachlichung gesetzgeberischer Entscheidungen durch Folgenanalysen? Eine vergleichende Untersuchung zu Reforminhalten und -ergebnissen in Deutschland und Schweden. In: dms 1. 1. 73–98. Voelzkow, Helmut (1996): Private Regierungen in der Techniksteuerung. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der technischen Normung. Frankfurt/New York: Campus. Voigt, Rüdiger (Hrsg.) (1993): Abschied vom Staat – Rückkehr zum Staat? BadenBaden: Nomos. Von Beyme, Klaus (1997): Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum. Opladen: Leske + Budrich. Von Blumenthal, Julia (2003): Auswanderung aus den Verfassungsinstitutionen: Kommissionen und Konsensrunden. In: AuPZ 43. 3. 9–15. Von Winter, Thomas/Willems, Ulrich (Hrsg.) (2007): Interessenverbände in Deutschland, Wiesbaden: VS Verlag. Waffenschmidt, Horst (1994): Die Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes. In: Letzgus et al. (1994): 869–881. Wagener, Frido (1979): Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 37. Berlin/New York: Walter de Gruyter. 216–266. Walgenbach, Peter (1999): Institutionalistische Ansätze. In: Kieser (1999): 319–353.
345
Wallin, Gunnar/Ehn, Peter/Isberg, Magnus (1999): Makthavare i fokus. Attityder och verklighetsuppfattningar hos toppskikten inom politik och förvaltning. Stockholm: SNS förlag. Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tübingen: Mohr. Wegrich, Kai (2009a): Better Regulation? Grundlagen moderner Regulierungspolitik im internationalen Vergleich. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung. Wegrich, Kai (2009b): The Administrative Burden Reduction Policy Boom in Europe: Comparing Mechanisms of Policy Diffusion. ESRC Centre for Analysis of Risk and Regulation Discussion Paper 52, London: LSE. Wegrich, Kai/Jann, Werner/Shergold, Miriam/Thiessen, Jan (2005): Wirksamkeit von Sunset Legislation und Evaluationsklauseln. Gutachten im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Berlin/London: Bertelsmann-Stiftung. Wehling, Hans-Georg (Hrsg.) (1986): Verwaltung und Politik in der Bundesrepublik. Stuttgart: Kohlhammer. Westphalen, Raban Graf von (Hrsg.) (2001): Deutsches Regierungssystem, Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft. München/Wien: Oldenbourg. Weick, Karl E. (1976): Educational Organizations as Loosely Coupled Systems. In: Administrative Science Quarterly 21. 1–19. Weingart, Peter/Lentsch, Justus (2008): Wissen – beraten – entscheiden. Form und Funktionen wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland. Weilerswist: Velbrück. Welzel, Carolin (2006): Politikberatung durch Stiftungen. In: Falk et al. (2006): 275–289. Wiener, Jonathan B. (2006): Better Regulation in Europe. Duke Law School Working Paper Series, Paper 130. Duke: Duke University. Wildavsky, Aaron (1979): Speaking Truth to Power. The Art and Craft of Policy Analysis. Boston/Toronto: Little. Wilson, Graham K./Barker, Anthony (2003): Bureaucrats and Politicians in Britain. In: Governance 16. 349–372. Wintgens, Luc J. (2006): Legisprudence as a New Theory of Legislation. In: Ratio Juris 19. 1. 1–25. Zucker, Lynne G. (1983): Organizations as Institutions. In: Bacharach (1983): 1–42. Zypries, Brigitte/Peters, Cornelia (2000): Eine neue Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. In: ZfG 15. 316–327.
346
Rechtstexte Bundesbeamtengesetz (BBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999. BGBl. I S. 675, zuletzt geändert durch Art. 1a des Gesetzes vom 26. Februar 2008. BGBl. I S. 215. Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. August 2002, BGBl. I S. 3020, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. März 2008. BGBl. I S. 282. Bundeslaufbahnverordnung (BLV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 2002. BGBl. I S. 2459, 2671, zuletzt geändert durch Art. 2 (24) des Gesetzes vom 5. Dezember 2006. BGBl. I S. 2748. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO II) vom 10. März 1960. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO II). Neufassung vom 15.Oktober 1976. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO II) vom 25. März 1996. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Novellierung vom 26. Juni 2000. Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) vom 11. Mai 1951. BMBl. S. 137. Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) vom 14. August 2006. BGBl. I S. 1866. SFS 1949: 105. Tryckfrihetsförordningen (Pressefreiheitsverordnung) vom 5. April 1949. SFS 1970: 641. Kunglig Majestät kungörelse om begränsning i myndighets rätt att meddela föreskrifter, anvisningar eller råd (Begrenzungsbekanntmachung) vom 13. November 1970. SFS 1974: 152. Kungörelse om beslutad ny regeringsform (Gesetz über die Regierungsform) vom 28. Februar 1974. SFS 1976: 119. Kommittéförordningen (Kommissionverordnung). Vom 1. April 1976. SFS 1976: 725. Författningssamlingsförordningen (Verordnung über die Sammlung von Rechtsvorschriften) vom 2. September 1976. SFS 1982: 668. Förordning om statliga myndigheters inhämtande av uppgifter från näringsidkare och kommuner (Verordnung über das Einholen von Auskünften von Unternehmen und Kommunen durch staatliche Behörden) vom 17. Juni 1982. SFS 1987: 1347. Begränsningsförordningen (Begrenzungsverordnung) vom 26. November 1987. SFS 1992: 191. Avgiftsförordning (Abgabenverordnung) vom 23. April 1992. SFS 1995: 1322. Verksförordning (Werksverordnung) vom 30. November 1995. SFS 1995: 1554. Årsredovisningslagen (Gesetz über die Erstellung von Jahresabschlüssen) vom 14. Dezember 1995. SFS 1996: 1515. Förordning med instruktion för Regeringskansliet (Verordnung mit Instruktionen für die Kanzlei der Ministerien) vom 17. Dezember 1996. SFS 1997: 483. Skattebetalningslag (Steuerbezahlungsgesetz) vom 12. Juni 1997.
347
SFS 1998: 441. Förordning om ändring i verksförordningen (1995: 1322) (Verordnung über die Änderung der Werksverordnung) vom 4. Juni 1996. SFS 1998: 1474. Kommittéförordningen (Kommissionverordnung) vom 26. November 1998. SFS 1998: 1820. Simplexfördordningen – Förordning om särskild konsekvensanalys av reglers effekter för små företags villkor (Simplex-Verordnung) vom 22. Dezember 1998. SFS 1999: 1229. Inkomstskattelag (Einkommenssteuergesetz) vom 16. Dezember 1999. SFS 2000: 980. Socialavgiftslag (Sozialabgabengesetz) vom 23. November 2000. SFS 2000:1178. Förordning med instruktion för Verket för näringslivsutveckling (Verordnung mit Instruktionen für das Schwedische Amt für Wirtschaftsentwicklung) vom 7. Dezember 2000, zuletzt geändert am 7. Dezember 2005 (SFS 2005: 200). SFS 2002: 903. Lag om ändring i regeringsformen (Gesetz über die Änderung des Gesetzes über die Regierungsform) vom 28. November 2002. SFS 2003: 884. Förordning med instruktion för Ekonomistyrningsverket (Verordnung mit Instruktionen für die Nationale Schwedische Behörde für Finanzmanagement) vom 27. November 2003. SFS 2004: 660. Förordning om förvaltning av kvaliteten på vattenmiljön (Verordnung über die Verwaltung der Qualität des Wassers) vom 17. Juni 2004. SFS 2004: 1371. Förordning om ändring i förordningen (1998: 1820) om särskild konsekvensanalys av reglers effekter för små företags villkor (Verordnung über die Änderung der Simplex-Verordnung) vom 16. Dezember 2004. SFS 2006: 804. Livsmedelslag (Lebensmittelgesetz) vom 8. Juni 2006. SFS 2007: 515. Myndighetsförordning (Behördenverordnung) vom 7. Juni 2007. Prüffragen für Rechtsvorschriften des Bundes. Beschluss der Bundesregierung vom 11. Dezember 1984. Reichsministerium des Innern: Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien, Besonderer Teil, Berlin 1926. Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes (VwVR) vom 20. Dezember 1989.
348
Drucksachen aus Exekutive und Legislative Beschluss der Staatssekretärsgruppe mit besonderer Zuständigkeit für Regulierungsvereinfachung („Beslut av statssekreterargrupp med särskilt ansvar för arbeitet med enklare regler“). 30.03.1999 Bet. 1998/99: NU 6. Näringsutskottets betänkande. Vissa näringspolitiska frågor. Regelförenkling. (Gutachten des Wirtschaftsausschusses. Gewisse wirtschaftspolitische Fragen. Regulierungsvereinfachung), o.D. Bet. 2002/03: NU 1. Näringsutskottets betänkande. Utgiftsområde 24 Näringsliv. (Gutachten des Wirtschaftsausschusses. Ausgabengebiet 24 Wirtschaft). 18.12. 2002. BMI (1976): Das Verwaltungsplanspiel als Testverfahren im Entscheidungsprozess. Bonn. BMI (1980a): Sachverständigenanhörung zu Ursachen einer Bürokratisierung in der öffentlichen Verwaltung sowie zu ausgewählten Vorhaben zur Verbesserung des Verhältnisses von Bürger und Verwaltung am 19. und 20. Juni 1980 in Bonn, Teil A: Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen. Bonn. BMI (1980b): Sachverständigenanhörung zu Ursachen einer Bürokratisierung in der öffentlichen Verwaltung sowie zu ausgewählten Vorhaben zur Verbesserung des Verhältnisses von Bürger und Verwaltung am 19. und 20. Juni 1980 in Bonn, Teil B: Stenografisches Wortprotokoll. Bonn. BMI (1985): Erster Bericht zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Bonn. BMI (1986): Zweiter Bericht zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Bonn. BMI (1987): Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes. 1983–1987. Eine Zwischenbilanz. Bonn. BMI (1989): Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften. Beschluss der Bundesregierung vom 20. Dezember 1989. Bonn. BMI (1990): Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Anlagen: Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung auf der Grundlage einer Befragung von Beteiligten und Betroffenen. Bonn. BMI (1992a): Erleichterung von Gewerbeansiedlungen in den neuen Bundesländern: Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes auf der Basis der Fragebogenaktion Infodienst kommunal vom 29.11.1991, Beschluss vom 28. September 1992. Bonn. BMI (1992b): Handbuch zur Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Köln. BMI (1994a): Empfehlungen für die Überprüfung und Verwendung von Standards in Bundesvorschriften: Beschluss der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes vom 31.10.1994. Bonn. BMI (1994b): Unnötiger Aufwand durch Vorschriften?: Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes zur Entlastung der Unternehmen, Bürger und Verwaltungen von administrativen Pflichten. Bonn.
349
BMI (1995a): Motor der Entbürokratisierung. Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes. 1988–1995. Bonn. BMI (1995b): Unnötiger Aufwand durch Vorschriften (II): Zweiter Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes zur Entlastung der Unternehmen, Bürger und Verwaltungen von administrativen Pflichten. Bonn. BMI (2000a): Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Berlin. BMI (2000b): Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Leitfaden zur Gesetzesfolgenabschätzung. Berlin. BMI (2001): Der Mandelkern-Bericht – Auf dem Weg zu besseren Gesetzen. Abschlussbericht. Berlin. BMI (2002): Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Abschlussbericht über den Praxistest zur Erprobung des Handbuches und des Leitfadens zur Gesetzesfolgenabschätzung an ausgewählten Vorhaben des Ressorts. Berlin. BMI (2003): Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Novellierung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Abschlussbericht zum Projekt Selbstverpflichtung zur besseren Beteiligung der Länder und Kommunen. Berlin. BMI (2004): Initiative Bürokratieabbau. Stand der Projekte im September 2004. Berlin. BMI (2006): Leitfaden Folgenabschätzung in der Europäischen Union. Berlin. BMI (2009): Arbeitshilfe zur Gesetzesfolgenabschätzung. Berlin. BMJ (1991): Handbuch der Rechtsförmlichkeit. Empfehlungen des Bundesministeriums der Justiz zur einheitlichen rechtsförmlichen Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen nach § 38 Abs. 3 GGO II. Köln (2. neu bearbeitete Aufl. 1999). BMFSFJ (2007): Arbeitshilfe Geschlechterdifferenzierte GFA „Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften“. Berlin. BMWi (1989): Merkblatt für die Preiswirkungsklausel in Kabinettsvorlagen, insbesondere in Gesetzes- und Verordnungsbegründungen, Neufassung vom 28.3.1989. Bonn. BMWi (2007): Merkblatt zur Ermittlung der Kostenfolgen und Preiswirkungen von Gesetzesvorlagen, Vorlagen von Rechtsverordnungen und von Verwaltungsvorschriften nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), I C 5 – 02 00 62. Berlin (Stand: August 2007). BMWi (2009): Arbeitshilfe zu § 44 Abs. 4 Nr. 1 GGO: Kosten für die Wirtschaft und Auswirkungen auf die Preise. Berlin (Stand: Juni 2009). BT-Drs. 8/112. Kleine Anfrage der Abgeordneten (…) und der Fraktion der CDU/CSU. Umfang und Folgen der Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes für Staat und Bürger. 10.02.1977. BT-Drs. 8/212. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten (…) und der Fraktion der CDU/CSU. Umfang und Folgen der Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes für Staat und Bürger. 21.03.1977. BT-Drs. 8/1206. Antrag der Abgeordneten (…) und der Fraktion der CDU/CSU. Rechtsund Verwaltungsvereinfachung. 21.11.1977.
350
BT-Drs. 14/29. Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1998 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung. 23.11.1998. BT-Drs. 15/4200. Bundesrechnungshof (2004): Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2003). 15.11.2004. BT-Drs. 16/637. Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2006 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2006). 13.02.2006. BT-Drs. 16/4741. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Volker Wissing (…) und der Fraktion der FDP (Drucksache 16/4479). Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. 21.03.2007. BT-Drs. 16/4841. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Einwurf eines Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008. 16. WP, 27.03.2007. BT-Drs. 16/5323. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Homburger (…) und der Fraktion der FDP (Drucksache 16/5161). Ein Jahr Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung. 11.05.2007. Bundesregierung (2005): Arbeitshilfe Gesetzesfolgenabschätzung. Berlin. Bundesregierung (2007): Bürokratiekosten: Erkennen – Messen – Abbauen. Bericht der Bundesregierung 2007 zur Anwendung des Standardkosten-Modells. Berlin. Bundesregierung (2008a): Bürokratiekosten: Erkennen – Messen – Abbauen. Bericht der Bundesregierung 2007 zur Anwendung des Standardkosten-Modells. 2. aktualisierte Fassung. Berlin. Bundesregierung (2008b): Für ein nachhaltiges Deutschland – Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Berlin. COM (2001) 428 final. Commission of the European Communities: European Governance. A White Paper. Brussels. Dir. 1980: 20. Regeringens direktiv till statliga kommittéer och särskilda utredare angående finansiering av reformer. (Direktive der Regierung an staatliche Kommissionen bezüglich der Finanzierung von Reformen). Dir. 1984: 5. Regeringens direktiv till statliga kommittéer och särskilda utredare angående utredningsförslagens inriktning i ekonomiskt hänseende. (Direktive der Regierung an staatliche Kommissionen bezüglich der Ausrichtung der Kommissionsvorschläge in ökonomischer Hinsicht). Dir. 1988: 43. Regeringens direktiv till statliga kommittéer och särskilda utredare angående beaktande av EG-aspekter i utredningsverksamheten. (Direktive der Regierung an staatliche Kommissionen bezüglich der Berücksichtigung von EGAspekten in der Kommissionstätigkeit). Dir. 1992: 50. Regeringens direktiv till samtliga kommittéer och särskilda utredare att redovisa regionalpolitiska konsekvenser. (Direktive der Regierung an sämtliche Kommissionen bezüglich der Darstellung regionalpolitischer Konsequenzen).
351
Dir. 1994: 23. Regeringens direktiv till samtliga kommittéer och särskilda utredare om att pröva offentliga åtaganden. (Direktive der Regierung an sämtliche Kommissionen zur Prüfung öffentlicher Verpflichtungen). Dir. 1994: 124. Regeringens direktiv till samtliga kommittéer och särskilda utredare att redovisa jämställdhetspolitiska konsekvenser. (Direktive der Regierung an sämtliche Kommissionen bezüglich der Darstellung gleichstellungspolitischer Folgen). Dir. 1996: 49. Regeringens direktiv till samtliga kommittéer och särskilda utredare att redovisa konsekvenser för brottsligheten och det brottsförebyggande arbeitet. (Direktive der Regierung an sämtliche Kommissionen bezüglich der Darstellung der Folgen auf die Kriminalität und die kriminalitätsvorbeugende Arbeit). Dir. 2008: 57. Kommittédirektiv. Regelrådet – ett råd för granskning av nya och ändrade regler som påverkar företagens regelbörda. (Kommissionsdirektive. Der Regelrat – ein Rat zur Prüfung neuer und geänderter Rechtsvorschriften, welche die Regulierungsbelastung von Unternehmen beeinflussen). Dir. 2008: 142. Tilläggsdirektiv till Regelrådet. (Zusatzdirektive zum Regelrat). Ds. SB 1984: 1. Promemoria om det svenska utredningsväsendet. (Bericht über das schwedische Kommissionswesen). Ds. 1997: 1. Propositionshandboken (Propositionshandbuch). Ds. 1998: 43. Myndigheternas föreskrifter. Handbok i författningsskrivning (Vorschriften der Behörden. Handbuch zum Schreiben von Rechtsvorschriften). Ds. 1998: 57. Kommittéerna och bofinken – Kan en kommitté se ut hur som helst? (Die Kommissionen und der Buchfink – Kann eine Kommission irgendwie aussehen?). Ds. 1998: 66. Statsrådsberedningen: Gröna boken. Riktlinjer för författningsskrivning. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Das Grüne Buch. Richtlinien zum Schreiben von Rechtsvorschriften). Ds. 2000: 1. Statsrådsberedningen: Kommittéhandboken. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Kommissionshandbuch). Ds. 2004: 45. Myndigheternas skrivregler (6. Aufl.). (Schreibregeln der Behörden). ESV (1999): 20. Sandahl, Rolf (1999): Myndigheternas syn på resultatstyrning. (Die Sicht der Behörden auf die Resultatsteuerung). Irish, Dutch, Luxembourg, UK, Austrian and Finnish Presidencies of the Council of the European Union (2004): Advancing Regulatory Reform in Europe. A joint statement of the Irish, Dutch, Luxembourg, UK, Austrian and Finnish Presidencies of the European Union. ITPS (2004): Förslag till metod att mäta företagens administrativa börda till följd av regelverken. Slutrapport. (Vorschlag für eine Methode zur Messung der administrativen Lasten von Unternehmen infolge von Rechtsvorschriften. Schlussbericht). Kabinettsbeschluss zum Ausbau der Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes (DB VwV Bund) vom 31. Mai 2006. Motion 1992/93: K 312. Konsekvensanalyser. (Folgenabschätzungen).
352
N1998/3110. Särskild konsekvensanalys av reglers effekter för små företags villkor. Regeringens beslut och skälen för regeringens beslut. Protokoll vid regeringssammanträde 1998-12-22. (Besondere Folgenabschätzung der Effekte von Regulierungen auf die Bedingungen kleiner Unternehmen. Beschluss der Regierung und Begründung des Regierungsbeschlusses. Protokoll des Regierungszusammentreffens vom 22. Dezember 1998). N2002/5811/AE (Auftrag der Regierung an ITPS zur Entwicklung einer Methode zur Messung administrativer Lasten vom Juni 2002). N2003/6685/NL. (Auftrag der Regierung an sämtliche Ministerien zur Durchsicht ihrer Gesetze und Rechtsverordnungen im Hinblick auf Vereinfachungsmöglichkeiten vom Oktober 2003). N2003/7800/NL. (Auftrag der Regierung an NUTEK zur Durchführung von Probemessungen zur Mehrwertsteuergesetzgebung vom November 2003). N2004/4616/NL. (Auftrag der Regierung an NUTEK zur Messung der administrativen Lasten im Steuerbereich) NKR (2007): Kostenbewusstsein stärken. Für eine bessere Gesetzgebung. Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrates. Berlin, September 2007. NKR (2007): Leitfaden für die ex ante Abschätzung der Bürokratiekosten nach dem Standardkosten-Modell. Erste Version. Berlin. NKR (2008): Leitfaden für die ex ante Abschätzung der Bürokratiekosten nach dem Standardkosten-Modell. Zweite überarbeitete Version. Berlin. NKR (2009a): Einfacher zum Elterngeld. Abschlussbericht. Berlin, September 2009. NKR (2009b): Einfacher zum Wohngeld. Abschlussbericht. Berlin, September 2009. NKR (2009c): Zwischenbilanz. Gut gestartet: Erwartungen erfüllen! Jahresbericht 2009 des Nationalen Normenkontrollrates. Berlin, Juli 2009. NUTEK (2004): Mätning av företagens administrativa börda. Huvudrapport: Metodbedömning, organisationsförslag samt resursbedömning. Stockholm. (Messung der administrativen Lasten von Unternehmen. Hauptbericht: Methodenbeurteilung und Organisationsvorschläge samt Ressourcenbeurteilung). NUTEK (2005): Årsredovisning 2005. Stockholm. (Jahresbericht). NUTEK (2006): Årsredovisning 2006. Stockholm. (Jahresbericht). OJ 2003 C 321/01. Inter-Institutional Agreement on Better Lawmaking – European Commission, European Parliament and Council of Ministers. Brussels. PM 1979: 2. Statsrådsberedningen: Några riktlinjer för författningsspråket. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Richtlinien zur sprachlichen Ausgestaltung von Rechtsvorschriften) PM 1994: 3 (reviderad 2002-03-20). Statsrådsberedningen: Hur kommittédirektiv utformas. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Wie Kommissionsdirektiven formuliert werden). PM 1994: 4 (reviderad 1998-06-30). Statsrådsberedningen: Några riktlinjer för författningsspråket. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Richtlinien zur sprachlichen Ausgestaltung von Rechtsvorschriften).
353
PM 1995: 2 (reviderad 1998-06-30). Statsrådsberedningen: Att styra genom regler? Checklista för regelgivare. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Durch Rechtsvorschriften steuern? Checkliste für Regulierer). PM 2004: 1. Statsrådsberedningen: Svarta Listan. Ord och fraser som kan ersättas i författningsspråk. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Schwarze Liste. Worte und Phrasen, die bei der sprachlichen Ausgestaltung von Rechtsvorschriften nicht verwendet werden sollten). PM 2005: 3. Statsrådsberedningen: Redaktionella och språkliga frågor i EU-arbetet. (Kanzlei des Ministerpräsidenten: Redaktionelle und sprachliche Fragen in der EUArbeit). Prop. 1986/87: 99. Regeringens proposition om ledningen av den statliga förvaltningen. (Proposition der Regierung über die Leitung der staatlichen Verwaltung). o.D. Prop. 2002/03: 1. Regeringens proposition. Budgetpropositionen för år 2003 – Förslag till statsbudget, finansplan m.m. (Proposition der Regierung. Budgetproposition für das Jahr 2003 – Vorschlag für das Staatsbudget, den Finanzplan etc.). Vom 3. Oktober 2003. Prop. 2005/06: 1. Regeringens proposition. Budgetpropositionen för 2006 – Förslag till statsbudget för 2006, finansplan, skattefrågor och tilläggsbudget m.m. (Proposition der Regierung. Budgetproposition für das Jahr 2006 – Vorschlag für das Staatsbudget 2006, den Finanzplan, Steuerfragen und das Zusatzbudget etc.). Vom 20. September 2005. Regeringskansliet (1999): Riktlinjer för Regeringskansliet om särskild konsekvensanalys av reglers effekter för små företags villkor. Stockholm. (Richtlinien für die Kanzlei der Ministerien über besondere Folgenabschätzungen für die Bedingungen kleiner Unternehmen). Vom 30. März 1999. Regeringskansliet (2001): Reglers effekter för små företag – Hur gör man en konsekvensanalys? Näringsdepartementet. Stockholm. (Effekte von Rechtsvorschriften für kleine Unternehmen – Wie macht man eine Folgenabschätzung?). Regeringskansliet (2005a): Regeringskansliets årsbok 2005. (Jahrbuch der Kanzlei der Ministerien 2005). Regeringskansliet (2005a): Utveckling av kommittéväsendet – förslag från en arbetsgrupp inom regeringskansliet, Arbetsgruppen för kvalitet i utredningsväsendet. Stockholm. (Entwicklung des Kommissionswesens – Vorschläge einer Arbeitsgruppe der Kanzlei der Ministerien, Arbeitsgruppe für Qualität im Kommissionswesen). Regeringskansliet (2006): Regeringskansliets årsbok 2006. (Jahrbuch der Kanzlei der Ministerien 2006). RiR 2004: 2. Riksrevisionen: Förandringar inom kommittéväsendet. (Rechnungshof: Veränderungen im Kommissionswesen). RiR 2004: 23. Riksrevisionen: Regelförenklingar för företag. (Rechnungshof: Rechtsvereinfachungen für Unternehmen). RR 1996/97: 6. Riksdagens Revisorer: Kommittéväsendets roll och arbetsformer. (Revisoren des Reichstags: Rolle und Arbeitsformen des Kommissionswesens).
354
RR 1997/98: 3. Riksdagens Revisorer: Förslag til riksdagen. Riksdagens revisorers förslag angående kommittéväsendet. (Revisoren des Reichstags: Vorschlag an den Reichstag. Der Vorschlag der Revisoren des Reichstags bezüglich des Kommissionswesens). RRV 1988: Riksrevisionsverket: Samhällsekonomisk metod för bättre beslutsunderlag, Informationsskrift. (Rechnunghof: Volkswirtschaftliche Methoden für bessere Beschlussunterlagen, Informationsschrift). RRV 1991: 2. Riksrevisionsverket: Bättre beslutsunderlag i den offentliga sektorn – en presentationsmodell. (Rechnunghof: Bessere Beschlussunterlagen im öffentlichen Sektor – ein Präsentationsmodell). RRV 1996: 38. Riksrevisionsverket: Konsekvensutredningar. En skrift om vad en statlig myndighet bör göra innan beslut fattas om nya eller ändrade föreskrifter och allmänna råd. (Rechnungshof: Folgenabschätzungen. Eine Schrift darüber, was eine staatliche Behörden machen sollte, bevor Beschlüsse über neue oder geänderte Vorschriften gefällt werden). RRV 1996: 41. Riksrevisionsverket: Det offentliga åtagandet. En antologi. (Rechnungshof: Die öffentliche Verpflichtung. Eine Antologie). RRV 1996: 50. Riksrevisionsverket: Förvaltningspolitik i förändring: En kartläggning och analys av regeringens styrning av statsförvaltningen. (Verwaltungspolitik in Veränderung: Eine Bestandsaufnahme und Analyse der politischen Steuerung der Staatsverwaltung). RRV 1998: 33. Riksrevisionsverket: RRVs årliga rapport 1998 till regeringen. (Rechnungshof: Jährlicher Bericht an die Regierung 1998). SEC (2008) 120. Impact Assessment Board: Report for the year 2007, Commission Staff Working Document. Brussels. Skr. 1999/2000: 148. Regeringens skrivelse. Regeringens redogörelse för regelförenklingsarbeitet med särskild inriktning på små företag. (Schreiben der Regierung. Bericht der Regierung über die Rechtsvereinfachungsarbeit mit besonderem Fokus auf kleine Unternehmen). Vom 25. Mai 2000. Skr. 2000/2001: 143. Regeringens skrivelse. Regeringens redogörelse för regelförenklingsarbetet med särskild inriktning på små företag. (Schreiben der Regierung. Bericht der Regierung über die Rechtsvereinfachungsarbeit mit besonderem Fokus auf kleine Unternehmen). Vom 14. Juni 2001. Skr. 2002/03: 8. Regeringens skrivelse. Regeringens redogörelse för regelförenklingsarbetet med särskild inriktning på små företag. (Schreiben der Regierung. Bericht der Regierung über die Rechtsvereinfachungsarbeit mit besonderem Fokus auf kleine Unternehmen). Vom 3. Oktober 2002. Skr. 2002/03: 103. Regeringens skrivelse. Kommittéberättelse 2003. (Schreiben der Regierung. Kommissionsbericht 2003). Vom 6. Februar 2003.
355
Skr. 2003/2004: 8. Regeringens skrivelse. Regeringens redogörelse för regelförenklingsarbetet med särskild inriktning på små företag. (Schreiben der Regierung. Bericht der Regierung über die Rechtsvereinfachungsarbeit mit besonderem Fokus auf kleine Unternehmen). o.D. Skr. 2003/04: 103. Regeringens skrivelse. Kommittéberättelse 2004. (Schreiben der Regierung. Kommissionsbericht 2004). 12.02.2004. Skr. 2004/05: 48. Regeringens skrivelse. Regeringens handlingsprogram för minskad administration för företagen m.m. (Schreiben der Regierung: Aktionsprogramm der Regierung zur Reduzierung administrativer Lasten für Unternehmen). 02.12.2004. Skr. 2004/05: 103. Regeringens skrivelse. Kommittéberättelse 2005. (Schreiben der Regierung. Kommissionsbericht 2005). 10.02.2005. Skr. 2005/06: 49. Regeringens skrivelse. Regeringens redogörelse för regelförbättringsarbetet. (Schreiben der Regierung. Bericht der Regierung über die Rechtsvereinfachungsarbeit). Vom 8. Dezember 2005. Skr. 2005/06: 103. Regeringens skrivelse. Kommittéberättelse 2006. (Schreiben der Regierung. Kommissionsbericht 2006). 09.02.2006. Skr. 2006/07: 103. Regeringens skrivelse. Kommittéberättelse 2007. (Schreiben der Regierung. Kommissionsbericht 2007). 08.02.2005. SOU 1985: 40. Regeringen, myndigheterna och myndigheternas ledning. Huvudbetänkande från Verksledningskommittén. (Die Regierung, die Behörden und die Leitung der Behörden. Hauptgutachten der Behördenleitungskommission). SOU 1990: 43. Förenklad statistikreglering. Med förslag till lag om den statliga statistikframställningen. Betänkande av statistikregelutredningen. (Vereinfachte Statistikregulierung. Mit einem Vorschlag zu einem Gesetz über die staatliche Statistikdarstellung. Gutachten der Statistikregulierungskommission). SOU 1990: 44.Maktutredningens huvudrapport. (Hauptreport der Machtkommission). SOU 1997: 186. Småföretagsdelegationen: Bättre och enklare regler, Småföretagsdelegationens rapport 1. (KU-Delegation: Bessere und einfachere Regulierungen, Erster Bericht der KU-Delegation). SOU 1998: 78. Småföretagsdelegationen: Regelförenkling för framtiden, Småföretagsdelegationens rapport 4. (KU-Delegation: Regulierungsvereinfachung für die Zukunft, Vierter Bericht der KU-Delegation). SOU 1998: 94. Småföretagsdelegationen: Förslagskatalog, Småföretagsdelegationens rapport 7. (KU-Delegation: Vorschlagskatalog, Siebter Bericht der KU-Delegation). SOU 1999: 121. Avkorporativisering och Lobbyism. (Entkorporatisierung und Lobbyismus). SOU 2004: 23. Utredningen om översyn av verksförordningen: Från verksförordning till myndighetsförordning. (Kommission zur Überprüfung der Werksverordnung: Von der Werksverordnung zur Behördenverordnung). Statistisches Bundesamt (2006): Handbuch der Bundesregierung zur Ermittlung und Reduzierung der durch bundesstaatliche Informationspflichten verursachten Bürokratielasten, Version 1. (August 2006).
356