Lars Dommermuth Wege ins Erwachsenenalter in Europa
Forschung Gesellschaft
Lars Dommermuth
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Lars Dommermuth Wege ins Erwachsenenalter in Europa
Forschung Gesellschaft
Lars Dommermuth
Wege ins Erwachsenenalter in Europa Italien, Westdeutschland und Schweden im Vergleich
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen | Bettina Endres Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15434-3
Danksagung
Die vorliegende soziologische Studie wurde 2006 bei der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vorgelegt und als Dissertation angenommen. Während der Arbeit an der Dissertation wurde ich von einer Vielzahl an Einzelpersonen, mehreren Arbeitsgruppen und verschiedenen Institutionen unterstützt, bei denen ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bedanke. Die fachlichen Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen in Münster, Konstanz, Zürich und Oslo waren eine große Hilfe bei der Umsetzung der Untersuchung. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem meinem Doktorvater Professor Wolfgang Lauterbach für die konstruktive und produktive Zusammenarbeit danken. Er hatte stets Zeit für mein Anliegen und so die Entwicklung meiner wissenschaftlichen Arbeit maßgeblich gefördert. Auch mit Judith Glaesser konnte ich meine Arbeit laufend diskutieren und erhielt von ihr viele wertvolle Rückmeldungen. Darüber hinaus gilt auch Professor Werner Georg mein Dank für die fachliche Betreuung der Dissertation. Von der Westfälischen Wilhemls-Universität Münster erhielt ich ein zweijähriges Promotionsstipendium, welches die Dissertation erst ermöglich hat. Die United Nations Economic Commission for Europe und Statistics Sweden stellten die verwendeten Daten des Fertility and Family Surveys zur Verfügung. Bei der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg bedanke ich mich herzlich für einen Druckkostenzuschuss. Darüber hinaus gebührt mein Dank meiner Familie und all meinen Freunden, die mich bei meinem persönlichen Übergang in das Erwachsenenalter begleitet und in jeder Form unterstützt haben. Gewidmet ist dieses Buch Birgitte und Maike. Oberteuringen im Juli 2007 Lars Dommermuth
5
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................ 11 Tabellenverzeichnis ............................................................................................. 13
1
Einführung ............................................................................................... 15
2
Zwischen Jugend und Erwachsenenalter .............................................. 21
3
2.1 Der Lebenslauf als Institution ............................................................. 2.1.1 Standardisierung und Normallebenslauf ................................... 2.1.2 Die Einbettung des Lebensverlaufes ......................................... 2.1.3 Destandardisierung des Lebensverlaufes ..................................
21 23 27 30
2.2 Die Einmündung in das Erwachsenenalter ......................................... 2.2.1 Nicht-soziologische Perspektiven auf den Übergang in das Erwachsenenalter ....................................................................... 2.2.2 Klassische soziologische Definition von Jugendlichen und Erwachsenen .............................................................................. 2.2.3 Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene ..................... 2.2.4 Normative Muster beim Übergang in das Erwachsenenalter .... 2.2.5 Kerndimensionen der Lebensverlaufanalyse und Einbettung der Übergangsphase ...................................................................
31 33 35 37 48 52
Die sozialstaatlichen Rahmenbedingungen beim Weg in das Erwachsenenalter in Italien, Westdeutschland und Schweden ........... 57 3.1
Die europäischen Wohlfahrtssysteme im Überblick ........................... 57
3.2
Wohlfahrtsstaaten und der Weg in das Erwachsenenalter .................. 64
7
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6
4
Die allgemeine Struktur des Wohlfahrtsstaates und der Übergang ins Erwachsenenalter ................................................ Die Struktur des Arbeitsmarktes ............................................... Die Familien- und Jugendpolitik ............................................... Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die jungen Erwachsenen .............................................................................. Geschlechterunterschiede und Wohlfahrtsstaatsregime ............ Fazit: Der Institutionelle Kontext und die Übergangsmuster in das Erwachsenenalter ............................................................
76 77 81
Der Einfluss individueller Ressourcen und sozialer Merkmale auf den Übergang in das Erwachsenenalter .......................................... 85 4.1
Der ökonomische Verselbständigungsprozess .................................... 86
4.2 Der soziale Verselbständigungsprozess .............................................. 4.2.1 Der Auszug aus dem Elternhaus ................................................ 4.2.2 Die Partnerschaftsbildung .......................................................... 4.2.3 Die Familiengründung ...............................................................
5
65 67 74
88 88 91 94
Aufbau der empirischen Studie .............................................................. 99 5.1
Institutionelle Rahmenbedingungen, Destandardisierung und individuelle Merkmale: Drei Ebenen die den Weg in das Erwachsenenalter prägen .................................................................... 99 5.1.1 Institutionellen Rahmenbedingungen und der Übergang ins Erwachsenenalter ............................................................... 100 5.1.2 Destandardisierung der Übergangsverläufe ............................ 102 5.1.3 Der Einfluss individueller Merkmale auf den Weg ins Erwachsenenalter ..................................................................... 104
5.2 Der Fertility and Family Survey ....................................................... 105 5.2.1 Konstruktion der abhängigen Variablen .................................. 110 5.2.2 Konstruktion der unabhängigen Variablen .............................. 115
8
5.3
Statistische Methoden ....................................................................... 119
5.4
Aufbau der empirischen Studie ......................................................... 124
6
Der Weg in das Erwachsenenalter in Westdeutschland, Italien und Schweden ......................................................................................... 127 6.1 Die erste Arbeitserfahrung ................................................................ 6.1.1 Das Alter bei der ökonomischen Verselbständigung .............. 6.1.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf den ökonomischen Verselbständigungsprozess ...................................................... 6.1.3 Fazit zum Übergang in das Erwerbsleben ...............................
127 127 132 138
6.2 Der Auszug aus dem Elternhaus ....................................................... 6.2.1 Das Alter beim Auszug aus dem Elternhaus ........................... 6.2.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Auszugsalter ...... 6.2.3 Zusammenfassung zum Auszug aus dem Elternhaus ..............
139 139 143 152
6.3 Die Partnerschaftsbildung ................................................................. 6.3.1 Das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung .... 6.3.2 Alter bei der Erstheirat ............................................................ 6.3.3 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung ................................. 6.3.4 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der Erstheirat ............................................................................ 6.3.5 Fazit zur Partnerschaftsbildung ...............................................
153 154 158
6.4 Die Familiengründung ....................................................................... 6.4.1 Alter bei der Geburt des ersten Kindes .................................... 6.4.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der Geburt des ersten Kindes ................................................... 6.4.3 Zusammenfassung zum Übergang in die Elternschaft ............
179 179
6.5 Die Dauer des sozialen Verselbständigungsprozesses ...................... 6.5.1 Die Dauer zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der Partnerschaftsbildung ................................................. 6.5.2 Die Dauer zwischen der Haushaltsgründung und der Erstheirat .................................................................................. 6.5.3 Die Dauer zwischen Auszug aus dem Elternhaus und Geburt des ersten Kindes ......................................................... 6.5.4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zur Dauer zwischen den Ereignissen ........................................................
194
162 168 178
183 190
195 200 205 209
9
6.6 Phasen und Übergangsmuster ........................................................... 6.6.1 Die Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter ............... 6.6.2 Die Reihenfolge der Übergangsereignisse .............................. 6.6.3 Fazit zur Reihenfolge der Ereignisse .......................................
210 211 218 225
Wege ins Erwachsenenalter in Europa ................................................ 229
7
7.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ................................. 7.1.1 Der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf den Weg ins Erwachsenenalter ................................................ 7.1.2 Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter ..................................................................... 7.1.3 Der Einfluss individueller Merkmale auf den Weg ins Erwachsenenalter in Europa .................................................... 7.2
229 230 233 235
Die Lage der jungen Erwachsenen in Europa ................................... 240
Literaturverzeichnis ......................................................................................... 247
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23:
Definition von Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen ......................................................................... 39 Normative Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter .................................................................. 51 Schul - und Berufsausbildungen in Europa .......................... 68 Allgemeine Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit von 1964 bis 1995 ................................................................. 72 Durchschnittsalter bei der Erstheirat .................................... 92 Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes ................................................................................... 95 Entwicklung der Fertilitätsrate zwischen 1960 und 1994 .... 96 Status und Reihenfolge der Übergangsereignisse für Männer ................................................................................ 113 Status und Reihenfolge der Übergangsereignisse für Frauen ................................................................................. 114 Survivor-Funktion: Alter bei der ersten Arbeitserfahrung ................................................................. 129 Survivor-Funktion: Alter beim Auszug aus dem Elternhaus ........................................................................... 141 Survivor-Funktion: Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung ............................................................. 155 Survivor-Funktion: Alter bei der ersten Eheschließung ..... 159 Survivor-Funktion: Alter bei der Geburt des ersten Kindes ................................................................................. 182 Kumulative Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen Auszug und erster gemeinsamer Haushaltsgründung ......... 196 Kumulative-Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat ............... 202 Kumulative-Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen Auszug und Elternschaft ..................................................... 206 Survivor-Funktionen der westdeutschen Frauen ................ 212 Survivor-Funktionen der westdeutschen Männer ............... 213 Survivor-Funktionen der italienischen Frauen ................... 214 Survivor-Funktionen der italienischen Männer .................. 215 Survivor-Funktionen der schwedischen Frauen ................. 216 Survivor-Funktionen der schwedischen Männer ................ 217
11
Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27:
12
Status im Übergangsprozess und Reihenfolge der Ereignisse, Männer ............................................................. Status im Übergangsprozess und Reihenfolge der Ereignisse, Frauen ............................................................... Reihenfolge der Ereignisse Heirat und Elternschaft ........... Anteil unehelich geborener Kinder nach Kohortengruppen ................................................................
219 221 223 224
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22:
Die Dreiteilung des Lebensverlaufes ......................................... 23 Typologie sozialer Lebensereignisse ......................................... 24 Auswahl gesetzlicher Altersnormen in der Bundesrepublik Deutschland ............................................................................... 34 Wohlfahrtsstaatliche Regime nach Esping-Andersen ............... 59 Wohlfahrtsstaatliche Regime nach Ferrera und Bonoli ............ 62 Ausgaben für Sozialleistungen in ausgewählten Bereichen als Anteil aller Ausgaben für Sozialleistungen 1990 (in Prozent) .. 67 Haupteinkommensquellen von jungen Erwachsenen 1997 (in %) ................................................................................ 77 Entwicklung der Erwerbsquote in Westdeutschland, Italien und Schweden ............................................................................ 80 Altersmedian beim Auszug aus dem Elternhaus (Geburtskohorten um 1960) ....................................................... 88 Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften ...................... 91 Stichprobengröße nach Kohorten und Anteil der Frauen ........ 108 Die nationalen Fragebögen im Vergleich zum FFS-Standardinstrument .......................................................... 109 Beispiel für ein Interaktionsmodell ......................................... 123 Anteil ohne Erwerbstätigkeit beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand ................................................................. 128 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten Arbeitserfahrung, Frauen, exp(E) ............................................ 133 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten Arbeitserfahrung, Männer, exp(E) ........................................... 134 Anteil ohne Auszug beim Interview, Altersmedian, Quartilsabstand ........................................................................ 139 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter beim Auszug aus dem Elternhaus, Frauen, exp(E) ...................................................... 143 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter beim Auszug aus dem Elternhaus, Männer, exp(E) ..................................................... 145 Anteil ohne gemeinsame Haushaltsgründung beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand ........................................... 154 Altersmedian bei der ersten gem. Haushaltsgründung nach ECHP ....................................................................................... 154 Anteil unverheirateter Personen beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand ........................................... 158 13
Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40:
14
Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter beim der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung, Frauen, exp(E) ................. 162 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung, Männer, exp(E) ................ 164 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter beim der Erstheirat, Frauen, exp(E) .......................................................................... 169 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der Erstheirat, Männer, exp(E) ........................................................................ 171 Anteil ohne Elternschaft, Altersmedian und Quartilsabstand bei Geburt des ersten Kindes ................................................... 180 Altersmedian bei der Geburt des ersten Kindes nach ECHP .... 181 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Frauen, exp(E) .................................................. 184 Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Männer, exp(E) ................................................ 186 Einstellungen zu Familie und Kinder (bei 20 – 39jährige Personen) .................................................. 192 Dauer zwischen Auszug und Haushaltsgründung. Anteil ohne gemeinsamen Haushalt, Quartile .................................... 195 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und gemeinsamer Haushaltsgründung, Frauen, exp(E) ........... 198 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und gemeinsamer Haushaltsgründung, Männer, exp(E) .......... 199 Dauer zwischen Haushaltsgründung und Heirat: Anteil ohne Heirat (nach Haushaltsgründung), Quartile (in Monaten) ....... 201 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat, Frauen, exp(E) ................. 203 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat, Männer, exp(E) ............... 203 Dauer zwischen Auszug und Elternschaft: Anteil ohne Kinder (nach Auszug), Quartile (in Monaten) ......................... 205 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und Elternschaft, Frauen, exp(E) ............................................. 207 Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und Elternschaft, Männer, exp(E) ............................................ 208
1 Einführung
Der Übergang in das Erwachsenenalter ist für die individuelle Biografie von herausragender Bedeutung, da in dieser Zeit eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen werden, die sich nachhaltig auf den weiteren Lebenslauf auswirken. Die Jugendlichen stehen vor der Aufgabe, sich als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft zu integrieren und die eigene Identitätsbildung abzuschließen. Die Einmündung in das Erwachsenenalter setzt sich aus den zwei Teilprozessen der sozialen und ökonomischen Verselbständigung zusammen, die anhand mehrerer Ereignisse nachgezeichnet werden können. Eine substantielle Verlängerung der Jugendphase oder eine Verzögerung einzelner Übergangsereignisse hat langfristige und zumeist negative Folgen für den weiteren Lebensverlauf. Beispielsweise kann in der beruflichen Karriere ein verspäteter Einstieg in den Arbeitsmarkt nur unter Umständen wieder aufgeholt werden, während die Elternschaft allein aufgrund biologischer Gründe nicht endlos aufgeschoben werden kann. Nicht nur für die Jugendlichen selbst ist der anstehende Wechsel in den Erwachsenenstatus eine wichtige Lebensphase. Welchen Weg sie dabei einschlagen, hat auch eine hohe Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Mit ihren Entscheidungen beeinflussen sie unter anderem die langfristige Entwicklung der Erwerbsquote und der Fertilitätsrate, zwei wichtige Indikatoren über den Zustand der Bevölkerung, die sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion hohe Beachtung finden. Aufgrund ihrer großen Bedeutung ist diese Übergangsphase in den letzten Jahrzehnten auch in der soziologischen und demografischen Forschung wichtiger geworden. Dennoch weist die deutschsprachige und internationale Literatur nach wie vor einige Lücken auf. Es sind in erster Linie demografisch geprägte Sammelbände, welche die Entwicklung von einzelnen Übergangsereignissen in verschiedenen Ländern darstellen. Eine Verbindung mit sozialen Merkmalen auf individueller Ebene findet dort meist nicht statt. In soziologischen Arbeiten werden dagegen häufig nur Teilaspekte des Übergangsprozesses in das Erwachsenenalter näher beleuchtet und nur selten wird ein systematischer internationaler Vergleich vorgenommen. Die vorliegende empirische Untersuchung, in der der gesamte Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter in Italien, Westdeutschland und Schweden verglichen wird, hat das Ziel, diese Forschungslücke zu schließen. 15
Der Lebensverlauf oder dessen Teilprozesse entstehen aus dem Zusammenspiel zwischen persönlichem Potential und sozialer Gelegenheitsstruktur (Kerckhoff 1990: 1). Um die Bedeutung des sozialen Kontextes für die individuelle Biografie deutlich zu machen, empfiehlt sich auch bei der Untersuchung des Übergangs vom Jugendlichen zum Erwachsenen ein international vergleichender Forschungsansatz. Je nach Gesellschaft werden den Individuen andere Möglichkeiten geboten oder Zwänge auferlegt. Beim Weg in das Erwachsenenalter sind es in erster Linie die sozialstaatlichen Rahmenbedingungen, die die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen definieren. Individuellen Ressourcen und Wertemuster beeinflussen die Wahl unter diesen Optionen. Die hier ausgewählten drei Länder repräsentieren die wichtigsten europäischen wohlfahrtsstaatlichen Systeme. Damit kann auf der einen Seite bestimmt werden, welche sozialstaatlichen Leistungen die Jugendlichen bei den ihnen bevorstehenden Entwicklungsaufgaben sinnvoll unterstützen und ihnen einen problemlosen Übergang in den Erwachsenenstatus ermöglichen. Auf der anderen Seite kann anhand der individuellen sozialen Merkmale untersucht werden, ob es bestimmte Gruppen gibt, für die diese Übergangsphase besonders problematisch ist. Insgesamt wird damit ein genaues Bild über die Lage der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Europa gezeichnet. Im Mittelpunkt der Analyse stehen fünf Ereignisse, die den Übergang in das Erwachsenenalter markieren: der Berufseinstieg, der Auszug aus dem Elternhaus, die erste gemeinsame Haushaltsgründung mit einem Partner, die Heirat und die Geburt des ersten Kindes. Es werden sowohl die Prävalenz, als auch der Zeitpunkt und die Sequenz dieser Ereignisse untersucht. Dabei kann der Einfluss von unabhängigen Faktoren auf diese Prozesse überprüft und der Wandel in den Verlaufsmustern analysiert werden. Die Frage nach der Entwicklung des Übergangsprozesses stellt dabei einen wichtigen Teil der Studie dar, da dies sowohl Folgen für die demografische Entwicklung als auch für die individuellen Lebensverläufe hat. Sowohl die Individualisierungsthese als auch das Konzept der Destandardisierung gehen davon aus, dass die Relevanz von Altersnormen abnimmt und verschiedene Statuswechsel nicht mehr entlang einer normativen Reihenfolge ablaufen müssen. Anhand des Alters bei den einzelnen Übergangsereignissen wird untersucht, inwiefern der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter einem derartigen Wandel unterworfen ist. Junge Erwachsene sind derartigen gesellschaftlichen Veränderungen besonders stark ausgesetzt. Kinder und Jugendliche sind in die Familie und das Bildungssystem integriert und dadurch geschützt. Erwachsene haben sich bereits in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen etablieret, während junge Erwachsenen erst vor dieser Aufgabe stehen. Sie tragen damit das Risiko, dass sie beispielsweise auf Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt als 16
Erste flexibel reagieren müssen. Gleichzeitig haben sie die Chance, neue Lebensformen zu erproben. Insofern ist diese Gruppe eine Art Seismograph für den Wandel im Lebensverlauf, wobei diese Veränderungen sich im Laufe der Zeit auch auf andere Altersklassen übertragen (Mills et al. 2005: 2, Rosenfeld 2006). Obgleich die demografischen Veränderungen (z.B. beim Heiratsalter oder der Geburtenrate) in den meisten modernen Industrienationen in die gleiche Richtung gehen, können nach wie vor starke Länderunterschiede beobachtet werden. Der Einfluss wohlfahrtsstaatlicher Rahmenbedingungen auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter stellt daher einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchung dar. Ein europäischer Vergleich ist in diesem Zusammenhang aus mehreren Gründen besonders interessant. Einerseits sind die Ausgangsbedingungen in den europäischen Ländern sehr ähnlich. Es gibt nur geringe Unterschiede bei der durchschnittlichen Lebenserwartung und den allgemeinen Lebensbedingungen. Auch die Ausgangsbedingungen für den Einmündungsprozess in das Erwachsenenalter sind gleich: Mit sechzehn Jahren besuchen praktisch alle Jugendlichen in Europa eine Bildungseinrichtung, gehen keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach, wohnen bei den Eltern, sind nicht verheiratet und haben keine Kinder (Cook et al. 2002: 258). Andererseits entwickeln sich trotz dieser Gemeinsamkeiten die Lebensverläufe in den folgenden Jahrzehnten je nach Land sehr unterschiedlich, was sich unter anderem in den unterschiedlichen Erwerbsquoten oder Fertilitätsraten ausdrückt. Daneben können innerhalb Europas starke Unterschiede in der Arbeitsmarktpolitik und -lage, bei den Sozialleistungen, der Familienunterstützung und der damit in Verbindung stehenden Zuweisung von spezifischen Geschlechterrollen beobachtet werden (Vogel 2002: 276). Anhand des Vergleichs mehrerer europäischer Staaten können so nicht nur die Unterschiede in den Verlaufsmustern beim Übergang in das Erwachsenenalter beschrieben, sondern auch die Wirkung von makrostrukturellen Rahmenbedingungen auf diesen Prozess beurteilt werden. Vor dem Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses besteht dabei die Chance, dass die einzelnen Länder wirksame sozialpolitische Instrumente, die sich in anderen Staaten bewährt haben, aufgreifen und selbst zum Einsatz bringen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welchen Einfluss individuelle soziale Merkmale auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter haben. Dabei spielen sowohl die zur Verfügung stehenden Ressourcen als auch der familiäre Hintergrund und die persönlichen Wertemuster eine Rolle. In diesem Zusammenhang kann untersucht werden, ob für einzelne Gruppen der Übergang in das Erwachsenenalter besonders schwierig ist. Da ein genaues Bild der Einmündungsverläufe in Italien, Schweden und Westdeutschland gezeichnet werden soll, stützt sich die Analyse auf repräsentative Daten des Fertility and Family Surveys (FFS), der Anfang der 1990er 17
Jahre unter Federführung der United Nations Economic Commission for Europe durchgeführt wurde und in dem verschiedene Kohortengruppen berücksichtigt wurden. Auf Basis der hier ausgewählten Geburtskohorten kann die Entwicklung des Übergangsprozesses für den Zeitraum von Ende der 1960er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre nachgezeichnet werden. Als Ausgangspunkt für die Erhebung in den verschiedenen Ländern diente ein Standardfragebogen. Damit eignen sich die Datensätze des Fertility and Family Surveys besonders gut für einen internationalen Vergleich. An dieser Stelle soll noch ein kurzer Überblick über die folgenden Kapitel gegeben werden. In den Kapiteln zwei bis vier werden die theoretischen Grundlagen für die empirische Studie gelegt, deren Fragestellung und Aufbau im fünften Kapitel präzisiert werden. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der eigenen Untersuchung präsentiert und analysiert. Das siebte Kapitel fasst die wichtigsten Befunde zusammen und gibt einen kurzen Ausblick. Im folgenden zweiten Kapitel ein soziologisches Konzept zur Analyse des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter entwickelt. Um die Bedeutung dieser Übergangsphase einordnen zu können, werden zunächst die wichtigsten Elemente der soziologischen Lebenslaufforschung vorgestellt. In diesem Zusammenhang wird unter anderem die Bedeutung von Altersnormen erläutert und die Funktionen des sogenannten „Normallebenslaufes“ zusammengefasst. Die verschiedenen Elemente der soziologischen Lebenslaufforschung finden auch Eingang bei der Definition des Einmündungsverlaufs in das Erwachsenenalter im zweiten Teil des Kapitels. Schließlich werden aktuelle Veränderungen im Lebenslauf und in der Übergangsphase diskutiert und Maßstäbe entwickelt, wie diese in einer empirischen Analyse erfasst werden können. Im dritten Kapitel werden die Kriterien für den europäischen Vergleich entwickelt. Zunächst wird ein Überblick über die Theorie der Wohlfahrtsstaaten gegeben und vier verschiedene wohlfahrtsstaatliche Regime definiert, von denen drei in Europa besonders stark vertreten sind. Schweden wird dabei als Repräsentant des sozialdemokratischen Modells ausgewählt, während Westdeutschland das kontinentale, konservative Sozialstaatsmodell vertritt und Italien ein typisches Land innerhalb der südeuropäischen Wohlfahrtsstaaten mit vergleichsweise geringen Sozialleistungen ist. Anschließend werden im Hinblick auf den Forschungsgegenstand, die wichtigsten Unterschiede zwischen den drei Wohlfahrtsmodellen und Ländern erläutert. Während im dritten Kapitel verschiedene makrostrukturelle Einflussfaktoren auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter diskutiert werden, widmet sich das vierte Kapitel der Bedeutung von individuellen sozialen Merkmalen für die Übergangsphase. Dabei werden sowohl theoretische Konzepte als auch Ergebnisse anderer empirischer Studien herangezogen. Das Kapitel bietet 18
damit auch einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema. Im fünften Kapitel werden die Grundlagen für die eigene empirische Studie näher vorgestellt. Die verwendeten Daten des Fertility and Family Surveys und die daraus gezogene Stichprobe werden beschrieben und deren Vergleichbarkeit diskutiert. Dies wird auch bei der anschließenden Operationalisierung der unabhängigen und abhängigen Variablen berücksichtigt. Die verwendeten statistischen Methoden werden ebenfalls kurz erläutert. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Analyse vorgestellt und diskutiert. Das Kapitel besteht aus sechs Abschnitten, wobei sich der Aufbau am Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter orientiert. Zunächst werden die einzelnen Übergangsereignisse analysiert, dann der Zusammenhang zwischen einzelnen Statusveränderungen und abschließend der gesamte Einmündungsverlauf. Im siebten Kapitel werden die wichtigsten Befunde der empirischen Studie zusammengefasst und vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen diskutiert. Abschließend wird ein Überblick über die Lage der jungen Erwachsenen in den drei ausgewählten Ländern gegeben.
19
2 Zwischen Jugend und Erwachsenenalter
Der Übergang von der Jugend in das Erwachsenenalter ist ein Abschnitt im Lebenslauf. Um ein besseres Verständnis für diese spezifische Statuspassage zu bekommen, ist es notwendig, die Bedeutung und Funktion des gesamten Lebenslaufes zu verstehen. Aus diesem Grund werden im ersten Teil dieses Kapitels die für diese Arbeit wichtigsten Elemente der soziologischen Lebenslaufforschung kurz diskutiert. An erster Stelle steht dabei der von Martin Kohli geprägte Terminus des „Lebenslaufs als Institution“. Damit verbunden ist die Vorstellung eines sogenannten „Normallebenslaufes“, der auf Altersnormen und ausgewählten Ereignissen basiert. Zunächst wird diskutiert, welche Funktionen ein solch normierter Lebenslauf hat. Anschließen wird dieses Konzept auf den in dieser Studie untersuchten Lebensabschnitt, dem Übergang in das Erwachsenenalter, übertragen.
2.1 Der Lebenslauf als Institution Eine der einflussreichsten Konzepte in der Lebenslaufforschung der letzten Jahrzehnte stellt Martin Kohlis These der „Institutionalisierung von Lebensverläufen“ dar (Kohli 1985). Der Lebensverlauf ist demnach keine persönliche, individuelle Größe, sondern eine soziale Tatsache, die im Sinne Durkheims durch andere soziale Tatsachen erklärt wird.1 Er wird durch andere Institutionen (Schule, Beruf, gesetzliche Altersnormen, etc.) dirigiert und das Individuum ist bei der Gestaltung seines Lebenslaufes in einen engen gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Das bedeutet, dass bei der Lebensverlaufforschung nicht individuelle Biografien, sondern kollektive Erfahrungen von Lebensbereichen und Ereignissen im Vordergrund stehen. Sie verdichten sich in Lebensverlaufmuster, die aus dem „Zusammenspiel von gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen sowie individuellem Handeln“ entstehen (Lauterbach 2004: 63). Mit diesen Mustern bietet die Institution des Lebenslaufes den einzelnen Gesellschaftsmit1 „Biographische Abläufe soziologisch betrachten heißt, Biographien als faits sociaux, d.h. als soziale Tatsachen im Sinne Durkheims anzusehen; das bedeutet, nach typischen Verlaufsmustern, ihren Institutionalisierungsformen und deren sozialen Determinanten zu forschen.“ (Levy 1977: 6)
21
gliedern Sicherheit und Entlastung: Es wird eine gesicherte Lebensspanne mit zeitlich geordneten Lebensereignissen definiert, auf die der Einzelne bei seiner Lebensplanung zurückgreifen kann. Die Institutionalisierung des Lebenslaufs kann nach Kohli im Wesentlichen auf drei Entwicklungen zurückgeführt werden: Erstens auf die fortschreitende Chronologisierung des Lebenslaufs, zweitens auf die Entstehung des sogenannten Familienzyklus und drittens auf die Konstitution von Altersklassen (Kohli 1985). Die Chronologisierung des Lebenslaufs ergibt sich aus der Verbesserung der durchschnittlichen Lebenserwartung. In der vormodernen Zeit war der Tod ein Ereignis, welches in jedem Alter eintreten konnte. Der Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens und die Verbesserung der Ernährungslage seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bewirkt, dass sich das Sterberisiko immer mehr auf das hohe Alter konzentriert und die durchschnittliche Lebenserwartung kontinuierlich ansteigt.2 Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf die Altersstruktur der Gesellschaft aus, sondern hat auch zu einem neuen Verständnis des Lebenslaufs geführt. Durch die „statistische Gewissheit“, dass man erst im hohem Alter stirbt, eröffnet sich eine andere Lebensperspektive, als wenn der Tod zu jedem Zeitpunkt erwartet werden muss; es ist möglich und erscheint sinnvoll, einen chronologischen Lebensplan zu entwerfen. Ein wichtiger Teil in diesem Lebensplan ist der moderne Familienzyklus, in dem die zentralen familialen Ereignisse im Lebensverlauf angeordnet werden. Die Partnerschaftsbildung und Heirat markiert die Gründungsphase, und mit der Geburt der Kinder wird die Familie erweitert. Mit dem Auszug der Kinder wird sie wieder kleiner und durch den Tod eines Partners wird die Auflösungsphase eingeläutet (Lauterbach 2004: 53). Dabei wird eine normative Reihenfolge von verschiedenen Lebensereignissen unterstellt. Kohli fasst den typischen Ablauf für Frauen folgendermaßen zusammen: „heiraten, Kinder haben, bis zum Alter von mindestens 55 Jahren zusammen mit dem Ehemann überleben“ (Kohli 1985: 7). Die Konstitution von Altersklassen wurde in den modernen Gesellschaften durch das öffentliche Recht entscheidend vorangetrieben. Darin werden allgemein verbindliche Altersgrenzen für Rechte und Pflichten definiert, wie beispielsweise das Wahlrecht, die Strafmündigkeit, die Wehrpflicht, die Ehemündigkeit, die Volljährigkeit oder das Rentenalter. An diesen Altersgrenzen orientiert sich auch die Unterteilung des Lebenslaufes in Lebensphasen, denen spezifische Tätigkeiten und Entwicklungsaufgaben zugeschrieben werden. Daraus ergibt sich ein immer genauerer Zeitplan für den individuellen Lebenslauf. Das 2 Eine Übersicht zur Entwicklung der Sterblichkeit in Deutschland und im internationalen Vergleich findet sich beispielsweise bei Lauterbach (2004: 18ff.).
22
bedeutet, dass sich aus der Institutionalisierung auch eine Standardisierung des Lebenslaufes ableitet.
2.1.1 Standardisierung und Normallebenslauf Nach Kohli (1985) ist es in den modernen Industrienationen in erster Linie der Status im Erwerbssystem, der zu einer Standardisierung des Lebenslaufes führt. Er hebt diesen Punkt hervor, da er der Meinung ist, dass erst mit dem modernen Arbeitsmarkt die Arbeiter aus den „ständischen und lokalen Bindungen“ herausgelöst wurden (Kohli 1988: 38). Auf dieser Grundlage kann sich ein standardisierter Normallebenslauf aus drei Teilen entwickeln, der über Schicht- und Klassengrenzen hinweg eine Gültigkeit für die gesamte Gesellschaft hat (vgl. Tabelle 1). Die drei Lebensphasen fallen dabei mit verschiedenen Stellungen im Erwerbssystem zusammen. Tabelle 1: Die Dreiteilung des Lebensverlaufes Lebensphase Kindheit / Jugend
Inhalt Vorbereitungsphase
Erwachsenenalter Alter
Aktivitätsphase Ruhephase
Hauptinstitution Schule und Ausbildung Beruf Rente / Pension
Quelle: nach Kohli 1985.
Die Schule und die Ausbildung während der Kindheit und Jugend dienen als Vorbereitung für die Berufstätigkeit. Das Erwachsenenalter ist durch die Erwerbstätigkeit gekennzeichnet. Mit dem Ende der Berufstätigkeit beginnt die Phase des Ruhestands.3 In Kohlis Modell wird der Übergang von einer Lebensphase in die nächste mit bestimmten Statusveränderungen verbunden. Integriert man in dieses Konzept weitere Statusveränderungen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, kann daraus ein umfassenderes Modell eines Normallebenslaufes entwickelt werden. Eine solch erweiterte Perspektive bietet beispielsweise Hoerning (1987). Sie unterscheidet Lebensereignisse danach, ob sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im eigenen Lebenslauf auftreten und ob sie vom Lebensalter abhängig sind. 3
Indem sich Kohli sein Konzept auf der Stellung im Erwerbssystem aufbaut, schließt er allerdings den für Frauen traditionellen Lebensverlauf teilweise aus, in welchem die Geburt und die Erziehung der Kinder eine zentrale Rolle spielen. Auf dieses Problem wird weiter unten noch ausführlich hingewiesen.
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Daraus ergibt sich eine Typologie von sozialen Lebensereignissen mit vier Kategorien (vgl. Tabelle 2). Die Normalbiografie basiert allein auf Statusveränderungen, die sowohl Altersnormen unterliegen als auch eine hohe Prävalenz besitzen (Hoerning 1987: 244f). Tabelle 2: Typologie sozialer Lebensereignisse Erfahrungen, die viele Menschen machen4 Hohe WahrscheinlichNiedrige Wahrscheinkeit des Auftretens lichkeit des Auftretens - KinderlähmungsStarke AbhängigNormalbiografie: keit vom Lebens- Schulische Ausbildung epedemie alter - Berufseintritt - Berufskarriere - Heirat - Elternschaft - Großelternschaft - Pensionierung - Krieg Schwache Ab- Scheidung - Massenarbeitslosigkeit hängigkeit vom - Ungewollte Eltern- Auswanderung Lebensalter schaft - Rationalisierung am Arbeitsplatz Quelle: Hoerning 1987: 245, gekürzt.
Es gibt demnach Ereignisse, die nur innerhalb einer bestimmten Lebensspanne erlebt werden (z.B. Kinderlähmung). Daneben können vor allem Entwicklungen auf der Makroebene dazu führen, dass sehr viele Gesellschaftsmitglieder, unabhängig vom Lebensalter, starke Einschnitte in ihrem Leben erfahren (z.B. Krieg oder Massenarbeitslosigkeit). Bei beiden Typen ist aber die Wahrscheinlichkeit des Auftretens relativ gering. Des Weiteren gibt es Ereignisse, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten können, aber weniger stark vom Lebensalter abhängig sind und keinen Altersnormen unterliegen (beispielsweise Veränderungen am Arbeitsplatz). Diese drei Gruppen von sozialen Lebensereignissen spielen für die Konstruktion des Normallebenslaufes keine Rolle. Dieser stützt sich einzig auf Ereignisse, die sowohl mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten als 4 Sie erwähnt auch Ereignisse, die von wenigen Menschen erlebt werden: „Übernahme des elterlichen Geschäfts, Hausmannrolle, Straffälligkeit oder Berufswechsel“ (Hoerning 1987: 245). Allerdings spielen diese für die Konstruktion des Normallebenslaufes keine Rolle.
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auch an ein bestimmtes Alter gebunden sind. Neben den schon von Kohli beachteten Statusveränderungen im Erwerbssystem (Schulbildung, Berufseinstieg, Pensionierung), zählt Hoerning dazu auch wichtige Ereignisse der Partnerschafts- und Familienbildung (Heirat, Elternschaft, Großelternschaft). Die Abhängigkeit vom Lebensalter bei diesen Ereignissen ist ein wichtiges Kriterium, das die Bedeutung von Altersnormen für die kollektive und individuelle Konstruktion des Lebenslaufes unterstreicht. Da diese Altersnormen einem stetigen Wandel unterliegen und sich auch je nach Gesellschaft unterscheiden können, werden in theoretischen Modellen keine konkreten Altersangaben gemacht. Zwei Indikatoren zeigen die Relevanz der Alternsnormen und des Normallebenslaufes deutlich auf: Erstens das Vorhandensein dieser Altersnormen und deren gesellschaftliche Umsetzung selbst und zweitens die sich aus diesen Normen ergebenden sozialen Handlungen der Gesellschaftsmitglieder. Altersnormen können dabei als Empfehlungen oder Verbote definiert werden, die bestimmen ob ein Verhalten in einem bestimmten Alter angemessen ist oder nicht. Die Normen werden durch einen Konsens (oder Kollektivbewusstsein) gestützt und mit Hilfe sozialer Kontrolle und spezifischer Sanktionen durchgesetzt. Gesetzlich definierte Altersgrenzen sind das deutlichste Beispiel für Altersnormen. Es gibt eine ganze Reihe von gesetzlichen Regelungen, die an das Lebensalter gebunden sind.5 Aus Sicht des Gesetzgebers und der ausführenden Verwaltungsorgane haben diese altersgebundenen Vorschriften den Vorteil, dass sie genaue Grenzen ziehen, die eine eindeutige „entweder – oder“ Entscheidung ermöglichen und so bürokratisch, rational umgesetzt werden können. Das führt unter anderem dazu, dass von staatlicher Seite aus Fürsorgeleistungen beziehungsweise deren Empfänger - nach Altersgruppen (beispielsweise Kinder und Jugendliche oder Rentnern) aufgeteilt werden. Von Beginn an arbeiteten die modernen Sozialstaaten mit derartigen Altersnormen und -klassen: Age groups – and not poor as such – were the first modern 'welfare classes' in European welfare states, namely children (first major prohibition of child work in Britain 1833, in Prussia/Germany 1842) and the elderly (Bismarckian old-age pensions in 1889). (Leisering 2003: 209)
Neben diesen explizit definierten Normen gibt es eine ganze Reihe von impliziten, nicht festgeschriebenen Altersnormen, an denen sich dennoch ein Großteil der Gesellschaftsmitglieder orientiert. In ihrer Studie haben Neugarten et al. (1978) unter anderem danach gefragt, welches Alter in der Gesellschaft als ideal 5 Siehe auch Tabelle 3 zu gesetzlichen Altersnormen beim Übergang in das Erwachsenenalter in Deutschland.
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für die Eheschließung, die Familiengründung und den Karrierehöhepunkt angesehen wird. Bei allen Ereignissen nannten jeweils über siebzig Prozent der Befragten die gleiche Altersspanne.6 Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass „bei Erwachsenen Altersnormen in einem weiten Verhaltensbereich eine herausragende Rolle spielen“ (Neugarten et al. 1978: 131). In Zusammenhang mit den Bereichen Familie und Beruf, die die zentralen Elemente des Normallebenslaufes bilden, untersucht auch Settersten (1997) die Bedeutung des Lebensalters. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Alter bei nahezu allen diesen Ereignissen eine große Rolle spielt, insbesondere bei der Heirat halten sowohl Frauen als auch Männer das Alter für sehr wichtig (Settersten, R. 1997: 273).7 Bezogen auf den Übergang ins Erwachsenenalter betont Hogan, dass dieser Prozess keinesfalls unreguliert ist, da Altersnormen auch hier ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen (Hogan 1978: 573). Er wird dabei von Elder unterstützt, der davon ausgeht, dass es für jede Kohorte einen normativ angemessenen Zeitpunkt für die Statusveränderungen gibt (Elder 1974: 176).8 Aus der Abhängigkeit der Lebensereignisse von Altersnormen ergibt sich eine feste Reihenfolge der verschiedenen Statusveränderungen. Diese „Sequenzialität im Sinne eines geordneten Ablaufes der wesentlichen Lebensereignisse“ ist nach Kohli „das zentrale Merkmal des Normallebenslaufes“ (Kohli 1988: 37). Zusammen mit dem Konstrukt des Normallebenslaufes übernimmt die Institution des Lebenslaufes damit mehrere wichtige Funktionen.9 Die Sequenzialität der Lebensereignisse bietet einen Orientierungsrahmen für den individuellen Lebensplan (Heinz 2001: 149). Durch diese Vorlage werden die Individuen bei Entscheidungen zu ihrer Lebensführung entlastet, sie können sich an erfolgreichen Lebenslaufmodellen orientieren (Organisationsfunktion des Lebenslaufes). Gleichzeitig werden mit den Altersnormen auch verschiedene Lebens6
Beispielsweise antworteten neunzig Prozent der Frauen, dass die Altersspanne von 19 bis 24 Jahren für sie das ideale Heiratsalter darstellt (Neugarten et al. 1978: 125). 7 Nur bei dem Ereignis „Rückkehr ins Elternhaus“ sollte demnach das Alter keine Rolle spielen, damit man zu jedem Zeitpunkt auf die Hilfe der Familie zurückgreifen kann. Des Weiteren konnten einige Geschlechterunterschiede beobachtet werden: Für Frauen ist vor allem die Geburt von Kindern altersgebunden, während sich Männer im beruflichen Bereich mehr Altersgrenzen gesetzt haben (Settersten, R. 1997. 273f.). 8 Der Zusatz „für jede Kohorte“ ist insofern wichtig, da dadurch deutlich wird, dass sich diese impliziten Altersnormen in einem stetigen Wandel befinden. 9 Institutionen werden in der Soziologie allgemein als dauerhafte Instanzen verstanden, die zum einen Regeln für Problemlösungen des Alltags definieren und zum anderen festlegen, welche Handlungen möglich und sinnvoll sind (vgl. (Luckmann 1992: 130). Institutionen bilden somit eine objektive Macht oder soziale Tatsache, der sich die einzelnen Gesellschaftsmitglieder kaum entziehen können, obgleich es sie selbst sind, die diese Regeln geschaffen haben und durch ihr Handeln reproduzieren (Durkheim 1999: 100).
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phasen im Lebenslauf definiert und den einzelnen Abschnitten werden bestimmte Entwicklungsaufgaben zugewiesen. Die sozialen Interaktionen werden durch diese vorgegebene Struktur erleichtert und geordnet (Ordnungsfunktion des Lebenslaufes). Insgesamt verspricht die Institution Lebenslauf eine kulturell definierte und materiell gesicherte Lebensspanne. Erst vor dem Hintergrund dieser Erwartung ist es sinnvoll, einen eigenen Lebensplan mit verschiedenen Lebensphasen zu entwerfen (Sinnstiftungsfunktion des Lebenslaufes).10
2.1.2 Die Einbettung des Lebensverlaufes Die Institution des Lebenslaufes erlangt durch die Altersnormen und durch das soziale Konstrukt des Normallebenslaufes eine hohe Bedeutung für die Planung der individuellen Biografie. Bei der Definition dieser Normen und Vorstellungen spielen andere gesellschaftliche Institutionen und Organisationen eine wichtige Rolle. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Normallebenslauf erst durch die individuellen Handlungen erfüllt werden kann, beziehungsweise dann auch Abweichungen von diesem normativen Muster entstehen. Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, ergeben sich die Lebensverlaufsmuster aus diesem Zusammenspiel von sozialer Gelegenheitsstruktur auf der einen Seite und individuellen Ressourcen und Handlungen auf der anderen Seite (Lauterbach 2004: 63; Kerckhoff 1990: 1). Die konkrete Gestaltung der sozialen Gelegenheitsstruktur hängt von anderen gesellschaftlichen Institutionen ab, mit denen der Lebenslauf verbunden ist. Da Individuen gleichzeitig in verschiedenen Lebensbereichen handeln, kann der Lebensverlauf auch als multidimensionaler Prozess verstanden werden (Lauterbach 2004: 63). Je nachdem in welchen Bereichen man tätig ist, unterliegt man neben den allgemeinen auch spezifischen Erwartungen und Normen. Dieser Teilnahmeaspekt ist aus lebenslaufanalytischer Sicht besonders wichtig, da über ihn auch Ein- und Austritte in verschiedenen Feldern erfasst werden können (zum Beispiel der Schulabschluss, der Berufseintritt, die Familiengründung), die oft einschneidender sind als Positionsveränderungen innerhalb eines einzelnen Bereiches (beispielsweise beruflicher Auf- oder Abstieg). Die Teilnahme in einem Feld hat häufig Auswirkungen auf die Möglichkeiten in einem anderen Bereich oder auf den gesamten Lebenslauf. So bieten beispielsweise Schulen und öffentliche Kindergärten in Deutschland bisher nur selten eine ganztägige Betreuung der Kinder an. Für zumindest ein Elternteil sind damit die Bereiche Berufstätigkeit und Familie nur schwer miteinander vereinbar. Aus diesem 10
Organisations-, Ordnungs- und Sinnstiftungsfunktion sind nach Esser die drei zentralen Funktionen von gesellschaftlichen Institutionen (Esser 2000: 10ff).
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Wechselverhältnis zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen (hier: Schule, Beruf und Familie) entstehen konkrete Lebenslauferwartungen und -muster, wie beispielsweise der traditionelle weibliche Lebenslauf, der vorsieht, dass die Frau nach der Geburt des Kindes ihre Berufstätigkeit zeitweise vollständig und langfristig zumindest teilweise aufgibt, um sich der Familie und der Erziehung des Nachwuchses zu widmen. Selbst wenn dieses Muster nicht den individuellen Vorstellungen entspricht, kann es nur schwer durchbrochen werden, da die Entscheidung darüber von den Angeboten oder Möglichkeiten in weiteren Institutionen und Organisationen sowie von gesellschaftlichen Erwartungen abhängig ist.11 An diesem Beispiel wird deutlich, dass Einengungen und Begrenzungen die Kehrseite der Ordnungs- und Entlastungsfunktion von sozialen Institutionen darstellen. Werden allerdings die Widersprüche zwischen den Interessen der Akteure und der institutionellen Ordnung zu groß, gerät das bestehende System ins Wanken und ein institutioneller Wandel tritt ein. Aufgrund der hohen Wechselwirkung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen kann dieser Wandel auch von außen in eine Institution hinein getragen werden. Veränderungen im Schulsystem (beispielsweise eine Umstellung zu Ganztagsschulen) können so nachhaltige Auswirkungen auf den Lebenslauf von Eltern und Kindern haben (Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie für beide Elternteile). Der moderne Wohlfahrtsstaat hat nach und nach Funktionen der Familie und traditioneller Verbände übernommen (Mayer 1988). Daraus leiten sich sozialstaatliche Interventionen in alle relevanten Lebensbereiche und den gesamten Lebensverlauf ab. In ständischen Gesellschaften war es beispielsweise die Aufgabe der Familie, die älteren und kranken Mitglieder zu versorgen und die Kinder zu erziehen. Inzwischen ist die individuelle Alterssicherung weitgehend staatlich geregelt und auch ein großer Teil der Kindererziehung findet in Kindergärten und Schulen statt. Der Sozialstaat hat damit ein weites Netz von gesetzlich garantierten Ansprüchen und Leistungen geschaffen, die viele Lebensrisiken abdecken (Mayer et al. 1990).12 Dies kann auch dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die von den tatsächlichen Bedürfnissen oder der ursprünglichen Lebensplanung abweichen. Aus Sicht der Individuen ist es funktional rational, die Möglichkeiten zu nutzen in denen der Staat Dienste oder Geld zur Verfügung stellt (Mayer et al. 1994: 285f.). Um die Wirksamkeit sozialstaatlicher Regelungen und ihren Einfluss auf die individuelle Lebensplanung beur11
Uunk et al. zeigen in ihrer Studie, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Angebot an Kinderbetreuungsplätzen und der durchschnittlichen Arbeitzeit von Müttern gibt (Uunk et al. 2005). 12 Durch diese staatlich garantierte soziale Absicherung wird die individuelle Lebensplanung erleichtert (Mayer et al. 1989: 193).
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teilen zu können, empfiehlt sich ein international vergleichender Forschungsansatz (Mayer et al. 1989: 203). Die gesetzlichen Altersnormen sind ein Beispiel für die Verknüpfung von staatlicher Organisation und individuellem Lebenslauf. Daneben erfolgt die Strukturierung des Lebenslaufes auch über staatliche sanktionierte Titel und Abschlüsse, wie beispielsweise Bildungs- und Berufsbezeichnungen. Nur Inhabern von derartigen Titeln stehen spezifische Laufbahnen offen, nur über sie kann ein gewisser Status erreicht werden. „Je mehr die Statuszuweisung diesen bürokratischen Regeln gehorcht, desto stärker werden Lebensverlaufmuster institutionalisiert.“ (Buchmann 1989: 91) Diese verschiedenen Regelungen auf der Makroebene, die in erster Linie durch sozialstaatliche Interventionen entstehen, bilden die Gelegenheitsstruktur in der sich der individuelle Lebenslauf entfalten kann. Innerhalb dieses Rahmens gestalten die Individuen ihre eigene Biografie selbst, wobei die individuellen Ressourcen und sozialen Merkmale einen starken Einfluss auf die jeweiligen Entscheidungen haben. Die Bedeutung der individuellen Handlungskompetenz innerhalb der sozialen Gelegenheitsstruktur wird von Elder (2003) folgendermaßen zusammengefasst: Children, adolescents, and adults are not passively acted upon by social influence and structural constraints. Instead, they make choices and compromises based on the alternatives that they perceive before them. (Elder et al. 2003: 11)
Die soziologische Lebenslaufforschung kommt somit zu der Erkenntnis, dass die Regelmäßigkeiten in den Häufigkeiten und der zeitlichen Abfolge von Ereignissen auch von der sozialen Herkunft, den ökonomischen Ressourcen oder dem erreichten Bildungsniveau abhängig ist (Blossfeld et al. 2001). Zudem spielen individuelle Wert- und Normvorstellungen eine wichtige Rolle. Daneben wird durchgängig auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Lebensverlauf oder in einzelnen Lebensphasen hingewiesen: „Normative timetables vary by gender, reflecting pervasive cultural differences in the age stratification of men and women“ (Hogan et al. 1986: 117). Der Lebensverlauf ist damit in die sozialstaatlichen Regelungen und gesellschaftlichen Normen auf der einen Seite und die individuellen sozialen Merkmale auf der anderen Seite eingebettet. Dementsprechend konzentriert sich die soziologische Lebenslaufforschung auf diese sozialstrukturellen und individuellen Voraussetzungen bei der Gestaltung verschiedener Lebensphasen (Fend et al. 2001: 8).
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2.1.3 Destandardisierung des Lebensverlaufes Das Zusammenspiel zwischen sozialen Merkmalen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen führt letztlich zu einer Weiterentwicklung der Lebenslauftheorie. Zunächst stellt Kohli fest, dass der Normallebenslauf und die damit verbundenen Altersnormen im Widerspruch zu einem der „Kernprinzipien der Moderne, nämlich der Orientierung an erworbenen statt an zugeschriebenen Merkmalen“ steht (Kohli 1985: 19).13 Dadurch ergibt sich eine Spannung zwischen dem Lebenslauf als vorgeordnete Realität auf der einen und der Biographie als subjektive, individuelle Konstruktion auf der anderen Seite. Kohli erkennt einen dramatischen Wandel im familialen Bereich: „hier hat sich das einheitliche Muster, auf das hin die historische Entwicklung konvergierte, in kurzer Zeit aufgelöst und einer Vielzahl von Familienkonstellationen und Verlaufsmustern Platz gemacht“ (Kohli 1988: 42). Zudem prognostiziert er, dass es auch zu einer Flexibilisierung des Erwerbslebens kommt (ebd.). Damit wird der Normallebenslauf aufgebrochen, was Kohli mit dem Begriff der De-Standardisierung beschreibt (Kohli 1985: 22). Die Modernisierung nimmt somit bei Kohli eine doppelte Funktion ein. Auf der einen Seite kommt es zu einer Institutionalisierung des Lebensverlaufes. Sozialstaatliche Leistungen und Transferzahlungen, die sich am Lebensalter orientieren, haben den Lebensverlauf kalkulierbarer gemacht. Auf der anderen Seite hängt der Lebensverlauf weniger von der sozialen Herkunft, der Familie oder den traditionellen Altersnormen ab, und die Individuen haben mehr unabhängige Gestaltungskraft über den Lebenslauf. In eine ähnliche Richtung weist auch die Individualisierungsthese, in der die Auflösung von sozialen Schichten und Klassen angenommen wird. Deren prominentester Vertreter ist der Soziologie Ulrich Beck, der feststellt, dass es in den westlichen Industrienationen ein „kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum“ gibt (Beck 1986: 122). Seiner Ansicht nach verlieren dadurch die Klassenidentitäten und -bindungen an Bedeutung und ein Prozess der Individualisierung von Lebenslagen und Lebensstilen wird ausgelöst. Einerseits hat das Individuum mehr Wahlfreiheiten in der Gestaltung des eigenen Lebens, anderseits ist es nun dazu gezwungen, dieses Leben selbst zu ordnen und somit eine eigene Biographie herzustellen und trägt auch das damit einhergehende Risiko (Beck et al. 1994. 12). Damit verliert die Institution „Lebenslauf“ einen Teil ihre Entlastungsfunktion, da der individuelle Lebenslauf immer mehr als Leistung des Einzelnen verstanden wird (Kneer 1998). Insgesamt können so neue Ereignisse oder Lebensformen den Lebensver-
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Hervorhebungen im Original.
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lauf prägen, und der Zeitpunkt bei einzelnen Lebensereignissen sowie deren normative Reihenfolge kann sich verändern (Shanahan 2000: 670f.). Der Normallebenslauf ist trotz dieser Entwicklung nach wie vor von Bedeutung. Beispielsweise betont Kohli, dass er auch weiterhin als normative Vorlage für die eigene Lebensgestaltung gilt, von der man sich gegebenenfalls abwenden kann: „auch für das eigene Erfinden von neuen biographischen Konzeptionen ist das Subjekt auf vorhandene Muster angewiesen – und sei es nur, um sich von ihnen abzusetzen“ (Kohli 1988: 41). Der erste Teil dieses Kapitels lieferte eine Zusammenfassung der wichtigsten Elemente der soziologischen Lebensverlaufstheorie. Dabei wird der Lebenslauf als Ergebnis des Zusammenspiels von gesellschaftlicher Gelegenheitsstruktur und individuellem Potential verstanden. Zunächst wurde die These zur Institutionalisierung des Lebenslaufes vorgestellt. Im Zuge der Modernisierung hat sich das soziale und kulturelle Konstrukt des Normallebenslaufes entwickelt. Lebensereignisse werden aufgrund von Altersnormen innerhalb spezifischer Zeitspannen erlebt, und es entsteht ein geordneter Ablauf von Lebensphasen und einzelnen Statusübergängen. Staatliche Regelungen spielen bei der Entwicklung dieser Normen und der gesamten gesellschaftlichen Gelegenheitsstruktur eine große Rolle. Innerhalb dieses Rahmens entwerfen die einzelnen Gesellschaftsmitglieder ihre individuelle Biografie. Der Normallebenslauf dient dabei als Vorlage, wobei soziale Merkmale und Wertvorstellungen einen Einfluss auf die genaue Ausgestaltung haben. Da es ein Kernprinzip der Modernen ist, sich an erworbenen statt an zugeschriebenen Merkmalen zu orientieren, wird der Normallebenslauf in den letzten Jahrzehnten immer mehr in Frage gestellt. Nach der These der Destandardisierung verlieren Altersnormen an Bedeutung. Es herrscht eine höhere individuelle Wahlfreiheit bei der Gestaltung der eigenen Biografie. Dadurch können sich vom Normallebenslauf abweichende Verlaufsmuster und Lebensformen entwickeln. Im zweiten Teil des Kapitels werden diese verschiedenen Elemente der Lebensverlaufstheorie auf den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen übertragen. Dabei werden die zentralen Merkmale des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter erläutert, und in Anlehnung an den Normallebenslauf werden zwei normative Übergangsmuster definiert, an denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientieren.
2.2 Die Einmündung in das Erwachsenenalter Der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen ist eine einschneidende und entscheidende Phase im Lebensverlauf, da während dieser Zeit eine Reihe von 31
wichtigen Statusveränderungen stattfinden.14 Bis zum Alter von sechzehn Jahren leben Jugendliche in allen modernen Industrieländern mit den Eltern zusammen, besuchen eine Schule, sind nicht erwerbstätig oder verheiratet und haben keine Kinder. Auch im Alter von 35 Jahren gibt es kaum Unterschiede. Nur wenige sind dann noch in Ausbildung oder leben bei den Eltern, die meisten arbeiten, führen ihren eigenen Haushalt, sind verheiratet und haben zumindest ein Kind (Cook et al. 2002: 58). Dies macht deutlich, dass die während des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter getroffenen Entscheidungen, wegweisend für den weiteren Lebensverlauf sind. Damit ist diese Phase auch mit einer hohen sozialen Mobilität verbunden, die sowohl die Chance des Erfolgs als auch die Gefahr des sozialen Abstiegs beinhaltet. Das oberste Ziel in dieser Lebensphase lautet, auf der Grundlage einer gesicherten beruflichen und sozialen Existenz den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden. Aus Sicht der Individuen ist der Übergang in das Erwachsenenalter in erster Linie das Ergebnis ihrer eigenen Überlegungen und Entscheidungen. Zweifellos ist jede Biografie einzigartig und unterscheidet sich immer in vielfältiger Weise von allen anderen. Allerdings ist der Lebensverlauf auch in einen normativen und strukturierenden Kontext eingebettet, der die zur Wahl stehenden Möglichkeiten vorgibt.15 Sowohl für den gesamten Lebensverlauf als auch für einzelne Übergangsphasen haben sich normative Muster etabliert, an denen sich die Individuen orientieren können und denen sie teilweise bewusst oder unbewusst folgen. Damit ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Persönlichkeit mit ihren individuellen Begabungen und Fähigkeiten auf der einen Seite und den verschiedenen sozialen Institutionen auf der anderen Seite, die individuelle Biografie. Im weiteren Verlauf dieses Abschnittes werden zunächst unterschiedliche Definitionen von Jugendlichen, Erwachsenen und der dazwischen liegenden Übergangsphase diskutiert. Aus soziologischer Perspektive markieren verschiedene Statusveränderungen den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter. Über das Alter bei diesen Ereignissen können sowohl Veränderungen innerhalb der einzelnen Bereichen als auch bei der Dauer der gesamten Übergangsphase 14
In der Lebenslaufforschung werden eine ganze Reihe von Begriffen für Statusveränderungen (oder Statuspassagen) und Übergänge verwendet. In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Übergang und (Übergangs-)Phase für den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter verwendet, der sich aus mehreren Statusveränderungen zusammensetzt. („Die [...] strukturierenden Statuspassagen treten im Lebenslauf in gebündelter Form auf. Sie verdichten sich zu übergeordneten Statuskonfigurationen, die wir im allgemeinen als globale Übergänge von einer Lebensphase in die nächste identifizieren.“ (Behnken et al. 1992: 128)) Für die einzelnen Statusveränderungen (wie z.B. Heirat) wird zudem der Begriff Ereignis verwendet, da sich diese Veränderungen auf ein genaues Datum festlegen lassen, obgleich sie keineswegs punktförmige Zustandswechsel, sondern das Ergebnis längerer Prozesse sind. 15 Zur Bedeutung des sozialen Raums und institutionellen Kontextes für die individuelle Biografie vgl. Bourdieu 1990.
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festgestellt werden. Die verschiedenen Ereignisse können zwei Teilprozessen, dem sozialen und dem ökonomischen Verselbständigungsprozess zugeordnet werden. Parallel zum Normallebenslauf werden zudem zwei normative Übergangsmuster definiert, deren Relevanz am Ende des Kapitels diskutiert wird.
2.2.1 Nicht-soziologische Perspektiven auf den Übergang in das Erwachsenenalter Je nach wissenschaftlicher Perspektive gibt es andere Kriterien, nach denen der Lebenslauf betrachtet und in verschiedene Lebensphasen eingeteilt wird. Gesetzliche Regelungen geben einen ersten Hinweis darauf, zwischen welchen Lebenslaufphasen unterschieden wird. Im Hinblick auf den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen gibt es in jedem Land eine ganze Reihe von gesetzlich geregelten Altersstufen. In der nachfolgenden dritten Tabelle werden einige dieser Regelungen aus der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt. Ab dem zwölften Lebensjahr beginnt in Deutschland mit der sogenannten „beschränkten Religionsmündigkeit“ die Übernahme von Rechten und Pflichten durch die jungen Gesellschaftsmitglieder. Eine wichtige Grenze ist die Definition der Volljährigkeit, die in Deutschland mit dem achtzehnten Geburtstag erlangt wird. Unter rein juristischen Gesichtspunkten wird hier von einem Tag auf den anderen die Eigenverantwortlichkeit erreicht. Man wird als vollwertiges Gesellschaftsmitglied definiert, was sich insbesondere im Wahlrecht ausdrückt. Im strafrechtlichen Sinne endgültig erwachsen ist man in Deutschland mit 24 Jahren, da ab diesem Alter der Jugendstrafvollzug nicht mehr angewandt werden kann. Bei einer sozialwissenschaftlichen Diskussion zum Übergang in das Erwachsenenalter können diese gesetzlichen Altersgrenzen nicht leitend sein, da sie je nach Land und Zeit variieren. Sie liefern allenfalls einen Hinweis darauf, in welchem Altersabschnitt in der jeweiligen Gesellschaft Verantwortung auf die Individuen übertragen wird. Aber sie geben keine Auskunft über die tatsächliche Entwicklung der einzelnen Personen. Beispielsweise unterschlägt eine solche Definition, dass der körperliche Reifeprozess geschlechtspezifisch variiert. Auch die Volljährigkeit kann nicht als Maß für das Ende der Jugendzeit genommen werden. Die jungen Erwachsenen erhalten zu diesem Zeitpunkt zwar neue Rechte und Pflichten, es ist aber offen, ob sie von diesem Recht auf Selbständigkeit schon Gebrauch machen (können), um die gesellschaftliche Position eines Erwachsenen einzunehmen.
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Tabelle 3: Auswahl gesetzlicher Altersnormen in der Bundesrepublik Deutschland Alter 12 Jahre 14 Jahre
15 Jahre 16 Jahre
18 Jahre
21 Jahre 24 Jahre
Befähigungen / Erlaubnisse / Mündigkeiten / Pflichten Beschränkte Religionsmündigkeit Besuch von Film- und sonstigen Veranstaltungen bis 22 Uhr Volle Religionsmündigkeit Bedingte Strafmündigkeit Mitbestimmungsrechte, z.B. bei Scheidung der Eltern Ende der normalen Schulpflicht, Beginn der Berufsschulpflicht Eidesfähigkeit Bedingte Ehemündigkeit Pflicht zum Besitz eines Personalausweises Aufenthalt in Gaststätten ohne Erziehungsberechtigten bis 24 Uhr Volljährigkeit (vgl. §2 BGB) Volle Ehemündigkeit Volle Geschäftsfähigkeit Ende der Vormundschaft Selbständige Wahl des Wohnsitzes Aktives und passives Wahlrecht Volle Strafmündigkeit (mit Einschränkungen) Ende der Berufsschulpflicht (in fast allen Bundesländern) Ende der Möglichkeit das Jugendstrafrecht anzuwenden Ende der Möglichkeit den Jugendstrafvollzug anzuwenden
Quelle: Schäfers 1998: 25f.
Aus biologischer Sicht, die den körperlichen Entwicklungsprozess betrachtet, endet die Jugend mit dem Abschluss der Pubertät. Bei Jungen beginnt die Geschlechtsreife ca. mit dem 13. Lebensjahr, und der gesamte physische Entwicklungsprozess dauert ca. fünf bis acht Jahre. Bei Mädchen beginnt die vergleichbare Entwicklung etwa acht Monate früher (Schäfers 1998: 79f.). Beachtenswert ist zudem, dass sich der Zeitraum der biologischen Entwicklung verändert hat. Im Vergleich zu vorangegangenen Jahrzehnten tritt heute sowohl der Stimmbruch bei Jungen als auch die Menarche bei Mädchen früher ein (Mitterauer 1986). Zugleich scheint die Pubertät in den industriellen Gesellschaften länger anzudauern. Die Ursachen für diese biologischen Verschiebungen können nicht eindeutig bestimmt werden. Man geht jedoch davon aus, dass die verbesserte Ernährung, der Ausbau des Gesundheitswesens und die kindergerechteren Lebensbedingungen (Verbot der Kinderarbeit) eine wichtige
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Rolle spielen. Diese sozialgeschichtlichen Veränderungen haben damit Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung (Schäfers 1998: 78).
2.2.2 Klassische soziologische Definition von Jugendlichen und Erwachsenen Aus soziologischer Perspektive bilden biologischer Entwicklungsverlauf und gesetzliche Regelungen nur den Rahmen für den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Nicht das Alter oder die körperliche Entwicklung, sondern soziale Statusveränderungen bestimmen wer noch Jugendlicher oder bereits Erwachsener ist. Der Übergangsprozess muss im sozialen Zusammenhang untersucht und in den Lebenslauf eingeordnet werden. Statuswechsel werden dabei als erste Erfahrungen in einem bestimmten Bereich definiert. Es sind Ereignisse, die man zum ersten Mal erfährt oder bewusst vollzieht und man wird durch sie vom Unerfahrenen zum Erfahrenen oder wenigstens Eingeweihten (Behnken et al. 1992: 127f.). Solche Lebensereignisse dienen als Marker, über die das Älterwerden strukturiert und ein biographisches Muster gebildet werden kann (beispielsweise die erste Freundin mit fünfzehn Jahren, der Mopedführerschein mit sechzehn, der erste Ferienjob und das erste eigene Geld mit siebzehn, der Schulabschluss mit neunzehn, etc.). Bereits in vormodernen Gesellschaften hatten Statuspassagen die Funktion, den Wechsel von einem Lebensabschnitt zum nächsten deutlich zu machen. Sie waren dabei meist sehr genau geregelt und oft ein öffentliches Ereignis (Gennep 1999). Auch heute gibt es reglementierte Statutspassagen, die öffentlich zelebriert werden (beispielsweise Erstkommunion, Konfirmation oder Schul- und Abschlussfeiern). Andere derartige Ereignisse finden dagegen häufig in einem privaten oder intimen Rahmen statt oder werden nicht speziell gefeiert (Verlobung oder der Auszug aus dem Elternhaus). Auch sie haben eine symbolische Bedeutung, da sie sowohl nach außen als auch nach innen den Übergang in einen neuen Status indizieren (Georg 1997: 429). Beim Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen sind es Ereignisse in zwei Feldern, die den Wechsel in den Erwachsenenstatus markieren. Es sind die beiden Bereiche „Partnerschaft/Familie“ und „Schule, Ausbildung und Beruf“. Die herausragende Bedeutung dieser beiden Felder wird in Neidhardts Definition von Jugend deutlich: In Abgrenzung gegenüber Kindern und Erwachsenen lassen sich Jugendliche also als diejenigen definieren, welche mit der Pubertät die biologische Geschlechtsreife erreicht haben, ohne mit Heirat und Berufsfindung in den Besitz der allgemeinen Rechte und Pflichten gekommen zu sein, welche eine verantwortliche Teilnahme an
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wesentlichen Grundprozessen der Gesellschaft ermöglichen und erzwingen. (Neidhardt 1972: 20)
Während Kohli (1985) bei seiner Dreiteilung des Lebenslaufes in erster Linie die Stellung im Erwerbssystem berücksichtigt, bezieht Neidhardt auch den Bereich Partnerschaft und Familie in sein Konzept ein und definiert den Unterschied zwischen Erwachsenen und Jugendlichen anhand der beiden Ereignisse „Heirat“ und „Berufsfindung“. Sie sind in seinem Konzept die zentralen Statuspassagen, die den Übergang zwischen den zwei Lebensabschnitten kennzeichnen. Allerdings liefert diese Definition von Jugendlichen keine ausreichende Grundlage für eine Untersuchung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter. Weder geschlechtsspezifische oder nationale Besonderheiten noch Veränderungen und Neuerungen bei den Übergangsereignissen können mit dieser Definition erfasst und analysiert werden. Im Wesentlichen gibt es drei Hauptkritikpunkte, die bei einer Definition der Übergangsphase berücksichtigt werden müssen. Erstens ist die Definition von Neidhardt zu eng an den zwei Statuspassagen ausgerichtet. Aus diesem Grund können Abweichungen vom normativen Muster oder neue Entwicklungen nicht analysiert werden. Insbesondere andere Lebensformen, wie nichteheliche Lebensgemeinschaften oder Singles, die eine immer größere Verbreitung finden, werden nicht erfasst. Hält man sich streng an die Definition von Neidhardt, können Personen, die unverheiratet mit ihrem Partner zusammen leben, nicht Erwachsene sein. Es stellt sich zudem die Frage was passiert, wenn die aufgestellten Rollenerwartungen nicht dauerhaft beibehalten werden. Oder in anderen Worten: Wird man nach einer Scheidung oder bei Arbeitslosigkeit wieder zu einem Jugendlichen? Das zweite Problem ist, dass der Erwachsenenstatus mit beiden Ereignissen verknüpft wird und es wird unterstellt, dass diese Statuswechsel parallel verlaufen oder zumindest eng miteinander verknüpft sind. Aber bereits vor drei Jahrzehnten zeichnete sich ab, dass bei einem Teil der Jugendlichen die Bereiche Beruf und Familie nicht mehr so eng miteinander verbunden sind und nicht mehr synchron, sondern zeitlich versetzt ablaufen. Dieses Phänomen wurde erstmals ausführlich von Keniston in einer Untersuchung über amerikanische AntiVietnamkrieg-Aktivisten beschrieben (Keniston 1968). Die von ihm untersuchten „young radicals“ haben ihre psychologische Entwicklung abgeschlossen und sind sozial und kulturell selbständig, obwohl sie die alten Kriterien von Heirat und Familie nicht erfüllen.16 Da sie sich aber noch nicht auf dem Arbeitsmarkt etabliert haben, sind sie oft auf die Hilfe von ihren Eltern angewiesen. Auf 16
Für Westdeutschland geht der Bericht „Über die langandauernde Jugend im linken Ghetto“ in eine ähnliche Richtung (Hartung 1978).
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der einen Seite sind sie keine Jugendlichen mehr, auf der anderen Seite aber noch nicht vollständig erwachsen. Derartige Abweichungen vom normativen Muster beschränken sich nicht auf den Wechsel vom Jugendlichen zum Erwachsenen, wenngleich vieles dafür spricht, dass die Übergangsphase eine Vorreiterfunktion beim Wandel des Normallebenslaufes einnimmt. Jugendliche und junge Erwachsene sind in der Etablierungsphase besonders von sozialen Umwälzungen betroffen. In diesem Zusammenhang fasst Michael Shanahan die Entwicklung folgendermaßen zusammen: Modernity has a large negative effect on the prevalence of the normative pattern, but a large positive effect on the prevalence of the extreme non-normative pattern. (Shanahan 2000: 670)
Der dritte Hauptkritikpunkt an der klassischen soziologischen Definition von Jugendlichen und Erwachsenen bezieht sich auf die Geschlechterunterschiede. In den bisher aufgeführten Arbeiten wird ein Lebenslauf, in dem Arbeit und Familie verbunden werden, als normal definiert und dementsprechend setzt sich auch der Übergang ins Erwachsenenalter aus diesen beiden Bereichen zusammen. Aber in vielen Ländern ist der typische weibliche Lebenslauf in erster Linie auf die Familie, beziehungsweise die Erziehung der Kinder ausgerichtet. Das traditionelle Rollenmuster sieht zumindest während der ersten Lebensjahre der Kinder keine Erwerbstätigkeit der Ehefrauen und Mütter vor. Es ist offensichtlich, dass dies weder in Kohlis dreigeteiltem Lebenslauf noch in Neidhardts Unterscheidung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen berücksichtigt wird. Eine moderne Definition zum Übergang ins Erwachsenenalter muss demnach auf mehreren Ebenen überarbeitet werden. Erstens muss sie offen für neue Lebensstile (z.B. nichteheliche Lebensgemeinschaften) sein. Zweitens kann man nicht davon ausgehen, dass die verschiedenen Übergangsereignisse immer eng miteinander verbunden sind, sondern dass sie auch zeitlich weit auseinander liegen und in einer abweichenden Reihenfolge erlebt werden können.
2.2.3 Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene Eine moderne Diskussion der Übergangsphase darf demnach nicht auf einzelne Ereignisse basieren, sondern muss die gesamte Entwicklung der Jugendlichen als Ausgangspunkt heranziehen. Nach Meulemann ist die eigene Identitätsbildung der Kern dieser Entwicklung. „Die Identität des Erwachsenen ergibt sich [...] aus Entscheidungen in nur drei Bereichen: Beruf, Familie und Weltanschauung“ 37
(Meulemann 2001: 46). Um den Erwachsenenstatus zu erlangen, ist zudem eine positive Identifikation mit den getroffenen Entscheidungen in diesen drei Bereichen notwendig. Meulemann nennt dabei keine konkreten Ereignisse, dadurch wird sein Konzept offener, bezieht sich aber immer noch auf die traditionellen Vorstellungen (Beruf und Familie).17 In seiner Definition von Jugendlichen und Erwachsenen löst Junge (1995) dieses Problem, indem er zwei neue, umfassendere Begriffe einführt. Erstens erkennt er, dass der Bereich „Familie“ nicht mehr nur auf Ehe und Kinder begrenzt werden kann, da es neue Lebensformen wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft gibt (Junge 1995: 47). Er verwendet deshalb den Terminus des „sozialen Verselbständigungsprozesses“. Dahinter steht die Vorstellung, dass der Auszug aus dem Elternhaus, die Haushaltsgründung mit einem Partner, die Heirat und die Geburt von Kindern, die soziale Ablösung vom eigenen Elternhaus markieren, da über diese Ereignisse ein eigenes soziales und familiäres Umfeld aufgebaut wird. Meulemann hat beschrieben, dass für die eigene Identitätsbildung eine positive Identifikation mit den getroffenen Entscheidungen notwendig ist (Meulemann 2001: 46). Konsequent weiter gedacht bedeutet dies, dass die soziale Selbständigkeit auch ohne Heirat oder Elternschaft erreicht werden kann, wenn die Entscheidung alleine oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu leben, dauerhaft ist. Zweitens bindet Matthias Junge seine Definition von Erwachsenen auch nicht an den Berufsstatus, da dadurch nichterwerbstätige Personen grundsätzlich vom Erwachsenenstatus ausgeschlossen werden. Stattdessen verwendet er das Konzept der „ökonomischen Verselbständigung“ (Junge 1995: 26). Auch dabei steht die Ablösung vom Elternhaus im Vordergrund und ökonomische Selbständigkeit wird dann erreicht, wenn man nicht mehr auf die finanzielle Hilfe der Eltern angewiesen ist. Dies kann sowohl durch eine Erwerbstätigkeit als auch durch staatliche Hilfeleistungen oder die gemeinsame Haushaltsführung mit dem Partner erreicht werden.18 Die Verbindung des Erwachsenenstatus mit der Heirat und dem Berufsteinstieg stellt ein weiterer Nachteil der klassischen Definitionen dar, da damit unterstellt wurde, dass diese Ereignisse zeitlich eng beieinander liegen. Wie beschrieben trifft dies aber nicht mehr auf alle Jugendlichen zu. Aus diesem Grund sieht Junge das Ende der Jugend bereits dann erreicht, wenn entweder die soziale oder 17
Nach Esser können über Partnerschaft und Beruf, die zwei grundlegenden Bedürfnisse, soziale Wertschätzung und physisches Wohlbefinden, befriedigt werden (Esser 1996: 7ff.). Dies unterstreicht einmal mehr die herausragende Bedeutung der beiden Bereiche. 18 Daneben gibt es weitere Möglichkeiten, ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen (Erbschaft, Geldgewinn, etc.), die aber nur selten auftreten und daher für die Definition des Normallebenslaufes keine Rolle spielen (vgl. Hoerning 1987).
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die ökonomische Verselbständigung erreicht wird (Junge 1995: 26). Als vollständig erwachsen wird man aber auch weiterhin erst dann definiert, wenn man beide Teilprozesse abgeschlossen hat. Für Personen, die entweder sozial oder ökonomisch selbständig sind, verwendet er den Begriff „junge Erwachsene“. Auf Basis dieser neuen Begriffe und der daraus abgeleiteten Definition ergibt sich folgendes Schema für den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen: Abbildung 1:
Definition von Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen
Ökonomische Verselbständigung
Abgeschlossen Unabgeschlossen
Soziale Verselbständigung Abgeschlossen Unabgeschlossen Erwachsene Junge Erwachsene Junge Erwachsene Jugendliche
Quelle: Junge 1995: 14.
Neu ist, dass es neben Jugendlichen und Erwachsenen noch die Kategorie der jungen Erwachsenen gibt, die aber zu der Gruppe der Erwachsenen gerechnet wird, da dieser Zustand durchaus dauerhaft sein kann.19 Der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen wird damit weniger als ein Bruch, sondern vielmehr als eine Verbindung oder Entwicklung im gesamten Lebensverlauf gesehen. Frühere Erfahrungen werden hier reflektiert und die Weichen für den weiteren Lebensverlauf gestellt (Shanahan 2000: 668). Kritisiert werden kann an dieser Definition lediglich, dass der Begriff „junge Erwachsene“ missverständlich ist, da diese Kategorie nicht an eine bestimmte Altersgruppe gebunden sein sollte.20 Insgesamt bietet diese Definition eine gute theoretische Grundlage, um den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter eingehend zu untersuchen. Dennoch muss sich die empirische Analyse auf einzelne Ereignisse oder Statuswechsel stützen. Nur über sie können die Wege in das Erwachsenenalter genau nachgezeichnet und der zeitliche Rahmen dieser Übergangsphase bestimmt wer19
Beispielsweise berufstätige Personen, die nicht aus dem Elternhaus ausziehen. Chisholm plädiert sogar dafür, auch die jungen Erwachsenen als vollwertige Erwachsene anzuerkennen, denn ihrer Ansicht nach kann man auch erwachsen sein, wenn man nicht den bisherigen Mustern folgt, sondern neue entwickeln muss (Chisholm 1996. 43f). 20 An verschiedenen Stellen in der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „junge Erwachsene“ auch losgelöst von dieser Definition verwendet, um allgemein die untersuchte Personengruppe zu bezeichnen. Die an dieser Stelle vorgestellte und von Matthias Junge (1995) entwickelte enge Definition des Begriffes wird nur bei der Unterscheidung der verschiedenen Zustände („Jugendlichen“, „jungen Erwachsenen“ und „Erwachsenen“) benutzt. Darauf wird an gegebener Stelle explizit hingewiesen.
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den. Sowohl für den sozialen als auch für den ökonomischen Verselbständigungsprozess müssen daher Lebensereignisse ausgewählt werden, die zu einem modernen normativen Übergangsmuster gehören. Erst vor dem Hintergrund eines solchen normativen Verlaufes können neue Muster und Veränderungen in der Altersvarianz aufgedeckt werden. Wie im ersten Teil dieses Kapitels erläutert, besteht eine Normalbiografie aus Ereignisse, die sowohl eine hohe Wahrscheinlichkeit des Auftretens als auch eine gewisse Abhängigkeit vom Lebensalter aufweisen (Hoerning 1987).21 Dies gilt auch für den Übergang in das Erwachsenenalter. In den folgenden Abschnitten werden die beiden Teilprozesse der sozialen und ökonomischen Verselbständigung genauer dargestellt und die entscheidenden Übergangsereignisse herausgearbeitet. Zunächst blicken wir auf den sozialen Verselbständigungsprozess. Durch den Aufbau eines eigenen sozialen und familiären Umfelds, das von der Herkunftsfamilie unabhängig ist, erreichen Jugendliche ihre soziale Selbständigkeit. Ein erster Schritt in diesem Prozess ist der Auszug aus dem Elternhaus. Die enge Beziehung zwischen Eltern und Kindern wird durch einen Auszug keineswegs aufgelöst, aber sie erfährt einen strukturellen Wandel. Das „Kind im Elternhaus“ wird zum „räumlich unabhängigen und eigenständigen Erwachsenen“ (Maunaye 2000: 60). Mit dem Auszug erlangen die Kinder mehr persönliche Freiheit und Eigenständigkeit, und fortan herrscht eine höhere Gleichberechtigung zwischen Eltern und Kindern. Durch den räumlichen Abstand entspann sich auch häufig das Verhältnis zwischen den beiden Parteien, was übereinstimmend positiv bewertet wird (Papastefanou 2000: 62f.). Eine klare Definition des Ereignisses liefern Wagner und Huinink: Der Auszug aus dem Elternhaus ist per definitionem eine Migration, die mit einem bestimmten Wechsel des Haushaltstyps einhergeht. Am Herkunftsort lebt die Person im elterlichen Haushalt, am Zielort in einem nicht-elterlichen Haushalt. (Wagner et al. 1991: 39)
Ob der neue Haushalt selbst finanziert wird oder ob die Person nach wie vor auf die Unterstützung der Eltern angewiesen ist, ist dabei zweitrangig. Auch der Grund und das Ziel für den Auszug sind nicht ausschlaggebend, wobei es hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt: Singlehaushalt, nichteheliche Lebensgemeinschaft, eigener Familienhaushalt, Wohnen bei den Schwiegereltern oder Wohngemeinschaft.22 Die häufigste Motivation für einen Auszug aus dem 21
Siehe Tabelle 2: Typologie sozialer Lebensereignisse. Nicht unter diese Definition fällt ein „Auszug“ aus dem gemeinsamen Haushalt mit beiden Eltern zu nur einem Elternteil oder der Wechsel in eine neue Familie (aufgrund einer Adoption oder Tod der Eltern), da bei beiden Möglichkeiten der Zielort wieder ein „elterlicher Haushalt“ ist.
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Elternhaus ist der Wunsch nach Unabhängigkeit und das Zusammenleben mit dem Partner oder der Partnerin, wobei dies nicht zwingend mit einer Heirat verbunden ist (Weick 1993: 91f.). Gegen einen Auszug aus dem Elternhaus sprechen erstens ökonomische Gründe und zweitens eine angenehme Atmosphäre im Elternhaus. Letzteres trifft vor allem auf Kinder der Ober- und Mittelschicht zu, denen ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, so dass ein „ungestörtes und selbständiges“ Wohnen auch im Elternhaus möglich ist (Lauterbach et al. 1999: 439). Hier scheinen die Vorteile der vertrauten Familienumwelt mit Versorgung und elterlicher Ansprache gegenüber den Unsicherheiten, Anforderungen und höheren Kosten des Alleinlebens zu überwiegen. Ein weiterer Schritt zur sozialen Selbständigkeit ist eine feste Partnerschaft. Die soziale Ablösung von den Eltern hängt auch damit zusammen, dass sich die emotionalen Bedürfnisse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verändern. Es gibt einen grundlegenden Wunsch nach sozialer und emotionaler Anerkennung und ein Bedürfnis nach Sexualität. Beides kann in einer Partnerschaft erreicht werden. Dementsprechend wird der enge und intime Kontakt zu einem (meist gegengeschlechtlichen) Partner gesucht. Eine derartige Partnerschaft ist eine Beziehung, die über eine Freundschaft mit anderen Gleichaltrigen hinausgeht und wird mit einer Person geführt, die in einem nicht mehr die Tochter oder den Sohn, sondern ein gleichwertiges Gegenüber sieht. Mit einer solchen Liebesbeziehung rücken die Eltern in den Hintergrund und ein neues, eigenes enges Umfeld wird erschlossen und aufgebaut. Partnerschaften und vor allem langfristige Lebensgemeinschaften sind damit Teil des sozialen Verselbständigungsprozesses. Welche konkrete Form die Partnerschaft dabei annimmt, ist zunächst nicht relevant. Aus handlungstheoretischer Sicht dienen Partnerschaften dazu, bestimmte Güter zu produzieren und Bedürfnisse zu befriedigen (Liebe, Wertschätzung, Anerkennung, Sexualität), die alleine nicht erreicht werden können. Dabei investieren beide Partner in vielfältiger Weise in das gemeinsame Projekt. Sie engagieren sich, machen gemeinsame Erfahrungen, tätigen materielle Investitionen und gründen möglicherweise eine gemeinsame Familie. Mit zunehmender Beziehungsdauer steigen diese Investitionen und stellen gleichzeitig einen stabilisierenden Faktor dar (Hill et al. 1999: 18). Auch die ökonomische Familientheorie sieht in Partnerschaften die Möglichkeit, dass Ressourcen gebündelt und über die Arbeitsteilung bei der Haushaltsführung weitere Vorteile erzielt werden können. Damit sich diese Investitionen die Bündelung der Ressourcen und die Vorteile der Arbeitsteilung auszahlen können, muss die Partnerschaft langfristig angelegt sein. Bei vielen wechselnden Partnerschaften oder dem Nebeneinander mehrere Partnerschaften steigen dagegen die Such- und 41
Transaktionskosten und stehen in keinem Verhältnis zu dem erreichbaren Nutzen. Die gemeinsame Haushaltsgründung ist im Laufe einer Partnerschaftsgeschichte eine wichtige Investition, die nicht vorschnell getroffen wird, aber den großen Vorteil mit sich bringt, dass man bei sinkenden Kosten mehr gemeinsame Zeit miteinander verbringen kann (Hill et al. 1999: 25). Dies kann sowohl in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch in einer Ehe erreicht werden. Trotz dieser Wahlfreiheit stellt Nave-Herz (2000) in ihrem historischen Abriss zur Partnerschaft fest, dass es bis in die 1960er Jahre einen streng reglementierten Ablauf bei Partnerschaften gab, in dem die nichteheliche Lebensgemeinschaft keine Rolle spielte. Auf die Liebeserklärung folgte die Verlobung, die als Heiratsversprechen gleich den nächsten Schritt einschloss. Die Eheschließung kündigte wiederum die Geburt von Kindern in naher Zukunft an. Somit verweist in diesem Phasenablauf ein Ereignis auf das nächste. Zudem waren sowohl Verlobung als auch Heirat und Taufe der Kinder, jeweils „rites de passage“23; also Feste, die öffentlich angekündigt und begangen wurden und damit den Übergang von einem festgelegten Status in den nächsten markierten (Nave-Herz 2000: 262). Während die Bedeutung der Verlobung bereits in den 1960er Jahren zurückging, war die Ehe in dieser Zeit die wichtigste Partnerschaftsform. Aufgrund der hohen Heiratsquote und der geringen Ehescheidungen wird diese Zeit in vielen europäischen Ländern auch als das „golden age of marriage“ bezeichnet. In allen gesellschaftlichen Schichten setzte sich das bürgerliche Familienideal mit der traditionellen Arbeitsteilung durch: Die Ehefrau und Mutter ist nicht erwerbstätig, sondern für den Haushalt und die Erziehung der Kinder verantwortlich, während der Ehemann und Vater für das Familieneinkommen zuständig ist und die Familie gegenüber der Öffentlichkeit repräsentiert (NaveHerz 2000: 294). In den letzten Jahrzehnten hat sich sowohl dieser Phasenablaufprozess als auch die strikte Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern in vielen Gesellschaften gelockert und es konnten sich neue private Lebensformen etablieren, zwischen denen man heute wählen kann: „Single oder Partnerschaft“, „Eheschließung oder nichteheliche Lebensgemeinschaft“, „Kinderlosigkeit oder Elternschaft“, „Elternschaft mit oder ohne Partner“, „gemeinsamer Haushalt oder living apart together“ und „dauerhafte Partnerschaft oder Scheidung bzw. Trennung“ (Vaskovics 2001: 230). Im Hinblick auf die Partnerschaften und die soziale Verselbständigung ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL) die wichtigste dieser neuen Lebensformen. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten in 23
Als einer der ersten Autoren befasste sich van Gennep 1909 mit den „rites de passage“ (Gennep 1999).
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den meisten modernen Industrienationen stark verbreitet. Eine NEL definiert sich dabei einerseits durch die Partnerschaft selbst und zum anderen durch das Wohnen in einem gemeinsamen Haushalt (mit oder ohne Kinder).24 Wie erwähnt, bietet sie auf den ersten Blick die gleichen Nutzenvorteile wie die Ehe und daher stellt sich die Frage, warum es früher nicht so viele nichteheliche Lebensgemeinschaften gab. Hill und Kopp weisen in diesem Zusammenhang auf einige Unterschiede zwischen nichtehelichen und ehelichen Lebensgemeinschaften hin: Die Summe der spezifischen Investitionen ist im allgemeinen [bei einer NEL] deutlich geringer. Typischerweise haben Kohabitierende keine, gemeinsamen Kinder und auch kaum größere gemeinsame materielle Investitionen, etwa in Wohnungseigentum getätigt. [...] Hinzu tritt die Tatsache, dass diese Form des Zusammenlebens kaum eine Absicherung für nachhaltige Investitionen zur Verfügung stellt. (Hill et al. 1999: 26)
Das heißt, dass die NEL bei geringeren Investitionskosten zwar die gleichen Vorteile wie eine Ehe bringt. Auf der anderen Seite sinken dadurch auch die „Trennungskosten“ und die Auflösung der Partnerschaft ist leichter als nach einer Heirat. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bietet damit offenbar nicht die gleiche Sicherheit wie eine Ehe. Dass sich die NEL in den letzen Jahrzehnten etablieren konnte, hängt nach Hill und Kopp mit den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen. Die höhere Bildungsbeteiligung von Frauen hat dazu geführt, dass für sie die traditionelle Arbeitsteilung in einer Ehe nicht mehr so attraktiv ist. Gut ausgebildete Frauen haben mehr Handlungsoptionen und eine reine Familienrolle bedeutet für sie heute noch mehr als früher einen Verzicht auf eigenes Einkommen, berufliche Annerkennung und ein Stück Selbstbestimmung. Wenn sie sich auf eine traditionelle Arbeitsteilung einlassen, geben Frauen damit nicht nur mehr von ihrem eigenen Leben zugunsten der Familie auf, sondern sie verlieren auch mehr, wenn die Ehe scheitert (Hill et al. 1999: 27). In einer NEL kann dagegen die Partnerschaft geprüft und gleichzeitig weiterentwickelt werden. Dies wird auch gesellschaftlich insofern unterstützt, da die NEL in den meisten Ländern nicht mehr stigmatisiert wird.25 Dennoch spricht einiges dagegen, dass sich die NEL auch als dauerhafte Alternative zur Ehe etabliert hat. Nach Vaskovics (2001) währt eine Kohabitation in Deutschland durchschnittlich drei bis vier Jahre und ist damit von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägt, aber gleichzeitig oft nur ein Übergangssta24
So wird für die NEL auch der Begriff „Kohabitation“ verwendet. Gesetzliche Regelungen, die das Zusammenleben von unverheirateten Paaren untersagen, wurden in den meisten Ländern spätestens in den 1970er Jahren gestrichen.
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dium zur Ehe. Nur wenige Personen die in einer Kohabitation leben, lehnen eine spätere Eheschließung strikt ab (Vaskovics 2001: 233f). Auch Lauterbach stellt fest, dass die NEL von vielen Paaren als voreheliche Form des Zusammenlebens und nicht als Alternative zur Ehe verstanden wird (Lauterbach 1999: 301f.). Damit ist die NEL in erster Linie eine neue Phase im Partnerschaftsprozess, die an die Stelle der Verlobung getreten ist und in vielen Fällen auf eine folgende Heirat verweist. Im Gegensatz zur NEL ist die Ehe mit einem festen Ereignis, der Hochzeit, verbunden und wird auch heute meist öffentlich angekündigt, gefeiert und bekannt gegeben. Darüber hinaus wird das Bestehen einer Ehe täglich über das Symbol des Eherings demonstriert. Ein Akt der öffentlichen Bestätigung der Partnerschaft und Liebesbeziehung, der von der Gesellschaft positiv sanktioniert wird. Aufgrund dieser Elemente ist die Hochzeit im Gegensatz zur NEL eine „rite des passage“ im klassischen Sinne. Trotz der zunehmenden Verbreitung von Kohabitationen, hat die Ehe nach wie vor eine hohe Bedeutung, da sie eine Art „Investitionssicherung“ bedeutet. Die Partnerschaft erhält durch die Ehe einen neuen rechtlichen Status, der in vielen Staaten auch mit steuerlichen oder anderen sozialpolitischen Vorteilen verbunden ist. Deshalb werden weitere Investitionen in die Partnerschaft, seien es materielle (beispielsweise der Kauf einer Wohnung) oder die Gründung einer Familie, häufig erst nach der Eheschließung getätigt oder mit einer Heirat verbunden. Insgesamt steigen mit der Eheschließung die gegenseitigen Verpflichtungen der Partner und damit auch die Kosten für eine Trennung. Sowohl für die Ehe als auch für die nichteheliche Lebensgemeinschaft gilt, dass sich im Laufe der Zeit oft die emotionale Grundlage innerhalb der Partnerschaft verändert. Sie entwickelt sich von einer leidenschaftlichen zu einer partnerschaftlichen Liebe. Hill und Kopp beschreiben die Veränderung folgendermaßen: Dies bedeutet: Wenn die Paarbeziehung über das Stadium der romantischen Liebe hinaus stabil sein soll, dann muss die Interaktion [zwischen den Partnern] wechselseitig einen hohen Belohnungswert aufweisen oder zumindest die beste Option unter allen subjektiv möglichen Alternativen darstellen. (Hill et al. 2001: 17)
Die Fähigkeit, eine derartige Beziehung dauerhaft zu führen, ist ein deutliches Indiz für die endgültige Ablösung vom Elternhaus und die soziale Verselbständigung. Nach Nave-Herz folgt im klassischen Phasenablaufprozess auf die Eheschließung die Geburt von Kindern (Nave-Herz 2000: 261). Obgleich die soziale Selbständigkeit bereits über die gemeinsame Haushaltsgründung mit einem Partner oder die Eheschließung erreicht werden kann, ist die Elternschaft dennoch 44
ein wichtiger Indikator im Übergangsprozess vom Jugendlichen zum Erwachsenen.26 Im Gegensatz zu den anderen Ereignissen, hat die Elternschaft einen endgültigen Charakter. Partner können sich trennen und man kann auch im späten Erwachsenenalter wieder ins Elternhaus zurückkehren, aber eine Elternschaft ist nicht reversibel.27 Die Verantwortung für ein Kind bleibt bestehen und demnach geht mit der Entscheidung für ein Kind auf jeden Fall der Wechsel in den Erwachsenenstatus einher: „Wer für ein Kind sorgen muss, kommt nicht mehr daran vorbei, sich erwachsen zu sehen“ (Meulemann 2001: 49).28 Wie bei der Ehe, gilt auch für die Elternschaft, dass sie heute mehr denn je nur eine von vielen Optionen ist. Die Familiengründung steht gewissermaßen in Konkurrenz zu Zielen in anderen Bereichen (insbesondere Beruf und Freizeit) und hat für Frauen einen weit stärkeren Einfluss auf die Lebensgestaltung als für Männern. Schneider (1999) beschreibt dies treffend: Während der Lebenslauf der Väter durch die Geburt eines Kindes in vieler Hinsicht vergleichsweise wenig tangiert wird – insbesondere besteht ganz im Unterschied zu den Frauen kein Zusammenhang zwischen ihrer Berufstätigkeit und dem Übergang zur Elternschaft – erfahren die Frauen nach der Geburt eines Kindes in den meisten Fällen eine durchgreifende Umgestaltung ihrer Lebensumstände. Dieser Wandel manifestiert sich in der Stabilisierung traditionaler komplementärer Geschlechterrollen, im Verlust der ökonomischen Unabhängigkeit und in den Einschränkungen bei den außerhäuslichen Freizeitaktivitäten. (Schneider et al. 1999: 20)
Es überrascht daher nicht, dass die Konkurrenz von Elternschaft und Berufstätigkeit von Frauen stärker erlebt wird und dass die zunehmende Bildungsbeteiligung der Frauen einen Einfluss auf die Familiengründung hat. Insbesondere Frauen mit einer hohen Qualifikation wollen ihre erworbene Bildung in einem adäquaten Beruf umsetzen. Sie verzichten im Hinblick auf die eigene Karriere auf die Elternschaft oder zögern diese Entscheidung hinaus. Dabei besteht die Gefahr, dass der Zeitpunkt für einen zumindest vorübergehenden Ausstieg aus dem Berufsleben (zugunsten eines Kindes) verpasst wird (Vaskovics 2001: 235). Unter diesen Voraussetzungen stellt die Entscheidung für Kinder heute ein be26
Auch Shanahan betont in seinem Übersichtsartikel zum aktuellen Forschungsstand auf diesem Gebiet, dass „becoming a parent“ ein Ereignis ist, dass den Übergang ins Erwachsenenalter markiert (Shanahan 2000: 667). 27 „... die Konsequenzen, die aus der Geburt eines Kindes resultieren, sind hinsichtlich ihrer sozialen Verbindlichkeit, ihrer Dauerhaftigkeit und ihrer Auswirkungen für das Paarsystem sowie für die beiden Elternteile mit kaum einem anderen Ereignis vergleichbar. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass die Eltern-Kind-Beziehung in einer sich individualisierenden Gesellschaft als einzige Bindung nicht prinzipiell auflösbar ist.“ (Schneider et al. 1999: 20) 28 Zum Zusammenhang zwischen Selbstdefinition als Erwachsener und Elternschaft siehe auch (Briedis 2003; Stecher 1996).
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sonders deutliches Zeichen zugunsten der Familie und gegen die Verlängerung der Jugend oder jungen Erwachsenenphase dar. Der Wert von Kindern besteht in modernen Industrienationen in erster Linie in ihrem emotionalen Gewinn. Allerdings nehmen die Alternativen zur Optimierung von emotionalem Nutzen zu, was ebenfalls zu einer höheren Kinderlosigkeit führen kann (Nauck 2001: 429). Vier mögliche Ereignisse stehen demnach im Mittelpunkt des sozialen Verselbständigungsprozesses. Der Phasenablaufprozess bei der Partnerschaft (vgl. Nave-Herz 2000) legt nahe, dass es eine normative Reihenfolge bei diesen Ereignissen gibt: Am Anfang des Prozesses steht der Auszug aus dem Elternhaus. Der zweite Schritt ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die allerdings keine Voraussetzung für den dritten Schritt, die Eheschließung, ist. Das vierte und letzte Ereignis ist die Elternschaft. Ob man sich selbst als Jugendlicher oder Erwachsener definiert, hängt stark davon ab, ob man diese Ereignisse der sozialen Verselbständigung erlebt hat oder nicht. Für junge Erwachsene aus Westdeutschland kommt Stecher zu dem Ergebnis, dass es „vor allem jene Übergänge [sind], die mit der Ablösung vom Elternhaus (inkl. der Gründung einer eigenen Familie) und dem Aufbau gegengeschlechtlicher Beziehungen zusammenhängen“, die diese Selbstdefinition bestimmen (Stecher 1996: 155).29 Von den in dieser Arbeit berücksichtigten Ereignissen bestimmen vor allem die Heirat und das Zusammenleben mit einem Partner den Wechsel vom Jugend- in den Erwachsenenstatus (Stecher 1996: 153). Demnach kann der soziale Verselbständigungsprozess bereits dann als abgeschlossen gewertet werden, wenn eines dieser beiden Ereignisse erlebt wurde. Obwohl der soziale Verselbständigungsprozess offenbar eine besonders hohe Bedeutung hat, kann der ökonomische Verselbständigungsprozess nicht vernachlässigt werden. Dieser zweite Teilprozess ist dann abgeschlossen, wenn man nicht mehr auf die finanzielle Hilfe der Eltern angewiesen ist, um sein tägliches Leben zu meistern. Der offensichtlichste Weg zur ökonomischen Selbständigkeit geht über eine Erwerbstätigkeit. Dabei ist es zweitrangig, ob man als Arbeiter, Angestellter oder Selbständiger seinen Lebensunterhalt verdient, wenngleich die Art der beruflichen Stellung ein wichtiges Kriterium für die Bestimmung der gesellschaftlichen Position ist. Für die Unterscheidung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ist allein entscheidend, ob eine bezahlte Erwerbstätigkeit vorliegt, die über einen längeren Zeitraum die finanzielle Unabhängigkeit garantiert. Neben der neuen sozialen Stellung eröffnet eine Erwerbstätigkeit auch ökonomische Möglichkeiten. Das erste selbstverdiente Geld ist ein wichtiger Schritt in die Unabhängigkeit, Eigenverantwortung und Ablösung von 29
Im Vergleich dazu „spielen berufsbiographische Übergänge eine untergeordnete Rolle“ für die Selbstdefinition als Jugendlicher oder Erwachsener (Stecher 1996: 160).
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den Eltern. Bemerkenswert ist zudem, dass sich in den meisten Ländern der Bezug von staatlicher Hilfe daran orientiert, ob man zuvor erwerbstätig war oder nicht. Arbeitslosengeld, das nur an Personen ausgezahlt wird, die ihre Arbeit verloren haben, ist meist höher als die Sozialhilfe, die von allen Bedürftigen in Anspruch genommen werden kann. Gerade für junge Erwachsene ist daher ein gelungener Einstieg in den Arbeitsmarkt von hoher Bedeutung, da sich somit auch ihre Ansprüche gegenüber dem Sozialstaat wandeln. Auch mit Blick auf die zukünftige Karriere ist ein problemloser Start im Berufsleben wichtig: Ein gelungener Übergang in den Arbeitsmarkt, der in ein langfristiges Vollzeiterwerbsverhältnis mündet, ist zum einen stark von einer beruflichen Qualifikation und zum anderen vom Einstieg über ein Vollzeitverhältnis direkt nach der Ausbildung abhängig. Der Start des Erwerbsverlaufes kann diesen Ergebnissen zufolge als 'sensible Phase' bezeichnet werden. (Lauterbach et al. 2001: 276f.)
Die Erwerbstätigkeit ist insgesamt der klarste Weg zur ökonomischen Ablösung vom Elternhaus, aber es darf nicht vernachlässigt werden, dass es weitere Möglichkeiten gibt. So ist es auch für junge Erwachsene möglich, über den Bezug staatlicher Hilfe eine gewisse ökonomische Selbständigkeit zu erreichen. Allerdings gibt es dabei große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und in manchen Fällen werden die Eltern von staatlicher Seite verpflichtet, einen Anteil an der Versorgung der jungen Erwachsenen zu leisten.30 Da ausreichende Sozialleistungen zudem häufig an eine frühere Erwerbstätigkeit gebunden sind, können junge Erwachsene nur selten ihre ökonomische Selbständigkeit allein über staatliche Hilfsmaßnahmen erlangen. Von größerer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang daher die gemeinsame Haushaltsführung mit einem Partner. Auch auf diesem Weg kann der ökonomische Verselbständigungsprozess abgeschlossen werden. Das traditionelle Modell besteht aus einem erwerbstätigen Ehemann und einer für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständige Ehefrau. Zwar hat die Ehefrau nicht direkt ein eigenes Einkommen, aber sie ist auch nicht mehr auf die Hilfe der eigenen Eltern angewiesen. In anderen Worten: For women, the economic dependence of marriage or cohabitation is regarded as a form of independence to the extent that the situation is socially stable and exempts them from competition over work and housing. (Férnandez Cordón 1997: 583)
In vielen Fällen ist die Ehefrau zudem über den erwerbstätigen Ehemann versichert, und gesetzliche Regelungen garantieren, dass sie auch im Falle einer 30
Die Bedeutung des Wohlfahrtsstaates für die jungen Erwachsenen wird ausführlich im dritten Kapitel erörtert.
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Scheidung weiter Leistungen vom ehemaligen Partner erhält. Das bedeutet, dass die ökonomische Unabhängigkeit von den Eltern nicht nur über eine eigene Erwerbstätigkeit, sondern auch über einen gemeinsamen Haushalt mit einem Partner oder die Eheschließung erreicht werden kann.
2.2.4 Normative Muster beim Übergang in das Erwachsenenalter In der soziologischen Forschung wird die zentrale Bedeutung der oben genannten Statusveränderungen für den Übergang in das Erwachsenenalter bestätigt.31 In verschiedenen Studien wird dabei die Varianz bei einzelnen Ereignissen oder die Dauer zwischen einzelnen Statusveränderungen untersucht. Dabei wird implizit eine normative Reihenfolge der verschiedenen Übergangsereignisse unterstellt. Ein solches normatives Übergangsmuster erfüllt dabei die gleichen Funktionen wie der Normallebenslauf für den gesamten Lebensverlauf (vgl. Abschnitt 2.1.1). Allerdings wird nur in wenigen Studien explizit eine genaue normative Reihenfolge der Übergangsereignisse definiert.32 Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahmen Modell et al. (1978), die eine der ersten umfassenden empirischen Untersuchungen zum Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter verfasst haben.33 Darin unterscheiden sie anhand von fünf Ereignissen zwischen dem Jugend- und Erwachsenenstatus: „Abgang von der Schule, Eintritt ins Berufsleben, Verlassen der Herkunftsfamilie, Heirat und Gründung eines Haushalts“ (Modell et al. 1978: 228). Auf Basis der Reihenfolge und zeitlichen Streuung dieser fünf Statuspassagen, vergleichen die Autoren den Übergang ins Erwachsenenalter von jungen US-Amerikanern aus den Jahren 1880 und 1970 miteinander. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich im Laufe der Zeit eine bestimmte Reihenfolge der Lebensereignisse etabliert hat (Schulabschluss, Berufseintritt, Auszug und Heirat) und dass die Altersvarianz abgenommen hat.34 31
Vgl. die Übersichtsartikel zu diesem Forschungsfeld von (Hogan et al. 1986), (Shanahan 2000) und (Fend et al. 2001). 32 Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wird meist nur das Alter bei einem Übergangsereignis untersucht, so dass sich die Frage nach der Reihenfolge mehrere Ereignisse nicht stellt. Zum anderen will man sich offensichtlich nicht der Kritik aussetzen, die eine solch normative Definition mit sich bringen kann. 33 Der Aufsatz erschien im englischen Original 1976 im Journal for Family History. 34 „Unsere quantitativen Belege erweitern das Argument [...], dass der weite Spielraum für Wahlmöglichkeiten, der das Aufwachsen im 19. Jahrhundert charakterisiert hat, heute durch einen stärker vorgeschriebenen und enger definierten Zeitplan der Lebenslauforganisation ersetzt worden ist. Die Verbreitung der üblichen Übergänge hat etwas zugenommen, und bei den meisten Übergängen ist der Streubereich enger geworden, manchmal sehr ausgeprägt. Das relative Timing für die verschiedenen Statusse – besonders die Annäherung der familialen und der nicht-familialen Übergänge – hat eine Situation mit weit größerer Alterskongruenz geschaffen.“ (Modell et al. 1978: 244)
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Die Einmündung in das Erwachsenenalter findet demnach 1970 in den USA innerhalb weniger Jahre statt und die Verbreitung der üblichen Übergänge, oder der Normalbiographie, hat zugenommen (Modell et al. 1978: 244). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Hogan, der ein normatives Muster aus den drei Ereignissen Schulabschluss, Berufseinstieg und Heirat (in dieser Reihenfolge) konstruiert. Gleichzeitig geht er einen Schritt weiter, da er deutlich macht, dass es für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorteilhaft ist, wenn sie diesem normativen Mustern folgen: The basic idea underlying this analysis is that the passage of an American boy from adolescence to adulthood occurs optimally in a socially prescribed fashion when he first finishes his formal schooling, next becomes financially independent through employment at a full-time job, and finally forms a family of procreation by marriage. Such a sequence of events is viewed as 'natural' in the American social setting with its custom of neolocally-resident families. The structures of social institutions are designed for compatibility with such a 'natural' pattern. (Hogan 1978: 574)
Dieses natürliche oder normative Muster passt also zu den gesellschaftlichen Institutionen, die die jungen Erwachsenen umgeben. Jugendliche, die diesem Übergangsverlauf folgen, ziehen daraus verschiedene Vorteile. Hogan stellt beispielsweise fest, dass deren Scheidungsrate geringer ist (Hogan 1978: 573f). In seiner Untersuchung zum Einmündungsverlauf britischer junger Erwachsener, greift auch Kerckhoff auf dieses „natürliche Muster“ zurück: Although all five events tended to occur within a relatively short period of time for most people [...], some authors have suggested that there is a 'normal' order in which they occur. [...] leave school, enter the labor force, leave home, get married and become a parent. (Kerckhoff 1990: 19)
Obgleich damit an mehreren Stellen ein gemeinsames normatives Übergangsmuster in das Erwachsenenalter für die modernen Industrienationen definiert wird, stellt Shanahan in seinem Übersichtsartikel genau an dieser Stelle ein Forschungsdefizit fest, da die Bedeutung dieser Sequenz oder Abweichungen davon bisher nicht ausreichend untersucht wurden. Er regt daher folgenden Forschungsansatz an: In the context of the transition to adulthood, one could classify cases by their degree of dissimilarity to Hogan's normative sequence of transition makers. Predictors and consequences of non-normative transition patterns could then be examined. (Shanahan 2000: 684)
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Über eine derartige Vorgehensweise könnte anhand mehrerer Kohortengruppen auch untersucht werden, wie sich der Einmündungsverlauf verändert hat und ob die von Kohli postulierte Destandardisierung tatsächlich eingetreten ist. Beim Vergleich mehrerer Länder böte sich die Möglichkeit zu analysieren, ob es in manchen Gesellschaften besonders häufig zu Abweichungen von diesem normativen Muster kommt. Das von Shanahan im Jahre 2000 angeführte Muster von Hogan (1978) bezieht sich allerdings auf junge US-Amerikaner der Geburtskohorten 1907 bis 1952, bei denen beispielsweise nichteheliche Lebensgemeinschaften keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Bei der Umsetzung des von Shanahan angeregten Forschungsansatzes müssen demnach diese aktuellen Veränderungen berücksichtigt werden. Im folgenden Abschnitt werden daher auf Basis der bisherigen Definition zwei neue normative Übergangsmuster definiert. Wie bereits dargelegt, besteht der soziale Verselbständigungsprozess aus vier Ereignissen. Der Phasenablaufprozess bei der Partnerschaft (vgl. Nave-Herz 2000) legt dabei folgende normative Reihenfolge zugrunde: Auszug aus dem Elternhaus, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Heirat und Elternschaft. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist dabei optional und keine Voraussetzung für die soziale Verselbständigung, wenn auch einiges darauf hindeutet, dass die NEL eine neue Vorstufe zur Ehe darstellt (Lauterbach 1999). Der Prozess der ökonomischen Verselbständigung muss sich in dieses Muster eingliedern. Bei den zitierten Übergangsmustern von Modell et al. (1978) oder Hogan (1978) wird angenommen, dass der Berufseinstieg am Anfang des Übergangsprozesses steht.35 Dabei werden allerdings die traditionellen Geschlechterrollen ausgeblendet und übersehen, dass ein Teil der Frauen zugunsten der Partnerschaft und Familie auf eine eigene berufliche Karriere verzichtet, diese unterbricht oder, erst wenn die Kinder ein gewisses Alter erreicht haben, selbst in den Arbeitsmarkt einsteigt. Das bedeutet, dass zwei verschiede normative Muster vorliegen müssen: Im ersten Muster bildet die Erwerbstätigkeit die Basis für die ökonomische Selbständigkeit. Dieser Weg in das Erwachsenenalter dient den jungen Männern in den modernen Industrienationen als normative Vorlage. Er steht auch den jungen Frauen offen, die sich aber auch an einem zweiten normativen Muster orientieren können. In diesem zweiten Muster wird die ökonomische Unabhängigkeit vom Elternhaus über die gemeinsame Haushaltsführung und Heirat
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Während der Schulabschluss das Ende der Jugend markiert, was aber hier nicht weiter berücksichtigt wird, da sich die Untersuchung auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter konzentriert.
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mit einem Partner erreicht.36 Die beiden normativen Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter werden in der folgenden Abbildung zusammengefasst: Abbildung 2:
Normative Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter Allgemeiner normativer Einmündungsverlauf
Auszug NEL (optional)
Familiengründung
Heirat
Erste Arbeitserfahrung
Traditioneller weiblicher Einmündungsverlauf
Auszug
NEL (optional)
Familiengründung
Heirat
Erste Arbeitserfahrung
Die Reihenfolge beim ersten normativen Übergangsmuster lautet folgendermaßen: Auszug aus dem Elternhaus oder Berufseinstieg stehen an erster Stelle; auf diese beiden Ereignisse folgen die nichteheliche Lebensgemeinschaft (optional), die Heirat und die Elternschaft. Das bedeutet, dass in diesem Muster die ökonomische Selbständigkeit (über das Arbeitseinkommen) die Grundlage für den sozialen Verselbständigungsprozess bildet. Lediglich der Auszug aus dem Elternhaus kann vor der Erwerbstätigkeit liegen, da der erste Arbeitsplatz eventuell einen Ortswechsel mit sich zieht. Für den Prozess der Partnerschaftsbildung wird eine Abhängigkeit zum beruflichen Lebenslauf unterstellt: eine gemeinsame Haushaltsgründung oder Heirat erfolgt erst dann, wenn eine ausreichende ökonomische Sicherheit besteht (Hellwig 2001b: 46f.). An diesem ersten Verlaufs36
Wie erläutert, kann die ökonomische Selbständigkeit auch über staatliche Hilfe erreicht werden. Dies entspricht aber nicht dem normalen Muster und muss daher bei der Definition einer normativen Reihenfolge nicht berücksichtigt werden.
51
muster können sich sowohl Männer als auch Frauen bei ihrem Übergang ins Erwachsenenalter orientieren. Das zweite normative Übergangsmuster entspricht dem traditionellen weiblichen Lebenslauf. Hier wird die ökonomische Unabhängigkeit von den Eltern nicht über eine eigene Erwerbstätigkeit, sondern über die gemeinsame Haushaltsführung mit einem Ehepartner erreicht. Bei diesem Muster steht der Auszug aus dem Elternhaus an erster Stelle, es folgen nichteheliche Lebensgemeinschaft, Heirat und Elternschaft. Eine Berufstätigkeit wird dadurch nicht ausgeschlossen und kann sowohl vor, als auch nach der Heirat und Mutterschaft liegen. In beiden Verlaufsmustern ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft lediglich als Option, aber nicht zwingender Schritt eingebaut. Das bedeutet, dass die NEL mittlerweile eine so hohe Akzeptanz erreicht hat, dass sie als Teil des normativen Übergangsmusters verstanden werden kann, aber nicht zwingend vorausgesetzt werden muss.
2.2.5 Kerndimensionen der Lebensverlaufanalyse und Einbettung der Übergangsphase Anhand dieser beiden normativen Verlaufsmuster für den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen kann der von Shanahan eingeforderte Forschungsansatz weiter ausgearbeitet werden. Indem die Reihenfolge oder Sequenz der relevanten Übergangsereignisse miteinander verglichen wird, können sowohl die Bedeutung der normativen Muster als auch Abweichungen von diesen Modellen untersucht werden. Neben der Sequenz stellen die Prävalenz und der Zeitpunkt der einzelnen Ereignisse die zentralen Dimensionen in der Lebensverlaufforschung dar (Hagestad 1991: 32f). Die Verbreitung einzelner Lebensereignisse steht bei der Frage nach der Prävalenz im Mittelpunkt. Über den Zeitpunkt oder das Alter bei den verschiedenen Statusveränderungen kann die Bedeutung von Altersnormen untersucht werden. Alle drei Dimensionen eignen sich dafür, Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen herauszustellen. Auch im Hinblick auf die Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter stellen Prävalenz, Zeitpunkt und Sequenz die Aspekte dar, die die Analyse leiten. In Anlehnung an Levy (1996) können drei Kriterien entwickelt werden, mit denen das Ausmaß der Destandardisierung gemessen werden kann: 1.
52
Zu- oder Abnahme von einzelnen Ereignissen: So ist beispielsweise eine Abnahme von Eheschließungen ein Indiz für den Bedeutungsverlust dieser
2.
3.
Institution, während eine Zunahme von nichtehelichen Partnerschaften auf neue Wahlmöglichkeiten hinweist. Zu- oder Abnahme einer festen Reihenfolge der Statuswechsel: Wird festgestellt, dass die jüngeren Geburtsjahrgänge die Übergangsereignisse nicht mehr so häufig nach dem normativen Muster durchlaufen (z.B. Heirat erst nach der Elternschaft), ist dies ein Zeichen für die Destandardisierung. Zu- oder Abnahme der Altersvarianz bei den Ereignissen: Wenn die Statuswechsel immer seltener zu einem bestimmten Alter vollzogen werden und die Altersvarianz ansteigt, spricht auch das für eine Destandardisierung.
Während die ersten beiden Kriterien über die Reihenfolge beziehungsweise über das Auftreten der Ereignisse untersucht werden können, ist beim dritten Aspekt der Zeitpunkt der Ereignisse, das heißt das Lebensalter, ausschlaggebend. Die expliziten und impliziten Altersnormen, die den gesamten Lebensverlauf strukturieren, sind auch für den Einmündungsverlauf relevant. 37 Wie der gesamte Lebensverlauf, ist auch der Übergang ins Erwachsenenalter ein Ergebnis aus dem Zusammenspiel von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Ressourcen.38 Auf der einen Seite sind es vor allem sozialstaatliche Regelungen und gesellschaftliche Normen, an denen sich die Jugendlichen bei den bevorstehenden Entwicklungsaufgaben orientieren. Auf der anderen Seite treffen sie innerhalb dieses Rahmens, auf der Basis ihrer eigenen Fähigkeiten und sozialen Merkmale, die Entscheidungen über die konkrete Gestaltung der einzelnen Statusveränderungen und des gesamten Einmündungsverlaufes. Die Bedeutung der makrostrukturellen Faktoren für den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter kann nach Cook und Furstenberg (2002) am besten über einen internationalen Vergleich erfasst werden. Sie stellen in diesem Zusammenhang folgendes fest: In nation after nation, young people younger than sixteen live in their family of origin, attend school full-time, are not employed, are unmarried, and are childless. After about age thirty-five national variation is again minimal. […] In contrast, between ages sixteen and thirty-five, nations differ markedly in how and when transitions occur in the school, family, and work domains and in how the domains intersect with each other as individual pass into full adult status. (Cook et al. 2002: 258)
Das bedeutet, dass es, trotz des gesellschaftsübergreifenden Konzepts des Normallebenslaufes und der zwei normativen Übergangsmuster, starke Länderunterschiede bei der konkreten Ausgestaltung des Einmündungsverlaufes gibt. Ziel 37 38
Vgl. Abschnitt 2.1.1 Standardisierung und Normallebenslauf. Vgl. Abschnitt 2.1.2 Die Einbettung des Lebensverlaufes.
53
der hier vorliegenden empirischen Untersuchung ist es, die Variationen beim Übergang sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern zu untersuchen. Im dritten Kapitel werden die für diese Lebensphase entscheidenden Unterschiede zwischen den ausgewählten Ländern vorgestellt. Das vierte Kapitel widmet sich dagegen den individuellen sozialen Merkmalen und Ressourcen, die einen Einfluss auf die Gestaltung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter haben. Mit den Variablen auf Mirkoebene können sowohl Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder aufgezeigt werden als auch untersucht werden, ob es spezifische soziale Gruppen gibt, die beim Übergang ins Erwachsenenalter vor besonderen Schwierigkeiten stehen. In diesem Kapitel wurden zunächst die wichtigsten Elemente der soziologischen Lebenslauftheorie zusammengefasst. Anschließend wurde dieses Konzept auf den hier untersuchten Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter übertragen. Im zweiten Teil wurden zunächst verschiedene Möglichkeiten zur Unterscheidung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen vorgestellt. Sowohl gesetzliche Definitionen als auch biologische Merkmale sind aber für eine soziologische Analyse nicht ausreichend, da sie letztlich nichts darüber aussagen, ob eine Person den gesellschaftlichen Erwachsenenstatus erlangt hat oder nicht (Abschnitt 2.2.1). Im Anschluss daran wurde ein erstes soziologisches Konzept von Jugend- und Erwachsenenstatus vorgestellt, das sich auf die Ereignisse Berufsfindung und Heirat konzentriert (Abschnitt 2.2.2). Auch diese Definition ist für eine eingehende Analyse des Übergangs in das Erwachsenenalter nicht geeignet, da weder Veränderungen in dieser Phase noch abweichende Übergangsmuster erfasst werden können. Eine überarbeitete Definition unterscheidet stattdessen zwischen dem sozialen und dem ökonomischen Verselbständigungsprozess (Abschnitt 2.2.3). Nach dieser Definition haben „Jugendliche“ keinen, „junge Erwachsene“ nur einen und „Erwachsene“ beide Teilprozesse abgeschlossen. Um sowohl die zeitliche Dauer als auch unterschiedliche Einmündungsverläufe erfassen zu können, wurden fünf zentrale Ereignisse der sozialen und ökonomischen Verselbständigung bestimmt: Auszug aus dem Elternhaus, Berufseinstieg, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Heirat und Elternschaft. Es wurden zwei normative Verlaufsmuster definiert, die für den Übergang in das Erwachsenenalter die gleichen Funktionen erfüllen, wie der Normallebenslauf für den gesamten Lebensweg (Abschnitt 2.2.4). Diese normative Sequenz, der Zeitpunkt und die Prävalenz der relevanten Übergangsereignisse, bilden die Kerndimensionen für die Analyse des Einmündungsverlaufes. Wie der gesamte Lebensverlauf ist auch die Übergangsphase auf der einen Seite in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet und variiert auf der anderen Seite nach sozialen Merkmalen und persönlichem Potential (Abschnitt 2.2.5).
54
Auf dieser Basis können in der weiteren Untersuchung drei Schwerpunkte gesetzt werden. Erstens kann überprüft werden, ob sich der Übergang ins Erwachsenenalter in den letzten Jahrzehnten destandardisiert oder individualisiert hat. Aus diesem Grund werden im empirischen Teil dieser Arbeit drei Kohortengruppen verglichen. Zweitens kann untersucht werden, welche individuellen Faktoren den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter beeinflussen. Drittens hängen die beiden Verselbständigungsprozesse mit verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen und Feldern zusammen, die je nach Land zum Teil anders organisiert sind. Die Auswirkungen der nationalen Regelungen können über einen internationalen Vergleich analysiert werden. Im folgenden Kapitel werden mit Italien, Westdeutschland und Schweden drei Vertreter der bedeutendsten europäischen Wohlfahrtssysteme ausgewählt und deren wichtigste Eigenschaften im Hinblick auf den Einmündungsprozess ins Erwachsenenalter erläutert.
55
3 Die sozialstaatlichen Rahmenbedingungen beim Weg in das Erwachsenenalter in Italien, Westdeutschland und Schweden
Im empirischen Teil der Arbeit wird der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen in Italien, Westdeutschland und Schweden untersucht. Es wird angenommen, dass der soziale Kontext dabei sowohl Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet als auch Entwicklungen begrenzt. Wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, haben insbesondere sozialstaatliche Leistungen einen starken Einfluss auf die Gestaltung des Lebenslaufes. Da es hier große internationale Unterschiede gibt, werden innerhalb Europas verschiedene Übergangsmuster in das Erwachsenenalter erwartet.39 Indirekt lässt sich darüber auch ablesen, welche sozialstaatlichen Rahmenbedingungen sich positiv auf den ökonomischen und sozialen Verselbständigungsprozess der jungen Erwachsenen auswirken. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werden verschiedene wohlfahrtsstaatliche Modelle vorgestellt und darauf aufbauend die Auswahl der drei Länder begründet. Im zweiten Teil rückt der Einmündungsverlauf ins Erwachsenenalter wieder in das Blickfeld: Es wird untersucht, welche Bereiche des Sozialstaates diese Übergangsphase beeinflussen und welche Regelungen es den drei ausgewählten Ländern gibt.
3.1 Die europäischen Wohlfahrtssysteme im Überblick Obgleich Europa auf einen gemeinsamen, hier entstandenen Weg der Modernisierung zurück blicken kann, ist der Kontinent auch durch kulturelle, religiöse und politische Vielfalt geprägt (Hradil et al. 1997: 12). Um die verschiedenen Muster beim Einmündungsprozess ins Erwachsenenalter in Europa adäquat erfassen zu können, wurden drei Länder ausgewählt, die die wichtigsten wohlfahrtsstaatlichen Modelle repräsentieren und zudem kulturelle und religiöse 39
„In fact, the European Union can be seen as a natural laboratory, where labour market performance (providing jobs and earnings), welfare state support (social services, transfers; labour market policies; family policies), and family support (family formation and structure), should explain the timing of transitions to adulthood.“ (Vogel 2002: 276)
57
Unterschiede aufweisen. Westdeutschland ist ein Vertreter der konservativen mitteleuropäischen Wohlfahrtsstaaten, Schweden steht für das sozialdemokratisch-nordeuropäische und Italien für das familienbasierte südeuropäische Modell.40 Diese Differenzierung in verschiedene Wohlfahrtsstaatsmodelle geht auf den Dänen Gøsta Esping-Andersen zurück (Esping-Andersen 1990).41 Die „Stratifizierung“ und der „De-Kommodifizierungsgrad“ sind die entscheidenden Kriterien für seine Typenbildung (vgl. Esping-Andersen 1990: 21 und 1998: 39f.). Mit der Stratifizierung wird untersucht, ob der Sozialstaat mit seinen Leistungen eine Schichtung der Gesellschaft fördert, da nur bestimmte Gruppen unterstützt werden, oder ein weit gefasster Solidaritätsbegriff verwendet wird, mit der Auswirkung, dass alle Bürger in gleicher Weise von den Sozialleistungen profitieren können. Der De-Kommodifizierungsgrad misst sowohl die Höhe als auch die rechtliche Verankerung der Sozialleistungen. Je höher und je besser abgesichert die Leistungsansprüche sind, desto höher ist auch der De-Kommodifizierungsgrad. Anhand dieser Kriterien unterscheidet Esping-Andersen ursprünglich zwischen drei wohlfahrtsstaatlichen Regimen: dem liberalen, dem korporatistischen und dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat (EspingAndersen 1998: 43ff.). Die Typologie wird in Tabelle vier zusammengefasst. Das Konzept von Esping-Andersen erhielt in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine hohe Resonanz.42 Ein Kritikpunkt an der Typologie lautet, dass sie zu starr sei und mögliche Veränderungen in den einzelnen Ländern nicht erfasse. Dieser Kritik kann entgegnet werden, dass die in frühen Entwicklungsphasen der nationalen Wohlfahrtsstaaten getroffenen Weichenstellungen die Handlungsmöglichkeiten für alle späteren kollektiven Akteure bestimmen. Politiktheoretisch entspricht dies einem institutionalistischen Ansatz, der das 'institutionelle Erbe' der Vergangenheit als Restriktion für den Handlungsspielraum der gegenwärtigen Akteure – unabhängig von deren jeweiligen Interessen und Intentionen – erkennt und anerkennt. (Kohl 2000: 125)
Das bedeutet, dass es trotz wechselnder Regierungen oder Veränderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen normalerweise nicht zu einer vollstän40
Der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ wird dabei folgendermaßen definiert: „From a logical point of view, the general term 'welfare state' is a label for a certain class of democratic industrial capitalist societies, characterized by certain properties (i.e. social citizenship or the fact that more or less extensive welfare provisions are legally provided, or, in still other words, the fact that the state plays a principal part in the welfare mix alongside the market, civil society, and the family).“ (Arts et al. 2002: 139) 41 Esping-Andersen geht davon aus, dass der Wohlfahrtsstaat mehr ist als die Summe seiner Sozialpolitiken, da es eine institutionelle Kraft über und hinter der politischen Anordnung gibt (EspingAndersen 1998: 34f.). 42 Zur Würdigung von Esping-Andersens Arbeit siehe beispielsweise Kohl (1993) und Offe (1993).
58
digen Abkehr vom bestehenden Modell kommt. In seiner Untersuchung zum deutschen Sozialstaat zeigt Kohl (2000), dass es in der Weimarer Zeit und nach dem Zweiten Weltkrieg, Veränderungen und Gewichtsverlagerungen im wohlfahrtsstaatlichen Institutionssystem gab, aber das Modell der Sozialversicherung nie in Frage gestellt wurde. Es kann demnach kein grundsätzlicher Wechsel des Wohlfahrtsregimes festgestellt werden (Kohl 2000: 141). Tabelle 4: Wohlfahrtsstaatliche Regime nach Esping-Andersen Typologie Liberale Wohlfahrtsstaaten
Korporatistische Wohlfahrtsstaaten
Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten
Eigenschaften Niedriger De-Kommodifizierungsgrad Marktförmig differenzierte Wohlfahrt Staat bietet nur minimale Leistungen und subventioniert private Sicherungsformen Mittlerer De-Kommodifizierungsgrad Staat organisiert Wohlfahrt, wenn die Selbsthilfefähigkeit der Familie erschöpft ist Ansprüche hängen weitgehend vom Erwerbsstatus ab Hoher De-Kommodifizierungsgrad Staat leistet Wohlfahrt Ziel ist Gleichheit auf höchstem Niveau über ein universelles Versicherungssystem
Länder USA, Kanada, Australien, teilweise auch Dänemark, Schweiz und Großbritannien
Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien
Schweden und Norwegen, teilweise auch Dänemark und Finnland
Quelle: Nach Esping-Andersen 1998: 43ff.43
43
In einer früheren Publikation rechnet Esping-Andersen die Schweiz noch zum konservativen Typ (den er später korporatistisch nennt), während Österreich und Dänemark dem sozialdemokratischen Modell zugewiesen werden (Esping-Andersen 1990: 77f.).
59
Ein schwerwiegenderer Kritikpunkt an Esping-Andersens Modell bezieht sich auf die Kriterien bei der Typenbildung. Es hat sich gezeigt, dass sich der Ansatz zu sehr auf die Faktoren Erwerbsarbeit und soziale Schichtung konzentriert, während andere Aspekte außer Acht gelassen werden. Aus diesem Grund fällt die Kategorie der konservativen Wohlfahrtsstaaten zu heterogen aus. Einige mitteleuropäischen Länder sind föderalistisch organisiert, während die südeuropäischen durchwegs zentralistisch aufgebaut sind (Therborn 2000: 219f.). Dennoch werden beide Gruppen von Esping-Andersen unter dem Typ des korporatistischen oder konservativen Wohlfahrtsstaates zusammengefasst (EspingAndersen 1998: 44).44 Im Hinblick auf die Religion hat Rokkan festgestellt, dass es einen großen Unterschied zwischen den Ländern mit gemischten Konfessionen in Mitteleuropa und denen der Gegenreformation in Südeuropa gibt (Rokkan 1980: 123). In den gemischtkonfessionellen mitteleuropäischen Ländern kann eine garantierte soziale Absicherung und eine Annäherung der Lebensumstände von Männern und Frauen festgestellt werden (Höpflinger 1997: 114f). Dagegen ist der Katholizismus in den südeuropäischen Ländern nicht nur die dominierende Konfession, sondern die Kirche hat dort nach wie vor großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen und die private Lebensplanung. Die Familienpolitik ist traditionell, die Geschlechterrollen sind stark ausgeprägt und die individuellen sind Sozialleistungen gering. Im Unterschied zu anderen Wohlfahrtsstaaten gibt es in den Mittelmeerländern kein generelles Recht auf Wohlfahrt und kein definiertes Existenzminimum (Leibfried 1992: 253). Es überrascht daher nicht, dass eine Reihe von Autoren zwar den Ansatz von Esping-Andersen unterstützt, gleichzeitig aber verlangt, dass ein weiterer Typ dem Modell hinzugefügt wird, nämlich der südeuropäische familiaristische Wohlfahrtsstaat. Damit wird der korporatistische Typ auf die mitteleuropäischen Länder begrenzt.45 Auch Esping-Andersen zeigt ein prinzipielles Interesse an der Erweiterung seiner Typologie um diesen vierten Fall, vor allem im Bezug auf die Familienpolitik (Esping-Andersen 1996: 66). Im Hinblick auf Europa sind zwei Arbeiten hervorzuheben, die die Klassifikation von Esping-Andersen überarbeiten und erweitern. Ferrara (1996) unter44
Konkret zählt Esping-Andersen Italien zu den konservativen bzw. korporatistischen Staaten, während Spanien, Portugal oder Griechenland von ihm zunächst nicht berücksichtigt werden, was möglicherweise darauf schließen lässt, dass er Probleme hatte, diese Länder dem korporatistischen Typ zuzuordnen. 45 Auch eine clusteranalytische Überprüfung der Originaldaten von Esping-Andersen kommt in Europa auf vier Typen von Wohlfahrtsstaaten. Dabei zählt lediglich die Schweiz zum liberalen Cluster, während Italien, Österreich und Frankreich in einen konservativen Cluster eingeordnet werden. Dänemark, Norwegen und Schweden bleiben im sozialdemokratischen Typ, während alle verbleibenden Länder (Belgien, Deutschland, Finnland, Irland, Großbritannien, Niederlande) einem europäischem Cluster zugeordnet werden (Obinger et al. 1998: 126).
60
stützt die Forderung, dass mit dem südeuropäischen Wohlfahrtsregime ein vierter Typ in das Modell integriert wird. Bei seiner Analyse der damaligen zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union konzentriert er sich auf vier Dimensionen des sozialen Sicherungssystems: (1) die Anspruchsberechtigungen, (2) die Voraussetzungen, unter denen Hilfe geleistet wird, (3) die Finanzierung der Sozialsysteme und (4) die Verwaltung der Wohlfahrt. Auf Basis dieser Kriterien unterscheidet er zwischen vier Typen von Wohlfahrtsmodellen: einem skandinavischen, einem angelsächsischen, einem bismarckschen und einem südlichen (südeuropäischen) Modell. Zu letzterem zählt er Griechenland, Spanien, Italien und Portugal (Ferrera 1996: 19). Zu einer ähnlichen Aufteilung innerhalb Europas kommt auch Bonoli (1997). Sein Hauptkritikpunkt an der Typologie von Esping-Andersen ist, dass man anhand des De-Kommodifizierungsgrads nicht zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsmodellen unterscheidet. Auf der einen Seite gibt es das auf Bismarck zurückgehende Modell mit sich selbst verwaltende Sozialversicherungen, die durch Beiträge getragen werden. Auf der anderen Seite existiert das Beveridge-Modell, welches aus Steuermitteln finanziert wird und damit eine staatlich organisierte Versicherung darstellt (Bonoli 1997: 353f.). Deshalb stützt Bonoli seine Klassifikation von Wohlfahrtsstaaten zum einen auf die Finanzierungsart der Sozialversicherung und zum anderen auf die Summe der Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (Bonoli 1997: 359). Anhand dieser zwei Dimensionen definiert auch er vier Idealtypen von Wohlfahrtsstaaten, die zudem vier europäischen Regionen entsprechen: (1) staatlich finanzierte Systeme mit hohen Leistungen in Nordeuropa, (2) staatlich finanzierte Systeme mit niedrigen Leistungen in Großbritannien und Irland, (3) Beitragssysteme mit hohen Leistungen in Kontinentaleuropa und (4) Beitragssysteme mit niedrigen Leistungen in Südeuropa (Bonoli 1997: 360). In Tabelle 5 wird die Typologie beider Autoren mit den wichtigsten Eigenschaften der vier Wohlfahrtsregime zusammengefasst.
61
Tabelle 5: Wohlfahrtsstaatliche Regime nach Ferrera und Bonoli46 Typologie Skandinavisches Modell (Ferrera) Nordeuropäisches Modell (Bonoli)
Angelsächsisches Modell (Ferrera)
Britisch (Bonoli)
Modell nach Bismarck (Ferrera) Kontinental (Bonoli)
Südliches Modell (Ferrera)
Süd-europäisch (Bonoli)
Eigenschaften Soziale Sicherheit als Bürgerrecht mit gleichen Rechten, großzügige Absicherung für viele Risiken, über Steuern finanziert Finanzierung über Steuern (Beveridge), hohe Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), gesamte Bevölkerung gleichwertig hoch abgesichert Öffentliche Verwaltung organisiert das System bei Förderung von privater Absicherung, geringe Absicherung, bedarfsorientierte Leistungen Finanzierung über Steuern (Beveridge), geringe Sozialausgaben im Verhältnis zum BIP, gesamte Bevölkerung über geringen Mindestschutz abgedeckt, der zudem bedarfsorientiert ist Starker Zusammenhang zwischen Erwerbsstatus und Ansprüche, beitragsfinanziert und halb-staatlich organisiert, ausreichende Absicherung Finanzierung über Beiträge (Bismarck), hohe Sozialausgaben im Verhältnis zum BIP, Leistungen sind zum Teil abhängig von Beitragszahlung, hohes Niveau Fragmentiertes System von Einkommensgarantien, mit dem Erwerbsstatus verbunden, z.T. hohe Leistungen, aber kein garantierter Mindestschutz, gemischte Finanzierung Finanzierung über Beiträge (Bismarck), geringe Sozialausgaben im Verhältnis zum BIP, Leistungen sind teilweise abhängig von Beitragszahlung, kein Existenzminimum
Länder S, DK, N, FIN S, DK, N, FIN
GB, IR
GB, IR
D, F, B, NL, LUX, A, CH D, F, B, NL, LUX I, E, P, GR
I, E, P, GR, CH
Quellen: Ferrera 1996, Bonoli 1997, Arts/Gelissen 2002, eigene Zusammenstellung. 46
Länderabkürzungen: A: Österreich / B: Belgien / CH: Schweiz / D: Deutschland / DK: Dänemark / E: Spanien / F: Frankreich / FIN: Finnland / GB: Großbritannien / GR: Griechenland / I: Italien / LUX: Luxemburg / NL: Niederlande / P: Portugal
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Obgleich beide Autoren unterschiedliche Kriterien bei der Typenbildung herangezogen haben, gibt es eine hohe Übereinstimmung zwischen ihren Modellen. Beide kommen auf eine Aufteilung in vier europäische Regionen, die ihren Bürgern zum Teil sehr unterschiedlich absichern.47 Bei der Zuordnung der Länder zu den vier Typen gibt es nur eine Abweichung. Bei Ferrera zählt die Schweiz zum kontinentalen Typ, während sie bei Bonoli zum südeuropäischen Modell gerechnet wird.48 Allerdings weißt Bonoli darauf hin, dass die Schweiz ein Grenzfall in seiner Klassifikation darstellt (Bonoli 1997: 360). Betrachtet man die Verbreitung der vier Typen in Europa, fällt auf, dass das sogenannte „liberale Wohlfahrtsregime“ nur durch Großbritannien und Irland vertreten wird. Die Hauptvertreter dieses Typs – die USA und Australien – liegen außerhalb Europas.49 Im Gegensatz dazu haben die anderen drei Modelle innerhalb Europas eindeutig eine größere Verbreitung und Bedeutung, weshalb sich die weitere Untersuchung auf diese drei Wohlfahrtsstaatsregime beschränkt. Für jedes dieser drei Modelle wurde dabei ein typischer Vertreter ausgewählt. In ihrem Übersichtsartikel zum Forschungsstand bei der Klassifizierung von Wohlfahrtsstaaten stellen Arts und Gelissen in diesem Zusammenhang fest: It appears that, even when one uses different indicators to classify welfare states, some countries emerge as standard examples, approximating certain ideal-types. [...] Germany approaches the Bismarckian/Continental/conservative ideal-type and Sweden approximates the social-democratic ideal-type (Scandinavian/Nordic). (Arts et al. 2002: 148)
Wird zudem das südeuropäische Regime berücksichtigt, ist Italien, wie beispielsweise Ferrera erläutert, der ideale Repräsentant: The national debates in the southern countries in fact have started to develop a clear awareness of the specific traits of their own experiences compared with other continental and north European countries. […] This latter country [Italy] is in fact at the heart of southern Europe, and its welfare development has in many respects led the way for the whole area. (Ferrera 1996: 19)
47
Auch Leibfried (1992) kommt zu dieser Einteilung, verwendet aber andere Bezeichnungen. Er unterscheidet zwischen „modern Scandinavia“, „institutional Bismarck“, „residual Anglo-Saxon“ und „rudimentary Latin Rim“ Wohlfahrtsstaaten (Leibfried 1992: 254). 48 Österreich wird von Bonoli nicht berücksichtigt. 49 „The United States is, according to everyone's classification, the prototype of a welfare state which can best be denoted as liberal.“ (Arts et al. 2002: 148).
63
Mit Italien, Westdeutschland50 und Schweden werden damit in der vorliegenden Untersuchung drei Länder berücksichtigt, die die wichtigsten sozialstaatlichen Modelle und größten Regionen in Europa repräsentieren. Im folgenden Abschnitt wird untersucht, in welchen Feldern der Sozialstaat einen Einfluss auf den Übergang ins Erwachsenenalter ausübt und wie diese Bereiche in den ausgewählten Ländern geregelt sind.
3.2 Wohlfahrtsstaaten und der Weg in das Erwachsenenalter Aus soziologischer Sicht setzt sich – wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt - der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen aus den beiden Teilprozessen der sozialen und ökonomischen Verselbständigung zusammen. Dabei wird angenommen, dass es zwischen der Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates und dem Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter einen Zusammenhang gibt. Vogel (2002: 276) bezeichnet in diesem Zusammenhang die Europäische Union als natürliches Laboratorium, in dem Arbeitsmarktgestaltung, Wohlfahrtsleistungen und Familienhilfe den Zeitpunkt des Übergangs in das Erwachsenenalter erklären sollten. Bei genauerer Betrachtung können fünf Bereiche der staatlichen Organisation bzw. der daraus folgenden Sozialpolitik als besonders relevant für den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter definiert werden: 1.
2.
3. 4.
50
Die allgemeine Struktur des Wohlfahrtsstaates: Gibt es eine breit oder eng gefasste Solidarität und wird dadurch die Selbständigkeit der jungen Erwachsenen gefördert? Die Struktur des Arbeitsmarktes: Die Verbindung zwischen Schulsystem und Arbeitsmarkt, die Jugendarbeitslosigkeit, der Schutz von Arbeitnehmern bzw. die Zugangsmöglichkeiten für junge Arbeitnehmer Die Jugend- und Familienpolitik: Förderung von jungen Erwachsenen und Familien, Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die soziale Absicherung der jungen Erwachsenen
Deutschland wird auf den westlichen Teil, das ehemalige Territorium der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung, beschränkt. Die grundlegende Definition von Wohlfahrtsstaaten bezieht sich auf „democratic industrial capitalist societies“ (vgl. Arts et al. 2002: 139) und schließt damit die frühere Deutsche Demokratische Republik (DDR) aus. Die Daten für Deutschland bei der hier vorliegenden Untersuchung wurden 1992 erhoben, also zwei Jahre nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Würden Personen aus den so genannten fünf neuen Bundesländern berücksichtigt, könnten diese Ergebnisse nicht auf den kontinentalen, bismarckschen Sozialstaat zurückgeführt werden, da die Befragten den Übergang ins Erwachsenenalter größtenteils in der ehemaligen sozialistischen DDR vollzogen haben.
64
5.
Die Rolle der Frau im Wohlfahrtsstaat: Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Frauenerwerbsquote
Für jeden dieser fünf Bereiche werden im Folgenden die wichtigsten Regelungen in den drei ausgewählten Staaten kurz zusammengefasst, wobei die Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsenenalter im Mittelpunkt steht.
3.2.1 Die allgemeine Struktur des Wohlfahrtsstaates und der Übergang ins Erwachsenenalter Im konservativen oder mitteleuropäischen Wohlfahrtsstaat, der in dieser Untersuchung durch Westdeutschland repräsentiert wird, werden die Verantwortung des Staates und die Garantie sozialer Rechte nicht in Frage gestellt. Oberstes Ziel bei diesem Wohlfahrtstyp ist die soziale Sicherung und Stabilität. Dies wird über eine Reihe von überwiegend beitragsfinanzierten Pflichtversicherungen erreicht. Insgesamt steht dieses Wohlfahrtsregime in der Tradition der katholischen Sozialpolitik und des Korporatismus. Im Wesentlichen beschränkt sich der Staat auf einkommenserhaltende Leistungen, deren Bezug oft mit dem Erwerbsstatus verbunden ist (Mayer 2001). Zu beachten ist auch das Subsidaritätsprinzip, nach welchem der Staat erst dann eingreift, wenn familiäre Ressourcen erschöpft sind (Esping-Andersen 1990: 27). Die staatliche Hilfe garantiert zwar eine grundlegende Absicherung, ist aber relativ eng gefasst und bestimmte Gruppen werden besser gefördert als andere.51 Im Gegensatz dazu ist im sozialdemokratischen oder nordeuropäischen Wohlfahrtsmodell, das hier von Schweden vertreten wird, eine großzügige, egalitäre, universale und redistributive Sozialpolitik, die nicht von individuellen Beiträgen abhängig ist, das Ziel. Der freie Markt ist hier weitgehend aus der Sozialpolitik ausgeschlossen und die Finanzierung findet in erster Linie über Steuern statt. Die Ressourcen der Familie werden bei der Vergabe von individuellen Leistungen nicht weiter berücksichtigt, da die Unabhängigkeit des Einzelnen im Vordergrund steht. Die hohen Leistungen in diesem Modell können nur dann finanziert werden, wenn sie selten in Anspruch genommen werden, weshalb die Arbeitsmarktpolitik einen hohen Stellenwert hat. Italien wurde als Vertreter der südeuropäischen oder auch familaristischen Wohlfahrtsstaaten ausgewählt. Ein generelles Recht auf Wohlfahrt wird in diesen Ländern nicht garantiert und oft ist auch kein Existenzminimum definiert 51
„Conservative welfare regimes attempt to preserve status differentials and social policies and are thus often divided into occupational- or status-based programs that differ in their benefit level.“ (Breen et al. 2002: 290)
65
(Leibfried 1992: 253). Einzig die Gesundheitsversorgung ist mit dem Bürgerstatus verbunden, während in anderen Bereichen die Hilfe sehr gering ausfällt, fragmentiert ist und wie in den konservativen Wohlfahrtsstaaten vom Erwerbsstatus abhängt (Mayer 2001). Da der Staat sich aus weiten Teilen der Wohlfahrt heraushält, rückt die Familie in den Mittelpunkt. Deren zentrale Bedeutung bei der sozialen Sicherung kann nicht genug betont werden (Flaquer 2000: 19). Die Familie wird als eine gemeinsame Einheit von Ressourcen und Einkommen betrachtet, zu dem jedes Mitglied beiträgt. Der Staat springt erst ein, wenn diese Mittel erschöpft sind.52 Damit steht man in diesen Staaten vor dem Paradox, dass es auf der einen Seite einen stark ausgeprägten Familiensinn gibt, während auf der anderen Seite der Familienpolitik nur eine geringe Bedeutung beigemessen wird (Esping-Andersen 1999: 51). Aus dieser allgemeinen Betrachtung zu den drei Wohlfahrtssystemen und Ländern folgt, dass die Einmündung ins Erwachsenenalter unter sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen abläuft. In Schweden wird eine individuelle, familienunabhängige Absicherung garantiert. In Westdeutschland werden die Mittel der Eltern geprüft und wenn genügend finanzielle Ressourcen vorhanden sind, wird ihnen die Verantwortung auch für ihre volljährigen Kinder übertragen. In Italien liegt dagegen nahezu die gesamte Last auf den Schultern der Familie. Eine frühe Unabhängigkeit von der Herkunftsfamilie ist unter diesen Voraussetzungen nur schwer möglich. In den beiden beitragsfinanzierten Systemen (Westdeutschland und Italien), hängen Sozialleistungen und Erwerbsstatus enger zusammen als in dem steuerfinanzierten Sozialmodell von Schweden. Für westdeutsche und italienische junge Erwachsene ohne Arbeit und Berufserfahrung, stellt dies eine Benachteiligung dar. Bei seiner Klassifikation der Wohlfahrtsstaaten hat sich Bonoli auch darauf gestützt, wie hoch der Anteil der Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist. Für den Zeitraum zwischen 1989 und 1992 stellt er fest, dass dieser Anteil in Italien bei ca. 24%, in Deutschland bei ca. 26% und in Schweden bei ca. 34% liegt (Bonoli 1997: 361). Damit scheint zumindest der Unterschied zwischen Italien und Deutschland in diesem Punkt nicht sehr groß zu sein. Allerdings wird diese Summe in den einzelnen Ländern verschieden verwendet. Einen kurzen Überblick über die Ausgabenstruktur im Jahre 1990 innerhalb der sozialen Systeme bietet die sechste Tabelle.
52
„At the core of this overall welfare system is its 'subsidarity' principle: the State assumes the family (and the women in particular) to be the main provider of welfare and limits its intervention to cases where the capacity of the family to cater to the needs of its own members is exhausted.“ (Bernardi et al. 2005: 355)
66
Tabelle 6: Ausgaben für Sozialleistungen in ausgewählten Bereichen als Anteil aller Ausgaben für Sozialleistungen 1990 (in Prozent) Gesundheit Invaliditätsrente Altersrente Hinterbliebenenrente Familie / Kinder Arbeitslosigkeit
Deutschland 31,8 6,3 43,5 2,5 7,6 6,0
Italien 26,0 7,7 48,9 10,7 4,9 1,7
Schweden 22,8 10,6 34,1 2,2 12,1 11,7
Quelle: Alber 2002: 3.
Berücksichtigt man dabei, dass für die jungen Erwachsenen vor allem die letzten beiden Bereiche („Familie und Kinder“ und „Arbeitslosigkeit“) relevant sind, erscheinen die Rahmenbedingungen für eine frühe Selbständigkeit in Schweden noch günstiger und in Italien noch schwieriger.53 Auffällig ist, dass in Italien ein deutlich höherer Anteil für die Renten ausgegeben wird als in den anderen beiden Staaten und im Gegensatz dazu die Familien- und Arbeitsmarktpolitik offenbar eine nur untergeordnete Rolle spielt.
3.2.2 Die Struktur des Arbeitsmarktes Der ökonomische Verselbständigungsprozess wird durch den Wechsel vom Bildungssystem in den Arbeitsmarkt geprägt. Im Idealfall verläuft dieser Übergang reibungslos und ohne eine längere Pause. Dabei spielt die institutionelle Verknüpfung zwischen diesen zwei Bereichen eine wesentliche Rolle. Bei der Untersuchung dieser Verbindung kommt Allmendinger (1989) zu dem Schluss, dass der Übergang in den Arbeitsmarkt leichter fällt, wenn das Schulsystem eine hohe Standardisierung und Stratifizierung aufweist. National einheitliche Standards bei den Abschlussprüfungen in den Schulen sind für die Bewerber von Vorteil, da die Arbeitgeber genauer beurteilen können, welchen Wert das jeweilige Zeugnis hat. Dagegen werden in Ländern mit fragmentierten Schulsystemen (private und staatliche Schulen) Neueinstellungen erschwert, da Arbeitgeber sich zusätzliche Informationen über die verschiedenen Abschlüsse beschaffen müssen. Dies darf nicht mit der Stratifizierung im Schulsystem (verschiedene Abschlussniveaus) verwechselt werden, was für den einzelnen Arbeitssuchenden 53
So kommt Iacovou (2002) zu dem Schluss, dass „the welfare state in northern Europe ... allows young people to live independently even when they are jobless or low paid“ (Iacovou 2002: 65).
67
letztlich von Vorteil sein kann, da es kein Überangebot an Schülern mit dem gleichen Bildungsniveau gibt (Allmendinger 1989: 236). Die folgende dritte Abbildung vergleicht die Schul- und Berufsausbildung nach den Kriterien der Standardisierung und Stratifizierung in acht europäischen Industrienationen. Zusätzlich wird der Spezifizierungsgrad der beruflichen Ausbildung angegeben. Abbildung 3:
Schul - und Berufsausbildungen in Europa Niedrig
Standardisierung Niedrig
Großbritannien**
Hoch
Schweden**
Stratifizierung Mittel
Frankreich** Italien**
Hoch
Deutschland*** Schweiz*** Niederlande**'
* = geringer, ** = mittlerer, *** = hoher Spezifizierungsgrad der Berufsausbildung. Quelle: Müller und Shavit 1998: 14.
Bei der beruflichen Ausbildung ist entscheidend, unter welchen Rahmenbedingungen sie stattfindet. Sie kann entweder in staatlichen Schulen (wie in Schweden und zum Teil auch in Italien), oder in Unternehmen (USA, Großbritannien und zum Teil in Italien), oder in einer Verbindung beider Institutionen (duales System in Deutschland und Österreich) erfolgen. Sind die Unternehmen allein verantwortlich, gibt es häufig keine geregelten Standards für die berufliche Ausbildung und kein definiertes Ausbildungsziel. Häufig findet nur ein firmenspezifisches „Training-on-the-Job“ statt. In diesem Fall wird die Betriebszugehörigkeit wichtiger als das eigentliche Ausbildungsniveau. Dies stellt ein Nachteil für Berufseinsteiger dar. Dagegen läuft die Ausbildung an staatlichen Berufsschulen und in einem dualen System zielgerichtet ab, oft werden sogar regional passende Angebote entwickelt. Es besteht eine gute Verbindung zwischen Ausbildung und Arbeitsmarkt (Allmendinger 1989: 242). Bezüglich der drei ausgewählten Länder fasst Blossfeld zusammen: [...] in der Bundesrepublik Deutschland und in den anderen deutschsprachigen Ländern [besteht] mit dem dominierenden Lehrlingssystem eine klare Trennung zwischen der allgemeinbildenden und der beruflichen Ausbildung [...] In [...] Schweden wird die berufliche Ausbildung hauptsächlich in berufsbildenden Schulen erworben [...] und in Italien [...] treten viele Berufsanfänger direkt von den schulischen Ausbildungsgängen in das Erwerbsleben ein, wo sie durch On-the-job Training am Arbeitsplatz berufliche Qualifikation erwerben. (Blossfeld 1993: 24)
68
Damit stehen in Westdeutschland eine Vielzahl von gut ausgebildeten jungen Erwachsenen mit einer gewissen Berufserfahrung für die Wirtschaft bereit. In Italien findet nur in einigen großen Firmen eine systematische berufliche Ausbildung statt. Der schwedische Staat betreibt eine aktive Erwerbspolitik und arbeitet eng mit den großen Arbeitgebern des Landes zusammen, um die berufliche Ausbildung von Jugendlichen zu organisieren. Des Weiteren gibt es eine Reihe von Fort- und Weiterbildungsangeboten (Cook et al. 2002: 270ff). Auch die Angebote der Hochschulen sind ein Teil des Berufsausbildungssystems. In Italien gibt es fast in jeder mittleren und großen Stadt eine Hochschule, wenngleich auch nicht jede regionale Universität den gesamten Fächerkanon abdeckt (Brinkmann 1996). Dieses hohe regionale Angebot führt dazu, dass ein Großteil der italienischen Studenten auch während des Studiums im Elternhaus wohnen kann. „Outside of the rural south, nearly all students can live at home, commute to a nearby university, and still study what they want.“ (Cook et al. 2002: 261). Auffallend ist zudem, dass in Italien die Studienzeiten vergleichsweise lang sind (ebd.). Auch in Westdeutschland gibt es eine hohe Anzahl an Universitäten und Fachhochschulen im tertiären Bildungsbereich (EURYBASE 2004a). Der Zugang zu vielen Studiengängen wird über einen Numerus clausus begrenzt. Zum Teil werden diese Studienplätze von der „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ verwaltet, bei denen sich die angehenden Studierenden bewerben müssen und anschließend einer Universität zugewiesen werden. Viele studieren „nahe der Heimat“, aber die Verbindung ist bei weitem nicht so eng wie in Italien (Cook et al. 2002: 274). In Schweden müssen die meisten angehenden Studierenden in eine andere Stadt umziehen, weil es landesweit nur vierzehn Universitäten und 22 „university colleges“ gibt (EURYBASE 2004b) und sie den entsprechenden Hochschulen zugewiesen werden (Cook et al. 2002: 267). Auch in Schweden wird der Zugang zu einzelnen Studiengängen über einen Numerus clausus begrenzt (Liegle 1980). Neben diesen Unterschieden im Schul- und Ausbildungssystem müssen die länderspezifischen Regelungen des Arbeitsmarktes beachtet werden. So betonen Breen und Buchmann (2002) im Hinblick auf die jungen Erwachsenen den Faktor des Kündigungsschutzes und gehen davon aus, dass ein starker Schutz von Arbeitnehmern sich als Nachteil für Berufseinsteiger herausstellen kann, da Neueinstellungen vermieden werden (insbesondere in Phasen ökonomischer Schwäche). Nach ihren Ergebnissen gibt es in diesem Punkt keinen signifikanten Unterschied zwischen den kontinentalen, südeuropäischen und skandinavischen Wohlfahrtsstaaten (Breen et al. 2002: 292).54 Dem widerspricht Flaquer (2000), 54
Lediglich die liberalen Wohlfahrtsstaaten zeichnen sich durch einen geringeren Kündigungsschutz aus (Breen et al. 2002).
69
der für die südeuropäischen Länder, wie Italien, feststellt, dass dort die Arbeitsplatzsicherheit nicht für alle gleich hoch ist. Während Arbeiter mit langer Betriebszugehörigkeit gut geschützt sind, haben viele junge Beschäftigte nur unsichere oder zeitlich begrenzte Verträge (Flaquer 2000: 23). Obgleich die allgemeine Arbeitslosigkeit deutlich höher ist, sind ältere Beschäftigte in Italien nur selten lange arbeitslos. Auch Cook und Furstenberg (2002) betonen, dass das italienische System die etablierten Beschäftigten bevorzugt und junge Erwachsene sich nur schwer etablieren können.55 Aufgrund dieser Rahmenbedingungen ergeben sich unterschiedliche Chancen und Risiken beim Übergang in die Erwerbstätigkeit. Der italienische Arbeitsmarkt kann aufgrund der aufgeführten Eigenschaften als besonders geschlossen klassifiziert werden (Iannelli et al. 2001: 6). Negativ für die jungen Erwachsenen wirkt sich zudem aus, dass die Verbindung zwischen Schule und Ausbildung schwach ist. This means that in general employers will have little incentive to hire school leavers when applicants with work experience are readily available. This de-coupling of the educational and vocational system from the labor market makes the school-to-work transition problematic and very long. (Bernardi et al. 2005: 353)
Dagegen sind die Rahmenbedingungen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt für die jungen Erwachsenen deutlich besser. In Deutschland sind die Verbindungen zwischen Schulsystem, Ausbildung und Arbeitsmarkt gut. Auch in Schweden sind die Voraussetzungen für die jungen Erwachsenen relativ günstig, da sie zumeist über eine hohes Ausbildungsniveau verfügen (Bygren et al. 2005: 142). Das Risiko arbeitslos zu werden, ist vor allem für die Gruppe der unter 18jährigen eher gering, da hier eine Reihe von aktiven Beschäftigungsprogrammen greifen (Hartmann 1987: 21). Offenbar bestand zumindest bis Anfang der 1990er Jahre die größte Gefahr darin, nur zwischen diesen verschieden Beschäftigungsprogrammen hin- und her zu wechseln, statt sich selbständig auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren (Drobnic et al. 1989: 143f). Diese Faktoren und die gesamtwirtschaftlichen Situation bestimmen die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit. Eine Veränderung der allgemeinen Arbeitslosenquote kann in erster Linie auf die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lage zurückgeführt werden. Dagegen zeigt das Verhältnis zwischen 55
Aus Sicht von Schizzerotto und Cobalit (1998) ist der italienische Arbeitsmarkt besonders starr und die Chancen sind selbst für gut qualifizierte Neueinsteiger relativ schlecht (Schizzerotto et al. 1998: 257f.). Caroleo und Mazzotta (1999) bestätigen dies, indem sie betonen, dass ältere Arbeitnehmer von der Arbeitsplatzsicherheit profitieren und zudem leichter eine neue Anstellung finden: „In Italy, more than in other countries, the best passport to a job has always been already having one.“ (Caroleo et al. 1999: 34)
70
allgemeiner und Jugendarbeitslosenquote, ob Berufseinsteiger mit besonderen strukturellen Problemen konfrontiert sind, die sich insbesondere bei einem Anstieg der allgemeinen Arbeitslosigkeit noch weiter verschärfen können. In Abbildung 4 wird sowohl die allgemeine Arbeitslosenquote als auch die Jugendarbeitslosenquote in den drei Ländern für den Zeitraum von 1964 bis 1995 aufgeführt.56 Bei der Interpretation der OECD-Daten zur Arbeitslosigkeit muss beachtet werden, dass sie auf den Angaben der zuständigen Behörden in den jeweiligen Ländern basiert und es bei der Definition von „Arbeitslosigkeit“ leichte Unterschiede gibt.57 Des Weiteren wurden sowohl in Westdeutschland als auch in Schweden zwischen 1986 und 1987 geringfügige Veränderungen bei der Erfassung der Arbeitslosen vorgenommen, die aber nur zu minimalen Änderungen in der Statistik führten. In Italien muss dagegen eine grundlegende Überarbeitung des „Labour Force Surveys“ und der damit verbundenen Arbeitslosenstatistik im Jahre 1977 beachtet werden (OECD 1970-1997). Nach der Neudefinition wurden vor allem mehr Frauen zur aktiven Erwerbs-bevölkerung gerechnet, was in der Folge nahezu zu einer Verdopplung der Arbeitslosenrate führte. Dies ist in der Grafik (Abbildung 4), vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit, deutlich zu erkennen. Da keine revidierten Zahlen für den Zeitraum vor der Neudefinition vorliegen, muss das vorliegende Material als Ausgangspunkt herangezogen werden. Nach der aktuellen Definition war die Arbeitslosenquote in Italien vor 1977 sicherlich deutlich höher. Als allgemeiner Trend lässt sich für alle drei Länder feststellen, dass sowohl die allgemeine als auch die Jugendarbeitslosigkeit seit 1965 angestiegen ist. Vergleicht man zunächst nur die allgemeinen Arbeitslosenquoten, fällt auf, dass Italien durchgängig den höchsten Wert erreicht und bereits Anfang der 1980er Jahre die Zehn-Prozent-Hürde übersteigt. In Westdeutschland ist Anfang der 1970er Jahre, in Zusammenhang mit der Ölkrise, ebenfalls ein starker Anstieg zu verzeichnen und fortan liegt die Quote deutlich höher als in Schweden. Bis Anfang der 1990er Jahre, liegt die allgemeine Arbeitslosenquote in Schweden unter fünf Prozent.
56
Unter dem Begriff der „Jugendarbeitslosigkeit“ wird normalerweise die Personengruppe der 15 bis 24jährigen Arbeitslosen gefasst. Italien hat darunter dagegen bis 1994 die Gruppe der 14 bis 24jährigen erfasst und Schweden beschränkt sich bis heute auf die Gruppe der 16 bis 24jährigen (OECD 1970-1997). 57 Nach einer allgemeinen Definition der OECD handelt es sich bei Arbeitslosen grob gesehen „um Personen, die ohne Beschäftigung sind, für die Arbeitsaufnahme zur Verfügung stehen und aktiv eine Arbeit suchen“ (OECD 1987: 223).
71
Abbildung 4:
Allgemeine Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit von 1964 bis 1995
40 35
Arbeitslosenquote in %
30 25 20 15
10 5 0 64
66
68
70
72
74
76
78
80
82
84
86
88
90
92
94
Jahr
Arbeitslosenrate Westdeutschland Jugendarbeitslosigkeit Westdeutschland Arbeitslosenrate Italien Jugendarbeitslosigkeit Italien Arbeitslosenrate Schweden Jugendarbeitslosigkiet Schweden Quelle: OECD 1970-1997, eigene Zusammenstellung.
Noch deutlicher fallen die Länderunterschiede bei der Jugendarbeitslosigkeit aus. In Italien ist die Jugendarbeitslosenquote nochmals deutlich höher als in den anderen beiden Ländern und erreicht 1987 einen Spitzenwert von 35,5%. Während des Beobachtungszeitraums, liegt der höchste Wert in Westdeutschland bei elf Prozent (1984) und in Schweden bei ca. 18% (1993). Besonders interessant ist das Verhältnis von allgemeiner Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit. Am ungünstigsten ist dieses Verhältnis in Italien, 72
dort ist die Jugendarbeitslosenquote rund dreimal so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Dieser Befund untermauert, dass dort die strukturellen Rahmenbedingungen für Berufseinsteiger besonders schwierig sind. Ein Anstieg der allgemeinen Quote wirkt sich in Italien weitaus negativer für die jungen Erwachsenen aus als in den anderen beiden Ländern. In Westdeutschland liegen beide Quoten dicht beieinander. Teilweise ist die Jugendarbeitslosenquote sogar niedriger als die allgemeine Quote. Ein Anstieg der allgemeinen Arbeitslosigkeit wirkt sich bei weitem nicht so negativ auf die Gruppe der jungen Erwachsenen aus wie in Italien. In Schweden ist die Jugendarbeitslosenquote ungefähr doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Allerdings führte die Arbeitsmarktkrise Anfang der 1990er Jahre zu einem überproportionalen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit. In ökonomisch schwierigen Zeiten geraten die schwedischen Berufseinsteiger offenbar unter einen ähnlich hohen Druck, wie ihn die italienischen Berufseinsteiger konstant erfahren. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommen Breen und Buchmann (2002). Sie vergleichen für das Jahr 1996 die allgemeine Arbeitslosenquote mit der Jugendarbeitslosenquote und errechnen daraus einen Index. Unter 17 westlichen Industrienationen erreicht Deutschland dabei den günstigsten Wert (1,19), während Schweden auf Platz 13 (mit 2,59) und Italien (mit 3,67) am Ende der Rangliste liegen (Breen et al. 2002: 292). Insgesamt lassen die Zahlen darauf schließen, dass bis Anfang der 1990er Jahre die Rahmenbedingungen für die ökonomische Verselbständigung in Schweden sehr gut waren. Auch in Westdeutschland führen die guten Verknüpfungen zwischen Schulsystem, Berufsausbildung und Arbeitsmarkt zu guten Voraussetzungen für den Erwerbseinstieg. In Italien ist die Situation dagegen dramatisch. Die Jugendarbeitslosenquote ist nicht nur insgesamt deutlich höher, sondern steigt in Krisenzeiten überproportional an. Das italienische System schützt in erster Linie Beschäftigte in festen Arbeitsverträgen und erschwert somit den Zugang für junge Erwachsene. Die strukturelle Benachteiligung junger Erwachsener im italienischen Arbeitsmarkt wird auch unter einem anderen Gesichtspunkt deutlich. In den nordeuropäischen und kontinentalen Ländern vermindert ein hoher Bildungsabschluss das Risiko, dass man nach dem Schulabschluss arbeitslos wird. Dies ist in Italien nicht der Fall; das Arbeitslosigkeitsrisiko von italienischen Gymnasiasten ist sogar geringfügig höher als das von Schülern mit unterem Sekundarabschluss (Müller et al. 2002: 57).58 Das bedeu58
Auch Iacovou und Berthoud vergleichen die Arbeitslosenrate von „upper secondary or higher“ und „lower“ und kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: Sowohl in Schweden als auch in Deutschland ist die Arbeitslosenrate der niedrigen Bildungsgruppe ca. doppelt so hoch wie die der gut ausgebildeten Gruppe. In Italien und anderen südeuropäischen Ländern sind die Raten der beiden Gruppen dagegen nahezu gleich hoch (Iacovou et al. 2001: 30).
73
tet, dass die italienischen Absolventen generell mit hohen Schwierigkeiten beim Erwerbseinstieg konfrontiert sind, vor denen sie sich auch nicht mit zusätzlichen Qualifikationen schützen können.
3.2.3 Die Familien- und Jugendpolitik Neben der Arbeitsmarktpolitik, hat die Familienpolitik einen starken Einfluss auf die Situation der jungen Erwachsenen. Hier entscheidet sich, ob sie gezielt gefördert werden und mit Hilfe des Staates ihre eigene Lebensplanung umsetzten können, oder ob sie auf die Hilfe der Familie angewiesen sind und den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter nicht unabhängig gestalten können. Die „Studie zur Lage der Jugend und Jugendpolitik in Europa“ zeigt, dass die Art des Wohlfahrtsregimes auch über die Gestaltung der Jugendpolitik entscheidet (IARD 2001: 110ff). Schweden betreibt eine universalistisch ausgerichtete Jugendpolitik, die die gesamte Jugendgeneration berücksichtigt. Als Hauptziele werden dabei die Autonomie, Unabhängigkeit und Entfaltung der Jugendlichen genannt. In Westdeutschland und Italien wird mit der Jugendpolitik vor allem das Ziel verfolgt, soziale Probleme innerhalb dieser Altersgruppe zu verhindern (IARD 2001: 114). Vergleicht man die Bedeutung der staatlichen finanziellen Unterstützungen für Jugendliche und junge Erwachsene, dann geht diese in Italien gegen null, ist in Westdeutschland etwas höher und in Schweden am höchsten (Laaksonen 2000: 350f).59 Ähnlich fällt das Fazit bei der Familienpolitik aus. Deutschland zeichnet sich dabei als Land mit „einem verfassungsmäßig festgeschriebenen Familienschutz im Kontext einer auf den Alleinernährer ausgerichteten Sozialpolitik“ aus (Dienel 2002: 244). Es wird zwar eine aktive Familienpolitik betrieben, die aber einseitig das klassische Modell der kindererziehenden Mutter und des erwerbstätigen Vaters fördert. In Italien hat die Familie zwar ein hohes Ansehen, die Familienpolitik selbst ist aber schwach ausgeprägt (vgl. Esping-Andersen, 1999: 51). Die Familie wird hier zum Hauptträger der Wohlfahrt und der Staat übernimmt keine Verantwortung dafür, dass ihr genügend Ressourcen zur Verfügung stehen.60 Allenfalls hilft er dabei, dass zumindest ein Familienmitglied einen ge59
Für sechs Prozent der westdeutschen, null Prozent der italienischen und 17 Prozent der schwedischen jungen Erwachsenen, waren im Jahre 1997 Sozialleistungen die Haupteinkommensquelle (Laaksonen 2000: 351). 60 „On the face of it, it may seem a contradiction that a system in which the centrality of family is so obvious has not developed a fully-fledged family policy. But looking into it more closely, the connection between the two terms becomes obvious. […] Southern family policy, through its inaction, implicitly nurtures and reproduces the ideological assumption that the family is the main provider in society.“ (Flaquer 2000: 21)
74
sicherten Arbeitsplatz hat (Trifiletti 1999). Im Vergleich zu diesen beiden Ländern stellt der schwedische Staat mehr Geld und Dienste für Familien und Kinder zur Verfügung (Greve 2000: 101). In einem Ranking familienpolitischer Maßnahmen erreicht Schweden den Spitzenwert, während Westdeutschland und Italien am Ende der Skala liegen.61 Ein gutes Beispiel für die Unterschiede in der Familienpolitik, das auch direkt die Lebensplanung der jungen Erwachsenen betrifft, stellt die Bereitstellung von öffentlichen Kinderkrippen und –gärten dar. In Schweden gibt es ein qualitativ und quantitativ gut ausgebautes Angebot bei der Kinderbetreuung: „The Scandinavian states form a distinct group in this regard tending to collectivize caring for both the elderly and the children“ (Daly et al. 2000: 289). Ziel ist es, dass für beide Elternteile Familie und Beruf miteinander vereinbar sind. In anderen Teilen Europas wird dagegen weiterhin die Trennung von Familie und Beruf und ein klassisches weibliches Rollenmodell propagiert. Dienel stellt in diesem Zusammenhang treffend fest: Österreich, Deutschland, Italien, Luxemburg und die Niederlande sind demgegenüber Vertreter eines Nacheinander von Beruf und Familie. Politisch unterstützt wird in erster Linie ein Mehrphasenmodell der weiblichen Berufstätigkeit, in dem das Leitbild einer nicht berufstätigen Mutter von kleinen Kindern durchscheint und das politisch stark gestützt wird [...] durch die Nichtverfügbarkeit von Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei oder fünf Jahren [...]. (Dienel 2002: 258).
In Westdeutschland hat sich das Angebot an ganztätigen Krippenplätzen seit den sechziger Jahren nur unwesentlich erhöht. 1990 gab es lediglich für zwei Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz. Im europäischen Vergleich bildet Westdeutschland, zusammen mit Großbritannien, Spanien und Irland, damit das Schlusslicht. Auch in Italien steht nur für ca. sechs bis acht Prozent der Kinder unter drei Jahren ein ganztägiger Krippenplatz zu Verfügung. In Schweden wird für diese Altersgruppe eine Quote von über 33% erreicht (Kolbe 2002: 370). Dass sich dies langfristig auf die Muster bei der Familienbildung auswirkt, zeigt ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Fertilitätsrate in den drei Ländern. Sie fiel zwischen 1960 und 1992 in Westdeutschland und Italien von 2,4 auf 1,3. Beide Länder folgen dabei einem europäischen Trend, weisen aber insgesamt eine der niedrigsten Raten auf dem Kontinent auf (Ferrera 1996: 33). In Schwe-
61
Schweden erreicht bei der Kategorie „Family policy spending“ die maximale Zahl von fünf Punkten, Westdeutschland lediglich zwei und Italien sogar nur einen Punkt (Smeeding et al. 2002: 92).
75
den lag die Fertilitätsrate 1960 bei ca. 2,2, sank bis 1978 auf 1,6 ab, stieg aber Anfang der 1990er Jahre wieder auf über 2,0 an (Andersson 1999: 3).62 Offenbar ermöglicht die schwedische Jugend- und Familienpolitik eine gute Koordination des sozialen und ökonomischen Verselbständigungsprozesses, während dies in Westdeutschland und Italien deutlich schwieriger ist. In den beiden letzteren Ländern kann dies nicht nur bei der Familienbildung, sondern beim gesamten Einmündungsprozess zu Verzögerungen und sehr geschlechtsspezifischen Übergangsmustern führen. Die Verbindung zwischen Wohlfahrtsstaat und Geschlechterrollen wird im fünften Abschnitt diskutiert. Zunächst wird die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die jungen Erwachsenen erläutert.
3.2.4 Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die jungen Erwachsenen Je geringer die sozialstaatlichen Leistungen für die jungen Erwachsenen sind, desto mehr sind sie bei ihrer sozialen Absicherung auf die Hilfe der Eltern angewiesen. Hinzu kommt, dass in Italien und Westdeutschland zunächst die Ressourcen der Familie geprüft werden, bevor die jungen Erwachsenen eigene Sozialleistungen beziehen können. Diese Abhängigkeit von der Herkunftsfamilie kann insbesondere den Prozess der sozialen Verselbständigung verzögern. Die Haupteinkommensquelle von jungen Erwachsenen stellt ein wichtiger Indikator für das Verhältnis zwischen eigenem Einkommen, Hilfe vom Sozialstaat und Abhängigkeit von den Eltern dar. In ihrer Untersuchung zu jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Wohlfahrtsstaaten betrachtet Laaksonen (2000) unter anderem diesen Aspekt. Ihre Ergebnisse werden in Tabelle 7 zusammengefasst. Hier zeigt sich, das die jungen Erwachsenen in Schweden nur selten auf die Hilfe der Eltern angewiesen sind und relativ häufig auf staatliche Unterstützungen zurückgreifen können. In Westdeutschland ist dagegen eine eigene Erwerbstätigkeit von besonderer Bedeutung. Wenn dies nicht möglich ist, müssen meist die Eltern helfend eingreifen. Aufgrund der hohen Jugendarbeitslosenquote und der geringen staatlichen Unterstützung, ist die elterliche Hilfe in Italien der Regelfall. Für Anfang der 1990er Jahre, kommt die „Studie zur Lage der Jugend in Europe“ zu einem ähnlichen Ergebnis (IARD 2001: 43). Allerdings ist dort der Anteil an jungen Italienern, die ihren Lebensunterhalt über eine eigene Arbeit finanzieren können, noch niedriger. Dieses Bild wird auch durch die Untersuchung von Smeeding und Ross-Phillips (2002) bestätigt, die zeigen, 62
Bei einem Vergleich der Fertilitätsrate von 28 Industriestaaten im Jahre 1999 liegt Schweden mit 1,83 an dritter Stelle, während Deutschland mit 1,26 den drittletzten und Italien mit 1,22 den letzten Platz belegt (Fussell 2002: 30). Ein Überblick über die Entwicklung der Geburtenrate in den drei Ländern gibt auch Abbildung 7 im vierten Kapitel.
76
dass der Anteil junger Erwachsener, die auf Basis ihrer eigenen Einkünfte ihren Lebensunterhalt bestreiten können, in Italien am geringsten und in Schweden und Deutschland etwa gleich hoch ist (Smeeding et al. 2002: 110). Werden zudem die staatlichen Transferleistungen berücksichtigt, dann können über 90% der 26 bis 30jährigen Schweden ohne familiäre Hilfe auskommen. Dies trifft in Westdeutschland auf ca. 80% der Männer und 60% der Frauen und in Italien auf ca. 70% der Männer und nur auf die Hälfte der Frauen in dieser Altersgruppe zu (Smeeding et al. 2002: 115). Insgesamt zeigt dies, dass schon allein aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit die Bindung der jungen Erwachsenen zur Herkunftsfamilie in Italien viel größer ist als in Westdeutschland oder in Schweden. Tabelle 7: Haupteinkommensquellen von jungen Erwachsenen 1997 (in %)
Reguläre Arbeit Gelegenheitsarbeit Ausbildungszuschüsse oder Studienbeihilfe Arbeitslosen- oder Wohlfahrtsunterstützung Eltern / Familie
Westdeutschland 61 19
Italien
Schweden
31 24
43 14
9
3
12
6
0
17
27
59
5
Quelle: Laaksonen 2000: 351, Mehrfachnennungen möglich.
3.2.5 Geschlechterunterschiede und Wohlfahrtsstaatsregime Im vorangegangenen Kapitel wurden bereits diskutiert, dass es neben dem allgemeinen normativen Übergangsmuster ins Erwachsenenalter, auch einen spezifisch weiblichen Einmündungsverlauf gibt.63 Dabei wird die ökonomische Verselbständigung zugunsten der sozialen Loslösung vom Elternhaus zurückgestellt. Nach Levy (1977) hängt dies damit zusammen, dass Paare zwischen verschiedenen Rollenmodellen wählen können. Das traditionelle Modell sieht vor, dass der Mann die Berufsrolle und die Frau die Familienrolle erfüllt (Levy 1977: 44). Gleichzeitig stellt Levy fest, dass vor allem in den skandinavischen Ländern versucht wird, diese klassischen Geschlechtsrollen aufzulösen. In der Diskussion der verschiedenen Wohlfahrtsregime nach dem Modell von Esping-Andersens wird dieses Thema aufgegriffen. An erster Stelle steht 63
Vgl. 2.2.4 Normative Muster beim Übergang in das Erwachsenenalter.
77
dabei die Erkenntnis, dass in jedem Wohlfahrtsmodell den Geschlechtern spezifische Rollen zugewiesen werden. Auf der einen Seite legen sowohl die kontinentalen als auch die südeuropäischen Wohlfahrtsstaaten die Frau auf ihre Rolle als Ehepartnerin und Mutter fest, während der Ehemann und Vater der Hauptverdiener der Familie ist. Ehefrauen in beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystemen wie Deutschland, haben häufig nur über ihren Ehemann Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen. Andererseits sind die Frauen auf Basis dieser Leistungen und dem Berufseinkommen des Mannes, bis zu einem gewissen Maß unabhängig vom Arbeitsmarkt. Sie sind häufig nicht erwerbstätig oder nur teilzeitbeschäftigt (Trifiletti 1999: 54). Im Gegensatz dazu sind die Leistungen für die Familie in den südeuropäischen Ländern wie Italien geringer. Im Bedarfsfall müssen die Frauen dann eine Voll- oder Teilzeitbeschäftigung aufnehmen und gleichzeitig ihre Familienrolle ausfüllen (ebd.). Auf der anderen Seite haben in den skandinavischen und liberalen Wohlfahrtsstaaten die Frauen prinzipiell die gleiche Rolle als Arbeitskräfte wie die Männer, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, dass in dem skandinavischen Modell gleichzeitig die besondere Bedeutung der Mutterschaft anerkannt wird. Die Frauen genießen einen Mutterschutz und können anschließend rasch wieder in den Beruf einsteigen, da es ein gut ausgebautes System an Kinderkrippen gibt (ebd.). In den liberalen Staaten wird diese Familienrolle weitgehend ignoriert. Die Familien müssen sich selbst darum kümmern, wie sie die Kindererziehung und die möglicherweise notwendige Berufstätigkeit der Mutter vereinbaren können (Trifiletti 1999: 55). Gerade im Zusammenhang mit der Rolle der Frau hat offenbar die dominierende Religion eine starke Bedeutung für die Ausrichtung der nationalen Politik. Die katholische Kirche bildet das Fundament für die meisten christdemokratischen Parteien in Europa und sie konnte sich in ihren Heimatländern einen gewissen politischen Einfluss sichern, da die Säkularisierung nicht so hoch ist wie in den protestantischen Ländern. Ein Kernprinzip der katholischen Sozialdoktrin ist das Subsidaritätsprinzip das folgendermaßen zusammengefasst werden kann: „the state should not engage in social problems before the family, the Church, and voluntary organizations have failed to solve these problems“ (Sjöberg 2004: 109).64 Diesem Grundsatz folgend wird die Familie als wichtigste soziale Einheit der Gesellschaft verstanden. Die Mutterschaft wird als natürliche Berufung der Frau proklamiert und den Frauen wird die Verantwortung für die Kindererziehung und die Altenpflege übertragen. Die daraus folgende Geschlechterungleichheit wird als funktional ergänzende und sinnvolle Arbeitsteilung verteidigt. 64
Wie dargestellt, übernimmt in Italien die Familie viele Aufgaben des Sozialstaates, während in Deutschland das Subsidaritätsprinzip auch über kirchliche oder gewerkschaftliche Wohlfahrtsträger erfüllt wird.
78
Die Wirksamkeit dieser Normvorstellungen sind so stark, dass auch eine sozialdemokratische Regierung in diesen Ländern nicht einfach einen Systemwechsel vornehmen kann, da sie, neben den damit verbundenen hohen Kosten, auch mit dem Widerstand der katholischen Kirche und einem Popularitätsverlust bei den Wählern rechnen müsste (Sjöberg 2004: 109). Demgegenüber haben die individuellen Rechte in den protestantischen Ländern einen höheren Stellenwert (Siaroff 1994: 94).65 Insbesondere in den skandinavischen Ländern, in denen der Protestantismus mit einer starken Sozialdemokratie einhergeht, wurde Schritt für Schritt eine Geschlechtergleichheit angestrebt (Sjöberg 2004: 109). Dieser Unterschied zwischen katholischen und protestantischen Ländern schlägt sich auch in der Familienpolitik nieder. In den katholischen Ländern ist die gesamte Familie das Ziel der politischen Maßnahmen: Über Kinderfreibeträge, Steuervorteile bei nichterwerbstätigen Ehepartnern, Kindererziehungsgeld und Kindergartenplätze erst ab einem Alter von drei Jahren, wird ein Familienmodell begünstigt, in dem es nur einen (männlichen) Geldverdiener gibt. In den protestantischen Ländern wird dagegen die Geschlechtergleichheit, die Frauenerwerbstätigkeit und die individuelle Unabhängigkeit unterstützt. Dies geschieht unter anderem über den bezahlten Elternurlaub (bei dem auch der Vater einen Teil des Erziehungsurlaubes nehmen soll, der sonst verfällt) und den Ausbau von öffentlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder und Kleinkinder (Sjöberg 2004: 110). Dadurch wird ein Familienmodell mit zwei berufstätigen Elternteilen gefördert. Die Unterschiede fasst Sjöberg folgendermaßen zusammen: According to these indicators, especially Sweden and Norway are characterized by high levels of dual-earner support. Countries characterized by having high levels of general family support are Italy, Germany, Austria, and the Netherlands. (Sjöberg 2004: 110).
Letztlich werde auf diese Weise die Normvorstellungen zu den Geschlechterrollen beeinflusst. Ist die Familienpolitik auf zwei erwerbstätige Eltern ausgerichtet, gibt es eine signifikant positivere Einstellung gegenüber erwerbstätigen Frauen und Mütter, als in den Staaten mit einer klassischen Familienpolitik (Sjöberg 2004: 119). Die Entwicklung der Erwerbsquoten von Frauen und Männern ist der deutlichste Indikator für die Ausbreitung spezifischer Geschlechterrollen. In der nachfolgenden Tabelle werden die Quoten für die drei ausgewählten Länder vorgestellt.
65
„Swedes place a very high value on personal autonomy and self-reliance.“ (Cook et al. 2002: 271)
79
Tabelle 8: Entwicklung der Erwerbsquote in Westdeutschland, Italien und Schweden Westdeutschland Männer Frauen Frauen (25-34 J.) Italien Männer Frauen Frauen (25-29 J.) Schweden Männer Frauen Frauen (25-34 J.)
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
94,0 48,8 47,8
92,5 48,1 48,1
87,0 49,7 54,3
84,3 52,8 61,1
82,3 52,9 63,0
80,8 57,0 66,3
80,1 61,0 72,6
86,0 31,0 k.A.
82,0 29,1 k.A.
79,6 29,9 k.A.
80,6 39,2 54,6
77,2 40,6 58,2
76,0 44,5 65,2
73,0 42,9 61,1
93,6 55,4 53,5
90,6 60,6 60,7
91,1 68,9 71,3
89,8 75,8 81,3
87,5 79,7 87,8
88,4 83,2 88,4
82,1 76,9 81,4
Quelle: OECD 1970-1997, eigene Zusammenstellung.
In allen drei Ländern ist die Erwerbsquote der Frauen durchgängig niedriger als die der Männer. Dies gilt auch am Ende des Beobachtungszeitraums, obwohl die Quoten der Männer durchwegs ab- und die der Frauen stetig zunehmen. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist in Schweden am geringsten und hat sich über die Jahre hinweg am deutlichsten reduziert: von 38 Prozentpunkten im Jahre 1960 auf ca. fünf Prozentpunkte 1990. Auch in Westdeutschland und Italien ist der Abstand zwischen den beiden Erwerbsquoten kleiner geworden, aber in geringerem Maße als in Schweden. Insbesondere in Italien liegt die Frauenerwerbsquote auch 1995 noch unter der Fünfzig-Prozent-Marke, aber immerhin deutet der relativ starke Anstieg bei der Gruppe der 25-29jährigen Frauen auf einen weiteren Wandel hin. In ihrem Vergleich der drei Ländern kommt Sundström (2000) zu folgendem Schluss: In Sweden, there is a strong commitment to gender equality, encompassing married women's and mother's right to paid work and a legal acknowledgement of the necessity to make it easier for both men and women to combine employment and family. In contrast, the acceptance of female labour market participation is lower in Italy and especially in Germany, particularly for mothers with small children. (Sundström 2000: 214)
Insgesamt deutet dies auf eine starke Annäherung der weiblichen und männlichen Lebensverläufe - und damit auch des Einmündungsprozesses ins Erwach80
senenalter - in Schweden hin. Demgegenüber bestehen in Italien und Westdeutschland nach wie vor große Unterschiede zwischen Männer- und Frauenrollen, was sich auch in geschlechtsspezifischen Übergangsmustern in diesen beiden Ländern ausdrücken dürfte.
3.2.6 Fazit: Der Institutionelle Kontext und die Übergangsmuster in das Erwachsenenalter Bei der Definition des Übergangs in das Erwachsenenalter wurde am Ende des zweiten Kapitels festgestellt, dass es zwei normative Einmündungsverläufe gibt, an denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientieren können. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass Zeitpunkt, Prävalenz und Reihenfolge der verschiedenen Übergangsereignisse einem steten Wandel unterworfen sind. So nimmt die These der Destandardisierung an, dass normative Aspekte im Lebensverlauf an Bedeutung verlieren. Die in diesem Kapitel vorgestellten institutionellen Unterschiede legen nahe, dass diese Entwicklung stark von den nationalen sozialstaatlichen Regelungen abhängig sind, da sie ein Set von Möglichkeiten und Zwängen etablieren, denen sich auch die jungen Erwachsenen anpassen müssen. In den konservativen Wohlfahrtsstaaten, zu denen Westdeutschland gezählt wird, ist die Sozialpolitik stark auf die Familie hin orientiert. Es wird ein traditionelles Familienmodell mit einem berufstätigen Ehemann und Vater und einer für die Kindererziehung und den Haushalt verantwortlichen Ehefrau und Mutter gefördert. Gleichzeitig ist die institutionelle Regulierung im Bildungs- und Berufssystem hoch und aufgrund der guten Verknüpfung zwischen Schule und Arbeitsmarkt die Jugendarbeitslosigkeit relativ gering. Dadurch kommt vergleichsweise wenig Unsicherheit im Übergangsprozess auf und es gibt nur wenig Raum für Abweichungen vom normativen Muster (vgl. Breen / Buchmann 2002: 298). Demnach werden für Westdeutschland beim ökonomischen Verselbständigungsprozess sowie beim Auszug aus dem Elternhaus und der Partnerschaftsbildung keine starken Veränderungen erwartet. Die größte Herausforderung für die konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Westdeutschland scheint vielmehr im Bereich der Familienbildung zu liegen. Die höhere Bildungsbeteiligung von Frauen steht im Widerspruch zum traditionellen Familienmodell und den unzureichenden institutionellen Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder. Dies kann zu einer Verzögerung der Familienbildung führen. Auch im südeuropäischen Sozialstaatsmodell, das in dieser Untersuchung durch Italien vertreten wird, findet das Subsidaritätsprinzip Anwendung. In noch stärkerem Maße als in den mitteleuropäischen Ländern, werden ein konserva81
tives Familienmodell und traditionelle Geschlechterrollen gefördert. Gleichzeitig sind die Sozialleistungen deutlich geringer, was dazu führt, dass die Familie zum Hauptträger der Wohlfahrt wird. Zusammen mit der hohen Jugendarbeitslosenquote und der mangelnden staatlichen Förderung von Studierenden, führt dies dazu, dass ein hoher Teil der jungen Erwachsenen vollständig auf die Unterstützung der Familie angewiesen ist. Eine Erwerbstätigkeit wird damit zumindest für junge Männer zur Voraussetzung für die Partnerschafts- und Familienbildung. Da gleichzeitig der ökonomische Verselbständigungsprozess mit hohen Schwierigkeiten verbunden ist, wird erwartet, dass in Italien einerseits der gesamten Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter deutlich später als in den anderen beiden Ländern stattfindet, während andererseits aufgrund der traditionellen Vorgaben die Reihenfolge der normativen Übergangsmuster streng eingehalten wird. Die hohe soziale Kontrolle durch die Familie und das traditionelle Umfeld führt in Italien auch dazu, dass individuelle Interessen oder Wertvorstellungen nicht so leicht umgesetzt werden können, wie in liberaleren Gesellschaften. Es kann daher erwartet werden, dass beim Übergang in das Erwachsenenalter nicht so starke Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen bestehen, wie in den anderen beiden Ländern. Für sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten wie Schweden ist ein universaler Zugang zu Sozialleistungen charakteristisch, wobei diese in erster Linie dem Individuum und nicht der Familie oder dem Haushalt zugute kommen. Auch junge Erwachsene profitieren von diesem System, in welchem sie durch Stipendien und Arbeitsmarktprogramme gefördert werden. Insgesamt entsteht dadurch ein anderes Verständnis der Rolle der jungen Erwachsenen, was von Breen und Buchmann in Abgrenzung zu den konservativen Wohlfahrtsstaaten folgendermaßen beschrieben wird: Consequently within the family and in society at large, young people are not primarily conceived as dependents (as in the conservative welfare regimes); rather, they are regarded as individuals with rights and obligations. The cultural incentives to become independent, autonomous, self-reliant, and responsible individuals are thus particularly strong. (Breen et al. 2002: 299)
Diese Kombination von guter sozialer Absicherung und individueller Freiheit führt dazu, dass die jungen Erwachsenen in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimen neue Lebensformen und Übergangsmuster, die von den normativen Vorgaben abweichen, entwickeln können und gleichzeitig bei diesem Einmündungsverlauf nicht mit unüberwindbaren Problemen konfrontiert sind. Bezüglich der These zur Destandardisierung des Lebensverlaufes wird demnach erwartet, dass die Bedeutung der normativen Muster in Italien auch für die jüngsten Kohorten bestand hat, aber der gesamte Einmündungsverlauf verzö82
gert stattfindet. Auch in Westdeutschland werden nur für die jüngsten Kohorten, die den Übergang in das Erwachsenalter Anfang der 1990er Jahre absolvieren, verstärkte Abweichungen von den normativen Mustern prognostiziert, während für Schweden aufgrund der individuellen Förderung sowohl ein zügiger als auch ein individualisierter Einmündungsverlauf angenommen wird. Im folgenden Kapitel werden verschiedene Einflussfaktoren auf der Mikroebene vorgestellt. Es wird diskutiert, welche individuellen Eigenschaften und Ressourcen den sozialen und ökonomischen Verselbständigungsprozess beeinflussen können.
83
4 Der Einfluss individueller Ressourcen und sozialer Merkmale auf den Übergang in das Erwachsenenalter
Der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter ist ein wichtiger Teil des gesamten Lebensverlaufes, bei dem die gleiche Handlungslogik wie in anderen Lebensphasen angewendet wird. Ziel ist die optimale Umsetzung der eigenen Lebenspläne und -ziele unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Dabei greift jeder Einzelne auf seine eigenen individuellen Ressourcen zurück (Blossfeld et al. 2001: 5f.). Demzufolge gibt es bei der Gestaltung des Lebensverlaufes einen interdependenten Zusammenhang zwischen strukturierenden Einflüssen von gesellschaftlichen Institutionen und sozialen Organisationen auf der einen und der individuellen Handlungsebene auf der anderen Seite.66 Mit Fokus auf den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen wurden im dritten Kapitel die makrostrukturellen Rahmenbedingungen in den drei ausgewählten Ländern vorgestellt. Dieses Kapitel widmet sich der individuellen Handlungsebene und geht der Frage nach, wie persönliche Lebensbedingungen und Ressourcen den Zeitpunkt und die Prävalenz der Übergangsereignisse auf dem Weg ins Erwachsenenalter beeinflussen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem erreichten Bildungsniveau, den persönlichen Einstellungen und Werten sowie dem familiären Hintergrund. Zusammen mit dem dritten Kapitel bildet dieser Abschnitt damit die Grundlage für die Entwicklung der eigenen empirischen Studie. Die Bedeutung der verschiedenen Faktoren auf individueller Ebene wird in diesem Kapitel sowohl anhand theoretischer Konzepte als auch auf Basis der Ergebnisse anderer empirischer Untersuchungen zum Übergang ins Erwachsenenalter erläutert. Damit gibt dieser Teil der Arbeit auch einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema. Die verschiedenen Forschungsergebnisse werden bei der Analyse der eigenen empirischen Resultate aufgegriffen und weiter diskutiert. Aufgrund des wechselseitigen Zusammenhangs zwischen der individuellen Handlungsebene und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen können die persönlichen Ressourcen je nach Gesellschaft einen anderen Effekt auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter haben. Soweit 66
Vgl. 2.1.2 Die Einbettung des Lebensverlaufes.
85
hierzu Ergebnisse vorliegen, werden diese Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Ländern dargestellt. Da der zeitliche Verlauf des Einmündungsprozesses ein zentraler Punkt in der empirischen Untersuchung ist, wird der Forschungsüberblick durch den Altersmedian bei den einzelnen Übergangsereignissen vervollständigt. Anhand dieser Daten werden erste Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Ländern deutlich, die mit den im dritten Kapitel diskutierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen. Die hier vorgestellten Kennziffern werden auch zur Überprüfung der Validität der eigenen Ergebnisse herangezogen. Schließlich wird, soweit entsprechende Daten zugänglich sind, die Entwicklung des Altersmedians innerhalb der letzten Jahrzehnte aufgezeigt. Für die Analyse des Wandels im Lebensverlauf werden häufig Geburtskohorten verglichen. Die Zugehörigkeit zu einer Kohortengruppe wird in diesem Sinne als sozialstrukturelles Merkmal verwendet, das sich auf den Zeitpunkt der verschiedenen Lebensereignissen auswirkt. Der Aufbau des Kapitels orientiert sich an den beiden Teilprozessen, aus denen der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter besteht. Zunächst werden die Entwicklung und die Einflussfaktoren auf den ökonomischen Verselbständigungsprozess vorgestellt; im Anschluss daran wird der soziale Verselbständigungsprozess behandelt.
4.1 Der ökonomische Verselbständigungsprozess Bei diesem Teilprozess stehen der Zeitpunkt und der Verlauf des Eintritts in den Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. Es gibt eine Reihe von soziologischen Studien zum Erwerbseinstieg, deren Ergebnisse aber nicht immer vergleichbar sind, da oft unterschiedliche Definitionen von Erwerbstätigkeit verwendet werden. So werden in manchen Untersuchungen offenbar auch Beschäftigungsverhältnisse von Jugendlichen unter 15 Jahren berücksichtigt, während andere dies ausdrücklich ausschließen (Schizzerotto et al. 2002). Teilweise werden auch nur dauerhafte Arbeitsverhältnisse oder nur Vollzeitstellen erfasst (Hullen 2001). Dagegen liegt in anderen Studien der Schwerpunkt auf dem Unterschied zwischen unsicheren und sicheren Beschäftigungsverhältnissen am Anfang der Berufskarriere (Lauterbach et al. 2001; Kurz et al. 2005). Ein erster aussagekräftiger Indikator stellt das Alter bei der ersten Erwerbstätigkeit dar. Ein auf Basis des „European Community Household Panels“ durchgeführter europäischer Vergleich macht deutlich, dass es dabei Unterschiede zwischen den hier ausgewählten Ländern gibt: In Italien ist der Altersmedian für das Ereignis erste Erwerbstätigkeit mit 24 Jahren am höchsten, während es in Schweden (knapp über 22 Jahre) und Deutschland (ca. 22 Jahre) deut86
lich niedriger ist (Iacovou et al. 2001: 16). Der individuelle Zeitpunkt des Erwerbseinstiegs wird durch verschiedene soziale Merkmale auf persönlicher Ebene beeinflusst. Dabei ist das erreichte Bildungsniveau zweifellos einer der wichtigsten Faktoren. Besuchen Jugendliche oder junge Erwachsene noch eine Bildungsinstitution, steigen sie nur sehr selten in den Arbeitsmarkt ein. Aus Sicht der Jugendforschung sind sie durch diese Zugehörigkeit zu Bildungsinstitutionen vor den Verpflichtungen der Erwachsenengesellschaft geschützt und haben die Möglichkeit, sich allgemeines kulturelles Kapital und insbesondere Bildungskapital (in Form von Bildungstiteln) anzueignen (Zinnecker 1991: 10). Für den Zeitpunkt des Erwerbseinstiegs leitet sich daraus folgende Grundregel ab: Je höher das angestrebte Bildungsniveau ist, desto mehr Zeit wird für den Abschluss benötigt und desto später kann die Berufslaufbahn begonnen werden (Breen et al. 2002). Ein hoher Bildungsabschluss wird angestrebt, weil man sich damit sowohl mehr Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt als auch bessere Aufstiegsmöglichkeiten während der Berufskarriere eröffnet. Langfristig kann dadurch die ökonomische Sicherheit gesteigert werden. Neben der eigenen Bildung als nichtmaterielle Ressource beeinflussen auch die familiäre und regionale Herkunft den Einstiegsprozess in den Arbeitsmarkt. Wer in einer Familie mit vielen Geschwistern aufwächst, muss damit rechnen, dass die vorhandenen Ressourcen auf mehr Personen verteilt werden. Das kann dazu führen, dass die Eltern die schulische und berufliche Ausbildung der Kinder nicht ausreichend oder nur in geringerem Maße fördern können. Jugendliche mit vielen Geschwister steigen somit möglicherweise früher in den Arbeitsmarkt ein als Einzelkinder oder welche mit nur einem Geschwisterteil. Der regionale Kontext stellt genau betrachtet eine Brücke zwischen Makround Mikrofaktoren dar (Hank 2003: 83). Die Wahl des Wohnorts ist eine Entscheidung der Familie oder des jungen Erwachsenen (nach dem Auszug aus dem Elternhaus), allerdings sind damit spezifische regionale Strukturen verbunden, die neue Möglichkeiten eröffnen oder Entwicklungen bremsen können. Städtische Räume bieten im Vergleich zu ländlichen Regionen mehr Optionen für eine weiterführenden Aus- oder Schulbildung und dementsprechend ist die Bildungsbeteiligung dort höher. Gleichzeitig herrscht auf dem Arbeitsmarkt häufig ein stärkerer Konkurrenzdruck. Beides kann bei Jugendlichen in urbanen Gebieten zu einem verzögernden Einstieg in den Arbeitsmarkt führen.
87
4.2 Der soziale Verselbständigungsprozess 4.2.1 Der Auszug aus dem Elternhaus Zum Auszug aus dem Elternhaus liegt eine Reihe verschiedener Untersuchungen vor; in einigen werden direkt die Ergebnisse aus mehreren Ländern verglichen (Billari et al. 2001; Férnandez Cordón 1997; Iacovou 2001), andere sind Sammelbände mit Beiträgen zu einzelnen Ländern, in denen der Auszug oft nur ein Teilaspekt ist (Corijn et al. 2001; Cherlin et al. 1997). Darüber hinaus gibt es Einzeluntersuchungen, die sich nur einem Land widmen. Die Ergebnisse der Studie von Billari et al. (2001), in der unter anderem die hier ausgewählten Länder berücksichtigt wurden, zeigt für diese deutliche Unterschiede beim Altersmedian (siehe Tabelle 9). Tabelle 9: Altersmedian beim Auszug aus dem Elternhaus (Geburtskohorten um 1960) Westdeutschland Italien Schweden
Männer 22,4 26,7 20,2
Frauen 20,8 23,6 18,6
Quelle: Billari et al. 2001: 345.
Demnach ziehen die jungen Erwachsenen aus Schweden früher aus als ihre westdeutschen und italienischen Altersgenossen. Der große Unterschied beim Auszugsalter zwischen den südeuropäischen Ländern auf der einen und den mittel- und nordeuropäischen Staaten auf der anderen Seite, wird in anderen Studien bestätigt und sowohl auf die schlechten Arbeitsmarktbedingungen als auch die traditionellen Familienmuster in Südeuropa zurückgeführt (Férnandez Cordón 1997; Iacovou 2001; Rusconi 2004). Des Weiteren zeigt sich, dass Frauen durchweg früher ausziehen als Männer.67 Dies geht offenbar auf die Altersstruktur in Partnerschaften zurück: Frauen sind häufig jünger als ihr männlichen Partner und weisen dementsprechend bei den einzelnen Schritten des sozialen Verselbständigungsprozesses ein niedrigeres Durchschnittsalter auf (Iacovou 2001: 18). Dazu passt, dass der Altersunterschied zwischen Männer und Frauen in Italien
67
Dies wird in allen erwähnten Studien und für Deutschland beispielsweise bei (Georg et al. 1994) festgestellt.
88
sowohl bei den Partnerschaften als auch beim Auszug höher ist als in Westdeutschland oder skandinavischen Staaten.68 Im modernen Europa hat sich das Auszugsalter in zwei Wellen verändert: Zunächst ging es seit 1920 stetig zurück, aber vor allem in den westlichen Staaten kommt dieser Trend in den 1970er Jahren zunächst zum Stillstand und kehrt sich in der Folge sogar um (Billari et al. 2001: 343). Für Westdeutschland kommen mehrere Studien zu dem Ergebnis, dass es ab den um 1960 geborenen Kohorten einen Anstieg des Auszugsalters gibt.69 Wie beim Erwerbseinstieg wird in diesem Zusammenhang häufig auf die steigende Bildungsbeteiligung verwiesen. Zusammen stellen Bildung und Erwerbstätigkeit die wichtigsten individuellen sozialen Merkmale dar, die einen Einfluss auf den Zeitpunkt des Auszugs aus dem Elternhaus haben. Da nur sehr wenige junge Erwachsene vor Abschluss der Schulausbildung das Elternhaus verlassen, wird angenommen, dass ein steigender Anteil von hohen Schulabschlüssen auch zu einem höheren Auszugsalter führt (Breen et al. 2002: 289). Dieser Effekt ist in Italien offenbar besonders stark und anhaltend (Rossi 1997). Nicht so eindeutig ist dagegen der Einfluss von Hochschul- und Universitätsabschlüssen. Ziegler stellt für Westdeutschland fest, dass der Studentenstatus sich beschleunigend auf den Auszug auswirkt, da viele junge Erwachsene für ein Hochschulstudium ihren Herkunftsort verlassen müssen (Ziegler et al. 1993: 79). Dies wird von Weick (1993: 104) nur für Männer, aber nicht für Frauen bestätigt.70 Demnach unterscheidet sich der Einfluss des Bildungsniveaus auf das Auszugsalter nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch nach Geschlecht. Wird der Auszug aus dem Elternhaus nicht mit einer weiterführenden Ausbildung verbunden, steht er häufig in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit. Ein eigenes Einkommen stellt in vielen Fällen die Voraussetzung für die eigene Haushaltsgründung dar und die Ereignisse Berufseintritt und Auszug liegen dementsprechend nahe beieinander.71 Es ist daher nicht überraschend, dass der Anteil junger Erwachsener die ausgezogen sind, bei den Erwerbstätigen deutlich höher ist als bei denjenigen ohne eigenes Einkommen (Férnandez Cordón 1997: 597). Erwerbslose Jugendliche oder junge Erwachsene neigen dazu, erst in einem höheren Alter einen eigenen Haushalt zu gründen (Lauterbach et al. 1999: 439). Aufgrund der traditionellen Rollenmuster kann angenommen werden, dass dieser Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Auszug bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen. 68
So sind in einer italienischen Partnerschaft die Männer durchschnittlich 3,1 Jahre älter, in Deutschland und Dänemark beträgt der Unterschied 2,3 und in Finnland 2,0 Jahre (Iacovou 2002: 43). 69 Dies wird sowohl durch Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) als auch der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage (ALLBUS) bestätigt (Weick 1993: 89). 70 Zu dem gleichen Ergebnis kommen auch Lauterbach und Lüscher (1999: 439). 71 Für Westdeutschland kann festgestellt werden, dass sich die beiden Ereignisse über die Kohortenfolge zunehmend annähern (Wagner et al. 1991: 51).
89
Die Effekte von individuellen Werten und Normen auf das Auszugsalter werden vergleichsweise selten untersucht. Theoretisch wird häufig postuliert, dass traditionelle und konservative Einstellungen zu einer Verzögerung des Auszugs aus dem Elternhaus führen. Dies wird damit begründet, dass bei traditionellen Wertvorstellungen zum einen die Bindung an die Herkunftsfamilie stärker ist und zum anderen alternative Lebensformen (wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft), die einen frühzeitigen Auszug wahrscheinlich machen, häufiger abgelehnt werden. In einer Studie über nordamerikanische junger Erwachsene wird dieser Zusammenhang bestätigt (Goldscheider et al. 1989). Als Indikator für eine traditionelle Wertehaltung kann unter anderem die Zugehörigkeit zur Kirche verwendet werden. Zumindest eine Studie mit Daten für Westdeutschland kommt zu dem Ergebnis, dass junge Frauen mit einer hohen kirchlichen Bindung das Elternhaus signifikant später verlassen (Weick 1993: 103). Neben den eigenen Ressourcen und den Einstellungen spielen auch familiäre Rahmenbedingungen eine Rolle. Ein möglicher Auszugsgrund ist der Wunsch nach mehr Privatleben, was mit den Wohnverhältnissen im Elternhaus zusammenhängen kann (Nave-Herz 1997: 681). Wohnen die Eltern und Kinder nur in einer kleinen Wohnung, ist häufig nicht genug Wohnraum vorhanden, um eine ausreichende Privatsphäre aufzubauen. Steht den Heranwachsenden im Elternhaus dagegen ein großes Zimmer oder gar ein eigener Wohnbereich zur Verfügung, genießt der Auszug aus dem Elternhaus nicht unbedingt oberste Priorität, denn dann müssen sie mit schlechteren Wohnbedingungen bei der eigenen Haushaltsgründung rechnen und zudem auf Annehmlichkeiten im „Hotel Mama“ verzichten. Dieser Zusammenhang zwischen Wohnraum und Auszugsalter wird von Lauterbach und Lüscher (1999: 433) bestätig und sie fassen ihr Ergebnis zu diesem Punkt folgendermaßen zusammen: „Je großzügiger also die zur Verfügung stehende Wohnfläche ist, um so unwahrscheinlicher wird, dass junge Erwachsene früh das Elternhaus verlassen.“ Nicht in allen Untersuchungen kann direkt auf die zu Verfügung stehende Wohnfläche zurückgegriffen werden. Stattdessen wird häufig die Anzahl der Geschwister herangezogen: Bei vielen Geschwistern kann der Wunsch nach einer eigenen Privatsphäre und ausreichendem Wohnraum im Elternhaus nicht so leicht erfüllt werden, was zu einem früheren Auszug führen kann. Zwei Studien über junge Erwachsene in Deutschland kommen zu dem Ergebnis, dass mit der Geschwisterzahl die Auszugsrate ansteigt (Hullen 1995; Weick 1993). Auch im Hinblick auf den Wohnort sind Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Auszug abhängig von den Eltern. Dabei kann ein theoretischer Zusammenhang zwischen Wohnortgröße und Auszugsverhalten konstruiert werden. In großen Städten gibt es häufiger höhere Bildungsinstitutionen und mehr Wahlmöglichkeiten bei den Studienfächern als in ländlichen Gebieten oder kleinen 90
Städten (Hullen 1995: 152). Auch auf dem Arbeitsmarkt bietet ein urbanes Umfeld zumindest eine höhere Bandbreite an Möglichkeiten, während ländliche Gebiete häufiger durch einen spezifischen Wirtschaftssektor geprägt sind. Im Hinblick auf eine weiterführende Ausbildung oder die berufliche Laufbahn kann deshalb angenommen werden, dass junge Erwachsene aus ländlichen Gebieten häufiger zu einem frühen Auszug aus dem Elternhaus gezwungen sind.
4.2.2 Die Partnerschaftsbildung Der Prozess der Partnerschaftsbildung wurde in den letzten Jahrzehnten durch zwei Entwicklungen geprägt: zum einen durch die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften (NEL) und zum anderen durch den Anstieg des Heiratsalters. Die NEL breitete sich in den 1960er Jahren zunächst in Schweden und Dänemark aus und erst mit einiger Verzögerung folgten konnte sie sich in den meisten anderen westeuropäischen Staaten etablieren (Kiernan 2000: 42). Außen vor bleiben stark katholisch geprägte Länder. Der Überblick zur Verbreitung von nichtehelichen Partnerschaften in Europa von Höpflinger (1997) bestätigt diese Entwicklung. In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse für die hier berücksichtigten Länder wiedergegeben. Tabelle 10: Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften
Westdeutschland
Italien Schweden
1972 1982 1990 1983 1990 1975 1985 1990
%-Anteil Frauen in nichtehelichen Partnerschaften im Alter von: 20-24 Jahre 25-29 Jahre 1 1 14 8 18 20 1 1 1 1 29 15 32 31 29 28
Quelle: Höpflinger 1997: 105.
91
In Westdeutschland nahm der Anteil an Kohabitationen zwischen 1972 und 1990 deutlich zu.72 Demgegenüber hat sich in Italien diese Lebensform auch 1990 noch nicht etabliert.73 In Schweden lebten bereits Mitte der 1970er Jahre nahezu ein Drittel der jungen Erwachsenen unter 25 Jahre in einer NEL, und dieser Anteil kann sich in den folgenden Jahrzehnten auch bei den 25-29jährigen durchsetzen. Nahezu im gleichen Zeitraum kann in fast allen europäischen Ländern ein Anstieg des Heiratsalters festgestellt werden. Die folgende Abbildung (5) fasst die Entwicklung des durchschnittlichen Heiratsalters von 1960 bis 1995 für die drei ausgewählten Länder zusammen. Abbildung 5:
Durchschnittsalter bei der Erstheirat
32 30
Alter
28 26 24 22 1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr West-Deutschland: Frauen
West-Deutschland-Männer
Italien: Frauen
Italien: Männer
Schweden: Frauen
Schweden: Männer
Quelle: Eurostat 2005b, ab 1991 gelten die Daten für ganz Deutschland.
72
Das bedeutet, dass dieser Wandel in Westdeutschland von den um 1960 geborenen Kohorten initiiert wurde (Marbach et al. 1996: 129). 73 „[...] in Italy even for younger birth cohorts of women, the adoption of cohabitation is still an uncommon practice and thus remains a kind of deviant behaviour“ (Nazio et al. 2003: 65).
92
In allen drei Ländern ist das durchschnittliche Heiratsalter der Männer höher als das der Frauen.74 Der Anstieg beim Heiratsalter beginnt in den Ländern jeweils zu einem anderen Zeitpunkt und fällt unterschiedlich stark aus. In Schweden setzt dieser Prozess bereits Mitte der 1960er Jahre ein, während Westdeutschland und Italien erst rund zehn Jahre später folgen. Am stärksten ist der Anstieg des Heiratsalters in Schweden, so dass es dort 1995 höher als in Italien und Westdeutschland ist. Sowohl in Schweden als auch in Westdeutschland verläuft der Anstieg des Heiratsalters parallel mit der zunehmenden Verbreitung von nichtehelichen Partnerschaften (vgl. Kiernan 2000: 42). In Italien, wo sich diese Lebensform bis jetzt nicht durchsetzen konnte, steigt auch das Heiratsalter weniger stark an. Gerade aufgrund der Zunahme von nichtehelichen Lebensgemeinschaften in vielen europäischen Ländern, muss ein Anstieg des Heiratsalters nicht zwangsläufig eine Verzögerung beim Prozess der Partnerschaftsbildung ausdrücken. Wird als Indikator für die Partnerschaftsbildung nicht die Erstheirat, sondern die erste gemeinsame Haushaltsgründung gewählt, entsteht ein anderes Bild. In Schweden ist unter diesem Blickwinkel das Alter bei der ersten Partnerschaft stabil geblieben, während es in Italien – offenbar aufgrund der engen Verknüpfung mit der Ehe – angestiegen ist (Schizzerotto et al. 2002: 13). Auch für den Zeitpunkt der Partnerschaftsbildung können wieder eine Reihe von Einflussfaktoren auf individueller Ebene identifiziert werden. Sie führen dazu, dass das Alter bei diesen Ereignissen nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften variiert. An erster Stelle steht dabei das Bildungsniveau der Partner, dessen Effekt insbesondere anhand der These der Familienökonomie untersucht wird. Dabei werden Ehe und Partnerschaft unter dem Aspekt des individuellen Nutzenvorteils und der Möglichkeit zur Arbeitsteilung (traditionellerweise mit einem erwerbstätigen Mann und Übernahme der Haus- und Familienarbeit durch die Ehefrau) betrachtet. Die These der Familienökonomie geht davon aus, dass für Frauen mit einem geringen Bildungsniveau eine frühe Partnerschaft oder Heirat mit einem hohen Nutzen (Existenzsicherung) verbunden ist, während Frauen mit einer guten Ausbildung daraus einen geringeren Vorteil ziehen beziehungsweise damit sogar Nachteile für die eigene Berufslaufbahn verbinden (Becker 1985). Der negative Einfluss eines hohen Bildungsniveaus auf die Heiratsrate von Frauen wird in verschiedenen Studien bestätigt (Blossfeld et al. 1989; Klein et al. 1994). Grundsätzlich kann auch für Männer vermutet werden, dass ein niedriger Bildungsabschluss eine frühere Partnerschaftsbildung ermöglicht, da auch der Erwerbseinstieg früher erfolgt. Andererseits können Männer mit einer höheren Aus74
Dies kann wiederum auf den Altersunterschied innerhalb der Partnerschaften zurückgeführt werden.
93
bildung langfristig mehr ökonomische Sicherheit garantieren. Es ist daher möglich, dass sich bei den Männern diese beiden Effekte des Bildungsabschlusses gegenseitig aufheben. Eine Studie für Westdeutschland kommt zu dem Ergebnis, dass der verzögernde Effekt eines hohen Bildungsabschlusses auf das Heiratsalter bei Frauen stärker ist als bei Männern (Diekmann 1990). Der Einfluss von Werten und Normen auf den Prozess der Partnerschaftsbildung wird häufig anhand der Religiosität untersucht. Die Handlungsanweisungen der christlichen Kirchen in diesem Lebensbereich sind explizit: Nur die Ehe stellt eine legitime Form des Zusammenlebens von Mann und Frau dar (Hellwig 2001a: 57). Dies hat zwei Auswirkungen: Zum einen reduziert eine religiöse Einstellung die Wahrscheinlichkeit, dass eine nichteheliche Lebensgemeinschaft eingegangen wird (Nazio et al. 2003: 72; Hellwig 2001a: 62). Zum anderen erhöht sich damit zwar die Wahrscheinlichkeit, dass man direkt heiratet (Kiernan 2000: 54), aber andererseits wird die Ehe als heilige Institution angesehen, die nur bei „hohen Erfolgsaussichten“ eingegangen werden sollte. Daraus folgt, dass eine hohe religiöse Bindung einen eher verzögernden Effekt auf das Heiratsalter hat (Ongaro 2001: 176). Neben den individuellen Ressourcen und Einstellungen spielt auch der familiäre Hintergrund eine Rolle beim Prozess der Partnerschaftsbildung. Die Familiengröße hat dabei eine ähnliche Bedeutung wie beim Erwerbseinstieg oder beim Auszug aus dem Elternhaus. Dies legt nahe, dass Kinder aus großen Familien aufgrund ökonomischer Zwänge früh aus dem Elternhaus ausziehen und heiraten (Hellwig 2001a: 56). Die regionale Herkunft stellt wiederum eine Brücke zwischen Mikro- und Makrofaktoren dar. Die Wahl des Wohnorts ist eine individuelle Entscheidung, die gleichzeitig mit spezifischen Strukturen verbunden ist. Städtische Räume bieten im Vergleich zu ländlichen Gegenden üblicherweise mehr Anonymität und Raum für alternative private Lebensformen; d.h. es gibt dort mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften und dementsprechend wird dort eine niedrigere Heiratsrate und ein höheres Alter bei der Eheschließung erwartet.
4.2.3 Die Familiengründung Abgeschlossen wird der Prozess der sozialen Verselbständigung durch die Geburt des ersten Kindes. Seit Anfang der 1970er Jahre ist in allen drei Ländern das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes deutlich angestiegen, nachdem es in den 1960er Jahren leicht zurückging. In Abbildung 6 wird die Entwicklung für den Zeitraum zwischen 1974 und Mitte der 1990er Jahre zusammengefasst. 94
Abbildung 6:
Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes
28
Alter
27
26
25
19 65 19 68 19 70 19 72 19 75 19 78 19 80 19 83 19 85 19 88 19 90 19 93 19 95
19 63
19 60
24
Jahr Westdeutschland
Italien
Schweden
Quelle: Eurostat 2005b.
Die Grafik zeigt, dass neben der Heirat auch der Prozess der Familienbildung immer häufiger aufgeschoben wird. Um den genauen Zeitpunkt der Familiengründung innerhalb einzelner Gesellschaften genauer zu analysieren, werden weitgehend die gleichen Faktoren auf individueller Ebene wie bei der Partnerschaftsbildung herangezogen. An erster Stelle steht dabei wieder das erreichte Bildungsniveau, es folgen Werte und Einstellungen sowie der soziale Kontext (Familie und Wohnort). Obwohl sich das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes in den drei Ländern relativ ähnlich entwickelt, sind die Unterschiede bei der Fertilitätsrate deutlich stärker (vgl. Abbildung 7). Zwar nimmt die Rate in allen drei Ländern seit Mitte der 1960er Jahre ab, aber in Schweden konnte dieser Trend Anfang der 1980er Jahre gestoppt und langsam umgekehrt werden. In den anderen beiden Ländern ist die Geburtenrate langfristig weit unter das Reproduktionsniveau gesunken. Dieser Rückgang war zunächst in Westdeutschland besonders stark ausgeprägt, während Italien bis Ende der 1970er
95
Jahre noch eine relativ hohe Fertilitätsrate aufwies. Aber in den folgenden Jahrzehnten war der Rückgang sehr hoch und heute haben Italien und Deutschland eine der niedrigsten Geburtenrate in ganz Europa (vgl. Fussell 2002: 30). Abbildung 7:
Entwicklung der Fertilitätsrate zwischen 1960 und 1994
2,8 2,6 2,4
Fertilitätsrate
2,2 2 1,8 1,6 1,4 1,2
19 60 19 62 19 64 19 66 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94
1
Jahr Westdeutschland
Italien
Schweden
Quelle: Eurostat 2005b, ab 1991 gelten die Daten für ganz Deutschland.
Die Fertilitätsrate und die Bevölkerungsentwicklung stehen im Mittelpunkt verschiedener Studien aus unterschiedlichen Bereichen. Soziologische Arbeiten untersuchen in diesem Zusammenhang in erster Linie, welche Faktoren auf individueller Ebene einen Einfluss auf das Alter bei der Familiengründung haben. Der Einfluss des Bildungsniveaus auf das Alter bei der ersten Elternschaft kann wiederum mit der These der Familienökonomie untersucht werden, die erst in diesem Zusammenhang ihre volle Relevanz entfaltet. Während bei der Partnerschaft oder Ehe lediglich die Option besteht, dass sich Frauen aus dem Beruf zurückziehen, ist dies bei der Geburt eines Kindes zumindest temporär notwendig. Dementsprechend ist die Geburt von Kindern für gut ausgebildete
96
Frauen mit noch höheren Opportunitätskosten als bei der Heirat verbunden. Tatsächlich ist bei westdeutschen Frauen der verzögernde Effekt des Bildungsniveaus bei der Familiengründung stärker als bei der Erstheirat (Klein et al. 1994: 281ff.). Bei den Männern ist wiederum nicht ausgeschlossen, dass ein niedriger Bildungsabschluss früher die Möglichkeit zur Familienbildung eröffnet, allerdings steht hier der Aspekt der ökonomischen Sicherheit noch mehr im Vordergrund, was möglicherweise gut ausgebildete Männer begünstigt (Kurz et al. 2005: 59f). Genauso wie bei dem Prozess der Partnerschaftsbildung spielen auch bei der Familiengründung die Einstellungen oder Werte und Normen eine Rolle. Es wird erwartet, dass religiöse Personen häufig und früh Eltern werden, da der Familie in der Kirche eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Die Forschungsergebnisse dazu sind allerdings nicht eindeutig. In Italien wird ein derartiger Effekt in einer Studie nachgewiesen (Ongaro 2001: 197), während in Westdeutschland kein signifikanter Unterschied bei der Familiengründung nach der religiösen Bindung vorliegt (Hullen 1998: 99). Der Stellenwert der Familienbildung bei der eigenen Lebensplanung kann auch unabhängig von der Religion untersucht werden. Grundsätzlich steht die Familie immer mehr in Konkurrenz zu anderen Bereichen (ökonomische Sicherheit, berufliche Karriere). Besteht trotz dieser Konkurrenzsituation eine hohe Wertschätzung für Familie und Kinder, sollte auch die erste Elternschaft früher angestrebt und erreicht werden (Habich et al. 1998). Eine Rolle kann dabei auch die Größe der Herkunftsfamilie spielen. Hellwig (2001) geht davon aus, dass das Aufwachsen mit vielen Geschwistern auch zu einer positiven Einstellung zu Kindern führt. Dieser positive Effekt einer großen Herkunftsfamilie auf die Elternschaft wird von Blossfeld und Huinink - allerdings mit einer gewissen Kritik - bestätigt: Mädchen aus größeren Familien werden nicht nur systematisch in ihrer Bildungskarriere benachteiligt, sondern sie werden darüber hinaus auch stärker auf eine Hausfrauen- und Mutterkarriere hin sozialisiert. Sie sind daher eher bereit, in der eigenen Ehe auf eine weitere berufliche Karriere zu verzichten. Sie wollen und haben mehr Kinder. (Blossfeld et al. 1989: 398)
Damit kann die Größe der Herkunftsfamilie als Indikator für die Einstellung zur eigenen Familienplanung herangezogen werden. Gleichzeitig kann angenommen werden, dass bei vielen Geschwistern jedes Kind nur in geringerem Maße durch die Eltern gefördert werden kann (beispielsweise geringere Aussichten, dass ein Studium begonnen wird). Dadurch wird der gesamte Prozess der ökonomischen und sozialen Verselbständigung beschleunigt.
97
Abschließend kann auch zwischen dem Wohnort und dem Alter bei der Familienbildung ein Zusammenhang konstruiert werden. Da Städte im Vergleich zu ländlichen Regionen eine weniger vorteilhafte Umgebung für das Aufwachsen von Kindern darstellen, kann angenommen werden, dass eine höhere Bevölkerungsdichte zu einer Verzögerung der Familienbildung führt (Hank 2003: 84). In diesem Kapitel wurde zum einen die Bedeutung sozialer Merkmale auf individueller Ebene für die Gestaltung des Überganges in das Erwachsenenalter diskutiert. Zum anderen wurde in diesem Zusammenhang der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema zusammengefasst. Dabei wurden mehrere Aspekte deutlich: Erstens ging der Forschungsüberblick gezielt auf das Timing der einzelnen Übergangsereignisse in den drei ausgewählten Ländern ein. Hierfür wurden entweder die Resultate von international vergleichenden, demografischen Forschungsarbeiten oder Daten von Eurostat herangezogen. Zum Teil konnte dabei die Entwicklung für die letzten Jahrzehnte zusammengefasst werden, aber auch wenn nur der Altersmedian für ein bestimmtes Jahr angegeben wurde, sind Unterschiede zwischen den drei Staaten deutlich geworden. Diese Ergebnisse unterstreichen damit die Relevanz der im dritten Kapitel diskutierten sozialstaatlichen Rahmenbedingungen für den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter. Zweitens fällt in diesem Zusammenhang auf, dass es bei einigen Ereignissen unterschiedliche Altersmediane für Frauen und Männer gibt. Dadurch werden die Schlussfolgerungen aus den Erörterungen zu geschlechtsspezifische Übergangsmuster im theoretischen Teil gestützt. Drittens können die genannten sozialen Merkmalen auf individueller Ebene in drei Gruppen eingeteilt werden: (1) Individuelle Ressourcen wie der Bildungsabschluss oder die Erwerbstätigkeit, (2) Einstellungen und Werte, die häufig über die Religion bzw. die Verbindung zur Kirche gemessen werden, (3) der familiäre Hintergrund der jungen Erwachsenen und der Wohnort im Jugendalter. Die Ergebnisse der verschiedenen Studien und die zugrunde liegenden theoretischen Konzepte werden im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft.
98
5 Aufbau der empirischen Studie
In diesem Kapitel werden zunächst die Fragestellungen der empirischen Studie präzisiert, anschließend werden die verwendeten Daten, die statistischen Methoden und das Forschungsdesign vorgestellt.
5.1 Institutionelle Rahmenbedingungen, Destandardisierung und individuelle Merkmale: Drei Ebenen die den Weg in das Erwachsenenalter prägen Bei der Analyse des Überganges in das Erwachsenenalter mit seinen beiden Teilprozessen (der ökonomischen und der sozialen Verselbständigung), stehen die Prävalenz, der Zeitpunkt und die Reihenfolge der relevanten Übergangsereignisse im Mittelpunkt. In Zusammenhang mit der Sequenz der Ereignisse wurde festgestellt, dass sich die jungen Erwachsenen an zwei normativen Übergangsmustern orientieren können. Das erste normative Muster dient sowohl Männern als auch Frauen als Vorlage. Darin wird die ökonomische Selbständigkeit über ein eigenes Einkommen erreicht. Das zweite normative Muster entspricht dem traditionellen weiblichen Lebensverlauf. Hier wird die ökonomische Unabhängigkeit von der Herkunftsfamilie über die Berufstätigkeit des Partners erlangt. Die empirische Analyse erfolgt deshalb für Frauen und Männern getrennt und es wird untersucht, wie verbreitet diese normativen Verlaufsmuster sind. Des Weiteren wurde in den bisherigen Kapiteln deutlich, dass der genaue Verlauf des Weges in das Erwachsenenalter von drei Ebenen beeinflusst wird. Deren Wirkung wird in der empirischen Studie überprüft. Dabei handelt es sich erstens um die Makroebene, die sich auf den Einfluss der wohlfahrtsstaatlichen Regelungen auf den Übergangsprozess bezieht. Die Zeitebene stellt die zweite Stufe dar; dabei werden die Veränderungen bei den Verlaufsmustern und dein einzelnen Übergangsebenen erfasst. Hier gilt es insbesondere die These zur Destandardisierung der Lebensverläufe zu überprüfen. Auf der Mikroebene wird zudem die Bedeutung individueller Merkmale untersucht. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Faktoren besteht. Das bedeutet, dass beispielsweise die Religiosität in Italien einen anderen Effekt auf 99
die Familiengründung hat als in Deutschland. Zur Interdependenz zwischen diesen beiden Ebenen, liegen bisher nur wenige systematische Ergebnisse vor.75 Ein wichtiges Ziel der empirischen Untersuchung ist es daher, hierzu einen weiterführenden Beitrag zu leisten. Die drei Ebenen werden im den folgenden Abschnitten näher vorgestellt. Auf Grundlage der bisherigen Überlegungen können für jede Ebene spezifische Ergebnisse erwartet werden.
5.1.1
Institutionellen Rahmenbedingungen und der Übergang ins Erwachsenenalter
Wie im dritten Kapitel ausführlich dargelegt wurde, haben verschiedene Felder auf Makroebene eine hohe Relevanz für den Übergang in das Erwachsenenalter. Je nach Wohlfahrtsstaatsmodell können dabei Unterschiede in der allgemeinen Ausrichtung der Sozialpolitik, der Struktur des Arbeitsmarktes, der Jugend- und Familienpolitik und der Zuweisung von Geschlechterrollen beobachtet werden. Diesen Rahmenbedingungen können sich die einzelnen Akteure kaum entziehen, obgleich sie es letztlich selbst sind, die diese Strukturen schaffen, reproduzieren und auch laufend verändern. Den jungen Erwachsenen in Europa stehen beim Übergang ins Erwachsenenalter prinzipiell alle verschiedenen Handlungsoptionen offen, aber aufgrund der Rahmenbedingungen sind manche dieser Optionen mit mehr Vorteilen verbunden als andere und ein Teil von ihnen kann nur schwer realisiert werden. Wo Regeln gesetzt werden, Leistungen zur Verfügung gestellt werden oder Anreize geschaffen werden, ist es aus Sicht des individuellen Akteurs funktional rational, diese Angebote auch zu nutzen und andere Optionen fallen zu lassen. Das bedeute, dass die jungen Erwachsenen ihre eigenen Entscheidungen und Handlungen mit Blick auf die sozialstaatlichen Angebote treffen.76 Um überprüfen zu können wie stark der Einfluss der wohlfahrtsstaatlichen Regelungen auf den Übergang in das Erwachsenenalter in Europa ist, müssen in der empirischen Studie mehrere Länder miteinander verglichen werden. Mit Schweden, Westdeutschland und Italien wurden in dieser Arbeit drei Vertreter der wichtigsten europäischen Wohlfahrtsstaatsmodelle ausgewählt. Aufgrund der bisherigen theoretischen Überlegungen und der bereits vorliegenden Einzel75
In einzelnen Sammelbänden (Corijn et al. 2001; Blossfeld et al. 2005) wird pro Artikel ein Land untersucht und die verschiedenen Länder so einander gegenübergestellt. Auf diese Weise kann aber nicht beurteilt werden, ob die Unterschiede zwischen den Ländern statistisch signifikant sind. 76 „Der legalistische Charakter der wohlfahrtsstaatlichen Intervention fördert die Wahrnehmung von Rechten als Ansprüche auf Dienstleistungen und Zahlungen und tendiert deshalb dazu, eine enge Verbindung zwischen Bedürfnissen einerseits und Bedürfnisbefriedigung andererseits aufzuheben, die ja ursprünglich zu der Einrichtung solcher Dienstleistungen geführt hatte.“ (Mayer et al. 1994: 285)
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studien, werden sowohl bezüglich des chronologischen Alters bei den einzelnen Übergangsereignissen als auch beim gesamten Weg in das Erwachsenenalter deutliche Länderunterschiede erwartet. In diesem Zusammenhang wird sich die empirische Studie auf drei Bereiche konzentrieren, in denen folgende Ergebnisse prognostiziert werden: 1. Der ökonomische Verselbständigungsprozess stellt vor allem für die jungen Erwachsenen in Italien eine hohe Herausforderung dar. Berufseinsteiger haben es im italienischen Arbeitsmarkt vergleichsweise schwer und die strukturelle Verbindung zwischen Schul- und Ausbildungssystem auf der einen Seite und dem Arbeitsmarkt auf der anderen Seite ist relativ schlecht. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Italien ist ein deutliches Indiz dafür, dass die dortigen Rahmenbedingungen aus Sicht der jungen Erwachsenen alles andere als ideal sind. Sowohl in Schweden als auch in Westdeutschland ist die Jugendarbeitslosenquote deutlich niedriger. Dies kann auf die bessere Verbindung zwischen Bildungssystem und Arbeitsmarkt in den beiden Ländern und im Falle Schwedens auch auf die aktive Arbeitsmarktpolitik zurückgeführt werden. Es wird daher erwartet, dass jungen Italiener und Italienerinnen später ökonomisch selbständig werden als die schwedischen oder westdeutschen jungen Erwachsenen. 2. Sowohl die allgemeine Ausrichtung der Wohlfahrtsstaaten als auch die nationalen Regelungen in der Jugend- und Familienpolitik tragen dazu bei, dass den schwedischen jungen Erwachsenen deutlich mehr Unterstützung zuteil wird als ihren westdeutschen und italienischen Altersgenossen. Insbesondere die individuelle - und nicht familienorientierte – Förderung führt dazu, dass die schwedischen jungen Erwachsenen sich vergleichsweise früh vom Elternhaus ablösen können und den sozialen Verselbständigungsprozess insgesamt zügig abschließen. In Westdeutschland waren während des Untersuchungszeitraumes die Arbeitsmarktbedingungen für Berufseinsteiger relativ günstig, so dass auch hier erwartet wird, dass der soziale Verselbständigungsprozess von den jungen Erwachsenen früh in Angriff genommen wird. Allerdings kann der Prozess der Partnerschafts- und Familienbildung in Westdeutschland weniger gut miteinander in Einklang gebracht werden als in Schweden, da unter anderem nicht genügend Einrichtungen für die Betreuung von Kleinkindern vorhanden sind. Deshalb wird erwartet, dass sich der soziale Verselbständigungsprozess in Westdeutschland über einen längeren Zeitraum als in Schweden erstreckt. Aufgrund der mangelnden sozialen Absicherung sind die jungen Erwachsenen in Italien in deutlich höherem Maße abhängig von der Herkunftsfamilie. Es wird erwartet, dass der gesamte soziale Verselbständigungsprozess in Italien deutlich später als in Schweden und Westdeutschland stattfindet.
101
3. In jedem wohlfahrtsstaatlichen Modell wird der Frau eine spezifische Rolle zugewiesen (vgl. Abschnitt 3.2.5). Sowohl in Italien als auch in Westdeutschland wird über familienpolitische Maßnahmen ein traditionelles Geschlechterrollenmodell gefördert, in der die Frau für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig ist, während der Mann über seine Erwerbstätigkeit für die ökonomische Absicherung der Familie sorgt. In Italien haben darüber hinaus die katholische Kirche und die damit verbundenen traditionellen Normvorstellungen einen hohen Einfluss. Aus diesem Grund wird erwartet, dass junge Italienerinnen vergleichsweise häufig dem traditionell weiblichen Modell des Lebenslaufes folgen. Sie erreichen ihre ökonomische Unabhängigkeit vom Elternhaus seltener über eine eigene Erwerbstätigkeit und öfter über die Heirat mit einem berufstätigen Partner. Auch für Westdeutschland wird erwartet, dass ein Teil der jungen Frauen dem traditionellen Rollenmodell folgt, es aber insgesamt weniger sind als in Italien. In Schweden gibt es dagegen eine aktive Gleichstellungspolitik, in der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile gefördert wird. Für Schweden werden daher keine spezifisch weiblichen Übergangsmuster erwartet.
5.1.2 Destandardisierung der Übergangsverläufe Im zweiten Kapitel wurde dargelegt, dass sowohl die Individualisierungstheorie als auch die These zur Destandardisierung davon ausgehen, dass die Bedeutung des Normallebenslaufes abnimmt. Beide Ansätze prognostizieren Veränderungen im familialen Verhalten, Flexibilisierungen im Bereich Arbeit und die zunehmende Auflösung von Altersnormen. Die theoretische Argumentation legt dabei nahe, dass diese Entwicklung gesellschaftsübergreifend ist; Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang von einer „grenzenlosen Welt“ (Beck 2000: 20). In Abschnitt 2.2.4 wurden drei Indikatoren bestimmt, die eine zunehmende Destandardisierung anzeigen: (1) Die abnehmende Prävalenz normativ festgelegter Statusveränderungen und die Zunahme neuer Lebensformen, (2) Veränderungen in der Reihenfolge der Übergangsereignisse und (3) eine zunehmende Altersvarianz bei den einzelnen Schritten ins Erwachsenenalter. Werden diese Indikatoren auf den Übergang in das Erwachsenenalter angewandt, können auf Basis der bisher vorliegenden Forschungsergebnisse vier Thesen aufgestellt werden, die in der empirischen Studie überprüft werden. Anhand von drei Kohortengruppen werden dabei mögliche Veränderungen bei den Übergangsverläufen erfasst. 1. Für alle fünf definierten Ereignisse, die den Weg in das Erwachsenenalter markieren, wird eine Zunahme bei der Altersvarianz erwartet. Veränderungen in 102
den Rahmenbedingungen spielen dabei eine wichtige Rolle. So führt beispielsweise die steigende Bildungsbeteiligung zu einer verlängerten Ausbildungszeit und damit zu einem Anstieg beim durchschnittlichen Auszugsalter aus dem Elternhaus und beim Berufseinsteig. Hinsichtlich der andren Übergangsereignisse legt die These der Familienökonomie nahe, dass für Frauen mit einem hohen Ausbildungsniveau die traditionelle Arbeitsteilung innerhalb der Ehe weniger attraktiv ist, da sie auf ein eigenes Einkommen und berufliche Anerkennung verzichten. Dementsprechend wird ein Anstieg des Heiratsalters und eine verzögerte Familiengründung erwartet. Gleichzeitig wird angenommen, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft eine stärkere Verbreitung erfährt, da hier die Vorteile der Partnerschaft ohne hohe Investitionen und unter geringeren Risiken erreicht werden können. Frauen werden darin nicht auf ihre traditionelle Rolle festgelegt und beide Partner können in der Kohabitation die Partnerschaft prüfen und weiterentwickeln. Es wird angenommen, dass dies insgesamt zu einer höheren Variation bei den Übergangen ins Erwachsenenalter führt – manche Jugendliche folgen nach wie vor dem traditionellen Muster, andere beschreiten neue Wege – und somit die Altersvarianz bei den Ereignissen steigt. 2. Diese Entwicklung führt auch dazu, dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen Übergangsereignissen abnimmt. Im standardisierten Normallebenslauf wird ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Ereignissen angenommen, der sich insbesondere in einer hohen zeitlichen Nähe der Statusveränderungen ausdrückt. Es wird erwartet, dass die Destandardisierung zu einer Vergrößerung des Abstands zwischen den einzelnen Ereignissen führt und sich der gesamte Prozess des Erwachsenwerdens somit über eine längere Zeitspanne erstreckt. 3. Veränderungen bei der normativen Reihenfolge der Statusveränderungen werden in erster Linie bei den Ereignissen Heirat und erste Elternschaft erwartet. Obwohl eine höhere Flexibilität bei allen Übergangsereignissen besteht, sprechen die bisherigen theoretischen Überlegungen und Forschungsergebnisse dagegen, dass beispielsweise die Heirat vor dem Auszug aus dem Elternhaus oder der Arbeitsbeginn erst nach der Familiengründung erlebt wird. Allerdings kann erwartet werden, dass die steigende Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft auch zu einer Zunahme von nichtehelichen Geburten führt. Die jungen Eltern leben zusammen in einer Partnerschaft, heiraten aber erst nach der Geburt der Kinder oder gar nicht mehr. 4. Zu Beginn dieses Kapitels wurde bereits darauf hingewiesen, dass die drei Einflussebenen (institutionelle Rahmenbedingungen, Destandardisierung und individuelle Faktoren) nicht voneinander unabhängig betrachtet werden können. Die institutionellen Rahmenbedingungen führen dazu, dass das Ausmaß der Destandadisierung je nach Wohlfahrtsstaatsmodell variiert. Die Loslösung 103
von Altersnormen und die Abweichung von normativen Mustern ist in konservativen oder religiös geprägten Ländern schwieriger, als in liberaleren Nationen oder universalistisch ausgerichteten Wohlfahrtssystemen. Da sowohl der Katholizismus als auch die Bindung an die Familie in Italien nach wie vor eine hohe Bedeutung haben, wird angenommen, dass dort nur eine vergleichsweise geringe Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter beobachtet werden kann. Auch in Westdeutschland haben traditionelle Normen nicht vollständig ihre Relevanz verloren, da sie zum Teil auch durch den modernen Wohlfahrtsstaat weiter gepflegt werden. Am deutlichsten wird diese bei der Förderung von traditionellen Geschlechter- und Familienmuster im Rahmen der deutschen Sozial- und Familienpolitik. Allerdings ist sowohl der Einfluss der Kirchen als auch die Abhängigkeit der jungen Erwachsenen von der Familie geringer als in Italien. Deshalb wird prognostiziert, dass es in Westdeutschland häufiger zu Abweichungen von den normativen Übergangsmustern kommt als in Italien. Der schwedische Wohlfahrtsstaat fördert relativ früh die individuelle Unabhängigkeit und hat so dazu beigetragen, dass traditionelle Normen und familiäre Bindungen weniger relevant sind. Die Jugendlichen haben so die Möglichkeit, aus einer abgesicherten Position heraus einen persönlichen Weg in das Erwachsenenalter zu suchen. Ihnen stehen mehr Handlungsoptionen offen und es wird erwartet, dass sich dies in einem höheren Destandardisierungsgrad als in den anderen beiden Ländern niederschlägt.
5.1.3 Der Einfluss individueller Merkmale auf den Weg ins Erwachsenenalter Der Forschungsüberblick im vierten Kapitel hat gezeigt, dass drei Gruppen von Merkmalen auf individueller Ebene offenbar eine wichtige Bedeutung für die konkrete Gestaltung des Überganges in das Erwachsenenalter haben: (1) Individuelle Ressourcen (Bildungsabschluss oder eigenes Einkommen), (2) Einstellungen und Werte (Religiosität oder beispielsweise der Kinderwunsch) und (3) der Hintergrund der jungen Erwachsenen (Familiengröße, Wohnort im Jugendalter). Zum Teil liegen zu diesen einzelnen Bereichen schon Forschungsergebnisse vor, die in der vorliegenden empirischen Studie überprüft werden. Allerdings gibt es keine Arbeit, die sich sowohl dem gesamten Übergangszeitraum widmet als auch das gesamte Spektrum der genannten Variablen abdeckt. Hier wird die empirische Studie neue Resultate vorweisen können. Auf Basis der bereits vorliegenden empirischen Arbeiten können verschiedene Ergebnisse erwartet werden. Ein hoher Bildungsabschluss führt offenbar dazu, dass alle Ereignisse des Verselbständigungsprozesses vergleichsweise spät erlebt werden. Das bedeutet, dass ein später Ausbildungsabschluss nicht nur zu 104
einem späteren Berufseinstieg führt, sondern auch der soziale Verselbständigungsprozess findet insgesamt später statt. Dementsprechend kann erwartet werden, dass junge Erwachsene die vergleichsweise früh berufstätig sind, auch früher das Elternhaus verlassen. Im Hinblick auf die Einstellungen und Werte können unterschiedliche Einflüsse auf den sozialen Verselbständigungsprozess erwartet werden. Junge Erwachsene mit einem relativ konservativen Weltbild oder einer hohen religiösen Bindung gehen wahrscheinlich seltener eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein und ziehen auch später aus dem Elternhaus aus. Es wird aber angenommen, dass sie dafür häufiger und auch früher heiraten und eine Familie gründen. Auch andere Rahmenbedingungen im näheren Umfeld aus der Jugendzeit, spielen offenbar eine Rolle für den Übergang in das Erwachsenenalter. Wächst man in einer größeren Stadt auf, gibt es häufig eine größere Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten und eine höhere Akzeptanz für neue Lebensentwürfe. Aber auch die individuellen Merkmale können nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden. So wie sich offenbar die Übergangsmuster je nach Wohlfahrtsstaatsmodell unterscheiden, so können auch einzelne Faktoren auf individueller Ebene je nach Land einen anderen Einfluss haben. Ergebnisse einzelner Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass der Effekt des Bildungsniveaus auf das Timing eines Übergangsereignisses je nach Land variieren kann. Allerdings besteht hier ein bedeutendes Forschungsdefizit, da keine umfassende Gegenüberstellung dieser Effekte in verschiedenen Ländern vorliegt. In der empirischen Studie werden deshalb die Ergebnisse für die einzelnen Länder systematisch miteinander verglichen und anhand von Interaktionseffekten wird überprüft, ob die Variablen je nach Wohlfahrtsstaat einen signifikant unterschiedlichen Einfluss haben. Bevor die eigenen Ergebnisse präsentiert und diskutiert werden, wird kurz der verwendete Datensatz - der Fertility and Family Survey - vorgestellt. Dabei wird auch erläutert, welche abhängigen und unabhängigen Variablen aus dem Datensatz gebildet und verwendet werden. Auch die angewandten statistischen Methoden werden dargelegt. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Übersicht zum Aufbau der eigenen empirischen Studie.
5.2 Der Fertility and Family Survey Ziel der vorliegenden Arbeit ist der Vergleich des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter in Europa. Die dafür notwendigen Daten müssen unter anderem drei Anforderungen erfüllen: Erstens müssen die ausgewählten Stichproben repräsentativ für die Länder sein, zweitens müssen die Daten im Hinblick 105
auf die einzelnen Länder vergleichbar sein und drittens muss das Datum oder das Alter bei den einzelnen Übergangsereignissen vorliegen, damit der Einmündungsverlauf auch in zeitlicher Hinsicht genau nachgezeichnet werden kann. Ergänzend sollten Informationen auf Individualebene vorliegen, damit der Einfluss der individuellen Merkmale überprüft werden kann. Dazu zählen auch verschiedene Kohortengruppen, um eine mögliche Destandardisierung der Übergangsverläufe erfassen zu können. Mit dem Fertility and Family Survey (FFS) konnte ein Datensatz verwendet werden, der diese Voraussetzungen weitgehend erfüllt. Die United Nations Economic Commission for Europe (UN/ECE) hatte es sich zum Ziel gesetzt, vergleichbare Daten zur Familienbildung in Europa zur Verfügung zu stellen und initiierte aus diesem Grund den FFS (Pohl 1995).77 Anlass war die Welle demographischer Veränderungen, die die meisten industrialisierten Länder seit den 1960er Jahren erfasste. Diese Veränderungen im Partnerschaftsverhalten, bei der Schwangerschaftsverhütung und der Fertilität werden unter dem Begriff der „Second Demographic Transition“ zusammengefasst (Van de Kaa 1987) und sollten mit dem FFS genauer analysiert werden. Das FFS-Vorhaben wurde 1988 begonnen und vom Sekretariat für Bevölkerungsfragen (Population Activities Unit - PAU) der UN/ECE koordiniert. Nach einem erfolgreichen Pretest stand 1992 die endgültige Version des FFSStandardfragebogens zur Verfügung.78 Das Instrument wurde so konzipiert, dass es in allen teilnehmenden Ländern eingesetzt werden konnte, womit die Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet werden sollte. Den teilnehmenden Ländern wurde empfohlen, eine repräsentative Stichprobe von mindestens 5000 Personen in einem Alter von 20 bis 40 Jahren zu befragen (Pohl 1995). Insgesamt haben neben den drei hier ausgewählten Ländern noch weitere 21 Nationen am FFS teilgenommen (Festy et al. 2002: 11). Der FFS-Standardfragebogen besteht aus acht verschiedenen Hauptmodulen:
77
Haushaltseigenschaften Merkmale des Elternhauses Partnerschaftsverläufe Kinder und Schwangerschaften Familienplanung / Verhütungsmethoden Schulbildung und Berufsverläufe Einstellungen zu Kinder und Familie Andere Einstellungen (z.B. Kirche, staatlichen Aufgaben in der Familienpolitik, etc.)
Die FFS-Daten wurden von der UN/ECE und dem Statistischen Zentralbüro Schweden zur Verfügung gestellt. Das FFS-Standardinstrument ist beispielsweise bei Pohl (1995) dokumentiert.
78
106
Dabei wurden die letzten beiden Module als optional definiert und in den ausgewählten Ländern zum Teil gar nicht oder nur sehr lückenhaft umgesetzt. Entscheidend ist, dass in den anderen Bereichen nicht nur verschiedene Rahmeninformationen, sondern auch die Zeitpunkte der relevanten Ereignisse auf den Monat genau erhoben wurden. Mit diesem ereignisorientierten Erhebungsdesign ist der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter für jeden Befragten rekonstruierbar. Trotz der Vorgaben der UN/ECE gibt es in den Datensätzen der einzelnen Länder Unterschiede bei der Stichprobengröße und den ausgewählten Geburtskohorten. Da der Schwerpunkt des FFS auf der Entwicklung der Fertilität liegt, wurden in allen beteiligten Ländern mehr Frauen als Männer interviewt (Festy et al. 2002: 17).79 Die deutsche FFS-Gruppe im Bundesinstitut für Bevölkerungswissenschaften folgte den Vorgaben der UN/ECE weitgehend und erhob im Juni 1992 Daten von 20 bis 39jährigen Personen. Die Studie wurde ursprünglich auch von Wissenschaftlern in der DDR vorbereitet und nach der deutschen Wiedervereinigung blieb es bei der Unterteilung in zwei regionale Untersuchungsgebiete. Dementsprechend wurden in Deutschland insgesamt fast zehntausend Personen, je zur Hälfte in West und Ost, befragt. Zusammen liegen Daten für 3998 Männer und 6976 Frauen vor (Pohl 1995). Wie bereits erläutert, werden aber für diese Arbeit nur die Daten der westdeutschen Bevölkerung verwendet (5101 Interviews).80 In Schweden wurde die Datenerhebung für den FFS zwischen Oktober 1992 und Mai 1993 durchgeführt. Dort wurden Frauen zwischen 23 und 43 und Männer zwischen 28 und 43 Jahren befragt. Insgesamt liegen Daten für 6506 Personen vor, von denen 4290 Frauen und 2216 Männer sind (Granström 1997: 43). In Italien fanden die Interviews zwischen November 1995 und Januar 1996 statt. Es wurden insgesamt Daten für 6030 Personen im Alter von 20 bis 49 Jahren erhoben, davon waren 4824 Frauen und 1206 Männer (De Sandre et al. 2000: 71f.). Für die hier vorliegende Arbeit wurden die repräsentativen Datensätze auf drei Kohortengruppen reduziert, die in allen drei Ländern berücksichtigt wurden (siehe Tabelle 11).81 79
Da in dieser Arbeit die Analysen für Männer und Frauen getrennt durchgeführt werden, stellt die unterschiedliche Stichprobengröße kein Problem dar. 80 Zur Auswahl von Westdeutschland siehe Abschnitt 3.1 Die europäischen Wohlfahrtssysteme im Überblick im dritten Kapitel dieser Arbeit. Westdeutschland wird auch mit BRD-West oder nur BRD abgekürzt. 81 Die ausgewählte älteste Kohortengruppe umfasst einen Jahrgang mehr als die anderen beiden, da in Schweden nur Personen aus einzelnen Jahrgängen interviewt wurden. Bei den schwedischen Männern beschränkte man sich mit 1949, 1959 und 1964 auf drei Geburtsjahrgänge (Granström 1997: 41). Bei den Frauen wurden in Schweden sechs Jahrgänge erfasst. In den anderen beiden ausgewählten Ländern wurden durchgängig aus jedem Geburtsjahrgang Personen befragt.
107
Tabelle 11: Stichprobengröße nach Kohorten und Anteil der Frauen Kohortengruppen 1960-64 1955-59 1949-54 Gesamt
Westdeutschland N davon Frauen 1296 59% 1010 63% 645 60% 2951 61%
Italien davon Frauen 1048 82% 928 83% 1081 78% 3057 81% N
Schweden N davon Frauen 1306 67% 1060 64% 1948 50% 4314 61%
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Es wurden keine Befragten berücksichtigt, die nach 1964 geboren wurden. Die jüngeren Kohorten waren bei der Erhebung zum Teil erst ca. zwanzig Jahre alt und haben daher nur selten die relevanten Ereignisse des ökonomischen und sozialen Verselbständigungsprozesses erlebt. Genaue Vorhersagen für diese Gruppe sind dann auch mit den Methoden der Ereignisdatenanalyse nicht möglich. Zudem wurden in Schweden gar keine jüngeren Männer befragt (Granström 1997: 41). Insgesamt kann mit den hier ausgewählten Kohorten der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter für den Zeitraum von Mitte der 1960er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre untersucht werden. Die Validität und Repräsentativität der Daten wird im Zusammenhang mit den einzelnen Ergebnissen im siebten Kapitel überprüft. Dabei werden sowohl Resultate anderer Studien als auch Daten der statistischen Ämter herangezogen. Aus Sicht der UN/ECE ist das FFS-Projekt mittlerweile weitgehend abgeschlossen und in ihrem Evaluationsbericht haben Festy und Prioux (2002) sich intensiv mit dem Problem der Vergleichbarkeit der Daten aus den verschiedenen Ländern auseinandergesetzt. Sie bemängeln, dass sich bei der Umsetzung des englischen Standardfragebogens nur sieben der 24 teilnehmenden Länder präzise an die Vorlage gehalten haben. Zu den „abweichenden Ländern“ gehören auch die drei hier ausgewählten (Festy et al. 2002: 27ff.). Während sich der deutsche und italienische Fragebogen am Aufbau des Standardfragebogens orientierte, sind im schwedischen Instrument die Fragen zu Kindern nicht wie vorgesehen in einem Block zusammen gestellt worden, sondern wurden in andere Bereiche (wie Haushalt) integriert. Dies wirkt sich auf die hier untersuchte Fragestellung nicht weiter aus, da alle notwendigen Daten zur Familiengründung erhoben wurden. Schwerer wiegt der Umstand, dass einzelne Fragen, vor allem zu Einstellungen und Werten, in einzelnen Ländern nicht gestellt wurden.82 Für die vorliegende Untersuchung ist zunächst ausschlaggebend, dass die notwendigen 82
Auf die daraus resultierenden Probleme oder Einschränkungen wird weiter unten noch näher hingewiesen.
108
Daten zum ökonomischen und sozialen Verselbständigungsprozess in den drei Ländern vorliegen. In ihrem Bericht vergleichen Festy und Prioux (2002), ob dies nach den Vorgaben des FFS-Standardfragebogens erfolgte. Für die hier relevanten Bereiche ergibt sich für die drei ausgewählten Länder folgendes Bild: Tabelle 12: Die nationalen Fragebögen im Vergleich zum FFSStandardinstrument Deutschland
Italien
Erwerbstätigkeit
Ohne Mindestdauer, dafür nur Haupterwerbstätigkeiten
Auszug aus dem Elternhaus
Wie vorgesehen
Berücksichtigt auch Saisonarbeit wenn sie mind. zwei Jahre in Folge ausgeübt wurden Wie vorgesehen
Partnerschaft (gem. Haushaltsgründung und Heirat) Kinder
Wie vorgesehen
Wie vorgesehen
Wie vorgesehen
Wie vorgesehen
Schweden Es wurden nur bezahlte Beschäftigungen mit mind. 16 Wochenstunden ab 17 Jahren erhoben Wie vorgesehen, aber der Befragte musste mind. 6 Monate nicht zuhause leben Wie vorgesehen
Es fehlt eine direkte Frage zur Anzahl der Geburten
Quelle: Festy et al. 2002: 58ff., eigene Zusammenstellung.
Daraus ergibt sich, dass die Daten der drei ausgewählten Länder für den sozialen Verselbständigungsprozess sehr gut vergleichbar sind. Bei der Erwerbstätigkeit gibt es dagegen verschiedene Abweichungen. Dies muss sowohl bei der Operationalisierung der entsprechenden Variablen als auch bei der Auswertung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Konkret wurde bei der Operationalisierung versucht, die vorhandenen Daten zur Erwerbstätigkeit so umzuarbeiten, dass sie vergleichbar sind. Dies wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.
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5.2.1 Konstruktion der abhängigen Variablen Für die vorliegende Studie kann zwischen drei Kategorien von abhängigen Variablen unterschieden werden: (1) Das Alter bei den einzelnen Ereignissen, (2) Die Dauer zwischen verschiedenen Ereignissen, (3) Die Reihenfolge der Übergangsereignisse. Zur Analyse des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter unter der vorgestellten Forschungsperspektive sind dabei zwei Angaben erforderlich: Erstens, ob die jeweiligen Übergangsereignisse stattgefunden haben und zweitens - wenn ersteres positiv beantwortet wurde - der Zeitpunkt oder das Alter bei den Statusveränderungen. Grundsätzlich wurde im FFS überprüft ob ein Ereignis stattfand oder nicht. Daraus kann zunächst für alle Statusveränderungen eine dichotome Zensierungsvariable konstruiert werden. Fand das Ergebnis statt, wurde zudem der Zeitpunkt (Monat und Jahr) erhoben. Mit Hilfe des Geburtsdatums der Befragten (ebenfalls in Monat und Jahr) kann daraus das Alter bei den Ereignissen auf Monate genau berechnet werden. Darauf aufbauend konnte auch die Dauer zwischen den Ereignissen und die Reihenfolge der Ereignisse errechnet werden. Wurde ein Ereignis nicht erlebt, wird im Rahmen der ereignisanalytischen Methode das Alter beim Interview berücksichtigt. Folgende Zeitpunkte und Zeitspannen werden in den Analysen als abhängige Variablen verwendet: 1. Das Alter bei der ökonomischen Verselbständigung - Erste Arbeitserfahrung Über mehrere Fragen werden im FFS die Dauer und wesentlichen Merkmale der einzelnen Berufstätigkeiten der Respondenten erhoben. In allen Ländern wurden übereinstimmend die Zeitpunkte für den Beginn und das Ende jeder Erwerbstätigkeit erfasst. Allerdings haben die ausgewählten Länder bei ihrer Erhebung den Begriff der „Erwerbstätigkeit“ zum Teil unterschiedlich definiert. Ziel der hier vorliegenden abhängigen Variablen ist es, den Zeitpunkt bei der ökonomischen Unabhängigkeit von jungen Erwachsenen zu erfassen. Dazu muss das Arbeitsverhältnis zwei Bedingungen erfüllt: (1) Die Erwerbstätigkeit muss bezahlt sein. (2) Da keine Angaben über die Höhe des Arbeitseinkommens vorliegen, muss die Berufstätigkeit einen Mindestumfang haben, damit ein gewisser ökonomischer Nutzen angenommen werden kann. Deshalb werden nur Tätigkeiten ab einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden berücksichtigt (in Schweden 16 Wochenstunden), die zudem mindestens drei Monate am Stück ausgeübt wurden. Durch die Konstruktion der abhängigen Variablen nach diesen Kriterien werden die wesentlichen Abweichungen zwischen den Ländern aufgehoben und es wird angenommen, dass über ein derartiges Arbeitsverhältnis ein Mindestmaß an ökonomischer Unabhängigkeit erreicht wird. Allerdings muss beachtet 110
werden, dass in Schweden nur Erwerbstätigkeiten ab einem Alter von 17 Jahren erhoben wurden, während in den anderen beiden Ländern kein Mindestalter vorausgesetzt wurde. Um eine gewisse Vergleichbarkeit zu gewähren und Aushilfsjobs neben dem Schulbesuch weitgehend auszuschließen, wird für Westdeutschland und Italien eine untere Altersgrenze von 15 Jahren gezogen. In beiden Ländern ist es gerade bei den älteren Kohorten möglich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt für eine längere Periode hauptberuflich gearbeitet wurde. Die unterschiedlichen Altersgrenzen werden bei der Auswertung berücksichtigt. Die Variable „Alter bei der ersten Arbeitserfahrung“ besteht demnach aus dem Alter (in Jahren und Monaten) bei der ersten bezahlten Erwerbstätigkeit, die mindestens drei Monate am Stück ausgeübt wurde und eine Wochenarbeitszeit von mindestens zehn bzw. sechzehn Wochenstunden aufweist.83 2. Das Alter beim Auszug aus dem Elternhaus Der Auszug aus dem Elternhaus ist ein Ereignis des sozialen Verselbständigungsprozesses. Im FFS wird erfragt, ob man jemals aus dem Elternhaus ausgezogen ist und wenn ja, in welchem Monat und in welchem Jahr dies war. Durch Verwendung des Geburtsdatums konnte somit das Alter beim Auszug in Jahren und Monaten berechnet und als abhängige Variable verwendet werden. 3. Das Alter bei der Partnerschaftsbildung Die Partnerschaftsbildung ist Teil des sozialen Verselbständigungsprozesses. Die Paare haben dabei die Möglichkeit, in einer nichtehelichen oder ehelichen Lebensgemeinschaft zusammen zu leben. Wird nur das Alter bei der Erstheirat berücksichtigt, entsteht ein verzerrtes Bild, da die Partnerschaftsbildung zum Teil schon wesentlich früher erfolgt ist, beziehungsweise Partnerschaften die nie in eine Ehe mündeten, gar nicht erfasst werden. Andererseits kann die Analyse nicht nur auf nichteheliche Partnerschaften gestützt werden, da weiterhin viele Paare heiraten und erst in Zusammenhang mit diesem Ereignis einen gemeinsamen Haushalt gründen. Zudem stellt die Heirat eine weitere Investition in die Partnerschaft dar, die deren Stabilität unterstreicht. Aus diesen Gründen werden bei der Partnerschaftsbildung zwei Zeitpunkte als abhängige Variablen definiert. Der erste Indikator besteht aus dem Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung mit einem Partner. Dabei ist nicht relevant, ob die Partner in diesem Zusammenhang auch geheiratet haben oder nicht. Als zweiter Indikator wird das Alter bei der Erstheirat verwendet, da die Eheschließung ein formalisierter Statuswechsel ist. Durch den Vergleich des Alters bei den beiden Übergangsereignissen kann auch der Anteil an nichtehelichen Partnerschaften abgeschätzt 83
Daten zur Art der Erwerbstätigkeit (Berufsbezeichnung oder Branche) liegen weder für Schweden noch für Italien vor und können deshalb nicht in die Untersuchung einbezogen werden.
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werden und beurteilt werden, ob ein enger Zusammenhang zwischen den Ereignissen besteht.84 Für beide Ereignisse wurde im FFS der drei Länder das Datum erhoben. Durch den Abgleich mit dem Geburtsdatum kann wiederum das Alter bei den Ereignissen errechnet werden. 4. Das Alter bei der Familiengründung Mit der Familiengründung wird innerhalb des sozialen Verselbständigungsprozesses untersucht, ob die jungen Erwachsenen Mütter oder Väter geworden sind. Ob die Eltern mit den Kindern tatsächlich eine Familie bilden oder getrennt leben, ist dabei nicht ausschlaggebend. Die Verantwortung für das Kind bleibt in jedem Fall bestehen. Im FFS werden sowohl Daten zu biologischen als auch zu adoptierten Kindern sowie Stief- und Pflegekinder erhoben. Allerdings liegen keine Daten zum Zeitpunkt der Aufnahme dieser nicht-biologischen Kinder vor, sondern nur deren Geburtsdatum. Somit kann in diesen Fällen nicht überprüft werden, in welchem Alter die jungen Erwachsenen die Verantwortung für die Kinder übernommen haben. Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Analyse nur biologische Kinder berücksichtigt. Es wird das Geburtsdatum des ersten Kindes verwendet und über den Abgleich mit dem Geburtsdatum des Respondenten kann das Alter bei dem Ereignis berechnet werden. Die abhängige Variable „Familiengründung“ besteht damit aus dem Alter des Vaters oder der Mutter bei der Geburt des ersten eigenen Kindes. 5. Die Dauer des sozialen Verselbständigungsprozesses Am Anfang dieses Teilprozesses steht der Auszug aus dem Elternhaus, während Partnerschafts- oder Familienbildung den sozialen Verselbständigungsprozess abschließen können. Drei Zeitspannen werde als abhängige Variablen untersucht: (a) die Dauer zwischen Auszug aus dem Elternhaus und erster gemeinsamer Haushaltsgründung mit einem Partner, (b) die Dauer zwischen erster gemeinsamer Haushaltsgründung mit einem Partner und der Erstheirat, und (c) die Dauer zwischen Auszug aus dem Elternhaus und Geburt des ersten eigenen Kindes. Auf Basis der vorangegangenen abhängigen Zeitvariablen können diese Zeitspannen auf Monate genau berechnet werden. Allerdings können nur die Personen berücksichtigt werden, die das jeweils erste Ereignis erlebt haben. 6. Die Reihenfolge der Übergangsereignisse Im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit wurden zwei normative Muster für den Übergang in das Erwachsenenalter definiert, die sich durch eine spezifische 84
Dabei muss es sich nicht um den gleichen Partner handeln.
112
Reihenfolge der Statusveränderungen auszeichnen (siehe Abbildung 2). Um die Bedeutung dieser normativen Einmündungsverläufe empirisch überprüfen zu können, muss die Reihenfolge der fünf definierten Übergangsereignisse berechnet werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass Ereignisse, die innerhalb von sechs Monaten stattfinden, eng aufeinander abgestimmt wurden. Sie werden deshalb als „gleichzeitig“ behandelt. In diesen Fällen wird unterstellt, dass die Reihenfolge sich an den normativen Übergangsmustern orientiert. Als Maßstab für die Sequenz der Übergangsereignisse wird bei den Männern nur der „allgemeine normative Einmündungsverlauf“ verwendet, während bei den Frauen zudem das Modell des „traditionellen weiblichen Einmündungsverlaufes“ berücksichtigt werden muss. Diese beiden Muster können mit der theoretischen Definition von „Jugendlichen“, „jungen Erwachsenen“ und „Erwachsenen“ verbunden werden (siehe Abbildung 1). Auf diese Weise ergibt sich eine Kategorisierung der Befragten, die sowohl den Status im Einmündungsverlauf als auch deren Orientierung an den Übergangsmustern widerspiegelt. Für die Männer leiten sich daraus acht Untergruppen ab, die in der folgenden Abbildung zusammengefasst sind. Abbildung 8:
Status und Reihenfolge der Übergangsereignisse für Männer
Abgeschlossen
Ökonomische Verselbständigung Unabgeschlossen
Soziale Verselbständigung Abgeschlossen Unabgeschlossen Erwachsene: Junge Erwachsene a) nach allgemeinem normativem Muster b) ökonomischer Prozess abweichend c) sozialer Prozess abweichend d) beides abweichend Junge Erwachsene Jugendliche a) nach allgemeinem normativem Muster b) abweichend vom normativen Muster
Unter der Kategorie „Jugendliche“ werden die Befragten erfasst, die weder den sozialen noch den ökonomischen Verselbständigungsprozess abgeschlossen haben (entweder kein Ereignis erlebt oder nur aus dem Elternhaus ausgezogen). Wurde der sozialen Verselbständigungsprozess noch nicht abgeschlossen, aber bereits eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, handelt es sich um „Junge Erwachsene mit ökonomischer Verselbständigung“. Auf der anderen Seite gibt es „Jun113
ge Erwachsene mit sozialer Verselbständigung“, die zum Zeitpunkt des Interviews noch nie erwerbstätig waren. Dabei wird unterschieden, ob die Reihenfolge der Ereignisse dem normativen Muster entspricht oder nicht. Wurden beide Teilprozesse abgeschlossen, trifft die Kategorie „Erwachsene“ zu, wobei es hier je nach Reihenfolge der Ereignisse vier Subkategorien gibt. Das gleiche Prinzip kann auf die Frauen angewendet werden, allerdings muss bei ihnen zudem das traditionelle weibliche Muster des Übergangsprozesses berücksichtigt werden. Abbildung 9 fasst die möglichen Kategorien aus der Verbindung von Übergangsstatus und Reihenfolge der Ereignisse für die Frauen zusammen: Abbildung 9:
Status und Reihenfolge der Übergangsereignisse für Frauen
Abgeschlossen
Ökonomische Verselbständigung
Unabgeschlossen
Soziale Verselbständigung Abgeschlossen Unabgeschlossen Erwachsene: Junge a) nach allgemeinem Erwachsene normativem Muster b) nach allgemeinem Muster, sozialer Prozess abweichend c) nach allgemeinem Muster, beide Teilprozesse abweichend d) nach traditionell weiblichem Muster, mit Arbeit Erwachsene nach Jugendliche traditionell weiblichem Muster: a) ohne Abweichung b) mit Abweichung
Die Definition von „Jugendlichen“ und „Jungen Erwachsenen mit ökonomischer Verselbständigung“ ist gleich wie bei den Männern. Haben Frauen dagegen nur den sozialen Verselbständigungsprozess abgeschlossen, können sie als „Erwachsene“ definiert werden, da sie nach dem traditionellen weiblichen Übergangsmuster die ökonomische Unabhängigkeit vom Elternhaus über die Partnerschaft erreicht haben. Auch hier kann die Reihenfolge wieder diesem normativen Muster entsprechen oder nicht. Wurden beide Teilprozesse abgeschlossen, kann dies im Einklang mit dem allgemeinen normativen Muster (mit Erwerbstätigkeit am Anfang) oder nach dem traditionellen weiblichen Verlaufsmuster (mit ver114
zögerter Erwerbstätigkeit) stehen. Zudem kann es Abweichungen von den Mustern geben. Für Frauen und Männer gilt, dass Personen die beim Interview nur ein Teil der Ereignisse erlebt haben, unter ein normatives Muster fallen können. Ist beispielsweise ein junger Mann aus Schwede mit 18 Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen, hat wenige Monate später angefangen zu arbeiten und mit 21 Jahren einen gemeinsamen Haushalt gegründet, aber bis zum Interview weder geheiratet noch eine Familie gegründet, so gilt er als „Erwachsener nach dem allgemeinen normativen Muster“, da die Reihenfolge der bis dahin erlebten Ereignisse der normativen Sequenz entspricht.
5.2.2 Konstruktion der unabhängigen Variablen In der empirischen Studie wird der Einfluss individueller Merkmale auf den Weg in das Erwachsenenalter überprüft. Dazu werden aus den FFS-Daten verschiedene Indikatoren gebildet. Die einzelnen unabhängigen Variablen auf Mikroebene werden im folgenden kurz vorgestellt. 1. Die Geburtskohorten - der Wandel des Einmündungsverlaufes Mit der Auswahl verschiedener Geburtskohorten aus den FFS-Daten wird die These der Destandardisierung der Übergangsverläufe überprüft. Es wird analysiert ob bei den jüngeren Kohortengruppen die Altersvarianz angestiegen ist und der Zusammenhang zwischen den einzelnen Schritten abgenommen hat. Dazu werden drei Gruppen von Geburtskohorten herangezogen. Die älteste Gruppe wurde zwischen 1949 und 1954 geboren und hat demnach den Übergang ins Erwachsenenalter ungefähr Ende der 1970er Jahre abgeschlossen. Die zweite Gruppe wurde zwischen 1955 und 1959 geboren und war Mitte der 1980er Jahre zwischen 25 und 30 Jahre alt, während die jüngste Gruppe (geboren zwischen 1960 und 1964) Anfang der 1990er Jahre dieses Alter erreicht hat.85 Im Rahmen der statistischen Modelle wird die älteste Kohortengruppe als Referenzkategorie verwendet. 2. Individuelle Ressourcen: Erreichtes Bildungsniveau und Erwerbstätigkeit Im Hinblick auf die individuellen Ressourcen weisen die Daten des FFS zwei Mängel auf. Es stehen weder Daten zum Einkommen oder Vermögen noch zum genauen Beruf zur Verfügung. Stattdessen kann lediglich überprüft werden, ob eine Erwerbstätigkeit vorliegt oder nicht. Darüber hinaus stellt auch das erreichte 85
Zur Verteilung der Geburtskohorten nach Ländern und Geschlecht siehe Tabelle 11.
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Bildungsniveau eine wichtige individuelle Ressource dar. Im FFS wurde für jede Person der höchste erreichte Bildungsabschluss erhoben. Die möglichen Abschlüsse werden in allen drei Ländern anhand der „International Standard Classification for Education“ (ISCED) eingeordnet, die aus sechs Kategorien besteht (UNESCO et al. 1975: 23): Kategorie 1 der ISCED umfasst die „primary education“, also Grundschule, die im Alter von fünf, sechs oder sieben Jahren beginnt und je nach Land vier bis sechs Jahre dauert. Die zweite ISCED-Kategorie entspricht der gesetzlich vorgeschriebenen Schulpflicht und damit schon zum Teil der „secondary education“. Die dritte Kategorie bezieht sich auf den Abschluss der ersten Stufe der „secondary education“ und die vierte Kategorie auf die „post-secondary education“ die mit ca. 17 Jahren beginnt und drei oder vier Jahre dauert (aber noch keinem Universitätsabschluss beinhaltet). Die fünfte und sechste ISCED-Kategorie umfasst Hochschul- und Universitätsabschlüsse (Kazemzadeh 1997.2). Im FFS von Italien und Schweden wurde die vierte Stufe nicht berücksichtigt und mit der dritten Kategorie zusammengelegt. Für die hier vorliegenden Auswertungen wurden die sechs Kategorien in drei Gruppen zusammengefasst: ISCED 1-2 „niedriges Bildungsniveau“, ISCED 3-4 „mittleres Bildungsniveau“ und ISCED 5-6 „hohes Bildungsniveau“. Diese Kategorisierung wurde auch in den FFS-Standard-Country-Reports der einzelnen Länder verwendet.86 Bei den statistischen Modellen wird das mittlere Bildungsniveau (ISCED 3-4) als Referenzgruppe verwendet, mit der die anderen beiden Kategorien verglichen werden. Gerade im Hinblick auf das Auszugsalter ist es darüber hinaus interessant, ob die jungen Erwachsenen bereits über ein eigenes Einkommen verfügen. Dazu wird eine zeitabhängige Kovariate konstruiert, die misst, ob vor oder bis zu drei Monate nach dem Auszug aus dem Elternhaus auch das Ereignis „erste Arbeitserfahrung“ erlebt wurde. Mit der zusätzlichen Frist von drei Monaten wird gewährleistet, dass ein Auszug aus dem Elternhaus, der in Zusammenhang mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit steht, berücksichtigt wird. 3. Eigenschaften der Herkunftsfamilie: Geschwisterzahl und Wohnort im Jugendalter Bezüglich der Eigenschaften der Herkunftsfamilie stellt der FFS mit der Familiengröße oder dem Wohnort im Jugendalter zwei wichtige Informationen zur Verfügung, von denen erwartet wird, dass sie den Einmündungsprozess ins Erwachsenenalter beeinflussen. Dagegen liegen im FFS keine Daten zur sogenannten sozialen Herkunft (Beruf der Eltern oder Haushaltseinkommen) vor. 86
Vgl. beispielsweise (Granström 1997) für Schweden und (De Sandre et al. 2000) für Italien. Nicht klassifizierbare Abschlüsse, die im FFS als Kategorie 7 erfasst wurden, werden ausgeschlossen.
116
Eine weitere interessante Rahmenbedingung, vor allem im Hinblick auf die Partnerschaftsbildung, stellt die Beziehung der Eltern dar. Im FFS wurden Daten über eine mögliche Scheidung der Eltern im Jugendalter erfasst, allerdings kann diese Information in den hier geplanten statistischen Modellen nicht verwendet werden, da es in Italien praktisch zu wenig Fälle mit einer Scheidung der Eltern gibt. Somit können hier zwei Variablen berücksichtigt werden, die die familiären Rahmenbedingungen der jungen Erwachsenen erfassen. Im vierten Kapitel wurde beschrieben, dass geringe ökonomische Ressourcen und eine kleine Wohnfläche, die ökonomische und soziale Verselbständigung der jungen Erwachsenen beschleunigt. Im FFS stehen keine Daten zum Haushaltseinkommen oder zur Wohnfläche im Elternhaus zur Verfügung, weshalb auf die Familiengröße oder Geschwisterzahl zurückgegriffen wird. Es wird zwischen drei Gruppen unterschieden, wobei die Gruppe mit den meisten Geschwistern („Drei oder mehr Geschwister“) in der empirischen Auswertung als Referenzkategorie verwendet wird. Wo ein Kind oder ein Jugendlicher auswächst, wird durch die Wohnortwahl der Eltern bestimmt, weshalb diese Variable unter den „Eigenschaften der Herkunftsfamilie“ behandelt wird. Im vierten Kapitel wurde diskutiert, dass je nach Wohnortgröße unterschiedliche Optionen bei der Lebensplanung gegeben sind. Im FFS stehen Daten zur Wohnortgröße im Jugendalter zur Verfügung. Für die vorliegende Analyse wird zwischen zwei Gruppen unterschieden („Land“, mit einer Ortsgröße unter 10.000 Einwohner und „Stadt“ mit einer Ortsgröße von 10.000 und mehr Einwohnern), wobei in der empirischen Analyse die Kategorie „Land“ als Referenzgruppe verwendet wird. 4. Normen und Werte: Religiosität, Kinderwunsch und Einstellung zu Abtreibungen Bei den einzelnen Schritten des sozialen Verselbständigungsprozesses wurde im vierten Kapitel auch der Einfluss von Einstellungen und Werten diskutiert. Im FFS-Standardfragebogen sind dazu eine Reihe von Fragen vorgesehen, die aber in den drei Ländern nur teilweise umgesetzt wurden. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, können nur Variablen berücksichtigt werden die in allen drei Ländern erhoben wurden. Trotz dieser Einschränkungen liegen drei wichtige Indikatoren zu Werten und Normen vor. Traditionelle Wertmuster können dazu beitragen, dass man sich stärker an den normativen Vorgaben der Übergangsmuster orientiert. Ein guter Indikator für traditionelle Wertmuster ist die Religiosität, die über die Anzahl besuchter
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Gottesdienste gemessen wird.87 Dies wurde auch im Fertility and Family Survey erhoben. Die verschiedenen Antwortkategorien werden für die statistischen Analysen in vier Gruppen zusammengefasst, wobei in der empirischen Analyse die Kategorie „leicht religiös“ als Referenzgruppe verwendet wird.88 Die Validität diese Indikators wurde zudem anhand zweier anderer Variablen überprüft: Im deutschen FFS wurde gefragt, wie wichtig Gott für das eigene Leben ist, während im schwedischen erhoben wurde, ob sich eine Person selbst als religiös definiert. Für beide Variablen wurde eine signifikante Übereinstimmung mit dem hier ausgewählten Indikator festgestellt. Je häufiger Gottesdienste besucht werden, desto wichtiger ist Gott für das eigene Leben und umso religiöser schätzen sich die Befragten ein. Es wurde beschrieben, dass die Bedeutung des Bereichs „Familie“ bei der eigenen Lebensplanung einen Einfluss auf das Timing des sozialen Verselbständigungsprozesses haben kann. Hierzu liegt kein direkter Indikator vor, stattdessen wird angenommen, dass eine allgemeine Aussage über die ideale Familiengröße auch auf die persönliche Bedeutung dieses Lebensbereiches schließen lässt.89 Aus den Antworten auf die offene Frage „How many children do you think is the ideal number for a family to have in this country?“ wurden vier Kategorien gebildet: (a) „Geringer Kinderwunsch“, ein Kind ist ideal, (b) „Leichter Kinderwunsch“, zwei Kinder sind ideal, (c) „Ausgeprägter Kinderwunsch“, drei Kinder sind ideal und (d) „Starker Kinderwunsch“, mehr als drei Kinder sind ideal. Bei den Auswertungen wird die zweite Kategorie („zwei Kinder“) als Referenzgruppe verwendet. Ergänzend wird als weiterer Werteindex beim Ereignis der Familiengründung die Einstellung gegenüber Abtreibungen berücksichtigt. Im FFS wurde gefragt, ob man eine Abtreibung akzeptabel findet, wenn die Frau zurzeit kein Kind möchte. Wer diese Frage mit ja beantwortet, hat eine eher liberalere Einstellung zu dem Thema; diese Kategorie wird bei der Auswertung als Referenzgruppe verwendet. 5. Weitere individuelle Einflussfaktoren: Aktueller Wohnort und Auszugsalter Mit der aktuellen Wohnortgröße wird ein regionaler Faktor berücksichtigt. In Städten ist die soziale Kontrolle geringer, so dass neue private Lebensformen 87
„Ein geeignetes Instrument der Messung einer Verbundenheit mit den Lehren der Kirche ist der Grad der Kirchenbindung. Dieser wird durch die aktive Teilnahme am Gottesdienst beschrieben.“ (Hellwig 2001b: 57). 88 Die vier Kategorien lauten: „nicht religiös“ (keine Gottesdienstbesuche), „leicht religiös“ (Besuch eines Gottesdienstes einmal im Jahr“, „religiös“ (monatlicher Besuch und an Feiertagen) und „sehr religiös“ (wöchentlicher Besuch oder häufiger). 89 Die Frage im FFS lautet: „617: How many children do you think is the ideal number for a family to have in this country?“ (Pohl 1995).
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(wie nichteheliche Lebensgemeinschaften) leichter etabliert werden können. Deshalb wird angenommen, dass ein urbaner Wohnort zu einer Beschleunigung bei der Partnerschaftsbildung führt. Es werden die gleichen Kategorien wie bei der der unabhängigen Variablen „Wohnort im Jugendalter“ (mit „Land“ als Referenzkategorie) verwendet. Schließlich wird im Zusammenhang mit der Dauer des sozialen Verselbständigungsprozesses angenommen, dass ein später Beginn dieses Übergangs zu einer kürzeren Gesamtdauer führt. Dieser Prozess wird in den allermeisten Fällen mit dem Auszug aus dem Elternhaus begonnen und dementsprechend wird das Alter beim Auszug als Indikator verwendet. Es werden dann nur die Personen berücksichtigt, die tatsächlich aus dem Elternhaus ausgezogen sind und den sozialen Verselbständigungsprozess begonnen haben. Insgesamt bietet der FFS, trotz der erwähnten Einschränkungen, die erforderlichen Daten und Variablen zur Analyse des Einmündungsverlaufs in das Erwachsenenalter. Bei den abhängigen Zeitvariablen, über die der Einmündungsverlauf nachgezeichnet wird, weist lediglich die Variable „erste Arbeitserfahrung“ gewisse Schwächen auf, da keine Daten zum erzielten Einkommen und Beruf vorliegen. Deshalb wurde bei der Operationalisierung der Variablen eine Mindestdauer bei der Tätigkeit und der Wochenarbeitszeit vorausgesetzt und es wird angenommen, dass über eine derartige Erwerbstätigkeit ein Mindestgrad an ökonomischer Unabhängigkeit vom Elternhaus erreicht wird. Bei den anderen abhängigen Variablen treten keine Probleme bei der Vergleichbarkeit oder Definition auf, so dass der soziale Verselbständigungsprozess insgesamt sehr gut verfolgt werden kann.
5.3 Statistische Methoden Neben einfachen deskriptiven Statistiken werden in der Studie vor allem verschiedene Verfahren der Ereignisdatenanalyse angewandt.90 Mit der Ereignisdatenanalyse kann sowohl die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses als auch der Zeitpunkt (das Alter) bei den Statusveränderungen untersucht werden. Die Besonderheit der Ereignisdatenanalyse liegt darin, dass auch Schätzungen für Personen vorgenommen werden können, die das jeweilige Ereignis noch nicht erlebt haben.91 Darüber hinaus kann auch untersucht werden, 90
Ebenfalls geläufig ist der Begriff Überlebens(zeit)analyse oder die englischen Termini Survival Analysis und Event History Analysis. Alle im sechsten Kapitel vorgestellten Berechnungen wurden mit Hilfe der Statistiksoftware SAS 9.1 für MS-Windows durchgeführt. 91 Einen Überblick über die Methoden und Verfahren der Ereignisdatenanalyse bieten beispielsweise Blossfeld und Rohwer (1995).
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ob unabhängige Variablen das Eintreten eines Ereignisses beschleunigen oder verzögern. Da die Faktoren zeitlich vor dem untersuchten Ereignis liegen, können diese Modelle kausal interpretiert werden (Allison 2001: 65). Innerhalb der Ereignisanalyse wird zwischen parametrischen, semiparametrischen und nicht-parametrischen Verfahren unterschieden. Letztere eignen sich in erster Linie zur deskriptiven Beschreibung der Zeitverläufe. Mit parametrischen und semi-parametrischen Verfahren können in kausalen Modellen die Einflüsse von quantitativen und qualitativen Faktoren auf den Zeitverlauf geprüft werden. Dabei haben semi-parametrische Verfahren den Vorteil, dass sie zum einen weniger Voraussetzungen erfüllen müssen und dennoch stabile Ergebnisse liefern92 und zum anderen zeitabhängige Kovariaten in das Modell integriert werden können, was bei parametrischen Verfahren nicht möglich ist (Allison 2001: 109). In der empirischen Studie werden sowohl nicht-parametrische als auch semi-parametrische Verfahren verwendet. Die nicht-parametrischen Verfahren werden in erster Linie zur Beschreibung der Ereignisse verwendet. Ziel ist es, die in den Daten enthaltenen Informationen zu komprimieren und diese in numerischer und grafischer Form darzustellen (Diekmann et al. 1984: 76ff.). Dabei stehen mit der Kaplan-MeierMethode und dem Life-Table-Schätzer zwei weit verbreitete Vorgehensweisen zur Verfügung. Die Sterbetafelmethode liefert bei großen Datensätzen etwas genauere Ergebnisse und wird deshalb in der vorliegenden Arbeit für die Darstellung der Survivor-Funktion verwendet. Dabei kann die Ereigniszeit in beliebige Intervalle unterteilt werden. Anhand der Survivor-Funktion kann sowohl der allgemeine Verlauf als auch der Unterschied zwischen verschiedenen Subgruppen verglichen werden. Mit Hilfe der grafischen Abbildung der Funktion kann dies auf einen Blick erfasst werden. Die Kaplan-Meier-Methode hat den Vorteil, dass Quartile berechnet werden können. Sie geben an, bei welchem Zeitpunkt (oder Lebensalter) ein Viertel, die Hälfte oder 75% der Stichprobe das Ereignis erlebt haben. „Of greatest interest is the 50th percentile, which is of course, the median death time.“ (Allison 2001: 33). Der Altersmedian (das zweiten Quartil) wird auch als Durchschnittsalter bezeichnet. Anhand der anderen beiden Quartile kann zudem ein Indikator für die Altersvarianz berechnet werden. Subtrahiert man den Wert des 1. Quartils (25%) von dem des dritten Quartils (75%) erhält man den sogenannten „Quartilsabstand“. Je größer dieser Wert ist, desto höher ist auch die Altersvarianz. 92
Bei parametrischen Verfahren steht das Risiko des Auftretens von Ereignissen nicht nur in Abhängigkeit von den Kovariaten, sondern auch von der Zeit, die in Form einer mathematischen Gleichung formuliert wird. Dagegen wird bei den semi-parametrischen Verfahren nur der Einfluss der Kovariaten in bestimmter parametrischer Weise dargestellt, während für die Zeitabhängigkeit beliebige Funktionen zugelassen werden (Diekmann et al. 1984: 15).
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Mit den semi-parametrische Verfahren der Cox-Regression wird der Effekt unabhängiger Variablen unter Kontrolle weiterer Faktoren überprüft. Diekmann fasst die Methode folgendermaßen zusammen: Der semi-parametrische Ansatz beruht auf der Modellannahme eines allgemeinen, nicht weiter spezifizierten (also nicht-parametrischen) Verlaufsmusters der Hazardfunktion, welche durch den Kovariateneinfluss individuell modifiziert wird. Die Effekte der Kovariaten werden demnach in parametrischer Weise modelliert. (Diekmann et al. 1984: 95)
Das Verfahren wurde 1972 von Sir David Cox vorgestellt und wird deshalb auch oft als „Cox-Regressionsmodell“ bezeichnet (Cox 1972). Das dabei grundlegende Proportional Hazard Modell hat folgende Formel:
hi (t )
O0 (t ) exp^E1 xi1 ...E k xik ` .
Die Gleichung besagt, dass der Hazard h des Individuums i zum Zeitpunkt t von zwei Faktoren abhängt: Erstens der „Baseline Hazard Funktion“, die unspezifiziert bleibt, aber nicht negativ werden kann und zweitens von einer linearen Funktion von Kovariaten (Allison 2001: 112). Als Kovariaten können sowohl quantitative als auch qualitative Variablen in der Funktion berücksichtigt werden. In der Cox-Regression werden für die einzelnen unabhängigen Variablen verschiedene Kennziffern ausgegeben. Davon ist der E-Parameter der wichtigste. Ähnlich wie bei einem normalen Regressionsmodell geben die Vorzeichen dieses Koeffizienten die Einflussrichtung der Variablen an. In einem Cox-Modell wird beispielsweise der Einfluss der Variablen „Geschlecht“ auf das Auszugsalter untersucht. Die Frauen werden dabei als Referenzkategorie verwendet. In diesem Fall zeigt ein E-Koeffizient von 0,19 aufgrund des negativen Vorzeichens an, dass Männer später ausziehen als Frauen (beziehungsweise dass der Faktor „Mann“ im Vergleich zu „Frau“ verzögernd auf das Ereignis Auszug wirkt). Allerdings kann mit dem E-Koeffizienten das tatsächliche Ausmaß der ausgelösten Veränderung nur schwer interpretiert werden. Dazu greift man auf den sogenannten Effekt-Koeffizienten oder auch Hazard-Ratio = exp(E) zurück. Wie die Formel bereits zeigt, wird der Effekt-Koeffizient berechnet, indem die ursprüngliche Logit-Gleichung des E-Koeffizienten entlogarithmiert wird. Der Wertebereich für den Effekt-Koeffizienten liegt damit zwischen 0 und + . Auch hier kann wieder relativ einfach die Einflussrichtung abgelesen werden, da E-Koeffizienten mit negativem Vorzeichen stets zu einem Effekt-Koeffizienten 121
zwischen 0 und 1 führen, während E-Koeffizienten mit einem positiven Vorzeichen ein Hazard-Ratio über 1 erzielen.93 Der Wert des Effekt-Koeffizienten selbst wird für quantitative und qualitative Variablen jeweils anders interpretiert. Bei qualitativen oder kategorialen Variablen bildet der Effektkoeffizient das Verhältnis der für die beiden Kategorien geschätzten Hazards ab. Im obigen Beispiel wurde ein E-Koeffizient von 0,19 für das Auszugsalter der Männer im Vergleich zu dem der Frauen angegeben. Dies ergibt einen Effektkoeffizienten von 0,83. Das bedeutet, dass das Auszugsrisiko der Männer nur 83% von dem der Frauen beträgt. Steigt der Wert über 1, dann handelt es sich dagegen um einen beschleunigenden Faktor (Allison 2001: 116).94 Bei quantitativen Kovariaten kann man einen aussagekräftigeren Wert berechnen, indem man 1,0 vom Hazard Ratio subtrahiert und diesen Wert mit 100 multipliziert. So erhält man die geschätzte prozentuale Veränderung im Hazard, wenn sich die entsprechende Variable um eine Einheit erhöht. Beträgt der Effekt-Koeffizient beispielsweise 0,944 ergibt sich aus 100*(0,944-1) = -5,6. Bei jeder Steigerung der unabhängigen Variablen um eine Einheit geht der Hazard um 5,6% zurück (Allison 2001:117). Mit dem Effekt-Koeffizienten kann demnach das genaue Ausmaß der Veränderung durch die einzelne unabhängige Variable beurteilt werden. Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn das gleiche Modell für verschiedene Gruppen angewandt wird. Dann kann das Ausmaß einer Variablen in den einzelnen Gruppen verglichen werden. Die Signifikanz der einzelnen Parameter (unter Kontrolle der anderen Variablen), wird auf Basis der Wald-Statistik geprüft. Ein wichtiger Vorteil des Cox-Modelles ist, dass relativ einfach zeitabhängige Kovariaten integriert werden könne (Allison 2001: 112). Dann hängt der Hazard zum Zeitpunkt t vom Wert der unabhängigen Variablen zu diesem Zeitpunkt ab (Allison 2001: 138). Häufig handelt es sich bei den zeitabhängigen Variablen um andere Zustandswechsel, von denen angenommen wird, dass sie auch das Auftreten des zu untersuchenden Ereignisses beeinflussen. Beispielsweise kann das Auszugsalter unter Kontrolle der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit untersucht werden. Da auch die Erwerbstätigkeit ein Ereignis ist, das erst im Zeitverlauf eintritt, handelt es sich um eine zeitabhängige Variable. Um den Effekt der Erwerbstätigkeit zu überprüfen, muss zunächst eine Dummy-Variable konstruiert werden, die dann ihren Wert ändert, wenn eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wurde. Diese Information wird dem Auszugsverlauf hinzugefügt. 93
Ein ß-Koeffizient von 0 führt zu einem Effekt-Koeffizient von 1 und besagt, dass kein Unterschied zwischen den Gruppen vorliegt. 94 Zu beachten ist, dass die Wertebereiche der beiden Einflussrichtungen ungleich skaliert sind (ein negativer ß-Koeffizient führt zu einem Effektkoeffizienten zwischen 0 und 1 während ein positiver ßKoeffizient über 1 liegt und kein oberes Limit hat (Urban 1993: 41).
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Findet der Erwerbseintritt vor dem Auszug statt, wird die Zeitspanne bis zum Auszug in zwei Subepisoden aufgeteilt: eine Episode bis zur Erwerbstätigkeit und eine Episode nach der Erwerbstätigkeit bis zum Auszug oder bis zum Beobachtungszeitpunkt, wenn kein Auszug stattfand (Blossfeld et al. 1986; Blossfeld et al. 1995). Die Kennziffern einer derartigen zeitabhängigen Variablen können wie die von anderen Kovariaten interpretiert werden (Allison 2001: 141). Bei linearen Regressionsmodellen wird neben der Signifikanz einzelner Werte auch häufig die gesamte Erklärungskraft des Modells anhand eines R2 gemessen. Auch für ereignisanalytische Modelle kann mit dem so genannten Generalized R2 eine ähnliche Maßzahl berechnet werden, aber man sollte die Bedeutung dieser Kennziffer nicht überbewerten. „All R2 tells you is how well you can predict the dependent variable with the set of covariates.“ (Allison 2001: 247). Wie in anderen Regressionsmodellen kann man auch im Cox-Regressionsmodell anhand von Interaktionsvariablen überprüfen, ob sich der Effekt einer unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable je nach Ausprägung einer dritten Variablen unterscheidet. Diese dritte Variable wird im allgemeinen Moderatorvariable genannt (Jaccard 2001: 12). Über Produktterme können die Interaktionen in die Modellgleichung einbezogen werden. Beispielsweise kann analysiert werden, ob sich der Effekt des Bildungsniveaus auf das Auszugsalter je nach Herkunftsland (Moderatorvariable) unterscheidet. Eine derartiges CoxRegressionsmodell wird anhand Tabelle 13 erläutert. In diesem Fall werden beispielhaft drei Länder berücksichtigt und die Bildungsvariable hat nur zwei Kategorien. Dementsprechend müssen zwei Produktterme (bei einer Referenzkategorie) in die Regressionsgleichung integriert werden. Tabelle 13: Beispiel für ein Interaktionsmodell Land-A Land-B Land-C Bildung-niedrig Bildung-hoch Interaktionsterme Bildung-niedrig*Land-A Bildung-niedrig*Land-B Bildung-niedrig*Land-C
Effekt-Koeffizienten 0,66*** 0,25*** Referenzkategorie 0,85*** Referenzkategorie 1,35*** 1,14* Referenzkategorie
Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
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Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass der Wert der Variablen „Bildung-niedrig“ im oberen Teil der Tabelle nicht den allgemeinen Effekt des Bildungsniveaus abbildet. Diese Dummy-Variable ist Teil des Interaktionsterms und damit wird der Koeffizient davon abhängig, dass die Moderatorvariable den Wert Null annimmt.95 Dies entspricht der Referenzkategorie „Land-C“. In anderen Worten, der Koeffizient von „Bildung-niedrig“ stellt nur das Ergebnis für Land-C dar. Die im unteren Teil der Tabelle aufgeführten Interaktionsterme zeigen an, ob der Effekt des Bildungsniveaus in den anderen beiden Ländern signifikant anders ist als in Land-C. Der Wert des Interaktionsterms für Land-A von 1,35 deutet darauf hin, dass sich dort der Faktor „niedrige Bildung“ eher beschleunigend auf das Auszugsalter auswirkt. In jedem Fall unterscheidet sich sowohl in Land-A als auch in Land-B der Effekt der Variable Bildungsniveau signifikant von dem in Land-C. Um auch das genaue Ausmaß des Bildungsniveaus für die anderen beiden Länder beurteilen zu können, kann das gleiche Modell mit den anderen beiden Ländern als Referenzkategorie berechnet werden. Diese Vorgehensweise wird auch in der empirischen Studie angewandt. Deren Aufbau wird zum Abschluss dieses Kapitel dargelegt.
5.4 Aufbau der empirischen Studie Die empirische Analyse im sechsten Kapitel ist in sechs Abschnitten gegliedert. Zunächst wird jedes einzelne Ereignis des Übergangsprozesses in einem Abschnitt behandelt, anschließend folgt ein Abschnitt zur Dauer zwischen den Ereignissen und ein Teil zur Reihenfolge der Ereignisse. Dabei sind die Unterkapitel zu den einzelnen Ereignissen und zur Dauer zwischen den Ereignissen nach dem gleichen Muster aufgebaut. Zunächst erfolgt eine deskriptive Analyse auf Basis der nicht-parametrischen Verfahren der Ereignisanalyse. Im Mittelpunkt stehen dabei die grafische Darstellung der Survivor-Funktion sowie das Durchschnittsalter, der Quartilsabstand und der Anteil an Befragten, die das Ereignis zum Erhebungszeitraum noch nicht erlebt haben. Anhand dieser Ergebnisse können die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern deskriptiv untersucht werden. In diesem Zusammenhang wird zudem die Validität der eigenen Daten und Ergebnisse anhand anderer Studien und 95
„A common mistake, however, is to interpret this coefficient as if it represents a nonconditioned main effect of gender [hier: Bildung]. This is not the case. Because the dummy variable is part of the product terms in the equation, the coefficient is conditioned on the moderator variable being zero.“ (Jaccard 2001: 20). In gleicher Weise sind die Länderkoeffizienten im oberen Teil der Tabelle von der Bildungsvariable abhängig. Das heißt, sie vergleichen die Länder für die Kategorie „Bildung hoch“. Werden neben Bildung weitere Variabeln berücksichtigt, verlieren die Länderkoeffizienten ihre Aussagekraft.
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amtlicher Statistiken überprüft. Ergänzend werden in ereignisanalytischen Modellen, in denen nur die Länder als erklärende Variable herangezogen werden, diese Unterschiede auf ihre Signifikanz getestet. Der Einfluss der makrostrukturellen Rahmenbedingungen wird nicht in kausalen Modellen überprüft, sondern in erster Linie auf Basis dieser Ergebnisse aufgezeigt. Diese Vorgehensweise wird gewählt, da sich die einzelnen in Frage kommenden sozialpolitischen Maßnahmen (zum Beispiel der Umfang des Kindergeldes, die Studienbeihilfen oder die Arbeitslosenunterstützungen) in den drei Ländern über den gesamten Zeitraum ständig verändert haben und auch nicht immer direkt miteinander verglichen werden können. Trotz einzelner Versuche liegen für einen so umfassenden Zeitraum bisher keine vergleichbaren Daten zur Familien- und Sozialpolitik in Europa vor.96 Auch die These zur Destandardisierung des Einmündungsverlaufes wird auf Basis der deskriptiven Statistik untersucht. Konkret wird dazu die Entwicklung der Altersvarianz bei den einzelnen Ereignissen betrachtet. Im Hinblick auf die individuellen Faktoren kommen die semi-parametrischen Verfahren der Ereignisanalyse zum Einsatz. Dabei wird die im Zusammenhang mit den Interaktionsmodellen vorgestellte Vorgehensweise umgesetzt. Es wird angenommen, dass sich die Effekte der individuellen Faktoren je nach Land (Moderatorvariable) unterscheiden können. Dies wird in Interaktionsmodellen überprüft. Um das genaue Ausmaß des Einflusses der Variablen in jedem Land genau interpretieren zu können, werden alle drei Länder jeweils einmal als Referenzgruppe bei der Moderatorvariablen gewählt. Zudem werden getrennte Modelle für Frauen und Männer berechnet, da erwartet wird, dass einzelne Variablen einen geschlechtsspezifischen Effekt haben.97 Im Ergebnisteil wird immer nur das vollständige Interaktionsmodell mit allen unabhängigen Variabeln vorgestellt. Einzelne Variablen werden auch dann nicht aus dem Modell genommen, wenn sie keinen signifikanten Effekt aufweisen. Zum einen kann dies nur auf eine Subgruppe zutreffen (beispielsweise bei den westdeutschen Frauen), während die Variable bei einer anderen Gruppe signifikant ist (zum Beispiel bei den italienischen Frauen). Um die Modelle vergleichen zu können, müssen sie bei allen Subgruppen vollständig sein. Zum anderen ist auch das Ergebnis, dass eine Variable keinen signifikanten Effekt hat, häufig eine wichtige Erkenntnis. Allerdings wird mit dieser Vorgehensweise nicht versucht, eine möglichst gute Modellanpassung zu erreichen. Um die 96
Auch die vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) entwickelte Datenbank zur Familienpolitik (Bahle et al. 1999) deckt nicht in ausreichendem Maße den hier gewählten Zeitraum in den drei Ländern ab. 97 Die These der Familienökonomie geht beispielsweise davon aus, dass ein hohes Bildungsniveau bei Frauen einen anderen Effekt hat als bei Männern.
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Stabilität der Interaktionsmodelle zu untersuchen, wurden ergänzend Modelle berechnet, in denen schrittweise die verschiedenen Variablengruppen einbezogen werden. Wurden dabei Abweichungen zu den vollständigen Modellen festgestellt, werden diese referiert und erläutert. Darüber hinaus wird untersucht, wie hoch die Erklärungskraft der ausgewählten Variablen in jedem Land ist. Da bei den Interaktionsmodellen auch die Interaktionsterme ein Teil der Modellgleichung sind, tragen auch die Unterschiede zwischen den Ländern hier zum generalisierten R² bei. Deshalb wurde für jedes Land ein getrenntes „Einzelmodell“ mit den gleichen Variablen, aber ohne Interaktionen, berechnet, auf dessen Basis ein länderspezifisches Generalisiertes R2 ausgegeben und so die Erklärungskraft der Variablen verglichen werden kann. Im letzten Abschnitt des Ergebniskapitels wird die Reihenfolge der einzelnen Übergangsereignisse mittels deskriptiver Statistik untersucht. Es wird nach Ländern und Geschlecht verglichen, ob und wo es Abweichungen von den normalen Verlaufsmustern gibt.
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6 Der Weg in das Erwachsenenalter in Westdeutschland, Italien und Schweden
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der statistischen Analysen in sechs Schritten vorgestellt. Dabei werden am Ende jedes Abschnittes werden die wichtigsten Resultate zusammengefasst und vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur und den verschiedenen theoretischen Konzepten diskutiert.
6.1 Die erste Arbeitserfahrung Zur Analyse des ökonomischen Verselbständigungsprozesses wurde mit dem „Alter bei der ersten Arbeitserfahrung“ im fünften Kapitel die notwendige abhängige Variable operationalisiert. Zunächst werden anhand der Altersquartile und der Survivor-Funktion die Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Ländern deskriptiv untersucht. Anhand der Entwicklung des Altersmedians und der Quartilsabstände wird zudem die These der Destandardisierung des ökonomischen Verselbständigungsprozesses kontrolliert. Im zweiten Teilabschnitt wird der Einfluss der Faktoren auf Mikroebene in ereignisanalytischen Modellen überprüft.
6.1.1 Das Alter bei der ökonomischen Verselbständigung In Tabelle 14 werden der Altersmedian und die Altersvarianz bei der ersten Erwerbstätigkeit (gesamt und nach Kohorten) sowie der Anteil der Befragten, die zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht gearbeitet haben, für die einzelnen Subgruppen zusammengefasst. Die Tabelle zeigt, dass nahezu alle jungen Erwachsenen bis zum Zeitpunkt des Interviews mindestens einmal nach der hier verwendeten Definition erwerbstätig waren. Einzig die italienischen Frauen fallen aus diesem Muster heraus, da ca. ein Viertel von ihnen noch nie gearbeitet hat. Bei allen anderen Gruppen liegt dieser Anteil immer unter zehn Prozent. In allen drei Ländern ist der Anteil an Personen ohne Arbeitserfahrung bei den Frauen höher als bei den Männern. Allerdings ist dieser Unterschied in Schwe127
den nur sehr klein, in Westdeutschland bei ca. fünf Prozentpunkten, während in Italien fast zwanzig Prozentpunkte zwischen den beiden Geschlechtern liegen. Tabelle 14: Anteil ohne Erwerbstätigkeit beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand BRD
Frauen Italien
Nie erwerbs9,6% 24,5% tätig Altersmedian / Quartilsabstand (in Jahren) Gesamt 18,5 / 5,5 22,8 /18,5 Kohorte 49-54 18,1 / 5,2 23,0 / Kohorte 55-59 18,6 / 5,5 22,9 / 7,8 Kohorte 60-64 18,7 / 6,2 22,4 / 2,7
Schweden
BRD
Männer Italien
Schweden
2,1%
4,4%
5,6%
1,6%
18,2 / 2,7 17,9 / 3,2 18,1 / 2,3 18,5 / 1,8
19,0 / 6,7 19,1 / 6,1 18,9 / 7,6 19,0 / 6,5
20,5 / 7,8 20,1 / 7,5 19,7 / 7,1 21,0 / 9,2
18,3 / 3,5 17,8 / 4,1 18,3 / 3,1 18,5 / 2,9
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Der Altersmedian (gesamt) ist in Schweden und Westdeutschland am niedrigsten.98 In beiden Ländern sind auch hier die Unterschiede zwischen Männer und Frauen relativ gering, wobei zunächst mehr Frauen als Männer eine erste Erwerbstätigkeit aufnehmen. Dies wird in der Survivor-Funktion (siehe Abbildung 10) noch deutlicher. Erst im Alter von ca. 26 Jahren ist in Schweden und Westdeutschland der Anteil der Männer mit einer ersten Erwerbstätigkeit höher als der der Frauen, wobei die Differenz in Schweden nur klein ist. Italien hat sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern den höchsten Altersmedian und über den gesamten Zeitverlauf sind mehr Männer als Frauen erwerbstätig. Die Unterschiede zwischen den drei Ländern werden auch durch die Ergebnisse anderer Studien bestätigt. Allerdings weist beispielsweise die Untersuchung von Iacovou und Berthoud (2001: 14) deutliche höhere Altersmediane bei der ersten Erwerbstätigkeit für die drei Länder auf. Die ökonomische Selbständigkeit wird demnach später erreicht, aber die Abstände zwischen den Ländern sind ähnlich.99 Diese Abweichungen im Vergleich zu den hier vorliegenden Ergebnissen können auf zwei Ursachen zurückgeführt werden: Erstens haben Iacovou und Bethoud jüngere Kohorten untersucht, bei denen das Erwerbseinstiegsalter weiter angestiegen ist, und zweitens wurden ausschließlich Haupterwerbstätigkeiten berücksichtigt.
98
Obwohl in Schweden nur Arbeitserfahrungen ab 17 Jahren berücksichtigt wurden, während in den anderen beiden Ländern 15 Jahre das Mindestalter ist. 99 24 Jahre für Italien und ca. 22 Jahre für Schweden und knapp darüber Westdeutschland (Iacovou et al. 2001: 16).
128
Abbildung 10: Survivor-Funktion: Alter bei der ersten Arbeitserfahrung 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter in Jahren Westdeutschland: Frauen Italien: Frauen Schweden: Frauen
Westdeutschland: Männer Italien: Männer Schweden: Männer
Quelle: FFS; eigene Berechnungen.
Studien für die drei Länder, die ebenfalls die Daten des FFS verwenden, kommen dagegen zu ähnlichen Ergebnissen wie sie hier präsentiert werden. Hullen (2001) gibt für die Kohortengruppen 1956-60 und 1961-65 in Westdeutschland einen Altersmedian von 19 Jahren beim Einstieg in den Arbeitsmarkt an (Hullen 2001: 158). Die Ergebnisse in Schweden werden ebenfalls bestätigt (Granström 1997: 85). Ongaro (2001) schließt in seiner Analyse von Italien alle Ereignisse aus, die ab einem Alter von über 30 Jahren stattfanden. Zudem berücksichtigt er offenbar auch unbezahlte und kurzfristige Tätigkeiten, weshalb er insgesamt etwas niedrigere Altersmediane errechnet, deren Entwicklung im Kohortenvergleich aber in die gleiche Richtung geht (Ongaro 2001: 184). Insgesamt zeigt der Vergleich des Durchschnittsalters und des Quartilsabstands,100 dass der ökonomische Verselbständigungsprozess in Italien später und mit einer höheren Altersvarianz stattfindet als in den anderen beiden Ländern. 100 Der Quartilsabstand wird aus der Differenz zwischen erstem und drittem Quartil berechnet. Bei der ältesten Kohorte der italienischen Frauen kann kein Quartilsabstand berechnet werden, da beim Interviewzeitpunkt weniger als 75% der Befragten das Ereignis erlebt haben.
129
Zudem haben vergleichsweise viele junge Erwachsene (vor allem Frauen) in Italien zum Zeitpunkt des Interviews noch nie gearbeitet, obwohl die Daten in Italien später erhoben wurden als in den anderen beiden Ländern und die Befragten somit etwas älter waren. Am frühsten steigen die jungen Erwachsenen in Schweden in den Arbeitsmarkt ein, während Westdeutschland eine Mittelposition einnimmt. Dieses Ergebnis wird durch zwei ereignisanalytische Modelle bestätigt, in denen nur die Länder als erklärende Variable berücksichtigt wurden. Im Vergleich mit den schwedischen Frauen beträgt der Effektkoeffizient der westdeutschen 0,74 und der der italienischen Frauen nur 0,36. Das bedeutet, dass das „Risiko für eine Erwerbstätigkeit“ der westdeutschen Frauen nur 74% von dem der schwedischen Frauen beträgt. Beide Unterschiede sind signifikant und auch die Differenz zwischen den westdeutschen und italienischen Frauen ist signifikant. Bei den Männern verhält es sich ähnlich. Im Vergleich mit den schwedischen Männern liegt das Erwerbsrisiko der westdeutschen Männer bei 77% und das der italienischen Männer bei 60%. Auch hier sind alle Länderunterschiede signifikant. Diese Verzögerung beim ökonomischen Verselbständigungsprozess in Italien wurde bereits im theoretischen Teil diskutiert und kann offenbar auf die ungünstigen Rahmenbedingungen auf dem italienischen Arbeitsmarkt zurückgeführt werden. In Schweden und Westdeutschland ist sowohl die Jugendarbeitslosenquote niedriger als auch die Verbindung zwischen Schule und Arbeitsmarkt besser. Allerdings konnte auch ein signifikanter Unterschied zwischen Schweden und Westdeutschland beim Erwerbseinstiegsalter festgestellt werden, obwohl die institutionellen Rahmenbedingungen in beiden Ländern ähnlich sind und auch die Unterschiede bei der Jugendarbeitslosenquote nicht groß sind.101 Eine mögliche Erklärung dafür liegt in der hier angewendeten Definition des Ereignisses „erste Arbeitserfahrung“, in der auch Teilzeitstellen und nicht nur langfristige Vollerwerbsstellen berücksichtigt wurden. Offenbar arbeiten in Schweden viele junge Erwachsene nach dem Schulabschluss mehrere Monate und nehmen erst anschließend ein Studium auf (Hartmann 1987). Sie erreichen dadurch bereits eine gewisse ökonomische Selbständigkeit, die sie auch während des Studiums auf Basis staatlicher Leistungen aufrechterhalten können.102 101
Bis Anfang der 1970er Jahre ist die Jugendarbeitslosenquote in Westdeutschland geringer als in Schweden, aber insbesondere Anfang der 1980er Jahre ist sie in Westdeutschland deutlich höher (vgl. Abbildung 4). 102 Mitte der 1990er Jahre haben von den schwedischen Studenten fast 60% ein staatliches Darlehn und ca. 80% ein Stipendium erhalten. In Deutschland und Italien sind diese Leistungen vom Einkommen der Eltern abhängig. In Deutschland erhielten weniger als ein Fünftel der Studenten ein Stipendium oder staatliche Unterstützung, in Italien nur ca. drei Prozent (EURYDICE 1999).
130
Zudem können in Italien starke Geschlechterunterschiede beim Erwerbseinstieg festgestellt werden, während die Unterschiede in den anderen beiden Ländern, aber vor allem in Schweden, deutlich geringer sind. Die sozialpolitische Entscheidung in Schweden, die Frauenerwerbstätigkeit deutlich zu fördern, zeigt hier ihre Wirkung. Sowohl bei der Erwerbsquote als auch beim Altersmedian gibt es in Schweden kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dagegen wird sowohl in Westdeutschland als auch in Italien eine traditionelle Rollentrennung durch den Staat gefördert, was in Italien durch den starken Einfluss der katholischen Kirche noch verstärkt wird. Der Altersmedian der italienischen Frauen ist deutlich höher als der der Männer und zudem haben ca. ein Viertel der Italienerinnen noch nicht gearbeitet. Diese Frauen folgen offenbar dem traditionell weiblichen Rollenmuster und stellen die eigene ökonomische Verselbständigung zugunsten einer Partnerschaft oder Familie zurück. In Westdeutschland unterscheidet sich der Altersmedian von Frauen und Männern zwar nur um ein halbes Jahr, allerdings sind auch hier deutlich mehr Frauen als Männer ohne Arbeit. Die Ergebnisse stimmen somit mit den theoretischen Überlegungen zu den unterschiedlichen Geschlechterrollen in den Wohlfahrtsstaatsmodellen überein. Zur Analyse des Wandels beim ökonomischen Verselbständigungsprozess werden in Tabelle 14 die drei Kohortengruppen verglichen. In Westdeutschland steigt bei Frauen und Männern der Quartilsabstand (allerdings nicht bei den Männern der jüngsten Kohorte) und bei den Frauen auch der Altersmedian. In Italien ist die Entwicklung bei Frauen und Männern entgegengesetzt: Bei den Frauen fallen Altersmedian und Quartilsabstand, während bei den Männern beide Kennziffern steigen. In Schweden kann dagegen sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern ein steigender Altersmedian bei sinkender Altersvarianz festgestellt werden. Die steigende Altersvarianz in Westdeutschland und bei den italienischen Männern kann als Indiz für eine zunehmende Destandardisierung des ökonomischen Verselbständigungsprozesses interpretiert werden. Der Erwerbseinstieg findet immer seltener zu einem bestimmten Zeitpunkt statt. Allerdings sinkt bei den anderen Gruppen diese Altersvarianz, womit die These der Destandardisierung nicht aufrechterhalten werden kann. Die Ursachen für diese Entwicklungen sind unterschiedlich. Bei den italienischen Frauen hängt diese mit der steigenden Erwerbsquote zusammen. Vor allem in der ältesten Kohorte haben viele italienische Frauen nicht gearbeitet, was zu einer hohen Altersvarianz führen muss. Von den jüngeren italienischen Frauen haben mehr eine Arbeitserfahrung gemacht, wodurch die Altersvarianz abnimmt. Auch in Schweden nimmt die Altersvarianz ab, obwohl sich die Erwerbsquote kaum verändert. Dies hängt offenbar mit einer Angleichung des Bildungsniveaus zusammen. Nahezu alle jungen Schweden haben einen höheren Schulabschluss und 131
verlassen zu einem ähnlichen Zeitpunkt das Schulsystem. Bereits mit ca. zwanzig Jahren haben fast alle eine erste Arbeitserfahrung gemacht.103 Aufgrund dieses niedrigen Alters haben auch die Befragten der jüngsten Kohorte den Berufseinstieg bereits Mitte der 1980er Jahre erlebt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Jugendarbeitslosigkeit sich noch auf sehr niedrigem Niveau bewegte.
6.1.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf den ökonomischen Verselbständigungsprozess Auf Basis ereignisanalytischer Modelle wird der Effekt individueller Faktoren auf das Alter beim Erwerbseinstieg überprüft. Es wird der Einfluss der Kohortenzugehörigkeit, des höchsten Schulabschlusses, des Wohnorts im Jugendalter und der Geschwisterzahl untersucht. Männer und Frauen werden getrennt analysiert, in Tabelle 15 werden die Cox-Regressionsmodelle für die Frauen und in Tabelle 16 die für die Männer vorgestellt. Bei beiden Geschlechtern wurde jedes Land einmal als Referenzkategorie gewählt, sodass die Koeffizienten im oberen Tabellenteil jeweils direkt miteinander verglichen werden können. Im unteren Tabellenteil zeigen die Interaktionsterme an, ob der Effekt einer Kategorie sich signifikant zwischen den Ländern unterscheidet. Anhand der Kohortenzugehörigkeit wird untersucht, ob sich das Alter bei der ersten Arbeitserfahrung verändert hat. Bei den Frauen kann nur in Schweden ein schwach signifikanter Effekt festgestellt werden; demnach steigt die mittlere Kohorte etwas früher in den Arbeitsmarkt ein als die älteste. Da die Interaktionsterme hier keine signifikanten Länderunterschiede anzeigen, ist davon auszugehen, dass dieser Effekt bei den schwedischen Frauen insgesamt nicht sehr stark ist.104 Auch die deskriptive Analyse des Altersmedians (siehe Tabelle 14) hat bei den Frauen keine starken Veränderungen beim Erwerbseinstieg angezeigt. Bei den Männern kann in Schweden kein signifikanter Wandel des Alters bei der ersten Arbeitserfahrung festgestellt werden, während sowohl die westdeutschen als auch die italienischen Männer der jüngsten Kohorte signifikant später in den Arbeitsmarkt einsteigen als die der ältesten Kohortengruppe. Dementsprechend zeigen die Interaktionsterme für die jüngste Kohorte einen signifikanten Unterschied an: Schweden liegt dabei auf der einen Seite und Italien und Westdeutschland auf der anderen Seite. Aufgrund der steigenden Jugendarbeitslosigkeit und zunehmenden Bildungsbeteiligung konnte ein verzögernder Effekt 103
Schwedische Jugendliche arbeiten häufig nach Abschluss der Schulausbildung mehrere Monate, bevor sie anschließend ein Studium aufnehmen (Cook et al. 2002: 269). 104 Der Kohorteneffekt ist bei den schwedischen Frauen auch erst unter Kontrolle des Bildungsniveaus signifikant.
132
bei den jüngeren Kohorten erwartet werden. Diese kann aufgrund der Ergebnisse nur für die italienischen und westdeutschen Männer bestätigt werden. Tabelle 15: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten Arbeitserfahrung, Frauen, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD ISCED 1-2*Italien (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Stadt*Italien Jugendalter (Referenz Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD Einzelkind*Italien (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R² Länder
BRD Ref. 0,44*** 1,24** 1,01 0,93 1,30*** 0,53*** 0,89** 0,97 0,90
Italien 2,26*** Ref. 2,79*** 1,03 1,03 0,75*** 0,83** 0,79*** 1,51*** 1,32***
Schweden 0,81** 0,36*** Ref. 1,08* 0,93 1,38*** 0,67*** 0,84*** 1,17* 1,26***
Ref. 0,98 0,93 1,02 Ref. 0,95 1,07 1,05 Ref. Ref. 0,90 1,00 1,12 Ref. 1,11 1,00 0,90 Ref. Ref. 1,74*** 0,94 0,58*** Ref. 0,54*** 1,06 1,84*** Ref. Ref. 0,64*** 0,79** 1,56*** Ref. 1,23** 1,26** 0,81** Ref. Ref. 1,13 1,06 0,89 Ref. 0,94 0,95 1,06 Ref. Ref. 0,64*** 0,83 1,56*** Ref. 1,29** 1,20 0,77** Ref. Ref. 0,68*** 0,71*** 1,46*** Ref. 1,05 1,40*** 0,96 Ref. 6096 / 5443 / 1419,21 / 0,21
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
133
Tabelle 16: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten Arbeitserfahrung, Männer, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD ISCED 1-2*Italien (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Stadt*Italien Jugendalter (Referenz: Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD Einzelkind*Italien (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R² Länder
BRD Ref. 0,64** 1,31** 0,87 0,81** 2,35*** 0,57*** 0,87** 0,89 0,97
Italien 1,56** Ref. 2,04*** 1,05 0,78** 1,23* 0,50*** 1,08 1,19 1,14
Schweden 0,76** 0,49*** Ref. 0,94 0,96 1,89*** 0,54*** 0,73*** 1,16 1,42***
Ref. 0,83 0,93 1,21 Ref. 1,12 1,07 0,89 Ref. Ref. 1,04 0,84* 0,96 Ref. 0,81* 1,19* 1,24* Ref. Ref. 1,91*** 1,24** 0,52*** Ref. 0,65*** 0,81** 1,54*** Ref. Ref. 1,15 1,05 0,87 Ref. 0,91 0,96 1,10 Ref. Ref. 0,80* 1,19** 1,25* Ref. 1,48*** 0,84** 0,68*** Ref. Ref. 0,74 0,76** 1,34 Ref. 1,03 1,31* 0,97 Ref. Ref. 0,85 0,68*** 1,18 Ref. 0,81* 1,47*** 1,24* Ref. 3073 / 2982 / 718,05 / 0,21
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Die Entwicklung des ökonomischen Verselbständigungsprozesses hat je nach Land unterschiedliche Ursachen. Zieht man den Altersmedian in Betracht, wird deutlich, dass in Schweden auch der größte Teil der Befragten der jüngsten Kohorte bereits Anfang der 1980er Jahre in den Arbeitsmarkt eingestiegen ist. Aufgrund des etwas höheren Altersmedians liegt der Zeitraum bei den westdeutschen jungen Erwachsenen etwa ein Jahr und bei den italienischen ca. drei bis vier Jahre höher. Ein Blick auf die Daten zur Jugendarbeitslosigkeit (vgl. 134
Abbildung 4) zeigt, dass in Schweden die Jugendarbeitslosigkeit zwar bis 1983 angestiegen ist, aber auch dann noch deutlich unter zehn Prozentpunkten liegt.105 Demnach fand der Erwerbseinstieg der hier betrachteten Kohortengruppen in Schweden unter guten und relativ konstanten Rahmenbedingungen statt und dementsprechend kann keine signifikante Veränderung beim Erwerbseinstiegsalter festgestellt werden. In Westdeutschland stieg Anfang der 1980er Jahre die Jugendarbeitslosenquote von vier auf elf Prozent an. In Italien war die Quote ohnehin höher und erhöhte sich zwischen 1981 und 1984 abermals. Dies benachteiligt die Männer der jüngsten Kohortengruppe in beiden Ländern, die signifikant später in den Arbeitsmarkt eintreten. Bei den Frauen kann dieser Effekt nicht festgestellt werden, da sich bei ihnen die steigende Erwerbsquote (vgl. Tabelle 8) günstig auf das durchschnittliche Erwerbseinstiegsalter auswirkt. Andere Studien stellen zudem fest, dass die zunehmende Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt nicht zwingend zu einem verzögerten Erwerbseinstieg führen muss, sondern die jungen Erwachsenen versuchen in diesem Fall auf Teilzeitstellen oder befristete Beschäftigungsverhältnisse auszuweichen. Für italienische Berufseinsteiger kommen Bernardi und Nazio (2005) zu dem Ergebnis, dass es bei den jüngeren Kohorten einen Anstieg an unsicheren Beschäftigungsverhältnissen gibt. Bei deutschen Berufsanfängern wird ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit und der Verringerung von Vollzeitstellen festgestellt (Lauterbach et al. 2001: 275). Da bei der hier verwendeten Definition der ersten Arbeitserfahrung auch Teilzeitstellen berücksichtigt wurden und keine Informationen über die Art des Arbeitsvertrages vorliegen, können diese Ergebnisse nicht überprüft werden. Sie bieten aber eine zusätzliche Erklärung dafür, warum die Verzögerung beim Erwerbseinstieg trotz steigender Jugendarbeitslosenquoten und höherer Bildungsbeteiligung nicht stärker ausfällt. Ein hoher Bildungsabschluss wirkt sich normalerweise verzögernden auf das Ereignis „erste Arbeitserfahrung“ aus. Sowohl für die Frauen als auch für die Männer aus allen drei Ländern kann dies bestätigt werden: Im Vergleich zur Gruppe mit einem mittleren Bildungsabschluss erleben junge Erwachsenen mit einem hohen Abschluss signifikant später das Ereignis.106 Bei den Frauen ist dieser Effekt in Westdeutschland (Effektkoeffizient von 0,53) stärker als in Schweden (0,67) und Italien (0,83). Die entsprechenden Interaktionsterme zei105
Anschließend fällt sie sogar wieder deutlich ab und steigt erst Anfang der 1990er Jahre wieder an. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein hoher Bildungsabschluss in erster Linie Vorteile beim Erwerbseinstieg mit sich bringt. Das Arbeitslosigkeitsrisiko ist bei einem hohen Abschluss in der Regel niedriger (Müller et al. 2002). Auch bei einem Ausbildungsabbruch fällt gut ausgebildeten Jugendlichen der Wiedereinstieg leichter (Glaesser 2006). 106
135
gen, dass diese Länderunterschiede signifikant sind. Bei den Männern ist der verzögernde Effekt des höchsten Bildungsabschlusses in allen drei Ländern ähnlich stark und die entsprechenden Interaktionseffekte sind dementsprechend nicht signifikant. Auf der anderen Seite wirkt sich ein niedriger Bildungsabschluss im Vergleich zur Referenzgruppe signifikant beschleunigend aus. Dies gilt bis auf die italienischen Frauen für alle Subgruppen. Bei den Männern mit einem niedrigen Abschluss sind es vor allem die Westdeutschen und Schweden, die signifikant früher in den Arbeitsmarkt einsteigen, während bei den italienischen Männern der beschleunigende Effekt vergleichsweise schwach ist.107 Die Interaktionsterme bei den Männern zeigen signifikante Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Ländern an. Offenbar ist in Westdeutschland aufgrund der guten Verbindung zwischen Ausbildung- und Arbeitsmarkt auch für Niedrigqualifizierte ein schneller Erwerbseinstieg möglich. Bei italienischen Männern beginnen die mit niedrigem Bildungsniveau nur kurz vor denen mit einem mittleren Abschluss, obwohl sie früher für eine Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehen. Der hohe Konkurrenzdruck auf dem italienischen Arbeitsmarkt macht den Erwerbseinstieg für diese Gruppe besonders schwer. Auch die westdeutschen und schwedischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss beginnen signifikant früher als die Referenzgruppe mit einer Erwerbstätigkeit. Einzige die italienischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss weichen von diesem Muster ab. Sie erleben die erste Arbeitserfahrung später als die italienischen Frauen mit einem mittleren Abschluss, obgleich sie früher das Bildungssystem verlassen. Über ein Drittel von diesen Frauen hat zum Zeitpunkt des Interviews noch keine Arbeitserfahrung gemacht. Dies kann nicht nur auf die schlechteren Arbeitsmarktbedingungen zurückgeführt werden. Offenbar stellen diese Frauen die eigene ökonomische Verselbständigung zugunsten der Partnerschaft und Familienbildung zurück.108 In der theoretischen Diskussion wurde angenommen, dass junge Erwachsene, die in ländlichen Gebieten aufwachsen, früher in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies kann für die Frauen aus allen drei Ländern und für die schwedischen und westdeutschen Männer bestätigt werden. Einzig bei den italienischen Männern kann kein signifikanter Effekt des Wohnorts im Jugendalter festgestellt werden. Bei den Frauen ist der Effekt in allen drei Ländern ähnlich. Dagegen zeigen die Interaktionsterme bei den Männern, dass der Effekt in Schweden besonders stark ist und sich auch von westdeutschen Männern unterscheidet. Dieser 107
In einem Modell ohne Interaktionen, in dem nur die italienischen Männer berücksichtigt wurden, ist dieser Effekt nicht signifikant. 108 Dies wird durch die weiter unten folgenden Ergebnisse zum Alter bei der Erstheirat und Familiengründung bestätigt.
136
Effekt der Wohnortgröße im Jugendalter kann nicht nur auf die stärkere Verbreitung von höheren Bildungsabschlüssen in Städten zurückgeführt werden, da der Effekt auch unter Kontrolle des erreichten Bildungsabschlusses besteht. Weiterhin wurde diskutiert, dass für junge Erwachsene aus großen Familien möglicherweise häufiger die Notwendigkeit besteht, früh ein eigenes Einkommen zu erzielen. Die vorliegenden Ergebnisse widersprechen dieser Überlegung. Bei den Frauen kann in Schweden und Italien ein gegenläufiger Effekt festgestellt werden. Einzelkinder und Frauen mit bis zu zwei Geschwistern steigen signifikant früher in den Arbeitsmarkt ein als die Referenzgruppe mit drei oder mehr Geschwistern. Bei den westdeutschen Frauen besteht kein signifikanter Unterschied zwischen den Kategorien. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Frauen mit vielen Geschwistern in Italien und Schweden nicht eine schnelle ökonomische, sondern eine frühe soziale Verselbständigung anstreben. Sie stellen dann den Erwerbseinstieg zugunsten der Familienbildung zurück. Die Ergebnisse zu den sozialen Übergangsereignissen in den folgenden Abschnitten unterstützen diese These; sie zeigen, dass eine hohe Geschwisterzahl einen beschleunigenden Effekt auf den sozialen Verselbständigungsprozess hat. Bei den Männern hat die Familiengröße offenbar keinen signifikanten Effekt auf das Erwerbseinstiegsalter. Lediglich die schwedischen Männer mit bis zu zwei Geschwistern erleben das Ereignis signifikant früher als die Referenzgruppe. Eine schlüssige Erklärung dieses Effektes in Schweden kann nicht geliefert werden. Schließlich stellt sich die Frage, welche Bedeutung die einzelnen unabhängigen Variabeln für das Alter beim Erwerbseinstieg haben. Sowohl das Interaktionsmodell für die Frauen als auch das für die Männer erreicht ein generalisiertes R² von 0,21. Bei den Frauen geht ein großer Teil der erklärten Varianz auf die Länderunterschiede zurück. In einem Modell, in dem nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt werden, beträgt das R² bereits 0,15. Bei den Männern erreicht ein entsprechendes Modell dagegen nur ein R² von 0,03. Hier stellt der erreichte Bildungsabschluss der wichtigste Faktor dar, unter dessen Berücksichtigung das R² auf 0,19 steigt. Werden die Modelle für Länder und Geschlechter getrennt berechnet, also ohne Interaktionen, zeigt sich zum einen, dass die beschriebenen Effekte stabil sind. Zum anderen kann so ein länderspezifisches R² berechnet werden. Bei den Frauen ist die Erklärungskraft der ausgewählten Variablen in Italien am geringsten (R² = 0,05), obwohl bis auf die Kohorten alle Faktoren einen signifikanten Effekt haben. Etwas höher ist das generalisierte R² bei den westdeutschen (0,07) und schwedischen Frauen (0,09). Auch bei den Männern ist das R² in Italien am niedrigsten (0,09) und in Schweden (0,21) und Westdeutschland
137
(0,20) deutlich höher. Vor allem der starke Effekt des höchsten erreichten Bildungsabschlusses trägt bei den Männern zu einer höheren erklärten Varianz bei.
6.1.3 Fazit zum Übergang in das Erwerbsleben Im ersten Abschnitt des fünften Kapitels wurden drei Ebenen definiert, deren einen Einfluss auf den Weg in das Erwachsenenalter überprüft werden soll. Dabei wurde erstens angenommen, dass die institutionellen Rahmenbedingungen dazu führen, dass der Erwerbseinstieg in Italien für die jungen Erwachsenen besonders schwer ist, während die jungen Schweden und Westdeutschen mit weniger Problemen konfrontiert sind. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen diese Überlegungen. Auch die starken Geschlechterunterschiede in Italien können auf die für südeuropäische Staaten typische Ausrichtung des Wohlfahrtsstaates zurück geführt werden. Frauen erreichen ihre ökonomische Unabhängigkeit vom Elternhaus seltener über eine eigene Erwerbstätigkeit als in Schweden oder Westdeutschland. Zweitens wurde in Zusammenhang mit der Destandardisierungsthese angenommene, dass die Altersvarianz beim Erwerbseinstieg ansteigt. Die konnte nicht bestätigt werden, lediglich bei den westdeutschen und italienischen Männern hat sich die Altersvarianz aufgrund der höheren Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt leicht erhöht. Dagegen stieg bei den italienischen und westdeutschen Frauen die Erwerbsquote, was zu einer abnehmenden Altersvarianz führte. Auch in Schweden nimmt die Altersvarianz ab, da hier die Rahmenbedingungen für den Erwerbseinstieg sehr gut waren. Es spricht einiges dafür, dass sich die Destandardisierung beim Erwerbseinstieg nicht beim Alter, sondern bei der Qualität des ersten Beschäftigungsverhältnisses bemerkbar macht. Vollzeitstellen und langfristige Beschäftigungsverhältnisse können von den jungen Erwachsenen immer häufiger erst nach mehreren Berufsjahren erreicht werden (Lauterbach et al. 2001; Bernardi et al. 2005). Drittens sollte der Einfluss individueller Faktoren auf den ökonomischen Verselbständigungsprozess überprüft und systematisch verglichen werden. Unter den ausgewählten Faktoren ist das erreichte Bildungsniveau mit Abstand der wichtigste. Für alle Subgruppen gilt, dass ein hoher Bildungsabschluss zu einem verzögerten Erwerbseinstieg führt. Bei den anderen Variablen konnten anhand der Interaktionsvariablen verschiedene signifikante Länderunterschiede festgestellt werden, deren Ursachen auch diskutiert wurden. Insgesamt haben die ausgewählten Variablen bei den Männern eine höhere Erklärungskraft als bei den Frauen. Offenbar besteht bei den Frauen eine stärkere Verbindung zwischen dem ökonomischen und sozialen Verselbständigungs138
prozess als bei den Männern, und die Wirkung dieser Verbindung konnte in den Modellen nicht überprüft werden. Die einzelnen Ereignisse des sozialen Übergangs werden in den folgenden Abschnitten analysiert.
6.2 Der Auszug aus dem Elternhaus In diesem Abschnitt wird das Ereignis „Auszug aus dem Elternhaus“, das Teil des sozialen Verselbständigungsprozesses ist, untersucht. Zunächst wird kurz beschrieben, wie viele der jungen Erwachsenen in den drei Ländern aus dem Elternhaus ausgezogen sind und wie der Altersmedian bei diesem Ereignis ist. Mit der Survivor-Funktion wird dieser Überblick vervollständigt. Anhand der Entwicklung des Quartilsabstands wird zudem die These zur Destandardisierung diskutiert. Im Anschluss daran wird der Einfluss der individuellen Faktoren auf das Auszugsalter in ereignisanalytischen Modellen überprüft. Am Ende des Abschnitts werden die wichtigsten Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellungen zusammengefasst.
6.2.1 Das Alter beim Auszug aus dem Elternhaus Tabelle 17 gibt eine erste Übersicht über das Auszugsverhalten der jungen Erwachsenen in den drei ausgewählten Ländern: In der ersten Zeile wird der Anteil der Befragten, die bis Zeitpunkt des Interviews noch nicht ausgezogen sind, angegeben. In den folgenden Zeilen werden der Altersmedian und der Quartilsabstand aufgeführt, zunächst für die gesamte Stichprobe und dann getrennt nach Kohortengruppen. Tabelle 17: Anteil ohne Auszug beim Interview, Altersmedian, Quartilsabstand BRD
Frauen Italien
Nie ausge1,6% 9,5% zogen Altersmedian / Quartilsabstand (in Jahren) Gesamt 20,7 / 4,3 23,0 / 6,4 Kohorte 49-54 20,1 / 3,9 22,5 / 5,3 Kohorte 55-59 20,8 / 4,3 23,0 / 6,8 Kohorte 60-64 21,3 / 4,8 23,8 / 7,4
Schweden
BRD
Männer Italien
Schweden
0,3%
5,7%
17,0%
1,7%
18,8 / 2,8 19,0 / 2,8 18,3 / 2,7 18,3 / 2,7
22,2 / 5,1 21,8 / 5,1 22,4 / 5,7 22,3 / 5,0
26,3 / 8,1 25,3 / 7,1 25,8 / 7,5 27,3 / 9,3
20,3 / 3,5 20,3 / 3,7 20,2 / 3,7 20,2 / 3,3
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
139
Bestätigt werden diese Ergebnisse beispielsweise durch die Studie von Billari et al. (2001), in der das Auszugsalter in Europa verglichen wird. Darin wird der Auszug von jungen Erwachsenen untersucht, die um 1960 geboren wurden. Diese Altersmediane stimmen mit den hier vorliegenden Ergebnissen für die jüngste Kohorte überein.109 Beim Vergleich zwischen den drei Ländern fällt auf, dass der Anteil an jungen Erwachsenen, der zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht ausgezogen ist, deutlich variiert. In Italien trifft dies auf fast zehn Prozent der Frauen und über fünfzehn Prozent der Männer zu. Das sind deutlich mehr als in Westdeutschland oder Schweden, obgleich die Datenerhebung in Italien später stattfand. In den anderen beiden Ländern haben praktisch alle Frauen und mindestens 94% der Männer das Ereignis erlebt, wobei es in Schweden etwas mehr sind als in Westdeutschland. Dementsprechend ist der Altersmedian der italienischen Männer mit über 26 Jahren am höchsten und der der schwedischen Frauen mit unter 19 Jahren am niedrigsten. Die grafische Darstellung der Survivor-Funktion (Abbildung 11) zeichnet den Auszugsverlauf vom 15. bis zum 35. Lebensjahr für alle Subgruppen nach. Es wird deutlich, dass die Länderunterschiede wichtiger sind als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, da zunächst die beiden Kurven für Schweden am stärksten abfallen, gefolgt von den Westdeutschen, während die italienischen Linien den flachsten Verlauf aufweisen. Werden in ereignisanalytischen Modellen nur die Länder als erklärende Variabeln berücksichtigt, zeigt sich, dass diese Länderunterschiede durchwegs signifikant sind. Im Vergleich mit den schwedischen Frauen beträgt das Auszugsrisiko bei den westdeutschen Frauen 45% und bei den italienischen Frauen nur 25%. Auch der Unterschied zwischen den westdeutschen und italienischen Frauen ist signifikant. Bei den Männern ist das Bild sehr ähnlich. Im Vergleich zu den schwedischen Männern liegt der Effektkoeffizient für die westdeutschen Männer bei 0,53 und für die italienischen bei 0,26. Auch hier ist die Differenz zwischen Italien und Westdeutschland signifikant. Damit werden die Überlegungen zum Einfluss der institutionellen Rahmenbedingungen im theoretischen Teil bestätigt.
109 Die Ergebnisse von Billari et al. (2001: 345) lauten im Einzelnen: Westdeutschland: Männer = 22,4 / Frauen = 20,8. Italien: Männer = 26,7, Frauen = 23,6. Schweden: Männer = 20,2, Frauen = 18,6.
140
Abbildung 11: Survivor-Funktion: Alter beim Auszug aus dem Elternhaus 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Altern in Jahren Westdeutschland Frauen
Westdeutschland Männer
Italien-Frauen
Italien-Männer
Schweden-Frauen
Schweden-Männer
Quelle: FFS; eigene Berechnungen.
Die starke Verzögerung beim Auszug aus dem Elternhaus in Italien hängt zum einen mit den schlechten Rahmenbedingungen (schlechter Wohnungsmarkt für junge Erwachsene, keine sozialstaatlichen Unterstützungen), zum anderen aber auch mit den traditionellen Wertvorstellungen in Italien zusammen. Rusconi (2004) kommt zu dem Schluss, dass auch ausreichende eigene finanzielle Möglichkeiten keinen Auszug aus dem Elternhaus rechtfertigen. Stattdessen sollte der Auszug mit der Eheschließung verbunden werden.110 In Schweden und Westdeutschland verfügen die jungen Erwachsenen früher über die notwendigen ökonomischen Mittel, um aus dem Elternhaus auszuziehen und gleichzeitig be-
110 Dies wird auch dadurch bestätigt, dass eine vorliegende Erwerbstätigkeit bei den italienischen Frauen einen vergleichsweise geringen beschleunigenden Effekt auf das Auszugsalter hat (vgl. Tabelle 18 und 19).
141
steht keine so enge Beziehung zwischen dem Auszug und der Partnerschaftsbildung wie in Italien.111 Bei Vergleich des Auszugsverhaltens von Frauen und Männern fällt auf, dass in allen drei Ländern die Frauen früher als die Männer das Elternhaus verlassen. Dies wird auch in anderen Studien zu diesem Thema festgestellt. Am größten ist der Geschlechterunterschied in Italien: die italienischen Männer verlassen deutlich später und seltener das Elternhaus als die Frauen. Auch die Survivor-Funktionen (Abbildung 11) zeigen in Italien einen großen Abstand zwischen den Geschlechtern an, der erst am Ende wieder abnimmt. In Westdeutschland und Schweden sind die Unterschiede zwischen den Männern und Frauen etwa gleich groß. Der Altersmedian liegt in Westdeutschland 1,5 Jahre auseinander und in Schweden zwei Jahre, dafür sind in Schweden fast alle Frauen und Männer ausgezogen, während in Westdeutschland ca. vier Prozent mehr Männer als Frauen noch bei den Eltern wohnen. Das geschlechtsspezifische Auszugsverhalten hängt unter anderem mit dem Altersunterschied in von Partnerschaften zusammen. Nach Iacovou (2002: 43) sind in einer italienischen Partnerschaft die Männer durchschnittlich 3,1 Jahre älter als die Frauen. In Deutschland beträgt dieser Unterschied nur 2,3 Jahre, für Schweden liegen keine Daten vor, aber in anderen skandinavischen Wohlfahrtsstaaten ist der Altersunterschied in Partnerschaften ähnlich wie in Deutschland.112 Diese Werte stimmen mit der Altersdifferenz beim Auszug aus dem Elternhaus überein. Im fünften Kapitel wurde angenommen, dass die Destandardisierung in Schweden am stärksten und in Italien am schwächsten ausfällt. Zieht man dafür die Altersvarianz beim Auszug als Indikator heran, muss diese Annahme zurückgewiesen werden. Der Quartilsabstand beträgt in Schweden lediglich 2,8 (Frauen) beziehungsweise 3,5 Jahre (Männer). In Westdeutschland ist er mit 4,3 (Frauen) und 5,1 Jahren (Männer) höher. Am stärksten ist die Altersvarianz in Italien (6,4 Jahre bei den Frauen und 8,1 bei den Männern). Die hohe Altersvarianz in Italien erklärt sich aus dem zum Teil hohen Auszugsalter und dem vergleichsweise großen Anteil an jungen Erwachsenen, die noch bei den Eltern leben. Gleichzeitig deutet dieses Ergebnis in Italien darauf hin, dass der Auszug aus dem Elternhaus dort keiner eigenen restriktiven Altersnorm unterliegt, sondern vielmehr von anderen Übergangsereignissen abhängig ist. In anderen Worten: Es ist nicht so wichtig wann man auszieht, solange man das Ereignis mit der Heirat verbinden. 111
Der Zusammenhang zwischen Auszug und Partnerschaftsbildung wird in Abschnitt 6.5 ausführlich untersucht. 112 In Dänemark sind die Frauen ebenfalls 2,3 Jahre jünger als die Männer und in Finnland werden zwei Jahre Unterschied angegeben (Iacovou 2002: 43).
142
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich in allen drei Ländern die Altersvarianz beim Auszug aus dem Elternhaus genau gleich wie beim ökonomischen Verselbständigungsprozess entwickelt (einzige Ausnahme sind die italienischen Frauen). Offenbar hängen die Veränderungen bei diesen beiden Ereignissen eng miteinander zusammen. Dies wird anhand der zeitabhängigen Variable „erste Arbeitserfahrung“ in den nachfolgenden statistischen Modellen weiter überprüft.
6.2.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Auszugsalter In den ereignisanalytischen Cox-Regressionsmodellen wird der Einfluss der Variablen auf Mikroebene auf das Alter beim Auszug kontrolliert. Die Modelle wurden für Frauen (Tabelle 18) und Männer (Tabelle 19) getrennt berechnet. Tabelle 18: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter beim Auszug aus dem Elternhaus, Frauen, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Arbeitserfahrung vor Auszug (zeitabhängig) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Länder
BRD Ref. 0,39*** 1,52*** 0,81*** 0,79*** 0,93 1,24** 1,14** 0,80** 0,92 0,98 0,75*** 0,75*** 0,85 1,02 1,41* 1,61***
Italien 2,59*** Ref. 3,95*** 0,92 0,93 1,38*** 0,98 0,97 0,61*** 0,89** 1,11 1,10 0,97 0,95 1,20*** 1,30** 1,54***
Schweden 0,66*** 0,25*** Ref. 1,32*** 1,16*** 0,92 1,11** 0,85*** 0,75*** 0,81*** 1,14** 1,01 0,92 1,16 1,05 1,35*** 1,79***
Ref. 1,14 1,64*** Ref. 1,17 1,47***
0,88 Ref. 1,44*** 0,86 Ref 1,26***
0,61*** 0,70*** Ref. 0,68*** 0,80*** Ref.
143
Fortsetzung Tabelle 18: Auszugsalter, Frauen BRD Interaktionsterme Bildung (Ref.: ISCED 3-4)
ISCED 1-2*BRD ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz: Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Religiosität areligiös*BRD (Ref.: leicht religiös) areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Arbeitserfahrung Arbeitserfahrung*BRD (zeitabhängig) Arbeitserfahrung*Italien Arbeitserfahrung*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Ref. 0,67*** 1,00 1,48*** Ref. 1,49*** 1,00 0,67*** Ref. Ref. 1,26* 1,12 0,79* Ref. 0,89 0,89 1,13 Ref. Ref. 1,19** 1,35*** 0,84** Ref. 1,14* 0,74*** 0,88* Ref. Ref. 1,31* 1,06 0,76* Ref. 0,81 0,94 1,23 Ref. Ref. 1,03 1,13 0,97 Ref. 1,10 0,88 0,91 Ref. Ref. 0,89 0,86 1,13 Ref. 0,97 1,16 1,03 Ref. Ref. 0,68*** 0,74*** 1,47*** Ref. 1,09 1,35*** 0,92 Ref. Ref. 0,77 0,81 1,29 Ref. 1,05 1,23 0,95 Ref. Ref. 0,90 0,73 1,11 Ref. 0,82 1,36 1,23 Ref. Ref. 0,85* 0,97 1,17* Ref. 1,14* 1,03 0,87* Ref. Ref. 1,08 1,04 0,93 Ref. 0,97 0,96 1,03 Ref. Ref. 1,04 0,90 1,12 Ref. 0,86** 0,96 1,16** Ref. 5296 / 5071 / 2218,05 / 0,34
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
144
Schweden
Tabelle 19: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter beim Auszug aus dem Elternhaus, Männer, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Arbeitserfahrung vor Auszug (zeitabhängig) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz: Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Länder
BRD Ref. 0,51** 2,17*** 0,81** 0,87 0,85* 1,15 1,25*** 0,96 1,06 1,10 0,94 0,72** 0,90 1,12 0,99 1,65***
Italien 1,96** Ref. 4,27*** 0,96 0,95 1,02 1,29 0,82 0,69 0,81 0,89 0,89 0,99 1,45 1,31** 1,40 2,25***
Schweden 0,46*** 0,23*** Ref. 1,07 1,20*** 0,83** 1,27*** 1,03 0,67*** 0,77*** 1,11 1,14 0,77* 1,23 1,06 1,02 1,33***
Ref. 1,18 1,32** Ref. 1,09 Ref. 1,39*** Ref. 1,19 0,97 Ref. 1,10 Ref. 0,66*** 0,82** Ref. 0,72 0,70** Ref. 0,77* 0,73***
0,84 Ref. 1,12 0,91 Ref. 0,84 1,27 0,84 Ref. 0,81 0,89 0,98 1,52*** Ref. 1,25* 1,38 Ref. 0,96 1,30* Ref. 0,95
0,76** 0,89 Ref. 0,72*** 0,79 0,76** Ref. 1,03 1,23 Ref. 0,91 Ref. 1,22** 0,80* Ref. 1,44** 1,04 Ref. 1,37*** 1,05 Ref.
145
Fortsetzung Tabelle 19: Auszugsalter Männer BRD Interaktionsterme Religiosität (Ref.: leicht religiös)
areligiös*BRD areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Arbeitserfahrung Arbeitserfahrung*BRD (zeitabhängig) Arbeitserfahrung*Italien Arbeitserfahrung*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 1,23 0,99 0,81 Ref. 0,80 1,01 1,24 Ref. Ref. 1,06 0,82 0,95 Ref. 0,78 1,22 1,29 Ref. Ref. 0,72 0,93 1,38 Ref. 1,28 1,08 0,78 Ref. Ref. 0,62* 0,74 1,61* Ref. 1,19 1,36 0,84 Ref. Ref. 0,86 1,06 1,16 Ref. 1,23 0,94 0,81 Ref. Ref. 0,71 0,97 1,42 Ref. 1,37 1,03 0,73 Ref. Ref. 0,73* 1,24* 1,36* Ref. 1,68*** 0,81* 0,59*** Ref. 2650 / 2521 / 765,79 / 0,25
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Auch in diesen Modellen kann anhand der Kohortengruppen abgelesen werden, ob sich das Auszugsverhalten im Laufe der Jahre signifikant verändert hat. Als Referenzkategorie wurde wiederum die älteste Kohortengruppe ausgewählt. Bei den Frauen können stärkere Veränderungen beim Auszugsalter als bei den Männern festgestellt werden. Die westdeutschen Frauen der jüngeren Kohortengruppen ziehen signifikant später aus als die der ältesten Kohorte. Bei den italienischen Frauen geht die Entwicklung in die gleiche Richtung, aber der Unterschied ist unter Kontrolle der anderen Variablen im Interaktionsmodell nicht signifikant. Aufgrund der ähnlichen Entwicklung zeigen die Interaktionsterme keinen signifikanten Unterschied zwischen den italienischen und westdeutschen Frauen an. Dagegen geht der Trend bei den schwedischen Frauen in die andere Richtung: Die jüngeren Frauen ziehen signifikant früher als die älteste Kohortengruppe aus. Auch die Interaktionsterme zeigen an, dass Schweden hier ein signifikant anderes Muster als die anderen beiden Länder aufweist. Insgesamt werden durch die Koeffizienten zur Kohortenzugehörigkeit die Ergebnisse der deskriptiven Analyse zur Entwicklung des Altersmedians bestätigt. 146
Bei den Männern können ähnliche Ergebnisse beobachtet werden, die aber nicht so deutlich wie bei den Frauen ausfallen. In Italien kann auch bei den Männern kein signifikanter Unterschied zwischen den Kohortengruppen festgestellt werden, obwohl die Koeffizienten und die Entwicklung des Altersmedians in diese Richtung weisen. Bei den westdeutschen Männern ist die Verzögerung nur bei der mittleren Kohortengruppe signifikant. Bei den schwedischen Männern zieht nur die jüngste Gruppe signifikant früher aus. Die unterschiedlich Entwicklung beim Auszugsalter kann mit einem veränderten Generationenverhältnis innerhalb der Familie zusammenhängen. In seiner Untersuchung zum Auszugsverhalten in Frankreich stellt Galland (1997) ebenfalls eine Verzögerung bei diesem Ereignis fest und begründet dies damit, dass bei den jüngeren Kohorten ein neues Erziehungsmodell vorherrscht, das den Druck für einen frühen Auszug nimmt. Er fasst dies folgendermaßen zusammen: They find material assistance and emotional support within their family network while having a large amount of personal freedom in their lives outside the family (Galland 1997: 664).
Das bedeutet, dass den jungen Erwachsenen der jüngsten Kohorte mehr Freiheiten innerhalb des Elternhauses eingeräumt werden, weshalb sie es vorziehen, dort länger zu wohnen. Zudem profitieren sie so von der materiellen und emotionalen Unterstützung durch die Eltern. Diese These kann auch auf Westdeutschland und Italien übertragen werden. Allerdings trifft Gallands Argumentation offenbar vor allem auf Einzelkinder (beziehungsweise das jüngste Kind) zu, denen sowohl viel Aufmerksamkeit als auch genügend Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann. Dies wird durch die vorliegenden Ergebnisse zum Einfluss der Geschwisterzahl teilweise bestätigt. Auf Schweden, in dem mehr Wert auf die individuelle Entwicklung und frühe Selbstständigkeit gelegt wird, kann dieses Erziehungsmodell nicht übertragen werden. Die vorhandenen Ressourcen werden vielmehr zu einem frühen Auszug genutzt. Wie beim Erwerbseinstieg wird auch beim Auszug aus dem Elternhaus angenommen, dass ein hoher Bildungsabschluss zu einer Verzögerung des Ereignisses führt, da viele jungen Erwachsenen das Elternhaus nicht vor Abschluss ihrer Ausbildung verlassen. Die vorliegenden Ergebnisse widersprechen dieser Annahme deutlich. In allen Subgruppen, außer bei den italienischen Frauen, zeigen die Koeffizienten das Gegenteil an: Junge Erwachsene mit dem höchsten Bildungsabschluss ziehen früher aus als die mit einem mittleren Abschluss. Allerdings sind die Unterschiede nicht immer signifikant. Bei den Frauen ist der Effekt in Westdeutschland und Schweden signifikant, während bei den italienischen Frauen kein signifikanter Unterschied festgestellt werden kann. Bei den 147
Männern ist der Effekt nur in Schweden signifikant, aber grundsätzlich ist der Einfluss in allen drei Ländern sehr ähnlich, da die Interaktionsterme keine Unterschiede anzeigen. Dieses Ergebnis, dass junge Erwachsene mit der längsten Bildungsbeteiligung früher ausziehen als die mit dem mittleren Bildungsniveau, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Der höchste Bildungsabschluss (ISCED 5-6) wird an Hochschulen erlangt, und offenbar müssen viele der angehenden Studenten aus dem Elternhaus ausziehen, um in der Nähe der gewünschten oder zugeteilten Hochschule zu leben. Die jungen Erwachsenen mit dem mittleren Bildungsabschluss verlassen ungefähr zum gleichen Zeitpunkt das Schulsystem, können aber länger im Elternhaus wohnen. Sie haben die Möglichkeit einen Arbeitsoder Ausbildungsplatz in der näheren Umgebung zu suchen und den Auszug erst nach einer Etablierungsphase im Arbeitsmarkt oder erst in Verbindung mit einer Partnerschaft zu vollziehen. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass der beschleunigende Effekt eines hohen Abschlusses (ISCED 5-6) in Italien nicht signifikant und in Westdeutschland schwächer als in Schweden ist. Diese Länderunterschiede gehen auf die jeweilige Struktur des Bildungssystems zurück (vgl. Abschnitt 3.2.2). In Italien gibt es viele regionale Universitäten und Hochschulen und ein Studium muss deshalb nicht unbedingt einen Ortswechsel mit sich bringen. Dagegen gibt es in Schweden relativ wenige Universitäten und den Studienanfängern werden die Plätze zugeteilt, was häufiger einen Auszug aus dem Elternhaus erforderlich macht. Aufgrund staatlicher Studienbeihilfe verfügen die schwedischen Studierenden auch über die notwendigen ökonomischen Ressourcen, um ein eigenes Zimmer oder einen eigenen Haushalt zu finanzieren. In Westdeutschland gibt es deutlich mehr Universitäten und Hochschulen als in Schweden, weshalb ein Studium in der Nähe des Elternhauses prinzipiell häufiger möglich ist als in Schweden. Allerdings wurden während des Untersuchungszeitraumes die Studienplätze für viele Fächer zentral vergeben, sodass auch hier viele angehenden Studenten früh aus dem Elternhaus ausziehen mussten.113 Auf der anderen Seite kann angenommen werden, dass ein niedriges Bildungsniveau einen beschleunigenden Effekt auf das Auszugsalter hat. Dies trifft auf die italienischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss zu. Bei der Analyse des ökonomischen Verselbständigungsprozesses wurde festgestellt, dass ein großer Teil dieser italienischen Frauen noch nie gearbeitet hat oder erst sehr spät in den Arbeitsmarkt eingestiegen ist. Der frühe Auszug von diesen Frauen hängt demnach mit der Partnerschaftsbildung oder Familiengründung 113 Im vierten Kapitel wurde bereits der beschleunigende Effekt eines Hochschulstudiums diskutiert, was für Deutschland beispielsweise von Ziegler (1993) bestätigt wird.
148
zusammen.114 Bei den westdeutschen und schwedischen Frauen ist dagegen das Auszugsrisiko bei einem niedrigen und mittleren Bildungsabschluss praktisch gleich hoch. Bei den Männern aus diesen beiden Ländern kann sogar ein signifikanter Effekt in die entgegengesetzte Richtung festgestellt werden. Das heißt, dass Männer mit einem niedrigen Abschluss signifikant später ausziehen als die mit einem mittleren Abschluss, und dies obwohl sie ihre erste Arbeitserfahrung signifikant früher machen (vgl. Tabelle 16). Eine mögliche Erklärung ist, dass die dabei erreichte ökonomische Selbständigkeit am Anfang der Berufskarriere nicht hoch genug oder zu unsicher ist, um einen eigenen Haushalt zu finanzieren. Verbindet man dies mit den bisherigen Ergebnissen, bedeutet dies, dass der Anstieg des Auszugsalters in Westdeutschland und Italien nicht allein auf den höheren Anteil an Hochschulabschlüssen oder hohen Schulabschlüssen zurückzuführen ist, sondern offenbar auch mit den Verzögerungen beim ökonomischen Verselbständigungsprozess und bei der Partnerschaftsbildung zusammenhängt. Beides wird im Verlauf dieses Kapitels weiter untersucht. Die Variable Wohnort im Jugendalter überprüft, ob junge Erwachsene, die in Städten aufgewachsen sind, später ausziehen als diejenigen aus ländlichen Gebieten. Dem liegt die theoretische Überlegung zugrunde, dass es in Städten eine größere Auswahl an Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie Weiterbildungsmöglichkeiten gibt und gleichzeitig der Wohnungsmarkt schwieriger ist als auf dem Land. Beides kann dazu führen, dass junge Erwachsene die in Städten aufwachsen, später das Elternhaus verlassen. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse kann dies lediglich für die schwedischen Frauen bestätigt werden. In Westdeutschland sind es dagegen die jungen Erwachsenen aus Städten, die signifikant früher als die Referenzgruppe (Land) ausziehen. Auch Georg et al. (1994) kommen in ihrer Studie über Westdeutschland zu diesem Ergebnis, aber auch hier wird dieser Effekt nicht weiter erläutert. In Italien und bei den schwedischen Männern hat der Wohnort im Jugendalter keinen signifikanten Effekt auf das Auszugsalter. Aufgrund der unterschiedlichen Einflussrichtung bei dieser Variable, zeigen die Interaktionsterme signifikante Länderunterschiede an. Weiterhin wurde angenommen, dass junge Erwachsene mit vielen Geschwistern früher ausziehen als Einzelkinder, da in großen Familien weniger Wohnraum für den Einzelnen zur Verfügung steht. Bei den Frauen kann dieser Effekt der Größe der Herkunftsfamilie in allen drei Ländern festgestellt werden: Einzelkinder und Befragte mit bis zu zwei Geschwistern ziehen später aus als Personen mit mindestens drei Geschwistern. Der verzögernde Effekt der Kategorie „Einzelkind“ (im Vergleich zur Referenzgruppe mit mindestens drei Geschwistern) ist in Italien am stärksten (0,61) und in Westdeutschland am 114 Die Ergebnisse zur Partnerschaftsbildung (Abschnitt 6.3) und Geburt des ersten Kindes (Abschnitt 6.4) unterstützen diese These.
149
schwächsten (0,80), aber immer noch signifikant. Aufgrund der gleichen Einflussrichtung zeigen die Interaktionsterme der Frauen hier keine Unterschiede zwischen den Ländern an. Bei den schwedischen Männern gibt es den gleichen signifikanten Effekte. Das Auszugsrisiko ist kleiner, wenn man keine oder nur wenige Geschwister hat. Bei den italienischen Männern gehen die Koeffizienten in die gleiche Richtung, sind aber im Interaktionsmodell nicht signifikant. In einem Cox-Regressionsmodell in dem die gleichen Variablen nur für die italienischen Männer angewandt werden, sind die Effekte leicht signifikant. Nur bei den westdeutschen Männern kann weder im Interaktions- noch im Einzelmodell ein signifikanter Effekt der Geschwisterzahl auf das Auszugsalter nachgewiesen werden.115 Insgesamt bestätigen die Ergebnisse die These; in einer kleinen Familie haben die einzelnen Kinder offenbar mehr Wohnfläche zur Verfügung und der Wunsch nach einem Privatleben kann so auch im Elternhaus leichter erfüllt werden. Ein früher Auszug ist unter diesen Umständen nicht so wichtig. Die Länderunterschiede sind dabei gering. Im vierten Kapitel wurde diskutiert, dass konservative Wertmuster einen verzögernden Effekt auf den Auszug aus dem Elternhaus haben, da die Bindung an die Herkunftsfamilie stärker ist und der Auszug häufiger mit der Heirat verbunden wird. Als Indikator wird die Religiosität verwendet, wobei leicht religiöse Personen die Referenzgruppe in den statistischen Modellen darstellen. Bei den italienischen Frauen kann kein signifikanter Effekt der Religiosität auf das Auszugsalter festgestellt werden. Dagegen bestätigen die Ergebnisse für die westdeutschen und schwedischen Frauen die These zumindest teilweise. Religiöse westdeutsche Frauen ziehen signifikant später aus als die Referenzgruppe. In Schweden unterscheidet sich die Gruppe der nicht-religiösen Frauen signifikant von der Referenzgruppe; sie ziehen signifikant früher aus. Bei den Männern aus diesen beiden Ländern sind die Ergebnisse ähnlich. Die stark religiösen jungen Männer ziehen signifikant später aus dem Elternhaus aus als die Referenzgruppe. Dagegen hat die Religiosität in Italien auch bei den Männern keinen signifikanten Effekt auf das Auszugsalter. Die Gruppe der nichtreligiösen und schwach religiösen jungen Erwachsenen ist in Italien relativ klein und offenbar passen sie sich den vorherrschenden Normen in dem stark katholisch geprägten Umfeld an. Deshalb kommt auch für sie ein früher Auszug, vor der Partnerschaftsgründung oder Eheschließung, nicht in Frage.116 Trotz dieses gegenläufigen Effektes in Italien, zeigen die Interaktionseffekte nur bei den westdeutschen Frauen einen signifikanten Länderunterschied an (der verzögernde 115
Dies steht im Widerspruch zu den Ergebnissen von Weick (1993), der ebenfalls junge Erwachsene aus Westdeutschland untersucht. Allerdings betont auch er, dass der Effekt der Geschwisterzahl bei den Männern deutlich schwächer ist als bei den Frauen. 116 Auch Ongaro kommt für die italienischen Frauen zu diesem Ergebnis (Ongaro 2001: 197).
150
Effekt der Religiosität ist bei den westdeutschen Frauen vergleichsweise stark). Dies deutet darauf hin, dass die Bedeutung der Religiosität für das Auszugsalter insgesamt gering ist. Bei der Variablen zur idealen Kinderzahl gibt es einen deutlichen Geschlechterunterschied. Im theoretischen Teil wurde angenommen, dass eine hohe Bedeutung des Lebensziels „Familie“ zu einem früheren Auszug führt, da diese jungen Erwachsenen versuchen die Familienbildung möglichst rasch zu erreichen. Bei den Frauen wird diese Annahme durch die Ergebnisse bestätigt: je höher die gewünschte Kinderzahl, desto höher ist das Auszugsrisiko. Besonders stark ist der Effekt bei den italienischen Frauen, während bei den westdeutschen und schwedischen sich lediglich die höchste Kategorie (mehr als drei Kinder) signifikant von der Referenzgruppe (zwei Kinder) unterscheidet. Die Kategorie mit nur einem Kind unterscheidet sich in keinem der drei Fälle signifikant von der Referenzgruppe. Das Auszugsrisiko ist demnach gleich hoch, wenn ein Kind oder zwei Kinder als ideal angesehen werden. Bei den Männern kann nur in Italien ein leicht signifikanter Effekt einer Kategorie festgestellt werden (italienische Männer, die drei Kinder für ideal halten, ziehen früher aus). Dieser Effekt ist aber offensichtlich sehr schwach, da die Interaktionsterme keine Unterschiede zwischen den Ländern anzeigen. Offenbar stellt für Männer mit einem hohen Kinderwunsch ein früher Auszug nicht die geeignete Strategie dar, um auch schneller eine eigene Familie zu gründen. Schließlich wurde angenommen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Verselbständigungsprozess und dem Auszug aus dem Elternhaus gibt. Wer bereits eine erste Arbeitserfahrung gemacht hat oder unmittelbar davor steht eine Erwerbstätigkeit auszuüben, hat eher die finanziellen Möglichkeiten einen eigenen Haushalt zu finanzieren. Dies wird auch durch die vorliegenden Ergebnisse bestätigt. Die zeitabhängige Variable „Arbeitserfahrung“ hat in allen Ländern bei beiden Geschlechtern einen hoch signifikanten Einfluss auf das Auszugsalter. Bei den Frauen ist der Effektkoeffizient in Schweden mit 1,79 am stärksten und in Westdeutschland (1,61) und in Italien (1,54) etwas schwächer. In den Interaktionstermen ist der Unterschied zwischen Schweden und Italien signifikant. Bei den Männern ist das Bild genau umgekehrt, der Effektkoeffizient ist in Italien mit 2,25 besonders stark, gefolgt von Westdeutschland (1,65), und in Schweden ist er mit 1,33 zwar immer noch signifikant, aber auch deutlich schwächer. Diese Resultate stellen unterstreichen nochmals die traditionellen Geschlechterrollen in Italien. Für die italienischen Frauen hat ein eigenes Einkommen auf das Auszugsalter einen vergleichsweise geringen Effekt, da sie das Ereignis stärker mit der Partnerschaftsbildung koordinieren. Dagegen können die italienischen Männer offenbar nur auf Basis einer eigenen Erwerbstätigkeit aus dem Elternhaus ausziehen. Im Vergleich mit den 151
italienischen und westdeutschen Frauen stützen die schwedischen Frauen ihren Auszug häufiger auf ein eigenes Einkommen. Dies ist auch bei den schwedischen Männern der Fall, aber im weniger starken Ausmaß als in den anderen beiden Ländern. Westdeutschland nimmt sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern eine Mittelposition ein. Schließlich stellt sich auch hier die Frage, wie viel die einzelnen Variabeln zur erklärten Varianz beitragen. Das vollständige Interaktionsmodell (Tabelle 18) erreicht bei den Frauen ein generalisiertes R² von 0,34. Werden stattdessen nur die Länder als erklärende Variabeln berücksichtigt, beträgt das R² bereits 0,25. Das bedeutet, dass es vor allem die Länderunterschiede sind, die zu der hohen Erklärungskraft des Interaktionsmodells beitragen. Von den Variablen auf individueller Ebene trägt der zeitabhängige Faktor „erste Arbeitserfahrung“ am stärksten zur Steigerung des R². Bei den Männern erreicht das vollständige Interaktionsmodell (Tabelle 19) ein generalisiertes R² von 0,25. Auch hier beruht ein Großteil der Erklärungskraft auf den Länderunterschieden. Die anderen Faktoren tragen relativ gleichwertig zur erklärten Varianz bei, nur die zeitabhängige Variable der ersten Arbeitserfahrung ist wieder etwas stärker. Wird für jede Subgruppe (Land und Geschlecht) ein eigenes Cox-Regressionsmodell mit allen unabhängigen Variablen berechnet, können die gruppenspezifischen R² verglichen werden. Bei den westdeutschen Frauen wird nur ein R² von 0,06 erreicht, bei den italienischen Frauen liegt es bei 0,09 und bei den schwedischen Frauen bei 0,11. Bei den Männern beträgt das länderspezifische R² in Schweden 0,05, in Westdeutschland bei 0,06 und in Italien 0,10. Die Erklärungskraft der Modelle variiert demnach deutlich nach makrostrukturellen Rahmenbedingungen und Geschlecht. Bei der Analyse zum Alter bei der ersten Arbeitserfahrung erreichten die ausgewählten Variablen bei den Männern ein höheres R² als bei den Frauen. Beim Ereignis „Auszug aus dem Elternhaus“ gibt es kein derartiges festes Muster nach Geschlecht oder Ländern. Erst in Zusammenhang mit den anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses kann besser beurteilt werden, warum die verschiedenen Faktoren je nach Subgruppe ein anderes R² aufweisen. Zum Abschluss von diesem Teilkapitel werden die wichtigsten Ergebnisse zum Auszug aus dem Elternhaus zusammengefasst und erläutert.
6.2.3 Zusammenfassung zum Auszug aus dem Elternhaus Auf die Frage, ob die makrostrukturellen Rahmenbedingungen für den Weg in das Erwachsenenalter eine Rolle spielen, geben die Ergebnisse der deskriptiven und statistischen Analysen eine eindeutige Antwort. Die jungen Erwachsenen 152
aus Italien ziehen deutlich später aus als die aus den anderen beiden Ländern. Die Schweden und Schwedinnen beginnen den sozialen Verselbständigungsprozess dagegen sehr früh, während die westdeutschen jungen Erwachsenen in der Mitte liegen. Die Geschlechterunterschiede sind wie erwartet in Italien am größten. Auch in Westdeutschland und Schweden ziehen die Frauen etwas früher als die Männer aus dem Elternhaus aus. Ob eine Destandardisierung des Auszugsverhaltens stattfindet, wurde anhand der Entwicklung der Altersvarianz untersucht. Entgegen den Erwartungen ist die Altersvarianz in Schweden am niedrigsten und nimmt bei den jüngeren Kohorten sogar weiter ab. Dies spricht gegen einen Destandardisierungsprozess. In Westdeutschland konnte eine leichte Zunahme bei der Altersvarianz festgestellt werden und auch in Italien deuten die Ergebnisse auf eine zunehmende Destandardisierung hin. Dort konnte auch die höchste Altersvarianz festgestellt werden. Ursache dafür ist das zum Teil hohe Auszugsalter und die geringere Auszugsrate bei den italienischen jungen Erwachsenen. Von den individuellen Faktoren hat die zeitabhängige Variable der Erwerbstätigkeit in allen Subgruppen einen stark signifikanten Effekt. Ansonsten haben die Variablen zum Teil sehr unterschiedliche Auswirkungen, was nochmals die Bedeutung der makrostrukturellen Rahmenbedingungen unterstreicht. So wurden für die Faktoren „Wohnort im Jugendalter“ und „Religiosität“ länderspezifische Einflussmuster gemessen. Dagegen hat sowohl die Größe der Herkunftsfamilie als auch der Kinderwunsch vor allem auf das Auszugsalter der Frauen einen signifikanten Effekt. In den folgenden Abschnitten wird untersucht, ob sich diese Muster auch bei den anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses fortsetzten.
6.3 Die Partnerschaftsbildung Infolge des normativen Übergangsmusters folgt auf den Auszug aus dem Elternhaus die Partnerschaftsbildung. Im Rahmen der Operationalisierung der abhängigen Variablen wurden für den Prozess der Partnerschaftsbildung zwei Ereignisse bestimmt: Erstens, die erste gemeinsame Haushaltsgründung mit einem Partner und zweitens, die Erstheirat. Die gemeinsame Haushaltsgründung mit einem Partner stellt die erste langfristige Investition in eine Partnerschaft dar. Sie kann aber muss nicht in einer Ehe münden. Mit der Heirat wird die Stabilität einer Beziehung unterstrichen. Zunächst werden die beiden Ereignisse deskriptiv analysiert und die wichtigsten Länder- und Geschlechterunterschiede diskutiert. Anschließend wird in den ereignisanalytischen Modellen der Einfluss der individuellen Faktoren auf 153
die beiden Ereignisse überprüft. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
6.3.1 Das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung Die folgende Tabelle (20) gibt einen ersten Überblick, wie viele der Befragten zum Zeitpunkt des Interviews das Ereignis „gemeinsame Haushaltsgründung“ noch nicht erlebt haben. Daneben werden der Altersmedian und der Quartilsabstand, sowohl für die gesamte Stichprobe als auch nach Kohorten dargestellt. Tabelle 20: Anteil ohne gemeinsame Haushaltsgründung beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand117 BRD
Frauen Italien
Kein gem. 13,6% 9,6% Haushalt Altersmedian / Quartilsabstand (in Jahren) Gesamt 22,1 / 6,1 23,4 / 6,3 Kohorte 49-54 21,1 / 4,7 22,6 / 5,0 Kohorte 55-59 22,1 / 5,8 23,3 / 6,8 Kohorte 60-64 22,7 / 7,2 24,2 / 7,6
Schweden
BRD
Männer Italien
Schweden
5,3%
28,9%
19,9%
11,3%
20,8 / 4,6 21,1 / 4,3 20,3 / 5,2 20,9 / 5,0
25,6/ 12,3 24,3 / 7,1 25,4 / 9,7 26,5 /
27,2 / 8,0 27,1 / 6,3 26,3 / 6,8 28,8 /
23,3 / 6,0 23,1 / 5,1 23,1 / 6,4 23,0 / 5,6
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Zur Überprüfung dieser Ergebnisse werden zwei andere Studien herangezogen. Schizzerotto und Lucchini (2002) untersuchen auf Basis des European Community Household Panels (ECHP) die Entwicklung des gleichen Ereignisses in Italien, Schweden und Großbritannien. Für die beiden ersten Länder, die auch hier ausgewählt wurden, kommen sie für die vergleichbaren Kohorten zu folgenden Ergebnissen: Tabelle 21: Altersmedian bei der ersten gem. Haushaltsgründung nach ECHP Italien Kohorte 1948-57 Kohorte 1958-67
Frauen 22,6 25,0
Schweden Männer 26,3 28,6
Frauen 21,2 21,4
Männer 24,0 23,8
Quelle: Schizzerotto et al. 2002: 13. 117 Für die jüngste Kohorte der italienischen Männer kann kein Quartilsabstand berechnet werden, da zum Zeitpunkt des Interviews weniger als 75% das Ereignis erlebt hatten.
154
Die westdeutschen Ergebnisse können mit einer Aufbereitung der FFS-Daten durch Hullen (2001) verglichen werden. Der Altersmedian für die Kohorte 195660 liegt bei ihm bei 25 (Männer) beziehungsweise bei 23 Jahren (Frauen) und für die Kohorte 1961-65 bei 26 (Männer) und 23 Jahren (Frauen). Berücksichtigt man, dass jeweils leicht andere Kohortengruppen definiert wurden, bestehen keine wesentlichen Abweichungen zu den hier berechneten Werten. Abbildung 12: Survivor-Funktion: Alter bei der ersten gem. Haushaltsgründung 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter in Jahren Westdeutschland: Frauen Italien: Frauen Schweden: Frauen
Westdeutschland: Männer Italien: Männer Schweden: Männer
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Für die deskriptive Analyse des Alters bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung werden neben Tabelle 20 auch die in Abbildung 12 dargestellten Survivor-Funktionen herangezogen. Beim „Auszug aus dem Elternhaus“ zeigen die entsprechenden Survivor-Funktionen (Abbildung 11) klare Ländermuster auf. Die Kurven der schwedischen Frauen und Männer sinken am schnellsten, 155
gefolgt von den westdeutschen, während die italienischen am flachsten verlaufen. Beim Ereignis „erste gemeinsame Haushaltsgründung“ ergibt sich ein anderes Bild. Zwar bleibt die Reihenfolge der Länder grundsätzlich bestehen, aber jetzt liegen die Frauen aus allen drei Ländern im unteren Teil, während die Männer deutlich später das Ereignis erleben und ihre Survivor-Funktionen langsamer abfallen. Lediglich die schwedischen Männer überschneiden sich mit den italienischen und westdeutschen Frauen. Zunächst sollen die Länderunterschiede genauer diskutiert werden. Tabelle 20 zeigt, dass der Anteil an jungen Erwachsenen, die das Ereignis „erste gemeinsame Haushaltsgründung“ bis zum Zeitpunkt der Befragung erlebt haben, in Schweden am höchsten ist. Es folgt Italien, während in Westdeutschland vergleichsweise viele junge Erwachsene noch nie in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt haben. Die Survivor-Funktionen in Abbildung 12 machen deutlich, wie es zu diesen Länderunterschieden kommt. Die Kurven der Befragten aus Schweden sind immer am niedrigsten, demnach haben dort zu jedem Zeitpunkt mehr junge Erwachsene das Ereignis erlebt als in den anderen beiden Ländern. Dagegen kreuzen sich die Funktionen von Westdeutschland und Italien. Zunächst sind es mehr junge Erwachsene aus Westdeutschland, die einen gemeinsamen Haushalt gründen, aber ab einem Alter von ca. 23 Jahren nähren sich die Kurven der beiden Länder immer näher an. Die Funktion der italienischen jungen Erwachsenen fällt rascher als die der westdeutschen. Bei ca. 31 Jahren kreuzen sich die Kurven und ab diesem Zeitpunkt sind es mehr Italiener als Westdeutsche, die mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen wohnen. In Kapitel wurde prognostiziert, dass die Ereignisse des sozialen Verselbständigungsprozesses am frühesten von den schwedischen jungen Erwachsenen erlebt werden, gefolgt von denen aus Westdeutschland und als letztes von den Italienern. Auf Basis der deskriptiven Ergebnisse kann dies nur teilweise bestätigt werden. Tatsächlich sind es die jungen Schweden, die früh mit einem Partner zusammen ziehen. Der Unterschied zwischen den anderen beiden Ländern ist dagegen weniger deutlich. Zunächst ist der Altersmedian der westdeutschen jungen Erwachsenen niedriger als der der italienischen, aber ab ca. 31 Jahren wohnen mehr Italiener als Westdeutsche mit einem Partner zusammen. Die Länderunterschiede können auch in einem ereignisanalytische Modell, in dem nur die Länder als erklärender Faktor eingesetzt werden, überprüft werden. Die Ergebnisse eines solchen Modells zeigen bei den Frauen einen signifikanten Unterschiede zwischen allen Ländern an. Im Vergleich mit den westdeutschen Frauen beträgt der Effektkoeffizient der schwedischen Frauen 1,46 und der der italienischen Frauen 0,87. Ein ähnliches Ergebnis wird auch bei den Männern erreicht. Wird wiederum Westdeutschland als Referenzgruppe verwendet, beträgt der Effektkoeffizient der schwedischen Männer 1,77 und ist hoch signi156
fikant. Der Unterschied zwischen den westdeutschen und italienischen Männern ist dagegen nur leicht signifikant (mit einem Effektkoeffizienten von 0,91). Die Ursachen für diese Länderunterschiede werden im Zusammenhang mit den Ergebnissen zum Alter bei der Erstheirat ausführlicher diskutiert. An dieser Stelle kann stattdessen ein Vergleich mit dem Auszugsalter gezogen werden (siehe Tabelle 17). Von den Italienerinnen haben bei der Befragung 90,5% angegeben, dass sie nicht mehr im Elternhaus leben. Der Anteil derer, die zusammen mit ihrem Partner wohnen, ist mit 90,4% praktisch gleich hoch. Auch von den italienischen Männern die nicht mehr mit den Eltern leben, wohnen die meisten mit ihrer Partnerin zusammen. Die Differenz zwischen „Ausgezogenen“ und denen mit einem „gemeinsamen Haushalt“ beträgt lediglich drei Prozentpunkte. In Schweden ist diese Differenz mit fünf Prozentpunkten bei den Frauen und ca. zehn Prozentpunkten bei den Männern deutlich größer. Am höchsten ist sie allerdings in Westdeutschland, mit zwölf Prozentpunkte bei den Frauen und 25% bei den Männern. Das bedeutet, dass ein vergleichsweise hoher Anteil der westdeutschen jungen Erwachsenen weder mit den Eltern noch mit einem Partner zusammenlebt. Während offenbar in Italien ein hoher Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen besteht, trifft dies in Schweden und Westdeutschland nur für einen Teil der jungen Erwachsenen zu.118 Auch zwischen den Geschlechtern können wieder deutliche Unterschiede festgestellt werden. In allen drei Ländern haben ca. doppelt so viele Männer wie Frauen noch nie mit einem Partner zusammen gewohnt. Dementsprechend ist auch der Altersmedian der Frauen bei diesem Ereignis niedriger als der der Männer (siehe Tabelle 20). Die Survivor-Funktionen (Abbildung 12) bestätigen diese Unterschiede, da die Kurven der Frauen stärker fallen als die der Männer. Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen die Ereignisse des sozialen Verselbständigungsprozesses früher erleben als Männer.119 Wie bereits im Zusammenhang mit dem Auszugsalter erläutert, hängt dies mit dem Altersunterschied innerhalb der Partnerschaften zusammen; im Durchschnitt sind die Frauen jünger als ihre männlichen Partner. In Schweden beträgt die Differenz beim Altersmedian nur 2,5 Jahre, während sie in Westdeutschland (ca. 3,5 Jahre) und Italien (ca. 3,8 Jahre) nahezu gleich hoch ist. Anhand der Entwicklung der Altersvarianz kann die These zur Destandardisierung untersucht werden. Sowohl in Westdeutschland als auch in Italien nimmt die Altersvarianz bei den jüngeren Kohorten zu. In Schweden gilt dies nur für die mittlere Kohorte. Entgegen den Erwartungen ist die Altersvarianz in Schweden am geringsten, gefolgt von den anderen beiden Ländern. Die höchste Altersvarianz weisen die westdeutschen Männer auf, was auch darauf zurückzu118 119
Dies wird noch ausführlicher in Abschnitt 6.5 untersucht. Siehe Forschungsüberblick im vierten Kapitel.
157
führen ist, dass fast dreißig Prozent dieser Gruppe das Ereignis zum Zeitpunkt des Interviews nicht erlebt hat. Die Ursachen für diese Entwicklung werden in Zusammenhang mit den Resultaten zum Heiratsalter diskutiert.
6.3.2 Alter bei der Erstheirat Die gemeinsame Haushaltsgründung ist eine Investition der Partner in ihre Beziehung und ein Zeichen für eine gemeinsame Lebensplanung. Das gemeinsame Wohnen bringt mehrere Vorteile mit sich. So muss nur noch ein gemeinsamer Haushalt finanziert werden und die Partner können leichter mehr Zeit miteinander verbringen und ihre Bindung vertiefen. Eine Heirat ist ein weiterer Schritt in einer Paarbeziehung. Durch die Hochzeit wird die Verbindung öffentlich bestätigt und formalisiert. Die Beziehung kann nur noch nach bestimmten Regeln aufgelöst werden und auch nach einer Scheidung können gewisse Pflichten (wie beispielsweise Unterhaltszahlungen) bestehen. Dadurch wachsen mit einer Heirat die gegenseitige Verpflichtung der Partner. Die Eheschließung stellt damit eine Art Investitionssicherung dar, mit der der Beziehung eine größere Stabilität verliehen wird. In Tabelle 22 werden die deskriptiven Ergebnisse zu diesem Ereignis zusammengefasst. Tabelle 22: Anteil unverheirateter Personen beim Interview, Altersmedian und Quartilsabstand120 Frauen BRD Italien Keine Heirat 26,5% 11,2% Altersmedian / Quartilsabstand (in Jahren) Gesamt 24,6 /11,9 23,5 / 6,8 Kohorte 49-54 22,0 / 6,5 22,7 / 5,3 Kohorte 55-59 24,0 / 9,4 23,5 / 7,3 Kohorte 60-64 24,4 / 8,4 26,0 /
Schweden 32,8%
BRD 43,8%
Männer Italien 23,4%
Schweden 46,0%
28,0/ 14,6 25,9/ 13,7 30,1/ v /
29,3 / 25,8 /11,3 28,5 / 32,5 /
27,8 / 9,7 26,8 / 5,7 26,6 / 8,1 29,5 /
31,1 / 29,8/ 16,5 32,13/ /
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Die im viertem Kapitel vorgestellte Entwicklung des durchschnittlichen Alters bei der Erstheirat (siehe Abbildung 5) bestätigt die hier vorgelegten Kennziffern. Auch andere Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Für Italien können beispielsweise die Resultate von Bernardi und Nazio (2005) herangezogen wer120 Zum Teil konnte der Quartilsabstand nicht berechnet werden, da noch nicht 75% der jeweiligen Kohorte das Ereignis erlebt haben. In Schweden haben in der letzten Kohorte noch nicht die Hälfte das Ereignis erlebt, weshalb auch kein Altersmedian angegeben werden kann.
158
den. Sie verwenden Daten des Italien Longitudinal Household Surveys und errechnen den Altersmedian bei der Erstheirat. Für den Zeitraum von 1966-76 liegt der für die italienischen Frauen bei 22,9 und für die italienischen Männern bei 26,7 Jahren. Dies stimmt mit den hier errechneten Ergebnissen für die Italienerinnen und Italiener der Kohortengruppe 1949-54 überein.121 Auch bei diesem Ereignis treten die Länderunterschiede deutlich zu Tage. Allerdings widersprechen sie dem bisherigen Muster. Dies spiegelt sich auch im Verlauf der Survivor-Funktionen (Abbildung 13) wider. Abbildung 13: Survivor-Funktion: Alter bei der ersten Eheschließung
1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter in Jahren Westdeutschland-Frauen Italien-Frauen Schweden-Frauen
Westdeutschland-Männer Italien-Männer Schweden-Männer
Quelle: FFS; eigene Berechnungen.
Im Unterschied zu den anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses, haben Schweden und Italien die Positionen getaucht. Die Erstheirat wird von den jungen Erwachsenen aus Italien am häufigsten und früh erlebt, ob121
Für Italien vgl. zudem Ongaro (2001) und für Westdeutschland Hullen (2001).
159
wohl die Kurven der westdeutschen Frauen und Männer zunächst etwas stärker fallen. Bei den Frauen kreuzen sich die Kurven von Westdeutschland und Italien bereits Anfang zwanzig, bei den Männern erst Mitte zwanzig und in den folgenden Jahren sinken die italienischen Kurven deutlich stärker. Ab diesen Zeitpunkten sind mehr Italiener als Westdeutsche verheiratet. Die Funktionen der schwedischen jungen Erwachsenen liegen deutlich höher; sie heiraten später und nicht so häufig. Am Ende sind die Abstände zwischen den Ländern Ende sehr deutlich. So haben fast neunzig Prozent der Italienerinnen geheiratet, während dies nur auf ca. drei Viertel der westdeutschen und etwa zwei Drittel der schwedischen Frauen zutrifft. Auch ein ereignisanalytisches Modell, in dem nur die Länder als erklärender Faktor verwendet werden, unterstreicht diese Ergebnisse. Im Vergleich mit den westdeutschen Frauen ist das Heiratsrisiko in Schweden signifikant niedriger (exp(E) = 0,67) und in Italien (exp(E) = 1,29) signifikant höher. Auch bei den Männern sind die Unterschiede signifikant und gehen in die gleiche Richtung. Werden wiederum die westdeutschen Männer als Referenzgruppe verwendet, weisen die schwedischen Männer einen Effektkoeffizienten von 0,82 und die italienischen einen von 1,28 auf. Vergleicht man die Resultate der deskriptiven Analyse für das Heiratsalter in Tabelle 22 mit der entsprechenden Tabelle zum Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung (Tabelle 21), drängt sich der enge Zusammenhang zwischen den beiden Ereignisse in Italien auf. Von den Italienerinnen haben 90,4% einen gemeinsamen Haushalt gegründet und 88,8% geheiratet. Auch bei den italienischen Männern beträgt der Unterschied nur ca. vier Prozentpunkte und die Altersmediane bei beiden Ereignissen liegen nicht mehr als sechs Monate auseinander. Dagegen gibt es in Westdeutschland und Schweden deutliche Unterschiede. In Westdeutschland ist der Anteil an Ledigen etwa doppelt so hoch wie der Anteil an jungen Erwachsenen ohne gemeinsame Haushaltsgründung. Noch höher ist diese Differenz in Schweden. Auch der Altersmedian bei der Erstheirat ist in Schweden und Westdeutschland deutlich höher als der bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung (über sieben Jahre bei den schwedischen und über vier Jahre bei den westdeutschen Frauen). Das bedeutet, dass fast alle junge Italiener im Zuge der gemeinsamen Haushaltsgründung auch heiraten. Dagegen gibt es in Schweden und Westdeutschland einen steigenden Anteil an nichtehelichen Lebensgemeinschaften.122 Damit wird die im dritten und vierten Kapitel geführte Diskussion zur Verbreitung von alternativen Lebensformen bestätigt. Nichteheliche Lebensgemeinschaften waren in Schweden bereits Mitte der 1970er Jahre vollkommen etabliert und auch als langfristige 122 In beiden Ländern nimmt die Differenz zwischen den Altersmedianen beider Ereignisse mit jeder Kohortengruppe zu.
160
Alternative zur Ehe angesehen (Höpflinger 1999: 170). In Westdeutschland hat diese Lebensform erst ab Anfang der 1980er Jahre einen nennenswerten Zulauf erhalten, stellt aber nach wie vor mehr eine Vorphase zur Ehe als eine langfristige Alternative zu derselben dar (Lauterbach 1999: 291ff.).123 In Italien sind nichteheliche Lebensgemeinschaften auch heute eine Ausnahme und werden nur langsam akzeptiert (Ongaro 2001: 203).124 Diese führt auch dazu, dass sich das Alter beim Beginn der Partnerschaftsbildung in den drei Ländern sehr unterschiedlich entwickelt. Durch die höhere Verbreitung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Schweden und Westdeutschland bleibt das Alter beim Beginn der Partnerschaft relativ niedrig und in Schweden sogar konstant. In Italien wird dagegen die Haushaltsgründung mit der Heirat verbunden, wodurch sich der Beginn der Partnerschaftsbildung immer mehr verzögert. Wie bei den anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses ist auch bei der Heirat der Altersmedian der Frauen niedriger als der der Männer. Die Geschlechterunterschiede sind in Schweden am schwächsten und in Westdeutschland etwas stärker als in Italien. In Schweden waren mit 28 Jahren die Hälfte der Frauen und mit 31 Jahren die Hälfte der Männer verheiratet. In Italien beträgt die Differenz zwischen Frauen und Männern beim Altersmedian ca. vier Jahre. Mit fünf Jahren ist die Differenz in Westdeutschland am höchsten. In Tabelle 22 wird der Altersmedian und der Quartilsabstand auch getrennt für die einzelnen Kohortengruppen angegeben. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern aus allen drei Ländern steigt der Altersmedian für das Alter bei der Erstheirat bei den jüngeren Kohorten an. Vor allem in Schweden und Westdeutschland ist der Anstieg sehr deutlich: Bei der jüngsten Kohortengruppe ist der Altersmedian mindestens fünf Jahre höher als bei der ältesten. Von den Schweden der jüngsten Kohortengruppe haben zum Zeitpunkt des Interviews weniger als die Hälfte geheiratet, weshalb weder der Altersmedian noch der Quartilsabstand angegeben werden kann. Sowohl die sinkende Prävalenz des Ereignisses als auch der Anstieg der Altersvarianz, sprechen für eine Destandardisierung der Heirat. Dies trifft in erster Linie auf Schweden und Westdeutschland zu, in Italien scheint der Destandardisierungsprozess dagegen erst einzusetzen.
123 Nichteheliche Lebensgemeinschaften wurde in Westdeutschland erst 1973 durch Aufhebung des so genannten Kuppeleiparagraphen (§174-§184c des Strafgesetzbuches) legalisiert (Lauterbach 1999: 275). 124 Siehe auch Tabelle 10 im vierten Kapitel; neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass zumindest in italienischen Großstädten nichteheliche Lebensgemeinschaften langsam Fuß fassen können (Rosina et al. 2004).
161
6.3.3 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung Auch für den Prozess der Partnerschaftsbildung wurden die Interaktionsmodelle, in denen die Länder direkt miteinander verglichen werden können, für Frauen und Männer getrennt berechnet. Zunächst werden die wichtigsten Ergebnisse für das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung erläutert, die in Tabelle 23 für die Frauen und in Tabelle 24 für die Männer zusammengefasst sind. Eine genauere Analyse der einzelnen Effekte oder der Unterschiede zwischen den Subgruppen, erfolgt erst in Zusammenhang mit dem Alter bei der Erstheirat, da dann die gesamte Entwicklung der Partnerschaftsbildung diskutiert werden kann. Tabelle 23: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter beim der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung, Frauen, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Länder
162
BRD Ref. 0,45*** 1,05 0,74*** 0,68*** 1,31*** 0,61*** 1,01 0,73*** 0,86** 1,06 1,08 0,89 0,74*** 1,01 1,30 0,87**
Italien 2,21*** Ref. 2,32*** 0,92 0,84*** 1,64*** 0,66*** 1,09 0,85* 0,98 1,07 1,12 0,98 0,92 1,04 1,15 0,94
Schweden 0,95 0,43*** Ref. 1,05 1,00 1,30*** 0,71*** 1,00 0,96 0,92* 1,28*** 1,05 0,69*** 1,33 1,10** 1,17* 0,78***
Ref. 1,25** 1,42*** Ref. 1,24** 1,48***
0,80** Ref. 1,14* 0,81** Ref. 1,20**
0,70*** 0,88* Ref. 0,67*** 0,84** Ref.
Fortsetzung Tabelle 23: Alter bei der Haushaltsgründung, Frauen BRD Interaktionsterme Bildung (Ref.: ISCED 3-4)
ISCED 1-2*BRD ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz: Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Religiosität areligiös*BRD (Ref.: leicht religiös) areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Aktueller Wohnort Wohnort*BRD (Referenz: Land) Wohnort*Italien Wohnort*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 0,80*** 1,01 1,26*** Ref. 1,26*** 0,99 0,79*** Ref. Ref. 0,93 0,87 1,08 Ref. 0,94 1,15 1,07 Ref. Ref. 0,93 1,01 1,08 Ref. 1,09 0,99 0,91 Ref. Ref. 0,85 0,76** 1,17 Ref. 0,89 1,32** 1,13 Ref. Ref. 0,87 0,94 1,15 Ref. 1,08 1,07 0,93 Ref. Ref. 0,99 0,83* 1,01 Ref. 0,84 1,21* 1,19 Ref. Ref. 0,93 1,03 1,03 Ref. 1,06 0,97 0,97 Ref. Ref. 0,90 1,29 1,11 Ref. 1,43** 0,78 0,70** Ref. Ref. 0,81 0,56** 1,24 Ref. 0,69 1,80** 1,45 Ref. Ref. 0,97 0,91 1,04 Ref. 0,95 1,09 1,06 Ref. Ref. 1,13 1,11 0,89 Ref. 0,99 0,90 1,01 Ref. Ref. 0,93 1,12 1,08 Ref. 1,21** 0,89 0,83** Ref. 5862 / 5397 / 904,74 / 0,14
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
163
Tabelle 24: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung, Männer, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Einzelkind*Italien Geschwister) Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Länder
164
BRD Ref. 0,57** 1,07 0,73*** 0,61*** 1,04 0,76** 0,97 0,95 0,96 1,07 1,03 0,98 0,81* 1,40*** 1,12 0,87
Italien 1,75** Ref. 1,86** 0,97 0,74** 1,33** 0,85 0,99 0,81 0,84 0,84 1,29 1,06 1,07 1,12 1,53 0,93
Schweden 0,94 0,54** Ref. 0,95 1,08 1,18** 0,87** 1,04 0,85 0,91 1,13 0,87 0,76* 1,06 1,22*** 1,20 0,89*
Ref. 1,33* 1,30** Ref. 1,23 1,79*** Ref. 1,27* 1,14 Ref. 1,13 1,15 Ref. 1,02 1,07 Ref. 0,86 0,90 Ref. 0,87 0,95
0,75* Ref. 0,98 0,81 Ref. 1,45*** 0,79* Ref. 0,89 0,89 Ref. 1,02 0,98 Ref. 1,06 1,16 Ref. 1,05 1,15 Ref. 1,08
0,77** 1,02 Ref. 0,56*** 0,69*** Ref. 0,88 1,12 Ref. 0,87 0,98 Ref. 0,93 0,95 Ref. 1,11 0,96 Ref. 1,06 0,92 Ref.
Fortsetzung Tabelle 24: Alter bei der Haushaltsgründung, Männer BRD Interaktionsterme Religiosität (Ref.: leicht religiös)
areligiös*BRD areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Aktueller Wohnort Wohnort*BRD (Referenz: Land) Wohnort*Italien Wohnort*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 1,27 0,95 0,79 Ref. 0,74 1,06 1,35 Ref. Ref. 0,80 1,19 1,25 Ref. 1,49* 0,84 0,67* Ref. Ref. 0,92 1,29 1,08 Ref. 1,39 0,78 0,72 Ref. Ref. 0,75 0,76 1,33 Ref. 1,01 1,32 0,99 Ref. Ref. 1,25 1,15 0,80 Ref. 0,92 0,87 1,09 Ref. Ref. 0,74 0,94 1,36 Ref. 1,28 1,07 0,78 Ref. Ref. 0,96 0,97 1,08 Ref. 1,05 1,03 0,93 Ref. 2904 / 2434 / 338,73 / 0,11
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Die deskriptive Analyse der drei Kohortengruppen hat gezeigt, dass sich das Alter bei der ersten Haushaltsgründung in Schweden nur sehr geringfügig verändert hat, während in Westdeutschland ein starker und Italien ein leichter Altersanstieg bei diesem Ereignis zu verzeichnen ist (vgl. Tabelle 20). Die Koeffizienten zu den Kohortengruppen in den Interaktionsmodellen (Tabelle 23 und 24) bestätigen dieses Ergebnis. In Westdeutschland unterscheiden sich die beiden jüngeren Kohorten signifikant von der ältesten. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern findet die erste gemeinsame Haushaltsgründung signifikant später statt. In Italien gilt dies nur für die jüngste Kohortengruppe. Dagegen hat sich das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung in Schweden praktisch nicht verändert. Nahezu alle entsprechenden Interaktionsterme sind signifikant und unterstreichen damit die Länderunterschiede. Vor allem der verzögernde Effekt in Westdeutschland erweist sich dabei als besonders stark. Auch der Einfluss des Bildungsniveaus auf das Alter bei der ersten Haushaltsgründung unterscheidet sich stark nach makrostrukturellen Rahmenbe165
dingungen. Allgemein wird angenommen, dass ein hohes Bildungsniveau zu einer Verzögerung bei der Partnerschaftsbildung führt. Dies trifft nur teilweise zu. Zunächst zeigen die Ergebnisse, dass der Einfluss des Bildungsniveaus bei den Frauen stärker ist als bei den Männern. Als Referenzkategorie wurde in den Interaktionsmodellen ein mittlerer Bildungsabschluss gewählt. Einerseits erleben die Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss das Ereignis signifikant früher als die Frauen der Referenzgruppe. Dies trifft auch auf die italienischen und schwedischen Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss zu, aber bei ihnen ist der Unterschied nicht auf höchstem Niveau signifikant.125 Bei den westdeutschen Männern hat ein niedriger Bildungsabschluss dagegen kein signifikanten Effekt. Andererseits hat ein hoher Bildungsabschluss bei den Frauen einen verzögernden Effekt auf die Haushaltsgründung. Die entsprechenden Koeffizienten sind hoch signifikant und in allen drei Ländern ähnlich stark. Auch bei den westdeutschen und schwedischen Männern geht ein hohes Bildungsniveau mit einer späteren Haushaltsgründung einher, während bei den italienischen Männern kein Unterschied zur Referenzgruppe besteht. Im Forschungsüberblick im vierten Kapitel wurde dargelegt, dass verschiedene Autoren davon ausgehen, dass in einem urbanen Umfeld eine höhere Akzeptanz für nichteheliche Lebensgemeinschaften herrscht als in ländlichen Gebieten. Dementsprechend könnte man erwarten, dass junge Erwachsene, die in einer Großstadt aufgewachsen sind, früher einen gemeinsamen Haushalt gründen als die der Referenzgruppe (Land). Die entsprechenden Koeffizienten zeigen allerdings keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Ähnlich wie bei Auszug aus dem Elternhaus wird auch bei der Partnerschaftsbildung angenommen, dass eine höhere Geschwisterzahl zu einer Beschleunigung des Prozesses führt. Die Ergebnisse für die Frauen bestätigen diese These zumindest teilweise. Am deutlichsten ist der Effekt bei den westdeutschen Frauen; hier gründen sowohl die Einzelkinder als auch die Frauen mit bis zu zwei Geschwistern signifikant später einen gemeinsamen Haushalt als die Frauen der Referenzgruppe (drei oder mehr Geschwistern). Auch bei den italienischen und westdeutschen Frauen wiesen die Koeffizienten in die gleiche Richtung, sind aber nicht oder nur leicht signifikant. Bei den Männern hat die Variable dagegen keinen signifikanten Effekt. Aus Sicht der christlichen Kirchen stellt die Ehe die legitime Lebensform für Paare dar. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass auch religiöse Personen häufiger nichteheliche Lebensgemeinschaften ablehnen und erst bei der Heirat mit dem Partner zusammen ziehen. Das kann eine Verzögerung der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung nach sich ziehen. Allerdings zeigen die 125 Die Interaktionsterme zeigen, dass dieser Effekt in Italien (bei den Männern und Frauen) besonders stark ist.
166
Cox-Regressionsmodelle weder für Italien noch für Westdeutschland einen signifikanten Effekt der Religiosität auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung an. Nur in Schweden hat die Variable teilweise den erwarteten Effekt. Stark religiöse Frauen ziehen signifikant später mit einem Partner zusammen als die der Referenzgruppe (leicht religiös). Areligiöse erleben das Ereignis dagegen signifikant früher. Die Interaktionsterme zeigen, dass sich die Schwedinnen in diesem Punkt signifikant von den Frauen aus den anderen beiden Ländern unterscheiden. Bei den schwedischen Männern mit starker religiöser Bindung besteht ein leicht verzögernder Effekt. Im theoretischen Teil wird zudem angenommen, dass junge Erwachsene, die der eigenen Familienbildung eine hohe Bedeutung beimessen, früher die erste Partnerschaft gründen. Als Indikator wird dabei die Frage nach der idealen Kinderzahl herangezogen. In Westdeutschland und Schweden hat die Variable zum Teil den erwarteten Effekt. In Westdeutschland gründen junge Erwachsene, die nur einen geringen Kinderwunsch angeben, signifikant später einen gemeinsamen Haushalt als die der Referenzgruppe („zwei Kinder sind ideal“). Bei den westdeutschen Männern hat ein starker Kinderwunsch zudem einen signifikant beschleunigenden Effekt auf das Ereignis. Letzteres trifft auch bei den jungen Erwachsenen aus Schweden zu. In Italien hat die Variable dagegen keinen signifikanten Einfluss auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung. Trotz dieser Länderunterschiede sind die entsprechenden Interaktionsterme nicht signifikant. Das deutet darauf hin, dass die Variable insgesamt keine starke Bedeutung in diesem Modell hat. Abschließend wird der Effekt des aktuellen Wohnorts auf die Partnerschaftsbildung überprüft. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass in einem urbanen Umfeld die Akzeptanz für nichteheliche Lebensgemeinschaften höher ist (Nazio et al. 2003: 72). Es könnte sich beschleunigend auf die erste gemeinsame Haushaltsgründung auswirken. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wird diese These zurückgewiesen. Entweder hat die Variable keinen Effekt (Italien und westdeutsche Männer) oder er geht in die entgegengesetzte Richtung: Der Wohnort „Stadt“ hat dann einen verzögernden Effekt auf die erste gemeinsame Haushaltsgründung (Schweden und westdeutsche Frauen). Dies hängt offenbar damit zusammen, dass mit dem Ereignis „erste gemeinsame Haushaltsgründung“ nicht nur die nichtehelichen Lebensgemeinschaften erfasst werden, sondern auch Haushaltsgründungen die in Verbindung mit einer Heirat stehen. Die Ergebnisse zum Heiratsalter (im nächsten Abschnitt) unterstützen dies, da junge Erwachsene die in Städten wohnen, signifikant später heiraten als junge Erwachsene die in ländlichen Gebieten leben. Auch bei diesem Ereignis wird wieder die Erklärungskraft der einzelnen Variablen und des gesamten Modells kurz erläutert. Dazu wurden neben den 167
vorgestellten Interaktionsmodellen mehrere Modelle berechnet, in denen die einzelnen Variablengruppen schrittweise integriert wurden.126 Werden bei den Frauen nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt, wird ein R² von 0,05 erreicht. Unter Berücksichtigung der Kohortengruppen und des höchsten Bildungsniveaus steigt das R² auf 0,12. Die anderen Faktoren führen lediglich zu einer geringen Steigerung der Erklärungskraft, so dass das R² des vollständigen Interaktionsmodells schließlich bei 0,14 liegt. Das vollständige Interaktionsmodell der Männer weist ein generalisiertes R² von 0,11 auf. Werden auch hier nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt, wird ein R² von 0,07 erreicht. Damit leisten die Länderunterschiede den größten Beitrag zur erklärten Varianz. Daneben ist es in erster Linie das erreichte Bildungsniveau, das einen vergleichsweise starken Effekt auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung hat. Die in den Tabelle 23 und 24 vorgestellten Interaktionsmodelle haben den Vorteil, dass die Effekte der einzelnen Faktoren in den Ländern direkt miteinander verglichen werden können. Aber erst wenn die Modelle nach Land und Geschlecht getrennt berechnet werden, kann für jede Subgruppe ein spezifisches R² angegeben werden. Das höchste generalisierte R² wird dabei in Italien erreicht; es liegt sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern bei 0,13. Bei den westdeutschen Frauen liegt die Erklärungskraft des Modells bei 0,09, bei den schwedischen Frauen bei 0,08. Deutlich niedriger ist es bei den westdeutschen (0,06) und schwedischen Männern (0,03). Diese Unterschiede werden in Zusammenhang mit den Modellen zur Erstheirat am Ende des nächsten Abschnitts diskutiert, wenn die Ergebnisse für den gesamten Prozess der Partnerschaftsbildung vorliegen.
6.3.4 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der Erstheirat Auch für die Erstheirat, dem zweiten Ereignis im Partnerschaftsprozess, wird der Einfluss der individuellen Faktoren überprüft. In Tabelle 25 werden die entsprechenden Ergebnisse für die Frauen vorgestellt und in Tabelle 26 für die Männer. Bereits die deskriptive Analyse der Altersmediane zeigte, dass das Alter bei der Erstheirat ansteigt (vgl. Tabelle 22). Dies wird durch die Koeffizienten für die Kohortengruppen in den statistischen Modellen bestätigt (vgl. Tabelle 25 und 26). Als Referenzkategorie wurde die älteste Kohortengruppe herangezogen. Sowohl in Westdeutschland als auch in Schweden unterscheiden sich die beiden 126
Dabei zeigte sich auch, dass die Modelle insgesamt robust sind.
168
jüngeren Kohortengruppen signifikant von der ältesten. In Italien trifft dies nur auf die jüngste Gruppe (1960-64) zu. Bei den Frauen ist der verzögernde Effekt in Deutschland besonders stark. Im Vergleich zur ältesten Kohortengruppe, beträgt das Heiratsrisiko der jüngsten Kategorie nur 49%. Auch die Interaktionsterme bestätigen hier einen signifikanten Länderunterschied. Bei den Männern ist die Verzögerung in Italien vergleichsweise gering.
Tabelle 25: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter beim der Erstheirat, Frauen, exp(E) Länder
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64 ISCED 1-2 ISCED 5-6
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Bildung (Referenz ISCED 34) Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz: Land) Stadt*Schweden
BRD Ref. 0,57*** 0,49*** 0,65*** 0,49*** 1,51*** 0,56***
Italien 1,76*** Ref. 0,86 0,91 0,83*** 1,73*** 0,63***
Schweden 2,04*** 1,16 Ref. 0,69*** 0,64*** 1,15* 0,96
0,89* 0,72*** 0,91 0,88 1,18* 1,19 0,67*** 1,04 1,44* 0,86**
1,12* 0,82** 0,96 1,05 1,16 1,01 0,92 0,99 1,13 0,93
1,15*** 0,93 0,84*** 0,82*** 1,11 1,16 1,74* 1,18*** 1,39*** 0,75***
Ref. 1,40*** 1,06 Ref. 1,69*** 1,31** Ref. 1,15 0,76*** Ref. 1,13 1,72*** Ref. 1,25** 1,30***
0,72*** Ref. 0,76*** 0,59*** Ref. 0,77*** 0,87 Ref. 0,66*** 0,88 Ref. 1,51*** 0,80** Ref. 1,03
0,94 1,32*** Ref. 0,77** 1,29*** Ref. 1,31*** 1,51*** Ref. 0,58*** 0,66*** Ref. 0,77*** 0,97 Ref.
169
Fortsetzung Tabelle 25: Heiratsalter, Frauen BRD Interaktionsterme Geschwisterzahl (Ref.: +3 Geschw.)
Einzelkind*BRD Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Religiosität areligiös*BRD (Ref.: leicht religiös) areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Aktueller Wohnort Wohnort*BRD (Referenz: Land) Wohnort*Italien Wohnort*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Ref. 0,88 0,77* 1,13 Ref. 0,88 1,29* 1,14 Ref. Ref. 0,95 1,08 1,05 Ref. 1,14* 0,92 0,88* Ref. Ref. 0,83 1,07 1,20 Ref. 1,29* 0,93 0,78* Ref. Ref. 1,01 1,07 0,99 Ref. 1,05 0,94 0,95 Ref. Ref. 1,17 1,03 0,85 Ref. 0,88 0,98 1,14 Ref. Ref. 0,73* 0,39*** 1,36* Ref. 0,53** 2,59*** 1,90** Ref. Ref. 1,05 0,89 0,95 Ref. 0,84** 1,13 1,19** Ref. Ref. 1,27 1,03* 0,79 Ref. 0,81*** 0,97 1,23 Ref. Ref. 0,92 1,15* 1,08 Ref. 1,25*** 0,87* 0,80*** Ref. 5892 / 4554 / 1144,71 / 0,18
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
170
Schweden
Tabelle 26: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der Erstheirat, Männer, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Wohnort im Jugendalter (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Wohnort im Stadt*BRD Jugendalter Stadt*Italien (Referenz: Land) Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Länder
BRD Ref. 0,59* 0,50*** 0,68*** 0,46*** 0,99 0,73** 0,91 0,70*** 0,86 0,89 1,28* 1,28 0,72** 1,49*** 1,02 0,74***
Italien 1,71* Ref. 0,85 1,02 0,73** 1,43*** 0,71** 1,11 0,61** 0,85 0,66* 1,25 1,13 1,11 1,14 1,37 0,90
Schweden 2,00*** 1,17 Ref. 0,66*** 0,53*** 0,94 1,10 1,24*** 0,80 0,86* 0,91 1,17 1,72*** 1,70* 1,19** 1,23 0,74***
Ref. 1,51** 0,98 Ref. 1,60*** 1,15 Ref. 1,44** 0,95 Ref. 0,98 1,51*** Ref. 1,21 1,36** Ref. 0,87 1,14 Ref. 0,98 1,00
0,66** Ref. 0,65*** 0,63*** Ref. 0,72** 0,69** Ref. 0,66*** 1,02 Ref. 1,54** 0,82 Ref. 1,12 1,15 Ref. 1,32 1,02 Ref. 1,02
1,02 1,54*** Ref. 0,87 1,39** Ref. 1,06 1,53*** Ref. 0,66*** 0,65** Ref. 0,74** 0,90 Ref. 0,87 0,76 Ref. 1,00 0,98 Ref.
171
Fortsetzung Tabelle 26: Heiratsalter; Männer BRD Interaktionsterme Religiosität (Ref.: leicht religiös)
areligiös*BRD areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Aktueller Wohnort Wohnort*BRD (Referenz: Land) Wohnort*Italien Wohnort*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 1,36 0,98 0,74 Ref. 0,72 1,02 1,38 Ref. Ref. 1,02 1,09 0,98 Ref. 1,07 0,91 0,94 Ref. Ref. 1,13 0,74 0,89 Ref. 0,66 1,35 1,52 Ref. Ref. 0,65 0,42*** 1,55 Ref. 0,65 2,37*** 1,53 Ref. Ref. 1,31* 1,26* 0,76* Ref. 0,96 0,80* 1,04 Ref. Ref. 0,75 0,83 1,34 Ref. 1,11 1,20 0,90 Ref. Ref. 0,89 1,08 1,13 Ref. 1,22 0,92 0,82 Ref. 2924 / 1762 / 382,05 / 0,12
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Zieht man nun die Ergebnisse zur ersten gemeinsamen Haushaltsgründung hinzu, zeigt sich, dass in Italien und Westdeutschland die Kohortenzugehörigkeit jeweils den gleichen Effekt hat. In Westdeutschland werden beide Statusveränderungen von den jüngeren Kohortengruppen später erlebt. In Italien unterscheidet sich jeweils die jüngste Kohortengruppe signifikant von der ältesten. Die gesamte Partnerschaftsbildung findet also verzögert statt, wobei diese Verzögerung in Italien erst bei der jüngsten Kohortengruppe eingesetzt hat. In Schweden hat sich dagegen nur das Heiratsalter signifikant verändert, während das Alter bei der Haushaltsgründung stabil geblieben ist. Auch in Westdeutschland ist das Heiratsalter stärker angestiegen als das Alter bei der Haushaltsgründung. Dies unterstreicht, dass es in beiden Ländern eine zunehmende Tendenz zu nichteheliche Lebensgemeinschaften gibt, auf deren Verbreitung noch weiter unten näher eingegangen wird. Allerdings stellt sich die Frage, warum sich das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung in Schweden nicht wie in den anderen beiden Ländern verändert hat. Während in Westdeutschland und Italien die Partnerschaftsbildung von den jüngeren Kohorten 172
später begonnen wird, konnte in Schweden keine signifikante Veränderung beobachtet werden. Da eine Voraussetzung für eine gemeinsame Haushaltsgründung eine gewisse ökonomische Sicherheit ist, liegt es nahe, diese Entwicklung mit dem Alter beim Erwerbseinstieg zu vergleichen. Die Cox-Regressionsmodelle (Tabelle 15 und 16) zeigen, dass die italienischen und westdeutschen Männer zunehmend später in den Arbeitsmarkt einsteigen. Demgegenüber war die Arbeitsmarktsituation in Schweden in diesem Zeitraum so gut, dass es zu keine Veränderungen kam. Damit verläuft die Entwicklung bei der Haushaltsgründung parallel zu der beim Erwerbseinstieg. Dieser Zusammenhang zwischen ökonomischer und sozialer Verselbständigung ist in Italien und Westdeutschland offenbar besonders stark. Junge Erwachsene, die noch nie erwerbstätig waren, können in diesen Ländern nur mit geringen oder keinen staatlichen Hilfeleistungen rechnen und haben somit keine Möglichkeit, einen gemeinsamen Haushalt zu finanzieren. Dementsprechend ist in beiden Ländern das male breadwinner model stark verbreitet; das heißt, dass allein der erwerbstätige Ehemann und Vater die Familie finanziell versorgt. Bernardi und Nazio (2005) kommen für Italien zu dem Ergebnis, dass die Heiratsrate von Arbeitssuchenden deutlich niedriger ist als die von Angestellten. Für Westdeutschland kommt Hellwig (2001) zu dem Ergebnis, dass die Erwerbstätigkeit eine wichtige Voraussetzung für die Heirat und Familiengründung ist. Die nächsten Koeffizienten in den Modellen untersuchen den Einfluss des erreichten Bildungsniveaus. Es wird davon ausgegangen, dass junge Erwachsene, die länger mit dem Bildungssystem verbunden sind, erst später in den Arbeitsmarkt einsteigen können. Sie verfügen folglich erst in einem höheren Alter über eine ausreichende finanzielle Basis für eine Eheschließung. Die Ergebnisse zum Heiratsalter bestätigen die Hypothese weitgehend, wobei mehrere Unterschiede zu beachten sind. In allen drei Ländern heiraten Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss signifikant früher als die Frauen der Referenzgruppe mit einem mittleren Bildungsniveau. Allerdings ist dieser Effekt bei den schwedischen Frauen vergleichsweise schwach. Wie erwartet heiraten westdeutsche und italienische Frauen mit einem hohen Bildungsabschluss signifikant später als die der Referenzgruppe. Bei den schwedischen Frauen unterscheidet sich das Heiratsalter dieser beiden Bildungsgruppen dagegen nicht signifikant voneinander. Die entsprechenden Interaktionsterme unterstreichen, dass die schwedischen Frauen in diesem Punkt einem anderen Muster folgen. Bei den italienischen Männern hat die Variable den erwarteten Effekt (niedriger Abschluss beschleunigt, hoher Abschluss verzögert die Erstheirat). Bei den westdeutschen Männern hat nur ein hoher Abschluss einen signifikant verzögernden Einfluss auf das Heiratsalter. Dagegen ist die Variable bei den schwedischen Männern nicht signifikant. 173
Auch hier werden diesen Unterschieden zwischen den Subgruppen in Zusammenhang mit den bisherigen Ergebnissen diskutiert. Konzentrieren wir uns zunächst auf die Länderunterschiede. In Schweden wird das Alter bei der gemeinsamen Haushaltsgründung in der erwarteten Weise durch das Bildungsniveau beeinflusst wird. Wer einen hohen Abschluss hat, zieht später mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen. Beim Heiratsalter verschwindet dieser Effekt dagegen fast vollständig. Dies wird durch das hohe Heiratsalter, bei einer allgemein niedrigen Heiratsrate, verursacht. Der Altersmedian bei der Erstheirat beträgt bei den schwedischen Männern ca. 31 Jahre und bei den schwedischen Frauen 28 Jahre. Dieses Durchschnittsalter ist so hoch, dass auch Hochschulabsolventen, die im Normalfall nach Ende der Ausbildung heiraten, nicht mehr wesentlich davon abweichen. Somit verliert die Bildungsvariable hier ihren Effekt. Dagegen ist in Italien und Westdeutschland der Bildungseffekt bei beiden Ereignissen stabil. Wirkt sich ein hoher Abschluss verzögernd auf die gemeinsame Haushaltsgründung aus, dann gilt dies auch bei der Erstheirat. Neben den Ländermustern gibt es auch wieder Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die über die Grenzen hinweg gültig sind. In allen drei Ländern ist der Effekt des Bildungsniveaus bei den Frauen stärker ist als bei den Männern. Die kann mit Hilfe der These der Familienökonomie erklärt werden, die im vierten Kapitel vorgestellt wurde. Die These geht davon aus, dass für Frauen mit einem geringen Bildungsniveau eine frühe Partnerschaft oder Heirat mit einem hohen Nutzen verbunden ist. Sie profitieren von der traditionellen Rollenteilung und erreichen mit einem erwerbstätigen Ehemann eine höhere ökonomische Sicherheit als sie selbst erreichen könnten (Becker 1985). Dagegen können Frauen mit einer guten Ausbildung diese ökonomische Sicherheit auch selbst erlangen und gleichzeitig ihre Karriereambitionen erfüllen. Ein traditionelles Partnerschafts- oder Familienmodell stellt für sie eher ein Hindernis als ein Vorteil bei der eigenen Berufskarriere dar. Sie verzögern deshalb den Beginn der Partnerschaftsbildung stärker als die Männer mit einer hohen Ausbildung. Für Männer stellen Familie und Beruf keine „entweder-oder-Situation“ dar, sondern die Berufstätigkeit ist vielmehr Voraussetzung für die Familie. Der verzögernde Effekt eines hohen Abschlusses bei der Partnerschaftsbildung ergibt sich bei ihnen einzig aus der längeren Bildungsbeteiligung. Zwar kommen auch andere Studien zu dem Schluss, dass ein hohes Bildungsniveau speziell das Heiratsalter von Frauen verzögert (siehe unter anderem Blossfeld et al. 1989; Diekmann 1990; Klein et al. 1994), aber zudem wird durch den hier vorgestellten internationalen Vergleich eine neue Erkenntnis gewonnen. Bei den westdeutschen und italienischen Frauen hat ein hoher Bildungsabschluss zwar auf den gesamten Prozess der Partnerschaftsbildung einen verzögernden Effekt, aber der Einfluss ist bei der Erstheirat stärker als bei 174
der gemeinsamen Haushaltsgründung. Das bedeutet, dass die Frauen mit einer hohen Ausbildung in diesen beiden Ländern vor allem den formalen Schritt der Heirat aufschieben, der häufig mit einer traditionellen Frauenrolle verbunden ist. Offenbar fällt es ihnen schwer, die eigenen Berufswünsche mit einer Ehe zu verbinden. Die Partnerschaft selbst kann leichter mit der eigenen Ausbildung oder Berufstätigkeit koordiniert werden, weshalb der verzögernde Effekt eines hohen Ausbildungsniveaus bei der gemeinsamen Haushaltsgründung nicht so stark ist. Bei den schwedischen Frauen hat ein hoher Bildungsabschluss dagegen kein verzögernden Einfluss auf das Heiratsalter und auch bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung ist der Effekt schwächer als in den anderen beiden Ländern. Eine hohe Ausbildung mit beruflichen Ambitionen stehen nicht im Widerspruch zu einer Partnerschaft, da das schwedische Wohlfahrtsstaatsmodell ohnehin auf berufstätige Frauen angewiesen ist. Ein Ergebnis des Eurobarometers von 1993, bei dem Personen zwischen 20 und 39 Jahren befragt wurden, bestätigt diese Überlegungen (Habich et al. 1998: 25). Auf die Frage, ob eine Ehe ein Hindernis für das eigene Berufsleben darstellt, antworteten 42% der italienischen Frauen mit ja. Auch 26% der westdeutschen Frauen stimmten dieser Aussage zu. Für Schweden liegen keine Daten vor, da die Erhebung nur in den damaligen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stattfand. In Dänemark, dass wie Schweden zu den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten gezählt wird, waren aber nur 18% der Frauen der gleichen Meinung. Das bedeutet, dass sich je nach sozialstaatlichen Rahmenbedingungen der Effekt des Bildungsniveaus auf die Partnerschaftsbildung verändert. Auch für das Heiratsalter wird der Einfluss des Wohnorts im Jugendalter überprüft. Auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung hatte die Variable keinen signifikanten Einfluss. Beim Heiratsalter gibt es zumindest in Schweden und bei den italienischen Frauen einen signifikanten Effekt, der aber vergleichsweise schwach ausfällt. Junge Erwachsene die in Städten aufgewachsen sind, heiraten hier früher. Bei den anderen Gruppen hat die Variable gar keinen oder keinen stabilen Effekt.127 Offenbar verliert der regionale Kontext, in dem man aufgewachsen ist, nach dem Auszug aus dem Elternhaus zunehmend an Bedeutung. Der Effekt der Geschwisterzahl ist dagegen weitgehend stabil. Blossfeld und Huinink (1989) gehen beispielsweise davon aus, dass Frauen aus großen Familien stärker auf eine Hausfrauen- und Mutterkarriere hin sozialisiert werden. Durch die vorliegenden Ergebnisse wird diese Annahme unterstützt. Alle Koeffizienten weisen in die gleiche Richtung: Einzelkinder in Westdeutschland und Italien heiraten signifikant später als die der Referenzgruppe (drei und mehr Ge127
Der schwach signifikante Effekt bei den westdeutschen Frauen tritt nur im Interaktionsmodell auf.
175
schwister). In Schweden unterscheidet sich die Kategorie mit bis zu zwei Geschwistern signifikant von denen mit einer großen Familie. Auch die religiöse Bindung hat bei verschiedenen Subgruppen einen signifikanten Effekt auf das Heiratsalter. In Schweden heiraten areligiöse Frauen signifikant später und stark religiöse Männer signifikant früher als die Frauen der Referenzgruppe (leicht religiös). Auch in Westdeutschland wirkt sich eine hohe religiöse Bindung beschleunigend auf die Erstheirat aus. In Italien kann nur für die areligiösen Männer ein leicht verzögernder Effekt festgestellt werden. Hat die Variable einen signifikanten Einfluss auf das Heiratsalter, geht er in die gleiche Richtung: Im Vergleich mit areligiösen, schließen religiöse Personen früher eine Ehe. Die vorliegenden Ergebnisse folgen damit einem Muster, das auch von Kiernan (2000) bestätigt wird. Sie zeigt in ihrer Studie, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften vor allem bei areligiösen Gruppen verbreitet sind, während religiöse Personen häufiger direkt heiraten (Kiernan 2000: 54). Der hier vorgelegte systematische Vergleich von Westdeutschland, Italien und Schweden weist dabei zudem auf einen wichtigen Unterschied zwischen den drei Ländern hin. Die religiöse Bindung hat vor allem in Schweden und zum Teil auch in Westdeutschland einen Einfluss auf das Alter bei der Partnerschaftsbildung. Auf den ersten Blick überraschend, hat die Variable in Italien dagegen fast keinen Effekt auf diesen Prozess. Dies kann darauf zurück geführt werden, dass die südeuropäischen Länder insgesamt sehr katholisch geprägt sind. Die damit verbundenen traditionellen Normvorstellungen sind so stark, dass sich auch die weniger religiösen Personen an diesen Normen orientieren oder orientieren müssen. Selbst wenn man keine enge Verbindung zur Kirche hat, unterwirft man sich der christlichen Moralvorstellung und wohnt nicht ohne Trauschein mit einem Partner zusammen. Umgekehrt ist die Situation in Schweden. Vergleichsweise wenige Personen besuchen regelmäßig einen Gottesdienst und konservative religiöse Vorstellungen haben keinen relevanten Einfluss auf die gesamte Gesellschaft. Wer dennoch diesen Moralvorstellungen folgt, unterscheidet sich dementsprechend vom Rest der jungen Erwachsenen, was sich unter anderem in einem frühen Heiratsalter ausdrückt. Ein starker Kinderwunsch hatte zumindest in Westdeutschland und Schweden einen beschleunigenden Effekt auf das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung. Bei der Erstheirat verhält es sich sehr ähnlich: auch hier hat die Variable in Italien keinen Effekt, während er in Westdeutschland und Schweden sogar etwas stärker ausfällt als bei der Haushaltsgründung. In den beiden letzten Ländern heiraten junge Erwachsene früher, wenn sie eine hohe Kinderzahl für ideal halten. Allerdings kann in Schweden auch bei der Gruppe, die nur ein Kind für ideal hält, ein leicht beschleunigender Effekt festgestellt werden. 176
In den Modellen wird auch der Effekt der aktuellen Wohnortgröße auf die Partnerschaftsbildung überprüft. Bereits beim Ereignis der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung hatte die Variable eine zum Teil unerwarteten Effekt. Schwedische und westdeutsche Frauen aus Städten gründeten später einen ersten gemeinsamen Haushalt. Bei der Erstheirat gilt dies auch noch für die westdeutschen Männer. In Italien hat die Variable keinen Effekt. In Italien hängt der Zeitpunkt der Partnerschaftsbildung damit weder von der individuellen Religiosität noch vom Kinderwunsch oder dem aktuellen Wohnort ab. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in Italien die soziale Kontrolle durch die Familie und das traditionelle Umfeld stärker ist, als in den anderen beiden Ländern (vgl. Kapitel 3.2.6). Die italienischen jungen Erwachsenen müssen sich demnach stärker an den allgemeinen Altersnormen orientieren und können ihre individuellen Wertvorstellungen bei der Partnerschaftsbildung nicht einfließen lassen. In den anderen beiden Ländern haben diese individuellen Faktoren dagegen zum Teil einen Einfluss auf das Alter bei der Haushaltsgründung und der Heirat. Auch hier kann wieder anhand weiterer Modelle die Erklärungskraft einzelner Variablengruppen überprüft werden. Bei den Frauen erzielt das vollständige Interaktionsmodell ein R² von 0,18.128 Die Länderunterschiede sind in dem Interaktionsmodell hoch signifikant, werden allerdings nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt, liegt das R² lediglich bei 0,06. Am deutlichsten wird das R² bei den Frauen durch die Faktoren „Bildungsniveau“ und „Kohortenzugehörigkeit“ gesteigert (auf 0,14). Das vollständige Interaktionsmodell für das Alter bei der Erstheirat der Männer erreicht ein R² von 0,12 (auch dies ist etwas höher als bei der gemeinsamen Haushaltsgründung). Auch hier sind die Länderunterschiede hoch signifikant, erzielen aber alleine nur ein R² von 0,02. Damit haben die Variablen „Kohortenzugehörigkeit“ und „Bildungsniveau“ den stärksten Anteil an der erklärten Varianz. Unter Berücksichtigung dieser beiden Variablen steigt das Bestimmtheitsmaß auf 0,07. Durch die nach Geschlecht und Land getrennt berechneten Cox-Regressionsmodelle (mit allen unabhängigen Variabeln), kann die Erklärungskraft der Modelle weiter verglichen werden. Bei den Frauen ist das R² in Westdeutschland mit 0,16 am höchsten, gefolgt von Italien (0,13), und in Schweden mit 0,07 am niedrigsten. Auch bei den Männern ist das R² in Schweden am niedrigsten. Es liegt wie bei den schwedischen Frauen bei 0,07. Deutlich höher ist es mit 0,12 bei den westdeutschen und 0,15 bei den italienischen Männern. Damit ist sowohl bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung als auch bei der Erstheirat, die Erklärungskraft der Modelle in Schweden niedriger als in den anderen beiden 128
Das ist höher als beim entsprechenden Modell zur Haushaltsgründung (R² = 0,14).
177
Ländern. Der Unterschied ist so deutlich, weil die Faktoren Bildungsniveau und Kohortenzugehörigkeit in Schweden keinen oder nur einen schwachen Effekt aufweisen, während sie in den beiden anderen Ländern von großer Bedeutung sind.
6.3.5 Fazit zur Partnerschaftsbildung Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse für den gesamten Prozess der Partnerschaftsbildung zusammengefasst. Bei beiden Ereignissen konnten deutliche Länderunterschiede festgestellt werden. Bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung zeigte sich dabei das gleiche Muster wie beim Auszug aus dem Elternhaus. Die jungen Erwachsenen in Schweden erleben das Ereignis zuerst und insgesamt häufiger. Es folgen die westdeutschen vor den italienischen jungen Erwachsenen. Bei der Eheschließung verändert sich dieses Muster grundlegend, da die Schweden spät und vergleichsweise selten heiraten. Es sind die italienischen jungen Erwachsenen, die am frühesten und häufigsten heiraten. Ein Vergleich der Altersmediane zeigt, dass in Italien die Ereignisse Auszug, Haushaltsgründung und Heirat eng miteinander zusammenhängen. Bei beiden Ereignissen der Partnerschaftsbildung sind die Geschlechterunterschiede in Schweden am geringsten, während die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Westdeutschland zum Teil gleich hoch oder sogar stärker als in Italien sind. Die Forschungsfrage zur Destandardisierung wurde anhand der Kennziffern zu Altersvarianz beantwortet. In allen drei Ländern hat die Varianz bei beiden Ereignissen zugenommen. Im Gegensatz zum Auszug und zum Erwerbseinstieg scheint es also bei der Partnerschaftsbildung eine gesellschaftsübergreifende Tendenz zur Individualisierung und Destandardisierung zu geben. In diesem Zusammenhang ist auch die Abnehmende Prävalenz der Heirat in Westdeutschland und Schweden von großer Bedeutung. In den Interaktionsmodellen wurde die Bedeutung der individuellen Faktoren auf das Alter bei der Partnerschaftsbildung untersucht. Anhand der Kohortenzugehörigkeit konnte eine Verzögerung bei diesem Prozess festgestellt werden. Einzige Ausnahme sind die jungen Erwachsenen aus Schweden, bei denen sich das Alter bei der ersten Haushaltsgründung nicht signifikant verändert hat. Neben der Kohortenzugehörigkeit ist stellt das erreichte Bildungsniveau den wichtigsten Einflussfaktor dar. Vor allem die Frauen mit einem hohen Ausbildungsniveau erleben beide Ereignisse spät, wodurch die These der Familienökonomie bestätigt wird. Allerdings ist dieser Bildungseffekt in Schweden schwächer als in den anderen beiden Ländern. Für schwedische Frauen stellt 178
eine Partnerschaft oder eine Ehe kein Hindernis für die eigene Berufskarriere dar. Dagegen nehmen die italienischen und zum Teil auch die westdeutschen Frauen, vor allem wenn sie eine niedrige Ausbildung haben, die traditionelle Rolle als nichterwerbstätige Ehefrau ein. Auch bei den anderen Faktoren konnten verschiedene Länderunterschiede festgestellt werden. Auffallend ist, dass sowohl der Wohnort sowie die Werte und die Einstellungen in Italien keinen oder nur einen sehr geringen Effekt auf das Alter bei der Partnerschaftsbildung haben. Die allgemeinen Altersnormen haben hier offenbar eine stärkere Wirkung als in den anderen beiden Ländern. In den anderen beiden Ländern variiert das Alter bei der Partnerschaftsbildung häufiger nach religiöser Bindung, Kinderwunsch oder regionalem Kontext. Im folgenden Abschnitt wird unter anderem untersucht, ob diese Unterschiede auch bei der Familiengründung vorhanden sind.
6.4 Die Familiengründung Die Familiengründung wird anhand des Zeitpunkts der Geburt des ersten eigenen Kindes untersucht. Dieses Ereignis schließt normalerweise den sozialen Verselbständigungsprozess ab. Aber auch wenn es vor einem der anderen Ereignisse erlebt wird (beispielsweise ohne dass die Eltern verheiratet sind), wird mit der Elternschaft auf jeden Fall der Erwachsenenstatus erreicht (vgl. Kapitel 2.2.3). Zunächst wird das Ereignis mit Hilfe des Altersmedians und der Altersvarianz deskriptiv untersucht und die wichtigsten Unterschiede zwischen den drei Ländern und den Geschlechtern werden erläutert. Auch die Entwicklung des Alters bei der Familiengründung wird diskutiert. Im zweiten Abschnitt wird der Einfluss unabhängiger Variablen auf individueller Ebene untersucht. In dritten Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse für die Familienbildung zusammengefasst und zudem wird ein Zwischenfazit gezogen, bei dem auch die Resultate für die anderen Übergangsereignisse berücksichtigt werden.
6.4.1 Alter bei der Geburt des ersten Kindes Tabelle 27 gibt einen Überblick über den Anteil an kinderlosen Personen zum Zeitpunkt des Interviews. Zudem wird der Altersmedian und der Quartilsabstand, zunächst für die gesamte Stichprobe und anschließend für die einzelnen Kohortengruppen, aufgeführt.
179
Tabelle 27: Anteil ohne Elternschaft zum Zeitpunkt des Interviews, Altersmedian und Quartilsabstand bei Geburt des ersten Kindes129 Frauen BRD Italien Kein Kind 34,6% 16,4% Altersmedian / Quartilsabstand (in Jahren) Gesamt 25,7 / 9,1 27,6 / Kohorte 49-54 25,3 / 7,5 26,9 / Kohorte 55-59 26,3 /10,9 27,8 / Kohorte 60-64 27,9 / 9,4 28,3 /
Schweden 19,9%
BRD 53,5%
Männer Italien 33,0%
Schweden 35,7%
25,8 / 8,5 24,6 / 8,4 26,8 / 8,3 26,7 /
32,9 / 29,5 / 31,9 / /
30,9 /14,0 29,4 /11,5 31,9 / 30,9 /14,0
28,8 /10,2 27,0 / 9,5 29,7 / /
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Der Anteil an Kinderlosen und der Altersmedian bei dem Ereignis ist in Westdeutschland am höchsten. Zum Zeitpunkt der Befragung haben die jungen Erwachsenen aus Italien am häufigsten eine Familie gegründet. In Schweden sind es weniger, dennoch ist der Altersmedian in den beiden Ländern relativ ähnlich. Die vorliegenden Ergebnisse werden durch verschiedene andere Studien bestätigt. Zum einen können zur Überprüfung der Resultate die von Eurostat publizierten Daten zum Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes herangezogen werden (siehe Abbildung 6 im vierten Kapitel). Dieses Durchschnittalter steigt konstant an und damit geht die Entwicklung in die gleiche Richtung wie bei den hier ausgewählten Altersmedianen.130 Daneben können auch die Ergebnisse anderer Survey-Studien herangezogen werden. Eine Auswertung des European Community Household Panels (ECHP) kommt für Italien und Schweden zu ähnlichen Ergebnissen (siehe Tabelle 28).131 Auf Basis der hier verwendeten FFS-Daten werden zunächst die wichtigsten Unterschiede zwischen den drei Ländern diskutiert. Wie bereits erwähnt, haben die jungen Erwachsenen aus Westdeutschland vergleichsweise selten eine Familie gegründet. Nur ca. 65% der Frauen und ca. 46% der Männer sind zum Zeitpunkt des Interviews Eltern. Der Anteil ist in Schweden deutlich höher (ca. 80% 129 Zum Teil wurde das mittlere Quartil (also der Altersmedian) nicht erreicht. In anderen Fällen wurde das dritte Quartil nicht erfüllt, weshalb kein Quartilsabstand berechnet werden kann. 130 Das von Eurostat publizierte Durchschnittsalter bei der Geburt des ersten Kindes ist niedriger als der hier berechnete Altersmedian. Dies liegt daran, dass die hier mit Methoden der Ereignisanalyse berechnete Quartile auch die Frauen berücksichtigen die nicht Mütter geworden sind. Wenn, wie in Westdeutschland, ein hoher Anteil der Befragten noch keine Kinder bekommt hat, führt das zu einem vergleichsweise hohen Median. 131 Auch Bernardi (2005: 361f.) bestätigt mit Daten des Italian Longitudinal Household Surveys die Ergebnisse für Italien und Hullen (2001) kommt mit seinen Daten zu vergleichbaren Ergebnissen für Westdeutschland.
180
Mütter und 64% Väter) und in Italien am höchsten (ca. 84% Mütter und 67% Väter). Dabei muss beachtet werden, dass die Befragung in Westdeutschland und Schweden ca. drei Jahre früher als in Italien durchgeführt wurde. Die italienischen jungen Erwachsenen hatten demnach mehr Zeit, das Ereignis zu erleben. Es ist zu erwarten, dass sonst der Anteil an kinderlosen Frauen in Schweden ähnlich niedrig wäre, wie in Italien. Tabelle 28: Altersmedian bei der Geburt des ersten Kindes nach ECHP Italien Kohorte 1948-57 Kohorte 1958-67
Frauen 24,3 28,3
Schweden Männer 27,8 32,1
Frauen 24,3 27,1
Männer 28,0 29,9
Quelle: Schizzerotto et al. 2002: 13.
Die Survivor-Funktionen (Abbildung 14) zeigen, dass bis zu einem Alter von 35 Jahren keine Differenz zwischen den beiden Ländern besteht. Dennoch ist der vergleichsweise hohe Anteil an Eltern in Italien ist auf den ersten Blick überraschend, da die italienische Fertilitätsrate eine der niedrigsten in Europa ist (vgl. Abbildung 7). Dieser Gegensatz wird auch von Rossi bestätigt: „Surprisingly, Italy, which has the lowest birthrate, also has the lowest percentage of childless couples.“ (Rossi 1997: 630). Die Erklärung für dieses Phänomen liegt darin, dass die meisten italienischen Paare zumindest eine Tochter oder einen Sohn haben, aber auch häufig nicht mehr als dieses eine Kind. Ein Vergleich der Altersmediane bei der Geburt des ersten Kindes, deckt weitere Länderunterschiede auf. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, ist der Altersmedian in Westdeutschland am höchsten. Bei den Frauen gibt es zwischen Italien und Schweden praktisch keinen Unterschied, während die italienischen Väter deutliche älter sind als die schwedischen. Hier spiegelt sich der höhere Altersunterschied in den italienischen Partnerschaften wider. Anhand der Survivior-Funktionen (Abbildung 14) kann der Verlauf bei dem Ereignis genauer beurteilt werden. Für die Elternschaft ist vor allem das Alter der Mütter aussagekräftig. Hier sieht man, dass das Ereignis in Westdeutschland deutlich später und seltener als in den anderen beiden Ländern erlebt wird. Die Kurven der italienischen und schwedischen Frauen liegen nahe beieinander, fallen stärker ab und kreuzen sich mehrfach.
181
Abbildung 14: Survivor-Funktion: Alter bei der Geburt des ersten Kindes 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter in Jahren Westdeutschland: Frauen Italien: Frauen Schweden: Frauen
Westdeutschland: Männer Italien: Männer Schweden: Männer
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Auch ereignisanalytische Modelle, in denen nur die Länder als erklärender Faktor herangezogen werden, bestätigen die Ergebnisse der deskriptiven Analyse. Bei den Frauen besteht kein signifikanter Unterschied zwischen Italien und Schweden, während die westdeutschen Frauen signifikant später ein erstes Kind bekommen. Bei den Männern ist der Unterschied zwischen allen drei Ländern signifikant. Wiederum liegt Westdeutschland am oberen Ende. Zudem ist der Unterschied zwischen Schweden und Italien signifikant. Im Vergleich mit den schwedischen Männern liegt der Effektkoeffizient der italienischen Männer bei 0,76, das bedeutet, dass sie später als die Schweden Väter werden. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang noch der Vergleich mit den Ergebnissen zur Erstheirat. In Westdeutschland und Italien haben jeweils mehr Personen geheiratet als eine Familie gegründet und der Altersmedian ist bei der ersten Eheschließung niedriger als bei der Geburt des ersten Kindes. Dies ist in Schweden genau umgekehrt: Der Altersmedian bei der Heirat ist höher als bei 182
der Geburt des ersten Kindes und es gibt es mehr Eltern als verheiratete Paare. Dies wird in Zusammenhang mit den Übergangsmustern in Abschnitt 6.6 weiter untersucht. In allen drei Ländern besteht wieder das bekannte Muster, dass Frauen das Ereignis früher erleben als Männer. Auch bei der Elternschaft ist dieser Geschlechterunterschied mit drei Jahren in Schweden am geringsten (vgl. Tabelle 27). In Westdeutschland und Italien liegt die Differenz dagegen bei knapp über fünf Jahren. Auch hier sind offenbar wieder die Altersunterschiede innerhalb der Partnerschaften ausschlaggebend. Die Entwicklung der Altersmediane verläuft in den drei Ländern ebenfalls parallel; sie steigen bei den jüngeren Kohortengruppen an.132 Dieser Trend, dass die Eltern bei der Geburt des ersten Kindes immer älter sind, wird auch durch amtliche Statistiken bestätigt. Ob dies auch als Destandardisierung gewertet werden kann, lässt sich indes nicht eindeutig beantworten. Häufig konnte für die jüngeren Kohortengruppen keine Altersvarianz berechnet werden, da zum Zeitpunkt der Befragung weniger als 75% ein Kind bekommen hatten.
6.4.2 Der Einfluss individueller Faktoren auf das Alter bei der Geburt des ersten Kindes Wie bei den anderen Statusveränderungen, wird auch für das Alter bei der Familiengründung, der Einfluss von individuellen Faktoren in ereignisanalytischen Modellen überprüft. In den Interaktionsmodellen (Tabelle 29 für die Frauen und Tabelle 30 für die Männer) können die Koeffizienten der Länder direkt miteinander verglichen werden. Die Effektkoeffizienten der Kohortenvariable bestätigen die Ergebnisse der deskriptiven Analyse: Bei den jüngeren Kohortengruppen ist das Alter bei der Familiengründung signifikant höher als bei den zwischen 1949 und 1954 geborenen. Nur in Italien ist der Effekt bei der mittleren Kohorte etwas schwächer (Frauen) oder nicht signifikant (Männer). Da die entsprechenden Interaktionsterme keinen signifikanten Unterschied zwischen den Ländern aufzeigen, geht auch in diesem Fall die Entwicklung eindeutig in die gleiche Richtung. Lediglich die starke Verzögerung bei den westdeutschen Männern der jüngsten Kohortengruppe unterscheidet sich leicht signifikant von der entsprechenden Gruppe der schwedischen Männer. Insgesamt setzt sich damit die bei der Erstheirat festgestellte Verlängerung der Übergangsphase in das Erwachsenenalter fort. 132 Nur bei den schwedischen Frauen, ist der Altersmedian der jüngsten Kohorte nicht höher als bei der mittleren Kohortengruppe.
183
Tabelle 29: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Frauen, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Gesch.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Einstellung zu Abtreibungen (Referenz: liberal) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Bildung ISCED 1-2*BRD (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Aktueller Wohnort Stadt*BRD (Referenz: Land) Stadt*Italien Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Länder
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BRD Ref. 0,94 1,49** 0,80** 0,79*** 1,40*** 0,58*** 0,93 0,69*** 0,84** 0,84* 0,98 0,90 0,74** 1,21** 1,41 1,17**
Italien 1,06 Ref. 1,58*** 0,90* 0,82*** 1,89*** 0,68*** 1,08 0,78** 0,99 1,01 1,11 0,98 0,76** 1,11* 1,38*** 0,84***
Schweden 0,67** 0,63*** Ref. 0,79*** 0,72*** 1,18** 0,67*** 0,76*** 0,71*** 0,86*** 1,00 0,87* 0,79** 0,96 1,24*** 1,41*** 1,22***
Ref. 1,12 0,98 Ref. 1,04 0,91 Ref. 1,35*** 0,84* Ref. 1,18 1,15 Ref. 1,16* 0,82** Ref. 1,13 1,03 Ref. 1,18* 1,03
0,89 Ref. 0,88 0,96 Ref. 0,87 0,74*** Ref. 0,63*** 0,85 Ref. 0,97 0,86* Ref. 0,70*** 0,88 Ref. 0,91 0,85* Ref. 0,87*
1,02 1,14 Ref. 1,10 1,15 Ref. 1,19* 1,60*** Ref. 0,87 1,03 Ref. 1,23** 1,43*** Ref. 0,97 1,10 Ref. 0,97 1,15* Ref.
Fortsetzung Tabelle 29: Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Frauen BRD Interaktionsterme Religiosität (Ref.: leicht religiös)
areligiös*BRD areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Einstellung zu Abtreibung*BRD Abtreibungen Abtreibung*talien (Referenz: liberal) Abtreibung*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 0,83 0,83 1,21 Ref. 1,00 1,20 1,00 Ref. Ref. 0,89 1,13 1,13 Ref. 1,27* 0,89 0,79* Ref. Ref. 0,92 1,13 1,09 Ref. 1,23 0,89 0,81 Ref. Ref. 0,97 0,77 1,03 Ref. 0,79 1,29 1,26 Ref. Ref. 1,09 0,98 0,92 Ref. 0,90 1,02 1,11 Ref. Ref. 1,02 1,00 0,98 Ref. 0,98 1,00 1,02 Ref. Ref. 1,40*** 0,96 0,76*** Ref. 0,69*** 1,04 1,45*** Ref. 5702 / 4521 / 774,4519 / 0,13
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Auch das Bildungsniveau hat den erwarteten Effekt. Wie beim Heiratsalter ist der Einfluss der Bildungsvariablen bei den Frauen stärkeren als bei den Männern. Im Vergleich mit der Referenzgruppe (mittlerer Bildungsabschluss), werden Frauen mit einem niedrigen Abschluss signifikant früher Mütter. Dieser Effekt ist mit einem Koeffizienten von 1,89 in Italien am stärksten und die entsprechenden Interaktionsterme bestätigen diesen Länderunterschied. Dadurch wird die bereits bei der Analyse des Erwerbseinstiegs gewonnene Erkenntnis bestätigt, dass italienischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss häufig die eigene Berufstätigkeit zugunsten einer traditionellen Familien- und Mutterrolle zurückstellen. Am schwächsten ist der beschleunigende Effekt eines niedrigen Bildungsabschlusses bei den schwedischen Frauen (exp(E) = 1,18). Bei den Männern hat ein niedriges Bildungsniveau nur in Italien einen beschleunigenden Effekt auf die Vaterschaft. In den anderen beiden Ländern können die Männer mit einem niedrigen Abschluss offenbar nicht davon profitieren, dass sie früher als die anderen jungen Erwachsenen in den Arbeitsmarkt einsteigen. Dieses Muster trat bereits bei der Partnerschaftsbildung auf. Männer mit einem nied185
rigen Bildungsniveau sind damit in Westdeutschland und Schweden beim sozialen Verselbständigungsprozess besonders stark benachteiligt. Offenbar ist in Schweden und Westdeutschland die Qualität der gewonnenen finanziellen Unabhängigkeit wichtig. Männer mit besseren Abschlüssen können eine höhere ökonomische Sicherheit garantieren und damit die längere Bildungsbeteiligung ausgleichen. Zwar hat auch bei den Männern ein Hochschulabschluss (im Vergleich mit einem mittleren) einen verzögernden Effekt auf das Alter bei der Geburt des ersten Kindes. Aber dieser verzögernde Effekt ist nicht so stark wie bei den Frauen.133 Tabelle 30: Ereignisanalyse (Cox-Modelle), Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Männer, exp(E) Westdeutschland Italien Schweden Geburtskohorte Kohorte 1955-59 (Referenz: 1949-54) Kohorte 1960-64 Bildung ISCED 1-2 (Ref.: ISCED 3-4) ISCED 5-6 Aktueller Wohnort (Referenz: Land) Geschwisterzahl Einzelkind (Ref.: +3 Geschw.) 1 oder 2 Geschwister Religiosität Nicht religiös (Ref.: leicht religiös) Religiös Sehr religiös Kinderwunsch Geringer Kinderwunsch (Referenz: Leichter Ausgeprägter Kinderwunsch Kinderwunsch Starker Kinderwunsch Einstellung zu Abtreibungen (Referenz: liberal) Interaktionsterme Geburtskohorte Kohorte 1955-59*BRD (Referenz: 1949-54) Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Länder
BRD Ref. 0,70 1,57* 0,79** 0,55*** 1,01 0,63*** 0,79** 0,70** 1,06 0,84 1,15 1,11 0,58*** 1,58*** 1,40 1,23*
Italien 1,43 Ref. 2,23*** 0,95 0,70*** 1,53*** 0,64** 1,07 0,45*** 0,89 0,61** 1,17 1,02 1,15 1,25* 1,50 1,21
Schweden 0,64* 0,45*** Ref. 0,77*** 0,71*** 0,92 0,83** 0,69*** 0,80* 0,91 0,96 0,89 0,89 1,26 1,34*** 1,52*** 1,00
Ref. 1,21 0,98 Ref. 1,27 1,30*
0,83 Ref. 0,81 0,79 Ref. 1,02
1,03 1,24 Ref. 0,77* 0,98 Ref.
133 Bei den italienischen und schwedischen Männern ist der Koeffizient nur auf mittlerem Niveau signifikant.
186
Fortsetzung Tabelle 30: Alter bei der Geburt des ersten Kindes, Männer BRD Interaktionsterme Bildung (Ref.: ISCED 3-4)
ISCED 1-2*BRD ISCED 1-2*Italien ISCED 1-2*Schweden ISCED 5-6*BRD ISCED 5-6*Italien ISCED 5-6*Schweden Aktueller Wohnort Stadt*BRD (Referenz: Land) Stadt*Italien Stadt*Schweden Geschwisterzahl Einzelkind*BRD (Ref.: +3 Geschw.) Einzelkind*Italien Einzelkind*Schweden 2 Geschwister*BRD 2 Geschwister*Italien 2 Geschwister*Schweden Religiosität areligiös*BRD (Ref.: leicht religiös) areligiös*Italien areligiös*Schweden religiös*BRD religiös*Italien religiös*Schweden sehr religiös*BRD sehr religiös*Italien sehr religiös*Schweden Kinderwunsch gering*BRD (Referenz: Leichter gering*Italien Kinderwunsch gering*Schweden ausgeprägt*BRD ausgeprägt*Italien ausgeprägt*Schweden stark*BRD stark*Italien stark*Schweden Einstellung zu Abtreibung*BRD Abtreibungen Abtreibung*talien (Referenz: liberal) Abtreibung*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
Italien
Schweden
Ref. 0,66** 1,10 1,52** Ref. 1,67*** 0,91 0,60*** Ref. Ref. 0,99 0,76 1,01 Ref. 0,77 1,31 1,30 Ref. Ref. 0,73** 1,14 1,36** Ref. 1,55*** 0,88 0,65*** Ref. Ref. 1,55 0,87 0,65 Ref. 0,56* 1,15 1,77* Ref. Ref. 1,19 1,17 0,84 Ref. 0,98 0,86 1,02 Ref. Ref. 1,38 0,87 0,72 Ref. 0,63* 1,15 1,58* Ref. Ref. 0,98 1,29 1,02 Ref. 1,31 0,78 0,76 Ref. Ref. 1,10 1,25 0,91 Ref. 1,14 0,80 0,88 Ref. Ref. 0,51** 0,46** 1,98** Ref. 0,91 2,17** 1,10 Ref. Ref. 1,26 1,18 0,79 Ref. 0,94 0,85 1,07 Ref. Ref. 0,93 0,92 1,07 Ref. 0,98 1,09 1,02 Ref. Ref. 1,02 1,23 0,98 Ref. 1,21 0,81 0,83 Ref. 2788 / 1729 329,58 / 0,11
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Die Bildungsvariable hat damit einen sehr geschlechtsspezifischen Effekt. Bei den Frauen sind es vor allem die hoch ausgebildeten, die die Mutterschaft aufschieben oder gar kinderlos bleiben. Bei den Männern wirkt sich dagegen ein 187
niedriger Abschluss eher negativ auf die Vaterschaft aus. Diese Ergebnisse unterstützen erneut die These der Familienökonomie. Insbesondere für Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss ist es offenbar eine gute Option, die eigene Berufskarriere zugunsten der Familie zurückzustellen oder zumindest zeitweise zu unterbrechen. Frauen mit einem hohen Bildungsniveau fällt dies dagegen deutlich schwerer. Auch Klein und Lauterbach (1994) betonen, dass mit jedem zusätzlichen Ausbildungsjahr, die Neigung zur Mutterschaft zurückgeht. Dies gilt auch in Schweden, in dem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker gefördert wird als in den anderen beiden Ländern. Allerdings ist der verzögernde Effekt eines hohen Bildungsabschlusses in Westdeutschland etwas stärker als in Schweden oder Italien.134 So berichten deutsche Wissenschaftlerinnen einstimmig, dass es unter den gegebenen Vorraussetzungen sehr schwierig war, Beruf und Familie zu vereinbaren (Biller-Andorno et al. 2005). Inwieweit die seit Januar 2007 wirksamen Regelungen zum Elterngeld hier eine Veränderung bewirken können, muss sich erst noch zeigen. Immerhin wurde damit ein in den skandinavischen Ländern offenbar sehr wirksames Instrument zur Stützung der Fertilitätsrate aufgegriffen. Der aktuelle Wohnort hat auf den Zeitpunkt der ersten Elternschaft keinen stabilen Effekt. In Schweden und bei den westedeutschen Männern gründet die Gruppe, die in eher ländlichen Gebieten wohnt, signifikant früher eine eigene Familie. Bei den anderen Subgruppen hat die Variable keinen eindeutigen Einfluss. Im theoretischen Teil wurde argumentiert, dass eine hohe Geschwisterzahl zu einer positiven Einstellung zu Kindern führen kann. Man ist dann selbst früher dazu bereit, den Schritt zur eigenen Familiengründung zu gehen. Ergänzend dazu gehen Blossfeld und Huinink (1989) davon aus, dass insbesondere Frauen aus großen Familien in ihrer Bildungskarriere benachteiligt werden und eher dazu bereit sind, auf eine berufliche Karriere zu verzichten. „Sie wollen und haben mehr Kinder“ (Blossfeld et al. 1989: 398). Tatsächlich zeigen die hier vorliegenden Ergebnisse, dass die Geschwisterzahl vor allem bei den Frauen einen signifikanten Effekt auf das Alter bei der Familiengründung hat. Für alle Subgruppen gilt, dass Einzelkinder signifikant später Mütter oder Väter werden als junge Erwachsene mit drei und mehr Geschwistern.135 Bei den westdeutschen und schwedischen Frauen gilt dies auch für die mit bis zu Geschwistern.
134 Die Interaktionsterme zeigen hier zwar keinen signifikanten Länderunterschied an, aber zum einen ist der Effektkoeffizient in Westdeutschland ausgeprägter und zum anderen ist das Signifikanzniveau bei den westdeutschen Männern höher als bei den Männern aus den anderen beiden Ländern. 135 Die Interaktionsterme zeigen, dass der verzögernde Effekt bei den italienischen Männern ohne Geschwister besonders stark ist.
188
Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Wertschätzung für die Familie bei christlich oder konservativ geprägten Personen höher ist als beim Rest der Bevölkerung. Dieses Bekenntnis zur Familie kann ebenfalls zu einer früheren Elternschaft beitragen. In den Regressionsmodellen wird dies anhand von zwei Indikatoren überprüft. Die Religiosität hat dabei nur vereinzelt einen signifikanten Effekt und die Annahme kann für die westdeutschen Frauen und den italienischen Männern nur insofern bestätigt werden, dass hier areligiöse Personen die Elternschaft signifikant später erleben als die der Referenzgruppe (leicht religiös). Entgegen der Hypothese werden religiöse Frauen in Schweden signifikant später Mütter. Dies kann damit zusammenhängen, dass diese Personen der kirchlichen Norm folgen und erst heiraten, bevor sie eine Familie gründet. Das Heiratsalter ist in Schweden vergleichsweise hoch und wer zunächst heiratet, bekommt dann später Kinder als die unverheirateten Eltern. Bei den anderen Subgruppen (italienische Frauen, sowie westdeutsche und schwedische Männer), hat die religiöse Bindung keinen signifikanten Effekt auf das Alter bei der Familiengründung. Der zweite Werteindikator wurde anhand der Frage, ob man eine Abtreibung akzeptiert, wenn die Frau zurzeit kein Kind möchte, erhoben. Eine positive Antwort auf diese Frage wird mit einer liberalen Einstellung zu diesem Thema gleichgesetzt und in den Modellen als Referenzgruppe verwendet. Die westdeutschen jungen Erwachsenen, sowie die schwedischen Frauen, die diese Begründung für eine Abtreibung ablehnen, gründen signifikant früher eine eigene Familie. Bei den italienischen Frauen hat die Variable dagegen den entgegengesetzten Einfluss. Dieser Effekt tritt allerdings erst unter Kontrolle der Religiosität und den Vorstellungen zur idealen Kinderzahl auf und ist offenbar nicht stabil. Die Frage nach der idealen Kinderzahl spiegelt relativ direkt die Einstellung zu Familie und Kinder wider. Es ist daher auch nicht überraschend, dass dieser Faktor einen stärkeren Effekt als die religiöse Bindung hat. Wer dem Lebensziel „Familie“ eine hohe Bedeutung beimisst und viele Kinder für ideal hält, erlebt auch die eigene Elternschaft früher. In den Regressionsmodellen wurde die Gruppe mit einem durchschnittlichen Kinderwunsch (zwei Kinder) als Referenzgruppe verwendet. In Westdeutschland gründen die jungen Erwachsenen, die nur ein Kind für ideal halten, signifikant später eine Familie, während die, die sich mehr als zwei Kinder wünschen, das Ereignis früher erleben.136 Dies trifft auch bei den italienischen Frauen zu, während bei den Männern die Koeffizienten zwar in die gleiche Richtung weisen, aber nicht signifikant sind. In Schweden hat ein stark ausgeprägter Kinderwunsch einen signifikanten Effekt. 136 Der verzögernde Effekt eines geringen Kinderwunsches ist bei den westdeutschen Männern besonders stark, weshalb auch die entsprechenden Interaktionsterme signifikant sind.
189
Auch für die vorgestellten Modelle in Tabelle 29 und 30 kann überprüft werden, welche Variablen von besonderer Bedeutung sind. Bei den Frauen (Tabelle 29) erreicht das vollständige Interaktionsmodell ein R² von 0,13. Die Länderunterschiede tragen nur wenig zu dieser erklärten Varianz bei (0,02). Erst unter Berücksichtigung der Kohortenzugehörigkeit und des Bildungsniveaus steigt das R² auf 0,10. Diese beiden Faktoren sind in allen drei Ländern signifikant. Bei den Männern (Tabelle 30) erzielen alle Variablen zusammen ein R² von 0,11. Werden nur die Länder berücksichtigt, die sich alle drei signifikant voneinander unterscheiden, liegt das R² bei 0,03. Auch sonst hat keine Variable einen besonders hohen Anteil an der erklärten Varianz. Unter Berücksichtigung der Kohorten und des Bildungsniveaus steigt das R² auf 0,06 (beide Effekte sind nicht so stark wie bei den Frauen). Wohnort und Geschwisterzahl tragen ähnlich stark zum R² bei, während die Koeffizienten zu den Werten und Einstellungen etwas schwächer sind. Werden nach Geschlecht und Land getrennte Modelle berechnet, in denen alle anderen Variabeln berücksichtigt werden, können die gruppenspezifischen R² miteinander verglichen werden. Die höchste Erklärungskraft erreicht das Modell in Italien, bei den Frauen beträgt das R² 0,15 und bei den Männern 0,17. Auch in Westdeutschland ist das R² bei den Männern mit 0,12 etwas höher als bei den Frauen (R² = 0,10). Der gleiche Wert wird auch für die schwedischen Frauen erzielt, aber bei den schwedischen Männern liegt das generalisierte R² lediglich bei 0,06. Dies hängt unter anderem mit der Bildungsvariable zusammen, die hier einen vergleichsweise geringen Einfluss hat. In Italien hat diese Variable sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen einen sehr starken Effekt, zudem sind jeweils einige andere Faktoren hoch signifikant (bei den Frauen vor allem der Kinderwunsch und bei den Männern die Geschwisterzahl). Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Elternschaft diskutiert.
6.4.3 Zusammenfassung zum Übergang in die Elternschaft Auch bei der Familiengründung zeichnet sich die hohe Bedeutung der institutionellen Rahmenbedingungen deutlich ab. Zwischen den Ländern wurden deutliche, zum Teil überraschende Unterschiede festgestellt. Zwar ist in Westdeutschland die Fertilitätsrate höher als in Italien, dennoch werden die westdeutschen jungen Erwachsenen deutlich später Eltern als die Italiener und Schweden. Die relativ hohe Kinderlosigkeit in Westdeutschland und vergleichsweise viele Einzelkinder in Italien bilden dafür die Ursache. Die Geschlechterunterschiede
190
sind wie erwartet in Schweden am geringsten, in Westdeutschland und Italien aber ähnlich groß. Da vor allem bei den jüngeren Kohortengruppen noch nicht 75% der Befragten ein Kind bekommen hatten, konnte die Entwicklung der Altersvarianz nicht ausreichend untersucht werden. Ob es bei der Familiengründung zu einer Destandardisierung kommt, lässt sich somit nicht eindeutig beantworten. Aber der deutliche Anstieg der Altersmediane spricht dafür und unterstreicht zudem, dass die Übergangsphase in das Erwachsenenalter immer später abgeschlossen wird. Auch bei der Analyse der individuellen Einflussfaktoren spielen die Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle, da die meisten dieser Faktoren oder einzelne Kategorien je nach Land einen anderen Effekt haben. Nur bei der Kohortenzugehörigkeit zeigen die Interaktionsterme keinen signifikanten Unterschied zwischen den Ländern an. Dies unterstreicht nochmals, dass die Verlängerung der Übergangsphase ein gesellschaftsübergreifendes Phänomen darstellt. Dagegen unterscheidet sich beispielsweise der Einfluss eines niedrigen Bildungsabschlusses in Italien deutlich von den anderen beiden Ländern. Vor allem bei den Frauen ist der erreichte Bildungsabschluss neben der Kohortenzugehörigkeit der wichtigste Faktor. Daneben hat sowohl die Geschwisterzahl als auch der Kinderwunsch bei beiden Geschlechtern einen relativ starken Effekt. Da die Fertilitätsrate eine wichtige Kennziffer für die Entwicklung der einzelnen Länder und ganz Europa darstellt, werden die festgestellten Unterschiede beim Alter der Familiengründung unter einer erweiterten Perspektive diskutiert. Ähnlich wie bei der Partnerschaftsbildung liegt es auch hier Nahe, eine Verbindung zwischen Elternschaft und Erwerbseinstieg herzustellen. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass die Gründung einer Familie von einer sicheren ökonomischen Basis abhängig ist. Für Westdeutschland wird dieser Zusammenhang von Hellwig (2001) bestätigt. Bei ihrer Untersuchung von italienischen jungen Erwachsenen, kommen Bernardi und Nazio (2005) zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei ihnen zeigt sich die hohe Abhängigkeit von der ökonomischen Situation unter anderem daran, dass junge Erwachsene in unsicheren Arbeitsverhältnissen selten Eltern werden. Bei Frauen hat beispielsweise eine Anstellung im öffentlichen Dienst, im Vergleich zur Privatwirtschaft, einen positiven Effekt auf die Familiengründung (Bernardi et al. 2005). Resultate für Schweden weisen in die gleiche Richtung. Junge Erwachsene die noch studieren oder auf der Suche nach der ersten Erwerbstätigkeit sind, werden seltener Eltern (Bygren et al. 2005: 150). Auch die hier vorgestellten Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine unsichere ökonomische Situation zu einer Verzögerung der Familiengründung führt. Dabei kann man sowohl die ökonomische Situation (vgl. Entwicklung der 191
Jugendarbeitslosigkeit, Abbildung 4) als auch das errechnete Alter beim Erwerbseinstieg (vgl. Abschnitt 6.1) heranziehen. Aber offenbar ist dieser Zusammenhang in den drei ausgewählten Ländern nicht gleich stark ausgeprägt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit und das vergleichsweise hohe Alter bei der ersten Arbeitserfahrung in Italien zeigen, dass dort dieser Übergang deutlich schwieriger ist als in den anderen beiden Ländern. Dennoch sind es nicht die italienischen, sondern die westdeutschen Paare, die sehr spät eine Familie gründen. Auch die schwedischen Frauen sind bei der Geburt des ersten Kindes jünger als die westdeutschen Mütter. Das gute Abschneiden von Schweden konnte aufgrund der gezielten Förderung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwartet werden. In Westdeutschland und Italien stehen dagegen nicht nur wenige Betreuungsplätze für Kleinkinder zur Verfügung, sondern auch das Nacheinander von Beruf und Familie wird politisch gewünscht (Dienel 2002: 258). Dies bedeutet, dass auch gut ausgebildete Frauen mit hohen beruflichen Ambitionen, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten konstant zugenommen hat, ihre Berufskarriere meist für mehrere Jahre unterbrechen müssen, wenn sie ihren Kinderwunsch realisieren wollen. Geht man also davon aus, dass während des Untersuchungszeitraumes die sozialpolitischen Rahmenbedingungen in Italien und Westdeutschland ähnlich schlecht waren, stellt sich die Frage, wie es zu den beschriebenen Unterschieden kommt. Zumal die ökonomischen Voraussetzungen in Westdeutschland für die jungen Erwachsenen wesentlich besser waren und sind. Eine Erhebung des Eurobarometers von 1993, bei der 20 bis 39jährige unter anderem zu dem Thema „Familie und Beruf“ befragt wurden, liefert dazu einige wichtige Resultate (siehe Tabelle 31). Tabelle 31: Einstellungen zu Familie und Kinder (bei 20 – 39jährige Personen)
Italien Westdeutschland
Männer Frauen Männer Frauen
Kinder als Hindernis für das Berufsleben der Frau 47% 57% 69% 71%
Mütter sollten zuhause bleiben
69% 72% 88% 85%
Erfolgreiche Partnerschaft heißt Kinder zu haben 49% 45% 32% 35%
Quelle: Habich et al. 1998: 25.
Diese Umfragedaten machen deutlich, dass in Westdeutschland Kinder auf der einen Seite sehr häufig als Hindernis für die Berufskarriere der Frau empfunden
192
werden.137 Hinzu kommt, dass in keinem anderen europäischen Land soviel Frauen und Männer der Meinung sind, dass Mütter zuhause bleiben sollten. Auf der anderen Seite ist der Kinderwunsch in Italien stärker ausgeprägt als in Westdeutschland. Ungefähr die Hälfte der jungen Italienerinnen und Italienern stimmen der Aussage zu, dass eine erfolgreiche Partnerschaft auch Kinder beinhaltet. In Westdeutschland ist nur ca. ein Drittel der jungen Erwachsenen dieser Meinung. Um ihren Wunsch nach einer Familie zu realisieren, nehmen die italienischen Paare es offensichtlich häufiger in Kauf, dass die Frauen schon zu einem frühen Zeitpunkt ihre Berufskarriere zumindest temporär unterbrechen müssen oder zunächst gar nicht erwerbstätig sind. Dagegen fällt es den westdeutschen Frauen unter den gegebenen Rahmenbedingungen schwer, den gestiegenen Anspruch nach einer beruflichen Karriere einerseits, und einem Familienleben andererseits, miteinander in Einklang zu bringen (Biller-Andorno et al. 2005). Die schwedischen jungen Erwachsenen profitieren sowohl von den günstigen Rahmenbedingungen beim Erwerbseinstieg als auch von der besseren Vereinbarkeit von Familienleben und Berufskarriere. Betrachtet man die Ergebnisse der Cox-Regressionsmodelle zu allen fünf Übergangsereignissen, fallen einige wichtige Unterschiede zwischen den Ländern und den ausgewählten Variabeln auf. Am Anfang des Übergangsprozesses (Auszug und Erwerbseinstieg) sind die Länderunterschiede besonders stark ausgeprägt. In Italien spielen vor allem die Kohorten- und Bildungsvariabeln eine wichtige Rolle. Sie sind meist hoch signifikant und stark ausgeprägt. Einstellungen und Werte oder der regionale Kontext spielen in Italien dagegen keine große Rolle. Offenbar gibt es in Italien eine starke Orientierung an den allgemeinen Altersnormen. Auch in Westdeutschland sind Kohortenzugehörigkeit und das erreichte Bildungsniveau relevante Faktoren, aber zudem wird eine höhere Variation nach religiöser Bindung, Kinderwunsch oder dem Wohnort festgestellt. Es gibt eine höhere Orientierung an gruppenspezifischen Altersnormen. In Schweden ist der Effekt der Bildungsvariablen häufig schwächer als in den anderen beiden Ländern. Auch die Werte und Einstellungen haben meist keine so hohe Bedeutung wie in Westdeutschland. Dies deutet darauf hin, dass der soziale Verselbständigungsprozess dort weder besonders stark an allgemeine noch an gruppenspezifische Normen gebunden ist und sehr individuell gestaltet werden kann. Gerade bei der Analyse der Ereignisse Heirat und Elternschaft hat sich gezeigt, dass die jüngeren Kohorten diese Übergänge vergleichsweise spät erleben. Es stellt sich die Frage, wie sich diese Veränderungen auf die gesamte Dauer des 137
Bei zwölf europäischen Ländern, wird lediglich in Großbritannien ein höherer Wert als in Westdeutschland erreicht (Habich et al. 1998).
193
Einmündungsverlaufes und den Zusammenhang zwischen einzelnen Statusveränderungen auswirken. Verlängert sich die gesamte Übergangsphase oder findet sie nur insgesamt später statt? Werden die einzelnen Übergangsereignisse zunehmend unabhängig voneinander erlebt? Diese Fragen werden im folgenden Abschnitt genauer untersucht.
6.5 Die Dauer des sozialen Verselbständigungsprozesses Infolge des theoretischen Konzepts des Normallebenslaufes beginnt der soziale Verselbständigungsprozess mit dem Auszug aus dem Elternhaus. Es folgt die Partnerschaftsbildung und mit der Familienbildung wird der Übergang ins Erwachsenenalter abgeschlossen. Wie die Analysen im Abschnitt 6.6 zeigen werden, läuft dieser Prozess nicht immer genau in dieser Reihenfolge ab und vor allem bei den Ereignissen Heirat und Familienbildung gibt es Variationen. Zunächst wird aber untersucht, über welchen Zeitraum sich der soziale Verselbständigungsprozess erstreckt. Dazu werden drei Zeitperioden untersucht: (1) Die Dauer zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung, (2) die Dauer zwischen der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung und der Erstheirat und (3) die Dauer zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der Familiengründung Bei den Auswertungen zur Dauer zwischen zwei Ereignissen muss beachtet werden, dass jeweils nur die Personen berücksichtigt werden können, die das jeweils erste Ereignis erlebt haben. Für diese Subgruppe kann dann die Zeit bis zum Eintreten des nächsten Ereignisses beschrieben werden. Findet das zweite Ereignis nicht statt, werden die Fälle in den ereignisanalytischen Modellen als rechtszensiert behandelt und der Interviewzeitpunkt wird herangezogen. Beispielsweise werden bei der Untersuchung der Dauer zwischen Auszug und Haushaltsgründung, die Personen ausgeschlossen, die nicht ausgezogen sind.138 Da fast alle Befragten zum Zeitpunkt des Interviews das Elternhaus verlassen haben, trifft dies nur auf einen sehr kleinen Teil zu. Etwas größer ist dagegen der Anteil an Personen, die noch nie mit einem Partner zusammen gewohnt haben. Da insbesondere in Schweden der Anteil an verheirateten Personen sehr gering ist, wurde darauf verzichtet, die Differenz zwischen Erstheirat und Familiengründung zu berechnen.
138 Ausgeschlossen werden auch die Fälle mit einem negativen Zeitunterschied, also wenn der Auszug erst nach der Familiengründung erfolgt ist.
194
6.5.1 Die Dauer zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der Partnerschaftsbildung Um den zeitlichen Abstand zwischen Auszug und Partnerschaftsbildung zu untersuchen, wird das Alter beim Auszug und der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung herangezogen. Der Prozess der Partnerschaftsbildung besteht aus den Ereignissen der gemeinsamen Haushaltsgründung und der Erstheirat. Es sprechen sowohl theoretische als auch methodische Argumente dafür, bei der Berechnung dieser Dauer auf die Haushaltsgründung und nicht auf die Erstheirat zurück zu greifen. Nach dem Phasenablaufprozess beginnt die Partnerschaftsbildung mit der Haushaltsgründung. Selbst wenn vor der Heirat kein gemeinsamer Haushalt gegründet wurde, so geschieht dies im Normalfall spätestens zu diesem Zeitpunkt. Würde die Heirat herangezogen, fiel ein Teil der Partnerschaften unter den Tisch. Damit ist auch aus methodischer Sicht die gemeinsame Haushaltsgründung die richtige Wahl, da hier mehr Fälle vorliegen. Die Dauer zwischen den Ereignissen wird in ähnlicher Weise wie das Alter bei den einzelnen Statusveränderungen beschrieben. Tabelle 32 gibt einen Überblick über den Anteil an Personen die zwar ausgezogen sind, aber zum Zeitpunkt des Interviews noch keinen gemeinsamen Haushalt gegründet haben. Wie die Analyse der beiden einzelnen Ereignisse bereits vermuten ließ, ist der Anteil an jungen Erwachsenen die außerhalb des Elternhauses wohnen, aber nicht mit einem Partner zusammen leben, in Westdeutschland höher als in Schweden und Italien. In Westdeutschland trifft dies auf fast ein Fünftel zu, während es in Italien und Schweden ca. drei bis elf Prozent sind. In allen drei Ländern ist dabei der Anteil bei den Frauen niedriger als bei den Männern. Tabelle 32: Dauer zwischen Auszug und Haushaltsgründung. Anteil ohne gemeinsamen Haushalt (nach Auszug), Quartile (in Monaten) Frauen Ausgezogen, kein gem. Haushalt 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil
Männer
BRD
Italien
Schweden
BRD
Italien
Schweden
13,2%
2,7%
5,5%
26,9%
8,0%
11,0%
<1 <1 43
<1 <1 <1
<1 20 54
<1 24 122
<1 <1 29
1 35 78
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Die Quartilsangaben veranschaulichen sehr deutlich, dass die Dauer zwischen den Ereignissen, je nach Land und Geschlecht erheblich variiert. Am engsten ist der Zusammenhang zwischen Auszug und Haushaltsgründung in Italien, da bei 195
den Frauen der Wert für das dritte Quartil nur bei einem Monat und bei den Männern lediglich bei 29 Monaten liegt. Auch von den westdeutschen Frauen, zieht mindestens die Hälfte innerhalb eines Monats aus dem Elternhaus aus und mit dem Partner zusammen. In Schweden beträgt der Median bei den Frauen 20 Monate und 35 Monate bei den Männern. Diese Daten lassen sich auch in der grafischen Darstellung der kumulativen Verteilungsfunktion zusammenfassen, die eine Umkehrung der Suvivor-Funktion ist (siehe Abbildung 15).139 Abbildung 15: Kumulative Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen Auszug und erster gemeinsamer Haushaltsgründung 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Dauer in Jahren Westdeutschland: Frauen
Westdeutschland: Männer
Italien: Frauen
Italien: Männer
Schweden: Frauen
Schweden: Männer
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Die Funktionen für Italien zeigen, dass ca. 90% der Frauen und ca. 70% der Männer den Auszug und die Haushaltsgründung direkt miteinander verbinden. Sie erleben beide Ereignisse innerhalb von sechs Monaten. Auch etwa die Hälfte 139
Die Funktion wurde nicht mit monats-, sondern halbjährlichen Intervallen berechnet.
196
der westdeutschen jungen Erwachsenen folgt diesem traditionellen Modell. Allerdings lebt die andere Hälfte der Westdeutschen nach dem Verlassen des Elternhauses vergleichsweise lange alleine (oder zumindest nicht mit dem Partner zusammen). Damit gibt es in Westdeutschland zwei sehr unterschiedliche Muster, was Auszug und Haushaltsgründung betrifft. In Schweden sind es insgesamt deutlich weniger junge Erwachsene, die den Auszug direkt mit der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung verbinden. Andererseits lassen sie den Abstand zwischen den beiden Ereignissen auch nicht so groß werden wie ein Teil der westdeutschen jungen Erwachsenen. Ungefähr sechs Jahre nach dem Auszug, wohnen von ihnen mehr mit einem Partner zusammen als in Westdeutschland. Diese Länderunterschiede sind hoch signifikant. In einem ereignisanalytischen Modell, in dem nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt werden, ist der Hazard-Ratio in Italien am höchsten und damit die Dauer zwischen den Ereignissen am kürzesten. Beim Vergleich zwischen Westdeutschland und Schweden ist das Geschlecht ausschlaggebend. Bei den Frauen ist der Abstand zwischen Auszug und Haushaltsgründung in Schweden signifikant länger als in Westdeutschland, bei den Männern verhält es sich umgekehrt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Geschlechterunterschiede in Westdeutschland besonders ausgeprägt sind. Die westdeutschen Männer weisen nicht nur den höchsten Quartilsabstand, sondern auch den höchsten Anteil ohne gemeinsame Haushaltsgründung auf (vgl. Tabelle 32). Der geringe Abstand zwischen Auszug und gemeinsamer Haushaltsgründung in Italien, ist ein deutliches Indiz dafür, dass dort das Verlassen des Elternhauses nur dann legitim ist, wenn es in Verbindung mit einer Partnerschaft steht (Rusconi 2004). Da es in Italien nur wenige nichteheliche Lebensgemeinschaften gibt, leitet sich daraus ein enger Zusammenhang zwischen Auszug und Heirat ab. Rossi (1997) sieht in der engen Verbindung zwischen Auszug und Eheschließung eine Ursache für das hohe Auszugsalter in Italien.140 Für Westdeutschland stellt Hullen (1995) entsprechend fest, dass das Auszugsalter höher ist, wenn das Verlassen des Elternhauses mit der Partnerschafts- oder Familienbildung verbunden wird. Wer dagegen in Zusammenhang mit einer Ausbildung auszieht, ist bei dem Ereignis jünger (Hullen 1995: 150). Eine Ausnahme stellen aber diejenigen jungen Erwachsenen ohne Partner dar. Für diese Gruppe kommen Lauterbach und Lüscher (1999: 437) zu dem Schluss, dass sowohl Söhne als auch Töchter, die keinen Partner haben, erst spät einen eigenen Haushalt gründen. 140 Er weist aber auch darauf hin, dass die schwierige ökonomische Situation ein wesentlicher Grund für die spätere Partnerschaftsbildung ist (Rossi 1997).
197
Ergänzend wird in einem ereignisanalytischen Modell berechnet, inwiefern sich die Dauer zwischen den beiden Ereignissen verändert hat. Damit wird überprüft, ob sich die Übergangsphase bei den jüngeren Kohorten signifikant verlängert. Zudem wird der Einfluss des Auszugsalters auf die Dauer zwischen den beiden Ereignissen untersucht. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der gesamte Übergangsprozess mit Altersnormen verbunden ist und es in allen Gesellschaften eine obere Altersgrenze für den Einmündungsverlauf gibt. Da der Auszug am Anfang des sozialen Verselbständigungsprozesses steht, ist das Auszugsalter der Startzeitpunkt für diesen Prozess (Hellwig 2001b: 57). Wer früh aus dem Elternhaus auszieht, dem steht demnach für die weiteren Schritte ein größeres Zeitfenster zur Verfügung. Bei einem späten Auszug hat man dagegen nicht mehr soviel Zeit, um die weiteren Ereignisse des sozialen Verselbständigungsprozesses zu erleben. Anhand der Variable zum Auszugsalter lässt sich diese These überprüfen. Die Ergebnisse werden in den Tabellen 33 (Frauen) und 34 (Männer) vorgestellt. Tabelle 33: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und gemeinsamer Haushaltsgründung, Frauen, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 0,71* 0,50*** 0,80*** 0,68*** 1,01
Italien 1,40* Ref. 0,71* 1,01 0,95 1,04***
Ref. 0,79** 0,80** 1,27** Ref. 1,01 1,25** 0,99 Ref. Ref. 0,72*** 0,72*** 1,40*** Ref. 1,00 1,39*** 1,00 Ref. Ref. 0,97*** 0,98* 1,03*** Ref. 1,01 1,02* 0,99 Ref. 5971 / 5588 / 728,80 / 0,11
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
198
Schweden 1,98*** 1,41* Ref. 1,00 0,95 1,03***
Tabelle 34: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und gemeinsamer Haushaltsgründung, Männer, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 0,36*** 1,28 0,86 0,72*** 1,07***
Italien 2,76*** Ref. 3,53*** 0,85 0,73*** 1,14***
Schweden 0,78 0,28*** Ref. 0,99 1,00 1,06***
Ref. 1,01 0,87 0,99 Ref. 0,86 1,15 1,16 Ref. Ref. 0,99 0,72*** 1,01 Ref. 0,73** 1,39*** 1,37** Ref. Ref. 0,94*** 1,01 1,07*** Ref. 1,07*** 0,99 0,93*** Ref. 2852 / 2411 / 396,98 / 0,13
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Die Koeffizienten zu den Kohortengruppen zeigen, dass der soziale Verselbständigungsprozess in Westdeutschland immer länger wird. Die Dauer zwischen Auszug aus dem Elternhaus und der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung ist bei den jüngeren Kohorten höher als bei der ältesten. Sowohl beim Auszug als auch bei der Haushaltsgründung wurde in Westdeutschland ein Altersanstieg festgestellt, aber offenbar ist die Verzögerung ist bei der Partnerschaftsbildung stärker als beim Auszug.141 In Italien kann dieser Effekt nur bei der jüngsten Kohorte der Männer festgestellt werden. Sie haben die Haushaltsgründung später erlebt, während das Auszugsalter unverändert blieb. In Schweden hat sich die Dauer zwischen den beiden Ereignissen nicht signifikant verändert. Die entsprechenden Interaktionsterme bestätigen, dass sich die Entwicklung in Westdeutschland signifikant von den anderen beiden Ländern unterscheidet. Einzig hier wird eine deutliche Verlängerung bei diesem Teil des Übergangsprozesses festgestellt. Die Variable des Auszugsalters hat bei allen Subgruppen, mit Ausnahme der westdeutschen Frauen, einen hoch signifikanten Effekt. Wie erwartet, sinkt die Dauer zwischen den Ereignissen bei einem höheren Auszugsalter. Am 141 Auch in anderen Studien (Wagner et al. 1991; Weick 1993) wird festgestellt, dass in Deutschland der Abstand zwischen Auszug und Partnerschaftsbildung größer wird.
199
stärksten ist der Effekt in Italien. Mit jedem Jahr, um das der Auszug später erfolgt, steigt der Hazard für das nachfolgende Ereignis um vier Prozent bei den italienischen Frauen und um 14% bei den italienischen Männern. In Schweden liegt der Effektkoeffizient bei 1,03 (Frauen) beziehungsweise bei 1,06 (Männer). Auch bei den westdeutschen Männern ist der Unterschied mit einer Steigerung von sieben Prozent pro Jahr signifikant. In den folgenden beiden Abschnitten wird untersucht, ob sich dieses Muster auch bei anderen Abständen zwischen Statusübergängen fortsetzt.
6.5.2 Die Dauer zwischen der Haushaltsgründung und der Erstheirat Der Vergleich der Altersmediane bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung und der Erstheirat hat darauf hingedeutet, dass diese beiden Ereignisse in Italien eng miteinander zusammenhängen, während in Westdeutschland und vor allem in Schweden offenbar viele junge Erwachsene in nichtehelichen Lebensgemeinschaften wohnen (siehe Abschnitt 6.3). Durch die Analyse der Dauer zwischen diesen beiden Ereignissen kann dies genauer beurteilt werden. Wiederum können nur die Personen berücksichtigt werden, die das erste Ereignis (hier die gemeinsame Haushaltsgründung) erlebt haben.142 Für diese Gruppe kann untersucht werden, ob sie nach der Haushaltsgründung heiraten und wenn ja, wie viele Monate oder Jahre dazwischen liegen. Allerdings darf dieser Zeitabstand nicht mit der Dauer von nichtehelichen Lebensgemeinschaften gleichgesetzt werden, da nicht untersucht wurde ob Haushaltsgründung und Eheschließung mit dem gleichen Partner erfolgten. Das bedeutet, dass die jungen Erwachsenen zwischen den beiden Ereignissen auch eine Zeit allein oder mit einem anderen Partner gewohnt haben können. In Tabelle 35 und der kumulativen Verteilungsfunktion (Abbildung 16) werden die Ergebnisse für diese Zeitperiode deskriptiv dargestellt. Darauf aufbauend können die Unterschiede zwischen den verschiedenen Subgruppen erläutert werden. Von den italienischen jungen Erwachsenen, haben beim Interview nur 1,7% der Frauen und 5,3% der Männer angegeben, dass sie zwar mit einem Partner zusammengezogen sind, aber keine Ehe geschlossen haben. Zudem haben über 90% von ihnen beide Ereignisse direkt miteinander verbunden (vgl. Abbildung 16). In Westdeutschland sind dagegen ca. 16% der Frauen und ca. 23% der Männer, die mit einem Partner zusammen wohnen oder zusammen gewohnt haben, nicht verheiratet. Auch hier zeigen sich wieder zwei entgegengesetzte Muster in Westdeutschland. Einerseits ist bereits neun Monate nach der gemein142 Der Anteil ohne Haushaltsgründung bewegt sich zwischen fünf Prozent bei den schwedischen Frauen und 29% bei den westdeutschen Männern (siehe Tabelle 20).
200
samen Haushaltsgründung, die Hälfte der westdeutschen Frauen verheiratet. Sie orientieren sich damit an einem sehr traditionellen Muster. Andererseits zeigen die Kennziffern zum dritten Quartil, dass ein Teil der westdeutschen Frauen und Männer einen hohen zeitlichen Abstand zwischen die beiden Ereignisse aufweist. Tabelle 35: Dauer zwischen Haushaltsgründung und Heirat: Anteil ohne Heirat (nach Haushaltsgründung), Quartile (in Monaten) Frauen Keine Heirat nach Haushaltsgründung 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil
Männer
BRD
Italien
Schweden
BRD
Italien
Schweden
15,8%
1,7%
29,0%
23,4
5,3%
38,9%
<1 9 50
<1 <1 <1
21 67 176
<1 17 80
<1 <1 <1
27 83 193
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Am höchsten ist der Anteil der Ledigen in Schweden. Trotz gemeinsamer Haushaltsgründung waren fast dreißig Prozent der Frauen und vierzig Prozent der Männer zum Zeitpunkt des Interviews nicht verheiratet. Und auch von den Verheirateten haben nur sehr wenige die beiden Ereignisse direkt miteinander verbunden. Dieser Gegensatz zwischen dem traditionellen Italien und von nichtehelichen Lebensgemeinschaften geprägtem Schweden, wird bei der grafischen Darstellung der kumulativen Verteilungsfunktion (Abbildung 16) sehr deutlich. Die Kurven in Italien steigen innerhalb des ersten Intervalls (sechs Monate) auf über 90%. Ein Wert der in den anderen beiden Ländern auch nach 15 Jahren nicht erreicht wird. In Westdeutschland folgt fast die Hälfte der jungen Erwachsenen dem konservativen italienischen Muster, bei dem Haushaltsgründung und Erstheirat direkt miteinander verbunden werden. In Schweden liegt dieser Anteil bei knapp zehn Prozent. Fast alle ziehen es vor, zunächst ohne Ehe mit dem Partner zusammen zu leben. Erst in den folgenden Jahren nähert sich die Kurve langsam den westdeutschen jungen Erwachsenen an. Ein ereignisanalytisches Modell in dem nur die Länder als erklärender Faktor berücksichtigt werden, zeigt, dass diese Länderunterschiede hoch signifikant sind. Im Vergleich mit Westdeutschland (Referenzgruppe) ist das Heiratsrisiko nach der Haushaltsgründung in Italien signifikant höher; der Effektkoeffizient der italienischen Frauen liegt bei 3,53 und der der italienischen Männer bei 3,58. In Schweden ist das Risiko dagegen signifikant niedriger als in Westdeutschland (Effektkoeffizient von 0,46 bei den Frauen und 0,51 bei den Männern). 201
Abbildung 16: Kumulative-Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat143 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Dauer in Jahren Westdeutschland: Frauen
Westdeutschland: Männer
Italien: Frauen
Italien: Männer
Schweden: Frauen
Schweden: Männer
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Bei der Dauer zwischen diesen beiden Ereignissen bestehen nur geringe Geschlechterunterschiede, da sie von den jungen Frauen und Männern gemeinsam als Paar erlebt werden. Im Unterschied dazu konnte der Zeitpunkt des Auszugs selbständig gewählt werden, aber Haushaltsgründung und Eheschließung müssen per Definition zusammen erfolgen. Dass ein Teil der Männer eine höhere Dauer aufweist, liegt neben Partnerwechseln auch daran, dass sie beide Ereignisse später erleben und sie bei der Befragung somit einen geringeren Anteil aufweisen. Auch für diese Zeitspanne wird in einem ereignisanalytischen Modell überprüft, ob sich die Dauer verändert hat und ob das Auszugsalter eine Rolle spielt. Die Ergebnisse werden in den Tabellen 36 (Frauen) und 37 (Männer) vorgestellt.
143
Die Funktion wurde mit sechsmonatigen Intervallen berechnet.
202
Tabelle 36: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat, Frauen, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 3,50*** 0,25*** 0,71*** 0,51*** 1,01
Italien 0,29*** Ref. 0,07*** 0,93 0,86*** 0,99
Schweden 3,94*** 13,77*** Ref. 0,70*** 0,63*** 1,03***
Ref. 0,76*** 1,02 1,31*** Ref. 1,33*** 0,98 0,75*** Ref. Ref. 0,59*** 0,81** 1,68*** Ref. 1,36*** 1,24** 0,73*** Ref. Ref. 1,01 0,98 0,99 Ref. 0,97*** 1,02 1,03*** Ref. 5748 / 4813 / 3136,69 / 0,42
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Tabelle 37: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat, Männer, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 5,64*** 0,98 0,71*** 0,57*** 1,04***
Italien 0,18*** Ref. 0,17*** 0,79** 0,79** 1,01
Schweden 1,02 5,76*** Ref. 0,67*** 0,47*** 1,01
Ref. 0,90 1,05 1,11 Ref. 1,17 0,95 0,85 Ref. Ref. 0,72** 1,20 1,39** Ref. 1,67*** 0,83 0,60*** Ref. Ref. 1,03** 1,03*** 0,97** Ref. 1,00 0,97** 1,00 Ref. 2519 / 1794 / 948,66 / 0,31
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
203
Die Koeffizienten zu den Kohortengruppen zeigen, dass sich der Abstand zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat bei den jüngeren Kohorten vergrößert. Dies gilt für alle Subgruppen. Allerdings fällt diese Entwicklung in Schweden und Westdeutschland stärker aus als in Italien. Dort ist der zeitliche Abstand zwischen den beiden Ereignissen gering und nur leicht angestiegen. Bei den italienischen Frauen unterscheidet sich nur die jüngste Kohorte signifikant von der ältesten. Bei den italienischen Männern sind die Unterschiede nicht auf höchstem Niveau signifikant und zudem ist der Koeffizient der beiden jüngeren Kohorten exakt gleich stark. Das bedeutet, dass sie sich der Abstand zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat nicht weiter vergrößert hat. Die Interaktionsterme zeigen zudem, dass der Effekt in den anderen beiden Ländern jeweils stärker ist. In Schweden und Westdeutschland ist der zeitliche Abstand zwischen gemeinsamer Haushaltsgründung und Erstheirat bei den jüngeren Kohorten signifikant länger als bei der ältesten Kohortengruppe. In beiden Ländern hat damit der Anteil an nichtehelichen Lebensgemeinschaften deutlich zugenommen. Für Westdeutschland fassen Marbach und Tölke diese Entwicklung, auf Basis der Daten des Familiensurveys des Deutschen Jugendinstitutes, folgendermaßen zusammen: Die nichteheliche Lebensform ist auch bei denjenigen, die den traditionellen Weg einschlagen und als junge Erwachsene heiraten, ein fast normaler Abschnitt im Leben geworden. (Marbach et al. 1996: 129)
Dies trifft auch auf Schweden zu, da aber dort die Heiratsrate deutlich niedriger ist als in Westdeutschland, stellt die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht nur eine Vorphase, sondern eine langfristige Alternative zur Ehe dar. Das Auszugsalter hat nur bei den schwedischen Frauen und westdeutschen Männern einen Effekt auf die Dauer zwischen diesen beiden Ereignissen. Je später sie ausziehen, desto geringer ist bei ihnen der Abstand Haushaltsgründung und Eheschließung. Bei den anderen Subgruppen hat die Variable „Auszugsalter“ dagegen keinen Einfluss auf die Zeitspanne. Auffällig ist, dass in den Interaktionsmodellen für die Frauen und Männer ein sehr hohes generalisiertes R² erreicht wird. Dies ist auf die extremen Länderunterschiede, die sehr deutlich aus Abbildung 16 hervorgehen, zurückzuführen. Abschließend wird die Dauer des gesamten sozialen Verselbständigungsprozesses untersucht. Dazu wird der Abstand zwischen Auszug und Familiengründung herangezogen.
204
6.5.3 Die Dauer zwischen Auszug aus dem Elternhaus und Geburt des ersten Kindes Hier können wieder alle Personen berücksichtigt werden, die beim Interview angegeben haben, dass sie aus dem Elternhaus ausgezogen sind. Tabelle 38 gibt einen Überblick darüber, wie viele von ihnen später eine Familie gegründet haben. Des Weiteren geben die Quartile an, wie viele Monate nach dem Auszug vergehen, bis ein Viertel (1.Quartil), die Hälfte (2.Quartil) beziehungsweise drei Viertel (3. Quartil) der jungen Erwachsenen eine Familie gegründet hat. Tabelle 38: Dauer zwischen Auszug und Elternschaft: Anteil ohne Kinder (nach Auszug), Quartile (in Monaten)
Kein Kind nach Auszug 1. Quartil 2. Quartil 3. Quartil
BRD
Frauen Italien
Schweden
BRD
Männer Italien
Schweden
35,0%
11,0%
20,5%
54,0%
23,3%
35,5%
28 78 199
11 21 53
42 83 142
49 131 -
15 38 128
54 104 176
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Wie bereits in Zusammenhang mit dem Alter bei der Familiengründung festgestellt wurde, ist der Anteil an Kinderlosen in Westdeutschland und Schweden deutlich höher als in Italien.144 Die Quartile in Tabelle 38 und die grafische Darstellung der kumulativen Verteilungsfunktionen (Abbildung 17) zeigen, dass nur selten ein enger Zusammenhang zwischen Auszug und Familiengründung besteht. Nur in Italien trifft dies auf eine vergleichsweise große Gruppe zu. Bereits elf Monate nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus sind ein Viertel der italienischen Frauen bereits Mütter. Das bedeutet, dass sie den gesamten sozialen Verselbständigungsprozess in weniger als einem Jahr abgeschlossen haben. Dies trifft auch auf ca. zehn Prozent der westdeutschen und ca. fünf Prozent der schwedischen Frauen zu. Auffällig ist zudem, dass der Abstand beim ersten Quartil in Westdeutschland kleiner, aber beim dritten Quartil deutlich größer ist als in Schweden. Die kumulativen Verteilungsfunktionen in Abbildung 17 zeigen, wie es zu dieser Entwicklung kommt.
144
In Tabelle 27 wird der Anteil der Kinderlosen für die gesamte Stichprobe angegeben. In Westdeutschland und Schweden sind die Anteile praktisch gleich hoch wie in Tabelle 38. In Italien dagegen sind vergleichsweise viele junge Erwachsene nicht ausgezogen, die in Tabelle 38 nicht berücksichtigt sind. Deshalb ist hier der Anteil an Kinderlosen geringer, als in Tabelle 27.
205
Abbildung 17: Kumulative-Verteilungsfunktion für die Dauer zwischen Auszug und Elternschaft 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Dauer in Jahren Westdeutschland: Frauen
Westdeutschland: Männer
Italien: Frauen
Italien: Männer
Schweden: Frauen
Schweden: Männer
Quelle: FFS; eigene Berechnungen.
Nach einem deutlichen Anstieg innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Auszug verlaufen die Kurven der westdeutschen jungen Erwachsenen deutlich flacher als in den anderen beiden Ländern. Das bedeutet, dass ein Teil der Westdeutschen die beiden Ereignisse relativ zeitnah erlebt, während anschließend die Rate für eine Familiengründung stark zurückgeht. In Schweden gründen nur sehr wenige junge Erwachsene direkt nach dem Auszug eine eigene Familie. Aber im Laufe der Zeit sind es mehr als in Westdeutschland und dementsprechend kreuzen sich die Kurven ca. sechs Jahre (bei den Männern) beziehungsweise acht Jahre (bei den Frauen) nach dem Auszug. Insgesamt sind die Länderunterschiede geringer als bei der Dauer zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat, aber nach wie vor signifikant. Die Zeitspanne zwischen Auszug und der Geburt des ersten Kindes ist in Italien (sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern) signifikant kürzer als in den anderen beiden Ländern. Aufgrund des höheren 206
Anteils an Kinderlosen ist das Risiko für eine Familiengründung nach dem Auszug in Westdeutschland signifikant geringer als in Schweden.145 Sowohl beim Auszug aus dem Elternhaus (Abschnitt 6.2) als auch bei der Familiengründung (Abschnitt 6.4) ist der Altersmedian der Frauen niedriger als der der Männer. Die hier vorliegenden Ergebnisse zeigen zudem, dass der Abstand zwischen den beiden Ereignissen bei den Frauen kürzer ist als bei den Männern. In allen drei Ländern verbinden Männer den Auszug seltener mit anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses als Frauen. Junge Männer verlassen häufiger in Verbindung mit einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit das Elternhaus. Am geringsten sind die Geschlechterunterschiede in Schweden, also in dem Land, in dem sich auch die Berufsverläufe der Frauen am stärkstem dem der Männer angenähert haben. Abschließend wird auch hier in einem Cox-Regressionsmodell überprüft, ob sich die Dauer zwischen den beiden Ereignissen erhöht hat. Auch der Effekt des Auszugsalters auf diese Zeitspanne wird in den Interaktionsmodellen untersucht. In Tabelle 39 werden die Ergebnisse für die Frauen und in Tabelle 40 die für die Männer zusammengefasst. Tabelle 39: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und Elternschaft, Frauen, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 1,82* 0,99 0,93 0,86* 1,00
Italien 0,55** Ref. 0,54*** 0,91* 0,92 1,01
Schweden 1,01 1,84*** Ref. 0,83*** 0,71*** 1,01
Ref. 1,02 1,12 0,98 Ref. 1,09 0,89 0,92 Ref. Ref. 0,93 1,21* 1,07 Ref. 1,29*** 0,83* 0,77*** Ref. Ref. 0,99 0,99 1,01 Ref. 1,00 1,01 1,00 Ref. 6103 / 4825 / 751,3279 / 0,12
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1 145 Im Vergleich mit Schweden liegt der Effektkoeffizient der italienischen Frauen bei 2,20 und der der italienischen Männer bei 1,69. Für Westdeutschland liegt der Wert bei 0,38 (Frauen), beziehungsweise 0,76 (Männer).
207
Tabelle 40: Ereignisanalyse, (Cox-Modelle), Dauer zwischen Auszug und Elternschaft, Männer, exp(E) Länder
Geburtskohorte (Referenz: 1949-54) Auszugsalter Interaktionsterme Geburtskohorte (Referenz: 1949-54)
Westdeutschland Italien Schweden Kohorte 1955-59 Kohorte 1960-64
Kohorte 1955-59*BRD Kohorte 1955-59*Italien Kohorte 1955-59*Schweden Kohorte 1960-64*BRD Kohorte 1960-64*Italien Kohorte 1960-64*Schweden Auszugsalter Auszugsalter*BRD Auszugsalter*Italien Auszugsalter*Schweden N / Ereignisse / Likelihood Ratio-Chi² / R²
BRD Ref. 1,05 1,94* 0,99 0,78** 1,06***
Italien 0,95 Ref. 1,85* 0,90 0,83 1,09***
Schweden 0,52* 0,54* Ref. 0,82*** 0,66*** 1,05***
Ref. 1,11 1,21 0,90 Ref. 1,10 0,83 0,91 Ref. Ref. 0,93 1,18 1,07 Ref. 1,26 0,85 0,79 Ref. Ref. 0,97* 1,01 1,03* Ref. 1,04*** 0,99 0,96*** Ref. 3004 / 1823 / 283,24 / 0,09
Quelle: FFS, eigene Berechnungen. Signifikanzniveaus: ***p<0,01 / ** p< 0,05 / *p<0,1
Die Koeffizienten zu den Kohortengruppen zeigen zwar, dass sich in allen drei Ländern die Dauer zwischen Auszug und Familiengründung erhöht hat, aber das Ausmaß dieser Veränderung ist unterschiedlich. Am geringsten sind die Veränderungen in Italien. Lediglich bei den Frauen die zwischen 1955 und 1959 geboren wurden, ist die Zeitspanne zwischen den beiden Ereignissen leicht signifikant höher als bei der ältesten Kohorte. Bei der jüngsten Kohorte der italienischen Frauen wird der Abstand offenbar sogar wieder etwas kleiner. Bei den italienischen Männern besteht kein signifikanter Unterschied nach Geburtskohorten. In Westdeutschland ist bei der jüngsten Kohorte der soziale Verselbständigungsprozess signifikant länger als bei der ältesten Kohortengruppe. Nur in Schweden hat sich die Dauer der Übergangsphase konstant deutlich verlängert. Die beiden jüngeren Kohortengruppen unterscheiden sich jeweils hoch signifikant von der ältesten und die Koeffizienten weisen darauf hin, dass der Effekt bei der jüngsten Kohortengruppe am stärksten ist. Da aber die Entwicklung grundsätzlich in allen drei Ländern in die gleiche Richtung geht (Verlängerung der Übergangsphase), zeigen die Interaktionsterme nur einen signifikanten Unterschied zwischen den Ländern an. Die Verlängerung ist bei den schwedischen Frauen stärker als bei den westdeutschen oder italienischen.
208
Blick man auf die bisherigen Ergebnisse zurück, hat sich in Westdeutschland das Alter bei beiden Ereignissen erhöht. Damit gleichen sich die beiden Effekte mehr oder weniger aus. Die Übergangsphase wird nicht unbedingt länger, findet aber insgesamt später statt. In Italien hat sich das Auszugsalter nicht verändert und der Anstieg bei der ersten Elternschaft ist relativ gering. Auch hier ist die gesamte Übergangsphase nicht signifikant länger geworden, wird aber wie in Westdeutschland später abgeschlossen. Dagegen ist in Schweden einerseits das Auszugsalter gesunken und andererseits das Alter bei der ersten Elternschaft angestiegen. Die gesamte Übergangsphase hat sich verlängert. Das Auszugsalter hat bei den Frauen keinen signifikanten Effekt auf die Dauer des gesamten Verselbständigungsprozesses. Nur wenige von ihnen ziehen so spät aus, dass sie besonders rasch nach dem Auszug auch eine Familie gründen müssen. Bei den Männern wird durch einen späten Auszug dagegen die Dauer zwischen den beiden Ereignissen verkürzt. Vergleichsweise viele Männer sind beim Auszug so alt, dass sie anschließend schneller Väter werden, um nicht zu sehr von den gesellschaftlich definierten Altersnormen abzuweichen. Dies trifft insbesondere auf die italienischen Männer zu, die vergleichsweise spät aus dem Elternhaus ausziehen. Sie haben anschließend weniger Zeit, um die anderen Ereignisse des sozialen Verselbständigungsprozesses zu erleben. Dementsprechend zeigen die Interaktionsterme, dass der Effekt des Auszugsalters bei den schwedischen und westdeutschen Männern signifikant geringer ist als bei den Italienern.
6.5.4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zur Dauer zwischen den Ereignissen In den ersten vier Teilen des Ergebniskapitels wurde gezielt das Alter bei einzelnen Übergangsereignissen untersucht. Im vorliegenden Abschnitt wurde dagegen der Abstand zwischen verschiedenen Statusveränderungen analysiert. Dabei wurde deutlich, dass zum Teil ein enger Zusammenhang zwischen einzelnen Ereignissen besteht. Aber auch hier spielen die Rahmenbedingungen auf Makroebene wieder eine wichtige Rolle. Insgesamt ist der Zusammenhang zwischen den einzelnen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses in Italien am höchsten. Dies gilt insbesondere für die Verbindung zwischen Auszug und Partnerschaftsbildung beziehungsweise zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat. Zudem haben rund ein Viertel der italienischen jungen Erwachsenen den gesamten sozialen Verselbständigungsprozess innerhalb eines Jahres abgeschlossen. Dieses Muster hat sich in Italien auch bei den jüngeren Kohorten nur geringfügig verändert. Nicht die Dauer zwischen den Ereignissen ist wesentlich 209
länger geworden, sondern der gesamte Einmündungsprozess findet etwas später statt. Lediglich bei der jüngsten Kohorte finden sich erste Hinweise für eine Destandardisierung des Übergangsprozesses. Auch in Westdeutschland hat ein bedeutender Teil der jungen Erwachsenen die Ereignisse direkt miteinander verbunden. Allerdings wurde der zeitliche Abstand bei den jüngeren Kohorten meist größer und die gesamte Übergangsphase hat sich vor allem bei der jüngsten Kohortengruppe verlängert. Hier gibt es eine deutliche und zunehmende Destandardisierung des sozialen Verselbständigungsprozesses. Vor allem der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist stark angestiegen. In Schweden haben insgesamt nur wenige junge Erwachsene den Auszug aus dem Elternhaus direkt mit anderen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses verbunden. Bereits bei der ältesten Kohorte folgt der Übergang nicht mehr einem standardisierten Muster. Bemerkenswert ist, dass sich dies in Schweden nicht negativ auf die Partnerschafts- oder Familienbildungsrate auswirkt. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels befasst sich mit der Reihenfolge der einzelnen Statusveränderungen. Es wird untersucht, welche Bedeutung die normative Sequenz der Übergangsereignisse in den drei Ländern hat. Abweichungen von diesen normativen Mustern sind ein weiterer Indikator für die Destandardisierung des Einmündungsverlaufes.
6.6 Phasen und Übergangsmuster Im zweiten Kapitel wurden zwei normative Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter definiert, die sich durch eine spezifische Reihenfolge der fünf ausgewählten Übergangsereignisse auszeichnen (siehe Abbildung 2). Beim dem dort vorgestellten allgemeinen normativen Einmündungsverlauf, wird entweder der Auszug aus dem Elternhaus oder der Berufseinsteig zuerst erlebt. Im Anschluss an diese beiden Ereignisse wird der soziale Verselbständigungsprozess abgeschlossen (Haushaltsgründung, Heirat und Elternschaft). An diesem Muster können sich sowohl Frauen als auch Männern bei ihrem Übergang in das Erwachsenenalter orientieren. Daneben gibt es für Frauen ein weiteres Muster, das auf das traditionelle Geschlechterrollenmodell zurückgeht. Dabei wird die eigene berufliche Erwerbstätigkeit zugunsten der Partnerschaft und Familie zurückgestellt und die ökonomische Unabhängigkeit vom Elternhaus zunächst über das Einkommen des Partners oder Ehemanns erreicht (traditionell weiblicher Einmündungsverlauf). Eine Berufstätigkeit wird dadurch nicht ausgeschlossen, aber sie wird dann erst später aufgenommen. Welche Relevanz diese beiden Muster in den ausgewählten Ländern haben, wird in drei Schritten untersucht. Zunächst wird für jede Subgruppe der Verlauf 210
der einzelnen Übergangsereignissen anhand der Survivor-Funktionen zusammengefasst. Die Überlebensfunktionen verdeutlichen sowohl Zusammenhänge zwischen einzelnen Statusübergängen als auch die Länder- und Geschlechterunterschiede. Anschließend wird die genaue Reihenfolge der Statusveränderungen untersucht. Dabei wird zwischen verschiedenen Übergangsmustern unterschieden (siehe Abbildung 8 und 9). Schließlich wird erläutert, an welcher Stelle des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter häufig Abweichungen von den normativen Mustern stattfinden und wie sich dies im Laufe der Jahre verändert hat.
6.6.1 Die Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter Anhand der Survivor-Funktionen werden zunächst die Unterschiede zwischen den Ländern und Geschlechtern beschrieben. In Abbildung 18 werden die Survivor-Funktionen der westdeutschen Frauen und in Abbildung 19 die der westdeutschen Männer zusammengefasst. Bei beiden Geschlechtern entsprechen die Kurven den normativen Übergangsmustern. Die Funktionen für den Auszug und die erste Arbeitserfahrung fallen am stärksten und in der Summe werden diese Ereignisse als erstes erlebt. Es folgen die gemeinsame Haushaltsgründung, die Erstheirat und mit der Elternschaft wird der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter abgeschlossen. Bei den Frauen fällt auf, dass sich mit der ersten Arbeitserfahrung und dem Auszug aus dem Elternhaus, zwei Kurven überschneiden. Zunächst fällt die Funktion mit der ersten Arbeitserfahrung stärker als alle anderen Kurven. Aber bei ca. 24 Jahren kreuzt sie sich mit der Funktion zum Auszugsalter. Das bedeutet, dass ab diesem Alter mehr westdeutsche Frauen gibt, die nicht mehr im Elternhaus wohnen als solche mit einer relevanten Berufserfahrung. Ein Teil der jungen Frauen zieht entweder in Zusammenhang mit einem Studium aus dem Elternhaus aus, oder stellt die eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der Partnerschaft und Familie zurück. Dies wird im nachfolgenden Abschnitt zur Reihenfolge der Ereignisse genauer untersucht.
211
Abbildung 18: Survivor-Funktionen der westdeutschen Frauen 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter (Jahre)
erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Mutterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Bei den Männern überschneiden sich die verschiedenen Funktionen nicht, obwohl sich auch bei ihnen die Kurven für den Berufseinstieg und den Auszug annähern. Die normative Reihenfolge der Übergangsereignisse wird damit insgesamt erfüllt. Zudem ist bei ihnen der Abstand zwischen den Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses größer als bei den Frauen. Dies geht auch aus den Ergebnissen zur Dauer zwischen den Ereignissen in Abschnitt 6.5 hervor. Hier wird außerdem deutlich, dass bei den Männern die Kurve für die Arbeitserfahrung deutlich stärker fällt als die für die erste gemeinsame Haushaltsgründung. Das kann dahingehend interpretiert werden, dass bei den westdeutschen Männern nicht nur eine erste Arbeitserfahrung, sondern auch eine gewisse Etablierungsphase auf dem Erwerbsmarkt, eine Voraussetzung für die Partnerschafts- und Familienbildung ist.
212
Abbildung 19: Survivor-Funktionen der westdeutschen Männer 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter (Jahre)
erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Vaterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
In Italien ergibt sich ein anderes Bild. Bereits die Analyse des Alters bei den einzelnen Ereignissen hat gezeigt, dass die Arbeitserfahrung, der Auszug und der Beginn der Partnerschaftsbildung in Italien später als in Westdeutschland erlebt werden, während die Heiratsrate und der Anteil an Eltern in Italien höher ist. Das hat zur Folge, dass die einzelnen Ereignisse des sozialen Verselbständigungsprozesses in Italien näher beieinander liegen als in Westdeutschland. Dies wird in den beiden Abbildungen, in denen die Survivor-Funktionen für die italienischen Frauen und Männer gesammelt sind, deutlich (siehe Abbildung 20 und 21). Vor allem bei den Frauen liegen die Kurven zum Auszug aus dem Elternhaus, der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung und der Erstheirat so dicht beieinander, dass sie wie eine gemeinsame Funktion erscheinen (siehe Abbildung 20). Nur zu Beginn ist die Auszugsrate etwas höher. Die Funktion für die Mutterschaft liegt höher als die anderen Kurven, nähert sich mit zunehmendem Alter aber den anderen Ereignissen an. 213
Abbildung 20: Survivor-Funktionen der italienischen Frauen 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter
erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Mutterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Einem anderen Muster folgt die Funktion zur ersten Arbeitserfahrung. Zu Beginn fällt sie stark ab, kreuzt sich aber bei ca. 24 Jahren mit den Funktionen und ab ca. 29 Jahren ist der Anteil an Frauen ohne Berufserfahrung höher als der ohne Kinder. Hier wird deutlich, dass ein großer Teil der italienischen Frauen dem traditionellen weiblichen Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter folgt und sich auch langfristig auf die Rolle als Ehefrau und Mutter beschränkt. Bei den italienischen Männern liegen vor allem die beiden Ereignisse der Haushaltsgründung und der Erstheirat eng beieinander (vgl. Abbildung 21). Der Abstand zur Elternschaft auf der einen Seite, und zum Auszug auf der anderen Seite ist etwas größer als bei den Frauen. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei Männern, folgt die Funktion zur ersten Arbeitserfahrung einem anderen Muster als die anderen Kurven. Allerdings kreuzt sie sich nicht wie bei den Frauen mit den Funktionen des sozialen Verselbständigungsprozesses, sondern fällt deutlich stärker und liegt deutlich niedriger als die anderen Kurven. Breen und 214
Buchmann (2002: 296) stellen in diesem Zusammenhang fest, dass die italienischen Männer zunächst „Insider“ im Arbeitsmarkt werden müssen, bevor sie die Eheschließung und Familiengründung in Angriff nehmen können. Sie benötigen eine eigene ökonomische Sicherheit, um den sozialen Verselbständigungsprozess meistern zu können. Diese Interpretation wird auch dadurch unterstützt, dass der Abstand zwischen der Funktion zur Arbeitserfahrung und der zum Auszug, bei den italienischen Männern deutlich größer als bei den westdeutschen oder schwedischen jungen Erwachsenen. Abbildung 21: Survivor-Funktionen der italienischen Männer 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter (Jahre) erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Vaterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
In Italien haben Frauen und Männer sehr unterschiedliche Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter. Bei den Frauen gibt es einen sehr engen Zusammenhang zwischen den einzelnen Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses, während eine Berufstätigkeit nur von einem Teil sehr früh aufgenommen wird. Bei den Männern ist der Abstand zwischen Auszug, Haushaltsgründung, 215
Ehe und Familiengründung größer, aber die Berufstätigkeit stellt die Voraussetzung für diese Ereignisse dar. In Schweden wird die bisherige Reihenfolge der Übergangsereignisse durchbrochen. Sowohl bei den Frauen (Abbildung 22) als auch bei den Männern (Abbildung 23) ist der Anteil an Eltern höher als der an Eheleuten. Das bedeutet, dass ein Teil der Eltern bei der Geburt der Eltern nicht verheiratet ist. Abbildung 22: Survivor-Funktionen der schwedischen Frauen 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter (Jahre) erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Mutterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Im Vergleich mit den anderen beiden Ländern fällt zudem auf, dass der Abstand zwischen den Ereignissen des sozialen Verselbständigungsprozesses größer ist. Insbesondere die gemeinsame Haushaltsgründung und die Erstheirat hängen nicht zusammen. Zudem wird der Abstand zwischen der Elternschaft und Erstheirat im Laufe der Jahre immer größer. Der Anteil an Eltern nimmt stärker zu als der Anteil an Verheirateten. Offenbar leben die jungen Erwachsenen, die ver216
gleichsweise spät Eltern werden, besonders häufig in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Abbildung 23: Survivor-Funktionen der schwedischen Männer 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Alter (Jahre) erste Arbeitserfahrung
Auszug aus dem Elternhaus
erste gem. Haushaltsgründung
Erstheirat
Vaterschaft Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Insgesamt unterscheiden sich die Muster der Frauen und Männer in Schweden nur geringfügig; bei beiden Geschlechtern folgen die Funktionen dem gleichen Muster. Im Unterschied zu den anderen beiden Ländern, ist der Anteil an erwerbstätigen Frauen nicht wesentlich niedriger als der der berufstätigen Männer. Lediglich zu Beginn der Übergangsphase fällt die Funktion für die erste Arbeitserfahrung bei den schwedischen Männern stärker ab als bei den Frauen. Das traditionelle weibliche Übergangsmuster, bei dem die Erwerbstätigkeit zugunsten der Familie zurückgestellt wird, spielt in Schweden offenbar keine Rolle.
217
Die Sammlung der Survivor-Funktionen für die einzelnen Gruppen fasst sehr deutlich die wichtigsten Länderunterschiede zusammen. Sowohl in Westdeutschland als auch in Italien folgen offenbar die meisten jungen Erwachsenen den normativen Übergangsmustern, da die Kurven in der zu erwartenden Reihenfolge fallen. In Schweden wird die normative Reihenfolge durchbrochen, da die Heiratsrate sehr niedrig ist. Dagegen kann ein bedeutender Teil der westdeutschen und italienischen Frauen auch im Alter von 35 Jahren keine relevante Berufserfahrung vorweisen. Diese Gruppe orientiert sich offenbar am traditionellen weiblichen Lebensverlauf. In Schweden haben dagegen auch die allermeisten Frauen eine Berufserfahrung gemacht. Die Ereignisse Auszug, Haushaltsgründung und Erstheirat hängen in Italien sehr eng miteinander zusammen. Diese Verbindung ist in Westdeutschland deutlich schwächer. In Schweden kann man nicht länger von einem Zusammenhang dieser drei Ereignisse ausgehen. Allerdings geben die Survivor-Funktionen keine Auskunft darüber, wie viele der jungen Erwachsenen tatsächlich die Ereignisse nach der normativen Reihenfolge erlebt haben. Auch in Italien ist es möglich, dass einige Paare zunächst Eltern wurden und erst anschließend heirateten. Im folgenden Abschnitt wird genau berechnet, wie häufig diese Abweichungen sind und an welcher Stelle des Übergangsprozesses sie stattfinden.
6.6.2 Die Reihenfolge der Übergangsereignisse Um die verschiedenen Verlaufsmuster zu erfassen zu können, wurden zwei Konzepte aus dem theoretischen Teil miteinander verbunden. Auf der einen Seite wurden die beiden normativen Einmündungsverläufe, die die Reihenfolge der Ereignisse überprüfen, berücksichtigt (vgl. Abbildung 2). Auf der anderen Seite wird die von Matthias Junge (1995) entwickelte Einteilung in drei Lebensphasen („Jugendliche“, „junge Erwachsene“ und „Erwachsene“) aufgegriffen. Aus diesen beiden Teilen ergibt sich ein Kategorieschema, in dem sowohl die Sequenz der Ereignisse als auch der Status in der Übergangsphase (die Lebensphase) erfasst wird. Die Einteilung in die drei Lebensphasen basiert darauf, wie viele und welche der Übergangsereignisse bis zum Zeitpunkt des Interviews erlebt wurden. Innerhalb dieser Kategorien wird anschließend entschieden, ob dabei die normative Reihenfolge erfüllt wurde oder ob Abweichungen dazu vorliegen. Sowohl bei den Frauen (siehe Abbildung 9) als auch bei den Männern (siehe Abbildung 8), wird dabei zwischen acht verschiedenen Kategorien unterschieden. Für die Männer wurden vier Kategorien definiert, bei denen die Reihenfolge der Ereignisse dem allgemeinen normativen Übergangsmuster (AM) entspricht. Im Balkendiagramm in Abbildung 24, sind dies die ersten vier Gruppen. Bei den 218
anderen vier Kategorien, bestehen verschiedene Abweichungen von dieser normativen Sequenz.146 Abbildung 24: Status im Übergangsprozess und Reihenfolge der Ereignisse, Männer 3,3
0,2
0,8 53,0
26,3
BRD
2,4
2,0 Italien
71,9
0,5
0,4
10,2
0%
0,2
16,8
0,6 Schweden
7,6 6,7
46,7
20%
40%
2,8 3,7
5,2
33,2
60%
80%
2,1
0,2
3,2
100%
Jugendliche JE, ökonomisch selbständig JE, sozial selbständig nach AM Erw. nach AM JE, sozial selbständig abweichend vom AM Erw., ökonomischer Prozess abweichend vom AM Erw., sozialer Prozess abweichend vom AM Erw., beide Prozesse abweichend vom AM Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Konzentriert man sich zunächst auf die ersten vier Kategorien mit der normativen Reihenfolge, fallen deutliche Länderunterschiede auf. In Italien erreichen 146 Die Gruppen „Jugendliche“, „Junge Erwachsene, ökonomisch selbständig“, „Junge Erwachsene, sozial selbständig nach AM“ und „Erwachsene nach AM“ entsprechen dem normativen Muster. Die Kategorien „Junge Erwachsene, sozial selbständig abweichend vom AM“, „Erwachsen, ökonomischer Prozess abweichend von AM“, „Erwachsen, sozialer Prozess abweichend von AM“ und „Erwachsen, beide Prozesse abweichend von AM“ fassen die Abweichungen zusammen.
219
diese vier Kategorien zusammen über 90%. Auch über 80% der westdeutschen Männer folgen dem normativen Muster, während dies in Schweden nur auf knapp über 55% der Männer zutrifft. Die meisten Abweichungen von der traditionellen Reihenfolge werden dementsprechend bei den schwedischen Männern festgestellt. Über 40% von ihnen folgt nicht der normativen Sequenz der Übergangsereignisse. In Westdeutschland trifft dies auf ca. 16 und in Italien lediglich auf ca. sieben Prozent zu. In letzteren beiden Ländern verteilen sich die meisten Abweichungen auf Erwachsene, die entweder beim sozialen oder beim ökonomischen Verselbständigungsprozess eine Veränderung aufweisen. In Schweden ist dagegen die Kategorie „Erwachsene, sozialer Verselbständigungsprozess abweichend“ insgesamt die zweitgrößte. Ungefähr ein Drittel aller schwedischen jungen Männer gehören zu dieser Gruppe. Das Ausmaß dieser Abweichungen konnte mit dem Vergleich der Survivor-Funktionen nicht erfasst werden. Nachdem die entsprechenden Ergebnisse für die Frauen vorgestellt wurden, werden die Ursachen für die Länderunterschiede genauer diskutiert. Bei den Frauen wird neben dem allgemeinen normativen Einmündungsverlauf (AM) auch das traditionelle weibliche Rollenmuster (TM) berücksichtigt. Insgesamt wurden acht Kategorien gebildet, wobei die ersten fünf der normativen Sequenz (entweder nach AM oder TM) entsprechen und die anderen drei die Abweichungen erfassen (siehe Abbildung 25).147 Auch hier wird wieder zunächst der Blick auf die normativen Muster gerichtet. Von den italienischen Frauen erfüllen ca. 95% eine der beiden normativen Sequenzen. Dies trifft auch auf über 85% der westdeutschen Frauen, aber nur auf ca. 55% der Schwedinnen zu. Dabei gibt es verschiedene Unterschiede zwischen den Ländern. Zunächst ist die Kategorie mit erwachsenen Frauen, die dem allgemeinen Muster folgen (bei dem die Erwerbstätigkeit am Beginn des Übergangsprozesses steht), in Westdeutschland mit insgesamt 61% deutlich größer als in den anderen beiden Ländern. Zwar ist dies auch in Schweden und Italien die stärkste Kategorie, aber ihre Bedeutung ist geringer. In Italien kann dies eindeutig auf die hohe Bedeutung des traditionellen weiblichen Einmündungsverlaufs zurückgeführt werden. Fast zwanzig Prozent der Frauen sind zwar Erwachsene, haben aber noch nie gearbeitet und weitere 11,5% wurden erst nach der Heirat oder der Geburt der Kinder zum ersten mal
147 Die Kategorien „Jugendliche“, „Junge Erwachsene, ökonomisch selbständig“, „Erwachsen nach AM“, „Erwachsen nach TM (ohne Arbeit)“ und „Erwachsen nach TM (mit Arbeit)“ entsprechen der normativen Sequenz der Übergangsereignisse. Die anderen drei – „Erwachsen, abweichend von TM (ohne Arbeit)“, „Erwachsen, sozialer Prozess abweichend von AM“ und „Erwachsen, beide Prozesse abweichend“ – fassen die Abweichungen zusammen.
220
berufstätig. Für die Frauen in südeuropäischen Ländern stellt Férnandéz-Cordon in diesem Zusammenhang fest: For women, the economic dependence of marriage or cohabitation is regarded as a form of independence to the extent that the situation is socially stable and exempts them from competition over work and housing. (Férnandez Cordón 1997: 583)
Dieses traditionelle Muster spielt in Westdeutschland und Schweden eine deutlich geringere Rolle. Vor allem der Anteil von Frauen ohne Berufstätigkeit ist deutlich geringer und in Schweden unter zwei Prozent. Abbildung 25: Status im Übergangsprozess und Reihenfolge der Ereignisse, Frauen 1,8
2,1 11,4
BRD
4,6 7,2
61,3
0,8
1,8 7,7
Italien
19,2
54,7
1,4
0,1 Schweden 4,5
0%
3,1
8,5
43,2
20%
3,4 0,9
0,5 7,4
40%
11,5
35,8
60%
80%
7,1
100%
Jugendliche JE, ökonomisch selbständig Erw. nach AM Erw., nach TM (ohne Arbeit) Erw., nach TM (mit Arbeit) Erw., abweichend vom TM (ohne Arbeit) Erw., sozialer Prozess abweichend vom AM Erw., beide Prozesse abweichend Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
221
Die meisten Abweichungen von den normativen Mustern werden auch bei den Frauen in Schweden festgestellt. Über vierzig Prozent der schwedischen Frauen weisen eine andere Reihenfolge der Übergangsereignisse auf. In Westdeutschland trifft dies auf ca. 13 und in Italien nur auf ca. fünf Prozent der Frauen zu. In allen drei Ländern ist dabei die Kategorie „Erwachsene, sozialer Prozess abweichend vom AM“ am größten. Aber in Schweden hat sie mit über 36% (insgesamt zweitgrößte Gruppe) einen anderen Stellenwert als in Westdeutschland (8,5%) oder Italien (3,4%). Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, kommt es damit in erster Linie innerhalb des sozialen Verselbständigungsprozesses zu Abweichungen von der normativen Reihenfolge der Übergangsereignisse. Eine Einzelanalyse dieser Abweichungen zeigt, dass dies im wesentlichen durch zwei Veränderungen in der Sequenz verursacht wird:
Die Familiengründung (Geburt des ersten Kindes) findet vor der Eheschließung statt Der Auszug aus dem Elternhaus ist nicht das erste Ereignis beim sozialen Verselbständigungsprozess
Von den wenigen jungen Erwachsenen aus Italien, die von der normativen Sequenz abweichen, ist ca. die Hälfte zunächst nicht aus dem Elternhaus ausgezogen und hat dennoch mit dem Partner zusammen gewohnt oder sogar schon geheiratet. Das heißt, dass das junge Paar im Haushalt der Eltern oder Schwiegereltern lebt. Entweder stehen noch nicht genügend Ressourcen für eine eigene Wohnung zur Verfügung, oder sie leben in einem Haus, das mehrere Generationen umfasst (möglicherweise auch zur Pflege der ältesten Generation). Dies kann auch bei einem kleinen Teil der westdeutschen Frauen beobachtet werden, während in Schweden diese Abweichung vom sozialen Verselbständigungsprozess keine Rolle spielt. Sowohl in Westdeutschland als auch in Schweden, stellt die Geburt von nichtehelichen Kindern die häufigste Abweichung vom klassischen Phasenablaufprozess dar. Auch die andere Hälft der Abweichungen in Italien geht auf nichteheliche Geburten zurück. Im folgenden Balkendiagramm (Abbildung 26) wurden nur die Personen berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Befragung bereits Eltern waren. Für sie wird die Reihenfolge bei den beiden Ereignissen „Heirat“ und „Geburt des Kindes“ bestimmt.
222
Abbildung 26: Reihenfolge der Ereignisse Heirat und Elternschaft
65,4
BRD
22,6
5,7
6,3
2,4 Italien
82,5
Schweden
31,3
0%
20%
16,5
40%
13,8
28,5
60%
1,3
23,7
80%
Erst Ehe, dann Kind
beide Ereignisse gleichzeitig
Erst Kind, dann Ehe
Nur Kind, keine Heirat
100%
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
Die beiden ersten Möglichkeiten („Erst Ehe, dann Kind“ und „beide Ereignisse gleichzeitig“) entsprechen der normativen Reihenfolge. Wie zu erwarten war, ist dieses Muster in Italien dominant. Von den Befragten mit einem Kind, haben in Italien zunächst über 80% geheiratet, bevor sie eine Familie gegründet haben. Dies trifft auch auf 65% der westdeutschen, aber nur auf ca. 31% der schwedischen Männer und Frauen zu. In Westdeutschland wird die Ehe relativ häufig (ca. 23%) mit der Geburt des ersten Kindes verbunden. Treten beide Ereignisse innerhalb von sechs Monaten auf, werden sie als „gleichzeitig“ behandelt. Da eine Schwangerschaft im Normalfall neun Monate dauert, kann man davon ausgehen, dass die Ehe mit Blick auf die kommende oder gerade erlebte Elternschaft geschlossen wurde.148 In Schweden haben ca. 16% und in Italien ca. 14% der Eltern die beiden Ereignisse direkt miteinander verbunden. Insgesamt haben damit 96% der italienischen, ca. 88% der westdeutschen und nur 47% der schwedischen Eltern, das normative Muster bei diesen beiden Ereignissen erfüllt. Dementsprechend haben beide Abweichungen („Erst Kind dann Heirat“ und „Kind 148
So stellen auch Blossfeld et al. (1999: 238) fest, dass in Westdeutschland die Heiratsrate vier bis fünf Monate vor der Geburt des Kindes stark ansteigt.
223
und bis zum Interview noch keine Heirat“) in Italien zusammen einen Anteil von unter vier Prozent. Mit zwölf Prozent sind es etwas mehr in Westdeutschland. In Schweden finden dagegen über die Hälfte aller Geburten, außerhalb der Ehe statt.149 In allen drei Ländern hat ein Teil der Eltern anschließend geheiratet, eine Möglichkeit die auch anderen ledigen Eltern noch offen steht. Aber auch bei einer folgenden Eheschließung, wurde die grundlegende normative Reihenfolge von Heirat und Elternschaft umgekehrt. Abschließend zeigt Abbildung 27, dass in allen drei Ländern die Abweichungen bei der Reihenfolge der Ereignisse „Heirat – Kind“ bei den jüngeren Kohortengruppen zugenommen haben. Abbildung 27: Anteil unehelich geborener Kinder nach Kohortengruppen
Schweden
Italien
BRD
1960-64
17,2
82,8
1955-59
90,1
9,9
1949-54
91,5
8,5
1960-64
95,1
4,9
1955-59
96,4
3,6
1949-54
97,2
2,8
1960-64
37,6
62,4
1955-59
39,3
60,7
1949-54
44,0
56,0 0%
20%
40%
"Gleichzeitig" oder "Ehe und dann Kind"
60%
80%
100%
"Kind und dann Ehe" oder "nur Kind"
Quelle: FFS, eigene Berechnungen.
149
Nach Daten der verschiedenen statistischen Ämter, lag der Anteil der nichtehelichen Geborenen (von allen Lebendgeborenen) 1990 in Schweden bei 47%, in Italien bei 7% und in Westdeutschland bei 11% (Höpflinger 1997: 109). In der vorliegenden Arbeit wird jeweils nur das erste Kind berücksichtigt, dennoch bestätigen diese Daten die hier errechneten Ergebnisse.
224
In Westdeutschland ist vor allem bei der jüngsten Kohortengruppe (1960-64) das abweichende Muster angestiegen. In Schweden haben bereits über 40% der ältesten Gruppe (1949-54) das normative Muster bei der Geburt des ersten Kindes nicht eingehalten. Bei der nachfolgenden Kohortengruppe lag der Anteil an außerehelichen Erstgeburten nochmals deutlich höher und ist seitdem stärker verbreitet als das eigentliche normative Muster.150 In Italien gibt es insgesamt nur sehr wenige Abweichungen, aber auch dort hat der Anteil außerehelicher Geburten leicht zugenommen.
6.6.3 Fazit zur Reihenfolge der Ereignisse In diesem letzten Abschnitt wurde deutlich, dass in Italien ein enger Zusammenhang zwischen den Ereignissen Auszug, Haushaltsgründung und Heirat besteht, und dass über 90% der jungen Erwachsenen sich an der normativen Reihenfolge der Übergangsereignisse orientieren. Bei den Männern steigt ein kleiner Teil, aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen, erst nach der Partnerschaftsbildung in den Arbeitsmarkt ein. Aber insgesamt bildet die Erwerbstätigkeit die Voraussetzung für den sozialen Verselbständigungsprozess. Nur sehr wenige italienische Männer durchbrechen dabei den klassischen Phasenablaufprozess, bei dem auf den Auszug, die Heirat und die Familiengründung folgen. Auch die italienischen Frauen halten sich beim sozialen Verselbständigungsprozess an die normative Reihenfolge. Sie orientieren sich allerdings verhältnismäßig häufig an dem traditionellen weiblichen Muster, bei dem die eigene Berufstätigkeit zunächst zugunsten der Partnerschafts- und Familienbildung zurückgestellt wird. Insgesamt weichen weniger als zehn Prozent der Italiener und Italienerinnen von den normativen Übergangsmustern ab. Bei ungefähr der Hälfte dieser Fälle ist es nicht das Ereignis „Auszug aus dem Elternhaus“, das am Anfang des Übergangsprozesses steht. Das junge Paar wohnt dann im Haus der Eltern oder Schwiegereltern. Genau genommen handelt es sich dabei nicht um eine Abweichung vom normativen Muster, sondern vielmehr um eine sehr traditionelle Lebensform, bei der mehrere Generationen einen gemeinsamen Haushalt bilden. Uneheliche Kinder werden in Italien nur sehr wenige geboren; auch bei der jüngsten Kohorte sind nur ca. fünf Prozent der Eltern bei der Geburt des ersten Kindes nicht verheiratet. Im Vergleich mit Italien, ist in Westdeutschland der Zusammenhang zwischen den einzelnen Ereignissen geringer und der Anteil an Abweichungen mit 150 „In fact, since the mid- 1980s the majority of Swedish couples have had their first child while living in a consensual union. Most of such couples get married while their children are still young.“ (Olàh 2000: 95). Auch (Andersson 2002) kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis.
225
ca. 15% etwas höher. Bei fast allen Männern ist eine Erwerbstätigkeit die Voraussetzung für die Partnerschafts- und Familienbildung. Etwa 13% der westdeutschen Frauen orientieren sich an dem traditionellen Geschlechtermodell und konzentrieren sich zunächst auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter, bevor sie teilweise später in den Arbeitsmarkt einsteigen. Abweichungen von den normativen Mustern können in Westdeutschland vor allem auf die Geburt von Kindern außerhalb der Ehe zurückgeführt werden. Der Kohortenvergleich (siehe Abbildung 27) zeigt hier, dass die nichtehelichen Geburten bei der jüngsten Kohorte nochmals deutlich zugenommen haben. In Schweden spielt es offenbar keine Rolle, ob man bei der Geburt der Kinder verheiratet ist oder nicht. Bereits bei der Gegenüberstellung der SuvrvivorFunktionen wurde deutlich, dass es keinen Zusammenhang zwischen Haushaltsgründung und Erstheirat gibt und das Alter bei der Eheschließung höher ist als bei der Familiengründung. Dementsprechend orientieren sich nur etwa 55% der Schwedinnen und Schweden an der hier definierten normativen Reihenfolge der Übergangsereignisse. Allerdings steht nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen, eine Erwerbstätigkeit am Beginn des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter. Insgesamt sind in Schweden die Geschlechterunterschiede beim Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter sehr gering. Es gibt kein spezifisch weibliches Übergangsmuster, da nur sehr wenige Frauen dem traditionell weiblichen Modell folgen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Destandardisierung des Überganges in das Erwachsenenalter in Schweden am weitesten fortgeschritten ist. Zwar ist die Altersvarianz bei den einzelnen Ereignissen vergleichsweise gering, aber der hohe Anteil an nichtehelichen Lebensgemeinschaften und außerehelichen Geburten wiegt schwerer. Der Weg in das Erwachsenenalter kann in Schweden nicht zuletzt aufgrund der guten sozialen Absicherung individueller gestaltet werden. Zwar kann in allen drei Ländern eine zunehmende Destandardisierung festgestellt werden, aber das Niveau ist sehr unterschiedlich. In Schweden hat dieser Prozess bereits bei der ältesten Kohorte voll eingesetzt, auch in Westdeutschland sind die Anzeichen sehr deutlich. In Italien sind die Veränderung auch in der jüngsten Kohortengruppe noch sehr geringer und bewegen sich auf so niedrigem Niveau, dass man nicht von einem Destandardisierungsprozess sprechen kann. Im zweiten Kapitel wurde mit der Definition der zwei normativen Einmündungsverläufe (vgl. Abbildung 2) die Grundlage für diese Diskussion der Destandardisierungsthese gelegt. Die Definition stützt sich zum einen auf die Ergebnisse anderer Untersuchungen zu dieser Lebensphase (Hogan 1981; Hogan et al. 1986; Kerckhoff 1990). Die genannten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es eine natürliche oder normative Reihenfolge der Übergangsereignisse 226
gibt, welche den gesellschaftlichen Vorstellungen und Anforderungen entspricht. Zum anderen betonen verschiedene Analysen die Bedeutung von Altersnormen, an denen sich auch junge Erwachsene während dieser Übergangsphase orientieren (Neugarten et al. 1978; Hogan 1978; Settersten, R. 1997). Levy (1977) hat in diesem Zusammenhang zwei Punkte hervorgehoben: Erstens wird der Lebensverlauf durch diese normativen Vorstellungen, der Reihenfolge der Ereignissen und den Altersnormen vorkonstruiert. Zweitens darf die zentrale Bedeutung der Familienrolle für den Lebensverlauf der Frauen nicht vernachlässigt werden. Obwohl sich damit verschiedene Seiten für die Relevanz normativer Übergangsmuster aussprechen, wird in anderen Arbeiten nicht der Versuch unternommen, eine genaue normative Sequenz der verschiedenen Übergangsereignisse zu definieren und mit den eigenen Forschungsresultaten zu vergleichen. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass es außerordentlich schwierig ist, ein solches Konzept vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und zeitlicher Veränderungen zu verteidigen. Trotz dieser Problematik wurde in der vorliegenden Untersuchung diese Vorgehensweise gewählt, da erst vor dem Hintergrund definierter Muster beurteilt werden kann, inwiefern es zu Veränderungen oder Abweichungen beim Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter kommt. Oder wie Martin Kohli in diesem Zusammenhang betont: „auch für das eigene Erfinden von neuen biographischen Konzeptionen ist das Subjekt auf vorhandene Muster angewiesen – und sei es nur, um sich von ihnen abzusetzen“ (Kohli 1988: 41). Allerdings dürfen diese normativen Übergangsmuster nicht als unveränderliche, statische Idealtypen verstanden werden. Sie stellen vielmehr durch bestimmte gesellschaftliche und historische Umstände plausible Abfolgen dar. Aus diesem Grund wurden nichteheliche Lebensgemeinschaften als neue Möglichkeit in das Konzept integriert. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass einerseits traditionelle Lebensformen (wie beispielsweise der Mehrgenerationenhaushalt in Italien) weiterhin eine Rolle spielen können. In diesem Fall ziehen die jungen Erwachsenen nicht oder sehr spät aus dem Elternhaus aus. Andererseits bilden aktuelle Veränderungen (wie beispielsweise die ledigen Eltern in Schweden) langfristig ein neues normatives Muster. Beide Entwicklungen können lokal oder gesellschaftlich begrenzt sein. Aber auch dann haben die definierten normativen Einmündungsverläufe ihren Zweck erfüllt. Erst im Vergleich mit ihnen wurde deutlich, dass sie in Westdeutschland und Italien nach wie vor stark verbreitet sind, während sie in Schweden an Relevanz verloren haben. Im letzten Kapitel der Arbeit werden die wichtigsten Ergebnisse der gesamten Studie zusammengefasst und vor einem breiteren gesellschaftspolitischen Hintergrund diskutiert.
227
7 Wege ins Erwachsenenalter in Europa
Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit war die Analyse der Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter in Europa. Auf Basis der theoretischen Diskussion des Lebensverlaufes und der Übergangsphase wurde eine empirische Studie durchgeführt. Dabei wurde anhand von fünf Ereignisse der Weg in das Erwachsenenalter nachgezeichnet, wobei die Prävalenz, der Zeitpunkt und die Sequenz der Statusveränderungen die entscheidenden Kriterien bildeten. Der gesamte Lebensverlauf und die konkrete Gestaltung der Übergangsphase werden auf zwei Ebenen beeinflusst. Auf der einen Seite legen die gesellschaftlichen Institutionen und sozialstaatlichen Regelungen die Rahmenbedingungen fest (Makroebene). Innerhalb dieses Spielraumes sind es auf der anderen Seite die individuellen Ressourcen, die soziale Herkunft sowie Werte und Einstellungen, die die persönliche Lebensplanung prägen (Mikroebene). Allerdings hängt die genaue Wirkung der Faktoren auf Mikroebene von den institutionellen Rahmenbedingungen ab. So kann beispielsweise ein hoher Bildungsabschluss je nach Land einen anderen Effekt auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter haben. Im Forschungsüberblick im vierten Kapitel wurde kritisiert, dass dieser Zusammenhang zwischen den beiden Ebenen bisher nicht ausreichend systematisch untersucht wurde. Hier einen weiterführenden Beitrag zur aktuellen Diskussion zu leisten, war ein wichtiges Anliegen dieser Untersuchung. Mit den Daten des Fertility and Family Survey wurde der Weg in das Erwachsenenalter für den Zeitraum von Mitte der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre analysiert. Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Anschließend wird kritisch überprüft, ob die gestellten Ziele durch die empirische Analyse erreicht werden konnten und welche weiterführenden Fragestellungen und Forschungsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Im letzten Teil wird die Relevanz des Themas vor einem erweiterten Hintergrund diskutiert und ein abschließendes Fazit gezogen.
7.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Bereits im Ergebnisteil wurden am Ende jedes Abschnitts die jeweils wichtigsten Resultate hervorgehoben. Die verschiedenen Ergebnisse werden an dieser Stelle 229
miteinander verknüpft, um eine umfassendere Antwort auf die zu Beginn des fünften Kapitels entwickelten Fragestellungen zu liefern. Zunächst wird die Bedeutung der institutionellen Rahmenbedingungen diskutiert. Anschließend wird überprüft, inwiefern die These der Destandardisierung auch auf den Weg in das Erwachsenenalter angewendet werden kann. Schließlich werden die Effekte der individuellen Merkmale in den drei Ländern miteinander verglichen.
7.1.1 Der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf den Weg ins Erwachsenenalter Mit Italien, Westdeutschland und Schweden wurden drei Länder verglichen, die die wichtigsten wohlfahrtsstaatlichen Modelle in Europa repräsentieren. Durch die Gegenüberstellung der Einmündungsverläufe in das Erwachsenenalter in diesen drei Ländern, konnte die Situation der jungen Erwachsenen in Europa beschrieben und die Bedeutung der Gelegenheitsstruktur auf Makroebene beurteilt werden. Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen, dass sowohl beim ökonomischen als auch beim sozialen Verselbständigungsprozess deutliche Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. In Italien ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt für die jungen Erwachsenen deutlich schwerer als in Schweden und Westdeutschland. Die jungen Italiener finden seltener und später eine erste Anstellung. Vergleichsweise früh beginnen die jungen Erwachsenen in Schweden zu arbeiten. Aufgrund der Operationalisierung der abhängigen Variablen kann es sich dabei aber auch nur um eine mittelfristige Beschäftigung handeln, die vor dem Hochschulstudium aufgenommen wurde. Insgesamt machen die Ergebnisse aber deutlich, dass die Arbeitsmarktbedingungen in den drei Ländern eine wichtig Rolle für den ökonomischen Verselbständigungsprozess der jungen Erwachsenen spielen. In Italien ist nicht nur die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch, sondern auch das Verhältnis zwischen Jugendarbeitslosenquote und allgemeiner Arbeitslosigkeit ist besonders ungünstig. Anstelle einer geregelten Berufsaubildung findet häufig nur ein „Training on the job“ statt, womit sich die italienischen Berufsanfänger in einer schwierigen Ausgangsposition befinden. Diese wird auch dadurch verschlechtert, dass es einen hohen arbeitsrechtlichen Schutz für die bereits Angestellte gibt. Die Hürde für Neueinstellungen ist damit vergleichsweise hoch. Demgegenüber sind die Rahmenbedingungen in Schweden und Westdeutschland deutlich besser. In beiden Ländern besteht eine gute Verbindung zwischen Schul- und Ausbildungssystem auf der einen und dem Arbeitsmarkt auf der anderen Seite. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist in beiden Ländern niedriger als in Italien.
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Diese Länderunterschiede beim Erwerbseinstieg wirken sich auch auf den Verlauf des sozialen Verselbständigungsprozess aus. Die schwedischen jungen Erwachsenen verlassen nicht nur vergleichsweise früh das Elternhaus, sondern auch bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung weisen sie die niedrigsten Altersmediane auf. Bei beiden Ereignissen folgen die jungen Männer und Frauen aus Westdeutschland, während die Italienerinnen und Italiener den sozialen Verselbständigungsprozess vergleichsweise spät beginnen. Wiederum gehen die Differenzen zwischen den Ländern auf die spezifischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zurück. Unter anderem sind auch in diesem Bereich die staatlichen Unterstützungsleistungen für junge Erwachsene in Italien besonders gering. Deshalb kann der soziale Verselbständigungsprozess nur auf Basis eines sicheren Einkommens in Angriff genommen werden. Da aber der Berufseinstieg sehr schwierig ist, verzögert sich auch die soziale Ablösung vom Elternhaus. In Westdeutschland können die jungen Erwachsenen die ökonomische Unabhängigkeit zwar leichter erreichen als in Italien, aber diejenigen unter ihnen, die zunächst keine Arbeit finden oder sich noch in Ausbildung befinden, sind häufig auf die Hilfe der Eltern angewiesen und bleiben länger mit der Herkunftsfamilie verbunden. In den nordeuropäischen Sozialstaaten wird mehr Wert auf eine individuelle soziale Absicherung gelegt. Die jungen Erwachsenen in Schweden sind früher in der Lage, den Auszug aus dem Elternhaus und eine eigene Haushalt zu finanzieren. Daneben beeinflussen auch religiöse oder andere Wertvorstellungen den Verlauf des sozialen Verselbständigungsprozesses. Dies wird vor allem bei der Heirat und Familienbildung deutlich. Die wichtigsten Länderunterschiede bei diesen beiden Ereignissen können folgendermaßen zusammengefasst werden: In Italien heiratet man vergleichsweise früh, während der Altersmedian der Westdeutschen bei diesem Ereignis etwas höher ist. In Schweden werden Ehen nicht nur später, sondern auch seltener als in den anderen beiden Ländern geschlossen. Bei der Geburt des ersten Kindes sind dagegen die westdeutschen Eltern am ältesten. Der Altersmedian der italienischen und schwedischen jungen Erwachsenen ist bei der Familiengründung etwa gleich hoch. Diese Länderunterschiede stehen offenbar in Zusammenhang mit den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen. In Italien haben die Ehe und die Familie eine hohe traditionelle Bedeutung. Obwohl italienische Familien nur eine vergleichsweise geringe staatliche Unterstützung erhalten und auch nur wenige Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder zur Verfügung stehen, bleiben nur wenige italienische Paare kinderlos. Von staatlicher Seite wird ein traditionelles Familienmodell gefördert, in dem die Ehefrau für die Erziehung der Kinder zuständig ist. Dieses Rollenmodell hat in Italien nach wie vor bestand. Innerhalb der hier untersuchten Stichprobe, waren zum Zeitpunkt der Befragung ca. ein Viertel der 231
italienischen Frauen noch nie berufstätig. Vor allem innerhalb der älteren Kohortengruppen ist die Frauenerwerbsquote in Italien sehr niedrig. Die jüngeren italienischen Paare stehen vor der Herausforderung, sich einerseits den Wunsch nach einer eigenen Familie zu erfüllen und andererseits auch den häufig gut ausgebildeten jungen Frauen eine Berufskarriere zu ermöglichen. Deshalb entscheiden sie sich immer häufiger dafür, nur noch ein Kind zu bekommen, so dass die Frauen nicht langfristig aus dem Arbeitsmarkt aussteigen müssen. Dies ist eine der Ursachen für das starke Absinken der Fertilitätsrate in Italien. Der deutsche Sozialstaat investiert insgesamt zwar mehr Mittel für die Familienpolitik als der italienische, dennoch stehen die westdeutschen Frauen vor ähnlichen Problemen, da auch hier nicht genügend Betreuungsplätze für Kleinkinder vorhanden sind. Auch bei den westdeutschen Frauen ist das traditionell weibliche Übergangsmuster, bei dem die Berufskarriere zumindest zeitweise zugunsten der Partnerschafts- und Familienbildung zurückgestellt wird, relativ stark verbreitet. Im Unterschied zu Italien werden aber in Westdeutschland Kinder besonders häufig als Hindernis für die Berufskarriere der Frau empfunden und gleichzeitig ist der Kinderwunsch nicht so ausgeprägt wie in Italien. Aus diesen Gründen gibt es in Westdeutschland vergleichsweise viele kinderlose Paare und der Altersmedian bei der Geburt des ersten Kindes ist höher als in den andern beiden Ländern. In Schweden ist die Erwerbstätigkeit von Frauen für den Erhalt des vergleichsweise großzügigen Sozialsystems eine Grundvoraussetzung. Dementsprechend wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gezielt gefördert. Eltern genießen einen besonderen Schutz und es gibt relativ viele staatliche Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder, die schrittweise weiter ausgebaut werden. So kann die Berufskarriere, auch zu einem frühen Zeitpunkt, zugunsten der Familienbildung unterbrochen werden. Grundsätzlich wird dabei nicht zwischen verheirateten oder unverheirateten Eltern unterschieden, so dass trotz eines Rückgangs der Heiratsquote, die Fertilitätsrate vergleichsweise hoch ist. Auch dies ist ein Ausdruck, für den geringen Einfluss religiöser Normen auf die schwedische Gesellschaft. Insgesamt bestätigen diese Ergebnisse die im dritten Kapitel angenommenen Auswirkungen der institutionellen Rahmenbedingungen auf den Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter (vgl. Abschnitt 3.2.6). In Westdeutschland, dem Idealtyp des konservativen Wohlfahrtsstaats, hat die günstige Arbeitsmarktsituation einen positiven Effekt auf das Auszugsalter. Auch angehende Studenten können auf der Basis staatlicher Förderung und/oder der Hilfe der Eltern relativ früh das Elternhaus verlassen. Das Auszugsalter hat sich bei den jüngeren Kohorten nur leicht erhöht. Dagegen steigt das Alter bei der Partnerschafts- und Familienbildung konstant an. Vor allem die mangelnde Verein232
barkeit von Familie und Beruf, die im Widerspruch zu einem moderneren Familienmodell steht, stellt hier das größte Hindernis dar. Es wird sich zeigen, ob die am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Regelungen zum Elterngeld und zur Elternzeit ausreichen, um langfristig die negative Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland zu stoppen (vgl. BMFSFJ 2007). Mit dem Anstieg der Bildungsbeteiligung und der Erwerbsquote von Frauen, wird dieses Problem auch in Italien und den anderen südeuropäischen Ländern zunehmen. Aufgrund der traditionellen Wertvorstellungen ist die Heiratsrate nach wie vor sehr hoch und die meisten Ehepartner bekommen zumindest ein Kind. Allerdings führen die schlechten Rahmenbedingen dazu, dass sich sowohl der ökonomische als auch der soziale Verselbständigungsprozess immer weiter nach hinten verschieben. Die jungen Schwedinnen und Schweden genießen sowohl eine hohe Sicherheit als auch eine hohe Freiheit bei ihrem Übergang in das Erwachsenenalter. In den sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten können die jungen Erwachsenen auf ein gut ausgebautes soziales Netz zurückgreifen. Gleichzeitig spielen traditionelle Normvorstellungen bei der Partnerschafts- und Familienbildung nur eine geringe Rolle. Dies drückt sich unter anderem in der hohen Verbreitung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften aus. Dennoch fällt es den jungen Erwachsenen leichter, sich für eine Familie zu entscheiden, was durch die vergleichsweise positive Entwicklung der Fertilitätsrate unterstrichen wird.
7.1.2 Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter Die zweite Fragestellung beschäftigt sich mit der Destandardisierung der Übergangsmuster in das Erwachsenenalter. Findet eine derartige Veränderung dieser Lebensphase tatsächlich in ganz Europa statt? Auch hier spielen die makrostrukturellen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Um das Ausmaß des Destandardisierungsprozesses zu überprüfen, wurden drei Indikatoren herangezogen: (1) eine zunehmende Altersvarianz bei den einzelnen Schritten ins Erwachsenenalter, (2) eine abnehmende Prävalenz traditioneller Übergangsereignisse und die Zunahme neuer Lebensformen, (3) Abweichungen von den normativen Einmündungsverläufen. In Schweden hat die Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter das höchste Ausmaß erreicht, obwohl die Altersvarianz nur beim Ereignis der Erstheirat deutlich zugenommen hat. Entscheidend sind hier vielmehr die beiden anderen Indikatoren. Mit dem Rückgang der Heiratrate, die deutlich niedriger ist als in den anderen beiden Ländern, hat ein klassischer rite de passage deutlich an Bedeutung verloren. Dagegen hat sich die neue Lebens233
form der nichtehelichen Lebensgemeinschaft vollkommen etabliert. Zudem weicht etwa die Hälfte der schwedischen jungen Erwachsenen während der Übergangsphase von der normativen Sequenz der Ereignisse ab. Viele Eltern sind bei der Geburt des ersten Kindes nicht verheiratet. Die Eheschließung stellt nicht länger die Voraussetzung für die Familiengründung dar, wodurch der Bedeutungsverlust der Heirat nochmals unterstrichen wird. Vor allem bei den jüngeren Kohorten hat der Anteil an unehelich geborenen Kindern zugenommen und mittlerweile sind nur ca. 40% der schwedischen Eltern bei der Geburt des ersten Kindes verheiratet. Auch in Westdeutschland nahm innerhalb der letzten Jahrzehnte die Destandardisierung beim Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen zu, hat aber nicht das gleiche Ausmaß wie in Schweden erreicht. Die meisten jungen Erwachsenen orientieren sich nach wie vor an der normativen Reihenfolge der Übergangsereignisse. Es können deutlich weniger Abweichungen als in Schweden festgestellt werden, obwohl auch hier die Anzahl der außerehelichen Erstgeburten zugenommen hat. Aber insgesamt sind die meisten Eltern bereits vor der Geburt des ersten Kindes verheiratet. Stark abgenommen hat dagegen der Zusammenhang zwischen den Ereignissen „erste gemeinsamer Haushaltsgründung“ und „Heirat“. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind zu einer normalen Vorphase vor der Eheschließung geworden. Insgesamt benötigen die westdeutschen jungen Erwachsenen für die gesamte Übergangsphase immer mehr Zeit und auch die Altersvarianz bei den Übergangsereignissen hat zugenommen. Auch in Italien hat die Altersvarianz bei den einzelnen Ereignissen zugenommen, da ein Teil der jungen Erwachsenen die Statusveränderungen sehr spät erlebt. Dennoch leitet sich in Italien daraus keine allgemeine Destandardisierung des Einmündungsverlaufes in das Erwachsenenalter ab. Es verhält sich vielmehr so, dass der gesamte Übergangsprozess spät stattfindet. Die gesamte Übergangsphase ist aber nicht signifikant länger geworden, da weiterhin ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Ereignissen besteht. Selbst von der jüngsten Kohortengruppe werden der Auszug aus dem Elternhaus, die gemeinsame Haushaltsgründung und die Heirat meist direkt miteinander verbunden. Auch die normative Sequenz der Übergangsereignisse wird fast immer eingehalten und die Heirat hat in Italien nicht an Bedeutung verloren, während nichteheliche Lebensgemeinschaften nach wie vor sehr selten vorkommen. Nur wenige Eltern sind bei der Geburt des ersten Kindes nicht verheiratet. Vor allem beim sozialen Verselbständigungsprozess gibt es in Schweden eine hohe Variation bei den Einmündungsverläufen. Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften und die Familiengründung ohne Heirat stellen dabei die wichtigsten Veränderungen dar. In Westdeutschland tritt dieser Wandel erst bei den jüngeren Kohorten ein, während es in Italien fast keine Abweichungen von den 234
traditionellen Mustern gibt. Dies hängt auch mit dem Einfluss der christlichen (und vor allem katholischen) Konfessionen in Westdeutschland und Italien zusammen. Sie bilden in beiden Ländern das Fundament für die christdemokratischen Parteien und haben sich so langfristig einen Einfluss auf das politische System gesichert, der sich besonders deutlich in der Familienpolitik und den Geschlechtermodellen ausdrückt. Die Ehe und verheiratete Eltern stehen unter einem besonderen rechtlichen Schutz und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur unzureichend gefördert. Unter diesen Rahmenbedingungen fällt es den jungen Erwachsenen schwerer, alternative Lebensentwürfe umzusetzen. Vor allem die normative Reihenfolge der Übergangsereignisse wird nur selten verändert. Lediglich die Verzögerung bei einzelnen Statusveränderungen und die damit steigende Altersvarianz, zeigen hier eine Destandardisierung an. Trotz protestantischer Staatskirche haben konservative Wertvorstellungen in den nordeuropäischen Ländern eine deutlich geringere Bedeutung. Dass in erster Linie sozialdemokratische Parteien die Regierungsverantwortung in Skandinavien innehaben, ist eine Ursache für die stärkere inhaltliche Trennung von Politik und Kirche. Aufgrund der vergleichsweise geringen normativen Kontrolle und der guten Absicherung durch das Wohlfahrtssystem verfügen die jungen Erwachsenen in den nordeuropäischen Ländern über mehr Freiheit bei der Gestaltung des Übergangsprozesses. Neue Lebensformen und alternative Einmündungsverläufe sind ein Ausdruck dieser Handlungsfreiheit und führen zu einem hohen Destandardisierungsgrad. Das schwedische Beispiel zeigt zudem, dass die Destandardisierung der Übergangsphase nicht zwingend zu einer höheren Unsicherheit für die jungen Erwachsenen führen muss.
7.1.3 Der Einfluss individueller Merkmale auf den Weg ins Erwachsenenalter in Europa Schließlich wurde in der empirischen Studie der Einfluss von individuellen Merkmalen auf die Übergangsphase untersucht. Neben dem Einfluss der verschiedenen Variablen steht dabei die Frage im Mittelpunkt, ob sich der Effekt einzelner Faktoren je nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterscheidet. In ereignisanalytischen Modellen wurde berechnet, welchen Einfluss die ausgewählten individuellen Merkmale auf das Alter bei den Übergangsereignissen und die Dauer des sozialen Verselbständigungsprozesses haben. Durch die Verwendung von Interaktionsmodellen konnten die Ergebnisse der Länder nicht nur direkt miteinander verglichen, sondern mögliche Unterschiede auch auf ihre Signifikanz überprüft werden. Im Ergebniskapitel wurden bereits am Ende jedes Abschnitts die jeweils wichtigsten Resultate zusammengefasst. An dieser Stelle 235
werden die einzelnen Ergebnisse im Hinblick auf die verschiedenen Variablengruppen miteinander verbunden, wobei besonders auf die Unterschiede zwischen den Ländern hingewiesen wird. Mit dem erreichten Bildungsniveau und der Erwerbstätigkeit wurden zwei Variablen berücksichtigt, die die vorhandenen individuellen Ressourcen messen. Dabei wurde festgestellt, dass eine Berufstätigkeit einen beschleunigenden Einfluss auf das Auszugsalter und den Beginn des sozialen Verselbständigungsprozesses hat. Dies gilt zwar für alle drei Länder, aber die Interaktionseffekte weisen darauf hin, dass die Effektstärke der zeitabhängigen Variablen „Erwerbstätigkeit“ von den makrostrukturellen Rahmenbedingungen abhängig ist. Vor allem Italien weißt hier ein spezifisches Muster auf. Bei den italienischen Männern ist der Effekt der Erwerbstätigkeit stärker als bei den schwedischen oder westdeutschen Männern. Dadurch wird die These, dass italienische Männer nur auf Basis eines eigenen Einkommens das Elternhaus verlassen können, unterstützt. Im Gegensatz dazu hat die Variable bei den italienischen Frauen einen vergleichsweise geringen Einfluss. Ein relativ großer Teil von ihnen erreicht die ökonomische Unabhängigkeit vom eigenen Elternhaus, indem sie mit einem berufstätigen Partner zusammen ziehen und diesen heiraten. Der erreichte Bildungsabschluss hat in den drei Ländern häufig einen ähnlichen Effekt auf die verschiedenen Übergangsereignisse. Wie erwartet, verzögert ein hohes Bildungsniveau sowohl den Einstieg in den Arbeitsmarkt als auch die Partnerschafts- und Familienbildung. Dennoch bestehen zum Teil signifikante Länderunterschiede. So hat in Schweden das Bildungsniveau keinen Einfluss auf das Alter bei der Erstheirat, während es in den anderen beiden Ländern einen wichtigen Faktor darstellt. Eine Ausnahme bilden auch hier die italienischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Sie sind relativ häufig nicht erwerbstätig oder beginnen erst sehr spät zu arbeiten, und sie beschränken sich dann auf die traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter. Dementsprechend erleben sie die einzelnen Schritte des sozialen Verselbständigungsprozesses früher als die westdeutschen und schwedischen Frauen mit einem ähnlich niedrigen Bildungsabschluss. Noch deutlicher sind die Länderunterschiede bei den Variablen zu den Normen und Werten. Die Religiosität hat in Italien keinen Einfluss auf das Alter bei den Übergangsereignissen. Der Kinderwunsch beeinflusst lediglich den Zeitpunkt der Familienbildung der italienischen Paare. Offenbar ist die Wirkung der allgemeinen und übergeordneten Altersnormen in Italien so stark, dass die persönliche Identifizierung mit bestimmten Wertmustern keine Rolle spielt. In Westdeutschland und Schweden haben die beiden Variablen dagegen häufig den erwarteten Effekt. In beiden Ländern heiraten religiöse Personen häufiger und früher. Auch wer sich viele Kinder wünscht, gründet in Schweden und West236
deutschland früh einen gemeinsamen Haushalt und eine eigene Familie. Persönliche Wertvorstellungen haben damit in beiden Ländern einen Einfluss auf den zeitlichen Ablauf des sozialen Verselbständigungsprozesses, was in Italien, wie erläutert, nicht oder nur in deutlich geringerem Ausmaß der Fall ist. Daneben wurden zwei Variablen zur Herkunftsfamilie (Wohnort im Jugendalter und Geschwisterzahl) sowie eine zum gegenwärtigen regionalen Kontext (aktueller Wohnort) berücksichtigt. Der Wohnort im Jugendalter hat vor allem zu Beginn des Einmündungsverlaufes eine gewisse Bedeutung. Im Vergleich mit jungen Erwachsenen, die auf dem Land aufgewachsen sind, beginnen die, die in einer Stadt gewohnt haben, später zu arbeiten. Nur bei den italienischen Männern kann kein Effekt festgestellt werden. Offenbar sind die Probleme beim Erwerbseinstieg für die italienischen Männer überall gleich groß. In Westdeutschland ziehen die jungen Erwachsenen, die in Städten aufgewachsen sind, vergleichsweise früh aus dem Elternhaus aus, während bei den schwedischen Frauen der Effekt der Variablen genau umgekehrt ist. Die Gründe für diese Unterschiede beim Auszugsverhalten von jungen Erwachsenen nach regionaler Herkunft, ließen sich anhand der vorliegenden Studie nicht abschließend klären. Denkbar ist, dass in ländlichen Gebieten in Westdeutschland oft genügend Wohnraum im Elternhaus zur Verfügung steht und auch traditionelle Normvorstellungen, die sich gegen einen frühen Auszug richten, auf dem Land eine höhere Bedeutung als in der Stadt haben. In Schweden nimmt ein großer Teil der jungen Erwachsenen ein Studium auf und insbesondere die, die in ländlichen Gebieten aufgewachsen sind, müssen in diesem Zusammenhang umziehen. In Italien hat der Wohnort im Jugendalter keinen Effekt auf das Auszugsalter, da der Auszug aus dem Elternhaus in erster Linie mit der Heirat zusammenhängt und es auch viele regionale Hochschulen gibt. Relativ wenig Länderunterschiede bestehen beim Einfluss der Geschwisterzahl auf den Zeitpunkt des sozialen Verselbständigungsprozesses. Diese Variable hat vor allem für die jungen Frauen den erwarteten Effekt. Bei einer großen Herkunftsfamilie lösen sie sich schneller vom Elternhaus und gründen früher eine Partnerschaft und eine eigene Familie. Zum einen steht bei vielen Geschwistern weniger Wohnraum zur Verfügung und zum anderen wird davon ausgegangen, dass Frauen aus großen Familien stärker auf eine Hausfrauen- und Mutterkarriere hin sozialisiert werden. Der aktuelle Wohnort hat sowohl in Schweden als auch in Westdeutschland einen Einfluss auf das Alter bei der Partnerschaftsbildung. Die jungen Erwachsenen, die in Städten wohnen, ziehen später mit einem Partner zusammen und haben auch ein höheres Heiratsalter als diejenigen, die in ländlichen Regionen wohnen. Schließlich zeigen die Koeffizienten zu den Kohortengruppen, ob und wie sich der zeitliche Verlauf des Einmündungsprozesses gewandelt hat. Das Alter 237
bei der ersten Arbeitserfahrung hat sich nur geringfügig verändert. Lediglich die italienischen und westdeutschen Männer der jüngsten Kohorte steigen später in den Arbeitsmarkt ein als diejenigen der älteren Kohortengruppen. In Schweden hat sich das Alter beim Berufseinstieg nicht signifikant verändert. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass der Anteil höherer Bildungsabschlüsse in Westdeutschland und Italien stärker zugenommen hat als in Schweden, wo der Anteil an hohen Bildungsabschlüssen traditionell höher war. Zum anderen wirkt sich in Italien und Westdeutschland der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit negativ aus. Die Veränderungen beim sozialen Verselbständigungsprozess sind deutlich stärker als die beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. In den meisten Fällen erleben die jüngeren Kohorten die einzelnen Ereignisse später und seltener. Aber auch hier gibt es wieder vereinzelte Länderunterschiede. Aufgrund der frühen ökonomischen Unabhängigkeit vom Elternhaus ist das Auszugsalter in Schweden sogar leicht gesunken. In Italien war es bereits bei der ältesten Kohortengruppe relativ hoch und hat sich nicht weiter verändert. In Westdeutschland ist das Auszugsalter unter anderem aufgrund der zunehmenden Unsicherheit beim Erwerbseinstieg angestiegen. Das Alter bei der ersten gemeinsamen Haushaltsgründung ist nur in Italien und Westdeutschland signifikant angestiegen, während die Familiengründung in allen drei Ländern später stattfindet. Da in Westdeutschland auf der einen Seite das traditionelle Geschlechterrollenmodell an Bedeutung verliert und auf der anderen Seite Frauen nur unter Schwierigkeiten Familie und Beruf miteinander vereinbaren können, ist dort das Alter bei der Elternschaft höher als in den anderen beiden Ländern. Zusammengenommen bewirken diese einzelnen Veränderungen einen Wandel des gesamten sozialen Verselbständigungsprozesses. In Westdeutschland und Schweden führt die Verzögerung bei der Familienbildung dazu, dass die gesamte Übergangsphase etwas länger geworden ist. In Italien ist dagegen die Verbindung zwischen den einzelnen Ereignissen nach wie vor sehr hoch. Der Abstand zwischen Auszug und Elternschaft ist nicht signifikant angestiegen, so dass der soziale Verselbständigungsprozess nach wie vor innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums abgeschlossen wird. Insgesamt wurden mit der empirischen Studie, die in der Einleitung definierten Zielsetzung erreicht. Die Variationen beim Weg in das Erwachsenenalter wurden unter Berücksichtigung der makrostrukturellen Rahmenbedingungen erfasst. Verschiedene Veränderungen des Einmündungsverlaufes finden zwar in allen Ländern statt, aber nicht überall hat dies eine Destandardisierung der Lebensphase zur Folge. Individuelle Faktoren haben häufig einen sehr starken Einfluss auf den zeitlichen Verlauf der Übergangsphase. Dabei zeigten die Inter-
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aktionsmodelle, dass der Effekt dieser Variablen teilweise je nach Land variiert und signifikant unterschiedlich ist. Zwar werden in mehreren aktuellen Sammelbänden zum Thema (Walther 1996; Corijn et al. 2001; Mortimer et al. 2002; Blossfeld et al. 2005; Settersten et al. 2005) Ergebnisse für verschiedene Länder und Teilbereiche vorgestellt, aber in den einzelnen Artikeln werden häufig andere Schwerpunkte gesetzt und so sind diese Resultate nicht direkt miteinander vergleichbar. Im Unterschied dazu hat die vorliegende Studie den Vorteil, dass der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter in drei Ländern der wichtigsten europäischen Wohlfahrtsstaaten unter den gleichen Gesichtspunkten analysiert wurde. Die Ergebnisse für die drei Gesellschaften sind direkt miteinander vergleichbar und Länderunterschiede wurden auf ihre Signifikanz kontrolliert. Des Weiteren wurde ein von Shanahan (2000: 684) geforderter Forschungsansatz aufgegriffen, bei dem die Bedeutung der normativen Sequenz der Übergangsereignisse systematisch untersucht wird. Damit wurde der Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter in seiner Gesamtheit erfasst, während sich die Analyse der Altersunterschiede auf einzelne Übergangsereignisse bezieht. Der international vergleichende Charakter der Arbeit bringt aber auch einige Probleme mit sich. Ein solcher Ansatz kann nur auf Basis geeigneter Daten durchgeführt werden und bis dato erfüllt nur der Family and Fertility Survey diese Anforderungen, weshalb einige Einschränkungen in Kauf genommen werden mussten. Um die Entwicklungen der letzten Jahre erfassen zu können, müssen neuere Daten herangezogen werden. Auch der Effekt der sozialen Herkunft oder von finanziellen Ressourcen konnte mit den FFS-Daten nicht untersucht werden. Da die Familienbildung und Partnerschaft den Schwerpunkt des FFS-Projektes bildeten, wurde der gesamte soziale Verselbständigungsprozess sehr gut erfasst. Dem ökonomischen Verselbständigungsprozess wurde dagegen keine so hohe Aufmerksamkeit eingeräumt und die Qualität der Daten ist hier nicht so hoch. Es konnte nicht überprüft werden, ob der Anteil an unsicheren und befristeten Beschäftigungsverhältnisse zu Beginn der Berufskarriere zugenommen hat. Dennoch wurden die wichtigsten Veränderungen und Länderunterschiede beim ökonomischen Verselbständigungsprozess aufgezeigt und eingehend analysiert. Der Einfluss der makrostrukturellen Faktoren wurde zwar genau beschrieben, konnte aber nicht in kausalen Modellen überprüft werden, da dazu bislang keine international vergleichbaren Datensätze vorliegen. Ein Ziel des Nachfolgeprojektes zum FFS, dem Generations and Gender Program (GGP), ist es, eine derartige kontextuelle Datenbasis aufzubauen (Spielauer 2004). Dennoch bieten auch die bereits hier vorgelegten Ergebnisse die Möglichkeit, die Lage der jungen Erwachsenen in Europa genau zu beurteilen und Verbindungen zu sozialstaatlichen Regelungen herzustellen. Im letzten Abschnitt 239
wird die gesellschaftspolitische Relevanz des Themas, die bereits in der Einleitung erläutert wurde, aufgegriffen. Es wird unter anderem diskutiert, welche Folgen die festgestellten Entwicklungen für die einzelnen Länder haben.
7.2 Die Lage der jungen Erwachsenen in Europa Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass für viele Jugendlichen in Europa der Weg in das Erwachsenenalter relativ problemlos verläuft. Aber für bestimmte Gruppen unter den jungen Erwachsenen stellt die Übergangsphase auch eine große Herausforderung dar, die sie nicht immer alleine meistern können. Es stellt sich die Frage, was die verschiedenen europäischen Staaten und unterschiedlichen Sozialsysteme in diesem Zusammenhang voneinander lernen können, um diese Gruppen besser unterstützen zu können. Damit würden auch verschiedene gesamtgesellschaftliche Probleme nachhaltig verringert. Innerhalb des hier untersuchten Zeitraums von Mitte der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre waren die jungen Erwachsenen in Schweden nur mit wenigen strukturellen Hindernissen konfrontiert. Die Ergebnisse zeigen, dass sie weder beim ökonomischen noch beim sozialen Verselbständigungsprozess große Schwierigkeiten hatten. Obwohl die Heiratsrate stark abgenommen hat, bewegte sich die Fertilitätsrate auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Allerdings verschlechterte sich Anfang der 1990er Jahre die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die allgemeine Arbeitslosenquote und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit stiegen stark an (siehe Abbildung 4). Das Ziel der einer annähernden Vollbeschäftigung wurde nicht mehr erreicht und vor allem die Berufseinsteiger waren von dieser Krise betroffen.151 Dies schlägt sich in den hier vorgestellten Ergebnissen nicht mehr nieder, da die meisten Befragten zu diesem Zeitpunkt bereits im Arbeitsmarkt integriert waren. Erst danach hat die Unsicherheit zugenommen und im Laufe des Jahres 1994 waren nahezu 35% der Schweden zwischen 16 und 23 Jahren zumindest zeitweise arbeitslos (Bygren et al. 2005: 139). Dass sich die Arbeitsmarktsituation für die jungen Erwachsenen stark verschlechterte, zeigt auch die sinkende Zahl von festen Arbeitsverträgen in diesem Zeitraum (Cook et al. 2002: 270). Das Ausweichen auf einen anderen Arbeitsmarkt stellte dabei eine Strategie der schwedischen Berufsanfänger dar. So wurde in Norwegen zwischen 1990 und 2000 eine Zunahme von schwedischen Einwanderern registriert (Statistics Norway 2006). Die sprachlichen Hürden zwischen den beiden Ländern sind sehr gering und aufgrund bilateraler Abkommen gibt es keine Restriktionen bei der Arbeitserlaubnis. Die Krise auf dem schwedischen Arbeitsmarkt 151 Auch die Fertilitätsrate sank in diesem Zeitraum, ist aber mittlerweile wieder deutlich angestiegen (Eurostat 2005b).
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gilt inzwischen als überwunden und zwischen 2000 und 2005 lag die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden bei ca. 12,5% (Eurostat 2005a).152 Da in Schweden die Ausbildung und Fortbildung einen sehr hohen Stellenwert besitzt, verfügen mittlerweile fast alle jungen Erwachsenen über einen hohen Bildungsabschluss. Dies hat sogar dazu geführt, dass es einen Überschuss an hoch qualifizierte Bewerber gibt. Sie brauchen länger, um einen ihrer Ausbildung entsprechenden Beruf zu finden (Bygren et al. 2005: 142). Die eigentlichen Verlierer in dieser Entwicklung sind aber die niedrig qualifizierten jungen Erwachsenen, da sie von den besser qualifizierten verdrängt werden (Cook et al. 2002: 270). Wie in den anderen europäischen Ländern hat sich auch in Schweden der Prozess der Familienbildung im Laufe der letzten Jahrzehnte verzögert. Im Unterschied zu anderen Ländern ist die Fertilitätsrate allerdings nicht dauerhaft gesunken. Die Zunahme von nichtehelichen Lebensgemeinschaften und außerehelichen Geburten stellen die wichtigsten Veränderungen in Schweden dar. Häufig werden nichteheliche Partnerschaften als Indiz für temporäre Bindungen und geringere Investitionen in Partnerschaften verstanden (siehe beispielsweise Mills et al. 2005: 430). Dies stellt eigentlich keine guten Voraussetzung für die eigene Familiengründung dar. Aber gerade das Beispiel von Schweden mit einer vergleichsweise hohen Fertilitätsrate und vielen außerehelichen Geburten zeigt, dass dies nicht zwingend der Fall sein muss. Unter sicheren sozialstaatlichen Rahmenbedingungen scheint es offenbar keine Rolle zu spielen, ob die Partnerschaft in eine Ehe mündet oder nicht. Bei allen Vorteilen, ist aber auch das skandinavische Modell davon abhängig, dass den jungen Erwachsenen der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelingt. Um weitere Krisen wie Anfang der 1990er Jahre zu vermeiden, sollte die Verbindung zwischen Ausbildungs- und Erwerbssystem in Schweden verbessert werden, indem mehr spezialisierte Berufsaubildungen angeboten werden. Abgesehen davon können Schweden und die anderen skandinavischen Staaten, insbesondere aufgrund der guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, als Modell für die anderen europäischen Länder dienen. Die Einführung des Elterngeldes und der Elternzeit in Deutschland im Januar 2007 zeigt, dass Schweden für andere Länder durchaus diese Modellfunktion erfüllt. Blicken wir aber auch hier zunächst auf den ökonomischen Verselbständigungsprozess. Trotz steigender Arbeitslosigkeit, hat sich der Erwerbseinstieg der jungen Erwachsenen in Westdeutschland nicht stark verzögert. Positiv ist vor allem zu vermerken, dass sich die Jugendarbeitslosigkeit auf ähnlichem Niveau wie die allgemeine Arbeitslosigkeit bewegt und auch in Krisenzeiten nicht überproportional ansteigt. Dies hängt mit dem sogenannten dualen 152
Auch die Zahl der schwedischen Einwanderer in Norwegen hat nach 2000 wieder abgenommen.
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Ausbildungssystem zusammen, das in den deutschsprachigen Ländern eine gute Verbindung zwischen Berufsausbildung und Arbeitsmarkt schafft. Die Auszubildenden sammeln bereits während der Lehrzeit eine relevante Berufserfahrung und können am Ende einen standardisierten Abschluss vorweisen. Allerdings ist dieses System nicht immer flexibel genug, vor allem wenn es um aktuelle Entwicklungen wie beispielsweise in der Computer- und Informationstechnologie geht. Gerade in diesen Branchen ist die Zahl der privaten Ausbildungsanbieter angestiegen und es stellt sich die Frage, ob das duale Ausbildungssystem noch den Anforderungen des Arbeitsmarktes entspricht. Zudem waren vor allem in den letzten Jahren nicht genügend Ausbildungsplätze vorhanden, was unter anderem 2004 zu einer politischen Debatte über eine Ausbildungsabgabe für Arbeitgeber geführt hat (Tönnesmann 2004). Cook und Furstenberg (2002: 276) stellen zudem fest, dass Auszubildende in kleineren und mittleren Betrieben immer häufiger nur als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden. Sie werden nach Abschluss der Berufsaubildung nicht übernommen und haben Schwierigkeiten, eine adäquate Stelle zu finden. Die Unsicherheit beim Erwerbseinstieg hat auch auf anderen Ebenen zugenommen. Der Anteil der Berufsanfänger mit Zeitverträgen hat auch in Deutschland zugenommen und häufig sind diese befristeten Stellen auch nur Teilzeitbeschäftigungen, was eine doppelte Benachteiligung darstellt (Kurz et al. 2005: 63). Problematisch ist vor allem, dass ein atypischer Erwerbseinstieg auch langfristig negative Folgen für die Berufskarriere hat, da seltener eine feste Vollzeitstelle erreicht wird (Lauterbach et al. 2001: 276). Von der Destandardisierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind in erster Linie junge Erwachsene mit einer niedrigen schulischen Qualifikation betroffen, die nur als un- oder angelernte Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt kommen. Offenbar müssen die bestehenden Angebote zur Weiterbildung und Umschulung in Deutschland weiter verbessert werden. Die momentan größte Herausforderung für den deutschen Wohlfahrtsstaat liegt allerdings in der Familienpolitik und vor allem einer Verbesserung des Betreuungsangebotes für Kleinkinder. Die Verzögerung bei der Familienbildung und die geringe Geburtenrate hängen zum Teil auch mit der zunehmenden Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt zusammen (Mills, Blossfeld 2005: 427). Aber es sind vor allem strukturelle Defizite, die hier entscheidend sind, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass Kinder sehr häufig als Hindernis für die Berufskarriere aufgefasst werden (Habich et al. 1998: 25). Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen zwar, dass westdeutsche und italienische Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss häufig zugunsten der Familie auf eine eigene Berufskarriere verzichten. Bei schlechten Karrierechancen stellt die Familienbildung damit eine Strategie zur Absicherung des Lebenslaufes dar (Mills, Blossfeld et al. 2005: 432). Dank dieses Modells blieb die Fertilitätsrate in Westdeutschland 242
bis 1970 über dem sogenannten Reproduktionsniveau.153 Aber mit der zunehmenden Bildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen hat dieses Familienmodell an Bedeutung verloren. Nach einer langen Ausbildung sind die Frauen nicht mehr dazu bereit, ihre Berufskarriere bereits zu Beginn langfristig zu unterbrechen. Daher verzögern sie die Familienbildung, bekommen insgesamt weniger Kinder oder verzichten ganz auf eine Familie. Obwohl bereits in der rotgrünen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (von 1998 bis 2005) immer wieder der Ausbau von Betreuungsplätzen für Kleinkinder oder von Ganztagsschulen anvisiert wurde und auch in der großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (seit 2005) dieses Thema auf der politischen Agenda steht, hat sich bisher nicht viel verändert. Dabei zeigen Kinderkrippen, die auf Initiative der Eltern oder in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern entstanden sind, dass auch in Deutschland die Berufstätigkeit beider Elternteile mit der Kindererziehung verbunden werden kann. In diesem Sinne sollte Deutschland nicht nur bei der Übernahme des Elterngeldes und der Elternzeit dem schwedischen Modell folgen, sondern auch den Ausbau von Kindergrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen forcieren. Vor den größten Schwierigkeiten beim Übergang in das Erwachsenenalter stehen zweifellos die Jugendlichen in Italien und anderen südeuropäischen Ländern wie Portugal, Griechenland oder Spanien. Während der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auf über 15% Anfang der 1990er Jahre in Schweden eine Krise und große Herausforderung darstellte, würde diese Entwicklung in Italien als wegweisender Erfolg gewertet werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie haben gezeigt, dass die jungen Erwachsenen in Italien vergleichsweise spät in den Arbeitsmarkt einsteigen und vor allem viele Italienerinnen überhaupt keine relevante Arbeitserfahrung vorweisen können. Auch Programme, mit denen in den letzten Jahren Neueinstellungen von Berufsanfängern gefördert werden sollten, wie beispielsweise die Lockerung des Kündigungsschutzes für junge Arbeitnehmer oder spezielle Ausbildungsverträge, bei denen der Staat einen Teil der Kosten übernimmt, haben nicht zu den erhofften Erfolgen geführt. Die Unsicherheit für die Berufseinsteiger hat sich sogar verschärft, da sie häufiger nur befristete Arbeitsverträge erhalten, wobei vor allem die un- oder angelernten unter ihnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen verbleiben und langfristig ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko aufweisen (Bernardi et al. 2005: 360). Junge Erwachsene mit keinem oder einem niedrigen Bildungsabschluss stellen damit in allen Wohlfahrtssystemen eine besonders gefährdete Gruppe dar. In Italien stehen aber auch die mit einer hohen Ausbildung vor einer Heraus153 In Westdeutschland lag die Fertilitätsrate 1969 bei 2,21, fiel 1971 erstmals unter 2,0 (auf 1,97) und hat seitdem weiterhin stark abgenommen. In Italien setzte diese Entwicklung etwas später ein, aber auch dort liegt die Fertilitätsrate seit 1977 unter dem Wert von 2,0 (Eurostat 2005b).
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forderung, da der italienische Arbeitsmarkt nicht nur vergleichsweise starr und für Berufsanfänger nur schwer zugänglich ist, sondern zudem sind die Aufstiegsmöglichkeiten vergleichsweise begrenzt. Wer einen hohen Ausbildungsabschluss vorweisen kann, muss daher seine Berufskarriere in einer adäquaten Position beginnen, da sonst die Gefahr besteht, dass man auf der niedrigeren Karrierestufe verbleibet (Mills, Blossfeld et al. 2005: 426). Nicht zuletzt bestätigen die hier vorgestellten Ergebnisse, dass der ökonomische Verselbständigungsprozess in Italien schwierig ist und vergleichsweise lang dauert. Die negative Entwicklung auf dem italienischen Arbeitsmarkt hat sich bis heute fortgesetzt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch und lag zwischen 2000 und 2004 bei ca. 24,5%, und auch die Frauenerwerbsquote ist weiterhin deutlich niedriger als in Westdeutschland oder Schweden (Eurostat 2005a). Die Unsicherheit beim Erwerbseinstieg schlägt sich auch auf den sozialen Verselbständigungsprozess in Italien nieder. So gründen junge Männer in befristeten Arbeitsverhältnissen seltener eine Familie. Dagegen haben gesicherte arbeitsrechtliche Verhältnisse, beispielsweise bei Frauen im öffentlichen Dienst, einen positiven Effekt auf die Familienbildung (Bernardi et al. 2005: 365). Die in diesem Buch durchgeführte Analyse zur Familiengründung zeigt, dass der Kinderwunsch und Familiensinn in Italien zwar sehr ausgeprägt ist, die jungen Erwachsenen aber immer später eine eigene Familie gründen. Da die italienischen Ehepaare zudem häufig nur noch ein Kind bekommen, ist die Fertilitätsrate sehr niedrig. Wie in Westdeutschland wird diese Entwicklung durch die steigende Bildungsbeteiligung der Frauen verstärkt (Cook et al. 2002: 263). Die in Italien festgestellte Verzögerung des gesamten sozialen Verselbständigungsprozesses kann als eine Antwort auf die zunehmende Unsicherheit beim Übergangsprozess interpretiert werden. Partnerschaft und Familie werden erst formalisiert, wenn man selbst über ein Minimum an finanzieller Sicherheit verfügt, da in den südeuropäischen Wohlfahrtsregimen nur geringe staatliche Hilfeleistungen bestehen. Aus dem gleichen Grund orientieren sich fast alle italienischen jungen Erwachsenen an den normativen Übergangsmustern. Es besteht kein Handlungsspielraum, um alternative Lebensentwürfe auszuprobieren. So steigt mit der Heirat und der Geburt von Kindern innerhalb einer Ehe, die wechselseitige Verpflichtung der Partner. Vor allem für Frauen stellt die Ehe unter den Rahmenbedingungen in Italien eine wichtige formale und rechtliche Absicherung dar. Die südeuropäischen Wohlfahrtsstaaten stehen damit vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Zielsetzung muss sein, die hohe Abhängigkeit der jungen Erwachsenen von der Herkunftsfamilie schrittweise abzubauen. Erst wenn das Berufsausbildungssystem verbessert wird, erhalten Berufsanfänger häufiger ein sicheres Arbeitsplatzangebot. Vor allem die Integration von Frauen in das Erwerbsleben muss stärker gesellschaftspolitisch unterstützt wer244
den. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn gleichzeitig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesteigert wird. Neben den beschriebenen Länderunterschieden wurde zudem festgestellt, dass bestimmte Gruppen vor besonderen Schwierigkeiten beim Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter stehen. Insbesondere die Variable zum erreichten Bildungsabschluss liefert hier wichtige Ergebnisse. Obwohl die italienischen Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss sehr früh dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, haben sie nur eine leicht höhere Rate beim Erwerbseinstieg als die mit einem mittleren Bildungsabschluss. Sie können den zeitlichen Vorteil nicht adäquat umsetzen, während dies den westdeutschen und schwedischen Männern mit einem niedrigen Schulabschluss gelingt. Aber auch in Schweden und Deutschland sind es die jungen Erwachsenen mit einem niedrigen Abschluss, die bei einer schlechten Arbeitsmarktlage als erste unter massiven Druck geraten. Von den italienischen Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss sind sehr viele überhaupt nicht erwerbstätig oder sie fangen erst sehr spät an zu arbeiten, da sie zunächst die Kinder versorgen und erziehen. Auch beim sozialen Verselbständigungsprozess spielt die Bildungsvariable eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite sind in Westdeutschland und Schweden die Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss benachteiligt. Weder die Ereignisse der Partnerschafts- noch die Familienbildung erleben sie signifikant früher als die mit einem mittleren Bildungsabschluss. Obwohl sie früher Erwerbstätig sind, können sie am Anfang ihrer Berufskarriere offenbar nicht genügen finanzielle Sicherheit bieten. Auf der anderen Seite bekommen gut ausgebildete Frauen vergleichsweise spät ihr erstes Kind. Auch die Männer mit einem hohen Bildungsniveau werden später Väter als die mit niedrigerem Abschluss, aber der Unterschied ist nicht so deutlich wie bei den Frauen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist vor allem für hoch ausgebildete Frauen ein Problem. Aufgrund ihrer längeren Bildungsbeteiligung beginnen sie nicht nur relativ spät zu arbeiten, sondern wollen auch ihre Berufskarriere nicht gleich zu Beginn unterbrechen. Dies trifft auch in Schweden, mit einem vergleichsweise gut ausgebauten Kinderbetreuungsangebot zu. Eine weitere wichtige Schlussfolgerung aus der empirischen Studie lautet, dass die jungen Erwachsenen sensibel auf Veränderungen in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren. Sie sind nicht nur häufig die ersten, die alternative Wohn- und Lebensformen ausprobieren, sondern sie sind auch ökonomischen Krisen besonders stark ausgesetzt. Vor allem in Italien, aber auch in Westdeutschland wurden verschiedene Probleme beim Einmündungsverlauf in das Erwachsenenalter festgestellt. Im Vergleich dazu stellt Schweden ein positives Gegenmodell dar, da es mit Hilfe sozialstaatlicher Absicherungen gelingt, die Übergangsphase zu entschärfen. Die jungen Erwachsenen genießen mehr 245
Freiheiten bei der eigenen Lebensplanung und die Gleichstellung von Frauen und Männern ist weit fortgeschritten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird gezielt gefördert, was dazu beigetragen hat, dass die Fertilitätsrate nicht dauerhaft abgesunken ist. Andere europäische Länder können von diesem skandinavischen Modell durchaus lernen und einzelne Elemente übernehmen, ohne dass sie ihr gesamtes Wohlfahrtsmodell umbauen müssen. Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Sozialpolitik, die stärker auf die Bedürfnisse moderner Familien zugeschnitten ist, auch in konservativen Wohlfahrtsstaaten einen positiven Effekt hat (Mills, Blossfeld et al. 2005: 435). Dank eines breiten Angebots an Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder ab zwei Jahren, eines modernen Elternurlaubs und steuerlicher Anreize für die Kinderbetreuung, ist die Frauenerwerbsquote und die Fertilitätsrate in Frankreich höher als in anderen mittelund südeuropäischen Ländern. Eine niedrige Geburtenrate verändert langfristig die Altersstruktur einer Gesellschaft. Unter anderem in Deutschland ist schon heute absehbar, dass dies empfindliche Folgen für die Finanzierung des Renten- und Gesundheitssystems haben wird. Die Verzögerung des sozialen Verselbständigungsprozesses und das Absinken der Geburtenrate, wird durch Unsicherheiten beim Berufseinstieg verstärkt. Auch eine niedrige Erwerbsquote, stellt sowohl für das Sozialsystem als auch die Familien der jungen Erwachsenen und die Betroffenen selbst, eine hohe Belastung dar. Insgesamt folgt daraus, dass der Weg, der von den Jugendlichen bei ihrem Übergang in das Erwachsenenalter gewählt wird, nicht nur für ihren eigenen Lebensverlauf, sondern auch für die gesamte Gesellschaft langfristige Folgen hat. Die zukünftige Entwicklung von Europa hängt damit auch von der Lage der jungen Erwachsenen ab.
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