C.H GUENTER
Bluff
im Atlantik
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Obwohl der Frachtdampfer »Wadai« mühelos 15 Knoten machen konnte und seine Mas...
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C.H GUENTER
Bluff
im Atlantik
1.
Obwohl der Frachtdampfer »Wadai« mühelos 15 Knoten machen konnte und seine Maschine in Ordnung war, lief er seit Tagen nur neun Seemeilen in der Stunde. Auch wechselte er mehrmals ohne erkennbaren Grund den Kurs von Südost nach Südwest, um dann wieder auf die afrikanische Küste zuzuhalten. Außerdem hatte die »Wa dai« ihren richtigen Namen nur oberflächlich übermalt und führte die Flagge Nigerias, obgleich sie Havanna als kubanisches Schiff verlassen hatte. In der Weite des Atlantischen Ozeans fielen solche Dinge kaum auf. Niemand interessierte sich für einen rostigen 2000-Tonnen-Frachter. An einem Februartag dieses Jahres, als es so aussah, als wolle die »Wadai« jegliche Fortbewegung einstellen und südlich des Äquators einfach so dahintreiben, er reichte ein Funkspruch ihre Antennen. Eine spezielle Buchstabenkombination wies den Funker darauf hin, daß die chiffrierte Nachricht für die »Wadai« bestimmt war. Er schrieb sie bis zum letzten Wort mit und trug sie hinaus auf die Brücke, um sie dort dem Kapitän zu über geben. Der Kapitän nahm die Nachricht mit soviel Erleichte rung entgegen, als bedeute sie die Genesung eines ihm nahestehenden Familienmitgliedes. In der Kajüte entschlüsselte er den Funkspruch. Er enthielt die Erlaubnis, den Bordsafe zu öffnen und die darin liegende Order zu entsiegeln.
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Dies nahm der Kapitän im Beisein des I. Offiziers vor. Nachdem der braune Umschlag geöffnet war, faltete der Kapitän den Bogen auf und las: An Kapitän Franco Montiago von Dampfer »San Fermin«. – Nach Erhalt des Funkspruches stehen Sie auf sechzehn Grad Süd und dreizehn Grad Ost. – Nehmen Sie bei Einbruch der Dunkelheit Kurs auf Porto Alexandre. Versuchen Sie, es vor Tagesanbruch zu erreichen. Im Hafen ist das Schiff sofort gegen Luftaufklärung zu tarnen. Ladung zweihundert Holzkisten a hundert Kilogramm steht bereit. Klarmeldung nach Übernahme der Fracht. Gez. E. Sponosos. »Der stellvertretende Verteidigungsminister«, lautete der Kommentar des Ersten Offiziers. »Was mag in den Kisten sein, Kapitän?« Montiago wußte es auch nicht. Doch das scherte ihn wenig. Es gab kaum Dinge auf der Welt, die er in den letzten 25 Jahren nicht schon über See transportiert hätte. Er hatte die Ladung in einen Hafen zu bringen, den man ihm noch nannte. Das würde er aufs sorgfältigste erledi gen und damit basta. Kapitän Montiago wandte sich an seinen Ersten Offi zier: »Kurs und Fahrt zunächst beibehalten«, befahl er. »Um neunzehn Uhr fünfundvierzig drehen wir auf die angolanische Küste zu. Maschinen dann große Fahrt. Ich löse Sie ab, sobald Land in Sicht kommt.« Der Kapitän legte sich in seine Koje. Bis Sonnenunter gang wurde auf dem Dampfer der seit Wochen übliche Rhythmus beibehalten. Doch dann klingelte der Maschi
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nentelegraph. Der Diesel ging auf 400 Umdrehungen. Die Kielwasserspur knickte nach Osten ab. * An der Ansteuerungstonne kam der Hafenlotse, ein grau haariger Schwarzer, an Bord. Der Kapitän kannte ihn aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, als Angola noch in der Lage gewesen war, Baumwolle, Sisal, Kupfer und Man gan auszuführen. Das lag lange zurück. »Die Roten haben hier alles kaputtgemacht«, jammerte der alte Loboro. »Nichts wird mehr, wie es einmal war. Du wirst sehen, Kapitän.« Während der Frachter mit langsamer Fahrt die ver kommenen Kais mit den zerstörten Löschanlagen und Schuppen passierte, begriff Montiago, was Loboro mein te. Der Lotse dirigierte ihn in eines der hinteren Hafen becken, wo Montiago noch nie gewesen war. Ein markt hallenartiges Dach aus rostigen Stahlgitterträgern, abge deckt mit Blech, mit Säcken, aber auch mit Palmblättern überspannte die Pier. »Und was ist das?« fragte der Kubaner. »Seit wann brauchen Schiffe einen Schirm gegen Sonne und Regen?« Der Hafenlotse spuckte die Zigarettenkippe in weitem Bogen von der Brücke ins Brackwasser. »Das Dach dient zur Tarnung gegen Aufklärer.« »Aus Südafrika?« »Auch die Amerikaner schauen sich hier um. Ihre Sa
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telliten, sagt man, hätten Tag und Nacht die Kamera auf uns gerichtet.« »Nicht nur auf euch«, ergänzte der Kapitän. »Was gibt es hier schon zu beobachten.« »Unter den Tarnnetzen laden sie die Waffen aus. Waf fen aus Moskau, Soldaten aus Kuba und Berlin.« »Wir laden nichts aus«, bemerkte Montiago, »wir la den ein.« »Ich weiß.« Plötzlich wirkte der Angolaner sehr verschlossen, ja fast verbittert. »Was ist in den Kisten, Loboro?« Der Lotse beendete das Anlegemanöver und gab keine Antwort. Erst später in der Kajüte, als sie den üblichen Abschiedsrum tranken, sagte er: »Die Benguelabahn wurde von Guerilleros unterbro chen. Deshalb übernehmt ihr die Ladung nicht in Lobito. Sie haben sie mit Lastwagen von Luanda herbeigeschafft. Auf jedem Lastwagen saßen drei Schwerbewaffnete. Vor neweg und hinterher fuhren Panzer, und in der Luft krei sten Hubschrauber.« Nun konnte sich Kapitän Montiago ausrechnen, was die Kisten wert waren und was sie enthielten. * Bantuneger und Buschmänner schleppten die Hartholzki sten vom Hafenbunker an Bord der »Wadai«. Ihre Kleidung, meist nur Hose und Hemd, war vor
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wiegend zerlumpt. Die Soldaten jedoch, die einen doppel ten Sicherheitsring um Bunker und Schiff gezogen hatten, trugen Uniformen mit Bügelfalten, auf Hochglanz polierte Stiefel und Stahlhelme sowie Maschinenpistolen, die von Waffenöl glänzten. Sie hatten dafür zu sorgen, daß der kostbarste Besitz des verarmten Staates, von seiner Bevöl kerung in langen Jahren mühsamer Arbeit angesammelt, ungehindert außer Landes geschafft werden konnte. Zwei Arbeiter, die gemeinsam eine der reisekoffergro ßen Kisten schleppten, flüsterten miteinander. »Sie versprachen uns die Freiheit zu bringen, jetzt, be rauben sie uns.« »Auch du warst einmal auf ihrer Seite.« »Weil ich ein Idiot gewesen bin.« »Die Sklaverei früher und die Freiheit heute, wo liegt da der Unterschied?« »Daß wir damals genug zu fressen hatten«, zischte der andere und setzte die Kiste ab, um zu verschnaufen. »Und heute füttern sie uns mit Parolen. Aber Parolen machen nicht satt.« »Ihre Soldaten, ihre Offiziere, ihre Weiber mästen sich an uns.« »Und dafür bezahlen wir auch noch.« Weil sie die Transportkette aufhielten, packten sie die Seilgriffe der Kiste wieder und trugen sie die Gangway hinauf. »Mein Großvater«, sagte der Bantuneger, »ist daran krepiert, als er das Zeug aus der Erde kratzte. Heute kre piere ich noch daran.«
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»Daran nicht«, erwiderte der andere, »aber gewiß dann, wenn ich eines dieser fetten Kubanerschweine um lege.« »Ich nehme mir lieber einen Russen vor.« »Aber einen Russen aus Berlin. Die sind noch russi scher als die echten Russen.« Der Vorarbeiter hatte die beiden beobachtet. Als sie die nächste Kiste holen wollten, rief er: »Für Schwätzer gibt es hier nichts zu tun. Geht nach Hause!« »Dann haben wir für drei Stunden Lohn zu kriegen.« »Fürs Faulenzen zahlen wir nicht. Los, haut ab, oder ich trete euch in den Hintern!« Ohne einen Shilling trotteten die zwei davon. Der große Bantumann drehte sich um und spuckte verächtlich aus. »Diesen Oberaffen von der Gewerkschaft lege ich ebenfalls um, wenn es wieder anders wird.« »Er wird ewig leben«, meinte sein Kamerad, »denn es wird nie mehr anders werden. Die Amerikaner haben uns im Stich gelassen.« »Ja, sie haben uns verraten.« »Deshalb wird es nie mehr anders«, wiederholte der Buschmann. Weil sie Hunger hatten, beschlossen sie. irgendwo et was zu betteln oder zu stehlen.
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Um 18 Uhr wurde der Frachter zum Auslaufen klarge macht. Kurz vor Lösen der Landanschlüsse kam noch ein Besucher an Bord. Der Hautfarbe nach war er Weißer, hatte also nichts mit den angolanischen Behörden zu tun. Allein mit Kapitän Montiago im Kartenhaus schnarrte er seinen Namen: »Stanislaw!« Dazu zeigte er eine in Spanisch abgefaßte Vollmacht. Sie besagte, daß der Kapi tän seine Anweisungen befolgen müsse. »Sie haben heute«, erklärte der Russe, »zweihundert Kisten zu je zwei Barren Feingold à fünfzig Kilogramm, insgesamt also zwanzig Tonnen, übernommen. Den Ta gespreis der Londoner Börse zugrunde gelegt, entspricht das einem Wert von vierhundert Millionen Dollar. Daß Sie die Ladung sicher nach Havanna bringen, dafür hat die sowjetische Flotte zu sorgen. Sie werden von der Stunde Ihres Auslaufens bis zur Ankunft in Kuba be schützt. Die meiste Zeit werden Sie nichts davon merken. Bewaffnete Trawler, Zerstörer, U-Boote und Flugzeuge werden sich in diese Aufgabe teilen und sich dabei so verhalten, daß Sie unter der Kimm bleiben, aber jederzeit zur Stelle sein können. Möglicherweise entdecken Sie auf Ihrem einsamen Kurs gelegentlich eine Mastspitze oder ein Periskop, vielleicht kreuzt in großer Höhe des öfteren ein Aufklärer Ihren Kurs. Seien Sie deshalb unbesorgt, das sind wir. Wir sind immer bei Ihnen.« Und haben Sie immer unter Kontrolle, ergänzte der Kapitän in Gedanken. Das Ganze war ihm nicht unangenehm. Auf der 7000 Seemeilen langen Reise quer über den Atlantik konnte
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einem kleinen Frachter manches zustoßen. Warum sie ausgerechnet sein Schiff für diese Aufgabe ausgesucht hatten, das wurde Montiago allmählich klar. Es war un auffällig, aber in gutem technischen Zustand. Man traute ihm und der Besatzung einen problemlosen Transport zu. Nachdem der Zivilist seine Erklärung abgeliefert hatte, entnahm er der Handtasche mehrere Seekarten und ent faltete eine nach der anderen. Jede der fünf Karten durch zog eine meist gerade, nur manchmal leicht abgewinkelte Linie von rechts unten nach links oben, wo sie an das nächste Kartenblatt Anschluß hatte. »Ihr Kurs«, erläuterte der Russe, »ist nicht der kürzeste Weg, sondern wurde entsprechend den Positionen unse rer Mittelatlantikeinheiten vorgegeben. Versuchen Sie nicht weiter als drei Meilen davon abzukommen.« »Unter der Voraussetzung, daß wir nicht in Unwetter geraten oder einen Defekt erleiden, kann ich das garantie ren«, versicherte Montiago, der als vorzüglicher Seemann galt. »Dann gute Reise!« Der Russe reichte dem Kubaner die Hand. »Und absolutes Stillschweigen.« »Von meinen Leuten kam keiner an Land«, versicherte der Kapitän. »Und daß die Kanaken schweigen«, äußerte der Russe, »dafür ist gesorgt.« Bei Hochwasser löste der Frachter die Leinen. Mit ken terndem Ebbstrom lief er aus. Bei Morgengrauen stand er schon 120 Meilen westlich der afrikanischen Küste auf hoher See.
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Zwei Wochen der rund zwanzigtägigen Fahrt von West afrika nach Kuba verliefen ohne besondere Zwischenfälle. Die Wachhunde der Roten Flotte hielten Fühlung mit dem Frachter »Wadai«, ohne daß sie in Erscheinung tra ten, aber sie waren da. Wie angekündigt, wechselten sie einander ab. Bis St. Paul folgte dem Frachter die Funkmastspitze eines be waffneten Trawlers. Nördlich des Äquators wurde er von einem Zerstörer abgelöst. In mittelamerikanischen Ge wässern übernahmen Flugzeuge den Schutz, und nahe der Kleinen Antillen war es dann ein U-Boot. Es begleitete den Goldfrachter mit Viertelmeilenab stand. Man sah es am Periskop, das es morgens, mittags und am Abend ausfuhr. Dann starrte das Glasauge am oberen Ende des Sehrohres für Minuten zur »Wadai« hinüber, ehe es wieder eingezogen wurde. Zweimal täglich überbrachte der Funker den Wetter bericht. Kapitän Montiago überflog ihn und kommentier te ihn meist. »Orkanartige Stürme bei den Bermudas.« »Das sind zweitausend Meilen von hier«, bemerkte der Erste Offizier. »Sie ziehen nach Osten ab.« »Orkane können drehen.« »Bis sie heran sind, haben sie sich längst ausgetobt.« »Hoffentlich«, meinte der Kapitän. Zwölf Stunden später, sie hielten jetzt Kurs Nordwest, um zwischen Trinidad und Tobago in die Karibische See hineinzulaufen, entdeckte der Ausguck treibendes Grün in der See.
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»Da muß einem Gemüsefrachter die Decksladung weggerutscht sein«, vermutete der Matrose. »Das ist Sargassum«, sagte der Kapitän, »Beerentang. Braunalgen aus der Sargassosee.« »So weit treibt kein Sargassotang ab«, entgegnete der Erste Offizier. »Bei Orkan schon.« »Es ist losgerissenes Seegras, denke ich.« Aber der erfahrene Kapitän hatte längst die toten Jun gaale darin entdeckt. Die Sargassosee war Laichgebiet der Aale. Was für ein Unwetter mußte geherrscht haben, daß es sogar Aale tötete. Trotz strahlenden Wetters befahl Montiago Luken und Schotten zu schließen und das Schiff sturmbereit zu ma chen. Obwohl der Funker keine Wetterwarnung auffing und trotz der Windstille, behielt der alte Seebär Montiago recht. Gegen Abend erwischte es sie. Es briste auf, und in der Nacht waren sie mittendrin. Windstärken weit über 12 peitschten die See zu einem Wellengang hoch, wie ihn Montiago in den dreißig Jah ren, die er zur See fuhr, noch nicht erlebt hatte. Notgedrungen ließ er den Wasserballast erhöhen, um dem Schiff eine tiefere Schwerpunktlage zu geben. Es half wenig. Der kleine Frachter wurde zu einem Ball, den sich Titanenhände immer heftiger zuspielten. Gegen 23 Uhr schlug ein Brecher die achtere Ladeluke kurz und klein. Die Lenzpumpen schafften den Wasser einbruch nicht. So lief das Schiff langsam voll. Kurz nach
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Mitternacht, als es noch rauher wurde, obwohl keiner glaubte, daß es noch böser kommen könne, fiel die Ru dermaschine aus. Der Frachter war nicht mehr schräg gegen den Seegang zu halten. Er stampfte, schlingerte und krängte unkontrolliert in tödlichen Winkelgraden. Trotz ihrer Anschnallgurte wurden zwei Matrosen von Deck gerissen. Der Koch stürzte bei dem Versuch, Kaffee auf die Brücke zu bringen, den Niedergang hinab und brach Bein- und Schultergelenk. Die Antennen wurden kurz und klein gefetzt. Um das Dieselfundament stand schon Wasser. Im Logis fingen sie an zu beten. »Soll ich SOS über Seenotfunk geben?« fragte der Erste Offizier. Doch der Kapitän dachte an seine Order und vernein te. »Kein SOS«, entschied er. Er berechnete gerade, wie lange sein Schiff diesen Ritt wohl durchstehen könne, als der ganze Rumpf wie ein Gong, den der Klöppel traf, erdröhnte. Die vier Männer auf der gischtüberspülten Brücke erblaßten. Der Ausguck schlug das Kreuz und rief: »Das war der Teufel, jetzt holt er uns.« »Es war nicht der Teufel«, sagte der Kapitän. »Viel schlimmer.« »Hier ist das Meer in weitem Umkreis tausend Meter tief«, erklärte der Erste Offizier. Felsen, Untiefen, Klippen, ein Riff schieden mithin aus. Aber der Kapitän wußte, was es gewesen war, noch ehe der zweite Schlag sein Schiff wie eine Glocke erklingen
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ließ. Der dritte Schlag, der gleich darauf folgte, traf es schon wie eine zerbeulte Blechbüchse. Von der Maschine kam eine verstümmelte Meldung. »Rumpf von mittschiffs bis achtern aufgeri… Was ser… Wasser… wir sinken…!« »Rette sich, wer kann!« lautete Kapitän Montiagos letzter Befehl. Vier Stunden später flaute der Orkan ab. Vom Frachter »Wadai«, der im Schiffsregister von Lloyds als »San Fermin« eingetragen war, fand man nichts mehr. Weder einen Rettungsring noch ein Stück Holz, noch eine Leiche. Der Orkan hatte alle Spuren verweht. 2. Wie alle amerikanischen Diplomaten, die in geheimer Mission ins Ausland reisten, so wurden auch John S. So leman zwei Dinge zuteil: Er bekam Einblick in die be rühmte Rote Akte und ein Gespräch mit dem Außenmini ster. Die Rote Akte klärte Sonderbotschafter Soleman über die politische, wirtschaftliche und militärische Weltlage insoweit auf, wie sie für März dieses Jahres von der CIA beurteilt wurde. Das Gespräch im State Department unterrichtete John S. Soleman über seine Aufgabe in Indien. Es ging um Erneuerung der Freundschaft auf dem Umweg über Wirt schaftshilfe.
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Dermaßen mit aktuellen Informationen versehen, flog Soleman von Washington nach Delhi. Dazu benutzte er eine Linienmaschine der PanAm. Die Boing 747 verließ planmäßig an einem Dienstagmorgen Dulles Airport zur Atlantiküberquerung. Der zehnstün dige Flug gegen die Sonne rechnete sich mit der Zeitdiffe renz so auf, daß sie Europa bei tiefer Dunkelheit erreich ten. »Wann«, fragte der Sonderbotschafter seinen Sekretär, »sind wir in Athen?« »Kurz nach Mitternacht, Sir.« »Wie lange haben wir in Athen Aufenthalt?« »Die Maschine wird nur betankt, Sir.« »Wie lange, habe ich gefragt!« Soleman, der stets Wert auf Fakten legte, zeigte sich unwirsch. »Etwa fünfzig Minuten, Sir.« »Müssen wir das Flugzeug verlassen?« »Ich glaube nein, Sir.« Der Sonderbotschafter brachte seine Uhr auf Westeu ropäische Winterzeit, was kein Problem darstellte, denn die goldene Omega, noch ein Geschenk Winston Chur chills, verfügte über ein altbewährtes Federwerk. »Kann ich ja noch eine Runde schlafen«, meinte Soleman. Nach dem Dinner, das in 30.000 Fuß Höhe über Portu gal serviert wurde, kippte die Stewardeß den First-ClassSessel von John S. Soleman in Liegeposition. Doch aus dem Schlummer des Sonderbotschafters wurde nichts. Ein Mitglied der Crew überbrachte ein
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Funktelegramm. Es war an Soleman adressiert. Der Sekre tär weckte den Diplomaten. »Bedaure, Sir, ein Telex.« Leise fluchend bestellte Soleman erst einmal Mokka. »Von wem?« »State Department, Sir.« »Machen Sie es schon auf. Lesen sie!« drängte Soleman. »Der Text ist verschlüsselt, Sir.« »Das auch noch.« Soleman machte sich persönlich an die Arbeit, den Text ins reine zu bringen. Die wirre Buchstabenfolge war nach der Huckleberry-Finn-Methode chiffriert. Maßge bend zum Erhalt des Klartextes war ein Name, ein Buchti tel oder eine Gedichtzeile. Die jeweilige Differenz zu A wurde Buchstabe für Buchstabe vom Schlüsselsatz auf den Text übertragen. Langsam schälte sich etwas Sinnvol les aus dem Kauderwelsch. Soleman knüllte das Telegramm zusammen. »Leider muß ich in Athen doch in die Kälte hinaus. Ein Gespräch mit Perikleos Manostolis.« »Dem Vizepräsidenten?« »Es gibt neue Ärgernisse mit der Türkei. Zum Schaden der NATO. Ich soll das auszuräumen versuchen.« »Was Ihnen sicher gelingen wird, Sir«, sagte der Sekre tär. »Und Ihnen wird es hoffentlich gelingen, das Flugzeug so lange aufzuhalten, bis ich mit dem Griechen im reinen bin. Er erwartet mich am Airport. Schätze, die Sache ist
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rasch über die Runden zu kriegen.« Obwohl es sich kaum mehr lohnte, schloß Soleman noch einmal die Augen. Diesmal jedoch, um nachzudenken. Am Rollfeld wartete ein großer Mercedes. Zwei Zivili sten nahmen den Amerikaner an der Gangway in Emp fang und geleiteten ihn zu der schwarzen Limousine, die sofort wegfuhr. Indessen schraubten mehrere Tankwagen ihre Schläu che an die Zapf stutzen der 747 und pumpten riesige Mengen Kerosin in sie hinein. Rund ein Dutzend Fluggä ste stiegen zu. Ihr Gepäck wurde verstaut. Nachdem die üblichen Checks bei Scheinwerferlicht durchgeführt worden waren, meldete der Kapitän die Maschine beim Tower startklar. Der Copilot kam aus dem Cockpit in die Erste Klasse und wandte sich an Solemans Sekretär: »Gleich fährt die Gangway weg. Wo bleibt der Bot schafter?« »Bitte warten Sie noch einige Minuten. Er versprach bis null zwei Uhr zurück zu sein.« Der Copilot ging nach hinten, und der Sekretär fixierte den Sekundenzeiger der Uhr. Ab und zu warf er einen Blick nach draußen. Das Vorfeld war bis hinüber zur Ab fertigung hell erleuchtet. Panzerspähwagen drehten ihre Runden. Ein Kombi der Cattering-Firma brachte Lunch container herüber. Sonst war nichts zu sehen. Wieder tauchte der Copilot auf. »Der Kapitän bedauert«, sagte er, »aber länger können wir nicht warten.«
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Der Sekretär erinnerte sich an Solemans Auftrag, die Boeing mit allen Mitteln aufzuhalten. »Ich möchte den Kapitän sprechen.« Der Sekretär wurde ins Cockpit gebeten, wo er darleg te, daß John S. Soleman aufgrund eines Telegramms der Regierung ein Geheimgespräch mit dem griechischen Vizepräsidenten führe. Andererseits werde er dringend in Delhi erwartet. Wenn man ohne ihn abfliege, könne das Unannehmlichkeiten für die PanAm mit sich bringen. Daraufhin erklärte der Kapitän, noch eine halbe Stun de, aber keine Minute länger warten zu wollen. Dreißig Minuten ließen sich aufgrund günstiger Höhenwinde bis Delhi einholen. Die Hälfte der eingeräumten Frist war kaum verstri chen, da bat der Sekretär per Funk mit der Flughafenpoli zei sprechen zu dürfen. Dort hieß es, der schwarze Mer cedes sei kein Regierungsfahrzeug gewesen. Mehr wisse man leider nicht darüber. Schließlich zeigte sich der Tower bereit, ein Stadtge spräch mit der US-Botschaft über den Sprechfunk herzu stellen. Der mittlerweile höchst beunruhigte Sekretär ließ den Botschafter aus dem Bett holen und forderte ihn auf, nach Solemans Verbleib zu forschen. »Er sitzt irgendwo mit Perikleos Manostolis zusam men. In wenigen Minuten startet das Flugzeug ohne ihn«, schilderte er die Lage. »Ich tu, was ich kann«, versprach der höchste diplo matische Vertreter der USA in Griechenland.
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Voller Sorge griff der Sekretär nun zu einem Mittel, das gewöhnlich nur in brisanten Situationen eingesetzt werden sollte. »Ich habe hier eine Nummer in Washington«, sagte er, kann ich eine Funkverbindung mit ihr kriegen?« Der Boeing-Kapitän warf einen Blick auf die Nummer und hob die Brauen. »CIA?« fragte er. »Sie kennen den Anschluß?« »Wir hatten schon mal Probleme mit einem General«, antwortete der Kapitän. Der Sender der 747 reichte bis Rom. Der PanAmVertreter in Rom wurde informiert und wählte über das Telefonnetz Washington an. In den nächsten Minuten überschlugen sich die Erei gnisse. Die US-Embassy meldete sich aus Athen. »Ich kann den Vizepräsidenten nicht erreichen«, be dauerte der Botschafter, »er verbrachte das letzte Wo chenende bei Freunden in Korfu und kommt erst morgen in die Hauptstadt zurück.« Der Sekretär bekam heiße Hände. »Ist das sicher, Exzellenz?« »Aber ich bitte Sie!« Der Botschafter tat jeden Zweifel entrüstet ab. Wenig später war auch die CIA direkt im Funk. Die extrem starken Sender der Central Intelligence Agency mit ihren weltweiten Relaisstationen erreichten jeden Punkt der Erde. Nach wenigen Fragen und Antworten erfuhr Sole
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mans Sekretär, daß in den letzten vierundzwanzig Stun den mit Sicherheit kein Telegramm oder Telex der Regie rung an irgendein Passagierflugzeug abgesandt worden sei, geschweige denn eines, das Soleman aufforderte, in Athen mit Manostolis zusammenzutreffen. Der Sekretär tupfte sich Schweiß von der Stirn. »Da haben wir die Bescherung«, stöhnte er. »Welche?« fragte der zuständige CIA-Mann in Wa shington. »Die Antwort müssen Sie sich selbst geben«, lautete die Antwort aus Athen. Versehen mit seinem und Mister Solemans Handge päck verließ der Sekretär den Jumbo-Jet, der wenig später seine Triebwerke anließ und zum Start rollte. Kaum war der Jet in der Luft, befand sich Solemans Sekretär auf dem Weg in die Stadt. Neben ihm im Fond des Cadillac saß der US-Botschafter. »Das Ganze ist ja ungeheuerlich«, rief der alte Herr immer wieder. »Was soll man davon halten?« »Das Schlimmste, Exzellenz.« »Dazu kommt noch«, rückte der Diplomat nun heraus, »daß es sich bei dem schwarzen Mercedes gar nicht um ein Fahrzeug der Präsidialkanzlei handeln kann. Die fah ren ausschließlich Citroën.« »Ein Expertenteam der CIA ist bereits unterwegs«, er klärte Solemans Sekretär. »Woran denken Sie? An ein Attentat etwa?« »Von Entfuhrung aus politischen Gründen bis zu ei nem Kidnapping-Verbrechen ist alles möglich, Sir.«
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»John S. Soleman ist kein reicher Mann«, erwiderte der US-Botschafter. »Nun, für Lösegeldforderungen würde wohl das USSchatzamt aufkommen müssen, Sir.« »Wenn man politischen Druck ausüben wollte«, fuhr der Botschafter fort, »würde man sich eine andere Persön lichkeit ausgesucht haben, denke ich. – Und was denken Sie, mein Freund?« Der Sekretär steckte nervös eine Zigarette in Brand. »Vielleicht taucht Mister Soleman bald wieder auf.« »Dann wäre das Ganze ein ziemlich übler Scherz.« Der Peinlichkeit, eines üblen Scherzes wegen Polizei und Regierung in Athen zu nächtlicher Stunde alarmiert zu haben, wurde der US-Botschafter enthoben. John S. Soleman tauchte weder 24 noch 48 Stunden nach seinem Verschwinden wieder auf. Man fand auch so gut wie keine Spur von ihm. * Obwohl der Zwischenfall in Athen verschwiegen wurde, bekam die Presse Wind davon. Die Fragen der Reporter wurden jedoch kalt abge schmettert. Man wollte die Suche nach John S. Soleman nicht dadurch stören lassen, daß man sich von der Öffent lichkeit unter Erfolgsdruck setzen ließ. Auch die befreundeten Dienste wurden von der CIA nicht verständigt. Noch hoffte man, das Problem alleine lösen zu können.
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Zwangsläufig sickerte jedoch zu den Geheimdienst zentralen der NATO-Mitgliedstaaten einiges durch. So auch zum Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München. Weniger aufgeregt als verärgert erwähnte der Chef der Operativ-Abteilung, Oberst Sebastian, die Sache beim Morgenbriefing.« »Da löst sich ein Sonderbotschafter unseres Hauptver bündeten in Athen in Luft auf, und wir erfahren erst drei Tage später davon«, klagte Sebastian. Dabei blickte er so vorwurfsvoll in die Runde, als säße dort der Übeltäter. »Eine Reise, die man den NATO-Geheimdiensten nicht ankündigte, können wir auch nicht absichern«, lau teten die einhelligen Kommentare. »Es soll anläßlich einer Zwischenlandung passiert sein.« »Nun, ein so toller Typ ist Soleman auch wieder nicht, daß man der internationalen Terroristenszene mehr als zwei mittelprächtige Attentäter dafür zum Austausch anbieten wird.« »Falls die Entführung darauf hinausläuft.« »Nun, man wird sehen.« Diese Bemerkung eines jüngeren Mitarbeiters nahm der Choleriker Sebastian nicht ohne weiteres hin. »Zum Teufel, ich habe keine Lust, immer so lange zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Auch wenn es sich nicht um mein eigenes Kind handelt, möchte ich es vorher wissen.« »Sie wußten es ja«, wurde ihm entgegengehalten.
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Der Mann, der diese Behauptung aufstellte, lag lässig in seinem Sessel und rauchte eine Zigarette mit Gold mundstück. Bisher hatte er zu allem geschwiegen. Aber jetzt war ihm der Alte einen Schritt zu weit gegangen. Vor siebzehn Augen – einer der neun Anwesenden war halbseitig blind – rückte er die Tatsachen zurecht. »Sie wußten es«, wiederholte er noch einmal. Alles blickte ihn an, und jedermann glaubte ihm, denn er war die absolute Nummer eins aller Geheimagenten in Pullach und im Umkreis von zehntausend Meilen um Pullach herum. »Das würde ich gerne genauer erklärt haben, Nummer achtzehn«, schnarrte der Präsident vom Kopfende des Tisches her. Der Mann im grauen Glenchecksakko richtete sich auf. Er hatte dichtes dunkles Haar und helle Augen, die in starkem Kontrast zu seiner sonnenbraunen Gesichtshaut standen. Das Haar strich er zurück, die Augen wurden schmal. Er dachte nur kurz nach, ehe er antwortete: »Vorlage siebzehn Strich drei.« »Kenne ich nicht!« Oberst a.D. Sebastian stimmte dem Präsidenten auf eine Weise zu, als habe es die 17/3 wirk lich nie gegeben. Obwohl beide die Vorlage abgezeichnet hatten, ver zichtete Robert Urban darauf, sie vor versammelter Mannschaft der Gedächtnisschwäche zu bezichtigen. Das wäre nicht fair gewesen. Sie würden es ohnehin bald merken.
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»Eine Information der Quelle Sofia«, fügte Urban noch hinzu. »Wann war die schon einmal zutreffend«, warf Seba stian ein. Offenbar erinnerte er sich jetzt und stellte die Quelle Sofia als so unglaubwürdig hin, daß er sich der Mühe, ihre Nachrichten im Gehirn zu speichern, gar nicht erst unterzog. »Sofia gehört eigentlich längst abgeschal tet.« »Warum«, fragte der Präsident, »zahlen wir dafür, wenn die Quelle nichts bringt?« »Sie bringt soviel und sowenig wie andere Quellen«, schätzte Urban. »Bei einer Zuverlässigkeit von zwanzig Prozent ist sie schon rentabel.« »Zwanzig Prozent, das entspricht einem Verhältnis von fünf zu eins. Von fünf Meldungen ist mithin eine zutreffend.« »Im Schnitt.« »Aber welche«, gab Sebastian zu bedenken. »Es ist wie beim Horoskop, nämlich eine Auslegungsfrage. Wenn es wenigstens wie beim Wetter wäre, da gibt es nur zwei Möglichkeiten und eine Fünfzigerchance.« Der Präsident wandte sich erneut an Urban. »Und was meldete die Quelle Sofia?« »Daß die Entführung eines amerikanischen Politikers unmittelbar bevorstehen würde.« Sebastian mischte sich wieder ein. »Das fällt unter die Rubrik tägliche Horrornachrichten. Es vergehen keine vierundzwanzig Stunden ohne solche Tips.«
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»Und es vergeht fast kein Tag«, entgegnete der Präsi dent, »ohne daß Ähnliches tatsächlich geschieht.« »Aber es ist wie bei einem Hund, der zuviel bellt. Man nimmt seine Warnungen nicht mehr ernst.« Der Präsident schien Witterung aufgenommen zu ha ben. »Wie war der Wortlaut?« wandte er sich an den Agen ten Nr. 18. Urban versuchte es einigermaßen zusammenzukrie gen. »Vorbereitungen zur Entführung eines US-Politikers und zu dessen Aufnahme laufen seit geraumer Zeit und nähern sich dem Abschluß. Mit Tag X ist binnen kurzem zu rechnen – so ungefähr.« »Wann kam das durch?« »Vor zehn Tagen.« »Und wer steht hinter der Quelle Sofia?« Nach dem Grundsatz, daß im Geheimdienst jeder nur das wissen sollte, womit er unmittelbar befaßt war und weil einige der Anwesenden mit dem Ostagentennetz nicht das Ge ringste zu tun hatten, stand Urban auf, bat um Entschul digung, näherte sich dem Präsidenten, flüsterte ihm ein paar Informationen zu und nahm wieder Platz. Der Leiter der Südostabteilung bemerkte halblaut: »Nun stellt sich die Frage, ob John S. Soleman damit gemeint war.« »Denn ein prominenter US-Politiker ist er weiß Gott nicht«, fügte Sebastian hinzu. »Aber es passierte in Athen, und das ist von Sofia nur wenige hundert Kilometer entfernt.«
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Den Präsidenten interessierte dabei ein ganz anderer Aspekt. »Gab es eine Notwendigkeit für diese Entfüh rung?« erkundigte er sich. Urban nahm die kalte MC aus dem Mund. »Moskau will die neu entbrannte Liebe zwischen Amerika und Indien dämpfen.« »Vielmehr ihren Ausbruch verhindern«, wurde Urban beigepflichtet. Das klang logisch. Moskau und Indien hatten in Asien viele gemeinsame Interessen. Aber das Verhältnis hatte sich abgenutzt. »War John S. Soleman Geheimnisträger?« fragte ein anderer aus der Runde. »Nicht von der Cosmic-Stufe«, äußerte Urban. »Er war eigentlich immer zweite Garnitur.« »Und lange Zeit nicht aktiv«, steuerte Sebastian bei. »Er war ein wenig kaltgestellt. Wegen privater Affären. Zu viele teure Frauen und zuwenig Eigenkapital.« »Offenbar hat man ihm im Weißen Haus verziehen und ihn in Gnaden wieder aufgenommen.« »Dabei spricht er nicht einmal Hindi.« »In Delhi kommt man besser mit Englisch als mit ir gendeiner Landessprache durch. Zumindest in Regie rungskreisen.« Damit war das Thema eigentlich durchdiskutiert und vom Tisch. Man ging zu anderen Punkten über. Wie immer stand Afghanistan auf der Tagesordnung, der Krieg in Beirut, die Aktivitäten der Libyer, das Enga gement der Sowjets und der Kubaner in Afrika.
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»Sie sitzen überall fest drin«, lautete der Experten kommentar, »aber statt sich die Nasen zu vergolden, ho len sie sich blutige. Der Einstieg in Äthiopien und in An gola kostete sie täglich Millionen Rubel. Da springt nicht mehr heraus als die Ehre dabeizusein.« »Und die zweihundert Tonnen Gold, die sie aus Ango la herausbrachten?« warf Urban ein. Alles lächelte. Es fehlte nicht viel und man hätte nicht nur leise, sondern laut darüber gelacht. Aber ihr Lachen war reine Unwissenheit. »Nicht eine Tonne Gold bliebe hängen, und wenn man das ganze Land von Luanda bis zur rhodesischen Grenze durch ein Haarsieb rüttelte.« »Es wurde auf einen kubanischen Frachter verladen«, faßte es Urban genauer. »Wieder so eine Horrorgeschichte aus der SofiaQuelle.« Urban lieferte noch mehr Fakten: »Der Frachter wurde auf ›Wadai‹ umgetauft.« »Mit Gold im Wert von einer halben Milliarde Dollar«, rechnete ein Kollege abwinkend. »Zur Vergoldung kubanischer Nasen«, spottete ein dritter. »Aber er kam nicht in Havanna an«, fuhr Urban fort. »Laut Quelleninformation. Schätze, dabei handelt es sich um eine Schnapsquelle.« Urban war nicht zu erschüttern. »Möglicherweise entführte man den Frachter mitten im Atlantik, wie man John S. Soleman in Athen entführte.
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Wer nicht mitgeschrieben hat, der entdeckt natürlich auch keinen Zusammenhang.« Der Einwand war ernst gemeint, aber niemand faßte ihn so auf. Wenig später war die Frühkonferenz beendet. Der Präsident ging als erster. Kaum war Urban in seinem Bü ro angelangt, läutete der schwarze Hausapparat. Der BND-Chef war in der Leitung. »Gefällt mir nicht, die Soleman-Geschichte«, sagte er. »Mir auch nicht«, gestand Urban. »Zumal die Entfüh rung mit einem Mercedes, der ein deutsches Kennzeichen hatte, erfolgt sein soll.« »Warum haben Sie das verschwiegen?« »Ich wollte keinen Anlaß für Lachkrämpfe liefern.« Der Präsident dachte kurz nach. »Würden Sie«, setzte er an, »würden Sie der Sache einmal nachgehen?« »Das muß man ja wohl.« »Aber das bleibt vorerst unter uns, ja?« »Ich mache nur eine Winterreise nach Griechenland«, äußerte Urban. »Die Akropolis im Schnee soll ein sagen hafter Anblick sein.« Dann wollen wir mal sehen, dachte er, wer zuletzt lacht.
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3.
Am Sonntagmorgen, als er weit vor Floridas Küste kreuz te, sah er die grauen Kolosse wieder. Der Flugzeugträger kam aus Richtung Norfolk – Virginia. Die Zerstörer liefen aus West auf ihn zu. Ver mutlich hatten sie in der Nacht den Golf von Mexiko ver lassend Kap Sable umrundet. Dem Verband schlossen sich einige sehr große Brocken an, die aussahen wie Spezialfrachter. Sie hatten die Brük ke achtern, und auf den freien Decks führten sie schweres Ladegeschirr. Der Mann in der Segelyacht hatte Schiffe dieser Art noch nie gesehen, wollte aber auch nicht behaupten, Ma rineexperte zu sein. Die ganze Armada schien sich bei den Bahamas zu vereinen. Jedenfalls verließ sie die Floridastraße mit Süd ostkurs und geriet bald außer Sicht. Noch den ganzen Vormittag über herrschte reger Flugverkehr vom Festland dorthin, wo die Flottenan sammlung vermutlich stattfand. Mit günstigem Wind und Motorunterstützung brachte der Mann die Segelyacht nach Miami zurück. Die Mühe, das Boot nach dem Festmachen aufzukla ren, sparte er sich. Mit seinem Ford Bronco fuhr er zum Flugplatz des Aero-Clubs und erkundigte sich, ob er eine Maschine mieten könne. Da er Clubmitglied war, eine Pilotenlizenz besaß und die meisten Weekend-Ausflügler jetzt zurückkehrten,
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hatte er die Wahl zwischen einer Piper Cherokee und einer Beechcraft King-Air. Er nahm die Zweimotorige. Sie wurde vollgetankt. Als Ziel gab er die Bahamainsel Mariguana an. Um 15 Uhr 30 startete er. Das Wetter war nicht optimal. Zunehmende Bedec kung und Böen meldete der Meteorologe, aber bis zu den Bahamas sei keine grundlegende Änderung zu erwarten. Der Pilot rechnete sich eine Flugzeit von zwei Stunden und zehn Minuten aus, konnte sein Ziel also gerade noch vor Sonnenuntergang erreichen. Das spielte für den ausgebildeten Jet-Piloten jedoch keine Rolle. Wichtig war, daß er bis zuletzt gute Sicht hatte. Nach dem Start ging er auf 6000 Fuß Höhe. Zunächst flog er die Insel Mariguana nicht direkt an, sondern den Punkt, wo er am Vormittag die Flotteneinheit aus den Augen verloren hatte. Dort angekommen, sah er erwartungsgemäß nichts, denn die Schiffe hatten sich in den vergangenen fünf Stunden wenigstens siebzig Meilen weiterbewegt. Für die King-Air bedeutete das vierzig Flugminuten. Schon nach einer halben Stunde tauchte die Armada auf. Wie ein Haufen Spielzeugschiffe auf einer blauen Glasplatte zogen sie ihr Kielwasser hinaus in den Atlanti schen Ozean. Fotografieren brachte wenig. Der Mann in der King-Air verfügte nicht über die geeignete Kamera mit dem nötigen Teleobjektiv. Er ging tiefer, zählte die Schiffe und versuchte sie zu klassifizieren.
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Plötzlich stießen, aus der untergehenden Sonne her aus, zwei F-15-Düsenjäger auf ihn zu. Erst umkreisten sie ihn, dann flogen sie so haarscharf über ihn hinweg, daß die King-Air von ihren Triebwerkturbulenzen heftig durchgeschüttelt wurde. Es war ein reines Abdrängma növer. Damit gaben sie ihm zu verstehen, daß er hier un erwünscht sei. Dieses Verhalten bestätigte dem Mann in der KingAir, daß er etwas Außergewöhnliches entdeckt hatte. Denn von offiziellen Flottenmanövern war nichts be kannt. Weder die Zeitungen noch die Radio- und TVStationen hatten sie angekündigt. Da er genug Treibstoffreserven hatte, flog er nach Miami zurück. Eine Erklärung für seine Umkehr würde er schon finden. * Um 23 Uhr trafen sich in einer Stranddiskothek zwei Männer. Es ging so laut zu, daß sie sich unterhalten konn ten, ohne Gefahr zu laufen, belauscht zu werden. »Da hatten Sie ja Glück, Hendriks«, sagte der mit dem blonden Schnauzbart, der seinen Drink so hastig leerte, daß man befürchtete, er würde ihn ins offene Hemd schütten. »Es war Hartnäckigkeit«, erwiderte der grauhaarige Pilot, »und Sorge.« »Aber auch ein wenig Ungeduld, schätze ich.« »Ich sah, wie der Träger aus dem Dock ging«, berichte te Hendriks, »der Rumpf hatte noch rote Mennige-Hecke.
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Ist verdammt ungewöhnlich von der Navy, das Flagg schiff der Atlantikflotte mit Scharlachpusteln auf die Rei se zu schicken, dachte ich mir, und mietete ein Segelboot. In der Nacht zum Sonntag sammelten sie sich dann vor der Küste. Den Rest kennen Sie.« Die Männer waren unterschiedlich alt. Der Grauhaari ge, der erst vor wenigen Stunden von seinem Patrouillen flug zurückgekehrt war, hätte der Vater des Schnauzbär tigen sein können. Trotzdem führte Nik, der Jüngere, das Wort. Er sprach Englisch mit dem Akzent baltischer Ein wanderer. »Es muß nicht unbedingt etwas bedeuten«, erwiderte er und bestellte noch einen Bourbon-Soda. »Ich habe gelernt«, gab der Ältere zu bedenken, »daß eine Sache immer so lange wichtig ist, bis man die Ursa chen kennt.« »Alle spielen gern das große Geheimnisspiel. Dabei ist es nur Angeberei.« »Tun wir das nicht auch, Nik?« Der Jüngere wischte sich den Oberlippenschnauzer. »Keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Hendriks.« Es gehörte zum guten Ton zwischen ihnen, daß keiner erwähnte, welchen Alltagsjob der andere ausübte. Diese ungeschriebene Abmachung wurde nur selten Übertreten. »Aber Sie werden -K- unterrichten«, deutete Hendriks an. »Weiß ich noch nicht.« »Dann werde ich es tun«, erklärte der Ältere. »Sie haben keinen Draht zu ihm, keinen offiziellen. Ih
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re Position würde gefährdet, wenn Sie bei dem Kontakt zu einem Russen ertappt würden. FBI und CIA haben den Finger am Puls jedes guten amerikanischen Staatsbürgers. Und Sie sind sogar ein prominenter.« »Warum rufen Sie dann nicht sofort -K- an?« »Weil er Wert auf abgecheckte Meldungen legt. Ich muß mehr über die Flottenbewegung wissen.« »Dann lassen Sie uns logisch darüber nachdenken, Nik.« »Bitte!« Der Grauhaarige zählte zusammen: »Die Frühjahrsmanöver im NATO-Verbund sind für Mai geplant. Also erst in vier Wochen. Die US-Navy aber ruft ihre Offiziere und Mannschaften aus dem Urlaub zurück, zieht ihre halbüberholten Pötte aus den Werften, um sie binnen weniger Stunden seeklar zu machen, und jagt sie auf den Atlantischen Ozean hinaus. Die reinen Kriegsfahrzeuge, wie Zerstörer, Korvetten und Träger, werden von Schiffen begleitet, die wie Tanker oder Ten der aussehen.« »Jede moderne Flotte wird von Versorgungsfahrzeu gen begleitet«, äußerte der andere. »Es sind aber keine Tanker oder Tender. Tanker füh ren keine Ladebäume, und Tender haben die Komman dobrücke nicht auf dem Achterdeck.« Der Jüngere spürte Trockenheit im Mund. Er bestellte noch einen Drink. »Mit Nachdenken allein kommen wir da nicht weiter. Man muß das in Augenschein nehmen. Man braucht gute Fotos.«
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»Sie lassen keinen heran.« »Das wäre zu testen.« »Ich bin morgen wieder in Washington«, sagte Hen driks, »und ich will herumhorchen.« »Im Pentagon halten sie garantiert dicht.« »Dann ist es ein weiterer Beweis dafür, daß etwas läuft.« Nik hatte es plötzlich eilig. Er überließ es dem Älteren, die Drinks zu bezahlen. Ansonsten zollte er ihm nicht nur keine Anerkennung, obwohl er seine Informationen gerne annahm, er schenkte ihm nicht einmal ein Lächeln, denn er schätzte Verräter wenig. * Sie versuchten es immer wieder, aber nur einem sowjeti schen Fischtrawler gelang es, den Ring der Bewacher zu durchbrechen und sich bis auf wenige Meilen dem Kern der amerikanischen Flotteneinheit zu nähern. Alle Aufzeichnungen, die das Radar von den Dick schiffen lieferte, wurden elektronisch gespeichert. Mit Ihren telebestückten Kameras versuchten die Trawler agenten soviel Fotos wie möglich zu schießen. Leider war es an diesem Tag dunstig. Außerdem schob sich ein Bo ston-Zerstörer zwischen das Gros der Flotte und das Spionageschiff und begann es abzudrängen. Die Amerikaner hätten die Russen vermutlich ge rammt, wenn diese nicht freiwillig vom Kurs abgefallen wären.
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Die Russen hatten aber genug gesehen und riefen ihre Fernaufklärer. Auf einen Trawlerfunkspruch hin wurden in Havanna zwei Tupolew 95 startklar gemacht. * Solange die riesigen Sowjetbomber über internationalen Gewässern flogen, regte das niemanden weiter auf. An diesem Tag jedoch drangen sie bei den Kleinen An tillen in NATO-Luftraum ein. Sie überflogen mehrere Inseln, unter anderen Grenada und Tobago, die zu Groß britannien gehörten. Dies wiederum löste Alarm beim 55. amerikanischen Jagdgeschwader in Puerto Rico aus. Mit Nachbrenner schub folgten sie den Russen. Bis die S-Phantoms heran waren, herrschte völlige Dunkelheit. Und über dem nächtlichen Atlantik war eine Tupolew so schwer auszumachen wie ein Fingerabdruck des Satans auf schwarzem Papier. Die amerikanischen Piloten mußten die Russen jedoch einwandfrei identifizieren, ehe sie etwas unternehmen durften. Captain Mark Nichols, ein Flieger aus der Elite, wußte sich zu helfen. »Sonnenschutzvisier!« gab er über Sprechfunk durch. Sein Kampfbeobachter und die zwei Mann der ande ren Phantom klappten die dunklen Helmscheiben herun ter. Im selben Moment ließ Captain Nichols die in seinen
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Tragflügeln eingebauten Halogenscheinwerfer aufflam men und richtete sie genau in das Cockpit des Riesen bombers. Im gebündelten Lichtstrahl sah man für Sekunden die erschrockenen Gesichter der sowjetischen Besatzung und wie sie geblendet die Arme vor die Augen rissen. In der Zeit, die verging, bis die Russen Gegenmaß nahmen ergriffen hatten, identifizierten die Amerikaner die Tu-95 in aller Ruhe. Es war eine Tupolew 95, Serie Alpha, Nummer 78. Wenig später drehten die Russen ab, und die Ameri kaner legten zwischen sie und die Flotteneinheit einen elektronischen Störzaun. Damit war die Kontaktaufnahme der Russen auch in der Luft abgeschmettert worden. Aber sie würden es weiter versuchen. Wenn sie auf 6000 Meter abgedrängt wurden, dann schickten sie eben Höhenaufklärer. Hoch am Rande der Stratosphäre war dann nur mit Raketen etwas auszurichten. Doch zu einem ernsten Zwischenfall wollte man es auf keinen Fall kommen las sen. Irgendwann sahen die Russen also, was die amerika nische Flotteneinheit im Atlantik vorhatte. Alles war nur eine Frage der Zeit. Aber daß sie nicht schlau daraus wurden, dafür hatte die CIA gesorgt.
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Oberst Mischa Kasikow von der strategischen Abteilung des KGB Moskau deutete auf einen Teil der Weltkarte, wo die blaue Farbe des Atlantischen Ozeans durch nichts unterbrochen wurde. In einem Gebiet von mehreren Millionen Quadratmei len gab es hier weder eine Insel noch Riffe. »Zwischen vierzig bis sechzig Grad West«, führte Ka sikow aus, »und fünf bis zwanzig Grad Nord suchen sie irgend etwas.« »Ob sie einen Raketentest unternehmen?« fragte einer der älteren KGB-Offiziere, ein Mann, der schon im Zwei ten Weltkrieg dabei war. »Doch nicht vor aller Augen«, wandte der Oberst ein. »Raketen und Atomtests führen sie nur in der hintersten Ecke der Südsee durch.« »Was machen sie dann«, fragte ein anderer, »so klammheimlich vor aller Augen, daß wir seit Tagen ohne Ergebnis daran herumrätseln?« »Meeresbodenforschung«, vermutete ein Zivilist mit Gelehrtenzwicker. »In dieser Ecke des Atlantik gibt es nichts mehr zu er forschen. Die Tiefen sind ausgelotet, die unterirdischen Bodenschätze allgemein bekannt.« Fotos der Höhenauf klärer und Satelliten wurden herumgereicht. »Der Träger ›Saratoga‹?« »Nein, das ist die ›Eisenhower‹.« »Kreuzer, Zerstörer, Korvetten, Tender und die Rie senpötte. Jeder hat doch mindestens dreißigtausend Ton nen.«
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»Unsere Marineexperten tippen auf Bergungsschiffe neuester Konstruktion.« Ein Telefon summte. Oberst Kasikow, der Koordinator der Gegenoperation, nahm ein Gespräch entgegen und legte wieder auf. Danach trat er an die große Weltkarte und halbierte jenes Gebiet des Atlantik, in dem sich die amerikanische Flotteneinheit bewegte, mit einem Kreisbogen, der sich in nordsüdlicher Richtung, aber nach Osten gewölbt dar stellte. »Das ist der Kurs der Amerikaner.« »Wenn sie so weiterdampfen, ringelt sich der Kurs allmählich zu einer Spirale zusammen.« »Zu einer Suchspirale etwa?« »Was können sie suchen, Genossen?« fragte der Gene ral mit der brustfüllenden Ordensspange. Er galt als naiv, wie alle ehemaligen Kavallerieoffiziere, die mit Säbeln gegen deutsche Panzer angestürmt waren, aber er hatte sich auch eine Portion naturbelassenen Pferdeverstand erhalten. »Die Amerikaner können doch nur etwas suchen, was Umfang und Kosten ihrer Operation rechtfertigt. Nie mand streut einen Zentner Dünger in die Erde, um am Ende einen einzigen Kohlkopf zu ernten. Was also suchen sie dort? Vielleicht gar…« »Vielleicht was?« Der Vorsitzende der Gesprächsrunde erhob sich und erklärte, daß er aus Geheimhaltungsgründen die Konfe renz abbrechen müsse.
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Vertraut mit der Tatsache, daß es selbst im Kreis hoher Geheimdienstleute immer Dinge gab, die noch geheimer und nicht allen zugänglich waren, löste sich der Zirkel auf. Der Vorsitzende des Ausschusses nahm Oberst Kasi kow und den alten General beiseite. »Nach wie vor kein Wort über das verschwundene Goldschiff!« zischte er. »Solange wir nicht wissen, was wirklich damit passiert ist.« »Und wenn die Amerikaner es heben?« »Dann wüßten sie mehr darüber als wir, und das ist undenkbar.« »Falls das Undenkbare aber doch zutreffen sollte, was dann, Genosse Vorsitzender?« Der Vorsitzende dachte kurz nach. »Oberst Kasikow«, befahl er dann, »setzen Sie sich umgehend nach Süden in Marsch. Wozu haben wir uns diesen Sonderbotschafter angelacht. Wenn einer etwas weiß, dann John S. Solemanski. Botschafter werden vor Antritt ihrer Mission stets über die Tageslage unterrichtet. Soleman muß etwas zu sagen haben. Holen Sie es aus ihm heraus, Oberst Kasikow. Sie wissen, was auf dem Spiele steht.« Kasikow salutierte so lässig, wie es in Führungskreisen üblich war, ging in sein Büro und orderte die Bereitstel lung eines Sonderflugzeuges.
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4.
Auf der Akropolis lag kein Schnee. Dafür blühten die Mandelbäume. Und sie blühten rosarot. Nur in der Phantasie des BND-Geschäftsträgers in Athen blühte nicht die kleinste Knospe. Nach zwei Tagen waren Urbans Ermittlungen in Athen noch immer so dürftig, daß er die gute Laune ver lor. Und der Mann, der eine Exportfirma für Wein, Tabak und Oliven des BND leitete, jammerte immer nur herum. »Ich bin, bei Gottvater Zeus, ein kontaktfreudiger Typ. Wenn mich vorne einer rausschmeißt, marschiere ich hinten wieder rein. Aber es ist nichts zu erfahren, absolut nothing.« »Nicht mal das Kennzeichen des Entführungsmerce des?« »Sie halten dicht, als hätten sie Redeverbot.« »Wer sollte ihnen verbieten, ein paar Informationen zu verkaufen? Schon zu Perikles’ Zeiten verdienten sich Athener Polizisten ein Zubrot damit.« »Das ist es ja, was ich nicht begreife«, antwortete Pit Matiasos. »Entweder«, kombinierte Urban, »es existiert wirklich eine Nachrichtensperre, oder… oder ein anderer zahlt mehr für die Einzelheiten.« »Wer zum Beispiel?« fragte sein schwarzlockiger Kol lege, der aus Niederbayern kam, aussah wie ein Italiener und Griechisch sprach wie ein Mann aus Piräus. »Die Amerikaner?«
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»Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Sie sind für je des Auge, das sich an der Suche nach Soleman beteiligt, dankbar.« »Dann stehe ich vor einem Rätsel.« »Das du gefälligst knacken wirst«, drängte Urban. »Die besten Kanäle sind ausgetrocknet. Leute von der hiesigen Kripo, mit denen ich Blutsfreundschaft getrun ken habe, Blutsfreundschaft, verstehst du, die gehen mir aus dem Weg. Habe ich etwa die Krätze?« »Vielleicht«, sagte Urban und hatte fortan ein ungutes Gefühl. Schließlich gelang es seinem Mitarbeiter doch noch, eine Winzigkeit zu ermitteln. Das Gerücht, bei dem zur Entführung benutzten Mercedes handle es sich um ein deutsches Fahrzeug, bestätigte sich nur teilweise. Zwar hatte der Wagen eine deutsche Nummer gehabt, doch das Kennzeichen war vorher einem deutschen Touristen ge stohlen worden. Urban machte den Betroffenen mit Hilfe des Bundeskriminalamtes Wiesbaden ausfindig und tele fonierte mit ihm. »Nein, ich fahre seit zehn Jahren Audi«, beantwortete der Augsburger Urbans Frage. »Richtig hingegen ist, daß mir Athener Ganoven beide Kennzeichen abschraubten. Ich gehe morgens runter in die Hotelgarage und denke, mich beißt der Affe. Steht doch mein Hunderter ohne Schilder da.« »Warum haben Sie das nicht sofort gemeldet?« Urban kannte die Antwort im vorhinein, wollte sie aber trotzdem hören.
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»Lieber Freund«, erklärte der Mann in Augsburg, »ich spreche kein Wort Neugriechisch. Mit der Polizei in Athen wollte ich nichts zu tun haben. Wie man hört, sper ren die jeden erstmal einen Tag lang ein. Ich also hin zum nächsten Klempner, lasse mir aus schwarzem Blech zwei Tafeln in Kennzeichengröße schneiden. Dann weiter zu einem Farbengeschäft, ein Töpfchen Weiß und ein Töpf chen Schwarz und zwei Pinsel gekauft, den Urlaub um einen Tag verlängert, Schilder gemalt und auf dem Hotel balkon in der Sonne Farbe trocknen lassen. Bin kein sehr guter Anstreicher, aber in meiner Not gelang es mir sogar, den Stempel und die TÜV-Plakette zu imitieren. Zu Hau se angekommen, habe ich den Vorfall dann angezeigt.« »Haben Sie einen Verdacht?« fragte Urban. »Ja den, daß es Klaumeister waren.« »Sahen Sie einen von ihnen?« »Erstens sehen diese Olivenfresser alle gleich aus, und zweitens dürfte die Aktion im Dunkel der Nacht stattge funden haben.« »Bitte noch den Namen Ihres Hotels.« Urban bekam ihn. Danach legte er auf und brauchte einen Kaffee. * Sie sammelten weiter Informationen. Es war höchst müh sam. Als sie sich wiedertrafen, hatte jeder eine Kleinig keit, aber nicht so viel, daß sich damit etwas anfangen ließ.
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»Legen wir zusammen«, schlug Pit Mathias, der sich in Athen Matiasos nannte, vor. »Du lieferst den Tabak und ich das Papier.« Als die Zigarette gedreht war, wollte keiner sie rau chen. »Wetten, daß sie wie Laub vom Maulbeerbaum schmeckt«, bemerkte Urban, »sie ist als Zigarette so gut wie unsere Informationen. Der Mercedes wurde also oben an der Nordgrenze gesehen?« »Mehr ist meinem V-Mann nicht bekannt«, bedauerte Matiasos, »ich hatte Mühe, es aus ihm herauszukitzeln. Offenbar zahlen andere Quellen ein Vielfaches von dem, was wir bezahlen. Oder sie üben einfach Druck aus, daß rundum geschwiegen wird.« »Wer tut das?« fragte Urban nachdenklich. Der Mann des BND in Athen versuchte nun einzubauen, was Urban im Hotel Midas erfahren hatte. »Das Kennzeichen des Audi muß in der Nacht vor der Botschafterentführung abgeschraubt worden sein.« »Soweit sich der Garagenmeister erinnert, ist es so.« »Und er sah natürlich nichts.« »Um diese Zeit schläft er.« »Sah er auch für fünfzig Dollar nichts?« Urban winkte ab. »Dafür hätte er sich eine Masse zusammengeträumt. Nein danke. Mutmaßen können wir billiger. Aber soviel ist sicher, ich bin nicht der erste, der ihn fragte.« »Natürlich hat ihn die Polizei verhört.« »Wie käme sie dazu«, wandte Urban ein, »sie hat doch
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über die Kennzeichentauschaktion keine Einzelheiten. Die Polizei weiß nur, daß einem Athener Mineralölhändler der Mercedes aus der Garage entwendet wurde.« »Wer fragte dann den Garagenmeister im Hotel?« Urban hob Zeige- und Mittelfinger. »Zwei Personen zu verschiedenen Zeiten. Ein Mann und eine Frau. Der Mann war Grieche, die Frau sprach Englisch.« »Das der Garagenwart natürlich beherrscht.« »Ein paar Brocken verstand er.« »Beschrieb er die Frau und den Mann?« Urban deutete auf seine Schläfe. »Das ist hier unauslöschlich gespeichert. Der Mann hatte gefärbtes Haar, die Frau war groß und knochig.« »Der Mann erzählte dem Garagenmeister, wo er sein Haar färben läßt, und bei der Dame hat er sich persönlich vom Körperbau überzeugt.« »Der Mann ist ein Albino«, erklärte Urban. »Albinos können alles färben, aber nicht die Augen und den Bart flaum.« »Den Flaum rasiert man.« »Mitunter vergißt man aber die Haare, die einem aus der Nase und aus den Ohren wachsen.« »Na schön«, Matiasos war bereit zu akzeptieren, »und wo griff der Garagenmeister bei der Dame hin?« »Der Kenner sieht so was.« Matiasos faßte wieder einmal zusammen. »Ein Albino und eine knochige Engländerin. – Wer raucht nun die Zigarette an?«
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»Du übernimmst den Albino«, entschied Urban. »Ich habe das Gefühl, daß sich, aus welchen Gründen auch immer, Gangsterkreise in den Fall eingeschaltet haben. Frag in der Unterwelt nach dem Albino.« »Und du suchst in Damenkreisen nach einer knochi gen Lady.« »Wo sonst«, erwiderte Urban. »Gibt es in Athen Loka le, wo sich Lesbierinnen treffen?« »Noch nicht.« »Und ich dachte, dort drüben auf der nächsten Insel habe man das System erfunden.« »Aber längst vergessen und noch nicht wiederent deckt«, sagte Matiasos. * Der BND-Agent Nr. 18 fühlte sich auf dem Verlierertrip. Die Spur der britischen Lady war nicht auffindbar. Er hatte sich keinen Illusionen darüber hingegeben, daß es schwierig sein würde, aber als er alle nur denkba ren Punkte, zu denen sich eine Engländerin begeben konnte, angelaufen hatte und überall auf Kopfschütteln gestoßen war, brauchte er einen Ouzo. Matiasos hatte mehr Glück gehabt. »Es gibt zwei Albinos in der Athener Unterwelt. Der eine ist Taschendieb.« »Der kommt wohl nicht in Frage«, vermutete Urban. »Und den anderen laß uns vergessen.« »Ist er inzwischen verschieden?«
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»Nein«, Matiasos bekreuzigte sich, »aber er ist einer der tonangebenden Gangster im ägäischen Raum.« Das Adjektiv tonangebend war Urban zu ungenau. »Wo gibt er den Ton an?« »Er kennt keinen Pardon.« »Wo gewährt er keinen Pardon? Beim Handel mit Suppengewürzen oder mit Maschinengewehren?« »Sie nennen ihn Baucis, den Beißer.« »Das besagt nur, daß er beißt.« »In ihrer Welt bedeutet das töten.« »Ich kenne die Welt dieser Leute. Sie unterscheidet sich von der unseren nur wenig. Sie töten aus Angst, aus Eifersucht oder weil sie im Kopf nicht klar sind.« Matiasos blinzelte. »Meinst du jetzt das neue NATO-Rüstungsprogramm oder Baucis, den Albino?« »Was hat Baucis in der Hand?« »Er mischt überall mit.« »Verfügt er über eine eigene Organisation?« »Er heuert Leute an, wenn er welche braucht.« »Wo lebt er?« »Wo in Athen die feinen Leute wohnen.« »Also nicht direkt in Athen.« »Denkst du, die feinen Athener wollen sich langsam vergiften? Athen ist neben Los Angeles die versmogteste Stadt.« »Aber schön«, sagte Urban, »besonders, wenn auf der Akropolis Schnee liegt.«
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Der Begriff Villa traf für dieses Haus nicht zu, Palais wäre übertrieben gewesen, Festung zuviel gesagt. Urban klassi fizierte den Landsitz von »Baucis dem Albino« als unge wöhnlich stark gesicherten Küstenbungalow mit Apollo tempelcharakter. Sie saßen in Matiasos’ Jagdwagen oberhalb des Anwe sens in den Hügeln und beobachteten die Vorgänge mit Ferngläsern. »Völlig verarmt ist er nicht«, sagte der öllockige BNDStatthalter. »Eher ganz schön wohlhabend.« »Nicht superreich, aber vielfacher Millionär minde stens. Zum Pool noch einen Springbrunnen, das ist hier schon Luxus.« »Was mag so ein Gangster mit John S. Soleman im Sinn haben?« »Ich habe immer nur eines im Sinn«, witzelte Matia sos. »Ich höchstens zwei«, äußerte Urban. »Das eine und den Job.« »Fragen wir ihn doch.« »Wer fragt?« »Du.« »Du kannst besser Griechisch«, sagte Urban. »Und du besser Karate.« »Aber meine kugelfeste Weste hängt zu Hause im Schrank.« »Dann lassen wir es«, schlug Matiasos vor. »Ich bin nicht hier, um eine Spur aufzugeben.«
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Sie rauchten, nahmen ab und zu einen Schluck aus der Flasche. Matiasos hatte Brot, Salami und Käse eingepackt. Dann kam wieder eine Zigarette an die Reihe. So verging der Vormittag. Urban überlegte noch, wie dieser Gangster trotz Leib wache für ein Gespräch zu gewinnen sei, als ein Ereignis die äußere Ruhe in Baucis’ Villa störte. Eine weiße Limousine kam von Athen herauf. Das Tor wurde geöffnet. Der Wagen rollte den parkartig angeleg ten Hügel hinauf bis zum Haus. Als der Schlag aufging und ein Bein sichtbar wurde, nahm Urban das Fernglas und brachte sein Staunen durch ein pfeifendes Geräusch zum Ausdruck. »Da bist du platt!« »Ist sie nun knochig?« fragte Urbans Partner. »Wie ein adrettes Hühnchen.« »Mir wäre sie gerade recht so.« »Der Garagenmeister liebt offenbar nur Dicke.« In einer Entfernung von 300 Metern Luftlinie hatte ei ne hübsche dunkelhaarige Person die Limousine verlas sen. Aus der Villa kam ihr jemand entgegen, um sie zu umarmen. »Der Albino«, zischte Matiasos, »wagt sich heute zum ersten Mal in die Sonne. Ob sie seine Geliebte ist?« »Eher seine Partnerin.« »Warum war sie dann unabhängig von ihm in der Ho telgarage?« »Damals wußte sie eben noch nicht, daß sie Partner sein würden«, kombinierte Urban. »Partner worin?«
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»In einem Geschäft.« »Das wohl mehr als nur zehn Drachmen einbringen dürfte.« Urban warf einen schiefen Blick zu Matiasos. Er sagte nicht, bei diesem Deal geht es um Millionen, er sagte: »Gib die Kamera her!« Das schwere Teleobjektiv machte die Kamera derart übergewichtig, daß man sie mit der Linken vorne unter stützen mußte. Urban stellte scharf, drückte dann den Motorauslöser und ließ eine Reihe von Aufnahmen durchlaufen. »Die hast du drauf«, bemerkte Matiasos, »aber was ist damit erreicht?« »Die Aufnahmen liegen heute abend bei der Auswer tung.« »Wie kriegst du den Film so schnell nach München?« »Der Pilot der nächsten Lufthansa-Linienmaschine wird ihn mitnehmen. Ein bewährtes Verfahren.« Der Albino und die Frau waren jetzt im Haus ver schwunden. Matiasos steckte sich eine filterlose Zigarette an. Trotz rein hellenischer Tabakfüllung stank sie wie eine schwarze Französische. »Und was wird die Auswertung ergeben, ich meine, was vermutest du? Du vermutest doch etwas. Schließlich sitzen wir nicht zum Spaß hier herum.« »Wir sitzen hier herum, weil wir keine bessere Spur haben«, korrigierte ihn Urban.
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»Weil die Behörden dichthalten, müssen wir die nöti gen Informationen aus der Unterwelt besorgen. Was hältst du von diesem Rendezvous bei Baucis?« »Mit Solemans Entführung haben die beiden nichts zu tun«, ließ Urban heraus, »dafür ist der Fall eine Nummer zu groß. Außerdem hätten sie sich dann nicht um die deutschen Kennzeichentafeln gekümmert. Es läuft also andersherum.« »Und andersherum, wie ist das?« Urban sprach nicht gern über Dinge, die im Nebel la gen. Aber Matiasos drängte. »Alles, was du über Geheimdienste nicht weißt, Bob, geht in einen Stecknadelkopf, also raus mit der Sprache!« »Was ich nicht weiß«, erwiderte Urban, »geht minde stens in eine Streichholzschachtel. Aber soviel steht fest, daß das Gegenteil von Entführung Befreiung ist.« Matiasos blinzelte, als habe man ihm einen unrealisti schen Preis für eine Ladung Olivenöl genannt. »Du glaubst, sie versuchen aus Solemans Lage Kapital zu schlagen?« »Nur so bekommt das alles Sinn, das Suchen nach Spuren, die Zusammenkunft der beiden und das Schwei gen der Behörden. Jeder hält das, was er weiß, Im pures Gold.« »Und woher kommt das Gold?« »Am besten, wir fragen Baucis.«
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Urban ließ den Jeepmotor an, drückte den Rückwärts gang in die dafür nötige Lücke, schlug hart links ein und stieß zurück in die Macchiabüsche, um zu wenden. Dabei drehte er den Kopf nach hinten, um nicht über den Abgrund zu geraten. Ruckartig trat er die Bremse, würgte den ersten Gang hinein, kurbelte das Lenkrad auf Mittellage und wollte Gas geben. Doch das unterließ er, um nicht zum Mörder zu werden. Vor dem Jeep stand ein Mann wie aus dem Erdboden gestoßen. Er trug blaue Jeanshosen, ein verwaschenes Baumwollhemd und Segeltuchlatschen. Über dem finster dreinblickenden Gesicht hatte er schwarzes Kräuselhaar. Das alles hätte niemanden weiter aufgeregt. Häßlich an der Sache war nur das Gewehr, das er plötzlich hoch riß. Damit visierte er weder Urban noch Matiasos an. Er hielt genau zwischen sie. Aus diesem Umstand wie aus der Dicke der Zwillings läufe schloß Urban, daß die Flinte mit Schrot geladen war. Auf vier Meter Distanz machte grobe Körnung leicht Hackfleisch aus ihnen. Das hatte er von seiner Menschenfreundlichkeit. Der Mann mit dem Gewehr rief etwas in einem Dia lekt, den Urban nur halb verstand. »Keinen Schritt weiter!« übersetzte Matiasos. Der Frontscheibe hätte Urban einen gewissen Schutz effekt zugetraut, aber sie war umgelegt. Sie hatten sie nach vorn gekippt, um besser Sicht zu haben. Matiasos suchte bei Urban Rat. Doch der mit dem Ge wehr befahl:
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»Aussteigen!« »Frag ihn, was er will«, sagte Urban. Matiasos versuchte es, gab aber bald auf. »Er ist kein Bauer, der sein Land verteidigt. Er gehört zu Baucis. Du wolltest ja zu ihm. Ich denke, er bringt uns hin.« Urban mißfiel die Art, wie er dem Gangsterboß vorge führt werden sollte. Also dachte er schnell nach. Ein schräger Blick nach unten bestätigte ihm, daß der Allrad antrieb eingeschaltet war. Hinten hatte er etwa vier Meter bis zum Abgrund. Der Boden war trocken, Staub mit Sand durchmischt. Wenn er bei Vollgas die Kupplung kommen ließ, würden die vor deren Räder an Traktion einbüßen und durchdrehen. Zumindest eines von beiden würde das tun. Dabei würde das Rad eine Dreckwolke hochschleudern. Dreck nahm die Sicht, denn ein offenes Auge schätzte feinen Sand nicht allzusehr. Vorsichtig drückte Urban den Rückwärtsgang hinein. »Deckung!« schrie er, gab Gas und erzeugte die beab sichtigte Wolke. Der Leibwächter erschrak und zog den Abzug durch. Aber die Schrotladung donnerte in den Himmel. Mahlend rissen die Räder Dreck hoch und machten den Mann mit dem Gewehr blind. Nach drei Metern, dicht vor der Felskante, brachte Ur ban den Jeep zum Stehen und hechtete mit einem Sprung hinaus auf den Leibwächter. Mit der Wucht seines Körpers und einem nachgesetz-
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ten Handkantenschlag brachte er ihn zu Boden, entriß ihm die Waffe, schleuderte sie in die Schlucht und zog der Viper damit die Zähne. Das anschließende Verhör ergab wenig. Der Bursche wußte nichts. Er war nur zum Schutz des Anwesens da. Während Urban noch überlegte, wie er den Mann dafür gewinnen könne, daß er ihn durch den Hintereingang ins Haus schmuggelte, trat etwas ein, das jede weitere Mühe sinnlos machte. Vom Meer her näherte sich ein dunkler Punkt, der ra scher Höhe gewann als ein gasgefüllter Kinderluftballon. Bald hörte man das Turbinensingen und das flatternde Schlagen eines Rotors. Der Hubschrauber umkreiste in Baumhöhe Baucis’ Landsitz, setzte dann neben dem Pool auf. Baucis und seine Besucherin stiegen zu. Eine halbe Minute später startete der Hubschrauber wieder, um mit nordöstlichem Kurs über den Hügeln zu verschwinden. Urban löste dem Wächter die Fesseln, zog ihn hoch und schlug ihm einen Haken unter die Rippen. »Geh nach Hause zu deiner Frau«, zischte er. »Aber ein Wort von unserer Begegnung, und es geht dir schlecht, verdammt schlecht sogar!« Der Leibwächter rannte keuchend davon. »Er verstand kein Wort«, befürchtete Matiasos. »Er hat genau verstanden«, sagte Urban. »Man braucht nicht jeden Dialekt zu beherrschen, weil sich sowieso niemand dafür interessiert, was man sagt. Man muß sich auf andere Weise verständlich machen.«
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In Matiasos’ Büro klemmte ein Fernschreiben im Ticker. Es kam aus München. Urban überflog es. »Das ist es«, sagte er und riß den Bogen ab. Matiasos las und hustete auffallend lange. »Wenn ich recht verstanden habe, dann setzt die ame rikanische Regierung eine Million Dollar aus.« »Für Informationen über Solemans Verbleib.« »Und fünf Millionen Dollar für seine Rettung.« »Sie gehören demjenigen, der ihn gesund wieder bringt.« »Ist das die Erklärung?« Urban steckte sich eine MC an und nahm einen Schluck Kaffee. Er war kalt. Kalter Kaffee wie das Ergeb nis ihrer Anstrengungen der letzten Woche. »Die Behörden zeigen sich so sperrig, weil sie von Baucis gekauft sind. Baucis investierte einige Hunderttau send, um sich die Millionen Dollar zu holen. Er hat die Verbindungen und die Möglichkeiten, um für John Soleman als Fluchthelfer in Aktion zu treten.« »Und die magere Engländerin?« »Die ist wohl von derselben Blutgruppe. Solange es auf der Welt Gefängnisse gibt, gibt es auch Gefangene, die drinsitzen. Und solange wird es auch Leute geben, die mit ihnen sympathisieren und gewisse Formen der Haft als Freiheitsberaubung ansehen. Sie sammeln Geld und gehen damit zu Experten, die sich auf Fluchthilfe speziali siert haben. Zu so einem Verein gehört die Dame wahr scheinlich.«
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»Mit Baucis zusammen verspricht sie sich größeren Erfolg.« »Sie hat die Erfahrung, er den Platzvorteil.« »Fünf Millionen Dollar.« Matiasos schmatzte. Doch als er den Nachsatz des Fernschreibens las, wurde seine Miene essigsauer. »Du aber mußt for nothing ran und bekommst noch täglich eine Schrotladung in den Bauch.« »Die CIA bittet die NATO-Dienste um Mithilfe. Ein Langzeitprogramm auf Gegenseitigkeit.« »Nach dem Schema halbe-halbe, zehn für dich, Neun zig für mich.« »Es ist mein Job«, erklärte Urban, »nicht edel, nicht hilfreich, nicht gut, aber ich versuche ihn zu machen.« Dann gingen sie essen. Das Essen war auch nicht so, daß man anschließend auf dumme Gedanken gekommen wäre. 5. Der Hubschrauber folgte der Küstenlinie nach Norden. Linkerhand lag die Insel Euböa im Dunst. Gegen 14 Uhr überquerten sie die Malakkos Straße, wo einst die griechische Flotte der persischen den Anfang vom Ende bereitet hatte. »Durch diese Enge ruderten wir«, rief der Albino in die Tiefe deutend, »fielen in ihren Rücken und bei Salamis gaben wir ihnen den Rest.« Seine Begleiterin zeigte sich an Geschichte wenig in
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teressiert. »Für die Amerikaner bedeutet Soleman in rus sischen Händen soviel wie eine verlorene Schlacht.« »Die Hellenen gewinnen am Ende immer«, sagte Bau cis. »Ich bin ein Hellene.« Die Engländerin lächelte spöttisch. »Aber ziemlich neu im Geschäft.« »In diesem Geschäft allerdings«, räumte der Grieche ein, »aber ich habe beachtliche Talente. Und die einträgli chen Coups gleichen sich ohnehin. Sie erfordern blitz schnelles Erkennen der Situation, Zupacken und Festhal ten, bis der andere aufgibt. Man steht immer einem Geg ner gegenüber, der denselben Kampf um Macht, um Geld, um eine Frau führt. Natürlich gibt es stets ein paar Besonderheiten. Das Ölgeschäft ist anders als die Prostitu tion. Mit Waffen läuft es härter als mit Immobilien. Aber die meisten Zutaten sind austauschbar.« Die Engländerin widersprach. »Die Organisation von Fluchthilfe ist mit nichts ver gleichbar, ein Geschäft, das man beherrschen muß, sonst gibt es böse Niederlagen.« Der Grieche nahm die Hand seiner Begleiterin, küßte sie und sagte artig: »Dafür habe ich Sie als Partnerin gewonnen, Miß Ba cker. Darf ich Ireen zu Ihnen sagen?« Mit einem Schulterzucken erteilte die kühle Englände rin die Erlaubnis. Sie durchschaute den Griechen längst. Er gab sich freundlich, war aber tückisch wie ein Skorpi on. Er ging die Partnerschaft nur ein, um ihre Erfahrung und ihre technischen Möglichkeiten zu nützen. Am Ende
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würde sie übers Ohr gehauen. Das war sein Programm. Baucis, dessen gefärbtes Haar an den Wurzeln weiß nachwuchs, öffnete die Kühlbox. Sie war bis zum Rand mit Eisstücken gefüllt. Im Eis steckten zwei Champagner flaschen. Eine davon öffnete er. Er entkorkte sie genußvoll, ließ den Schaum in die Gläser quellen, dann den perlenden Wein. »Auf John S. Soleman, dessen Pech unser Glück sein wird!« Sie tranken. »Noch haben wir ihn nicht«, gab sich Ireen Backer vor sichtig. »Was mir an Ihnen mißfällt, ist Ihr Pessimismus«, er klärte Baucis und goß nach. »Ich könnte antworten«, erwiderte die dreißigjährige dunkelrote Britin, »daß mir Ihr Optimismus ebenfalls mißfällt. Aber bei mir ist alles nur Vorsicht und bei Ihnen Tatkraft. So hoffe ich.« Der Grieche spielte mit seiner brillantbesetzten Car tier-Uhr. »Nur mir gelang, was andere seit dem Tag, an dem der Sonderbotschafter verschwand, vergebens ver suchen. Ich habe den Scout.« »Welche Funktion übte er aus?« Der Hubschrauberpilot zog seinen Bell-Longranger höher und über die Berge hinweg. Einem Flußtal folgend näherte er sich jetzt der Straße nach Larissa. »Der Scout«, antwortete Baucis seiner Partnerin, »ist ein Mann, der zwischen Athen und der bulgarischen Grenze Weg und Steg so gut kennt wie ein Fuchs sein
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Revier. Er brachte die Entführergruppe bis zu der Stelle des Passes, wo es mit dem Fluchtfahrzeug nicht mehr weiterging.« »Wie brachte er die Entführer hinüber?« »Das wird er uns heute noch erzählen.« Die Engländerin wollte immer alles genau wissen. »Und wie kamen Sie an den Scout heran?« »Wie kamen Sie«, fragte der parfumduftende Albino nun seinerseits, »wie kamen Sie in die Garage des MidasHotels?« »Ich folgte Hinweisen.« »Ich auch.« »Als ich in den BBC-Nachrichten von der Entführung Solemans erfuhr, packte ich sofort die Koffer. So etwas ist für mich ein Alarmsignal, wie für den Arzt erhöhte Tem peratur. Über Freunde bei Interpol erhielt ich Tips.« »Aber im Hotel Midas waren Sie am Ende mit Ihrem Latein«, ergänzte Baucis schadenfroh. »Nur einen Moment lang«, gestand die überschlanke Engländerin. »Mein Anruf half Ihnen weiter.« »Ohne Ihren Anruf hätte mir irgend etwas anderes oder ein anderer weitergeholfen.« »So ist es praktischer.« »Aber auch teurer«, meinte die Engländerin. »Ich muß teilen.« »Besser von fünf Millionen die Hälfte als die Hälfte von nichts.« Die Engländerin steckte sich eine dünne dunkelbraune
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Zigarette an. »Ohne mich würden Sie es nicht schaffen, Baucis.« »Vielleicht doch. Vom Garagenmeister im Midas-Hotel erfuhr ich, wer die Kennzeichen stahl. Ich ließ die Bur schen suchen und quetschte sie aus. Über sie kam ich auf den Scout. Nicht schlecht, wie?« »Warum, zum Teufel, tun Sie sich dann mit mir zu sammen«, zischte die Engländerin. Nun steckte der überhebliche Albino zurück. »Weil Sie so etwas schon mal gemacht haben.« »Zehnmal.« »Sie haben Colonel Stanley befreit.« »Das wissen Sie?« »Ich erkundigte mich, bevor ich Ihnen die Partner schaft anbot. Das mit Stanley machte mir klar, daß dieses Geschäft mehr erfordert als die Möglichkeiten eines Lo kalmatadors, nämlich Verbindungen und Experten, die mit den nötigen Techniken vertraut sind. Wie brachten Sie Oberst Stanley eigentlich aus dem Straflager in Sibiri en heraus?« »Mit Trick neunzehn«, sagte die Engländerin. »Und den mexikanischen Atomwissenschaftler damals aus China?« »Trick vierzehn«, lautete die knappe Antwort. »Und mit welchem Trick nehmen wir den Fall Soleman an? Mit Trick einundzwanzig?« Die Engländerin lächelte. Ich werde dich aufs Kreuz legen, schien sie zu denken, mit dem ältesten Trick der Welt.
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Drunten auf der Straße rollten endlose Kolonnen von Lastwagen mit schwerer Fracht nach Norden. Sinkend übergoß die Sonne das wintergraue Land mit rosa Licht. Beflügelt vom Champagner, ergriff Baucis wieder die Hand seiner Partnerin. »Sie sind schön, Ireen«, flüsterte er. Was sollte sie einem Mann, dessen Häßlichkeit noch durch ein dollargroßes Muttermal an der Wange, aus dem schlohweiße Haare wuchsen, unterstrichen wurde, ant worten. Sie entzog ihm die Hand und sagte: »Wir sind Partner, Baucis. Wenn Sie erwarten, daß je mals mehr daraus werden wird, dann sollten Sie den Pilo ten jetzt sofort landen lassen, aussteigen und in der Saha ra Wassermelonen anbauen. Das wäre jedenfalls aus sichtsreicher als das andere.« »Und Sie sollten solchen Unsinn vor den Vereinten Nationen vorbringen«, entgegnete Baucis höhnisch, »aber nicht hier.« Im Norden mischte sich das Rot der Sonne mit blau grünen Wolken. Unter den stinkenden Chemieabgasen lag die größte Ansammlung von Petrochemischer Indu strie im ägäischen Raum. Und fast eine Million Menschen wohnte hier. »Fliegen Sie um diesen Giftpilz herum«, befahl Baucis dem Piloten. »Ich habe es nicht nötig, diesen Mist einzu atmen, oder?«
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Über Rodopolis, schon nahe am Grenzdreieck, wo man von jeder Bergspitze aus gleichzeitig nach Jugoslawien, nach Bulgarien und Griechenland blicken konnte, sagte der Pilot, er müsse jetzt zum Tanken herunter. »Das machen wir auf dem Rückflug«, schlug der Albi no vor. »Ich bin schon unter zehn Prozent«, erklärte der Pilot. »Und wie weit reicht das?« »Siebzig Kilometer.« »Damit kommen wir leicht hin.« »Aber nicht zurück«, erwiderte der Pilot. »Wenn etwas passiert, bin ich meine Lizenz los. Zehn Prozent Reserve dürfen nur bei Notfällen unterschritten werden.« Baucis, der es eilig hatte, drängte. »Für mich ist es ein Notfall! Ich bin Ihr Passagier. Also liegt auch für Sie ein Notfall vor.« Der Pilot fragte über Funk am nächsten Flugplatz, ob das von ihm benötigte Kerosin vorrätig sei. »Es kostet uns nur eine halbe Stunde«, versicherte er. »Das ist mir zu lange. Was kostet es, wenn Sie erst auf dem Rückweg nachtanken?« Der Pilot funkte noch einmal den Flugplatz an, ob er auch bei Dunkelheit tanken könne. Die Antwort war posi tiv. »Zweihundert Dollar extra, wenn ich das Risiko ein gehe«, lautete seine Forderung. Der Albino hatte klein angefangen und noch gewisse Eigenheiten aus dieser Zeit bewahrt. Er griff in die Tasche und zahlte auf der Stelle, in 1000 Fuß Höhe über dem
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Gebirge, bar. Dann half er dem Piloten bei der Orientie rung. Dort, wo die Straße den Abfluß des Doiranis-Sees schnitt, ging es weiter mit Nordkurs durch die Berge, bis zu einem im Frühjahr trockenen Bachbett. Es schimmerte weiß und kiesig herauf. Weiter oben kam ein Dorf mit verfallener Moschee, und jenseits eines kahlgeschlagenen Berges ein Tal mit grünenden Wiesen. Baucis Zielansprache traf ins Schwarze. »Das Gebäude dort«, er deutete in die Tiefe. Der Pilot landete weich neben dem Haus, das mehr ei ner Berghütte aus Natursteinen mit Holzschindeldach glich. Baucis und die Engländerin stiegen aus. Sie wurden unter der Tür erwartet. Ein älterer Mann und eine noch ältere Frau standen da mit Gesichtern wie in Falten gelegt und geräuchert. »Ich bin Baucis«, stellte sich der Mann aus Athen vor, »ich will zu Adonos.« »Ich bin sein Vater«, sagte der alte Mann. Sie durften eintreten. Im Kamin schwelte feuchtes Holz, auf dem Tisch stand ein Krug Wein sowie eine Schüssel mit Brot und Käse. Baucis schaute sich um. »Und wo ist er?« Der alte Mann legte den Finger an den Mund, als bäte er um Stille. Dann zog er den Sackvorhang zum hinteren Zimmer beiseite. Der Raum hatte kein Fenster. Er wurde von Kerzen er leuchtet. Von ungewöhnlich vielen Kerzen.
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Sie waren überall, wo sich Gelegenheit bot, hingeklebt. So umgaben sie in einem unregelmäßigen Ring das Bett. Und dort lag, bis zum Hals mit einem Laken bedeckt, ein schlafender Mann. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Seinen schwarzen Bart durchzogen graue Fäden. Um die Stirn trug er eines der jetzt modernen Bänder. Das Band war weiß mit rotem Muster. Dieses Muster machte Ireen Backer stutzig. »Blut«, sagte sie leise. »Der Mann ist ja tot.« Baucis packte die Hand des Alten, als glaube er nicht, was er sah. Der Alte wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Mein Sohn mußte sterben«, jammerte er. »Womit ha ben wir das verdient.« Baucis trat neben das Bett, berührte die Schlagader des Toten. Seine Haut fühlte sich kalt und steif an. Dann lüfte te er das Kopf band seitlich. »Schläfenschuß!« stellte er fest. »Wann?« »Sie brachten ihn gestern.« »Wer?« »Jäger. Seine Freunde.« »Das war kein Unfall.« »Sie fanden ihn unterhalb des Felsens, auf dem er ei nem Bock auflauerte. Sie hörten keinen Schuß fallen.« »Mörder«, murmelte Baucis. Der Alte winkte ab. »Sie waren seine Freunde. Sie kannten ihn von Jugend an. Sie sind es nicht gewesen. Warum sollten sie es tun?« Die Engländerin trat an die andere Seite der Totenbah
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re und untersuchte den Leichnam hinter dem linken Ohr. Dort fand sie den Kugelaustritt. »Keine Jagdmunition«, sagte sie, »ein Stahlmantelge schoß. Das war Killerarbeit.« Baucis fragte den alten Mann, ob sein Sohn irgend et was hinterlassen habe, mündlich oder schriftlich. Der Alte verneinte. Der Albino blickte seine Partnerin an. Die Engländerin hob die Schultern. Baucis legte für die Alten ein paar Geldscheine auf den Tisch. Dann gingen sie wieder. Als der Hubschrauber zum Nachtanken in Rodopolis landete, verschlechterte sich das Wetter dermaßen, daß sie zu übernachten beschlossen. Am nächsten Morgen, so hofften sie, würden Sturm und Regen nachlassen. * Ireen Backer programmierte ihre Digitaluhr so, daß sie um 04 Uhr geweckt wurde. Wenige Minuten später war sie fix und fertig für die Abreise. So lautlos wie möglich verließ sie das Zimmer, das ne ben dem von Baucis lag. Unten erwartete sie der Nacht portier. »Alles erledigt, Madame«, meldete er. Er bekam noch ein Extratrinkgeld. Im Regen stand ein Jeep. Ireen Backer überzeugte sich, daß er vollgetankt war, daß Öl- und Wasserstände stimm ten. Dann fuhr sie los.
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Die Strecke, für die der Helikopter fünfzehn Minuten gebraucht hatte, kostete sie zwei Stunden. Die Pfade wa ren miserabel und so matschig, daß sich die Reifenprofile des Jeep immer wieder zusetzten und er auf den steilen Hängen wegzuschmieren drohte. Sie mußte Umwege machen und verfuhr sich. Deshalb erreichte sie die Hütte des toten Scouts erst bei Sonnen aufgang. Die Tür war nur angelehnt, die Alten offenbar wegge gangen. Sie durchsuchte zunächst den vorderen Raum, durch wühlte alle Schübe, kontrollierte Wein- und Ölkrüge, die Blechdosen, ja sogar das Kaminholz. Dann ging sie in den hinteren Raum, wo alle Kerzen bis auf zwei herunterge brannt waren. Dort machte sie weiter. Nachdem sie die Bettpolster abgetastet hatte, scheute sie sich auch nicht, dasselbe mit dem Toten zu tun. Die Starre war von der Leiche gewichen. Die zu Fäu sten geballten Hände ließen sich öffnen. In der Linken hatte der Tote ein Amulett aus Gold. Die Engländerin nahm an, daß es der Tote im Sterben vom Hals gerissen hatte, um es zu verbergen. Sie öffnete es. Links war das Bild eines Mädchens eingeklebt, rechts steckte ein dürres vierblättriges Kleeblatt. Es hatte dem Scout kein Glück gebracht. Als Ireen Backer das Amulett schließen wollte, fiel das Kleeblatt heraus. Im weichen Rotgold darunter sah sie frisch eingeritzt Buchstaben und Ziffern. Zweimaliges Lesen genügte ihr, um sich alles einzu
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prägen. Dann hob sie das Kleeblatt auf. In diesem Mo ment bemerkte sie, daß sie nicht allein war. Hinter ihr bei der Tür standen zwei hellgraue Hosen beine über schwarzen College-Schuhen. Die Schuhe hat ten silberne Spangen. »Sie?« fragte Ireen erstaunt. »Was suchen Sie da, Ireen?« zischte Baucis. »Und was tun Sie hier?« »Ich mißtraue Ihnen.« »Wie ich Ihnen«, erklärte sie. »Inwiefern, bitte?« Verlegen lächelnd schloß sie das Amulett. »Insofern, als ich Sie für ausgekocht genug hielt, mit diesem Toten einen Türken zu bauen.« Der Albino verstand. »Sie nahmen an, ich hätte Ihnen im Einverständnis mit den zwei Alten eine andere Leiche untergeschoben, um mich der Information Adonos alleine zu bedienen.« »Genau das dachte ich.« Baucis nahm ihr das Amulett ab. »Und ich fürchtete«, gestand er, »daß Sie die zwei Alten noch einmal ins Gebet nehmen würden.« »Ich tat mehr«, erwiderte die Engländerin, »ich suchte jeden Winkel ab. Das Amulett ist alles, was ich fand.« »Und?« »Inhalt ein Mädchenbild und getrocknetes Gras.« Baucis überzeugte sich, ob die Angaben seiner Partne rin zutrafen. Dann legte er das Amulett auf die Brust des Toten.
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»Ihr Mißtrauen ehrt mich.« »Mich das Ihre.« »Und jetzt?« »Ist unsere Zusammenarbeit wohl beendet«, äußerte die Engländerin. »Darf ich Sie mit dem Hubschrauber zurückbringen?« »Danke, nachdem ich die Herfahrt im Jeep gerade noch auf dem Steißbein überstanden habe, mache ich die Rückfahrt mit Standgas. Es wird mir ein Genuß sein. Und von Saloniki aus nehme ich das Schiff.« »Vorausgesetzt wir erhalten nicht neue Hinweise.« »Darüber«, erwiderte die berufserfahrene Engländerin, »mache ich mir erst Sorgen, wenn ich Zeit dafür übrig haben sollte, nachdem ich mir über Adonos’ Tod den Kopf zerbrochen habe.« Baucis versuchte sie zurückzuhalten. »Sie vertrauen mir doch, oder?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Wie einer satten Kobra, die nach drei Tagen wieder hungrig wird.« Draußen ließ sie den Jeep an und sagte: »Rufen Sie mich in London an, falls es etwas gibt. Meine Nummer haben Sie.« Dann fuhr sie talwärts. Innerlich frohlockte Ireen Ba cker. Sie hatte ihn überlistet, diesen dreimal schlauen Albino. Er würde sie in London erwischen, wenn er etwas Neues hatte, aber nicht in den nächsten zwei bis drei Ta gen.
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6.
Die amerikanische Flotteneinheit erreichte am 14. ihre vorgesehene Position. »Tiefe fünfhundert«, meldete der Mann am Log des Sonderschiffes S-33. Diese Tiefenlinie zog sich mit wechselndem Abstand, der im Schnitt 200 Seemeilen betrug, von der brasiliani schen Küste herauf, nördlich Trinidad vorbei zu den Windward-Inseln hin. Nach Informationen, die das amerikanische Marine ministerium gesammelt hatte, mußte sich der Vorfall auf dieser Tiefe bei 60 Grad West ereignet haben. Der Navigationsoffizier von S-33 entnahm dem Safe eine Spezialkarte. Sie war geheim und entsprechend ge kennzeichnet. In Anwesenheit des Kommandanten und anderer Of fiziere entrollte er die Karte. Sie warfen einen Blick hinein. Der Kommandant gab seinem Mißfallen durch einen Brummton Ausdruck. Der I.WO. sagte: »Das sind also alle Schiffe aus Eisen, die hier in den letzten hundert Jahren sanken.« »Und deren Wracks unsere Sensoren anpeilen kön nen.« »Eine hübsche Menge.« »Ja, mehr als sechs Dutzend, schätze ich.« »Ist ihre Lage genau?« »So genau, daß die Karte topsecret ist, Sir.«
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Einer der technischen Offiziere gab eine Erläuterung dazu. »Wir speichern jedes einzelne Wrack mit seiner Positi on in den Computer der Trägheitsnavigationsanlage ein. Immer wenn wir eines dieser Wracks überlaufen, gibt der Computer Signal. Dadurch erhalten wir eine eigene Posi tionskontrolle, und gleichzeitig können wir das Wrack abhaken. « »Und wenn es mal außer der Reihe piept, was ist dann?« fragte der I.WO. Der Spezialist lächelte. »Dann haben wir gefunden, was wir suchen, Sir.« »Oder nur irgendein anderes noch nicht registriertes Wrack.« »Oder eines, das unterseeische Strömungen abgetrie ben haben«, bemerkte der Kommandant. »Wie alt ist die se Karte?« Sie suchten den Stempel. »Sieben Jahre, Sir.« »In sieben Jahren gab es hier mindestens siebzig Orka ne. Wenn nur in jedem zweiten Orkan ein Schiff sank und von jedem zweiten dieser Schiffe eine Verlustanzeige vorliegt, dann kamen inzwischen …« Der I.WO. rechnete etwas schneller. »Dann kamen inzwischen zirka fünfzehn neue Wracks hinzu.« »Die Karte ist revidiert und gemäß den internationalen Mitteilungen immer auf den letzten Stand gebracht wor den«, lautete der Einwand des Navigationsoffiziers.
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Sie hatten gar keine andere Wahl. Sie mußten sich nach dieser Karte richten, denn es gab keine bessere. Sobald sie auf ein Wrack stießen, das nicht verzeichnet war, mußten sie es eben genauer untersuchen. Sie verfüg ten über die nötigen Einrichtungen, wenn ihre Hauptauf gabe auch eine ganz andere war. * Während die Spezialschiffe mit ihren hochmodernen Meßgeräten alles unter der Meeresoberfläche aufzeichne ten, was größer als das Kanonenrohr einer mittelalterli chen Karavelle war, und die Computer neue Karten zeichneten, sie mit den alten verglichen und hin und wie der auch Alarme auslösten, die sich meist als blinde Alarme herausstellten, sicherten die Kampfschiffe die Operation. Dabei kam es zu mehreren Fast-Zusammenstößen. Einmal war es ein Frachter, der partout mitten durch die Sperrzone dampfen wollte, dann wieder ein Fischkutter, der die Maßnahmen der Amerikaner ignorierte. Die Schiffe wurden abgedrängt, aber auch fotografiert. Vergleiche mit dem Schiffsregister ergaben dann, daß es sich bei dem Frachter um einen Kubaner gehandelt hatte und bei dem Kutter um einen Russen, der zur Tarnung die venezolanische Flagge gesetzt hatte. Die Sicherungskräfte zu Wasser und in der Luft hatten jedenfalls alle Hände voll zu tun. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, daß die Gegen
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seite allmählich ein Bild über die Vorgänge bekam. Es ließ sich nur verzögern. Der Admiral auf dem Träger »Eisenhower« sprach täglich zweimal mit dem Pentagon. »Auf der anderen Seite«, sagte er, »sitzen ja auch Fach leute mit einiger Erfahrung. Sie werden Stein für Stein zusammensetzen und es bald wissen.« »Natürlich werden sie bald etwas wissen. Aber ob es auch das Richtige ist.« »Eine Frage ihrer Intelligenz.« »Und unserer Gegenmaßnahmen.« »Wurden welche ergriffen?« vergewisserte sich der Admiral. »Alle nur denkbaren.« »Welcher Art?« fragte der Admiral auf dem Träger »Eisenhower«. »Vorausgesetzt, ich durfte überhaupt darüber reden«, erwiderte sein Gesprächspartner, »dann nicht per Funk. Bis jetzt sind nur drei Personen eingeweiht.« »Na, dann behalten Sie es besser für sich«, erwiderte der Admiral. »Und Sie, Admiral, schützen bitte die Operation, ohne daß mehr Blechschaden als notwendig an den Sowjets und ihren Verbündeten verursacht wird,« »Okay, wir verscheuchen ihre Aufklärer mit der Gum mischleuder«, schnaubte der Admiral. »Sie hören von mir, wenn es etwas Neues gibt, Senator.« Eine ganze Woche gab es wenig Neues mit Ausnahme der Tatsache, daß die Russen immer dreister wurden.
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Aus diesem Grunde mußten sie auch den Einsatz von »Dark-eye« bei Nacht vornehmen. Das Sonderschiff S-33 hatte nämlich auf 600 Meter Tiefe ein neues Objekt geortet und vermessen. Es entsprach nach Größe und abstrahlender Magnetfeldstörung genau dem, was sie suchten. Deshalb machten sie »Dark-eye«, oder auch »Schwarz auge«, wie das bemannte Tiefseesuchgerät hieß, klar zum Ausschwenken. Dabei handelte es sich um ein Mini-U-Boot, versehen mit Scheinwerfern, Kameras und Greifzangen, das in Tiefen vordringen konnte, in denen jedes konventionelle U-Boot wanzenplatt zerdrückt worden wäre. * In einer mondlosen Aprilnacht wurde das 40 Tonnen schwere »Dark-eye« an den großen Davits außenbords geschwenkt und weggefiert, bis es schwamm. Die Besat zung stieg ein, die Trossenhaken wurden gelöst. Nach letzten Checks tauchte das Tiefseeauge der USFlotte in den Ozean hinab. Geplant war, daß es bis zur nächsten Dunkelheit, also wenigstens 21 Stunden, unsichtbar für sowjetische Auf klärer, dort bleiben würde. Die Batterien reichten solange, ebenso der Luftvorrat. In der nächsten Nacht kam das Tauchboot wieder her auf. Die Akkus wurden geladen, die Sauerstoffvorräte ergänzt, die Besatzung gewechselt. Dieser Rhythmus wurde vier Tage lang beibehalten. In
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dieser Zeit suchte »Dark-eye« 20 Quadratmeilen des Mee resbodens ab und hielt alles, was dort lag, über Fernseh kameras auf Videobändern fest. Auf Sonderschiff SS-94 wurden die Bänder ausgewer tet. Ohne Ergebnis. Man fand neue Felsformationen, ein tiefes Riff und moderne Seglerrümpfe, aber nicht das, wonach man such te. Dann kamen Tage mit schwerer See und heftigen Stürmen. In dieser Zeit konnte »Dark-eye« nicht einge setzt werden. Als sich das Wetter besserte, stellte sich heraus, daß der Tiefenruderstellmotor des Tauchbootes defekt war. Ein Jet brachte das Ersatzteil von der Werft in Boston zum Träger. Die Reparatur kostete wertvolle Zeit, und Wa shington drängte. Man brauchte dringend Ergebnisse. Die täglichen Ko sten der Operation beliefen sich auf nahezu eine Million Dollar. Hinzu kam, daß sich jetzt schwere Einheiten der sowjetischen Flotte vom Mittelmeer und vom Eismeer in den Atlantik vorschoben. In etwas weniger als einer Wo che konnten die Sowjets die US-Flotte eingekreist haben. Während sich die Situation allmählich so verhärtete, daß man in Washington schon den Abbruch der Operati on in Erwägung zog, entdeckte ein Videotechniker auf einem der »Dark-eye«-Bänder etwas Ungewöhnliches. Mit Spezialgeräten wurde das gesichtete Objekt ver größert. Dann lief S-33 die errechnete Position an und ließ einen Panzertaucher hinab.
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Wenige Stunden später lief auf dem Träger »Eisenho wer« ein Signalspruch ein. Er wurde dem Admiral beim Lunch in der Messe überbracht. Der Admiral las, erhob sich und verkündete seinen versammelten Offizieren das Ergebnis mit knappen, aber bewegten Worten. »Gentlemen«, sagte er, »S-33 meldet positiv. Wir ha ben es!« 7. Bob Urban verließ den klapprigen Zug an einer Eisen bahnstation, die sich nur deshalb so nannte, weil zufällig eine Schiene an einem Schuppen vorbeiführte. Bei dem Schuppen stand ein Polizist, der ihn behan delte, als käme Urban aus einem Sträflingstransport. Ge stenreich forderte der Türke von Urban, die Reisetasche zu öffnen. Urban war nicht ganz schutzlos nach Anatolien gefah ren. Unter der Wäsche lag seine Mauser 7,65. Er weigerte sich also, die Tasche zu öffnen. »Sie sind kein Zollbeamter«, sagte er. Mit einer Drohgebärde legte der Polizist die Hand auf seine Dienstwaffe und nahm eine breitbeinige Stellung ein. »Dann kommen Sie mit zum Revier.« Urban verstand ein wenig Türkisch, zeigte es aber nicht, sondern demonstrierte dem Polizisten, daß er bei ihm an der falschen Adresse war. Er zog seinen Paß.
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Doch der Türke tat, als könne er nicht lesen. »Mitkommen!« zischte er. Nun griff Urban in die Sakkotasche und entnahm ihr einen bereitliegenden Geldschein amerikanischen Ur sprungs in Grün, mit einer Zehn darauf und dem Kopf eines US-Präsidenten. Plötzlich konnte der Polizist sehr gut lesen und griff nach der Banknote. Urban war jedoch der Meinung, daß der Polizist die Dollars nicht verdient hatte und steckte den Zehner wie der weg. Daraufhin packte ihn der Türke beim Arm und ver suchte ihn zu seinem Streifenwagen zu ziehen. Urban sperrte sich dagegen wie ein störrischer Hund, schüttelte den Griff ab und hielt dem Türken einen aufge falteten Schrieb vor die Augen. Doch der nahm ihn nicht zur Kenntnis. »Sie wissen, was ein Dollar ist«, erklärte Urban, »also kennen Sie auch das Dienstsiegel des Polizeiministers.« Die Augen des Türken wurden erst schmal, dann rund, dann strich er seinen Schnauzbart nach links und nach rechts und grinste. »Ihretwegen bin ich ja hier«, wurde er mit einemmal freundlich. »Immer erst den wilden Mann spielen. Warum nicht gleich«, bemerkte Urban. Sie gingen zu dem uralten Ford, der wirklich nur in Anatolien Chancen hatte, eine TÜV-Plakette zu bekom men.
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»Wie war Ihre Reise?« fragte der Polizist. * Urbans Reise war alles andere als fabelhaft gewesen, aber er hatte sie unternehmen müssen. Angefangen hatte es mit dem Foto der schlanken weiblichen Person, die den Griechen Baucis auf seinem Landsitz besucht hatte und dann per Hubschrauber mit ihm abgeschwirrt war. Keine fünfzehn Stunden nach der Aufnahme, in Athen war gerade Mitternacht vorbei, hatte Urban diesen Anruf aus, München erhalten. »Die Lady heißt Ireen Backer«, wurde ihm gemeldet, »aus London.« »Also tatsächlich Engländerin.« »Sie befindet sich vollinhaltlich im BKA-Computer. Aber nicht nur das. Wir haben sie sogar in unserer Handkartei mit Starfoto und allem was dazu gehört.« Urban war müde und bat den Kollegen aus dem Hauptquartier, er möge zur Sache kommen. »Ireen Backer, geboren 1954 in London, gehörte einige Jahre zum weiblichen Agenten-Corps von Lord Ba bingthons MI-6. Sie wurde dort ausgebildet, galt als viel versprechende Spitzenkraft, sah dann aber wohl eine Möglichkeit, mehr als nur zehntausend Pfund pro Jahr zu verdienen, stieg aus und machte sich selbständig.« »Gewiß nicht in der Gemüsebranche.«
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»Sie eröffnete ein Büro, das sich vorwiegend mit der Organisation von Fluchthilfe befaßte.« »Sag bloß, sie half auch den Posträubern aus dem Zuchthaus.« »Kaum. Sie macht es ein paar Nummern größer. Sie holt politische Gefangene aus Gefängnissen und Strafla gern.« »Die hinter dem Eisernen Vorhang liegen«, ergänzte Urban. »Hinter allen Vorhängen. Ob aus Eisen, Bambus oder Chinaseide. Für sie zählt nur die Höhe des Honorars. Dabei hatte sie eine Reihe beachtlicher Erfolge zu ver zeichnen. Sie holte schon Leute aus Sibirien und China, an deren Rettung die Geheimdienste blutig gescheitert wa ren.« »Dann hat sie es auch auf Soleman abgesehen.« »Bei einem Angebot von fünf Millionen Dollar; wen wundert das.« »Wie arbeitet sie?« »Weitgehend im Rahmen der Gesetze. Wo sie übertritt, tut sie es vermutlich mit der nötigen Diskretion.« »In Athen wirkte sie mit einem Ganoven namens Bau cis zusammen.« »Sie bedient sich immer ortskundiger Partner« Urban übermittelte kurz, wie er die beiden verloren hatte München versprach, nach besten Kräften helfen zu wollen Am nächsten Tag suchten sie alle Flugcharterun ternehmen um Athen herum, soweit sie über Helikopter verfügten, auf.
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»Es war ein Bell Longranger«, betonte Urban immer wieder »Und da drüben steht einer Silber mit roten Strei fen« »Es war hellblau mit roten Streifen, glaubte sich Ma tiasos zu erinnern »Silber kann bei bestimmten Lichtverhältnissen die Farbe von Hellblau reflektieren.« Sie stiegen aus und gingen zu der Baracke am Rand des kleinen Sportflugplatzes. Drinnen saß eine Angestell te, die sie recht unfreundlich durch die Brille betrachtete. »Kann man den Bell kriegen?« fragte Urban. »Nur mit Piloten » »Schon, dann rufen Sie ihn. Wir haben es eilig.« Das Madchen zog eine Karteikarte und studierte sie »Die Maschine muß noch in die Wartung. Hat es bis mor gen früh Zeit?« »Kam sie erst zurück?« fragte Urban »Ja, von einem Langstreckenflug in den Norden.« »Im Auftrag von Mister Baucis?« Die Angestellte schnappte jetzt muschelartig zu. »Wir geben keine Auskünfte über Kunden!« Nun sprang Matiasos ein und zeigte irgendeinen Aus weis »Polizei!« schnarrte er »Name und Adresse des Pilo ten, bitte.« Urban schob der Angestellten Block und Bleistift hin »Schreiben Sie, wenn Sie keinen Ärger haben wollen« Doch sie ließ sich nicht einschüchtern »Wir übernehmen keine illegalen Aufträge.«
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»Mag sein«, entgegnete Urban »Außer Baucis gab es aber noch einen Passagier. Eine weibliche Person die von Interpol gesucht wird. Wo brachten Sie die Dame hin?« Das Mädchen kam ins Stottern. »Sie flog nicht mit zurück, glaube ich.« »Also Beihilfe zu illegalem Grenzübergang«, konsta tierte Matiasos. Hinter ihnen entstand ein Knarren, als wurde die Schließfeder einer Tür gespannt. »Du hältst den Schnabel, Marina!« rief jemand. Ein Bursche in hellen Jeans und Fliegerjacke aus Rindsleder mit Pelzkragen stand da. »Polizei«, warnte ihn die Angestellte. »Ihre Kennmarken!« forderte der Pilot. Urban griff in die Tasche. Die Kennmarke, die er dem Piloten zeigte, war grün und trug die Zahl fünfzig. Er reichte sie ihm und bekam sie nicht mehr zurück, was ihn erleichterte »Wir sprechen besser draußen«, schlug der Pilot vor. Im Freien erfuhren sie dann alles, was er wußte. Eine Stunde später hatte Urban das Hotel in Rodopo lis wo Baucis und die Backer übernachtet hatten, am Draht. Er gab Druck und hörte, daß die Engländerin am nächsten Mittag den Jeep zurückgegeben und ein Taxi gemietet habe. Dies mit der Absicht, sich zur türkischen Grenze bringen zu lassen. Urban legte auf und dachte nach. »Dann hat sie oben in der Berghütte etwas gefun den«, sagte er. »Denn aus Jux fährt sie nicht in die Türkei. Erst recht nicht auf schnellstem Wege.«
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»Diesen Albino hat sie offenbar abgehängte »Tüchtige Person, das muß man ihr lassen.« Urban rief München an. Der Präsident setzte sich auf der NATO-Schiene mit dem türkischen Geheimdienst in Verbindung. Einen Tag später wußte Urban, daß Ireen Backer von Istanbul nach Ankara geflogen und von dort in ein Nest in Anatolien weitergereist war. Die Türken sagten ihnen jede Unterstützung zu. Noch am selben Abend packte Urban in Athen seine Reisetasche. * »Meine Reise«, antwortete Urban dem türkischen Pro vinzpolizisten, »wurde durch die Wetterlage beeinträch tigt. Die Brücke zu Ihnen herauf, so sagte man mir, sei durch das Hochwasser im Fluß unterspült worden und unpassierbar. Ich mußte also den Zug nehmen. Und der ist wirklich Luxusklasse.« Der Polizist fuhr in den Ort hinein, hielt vor dem Cafe und wollte dem deutschen Kollegen Gutes in Form eines Mokka erweisen. Urban bat, erst das Dienstliche zu erledigen. »Warum sind Sie hier?« »Kennen Sie Yzöngü?« »Nach ihm fragte vorgestern schon eine Dame, und nach der Dame fragte das Ministerium.« Urban beschrieb Ireen Backer. Der Polizist bestätigte, daß sie es gewesen sei.
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»Sie hatte noch Glück. Sie kam mit dem Bus durch.« »Dann hat sie einen Vorsprung, den wir einholen müssen.« »Und was, bei Allah, wollen Sie alle bei Yzöngü, die sem ungläubigen Hundesohn?« Urban hätte zugeben müssen, daß er das selbst nicht wußte. Also schwieg er und tat, als sei er Sherlock Hol mes oder wer weiß wer. »Yzöngü hat hier wohl alles in der Tasche«, vermutete er laut. »Alles und alle. In den letzten zwanzig Jahren kaufte er das ganze Tal auf. Häuser, Höfe, Äcker, Vieh. Zuerst wußte keiner, warum. Dann stellte sich heraus, daß mit der Erde, die unter dem Humus liegt, ein wichtiges Mate rial hergestellt werden kann.« »Aluminium«, tippte Urban. Der Polizist nickte. »Dann ist es Bauxit.« »Jetzt ist er stinkreich und fährt jedes Jahr ein neues Auto. Oben am Meer hat er sogar ein Schiff. Wenn er nicht zu alt dafür wäre, hätte er wohl noch Fliegen gelernt und sich eine Maschine gekauft.« Urban erfuhr immer neue Einzelheiten über diesen wenig beliebten Mann. Auch, daß der Polizist nicht gerne zu dem Grubenbesitzer fuhr. Aber in dem Schrieb aus Ankara stand, daß Urban jede Unterstützung zu gewäh ren sei. Sie verließen die kleine Stadt. Nach vier Kilometern auf der Teerstraße sah Urban etwas, das ihn an Goldmi
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nen in Western-Filmen erinnerte, Hütten, primitive För dertürme, Abraumhalden. Mitten im Dreck trafen sie einen bärenstarken grau haarigen Mann in Schaffelljacke und kniehohen Stiefeln an. Es dauerte einige Zeit, bis er die Debatte mit seinem Fahrer und dem Vorarbeiter beendet hatte. Als er im Be griff war, seinen Mercedes zu besteigen, vertrat ihm Ur ban den Weg. »Mercedes 380-S dunkelblau«, sagte Urban. »Gefällt er Ihnen? Wurde erst vor drei Tagen gelie fert.« Urban bückte sich, schaute auf das Armaturenbrett und bemerkte: »Haben Sie, ein Liramillionär, es nötig, gebrauchte Fahrzeuge zu kaufen?« Der Grubenbesitzer lief rot an. »Was kümmert euch das.« Außerdem hatte der Mann euch gesagt. »Meine Kollegin aus London hat sich schon dafür in teressiert«, äußerte Urban im Ton einer Feststellung. »Das Geschäft war legal.« »Aber nur von Ankara ab«, schränkte Urban ein. »Das Fahrzeug wurde in Athen gestohlen und zur Entführung eines Politikers verwendet.« »Sie sind ja wohl im Kopf nicht klar«, rief der Türke. »Der Wagen ist jedenfalls beschlagnahmt«, erklärte nun der Polizist, offenbar froh, es dem gehaßten Gruben besitzer endlich zeigen zu können.
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»Nicht, bevor ich meinen Anwalt angerufen habe«, protestierte dieser. »Dann muß ich Sie festnehmen«, beharrte der Polizist. Nun entsann sich der Anatolier seiner angeborenen Schläue. Er zog Urban, den er für den Macher hielt, bei seite. »Können wir uns einigen?« »Sicher«, zeigte sich Urban verhandlungsbereit. »Sie erzählen mir alles, was Sie wissen, von wem und wo Sie den Wagen kauften und jedes Wort, das die Engländerin sagte. Außerdem stellen Sie mir den Wagen zur Untersu chung zur Verfügung.« »Zerlegen Sie ihn?« »Nur ein bißchen.« . »Und bauen ihn wieder zusammen.« »Makellos und ohne Kratzer.« Dann sprach Urban mit dem Polizisten. Der gab sein Okay. Daraufhin ging der Polizeibeamte mit dem Grubenbe sitzer ins Haus auf einen Kaffee, und Urban nahm sich den Mercedes vor. * Auf der Rückfahrt fragte der Polizist: »Etwas gefunden?« »Ich entdeckte die Stelle, wo meine Vorgängerin etwas fand. Es muß dort gewesen sein, wo die Gummidichtung der rechten vorderen Tür an der Verkleidung anliegt.
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Eine Klemme war gelöst und nicht mehr richtig einge drückt.« »Was kann man dort verstecken?« »Aufzeichnungen.« »Und die wollen Sie kriegen?« »Ich versuche es.« »Hat die Dame sie?« »Vermutlich.« »Ihr Vorsprung ist groß.« Urban schaute auf die Uhr. »Wann ist der Rückzug fällig?« »Er ist schon durch.« »Hat er nie Verspätung?« »Meistens.« »Dann fahren Sie schneller, verdammt!« fluchte Urban. Er bekam den Zug nach Ankara, die einzige Chance aus diesem abgeschnittenen Talkessel herauszukommen, nur, weil dem Zug mehrere Bauxit-Wagen angehängt wurden. Der Polizist stand ein wenig ratlos dabei. »Was mache ich jetzt mit Yzöngü?« »Sie müssen hier leben und Dienst machen«, sagte Ur ban, »verhalten Sie sich so, daß das nicht zur Hölle wird. Der andere hat die Macht. Sie haben nur das Gesetz hinter sich, und das ist hier so dünn wie der Telefondraht zur nächsten Station.« »Wir sollen ihm den Wagen lassen?« »Ihr Problem.« »Ich muß also keine Meldung erstatten?«
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Urban steckte sich eine MC an. »Wie lange sind Sie schon hier?« »Vier Jahre.« »Und Ihr Vorgänger?« »Starb mit einer Kugel im Bauch.« »Wessen Kugel?« Der Polizist hob die Hand. Er wußte es nicht. Urban hob die Schulter. Er wußte auch keinen Rat. Dann stieg er ein. * In Istanbul hatte Bob Urban die Engländerin soweit ein geholt, daß er mit ihr in der gleichen Lufthansamaschine nach München flog. Nach einer Reihe von Pannen sah er darin die erste Chance, Punkte zu sammeln. Durch Mitwirkung der Stewardeß bekam er den Platz neben Ireen Backer. Die Boeing 727 rollte noch zum Startpunkt, als sie ihn fragte: »Kennen wir uns nicht?« »Was mich betrifft«, antwortete Urban, »hatte ich be reits vor wenigen Tagen das Vergnügen, Ihnen zum er sten Mal zu begegnen, Madam.« »Nein, wirklich?« Die Unterhaltung endete vorerst im Brausen der Trieb werke. Minuten später, als sie oben waren und der Dü senlärm nachließ, nahm die Engländerin das Gespräch
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wieder auf. Sie wirkte dabei beherrscht bis zu den Finger spitzen. Diese vibrierten allerdings ein wenig. »Wie darf ich das bitte verstehen?« Urban gab ihr Feuer zu ihrer dunkelbraunen Zigarette. »Sie flogen mit Baucis vor meiner Nase davon.« Nun lächelte sie maskenhaft. »Und wer bitte ist Baucis?« »Der Bursche, der außer Ihnen…« Urban setzte neu an und gab es ihr jetzt voll: »…der außer Ihnen noch als Mörder für den Griechen Adonos in Frage kommt.« Sie schnappte nach Luft. Zumindest war es mehr als nur ein heftiger Zug aus der Zigarette. Aber dann über spielte sie diesen Vorwurf höchst lässig. »Er war schon tot. Dafür gibt es Zeugen.« Jetzt bluffte Urban drauflos. »Den griechischen Behörden genügen Ihre Zeugen of fenbar nicht. Sie haben Baucis festgenommen. Und für Sie, Gnädigste, dürften mittlerweile in allen europäischen Ländern Fahndungsersuchen vorliegen.« Nun erblaßte sie deutlich. Die einzige Farbe in ihrem Gesicht waren die grünen Augen, das Tizianhaar und der rote Mund. »Das ist nicht wahr.« Urban schaute demonstrativ auf die Uhr, »Sie können dieses Flugzeug nicht mehr verlassen. In zwei Stunden landen wir in Riem. Dort werden wir ja sehen, wer am Rollfeld steht, um Sie in Empfang zu neh men.« Nervös drückte sie die Zigarette im Ascher aus.
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»Wer sind Sie?« herrschte sie ihn an.
»Dachte, Sie kennen mich.«
»Interpol?«
Urban machte eine Daumenbewegung zur Decke.
»Greifen Sie ruhig eine Etage höher.«
»Bundesnachrichtendienst«, kam es gepreßt aus ihrem
Mund. »Das konnte ich mir denken, daß die NATO hinter dem Sonderbotschafter her ist.« »Genau wie Sie, Gnädigste. Nur tun wir es nicht aus finanziellen Motiven.« »Sind solche Gründe etwa strafbar?« »Nun, Sie werden schon einen Dreh finden. Miß Bak ker, um sich da freizustrampeln.« Sie blickte zum Bulleye hinaus. »Der Scout war schon tot.« Ihre Lippen bewegten sich dabei kaum. »Und warum waren Sie zweimal dort?« »Weil ich dachte, Baucis führe mich hinters Licht.« »Warum sollte er?« »Wer kennt die Ganoven? Nichts im Sinn als Money.« »Geld verdirbt den Charakter«, sagte Urban. »Aber beim zweiten Mal waren Sie vor Baucis da.« »Woher wissen Sie das?« »Vom Hubschrauberpiloten.« »Geld verdirbt den Charakter«, wiederholte sie Urbans Worte. »Es waren nur fünfzig Dollar. Für Sie geht es um fünf Millionen. Sie waren also vor Baucis in der Hütte. Und was fanden Sie?«
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»Nichts.« »Nun, der Hinweis auf die Spur des Mercedes in die Türkei ist ein bißchen mehr als nichts. Gnädigste.« »Na schön. Sie haben ihn nach Anatolien verschoben. Der Erlös stellte das Honorar des Pfadfinders dar.« »Das genügte Adonos aber nicht, denn es verstieß ge gen die Abmachungen. Deshalb fertigte der Notizen an, über das, was er während der Fahrt nach Norden, als er die Entführer nach Bulgarien lotste, aufgeschnappt hatte.« »Was weiß ich, was ein Mann, der tot ist, einmal dach te«, erwiderte die Engländerin unwirsch. »Warum durchsuchten Sie den Mercedes so eifrig.« »Weil es an Fahrzeugen dieser Art immer Hinweise gibt.« »Die Klemme, mit der die Zündung kurzgeschlossen war«, erwähnte Urban, »ist sowjetischen Ursprungs. Die im Ascher eingezwickte Zigarettenkippe stammt von einer Papirossa, und der Kaugummi ist aus Budapester Produktion.« »Das wissen Sie auch?« »Ich war ebenfalls in Anatolien, Gnädigste«, fuhr Ur ban fort, »und ich fand auch die gelöste Metallklammer der Innenverkleidung rechts. Rechts, das ist die Beifahrer seite, wo der Pfadfinder zu sitzen pflegt, wenn man einen anheuert.« »Aber da war nichts«, beharrte Ireen Backer. »Vielleicht«, antwortete Urban, »fällt es Ihnen wieder ein, wenn Sie in München in Auslieferungshaft sitzen,« Sie blieb hartnäckig, bis sie die österreichischen Alpen
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überflogen. Dann schien sie sich zu erinnern. »Ein paar Gesprächsnotizen«, sagte sie, »nichts weiter.« »Welchen Wortlauts?« »Die Entführer unterzogen den Sonderbotschafter ei nem ersten Verhör.« »Über seine Mission in Indien?« »Er sagte wenig.« »Und was sagte er?« »Ich glaube, es ging um eine Flottenansammlung der US-Marine im Atlantik. Soleman erklärte es mit vorgezo genen Frühjahrsmanövern, glaube ich. Der Scout notierte nur Stichworte.« Urban fand diesen Punkt höchst interessant. Wenn sich die KGB-Entführer als erstes nach dem Grund von Flottenmanövern im Atlantik erkundigten, dann mußte ihnen das Problem auf den Nägeln gebrannt haben. Die Fragen wurden meist in der KGB-Zentrale zusammenge stellt. Urban versuchte daraus einen logischen Schluß zu ziehen, verwarf aber das Ergebnis sogleich wieder. »Wo brachte Adonos sie hinüber?« »Auf einer alten Paßstraße, die die Engländer im letz ten Krieg anlegten.« »Und warum holte er seine Notizen nicht aus dem Mercedes-Versteck?« »Möglicherweise war die Kugel, die ihn tötete, schnel ler.« »Die Kugel, die Adonos als Mitwisser beseitigte.« »So ist es.« »Wie kam der Wagen in die Türkei?«
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»Ein Händler holte ihn ab. Seine Adresse und Telefon nummer war in Adonos’ Medaillon gekritzelt.« Auf das Einheits-Lufthansa-Menü legte Urban keinen Wert. Er ließ sich dafür ein Glas Champagner servieren. »Und in Anatolien«, bemerkte er sarkastisch, »war Ende der Fahnenstange.« »Ganz oben saß ein Russe und lachte«, witzelte die Engländerin. »Eine ziemlich teure Erkenntnis. Fünf Mil lionen Dollar adieu.« Der Champagner belebte Urban. »Wenn ich etwas erfahre, was Ihnen hilft, schreibe ich Ihnen.« »Äußerst liebenswürdig. Sollte ich auf Grund Ihrer Ansichtskarte John S. Soleman doch noch befreien kön nen, dann teilen wir. Okay?« »Ich darf mit Ausnahme von kleinen Geschenken zu Ostern oder Weihnachten nichts annehmen.« »Wie wär’s«, deutete sie ah. »Womit?« Sie schlug die Beine übereinander, ihre Beine waren so schlank wie sie, lang und rassig. »Wie wär’s, wenn Sie an Weihnachten nach London rüberkämen. Dann dürfen Sie mal mit mir schlafen.« Urban nickte. Doch dann stellte er eine Forderung. »Zweimal«, sagte er. In München stand kein Mann von der Kripo. Ireen Ba cker konnte ungehindert das Flugzeug verlassen und die Maschine nach London nehmen. Aber fortan stand sie unter Kontrolle.
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8.
Die CIA hielt, aus welchen Gründen auch immer, nicht geheim, daß sie den entführten Sonderbotschafter noch in Bulgarien vermutete. Von der Soleman-Division, einer Sonderabteilung in nerhalb der Abteilung Südosteuropa, wurden alle einge henden Hinweise gesammelt. Egal, aus welchen Kanälen die Informationen stamm ten, ob vom eigenen Netz, ob aus der Unterwelt des Bal kan, von Zeitungsberichten oder aus Beobachtungen be fragter Touristen, alle Einzelheiten wurden überprüft und in das Mosaik eingebaut, bis es bildhafte Formen annahm. Jeden Abend fand eine Besprechung der Verantwortli chen statt. »Die Tageslage stellt sich wie folgt dar«, referierte der Leiter der Soleman-Division. »Der Sonderbotschafter be findet sich offenbar noch in einem Höhenkurort im bulga risch-griechischen Grenzgebirge.« »Gestern hieß es, man habe ihn nach Moskau ge bracht«, wurde eingewandt. »Das stellte sich als Irrtum heraus. Das Sonderflug zeug holte den bulgarischen Parteichef zu einer Sitzung in den Kreml.« »Was für Gründe können vorliegen, daß Soleman noch in Bulgarien weilt?« Leiter der Sonderdivision auf Vermutungen angewie sen. »Soleman wurde«, so referierte er, »in Athen mit einer
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gestohlenen Mercedes-Benz-Limousine, die obendrein deutsche Kennzeichen trug, entführt. Mit Hilfe eines orts kundigen Scout wurde er nach Norden geschafft und vermutlich nahe der Stadt Rodopolis über das OrosGebirge gebracht. Dort verläuft eine wenig bekannte Paß straße nach Bulgarien. Im Zweiten Weltkrieg von den Engländern gebaut, diente sie später den Russen für Waf fentransporte an die Kommunisten. Auf der Paßhöhe steht ein bulgarisches Grenzfort. Dort dürfte ein Hub schrauber den Sonderbotschafter übernommen haben.« »Woraus schließt man das?« Der Referent fuhr fort: »Das Entführungsfahrzeug kehrte vermutlich deshalb um, weil die Paßstraße ins bulgarische Petric nicht für Limousinen passierbar ist.« »Gibt es noch andere Gründe?« lautete eine Zwischen frage. »Das Entführungsfahrzeug zurückzuschicken, ist für einen Geheimdienst doch absolut unprofessionell. Schon wegen der Gefahr der Spurenerkennung.« »Der Scout hatte wohl den Auftrag, es verschwinden zu lassen.« »Tat er das?« »Er verkaufte den Mercedes an einen Autoschieber, der ihn in die Türkei brachte.« »Und das erfuhr der KGB nicht?« »Der Scout wurde wenige Tage später, als er sich mit Freunden auf die Jagd begab, erschossen.« Die Fragen wurden härter, die Antworten jedoch im mer verschwommener.
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»Wurde Sonderbotschafter Soleman per Flugzeug wei ter transportiert, weil es per Automobil nicht möglich war, oder sind noch andere Gründe denkbar?« »Andere Gründe sind immer denkbar, Sir.« »Welche?« »John S. Soleman hatte ein schwaches Herz.« »Daran leiden wir doch alle. Der Streß macht uns fer tig.« Ein anderer Sitzungsteilnehmer bemerkte höhnisch: »Und einen herzkranken Mann ernennt unsere Regie rung zum Sonderbotschafter für Indien! Na, fabelhaft!« »Man setzt uns ja auch ein«, wurde entgegengehalten, »um ihn zurückzuholen, obwohl wir alle, wie Jim Ed wards soeben erklärte, streßgeschädigt sind. Außerdem war die Krankheit bei Soleman nicht akut. Die Ärzte dia gnostizierten eine abklingende Herzmuskelentzündung. Damit kann man hundert Jahre alt werden.« »Aber bei Lebensgefahr kann es zu Herzrhythmusstö rungen kommen.« Man einigte sich darauf, anzunehmen, daß der Weiter transport Solemans per Helikopter aus Gesundheitsgrün den erfolgt sei. Nun kam der Leiter der Soleman-Division zum näch sten Punkt. Mit dem Finger auf die Karte deutend, sagte er: »Letzten Informationen zufolge hält sich Soleman hier in dieser Gegend auf. Der Ort heißt Parmovay und liegt in den Waldhügeln oberhalb des Flußtales der Strumesnica. Es gibt dort mehrere Sanatorien für überarbeitete Funk
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tionäre Häuser, die wegen ihrer Ruhe, ihrer guten Luft und der hervorragenden medizinischen Ausstattung sehr beliebt sind.« »Und wohl auch hervorragend gesichert sind.« »Das ist anzunehmen, Gentlemen.« Beim letzten Punkt der Tagesordnung drehte es sich ausschließlich darum, ob es möglich sei, durch ein Kom mandounternehmen John S. Soleman zurückzuholen. * Die CIA-Zentrale setzte einen ihrer Ostblockagenten von Sofia aus Richtung Strumesnica-Tal in Marsch. Einen Tag später kam die Bestätigung, daß sich eine scharf bewachte Persönlichkeit in einem der Waldsanatorien aufhalte. Nach Meinung der Bevölkerung handle es sich um einen hohen Wirtschaftsfunktionär, möglicherweise sogar um den Minister, der sich einer Herzoperation habe unterzie hen müssen. Da der genannte Politiker am gleichen Tag an der Sit zung des bulgarischen ZK teilnahm, lag der Schluß nahe, der Operierte sei John S. Soleman. Höhenaufklärer, gestartet von einem Träger der 6. USFlotte, fotografierten das Grenzgebiet und lieferten Auf nahmen, anhand derer die Generalstabskarten auf den neuesten Stand gebracht wurden. Dabei stellte man fest, daß das Strumesnica-Gebiet jetzt weitgehend schnee- und eisfrei war An einigen Straßenabschnitten hatten die Arbeiten zur
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Beseitigung der Winterschaden begonnen. Speziell am autobahnähnlichen Zubringer von Sondanski über Petric in das Erholungsgebiet wurde gebaut. Auch die alten Eisenbahnbrücken wurden überholt und die Tunnelzufahrten. Wenig später machten die Luftbildauswerter der CIA eine außerordentlich interessante Entdeckung. Auf einem Nebengleis des Bahnhofs Parmovaj war ein Sonderzug, bestehend aus drei Wagen und einer Lokomotive, abge stellt. Die Waggons verfügten über Klimaanlage, was man aus den Radiatorenkästen auf den Dächern schloß. Bei einem der Wagen, nämlich bei dem mittleren, bestanden die Fenster aus verspiegelten Scheiben. Unter dem kö nigsblauen Lack der Seitenteile zeichnete sich ein Kreuz ab. »Der Waggon muß aus einem ehemaligen Lazarettzug stammen«, vermutete der Chefauswerter. »Das rote Kreuz im weißen Feld wurde überspritzt, aber das Falschfarben foto macht es sichtbar.« »Dann ist der Wagen auch heute noch für Kranken transporte geeignet.« »Vermutlich hat man ihn mit einer Intensivstation ausgestattet. Bei den Eisenbahnen im Ostblock gibt es gewöhnlich keine Klimaanlagen.« Die Sache wurde bei der nächsten Einsatzkonferenz besprochen. Man kam zu dem Ergebnis, daß schon in allernächster Zeit der Transport eines prominenten Kran ken geplant sei.
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»Dafür kommt nur eine ganz bestimmte Person in Be tracht«, meinte der Leiter der Soleman-Division, »denn von einer Seuche, einer Epidemie oder einer Unfallkata strophe ist uns nichts bekannt.« »Und diese eine Person ist unser Sonderbotschafter.« Der bis ins kleinste ausgearbeitete Plan wurde heraus geholt. »Einen größeren Gefallen, als den Sonderbotschafter per Salonwagen aus der schwer zugänglichen Sperrzone zu bringen, können sie uns gar nicht erweisen«, erklärte der Bulgarien-Experte. Die Bahnlinie wurde Meile für Meile, Viadukt für Via dukt, Tunnel für Tunnel, Kurve für Kurve, auf Tauglich keit hin überprüft. Jede Steigung jedes Gefälle wurde berücksichtigt sowie die Fahrgeschwindigkeit des Zuges geschätzt. »Hier«, sagte der Leiter der Sonderdivision, »hier, Gentlemen, hier könnte es gehen. Wenn es überhaupt geht, dann nur hier.« Die Vorbereitungen erreichten die letzte Phase. Doch dann, 45 Stunden später, lief eine Meldung ein, die die Verantwortlichen plötzlich zögern ließ. * Die Weltpresse brachte es mit Schlagzeilen. Die Zeitungen im Ostblock nannten es einen bedauer lichen Unfall, bei dem durch großes Glück lediglich Sach schaden entstanden sei.
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Die italienischen Journalisten wußten es schon ein we nig besser. Sie verbreiteten, daß die Sprengung einer Ei senbahnbrücke im bulgarischen Strumesnica-Tal einem Sonderzug mit hohen Regierungsmitgliedern gegolten habe. Der Anschlag gehe von Freiheitskämpfern aus. Die Konterrevolution im sowjetischen Großreich sei bereits in vollem Gang. Wochenmagazine und Illustrierte mit hohem Redaktionsetat schickten ihre besten Reporter los und lieferten neue Klänge zu der Hintergrundmusik. Die einen behaupteten, eine kroatische Separatistenbewegung habe von Jugoslawien auf Bulgarien übergegriffen. Durch Terroranschläge wolle man Moskau zwingen, auf Belgrad Druck auszuüben. Andere wiederum wußten es noch genauer. Agenten des Moskauer KGB, so verkündeten sie, hätten die Brücke selbst gesprengt. Auf diese Weise habe man versucht, mißliebige bulgarische Gewerkschafter mit einem Schlag zu beseitigen. Dieser Theorie widersprachen andere Zeitungen. Sie argumentierten, wenn der sowjetische Geheimdienst et was Derartiges versuche, dann habe er auch Erfolg damit. Ein bekannter Leitartikler schlußfolgerte wiederum anders. Er schrieb: Die Art der Durchführung läßt auf eine Kommandooperati on des amerikanischen Geheimdienstes schließen. Die Amerika ner haben gewichtige Gründe für einen solchen Einsatz. Er wurde mit dem für die CIA typischen Aufwand an Material vorbereitet und mit der ebenfalls bei CIA-Operationen üblichen einhundertzehnprozentigen Sicherheit abgewickelt, jener Über perfektion, die meistens zu Mißerfolgen führt. Wir kennen sie
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unter anderem aus der versuchten Geiselbefreiung in Teheran, die bekanntlich in einer Katastrophe endete. Wirklich gut unterrichtete Kreise wollten erfahren ha ben, daß es sich bei den Toten, die die »Terroristen« am Strumesnica-Viadukt zurücklassen mußten, um Ameri kaner handelte. Das sei trotz perfekter Tarnung von In terkrim-Beamten ermittelt worden. Nur Washington schwieg. Zu den immer massiver werdenden Vorwürfen äußerte die CIA-Zentrale Langley kein Wort. Man widersprach den Vorwürfen nicht, de mentierte nicht und gab nichts zu. Weite Kreise fanden das Verhalten der Agency unver ständlich. Die wirklichen Fachleute jedoch hielten sich bei der Beurteilung zurück, solange sie die innersten Zu sammenhänge nicht kannten. 9. Vor Bob Urban drehten sich die Spulen eines Magnet bandgerätes. Der Techniker druckte die Stoptaste. »Das Ganze noch mal«, bat Agent Nr. 18, zog wegen der Hitze im Labor den Glenchecksakko aus und steckte sich eine Zigarette mit Goldmundstück an. Das Band wurde zurückgefahren. »War das ganz legal?« fragte der Techniker. »Jein«, sagte Urban. »Der Verfassungsschutz hat es gemacht, die Kripo hat es gewußt, und der Staatsanwalt hat es geduldet. Und jetzt laß jucken, Kumpel.« Der Mitschnitt begann damit, daß die Telefonistin ei
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nes Münchner Hotels einem Gast meldete, daß der Teil nehmer in Athen gesprächsbereit sei. Die Unterhaltung fand in Englisch statt. Urban steno graphierte sie deutsch mit. Ireen Backer: Was gibt es Neues, Partner? Baucis: Warum haben Sie mich hintergangen? Backer: Wenn ich Sie anrufe, um Ihnen die letzten Erkenntnisse mitzuteilen, kann von hintergehen keine Rede sein. Baucis: Schön, und was gibt es so Wichtiges? Ireen: Ich fand den Fluchtwagen. Fragen Sie mich jetzt nicht, wie. Alles deutet darauf hin, daß der Sonderbotschafter von einer bulgarischen Einheit des KGB entführt wurde. Baucis: Das ist richtig. Er befindet sich noch in einem Sanatorium des Grenzgebietes. Aber nun fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß. Backer: Und der Terroranschlag, von dem man überall liest und hört, galt er Soleman? Baucis: Dazu hätte erst die Absicht bestehen müssen, Mister So leman nach Sofia oder nach Moskau zu bringen. Diese Absicht besteht ganz und gar nicht. Backer:
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Woraus schließen Sie das? Baucis: Es geht ihm hervorragend. Er ist gesund, kann sich völlig frei bewegen und lebt in allem Luxus, den man einem prominenten Staatsgast nur bieten kann. Ab und zu be kommt er Besuch. Es finden auch Unterredungen statt, aber beileibe keine Verhöre. Sie behandeln ihn wie einen Freund. Backer: Man schiebt der CIA den mißglückten Stopversuch des Sonderzuges zu. Sollte sich die Agency so geirrt haben? Das wäre ungewöhnlich. Baucis: Meine Leute entwickeln einen Plan, ihn herauszuholen. Es sind ja nur achtzehn Kilometer Luftlinie. Backer: Aber die haben es in sich. Überlassen Sie das lieber mir. Baucis: Läuft die Ausschreibung noch? Backer: Sie meinen das Fünfmillionenangebot für denjenigen, der ihn lebend zurückbringt. Ich glaube schon. Baucis: Eruieren Sie das bitte, meine Liebe. Backer: Sie erreichen mich in London. Notfalls kann ich in einem halben Tag in Griechenland sein. Baucis: Alles Gute!
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Der Techniker schaltete ab. Urban ging mit dem Stenoprotokoll in sein Büro, ließ es ins reine tippen und war dann mit dem Operationschef verabredet. * Kopfschüttelnd las Oberst Sebastian das Protokoll, das eigentlich nur für den Präsidenten bestimmt war. »Dachte, die Lady sei nach London weitergeflogen.« »Sie entschied sich anders und stieg im Hotel Bayri scher Hof ab.« Der Oberst hob die buschigen Brauen. In letzter Zeit wurde sein Dackelgesicht auffallend schmal. Und wenn er den Mund öffnete, sah es aus, als hebe ein Hund die Lefzen zum Zähnefletschen. »Blicken Sie da noch durch?« »Wenn der Albino die Situation des Sonderbotschaf ters in Bulgarien richtig beurteilt, dann stellt sich die Lage natürlich anders dar.« »Wie stellen Sie sie dar?« wollte der Alte wissen. Um seine Theorie zu erläutern, mußte Urban ausgrei fen. Er tat es, aber mit unsicheren Schritten, denn er mut maßte noch. »Auch Kleinigkeiten sind eingebunden in große Zu sammenhänge.« »Ich höre.« Der Alte lehnte sich zurück, faltete die Hände mit Schwerpunkt in Richtung Galle.
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»Warum haben die Entführer Soleman noch während der Fahrt nach Norden über die US-Flottenübung befragt? Das ist doch einer der Hauptdrehpunkte.« »Nie was von dieser Übung gehört.« »Möglicherweise«, so kombinierte Urban weiter, »kam den Amerikanern die Entführung Solemans gar nicht so ungelegen. Soleman kann darauf programmiert sein, die Russen hinters Licht zu führen.« »Inwiefern?« Urban fuhr fort, langsam und zum Mitdenken für das Gehirn eines Mittsechzigers: »Die Amerikaner wollen die Russen hinsichtlich ihrer Absichten im Sargassomeer einlullen.« »Was faseln Sie da ständig von einer Flottenübung, von Absichten, vom Atlantik?« »Die US-Navy hat unweit der Windward-Inseln eini ges an Schiffen zusammengezogen. Den Träger ›Eisen hower‹, Hilfsfahrzeuge, Zerstörer, Korvetten, und man vermutet auch Bergungsschiffe.« »Ein Manöver?« »Sieht nicht danach aus.« »Wozu dann?« »Über NATO-Brüssel kommt nichts durch.« »Die grillen wieder ihr eigenes Hühnchen.« »Die Frage ist«, bemerkte Urban, »ob es überhaupt Sinn gibt, wenn man sich damit befaßt. Mitgewußt, mit gegangen, mitgefangen, mitgehangen.« »Sagt man in der Mädchenschule. Wir hingegen stellen den Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutsch
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land oder so etwas Ähnliches dar.« Selten vernahm man beim Alten so zynische Töne. Die hatte er nur drauf, wenn er krank war oder sich übergangen fühlte. »Ich fordere genaue Analysen«, schnarrte der Oberst, »und Sie machen ab sofort den Oberanalysator, wenn es beliebt,« Kein Wort fiel darüber, warum Urban, ohne sich ab zumelden, in Griechenland und in der Türkei gewesen war. Wahrscheinlich hatte der Präsident den Oberst ein geweiht. Jedenfalls wurde die Sache übergangen. »Wir sind dabei«, sagte Urban. »Ich sehe trotzdem nicht durch, ob wir da je durch schauen werden?« Urban nahm die blaugoldene MC-Packung, die Streichhölzer und ging. »Bis später!« rief er an der Tür. * Kaum in seinem Büro, läutete der schwarze Hausapparat. Der Präsident war in der Leitung. »Sind Sie allein im Zimmer?« fragte er. »Ich kann sprechen.« »Wie erklären Sie sich«, fragte der Präsident, »daß die CIA die Schuld für einen Terroranschlag übernimmt, den sie gar nicht ausgeführt hat?« »Um Solemans Rolle zu erhärten.« »Sie meinen, daß man im Osten nur einen Mann, den man unter Opfern zu befreien versucht, ernst nimmt.«
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»So ist es.« »Und was soll Soleman den Russen unterjubeln?« »Falsche Informationen hinsichtlich der Aktivitäten der US-Flotte im Atlantik.« Einen Moment herrschte Stille. »Darüber würde ich gern die ganze Wahrheit kennen«, äußerte der Präsident in seiner diplomatischen Art. »Soweit sie sich mir darstellt«, Urban senkte seine Stimme ein wenig, »werden die Amerikaner den ver schwundenen Frachter ›Wadai‹ suchen.« Der Präsident erinnerte sich. »Dieses Goldschiff.« »Das in einen Orkan geriet und verschwand.« »Hat man Sie nicht auf einer Frühkonferenz deswegen verlacht, Urban?« »Sie waren der einzige, der nicht mitlachte, Herr Prä sident.« »Ich finde es auch heute noch nicht komisch«, gestand der oberste BND-Chef. »Und Sie glauben…?« »Daß der Frachter sank. Die Amerikaner suchen ihn, werden ihn finden und heben.« »Na, das gibt einen Haufen Ärger.« »Washington wird behaupten, im Recht zu sein. Das Gold gehört dem ausgebeuteten Angola.« »Und die Kubaner verschanzen sich hinter einem Ver trag mit der neuen angolanischen Regierung.« »Macht bricht Verträge. In Angola haben die Russen die Macht, im Atlantik haben die Amerikaner sie.« »Dann schnallt den Helm fester, Kameraden«, sagte
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der Präsident. »Da kommt ja was auf uns zu. Erst läßt sich die eine Seite die Einmischung der anderen nicht bieten, dann die andere Seite nicht die Maßnahmen der einen.« »So was schaukelt sich gerne auf.« »Und was kann man dagegen tun?« Der Präsident überlegte: »Was also können wir für unsere eigene Si cherheit in Europa tun, falls es sich aufschaukelt. Wie kann man das im Keime ersticken?« Urban äußerte sich höchst vorsichtig. »Indem man das durchführt, was die Amerikaner durchgeführt zu haben vorgeben.« »Soleman?« »Soleman ist der Kasus knasticus.« Der Präsident räusperte sich. »Denken Sie darüber nach«, ordnete er an, »aber spre chen Sie darüber mit niemandem. Nach außen hin norma ler Dienstbetrieb.« Das bedeutete Komplizenschaft mit dem Präsidenten. Urban wußte, der Chef würde ihn decken in allem, was er tat. Aber was geschah, wenn der Präsident ihn nicht mehr decken konnte? Während seiner Tätigkeit für den BND hatte Urban so manchen kommen und gehen gesehen. Sechs Präsidenten, wenn er keinen vergessen hatte.
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Als Oberst Mischa Kasikow, Chef der strategischen Abtei lung im KGB, am Militärflughafen Moskau II den Dienst jet verließ, blickte er ernst, aber auch so, als gäbe es jetzt keine Zweifel mehr. Die schwarze Funktionärslimousine war dicht an die dreistrahlige Jakolew 42 herangefahren, Oberst Kasikow hatte nicht weit zu gehen, und die Wär me des Siebensitzers nahm ihn auf. Besetzt war die Tschaika-Limousine mit drei Mann, den Fahrer vor der Trennscheibe nicht eingerechnet. »Kalt in Moskau«, rief der Oberst fröstelnd. »Willkommen daheim«, antwortete der General, der trotz arbeitender Wagenheizung seine Pelzkappe mit dem roten Stern der Armee trug. »Wie ging’s, Mischa?« Ein Zivilist mit Nickelrandbrille klopfte an die Trenn scheibe. Daraufhin brachte der Fahrer die sieben Meter lange und zweieinhalb Tonnen schwere gepanzerte Li mousine in Fahrt. »Nun, es war nicht umsonst«, erwiderte der aus Bul garien zurückgekehrte Oberst, die Zigarette ansteckend. »Wem galt nun eigentlich der Anschlag auf den Son derzug?« wollte der Adjutant des Generals wissen. »Aus dem Westen sickert durch, daß die CIA eine Beteiligung nicht mit der sonst üblichen Verlogenheit zurückweist.« »Vermutlich, weil sonnenklar ist, daß Anarchisten da hinterstecken, die offenbar von Polen infiziert an einen Umsturz denken. Der Ausfall der Regierung wäre dazu ein willkommener Anlaß.«
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»Und die Toten, was ist mit denen? Soll sich um Ame rikaner handeln.« »Die passen allerdings nicht in das Mosaik«, erklärte Mischa Kasikow. »Jedenfalls haben sie das Viadukt ge sprengt, um den Zug anzuhalten und eine bestimmte hohe Persönlichkeit herauszuholen. Durch eine techni sche Panne war der Zug etwas schneller und die Zün dung erfolgte etwas langsamer. Das addierte sich auf. Das Viadukt barst erst, als der Zug schon vorbei war.« Eine Weile wurde noch daran herumgerätselt, warum sich die Amerikaner so wenig gegen die Vorwürfe wehr ten. Schließlich erklärte man sich ihr Verhalten damit, daß die Amerikaner auf die Tüchtigkeit der bulgarischen Poli zei vertrauten, die die Wahrheit schon ans Licht fördern würde. »Und was sagt John S. Soleman?« kam der General zur Sache. Die Limousine fuhr jetzt die Spartakusstraße stadt einwärts, wobei sie den nur für Funktionärswagen zuge lassenen breiten Mittelstreifen benutzte. »Dem Sonderbotschafter geht es den Umständen ent sprechend gut«, berichtete Kasikow. »Nur ein Problem quält ihn, daß er sein Golfbesteck nicht bei sich hat.« »Sorgen haben diese Amerikaner«, warf der Zivilist ein, ein so unsportlicher Typ, daß er nicht einmal Wett kämpfe im Fernsehen ansah. »Im übrigen beurteilt Soleman seine Lage durchaus realistisch und weiß, wie er sich verhalten muß. Schließ lich ist er unser Gast und wir nicht die seinen.«
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In der Ecke lachte der General kurz und militärisch. »Was wollte er in Indien?« »Es geht um Wirtschaftshilfe.« »Sie werden Indien seine guten Beziehungen zu uns mit Dollarmilliarden abzukaufen versuchen.« »Diesmal bestehen sie auf Kontrolle der Verwendung der Gelder, und das wiederum schmeckt Indien nicht, wo dreißig Prozent jeder Wirtschaftshilfe erst einmal in den Taschen der Regierenden verschwinden. Das sollte Soleman den Herrschaften in Delhi beibringen. Nun, diese schwere Aufgabe bleibt ihm erspart.« Der Zivilist, ein trockener Geheimdiensttechnokrat, fragte: »Wie äußerte sich Soleman zu der Kernfrage?« Der Oberst zog an seiner Schwarzen, drückte sie aus und steckte sofort eine neue an. In der kleinen Wurzel holzbar zwischen den Sitzreihen lagen genug davon. »Soleman bleibt bei seiner Aussage.« »Daß es sich um vorgezogene Flottenmanöver handel te. Schön, aber mit welchem Übungsinhalt?« Nun lächelte der KGB-Sektionschef. »Mit dem Ziel, neue Bergungstechniken zu erproben.« »Und woran, an welchem Objekt erprobt man die?« Der General hatte diese Frage gestellt, obwohl jeder die Antwort zu kennen glaubte. »An einem gesunkenen Frachter.« Die Genossen blickten sich an. »An der ›Wadai‹?« »Oder ›San Fermin‹, wie der richtige Name lautet« »Sie haben das Wrack also gefunden.«
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»Und werden es heben. Mit der ganzen Goldladung.« »Soleman bestätigt das?« Der Zivilist schnarrte: »Das ist Aneignung fremden Besitzes in internationa len Gewässern. Moderne Staatspiraterie nennt man so etwas.« »Falls es ihnen gelingt, die zweihundert Tonnen Gold zu heben.« »Keine Sorge, die schaffen das. Die kamen auch auf den Mond. Amerikaner erreichen alles, was publikums wirksam ist.« Die Tschaika-Limousine wurde sanft abgebremst. Obwohl sie überall freie Fahrt hatte, das Rotlicht am No vaia-Platz bedeutete auch für sie Halt. * Der Adjutant des Generals drehte die Stereolautsprecher in der Fahrerkabine lauter, damit der Chauffeur keine langen Ohren bekam. »Und wie begründen die Amerikaner ihr Vorgehen?« wollte er wissen. »Gar nicht«, befürchtete Kasikow. »Man wird sie hart befragen müssen.« »Sie werden hartnäckig schweigen.« »Dann muß man Protest einlegen.« »Den sie zurückweisen.« »Man wird es bei der UNO auf die Tagesordnung set zen.«
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»Dann legen sie ihr Veto ein.« Der Zivilist, ein Mann, der große Teile der Gehirn masse des KGB auf sich vereinte, gab eine Kurzanalyse: »Falls es je gelingt, der amerikanischen Regierung eine Erklärung abzuringen, wird diese folgendermaßen lauten: Der Freiheitskampf in Angola ist gar kein echter Frei heitskampf, sondern wurde von Kommunisten angezet telt. Die Hilfe, die Rußland und Kuba ihnen sandte, wur de nicht erbeten, man hat sie ihnen gewissermaßen auf gedrängt. Und nun fordert man für die unerbetene Hilfe auch noch Bezahlung. Zur Sicherstellung der Schulden hat man die letzten Goldreserven des armen Landes ge raubt. Aber es gibt ja noch eine überirdische Kraft. Gott hat einen Orkan geschickt, in dem die ›Wadai‹ unterging. Nun heben wir Amerikaner das Gold und lassen es den Angolanern, der anderen Seite natürlich, dem konserva tiv-bürgerlich-imperialistischen Flügel zukommen, damit er in der Lage ist, die richtigen Machtverhältnisse wie derherzustellen und das Land zu sanieren.« Der Zivilist holte Luft. »Oder man bringt das Gold nach Fort Knox als Faustpfand für die Dollarspritzen der Weltbank. Et cetera. Genauso wird es aus allen Posaunen tönen, und wir ha ben eine ganze Reihe von Punkten eingebüßt.« Der General bezeichnete die Darlegung des KGBExperten als zynisch, bekam einen roten Kopf und ballte die Hände zu Fäusten. »Man muß es ihnen zeigen«, zischte er, »diesen Pluto kraten.« Bevor sie eine Liste von Gegenmaßnahmen entwarfen,
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stellte der KGB-Experte eine Frage, die alle Anwesenden überraschte. »Sind Sie sicher, Genosse Kasikow, daß der Sonder botschafter auch die Wahrheit spricht?« »Wenn er uns in diesem Punkt belügen wollte«, erwi derte der Chef der strategischen Abteilung, »dann hätte er ganz anders gelogen.« »Zum Beispiel wie?« »Für unverhoffte Flottenmanöver sind immer Gründe konstruierbar.« »Richtig.« Der General genehmigte sich ein Glas Wod ka aus der Zirbelholzbar. »Ich denke da nur an unsere Begründungen hinsichtlich Äthiopien oder Afghanistan.« Der KGB-Zivilist ließ nicht locker. »Rückte Soleman sofort mit der Goldgeschichte her aus?« »Nicht sofort natürlich«, antwortete der Oberst. »Erst als ich ihn bekniet hatte.« »Nachdem Sie es ihm schmackhaft gemacht, ja es ihm beinah in den Mund gelegt hatten. Stimmt’s?« »Ich bin kein Anfänger, oder?« Der Punkt wurde weiter diskutiert. * Am Sverdloff-Platz, als schon die scheinwerferbestrahlte backsteinrote Kremlmauer in Sicht kam, begann der Ge neral zu drängen: »Genossen«, rief er, »man erwartet uns. Man erwartet eine Lagedarstellung von uns, ferner eine
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Lagebeurteilung und einen Katalog von Maßnahmevor schlägen. Was können wir dem Generalsekretär unter breiten?« »Zunächst den Protest.« »Und als nächstes?« »Ein paar Nadelstiche im Luftkorridor nach Berlin.« »Und dann?« »Den angedeuteten UNO-Antrag.« »Wenn sie aber alles ignorieren oder abschmettern?« »Die Süd-Flotte«, riet Oberst Kasikow, »die Flotte steht unter Dampf.« »Sie denken an vorgezogene Manöver?« »Ganz in der Nähe der US-Flotte.« »Ein Funke, und das zündet.« »Es macht aber auch verdammt nervös, nachdenklich und einlenkbereit. Diesmal sind es nicht unsere Raketen frachter, die nach Kuba gehen, diesmal ist es das Gold eines mit uns weitgehend liierten Regimes, das sie sich unrechtmäßig aneignen wollen.« Der General hob das Telefon aus und wählte. Der Vermittlung des Verteidigungsministeriums kam. Nun bat der General um Verbindung mit einem der Flot tenbefehlshaber »Welche Einheiten sind noch verfügbar?« fragte er den Admiral. »… die Antarktisflotte… schön, und wie lange braucht sie, um den Mittelatlantik zu erreichen?« Die Werte, die der General bekam, schienen ihn zu be friedigen. »Sie hören von uns, Genosse Admiral!« Er legte auf.
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»Die Südpolflotte braucht von Neuseeland bis Westindien neun Tage. Zeitlich paßt das gut, um den Maßnahmenka talog ablaufen zu lassen. Ich werde dies dem Regierungs chef vorschlagen.« »Und wir alle werden hinter Ihnen stehen, General«, erklärten die drei anderen in den Veloursesseln der Lu xuslimousine. Wenig später bog sie am Roten Platz durch das große Kremltor. 11. Am Abend flog der BND-Agent Nr. 18 Robert Urban nach Athen. In der Nacht traf er sich mit Matiasos und sagte ihm, was er brauchte. »Was hast du vor?« fragte der BND-Statthalter. »Geheim.« »Du bist verrückt. Nein, du bist absolut wahnsinnig.« »Wie kannst du das beurteilen«, erwiderte Urban, »wenn du nicht weißt, was ich plane.« Matiasos las die lange Liste von Urbans Anforderun gen herunter. »Das sieht aus wie die Ausrüstung für ei nen Alleingang über die Grenze.« »Soll ich etwa reinmarschieren wie Napoleon nach Moskau?« »Warum gibt es keine Kooperation mit anderen Dien sten? Die Griechen sind schließlich unsere NATOPartner und verfugen über hervorragend ortskundige Leute.«
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Urban umschrieb sein Problem »Wenn ich offiziell weitermache, wird mir zuviel da zwischengequatscht. Störfunk, verstehst du.« »Von der eigenen Front?« Urban blickte Matiasos an und hob eine Braue. Das war alles, was er dazu äußerte. Matiasos, der ihn kannte und bewunderte, der Urbans in fünfzehn Jahren ange sammelte Erfolgsliste herunterrasseln konnte wie ein Gymnasiast ein Gedicht von Schiller, zog das Kinn an die Brust und machte sich an die Arbeit. Die Organisation einer Offensive, so meinte er, sei viel leicht etwas kostspieliger, aber auch nicht schwieriger. Vierundzwanzig Stunden später hatte sich ihr japani scher Geländewagen auf einer regennassen Hochweide des Orisgebirges heillos festgefahren. Urban versuchte es mit allen Tricks, aber der Patrol schmierte erbarmungslos seitlich weg. Er mußte zaubern, damit er nicht kippte. »Nasse Wiesen bergauf«, schimpfte Urban, »sind das Niederträchtigste, was es überhaupt gibt.« »Und Frauen, die sich wie Engel benehmen und Hu ren sind«, ergänzte Matiasos. »Oder umgekehrt.« »Trockene Wiesen bergab meinst du.« »Nein, aber Huren, die Engel sind.« Sie ließen den geliehenen Patrol langsam und ohne Licht ein Bachbett hinauf über Steine und Stamme klet tern. Im Schein des Viertelmondes tasteten sie sich später aus dem Bach heraus und querten eine Geröllhalde, die auch nicht besser war als eine morastige Wiese.
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Als sie nur noch Himmel über sich hatten und seitlich ein paar Gipfel und Grate, hielt Urban an. Mit dem Punkt strahler leuchtete er die Karte ab. »Dort unten verlauft die alte Kriegsstraße.« »Auf der anderen Seite steht ein Bunker, und der ist bewacht.« »Den umgehe ich.« »Luftlinie?« »Sechzehn Kilometer bis ins Strumesnica-Tal. Drei mehr bis Parmovaj.« »Willst du ihn dort kriegen?« fragte Matiasos. »Wen?« tat Urban erstaunt. »Kannst du die Landessprache?« »Soviel wie ein stotternder Ziegenhirte allemal.« »Dann warte ich hier«, erklärte Matiasos, als er einsah, daß an der Absicht von Urban nichts zu ändern war, »wie lange warte ich?« »Bis ich zurückkomme.« »Und wenn es Sommer wird?« »Dann bis zum Sommer.« Im Moment war auf 1400 Meter Höhe noch Winter, und der Regen fiel als Schnee. Zwar blieb er nicht liegen, aber er machte, daß es verteufelt kalt wurde. Urban kleidete sich um, zog die gefleckten Drellhosen an, die Stiefel, die Schaffelljacke, die Wollmütze. Zum Schluß hängte er einen Ledersack um, der, wenn man ihn aufblies, die Umrisse einer Ziegenhaut annahm. Er trug ihn an einem Strick. Im Sack waren eine Fla sche Wein, Käse, Hartwurst, Brot und eine Decke.
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Urban zögerte erst, packte dann aber seine MCZigarette wieder aus und nahm nur Tabak mit, langfase rigen, und Papier zum Drehen – und ein altes Ben zinsturmfeuerzeug. »Ganz ohne Kanone?« fragte Matiasos. Urban ließ ein Messer springen. Die Klinge rutschte, als er die Sperre freigab, wieder in den Griff. »Und was hast du im Notfall als Reserve?« Urban deutete auf den breiten Riemen, einen Militär gürtel, der die Hose über Hemd und Pullover festhielt. Auf die Innenseite hatte er mehrere Maria-Theresia-Taler geklebt. Am Balkan wurden sie auch jetzt noch gern als Zahlungsmittel angenommen. Der Abschied war kurz. »Na dann!« sagte Urban und ging. Nach wenigen Metern sah er Matiasos’ Zigarette nicht mehr glühen. Das Schneetreiben nahm zu. Schlecht wur de es erst, wenn es aufhörte, denn dann wurde seine Spur sichtbar. * Im ersten Morgengrauen hörte er ein Flugzeug. Es flog tief und langsam. Eine einmotorige Propellermaschine, so vermutete er, auf Patrouille. Wenig später hatte Urban die griechisch-bulgarische Grenze erreicht und umging den Sperrbunker hoch auf einem verschneiten Geröllhang.
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Die Sonne kam heraus. Man konnte ins Tal blicken. Im Dunst sah er grüne Wiesen, das glitzernde Band des Flus ses, weiter rechts die Häuser des Kurortes. Wind kam auf und verwehte den Dunst. Bis zum Rand von Parmovaj wollte er gehen, bis zu den Wäldern und dort die Nacht abwarten. Immer wieder blieb Urban stehen und kontrollierte durch das monokulare, Minifernglas, das er über der Uhr am Handgelenk trug, die Gegend. Wenn er erwischt wur de, mußte er sich schleunigst davon trennen. Von diesem Meisterstück der Optikerkunst und von seiner Rolex. Ziegenhirten teilten ihre Arbeit nach dem Tageslicht ein. Obwohl es Zeit kostete, nahm er den Umweg durch eine verkarstete Bergflanke, wo Felsbrocken von Elefan tengröße immer wieder Deckung boten. Nach drei Stunden machte er kurz Pause und drehte sich eine Zigarette. Doch als er weiter wollte, ging das nicht. Wenige Meter vor ihm sprang ein großer schlanker Bursche zwischen den Felsen hervor und versperrte ihm mit der Maschinenpistole Ruckweg und Vorwärtskom men. »Laß die Hände unten!« rief er auf englisch. »Wir wis sen, wer du bist.« Wenn er zur bulgarischen Grenzmiliz gehörte, dann verstand er dies hervorragend zu tarnen, Er trug einen NATO-Parker mit Pelzkragen, die Hose in den Springer stiefeln und eine modische Sonnenbrille mit Gläsern, die sich automatisch der jeweiligen Helligkeit anpaßten.
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»Und wer bin ich?« fragte Urban auf bulgarisch. Der andere grinste. »Laß die Mätzchen, Dynamit!« Er kam näher, setzte aber die Waffe nicht ab, sondern visierte sie eher noch genauer ein. »Eigentlich müßte ich jeden umlegen, dem ich hier begegne.« Zwei Umstände waren es, die Urbans inneres Alarm system auf Entspannung schalteten. Ein Stück oberhalb lag etwas Weißes, und das war kein Schnee. Außerdem kannte der Bursche seinen Kriegsnamen. Urban nahm die Hände herunter und wollte zu den MC-Zigaretten greifen, bis er merkte, daß er während dieses Einsatzes auf Selbstgedrehte umgestiegen war. Also drehte er sich noch eine. »Central Intelligence Agency?« fragte er. Der andere schob den Kaugummi in die linke Backen tasche. »Commander Karry. Aber wie kommst du darauf, Dynamit? Bin ich so schlecht maskiert?« Urban verteilte den langfaserigen Tabak auf dem Pa pier und drehte es ein. Er hatte keine Übung mehr darin. Dann feuchtete er die Gummierung mit der Zungenspitze an und deutete nach oben. »Vor Sonnenaufgang das Flugzeug, und dort der Fall schirm. Sie haben dich abgesetzt, Karry. Du solltest aber besser aufpassen.« »Du etwa nicht?« »Die Aussicht, hier einem zu begegnen, der mich
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kennt, ist gering«, erwiderte Urban. »Haben wir dasselbe Ziel?« »Für mich ist der Fall erledigt«, erklärte der CIAAgent, »ich werde schon wieder abgeholt.« »John S. Soleman«, fragte Urban, »war er dein erledig ter Fall?« Karry nickte, setzte sich auf einen der Steine und kaute emsig weiter. »Was geht er euch an, möchte ich wissen.« »Sitzen wir nicht in einem Boot?« Der Commander machte die Augen schmal. »Boot?« fragte er. »Soll das eine Anspielung sein?« »Auf die Atlantikoperation der US-Navy«, zielte Ur ban. »Vielleicht.« »Was wißt ihr davon?« »Zu wenig. Nur was wir uns selbst zusammenrei men.« Plötzlich lauschte der Amerikaner und suchte den Südhimmel ab. Aber er hatte sich geirrt. Es war nicht das Flugzeug, das er erwartete. »Ich gebe dir einen guten Rat, Dynamit«, fuhr er fort, »kehr um. Da unten im Tal ist nichts mehr zu ernten.« »Und wie begründest du das, Karry?« Der Amerikaner kaute heftiger, doch ruckartig hörte er damit auf. »Falls du es nicht wissen solltest. Der Sonderbotschaf ter John S. Soleman ist ein Verräter. Ja, ein ganz mieses und gemeines Verräterschwein von einem Spion.« »Spion von welcher Seite?«
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Karry deutete mit dem Daumen über seine Schulter talwärts. »Ein Sowjetagent«, präzisierte es Urban. Karry wiegte den Kopf. »So würde ich es nicht unbedingt nennen. Wir wissen nur, daß er schon jahrelang für den Osten arbeitet. Er wollte längst abspringen, aber es mußte sich auch finanzi ell für ihn lohnen. Jetzt glaubte er wohl, daß es sich lohnt.« »Die Entführung in Athen war also eine von ihm ge plante Absetzbewegung.« »Es gab kein Pentagon-Telegramm an das Flugzeug. Er selbst gab es auf oder ließ es absenden.« Urbans Zigarette brannte mit schwarzer Asche und stinkend. »Ihr wußtet das also.« »Ja, wir wußten es«, gestand der CIA-Agent, »wir er warteten es sogar. Deshalb wurde Soleman auch entspre chend präpariert.« »Mit falschen Informationen gespickt, die er für richtig hält.« »Und die Herren von der KGB-Zentrale in Moskau hoffentlich auch.« »Zwecks Ablenkung der Russen.« »Ja, zur Ablenkung der Russen«, bestätigte Karry, »von einer ganz bestimmten Operation.« »Operation Atlantik?« tippte Urban. Karry starrte mit seinen kalten Augen zu den Bergen hinauf, in deren Einschnitt der Paß verlief. »Was ist euch darüber bekannt?«
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»Wir vermuten, daß die US-Navy das kubanische Goldschiff zu heben versucht.« Karry lachte fast amüsiert. »Wunderbar!« rief er. »Hervorragend! Wenn sogar die Verbündeten das Falsche glauben, dann werden die Iwans es erst recht geschluckt haben.« »Soleman wußte von der Operation Goldschiff?« »Selbstverständlich.« »Er sollte sie den Russen verraten.« »Deshalb ließen wir ihn ja überlaufen.« Urban fragte jetzt direkt: »Es geht also gar nicht ums Gold?« Karry nickte mehrmals. »Wegen der müden paar Tonnen würden wir nicht so einen Riesenzirkus aufziehen. Nein, gewiß nicht. Das Gold der ›Wadai‹ interessiert uns nicht im mindesten.« »Was dann?« Jetzt bohrten sich die Augen Karrys in die von Urban. »Etwas ganz anderes. Denk, was du magst, Dynamit, aber mit Gold hat es nichts zu tun.« »Soleman wurde am Frontenwechsel nicht gehindert, damit es bei euch klappt. Richtig?« »Damit die Russen glauben, was er ihnen erzählt, muß man so tun, als sei uns an ihm gelegen, als versuchten wir mit allen Mitteln, ihn herauszuholen.« Wegen des eisigen Windes ging Urban in die Hocke. »Deshalb verstehe ich nicht, daß ihn die Sowjets nicht längst nach Moskau brachten, wo er zehnmal sicherer ist als hier.«
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Karry stellte wieder die Ohren. Ein Geräusch drang vom Tal herauf. Es war kein Flugzeug. »Das irritierte uns anfangs auch«, beantwortete er Ur bans Frage. »Aber inzwischen durchschauten wir ihr Verhalten. Die Russen haben Soleman so ausgequetscht, daß er nichts mehr hergibt. Da er hundertprozentig auf ihrer Seite steht, lassen sie ihn im Grenzgebiet und bauen darauf, daß wir seinen Aufenthaltsort herausfinden und ihn befreien. Befindet sich ihr Topagent, ihr Maulwurf, erst wieder im Westen, ist das für sie die Supernachrich tenquelle.« »Das klingt logisch.« »Ich hoffe.« Urban hatte jetzt nur noch eine Frage. »Warum führst du deinen Auftrag nicht durch, Kar ry?« »Welchen Auftrag?« »Soleman zu befreien.« »Mein Auftrag ist erledigt«, sagte Commander Karry, »würde ich sonst auf den Abholer warten.« Urban verstand nicht recht, »Du warst bei Soleman?« »Ich habe ihn gesehen – und gesprochen.« »In den paar Stunden zwischen deinem Fallschirmab sprung und jetzt warst du bei ihm?« »Ja, in diesen drei Stunden.« »Ohne daß sie dich erwischten?« Karry nahm jetzt den Kaugummi heraus und klebte ihn an den Stein auf dem er saß.
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»Soleman ist nicht mehr im Sanatorium«, berichtete er. »Der KGB stellte ihm im Wald da unten ein Jagdhaus zur Verfügung. Ganz hübsch luxuriöse Bleibe. Bewacht wird er von zwei Burschen. Einer ist immer bei ihm. Der ande re pirscht durch die Gegend, meist mit dem Jeep, weil er zu faul zum Laufen ist. Soleman sitzt am Schreibtisch und füllt Blatt um Blatt mit seiner feinsäuberlichen Hand schrift. Die Russen haben ihn beauftragt, alles niederzu schreiben, was ihm einfällt. In der Abgeschiedenheit des Jagdhauses geht das wohl am besten.« »Oder sie setzten ihn extra dahin, damit er leichter ab zuholen ist.« »Wir wollten die Bestätigung haben, ob Soleman funk tioniert«, erklärte Karry sein Vorgehen. »Well, er funktio niert wie gewünscht. Die Russen werden nichts von ihm erfahren, was sie nicht schon wissen. Aber was die Atlan tikoperation angeht, so haben wir ihnen mit Solemans Hilfe faule Tomaten auf die Augen gedrückt. Deshalb mein Vorschlag, Dynamit, Kehrtwendung marsch und ab in die Heimat.« Commander Karry wußte, daß bei einem Mann wie Urban nicht zu erwarten war, daß er dies tun würde. »Ich habe schon zuviel Bluff erlebt«, reagierte Urban. »Du denkst an unser Verhalten in bezug auf den Ei senbahnanschlag.« »Und anderes mehr.« »An die toten Amerikaner, die man am Viadukt fand.« Urban hatte jetzt den Reim drauf. »Ich traue euch zu, echte amerikanische Leichen nach
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träglich dort hingebracht zu haben. Alles für Solemans Glaubwürdigkeit.« »Trotzdem willst du diesen Soleman sehen und ihn sprechen.« Urban bestätigte es durch Kopfnicken. Der CIA-Commander hob lässig die Hand, als geneh mige er etwas, das er gar nicht zu genehmigen hatte. »Dann tu, was du nicht lassen kannst«, sagte er. * Der Schnee auf den Tannenästen fiel in halbgefrorenen Tropfen zur Erde. Urban hielt weiter die Richtung. die ihm Commander Karry genannt hatte. Als er schon fürch tete, das Jagdhaus verfehlt zu haben, nahm er den Geruch des Kaminfeuers wahr und sah den Rauch aufsteigen. Er blieb stehen und sicherte nach allen Seiten. Er achte te auf jedes Knacken und Scharren, auf jedes abnormale Geräusch. Das Flugzeug, auf das Karry wartete, war nicht zu hö ren. Vielleicht traf er den Commander auf dem Rückweg noch. Weiter tastete sich Urban durch das Unterholz, über eine Schonung zu dem anschließenden Dickicht. Wie ein Tier, das den Jäger wittert, verhielt er sich. Oberhalb des Jagdhauses kroch er bis zu einem Punkt, der Rundsicht bot. Keine zwanzig Meter unterhalb führte die Felsstein mauer des Hauses L-förmig um einen Brunnen. Das Dach
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war tief heruntergezogen. Es gab nur Erdgeschoß und Mansardenräume. Zwischen Eingang und Brunnen ver lief eine Reifenspur. Die bulgarischen Aro-Jeeps hatten immer noch die Molotow-Profile aus dem Zweiten Welt krieg, mächtige Stollen an den Flanken mit Mittelsteg. Der Jeep war nicht zu sehen. Einige Male überdachte Urban das Risiko, das er hier einging und ob es je in einem Verhältnis zum Ergebnis stand. Keiner ließ sich gerne auf östlichem Territorium erwischen oder abknallen oder auch nur verwunden. Vielleicht kam der Sonderbotschafter heraus, um sich die Beine zu vertreten, um ein wenig Luft zu schnappen, um einen kurzen Spaziergang zu unternehmen. Aber darauf wartete er wohl vergebens. Solches Glück hatten nur Anfänger. Urban faßte sich in Geduld. Als die feuchte Bodenkälte durchkam, verlegte er die Position um dreißig Meter nach Osten. Jetzt sah er etwas, das ihm mißfiel. Er säuberte das monokulare Fernglas am Handgelenk von Schmutz und Beschlag und stellte es haarscharf. Die Tür des Jagdhauses stand offen. Am Boden, ein Stück flureinwärts, entdeckte er zwei parallel liegende Schuhsohlen. Niemand stellte Schuhe auf diese Weise zum Trocknen hin. In Urban keimte ein so böser Verdacht, daß er es ein fach wagte. Ein Ausflug von drei Minuten Dauer würde ihm Ge wißheit verschaffen. Er ließ sich die Böschung hinabglei
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ten, flankte über das Mäuerchen und stand wenige Se kunden später zwischen Haus und Brunnen. An die Wand gepreßt lauschte er. Dann ging er auf die Zehen und schielte vorsichtig durch das Fenster hinein. Das Kaminfeuer war ausgegangen, Es schwelte nur noch. Nun ein rascher Blick in den Flur. Die grauen Schuhsohlen gehörten zu den Stiefeln eines Mannes, der dort lag. Urban näherte sich ihm, kniete neben ihn. Der Mann war tot. Von den vielen Einschüssen, die sein Körper zeig te, hatte eine Kugel das Herz erwischt. Der Tote war dun kelhaarig und trug eine Lederjacke. Soleman war das nicht. Mit wenigen Sätzen stand Urban im großen Raum, der fast das ganze Erdgeschoß einnahm. Es mochte Aufent halts-, Arbeits- und Speisezimmer in einem sein, war we nigstens achtzig Quadratmeter groß mit niedriger Bal kendecke und bäuerlich möbliert. An den Wänden hingen Geweihe und Stiche mit Jagd motiven. Auf dem Schreibtisch stand ein Telefon. Auf dem Tele fon lag eine Hand. Urban folgte dem Arm, der zu der Hand gehörte. Verdeckt von der Schreibtischlampe lehnte ein Mann im Sessel. Ohne sein Gesicht zu sehen, allein am grauen Haar er kannte Urban den Sonderbotschafter. Das Haar war hol lywoodblau getönt. Nach wenigen Schritten sah Urban auch Solemans Zü ge. Die Augen waren geöffnet. Der Mund im Tod zu einer
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schmerzvollen Grimasse verzerrt. Links war sein Gesicht zerstört. Die Kugel mußte durch die Backe schräg hinauf ins Gehirn gedrungen sein. Urban hatte schon soviel Ungereimtes und Unreimba res erlebt, daß er absolut sichergehen wollte. Also nahm er die Fingerabdrücke des Toten mit. Er drückte sie auf ein Stuck Heftpflaster, von dem er die Schutzfolie abriß. Wer Soleman umgebracht hatte, war ihm klar. Com mander Karry hatte nicht nur nachgesehen, ob der Son derbotschafter auch richtig funktionierte. Er hatte ihn liquidiert, weil durch diese Art von Strafvollzug alles, was Soleman den Russen verraten hatte, noch größeres Gewicht bekam. Unbedeutende Spione killte man nicht. Aber noch mehr begriff Urban in dieser Minute. Jetzt kapierte er auch, warum Commander Karry ihn hatte gehen lassen. Die Möglichkeit, daß man Urban aufgriff, war groß. Mit ihm würde den Russen gleich der Killer serviert werden. Genau in diese Richtung hatte der CIA-Kollege gezielt. Mit welch hoher Aussicht auf Erfolg, das zeigte sich im selben Moment. Urban hörte einen Automotor. Der Jeep kam herauf und wurde zwischen Brunnen und Haus gebremst. * Hinter der Tür wartete Urban auf den zweiten Leibwäch ter. Als der Schatten des Mannes das Fenster passierte,
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fiel ihm der Tote im Hausflur ein. Doch da war es für Gegenmaßnahmen zu spät. Die Schritte des zweiten Leibwächters wurden unver mittelt gestoppt. Der Mann fluchte. Dann rief er: »Mister Soleman!« Urban gab keinen Laut von sich. Der Wächter kam näher. »Mister Soleman. Wo sind Sie?« Urban brachte einen Stöhnlaut zustande. Daraufhin tauchte der Wächter unter der Tür auf. Ur ban hörte ihn atmen. Man konnte seine nasse Kleidung förmlich riechen. »Maria Muttergottes!« rief der Wächter. »Mister Soleman!« Urban hielt die Luft an. Vorsichtig betrat der Leibwächter die Wohnhalle. Aber er wandte Urban nicht den Rücken zu. Er blickte ihm ins Gesicht, als habe er damit gerechnet, ihn hinter der Tür und nirgendwo anders zu finden. Er hielt eine schwere Armeepistole in der Hand. »Ich habe deine Abdrücke gesehen«, zischte er und schoß. Aber noch bevor er den Satz beendet hatte, traf Urbans abgewinkelter Fuß das Handgelenk des bulgarischen Geheimdienstbeamten. Die Kugel fuhr in die Decke. Lei der war die schwere Waffe noch in der Faust des bären starken Agenten verblieben. Damit schlug er zu. Der Lauf traf die Wandverkleidung und zog im Holz eine zentime terlange Spur.
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Urban hatte sich weggeduckt und setzte die Faust ein. Die rechte Faust, die linke Handkante und dann die rech te Handkante. Die Faust im Magen streckte den Wächter. Die Hand kante am Schlüsselbein versetzte ihn in eine korkenzie herartige Drehung und die zweite Handkante gab ihm den Rest. Er sackte zusammen, lag da, atmete schwer und fluchte geifernd. Urban fesselte ihn mit Vorhangschnur, nahm dann alle Bogen, die Soleman beschrieben hatte, an sich und beeilte sich wegzukommen. Als er den Aro-Jeep stehen sah, flankte er hinein, star tete und fuhr los. – Nichts wie weg, war sein einziger Gedanke. Die Mine war jetzt gelegt, die Zündschnur zur Mine hin brannte, und er wußte nicht, wie lang die Zündschnur war. Quer durch den Hochwald wie ein Steinbock zu klet tern, war mit dem Aro nicht möglich. Urban nahm den Weg zur alten Paßstraße und fuhr bis zu den letzten Keh ren vor dem bulgarischen Sperrbunker hinauf. Dort ließ er den Jeep zurück und stieg senkrecht in die Felsen ein. Dicht unterhalb des Gipfelgrates umging er die Grenz station. Als er endlich drüben war, legte er eine Ver schnaufpause ein. Ein Bissen Brot, ein Bissen Dauerwurst, ein Schluck Wein, eine Zigarette. Es ging auf Mittag. Der Himmel riß auf, der Schnee war weggeschmolzen. Ob Commander Karry jetzt auch in Sicherheit war? –
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Urban hatte kein Flugzeug gehört. Aber schließlich ver fügte der Mensch über zwei Beine. Dann machte er sich auf die letzten Meilen zu Matia sos. * Wenn Urban angenommen hatte, die Anstrengungen der letzten vierundzwanzig Stunden würden in einer gemüt lichen Rückfahrt nach Athen auslaufen, so hatte er sich gewaltig geirrt. Er merkte es schon am Gesicht des BNDStatthalters. Normalerweise einem knusprigen Pfannku chen nicht unähnlich, sah es jetzt so blaß aus wie ein Pfannkuchen, den man halbgar vom Feuer genommen hatte. »Was gibt’s?« fragte Urban. »Alles Merde.« »Wer war eigentlich unterwegs, du oder ich?« »Wenn du glaubst, bei mir sei nichts los gewesen, dann täuschst du dich.« »Dann erzähl schon, was sich Wildes zugetragen hat.« »Erst«, berichtete Matiasos, »kam ein Düsenhub schrauber aus Richtung Rodopolis. Er flog auf die Grenze zu und drehte nach einiger Zeit wieder ab. Entweder hatte er sich verflogen, oder etwas anderes störte ihn.« »Gab es eine Schießerei?« »Erst später«, fuhr Matiasos in seinem Bericht fort. »Der Helikopter also, ich will Weinblätter ohne Fül lung fressen, wenn es nicht ein Militärhubschrauber war,
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kehrte um und flog wieder nach Süden. Dann dauerte es nicht lange und ich sehe Bewegung unten am Geröll hang.« Der Hang reichte noch ein Stück weiter auf die bulga rische Seite. Urban wußte das. »Und auf dem Hang eine Gemse«, spottete Urban. »Ich hielt es wirklich erst für ein Hornwild.« »Es war aber ein Mann. Stimmt’s?« »Die Leute aus dem bulgarischen Grenzfort waren hinter ihm her. Der Junge nahm verdammt die Beine in die Hand, aber ihre Kugeln flogen schneller.« »Commander Karry«, Urban fluchte, »verdammt!« »Du weißt davon?« »Bin ihm begegnet«, erzählte Urban. »Kam er durch?« »Es schien so, als schaffe er es, bis sie ihn am Bein er wischten. Er humpelte weiter. Ich dachte… aber es war falsch, was ich hoffte. Als er sich schon auf griechischer Seite befand, schossen sie ihn dann endgültig ab.« »Wo liegt er?« Matiasos führte Urban bis zu der Stelle, wo das Geröll feld die Böschung der alten Militärstraße bildete. Seitlich davon lag eine von Latschengrün umstandene Mulde. In der Mulde kauerte er zusammengekrümmt. »Ich versuchte ihn zu bergen«, berichtete Matiasos, »doch er starb mir unter den Händen weg.« »Sagte er noch etwas?« Matiasos nickte. »Leider verstand ich es nicht. Er sagte, wir sollten das Ergebnis nach Langley melden. – Welches Ergebnis?«
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»Das seiner Mission«, sagte Urban. »Und wie lautet es?« »Keine Ahnung«, log Urban. Gemäß Weisung des Präsidenten behielt er alles wirk lich Wichtige für sich. 12. Bei der Bergungsaktion der US-Flotte wurden völlig neue, kaum erprobte Verfahren eingesetzt. Die Fachleute be haupteten, es seien die einzig möglichen, um ein Objekt dieser Art zu heben. Mit Fernsehkameras und Glasfaserkabeln wurde die Arbeit der Panzertaucher aus der Tiefe auf das Bergungs schiff S-33 übertragen. Von dort gingen die Bilder zum Träger »Eisenhower«. Am Monitor saß ständig einer der verantwortlichen Offiziere. Beinahe stündlich erschien der Flottenchef im Kon trollraum. »Wie ist die Lage?« pflegte der Admiral seine Fragen zu eröffnen. Der technische Supervisor bewegte seinen Drehstuhl um 180 Grad. »Es ist nun einmal schwierig, Sir«, antwortete er, »ein Objekt dieser Art aus fast siebenhundert Meter Tiefe zu bergen. Bis jetzt war die Grenze des Machbaren erreicht, wenn man versuchte, Ladung aus gesunkenen Geleitzug frachtern des Zweiten Weltkrieges zu holen, wenn diese auf zweihundert Meter lagen. Nun soll aber nicht nur
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Ladung, sondern das ganze Objekt gehoben werden und das aus nahezu einer halben Meile Tiefe.« »Das weiß ich alles«, erwiderte der Admiral ungehal ten, »das wurde mir schon ein dutzendmal erklärt. Ande rerseits wurde mir aber auch versichert, daß es mit dem neuen Verfahren zu machen sei.« Der technische Überwachungsoffizier, er hatte Funk kontakt mit S-33 und konnte sich jederzeit in die Telefon verbindung zu den Panzertauchern einschalten, nahm eine Liste zur Hand. »Der Stahlrumpf des zu bergenden Objektes wurde angebohrt und auf die Bohrung ein Flansch gesetzt. Dau er vierundsiebzig Stunden.« »Sitzt jetzt der Flansch endlich?« »Der Flansch sitzt und bekommt gerade ein sogenann tes Kopplungsglied. Es wird bis Mitternacht montiert sein. Inzwischen fiert S-34 die Schläuche für die zwei Schaumkomponenten weg.« »War das nicht mit einem einzigen Schlauch zu ma chen?« erkundigte sich der Admiral. »Nur mit einem Zweikammerschlauch«, erklärte der technische Offizier, »durch den die chemischen Kompo nenten getrennt in die Tiefe gedruckt worden wären. Aber dieser Schlauch wäre zu stark geworden. Durch messer mindestens vier Fuß. Da er aus Kunststoff besteht, hatte er der Strömung und dem Wetter wohl nicht stand gehalten, denn…« der Offizier deutete auf die meteorolo gische Karte, »es ist Sturm im Anzug, Sir.« Der Admiral kannte die Vorhersagen.
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»Und Schaum muß es sein. Druckluft genügt wohl nicht.« »Das Objekt erlitt durch die Kollision ein Leck von er heblicher Größe, Sir.« Der Admiral bekam ein Foto gereicht. Was er sah, erinnerte ihn an eine weit geöffnete Sardi nenbuchse. Der mitfotografierte Maßstab machte deutlich, daß es sich um ein Loch von neun Meter Länge handelte. »Das Leck kann weder geschweißt noch irgendwie anders abgedichtet werden, um die Preßluft zu halten. Sir.« Das Thema war eigentlich längst durchdiskutiert wor den. Es ging gar nicht anders zu machen. Mit zwei Schläuchen mußte eine Spezialmasse auf PVC-Basis – eine mit extrem großer Blasenbildung allerdings – in das ge sunkene Objekt und in alle seine Tanks und Hohlräume gepreßt werden. Damit sich die Komponenten nicht schon auf dem Weg dorthin mischten und die Leitung quellend verstopften, durften sie erst im Wrack zusam mentreffen. Dort hatten sie die Aufgabe, sich auszudeh nen, das Wasser aus dem Rumpf zu drücken und durch das Gas ihrer Abermilliarden von Schaumblasen das Schiff so leicht zu machen, daß es sich entweder von selbst vom Meeresgrund loste oder relativ leicht mit Tros sen und Kränen gehoben und abgeschleppt werden konn te. So sah es in der Theorie aus. »Ist das alles eigentlich getestet?« fragte der Admiral mißtrauisch.
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»Nur im Tauchbecken der Marineversuchsanstalt Newport, Sir. Aber die Berechnungen berücksichtigen alle Faktoren. Eigentlich müßte es schon funktionieren.« »Falls der Schaum unter dem ungeheuren Druck von siebenhundert Meter Wassersäule auch so reagiert wie im Glaskolben.« »Man hat es in der Druckkammer simuliert, Sir.« Nun ließ sich der Admiral erklären, was man grünlich und verschwommen auf dem Monitor sah. Man mußte das Auge erst daran gewöhnen, um den Rumpf des Ob jektes und die fast kugelförmigen Panzertaucher unter scheiden zu können. Am Ende ließ sich der Admiral den weiteren Pro grammablauf vorlesen. Die wichtigsten Punkte prägte er sich ein. Er brauchte sie für das Referat, das er in einer Stunde zu halten hatte. Bald darauf meldete der Bordlautsprecher den Anflug eines Hubschraubers. »Das ist der Senator«, der Admiral erhob sich, »ihm und dem Minister haben wir zu verdanken, daß man uns das Objekt zur Bergung freigab. Ich erwarte, daß keine neue Panne passiert, zumindest solange nicht, wie der Senator unser Gast an Bord ist.« Der Admiral setzte die goldbestickte Mütze auf und verließ in seiner blütenweißen Uniform den Kontroll raum.
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Der Senator brachte eine gute und eine schlechte Nach richt aus Washington mit. »Der Präsident«, sagte er, »hat die Entscheidung über das Rüstungsprogramm vertagt. Erst will man das Ergeb nis des Bergungsversuches abwarten. Fallt es aus wie befürchtet, dann wird das Rüstungsprogramm für die Navy um zwanzig Milliarden Dollar aufgestockt.« »Zu Lasten von was?« fragte der Admiral. »Zu Lasten der Luftwaffe. Dann wird der B-l-Bomber wieder mal auf Eis gelegt. Aber diese Maßnahme ist nur logisch. Wenn unsere Raketen-U-Boote plötzlich nicht mehr sicher sein sollen, dann nützen auch die B-Bomber nichts mehr.« Der Admiral goß von dem an Bord von US-Schiffen verbotenen Whisky ein. Auf Admiralsebene galten solche Verbote nur bedingt, ganz besonders bei einem trinkfreu digen Gast wie Senator McCollin. »Und die schlechte Nachricht?« fragte der Admiral. Der Senator leerte erst das Glas, dann putzte er die Brillengläser auf denen ein paar Seewasserspritzer Salz ränder gebildet hatten. »Die Russen«, der Senator ergriff wieder das Glas, »die Russen sind im Anmarsch.« »Aus Norden. Ich bekam die Meldung, Senator.« »Nicht nur aus Norden«, bedauerte der Senator. »Sie kommen auch mit einer Armada aus dem Mittelmeer und aus dem Südatlantik. Sie kommen praktisch von allen Seiten.«
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Der Admiral nahm noch einen Schluck zur Beruhi gung. »Wann können sie da sein?’» »Die CIA meint, in spätestens neunzig Stunden seien sie in der Lage, einen Ring um uns zu bilden.« Der Admiral ging im Geist die Zeittabellen durch. »Heute nacht setzen wir die Kupplungen für die Prä venter. Dann fahren wir die Schläuche herunter. Sobald sie angeflanscht sind, fangen die Kompressoren von S-34 an, ungeheure Mengen von Schaumkomponenten runter zudrücken, die dann im Rumpf zusammenkommen, sich ausdehnen und härten. Für diesen Prozeß sind etwa 20 Stunden angesetzt. Dann müßte sich das Boot allerdings rühren.« »Und wenn es sich nicht rührt?’1 »Dann helfen wir nach. Wir boxen es mit wasserbom benähnlichen Sprengkörpern aus der Umklammerung des Riffes.« »Und wenn es dann aufschwimmt?« »Falls es endlich schwimmt«, schränkte der Admiral ein, »stellen wir leichten Untertrieb her und schleppen es ab, Richtung Norfolk.« »Mit einem Fisch an der Leine, der unsichtbar bleiben soll.« »Man wird nicht sehen, daß wir es am Haken haben.« »Könnten die Russen es mit Asdic orten?« »So nahe lassen wir sie gar nicht erst heran.« »Und wenn das Boot funkt?« »Die Besatzung ist tot. Sieben Wochen übersteht keine
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Maus. Und außerdem…«, der Admiral steckte sich jetzt eine Havanna an, »glauben die Russen ja immer noch, wir wurden das Gold aus der ›Wadai‹ bergen.« Jetzt überzogen die hohe Geheimratsstirn des Senators tiefe Furchen. »Falls Moskau noch an den Bluff glaubt.« »Dachte, dafür sei gesorgt.« »Die CIA und das State Department haben wirklich al les getan. Man opferte sogar einen erkannten Spion, näm lich John S. Soleman, und ernannte ihn vorher noch zum Sonderbotschafter. Aber wer weiß, wie lange das noch hält.« »Sie meinen«, setzte der Admiral an, »Soleman sei nicht allein gewesen, sondern Teil eines Spionagerings. der nun weiterarbeitet und inzwischen die Wahrheit kennt.« Der Senator nickte, faltete die Hände und stutzte das Kinn auf die Fingerspitzen. »Daß es uns nicht um zweihundert Tonnen Gold geht, sondern…« Da der Senator schwieg, sagte der Admiral: »Der Raum ist abgesichert, Sir.« »… sondern um ein sowjetisches U-Boot der neuen Jagd-Klasse.« Beide starrten sie nachdenklich auf den marineblauen Teppich. »Die Russen gaben der ›Wadai‹ dieses supermoderne Jagd-Kampf-U-Boot als Schutz mit. Im Orkan kam es zu der bekannten Kollision. Den Notruf des U-Bootes, der
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eigentlich für die Murmansk-Basis gedacht war, fingen wir auf. Wer kann es uns verdenken, daß wir es zu heben versuchen.« »Auf freier See.« »Wozu das Verwirrungsspiel bitter nötig war.« Der Senator fuhr fort: »Wir gehen große Risiken ein, Admiral. Sie wachsen stündlich und können zu Schußwechsel oder anderen dramatischen Aktionen fuhren. Glauben Sie, daß es sich lohnt?« Der Admiral bezweifelte es, aber das war seine private Meinung. Nach außen hin spielte er den überzeugten Flottenchef. »Wir müssen wissen, wie weit die Sowjets technisch sind, wo sie in der Entwicklung stehen. Nur dann können wir unser Rüstungsprogramm vernünftig abstimmen. Das Boot der Hunter-Klasse, wie die NATO sie bezeichnet, ist fünfhundert Tonnen groß, also recht winzig. Aber es soll ungeheuer schnell sein und über einen großen Aktionsra dius verfugen Das ist nur mit Atomantrieb möglich. Bis heute gelang es unseren besten Reaktorbauern aber nicht, eine so kleine leistungsstarke Reaktor-TurbinenKombination zu entwickeln. Darüber muß Klarheit ge schaffen werden.« »Damit die Milliarden an die Marine fließen.« »Das Geld ist leider nur einmal verteilbar, Senator.« »Der Luftwaffe wird das sicher mißfallen.« Der Admiral tischte die alte Geschichte mit der MIG 21 auf, die für viele Millionen Dollar in den Westen ge bracht wurde, indem man einen Sowjetpiloten bestochen
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hatte. »Die Air Force übertreibt«, sagte er. »Als man die MIG, das Wunderflugzeug der Russen, später zerlegte, sah man, daß sie aus Blech war und rostete. Die Elektro nik hatte sogar noch Röhren. Die Luftwaffe übertreibt eben immer.« »Und die Marine nicht?« fragte der Senator. Der Admiral stand auf. »In wenigen Tagen werden wir es wissen.« Dabei klopfte er dreimal auf Holz. »Ihr Wort in Neptuns Ohr«, sagte der Senator leise. * Zur selben Stunde trafen sich viertausendfünfhundert Kilometer weiter nördlich, nämlich in der amerikanischen Regierungshauptstadt, zwei Männer. Sie saßen sich im Speiserestaurant »Jinni« an einem Nischentisch gegen über und warteten auf den zweiten Gang. Der Jüngere mit dem leicht slawischen Akzent sagte zu dem älteren Grauhaarigen: »Sie wagen es, sich mit mir sehen zu lassen, Hen driks?« »Im Zivilanzug kennt mich hier keiner.« »Er kleidet Sie auch nicht besonders, Mister Hen driks.« »Bitte, keinen Namen.« Der Mann mit dem direkten Draht zur Sowjetbotschaft lehnte sich zurück, denn der Kellner servierte jetzt das Gänsefrikassee mit den kleinen Treibhauskartöffelchen.
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Als der Kellner vorgelegt und nachgegossen hatte, sagte der Jüngere: »Wann sahen wir uns zuletzt?« »In dieser überlauten Disko in Florida.« »Stimmt.« »Hat sich meine Warnung inzwischen bestätigt?« »Teilweise«, antwortete der Blonde mit Augen so rot gerändert, als leide er an Bindehautentzündung. »Seien Sie doch ehrlich Nik, es traf hundertprozentig zu.« »Aber der Grund ist eher dürftig. Sie bergen ein wenig Gold. Was ist das schon.« »Gold?« Der Amerikaner sprach es aus wie eine Frage. »Zweifeln Sie etwa daran?« »Wenn Sie es nicht tun, Nik. Die UdSSR hat andere Möglichkeiten als ich. Ich erfahre nur, was durch die Tü ren sickert.« »Durch die Ritzen von Türen, hinter denen immerhin diejenigen sitzen, die alles wissen.« »Deshalb bat ich um diesen Treff«, sagte Hendriks, der sonst in Washington immer Uniform trug. »Um ein neues Windei zu legen«, reizte ihn der Jünge re mit dem hellen Schnurrbart. Hendriks spülte den aufkommenden Ärger mit Mo selwein hinab. »Wenn Sie das alles nur als Windeier betrachten, dann nehmen wir noch das Dessert und werden uns nie mehr wiedersehen. Aber eines ist Ihnen doch klar, Nik. einen so billigen Nachrichtenlieferanten kriegen Sie nicht wieder.«
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»Sie meinen, weil Sie uns kein Geld kosten«, erwiderte der Jüngere. »Ja, so meine ich es. Und weil meine Informationen immer gut waren und sind.« »Schön«, äußerte der Blonde, »Sie verlangen zwar kein Geld, aber Sie fordern, daß wir auf Ihre Informationen reagieren, daß wir sofort etwas tun.« »In Ihrem Interesse.« »Nein, in Ihrem«, zischte der Mann mit dem slawi schen Akzent. »Sie sind doch einer von den Irren, die aus Idealismus zum Spion werden… aus, so dumm es klingt, aus Vaterlandsliebe.« Nun lächelte Hendriks vieldeutig. »Was erst zu beweisen wäre, mein Freund.« Beim Fleischgang waren sie ihre Emotionen losgewor den, und beim Dessert, es gab Kiwi-Sorbet mit Sahne, kamen sie sich wieder näher. »Was kann ich für Sie tun?« fragte der Jüngere einlen kend. »Bringen Sie mich mit einem Ihrer obersten Chefs zu sammen. Am besten mit -K-.« »Das ist unmöglich.« »Ich weiß«, sagte Hendriks, »aus Sicherheitsgründen verlassen diese Leute ihre Mauselöcher nicht. Aber es muß ja nicht in Washington sein. Ich kann auch nach Pa ris kommen oder nach London. Ich reise auf Luftwaffen tarif.« Der andere schien nachzudenken. »Was haben Sie zu bieten?«
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»Diesmal ist es so brisant«, deutete der Amerikaner an, »daß ich es einem untergeordneten Rang nicht anvertrau en würde. Niemals!« Der Amerikaner hob sein Glas. »Sie sind ein lieber Mensch, Nikolaus, aber für diese Sache eine Nummer zu klein. Die Geschichte ist so phan tastisch, daß Sie sie, aus Angst eine Falschmeldung zu verbreiten, unterdrücken würden.« »Nur eine Andeutung«, bat der Jüngere. »Es geht um diese Flottenoperation.« »Und das Gold.« Der Amerikaner spielte mit dem Fuß des Glases. Glas und Rotwein warfen Reflexe. »Es geht nicht um Gold.« »Um was dann?« »Das sage ich nur Ihrem Chef persönlich.« »Kasikow verläßt Moskau nicht.« »Dann muß er eben eine Ausnahme machen.« »Sie sind ein bißchen anmaßend, Hendriks.« »Nein, ich bin größenwahnsinnig«, erwiderte der an dere, »aber ich muß sicher sein, daß diese hochbrisante Meldung in den richtigen Kanal läuft und nicht irgendwo an einem subalternen Filter hängenbliebt. Außerdem ist es eilig. Die Zeit rennt uns davon. Übermorgen kann es zu spät sein.« Der andere schüttelte nur den Kopf. »Übrigens«, Nik senkte die Stimme, »die Rote Flotte dampft mit äußerster Kraft auf das Operationsgebiet zu.« »Das wird ihr wenig nützen.«
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Nach dem Dessert, als sie rauchten und noch einen Mokka nahmen, machte der Jüngere ein Zugeständnis. »Ich habe noch nie versucht, direkten Kontakt herzu stellen. Vermutlich wird man mich rausfeuern, aber ich will es probieren.« »Es wird Ihrer Karriere nützen«, deutete der Amerika ner an. * Noch in derselben Nacht erhielt Hendriks abschlägigen Bescheid. »Tut mir leid«, sagte sein Kontaktmann, »das Essen war vorzüglich, und ich unternahm wirklich alles, aber es geht nicht. Es verstößt gegen alle nur denkbaren Regeln.« »Dann muß man eine Ausnahme machen.« »Für so wichtig hält man in Moskau keine Information der Welt.« »Meine ist es aber.« »Ich vermute, in der Zentrale weiß man längst, was Sie zu berichten hätten.« »Man kann es gar nicht wissen.« »Sie unterschätzen uns.« »Okay«, Hendriks wollte jetzt keine Zeit mehr verlie ren, »dann beschreite ich eben andere Wege.« Damit hängte er auf, ging zum Kamin und zog einen lockeren Stein aus der Ummauerung. Das Versteck war so geschickt angelegt, daß man mit bloßem Auge keine Fuge sah, und wer machte sich schon die Mühe, Kamine mit
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der Lupe abzusuchen. Hinter dem Stein befand sich eine doppelfaustgroße Höhle. Ihr entnahm Hendriks sein No tizbuch. Zur Sicherheit hatte er die wichtigsten Auf schriebe noch in einem privaten Code aufgezeichnet. Nachdem er die Adresse gefunden und in Klartext ge bracht hatte, schaute er auf die Uhr. In Europa war jetzt früher Morgen. Fleißige Menschen saßen um diese Zeit schon im Büro. Er wählte einen Londoner Anschluß. Es dauerte etwas, bis die vierzehnstellige Nummer durchgeleiert war und er den Anschluß hatte. Eine weibliche Stimme, sehr forsch, fast ein wenig stählern, meldete sich. »Hier ist Washington«, tat Hendriks amtlich, »eine Ab teilung des State Departments. Spreche ich mit Ireen Ba cker?« »Richtig«, kam es zurück. »Und Ihr Name bitte?« »John S. Soleman.« Gewöhnlich vergingen Sekundenbruchteile, bis die Antwort via Satelliten da war. Diesmal währte es länger. »Das ist unmöglich«, scholl es über den Atlantik. »In der Tat«, fuhr Hendriks fort, »ich beliebte zu scher zen. Ich wollte Ihnen damit zu verstehen geben, daß ich Bescheid weiß.« »Worüber?« »Über Ihre Geschäftstätigkeit, Madam«, Hendriks ließ Ireen Backer gar nicht zu Wort kommen. »Können Sie für mich ein Gespräch mit John S. Soleman arrangieren?« »Wiederholen Sie das, Sir«, bat Ireen Backer verblüfft,
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»für den Fall, daß ich Sie recht verstand und es sich ma chen ließe, würde Sie das sehr teuer kommen.« »Geld«, versicherte der Anrufer, »spielt in diesem Fall keine Rolle.« 13. Im teppichbelegten Flur, der zum Präsidentenbüro der BND-Zentrale führte, stieß Urban auf den Leiter der Ope rationsabteilung. »Schon wieder zum Chef?« fragte Sebastian mißtrau isch. »Er wünscht ein paar Unterlagen aus abgeschlossenen Fällen zu sehen«, log Urban. »Die Herkules-Stein-Affäre.« »Als Radfahrer kenne ich Sie gar nicht.« »Gegenteil, der Präsident entdeckte ein Haar in der Suppe und schießt sich auf mich ein.« »Warum läßt er mich nicht schießen«, polterte Sebasti an. »Vielleicht traut er Ihrer Munition nicht.« »Ich erziele Volltreffer«, sagte der Oberst. »Eben«, meinte Urban und ging weiter. Es tat ihm im Herzen weh, den Alten übergehen zu müssen, aber nach wie vor bestand der Präsident auf Ge heimhaltung unter vier Augen. Der Teufel mochte wissen warum. Als Urban das leder- und eibenholzduftende Büro des Chefs des viertgrößten Geheimdienstes der Welt betrat, brütete der Präsident über den SolemanAufzeichnungen. Erst nach einer Weile blickte er auf.
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»Was sagen Sie dazu, Urban. Arbeitete dieser Mann jahrzehntelang als Maulwurf?« »Das System der Perspektivagenten wurde von den Russen erfunden und bis zur Serienreife entwickelt. Da sitzen noch ganz andere Burschen in Washington, die alle Geheimnisse nach Moskau melden.« »Das trifft auch die NATO.« »Ebenso wie unsere Maulwürfe das Bündnis belasten, siehe Guillaume.« »Deshalb diskrete aber konsequente Zusammenar beit.« Der Präsident steckte eine von seinen filterlosen ägyptischen Zigaretten in Brand. »Soleman deutet in sei nem Bericht an, daß es in Washington einen Ring von Gleichgesinnten geben soll. Vermutlich Leute, die gar keine Spione sind, sondern ihrer Nation noch zu nützen glauben.« »Wie der Atombomben Verräter Klaus Fuchs damals vor dreißig Jahren. Und wie sieht das Ergebnis heute aus? Hundertfache Overkillkapazität.« Der Präsident ließ den Rauch wie einen Vorhang auf steigen. »Soleman ist tot, sagen Sie.« »Mause…« »Sie sahen es mit eigenen Augen?« »Auch die Fingerabdrücke des Toten sind die von So leman. Zweifel ausgeschlossen. Ich lasse mir ungern eine Imitation unterschieben.« Der Präsident legte jetzt den Finger senkrecht an den Mund, eine Geste, mit der Geheimdienstchefs geboren zu sein schienen.
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»Weiterhin Stillschweigen.« »Und wenn sich Langley meldet?« »Entscheiden wir von Fall zu Fall.« Als Urban fragen wollte, wozu das gut sein solle, und ob der Präsident etwa über Spezialinformationen verfüg te, sagte dieser: »Im Atlantik kumuliert die Krise. Es geht dort nicht al lein um das Goldschiff. Aber um was geht es dann?« »Hier läßt mich meine Phantasie leider im Stich.« »Keine Gerüchte?« »Nicht einmal das.« »Diesmal sickert auch rein gar nichts durch. Die Ame rikaner verwenden neue Dichtungsgummis, wie?« »Offenbar.« »Wir pokern weiter«, entschied der Präsident. »Unsere Karten stehen ja nicht gar so schlecht.« Wenige Stunden nach diesem Gespräch erhielt Urban einen Anruf aus Washington. Einer der CIA-Leute aus der Agentenebene namens Blacky White, tat so, als wolle er sich beiläufig nach Ur bans Wohlergehen erkundigen. Urban war nie ein Liebhaber von Indianerromanen gewesen, aber an einige der dort üblichen Redensarten erinnerte er sich. Eine davon lautete: Deine Zunge ist vergiftet, weißer Bruder. »Es geht mir gut«, sagte Urban, ebenfalls mit vergifteter Zunge. »Du kamst also heil aus Bulgarien zurück.« »Wer fährt so früh im Jahr nach Bulgarien?«
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»Du«, erwiderte der Kollege. »Bist du nicht einem von unseren Leuten begegnet?« Das war eine Falle. Hätte er mit nein geantwortet, hät te er zugegeben, daß er drüben war. Damit konnten sie nicht rechnen. Der Anrufer war auch zu klug, es zu tun. Also half er Urban über die Brücke. »Du müßtest ihn kennen. Commander Karry. Er ope rierte als Einzelganger, weil wir uns nur damit Erfolg ausrechneten.« »Und wie lautete seine Aufgabe?« »Soleman zu paralysieren.« »Ausschalten also.« »So oder so.« »Gelang es ihm?« spielte Urban weiter mit. »Karry ist überfällig. Wir suchen ihn. Kein Lebenszei chen. Die vereinbarten Funkkontakte nimmt er nicht wahr. Er war auch nicht bei der Stelle, wo er aufgepickt werden sollte.« »Na dann«, bemerkte Urban. »Nur eine Frage noch, Bob«, fuhr der Kollege aus Langley fort, »hast du Soleman gesehen?« Urban überlegte scharf. »Ja.« »Auch gesprochen?« »Dazu ergab sich keine Gelegenheit.« »Er war noch im Sanatorium?« »In einer Jagdhütte.« »Dann muß Karry gescheitert sein.« »An der Aufgabe, ihn herauszuholen oder ihn zu tö ten?«
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»Das eine oder das andere.« »Und worin liegt die Katastrophe?« fragte Urban. Wenn er schon aus Langley angerufen wurde, dann muß te sie nahe sein. »Die Operation Atlantik könnte verraten werden.« »Die Bergung des Goldwracks? Das ist mittlerweile allgemein bekannt.« »Nein, der wahre Hintergrund.« »Wieso kann der verraten werden. Nicht einmal wir haben einen Schimmer.« »Soleman steht mit gewissen Kreisen aus Washington in Kontakt. Wir fürchten, daß diese Verbindungen nicht nur locker bestehen, sondern durch die Russen noch ver stärkt werden.« Urban überlegte. Sollte er ihm sagen, daß er sich keine Sorgen zu machen brauchte. »Zumal wir diese Kreise nicht kennen«, fuhr der Anru fer fort. »Kannst du uns da helfen, auf irgendeine Weise?« »Vielleicht…«, Urban zögerte, »… wenn man wüßte, um was es wirklich geht.« »Darüber kann ich nicht sprechen, dazu ist eine Ge nehmigung des Pentagons erforderlich.« »Deine Sache. Hat ja Zeit, oder?« Blacky White fluchte. »Es hat verdammt keine Zeit!« »Deine Sache«, sagte Urban noch einmal, »wenn ich etwas Neues erfahre, hörst du vor mir. Ich kenne da ein paar Profis, die Soleman befreien wollen. Stehn die fünf Millionen Dollar noch zur Debatte?«
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»Notfalls steigern wir auf zehn«, erklärte der Anrufer. * Sie trafen sich auf halbem Weg. Weil Urban Kavalier war, nahm er 500 Kilometer mehr auf sein Konto. Ireen Backer erwartete ihn im Hotel Commodore in Paris. Sie sah aus wie damals, mit einem Extraschuß Er wartungsfreude. Am Körper hatte sie einen Traum von Nachmittagskleid in Beige mit Goldpaspeln und in der Hand ein Glas Champagner. Ihre Lippen waren weinfeucht, als sie ihn küßte. Aber der Kuß war mehr berechnend als gefühlvoll, deshalb kam Urban rasch zur Sache, Außerdem war seine Neugier angeheizt. »Was könnte ich für dich tun?« fragte er äußerlich kü hl. »Das Außergewöhnliche an uns ist«, sagte sie, »daß nichts auf Gegenseitigkeit beruht.« »Laß hören dein Problem!« Er setzte sich und Ireen setzte sich ihm gegenüber. Die Sessel waren tief, man sank hinein wie in Sahne. Dadurch kamen Ireens lange Beine besonders zur Geltung. Sie schlug sie übereinander, ohne den Rock schamhaft über die Knie zu ziehen. »Ich hoffe, Soleman geht es gut«, setzte sie an. Urban nickte. »Besser als uns, – Aber hält dich dein Albino nicht auf lern laufenden?«
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»Wir mir scheint hat Baucis das Interesse verloren. Er sieht keine Möglichkeiten mehr.« Urban war zufrieden, daß sich die Kunde von Sole mans Ende noch nicht über die bulgarisch-griechische Grenze ausgebreitet hatte. »Mit einer Entführung Solemans wird es wohl nicht so schnell klappen.« »Mir wurde schon ein Gespräch mit ihm genügen«, erklärte Ireen Backer. »Aber nicht du willst ihn sprechen«, stellte Urban so fort klar. »Ein Auftraggeber«, gab sie zu und setzte Urban wei ter ins Bild. »Ein Mann aus dem State Departement ver sucht über mich mit Soleman Kontakt aufzunehmen. Vermutlich, weil ihm alle anderen Möglichkeiten verbaut sind.« »Den Grund nennt er dir nicht.« »Was interessieren mich Lügen«, erwiderte sie. »Man erfährt ja doch nie die Wahrheit. Kannst du mir helfen, Bob?« Urban dachte nach. Er gab sich nicht nur so, er tat es wirklich. Ein Mann wollte Soleman sprechen und wandte sich deshalb an die Chefin einer Fluchthilfeorganisation. Dann hatte der Mann gewiß keinen dienstlichen Anlaß. »Schwierig«, äußerte Urban, »sehr schwierig.« »Ein erstklassiger Kunde«, fügte Ireen hinzu. Urban fragte nach der Höhe des Honorars. Ganz un wichtig war die Summe nicht. Aus ihr ließ sich entneh men, wie bedeutend für den Kunden die Sache war.
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»Und das Honorar stimmt?« »Die Wiederbeschaffungssumme, die man für Soleman ausgesetzt hat, erreicht es bei weitem nicht, aber ich wäre zufrieden.« Urban nahm einen Schluck Champagner. Der regte ihn an. Und Anregung brauchte er jetzt, um eine Konstrukti on aufzubauen, die der Belastung standhielt. »Ja, es gibt eine Chance«, sagte er betont langsam, »So leman ist schwer herzkrank.« Ireens Mund kräuselte sich spöttisch. »Er bleibt uns hoffentlich solange erhalten, bis mein Deal durchgezogen ist.« »Sein Zustand soll so kritisch sein«, flunkerte Urban, »daß man, wie ich aus zuverlässiger Quelle hörte, bereit ist, ihn operieren zu lassen.« »In Moskau?« »Das wäre eigentlich normal«, fuhr Urban fort, »aber es handelt sich um einen äußerst komplizierten Eingriff am schlagenden Herzen, den man nur Spitzenchirurgen überlassen möchte. Wie ich erfuhr – ich gebe das unter Vorbehalt weiter – machte man das dafür beste Team in Schweden ausfindig.« Über das hübsche Gesicht der Engländerin zuckte es. »Würde das etwa bedeuten…« »Schon möglich.« »… daß man ihn per Sondertransport nach Schweden fliegt.« »Ist ja nicht weit.« »Man nimmt also das Risiko auf sich.«
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»Um sicher zu gehen«, log Urban drauflos. »Natürlich läuft alles unter strengster Geheimhaltung und mit jeder Menge Sicherheitsmaßnahmen ab. John S. Soleman wird auch einen anderen Namen erhalten. Vielleicht Jopilew Solenski.« Sie stand auf und ging zum Fenster. Im Gegenlicht der Nachmittagssonne war ihr Körper wie ein von der Sehne gespannter Bogen. »Wann?« fragte sie. »Du weißt doch mehr als du zu gibst.« »Schon bald. Diese Woche oder Anfang der kommen den.« »Das würde ungeheuer passen«, begeisterte sie sich, »mein Kunde brennt darauf, Soleman etwas mitzuteilen. Glaubst du, daß man das arrangieren könnte?« »Machen läßt sich alles, fragt sich nur wie.« »Im Hospital?« »Wenn man es kennt.« »In Schweden dürfte es nicht allzu viele weltbeste Herzkliniken geben, glaube ich.« Urban stimmte ihr wortlos zu. Ireen schaute auf die Uhr. Es ging auf fünf. Drüben in den USA war jetzt Vormittag. »Ich habe eine Nummer«, sagte sie, »wenn ich mich dort per Kennwort melde, ruft er sofort zurück.« »Ein vorsichtiger Mann.« Ireen hob das Telefon ab, ließ sich ein Amt geben, wählte nach Amerika durch und hatte die Verbindung.
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»Hotel Commodore, Paris«, sagte sie, »Suite dreidrei zwo. Nachricht für Namelos. Ich bitte um Rückruf.« »Soleman, Namelos«, murmelte Urban. Ireen Backer war nervös, aber sie zeigte es nicht. * Nach dem Gespräch erfuhr Urban durch Ireens Kommen tar, was er nicht hatte mithören können. »Namelos ist mißtrauisch«, befürchtete Ireen. »Wäre ich auch. Da er nicht in offizieller Mission arbei tet, ist anzunehmen, daß er zu Solemans Kreis gehört, also ein Spion ist. Er muß eine dringende Information abset zen. Entlarvt werden möchte er aber auch nicht. Daher seine Vorsicht.« »Er verlangt Details«, fügte Ireen hinzu. »Was noch?« »Und falls wir Erfolg haben sollten, verlangt er Sole mans Einverständnis.« »Auf welche Weise, bitte?« »Durch ein Zeichen, ein Signal.« »Eine schriftliche Einladung womöglich.« »So ungefähr.« Urban seufzte schwer. Das sei wirklich zuviel verlangt, erklärte er, fast unmöglich zu liefern und zu arrangieren. Und außerdem, warum sollte er das alles tun. Was sprin ge für ihn dabei heraus. Nichts. Dabei verfolgte er weiter planmäßig sein Ziel und leg te sich schon Einzelheiten zurecht. Wenn es funktionierte,
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und es war kompliziert genug, um zu funktionieren, nur die einfachen Sachen gingen meist schief, also wenn er das zustande brachte, dann wollte er sich selbst auf die Schulter klopfen. »Jetzt bist du ratlos«, sagte Ireen, »oder beleidigt.« Urban goß den Rest aus der Flasche in sein Glas und trank hastig. »Das wärst du an meiner Stelle auch.« »Du fühlst dich ausgenutzt. Stimmt’s?« »Es ist immer dasselbe. Die anderen kassieren und mir bleibt die Ehre.« Nicht einmal die Zigarette schmeckte ihm noch. »So ist das im Leben. Der eine zahlt und der andere liefert.« »Ich liefere, aber keiner zahlt«, tat er verärgert. »Oder doch.« Im milden Schein der Abendsonne, die durch die Vor hänge fiel, sah Ireen wirklich fabelhaft aus. Urban fragte sich, ob dieser überschlanke Körper unter dem anliegen den Kleid nun knochig war oder ein paar Rundungen aufwies. »Würdest du einen Scheck von mir annehmen?« fragte sie. »Wenn er gedeckt ist.« »Einen ganz besonderen Scheck, ausgestellt auf ein nicht alltägliches Konto.« Urban drückte die MC aus. »Erzähl mir was von dem Konto«, sagte er. »Und wenn mir die Worte fehlen?«
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Er lächelte. »Dann zeig es mir, das Konto.« Eine Lady mit stärkeren Hemmungen wäre jetzt im Bad verschwunden. Ireen Backer leuchtete es offenbar nicht ein, warum sie das tun sollte, wenn sie später doch nackt aus dem Badezimmer hervorkam. Sie nahm erst den großen Brillantring ab, die Perlen kette, die Armbänder und die Uhr. Dann folgte das übri ge, das Modellkleid, die schwarze Spitzenunterwäsche, das Höschen, bis auf die Strümpfe. Sie legte alles säuberlich und ohne Hast auf das Sofa, nahm es dann aber vom Sofa weg und ordnete es auf den Sessel, da das Sofa ja anderweitig gebraucht wurde. Um sichtig wie stets ging sie zur Tür und sperrte ab, ging zum Telefon und zog den Stecker aus der Dose. Urban genoß die Bewegungen dieses Körpers, der ganz und gar nicht mannequinhaft mager war. Dann nahm Ireen das Stilsofa in Beschlag. »Was meinst du? Ob es zu schmal ist?« fragte sie. »Im Bett«, sagte Urban, seine Krawatte lockernd, »sterben die Bürger.« * Von München aus bereitete Urban das Treffen so vor. als würde es tatsächlich stattfinden. Er machte zwei für den Transport des Sonderbotschaf ters mögliche Linienflugzeuge der Aeroflot ausfindig. Auch das Hospital, in dem das Team für die Herzoperati
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on an Soleman bereitstand, nannte er. Vorsichtshalber jedoch baute er einige Unabwägbarkeiten, die solche Ak tionen immer wieder in Frage stellen konnten, ein. Dann rief er Ireen Backer in London an und gab seiner Befürch tung Ausdruck, daß die Operation möglicherweise in Helsinki, auf einem für die Sowjets günstigeren Territori um stattfinden wurde. Finnland war eng an die UdSSR angelehnt. Dort hatten die Sicherungskräfte des KGB bessere Möglichkeiten. Ireen telefonierte die Nachricht sofort nach Washing ton. Urban wartete die Wirkung der Hiobsnachricht auf Namelos, den unbekannten Auftraggeber, ab, um ihm dann in feinen Dosen neue Hoffnung einzuflößen. Die Operation in Helsinki, so berichtete er, sei wegen fehlender Computerausstattung der Intensivabteilung nun doch nicht möglich und werde endgültig in Schwe den durchgeführt. Der Patient würde mit einer Spezial maschine von Leningrad direkt nach Stockholm geflogen. Und zwar am 27. des Monats. Da der Auftraggeber dringend ein Zeichen Solemans forderte, ließ Urban anhand der SolemanAufzeichnungen einen Brief anfertigen. Der Graphologe, der ihn gemeinsam mit einem Handschriftenfälscher her stellte, garantierte dafür, daß der Brief jedem Vergleich mit Original-Soleman-Texten standhalten würde. Der Brief ging per Kurier nach London und von Lon don per Luftpostexpress nach Washington. Ireen fürchtete schon, daß das die Kurve sei, an der die
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Fahrt zu Ende gehen würde. Aber am 25. kam der Anruf aus den USA. Ireen leitete das Ergebnis an Urban weiter. »Er ist übermorgen in Stockholm.« »Ich nenne dir noch den Namen des Arztes im Soe renswik-Hospital«, versprach Urban. »Er bringt die bei den kurz zusammen. Er verlangt zehntausend Dollar dafür.« »Bist du auch dort?« fragte Ireen. »Was soll ich da«, erwiderte Urban. »Mich sehen.« »Vielleicht komme ich.« Dann sprach er mit der CIA in Washington. »Am liebsten würden wir ihn schon hier festnehmen«, sagte Kollege White, »aber wir wissen nicht, wer er ist. Zu viele Leute fliegen täglich von Amerika nach Europa.« »Deine Stunde kommt bald«, vertröstete ihn Urban. »Wenn es klappt, dann bist du mindestens Gast an der Tafel des Präsidenten.« »Danke«, sagte Urban, »ich komme. Ich mag Hambur gers.« 14. Die Straßen der schwedischen Hauptstadt lagen voller Schnee. Der Winter war nicht etwa zurückgekehrt, er hatte Skandinavien noch gar nicht verlassen. Im Fond des großen Volvo fuhr Urban mit seinem CIA-Kollegen White zum Soerenswik-Hospital.
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Draußen war es so kalt, daß der Schnee unter den Rei fen knirschte und die Volvoheizung die Fenster kaum beschlagfrei brachte. »Und du glaubst, daß er kommt?« fragte Blacky White, der Mann mit dem Kontrastnamen. »Ireen Backer hat es soeben bestätigt. Er ist schon da.« Automatisch faßte der CIA-Agent dorthin, wo er sonst die Pistole trug, aber in einem neutralen Land wie Schweden hütete er sich, bewaffnet herumzulaufen. Es würde ohnehin genug Probleme aufwerfen, den Mann, der Soleman sprechen wollte, ohne Aufsehen in die Bot schaft zu bringen. »Das ist eine echte Superfalle«, äußerte White Aner kennung. »Ist sie erst, wenn sie zuschlägt. Mit dem Spion darin.« »Wir sind dir wirklich zu großem Dank verpflichtet«, fuhr White fort. »Du hast keine Ahnung, wie gefährlich uns dieser Mann sein kann.« »Hast du etwa eine Ahnung?« fragte Urban. »Mehr als das. Ich weiß es. Dieser Namelos muß Zu gang zu Informationen gehabt haben, die unsere AtlantikOperation in Frage stellen würde, wenn die Russen sie zugespielt bekämen. Und das wäre auf dem Weg über Soleman garantiert der Fall.« »Seid ganz beruhigt«, sagte Urban, »Soleman ist ja nicht hier.« »Gott sei Dank.« Der Volvo fuhr nervenaufreibend langsam, und das Hospital lag draußen am Stadtrand.
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»Es geht doch nicht nur um das Goldschiff«, nahm Urban die Unterhaltung wieder auf. »Es ging niemals um das Angola-Gold«, bestätigte White. »Sondern?« White legte die Hand auf Urbans Schulter. »Du hast genug für uns getan, um es zu erfahren.« Urban wartete, aber der Amerikaner schwieg plötzlich wieder und fragte: »Ob der Fahrer Englisch spricht?« »Vermutlich.« »Auch Arabisch?« »Wohl kaum.« »Du verstehst Arabisch?« erkundigte sich White. »Soviel schon.« Deshalb erfuhr Urban es auf Arabisch. »Letzte Nachrichten von der Bergungsflotte«, sagte White mit gesenkter Stimme, »sie haben das Boot am Haken. Es wurde auf Tiefe siebenhundert geortet, ausge schäumt und begann dann zu steigen. Jetzt treibt es wie ein toter Fisch mit leichtem Untertrieb dahin. Kein Pro blem, es nach Norfolk einzuschleppen.« Urban hatte die Ohren gespitzt und versuchte zu über setzen. »Sieht es auch aus wie ein Fisch?« fragte er in der Sprache Mohammeds. »Wie ein fünfhundert Tonnen schwerer Fisch.« »Ein russischer?« White nickte.
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»Ein U-Boot der supernagelneuen Jagdkampf-Klasse. Natocode Hunter. Es schützte den Golddampfer und muß mit ihm im Orkan kollidiert sein. Wir fingen seinen Not ruf auf und machten uns sofort auf die Suche.« »Jetzt habt ihr es am Haken. Und was bringt das?« Sie sprachen wieder Englisch. »Die Erkenntnis, wie weit die Russen sind.« »Auch nicht weiter.« »Es geht um den Antrieb«, deutete White an. »Einer der herkömmlichen Atomantriebe ist für dieses wesent lich kleinere Boot zu groß. Diesel- und E-Maschine wäre Mittelalter, wie wird es also angetrieben? Wir vermuten einen kombinierten Wasserstoff-Motor.« »Patent Professor Walther, Weltkrieg zwo«, erinnerte sich Urban. »Das Problem damals war nur die begrenzte Reichweite auf Grund der geringen Tankkapazität.« »Die Russen müssen das auf irgendeine neue Art ge löst haben.« Urban gab einen Tip ab. »Vielleicht stellen sie den Wasserstoff während der Fahrt selbst her.« »Ja, mit Hilfe von elektrischer Energie aus einem klei nen gekapselten Atomreaktor. In diese Richtung laufen unsere Vermutungen. Sie produzieren nicht soviel Was serstoff wie sie brauchen, aber sie dehnen dadurch die Reichweite auf schätzungsweise zehntausend Seemeilen aus. Damit kommen sie bis an unsere Küsten. Notfalls kann das Boot auch auf Grund gehen und die leeren Tanks langsam wieder mit Wasserstoff füllen. So ein An
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trieb gestattet es, ebenso wie eine Atommaschine, unter Wasser zu bleiben. Der Reaktor kann sehr klein gehalten werden, nicht großer als ein Volkswagen, schätzen wir. Eine ganz neue Technologie wäre das. Das Geheimnis dieses Bootes muß also gelüftet werden.« »Ihr würdet euer Bauprogramm ändern müssen«, vermutete Urban. »Aus Abwehrgründen wäre eine Verschiebung von Rüstungsmilliarden unumgänglich.« »Von der Army zur Navy.« »Und auch von der Air-Force zur Navy.« »Das gäbe aber mächtigen Stunk.« »Deshalb befürchten wir folgendes«, sagte White. Urban winkte ab. Er glaubte zu wissen, was sie be fürchteten, nämlich gezielte Indiskretionen von Seiten der US-Air-Force an die Russen, um den Rüstungsanteil der Luftwaffe nicht zu gefährden. »Auf Einfälle kommen die Leute.« »Um ihre Ziele zu erreichen, sind sie rigoros.« Der Volvo schlitterte um eine Kurve und wurde auf dem eisglatten Belag vom Fahrer abgefangen. Endlich tauchten die Lichter des Hospitals hinter verschneiten Büschen auf. * Sie gaben vor, auf einen der Ärzte warten zu wollen. We nig später wurde Dr. Urban aufgerufen. Ireen war an der Strippe.
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»Alles bereit«, versicherte Urban. »In zwanzig Minuten sind wir da.« Wegen der Straßenverhältnisse dauerte es langer. Aber gegen 21 Uhr hielt draußen ein Taxi. Ireen stieg aus. In einem nagelneuen Nerz kam sie die Treppe herauf und ging durch die Klimaschleuse. Im Foyer schaute sie sich um. Urban erhob sich von einem Sessel hinter Blumenkü beln und nickte ihr zu. »Es kann losgehen«, flüsterte er. »Er wartet im Taxi auf mein Zeichen.« Hinter Urban verließ ein Mann im weißen Mantel den Eingang. Wußte der Teufel, woher sich White den Arzt kittel besorgt hatte, Urban sah, wie White an das Taxi herantrat, mit dem Fahrer redete, dann die Tür aufriß und wie es dann zu einem Handgemenge kam. Urban stürzte hinaus, um White beizustehen. Der Mann mit dem Code Namelos hatte die Waffe schon an Whites Hals gepreßt, als ihm Urban die Hand kante auf das Gelenk hämmerte und der 38er in den Schnee kollerte. Dann versetzte er dem Amerikaner einen Stoß, daß er wieder in das Taxi hineinfiel und Blacky White mit ihm. »Das ist Entführung!« schrie der Mann aus Washing ton, bis ihm White das Maul stopfte. Urban hörte Handschellen klicken. »Zur amerikanischen Botschaft!« rief White dem Fah rer zu.
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Urban stand da und nickte befriedigt über den Schnelldurchlauf. »Ist er es?« »Ja, General James Hendriks von der Luftwaffe. Einer der am wenigsten Verdächtigen, einer der nicht auf unse rer Liste stand. Aber nun werden wir den feinen Club aufrollen.« »O ihr Schweine!« keuchte der General. Urban schaute sich den Mann neben White an. Der grauhaarige schlanke Bursche, etwa Mitte Fünfzig, sah nicht eben aus wie ein landesverräterischer Spion. »Wo hört Vaterlandsliebe auf und wo fängt Verrat an«, bemerkte Urban, »in dieser von Ideologien und Emo tionen aufgeputschten Welt?« »Soleman bekommt er jedenfalls nicht zu Gesicht«, triumphierte White. »Wie denn«, antwortete Urban, »wo Soleman längst tot ist.« Damit schlug er die Tür zu. Das Taxi wendete und fuhr zurück in die Stadt. Urban stand da, fror und steckte sich eine MC an. Trotz der Kälte nahm er den teuren Duft wahr. Er kam von Ireens Parfüm. Sie stand hinter ihm. »Alles nur ein Trick«, zischte sie, »von dir, du Hunde sohn.« »Man lernt nie aus«, erwiderte Urban, »besonders, wenn man jung ist wie du. Solltest mir dankbar sein, Ba by. Du hast eine Menge Erfahrungen gesammelt.«
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»Danke, auf so was verzichte ich gerne, auf so faulen Zauber.« »Ja, das Leben ist eine harte Schule.« »Und wer«, wollte sie wissen, »kommt nun für die Ko sten auf? Wer entschädigt mich?« Urban trat die MC-Kippe in den Schnee. »Der Zauberer«, sagte er und nahm sie beim Arm. 15. Während in Skandinavien die Nächte noch polarkalt und lang waren, schien bei den Bermudas die Nachmittags sonne. Geschützt von einem waffenstarrenden Ring der USFlotte schleppte das Bergungsschiff S-33 das wertvolle Objekt nach Norden. An einer schenkeldicken Trosse hing dreihundert Me ter zurück und auf hundertzwanzig Meter Tiefe das so wjetische U-Boot. Der Plan sah vor, es bis in Küstennähe zu bringen und dort die Schleppleine den seichteren Grundverhältnissen entsprechend zu verkürzen. Sobald das geschleppte Objekt aufschwamm, sollte es von zwei parallellaufenden Korvetten auf die Art, wie man einem Gehbehinderten stützend unter die Arme griff, unterfangen werden. Die Trossen dafür waren von Tauchern bereits um den Rumpf des Hunter-Bootes gelegt worden.
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»Genau das ist der Plan«, erklärte der Admiral Senator McCollin. »Wurde schon Radioaktivität freigesetzt?« erkundigte sich der Senator. »Bis jetzt sind keine abnormalen Werte im Seewasser.« »Dann ist der Reaktor also noch dicht.« »Oder es gibt gar keinen.« »Das würde bedeuten, daß es sich um ein konventio nelles U-Boot handelt.« Der Admiral beantwortete diese Frage nicht. Er faßte sie gar nicht als Frage auf. Mit einer nur annähernd logi schen Erwiderung hätte er zugeben müssen, daß die gan ze Operation für die Katz war und das Risiko in keinem Verhältnis zum Ergebnis stand. Schließlich hatte die Rote Flotte bei den Bermudas mit vierzig Schiffen aller Größen einen Sperriegel gebildet. Die sowjetische Armada war noch nicht in Sichtweite des Trägers, aber schon auf dem Radarschirm sah der Aufmarsch furchterweckend aus. In Eile hatten die Russen alles zusammengezogen, was unten einen Kiel und oben Kanonen oder Raketenwerfer hatte. Und während zwischen Moskau und Washington die Fernschreiblinien dauerbesetzt waren, näherte sich die amerikanische Flotte der Roten mit 14 Knoten Geschwin digkeit pro Stunde. Der Navigationsoffizier auf dem Träger »Eisenhower« berechnete Kurs und Distanz mit der von ihm erwarteten Präzision.
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»Zusammentreffen der Einheiten spätestens 18 Uhr 30 Ortszeit«, meldete er auf die Brücke. »Das wäre«, rechnete der Admiral, »in vierzig Minu ten also.« Der Admiral erörterte die Lage mit dem Senator, aber nicht in einem Ton, als fordere er eine Entscheidung von ihm. Entscheidungen wurden im Pentagon gefällt. Die Funkverbindung mit dem Verteidigungsministe rium war auf permanent geschaltet. Daß die Ostküste der USA jetzt Voralarm hatte, war allen klar. Um 18 Uhr 30 wurde die Alarmstufe das ganze Land, von Kalifornien bis Neuengland erfassen. Und noch einmal 15 Minuten später wurde aus Alarmstufe grün Alarmstufe rot wer den. Der Senator wurde in den Navigationsraum gerufen, wo ihn ein Funkferngespräch erwartete. Als er wieder auf die Brücke kam, wäre sein Gesicht weiß wie Quark gewe sen, wenn es die Abensonne nicht rot verfärbt hätte. Der Admiral behielt sein Fernglas vor den Augen. Er bot ein Standbild von kühler Unerschütterlichkeit. Er fragte nicht einmal: Nun? »Nun«, sagte Senator McCollin, »der Präsident meint, man soll es darauf ankommen lassen. Ob wir etwas am Haken haben oder nicht, zu bewiesen ist nichts. Die Russen bluffen.« »So wie wir bluffen.« »So ein Bluff hat es an sich«, meinte der Senator, »daß er irgendeinem ins Auge geht. Fragt sich nur in wessen Auge.«
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Der Admiral, ein Mann, der schon vor 36 Jahren im Pazifik den Japanern die Zähne gezeigt hatte, beschloß, auch jetzt eine Gebärde der Unerbittlichkeit zu demon strieren. »Wo steht das sowjetische Flaggschiff« fragte er im Radarraum an. »Die .Kiew peilte in drei-sieben-sieben Grad, Sir.« »Okay, entschied der Admiral. »Kurs auf die Kiew Mittschiffs Und Maschinen äußerste Kraft voraus! Mal sehen wer hier als erster mit der Wimper zuckt.« Um 17 Uhr 50 betrug die Distanz zu dem sowjetischen 30.000-Tonner noch elf Seemeilen. Die »Eisenhower« lief jetzt, was die Maschinen hergaben Der Admiral ließ seine F-15-Staffeln starten und die Raketenabschußgestelle auf die »Kiew« einrichten. Die Radarantennen drehten sich. Alle zwanzig Sekun den warfen die Dampfkatapulte einen der Düsenjäger, die Bomben genug unter den Flächen hatten um zehn sowje tische Flaggschiffe zu vernichten, in die Luft. Gleichzeitig zog die US-Flotte den Schutzring um S-33 noch enger. »Klar zum Durchbruch!« befahl der Admiral über UKW allen Kommandanten Jetzt kam es auf Minuten an. Wurden die Russen auf ihrer Position beharren? Es stand Spitz auf Knopf im At lantik. Die Kreuzermasten der Russen tauchten auf, dann ihre Rumpfe. Bald konnte man auch ihre Flaggen sehen, die weißen Lappen mit dem roten Stern.
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Distanz drei Meilen. Distanz zwei Meilen. Es wurde beklemmend. Überall atemlose Spannung. Und dann drehten sie ab. Sie öffneten den Ring, bildeten Lücken, zerstreuten sich in alle Richtungen der Windrose. Die US-Flotteneinheit hatte freie Fahrt Kurs Norfolk. »Man muß nur die besseren Nerven haben«, frohlockte der Admiral. »Alles ist eine Nervenfrage.« * Um 21 Uhr, kurz nach Sonnenuntergang, pirschte sich ein sowjetisches U-Boot der Golf-Klasse an den amerikani schen Flottenverband heran. Der Kommandant zeigte, daß auch er Nerven hatte. Ohne auf Ortung durch die US-Begleitzerstörer zu achten, durchbrach er in Tiefe 400 den Ring um das Ber gungsschiff S-33. Als er es einwandfrei identifiziert hatte, war es mit moderner Elektronik nicht mehr schwer, auch das Objekt zu erkennen, das S-33 am Haken hatte. Der sowjetische Korvettenkapitän erteilte in aller Ru he, wie bei einem Ostseemanöver, seine Kommandos. »Zielsuchende Torpedos!« »Rohre geladen!« kam es von vorn. »Alle Bugrohre fluten!« »Bugrohre sind geflutet!« »Genaue Lage drei null Grad.«
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»Ist eingestellt.« »Tiefe hundertzwanzig Meter!« »Tiefe hundertzwanzig.« »Lage laufend!« »Lage läuft mit!« »Dreierfächer!« »Rohr eins fertig!« kam es aus dem Bugraum. »Rohr zwo fertig! Rohr drei fertig!« Der Kommandant fuhr den Angriff ausschließlich nach Unterwasserradarortung. »Torpedos Achtung!« »Schußklar!« »Feuer frei!… Rohr eins Schuß!… Rohr zwei…« Während das sowjetische Boot abdrehte und die Tor pedos liefen und der Kommandant sich eine Tasse Tee reichen ließ, sagte er: »Wird ja noch erlaubt sein, sein eigenes Boot zu ver senken, denke ich. Oder?« Vierzig Sekunden später hatten die schnellaufenden ETorpedos das an der S-33-Trosse hängende sowjetische Hunter-Boot erreicht und getroffen und mit ihren Spreng ladungen zerfetzt. Die Unterwasserdetonationen setzten sich fort wie ein Seebeben. Es brachte nicht nur die Ein heiten der US-Flotte zum Zittern, es erreichte auch das mit hoher Geschwindigkeit ablaufende Golf-Boot. Wenige hundert Meilen vor der Küste war den Ameri kanern der Fisch von der Angel geschossen worden.
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Um zu retten, was zu retten war, ließ der Admiral stop pen und bei der Detonationsstelle Wasserproben ziehen. Sie schwenkten Pinassen außenbords und sammelten alles ein, was aufschwamm. Im Licht der Scheinwerfer sah man ein paar Lachen treiben, schillernde Flachen von Maschinen- und Hydrauliköl, Holzteile von Innenver schalungen und Gemüsekisten. Radioaktivität wurde keine festgestellt. Ais dem Admiral das Ergebnis vorlag, resümierte er: »Ein Atomreaktor war also nicht an Bord.« »Oder er hielt stand.« »Drei Torpedos hätten ihn garantiert zum Bersten ge bracht«, erklärte der Admiral, »oder die Russen verwen den ganz neuartiges Material. Aber das ist wieder ein anderes Problem.« Nun waren auch die Techniker der US-Navy über zeugt, daß es sich bei dem aus der Tiefe geborgenen Schiff um ein konventionelles Boot gehandelt haben müsse. »Zufrieden, Admiral?« wandte sich der Senator leise an den Flottenchef. Der Admiral hob die Schultern. »Nur der Teufel«, sagte er, »weiß über zwei Dinge ganz genau Bescheid. Über die Treue der Frauen und über den Stand der russischen Rüstungsindustrie.« »Wir haben den Bluff nicht alleine erfunden.« »Sie meinen also?« »Ja, ich meine«, sagte der Admiral.
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Mit einem Koffer voll Bargeld, lauter bankfrischen Green backs direkt aus Washington, fuhr Urban ins Hotel. Nachdem er sein Versprechen eingelöst hatte, fragte Ireen: »Ein Glas Champagner?« »Danke, ich habe keine Zeit.« Sie schmiegte sich an ihn, hob die Hand und spreizte Zeige- und Mittelfinger ab. »Wie war das doch? Ich meine, wie lautet unsere Ver einbarung… War da nicht von zweimal die Rede? Einmal in Paris… und ...« Urban hatte noch eine Verabredung mit denn Präsi denten, um den Vier-Augen-Fall durch ein abschließendes Gespräch zu beenden. Danach wurde die Sache ver gessen sein. Ein für allemal. Denn eine Sache, von der niemand etwas wußte, nützte zwar weder der Brieftasche noch der Ehre, sie schadete aber auch nicht dem Ruf. Egal wie sie endete. Urban rechnete überschlägig. »Ware dir siebzehn Uhr passend?« fragte er. Ireen nickte. »Du paßt mir immer«, flüsterte sie. »Aber sei pünkt lich, bitte.« ENDE
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