Seewölfe 144 1
Fred McMason 1.
Der Schatten sprang Dan O'Flynn aus der Dunkelheit des Vordeckganges zum Kabelgatt an. ...
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Seewölfe 144 1
Fred McMason 1.
Der Schatten sprang Dan O'Flynn aus der Dunkelheit des Vordeckganges zum Kabelgatt an. Der Angreifer mußte sich kurz vorher hingekauert und mit der Schulter gegen das Schott gelehnt haben, nur so war es zu erklären, daß Dan ihn erst jetzt erkannte — als er wie ein großer schwarzer Panther auf ihn zu schwang. „Verdammt!“ rief Dan. Zu weiteren Äußerungen blieb ihm keine Zeit. Die Schnelligkeit, mit der die Attacke des Gegners erfolgte, raubte ihm den Atem und versetzte ihn fast in Panikstimmung. Der Angreifer stieß im Sprung etwas in seiner dumpfen und kehligen Sprache aus, aber weder verstand Dan den dunkelhäutigen Kerl, noch begriff jener, was der junge O'Flynn soeben gesagt hatte. Aber das Wort hatte hier auch keinerlei Bedeutung, es bedurfte keines Dolmetschers, um die Eindeutigkeit der Situation darzulegen. Es war richtig, daß Dan gerade jetzt noch einmal ins Vorschiff der Galeone hinuntergestiegen war. Zu diesem Zeitpunkt war es gleichsam eine Notwendigkeit, die Türverriegelungen des Kabelgatts und des anderen Vordecksraumes zu kontrollieren, in denen die zehn hamitischen Gefangenen eingesperrt waren. Auch die Fesseln der Kerle hatte Dan überprüfen wollen. Denn jetzt, da die „Isabella VIII.“ zum letztenmal vor der ostafrikanischen Küste ankerte, wäre es den Hamiten ein leichtes gewesen, die Flucht zu ergreifen — vorausgesetzt natürlich, sie konnten sich aus ihrem Verlies befreien. Und das war einem von ihnen jetzt gelungen. Dan erkannte ihn als einen jener beiden wieder, die von Sarego und Batuti im Kral der Bantus festgenommen worden waren. Diese Hamiten waren später nicht mehr in Ketten gelegt worden wie die anderen acht, weil der Seewolf ja ohnehin vorhatte, den lästigen Ballast auf dem nächsten einsamen Eiland abzusetzen. Ausgesprochen schlecht war es, daß Dan nur kurz dem Profos Bescheid gegeben
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hatte und dann ins Vordeck hinuntergegangen war, ohne einen Begleiter mitzunehmen. In diesem Augenblick begriff Dan, was für eine Nachlässigkeit das war. Überhaupt, sie hatten die Hamiten, die sich bislang nicht gerührt hatten, unterschätzt. Dan konnte seine Miqueletschloß-Pistole nicht mehr zücken, auch nicht das doppelschneidige Messer, das er in einer Lederscheide am Hüftgurt trug. Der Hamite war über sechs Fuß groß und trug ein Gewand aus rostrotem Tuch wie seine Kumpane. Das Haar hatte er zu einem Zopf zusammengedreht, um seinen Hals hing eine Kette aus bunten Perlen. In diesem Aufzug hatte er mehr Verwandtschaft mit den kaftangekleideten Arabern als mit den Negern. Die Hamiten glaubten denn auch, die Bantus als minderwertige Sorte Mensch betrachten zu müssen, und die gleiche Verachtung brachten sie ihren weißen Todfeinden entgegen. Aller Haß der Welt schien in dem Angriff des Hamiten zu liegen. Er warf Dan O'Flynn mit der Wucht seines Körpers auf die Planken des Ganges, war über ihm und schlug auf ihn ein. Dan wehrte sich mit den Fäusten. Der Hamite trachtete ihm das Messer zu entreißen, aber Dan konnte sich so drehen, daß die Waffe unter seiner Körperflanke begraben wurde. Während sie erbittert rangen, fragte Dan sich unwillkürlich, wo wohl der andere stecken mochte — der, der mit diesem Burschen zusammen gefaßt worden war und gleichfalls keine Ketten trug. Ursprünglich war es ein Trio von Hamiten gewesen, das geflohen war, als Hasard in den Kampf zwischen der hamitischen Schmugglerbande und den Bantus eingegriffen hatte. Ihm war es mit einer Handvoll seiner Männer gelungen, die Hamiten zu besiegen. Die Leichen waren verscharrt worden. Auch alle anderen Spuren der blutigen Auseinandersetzung hatten die Seewölfe und Sarego mit seinen Frauen beseitigt. Danach hatten sie die Mädchen und das Elfenbein an Bord der
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„Isabella“ gebracht und die Dromedare der Hamiten in die Savanne gejagt. Sarego und Batuti waren zum Kral der Bantus aufgebrochen, um die dort versteckten älteren Frauen sowie die Kinder zu unterrichten und zu betreuen. Und das hamitische Trio? Statt schleunigst zu verschwinden, hatte es sich an eine spanische Reiterpatrouille gewandt. Die hatte zwar die Galeone der Seewölfe nicht mehr gesichtet, wohl aber den Lärm des Gefechtes vernommen, in das Lucio do Velho Hasard inzwischen verwickelt hatte. Die Patrouille hatte auf die haarsträubenden Lügengeschichten der Hamiten hin die Verfolgung der Bantus bis zum Kral hin aufgenommen — und beinahe wären die Frauen und Kinder gefunden worden. Einen der drei Hamiten hatte Sarego etwas später im Zweikampf getötet. Die anderen beiden hatten sich ergeben. Nördlich von Lourenco Marques war dies geschehen, aber inzwischen befand sich die „Isabella VIII.“ -nach einer spektakulären Rettungsaktion für die Bantus - rund fünfzig Seemeilen südlich der spanischen Niederlassung in einem Gebiet, das von den Spaniern und Portugiesen schwer zu kontrollieren war. Hier lag das Dorf eines Sarego und seinen Frauen befreundeten Bantustammes, hier waren die gehetzten Schwarzen endlich sicher. Der Hamite versuchte immer wieder, Dans Schläfe zu erwischen. Dan wußte, daß es aus war, wenn ihn die harten Knöchel des Kerls trafen. Er verteidigte sich verzweifelt. Er wollte dem Hamiten ein Knie in den Leib rammen, aber der Mann erkannte das Unternehmen im Ansatz und vereitelte es, indem er Dans Beine auf die Planken preßte. Rächen wollte sich der Hamite, dann das Vordeck verlassen, in die See hechten, davonschwimmen, fliehen, ja, die Landsleute ruhig im Stich lassen, nur die eigene Haut retten und zu den Spaniern laufen, die einen Vergeltungsschlag gegen die Bantus führen würden.
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Der Hamite war stark, Dan hatte es nicht leicht, sich gegen ihn zu behaupten. Der Kampf war an einem fast toten Punkt angelangt. Sekundenlang hieben und rangen die Männer, ohne daß sich die Überlegenheit eines von ihnen abzeichnete - bis der Hamite seinen Arm um Dans Hals schlang und damit zu würgen begann. * „So“, sagte Smoky. „Damit hätten wir auch die letzte Fuhre geschafft.“ Was er da so freimütig als „Fuhre“ bezeichnete, war eine ganze Bootsladung vergnügter, halbnackter schwarzer Mädchen, die sich in diesem Augenblick durchs Flachwasser watend an Land begaben. Das Boot, in dem die Ruderer Jeff Bowie, Luke Morgan, Will Thorne und Bill mit heißen Köpfen saßen, schwankte ganz erheblich, und die Füße der Mädchen quirlten das Wasser auf. Es spritzte und gischtete, daß es eine Freude war. Hasard stand dicht neben Smoky. Er hatte mit seinem Decksältesten, dem GambiaMann Batuti und dem Bantu Sarego das andere Boot vorangepullt. Auf Saregos Bitten hin begleitete er die schwarzen Freunde noch bis an Land, bevor auch er sich von ihnen verabschiedete. Sarego und Batuti waren an diesem Morgen als erste gelandet. Sie hatten sich zu Fuß auf den Weg zu dem Kral der befreundeten Bantus begeben. Nach knapp einer Stunde waren sie in Begleitung von zwei „Delegierten“ des Stammes zurückgekehrt. Saregos formeller Bitte an den Stammeshäuptling, in den Kegelhütten wenigstens für einige Zeit aufgenommen zu werden, war sofort stattgegeben worden. Waffen und Schmuck, die der Seewolf Sarego und Batuti ausgehändigt hatte, hatte der Häuptling als Geschenke zwar nicht annehmen wollen, aber nach einigem Palaver hatte er sie dann doch akzeptiert. Der Weg in den Kral war geebnet, er stand Sarego, den Frauen und den Kindern offen.
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Hasard blickte über das kniehohe Büffelgras nach Südwesten. Dort, wo der Pfad zum Kral nach zwei bis drei Meilen in dichten Busch führte, hatte sich eine illustre Gesellschaft eingefunden - gut zwei Dutzend Dickhäuter mit großen, wachen Ohren und forschenden Augen. Ganz langsam bewegten sie sich voran, ließen die Menschen jedoch nicht aus den Augen und waren bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen. Graue Kolosse, in deren faszinieren- dem Erscheinungsbild die schneeweißen Stoßzähne einen erstaunlichen Kontrast bildeten. Smoky folgte Hasards Blick. „Ja, das sind schon stolze Kameraden, diese Elefanten. Ich frage mich nur, wie die Bantus es ohne Feuerwaffen fertigbringen, diese Giganten zu erlegen.“ „Sie bauen Fallgruben.“ „Das hat Sarego dir erzählt?“ „Ja. Die Bantus nehmen den männlichen Elefanten aber nicht nur ihre bis zu zwei Yards langen, manchmal fünfzig Pfund wiegenden Stoßzähne ab, sie leben auch von dem Fleisch der Tiere und gerben deren Haut, um aus dem Leder Kleidung und Hütten herzustellen“, sagte der Seewolf. „Sie würden niemals versuchen, die Großtiere auszurotten, sondern jagen immer nur so viele, wie sie wirklich brauchen.“ „Ich verstehe“, sagte Smoky. „Erst der weiße Mann hat dem Elfenbein den Wert verliehen, den man ihm heute auch in den vornehmen Häusern unserer Heimat beimißt.“ „Weißes Gold“, erwiderte Hasard. „Es ist so begehrt; daß sich die Menschen seinetwegen die Köpfe einschlagen. Wohin soll das noch führen?“ Sein Blick streifte die Ladung Stoßzähne, die von seinen Männern an Land geschafft worden war. Sarego, die beiden Krieger des befreundeten Stammes 'und die jungen Frauen würden das Elfenbein zum Kral tragen und dort gut verstecken. Nur im Notfall würden sie dereinst versuchen, sich mit diesem Reichtum freizukaufen, falls die Spanier jemals bis zu dem verborgenen Dorf vordrangen und sich Sklaven holten.
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Bislang hatten sie die Elfenbeinjäger verschont. Es hatten erst die Hamiten auftauchen müssen, skrupellose Banditen, die das ganze Land Zanguebar verunsicherten und das Leben der Bantus in eine Hölle verwandelten. Injuru, eine der tapfersten jungen Frauen des Stammes, trat auf den .Seewolf zu. Sie sprach auf ihn ein, und die Mädchen, die inzwischen alle den breiten Sandstrand erreicht hatten, verstummten auf einen Wink von Negwa, Saregos Braut, hin. „Batuti“, sagte der Seewolf. „Ich verstehe nicht, was sie mir erzählt. Komm her und übersetze.“ Der Herkules aus Gambia schritt auf seinen Kapitän zu. Er lauschte den Worten der jungen Frau und betrachtete sie von der Seite. Injuru war wie Negwa eine Naturschönheit mit weichen Zügen, sinnlich gewölbten Lippen und festen Brüsten, die in der Ebenmäßigkeit und Harmonie ihres vollkommenen Körpers dominierten. Ein Anblick, der das Herz jedes Mannes schnell schlagen ließ –und doch, niemand wagte es, Injuru anzurühren, denn sie hätte bei dem Kampf im Kral ihren Mann verloren. Man sah ihr nicht an, daß sie schwanger war, aber alle wußten es. „Sie sagt, die Unbekümmertheit der jungen Mädchen und die Gesundheit der Kinder sei die Kraft, die ihren Stamm aufrechterhalte“, sagte Batuti. „Darin und in der Frucht, die sie unter dem Herzen trägt, liege die Zukunft.“ „Sie werden noch eine Zeitlang um ihre Toten trauern“, entgegnete der Seewolf. „Aber sie werden es auch lernen, alles Geschehene zu vergessen. Ich weiß, daß sie es schaffen.“ Batuti dolmetschte wieder, und Injuru sah daraufhin dem Seewolf fest in die Augen und fragte: „Werden wir uns wiedersehen'?“ „Bestimmt.“ „Wann?“ „Eines Tages ...“ „Wenn mein Kind geboren ist?“ „Wenn es auf die Welt gekommen und ein bißchen gewachsen ist”, sagte der Seewolf
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lächelnd. „Und nun laßt uns Abschied nehmen. Ich weiß, ihr würdet es gern sehen, wenn wir mit euch ins Dorf gingen und eine Weile bei euch blieben — aber das geht nicht. Ich habe euch erklärt, warum es nicht möglich ist.“ Injuru lauschte den Erläuterungen Batutis, dann nickte sie stumm. Sie machte aus ihren Tränen keinen Hehl und hielt sie nicht zurück. Ganz kurz stellte sie sich auf die Zehenspitzen, beugte sich vor und hauchte Hasard einen Kuß auf die Wange. Dann wandte sie sich rasch ab und lief zu Negwa hinüber. Einzelne Mädchen sagten auch den Seewölfen in den Booten durch Küsse ade. Hasard war inzwischen zu Sarego getreten und sagte: „Sarego, ich werde auch die andere Hälfte des Elfenbeins noch an Land bringen. Batuti, übersetze bitte.“ Sarego hob abwehrend die Hände, als Batuti ihm dies in der Bantusprache auseinandergesetzt hatte. „Nein! Niemals! Das weiße Gold ist unser Geschenk an euch, ihr dürft es nicht ablehnen! Ihr würdet mich und die Frauen zutiefst beleidigen.“ „Ihr könnt das Elfenbein noch gut gebrauchen“, erklärte der Seewolf. „Und wir haben nicht das Recht, es euch abzunehmen.“ So ging das noch eine Weile hin und her, aber Sarego sträubte sich so eisern, daß Hasard zum Schluß nur eins übrigblieb. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Na dann — belassen wir's dabei. Ich bedanke mich und verspreche dir, daß wir euch immer in unserer Erinnerung behalten werden.“ Er streckte die Hand aus, Sarego ergriff und drückte sie. Die beiden so unterschiedlichen Männer blickten sich schweigend an. Dann drehte Sarego sich zu seinen Leuten um und schritt davon, um nicht zu zeigen, wie nahe auch ihm dieser Abschied ging. Hasard sah zu Smoky, Batuti und den anderen vier Männern seiner Crew. „He, was sind denn das für Gesichter?“ sagte er. „Ist euch eine Laus über die Leber gekrochen?“
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Smoky fing sich als erster. „Nein, Sir. Na los, Jungs, keine Müdigkeit vorschützen und keine Löcher in die Luft glotzen. Wir rauschen ab, gehen an Bord unsrer alten Lady und sehen zu, daß wir den Wind ausnutzen, der so schön frisch von Nordosten weht.“ „Pullen“, sagte Jeff Bowie. „Uns bleibt ja doch nichts anderes übrig. O Jesus, wie gern wäre ich hiergeblieben.“ „Wem sagst du das“, murmelte Will Thorne. „Feine Mädchen waren das“, sagte nun auch Bill schwärmerisch. „Einfach zum Anbeißen.“ „He“, knurrte Luke Morgan. Er musterte den Moses aus schmalen Augen. „Seit wann verstehst denn du was von Weibern? Lern erst mal deine Lektionen, dann kannst du mitreden.“ „Ich bin jetzt siebzehn, vergiß das nicht.“ „Na und?“ sagte Luke. „Vielleicht habe ich bei Mädchen mehr Chancen als ihr alle zusammen“, erwiderte Bill mit erhobenem Kopf. „Mann“, sagte Luke Morgan. „Dir ist wohl eine Muck aus dem Schapp gefallen, was? Werd bloß nicht frech. Mehr Chancen — da lachen ja die Hühner.“ Jeff und Will hatten den Dialog der beiden amüsiert verfolgt und grinsten sich jetzt eins. Ja, Bill, der auch nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren war, konnte durchaus recht haben. Und wenn man ganz ehrlich sein wollte: So mancher Seewolf kriegte glatt das Grausen, wenn er sein Spiegelbild mal zufällig im Wasser betrachtete. * Ben Brighton und die anderen, die auf der „Isabella“ zurückgeblieben waren, hatten die Trennungsszene schon hinter sich, aber sie lehnten jetzt natürlich alle am Steuerbordschanzkleid ihrer Galeone, auf Achter- und Quarterdeck, Kuhl und Back verteilt und sahen den davonziehenden Schwarzen nach. Bedauern und Sehnsucht, etwas Entsagungsvolles, ja, sogar Unglückliches mischte sich in ihren
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Blicken, und in der Luft schien ein nicht ausgestoßener Seufzer zu hängen. Alle verfolgten, wie Hasard und die Bootsmannschaften den Rückweg zur „Isabella“ antraten. Alle? „Hölle, wo steckt denn Dan?“ sagte der alte O'Flynn. „Muß der Knabe denn ausgerechnet jetzt verschwinden? Und wohin, frage ich?“ „Keine Ahnung“, entgegnete Ferris Tucker. Er sah richtig entrückt nach Westen, wo vor dem Laubvorhang des Busches allmählich die Elefantenherde davonzog und das Büffelgras nach und nach die Gestalten der Bantus schluckte. „Was für Prachtweiber“, flüsterte Ferris. „Und so unverdorben“, fügte Shane hinzu. „Hör auf“, sagte Blacky, der auf dem Niedergang zwischen Achterund Quarterdeck stand. „Mir. wird ganz anders, wenn ich eure Schwärmereien höre.“ Carberry war bei Ben Brighton auf dem Quarterdeck stehengeblieben. Er hatte es genossen, daß die warme Morgensonne ihm aufs Haupt schien und auch die Schmerzen etwas linderte, die immer noch in seiner lädierten rechten Schulter waren. „Das Ding“, wie er es nannte, hatte er in der Schlacht gegen Lucio do Velho, diesem fanatischen Hetzer, eingefangen. Carberry horchte jetzt auf und hob witternd den Kopf. „Was redet ihr da? Habe ich richtig gehört? Werdet bloß nicht schwach, ihr elenden Kanalratten.“ „Wer spricht denn von so was“, erwiderte Ferris Tucker. „Kann man hier nicht mal von Frauenzimmern reden, ohne daß du zu meckern anfängst? Und außerdem - du hast uns gar nichts vorzuschreiben, Ed.“ Carberry wandte den Kopf, reckte sein ohnehin beängstigendes Rammkinn noch ein wenig weiter vor und blinzelte den rothaarigen Schiffszimmermann an. „Was du heute für dicke Töne spuckst, Ferris. Kleine Meuterei anzetteln, was, wie? Aber daraus wird nichts, solange ich ...“ „Hör doch auf“, sagte Big Old Shane grollend. „Du siehst ja Gespenster, Edwin.“
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„Gespenster?“ ächzte der alte O'Flynn. „Hat jemand was von Geistern und vom Wassermann gesagt?“ Shane drängte sich dicht neben den Alten und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Halt die Luft an, du Stint, oder es gibt Ärger. Mann, haben die Mädchen hier vielleicht Verwirrung gestiftet. Alle sind total durcheinander, und keiner will's richtig zugeben.“ Carberry grinste jetzt. Sein Blick wanderte wieder vom Achterdeck und dem nach oben führenden Niedergang auf die See und fing die zwei Ruderboote ein, die jetzt unter dem raschen Schlag der Riemen zügig näher glitten. Der Profos hielt sich nicht mit dem Begutachten der Art auf, wie die Männer pullten, das war ja nicht sein Bier, weil der Seewolf höchstpersönlich Bootsführer war. Carberry drehte den Schädel weiter, nach links und musterte den Rest der Crew. Sein Grinsen erlosch wieder. Da standen sie und starrten sich die Augen aus dem Kopf. Sogar der Kutscher, der sonst nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu werfen war, hatte das viele Wild vergessen, das die Bantus aus dem Kral herübergeschafft und an Bord der „Isabella“ hatten bringen lassen — jawohl, er vergaß in diesem Moment seine heilige Pflicht, den Frischproviant ordnungsgemäß zu verstauen. Die abgehäuteten Hälften von Kaffernbüffeln, ganze Antilopen und Gazellen lagen immer noch auf dem Kuhldeck herum. Und Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies mit seiner Beinverletzung, Al Conroy, Sam Roskill, der am linken Arm verwundete Bob Grey' und Stenmark, der bei dem letzten Gefecht auch einen Kratzer davongetragen hatte? Die reckten auch die Hälse und versuchten, einen letzten Blick auf die Davonwandernden zu erhaschen. Sogar Arwenack und Sir John schienen aus diesem Grund ihre sonst üblichen Zankereien aufgegeben zu haben. In friedlichem Einvernehmen hockten der Affe und der karmesinrote Aracanga vorn auf der Balustrade des Vorkastells und
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hielten den Blick ebenfalls zum Land gerichtet. „Rübenschweine“, sagte der Profos. „Hölle, wie ihr da 'rüberglotzt. Man brauchte euch jetzt bloß ein Startzeichen zu geben, und ihr würdet allesamt ins Wasser springen und an Land schwimmen, was?“ „Was sagt er?“ fragte Gary Andrews, ohne seine Aufmerksamkeit auch nur einen Moment dem Profos zu widmen. „Daß wir ein lüsterner Haufen seien und den Mädchen am liebsten nachsteigen würden“, sagte Matt Davies. „Nie würden wir das tun“, versicherte Al Conroy, ohne genau hingehört zu haben. „Nein, Sir“, sagte nun auch Sam Roskill. „Ganz gewiß nicht, Sir.“ „Ihr Salzheringe!“ schrie Carberry jetzt. „Wo steckt eigentlich Dan O'Flynn? Ich sehe ihn nirgends. Hat der Bursche sich in Luft aufgelöst, was, wie?“ „Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit über“, meldete sich Old Donegal Daniel O'Flynn vom Achterdeck aus zu Wort. „Ed!“ rief Ben Brighton. „Hat Dan nicht zu dir was gesagt, ehe er über die Kuhl in Richtung Back verschwand?“ Carberry schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, daß es nur so knallte. „Ach richtig — im Vordeck nachsehen wollte er, mal schauen, ob unsere Gefangenen auch noch richtig verschnürt sind. Mann, wie konnte mir das denn nur entfallen?“ „Ganz einfach“, antwortete Bob Grey vergnügt. „Du hast auch nach den Mädchenhintern geschielt, gib's doch zu, Profos.“ „Du kannst mir mal im Mondschein begegnen“, sagte Carberry. „Und weißt du, was ich dann tun würde, Bob Grey?“ „Sicher, Sir. Du würdest mir die Haut in Streifen ...“ „He, Ed!“ rief Ben in diesem Moment dazwischen. „Ich finde, das dauert verdammt lange. Wieso läßt Dan sich nicht wieder blicken?“ „Ballie und Andrews“, bellte der Profos daraufhin sofort. „Ab durch die Mitte — 'runter ins Vordeck. Seht nach, was
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O'Flynn wieder angestellt hat. Wenn er sich klammheimlich einen hinter die Binde gegossen hat, gibt es Dampf.“ „Quatsch“, murmelte Pete Ballie, der Rudergänger der „Isabella“. „So was verbricht Dan doch schon seit einiger Zeit nicht mehr. Seit der nicht mehr im Großmars hockt, hat er sich gewaltig gemausert.“ Er lief schon zum Vordecksschott, trat in die Luke und nahm den Niedergang ins Finstere mit zwei Sätzen. Fast glitt er aus und polterte die Stufen hinunter. Er konnte sich nur mühsam fangen. Etwas langsamer tastete er sich weiter voran. Gary Andrews hielt sich dicht hinter ihm. „Pete“, zischte er. „Wir hätten besser ein Talglicht oder eine Öllampe mitgenommen. Soll ich fix mal eine Funzel aus dem Logis holen?“ „Still.“ „Was ist denn?“ „Ich hab was rumpeln hören.“ „Du meinst, da hat was gepoltert?“ fragte Gary. „Mann, das ist doch das gleiche.“ Pete beschleunigte wieder seinen Schritt, seine Augen gewöhnten sich an das Dunkel des Ganges, er erreichte den nächsten Niedergang und geriet tiefer ins Innere des Vorschiffs, immer gefolgt von Gary Andrews, dem hageren Fockmastgast der „Isabella“. Pete zückte vorsichtshalber seine Pistole. Gary tat das gleiche, denn er vernahm jetzt auch das Scharren und Rumpeln, das Keuchen und Stöhnen, das aus den Tiefen des Schiffsraums zu ihnen drang. 2. Dan hatte das Gefühl, sämtliches Blut würde sich in seinem Kopf stauen und den Schädel zum Platzen bringen. Der Arm des Hamiten schnürte ihm den Hals zu. Er verspürte bereits ein schmerzhaftes Stechen in den Lungen, und der Luftmangel brachte seine Panik offen zum Ausbruch.
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Dieses verzweifelte Empfinden verhalf Dan zu einer Vordoppelung seiner Anstrengungen. Er drehte sich halb und kämpfte sein rechtes Bein frei, ehe der schnaufende Hamite seine MiqueletschloßPistole oder das Messer ergattern konnte. Dan winkelte das Bein an, riß es mit größter Wucht hoch - und traf den Kerl in einer Körperregion, die dem Steißbein nicht fern sein konnte. Der Hamite gab einen ächzenden Laut von sich und lockerte etwas seinen Würgegriff. Dan nutzte die Gelegenheit. Er schöpfte nicht nur pfeifend Luft, er wand sich auch, gewann noch mehr Spielraum und rammte dem wütenden, mordbereiten Kämpfer einen Ellbogen unter den Rippenbogen. Der Hamite prallte zurück und ließ von Dan ab, weil er mit mächtigen Schmerzen zu ringen hatte. Er gab aber noch nicht auf und trachtete, den jungen Mann erneut zu packen. Dan griff nach seiner Pistole. Es wurde ihm zu bunt. Er hatte sich entschlossen, dem tödlichen Balgen ein jähes Ende zu setzen. Alles wäre zweifellos zu seinen Gunsten verlaufen, wenn in dieser Sekunde nicht ein zweiter Schatten aus der Tiefe des Ganges herangerast wäre. Da war er, der andere Hamite, dem sie keine Ketten angelegt hatten! Auch ihn hatte Hasard zu vier anderen Banditen ins Kabelgatt pferchen lassen, und irgendwie mußte es diesen Lumpenhunden gelungen sein, sich gegenseitig die Stricke an Händen und Füßen aufzuknüpfen. Wie auch immer der zweite Angreifer warf sich auf Dan. Dan hätte schon ein Zauberer sein müssen, um die Miqueletschloß-Pistole in Anschlag auf den Burschen zu bringen und gleichzeitig auch blitzartig den Hahn zu spannen. Er schaffte es nicht. Der zweite Hamite, der die Augen einer Katze zu haben schien, schlug mit der flachen Hand zu und hieb Dan mit dem Zielvermögen eines echten Könners die Waffe aus der Hand. Dan war aber auch nicht untätig. Er zog beide Knie an den Leib und trat voll zu, als der Hamite auf ihn anlegen wollte. So traf er die Schienbeine des Kerls, was in der
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Dunkelheit auch keine schlechte Leistung war. Der Hamite fuhr mit einem Wehlaut zurück. Er dachte, Dan habe ihm die unteren Beinknochen glatt gebrochen und ging in die Knie. Vorerst hatte er anderes zu tun, als den Pistolenhahn zu spannen, abzudrücken und den Engländer zu erschießen. Aber der erste Gegner hatte sich mittlerweile weitgehend von seinen Beschwerden erholt. Er bückte sich und nahm dem Kumpan die Pistole ab. Dan hatte sein doppelschneidiges Messer gezogen und rappelte sich auf. Schritte polterten jetzt heran, Schritte, die nach Dans Ansicht keinem Hamiten gehören konnten, weil diese Kerle barfuß durch die Gegend liefen. Und außerdem ertönten die Geräusche aus der anderen Richtung. „Dan!“ rief Pete Ballie. „Nicht schießen!“ rief Dan keuchend zurück. „Du würdest mich glatt von der Platte putzen!“ „Hölle und Teufel“, ließ sich jetzt Gary Andrews vernehmen. „So ein Scheißdreck aber auch. Was ist los, Dan?“ Darauf konnte der junge O'Flynn ihm keine Antwort geben; weil seine Konzentration jetzt voll und ganz durch den ersten Hamiten beansprucht wurde. Der war nämlich allen Ernstes dabei, die Pistole auf Dan zu richten. Dan glaubte schon, das typische Knacken des Hahnes zu vernehmen, reagierte aber trotzdem noch. Seine Hand mit dem Messer fuhr hoch, das Messer war ein Schemen im Gang, höchst unscheinbar, dafür aber umso handfester in der Wirkung. Die Klinge erwischte den Pistolenarm des Hamiten. Es sah zunächst so aus, als würde sie darin steckenbleiben, aber dann polterte das Messer doch zu Boden. Der Hamite spürte brennenden Schmerz durch seinen Arm rasen, er fühlte sich außerstande, die Pistole auch nur noch eine Sekunde länger zu halten —geschweige denn zu spannen und abzudrücken. Sie entglitt seinen Fingern.
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Dan fuhr auf den Mann los, packte sein rotes Gewand, riß ihn zu sich heran und an sich vorbei. Er ließ ihn wieder los, und der Hamite rannte gegen seinen Willen auf Pete Ballie zu. Pete hatte Hände, von denen man sagte, sie wären so groß wie Ankerklüsen. Richtig nachgemessen hatte das noch keiner, aber es war verbrieft, daß der relativ kleine Mann es meistens erfolgreich mit größeren Gegnern aufnahm. Pete drosch mit voller Muskelkraft und ein paar saftigen Flüchen auf den Gegner ein. Gary wischte an ihm vorbei, stürmte zu dem zweiten Hamiten und hatte diesen fast erreicht, als Dan O'Flynn mit dem rechten Fuß ausholte und zutrat. Der Gegner versuchte allen Ernstes, sich die Pistole anzueignen. Er gab nicht auf. Dan traf seine Hand, der Bursche ächzte. Dan verlor das Gleichgewicht und torkelte durch den Gang. Gary warf sich der Länge nach auf den Hamiten, der sich die MiqueletschloßWaffe mit der anderen Hand schnappen wollte. Gary ließ seine Fäuste auf den Kerl niedersausen. „Du zäher Hund“, wetterte er dabei. „Bist du denn gar nicht kleinzukriegen?“ Der Hamite verstand natürlich kein Englisch. Doch selbst wenn er dieser Sprache mächtig gewesen wäre, hätte er in diesem Augenblick keine Antwort auf die Frage geben können. Er war nämlich besinnungslos geworden. Pete Ballie hatte inzwischen auch den anderen auf die Planken befördert. Er tickte ihn mit der Stiefelspitze an, aber der Bursche rührte sich nicht mehr. „Holla“, sagte Pete. „Ich werde doch wohl nicht zu kräftig zugelangt haben? Mann, der Seewolf haut mich in die Pfanne, wenn das ...“ „Warte“, sagte Dan. „Gary, holst du mal Licht?“ „Ich bin gleich wieder hier“, entgegnete der hagere Andrews und eilte über den Gang zurück. Dan kniete sich neben den Burschen, der von Pete auf die Bretter geschickt worden
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war. Er horchte an seiner Brust und fühlte mit den Fingerspitzen seinen Puls. „Alles in Ordnung“, meldete er. „Der Kerl lebt noch. Unkraut vergeht eben doch nicht.“ Gary kehrte mit einem Talglicht zu ihnen zurück. Er hatte es im Mannschaftslogis entfacht. Die Flamme warf zuckendes, dämmriges Licht auf die Gestalten der Hamiten und die der drei Seewölfe. „Gary und Pete“, sagte Dan O'Flynn. Er atmete immer noch schwer. „Habt vielen Dank für eure Hilfe. Allein wäre ich mit diesen zwei Halunken nicht fertig geworden, das gebe ich ehrlich zu. Welcher glücklichen Eingebung seid ihr gefolgt, als ihr euch auf die Suche nach mir begeben habt?“ „Bedank dich beim Profos“, antwortete Gary. „Der hat dein Fehlen als erster richtig bemerkt.“ „Wir anderen waren immer noch von den schwarzen Mädchen hinge- rissen“, gestand Pete Ballie. „Und darüber vergißt man natürlich alles andere.“ „Das hätte leicht ins Auge gehen können“, sagte Dan. „Man kann eben doch nie vorsichtig genug sein. Los, helft mir jetzt, wir schleppen diese traurigen Figuren zurück ins Kabelgatt. Wir verschnüren sie noch mal mit Tauen, aber ich glaube, es ist besser, wenn Shane ihnen nachher auch Ketten anlegt.“ „Klarer Fall.“ Gary schnaufte erbost. „Die sind imstande und knabbern und rupfen die Taue noch mal durch.“ Sie beförderten die Hamiten auf das Kabelgatt zu, erst den einen, dann den anderen. Dan und Pete packten die Kerle an Armen und Beinen, Gary leuchtete den Gang aus. Als sie an der Tür des Kabelgatts genauere Untersuchungen anstellten, registrierten sie, daß die Hamiten den Riegel gelockert hatten, indem sie sich mehrfach gegen die Tür geworfen hatten. „Anders kann es nicht gewesen sein“, sagte Dan. „Danach war es gar nicht mehr so schwierig, eine dünne Hand in den Spalt zu schieben und den Riegel ganz umzulegen.
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Das müssen wir hier noch ändern - die Tür muß ein größeres Schloß kriegen.“ „Am besten zwei“, fügte Pete Ballie hinzu. „Doppelt hält besser. Das sagen wir dem Seewolf.“ Sie verfrachteten die beiden bewußtlosen Hamiten in den engen Raum - zu den anderen vier Banditen, die sie aus haßlodernden Augen ansahen. Nachdem die Seewölfe ihre Gefangenen wieder fachgerecht verpackt hatten, richtete sich Pete Ballie auf und wandte sich an die anderen vier Verbrecher. „Herhören“, sagte er rauh. „Wer jetzt noch so was versucht, der wird an der Rahnock aufgebaumelt, bis er verreckt. Vielleicht seid ihr Bastarde ja auch in der Lage, eure Ketten aufzubiegen – laßt es lieber, es bringt euch nichts ein.“ „Pete“, sagte Dan fast sanft. „Die können dich doch nicht verstehen.“ „Nicht?“ Pete trat mit dem rechten Fuß auf, daß die Planken bebten. „Warte mal, ich schätze, ich kann ihnen das doch beibiegen.“ Er bückte sich, faßte die Ketten der Gefangenen an, schüttelte sie, daß sie heftig rasselten, richtete seinen Oberkörper wieder auf und bewegte verneinend den Kopf. Anschließend fuhr er sich mit dem Zeigefinger über den Adamsapfel, rollte mit den Augen und gab röchelnde Geräusche von sich. Die Hamiten sahen sich an und redeten aufgeregt durcheinander. „Na bitte“, sagte der Rudergänger der „Isabella“. „Das haben sie jetzt doch kapiert. Gehen wir?“ „Ja“, erwiderte Dan. „Es wird Zeit, daß wir wieder an Oberdeck erscheinen, sonst spielt Carberry noch verrückt.“ Als sie den obersten Steuerbordniedergang zum Vordecksquerschott hochstiegen, streckte Carberry auch schon seinen mächtigen Schädel in das Rechteck der offenen Luke. „Schockschwerenot“, begann er. „Was, zum Teufel, hast du Stinkstiefel jetzt wieder verbrochen, Dan O'Flynn?“ „Darf ich erst mal 'raus?“ erkundigte sich Dan.
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Carberry wich mit einer Verwünschung zur Seite, und Dan, Pete und Gary traten unter das weißliche Sonnenlicht des ostafrikanischen Frühjahrs. Der Seewolf und die anderen Männer aus den Booten waren inzwischen auch eingetroffen. Sie alle waren an der Jakobsleiter aufgeentert, und jetzt wurden die Boote hochgehievt. Hasard musterte seine drei Helden von oben bis unten, hob leicht den Kopf und sagte: „Wie seht ihr denn aus? Es scheint ja mächtig Zunder gegeben zu haben.“ Dan berichtete, und daraufhin setzten alle, von Philip Hasard Killigrew bis hin zu Bill, dem Schiffsjungen, eine betretene Miene auf. Daß die beiden Hamiten aus dem Kabelgatt entkommen waren, war zwar in erster Linie dem Seewolf anzulasten, der die Kerle nicht in Ketten hatte legen lassen, aber alle waren sich der Kollektivschuld bewußt, denn es hatte ja keiner ernsthaft damit gerechnet, daß es mit den Gefangenen noch Schwierigkeiten geben würde. Carberry kratzte sich an seinem Rammkinn, ein Zeichen größter Verlegenheit. Das klang, als marschiere mal wieder eine Kolonie Küchenschaben über trockenes Reispapier, das man in China zur Genüge kennengelernt hatte. * Lucio do Velho trat nicht nur gern mit den Posen des geborenen Mimen auf, er war sich auch seiner starken persönlichen Ausstrahlung bewußt. Allein mit seinem Blick hatte er schon so manchen Gesprächspartner in die Knie gezwungen und jeden Widerstand dahinschmelzen lassen. Durchdringend sah er an diesem Morgen den Hafenkapitän von Lourenco Marques an, und als die braunen Augen des Mannes einen leicht flatternden Ausdruck erhielten, wußte er, daß er gesiegt hatte. „Wir sind uns also einig, Capitan“, sagte der Portugiese. „Ich bin mit der Galeone und den zwei Karavellen in diesen Hafen zurückgekehrt, nachdem ich den Seewolf,
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diesen Teufel, in der Nacht nicht mehr gefunden habe. Ich habe hier nur kurz nach dem Rechten sehen wollen, habe meine genauen Direktiven hinsichtlich der ,Candia', meines eigentlichen Schiffes, erlassen wollen - und bei dieser Gelegenheit habe ich natürlich erfahren, was sich hier abgespielt hat. Was für ein Gaunerstück und was für eine Blamage für Sie, mein Freund!“ „Comandante do Velho, ich habe jetzt lange genug ihren Ausführungen zugehört“, erwiderte der Hafenkapitän gepreßt. „Aber trotz ihres besonderen Auftrages - das brauche ich mir nicht immer wieder vorbeten zu lassen.“ „Vorbeten?“ Do Velho blickte zu seinem Bootsmann und treuen Untertan Ignazio, der rechts von ihnen stand, und dann wieder zu dem etwas untersetzten Spanier mit der nicht mehr ganz weißen Lockenperücke. „Wählen Sie Ihre Formulierungen doch bitte etwas sorgfältiger, ja?' „Das Ganze ist nicht. meine Schuld.“ „Sondern die des Stadtkommandanten, ich weiß“, sagte Do Velho. „Er hat sich schließlich zwanzig Pferde aus dem Stall rauben lassen, die bis zur Stunde noch nicht wiedergefunden worden sind. Aber die Absicherung der Siedlung Lourenco Marques fällt auch mit in Ihren Kompetenzbereich, mein Freund, und darum können Sie Ihre Hände keineswegs in Unschuld waschen, Sie sind genauso mit dafür verantwortlich. Ich bezweifle nicht, daß es der Seewolf und seine Hundesöhne waren, die sich die Pferde geholt haben. Im übrigen wissen wir inzwischen ja auch von einem verstörten Soldaten namens Alberto, der zu Fuß aus einem Kral der Bantus zu uns eilte, welch tragische Begebenheiten sich um jenes Dorf und eine Ladung Elfenbein ranken, die ebenfalls verschwunden ist. Des weiteren hat sich ein ganzer Stamm schwarzer Halunken buchstäblich in Luft aufgelöst, mein Freund ...“ „Aufhören!“ schrie der Hafenkapitän. „Ich bin nicht Ihr Freund, do Velho!“
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„Aber die Geschehnisse rechtfertigen doch, daß ich diesen Dreierverband beschlagnahme und damit den Seewolf hetze, solange die ,Candia' nicht vollständig wiederhergestellt ist“, erwiderte der Portugiese so ruhig wie möglich. „Damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt unseres Gespräches. Sie haben sich geweigert, mir die Galeone und die Karavellen weiterhin zu überlassen, und die mangelnde Sicherheit des Hafens hervorgekehrt für den Fall, daß ich wieder mit den Kriegsschiffen auslaufe, aber das alles zählt natürlich nicht. Außerdem bin ich befugt, zu beschlagnahmen, was ich beschlagnahmen will.“ Er wies mit einer überheblichen Gebärde auf Ignazio, den Mann aus Porto, der noch einmal die Dokumente vorwies, die Lucio do Velho als Sonderbeauftragtem Manilas fast uneingeschränkte Verfügungsgewalt zusicherten und darüber hinaus hervorhoben, daß do Velho für jede von ihm angeordnete Maßnahme die volle Verantwortung übernähme. Dies hatte er auch bereits dem eigentlichen Führer des aus einer dreimastigen Galeone und zwei zweimastigen Karavellen bestehenden Verbandes klar dargelegt. Der Hafenkapitän gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie konsterniert er war. „Warum diskutieren Sie dann überhaupt noch mit mir, Comandante?“ Do Velho setzte sein verschwörerischstes Lächeln auf. „Weil ich Sie gern von der Richtigkeit meiner Entscheidungen überzeugen möchte, werter Capitan. Es widerstrebt mir, mißverstanden zu werden.“ Fahr zur Hölle, hätte der Hafenkapitän seinem Gegenüber am liebsten ins Gesicht geschleudert, aber er bezwang sich. Do Velhos Einfluß am königlichen Hof in Spanien war nicht zu unterschätzen, wenn der Mann auch hundertmal ein Abgesandter Manilas war, also kaum direkten Kontakt zum Heimatland unterhielt. Der Hafenkapitän beschränkte sich auf die Antwort: „Ich werde versuchen, Sie zu begreifen, Comandante. Sie laufen also
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erneut aus, um nach diesem mysteriösen El Lobo del Mar zu suchen?“ „Ja. Und zwar sofort.“ „Wohin hat er sich Ihrer Meinung nach gewandt?“ „Nach Süden. Er will das Südkap umsegeln und nach England zurückkehren.“ „Ist es richtig, daß er immense Schätze an Bord seines Schiffes führt?“ fragte der Hafenkapitän. „Das stimmt. Es ist keine Legende, daß diese englischen Bastarde ihre Frachträume mit Kostbarkeiten angefüllt haben, die eigentlich der spanischen Krone gehören. Auch aus diesem Grund muß verhindert werden, daß sie London erreichen.“ Do Velho ballte wütend die Hände. Es fiel ihm nicht schwer, sich daran zu erinnern, wie übel ihm der Seewolf jedesmal mitgespielt hatte, wenn sie aufeinandergestoßen waren. „Ich setze alles daran, Killigrew und seine Kerle zu stellen — alles“, sagte er. Er verschwieg allerdings, daß Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II. eine Belohnung auf die Ergreifung der Seewölfe ausgesetzt hatte. Das brauchte der Hafenkapitän von Lourenco Marques keineswegs zu erfahren. Warum denn auch? Der Hafenkapitän seinerseits hütete sich, auf die an einer hölzernen Pier vertäute „Candia“ zu deuten und do Velho die höhnischen Bemerkungen zurückzuzahlen, indem er auf die schmähliche Niederlage hinwies, die dieser erlitten hatte. Die „Candia“ war beim besten Willen nur noch als Wrack zu bezeichnen. Es würde einige Zeit dauern, bis sie repariert war. Der Hafenkapitän bemühte sich, nicht zu dem halb ausgebrannten Viermaster zu blicken. Nein, er wollte sich nicht in die Nesseln setzen. „Senor“, sagte er nur. „Ich werde Ihnen die ,Candia` also nachschicken, sobald sie instandgesetzt ist. Wollen Sie Ihre Stammbesatzung auf die Galeone ,Santa Monica` übernehmen und mit den Leuten austauschen, die sich jetzt an Bord dieses Schiffes befinden?“
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Do Velho sah von seinem Standort auf dem Achterdeck der „Santa Monica“ zur Kuhl hinunter. Die Seeleute wie die Soldaten, die dort mit dem Aufklaren beschäftigt waren, erweckten bei ihm einen durchaus positiven Eindruck. Sie waren wohlgenährt, ausgeruht, „unverbraucht“ — was man von den Männern der „Jandia“, die aus der Schlacht gegen den Seewolf eine ihrer schlimmsten Lektionen bezogen hatten, nicht behaupten konnte. Ihre Zahl war auf etwas mehr als die Hälfte der ursprünglichen Stärke reduziert worden, und gemütsmäßig waren sie in einer Verfassung, in der sie —do Velho gab sich keinen Illusionen hin — gern gemeutert und ihren Kommandanten gelyncht hätten. Do Velho schüttelte daher den Kopf. „Nein, das ist nicht nötig. Ich glaube, diese Männer hier sind mit ihrem Schiff am besten vertraut und ordnen sich im übrigen auch gern meinem Befehl unter.“ „Selbstverständlich, Comandante.“ Das Gegenteil war der Fall, aber auch das verschwieg der Hafenkapitän tunlichst. Die spanische Mannschaft wäre liebend gern von der „Santa Monica“ auf die „Candia“ übergewechselt, wo der eigentliche Capitan der Dreimast-Galeone schmollend do Velhos Posten übernommen hatte und sich im stillen schwor, die ganze Angelegenheit dem eitlen, eingebildeten Portugiesen niemals zu verzeihen. „Senor“, wandte sich der Portugiese zum letztenmal an den Hafenkapitän. „Ich werde Ihnen eine Karte überlassen, auf der ich die Route ungefähr festlege, der ich folgen werde. Irgendwann - wenn ich den Seewolf und seine Bande geschnappt habe -werde ich auf die ,Candia' warten. Dann werde ich meinen stolzen Viermaster wieder übernehmen und die gefangenen Korsaren an Bord dieses Schiffes nach Cadiz bringen.“ „Das wird ein Triumphzug“, bestätigte der Hafenkapitän, der insgeheim keinen Zweifel daran hatte, daß Lucio do Velho den Seewolf nicht fassen würde. Raffiniert, wie dieser Killigrew zu sein schien, würde er sich immer wieder aus der Schlinge ziehen.
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Noch am Morgen verließ der Dreierverband den Hafen Lourenco Marques - voran die „Santa Monica“ mit geblähten Rahsegeln, in ihrem Kielwasser die lateinergetakelten ZweimastKaravellen „San Julio“ und „Libertad“ mit nicht minder heftig geschwelltem Zeug. Am Nachmittag dieses Tages steuerte der Kommandant do Velho jene Bucht mit der ovalen Form an, die bei der Jagd am Vortag seiner Aufmerksamkeit entgangen war. Do Velho ließ Fahrt aus den Schiffen nehmen, pirschte sich mit raumem Kurs an die Bucht heran und ließ die Wassertiefe ausloten. Schließlich landete er. Während die Schiffe in der geräumigen Bahia ankerten, untersuchte er die Umgebung. „Ignazio!“ schrie er schließlich. „Senor?“ „Fällt dir nichts auf?“ „Die Spuren, Senor ...“ „Was schließt du daraus, du Schwachkopf?“ herrschte do Velho seinen getreuesten Untertanen an. „Ein Pulk Reiter muß hier Rast eingelegt haben“, erwiderte der bullige Mann aus Porto. „Rast”, ahmte do Velho ihn höhnisch nach. „Por Dios, das Denken ist noch nie deine Stärke gewesen, das Nachdenken schon gar nicht. Ich weiß nicht, warum ich dich immer noch dulde. Ein anderer an meiner Stelle hätte dich längst wegen deines chronischen Schwachsinns erschossen und du selbst, Ignazio, müßtest andauernd schreien, wenn Dummheit weh täte.“ Der Mann aus Porto ließ den Wortschwall an sich abprallen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er kannte diese Ausbrüche seines Herrn und Meisters zur Genüge, sie gehörten für sie beide zum Alltag. „Senor Comandante“, entgegnete Ignazio stattdessen. „Ich könnte mir gut vorstellen, daß die Reiter die Seewölfe auf den aus Lourenco Marques geraubten Pferden gewesen sind.“ Verblüfft schaute der Kommandant auf. „Kompliment, Ignazio -welcher göttlichen Fügung haben wir deinen Geistesblitz zu verdanken?“ „Ich weiß es nicht, Senor.“
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„Die vielen Fußspuren hier“, überlegte do Velho laut. „Sie verraten mir noch mehr. Nicht nur die verfluchten englischen Korsaren waren zugegen, sondern auch noch andere Leute.“ „Die verschwundenen Bantu-Neger aus dem Kral vielleicht?“ Do Velho trat zu seinem Bootsmann und blickte ihn in gespielter Ergriffenheit an. „Du mußt heute wirklich deinen glücklichen Tag haben, Ignazio. Soviel Scharfsinn, solch eine überragende Kombinationsgabe.“ „Danke, Senor.“ „Was folgerst du noch?” „Sie sind alle mit der ‚Isabella' auf und davon, und die Pferde haben sie ins Binnenland gejagt. Anders kann es nicht gewesen sein.“ „Stimmt“, sagte do Velho grimmig. „Killigrew, der Helfer der armen, unterdrückten Wilden! Ha, ich kann mir vorstellen, wie wohl er sich in dieser Rolle fühlt.“ „Rolle, Senor?“ „Die Welt ist ein großes Theater“, erklärte der Kommandant herablassend. „Aber das verstehst du nicht, versuche erst gar nicht, hinter diese Philosophie zu steigen. Ignazio, ich sehe an den beschädigten Rinden jener Bäume dort drüben, daß die Piraten aller Wahrscheinlichkeit nach ihre elende Galeone gekrängt haben - mit Trossen. Auf diese Weise müssen sie ein Leck repariert haben, das die ,Isabella' unterhalb der Wasserlinie davongetragen hatte. So haben sie das Schiff wieder seetüchtig gemacht - und das fast unter unsrer Nase, keine zwanzig Seemeilen von Lourenco Marques entfernt. Was ist das doch für ein Witz!“ „Was denn, Senor?“ „Daß wir hier noch herumstehen“, erwiderte der Kommandant wutschnaubend. „Los, sofort alle Mann an Bord! Wir gehen ankerauf und hetzen den Staatsfeind Spaniens, bis er von sich aus auf den Knien darum fleht, endlich festgenommen zu werden.“ Am späten Nachmittag dieses Tages hatte Lucio do Velho trotz sofortigen Aufbruchs
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die Mastspitzen der „Isabella VIII.“ aber immer noch nicht wieder an der südlichen Kimm gesichtet. Und im Büchsenlicht schenkte er auch jenem Küstenstrich keine Beachtung, an dem die Seewölfe etwa zwölf Stunden vorher ihre afrikanischen Freunde an Land gesetzt hatten. 3. Am nächsten Tag trat der Seewolf auf dem Achterdeck der „Isabella“ zu Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und den beiden O'Flynns. Beruhigt stellte er fest, daß der Wind unverändert aus Nordosten blies. Die Galeone lag platt mit zum Platzen gespannten Segeln davor und lief sehr gute Fahrt. „Ich habe mich noch einmal mit den Karten beschäftigt“, sagte der Seewolf. „Zanguebar, Swasiland und das Land der Zulus liegen hinter uns. Wenn das Wetter beständig bleibt und der Wind nicht einschläft, sind wir in wenigen Tagen an der Südküste.“ „Und dort setzen wir die Hamiten ab?“ fragte Ben. „Nein, schon vorher. Wenn die Roteiros, die Karten, die wir von den Spaniern erbeutet haben, stimmen, liegt auf unserem Kurs eine Gruppe winziger Inseln. Da schenken wir unseren zehn Gefangenen die Freiheit.“ „Na, die werden sich bedanken“, sagte Dan O'Flynn grinsend. Als Andenken an die Rauferei trug er eine Schramme auf der Stirn und einen blau-violett-rötlich gefärbten Fleck auf der rechten Wange. „Sie können froh sein, daß wir sie nicht aufhängen“, meinte sein Vater. „Jeder andere an unserer Stelle hätte kurzen Prozeß mit diesen Schurken gemacht.“ „Oder er hätte sie als Sklaven mit nach Europa genommen“, sagte Big Old Shane. „Sie wären gegen bare Münze verkauft und in die Neue Welt weiterverschifft worden.“ „Na, na“, erwiderte Hasard. „So was tun wir doch nicht.“ Shane lachte und fuhr sich mit der Hand durch sein graues Bartgestrüpp. „Eben. Und darum sollen die zehn Halunken
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heilfroh sein, daß wir ihnen auf einem paradiesischen Eiland eine neue Existenz schaffen.“ „Gut hast du das ausgedrückt“, sagte Carberry, der soeben das Achterdeck betreten hatte. „Wer so spricht, hat das Zeug zum Prediger und Bordkaplan. Uns fehlt ja noch einer. Deswegen solltest du dir mal überlegen, Shane, ob ...“ „Was willst du?“ Der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle nahm eine drohende Haltung ein. „Stunk?“ Der Profos grinste und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte nur Bescheid sagen : Der Kutscher ist gleich mit dem Wildbret fertig, wir können antreten zum Essenfassen. Dieses Zeug da, diese Antilopensteaks und Kaffernbüffelbraten die riechen so gut, daß ich glaube, es wäre schade, wenn wir was kalt werden lassen.“ „Auch ein guter Spruch“, bestätigte Shane dem Profos anerkennend. „Na, dann wollen wir mal.“ Die Mahlzeit hielt, was Carberrys Ankündigungen versprochen hatten. Satt und zufrieden segelten die Seewölfe am Nachmittag dem kleinen Archipel entgegen, den Hasard auf seinen Karten entdeckt hatte. Vor dem größten Stück Land, das in seinem Zentrum dicht bewachsen war, ließ Hasard ankern. „Shane, Ferris, Ed, Smoky, Blacky und Dan“, sagte er. „Ihr bringt die Kameraden an Land. Vergewissert euch, ob es jagdbares Wild und eine Trinkwasserquelle gibt. Befreit die Hamiten dann von ihren Ketten und laßt sie laufen.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos. „Wenn wir Glück haben, bringen wir sogar auch noch Beute mit an Bord.“ Wenig später setzten sie in zwei Booten über und paßten auf, daß die Hamiten, die stocksteif auf den Duchten hockten, keine Dummheiten mehr begehen konnten. Ja, Dan hatte seine Pistole diesmal sogar sehr locker sitzen, denn es wäre ihm höchst peinlich gewesen, wenn sich einer der Kerle samt seinen Eisenfesseln auf ihn gestürzt hätte. Wider Erwarten verlief die kurze Überfahrt jedoch reibungslos. Hasard beobachtete
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das Landemanöver vom Quarterdeck aus und sah, wie seine Männer die Gefangenen über den Strand trieben und Carberry und Ferris Tucker dann zu einer kurzen Inspektion des Eilandes im Busch verschwanden. Etwas später krachte eine Muskete. Die Hamiten zuckten zusammen, zum erstenmal zeigten sie unverhohlen ihre Angst. Sie schrien und palaverten in ihrer unverständlichen Sprache. Offenbar glaubten sie, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, und rechneten mit einer blitzschnellen, gnadenlosen Exekution. Carberry trat aber mit dem, was er zusammen mit Ferris Tucker erlegt hatte, aus dem Gebüsch heraus. Er hielt das Tier hoch und sagte: „Glück gehabt, ich hab's ja angekündigt. Hier läuft allerhand Viehzeug herum, und Trinkwasser gibt es auch. Was wollen die Strolche noch mehr?“ Mißbilligend sah er zu den Hamiten. Es gefiel ihm gar nicht, die Kerle ungeschoren zu lassen. „Was ist denn das?“ fragte Dan O'Flynn mit einem prüfenden Blick auf die Jagdbeute. „Ein Schwein“, antwortete Ferris. „Was denn sonst?“ knurrte der Profos. „Das ist ein Erdferkel“, stellte Dan O'Flynn richtig. „Wo liegt da der Unterschied?“ wollte Carberry wissen. „Männer“, sagte Big Old Shane. „Halten wir uns hier nicht länger auf, als unbedingt nötig ist. Ihr wißt, daß Hasard keine Zeit verlieren will. Wir müssen weiter.“ „Nicht zuletzt, weil dieser Hund do Velho uns immer noch im Nacken sitzen könnte”, fügte Smoky hinzu. „Wir wollen nicht vor ihm auskneifen, aber wir sollten es auch nicht darauf anlegen, wieder mit ihm zusammenzuprallen. Die ‚Isabella' ist beim letzten Gefecht hart genug angeschlagen worden.“ „Wissen wir doch“, sagte Carberry schroff. Er ging zum Boot, legte das Erdferkel hinein, drehte sich wieder um und kehrte zu den anderen zurück. „Dann hauen wir die zehn Kanaillen doch mal aus ihren
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Ketten 'raus. Shane, auf was wartest du eigentlich?“ „Willst du mir Befehle geben?“ „Stell dich doch nicht immer so bescheuert an wie eine Jungfrau“, grollte der Profos. Shane lachte rauh. „Komm her und hilf mir, Ed, damit ich dir eins mit dem Hammer aufs Dach geben kann. Ferris und Smoky, packt ihr auch mit zu?“ „Klar“, antwortete der Deckälteste. „Und Dan und Blacky halten ihre Musketen im Anschlag - für den Fall, daß einer der Knaben den wilden Mann zu spielen versucht.“ Gesagt. getan - Big Old Shane, Ed Carberry, Ferris Tucker und Smoky entledigten die Gefangenen der Halseisen, der Beinschäkel und der Ketten, während Dan O'Flynn und Blacky sich so stellten, daß sie die Schußbahn auf die Hamiten frei hatten. Nach getaner Arbeit räumten Shane und Ferris die Eisenbänder und Fesseln in die Boote -Carberry baute sich vor den unschlüssig dastehenden Hamiten auf und fuhr sie an: ..Na los, wird's bald? Zeigt die Hacken, ihr triefäugigen Kakerlaken, wirbelt Staub auf. Haut ab, ihr von Eseln im Galopp verlorenen Mißgeburten!“ Die Hamiten rührten sich nicht vom Fleck. „Die warten auf was“, sagte Dan. „Auf was denn?“ versetzte der Profos verblüfft. „Etwa darauf, da ß wir ihnen auch noch Waffen mitgehen?“ „Denken könnte ich es mir“, sagte Dan. „Sie haben sicher keine Lust, die Erdferkel mit den bloßen Händen zu fangen. Das ist zu anstrengend.“ Edwin Carberry holte tief Luft. Er lief dunkel im Gesicht an, und dies war für Eingeweihte das Zeichen, daß es höchste Zeit wurde, sich zu verdrücken. Die Hamiten kannten sich in den ProfosGewohnheiten jedoch nicht aus, und so geschah es, daß sie noch ein Weilchen mit langen Gesichtern dastanden - nur so lange allerdings, wie Carberry zum Atemschöpfen brauchte. Dann brüllte der Profos, daß man es bis zum afrikanischen Festland hinüber hören konnte, daß die Elefanten mit wehenden
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Ohren Reißaus nahmen und die Löwen mit eingezogenen Schwänzen bis tief in die Savanne flüchteten. „Marrrsch! Räumt den Strand, ihr Rübenschweine und Affenärsche, ihr Strolche und Hurensöhne!“ Das war alles. Die Wirkung erwies sich jedoch als durchschlagend. Wie unter Peitschenhieben zuckten die Hamiten zurück. Einer fiel hin, schrie, rappelte sich wieder auf und stürmte den anderen nach, die inzwischen herumgewirbelt waren und zu laufen begonnen hatten. Wie ein Spuk waren sie plötzlich im Gebüsch verschwunden. „Na bitte“, sagte Carberry in normalem Tonfall. „Warum denn nicht gleich so?“ Er drehte sich zu den Kameraden um. Die fünf konnten ihr Lachen kaum unterdrücken. „Was glotzt ihr schon wieder so dämlich in die Gegend?“ fragte Carberry. „Habt ihr schon wieder irgendwo einen Weiberhintern gesehen oder leidet ihr an Hallu ... na, an Trugbildern, meine ich nun, Blacky, wie ist es? Du machst ja Augen wie eine Kuh kurz vorm Kalben.“ Blacky hustete und drohte fast zu ersticken. Shane hieb ihm kameradschaftlich-hilfsbereit auf den Rücken, und damit war der Anfall bewältigt. Prustend bewegte Blacky sich voran und griff ans Dollbord des einen Bootes. Die anderen folgten seinem Beispiel. Die Boote wurden ins Wasser geschoben, dann stiegen die Männer ein und pullten zur „Isabella“ zurück. Nur kurze Zeit später segelte die „Isabella VIII.“ auf ihrem nach Südwesten führenden Kurs weiter. Hasard ahnte, wußte aber nicht, daß Lucio do Velho sich mit einem Verband aus drei Schiffen auf seiner Fährte befand. Nie bekamen sich die Gegner in den folgenden Tagen zu sehen, es gelang dem Portugiesen nicht, den Abstand zu überbrücken, der zwischen ihm und seinem Todfeind lag, dennoch ließ er sich nicht beirren und steuerte unverändert das Kap der Guten Hoffnung an.
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Der spanische Verband zog am frühen Morgen, als es noch dunkel war, an den winzigen Inseln vorbei. Do Velho, der ja auch im Besitz guter Roteiros war, wußte zwar von der Existenz des Archipels, aber er maß ihm keinerlei Bedeutung bei und glaubte nicht daran, daß die Seewölfe sich ausgerechnet dort aufhielten. Damit lag er richtig. Nur hätten ihm die Hamiten, die die Schiffe in der Finsternis natürlich auch nicht sichteten, ihm einige Hinweise geben können, zum Beispiel darüber, wie groß die Distanz zwischen den feindlichen Parteien sein konnte. Es gab sogar einen Seemann an Bord der „Santa Monica“, der Somali und einige Bantu-Dialekte konnte, aber diese Chance verpaßte der eigensinnige Portugiese eben. * Der Wind nahm noch zu, und tiefer im Süden wurde die See rauh. Aber vorläufig drohte das Wetter nicht in Sturm umzuschlagen, und die Seewölfe waren froh darüber, so schnell vorangedrückt zu werden. Die Zeit schien wie im Fluge zu vergehen. Bald hatten sie auch die Transkei und jene Region hinter sich gebracht, in der sich die sogenannten Winterberge befanden. Hasard hielt in seiner Kapitänskammer im Achterkastell der „Isabella“ eine Besprechung mit Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, den beiden O'Flynns, Smoky und Ed Carberry ab. „Wir sind der Mossel-Bai jetzt nicht mehr fern“, sagte er nach einem Blick auf die Karte. „In Kürze haben wir auch Cabo Agulhas erreicht, das noch südlicher liegt als das Kap der Guten Hoffnung. Spätestens dort rechne ich mit einem Umspringen des Windes, überhaupt, mit ungünstigeren Bedingungen. Auch mit Sturm. Wir müssen auf alles gefaßt sein.“ „Ja“, meinte Ferris Tucker. „Dabei haben wir unsere wackere Lady erst vor kurzem wieder zurechtgeflickt. Vor allem das Leck unter der Wasserlinie hat mir einiges Kopfzerbrechen und viel Mühe bereitet, und, verdammt noch mal, es würde mich
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ärgern, wenn die ganze Arbeit für die Katz gewesen wäre.“ „Aber wir müssen in den Atlantik“, sagte Carberry mit unerschütterlicher Logik. „Anders geht's nun mal nicht. Nehmen wir die Dinge, wie sie kommen.“ „Klar, was anderes bleibt uns ja nicht übrig“, meinte Dan O'Flynn. „Fangen wir schon mal an, die Zurrings der Kanonen und der Boote zu verstärken. Was hältst du davon, Ed?“ „Verdammt“, erwiderte der Profos. „Weiß ich das nicht selber? Bin ich vielleicht ein blutiger Anfänger?“ „Verzeihung, Euer Gnaden.“ „O'Flynn, ich wünsche mir, daß dich der Teufel und der Wassermann gemeinsam abholen.“ „Danke ...“ „Aufhören“, sagte der Seewolf. „Ihr könnt euch woanders herumstreiten. Dan, öffne das Schapp und nimm eine Karaffe mit Whisky und ein paar Gläser heraus.“ „Mit dem allergrößten Vergnügen, Sir.“ Während Dan sich mit dem Whisky befaßte und jedem Anwesenden einen ordentlichen Schluck kredenzte, fuhr Hasard fort: „Bartolomeu Diaz hat das Kap der Guten Hoffnung 1487 gerundet, also vor fast einem Jahrhundert. Damals nannte er diesen Platz zunächst Cabo Tormentoso, der Kap der Stürme. Wir dürfen gerade diese Strecke also nicht unterschätzen.“ „Haben wir nicht auch die verdammte Magellanstraße hinter uns gebracht?“ sagte Big Old Shane. ,.Und sind wir nicht sogar ganz um den südlichsten Zipfel der Neuen Welt herumgesegelt, wo es beileibe nicht gemütlich zuging?“ „Haben wir, sind wir“, entgegnete der alte O'Flynn. „Das heißt aber noch lange nicht, daß wir leichtsinnig sein dürfen, du Eisenbieger.“ „Folgendes“, sagte der Seewolf, nachdem er seinen Whisky ausgetrunken hatte. „Wir geraten jetzt wieder in die ,Roaring Forties', das Seegebiet zwischen dem 39. und 50. Breitengrad. Da herrschen die Westwinde vor, soviel uns bekannt ist -und wir werden bald wohl oder übel kreuzen müssen. Damit will ich jetzt nicht den
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Pessimisten hervorkehren, weiß Gott nicht. Ich rate uns allen nur: Seien wir vorsichtig und behalten wir vor allen Dingen die Wetterentwicklung im Auge.“ „Aye, Sir“, erwiderte Ben Brighton. „Darauf kannst du dich voll und ganz verlassen.“ „Wie sieht unser Etmal aus, Ben?“ „Hundertsechzig Meilen im Durchschnitt, Sir.“ „Beachtlich.“ „Im Kapumsegeln stellen wir doch noch eine Leistung auf“, sagte Ben, wobei er sich auf eine Unterhaltung berief, die sie vor Tagen geführt hatten. „Also“, sagte der Seewolf. „In diesem Gebiet gibt es keine Inseln, die wir im Falle eines Falles anlaufen könnten - weit und breit keine einzige. Schreibt euch das hinter die Ohren.“ „Und was sollen wir tun?“ fragte Ferris verdutzt. „Etwa die Küste anlaufen, wenn wir Bruch erleiden?“ „Nur in äußerster Not. Ich will um das Kap herum, um jeden Preis, und erst wieder meinen Fuß auf Land setzen, wenn wir uns in den Gewässern des Atlantik befinden.“ „Ist das ein Befehl?“ erkundigte sich Smoky. „Ja.“ „Aye, Sir. Wenn wir erst den Atlantik durchpflügen, ist Europa verdammt nahe ...“ „Ach“, sagte Carberry. „Wirf doch mal einen Blick auf die Karte, du Stint, dann siehst du, wie elend weit wir's noch bis nach England haben. Wenn du Heimweh hast, vergiß es. Es dauert noch Monate, bis wir wieder über den Äquator 'rüber sind, die Kapverden vor uns haben und dann endlich mal wieder daran denken können, den Dons in ihrer Heimat in die Tassen zu spucken und ihnen Feuer unter dem Hintern zu machen.“ „Fein“, sagte Ferris Tucker. „Darauf freue ich mich schon. Aber das alles ist vorläufig Zukunftsmusik. Unsere Lady ist jetzt auch nicht mehr die Jüngste und Sauberste, seht euch mal die Außenhaut an, wie die mit Muscheln und Algen bewachsen ist, dann staunt ihr aber.“
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„Die Muscheln und Seeschnecken können wir abklauben, wenn wir gar nichts mehr zu futtern haben“, schlug Dan vor. „Ja, du Witzbold“, sagte der Profos. „Und eine davon nimmst du als Wegzehrung mit, wenn du über Bord gehst und bevor die Haie an dir zu knabbern anfangen.“ „Dan fliegt nicht außenbords“, verteidigte jetzt Old Donegal seinen Sohn. „Eher gehst du koppheister, du Seebär.“ „Paß auf, wie du sprichst“, konterte der Profos sofort. „Aufhören“, sagte der Seewolf noch einmal. „Ihr habt euch wohl lange nicht mehr richtig geprügelt, was?“ Carberry nahm seinen Blick von Old O'Flynn und brachte ein recht verunglücktes Grinsen zustande. „Ach wo, ist doch nur Spaß.“ „Aber sicher doch“, pflichtete der Alte ihm sofort bei und schaute dabei ungefähr so freundlich drein wie ein Haifisch. Hasard äußerte sich nicht weiter dazu. Manchmal kriegten seine Männer sich in die Wolle, dann flogen die Fetzen — und hinterher war die ganze Bande ein noch fester zusammengeschmiedeter Haufen. Ab und zu stach sie eben der Hafer, dann juckte es ihnen in den Fäusten, sie mußten sich abreagieren, weil das Leben an Bord ihnen auf die Nerven ging. Nur im Moment konnten sie sich das nicht erlauben — auf keinen Fall. Hasard erläuterte ihre Position und die geographischen Gegebenheiten noch genauer, füllte noch einmal die Gläser mit Whisky nach und entließ die Männer, nachdem sie getrunken hatten. Er hielt nur Ben Brighton und Ed Carberry noch kurz zurück. „Daß mir keine Klagen kommen, verstanden?“ sagte er. „Nichts darf uns von der Aufgabe ablenken, die wir vor uns haben. Himmel, ich stelle jeden vors Bordgericht, der jetzt Stunk verursacht.“ „Es gibt keinen Stunk“, erwiderte Carberry mit ernster Miene. „Wir wahren die Disziplin“, sagte Ben Brighton. „Würdest du dafür bürgen, Ben?“ „Mit meinem Kopf, Sir.“
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Rund zwanzig Meilen westlich querab von Quoin Point, das noch hinter Cabo Agulhas lag. packte sie dann tatsächlich der unberechenbarste aller Feinde. Es war ein Sturm, der von Südwesten heranjagte und sie auf Legerwall zu schmettern drohte. Hasard und die Crew mußten ihr ganzes seemännisches Können aufbieten, um diesem Schicksal zu entgehen. Hoch am Wind liegend stemmte sich die „Isabella“ gegen die Naturgewalt. Das Kap der Guten Hoffnung war nicht mehr fern, und fortan lag nur noch die eine Frage in der Luft: Würde die Galeone gegen die weit nach Süden ragende Landzunge geworfen werden oder nicht? Der Sturm gab der „Isabella“ seine ganze Macht zu spüren. „Hölle!“ schrie Ben Brighton. „Wir kriegen mächtig eins auf die Mütze!“ „Satan!“ brüllte Ferris Tucker. „Hau mir nicht das schöne Schiff kaputt, ich will nicht immer wieder daran herumflicken, verflucht noch mal!“ „Profos!“ rief Hasard vom Quarterdeck zur Kuhl hinunter. „Habt ihr die Manntaue gespannt?“ „Aye, Sir.“ „Die Luken sind verschalkt?“ „Alle, Sir!“ Dann komme, was will, dachte der Seewolf — abreiten, wir müssen diesen Sturm um jeden Preis abreiten, um das elende Kap herum, der Henker soll es holen! Gigantische Wellenberge bauten sich unter dem Leib der „Isabella“ auf, hoben sie auf ihre langen, überbrechenden Kämme und schleuderten sie wieder hinunter in ihre von weiß schäumender Gischt erfüllten Schluchten. Jaulend fuhr der Wind in die Takelage und pfiff in die Segel. Brüllen und Tosen erfüllte die Luft wie ein höllisches Konzert. Brecher rollten gegen die Bordwand, stoben daran hoch und donnerten über das Oberdeck.
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Die Wanten und Pardunen kreischten, als litten sie Todesqualen, und immer wieder erzitterte die „Isabella“ unter den brutalen, erbarmungslosen Schlägen der heranbrandenden Wogen. Der Atlantik empfing die Seewölfe mit Orgeln und Brausen und zeigte ihnen so richtig die Zähne. Er türmte sich zu bizarren Gebirgen auf, zu dröhnenden Gebilden. Konstruktionen, die wieder und wieder danach trachteten, sich über der dreimastigen Galeone auszustülpen und sie unter sich zu begraben. Tempel und Kathedralen schienen sich aus der kochenden See zu erheben, ihre Glocken läuteten den Untergang eines stolzen Schiffes ein. Hasard stand immer noch auf dem Quarterdeck seiner tanzenden „Isabella“. Den rechten Arm hatte er unter eine Nagelbank gehakt, um sich einen festen Stand zu sichern. Aus zusammengekniffenen Augen überprüfte er den Kurs und den Stand des Segels. Sie fuhren jetzt nur noch eine Sturmfock, und selbst das war noch zuviel. Ferris Tucker hatte den drei Masten mittlerweile zusätzliche Laschings verpaßt, damit sie während des Sturmes nicht baden gingen. Die 17-Pfünder-Culverinen waren durch weitere Brooktaue festgezurrt worden, desgleichen die Boote und die Ladung. Es war gut, daß das Wetter keine unvorbereitete Mannschaft auf einem schlecht geschützten Schiff traf. Hasard hatte vorsichtshalber auch angeordnet, daß achtern unter dem Kastell die dicksten Trossen bereitgelegt wurden, die es an Bord gab. Schon mehrfach hatte Hasard zu diesem Mittel gegriffen — im Taifun, durch den sie vor Chinas Küsten gewirbelt worden waren, hätte es kaum etwas genutzt, aber in einem Sturm der herkömmlichen Art konnte er damit etwas ausrichten. So war es einmal bei den Azoren gewesen und auch einmal in der Karibik, aber das lag schon lange zurück. Es handelte sich um eine Maßnahme, die er von seinem verdammten Pflegevater, Sir John Killigrew, gelernt hatte. Die Trossen waren dafür vorgesehen, unter dem Deck
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um den Großmast herum gelegt und durch die Hennegatsöffnung achtern im Heck ausgebracht zu werden. Damit konnte die „Isabella“ vor dem Sturm herlaufen, ohne querzuschlagen —falls sie es schaffte, um das Kap der Guten Hoffnung herum zu gelangen. Die Trossen wirkten wie eine Art Bremse, hielten das Heck gegen die See und verhinderten in manchen Fällen sogar, daß sich hinter dem Schiff eine zu wüste und zu hohe Dünung aufbaute. Der Sturm rammte mit voller Wucht gegen das Schiff. Die „Isabella“ legte sich über, richtete sich ächzend wieder auf und raste trotz der verminderten Segelfläche wie ein aufgescheuchtes Stück Wild, wie eine jener Antilopen, die die Seewölfe verzehrt hatten, durch das Wetter. Sie schob sich über Steuerbord durch die aufgewühlte See. Das Heulen, Rauschen und Tosen um sie herum schwoll zu einem ohrenbetäubenden Brüllen an. Regen und Hagel stoben waagerecht über das Schiff, der Tag war zur Nacht geworden, zuckende Blitze beleuchteten das Inferno aufgepeitschter schäumender Wassermassen. Hasard stand mit zusammengebissenen Zähnen. Jawohl, er war seinerzeit mit Francis Drake durch jene verfluchte Straße gesegelt, die ein portugiesischer Seefahrer namens Fernao Magelhaes 1520 entdeckt und durchfahren hatte - und das war seine erste wirkliche Höllenreise gewesen. Aber danach hatte es viele schaurige Törns gegeben, und umso kräftiger spuckte er, der Seewolf, auch diesmal wieder gegen den Wind. Durchhalten, dachte er immer wieder, durchhalten und nur nicht die Nerven verlieren. Es wird schon schiefgehen! Pete Ballie wurde am Ruderrad im Ruderhaus auf dem Quarterdeck von Stenmark unterstützt, sonst hätte er sich nicht behaupten können. Mit aller Kraft stemmten sie sich gegen das Rad. „Dreht weiter nach Backbord hoch!“ brüllte Hasard ihnen zu. „Geht nicht, Sir!“ schrie Pete. „Es muß - oder willst du auflaufen, Pete Ballie, du Himmelhund?“
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„Auf daß das Ruder breche“, stöhnte Pete. Er verdoppelte seine Anstrengungen, Stenmark ebenfalls. Auf Teufel komm 'raus drückten und preßten die beiden gegen das Ruder an. Allmählich luvte die „Isabella VIII.“ doch noch ein Stück an und wollte ihren Bug beinahe in den Wind drehen. Sie nahm die anrollenden Seen, stieß mit ihrem Bugspriet in schwindelnde Tiefen und erkletterte dann wieder die Höhen der Brecher. Oben auf den Kämmen herrschte brodelndes Chaos, und das Schiff tanzte wie verrückt. Sekunden verharrte es, dann jagte es wieder in den Abgrund. Bill, der Moses, hatte den Großmars geräumt, bevor es zu spät war. In diesem Inferno hätte kein Mensch mehr in den Ausguck auf- oder abentern können, er wäre wie eine Puppe außenbords gespült worden. Bill hangelte auf Hasards Wink hin in den Manntauen zu seinem Kapitän hinüber und half mit, ihn festzubinden. „Sag Carberry, daß sich auch die anderen mit Tampen sichern sollen!“ rief Hasard. „Aye, aye, Sir!“ Bill wandte sich ab und verschwand geduckt am Niedergang zur Kuhl. Seine schmächtige Gestalt wurde vom Gischtnebel eingehüllt und entführt. Es war ein Wunder, daß er nicht über Bord ging. Aber dieser Knabe hatte auch schon seine Erfahrungen gesammelt und verhielt sich manchmal gewitzter als der Seemann, den die Natur großzügig mit Schultern, so breit wie ein Schapp, und Händen, die so groß wie Ankerklüsen waren, ausgestattet hatte. Bill schlug dem Sturm wirklich ein Schnippchen. Wie ein Wiesel eilte er über Deck. Irgendwie schien er die Wucht der Brecher zu unterlaufen. Hasard atmete auf. Für einen Moment hatte er ernsthaft um den Jungen gebangt - und es wäre seine Schuld gewesen, wenn Bill außenbords gerissen worden wäre, er hatte ihn ja zu sich gerufen. Ferris Tucker arbeitete sich von der Kuhl zum Quarterdeck hoch. „Bis jetzt zieht das Schiff noch kein Wasser“, meldete er. „Hoffentlich bleibt's auch so, daß wir nicht lenzen müssen.“
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„Dein Wort in Gottes Ohr!“ schrie Hasard. Carberry tauchte aus der Gischtbrühe auf und brüllte: „He! Wo steckt bloß Sir John, dieses Rabenaas? Hölle, hat denn keiner von euch das Biest gesehen? Nichts als Ärger hat man mit diesem Läuseadler -soll er doch von mir aus ersaufen!“ „Ed!“ rief Hasard zurück. „Hast du in deinen Taschen nachgeforscht? Solltest du Sir John mal wieder in deinem Wams vergessen haben?“ Carberry stieß eine Verwünschung aus und griff in das durchweichte Wams. Plötzlich stockte er in der Bewegung, verlor mit der anderen Hand fast den Halt am Manntau, packte aber blitzschnell wieder zu, als ein neuer Brecher herandonnerte. Wasserfälle verwandelten das Oberdeck der „Isabella“ in eine schaumige, seifige Brühe, und dann war plötzlich wieder das unvergleichliche Bild des Profos' da, der einen recht zerzausten und pudelnassen Sir John aus dem Wams hervorgeholt hatte. „Siehst du!“ rief Hasard. „Da hat er ganz friedlich geschlummert und sich nicht mehr freikämpfen können, als es heiter wurde.“ Carberry sah den Aracanga voll Mitleid an. „Sir John, du versoffener Raufbold, diesmal hätte es dich um ein Haar erwischt, was? Wärst ersoffen, ohne mir ein Sterbenswörtchen zu sagen ...“ „Backbrassen“, krächzte der Papagei. „Backbrassen, ihr Rübenschweine!“ „Hör auf, oder ich wringe dich aus!“ brüllte Carberry. Die Männer, die in seiner Nähe waren, bogen sich vor Lachen. Regen und Salzwasser brandeten von neuem über die Back, die Kuhl, das Quarter- und das Achterdeck, und Carberry schluckte unversehens eine Ladung von dem Naß. Er hustete, spuckte, gab eine Kanonade von Flüchen von sich und arbeitete sich bis zum Achterdecksquerschott. „Gut so!“ rief Hasard. „Ferris, sofort zu Ed! Fahrt jetzt die Trossen achtern aus. Paßt auf, daß sie nicht ausrauschen. Bringt sie so an, daß sie im Wasser eine riesige Schlinge bilden.“ „Aye, aye, Sir!“ rief Ferris Tucker zurück.
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Carberry hielt lieber den Mund, weil er nicht noch mal trinken wollte. Die beiden verzogen sich ins Achterkastell und rammten die Luke hinter sich zu. Neue Brecher hieben gegen das Schiff. Wasserwände rauschten neben den Bordseiten hoch und fielen wieder in sich zusammen. Enorme Massen von Naß ergossen sich über die Decks. Die tobende Macht des Sturmes rüttelte an der „Isabella“ und ließ sie bis in die letzten Verbände erbeben, während sie weiter voranstrebte, immer weiter nach Westen, wo irgendwo in dem lärmenden, gischtenden Chaos das Kap liegen mußte. Ein Schlag, heftiger als alle vorherigen, traf die „Isabella“. Es war, als hätten unsichtbare Riesen mit eisernen Hämmern gegen die hölzerne Bordwand gehauen, gegen die gute englische Eiche, aus der Englands wohl bester Schiffbauer dieses einzigartige Schiff konstruiert hatte. Die Seewölfe fluchten und beteten und glaubten, jetzt müsse ihre „Lady“ auseinander bersten. Unvermittelt aber bremste die „Isabella“ ihren Sturmlauf. Die Trossen hingen im schäumenden Kielwasser und hielten das Heck wie ein Treibanker im Wind. Die Schiffsbewegungen wurden ausgeglichener und gedämpfter. Das Wetter dauerte an und bewies Zähigkeit. Einmal erschien es dem Seewolf, der nie von seinem Platz auf dem Quarterdeck wich, als rage etwas Graues, Verwischtes aus den Fluten Steuerbord voraus auf. Aber nur Sekunden dauerte diese Wahrnehmung, dann war sie wieder fort, verschlungen von den Wellen. Der Sturm wütete mit unverminderter Kraft weiter. Keiner von der Crew kam auch nur einen Augenblick zum Verschnaufen. Die Galeone hatte nun doch Wasser übernommen und mußte gelenzt werden. Die übelsten Schäden, die die Gewalten in den Schiffsrumpf gerissen hatten, mußten sofort provisorisch ausgebessert werden. Ferris Tucker, Shane und Will Thorne bildeten ein „fliegendes Kommando“, das sich um Lecks und
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andere Zerstörungen in der Holzhaut kümmerte. Es war ein beständiges Hin und Her. Die „Isabella“ hielt sich, wie der Seewolf es ihr abverlangte, und ihr Ruder brach nicht. Aber ob sie das Kap schon gerundet hatten und wie ihr genauer Kurs jetzt lag, ließ sich beim besten Willen nicht feststellen. Der Sturmwind drehte weiter nach Westen hoch. Die „Roaring Forties“, die brüllenden Vierziger, zwangen das Schiff auf nördlicheren Kurs. Hasard mußte sich fügen, er hatte keine Wahl. Er schickte nur ein Stoßgebet zum Himmel, der Rumpf und die Masten und die Sturmfock mögen halten. Irgendwann am Nachmittag sichtete Dan O'Flynn von der Back aus Land. Sofort stimmte er ein Mordsgeschrei an. Hasard arbeitete sich in den Manntauen vom Quarterdeck über die Kuhl, erklomm die Back und vergewisserte sich. daß Dan keiner Halluzination erlegen war. Dies war nicht der Fall. Es wäre aber auch das erste Mal gewesen, daß ein Dan O'Flynn sich geirrt hätte und einer Täuschung erlegen wäre. Als die Galeone vom Sturm auf den Kamm einer Woge gehievt wurde, konnte auch Hasard durch Gischt und Regen den grauen Landstrich erkennen, der sich Steuerbord voraus erstreckte. Wie weit war er entfernt — zwei Meilen, drei Meilen? „Mann Gottes!“ rief Hasard Dan O'Flynn zu. „Endlich ein Lichtblick. Wir laufen diesen elenden Küstenstrich an und sehen zu. daß wir in einen Nothafen gelangen, ehe uns das Schiff ganz kaputtgeht.“ „Aye, Sir. Soll ich das weitergeben?“ „Natürlich sollst du das. Oder willst du, daß wir nach Norden ablaufen?“ „Ich will nicht, daß wir auf ein Riff brummen.“ „Die Gefahr besteht in jedem Fall ...“ „Und du hattest auch nicht vor, deinen Fuß wieder auf Land zu setzen, ehe wir nicht um das Scheiß-Kap herum sind?“ schrie Dan fast verzweifelt gegen das Sturmtosen an. „Dabei bleibe ich auch!“ brüllte Hasard zurück.
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Dans Stimme klang heiser, er war klatschnaß und müde und hungrig wie sein Kapitän. Aber trotzdem war ein Hoffnungsschimmer in seinen Augen. „He — soll das heißen, daß du annimmst ...“ „Ja, zum Teufel!“ Dan fuhr herum, rutschte fast aus, eilte zur Kuhl hinunter und schrie: „Das Kap, Leute, wir haben es hinter uns gebracht, Hölle, wir haben es geschafft, der Seewolf täuscht sich ganz bestimmt nicht!“ Die Crew begann zu johlen und zu pfeifen. Hasard blickte weiterhin voraus. Nach seiner groben Überschlagsrechnung konnte das dort vor ihnen nur die Westküste des afrikanischen Kontinents sein. Verdammt, ich lasse mich kielholen, wenn es nicht wahr ist, dachte er. Soll von mir aus alles kopfüber gehen — es muß so sein, wie ich vermute. Er verließ die Back und kämpfte sich durch Wind und Wasser zurück aufs Quarterdeck. „Holt die Trossen wieder ein“, befahl er seinen Männern. „Schnell muß das jetzt gehen, denn wenn wir das Land anlaufen, haben wir bald nicht mehr genügend freien Seeraum um uns herum.“ „Kapiert“, erwiderte der Profos. „Los, ihr Kakerlaken, fünf Mann zu mir und dann nichts wie 'runter ins Achterkastell, packen wir's, sonst wird uns noch zum Verhängnis, was uns bislang geholfen hat.“ Etwas später taumelte die „Isabella“ auf haushohen Wogen auf den grauen, ungastlich wirkenden Landstrich zu. Hasard kehrte auf die Back zurück und hielt angestrengt Ausschau. Zuerst dachte er, sie hätten wahrhaftig das Kap der Guten Hoffnung vor sich, doch dann stellte er schnell fest, daß es sich um eine Insel handelte. Wie sie hieß, wo sie präzise lag — das alles war noch im Ungewissen, denn zur Zeit konnte der Seewolf nicht in seinen Karten blättern und nach Hinweisen suchen. Dan war neben seinem Kapitän und brachte das Kunststück fertig, ein Spektiv vors Auge zu heben. „Viel sehe ich nicht!“ schrie er. „Aber da muß eine Bucht sein, jawohl, eine Bucht!“
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„Wo?“ fragte Hasard. „Am Südufer!“ „Wir steuern sie an!“ Hasard leitete das nun folgende Segelmanöver und vergaß keine Sekunde die Gefahr, die ihnen durch Riffe unter der Wasseroberfläche drohte, durch messerscharfe Korallenformationen oder Felsen, die einen Schiffsrumpf leicht aufschlitzen konnten. Er dachte auch ständig daran, daß sie immer noch querschlagen konnten. Das Schreckensbild war gegenwärtig, immer noch konnten sie kentern und elend absaufen. Aber die „Isabella“ gelangte immer näher an die Insel heran. Hasard lachte, fluchte und flehte zum Himmel, daß sie es schafften. Er geriet fast außer Kontrolle. „Wir gehen so dicht wie möglich unter Land!“ schrie er zu Ben Brighton hinüber, der sich näher an ihn herangearbeitet hatte. „Und dann nichts wie weg mit dem Anker!“ „Aye, aye!“ Ben gab die Kommandos sofort nach achtern weiter. Die „Isabella“ schob sich bockend und schlingernd an die Inselküste heran. Hasard gab das Zeichen, als sie die breite Einfahrt der Bucht passiert hatten. Der Buganker klatschte ins Wasser und zog die Trosse mit. Die Galeone schwoite herum und ruckte in den Anker ein. Er hielt. Der Sturm holte zu neuem Wüten aus und orgelte über die grölenden Männer weg. Ja, sie grölten und lachten, waren außer Rand und Band wie Kinder — und so sehr es um sie herum auch heulte und tobte, es konnte sie jetzt nicht mehr beeindrucken. Edwin Carberry stieg zu dem Seewolf auf die Back und sagte mit breitem Grinsen: „Da haben wir dem Teufel mal wieder ein Ohr abgesegelt, was, wie, Sir?“ „Das kann man wohl sagen. Fast wären es zwei Ohren geworden -oder wir hätten Federn gelassen.“ Carberry zeigte immer noch seine großen, gelblichen Zähne. „Und in was für einer lausigen Gegend sind wir jetzt gelandet?“ „Südafrika!“ rief Ben ihm zu. „Was du nicht sagst“, grollte der Profos. „Darauf wäre ich nun wirklich nicht
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gekommen. Irre ich mich, oder ist dies der Arsch der Welt?“ Hasard blieb ernst. „So kann man's natürlich auch nennen. Die Portugiesen und die Spanier haben immer wieder einen Bogen um diese Region geschlagen. Sehr gastlich soll das Land nicht sein.“ „Na, wir werden ja sehen“, erwiderte Carberry. „Ich bin erst mal froh, daß wir Schiff und Mannschaft heil in diese Bucht verholt haben.“ „Richtig, Ed“, sagte der Seewolf. „Alles andere ist zweitrangig. Los, bringen wir jetzt auch den anderen Buganker aus, ehe wir zu weit an der einen Trosse herumschwoien und womöglich doch noch auf eine Untiefe brummen.“ 5. In der Nacht bahnte sich die große Wende an. Der Sturm schien sich ausgetobt zu haben, das Jaulen und Pfeifen des Windes ließ allmählich nach, und endlich hörte es auch auf zu regnen. Keiner der Männer der „Isabella“ war darauf aus, sich jetzt in die Koje zu verkriechen, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Obwohl sie alle hundemüde waren, verweilten sie doch lieber bei ihrem Kapitän an Oberdeck. Hasard wies zum Himmel und sagte: „Die Wolkenbänke reißen auf. Vereinzelt sind schon die Sterne zu sehen. Es dauert nicht mehr lange, und auch der Mond schaut irgendwo hervor.“ „Der Wind wird schwächer“, verkündete Ben Brighton. „Im Morgengrauen müßte er endgültig in die Knie gegangen sein, vielleicht scheint uns dann sogar die Sonne auf den Pelz.“ „Kutscher“, wandte sich Hasard an seinen Koch, Feldscher und Bader. „Kannst du das Feuer in der Kombüse wieder anzünden?“ „Das müßte jetzt möglich sein.“ „Dann setz Wasser auf und bereite Tee zu, knallheißen Tee. In den Tee kippst du Rum, und außerdem erhält jeder Mann eine Sonderration Whisky - von dem ganz guten, klar?“
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„Aye, Sir.“ Der Kutscher rückte in Richtung Kombüsenschott ab. Seine Kameraden rieben sich die Hände. Wichtiger als zu essen war es jetzt, etwas Warmes zu trinken. Die Dünung in der Inselbucht schwoll ab und wurde beinahe sanft, die Schiffsbewegungen verloren rasch an Heftigkeit. Hasard ließ die Manntaue noch nicht lösen und aufschießen, denn es bestand immer noch die Gefahr, daß der Sturm sich von neuem erhob. Man konnte sich inzwischen aber schon wieder mit dem Rücken gegen das Schanzkleid lehnen, ohne sich an den Manntauen festzuhalten. Hasard tat dies, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zu den mittlerweile auch wieder auf Oberdeck eingetroffenen Ferris Tucker, Big Old Shane und Will Thorne. „Gib mal einen Lagebericht, Ferris.“ „Sir, wir haben fünf Lecks in den unteren Schiffsräumen notdürftig abgedichtet, aber natürlich können wir so nicht weitersegeln, falls du darauf anspielen solltest.“ „Das ist mir klar. Zu den Lecks müssen wir die Schäden hinzuzählen, die das Rigg, die Masten sowie das laufende und stehende Gut genommen haben. Die ‚Isabella' hat also eine gründliche Überholung mal wieder nötig, und wir werden wohl noch ein paar Tage hier liegen bleiben müssen“, entgegnete Hasard. „Höchstens zwei“, sagte Shane. Hasard musterte den graubärtigen Riesen. „Shane, es ist mir lieber, wir verwenden noch einen, ja, sogar zwei Tage mehr auf die Reparaturen - erstens, damit ihr euch nicht zu sehr abrackern müßt, zweitens, damit die Sache auch ordentlich wird.“ Der Kutscher bugsierte einen Kübel aus dem Kombüseneingang. Dampf stieg daraus auf, und die Männer wandten sofort ihre Köpfe und blickten zu ihrem Koch und Feldscher hinüber. Bill, der Moses, half dem Kutscher. Er praktizierte ein paar Schritte vom Kombüsenschott entfernt ein einfaches dreieckiges Holzgestell auf die Planken und unter den Kübel. Der Kutscher setzte das Gefäß ab, Bill holte
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aus der Kombüse Mucken, und dann fing der Kutscher mittels einer Kelle mit dem Austeilen an, pro Muck einen ordentlichen Schluck Tee mit einem tüchtigen Schuß Rum darin. Tee hatten die Seewölfe erst in China kennen und schätzen gelernt. Inzwischen war das Getränk aus den unscheinbaren kleinen Blättern zu einem beliebten Wachmacher für die Männer geworden, allemal, wenn der Tee auch noch durch Rum angereichert wurde. Hasard nahm einen Schluck aus der Muck, setzte sie wieder ab und sagte: „Mitternacht ist vorbei. Betrachten wir diesen Umtrunk also als unser erstes Frühstück.“ „Gut“, meinte der Profos. „Das bedeutet, bei Morgengrauen können wir das zweite zu uns nehmen - äh, wieder mit heißem Rum, schätze ich ...“ „Edwin“, fiel Blacky ihm ins Wort. „Du hast den Tee vergessen.“ Carberry überhörte das geflissentlich. Er streckte seinen kantigen Schädel ein wenig vor, marschierte auf den Kutscher zu und hielt diesem die Muck hin. „Fang jetzt mit dem Austeilen der Sonderration Whisky an, Kutscher. Das Ganze habe ich auch schon schneller gesehen.“ „Zu Befehl.“ Dan O'Flynn hatte sich neben den Profos geschoben und führte seine rechte Hand mit dem leeren Becher ebenfalls dicht vor den Kübel. „Für mich noch etwas Tee, bitte. Also wirklich, man wird putzmunter von dem Zeug.“ Der Kutscher kippte leicht verwirrt sowohl in Dans als auch in Carberrys Muck dampfenden, heißen Tee - und dafür handelte er sich den vernichtenden Blick des Profos' ein. Carberry ließ einen knurrenden, bösartigen Laut vernehmen, dann fragte er den Kutscher „Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du eine elende, krummbeinige, schielende Kombüsenwanze bist, die trotz ihrer ganzen Klugschnackerei nicht bis drei zählen kann?“ „Gewiß.“
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„Wer denn?“ erkundigte sich Carberry verblüfft. „Der Profos der ‚Isabella', Sir.“ Carberry drehte die Muck um, daß der Tee in den Kübel zurückfloß. Er kehrte die Öffnung wieder nach oben, schnaubte und fixierte den Kutscher, als wolle er ihm den Kopf abreißen. „Klopf keine dummen Sprüche, Mann, kipp mir den Whisky in die Muck. Schnapp dir die Pulle, oder es gibt Zunder.“ Kurz darauf trat Carberry mit seinem Drink an das Backbordschanzkleid der Kuhl und blickte versonnen zum Buchtufer hinüber. Der Wind flaute weiterhin ab, es wurde angenehm ruhig, man konnte schon wieder das Knarren der Blöcke und Rahen vernehmen, das vorher völlig in dem Sturmgetöse untergegangen war. Die „Isabella“ lag jetzt mit dem Vorsteven nach Nordosten. Die Küste ihres Nothafens erstreckte sich also in Luv, ein flacher, schwarzer Streifen Land, der auch unter dem nun einfließenden schalen Mondlicht nicht genau zu erkennen war. Carberry trank geräuschvoll, dann setzte er die Muck unvermittelt mit einem Ruck ab. Hasard hatte es bemerkt und trat neben ihn. „Was ist denn los, Ed?“ „Da bewegt sich was, Sir.“ „Du meinst, wir könnten eventuell Besuch kriegen — von Eingeborenen?“ „Verdammt fette Kerle sind das, wenn ich das richtig sehe. Richtige Riesen. Da ...“ „Richtig, jetzt kann ich auch etwas erkennen“, sagte Hasard. „Gestalten, die sich schwerfällig hin und her bewegen. Sie scheinen uns zu beobachten.“ „Und Laute geben sie von sich“, sagte der Profos betroffen. „Grunzen und Röcheln. Ja, was zum Teufel sind denn das für Kaffern? Kannibalen etwa?“ „Oder Kopfjäger“, sagte Dan in sachlichem Tonfall. „Freundlich sollen die Wilden in dieser Ecke der Welt nicht gerade sein, habe ich mal gehört.“ „Von wem?“ wollte der Profos wissen. „Weiß ich nicht mehr ...“ „Dann halt das Maul“, befahl Carberry grob. „He, jetzt ist der ganze Spuk wieder verschwunden. Ja, ist denn das die
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Möglichkeit? Die fetten Burschen haben sich von einem Moment auf den anderen verzogen. Sollen wir nicht lieber gefechtsklar rüsten?“ „Das ist auf jeden Fall besser“, erwiderte der Seewolf. „Wir wissen nicht, was uns hier erwartet. Im Licht des Tages werden wir uns dann ein Bild verschaffen, mit wem wir es zu tun haben.“ Er sandte einen langen Blick zur Insel. „Ich halte es nicht für .ratsam, jetzt an Land zu gehen und Nachforschungen zu betreiben. Wir sind zu erschöpft. Bei einem Angriff Eingeborener könnten wir den kürzeren ziehen.“ * Kurz vor Tagesanbruch klopfte es heftig gegen das Schott der Kapitänskammer im Achterkastell der Kriegsgaleone „Santa Monica“. Lucio do Velho, der grübelnd über seinen Seekarten gesessen hatte, blickte von seinem Pult auf und rief: „Wer da?“ „Ignazio, Senor.“ „Komm herein, du Narr“, sagte do Velho. Er verfolgte aus schmalen, argwöhnischen Augen, wie sich die Tür öffnete und sich die breite Gestalt seines Bootsmannes hereinschob. Do Velho war übernächtigt, ausgelaugt und nicht zu Gesprächen mit dem vierschrötigen Mann aus Porto aufgelegt. Der Verband hatte die östlichen Ausläufer des Sturmes erlebt und war fast auseinandergerissen worden. Die „Santa Monica“ hatte schwer in der brüllenden See gekrängt, und es mußte wohl einem Wunder zuzuschreiben sein, daß sie nicht quergeschlagen und gesunken war und später, im Abklingen des Wetters, den Kontakt zu den Karavellen „San Julio“ und „Libertad“ wiedergefunden hatte. Aber Lucio do Velho war bei allem Glück, das er gehabt hatte, am Ende seiner Energiereserven angelangt. Er konnte kaum noch die Augen offenhalten, mußte aber doch versuchen, die Position des Verbandes zu errechnen. Wo zum Teufel steckten sie?
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Ignazio versuchte, seinem Auftreten etwas Bedeutungsvolles zu verleihen, er bekam aber nur eine verbiesterte, verkniffene Grimasse zustande und verhielt in ziemlich linkischer Haltung vor dem mit Intarsien versehenen Pult seines Kommandanten. „Ignazio“, sagte do Velho. „Sprich frei von der Leber weg, druckse nicht herum. Halte mich nicht mit Nebensächlichkeiten auf, sieh zu, daß du so schnell wie möglich wieder meine Kammer verläßt und an Oberdeck zurückkehrst.“ „Senor, der Ausguck glaubt, Land gesehen zu haben.“ „Land? Und er glaubt?“ „Er hat Land gesichtet“, sagte Ignazio verzweifelt. „In der Finsternis“, höhnte Lucio do Velho. „Der Hund von einem Ausguck hat sich heimlich einen Rausch angetrunken, und ich werde ihm dafür ein Dutzend Hiebe mit der Neunschwänzigen überziehen lassen.“ Der Mann aus Porto hob abwehrend die Hände. „Nein, Senor. Sie wissen nicht, daß die Wolken jetzt zum Land hingezogen sind und das Licht des fast vollen Mondes ausreicht, um ...“ Do Velho fuhr von seinem geschnitzten Holzgestühl hoch, daß es fast nach hinten umkippte. „Hättest du das nicht gleich sagen können, du Holzkopf? Los, lauf voraus, ich lege nur meine Karten zusammen und komme dann nach.“ Ignazio verschwand. Do Velho rollte seine wichtigsten Seekarten zusammen, klemmte sie sich unter den Arm und schritt gleichfalls nach vorn zur Luke, die auf die Kuhl führte. Kurze Zeit später stieg er auf die Back, lauschte den Rufen des Ausgucks und den gehaspelten Erklärungen seines Bootsmannes — und beschloß dann, etwas zu tun, was er selten durchführte. Er enterte höchstpersönlich in den Vormars auf. Den Hauptmars, in dem sich der Ausguck befand, mied er, weil er sich nicht dazu herablassen wollte, nahen Kontakt mit dem einfachen Decksvolk zu bekommen. Gelegentlich pflegte er die Männer als „Lumpenpack“ und „Diebesgesindel“ und
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„erbärmliche Habenichtse“ zu bezeichnen. Schön, dies war eine zugegebenermaßen gute Mannschaft, besser noch als die der „Candia“, doch das änderte nichts an do Velhos Verachtung gegenüber allen denen, die unter ihm in der Rangliste standen. Etwas umständlich zog do Velho hoch oben im Vormars der „Santa Monica“ sein Spektiv auseinander und blickte angestrengt hindurch. Mit einem normalen spanischen Rohr hätte man trotz des weißen Mondlichtes nichts erkennen können, aber diese wunderbare Optik hatte der Portugiese aus Manila, und sie war dorthin von einer portugiesischen Galeone aus Kanton mitgebracht worden. Die Chinesen waren den Europäern in vielem voraus, das mußte ihnen der Neid lassen. Zu den größten Errungenschaften ihrer fortschrittlichen Forschung zählten Fernrohre wie dieses. Ja, Lucio do Velho erspähte einen gut fingerdicken Streifen in der Ferne, und die Klarheit der Kontraste ließ keine Täuschung zu: das war Land! „Mehr noch“, murmelte do Velho ergriffen. „Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir das Kap vor uns. Das Kap — allmächtiger Gott im Himmel.“ Er enterte schleunigst wieder ab und suchte mit seinen Karten unter dem Arm und von Ignazio, dem ersten und dem zweiten Offizier gefolgt das Achterdeck auf. Hier studierte er im Schein der beiden Achterlaternen noch einmal eingehend die Roteiros und ließ den ersten Offizier ein paar Berechnungen anstellen. Die Karten bauschten sich im Westwind auf, an dem die „Santa Monica“ und die beiden in ihrem Kielwasser segelnden Karavellen lagen. Do Velho zerrte plötzlich so heftig an dem Papier, daß es den Anschein hatte, er wolle es zerreißen. Es war aber nur ein Ausdruck seiner Erregung, die ihn zu dieser Handlung verleitete. „Ich habe recht!“ rief er. „Ich habe mich nicht geirrt! Wir haben das Cabo de la Buena Esperanza, das Kap der Guten Hoffnung, vor uns!“
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„Ich habe nie daran gezweifelt, daß sie uns sicher aus dem Sturm in eine Bucht führen würden, in der wir uns von den erlittenen Strapazen erholen können, Senor Comandante“, entgegnete der erste Offizier. Er hieß Ernesto Malcores und legte allergrößten Wert darauf, do Velho seine Botmäßigkeit und Bewunderung zu bekunden. Daß die Decksleute und Soldaten dies schlicht als Stiefelleckerei bezeichneten, war ihm bisher noch nicht zu Ohren gedrungen. „Ich wünschte, alle Leute auf diesem Schiff würden Ihre Überzeugung teilen, Malcores“, antwortete do Velho aufblickend. „Tun sie das nicht?“ „Sie Illusionist - was glauben Sie denn? Aber lassen wir das.“ Der Kommandant ließ die Karten sinken, atmete tief ein und fuhr fort: „Intelligenz und Erfahrung im Verbund mit navigatorischen Kenntnissen müssen zwangsläufig zum gewünschten Erfolg führen. Senores, nehmen Sie sich gefälligst ein Beispiel daran. Wir laufen jetzt die False-Bucht an und ankern dort. Wir können unsere Schiffe ausbessern, uns erholen und den Proviant fassen, an dem es uns so dringend mangelt.“ „Hoffentlich gibt es jagdbares Wild“, sagte Ignazio. „Selbstverständlich, du Tölpel“, entgegnete do Velho, dem es keineswegs widerstrebte, den Bootsmann vor. allen anderen Offizieren herunterzuputzen. „Und du solltest dein Wissen über den schwarzen Erdteil auffrischen, falls du dazu in der Lage bist. Im Kapland existieren Stämme nackter Wilder, der Hottentotten, die große Herden Rindvieh züchten.“ „Ja, Senor.“ „Comandante“, sagte Ernesto Malcores. „Sie haben vor, einige solcher Tiere zu kaufen?“ Do Velho lachte. „Kaufen? Das wäre ja wohl ein Witz! Wir nehmen uns, was wir benötigen, die Hottentotten können froh sein, wenn wir sie am Leben lassen und nicht ihre Dörfer niederbrennen.“ *
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Über den Bergkuppen des afrikanischen Festlandes wuchs die Sonne als weißgoldener Ball hervor. Noch war der Himmel über der „Isabella“ grau, aber es waren nirgends mehr Wolken zu entdecken. Nur eine leichte Brise wehte, Seevögel zogen hoch über den Köpfen der Männer ihre Kreise. Es versprach, ein schöner Tag zu werden. Der Seewolf - auf dem Achterdeck von seiner vollzähligen Crew umstanden blickte nach Süden. „Männer“, sagte er. „Das ist ein wirklich ergreifender Anblick. Vergeßt ihn nicht. Nicht jeder Seefahrer hat in seinem Leben die Gelegenheit, die Tafelbucht in solchem Licht, in solcher Pracht liegen zu sehen.“ Im Süden erstreckte sich das Ufer des Festlandes, es verlief in weitgeschwungenem Bogen weiter nach Osten, dann nach Nordosten, schließlich nach Norden und bildete die geräumige Tafelbucht. Im Süden stieg schroff ein gut tausend Yards hoher Berg auf, dessen Gipfel ein einziges, gewaltiges Plateau bildete —der Tafelberg. Der Himmel färbte sich allmählich und verlieh dem eigentümlichen, faszinierenden Werk der Natur eine smaragdene Krone. „Im Süden hinter dem Berg liegen das Kap und die False-Bucht“, setzte Hasard seinen Männern auseinander. „Wir haben viel Glück gehabt, daß wir im Sturm um das Kap herumgelangt sind und diese Insel ansteuern konnten.“ Die Insel —sie lag im Norden mitten in der Einfahrt der Bucht und schien, soweit die Seewölfe es erkennen konnten, weit und breit das einzige Eiland zu sein. Das Wesentliche über die Beschaffenheit dieser Insel war schnell gesagt: Sie war von lang ausgedehnter Form, schroff aus dem gleichen grauschwarzen Gestein wie der Tafelberg gefügt und erweckte einen unwirtlichen Eindruck. Ben Brighton ließ wie die anderen Männer die faszinierende Umgebung auf sich einwirken, dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Also, ich für meinen Teil fühle mich schon wieder ganz munter. Wie ist
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es, sehen wir uns unsere Insel jetzt mal genauer an?“ „Einverstanden“, erwiderte der Seewolf. „Außer dir und mir nehmen sechs Mann an dem Unternehmen teil, die anderen können hier einen ruhigen Posten schieben. Hand hoch, wer sich freiwillig meldet.“ Da flogen natürlich alle Arme hoch. Carberry dachte nicht mehr an seine verwundete Schulter, er riß die rechte Hand nach oben — und verzog schmerzhaft das Gesicht. Rasch ließ er die Rechte wieder sinken und bediente sich der Linken. Hasard lachte auf, in seinen eisblauen Augen glitzerte es. „Danke, wirklich gut gemeint von euch. Aber dann bin ich eben verpflichtet, mir meine Begleiter auszusuchen. Also: Dan, Blacky, Smoky, Stenmark, Luke Morgan — also, Ed, es wäre besser, du bliebest an Bord.“ „Warum, Sir?“ „Kuriere deine kaputte Schulter mit Whisky.“ „Sir“, sagte der Profos fast erbost, „meine Schulter ist wieder heil. Außerdem nimmst du Stenmark, der im Gefecht gegen do Velho ja auch was abgekriegt hat, ebenfalls mit.“ „Stenmark hat keine Schmerzen mehr.“ „Ich auch nicht, Sir!“ „Warum ziehst du dann einen solchen Mund?“ fragte der Seewolf. „Sir John“, meldete Carberry mit schiefem Grinsen. „Der Aasgeier hat mich mal wieder gebissen.“ Er griff ins Wams, zog den bunten Vogel daraus hervor und scheuchte ihn mit einem Fluch über Deck. Sir John wetterte ganz fürchterlich und zog sich beleidigt auf die Großmarsrah zurück. „Ed“, sagte Hasard. „Erzähl mir keine Märchen.“ „Nie würde ich das wagen. Verdammt, ich bin doch kein Jammerlappen, der wegen eines kleinen Kratzers an der Schulter tagelang heult. Und noch was. Ich habe die fetten Burschen am Ufer als erster entdeckt, daher ist es sozusagen mein Vorrecht, nach ihnen Ausschau zu halten.“ „In Ordnung“, sagte der Seewolf. „Das zählt. Fiert die Jolle ab, greift euch die
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Waffen, wir pullen an Land. Ferris, du hältst die ‚Isabella' weiterhin gefechtsbereit.“ „Aye, Sir.“ „Wenn du das Zeichen hörst — zwei rasch hintereinander in die Luft gefeuerte Schüsse —, gehst du mit der Lady ankerauf und rundest die Insel in östlicher Richtung, klar?“ „Wie besprochen, Sir.“ Keine zehn Minuten später war die Jolle am Strand der Bucht gelandet. Hasard und Ben sprangen als erste auf den grobkörnigen grauen Sand, liefen ein Stück vor und sicherten, während die anderen sechs Männer das Boot bis zu zwei Dritteln aus dem Wasser zerrten und dann zurückließen. Hasard hatte den Radschloß-Drehling mitgenommen, den er auf den Ladronen von dem außergewöhnlichen Häuptling der Eingeborenen geschenkt bekommen hatte. Den Schnapphahn-Revolverstutzen, der ebenfalls von den Diebes-Inseln stammte, hatte er Ben Brighton überlassen. Mit diesen beiden Waffen verfügten sie über zwölf Schuß, die sie rasch hintereinander abfeuern konnten — genug, um einen Blitzangriff irgendwelcher Gegner zurückzuschlagen. Aber es geschah nichts. Alles blieb ruhig, überraschend ruhig sogar. Hasard, Ben, Ed, Blacky, Smoky, Stenmark, Dan und Luke stiegen eine Anhöhe hinauf, bis sie auf eine Kuppe gelangt waren, von der aus sie einen einigermaßen guten Ausblick hatten. Für eine Weile verharrten sie hier. „Eine spärliche Vegetation“, stellte Dan O'Flynn nüchtern fest. „Viel scheint hier nicht los zu sein. Die Insel zieht sich lang nach Nordwesten hinauf und sieht aus wie eine riesige Gurke.“ „Ein feiner Vergleich“, sagte Blacky. „Und wo halten sich deiner Meinung nach die Kannibalen auf?“ „Keine Ahnung. Siehst du welche?“ „Nein, sie hocken ja in ihren Schlupfwinkeln“, entgegnete Blacky. „Jedenfalls hat unser Profos das gesagt.“
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„Gar nichts habe ich gesagt“, mischte sich Carberry wütend ein. „Ich habe nur etwas beobachtet, und damit basta. Das heißt noch lange nicht, daß hier überall nackte Wilde herumkriechen.“ „Aha, jetzt schränkt er schon ein“, bemerkte Dan O'Flynn. „Am Ende waren die fetten Lümmel, die sich am Ufer der Bucht 'rumgetrieben haben, nur ein Hirngesp ...“ „O'Flynn“, blaffte Carberry ihm ins Öhr. „Noch eine Silbe, und ich haue dir in die Rippen, daß dir die Luft wegbleibt. Klar?“ „Klar“, antwortete Dan, dem der zurechtweisende Blick des Seewolfs nicht entgangen war. „Wir marschieren zum Ostufer hinunter“, ordnete der Seewolf an. „Vielleicht entdeckten wir dort etwas.“ Sie mußten ein paar niedrige, aber sehr zerklüftete Felsen hinter sich bringen, um den Blick auf das Ostufer frei zu haben. Noch ehe sie richtig auf dem Strand angelangt waren, blieb der Seewolf dicht vor Ben Brighton stehen, und zwar so abrupt, daß Ben ihm fast auf die Hacken lief. „Da“, sagte Hasard. Er streckte die Hand vor und wies in die rund zwanzig Yards tiefer liegende Uferregion. „Da habt ihr sie, die rätselhaften Zeitgenossen.“ Verdutzt verharrten die Männer hinter ihm. Wirklich, da war eine Masse graubrauner Leiber auf dem Strand, ein beständiges Hin und Her, Auf und Ab, und da waren jetzt auch wieder die Laute zu vernehmen, die Carberry in der Nacht gehört hatte: Grunzen und Schnaufen, Röcheln und ein merkwürdiges Bellen. „Fette Kannibalen!“ Smoky grinste. „Robben“, sagte Dan O'Flynn. „Eine ganze Herde. Na bitte, damit wäre der Schleier des Geheimnisses gelüftet. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Was haltet ihr davon, wenn wir die Insel Robben Island taufen — die Robben-Insel?“ „Jawohl“, stieß Carberry aus. „Sir, ich bitte darum, daß diesem Antrag stattgegeben wird.“ „Genehmigt“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Wir beenden jetzt unseren
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Rundgang, von dem ich mir nicht mehr allzu viel verspreche. Die Hottentotten, die im Kapland leben sollen, scheinen sich eher auf dem Festland angesiedelt zu haben.“ „Ich bin auch nicht scharf darauf, die Brüder kennenzulernen“, sagte Ben Brighton. „Kannibalen oder Kopfjäger sind sie wohl nicht, aber sie sollen schon so manchem Fremden den Schädel eingeschlagen haben.“ Hasard wandte sich um und blickte über die Mastspitzen der „Isabella“ hinweg, die man von diesem Punkt aus noch sehen konnte, zum erhabenen und majestätisch wirkenden Tafelberg hinüber. „Trotzdem unternehmen wir gleich noch einen Abstecher zum Berg“, sagte er. „Ich will prüfen, ob ich dort oben einen Ausguck postieren kann, der in der Zeit unseres Aufenthaltes die See rund ums Kap kontrolliert.“ „Wir könnten Ärger mit den Dons oder mit Piraten kriegen“, erwiderte sein erster Offizier und Bootsmann. „Damit müssen wir immer rechnen. Ben.“ „Auch mit Lucio do Velho?“ „Auch mit dem.“ 6. Lucio do Velho ging sein Vorhaben langsam an. Nachdem die drei Schiffe seines Verbandes unweit des Ufers der False-Bucht vor Anker gegangen waren, hatte er zunächst einmal in seiner Kammer geruht und gnädigerweise auch den Großteil der Mannschaften in die Kojen geschickt. Im warmen Licht des Vormittags erhob sich der portugiesische Kommandant von seinem Lager, wusch sich, kleidete sich an und begab sich an Oberdeck, wo die Wache abgelöst war und sich eine kleine Gruppe Männer bereits damit beschäftigte, die Schäden an der „Santa Monica“ auszubessern. Do Velho klomm auf das Achterdeck und sandte seinen abschätzenden Blick in die Runde. Was er sah, verlangte ihm kein
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Frohlocken ab, von dem strahlenden Sonnenschein einmal abgesehen. „Ignazio“, sagte er. Der Mann aus Porto hielt sich wie gewöhnlich dienstbewußt in der Nähe seines Herrn auf. „Senor Comandante?“ „Capitan Fulvio de Hernandez von der ,San Julio` und Capitan Manlio Ariza Santillan von der ,Libertad` sollen unverzüglich zur Lagebesprechung anrücken. Signalisiere das den Karavellen.“ „Si, Senor.“ „Und wirf unseren ersten und zweiten Offizier aus den Kojen. Sie haben lange genug geschlafen. Falls sie dich zum Teufel zu jagen versuchen, erstattest du mir sofort Meldung. Wichtig ist, daß der komplette Stab binnen Kürze hier auf dem Achterdeck meines Flaggschiffes versammelt ist. Ab mit dir.“ Ignazio hastete los, fiel fast von den Stufen des Niederganges und war ganz von dem Willen beseelt, auch ja alles richtig zu erledigen. Ernesto Malcores und der zweite Offizier der „Santa Monica“ erschienen wenig später mit recht schlaftrunkenen Gesichtern, und auch die Kapitäne der beiden Zweimast-Karavellen ließen sich auf Ignazios Signale hin in Booten zur „Santa Monica“ pullen. Do Velho ließ sie alle auf dem Achterdeck antreten und strammstehen, dann begann er: „Senores, was halten Sie von diesem Land? Ich will Ihre ehrliche Meinung hören, kein unsachliches Geschwafel.“ „Es ist ein menschenfeindlicher Platz, an dem wir nicht lange verweilen sollten“, entgegnete der Capitan Fulvio de Hernandez. „Unsere Schiffe fahren seit fast einem Jahrhundert immer wieder an diesem Gebiet vorbei, ohne eine Rast einzulegen. Lieber gehen sie in Angola oder den Häfen der Ostküste vor Anker — in Lourenco Marques beispielsweise.“ „Das ist bekannt“, sagte Lucio do Velho in seiner abfälligen Art. „Aber welche Gründe gibt es dafür?“ Das wissen Sie nicht?“ entfuhr es Manlio Ariza Santillan.
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Do Velho fixierte ihn scharf. „Doch, aber ich will es von Ihnen hören, Capitan.“ „Comandante“, meldete sich Malcores zu Wort. „Lassen Sie mich erklären, was ...“ „Santillan“, sagte do Velho frostig. „Sprechen Sie.“ „Das Kap der Guten Hoffnung war schon immer ein unwirtliches Gestade“, entgegnete der Kapitän der „Libertad“. „Ihr Landsmann Bartolomeu Diaz hat es ja als ein Kap der Stürme bezeichnet, und auch die ‚Hoffnung', nach der es später getauft wurde, galt nicht Afrika, sondern dem weiten Weg nach Indien.“ „Bekannt“, warf do Velho schroff ein. „Sie langweilen mich, Capitan.“ Santillan räusperte sich. Er hätte diesem hochnäsigen und von sich eingenommenen Mann gern offen die Meinung gesagt, aber darauf wartete do Velho ja nur. Santillan zählte bei all seinem Ressentiment gegen den Portugiesen nicht zu den Leuten, die ihr Gegenüber unterschätzten. Das übertriebene Gehabe des Kommandanten war nur die Schale, darunter steckte ein harter, zäher Kern. Santillan wußte nicht, auf was der Mann hinauswollte, aber ihm war klar, daß er do Velho einen Fehler handfest nachweisen mußte, bevor er konkret gegen ihn vorgehen konnte. Das hatte er zwar vor, konnte es aber noch nicht in die Tat umsetzen. Ihr Gespräch verlief weiterhin in offener; unverhohlener Animosität. „Das Land taugt nichts, um es einmal so auszudrücken“, führte Santillan weiter aus. „Diese grauschwarze Erde ist abweisend, die Berge sind steil und kahl. Es gibt keine guten Häfen, nur flache, sandige Flußmündungen —und kein Gold, keine Schätze, keine Spezereien wie in Indien und China, nichts, das uns verlocken könnte, ins Innere vorzustoßen.“ „Außerdem gelten die Hottentotten und die Buschmänner als äußerst gefährlich“, half de Hernandez seinem Kapitänskollegen. „Vergessen wir nicht, daß sie schon vielen Seefahrern den Garaus bereitet haben. Beispielsweise haben sie 1510 den portugiesischen Admiral und Vizekönig für die östlichen Meere, Francisco
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d'Almeida, der hier auf der Heimreise von Indien vor Anker ging, samt seinem Sohn und hundertundfünfzig Soldaten am Strand erschlagen.“ „Was Sie nicht sagen, de Hernandez. Wissen Sie, ich habe in Madrid und Barcelona studiert, bevor ich die Akademien der Armada besuchte — glauben Sie, ich sei gerade über diesen Vorfall nicht unterrichtet?“ „Sie haben nach unserer Meinung gefragt, Comandante“, sagte der Hernandez empört. „Senores“, wandte sich do Velhos erster Offizier an die beiden Kapitäne der Karavellen. „Zügeln Sie Ihre Zungen und denken Sie daran, wem Sie hier gegenüberstehen.“ „Amigo“, erklärte Santillan kalt, „Sie haben uns gar nichts vorzuschreiben, klar?“ Do Velho tat noch einen Schritt auf de Hernandez und Santillan zu. „Setzen Sie mir bitte auseinander, warum Sie diese Schauergeschichten von vor über einem halben Jahrhundert wieder aufwärmen. Ich bitte Sie höflich darum.“ Manlio Ariza Santillan wich dem Blick des Portugiesen nicht aus. „Weil es nach allem Dafürhalten richtig ist, Sie zu warnen, Comandante. Anderenfalls empfehle ich Ihnen, uns nicht mehr nach unserem unmaßgeblichen Urteil zu fragen.“ Do Velho lachte auf. „Aber, aber, wer wird denn gleich? Im Gegenteil, Senores, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir mitgeteilt haben, welchen Wert Sie auf eine Landung und Erkundung unserer Umgebung legen. Nun, ich muß Sie enttäuschen. Wir gehen an Land - aus zweierlei Erwägung. Erstens brauchen wir Proviant, zweitens müssen wir nach dem Verbleib von Ei Lobo del Mar forschen.“ „Sie glauben, er hält sich hier irgendwo versteckt?“ fragte Santillan verwundert. „Bisher haben ihn unsere Ausgucks nicht entdeckt. Und außerdem - das wäre ja wohl ein Riesenzufall ...“ „Ich habe solche Zufälle gerade mit dem Seewolf nun schon mehrfach erlebt!“ rief Lucio do Velho leidenschaftlich. „Halten
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Sie sich vor Augen, daß im Norden, durch den Tafelberg verdeckt, auch noch die Tafelbucht liegt, in der die ‚Isabella' ohne weiteres ankern könnte. Deshalb werden wir den Tafelberg ersteigen, Senores, und Sie, gerade Sie, werden an diesem grandiosen Unternehmen teilhaben. Ich befehle Ihnen nunmehr, je zehn Männer ihrer Besatzungen auszuwählen. Auf mein Zeichen von der ,Santa Monica` hin begibt sich dann alles an Land - dreißig Männer mit ihren Befehlshabern, in drei Booten.“ „Comandante!“ rief in diesem Moment der Mann im Großmars der Galeone. „Ich habe eine Herde gesichtet!“ „Elefanten?“ „Nein, Senor. Rinder!“ „Gut.“ Lucio do Velho setzte sein typisches Sieger- und Erobererlächeln auf. „Sehr gut sogar. Zweifellos haben wir eine der Herden der wilden Nomaden vor uns. Wir beginnen sofort mit dem Landemanöver und kreisen die Kerle ein, um uns die besten Tiere 'auszusuchen. Bewegung, Senores!“ * Lucio do Velho stand etwas später mit stolz erhobenem Kopf im Bug des Bootes, dessen Heckducht der erste Offizier der „Santa Monica“, Ernesto Malcores, eingenommen hatte. Malcores hielt die Ruderpinne, während Ignazio und acht andere Männer die Riemen in raschem Rhythmus eintauchten und durchs Wasser zogen. An Backbord und an Steuerbord des Flaggschiff -Beibootes glitten die Boote der „San Julio“ und der „Libertad“ dahin, wohl oder übel von de Hernandez und Santillan geführt. Do Velho blickte zum Ufer. Mit bloßem Auge konnte er die einzelnen Tiere der grasenden Herde erkennen. Gras gab es also in diesem kargen Land, und die Rinder sahen im übrigen alles andere als ausgemergelt oder verhungert aus. „Die Ochsen in diesem Land sind so groß wie im Alentejo, herrlich fett und sehr zahm“, murmelte do Velho. „Das hat mein
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großer Landsmann Vasco da Gama schon seinerzeit gesagt - der Herr lasse seine Seele in Frieden ruhen. Auf die dicksten, so schilderte da Gama, legen die Schwarzen einen Packsattel aus Schilf und darauf eine Art Sänfte aus Stöcken, auf welcher sie reiten.“ „Was befehlen Sie, mi Comandante?“ fragte Ignazio untertänigst. „Nichts. Schweig, du Narr.“ „Si, Senor.“ „In einem Punkte irrte Vasco da Gama“, fuhr do Velho in seinem Selbstgespräch fort. „Die Schwarzen sind nicht ganz dunkelhäutig, sondern braungelb. Sie unterscheiden sich stark von den schwarzen, athletisch gebauten Afrikanern nördlich des Äquators und sind keine Neger, sondern sprachlich und kulturell eher den Hamiten zuzuordnen. Klein und zierlich, mit platten Nasen und dichtverfilztem Haar, so präsentieren sie sich dem Fremden. Und doch, es stimmt, sie sind gefährlich, diese Hottentotten ...“ Do Velho blieb aufrecht stehen, als der Bootsbug auf dem groben Sand knirschte und das Gefährt mit einem Ruck stoppte. Mit einem eleganten Satz war der Kommandant an Land, dann winkte er seinen Untergebenen zu und führte sie auf die Nomaden und ihre Herde zu. Gut eine halbe Stunde lang bewegten sich die Spanier und Portugiesen in gedrängter Formation durch das Flachland zu Füßen des Tafelberges. Als sie ihrem Ziel, das nicht an Flucht zu denken schien, nahe waren, ließ do Velho halten. „Wir bilden zwei Gruppen Soldaten“, sagte er. „Die eine, von mir geführt, geht nach Osten und stößt dann auf die Herde zu, die andere pirscht sich von Westen an. Diese zweite Gruppe übernimmt Malcores.“ „Danke, Senor Comandante“, entgegnete der erste Offizier. „Augenblick“, wandte Santillan ein. „Wieso überlassen Sie nicht de Hernandez oder mir das Kommando des Trupps?“ „Weil ich befürchten muß, daß Sie sich nicht absolut loyal verhalten, Senores.“ „Das ist ein Schuß vor den Bug“, erwiderte Fulvio de Hernandez gepreßt.
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„Wie soll ich das verstehen?“ „Verzeihung, ich habe laut gedacht, Senor Comandante.“ „Gewöhnen Sie sich das gefälligst ab.“ „Sehr wohl“, antwortete de Hernandez, ohne den ironischen Unterton in seiner Stimme zu verbergen. Kurz darauf nahm der in siebzehn beziehungsweise sechzehn gut bewaffnete Teilnehmer gespaltene Trupp Spanier die Herde von Osten und Westen sozusagen in die Zange. Do Velhos Anweisung war klär — die Männer sollten sich, sobald sie auf Schußweite an die Herde heran waren, die größten und schönsten Tiere heraussuchen und dann einfach abdrücken. Die Musketen der Männer waren mit Eisenkugeln geladen, jeder Treffer sollte tödlich sein. Ignazio hastete neben seinem Herrn und Gebieter her. Sie bildeten die Spitze der östlichen Gruppe. „Es wundert mich, daß die Hottentotten nichts tun, um uns aufzuhalten“, sagte er schwer atmend. „Sie lassen uns erst mal heran. Sie haben keine Schußwaffen und können uns nur aus nächster Nähe angreifen.“ „Darum täuschen sie Friedfertigkeit vor?“ „Ausnahmsweise hast du es einmal erfaßt, Ignazio.“ „Sie ahnen nicht, daß wir ihre Rinder und Ochsen wollen ...“ „Gleich wissen sie es.“ Lucio do Velho blieb stehen, kniete sich hin und hob den Kolben seiner Muskete an die rechte Schulter. Er nahm einen gut bepackten, hellgrauen Ochsen aufs Korn und ließ sich Zeit beim Zielen. Die Hottentotten liefen jetzt zusammen und schüttelten erbost die Knüppel, mit denen sie ihre Tiere voranzutreiben pflegten. Do Velho krümmte seelenruhig den Zeigefinger um den Abzug der Muskete. Die Hahnarretierung löste sich, der Flint schlug auf die Pfanne. funkensprühend wurde das Zündkraut in Brand gesetzt. Krachend brach der Schuß, eine weiße Wolke Pulverqualm puffte hoch und stieg zum Hang des jetzt nahen Tafelberges auf. Der Ochse zuckte unter dem Einschlag der Kugel zusammen und versuchte sich
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aufzubäumen, schaffte es aber aufgrund seines enormen Gewichtes nicht. Er brach zuerst in den Vorderläufen ein, dann in den hinteren. Do Velhos Schuß war das Zeichen gewesen. Auf beiden Seiten der Herde peitschten jetzt Musketenund Arkebusenschüsse auf. Die Männer der spanischen Kriegsschiffe hielten in die Herde, ohne sich dabei gegenseitig zu gefährden. Die Herde war nicht nur das Opfer, sie bildete wegen ihrer Größe auch gleichzeitig einen Puffer, der verhinderte, daß die Angreifer sich in die Köpfe schossen. Die Hottentotten brachen in wütendes Geschrei aus. Sie vertauschten ihre Stöcke mit Speeren, Messern, Pfeil und Bogen. Zornig stürmten sie auf die Gegner los, wobei sich einige tatsächlich in die von Lucio do Velho auf da Gamas Schilderung hin beschriebenen Sättel von Rindern schwangen. Zwei, drei, vier Eingeborene rasten auf do Velho, Ignazio und deren Gruppe zu. Ignazio hatte seine mitgeschleppte Muskete auf ein Tier der Herde abgefeuert, nachladen konnte er nicht, er ließ die Waffe fallen und riß das Tromblon von der Schulter, das er auf do Velhos Anordnung hin ebenfalls mitgenommen hatte. Das Tromblon, auch Blunderbüchse genannt, war für das Erlegen von Tieren auf einige Distanz keinesfalls die richtige Waffe - wohl aber für das, was der Mann aus Porto nun unternahm, um die Hottentotten abzuwehren. Er ließ sie ziemlich nah heran, ihre Speere und Pfeile flogen bereits. Lucio do Velho duckte sich tief in das struppige Gras, die Soldaten fluchten und schützten sich gegen den heranprasselnden Hagel. Ignazio stand wie ein gedrungener Baum in der Landschaft, reglos, mit eisernen Nerven und dann drückte er ab. Das Tromblon mit der trichterförmig erweiterten Mündung spuckte gehacktes Blei und Eisen gegen die Hottentotten aus. Die Saat des Todes, die auch Schiffsdecks leerzufegen vermochte, verfehlte ihre Wirkung nicht. Schreiend fielen die
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Hottentotten, die zu Fuß gegen den Feind losgezogen waren. Und auch die halbnackten Männer auf den Rücken der Rinder rutschten aus den Sätteln und stürzten in das Gras. Die Rinder liefen blökend weiter, begruben die Spanier und Portugiesen beinah unter ihren Hufen, und auch in der Herde, in der riesigen Versammlung der vorher so friedlich grasenden Tiere, entstand die Unruhe, die zur offenen Panik führen konnte. Ignazio schleuderte das Tromblon von sich, griff zur Pistole und feuerte auch diese gegen einen Gegner ab. Danach riß er ein scharfklingiges Entermesser aus dem Gurt, während sein Kommandant die Radschloßpistole bediente und gleich darauf seinen Degen zückte. „Auf sie!“ schrie do Velho. „Nieder mit diesen Burschen! Laßt sie nicht entkommen - keinen von ihnen!“ Alles konnte man ihm vorwerfen Arroganz, Überheblichkeit, übermäßigen Stolz, Prahlerei - nur eins nicht: Furcht. Die Hottentotten waren den Männern der Schiffe zahlenmäßig stark überlegen. Nachdem do Velho und seine Begleiter ihre Schußwaffen benutzt hatten, war die Chancenverteilung im Nahkampf fast gleich. Dennoch drang Lucio do Velho mutig auf die anstürmenden Eingeborenen ein und bewies ihnen seine überragende Fechtkunst. Er hielt sich keineswegs zurück, im Gegenteil, er überholte Ignazio noch, um so viele Gegner wie möglich niederzustechen. Sein Stoßdegen wirbelte und blitzte unter der Morgensonne. 7. Die Zusammensetzung der kleinen Gruppe war immer noch die gleiche: Hasard, Ben, Ed Carberry, Dan O'Flynn, Blacky, Smoky, Stenmark und Luke Morgan. Sie hatten den Tafelberg erklommen, ließen sich den Westwind um die Köpfe wehen und schickten sich an, den höchsten Punkt im Süden hinaufzusteigen, da tönte das Krachen von Schüssen zu ihnen herauf.
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„Träume ich oder wird da geschossen?“ sagte Smoky verdutzt. „Ich kann dir ja in den Arm kneifen“, erwiderte Stenmark. „Aber das ändert nichts. Ich höre es nämlich auch.“ „Diese Schreie“, sagte Dan. „Irgendjemand schlägt sich mit einem Feind herum, und zwar ganz handfest. Da muß der Teufel los sein - und der Lärm kommt von Süden.“ Sie folgten dem Seewolf, der vor ihnen zu laufen begonnen hatte und demzufolge als erster jene Erhebung erreichte, die noch um ein Stück über das gewaltige Plateau hinausragte. Keuchend gelangten auch die Männer an seiner Seite an. Der Blick öffnete sich ihnen nach Süden, zur Ebene und zum Kap der Guten Hoffnung, zur False-Bucht und den drei Schiffen, die nahe des Ufers ankerten. Dann sichteten sie auch die auseinanderjagende Rinderherde und die Männer, die am Fuß des Berges kämpften. „Das Spektiv, Dan“, sagte der Seewolf. „Ich sehe Helme und Brustpanzer in der Sonne schimmern. Zum Henker, das sind Dons! Was haben die vor? Wollen die auch im Kapland eine ihrer gottverdammten Siedlungen errichten - oder was ist los?“ Dan reichte seinem Kapitän das Rohr. Ein rascher Blick in die Tiefe verriet dem Seewolf, daß er einen Mann wiedergetroffen hatte, den er als einen alten, wenn auch alles andere als guten Bekannten bezeichnen konnte - Lucio do Velho. „Der Portugiese“, stieß Hasard voll Groll aus, und seine Männer begriffen natürlich sofort, wer gemeint war. Ben Brighton hob verdutzt die Augenbrauen. „Hölle, wie hat der es denn fertiggebracht, so schnell wieder unsere Spur aufzunehmen? Wo hat er die Schiffe hergekriegt, nachdem wir ihm seine ,Candia` fast auf den Grund des Ozeans geschickt hatten?“ „Zweifellos stammen die Galeone und die beiden Karavellen aus Lourenco Marques“, erwiderte Hasard. ..Daß wir sie dort nicht mehr gesehen haben, hat keinerlei Bedeutung, man muß nur die Schnelligkeit bewundern, mit der do Velho, dieser Hund,
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sich den Verband unter den Nagel gerissen hat. Halten wir uns jetzt nicht länger mit Überlegungen auf. Ich sehe dort unten tote Rinder liegen, und es hat auch einige Eingeborene erwischt, denen die Herde zu gehören scheint. Ich schätze, das ist die Art, auf die sich do Velho Proviant zu verschaffen versucht.“ „Der Dreckskerl“, sagte Carberry erbost. „So kann man's natürlich auch tun.“ „Auf was warten wir?“ fragte Blacky. „Wir können uns da doch nicht 'raushalten ...“ „Seid ihr alle dieser Meinung?“ erkundigte sich der Seewolf mit einem knappen Blick auf die kleine Gruppe. „Klar“, antwortete Stenmark stellvertretend für alle anderen. „Dann los.“ Hasard verließ seinen luftigen Aussichtspunkt und hastete den nahezu unbewachsenen, grausandigen Hügel hinunter. Die Männer folgten ihm auf dem Fuß, hielten ihre Feuerwaffen weit von sich gestreckt und waren darauf bedacht, den Anschluß nicht zu verlieren. Hasard bewegte sich atemberaubend schnell abwärts. Er hatte sich in Sekundenschnelle ein genaues Bild der Lage in der Ebene verschaffen können und wußte, daß es um die Hottentotten geschehen war, wenn sie nicht unverzüglich Hilfe erhielten. Da war keine Zeit mehr, zur „Isabella“ zu signalisieren und Verstärkung anzufordern oder Ferris Tucker, dem derzeitigen Schiffsführer, zumindest die Lage auseinanderzusetzen -da galt es nur noch, im Eiltempo die tausend Yards Höhenunterschied zurückzulegen, die die Seewölfe von der Stätte des Kampfes trennten. Die Soldaten unter Lucio do Velho hatten ihre Feuerwaffen leergeschossen, jetzt drang nur noch das Brüllen und Fluchen der streitenden Parteien zu Hasard und seinen Begleitern herauf. Degen, Säbel, Entermesser und Piken, Speere, Pfeile, Bogen und Messer waren jetzt die Waffen, die den Fortgang des Geschehens diktierten. Unverzüglich die tausend Yards bewältigen - das war leicht gesagt, aber gar nicht so problemlos durchzuführen. Dan
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O'Flynn strauchelte plötzlich, rutschte aus und drohte sich zu überschlagen. Blacky wollte ihn festhalten, hatte im Dahinhetzen aber plötzlich selbst Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Dan riß die Muskete, die er mit beiden Händen vor dem Oberkörper hielt, mit einem Ruck zu sich heran, gewann das Übergewicht nach hinten, kippte, fluchte, landete auf dem Hosenboden und schlidderte in dieser Haltung ein beachtliches Stück den Hang hinunter. Er wirbelte eine Menge Staub auf, und - was das Erstaunlichste an der ganzen Sache war - er überholte Hasard um ein paar Yards. Mit verbissener Miene stemmte er die Stiefelhacken gegen den Untergrund, konnte auf diese Weise bremsen und schließlich wieder aufstehen. Blacky hatte sich gefangen, er hastete neben Ben, Ed und Smoky her, während Stenmark, der Schwede, und Luke Morgan den Schluß der Gruppe bildeten. Niemals hätten sie die Strecke mit dieser Geschwindigkeit zurückzulegen vermocht, wenn der Abstieg am Nordhang stattgefunden hätte. Dort hatten sie sich beim Aufwärtsklimmen mühselig den Weg durch Spalten und Breschen suchen müssen, dort fiel der Hang bedeutend steiler ab als hier, im Süden. Hasards Atem flog, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals hinauf. Er war - im Gegensatz zu vielen anderen Seeleuten kein schlechter Läufer, aber dieses Sprinten verlangte ihm alle Reserven ab. Fast verspürte er Stiche in den Körperseiten, da hatte er flacheres Gelände erreicht. Der Tafelberg wuchs düster und drohend über seinem Rücken hoch. Dan war wieder etwas zurückgefallen, hielt aber den zweiten Platz in diesem rasenden Spurt. Ihm folgte Ben Brighton, hinter diesem keuchten Carberry und die anderen. Ein wilder Haufen staubbedeckter, grimmiger Kerle war das, der da nun an blökenden Rindern vorbeisteuerte und auf die Kämpfenden zuhielt. Es war ein Hohn des Schicksals, daß Lucio do Velho die acht Seewölfe im Handgemenge nicht richtig bemerkt hatte - die Rinder und
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Ochsen der Hottentotten wirbelten zuviel Staub auf, das Gefecht erforderte zu große Konzentration. Der portugiesische Kommandant hielt die Seewölfe noch für einen Nachschubtrupp der Eingeborenen, als diese sich die westliche Gruppe Spanier vornahmen. Hasard preßte sich im Laufen den Kolben des Radschloß-Drehlings gegen die Schulter und zielte über die Köpfe von Ernesto Maltores, Fulvio de Hernandez, Manilo Ariza Santillan und von einigen Soldaten weg. Der Drehling bellte auf, die Ladung stob aus der Laufmündung, Hasard besorgte den Trommeltransport mit der Hand und feuerte erneut zur Warnung über die helmbewehrten Häupter der Dons. Die Hottentotten stießen schrille Schreie aus. Sie glaubten, nun habe ihre Stunde endgültig geschlagen, denn sie hielten die Seewölfe für Verbündete der Spanier. Keiner der Männer der „Isabella“ konnte ihnen dies verdenken. Wie sollten die bedrängten, verzweifelten Nomaden in diesem Moment auch Freunde von Feinden unterscheiden? Ein weißer Mann, das war in ihren Stämmen seit langem überliefert, war immer ein Gegner. De Hernandez und Santillan, die Kapitäne der Karavellen, zogen sich auf die Schüsse des Seewolfs hin augenblicklich in die Defensive zurück. Nicht so Ernesto Maltores. Der erste Offizier der „Santa Monica“ fühlte sich von jenem unnachgiebigen Eifer vorangetrieben, der ihn in do Velhos Augen aufsteigen lassen würde und ihm jetzt die vielleicht einmalige Gelegenheit bot, sich auf bestechende Art zu bewähren. Der Posten eines Kapitäns schwebte Malcores als wunderbares Bild vor Augen, während er sich zornig gegen die Hottentotten zur Wehr setzte. Nach allen Meinungsverschiedenheiten, die es zwischen do Velho und den beiden Capitans inzwischen schon gegeben hatte, schien etwas Derartiges gar nicht in so weite Ferne gerückt zu sein. Malcores dachte nicht daran, sich verjagen zu lassen. Er ignorierte die Warnschüsse, stach mit dem Degen einen Eingeborenen
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nieder und zückte dann einen Trumpf, den er sich für die Endphase des Kampfes aufgespart hatte — eine fast neue, verzierte Schnapphahnschloß-Pistole. Bislang hatte er sie nicht einsetzen wollen. Jetzt hob er sie und feuerte sie auf den Seewolf ab. Hasard wich aus und stieß einen Warnlaut aus. Hinter ihm duckten sich Ben Brighton und die anderen sechs Männer. Heiß siedete es an Hasard vorbei, er fühlte seinen linken Hemdsärmel aufgeschlitzt und den Schmerz wie tausend Nadelstiche. Malcores ließ die Pistole fallen, warf sich den Degen von der linken in die rechte Hand und sprang auf den Seewolf zu. Dan O'Flynn schoß mit der Muskete einem spanischen Soldado so dicht über den Helm weg, daß die Ladung diesem fast die Spitze abrasierte. Der Soldat zog mit einem Aufschrei den Kopf ein, hastete zurück und gewann auf diese Art Abstand zu den acht furchterregenden, staubverkrusteten Gestalten. Er schloß sich damit de Hernandez und Santillan und all den anderen an, die ebenfalls kein Verlangen verspürten, einen der nächsten Schüsse in den Leib zu erhalten. „Ben!“ schrie der Seewolf und warf den Radschloß-Drehling seinem Ersten zu. Dieser fing die außergewöhnliche Waffe mit der Linken auf und gab sie dann an Dan ab, der seine Muskete inzwischen hingeworfen hatte. Hasards Blick fuhr an den Gurt und ertastete den Griff des Degens mit dem schlichten Handkorb. Er zog blank, stand mit leicht abgespreizten Beinen und parierte die wutentbrannte Attacke des spanischen Offiziers. Die Hottentotten, die sich mit ihren primitiven Waffen auch schon gegen die Seewölfe hatten wenden wollen, verfolgten voll Betroffenheit die Entwicklung des Kampfes. Der große Fremde mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen schlug sich mit dem dreisten Spanier herum —und die anderen sieben, die vom Tafelberg hinuntergestürmt waren, brachten es fertig, mit noch ein paar Schüssen den Pulk Spanier endgültig in die Flucht zu schlagen.
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Ben Brighton gab den Hottentotten an dieser Seite der Herde ein Zeichen — sie sollten sich nach Osten hinüberbegeben und ihren Stammesbrüdern zu Hilfe eilen. Die Eingeborenen verstanden die Gebärde und drängten sich an den stampfenden, schnaubenden, brüllenden und tobenden Rindern vorbei. Lucio do Velho und Ignazio waren bestürzt, weil sie sich nicht erklären konnten, woher jene „Wilden“ auf der anderen Seite Schußwaffen hatten. Die Portugiesen fanden jedoch nicht einmal die Zeit, einen Blick nach Westen zu werfen, die Hottentotten verteidigten sich immer erbitterter — und es schienen auch immer mehr zu werden, statt weniger. Hasard hatte Ernesto Malcores zweimal dicht vor der Klinge und sprach ihn auf spanisch an: „Nimm die Beine in die Hand und türme, Don Felipe, oder du bezahlst dafür. Hau ab!“ „Niemals!“ schrie Malcores. „Wer bist du?“ „Kein Freund von euch Strolchen!“ „Dann stirb!“ brüllte Malcores. Er hatte den Seewolf vorher nie gesehen und während der Reise von Lourenco Marques bis hierher nur Beschreibungen gehört, die Lucio do Velho seiner neuen Mannschaft immer wieder von dem „Staatsfeind“ der spanischen Weltmacht gegeben hatte. In diesen Sekunden vermochte er jedoch die Schilderungen des Portugiesen nicht mit der Figur des Gegners vor seiner Klinge in Einklang zu bringen. Er ahnte nicht, wen er vor sich hatte. Hasard trachtete, dem Offizier die Waffe aus der Hand zu schlagen und ihm dann die Faust unters Kinn zu rammen. Doch Malcores hielt sich gut und gab sich kaum Blößen. Auf keinen Fall konnte man ihm durch einen wuchtigen Hieb den Degen aus den Fingern fegen. Und er brachte Hasard derart in Bedrängnis, daß dieser jetzt in Wut geriet. Er verteidigte sich, ging dann zum erbarmungslosen Angriff über, zerfetzte die Verteidigung von do Velhos Erstem und stieß zu.
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Ernesto Malcores sank zu Boden, fiel auf den Rücken, und der Degen entglitt seinen kraftlos werdenden Fingern. Er griff sich mit einem letzten Stöhnen ans Herz, bevor die Kälte des Todes seinen Blick starr werden ließ. Ben Brighton stand neben dem Seewolf, hielt den Schnapphahn-Revolverstutzen gesenkt und sagte: „Verdammter Narr, du hast es nicht anders haben wollen.“ Carberry, der junge O'Flynn, Blacky, Smoky, Stenmark und Luke Morgan hatten sich unterdessen wie die Hottentotten nach Osten gewandt. Sie mußten aufpassen, nicht von den ausbrechenden Rindern überrannt zu werden. Der Profos wich einem heranpreschenden Ochsen buchstäblich im letzten Moment aus, und er bedachte das davonrasende Tier mit einem Schwall wüster Flüche. Stolpernd erreichte auch er den strategisch wichtigen Punkt an der östlichen Flanke der großen Herde — und hier feuerten die Männer wieder ein paar Schüsse über die Köpfe der Portugiesen und Spanier weg. Die Soldaten zogen sich zurück, als sie auch ihren Kommandanten und den Bootsmann der „Santa Monica“ unter dem Andrang der Gegner zurückweichen sahen. Do Velho erkannte zu seinem Entsetzen einige der staubverschmierten, verzerrten Gesichter, die sich zwischen die der Hottentotten mischten. „Das sind Killigrews Männer!“ schrie er. „Die Seewölfe! Schlagt sie nieder!“ Dan O'Flynn befand sich in der vordersten Linie der Eingeborenen, senkte den von Hasard übernommenen RadschloßDrehling ein wenig und feuerte Lucio do Velho und Ignazio vor die Stiefel, indem er abdrückte, schnell den Zylinder weiterdrehte und wieder abdrückte. Aufschreiend sprang der Mann aus Porto zurück. Er kapitulierte, obwohl er diesen verdammten Gegnern am liebsten die Schädel eingeschlagen hätte. Do Velho versuchte, mit vorgestrecktem Degen auf Dan O'Flynn zuzustürmen, aber dieser setzte ihm eine Kugel direkt zwischen beide Füße, und da begann auch
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der stolze Comandante, Fersengeld zu geben. Jawohl, sie rannten davon, zu den Schiffen zurück, wo man noch glaubte, do Velho und' sein Trupp würden selbstverständlich den Sieg über die „nackten Wilden“ davontragen. Die Männer auf der Galeone und den Karavellen hatten die Entwicklung der Situation nicht genau verfolgen können und nahmen daher an, auch die zuletzt gefallenen Schüsse wären von den eigenen Leuten abgegeben worden. Do Velho hastete durch das trockene Gras, verfolgt von einigen Hottentotten. Es war dies die schmählichste Niederlage, die er je erlebt hatte, nie zuvor hatte er die Stätte des Gefechts, die große Bühne, auf der seine dramatischen Auftritte stattfanden, auf so schimpfliche Weise verlassen müssen. Die erlegten Rinder mußte er in der Ebene des Kaplandes zurücklassen. An die geplante Ersteigung des Tafelberges war nicht mehr zu denken. Lucio do Velho hatte Verluste in den Reihen seiner Männer zu beklagen — obwohl ihn das am allerwenigsten bekümmerte —, und wohl zum erstenmal in seinem Leben büßte er etwas von seiner Arroganz und seinem übersteigerten Selbstbewußtsein ein. In aller Hast schoben er und seine Begleiter die Boote ins Wasser. Sie kletterten hinein, begannen wie verrückt zu pullen und konnten dabei noch froh sein, daß die Pfeile und Speere sie nicht trafen, die die Eingeborenen ihnen nachsandten. * Die Hottentotten kehrten zu den Seewölfen zurück und betrachteten sie etwa so, wie man eine Gottheit, ein Fabelwesen oder eine andere wunderbare Erscheinung anschaut. Natürlich wußten sie nicht, warum diese Weißen Partei für sie ergriffen hatten — wie die Bantus, denen Hasard nördlich von Lourenco Marques geholfen hatte. Die Nomaden diskutierten erregt, wiesen immer wieder mit den Fingern auf Hasard und seine Begleiter, ja, sie knieten sich schließlich sogar hin und
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verbeugten sich, daß ihre Gesichter in das Gras tauchten. „Steht auf“, sagte Hasard. „Was soll denn das? Wir sollten lieber die Herde zusammentreiben, die toten Tiere bergen und uns zurückziehen, denn die Dons werden zu einem neuen Schlag ausholen, sobald sie sich von dem Mißerfolg des ersten erholt haben.“ Die Hottentotten schauten auf, schnitten verwunderte Mienen und gaben durch keine Gebärde, durch kein Wort zu verstehen, daß sie begriffen hatten, was der Seewolf ihnen gesagt hatte. „Wir brauchen einen Dolmetscher“, sagte Hasard. „Stenmark, lauf bitte los und signalisiere der ,Isabella'. Ferris Tucker wird sich ohnehin schon gesorgt haben, was hier los ist. Aber ich habe ihm ja die Order gegeben, nichts zu unternehmen, was die Arbeiten an unserem Schiff aufhalten könnte. Batuti soll übersetzen, ich hoffe, daß er sich mit den Leuten hier irgendwie verständigen kann.“ „Nicht mehr nötig“, erwiderte Dan O'Flynn grinsend. Er hatte als erster einen Blick über die Schulter geworfen. „Sieh doch mal, wer da anmarschiert, Hasard.“ Hasard folgte seinem Blick - und entdeckte Batuti, den Kutscher, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies und Jeff Bowie, die schwer bewaffnet durch die Ebene im Nordosten, die sich zwischen den Hängen des Tafelberg-Massivs und einem ausgedehnten Pinienwald erstreckte, anrückten. Und dann traute Hasard seinen Augen kaum - er konnte auch die „Isabella“ sehen. Sie hatte die Bucht der RobbenInsel verlassen und ankerte jetzt dicht vor dem Ufer der Tafelbucht. „Ferris“, sagte Hasard. „Bei allem Grund, den du dafür gehabt hast, darüber sprechen wir beide noch. Du hast meinem Befehl zuwidergehandelt ...“ „Sir“, meinte Ben Brighton. „Ich nehme stark an, daß Ferris, Shane, Will und die anderen, die noch an Bord sind, inzwischen fleißig weiterwerken. Wenn Ferris deine Anweisungen auf diese Art
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ausgelegt hat, kannst du ihm nicht an den Karren fahren.“ Der Seewolf mußte lachen. „Also gut, das lasse ich gelten. Verstehe aber, warum ich jetzt doppelt besorgt um die Lady bin. Wenn do Velho uns erst in der Tafelbucht vermutet - wozu nicht viel Scharfsinn gehört -, sind wir seinem Verband ausgeliefert. Wir sitzen dort in der Falle.“ „Verflucht und zugenäht, das stimmt natürlich.“ Batuti, der Kutscher und die anderen vier hatten ihren Kapitän fast erreicht, da setzte unter den ausladenden Kronen der Schirmpinien Bewegung ein, und eine stattliche Schar von Frauen lief quer über die Ebene zu den Hottentotten-Kriegern und deren neuen weißen Verbündeten. „Ach, du Schande“, sagte der Seewolf. „Das kann ja wieder heiter werden. Wollen die uns etwa als Wohltäter verehren, wie es die Bantu-Mädchen getan haben?“ „Also, dagegen hätte ich nichts“, sagte Luke Morgan frisch und frei von der Leber weg. „Seht doch mal, da sind ein paar ganz knackige Mädchen dabei ...“ „Morgan“, schnappte Edwin Carberry. „Du kennst die Gesetze der Seewölfe-Disziplin. Die gelten hier wie an Bord unseres Schiffes. Solange wir die Dons im Nacken haben und solange Hasard nicht die ausdrückliche Erlaubnis dazu erteilt, dürfen wir die Frauenzimmer nicht mit dem kleinen Finger anticken. Klar?“ Sir“. murrte Luke. Die Mädchen des Hottentotten-Stammes waren noch vor dem Verstärkungstrupp heran, den Ferris Tucker losgeschickt hatte. Sie entpuppten sich als zarte Geschöpfe mit feinen, fast sinnlichen Gesichtszügen, und es wurde den harten Männern ganz anders ums Herz, als sich die Mädchen vor ihnen zu Boden warfen. Hasard winkte Batuti heran. Der GambiaNeger begann sofort, die Verständigung mit den Nomaden zu proben. Er bediente sich der verschiedenen Bantu-Dialekte, die er beherrschte, und hatte schließlich auch Erfolg. Einer der Hottentotten begann aufgeregt den Kopf zu bewegen, er erfaßte den Sinn dessen, was Batuti ihm immer
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wieder auseinanderzusetzen suchte. Der Mann antwortete. Wenn er die BantuSprache auch nur gebrochen anzuwenden wußte, so kannte er doch genügend Wörter, um sich einigermaßen auszudrücken. Batuti wandte sich dem Seewolf zu. „Baredi sagt, der Stamm der Nomaden voll des Dankes an die weißen Männer für das, was sie getan haben.“ „Wir haben getan, was wir für unsere Pflicht und Schuldigkeit hielten“, entgegnete Hasard. „Die Hottentotten sind den Spaniern klar unterlegen, und es hat schon genug Tote bei den Eingeborenen gegeben, ehe wir uns einmischen konnten.“ Batuti dolmetschte wieder. Dan O'Flynn hatte das Spektiv auseinandergezogen und spähte zu den Schiffen von Lucio do Velho hinüber. Der Kutscher hatte gesehen, daß der Seewolf am linken Arm verletzt war. Er legte seine Waffen schleunigst ab und untersuchte die Blessur. „Nur ein Kratzer, Sir“, sagte er dann erleichtert. „Ich muß also noch nicht abdanken?“ „Ach was, Sir.“ „Kutscher“, sagte der Seewolf grinsend. „Nun rück schon mit der Flasche heraus. Ich breche sie an, und dann lassen wir sie reihum gehen. Die Kerls haben alle einen guten Schluck nötig.“ Selbstverständlich trug der Kutscher auch dieses Mal den sogenannten „Flachmann“ bei sich. Mit einem dünnen, hintergründigen Lächeln zog er ihn aus der Innentasche seiner Jacke, händigte ihn dem Seewolf aus und überließ diesem das Entkorken. „Das ist ein ganz besonders guter Tropfen, Sir“, versicherte er seinem Kapitän. Der schwarze Herkules aus Gambia hatte zugehört, was der Hottentotte Baredi ihm auf seine Übersetzung hin zu erklären versucht hatte. Ernst sagte er zu Hasard: „Baredi trauert um tote Krieger, doch wäre ganzer Stamm der Nomaden tot gegangen, wenn die Seewölfe nicht geholfen hätten. Alle tot — Männer, Frauen, Kinder. Dorf der Hottentotten steht dort drüben, im
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Pinienwald. Spanier hätten alles niedergemetzelt, alles.“ Hasard schaute in Baredis Augen und nickte dem Mann zu. „Das glaube ich ihm. Batuti, ich möchte, daß du ihm folgende Frage ganz genau übersetzt, streng dich an, klar?“ „Aye, aye, Sir.“ „Warum haben die Hottentotten hier so arglos ihre Rinder geweidet, wenn sie doch die drei Schiffe spätestens bei Tagesanbruch in der False-Bucht hätten bemerken müssen?“ Batuti palaverte wieder gestenreich mit Baredi, und Dan O'Flynn drehte sich unterdessen zum Seewolf um und meldete: „Die Dons sind alle Mann auf den Gefechtsstationen und bereiten sich auf den nächsten Zug gegen uns vor. Die Galeone heißt ,Santa Monica', wie ich an ihrem Bug entziffern kann. Sie hat, die Bug- und Heckgeschütze mitgerechnet, sechzehn Geschütze. Welche Namen die beiden lateinergetakelten Karavellen tragen, kann ich nicht 'rauskriegen. Die Zahl ihrer Kanonen: je zwölf.“ „Also insgesamt vierzig Geschütze“, sagte Hasard. „Damit wären sie zur See so stark wie die ,Candia', die ja mit ihren vierundvierzig Kanonen vorzüglich armiert ist. Drei Schiffe bedeuten nun allerdings, daß do Velho noch beweglicher geworden ist und uns ganz gefährlich in die Zange nehmen kann, falls wir nicht aufpassen.“ „Sir“, ergriff der Gambia-Mann nun wieder das Wort. „Hottentotten nicht mit einem Angriff der Dons gerechnet. Viele, viele Jahre haben weiße Männer großen Bogen um die Nomaden gemacht, auch, wenn sie mal in Buchten des Kaplandes geankert. Angst vor Hottentotten gehabt früher Vorfahren dieses Stammes haben Dons totgehauen.“ „Jetzt verstehe ich“, murmelte der Seewolf. „Ja, das ist eine plausible Erklärung. Daher ist es von do Velho doppelt gemein gewesen, über die Hottentotten herzufallen. Wenn er mit ihnen verhandelt hätte, hätten sie ihm bestimmt ein paar Kühe verkauft, vielleicht sogar geschenkt. Wenn ihre Vorfahren kriegerisch gewesen
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sind, heißt das noch lange nicht, daß auch sie jeden Weißen gleich massakrieren. Aber bitte, die Spanier und die Portugiesen werden es nie lernen, wie man mit diesen Leuten umgehen muß.“ Er hatte die Flasche entkorkt und nahm einen Schluck von dem wirklich ausgezeichneten Whisky, bevor er sich mit einer Handvoll davon die Wunde am linken Oberarm auswusch und den Flachmann an Ben Brighton weiterreichte. „Wir werden gemeinsam die Leichen bergen und bestatten“, fuhr er dann fort. „Wir werden auch die Kadaver der Rinder und Ochsen in den Wald schaffen und die Herde wieder zusammentreiben - sofern die Dons uns die Zeit dazu lassen.“ Batuti dolmetschte wieder eifrig. Dan stieß ein glucksendes Lachen aus und rief: „He, die Dons sind wirklich drauf und dran, ihre Geschütze zu zünden. Ich kann die Lunten glimmen sehen. Glaubt do Velho denn wirklich, er kann uns auf die Distanz einen Schrecken einjagen?“ „Er vergaloppiert sich total“, sagte Carberry. ,.Er ist ein hirnverbrannter Idiot“, urteilte Smoky. Der Kutscher verband notdürftig Hasards Arm. Hasard ließ seinen Blick über die Gesichter der Männer von der „Isabella“ wandern, schien nachzudenken und sagte dann: „Schön, do Velho ist im Augenblick außer sich vor Wut. Aber unterschätzt ihn deswegen nicht. Das wäre nämlich der größte Fehler, den wir begehen könnten. Do Velho mag ein Fanatiker sein - er kann uns dennoch höllisch gefährlich werden. Wir müssen uns das ständig vor Augen halten, wenn wir nicht riskieren wollen, ihm früher oder später doch zu unterliegen.“ „Mir ist völlig klar, was du meinst“, erwiderte Ben Brighton. „Wir denken daran, Sir.“ Baredi, der Hottentotte, hatte auf seine Stammesbrüder eingeredet. Jetzt schwangen sich einige jüngere Männer in die Sättel der Rinder, die von sich aus zu der Stätte des Kampfes zurückgekehrt waren. Es war erstaunlich anzusehen, wie
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geschickt die Eingeborenen die recht plump wirkenden Tiere dirigierten und wie rasch die Rinder sich bewegten. Ihre Reiter lenkten sie auf den Pinienwald zu. „Junge Männer holen Stricke aus dem Dorf”, erläuterte Batuti seinem Kapitän das Vorhaben der Eingeborenen. „Wollen tote Rinder wegholen, während Frauen die toten Krieger tragen. Herde kehrt von selbst zurück, darum keine Sorge.“ Hasard verfolgte, wie die Frauen und Mädchen sich allmählich wieder aufrichteten und zu den Toten hinüberschlichen. Ja, sie schlichen mit gesenkten Köpfen, brachen in Tränen aus und stimmten ein leises Wehklagen an, als sie feststellten, wie die Männer zugerichtet worden waren. Hasard konnte nachfühlen, wie ihnen zumute war. Er wurde daran erinnert, wie er seinerzeit seine Familie verloren hatte - und es krampfte ihm das Herz zusammen. Mit leicht kratzender Stimme sagte er zu Batuti: „Ich habe jetzt eine Bitte an Baredi, und ich hoffe, er kann sie mir erfüllen. Zweifellos hat er in seinem Stamm etwas zu sagen, er hat ja auch den jungen Männern eben Anweisungen erteilt.“ „Er ist ein Unterhäuptling“, erwiderte Batuti. „Gut. Sag ihm, daß wir unsere ‚Isabella' vor dem Angriff der Dons schützen müssen. Mir schwebt etwas Bestimmtes vor, aber ich weiß nicht, ob sich das verwirklichen läßt.“ „Achtung!“ rief Dan O'Flynn. „Da kommt der erste Eisengruß herübergeheult!“ Die Männer verstummten. Dan hatte grauweißen Qualm von der einen Stückpforte der „Santa Monica“ aufquirlen sehen, und nun war auch das Donnergrollen des Geschützes zu vernehmen. Die Kugel, vermutlich 17Pfünder-Kaliber, raste auf das Land, schlug ein und jagte eine Fontäne aus Staub, Erde und Gras hoch -weit vor den Seewölfen und den Hottentotten. Ben, Carberry, Blacky, Smoky und ein paar andere lachten kurz und rauh auf. Batuti redete beruhigend auf Baredi ein, der jetzt wieder sehr aufgeregt wurde. Er
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hielt ihm vor Augen, daß die Schüsse der Portugiesen und Spanier viel zu kurz lagen, um Schaden anrichten zu können. Immerhin trennten gut zwei Meilen die Schiffe von den Männern und Frauen an Land, und das war für die Geschütze der Galeone und der beiden Karavellen zuviel. „Fein“, sagte der Profos. „Nur weiter so, do Velho, du elender Galgenstrick und Mistkerl. Je mehr Munition du jetzt verpulverst, um so weniger hast du später, wenn du dich richtig mit uns herumschlagen mußt.“ 8. Jeff Bowie war als Bote zur „Isabella VIII.“ zurückgekehrt, um Ferris Tucker und die anderen an Bord über die Geschehnisse zu unterrichten. Hasard, Ben und die anderen elf Seewölfe, die sich mittlerweile an Land befanden, bestatteten die spanischen Soldaten - wobei sie stets einen wachen Blick auf den Dreierverband in der False-Bucht hatten. Noch dreimal ließ Lucio do Velho feuern, und die Kanonenschüsse lagen nun auch etwas näher, aber immer noch zu weit entfernt, um Schaden anrichten zu können. Do Velho ließ daraufhin das Feuer einstellen. Er schien zu überlegen, was er tun solle. Hasard konnte sich in seine Gedanken versetzen: Landete er, do Velho, auch mit vierzig oder fünfzig Kämpfern, dann lief er wieder Gefahr, zurückgeworfen zu werden. Schlimmer noch, er mußte damit rechnen, daß sein Trupp ganz aufgerieben wurde. Seine Stärke waren die Schiffe, und er mußte von den Schiffen aus agieren, wenn sein nächster Einsatz Erfolg haben sollte. Wie nun aber das? Blieben die „Santa Monica“ und die zwei Karavellen in der False-Bucht liegen, dann hatte Lucio do Velho allein wegen der mangelnden Reichweite seiner Geschütze keine Chance, dem Feind ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. Was blieb? Er konnte gar nicht anders, er mußte um das Kap der Guten Hoffnung herumsegeln und die Tafelbucht aufsuchen. Mittlerweile
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mußte er damit rechnen, daß die „Isabella“ in dieser Bucht lag — mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Die Frauen der Hottentotten hatten die toten Krieger in den Pinienwald getragen, die jungen Hirten auf den Rücken der gesattelten Rinder hatten die Tierkadaver abgeschleppt. Hasard und seine Männer atmeten auf, als Baredi ihnen zuwinkte. Sie folgten ihm, und er führte sie in den dunklen, schattigen Hain, der tief in seinem Inneren eine Lichtung barg. Auf dieser Lichtung formierten sich die charakteristischen Rundhütten der Hottentotten zu einem Oval. Die Hütten, die denen ähnelten, die auch die Bantus in Ostafrika errichteten, konnten leicht aufund abgebaut werden, der ganze Kral wurde immer dann auf die Rücken der Rinder verpackt, wenn die Nomaden an einen neuen Weideplatz für ihre Herden zogen. Hasard hatte Dan O'Flynn vorsorglich am Südstrand des Hains zurückgelassen. Dan sollte jede Bewegung von do Velhos Verband unverzüglich melden. Die leergeschossenen Musketen und Pistolen, die die Seewölfe bei der Auseinandersetzung mit den Spaniern und Portugiesen weggeworfen hatten, waren von Pete Ballie, Gary Andrews und Matt Davies wieder eingesammelt worden. Baredi führte die Seewölfe jetzt zu dem obersten Häuptling des Stammes. Es handelte sich um einen sehr alten Mann, der seine Hütte nicht mehr verlassen konnte. So hatte er auch keine Möglichkeit gehabt, in den Kampf draußen auf der Ebene einzugreifen. Resignierend wies er auf seine Beine, klopfte mit den flachen Händen darauf und sagte etwas in der schnalzenden, abgehackten Sprache, die den Bewohnern des Kaplandes eigen war. Baredi übersetzte es Batuti, und der Goliath aus Gambia gab an seinen Kapitän weiter: „Der Häuptling Nmogo bedauert zutiefst, nicht selbst mit dem Speer und dem Schild in der Hand gegen Dons ins Feld ziehen zu können. Er wird seine ganze Macht bald auf Baredi übertragen, seinen Neffen, der schon heute wichtige
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Funktionen ausübt. Nmogo fragt, was zum Dank an Seewölfe er tun kann.“ Baredi hatte unterdessen pausenlos auf seinen Onkel eingeredet. Dieser nickte unter den gekreuzten ElefantenStoßzähnen, die an der Wand hinter seinem Thron aus Rohrgeflecht befestigt waren. Er richtete sich hoch mit dem Oberkörper auf, wies nach Norden und sprach zu Baredi. „Ich glaube, es erübrigt sich, unseren Wunsch noch einmal zu äußern. Baredi scheint dem Häuptling schon auseinanderzusetzen, um was es uns jetzt vordringlich geht.“ Wenig später führte Baredi Hasard, Ben, Carberry, Smoky, Stenmark, Luke Morgan, Batuti, den Kutscher, Pete, Gary und Matt durch den feuchtwarmen Pinienwald in Richtung auf die Tafelbucht. Hinter dem Saum öffnete sich ihnen der uneingeschränkte Blick auf das überwältigende Panorama der Bucht. Blacky war vorsorglich im Kral der Hottentotten geblieben. Wenn Dan O'Flynn ein Zeichen gab oder zur Meldung erschien, sollte Blacky dafür sorgen, daß die Meldung sofort an die „Isabella“ weitergeleitet wurde. Die Nomaden wollten in der Zwischenzeit ihren Kral abbrechen und samt des Teils der Herde, den sie wieder zusammengetrieben hatten, tiefer in den Wald eindringen, der sich hoch nach Nordosten am Ufer der Bucht hinaufzog. Dies war eine Vorsorge-Maßnahme, zu der Hasard den Eingeborenen geraten hatte. Die „Isabella“ lag an den beiden Bugankern gut eine Kabellänge vom Ufer entfernt. Jeff Bowie war mit dem Boot, das er und die fünf anderen vorher benutzt hatten, zu der Galeone gepullt, hatte seinen Bericht an Ferris Tucker erstattet und war dann mit Bill, dem Schiffsjungen, zum weiter westlich befindlichen Teil des Ufers aufgebrochen. Jeff hatte die Jolle genommen, in der Hasard, Ben, Ed, Dan, Blacky, Smoky, Stenmark und Luke von der Robben-Insel zum Südufer gesegelt waren — Bill hatte das andere Boot zur _Isabella“ zurückgebracht.
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In Höhe des Pinienwaldes wartete Jeff Bowie jetzt mit der Jolle auf seinen Kapitän und dessen Begleiter. „Wir müssen ein bißchen zusammenrücken, Sir“, sagte Jeff grinsend, als der Trupp sich näherte. „Hoffen wir, daß der Kahn nicht absäuft.“ Hasard lachte nur. Carberry konnte sich einer seiner üblichen Erwiderungen nicht enthalten. „Quatsch doch keinen Blödsinn, Jeff, da haben wir schon ganz andere Sachen gebracht. Im übrigen ist es deine Schuld, wenn wir sinken oder auf Grund laufen, und ich werde dich karierten Decksaffen eigenhändig ertränken, falls das passiert.“ Sie schoben das Boot in tieferes Wasser, kletterten hinein und nahmen auf den Duchten Platz. Hasard als Bootsführer saß auf der rechten Seite der Achterducht, Ben hatte sich neben ihm niedergelassen und übernahm die Ruderpinne. Baredi nahm ganz vorn im Bug Platz. Die übrigen Männer pullten. Aus geweiteten Augen beobachtete der Hottentotte, wie das Boot sich in Fahrt setzte und trotz der Last zügig auf die Galeone zuglitt. Auch die „Isabella“ hatten die Nomaden am Morgen in der Bucht der Robben-Insel liegen sehen, aber keiner von ihnen hätte sich ausgemalt, daß er jemals den Fuß an Bord dieses schönen, hochmastigen Schiffes setzen würde. Hasard grinste, als er das Hämmern und Sägen vernahm, das von der „Isabella“ herüberdrang. „Wie es scheint, brauche ich Ferris Tucker doch nicht zu vergattern“, sagte er zu Ben. „Die Burschen schuften ja, als gelte es, einen Preis zu gewinnen.“ „Ich sehe Old Donegal“, entgegnete Ben. „Er winkt uns zu. Hat ein geradezu spitzbübisches Grinsen aufgesetzt, der Bruder.“ Die „Isabella“, die mit dem Vorsteven nach Osten lag, nahm das Boot an Steuerbord wahr. Rasch hatten die Männer die Sprossen der Jakobsleiter erklommen und trafen auf der Kuhl ein. Ferris Tucker, Big Old Shane, Will Thorne und Old O'Flynn waren an die Schmuckbalustrade des Quarterdecks getreten. Al Conroy, Sam Roskill, Bob Grey' und Bill näherten sich
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aus Richtung der Back. Arwenack hüpfte auf der Kuhlgräting herum und klatschte in die Vorderpfoten, um die Ankömmlinge mit Applaus zu empfangen. „Ferris und Shane“, sagte Hasard mit einem Blick zum Quarterdeck hinauf. „Ihr beiden schwitzt ja ziemlich. Will, was ist denn mit dir los? Hast du Gespenster gesehen? Du bist ja käsebleich.“ „Segel genäht, Sir“, erwiderte Will etwas abwesend. „Die ganze Zeit über nur an den neuen Segeln genäht ...“ „... die uns der nächste Sturm dann wieder zerfetzen kann, haha“, fügte der alte Donegal Daniel O'Flynn hinzu. „Shane, du brauchst mich gar nicht so wild anzuglotzen. Denkst du denn, wir haben von hier bis nach Merry Old England hinauf spiegelglatte See und können ewig einen ruhigen Törn fahren?“ „Nein“, erwiderte der Riese drohend. „Aber du sollst nicht immerzu den Teufel an die Wand malen.“ „Sir“, sagte Ferris. In seiner Stimme schwang Stolz mit. „Wir haben die Lecks völlig abgedichtet, die Schäden im Schanzkleid ausgebessert, die Masten verstärkt, den Bugspriet neu gerichtet und dem Fockmast eine neue Vormarsrah verpaßt. Jetzt fehlen nur noch die Feinarbeiten, aber wir sind ein mächtiges Stück vorangelangt. Uns hat es in den Fingern gejuckt und die Haare standen uns zu Berge, als es an Land krachte, aber wir haben nach deinen Anweisungen gehandelt und uns nicht von Bord weggerührt.“ „In Ordnung, Ferris.“ Hasard kletterte den Backbordniedergang hoch und trat zu den ermüdeten Männern. „Wir sind ja auch ohne euch klargekommen. Was bildet ihr euch bloß ein?“ „Nichts, Sir.' „Ferris, würdest du dir die Lady mutwillig in Stücke schießen lassen?“ „Dann wäre doch die ganze Schufterei sofort wieder für die Katz gewesen“, antwortete der rothaarige Riese erbost. „Das wäre das Allerletzte, aber gut, wenn's nicht anders geht, müssen wir eben in den sauren Apfel beißen. Um was geht's denn? Do Velho liegt mit seinem Verband in der
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Südbucht - und du rechnest damit, daß er bald hier auftaucht, nicht wahr?“ Die Entgegnung wurde Hasard sozusagen abgenommen. Ed Carberry stieß einen Ruf aus und wies zum Ufer. Die Köpfe der Männer ruckten herum. Sie sahen Dan O'Flynn und Blacky in Begleitung zweier Hottentotten aus 'dem Pinienwald hervorstürmen. Dan und Blacky winkten aufgeregt. „Die Dons -sie gehen ankerauf und verlassen die Bucht!“ schrie der junge O'Flynn. „Höchste Zeit, daß wir hier verschwinden“, sagte der Seewolf. „Mehr als eine Stunde brauchen die Dons nicht, um in die Tafelbucht einzulaufen. Stenmark und Luke, ihr nehmt das Boot, pullt zum Ufer und holt Blacky und Dan ab. Ed!“ „Sir?“ „Wir lichten die Anker.“ „Aye, Sir. He, ihr hirnlosen Kombüsenschaben und Kakerlaken, schnappt euch die Spaken und trabt zu den Spills! Wollt ihr wohl springen? Willig, willig, ihr kurzsichtigen Kanalratten, sonst gibt es was aufs Kreuz und hinter die Löffel!“ „Batuti“, sagte der Seewolf. „Befehle, Sir.“ „Sag Baredi, er soll uns jetzt in das Versteck einweisen, von dem er dir erzählt hat.“ Der Gambia-Mann wandte sich dem Hottentotten zu. Baredi konnte die Vielfalt der Eindrücke hier an Bord des Segelschiffes kaum bewältigen und verfolgte voll Staunen, wie Stenmark und Luke wie der Blitz ins Boot abenterten, wie acht Mann der Crew zu den Spills hetzten und der Rest sich auf das Setzen der Segel vorbereitete. Er starrte auch zu den Kanonen, die von Ferris Tucker und den wenigen an Bord verbliebenen Männern in der Abwesenheit des Großteils der Mannschaft geladen worden waren. Urweltlichen Ungetümen glichen die großen, klobigen Culverinen, und der Eingeborene schien eine Menge Respekt vor ihnen zu empfinden. Batuti riß den jungen Mann aus seinen Betrachtungen. Sie palaverten wieder eine
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ganze Weile, dann wies der Hottentotte auf den südöstlichen Teil des Ufers, immer wieder auf jenen Bereich, an dem die Pinien bis dicht ans Wasser vorrückten und wo struppiges Gebüsch wucherte. „Was?“ sagte Big Old Shane. „Was soll denn da sein?“ „Eine Einfahrt vermutlich“, entgegnete Ben Brighton. „Unmöglich - und wenn, paßt da kein Segelschiff 'rein.“ „Das werden wir ja gleich erfahren“, sagte der Seewolf. Old O'Flynn schnitt eine gallige Grimasse. „Die Hottentotten haben keine Ahnung von der Seefahrt, wie sollen die abschätzen können, welche Wassertiefe für eine Galeone dieses Tiefganges ausreichend ist? O Mann, mir wird ganz anders, wenn ich daran denke, daß wir auf Grund laufen könnten.“ Hasard ließ den Alten und die anderen reden, er hatte im Moment nur Blicke für das Boot, das nun am Ufer angelangt war und Blacky und Dan O'Flynn übernahm. Stenmark, Luke, Dan und Blacky pullten im Takt, und die beiden Hottentotten drüben hoben noch einmal zum Gruß die Hand. Kaum war das Boot wieder längsseits der „Isabella“ gegangen, ließ Hasard es so schnell wie möglich hochhieven. Die Jolle baumelte noch in ihren Galgen, da hatte der Seewolf bereits das Großsegel setzen lassen. Die Galeone nahm vor dem Westwind liegend rasch Fahrt auf. Die beiden Hottentotten am Ufer der Bucht liefen in der Fahrtrichtung des Dreimasters. Baredi gab ihnen Zeichen, sie gestikulierten zurück. An dem Punkt, auf den Baredi schon mehrfach gewiesen hatte, verharrten sie. „Anderthalb Strich Steuerbord, Pete!“ schrie Hasard seinem Rudergänger zu. „Sonst brummen wir aufs Ufer.“ „Aber so brummen wir doch erst recht drauf“, gab Pete verzweifelt zurück. Er verstand plötzlich die Welt nicht mehr. „Bill h rief der Seewolf zu seinem Ausguck im Großmars hoch. „Was siehst du, zum Teufel?“
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„Eine Flußmündung, Sir.“ „Warum haben wir die vorher nicht entdeckt?“ „Sie liegt zwischen Pinien und Gesträuch versteckt, ganz hervorragend sogar. Man kann sie nur sehen, wenn man so nahe heran ist wie wir.“ „Ausgezeichnet.“ Hasard grinste seinen Männern auf dem Quarterdeck zu. Die hatten jetzt recht belämmerte Mienen aufgesetzt. „Sir!“ rief Al Conroy von der Galionsplattform aus. Er lag flach auf dem Bauch und lotete unausgesetzt die Wassertiefe. „Vier Faden -immer noch!“ „Was sagt er?“ brüllte Big Old Shane. „Ich versteh kein Wort!“ „Immer noch vier Faden Tiefe“, dröhnte Carberrys mächtiges Organ zurück. „Al, wie sieht's aus?“ „Vier Faden ...“ „Das hält man im Kopf nicht aus“, brummelte der Profos. „So dicht unter Land - wer hätte das gedacht. Holla, da haben wir ja eine regelrechte Fahrrinne vor uns.“ Batuti stand mit Baredi auf der Back. Der Hottentotte gab seinen weißen Verbündeten immer wieder durch Gebärden zu verstehen, nach welcher Seite hin der Kurs zu korrigieren war - und dabei sprach er unablässig mit dem Mann aus Gambia. „Weg mit dem Großsegel“, befahl der Seewolf. „Wir haben zuviel Fahrt drauf. Gott, Ed, bist du denn schwerhörig?“ Carberry lief dunkelrot im Gesicht an, er hätte in den Kuhlplanken versinken mögen. Rasch packte er selbst mit zu und zerrte an dem Geitau. Das Großsegel flog hoch und schrumpfte wie durch Zauberei zusammen. Carberry belegte das Ende des Geitaus um einen Koffeynagel an der Nagelbank vor der Kuhlgräting und blickte starr und mit finsterer Miene voraus. Er und schwerhörig - war denn das die Möglichkeit? „Dreieinhalb Faden“, meldete Al. „Immer noch genug für uns“, bellte der Profos. „Sir - dreieinhalb Faden!“
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„Ausgezeichnet, Ed“, erwiderte Hasard mit verhaltenem Lachen. „Und ich hatte für einen Moment schon den Verdacht, du wärst schwerhörig.“ „Hol's der Henker“, sagte der Profos grinsend. „Bei den Löchern meiner Socken, ich will die längste Zeit auf diesem Zuber. gefahren sein, wenn ich Bohnen in den Ohren habe. Wenn's nötig ist, höre ich auch die Fische flüstern, jawohl, Sir.“ Mit allen Finessen ihres Metiers bugsierten die Seewölfe das Schiff auf die sich nun deutlich vor ihnen öffnende Einfahrt zu. Sobald der Gegendruck der Flußströmung zu spüren war, ließ Hasard das Großsegel von neuem setzen, und die Vortriebskraft des Windes beförderte die „Isabella“ in das Gewässer zwischen Büschen und unter Pinien, das gerade breit genug war, um einen Segler dieser Größenordnung passieren zu lassen. Jahrhundertealte Pinien ragten so hoch zu beiden Seiten des Ufers auf, daß die Toppen der hohen Masten ihre Äste und Wipfel nicht berührten. „Paßt, wackelt und hat Luft“, sagte Old Donegal Daniel O'Flynn verblüfft. „Also, das hätte ich nicht gedacht. Das wirkt ja fast so, als hätte irgendjemand dieses Flüßchen hier für uns maßgeschneidert.“ „Fragt sich bloß, wie wir hier wieder 'rauskommen“, sagte Shane. „Wenden können wir offenbar nirgends.“ Hasard verließ das Quarterdeck, stieg zur Kuhl hinunter und suchte das Vordeck auf, um diese Frage dem Hottentotten zu stellen. Batuti fungierte wieder als Dolmetscher. Baredi nickte aufgeregt, als er die Worte im Bantu-Dialekt vernahm. Er breitete die Arme aus, wies nach Norden und sprach hastig und abgehackt. „Es gibt Ausfahrt“, erklärte der schwarze Herkules daraufhin. „Weiter oben. Kanal.“ „Einen Meerwasserarm vielleicht, der das Land zu unserer Linken von der übrigen Küste abschneidet und es somit zu einer Insel macht?“ fragte Hasard. „Batuti glaubt, daß so ist.“ „Wie weit ist es bis dorthin?“ „Viele hundert Schritte, sagt Baredi.“
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„Er soll uns sagen, wie viele genau.“ Batuti wandte sich wieder an den jungen Nomaden. Dieser geriet beinah in Verzweiflung, senkte den Kopf und grübelte nach. Er schaute wieder auf, trat an das Steuerbordschanzkleid und rief seinen Stammesbrüdern etwas zu, die die ganze Zeit über durch den Pinienwald hindurch mitgelaufen waren und sich auf der Höhe der Back der „Isabella“ hielten. Sie gaben etwas völlig Unverständliches zurück. Carberry kratzte sich am Kinn und fragte sich, wie man in so einer Sprache gewisse Dinge ausdrücken wollte, die mit der uralten Beziehung zwischen den Geschlechtern zu tun hatte — Hölle, hatten die Hottentotten überhaupt so viele Wörter? Oder brauchte man dafür keine? Carberry kratzte sich heftiger, er gestand vor sich selbst ein, daß er ein bißchen verwirrt war. Baredi sprach zu Batuti, Batuti übersetzte seinem Kapitän: „Tausend Schritte, Sir, soweit Batuti versteht. Hottentotten haben nicht viele Zahlen. Baredi weiß auch nicht alle Wörter in Bantu-Sprache.“ „Das macht nichts“, erwiderte der Seewolf. „Ich nehme an, daß wir etwa eine halbe Meile den Flußlauf hinaufsegeln müssen, um die Passage zu erreichen. Es fragt sich nur, ob die Wassertiefe dort noch ausreichend ist.“ „Sir!“ rief Al Conroy von der Galionsplattform herauf. „Wir haben immer noch dreieinhalb Faden unter uns.“ Hasard war einigermaßen beruhigt. „Gut. Nehmen wir mal an, wir schaffen es bis zu der Durchfahrt, die es uns erlaubt, in die Tafelbucht zurückzukehren. He, Al, was würdest du tun, um dich gegen die Dons zu sichern?“ „Überall Posten aufstellen.“ „Und weiter?“ „Einen Hinterhalt würde ich ihnen legen, falls sie sich zu nahe heranwagen und unser Versteck entdecken.“ „Danke, Mister Conroy“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Genauso verhalten wir uns auch.“ 9.
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Gegen fünf Glasen der Mittagswache hatte der spanische Schiffsverband das Kap der Guten Hoffnung bei ruhiger See und handigem Westwind gerundet und jenen Teil der nach Norden verlaufenden Küste erreicht, an dem das Ufer unterhalb des als Löwenrücken bezeichneten Ausläufers des Bergmassivs nach Osten abknickte und sich zur Tafelbucht hin öffnete. Lucio do Velho stand auf der Back seines Flaggschiffes und blickte voraus. Durch leichte Beinarbeit glich er die sanften Schiffsbewegungen aus. Er hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt und demonstrierte auf diese Weise, daß er sein altes Selbstvertrauen bereits wiedererlangt hatte. Die „Santa Monica“ glitt als erster Segler vor dem Wind in den großen natürlichen Hafen, es folgte die „San Julio“, und den Schluß bildete die „Libertad“. Die Schiffe bewegten sich in nahezu schnurgerader Kiellinie voran, jeweils eine halbe Kabellänge auseinander, bereit, sich im Bedarfsfall sofort zu einer schlagkräftigen Einheit zu formieren. Aber so sehr do Velho auch Ausschau hielt, er konnte die „Isabella“ nirgends entdecken. Enttäuscht ließ er das Spektiv sinken. „Ignazio!“ verlangte er barsch nach seinem Bootsmann. Der Bootsmann stand bereits hinter ihm. „Senor?“ Ohne den Kopf zu wenden sagte do Velho: „Ignazio, wie oft soll ich dir noch erklären, daß man einen Vorgesetzten niemals von hinten anspricht?“ „Verzeihung, Senor Comandante.“ Der Mann aus Porto tat rasch zwei Schritte nach vorn, drehte sich um und blickte seinem Herrn und Meister ins Gesicht. Dort gab es wenig Verheißungsvolles zu lesen. Im Gegenteil, do Velhos Stirn war schon wieder finster umwölkt - wie Stunden zuvor, als sie von dem mißglückten Landunternehmen an Bord ihrer Schiffe zurückgekehrt waren und jene völlig nutzlosen Kanonenschüsse auf die Feinde abgegeben hatten.
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„Ignazio“, sagte der Kommandant. „Wo könnte die ,Isabella' deiner Meinung nach liegen?“ „Hinter jener Insel dort, Senor.“ Ignazio wies mit dem stämmigen Zeigefinger auf das Eiland, das sich lang von Nordwesten nach Südosten im nördlichen Bereich der breiten Buchteinfahrt erstreckte. „Möglich ...“ „Die Berge auf der Insel sind hoch genug, um ein Schiff wie die ‚Isabella' zu verdecken“, sagte der Mann aus Porto. „Wir segeln um das verdammte Stück Land herum“, beschloß do Velho. „Gib das an die Besatzung weiter und signalisiere das auch Santillan und de Hernandez, diesen Schwächlingen. Die Geschützführer bleiben nach wie vor auf ihren Posten, die Schiffe sind gefechtsbereit und in höchstem Alarmzustand.“ „Si, Senor.“ Ignazio verschwand in Richtung Kuhl, er war froh, etwas Abstand zwischen sich und den rachesüchtigen, vor Wut bebenden Kommandanten legen zu können. Eine weitere Stunde später hatte der Verband die Insel gerundet und wieder das Wasser zwischen der Einfahrt und dem Südufer der Tafelbucht erreicht. Lucio do Velho hatte mittlerweile das Quarterdeck aufgesucht und stellte hier seinen Bootsmann zur Rede. „Nun, was hast du gesehen, Ignazio?“ „Felsen - und Robben, nichts als Robben, Senor.“ „Und die ,Isabella'?“ „Senor, ich weiß nicht, wo sie liegen könnte.“ „Sie kann sich nicht in Luft aufgelöst haben!“ sagte der Kommandant verärgert. „Senor“, sagte der Mann aus Porto eindringlich. „Bedenken Sie doch -der Sturm. Er könnte die Galeone der Seewölfe so stark beschädigt haben, daß sie gesunken ist. Einige dieser Bastarde - acht - haben sich schwimmend bis ins Kapland gerettet.“ „Eine feine Version. Und ihre Feuerwaffen? Wie haben sie die trocken bis hierher geschafft?“
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„Sie haben die Waffen und die Munition an Feuern getrocknet.“ „Nein, nein“, erwiderte do Velho schrill. „Das alles erscheint mir nicht einleuchtend genug. Wieso lassen sich weder die Engländer, diese Hunde, noch die Hottentotten blicken? Sind die plötzlich alle vom Erdboden verschluckt?“ Er suchte den Tafelberg und dessen Umgebung immer wieder mit dem chinesischen Spektiv ab, doch außer Möwen und anderen Seevögeln, außer Robben unten am Ufer und ein paar verirrten Rindern an den Hängen und im flachen Land vermochte er nichts Lebendes zu erkennen. „Wir erforschen die Küste“, sagte do Velho. „Sie wollen - wieder an Land gehen, Senor?“ „Hast du Angst, Ignazio?“ fragte der Kommandant schneidend. Ignazio holte tief Luft, nahm all seine zivile Courage zusammen und entgegnete: „Senor Comandante, ich glaube, ich habe bereits unter Beweis gestellt, daß ich nicht zu den Memmen und Hasenfüßen zähle.“ Do Velho musterte ihn von oben bis unten, ging erstaunlicherweise aber nicht in die Luft. „Ja, das ist richtig. Deshalb wirst du auch wieder dabei sein, falls wir landen. Zufrieden?“ „Si, Senor“, erwiderte der Mann aus Porto verdattert. „Der Verband segelt jetzt wieder in Kiellinie. und wir bewegen uns dicht unter Land immer hübsch langsam voran.“ Lucio do Velho hörte nicht auf, die Berge und die Ebene mit der Optik abzusuchen. „Wir folgen dem Verlauf des Ufers durch die gesamte Bucht. Wir müssen diese Hunde finden. Sie können nicht spurlos verschwunden sein.“ Gute zwei Stunden später, nach einer ausgedehnten Fahrt durch die Tafelbucht, war do Velho fast an der Grenze seines Beherrschungsvermögens angelangt. Nichts - ein Spuk schien die Seewölfe und die Hottentotten fortgezaubert zu haben! *
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Wieder bemannte der Kommandant drei Boote, diesmal mit je acht Mann. Er versah jedes Fahrzeug jedoch mit mehr Waffen drei Musketen und drei Pistolen pro Kopf , außerdem ließ er Buggeschütze montieren, leichte Serpentinen, die mit ihren Gabellaffetten vorher auf den vorderen Schanzkleiden der Schiffe befestigt gewesen waren. Solchermaßen armiert, wagte do Velho es, sich bis ans Südufer der Tafelbucht zu bewegen. Er selbst stieg als erster Mann an Land, gefolgt nur von Ignazio. Zu Santillan und de Hernandez, den Führern der anderen beiden Boote, sagte er: „Senores, ich will Ihnen noch einmal zeigen, was unter soldatischem Schneid und Können zu verstehen ist. Sie können sich dann entscheiden, ob Sie diesem oder einem anderen Beispiel folgen wollen.“ Die Kapitäne der „San Julio“ und der „Libertad“ antworteten nicht. Do Velho wandte sich von ihnen ab, ging mit der Schußwaffe sichernd bis zum Saum des Pinienwaldes und hielt nach allen Seiten Ausschau. Ignazio hielt ihm den Rücken frei. In den Booten kauerten die Soldaten hinter den geladenen, schußbereiten Serpentinen. Holzkohle zum Anzünden der Lunten glomm in winzigen Kohlebecken. Lucio do Velho drang bis in den Wald vor. Er wußte, welches Risiko er einging, aber an dem nötigen Mut mangelte es ihm immer noch nicht. Ehrgeiz, grenzenloser Ehrgeiz steckte hinter allem, was ihn vorantrieb. Es war ein Empfinden, das mächtiger war als alles Wenn und Aber. Do Velho entdeckte in der Dämmerung die Lichtung, auf der das Rundhüttendorf der Hottentotten gestanden hatte. Er vergewisserte sich, daß niemand zurückgeblieben war, den er hätte gefangen nehmen können, dann lief er zu Ignazio, und sie kehrten beide ans Ufer zurück. „Spuren“, sagte der Kommandant. „Spuren, die nach Nordosten führen. Wir fahren mit den Booten zum Nordostufer.“ Santillan und de Hernandez fanden ein solches Vorhaben völlig unsinnig, aber sie
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äußerten sich nicht, um nicht der Feigheit und Meuterei bezichtigt zu werden. Unter den fallenden Schleiern der Nacht entdeckte Lucio do Velho etwas später vom Boot aus. die verborgene Flußmündung. Nur mit einem so kleinen Wasserfahrzeug war es möglich gewesen, derart dicht unter Land dahinzugleiten, daß einem guten Beobachter die Mündung auffallen mußte. „Senores“, zischte do Velho zu den Besatzungen des zweiten und des dritten Bootes gewandt. „Sie warten vor der Einfahrt und folgen erst, wenn ich ein Zeichen gebe. Zwei Schüsse in die Luft — und Sie pullen ebenfalls los. Sind wir nach Ablauf eines Glases nicht zurück, so benachrichtigen Sie die zurückgebliebenen Männer, mit den Schiffen zu folgen.“ „Si, Senor“, antwortete de Hernandez. Do Velho winkte seinen Ruderern zu. Er selbst saß auf der Achterducht, legte leicht Ruder und lenkte das Boot sauber in die Mündung und gegen die Strömung des Flusses. Die Dunkelheit nahm zu, aber die Portugiesen und Spanier wagten es nicht, Fackeln anzuzünden. So tasteten sie sich in der Finsternis voran, die sich auf die Bucht legte. Selbst die beiden Flußufer waren nach einiger Zeit nur noch schwach zu erkennen. Do Velho geriet zu nahe an das rechte Ufer. Er bemerkte dies sehr spät und wollte Gegenruder legen, aber weiter vorn raschelte etwas in dem dichten, struppigen Gebüsch. „Da“, raunte Ignazio. „Was war das?“ „Nachsehen“, befahl do Velho gedämpft und steuerte sein Boot noch etwas näher ans Ufer. Die Männer holten auf sein Zeichen hin die Riemen binnenbords, legten sie auf die Duchten und griffen zu den Musketen. Ignazio kauerte sich hinter die Serpentine. Ihre volle Konzentration richtete sich auf das, was schräg vor ihnen war - und so übersahen sie die Gestalten, die hinter ihnen aus dem Dickicht auftauchten. Do Velho reagierte erst, als die größte dieser Gestalten vom nunmehr zum
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Greifen nahen Ufer auf ihn zuhechtete. Er wirbelte herum, riß den Mund weit auf, konnte aber die Pistole nicht mehr heben und abdrücken. Der Gegner war bereits heran. Er packte ihn und riß ihn von der Achterducht. Do Velho sah das verhaßte Gesicht von El Lobo del Mar, dem Seewolf, vor sich, bevor sie beide quer über die Ducht schlidderten, das
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Übergewicht erlangten und vom Boot in das Flußwasser stürzten. Der Portugiese hörte noch Ignazio und die anderen Männer der „Santa Monica“ schreien — sie waren ebenfalls von hinten angegriffen worden. Ein Hinterhalt! durchzuckte es den Kommandanten noch, dann schlugen die Fluten über ihm zusammen. Er wußte, daß er verloren hatte. Endgültig.
ENDE