Nr. 115
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Nr. 115
Das Monstrum von Quinto-Center Kampf im Hauptquartier der USO ein Experiment gerät ausser Kontrolle von H. G. Francis
Auf den Stützpunkten der USO, auf den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Ende September des Jahres 2842 – eines Jahres, dessen erste Hälfte recht turbulent verlief, wie die vorangegangenen Ereignisse eindeutig bewiesen. Jetzt herrscht in der Galaxis relative Ruhe. Der Aufbau des Solaren Imperiums geht kontinuierlich voran. Es gibt im Augenblick weder im Bereich des Inneren noch im Bereich des Äußeren Schwierigkeiten von Bedeutung. Kein Wunder daher, daß Perry Rhodan, der Großadministrator, Staatsgeschäfte Staatsgeschäfte sein läßt und zusammen mit seiner Frau Mory Abro, der Regierungschefin von Plophos, zu einer Expedition in ein weit entferntes Sonnensystem aufgebrochen ist. Dabei wäre, wie es sich plötzlich herausstellt, die Anwesenheit des Großadministrators und seiner Frau auf Plophos dringend erforderlich! Denn Plophos, das zu einem Transplantationszentrum ersten Ranges geworden ist, erlebt eine Invasion ganz besonderer Art: Transplantations-Patienten laufen Amok, und ein Androide explodiert, bevor er entscheidende Aussagen in Sachen »Weltraumzirkus« machen kann. Doch das Spezialisten-Team der USO, das auf Plophos tätig wurde, ist bereits der unbekannten Macht auf der Spur. Dann aber kommt es zu einer unerwarteten Krise, die ausgelöst wird durch DAS MONSTRUM VON QUINTOCENTER …
Das Monstrum von Quinto-Center
3
Die Hautpersonen des Romans: Nancy Chessare - Eine USO-Spezialistin kämpft mit einem Ungeheuer. Ronald Tekener - Stellvertreter des Lordadmirals der USO. Dr. Alf Hurton - Wissenschaftler auf Quint-Center. Stuckey Folus und Thow Tanza - Zwei USO-Spezialisten unter Zirkusleuten. Ro Batten - Ein Mann, der Rache üben will. Aron Yr - Ein Mann, der auf die USO wartet.
1. Die Kugel raste mit so hoher Geschwindigkeit durch das Labyrinthfeld, daß sie mit bloßen Augen kaum zu verfolgen war. Stuckey Folus versuchte erst gar nicht, sie auf diese Weise zu erwischen. Er konzentrierte sich auf einen Punkt, den die Perle früher oder später passieren mußte. Als sie sich ihm näherte, krümmte sich sein Zeigefinger, und ein nadelfeiner Blitz zuckte aus der Spitze der Pistole. »Ein Volltreffer«, sagte Thow Tanza, der keineswegs überrascht zu sein schien. Das Ziel hatte sich in einen roten Klumpen verwandelt, der zitternd in einem Fesselfeld hing. Der Spielleiter lächelte Pa zu. »Meine Anerkennung, Sir. Das schaffen nur wenige. Genau genommen ist es fünf Wochen her, daß einer das Ding abgefangen hat.« »Dann habt ihr inzwischen eine Menge Geld mit dem Kasten verdient«, entgegnete Stuckey Folus trocken. Er streckte die Hand aus und nahm die beiden Karten für die Logenplätze in die Hand. Durch den Treffer waren sie recht preiswert geworden. Er blickte auf die Scheine herab und fragte: »Muß ich unbedingt ein Mädchen mitnehmen, oder ist es mir auch erlaubt, meinen Opa einzuladen?« Dabei deutete er mit dem Daumen auf Thow Tanza. Der Spielleiter musterte den 91jährigen Mann. »Nehmen Sie mit, wen Sie wollen«, erwiderte der Spielmanager. »Uns ist das egal.« Unbehaglich wandte er sich ab und ging
zu einem anderen Gerät, an dem ein blondes Mädchen spielte. »Unfreundlicher Mensch«, bemerkte »Opa« knurrend. Er strich sich mit der Hand über den runden Schädel und ordnete die schlecht sitzenden Haare. Doch das half nur wenig. Die schwarzen Locken sahen gleich wieder so ungebändigt aus wie zuvor. »Noch ein Spiel?« fragte Folus. Thow Tanza winkte unwillig ab. »Wir haben, was wir wollen. Verschwinden wir von hier. Die Vorstellung beginnt in zwanzig Minuten.« Stuckey Folus, genannt »Pa«, beobachtete, wie sich die Augen Tanzas verengten. Er drehte sich um und blickte in die gleiche Richtung wie der Astrophysiker. Am Eingang zu dem Spielsalon stand ein auffallend schlanker Mann, der einen hautengen, blauen Anzug trug. Auf seiner Brust schimmerte das Symbol der COMOTOOMO. Folus kannte diesen Artisten nicht, aber er zweifelte nicht daran, daß Opa und er sich irgendwann einmal begegnet waren. Die Umstände schienen keineswegs erfreulich gewesen zu sein. Deutlich zeichneten sich Angst und Betroffenheit in dem Gesicht des Unbekannten ab. Er schien wie gelähmt zu sein. Erst als Opa sich bewegte, fiel der Bann von ihm ab. Er drehte sich um und verschwand. Folus wartete, daß Tanza ihm nacheilen würde, aber der Astrophysiker tat, als sei nichts Besonderes vorgefallen. »Was ist?« fragte er. »Wie lange willst du dir noch überlegen, ob wir gehen oder noch ein Spielchen machen?« Stuckey Folus nieste. »Ich muß mich irgendwie erkältet haben«, erwiderte er zusammenhanglos und wandte sich dem Ausgang zu. Thow Tanza folgte
4 ihm wortlos. Vor einem der zahlreichen Antigravschächte, die zur Arena hinabführten, blieben die beiden Männer stehen. Sie befanden sich an Bord des Zirkus-Raumschiffs COMOTOOMO, das am Rande der Stadt Terrakon gelandet war, deren Bevölkerung lebhaftes Interesse an den Darbietungen zeigte. Stuckey Folus blickte sich um. Sie waren allein auf dem kleinen Vorplatz des Schachtes, konnten jedoch in mehrere Gänge hineinsehen, auf denen lebhaftes Treiben herrschte. Unter den Besuchern der Spielhallen entdeckte Pa den Mann mit dem hautengen Anzug erneut. Auch Tanza hatte ihn bemerkt. Er schnaufte und drehte sich um. Mit einer lässigen Bewegung stieg er in den Luftschacht und sank nach unten. Folus glitt an ihn heran. »Du siehst so fröhlich aus«, sagte er spöttisch. »Hast du einen triftigen Grund, dich zu ärgern?« Opa verzog den Mund und hakte die Daumen in seinen Gürtel. Er hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. Folus und Tanza setzten sich in Sessel, die direkt am Rand der Arena standen. Mit weichem Fell überzogene Barrieren trennten sie von anderen Gästen ab. Stuckey Folus lehnte sich zurück und entspannte sich. Er beobachtete die Vorbereitungsarbeiten von Personal und Robotern und lauschte der Musik, die bewußt altertümlich war. Er mußte zugeben, daß es den Managern mühelos gelang, eine reizvolle Atmosphäre zu schaffen. »Hast du ihn jemals gesehen?« fragte der Opa unvermittelt. Folus schaltete sofort. »Nein. Sollte ich?« »Nein.« Wieder schwieg Thow Tanza. Gelangweilt sah er sich um. Die Gesichter der Besucher auf der anderen Seite der Arena konnten sie kaum erkennen. Sie lagen im Halbdunkel und wurden von den riesigen Scheinwerfern nicht erfaßt. Die Vorstellung begann mit einer Dressur
H. G. Francis von BarniterAffen. Das Publikum dankte mit Lachsalven für jeden Gag. Opa schien sich jedoch zu langweilen. Er sah kaum einmal zu den gescheckten Tieren hinüber, sondern neigte sich zu Folus hin und sagte: »Er heißt Stuff Hallon. Raubtierbändiger.« Er schnaufte verächtlich und gab damit zu verstehen, daß er vor dieser Zunft keine große Hochachtung hatte. »Ich hatte vor neun Jahren mit ihm zu tun. Er arbeitete für einen besonders feinen Zirkel, der sein klägliches Ende mir verdankt. Hallon leistete sich einen Mord und entwischte. Er weiß, daß ich ihn überführen kann.« Stuckey Folus blickte Opa kurz an. Er kannte Tanza gut genug, um sofort erkennen zu können, daß dieser äußerst besorgt war. Natürlich mußten sie immer wieder damit rechnen, Gegnern zu begegnen, die sie identifizieren konnten. Die Krise war da. Stuff Hallon mußte etwas unternehmen, wenn er nicht für einen Mord zur Rechenschaft gezogen werden wollte. Er befand sich an Bord der COMOTOOMO auf exterritorialem Boden. Die Gerichte von Terrakon konnten ihn nicht belangen. Aber das war keine Gewähr für ihn, daß ihm nichts geschehen würde. Er befand sich nur in einer theoretischen Sicherheit, solange Tanza lebte. Erst wenn der Zeuge seiner Tat tot war, konnte er aufatmen. Stuckey Folus tastete unbehaglich nach seinem Energiestrahler, einer flachen Waffe, die er unter seiner Kleidung verbergen konnte. »Er wird nicht tatenlos bleiben«, sagte er. »Natürlich nicht.« »Du weißt schon, was er versuchen wird?« fragte Pa beunruhigt. Tanza nickte unmerklich. »Ich denke, er wird eines seiner Tierchen auf uns hetzen«, entgegnete er. »Wir sitzen auf dem denkbar besten Platz – aus seiner Sicht. Ein kleiner Unfall würde seine Probleme lösen.« Eine Fliege setzte sich auf Tanzas Kinn. Opa näherte sich ihr vorsichtig mit der offe-
Das Monstrum von Quinto-Center nen Hand. Obwohl er blitzschnell zupackte, entkam sie seinem Griff. Sie flog zweimal um seinen Kopf herum und ließ sich dann erneut auf der Kinnspitze nieder. »Ich könnte es mit einem Kinnhaken versuchen, Opa«, sagte Folus grinsend. »Vielleicht schaffe ich es damit.« »Eine gute Idee«, antwortete Tanza knurrig. »Wir werden diese Methode zuerst bei dir ausprobieren.« Wieder schnellte seine Hand hoch, und abermals entkam das Insekt. Das Surren seiner Flügel klang Tanza wie Hohn in den Ohren.
* 25. 9.2842 (Erdzeit) Quint-Center. Das Blatt glitt knisternd durch die Finger von Nancy Chessare. Bevor es ihr ganz entgleiten konnte, hielt sie es fest. Der Ast, an dem es hing, spannte sich, und eine Kreuzspinne flüchtete erschreckt aus dem Zentrum ihres Netzes, das sie nur wenige Blätter weiter errichtet hatte. »Nanu? So nachdenklich?« fragte eine dunkle Stimme. »Ma« schreckte aus ihren Gedanken hoch. Sie blickte auf und drehte sich dabei halb um. Hinter ihr stand ein untersetzter, dunkelhaariger Mann. Er hatte ein hartes, fast brutal wirkendes Gesicht mit dunklen, wachen Augen. »Nancy, als verträumtes Mädchen inmitten der künstlichen Pracht des Erholungscenters dieser schönen Hohlwelt«, fuhr der Dunkle spöttisch fort. »Das fasziniert mich so an Ihnen. Sie geben mir immer neue Rätsel auf.« Nancy Chessare ließ das Blatt fahren. Sie ging über den Rasen zu einem kleinen Teich. »Was gibt es, Dr. Hurton?« erkundigte sie sich mit eisiger Stimme. »Sind Sie zufällig hier, oder haben Sie mir etwas Neues mitzuteilen?«
5 Er lachte leise. »Wo Sie sind, bin ich niemals zufällig. Sie sind Grund genug für mich, in Ihrer Nähe zu erscheinen.« »Ich fühle mich geschmeichelt«, erwiderte sie in einem Ton, der klar erkennen ließ, wie wenig ihr seine Worte gefielen. Sie setzte sich auf eine Bank und beobachtete die tropischen Fische in dem Gewässer. Dr. Alf Hurton schien für sie nicht mehr vorhanden zu sein. Der Abteilungsleiter für kosmische Biokybernetik schien jedoch kein Ohr für so deutliche Zwischentöne zu haben. Mit sichtlichem Wohlgefallen betrachtete er die rothaarige Frau, die nicht nur in seinen Augen als ausgesprochene Schönheit galt. Nancy Chessare trug eine leichte Bluse und knapp sitzende Hosen, die ihre aufregend weiblichen Formen sehr klar zur Geltung brachten. Das rotblonde Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Als Hurton noch immer schwieg, wandte sie ihm das Gesicht zu und blickte ihn fragend an. »Würden Sie mir sagen, weshalb Sie gekommen sind?« »Habe ich das nicht schon?« Wieder funkelten seine Augen spöttisch, und sein Mund verzog sich in einer Weise, die ihr nicht gefiel. Alf Hurton gehörte zu jenen Männern, die von ihrer männlichen Überlegenheit gar zu sehr überzeugt waren. Ma krauste die Stirn. »Haben Sie das? Ich erinnere mich nicht. Könnten Sie's noch einmal wiederholen?« »Aber sicher doch, Nancy. Ich sprach von Ihrem Liebreiz und Ihrem Charme, der mich immer wieder gefangenhält. Ich möchte …« Sie stand auf, nickte ihm zu und entgegnete: »Ich komme zurück, wenn Sie wieder bei Verstand sind.« Er grinste und beobachtete gelassen, wie sie am Ufer des Teiches auf eine Tannengruppe zuging. Das Erholungsgebiet bot eine Reihe von natürlichen Landschaften, wie man sie auf der Erde vorfinden konnte. 28.444 Lichtjahre von dem Heimatplaneten entfernt war eine Oase entstanden, in der
6 sich die Mitarbeiter von Quint-Center für kurze Zeit der Illusion hingeben konnten, auf Terra zu sein. Ein blauer Himmel spannte sich über den Bäumen und Büschen, und eine künstliche Sonne spendete belebende Wärme. Dr. Hurton ging der Spezialistin nach. Sie saß auf einem Felsbrocken, der zwischen den Tannen auf einem Heidehügel lag. »Ich finde, der Wind fehlt«, sagte der Kybernetiker. »Aber natürlich kann man nicht einfach alles durcheinander pusten, weil sonst ein ziemlicher Pflanzenwirrwarr entstehen würde.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie wissen es immer noch nicht?« fragte er. »Nein«, erwiderte sie gereizt. »Ich weiß immer noch nicht, weshalb Sie mich verfolgen. Falls Sie vorhaben sollten, mich zu einem Barbummel einzuladen, muß ich Ihnen sagen …« »Ich fürchte, den Termin würden Sie auch verpassen«, unterbrach er sie. Sie blickte ihn betroffen an. »Ach, du meine Güte«, sagte sie. »Das habe ich vollkommen verschwitzt. Wir wollten uns um 14.30 Uhr in Ihrem Büro treffen.« »Und jetzt ist es 15.00 Uhr. Aber das macht nichts. Unpünktlichkeit ist das Vorrecht der Weiblichkeit, nicht wahr?« »Es tut mir leid, Dr. Hurton.« »Ich war keineswegs überrascht, als Sie nicht bei mir erschienen. Noch niemals habe ich erlebt, daß eine weibliche …« »Ich habe mich entschuldigt. Können wir jetzt zur Sache kommen? Haben Sie etwas Wichtiges herausfinden können?« Jetzt war er verärgert, aber er akzeptierte, daß sie nicht länger auf seine Scherze eingehen wollte. »Wir haben mit den Untersuchungen des Materials begonnen, das Sie uns mitgebracht haben«, erklärte er kühl. »Bis jetzt steht bereits eindeutig fest, daß es sich bei den Protoplasmakügelchen nicht um Katschkarits handelt.«
H. G. Francis »Also sind es keine Speichererbsen«, stellte sie fest, »aber was sind diese Gallertkugeln dann?« »Wir wissen es noch nicht«, sagte Hurton. Nancy Chessare hatte die Überreste des Androiden Algo mit den darin enthaltenen Gallertkügelchen nach Quint-Center gebracht, um sie hier analysieren zu lassen. »Wir haben den Eindruck, daß es sich um Teilstücke eines großen Zellverbandes handelt«, fügte der Biokybernetiker vorsichtig hinzu. »Aber darüber können wir noch nichts sagen. Wir stehen vor einem Rätsel.« Nancy nickte. Man wußte eigentlich nur, daß sich Menschen mit Hilfe dieser Gallertkügelchen lenken ließen. Mit ihnen gelang es einer unbekannten Rasse, Menschen vollkommen unter ihre Kontrolle zu bringen und sie Dinge tun zu lassen, vor denen sie sonst zurückschrecken würden. »Wir müssen es bald herausfinden, Dr. Hurton«, sagte Nancy betont. »Viel Zeit haben wir nicht mehr. Was geschieht, wenn es wirklich eine Stunde X gibt, in der alle mit Gallertkügelchen verseuchten Lebewesen in der Galaxis gemeinsam losschlagen? Sie könnten das Chaos über uns hereinbringen.« »Ich möchte gern in die Labors gehen. Kommen Sie mit?« »Ich wüßte nicht, an wessen Seite ich lieber durch diese liebliche Landschaft schreiten würde.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Sie können es wohl nicht lassen, wie?« »Da haben Sie natürlich vollkommen recht.« Sie lachten beide. Wenig später betraten sie den Labortrakt von Quint-Center. Hier kannte Dr. Hurton sich bestens aus. Er führte die Spezialistin zielstrebig zu seiner Abteilung und betrat schließlich einen sorgfältig abgeschirmten Arbeitsraum, in dem ein hohlwangiger Techniker an einer Versuchsreihe arbeitete. Er erhob sich und begrüßte Nancy. »Wir haben bereits alles vorbereitet«, sagte er und führte sie zu einem Tisch, auf dem in mehreren Schälchen verschiedene Nähr-
Das Monstrum von Quinto-Center böden aufbewahrt wurden. »Gut«, lobte Nancy. »Dann geben Sie zunächst fünf Gallertkugeln auf die Nährböden A bis E.« »Was versprechen Sie sich davon?« fragte der Techniker. »Das kann ich noch nicht einmal eindeutig beantworten, Mr. Perkins«, gab Ma offen zu. »Ich hoffe einfach, auf diese Weise mehr über diese Kügelchen erfahren zu können. Die Reaktion auf die Nährböden wird uns hoffentlich weitere Aufschlüsse über Aufbau, Herkunft, Aufgabe und das Maß an Eigenständigkeit geben.« »Eigenständigkeit?« wiederholte Perkins. Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Dinger leben.« »Das hat auch – vorläufig – noch niemand behauptet«, sagte Alf Hurton. »Ich würde mich hüten, das Wort ›leben‹ in diesem Zusammenhang zu benutzen.« Nancy Chessare beugte sich über die Schälchen, als Perkins die Kugeln in die Lösungen gelegt hatte. Sie versuchte, Veränderungen zu erkennen, aber nichts geschah. »Ich glaube, Sie sind zu ungeduldig«, erklärte Hurton. »Vielleicht«, erwiderte sie, ohne sich aufzurichten. »Ich möchte zunächst nur wissen, ob es sofort eine Reaktion gibt oder nicht.« Sie blickte starr auf eine Kugel. Veränderungen waren nicht festzustellen. »Offensichtlich ist das nicht der Fall.« Nancy griff nach einem Vergrößerungsgerät und schwenkte es über die Schälchen. Sie justierte es, bis eine der Kugeln in Fußballgröße auf dem Bildschirm aufleuchtete. Auch die beiden Männer betrachteten das gestochen scharfe Bild. »Nichts«, stellte Perkins nach etwa fünf Minuten fest. »Es reagiert nicht auf die Lösung.« Nancy untersuchte auch die anderen Schälchen, ohne eine Veränderung feststellen zu können. »Vielleicht passiert überhaupt nichts«, sagte sie und erhob sich, »oder es ist einfach
7 zu früh für Beobachtungen. Warten wir doch erst einmal ab. Dr. Hurton – wollten Sie mich nicht zu einem Drink einladen, oder hatte ich Sie falsch verstanden?« »Ich mag Frauen nicht, die trinken«, antwortete er knurrig. »Das war wohl ein Mißverständnis, Alf. Ich habe Sie nicht gebeten, mich zu heiraten, sondern mir einen Drink zu spendieren. Wenn Ihnen das zu teuer ist, wird Mr. Perkins vielleicht …« »Aber selbstverständlich, Miß Chessare«, sagte der Techniker hastig. Dr. Alf Hurton gab ihm mit einer energischen Geste zu verstehen, daß dieses Angebot unpassend war. »Sie kümmern sich gefälligst um Ihre Arbeit«, befahl er grob. »Wenn Nancy und ich auf unsere Weise flirten, dann sollte ein junger Bursche wie Sie sich taktvoll zurückziehen.« Perkins grinste. »Miß Chessare – wenn Sie in die Bar gehen, möchte ich Ihnen einen ReginaldBull-Flipp empfehlen. Das ist der teuerste Drink, den Sie bestellen können.« Hurton brummte etwas in seinen Bart. Finster blickte er den Techniker an, der sich jedoch keineswegs beeindruckt zeigte. »Danke für den Tip«, sagte Nancy. Sie hakte sich bei Dr. Hurton unter und ging mit ihm hinaus. Perkins wandte sich einem Serienversuch zu, an dem er schon vorher gearbeitet hatte. Die Gallertkugeln beachtete er nicht. Da sie vorher keine Reaktion gezeigt hatten, erwartete er auch jetzt von ihnen keine Überraschung. Nancy Chessare und Alf Hurton hatten das Labor gerade zwei Minuten verlassen, als eine der Kugeln sich durch explosive Zellteilung schlagartig vergrößerte. Perkins machte Notizen. Die Serie verlief so, wie er es berechnet hatte. Er wußte, was das bedeutete. Damit konnte er dem Spezialisten Koff Hurlisch einen schlagkräftigen Beweis für einen bisher nur vagen Verdacht liefern. Mit Hilfe der Versuchsserie wurde
8 ein Attentäter praktisch entlarvt. Diese Tatsache versetzte Perkins in eine gewisse Erregung, die ihn an seine Arbeit fesselte. So bemerkte er auch nicht, daß sich die Gallertkugeln nach einigen weiteren Minuten abermals schlagartig vergrößerten. Hinter seinem Rücken begann ein unheimliches Geschehen. Unter einem der Bildgeräte leuchtete ein Licht auf. Er schaltete den Apparat ein. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines ihm gut bekannten Spezialisten. Sie begrüßten sich freundschaftlich. »Ich habe leider keine Zeit«, sagte der Anrufer. »Vielleicht können wir heute abend mehr miteinander reden. Jetzt benötige ich vor allem eine schnelle Auskunft.« Perkins nickte. »Frage nur. Was gibt es?« Ein Gespräch entwickelte sich, in dem der Techniker dem Spezialisten biogenetisch schwierige Zusammenhänge erläuterte. Nach etwa fünf Minuten schaltete Perkins ab. Er benötigte einige Sekunden, sich wieder auf die Versuchsserie zu konzentrieren und kam dabei gar nicht auf den Gedanken, nach den Gallertkügelchen zu sehen. Hinter ihm war ein faustgroßes Gebilde entstanden, das pulsierend in der Schale lag. Als Perkins sich einige Notizen machte, verdoppelte es sich abermals. Es schob sich über den Rand der Schale hinaus und nahm eine fladenförmige Gestalt an. Suchend glitt es auf dem Labortisch hin und her, als könne es sich noch nicht für eine Richtung entscheiden. Dann schien es so, als habe es den Menschen entdeckt. Seltsame Wellen liefen durch seinen Körper. Dann rutschte es bis zur Tischkante vor und ließ dabei eine feuchte, schleimige Spur hinter sich zurück. Ein Teil des Körpers schob sich über die Kante hinaus, stellte dann fest, daß es waagerecht nicht mehr weiterkam. Langsam bog sich der Rand nach unten, bis er wieder Kontakt mit dem festen Material des Tisches bekam. Dann sank der Fladen an der Senkrechten bis auf den Boden hinab. Lautlos glitt das Ding über den Boden auf
H. G. Francis den Fuß des Technikers zu. Es erreichte ihn und stieß gegen das Porossitmaterial seines Schuhs. Für einen kurzen Moment schien es so, als werde es davon abgestoßen und zurückgetrieben. Dann aber floß das Ding am Schuh hoch und erreichte den Strumpf. Obwohl es dabei die Synthetikwolle durchnäßte, merkte Perkins noch immer nicht, was geschah. So verschwand es pulsierend in seinem Hosenbein. Der Techniker reagierte erst, als der Fladen seine nackte Haut berührte. Unwillkürlich griff er nach seinem Bein. Dann erschrak er heftig, fuhr mit seinem Rollstuhl zurück und blickte auf den Boden. Er sprang auf. Seine Arme streckten sich aus. Perkins sah die Schleimspur auf dem Boden, die genau bis zu seinen Füßen führte. Die Augen traten ihm aus dem Kopf, und sein Gesicht verzerrte sich. Dann stürzte er lautlos zu Boden, ohne den Alarmknopf auf seinem Arbeitstisch noch erreichen zu können.
2. Von diesem Drama in Quint-Center ahnten Stuckey Folus und Thow Tanza nichts, als sie auf Smogoon II die Darbietungen der Artisten in der COMOTOOMO verfolgten. Sie waren hier, weil sie ermittelt hatten, daß ein Teil der Zirkusmitglieder für eine unbekannte Macht tätig war. Sie benutzten die für diese Unternehmen eingesetzten Androiden als unauffälliges Transportmittel von präparierten Körperteilen und Organen, in denen sich die Gallertkügelchen verbargen. »Pa« und »Opa« hatten ihre Nachforschungen auf die drei Schiffe ORBAG MANTEY, TERKMAS und COMOTOOMO konzentriert. Die ORBAG MANTEY war spurlos verschwunden, und die TERKMAS war vernichtet worden. So blieb als vorläufig letzte Hoffnung, das Rätsel zu lösen, die COMOTOOMO. Zwei Stunden lang verfolgten die beiden Spezialisten die Vorstellung, wobei sie meh-
Das Monstrum von Quinto-Center rere Artisten erlebten, denen es gelang, die Zuschauer in ihren Bann zu schlagen. »Ich muß zugeben, selten eine so gut organisierte und überzeugende Show gesehen zu haben«, sage Stuckey Folus. Thow Tanza knurrte Unverständliches. Wieder schnellte seine Hand hoch und versuchte, die Fliege auf seiner Kinnspitze zu packen. Pa grinste. »Dieses Hochplateau bietet so hervorragende Startmöglichkeiten, daß du es niemals schaffen wirst«, stellte er fest. »Abwarten«, entgegnete Opa mürrisch. In sich zusammengesunken und scheinbar völlig interessenlos lag er in seinem Sessel, als die Programmtafel »Aramore und seine Kauß« ankündigte. Tanza blinzelte Pa zu. »Das könnte er sein«, sagte er leise. »Aufpassen jetzt.« Unmittelbar vor ihnen entstand eine schimmernde, durchsichtige Wand. Ein energetisches Prallfeld umspannte die Arena wie eine Halbkugel. Folus blickte sich forschend um. Er schüttelte den Kopf. »Wenn er nicht gerade einen ganz üblen Trick auf Lager hat, brauchen wir nichts zu befürchten. Aus diesem Käfig kommt kein Raubtier heraus.« »Abwarten«, empfahl Opa abermals. Er lag wieder so tief in seinem Sessel, als habe er vor, ein wenig zu schlafen. Er richtete sich auch nicht auf, als Stuff Hallon, der Mann, dem sie im Spielsalon begegnet waren, in die Arena kam. Der Dompteur trug einen silbrig glänzenden Anzug mit einem leuchtenden Schlangensymbol auf Brust und Rücken. In der Hand hielt er eine Metallpeitsche, mit der er sich nervös gegen die Wade schlug. Unruhig sah er sich nach seinem Assistenten um, der wenig später in einem weinroten schlichten Anzug folgte. Stuckey Folus musterte diesen Mann interessiert. Er kam ihm gefährlicher vor als Hallon. Sein Gesicht war von der Sonne tief gebräunt. Seine Augen standen eng beieinander. Die Scheinwerfer verlöschten. Nur noch
9 die Arena lag im hellen Licht. Jetzt war die schimmernde Glocke deutlich auszumachen. Folus und Tanza gegenüber bildete sich ein Tunnel aus Energie. Auf ihn richtete sich ein einzelner Scheinwerfer mit blutigrotem Licht. Zugleich setzte eine Musik ein, die die Spannung schürte. Die Kauß kamen. Mit schweren, langsamen Flügelschlägen glitten die Schlangen in das Rund. Ihre großen Augen glänzten wie Rubine, und die gelben Barthaare wehten um ihre ausladenden Kinnladen. Die weißen Fühler bogen sich suchend zu den beiden Männern hinüber. Geschmeidig wanden sich die etwa sieben Meter langen Schlangenkörper, die in weißen Federflossen ausliefen. Sie schienen auf einer unsichtbaren, festen Unterlage zu gleiten. »Prachtexemplare«, gab Thow Tanza zu. Er richtete sich ein wenig höher auf, und seine Augen glänzten. Stuckey Folus wußte, daß er viel mit Kauß-Schlangen zu tun gehabt hatte. Er war lange Jahre auf Venta IV gewesen. Dort hatte er USO-Spezialisten in den unerschlossenen Dschungeln im Überlebenstraining geschult. Er lauschte dem Rauschen der weißen Flügel. »Jede klingt anders«, behauptete er. Stuckey Folus versuchte, ebenfalls Unterschiede herauszufinden, doch es gelang ihm nicht. Eine atemlose Stille herrschte im Zirkus. Das Publikum starrte fasziniert auf die mächtigen Raubtiere, denen man nachsagte, der Mensch sei ihre liebste Beute. Stuff Hallon und sein Assistent verfolgten in gespannter Haltung den Flug der Bestien um die Arena, während eine kühle Stimme einige Daten über die Kauß bekanntgab. Daß der unsichtbare Sprecher dabei auf jede Sensationsmache verzichtete, erhöhte die Erregung der Zuschauer mehr, als wenn er Schauermärchen erzählt hätte. »Aramore wird jetzt beweisen, daß er Herr über die Kauß ist«, schloß der Kommentator und bat noch einmal um absolute Ruhe.
10 »Wenn er versucht, uns mit diesen Tierchen zu kommen, bringt er sich selbst um«, sagte Tanza flüsternd. »Du meinst, es wird keine Lücke im Energieschirm geben?« Folus deutete auf das Prallfeld vor sich. Tanza schüttelte den Kopf. »Nein«, erklärte er. »Hallon könnte seine Würmchen dann nicht mehr halten.« Mehrere Geräte glitten auf Antigravfeldern in die Arena. Offensichtlich sollten die Schlangen an ihnen arbeiten. »Er ist nervös«, stellte Pa fest. »Ja – er hat mich gerade entdeckt.« Jetzt bemerkte auch Folus, daß der Dompteur unruhig zu ihnen herübersah. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, sie hier in seiner unmittelbaren Nähe vorzufinden. »Hoffentlich läßt er sich nicht noch mehr ablenken«, wisperte Opa. »Der Weißkopf wird schon nervös.« Folus ließ sich die Schlange zeigen, die Opa meinte. Er konnte keinen Unterschied zu den anderen Tieren feststellen, aber er wußte, daß Tanza es konnte. Jetzt schien auch »Aramore« gemerkt zu haben, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte. Er konzentrierte sich auf die weißköpfige Schlange und richtete seine Peitsche auf sie. Mit einem scharfen Zuruf wollte er sie zur Disziplin zwingen. Thow Tanza ruckte hoch. Er atmete hörbar ein und hielt die Luft an. Unwillkürlich zuckte auch Pa zusammen. »Das geht nicht gut«, sagte Opa stöhnend. Im nächsten Augenblick geschah es. Der weißköpfige Kauß legte die Flügel an den Körper und stürzte fast senkrecht zu Boden. Bevor er jedoch aufschlagen konnte, breitete er die Flügel wieder aus und schoß wie ein Blitz auf Stuff Hallon zu. Dabei stieß er einen durchdringenden Schrei aus. Der Assistent griff nach seinem Paralysator, während Aramore noch nicht aufgeben wollte. Er versuchte, die Attacke mit der Peitsche abzuwehren. Der Kauß richtete sich kerzengerade vor ihm auf. Der gefiederte Schwanz schnellte
H. G. Francis nach vorn und schlug den Dompteur zu Boden. Im nächsten Moment stieß der Kopf nach unten, und die blitzenden Giftzähne bissen zu. Ein fürchterlicher Schrei verkündete das Ende Stuff Hallons, während ein chaotisches Durcheinander in der Arena entstand. Die anderen Schlangen warfen sich ebenfalls auf Aramore. Einige hatten es auf den Assistenten abgesehen, doch dieser betäubte eine nach der anderen mit seinem Paralysator, bevor er von einem Fesselfeld gepackt und aus der Arena herausgerissen wurde. Gleichzeitig verlöschten die Scheinwerfer. Nur Sekunden vergingen, dann flammten die Lichter wieder auf. Die Arena war leer. Nur einige Blutstropfen verkündeten noch von dem Drama, das sich ereignet hatte. Eine Horde bunt gekleideter Mädchen stürmte lachend und kreischend herein und veranstaltete einen tänzerischen Wirbel, der das Publikum vergessen lassen sollte, was geschehen war. »Mir wird schlecht«, sagte Thow Tanza. »Kommt. Wir gehn.«
* Der Gleiter raste durch die Nacht. Stuckey Folus lenkte ihn stets so niedrig wie möglich über die Hügel und Wälder von Smogoon II hinweg. »Wie weit?« fragte Opa. »Dreihundert Kilometer liegt Terrakon jetzt hinter uns. Das sollte reichen. Er muß hier irgendwo sein.« »Kannst du schon etwas sehen?« »Noch nicht.« Pas Hand glitt über die Instrumente des Gleiters. Sie wollten sich noch einmal mit einem Kontaktmann der GERAKINI, mit der sie nach Smogoon II gekommen waren, treffen. Erst vor etwa zwanzig Stunden hatten sie das Schiff mit einem Beiboot verlassen und waren in einem unerschlossenen Teil des Nordkontinents gelandet. »Da ist es!« Pa deutete auf einen grünen Punkt auf ei-
Das Monstrum von Quinto-Center nem der Ortungsschirme. Er lenkte den Gleiter nach Süden, bis er die Umrisse eines Beiboots zwischen zwei Hügeln erkennen konnte. Er gab den Funkimpuls, mit dem sie sich identifizierten. Dann setzte er die Maschine ins Gras ab. Er stieg aus, während Thow Tanza noch auf seinem Platz sitzen blieb. Für einen Nichtinformierten war nicht auszumachen, ob das Flugzeug mit einem oder zwei Mann besetzt war. Aus dem Dunkel tauchte eine kleine Gestalt auf. »Hallo, Pa«, sagte sie mit heller Stimme. »Sie sind ein paar Minuten über die Zeit.« »Das ist meine besondere Note«, entgegnete er. Damit war für beide klar, daß alles in Ordnung war. Jetzt verließ auch Opa den Gleiter. Die Schleuse des Beiboots glitt auf. »Nach Ihnen, Ira«, sagte Pa. In der Kammer brannte kein Licht. Man wollte niemanden, der sich zufällig in der Nähe befand, aufmerksam machen. Als die Innenschotte sich öffneten, konnten die beiden Männer das blonde Mädchen jedoch gut sehen, das sie erwartet hatte. Ira war klein und trug einige Pfunde zuviel mit sich herum, doch sie schien sich dabei wohl zu fühlen. Geschäftig eilte sie Opa und Pa voraus und öffnete ihnen das Schott zur Zentrale, wo sie einige kleine Erfrischungen für sie vorbereitet hatte. Folus und Tanza setzten sich. Während Pa sich bediente, wies Tanza das Angebot zurück. »Wir haben etwas anderes zu tun, als uns den Leib vollzuschlagen«, sagte er. »Es wäre schade, das Fleisch und den Wein umkommen zu lassen«, bemerkte Ira lächelnd. »Ich werde nehmen, was Sie nicht wollen.« »Schlagen Sie sich ruhig voll«, sagte Opa brummig. »Wenn Sie sich jetzt noch nicht zu dick vorkommen, wird das bißchen ihre Figur auch nicht mehr ruinieren können.« »Danke«, erwiderte sie fröhlich. »Mir schmeckt's trotzdem. Außerdem habe ich einen Partner, der pummelige Frauen liebt.« Thow Tanza ging mit keiner Bemerkung auf diese Worte ein, sondern steuerte sofort
11 sein Ziel an. Er wollte möglichst schnell über die ersten Eindrücke und Erlebnisse berichten. »Irgend etwas scheint mit der COMOTOOMO nicht in Ordnung zu sein«, sagte er. »Wir vermuten, daß sie Schwierigkeiten mit der Hyperfunkanlage hat.« »Dann hätten die Warnsignale der ORBAG MANTEY diesen Zirkus noch gar nicht erreicht?« fragte Ira. »Anzunehmen«, erklärte Thow Tanza unwillig, weil sie diese in seinen Augen offensichtlich so selbstverständliche Schlußfolgerung überhaupt noch erwähnte. Ira lächelte und nahm noch einen Bissen Fleisch. »Der Zirkus gastiert also noch«, fuhr Stuckey Folus fort. Opa lehnte sich zurück und starrte griesgrämig ins Leere. »Ein offener Angriff kommt nicht in Frage«, sagte Pa. »Wir wollen nicht noch einmal Zwischenfälle wie bei der TERKMAS riskieren, denn wir haben nichts davon, wenn die COMOTOOMO zerstört wird. Wir gingen von der Voraussetzung aus, daß uns hier niemand kennt. Das war jedoch nicht ganz richtig. Ein Dompteur, der inzwischen bei einem Unfall ums Leben kam, kannte Opa. Bis jetzt wissen wir nicht, ob er andere informiert hat, aber wir nehmen es nicht an.« »Stuff Hallon hatte zumindest keine Ahnung davon, daß wir für die USO tätig sind«, fügte Opa hinzu. »Haben Sie gesehen, ob auch bei diesem Zirkus Androiden eingesetzt werden?« »Mit Sicherheit«, antwortete Pa. »Es sind Androiden dabei.« »Dann scheint die Spur richtig zu sein«, stellte Ira fest. Sie trank das Weinglas aus und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Und was passiert jetzt?« »Wir werden versuchen, Arbeit beim Zirkus zu bekommen. Opa wird als Clown arbeiten, weil er von Natur aus immer so lustig ist. Was ich mache, weiß ich noch nicht.« Ira lächelte, und Thow Tanza blickte noch finsterer drein, als zuvor.
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H. G. Francis
»Damit haben Sie die Basisinformation erhalten, die Sie benötigen«, schloß Folus. »Mehr können wir Ihnen zur Zeit noch nicht geben. Kehren Sie jetzt auf die GERAKINI zurück.« »Okay«, stimmte Ira zu und warf einen Blick auf die Weinflasche und den Kuchen. Stuckey Folus schob ihr beides zu. »Nehmen Sie nur«, sagte er. »Sie haben jetzt schon ein Doppelkinn und pralle Hüften«, stellte Thow Tanza fest. »Sie sollten sich zusammennehmen.« »Lieber dick und fröhlich, als dürr und grantig«, erwiderte sie. »Wir gehen, Pa«, entschied Opa und stand ruckartig auf. Stuckey Folus verabschiedete sich. »Machen Sie sich nichts draus, Ira«, sagte er. »Wenn Sie gertenschlank wären, würde er auch maulen.« »Keine Sorge«, erwiderte sie mit vollem Mund. »Ich habe nicht die Absicht, es ihm recht zu machen. Passen Sie gut auf sich auf.« Minuten später flog der Gleiter wieder in Richtung Terrakon. Diese Niederlassung zählte 280.000 Einwohner und bildete den Mittelpunkt eines interessanten Experiments. Auf Betreiben Atlans wurde hier eine gemeinsame Kolonie von Terranern und Neu-Arkoniden aufgebaut. Etwa ein Drittel der Bewohner waren Neu-Arkoniden. Schon in den ersten Stunden ihrer Anwesenheit in Terrakon hatten Opa und Pa gespürt, daß man hier harmonisch zusammenlebte.
* Niemand hinderte sie am nächsten Tag daran, die COMOTOOMO zu betreten. Es gab nur einen Eingang, der offen war, und durch ihn konnten die Besucher nur zu den Spielsälen kommen. Stuckey Folus und Thow Tanza blieben kurz vor dem Vergnügungstrakt stehen, als sie einen Mann in einer Phantasieuniform sahen. »He, Sie«, sagte Tanza. »Wo finde ich
den Boß?« »Willst du hier jobben, Alter?« Opa tat, als habe er die respektlosen Worte überhört. »Also?« fragte er schneidend. Der Uniformierte ging auf ein Schott zu und öffnete es mit einem Spezialschlüssel. »Immer den Gang entlang.« Wortlos befolgten die beiden Männer den Rat. Sie kamen nach etwa fünfzig Metern zu einem weiteren Schott, das sich automatisch vor ihnen öffnete. Von einem quadratischen Raum zweigten drei Türen ab. Auf einer von ihnen stand: »Bewerbungen«. Die beiden Spezialisten traten ein. Hinter einem Schreibtisch saß ein Terraner, der sie forschend anblickte. Er sah aus wie ein verstaubter Bücherwurm und paßte nicht in ein so modernes Gebilde wie dieses Raumschiff. Das graue Gesicht war so unscheinbar, daß es schwer war, es sich einzuprägen. Vor ihm flimmerten einige Bildschirme. Auf ihnen sah Folus den Gang, über den sie gekommen waren. »Was wollen Sie?« fragte er, wobei er in einem Buch einige Notizen machte. Er blickte nur einmal kurz auf, um die beiden Besucher flüchtig zu betrachten. »Einen Job«, antwortete Thow Tanza. »Natürlich. Weshalb wären Sie sonst wohl hier? Welchen?« »Ich habe gestern abend beobachtet, wie Aramore starb. Wenn Sie diese Nummer noch bringen wollen, brauchen Sie einen neuen Mann.« Jetzt legte der Graue seinen Stift zur Seite, lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte Opa scharf. Plötzlich zeichneten sich markante Züge in dem bisher so unscheinbaren Gesicht ab. Pa erkannte, daß das bisherige Gehabe nur Maske war, hinter der sich ein beweglicher Geist verbarg. »Setzen Sie sich«, sagte der Personalchef der COMOTOOMO. »Mein Name ist Busch. Sie sind an der richtigen Adresse. Wer sind Sie?« Die beiden Männer stellten sich unter ihren Namen vor. Sie konnten damit rechnen,
Das Monstrum von Quinto-Center daß sie hier völlig unbekannt waren. Traf das jedoch nicht zu, weil Stuff Hallon vor seinem Tod noch etwas über Opa verraten hatte, dann war es besser, wenn sich keine Widersprüche ergaben. »Ich kenne mich mit den Kauß bestens aus«, behauptete Tanza. »Deshalb habe ich das Unglück gestern auch vorhergesehen. Aramore war nervös und ängstlich. Er hat die Tiere verrückt gemacht. Es war kein Wunder, daß Weißkopf über ihn herfiel und ihn tötete.« Mit diesen wenigen Worten verriet er dem Personalchef, daß er tatsächlich mehr von den Kauß verstand als andere. »Wir können über ein Engagement reden«, sagte Busch. »Tatsächlich brauchen wir jemanden, der mit diesen Tieren umgehen kann. Sie müssen uns aber erst einmal beweisen, daß Sie das wirklich können, bevor wir einen Vertrag machen. Haben Sie etwas gegen einen Test einzuwenden?« »Das kommt darauf an«, erwiderte Tanza vorsichtig. »Die Schlangen sind noch immer hochgradig nervös. Bis jetzt haben sie jede Nahrung verweigert. Der Assistent von Aramore wird mit ihnen nicht fertig. Wir werden die Kauß töten müssen, wenn nicht etwas geschieht.« Thow Tanza erhob sich. »Okay«, sagte er. »Worauf warten wir noch?« Der Personalchef stand ebenfalls auf. »Gut«, sagte er. »Sie werden Ihre Chance haben.« Er führte sie durch eine andere Tür aus dem Raum. Sie durchquerten mehrere Büros, in denen junge Mädchen arbeiteten, und stiegen dann in einen Antigravschacht, in dem sie etwa einhundert Meter nach unten schwebten. Mit einem Spezialschlüssel öffnete Busch ein Schott. Dann schlug ihnen heiße und feuchte Luft entgegen. Ein Gemisch aus stechend scharfen Gerüchen wies darauf hin, daß sie sich den Gehegen exotischer Tiere näherten. Der Personalchef hielt sich die Nase zu.
13 »Ich kann den Gestank nicht ertragen«, erklärte er. »Vermutlich werde ich mich niemals daran gewöhnen.« »Dann haben Sie sich genau den richtigen Job ausgesucht«, antwortete Opa ironisch. »Meine Aufgabe ist es, Künstler zu engagieren, nicht Tiere«, entgegnete Busch erregt. Er fuhr ein weiteres Schott auf. Sie kamen auf einen Gang aus Panzerglassitwänden, hinter denen einige Tiere lagen. Pa erkannte Kampfkrebse von Oxtorne, Wühlhasen von Anoplur aus dem NotoneSystem im BluesSektor, akkanthosische Tanzkatzen mit grünem Schopfhaar und Bartfäden, sowie MiniKastas von Nurmo II, die dreibeinigen Heuschrecken von einem Meter Höhe glichen. Kleine Schilder an den Käfigen wiesen auf die Herkunft der Tiere hin. Busch führte sie zu einem kreisrunden Verlies, das einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern hatte. In diesem Glassitkäfig bewegten sich die Kauß-Schlangen unruhig hin und her. Sie glitten über den Boden, wobei sie ihre Flügel eng an den Leib preßten und den Kopf leicht in die Höhe hoben. Selbst ein Laie hätte auf den ersten Blick erkennen können, daß sie hochgradig erregt waren. »Ich bin eigentlich überrascht, daß sie noch nicht übereinander hergefallen sind«, sagte Busch. »Wir hatten einmal einen ähnlichen Fall. Damals verspeisten die Biester ihren Dompteur beim Training. Sie waren danach so durcheinander, daß wir sie alle töten mußten.« Er musterte Thow Tanza mit kleinen Augen. »Bisher hatten wir noch keinen Künstler, der länger als sechs Monate überlebte. Sind Sie verheiratet?« »Keine Sorge«, antwortete Tanza trocken. »Wenn ich draufgehe, brauchen Sie sich um Witwen und Waisen nicht zu kümmern. Ich habe bis jetzt auf den Luxus einer Familie verzichtet.« »Solche Leute sind uns am liebsten«, bekannte Busch offenherzig. »Sie ahnen gar
14 nicht, was für Schwierigkeiten man mit Hinterbliebenen haben kann.« »Sie haben's schwer«, sagte Stuckey Folus mitfühlend. »Wie halten Sie das bloß aus?« Der Assistent von »Aramore« Stuff Hallon erschien plötzlich neben ihnen. Keiner von ihnen hatte gesehen, woher er gekommen war. Mit eisiger Miene starrte er Tanza an. »Dafür werden Sie zahlen«, erklärte er mühsam beherrscht. »Sie haben ihn auf dem Gewissen.« »Batten – benehmen Sie sich gefälligst. Mr. Tanza ist der neue Chef der Truppe.« Der Assistent fuhr herum, als habe ihn der Schlag getroffen. »Sie alter Trottel«, sagte er verächtlich. »Dieser Mensch hat Stuff umgebracht, und Sie wollen ihn bei uns arbeiten lassen? Haben Sie den Verstand verloren?« Pa und Opa blickten sich kurz an. Wußte Batten mehr über sie, als gut war? Hatte Hallon ihm etwas über seine Vergangenheit verraten? »Ro, nehmen Sie sich zusammen. Wir brauchen einen neuen Dompteur. Das Geschäft geht nun einmal vor.« »Warum bekomme ich den Job nicht?« Busch deutete auf die Schlangen. »Wenn die Tiere ruhig gewesen wären, dann hätten Sie vielleicht eine Chance bekommen, Ro. Sehen Sie sich doch einmal an, was im Käfig los ist. Sie haben die Kauß nicht in Ihrer Gewalt, und Sie werden sie auch in der Arena nicht beherrschen können.« »Ich werde Ihnen beweisen, was ich kann.« Er ging auf eine mit roten Strichen markierte Tür zum Käfig zu. »Wenn Sie hineingehen, sind Sie innerhalb von Sekunden ein toter Mann«, erklärte Tanza ruhig. Ro Batten blieb stehen. Auf seiner Stirn bildete sich Schweiß. Folus sah, daß die Hand, die neben dem Öffnungskontakt lag, leicht zitterte. »Dafür ist dann eine Schlange satt«, fügte
H. G. Francis er hinzu und gähnte. »Die Chancen für Tanza sind dann um so besser.« Der Assistent wich zurück. Einen kurzen Moment zögerte er noch, dann drehte er sich um und eilte durch eine andere Tür davon. »Gehen Sie rein«, befahl der Personalchef und gab Thow Tanza einen entsprechenden Wink. Opa öffnete die Tür zum Käfig. Gelassen betrat er die kleine Sicherheitsschleuse, die dahinterlag. Die Schlangen wurden aufmerksam. Ihre Unruhe steigerte sich noch. Nervös glitten sie vor Tanza hin und her, als könnten sie es gar nicht erwarten, daß auch noch die letzte Barriere zwischen ihm und ihnen fiel. Nur Weißkopf hielt sich im Hintergrund. Der Kauß preßte seinen Kopf fest auf den Boden. In dem leicht geöffneten Rachen war die vielfach gezackte Zunge zu erkennen. Stuckey Folus erschien dieses Tier am gefährlichsten. Es schien Opa aus dem Hintergrund angreifen zu wollen. Plötzlich kamen ihm Zweifel, ob der Freund wirklich in der Lage war, diese Bestien zu beherrschen. Hatte er sich nicht doch ein wenig zuviel vorgenommen? »Los doch«, schrie Busch. »Nun gehen Sie endlich zu den Tierchen, Tanza!«
3. Zur gleichen Zeit nahm Nancy Chessare zusammen mit Dr. Alf Hurton ein bescheidenes Mahl ein. Beide ahnten nicht, wie dramatisch ihr Versuch mit den Gallertkügelchen und den Nährböden verlief.
* Minutenlang war dem Toten im Labor nichts anzusehen. Das fladenförmige Ding verbarg sich unter seiner Kleidung und verhielt sich scheinbar ruhig. Dann aber veränderte sich der Fuß des Technikers. Er überzog sich mit einer schleimigen, farblosen Substanz, wobei Schuhe und Strümpfe von ihm abfielen. Er sank zunächst in sich zu-
Das Monstrum von Quinto-Center sammen, schwoll dann aber deutlich an. Das Hosenbein zerriß, als auch der Umfang des Beines zunahm. Darunter wurde jedoch nichts sichtbar, was auch nur entfernt an menschliches Fleisch erinnerte. Ein Teil des Schleims glitt zuckend über die Kombination des Toten hinweg zu seinen Händen und zu seinem Kopf. Die Masse schloß erst das Gesicht, dann den ganzen Schädel ein. Sehr schnell verlor sich das menschliche Aussehen. Haut, Knochen und Fleisch verformten sich. Sie lösten sich auf und verwandelten sich in eine farblose, gallertartige Masse. Nach etwa fünfzehn Minuten kroch ein monströses Ding aus den Kleidern des Toten heraus und glitt als amorphe Masse von ihnen weg. Langsam kroch das Ding von dem Ort seiner Tat zurück bis an einen der Labortische heran. Es schob sich daran hoch und bedeckte wenig später die anderen Schälchen mit den übrigen Kugeln und Nährböden. Als es sich von diesen zurückzog, waren sie nicht mehr vorhanden. Wie erschöpft blieb der Klumpen farbloser Masse in dem Gang liegen. Er hob und senkte sich wie die Brust eines Mannes nach einem anstrengenden Lauf. Dann sank er in sich zusammen und breitete sich zugleich fladenförmig aus. In Sekunden füllte das Wesen den gesamten Gang wie ein Kunstharzbelag aus. Ein Roboter betrat das Labor und näherte sich mit schweren Schritten einem der Tische. Er setzte einen Glassitbehälter darauf ab und eilte zu einem der anderen Tische, um dort ein leeres Gefäß und einige beschriftete Bögen aufzunehmen. Dann marschierte er quer durch das schleimige Ding hindurch, ohne es zu bemerken. Als sich die Tür hinter ihm schloß, glitt das Monstrum weiter. Wenig später erreichte es einen anderen Ausgang. Es stieg suchend an diesem Schott empor und entdeckte schließlich eine winzige Öffnung, die für einen Sicherheitsschlüssel vorgesehen war. Die zähflüssige Masse sickerte langsam hin-
15 durch. Wiederum verging fast eine Viertelstunde, bis das Gallertwesen den Laborraum verlassen hatte. Vor ihm lag ein Gang mit zwei weiteren Türen, aber diese waren nicht verschlossen. So verlor das Ding keine Zeit. Es wanderte bis zu einem Antigravschacht und floß über die Kante hinein. An der Schachtwand sank es herunter, dem Zug der Schwerkraft folgend, exakt in der Geschwindigkeit, die der Steuerautomat des Lifts befahl. Es rann an vier Ausgängen vorbei, bevor es durch den fünften aus dem Schacht herauskam. Auch hier traf es auf niemanden, der es hätte entdecken können. Es schob sich unter einer Tür hindurch und geriet auf einen verdunkelten Gang, von dem zahlreiche andere Türen abzweigten. Gierig drängte es sich vorwärts. Es wälzte sich über mehrere Türen, ohne einen Durchschlupf finden zu können, dann aber traf es auf ein Schott, das einige Scharten aufwies. Sie waren gerade tief genug, es durchzulassen. In dem Raum dahinter brannte Licht. In einem der beiden Betten schlief ein Mann. Auf dem anderen lag ein junger Laborant, der in einem Buch las. Hin und wieder blickte er auf den Trivideoschirm, der zu seinen Füßen in der Wand eingelassen war. Auf ihm konnte er einen Expeditionsbericht beobachten, der von einer Welt aus dem Blues-Sektor stammte.
* »Wohin gehen wir jetzt, Täubchen?« fragte Dr. Hurton und schob das Schälchen mit dem Nachtisch zur Seite. »Hätten Sie Lust zu einem kleinen Bummel? Man erzählt viel über die Wega-Ausstellung in Sektor VII.« Nancy Chessare ließ ihre Zigarette in den Ascher fallen, wo sie aufgelöst wurde. »Ich denke, wir haben genügend miteinander gescherzt, Doktorchen«, sagte sie. »Grüßen Sie Ihre Frau und Ihre Kinder von mir, wenn Sie sie sehen.« Hurton blickte sie verblüfft an.
16 »Sie wissen …« Ma lachte hell. »Glauben Sie, sonst hätte ich soviel Geduld mit Ihnen gehabt?« Sie erhob sich, nickte ihm zu und ging. Ihre gute Laune hielt jedoch nicht lange an. Als sie wenige Minuten später vor den leeren Test-Schälchen stand, sagte sie einige Worte, die ganz und gar nicht damenhaft waren. Sie eilte mit großen Schritten aus dem Labor in die Kantine zurück, wo Alf Hurton heftig mit einer blonden Mathematikerin flirtete. »Dr. Hurton!« rief Nancy empört. Er drehte sich betont langsam um und blickte sie erstaunt an. »Was denn, Nancy? Sie haben mir eben einen Korb gegeben, und jetzt sind Sie eifersüchtig? Sie werden doch nicht …?« »Die Nährböden sind verschwunden«, unterbrach sie ihn mit eisiger Stimme. »Und mit ihnen sind auch die Gallertkügelchen weg.« »Wenn das ein Trick sein soll, meine Zuneigung zurückzugewinnen, dann …«, begann er, merkte jedoch sehr schnell, daß sie es ernst meinte. Er ergriff ihren Arm und sagte: »Kommen Sie.« Fassungslos stand er wenige Sekunden später vor dem Labortisch, doch sein Augenmerk richtete sich nicht auf die leeren Schälchen, sondern auf die Kleider, die auf dem Boden lagen. »Können Sie mir das erklären, Nancy?« fragte er tonlos. »Ich verstehe nicht, daß ich das übersehen konnte«, sagte sie betroffen. Sie bückte sich und ließ den Stoff durch ihre Finger gleiten. Die Schleimspur, die unmittelbar nach dem Überfall vorhanden gewesen war, war jetzt abgetrocknet. Nichts deutete auf das hin, was hier vorgefallen war. »Begreifen Sie das?« fragte Hurton. Sie schüttelte den Kopf. »Ich vermutete zunächst, daß irgend jemand die Nährböden für einen Versuchszweck genommen haben könnte.« »Das ist ausgeschlossen«, behauptete der
H. G. Francis Kybernetiker. »Ich stehe vor einem Rätsel«, gestand Ma. Sie blickte Dr. Hurton forschend an und fragte dann mit einem drohenden Unterton: »Ich darf doch wohl voraussetzen, daß sich hier niemand einen schlechten Scherz erlaubt hat.« »Das dürfen Sie, Nancy«, erwiderte der Abteilungsleiter nachdrücklich. Nancy kniete abermals neben den Kleidungsstücken nieder, die an einigen Stellen zerrissen waren. Sie durchsuchte sie, fand aber nur Nebensächlichkeiten, die ihr nicht weiterhalfen. »Lassen Sie sie durchsuchen«, bat sie und reichte sie Hurton. »Vielleicht können Sie herausfinden, was mit ihnen geschehen ist.«
* Das Buch zu lesen strengte an. Der Laborant gähnte ausgiebig und entschloß sich, die restlichen Freistunden zu schlafen. Er streckte seine Hand nach dem Lichtschalter aus, als der Rufpunkt unter dem Interkom aufleuchtete. Er legte seinen Finger gegen die Taste daneben, und der Bildschirm erhellte sich. »Ah, Dr. Hurton«, sagte der junge Mann. »Ich habe frei.« Der Kybernetiker runzelte die Stirn. »Tut mir leid. Das wußte ich nicht. Ich habe einen interessanten Fall für Sie und dachte … Nun, lassen wir das. Hat Becker Dienst?« »Ja, natürlich, Sir, aber ich komme natürlich auch, wenn Sie möchten.« »Schlafen Sie lieber. Becker wird's schon schaffen.« Hurton schaltete aus. Der Laborant reckte sich, soweit das in seiner Koje möglich war, als er einen erstickten Laut unter sich hörte. »He, Fraud, was ist?« fragte er. Er bekam keine Antwort. In der Annahme, daß der Freund träume, legte er sich zurück und griff erneut nach dem Buch. Das Gespräch mit Dr. Hurton hatte ihn wieder munter gemacht. Jetzt ärgerte er sich dar-
Das Monstrum von Quinto-Center über, daß er den Auftrag nicht doch angenommen hatte. Er entschloß sich, doch noch in die Abteilung zu gehen und sich zu melden. Rasch streifte er sich Hemd und Hose über und schwang die Beine über die Bettkante. Mit einem Satz sprang er von dem Doppelbett herunter. Als er sah, was sich auf dem Boden ausbreitete, war es schon zu spät für ihn. Zunächst sah er Fraud oder das, was noch von ihm übriggeblieben war. Der Freund lag verkrümmt auf seinem Bett, die Hände um seinen Hals gekrallt. Schädel, Oberkörper, Arme und Hände waren weitgehend verformt, so daß kaum noch menschliches zu erkennen war. Ein schleimiges, farbloses Wesen lag über dem Laboranten und sog ihn offensichtlich in sich auf. Das entsetzliche Ding benötigte jedoch nur einen Teil seines amorphen Körpers. Mehr als die Hälfte seiner Masse hing über die Bettkante herab und bildete auf dem Boden einen pulsierenden Fladen. So sehr der Laborant sich auch bemühte, er schaffte es nicht, diesem Monstrum zu entkommen. Seine nackten Füße drangen mitten in das protoplasmagierige Wesen ein. Er schrie voller Entsetzen, aber irgend etwas schnürte ihm die Kehle zu. Unfaßbar schnell schoß die zähflüssige Substanz an ihm hoch und überzog ihn. Die Augen traten ihm weit aus den Höhlen hervor, und die Hände versuchten, den Todesschleier zu zerreißen, aber sie griffen ins Leere. Wie vom Schlag getroffen, stürzte er zu Boden. Das Gallertwesen arbeitete schnell und lautlos. Der junge Mann löste sich auf. Als Fraud verschwunden war, waren auch von ihm nur noch ein paar unwesentliche Reste vorhanden, die wenige Sekunden später ganz in der Masse aufgegangen waren.
* Thow Tanza öffnete das innere Schott der Schlangengruft.
17 Er ahnte nicht, daß man ihn nahezu überall an Bord der COMOTOOMO mit Hilfe von automatischen Überwachungsgeräten beobachtete. Artisten und Besatzung des Zirkus hielten den Atem an. Unter ihnen war keiner, der etwas Ähnliches gewagt hätte. Opas Gesicht wirkte wie aus Stein geschlagen. Die Kauß wichen vor ihm zurück. Sie glitten bis an die gegenüberliegende Wand, wo sie sich eng zusammendrängten. Gerade aber das schien Tanza nicht zu gefallen. Er schritt schnell auf sie zu. Ihre Unruhe steigerte sich. Stuckey Folus fluchte leise. Er befürchtete einen Blitzangriff der Schlangen auf den Freund. Unwillkürlich tastete seine Hand nach dem unter der Kleidung versteckten Blaster, aber er zog ihn nicht hervor, weil er wußte, daß er sich damit verraten hätte. Auch Busch schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Er kaute auf seiner Unterlippe und schien sich nun doch Vorwürfe zu machen, weil er Tanza in den Käfig gelassen hatte. Opa wirkte ruhiger als die beiden Männer zusammen. Fünf Meter vor den Schlangen blieb er stehen und streckte beide Arme vor. Seine Hände zuckten – und die Kauß strebten nach beiden Seiten davon. Nur die weißköpfige Schlange verharrte auf ihrem Platz. Tanza sprach beruhigend auf sie ein, bis sie den Kopf auf den Boden legte und die Flügel ausbreitete. Busch atmete auf. Thow Tanza ging jetzt einige Schritte von Weißkopf fort, ohne sie aus den Augen zu lassen. Die anderen Kauß befanden sich jetzt alle am Eingang des Käfigs. Gelassen näherte sich Opa ihnen und trieb sie mit knappen Gesten auseinander. Dabei wies er jeder von ihnen einen ganz bestimmten Platz zu. Einige befahl er ganz an die Glassitwand, andere beorderte er weiter in das Innere des Käfigs, bis schließlich alle Kauß einen bestimmten Abstand voneinander hatten. Er arbeitete so sicher und ruhig,
18 als bestehe überhaupt keine Gefahr. Busch griff nach dem Arm von Stuckey Folus. »Der Mann versteht wirklich etwas von seiner Arbeit«, sagte er erregt. »So gut war Aramore niemals.« Er rieb sich die Hände. »Die Show ist gerettet«, erklärte er. Thow Tanza blieb noch fünf weitere Minuten in dem Käfig, dann konnte niemand mehr daran zweifeln, daß er die KaußSchlangen absolut in seiner Gewalt hatte. Als er herauskam, trat Busch auf ihn zu und reichte ihm spontan die Hand. »Sie und Ihr Partner sind engagiert«, sagte er feierlich, blickte Tanza einige Sekunden lang an, und fuhr dann geschäftlich nüchtern fort: »Wann können Sie Ihre erste Vorstellung geben?« »Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, entgegnete Opa ausweichend. »Ich nehme an, in zwei bis drei Tagen kann ich soweit sein.« »Beeilen Sie sich«, bat der Personalchef. »Viel Zeit haben wir nicht. Eine Show ohne die Kauß kostet Geld.« »Welche Quartiere bekommen wir?« »Nehmen Sie die Kabine von Aramore. Sie ist ja jetzt frei.« Er beschrieb ihnen den Weg dorthin. Sie war nicht schwer zu finden. Dann verabschiedete er sich und ließ sie allein. Als er den Ausgang erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und rief ihnen zu, daß er noch ihre Papiere benötige. Pa gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er sich keine Sorgen zu machen brauchte. »Das ging besser, als ich gedacht habe«, sagte Tanza, dem jetzt doch eine gewisse Erschöpfung anzusehen war. »Woran lag es?« »Die Schlangen leben normalerweise kilometerweit auseinander. Jede von ihnen hat ihren Lebensraum. Begegnen sich einmal zwei von ihnen, weichen sie einander sofort aus. Das aber können sie in dem engen Käfig nicht, ohne zugleich den Lebensraum einer anderen Schlange zu berühren. Das hat
H. G. Francis Hallon nicht ausreichend beachtet, und dieser dämliche Assistent hat überhaupt keine Ahnung davon. Jetzt herrscht eine stabile Situation. Wir können uns um andere Dinge kümmern.« Die beiden Männer eilten den Gang zwischen den Käfigen hinunter. Jetzt zeigten sie nur wenig Interesse für die Tiere, die hier untergebracht waren. Tanza blieb nur einmal stehen, um einem Roboter genaue Anweisungen für die Fütterung der Kauß zu geben. Aramores Kabine lag an einem Oval, in dem einige niedrige Pflanzen wuchsen, die offensichtlich von den Anwohnern sorgfältig gepflegt wurden. Vor den anderen Unterkünften saßen einige Männer und Frauen und plauderten miteinander. Sie beachteten Tanza und Folus kaum, als diese die Kabine von Stuff Hallon betraten. Das Appartement bestand aus drei kleinen Räumen, einer Küche und einem Hygieneabschnitt. Stuckey Folus schloß die Außentür hinter sich und legte den Finger an den Mund. Tanza blickte ihn an und glitt dann lautlos auf eine halbgeschlossene Tür zu. Im gleichen Augenblick sprang sie auf, und Ro Batten schoß daraus hervor. Er versuchte, Opa einen Dolch in die Brust zu stoßen und Folus gleichzeitig mit einem Fußtritt außer Gefecht zu setzen. Tanza fing den Arm ab und drehte ihn blitzschnell herum. Der ehemalige Assistent des KaußDompteurs schrie leise auf und ließ die Waffe fallen. Da er Pa verfehlte, verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Opa gab seinen Arm nicht rechtzeitig frei. So knirschte er häßlich, und Batten blieb verkrümmt auf dem Boden liegen. Er hielt sich seinen gebrochenen Arm und stöhnte. »Das werden Sie mir büßen«, erklärte er stockend. Dabei bemühte er sich, wieder auf die Beine zu kommen. Thow Tanza nahm den Dolch an sich und half dem Assistenten auf. Kühl blickte er in das haßverzerrte Gesicht. »Es war nicht meine Schuld, daß Aramore
Das Monstrum von Quinto-Center verunglückte«, sagte er. »Hallon hat Fehler gemacht, die Kauß-Schlangen nun einmal nicht dulden.« »Er hat Sie gesehen, und er hat sich vor Ihnen gefürchtet«, erklärte Batten. »Das hat ihn unsicher gemacht. Warum mußten Sie sich so dicht an den Käfig setzen?« Tanza sah ein, daß eine Diskussion nichts fruchtete. Er schob den Verletzten zur Tür und empfahl ihm: »Gehen Sie zum Arzt. Er flickt Sie wieder zurecht.« Batten wollte ihm ins Gesicht spucken, aber Opa schlug ihm die Tür vor der Nase zu. »Damit habe ich fast gerechnet«, sagte er und ging auf den Raum zu, aus dem der Assistent gekommen war. »Batten hat versucht, herauszubekommen, was zwischen mir und Stuff Hallon war. Das ist ihm nicht gelungen. Wir können also weiterarbeiten.« Nach Pa betrat er den Raum. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß jeder Winkel durchwühlt worden war. Ganz offensichtlich hatte Batten jedoch nichts gefunden. »Er wird es weiterhin für nötig halten, Aramore zu rächen«, meinte Folus. »Wir sollten ihn nicht unterschätzen. Er wird Freunde an Bord haben.« Sie räumten auf und sahen sich dabei an, was sie für wichtig hielten. Viel war es nicht. Opa schnürte die Nachlassenschaft von Stuff Hallon schließlich zu einem Bündel zusammen und übergab es einem Versorgungsroboter.
* Pa kam aus dem Hygienetrakt, als Thow Tanza sich mit Hilfe des Interkoms über die Bordordnung informierte. »Vorsicht«, wisperte Folus. Tanza blickte ihn überrascht an. Pa deutete auf einen Punkt über seinem Kopf. Als Opa seine Augen dorthin richtete, entdeckte er das unscheinbare, braune Insekt, das sich kaum von der Täfelung abhob. Es war so
19 groß wie ein Daumen und besaß dünne, gefächerte Fühler. »Wir können nicht wissen, ob Ro Batten uns diesen Gruß hiergelassen hat«, sagte Folus. Er griff nach seinem Hemd, das über einem Stuhl lag, straffte es zwischen seinen Händen und schlug dann mit aller Kraft zu. Er hörte ein häßliches Knacken, knüllte das Hemd zusammen und warf es in den Müllschacht, wo es desintegriert wurde. »Das war ein wenig voreilig«, tadelte Opa. Die beiden Männer sahen sich an. Pa preßte die Lippen zusammen. Er sah seinen Fehler ein. Sofort begannen sie damit, die Räume des Appartements zu durchsuchen. Sie ließen sich sehr viel Zeit dabei, und ihre Mühe wurde belohnt. Nach nahezu zwei Stunden entdeckte Stuckey Folus ein winziges Mikrophon in einer Deckenleiste. Es sah aus wie ein Gußfehler im Verkleidungsmaterial. Pa rührte es nicht an. Er deutete auf den Punkt und gab Opa damit zu verstehen, daß sein Verdacht berechtigt gewesen war. »Ich habe Hunger«, erklärte Thow Tanza. »Komm, wir gehen in die Kantine. Vielleicht bekommt man da ein saftiges Steak.« »Das wäre möglich. Ich habe gesehen, daß ein Transport von Terrakon herübergekommen ist.« Sie verließen die Räume. Stuckey Folus begrüßte die Artisten im Oval mit freundlicher Geste, während Thow Tanza sie glatt übersah. Alle bisherigen Zwischenfälle und Entdeckungen bewiesen eindeutig, daß die beiden Spezialisten es nicht mit einem kleinen, relativ unwichtigen Gegner zu tun hatten, sondern mit einer finanzstarken Gruppe, die eine Art Kleinkrieg führte. Raumschiffe von der Art wie die COMOTOOMO kosteten allein schon ein Vermögen. Der Zirkus, der nur als Maske diente, unterhielt sich selbst. Außerordentlich groß aber mußten die Aufwendungen für die bisherigen Vorbereitungen der Organisation ge-
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wesen sein. Ein solcher Gegner improvisierte nicht, sondern plante bis in die Einzelheiten hinein. Er mußte militärisch straff arbeiten, wenn er überhaupt Erfolg haben wollte. Bei ihm mußten die USO-Spezialisten damit rechnen, daß es auch so etwas wie eine Sicherheitsgruppe an Bord der COMOTOOMO gab. Diese würde jedes neue Mitglied des Unternehmens genau überprüfen. Vielleicht behielt sie auch alle anderen Männer und Frauen an Bord ständig im Auge. Es war ein Fehler gewesen, das Insekt sofort in den Müllschacht zu werfen. Pa hätte es erst untersuchen müssen. Dann hätte er jetzt gewußt, ob man ihnen einen Miniroboter geschickt, oder ob Ro Batten mit diesem Tier einen Anschlag auf sie geplant hatte. Sie betraten die gut besetzte Kantine und nahmen an einem freien Tisch Platz. Hier konnten sie relativ ungefährdet miteinander sprechen, wenngleich sie auch hier abgehört werden konnten. »Wir sollten dem Sicherheitschef den Vorfall mit Batten melden«, sagte Tanza und gab Folus damit zu verstehen, daß er fest an die Existenz eines solchen Gegners glaubte. »Er hat immerhin versucht, mich zu töten.« »Du hast recht«, stimmte Pa zu. »Wir sollten es tun, bevor er etwas unternimmt. Er wird nicht damit einverstanden sein, daß die Kauß-Nummer durch einen Narren gleich wieder gefährdet wird.« Sie blickten sich an und blinzelten sich unmerklich zu. Opa hatte verstanden. Auch er rechnete damit, daß der Sicherheitschef der COMOTOOMO sie früher oder später testen würde. Er würde sie in eine Situation bringen, die völlig unverfänglich aussah, in der sie jedoch so reagieren mußten, wie es andere Artisten auch tun würden, die ausschließlich an ihrer Arbeit interessiert waren.
4. Ro Batten packte den Mann, der für die
Sicherheit auf der COMOTOOMO verantwortlich war, am Arm. »Hören Sie mir doch zu«, sagte er und warf dem Medoroboter, der ihn versorgte, einen unwilligen Blick zu. Er stemmte sich gegen die Gurte, die ihn auf der Liege hielten. »Mit diesen Männern stimmt etwas nicht. Ich weiß es genau.« »Was wissen Sie, Batten?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Sie haben sie angefallen und immerhin versucht, einen von ihnen zu töten. Wollen Sie behaupten, das hätten Sie nur getan, weil Sie um unser aller Sicherheit fürchten?« »Nein«, gab der Verletzte zu. »Ich hasse Tanza, weil er Stuff auf dem Gewissen hat.« Sein Gesprächspartner zog sich bis an den Ausgang zurück. Dort setzte er sich auf einen Stuhl, schlug die Beine übereinander und stützte den Ellenbogen auf das rechte Knie. Nachdenklich zog er an seiner Zigarette. »Ich bin überzeugt davon, daß Tanza sich alles fein ausgedacht hat. Er hat sich absichtlich so nahe wie möglich an die Arena gesetzt, um Stuff zu verwirren«, fuhr Batten fort. Er preßte die Lippen zusammen und sagte: »Seien wir ehrlich. Stuff hätte nur vor einem Polizisten oder vor einem Mann Angst, der einmal ähnliche Interessen verfolgt hat wie er und den er übers Ohr gehauen hat. Ich verstehe nur nicht, daß er mich nicht informiert hat.« »Sie waren mit Stuff eng befreundet?« »Wir waren Partner.« Der Mann an der Tür lächelte herablassend. »Das ist noch kein ausreichendes Motiv, Batten.« »Das verstehe ich nicht. Was wollen Sie damit sagen?« »Ich finde Ihre Reaktion auf den Tod Stuffs übertrieben. Wer jemanden umbringen will, muß schon einen handfesten Grund dafür haben.« Ro Batten schwieg. Er blickte starr gegen die Decke. Ab und zu zuckte er zusammen, wenn der Roboter seinen Arm berührte.
Das Monstrum von Quinto-Center »Also?« »Lassen Sie mich in Ruhe.« »Ich will wissen, weshalb Sie die Nerven verloren haben, Ro, oder Sie werden sich damit abfinden müssen, daß sich unsere Wege trennen.« Der Verletzte wurde blaß. Er wußte, was die Bemerkung zu bedeuten hatte. »Ihr Weg würde durch den Konverter gehen.« »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, entgegnete Batten heftig. Er hatte schon verstanden. »Also?« »Es ist ganz einfach. Stuff wußte, daß irgendwo auf diesem Planeten ein Behälter versteckt ist, in dem Wertgegenstände enthalten sind, für die wir etwa fünf Millionen Solar bekommen hätten. Er wußte alles. Ich weiß nichts. Das Geld ist weg. Für alle Zeiten. Und das ist die Schuld von Tanza.« Die Gurte fielen von ihm ab. Die gebrochenen Knochen waren verklebt worden. Batten benötigte nur noch eine leichte Stützbinde. »Es muß hier irgendwo Aufzeichnungen darüber geben«, sagte er heftig. »Stuff muß sich doch Notizen gemacht haben.« Der Mann, der für die Sicherheit verantwortlich war, erhob sich. Er ließ seine Zigarette auf den Boden fallen und ging schweigend hinaus. Ro Batten blickte ihm unbehaglich nach. Er wußte nicht, ob er sich richtig verhalten hatte. Niemand hatte ihnen verboten, eigenmächtig auf die Jagd nach Reichtümern zu gehen. Er war sich jedoch darüber klar, daß seine Situation ungünstiger geworden war. Er hatte sich verpflichtet, sich der Disziplin der Organisation zu unterwerfen. Hatte er jetzt so sehr gegen sie verstoßen, daß ihm der Konverter drohte? Ohne Stuff Hallon fühlte er sich unsicher und verloren.
* Busch blickte Tanza erstaunt an. Er schüt-
21 telte den Kopf. »Einen Sicherheitschef? Nein – so etwas haben wir nicht. Wozu sollten wir einen Sicherheitschef haben? Die Schiffsoffiziere sorgen dafür, daß an Bord alles seinen Gang geht.« »Dann ist es ja gut«, erwiderte Opa. »Wir wollten Ihnen den Vorfall nur gemeldet haben. Immerhin ist es nicht ganz alltäglich für uns, daß jemand mit dem Messer über uns herfällt.« Sie nickten dem Personalchef zu und verließen sein Büro. Als sie auf den Antigravschacht zuschlenderten, kam er ihnen nach. »Interessiert Sie das Schiff?« erkundigte er sich. »Ja, warum nicht«, meinte Stuckey Folus zögernd. »Neue Mitarbeiter möchten oft gern wissen, mit was für einem Raumer sie fliegen. Deshalb zeigen wir Ihnen die COMOTOOMO. Wenn Sie wollen, dann … Ich habe gerade Zeit.« Thow Tanza blickte auf sein Chronometer. »Es ist schon spät«, sagte er gähnend. »Mir wäre es viel lieber, wenn wir das morgen machen könnten.« »Das ist mir auch recht. Schlafen Sie gut.« Busch eilte davon. Die beiden Spezialisten stiegen in den Antigravschacht. Sie sahen dem Personalchef nach. Test oder kein Test? Gehörte Busch zu den Eingeweihten, oder war er nur ein Teil der ahnungslosen Truppe? Irgendwo an Bord befand sich ein großes Labor. Sie mußten herausfinden, wo das war und wie es darin aussah. Wußte Busch davon? An Bord der COMOTOOMO gab es Androiden. Tanza hatte bereits einige gesehen, wie sie bleich, haarlos und mit stupidem Gesichtsausdruck einfache Arbeiten verrichteten. Bis jetzt hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, mit einem von ihnen zu sprechen, aber er war fest entschlossen, das zu tun.
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Wieviel Zeit hatten sie noch? Weshalb blieb die COMOTOOMO immer noch auf Smogoon II? Gab es hier mehr zu tun als zirzensische Darbietungen vorzuführen? »Vorläufig verhalten wir uns noch ruhig«, sagte Opa. »Einverstanden«, stimmte Pa zu. »Es hätte wenig Sinn, schon heute etwas zu versuchen. Wir müssen einige Tage verstreichen lassen, sonst erwischen sie uns gleich. Ich würde gern noch einmal nach Terrakon gehen. Ob das möglich sein wird?« »Wir werden Busch fragen, Pa.« Stuckey Folus zündete sich eine Zigarette an. »Verflucht«, sagte er leise. »Mir wäre wohler, wenn ich wüßte, wie weit Ma inzwischen mit den Resten des Androiden ist.«
* 26. 9. 2842 (Erdzeit) Quinto Center. Das monströse Ding, das aus dem Labor geflohen war, hatte nunmehr einen beträchtlichen Umfang. Es entsprach etwa der Masse von drei ausgewachsenen Männern. Dennoch nahm es keine feste Gestalt an, sondern blieb amorph und weitgehend farblos. Es glitt mühelos an der Wand der Kabine hoch, als sei es von jeder Schwerkraft unabhängig. Es glitt durch das Belüftungsgitter hindurch, ohne in seiner Konsistenz verändert zu werden. Dabei teilte es sich in Einzelstränge auf, die durch die kleinen Öffnungen paßten. Unmittelbar hinter dem Gitter vereinigten sie sich wieder und verschmolzen miteinander. Das Ding witterte Protoplasma. Es verspürte einen unbeschreiblichen Hunger, der es immer schneller vorantrieb. Eine dünne Schleimspur blieb zurück, die jedoch schnell rückstandslos abtrocknete, so daß kein Hinweis darüber verblieb, welchen Weg das seltsame Wesen genommen hatte.
Der Luftschacht gehörte zu einem vielverzweigten System, das sich durch ganz Quint-Center fortsetzte und – unterbrochen durch zahllose Sicherheitssysteme – jeden Abschnitt des USO-Zentrums erreichte. Auf seinem Weg zu dem begehrten Protoplasma stieß das Ding mehrfach auf energetische Hindernisse, die es nicht überwinden konnte. Dadurch wurde es zu Umwegen gezwungen. Mit instinktiver Sicherheit fand es jedoch den Weg, der schließlich zum Ziel führte. Es sickerte feucht und farblos aus einem Belüftungsgitter in einen Lagerraum, der mit dehydrierten Fleischportionen gefüllt war. Zwei Männer arbeiteten in dieser Halle. Sie führten chemische Kontrollen durch, um festzustellen, ob das Fleisch sich noch in einwandfreiem Zustand befand und keine Veränderungen erfahren hatte. Keiner von ihnen achtete auf die Flüssigkeit, die aus dem Gitter quoll. Beide waren viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt. Sie hatten einige Plastikbehälter geöffnet und einen Teil des Inhalts in Reagenzgläser geschüttet. Jetzt gossen sie etwas Wasser hinzu und tauchten gefärbte Teststreifen in die aufquellende Masse. Dabei verbreitete sich bereits der Duft appetitlich gewürzten Fleisches. »Das Zeug riecht so gut, daß ich am liebsten einen kräftigen Bissen zu mir nehmen würde«, sagte einer von ihnen. »Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte der andere. »Die ganze nächste Woche kannst du dann Appetithemmer schlucken, um die zusätzlichen Pfunde wieder herunterzubekommen.« Ein Beutel fiel ihm aus der Hand und klatschte auf den Boden. Der Chemiker blickte auf seine Füße und wunderte sich darüber, daß Flüssigkeit hochgespritzt war. »He, Paul, was ist das? Hier stimmt doch was nicht«, rief er. Sein Kollege hatte sich etwas Fleischpulver in die hohle Hand geschüttet und einige Tropfen Wasser hinzugefügt. Jetzt versuchte er mit spitzer Zunge, etwas von dem entstan-
Das Monstrum von Quinto-Center denen Brei aufzunehmen. »Was ist denn?« fragte er. »Ist etwas von dem Zeug schlecht geworden?« Eine Reihe mannshoch aufgestapelter Fleischbeutel trennte ihn von dem anderen Chemiker, so daß er nur dessen Kopf sehen konnte. Sein Kollege starrte ihn mit weit hervorquellenden Augen an. Die Hände fuhren hoch und krallten sich in das Gesicht, als wollten sie eine unsichtbare Faust herunterreißen, die sich über Mund und Nase gelegt hatte. Dann verschwanden Kopf und Hände lautlos. Paul hörte nur einen ganz schwachen Aufprall. Er lachte leise. »Wenn du glaubst, mir mit derart albernen Scherzen den Appetit verderben zu können, Junge, dann hast du dich aber geirrt.« Er schob sich den Brei in den Mund und kaute genießerisch. »Komm schon hoch. Ich finde deine Scherze allmählich albern.« Nichts rührte sich. Jetzt wurde dem Chemiker doch etwas seltsam zumute. Er stemmte sich an den Fleischbeuteln hoch und kletterte über die trennende Mauer hinweg, bis er seinen Kollegen auf dem Boden liegen sehen konnte. Ihm wurde spontan übel. Von dem Schädel und den Händen war nur noch eine rötliche, formlose Masse übrig geblieben. Er übergab sich und fuhr zurück. Einen kurzen Moment saß er ratlos auf dem Fleischberg, dann blickte er sich suchend um. Er mußte Alarm geben. Quint-Center mußte sofort über das Ungeheuer informiert werden, das sich in seinem Innern breitmachte. Zwei Beutelreihen weiter befand sich ein Interkom mit einem Alarmknopf. Er richtete sich auf und zwang sich, nicht nach unten zu sehen. Er wollte dieses grauenhafte Bild nicht noch einmal in sich aufnehmen müssen. Angespannt kauerte er sich zusammen und schnellte sich dann zu dem nächsten Fleischberg hinüber. Aufatmend blickte er zurück. Er war über das Schleimwesen hinweggekommen, ohne von ihm angegriffen
23 worden zu sein. Auf allen vieren kroch er weiter, bis er den Rand erreichte. Hier spannte er abermals alle Muskeln an und sprang zu der nächsten Stapelreihe hinüber. Von unten zuckte blitzschnell so etwas wie ein Tentakel nach oben und schlang sich um seinen Fuß. Als er auf den Beuteln landete, schob sich die feuchte Masse in sein Hosenbein und erreichte die nackte Wade. Der Chemiker stürzte und fiel kopfüber in den sich anschließenden Gang. Dort wartete bereits ein farbloser Fladen auf ihn, der sich von dem Mutterkörper abgeteilt hatte. Er hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter und war zehn Zentimeter hoch. Als sich ihm die Hände des Mannes näherten, streckte er ihnen Tentakel entgegen und packte sie. Zu diesem Zeitpunkt war der Chemiker jedoch schon tot. Das monströse Wesen überzog seinen Körper mit seiner Masse und löste ihn auf. Dann sprengten die gebildeten Tentakel die ersten Beutel mit dehydriertem Fleisch.
* Nancy Chessare machte Dr. Alf Hurton die Hölle heiß. »Rufen Sie Ihre sämtlichen Mitarbeiter zusammen«, befahl sie ihm. »Und schonen Sie die nicht, die jetzt frei haben. Ich möchte alle hier sehen, und zwar sehr schnell.« »Nancy, was versprechen Sie sich davon?« fragte er unwillig. »Es wird sich sehr schnell herausstellen, wer die Präparate weggenommen hat. Vielleicht stehen sie irgendwo in einem Kühlschrank. Das kann auf jeden Fall nur jemand getan haben, der Dienst hatte.« »Sie haben gehört, was ich gesagt habe, Alf«, erwiderte sie noch schärfer. »Ich bin nicht bereit, an einen Scherz zu glauben. Im Gegenteil. Die Tatsache, daß die Kleider Ihres Assistenten hier lagen, er aber ebenfalls verschwunden ist, beunruhigen mich sehr stark. Rufen Sie Ihre Mitarbeiter zusammen, oder ich werde die Sicherheitszentrale be-
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nachrichtigen. Dann haben Sie einige sehr unangenehme Stunden vor sich.« Dr. Alf Hurton fluchte. »Ich habe Sie für ein nettes Mädchen gehalten, Nancy. Machen Sie jetzt nicht so etwas mit mir!« Sie blickte ihn nur stumm an. Er fluchte erneut, ging zu einem Sammelkom und gab seine Befehle durch. Sekunden später erschienen die ersten seiner Mitarbeiter im Labor. »Geben Sie Ihre ID-Karte in den Computer«, befahl Dr. Hurton nach fünf Minuten. »Ich will schnell wissen, wer noch fehlt.« »Das können wir Ihnen auch so sagen«, erklärte einer der Assistenten. Dr. Hurton wehrte mit verärgerter Geste ab. »Ich will's vom Computer wissen«, sagte er. Sekunden später hatten er und Nancy die Informationen, die sie haben wollten. »Zwei Mann also. Warten Sie hier.« Er nahm Nancys Arm und eilte mit ihr durch die Gänge, die sich den Laboratorien anschlossen. Wenig später brach er die Tür zu dem Schlafraum auf, in den auch das Monstrum eingedrungen war. Auf dem Boden lag ein Schlafanzug, der so aussah, als habe unmittelbar vorher noch ein Mann darin gesteckt. »Jetzt gebe ich Ihnen recht, Nancy«, sagte Hurton stockend. Ma drückte einige Knöpfe am Wahlbord des Interkoms. Ein Sicherheitsoffizier meldete sich. »Nancy Chessare«, sagte Ma und schob ihre ID-Karte in den Schlitz des Interkoms. »Quint-Center ist gefährdet. Es gibt einen Gegner hier, über den ich Ihnen vorläufig noch nichts Genaues sagen kann. Bitte, schicken Sie mir sofort jemanden und riegeln Sie den Bereich hermetisch ab.«
* Der Mann war ein Androide. Daran konnte kein Zweifel bestehen. Er stand teilnahmslos am Rande des Trainingsbereichs
und starrte mit leeren Augen auf die KaußSchlangen, die durch den Energietunnel abzogen. Die erste, echte Trainingsstunde mit den Tieren hatte gezeigt, daß Thow Tanza tatsächlich hervorragend mit ihnen umgehen konnte. Die Auswahl gerade dieses Spezialisten für diese Aufgabe hatte sich als besonders günstig erwiesen, zumal sie getroffen worden war, bevor der USO-Computer darüber informiert gewesen war, daß Zirkusunternehmen an der Organaffäre beteiligt waren. Stuckey Folus ging auf den Androiden zu. Der BioRoboter war haarlos, hatte eine weiße Hautfarbe und trug einen stumpfsinnigen Ausdruck zur Schau. Er hatte die Gestalt eines Menschen, war aber keiner, obwohl er über alle Organe verfügte, die ihn zu einem echten Menschen hätten machen können. Ihm fehlte die Persönlichkeit. Er konnte nichts empfinden, weder Trauer noch Freude, weder Einsamkeit noch Unternehmungslust. Er kannte keine Neugierde und konnte sich nicht engagieren. So gesehen, war er weniger als ein Tier. »Was treibst du hier?« fragte Pa. »Nichts. Ich warte.« »Worauf wartest du?« »Ich warte darauf, daß ich etwas tun soll.« Pa musterte den Androiden. »Gut«, sagte er. »Ich habe eine Aufgabe für dich. Du wirst meinen Freund und mich durch das Schiff führen.« »Das ist mir nicht erlaubt, Sir.« »Wir wollen nicht das ganze Schiff sehen. Es genügt, wenn du uns zum Forschungsla …« Eine Hand legte sich auf seinen Mund. Opa klopfte ihm auf die Schulter. »Du kannst doch den armen Jungen nicht so durcheinanderbringen«, sagte er lachend. »Er hat doch keine Ahnung davon, was du willst. Er ist ein Androide. Sinn für Humor darfst du bei ihm nicht erwarten.« Er tippte dem künstlichen Menschen mit der Hand vor die Brust. »Verschwinde, oder ich werde dich an die Kauß verfüttern.«
Das Monstrum von Quinto-Center Der Androide gehorchte. Er drehte sich um und ging. »Du hast recht, Opa. Meine Bemerkung war etwas leichtsinnig.« Die beiden Männer strebten den Ausgängen zu. Tanza rieb sich Gesicht und Nacken mit einem Handtuch ab. »Es hat gut geklappt mit den Schlangen. Wir werden bald in die Vorstellung gehen können.« Aus einer der Türen trat ihnen Busch, der Personalchef, entgegen und begrüßte sie. »Wenn Sie Lust haben, zeige ich Ihnen jetzt das Schiff«, bot er an. »Einverstanden«, erwiderte Stuckey Folus. Ein dreistündiger Marsch durch die COMOTOOMO begann. Tanza und Folus zeigten sich interessiert, so wie es etwa Männer getan hätten, die noch nicht sehr oft mit großen Raumschiffen geflogen waren. Busch zeigte ihnen zahlreiche Abschnitte, ließ jedoch noch weitaus mehr aus. Die beiden Spezialisten taten so, als merkten sie es nicht. »Was ist hier?« fragte Tanza, als sie an der Funkleitzentrale vorbeigehen wollten. »Wir können nicht hinein«, erwiderte Busch und fuhr das Eingangsschott auf. »Wie Sie sehen, arbeiten die Leute am Hyperfunk. Er ist vor einigen Tagen vollständig ausgefallen.« »Das ist sicherlich sehr schlimm für Sie«, sagte Folus mitfühlend. Der Personalchef schüttelte den Kopf. »Wir sind jeden Tag bis auf den letzten Platz besetzt. Solange das der Fall ist, sieht's nicht so schlimm aus.« Er eilte weiter und führte sie in die Hauptleitzentrale, die mit einigen Offizieren besetzt war. Er schien mit ihrer Reaktion zufrieden zu sein. Folus und Tanza waren ebenfalls beruhigt. Sie hatten nur einen flüchtigen Blick auf die Hyperfunkgeräte werfen können. Als Spezialisten, die auch auf dem Gebiet der Hyperfunktechnik trainiert waren, vermuteten sie, daß die COMOTOOMO wenigstens
25 noch zwanzig Stunden für die Reparaturen benötigen würde. Solange waren sie in Sicherheit, denn solange konnte die Schiffsführung auch nichts über das Schicksal der TERKMAS und der ORBAG MANTEY erfahren. Als sie in ihre Kabine zurückkehrten, stellten sie fest, daß diese abermals durchsucht worden waren.
* Tanza machte ein Zeichen mit der Hand. Er deutete mit dem Daumen auf die Tür. »Ich habe Durst«, sagte Stuckey Folus. »Kommst du mit? Ich werde noch ein Spielchen machen und einen Whisky trinken.« Opa antwortete nicht. Er schloß sich dem Freund schweigend an. Als sie im Lift waren, sagte er: »Sie haben noch nicht gefunden, was sie suchten. Offenbar hat Busch uns nicht lange genug aufhalten können. Geben wir ihnen noch eine Stunde.« Er griff nach dem Arm, als sie an dem Bereich der Tiergehege vorbeikamen. »Ich will noch einmal nach den Kauß sehen. Geh schon voraus.« »Ich komme mit.« Zusammen verließen sie den Schacht und durchquerten das erste Schott. Der süßliche Geruch der exotischen Raubkatzen schlug ihnen entgegen. Es war eigenartig still in den Gehegen, obwohl die Tiere unruhig in ihnen auf und abliefen. Tanza und Folus blieben stehen. Sie spürten, daß etwas anders war, als es sein sollte. Pa griff in seine Hosentasche und holte ein Klappmesser hervor. Tanza verzichtete darauf, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Sie bemühten sich, leise zu gehen, als sie über den weichen Boden voranschritten. Sie warfen nur kurze Blicke in die Glassitkäfige zu ihren Seiten, wo zahlreiche gefährliche Raubtiere gehalten wurden, die niemals in die Arena kommen würden, weil niemand sie bändigen konnte. Sie waren nur hier, weil täglich Publikumsführungen durch die
26 Tiergehege veranstaltet wurden und Tiere, die besonders bedrohlich und fremdartig aussahen, sehr beliebt waren. Sie erreichten ein transparentes Zwischenschott. Dahinter lag ein großer, quadratischer Käfig. Von allen Gehegen in diesem Bereich konnten Gänge zu ihm errichtet werden, so daß jedes Tier nach Wunsch dorthin kommen konnte. In der Mitte des Verlieses kauerte ein grauhaariger Mann auf den Knien. Er war offensichtlich nicht Herr seiner selbst. Mit ungelenken Bewegungen versuchte er, aus einer kleinen Bodensenke herauszukommen, aber das gelang ihm nicht, weil er seine Körperbewegungen nicht koordinieren konnte. Tanza wollte das Schott aufstoßen, doch Stuckey Folus hielt ihn zurück. »Vorsicht, Opa. Nicht so eilig«, sagte er mahnend. Er zeigte auf zwei Gänge, die von anderen Käfigen zu diesem Quadrat führten. In ihnen lagen mächtige Raubkatzen, wie sie sie noch niemals zuvor gesehen hatten. Die eine hatte ein dunkelgrünes Fell, mächtige Pranken, armlange und messerscharfe Stacheln auf dem Rücken und ein furchteinflößendes Gebiß. Das andere Tier schien ein Insektenabkömmling zu sein. Wie eine rote Spinne kauerte sie in dem Gang. Körper und Kopf erinnerten jedoch an einen Säbelzahntiger. »Wir müssen etwas tun«, sagte Tanza eilig, »sonst zerreißen sie ihn.« Der grauhaarige Mann blickte furchtvoll zu den beiden Raubtieren hinüber. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Er trug eine zerschlissene Kombination und einen Waffengürtel, in dem jedoch keine Waffe steckte. Dunkle Flecken an seinem Kinn, seinen Augen und seiner Stirn wiesen darauf hin, daß ihn jemand niedergeschlagen hatte. »Das sieht ganz nach einem Mordversuch aus, Opa.« »Das ist es auch.« Tanza blickte sich um. »In meiner Trainingsarena gibt es eine Anlage, mit der man Energiefelder errichten kann. So etwas muß auch hier vorhanden
H. G. Francis sein.« Folus deutete stumm auf eine Schalttafel, die auf der anderen Seite des Käfigs in eine Wand eingelassen worden war. Ein Androide stand dort und blickte mit stumpfen Augen auf den Mann im Quadrat. »Bleib hier, Pa. Ich werde versuchen, dorthin zu kommen.« Folus nickte, während Tanza den Gang zurückeilte und durch das Ausgangsschott verschwand. In diesem Augenblick entschloß sich die Säbelzahnspinne, wie Pa sie nannte, zum Angriff. Der Grauhaarige war auf die Füße gekommen. Aufrecht stand er in der Senke und bemühte sich, aus ihr herauszukommen. Dabei achtete er nicht mehr auf die Tiere. Mit unglaublicher Geschwindigkeit eilte das Spinnenwesen auf ihn zu, während der andere Räuber sich noch zurückhielt. Er bleckte lediglich die Zähne und kroch einige Meter weiter auf das Opfer zu. Stuckey Folus erkannte, daß er nicht mehr länger warten durfte. Er stieß das Schott auf und rannte in den Käfig. Der Mann schrie auf. »Zurück«, mahnte er mit schwerer Zunge. Das Wort war kaum verständlich für Pa, der sich nicht beeindrucken ließ. Mit einem wilden Satz sprang er dem Spinnenwesen in die Seite, klappte das Messer auf und bohrte es ihm in den Nacken. Mit einem gellenden Schrei schleuderte ihn die Bestie ab. Folus stürzte. Er rollte sich blitzschnell über den Boden, sah, daß das Raubtier ihn verfolgte und sprang hoch. Tief geduckt erwartete er den neuen Angriff, die Hand mit der Klinge weit nach vorn gestreckt. Die Säbelzahnspinne preßte sich fest an den Boden. Hoch standen die Kniegelenke ihrer acht Beine nach oben. Ihre mächtigen Kiefer berührten fast die grünen Kunstgrasfliesen. Folus erschauerte, als er die riesigen Reißzähne sah. Er wußte plötzlich nicht mehr, wie er mit dem kleinen Messer gegen diesen Giganten bestehen sollte. Er wagte es nicht, zur Seite zu sehen, obwohl er aus den
Das Monstrum von Quinto-Center Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahrnahm. Die andere Katze schob sich langsam heran. Zwischen ihr und ihm befand sich der halbbetäubte Mann, der so stark schwankte, daß er stürzte. Folus erwartete, daß die beiden Räuber sich dadurch reizen ließen, aber sie verharrten in ihrer Drohhaltung. Warum erschien Tanza noch nicht an der Schalttafel? Warum unternahm der Androide noch immer nichts? Ihm rann der Schweiß in die Augen, aber er wagte es nicht, den Arm zu heben und ihn wegzuwischen. Langsam, zentimeterweise schob er seinen Fuß zur Seite. Er wollte zu dem Mann in der Mulde. Nur dort konnte er ihn gegen die beiden Bestien beschützen. Zugleich bot sich nur dort für Opa eine leichte Möglichkeit, sie gleichzeitig gegen die beiden Tiere abzuschirmen. Er starrte dem Spinnenwesen in die riesigen Augen mit den schmalen, hellen Schlitzen, und er nahm sich vor, das Messer in diese Organe zu stoßen, falls er angegriffen wurde. Er sah ein, daß er das Raubtier nicht töten konnte. Mit dem Messer konnte er ihm höchstens die Haut ritzen, aber nicht mehr. Da hörte er Schritte hinter sich. Jemand schlich sich von hinten an ihn heran. »Ruhig. Ganz ruhig«, sagte eine vertraute Stimme. Er atmete auf. Tanza kam ihm zu Hilfe. Das verringerte die Gefahr ein wenig, aber nicht entscheidend. Besser wäre es gewesen, wenn Opa Energiefelder errichtet hätte. Wenn er auf diesem Wege zu ihm kam, konnte das nur bedeuten, daß alle anderen versperrt waren. Stuckey Folus ging einen Schritt zurück. Die Säbelzahnspinne fauchte. Er sah, daß ihr Blut über den Hals herablief. Zugleich bemerkte er, daß Opa den grauhaarigen Mann erreicht hatte und ihn aufrichtete. Zusammen mit ihm zog er sich bis zum Ausgang zurück. Pa bekam endlich auch die andere Bestie wieder ins Blickfeld. Sie kauerte noch im-
27 mer auf dem Boden und schien sich nicht zu einem Angriff entschließen zu können. »Komm! Schnell!« rief Opa. Stuckey Folus blickte über die Schulter zurück. Nun trennten ihn nur noch etwa fünf Meter von dem rettenden Ausgangsschott, das Opa und der Grauhaarige schon passiert hatten. Er wirbelte herum und sprintete darauf zu. Tanza schrie auf. Pa hörte die scharrenden Schritte der Spinne hinter sich. Er schnellte sich mit riesigen Sätzen auf das Schott zu und sprang kopfüber hindurch. Es schloß sich knallend hinter ihm. Dumpf krachte das Raubtier gegen die Panzerwand. Und jetzt erwachte auch die andere Bestie aus ihrer Zurückhaltung. Sie raste quer durch den Käfig und warf sich mit voller Wucht gegen das Schott, das diesem Ansturm jedoch mühelos standhielt.
5. In Quint-Center erwachte zu dieser Zeit ein anderes »Raubtier« zu immer größerer Aktivität. Das Wesen, das aus einem Gallertkügelchen von kaum einem Zentimeter Durchmesser entstanden war, machte sich mit unersättlichem Hunger über das eingelagerte Fleisch her. Daß dabei erhebliche Wassermengen fehlten, das dehydrierte Fleisch wieder in seine ursprüngliche Form zu bringen, spielte offensichtlich keine Rolle. Das Ding bildete Saugnäpfe, die es an die Lagerbeutel legte, und zerriß sie damit. Sodann überschwemmte es das Fleisch mit seiner Masse und nahm es in Sekundenschnelle in sich auf. Dabei wuchs es deutlich sichtbar an. Als die beiden Chemiker starben, war es noch relativ klein. Eine Stunde später berührten die Ränder des Fladens die Wände der Lagerhalle. Einige Zwischen- und Stützwände der Lagerhalle behinderten das Ding in seiner Ausdehnung. Es bildete mehrere Wülste und preßte sie gegen die Hemmnisse. Das hochverdichtete Panzerplastmaterial zersplitterte wie sprödes Holz.
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* Nancy Chessare atmete auf, als der hochgewachsene, narbengesichtige Mann auf sie zutrat. Sie reichte ihm die Hand. »Mr. Tekener, ich muß zugeben, daß ich ratlos bin«, sagte sie. »Wir wissen bis jetzt nicht, was passiert ist.« Der Stellvertreter Atlans nickte nur. »Ich bin informiert«, erklärte er knapp und blickte sich in dem Labor um, aus dem die Gallertkugeln und die Nährböden verschwunden waren. »Inzwischen habe ich bereits einige Prüfungen durchführen lassen.« Dr. Alf Hurton trat aus der Gruppe seiner Mitarbeiter hervor. »Wir haben eine Theorie entwickelt«, begann er. »Wir halten es für möglich, daß sich aus den Gallertkugeln eigenständiges Leben entwickelt hat.« »Sie meinen, ein amorphes Ding, das Ihre Mitarbeiter umgebracht hat?« »Genau das, Mr. Tekener.« »Haben Sie die Kugeln analysiert?« »Wir hatten damit begonnen, haben bisher aber lediglich feststellen können, daß sie keineswegs als Informationsspeicher dienen, wie zunächst angenommen worden war. Weiter sind wir noch nicht gekommen.« »Sir, wenn die Annahme von Dr. Hurton richtig ist«, bemerkte Nancy Chessare, »dann ist das Ding wild nach organischen Substanzen. Da wir jetzt seit etwa einer Stunde von keinem weiteren Zwischenfall gehört haben, sollten wir die Nahrungsmitteldepots kontrollieren.« »Genau richtig, Nancy«, stimmte der Narbengesichtige zu. »Die Männer sollen Schutzanzüge anlegen und sich zusätzlich mit Individualsphären absichern.« Die Lippen der Spezialistin zuckten. Sie schien die Situation noch nicht für ganz so gefährlich anzusehen wie Tekener, der offensichtlich jedes Risiko ausschalten wollte. »Bilden Sie einen Krisenstab«, befahl der Kosmo-Psychologe. »Unterrichten Sie mich laufend. Ich stelle Ihnen einen Sonderkanal
zur Verfügung, so daß Sie ständig mit mir in Verbindung bleiben können. Falls Sie es als notwendig ansehen sollten, rufen Sie mich.« Ronald Tekener verabschiedete sich und ging mit schnellen Schritten davon. Sie blickte ihn kurz nach. Dann kamen ihre Anweisungen hart und präzise. Sie war entschlossen, das Rätsel so schnell wie möglich zu klären.
* »Das alles ist wohl doch ein bißchen übertrieben«, sagte Sergeant Ulf Freely und schloß die Magnetverriegelung seines Schutzanzugs. Harris hörte seine Stimme über die Helmlautsprecher seiner Ausrüstung. Sie klang jetzt etwas dumpfer: »Mitten in Quint-Center soll sich ein Feind breitmachen, ohne daß wir ihn sofort entdecken? Mann, ich wette, daß alles nur eine Übung ist, mit der man uns auf Trab bringen will.« Harris gab keine Antwort. Er wußte nicht, was er von den Anordnungen halten sollte. Er tat, was man von ihm verlangte, mehr nicht. Seine Vorgesetzten wollten, daß er die Nahrungsmitteldepots durchsuchte. Von Denken hatten sie nichts gesagt. Zusammen mit dem Sergeanten verließ er die Ausrüstungskammer und eilte einen breiten Gang entlang. Aus den Seitentüren kamen weitere Männer in Schutzanzügen hervor, die sich in anderen Richtungen entfernten. Ulf Freely hatte seinen Helm noch nicht geschlossen. So konnte er sich eine Zigarette anzünden und sie genußvoll rauchen. Er bot Harris ebenfalls eine an, doch dieser lehnte ab, da er seinen Helm bereits nach vorn geklappt hatte. Unmittelbar vor dem ersten Schott zur Lagerhalle warf der Sergeant den Rest seiner Zigarette in einen Müllschlucker. Mit einer Geste gab er Harris zu verstehen, daß dieser noch nicht öffnen sollte, bis auch er seinen Schutz vervollständigt hatte. Harris wartete und betätigte dann den Kontakt. Die Schotte glitten lautlos zur Seite. In der Halle
Das Monstrum von Quinto-Center blieb es dunkel. Harris schaltete seinen Helmscheinwerfer an und trat ein. Der Lichtkegel fiel auf eine graue blasige Masse, die vom Boden bis zur Decke reichte. Sie sah starr und hart aus wie gegossener Beton. »Vergiß den Individualschirm nicht«, mahnte Freely. Harris hob die Hand zum Schalter, als aus der grauen Wand etwas hervorgeschossen kam. Eine der Blasen platzte auf, und ein armdicker Bolzen raste blitzschnell daraus hervor. Er traf Harris mit unvorstellbarer Wucht und schleuderte ihn zu Boden. Sergeant Freely wirbelte herum. Er versuchte, im Schutz seiner Individualsphäre zu entkommen, aber ein sichelförmiger Arm packte ihn und riß ihn mit unwiderstehlicher Gewalt gegen die Wand. Freely schrie in Todesangst. Er sah, daß auch Harris gepackt wurde und noch vor ihm in der Masse versank. Verzweifelt versuchte er, seinen Thermostrahler aus der Halfter zu lösen und abzufeuern, aber das gelang ihm nicht. Es wurde dunkel um ihn, als er in das steinharte Material eindrang. Unmittelbar darauf nahm er jedoch ein rötliches Glimmen wahr, das nur von seinem Individualschirm stammen konnte. In seiner ersten Panik war er zu keinem klaren Gedanken fähig. Zu überraschend und zu schnell war der Angriff gekommen. Dann begriff er, daß alle Mahnungen und Warnungen, die sie erhalten hatten, noch untertrieben gewesen waren. Hier war etwas entstanden, das ohne weiteres in der Lage zu sein schien, das bestgehütete Geheimnis der Galaxis von innen heraus zu zerstören. »Harris, Harris?« Er hörte nur ein Stöhnen. Das Schimmern des Schirmes wurde deutlicher und heller. Freely wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Das Ding, in dem er steckte, preßte das energetische Feld mit aller Macht zusammen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie groß die Kraft war, die ihn zu vernichten versuchte. Er wußte nur, daß
29 auch der Individualschirm keinen hundertprozentigen Schutz bot. Würde der Druck zu groß, dann mußte er zusammenbrechen. Es gab nur einen Ausweg. Freely zwang sich mit aller Energie zur Ruhe. Wenn er leben wollte, dann brauchte er Hilfe. Und die konnte nur von außen kommen. »Nancy!« brüllte er mit aller Stimmengewalt in sein Mikrophon. »Nancy, Ma Chessare, hören Sie mich? Nancy, hören Sie mich? Hier spricht Sergeant Freely.« Es knackte in seinen Helmlautsprechern, dann meldete sich die Spezialistin. Eine unendliche Erleichterung erfaßte ihn. Er hatte Verbindung mit der Außenwelt. »Nancy«, rief er. »Ich stecke mittendrin in dem Ding, das aus Ihrem Labor geflohen ist. Es ist jetzt schon so groß, daß es das gesamte Fleischdepot Nr. 18 ausfüllt. Es hat mich gefressen. Nur mein Individualschirm schützt mich noch, aber ich fürchte, nicht mehr lange.« »Beruhigen Sie sich, Sergeant«, antwortete sie. Freely konnte das verhaltene Beben in ihrer Stimme nicht überhören. »Wir werden alles tun, um das Wesen so schnell wie möglich zu töten. Wir holen Sie heraus. Verlassen Sie sich darauf.« »Gehen Sie nicht zu nahe heran, Ma. Das Biest entwickelt plötzlich Arme, mit denen es fürchterliche Keile verteilen kann. Ich …« Er verstummte. Das Leuchten vor seinen Augen wurde so hell, daß der Blendschutz seiner Ausrüstung nicht mehr ausreichte. »Ma«, sagte er stöhnend. »Ich glaube, mein Schutzschirm bricht zusammen.« »Das geht nicht so schnell, Freely«, erwiderte sie tröstend. »Das dachte ich bis jetzt auch«, erklärte er. »Dieses Ding aber hat eine Kra …« Seine Stimme erstarb mitten im Wort.
* Thow Tanza und Stuckey Folus hatten
30 mehr Erfolg bei ihrer Rettungsaktion. Der grauhaarige Mann lag vor ihnen auf dem Boden. Eine transparente, aber absolut feste Wand trennte sie von den beiden Bestien, die sich um ihre Beute betrogen sahen. »Na, Alterchen?« fragte Pa und beugte sich über den Geretteten. »Wie sieht's denn aus?« Der Mann blickte sie unsicher an. Kein Laut kam über seine Lippen. Hinter ihnen öffnete sich das Schott. Etwa zwanzig Männer und Frauen drängten sich aufgeregt herein. Unter ihnen befand sich Busch, der Personalchef der COMOTOOMO. »Was ist hier passiert?« fragte er scharf. »Wir fanden den Mann in der Arena«, erklärte Tanza. »Er war paralysiert worden.« »Stehen Sie auf, Yr!« befahl Busch dem Grauhaarigen. Mühsam erhob er sich. Er schwankte ein wenig, als sei er betrunken. »Wer hat Sie geschockt, Yr? Und wer hat Sie in den Käfig gesperrt?« fragte der Personalchef mit einer Stimme, die seinen ganzen Zorn verriet. Jetzt nahm sein Gesicht wieder harte, markante Formen an. Yr ließ sich jedoch nicht beeindrucken. »Ich weiß überhaupt nicht, was Sie von mir wollen«, entgegnete er mürrisch. »Es ist doch alles in Ordnung.« Er warf Tanza und Stuckey Folus einen bösen Blick zu und schob sich an Busch vorbei. Dieser packte ihn am Arm und riß ihn herum. »Hören Sie zu, Aron Yr«, sagte er drohend. »Jemand hat versucht, Sie umzubringen. Tun Sie jetzt nicht so, als sei nichts vorgefallen.« »So ein Quatsch«, erwiderte Yr und ging mit unsicheren Schritten davon. Folus sah, daß er sich an der Wand abstützen mußte, damit er nicht stürzte. Unmittelbar am Schott traf er mit Ro Batten, dem ehemaligen Assistenten des verunglückten »Aramore« Stuff Hallon zusammen. Die beiden Männer blickten sich flüchtig in die Augen. Dann ging der Grauhaarige stol-
H. G. Francis pernd und fluchend weiter. »Wer ist das, Mr. Busch?« fragte Tanza. »Aron Yr, der Tierfänger«, antwortete der Personalchef. »Er ist einer meiner besten Männer.« »Benimmt er sich immer so seltsam?« »Keineswegs. Er ist sonst die Vernunft selbst. Ich verstehe ihn nicht.« Auf der anderen Seite des Käfigs erschienen einige Männer. Sie hantierten am Schaltkasten. Mehrere Prallfelder entstanden, die zunächst die beiden Raubtiere voneinander trennten und sie dann mit sanfter Gewalt in ihr Gehege zurücktrieben. »Es geschehen eigenartige Dinge an Bord der COMOTOOMO«, sagte Stuckey Folus. »Was wollen Sie damit behaupten?« fragte Busch. »Nichts«, entgegnete Pa. »Ich finde es nur befremdend, daß unsere Räume abermals durchsucht worden sind. Dann kommen wir zufällig hierher und werden Zeuge eines Mordversuchs. Und ist es nicht überraschend, daß das Opfer über seine Rettung gar nicht so glücklich ist? Ich dachte, Yr würde wenigstens ein nettes Wort für mich haben, aber das war ein Irrtum.« »Mir gefällt das alles auch nicht«, erwiderte Busch. »Sind Sie sicher, daß diese Vorgänge nicht in einem direkten Zusammenhang mit Ihnen stehen?« Tanza benutzte die gleiche Formulierung wie Yr: »So ein Quatsch!« Er gab Stuckey Folus einen Wink. Die beiden Männer gingen und ließen Busch zurück. »Wir kommen nicht weiter«, stellte Tanza im Antigravlift fest. »Pa, wir müssen etwas unternehmen. Vielleicht haben wir nicht mehr viel Zeit. Wenn der Hyperkom repariert ist, wird die COMOTOOMO vielleicht von hier verschwinden. Dann sollten wir nicht mehr an Bord sein.« Sie verließen den Lift und betraten die Spielsäle, die gut besucht waren. An allen Tischen versuchten die Gäste aus der Stadt Terrakon ihr Glück. Tanza blickte auf sein Chronometer. Sie
Das Monstrum von Quinto-Center hatten noch zwei Stunden Zeit bis zum Beginn der Abendvorstellung. »Wir müssen verschiedene Dinge auseinanderhalten«, sagte Opa. »Für mich steht noch lange nicht fest, daß zum Beispiel Ro Batten etwas mit der Organisation zu tun hat. Es scheint überhaupt eine Reihe von Nichteingeweihten an Bord zu geben.« »Heute nacht werden wir es versuchen«, antwortete Pa. »Wir werden unsere Kabinen verlassen und uns im Schiff umsehen.« »Es wäre besser, wenn wir jemanden hätten, der uns dabei helfen könnte.« »Warten wir's ab.« Sie setzten sich an einen Tisch, an dem noch mehrere Plätze frei waren. Vier junge Mädchen bemühten sich aufgeregt, den Klick-Stein eines dreidimensionalen Puzzles zu finden. Der Spielleiter gab ihnen amüsiert einige Hinweise, wobei er sich dessen ziemlich sicher zu sein schien, daß sie es in der vorgegebenen Zeit nicht schaffen würden. Es galt, aus etwa zweihundert transparenten und leicht getönten Teilen einen Elefanten zusammenzusetzen. »Dürfen wir Ihnen helfen?« fragte Stuckey Folus lächelnd. Die Mädchen blickten ihn prüfend an. »O ja, machen Sie mit, sonst klappt es nicht mehr«, rief eine von ihnen. Folus nickte dem brünetten Mädchen zu und griff nach dem ersten Stein. Opa beteiligte sich nicht. Er stand nur am Tisch und beobachtete mit griesgrämigem Gesicht die Vorgänge. Stuckey Folus setzte rasch hintereinander vier Steine ein und erntete Jubelschreie der Mädchen. Dann griff er nach einem weiteren Teil. »Noch sieben Sekunden«, sagte der Spielleiter. Pa ließ das Teil wieder fallen, fügte ein anderes ein und nahm es danach wieder auf. Es paßte – und es leuchtete laut klickend auf. Die jungen Damen klatschten vor Vergnügen in die Hände. Sie umringten Pa und redeten auf ihn ein. Thow Tanza zog sich an die Bar zurück, wo er sich einen Whisky bestellte. Er beob-
31 achtete, wie ein Wesen, das aussah wie ein gelbroter Pinguin, an Pas Hose zupfte. Folus blickte sich überrascht um und lachte, als er das kleine Geschöpf sah. Er wollte es auf die Arme nehmen, erhielt jedoch einen kräftigen Schlag auf die Finger. Das dünne Ärmchen, mit dem Folus zurechtgewiesen worden war, verschwand blitzschnell wieder unter dem Federkleid. In diesem Moment erschienen zwei Androiden. Sie nahmen das Wesen auf und schleppten es rücksichtslos weg, obwohl es sich kräftig wehrte. Pa maß dem Zwischenfall offensichtlich keine Bedeutung bei. Er widmete sich sofort wieder den Mädchen, die ihn zu einem weiteren Spiel aufforderten, nachdem eine von ihnen den nicht unbeträchtlichen Gewinn entgegengenommen hatte. Wiederum erschien ein Androide. Er ging auf Stuckey Folus zu und sagte etwas zu ihm. Pa blickte ihn überrascht an und kam mit ihm zu Tanza. »Hast du gewußt, daß wir zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung nicht mehr hier spielen dürfen – und schon gar nicht mit Gästen zusammen?« Opa schüttelte den Kopf. Er rutschte von seinem Barhocker herunter. Der Androide begleitete sie bis zum Antigravschacht. Er wartete, bis sie eingestiegen waren und nach oben schwebten. Drei Stockwerke höher entdeckte Pa das pinguinähnliche Wesen. Er sprang aus dem Lift. Opa folgte ihm. Sie befanden sich in einem der runden Vorräume, die den meisten Liftausgängen vorgelagert waren. Von hier aus gingen mehrere Gänge ab, die zu den verschiedenen Unterkünften der Zirkusmitarbeiter und zu einigen Tiergehegen führten. »He, Kleiner«, sagte Pa und beugte sich zu dem Gelb-Roten hinab. »Was treibst du hier?« »Das geht dich einen feuchten Kehricht an.« »Du bist aber nett«, sagte Pa grinsend. »Wer bist du eigentlich?« »Komm, Stuckey«, mahnte Thow Tanza.
32 »Wir wollen uns nicht unnötig aufhalten. Soviel Zeit haben wir nicht.« »Wer ist denn dieser Opa, Stuck?« »Das ist Thow Tanza, der Kauß-Bändiger.« Das pinguinähnliche Wesen legte den Kopf zur Seite, öffnete seinen Schnabel und stieß ein meckerndes Lachen aus. »Also auch einer von denen, die hier Geld geschenkt bekommen für nichts.« »Du bist ganz schön frech, mein Kleiner«, stellte Folus fest. Er richtete sich auf und wollte Tanza folgen. Da sagte der Gelb-Rote mit erstaunlich klarer Stimme: »Einen schönen Gruß von Yr.« Tanza fuhr auf der Stelle herum. Der Pinguin streckte die Ärmchen aus und winkten den beiden Männern. »Aron Yr will mit euch sprechen«, flüsterte er. »Er wird euch sagen, wann und wo er auf euch wartet. Niemand darf es merken.« »So? Und warum nicht?« erkundigte sich Thow Tanza. »Weil Opa und Pa dann nichts mehr zu lachen hätten«, erwiderte das seltsame Geschöpf leise. Mit funkelnden Augen beobachtete es die beiden Männer. Es sah, wie sie erschraken, und lachte schrill auf. »Was soll das bedeuten?« fragte Pa. Der Kleine tippte ihm mit einem zarten Fingerchen an die Stirn. »Das heißt, daß ich deine Gedanken ganz deutlich lesen kann, Pa.« Folus schüttelte den Kopf. »Wir sind im Zirkus, Freundchen, da wird viel behauptet.« »Wirklich?« »Du könntest mir einen kleinen Beweis deiner Kunst geben.« »Einverstanden. Was willst du wissen? Soll ich dir sagen, daß du verliebt bist über beide Ohren?« Stuckey Folus lächelte. »Das ist nicht schwer zu erraten, nachdem du mich mit den vier Hübschen im Salon beobachtet hast.« »Die meine ich doch nicht, Trottel. Ich
H. G. Francis meine Ma!« Folus und Tanza blickten sich betroffen an. Der Pinguin kicherte. »Du bist hoffnungslos verknallt in sie, stimmt's?« »Du übertreibst, du Kanarienvogel.« Das kleine Geschöpf zeigte sich unbeeindruckt. »Möchtest du gern wissen, was Nancy jetzt treibt?« Stuckey Folus verschränkte unbehaglich die Arme vor der Brust. Thow Tanza zündete sich eine Zigarette an. »Wir verschwinden jetzt besser«, sagte er. »Stuckey, wir haben noch eine Menge zu tun. Die Vorstellung beginnt bald.« »Du bist doch heute nicht dran«, bemerkte der Kleine frech. »Das ist egal. Dennoch muß ich zusehen.« Tanza wollte so schnell wie möglich weg. Er fürchtete, daß das pinguinähnliche Geschöpf tatsächlich über telepathische Fähigkeiten verfügte und mehr über Quint-Center von ihnen erfuhr, als recht war. »Ich habe keine Ahnung, wer Nancy ist«, behauptete Stuckey Folus zögernd. »Du spinnst, Kanarienvogel.« »Nancy ist das dritte Mitglied der Familie und leider noch nicht mit Pa verheiratet.« Folus fühlte, wie ihm schwach in den Knien wurde. »Halt's Maul«, befahl er wütend. Das Geschöpf wackelte mit dem Kopf. »Ich könnte Tränen lachen, wenn ich bedenke, daß du hier bist, und die von dir so geliebte Nancy sich jetzt gerade mit tränenfeuchten Augen um einen anderen kümmert.« Stuckey Folus vergaß schlagartig die Gefahr, die durch die Anwesenheit eines telepathischen Gehirns für sie entstanden war. Nancy – und ein anderer Mann? Undenkbar. »Ich drehe dir den Hals um, du Biest.« »Damit änderst du gar nichts, Pa. Nancy hält nun einmal das Händchen von einem gewissen Dr. Alf Hurton.« »Na und? Das wird sie aus dienstlichen Gründen tun!«
Das Monstrum von Quinto-Center »Dann finde ich es aber seltsam, daß er nur noch seine Socken anhat.« Stuckey Folus schlug zu. Seine Faust flog auf das pinguinähnliche Wesen zu und hätte es eigentlich treffen müssen, aber es duckte sich gedankenschnell und raste dann mit komischen Sprüngen davon. Stuckey Folus wollte ihm folgen, doch Tanza packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. Opa war blaß geworden. »Verdammt, Pa«, sagte er betroffen, »unter diesen Umständen können wir nur noch verschwinden.« Ernüchtert blickte Folus den Freund an.
6. An der Seite von Dr. Alf Hurton erreichte Nancy Chessare den Depotbereich. In diesem Teil von Quint-Center konzentrierten sich die Sicherheitskräfte. Von allen Seiten rückten Männer in Schutzanzügen heran. Nancy eilte den Gang entlang und stieß nach etwa zwanzig Metern auf einen Sperrgürtel, der aus acht schwerbewaffneten Männern bestand. Einer von ihnen trat auf sie zu und schüttelte den Kopf. Ma deutete auf ein offenes Schott, vor dem mehrere Männer mit angeschlagenen Energiestrahlwaffen standen. »Ist es dort?« fragte sie. »Das ist die Stelle, an der Freely und Harris verschwunden sind. Da beginnt die graue Substanz.« Erst jetzt bemerkte Nancy die Feldprojektoren. Um das Ding besser beobachten zu können, hatte man die Schotts nicht geschlossen, sondern ein unsichtbares Prallfeld errichtet. »Kommen Sie, Nancy. Wir besorgen uns Schutzanzüge«, sagte Alf Hurton. Er griff nach dem Arm der Spezialistin. In diesem Moment knackte es in der Wand neben ihnen. Unwillkürlich blieben sie auf der Stelle stehen und blickten sich um. Hurton wich einen Schritt zurück. Er versuchte, Veränderungen an dem Verkleidungsmaterial zu erkennen.
33 »Keine Angst, Nancy«, sagte er mit leicht schwankender Stimme. »Uns kann hier nichts passieren.« »Weiter geht's nicht«, erklärte er. »Besorgen Sie sich sofort einen Anzug, sonst dürfen Sie noch nicht einmal hier bleiben.« Bruchteile von Sekunden später zerplatzte die Wand mit einem ohrenbetäubenden Getöse. In den entstehenden Rissen zeigte sich die graue Masse des monströsen Wesens. Sie quoll zunächst langsam daraus hervor, dann aber sprengte sie das sie einengende Hindernis mit elementarer Wucht auf einer Länge von etwa einhundert Metern. Nancy Chessare, Alf Hurton und die Soldaten wurden von dem Luftdruck von den Füßen gerissen und hinweggewirbelt. Alf Hurton prallte gegen einen stahlharten Pseudoarm des Ungeheuers und verhakte sich mit seinen Kleidern in den unzähligen Krallen, die sich daran befanden. Laut kreischend zerriß der Stoff. Hurton überschlug sich mehrmals, stürzte zu Boden, sah fingerförmige Arme auf sich zukommen und flüchtete in panikartiger Angst weiter. Dabei wurde ihm der Rest seiner Kleidung vom Leib gefetzt. Irgend etwas prallte ihm mit fürchterlicher Wucht gegen den Rücken, so daß er wie ein Geschoß durch den Gang flog und dicht vor dem Eingang zum Antigravschacht auf dem Boden liegenblieb. Er trug nur noch seine Socken. Nancy Chessare stolperte über einen Soldaten, der am Boden lag. Das rettete sie vor einem Tentakel, der in Kopfhöhe über den Gang wirbelte. Dafür traf sie jedoch ein Wulst, der mit nicht weniger Wucht aus einem Spalt an der Wand hervorschnellte. Im ersten Augenblick glaubte sie, ihr Rückgrat sei zerschmettert. Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Dann erhielt sie einen weiteren Stoß, der sie bis an den Antigravschacht trieb. Dort sah sie den Kybernetiker liegen. In ihrem ersten Schreck beugte sie sich über ihn, griff nach seinem Arm und tastete nach seinem Puls. Er lebte noch.
34 »Schnell, bringen Sie ihn weg«, rief sie einigen Soldaten zu, die aus dem Chaos aus Staub, Trümmerstücken und wild schlagenden Tentakeln hervorkamen. »Beeilen Sie sich.« Sie wußte, daß sie absolut nichts tun konnte. Sie sprang in den Liftschacht und ließ sich nach oben tragen. Im nächsten Stockwerk sprang sie wieder heraus und nahm einen Schutzanzug aus einem der Ausrüstungsschränke in der Wand. Danach fühlte sie sich wohler. In ihrem Helmlautsprecher klang die Stimme von Ronald Tekener auf. Sie meldete sich. »Sie werden mir später eine Erklärung dafür geben, weshalb Sie erst jetzt einen Schutzanzug angelegt haben«, sagte Tekener mit eisiger Stimme. »Greifen Sie das Ding sofort an und vernichten Sie es. Sorgen Sie vor allem dafür, daß es keinen Kontakt zu irgendwelchen Stoffen bekommt, mit dessen Hilfe es sich weiter stärken kann.« »Ich werde tun, was ich kann, Sir.« Ronald Tekener schaltete ab. Nancy sah, daß Transport und Medoroboter Dr. Hurton übernommen hatten und wegbrachten. Er hielt die Augen auf. Sein Gesicht war von Schmerzen verzerrt. Nancy nahm einen schweren Desintregratorstrahler von einem Offizier entgegen, der aus dem Antigravschacht kam. »Da unten ist die Hölle los«, berichtet er. »Wir mußten uns vorläufig von dort zurückziehen. Jetzt versucht das Ding, die anderen Depots zu erreichen. Wenn es das schafft, dann wird es so riesig, daß es uns fertigmachen kann.« Ma begleitete den Offizier bis zu einem großen Schott, an dem bereits mehrere Männer auf sie warteten. Jetzt öffneten sie den Zugang zu einem Depot, das bis auf kleine Restbestände leer war. Licht flammte auf. Nancy konnte den Spalt im Boden deutlich sehen. Aus ihm floß eine Masse hervor, die bereits einen Teil der noch vorhandenen Beutel überzogen hatte. Dort, wo sie ihre Beute bedeckte, pulsierte die lebende Sub-
H. G. Francis stanz kräftig. Ihr Umfang wuchs von Sekunde zu Sekunde, ohne daß für Nancy feststellbar war, ob dafür ein Zufluß durch den Spalt im Boden oder das dehydrierte Fleisch verantwortlich war. »Noch hat es uns nicht bemerkt«, sagte der Offizier. Mit befehlenden Gesten verteilte er die Männer über die ganze Breite der Halle. Dann trat er einige Schritte vor, preßte den Kolben seines schweren Thermostrahlers in die Hüfte und löste die Waffe aus. Ein fingerdicker sonnenheller Energiestrahl schoß aus dem Projektor und erfüllte den Raum mit grellem Licht. Die Glut schlug in den Plasmaklumpen, der die Fleischbeutel eingeschlossen hatte. Eine dichte Rauchwolke verfärbte sich und wurde glutrot, sie warf Blasen von mehreren Metern Durchmesser. Obwohl der Offizier Dauerfeuer gab, verlor sich die rote Färbung allmählich wieder. Die Brandblase platzte und einige Hautfetzen wirbelten durch die Luft. Dann bildete sich ein mächtiger Trichter, der die Energieglut in sich aufnahm. »Hören Sie auf«, rief Nancy. »Damit führen Sie dem Ding Energie zu. Sie machen es nur noch stärker.« Die Waffe erlosch. »Wir feuern alle gemeinsam. Geben Sie jedoch nur kurze Feuerstöße ab«, befahl der Offizier. Nancy wollte etwas einwenden, doch es war schon zu spät. Eine Feuerflut aus zwanzig Strahlwaffen schlug dem Ding entgegen und verfärbte es auf einer Länge von etwa zwanzig Metern. Jetzt bäumte es sich auf. Dichte Wolken quollen aus der Masse hervor und versperrten die Sicht. Als sie sich ein wenig lichteten, sah Ma, daß riesige Plasmamassen aus dem Boden hervorquollen und auf sie zubrandeten. »Zurück«, schrie sie. »Schnell. Ziehen Sie sich zurück.« Männer hasteten an ihr vorbei, während sie noch neben dem Offizier stehenblieb. Sie hob ihren Desintegratorstrahler und zielte auf einen Pseudoarm, der sich ihr näherte. Er hatte einen Durchmesser von etwa zwei
Das Monstrum von Quinto-Center Metern und bildete an seinem vorderen Ende armlange Krallen aus. Der grüne Energiestrahl fauchte mitten in die Masse hinein. Im ersten Moment schien sich nichts zu verändern, dann flutete das Ding in wellenförmigen Bewegungen zurück, während sich andere Arme Nancy von zwei Seiten näherten. Der Offizier riß sie mit sich zum Ausgang. Dort blieb sie erneut stehen und schoß abermals. Auch jetzt erzielte sie den gleichen Erfolg. Das Ding zog sich blitzschnell zurück. Dabei konnte Ma jedoch deutlich erkennen, daß sich große Bezirke der Außenschicht auflösten und zu Staub zerfielen. »Das wirkt«, sagte sie erregt. »Das löst es auf.« Niemand konnte sagen, ob das monströse Wesen so etwas wie Intelligenz entwickelte oder nur instinktbewußt handelte. Tatsache war jedoch, daß es ausgesprochen wütend auf den Desintegratorbeschuß reagierte. Es bildete in rasender Eile Hohlräume in seinem Körper und dehnte sich dadurch aus. Sein Volumen wuchs innerhalb von Sekunden um mehr als die Hälfte. Dabei zerplatzten die vertikalen Trennwände wie Papier. Mehrere große Wassertanks zerbrachen. Eine der Hauptwasserleitungen, die ringförmig durch die wichtigsten Stationen herumführten und die zentral gelegene Hauptzentrale, die 38 atomare Kraftwerke und einige andere lebenswichtige Bereiche versorgten, öffnete sich. Das Ding, das bisher unglaubliche Mengen dehydrierten Fleisches, aber nur sehr wenig Flüssigkeit in sich aufgenommen hatte, sog die Wassermengen auf wie ein Schwamm. Dabei gewann es weitere Energie, die es für seine Ausdehnung einsetzte. Nancy und die Soldaten mußten sich fluchtartig zurückziehen, wenn sie nicht zerquetscht werden wollten. Am Ende eines Ganges, wo sie sich sicher fühlte, blieb sie stehen und schaltete ihr Helmfunkgerät ein. Sie sprach das Kodewort und bekam die gewünschte Verbindung mit Ronald Tekener sofort. »Sir«, sagte sie atemlos. »Die einzige
35 wirklich wirksame Waffe scheint der Desintegrator zu sein. Aber allein kommen wir jetzt nicht mehr aus. Wir benötigen die gesamte Abwehrkraft von Quint-Center – oder das Ding macht uns alle fertig.« »Ich habe verstanden, Nancy. Von jetzt an übernehme ich die Leitung. Mir scheint, wir haben das Problem bis jetzt etwas unterschätzt.« Ma atmete auf. Sie war froh darüber, daß Tekener ihr die Verantwortung abnahm. Noch einmal heulten die Alarmpfeifen in Quint-Center auf. Alle anderen Arbeiten wurden eingestellt. Der wichtigste Stützpunkt der United Stars Organisation richtete sich auf den Abwehrkampf gegen ein Wesen ein, das es noch niemals zuvor gegeben hatte.
* USO-Spezialist Thow Tanza rannte auf einen Antigravschacht zu. Stuckey Folus zögerte noch, ihm zu folgen. Er blickte hinter dem pinguinähnlichen Wesen her, das ihnen klargemacht hatte, daß ihre Lage unhaltbar geworden war. Doch er hatte schon zu lange gezögert. Bevor er es töten konnte, war es schon verschwunden. Opa brüllte einen Befehl. Pa fluchte und rannte mit Riesensätzen hinter ihm her. Noch hatten sie wahrscheinlich eine reelle Chance, die COMOTOOMO verlassen zu können. Die Zirkusarena füllte sich bereits mit Zuschauern, so daß in den unteren Bereichen des Schiffes ein Durcheinander herrschte. Tanza riß ihn zu sich in den Antigravschacht. »Das ist so ziemlich das Dümmste, was uns passieren konnte«, stellte er fest. »Hm, Opa, glaubst du, daß Nancy sich wirklich mit einem anderen Kerl …?« »Ich habe jetzt andere Sorgen, als einen verliebten Knaben zu trösten«, antwortete Tanza mürrisch. Stuckey Folus blickte nach oben. Dort wimmelte es von Artisten, die ebenfalls zur
36 Arena hinab wollten. An allen Schachtöffnungen standen weitere Männer und Frauen, die nach einer Lücke in der Kette der nach unten gleitenden Menschen suchten. Eine schier endlos lange Zeit verstrich, bis Pa und Opa den Lift endlich verlassen konnten. Mit Riesenschritten strebten sie den Zugängen zur Arena zu. Von dort aus führten einige Gänge und weitere Lifts zu den Ausgängen, durch die sie das Schiff verlassen konnten. Plötzlich heulten Alarmpfeifen auf. Tanza und Folus hatten einen großen Vorraum erreicht, in dem etwa fünfzig Artisten versammelt waren und miteinander schwatzten. Schlagartig wurde es still. »Was soll denn das?« rief eine jüngere Frau in ihrer Nähe. »Wieso starten wir denn?« »Los«, sagte Tanza leise. »Tempo.« Sie rannten auf einen der Ausgänge zu, ohne sich um die anderen Künstler zu kümmern. »Das ist doch verrückt«, brüllte ein als Clown maskierter Mann. »Die Vorstellung soll doch gleich beginnen.« Jemand stellte Thow Tanza ein Bein. Er stolperte und stürzte zu Boden. »Wo willst du denn hin?« fragte ihn eine Trapezkünstlerin und beugte sich über ihn. Tanza sprang auf und folgte Folus, der einen der Ausgänge erreicht hatte. Die Schotte schlossen sich hinter ihnen. Da blieb Pa an einem Fenster aus meterdicken Glassit stehen. »Zu spät, Opa«, sagte er tonlos. Thow Tanza kam zu ihm. Durch die Öffnung konnten sie in die Arena blicken. Kein einziger Zuschauer befand sich auf den Sitzreihen, die bereits eingefahren wurden. Nichts hätte deutlicher dokumentieren können, daß der Start unmittelbar bevorstand. In einigen der noch bedeckten Abstrahldüsen erwachte bereits das atomare Feuer, denn Folus sah, wie Verkleidungsmaterial in weißer Glut zerfetzt und weggeschleudert wurde. Unter diesen Umständen konnten sie die
H. G. Francis COMOTOOMO nicht mehr verlassen. Sie waren an Bord gefangen.
* Als sie in die Halle zurückkamen, in der eben noch die Zirkusmitglieder gewesen waren, erwarteten sie fünf Androiden. Mit seelenlosen Gesichtern standen die Bio-Roboter vor ihnen. In den Händen trugen sie altertümliche Bolzenschußgeräte, wie sie zum Schlachten der Futtertiere benutzt wurden. Einer der künstlichen Menschen trat auf sie zu und warf ihnen eine kleine Schachtel hin. Sie fiel vor Pa auf den Boden. Er bückte sich zögernd und nahm sie auf. Als er sie in den Händen drehte, entdeckte er eine kleine Taste daran. »Los doch«, drängte Opa. »Drück sie schon runter.« »Es könnte ein übler Trick sein.« »Mit dem Bolzenschußgerät könnten sie uns auch umbringen, wenn sie es wollten.« Pa sah ein, daß Tanza recht hatte. Er drückte die Taste. »Ich habe damit gerechnet, daß Sie versuchen würden, von Bord zu gehen, nachdem Sie mit Pong gesprochen haben«, erklang eine Stimme, die ihnen vertraut vorkam. »Sie haben sich zu spät zur Flucht entschieden. Kommen Sie deshalb sofort zu mir. Folgen Sie den Androiden. Sie werden sie führen.« »Au«, sagte Pa und ließ das Kästchen fallen. Rauch kräuselte daraus hervor. Dann knallte es. Das Tonbandgerät verbrannte zu Asche. »Werden Sie mit uns gehen?« fragte einer der Androiden. »Wir kommen«, antwortete Thow Tanza. Der Androide gab den anderen einen Wink. Sie steckten die Waffen weg und entfernten sich durch eine Nebentür, die weder Pa noch Opa bis dahin aufgefallen war. Sie schritten nachdenklich hinter dem BioRoboter her, der ihnen die Nachricht übermittelt hatte. Er führte sie zu einem schmalen Antigravschacht, in dem nur ein
Das Monstrum von Quinto-Center Mann zur Seite nach oben schweben konnte. Er flog ihnen voran. Folus schätzte, daß sie etwa siebzig Meter zurücklegten, bis sie auf einen Vorraum hinaustraten. Drei SinoTerraner saßen meditierend auf dem Boden. Ein kleines Räuchergefäß stand zwischen ihnen und produzierte einen süßlichen Geruch. Die drei phantasievoll gekleideten Männer blickten durch sie hindurch, als seien sie nicht vorhanden. Über einen breiten Gang kamen sie weiter voran. Hier waren zahlreiche Künstler untergebracht, von denen einige vor ihren Unterkünften trainierten. Stuckey Folus machte einem zwergenhaften Wesen undefinierbarer Herkunft Platz, der mit einem Swoon seine Scherze trieb. Dabei wäre er fast mit einem titanenhaften Ertruser zusammengeprallt, der im Rahmen eines gymnastischen Programms einen Flick-Flack turnte. Der Riese konnte seinen Schwung beim abschließenden Salto nicht ganz abfangen und landete mit ohrenbetäubendem Getöse in der offenen Tür eines Jongleurs, der mit Hilfe eines verborgenen Antigravgerätes mit dünnflüssigen Farben übte. Bei dem Zusammenprall geriet seine mühsam aufgebaute Trainingsordnung durcheinander. Die Farbbälle und schleier zerplatzten und ergossen sich über den Kopf des Ertrusers. Stuckey Folus hörte das Gebrüll des Ertrusers, das Protestgeschrei des Jongleurs und das schadenfrohe Gelächter der anderen Artisten – und floh eilig hinter Tanza und dem Androiden her. Sie hatten es nicht mehr weit. Schon nach etwa fünfzig Metern erreichten sie eine feuerrote Tür. Der Androide blieb stehen. »Hier ist es«, sagte er und legte seine Hand auf den Öffnungskontakt. Pa sah als erstes das pinguinähnliche Wesen. Unwillkürlich trat er einen Schritt vor, aber Tanza packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. »Immer mit der Ruhe, Pa. Du wirst doch Pong nicht den Hals umdrehen wollen?« Sie betraten einen halbkreisförmigen Raum. Auf dem Boden stand eine Schale
37 mit glühender Kohle. Auf einem Rost brutzelten drei große Steaks. »Sie kommen gerade recht«, sagte Aron Yr, der Mann, dem sie das Leben gerettet hatten. »Mögen Sie das Steak blutig oder lieber medium?« »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann hätte ich lieber Pong gegrillt«, antwortete Stuckey Folus, »aber, bitte, vorher gerupft!« »Scheusal«, schrie das pinguinähnliche Wesen schrill und schleuderte ein Ei nach Pa, der es jedoch geschickt abfing. »Nehmen Sie doch Platz«, bat Yr. »Es spricht sich leichter, wenn man sitzt.« Tanza und Folus folgten der Aufforderung. Beide hätten nicht erwartet, an Bord dieses Schiffes einen Raum wie diesen vorzufinden. Daß sich jemand sein Essen selbst herrichtete, war schon ungewöhnlich. Aron Yr verzichtete darüber hinaus aber auch auf die sonst übliche Plattenbeleuchtung und benutzte dafür Wachskerzen. An den Wänden hingen so viele Jagdtrophäen, daß die einzelnen Stücke schon nicht mehr auseinanderzuhalten waren. Auch auf dem Boden lagen Tierfelle, Knochen, Zähne, Geweihe, Krallen und Federn herum, so daß für die beiden Gäste des Grauhaarigen nicht viel Raum blieb. Yr deutete auf einen winzigen Monitorschirm, der zwischen zwei gescheckten Fellen zu erkennen war. »Sehen Sie«, sagte er. »Die COMOTOOMO hat sich schon weit von Smogoon II entfernt. Jetzt ist es zu spät für Sie.« »Ich verstehe nicht ganz, was das alles soll«, sagte Tanza aggressiv. »Es wird Zeit, daß Sie sich einmal klar äußern.« »Soll ich das?« Der Alte schien maßlos überrascht zu sein. Er nahm ein Steak vom Rost, legte es auf ein Holzbrett und reichte es Stuckey Folus. »Ich bitte darum«, erwiderte Pa. »Nun gut. Ich weiß, daß Sie USOSpezialisten sind.« Er lächelte hintergründig und weidete sich an ihrer Überraschung. »Pong hat es mir verraten.« Da weder Folus noch Tanza etwas sagten,
38 fuhr er fort: »Irgendwann mußte ja etwas passieren. Ich habe damit gerechnet, daß Männer wie Sie hier erscheinen. Ich habe es gehofft.« Er blickte Pa erstaunt an. »Sie essen ja gar nicht. Mögen Sie mein Steak nicht. Es ist aus dem Rückenpanzer einer Lach-Spinne.« Folus schob das Brett zurück. »Ich warte lieber noch einen Augenblick«, entgegnete er und schluckte mühsam. »Wissen Sie, Spinnen waren noch nie meine Spezialität.« »Wie Sie meinen.« Aron Yr reichte Tanza ein Stück Fleisch, bediente sich dann selbst und aß laut schmatzend. »Es schmeckt wirklich vorzüglich.« Opa probierte ein kleines Stück – und griff dann kräftig zu. Jetzt tat Folus es ihm gleich. Er schob sich ein großes Stück in den Mund, schnitt ein kleineres ab und bot es dem pinguinähnlichen Wesen an. »Ich esse nichts von einem Tier, das sich ausschließlich von Würmern ernährt«, rief Pong empört und verkroch sich in einer Ecke. Pa wurde blaß. »Von Würmern?« fragte er und schob das Holzbrett abermals zurück. »Für mich ist das Endergebnis entscheidend«, erklärte Yr mit vollem Mund. »Was die Spinne gefressen hat, ist mir gleich.« Pa brachte es nicht fertig, seine Abneigung gegen das Fleisch zu überwinden. Mit bleichem Gesicht beobachtete er die beiden Männer, die mit offensichtlichem Genuß aßen. Aron Yr starrte ihn an. »Ich bin Tierfänger«, berichtete er. »Seit vierzig Jahren arbeite ich für diesen Zirkus, doch seit einiger Zeit geht hier etwas vor, was nicht in Ordnung ist. Ich weiß nicht, was es ist, aber es paßt mir nicht. Deshalb habe ich Sie rufen lassen. Ich möchte Ihnen helfen, den Laden auffliegen zu lassen.« »Was können Sie uns an Informationen geben?« fragte Pa.
H. G. Francis »Nicht viel«, gab Yr zu. »Oder besser, praktisch nichts. Aber ich kann Sie durch das Schiff führen, ohne daß Sie entdeckt werden. Es gibt hier ein großes, geheimes Labor. Das dürfte für Sie interessant sein.« Folus warf Pong einen Blick zu. Aron Yr machte eine beruhigende Geste. »Er verrät Sie nicht«, sagte er. »Viel gefährlicher ist Ro Batten, der Assistent von Aramore. Er ist Ihr erklärter Feind und meiner dazu. Er hat versucht, mich umzubringen – und er wird Sie auch noch in eine Falle locken. Ich wünsche Ihnen nur, daß Sie dann soviel Glück haben wie ich.«
* Die GERAKINI befand sich in einer Kreisbahn um den Planeten Smogoon II. Die Alarmpfeifen heulten, als die COMOTOOMO vom Raumhafen Terrakon startete. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kommandant Corm Damagger nicht in der Hauptleitzentrale. Er traf dort erst einige Sekunden nach dem ersten Alarmzeichen ein. »Die COMOTOOMO startet«, rief der Cheffunker. Der Kommandant eilte zu den Ortungsgeräten, obwohl er auf dem großen Hauptschirm beobachten konnte, wie sich das Zirkusschiff durch die Wolken über Terrakon schob. »Sie beschleunigen mit Höchstgeschwindigkeit«, sagte der Waffenleitoffizier. »Das ist schon fast nicht mehr zu verantworten. Sie …?« Er blickte Damagger fragend an. »Abschießen?« Der Kommandant zögerte. Er wußte, daß Stuckey Folus und Thow Tanza an Bord sein mußten. Wäre es ihnen gelungen, das Schiff rechtzeitig zu verlassen, hätte er Nachricht bekommen. »Nein«, entschied er. »Nicht schießen.« »Sir! Dann entwischt es uns.« »Wir versuchen, es aufzuhalten.« Doch er wußte, daß es schon zu spät dafür war. Die COMOTOOMO jagte mit schnell
Das Monstrum von Quinto-Center wachsender Geschwindigkeit auf die Grenzen des Kalvey-Systems zu. Dennoch gab er den Startbefehl. Die GERAKINI nahm die Jagd auf, obwohl die Chancen minimal waren. Auch sie beschleunigte mit den größtmöglichen Werten. Doch es war zu spät. Der Vorsprung des Zirkusschiffes war bereits zu groß. Bevor Damagger eingreifen konnte, ging es zum überlichtschnellen Flug über und verschwand im Linearraum, wo sie ihm nicht mehr folgen konnten. »Geben Sie sofort die entsprechenden Meldungen raus«, befahl der Kommandant. »Informieren Sie Quint-Center darüber, daß uns die COMOTOOMO entwischt ist.«
7. Nancy Chessare wurde sich plötzlich dessen bewußt, daß sie völlig allein war. Eben noch hatte sie mitten in einer Gruppe von Offizieren gestanden und den Abwehrkampf gegen das monströse Wesen besprochen. Dann aber hatte sie sich einige Schritte von ihnen entfernt. Und jetzt war sie allein. Sie kämpfte die aufsteigende Panik nieder und zwang sich zur Ruhe. Rasch eilte sie einen Gang entlang, der sie zu den anderen zurückführen mußte. Sie war noch keine zehn Schritte gegangen, als die Wand zu ihrer Rechten aufplatzte, und sich eine blasige, graue Masse über den Gang ergoß. Sie schien zunächst zähflüssig, erstarrte dann aber sehr schnell. Unter ihrem Druck bildeten sich Risse im Boden und Decke. Langsam schob sich die Substanz auf sie zu. Nancy wirbelte herum und floh in der entgegengesetzten Richtung davon. Sie kam jedoch nur etwa dreißig Meter weit. Unmittelbar bevor sie eine Abzweigung erreichte, explodierte die Wand zu ihrer Linken. Splitter des hochverdichteten Materials prasselten gegen ihren Schutzhelm. Ma versuchte einen Durchbruch. Sie wollte sich mit einem Hechtsprung in den sich anschließenden Gang retten, doch der graue
39 Brei quoll so schnell durch die Öffnung heraus, daß sich die Lücke zu früh für sie schloß. Ratlos blieb Ma stehen und blickte sich um. Von beiden Seiten rückte das Monstrum an sie heran. Die Hautoberfläche sah blasig aus. Unter ihr wirbelten Knötchen und Flecken herum und bildeten an vielen Stellen vielfarbige Verfärbungen. Vereinzelt schoben sich tentakelartige Arme hervor, deren Enden suchend über die glatten Flächen des Ganges glitten. Nancy schluckte. Sie hob den Desintegrator und löste ihn auf die Stelle aus, die sie für die günstigste hielt. Das Protoplasma löste sich sofort zu Staub auf, während die Oberfläche in wilde Bewegungen geriet. Das Ungeheuer schien Schmerzen zu verspüren. Ein Trichter bildete sich, in dem der grüne Desintegratorstrahl verschwand. Doch damit war in diesem Fall nichts zu machen. Wenn das Monstrum die Strahlung tiefer in seinen Körper hineinließ, dann erreichte es damit nur, daß andere Bereiche zerstört wurden. Nancy schwenkte die Waffe hin und her. Sie wollte auf jeden Fall vermeiden, daß ihr unheimlicher Gegner einen Tunnel in seinem amorphen Körper bildete, durch den der Vernichtungsstrahl hindurchschoß, um wirkungslos auf der anderen Seite auszutreten. Besorgt blickte sie auf die Energiekammer. Sie konnte es sich nicht leisten, Dauerfeuer zu geben. »Achtung – hier spricht Chessare«, rief sie in ihr Mikrophon. »Ich bin eingeschlossen. Ich befinde mich auf dem Gang RT336/BG und versuche, mir das Biest mit dem Desintegrator vom Leibe zu halten. Bis jetzt klappt es noch, aber das Magazin meiner Waffe ist nur noch halb voll.« Eine harte Stimme meldete sich. »Wir haben Sie gehört, Nancy. Halten Sie durch. Wir holen Sie schon heraus.« »Okay – ich schaffe es schon, Sir.« Sie lauschte der Stimme nach, während es
40 ihr kalt über den Rücken heraufkroch. Sie hatte ein Gespür für Zwischentöne. Deshalb hatte sie auch herausgehört, daß ihr Gesprächspartner selbst in erheblichen Schwierigkeiten steckte. Was war passiert? Dehnte sich das Ungeheuer so schnell aus, daß es nicht mehr zu bändigen war? Jetzt mußten doch längst Kampfroboter an allen Fronten eingesetzt worden sein. Sie war überzeugt davon, daß Ronald Tekener keine halben Sachen machte, sondern sofort mit den stärksten Waffen angriff, um radikal aufzuräumen. Quint-Center war in akuter Gefahr. Da blieb keine Zeit für halbherzige Mittel. Ein Stoß traf sie in den Rücken und warf sie zu Boden. Im Fallen drehte sie sich um. Zwei mächtige Tentakel glitten suchend über sie hinweg. Noch schien das Wesen keine visuellen Wahrnehmungsorgane ausgebildet zu haben und sich aufs Tasten zu verlassen. Aber es schien, als ob es geradezu unheimlich schnell lernte. Nancy riß ihre Waffe hoch und trennte die beiden Tentakel mit dem Energiestrahl ab. Die Stücke fielen dumpf auf den Boden herab. Sie atmete auf, weil sie glaubte, sich ein wenig Luft verschafft zu haben. Doch dann schrie sie auf. Sie sah, daß die beiden Stücke ein eigenständiges Leben entwickelten. Sie waren nicht tot, sondern breiteten sich zu fladenförmigen Gebilden aus, die in wellenförmigen Bewegungen über den Boden krochen. Sie näherten sich ihr! Nancy schaltete den Schutzschirm ihres Anzugs an. Ein kaum wahrnehmbares Flimmern umgab sie. Keine Sekunde zu früh. Die beiden Einzelwesen zerflatterten zu schleierartigen Gebilden und bäumten sich gleichzeitig auf. Dabei vereinigten sie sich und verschmolzen ineinander. Im nächsten Moment umschlossen sie das Mädchen vollkommen. Sie erwartete, daß sie sich am Energieschirm verbrennen würden, aber das war nicht der Fall. Nancy beobachtete, was um sie herum ge-
H. G. Francis schah. Die Hauptmasse des Monstrums war jetzt vergessen, als sie erkannte, daß die beiden Einzelwesen den Energieschirm zusammenpressen wollten. Sie lächelte. Sie fühlte sich sicher. Sie war fest davon überzeugt, daß ihren Feinden das nicht gelingen würde. »Sir, hier spricht Nancy Chessare«, sagte sie gefaßt. »Haben Sie Geduld, Nancy«, bat der Offizier. Sie erkannte ihn an seiner Stimme. »Wir sind auf dem Wege zu Ihnen.« »Ich melde mich nicht, weil ich ungeduldig bin«, erwiderte sie, », sondern weil ich eine interessante Beobachtung gemacht habe, wie ich meine. Das Wesen kann Einzelteile abspalten, die unabhängig von ihm leben und handeln können. Zwei von ihnen versuchen gerade, mich umzubringen, aber sie werden es nicht schaffen.« »Einzelteile?« Ihr Gesprächspartner schien überrascht zu sein. »Das ist eine interessante Information, Nancy.« Er bedankte sich und schaltete ab. Wieder lauschte Ma der Stimme nach, und wieder beschlich sie ein unheimliches Gefühl. Sekundenlang wußte sie nicht, warum, aber dann dämmerte es ihr. Sie erkannte mit einem Schlage, warum der Offizier ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Das monströse Wesen hatte seine unheimlichen Fähigkeiten längst auch an anderen Orten bewiesen. Eine grauenhafte Vision entstand vor ihren Augen. Sie sah Tausende von fladenförmigen Einzelwesen, die sich von dem Ungeheuer abspalteten und Quint-Center überfluteten. Sie sah sie bis in die geheimsten Winkel des USOZentrums vordringen und alles Leben vernichten. Einen einzigen Gegner konnte man wirkungsvoll bekämpfen. Konnte man aber auch einen Feind besiegen, der sich plötzlich in eine Armee aus Einzelwesen aufspaltete, die durch Risse, Spalten und Fugen, durch Schloßöffnungen, Belüftungsschächte überall hinkommen konnten?
Das Monstrum von Quinto-Center In einem Anflug von wildem Zorn feuerte Nancy um sich und befreite sich von der grauen Substanz, die sie umgab. Sie schoß in blinder Wut in die Wand hinein, die unaufhaltsam näherrückte. Damit änderte sie nur wenig. Sie zerstörte zwar große Teile der grauen Oberfläche, aber sie änderte nichts daran, daß der Brei ihr unaufhaltsam näherrückte. Sie sah sich um. Jetzt blieb ihr nur noch ein freier Raum von etwa zwei Metern. Falls nicht innerhalb der nächsten Minute etwas zu ihrer Befreiung geschah, würde sie das gleiche Schicksal erleiden wie der Sergeant, der mitsamt seinem Schutzanzug aufgesogen worden war. Unter dem ungeheuren Druck würde selbst ihre Individualsphäre zusammenbrechen. Nancy schrie. Sie verlor die Kontrolle über sich und feuerte panikerfüllt um sich.
* »28. 9. 2842«, murmelte Thow Tanza und ließ den Arm sinken. Er strich mit dem Daumen über sein Chronometer, das beschlagen zu sein schien. »Und was passiert.« »Abwarten«, sagte Stuckey Folus. Er ging zum Automaten und zapfte sich einen Kaffee ab. Die COMOTOOMO befand sich noch immer im Linearraum. Vor wenigen Minuten waren die beiden Männer in ihre Unterkunft zurückgekehrt. Sie blieben nicht lange allein. Der Summer an der Tür ertönte. Pa öffnete. »Sie, Yr?« fragte er überrascht. Der Tierfänger schob sich eilig herein und schloß die Tür hinter sich. »Ich habe mit Ihnen zu reden«, erklärte er. »Eben habe ich erfahren, daß das Schiff den Linearraum verlassen wird. Der Hyperfunksender ist wieder ausgefallen. Wahrscheinlich wird der Kommandant irgendwo zwischen den Sternen darauf warten, daß die
41 Apparatur endgültig repariert wird.« »Was tun wir jetzt?« fragte Pa. Aron Yr setzte sich. »Geben Sie einen Kaffee aus. Aber, bitte, keinen Zucker und keine Milch. Nur etwas Rum. Das genügt.« Folus reichte dem Alten, was er wünschte. »Was passiert jetzt?« fragte er. »Weiß der Teufel«, entgegnete der Tierfänger düster. Er schlürfte den Kaffee mit spitzen Lippen. »Zunächst einmal werden Sie Busch erklären müssen, weshalb Sie so überstürzt von Bord gehen wollten. Und Ro Batten wird auch neugierig sein.« »Wir werden eine vernünftige Erklärung finden«, versprach Opa. »Was ist mit Batten los?« »Er gehört zu den neuen Leuten«, antwortete Yr bereitwillig. »Er hat irgend etwas zusammen mit Aramore auf Smogoon II getrieben, und er glaubt, daß ich ohne sein Wissen mit Aramore verhandelt und ihn dabei betrogen habe.« Er deutete mit der Kaffeetasse auf Pa. »Das glaubt er übrigens auch von Ihnen.« »Er irrt sich.« »Mag sein, aber das ist nicht mein Problem, sondern Ihres.« »Weiter. Was geschieht?« »Seien Sie nicht so ungeduldig, junger Mann«, wies Yr Folus zurecht. »Wir werden sehr viel Zeit haben.« »Wie meinen Sie das?« »Ich habe erfahren, daß es ziemlich schlecht mit der Hyperfunkanlage aussieht. Der Kommandant scheint mit wenigstens zehn Tagen für die Reparatur zu rechnen.« Er grinste. »Ihnen steht also eine harte Zeit bevor, USO-Spezialist.« »Wir wissen, daß wir hier in der Falle sitzen«, sagte Stuckey Folus ärgerlich. »Sie brauchen uns nicht darauf hinzuweisen.« Aron Yr zündete sich genüßlich eine Zigarette an. »Zunächst wird die Zirkusleitung sich etwas einfallen lassen müssen. Sie muß erklären, weshalb es zu dem überstürzten Aufbruch gekommen ist. Die Artisten sind unru-
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H. G. Francis
hig und rebellisch. Man wird also zunächst einmal damit beschäftigt sein, sie zu beruhigen. Später wird man dann für sie mehr Zeit haben.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Eine Stunde noch«, sagte er. »Dann werde ich Sie zum Labor führen.«
* Eine Stunde war nahezu verstrichen. Zu Yrs Überraschung hatte Stuckey Folus sich auf eines der Betten gelegt und geschlafen. Er wachte eine Minute vor Ablauf der Frist auf und war sofort frisch. »Was ist, Alterchen?« fragte er provozierend. »Wollen wir hier noch ein paar Tage herumhocken, oder geht es jetzt los?« Aron Yr erhob sich wortlos und gab ihnen einen Wink. Er öffnete die Tür und verließ ihre Unterkunft. Sie folgten ihm. Auf dem Gang standen zahlreiche Artisten herum und diskutierten erregt miteinander. Sie hatten sich noch immer nicht beruhigt, zumal die Schiffsführung noch keine Erklärung für den überhasteten Aufbruch gegeben hatte. Es schien sehr viele Uneingeweihte an Bord zu geben. Nur ein geringer Teil der Besatzung schien zu der Organisation zu gehören, der Pa und Opa das Handwerk legen wollten. Niemand achtete auf die drei Männer, als sie sich durch die Menge schoben. Schon sehr bald merkten Tanza und Folus, daß der Tierfänger sich wirklich sehr gut an Bord auskannte. Er benutzte Seitenverbindungen und Nebengänge, von deren Existenz nur jemand etwas wissen konnte, der schon sehr lange auf diesem Schiff lebte. Auf diese Weise drangen sie bis in den Triebwerksteil vor, der ihnen normalerweise versperrt war. Nur wenige Männer arbeiteten hier. Die meisten Aufgaben wurden von Robotern erledigt. Niemand achtete auf sie, und niemand hielt sie auf. »Wir gehen nach unten?« fragte Tanza. »Warum?« »Die Labors liegen doch weiter oben.
Sagten Sie das nicht?« fügte Pa hinzu. Aron Yr blieb stehen. Sie hatten einen Rundgang erreicht, der auf der einen Seite durch Glassitwände abgegrenzt wurde. Durch sie hindurch konnten sie auf die mächtigen Antigravprojektoren herabsehen, die beim Start und bei der Landung des Schiffes eingesetzt wurden. »Ganz richtig«, erwiderte der Tierfänger. »Wir müssen jedoch einen Antigravschacht erreichen, der seinen Zugang hier unten hat. Er führt bis in die Spitze des Schiffes hoch und bringt uns dabei bis in die unmittelbare Nähe der Laboratorien. Werden Sie nicht ungeduldig. Es wird schwer genug sein zu erklären, was wir hier treiben, wenn wir erwischt werden.« Sie ließen sich von einem Band davontragen, sprangen aber schon bald wieder ab und schlüpften durch eine winzige Tür in eine Reparaturkammer, in der ein buckliger Mann an einem Werkstück arbeitete. Aron Yr wechselte hastig einige Worte mit ihm. Er starrte Tanza und Folus neugierig an, grinste und ließ sie passieren. Endlich kamen sie zu dem erwähnten Antigravschacht. Yr überprüfte ihn und stieg dann als erster hinein. Rasch glitten sie nach oben. Sie konnten die ganze Röhre überblicken. Sie war matt erhellt. Niemand sonst ließ sich in ihr transportieren. Unmittelbar bevor sie den Laborbereich berührten, glitt über ihnen jemand in den Schacht. Yr drängte sie sofort zum nächsten Ausgang hinaus. Er war erregt. »Warten«, flüsterte er und blickte sich besorgt um. Folus hörte die Stimmen einiger Männer hinter den sich anschließenden Schotten. Bange Minuten verstrichen, bis Yr den Weg endlich freigab. Es ging nur etwa zwanzig Meter weiter, dann verließen sie den Schacht erneut. Lautlos eilten sie über einen mit Teppichen belegten Gang bis zu einer kleinen Tür, die in eine winzige Kammer führte. Zwischen abgestellten Reinigungsgeräten blieben sie stehen. Der Tierfänger schloß die Tür hinter ihnen. Dann
Das Monstrum von Quinto-Center hantierte er an der Wand und nahm eine der Verkleidungsplatten ab. Ein Schacht öffnete sich, der gerade groß genug war, einen Mann hindurchzulassen. Ohne Erklärung kroch Yr hinein. Pa und Opa blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Mühsam bewegten sie sich vorwärts, bis sie einen Verteiler erreichten, an dem mehrere Schächte zusammenliefen. Yr wies Opa an, sich in einen waagerecht abzweigenden Gang zu begeben, schob sich selbst in einen anderen hinein und nahm dann im Verteiler selbst eine Bodenplatte heraus. Helles Licht fiel durch die entstandene Öffnung herein. Stuckey Folus blickte durch das Loch. Er konnte schräg in ein großes Labor hinabsehen, in dem etwa zwanzig Männer und Frauen arbeiteten. Unmittelbar unter ihm lag ein Androide, der von einem dunkelhaarigen Mädchen in seine Einzelteile zerlegt wurde. Sein Kopf wurde von einem Tuch bedeckt. Pa erschauerte, als er die leere, ausgeschlachtete Hülle des menschlichen Körpers sah.
* »Nancy – bewahren Sie die Ruhe«, rief eine männliche Stimme. Ein ungeheuere Gelassenheit ging von ihr aus, die augenblicklich auf sie überstrahlte. »Ich bin schon okay, Mr. Tekener«, antwortete sie. »Es tut mir leid.« Seltsam, wie groß der Unterschied und der Einfluß der beiden Stimmen auf sie war. Der Mann, mit dem sie vorher gesprochen hatte, war selbst viel zu erregt gewesen, um ihr helfen zu können. Der Stellvertreter Atlans schien dagegen unerschütterlich zu sein. Nancy sah, daß die graue Masse bis auf Zentimeter von beiden Seiten an sie herangekommen war und sich über ihrem Kopf verband. Jetzt befand sie sich mitten in dem Ding. Nur noch der Boden war frei. Ihr kam ein Gedanke. Vielleicht konnte sie nach unten fliehen? Sofort feuerte sie mit
43 dem Desintegrator auf den Boden und löste eine kreisförmige Platte heraus. Sie stürzte nach unten und landete weich auf der elastischen Oberfläche des monströsen Wesens. Es hatte den Raum, in dem sie sich jetzt befand, bis auf wenige Zentimeter bis unter die Decke gefüllt, von der noch Licht ausging, so daß Ma erkennen konnte, wo sie sich befand. Die Halle hatte Ausmaße von etwa fünfzig mal fünfzig Metern, und sie lag ungefähr in der Mitte auf dem Ungeheuer. Nur für Sekunden blieb sie unbehelligt, dann teilte sich die graue Masse unter ihr und verschluckte sie. Sie wartete ab. Erst als ihr Schutzschirm aufflammte, begann sie wieder zu feuern. Der Druck nahm sofort zu. Das Ding schien zu ahnen, daß es alle Gewalt anwenden mußte, wenn es sich behaupten wollte. »Ich habe einen Fehler gemacht«, berichtete Ma über Helmfunk. »Ich habe mich durch den Boden fallen lassen und befinde mich jetzt eine Etage tiefer. Dadurch ist meine Lage noch schlechter geworden.« »Keine Sorge, Nancy, wir holen Sie dennoch raus«, versprach Tekener. Ma fühlte, daß sie sich in dem Ding bewegte. Sie richtete den Desintegrator nach »unten« und schwenkte die Waffe leicht hin und her. Die positronische Steuerung ihres Schutzanzuges schuf die entsprechenden Strukturveränderungen, so daß der Desintegratorstrahl den Energieschirm nach außen hin passieren konnte. Es war dunkel um sie herum. Sie konnte nichts sehen. Der blaßgrüne Strahl erhellte nur ihre Beine ein wenig und verschwand dann sofort im Nichts. Der Energieschirm schimmerte nur wenig und spendete kein Licht. Das deutete darauf hin, daß er nicht mehr so stark belastet wurde. Hatte das Ding den Versuch aufgegeben, ihn zu zerdrücken? Sie hatte das Gefühl, immer schneller durch die amorphe Masse hindurchzugleiten. Sie glaubte, auf einem Schlitten zu lie-
44 gen und durch das Nichts zu rasen, obwohl sie keinen Windzug verspürte. Immer schneller wurde die Bewegung. Nancy schaltete die Waffe ab. Der grüne Strahl erlosch. Augenblicklich wurde sie abgebremst. Ihr war, als stürze sie aus großer Höhe in ein Antigravfeld, das sie sanft abfing. Im nächsten Moment flammte ihr Energieschirm wieder auf, als das Ding sie zerquetschen wollte. Ma feuerte erneut. Sie erschrak. Der Desintegratorstrahl war sehr dünn. Die Energiekammer war also fast erschöpft. Doch das Monstrum hatte ihr gezeigt, daß sie nicht nachlassen durfte. Wenn sie den Beschuß abbrach, war sie verloren. Sie mußte kämpfen – vielleicht erreichte sie dann ihr Ziel. Unruhig beobachtete sie den grünen Strahl. Er verlor von Minute zu Minute an Intensität. Gleichzeitig aber stieg die Geschwindigkeit, mit der sie quer durch die Masse bewegt wurde. Wollte das Ding sie ausstoßen, weil sie es innerlich zerstörte? Plötzlich blickte sie in grelles Licht. Grüne Energiestrahlen umspielten sie. »Aufhören«, brüllte jemand. »Das ist doch …« Nancy wurde förmlich herausgeschleudert. Sie flog etwa zwei Meter weit und landete vor den Füßen eines Mannes im Schutzanzug, der mit einem schweren Desintegrator auf die graue, wild pulsierende Masse feuerte. Er half ihr auf. Sie kannte ihn nicht. »Hier haben Sie eine neue Waffe«, sagte er. Ma hatte keine Zeit, Erleichterung zu empfinden. Sie nahm den Desintegrator, stellte sich in die Reihe der Männer und löste die Waffe aus. Zusammen mit den anderen ging sie langsam vorwärts, über den staubbedeckten Boden hinweg, und feuerte auf das monströse Ding. »So schaffen wir es«, sagte jemand neben ihr.
H. G. Francis Nancy erinnerte sich daran, daß sie sich zurückmelden mußte. »Mr. Tekener«, rief sie. »Ja, Nancy? Wo sind Sie?« »Das Biest wollte mich verspeisen«, berichtete sie, »aber es mochte mich dann doch nicht und hat mich ausgespuckt, weil ich es mit meinem Desintegrator geärgert habe.« »Ich freue mich, daß Sie es geschafft haben«, antwortete er knapp. Sekunden später heulten die Alarmpfeifen abermals auf. »Achtung – zur Information aller«, klang eine befehlsgewohnte Stimme in Nancys Helmlautsprecher auf. »Unser Gegner geht zu einer anderen Taktik über. Jetzt teilt er sich in Einzelwesen auf. Passen Sie auf, daß Ihnen keines entgeht. In Abschnitt C/8 sind bereits siebenhundert kleine Fladen getötet worden. Wir rechnen damit, daß der Hauptkörper sich gleich in Einzelwesen auflöst.« Die Warnung kam keine Sekunde zu früh. Nancy konnte kaum etwas sehen. Staub und Wasserdampf verhüllten ihr die Sicht. Sie nahm gerade noch die wallende und pulsierende Wand vor sich wahr, in die sie immer wieder hineinfeuerte. Dann aber veränderte sich schlagartig etwas. Die Masse schien zu zersplittern. Kleine Bälle rollten über den Boden und versuchten, zwischen ihren Beinen hindurchzukommen. Diese Taktik erwies sich als äußerst gefährlich, da niemand auf den Boden schießen konnte, ohne ihn damit gleichzeitig aufzulösen und zu zerstören. Nancy sah sich plötzlich bis zu den Knien in einer wirbelnden, quirlenden Masse stehen. Zusammen mit den anderen Männern wich sie bis zum Ausgang zurück. Einer der Offiziere kniete sich hin und ließ den Vernichtungsstrahl dicht über den Boden hinwegwandern. Das half. Dennoch spitzte sich die Lage gefährlich zu. Aus diesem Raum gab es zahlreiche Fluchtmöglichkeiten, die niemand kontrollieren konnte. So sah Nancy, wie ein breiter
Das Monstrum von Quinto-Center Strang der lebenden Masse durch ein Belüftungsgitter hinausfloß.
* Aron Yr zuckte zusammen. »Schnell«, sagte er. »Wir müssen zurück.« Er deutete auf seine Armbanduhr, deren Deckel er aufgeklappt hatte. Darunter zeigte sich ein miniaturisiertes Funkgerät. »Einer meiner Freunde hat sie mir geschenkt. Ein Siganese«, erklärte er. Dabei schloß er die Platte, nachdem Tanza noch einen letzten Blick durch die Öffnung geworfen hatte. Zufrieden zogen sich die beiden Spezialisten zurück. Sie waren unverhofft einen Riesenschritt weitergekommen. Ganz ohne Zweifel waren sie dem Geheimnis der Organisation dicht auf der Spur. Aron Yr drängte sie zur Eile. Sie hasteten zurück und erreichten ihre Unterkunft innerhalb von etwa zehn Minuten. Sie hatten sich kaum gesetzt, als Busch eintrat. Überrascht blickte er von einem zum anderen. Er schien den Tierfänger hier nicht erwartet zu haben. »Ich habe gehört, daß Sie die COMOTOOMO verlassen wollten«, sagte er zu Thow Tanza. »Unsinn«, antwortete Opa mürrisch. »Wir wurden vom Start lediglich überrascht. Schließlich hat uns niemand gesagt, daß wir Smogoon II so schnell verlassen würden, sonst hätte ich die Sachen, die dort noch im Hotel liegen, mitnehmen können.« »Sie verdienen hier gut«, sagte der Personalchef. »Den kleinen Verlust werden Sie schon verschmerzen.« »Sie haben ja keine Ahnung«, erklärte Tanza ärgerlich. Er erhob sich und ging auf den kleinen Mann zu. Drohend blickte er auf ihn herab. »Sie werden für den Schaden aufkommen, Busch«, sagte er. »So können Sie mit uns nicht umspringen.« »Wir werden darüber reden«, erwiderte der Personalchef versöhnlich. »Wir haben ja
45 noch Zeit genug.« Damit zog er sich zurück. Er war offensichtlich zufrieden mit den Auskünften, die Tanza ihm gegeben hatte. Opa blickte Yr fragend an. »Haben Sie gewußt, daß er uns aufsuchen wollte?« »Ich habe so meine Verbindungen«, erklärte der Tierfänger mit einem versteckten Lächeln. Er schob Folus die Kaffeetasse hin. »Der Sud war in Ordnung, Pa. Es war nur ein bißchen zu wenig Rum darin. Wollen Sie das bitte korrigieren?« »Und Sie wollen bitte darauf verzichten, uns Pa und Opa zu nennen«, entgegnete Stuckey Folus scharf. »Ich werd's mir überlegen, Pa.« Die drei Männer blickten sich an. Aron Yr grinste breit, und jetzt zeigte sich selbst auf den Lippen von Thow Tanza ein kleines Lächeln.
* An den nächsten beiden Tagen ergab sich keine Gelegenheit, den Vorstoß zu den Laboratorien zu wiederholen. Die drei Männer waren sich einig darüber, daß sie mehr über das erfahren mußten, was sich dort abspielte. Deshalb versuchte Aron Yr ständig, ihnen neue Wege zu eröffnen. Vergeblich. Schuld daran waren die Artisten. Sie waren unruhig und rebellisch. Die COMOTOOMO schwebte irgendwo zwischen den Sternen, weitab von den Schiffahrtslinien und ohne Verbindung zu anderen Raumern. Niemand hatte den Zirkusmitgliedern eine ausreichende Erklärung für den Alarmstart von Smogoon II gegeben. So war es zu einigen Übergriffen gekommen, als einige Künstler eine Besprechung mit den verantwortlichen Offizieren und dem Direktorium des Zirkusunternehmens gefordert hatten. Es war nicht zu der Konferenz gekommen. Die Schiffsleitung hatte ein Heer von bewaffneten Mannschaften und Robotern über das Schiff verteilt, so daß es für Tanza,
46 Folus und Aron Yr unmöglich wurde, sich unbeobachtet bis in die Bereiche des Schiffes vorzuwagen, die für sie von Interesse waren. Sie mußten warten, so wie Aron Yr es vorausgesagt hatte. Fünf quälend lange Tage verstrichen. Pa und Opa harrten aus. Ab und zu gingen sie in den KaußKäfig, um ein Training zu absolvieren, aber sie arbeiteten lustlos und ohne Druck. Die echten Artisten verhielten sich nicht anders. Einige stellten die Übungen aus Protest ganz ein. »Wenn wir es geschickt anstellen, könnten wir einen Aufstand organisieren«, sagte der Tierfänger. »Wir könnten die ganze Bande von Bord jagen und das Schiff übernehmen.« Opa schüttelte den Kopf. Darauf kam es ihm nicht an. Er glaubte auch nicht daran, daß es damit getan war. Befanden sich die Drahtzieher der Organisation überhaupt an Bord? Fraglos gab es auch hier jene geheimnisvollen Gallertkügelchen, die zuerst auf Plophos in den Organbanken aufgetaucht waren. Aber welche Aufgabe hatten sie hier zu erfüllen? Am Abend dieses Tages meldete sich der unbekannte Verbündete des Tierfängers wieder. Yr klappte seine Armbanduhr auf und blickte starr auf das Funkgerät. Mehrere farbige Punkte daran leuchteten rhythmisch auf. »Es ist etwas passiert«, sagte er erregt. »Ich muß zu den Tiergehegen.« Er sprang auf und eilte davon, bevor Tanza oder Folus ihn halten konnten. »Wir gehen ihm nach«, entschied Opa. Der Tierfänger hatte den Liftschacht schon wieder verlassen. Er hatte sich also nicht sehr tief absinken lassen. Die beiden Spezialisten suchten die Gänge der Etage unter ihrem Appartement ab, konnten ihn jedoch nicht finden. Auch auf dem nächsttieferen Deck schien er sich nicht aufzuhalten. Wohl oder übel schwebten sie weiter nach unten und erreichten damit die ersten Tiergehege. Sie hörten das Gebrüll einiger
H. G. Francis Tiere. »Hier ist es«, sagte Opa und stürmte voran. Ein Wachroboter, der den Gang sichern sollte, ließ sie anstandslos passieren. Sie stießen auf eine Panzerglassitwand, die den Gang abschloß. Fieberhaft suchten sie nach dem Kontakt, mit dem sie den Transportmechanismus in Bewegung setzen konnten, der das Hindernis zur Seite schob. Sie konnten hinter weiteren Wänden zwei schemenhafte Gestalten erkennen, die miteinander kämpften. Fast eine volle Minute verstrich, bis Tanza auf den entscheidenden Gedanken kam. Er drehte sich herum und rief dem Wachroboter zu: »Mach den Weg frei. Schnell!« Die Wand setzte sich in Bewegung. Sie glitt zur Seite weg. Die beiden Männer stürmten weiter. Die anderen Glassitschotte ließen sich einfach beseitigen. Sie brauchten nur einen Finger gegen einen Kontaktschalter an der Wand zu legen. Als sie die Stelle erreichten, an der sie die beiden Männer zuletzt gesehen hatten, fanden sie nur noch Pong, das pinguinähnliche Wesen, vor. Es lag mit durchtrennter Kehle auf dem Boden. »Tot«, sagte Pa. »Ja, er hat es umgebracht«, rief Aron Yr, der aus einer Seitentür auftauchte. Er hatte blutige Striemen auf der Stirn. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm herunter. Erschöpft kam er auf die beiden Männer zu. Dabei berührte er einen unsichtbaren Kontaktstrahl. Plötzlich erhob sich eine Energiewand vor ihm. Er streckte die Hände aus und tastete sie überrascht ab. Da öffnete sich ein breiter Spalt im Boden. Aron Yr wich entsetzt zurück. Mit geweiteten Augen starrte er auf Thow Tanza, als könne er nicht begreifen, was geschah. »Eine Kauß-Schlange«, sagte Stuckey Folus erregt, als der Kopf des Tieres neben dem Tierfänger erschien. »Opa – das gilt dir!« Thow Tanza mühte sich vergeblich ab,
Das Monstrum von Quinto-Center die Energiewand zu durchdringen oder sie zu beseitigen. Sie stand als unsichtbares Hindernis zwischen ihm und Aron Yr, ohne daß er etwas tun konnte. Der Alte wich zurück. Er wußte offensichtlich nicht, was er tun konnte, um sich zu retten. »Das kann eigentlich nur Ro Batten getan haben«, sagte Folus. »Er will Aron umbringen und uns die Schuld daran in die Schuhe schieben.« »Und ich fürchte, das schafft er auch«, erwiderte Opa zornig. Er wandte sich um und eilte zu dem Roboter zurück. Folus sah, daß er auf ihn einredete, aber er hatte keine Hoffnung, daß der Automat Aron Yr wirklich helfen konnte. Doch er irrte sich. Die Maschine handelte. Plötzlich löste sich das Prallfeld in ein Nichts auf. Tanza konnte bis zur Schlange vordringen. Er rief ihr einen scharfen Befehl zu, der sie zurücktrieb, obwohl sie hochgradig erregt war. Dann baute sich plötzlich ein neues Energiefeld auf. Es trennte Tanza von der Kauß, die sich ebenso überraschend zu einem Angriff hinreißen ließ. Er scheiterte an dem Energiefeld. »Das begreife, wer will«, sagte Aron Yr. Er kam zu Thow Tanza und griff nach seinem Arm. »Lassen Sie uns möglichst schnell von hier verschwinden«, empfahl er. »Das hier geht nicht mit rechten Dingen zu.« Opa blickte sich um. Die anderen Tiergehege waren leer. Von keiner Seite schien Gefahr zu drohen. Von der Schlange, die sich immer wieder wütend gegen das Prallfeld warf, ließ er sich nicht mehr beeindrucken. Da öffnete sich eine Tür. Die Schotte glitten zur Seite, und Ro Batten trat ein. Er machte einen gehetzten Eindruck. Verblüfft blieb er stehen, als er Tanza und den Tierfänger sah. Er schien weder den einen noch den anderen hier erwartet zu haben. Aron Yr fluchte. Er ging auf den ehemaligen Assistenten des verunglückten Kauß-Dompteurs
47 zu, kam jedoch nicht weit, da die Energiewand ihn aufhielt. In diesem Augenblick erfaßte Batten die Situation. Er fuhr herum und floh, doch er kam nicht weit. Die mächtige Schlange stieß blitzschnell zu und tötete ihn. Sekunden später trafen etwa zwanzig bewaffnete Männer ein. Unter ihnen befanden sich einige Offiziere. Sie führten Yr, Tanza und Folus ab, während zwei von ihnen die Kauß mit Energieschüssen erledigten. Stuckey Folus musterte Aron Yr und Thow Tanza, als sie in einem großen Raum Platz nahmen. Neben und hinter ihnen standen Kampfroboter und einige bewaffnete Männer. Vor ihnen saß ein Offizier hinter einem Schreibtisch. Opas Gesicht schien wie aus Stein geschlagen zu sein. Kein Muskel bewegte sich in ihm. Aron Yr dagegen sah unendlich müde aus. Er schien die Augen kaum noch offenhalten zu können. »Ich hoffe, Sie können mir die Vorgänge im Tiergehege erklären«, begann der Offizier. »Wenn's weiter nichts ist«, sagte der Tierfänger und gähnte herzhaft. »Was wollen Sie denn wissen?« Pa beobachtete ihn. Noch wußte keiner von ihnen, worum es wirklich ging. Hatte die Schiffsführung etwas über sie herausgefunden? Ganz offensichtlich stand ihnen ein eingehendes Verhör bevor. Worum ging es? Um den Tod Ro Battens? Oder ging es um ihren Ausflug zu dem geheimen Labor? Hatte der sterbende Pong noch etwas über sie verraten? Voller Spannung wartete Folus auf die erste Frage des Offiziers.
* Nancy Chessare atmete auf. Sie war überzeugt davon, daß sie es geschafft hatten, das monströse Wesen zu besiegen, das ganz Quint-Center bedroht hatte. Jetzt galt es nur noch, die vielen Einzelkörper zu töten, die sich von dem Riesen abge-
48 zweigt hatten. Das aber konnte nicht mehr ihre Aufgabe sein. Sie blickte auf den Staub, der den Boden bedeckte. Das war alles, was von dem amorphen Ding übriggeblieben war. Sie ließ ihren Desintegrator sinken. Das Energiemagazin war leer. Ma drehte sich um und verließ den Raum. Mit müden Schritten ging sie in ein großes Labor, um hier ihre Waffe abzulegen. In den Ausrüstungsschränken lagen nur noch einige Paralysestrahler. Sie wollte gerade ihren Helm zurückklappen, als sie zwischen den Tischen eine schemenhafte Bewegung bemerkte. Beunruhigt eilte sie zu einem Schrank, von wo aus sie besser sehen konnte. Sie erschrak, als sie etwa dreißig fladenförmige Gebilde entdeckte, die sich um Verstecke zu bemühen schienen. Jetzt aber waren auch sie aufmerksam geworden. Sie flossen zusammen und verschmolzen miteinander, um dann auf das Mädchen zuzugleiten. Nancy sah keine Möglichkeit, sich gegen den Angreifer zu wehren. Sie drehte sich um und floh auf den nächsten Ausgang zu, doch schon nach wenigen Metern packte sie ein Tentakel am Fuß und riß sie zu Boden. Ma stürzte und sprang sofort wieder auf, doch ihr Gegner gab sie nicht mehr frei. Die Masse überschwemmte sie von den Füßen bis zum Kopf und übte sofort Druck auf sie aus, den sie durch den Schutzanzug hindurch deutlich zu spüren bekam. Instinktiv warf Nancy sich nach vorn. Sie konnte nichts mehr sehen, fühlte aber mit den Händen, daß sie einen Schrank erreicht hatte. Sie umklammerte einen Paralysator und löste ihn aus. Ein konvulsivisches Zucken durchlief den Schleimkörper, obwohl nur ein kleiner Teil von ihm getroffen worden war. Nancy konnte plötzlich wieder sehen, und sie beobachtete, daß ein Fladen von ihr floh. Sie richtete sich auf, zielte auf das Ding und schoß. Es erstarrte. Jetzt richtete Ma die Waffe auf ihr Bein, das noch immer von dem amorphen Wesen
H. G. Francis umspannt wurde. Wieder löste sie den Paralysator aus – und brach zusammen, weil sie selbst von dem Schock getroffen wurde. Zugleich aber fiel das monströse Wesen von ihr ab, rann auf dem Boden zu einem zuckenden Fladen zusammen und verharrte dort. »Hier spricht Nancy Chessare«, meldete sie sich über Helmfunk. »Ich glaube, ich habe eben eine wichtige Beobachtung gemacht. Unser alter Freund, das Plasmawesen, reagiert hervorragend auf Paralysebeschuß. Es wird gelähmt und ist dann hilflos. Man kann es dann mühelos mit dem Desintegrator beseitigen.« Durch die Tür kamen vier Männer herein. Sie eilten zu Nancy und halfen ihr hoch. Einer von ihnen reichte ihr einen kleineren Desintegrator und sie ließ es sich nicht nehmen, das paralysierte Wesen damit aufzulösen. Eine staubgefüllte Mulde blieb im Boden zurück. Sie setzte sich auf einen Hocker und massierte sich das gefühllose Bein, während die Männer das Labor bis in den letzten Winkel hinein durchsuchten. Sie entdeckten noch vier weitere Ableger und vernichteten sie. Anschließend versiegelten sie die Belüftungsgitter, um zu verhindern, daß der Raum erneut verseucht wurde. Ma zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß die Gefahr für Quint-Center behoben war, aber sie behielt den Schutzanzug noch an und legte auch die Waffe noch nicht ab. Sie erhob sich und ging humpelnd hinaus. Dr. Alf Hurton kam ihr entgegen. Auch er trug einen Schutzanzug. Durch den Helm schimmerten die Verbände um seinen Kopf. Das rechte Bein zog er deutlich nach, und sein Rücken war gekrümmt. Er blieb vor ihr stehen und lächelte ihr mühsam zu. Sie blickte ihn forschend an. »Wo sind Sie denn die ganze Zeit gewesen?« »Ich?« Er gab sich erstaunt. »Ich hatte einen anstrengenden Flirt mit einer Krankenschwester. Was, meinen Sie, hätte mich denn sonst so lädieren können?«
Das Monstrum von Quinto-Center »Ist das das Mädchen?« fragte Ma und deutete auf etwas, daß sich hinter Dr. Hurton befand. Er drehte sich ächzend um und starrte auf den Medorobot, der mit ausgestreckten Armen auf ihn zufuhr, um ihn zu stützen. Der Kybernetiker blieb ruhig stehen und wartete, bis der Roboter ihn erreicht hatte. »Muß Kranksein früher schön gewesen sein«, sagte er seufzend. »Stellen Sie sich vor, Nancy, es hat einmal eine Zeit gegeben, in der sich richtige Mädchen um die Kranken gekümmert haben. Können Sie sich das überhaupt vorstellen?« Nancy lächelte. »Alf, Sie leben einfach in einer falschen Zeit«, sagte sie. »Ich an Ihrer Stelle würde ich mich als Spezialist ausbilden und dann von Atlan ins zwanzigste Jahrhundert zurückschicken lassen.« »Geht denn das?« fragte Dr. Hurton interessiert. Nancy Chessare antwortete nicht. Sie konzentrierte sich auf die Nachricht, die von der Sicherheitszentrale von Quint-Center ausgestrahlt wurden. Die USO-Zentrale konnte aufatmen. Die Gefahr war gebannt.
8. Thow Tanza, Stuckey Folus und Aron Yr mußten Verhöre über sich ergehen lassen, die Stunden währten. Dabei zeichnete sich jedoch sehr bald ab, daß die Offiziere der COMOTOOMO nichts gegen sie in der Hand hatten. Als die drei Männer schließlich in ihre Unterkünfte zurückkehren konnten, stand für sie fest, daß die Schiffsführung nicht mehr erfahren hatte, als sie durfte. Tanza und Folus blieben nur wenige Minuten allein. Dann kam der Tierfänger zu ihnen. »Ich halte es in meiner Bude nicht aus«, gestand er. »Pong fehlt mir.« Plötzlich zuckte er zusammen. Er bückte sich und drückte die Fingerspitzen gegen
49 den Boden. »Es geht weiter«, sagte er. »Die COMOTOOMO fliegt weiter. Ich kann die Erschütterungen fühlen, die der Antrieb verursacht.« »Wissen Sie, wohin das Schiff fliegt?« fragte Folus. Yr nahm sich einen Becher und bediente sich selbst am Kaffeeautomaten. »Ich habe nicht die Spur einer Ahnung, wohin man sich jetzt wendet. Ich habe nur ein verdammt schlechtes Gefühl. Es tut sich was an Bord – und es ist nichts Gutes.« Thow Tanza gestikulierte unwillig. »Darauf verlassen wir uns lieber nicht«, sagte er schroff. »Wir werden versuchen, noch einmal zu dem Androidenlabor zu kommen. Wir müssen mehr über das erfahren, was dort vorgeht. Wann brechen wir auf?« »In vierundzwanzig Stunden«, antwortete Yr gelassen. »Vielleicht hat sich dann alles ein wenig beruhigt.« »Wir werden keine Zeit verschenken«, entschied Opa. »Wir gehen sofort, wenn Sie Ihren Kaffee ausgetrunken haben.« Aron Yr setzte den Becher ab. »Sie machen einen Fehler, Opa.« »Das wird sich zeigen.« Zehn Minuten später verließen sie das Appartement, doch dann zeigte sich, daß der Tierfänger recht gehabt hatte mit seinen Bedenken. Wohin sie sich auch wandten, überall stießen sie auf Wachen. Überall wurden Kontrollen durchgeführt. Unter den gegebenen Umständen wurde es zu gefährlich, Nachforschungen zu betreiben. Sie kehrten in die Unterkunft zurück, die man Tanza und Folus angewiesen hatte. Aron Yr blieb bei den beiden Spezialisten. Sie mußten warten, bis sich die Situation an Bord besserte, und der Argwohn ihrer Gegner sich legte. Zwanzig Stunden später landete die COMOTOOMO. Thow Tanza, Stuckey Folus und Aron Yr gesellten sich zu den Männern und Frauen, die auf die Gänge hinausgeeilt waren und
50 über die neue Lage diskutierten. Niemand wußte, wo man sich befand. Einige Männer berichteten, die COMOTOOMO habe eine von Arkoniden besiedelte Welt erreicht, und eine Serie von Vorstellungen sei geplant. Andere behaupteten, das Schiff stehe auf einem Plateau auf einer unbesiedelten Welt. »Gerüchte«, stellte Tanza abfällig fest. »Damit läßt sich nichts anfangen. Kommt – wir versuchen es noch einmal.« Aron Yr machte Einwände geltend. Er glaubte nicht daran, daß sie noch einmal bis zu den Laboratorien vorstoßen konnten und er sollte recht behalten. Roboter schirmten die verschiedenen Schiffsbereiche ab und ließen niemanden passieren. Dann endlich meldete sich die Schiffsführung. Einer der leitenden Offiziere teilte den Artisten mit, alle hätten sich in der Arena einzufinden. Die Unruhe wuchs. »Zum Teufel«, fluchte der Tierfänger. »Jetzt werfen sie uns alle raus.« »Abwarten«, riet Stuckey Folus. »Noch ist es nicht soweit.« Sie nahmen einige wichtige Sachen an sich und stellten sich dann in die Schlange der Artisten, die darauf warteten, in einem der Antigravlifts nach unten zu kommen. Als sie die Arena erreichten, war diese nahezu gefüllt. Zwei Stunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Roboter und Mannschaften brachten immer noch mehr Männer und Frauen in die Arena. Offensichtlich hatten viele den Befehl des Kommandanten mißachtet und waren in ihren Quartieren geblieben. Aron Yr stand zusammen mit den beiden Spezialisten in der Nähe eines Liftschachts. Er war überrascht, als Busch, der Personalchef, zu ihm kam. »Komm mit, Aron«, sagte er. »Wir haben noch etwas zu bereden.« Der Tierfänger zögerte. Busch wiederholte seine Worte, faßte nach seinem Arm und zog ihn mit sich. »Ich will endlich wissen, was los ist«, rief Yr wütend. »Vorher gehe ich nicht mit.«
H. G. Francis »Wir haben einen wichtigen Auftrag für dich«, erklärte Busch. Die beiden Männer verschwanden im Liftschacht. Ein großer Bildschirm hoch über der Arena erhellte sich. Zugleich glitten die Panzerschotte zu den Antigravschächten zu. Das Gesicht eines Mannes erschien auf dem Bildschirm. »Hier spricht der Kommandant«, hallte eine mächtige Stimme durch das Rund. »Verlassen Sie die Arena jetzt durch die Ausgänge. Gehen Sie sofort hinaus und entfernen Sie sich wenigstens fünfhundert Meter vom Schiff.« Ein wildes Geschrei antwortete ihm. Keiner der Männer und Frauen bewegte sich von seinem Platz. Niemand folgte der Anordnung, bis der Kommandant erneut sprach: »In wenigen Minuten werden wir die Antriebe einschalten. Wer sich dann noch in der Arena aufhält, wird verbrennen. Gehen Sie jetzt.« Tanza und Folus fürchteten, eine Panik werde ausbrechen, aber das Gegenteil war der Fall. Jetzt begriffen die Artisten, was beabsichtigt war, und sie sahen zugleich ein, daß alle Proteste wirkungslos verhallen würden. Sie befanden sich jetzt schon außerhalb des Schiffes – und damit waren sie machtlos. Der Auszug der Artisten begann. Thow Tanza und Stuckey Folus wußten, daß sie über Monitoren beobachtet wurden, dennoch versuchten sie, einen Weg zu finden, der ins Schiff zurückführte. Vergeblich. »Das wär's«, sagte Tanza resignierend. »Wir haben uns hereinlegen lassen.« Unter den gegebenen Umständen blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Strom der Artisten nach draußen anzuschließen. Als sie die Arena verließen, konnten sie das verwahrloste Landefeld sehen, auf dem die COMOTOOMO gelandet war. Ein gutes Dutzend verfallener Hütten stand an seinem Rand. Technische Einrichtungen irgendwelcher Art waren nicht zu erkennen.
Das Monstrum von Quinto-Center Tanza und Folus bewegten sich in dem Strom der Menschen, die niedergeschlagen auf die Hütten zustrebten. »Die Nichteingeweihten werden abgesetzt, damit die Verbrecher unter sich sind«, sagte Pa enttäuscht. Thow Tanza antwortete nicht. Er grübelte darüber nach, wie sie es schaffen konnten, wieder an Bord zu kommen. Für ihn war selbstverständlich, daß sie nicht hier bleiben durften. Ihre Aufgabe war es, ein Verbrechen von galaxisweiter Bedeutung aufzuklären, und das konnten sie nur an Bord der COMOTOOMO tun. Vorläufig aber schien es unmöglich zu sein, das Schiff wieder zu betreten. »Sie haben uns nichts an Ausrüstungen mitgegeben«, stellte Pa fest »Sie machen sich keine Gedanken darüber, was aus diesen Menschen wird.« Sie reihten sich nicht in die Kette der Männer und Frauen ein, die bei den Hütten standen, sondern gingen am Landefeld entlang, bis sie allein waren. Folus setzte sich auf einen umgestürzten Baum. »Ich habe keine Ahnung, wie's weitergehen soll«, sagte er. Thow Tanza stand neben ihm. Er starrte zum Raumschiff hinüber. »Ich möchte wissen, was sie mit Aron angestellt haben. Ich begreife nicht, was sie mit ihm wollen. Er kann nicht zu ihnen gehören.« Sie warteten. Ihre Befürchtung, daß die COMOTOOMO sofort wieder starten werde, erwies sich als verfrüht. Das Zirkusschiff blieb auf dem Landefeld. Aus einigen Luken ragten die Läufe von Energiekanonen heraus. Sie demonstrierten deutlich, was die Schiffsführung zu unternehmen gedachte, wenn die Ausgebooteten sich nicht fügten. »Wir müssen uns einen Trick einfallen lassen«, empfahl Thow Tanza. Als Stuckey Folus nicht antwortete, drehte er sich zu ihm um. Pa lag im Gras und schlief. Opa ließ eine halbe Stunde lang gewäh-
51 ren, dann stieß er ihn mit dem Fuß an. »He, Pa«, rief er erregt. »Der Tierfänger verläßt das Schiff.« Stuckey Folus sprang auf und war sofort hellwach. Er sah einen Gleiter, der in schneller Fahrt auf sie zu kam. »Tatsächlich, das ist Aron!« Der Tierfänger näherte sich ihnen schnell, landete bei ihnen und rief: »Wollt ihr einsteigen?« Die beiden Spezialisten ließen sich nicht lange bitten. Sie setzten sich neben ihn. Er beschleunigte sofort wieder. In hoher Fahrt raste die Maschine über das Blätterdach des Urwalds hinweg auf die Berge zu. »Was ist passiert?« fragte Folus. »Ich weiß es nicht«, antwortete Yr. »Sie wollen, daß ich Fleisch mache.« »Das verstehe ich nicht.« »Busch hat mir erklärt, daß die Nahrungsmittelbestände durch einen Fehler in der Kühlanlage verdorben sind. Die Besatzung hat nicht mehr genügend zu essen. Ich soll jetzt einige Großtiere fangen und zum Schiff bringen. Man wird sie schlachten und einlagern. Auch die Wasserbestände müssen erneuert werden.« »Und dann?« »Busch behauptet, ich dürfe an Bord bleiben, aber daran glaube ich nicht. Ich habe auch keine Lust, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten.« »Warum gehen sie nicht selbst auf die Jagd?« »Weil sie zu wenig davon verstehen, Pa, und weil sie zuviel an Bord zu tun haben.« »Werden Sie ihnen die Tiere liefern, Aron?« Der Tierfänger lachte schallend. »Ich bin doch nicht verrückt! Ich verdufte!«
* Aron Yr zeigte auf die riesigen Tiere, die sich in den Sümpfen wälzten. »Das sind sie. Davon möchte Busch zwei Stück haben. Er sagt, das reicht für ihn.«
52 »Das glaube ich«, sagte Tanza. »Gut, Aron, dann bringen Sie ihm die Biester.« »Ist das wirklich Ihr Ernst, Opa?« »Wenn Sie die Saurier so beherrschen können, wie Sie behaupten, dann ja.« Aron Yr war schon einmal auf diesem Planeten gewesen. Er kannte sich aus, und Busch wußte das. Deshalb hatte er ihn für diese Aufgabe gewählt. Der Planet gehörte zu einem kleinen, unbedeutenden System, von dem weder Tanza noch Folus je gehört hatten. Mit einigem Unbehagen blickten die beiden Spezialisten auf die Giganten. Niemals zuvor hatten sie Tiere von dieser Größe gesehen. Sie glichen annähernd den gewaltigen Diplodoci aus der Vorzeit Terras, hatten allerdings einen Kopf, der mehr an jenen des Tyrannosaurus erinnerte. Thow Tanza schätzte, daß sie eine Länge von knapp siebzig Metern erreichten. »Es sind Pflanzenfresser«, erklärte Aron Yr. »Lassen Sie sich von dem Kopf und dem Gebiß nicht täuschen. Sie sind absolut harmlos.« »Hoffentlich«, entgegnete Stuckey Folus. Er zog sich seine verrutschte Hose höher. »Sind Sie sicher, daß Sie sie ganz in Ihrer Gewalt haben werden?« »Absolut, Pa. Sie können sich auf mich verlassen.« Aron Yr hob ein Spezialgewehr und zielte auf den Kopf eines Sauriers. Er drückte ab, und ein Pfeil durchschlug die dunkle Haut des Tieres. Es zuckte zusammen und fuhr zurück. Angstvoll bäumte es sich auf, schlug mit den Säulenbeinen um sich und wandte sich zur Flucht. Der Tierfänger hantierte an einem kleinen Gerät, das er in den Händen hielt. Er drehte an einer Justierschraube. Sofort beruhigte sich das Tier. Es blieb stehen und blickte sich suchend um, als sei nichts geschehen. »Und jetzt den zweiten«, sagte Yr. Er schoß abermals und erzielte die gleiche Reaktion. Auch dieser Saurier wollte fliehen, wurde aber mit Hilfe des kleinen Funkgeräts und des Empfängers in seinem Gehirn
H. G. Francis daran gehindert. Wenig später schaltete der Tierfänger erneut. Die beiden Giganten setzten sich in Bewegung. Sie verließen den Sumpf und begannen die Wanderung zur COMOTOOMO. Aron Yr folgte ihnen im Gleiter. Ein Berg von etwa eintausend Meter Höhe trennte sie noch von dem Schiff. »Wenn wir um diesen kleinen Hügel herumkommen«, sagte Yr, »dann können sie uns beobachten. Dann sollten Sie schon an Bord sein, meine Herren.« Die beiden Saurier blieben stehen. Aron Yr reichte Pa und Opa die Hand, um sich von ihnen zu verabschieden. »Ich passe schon auf, daß nichts geschieht«, versprach er. Dann flog er mit dem Gleiter bis an den Kopf eines der beiden Giganten heran, bis sie nur noch Zentimeter von den bräunlichgelben Zähnen trennten. Die riesigen Lippen troffen von dem Speichel der Tiere. »Das ist wirklich die einzige Möglichkeit, die ich sehe«, sagte Yr. Er grinste. »Viel Spaß. Und – wenn Sie Lust haben, können Sie ja ein bißchen Zähne putzen. Was halten Sie davon?« Tanza knurrte nur mürrisch. Stuckey Folus versetzte dem Tierfänger einen freundschaftlichen Boxhieb in die Seite. Dann sprang er mit einem weiten Satz in das Maul des Sauriers. Er glitt auf den Lippen aus, konnte sich aber an einem Zahn halten. Keuchend zog er sich hoch und schob sich in eine Zahnlücke. Er streckte die Hand aus und half Thow Tanza hinüber. »Sorgen Sie bloß dafür, daß das Biest nicht doch einmal zubeißt«, schrie Stuckey Folus zum Tierfänger hinüber. »Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß es ein Wiederkäuer ist«, brüllte Aron Yr. »Sie müssen damit rechnen, daß das halbverdaute Gemüse wieder hochkommt.« »Wenn das wahr ist, werde ich mich grausam rächen«, schwor Pa und drohte dem Tierfänger mit der Faust. Yr hatte nur einen Witz gemacht. Das merkten sie sehr bald. Die Reise zwischen
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den Zähnen des Sauriers war bei weitem nicht so gefährlich, wie sie befürchtet hatten. Mit Hilfe des Funkgeräts konnte der Tierfänger den Giganten so gut aussteuern, daß er das Maul praktisch überhaupt nicht mehr schloß. Opa und Pa hatten sich deshalb eigentlich nur gegen den unbeschreiblichen Gestank zu behaupten, der zwischen den Zähnen des Riesen herrschte. Sie klammerten sich an die Zähne, schwiegen und starrten beharrlich nach vorn. Die Tiere marschierten mit hohem Tempo auf die COMOTOOMO zu. Hin und wieder konnte Pa den Tierfänger sehen, der sich in ihrer Nähe hielt. Als sie bis auf einhundert Meter an das Schiff herangekommen waren, lenkte Yr den Gleiter bis unmittelbar neben den Kopf des Sauriers. »Ich verschwinde jetzt«, schrie er. »Viel Glück.« Voller Unbehagen blickten die beiden Spezialisten dem Tierfänger nach, während die Saurier unverdrossen in die COMOTOOMO hineintrotteten. Sie gehorchten den Befehlen, die sie auf dem Funkweg erhielten. Wenig später wurde es dunkel. Dann blitzte es mehrfach auf. Pa und Opa wurden durcheinander geschüttelt. Verzweifelt klammerten sie sich an die Zähne. Aus einer Höhe von siebzig Metern blickten sie in die Arena hinab, in der zahlreiche bewaffnete Männer standen. Sie hantierten an einem großen Paralysator, mit dem sie auf die Saurier geschossen hatten. Dann senkte sich der Kopf des Tieres langsam nach unten. Alles verlief genauso, wie Aron Yr es vorausgesagt hatte. Der
Kopf des Sauriers schlug auf den Boden, aber zwischen den weichen Schleimhäuten wurden die Spezialisten weich aufgefangen. Sie schoben sich durch die halbgeöffneten Lippen des Giganten hindurch. In ihrer Nähe befand sich ein offenes Schott. Sie sprangen auf den Boden hinab. Thow Tanza stürzte. Folus half ihm auf. Zusammen schleppten sie sich zu dem Eingang hinüber. Die Mannschaften waren damit beschäftigt, die Giganten zu schlachten und für die Dehydrieranlage vorzubereiten. Ungesehen erreichten die beiden Spezialisten einen Antigravschacht. In ihm schwebten sie bis in den Bereich der Tiergehege hoch. Niemand hielt sie auf. Sie fanden in einer Belüftungsanlage für einige Raubtierkäfige ein ausreichendes Versteck. Kaum hatten sie sich darin eingerichtet, als Erschütterungen durch das Schiff liefen. »Die COMOTOOMO startet«, sagte Stuckey Folus. Thow Tanza legte die Hand auf den Boden. Er nickte. »Es geht weiter, Pa. Jetzt wird es sich zeigen. Man wird sich schon etwas dabei gedacht haben, daß man alle Nichteingeweihten ausgesetzt hat.« Stuckey Folus hob den Kopf und zog die Luft schnüffelnd durch die Nase. »Opa, du stinkst noch immer«, sagte er. »Das haben alte Leute so an sich«, erwiderte Tanza brummig. ENDE
ENDE