Christiane Fröhlich Der israelisch-palästinensische Wasserkonflikt
Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens Die Herau...
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Christiane Fröhlich Der israelisch-palästinensische Wasserkonflikt
Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens Die Herausgeber: Dr. Martin Beck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Nahost-Studien und Privatdozent am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg Dr. Cilja Harders ist Professorin für Politikwissenschaft und Leiterin der „Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin Dr. Annette Jünemann ist Professorin für Politikwissenschaft am Institut für Internationale Politik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Dr. Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München
Die Reihe „Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens“ beschäftigt sich mit aktuellen Entwicklungen und Umbrüchen im Nahen Osten – einer Region, die von hoher globaler Bedeutung ist und deren Dynamiken insbesondere auch auf Europa ausstrahlen. Konflikt und Kooperation etwa im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft, der Nahostkonflikt, energiepolitische Fragen, Umweltprobleme, Migration, Islam und Islamismus sowie Autoritarismus sind wichtige Stichworte. Der Schwerpunkt liegt auf politikwissenschaftlichen Werken, die die gesamte theoretische Breite des Faches abdecken, berücksichtigt werden aber auch Beiträge aus anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die relevante politische Zusammenhänge behandeln.
Christiane Fröhlich
Der israelischpalästinensische Wasserkonflikt Diskursanalytische Betrachtungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 2009.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17631-4
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
11
Danksagung
13
Abkürzungsverzeichnis
15
Glossarium arabischer und hebräischer Begriffe
16
1
Einleitung 1.1 Wasserknappheit in Israel und den palästinensischen Gebieten 1.2 Wasser – Medium und Projektionsfläche 1.3 Forschungshypothese und Aufbau der Arbeit 1.4 Forschungsstand
19 19 23 24 25
2
Theoretischer Rahmen: Diskursivität von Konflikten 2.1 Konfliktive Diskursstrukturen 2.1.1 Inklusion und Exklusion 2.1.2 Versicherheitlichung, Entsicherheitlichung und nonsecuritization 2.2 Diskurstheoretische Ergänzungen 2.2.1 Die Foucault’sche Diskurstheorie 2.2.2 Diskurse und Wissen 2.2.3 Individuelles Handeln und gesellschaftliche Wirkung 2.2.4 Machtwirkungen von Diskursen
35 37 38
3
Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen 3.1 Zentrale Begriffe 3.1.1 Spezial-, Inter- und Gegendiskurse 3.1.2 Diskursfragmente 3.1.3 Diskursstränge und Diskursstrangverschränkungen 3.1.4 Diskursive Ereignisse und diskursiver Kontext 3.1.5 Diskursebenen 3.1.6 Diskursposition 3.2 Kritische Diskursanalyse von Konfliktdiskursen in der Anwendung 3.2.1 Materialaufbereitung und Strukturanalyse
41 43 45 46 48 52 55 55 55 56 57 58 58 59 59 60
6
4
5
Inhalt 3.2.2 Feinanalyse 3.2.3 Gesamtinterpretation des Diskursstranges
61 63
Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel 4.1 Von 1882 bis 1948 – Wasser als Bestandteil der Grenzziehungsüberlegungen 4.1.1 Wasser in der osmanischen Rechtsprechung und in der Scharia 4.1.2 Der osmanisch-arabische Diskurs 4.1.3 Der jüdisch-zionistische Diskurs 4.2 Von 1948 bis 1967 – Wasser als nationales Sicherheitsinteresse 4.2.1 Der israelische Diskurs 4.2.2 Der arabisch-palästinensische Diskurs 4.3 Von 1967 bis 1989 - Zeit des politischen Umbruchs 4.3.1 Der israelische Diskurs 4.3.2 Der palästinensische Diskurs 4.3.3 Die Intifada 4.4 Von 1990 bis 2005 – Oslo und danach: Chance für den Frieden? 4.4.1 Der israelische Diskurs 4.4.2 Der palästinensische Diskurs 4.5 Wahrnehmungen von Wasser in Israel und Palästina von 1882 bis heute
65
Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt 5.1 Materialaufbereitung für die Analyse der Diskursstränge „Wasser in Israel“ und „Wasser in Palästina“ 5.1.1 Allgemeine Charakterisierung der interviewten Personen 5.1.2 Überblick über die untersuchten Diskursfragmente 5.2 Strukturanalyse 5.2.1 Israelischer Diskurs 5.2.2 Palästinensischer Diskurs 5.3 Feinanalyse 5.3.1 Israelischer Hegemonialdiskurs 5.3.2 Israelischer Gegendiskurs 5.3.3 Palästinensischer Hegemonialdiskurs 5.3.4 Palästinensischer Gegendiskurs
66 68 78 88 102 104 113 120 121 126 133 135 138 148 155 158 159 159 161 163 164 195 224 226 252 262 289
Inhalt
7
6
Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs 6.1 Wasser in Israel: Wahrnehmungen, Bewertungen, Trends 6.2 Wasser in Palästina: Wahrnehmungen, Bewertungen, Trends 6.3 Konflikttransformation durch Diskurstransformation?
302 305 309 313
7
Literaturverzeichnis 7.1 Quellen (chronologisch) 7.2 Sekundärliteratur 7.3 Internetressourcen 7.4 Email-Listen
316 316 318 333 333
Anhang
335
Wo das Wasser endet, endet auch die Welt. (usbekisches Sprichwort)
Vorwort Handelsübliche Aufzählungen der verschiedenen zentralen Konfliktthemen des nunmehr beinahe ein Jahrhundert andauernden israelisch-palästinensischen Konflikts kommen seit einigen Jahren neben der Nennung von Grenzen, Sicherheit, Selbstbestimmung, Flüchtlingen, Siedlungen und Jerusalem kaum noch ohne den Verweis auf „Umwelt“ und hier vor allem „Wasser“ aus. Dies korrespondiert lose mit einem allgemeinen, sowohl in politischen als auch sozialwissenschaftlichen Debatten zunehmenden Interesse an umwelt- und wasserpolitischen Fragen. Dennoch: wer sich auf die Suche nach wissenschaftlichen Informationen zum israelisch-palästinensischen Konflikt macht oder wer in der Region und außerhalb Entscheidungsträger oder den berühmten „Taxifahrer“ über diesen Konflikt befragt, der wird feststellen, dass es zwischen den „großen“ geopolitischen Themen wie Sicherheit, Grenzen und Jerusalem einerseits und dem „fluiden“ Wasserthema nach wie vor eine Diskrepanz gibt. Viele sagen, Wasser sei wichtig und werde in der Zukunft bei diesem Konflikt eine zentrale Rolle spielen, bei aktuellen politischen und wissenschaftlichen Debatten erscheint das Thema dann aber regelmäßig nachrangig – so wie in der sozialwissenschaftlichen Forschung insgesamt zwar noch kein „Wasserkrieg“ gefunden, sein Auftreten in der Zukunft aber vielfach prognostiziert wurde. Es ist ein zentraler Verdienst der klugen und detaillierten Analyse von Christiane Fröhlich, „Wasser“ seinen rechtmäßig zentralen Platz bei der Analyse des israelisch-palästinensischen Konflikts zuzuweisen. Und dies nicht mit Prognosen darüber, welche Bedeutung Konflikt oder Kooperation um diese Ressource in der Zukunft haben werden, sondern vielmehr durch eine detaillierte, kenntnisreiche und darüber hinaus die Sozial- und Naturwissenschaften miteinander in Dialog bringende Studie. Die Arbeit besticht durch zweierlei. Zum einen der fundierten Darstellung der Bedeutung von Wasser im jüdisch-israelischen und arabischpalästinensischen Diskurs seit den Anfängen der zionistischen Bewegung im späten 19. Jahrhundert. Entgegen einer häufig vorherrschenden Meinung, war „Wasser“ zu allen Phasen des Konfliktes ein wichtiger Streitgegenstand. Und dies nicht nur aus „materiellen“ Gründen der Versorgung, sondern vielmehr auch weil der Streit um das Wasser immer schön auf das Engste mit dem Selbstverständnis, der Identität Israels und Palästinas und seiner Einwohner verbunden war. Es gelingt Christiane Fröhlich mit dieser Arbeit aber nicht nur eine gekonnte Darstellung der Bedeutung von „Wasser“ als „thematischem Anker“ im israelisch-palästinensischen Konflikt. Durch ihre detaillierte Kenntnis der technischen und hydrologischen Aspekte der Ressource Wasser in Israel und Palästina – einer Region, die entgegen landläufiger Meinung so trocken und regenarm nicht ist – vermag sie insbesondere bei den mit palästinensischen und israelischen Wasserexperten
12
Vorwort
durchgeführten Interviews immer wieder nachzuhaken und sich nicht mit ausweichenden Antworten abzufinden. Sie wahrt dabei, um in der Sprache ihres Analyseansatzes zu sprechen, in den Interviews die Diskurshoheit. Wer sich also für die historische und gegenwärtige Bedeutung von „Wasser“ im israelisch-palästinensischen Konflikt interessiert, für den wird dieses Buch eine zentrale Referenz sein – und Christiane Fröhlich belegt mit großem Nachdruck, dass dieses Thema alle am „Nahostkonflikt“ Interessierten fesseln sollte. Was bedeutet die vorgelegte Studie für Frieden in Israel und Palästina? Die Analyse zur Bedeutung von Wasser im Nahen Osten belegt nachdrücklich die grenzüberschreitenden Zusammenhänge in dieser Region. Ohne regionale Kooperation zwischen Israel und Palästina, dann aber auch mit Syrien, Libanon und Jordanien erscheinen die Herausforderungen in Bezug auf Wasser kaum lösbar. Das es Voraussetzungen für diese Kooperation – die vielleicht eines Tages in einer festeren institutionell und gesellschaftlich verankerten regionalen Integration dieser Länder mündet – gibt, belegt Christiane Fröhlich durch die palästinensischen und israelischen „Gegendiskurse“ – Diskurse, die zeigen, dass das Trennende zwischen beiden Seiten kein dauerhafter Zustand sein muss. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich an einen Besuch am Westufer des Jordans, an der Taufstelle Jesu. Ein mit anwesender Hydrologe erzählte davon, dass an dieser Stelle der Fluss vor einigen Jahrzehnten tief und breit war – seinen Worten konnten währenddessen zwei jordanische Grenzposten gut lauschen, denn sie standen nur wenige Meter entfernt, getrennt nur durch ein knietiefes, zwei Meter breites Rinnsal. Die Friends of the Earth Middle East haben den Jordan zu Recht zu einem Prioritätsprojekt ernannt. Die fehlende regionale Kooperation der Jordananrainer hat einen wesentlichen Anteil daran, dass das Volumen des Flusses heute nur noch 10 Prozent des Wertes von 1960 hat. Im vorliegenden Buch von Christiane Fröhlich wird nicht nur diese ökologische, sondern auch die hiermit verwobene soziale und konfliktbezogene Dimension der Wasserprobleme im Nahen Osten, die zu einem großen Teil Konfliktprobleme sind, dargestellt. Aber das Buch kommt nicht nur für Nahostexperten zum richtigen Zeitpunkt, denn es berührt auch allgemeinere Fragen der Weltpolitik und weltpolitischer Konflikte. Hier sei abschließend nicht nur auf die wachsende Literatur zu Wasser- und Umweltfragen in den Sozialwissenschaften und der Konfliktforschung verwiesen, sondern auch auf die für ihr Gespür für aktuelle Themen immer sensible James Bond Reihe. In Quantum of Solace, dem jüngsten Film der Bond-Reihe, dreht sich denn auch alles um einen Konflikt um unterirdische Süßwasserressourcen. Es sei dem Leser überlassen, ob das vorliegende, ausgesprochen lesenswerte und informative Buch vor oder nach dem Film gelesen wird. Hierbei wünsche ich spannende Lektüre München, im März 2010
Stephan Stetter
Danksagung
Dieses Buch ist das Ergebnis meiner fast fünfjährigen Vertiefung in die Thematik; seine Entstehung war nur möglich durch die Hilfe und Unterstützung zahlreicher Menschen. Erstens ist mein Doktorvater, Prof. Dr. Berthold Meyer, zu nennen, der mich den gesamten Weg freundschaftlich fördernd und fordernd begleitet hat. Zudem möchte ich meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Thorsten Bonacker, für seine Offenheit und seine sehr nützliche, immer konstruktive Kritik danken. Außerdem danke ich dem Kollegium der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. in Heidelberg, das mir während meiner Arbeit an dieser Dissertationsschrift erstens eine Arbeitsatmosphäre geboten hat, die in ihrer Interdisziplinarität und Offenheit ihresgleichen sucht, und das es mir zweitens ermöglichte, den Wissenschaftsbetrieb in seiner Vollständigkeit nicht nur kennen zu lernen, sondern auch meine aktive Teilnahme in demselben förderte. Insbesondere zu nennen sind dabei Dr. Ulrich Ratsch, der stets ein offenes Ohr für Probleme und Fragen hatte, sowie Prof. Dr. Hans Diefenbacher, der neben der forschungspraktischen Förderung auch meine berufliche Zukunft nie aus den Augen verlor. Darüber hinaus möchte ich mich sehr herzlich bei meinen Interviewpartnerinnen und -partnern in Israel und Palästina bedanken, die mich ausnahmslos freundlich aufgenommen und alle meine Fragen und Nachfragen geduldig und sorgfältig beantwortet haben. Die TOWAE-Stiftung hat meine Arbeit an dem Projekt „Wasser im Nahen Osten“ finanziert und es mir ermöglicht, an internationalen Tagungen in der Region und anderswo teilzunehmen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das israelische Ministry for Science and Technology (MOST) ermöglichten mir mit einem Stipendium im Rahmen des Young Scientist Exchange Program, in Israel und Palästina Feldforschung zu betreiben. Auch das Doktorandenkolloquium der Universität Marburg förderte einen meiner beiden Aufenthalte in Israel mit einem Zuschuss. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank dafür. Und schließlich wäre da noch die tiefere, unauffälligere, nichtsdestoweniger tragende Unterstützung durch meine Familie und meine Freunde, die sich mit endlosen Monologen zum Thema haben langweilen lassen, mir in schweren Zeiten den Rücken gestärkt und mich überhaupt jederzeit unterstützt haben. Zunächst ist da mein Mann, Sebastian Keil. Es fällt mir schwer, in Worten aus-
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Danksagung
zudrücken, wie viel mir seine Liebe und Unterstützung bedeutet; home is where you are. Außerdem gilt mein Dank meinen Eltern, Resi und Joachim Fröhlich und meiner Schwester Dorothee Fröhlich; ohne euch wäre ich hier nie angekommen. Die „Hamburger“ Susanne Horvay, Madeleine Lange, Birger Anders, Dr. Merle Vetterlein, Zoran Grujowski, Klaas und Jörg Flechsig, Dr. Florian Kühn und Dr. Oliver Trede machen diese Stadt zu unserem Zuhause – ihr seid einfach großartig. Die in die anderen Ecken der Welt verstreuten Freundinnen und Freunde, ganz besonders Silke Weinen, Ute Wolff, Xenia Breuer, Ümit Mentese, Verena Schmidt, Hannah Zarend sowie Britta und Alex Buck mögen noch so weit entfernt wohnen, sie sind doch immer nah. Die vielleicht größte Motivation und Kraft gab mir jedoch jemand, dem dies wohl kaum bewusst war: mein Sohn Jakob, der während der Endphase meiner Promotion zur Welt kam. Er wird die Welt mit anderen Augen sehen, vielleicht auch Wasser anders wahrnehmen, als ich es mir heute vorstellen kann. Die Zukunft liegt in den Händen seiner Generation. Ihm ist diese Arbeit gewidmet.
Abkürzungsverzeichnis
BSP EMZ FATAH HAMAS IDF JWC MKM NWC PA PFLP PLDC PLO PNA PNC PWA SIT TAHAL UNRWA
Bruttosozialprodukt Entmilitarisierte Zone Öffnung, Eroberung, Sieg. Akronym von Harakat at-TahrƯr alwatanƯ al-FilastƯnƯ Akronym aus Harakat al-muqƗwama al-islƗmiyya, was soviel bedeutet wie „Islamische Widerstandsbewegung“. Der arabische Begriff Hamas bedeutet Eifer. Israel Defence Forces (israelisch-palästinensisches) Joint Water Committee Millionen Kubikmeter National Water Carrier Palästinensische Autonomiebehörde Popular Front for the Liberation of Palestine Palestine Land Development Company Palästinensische Befreiungsorganisation Palestinian National Authority Palästinensischer Nationalrat Palestinian Water Authority Social Identity Theory Tichnun HaMayim le Israel, Wasserforschungsgesellschaft Israels United Nations Relief Work Agency
Glossarium arabischer und hebräischer Begriffe
al-nakba (arab.)
alija, Pl. alijot (hebr.) aschkenas, Pl. aschkenasim (hebr.) avoda ivrit (hebr.) beglerbeg (türk.) chalutz, Pl. chalutzim (hebr.) dhimmi (arab.) dunam (türk.) dschahid (arab.) dschihad (arab.) Eretz Jisrael (hebr.) feday (arab.) fellah, Pl. fellaheen (arab.) Gush Emunim (hebr.) hadith (arab.)
hamula (arab.) Hanafi fiqh (arab.)
harim (arab.) Hisbollah (arab.) Histradut (hebr.)
wörtl. Katastrophe, Unglück. Massenhafte Vertreibung von Arabern aus Palästina im ersten arabisch-israelischen Krieg wörtl. Aufstieg. Gezielte Einwanderung von Juden nach Palästina mittel- und osteuropäische Juden jüdische Arbeit wichtigster provinzieller Gouverneur im Osmanischen Reich jüdischer Pionier nicht-muslimische Konfessionsgruppe, „Schutzbefohlene“ mit eingeschränkten Rechten in muslimischen Ländern vorderasiatisches Flächenmaß; entspricht 1000 m2 Märtyrer Anstrengung, Kampf das (gelobte) Land Israel wörtl. „der sich selbst opfert“ Kleinbauer Block der Getreuen, jüdische Siedlerorganisation Mitteilung, Erzählung, Bericht. Überlieferungen über Mohammed, die im Koran nicht enthalten sind; bilden zusammen die Sunna des Propheten Verwandtschaftsverband Hanafi ist eine der vier orthodoxen Schulen des islamischen Rechts und die offizielle Schule der Hohen Pforte, fiqh ist die Wissenschaft der islamischen Jurisprudenz das Verbotene, Unverletzliche „Partei Gottes“ jüdischer Gewerkschaftsbund
Glossarium arabischer und hebräischer Begriffe Intifada (arab.) dschil al-nakba (arab.) Jishuv (hebr.) kafija (arab.) Keren Hajesod (hebr.) Keren Kajemeth (hebr.) kibbuz, Pl. kibbuzim (hebr.) mahmiye (arab.) mejelle (arab.) metruk (arab.) mevat (arab.) millet (arab.) mir, miri (arab.) misrach, Pl. misrachim (hebr.) mitzvot ha-teluyot ba-aretz (hebr.) moshav, Pl. moshavim (hebr.) mulk (arab.) murfake (arab.) muschaa (arab.) osmani (arab.) reaya (arab.) Schari’a (arab.) Scheikh (arab.) sipahi (arab.) sumud (arab.) Sure (arab.) tanzimat (arab.) timar (arab.)
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wörtl. „abschütteln“. Palästinensischer Aufstand gegen Israel Palästinensische Generation des 1. arabisch-israelischen Krieges wörtl. „Siedlung“. Die vorstaatliche jüdische Gemeinde in Palästina „Palästinensertuch“, typische Kopfbedeckung „Gründungsfonds“. Finanzieller Arm der zionistischen Weltorganisation jüdischer Nationalfonds landwirtschaftliche Kollektivsiedlung Land, das der Allgemeinheit zur Verfügung steht „Kompendium rechtlicher Prinzipien“; arabisches Zivilgesetzbuch kommunales oder öffentliches Land „totes“ Land eigenständige, nicht-muslimische religiöse Gemeinschaft Staatseigentum orientalische Juden religiöse Vorschriften in Bezug auf das Land genossenschaftlich organisierte, landwirtschaftliche Siedlung privater Besitz Land, das einer bestimmten Ortschaft zur Verfügung gestellt wurde Gemeineigentum „die Herrschenden“ „die Herde“ religiös legitimiertes, unabänderliches Gesetz des Islam lokaler Klanführer Reiter Beharrlichkeit Kapitel des Koran Rechts- und Verwaltungsreform im Osmanischen Reich Länderei
18 waqf (arab.) Yom Kippur (hebr.)
Glossarium arabischer und hebräischer Begriffe fromme Stiftung jüdischer Versöhnungstag
1 Einleitung
Die vorliegende Untersuchung basiert auf der Überzeugung, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht ohne einen gewissen Grad an Verständnis der jeweils anderen Geschichte, Identität und Narrativen gelöst werden kann. Ohne wenigstens einen gewissen Einblick in das Selbst- und Fremdbild des Anderen, ohne ein Verständnis davon, wie diese entstanden sind und sich zu Freund und Feind verhalten, ist jeder Versuch einer Konfliktlösung zum Scheitern verurteilt. Der Konflikt schwebt nicht im luftleeren Raum abstrakter Machtund Sicherheitsinteressen, sondern wird von Menschen gemacht und von Menschen durchlitten. Hier muss Konfliktlösung beginnen. Da jegliche Kommunikation und Wahrnehmung, ja, jede menschliche Interaktion mit dem, was wir Realität nennen, diskursiv ist, wird das Verständnis der anderen Seite und also die Basis jeder Konfliktlösung im Diskurs erkennbar. Es äußert sich in Ver- und Entsicherheitlichungen verschiedener Bedrohungen für bestimmte Referenzobjekte, die sich ebenfalls diskursiv manifestieren. Das Ziel dieser Arbeit ist es, diese mithilfe einer Diskursanalyse aufzudecken. 1.1 Wasserknappheit in Israel und den palästinensischen Gebieten1 Die Grundlage des israelisch-palästinensischen Konflikts um Wasser bilden die geografischen, hydrogeologischen und demographischen Gegebenheiten in der Region. Sie sind einerseits reale Bedingungen, andererseits als „richtiges“ Wissen Konfliktgegenstand. Der Begriff Wasser bezeichnet hier also das Element H2O, das verschiedentlich als „blaues Gold“ oder schlicht „Leben“ bezeichnet wird. Die ausreichende Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist ein dringliches globales Problem; weltweit haben geschätzte eineinhalb Milliarden Menschen keinen zuverlässigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Im Folgenden werden die vorhandenen Daten zu Wassermenge, -qualität und -verfügbarkeit sowie 1
In dieser Arbeit wird die Bezeichnung Israel für das völkerrechtlich anerkannte Territorium des Staates Israel entlang der Grenzen von vor 1967 verwendet. Die Bezeichnung „palästinensische Gebiete“ steht für die seit 1967 besetzten Gebiete der Westbank sowie für den Gazastreifen, der 2005 von Israel geräumt wurde. Der Begriff Palästina bezeichnet das Gebiet, das von 1923 bis 1948 unter dem Namen „Palestine“ von der britischen Mandatsregierung verwaltet wurde. Vgl. Maurus Reinkowski: Filastin, Filistin und Eretz Israel. Die späte osmanische Herrschaft über Palästina in der arabischen, türkischen und israelischen Historiographie, Berlin: Klaus Schwarz Verlag 1995, S. 9.
20
1 Einleitung
Bevölkerungswachstum und Entwicklungsziele für Israel und die palästinensischen Gebiete aufgearbeitet. Tabelle 1: Wasserressourcen und ihre Nutzung im Nahen Osten 1994 (MKM/a) 2 Erneuerbare Wassermenge
Wasserverbrauch Israel
Jordanbecken Bergaquifer Westbank, Israel Küstenaquifer Israel Küstenaquifer Gazastreifen Andere Aquifere Israel Aquifer Jordanien Total
2
Palästina Jordanien 350 (inkl. 0 Wadis)
Syrien Total ca. 1195 200
1320
645
679
487
121
-
-
608
240
240
-
-
-
240
55
-
108
-
-
108
215
283
-
-
-
283
275
-
-
507
-
507
2784
1655
229
857
ca. 200
2941
Ines Dombrowsky: The Jordan River Basin: Prospects for Cooperation Within the Middle East Peace Process? In: Scheumann, Waltina/Schiffler, Manuel (Hrsg.): Water in the Middle East: potencials for conflicts and prospects for cooperation (S. 91-112), Berlin/Heidelberg/New York et al.: Springer 1998, S. 94.
1 Einleitung
21
22
1 Einleitung
Die Hauptquelle für Süßwasser sind für Israel und die palästinensischen Gebiete der See Genezareth und das Jordanbecken, bestehend aus dem Jordan, seinen Quell- und Zuflüssen sowie einigen Grundwasserleitern (Aquifere). Zwei Quellflüsse des Jordan (Banias und Hasbani) entspringen außerhalb der israelischen Staatsgrenzen. Der See Genezareth erhält außer aus dem Jordan Wasser aus verschiedenen kleineren, teils brackigen Zuflüssen und Quellen aus dem Golan sowie aus meist salinen Quellen, die im See selbst entspringen. Aufgrund seiner tiefen Lage – er ist der am tiefsten gelegene Süßwassersee der Welt – und seiner recht großen Oberfläche von 167,8 Quadratkilometern ist der Wasserverlust durch Verdunstung vergleichsweise hoch. So kann das Wasserniveau in sehr trockenen Jahren um bis zu drei Meter sinken, was den Salzgehalt des Seewassers steigen lässt. Trotzdem war der See bis vor kurzem der wichtigste Wasserspeicher der Region.3 Das Klima der Region ist arid bis semi-arid, d.h. Dürren kommen häufig vor und strapazieren die natürlichen Wasservorräte. Im Jahr 2008 sanken die Wasserstände des Sees Genezareth und des Bergaquifers zum Beispiel auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Messungen. Mehr als 70 Prozent der durchschnittlichen Regenmenge fällt zwischen November und März; von Juni bis September fällt üblicherweise gar kein Niederschlag. Die Regenmenge nimmt zudem von Norden nach Süden stark ab, so dass im extremen Süden im Durchschnitt nur 30 Millimeter, im Norden mehr als 900 Millimeter pro Jahr erwartet werden können. Die größten unterirdischen Wasserreservoirs sind der Küsten- und der Bergaquifer mit 240 bzw. 679 Millionen Kubikmeter (MKM) pro Jahr. Der wichtigste Zufluss des Jordan ist der Jarmuk; die beiden Flüsse treffen etwa 10 Kilometer unterhalb des Sees Genezareth aufeinander. Die Wasserführung des Jarmuk (und damit des Jordan) ist aufgrund der geologischen und klimatischen Gegebenheiten massiven jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt: Dreiviertel seiner jährlichen Wassermenge fließen in nur fünf Monaten, in der Regel im Winter. Dies hat zu der beeindruckenden Ausführlichkeit der wasserrechtlichen Regelungen beigetragen, die in Artikel sechs des israelisch-jordanischen Friedensvertrags von 1994 festgeschrieben wurden.4 Die erneuerbare Wassermenge im gesamten Gebiet wird auf 2.784 Millionen Kubikmeter pro Jahr geschätzt. Außer dem Libanon leiden nach dem Falkenmark’schen Index alle Anrainer des Jordanbeckens unter Wassermangel.5 3
Vgl. dazu Ina M. Vallianatos-Grapengeter: Der Nahostkonflikt im Prisma der Wasserproblematik. Wasserpolitik im Jordantal 1882-1967, Hamburg: LIT 1996, S. 8ff. 4 Der englische Text des Abkommens ist unter http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/ Peace/isrjor.html abrufbar. 5 Wasserknappheit wird im sogenannten Wasserknappheitsindex der schwedischen Hydrologin Malin Falkenmark definiert. Sie führte die folgenden Definitionen ein: Stehen Staaten mehr als 1.700 m3
1 Einleitung
23
Ineffiziente Wassernutzung, steigende Bevölkerungszahlen durch Geburtenüberschuss und Zuwanderung sowie die kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung erhöhen den Wasserbedarf und wirken als Verstärker der Knappheitssituation. Die Weltbank gibt an, dass die MENA-Region (Middle East and North Africa) zwar 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur 1 Prozent der Wasservorräte beherbergt.6 Sollten die Staaten der Region kein effizientes Wassermanagement betreiben, geht die Weltbank davon aus, dass die Wasserverfügbarkeit pro Kopf und Jahr bis 2050 um mindestens 50 Prozent zurückgehen wird.7 1.2 Wasser – Medium und Projektionsfläche Der Begriff Wasser steht in der Region jedoch nicht nur für die oben genannten „objektiven“ Daten, sondern auch für zahllose soziale, materielle und symbolische Vermittlungsprozesse, die verschiedenen Funktionen der Ressource Wasser sowie die mit ihnen verbundenen Nutzungsinteressen. Diese Ambivalenz führt dazu, dass sich Kommunikation über Wasser auf sehr unterschiedliche Gegenstände beziehen kann; meist liegt der Fokus dabei nicht auf dem eigentlichen Stoff Wasser, sondern auf seiner Nutzung und den Kontexten, in denen er zu finden ist.8 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die politischen, sozialen und symbolischen Vermittlungsprozesse in der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft, die dafür sorgen, dass Wasserknappheit dort als Konfliktgrund wahrgenommen wird. Sie äußern sich in konfliktiven Diskurs-
Trinkwasser pro Jahr und Kopf zur Verfügung, spricht man von einer relativen Hinlänglichkeit der Wassermenge. Probleme sind selten und regional begrenzt. Zwischen 1.000 und 1.700 m3 sprechen Wissenschaftler von Wasserstress, d. h. Wassermangel ist weit verbreitet. Unter 1.000 m3 tritt Wasserknappheit ein, d.h. Wassermangel ist chronisch. Unter 500 m3 handelt es sich um absolute Wasserknappheit. Vgl. Wilhelm Sager: Wasser. Rotbuch 3000, hrsg. v. Martin Hoffmann, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag 2001, S. 20. Hillel Shuval formuliert alternativ ein sogenanntes Minimum Water Requirement (MWR). Damit ist die Wassermenge gemeint, die notwendig ist, um ein angemessenes Wirtschafts- und Sozialleben zu ermöglichen und vitale menschliche Bedürfnisse zu erfüllen. Laut Shuval liegt diese MWR für den Nahen Osten bei 125 m3 pro Jahr. Vgl. Hillel Shuval, Meeting Vital Human Needs: Equitable Resolution of Conflicts over Shared Water Resources of Israelis and Palestinians, in: Hillel Shuval und Hassan Dweik (Hrsg.), Water Resources in the Middle East. Israeli-Palestinian Water Issues – From Conflict to Cooperation. Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 2007b, S. 3-16, hier S. 3. 6 Weltbank, World Development Indicators 2007. 7 Vgl. http://siteresources.worldbank.org/DATASTATISTICS/Resources/mna_wdi.pdf, S. 1. 8 Vgl. dazu Bettina Köhler: Wasserwirtschaft im Kontext der Debatten um öffentliche Güter und gesellschaftliche Naturverhältnisse, in: Wasserkolloquium (Hrsg.), Wasser. Die Kommerzialisierung eines öffentlichen Gutes, Berlin: Karl Dietz Verlag 2008, S. 15f.
24
1 Einleitung
strukturen, etwa der diskursiven Versicherheitlichung9 von Wasserknappheit für verschiedene Referenzobjekte. Politisierungen und Versicherheitlichungen von Wasser in Israel und den palästinensischen Gebieten, ihre Ursprünge im und Folgen für das Konfliktkonglomerat, in das sie eingebettet sind, stehen allerdings bislang nicht im Fokus der Arbeiten über diesen Wasserverteilungskonflikt. Die historische Gewachsenheit und diskursive Konstruiertheit der in beiden Gesellschaften jeweils vorherrschenden Wahrnehmung von Wasser, wie sie beispielsweise anhand der Frage deutlich wird, wer einer beliebigen natürlichen Ressource zu welchem Zeitpunkt welchen Wert zumisst, werden in der Forschung bislang kaum berücksichtigt. Hier kommen die Konzepte der „politisierten Umwelt“ und der „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“ zum Tragen, die aus der soziologischen Debatte um das Verhältnis zwischen „Sozialem“ und „Natur“ stammen.10 Karl-Werner Brand schreibt über den „Doppelcharakter unseres Naturverhältnisses“11: „Wir sind einerseits, als biologische Gattung, ein von natürlichen Umweltbedingungen abhängiger, gesundheitlich sehr verletzlicher Teil des biophysischen Systems ‚Erde’, eingebettet in natürliche, stofflich-energetische Kreisläufe. (...) Menschliche Naturnutzung wirkt allerdings auf die jeweiligen Umweltbedingungen wieder zurück, zumeist mit nicht-intendierten Folgeproblemen (...). Die jeweilige Art des gesellschaftlichen Naturbezugs ist (...) immer von kulturellen Vorstellungen geleitet. Natur gewinnt für uns überhaupt nur in symbolisch vermittelter Form Relevanz. (...) Gesellschaftliche Naturverhältnisse haben so immer eine materielle und eine symbolische Dimension. Es ist dieser Doppelcharakter, der Auseinandersetzungen über Umweltprobleme entsprechend ‚doppelbödig’ macht, Fragen des Umgangs mit ‚Natur’ oder der Gefährdung unserer ‚natürlichen’ Reproduktionsbedingungen eine hohe symbolische Aufladung verleiht.“12
Die Strukturen dieser „symbolischen Aufladung“ aufzudecken und ihren Einfluss auf den Konfliktverlauf zu analysieren ist zentrales Anliegen dieser Studie. 1.3 Forschungshypothese und Aufbau der Arbeit Dem Wasserkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern, so die zentrale These dieser Arbeit, liegen fundamental unterschiedliche Wahrnehmungen von Knapp9
Vgl. zum Begriff Versicherheitlichung S. 41ff in diesem Band. Vgl. dazu einführend z.B. Karl-Werner Brand (Hrsg.): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven, Opladen: Leske + Budrich 1998. 11 Karl-Werner Brand: Soziologie und Natur – eine schwierige Beziehung. Zur Einführung. In: KarlWerner Brand (1998), S. 9-29, hier S. 9. Im Folgenden: Brand (1998). 12 Ebd., S. 9. 10
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heit zugrunde. Dies zeigt sich in den nationalen Wasserdiskurssträngen. Beide Seiten konstruieren Wasser zum Konfliktgegenstand, der emotional stark aufgeladen ist: „Nothing is more basic, more vital, than water, and few issues stir as much emotion.“13 Wasserknappheit wird diskursiv versicherheitlicht, doch die Motivationen hinter diesen Versicherheitlichungen sowie ihr Referenzobjekt sind jeweils sehr verschieden. Genau hier müssten Konfliktlösungsversuche ansetzen. Im Fokus dieser Studie steht also die Frage, wie die Ressource Wasser in Israel und den palästinensischen Gebieten wahrgenommen wird, um so Parallelen, Ähnlichkeiten und Ansatzpunkte für Dialog innerhalb des israelischen und des palästinensischen Wasserdiskurses herauszuarbeiten. Zunächst wird die Struktur der Diskkursstränge „Wasser in Israel“ und „Wasser in Palästina“ von 1882 bis 2005 in einer Diskursgenese entfaltet und vergegenwärtigt. Als Basis diente die vorhandene Sekundärliteratur zum Thema. Darauf folgt die Diskursanalyse, deren Ergebnisse verdeutlichen, wie die beiden Gesellschaften die Ressource Wasser heute politisch, strategisch und gesellschaftlich bewerten und inwieweit Wasser ver- oder entsicherheitlicht wird. Die Datenbasis bildeten 17 halboffene, semi-strukturierte Interviews, die 2005 mit israelischen und palästinensischen Wasserexperten geführt wurden. So wird die konkrete, aktuelle Ausgestaltung des Wasserdiskurses in Israel und Palästina auf der Ebene der Experten/der Wissenschaft beschreibbar. In einem dritten und letzten Schritt werden aus den Entwicklungen seit 1882 bis 2005 Trends für die zukünftige Entwicklung der Wasserdiskurse und damit des Wasserverteilungskonfliktes zwischen Israelis und Palästinensern formuliert, auf deren Basis neue Friedensinitiativen aufbauen könnten. 1.4 Forschungsstand Die Grundlage für Studien zum Themenfeld „israelisch-palästinensischer Wasserkonflikt“ bilden hydrologische, geologische und hydrogeologische Arbeiten. Sie liefern Daten über die vorhandene natürliche Wassermenge, Ursachen von Wasserversalzung, Höchstentnahmemengen zur nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen u.ä. Der Ansatz ist hier in der Regel ein naturwissenschaftlichpositivistischer. Einen guten Überblick liefern Shuval und Dweik (2007) mit ihrer Dokumentation der zweiten „Israeli-Palestinian-International Conference on Water for Life in the Middle East“, die im Oktober 2004 in Antalya stattfand. Dass zahlreiche der insgesamt 44 Artikel den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Politik- und Sozialwissenschaft entstammen illustriert, dass der Begriff Wasser in der Region eben nicht nur den Stoff H2O, sondern weit 13
Jad Isaac: Opening Remarks, in: Isaac/Shuval (1994), S. xiii-xiv, hier S. xiv.
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mehr bezeichnet. Nichtsdestoweniger fehlen konstruktivistische Methoden völlig. Nur ein Beitrag erwähnt die Notwendigkeit, bei der Diskussion um Wasserknappheit die Wahrnehmung der Ressource durch ihre Nutzer sowie deren Überzeugungen und Verhaltensweisen zu berücksichtigen (Francesca de Châtel, „Perceptions of Water in the Middle East: The Role of Religion, Politics and Technology in Concealing the Growing Water Scarcity“; siehe auch de Châtel 2007). Allerdings bleibt die Autorin jegliche theoretische oder methodologische Einbettung schuldig. Politikwissenschaftliche Texte zum Thema verorten sich meist in der Regimetheorie (Jägerskog 2007; Selby 2007; siehe auch Jägerskog 2003 und 2006 sowie Selby 2003, 2003a, 2003b und 2005), vereinzelt auch in den Sicherheitsstudien (Zeitoun 2007). Zeitoun (2007) arbeitet sogar ebenfalls mit der Versicherheitlichungstheorie von Buzan et.al. (1998), verweist aber lediglich auf die Forschungslücke, die mit der vorliegenden diskursanalytischen Arbeit gefüllt werden soll (S. 222). Lowi (1995), Sherman (1999) and Warner (2003) unterstreichen ebenfalls die hohe Bedeutung der Wahrnehmung von Wasser für den israelisch-palästinenesischen Wasserverteilungskonflikt, führen jedoch keine tiefgehende diskursanalytische Überprüfung dieser Hypothese durch. Weitere Untersuchungen des Themenfelds Wasser im Nahen und Mittleren Osten allgemein und des israelisch-palästinensischen Wasserkonflikts im Besonderen stammen von Vallianatos-Grapengeter (1996), Johannsen (1997 und 2002), Barandat (1997), Renger (1997), Dombrowsky (1995, 1998, 2001 und 2003), Libiszewski/Schiffler (1995) und Scheumann/Schiffler (1998) sowie Janosch/Schomaker (2008). Sehr wertvoll für die vorliegende Arbeit war insbesondere die historische Studie von Vallianatos-Grapengeter, die die Wasserpolitik im Jordantal von 1882 bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 aufarbeitet. Sie wertet zeitgeschichtliche Quellen aus und zeichnet so ein genaues Bild der Rolle, die die Ressource Wasser in den politischen Entscheidungen insbesondere auf der israelischen Seite im genannten Zeitraum gespielt hat. Johannsen bettet den Wasserkonflikt in das größere israelisch-palästinensische Konfliktkonglomerat ein, während Barandat in seinem Sammelband Wasserkonflikte und Kooperation in Bezug auf Wasser aus globaler Perspektive beleuchtet. Dombrowsky konzentriert sich ebenso wie Neubert et.al. (2005) in ihren neueren Arbeiten auf die Übertragung des Konzepts des Integrierten Wasserressourcenmanagements (IWRM) auf das Jordanbecken und arbeitet sehr lösungsorientiert. Ähnlich gehen Bastian et.al. (2008), Wallimann/Dobkowski (2003) sowie Baechler et.al. (2002) an das Thema heran; ihr Fokus liegt auf Konfliktlösungsprozessen und Ansatzpunkten für Kooperation. Barandat (1998 und 1999a), Braams (2004), Lohse (2005), van Edig (2001) sowie Giannios (2004) widmen sich zudem den (völker-)rechtlichen Aspekten von Wasserkonflikten allgemein und des israelisch-palästinensischen Wasser-
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konfliktes im Besonderen. Insbesondere van Edig und Giannios konzentrieren sich auf das Jordantal und seine Wasserressourcen und untersuchen auf der Grundlage des internationalen und nationalen Wasserrechts, welche Ansatzpunkte für eine gerechtere Verteilung der Ressource und letztlich die Lösung des Konflikts existieren. Obwohl sie keine Diskursanalysen durchführen, zeichnen sie doch einen Seitenstrang des Wasserdiskurses nach, der sich mit rechtlichen Aspekten der Wasserverteilung beschäftigt. Außerdem existieren einige allgemeinere Arbeiten zu Wasser als kommerziellem, wirtschaftlichem, knappem Gut; dazu gehören etwa Shiva (2003), Barlow/Clarke (2003), Stadler/Hoering (2003) und der Sammelband des Wasserkolloquiums (2008). Sie beschäftigen sich vor allem mit den Folgen der Privatisierung von Wasser sowohl für industrialisierte Staaten als auch für solche Länder, die sich noch ganz am Anfang ihrer wirtschaftlichen und sonstigen Entwicklung befinden. Zentral für die vorliegende Arbeit waren die theoretischen Arbeiten der Umweltkonfliktforschung, die sich in vier aufeinander aufbauende Generationen gliedern lassen.14 Die erste dieser Generationen entstand vor dem Hintergrund allmählich wachsender Erkenntnisse über die Folgen von Umweltzerstörungen. Als Hauptvertreter sind Mathews (1989), Myers (1993), Kaplan (1994), Connelly und Kennedy (1994) sowie Westing zu nennen, die für eine selektive, aber nichtsdestoweniger machtvolle Verbindung von Politik und Wissenschaft stehen. Dieser ersten Generation ging es vor allem um die konzeptionelle Frage, ob und wie Umweltthemen in Fragen der Sicherheit einbezogen werden können. Sie prägte den Begriff der „Ökologischen Sicherheit“ als Bezeichnung für die konfliktträchtige Verbindung zwischen Unterentwicklung, Umweltproblemen, wachsender Armut und die Sicherheit bedrohenden militärischen Spannungen. Schon früh stellten sich dieser Sichtweise jedoch Kritiker entgegen, die in solch einer „nationalstaatlichen“ Interpretation des so erweiterten Sicherheitsbegriffs den falschen Weg sahen: Eine auf einzelne Staaten reduzierte Behandlung von Umweltproblemen greife zu kurz, da diese nicht räumlich oder sozial eingrenzbar seien, sondern vielmehr globalen Charakter hätten. Insbesondere mangele es an empirischen Belegen für die Relevanz des Konzepts „Ökologische 14
Vgl. Stefan Ringstorff: Diskurse über Umwelt- und Ressourcenkonflikte: Internationale Forschungsansätze und ihre Verankerung in politischen Leitbildern, unveröffentlichtes Paper, Hamburg ca. 2004, S. 21/22. Im Interesse einer übersichtlichen Gliederung werden die unterschiedlichen Ansätze hier in Generationen aufgeteilt; trotzdem sind sie nicht homogen. Die Forschungsansätze gehen ineinander über und existieren parallel zueinander. Die Einteilung in vier (statt drei) Generationen stammt von der Autorin. Vgl. zu den ersten drei Generationen auch M.A. Levy: Time for a Third Wave of Environment and Security Scholarship? In: Woodrow Wilson Center (Hrsg.): Environmental Change and Security Project Report, Nr. 1, 1995b, S. 44-46; sowie C. F. Rønnfeldt: Three Generations of Environment and Security Research, in: Journal of Peace Research, Bd. 34, 1997, Nr. 4, S. 473-482.
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Sicherheit“. Diese Kritiker bildeten bald die zweite Generation; ihre Kritik ist Teil der Debatte über Sinn und Zweck des sogenannten „erweiterten Sicherheitsbegriffs“, der die Theorieschulen der Internationalen Beziehungen und die Friedens- und Konfliktforschung nach wie vor beschäftigt.15 Die Forscher der zweiten Generation führten empirische Studien in großem Maßstab durch; stellvertretend seien die Toronto Group um Thomas HomerDixon sowie das Environment and Conflicts Project (ENCOP) an der ETH Zürich um Günther Bächler genannt, die sich durch die Orientierung an konkreten Konflikten und die Fokussierung auf erneuerbare Ressourcen (wie Wasser) auszeichneten. Darüber hinaus wurde in den 1990er Jahren das Environmental Change and Human Security Project (GECHS) am Woodrow Wilson Center in Washington D.C. eingerichtet. Mit Hilfe von Process Tracing16 auf der Basis von ex-post-Analysen sollten die relevanten unabhängigen (ökologische Knappheit), intervenierenden (soziale Effekte) und abhängigen (Konflikt) Variabeln in der hypothetisierten Kausalkette zwischen Umweltdegradation und Konflikten ausgemacht werden. Basierend auf diesem methodologischen Rahmen wurden in großem Maßstab, insbesondere in Entwicklungsländern, Fallstudien durchgeführt.17 Hieraus entwickelten die einzelnen Forschergruppen Konflikttypologien18, mit deren Hilfe die untersucht werden sollte, unter welchen Umständen Ressourcenknappheit zu Konflikten führt. Dabei wurde diese Kausalität allerdings nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Zudem wurden die Konzepte der environmental scarcity und environmental discrimination entwickelt.
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Vgl. dazu Brock 1998; Buzan et al. 1995, 1998, 2003; Gießmann 1997; Diehl 1998; Gleditsch 1997, 2001; Deudney 1990, 1991, 1995. Darüber hinaus stand der Versuch im Vordergrund, Erklärungen für durch Umweltzerstörung oder Ressourcenknappheit induzierte Konflikte zu finden. Eine Art „Meilenstein“ auf dem Weg dorthin war der Brundtland-Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ von 1987, der erstmals offiziell von Umweltzerstörung als Konfliktursache sprach. BrundtlandReport: Our Common Future (4. August 1987), Dokument der UN-Generalversammlung A/42/427, Report of the World Commission on Environment and Development, Kapitel 11, S. 290ff. 16 Mithilfe der positivistischen Methode des Process Tracing sollen Daten über kausale Zusammenhänge oder Prozesse, Ereignisse, Aktionen, Erwartungen und andere intervenierende Variabeln generiert und analysiert werden, die mutmaßliche Ursachen eines Untersuchungsgegenstands mit beobachteten Effekten verbinden. Anders gesagt: Process Tracing möchte kausale Mechanismen sichtbar machen und bewerten. Rønnfeldt schreibt: „Process tracing is an analytical approach that aims at mapping relevant independent, intervening and dependent variables on the causal pathway from environmental scarcity to conflict.“ Rønnfeldt (1997), S. 475. 17 Vgl. dazu Ringstorff (ca. 2004), S. 3. Beispiele sind Homer-Dixon (1995, 1997, 1999); HomerDixon/Blitt (1998); Bächler et. al (1996) und Bächler/Spillman (1996) sowie NATO (1999). 18 Zum Beispiel die Toronto-Group mit drei Konflikttypen (simple scarcity conflicts, group-identity conflicts, relative-deprivation conflicts, vgl. Homer-Dixon (1991)) sowie ENCOP mit sieben idealtypischen Konflikten.
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Den Forschern dieser Generation wurde – mehr oder weniger geringschätzig – Neomalthusianismus19 bescheinigt, da das globale Bevölkerungswachstum in ihren Analysen von Ressourcenknappheit und Konflikten eine zentrale Rolle spielt. Sie betonten, dass durch die wachsende Weltbevölkerung ökologische Knappheit unausweichlich sei. Infolgedessen sei mit Migration und Armut zu rechnen, woraus nahezu zwangsläufig gewaltsame Konflikte entstünden.20 Angewandt auf das Jordanbecken würde dies bedeuten, dass das israelische, verschiedentlich (und unpräzise) sogenannte „Wasser-Apartheidsregime“, das den Palästinensern nur vergleichsweise geringe Mengen trinkbaren Wassers zugesteht, zunächst zu akutem Wassermangel und dadurch zu massiven sozioökonomischen Einschränkungen führen würde. . Laut der Forschergruppe der zweiten Generation wäre ein gewaltsamer Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis eine unabdingbare Folge. Die eindimensionale Kausalität dieser Knappheitsargumentation wurde von der dritten Forschergeneration kritisiert. So erweiterten die „Kornukopianer“ (von lateinisch cornucopia, Füllhorn) die Analyse um weitere unabhängige Variabeln sowie Fälle friedlicher Lösungen von Ressourcenkonflikten und betonten, dass in der Regel mehrere Ursachen zur Entstehung von Umwelt- und Ressourcenkonflikten beitragen. Die Anhänger dieses Ansatzes, etwa Aaron T. Wolf von der Oregon State University und Nils Petter Gleditsch vom Peace Research Institute Oslo (PRIO), gehen davon aus, dass es auf der Erde ausreichend Wasser gibt; das Problem liege vor allem in der Art der Wassernutzung bzw. governance.21 So werden Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen Bewässerungstechniken als Hauptproblem angesehen. Staatliche und territoriale Kontrolle wird mit der Verfügbarkeit über reiche Ressourcenvorkommen und ihrer Ausbeutung gleichgesetzt. In Konflikten ist Wasser laut diesem Ansatz immer nur ein Teilaspekt; ein Automatismus zwischen Wasserknappheit und Konflikten besteht ausdrücklich nicht. Diese Generation führte in ihren Kontrollstudien neue ökologische und sozio-politische Variabeln ein, integrierte die transnationale Dimension von ökologischer Knappheit und bearbeitete Fallstudien mit großen Datenmengen quantitativ. Auf dieser Grundlage zeichnete sie ein klareres Bild der geographischen 19
Der Name leitet sich von Robert Malthus ab (1766-1834), der in seinem „Essay on Population“ (1798) ausführte, dass mit wachsender Bevölkerung immer größere Mengen an Lebensmitteln notwendig seien, um das Überleben der Menschen zu sichern. Gleichzeitig sei jedoch der Raum für den Anbau dieser Nahrungsmittel begrenzt; die logische Folge dieser Entwicklung sei ein Mangel an Lebensmitteln, Hunger und Mangelernährung. 20 Vgl. z.B. Homer-Dixon (1999). 21 Nils Petter Gleditsch, Vortrag beim International Expert Workshop „Water, Development and Cooperation. Comparative Perspective: Euphrates-Tigris and Southern Africa“, veranstaltet von BICC und ZEF, Bonn, 1.3.2004.
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und diachronen Häufigkeit und Verteilung von Konflikten im Zusammenhang mit Umweltfaktoren. Sie stellt eine große Innovation der empirischen Analyse von Umweltkonflikten dar, da sie wichtige theoretische und methodische Eingaben liefern konnte. Außerdem verband sie die Forschung über Umwelt und Konflikte mit dem allgemeineren Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung.22 In Bezug auf Wasser konnte dieser Forschungsstrang empirisch nachweisen, dass die Ressource zumindest auf internationaler Ebene großes Kooperationspotenzial besitzt. Die International Water Treaties-Datenbank23 der University of Oregon listet mehr als 400 internationale Wasserabkommen auf, davon allein fast 100 nach dem Zweiten Weltkrieg. Solche Regelungen zur Wasserverteilung sind erstaunlich belastbar: Selbst militärische Konflikte können ihnen selten etwas anhaben, wie etwa die Verträge zwischen Indien und Pakistan oder auch zwischen Israel und Jordanien zeigen. Inzwischen herrscht (zumindest in Forscherkreisen) weitgehende Einigkeit darüber, dass globale Bedrohungen durch internationale Wasserkriege nicht sehr wahrscheinlich sind – die monokausale Knappheitsargumentation der Neomalthusianer gilt insoweit als widerlegt. Kurt Spillmann schrieb im Jahr 2000: „Zwischenstaatliche Kriege über erneuerbare Ressourcen wie Wasser sind auch gegenwärtig wenig wahrscheinlich, da die Nutzung erneuerbarer Ressourcen weder einfach noch schnell in Macht umgewandelt werden kann.“24 Avraham Tamir hatte für den Nahen Osten bereits 1988 festgestellt: „Why go to war over water? For the price of a weeks fighting, you could build five desalination plants. No loss of life, no internal pressure, and a reliable supply you don’t have to defend in hostile territory.“25 Letztlich liefert allerdings auch diese dritte Generation kein neues Modell für den hypothetisierten kausalen Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit und Konflikt und keine fundierte Erklärung für das Andauern von Wasserverteilungskonflikten auch dort, wo ausreichende Wassermengen oder technische Lösungsmöglichkeiten vorhanden sind – wie in Israel und Palästina. In direkter Nachfolge dieser drei Generationen bildet sich in den letzten Jahren eine vierte Generation von Umwelt- bzw. Wasserkonfliktforschern heraus. Die Forscher dieser Generation postulieren – ausgehend von der Unfähigkeit der vorangegangenen Schulen, zentrale Fragen zu beantworten – die Notwendigkeit neuer Herangehensweisen. Beispielsweise monieren sie die bislang vorwie22
Vgl. Rønnfeldt (1997), S. 476 und 480. http://www.transboundarywaters.orst.edu 24 Kurt Spillmann: Kriegsursache der kommenden Generation? Der Kampf um das Wasser, in: Internationale Politik, Dezember 2000, Nr. 12, 55. Jahrgang, S. 5. 25 Avraham Tamir: A Soldier in Search of Peace: An Inside Look at Israel’s Strategy, London 1988, S. 56. Wie zitiert in Steven C. Lonergan: Water and Conflict: Rhetoric and Reality, in: Paul F. Diehl/Nils Petter Gleditsch (Hrsg.): Environmental Conflict, Boulder/Oxford 2001, S. 109-124, hier S. 120. 23
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gende Konzentration auf internationale Ressourcenkonflikte zu Ungunsten substaatlicher Konflikte, die oft bereits gewaltsam ausgetragen werden. Auch das Konzept „Knappheit“, das in fast allen Ansätzen in irgendeiner Form vorkommt, bleibe mehrdeutig und erschwere die Analyse konkreter Konflikte. Allein Thomas Homer-Dixon identifiziert bereits drei Typen von Knappheit: demandinduced, supply-induced und structural scarcity. Die vierte Generation stellt deshalb in Frage, ob der Begriff als Analysekategorie überhaupt geeignet ist, da Knappheit immer relativ sei: Das Konzept wäre nur tragfähig, wenn die soziale Konstruiertheit von „Reichtum“ und „Mangel“ endlich berücksichtigt würde. Bislang wurde diese Bewertung von Ressourcen jedoch als natürlicher, nicht als sozialer Prozess verstanden. Des Weiteren betont die vierte Generation, dass die bisherige Umweltkonfliktforschung offensichtlich von verschiedenen normativen Positionen geprägt ist, die oft nur impliziert werden, für die einzelnen Ansätze aber eine große Rolle spielen. Eine umweltpessimistische Sichtweise (Neomalthusianismus) steht einem umweltoptimistischen Standpunkt gegenüber.26 Bei letzterem symbolisiert Cornucopia, das Füllhorn, praktisch unbegrenzten technologischen Fortschritt und Machbarkeit. Das schlägt sich allerdings oft negativ in der praktischen Herangehensweise an Entwicklungsprobleme nieder, und zwar insbesondere in Bezug auf Wasser: Hydropolitik, die auf einem solchen anthropozentrischen Weltbild beruht, ist in der Tendenz inkonsistent und kurzfristig angelegt. Wasser wird als technisches Gebrauchsgut angesehen, das nur in Beziehung zu Lebensmitteln, Landwirtschaft und menschlichen Siedlungen wichtig ist. Gibt es Probleme, wird in erster Linie versucht, die verfügbare Wassermenge zu erhöhen (supply management). Diese Herangehensweise verhindert jedoch eine effektive Kontrolle der langfristigen Zerstörung von Ressourcen; Resultat sind oftmals wachsende Knappheit und Umweltzerstörung.27 Ohnehin werden bislang insbesondere im Umweltsektor naturwissenschaftliche Methoden als auf soziale Phänomene wie Konflikte anwendbar verstan-
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Verschiedentlich wird auch von einer ökozentrischen und anthropozentrischen Sichtweise gesprochen. Zur soziologischen Debatte über „erste“ und „zweite“ Kultur bzw. Moderne, über den Konflikt zwischen „Wachstumsparadigma“ und „ökologischem Paradigma“, zwischen „naturalistischen“ und „soziologistischen“ oder „kulturalistischen“ Herangehensweisen an die ökologische Problematik, siehe Brand (1998, z.B. S. 15ff und S. 24ff), sowie Reiner Keller und Angelika Poferl: Vergesellschaftete Natur – Öffentliche Diskurse und soziale Strukturierung. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Cultural Theory, in: Brand (1998), S. 117-142, hier S. 124ff. 27 Vgl. Thomas Naff: A Case for Demand-Side Water Management, in: Jad Isaac/Hillel Shuval (Hrsg.): Water and Peace in the Middle East, Proceedings of the First Israeli-Palestinian International Academic Conference on Water, Zürich, Switzerland, 10-13 December 1992, Amsterdam/London/New York et al.: Elsevier 1994, S. 83-92, hier S. 83.
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den.28 Der Großteil der entsprechenden Publikationen geht immer noch fälschlicherweise davon aus, man könne, indem man ein Problem als Umweltproblem einstufe, durch technische Politikprogramme nachhaltige Lösungen erreichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, umstrittene politische Probleme könnten zu administrativen Problemen gemacht und dann von hoch qualifizierten Experten29 ohne größere Konflikte verwaltet werden.30 Allerdings folgt aus einer solchen Rationalisierung des Umgangs mit Umweltkonflikten nicht zwangsläufig die Rationalisierung der Konflikte – eher im Gegenteil. Zwar erzeugt solch ein rationaler Umgang mit Ressourcenkonflikten immer größeres (Experten-)Wissen über die betreffende Ressource, die beteiligten Akteure usw. und scheint somit auf eine Objektivierung der Situation abzuzielen. Doch mit „der Erweiterung kognitiven Wissens erweitert sich immer auch der Bereich narrativer Konstruktionen.“31 Mit anderen Worten: Statt einer rationaleren Behandlung der Natur, in diesem Fall einer natürlichen Ressource, aufgrund immer größerer, „objektiver“ Datenmengen, setzt ein Prozess der Emotionalisierung, Politisierung und Versicherheitlichung ein, der neue, konkurrierende Konstruktionen von Natur nach sich zieht. Es entsteht gewissermaßen ein Wettbewerb zwischen „richtigem“ und „falschem“ Wissen, zwischen verschiedenen Realitätskonstruktionen, zwischen „Sagbarem“ und „Unsagbarem“. Diese Sagbarkeitsfelder aufzudecken ist Ziel der vorliegenden Studie. Die Frage, warum und wie natürliche Prozesse menschliches Handeln beeinflussen, ist also offenbar eine Frage des Standpunkts – eine Tatsache, die die Umweltkonfliktforschung bisher nicht ausreichend berücksichtigt hat. Brand schreibt dazu aus Sicht der Soziologie: „Offensichtlich ist es schwierig, (...) zugleich die materielle wie die symbolische Dimension der institutionellen Regulierungsformen des gesellschaftlichen Naturverhältnisses zu erfassen. So pendelt die sozialwissenschaftliche Diskussion üblicherweise zwischen naturalistischen und kulturalistischen, erkenntnistheoretisch formuliert, zwischen „realistischen“ und „konstruktivistischen“ Ansätzen hin und her. (...) Beide Positionen schließen sich aber nicht zwangsläufig aus. So wissen bspw. auch „Realisten“ – als Soziologen – dass Umweltprobleme nicht einfach gegeben sind, sondern erst über gesellschaftliche Definitionsprozesse, über Expertenstreit, über 28
Vgl. dazu Vivienne Jabri: Discourses on Violence. Conflict Analysis reconsidered, Manchester: Manchester University Press 1996, S. 12, und Brand (1998), S. 11f. 29 Zur zunehmenden „Expertisierung“ der Welt siehe N. Stehr: Knowledge Societies, London: Sage 1994. 30 Vgl. dazu Steven F. Hayward: Environmental Science and Public Policy, in: Social Research, Bd. 73, Nr. 3, Fall 2006, S. 891-914, sowie Michael Shellenberger und Ted Nordhaus: The Death of Environmentalism, 2004, http://www.thebreakthrough.org/images/Death_of_Environmentalism.pdf. 31 Klaus Eder: Gibt es Regenmacher? Vom Nutzen des Konstruktivismus in der soziologischen Analyse der Natur, in: Karl-Werner Brand (1998), S. 97-115, hier S. 102.
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konkurrierende öffentliche Problemrahmungen und Bewertungen, ihre spezifische Handlungsrelevanz gewinnen. (...) Umgekehrt können auch „Konstruktivisten“ durch die Bereitstellung von Reflexionswissen über die gesellschaftliche Konstruktion von ‚Umweltproblemen’ und über den Umgang mit ‚Nichtwissen’ zu einer angemesseneren Form der Problembearbeitung beitragen.“32
Von Experten erarbeitetes „objektives Wissen“ ist die Grundlage, auf der die Verständigung über zukünftigen Wasserbedarf, Risiken, Konfliktpotenziale etc. basiert. Klaus Eder spricht in diesem Zusammenhang von der „sozialen Konstruktion von Natur, die sich auf objektives Wissen über Natur bezieht.“33 Mit anderen Worten: Unsere Wahrnehmung von Natur ist immer von dem begrenzten Wissen abhängig, das uns zur Verfügung steht. Eder spricht von „realistischem Wissen“, das allerdings auch konstruiert sei: „Es handelt sich um eine Konstruktion der Objektivierung von Beobachtungen, die sich auf eine Außenwelt beziehen. Diese Beobachtungen, ‚Ereignisse’, sind das Material, aus dem die soziale Konstruktion der Natur gemacht wird und als Wissen verkörpert wird.“34 Es ist ein Ziel dieser Studie, diese Konstruiertheit von scheinbar objektiven Daten herauszuarbeiten und damit neue Wege aus dem Konflikt aufzuzeigen. Zusammenfassend gesagt bemängelt die vierte Forschergeneration, dass konstruktivistische Herangehensweisen und der Mensch als sozialer Akteur in der Umweltkonfliktforschung bislang kaum, in jedem Fall aber zu wenig berücksichtigt wurde.35 Die vorrangig positivistischen, an einer angeblich objektiven Rationalität orientierten Konfliktanalysen vernachlässigen die Tatsache, dass Konflikte immer auch von subjektiver Rationalität bestimmt sind. So kann die Ressource Wasser zum Beispiel zwar objektiv (im Sinne einer mathematischen Gleichung, die Bevölkerungszahlen und vorhandene Wasserressourcen korreliert) knapp sein, gleichzeitig aber als ausreichend und nur politisch verknappt wahrgenommen werden. Die Bedeutungen und Interpretationen, die Menschen Handlungen und Ereignissen zumessen, sind in der Umweltkonfliktforschung bislang also kaum 32
Brand (1998), S. 24. Eder (1998), S. 101. Ebd. Er stellt diese kognitive Konstruktion der Außenwelt der narrativen Konstruktion gegenüber. In Narrationen, so Eder, konstruieren wir die Außenwelt in einer für uns sinnhaften und erlebbaren Art und Weise. Indem nun kognitives Wissen ebenso als konstruiert angesehen wird wie Narrationen, wird der Objektivitätsanspruch des kognitiven Wissens weiter in Frage gestellt. 35 Obwohl das entsprechende Forschungsdesiderat insbesondere in der Politischen Geographie schon früh formuliert wurde. Vgl. z. B. Jody Emel/Rebecca Roberts/David Sauri: Ideology, property and groundwater resources. An exploration of relations, in: Political Geography, Bd. 11, Nr. 1, Januar 1992, S. 37-54, hier S. 38 sowie S. 45f; oder Gearóid Ó Tuathail/John Agnew: Geopolitics and discourse. Practical geopolitical reasoning in American foreign policy, in: Political Geography, Bd. 11, Nr. 2, März 1992, S. 190-204, hier S. 191ff. 33 34
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oder gar nicht berücksichtigt worden: Es fehlt ein theoretisches Verständnis dessen, warum der Mensch in einem Umweltkonflikt handelt, wie er handelt. Fragen der Ontologie und Epistemologie wurden bislang weitestgehend ignoriert; diskursive und institutionelle Kontinuitäten fanden kaum Berücksichtigung. Genau hier setzt die vorliegende Arbeit an.
2 Theoretischer Rahmen: Diskursivität von Konflikten
Ausgehend von den einleitend dargestellten Forschungslücken in der Umweltkonfliktforschung basiert die vorliegende Untersuchung auf vier grundsätzlichen Annahmen: 1. 2. 3. 4.
Konflikte sind immer diskursiv. Konflikte erzeugen Diskursstrukturen, die potenziell Konflikte perpetuieren und Antagonismen stärken. Die Wirklichkeit bzw. Wirklichkeitswahrnehmungen (und damit sind Identitäten, Diskurse, Konfliktpositionen etc. eingeschlossen) werden aktiv konstruiert und sind abhängig von ihrem jeweiligen sozio-historischen Kontext. Konflikttransformation ist nur möglich, wenn konfliktive Diskursstrukturen aufgebrochen und nachhaltig verändert werden können.
Konflikte werden in Anlehnung an Diez, Stetter und Albert als die Artikulation inkompatibler Standpunkte verstanden: „(...) we observe the existence of a conflict when an actor constructs his or her identity or interests in such a way that these cannot be made compatible with the identity or interest of another actor. Conflict is therefore discursively constructed.“36 Gewalt ist somit keine notwendige Voraussetzung für Konflikte; ein Konflikt beginnt vielmehr schon dort, wo die Inkompatibilität von Standpunkten bzw. kollektiven Identitäten „nur“ artikuliert wird. Ausgangspunkt dieser Definition ist die Annahme, dass kollektive Identitäten integraler Bestandteil der und wichtiger Faktor für die Genese und Reproduktion von Konflikten sind. Vivienne Jabri schreibt dazu: „War brings with it (...) socially constitutive manifestations. Affiliation and identity come to be defined in terms of exclusionist social boundaries. To be a dissenting voice is to be an outsider, who is often branded as traitor to the cause and, therefore, deserving of sacrifice at the mythical altar of solidarity. What would previously have been blurred social boundaries become sharpened primarily through a discursive focus upon features, both symbolic and material, which divide communities to the ex-
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Thomas Diez/Stephan Stetter/Mathias Albert: The European Union and Border Conflicts: The Transformative Power of Integration, in: International Organization, Nr. 60, Sommer 2006, S. 563593, hier S. 565.
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2 Theoretischer Rahmen: Diskursivität von Konflikten tent that the desire for destruction of the enemy is perceived to be the only legitimate and honourable course to follow.“37
Die Inkompatibilität von Standpunkten, Interessen und Identitäten wird kontinuierlich diskursiv (re)produziert und ist vom jeweiligen sozio-historischen Kontext abhängig. „Conflicts are therefore not the natural outcome of incompatible subject positions; they are part of the (re-) production of subject positions, the articulation of which in turn reproduces the conflict.“38 Das heißt auch, dass keine präexistenten, fixen Gruppenidentitäten, keine primordialen ethnischen Gruppen existieren, die Konflikte durch ihre schiere Existenz zwingend herbeiführen könnten. Im Gegenteil werden konfliktive Standpunkte in Diskursen entweder gestärkt oder geschwächt, in jedem Fall aber werden sie aktiv konstruiert.39 Werden sie gestärkt, entsteht ein „Konfliktdiskurs“ mit einer spezifischen diskursiven Struktur, die eine Perpetuierung des Konflikts durch die ständige Wiederholung und Einschreibung der konfliktiven Standpunkte begünstigt. Werden die in Konkurrenz stehenden Interessen bzw. Identitäten geschwächt oder in anderer Weise verändert, verändert dies zumindest potenziell auch den gesellschaftlichen Diskurs in einer Weise, die Akzeptanz und Einverständnis der jeweils anderen Konfliktpartei wieder möglich werden lässt.40 So schreibt John Vasquez, dass eine Analyse, die auf der diskursiven Konstruktion der Realität basiert, schon durch die ihr eigene Logik davon ausgehen muss, dass Krieg, da er gewissermaßen von Menschen erfunden wurde, auch wieder „entfunden“, d.h. beendet oder sogar beseitigt werden kann.41 Hier liegt Potenzial für Konflikt37
Jabri (1996), S. 5. Diez/Stetter/Albert: The European Union and the Transformation of Border Conflicts. Theorising the Impact of Integration and Association, Working Paper Series in EU Border Conflict Studies, Nr. 1, Januar 2004, S. 5. 39 Vgl. dazu auch z.B. Jürgen Link und Ursula Link-Heer: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi), Nr. 77, 1990, S. 88-99, hier S. 90. Link versteht den Diskurs ebenfalls nicht als reine Spiegelung gesellschaftlicher Praxis, sondern sieht in ihm ein Mittel zur Ausübung von Machtwirkungen. Diskurse dienen bestimmten Zwecken; diese können erreicht werden, da Diskurse an Handlungen gekoppelt, institutionalisiert und geregelt sind. Sie können Einfluss auf die gesellschaftliche Realität nehmen, können bestehende gesellschaftliche Strukturen stabilisieren, verändern, in Frage stellen etc., und zwar indem sie entweder den herrschenden Diskurs unterstützen oder als „Gegendiskurs“ den/die hegemonialen Diskurs(e) problematisieren und kritisieren. Keineswegs unterstützen Diskurse zwangsläufig die gerade aktuelle Ausformung einer Gesellschaft; auch der Widerstand gegen bestehende Strukturen ist diskursiv. Siehe unten. 40 Soziale Prozesse basieren in der Regel auf der Annahme, dass „the continuation of communication is ensured by the acceptance of prior communication (accord). (...) Being based on the communication of disaccord, conflicts not only point to the constant possibility of a ‚no’ inherent in all communication, but through their specific discursive framework they facilitate the actual, repeated communication of the ‚no’.“ Diez/Stetter/Albert (2004), S. 6. 41 John Vasquez: War Endings: What Science and Constructivism Can Tell Us, in: Millenium: Journal of International Studies, Bd. 26, Nr. 3 (1997), S. 672. 38
2 Theoretischer Rahmen: Diskursivität von Konflikten
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transformation unter der Voraussetzung, dass die jeweiligen Standpunkte so weit verändert werden, dass sie nicht länger unvereinbar sind.42 Wer also den Nahostkonflikt ernsthaft positiv beeinflussen möchte, muss versuchen, die inkompatiblen und antagonistischen Positionen, etwa bezüglich der Ressource Wasser und ihrer Verteilung, so zu verändern, dass Konsens wieder in den Bereich des Möglichen rückt. 2.1 Konfliktive Diskursstrukturen Die graduelle Eskalation eines Konfliktes schlägt sich in der Kommunikation während eines Konfliktes nieder: Konfliktdiskurse tendieren dazu, bis dato neutrale gesellschaftliche Kommunikationsfelder für sich einzunehmen und zu dominieren, je länger und stärker ein Konflikt anhält. Je weiter ein Konflikt eskaliert, desto stärker bezieht sich jegliche Kommunikation oder Interaktion zwischen den Konfliktparteien auf die Inkompatibilität von Standpunkten bzw. Identitäten, die dem Konflikt zugrunde liegt,43 und auf die Bedrohung der eigenen ingroup durch andere Konfliktparteien. Das heißt am Beispiel des Nahostkonflikts, dass (mindestens) vierzig Jahre akuten Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern dazu geführt haben, jegliche Aktion der jeweils anderen Seite in erster Linie als Teil der fundamentalen Unvereinbarkeit der einzelnen Standpunkte und als Gefährdung der eigenen ingroup wahrzunehmen. Das Ziel dieser Studie ist es, „(…) the daily modes of representation and imagery which are implicated and drawn upon in times of conflict to generate exclusionist modes of discourse“44 aufzudecken. Es sollen die diskursiven Praktiken nachgezeichnet werden, durch die Konflikte überhaupt erst möglich und/oder aufrechterhalten werden; zentrale Punkte sind dabei die Konstruktion von (kollektiven) Identitäten durch diskursive In- und Exklusion, die dabei entstehenden Sphären des Sagbaren und Unsagbaren, sowie Ver- und Entsicherheitlichungen. Würden die einem Konflikt zugrunde liegenden Diskurse nicht in die Konfliktanalyse miteinbezogen, hieße dies auf lange Sicht, die bestehenden hegemonialen Diskursstrukturen kritiklos zu akzeptieren und somit die Veränderung von Konfliktrepräsentationen, die Konfliktlösungen bestimmen und eben auch blockieren können, unversucht zu lassen. Im Folgenden wird zunächst die Social Identity Theory von Henri Tajfel und John C. Turner herangezogen, die die Entstehung einer diskursiven Auftei42
Vgl. dazu auch Susanne Buckley-Zistel: In-Between War and Peace: Identities, Boundaries and Change after Violent Conflict, in: Millenium: Journal of International Studies, Bd. 35, Nr. 1, 2006, S. 3-21, sowie Diez/Stetter/Albert (2004), S. 4. 43 Vgl. Diez/Stetter/Albert (2004), S. 6. 44 Ebd., S. 180.
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lung der Welt in „Selbst“ und „Andere“ nachzeichnet. Daraufhin dient die securitization theory der Copenhagen School als Erklärungsrahmen für die Konstruktion von Bedrohungen einer ingroup durch bestimmte Akteure. Beides erzeugt Diskursstrukturen, die Konflikte perpetuieren und Konflikttransformation verhindern; gemeinsam dienen sie als Legitimation für den Einsatz von Gewalt gegenüber einer outgroup. 2.1.1 Inklusion und Exklusion Die individuelle Identitätsbildung eines Akteurs in einer Konfliktsituation geschieht in Orientierung an einer größeren Gruppe: „(...) actors construct and communicate their identities and interests in relation to a larger group, the overall identity or interests of which are seen as incompatible with that of another group. In the modern society of (nation) states, such ‚imagined communities’ tend to be constructed as nations organized in territorially bounded states, or aspiring statehood.“45
Die jeweilige kollektive (meist nationale) Identität enthält in symbolischverdichteter und vereinfachter Form das jeweils zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt dominante (und sagbare) Bild einer Gesellschaft.46 Die in ihr enthaltenen Bilder werden aktiv konstruiert; gleichzeitig beeinflussen sie die Sicht der Gesellschaftsmitglieder auf die Wirklichkeit ebenso wie die Art und Weise, wie die Wirklichkeit gedeutet und verstanden wird. Jedes Individuum bestimmt kontinuierlich die eigene Position innerhalb und seine Beziehung zu der ihn umgebenden Welt und beeinflusst so die wahrgenommene nationale Identität – der Vorgang gleicht einem Perpetuum Mobile. Die Erinnerungen, Mythen, symbolischen Ordnungen und Selbstbilder, die eine Identität enthält, 45
Diez/Stetter/Albert (2006), S. 565f. Daniel Bar-Tal spricht in diesem Zusammenhang von „societal beliefs (...) [which] are cognitions shared by society members on topics and issues that are of special concern for the particular society, and which contribute to the sense of uniqueness of the society’s members (...). The contents of societal beliefs refer to characteristics, structure, and processes of a society and cover the different domains of societal life. (...) [T]hey may concern societal goals, self-images, conflicts, aspirations, conditions, norms, values, societal structures, images of outgroups, institutions, obstacles, problems etc. They are organized around thematic clusters (...). Themes can (...) pertain to a security problem, specific intergroup relations, or equality in the society.“ Bar-Tal führt aus, dass societal beliefs öffentlichkeitswirksam sind, sie stellen wichtige Referenzpunkte für politische Entscheidungen dar. „They (...) are reflected in the group’s language, stereotypes, images, myths and collective memories. They constitute part of society members’ shared repertoire and contribute to the solidification of social identity.“ Daniel Bar-Tal: Societal Beliefs in Times of Intractable Conflict: The Israeli Case, in: International Journal of Conflict Management, Nr. 9, 1998, S. 22-50, hier S. 25-26.
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sind konstitutiver Bestandteil des praktischen Bewusstseins jedes Individuums, das sich einer Gruppe zugehörig fühlt. Gleichzeitig bilden sie den Hintergrund für das tägliche Leben und ermöglichen die Sinnzuteilung im täglichen Umgang mit anderen Menschen. Sie stellen den Referenzrahmen für jegliche soziale Interaktion dar. Nun zielen Konflikt- bzw. Kriegsdiskurse auf die Konstruktion einer Mythologie, die auf In- bzw. Exklusion basiert. Innerhalb dieser Diskurse finden sich zum Beispiel Texte, die die ingroup verehren und die outgroup verachten; Unsicherheiten und Zweifel an der eigenen Gruppe werden als irrational oder sogar als Verrat der gemeinsamen Sache dargestellt.47 Herrscht ein intensiver Konflikt zwischen zwei oder mehr Gruppen, werden Individuen stärker von der tatsächlichen oder wahrgenommenen Zugehörigkeit zu diesen Gruppen beeinflusst als ohne Konflikt. Grundlage dieser Überlegungen ist die sozialpsychologische Social Identity Theory (SIT) von Henri Tajfel und John C. Turner.48 Sie geht von der natürlichen menschlichen Tendenz aus, die Welt in verständliche Einheiten aufzuteilen. Die soziale Identität eines Individuums wird durch den Vergleich mit anderen Individuen und Gruppen präzisiert, wobei der Wunsch jedes Individuums, sich selbst positiv zu bewerten, die Motivation darstellt, zwischen einer in- und zahlreichen outgroups zu unterscheiden. Das Selbstkonzept hat der SIT zufolge zwei Komponenten: die individuelle Identität, die die Charakteristika eines Individuums, etwa physische Attribute und Fähigkeiten, einschließt, und die soziale Identität, die die wichtigsten Gruppenklassifikationen in einer Gesellschaft umfasst. Laut der SIT stellt diese Unterscheidung zwischen „Selbst“ und „Anderen“ letztlich die Wurzel aller Konflikte dar. Die Identifizierung mit einer bestimmten Gruppe findet in der Regel dann statt, wenn ein Individuum sich als kulturell und/oder sozial mit einem Kollektiv verbunden versteht, inklusive seiner Erfolge und Niederlagen, Privilegien oder Benachteiligungen. Diese Identifikation stärkt soziale Kategorisierungen und
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Vgl. Jabri (1996), S.7. Kollektive Bedürfnisse werden über individuelle gestellt; das Individuum wird als Träger der kollektiven Ideale angesehen, als Diener ihrer Imperative. Individuen müssen ihre privaten Interessen opfern und sich der Bewegung zur Verfügung stellen, die dem kollektiven Ziel und Interesse dient. Vgl. Dahlia Moore und Salem Aweiss: Bridges over Troubled Water. A Comparative Study of Jews, Arabs, and Palestinians, Westport/Connecticut/London: Praeger 2004, S. 31. 48 Siehe dazu Henri Tajfel und John C. Turner: The social identity theory of intergroup behaviour, in: Stephen Worchel/William G. Austin (Hrsg.): The Social Psychology of Intergroup Relations, Monterey/Kalifornien: Brooks/Cole, 1986 (1979), S. 7-24, S. 7-24; sowie John C. Turner: Toward a cognitive redefinition of the social group, in: Henri Tajfel (Hrsg.): Social Identity and Intergroup Relations, Cambridge: Cambridge University Press, 1982, S. 15-40, S. 15-40. Außerdem: Moore/Aweiss (2004), S. 31.
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erweitert soziale Brüche insbesondere dann, wenn diese Brüche bipolar sind.49 Für Konfliktsituationen bedeutet das: „A central aspect of the mobilisation of support for armed conflict is identity with the group, community, or state whose representatives decide on the use of force as a means of handling conflict. Identity is assumed to be the essential link between the individual and mass mobilisation for conflict.“50
Die Konstruktion der Welt als zweigeteilt in „Gut“ und „Böse“ führt dazu, dass Probleme in der eigenen Gruppe verschwiegen und die (angeblichen) Gegner einer Gruppe im Extremfall dämonisiert werden – hier zeigen sich die erwähnten Sphären des Sagbaren und des Unsagbaren. Anders gesagt: Gerade in Konfliktsituationen, in denen die Gruppenkohärenz ohnehin wächst51, entwickeln sich gesellschaftliche Diskurse mit hegemonialen Strukturen, die mit fortschreitender Konflikteskalation immer dominanter werden. So entstehen Hegemonialdiskurse, die je nach Konfliktverlauf mehr oder weniger durchlässig und veränderbar sind.52 Dichotomisierungen der Welt, wie sie in Konfliktsituationen gehäuft zu finden sind, beruhen also auf machtvollen Diskursen, „die den Konflikt zwischen Staat und internationaler Anarchie, zwischen Innen und Außen, zwischen Selbst und Anderem in den Alltag eines jeden hineintragen.“53 Letztlich baut die Mobilisierung von materiellen und menschlichen Ressourcen, die für jede Konfliktoder Kriegsführung notwendig sind, also „auf Diskursen auf (...), die jenseits des unmittelbaren Konfliktes liegen“.54 „(…) Conflict constitutes a discourse of exclusion based upon a linguistically and institutionally constructed identity involving separation, classification and strict boundedness.“55 49
Vgl. dazu Moore/Aweiss (2004), S. 12ff. Jabri (1996), S. 121. Vgl. dazu Turner (1982), S. 15-40. 52 Moore und Aweiss (2004) sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem „konfliktiven Ethos“, das zwar aus dem spezifischen sozio-historischen Konflikt entstehe, denselben dann aber aufrecht erhalte. Dieses „Ethos“ setzt sich laut Moore/Aweiss aus Werteorientierungen, sozialer Identität, Ansichten, Verhaltensweisen sowie Gefühlen gegenüber der outgroup zusammen. Es drückt sich im Glauben an die gerechte Sache der eigenen Gruppe, der Delegitimierung des Gegners und der Identifizierung mit der eigenen Gruppe aus und behindert die Konfliktlösung. Moore/Aweiss betonen zudem die Kontextabhängigkeit dieses Ethos; so sei die Bildung kollektiver Identitäten von Faktoren wie Religion, Ethnizität, Nationalität, Klasse und Geschlecht beeinflusst. Auf der Grundlage der so entstandenen kollektiven Identität würden dann Verhaltensweisen, (In-)Toleranz, soziale Verantwortung, Machtfülle/-losigkeit und soziale Grenzen begründet; der gesamte Vorgang sei abhängig vom sozio-historischen Kontext. Vgl. Moore und Aweiss (2004), S. 14-16. 53 Diez (2002), S. 189. 54 Diez (2002), S. 190. 55 Jabri (1996), S. 173. 50 51
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2.1.2 Versicherheitlichung, Entsicherheitlichung und non-securitization Die diskursive Dichotomisierung der Welt in „wir“ und „sie“ bildet also die Grundlage aller Konflikte. Wird sie durch die Darstellung der jeweils „Anderen“ oder ihres Verhaltens als bedrohlich für die jeweilige ingroup ergänzt, kann so der Einsatz von Gewalt legitimiert werden. An dieser Stelle kommt der Theorie der Versicherheitlichung von Buzan, Waever und de Wilde zentrale Bedeutung zu. Dort beinhaltet Sicherheit weit mehr als einfach nur jegliches Problem bzw. jegliche Bedrohung. Um als Sicherheitsfrage zu gelten, müssen Bedrohungen streng definierte Kriterien erfüllen, die sie vom übrigen Politikverlauf unterscheiden. Buzan et al. schreiben: „They [threats and vulnerabilities] have to be staged as existential threats to a referent object by a securitizing actor who thereby generates endorsement of emergency measures beyond rules that would otherwise bind.“56 Um Objekt einer Versicherheitlichung zu sein, muss die Ressource Wasser bzw. ihre Knappheit also als existenzielle Bedrohung eines Referenzobjekts, z.B. der israelischen Gesellschaft, dargestellt werden. Durch diesen securitizing move werden dann – vorausgesetzt, die Akzeptanz in der Bevölkerung ist ausreichend – Notfallmaßnahmen legitimiert, die über die normalerweise geltenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens hinausgehen, beispielsweise Gewalt. Für diese Arbeit steht die Aufdeckung solcher moves im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses; sie indizieren konfliktive Diskursstrukturen, die eine Konfliktlösung verhindern.57 Buzan et al. gehen von einem weiten Sicherheitsverständnis aus, d.h. die Vorherrschaft von Staat und Militär in der Konzeptualisierung von Sicherheit wird in Frage gestellt. Diese Erweiterung wird aber keineswegs als „Universalantwort“ verstanden; im Gegenteil sehen Buzan et al. auch die Gefahren einer Erweiterung des traditionellen Sicherheitsbegriffs. Durch sie wird der Ruf nach der Mobilisierung staatlicher (Sicherheits-)Kräfte auf sehr viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens ausgeweitet, wie der internationale „Krieg gegen den Terrorismus“ durch Maßnahmen wie Überwachungskameras in Innenstädten veranschaulicht. Eine Erweiterung des Sicherheitsverständnisses kann also wenig hilfreich bis kontraproduktiv sein, auch in Bezug auf den Umweltsektor.58 Dann gilt oft: „The tendency toward ‚us vs. them’ thinking, and the general tradition of viewing threats as coming from outside a state’s own borders, are (...) 56
Buzan et al.: Security. A New Framework for Analysis, Boulder, Colorado: Lynne Rienner Publishers Inc. 1998, S. 5 und Kapitel 2. Der Begriff „Versicherheitlichung“ meint hier i.d.R. den securitizing move, nicht aber die daraus folgenden außergewöhnlichen Maßnahmen, weil das Erkenntnisinteresse sich in erster Linie auf die konfliktiven Diskursstrukturen, nicht auf die Aufdeckung solcher „Notfallmaßnahmen“ richtet. 58 Vgl. dazu z.B. Daniel Deudney: The Case Against Linking Environmental Degradation and National Security, in: Millenium: Journal of International Studies, Bd. 19, Nr. 3, 1990, S. 461-476. 57
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also likely to direct attention away from one’s own contributions to environmental problems.“59 Laut Buzan et al. wird durch eine kritiklose Erweiterung des Sicherheitsbegriffs das Ziel der „Sicherheit“ potenziell zu einem allgemeinen Gut erhoben, zu dem Zustand, auf den im Idealfall alles hinsteuern sollte. Solch eine Sichtweise ist jedoch gefährlich eng60, denn schon im besten Fall zielt, wer Sicherheit erreichen will, lediglich auf eine Stabilisierung des Vorhandenen. Das bedeutet oft: auf die Stabilisierung von konfliktbehafteten und bedrohlichen Beziehungen. Ein „sicheres“ Verhältnis beinhaltet immer noch ernste Konflikte, nur mit dem Unterschied, dass gegen diese Konflikte oberflächlich effektive Gegenmaßnahmen unternommen wurden: „(...) the concept of security is basically defensive in nature, a status quo concept defending that which is, even though it does not necessarily deserve to be protected.“61 Eine echte Konflikttransformation ist auf diese Weise nicht zu erreichen. Deshalb gilt: Sicherheit, oder Versicherheitlichung, ist nicht aus sich heraus gut. Das Ziel von Konfliktlösung sollte im Gegenteil immer eine Entsicherheitlichung (desecuritization) des Referenzobjekts sein, also die Verlagerung eines Themas aus dem Notfall-Modus zurück in einen normalen Verhandlungsprozess der politischen Sphäre.62 Entsicherheitlichung ist der Versuch, erfolgreiche Versicherheitlichung und die damit einhergehenden besonderen Maßnahmen, insbesondere Gewalt, zu beenden. Sie ist der Versuch, zur normalen Politik zurückzukehren. In Anlehnung an Bonacker und Gromes63 kann ein entsicherheitlichender Akteur fünf Argumente für die Abkehr von Versicherheitlichung vorbringen: Er kann behaupten, die Bedrohung habe nie existiert. Alternativ kann die existenzielle Bedrohung als überwunden dargestellt werden. Um ein Referenzobjekt zu entsicherheitlichen, kann zudem behauptet werden, normale Politik reiche aus, um mit einer Bedrohung umzugehen. Darüber hinaus kann Versicherheitlichung als ineffektiv und die außergewöhnlichen Maßnahmen als unwirtschaftlich und 59
Ole Waever: Securitization and Desecuritization, in: Lipschutz (1995), S. 46-86, hier S. 64, Hervorhebung wie im Original. 60 Vgl. dazu Waever (1995). Waever moniert, dass die traditionellen Arten der Auseinandersetzung mit dem Konzept und der Agenda von Sicherheit kritiklos auf die Versicherheitlichung immer größerer Teile des sozialen Lebens hinarbeite. Stattdessen sei es an der Zeit, das Konzept ernst zu nehmen und gewissermaßen „von innen“ zu definieren. Gegenstand der Forschung sollten Prozesse der Versicherheitlichung und Entsicherheitlichung sein: Wann, warum und wie benennen Eliten ein Thema oder eine Entwicklung als Sicherheitsproblem? Wann, warum und wie sind sie erfolgreich oder nicht? Welche anderen Gruppen versuchen mit welchen Mitteln zu versicherheitlichen? Gibt es Versuche, Entsicherheitlichung zu erreichen? Vgl. S. 46f, 57. 61 Ebd., S. 64, Hervorhebung wie im Original. 62 Vgl. Buzan et al. (1998), S. 4. 63 Thorsten Bonacker und Thorsten Gromes: The Concept of Securitisation as a Tool for Analysing the Role of Human-Rights-Related Civil Society in Ethno-Political Conflicts, SHUR Working Paper 05/07, März 2007, S. 19.
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unproportional dargestellt werden. Wird nach einem oder mehreren dieser „desecuritizing moves“ trotzdem die vorherige Politik weitergeführt, kann der Versuch der Entsicherheitlichung als gescheitert angesehen werden. Situationen, die durch die Begriffe Ver- und Entsicherheitlichung nicht beschrieben werden können, werden durch den Begriff der Nicht-Versicherheitlichung oder non-securitization64 abgedeckt. Er steht für Situationen, in denen Versicherheitlichung gescheitert ist oder gar nicht erst versucht wurde. Bei der Non-securitization können in Anlehnung an Bonacker und Gromes vier Arten unterschieden werden:65 Erstens die Verleugnung der Existenz einer existenziellen Bedrohung, zweitens die Warnung, dass ein bestimmtes Zielpublikum von Versuchen der Versicherheitlichung nicht die Legitimation besitze, über die Anwendung außergewöhnlicher Maßnahmen zu entscheiden, drittens die Empfehlung an das Zielpublikum, dem Ruf nach Versicherheitlichung nicht zu entsprechen, und viertens Widerstand gegenüber der Umsetzung von außergewöhnlichen Maßnahmen. Meist finden sich diese Versuche der Nicht-Versicherheitlichung als Reaktionen auf konkrete securitizing moves. Denkbar und möglich sind aber auch präventive Maßnahmen, um die Versicherheitlichung eines bestimmten Referenzobjektes zu verhindern. Zusammenfassend gesagt ist Konflikttransformation nur möglich, wenn konfliktive Diskursstrukturen aufgebrochen und echte Entsicherheitlichung erreicht werden kann: „Any representation which blurs the inclusion/exclusion boundary breaks down certainties constructed in the name of war and forms a counter-discourse which deconstructs and delegitimates war and thereby fragments myths of unity, duty and conformity.“66 2.2 Diskurstheoretische Ergänzungen Die erwähnte inhärente Abgrenzung von anderen Personen oder Gruppen, die implizite Aufwertung der eigenen ingroup und gleichzeitige Abwertung der outgroup, die Aufteilung der Welt in ein „Selbst“ und „Andere“ sowie die Darstellung dieses „Anderen“ als bedrohlich sind „nur in und durch den sprachlichen Akt der Gegenüberstellung existent.“67 Laut Vivienne Jabri lässt sich genau dann 64
Der Begriff findet sich bei Paul Roe: Securitization and Minority Rights: Conditions of Desecuritization, in: Security Dialogue, Vol. 35, 3/2004, S. 279-294, auf S. 285 und bei Ole Wæver: Securitisation: Taking stock of a research programme in Security Studies, unveröffentlichtes Dokument, S. 23f., und wurde von Bonacker und Gromes (2007), S. 18, übernommen. 65 Vgl. zum Folgenden Bonacker/Gromes (2007), S. 18. 66 Jabri (1996), S. 7. 67 Thomas Diez: Die Konflikttheorie postmoderner Theorien internationaler Beziehungen, in: Thorsten Bonacker (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung, Opladen: Leske +
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von einem Konflikt sprechen, wenn „the language of politics becomes a discourse of exclusionist protection against a constructed diabolical, hated enemy who is deserving of any violence perpetrated against it.“68 Die Dichotomisierung der Welt und Versicherheitlichungen erfolgen also immer vermittelt über Sprache, über Diskurse: „(...) [Sprache] ist bevorzugtes Mittel der interpersonalen Verständigung und der Behauptung und Aushandlung unserer Identität in Begegnungen mit anderen Menschen, die für dieses Selbstverständnis von Bedeutung sind (...). Über sprachliche Kommunikation werden Identitäten entworfen, dargestellt, ausgehandelt, zurückgewiesen, bestätigt. Die sprachliche Kommunikation ermöglicht uns auch den Zugang zu den kulturellen Sinnstiftungsangeboten unserer Lebenswelt, die für unsere Identitätsarbeit als Ressourcen dienen und mit denen wir unsere Erfahrungen von uns selbst uns und anderen begreifbar machen können.“69
Diskurse sind die linguistischen Ressourcen, durch die die Wirklichkeit produziert und reproduziert wird. „Interaction between positioned social actors is only meaningful through shared modes of discourse and symbolic orders which are reflexively drawn upon in the reproduction of structures of signification, just as structures of legitimation are reproduced through a shared understanding of normative expectations and codes of conduct.“70
Durch die Rekonstruktion von Diskursen können deshalb Strukturen der Bedeutungszuweisung und Legitimation lokalisiert und aufgedeckt werden, die von Diskursteilnehmern genutzt und reproduziert werden, um die Dichotomisierung der Welt in ein „gutes Selbst“ und „bedrohliche Andere“ und damit die eigenen Identitätskonstruktionen aufrecht zu erhalten.71 Wie kann die praktische Umsetzung solch einer Rekonstruktion aussehen? Wie werden konfliktive Diskursstrukturen, wie werden In- bzw. Exklusionen und securitizing moves erkennbar? Zum Zwecke einer Operationalisierung der securitization theory und der SIT wird im folgenden Exkurs in die Diskurstheorie das Verständnis von Sprache und Diskurs definiert, das dieser Untersuchung Budrich, 2002, 187-204, S. 189. In welcher Weise soziale Realitäten wie etwa „Feindschaft“ durch Sprache und Diskurse erzeugt werden, ist in der Friedens- und Konfliktforschung in zahlreichen Studien untersucht worden, bspw. Campbell (1992, 1993, 1998a und b); Coker (1997); Jabri (1996); Shapiro (1997); Suganami (1996); Wilmer (2002). 68 Jabri (1996), S. 134. 69 Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann: Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews, Opladen: Leske + Budrich 2002, S. 49. 70 Jabri (1996), S. 93. 71 Vgl. ebd., S. 90.
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zugrunde liegt. Auf dieser Grundlage wird dokumentiert, wie die praktische Umsetzung der Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen vonstatten gehen kann. Die diskurstheoretischen Grundannahmen dieser Studie orientieren sich an der Kritischen Diskursanalyse nach Siegfried Jäger, die vor allem dem Foucault’schen Werk und seiner Rezeption und Weiterführung durch den Literaturwissenschaftler Jürgen Link sowie der psychologischen Tätigkeitstheorie A . N . Leont’evs verpflichtet ist. In Anlehnung an Jäger werden Diskurse hier als „Flüsse von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“72 verstanden. Im Sinne der hier verwendeten Definition sind Diskurse zudem als immer schon geregelt oder strukturiert im Sinne von konventionalisiert oder sozial verfestigt anzusehen. Zentral ist zudem die Annahme, dass Diskurse nicht nur passiv die „Realität“ widerspiegeln, sondern dass sie sie im Gegenteil aktiv konstruieren. Es gibt also keinen Zugang zu einer gegebenen, objektiven Realität, sondern das, was für den Menschen real ist, wird immer diskursiv konstruiert. Jegliche „Wahrheit“ hängt von den jeweiligen kommunikativen Kontexten ab, von den Texten, die von einer bestimmten Person zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort hör, les-, schreib- oder sagbar sind. Jegliche Bedeutung wird so „komplizierter, instabil und brüchig“73; nichts kann als gegeben angesehen werden. 2.2.1 Die Foucault’sche Diskurstheorie Michel Foucault differenzierte in seinem Band „Ordnung der Dinge“ aus dem Jahr 1966 je spezifische, aufeinanderfolgende und sich ablösende grundlegende Wissensordnungen („Episteme“). Diese Episteme, oder Strukturen des Erkennens, liegen laut Foucault der konkreten Erkennenstätigkeit und ihrer sprachlichen Manifestation zugrunde. Foucault nahm eine wissenssoziologische und konstruktivistische Perspektive ein: Er betrachtete Diskurse als „kontingente Erscheinungen, die ihre Existenz unterschiedlichen Wissens- und Praxisformen verdanken. (...) [S]ie sind einerseits im Medium des Wissens, andererseits als gesellschaftliche Praktiken konstituiert.“74 Foucaults Interesse galt den Basisstrukturen und Grundmustern, die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt die Grundlage für wissenschaftliche Klassifikationsprozesse bildeten. Er untersuchte beispielsweise die Frage, wie das Krankheitsbild „Wahnsinn“ im 17., 18. oder 19. Jahrhundert beschrieben, behandelt, klassifiziert wurde. Tauchten dann 72
Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. 4. unveränderte Auflage, Münster: UNRAST-Verlag 2004, S. 158. 73 Diez (2002), S. 189. 74 Foucault, paraphrasiert von Reiner Keller: Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, 2. Auflage, Wiesbaden 2004, S. 43.
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im Vergleich des Analysematerials, einem Prozess, den er selbst erst „Archäologie“, dann „Genealogie“ nannte, Regelmäßigkeiten auf, schloss Foucault auf ein zugrunde liegendes Regelwerk, einen Code. Er wollte also ehemalige Wissensordnungen zutage fördern, wie ein Archäologe Artefakte aus vergangenen Zeiten ausgräbt, um damit frühere Lebensformen und -weisen zu rekonstruieren; dabei war es jedoch ausdrücklich nicht sein Ziel, den Wahrheits- oder Sinngehalt dieser Ordnungen zu bewerten. Zudem lehnte er es ab, geschichtliche diskursive Vorgänge auf Klassenabsichten oder den Einfluss einzelner Individuen zurückzuführen (etwa Eliten oder einzelne Politiker). Ebenso hielt er es für unzulässig, bestimmte determinierende Faktoren zu unterstellen, die hinter Äußerungen stehen, wie es beispielsweise der Marxismus mit seiner Basis-Überbau-Annahme tut.75 Stattdessen sollte Geschichte ihm zufolge als eine Reihe zeitlich aufeinander folgender, aber nicht kausal verknüpfter Zustände verstanden werden; „[i]m Sinne einer quantitativen und seriellen Geschichte gehe es um die Untersuchung dessen, was ,tatsächlich‘ gesagt wurde, d. h. um die Beschreibung und Analyse der materialen Existenz von Diskursen in Gestalt seriöser Sprechakte.“76 Ein Diskurs setzte sich für Foucault aus einer Vielzahl verstreuter, von unterschiedlichen Diskurspositionen getätigter Aussagen zusammen, die nach ein und demselben Regelwerk gebildet wurden, deshalb ein und demselben Diskurs zuzuordnen und für ihre Gegenstände oder Objekte konstitutiv seien: „Die in ihrer Form verschiedenen, in der Zeit verstreuten Aussagen bilden eine Gesamtheit, wenn sie sich auf ein und dasselbe Objekt beziehen.“77 Für Foucault setzte sich ein Diskurs aus Worten (und Dingen) zusammen, und zwar unter vier Bedingungen oder Regeln: dem Ort des Aussagens, also der Position des Sprechers im Diskursgefüge, der Wiederholung oder Einschreibung des Gesagten, also der Frequenz, sowie der Grenzen des Sagbaren und des Archivs, also der historischen Dimensionen.78 2.2.2 Diskurse und Wissen Diskurse drücken sich vor allem in Sprache aus sowie – dann als Teil von einem über Diskurse hinausgehenden Konstrukt, das Foucault mit dem Begriff „Dispositiv“ umschrieben hat – in Gegenständen, Architektur, Institutionen. Die sprachlichen Mittel verwenden Diskursteilnehmer routinemäßig, also ohne sich der Sprachregeln bewusst zu sein: Welchen Kompositionsplan ein Sprecher für einen 75
Vgl. z.B. Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt/Main 1981 [1973], S. 93. Foucault, paraphrasiert von Keller (2004), S. 44. 77 Foucault (1981 [1973]), S. 49. 78 Vgl. dazu Mainguenau: L’Analyse du Discours. Introduction aux lectures de l’archive, Paris 1991, S. 17-24 und Foucault (1981 [1973]), S. 62-68. 76
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Text in einer bestimmten Sprechsituation verwendet, ist ihm in der Regel nicht bewusst, sondern funktioniert ähnlich wie andere „im ‚Sozialisationsprozess‘ erworbene Routinen“79, etwa das Schalten beim Autofahren. Der Sprecher denkt also im Allgemeinen nicht darüber nach, warum er nun gerade diese Formulierung gewählt hat und nicht eine der immer zahlreich vorhandenen Alternativen. Ein wichtiger Faktor für die Konstruktion einer sprachlichen Äußerung ist das im Laufe eines Lebens erarbeitete und abgespeicherte Wissen des Diskursteilnehmers. Dieses Wissen muss aktiviert werden, wenn ein Sprecher ein „Gedankenknäuel“80, etwa den Begriff „Wasserverteilungskonflikt“ entwirren will, um seine Sichtweise mit anderen Diskursteilnehmern zu teilen. Der Sprecher produziert also einen – gesprochenen oder geschriebenen – Text, der in Argumentationsschritten seine „theoretisch gedanklichen Vorstellungen (...) oder aber auch Erfahrungen“81 mit Wasserverteilungskonflikten enthält. Dies geschieht bei jeder sprachlichen Interaktion. Die Diskursanalyse versucht dann, die Argumentationsformen, die verwendete Metaphorik und die zugrunde liegenden symbolischen Praktiken, das Ungesagte bzw. die alternativen Ausdrucksmöglichkeiten sowie Widersprüche und Wirkungen von solchen sprachlichen Äußerungen aufzudecken. Sprache ist ein gesellschaftliches Phänomen: „Sie wird zwar von Individuen gesprochen, die über eine Sprachkompetenz verfügen; aber als Mitglieder und Konstituenten von Gesellschaft bzw. ‚Unterabteilungen‘ von Gesellschaften, in denen sie aufgewachsen sind und leben, gliedern sich die Individuen mit ihrer jeweiligen Sprachkompetenz ein in die sprachlichen Möglichkeiten, die den Mitgliedern einer Gesellschaft als ganzer zur Verfügung stehen.“82
Das Individuum nimmt also am gesamtgesellschaftlichen Sprachsystem teil, wobei Letzteres allerdings als ein für Analysezwecke erdachtes Konstrukt anzusehen ist. Das Sprechen und Denken aller Gesellschaftsmitglieder konstituiert sich, um zu Jägers Naturmetapher zurückzukehren, zu einem Fluss, der aus vielen sprachlichen Äußerungen besteht. Diese zahlreichen Äußerungen oder „Moleküle“ weisen sehr viele ähnliche oder gar gleiche Formen auf; sichtet und ordnet man diese, erhält man Sprachregeln, oder „Codes“, wie Foucault sie nannte. Auch diese sind wiederum ein wissenschaftliches Konstrukt, da kein Individuum
79
Jäger (2004), S. 14. Ebd. 81 Ebd. 82 Ebd., S. 16. 80
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sich bewusst nach solchen gesellschaftlichen Sprachregeln richtet. Die reale Basis jedes Sprechakts liegt also immer „im jeweiligen individuellen Bewusstsein als verinnerlichte (gelernte) Routinen und Resultat von Lernprozessen, die die Individuen in ihren sozio-historischen diskursiven Kontexten durchgemacht haben und die in der konkreten (Sprech-)Tätigkeit jeweils aktiviert werden.“83
Um aber verstanden zu werden, um sozial agieren und kommunizieren zu können – ein grundlegendes menschliches Bedürfnis – werden die sprachlichen Äußerungen innerhalb einer Gesellschaft nach bestimmten Ähnlichkeitsregeln gestaltet. 2.2.3 Individuelles Handeln und gesellschaftliche Wirkung Jede diskursanalytische Arbeit versucht eine Brücke zu schlagen zwischen sprachwissenschaftlicher Herangehensweise und sozialwissenschaftlichen bzw. soziologischen Ansätzen. Zentral ist dabei der Versuch, individuelle Tätigkeit, individuelles Handeln (also auch die Teilnahme an Diskursen) mit gesellschaftlichem Funktionieren oder Verhalten in Zusammenhang zu bringen, also das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu definieren, um so Rückschlüsse auf die oben erwähnten, dem individuellen Verhalten zugrunde liegenden Regeln oder Codes ziehen zu können. Will man von Diskursen, die letztlich aus individuellen Aussagen bestehen, Rückschlüsse auf eine Gesellschaft ziehen, muss vorher dieser Zusammenhang geklärt werden. Siegfried Jäger tut dies mithilfe der Tätigkeitstheorie A. N. Leont’evs. In welchem Verhältnis steht das Individuum zur Gesellschaft, dem soziohistorischen Kontext, den politischen, kulturellen, sozialen Gegebenheiten? Michel Foucault schreibt: „Man muss sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d. h. zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu erklären vermag. (...) [E]ine Form der Geschichte, die von der Konstitution von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.“84
83
Ebd. Foucault: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin: Merve Verlag 1978, S. 32.
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Dies bedeutet den Abschied von der Vorstellung von Texten als etwas ausschließlich und primär Individuellem: „Wie die Individuen im gesellschaftlichen Zusammenhang konstituiert werden, so auch die von ihnen produzierten Texte (und sonstigen Arbeitsprodukte). So gesehen sind Texte/Diskursfragmente gesellschaftliche Produkte.“85 Mit dieser Aussage als Ausgangshypothese wird für diskursanalytische Studien das nachträgliche Herstellen eines Bezugs zwischen linguistischen und soziologischen Untersuchungsergebnissen überflüssig. Dieser Zusammenhang zwischen Individuen und Gesellschaft wird im Folgenden aus der Tätigkeitstheorie von A. N. Leont’ev86 hergeleitet. Nach Leont’evs Theorie sind Texte als Ergebnisse der Denktätigkeit von Individuen zu verstehen; ihre Produktion beruht auf sozialisatorisch angeeignetem Wissen, individuellen Motiven des sprachlich Handelnden und den jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen der Versprachlichung und sprachlichen Äußerung. Texte bzw. ihre Produktion setzen den über Wissen verfügenden, denkend tätigen Menschen voraus, dessen Artikulationen, sprachlich oder gegenständlich, zwangsläufig auf seinem in seiner Lebenszeit erworbenen Wissen gründen. Individuen und ihre Befindlichkeiten, die Voraussetzungen ihres Wissens, Denkens, Sprechens und Handelns werden also nur vor dem Hintergrund ihres sozio-historischen Kontextes verständlich. Eine Analyse sprachlicher Äußerungen oder menschlicher Tätigkeit kann deshalb nur unter gleichzeitiger Analyse der gesellschaftlichen Eingebundenheit eines Individuums, auch der es umgebenden Diskurse, sinnvoll erfolgen. Diese Kontexte wiederum sind nach Leont’ev durch die Geschichte der Menschheit in ihrer Gesamtheit geprägt und aus ihr entstanden. Die historische Dimension menschlicher Wahrnehmung und Tätigkeit ist zentral für Leont’evs Theorie. Nach seinem Verständnis von Tätigkeit setzt sich der Mensch in allem, was er tut, mit der Wirklichkeit auseinander, weist ihr Bedeutung zu und gestaltet sie mit. Leont’ev fragte nun, wie „die Fähigkeit der Menschen, Dingen der Objektwelt Bedeutungen zuzuordnen“87 zustande kommt. Wie kommen Bedeutungen in Köpfe? Leont’evs Antwort lautet: „Es handelt sich um Prozesse, die das reale Leben des Menschen in der ihn umgebenden Welt verwirklichen, es handelt sich um sein gesellschaftliches Sein in der Vielfalt seiner Formen, um seine Tätigkeit.“88 Leont’ev schaltet die menschliche Tätigkeit als vermittelnde Instanz zwischen Objekt und Subjekt und betont das Element der Aktion in Bezug auf menschliche Wahrnehmung. Menschen verinnerlichen die Wirklichkeit, in der 85
Jäger (2004), S. 24. Vgl. zum Folgenden Leont’ev, A.A./Leont’ev, A.N./Judin, E.G.: Grundfragen einer Theorie der sprachlichen Tätigkeit, hrsg. v. Dieter Viehweger, Berlin: Akademie-Verlag 1984; darin insbesondere A.N. Leont’ev: Der Allgemeine Tätigkeitsbegriff, S. 13-30; sowie Jäger (2004), S. 78-112. 87 Jäger (2004), S. 87. 88 Leont’ev (1984), S. 15. 86
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sie leben, vermittelt über Bedeutungen, nämlich indem sie letztere aktiv zuteilen, verarbeiten und so „internalisieren“. Dieser Prozess läuft auf sehr spezifische Weise ab, die von den äußeren Gegebenheiten, den sozialen, politischen, rechtlichen und anderen Kontexten, in denen das jeweilige Individuum lebt, abhängig ist. Das heißt: Die individuelle Wahrnehmung wird beeinflusst durch andere Menschen, geltende Normen und Werte, Routinen, Referenzrahmen oder Frames, symbolische Ordnungen, Scripts, die jeweilige Sprache etc.: „Das Subjekt steht niemals ‚alleine‘ der Wirklichkeit gegenüber, sondern i. R. [sic!] immer zusammen mit anderen, wodurch es mit gesellschaftlichen Prägungen ausgestattet und eingebunden wird in historisch-gesellschaftlich gegebene Diskurse.“89 Bei Leont’ev heißt es: „Unter welchen Bedingungen und Formen die Tätigkeit des Menschen auch immer vollzogen wird, welche Struktur sie besitzt, in keinem Falle ist sie losgelöst von den gesellschaftlichen Bedingungen, von der Gesellschaft zu betrachten. (...) die Tätigkeit des Menschen [kann] außerhalb dieses Relationssystems nicht existieren (...) und (...) [wird] durch den konkreten Platz bestimmt (...), den das betreffende Individuum innerhalb dieses Systems einnimmt.“90
Die menschliche Wahrnehmung ist also kontextabhängig, beeinflusst von den herrschenden Diskursen. Der Mensch nimmt einerseits vermittelt durch Tätigkeit auf, was um ihn herum geschieht und existiert. Andererseits wirken diese Wahrnehmungen wie in einem Perpetuum Mobile zurück auf die Wirklichkeit und – wieder – die menschliche Wahrnehmung. Es ist also ein zirkulärer Prozess mit zwei Komponenten, der die menschliche Wahrnehmung der Wirklichkeit prägt; ihn fasste Leont’ev in den Begriffen Interiorisation oder Aneignung sowie Exteriorisation oder Vergegenständlichung.91 Der Mensch verinnerlicht die ihn umgebende Wirklichkeit durch Tätigkeit, er interiorisiert sie. So wird sein Bewusstsein geformt: durch Wahrnehmung der Objektwelt im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. In einem zweiten Schritt nehmen diese verinnerlichten Kenntnisse und Vorstellungen, das durch Tätigkeit erworbene Wissen eines Subjektes durch einen Reflexionsprozess jedoch Einfluss zurück auf die Objektwelt. Doch was genau ist menschliche Tätigkeit eigentlich? Leont’ev schreibt, die Wurzel jeder Tätigkeit sei ein Bedürfnis, das sich in einem Tätigkeitsmotiv materialisiert. Hier geht es also darum, was erreicht werden soll. Danach steht im Mittelpunkt, wie das jeweilige Bedürfnis gestillt, wie ein Wunsch erfüllt werden soll. Hier führt Leont’ev die Kategorie der „Handlung“ ein, um auch komplexen Bedürfnissen/Motiven gerecht werden zu können. Leont’ev definiert Handlun89
Jäger (2004), S. 90. Leont’ev (1984), S. 16. 91 Vgl. ebd., S. 27. 90
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gen als zielgerichtete Prozesse, die aus „Operationen“ bestehen. Darunter versteht er Verfahren und Routinen, die im Lauf der Menschheitsgeschichte erlernt und durch ständiges Wiederholen routinisiert worden sind, wie beispielsweise das Gehen. Zudem unterscheidet Leont’ev zwischen Operationen und Vergegenständlichungen derselben: Eine Vergegenständlichung der Operation Hämmern ist der Hammer, der das routinisierte Hämmern verkörpert. Ebenso sind Worte Manifestationen von routinisierten Denkprozessen, Frames, Scripts und symbolische Ordnungen Vergegenständlichungen routinisierter Wirklichkeitsdeutungen. Nun ist ein Tätigkeitsziel nicht immer leicht erreichbar; oft oder meistens sind mehrere Etappen auf dem Weg zur Erfüllung eines Bedürfnisses zwischengeschaltet. Je nach Komplexität des Tätigkeitsziels können auf dem Weg dorthin zahlreiche Handlungs- oder Zwischenziele stehen; Tätigkeits- und Handlungsziel können jedoch auch übereinstimmen. Ein Beispiel: Ein Palästinenser hat das Bedürfnis, seine von ihm als ungerecht wahrgenommene Lebenssituation zu verbessern – dies ist das Tätigkeitsziel. Er muss nun recht komplexe Handlungen durchführen, um sein Ziel zu erreichen, etwa einer politischen Partei beitreten, auswandern oder ähnliches. Jede einzelne Handlung verfolgt ein eigenes Ziel, das auf das übergeordnete Tätigkeitsziel ausgerichtet ist. Besteht jedoch das Tätigkeitsziel darin, einen Brief zu schreiben, wenn Papier und Stift bereits vor mir liegen, dann muss ich nur beginnen: Handlungs- und Tätigkeitsziel stimmen überein. Meistens jedoch bestehen Tätigkeiten aus Handlungsketten. Diese sind wiederum – ebenso wie die menschliche Wahrnehmung – von den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen abhängig, unter denen ein bestimmtes Tätigkeitsziel verfolgt wird sowie von der Position des Tätigen innerhalb einer Gesellschaft. Leont’evs Tätigkeitstheorie verdeutlicht den Zusammenhang zwischen individueller Psyche und Gesellschaft als vermittelt über menschliche Tätigkeit und deren Voraussetzungen.92 Sie kann potenziell die Frage beantworten, wie sich ein Individuum einerseits im und durch einen Diskurs konstituiert, wie aber gleichzeitig und andererseits genau dieser Diskurs als „historisches Produkt menschlicher Tätigkeit konstituiert wird und Macht ausüben kann.“93 Die genauere Definition der Struktur und Funktionsweise menschlicher Tätigkeit macht es möglich, die Rolle des Individuums im Diskurs deutlicher zu machen – schließlich sind es die einzelnen Individuen, die Diskurse „machen“, so dass eine Erklä-
92
Trotzdem stimmt die Tätigkeitstheorie Leont’evs nicht vollständig mit dem Ansatz dieser Arbeit überein, denn sie sieht gesellschaftliche Diskurse nicht als Gegebenheiten, als eigenständige Materialitäten an; vgl. dazu Jäger (2004). 93 Jäger (2004), S. 21.
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rung der Voraussetzungen dieses „Machens“ und seines eigentlichen Ablaufs wichtiger Bestandteil einer Diskursanalyse sein muss. 2.2.4 Machtwirkungen von Diskursen Auf der Grundlage der Leont’ev’schen Tätigkeitstheorie entwickelte Jäger in Auseinandersetzung insbesondere mit dem Werk des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link seine Diskurstheorie weiter. Link, der sich eng am Foucault’schen Diskursbegriff bewegt, definiert Diskurse als „institutionalisierte, geregelte redeweisen, insofern sie an handlungen gekoppelt sind und also machtwirkungen ausüben.“94 Eng mit der Frage der Machtwirkungen von Diskursen verbunden ist das Problem der „Wahrheit“, denn das Wissen, das einen Diskurs speist, festigt und „regelt“ und ihm so Machtwirkungen überhaupt erst ermöglicht, kann dies nur tun, wenn es von den Diskursteilnehmern als „richtig“ oder „wahr“ angesehen wird. Aus dieser „Wahrheit“ bildet sich die Sphäre des „Sagbaren“ zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt innerhalb einer bestimmten Gesellschaft. Foucault schrieb dazu: „Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht – etwa mit dem System eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen oder Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und MittelZweckbeziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind.“95
Als „richtiges“ Wissen ist es „hegemonial verfestigt“96 und kann durch die Methoden der Diskursanalyse zusammen mit den Institutionen und Regelungen, die es jeweils stützen und/oder von ihm erzeugt wurden, aufgedeckt und dann kritisch hinterfragt werden: „Was jeweils als ‚Wahrheit‘ gilt, ist ja nichts anderes als ein diskursiver Effekt.“97 Es gibt also keine extern vorgegebene Wahrheit, die wie auch immer verzerrt von Diskursen widergespiegelt würde, sondern jede Wahrheit wird erst historisch-diskursiv erzeugt und reicht dann auch bis ins unstrukturierteste All94
Jürgen Link: Kleines Begriffslexikon, in: kultuRRevolution, Nr. 11, Februar 1986, S. 71, S. 71. Schreibweise wie im Original. 95 Foucault: Was ist Kritik? Berlin 1992 (frz. zuerst 1990, Vortrag und Diskussion von 1978), S. 32f, wie zitiert in Jäger (2004), S. 150. 96 Vgl. Jäger (2004), S. 129. 97 Ebd., Hervorhebung wie im Original.
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tagsgespräch. Übrigens ist auch Letzteres trotz seiner scheinbaren Unstrukturiertheit durchaus als geregelt zu verstehen, denn jegliche Kommunikation muss zumindest den essenziellen Kommunikationsregeln gehorchen, um überhaupt Kommunikation zu sein. Natürlich unterscheiden sich die Regeln je nach der Situation oder Position innerhalb des Diskurses; so wird die Bundeskanzlerin anderen Regeln folgend über Nationalismus sprechen als ein Fußballfan im Stadion. Geregelt sind trotzdem beide Äußerungen. Die Regeln eines (hegemonialen) Diskurses können verletzt werden, zum Beispiel, indem in einem Rechtsstaat Selbstjustiz propagiert wird. Doch auch solche Verstöße sind diskursiv, auch sie gehorchen diskursiven Regeln, in diesem Falle denen eines Gegendiskurses. Jäger spricht nun davon, dass solche Regelverstöße sanktioniert werden können; sie können aber auch bestraft oder zurückgewiesen werden. Karen Litfin schreibt dazu: „As determinants of what can and cannot be thought, discourses delimit the range of policy options, thereby functioning as precursors to policy outcomes … The supreme power is the power to delineate the boundaries of thought – an attribute not so much of specific agents as it is of discursive practices.“98
Hier zeige sich, so Jäger, „auf der Mikroebene die Verknüpfung von Diskurs und Macht (oder sogar Herrschaft).“99 Diskurse sind also mit Macht verbunden, und zwar nicht nur mit hegemonialer, sondern auch mit Gegenmacht. Link/Link-Heer schreiben zu dieser Kopplung: „Machtwirkungen übt eine diskursive Praxis in mehrfacher Hinsicht aus. Wenn eine diskursive Formation sich als ein begrenztes ‚positives‘ Feld von AussagenHäufungen beschreiben läßt, so gilt umgekehrt, daß mögliche andere Aussagen, Fragestellungen, Blickrichtungen, Problematiken usw. dadurch ausgeschlossen sind. Solche, sich bereits notwendig aus der Struktur eines Spezialdiskurses ergebenden Ausschließungen (die ganz und gar nicht als manipulative Intentionen irgendeines Subjekts oder auch Intersubjekts mißgedeutet werden dürfen!) können institutionell verstärkt werden.“100
Diskursanalyse erfasst so nicht nur das jeweils zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt „Sagbare“ in seiner qualitativen Bandbreite, sondern eben auch das 98
Karen Liftin: Transnational Scientific Networks and the Environment: The Limits of Epistemic Cooperation, paper delivered at the 1991 Western Regional Conference of the ISA, Nov. 1-2, Los Angeles, S. 18-19. Da dieses Paper nicht frei zugänglich ist, erlaube ich mir, hier ein Zitat zu zitieren, nämlich aus Ronnie D. Lipschutz: On Security, in: ders. (Hrsg.): On Security, New York: Columbia University Press 1995, S. 1-23, hier S. 8. 99 Jäger (2004), S. 129. 100 Link und Link-Heer (1990), S. 90. Hervorhebung und Schreibweise wie im Original.
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jeweils „Unsagbare“ oder die Strategien, mithilfe derer das Feld des Sagbaren erweitert oder eingegrenzt wird. Dazu gehören Techniken der Verleugnung, der Relativierung, der Auslassung etc. Jäger schreibt: „Das Sagbarkeitsfeld kann durch direkte Verbote und Einschränkungen, Anspielungen, Bewusstseinsregulierungen etc. eingeengt oder auch zu überschreiten versucht werden. Der Diskurs als ganzer ist die regulierende Instanz; er formiert Bewußtsein.“ 101 Diskurse lassen sich nun aufgliedern in Wissenschafts-, Alltags-, Mediendiskurse usw. Link und in seiner Folge auch Jäger ordnen diese Diskursarten dann den Kategorien Spezial-, Inter- und Gegendiskurs zu (s.u.), machen aber gleichzeitig deutlich, dass eine solche Trennung analytischen Zwecken folgt, während die verschiedenen Diskurse in der Realität eng miteinander verzahnt und verflochten sind. In der Literatur wird an dieser Stelle gern von „diskursivem Gewimmel“ und dem daraus folgenden „Wuchern der Diskurse“ gesprochen, das eben Gegenstand der Diskursanalyse ist, die die einzelnen Diskursstränge entwirren, ihre Verzweigungen, Überschneidungen beschreiben und die Effekte derselben herausarbeiten will.
101
Jäger (2004), S. 130.
3 Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen durch Kritische Diskursanalyse 3
Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen
Die vorangegangenen theoretischen Überlegungen bilden die Basis für die praktische Überprüfung der Forschungshypothese dieser Arbeit: Die nationalen Wasserdiskurse in Israel und den palästinensischen Gebieten sind von konfliktiven Diskursstrukturen geprägt, die eine nachhaltige und endgültige Lösung des Wasserverteilungskonflikts verhindern. Diese äußern sich in exklusiven Diskursstrukturen und Versicherheitlichungen, die ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zum Frieden darstellen. Umgekehrt geben Inklusionen und Entsicherheitlichungen erste Hinweise auf eine mögliche Konflikttransformation. Wie können solche Diskursstrukturen sichtbar gemacht werden? Diese Arbeit bedient sich zur Beantwortung dieser Frage aus der diskursanalytischen „Werkzeugkiste“, die Siegfried Jäger mit seiner Methode der Kritischen Diskursanalyse (KDA) zur Verfügung stellt. Die obigen konflikt- und diskurstheoretischen Überlegungen werden zusammengeführt und daraus ein Instrumentarium zur diskursanalytischen Betrachtung konfliktiver Diskurse entwickelt. 3.1 Zentrale Begriffe Im Folgenden werden zunächst die zentralen Begriffe der Kritischen Diskursanalyse definiert. Mit ihrer Hilfe soll, so Jäger, „die prinzipielle Struktur von Diskursen durchschaubarer und infolgedessen erst eigentlich analysierbar“102 gemacht werden. Ergänzend wird dann dargelegt, wie eine Operationalisierung der oben dargelegten Konflikttheorien in die „Werkzeugkiste“ der Diskursanalyse integriert werden kann. 3.1.1 Spezial-, Inter- und Gegendiskurse Die speziellen (Fach-)Diskurse der Wissenschaften sind als Spezialdiskurse vom nicht-wissenschaftlichen Alltags- bzw. Interdiskurs zu unterscheiden. Inhalte aus wissenschaftlichen Spezialdiskursen werden kontinuierlich in den Interdiskurs eingespeist, wie etwa im Falle des Spezialdiskursstrangs „Wasserverfügbarkeit 102
Jäger (2004), S. 159, Hervorhebung im Original. Vgl. zum Folgenden ebd., S. 159ff.
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3 Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen
in Israel/Palästina“, der den Interdiskursstrang „Konflikt zwischen Israel und Palästina“ mit hydrogeologischen Daten über verfügbare Wassermengen versorgt. Sie ergeben gemeinsam den gesellschaftlichen Hegemonialdiskurs, während Gegendiskurse Kritik, neue Erkenntnisse, Tabubrüche u.ä. enthalten. Hegemonial- und Gegendiskurs bilden zusammen wiederum den gesellschaftlichen Gesamtdiskurs, der in der Literatur oft auch als „diskursives Gewimmel“ bezeichnet wird. 3.1.2 Diskursfragmente Zunächst kann der Begriff Diskursfragment als synonym mit Text oder Textteil verstanden werden. Texte sind das Produkt menschlicher Sprechtätigkeit; sie bestehen aus Worten, also den Werkzeugen, die Menschen beim Sprechen verwenden. Anders ausgedrückt: Texte bestehen in Anlehnung an Leont’evs Tätigkeitstheorie aus „(...) Bedeutungen inklusive Wissen über die konventionalisierte Zuordnung der Wörter zu bestimmten äußeren Formen (Lauten etc.) und über die Satzformen inklusive (i. R. intuitives) Wissen über die konventionalisierte Zuordnung von Wörtern zu Satzstrukturen und über die konventionalisierte Zuordnung von bestimmten Gedankenelementen zu Sätzen nach Maßgabe bestimmter Situationsbezüge („pragmatisches Wissen“) usw. usw., sowie Wissen über die Konventionen der Zusammenführung von Sätzen zu Texten und der Möglichkeiten der Zuordnung von Gedanken zu Gedankenkomplexen, die dann als Ergebnis, als Resultat eines geistigen Arbeitsbzw. Tätigkeitsprozesses aufzufassen sind und in Gestalt z. B. von (z. B. schriftlichen) Texten fixiert sein können.“103
Die soziale Funktion von Texten ist ganz allgemein ausgedrückt die, dass Menschen einen oder mehrere Gedanken sprachlich ausformulieren können, damit diese wiederum rezipiert werden können. Aus diskursanalytischer Sicht ist der Begriff Text jedoch unscharf, da er „eine (thematische) Homogenität unterstellt, die in Wirklichkeit nur ausnahmsweise gegeben ist.“104 Zudem werden Texte hier im Sinne der oben ausgeführten theoretischen Überlegungen immer als in einen sozio-historischen Kontext eingebunden verstanden: „Sie sind oder enthalten Fragmente eines (überindividuellen) sozio-historischen Diskurses.“105 Ein Text kann in seiner spezifischen Form nur zustande kommen, weil der Autor sich auf ihm mitgeteilte Gedanken anderer 103
Ebd., S. 116. Ebd., S. 113. 105 Ebd., S. 117. 104
3 Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen
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Diskursteilnehmer in Gegenwart und Vergangenheit beziehen kann und also bereits in Diskurse eingebunden ist. Aufgrund der beschriebenen definitorischen Ungenauigkeiten zieht Jäger die Bezeichnung Diskursfragmente vor und meint damit einen „Text oder Textteil, der ein bestimmtes Thema behandelt“106, z.B. das Thema „landwirtschaftliche Wassernutzung“. Ein Text kann mehrere Diskursfragmente enthalten; dies weist bereits auf die unten definierten Diskurs(strang)verschränkungen hin. Diskursfragemente sind Produkte menschlicher Tätigkeit und Bestandteile übergeordneter Diskursstränge. 3.1.3 Diskursstränge und Diskursstrangverschränkungen Diskursstränge bestehen aus einer Abfolge von Diskursfragmenten zur gleichen Thematik und haben eine syn- und eine diachrone Dimension. Ein synchroner Schnitt durch einen Diskursstrang, wie er in der vorliegenden Arbeit vollzogen wird, ermittelt, was zu einem bestimmten Zeitpunkt „sagbar“ war. Einzelne Diskursstränge können miteinander verflochten sein (Jäger spricht von „Diskursstrangverschränkungen“, zum Teil auch von „Verknotungen“ oder „diskursiven Knoten“ als leichterer Form von Verschränkungen). Gemeint ist, dass einzelne Diskursstränge, etwa der Diskursstrang „Zionismus“ und der Diskursstrang „Wasserverteilungskonflikt zwischen in Israel und Palästina“, einander beeinflussen, stützen oder stören können. Dabei entstehen „diskursive Effekte“107. Margarete Jäger hat herausgearbeitet, dass „Diskursstränge niemals isoliert auftreten, sondern immer als Bestandteile des gesamtgesellschaftlichen Diskurses aufgefasst werden müssen und dass dabei besondere Effekte erzielt werden.“108 Dies hat Folgen für die Analyse und die Interpretation ihrer Ergebnisse, denn wenn der gesamtgesellschaftliche Diskurs der allgemeine Wissenshorizont ist, der die Entwicklung einer Gesellschaft bestimmt, dann sind auch Diskursstränge nur vor dem Hintergrund dieses gesamtgesellschaftlichen Diskurses zu interpretieren. Dieser ist aber nur implizit in den einzelnen Diskurssträngen vorhanden und könnte in seiner Gesamtheit nur auf der Grundlage einer Analyse aller gesellschaftlich relevanten Diskursstränge erfasst werden. Andersherum kann jedoch die Analyse eines bestimmten Diskursstrangs und seiner Verschränkungen mit anderen als „Schritte zu einer Analyse des gesellschaftlichen Ge106 Ebd., S. 159. Mit dem Begriff „Thema“ wird hier der inhaltliche Kern einer Aussage bezeichnet. Themen konstituieren Diskursstränge. Dabei kann für die Analyse zudem zwischen Oberthemen, Themen und Unterthemen differenziert werden. Oberthemen und Themen können untereinander verschränkt sein, Unterthemen sind immer mit dem Thema verschränkt. 107 Ebd., S. 160. 108 Ebd., S. 167. Vgl. Margarete Jäger: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs, Duisburg 1996.
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3 Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen
samtdiskurses“109 aufgefasst werden. Obwohl die Analyse einzelner Diskursstränge so lange unabgeschlossen bleibt, bis der gesamtgesellschaftliche Diskurs in seiner Gesamtheit analysiert worden ist, ist es möglich, vorsichtige Rückschlüsse auf letzteren zu ziehen, da die Leitlinien des gesamtgesellschaftlichen Diskurses sich auch in den einzelnen Diskurssträngen niederschlagen. Verschränkungen oder diskursive Knoten halten die einzelnen Diskursstränge also wie eine Art Netz zusammen. 3.1.4 Diskursive Ereignisse und diskursiver Kontext „Nun haben alle Ereignisse diskursive Wurzeln; m. a. W. sie lassen sich auf bestimmte diskursive Konstellationen zurückführen, deren Vergegenständlichungen sie darstellen. Als diskursive Ereignisse sind jedoch nur solche Ereignisse zu fassen, die medial groß herausgestellt werden und als solche medial groß herausgestellten Ereignisse die Richtung und die Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, mehr oder minder stark beeinflussen.“110
Der Begriff „diskursives Ereignis“ bezeichnet also nicht ein reales Ereignis wie etwa den Bau des „Sperrzauns“ zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten, sondern den Diskurs über solch ein Ereignis. Solange ein Ereignis geheim gehalten wird, wie etwa die Misshandlungen von Irakern durch amerikanische Soldaten in Abu Ghraib bis zum Frühjahr 2004, kann es auch nicht zu einem diskursiven Ereignis werden. Sobald eine öffentliche Diskussion darüber beginnt, beeinflusst eben diese Diskussion als diskursives Ereignis jedoch den Gesamtdiskurs. Ob ein Ereignis zu einem diskursiven Ereignis wird oder nicht, hängt in der Regel von politischen Machtverhältnissen und Interessen innerhalb einer Gesellschaft ab. Resultat solcher Ereignisse sind oftmals Überlappungen oder Verschränkungen zwischen verschiedenen Diskurssträngen. Die Nachzeichnung der wichtigsten diskursiven Ereignisse ist ein Mittel, um den diskursiven Kontext eines Diskursstrangs deutlich zu machen. 3.1.5 Diskursebenen Diskursstränge bewegen sich auf verschiedenen Diskursebenen, d.h. Orten von denen aus gesprochen wird, wie etwa Politik, Medien oder Wissenschaft. Diese Ebenen beeinflussen und nutzen sich gegenseitig und sie beziehen sich aufeinander. Doch auch innerhalb einer Diskursebene gibt es Verflechtungen; bspw. 109 110
Jäger (2004), S. 167. Ebd., S. 162.
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wenn ein Wissenschaftler sich auf Daten bezieht, die in anderen wissenschaftlichen Arbeiten erarbeitet wurden. 3.1.6 Diskursposition Mit diesem Begriff ist der spezifische politische Standort eines Diskursteilnehmers gemeint. Es handelt sich sozusagen um den diskursiven Kontext eines Individuums in einem Diskurs, um den ideologischen Ort, von dem aus eine Person sich an einem Diskurs(strang) beteiligt. „Die Diskursposition ist (...) das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse, denen das Individuum ausgesetzt war und die es im Verlauf seines Lebens zu einer bestimmten ideologischen bzw. weltanschaulichen Position verarbeitet hat.“111 Diskurspositionen zu bestimmen ist eine der Aufgaben der Diskursanalyse. In der Regel sind Diskurspositionen innerhalb eines hegemonialen Diskurses weitgehend homogen, was als Wirkung des letzteren verstanden werden kann. 3.2 Kritische Diskursanalyse von Konfliktdiskursen in der Anwendung In der Methodik der Kritischen Diskursanalyse (KDA) nach Jäger beginnt jede Untersuchung mit einer Strukturanalyse des gewählten Diskursstrangs. Das allgemeine Ziel von Diskursanalysen, so Jäger, ist die historische und gegenwartsbezogene Analyse von ganzen Diskurssträngen sowie – je nach Forschungsinteresse – von Verschränkungen mehrerer Diskursstränge.112 Es können synchrone und diachrone Schnitte durch thematisch relevante Diskursstränge vollzogen werden; dies hat maßgeblichen Einfluss auf den Umfang des zu analysierenden Materials. Jeder Diskurs, jeder Diskursstrang hat eine Geschichte, eine Gegenwart und eine Zukunft; wollte man ihre Gesamtheit analysieren, wäre eine „Archäologie des Wissens“ im Sinne Foucaults zu betreiben, die wiederum als Basis einer diskursiven Prognostik dienen könnte.113 Ein solches Vorhaben hätte jedoch gigantische Ausmaße und würde jedenfalls die Grenzen dieser Untersuchung sprengen. Deshalb wird der Analyseprozess in eine Struktur- und eine Feinanalyse geteilt; die Feinanalyse eines gesamten Diskursstrangs ist zwar machbar, setzt aber enorme finanzielle, zeitliche und personelle Ressourcen voraus.
111
Margarete Jäger (1996), S. 47. Vgl. Jäger (2004), S. 171. 113 Vgl. dazu ebd., S. 169. 112
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Struktur- und Feinanalyse bedienen sich der gleichen Untersuchungsinstrumente. Jäger schreibt: „Materialaufbereitung und Analyse einzelner Diskursfragmente stellen das Herzstück von Diskursanalyse dar. Dies ist deshalb der Fall, weil dabei filigran herausgearbeitet werden kann, wie ein Diskurs inhaltlich und formal gestaltet ist, welche Wirkungsmittel er enthält, welche Argumentationsstrategien verwendet werden, welche Widersprüche und Fluchtlinien er enthält usw.“114
3.2.1 Materialaufbereitung und Strukturanalyse Der erste Schritt ist die Erstellung eines Materialkorpus. Im Fall dieser Studie handelt es sich dabei um transkribierte Interviews mit Experten vor Ort. Zunächst werden alle Oberthemen, Themen und Unterthemen „in ihrer qualitativen Bandbreite und quantitativen Dichte“115 beschrieben. So wird „der gesamte Diskursstrang erfasst, beschrieben und in seiner Grundstruktur analysiert.“ Im nächsten Schritt wird aus dem Materialcorpus ein Dossier erstellt. Darin wird die qualitative Bandbreite des jeweiligen Diskursstranges erfasst, d.h. etwaige Themendopplungen werden zunächst ausgeschieden. Bei diesem Vorgang werden Häufungen sichtbar, die auf Schwerpunkte, Trends oder diskursive Ereignisse im jeweiligen Diskursstrang hindeuten. Wichtig ist für die Erstellung des Dossiers, dass absolut alle vorkommenden Themen und Unterthemen erfasst werden; einer Übergewichtung von nur sehr selten angesprochenen Themen kommt die gleichzeitige Erfassung von thematischen Häufungen zuvor. Nun wird für jedes einzelne Interview eine Charakterisierung des sprachlichen Kontextes (interviewte Person, Ort und Zeitpunkt des Interviews etc.) vorgenommen. Alle angesprochenen Themen werden daraufhin auf die Fragestellung der Untersuchung hin analysiert: Wo finden sich konfliktive Diskursstrukturen? Inwieweit wird Wasser ver- oder entsicherheitlicht? Auf welche Weise werden in- bzw. exklusive Diskursstrukturen erzeugt? Diese Fragen bilden das Analyseraster sowohl für die Struktur- als auch für die dann folgende (und tiefergehende) Feinanalyse. Auf der Grundlage dieser Überblicksanalyse werden dann solche Diskursfragmente ausgewählt, die für die Feinanalyse geeignet sind. Jäger schreibt dazu:
114
Ebd., S. 172. Ebd., S. 174. Jäger wählt die Bezeichnungen Themen, Unter- und Unterunterthemen; aus sprachlichen Gründen habe ich mich für Oberthema, Thema und Unterthema entschieden. Die Hierarchie bleibt davon unberührt. 115
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„Typische Diskursfragmente auszuwählen und einer Feinanalyse zu unterziehen, verfolgt den Zweck, in Rückkopplung mit den Strukturanalysen stark verallgemeinernde Aussagen über einen Diskursstrang in einer bestimmten Zeitung etc. vornehmen zu können, ohne »vom Material erschlagen« zu werden.“116
Die Strukturanalyse zeigt bereits, welche inhaltlichen, formalen, ideologischen Schwerpunkte im analysierten Material gesetzt wurden. Dies sind erste Anhaltspunkte dafür, welche Fragmente typisch sind. Darüber hinaus formuliert Jäger folgende Kriterien für die Auswahl typischer Fragmente: Diskursposition, thematischer Schwerpunkt, tendenzielle (quantitative) Verteilung der Themen und Unterthemen, Art und Dichte der Verschränkungen, Stil, formale Besonderheiten, sowie evtl. quantitativer Umfang. Da die vorliegende Arbeit auf einen Vergleich zwischen israelischem und palästinensischem Wasserdiskursstrang abzielt sowie mögliche Ansatzpunkte für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts herausarbeiten will, ist die Zugehörigkeit zu Hegemonial- und Gegendiskurs ein weiteres wichtiges Auswahlkriterium. 3.2.2 Feinanalyse In der Feinanalyse wird aus einzelnen, für einen Diskurs oder Diskursstrang typischen Fragmenten die Wirkung des untersuchten Diskurses hergeleitet. Die Fragmente werden dabei zunächst zwar als individuelle Äußerungen ernst-, die Wirkungsabsicht eines Autors also wahrgenommen, doch das übergeordnete Ziel ist immer, von einzelnen Äußerungen auf die Wirkungen des Diskurses insgesamt zu schließen.117 Die Feinanalyse gliedert sich in fünf Schritte.118 Erstens wird der institutionelle Rahmen des Fragments bestimmt. Wer ist der Sprecher, von welcher Diskursposition kommuniziert er, in welchem Kontext spricht er? Spricht er von eigenen Erfahrungen, welchen Beruf übt er oder sie aus, welche Bildungsgänge hat er oder sie hinter sich gebracht? Zweitens wird die „Text-Oberfläche“ untersucht, d.h. Sinneinheiten und angesprochene Themen werden analysiert. Im dritten Schritt liegt der Fokus auf sprachlich-rhetorischen Mitteln, etwa Argumentationsstrategien, Logik, Komposition, Pronominalstruktur, Implikaten, Anspielungen, Bildern und Metaphern, Idiomen, Sprichwörtern, Wortschatz und Stil. Danach rückt der Inhalt des Textes in den Mittelpunkt, die zugrunde liegende Ideologie, das Menschenbild, Gesellschaftsverständnis, Technikverständnis, die Vorstellungen von der Zukunft und ähnliches. Des Weiteren werden Refe116
Ebd., S. 193. Vgl. dazu ebd., S. 173. 118 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 175ff. 117
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renzbezüge, Sprecherwechsel (Unterbrechung, Abbruch) und sprachliche Besonderheiten (Stottern, Lachen etc.) berücksichtigt sowie die Felder des (Un)Sagbaren herausgearbeitet. Im letzten Schritt erfolgt die Interpretation des Diskursfragments auf der Grundlage der geleisteten Vorarbeiten. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Beantwortung der gleichen Fragen, die schon für die Strukturanalyse zentral waren: Wo finden sich konfliktive Diskursstrukturen? Inwieweit wird Wasser ver- oder entsicherheitlicht? Auf welche Weise werden in- bzw. exklusive Diskursstrukturen erzeugt? Die Akteure im israelisch-palästinensischen Wasserverteilungskonflikt können die Ressource Wasser versicherheitlichen, entsicherheitlichen oder als nicht sicherheitsrelevant darstellen. Sie können sie als identitätsrelevant, als rein wirtschaftliches Gut, als politische Ressource, als Menschenrecht oder ähnliches wahrnehmen und dies artikulieren. Je nachdem kann dies konfliktmindernd oder -fördernd wirken. Buzan et al. sowie Bonacker und Gromes bieten eine Liste von Schlüsselbegriffen an, die als Anhaltspunkt für Versuche der Versicherheitlichung dienen können. Dazu gehören survival oder auch die Frage to be or not to be, sowie Redewendungen wie point of no return, everything else will be irrelevant, und alter the premises for all other questions. Bonacker und Gromes schreiben dazu: „These notions and clauses concern not only the mere existence of a reference object but as well its self-determination and even its values (...). In order to cover the threat of expulsion one should also look at the existence at a certain place. We can rank these properties of a reference object. The most drastic threat is to the existence, and then comes the threat to self-determination, it follows the threat of being expelled, and the least drastic threat is to one’s values.“119
Diese Begriffe indizieren gewissermaßen Verschränkungen zwischen dem Wasser- und dem Sicherheits- oder Konfliktdiskursstrang, der sich im seit Jahrzehnten andauernden Nahostkonflikt in beiden Gesellschaften herausgebildet hat; (de-)securitizing moves können somit als diskursive Effekte solcher Diskursstrangverschränkungen angesehen werden. Es ergibt sich also eine Rangfolge von Bedrohungen, die auf unterschiedliche Weise versicherheitlicht werden können: 1. 2. 3. 4.
existenzielle Bedrohung Bedrohung der Selbstbestimmung Bedrohung des Territoriums Bedrohung von Werten, Vorstellungen u.ä.
119 Bonacker/Gromes (2007), S. 16. Sie beziehen sich hier auf Buzan et al. (1998), S. 24, Buzan/Wæver (2003), S. 387-390 und Wæver (1998).
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Die erste Art der Bedrohung drückt sich in sprachlichen Referenzen zu Sein oder Nichtsein, Tod, Exodus, Massenmord, fehlender Lebensfähigkeit, Auslöschung und vergleichbaren Begriffen aus.120 Wichtig für die vorliegende Arbeit ist etwa die Rede von „Verdursten lassen“, „den Hahn abdrehen“ und ähnlichen direkten Bezügen zur Ressource Wasser und ihrer existenziellen Bedeutung. Bedrohungen der Selbstbestimmung einer Gruppe werden in Begriffen wie Kolonialismus, Usurpation, fremde Kontrolle, Unterdrückung, Gefangenschaft, Besatzung und vergleichbaren Ausdrücken deutlich. Bedrohungen des Territoriums lassen sich aus Anspielungen auf den Verlust von Heimat, Wurzeln, Land sowie Hinweisen auf den historischen Anspruch auf ein Territorium ablesen. Werden allerdings Werte oder Frames in Frage gestellt bzw. bedroht, ist dies schwieriger festzustellen; Bonacker und Gromes schreiben, dass Versicherheitlichung von Werten praktisch immer an die Versicherheitlichung von Existenz geknüpft wird bzw. werden muss, um nach der Definition von Buzan et al. überhaupt als Versicherheitlichung zu gelten. Um Versicherheitlichung „beweisen“ zu können, wäre es außerdem notwendig, den versicherheitlichenden Akteur und das intendierte sowie das tatsächliche Publikum zu bestimmen und die „außergewöhnlichen Maßnahmen“ aufzudecken, die aufgrund einer Versicherheitlichung durchgeführt wurden. Wird also Wasserknappheit versicherheitlicht, etwa als existenzielle Bedrohung, wäre zu überprüfen, welche Maßnahmen ergriffen wurden, die über „normale“ Politik hinausgehen. Dies ist allerdings nicht vorrangiges Ziel der vorliegenden Arbeit. In- bzw. exklusive Diskursstrukturen im Sinne einer Dichotomisierung der Welt in ein „Selbst“ und „Andere“ laut der SIT werden zum Beispiel in der Pronominalstruktur eines Diskursfragments erkennbar. Das inklusive „wir“ steht stellvertretend für die ingroup, während die outgroup durch Pronomina wie „sie“ und „ihnen“ oder auch durch unpersönliche Sammelbegriffe wie „die Araber“ bezeichnet wird. 3.2.3 Gesamtinterpretation des Diskursstranges Erst nach abgeschlossener Struktur- und Feinanalyse kann eine Gesamtanalyse der Ergebnisse erfolgen. Dabei werden alle Zwischenergebnisse aus den vorhergehenden Analyseschritten reflektiert und auf dieser Basis eine Gesamtaussage über den analysierten Diskursstrang formuliert. Im Fall der vorliegenden Studie folgt zudem ein Vergleich der jeweiligen Ergebnisse aus dem israelischen und
120
Vgl. dazu und zum Folgenden Bonacker/Gromes (2007), S. 16f.
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3 Die Rekonstruktion konfliktiver Diskursstrukturen
dem palästinensischen Diskursstrang. Auch der diskursive Kontext wird in die Gesamtanalyse einbezogen. Die Diskursanalyse richtet sich auf „Verläufe oder Flüsse von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“, die Applikationsvorgaben für die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit beinhalten, „in diese gegenständlich umgesetzt werden und in Verbindung mit diesen »Vergegenständlichungen« weiterwirken, »sie am Leben halten«, sie und sich verändern oder auch zum Absterben bringen können.“121 Folgende Fragen stehen dabei im Zentrum:
Wie ist der untersuchte Diskurs(strang) entstanden? Welche Veränderungen hat er im Lauf der Zeit erfahren? Auf welche Themen und welches Publikum bezieht er sich? Welche impliziten und expliziten Inhalte transportiert er? Welche Mittel werden dazu eingesetzt? In welchem Verhältnis steht er zu anderen Diskurs(sträng)en? Welche Außenwirkung hat er?
Für diese Arbeit in besonderem Maße zentral ist zudem die Frage
Wie verhält sich der Diskurs(strang) zum israelisch-palästinensischen Konflikt?
Wird Wasser im Jordanbecken von den Konfliktparteien versicherheitlicht? Wenn ja, wie? Was bedeutet die Versicherheitlichung von Wasser für den anzunehmenden Konfliktverlauf? Wie wäre eine Entsicherheitlichung zu erreichen, oder existieren entsprechende Versuche bereits? Wurde die Versicherheitlichung bereits institutionalisiert und sind Kettenreaktionen von einem Sektor in den nächsten erkennbar? Diese und ähnliche Fragen gilt es in der folgenden Diskursanalyse zu beantworten. Dieser ist im Sinne einer Rückkoppelung der untersuchten Diskursfragmente an ihren sozio-historischen Kontext die Nachzeichnung der Diskursgenese seit dem Beginn der systematischen jüdischen Einwanderung nach Palästina im Jahr 1882 vorangestellt. Die Diskursanalyse versucht dann, die Argumentationsformen, die verwendete Metaphorik und zugrunde liegenden symbolischen Praktiken, das Ungesagte bzw. die alternativen Ausdrucksmöglichkeiten sowie Widersprüche und Wirkungen von sprachlichen Äußerungen über Wasser in Israel und Palästina aufzudecken.
121
Beide Zitate Jäger (2004), S. 158. Hervorhebungen im Original.
4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel – Eine Geschichte 4
Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel
Um den in Kapitel fünf folgenden synchronen Schnitt durch die israelischpalästinensischen Wasserdiskursstränge historisch rückzubinden an den diskursiven Kontext, auf den sie sich jeweils beziehen, wird im Folgenden das „diskursive Gewimmel“ nachgezeichnet, innerhalb dessen sie sich befinden und aus dem sie sich entwickelt haben. Der synchrone Schnitt durch den gegenwärtigen Wasserdiskurs in Israel und Palästina ist nicht unabhängig von seiner Historie zu verstehen, er ist Resultat historisch-diskursiver Entwicklung. Dabei ist das Ziel zunächst keine „echte“ Diskursanalyse im Sinne der detaillierten Untersuchung einzelner Äußerungen, wie sie im folgenden Kapitel durchgeführt wird – dazu sind der Zeitraum und die Materialfülle schlicht zu groß. Aufgabe dieses Kapitels ist vielmehr eine Nachzeichnung der Bedeutung von Wasser im Zionismus, in der neuen jüdischen Gemeinde (Jishuv) sowie bei den arabischen Bewohnern des historischen Palästina sowie die Herausarbeitung von Veränderungen und Schwerpunktverschiebungen in Bezug auf diese Bedeutung seit 1882 bis heute, und zwar vorwiegend auf der Ebene des Interdiskurses. Neben tatsächlichen Äußerungen über die Bedeutung von Wasser für die einzelnen Bevölkerungsgruppen werden auch die Identitätsbildungsprozesse auf beiden Seiten nachgezeichnet und eventuelle Ver- und Entsicherheitlichungen herausgearbeitet. Im israelisch-palästinensischen Konflikt geht es nicht nur um territoriale, sondern auch um soziale Grenzen, also um diejenigen Faktoren, die die eine Gruppe von der anderen unterscheiden, die in- und outgroup definieren und für ein Zugehörigkeitsgefühl sorgen.122 Diese sozialen Grenzziehungen sind Teil der Identitätsbildung von Gruppen, wobei insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der territorialen Grenzen mit Identität meist die nationale Identität gemeint ist. Die Bildung einer Nation bzw. einer nationalen Identität setzt ein Verschmelzen von ehemals individuellen Werten und Mythen, Visionen und Erinnerungen voraus; der Prozess bedarf eines Zusammengehörigkeitsgefühls, der Abgrenzung von anderen Gruppen bzw. Nationen sowie der Verständigung über gemeinsame Ziele. Und nicht zuletzt bedarf er der aktiven Konstruktion durch Gruppenmit122 Daniel Bar-Tal schreibt über den israelisch-arabischen Konflikt: „The conflict, however, is not only territorial and political, but also concerns deep contradictions in religious and cultural interests.“ Bar-Tal (1998), S. 31.
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4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel
glieder – sowohl der jüdische als auch der palästinensische nationale Charakter sind durch die jeweils als wahr akzeptierten gesellschaftlichen Diskurse aktiv sozial konstruiert worden – sei es nun der zionistische Diskurs oder der Opferdiskurs der palästinensischen Gesellschaft, der aus der al-Nakba (die arabische Bezeichnung für den Exodus der Palästinenser aus Israel und den heutigen besetzten Gebieten im israelisch-palästinensischen Krieg von 1948) entstanden ist. Im Folgenden wird zunächst die „Planungsphase“ zwischen dem Beginn der systematischen jüdischen Einwanderung nach Palästina 1882 und der Proklamation des israelischen Staates bzw. der al-Nakba 1948 nachgezeichnet. Danach wird auf die Jahre zwischen 1948 und 1967, dem Jahr des Sechstagekrieges, eingegangen. Die chronologisch nächsten einschneidenden diskursiven Ereignisse nach dem Sechstagekrieg von 1967 waren regionale Entwicklungen wie der Ausbruch der ersten Intifada, aber auch globale Veränderungen wie der Zusammenbruch der Sowjetunion. So beschäftigt sich das dritte Unterkapitel mit dem Zeitraum von 1967 bis 1989. Der vierte und letzte Teil beleuchtet dann die Entwicklungen der fünfzehn Jahre zwischen 1990 und 2005, also vom OsloFriedensprozess in den frühen 90er-Jahren, der mit der Ermordung Jitzchak Rabins einen negativen Einschnitt erlebte, bis annähernd zum heutigen Stand des Wasserdiskurses in Israel/Palästina. Es werden jeweils nacheinander der jüdischisraelische und der palästinensisch-arabische Diskurs nachgezeichnet, auch wenn es in der engen Verzahnung der regionalen Diskurse liegt, dass diese Trennung nicht ganz scharf sein kann. 4.1 Von 1882 bis 1948 – Wasser als Bestandteil der Grenzziehungsüberlegungen 1882 1896 1897 1903/4 1913 1915 1916 1917 1919 1920
Chronologie der Ereignisse Beginn systematischer jüdischer Einwanderung nach Palästina Veröffentlichung von Herzls Der Judenstaat Erster Zionistischer Kongress in Basel Beginn der zweiten alija, vorwiegend sozialistische Zionisten Erster Arabischer Nationalistischer Kongress in Paris Hussein-McMahon-Korrespondenz Sykes-Picot-Abkommen Balfour-Deklaration (2. November) Eroberung Jerusalems durch die Briten (9. Dezember) Faisal-Weizmann-Abkommen in Paris unterzeichnet (3. Januar) Antizionistische Unruhen in Jerusalem; Briten erhalten Mandat für Palästina (April) Arabischer Kongress Palästinas tritt in Haifa zusammen (Dezember)
4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel 1921 1922 1929 1931 1933 1936 1937 1939 1945 1947 1948
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Antizionistische Unruhen in Jaffa (1. Mai) Gründung des Obersten Muslimischen Rates (Dezember) Völkerbund billigt Mandat für Palästina (24. Juli) Antijüdische Aufstände in Jerusalem und anderen Orten Britische Regierung bekräftig pro-zionistische Politik (14. Februar) Islamische Weltkonferenz tritt in Jerusalem zusammen (16. Dezember) Nationalistischer Araber-Aufstand (Oktober) Beginn des allgemeinen Araber-Aufstands (15. April) Royal Commission schlägt Teilung vor Britisches Weißbuch begrenzt jüdische Einwanderung auf 75 000 pro Jahr Pakt der arabische Liga in Kairo unterzeichnet Großbritannien will Mandat an UN zurückgeben (18. Februar) UN-Vollversammlung stimmt für Teilung Palästinas in jüdischen und arabischen Staat (29.November) Ende britisches Mandat, Proklamation des Staates Israel (14. Mai) erster israelisch-arabischer Krieg, Israel trägt überlegenen Sieg davon Transjordanien annektiert Westjordanland (Dezember)
Zum Thema „Wasser in Israel/Palästina“ finden sich direkte und indirekte Bezüge in verschiedensten Texten und Äußerungen seit dem Beginn der jüdischen Einwanderungswellen (alijot) nach Palästina Ende des 19. Jahrhunderts. Zunächst standen sich dabei wohl drei gesellschaftliche Gesamtdiskurse gegenüber, nämlich der jüdisch-zionistische, der osmanisch-arabische und der „internationale“ Diskurs, wobei mit letzterem die gesammelten Äußerungen der Kolonialstaaten im Nahen Osten über diese Region gemeint sind. Aus ihnen entwickelten sich die Wasserdiskurse, die heute aktuell sind. Vor der systematischen Einwanderung von Juden nach Palästina war die Region für etwa 725 Jahre fast ohne Unterbrechung von ortsfremden muslimischen Potentaten kontrolliert worden. Die arabischen und jüdischen Einwohner der Region koexistierten, übernahmen aber nie selbst die Kontrolle: „Their land was administered either as an appendage of southern Syria or of northern Egypt, with control shifting frequently among warlords. Few of these rulers paid much attention to the water resources or any other improvement of Palestine’s infrastructure, as they were interested in recruiting soldiers and raising taxes from the local population.“123 123 J.W. Eaton und D.J. Eaton: Water Utilization in the Yarmuk-Jordan, 1192-1992, in: Isaac/Shuval (1994), S. 93-105, hier S. 94.
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Das Land inklusive seiner Wasserressourcen, das westliche Reisende und jüdische Einwanderer im 19. Jahrhundert vorfanden, war mehrere Jahrhunderte vernachlässigt worden – zumindest entsprechend der Standards, die im westlichen Diskurs formuliert worden waren. Große Teile des Jordantals sowie zahlreiche kleine Bäche, die in das Mittelmeer flossen, waren zu Malaria-verseuchten Sümpfen verkommen. Kurz vor dem britischen Einmarsch nach Jerusalem lebten in Palästina nur noch 600 000 Menschen, meist in extremer Armut und ohne moderne Wasserver-, geschweige denn Abwasserentsorgung. 4.1.1 Wasser in der osmanischen Rechtsprechung und in der Scharia Der Ausgangspunkt für die Nachzeichnung des osmanisch-arabischen Diskurses am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts in Bezug auf die Verteilung der regionalen Wasserressourcen ist die Einbettung Palästinas in das Osmanische Reich. Um die arabische Sichtweise auf Wasser bzw. Territorium in dieser frühen Phase zu verstehen, ist es lohnend, sich wirtschaftliche, rechtliche und politische Aspekte des osmanischen Reiches124 vor Augen zu führen, zu dem Palästina von 1516 bis 1917 (markiert durch den Einmarsch General Allenbys in Jerusalem) gehörte. Anders als der Okzident, der vom Lehenfeudalismus geprägt war, war das Osmanische Reich vom Sipahi-Pfründensystem bestimmt. Der Boden gehörte größtenteils dem Staat (Timar-System); Pfründeninhaber erhielten nur den Ertrag der jeweils zugewiesenen Fläche, während der Boden selbst in Besitz des Staates – bzw. des Sultans oder Beglerbegs – verblieb. Die Vererbung von Ländereien war nicht erlaubt, ebenso wie der Verkauf oder das Verschenken von Pfründen. Die osmanische Gesellschaft war dabei in zwei Klassen geteilt, die osmani oder Herrschenden und die reaya, wörtlich: die Herde. Ihre Strukturierung wurde durch Religionszugehörigkeit bestimmt; jede religiöse Gruppe durfte sich dabei als weitgehend selbständige autonome Gemeinschaft (Millet125) mit eigenen 124 Reinkowski schreibt, der geschichtswissenschaftliche Begriff „Reich“ sei durchaus passend, da das Osmanische Reich bis zum 19. Jahrhundert ein nichtnationaler Staat gewesen sei: Integration oder Assimilation hätten nicht in seinem Interesse gelegen. Dem widerspricht nicht, dass die Hohe Pforte in ihren Rechtsakten und Handlungen ein voll ausgeprägter Staat war; im 19. Jahrhundert verdrängte dieser Staatscharakter den des Reiches dann immer mehr. Reinkowski (2005), S. 19-20. 125 Das millet-System ist eine Fortentwicklung des islamischen ´imma-Status und bezeichnet die osmanische Praxis, nicht-muslimische Bevölkerungsgruppen in Konfessionsgruppen zusammenzufassen, die sich in legislativen, judikativen, fiskalen, religiösen und karitativen Angelegenheiten selbst verwalten konnten. Vgl. Reinkowski (2005), S. 17. Reinkowski schreibt: „Das universale und nicht nach nationalen Gesichtspunkten konstruierte Millet-System ließ den einzelnen Gemeinden ihre lokalen ethnischen und sprachlichen Eigenheiten, produzierte also gleichzeitig ‚religious universality and local parochialism’. Das millet-System war eine sozio-kulturelle und kommunitäre Ordnungs-
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Gesetzen und Verwaltungsstrukturen unter dem jeweiligen religiösen Oberhaupt organisieren.126 Ab dem 19. Jahrhundert wurde der Begriff der reaya ausschließlich Nicht-Muslimen zugewiesen, die damit als untergeordnete Minorität eingestuft wurden.127 Allerdings lag die reale Macht über Palästina mit Ausnahme der Zeit ägyptischer Besatzung (1831-40) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch zu großen Teilen in den Händen der lokalen Klanführer (Scheikhs). Palästina war gewissermaßen ein „weißer Flecken in der Matrix der Macht“.128 Auch um dies zu ändern erließ das Osmanische Reich 1858 im Zuge groß angelegter Rechtsund Verwaltungsreformen (tanzimat129) ein Landgesetz (Ottoman Land Code) zur besseren Kontrolle des kultivierten Landes im gesamten Reich. Es erlaubte z.B. den Erwerb staatlichen Landes und wurde 1867 von einem Gesetz ergänzt, das dieses Erwerbsrecht auch auf Ausländer ausweitete.130 Vor den Tanzimat hatte es in Bezug auf Land vier Eigentumsformen gegeben: 1. Staatseigentum (mir); dies wurde von den palästinensischen Fellachen als Kollektiveigentum der Dorfgemeinschaft angesehen131; 2. Gemeineigentum form, die auf religiöser Identität und erst in zweiter Linie auf ethnischer Zugehörigkeit (die sich wiederum auf sprachliche Unterschiede bezog) beruhte. Diese Balance blieb solange intakt, als die soziale Mobilität noch sehr niedrig und die Macht der Zentralregierung groß genug war, um den status quo aufrecht zu erhalten.“ Reinkowski (1995), S. 37. Allerdings ist zu bemerken, dass keine für die gesamte Dauer und Ausdehnung des Osmanischen Reiches gültigen Strukturen für den Umgang mit Nicht-Muslimen existierten. Die Regelungen waren im Gegenteil lokalen und zeitlichen Unterschieden unterworfen, zumal einige Gruppen sich gar nicht über ihre Religionszugehörigkeit definieren ließen. 126 Vgl. Ali Shneiwer: Palästina und die Palästinenser: Der lange Weg zum Staat, Bd. 7 der Reihe Kulturelle Identität und politische Selbstbestimmung in der Weltgesellschaft, Hrsg. v. Christian Sigrist et al., Münster: LIT Verlag 2001, S. 7. 127 Vgl. Reinkowski (1995), S. 39. 128 Ebd., S. 11. 129 Aus der arabischen Wurzel nazama: arrangieren, regulieren, fortan: Tanzimat. Die Tanzimat begannen 1839 und endeten 1876. Die wichtigsten Reformedikte stammen von 1839 und 1856, ihre deutsche Übersetzung findet sich in Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst (Hrsg.): Die Verfassungsgesetze des Osmanischen Reiches. Wien: Verlag des Forschungsinstitutes für Osten und Orient, 1919. Die Tanzimat können als Versuch gewertet werden, einen zentralisierten, vereinheitlichten Staat aufzubauen. Sie sollten noch lange nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches die Rechtsprechung in Israel und Palästina prägen: „It persisted in these Ottoman ‚successor’ states not simply in its role as an underpinning for the law of the region, but in an unadulterated fashion as a territorial law applicable to all citizens regardless of religion or nationality.“ Robert H. Eisenman: Islamic Law in Palestine and Israel. A History of the Survival of Tanzimat and Shari’a in the British Mandate and the Jewish State, Leiden: E.J. Brill 1978, S. 1. 130 Das Gesetz von 1867 wurde 16 Jahre später so geändert, dass nur noch Juden mit osmanischer Staatsbürgerschaft in Palästina Boden erwerben durften; 1893 wurde dies zusätzlich mit der Klausel verschärft, bei bzw. vor dem Kauf müsse die nicht-zionistische Nutzung nachgewiesen werden. So wurden im Übrigen stillschweigend alle bis dahin getätigten Landtransaktionen legalisiert. 131 Vgl. Pamela Ann Smith: Palestine and the Palestinians 1875-1985, London: St. Martin’s Press 1984, S. 17.
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(muschaa); 3. waqf-Land, also der Boden, dessen Nutzer die Zehntsteuer an die waqf (arab. für „fromme Stiftung“) entrichteten (die Verwaltung dieser Ländereien lag bei Notabelnfamilien, die dieses Recht direkt vom islamischen Kalifat erhielten; sie gelten bis heute grundsätzlich als unveräußerlich); und 4. Privateigentum, das jedoch praktisch keine wirtschaftliche Bedeutung hatte, da es weniger als 5 Prozent des gesamten Bodens ausmachte.132 Nomineller Landbesitz bedeutete also nicht zwangsläufig freie und absolute Kontrolle über dieses Land. Die osmanische Bodenreform fiel nun in eine Zeit, da die Hohe Pforte ihren realen Einfluss in Palästina allmählich ausweitete.133 Auch periphere Provinzen wie Palästina wurden nun immer stärker „von der osmanischen Modernisierungspolitik, der zunehmenden Integration in die europäische Weltwirtschaft und den Auswirkungen des europäischen Expansionsstrebens geprägt“134. Die daraus resultierende verbesserte Sicherheitslage führte zu einer Ausweitung der Landwirtschaft auch in solche Gebiete, die bis dato als zu unsicher galten, so dass staatliche Interessen sich auf Landmanagement und -kontrolle verlagerten. Die osmanische Bodenreform von 1858 beruhte auf den tatsächlichen Bedingungen, aber auch auf althergebrachten gewohnheitsrechtlichen Regelungen des Landbesitzes, die weit in das osmanische Reich zurückreichten. Sie ging statt von vier von fünf Eigentumsformen aus135: Die alten, islamisch geprägten Kategorien des Landbesitzes wurden durch neue ersetzt, welche die damals üblichen Besitzformen besser reflektierten sollten. So formulierten die Tanzimat folgende Kategorien: 1. privater Besitz (mulk), 2. Stiftungsland (waqf), 3. Staatsbesitz (miri), und als Untergruppen dessen: 4. kommunales oder öffentliches Land (metruk) und 5. „totes“ Land (mevat).136
132
Vgl. Shneiwer (2001), S. 9f. Vgl. zum Folgenden ebd., S. 10ff. Allerdings konnten nicht alle Reformvorhaben der Regierung in Istanbul mit gleichem Erfolg umgesetzt werden; im Gegenteil stellte sich die Umsetzung gerade in peripheren Gebieten des Reiches als sehr schwierig dar. Vgl. Divine (1994), S. 83. 134 Reinkowski (2005), S. 16. In Anlehnung an Joel Migdal: Strong Societies and Weak States. StateSociety Relations and State Capabilities in the Third World. Princeton NJ: Princeton University Press, 1988, S. 28, 39, gilt hier eine relative Definition von Zentrum und Peripherie. Ein gegebener Ort kann Zentrum und Peripherie sein, abhängig vom Kontext. Migdal plädiert für ein Analyseraster, das von spinnennetzartig aufgebauten Gesellschaften ausgeht, in denen die soziale Kontrolle fragmentiert ist und von vielen unterschiedlichen Akteuren ausgeübt wird. Unterschiedliche Systeme von Recht und Rechtsprechung konkurrieren und koexistieren nebeneinander. Vgl. auch Reinkowski (2005), S. 23. 135 Der Land Code speiste sich sowohl aus der islamischen Rechtstradition als auch aus gewohnheitsrechtlichen und traditionellen Regelungen. Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 15. Das Landgesetz war jedoch keine Sammlung islamischen Rechts im eigentlichen Sinn; vielmehr erweiterte es systematisch einen islamischen Kern durch gewohnheitsrechtlichen und traditionellen Praktiken des Osmanischen Reiches. 136 Artikel 5 und 19-102 des Land Codes. Vgl. Eisenman (1978), S. 53; sowie Divine (1994), S. 92. 133
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Doch das Vordringen der Hohen Pforte in Gebiete, die bis dahin weitgehend sich selbst überlassen waren, wurde von der dortigen Bevölkerung als bedrohlich erlebt; dazu trugen die Ausweitung der bzw. Einführung von Steuern und der Wehrpflicht im Rahmen der Tanzimat maßgeblich bei.137 Beispielsweise war die 1858 für alle bewirtschafteten Ländereien eingeführte Meldepflicht für viele Fellachen unerschwinglich, so dass das von ihnen bebaute Land entweder vom Staat an zahlungskräftige Käufer veräußert oder an reiche Familien, vorwiegend aus Palästina und dem Libanon, zu sehr niedrigen Preisen versteigert wurde. Um diesem Schicksal zu entgehen, entschlossen sich viele Fellachen, ihre Ländereien unter dem Namen von Großhändlern und/oder Notabeln eintragen zu lassen; auf diese Weise wollten sie auch etwaigen Steuererhöhungen und der Einberufung zum Militärdienst entkommen. Sie begaben sich damit in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Notabeln, das auch Jahre später noch zu Konflikten innerhalb der arabisch-palästinensischen Bevölkerung führen sollte.138 Aus der osmanischen Bodenreform von 1858 entstanden somit mindestens zwei Probleme, die den späteren Verlauf des Territorial- und Wasserdiskurses in Palästina beeinflussen sollten. Erstens verloren viele Fellachen durch die Auflösung des Gemeinbesitzes (muschaa) und die Einführung der Meldepflicht ihr bisheriges Weideland, was insbesondere in Dürrezeiten ins Gewicht fiel. Zweitens ermöglichte erst die erwähnte Bestimmung über Privateigentum Ausländern, also auch der zionistischen Bewegung, den systematischen Landkauf und damit letztlich die Errichtung eines jüdischen Staates. Für die arabischen Fellachen hatte jedoch über Jahrhunderte eine andere Rechtswirklichkeit gegolten; deshalb interpretierten sie den Landkauf durch zionistische Organisationen oder Privatleute als Landraub.139 Diese andere Rechtswirklichkeit hatte ihre Wurzeln in der islamischen Rechtssprechung und wurde während der Tanzimat in der Mejelle, dem osmanischen Zivilgesetzbuch, festgeschrieben, so dass der Gegensatz zwischen den Regelungen der osmanischen Bodenreform und der islamischen Rechtstradition gewissermaßen institutionalisiert wurde.140 Die Mecelle-i Akhâm-i Adliye (türkische Schreibweise) wurde vom gleichen Tanzimat-Rat formuliert, der bereits die Bodenreform von 1858 durchgeführt hatte. Der Name impliziert, dass die Mejelle ein „Kompendium rechtlicher Prinzipien“ sei, die aus dem Studium islami-
137
Vgl. Reinkowski (2005), S. 25. Vgl. dazu z.B. S.J. Shaw: The 19th Century Ottoman Tax Reforms and Revenue System, in: International Journal of Middle East Studies, 6 (1975), sowie Doreen Warriner: The Real Meaning of the Land Code, in: Charles Issawi (Hrsg.): The Economic History of the Middle East, S. 72-78. 139 Vgl. Dan Diner: Israel in Palästina: Über Tausch und Gewalt im Vorderen Orient, Königstein, Ts.: Athenäum 1980, S. 35-36, und Kimmerling/Migdal (1994), S. 24. 140 Vgl. Eisenman (1978), S. 19-20. 138
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scher Quellen entsprechend der Hanafi fiqh141 entwickelt wurden. Die Mejelle sollte in den neu eingeführten säkularen Gerichtshöfen verwendet werden, deren Richter kaum Arabisch sprachen und sich im islamischen Recht nicht auskannten. Sie richtete sich an die fremde wie osmanische Öffentlichkeit, die diese Gerichtshöfe in Anspruch nehmen würde. Ursprünglich hatte man das französische Zivilgesetzbuch übernehmen wollen, doch die Konservativen lehnten dies ab. Als Kompromiss wurde deshalb die religiöse Rechtsprechung in Bezug auf Vertragsrecht in einen Code westlicher Bauart übersetzt – eine absolute Neuheit. Zudem wurde versucht, die Regelungen durch Auslassungen und die Berücksichtigung von Minderheitenmeinungen zu modernisieren. Die Mejelle ist einer der ersten und wenigen Versuche, reine islamische fiqh zu kodifizieren. Sie entstand zwischen 1869 und 1876 als Reaktion auf das osmanische Reformedikt aus dem Jahr 1856 und beruhte, anders als frühere Reformen des Handels- und Seerechts, auf der Scharia. Gleichzeitig verkörperte sie die erste aktive Intervention eines säkularen Gesetzgebers in das islamische Recht zum Zweck seiner Aktualisierung.142 Laut Thomas Naff hat das Wort Scharia selbst zwei Bedeutungen, die die Wichtigkeit der Ressource Wasser in der islamischen Ideologie deutlich machen: „In the first instance, it reveals the moral path that Muslims must pursue to attain salvation, and at the same time, in a more technical (and perhaps, older) sense, it denotes access to the source of pure drinking water that must be preserved for humans.“143 Dante Caponera und Dominique Alheritiere stellen ebenfalls fest, dass die Scharia Wasser eher als universelles Menschenrecht denn als spezifisch islamisches Recht ansieht: „[W]here water is concerned, Islamic law speaks of man and mankind, and not of Moslems. Water rights therefore extend to all human beings.“144 Wasserrechtliche Regelungen wurden weitgehend aus dem islamischen Landrecht abgeleitet, das sich wiederum aus der jeweiligen landwirtschaftlichen Produktionskapazität einer Fläche ergab. Dies hatte weitreichende Folgen für Besteuerung und Preispolitik in Bezug auf Wasser in islamisch geprägten Gebieten: „This sharian linkage of water, land, and crops may provide a clue to un141 Hanafi ist eine der 4 orthodoxen Schulen des islamischen Rechts und die offizielle Schule der Hohen Pforte, fiqh ist die Wissenschaft der islamischen Jurisprudenz 142 Vgl. dazu Eisenman (1978), S. 3. 143 Thomas Naff: International Riparian Law in the West and Islam, Proceedings of the International Symposium on Water Resources in the Middle East: Policy and Institutional Aspects, Urbana, Illinois: International Water Resources Association 1993, S. 120. 144 Caponera und Alheritiere: Principles for International Groundwater Law, in: Natural Resources Journal, Januar 1978, Bd. 18, S. 598. Es bleibt zu bemerken, dass mit dem Begriff Scharia in diesem Zusammenhang nicht automatisch nur die orthodoxeste Auslegung des islamischen Rechts entsprechend den Hanafi fiqh, sondern auch die gewohnheitsrechlichten Regelungen in Bezug auf Landrecht gemeint sind, wie sie in der Zeit des Osmanischen Reiches oft angewandt wurden.
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derstanding why there are modern Muslim tendencies to link these resources, as well.“145 Eine Folge ist womöglich die bis heute (ähnlich wie in Israel) anhaltende massive Subventionierung des Agrarsektors in arabischen Staaten; Wasser wurde (und wird) dort praktisch als kostenfreies, weil gottgegebenes Gut betrachtet. Der Nexus Wasser-Land-Landwirtschaft, der die Scharia prägt, liegt zudem in der klimatischen und (hydro-)geologischen Beschaffenheit der arabischen Halbinsel begründet, dem Geburtsort des Islam. Zwar wurde erst mit der Bevölkerungsexplosion des 20. Jahrhunderts146 das grundsätzliche Gleichgewicht zwischen Wasser, Landwirtschaft und Bevölkerung gestört. Bis dato war das landwirtschaftliche System der arabischen Staaten auch in Trockenperioden in der Lage gewesen, die Bevölkerung mit ausreichender Nahrung und Trinkwasser zu versorgen: „Until this century, and in particular the period since the Second World War, a basic balance was achieved between water, agriculture and population. The agricultural system which had evolved appeared able, even in dry periods, to produce sufficient food to safeguard the population against extreme shortages and famine. Other than for irrigation, the demand for water was, at this time, very limited“.147
Doch spätestens seit der dann dominant werdenden Wasserknappheit wurde Wasser immer öfter zum Hauptdenominator „echten“ Besitzes: „As water becomes scarcer, the land proportionately becomes an accessory to it“148. Wasser wird im islamischen Recht als kommunale, gemeinschaftliche Ressource angesehen, die nicht von Privatpersonen besessen werden kann. Es gilt als Geschenk Gottes und gehört prinzipiell der gesamten Gemeinschaft.149 Beansprucht ein Staat die Kontrolle über Wasserressourcen, so muss die staatliche Führung dieses Wasser für die Gemeinschaft oder Nation verwalten, weil der Prophet in einer hadith gesagt haben soll, dass die Menschen drei Dinge gemein-
145 Copaken (1996), S. 23. So besagt etwa eine der wenigen Hadith, die sich mit Wasser und seiner Verteilung beschäftigen, dass die Summe des von einem Nutzer verwendeten Wassers die Menge nicht überschreiten soll, die notwendig ist, um ein landwirtschaftliches Feld zwei Knöchel tief zu bewässern. Naff (1993), S. 120. 146 Schon von der Jahrhundertwende bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wuchs die palästinensische Bevölkerung von einer Viertel- auf eine Dreiviertelmillion an. Kimmerling/Migdal (1994), S. 25. 147 Clive Agnew und Ewan Anderson: Water Resources in the Arid Realm, London: Routledge 1992, S. 223. 148 Caponera und Alheritiere (1978), S. 597. 149 Vgl. dazu bspw. Chibli Mallat: The Rights that Attach to Water: Customs and the Shari’a – a Legacy of Principles and Institutions, Paper given at SOAS conference: Water in the Middle East: Legal, Political and Commercial Implications, London: School of Oriental and African Studies, November 19-20, 1992.
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sam besitzen: Wasser, Feuer und Weideland.150 Das bedeutet in der Umsetzung, dass Wasser weder besteuert noch verkauft, vermietet oder verpachtet werden darf und dass die Gemeinschaft für die ausreichende Wasserversorgung all ihrer Mitglieder zu sorgen hat. So muss zum Beispiel einem Nachbarn, der aus irgendeinem Grund den Zugang zu seinen Wasserressourcen verloren hat und dessen Ernte deshalb in Gefahr ist, Wasser zur Verfügung gestellt werden.151 Der Besitz von Brunnen und das Recht, den Zugang zu Wasser zu kontrollieren, sind in der Scharia jedoch erlaubt: „By and large, the relatively few hadith concerning water appertain to the rights of ownership to wells and springs, to rights of access to water, the obligation to share water, and prohibitions on selling water“.152 Generell wird Wasser als Ergebnis einer Tätigkeit Allahs angesehen und ist deshalb von Menschen nicht besitzbar, während die Arbeit, die ein Mensch etwa in den Bau eines Brunnens oder eines Bewässerungskanals investiert, auch das Recht zu dessen Verwaltung und Besitz mit sich bringt. Das Prinzip der Arbeit determiniert in der Scharia also das Recht auf den Zugang zu Wasser. Naff fasst die Prinzipien islamischen Wasserrechts wie folgt zusammen: Keiner Person darf die Versorgung mit der Wassermenge verweigert werden, die für ihr Überleben notwendig ist; Tiere haben zwar ein festgeschriebenes Recht auf Wasser, aber die menschliche Versorgung hat Vorrang; die Trinkwasserversorgung von Mensch und Tier sowie von Haushalten hat einen höheren Stellenwert als die landwirtschaftliche Bewässerung; das Sammeln überschüssigen Wassers ist verboten, selbst wenn alle Bedürfnisse der Gemeinde erfüllt sind; Wasser gilt als über dem Recht stehendes Gemeinschaftsinteresse. Sowohl das islamische Recht als auch die Traditionen des Propheten verurteilen den kommerziellen oder spekulativen Umgang mit Wasser als unmoralisch.153 Auf der Basis dieser jahrhundertealten islamischen Rechtsprechung entstand also die Mejelle; für das Wasserrecht, das Teil der Bestimmungen über gemeinsam besessenes Eigentum (Weideland, Feuer und Wasser, s.o.) war, sind das 10. Buch der Mejelle und insbesondere die Artikel 1234 und 1235 ausschlaggebend. Darin wurde einerseits zwischen Oberflächen- und Grundwasser und andererseits zwischen den Besitzverhältnissen der an das Gewässer jeweils grenzenden Ländereien unterschieden. Ein Beispiel: Der Eigentümer eines Brunnens hatte zwar das Vorrecht auf die umliegenden Ländereien, aber selbst keinen 150
Vgl. Naff (1993), S. 120. Gleichzeitig wird auch der Einsatz von Gewalt zur Umsetzung dieser Rechte legitimiert, wie Naff schreibt: „In fact there are hadith that permit the use of arms if water is denied unjustly or refusal to its access causes a threat to life: ‚If I were not to find a passage for the water but on your belly I would use it’ – Umar b. al-Khattab, companion of the Prophet and second Caliph“. Ebd. 152 Ebd. 153 Vgl. ebd., S. 121. 151
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Besitzanspruch auf das Wasser. So wurde durch das Vorrecht auf Wassernutzung und das umliegende Land das Kapital geschützt, das der Eigentümer in den Brunnenbau investiert hatte. Gleichzeitig wurde Eigeninitiative in der Bewässerungswirtschaft gefördert. Oberflächengewässer galten in der Mejelle dann als öffentlich, wenn das umliegende Land mehr als einer privaten oder öffentlichen Körperschaft gehörte und wenn der Erbauer eines Brunnens unbekannt war. Jeder durfte Wasser entnehmen, solange dadurch nicht das Recht anderer Anrainer verletzt wurde. Im Zivilrecht Palästinas und Transjordaniens hieß es dazu, „solche Flüsse ‚stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung’ und ‚es ist kein Recht auf Präemption’ mit ihnen verbunden.“154 Gehörte ein Gewässer bzw. das umliegende Land dagegen vollständig einer einzelnen Körperschaft, konnte Wasser nur dann auf Ländereien, die nicht an das Gewässer grenzten – hier waren meist Ländereien gemeint, die außerhalb der Wasserscheide eines Gewässers lagen – geleitet werden, wenn alle übrigen Anrainer des Wasserlaufs ihre Zustimmung gaben. Grundwasser galt dagegen im islamischen Recht grundsätzlich als öffentliches Gut; einschränkend besagt Artikel 1268 der Mejelle, dass eine Person, auf deren Grund und Boden sich ein Brunnen befände, das Recht habe, jedem anderen die Wasserentnahme zu verweigern; vorausgesetzt, es gebe eine andere, öffentliche Wasserquelle. Das eine Quelle umgebende Land nannte man harim: „The harim of the well is the private property of the owner. (...) The sanctity of the harim is absolute.“155 In letzter Konsequenz bedeutete dies, dass neue Brunnen, die im harim einer anderen Person angelegt wurden, von diesem „Erstbesitzer“ geschlossen werden durften; selbst wenn eine Genehmigung für den Brunnenbau vorlag, galt immer das Recht des älteren harim (vgl. Artikel 1287 Mejelle). Derjenige dagegen, der auf seinem eigenen Grund und Boden einen Brunnen anlegte und dadurch Brunnen außerhalb seines harim negativ beeinflusste, konnte nicht belangt werden, da hier das Gesetz des harim nicht galt: „If a well is sunk outside the harim of another well and the water of the old well flows into the new well, nothing can be done about it. A well dug by someone in his own mulk (private property) has no harim. A neighbor can thus dig another well near it, on his own mulk, and the owner of the first well cannot prevent the digging of that well by arguing that it takes the water from his well (Article 1291)“.156
Hier wird deutlich, dass die verschiedenen Arten des Bodeneigentums für die Wasserverteilung eine wichtige Rolle spielten; die osmanische Bodenreform 154 C.A. Hooper (1938): The Civil Law of Palestine and Transjordan, Bd. 1. London: Sweet and Maxwell Ltd. 1938, S. 322, zitiert nach Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 33. 155 Caponera/Alheritiere (1978), S. 597. 156 Ebd.
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hatte deshalb auch Einfluss auf die wasserrechtlichen Regelungen, meistens insofern, als sie den traditionellen islamischen Regelungen, die die Grundlage der Mejelle bildeten, widersprach. Die Mejelle bezog sich vor allem auf „echten“ Privatbesitz im Sinne des Landgesetzes (mulk), während der osmanische Land Code sich vor allem mit Land beschäftigte, dass dem Staat zugeschrieben wurde (miri), mit seinen beiden Unterkategorien metruk und mevat. Daraus entstanden Widersprüche: Land, das im osmanischen Landgesetz einer bestimmten Ortschaft zur Nutzung zur Verfügung gestellt wurde (murfake), galt trotzdem noch als Staatseigentum, während es in der Logik der Mejelle schlicht als von den Einwohnern des Ortes gemeinsam verwaltetes Land angesehen wurde. Ebenso wurde in der Mejelle das Land, das im Landgesetz als „left for the general use of the public“ (mahmiye) definiert wurde, als „jointly owned property which is free“ interpretiert.157 So beanspruchte also der Staat oder wahlweise seine Kunden im Landhandel plötzlich solche Gebiete für sich, die im islamischen Recht als Gemeineigentum angesehen worden waren, was unvermeidlich zu Konflikten führte. Das Land- und in seiner Verlängerung auch das Wasserrecht boten also mindestens Raum für Interpretation; Grund waren die unterschiedlichen Ziele der beiden einschlägigen Rechtsschriften. Eisenmann formuliert folgende Faustregel: „(...) when mulk is involved, i.e., property held in freehold tenure, one is in the realm of the Mecelle and Shari’a; when miri or its derivatives is involved, i.e., lands properly appertaining to the State held in some form of leasehold tenure, one is in the realm of the Ottoman Land Code and customary law, Islamicized to a certain extent by the superimposition of Shari’a.“158
Das Land- und in seiner Verlängerung auch das Wasserrecht blieben also uneindeutig und boten Raum für Interpretation; Grund waren die unterschiedlichen Ziele der beiden einschlägigen Rechtsschriften. Das Landgesetz zielte auf eine Ausweitung der osmanischen Kontrolle über Land, während die Mejelle, die sich mit Privatbesitz beschäftigte, vor allem an einer weitestgehenden Reproduktion der islamischen Rechtssprechung zu diesem Thema interessiert war. Diese innerarabische Fragmentierung stellte sich später als massives Hindernis für eine Einigung mit der Mandatsmacht, dem Jishuv und später Israel heraus. Noch über 70 Jahre nach ihrer Einführung schrieb etwa eine britische Kommission, die im Jahr 1945 unter Leitung von J.V.W. Shaw eine der erwähnten Landstudien für Palästina anfertigte, über die Mejelle: 157
Eisenman (1978), S. 53-54. Ebd., S. 4; allerdings war diese Trennung nicht ganz scharf, vgl. ebd. S. 15, S. 25; zum Aufbau der Mejelle S. 20ff. 158
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„During the seventy years which have passed since the Mejelle was compiled, many private users of public water supplies have come to believe that their title to the share they use is that of absolute owner-ship of the water, completely independent of the land; and even some of the tenants of admittedly Government land have for some years been applying the Muslim law of inheritance to the water rights they claim, and have been selling, leasing and pledging astronomical fractions. In some cases a right which must be imaginary has changed hands. Those having the means, financial or otherwise, are able to acquire or appropriate water at the expense of less influential cultivators. Water rights may be bandied about without reference to the land.“159
Während die Mejelle die Rechtswirklichkeit des Großteils der arabischen Bevölkerung Palästinas in Bezug auf wasser- und landrechtliche Regelungen prägte, wurden die Regelungen der osmanischen Bodenreform erst von der britischen Mandatsmacht und dann vom neu gegründeten Staat Israel weitgehend übernommen. Großbritannien folgte mit der Palestine Order of Council von 1922 dem Grundsatz: Wo eine lokale Gewohnheit oder traditionelle Praxis weder die öffentliche Ordnung noch die reibungslose Verwaltung einer Provinz gefährdet, soll sie so weit wie möglich unverändert bleiben. Die Briten versuchten zwar während der Mandatszeit, die schwierige oder uneindeutige Rechtslage in Bezug auf Wasser zu verbessern; dies geschah vor dem Hintergrund nationaler strategischer Überlegungen, denn gleichzeitig bereitete sich Großbritannien auf den Zweiten Weltkrieg vor und hoffte, durch Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktion in der Region die zu erwartenden Importbehinderungen ausgleichen zu können. 1940 entwarf die Mandatsregierung deshalb drei Verordnungen zur wirtschaftlichen Monopolisierung der Wasserressourcen, um endlich klare Verhältnisse zu schaffen. So sollten Besitzrechte und Kontrolle über lokale Quellen durch Landbesitzer oder Gemeinden abgeschafft werden; dabei berief sich Großbritannien auf die Mejelle. In dem Entwurf heißt es: „The waters of all rivers, streams and springs and all lakes and other natural collections of still water in Palestine shall be vested in the High Commissioner for the time being in trust for the Government of Palestine.“160 159
Shaw-Report (1946), S. 415, wie zitiert in Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 35. Das vollständige Zitat lautet: „ – (1) The waters of all rivers, streams and springs and of all lakes and other natural collections of still water in Palestine shall be vested in the High Commissioner for the time being in trust for the Government in Palestine. Provided that nothing in this paragraph shall affect any right of, or connected within usage of water, except as provided by ordinance enacted in accordance with this Article. – (2) Provision may be made by Ordinance for the control and the beneficial and economic use of water vested in the High Commissioner by this Article, and (without prejudice to the generality of the foregoing) any such Ordinance may provide for the drainage of land and for the prevention of damage by floods. – (3) Provision may be made by Ordinance for the supervision over, and for the control of the exploitation of the underground sources of water supply 160
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Diese Verordnungen sollten als Erweiterung der Order in Council aus dem Jahr 1922 in die palästinensische Gesetzgebung integriert werden, scheiterten in ihrer Umsetzung jedoch letztlich am Widerstand des Jishuv. In ähnlicher Weise übernahm der frisch ausgerufene Staat Israel in der Israel Law and Administration Ordinance vom 19. Mai 1948 den Großteil der vorher gültigen Rechtsnormen: „The law which existed in Palestine on the 5th of Iyar, 5708 (14/5/48) shall remain in force, insofar as there is nothing therein repugnant to this Ordinance...“.161 In Israel wurde erst in den 1960er Jahren begonnen, die islamisch geprägten Regelungen durch israelische „moderne“ Rechtsprechung zu ersetzen; in der palästinensischen Gesellschaft gelten einige der Prinzipien der islamischen Rechtssprechung bis heute. So setzten sich einige der Konflikte, die ihre Wurzeln in den Tanzimat des 19. Jahrhunderts haben, bis in die heutige, moderne Rechtswirklichkeit im Nahen Osten fort.162 Die erwähnte Fragmentierung wurde institutionalisiert. 4.1.2 Der osmanisch-arabische Diskurs Über diese rechtlichen Reformen hinaus führten die Einwirkung der Hohen Pforte auf die Region sowie verstärkte Einflüsse aus Europa zu massiven Veränderungen in der sozialen Struktur der arabischen Bevölkerung und im osmanischarabischen Diskurs. Die Tanzimat bewirkten Veränderungen lokaler politischer Allianzen und regionaler Hierarchien; die Macht lag nun zunehmend bei formellen Institutionen, weniger in informellen und persönlichen Beziehungen. Das geographische Zentrum der Autorität verlagerte sich durch den Aufbau zahlreicher neuer Institutionen auf die Ebene von Provinzen, Distrikten und Gemeinden. Diese Umstrukturierung der provinziellen Verwaltung hatte großen Einfluss auf die lokalen Lebensbedingungen und lenkte Zugehörigkeitsgefühle zu Heimat und Gemeinschaft in neue Richtungen: Neue Arbeitsplätze entstanden, etwa im Bausektor, waren gleichzeitig aber auf die neuen Zentren begrenzt. Ungleichheiten zwischen Land und Stadt wurden verstärkt, wodurch Interessensgruppen und lokale Allianzen neue Schlagkraft erhielten:
in Palestine.“ Government of Palestine: A Survey of Palestine, Washington D.C., reprinted by the Institute for Palestine Studies 1991 with permission of Her Majesty’s Stationary Office, prepared in December/January 1945/46, S. 389-422, hier S. 391. Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 36/37. 161 Vgl. Eisenman (1978), S. 6. 162 Vgl. dazu weiterführend Eisenman (1978), S. 52-69 zum Land Code, S. 106-135 zu Zivilrecht und Mejelle 1920-1948, und S. 136-151 zu Regelungen in Bezug auf Land während der Mandatszeit sowie S. 224-260 zu Land- und Zivilrecht/Mejelle in Israel von 1948 bis in die 1970er Jahre.
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„In a society where more than four-fifths of the population lived in the countryside, policies that favored urban areas automatically circumscribed the access that all village residents had to resources. The extent to which Ottoman reforms meant considerable economic and political encroachment on village and countryside sent shock waves reverberating through Palestine. The depth of the ruptures depended on past local economic and political relationships.“163
Es entwickelte sich ein deutlicher Gegensatz zwischen lokalen Autoritäten, sowohl Scheikhs als auch Notabeln, und dem Osmanischen Reich. Wer sich nicht auf die Veränderungen einließ, geriet schnell ins politische Abseits. In die gleiche Richtung ging die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die den militärischen Service der Scheikhs ersetzte. Die dörflichen Autoritäten wurden in ihrer Macht und ihrem Ansehen massiv geschwächt, zumal hochrangige Militärs großzügig mit Staatsland versorgt wurden. Dieser allgemeine Trend sollte bis zum Ersten Weltkrieg anhalten: Einerseits erlebte Palästina einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung, andererseits wurden alte soziale Strukturen und Machtverhältnisse in Frage gestellt. Divine streicht dabei die Heterogenität der palästinensisch-arabischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert heraus: „Palestinian Arabs lived not in one world but in several.“164 Palästinensische Araber lebten in Städten oder Dörfern, an der Küste oder im bergigen Hinterland, fühlten sich dem osmanischen Reich bzw. dem kulturellen Kontext, das es unterstützte und symbolisierte, verbunden und etablierten Allianzen und Institutionen abhängig vom persönlichen Lebenskontext. So hatten Familienverbünde und traditionelle Zugehörigkeitsgefühle auf dem Land größeren Einfluss als in den Städten; Klassendifferenzen waren offensichtlich. Außerdem spielten die wirtschaftlichen Entwicklungen, insbesondere der wachsende europäische Einfluss, eine immer größere Rolle. Allgemein gilt: „There was never a simple division in Palestine between those with power and those without. What pertained, rather, was a series of shaded rankings.“165 Gleichzeitig musste sich die arabische Bevölkerung mit der anhaltenden jüdischen Einwanderung ins Land auseinandersetzen. Kimmerling und Migdal schreiben dazu: „With Zionism’s much clearer impact on the country in the 1880s and after, the Jewish presence intersected with Arab agricultural life at any number of points, and a good part of Arab-Jewish frictions focused on the issues of land, water, and agricultural labor.“166 163
Divine (1994), S. 85. Ebd., S. 4. 165 Ebd., S. 6. 166 Kimmerling/Migdal (1994), S. 11, sowie S. 5, wo es heißt: „Palestinian society (...) begins with the settled agriculturalists – the fellaheen or peasants – and their ties to the powerful landowning 164
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Eine der ersten arabischen Reaktionen auf die jüdische Einwanderung in Palästina stammt von 1891, als arabisch-palästinensische Vertreter die Hohe Pforte durch Protestnoten und Telegramme aufforderten, die jüdische Einwanderung sowie den Landkauf durch Juden zu verhindern.167 Auf diese Proteste hin erließ der Sultan mehrere Edikte, die es Juden verboten, Ländereien zu kaufen oder sich länger als drei Monate in Palästina aufzuhalten.168 Der Widerstand verschärfte sich, als die Vorbereitung des ersten zionistischen Kongresses in Basel begann, sowie durch die zweite Einwanderungswelle 1904-1914. Demonstrationen und Protestkundgebungen sind vor allem 1898, 1908 und 1910 registriert worden; im Norden Palästinas wurden sogar jüdische Siedlungen angegriffen.169 Um die Jahrhundertwende löste sich zudem das Millet-System auf, was zur Integration der arabischen Christen und damit zu einem Machtverlust des Konzepts der islamischen Umma führte. Es bildete sich langsam eine neue arabische Identität heraus, die auf kulturellen und sprachlichen statt wie bisher primär auf religiösen Gemeinsamkeiten beruhte. Vom Islam geprägte Gesellschaftsstrukturen wurden in Frage gestellt und zahlreiche neue nationalistische Organisationen betraten die politische Bühne. Dazu gehörte etwa die 1904 gegründete Ligue de la Patrie Arabe, die sich für die national-kulturelle Autonomie der arabischen Gebiete im osmanischen Reich einsetzte. Die arabisch-palästinensische Bevölkerung beteiligte sich an „arabischen Widerstandsorganisationen, die in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Damaskus, Beirut, Kairo und Istanbul entstanden waren. Sie waren z.T. Mitglieder der panarabischen Parteien wie z.B. der ‚Al-Arabia Al-Fata’ (der jungarabische Bund) und der ‚Al-Ahd’ (der Konventionsbund), nahmen am ersten panarabischen Kongreß in Paris (1913) teil und unterstützten die ‚arabische Revolution von 1916’ in der Hoffnung, in einem autonomen ‚vereinigten arabischen Staat’ leben zu können.“170
families that dominated rural economic and social life.“ Vgl. auch Baruch Kimmerling: Zionism and Territory: The Socioterritorial Dimensions of Zionist Politics, Berkeley: Institute of International Studies, University of California 1983, S. 8-21, und Abd al-Wahab Kayyali: The Modern History of Palestine, London: Croom Helm ca. 1978, S. 13-21 und 171-174. 167 Vgl. Salim Ibrahim: Zur Genesis des palästinensischen Widerstandes 1882-1972, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 5/1973, S. 517-537, S. 519. 168 Zum Beispiel verbot Sultan Abdel Hamid jüdischen Immigranten aus Russland, Rumänien und Bulgarien in einem Edikt vom 29.6.1882 die Niederlassung in Palästina. Diese Verordnung wurde fünf Jahre später bestätigt; insbesondere die Besiedlung Jerusalems durch jüdische Immigranten wurde verboten. Theodor Herzl reagierte auf diese Edikte, indem er den Sultan vom Nutzen einer jüdisch-osmanischen Verständigung zu überzeugen suchte. Vgl. ebd., sowie Reinkowski (1995), S. 27. 169 Vgl. Ibrahim (1973), S. 520. 170 Ebd.
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Dieser Trend wurde durch die Entwicklung des türkischen Nationalismus noch verstärkt; es bildeten sich in Reaktion auf die Machtübernahme durch die Jungtürken arabische Geheimorganisationen, die für die Errichtung eines arabischen Einheitsstaates und gegen die türkische Unterdrückung kämpften. 1908 entstanden als Reaktion auf Aktivitäten der zionistischen Bewegung zeitgleich die Zeitung Al-Karmel und die erste politische Partei des arabischen Palästina, genannt „Nationale Partei“. Die Entwicklung der Massenkommunikation in Palästina führte insgesamt zur Bildung eines ausgeprägteren politischen Bewusstseins: Zwischen 1908 und 1914 erschienen allein in Jerusalem sieben Tageszeitungen.171 Überhaupt hatten die Veränderungen seit 1856 zu einer deutlichen Verbesserung der Bildungssituation unter den palästinensischen Arabern und zur Ausbildung kleiner Eliten geführt. Divine beschreibt den Wechsel wie folgt: „Novel [political] practices laid the groundwork in Palestine for the subsequent development of an organized provincial administration and for further economic growth. Eventually, in the last quarter of the [19th, Anm. d. Verf.] century, military, administrative, and fiscal reforms locked Palestinian Arabs into an imperial political system with stipulated cultural norms. (...) The first three decades of Ottoman reforms changed Palestine’s imperial status and position and required major adjustments on the part of the population. Traditional elites faced particularly complex challenges and engaged in a series of painful struggles. The local population had to cope with an immense number of changes, some of which appeared threatening and aggressive even as others seemed benign. (...) Social relations became less stable, and new ideas and perspectives on family and household could be discerned. The blurring of some boundaries between cities and hinterland upset the balance of economic and political power and spurred political realignments. (...) Inequities in market relationships were more visible than ever before.“172
Des Weiteren war die palästinensisch-arabische Gesellschaft zwar weiterhin als Agrargesellschaft zu charakterisieren, doch die wirtschaftlichen Strukturen hatten sich trotzdem deutlich verändert. Durch die Ausbreitung des europäischen Marktes und die Tanzimat hatte Palästina einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt: In der Gegend um Jaffa vervierfachte sich die Produktion von Zitrusfrüchten und im Süden Palästinas erhöhte sich die Anbaufläche des produzierten Getreides um ein Viertel.173 Auch die Arbeitsbedingungen wandelten sich. All diese Veränderungen schlugen sich in deutlichem Bevölkerungswachs171
Vgl. Eliezer Tauber: The Press and the Journalists as a Vehicle in Spreading National Ideas in Syria in the Late Ottoman Period, in: Die Welt des Islams, Bd. XXX (1990), S. 163-177. 172 Divine (1994), S. 81. 173 Vgl. Alexander Scholch: The Emergence of Modern Palestine (1856-1882), in: Hisham Nashabe (Hrsg.): Studia Palaestina. Essays in Honour of Constantin Zurayk, Beirut 1988, S. 72.
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tum, einer Ausweitung der Tierhaltung und der Landwirtschaft generell, in der Gründung neuer Dörfer sowie in prosperierenden lokalen Märkte nieder.174 Allerdings hatten die arabischen Kleinbauern meist keinen Anteil an diesem wirtschaftlichen Wachstum. Klein angelegte Subsistenzlandwirtschaft rechnete sich gegenüber dem Anbau von cash crops nicht mehr, so dass sich die sozioökonomische Schere zwischen israelischen sowie reichen arabischen Landwirten und den fellaheen immer weiter öffnete.175 Oft gab es für kleinere Landbesitzer keine andere Möglichkeit, als ihren Grundbesitz zu veräußern, z.B. an jüdische Einwanderer.176 Wer kein Land besaß, wurde oftmals von seinem Pachtland vertrieben und verlor so seinen Lebensunterhalt: Es begann eine palästinensischarabische Landflucht.177 Die in die Städte abwandernden Menschen bewegten sich dabei in den Einflussbereich von arabischen Nationalisten, die gegen die britische Mandatsmacht und die jüdischen Immigranten agitierten. Es gab keine einheitliche palästinensische Antwort auf all diese Veränderungen; innerhalb der bekannten kulturellen Muster existierten verschiedene Möglichkeiten, diese Krisen anzugehen. So entstanden zwar neue Umgehensweisen aus der veränderten Situation, doch diese ergänzten traditionelle Verhaltensmuster nur, sie ersetzten sie nicht. Im Prozess, die eigenen Rolle in der veränderten Umgebung zu definieren, wurde das Bewusstsein für die eigene Kultur und gemeinsame Interessen geschärft, was zu einer stärkeren Abgrenzung von den Zionisten führte. Dies spiegelte sich im palästinensischen Diskurs wider. Auf politischer Ebene war der arabische Orient infolge der zahlreichen internen Spannungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs praktisch führungslos; die sozialen und politischen Umbrüche der vorangegangenen Jahrzehnte waren so frisch und grundlegend gewesen, dass sich noch keine starke Elite und Herrschaftstradition hatte herausbilden können. Auf der Suche nach einem starken, vom arabischen Großsyrien akzeptierten Führer wandten sich die arabischen Nationalisten deshalb unter Rückgriff auf das traditionelle, islamische Herrschaftsbild, das mit Stamm, Kalifat, Sultan, König oder Kriegführer verbunden war, an den Stammesführer Arabiens: Scherif Hussein von Mekka. Er sollte ein Gegengewicht zum Kalifat in Istanbul sein und wurde als solches auch von Großbritannien unterstützt. In einer Korrespondenz zwischen Scherif Hussein und Sir Henry McMahon, britischer Hoher Kommissar in Kairo, versprach das Vereinigte Königreich den Arabern gar die Errichtung eines arabischen Einheits174 Vgl. dazu weiterführend Archibald Forder: Daily Life in Palestine, New York 1912, S. 39ff; und Yehoshuah Ben Arieh: Jerusalem – A City Reflected in Its Times, Bd. I und II, Jerusalem 1979. 175 Vgl. dazu Kimmerling/Migdal (1994), S. 27f. 176 Die Landverkaufsstatistiken des Palestine Land Department zeigen, dass zwischen Juni 1934 und August 1936 ein regelrechter Verkaufsboom zwischen Fellachen und jüdischen Einwanderern stattfand; dazu kamen Landkäufe durch Makler und Zwischenhändler. 177 Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 28.
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staates in Großsyrien, mit dem Scherifen als König; gleichzeitig riefen die arabischen Nationalisten Hussein zu ihrem Führer aus. Es entstand – für das letzte Mal – eine Koalition zwischen Stadt und Stamm auf der Basis der politischen Traditionen der arabischen Stammesgesellschaft.178 Mit der Balfour-Deklaration von 1917 begann dann eine neue Phase des arabisch-palästinensischen Widerstands, der sich nun nicht mehr nur gegen die jüdische Einwanderung, sondern auch gegen die britische Herrschaft richtete. Er drückte sich in Demonstrationen, Streiks, Protesten, Appellen und Revolten aus. Die arabische Führung wandte sich ab 1919 immer wieder wegen jüdischer Entwicklungsprojekte an die britische Mandatsregierung; die Wasserfrage wurde dabei immerhin implizit behandelt. Als Beispiel können etwa Denkschriften von Jamal Husseini, Generalsekretär des Exekutivkomitees des palästinensischarabischen Kongresses, dienen, in denen er gegen zionistischen Landkauf, die Trockenlegung von Sümpfen durch jüdische Einwanderer sowie gegen die Trennung Palästinas von Syrien und die Unterstützung einer jüdischen Heimstatt durch den Völkerbund protestierte.179 Auch das Memorandum des syrischen Generalkongresses, das im Juli 1919 der King-Crane Kommission vorgelegt wurde, beschäftigte sich mit der generellen Ablehnung des zionistischen Projektes.180 Diese Dokumente spiegeln einen allgemeinen Trend in der arabischen Bevölkerung Palästinas wider, ihre wirtschaftlich oftmals desolate Situation zunehmend den jüdischen Siedlern zuzuschreiben.181 Die Entsendung verschiedener Untersuchungskommissionen der Mandatsregierung nach Palästina zwischen 1920 und 1937 (Palin-Kommission 1920, Haycraft-Kommission 1921, Shaw-Kommission 1930 und Peel-Kommission 1937) kann ebenfalls als Indiz für die Schwierigkeiten des jüdisch-arabischen Zusammenlebens gewertet werden. Im Übrigen bleibt zu bemerken, dass die zahlreichen britischen Gutachten und Bekanntmachungen zum Thema mit Sicherheit dazu beitrugen, die Problematik der knappen Wasserressourcen auch für die arabische Bevölkerung transparent zu machen. Bis dato hatten Probleme der Wasserversorgung nicht sonderlich weit oben auf der Prioritätenliste der arabischen Einwohner Palästinas gestanden, ganz im Gegensatz zum Jishuv. So wurde vor der Gründung des Staates Israel auch kein arabischer Alternativplan über 178
Vgl. Shneiwer (2001), S. 16. Exekutivkomitee, palästinensisch-arabischer Kongress: Two Memoranda Submitted To The Council & Permanent Mandate Commission of The League of Nations Through H.E. The High Commissioner for Palestine, Jerusalem: Beyt-Ul-Makdes Printing Press, 12. April 1925. 180 The General Syrian Congress: Memorandum Presented to the King-Crane Commission (July 2, 1919), in: Walter Laqueur and Barry Rubin (Hrsg.): The Israeli-Arab reader. A Documentary History of the Middle East Conflict, 6. überarb. u. aktual. Ausg., New York/London et al.: Penguin 2001, S. 21-23. 181 Vgl. Muhammed Y. Muslih: The Origins of Palestinian Nationalism, New York: Columbia University Press 1988, S. 69-87. 179
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die Nutzung der regionalen Wasserressourcen oder die Abwasserentsorgung formuliert: „Improving the lot of Fellahin, Bedouins, or the urban Arab poor was of concern only to a small minority of Palestinian political leaders.“182 Das Konzept des arabischen Einheitsstaates scheiterte zwar mit Ausgang des Weltkrieges und durch die Kolonisation des Vorderen Orients, blieb jedoch im arabischen Nationalismus und dem zugehörigen Diskurs verankert. Der Erste Weltkrieg zerstörte das Osmanische Reich endgültig und beendete die Zugehörigkeit zu einer einzigen, zusammenhängenden muslimischen Gemeinschaft. Er erzeugte die Bedingungen für die britische Unterstützung einer jüdischen nationalen Heimstatt in Palästina, maß Palästina geographische Besonderheit zu und unterwarf es neuen Formen der politischen Unterordnung.183 J.C. Hurewitz definiert den Ersten Weltkrieg und den Versailler Vertrag als Ursprung der modernen geographischen und politischen Einheit Palästina.184 Trotzdem stellte der Erste Weltkrieg nicht die politische Wiedergeburt des Landes dar; die politische Kultur des Osmanischen Reiches hielt sich trotz der radikal veränderten politischen Bedingungen. Allerdings brachen mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches die staatlichen Strukturen weg, die in den Jahren vor dem Weltkrieg die palästinensisch-arabische Gesellschaft geprägt hatten. Die palästinensischen Araber verloren so ihren bis dahin privilegierten Zugang zu den Machtzentren, sowie ihre Kontrolle über die sie betreffenden Ressourcen. Die verstärkte jüdische Einwanderung, die von der neuen Regierung mindestens in Teilen unterstützt wurde, hatte zudem eine kulturelle Komponente: „Generations of Palestinian Arabs had inscribed on the countryside their own version of an ordered landscape – villages, sacred sites, hills covered with olive tress, plains cultivated with grains but often empty of permanent dwellings. Jews remade the land. They plowed the fields more deeply than the Arabs, and they irrigated more extensively. They enclosed their property with wire fences. On the collective farms, settlers constructed central dining rooms, schools, barns, and stables, adding to the inventory of unfamiliar objects injected onto Palestine’s landscape. (...) The 182 Ebd., S. 181. Dementsprechend schwierig ist es, die Wassermenge zu bestimmen, die die palästinensische Bevölkerung vor 1967 aus den regionalen Wasserquellen bezogen hat. Hillel Shuval (2007b, S. 5) schätzt, dass ca. 40 Millionen Kubikmeter pro Jahr (MKM/a) aus dem westlichen, 25 MKM/a aus dem nord-östlichen und 60 MKM aus dem östlichen Aquifer sowie ca. 30 MKM aus dem Jordan verwendet wurden. Er bemerkt ebenfalls, dass Entwicklung und Nutzung der regionalen Wasserressourcen durch die palästinensische Bevölkerung vor 1967 nicht von offizieller Seite eingeschränkt gewesen sei, dass aber aus Mangel an finanziellen und technologischen Möglichkeiten von dieser Freiheit kein Gebrauch gemacht wurde. D.h. die palästinensische Nutzung des Wassers des Bergaquifers innerhalb der Westbank betrug lediglich 20 Prozent des Potenzials. 183 Vgl. Divine (1994), S. 186. 184 Jacob C. Hurewitz: The Struggle for Palestine, New York 1950, S. 17: „Palestine, as a modern geographic and political unit, was the creation of World War I and its peace settlement.“
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use of the land changed as much as the structures placed on it. Jewish settlers were only learning how to be farmers, but they came equipped with modern tools and the capital to purchase the latest agricultural techniques. New crops and methods ushered in not just another way of doing things but also another way of thinking, all of which had a profound and unsettling effect on Palestinian Arabs.“185
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Osmanische Reich zwar auch von Klassendifferenzen und inner-palästinensischen, sozialen Unterschieden, etwa zwischen Fellachen und urbanen Notabeln, geprägt war, aber über die Vision einer muslimischen religiösen Identität eine gewisse kulturelle Einheit erzeugen konnte. Patriarchale Strukturen, Familienbande, starke Verbundenheit mit der eigenen Herkunft, dem eigenen Dorf und Land, konnten insbesondere in ländlichen Gebieten die großen sozialen Unterschiede in der palästinensischarabischen Gesellschaft überbrücken. Doch diese Bedingungen änderten sich grundlegend mit Beginn des britischen Mandats. Mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen wurden auch Familienbande und soziale Zugehörigkeiten geschwächt und der Widerstand gegen die Errichtung einer jüdischen Heimstatt in Palästina wurde durch die zunehmende Schwächung ehemals osmanischer Institutionen fragmentiert und kraftlos. Es gelang den palästinensischen Arabern nicht oder zu langsam, sich von den althergebrachten politischen Strategien zu befreien und die neue politische Situation für ihre Zwecke zu nutzen.186 Mit der Festlegung der Mandatsgrenzen im Jahr 1923 im Vertrag von Lausanne wurden schließlich arabische Besitztümer im Norden geteilt und obwohl versucht wurde, die dort ansässigen Fellachen nicht von ihren Feldern abzuschneiden, wurden doch einige von ihnen von ihren traditionellen Viehtränken im Dan-Gebiet abgeschnitten. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis 1934 war die palästinensische arabische Bevölkerung in erster Linie geprägt von anhaltenden Konflikten zwischen urbanen Notabeln-Familien, die zwar eine Führungsrolle beanspruchten, aber nicht in der Lage waren, diese auszufüllen, und den arabischen Stämmen auf dem Land. So konnte sich keine starke gemeinsame, arabischpalästinensische Stimme entwickeln, die der jüdischen Einwanderung und der britischen Mandatsmacht hätte gegenübertreten können. Es fehlte an politischen Strukturen und Institutionen und die städtische Elite weigerte sich, die Fellachen in die politische Bewegung mit einzubeziehen.187 So traten die segmentären Strukturen und Fragmentierungen des palästinensischen Gemeinwesens immer stärker zutage. Diese „Stammesstrukturen bestimmen (...) die Solidaritätsebenen und die Identität des Individuums der arabischen Gesellschaft, obwohl die 185
Divine (1994), S. 193. Vgl. ebd., S. 210. 187 Vgl. Shneiwer (2001), S. 29. 186
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Stämme nur noch weniger als 5 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.“188 Aufgrund der internen Konflikte wurde kein gemeinsames nationales Ziel oder operationale Kohärenz wie etwa bei der Jewish Agency erreicht; persönliche, familiäre, regionale Zugehörigkeiten überwogen oft nationale oder ideologische Interessen. Eine arabische Revolte im Jahr 1929 führte allerdings dazu, dass die Mandatsmacht ihre Politik grundsätzlich überdachte und die wirtschaftliche Absorptionsfähigkeit Palästinas und die soziale Verträglichkeit der jüdischen Einwanderung immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte: „From World War I on, (...) one of the central political issues in Palestine was whether or not the Jews would have unrestricted immigration and landbuying rights.“189 Dies wiederum führte zu massiven Spannungen zwischen den jüdischen Einwanderern und der britischen Mandatsmacht und letztlich zu den ersten großen wasserwirtschaftlichen Plänen, die der deutlich gestiegenen Relevanz ausreichender Wasserressourcen im Kampf um einen lebensfähigen Staat Israel geschuldet waren. Anfang der 1930er Jahre zerfiel die arabische Exekutive in vier neu gegründete (Familien-) Parteien, deren Legitimation weiterhin auf der jeweiligen Stellung der Familie beruhte. Die al-Istiqlal (Unabhängigkeits-) Partei und die Arabische Partei der al-Husseinis verstanden sich als national-palästinensische Bewegungen und nahmen einen radikal ablehnenden Standpunkt gegenüber der britischen Mandatsregierung und den zionistischen Organisationen ein. Die Nationale Verteidigungspartei der Nashashibis und die Reformpartei der al-KhaldiFamilie standen der Mandatsmacht dagegen freundlich gegenüber. Aus den ersten beiden Bewegungen entwickelten sich die ersten palästinensischen Untergrundorganisationen, die ab 1935 bewaffneten Widerstand gegenüber der Mandatsmacht und den jüdischen Einwanderern leisteten. Der ein Jahr später aus wachsender Sorge, angesichts der hohen jüdischen Einwanderungszahlen zur Minderheit im eigenen Land zu werden, entstandene sechsmonatige Generalstreik der palästinensischen Arbeiter entwickelte sich zu einer dreijährigen Revolte, die vor allem von Fellachen bestritten wurde. Diese waren besonders betroffen vom jüdischen Landkauf; so können die Unruhen und Streiks zwischen 1936 und 1939 als Protest mit Bürgerkriegscharakter gegen Makler, Zwischen188
Ebd., S. 30. Dies gilt zum Teil bis heute. Kimmerling/Migdal (1994), S. 32. Jüdische Analysten betonen überwiegend die positiven Effekte dieser Einwanderung: Zionistische Sprecher bemerkten, wie die jüdische Landwirtschaft den arabischen Fellachen dazu verholfen habe, sich von den Einschränkungen der bis dato herrschenden feudalen Beziehungen zu befreien, die sie in Armut und finanzieller Abhängigkeit gefangen gehalten hatten. Arabische sowie später britische Stellungnahmen streichen dagegen besonders die Vertreibung der Araber von ihrem Land und die wachsende jüdische Kontrolle des fruchtbaren Landes heraus. Alle Stellungnahmen lassen schädliche sozioökonomische und politische Faktoren weitgehend unbeachtet. 189
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händler, Bodenspekulanten, aber auch Kaufleute, städtische Bildungsbürger und selbsternannte Politiker verstanden werden.190 Die arabische Revolte scheiterte jedoch aufgrund der anhaltenden Spannungen innerhalb der arabischen Gesellschaft und der weiterhin gestörten Koordination zwischen Notabeln und Fellachen.191 Die politische Führung hatte keine gesellschaftliche Basis; dies sollte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ändern. 1948 befand sich genau ein Mitglied der Führungselite der palästinensischen Nationalbewegung in Palästina.192 Der erste israelisch-arabische Krieg, der im arabischen Sprachgebrauch alNakba, die Katastrophe, genannt wird, betraf vorwiegend die ärmere Landbevölkerung; bis 1948 hatten etwa zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung auf dem Land gelebt. Große Teile der palästinensischen Bourgeoisie hatten das Land dagegen schon vor Beginn des Krieges verlassen. Die hamula (Verwandtschaftsverband) und die Dorfgemeinschaft waren der soziale und politische Rahmen der Fellachen gewesen; dieser brach durch den Krieg zusammen. Kimmerling und Migdal schreiben: „Between the last month of 1947 and the first four months of 1948, the Palestinian Arab community would cease to exist as a social and political entity (...). More than 350 villages would vanish, urban life would all but evaporate – war and exodus reducing Jaffa’s population from 70,000-80,000 Palestinians to a remnant of 3,0004,000 – and 500,000 to 1,000,000 Palestinians would become refugees.“ 193
Die Sicherheit und das Selbstwertgefühl, die mit den festen Regeln einer etablierten Gesellschaft einhergehen, gingen verloren; stattdessen etablierte sich der Mythos des palästinensischen Volkes als Opfer einer gigantischen Verschwörung und Ungerechtigkeit. Ärger und Enttäuschung der palästinensischen Araber richteten sich gegen die verhassten Zionisten, aber auch gegen die arabischen Bruderstaaten und den Rest der Welt, die dies zugelassen hatten.194 Die Entwurzelung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung von ihrem Land durch Krieg und Vertreibung führte zu einer spezifischen Gesellschaftsform, die die palästinensische Gesellschaft bis heute prägt. Weder erfolgte eine Proletarisierung oder Urbanisierung der agrarisch geprägten palästinensischen Flüchtlinge, noch wurden sie in ihren „Gastgeberländern“ wirklich integriert. So verloren die Palästinenser mit ihrem Land zwar die Möglichkeit, als 190
Kimmerling/Migdal (1994) widmen der arabischen Revolte ein ganzes Kapitel, S. 96-123. Vgl. dazu ebd., S. 54f. 192 Vgl. Shneiwer (2001), S. 49; Helga Baumgarten: Befreiung in den Staat. Die palästinensische Nationalbewegung seit 1948, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 54. 193 Kimmerling/Migdal (1994), S. 127. 194 Vgl. ebd., S. 128. 191
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Landwirte ihren Lebensunterhalt zu verdienen, doch kaum einer der Flüchtlinge erwarb neue, nicht-landwirtschaftliche Fähigkeiten.195 Und weder in Jordanien noch in Ägypten, dem Libanon und den anderen „Gastgeberländern“ erhielten die Palästinenser mehr als den Flüchtlingsstatus, so dass sich eine „Gesellschaft auf Zeit“ entwickelte, die bis heute auf die Rückkehr in das von ihr beanspruchte Territorium hinlebt. Aufgrund der fehlenden politischen Integration entwickelte sich wiederum keine von externen Mächten, in diesem Fall vor allem Ägypten, unabhängige palästinensische Stimme. Und trotzdem liegen die Ursprünge des palästinensischen Nationalismus in den turbulenten Jahren zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Dies beweisen Äußerungen und Schriften aus der palästinensischen Intelligentsia, die von einem „pervasive cultural tone of anguish and disgust, of resentment, resistance, rebellion and death“ geprägt waren. Tiefe Emotionen für das Land, die sich aus dem zum Mythos gewordenen „goldenen Dorfleben“ der fellaheen speisten, verschmolzen mit der Wahrnehmung eines Volkes, das innerhalb seiner sozialen Grenzen von allen Seiten belagert und in eine Opferrolle gedrängt wurde. Ähnlich wie in Nordirland mündete diese Mythologisierung des palästinensischen Landes und Volkes oftmals direkt in politischer Aktion.196 4.1.3 Der jüdisch-zionistische Diskurs Die frühesten für den hier untersuchten Zeitraum relevanten Äußerungen197 von jüdisch-zionistischer Seite, die mit der Ressource Wasser zu tun haben, finden sich im politischen Zionismus198, der von Theodor Herzl, Chaim Weizmann und 195
Vgl. Shneiwer (2001), S. 50f. Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 54f. Wichtiger ist jedoch trotzdem, dass im Jahr 1937 nicht weniger als 14 arabische Zeitungen in Palästina erschienen, die auch in den Dörfern regelmäßig vorgelesen wurden – die Macht des Wortes war zu diesem Zeitpunkt wohl mindestens ebenso groß wie die der Taten. 197 Natürlich gehen diskursive Bezüge zur Ressource Wasser in der Region bis in biblische bzw. alttestamentarische Zeiten zurück; in der Bibel finden sich z.B. über 600 Verse mit direktem Bezug zu Wasser. Dabei geht es sowohl um Wasser in seiner lebensbringenden Eigenschaft als auch um Wasser als Mittel der körperlichen und spirituellen Reinigung oder als todbringende Naturgewalt. Vgl. u. a. 1. Mose 1,2 ff, 2. Mose 15,27, Jes 12,3, Jes 37,25, Jer 17,13, Hes 47,1 ff, Joh 4,7 ff, Matth. 10,42, Offb. 22,1, Weis 11,4, Psalm 23,2. Auch im Koran finden sich einige Hinweise, wenn auch weniger zahlreich, wie etwa in der 2. Sure „Die Kuh“, oder auch im Gebet um Regen, Istiqua. 198 Nina S. Copaken: The Perception of Water as Part of Territory in Israeli and Arab Ideologies between 1964 and 1993: Toward a Further Understanding of the Arab-Jewish Conflict. Bertha von Suttner Special Research Program for Conflict Resolution in the Middle East, Arbeitspapier Nr. 8, University of Haifa, Mai 1996, zieht die Grenze noch etwas enger: In ihrer Studie bezieht sie sich ausschließlich auf den sozialistischen Zionismus. Vgl. S. 17ff. 196
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anderen begründet wurde. Das Erscheinen von Herzls Buch „Der Judenstaat“ (1896) sowie die darauf folgende Einrichtung jüdischer quasi-staatlicher Institutionen stellten einen Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens dar. Als Herzl in seiner Schrift erstmals von der „Judenfrage“ nicht als sozialem oder religiösem Problem, sondern als nationaler Frage sprach, als er schrieb „Wir sind ein Volk, ein Volk“199, bewirkte er damit eine grundlegende Änderung sowohl im Umgang zwischen Juden und Nicht-Juden als auch und vor allem in der jüdischen Selbstwahrnehmung. Die starke geistige und spirituelle Bindung zum Land Israel hatte 1800 Jahre lang nicht zu einer vergleichbaren Immigrationswelle wie der geführt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann. Denn obwohl zum Beispiel beim Pessach-Fest der Satz „Nächstes Jahr in Jerusalem“ ein fester Bestandteil der Gebete war und ist, folgte daraus über Jahrhunderte hinweg eben keine aktive und konkrete Umsetzung. Peretz Smolenskin schrieb dazu: „Our Torah is our native land which makes us a people, a nation only in the spiritual sense, but in the normal business of life we are like all other men.“200 Erst der Zionismus als politische Bewegung setzte diese religiöse, kulturelle Überzeugung systematisch in die Praxis um, indem er die Besiedelung des biblischen Palästina durch Juden propagierte und institutionalisierte – der Diskurs wurde vergegenständlicht. Als Antwort auf wachsenden Antisemitismus, die zunehmende Modernisierung und Säkularisierung Europas und erstarkende Nationalismusbewegungen entwickelte sich das „gelobte Land“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einem Symbol der spirituellen Erlösung in ungewisser Zukunft zum praktischen Fokus der nationalen Bewegung, zum Hoffnungsträger des sich entwickelnden jüdischen Nationalismus. Die vergeistigte, spirituellmittelbare Verbindung von Juden mit dem „verheißenen Land“ wurde im Zionismus zu einem unmittelbaren Bezug konstruiert. Schon der erste zionistische Kongress in Basel 1897 verpflichtete sich einem Programm, das die Errichtung eines durch öffentliches Recht geschützten jüdischen Staates in Palästina zum Ziel hatte, dessen Existenzrecht durch die jüdische Besiedelung legitimiert und bestätigt werden sollte. Das Bindeglied zwischen dem Ziel eines Staatsterritoriums auf biblisch verheißenem Land und seiner Besiedelung durch Juden, also der Errichtung eines spezifisch jüdischen Staates, war die Landwirtschaft. Zur Bedeutung des 199
Theodor Herzl: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Text und Materialien 1896 bis heute, herausgegeben und mit einem Nachwort von Ernst Piper, Berlin/Wien: Philo & Philo Fine Arts GmbH ([1896] 2004), S. 16. Auf andere führende zionistische Philosophen/Ideologen wie Chaim Weizmann, Heinrich Graetz, Peretz Smolenskin u.a. kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Eine gute Einführung dazu bietet z.B. Avineri (1981). 200 Peretz Smolenskin: It is Time to Plant, wie zitiert in Arthur Herzberg: The Zionist Idea. Überarbeitete Ausgabe, New York 1969, S. 147.
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landwirtschaftlichen Sektors trug insbesondere der zionistische „agrarische Imperativ“ bei: Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Landwirtschaft zum höchsten Ziel der zionistischen Bewegung und zum wichtigsten Symbol des Jishuv, der neuen jüdischen Gemeinde in Palästina vor der Staatsgründung.201 Herzl schrieb: „Die Arbeit, die wir in die Erde versenken, steigert den Wert des Landes.“202 Um das Ziel der Wiederbesiedelung von Eretz Yisrael zu erreichen, galt es zudem, das Land im wörtlichen Sinne in Besitz zu nehmen.203 Die Zionisten glaubten, dass ihr Anspruch auf Besiedelung des Landes wuchs, wenn sie Land und Klima verbesserten und das karge Land, für das sie Palästina hielten, in das biblische „Land in dem Milch und Honig fließt“ zurückverwandelten. Sie bauten Städte, pflanzten Wälder, legten Sümpfe trocken und gruben Brunnen. Zudem konnten die jüdischen Einwanderer durch die Arbeit mit und den Besitz von Land ihr europäisch-westliches, urbanes Image durch eine neue Identität ersetzen: die des chalutz, des Pioniers, der einen jüdischen Staat aufbauen hilft und so zur Erlösung des „erwählten Volkes“ beiträgt. Die chalutzim wurden zum Idealbild des mit harter Arbeit das verheißene Land urbar machenden, zukünftigen israelischen Staatsbürgers. Die Inbesitznahme von Land in dieser Form war auch vor dem Hintergrund einer in Europa teils bis in das 19. Jahrhundert hinein bestehenden antisemitischen Praxis von Bedeutung, in deren Folge Juden der Landbesitz verwehrt blieb. In der Diaspora war es vielen Juden verboten gewesen, landwirtschaftlich zu arbeiten; das daraus entstehende Ungleichgewicht in der sozialen Schichtung der jüdischen Gesellschaft wollten die frühen Zionisten umkehren. Doch sowohl für das unmittelbare Überleben der zahlreichen Immigranten als auch für die Landwirtschaft war eine gesicherte (Trink-)Wasserversorgung notwendige Bedingung; so trugen Besiedelung und Landwirtschaft dazu bei, dass der israelische Wasserdiskurs mit dem „Zionist[...] ethos of land, pioneer heroics, and national salvation“204 verschränkt wurde. Die daraus resultierende Politisierung und Ideo201 Die Idee des Wertes landwirtschaftlicher Arbeit stammt aus Marx’ sozialistischem Konzept des produktiven Wertes von Arbeit. Doch auch in der alttestamentlichen Tradition betonen zahlreiche Metaphern die Notwendigkeit einer Beziehung zwischen Juden und dem Land Israel. In beiden Traditionen hat die Kibbutz-Bewegung ihre Wurzeln. „Biblical proverbs also provided metaphors emphasizing the need for a relationship between Jews and the land of Israel through physical connection with land and nature. Zionist-socialism often borrowed biblical admonitions to support their secular goals transferring the focus of sanctity from spiritual to earthly concerns.“ Alwyn R. Rouyer: Zionism and Water: Influences on Israel’s Future Water Policy during the Pre-State Period, in: Arab Studies Quarterly, Herbst 1996, Bd. 18, Nr. 4, abrufbar unter http://www.oranim. ac.il/courses/meast/water/Zionism Prozent20and Prozent20water_files/fulltext.html), S. 5. 202 Herzl ([1896] 2004), S. 32. 203 Dieses „Besitzen“ findet sich schon in der hebräischen Bezeichnung der neuen jüdischen Gemeinde: jishuv („Siedlung“) stammt aus der Wurzel jashav, was „sitzen“ bedeutet. 204 Rouyer (1996), S. 5.
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logisierung der Ressource Wasser beeinflusst den isralischen Wasserdiskursstrang bis heute. Der „agrarische Imperativ“ des Zionismus baute zudem auf traditionellen religiösen Konzepten einer jüdischen Heimstatt und der Erlösung des „erwählten Volkes“ durch sie auf. Das „erwählte Volk“ Israel kann laut einigen Interpretationen der jüdischen Tradition, zum Beispiel bei Rav Kook, nur dann erlöst werden, wenn es in das sogenannte „gelobte Land“ zurückkehrt und es besiedelt.205 Während den achtzehn Jahrhunderten des Exils blieb Israel für Juden nicht nur das Land ihrer Vergangenheit, sondern auch das ihrer Zukunft. Es stellte einen wichtigen Teil ihres Wertesystems dar. Darüber hinaus machte die starke Verbindung mit dem Land Israel aus der jüdischen Gemeinde ein separates Volk, eine distinkte ethnische oder nationale Gruppe in der Wahrnehmung ihrer Nachbarn – und in ihrer eigenen. „Because of this [tie to the land of Israel] Jews were considered by others – considered themselves – not only a minority, but a minority in exile.“206 Eine mildere Variante dieser religiösen Begründung findet sich bei Yehuda Hai Alkalai, einem sephardischen Rabbi, der argumentierte, die Erlösung müsse vorbereitet werden, weshalb eine allmähliche Besiedelung Palästinas durch Juden mit den heiligen Schriften übereinstimme. Alkalai äußerte zwar quasihäretische Ideen wie die einer nationalen Sprache und einer Stiftung zum Kauf von Land, doch begründete er diese Forderungen mit religiösen Schriften.207 Auch Rabbi Zwi Hirsch Kalischer argumentierte in diese Richtung. Er vertrat die Ansicht, dass erst jüdische Siedlungen entstehen müssten, bevor Gott die Erlösung einleiten könne, weshalb jüdische Siedlungen in Palästina die Erlösung beschleunigten. Er sah insbesondere in der landwirtschaftlichen Arbeit ein Erlösungswerkzeug: „The establishment of an agricultural Jewish community in Palestine would make it possible for Jews to observe again the religious commandments related to working the soil (mitzvot ha-teluyot ba-aretz).“208 Indem 205 Rav Kook sen. hat die Zionisten z.B. als „Esel des Messias“ bezeichnet, welcher der erst für die messianische Zeit versprochenen Rückkehr ins „heilige Land“ diene. Sein Sohn, Rav Kook jun., machte daraus die Pflicht zur Besiedelung des Landes Israel. Es gibt allerdings auch die genau gegensätzliche Sichtweise, die von den Anfängen des Zionismus bis heute von religiösen Juden vertreten wird: Man dürfe dem Messias nicht vorgreifen und selbst das Land besiedeln, sondern müsse warten, bis er diese Besiedlung selbst durchführe. Der Zionismus ist also in keinem Fall als homogenes Phänomen zu verstehen; im Gegenteil bezeichnet der Begriff zahlreiche unterschiedliche Strömungen, z.B. den praktischen, den politischen und den synthetischen Zionismus. Religiöses Judentum und Zionismus stehen über weite Strecken zueinander in einem Gegensatz, der nur im nationalreligiösen Zionismus wirklich aufgehoben wird. 206 Shlomo Avineri: The Making of Modern Zionism. The Intellectual Origins of the Jewish State, London: Weidenfeld and Nicolson 1981, S. 3. 207 Vgl. dazu ebd., S. 47ff. 208 Ebd., S. 54.
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die Juden im Diesseits dem Land Erlösung brächten, werde allmählich der Strahl göttlicher Erlösung aufscheinen.209 Kalischer und Alkalai gehören zu den Wegbereitern des religiösen Zionismus und verhinderten mit ihrer Interpretation der heiligen Texte den völligen Bruch zwischen Zionismus und jüdischer Orthodoxie. Wasser spielte also im zionistischen Diskurs vor allem eine Rolle, da ohne eine ausreichende Wasserversorgung das Ziel der Bewegung, die Errichtung eines jüdischen Staates, unerreichbar bleiben musste. Herzl schwebte vor, dass zunächst „die Ärmsten gehen und das Land urbar machen“ würden: „Sie werden nach einem von vornherein feststehenden Plane Straßen, Brücken, Bahnen bauen, Telegraphen errichten, Flüsse regulieren und sich selbst ihre Heimstätten schaffen.“210 Die neu zu gründenden jüdischen Institutionen, Herzl nannte sie „Society of Jews“ und „Jewish Company“, würden nach der „gelehrte[n] Erforschung des neuen Landes und seiner natürlichen Hilfsmittel“ einen einheitlichen „Plan zur Wanderung und Ansiedlung“211 erarbeiten, der als Vorlage für die ersten alijot dienen sollte. „So muss das neue Judenland mit allen modernen Hilfsmitteln erforscht und in Besitz genommen werden. (...) Diese Landnehmer haben drei Aufgaben: 1. die genaue wissenschaftliche Erforschung aller natürlichen Eigenschaften des Landes, 2. die Errichtung einer straff zentralisierten Verwaltung, 3. die Landverteilung.“212
Herzl hatte also bereits eine sehr genaue Vorstellung vom Aufbau des jüdischen Staates und der Art und Weise, wie das Land und die mit ihm verbundenen Bodenschätze, einschließlich Wasser, zu erschließen und zu verwalten wären. Mit der Entscheidung des ersten Zionistenkongresses im Jahr 1897 in Basel für das biblische Palästina als Ort für den zu errichtenden jüdischen Staat wurden diese Pläne geographisch fokussiert213, was im Übrigen zu einer weiteren diskursiven Verschränkung, nämlich zwischen dem Territorial- und dem religiös-jüdischen Diskurs, führte. Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass Herzl „sein“ jüdisches Staatsgebilde genau nicht als Gegenentwurf für die in Palästina ansässige nicht-jüdische Bevölkerung verstand, wie er in einem Brief an den damaligen Jerusalemer Bürgermeister Yusuf al-Khalidi im Jahre 1899 deutlich machte. Im Gegenteil sah er in dem geplanten Staat offenbar einen Dienst, den die jüdischen Einwanderer den nicht-jüdischen Alteingesessenen erwiesen, denn sie würden Straßen und Was209
So interpretiert Arthur Hertzberg (1969) Rabbi Kalischer, S. 114. Ebd., S. 32. 211 Ebd., S. 75. 212 Ebd., S. 76. 213 Es hatten alternativ Uganda und Argentinien zur Debatte gestanden. 210
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serleitungen bauen, die auch für die „Ureinwohner“ von Nutzen wären. „Die zionistische Idee (...) hat nicht die geringste feindliche Haltung gegenüber der osmanischen Regierung, ganz im Gegenteil, es geht dieser Bewegung darum, dem Osmanischen Reich neue Ressourcen zu eröffnen.“214 Dieses Argument wird im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern immer wieder geäußert und ist ein erster Hinweis auf die verschiedenen Interpretationen der historischen Ereignisse, die im Laufe der Jahrzehnte immer stärker so konstruiert wurden, dass keine Einigung möglich erscheint. Die Interpretation der Ereignisse seit Beginn der jüdischen Einwanderung bis zur Staatsgründung (und darüber hinaus) fällt sehr unterschiedlich aus. Die Sichtweisen changieren von der Annahme, die jüdischen Einwanderer seien schnell und unproblematisch in die „Urbevölkerung“ integriert worden, über die Wahrnehmung arabisch-palästinensischen Widerstands ab ca. 1908/09, die Sichtweise, es habe bis in den Ersten Weltkrieg hinein eine jüdisch-arabische Widerstandsbewegung gegen das Osmanische Reich gegeben, bis hin zu der Ansicht, die arabische Bevölkerung habe von Anfang an gegen die jüdische Einwanderung gearbeitet und sei schon damals durch eine spezifisch palästinensische Identität geeint gewesen. In diesen verschiedenen Auslegungen spiegeln sich die politischen Motivationen und Einstellungen der jeweiligen Verfasser; hier findet also die aktive Konstruktion unvereinbarer Identitäten statt. Sie machen deutlich, wie schwierig es ist, „neutrale“ Stellungnahmen zum Nahostkonflikt zu finden. Es bleibt mir nur, die verschiedenen Sichtweisen darzustellen. In der „Planungsphase“ von der ersten alija 1882215 bis zur Staatsgründung 1948 wurde die Ressource Wasser im jüdisch-zionistischen öffentlichen Diskurs also in erster Linie im Zusammenhang mit dem Territorium genannt, auf oder unter dem sie sich befand: „Mit der jüdischen Kolonisierung Palästinas 1882 setzte ein sozialökonomischer Transformationsprozess ein, der das gesellschaftliche und politische Umfeld für die späteren Ressourcenkonflikte im Jordangraben schuf. Dabei war Wasser als ökonomisches Gut anfangs kein Wert an sich gewesen, sondern stellte nur einen in Form von Wasserrecht wertbestimmenden Faktor des Bodenbesitzes dar. Mit der steigenden Nachfrage nach Boden infolge der jüdischen und arabischen Zuwanderung entwickelten sich Wasserressourcen jedoch bald zu wertvollem Kapital, das als agrarameliorierendes Produktionsgut für die Landwirtschaft immer wichtiger wurde.“216 214
Herzl ([1896] 2004), S. 95. Schon vorher wanderten Juden nach Palästina ein; Zvi Rudy gibt an, zwischen 1840 und 1880 seien etwa 10.000 Juden dorthin immigriert. Zvi Rudy: Soziologie des jüdischen Volkes, Reinbek 1965, S. 46. 216 Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 26. Vgl. auch Copaken (1996), S. 17. Dort schreibt sie, dass die jüdische Bevölkerung Wasser und Land als engstens miteinander verbunden angesehen hätte und dass beide Ressourcen eine gewisse religös-ideologische Bedeutung (Copaken spricht von „sacred215
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Der Wasser- und der Territorialdiskurs, also der Diskurs, der den Ort des jüdischen Staates, seine Grenzen und Ausmaße bestimmte, waren in dieser Phase praktisch synonym. Dies sollte sich mit steigenden Einwohnerzahlen und wachsendem Agrarsektor allmählich ändern. Es sei bemerkt, dass das um ein Vielfaches größere Kapital und Wissen der einwandernden Juden zur Folge hatte, dass sich die soziale Kluft zwischen Einwanderern und arabischer Bevölkerung langsam aber stetig weitete. Die verschiedenen alijot, insbesondere aber die erste und zweite Einwanderungswelle, hatten zudem unterschiedliche ideologische Hintergründe. Während die Einwanderer der ersten alija arabische Arbeitskräfte in die jüdische Besiedelung integrierten, verfolgte die zweite eine deutlich exklusivere Politik: In jüdischen Siedlungen sollten und durften nur Juden arbeiten, was zur Abschottung der Bevölkerungsgruppen voneinander und zu einer Politik führte, die heute oft (und unpräzise) als „Apartheids-Politik“ bezeichnet wird. Das Prinzip der Avoda Ivrit, der hebräischen Arbeit, sprich: des Verzichts auf billige arabische Arbeitskräfte, zielte auf Autarkie und „Einwurzelung“ des Jishuv in seiner neuen Umgebung. Die Gründe lagen wohl auch in der starken sozialistischen Prägung der zweiten alija; die jüdische Bevölkerung sollte keinesfalls zu einer „Ausbeutergesellschaft“ werden. Die Schaffung zionistischer Organisationen (z.B. die jüdische Kolonialtreuhand und der Kolonialausschuss 1898, der jüdische Nationalfonds 1901, das Palästinabüro 1908 und die palästinensische Landerschließungsgesellschaft 1908), die darauf zielte, die inneren Unstimmigkeiten der Siedlungstätigkeit der ersten alija, etwa Plantagenwirtschaft und geringe Effektivität, zu beheben, trug wohl zur weiteren Isolation der jüdischen Einwanderer von der arabisch-palästinensischen Bevölkerung bei. Sie sind gewissermaßen Vergegenständlichungen des zionistischen Diskurses.217 Der jüdische Nationalfonds (Keren Kajemeth), der 1901 auf dem fünften zionistischen Kongress gegründet worden war, wurde zum wichtigsten Instrument für den Aufbau der jüdischen Heimstatt. Das in ihm gesammelte Geld – 1924 waren es über eine halbe Million Palästina-Pfund, mit einem jährlichen Zuwachs von 250 000 Palästina-Pfund – sollte in erster Linie dem Landerwerb in Palästina dienen. Nachdem die Balfour-Deklaration218 die Legitimität des jüdischen Anness“) aufgrund ihrer Verbindung zur Landwirtschaft gewonnen hätten. Bereits in den 1970er Jahren wurde diese ideologische Zentralität der Ressource Wasser übrigens in israelischen Studien reflektiert, bspw. bei Itzhak Galnoor: Water Policymaking in Israel, in: Policy Analysis, The Regents of the Unversity of California, Bd. 4, Nr. 3, 1978. 217 Vgl. Reinkowski (2005), S. 22. Baruch Kimmerling und Joel S. Migdal halten die Entwicklung zweier unabhängiger Wirtschaftssektoren und die daraus folgende Ausbildung zweier separater Nationalismen für die logische Folge dieser exklusiven Politik (1994, S. 24). 218 In einem Brief des britischen Außenministers Balfour an Baron Lionel Walter Rothschild, der am 9. November 1917 in The Times veröffentlicht wurde, hieß es: „I have much pleasure in conveying to you, on behalf of his Majesty’s Government, the following declaration of sympathy with Jewish
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spruchs auf eine Heimstätte bestätigt hatte, wurde zudem der sogenannte Gründungsfond (Keren Hajesod) gegründet, der alle kolonisatorischen Aufgaben übernehmen sollte. Im Oktober 1920 hob die Hohe Pforte darüber hinaus das Verbot für Bodentransaktionen auf: der Startschuss für systematischen jüdischen Landkauf in Palästina. Der Jishuv konzentrierte sich auf den Erwerb von großen zusammenhängenden Gebieten, etwa in der Yizre’el und der Sharon Ebene. Allerdings waren diese Großkäufe nur möglich, weil die Schutzklauseln der Mandatsregierung für arabische Pächter von den arabischen Großgrundbesitzern weitgehend ignoriert wurden: Eigentlich hätten die Pächter bei Verkauf ihres Bodens durch gleichwertigen, benachbarten Boden entschädigt werden müssen. So entwickelte sich eine Verdrängung der arabischen Fellachen219 durch jüdische Siedler (s.u.). Die britische Mandatsregierung sah darin einen der maßgeblichsten Gründe für die anhaltenden sozialen Unruhen im Mandatsgebiet, während die zionistischen Organisationen für diesen Zusammenhang keine Anhaltspunkte finden konnten. Tatsächlich war die Lage der arabischen Landbevölkerung in Palästina verglichen mit dem Irak oder Syrien noch vergleichsweise gut, was auch durch die verhältnismäßig hohen Zuwanderungsraten von Arabern verdeutlicht wird. Doch nichtsdestoweniger nahm die palästinensische Landbevölkerung ihre Situation als sich kontinuierlich verschlimmernd wahr.220 Auch in der Bewässerungstechnik waren die jüdischen Immigranten der arabischen Bevölkerung in aller Regel deutlich voraus. Insbesondere die finanzielle Unterstützung durch jüdische Fonds verschaffte den jüdischen Einwanderern einen Vorteil, da sie so unabhängig von mit Wucherzinsen arbeitenden arabischen Geldverleihern in die Agrarwirtschaft investieren konnten.221 Der Jishuv verstand es zudem, das Vermögen insbesondere der europäischen Einwanderer so zu kanalisieren, dass Landkauf und auch Investitionen in wasserfördernde Maßnahmen trotz steigender Preise möglich blieben. Dies zeigt sich etwa an der Zahl der Brunnenbohrungen: von 1924 bis 1935 baute der Jishuv 372 Brunnen; Zionist aspirations which has been submitted to and approved by the Cabinet: His Majesty’s Government view with favour the establishment in Palestine of a national home for the Jewish people, and will use their best endeavours to facilitate the achievement of this object, it being clearly understood that nothing shall be done which may prejudice the civil and religious rights of existing nonJewish communities in Palestine, or the rights and political status enjoyed by Jews in any other country. I should be grateful if you would bring this declaration to the knowledge of the Zionist Federation.“ Aus: Jacob C. Hurewitz: Diplomacy in the Near and Middle East: A Documentary Record 1535-1956, Bd. II (1915-1956), New York: Van Nostrand Company 1956, S. 26. 219 Von arabisch fellaheen, Kleinbauern. 220 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 40, sowie Kimmerling/Migdal (1994), S. 21ff. Vgl. Kapitel 5.1.1 und 5.1.2 dieser Arbeit. 221 Der Zins für ein dreimonatiges bis einjähriges Darlehen von arabischen Kreditgebern variierte zwischen 30 und 60 Prozent. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 39, Anmerkung 40, sowie Donna Robinson Divine: Politics and Society in Ottoman Palestine. The Arab Struggle for Survival and Power, London/Boulder: Lynne Rienner Publishers Inc. 1994, S. 196.
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in den folgenden vier Jahren noch einmal 176. Gleichzeitig wurden von nichtjüdischer Seite in der Zeit zwischen 1924 und 1938 lediglich 16 Brunnen gebaut.222 Die vielleicht älteste zionistische Quelle in Bezug auf Wasser und die Grenzen eines zukünftigen jüdischen Staates in Palästina ist wohl ein undatiertes handschriftliches Dokument, das um 1899 von einem Herrn Max Bourcart, einem Schweizer Ingenieur, im Auftrag Herzls angefertigt wurde.223 Sein Titel lautet „General Project der Wasserkraft Bewässerungsanlagen von Palästina“; das Dokument wird im zionistischen Zentralarchiv in Jerusalem aufbewahrt. Es bezieht auch den heute libanesischen Fluss Litani in seine Ausführungen mit ein. 1915 wurden ebenfalls Grenzvorschläge für Palästina erarbeitet, wie aus den Aufzeichnungen von Shmuel Tolkovski, damals Mitarbeiter der zionistischen Vertretung in London und später israelischer Botschafter in der Schweiz, hervorgeht.224 Zwei Jahre später trat der britische Diplomat Mark Sykes an die zionistischen Organisationen heran und bat um Konkretisierung ihrer Grenzvorstellungen. Den ersten offiziellen Entwurf legten Londoner Vertreter der Zionistischen Organisation im Jahr 1918 dem britischen Außenministerium vor. Darin hieß es: „In the north, the northern and southern banks of the Litani as far as 33°45’N. From there the line continued south-east to a point south of Damascus region just west of the Hejaz railway. In the east, a line just to the west of the Hejaz railway, and in the south, a line from the area of Aqaba to el-Arish, and the west, the Mediterranean Sea...“225
Mit dem Ziel, das Gebiet jüdischer Besiedelung so zu vergrößern, dass die wichtigsten Wasserressourcen unter jüdische Kontrolle gestellt wurden, um so genügend Wasser für den nicht abreißenden Einwanderungsstrom zu haben, reichten die Führer der zionistischen Bewegung außerdem einen eigenen Vorschlag zur Festlegung der Grenzen eines Staates Israel bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 ein. Bourcarts Vorstellungen der wasserwirtschaftlichen Entwicklung Pa-
222 Vallianatos-Grapengeter (1996), S.43 zitiert diese Zahlen aus David M. Wishart (1985): The Political Economy of Conflict over Water Rights in the Jordan Valley from 1890 to Present, [Microfiche] Diss. Jur. University of Illinois, S. 60. 223 Zum Teil wird auch von Abraham Bourcart gesprochen. 224 Tolkovskis Tagebücher wurden unter dem Titel „Yoman Tziyoni Medini, 1915-1919“ in hebräischer Sprache veröffentlicht. Vgl. Adam A. Garfinkle: War, Water, and Negotiation in the Middle East. The Case of the Palestine-Syria Border, 1916-1923, Tel Aviv: Tel Aviv University Press 1994, S. 33. 225 Zionist Delegation to Foreign Office, 18.11.1918.
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lästinas dürften gemeinsam mit dem Rutenbergplan226, der Bourcarts Pläne aktualisierte, die Grundlage für diese Grenzforderungen gewesen sein.227 In dem Memorandum der Zionistischen Organisationen vom 3. Februar 1919, das dem Obersten Rat der Siegermächte vorgelegt wurde, wurden die gewünschten Grenzen näher spezifiziert. Dabei wird deutlich, dass die Kontrolle über den Jordan und seine Zuflüsse höchste Priorität hatte und als unabdingbare Voraussetzung für die Lebensfähigkeit eines israelischen Staates in Palästina versicherheitlicht wurde.228 Ähnliches geht aus Arthur Ruppins Buch von 1919, Der Aufbau des Landes Israel. Ziele und Wege jüdischer Siedlungsarbeit in Palästina229, hervor. Ruppin war 1908 als Vertreter der Zionistischen Organisation nach Palästina geschickt worden und richtete dort das Zionistische Palästina-Amt ein, dessen Direktor er wurde. Außerdem gründete er die Palestine Land Development Company (PLDC) und leitete in den 1930er Jahren gemeinsam mit Chaim Weizmann die Abteilung für die Ansiedlung von deutschen Juden in Palästina. Er schrieb: „Was die historische Nordgrenze anbelangt, so schloß sie unbestritten die eine der beiden Hauptquellen des Jordan, nämlich die bei Banias (in der Nähe des alten Dans) ein. Aus wirtschaftlichen Gründen ist aber auch die weiter östlich gelegene Jordanquelle bei Hasbeja für Palästina notwendig. Der Jordan ist der Hauptfluß Palästinas, und sein Wasser ist für Bewässerung und Kraftgewinnung von größter Wichtigkeit. Eine rationelle und gesicherte Ausnutzung seines Wassers für Palästina ist aber nur möglich, wenn er bis zu seinen Quellen zu Palästina gehört.“230
226 Benannt nach Pinhas Rutenberg, der die Verhandlungen mit den „Crown Agents For The Colonies acting for and on behalf of the Right Honourable Sir Herbert Samuel, G.B. E. High Commisioner of Palestine“ leitete, die am 21. September 1926 zur Vergabe der Konzession zur alleinigen Nutzung des Jordan und des Jarmuk zur Betreibung ihrer Wasserkraftwerke an die Palestine Electric Corporation führten. Vgl. Eaton und Eaton (1994), S. 95, sowie Hillel Shuval: Meeting Vital Human Needs: Equitable Resolution of Conflicts over Shared Water Resources of Israelis and Palestinians, in: Shuval/Dweik (2007b), S. 3-16, hier S. 6. 227 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 28. 228 „Palestine must have its natural outlets to the seas and the control of its rivers and their headwaters. (...) The economic life of Palestine, like that of every other semi-arid country depends on the available water supply. It is therefore of vital importance not only to secure all water resources already feeding the country, but also to be able to conserve and control them at their sources. The Hermon is Palestine’s real ‚Father of Waters‘ and cannot be severed from it without striking at the very root of its economic life. (...) It must therefore be wholly under the control of those who will most willingly as well as most adequately restore it to its maximum utility.“ Statement of the Zionist Organization regarding Palestine, 03.02.1919, Proposal to be presented to the Peace Conference. http://www.mideastweb.org/zionistborders.htm. 229 Berlin: Jüdischer Verlag. 230 Ruppin (1919), 60f. Wie zitiert bei Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 29.
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Zwar blieben diese politischen Forderungen zunächst theoretischer Natur, doch on the ground begannen die Pioniere schon sehr bald mit dem systematischen Ausbau der Wasserversorgung. Sie folgten mit ihren Anstrengungen dem zionistischen Grundsatz der räumlichen Gleichheit: „The first ideology was a spatial equality under which all areas within the state would receive water of the same quality and at the same price, regardless of its true cost (…).“231 Sie entwickelten unter anderem Pläne für einen Versorgungskanal vom See Genezareth zur Mittelmeerküste und in den Negev, um die dortigen landwirtschaftlichen Projekte versorgen zu können. Zu Beginn der Besiedelung Palästinas durch einwandernde Juden war die Wasserversorgung nämlich in keiner Weise angemessen gewesen: „Before the First World War the Jewish settlers relied on the same primitive water utilization methods as the Arab farmers of the region digging wells where groundwater could be found close to the surface, (...) and bringing it to the surface with pumps operated by cattle.“232
Besagter Kanal wurde im Übrigen im Jahre 1964 fertig gestellt und ist bis heute die „Hauptschlagader“ der israelischen Wasserversorgung: der National Water Carrier (NWC). Allerdings konnte der Jishuv (ebenso wenig wie die arabischen Ureinwohner) nicht unabhängig von den Mandatsmächten233 Großbritannien und Frankreich agieren. Frankreich, vom französisch-britischen Sykes-Picot Abkommen234 von 1916 ausgehend, nach welchem der gesamte Obere Jordan und mehr als die Hälfte des See Genezareth zum französischen Mandatsgebiet gehört hätten, schlug als Kompromiss zwischen diesem Entwurf und dem inakzeptablen Vorschlag der Zionistischen Organisation, den Litani als nördliche Grenze des jüdi231
Itay Fishhendler: The politics of water allocation in Israel, in: Eran Feitelson/Uri Shamir (Hrsg.): Water for Dry Land, Resources for the Future Press, i. E. sowie Copaken (1996), S. 19: „Because of the push to develop the Negev, prices were equalized across the country, at great expense, so that water in the Negev cost the local consumer as much as water in the Galilee. Israeli policy has been not to differentiate between regions of the country in setting a price for water. This ‚equalization of water prizes in different locations and for different uses’ was done so that no one would feel favored or discriminated against because of where they lived.“ Vgl. dazu auch Tahal Consulting Engineers Ltd.: Israel Water Sector Review: Past Achievements, Current Problems and Future Options, Tel Aviv, Dezember 1990. 232 Rouyer (1996), S. 7. 233 Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die ostarabischen Provinzen des ehemaligen Osmanischen Reiches gemäß Art. 22 des Vertrags des Völkerbundes (1919) in das Mandatssystem einbezogen. Das Mandat über Palästina wurde 1920 in San Remo vom Obersten Rat der Alliierten Großbritannien übertragen. Am 29.9.1923 wurde es offiziell vom Völkerbund bestätigt. 234 Dieses Abkommen teilte die ostarabischen Gebiete in britische (Transjordanien, Irak), französische (Syrien, Libanon) und internationale (Palästina) Einflusszonen bzw. Mandate. Es ist ein Beweis für die Wende in der britischen Nahostpolitik, die bis dato den Erhalt des Status Quo in der Region zum Ziel gehabt hatte.
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schen Staates festzulegen, im März 1920 eine etwa in der Mitte zwischen beiden liegende Grenzlinie vor. Südlich von Tyrus im Libanon sollte sie in einem Bogen um Metulla und Banias quer durch den heutigen Golan östlich vom Jordangraben verlaufen. Den Briten war indes in erster Linie an einer strategischen Basis für den Schutz des Suezkanals gelegen; darüber hinaus waren sie an geeigneten Gebieten für Eisenbahnlinien interessiert und wollten ein Palästina, das möglichst wirtschaftlich unabhängig war. Deshalb neigten sie wohl auch eher den zionistischen Vorschlägen zu, statt sich an das Sykes-Picot-Abkommen mit Frankreich und ihre Versprechungen an die Araber zu halten. Die Briten hatten den Arabern in der sogenannten Hussein-McMahon-Korrespondenz zwischen Sherif Hussein von Mekka und Sir Henry McMahon die Unabhängigkeit nach einem Sieg über die Hohe Pforte versprochen. William G.A. Ormsy-Gore, der mit einem zionistischen Komitee während des Ersten Weltkriegs Palästina bereiste, legte die erste öffentliche britische Stellungnahme zur Grenzziehung vor. Er schlug vor, den unteren Litani, den Hermon, die Hulasümpfe, das ostjordanische Bergland bis zum Toten Meer sowie das Gebiet zwischen diesen Bergen und Rafiah in die Grenzen miteinzuschließen.235 Auf der Versailler Friedenskonferenz legten die Briten einen entsprechenden Entwurf vor; die nördliche Grenze solle am Litani auf der Höhe von 35°32’ beginnen, von dort bis zum Berg Hermon auf einer Höhe von 2.794m und dann entlang des „watershed dividing the Jordan basin from rivers flowing into the Yarmuq towards Damascus“ verlaufen.236 Auch spätere britische Stellungnahmen plädierten für diesen Grenzverlauf, angetrieben von strategischen Überlegungen bezüglich der Transportmöglichkeiten zwischen Mittelmeer und heutigem Irak. Die 1922/3 letztlich festgelegten Grenzen waren bis 1967 gültig; die Zionisten hatten weder Mt. Hermon noch Litani und Zaharani im Südlibanon oder Wadi Mugnani in Syrien erhalten und verfügten nur über einen kleinen Teil des Jarmuk. Auch zwei Quellflüsse des Jordan, Hasbani und Banias, entsprangen nun auf französischem Mandatsgebiet. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts häuften sich im Rahmen der Teilungsüberlegungen für Palästina weitere Schätzungen und Messungen, mit deren Hilfe das (land-)wirtschaftliche und industrielle Entwicklungspotenzial des Landes bestimmt werden sollte.237 Sie illustrieren die Verschränkung zwi235
Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 31. Gideon Biger: Geographical and other Arguments in Delimitation in the Boundaries of British Palestine, in: Groundy-Warr, Carl (Hrsg.): International Boundaries and Boundary Conflict Resolution. Proceedings of the 1989 IBRU Conference. International Boundaries Research Unit (IBRU), University of Durham 1989, S. 41-61. 237 Arnon Soffer zählt insgesamt 16 Pläne für die Nutzung des Jordan-Jarmuk-Beckens, davon sieben vor den späten 1940er Jahren und neun zwischen Staatsgründung und Mitte der 1950er Jahre. Zu 236
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schen Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang und die daraus folgende Versicherheitlichung der Ressource zu dieser Zeit. Dabei kam es zum Konflikt zwischen britischer Regierung und jüdisch-zionistischen Sachverständigen, der mit der Veröffentlichung des britischen Weißbuches im Jahr 1939, das ein massive Einschränkung der jüdischen Immigration vorsah, einen Höhepunkt erreichte. Der Hohe Kommissar für Palästina, Sir John Chancellor, seit 1928 im Amt, hatte auf eine Revision des Weißbuches von 1922 gedrängt: Einerseits sollte die arabische Selbstverwaltung gefördert, andererseits die privilegierte Stellung der jüdischen Bevölkerung relativiert werden.238 Chancellors Argumente und Empfehlungen prägten die weitere britische Mandatspolitik, weswegen der Jishuv befürchtete, Großbritannien könnte über den Hebel der Wasserregulierung auch die jüdische Immigration kontrollieren: „Seit 1930 hatte sich die Wasserproblematik immer mehr zu einem wesentlichen Aspekt für die britische Einwanderungspolitik entwickelt.“239 Spätestens der Bericht der Peel-Kommission240 von 1937 machte allerdings endgültig deutlich, dass die britische Strategie, durch Einwanderungsregulierung eine zahlenmäßige und sozio-ökonomische Balance zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu erreichen und so das soziale Konfliktpotenzial zu verringern, auf ganzer Linie gescheitert war. Stattdessen hatte sich der Konflikt zwischen arabischer Bevölkerung, Jishuv und den sich herausbildenden nationalen Identitäten etabliert, der in der Essenz darin besteht, dass beide Völker Anspruch auf dasselbe Land erheben. Eine der ersten hydrographischen Studien über das Jordanbeckens stammt von M.G. Ionides aus dem Jahr 1939.241 Ionides war Direktor für Entwicklung in letzteren gehören ein arabischer Plan von 1954, der Main-Clapp-Plan von 1953, der von den UN in Auftrag gegeben wurde, der Cotton-Plan (1954, israelisch), der den Litani miteinschloss, der BungerPlan von USA und UNRWA von 1953, der Unified oder Main-Plan von 1953, ein israelischer Sieben-Jahres-Plan, die jordanische Baker-Harza-Studie von 1955, die Gardiner-Formel von 1955 sowie der Johnston-Plan aus dem gleichen Jahr. Vgl. Arnon Soffer: The Relevance of Johnston Plan to the Reality of 1993 and Beyond, in: Isaac/Shuval (1994), S. 107-119, hier S. 107, sowie Miriam R. Lowi: Water and Power. The politics of a scarce resource in the Jordan River basin, updated edition, Cambridge: Cambridge University Press 1995, S. 79ff. 238 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 40. 239 Ebd., S. 37. 240 Der Peel-Report kommt zu dem Ergebnis, die jüdische Einwanderung sei auf 12 000 Personen pro Jahr zu begrenzen (für die folgenden fünf Jahre). Da diese Einschränkung jedoch als nicht mehr als ein Palliativmittel erkannt wurde, sprach der Bericht auch erstmals von einer Teilung des Landes und forderte eine Studie zur Absorptionsfähigkeit Transjordaniens, die die Grundlage für spätere Entwicklungskonzepte für den Jordangraben von britischer und jüdischer Seite werden sollte. Vgl. The Palestine Royal Commission (Peel Commission) Report (July 1937), Chapter XIX.: Conclusions and Recommendations, http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/History/peel1.html. 241 M. G. Ionides: Report on the water resources of Transjordan and their development, Government of Transjordan, 1939. Ausschnitte aus und Kurzdarstellungen von Plänen bzgl. des Jordanbeckens ab Ionides’ finden sich in American Friends of the Middle East: The Jordan water problem, Washington D.C., 1964.
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der transjordanischen Administration; er leitete zwischen 1937 und 1939 im Auftrag der Briten umfassende Studien über Ausmaß und Qualität der vorhandenen Wasserressourcen und der bewässerbaren Böden in Transjordanien. Allerdings wurde der von ihm erarbeitete Vorschlag von der britischen Regierung als nicht durchführbar abgelehnt. Die Gründe dafür waren politischer Natur. So führte die sogenannte Woodhead-Kommission in Ergänzung der älteren Vorschläge der Peel-Kommission zu dieser Zeit Untersuchungen zu den verschiedenen Teilungsmöglichkeiten Palästinas durch und kam zu drei alternativen Plänen, in denen die Kommission die jeweils optimalen Bedingungen aus jüdischer, arabischer und britischer Sicht entwarf.242 Sie kam zu dem Ergebnis, dass die zahlreichen rechtlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der IonidesPlan beinhaltete, neben der religiösen Bedeutung des Jordanwassers für das Christentum deutlich gegen eine Umsetzung des Plans sprachen. Während die Briten die Studie also ablehnten, interessierten sich die Jüdische Agentur und die von ihr beauftragten Spezialisten umso mehr für den von Ionides erarbeiteten Plan. Sie nutzten ihn vor allem, um Argumente gegen weitere jüdische Immigration auszuhebeln.243 Die Zionisten beauftragten außerdem den Amerikaner Walter Clay Lowdermilk, eine entwicklungstechnische Studie zur Absorptionsfähigkeit Palästinas durchzuführen. Er erarbeitete ein 1944 veröffentlichtes, groß angelegtes Bewässerungs- und Energiegewinnungskonzept für das Jordanbecken, das auf alle nachfolgenden Pläne – und den weiteren Verlauf des Wasserdiskurses – großen Einfluss haben sollte. Sowohl die jüdischen Organisationen als auch die britische Mandatsmacht investierten immer stärker in die Beforschung und Entwicklung von Maßnahmen, die die Qualität des Bodens verbessern sollten – das bis dahin dominante Primat der Bodenquantität wurde durch das der Bodenwertsteigerung ersetzt. Der Lowdermilk-Plan entstand vor dem Hintergrund des oben erwähnten, überarbeiteten Weißbuchs von 1939, in dem die Briten jüdische Immigration, die über die festgeschriebenen 75.000 Personen hinausging, von der Zustimmung der arabischen Mächte abhängig machte. Mithilfe ausführlicher Entwicklungspläne für Palästina begannen die zionistischen Organisationen vor allem in den USA für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu werben. Lowdermilk stellte in seinem Plan ein Konzept für die Erschließung und Entwicklung des Flusssystems Jordan in seiner Ganzheit vor, mit dessen Hilfe die wirtschaftliche Basis für die Einwanderung mehrere Millionen Flüchtlinge aus Europa geschaffen werden sollte. Darin enthalten waren sowohl Maßnahmen zur Bewäs242 Palestine Partition Commission Report, auch „Woodhead-Report“ genannt, (1938). Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 45f. 243 Ionides kam zu dem Ergebnis, dass 300.000 Dunam bewässerten Nutzlandes zwischen dem See Genezareth und dem Toten Meer hinzugewonnen werden könnten. Ein Dunam entspricht 1000 m2.
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serung als auch, und das war ein Novum, zur Energiegewinnung.244 Mit der Umsetzung des Lowdermilk-Plans wurde bereits 1946 begonnen; der Amerikaner James B. Hays fertigte detaillierte Pläne für Staubecken, Wasserleitungen und Bewässerungssysteme an. Seine Ergebnisse wurden 1948 veröffentlicht. Doch zunächst gipfelte der Konflikt zwischen britischer Mandatsmacht und zionistischen Organisationen um die Grenzen eines jüdischen Staates in einem Guerillakrieg, der 1947 zum Rückzug Großbritanniens aus dem Mandatsgebiet führte. Nachdem die Vereinten Nationen 1947 in der Resolution 181 die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorgeschlagen hatten – ein Entwurf, der von den jüdischen Organisationen akzeptiert, von den arabischen jedoch abgelehnt wurde – und nach der Proklamation des Staates Israel im Mai 1948 griffen die arabischen Nachbarstaaten Israel an. Es kam zum ersten arabisch-israelischen Krieg, während dem etwa eine Million in Palästina angesiedelte Araber das Land verließen; im israelischen Sprachgebrauch wird von Flucht, im palästinensischen von Vertreibung gesprochen. Der größte Teil der arabischen Bevölkerung (600.000) ging nach Jordanien, je 120.000 nach Syrien und in den Libanon, weitere 240.000 in den ägyptisch kontrollierten Gazastreifen. Der Krieg endete 1949 mit der Unterzeichnung von Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und Ägypten, Libanon, Jordanien und Syrien nach UNMediation. Die Palästinenser wurden nicht als eigenständige Gruppe berücksichtigt; dies wurde zum Präzedenzfall für alle folgenden Abkommen zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten: Sie alle sollten auf einer Staat-zu-Staat-Doktrin aufbauen.245 Die Umsetzung der wasserwirtschaftlichen Pläne wurde durch die zähen Waffenstillstandsverhandlungen und die Einrichtung von entmilitarisierten Zonen verhindert, so dass Wasser weiterhin ein Streitpunkt zwischen Arabern und Israelis blieb. 4.2 Von 1948 bis 1967 – Wasser als nationales Sicherheitsinteresse 1949 1950 1954 1955 244
Chronologie der Ereignisse Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn (Februar-Juli) Vereinigung Trans- und Westjordanien, damit Teilung Jerusalems Law of Return Nasser übernimmt Staatsführung Ägyptens Johnston-Abkommen
Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 48f. Vgl. dazu Oren Barak: The Failure of the Israeli-Palestinian Peace Process, 1993-2000, in: Journal of Peace Research, Bd. 42, Nr. 6, 2005, S. 719-736, hier S. 721. 245
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Verstaatlichung des Suez-Kanals (26. Juli); daraufhin Suez-Krieg Israel zieht sich aus Sinai und Gazastreifen zurück. Arafat Mitbegründer der Fatah Arafat übernimmt die Führung der Fatah Gründung der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Jerusalem (29. Mai) Helsinki Rules verabschiedet Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten, Jordanien und Syrien (5.-11. Juni). Besetzung des Sinai, des Gazastreifens und der Westbank, Jerusalems und der Golanhöhen. UN-Resolution 242 über den Rückzug Israels aus besetzten Gebieten (22. November)
Mit Ende des britischen Mandats existierten also drei arabische und ein jüdischer Staat im biblischen Palästina. Israel, Transjordanien, der Libanon und Syrien erhielten erstmals volle Souveränität über ihre Gebiete, so dass auch Entscheidungen zu Wasserplanung und -management nicht länger von Istanbul, London, Paris oder dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York getroffen wurden. Das Jordanbecken wurde nun von vier souveränen Nationen geteilt. Deren Repräsentanten machten sich angesichts zweier Trends Sorgen über ihre jeweilige nationale Wasserversorgung: Bevölkerungswachstum und Immigration. Die Geburtenrate stieg in allen Staaten der Region, da sich die Gesundheitsversorgung verbesserte; Israel warb um jüdische Einwanderer im Zuge des Law of Return und seine arabischen Nachbarstaaten nahmen Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge auf. Gleichzeitig verstanden die arabischen Staaten Israel als illegitimes Gebilde, keinesfalls als rechtmäßigen Staat und Israel verweigerte dem palästinensischen Volk jegliche Akzeptanz als selbständige Einheit. Folglich standen sich zwei nationale Bewegungen mit exklusiven Diskursstrukturen gegenüber, die jeweils für ihre Recht auf nationale Identität und Existenzrechte kämpften, während sie dem anderen genau dieses Recht absprachen: „A principled non-recognition – the result of a shared perception of the ‚other’ as illegitimate – marked the conflict at a very basic level.“246 Diese veränderten gesellschaftlichen Bedingungen schlugen sich auch in den jeweiligen Diskursen über Wasser nieder, die zunehmend von hydropolitischen und -strategischen Überlegungen im Sinne nationalstaatlicher Interessen dominiert wurden.
246
Lowi (1995), S. 138.
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4.2.1 Der israelische Diskurs Da der neu gegründete Staat trotz der Gebietsgewinne im ersten israelischarabischen Krieg247 nicht die ursprünglich erhofften Ausmaße hatte und die Bevölkerung rasch wuchs, kam der Ressource Wasser im israelischen Diskurs auch nach der Staatsgründung 1948 eine zentrale Bedeutung zu. Der erste Premierminister Israels, David Ben Gurion, formulierte eine „miraculous triad of Zionist accomplishments“248 als Zielvorgabe, nämlich erstens die Schaffung eines israelischen Staates in einem Land, das seit 1400 Jahren von Arabern besiedelt wurde, zweitens die Etablierung des Hebräischen als Landessprache und drittens die Wandlung des wirtschaftlichen Lebens der jüdischen Gemeinschaft hin zu landwirtschaftlicher Arbeit. Für ihn war der Stellenwert jüdischer Landwirtschaft für das zionistische Projekt nicht zu überschätzen. Resultat war eine Politik, die ideologische Aspekte über die Wirtschaftlichkeit der israelischen Wassernutzung stellte: Zum Beispiel wurde (und wird!) Wasser für Landwirtschaft in Israel zu stark subventionierten Preisen abgegeben, was Wasserverknappung und Übernutzung der regionalen Wasserressourcen begünstigte.249 Die israelische Landwirtschaft war wesentlicher Bestandteil der mythischen Vorstellung von Israel: kleine Entwicklungsstädte, kollektiv organisierte Dörfer, kibbutzim und moshavim, mit deren Hilfe die Wüste in fruchtbares Land verwandelt werden sollte. Man versuchte in den Aufbaujahren nach der Staatsgründung, die Ergebnisse des Lowdermilk-Plans in die staatliche Wirtschaftsplanung zu integrieren; die zwischen 1952 und 1954 erfolgte Kartierung des Landes ergab, dass etwa ein Viertel des Staatsterritoriums (zusätzlich zu den bereits bewirtschafteten Gebieten) durch künstliche Bewässerung landwirtschaftlich nutzbar gemacht werden könnte.250 Dies hatte besondere Relevanz aufgrund der erwähnten extrem hohen Zuwanderungsrate, mit der Israel umzugehen hatte: bis 1951 strömten deutlich über eine halbe Million Immigranten ins Land und verdoppelten die Einwohnerzahl Israels innerhalb von drei Jahren. Die bis 1948 von der britischen Mandatsregierung im Sinne der Weißbuch-Politik begrenzte jüdische Einwanderung nach Palästina stieg in den Jahren nach der Staatsproklamation exponentiell an: Während von 1940 bis 1945 lediglich 54.000 Immigranten ins Land gekommen waren, trafen in den Jahren 1948 bis 1950 mehr als eine halbe Million Einwanderer in Israel ein. Von einer Bevölkerung von 800.000 im Jahr der Staatsproklomati247 Zum Zeitpunkt des Waffenstillstandabkommens kontrollierte Israel die gesamten 53 Prozent des biblischen Palästina, die ihm in der UN-Teilungsresolution zugestanden worden waren, plus zwölf Prozent des Territoriums, das ursprünglich dem geplanten palästinensischen Staat zugedacht worden war. Vgl. Eaton und Eaton (1994), S. 96. 248 Copaken (1996), S. 18. 249 Ebd., S. 19. 250 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 23.
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on stieg die israelische Einwohnerzahl bis 1964 auf 2,4 Millionen an. Die Nahrungsmittelproduktion musste drastisch erhöht werden; zudem konnte lediglich der Agrarsektor die Arbeitskraft der Zuwanderer auffangen. So wurde die Landwirtschaft insbesondere im Küstengebiet massiv ausgebaut; der erhöhte Wasserverbrauch ließ den Grundwasserpegel sinken, es bestand die Gefahr der Versalzung durch eindringendes Meerwasser. 1952 wurde deshalb die Wasserforschungsgesellschaft Tichnun HaMayim le Israel (TAHAL) gegründet, die die wasserwirtschaftliche Planung Israels vorantreiben sollte. TAHAL bestimmte die jährlich verfügbare Wassermenge Israels nach aufwändigen Messungen auf zwischen 1.500 und 1.850 Millionen Kubikmeter, je nach Niederschlagsmenge.251 Im Jahr 1956 wurde TAHAL aus Anlass des Baubeginns am National Water Carrier (NWC) die bereits 1938 gegründete Aktiengesellschaft Mekorot252 zur Seite gestellt. Mekorot ist gewissermaßen als eine Vergegenständlichung des jüdisch-zionistischen Wasserdiskurses anzusehen: Sie entwickelte als Betreiberin der einzigen Wassergesellschaft in Palästina über die Jahre ein Monopol über Wassersammlung und -verteilung. 1951 nahm Israel im Rahmen des sogenannten All Israel-Planes – eine Vergegenständlichung des zionistischen Diskurses – die Trockenlegung der HulaSümpfe in Angriff;253 zwei Jahre später begann die Regierung mit dem Benot Ya’akov-Projekt, in dessen Rahmen der obere Jordan abgeleitet werden sollte. Aufgrund dieser Projekte verschärften sich die Spannungen zwischen Israel und Syrien, die aus der geographischen Lage und dem umstrittenen Rechtsstatus der entmilitarisierten Zonen (EMZ) zwischen beiden Staaten entstanden waren. Die drei im Waffenstillstandsabkommen festgelegten EMZ waren von großer hydrostrategischer Bedeutung. Syrien sah die EMZ als Niemandsland an, das bis zur Klärung seines endgültigen Status’ absolut unberührt bleiben müsse, um so die vorzeitige Festlegung der Nutzung dieser Gebiete zu verhindern. Israel dagegen betrachtete die Gebiete als sein rechtmäßiges Territorium, das lediglich vorübergehend als Pufferzone dienen sollte, trotzdem aber der zivilen Nutzung zur Verfügung stand.254 251
Vgl. ebd., S. 24. Seit Staatsgründung werden die Anteile an Mekorot zu gleichen Teilen von der Regierung, der Jüdischen Agentur (1929 gegründet) und dem jüdischen Gewerkschaftsverbands Histadrut (1920 gegründet) gehalten. Ihre beiden Tochtergesellschaften sind für Betrieb und Bau der regionalen und nationalen Wasserprojekte sowie für die Verteilung des Wassers an Großabnehmer, wie Siedlungen und Städte, verantwortlich. Wassermengen und -preise werden von der Wasserkommission im Landwirtschaftsministerium festgelegt; vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 24. 253 Mit dieser Maßnahme sollten 60.000 Dunam zusätzlich zu den 250.000 Dunam bereits kultivierbaren Landes im Hula-Tal erschlossen werden; außerdem sollten die gewonnen Wassermengen in das nationale Versorgungssystem eingeleitet werden. 254 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 53. Im Waffenstillstandsabkommen war das Problem ziviler Aktivitäten bzw. eine Definition derselben ausgeklammert worden, so dass der spätere Kon252
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Das Hauptproblem in Bezug auf das Hula-Projekt bestand darin, dass Israel zu seiner Umsetzung arabische Ländereien jenseits der Waffenstillstandslinie mindestens für die Dauer der Bauarbeiten, zum Teil sogar ganz beschlagnahmen musste. Davon waren fast 200 palästinensische Bauern betroffen. Zudem wurden syrische und palästinensische Bewässerungskanäle südlich des Projekts negativ beeinflusst (sprich: sie trockneten regelmäßig aus). So ist es nicht überraschend, dass Syrien sich zum Anwalt der betroffenen fellaheen machte und Beschwerde bei der Waffenstillstandskommission einlegte. Aus diesem Protest entstand innerhalb kürzester Zeit eine ernste militärische Krise: Am 5. April 1951, lediglich zwei Monate nach Baubeginn, flogen die Israelis einen Luftangriff auf syrische Posten in der südlichen EMZ, woraufhin sich der UN-Sicherheitsrat einschaltete.255 Trotz der Aufklärung des Falls in diesem Gremium hielt die syrische Ablehnung israelischer Entwicklungsprojekte im Grenzgebiet an; sie ist wohl als Teil der seit 1948 anhaltenden arabischen Offensive gegen Israels Wirtschaft zu sehen („arabischer Boykott“).256 Im Herbst 1953 begann die zweite Stufe des israelischen Entwicklungsplanes: das Benot Ya’akov-Projekt, das die Ableitung von 435 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr aus dem Jordan vorsah. Dieses Projekt rief jedoch nicht nur außen-, sondern auch innenpolitischen Widerstand hervor: Ben Gurion hatte erst wenige Monate zuvor erwogen, die EMZ am Oberen Jordan mit Syrien zu teilen und gab einer vertraglichen Übereinkunft mit einem arabischen Nachbarstaat, die eventuell als Basis für ein Friedensabkommen dienen könnte, höhere Priorität als den ursprünglichen Wasserplänen.257 Er war sogar bereit, die deutlich höheren jährlichen Kosten einer entsprechenden Alternative in Kauf zu nehmen, was die Unterordnung der Ressource Wasser und des nationalen Wassermanagements unter politische Aspekte und die aktive Konstruktion von Wasser als Sicherheitsinteresse veranschaulicht. Doch letztlich setzten sich die Fürsprecher des ursprünglichen Planes mit technischen und wirtschaftlichen Argumenten durch; die Arbeiten an dem Projekt begannen am 2. September 1953.258 Allerdings wurden sie bereits zwei Monate später auf internationalen Druck wieder eingestellt; Syrien hatte ähnlich wie beim Hula-Projekt argumentiert und bestand auf dem Schutz des zivilen Lebens in den EMZ. Die UN forderte Israel auf, die Arbeiten flikt vorprogrammiert war. Der englische Text des Abkommens vom 20. Juli 1949 ist unter http://www.mfa.gov.il/MFA/Foreign+Relations/Israels+Foreign+Relations+since+1947/19471974/Israel-Syria+Armistice+Agreement.htm abrufbar. 255 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 55. 256 So war in Damaskus nach der Proklamation des Staates Israel das zentrale arabische Boykott-Büro mit Zweigstellen in der gesamten arabischen Welt eingerichtet worden. Vgl. ebd., S. 56. 257 Vgl. dazu Michael Brecher: Decisions in Israel’s Foreign Policy, New Haven: Yale University Press 1975, S. 189f. 258 Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 57.
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einzustellen; als Israel nicht reagierte, wurde erneut der Sicherheitsrat eingeschaltet, der mit einer Resolution den vorläufigen Abbruch der Arbeiten festschrieb. Dass Israel daraufhin tatsächlich die Arbeiten einstellte, ist allerdings vor allem auf die Politik der Eisenhower-Regierung zurückzuführen, die bereits einige Tage zuvor der arabischen Welt signalisiert hatte, dass sie anders als ihre Vorgänger unter Präsident Truman keine exklusiv pro-israelische Nahostpolitik im Sinn habe. So hatte der amerikanische Außenminister Dulles am 20. Oktober 1953 verkündet, die USA werde für Israel vorgesehene Hilfsgelder in Höhe von $26 Millionen zurückhalten, bis Israel das Benot-Ya’akov-Projekt eingestellt habe.259 Diese amerikanische Einmischung markierte einen Wendepunkt in der Wasserkrise im Jordanbecken. Vallianatos-Grapengeter schreibt:260 „Durch sie wurde die Wasserproblematik in ihrer geographischen und wirtschaftspolitischen Tragweite zum ersten Mal in einen direkten Kontext mit der Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage und damit dem Kern des Nahostkonfliktes gestellt.“
Entstanden war das amerikanische Interesse am Thema durch die United Nations Relief and Work Agency (UNRWA), die eine amerikanische Studie über die Entwicklung des Jordanbeckens anregte; diese wurde dann von Charles T. Main durchgeführt.261 Allerdings müssen auch der Beginn des Kalten Krieges und westliche Ölinteressen in der Region als Gründe für die US-amerikanische Einmischung berücksichtigt werden. Es lag nicht im Interesse der amerikanischen Regierung, dass die arabische Welt sich auf die Seite der Sowjetunion schlug; deshalb sollte eine Militärallianz mit dem Nahen Osten geschlossen und durch entwicklungspolitische Maßnahmen dem Kommunismus jeglicher Nährboden entzogen werden – ein Vorbote der Eisenhower-Doktrin von 1957. Durch die Benot-Ya’akov-Krise befürchtete das Weiße Haus eine Kompromittierung amerikanischer Interessen im arabischen Lager und sah sich deshalb gezwungen, aktiv zu werden: „Die Überlappung der Flüchtlingsproblematik mit dem sich anbahnenden Wasserkonflikt wurde in Washington deutlich gesehen.“262 Um die 850.000 palästinensischen Flüchtlinge unterbringen zu können, bedurfte es einer
259
Vgl. dazu Paul Findley: Die Israel Lobby, Berg am See: Verlagsgesellschaft Berg 1992, S. 180. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 59. Main, Charles T., Inc. (1953): The Unified Development of the Water Resources of the Jordan Valley Region, Knoxville: Tennessee Valley Authority. Auch Main-Studie, Main Plan oder auch irritierenderweise Unified Plan genannt; letzteres vor allem, weil der Main-Plan die Grundlage des Johnston (Unified) Plans war. 262 Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 60. 260 261
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haltbaren wirtschaftlichen Grundlage, die wiederum die Entwicklung des Jordanbeckens voraussetzte. Der von Charles T. Main erstellte Plan lag dem Weißen Haus am 10. August 1953 vor. Er war überregional konzipiert und enthielt Element vieler der bisherigen Studien: Bunger, Lowdermilk und Hays. Aus Rücksicht auf die arabische Rechtsauffassung, die noch aus dem osmanischen Reich stammte, verlief das Projekt zudem innerhalb der Wasserscheide des Jordans. Mit dem Main-Plan wurden erstmals Entwicklungsgelder durch einen Staat für politische Zwecke instrumentalisiert; diese Art der externen Einmischung beeinflusst bis heute den Wasserdiskurs auf beiden Seiten. Im Lichte des Main-Plans und seiner politischen Hintergründe sind auch die Johnston-Verhandlungen zu sehen, die zwischen 1953 und 1955 stattfanden und auf deren Basis der Johnston-(Unified)-Plan entstand.263 Die Verhandlungen begannen unter schwierigen Bedingungen: Eine Woche vor Eric Johnstons erster Nahostreise war es zu einem blutigen Zwischenfall an der jordanischisraelischen Grenze gekommen:264 „In der Nacht des 14. Oktober 1953 waren israelische Truppen in das westjordanische Dorf Qibya eingefallen und hatten ein Massaker unter den Bewohnern verübt, bei dem mindestens 45 Menschen ums Leben gekommen waren. Gleichzeitig hatten Artilleriegeschütze die Nachbardörfer Budros und Shuqba beschossen, um ein schnelles Vordringen der Sicherheitstruppen der Arabischen Liga zu verhindern.“
Diesem Anschlag war ein palästinensischer Terrorangriff vorangegangen, der zwei jüdische Kinder bei Tirat Yahuda das Leben kostete. Zudem hatte die israelische Regierung soeben ihr Außenministerium nach Jerusalem verlegt und die Arbeiten am Benot-Ya’akov-Projekt waren ebenfalls noch im Gange. Eric Johnston hatte deshalb zunächst mit massiven Vorbehalten gegenüber seiner Mission zu kämpfen. Die arabische Seite lehnte den Main-Plan, um dessen Umsetzung es ja zunächst gehen sollte, ab, weil er direkte Verhandlungen mit Israel bedeutet hätte; Israel wollte derweil die Wasserressourcen selbst und unabhängig von externer Einmischung verwalten. Doch trotzdem gab es ausreichende, vor allem wirtschaftliche Gründe für alle Seiten, Johnston mindestens anzuhören. Denn er überbrachte die Botschaft, dass Wirtschaftshilfen und finanzielle Unterstützung durch die UNRWA sowie Militärhilfe in Zukunft von der jeweiligen Bereitschaft abhängig gemacht werden sollten, „das Flüchtlingsproblem zu lösen und sich um eine friedliche Beilegung des Nahost-Konfliktes zu bemühen.“265 Johnston selbst betrachtete den Main Plan als ersten Schritt zu einer friedlichen Lösung: 263
Vgl. dazu z.B. Lowi (1995), S. 79-105. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 64. 265 Ebd., S. 66. 264
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„ ..., the Jordan Valley program must be considered as more than an engineering project, involving the construction of dams, irrigation ditches and power installations. It should be considered, in political terms, as means of constructing the foundation on which peace in the area may ultimately be built.“266
Als Johnston im Juni 1954 zum zweiten Mal in den Nahen Osten reiste, lagen je ein arabischer und ein israelischer Gegenvorschlag zum Main-Plan vor: der sogenannte „arabische Plan“ und der israelische Cotton-Plan.267 Nachdem alle Seiten alle Pläne gesichtet hatten, stellte sich die Wasseraufteilung als größtes Problem heraus: Es ging dabei in erster Linie um konkrete Zahlen, um supply management. Sowohl die Araber als auch die Israelis beschlossen, sich auf dieses Problem zu konzentrieren. Daraus entstand ein weiterer, diesmal von Jordanien in Auftrag gegebener Plan: Der Harza-Baker-Plan, der zu dem Ergebnis kam, dass in Jordanien mehr Land als bisher angenommen frucht- und bewässerbar war und dass weniger Wasser pro Quadratmeter dafür notwendig sein würde als gedacht. Dies verlieh Johnston neuen Spielraum in den Verhandlungen mit Israel. Im Februar 1955 reiste Johnston zum dritten Mal in den Nahen Osten, diesmal mit vom Unified-Plan unabhängigen finanziellen Anreizen im Gepäck. Er legte den Israelis die Ergebnisse seiner Verhandlungen mit der arabischen Seite vor, musste jedoch ohne eine Einigung wieder nach Washington fliegen. Erst nachdem die Vereinigten Staaten Israel mit dem Entzug sämtlicher finanzieller Hilfen gedroht hatten, erklärte sich die israelische Regierung schließlich bereit, der Wasseraufteilung auf der Basis der sogenannten „Gardiner Formel“, benannt nach einem Verhandlungsführer in Johnstons Team, schriftlich zuzustimmen.
266
Foreign Relations of the United States, Vol. IX, Bd. 1, Dokument Nr. 732, S. 1417. Der arabische Plan wurde vom technischen Komitee der Arabischen Liga entworfen, der israelische unter dem Titel „The Cotton Plan for the Development and Utilization of the Water Resources of the Jordan and Litani River Basins“ im Februar 1954 veröffentlicht. 267
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Tabelle 2: Johnston Verhandlungen, 1953-1955. Wasserallokationen an die Anrainer des Jordanbeckens268 Allokation (MKM/a) Libanon Syrien Plan/Quellea Main Plan nil 45 Arab Plan 35 132 Cotton Plan 450,7 30 Unified (Johnston) Plan Hasbani 35 Banias 20 Jordan (Haupt22 strom) Yarmuk 90 Side wadis Gesamt Unified 35 132 Plan
Jordanien 774 698 575
Israel 394 182 1.290
Gesamt 1.213 1.047 2.345,7 35 20
100
375b
497b
377 243
25
492 243
720
400b
1.287b
Also machte Johnston sich zum vierten Mal auf in Richtung Nahost. Bis Ende September 1955 hatten auch alle arabischen Repräsentanten im Technischen Komitee der Arabischen Liga der endgültigen Fassung des Johnston-Plans zugestimmt und überließen die letzte Entscheidung dem Politischen Komitee. Dieses lehnte den Johnston-Plan im Oktober 1955 allerdings aus politischen Erwägungen heraus ab. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, da die entsprechenden Akten und Dokumente nicht zugänglich sind; doch die implizite Anerkennung Israels durch den Johnston-Plan kann wohl als Hauptgrund gelten. Zudem war durch das 1955 bekannt gewordene britisch-amerikanische Alpha-Projekt269 der Unified-Plan unzweideutig an die Flüchtlingsfrage gekoppelt worden. Letztlich war wohl vor allem Ägypten für das Scheitern des Unified- bzw. Johnston-Plans verantwortlich. Nasser hatte sich bereits 1955 wegen eines Waffengeschäfts nach Moskau orientiert und hatte gleichzeitig Syrien, Saudi-Arabien und Ägypten in einer Allianz gegen den Bagdad-Pakt verbunden. Seine Populari268 Vgl. http://www.unu.edu/unupress/unupbooks/80859e/80859E06.htm#1948-1964: ̘a. Der Cotton Plan bezog den Litani als Teil des Jordanbeckens mit ein. Verschiedene Pläne teilten verschiedene Mengen zu, jeweils entsprechend der unterschiedlichen Schätzungen in Bezug auf die vorhandenen natürlichen Wasserressourcen. Eine wichtige Variable ist dabei die veranschlagte Grundwassermenge. b. Laut des Kompromisses der „Gardiner Formel“ wurde der israelische Anteil am Hauptstrom des Jordan als „Rest“ definiert, der übrig blieb nachdem die anderen Anrainer ihren Anteil erhalten hatten. Dieser „Rest“ variierte von Jahr zu Jahr, wurde aber auf ein Mittel von 375 MKM pro Jahr geschätzt. 269 Näheres zum Alpha-Projekt findet sich z.B. bei Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 75-78.
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tät hätte durch ein mit Israel abgestimmtes Entwicklungsprojekt mit Sicherheit gelitten. Gleichzeitig musste er jedoch weiterhin gegenüber den USA Unterstützung für den Unified-Plan bekunden, da sein Assuan-Staudamm von finanziellen Zuwendungen aus Amerika und Großbritannien abhing. Aufgrund dieses doppelten Spiels dauerte es bis zum Suez-Krieg 1956, bis der Johnston-Plan endgültig als gescheitert galt. Teile des Plans sind jedoch unilateral umgesetzt worden: Immerhin stellte er erstmals Mittel und Wege für die zwar einseitige, aber immerhin friedliche Entwicklung der Wasserressourcen im Jordanbecken zur Verfügung. Israel plante den späteren National Water Carrier (NWC), Jordanien begann den Bau des East Ghor-Kanals, der Libanon setzte ein Bewässerungsund Energiegewinnungsprojekt am Litani um und Syrien investierte vermehrt in Entwicklungsprogramme im Orontestal und am Euphrat. Doch die JohnstonVerhandlungen und ihr Scheitern aufgrund politischer Erwägungen hatten die Wasserfrage endgültig politisiert und versicherheitlicht. Dies sollte insbesondere am Bau des israelischen NWC deutlich werden. Israel hatte 1956 in einem neuen Zehn-Jahres-Plan vier Bewässerungsprojekte präzisiert: Die Yarkon-Negev-Leitung (eine 106 km lange Leitung von der Küstenebene in den Negev), die Trockenlegung der Hula-Sümpfe, die Entwicklung des Flusses Qishon in Westgaliläa, sowie eine transnationale Wasserleitung, 105 km lang und zwischen Jordangraben und Yarkon-Negev-Leitung in der Küstenebene gelegen. Bis Ende der 1950er Jahre waren die ersten beiden Projekte bereits abgeschlossen; 1959 begannen die Arbeiten am vierten und größten Projekt, der transnationalen Wasserleitung. Damit kam Israel der zionistischen Vision einer „blühenden Wüste“ ein gutes Stück näher. Im gleichen Jahr wurden alle Wasserressourcen in einem umfassenden und sehr detaillierten Wassergesetz unter staatliche Kontrolle gestellt und ihre Verteilung zentralisiert. Dabei berief sich die israelische Regierung auf die erwähnten Präzedenzfälle aus dem Osmanischen Reich bzw. der britischen Mandatszeit. Die Verstaatlichung der Wasserressourcen im Water Law ermöglichte die bis heute existierende, zentralisierte israelische Wasserwirtschaft. Alle nationalen Wasserressourcen wurden in ein flächendeckendes Verteilersystem eingebunden; Landwasserleitungen wurden nach und nach hinzugefügt. Die parlamentarische Verantwortung für Wasser wurde dem Landwirtschaftsministerium übergeben, innerhalb dessen außerdem eine Water Commission etabliert wurde, um die Entscheidungen des Ministeriums umzusetzen.270 Bis 1990 stammte der Kommissionsvorsitzende (water commissioner) aus dem Agrarsektor und auch Water Council und Water Court, die geschaffen wurden, um die Kommission zu kontrollieren, bestehen bis heute zu großen Teilen aus Vertretern der landwirtschaftlichen Lobby. Das Maß der staatlichen Intervention im Wassersektor ist ein 270
Vgl. Fischhendler (i.E.), S. 6.
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Hinweis auf das Primat der politischen Ideologie gegenüber der Wirtschaftlichkeit im israelischen Wasserdiskurs. Allerdings gab es auch deutliche innerisraelische Kritik an dem Projekt National Water Carrier. Während seine Befürworter, auch „Horizontalisten“ genannt, den Agrarsektor und vor allem die Kultivierung von zusätzlichem Siedlungsgebiet propagierten, waren die „Vertikalisten“ überzeugt, die agrarische Erschließung des Negev beruhe auf politischen Entscheidungen, die die technische Realität – zum Beispiel Verdunstungsmengen bei Umleitung in arides Wüstenklima – ignorierten.271 Statt im Agrarsektor liege die langfristige wirtschaftliche Zukunft Israels in der Leichtindustrie, die nur einen Bruchteil des Wasser benötige, das in die Landwirtschaft fließe. Letztlich setzten sich die „Horizontalisten“ mit ihrem prominentesten Vertreter, Landwirtschaftsminister Mosche Dayan, durch und prägten den israelischen Hegemonialdiskurs mit Ihrer Sichtweise. Spätestens mit der Fertigstellung des NWC im Jahr 1964 wurde das Jordanwasser endgültig zum festen Bestandteil der israelischen Wasserplanung.272 Wie Copaken schreibt: „The thread of Israeli perception, in which water was crucial for the fulfillment of national dreams and aspirations, was being fleshed out and brought to life at this time.“273 Man kann den NWC als Vergegenständlichung des israelischen Wasserdiskurses ansehen. Zusätzlich zum Wasser des Jordan sicherten die Grundwasserreservoirs des Küstenaquifers die ganzjährige Wasserversorgung, während der See Genezareth als Sicherheit für regenarme Jahre und die jährlichen Trockenperioden funktionierte. Doch erst mit den Gebietsgewinnen aus dem Sechstagekrieg kontrollierte Israel auch die Zuflüsse des Jordan und den Bergaquifer unterhalb der Westbank und machte sich damit weitgehend unabhängig von den als feindlich angesehenen Oberanrainern. Vor dem Ausbruch des Sechstagekrieges war die israelische Wasserversorgung zwar weitgehend gesichert, doch trotzdem hatten die militärischen Handlungen eine hydrostrategische Dimension. Außer Hasbani und Litani brachte Israel alle wichtigen Zu- und Quellflüsse des Jordan sowie den Bergaquifer unter seine Kontrolle. Inzwischen sind all diese Ressourcen zum integralen Bestandteil der israelischen Wasserversorgung geworden. Beweggründe für die Besetzungsstrategie finden sich im Johnston-Plan und den dort festgeschriebenen Zahlen; 271
Zur Debatte zwischen „Horizontalisten“ und „Vertikalisten“ vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 84f. Die Debatte hält bis heute an; die Vertreter der „Vertikalisten“ waren und sind dabei meist Wasserexperten, also Ingenieure, Hydrologen, Geologen usw. 272 Der NWC ist heute 110km lang, besteht aus Pumpstationen, einer Kanalsektion und einer Pipeline mit knapp drei Metern Durchmesser. Er verbindet mehrere untergeordnete regionale Flügel, insbesondere die Yarkon-Negev-Pipelines im Süden. Vgl. Jossi Schwarz: Management of Israel’s water resources, in: Isaac/Shuval (1994), S. 69-82, hier S. 70. 273 Copaken (1996), S. 40.
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Israel wollte sich seinen „rechtmäßigen“ Anteil am Jordanwasser sichern. Allerdings hatten sich die Gründe für das Wasserbedürfnis des Staates im Vergleich zu den ersten vierzig Jahren des 20. Jahrhunderts doch deutlich gewandelt. So war Israel nun nicht mehr in erster Linie an einer utopischen Vorstellung eines blühenden Palästina gelegen, sondern aufgrund des massiven Bevölkerungswachstums und der ökonomischen Entwicklung des Landes an realen Wirtschaftszielen. Wasser war zum integralen Bestandteil der israelischen Sicherheitspolitik geworden, da es die Zukunft des Landes in einem feindlichen Umfeld sicherte. Allerdings wurden innerisraelische Diskussionen um Fragen der Wasserverteilung immer wieder auch mit ideologischen Argumenten für eine „horizontale“ Wirtschafts- und Wasserpolitik geführt. Durch die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens im Sechstagekrieg verlagerte sich der israelisch-arabische Konflikt, der seit 1948/49 ein interstaatlicher zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten war, auch auf die substaatliche Ebene. Dies brachte eine Verschärfung des Konfliktes mit sich, die bis heute anhält – eng verbunden damit ist die Frage des „gleichberechtigten Gegenübers“, das es in der noch nicht staatlichen palästinensischen Entität zu finden gilt. 4.2.2 Der arabisch-palästinensische Diskurs Der erste Krieg gegen Israel besiegelte die „Niederlage der palästinensischen Nationalbewegung der Mandatszeit“.274 Die arabischen Einwohner Palästinas hatten zum großen Teil ihre Heimat verlassen müssen, wurden aber in den neuen arabischen Gastgeberländern oft nicht integriert. Die Gründe dafür waren vielfältig: Sowohl die wirtschaftliche Situation der Gastgeberstaaten als auch die politische Ablehnung Israels führten dazu, dass auf einer distinkten palästinensischen Identität bestanden wurde. Oft waren es auch die Palästinenser selbst, die ihre Identität pflegten und deshalb auf Rückkehr in ihre Dörfer und Häuser in der Westbank und im Gazastreifen bestanden. Die Erfahrung des Exils, das sowohl als persönliche als auch als nationale Tragödie empfunden wurde, würde für die Kriegsgeneration (arab. jil al-Nakba) alles andere überschatten. Aus ihr entstand eine Kultur, die sich in Liedern und Balladen, Lyrik und Erzählungen manifestierte und drei Motive zum Mittelpunkt hatte: die Erinnerung an das verlorene Paradies, die bittere Klage über die Gegenwart, sowie die Vision einer triumphalen Rückkehr. Diese Motive wurden die Basis der sich neu formierenden palästinensischen Identität.275 Israel wurde zu diesem Zeitpunkt von seinen arabischen 274 275
Baumgarten (1991), S. 28. Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 128f.
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Nachbarstaaten als Provisorium angesehen. Das alte „Palästina“ existierte nicht mehr; über die Hälfte der Palästinenser lebte nun in Flüchtlingslagern und litt unter sozialer und politischer Isolation und wirtschaftlicher Marginalität.276 Auf der politischen Ebene wurde zunächst im Jahr 1948 von Haj Amin alHusseini eine Regierung für ganz Palästina gegründet, die von allen arabischen Staaten außer Jordanien anerkannt wurde – allerdings verlor diese schon wenige Jahre später ihren Einfluss und wurde 1963 praktisch aufgelöst. Im Gazastreifen konnte die ägyptische Muslimbruderschaft nach der Machtübernahme Nassers Fuß fassen; während der israelischen Besetzung des Gazastreifens im Rahmen der Suez-Krise entstanden zudem palästinensische bewaffnete Widerstandsbewegungen. Zur gleichen Zeit entwickelte sich der palästinensische Studentenverein, von 1952-56 unter Führung Yassir Arafats, zur wichtigsten palästinensischen Organisation in Ägypten. 1958 gründete Arafat in Kuwait zudem mit Salah (Abu Iyad) und Faruq al-Qadumi die Fatah. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine wirklich ernsthafte Forderung nach einem autonomen palästinensischen Staat; die Wasserproblematik wurde noch vorwiegend als Konflikt zwischen Israel und der arabischen Bevölkerung insgesamt betrachtet, da die Ressource als Eigentum der „arabischen Nation“ verstanden wurde. Es war die Blütezeit des Panarabismus, der besonders von der BaathPartei in Syrien und Nasser in Ägypten geprägt wurde. Seine Wurzeln liegen im islamischen Revival des späten 19. Jahrhunderts (s.o.), das anderen nationalistischen Bewegungen, etwa in Irland, vergleichbar war und vor allem als Reaktion auf die Aufteilung der arabischen Welt unter Kolonialmächten entstand. Es sollte ein Gefühl der Zugehörigkeit zwischen den einzelnen Kolonien bzw. Staaten entstehen; dabei waren die Hauptfaktoren ein Wiederaufleben der arabischen Sprache, Literatur und Kultur, Feindschaft gegenüber der Hohen Pforte und den europäischen Kolonialmächten sowie ironischerweise eine Wiederbelebung des Islam.277 Die Idee war primär eine linguistische: Zugehörigkeit zu der „arabischen Nation“ definierte sich in erster Linie über die Sprache. Panarabismus bedeutete vor allem die Vision eines einheitlichen, machtvollen arabischen Staates, ein Wiederauferstehen der kulturellen und nationalen arabischen Überlegenheit, wie sie in früheren Jahrhunderten geherrscht hatte. Die politische Grenzziehung der Kolonialmächte wurde als völlig künstlich und zufällig angesehen; die Kolonien entbehrten in den Augen der Panarabisten jeglicher Legitimation und mussten gewissermaßen zwangsläufig durch einen arabischen Staat vom Atlantik bis zum Indischen Ozean ersetzt werden.278 Wer von 276
Vgl. Shneiwer (2001), S. 52. Ironisch, da viele Befürworter eines Wiedererstarkens des Islam die Entwicklung eines arabischen Nationalismus als Gefahr für ihre Bewegung ansahen; trotzdem war das islamische Revival ein Katalysator für die Entwicklung genau dieses Nationalismus. Vgl. Copaken (1996), S. 27. 278 Vgl. Copaken (1996), S. 29, sowie Reinkowski (1995), S. 41f. 277
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nationaler Identität sprach, meinte zu dieser Zeit die gesamte arabische Nation, nicht etwa nur Syrer oder Ägypter.279 Spezifische Nationalismen einzelner arabischer Staaten entwickelten sich erst ab den 1960er Jahren zu vergleichbar einflussreichen Bewegungen; sie implizieren eine gewisse Akzeptanz des Scheiterns der panarabischen Vision. Heute veranschaulichen die Spannungen zwischen verschiedenen arabischen Staaten bezüglich regionaler Wasserressourcen, dass längst nicht mehr panarabische oder -islamische Einstellungen, sondern nationalstaatliche Interessen im Vordergrund stehen. Panarabische Sichtweisen haben lediglich noch einen nostalgischen oder ideologischen Wert, spielen aber in der praktischen Umsetzung von Politik keine bedeutende Rolle mehr; ob sich dies mit dem Erstarken islamistischer Bewegungen wie der Hamas und der Hisbollah wieder ändern wird, wird sich noch zeigen müssen. In den ersten zehn Jahre nach der nakba wurden die Palästinenser vor allem im arabischen „Kalten Krieg“, der insbesondere zwischen Nasser und dem Irak brodelte, instrumentalisiert, auch wenn während dieser Zeit (wenig ernsthaft) erstmals das Ziel einer palästinensischen autonomen Entität (arabisch: kiyan) diskutiert wurde.280 Insbesondere die Besetzung des Gazastreifens durch Israel während der Suez-Krise 1956/57, aber auch innerarabische Entwicklungen wie das Scheitern der Vereinigten Arabischen Republik (Ägypten/Syrien) 1961 und der Sieg der algerischen Revolution 1962 sowie erfolgreiche Befreiungskämpfe in der Dritten Welt, etwa in Kuba und Vietnam281, führten dann zu einer allmählichen Wandlung im palästinensischen politischen Selbstverständnis. Eine Befreiung durch die arabischen Bruderstaaten hatte sich als Illusion herausgestellt, während die Kooperation und Koordination palästinensischer Kräfte gegen die israelische Besatzung in Gaza das palästinensische Selbstbewusstsein stärkte und den Beginn der palästinensischen Selbstorganisation im „Befreiungskrieg“ gegen Israel darstellte.282 Im Jahr 1963 wurde dem Konzept eines palästinensischen Staates dann echtes Leben eingehaucht, und zwar vor dem Hintergrund des bevorstehenden Abschlusses der Arbeiten am israelischen National Water Carrier, durch den Wasser vom See Genezareth in die Negev-Wüste geleitet werden sollte.283 Im Januar 1964 beschloss die erste arabische Gipfelkonferenz, die aus Anlass des israeli279
Die Unterscheidung zwischen arabischer und staatlicher nationaler Identität schlägt sich auch in der arabischen Sprache nieder. Dort existieren zwei Worte für Nationalismus: qawmiyyah steht für pan-arabischen Nationalismus, während wataniyyah sich auf die Ebene der Staaten bezieht. Vgl. Copaken (1996), S. 29. 280 Vgl. Shneiwer (2001), S. 60. 281 Vgl. Ibrahim (1973), S. 526. 282 Vgl. Shneiwer (2001), S. 64. 283 Vgl. Baumgarten (1991), S. 160, und Ibrahim (1973), S. 526.
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schen Wasserprojektes zusammengekommen war, neben einem arabischen Wasserumleitungsplan (Arab Diversion Plan) auch die Gründung einer palästinensischen Entität. Die Politik der arabischen Länder war zu diesem Zeitpunkt von zunehmendem Regionalismus geprägt; die Palästinafrage wurde immer weniger als gesamtarabisches denn als spezifisch palästinensisches Problem angesehen. Der Beschluss der Gipfelkonferenz führte zu einer weiteren Fragmentierung der arabischen Nation, doch gleichzeitig erzeugte die gemeinsame harte Erfahrung des Exils einen politischen Zusammenhalt in der palästinensischen Gesellschaft, den es in den vorangegangenen 50 Jahren nur selten (bzw. gar nicht) gegeben hatte. Der Arab Diversion Plan wurde maßgeblich von Syrien initiiert; als Anrainer des Jordanbeckens, der sich schon sehr früh als im Norden und im Süden von internationalen Wasserressourcen abhängig verstand (Euphrat-Tigris-Becken im Norden, Jordan im Süden), hatte bereits Ende 1963 – erfolglos – Beschwerde beim UN-Sicherheitsrat eingereicht, um die Fertigstellung des israelischen National Water Carriers zu verhindern. Schon 1959 hatte die Arabische Liga auf einem Gipfeltreffen Gegenmaßnahmen zur Jordan-Negev-Leitung diskutiert und drei mögliche Reaktionen debattiert: 1. militärische Aktionen, 2. Maßnahmen durch die UN unter syrischer Führung und 3. die Ableitung des Quellwassers des Jordan. Die dritte Option wurde mehrheitlich bevorzugt und das Technische Komitee der Arabischen Liga wurde mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Plans beauftragt, der im November 1960 vorlag und zwei Monate später vom Politischen Komitee gutgeheißen wurde. Der Arab Diversion Plan sah die Ableitung von 250 Millionen Kubikmeter Wasser vor, was einer Reduzierung des Wasservolumens im Oberen Jordan um 35 Prozent gleichkam.284 Zukünftig geplante israelische Entwicklungsprojekte im Negev wären durch diesen Wasserverlust unmöglich gemacht worden. Die Motive der arabischen Staaten, Israel durch Wasserentzug in seiner wirtschaftlichen Entwicklung zu behindern, sind wohl vor allem regionalpolitischen Ambitionen der arabischen Herrscher geschuldet. Vallianatos-Grapengeter schreibt:285 „Die bevorstehende Vollendung der transnationalen Wasserleitung, welche auch eine gewisse Symbolik für Israels wirtschaftlichen Fortschritt und Stärke darstellte, war eher der Katalysator für eine dringend erforderliche Demonstration von Panarabismus als ein wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch begründeter Gegenzug der Araber gegen eine vermeintliche israelische Aggression.“
284 285
Vgl. Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 87. Ebd., S. 88.
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Zwar waren ökonomische Aspekte nicht völlig zu vernachlässigen, doch in erster Linie war es wohl die machtpolitische Konstellation im arabischen Lager, die die Entscheidung für den Arab Diversion Plan bedingte. Die Konkurrenz zwischen den revolutionären Regimes in Ägypten, Syrien, Algerien, dem Irak und der Jemenitischen Republik und den konservativen Monarchien und moderaten Präsidialadministrationen in Marokko, Tunesien, Jordanien und Saudi-Arabien spielte dabei die zentrale Rolle.286 Insbesondere der Konflikt zwischen Nassers Regierung und der Baath-Partei in Syrien heizte die innerarabischen Diskussionen immer wieder an und brachte die Palästina-Frage an die vorderste Front der Auseinandersetzungen.287 Nasser ging schließlich als Sieger aus diesem Konflikt hervor und setzte sich an die Spitze einer panarabischen Kampagne gegen Israel. Den anderen arabischen Potentaten blieb keine Wahl, als Nassers Friedensangebot – zu seinen Bedingungen – anzunehmen. Weder konnten sich einzelne Regierungen einem Aufruf zu anti-israelischer Politik entziehen, noch konnten sie es sich leisten, weiter Hetzpropaganda von Seiten Nassers zu provozieren. Und nicht zuletzt sollte Syrien daran gehindert werden, im Alleingang gegen Jerusalem vorzugehen, denn dies hätte für Jordanien und den Libanon mit Sicherheit ebenfalls israelische Vergeltung bedeutet. So blieb als einziger Weg Nassers „Versöhnungspolitik“. Im Januar 1964 beschlossen deshalb elf arabische Staaten auf einem von Nasser einberufenen Gipfeltreffen in Kairo den Diversion Plan, der die Umleitung derjenigen Zuflüsse des Jordan zum Ziel hatte, die auf arabischem Territorium entsprangen: Hasbani und Banias. So sollte das in ihnen geführte Wasser dem israelischen Zugriff entzogen werden. Der Bau der entsprechenden Kanäle begann im Februar 1964, durchgeführt von syrischen und libanesischen Konstruktionsteams; sie kamen allerdings nicht sehr weit, da wiederholte militärische Angriffe Israels die Arbeiten verhinderten. Am 14. Juli 1966 griff die israelische Luftwaffe nach einigen Scharmützeln ein letztes Mal das Baufeld an und beendete so endgültig alle Versuche von arabischer Seite, den Umleitungsplan umzusetzen.288 Die arabische Sichtweise auf den NWC, die in weiten Teilen auch die palästinensische war, wird illustriert durch Äußerungen in arabischen Medien, etwa im Damaskus Radio. Dort wird deutlich, dass Syrien das israelische Wasserprojekt als eine Herausforderung und Gefährdung aller arabischen Zivilisationen ansah und dass die Ressource Wasser versicherheitlicht wurde:
286
Vgl. Lowi (1995), S. 115-132 sowie Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 89. Vgl. dazu z.B. Malcolm H. Kerr: The Arab Cold War. Gamal ’Abd al-Nasir and his Rivals 19581970, New York: Oxford University Press 1971. 288 Vgl. dazu z.B. Copaken (1996), S. 39. 287
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4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel „The leaders of the Zionist movement attach great importance to the outcome of the plan [Negev development plan, Anm. d. Verf.], with regard to agriculture. They seek to change the nature of the Zionist individual, who has been traditionally known throughout history as a person who does not work in agriculture but who has always lived from working in trade, finance, and other free enterprise. In their quest to bring about a generation of farmers in Israel, the leaders of the Zionist movement are trying to create a people with roots who are tied to the land. They realize that without such people no state can survive or continue to exist... The new danger we face today is a new challenge to the Arab nation, which is different in nature from the challenge of 1948. It is a challenge to the civilization of our nation and people. It is an attempt to humiliate the masses of our people through the utilization of scientific progress, for imperialist, aggressive purposes. Therefore, we consider this challenge more serious with more far-reaching aims than the challenge of Israel’s establishment.“289
Miriam Lowi zitiert ebenfalls Äußerungen arabischer Führer zu diesem Thema. Dort heißt es, der NWC sei ein Projekt, dass „no less dangerous than the establishment of Israel in 1948“ sei, „[a] threat to the very existence of the Arabs as a nation.“290 Beide Seiten nahmen die Ressource Wasser bzw. die jeweiligen Entwicklungsprojekte NWC und Arab Diversion Plan als Beweis für die feindlichen Absichten des jeweils Anderen wahr und legitimierten durch die Versicherheitlichung der Ressource auch militärische Vorgehensweisen. Die Statements verdeutlichen die Verbindung des Wasser- mit dem Sicherheitsdiskurs der Zeit. Die Fatah entwickelte sich derweil zur alleinigen Repräsentantin der palästinensischen Bevölkerung. Ihre Führung vermied es bewusst, ein Programm mit ideologischer Fundierung zu formulieren, um eine möglichst breite Unterstützung zu erreichen. In der Fatah-Zeitung Filastinuna hieß es im Januar 1960: „ ...Unite your ranks [sons of Palestine] so that you may disclose your identity, for as long as you have no entity, your cause will remain where it is and not advance a hairsbreadth.“291 Die Fatah nutzte die Ressource Wasser für politische Zwecke, indem sie die israelischen Wassereinrichtungen angriff: Die Mehrzahl ihrer Attacken richtete sich gegen israelische Wasserinfrastruktur.292 VallianatosGrapengeter schreibt: 293
289
Damaskus Radio, 3. Februar 1964. Gefunden von Copaken (1996), S. 59. Lowi (1995), S. 133, zitiert aus BBC, Nr. 1470, 4. Februar 1964, S. A/3 und Nr. 1456, 17. Januar 1964, S. A/1. 291 Issa Al-Shuaibi zitiert diese Passage aus Filastinuna - nida’ al-Hayat (Unser Palästina – Der Ruf zum Leben), Nr. 4, Jan. 1960, in seinem Artikel The Development of the Palestinian EntityConsciousness (Part I), in: JPS 1 (Fall) 1979, 67-84, hier S. 81. 292 Vgl. Claudia Schmid: Der Israel-Palästina-Konflikt und die Bedeutung des Vorderen Orients als sicherheitspolitische Region nach dem Ost-West-Konflikt. Baden-Baden: Nomos, 1993, S. 106. 293 Vallianatos-Grapengeter (1996), S. 98. 290
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„Dabei dienten die israelischen Wassereinrichtungen nicht nur als politisch effektive Ziele für Sabotageakte, die Wasserfrage wurde auch zur Wiederherstellung und Festigung der palästinensischen Identität instrumentalisiert. Schließlich symbolisierte die transnationale Wasserleitung mit der durch sie ermöglichten Besiedlung des Negevs in gewisser Weise einen nachträglichen Triumph der zionistischen Landnahme.“
Im Jahre 1964 wurde außerdem die PLO gegründet, die von der Fatah zunächst aufgrund ihrer Abhängigkeit von Nasser und den arabischen Staaten abgelehnt wurde. Bis zum Sechstagekrieg von 1967 war die PLO nur diplomatisch aktiv und finanziell und politisch von den arabischen Staaten der Region abhängig. Trotzdem spielte sie eine wichtige Rolle für die Bildung einer palästinensischen Identität und damit auch für den sich entwickelnden nationalen Territorial- und Wasserdiskurs, da sie sich durch ihre Rivalität mit der Fatah unter unmittelbarem Handlungszwang befand. Vom 5. bis zum 10. Juni 1967 entbrannte der Sechstagekrieg; 200.000 Palästinenser flohen in seiner Folge, doch es fand anders als 1948 keine weitere Fragmentierung der palästinensischen Gesellschaft statt. Stattdessen kann man sagen, dass die Verbindung zwischen den Palästinensern im Gazastreifen, der Westbank und Israel durch die israelische Besatzung der vorher jordanisch und ägyptisch kontrollierten Gebiete wiederhergestellt wurde. Im Wochenjournal Der Spiegel schrieb der palästinensisch-stämmige, ehemalige jordanische Außenminister Tukan dazu: „Der Junikrieg brachte für uns [die Palästinenser] einen wesentlichen Impuls. Die palästinensische Persönlichkeit entstand nach dem Krieg“.294 Zudem führte die arabische Niederlage zum Niedergang Nassers und der panarabischen Idee und infolgedessen zu einer Stärkung der nationalen palästinensischen politischen Organisationen. Der sogenannte 1. Kongress des Widerstandes (17. bis 20. Januar 1968), auf dem sich alle palästinensischen Widerstandsorganisationen zusammenfanden, illustriert dies. Auch in der PLO kam es zu einem Machtwechsel; 1969 verabschiedete der palästinensische Nationalkongress eine neue Charta und wählte Jassir Arafat zum PLO-Vorsitzenden. Die PLO entwickelte sich bald zum wichtigsten Werkzeug eines spezifisch palästinensischen Nationalismus. Spätestens seit dem Sechstagekrieg hatte der Weg des Panarabismus zur Befreiung der palästinensischen Bevölkerung ausgedient; stattdessen entwickelte sich der palästinensische Nationalismus weiter.295 294
Der Spiegel, Nr. 8, 1970, S. 92. Die Entwicklung der palästinensischen Identität steht in engem Zusammenhang mit der im israelischen Diskurs bis heute immer wieder geäußerten Sichtweise, ein palästinensisches Volk habe es nie gegeben. Entsprechende Äußerungen finden sich etwa bei Golda Meir, der ehemaligen Ministerpräsidentin Israels: „So etwas wie Palästinenser hat es nie gegeben. Wann gab es ein unabhängiges palästinensisches Volk mit einem palästinensischen Staat? (...) Es war nicht so, als wäre in Palästina ein palästinensisches Volk vorhanden gewesen, das sich als solches betrachtet hätte, und wir sind 295
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4.3 Von 1967 bis 1989 - Zeit des politischen Umbruchs 1968 1969 1970 1973 1974 1975 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1985 1987 1988
Chronologie der Ereignisse PLO beschließt Palästina-Charta Eintritt der Fatah in die PLO, Arafat wird Vorsitzender des Exekutivkomitees „Schwarzer September“. UN erklärt die „unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes“ Jom-Kippur-Krieg (ab 6. Oktober), Waffenstillstand am 11. November. UN-Resolution 338 1. Sinai-Vertrag, PLO erhält Beobachterstatus bei den UN 2. Sinai-Vertrag Sadat in Jerusalem Israelische Invasion in den Libanon. Camp-David-Abkommen mit Ägypten (17. September), Friedensnobelpreis für Sadat und Begin israelisch-ägyptisches Friedensabkommen in Washington unterzeichnet (26. März) EG erkennt Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser an. Knesset verabschiedet Jerusalem-Gesetz Sadat von Islamisten ermordet Israelischer Rückzug aus dem Sinai, erneute Invasion in den Libanon („Frieden für Galiläa“). Sabra und Shatila-Massaker, PLO-Führung zieht nach Tunis um Israelische Räumung des Libanon bis auf Sicherheitszone im Süden. Im Oktober israelischer Angriff auf Hauptquartier der PLO in Tunis Beginn der ersten Intifada in den besetzten Gebieten (8. Dezember) Ausrufung des Staates Palästina durch palästinensischen Nationalrat in Algier. Dabei Anerkennung der UN-Resolutionen 242 und 338 durch die PLO, deren Ziel eine Zweistaatenlösung ist
Nach den sechstägigen Kämpfen im Juni 1967 hatte sich die geopolitische Landkarte des Nahen Ostens dramatisch verändert. Auch in Bezug auf Wasser hatte Israel deutliche Gewinne erzielt. Diese Gewinne bedeuteten mehr oder weniger große Verluste für die übrigen Anrainer des Jordanbeckens, denn da an ein gemeinsames Wassermanagement nicht zu denken war, entstand ein Nullsummengekommen, hätten sie hinausgeworfen und ihnen ihr Land weggenommen. Sie existierten nicht.“ Interview von Frank Giles mit Golda Meir, in „The Sunday Times“ (London) vom 15. Juni 1969, zitiert nach Kimmerling/Migdal (1994), S. xvi. In einer Rede am 14. März 1973 sagte sie, „bis zum Jahre 1967 haben wir nie von den Palästinensern gehört“, zitiert in Ibrahim (1973), S. 517. Dort wird diese Sichtweise als Negation der Existenz des palästinensischen Volkes bzw. seines Rechts auf Selbstbestimmung angesehen, gegen die gekämpft werden müsse.
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spiel. Jordanien verlor zum Beispiel mit der Westbank ein Viertel seiner landwirtschaftlichen Flächen und fast 60 Prozent seiner landwirtschaftlichen Wertschöpfung.296 Der Libanon und Syrien waren als Anrainer weitgehend aus dem Jordanbecken verdrängt worden. Insgesamt veränderten sich die Wasserdiskurse und damit der Wasserkonflikt deutlich. Der Großteil der arabischen Anrainer konnte aufgrund ihrer massiven Verluste nicht länger primär an einer Einschränkung des israelischen Wachstums durch Wasserentzug interessiert sein, sondern musste sich zwangsläufig auf eher technische Ziele konzentrieren. Erste Priorität hatte nun die eigene Versorgung mit ausreichenden Wassermengen; um diese zu sichern, war es notwendig, eine pragmatische, in gewisser Weise technokratische Sichtweise auf die Ressource Wasser zu entwickeln. Es begann eine gewisse „Entmythologisierung“ und „Entpolitisierung“ der Wasserressourcen schlicht aufgrund der politischen Fakten, die der Sechstagekrieg geschaffen hatte. Insgesamt konzentrierte sich vor allem Israel in den kommenden Jahren deutlich stärker auf innenpolitische Entwicklungen. 4.3.1 Der israelische Diskurs Der Junikrieg von 1967 brachte für Israel einen Wendepunkt in Bezug auf landwirtschaftliche Entwicklung und Wassernutzung. Der NWC war fertiggestellt worden, so dass die bis dato geltende Dominanz der Idee, Wasser vom Norden in den Süden zu leiten, nachließ. Das galt ebenso für die damit verbundene Politik, die drei Ziele verfolgt hatte: landwirtschaftliche Entwicklung, Verteilung der Bevölkerung und Entwicklung der trockenen Gebiete des Landes. In dieser ersten Phase war die israelische Wasserplanung weitgehend von ökonomischen Überlegungen unabhängig gewesen; die Entwicklung des Landes hatte oberste Priorität gehabt und Wasser diente nun einmal ihrer Umsetzung.297 Zwischen 1950 und 1970 stieg dementsprechend die Wassernutzung von 17 auf 95 Prozent des gesamten Ressourcenpotenzials, die landwirtschaftlichen Gebiete versechsfachten sich in ihrer Größe, die Bevölkerung verdreifachte sich und der Wasserkonsum in allen Sektoren zusammen stieg auf das Sechsfache. Die Landwirtschaft war mit 70 bis 80 Prozent der größte Konsument.298
296 Vgl. Peter Gubser: Jordan: Crossroads of Middle Eastern Events, Boulder, Colorado: Westview Press, 1983, S. 12. 297 Vgl. Lowi (1995), S. 150. 298 Vgl. z.B. Aaron Wiener: The Development of Israel’s Water Resources, in: American Scientist, Bd. 60, Nr. 4, Juli-August 1972, S. 470, sowie Israeli Ministry of Agriculture: Water in Israel: Consumption and Extraction 1962-1979/80, Tel-Aviv 1981, S. 14 und 105.
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Doch langfristig musste Israel sein Wassermanagement umstellen, um die Zerstörung der Wasserressourcen durch Übernutzung und Verschmutzung zu verhindern. Zwar gewann Israel mit den Quellflüssen des Jordan und dem Bergaquifer unter der Westbank wichtige neue Ressourcen hinzu, doch trotzdem waren die Grenzen der Belastbarkeit bald erreicht. In den 1970er Jahren hatte Israel wohl erstmals mit akuter Wasserknappheit zu kämpfen. Jerusalem begann deshalb mit der Umsetzung einer Serie technischer Projekte wie der Abwasserwiederverwertung, des „Melkens“ von Wolken, der Zurückleitung von Wasser in die Grundwasserleiter, um ihre Versalzung zu verhindern, sowie kleinerer Entsalzungsprojekte für den industriellen Sektor. Man betrieb also klassisches supply management. Auch Maßnahmen wie die Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft wurden entwickelt und flächendeckend eingeführt. So konnte Israel zwar die Nachhaltigkeit und Effektivität des nationalen Wassermanagements steigern, doch Jerusalem verpasste die Gelegenheit, die ideologische Aufladung der Ressource Wasser zu verändern oder gar zu beenden. Auf politischer Ebene waren die 1970er Jahre geprägt vom Jom-KippurKrieg (1973) mit seinen sehr hohen personellen Verlusten299; der Wasserdiskurs bzw. Entwicklungsmaßnahmen in Bezug auf Wasser, die im vorangegangenen Jahrzehnt einen so prominenten Platz eingenommen hatten, traten hinter „harte“ sicherheitspolitische Fragen zurück. Allgemein wird dieser vierte israelischarabische Krieg als endgültiger Übergang von einem israelisch-arabischen zu einem israelisch-palästinensischen Konflikt angesehen. Ein weiterer die Situation komplizierender Faktor trat mit dem Allon-Plan von 1968 in die israelisch-palästinensischen Beziehungen ein. Yigal Allon, ehemaliger General der israelischen Armee und Minister mit verschiedenen Portfolios in der Regierung der Arbeiterpartei, hatte darin die Rückgabe von zwei Dritteln der Westbank an Jordanien gefordert. Ein Sicherheitsstreifen entlang des Jordan sowie einige für israelische Siedler attraktive Gebiete hätten demnach in israelischem Besitz verbleiben sollen. Zwar wurde der Plan nie umgesetzt, doch er legitimierte implizit die Besiedelung der dort beschriebenen Gebiete in der Westbank – der Grundstein für die systematische Besiedelung des biblischen Judäa und Samaria durch Juden war gelegt. Organisationen wie die Land of Israel-Bewegung und Gush Emunim (Block der Getreuen, gegründet 1973) propagierten dies; bis 1977 siedelten 11.000 Juden in die Westbank um. Unter der neuen Likud-Regierung folgten bis Ende der 80er Jahre weitere 100.000 Israelis ihrem Vorbild. Der erstmalige Wahlsieg der konservativen Parteien 1977 mit Menachem Begin an ihrer Spitze steht insgesamt für eine Veränderung des in299 In den nur 18 Tage anhaltenden Kampfhandlungen starben 2.552 Israelis, über 3.000 wurden verletzt. Vgl. Copaken (1996), S. 45.
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nergesellschaftlichen Diskurses, die sicherlich auch auf den Verlauf des JomKippur-Krieges zurückzuführen ist. Auch der israelische Einmarsch in den südlichen Libanon in den 1980er Jahren und die Kampagne „Frieden für Galiläa“, die sich gegen dort ansässige palästinensische bewaffnete Gruppen richtete, prägten den politischen Diskurs dieser Zeit. Die Besetzungen des Libanon durch Israel sind ebenfalls eng mit einem Aspekt des Wasserdiskurses in der Region verbunden. Immer wieder wurde und wird Israel der Vorwurf gemacht, den südlibanesischen Litani für eigene Zwecke nutzen und umleiten zu wollen – schließlich hatten zionistische Vertreter bereits in ihrem Grenzentwurf von 1919 die Einbeziehung des Litani in die israelische Wasserentwicklung gefordert. Die israelische Argumentation sieht die militärischen Besetzungen des Libanon als direktes Resultat von Attacken anti-israelischer Gruppen, etwa der Hisbollah. Der Litani sei nie unter israelischer Kontrolle gewesen und es habe keine hydrostrategischen Beweggründe für die wiederholten Besetzungen des Südlibanon gegeben. Der arabische Standpunkt geht jedoch davon aus, dass Israel Wasser aus dem Litani abgeleitet habe. Copaken zitiert dazu zwei Quellen: „It is widely believed that Israel has diverted water from the Litani river ... through a tunnel, thereby delivering Israel an additional 500 MCM annually. This development has, of course, reduced the amount of water available to Lebanese farmers“, sowie: „In fact, owing to serious shortages, Israel is presently conducting a large scale operation of trucking water to Israel from the Litani River.“300 Solche Vorwürfe wurden auch im Sommer 2006 wieder laut, als Israel in den Südlibanon vorrückte.301 Die Wahrheit ist dabei inmitten all dieser verschiedenen Auslegungen und politischer und ideologischer Interpretationen schwer zu ermitteln; die Datenlage ist ausgesprochen undurchsichtig bzw. es handelt sich um Informationen, die als vertraulich und geheim eingestuft werden. Es bleibt festzuhalten, dass die Ressource Wasser zumindest von arabischer Seite weiterhin als Teil des israelischarabischen Konflikts angesehen wurde. Dabei standen nicht Umwelt- oder Qualitätsaspekte, sondern die arabisch-israelischen Feindseligkeiten im Vordergrund; Wasser wurde vor allem als Teil des umstrittenen Territoriums angesehen. Die erwähnten unterschiedlichen Wahrnehmungen des Wasserkonfliktes setzten sich also weiter fort; Lowi erklärt sie mit der Machtasymmetrie, die im Nahen Osten herrscht. So habe Israel als militärisch, wirtschaftlich, technologisch und politisch überlegener Staat keinen Grund, die Ressource Wasser als Konfliktgrund 300 Vgl. Copaken (1996), S. 46. Das erste Zitat stammt von Musallam Ramzy: Water: The Middle East Problem of the 1990s, in: Gulf Report, 1989, das zweite aus der Aussage von Prof. Dr. Thomas Naff vor dem Komitee für Europa und den Nahen Osten des Repräsentantenhauses der USA am 20. Juni 1990. MCM bedeutet Millionen Kubikmeter. 301 Zum Teil bezogen sich solche Vorwürfe nicht nur auf den Litani, sondern auch auf den Hasbani sowie die al-Wazzani-Quellen im Libanon.
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wahrzunehmen. Ganz anders sehe die Situation jedoch für schwächere Staaten aus, für die es ungleich schwieriger bzw. völlig unmöglich sei, die eigenen Bedürfnisse in Bezug auf die Wasserversorgung zu erfüllen und die deshalb unter enormem Druck stünden.302 Die Palästinenser seien das schwächste Glied in Nahost, da sie abhängig von externer Unterstützung und ohne eigenen Staat aufgrund der staatszentrierten Politik in der Region nicht in der Lage sind, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. 1979 wurde der erste Friedensvertrag der Region zwischen Israel und Ägypten unterzeichnet.303 Zusammen mit der vorangegangenen Rückeroberung aller ägyptischen Gebiete, die seit 1967 unter israelischer Kontrolle standen, wurde der Vertrag zum Präzedenzfall: Einerseits müsse von nun an, so die stillschweigende Übereinkunft, jeder Staat, der mit Israel Frieden schließen wolle, Israel anerkennen. Andererseits müsse Israel sich im Gegenzug aus allen entsprechenden besetzten Gebieten zurückziehen. Der palästinensische Fall stellt eine bedeutende Ausnahme von dieser „Regel“ dar; deshalb ist es im Übrigen auch nicht verwunderlich, dass im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern (und auch im israelisch-syrischen Konflikt) die Wasserfrage bis heute eine Rolle spielt. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Grundwasserressourcen des sogenannten Bergaquifers unterhalb der Westbank. Ihre Rolle lässt sich bereits an der Entwicklung der israelischen Wasserversorgungs und -nutzungspraktiken bzw. ihrer Darstellung im israelischen Wasserdiskursstrang seit 1967 ablesen. Hier wird die Bedeutung von „richtigem“ Wissen offenbar. Laut Miriam Lowi hatten Israel vor dem Sechs-Tage-Krieg pro Jahr etwa 1,6 Milliarden Kubikmeter Wasser zur Verfügung gestanden – diese Zahl bezieht sich auf die erneuerbare, also nachhaltige Wassermenge. 60 Prozent dieses Wassers stammte aus Grundwasserleitern. Mitte der 1980er Jahre dagegen verwendete Israel jährlich 1,9 MKM Wasser, von denen etwa 1,2 Milliarden aus Aquiferen stammte – also drei Fünftel des gesamten erneuerbaren Wasservorrats Israels.304 Interessant ist dieser Anstieg, weil der Staat Israel zu großen Teilen von Grundwasserressourcen abhängt, die nicht in seinem international anerkannten Territorium liegen. Von den drei Hauptaquiferen befindet sich nur einer, nämlich der Küstenaquifer, vollständig innerhalb der Grenzen von 1949 („Grüne Linie“). Dies ist der zweitgrößte Grundwasserleiter. Die anderen beiden entspringen in den besetzten Gebieten. Der größte, der Yarkon-Tanninim-Aquifer (westlicher oder Bergaquifer), zieht sich von Norden nach Süden entlang der westlichen Ausläufer der Westbank; die in ihm geführten Grundwassermengen fließen natürlicherweise nach Westen, über die Grüne Linie in das Küstenplateau. Eine 302
Vgl. Lowi (1995), S. 169f. Vgl. dazu Barak (2005), S. 721. 304 Vgl. Lowi (1995), S. 183. 303
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kleine Aquifergruppe im Norden der Westbank fließt ebenfalls teilweise über die Grüne Linie und dann in Richtung Bet She’an und Jezreel-Tal. Sowohl der nördliche als auch der westliche Grundwasserleiter können von beiden Seiten der Grenze angezapft werden; doch nur fünf Prozent der von ihnen abgedeckten Fläche befindet sich in den international anerkannten Grenzen Israels. Neben diesen drei Grundwasserleitern, die aus dem israelischen mainland heraus erreichbar sind, existiert eine weitere Gruppe von Aquiferen, gleichzeitig die kleinste, in bzw. unter der östlichen Westbank. Die in ihnen geführten Wassermengen passieren nirgendwo die Waffenstillstandslinie von 1949, können als nicht von außerhalb der besetzten Gebiete angezapft werden. Sie fließen nach Osten in das Jordantal. „(...) approximately 40 percent of the groundwater upon which the State of Israel is dependent and one-quarter of its sustainable annual water yield originate in occupied territory. These facts highlight the perceived importance of the West Bank for the security and development concerns of Israel. They suggest, as well, why West Bank water has been a source of conflict between the Arabs and the Israelis since 1967.“305
Infolge der Abhängigkeit Israels von Wasserressourcen außerhalb seiner international anerkannten Grenzen lag es ganz im Interesse Jerusalems, die Wasserressourcen in den besetzten Gebieten schnell zu verstaatlichen, um die prekär gewordene Wasserversorgung des israelischen mainlands gewährleisten zu können – der von der Knappheitswahrnehmung geprägte israelische Wasserdiskurs vergegenständlichte sich in der Verstaatlichung der Wasserressourcen der Westbank und des Gazastreifens per militärischer Verordnung kurz nach dem Sechstagekrieg. Israel erzeugte damit eine völlig neue Rechtssituation in den besetzten Gebieten. Dort hatten bis dato entweder gewohnheitsrechtliche Regelungen (Gaza) oder jordanisches Recht (Westbank), das auf den rechtlichen Regelungen der osmanischen Tanzimat und Mejelle aufbaute, die Wasserverteilung geregelt. In der Westbank hatte Wasser (bzw. Brunnen) als Privateigentum gegolten, während es nun von Israel zum öffentlichen Gut erklärt wurde, das staatlicher Kontrolle unterlag. Diese neue Rechtswirklichkeit hatte massive Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung, denn alle Entwicklungsmaßnahmen in Bezug auf Wasser waren nun von der Zustimmung der israelischen Militäradministration der besetzten Gebiete abhängig. Ines Dombrowsky schreibt dazu: „(...) Das Betreiben jeglicher Wasserinstallationen wie Brunnen oder Bewässerungsanalagen sowie der Anbau bestimmter Kulturen wie Obstbäume (seit 1982) und 305
Ebd., S. 185.
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4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel Gemüse wird von behördlicher Genehmigung abhängig gemacht (...). Pumpquoten werden festgelegt und überwacht und Überschreitungen bestraft. Verlassene palästinensische Brunnen werden enteignet. Das Betreiben von Bewässerungsanlagen nach 16 Uhr wird verboten, obwohl dies die günstigste Bewässerungszeit wäre.“306
4.3.2 Der palästinensische Diskurs Die israelische Kontrolle über die im Sechstagekrieg gewonnenen Wasserressourcen hat negative Auswirkungen für die Palästinenser: In den besetzten Gebieten verfolgt Israel eine doppelte Wasserpolitik, die die eigene wirtschaftliche Entwicklung begünstigt, die sozio-ökonomische Entwicklung der Palästinenser jedoch einschränkt. Die Höhe der Wasserzuteilungen variiert abhängig von der jeweiligen Nationalität. Zudem sind die Wasserressourcen, auf die das palästinensische Volk nach Meinung der Palästinensischen Autonomiebehörde Anspruch hätte, entweder physisch aufgrund politischer Grenzen nicht erreichbar, oder sie werden bereits massiv übernutzt. So fließt ein großer Teil des Wassers der Westbank unterirdisch über die Grüne Linie, also aus dem palästinensischen Territorium heraus, und bewegt sich in Richtung Israel. Das bedeutet, dass sich dieses Wasser, wenn es schließlich an die Erdoberfläche kommt, außerhalb der Reichweite der Palästinenser befindet, auch wenn der größte Teil des Regens, der den Aquifer regelmäßig auffüllt, über den Bergen der Westbank, also auf palästinensischem Gebiet, fällt.307 Seit dem Krieg von 1967 wird zudem die Vergabe von Bohrlizenzen für Brunnen und Nutzungslizenzen für schon existierende Quellen von der israelischen Zivilverwaltung (die eigentlich eine Militärregierung ist) kontrolliert und setzt außerdem die Zustimmung von TAHAL und Mekorot voraus. Diese Lizenzen werden nach strengen Regeln vergeben und können ohne Begründung und ohne Chance auf Revision auch wieder entzogen werden. Arabische Brunnen wurden in den besetzten Gebieten seit Einführung der Lizenzierung nur sehr limitiert bewilligt (bis Mitte der 1990er Jahre lediglich fünf) und noch dazu ausdrücklich nicht für die landwirtschaftliche Nutzung freigegeben. Auch die Wiederinstandsetzung von bereits bestehenden Quellen und Brunnen, die sich in der Nähe israelischer Quellen befinden, ist verboten; die Nutzung aller anderen
306 Ines Dombrowsky: Wasserprobleme im Jordanbecken. Perspektiven einer gerechten und nachhaltigen Nutzung internationaler Ressourcen. (Beiträge zur Kommunalen und Regionalen Planung), Frankfurt/Main et al.: Peter Lang, 1995, S. 59. 307 Der „Grenzzaun“ (oder auch apartheid wall, je nachdem wer über ihn spricht), der von Israel gebaut wird und sich derzeit in der Fertigstellung befindet, ist eine Manifestation dieser physischen Unerreichbarkeit.
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Brunnen wird durch Metermaße reguliert. Ihren ersten Tiefbrunnen308 durften die Palästinenser erst in den 1990er Jahren in der Nähe von Nablus bohren. Die israelischen Siedler dagegen dürfen weitgehend ohne Einschränkung Brunnen jeder Art anlegen, was dazu führt, dass die meist flacheren palästinensischen Brunnen aufgrund des abfallenden Grundwasserpegels immer wieder austrocknen. Zwischen 1967 und 1989 sind für israelische Siedler zum Beispiel 36 neue Brunnen gebohrt worden.309 Die israelische Verwaltung der besetzten Gebiete trägt insgesamt also nicht dazu bei, die Wassersituation für die Palästinenser erträglicher zu machen. Bis zum Sechstagekrieg war der Agrarsektor der wichtigste Wirtschaftssektor Palästinas gewesen.310 Vor und auch nach 1967 wurde in der Westbank vor allem Regenfeldbau311 betrieben; bis zur Mitte der 1960er Jahre hingen die wenigen Flächen, die künstlich bewässert wurden, von Quellwasser ab; dafür wurden immerhin 38 MKM Wasser verwendet. Doch als die Ressourcen der Westbank nach dem Krieg mehr und mehr in das israelische Wasserversorgungssystem integriert wurden, lag es im Interesse Jerusalems, Übernutzung und daraus resultierende Versalzung der natürlichen Ressourcen zu verhindern; ein probates Mittel schien dabei die Einschränkung ökonomischer Aktivitäten der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu sein. Das Resultat war eine deutliche Verkleinerung des palästinensischen Agrarsektors: Bis 1966 hatten die Palästinenser 36 Prozent der Westbank kultiviert, 1981 waren es noch 29 Prozent. Anfang der 1970er Jahre hatte der palästinensische Agrarsektor noch 34,5 Prozent des BSP ausgemacht; zehn Jahre später waren es nur noch 23 Prozent. Helga Baumgarten schreibt dazu: „Weniger als 20 Prozent des Wasserpotenzials darf von Palästinensern verbraucht werden, über 80 Prozent gehen nach Israel oder werden von israelischen Siedlern benutzt. Der palästinensische Wasserverbrauch wird von Israel seit Jahren konstant gehalten, während der israelische allein in den achtziger Jahren um über 100 Prozent wuchs.“312
Zudem wurde der israelische Markt für palästinensische Agrarprodukte geschlossen; häufige Ausgangssperren, Abriegelungen und Schließungen von 308 „Die israelische Wasserbaugesellschaft Mekorot ist aufgrund ihres technischen Know-hows in der Lage, auch Brunnen in Tiefen von 200 bis 750 m anzulegen. Dieses Wasser ist sicherer gegenüber Kontamination und unanfälliger gegenüber Trockenheit.“ Dombrowsky (1995), S. 59. Allerdings sorgen diese israelischen Tiefbrunnen immer wieder dafür, dass palästinensische, flachere Brunnen austrocknen oder zumindest die Wasserqualität sinkt. 309 Vgl. Dombrowsky (1995), S. 59, sowie Lowi (1995), S. 188. Zum Problem der Siedler s.u. 310 Vgl. Shneiwer (2001), S. 93. 311 Der Anbau von Pflanzen ohne zusätzliche künstliche Bewässerung. 312 Baumgarten (1991), S. 272.
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Grenzübergängen nach Jordanien während der Erntezeit taten ein Übriges. Der Bedeutungsverlust der palästinensischen Landwirtschaft wurde außerdem durch die z.T. großflächige Besiedelung der besetzten Gebiete durch israelische Siedler und die Einrichtung weiträumiger Militärsperrgebiete verstärkt. Die Wasserversorgung der Palästinenser wurde im Endeffekt auf dem Niveau von 1967/68 eingefroren; die Erschließung neuer landwirtschaftlicher Flächen war praktisch nicht möglich. Darüber hinaus zahlen die Palästinenser bis heute oft das Vierfache von dem, was Israelis für ihre Wasserversorgung aufbringen müssen. In der Regel galt nach 1967 folgender Satz von Meir Ben-Meir, dem ehemaligen Water Commissioner in Israel: „If their demand is for drinking water, we must say yes ... We do say yes. But we are not going to stop irrigating our orchards so they can plant new ones.“313 Doch die Einwirkungen der israelischen Besatzung auf die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete, die Dominanz des israelischen Diskurses gegenüber dem palästinensischen äußerten sich auch an anderer Stelle. Anfang der 1970er Jahre war zum Beispiel ein Drittel der gesamten Arbeiterschaft der besetzten Gebiete in Israel beschäftigt, wo sich infolge eines massiven wirtschaftlichen Aufschwungs der Bedarf an billigen, ungelernten Arbeitskräften vervielfacht hatte; zwar waren die Löhne, die sie dort erhielten, verglichen mit denen von israelischen Arbeitern gering, doch verdienten sie immer noch mehr als in den besetzten Gebieten. Dadurch wurden Arbeitskräfte von palästinensischen Wirtschaftsprojekten abgezogen. Zusammen mit Remissionen aus dem Ausland, insbesondere aus dem persischen Golf, wo zahlreiche Palästinenser im Zuge des Ölbooms der 1970er Jahre Arbeit gefunden hatten, und Erträgen aus anderen Geschäften (Handel mit Israel, Entwicklungshilfe etc.) entwickelte sich so zwar eine deutliche Steigerung des allgemeinen Lebensstandards in den besetzten Gebieten. Allerdings lagen die Ursachen dieses wirtschaftlichen Aufschwungs weitgehend außerhalb der palästinensischen Gebiete und außerhalb des Einflussbereichs der PLO – sie waren also nicht zu kontrollieren. Auf politischer Ebene waren die Jahre nach 1967 von der erstarkenden nationalistischen Bewegung der palästinensischen Gesellschaft geprägt. Das biblische Palästina stand nach dem Sechstagekrieg erstmals seit 1948 wieder unter der Kontrolle einer einzelnen Autorität, so dass die Palästina-Frage und der Kernkonflikt zwischen zwei Völkern, die das gleiche Land für sich beanspruchen, wieder mehr in den Mittelpunkt des israelisch-arabischen Konfliktes rückte. Die PLO etablierte sich spätestens mit dem Eintritt der Fatah, der zu diesem Zeitpunkt größten und am besten organisierten palästinensischen Widerstandsgruppe, und der Übernahme des PLO-Vorsitzes durch Jassir Arafat als eine Art 313
Z.B. bei Lowi (1995), S. 187/8.
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„Regierung des palästinensischen Widerstands“314. Das Exekutivkomitee der PLO unter Leitung Arafats stützte sich dabei auf den Palästinensischen Nationalrat (PNC), das sich entwickelnde palästinensische Exilparlament mit Mitgliedern aus insgesamt 43 Gruppierungen und legislativer Funktion. Die Fatah hatte Ende der 60er Jahre die Hälfte der Sitze im PNC inne und Arafat und seine Gefolgsleute kontrollierten die 15 Sitze des Exekutivkomitees.315 Die ideologische Grundlage der politischen Arbeit der PLO bildete die 1968 vom palästinensischen Nationalkongress verabschiedete Charta, in der die Befreiung Palästinas vom Zionismus, also die Zerstörung Israels gefordert wurde. Kimmerling und Migdal schreiben: „It [the PLO, Anm. d. Verf.] would shape their [the Palestinians, Anm. d. Verf.] self-understanding“316. Sie definieren vier Hauptpunkte im Denken Arafats und seiner engsten Mitarbeiter, die für die palästinensische Politik nach 1967 prägend sein sollten: „First, the Palestinians had to take responsibility for their future – only an autonomous organization of their own could reverse their fortune. Second, their chief aim needed to be the liberation of Palestine, taking precedence over the goal of Arab unity (...). Indeed the liberation was a necessary precondition for that unity. Third, the key means to achieve liberation was armed struggle, undertaken by Palestinians themselves. And finally, Palestinians would work hand-in-hand with other Arabs and international forces on the basis of equality to help achieve the goal.“317
Zudem entwickelten sich drei Repräsentationen oder Vorstellungen des „idealen Palästinensers“, der aus den Lebensbedingungen in der Westbank und dem Gazastreifen nach 1967 das Beste zu machen wusste. Der feday (wörtlich: „der sich selbst opfert“) war eine moderne Version des heiligen Kriegers, der sich selbst im Kampf gegen den Zionismus opferte, gekleidet in ein „Palästinensertuch“ (kafija) und mit einer Kalaschnikov ausgestattet – mit Abstand prominentester 314 Elmar Krautkrämer: Krieg ohne Ende? Israel und die Palästinenser – Geschichte eines Konflikts, Darmstadt: Primus Verlag, 2003, S. 55. 315 Der PNC ist das höchste Organ der PLO; er besteht aus 669 Mitgliedern, die nach einem festen Schlüssel Widerstandsorganisationen, Gewerkschaften, Berufsorganisationen, Studenten und andere gesellschaftliche Gruppen vertreten. Er bestimmt den aus 124 Mitgliedern bestehenden Zentralrat, der zwischen den unregelmäßigen Versammlungen des PNC die PLO berät und Entscheidungen trifft. Wie Johannsen und Knaul feststellen, wird allerdings die „demokratische Legitimität der PLO“ in Frage gestellt, da die Zusammensetzung des PNC „stets auch auf Patronage beruht, der Nationalrat nur selten und seit 1998 nicht mehr in voller Stärke zusammentreten konnte, die von ihm gewählten Organe längst nicht mehr das aktuelle Kräfteverhältnis der Mitgliederorganisationen widerspiegeln und vor allem, [weil] die Hamas (...) nicht der PLO angehört.“ Susanne Knaul und Margret Johannsen: Palästina (Palästinensische Gebiete), in: Walter M. Weiss (Hrsg.): Die Arabischen Staaten. Geschichte, Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft, Heidelberg: Palmyra 2007, S. 236-270, hier S. 258. 316 Kimmerling/Migdal (1994), S. 211. 317 Kimmerling/Migdal (1994), S. 213.
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Vertreter dieses Symbols ist wohl Jassir Arafat.318 Dieses Bild wurzelte in der Erinnerung an die Rebellen der arabischen Revolte von 1936-39 sowie in der Vorstellung vom palästinensischen Bauern als Salz der Erde – obwohl die PLO zu dieser Zeit primär eine urbane, kosmopolitische Bewegung war. Das zweite Bild war das des fellah, des palästinensischen Bauern, der für sumud (Beharrlichkeit) stand. Er blieb auf seinem Land trotz aller Demütigungen und Angriffe – bald gehörten zu dieser Gruppe nicht nur diejenigen, die tatsächlich mit dem Land arbeiteten, sondern auch die, die einfach ihren Platz in den besetzten Gebieten behaupteten. Und schließlich stellte der dschahid, der Märtyrer, das Gegenstück zu den Überlebenden dar: Er gab sein Leben für die nationale Sache, indem er trotz aller Widrigkeiten weiterkämpfte. Das typische Bild, das mit dem dschahid verbunden war, ist das des Steine werfenden, Reifen in Brand setzenden, Panzerfäuste abfeuernden Heranwachsenden, kurz: des heroischen Kämpfers gegen die feindliche Übermacht. In den 1970er Jahren dominierte das Bild des feday, während in den 1980er Jahren der dschahid als symbolischer Repräsentant des palästinensischen Volkes immer wichtiger wurde und so auch die sozialen und politischen Veränderungen, die in der ersten Intifada ihren Höhepunkt fanden, wiederspiegelte.319 Es war der Fatah vor dem Sechstagekrieg gelungen, die palästinensische Nation in bis dahin nie dagewesener Weise zu penetrieren. Als Anbieter von sozialen Diensten und Organisationen hatte sie sich etablieren und diese Strukturen zu einer weitgreifenden Mobilisierung und Kontrolle der Bevölkerung nutzen können. Nie zuvor hatte eine Organisation oder ein Clan dies in so nationalem Ausmaß erreicht. Ähnliche Strukturen wollte Jassir Arafat nach der „Wiedervereinigung“ der palästinensischen Gebiete unter der israelischen Besatzung auch für die PLO aufbauen, scheiterte jedoch zunächst kläglich: Wenige Monate nach dem Krieg wurden er und seine Anhänger von Israel aus den besetzten Gebieten vertrieben. Zwar baute sich die PLO rasch eine neue Basis außerhalb der Gebiete auf, doch die erzwungene physische Distanz von den Zentren palästinensischen Lebens würde sich immer wieder als Bürde herausstellen. Die PLO fand sich wiederholt in dem Dilemma, einerseits die palästinensische Sache vorantreiben zu wollen, andererseits aber auf die Unterstützung anderer arabischer Staaten angewiesen zu sein, die in der Etablierung eines palästinensischen Staates nicht zwangsläufig ein wünschenswertes Ziel sahen.320
318 Weiterführend zu Arafat: Amnon Kapeliuk: Yassir Arafat. Die Biographie, aus dem Französischen von Angelika Hildebrandt und Maximilien Vogel, Heidelberg: Palmyra Verlag 2005. 319 Vgl. dazu Kimmerling/Migdal (1994), S. 212. 320 Als Beispiel kann der „schwarze September“ 1970 gelten, als PLO-Anhänger und Funktionäre aus Jordanien vertrieben bzw. festgenommen wurden. Weiterführend dazu z.B. Kimmerling/Migdal (1994), S. 229-231.
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Die größten Erfolge feierte Arafat mit seiner Politik in der ersten Hälfte der 1970er Jahre, als er sein Hauptquartier in Beirut aufschlug. Der größte Teil der Aktivitäten der Fatah und der PLO allgemein konzentrierte sich im Südlibanon, wo mehrere hunderttausend palästinensische Flüchtlinge weitgehend ohne rechtlichen Schutz leb(t)en. In dieses Vakuum drang die PLO mit ihren verschiedenen Gruppierungen ein, etablierte Gerichtshöfe, erhob Steuern, zog junge Männer zum „Wehrdienst“ ein, übernahm Entscheidungen in Bezug auf die Ausbildungsinhalte in von der UNRWA betriebenen Schulen etc. So erzeugte sie innerhalb kurzer Zeit ein immenses National- und Zusammengehörigkeitsgefühl unter den palästinensischen Flüchtlingen. Statt der libanesischen wehte nun die palästinensische Flagge in den Flüchtlingslagern, ein neues palästinensisches, nationales Selbstbewusstsein entstand. Soziale Aktivitäten, Sportereignisse sowie das Angebot sozialer Dienste und Verwaltungsorganisationen entstanden: Bis in die frühen 1980er Jahre baute der palästinensische Rote Halbmond zum Beispiel zehn Hospitäler und 30 Kliniken; weitere 47 Kliniken wurden von anderen palästinensischen Gruppierungen unterhalten. Die Gewerkschaften der palästinensischen Arbeiter und der palästinensischen Frauen entstanden und Medieninstitutionen, etwa die Radiostation „Stimme Palästinas“, einige Tageszeitungen, eine Nachrichtenagentur sowie ein Forschungsinstitut wurden gegründet. Die PLO beschäftigte bald etwa 8.000 Staatsbeamte und verwaltete ein Budget von mehreren hundert Millionen US-Dollar.321 1974 wurde die PLO von der arabischen Gipfelkonferenz als die einzig legitime politische Vertretung der Palästinenser anerkannt, woraufhin sie außerdem mit dem Beobachterstatus in den Vereinten Nationen ausgestattet wurde. Im gleichen Jahr sprach Arafat vor der UN-Generalversammlung; zwei Jahre später wurde die PLO auch zu den Nahostdebatten des UN-Sicherheitsrates zugelassen. Im Zuge dieser deutlich gewachsenen internationalen Wahrnehmung der Palästinafrage etablierte die PLO zudem Büros und Vertretungen in zahlreichen Staaten. Der Schlüssel zu Arafats Dominanz in der PLO war dabei die Tatsache, dass seine Fatah erstens interne arabische Auseinandersetzungen mied – so konnte sie sich eine breite politische, moralische und finanzielle Unterstützung sichern. Zweitens lehnte er Diskussionen über Fragen wie den zukünftigen Charakter der palästinensischen Gesellschaft oder ideologische Debatten über die Notwendigkeit einer sozialen Revolution rigoros ab. Damit hob sich die Fatah deutlich von anderen palästinensischen Gruppen, etwa der Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) ab. Trotzdem waren und sind solche Gruppen in
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Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 232.
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ihrem Einfluss auf die PLO nicht zu unterschätzen; die daraus resultierenden internen Konflikte halten bis in die heutige Zeit an.322 Spätestens mit dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs 1975 war die Zeit der Prosperität für die PLO im Libanon allerdings vorbei. Sie wurde von vielen Seiten angegriffen: libanesisches Militär, israelische Invasoren, die syrische Armee und Widerstand aus den eigenen Reihen schwächten die Organisation und Arafat als ihren Anführer.323 Nach der israelischen Invasion 1982 wurden die palästinensischen militärischen, politischen und Verwaltungskräfte unter USAufsicht aus dem Libanon evakuiert; die PLO re-etablierte sich in Tunis. In den späten 80er Jahren war die Organisation wieder soweit rehabilitiert, dass sie erneut international die Initiative ergriff. Am 15. November 1988 rief der PNC in Algier die Errichtung eines Staates Palästina in der Westbank (5.879 km2) und dem Gazastreifen (378 km2) aus – eine implizite Anerkennung Israels. Zwar sollten noch fünf Jahre vergehen, bis Israel die PLO tatsächlich als Verhandlungspartner akzeptierte, doch der Weg dorthin schien nun nicht mehr weit. Allerdings konnte sich die PLO immer noch nicht aus dem Dilemma befreien, einerseits die palästinensische Autonomie zum Ziel zu haben, andererseits aber von untereinander zerstrittenen arabischen Staaten abhängig zu sein; und längst nicht alle Widerstandsgruppen waren mit dem Verzicht auf große Teile Palästinas einverstanden. Zudem konnte Arafat aus dem Ausland heraus die Lebenssituation der Palästinenser in den besetzten Gebieten und in den Flüchtlingslagern nicht ernsthaft verbessern.324 So hatte sich das Verhältnis zwischen der PLO und der palästinensischen Gesellschaft langsam aber sicher deutlich verändert; zwar waren sowohl die PLO als auch Arafat weiterhin sehr populär, wie Meinungsumfragen der Zeit illustrieren, doch verschwand zum Beispiel das Bild des feday nach und nach aus dem symbolischen Rahmen des 322 Die Fragmentation der palästinensischen Widerstandsorganisationen zeigte sich z. B., nachdem der palästinensische Nationalrat am 9. Juni 1974 in Kairo beschloss, einen palästinensischen Staat in der Westbank und dem Gazastreifen zu errichten. Viele Palästinenser sahen diese Wendung als Aufgabe des Ziels, das gesamte biblische Palästina zu befreien – es bildeten sich deshalb Gegenorganisationen wie die „Ablehnungsfront“ unter Führung George Habashs, der vorher Mitglied des PLOExekutivkomitees gewesen war. In ähnlicher Weise existierten sehr unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Notwendigkeit und das Ausmaß von direkter Gewalt; das sogenannte Generalkommando der PFLP ist zum Beispiel ein Ergebnis der Unzufriedenheit von Ahmad Jibril (ehemaliges Mitglied des al-Fatah Zentralkomitees) mit dem seiner Meinung nach fehlenden Gewalteinsatz sowohl der PLO als auch der PFLP. Diese Fragmentierungen wurden insbesondere in den späten 1990er Jahren und nach dem Tode Arafats wieder deutlicher sichtbar (s. u). 323 Auch die Angriffe im Jahr 2007 auf palästinensische Flüchtlingslager im Südlibanon können auf diese Blütezeit der PLO in den frühen 1970er Jahren zurückgeführt werden. Bis heute halten viele Libanesen die palästinensischen Flüchtlinge für einen der Hauptfaktoren für den Ausbruch des Bürgerkriegs. 324 Als Beispiel kann das Massaker von Sabra und Shatila (September 1982) dienen, vor dem Arafat die Palästinenser nicht hatte schützen können.
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palästinensischen gesellschaftlichen Lebens, da es die Realität nicht mehr adäquat widergeben konnte. Stattdessen gewann das Bild des dschahid an Macht und Einfluss. Viele Palästinenser mussten sich nun zwangsläufig stärker auf ihre eigenen Fähigkeiten zur Verteidigung verlassen: das Bild des fellah, der mit Beharrlichkeit seinen Platz behauptet, gewann deshalb ebenfalls an Momentum.325 4.3.3 Die Intifada326 Die Wurzeln der ersten Intifada, die im Dezember 1987 ausbrach, liegen in der erwähnten wirtschaftlichen Abhängigkeit der Palästinenser von Israel327; im Laufe der Jahre war die Unzufriedenheit über diese Abhängigkeiten in der palästinensischen Bevölkerung gewachsen. Dass etwa der israelische landwirtschaftliche Bruttoertrag pro Arbeiter etwa viermal so hoch war wie in der Westbank ließ das Ziel der Selbstversorgung der palästinensischen Bevölkerung in weite Ferne rücken.328 Die palästinensischen Gebiete hatten sich letztlich zu einem billigen Arbeitsmarkt für Israel und einer Art „Absatzmarkt für israelische Waren“329 entwickelt, während sich gleichzeitig israelische Siedler in den besetzten Gebieten niederließen und in vielerlei Weise bevorzugt behandelt wurden. Kimmerling und Migdal schreiben: „The settlers posed an immediate problem through their exclusive and preferential rights: The Israeli government granted them a set of laws different from those of their neighbors – and, in some respects, from those of Jews inside Israel, preferred access to water and land, special security arrangements. The glaring reality of second-class status now confronted Palestinians not only during sojourns into Israel.“330
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So gründeten die arabischen Staaten sogar den Sunduq al-Sumud, übersetzt etwa „Beharrlichkeitsstiftung“, mit deren Hilfe eine massenweise Emigration von Palästinensern aus den besetzten Gebieten verhindert werden sollte. 326 Intifada bedeutet „abschütteln“. 327 Im Jahr 1987, kurz vor dem Ausbruch der ersten Intifada, überquerten täglich etwa 107.000 palästinensische Arbeiter die Grenze nach Israel – etwa 40 Prozent der gesamten Arbeiterschaft der Westbank und des Gazastreifens. Diese Zahl richtet sich nach offiziellen Angaben – vermutlich lag sie sogar noch um einiges höher. Die Palästinenser machten in den 1970er und 80er Jahren etwa acht Prozent der israelischen Arbeiterschaft aus. Vgl. Kimmerling/Migdal (1994), S. 250, dort Fußnote 31. 328 Vgl. Shmuel Sandler und Hillel Frisch: Israel, the Palestinians, and the Westbank: A Study in Lexington, Mass.: Lexington Books 1984, S. 50. 329 Baumgarten (1991), S. 272 und unten. 330 Kimmerling/Migdal (1994), S. 253. Der Wasserverbrauch eines israelischen Siedlers ist dabei bis heute etwa viermal so hoch wie der eines Palästinensers.
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Darüber hinaus propagierten Siedlerorganisationen die dauerhafte Integration der besetzten Gebiete in den Staat Israel und damit verbunden die „Umsiedlung“ der arabischen Bevölkerung. Andere israelische Maßnahmen wie das Bücherverbot von 1982 verstärkten die Unzufriedenheit der palästinensischen Bevölkerung zusätzlich. Weitere Faktoren waren die sich in den ersten fünf Jahren der 80er Jahre vervierfachende Arbeitslosenquote in der Westbank331 und ein gleichzeitiger Rückgang neuer Arbeitsstellen in Israel, sowie wirtschaftliche Krisen in anderen nahöstlichen Staaten sowie im Golf, die zu einem drastischen Rückgang der Remissionen führten. „The bleakness of national prospects thus combined with despair over individual and family prospects. Added to this dismal brew were the personal experiences of routine harassment, occasional beatings, arrests without formal charges, and humiliating searches by security forces at roadblocks and checkpoints. Young Palestinians increasingly felt there was little to lose if they broke the rules of the game.“332
Die Intifada war also gewissermaßen Ausdruck des kollektiven palästinensischen Leidens. Ihre Märtyrer wurden mythologisiert, etwa durch Gedichte, Volkslieder, Bilder, aber auch durch die finanzielle und sonstige Sonderbehandlung ihrer Familien. Die Führung der Bewegung, die Vereinigte Nationale Führung des Aufstands in den besetzten Gebieten, sowie später auch die PLO, riefen zum Generalboykott gegen Israel auf. Der palästinensische Aufstand war in einigen Punkten durchaus erfolgreich, etwa was die Mobilisierung der palästinensischen Bevölkerung anging. Allerdings konnte er weder die israelische Besatzung beenden noch das Ziel der nationalen Unabhängigkeit erreichen. Die Führer der Intifada wurden bis Mitte 1991 entweder verhaftet, getötet oder ins Exil verbannt; zudem hatte der Aufstand zu einem Rückgang des palästinensischen Bruttosozialprodukts um 30 Prozent geführt. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen war von 1.700 auf etwa 1.200 US-Dollar oder weniger gefallen, die Geldsendungen aus dem Ausland waren um 75 Prozent zurückgegangen und nur noch weniger als 10 Prozent der palästinensischen Arbeiter, die vor Ausbruch der Intifada in Israel gearbeitet hatten, überquerten weiterhin täglich die Grenze. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Intifada einerseits das palästinensische Selbstwertgefühl und die nationale Identität gestärkt hat; andererseits hat sie jedoch die damit korrespondierenden internen Konfliktlinien deutlicher herausgestellt, denn wo Bürgerkrieg herrscht, kommen verschiedene Meinungen über die zukünftige Gesellschaftsform noch deutlicher zum Vorschein – interne 331 Diese Tendenz sollte mit der Einwanderung großer Zahlen von russischen Juden nach 1989 noch deutlich verstärkt werden. 332 Kimmerling/Migdal (1994), S. 261.
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Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert. Der wohl wichtigste Streitpunkt in dieser Situation war die zukünftige Rolle des Islam in der palästinensischen Gesellschaft; die Hamas war und ist dabei die stärkste Vertreterin eines radikalislamischen Standpunktes. Sie lehnt gemeinsam mit kleineren Gruppen wie dem Islamischen Dschihad das Ziel eines säkularen, religiös pluralistischen Staates ab und arbeitet stattdessen auf die Errichtung eines islamischen Staates in Palästina hin.333 Die Konflikte zwischen den verschiedenen palästinensischen Fraktionen sind noch lange nicht beigelegt, wie die Schlagzeilen dieser Tage illustrieren. Doch zunächst half der gemeinsame Feind Israel, die Unterschiede und Differenzen zwischen den verschiedenen innerpalästinensischen Standpunkten zu überdecken; auch die Autorität Jassir Arafats und Scheich Jassins, des Führers der Hamas, trug sicherlich dazu bei, dass vorerst kein offener Bruderkampf ausbrach. Insgesamt bleibt festzuhalten: „(...) the PLO, under the control of Fatah, had managed to establish itself as the recognized leadership of the Palestinians. It had nurtured a national mythology of heroism and sacrifice, the portrait of the downtrodden refugee giving way to that of the feday – which, in turn became the catalyst for the reconstruction of the national movement. In time, armed struggle would give way to more nonviolent activity, both for the sake of international legitimacy and because of the Israeli abilities to deal with armed threats.“334
Es war Arafat zwischen 1967 und 1990 gelungen, die palästinensische Sache ins Zentrum der internationalen Debatte zu befördern. Allerdings hatte Israel gleichzeitig seine Macht im Nahen Osten konsolidieren können und hatte deshalb immer weniger Grund, mit den Palästinensern zu verhandeln. So trat die PLO trotz ihrer Fortschritte auf der politischen Ebene ohne größere Gewinne oder eine verbesserte Verhandlungsposition von den 80ern in die 90er Jahre. Ihre ideologische Offenheit machte sie verwundbar für Kritik von außen und innen und angreifbar durch die erstarkende islamistische Bewegung. 4.4 Von 1990 bis 2005 – Oslo und danach: Chance für den Frieden? 1991
333
Chronologie der Ereignisse Zweiter Golfkrieg. Friedenskonferenz in Madrid mit Delegierten Ägyptens, Israels, des Libanon, Syriens, Jordaniens und der Palästi-
Weiterführend dazu: Ebd., S. 270ff, sowie Knaul/Johannsen (2007), insbes. S. 249f. Kimmerling/Migdal (1994), S. 239. Der Weg der Gewalt wurde im Übrigen bereits seit 1988 wieder vermehrt durch Versuche ergänzt, die palästinensische Sache durch internationale Unterstützung weiterzubringen. 334
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1993 1994
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel nenser (die sich jedoch der jordanischen Delegation eingliedern müssen). Erstarken der Hamas Entwurf von 32 Artikeln zur Law of the Non-Navigational Uses of International Watercourses Geheimverhandlungen in Oslo. Gegenseitige Anerkennung Israels und der PLO, Prinzipienerklärung in Washington unterzeichnet Gaza-Jericho-Abkommen (Oslo I) in Kairo unterzeichnet. Arafat nimmt seinen Sitz in Gaza. Gaza und Jericho werden der Palestinian National Authority (PNA) unterstellt. Friedensnobelpreis für Rabin, Peres und Arafat. Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien (26. Oktober) Israelisch-palästinensisches Interim-Abkommen über die Westbank und den Gazastreifen (Oslo II oder Taba-Abkommen) (28. September). Rabin ermordet (4. November) Erste palästinensische Wahlen. Israelischer Angriff auf den Libanon. Netanjahu israelischer Ministerpräsident Israelisch-palästinensisches Hebron-Protokoll UN Convention on the Law of the Non-Navigational Uses of International Watercourses Netanyahu und Arafat unterzeichnen Wye-River-Memorandum zum Rückzug Israels aus weiteren Teilen der Westbank (nie umgesetzt) Barak israelischer Ministerpräsident Israel zieht sich aus Südlibanon zurück. Camp-David ohne Ergebnis. Ariel Scharon besucht Tempelberg, Ausbruch al-Aqsa-Intifada Gespräche von Taba werden suspendiert. Scharon israelischer Ministerpräsident. 11. September Beginn des Mauerbaus im Norden der Westbank. Israel besetzt große Teile der Westbank. Palästinensische Wahlen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Nahost-Rede von George W. Bush Neuwahlen: Scharon als Ministerpräsident bestätigt. Mahmud Abbas (Abu Mazen) wird erster Ministerpräsident der Autonomiebehörde. Roadmap, Gipfeltreffen in Sharm-el-Sheikh und Akaba. Tod Arafats. Wahlen in Palästina, Abbas folgt Arafat nach. Gaza-Rückzug. Scharon gründet neue Partei (Kadima), danach fällt er ins Koma; sein Nachfolger wird Ehud Olmert. Parlamentswahlen: Hamas gewinnt. Ismail Haniyeh neuer Ministerpräsident. Stopp aller Entwicklungsgelder nach Palästina. Auflösung des ursprünglichen Hamas-Kabinetts und Einsetzung einer „Regierung der Nationalen Einheit“ aus Hamas und Fatah.
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Bruderkrieg zwischen Hamas und Fatah im Gazastreifen. Hamas übernimmt die Macht, woraufhin Abbas das Kabinett auflöst und eine Notstandsregierung unter Salam Fajad einberuft (17. Juni). Krieg im Gazastreifen zwischen Hamas und Israel.
Die Wasserfrage war eines der zentralen Themen des Nahost-Friedensprozesses, auch Oslo-Prozess genannt. Erstmals saß dabei die PLO als offizielle palästinensische Vertretung zusammen mit Israel am Verhandlungstisch. Die Verhandlungen liefen einerseits bilateral zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten ab, wobei es um politische Fragen wie den Grenzverlauf, militärische Kontrolle, den Status der Palästinenser einschließlich der palästinensischen Flüchtlinge sowie um eventuelle wirtschaftliche Kooperationen ging. Auch Fragen der Kontrolle über gemeinsame Wasserressourcen fanden Eingang in diese bilateralen Verhandlungen; fassbares Resultat ist z.B. der israelisch-jordanische Friedensvertrag von 1994 mit seinen detaillierten wasserrechtlichen Regelungen.335 Andererseits gab es eine multilaterale Ebene, die in fünf Arbeitsgruppen (Flüchtlinge, wirtschaftliche Entwicklung, militärische Kontrolle, Umwelt- und Wasserressourcen) aufgeteilt war; dort hoffte man, bei Fortschritten auf einer Ebene durch spillover-Effekte auch andere Konfliktaspekte positiv beeinflussen zu können. In diesem zweiten Forum hätten regionale Wassermanagementpläne diskutiert und erarbeitet werden können, beispielsweise auf der Grundlage des Johnston-Plans. Israels Wasserproblem wirkt zum Beispiel deutlich weniger bedrohlich, wenn es aus regionaler Perspektive betrachtet wird. So erarbeitete die Universität Tel-Aviv bereits im Jahr 1986 eine Studie, in der gezeigt wurde, wie durch regionales Management der wichtigsten Flüsse der Region (Litani, Jordan, Nil und Jarmuk) alle Anrainerstaaten Vorteile erwirtschaften könnten.336 Diese Möglichkeit schien durch den Friedensprozess in nie erwartete Nähe zu rücken. Doch aufgrund anfänglicher Schwierigkeiten konzentrierten sich die Verhandlungen sehr bald auf rein technische Fragen und sparten die politische Frage der Wasserrechte aus. Diese sollte nur in der bilateralen Runde verhandelt werden – eine weitere Festigung des staatszentrierten Ansatzes, die die Position der Palästinenser schwächte. Heute gilt der Oslo-Prozess offiziell als gescheitert; es ist nicht gelungen, die entscheidenden Fragen zu klären und den Endstatus Israels und Palästinas festzuschreiben. Spätestens der Ausbruch der zweiten Intifada, auch al-AqsaIntifada genannt, machte deutlich, dass der bisher verfolgte Konfliktlösungsan335
Weiterführend zu den hydropolitischen Ausgangspositionen der an der bilateralen Runde beteiligten Staaten Jordanien, Syrien, Libanon, Israel sowie der palästinensischen Delegation, siehe Dombrowsky (1995), S. 62-67. 336 Vgl. Elisah Kally: A Middle East Water Plan Under Peace, Tel-Aviv University: Interdisciplinary Center for Technological Analysis and Forecasting, Februar/März 1986.
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satz höchstwahrscheinlich erfolglos bleiben wird. Die seither vorgelegten Initiativen, etwa die Roadmap des Nahostquartetts oder die saudische Friedensinitiative, sind nicht umgesetzt worden. Alle Seiten scheinen immer mehr davon überzeugt, dass Verhandlungen auf bi- und multilateraler Basis sinnlos und im Zweifel unilaterale Vorgehensweisen vorzuziehen seien; die nationalen Diskursstrukturen spiegeln dies wider. 4.4.1 Der israelische Diskurs Vor dem Hintergrund des zweiten Golfkriegs und dem Ende des Kalten Krieges initiierte die US-amerikanische Regierung unter George Bush sen. eine rege Nahostdiplomatie, die einen „Neuen Nahen Osten“ zum Ziel hatte. Nahostkonferenzen in Madrid, Washington und Moskau fanden statt und Israel einigte sich mit seinen arabischen Verhandlungspartnern auf das Prinzip „Land für Frieden“ als Grundlage zukünftiger Friedensverträge. Allerdings blieb es bei dieser prinzipiellen Einigung; es konnten keine weitergehenden Abkommen in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Kernkonflikt geschlossen werden. Erst Geheimverhandlungen zwischen Israel und der PLO in Oslo, die 1993 in der gemeinsamen Prinzipienerklärung mündeten, brachten einen Durchbruch in diesem Punkt. Die PLO erkannte offiziell das Existenzrecht Israels an, während Israel erstmals die PLO als Repräsentatin des palästinensischen Volkes und legitime Verhandlungspartnerin akzeptierte. Das war der Startschuss für einen mehrere Jahre andauernden Verhandlungsmarathon, der eine durch Wahlen legitimierte palästinensische Selbstverwaltung etablieren wollte, deren Einfluss graduell wachsen sollte. Der selbstdefinierte Zeitrahmen umfasste fünf Jahre; nach Ablauf dieser Zeit würden, so der Plan, in sogenannten „Endstatusverhandlungen“ alle verbliebenen Streitpunkte endgültig geregelt werden. Erstmals seit Jahrzehnten schien eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts in greifbarer Nähe. Doch schon bald erlitt der Friedensprozess Rückschläge. Das Attentat von Baruch Goldstein auf betende Muslime im Jahr 1994 und die darauf folgenden Vergeltungsschläge der Hamas gehören zu den wichtigsten. Trotzdem hielten Rabin und Arafat an ihrer Verhandlungsstrategie fest, wenn auch die wichtigsten Streitpunkte (Grenzziehung, Jerusalem, Siedlungen, Flüchtlinge, Sicherheitsfragen und auch Wasser) ja ohnehin ausgespart wurden. Immerhin wurde 1994 die Palästinensische Autonomiebehörde eingerichtet und nach und nach mit Kompetenzen ausgestattet und Israel begann, sich schrittweise aus den besetzten paläs-
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tinensischen Gebieten zurückzuziehen – dies kann als Vergegenständlichung der kooperativen Diskursstrukturen des Friedensprozesses gewertet werden.337 Auf innenpolitischer Ebene rückte mit Beginn der Friedensverhandlungen von Oslo auch die ungleiche Verteilung der regionalen Wasservorkommen zwischen Israelis und Palästinensern in den Mittelpunkt des israelischen öffentlichen Interesses. So berichtete z.B. die israelische Zeitung Ha’aretz am 19. April 1991 darüber, dass die israelischen Wasserzuteilungen an die Palästinenser seit 20 Jahren nicht gestiegen seien und dass die Palästinenser fast viermal höhere Wasserpreise zahlten als israelische Siedler. Dies ist vor dem Hintergrund der Politik Yitzhak Rabins verständlich, der als erster israelischer Staatschef öffentlich die Möglichkeit einer Separierung beider Völker, also die Schaffung eines palästinensischen Staates, diskutierte,338 und dies mit dem Sicherheitsbedürfnis der israelischen Gesellschaft begründete. So sagte er am 19. Oktober 1994 im israelischen Fernsehen: „The State of Israel is faced with a decision: do we want separation between ourselves and the Palestinians, not only when there is a closure for a few days, but rather as a world-view? ... For those who want a spreading out of settlements in the territories, a blurring of areas, a reality of one intermingled with the other; it is possible to recognize the fact that this reality has enemies among the Palestinians and if this is the policy, all of the Palestinians will join it and then we will face far harsher terrorism.“339
Und wenige Monate später, im Januar 1995, führte er aus: „This path must lead to a separation, though not according to the borders prior to 1967: Jerusalem will remain united forever. The security border of the State of Israel will be situated on the Jordan River. We want to reach a separation between us and them. We do not want a majority of the Jewish residents of the State of Israel, 98 Prozent of whom live within the borders of sovereign Israel, including a united Jerusalem, to be subject to terrorism. In the short and long terms, we will achieve separa-
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Die Einrichtung der PA bedeutete eine Zweiteilung des palästinensischen politischen Systems. Die PLO mit Exekutivkomitee und PNC ist weiterhin die international anerkannte Vertretung des palästinensischen Volkes, während die PA die Palästinenser in den besetzten Gebieten vertritt. Als Vertragspartnerin Israels im Friedensprozess fungierte bis jetzt immer die PLO, der allerdings die Partei des derzeitigen Ministerpräsidenten der PA, Ismail Haniyeh, nicht angehört. Die PA besteht aus dem Präsidenten (z.Z. Abbas) und einem Kabinett unter Führung des Ministerpräsidenten. Bis jetzt lagen die Ämter des Präsidenten und des PLO-Vorsitzenden immer in einer Hand. 338 Diese Politik fand im Cairo Agreement vom 4. März 1994 ihren Ausdruck. 339 Israelisches Außenministerium (MFA), 13-14/239/1992-94, Premierminister Rabin im israelischen Fernsehen, 19. Oktober 1994.
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4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel tion between you and us, though not according to the borders which existed prior to the Six Day War.“340
Mit der reellen Möglichkeit einer Trennung beider Völker und der Etablierung eines palästinensischen Staates wurden Fragen, die bereits vor der Proklamation des Staates Israel den israelischen Diskurs geprägt hatten, wieder aktuell: Existenzsicherung, die Schaffung und der Erhalt eines sicheren Hafens für Juden und, damit verbunden, die Pflege einer jüdisch-israelischen Identität, die zu großen Teilen im Zionismus verankert ist. Die Frage nach einer ausreichenden Wasserversorgung beider Staaten verstand sich somit von selbst, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus, sondern auch aus identitätspolitischen Gründen vermittelt über die Frage der territorialen Aufteilung.341 Gleichzeitig hatte die Krise der Moshavim und Kibbutzim342 in den 1980er und die landwirtschaftliche Krise der 1990er Jahre trotz – oder aufgrund? – der veränderten geopolitischen Gegebenheiten seit 1967 in Israel zu einer gewissen Ernüchterung in Bezug auf die Bedeutung von Wasser für Landwirtschaft bzw. für den Mythos Israel geführt.343 Insgesamt hatte die wirtschaftliche Bedeutung des israelischen Agrarsektors seit den 1960er Jahren kontinuierlich abgenommen, nämlich von einem Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt von 12 Prozent im Jahr 1960 auf 3 Prozent dreißig Jahre später, als die Verschuldung des Sektors eine massive wirtschaftliche Krise in Israel auslöste.344 Für die Krise war maßgeblich die Unwirtschaftlichkeit der zwei Hauptexportartikel verantwortlich: Zitrusfrüchte und Baumwolle, beides ausgesprochen wasserintensive Feldfrüchte. Abgesehen von der Reduzierung des Anbaus dieser Produkte wurde in den 1990er Jahren die deutliche Verkleinerung des Agrarsektors insgesamt sowie die Abschaffung der Wassergesetzgebung von 1959 gefordert, um den Markt für eine wettbewerbsorientierte Preispolitik zu öffnen. So verlangte etwa die israeli340
MFA, 15/12/1995-96, Premierminister Rabin im israelischen Fernsehen, 23. Januar 1995. Vgl. zu einer Prognose des Wasserbedarfs in den besetzten Gebieten 1992-2005 z.B. Awartani (1994). Awartanis Prognose bezieht die wirtschaftliche Entwicklung im Falle eines Friedensabkommens unter Berücksichtigung von Bevölkerungsentwicklung, Rückkehrerzahlen etc.pp. mit ein und kann deshalb auch über den von ihm behandelten Zeitraum hinaus nützlich sein. Awartani geht von einer Verdopplung des Wasserverbrauchs in 15 Jahren unter den genannten Voraussetzungen aus; der Wasserbedarf würde sich laut seiner Rechnung ebenfalls verdoppeln. Vgl. Hisham Awartani, A projection of the demand for water in the West Bank and Gaza Strip, 1992-2005. In: Jad Isaac/Hillel Shuval (1994), S. 9-31, hier S. 30f. 342 Moshavim unterscheiden sich von Kibbutzim darin, dass Höfe und Häuser innerhalb eines Moshav nicht der Allgemeinheit, sondern einzelnen Individuen gehören. Die Krise entstand aus wirtschaftlichen Problemen und der Unfähigkeit, die Kinder der Einwohner einer Siedlung in ihrer Gesamtheit zu integrieren, ohne die Regeln des Moshav oder Kibbutz zu verletzen. Moshavim waren eher misrachisch, Kibbutzim eher aschkenasisch geprägt. 343 Vgl. Copaken (1996), S. 20, sowie Schwarz (1994), S. 71ff. 344 Vgl. dazu Tahal (1990), S. 11-6. 341
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sche Comptroller general Miriam Ben Porat im Dezember 1990, die massive Subventionierung der Wasserversorgung im israelischen Agrarsektor endlich zu beenden. Die israelische Landwirtschaft plane, als befände sie sich in einem Vakuum, ohne jeglichen Bezug zur ökonomischen und hydrologischen Realität.345 Die Einsetzung einer unabhängigen staatlichen Körperschaft für das israelische Wassermanagement, um statt landwirtschaftlichen endlich nationale bzw. ökonomische Interessen in Politik umzusetzen, wurde dringend angeraten. In jedem Fall müsse die Wirtschaftlichkeit der israelischen Wasserpolitik deutlich gestärkt werden, wie auch der ehemalige Landwirtschaftsminister Raphael Eitan und der Water Commissioner Dan Zaslavsky forderten.346 Fragen der Qualität und Gesundheit traten in den 1990er Jahren ebenfalls stärker in den Vordergrund der Diskussion; dies kann als weitere „Entideologisierung“ des israelischen Wassersektors gewertet werden. Auch Mekorot und TAHAL wurden umstrukturiert: erstere kommt seither ohne staatliche Subventionen aus, letztere wurde vollständig privatisiert. Zudem wurde die Water Commission 1996 aus dem Landwirtschafts- in ein neugegründetes Infrastrukturministerium verlegt – das Wassermanagement schien sich insgesamt zu liberalisieren. Doch standen sich in Israel weiterhin „Vertikalisten“, die Wasser zunehmend als ökonomisches Gut betrachteten, losgelöst von Versicherheitlichungen, und „Horizontalisten“ gegenüber, die die Aufgabe von Wasser bzw. Territorium mit der Aufgabe der Idee einer Nation und eines Staates Israel gleichsetzten. Der Gegensatz zwischen zionistischem Hegemonial- und zumindest teilweise entideologisiertem Gegendiskurs kristallisierte sich immer deutlicher heraus; die Grenzen des Sagbaren wurden zumindest in Frage gestellt. Die tatsächliche Umsetzung der auf Wasser bezogenen Empfehlungen blieb jedoch weiterhin Spielball der politischen Entwicklungen. Wie erwähnt stammten die erwähnten Reformvorschläge aus den Institutionen, die mit der Umsetzung hydropolitischer Entscheidungen befasst waren, also von Fachleuten, nicht von Politikern. Ihre nüchterne, pragmatische Sichtweise auf Wasser und seine Verteilung und Bewirtschaftung setzte sich bei weitem nicht in allen politischen Gruppierungen durch. Die letztlich politisch akzeptierten Lösungskonzepte für Wasserknappheit arbeiteten weiterhin in erster Linie auf supply management hin. Der israelische Masterplan von 1988 sah etwa die verstärkte Wiederaufbereitung von Abwasser, den Schutz der Hauptressourcen vor Verschmutzung, die bessere Nutzung von 345 State Comptroller’s Report on Water Management in Israel, Dezember 1990, Jerusalem: Comptroller General’s Office, S. 55. 346 Dies wurde Anfang der 1990er zum Beispiel in Stellungnahmen von Eitan und Zaslavsky in der Knesset betont. Zu ihren Forderungen gehörte ein Verbot des Betriebs von Sprenkleranlagen in Parks und Gärten über Tag sowie die Abschaffung von Wassersubventionen bis 1996 mit dem Ziel, den Wasserpreis mit den realen Kosten des Wassermanagements zu verbinden. Vgl. Copaken (1996), S. 20.
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Flutwasser und ähnliches vor. Seit den frühen 1990er Jahren werden zudem nicht-konventionelle Wasserquellen wie Meerwasserentsalzung und Wasserkauf oder -transfer verstärkt in die Planungen miteinbezogen – sicherlich auch, weil sie die politische Frage der Wasserrechte in den Hintergrund treten lassen.347 Die israelischen Bewässerungstarife werden trotz der erwähnten Reformbemühungen nach wie vor subventioniert, so dass Verschwendung immer noch begünstigt wird. So zahlten Palästinenser in Gaza im Jahr 1995 $1,20 pro Kubikmeter Wasser (der höchste Preis in der gesamten Region), während israelische Siedler lediglich 10 US-Cent zahlen mussten. Ein wichtiger Grund für die fehlende politische Bereitschaft, die Ressourcen Wasser und Land zu entideologisieren und damit zu entsicherheitlichen, waren wohl auch die beginnenden Friedensverhandlungen mit den Palästinensern, die mit ihrem Slogan „Land für Frieden“ für einige politische Kräfte die Integrität Israels als jüdischer Staat in Frage stellten.348 Der Bedeutungszuwachs der nationalreligiösen Parteien und die Zusammensetzungen der israelischen Knesset von den 1990er Jahren bis heute sind fassbares Ergebnis dessen. Die israelische Gesellschaft spaltete sich mit der zunehmenden Schwächung der zionistischen Ideologie und dem Wegbrechen der äußeren Feindbilder, etwa durch die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien oder die Abkommen, die mit der palästinensischen Autonomiebehörde geschlossen wurden, in verschiedene politische und gesellschaftliche Lager. Gleichzeitig verlor der bis dahin absolut dominante Sicherheitsdiskurs durch den Friedensprozess an Einfluss, so dass die internen Konfliktlinien deutlicher wurden. Dazu gehören Konflikte zwischen Einwanderern und in Israel geborenen Juden, zwischen arabischen Israelis und israelischen Juden, zwischen verschiedenen religiösen Strömungen und säkularen Israelis, zwischen Arm und Reich, Linken und Rechten sowie zwischen einzelnen Gruppierungen innerhalb dieser Kategorien, etwa zwischen russischstämmigen Einwanderern und Aschkenasim oder Misrachim.349 347
Vgl. dazu Schwarz (1994), S. 71ff. Der anhaltend hohe Stellenwert des Prinzips der Landnahme durch Besiedelung und Bewirtschaftung zumindest für Teile der israelischen Gesellschaft wird deutlich bei einem Blick auf die jüngere und jüngste israelische Geschichte. Die Proteste gegen den Abzug aus Gaza und die Zerstörung von als illegal angesehenen Siedlungen im Westjordanland wie 2005 in Amona und der Innenstadt von Hebron illustrieren, dass in Bezug auf das Territorium des jüdischen Staates weit mehr als nur rationale Überlegungen eine Rolle spielen. Dies färbt auch auf die Ressource Wasser ab: „In Israel water is more than an economic commodity or precious resource; it is a precondition for achieving political goals and, for some, fulfilling religious prophecy.“ Rouyer (1996), S. 1. 349 Vgl. dazu zum Beispiel Margret Johannsen: Israel im Konflikt: Kann diese zerrissene Gesellschaft Frieden schließen? In: Christiane Fröhlich/Tanja Rother (Hrsg.): Zum Verhältnis von Religion und Politik im Nahostkonflikt. Dokumentation einer interdisziplinären Vortragsreihe an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (Reihe A, Nr. 51), Heidelberg: FEST 2006, S. 73109; Claudia Baumgart: Religiöser Zionismus und der israelisch-palästinensische Konflikt, in: Fröhlich/Rother (2006), S. 137-158, und Gesine Palmer: Traditionelles Judentum und politische Oppositi348
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Der Friedensprozess kam mit der Ermordung Yitzhak Rabins durch einen Anhänger der israelischen religiösen Rechten im November 1995 deutlich ins Stocken; die Übergabe weiteren Territoriums an die Palästinenser verlief nur noch schleppend und kam schließlich ganz zum Stillstand. Als Rabins Nachfolger wurde Shimon Peres benannt, der bis dato Außenminister gewesen war; er konnte sich aber nicht lange im Amt halten. Die Wahlen 1996, sieben Monate nach dem Attentat, gewann Benjamin Netanjahu, der Chef des Likud. Damit verbunden war ein deutlicher Politikwechsel: „Central to the ideological belief of the Likud (...) was the question of land. For the Israeli Labour Party the Zionist priority was immigrants – land came second.“350 Die Frage der Grenzziehung wurde in Netanjahus Amtszeit also wieder zentral; Grundlage war dabei die Idee eines Greater Israel, eines jüdischen Staates in den biblisch verheißenen Grenzen, so dass auch die Separierung von den Palästinensern durch einen „Sicherheitszaun“, die für Rabin noch so zentral gewesen war, an Relevanz verlor.351 Diese Unterschiede im politischen Ansatz prägen bis heute den israelischen Wasserdiskurs und die israelische Gesellschaft insgesamt. Vereinfacht gesagt sehen die einen in der Schaffung eines palästinensischen Staates die einzige Möglichkeit, langfristig die Sicherheit Israels vor Selbstmordattentätern zu sichern, während die anderen die palästinensischen Gebiete als israelisches mainland betrachten, weshalb dort kein palästinensischer Staat errichtet werden könne. Zudem wird die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates grundsätzlich angezweifelt; unter Berufung auf Golda Meir und andere wird hier argumentiert, eine palästinensische Nation habe es bis 1967 ohnehin nicht gegeben (s.o.). In welcher Weise diese verschiedenen Standpunkte die politische Landschaft Israels prägen, lässt sich zum Beispiel am Wahlslogan Ehud Baraks aus dem Jahr 1999 ablesen: „we here – them there“. Ähnlich wie Rabin betonte er die Notwendigkeit einer Separierung der beiden Völker aus Sicherheitsgründen und gewann damit die Wahlen. Er beschrieb seine Vorstellungen wie folgt: „I am proposing separation, but not detachment. I am proposing good fences for good neighbors, and separate economies for separate peoples. We will have a free trade agreement with the Palestinians and broad economic cooperation, the sharing of know-how and raw materials, and some Palestinians working in Israel. The Palestinians too I believe will not want to be fully integrated into our economy, use our currency or accept limitations from access to world markets. They will want to have on, in: Fröhlich/Rother (2006), S. 110-136. „Links“ und „rechts“ repräsentieren dabei in Israel keine Weltanschauung, sondern die Bereitschaft, den Palästinensern (oder z.B. Syrien) Territorium zu überlassen bzw. die Ablehnung jeglicher territorialer Konzessionen. Vgl. Johannsen (2006), S.76. 350 Neill Lochery: The Politics and Economics of Israeli Disengagement, 1994-2006, in: Middle Eastern Studies, Bd. 43, Nr. 1, Januar 2007, S. 1-19, hier S. 4. 351 Zur Likud-Politik, religiöser Rechten und der Vorstellung eines Greater Israel vgl. z.B. J. Shapiro: The Road to Power: Herut Party in Israel, Albany: State University of New York Press 1991.
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4 Wasser im israelisch-palästinensischen diskursiven Gewimmel and control their own economy, value their own currency, and determine their own markets.“352
In Bezug auf den Friedensprozess konnten jedoch auch in Baraks Amtszeit keine größeren Fortschritte erzielt werden. Das Gipfeltreffen zwischen Barak und Arafat im Juli 2000 in Camp David, bei dem die Endstatusfragen verhandelt werden sollten, blieb ohne Ergebnis. So blieb es bei folgendem Stand: „Nach Abschluss des letzten israelischen Truppenabzugs vom März 2000 befanden sich 65 Prozent des Gazastreifens und 17,1 Prozent des Westjordanlands – die sogenannten A-Zonen – unter palästinensischer Souveränität. In 23,9 Prozent des Westjordanlands – den B-Zonen – lag die Zuständigkeit für die Administration und die innere Ordnung in den Händen der PA, in Sicherheitsfragen hingegen beim israelischen Militär als letzte Instanz. Damit unterstanden zwar 98 Prozent der palästinensischen Bevölkerung der Palästinensischen Behörde, aber in territorialer Hinsicht verblieben 59 Prozent des Westjordanlands sowie 35 Prozent des Gazastreifens ausschließlich unter israelischer Kontrolle.“353
Alle weiteren Versuche, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, wurden vom Ausbruch der al-Aqsa-Intifada durchkreuzt. Der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon besuchte am 28. September 2000 den Tempelberg; eine kalkulierte Provokation, die am darauffolgenden Tag mit palästinensischen Angriffen auf israelische Sicherheitskräfte quittiert wurde. Scharon nutzte den Ausbruch dieses zweiten palästinensischen Aufstands für seinen Wahlkampf: Im Februar 2001 wurde er israelischer Premierminister. Zwar gründete Scharons Politik weitgehend auf Sicherheitsüberlegungen und hob sich damit recht deutlich vom rechten Flügel des nationalistischen Likud-Blocks ab: Für ihn spielten ideologische Überlegungen eine viel kleinere Rolle als noch für Benjamin Netanjahu.354 Trotzdem bedeutete Scharons deutlicher Sieg355 ebenso wie das Ergebnis der Knesset-Wahlen 2003 einen erneuten Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft.356 Zudem konnte er sein Wahlversprechen, die Intifada in 100 Ta352 MFA/18/51/1999-2001, Premierminister Barak an das Israeli Policy Forum in New York, 20. November 1999. 353 Knaul/Johannsen (2007), S. 253. 354 Zu Scharons politischem Hintergrund vgl. C. Shindler: Israel Likud and the Zionist Dream: Power, Politics and Ideology from Begin to Netanyahu, London: I.B. Tauris 1995, S. 111-115. 355 Scharon erhielt 62,4 Prozent, Barak 37,6 Prozent aller Stimmen. 356 Vgl. Alan Dowty: Despair is Not Enough. Violence, Attitudinal Change, and ‚Ripeness’ in the Israeli-Palestinian Conflict, in: Cooperation and Conflict: Journal of the Nordic International Studies Association, Bd. 41 (1): 5-29, 2006, hier S. 21f. In den Wahlen 2003 erhielten die Befürworter von Oslo (in Blocks zusammengefasst), also das linke Spektrum der israelischen Parteien zusammen mit den arabischen Parteien, weniger als ein Drittel der 120 Knesset-Sitze (Linke 28, Arabische Liste 8 Sitze). Die Rechte, angeführt vom Likud, erhielt 45, die religiösen Parteien 22 und der Zentrums-
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gen zu beenden, nicht einhalten; stattdessen militarisierte sich der Aufstand zusehends. Vor allem aber, so stellen Knaul und Johannsen fest, änderte sich mit Scharons Amtsantritt das Verhältnis von israelisch-palästinensischen Verhandlungen und Gewalt grundlegend. Zwar war der gesamte Friedensprozess immer wieder von Gewaltakten überschattet worden, die wiederholt zu Unterbrechungen, Abriegelungen der besetzten Gebiete u.ä. geführt hatten. Doch letztendlich waren die Parteien immer wieder an den runden Tisch zurückgekehrt. Dies änderte sich mit der Ära Scharon: Er definierte das israelisch-palästinensische Verhältnis als Krieg, der Verhandlungen unmöglich machte und den er unbedingt gewinnen wolle. Innerhalb von sechs Jahren sind im Rahmen der al-AqsaIntifada über 5.000 Menschen ums Leben gekommen, der Großteil davon in den besetzten Gebieten.357 Scharons Ziel war die (aus oben genannten Gründen unilaterale) Separierung Israels von den palästinensischen Gebieten auf der Grundlage von Rabins Plänen.358 Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die bereits erwähnte Sorge um den jüdischen Charakter des Staates Israel. Diese Sorge gründet sich auf dem deutlich höheren Bevölkerungswachstum unter israelischen Arabern und Palästinensern, das dazu führen könnte, dass im Jahr 2020 die jüdische Bevölkerung in der Region zwischen Mittelmeer und Jordan in der Minderheit sein wird.359 Zwar hatte man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf die Einwanderung russischer Juden große Hoffnungen gesetzt; letztendlich immigrierten statt der erhofften zwei Millionen jedoch „nur“ 951.930 Einwanderer.360 Zudem siedelten die russischen Immigranten nicht wie gehofft in der Westbank, sondern ließen sich bevorzugt innerhalb der grünen Linie und in der Nähe etablierter urbaner Zentren nieder.361 Im Zusammenhang mit der nach Ausbruch der zweiten Intifada sich deutlich verschlechternden Sicherheitssituation in Israel resultierte dies in deutlichem Druck auf die israelische Regierung, entweder den Status quo der Kontrolle in den besetzten Gebieten zu erhalten, ohne mehr als zwei Millionen block 17 Sitze. Noch 1999 hatte die Linke 38 Sitze erhalten, während die Rechte nur 27 erringen konnte. Der rechte Block besteht aus Likud, der Partei der Nationalen Einheit und Israel Beitenu (nur 1999); die Religiösen setzen sich aus Schas-Partei, Nationalreligiöser Partei und dem Vereinigten Tora-Judentum zusammen; das Zentrum umfasst Schinui, die Zentrumspartei und Israel Ascending. Der linke Block besteht aus Arbeitspartei, Meretz und One Nation, die arabischen Listen beinhalten die Demokratische Front für Frieden und Gleichheit (Kommunisten), die Nationale Demokratische Versammlung (Balad) sowie die Vereinigte Arabische Liste. 357 Vgl. Knaul/Johannsen (2007), S. 255. 358 Vgl. Lochery (2007). S. 6f. 359 Siehe z.B. Arnon Soffer: Israeli Demography 2000-2020: Dangers and Opportunities. Haifa: University of Haifa 2001, Johannsen (2006). 360 Daten des Ministry of Absorption, Jerusalem. 361 Initial Settlement of Immigrants According to Region 1989-2003, Ministry of Absorption, Jerusalem.
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Palästinenser einbürgern zu müssen, oder die Gefahren, die ein palästinensischer Staat für Israel mit sich bringen würde, zu minimieren. Seit der Ära Rabin geht der Trend eher in Richtung der zweiten Option, was auch internationalen Einflüssen geschuldet ist.362 Im Jahr 2002 rückte die israelische Armee wieder in die unter palästinensischer Kontrolle stehenden Städte der Westbank ein und Jassir Arafat wurde unter Hausarrest gestellt. Diese Eskalation veranlasste das sogenannte Nahostquartett (USA, EU, Russland und die UN), einen Stufenplan zur Konfliktlösung vorzulegen. Die Roadmap zielt auf die Errichtung eines palästinensischen souveränen Staates unter der Bedingung, dass die Palästinenser politische Reformen durchführen und die verschiedenen Kampfverbände entwaffnen und auflösen und dass Israel den Siedlungsbau einstellen und die seit 2001 errichteten Siedlungen wieder abbauen würde. Keine dieser Bedingungen ist bis heute erfüllt worden. Wenige Monate später, im Juni 2002, begann Israel mit dem Bau des „Sicherheitszauns“, der den palästinensischen Terror von Israel fernhalten soll. Der Verlauf dieser Mauer verschärfte den Territorialkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern zusätzlich, „da sie zu vier Fünftel östlich der Waffenstillstandslinie von 1949 (Grüne Linie) verläuft und streckenweise viele Kilometer weit in palästinensisches Gebiet hineinreicht, so dass die jüdischen Siedlungen in Grenznähe mit der Mehrheit der jüdischen Siedler auf der westlichen Seite der Sperranlage zu liegen kommen.“363 In Bezug auf Wasser hat dieser Sperrzaun ebenfalls Folgen, denn ein Teil der natürlichen Quellen des westlichen Aquifers liegt westlich seines Verlaufs und damit außerhalb palästinensischer Reichweite. Der Tod Jassir Arafats im November 2004 und die darauf folgende Erneuerung der politischen Führungselite der Palästinenser sorgte auf beiden Seiten noch einmal für Optimismus; es schien, als hätte sich ein window of opportunity für eine Erneuerung des Friedensprozesses geöffnet. Sowohl Israelis als auch Palästinenser empfanden sich im vierten Jahr der al-Aqsa-Intifada als innerhalb einer schmerzhaften, festgefahrenen Situation gefangen. Alan Dowty zitiert dazu Mkhaimar Abu Sada, einen palästinensischen Politologen, der im Oktober 2004 sagte: „We have suffered gravely since the eruption of the second intifada, far more than the Israelis have suffered.“ 364 Ungefähr zur gleichen Zeit äußerte sich einer der führenden israelischen Analysten des Militärs, Ze’ev Schiff, wie folgt: „[this is] a war without winners.... In the diplomatic realm, Israel has suffered severe defeats“.365 362 Siehe dazu den Briefwechsel zwischen Premierminister Ariel Scharon und Präsident George W. Bush, 14. April 2004, Knesset Archiv, Jerusalem. 363 Knaul/Johannsen (2007), S. 255f. 364 Gefunden von Dowty (2006), S. 24. Er zitiert aus Steven Erlangers Artikel „Intifada’s Legacy at Year 4: A Morass of Faded Hopes“, der am 3. Oktober 2004 in der New York Times erschien. 365 Ebd.
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Endlich schien sich ein Ausweg aus der festgefahrenen Situation zu zeigen: Arafats Tod und die damit verbundene Chance auf Veränderung des politischen Programms beeinflussten die Wahrnehmung der Umsetzbarkeit einer politischen Lösung deutlich, wie Dowty in seiner Analyse von israelischen und palästinensischen Meinungsumfragen verdeutlicht.366 Auch die Tatsache, dass Ariel Scharon im Jahr 2005 in der Lage war, den gesamten Gazastreifen trotz massiver interner Kritik ohne größere Zwischenfälle zu räumen, ließ noch einmal hoffen. Doch heute sieht es nicht so aus, als würden in naher Zukunft erfolgreiche Verhandlungen möglich sein. Spätestens seit dem Sieg der Hamas in den palästinensischen Parlamentswahlen vom Januar 2006 lehnt die israelische Regierung jeglichen Vermittlungsversuch unter Hinweis auf den extremistischen Charakter der Hamas ab. Der von Israel akzeptierte Verhandlungspartner, die PLO unter Führung von Mahmoud Abbas, ist nicht in der Lage, die Hamas entweder in die PLO und damit in den politischen Prozess zu integrieren, noch sie zumindest zu entwaffnen; stattdessen tobt mittlerweile ein Bruderkrieg zwischen den Anhängern der Fatah und der Hamas, der bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hat. Zusammenfassend kann man sagen, dass Israel sich zunehmend damit angefreundet zu haben scheint, sich unilateral mit dem Palästinaproblem zu arrangieren. Es hat sich im Laufe der fast 60 Jahre seines Bestehens politisch konsolidieren und etablieren können, verfügt über machtvolle internationale Unterstützung und ist seinen Nachbarstaaten militärisch und wirtschaftlich deutlich überlegen. In Bezug auf Wasser sind seit den 1990er Jahren diejenigen Stimmen in Israel immer lauter geworden, die pragmatisch und „vertikal“ argumentieren; gestärkt wird ihre Argumentation durch die Tatsache, dass die Technik der Wasserentsalzung mittlerweile erschwinglich geworden ist. So gilt der Wasseraspekt des israelisch-palästinensischen Konflikts, so er überhaupt noch wahrgenommen wird, vielen Israelis als gelöst; auch die Frage der anhaltenden Subventionen im Agrarsektor wird inzwischen eher als technisches Detail denn als ernstzunehmendes Problem angesehen. Schließlich stünde der gesamten Region, so hört man immer öfter, so viel Wasser zur Verfügung wie im Mittelmeer vorhanden sei. Zwar sei es notwendig, die Wasserversorgung streng zu kontrollieren und möglichst effizient und effektiv zu wirtschaften, doch der Industriestaat Israel sei mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden natürlichen und unkonventionellen Ressourcen in der Lage, seiner Bevölkerung eine westlichen Standards entsprechende Wasserversorgung zu verhältnismäßig günstigen Preisen zu garantieren. Allerdings bedeutet diese Entsicherheitlichung nicht, dass Israel in Bezug auf Wasser und Territorium kompromissbereiter geworden ist. Die politischen Entwicklungen nach Oslo, besonders der Ausbruch der zweiten Intifada und der Wahlsieg der Hamas, liefern der israelischen Regierung keinen Grund, von ihrer 366
Dowty (2006), S. 24ff.
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nach 1967 eingenommenen Haltung abzurücken. So müssten die Palästinenser zwar ohne Zweifel mit ausreichenden Mengen Trinkwasser versorgt werden, doch eine Diskussion um Wasser- und damit im übertragenen Sinne Territorialrechte wird weiterhin rundheraus abgelehnt. 4.4.2 Der palästinensische Diskurs Im Jahr 1990 lag der Wasserverbrauch in der Westbank bei 118 Millionen Kubikmetern (MKM), im Gazastreifen bei 97 MKM. 1,6 Millionen Palästinenser verbrauchten also 215 MKM Wasser, davon 152 MKM für Landwirtschaft, 56 für Haushalte und 7 für industrielle Zwecke. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr verbrauchten 4,6 Millionen Israelis 1.750 MKM Wasser, davon 1.162 für die Landwirtschaft, 482 für Haushalte und 106 für Industrie. In Pro-Kopf-Verbrauch ausgedrückt bedeutet das 129 Kubikmeter Wasser für jeden Palästinenser und 376 Kubikmeter pro Israeli.367 Dies bildete den Ausgangspunkt für die Gespräche zwischen der israelischen und der palästinensischen Delegation im Rahmen des sogenannten „Wasserkorbs“ der Oslo-Gespräche. Insgesamt waren die Palästinenser auf diese Gespräche deutlich schlechter vorbereitet als die israelische Delegation: Ohne eine funktionierende Selbstverwaltung vor Ort – diese wurde ja erst Mitte der 1990er Jahre eingerichtet – hatte die PLO nur wenig Gelegenheit und Mittel gehabt, selbst Studien über Wassermenge, -bedarf und verfügbarkeit in Israel und den besetzten Gebieten durchzuführen. Zudem war die Delegation praktisch unerprobt in solch groß angelegten diplomatischen Gesprächen. Israel verfügte damit über ein Wissensmonopol in Bezug auf die Ressource Wasser. Am 21. September 1992 veröffentlichten die Palästinenser ein Arbeitspapier zu Wasser. In diesem Papier wurde die Notwendigkeit bilateraler israelischpalästinensischer Verhandlungen betont. Zudem bezeichneten die Palästinenser die israelische Wasserkrise als artifiziell, da sie durch ineffiziente Landwirtschaft und Zuwanderung aus Russland herbeigeführt worden sei. Die israelischen Restriktionen der palästinensischen Landwirtschaft in den besetzten Gebieten verursachten laut dem Papier einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden; die wirtschaftlichen und sozialen Einbußen, die die Palästinenser durch die Usurpation der eigentlich palästinensischen Wasserressourcen erlitten hätten, seien nur schwer bezifferbar, aber die ungerechte Verteilung der Wasserressourcen – Pa367
Vgl. Awartani (1994), S. 15. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wasserversorgung in den palästinensischen Gebieten je nach Ort variiert. In urbanen Gegenden ist der Wasserverbrauch meist höher, weil der Lebensstandard tendenziell höher ist und die Wasserversorgung mit modernen Rohren etc. ausgestattet ist. Anders ist die Situation dagegen in ländlichen Gegenden, in denen Wasser aus Sammelzisternen gewonnen oder mit Tankern transportiert wird. Vgl. Awartani, S. 16f.
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lästinensern in der Westbank stünde nur ein Sechstel des Wassers zur Verfügung, das israelische Siedler dort verbrauchten – sei ein eindeutiger Beweis und Indikator dieser Schäden. Einer regionalen Herangehensweise an die Wasserfrage müsse ohnehin die Festlegung palästinensischer nationaler Rechte vorangehen, damit man sich auf gleicher Ebene gegenüberstehe.368 Hier wurde die Wasserknappheit in den palästinensischen Gebieten als durch Israel hervorgerufen angesehen und als existenzielle Bedrohung der palästinensischen Gesellschaft versicherheitlicht. Die Argumentation läuft zudem darauf hinaus, dass erst ein palästinensischer Staat geschaffen werden müsse, bevor die Wasserverteilung weiter diskutiert werden könne: „Regional cooperation based on solid foundations should be developed from its national base, first, and precisely on the basis of water rights in occupied Palestinian territory. If this basis of rights continues to be challenged, the matter should then be referred to an international commission on water rights in order to be tested...“369
Gleichzeitig wurden die Mängel innerhalb der palästinensischen Wasserverwaltung erkannt und angegangen. So veröffentlichten beispielsweise die palästinensischen Wissenschaftler Karen Assaf und Nader al-Khatib 1994 einen detailliert ausgearbeiteten Plan zur Verbesserung des palästinensischen Wassermanagements. Wichtiger Teil dieses Plans war die Einrichtung einer palästinensischen National Water Authority, wie sie ein Jahr später tatsächlich gegründet wurde, mit entsprechenden untergeordneten Institutionen.370 Der Wasserkonflikt fand also auf zwei Ebenen statt: der nationalen und der internationalen. Die Verträge von Oslo brachten in Bezug auf Wasser einige Regelungen, die hier kurz skizziert werden sollen.371 Zunächst sieht die Prinzipienerklärung vom 13. September 1993 in ihrem Artikel VII, 4 die Einrichtung einer Palestinian Water Administration Authority vor, ohne allerdings zu definieren, ob damit auch Souveränitätsrechte über die Ressourcen in den autonomen Gebieten ver368
Vgl. dazu Copaken (1996), S. 82f. Palestinian Working Paper on Water, 21. September 1991, wie zitiert in Copaken (1996), S. 83. 370 Karen Assaf und Nader Al-Khatib: Palestinian water supplies and demands, in: Isaac/Shuval (1994), S. 55-68, hier S. 62f. Außerdem spielten zivilgesellschaftliche Organisationen als „dritter Pfeiler“ des palästinensischen Gemeinwesens vor, während und nach Oslo eine wichtige Rolle für den Wassersektor. Bis zur Einrichtung der PA hatten Nichtregierungsorganisationen die Aufgaben des öffentlichen Sektors weitgehend erfüllt und sind im Laufe der Jahre zum bevorzugten Partner internationaler Organisationen geworden, so dass der Großteil der Hilfsgelder über sie in die besetzten Gebiete floss. Vgl. dazu Knaul/Johannsen (2007), S. 261f. 371 Vgl. zum Folgenden Stephan Libiszewski: Wasserkonflikte im Jordan-Becken: Auf dem Weg zu einer Lösung im Rahmen des arabisch-israelischen Friedensprozesses? In: Barandat, Jörg (Hrsg.): Wasser – Konfrontation oder Kooperation. Ökologische Aspekte von Sicherheit am Beispiel eines weltweit begehrten Rohstoffs, (Demokratie, Sicherheit, Frieden, Bd. 109), Baden-Baden: Nomos 1997, S. 95-133, hier S. 121ff. 369
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bunden sind.372 Auch im Anhang III der Prinzipienerklärung wird die Ressource angesprochen; dort geht es um die Einrichtung eines israelisch-palästinensischen Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der u.a. ein wasserwirtschaftliches Entwicklungsprogramm erarbeiten sollte. Hier werden zwar wichtige Termini des internationalen Wasserrechts verwendet (z.B. equitable utilisation), allerdings ohne damit konkrete Verpflichtungen zu verbinden. Das Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. März 1994 wird etwas konkreter: Sein Anhang II befasst sich mit den der PA zu übergebenden zivilen Gewalten.373 Der Artikel II, B.31a übergibt alle Wasser- und Abwassersysteme und ressourcen im Gazastreifen und Jericho an die PA unter der Bedingung, dass die Ressourcen vor Schäden geschützt werden. Allerdings werden gleichzeitig die israelischen Siedlungen und Militärgebiete von dieser Regelung ausgenommen; ohnehin handelt es sich insbesondere beim Gazastreifen um ein hydrologisches Krisengebiet. Zwei Drittel des Regens der Region verdunstet, der Rest füllt die wichtigste Wasserressource wieder auf, den Küstenaquifer. Dieser wurde auch damals schon aufgrund mangelhafter Infrastruktur, ineffektiver Bewässerungstechniken und der eklatanten Überbevölkerung massiv übernutzt. Bis heute fällt der Wasserstand kontinuierlich, was wiederum dazu führt, dass der Wasserdruck im Aquifer sinkt und so Salzwasser aus dem Mittelmeer eindringen kann. Da Landwirtschaft in Gaza ein wichtiger Produktionsfaktor ist, belasten außerdem große Mengen Pestizide und Dünger das Grundwasser. Die meist fehlenden Abwasserentsorgungssysteme tun ein Übriges. So verschlechtert sich die Qualität des Wassers stetig – letztlich gewannen die Palästinenser also nichts. Da im Artikel XXIII, 5 des Abkommens zudem festgelegt wurde, dass letzteres nicht als Präzedenzfall gewertet werden dürfe, war auch eine Ausweitung der gewährten Rechte auf die Wasserressourcen der Westbank ausgeschlossen. Im Verhandlungsprozess für das Interim-Abkommen, dass nach monatelanger Verzögerung schließlich am 28. September 1995 unterzeichnet wurde, wurden dann die Gegensätze zwischen der palästinensischen und der israelischen Position in Bezug auf Wasser sehr deutlich. Zusammenfassend kann man sagen, dass Israels Verhandlungsstrategie auf technische, praktisch umsetzbare Lösungen abzielte, während die Palästinenser den politischen Aspekt von Wasser betonten. Auch in der israelischen Öffentlichkeit wurde das Thema ausgiebig diskutiert, fast immer mit dem Tenor, die physische Kontrolle über Israels Wasserquellen dürfe nie aufgegeben werden – die diskursive Versicherheitlichung der
372 Israel und PLO: Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements [Oslo I] (13. September 1993), in: Laqueur and Rubin (2001), S. 413-422. 373 Israel und PLO: Cairo Agreement [Abkommen über Gazastreifen und Jericho] (4. März 1994), in: Laqueur and Rubin (2001), S. 442-455.
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Ressource hielt also zumindest auf gesellschaftlicher Ebene an.374 Dies ist erklärbar aus der oben dargelegten historischen Entwicklung der beiden Wasserdiskurse: In Israel waren zwar inzwischen Vertikalisten mit der Umsetzung wasserpolitischer Entscheidung befasst, doch es waren vorwiegend Horizontalisten, die diese Entscheidungen trafen. Deren Sichtweise der Ressource Wasser mag zwar innerhalb Israels heftig diskutiert werden, auf internationaler Ebene besteht Israel jedoch bis heute auf dem 1967 entstandenen Status quo der Wasserverteilung. Im palästinensischen Gemeinwesen hatte ohnehin noch keine Entsicherheitlichung der Ressource stattgefunden, da keine politische Konsolidierung erfolgt war. Schließlich einigten sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiss: Die Trinkwasserversorgung palästinensischer Haushalte solle verbessert und die palästinensischen Wasserrechte symbolisch von Israel anerkannt werden.375 Für praktische Fragen des Wassermanagements wurde ein israelisch-palästinensisches Joint Water Committee eingerichtet, das tatsächlich als eines der sehr wenigen im Oslo-Prozess gebildeten gemeinsamen Gremien bis heute existiert. Allerdings haben in diesem Gremium beide Seiten ein Vetorecht, so dass ernstzunehmende Veränderungen im Wassersektor nicht zu erwarten sind; politische Fragen werden dort ohnehin nicht verhandelt. Die Klärung des rechtlichen Status der Wasserressourcen und die Festlegung der Quoten wurden auf die Endstatusverhandlungen verschoben (vgl. Art. 40, I des Oslo II-Abkommens) – Israel setzte sich also mit seinen Forderungen durch. Die letztlich festgelegten Bestimmungen über den Rückzug der israelischen Armee und die Übergabe der zivilen Gewalten an die palästinensische Behörde bedeuteten, dass die Kontrolle über die Ressourcen mindestens in der Übergangsphase in israelischer Hand bleiben würde. Nichtsdestoweniger wurde die gesamte Bevölkerung zwischen Jordan und Mittelmeer mit Beginn des Friedensprozesses und der Unterzeichnung der ersten Abkommen zunächst von einer Welle der Euphorie erfasst. Die palästinensische Bevölkerung wähnte sich endlich am Ende ihres langen Kampfes für einen souveränen palästinensischen Staat inklusive ausreichender Wasserresourcen. Insbe374 Siehe z.B. Ze’ev Schiff: Again Forgetting the Water, in: Ha’aretz, 11. Juli 1995, S. B1; Mordechai Yacobovitz: Existential Struggle: the Israeli Government Must Vigorously Insist that the Underground Water in Judea and Samaria Remain under Our Full Control, in: Ha’aretz, 2. August 1995, S. B2. Gefunden von Libiszewski (1995), S. 123. 375 Das Abkommen sieht die Entwicklung neuer Wasserressourcen vor, schätzt den zusätzlichen Wasserbedarf der Palästinenser in der Westbank auf 70 bis 80 Mio. Kubikmeter und legt fest, dass Israel den Palästinensern während der Interimsperiode 28,6 MKM mehr Wasser zur Verfügung stellen werde (etwa 12 Prozent des damaligen palästinensischen Gesamtverbrauchs). Allerdings würden diese neuen Zuteilungen nicht aus den bereits erschlossenen Quellen stammen, sondern aus noch ungenutzten Quellen im östlichen Teil des Grundwasserleiters. Eine Umverteilung findet also nach wie vor nicht statt.
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sondere in Bezug auf letztere wird der Oslo-Prozess im israelischen, aber auch im internationalen Wasserdiskurs ohnehin gerne als Durchbruch, als Beginn einer neuen Ära für den Nahen Osten dargestellt. Tatsächlich gelang während der sogenannten Interimsperiode der Aufbau quasi-staatlicher palästinensischer Institutionen: die Autonomiebehörde mit mehreren untergeordneten Institutionen wurde gegründet (zu letzteren gehört die Palestinian Water Authority, PWA) und zusammen mit dem graduellen Abzug der israelischen Armee aus Teilen der besetzten Gebiete erlangte das palästinensische Gemeinwesen endlich die drei Hauptmerkmale eines Staates: Staatsgewalt, Staatsvolk und Territorium. Die palästinensische Bevölkerung rechnete nun mehrheitlich damit, dass dieser Prozess weitergeführt und innerhalb weniger Jahre ein Ausbau dieser Merkmale stattfinden würde. Doch weder ist die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) heute unabhängig in Fragen der Verteidigung, der Außenpolitik oder des Außenhandels, noch verfügt sie über strategische Ressourcen wie Wasser. Zudem lebt nach wie vor der Großteil der Palästinenser außerhalb der palästinensischen Gebiete, die weiterhin unverbunden und seit Oslo stark zersplittert sind.376 Insgesamt konnte die PA ihr legitimes Gewaltmonopol nicht langfristig durchsetzen. Auch im Hinblick auf die auf Wasser bezogenen Regelungen, die nach wie vor gerne als Paradebeispiel für die gelungene Verhandlungsleistung innerhalb des Friedensprozesses aufgeführt werden, mehren sich inzwischen kritische Studien. Sie heben hervor, dass Kooperation auf technischer Ebene zwischen israelischen und palästinensischen Wasserexperten schon lange vor Oslo stattgefunden hatte und sich die Machtverhältnisse zwischen diesen Akteuren durch Oslo nicht maßgeblich verändert haben. Jan Selby schreibt:377 „Much of what had previously been patron-client relations under occupation were suddenly discursively repackaged and re-presented as instances of Israeli-Palestinian ‘co-operation’. (...) The main consequences of the Oslo water agreements, I argue, were not any significant transfer of power between Israelis and Palestinians, but rather three things: the construction of extra layers of bureaucracy which had few new powers, and which above all served to symbolise and dissimulate Palestinian autonomy; a transfer of power from Palestinian ‘insiders’ to PLO ‘outsiders’ returning from Tunis; and a transfer of some of the burdens of occupation from Israel to both the PA and the international donor community. With regard to IsraeliPalestinian relations, however, the Oslo process did little more in this particular sphere than to dress up domination as ‘co-operation’.“
376 Dieser Zustand wird auch von Palästinensern oft als „Bantustan“ bezeichnet. Vgl. Knaul/Johannsen (2007), S. 259f. 377 Jan Selby: Dressing Up Domination as ‘Co-operation’: The Case of Israeli-Palestinian Water Relations, in: Review of International Studies, Bd. 29, Nr. 1 (Januar 2003), S. 121-138, hier S. 124.
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Letztlich brachte der Oslo-Prozess also keine Verbesserung der palästinensischen Wassersituation – oder maßgebliche Veränderungen in Bezug auf andere Politikfelder. Trotzdem begann die zweite Intifada unter völlig anderen Vorzeichen als die erste. Während Israel 1987 von einer „Nationale Einheit“-Regierung unter Likud-Premier Yitzhak Shamir geleitet worden war, die jegliche diplomatischen Initiativen gegenüber den Palästinensern ablehnte, geschah die zweite Intifada vor dem Hintergrund der gegenseitigen Anerkennung innerhalb des OsloProzesses. In der ersten Intifada hatte sich die Gewalt gegen einen Status quo gerichtet, der durch Ablehnung und starre Positionen geprägt war; gleichzeitig veränderte sich der Standpunkt der PLO erstmalig in Richtung Akzeptanz Israels, so dass ein Ausweg aus dem Konflikt über Verhandlungen realistisch erschien. Der Oslo-Prozess schien dies zu bestätigen, denn durch ihn wurde das bis dahin Undenkbare Normalität: weitreichende Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern bis hin zu einer Kooperation in Sicherheitsfragen, die Rückkehr Arafats als Chef von quasi-staatlichen palästinensischen Institutionen, die neben Israel existierten, und Visionen einer friedlichen und kooperativen Zukunft.378 Die zweite Intifada dagegen folgte auf mehrere erfolglose Versuche, den stagnierenden Friedensprozess wiederzubeleben (Camp David 2000379, Taba 2001), also vor dem Hintergrund massiver Enttäuschung auf beiden Seiten. Sowohl Israel als auch die Palästinenser hatten den Eindruck, deutlich mehr als jemals zuvor auf den Verhandlungstisch gelegt zu haben, allerdings ohne erkennbaren Erfolg: Die Palästinenser kontrollierten nur 40 Prozent der Westbank, keine einzige israelische Siedlung war abgebaut worden und die palästinensischen Anschläge auf israelische Ziele hielten praktisch unvermindert an. Keine der Erwartungen, mit denen die Verhandlungsführer in den Oslo-Prozess gegangen waren, waren erfüllt worden. Der Ausbruch der Gewalt im Rahmen der alAqsa-Intifada richtete sich damit nicht gegen einen überholten Status quo, sondern gewissermaßen gegen den Friedensprozess an sich. Man hatte erfolglos einen Ausweg probiert; der erneute Gewaltausbruch erscheint wie eine Vergegenständlichung der beiderseitigen Enttäuschung über das Scheitern des OsloProzesses.380 Darüber hinaus war die zweite Intifada Ausdruck der Unzufriedenheit der sogenannten „jungen Garde“ der palästinensischen Nationalbewegung mit der „alten Garde“ um Jassir Arafat, da letztere sich als korrupt und unfähig erwiesen hatte, die israelische Besatzung zu beenden. Hier liegen (unter anderem) die
378
Vgl. dazu Dowty (2006), S. 17. Ausführlich zum Camp David Gipfel von 2000: A. Bregman: Elusive Peace: How the Holy Land Defeated America, London: Penguin Books 2005. 380 Vgl. dazu Dowty (2006), S. 17ff. 379
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Wurzeln der bis heute andauernden Fragmentierung der palästinensischen Gesellschaft. Was die Ressource Wasser angeht, befinden sich die Palästinenser heute in einer Zwickmühle. Nach wie vor haben sie keine Kontrolle über ausreichende Wasserressourcen, doch gleichzeitig wurden im Rahmen des Oslo-Prozesses Institutionen aufgebaut, die mit der Regelung des palästinensischen Wassermanagements befasst sind. Israel sieht im Wasserproblem keinen Konfliktgrund mehr, sondern verweist bei Problemen in der Regel auf die im Oslo-Prozess aufgebauten bilateralen Gremien sowie die Verantwortung der Palestinian Water Authority für das palästinensische Wassermanagement. Der Verhandlungsspielraum der Palästinenser in Bezug auf Wasser ist heute eher kleiner als vor dem Friedensprozess. Die palästinensische Selbstverwaltung hat sich dabei in Bezug auf Wasser zahlreichen Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen zu stellen. Auf innenpolitischer Ebene gilt es, demand management zu betreiben. Der Wasserbedarf in den palästinensischen Gebieten überstieg die vorhandenen Ressourcen im Jahr 2005 um 336 Millionen Kubikmeter; darauf gilt es Antworten zu finden. Zudem fließen 59 Prozent des den Palästinensern zur Verfügung stehenden Wassers in den Agrarsektor – auch hier kann langfristig nur eine nachhaltigere Wirtschaftpolitik die Zukunft der palästinensischen Entität sichern. Im Jahr 2005 standen im Gazastreifen 125.000 Dunam und in der Westbank 200.000 Dunam der Landwirtschaft zur Verfügung.381 Landwirtschaft macht in den palästinensischen Gebieten etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Der Anteil lag vor der zweiten Intifada sogar bei 30 Prozent. 40-50 Prozent der palästinensischen Arbeiterschaft sind im Agrarsektor beschäftigt. Rechnet man allerdings auch den privaten Anbau von Feldfrüchten zur Selbstversorgung mit ein, dürfte der Anteil heute wohl eher bei 60 Prozent+ der palästinensischen Bevölkerung liegen. Dies ist nicht zuletzt den massiven Einschränkungen in Bezug auf die sogenannten permits, israelischer Arbeitserlaubnisse, seit Ausbruch der zweiten Intifada geschuldet. Die Bewässerungslandwirtschaft wird dabei durch verschiedene technische, ökonomische und institutionelle Faktoren eingeschränkt: alte Brunnen, deren Rehabilitierung sehr kostspielig ist, unterschiedlich großer Wasserfluss aus Quellen, Mangel an Auffangbecken für Quellwasser, alte Wasserleitungen, hohe Wasserverluste durch Lecks, ineffiziente, traditionelle Bewässerungstechniken, sowie die hochgradige Fragmentierung von Land- und Wasserrechten. Weitere verschärfende Faktoren sind das Bevölkerungswachstum (die palästinensische Bevölkerung wächst mit einer Rate von 3 bis 3,5 Prozent), Umweltfragen wie 381 Dies und folgende Informationen von Amjad Aliewi, Vortrag am 25. August 2005 in Stockholm, World Water Week.
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das Problem der Versalzung, sowie globale Aspekte wie der Klimawandel. Letzterer wird aller Erwartung nach zu unregelmäßigeren und geringeren Niederschlägen führen, was eine massive Einschränkung der Landwirtschaft und der allgemeinen Wasserversorgung in der gesamten Region nach sich zöge. Bisher ist die palästinensische Wasserversorgung zudem von schlechten sanitären Einrichtungen, mangelhafter Abwasser- und Abfallentsorgung, insbesondere in Bezug auf Feststoffabfall, und übermäßiger Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft gekennzeichnet. Außerdem existieren seit Ausbruch der al-Aqsa-Intifada sozio-ökonomische Herausforderungen: Das Bruttoinlandsprodukt ist um 38 Prozent gesunken, die Arbeitslosenrate liegt bei 37 Prozent, 60 Prozent der Bevölkerung leben an oder unterhalb der Armutsgrenze. Importe und Exporte sind um 33 Prozent gesunken und Investitionen fielen um 60 Prozent. Um diese Probleme wirklich angehen zu können, müssten PA und PWA deutlich freier agieren können, als heute politisch möglich ist. Das Vetorecht Israels in Bezug auf wasserpolitische Entscheidungen schränkt die Bemühungen palästinensischer Institutionen ebenso ein wie fehlende finanzielle Mittel, der innerpalästinensische Konflikt sowie der ungeklärte Status der Wasserressourcen. 4.5 Wahrnehmungen von Wasser in Israel und Palästina von 1882 bis heute Die Nachzeichnung der Genese des israelischen und des palästinensischen Wasserdiskurses seit Beginn der systematischen jüdischen Einwanderung ins biblische Palästina hat gezeigt, dass sich die Wahrnehmung von Wasser in beiden Gesellschaften über die vergangenen 120 Jahre immer wieder abhängig von den jeweiligen politischen Gegebenheiten verändert hat. Um zu Jägers Naturmetapher und Diskursdefinition zurückzukehren: Der Fluss der sozialen Wissensvorräte der beiden Gesellschaften über Wasser durch die Zeit mäanderte, markiert durch diskursive Ereignisse wie die Etablierung des israelischen Staates bzw. die nakba, den Sechs-Tage-Krieg und die Entwicklung erschwinglicher Entsalzungstechniken, von der überwiegenden Versicherheitlichung von Wasserknappheit zu ihrer Entsicherheitlichung und wieder zurück. Im Jishuv und im Israel der fünfziger und sechziger Jahre wurde Wasser vermittelt über das zionistische Ideal der blühenden Wüste zu einer extrem ideologisierten und infolgedessen versicherheitlichten Ressource. Aufgrund der Zielvorstellung eines primär agrarisch geprägten jüdisch-israelischen Staates wurde Wasserverfügbarkeit als Voraussetzung für die Existenz und das Überleben des jüdischen Volkes angesehen; dementsprechend wurde Wasserknappheit, ob nun aufgrund der natürlichen Bedingungen oder aus politischen Gründen, als exi-
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stenziell bedrohlich für das jüdische Volk in Palästina wahrgenommen und dementsprechend versicherheitlicht. Der Nexus Land – Landwirtschaft – Wasser hatte zentrale Bedeutung für die neue jüdische Gemeinde in Palästina. Zur gleichen Zeit hatte Wasser für die arabisch-palästinensische Bevölkerung der Region zunächst keine Sicherheitsrelevanz. Wasser und seine Verteilung waren durch die osmanische Rechtsprechung und das Gewohnheitsrecht geregelt und es bestand bis zur Bevölkerungsexplosion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kein Wassermangel, der den Erhalt des – zugegebenermaßen aus heutiger Sicht niedrigen – Lebensstandards der arabisch-palästinensischen Bevölkerung gefährdet hätte. Ansätze von Versicherheitlichung finden sich hier erst mit dem Beginn des systematischen jüdischen Landkaufs in Palästina und auch dann nur vermittelt über eine Gefährdung von als arabisches Eigentum verstandenem Territorium. Wichtig ist an dieser Stelle die Erkenntnis, dass sich die Versicherheitlichung von Wasser im palästinensischen Diskurs praktisch ausschließlich auf die internationale Ebene bezieht, weil ein eingeschränkter Zugang zu den natürlichen Wasserressourcen dort bis heute primär als von Israel politisch induziert und künstlich hergestellt verstanden wird. Auf nationaler Ebene entsteht erst in den letzten Jahren angesichts der durch den Oslo-Prozess und die veränderten demographischen Gegebenheiten enstandenen neuen Situation ein Gegendiskurs, der den genuin palästinensischen Umgang mit Wasser losgelöst vom israelisch-palästinensischen Konflikt als sicherheitsgefährdend versteht. Diese Art der gewissermaßen „internen“ Versicherheitlichung bezieht sich auf unnachhaltige Wasserpraktiken, Verschmutzung u.ä. durch die palästinensische Bevölkerung, während sich die „externe“ Versicherheitlichung auf die israelische Dominanz im nahöstlichen Wassersektor bezieht. Im israelischen Diskurs hat dieser Prozess der „internen“ Versicherheitlichung dagegen bereits bald nach dem Sechs-Tage-Krieg eingesetzt, als der Großteil der natürlichen Wasserressourcen unter israelische Kontrolle gebracht und trotzdem keine langfristige Garantie einer ausreichenden Wasserversorgung erreicht werden konnte. Die bis dahin hegemonialen Diskursstrukturen, die den Nexus Land – Landwirtschaft – Wasser betonten, wurden ersetzt durch die sich langsam durchsetzende Erkenntnis, dass die natürlichen Wasserressourcen für den Erhalt des israelischen gesellschaftlichen Lebensstandards auf lange Sicht nicht ausreichen würden und deshalb einerseits technologische Innovationen vonnöten und andererseits ein Umdenken hinsichtlich der Verwendung von Trinkwasser unabdingbar sei. Da Israel sich in seiner Wasserversorgung durch die territorialen Gewinne des Sechs-Tage-Krieges weitgehend von seinen arabischen Nachbarn unabhängig gemacht hatte, bezogen und beziehen sich israelische Versicherheitlichungen von Wasserknappheit mindestens so sehr auf die nationale Ebene, also auf falsche israelische Wasserpraktiken wie Verschwendung oder Ineffizienz, wie auf die internationale. Spätestens mit der Entwicklung
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erschwinglicher Entsalzungstechnologien wich die Versicherheitlichung von Wasser zudem immer mehr der Entsicherheitlichung, da das Knappheitsproblem durch die simple Umleitung vorhandener finanzieller Mittel lösbar wurde. Im palästinensischen Diskurs dagegen blieb die Versicherheitlichung eines ausreichenden Wasserzugangs als existenzielle Bedrohung der palästinensischen Gesellschaft auch nach dem Sechs-Tage-Krieg, der Intifada und Oslo ein prägendes, wenn nicht sogar das prägende Merkmal.
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Das vorangegangene Kapitel hat verdeutlicht, wie sich der israelische und der palästinensische Wasserdiskursstrang seit Beginn der systematischen jüdischen Einwanderung nach Palästina entwickelt haben. Das „diskursive Gewimmel“ in Bezug auf Wasser in beiden Gesellschaften wurde rekonstruiert, Ver- oder Entsicherheitlichung von Wasser wurden aufgezeigt. Auf dieser Basis wird nun die eigentliche Diskursanalyse durchgeführt und ihre Ergebnisse historisch rückgekoppelt. Zunächst wird die Struktur der israelischen und palästinensischen Diskursstränge nachgezeichnet; dabei werden Parallelen und Widersprüche aufgedeckt. Wo, wann, wie und von wem wird Wasser versicherheitlicht? Finden sich auch de-securitizing moves? Wenn ja, wer äußert solche Entsicherheitlichungen oder gar non-securitizations? Dazu wurde zunächst die Materialbasis (17 Interviewtranskripte) nach nationaler Zugehörigkeit geordnet, aufbereitet und jeweils zusammenfassend analysiert. Pro Diskursstrang liefert eine Aufstellung aller genannten Themen inklusive Verschränkungen und Häufungen einen zusammenfassenden Überblick über den synchronen Schnitt durch den Diskursstrang Wasser. Dazu wurde jedes einzelne Interview in seiner Gesamtheit auf die jeweils genannten Themen, Zusammenhänge zwischen diesen und besonders häufige Erwähnungen untersucht; die Ergebnisse wurden in Thementabellen mit Textstellen, Häufungen, Verschränkungen und auffälligen oder wichtigen Zitaten vermerkt. Um den späteren Vergleich des israelischen und des palästinensischen Wasserdiskursstrangs zu ermöglichen, gliedern sich die Themen und Unterthemen dabei in ähnliche oder identische Themenbereiche, wo das vorliegende Datenmaterial dies zuließ. So existiert etwa in beiden Diskurssträngen ein Themenbereich, der sich unter dem Schlagwort „Kontrolle“ fassen lässt. Zwar wird dieser Begriff von beiden Seiten unterschiedlich gefüllt, doch seine Gewichtung ist in beiden Diskurssträngen ähnlich. Den einzelnen Themen wurden zudem bestimmte Unterthemen und Schlagworte zugeordnet, die der Identifikation und Unterscheidung eines Themas dienen. So wird etwa im palästinensischen Diskurs das Thema „Kontrolle“ durch Schlagworte wie closures, permits, limitations, limited, allow, curfews, checkpoints und verwandte Themen wie „Abhängigkeit von Israel“, „Hydropolitik“ und „israelische Innenpolitik“ identifiziert, während im israelischen Diskurs Begriffe wie using water to the utmost, policy, priorities,
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national water, allocations, allocate, efficiency, every drop is used und scenario das Thema „Kontrolle“ dominieren. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde das Ziel verfolgt, möglichst alle Diskurspositionen innerhalb der nationalen Wasserdiskursstränge abzudecken, indem die wesentlichen innergesellschaftlichen Akteure und Diskursebenen – Regierung, Wirtschaft, Wissenschaft und Nicht-Regierungsorganisationen – abgebildet wurden. Zusätzlich wurden generationale Verschiebungen berücksichtigt, indem sowohl Zeitzeugen der 1950er und 60er Jahre (zum Teil sogar der Staatsgründung Israels) als auch jüngere Akteure befragt wurden. Für letztere waren eher die israelische Wirtschaftskrise und die palästinensische Intifada der 1980er Jahre sowie der Friedensprozess der 90er Jahre prägend. Des Weiteren lag der Fokus auf dem gemäßigten Meinungsspektrum. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass konfliktive Diskursstrukturen, wenn sie bereits in diesem gemäßigten Spektrum auftreten, Schlussfolgerungen über das extremere Meinungssprektrum zulassen, das im Datenmaterial nicht repräsentiert ist. Es wurden (aus Sicherheitsgründen) keine Interviews mit Vertretern der Hamas oder der militanten Siedlerbewegung geführt. 5.1 Materialaufbereitung für die Analyse der Diskursstränge „Wasser in Israel“ und „Wasser in Palästina“ 5.1.1 Allgemeine Charakterisierung der interviewten Personen Alle israelischen Interviewpartner (8 Personen, alle männlich) sind seit mehreren Jahren, meist Jahrzehnten, in verschiedenen wasserrelevanten Sektoren der israelischen Gesellschaft beschäftigt und können also als Wasserexperten gelten. Sie arbeiten für Regierungs- und halbstaatliche Organisationen, Nichtregierungsorganisationen sowie Universitäten und unabhängige Beratungsagenturen. Alle interviewten Personen verfügen über einen oder mehrere Hochschulabschlüsse, in der Regel in wasserrelevanten Fächern wie Hydrogeologie oder Wasserbau, einige jedoch auch (teils zusätzlich) in sozialwissenschaftlichen Fächern wie Wirtschafts- und Politikwissenschaft. Auch die palästinensischen Interviewpartner (insgesamt 9 Personen, davon eine weiblich) sind allesamt seit mehreren Jahren – zum Teil Jahrzehnten – in allen wasserrelevanten Sektoren der palästinensischen Gesellschaft beschäftigt. Dabei ist zu beachten, dass aufgrund der politischen Situation und der vergleichsweise jungen Geschichte der palästinensischen Selbstverwaltung ihre institutionellen Strukturen noch nicht sehr stark ausgeprägt sind; Nichtregierungsorganisationen sind meist schon deutlich länger im Wassersektor tätig und verfügen über ein auf nationaler und internationaler Ebene weitaus besser funkti-
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onierendes Netzwerk. Einige der interviewten Personen wiesen explizit auf dieses Ungleichgewicht zwischen NGOs und der Palestinian Water Authority (PWA) bzw. der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) hin. Alle interviewten Personen verfügen über einen oder mehrere Hochschulabschlüsse; die meisten in wasserrelevanten Fächern, einige jedoch auch (teils zusätzlich) in Wirtschaftswissenschaften und Internationalem Recht. Alle interviewten Israelis befürworteten Verhandlungen mit den Palästinensern und wünschten sich eine Lösung des Konfliktes und friedliches Zusammenleben (Diskursposition). Sie standen der Bildung eines palästinensischen Staates prinzipiell offen, zum Teil deutlich wohlwollend gegenüber. Gleichzeitig formulierten sie Bedingungen für die Konfliktlösung, allen voran die Wahrung der israelischen Sicherheit. Die ausreichende Wasserversorgung der israelischen Bevölkerung wurde weitgehend als Teil dieser Sicherheit verstanden, auch wenn die Füllung des Begriffs „ausreichend“ variierte: Wo die Mehrheit der Sprecher (im Sinne eines israelischen Hegemonialdiskurses382) eine tendenzielle Erhöhung der verfügbaren Wassermenge, meist durch Entsalzung, forderte oder als unabdingbar verstand, da verlangten Vertreter des innerisraelischen Gegendiskurses eine Veränderung des allgemeinen (westlichen) Lebensstils und eine Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten der semi-ariden Region durch eine Verringerung des Wasserverbrauchs insgesamt, in Verbindung mit Rücksichtnahme auf und Anerkennung von nicht-israelischen Ansprüchen auf die gemeinsamen natürlichen Wasserressourcen. Auch die interviewten Palästinenser befürworteten Verhandlungen mit Israel und wünschten sich eine Lösung des Konfliktes und friedliches Zusammenleben, knüpften aber ebenfalls mehr oder weniger deutlich Bedingungen an diese Wünsche. Auch hier kristallisierte sich ein Hegemonialdiskurs heraus, der die ungerechtfertigte Dominanz Israels in Palästina in den Mittelpunkt rückt. Der palästinensische Gegendiskurs betonte stattdessen die Versäumnisse der palästinensischen Behörden sowohl in Bezug auf Wassermanagement als auch auf politische Verhandlungen und Kooperation mit Israel. Der Großteil der interviewten Israelis und Palästinenser hat sowohl auf der bi- als auch auf der multilateralen Verhandlungsschiene im „Wasserkorb“ am Oslo-Friedensprozess aktiv teilgenommen; viele von ihnen sind bis heute Teil der damals eingerichteten bi- und multilateralen Institutionen, wie etwa des israelisch-palästinensischen Joint Water Committee (JWC). Jeder von ihnen hat 382 Im Folgenden werden die Begriffe Hegemonialdiskurs und Gegendiskurs für die verschiedenen Pole innerhalb der nationalen Diskursstränge verwendet. Entsprechend bezeichnet der Begriff Hegemonialdiskurs in Bezug auf die israelische Gesellschaft die dominante Strömung innerhalb des israelischen Wasserdiskursstrangs, der Begriff Gegendiskurs den entgegengesetzten Pol. Beide zusammen ergeben den israelischen Wasserdiskursstrang in seiner ganzen Diversität; gleiches gilt für den palästinensischen Diskursstrang.
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regelmäßig mit den Kollegen der anderen Nationalität zu tun, „man kennt sich“ – dies ist dem Spezialcharakter des Themas sowie der überschaubaren Größe der israelischen und palästinensischen Eliten geschuldet. Die Interviewees können gewissermaßen als Vergegenständlichung der aufgrund des Spezialcharakters des Wasserdiskurses engen Verflochtenheit zwischen der Ebene der Wissenschaft und der Ebene der Politik angesehen werden, denn oftmals sind sie in politische Entscheidungsprozess involviert und damit gezwungen, zwischen Spezial- und Interdiskurs zu vermitteln. Sie sind entweder wichtige Berater oder laute Kritiker ihrer jeweiligen Regierung, wenn es um zukünftige Vereinbarungen im Hinblick auf die Wasserverteilung in der Region geht. Das macht sie zu wesentlichen Entscheidungsträgern und/oder Meinungsmachern. Als Experten sind sie es, die ihrer Regierung die notwendige Datengrundlage für Entscheidungen über Wasserallokationen liefern; diese Macht oder Deutungshoheit kann auch für politische Zwecke verwendet werden. Versicherheitlichen sie die Ressource Wasser, ist eine Lösung des Wasserkonflikts weit entfernt. Alle Interviews wurden auf Englisch geführt; da alle interviewten Personen regelmäßig beruflich mit internationalen Gesprächspartnern auf Englisch kommunizieren, verfügten sie über ausreichende Sprachkenntnisse.383 5.1.2 Überblick über die untersuchten Diskursfragmente Die Interviews wurden anonymisiert und dann chronologisch und länderübergreifend durchnummeriert. Der israelische Korpus besteht aus acht in Transkription384 vorliegenden Interviews. Die Länge der israelischen Interviews variierte zwischen 21 und 125 Minuten. Der palästinensische Korpus besteht aus neun Interviews; ihre Länge variierte zwischen 24 und 81 Minuten.
383
Trotzdem wurde in der Feinanalyse weitgehend auf die tiefgehende sprachliche Analyse der Interviews im Sinne von Jägers Kritischer Diskursanalyse verzichtet. Bei Äußerungen, die nicht in der Muttersprache formuliert wurden, ist etwa der verwendete Wortschatz keine sinnvolle Interpretationsgrundlage. 384 Folgende Transkriptionsregeln kamen dabei zur Anwendung: Es wurden keine Satzzeichen verwendet; Großbuchstaben bilden eine laute Stimme ab, Kleinbuchstaben stehen für Zimmerlautstärke; (1) steht für eine Sprechpause von etwa einer Sekunde; Stottern und Unsicherheiten werden durch die entsprechenden Buchstaben und einen oder mehrere Gedankenstriche abgebildet (wh-wh-where); Eckige Klammern markieren Auslassungen oder Anmerkungen der Verfasserin, etwa [overlap ...] für gleichzeitiges Sprechen oder [incomp.] für incomprehensible, unverständlich.
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Tabelle 3: Interview-Übersicht Interview-Identcode 01 IL 02 PAL 03 PAL 04 PAL 05 IL 06 IL 07 PAL 08 PAL 09 PAL 10 IL 11 IL 12 PAL 13 IL 14 PAL 15 PAL 16 IL 17 IL
Datum, Ort 24.10.2005, Jerusalem West 26.10.2005, Ramallah 26.10.2005, Ramallah 26.10.2005, Ramallah 27.10.2005, Tel Aviv 27.10.2005, Tel Aviv 30.10.2005, Ramallah 30.10.2005, Jerusalem Ost 31.10.2005, Jerusalem Ost 01.11.2005, Jerusalem West 07.11.2005, Tel Aviv 28.11.2005, Ramallah 29.11.2005, Jerusalem West 01.12.2005, Bethlehem 01.12.2005, Bethlehem 05.12.2005, Tel Aviv 07.12.2005, Jerusalem West
Länge (h:min’sec) 01:10’43 01:02’01 28’31 32’03 02:05’23 44’24 24’34 01:21’05 38’14 01:14’08 50’11 58’54 01:02’11 45’13 33’06 01:12’47 21’01
Die Interviewsituationen waren unterschiedlich; entsprechend variierte auch der Grad der Annäherung an „natürliche“ Alltagssituationen. Die Gespräche wurden im jeweiligen Zuhause der Interviewpartner, am Arbeitsplatz, sowie in je einem Fall während einer Konferenz bzw. in einem Hotel durchgeführt. Die Interviewten hatten das uneingeschränkte Recht zum Monolog, also das alleinige Rederecht; die Rolle der Interviewerin war so weit wie möglich aufs Zuhören reduziert. Die Interviewerin versuchte, die Äußerung von eigenen Meinungen oder Zweifeln zu vermeiden, um das Prinzip der Offenheit385 nicht zu verletzen. Zu385
In Anlehnung an Cornelia Helfferich: Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews, 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 101ff wurden die Interviewsituationen so natürlich wie möglich gehalten, denn je wissenschaftlicher das Setting, desto mehr nimmt der Interviewer und sein Relevanzsystem Einfluss auf das Gesagte. Auf Interventionen wurde weitestgehend verzichtet, um eine Beschneidung von Handlungs- oder Äußerungsmöglichkeiten des Interviewten zu minimieren. Außerdem wurde (soweit möglich) das eigene Vorwissen „suspendiert“ im Sinne einer „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“. Laut Helfferich benötigen sowohl eine Zurückstellung des eigenen Wissens als auch der bewusste und reflektierte Einsatz von Wissen Distanz und Kontrolle. Offenheit in Interviews ist grundsätzlich immer begrenzt, da es Menschen nicht möglich ist, NICHT zu kommunizieren. Deshalb wurde Offenheit hier als bewusste Wahrnehmung, kritische Reflexion und Kontrolle des eigenen Vorwissens verstanden, als Reflexion der eigenen Aufmerksamkeit und der eigenen Interviewinterventionen. Dazu gehört auch das Bewusstsein über (In-)Kongruenzen der Erfahrungshintergründe von Interviewer und
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sammenfassend gesagt folgten die Interviews einem teilmonologischen, leitfadengestützten Muster der Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen in der Situation der Datenerhebung. In allen Interviews wurde mit demselben halboffenen Interviewleitfaden gearbeitet. Die für die Thematik relevanten Stichworte wurden im Vorhinein durch die Auseinandersetzung mit der umfangreichen Sekundärliteratur erarbeitet und in der Interviewsituation durch Impulse oder direkte Aufforderungen abgefragt. Die halboffene Frageweise ließ dabei genug Raum für zusätzliche, im Leitfaden nicht berücksichtigte Themen. Den Interviewten war nicht bekannt, dass das Ziel der Untersuchung ein Vergleich zwischen palästinensischem und israelischem Wasserdiskurs war; sie gingen davon aus, dass das Interesse allein auf dem israelischen bzw. palästinensischen Wassermanagement lag. Auf diese Weise sollten Rechtfertigungen oder politisch motivierte Polemik minimiert werden. 5.2 Strukturanalyse Die Interviews wurden nach Nationalität geordnet analysiert; nach der Analyse von etwa 70 Prozent der Interviews trat jeweils eine Themensättigung ein, d.h. es kamen keine neuen (Unter-)Themen mehr hinzu. Die Analyse förderte ein großes Spektrum von Oberthemen, Themen und Unterthemen zutage, das jeweils die Diskursstränge „Wasser in Israel“ und „Wasser in Palästina“ ausmacht. Es zeigten sich Überschneidungen der Themen untereinander sowie zahlreiche Verschränkungen zwischen den jeweiligen nationalen Wasser- und Sicherheits- oder Konfliktdiskurssträngen. Mit letzteren sind die gesellschaftlichen Interdiskursstränge gemeint, die sich mit dem anhaltenden israelisch-arabischen Konflikt und den Sicherheitsinteressen der jeweiligen Gesellschaft auseinandersetzen. Im Folgenden wird ein qualitativer Überblick über die jeweiligen angesprochenen Themen gegeben, der durch quantitative Beobachtungen ergänzt wird.386 Alle Interviews wurden mit der Frage nach allgemeinen persönlichen Daten zur Charakterisierung der interviewten Personen eröffnet. Darauf folgten die inhaltlichen Fragen. Mit der Formulierung „Wasserpraktiken“ in der ersten Frage wurde das Ziel verfolgt, die Eröffnungspassage so offen wir möglich zu halten, um herauszufinden, was von den einzelnen interviewten Personen jeweils als erstes Thema angesprochen, welchem Thema also die größte Relevanz in Bezug auf Wasser zugewiesen werden würde. Allerdings führte die offene FormulieInterviewtem, wie etwa die Gegensätze alt-jung, männlich-weiblich, oder auch kulturelle Unterschiede. 386 In den entsprechenden Thementabellen (siehe Anhang) wurden also sowohl Korpus als auch Dossier abgebildet.
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rung in einigen Fällen dazu, dass eine Spezifizierung oder Präzisierung der Frage durch die Interviewerin verlangt wurde, so dass eine Auswertung der Anfangspassage im Sinne einer Gewichtungsinterpretation unmöglich wurde. Die abschließenden Fragen zur Wahrscheinlichkeit eines Westbank-Abzugs und einer Zwei-Staaten-Lösung dienten ebenfalls zur Charakterisierung der interviewten Person und zur Bestimmung der jeweiligen Diskursposition. 5.2.1 Israelischer Diskurs Bei der Aufbereitung des israelischen Materialkorpus wurde schnell klar, dass neben den vorgegebenen 28 Themen und Unterthemen noch zahlreiche weitere den israelischen Wasserdiskursstrang ausmachen. Insgesamt besteht der israelische Diskursstrang „Wasser“ aus 5 Oberthemen, 28 Themen und 29 Unterthemen. Nicht alle diese Themen sind für die hier untersuchte Fragestellung gleich relevant; da die Verschränkung zwischen Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang im Zentrum des Interesses steht, sind die angesprochenen „technischen“ Themen – etwa Abwasserwiederaufbereitung und Entsalzung – nur vermittelt über ihren etwaigen, von den Interviewees konstruierten Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt interessant. Schon bei dieser ersten Gliederung der analysierten Diskursfragmente in Hauptthemenfelder wurden Häufungen und Verschränkungen mit anderen Diskurssträngen sowie Ver- und Entsicherheitlichungen bzw. (de-)securitizing moves erkennbar.387 Das meistgenannte Oberthema des israelischen Wasserdiskursstrangs ließ sich unter dem Begriff Wassermanagement388 zusammenfassen. In diesem Themenfeld wurden insgesamt 660 Nennungen verzeichnet.389 Das unter diesem Oberthema am häufigsten angesprochene Thema war die politische, sozioökonomische und emotionale Bedeutung von Wasser.390 Hier zeigten sich bereits 387 Der Begriff Versicherheitlichung wird im Folgenden, abweichend von Buzan et al., synonym mit securitzing move verwendet. Das Gleiche gilt für die Begriffe Entsicherheitlichung und desecuritzing move. 388 Oberthemen werden im Fließtext fett, Themen fett und kursiv, Unterthemen nur kursiv hervorgehoben. Für einen schematischen Überblick über die genannten Themen siehe Gesamtüberblick im Anhang. 389 Solche Zahlenangaben sollten allerdings nicht überbewertet werden; sie können lediglich grobe Trends verdeutlichen. Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, statistischen, quantifizierenden Methoden zu entsprechen, zumal die einzelnen Diskursfragmente unterschiedlich lang sind, oft mehrere Themen ansprechen, und ein unterschiedliches Gewicht für die Stabilisierung oder Erzeugung des Wasserdiskursstrangs haben. Da die Einteilung in Themen und Unterthemen verhältnismäßig willkürlich ist, müssen die Zahlen bereits als Interpretation verstanden werden. Vgl. dazu auch Jäger (2004), S. 330. 390 340 Nennungen.
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erste Ansätze von securitizing moves, denn die Ressource Wasser wurde diskursiv mit Themen verbunden, die für die Sicherheit des Staates Israel traditionell für zentral gehalten werden. Dazu gehören der Existenzkampf Israels (existenzielle Bedrohung), alle Aspekte, die mit dem Thema Land verbunden sind (Bedrohung des Territoriums) und Fragen der nationalen Identität (Bedrohung der Selbstbestimmtheit und der eigenen Werte). Konflikte zwischen rein israelischen Interessengruppen, etwa Landwirten, Gemeinden, Minderheiten oder der Wirtschaft, sowie zwischen Politikern und Experten erhielten trotz der Fragestellung, die dezidiert auf das spezifisch israelische Wassermanagement zielte, deutlich weniger Aufmerksamkeit und wurden in der Regel nicht versicherheitlicht. Der inner-israelische Wasserdiskurs wurde im Gegenteil als relativ homogen dargestellt: „i dont think that there is a MAJOR(1) argument in the country(1) about(1) the propOrtion of water(1) that is(1) being given to various sectors(1) (...) i think that there is relative national consensus“391. Im Unterthema ideologisch vs. rational wurden (gewissermaßen metadiskursiv) inhaltliche Gegensätze zwischen Spezial- und Interdiskurs thematisiert und in erster Linie die Position des nüchtern-rationalen Wissenschaftlers dem als ideologisch sehr beeinflussbar und beeinflusst verstandenen Politiker gegenübergestellt. Da sich die Interviewees in erster Linie dem wissenschaftlichen Spezialdiskurs zurechneten, warfen sie mehrheitlich der israelischen politischen Klasse die ungerechtfertigte Versicherheitlichung der Ressource Wasser im Interdiskurs vor, betrieben also selbst die Entsicherheitlichung von Wasser. Schlagworte wie propaganda, water crisis hysteria und in reality spielten dabei eine wichtige Rolle. Darüber hinaus zeigten sich Überschneidungen mit den Themen Daten, öffentliche Meinung und Knappheit. Die Forderung nach einer rationalen, an den Fakten (Wasserverfügbarkeit, Wassermenge, Bevölkerungswachstum etc.), also am „richtigen“ Wissen orientierten Wasserverteilungspolitik, die ideologische Gesichtspunkte, etwa die Stärkung des Agrarsektors aus identitätspolitischen Gründen, ablehnt, bildete den Tenor der untersuchten Fragmente. Trotzdem fanden sich bei den Unterthemen Land und nationale Identität weitere securitizing moves bezüglich der Ressource Wasser. Hier wurde die Ressource Wasser mit Territorialhoheit, Grenzziehung, den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten und dem zionistischen Mythos der blühenden Wüste in Verbindung gebracht; damit wurde mindestens implizit eine Bedrohung des israelischen Territoriums und/oder der israelischen Werte formuliert. Dies wird illustriert durch Äußerungen wie die folgenden: „its here (1) in the back of the mind of (1) everyone of my parents (1) generation and every of MY generation (1) to a much lesser degree but yet (1) [incomp.] country 391
Interview 17 IL, Zeilen 117-127. Großbuchstaben markieren eine erhobene Stimme.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt was to (1) transfer the jewish people to (2) people who sits on his land and (1) ahah works it (1) AND water (1) is the basic element of it (1) specially in the middle east (...) it REALLY has (1) very deep roots“392 „you need the LAND and the PLAces and we are VERY CLOSE (1) very SMALL country (1) to build a reservoir (1) its not so easy“393
Im ersten Zitat stechen einerseits die Erwähnung einer Entwicklung der Wahrnehmung von Wasser über die Zeit, also gewissermaßen die Reflektion der Diskursgenese, andererseits die Schlüsselworte „transfer“ und „specially“ hervor. Mit der Formulierung „to a much lesser degree but yet“ hebt der Sprecher hervor, dass die Wahrnehmung von Wasser als für die Umsetzung der zionistischen Ideologie unverzichtbare Ressource zwar für die vorhergehenden Generationen viel wichtiger war, aber dennoch bis heute in den Köpfen vorhanden sei – und dort bis heute wirkt. Mit dem Wort „transfer“ beschreibt er die Entwicklung weg von den antisemitischen Politiken, die auf der ganzen Welt Juden den Besitz und die Bewirtschaftung von Land verboten, hin zu jüdischem Landbesitz und wirtschaft im Palästina des 20. Jahrhunderts sowie später in Israel. Zudem spielt er auf den zionistischen Nexus Land-Landwirtschaft-Wasser an und stellt ihn nicht weiter infrage, was als stillschweigende Zustimmung verstanden werden kann. Der Begriff „specially“ schließlich hebt die speziellen klimatischen und hydrogeologischen Bedingungen der Region hervor, also das, was unter dem Thema Knappheit weiter unten noch expliziert wird. Hier wird zudem auf die Wichtigkeit „richtigen“ Wissens angespielt, das für die Diskurshoheit für absolut zentral gehalten wird (s.u. das Thema Daten). Im zweiten Zitat unterstreicht der Sprecher die Bedeutung des erwähnten Nexus erneut, indem er die ausreichende Verfügbarkeit von Land für die Errichtung von Wasserinfrastruktur versicherheitlicht. Er verzichtet dabei auf zeitliche Distanzierungen und formuliert eine unterschwellige Bedrohung („it’s not so easy”). Im Themenfeld absolute Kontrolle stand das Bedürfnis im Mittelpunkt, jeden einzelnen Tropfen verfügbaren Wassers überall in Israel und zu jeder Zeit kontrollieren zu können (hier gleichbedeutend mit bestmöglich nutzen). Dabei wurde der stillschweigende Konsens erzeugt, dass nur israelische Kontrolle, also ein von als feindlich empfundenen Nachbarn möglichst unabhängiges Wassermanagement, die israelischen Interessen garantieren könne. Hier ist eine Verschränkung zwischen Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang erkennbar, denn Kontrolle wird gleichgesetzt mit Überleben. Ohne sehr genaue Kontrolle und Überwachung der natürlichen Wasserressourcen wären Tür und Tor für Verschmutzung, Übernutzung und folglich lebensbedrohende Knappheit geöffnet, so 392 393
Interview 16 IL, Zeilen 235-245. Interview 11 IL, Zeilen 402ff.
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der Konsens der Sprecher im Hegemonialdiskurs. Mindestens implizit klingt dabei an, dass diese Kontrolle am besten israelisch sei, ganz besonders dann, wenn man die Stichworte „Vertrauen“, „Angst“ und „existenzielle Bedrohung“ in diese Gleichung aufnimmt. „the first and probably most important point is that the only resource in israel which is nationalised and completely controlled by the state israel water ahah is ah ah a completely state owned resource it is administrated by the ah what we call the water commission and every single drop (3) of fresh water saline water sewage is controlled by this ah ah by the water commission it has a professional arm which is the hydrological service and hydrological institute which supplies the water commission with the professional data and then the decisions of the water commissions are ahahahahah taken considering the hydrological data from the field(1) ah its not only ah measurements of ah rainfall riverflow groundwater levels and stuff but are also and probably mainly ah ah ahah the understanding of movement of water bodies and ah ah considerations of ahah water balance ah and ah such there are absolutely hydrological considerations(1) ah the main issue is the main issue of the control water control everybody gets an allocation ahah and this allocation is changed from year to year considering natural recharge if there was ah ahahahah rainfrainfall or if it wasnt was the rainfall according to the average the longterm average or it was a bad year and then the allocations are are decided upon separately or how shall i say it ah ahah they are decided upon ah not taking into consideration what was last year they are considered by the ahah hydrological situation of immediately of the passing winter(1) aaah this is the base absolute control of water ahahah distribution water rights”394 „under natural conditions existing here in this area there doesnt seem to exist adanother different way you have you have to tototo ah to have complete control of the water cause otherwise its completely (...) grosso modo it goes according to the same lines“395 „the exploitation of water should be very tightly and very dictatorially ahahahaaaaah exploited in order to sustain [cough] in order to keep up these ahahah resou(1)ah resources [cough] ma dictatorial is a very dangerous ah word what i mean is that there should be [cough] centralised even regionally centralised ah authorities (...) in order to manage these waters otherwise there is no way out“396
Wichtig ist hier die Erwähnung der Schlüsselworte „allocation”, „absolute control” und „water rights”, die die israelische Dominanz im Wassersektor unterstreichen, denn immer ist es die israelische Regierung, die als kontrollierender 394
Interview 01 IL, Zeilen 113-144. Interview 01 IL, Zeilen 181-188. 396 Interview 01 IL, Zeilen 243-253. 395
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Akteur implizit mitgedacht wird. Der Begriff „rights” weist auf einen weiteren securitizing move hin: Sind meine Rechte bedroht, ist meine Selbstbestimmtheit in Gefahr. Seine Wasserrechte kann Israel, so die Perzeption, nur wahren, wenn es die alleinige Kontrolle über die knappen Wasserressourcen behält; also kommt jede Forderung nach Aufgabe noch so kleiner Teile dieser Kontrolle einer existenziellen Bedrohung gleich. Allerdings ist das Referenzobjekt hier nicht völlig klar: Es könnte sich einerseits auf internationaler Ebene um die israelische Bevölkerung handeln, auf nationaler Ebene andererseits um einzelne Verbrauchergruppen, etwa Landwirte. Der Aggressor wäre jeweils ein anderer: auf internationaler Ebene die arabischen Nachbarn, auf nationaler Ebene eine Nutzergruppe. Die Begriffe „professional“ und „hydrological“ weisen auf die bereits erwähnte Wahrnehmung von Experten als rational und Politikern als ideologisch hin und lassen zudem eine Art Rechtfertigung oder auch Anspruchshaltung vermuten. Im zweiten Zitat wird die Notwendigkeit absoluter Kontrolle als allein gültiges Prinzip des nahöstlichen Wassermanagements dargestellt, das sogar von den Palästinensern übernommen worden sei. Die Aussage ist unpersönlich gehalten („there doesnt seem“, „you have to“, „its“, „it goes“) und folgt so der Form einer allgemeingültigen Regel. Im letzten Fragment wird die Bedrohung, die von fehlender Kontrolle ausgeht, endlich ausgesprochen: „otherwise there is no way out“. Hier wird Kontrolle über Wasser versicherheitlicht. In den folgenden Fragmenten wird das, was oben nur implizit war, nämlich die Überlegung, dass absolute Kontrolle unter den historisch gewachsenen politischen Bedingungen eigentlich nur von Israel ausgeübt werden dürfe, expliziert: „IF the palestinian(1) will(1) drill without any(1) control(1) along the(1) green line in their side(1) they will influence immEdiately on our(1) boreholes [hm](1) and ah(1) l(1) the salinity will ah(1) enter into the aquifer very(1) quickly(1) and we are afraid that(1) MANy of the our boreholes will ah(1) become saline n we have to close it(1) therefore we have to find a(1) solution and i i(1) beLIEVe that(1) no one will allow them(1) to drill(1) ah without(1) agreement(1) of the a(1) but ah(1) you have to(1) be(1) rEADy to Any(1) even to the WOrst(1) scenario (1) but ah(1) i dont believe it(1) THEY understAnd ah(1)”397 „we can destroy aquifers (1) like this [schnippt finger] (2)”398
Die Schlüsselworte „control“, „influence“, „afraid“ and „allow“ sowie die Verwendung der Personalpronomen „they“, „their“, „them“ sowie „you“, „our“ und „we“ zeigen israelische Dominanz, Abhängigkeit der beiden Konfliktparteien voneinander, fehlendes Vertrauen sowie das daraus entstehende, existenzielle 397 398
Interview 11 IL, Zeilen 510-524. Interview 16 IL, Zeilen 575f.
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Bedürfnis, alle Fäden selbst in der Hand zu behalten. Wiederum wird Wasserknappheit versicherheitlicht durch ihre Darstellung als existenzielle Bedrohung; der Wasser- und der Sicherheitsdiskursstrang verschränken sich mit dem Effekt, die diskursive Einteilung in in- und outgroup zu verstärken und Konfliktlinien zu perpetuieren. Begriffe wie „very quickly” und „immEdiately“ – das groß geschriebene ‚E’ steht für eine erhobene Stimme – unterstreichen zudem die Dringlichkeit des Problems und sind wichtiger Bestandteil des securitizing move. Allerdings bleibt die Bedrohung immer noch diffus – der Sprecher expliziert zwar, dass Versalzung durch unkontrollierte palästinensische Nutzung der gemeinsamen Wasserressourcen möglicherweise die Schließung von israelischen Quellen und Brunnen zu Folge hätte, doch wozu dies in letzter Konsequenz führen würde, etwa Wassermangel, Einschränkungen im Lebensstandard, vielleicht sogar Verdursten, bleibt offen. In einem solchen Kontext von Gefahr, Furcht und Abhängigkeit gehört es jedenfalls in die Sphäre des Unsagbaren, über die Aufgabe eines Teils der natürlichen, unter israelischer Kontrolle stehenden Wasserressourcen auch nur nachzudenken (siehe Umverteilung extern). Interessant ist allerdings die letzte Verwendung des Personalpronomens „they“, denn hier sind nicht wie oben die Palästinenser gemeint, sondern die politischen Entscheidungsträger in Israel, die, so hofft der Sprecher, verstanden haben, dass Israel die Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen nicht aufgeben darf. Durch die Verwendung des Personalpronomens wird die bereits erwähnte interne Konfliktlinie zwischen Experten und Politikern verdeutlicht. An dieser Stelle ist es nützlich, sich auch die ganz persönliche Eingebundenheit eines „Wasserexperten“ vor Augen zu führen, denn sollte Israel beispielsweise die Kontrolle über die Grundwasserressourcen der Westbank an die Palästinenser abtreten, käme es wohl auch zu Umstrukturierungen im israelischen Wassermanagementsektor, bei denen die Reduzierung von Arbeitsstellen nicht auszuschließen wäre. Das Thema Daten, die Frage des „richtigen Wissens“ bzw. der Daten- und Diskurshoheit, der Referenzbezüge und Quellen des Wissens, spielen im israelischen Wasserdiskursstrang ebenfalls eine zentrale Rolle, was sich ja bereits in der Diskursgenese abzeichnete. Die zahlreichen Studien zu natürlichen Wasserressourcen, Bevölkerungswachstum und absorptive capacity Palästinas, die vor und nach der Staatsgründung angefertigt wurden, sind als Manifestationen dieser extremen Wichtigkeit zu verstehen. Den Stellenwert von effizientem Wassermanagement auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien illustriert das folgende Zitat: „we decided the top priority was to deal with allocations of water to the farmers because at that time [in den 1950er Jahren, Anm. d. Verf.] 70 percent of the water in israel was given to the farmers and thirty percent of all the others now its vice versa (2) and we started doing a very intensive research on tec-technology as well as agro-
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt nomy (2) on what crops (1) are suitable for the conditions of israel to produce the largest (1)sum of dollars per unit of water (...) number one number two what technologies (2) could be used (2) in order to minimize the amount of water per a ton (1) product and this is how drip irrigation came about (...) the norm the norms and the allocations were developed together and it (1) and it started wIth technology (1) and with agronomy“399
Nur wenn Israel die Deutungshoheit über vorhandene Wassermengen und Wasserqualität behält, kann es sicher sein, die ausreichende Versorgung der israelischen Bevölkerung und absolute Kontrolle gewährleisten zu können; hier verschränkt sich der Wasser- erneut mit dem Sicherheitsdiskursstrang. Daten bzw. „richtiges Wissen“ werden gewissermaßen als Verstärker von securitizing moves verwendet, indem sie als Basis und Voraussetzung für angemessenes Wassermanagement verstanden und gleichzeitig als genuin israelisches Produkt dargestellt werden. Da den anderen Konfliktparteien nicht zu trauen sei, müsse auch die Datenerhebung und die darauf basierende Kontrolle der Wasserressourcen in israelischer Hand bleiben. „it depends so much on our (1) on our neighbours yes (1) and althOUgh im an optimistic character [laughs] im afraid it will take some time before they change (1) and also in our case some people some part they change the psychological attitude (...) ii know it from my personal history before every war we said lets negotiate they said no we are throwing you back to the sea so they have to pay some price for this“400
Dieses Diskursfragment illustriert das mangelnde Vertrauen zwischen den Konfliktparteien, das die Grenzen der Sphären des Sagbaren und Unsagbaren im israelischen Diskurs definiert. Zwar äußert der Sprecher auch Kritik an der eigenen Gruppe („also in our case some people some part they change the psychological attitude“) und erwähnt die Notwendigkeit einer Veränderung der israelischen, inner-gesellschaftlichen Herangehensweise an die Wasserverteilung als Voraussetzung für eine regionale Lösung des Konflikts. Trotzdem bleibt die Konfliktlinie zwischen in- und outgroup deutlich erkennbar: Die Verwendung der Personalpronomen „our“, „they“ und „we“ zementiert die Grenzen zwischen den beiden Gruppen. Es spricht wenig Hoffnung aus der Formulierung „althOUgh im an optimistic character (...) im afraid it will take some time before they change“, zumal die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs in Bezug auf nachhaltiges Wassermanagement ebenfalls immer wieder betont wird und ja gegenläufig zu der hier aufgeführten zeitlichen Einschätzung ist. Die grundsätzliche Veränderung der feindlichen Konfliktpartei und die teilweise Transformation der 399 400
Interview 05 IL, Zeilen 613-645. Interview 13 IL, Zeilen 136-142 und 716-720.
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eigenen Gruppe werden hier zur Voraussetzung einer regionalen Lösung des Wasserkonfliktes gemacht, gleichzeitig aber die Wahrscheinlichkeit dieser Veränderungen rhetorisch minimiert, so dass eine versicherheitlichende Kausalkette entsteht. Darüber hinaus gehört dieses Diskursfragment mit der Drohung des „ins Meer treiben“ in den Unterthemenbereich Existenzkampf Israel. Unter dem Themenstichwort Verteilung/Prioritäten sind Diskursfragmente zusammengefasst, in denen die Art und Weise der Zuteilung von Wasser – Menge, Qualität, nationale Rechtsprechung, Empfängergruppen und Preise – angesprochen wird. Die interviewten Personen konzentrierten sich hier, anders als beim Themenfeld „absolute Kontrolle“, weitestgehend auf die inner-israelische Verteilungspolitik (innenpolitische Konflikte), sie sparten die Frage der israelischen Wasserzuteilungen an die Palästinenser also aus. Hier äußerten sich die interviewten Personen mehrheitlich kritisch gegenüber dem israelischen Wassermanagement – wo die ingroup nicht gegenüber einer outgroup verteidigt werden musste, wurde es möglich, Kritik an der eigenen Gruppe zu üben. So wurden Missstände in der inner-israelischen Zuteilungspolitik betont, etwa die Gabe von Trinkwasser an Landwirte. Schlüsselbegriffe waren dabei supply management und demand management, also eine Politik des „supply water to to as many as you can“401 als Gegenpol zu der Überlegung, verschiedene Wasserqualitäten je nach ihrer Nutzung zu verteilen. Nach der letztgenannten Denkweise würde trinkbares Wasser in erster Linie an Haushalte gehen, während die Landwirtschaft vor allem aufbereitetes Wasser erhielte. Demand management, so der Tenor, fehle im israelischen Wassermanagement und dies sei ein großes Defizit. Diese interne Kritik ging bis hin zu securitzing moves in Bezug auf das israelische Wassermanagement, das die Wasserversorgung der israelischen Bevölkerung langfristig nicht sichern könne. Das Thema Wassertarifsystem/Preise steht für die israelische Preispolitik in Bezug auf Wasser. Dieser Punkt ist vor allem in Verbindung mit den Themen Verteilung/Prioritäten und Gerechtigkeit von Interesse, da eine Umstrukturierung des israelischen Wassersektors im Sinne einer Re-Allokation der vorhandenen und der Zuteilung von neuen (entsalzten) Wasserressourcen über die Preispolitik durchgeführt wird. So funktioniert die Bepreisung der Ressource intern als Marktsignal, indem etwa qualitativ hochwertiges Wasser für landwirtschaftliche Nutzung deutlich teurer gemacht wird als aufbereitetes Wasser. Auf internationaler Ebene (s. Umverteilung extern) wird dieses Verständnis von Wasser als wirtschaftliches Gut unter dem Stichwort „Kompensation“ zusammengefasst. Die letzten beiden Themenfelder unter dem Oberthema Wassermanagement waren Infrastruktur und externe Einflüsse. Unter ersterem wurden etwaige Ungleichheiten zwischen unterschiedlichen israelischen Nutzergruppen abge401
Interview 05 IL, Zeilen 41f.
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fragt (die aber zu vernachlässigen sind402), während letzteres sich mit politischen und finanziellen Einflüssen auf das israelische Wassermanagement befasst. Dort stach hervor, dass die Meinungen über die Rolle externer Einflüsse deutlich auseinander gingen: Sie bewegten sich zwischen „from the way we MAnage not really“403 und „no doubt about it“404, unter Einbeziehung des Zeitfaktors, der in den frühen Jahren des Staates Israel einen größeren Einfluss externer Parteien verzeichnete als zum Zeitpunkt der Interviews. Als potenzielle Einflüsse wurden die jüdische Diaspora, die Medien sowie verschiedene staatliche und transnationale Akteure genannt (Weltbank, USA, EU, Russland). Das nächstgrößte Oberthema war die verfügbare Wassermenge, mit den Themen Knappheit und unkonventionelle Wasserressourcen.405 Hier ging es vor allem um die klimatischen, hydrogeologischen Gegebenheiten, aber auch um technologische Entwicklungen und Möglichkeiten in Israel und der gesamten Region. Zentral war zudem die Wahrnehmung von natürlicher Wasserknappheit als absolut oder relativ sowie der jeweils zugrundeliegende Naturbegriff. Dieses Themenfeld hängt sehr eng mit denen der Wassernutzung und der Wasserqualität zusammen, denn die Art und Weise der Wassernutzung hat ebenso wie die Wasserqualität unmittelbaren Einfluss auf die verfügbare Wassermenge (Stichworte Verschmutzung, Nachhaltigkeit etc.) und umgekehrt. Letztlich ist dieses Themenfeld der Ausgangspunkt des gesamten Wasserdiskursstrangs, denn wäre Wasser nicht knapp, die Wassermenge also ausreichend, gäbe es weder den Diskursstrang in seiner heutigen Form noch den Verteilungskonflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass dieses Themenfeld nicht am häufigsten genannt wurde; stattdessen wurde dem Oberthema Wassermanagement die größte Aufmerksamkeit gewidmet, was ein Indiz für das zugrundeliegende utilitaristische Verständnis von Wasser als kontrollierbarer Ressource, als primär wirtschaftliches Gut ist. Hier zeichnet sich im Zusammenhang mit der Diskursgenese außerdem die bereits mehrfach angedeutete Wahrnehmung einer Entwicklung des Diskursstrangs über die Zeit ab (Zeitfaktor), nämlich von einer massiven Versicherheitlichung in den Gründerjahren bis hin zu einer stärker werdenden Entsicherheitlichung der Ressource seit der Entwicklung erschwinglicher Entsalzungstechnologien. Die meisten Nennungen (212; 478 inklusive Unterthemen) in diesem Oberthema entfielen auf das Thema Knappheit, unter enger Verknotung mit dem Thema Daten, denn hier ging es in erster Linie um die natürlichen Bedingungen 402 Abgesehen von der Bevölkerungsgruppe der Beduinen, die in fast allen Bereichen des täglichen Lebens, auch der Wasserversorgung, massiv benachteiligt werden. Ihre Situation wird hier nicht berücksichtigt. 403 Interview 17 IL, Zeile 248. 404 Interview 16 IL, Zeile 721. 405 Insgesamt 555 Nennungen.
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vor Ort, für deren genaue Bestimmung es wissenschaftlichen Standards genügender Studien bedarf. Welche Menge Wasser existiert wo in welcher Qualität? Wie sehen Zukunftsprognosen für die Entwicklung der israelischen und regionalen Wasserversorgung aus? Die Einschätzungen der Frage „Ist Wasser in Israel knapp?“ changierten dabei zwischen der Wahrnehmung von Knappheit als relativ oder absolut abhängig von der Wasserart: „okay [cough] the yearly potenzial of israel which is one point nine billion cubic meters we can talk of two billion cubic meters is you know really thethethe end of our resources and the growth of our population is 2(1)2 percent aahm if you go to jordan you know whats the growth of their population I: its more i think four percent or five (overlap) 01: its four point one four point two if you go to palestine its if im not mistaken around three I: yeah i think so too 01: so we(2)if we ahah extrapolate this to to the year 2020 which is next door [cough] we will be all inaninaninan absolute deficit of water [cough] so where cancan this water taken from there is no i mean there are no miracles okay we will de(2)we will drill deeper so we will add another fifty million cubic meters but if you d(1)drill deeper you never know what is coming up i can almost with certaintly certcer(1)s(1)certainty ahahahahah indicate that eighty percent is that you will come up with saline water it will be a miracle if it will be not be saline itits the same for every for every party concerned in this area so wo(1)one thing is absolutely sure that from natural resources [cough] neither party wether its israeli and palestinian and jordanian will bring up the additional ah necessary water what you need for the year twothousandtwenty is an additional billion cubic meters of water for the region for the region” 406 „water(1) wILL not ever be(1) a LIMIT (1) [because of] because well be able to handle it [hm] we will do a better job with the water we have(1) well produce more water(1)“407 „there is ah(1) fluctuation but the average we know (1) ah natural(1) ah(1) average of waterin israel is aabout ah(1) one point five or one point ah(1) six(1) billion bIllion of water this is ah(1) renEWal(1) water in israel (1) and the(1) consumptions about two(1) two billion [hm](1) therefore you have(1) you have all the time the deficit(1) in the longterm(1) that(1) the desalinAtion will ah(1) close this ah(1) GAP(1) for example and ah(1) of course we have to pray for good years sometimes [hm] but ah(1) theyre not religious (1)“408
406
Interview 01 IL, Zeilen 352-379. Interview 17 IL, Zeilen 288-292. 408 Interview 11 IL, Zeilen 830-843. 407
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Die natürlichen Wasserressourcen Israels und Palästinas, so der überwältigende Konsens, sind absolut knapp.409 Sie werden bereits seit Jahren übernutzt, die Qualität, ohnehin sehr unterschiedlich, leidet ständig durch Verschmutzung und Übernutzung und Besserung ist nicht in Sicht. Hier gleicht die Darstellung also einem Nullsummenspiel: Wasser aufgeben bedeutet Wasser verlieren, weil die Ressource insgesamt viel zu knapp und ernsthafte Kooperation unsagbar ist. Gäbe es nur die natürlichen Wasserressourcen, wäre sogar ein Krieg um Wasser nicht ausgeschlossen – deshalb war die Ressource Wasser überhaupt als eigener Punkt in die Friedensverhandlungen des Oslo-Prozesses aufgenommen worden. Doch seither haben Innovationen auf dem Feld der Entsalzung einen so großen Sprung gemacht, dass die extreme Knappheit der natürlichen Wasserressourcen relativiert wurde und der Konflikt um die Wasserverteilung zumindest unter israelischen Wasserexperten praktisch als gelöst gilt: „on one hand today we’re standing in front of a world where is-country like israel which is very narrow and very small and very close to the sea has no limit in the amount of water and the days in the days that water was a matter of life and death and water was a was a ahm a cause for wars and can still be can still be a cause for wars but in in our case we live today in a wo-from a water point of view completely different world on one hand we can produce as much water as we want it is a budgetary its economic issue how much we desalinate that’s one hand and on the other hand we still live all of our legislated [incomp.(1)] ah basis social and economic attitude to wat-water is still on on the basin the basin concept that if you pump more or you pollute you are causing damages to the others and the law should protect the others from your misbehaviour“410
Der Sprecher thematisiert hier selbst die noch laufende Entwicklung von der Wahrnehmung von Knappheit als absolut hin zu einer Relativierung dieser Wahrnehmung durch neue Technologien (Entsalzung). Er reflektiert zudem den unterschiedlichen Fortschritt dieser Entwicklung auf verschiedenen Diskursebenen (Spezial- und Interdiskurs). Auf der einen Seite steht der Spezialdiskurs, der in diesem Fall vor allem von (Wasser-)Experten geführt und belebt wird, auf der anderen der politische Diskurs, in dem es um Ideologien, Identitäten und Konfliktpositionen geht. Hier spielt der bereits erwähnte Zeitfaktor eine große Rolle, denn in den untersuchten Fragmenten wurde praktisch einhellig davon ausge409 Man bemerke die Diskrepanz in den Angaben über die Höhe der jährlichen erneuerbaren Wassermenge in Zitat eins und drei. Selbst im israelischen Diskurs ist die Diskurshoheit im Sinne „richtigen“ Wissens zum Teil umstritten. 410 Interview 05 IL, Zeilen 278-298. Die Dominanz der Wahrnehmung von Knappheit als relativ spiegelt sich auch in der Anzahl der Nennungen wieder: relative Knappheit wurde 148 thematisiert, während absolute Knappheit nur 42 mal angesprochen wurde, und dann meistens mit einem Hinweis auf den Zeitfaktor.
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gangen, dass die ideologische Verschmelzung der Ressource Wasser mit nationalen Interessen wie der Inbesitznahme von Land, Grenzziehung und Überleben des israelischen Staates im politischen Diskursstrang (noch) sehr viel stärkeren Einfluss ausübt als im als rationaler und pragmatischer empfundenen Wasserdiskursstrang, in dem Wasser aufgrund der veränderten technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu einer zwar unersetzlichen, aber doch künstlich erzeugbaren Ressource, also zu einem wirtschaftlichen Gut geworden ist. Das bedeutet letztlich, dass im israelischen Spezialdiskurs Wasser die Entsicherheitlichung der Ressource Wasser betrieben wird, während im alle gesellschaftlichen Felder durchdringenden politischen Diskurs nach wie vor die Tendenz zur Versicherheitlichung der Ressource besteht. Die Versuche der Entsicherheitlichung im Wasserdiskursstrang werden immer dann ausgehebelt, wenn sich Spezial- und politischer Diskurs überschneiden und verschränken. So bleibt auch trotz der entsicherheitlichenden Wirkung von Entsalzung die Umverteilung von natürlichen Wasserressourcen zugunsten der Palästinenser auch im Spezialdiskurs unsagbar. Dies zeigt das gleichnamige Unterthema, in dem Entsalzung zwar als einzige Lösung der Wasserknappheit für die gesamte Region, also auch für die Palästinenser, präsentiert wird, davon aber keinesfalls eine Neuformulierung der seit 1967 bestehenden Wasserverteilung (sprich: Abgabe von Kontrolle über natürliche Wasserressourcen) abgeleitet wird. Der Wasserverteilungskonflikt zwischen Israelis und Palästinensern könne, so der Konsens, zwar durch Entsalzung entzerrt werden, doch nur unter der Voraussetzung, dass am Status quo der Wasserverteilung seit 1967 nichts verändert und das entsalzte Wasser entsprechend bezahlt werde. Insgesamt kann man sagen, dass sich das Verständnis der Ressource Wasser im israelischen Diskurs von einer absoluten Versicherheitlichung bis in die 1990er Jahre hinein, also der Wahrnehmung von Wasser als absolut knapper Ressource, hin zu einer relativen Versicherheitlichung entwickelt hat. Inzwischen sind sogar desecuritizing moves möglich geworden. Die entscheidenden Faktoren waren dabei technologische Innovationen und wirtschaftliche Entwicklung; wo Knappheit nachlässt, entsteht Raum für kooperativere Diskursstrukturen. Lediglich in einem einzigen israelischen Diskursfragment wurde Entsalzung nicht entsprechend dieses Hegemonialdiskurses verstanden (s. auch Feinanalyse). Im Sinne eines Gegendiskurses wurde die Frage der verfügbaren Wassermenge sowie der israelischen Nutzung der natürlichen Wasserressourcen mit dem globalen Umweltdiskurs verbunden und daraus folgende Einschätzung konstruiert: „i think from an(1) anthropological perspective from a social perspective (1) some of the he the HEArt of the problem(1) lies(1) in(1) ahm(1) some of the(1) you
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt know(1) early development concepts of zionism (1) of (1) ahm(1) modernism (1) you know that ah(1) is related to(1) the ideas that MAN can conquer nature [hm] and ah thats ah(1) exemplified (1) in israel and in the middle east(1) in particular(1) through(1) the concept that ahm ah(1) making the desert bloom(1) that this is a good thing(1) ahm(1) that you know we can ahm(1) ah(2) imprOVe our nature(1) and turn desert areas into PRODUCTIVE (1) agriculturally prodUctive green areas [hm](1) and(1) that whole (1) CONCEPT has (1) ahm (1) its just across the board(1) accepted (1) by decision makers by the general public(1) the green area is seen (1) as a GOOD healthy area(1) even though we are in a semi arid part of the world(1) and in you know maybe(1) 60 percent of the country in a completely in a DESERT(1) part of the world [hm] (1) ah(1) and therefore that(1) that ah(1) gives a lot of ah(1) ah(1) PUBLIC SUPPORT (1) to the agricultural sector(1) even though their their contribution to DATe to the economy (1) is quite insignificant (1) its two to three percent of gdp (1) and comes from agriculture(1) and thats agriculture (1)ah(1) not only from freshwater but also from treated sewage water so (1) the contribution from fresh water is even LESS (1) than 2 or three percent (1) yet the TAKE ah(1) about 500 mcm of fresh water (1) ahm (1) ah(1) but-but also relates to ah(2) ah the way that israelis in the(1) URBAN ah(1) sector see (1) successful development where(1) the idea of a SUCCESS(1) for a family(1) is to live in a house and a garden(1) you know to have (1) green areas around them ahm(2) and ah(1) thats also NOT sustainable(1) in a semi arid(1) desert part of the world(1)”411 „i dont believe in the notion that our neighbours should enjoy (1) ahm 300 litres per person per day as israel does i think(1) we should be getting CLOSER to(1) the level that our neighbours(1) enjoy we all we all should (1) to be sustainable (1) i think we ALL should be(1) utilising(1) around 150 (1) ahm(1) it means doubling the palestinian intake cause its around 60 litres (1) ahm(1) increasing by a LITTLE bit the jordanian (1) and i think that is FAR more sustainable(1) for the region(1) rather than bringing everyone up to the israeli level i think we should actually go dOWN (1) israel should go down (1) ahm (1) and SHARE that water (1) by increasing(1) the water(1) available(1) to ah(1) the palestinian (1) PARTICULARLY the palestinian”412 „we can give the palestinians a hundred million cubic meters o-water two hundred million cubic meters o-water as i recommend (1) [hm] which will redUce OUr water reserves (1) by fifteen percent [hm](1) and we can bUY that amount of water in the store i mean by the store we can built desalination plants [hm] its no longer a zero sum game (1) for a relatively economic price we can (1) replAce that water”413
Der Sprecher thematisiert hier zunächst die in der israelischen Gesellschaft seiner Meinung nach vorherrschende, anthropozentrische Sichtweise auf die Ressource Wasser und drückt gleichzeitig sein Missfallen dieser gegenüber aus. So 411
Interview 06 IL, Zeilen 51-94. Interview 06 IL, Zeilen 378-395. 413 Interview 10 IL, Zeilen 737-746. 412
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positioniert er sich als Kritiker der zionistischen Ideologie des „die-Wüste-zumBlühen-Bringens“, des modernen Wachstumsparadigmas und der daran orientierten allgemeinen Vorstellung von „Erfolg“. In seiner Kritik bezieht er sich dabei immer wieder auf das Konzept der Nachhaltigkeit, das ein wichtiger Bestandteil des globalen Umweltdiskurses ist. Im zweiten Abschnitt expliziert der Sprecher dann sein ökozentrisches Weltbild, indem er die Anpassung des Menschen an die gegebenen natürlichen Bedingungen fordert und das anthropozentrische Wachstumsparadigma erneut kritisiert. Er bedient sich dabei wiederum diskursiver Strukturen des globalen Umweltdiskurses, indem er ein generelles Umdenken vom anthropozentrischen zu einem ökozentrischen Weltbild fordert. Damit bewegt er sich in der Sphäre des Unsagbaren, im Gegendiskurs. Dies gilt auch in Bezug auf den Konflikt- oder Sicherheitsdiskursstrang, weil der Sprecher das, was in der Mehrheit der israelischen Diskursfragmente als unsagbar galt, nämlich die Teilung der natürlichen Wasserressourcen mit den Palästinensern, als Handlungsempfehlung formuliert. Dies gilt auch für den Sprecher im dritten Fragment. Die Variable, an der Hegemonial- und Gegendiskurs sichtbar werden, ist der jeweilige Naturbegriff. Während Natur im Gegendiskurs als schützenswert und menschliches Eingreifen in die Natur als grundsätzlich schädlich empfunden wird, wird im Hegemonialdiskurs Natur als Arbeitsmittel des Menschen verstanden, als nutzbares Gut, als Ressource für menschliches (Über-)Leben. Entsprechend wird ein Eingreifen in die Natur durch großangelegte Entsalzungsprojekte sehr unterschiedlich interpretiert. Das Unterthema virtuelles Wasser wurde meist nur auf Nachfrage erwähnt, obwohl hier ebenfalls im Rahmen kooperativ orientierter Diskursstrukturen eine Zusammenarbeit mit den Palästinensern über eine Art Handelsabkommen im landwirtschaftlichen Bereich erwähnt wurde. Die dominanten konfliktiven Diskursstrukturen wurden dabei ein Stück weit aufgebrochen, indem ein Austausch von (virtuellem) Wasser über den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten zwischen Israelis und Palästinensern vorgeschlagen wird: „there may be a possibility the two neighbours (1) who have(1) Ownership lets call it that(1) on amounts of water(1) MAY consider the possibility of providing the little bit of water that I owe to YOU (1) if YOU can produce(1) cucumber(1) more practically than(1) I can(1) and you can give me back the cucumbers and we somehow share the benefit (1) so THAT is plain(1) with water and virtual water in some stance [so that would mean a trade agreement between israel and palestine] well what we are importing ah(1) our vegetables from ah(1) gaza (1) and so(1) there is a trade in virtual water in relatively small quantities(1) not(1) insignificant but small
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt compared to grain [hm] and so at some point in in the future(1) there MAY be such an exchange(1)”414
Hier zeigen sich Ansätze kooperativer Diskursstrukturen, wie die Schlüsselworte „give back“, „share”, „benefit”, „exchange” und „possibility” illustrieren. Zwar relativiert der Sprecher diese Ansätze durch Formulierungen wie „there MAY be”, „small” und „at some point in the future”, doch allein die Tatsache, dass die Idee der Kooperation denk- und sagbar ist, zeugt bereits von einem völlig anderen Konfliktklima. Hier zeichnet sich ein wichtiger, positiver Trend hin zu kooperativeren Diskursstrukturen ab. Das nächste Oberthema, Wassernutzung, wurde 265mal erwähnt. Das wichtigste Thema war hier wie zu erwarten Landwirtschaft, denn dies ist nach wie vor der Sektor, in dem die größte Menge Wasser verbraucht wird. Haushalte und Industrie wurden ungleich seltener thematisiert (14 und 7 Erwähnungen). Weitere Themen waren die israelischen Siedlungen, Nachhaltigkeit und öffentliche Wahrnehmung. Unter dem Oberthema Wassernutzung wurde die Art und Weise, wie Wasser in verschiedenen Sektoren der israelischen Gesellschaft/Wirtschaft eingesetzt wird, thematisiert. Überschneidungen mit dem Sicherheitsdiskursstrang ergaben sich vor allem in den Themenfeldern Landwirtschaft und Siedlungen, denn hier wurde die Ressource Wasser und ihre Verwendung erneut mit nationalen Interessen, nationaler Identität, Zionismus und Landbesitz in Verbindung gebracht. Der landwirtschaftliche Sektor wurde in fast allen Diskursfragmenten zum Thema als unverzichtbar dargestellt. Seine Defizite – hoher Wasserverbrauch, aber minimaler wirtschaftlicher Gewinn – wurden wahrgenommen, aber mithilfe unterschiedlicher Argumentationsweisen relativiert. Lediglich Veränderungen in der Wasserpreispolitik waren sagbar; die Verkleinerung oder gar Abschaffung des israelischen Agrarsektors gehörte in die Sphäre des Unsagbaren. Sie wurde nur im Rahmen des ökozentrischen Gegendiskurses erwähnt. „the more water thats required by the cities the less is available for agriculture (1) the consequence of that is the(1) fact that water is not PRICEd its full(1) economic price (1) theres(1) and ONGOINg tension(1) that agriculture should(1) pay more(1) thereby use less (1) ah at the same time theres a full recognition that the Urban(1) demands have to be met(1) not a question of(1) [incomp] water sAving to be implemented(1) but ah(1) other than thAt is has to be met and therefore [incomp] fOCus(1) IS(1) fixed to national water(1) AND ah(1) agriculture could not afford to pay the full price of [economation?](1) agriculture had to go down and THAT caused a tension(1) betwEEN sectors(1) and there was a degree of tension between different(1) geographic areas those that sit On the water(1) and those that are far 414
Interview 17 IL, Zeilen 382-399.
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awAY(1) but at the beginning(1) there was national consensus(1) the ethos was development (1) AS the limited resources were encountered(1) more and more tension between USES(1) and USERS I: hm(1) and what role does agriculture play in israel todAy 17: it was it is and it will remain(1) an econOmic activity on the one hand(1) and a provIder of a lot of(1) PUBLIC GOODS(1) at the same time(1) like maintaining open spaces food security distribution of the population(1) VERY [VARIOUS?] [incomp] I: is really food security still(1) one of the 17: always will [hm](1) no country wants to be totally dependent from its imports(1) and thats a bit of a hUrdle(1) because all our grain come from(1) from the outsIde(1) and grain is probably the most stratEgic(1) of the agricultural goods(1) but we DO maintain food security [incomp] [hm] (1) and thats not gonna go away”415 „we will continue to export because the VALUE of the(1) agricultural products(1) [incomp] you can to do it in the HIGh TECH(1) agriculture that israel hAs its worth it“416
Zunächst beschreibt der Sprecher die innerisraelischen Spannungen in Bezug auf die Wassernutzung im landwirtschaftlichen Sektor. Hier ergeben sich naturgemäß deutliche Überschneidungen zum Themenfeld Wassermenge, denn die Nutzung von Wasser für landwirtschaftliche Zwecke wird erst durch die vorherrschende Wasserknappheit überhaupt zu einem Thema. Mit der Entwicklung der begrenzten Wasserressourcen zu einem diskursiven Ereignis veränderte sich deshalb auch der Wasserdiskurs; es entstanden innerisraelische Spannungen in Bezug auf Wasserverteilung und -nutzung. Die beiden Diskursfragmente illustrieren, dass sich der Wasserdiskursstrang in den letzten 60 Jahren deutlich verändert hat, weg von einem nationalen Ethos der Entwicklung hin zum Primat von Effizienz, Produktivität und sogar, wenn auch weniger stark, zu demand management. Dies stößt allerdings an deutliche Grenzen, wenn der Sinn von Landwirtschaft für Israel und seine spezifischen klimatischen und hydrogeologischen Bedingungen generell infrage gestellt wird. Die erneute Verschränkung des Wasser- mit dem Sicherheitsdiskursstrang, indem Nahrungsmittelsicherheit und Unabhängigkeit von anderen Ländern zum nationalen Interesse konstruiert werden, sowie die Rechtfertigung des wirtschaftlichen Wertes von Landwirtschaft machen deutlich, dass eine Reduzierung oder gar Abschaffung des Agrarsektors in die Sphäre des Unsagbaren gehören. Der securitizing move richtet sich hier auf die eigenen Werte, ist also relativ schwach ausgeprägt, doch da das Themenfeld Landwirtschaft immer auch mit dem Themenfeld Land und Territorium verbunden ist, schwingt eine Bedrohung desselben sowie der nationalen Selbstbestim415 416
Interview 17 IL, Zeilen 49-90. Interview 17 IL, Zeilen 375-379
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mung immerhin implizit mit. Diese Versicherheitlichung ist gewissermaßen die Rückseite der oben erwähnten und unten beschriebenen Unsagbarkeit der externen Umverteilung von Wasser, denn um umverteilen zu können, müssten (natürliche) Wasserressourcen erst einmal freigesetzt werden. Das wäre nur über die deutliche Beschneidung oder vollständige Abschaffung des wasserintensiven Agrarsektors möglich. Von Interesse für die vorliegende Studie ist zudem die Thematisierung der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten im Zusammenhang mit dem Oberthema Wassernutzung. Die politische Brisanz der israelischen Siedlungen wird mehrheitlich nicht thematisiert, d.h. die Frage der Rechtmäßigkeit israelischer Siedlungsaktivität in den besetzten Gebieten wird nicht diskutiert. Dieser Konfliktpunkt wird also ausgespart; über rhethorische Anerkennung des ungeklärten Status’ der Siedlungen geht der Tenor des Wasserdiskursstrangs nicht hinaus. „the future of the settlements will be settled ah in the negotiating (1)table (1) people there (1) if they are there or not (1) will have to be supplied (1) with water [laughs] theyre israeli citizens they have the rights (1) and ah (1)despite all the rumours they are quite-quite human (1) especially the women and the kids (1) and despite all other rumours not everyone has ah a swimming pool at his home (1) and the tOTal use of the (1)of the (2) will have to be supplied by the state by government of israel no doubt about it (1) if they are there or there”417
Der Sprecher hebt hier die Frage der Wasserverteilung an israelische Siedlungen vollständig aus dem politischen Diskurs heraus, indem er die angemessene Versorgung der Siedlungen als rein humanitäre Notwendigkeit darstellt; aus den konfliktiven Strukturen des Interdiskurses lösen kann er sich trotzdem nicht, er vermeidet sie nur. Er postuliert zwar, dass die Versorgung der Siedlungen allein durch Israel geleistet werden müsse, und lehnt damit implizit die Verwendung palästinensischer Wasserressourcen für diesen Zweck ab; doch weder die Frage der Rechtmäßigkeit der Siedlungen noch des rechtlichen Status der heute von Israel kontrollierten Wasserressourcen werden hier diskutiert. Der Sprecher expliziert also weder, dass die israelischen Siedlungen von den Palästinensern als gegen internationales Recht verstoßende Kolonien angesehen werden, noch nimmt er dazu Stellung, dass in der palästinensischen Gesellschaft die Wahrnehmung vorherrscht, die Siedlungen bedienten sich aus eigentlich palästinensischen, aber seit 1967 unter israelischer Kontrolle stehenden Wasserressourcen. Gleichzeitig zeugt seine Argumentationsweise davon, dass ihm die kritische Wahrnehmung der Siedler durch die Palästinenser und Teile der israelischen Bevölkerung durchaus bewusst ist: „despite all the rumours, they are quite hu417
Interview 16 IL, Zeilen 607-619.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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man”. Insgesamt gehört im israelischen Wasserdiskursstrang die Auflösung der Siedlungen in den Bereich des Unsagbaren; sagbar ist allerdings, dass ihre Wasserversorgung ausschließlich durch Israel gewährleistet werden muss. Das Thema Nachhaltigkeit wurde ebenso oft angesprochen wie das Thema Siedlungen; wie oben bereits beschrieben, verbindet sich hier der israelische Wasserdiskursstrang mit dem globalen Umweltdiskurs, der ein ökozentrisches Weltbild vermittelt. Eine Verschränkung mit dem Sicherheitsdiskursstrang findet sich hier vor allem in Form von Szenarien, die einerseits die Zerstörung der Wasserressourcen durch menschliches Einwirken vorhersehen, andererseits aber die Erzeugung zusätzlichen Wassers durch Entsalzung aus Umweltschutzgründen ablehnen. Im ersten Fall verschränkt sich dieses Themenfeld mit dem Thema absolute Kontrolle, in dem schon gezeigt wurde, dass im israelischen Diskurs die Wahrnehmung vorherrscht, dass nur israelische Kontrolle den Erhalt der Wasserressourcen gewährleisten kann. Im letzteren Fall lautet die Argumentation, dass nachhaltige Wassernutzung durch Entsalzung ausgehebelt werde. Der Tenor des israelischen Wasserdiskursstrangs ist jedoch wie erwähnt ein anderer: Entsalzung ist der einzige Weg, die Wasserversorgung der israelischen Gesellschaft (und aller umliegenden Länder/Völker) langfristig gewährleisten zu können; Nachhaltigkeit steht als Ziel hinter diesem quasi-humanitären Bedürfnis zurück. Das letzte Thema unter dem Oberthema Wassernutzung ist die israelische öffentliche Meinung in Bezug auf Wasser in Israel. Auffällig war hier, dass sich die interviewten Personen sehr kritisch gegenüber dem Medien- und Interdiskurs und deren Umgang mit dem Thema Wasser äußerten. In diesem Zusammenhang wurden mehrheitlich Begriffe wie „fear campaign“, „propaganda“ und „water crisis hysteria“ verwendet, was wiederum darauf hinweist, dass auf der Ebene des Spezialdiskurses eine Entsicherheitlichung der Ressource Wasser betrieben wird, indem die im Alltagsdiskurs weiter vorherrschende Versicherheitlichung als unrechtmäßig, überflüssig und unverantwortlich dargestellt wird. Das Themenfeld Wasserqualität wurde interessanterweise am seltensten angesprochen, was auffällt, weil die Qualität von Wasser über seine Nutzbarkeit entscheidet und somit neben der verfügbaren Wassermenge absolut essenziell ist. Es lässt sich vermuten, dass die Frage der Wasserqualität für israelische Wasserexperten eine solche Selbstverständlichkeit ist, dass das Thema für nicht extra erwähnenswert gehalten wurde. Wo es erwähnt wurde – etwa im Zusammenhang mit der Verschmutzung von Wasserressourcen oder Qualitätsproblemen bei der Entsalzung von Wasser – verband sich der Wasserdiskursstrang allerdings schnell mit dem Sicherheitsdiskursstrang. Dies ist unmittelbar einleuchtend, wenn man bedenkt, welche dramatischen Folgen es hätte, wenn sich herausstellte, dass Meerwasserentsalzung eben doch nicht die Knappheit der natürlichen Wasserressourcen ausgleichen kann, weil die Qualität des entsalzten Wassers zu schlecht ist. Erwähnenswert ist zudem, dass insbesondere im Kontext des The-
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
mas Versalzung erneut die Wichtigkeit genuin israelischer Kontrolle über die Wasserressourcen betont wurde, denn als Grund für die Versalzung von Grundwasserressourcen wurde oftmals „falsches“ Abpumpen genannt. Fast immer wurde an dieser Stelle die Wassersituation im Gazastreifen als abschreckendes Beispiel herangezogen und als Argument gegen eine Aufgabe von Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen zugunsten der Palästinenser verwendet: „we know what happens-happened and happens in gaza (1)after we (1)we left gaza and after the disengagement [hm] (1) i dont know if you know but (1) two weeks after we (1) signed agreement and (1) gaza was turned to the palestinians (1) about 2000 new wells were dug (1) its a horrible (1)catastrophic impact on the on the water situation there which was (2) nevermind (1) considerably (1) bAd before (1) so we take it into consideration (1)we MUST take it into consideration (1) Anybody (1)who-who regards the water sector in israel (1) planningwise (1) supplyingwise (1) ah whatever predictionwise (1) mUst take it into consideration [hm] (1) the amounts (1) the meaning the exact ah (1) venues (1) are open (1) well see what will come out of it but we are taking it all the time into consideration we have no other choice“418
Ein weiteres mit dem Sicherheitsdiskursstrang eng verflochtenes Themenfeld ist Gerechtigkeit. In diesem Themenfeld bewegt sich der Diskursstrang auf zwei Ebenen: der nationalen und der internationalen. Versicherheitlichung findet vor allem auf der internationalen Ebene statt, nämlich immer dann, wenn von „water rights“ und (Um-)Verteilung die Rede ist; diese Themen sind eng mit den Themen absolute Kontrolle und Daten verknotet. „all these years we tried to convince palestinians that if youll use equitable allocation (2)[interruption] you have no legal basis to defend your position and you can (1) use all the demagogy that you want in your life and you they are using bEAUtiful demagogy in all kind of stories (1) you will not convince (1) any-any court (1) any international court or youll not convince the world bank youll not convince the the western countries in any case (1) it will have to be an agreement it will have to be done wi-in with in consent with israel“419
Hier sind die Stichworte „convince“, „legal basis“, „demagogy“, „it will have to“ und „in consent“ von zentraler Bedeutung, denn sie illustrieren das Misstrauen zwischen den Konfliktparteien, die Charakterisierung der Palästinenser im israelischen Hegemonialdiskurs sowie erneut ein erhöhtes Kontrollbedürfnis. Der gesamte Themenbereich Gerechtigkeit ist stark mit dem Sicherheitsdiskurs verschränkt, weil unterschiedliche Interpretationen von Gerechtigkeit – ein Inter418 419
Interview 16 IL, Zeilen 545-564. Interview 05 IL, Zeilen 1052-1064.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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viewpartner sprach von „water justice“ – eine Bedrohung für die israelische Wasserversorgung darstellen können. Dabei ist zweitrangig, ob diese Bedrohung real ist oder lediglich „gefühlt“ wird. Insgesamt fällt auf, dass die Frage der gerechten Verteilung von Wasserressourcen, wie sie mit der Formulierung „equitable utilisation“ in der (nicht ratifizierten) UN-Resolution „Convention on the law of the non-navigational uses of international watercourses“ gefordert wird, als „hindrance“, „obstacle“ und letztlich sogar als den allgemeinen Wasserverbrauch steigernd dargestellt wird. „the reality is (1) that equitability (1) increases the use of water (1) cause its very difficult to take water from people who use water presently (2) (...) its very difficult to take water from (1) people who use water (1) and you have to (1) give water to new ones whoever they are (1) so at the end you find yourself and instead of x you use x plus delta x“420
Da Umverteilung im Sinne der Aufgabe von Wasser zugunsten eines anderen Nutzers unsagbar und deshalb nicht umsetzbar ist, ist auch das Konzept der „gerechten Nutzung“ hinfällig, so die zugrundeliegende Weltsicht. Die Aufgabe von Wasser wie von den Palästinensern gefordert gehörte in die Sphäre des Unsagbaren; hier wurde mehrheitlich auf die gewohnheitsrechtliche und historische Nutzung von Wasserressourcen, die Schwierigkeiten in der Implementierung solcher Umverteilungsvorhaben oder die gesellschaftlich-ideologische Bedeutung der israelischen Landwirtschaft hingewiesen: „i dont know anyone who participated in so many discussions and meetings [with Palestinians, Anm. d. Verf.] as i did (2) and (1) in all of them i (1) felt very bad but (1) i had to defend the the conservative legislation of saying (1) if water is used by one by law not but if there is a system of allocation lets like in israel (1) and water was allocated to someone (2) you cannot take away water from that person and give it to somebody else (...) when it comes (1) of transboundary water meaning that you will come to farmers in israel and tell them we will (1) decrease your allocation and give it to the palestinians (1) across the border because of political reasons (4) even even with compensation they will say (1) you have to have a special legislation through parliament because this is this is transboundary (1) and (1) until today (1) there was no chance that parliament will pass (1) a law that will say that israeli will cut down on its allocations and give it to the palestinians (2) for more equitable use“421 „we are using water more-more efficiently and we are using water of lesser (1) lesser degrEE and if agriculture wont use those water nobody will be able to use it 420 421
Interview 05 IL, Zeilen 1252-1261. Interview 05 IL, Zeilen 995-1023.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt because we cAnt drink that [ja] and ahahah (1) industry doesnt need such amount ETC ETC (...) NOt only according to economic definition(1) because economeconomy is not everything (2) peoples proud (1) pride (1) you know it from germany i think (1) keeping on the ground (1) not to bringing everybody to the big cities already overcrowded (1) (...) it ha-there are a lot of other values which can be (1) also (2) ahah being defined in terms of mOney (2) which are to capitalising money (1) which are important not less than that(1) so its a bit complicated but basically (1) everyone should know water has economic value (1) thE economic value is not the only value they have (1) we have to jUdge it (1) also according to other standards values and ideologies (1) but stIll (1) economy plays its role“422
Interessant ist am ersten Fragment die einleitende Versicherung der eigenen Urteilsfähigkeit und den Palästinensern gegenüber wohlwollenden Haltung, die Charakterisierung der vertretenen Sichtweise als konservativ, die Unterscheidung zwischen „system of allocation“ und „by law“ sowie die Auslassung der politisch-historischen Entwicklungen, die zur israelischen Kontrolle der hier erwähnten Wasserressourcen geführt haben. Mit dem ersten Satz will die interviewte Person die nachfolgende Äußerung gewissermaßen im Vorwege rechtfertigen und unangreifbar machen. Außerdem manifestiert die Betonung der eigenen Involviertheit in israelisch-palästinensische Treffen die eigene Autorität als beurteilende Instanz des „richtigen“ Weges. Bedeutsam sind hier die Formulierungen „I felt very bad, but“, „I had to defend“ und „you cannot“, denn mit ihnen gibt der Sprecher Verantwortung für sein Tun an einen unbekannt bleibenden, abstrakten „Befehlshaber“ ab, der die (implizit vielleicht sogar abweichende!) eigene Sichtweise überstimmt und vorgibt, wie „man“ sich trotz aller etwaigen Affinität zum palästinensischen Standpunkt zu verhalten habe. Auch in der Formulierung „water was allocated to someone“ bleibt das Subjekt ungenannt, so dass eine Thematisierung der in der Diskursgenese herausgearbeiteten palästinensischen Vorwürfe, Israel habe ursprünglich palästinensische Wasserressourcen unrechtmäßig unter seine Kontrolle gebracht und also „gestohlen“, vermieden wird. Abschließend wird außerdem die Möglichkeit der externen Umverteilung mindestens implizit zu einer Unmöglichkeit deklariert. Der Sprecher unterscheidet zwischen Gewohnheitsrecht und geschriebenem Recht in Bezug auf Wasser; gewohnheitsrechtliche Regelungen könnten nur durch (impliziert: neues) geschriebenes Recht verändert werden, so vermittelt er, dies sei allerdings wenig wahrscheinlich: „until today(1) there was no chance that parliament will pass...“ – die Abgabe von Wasser an die Palästinenser gehört in die Sphäre des Unsagbaren. Diese Einordnung wird nur aufgelöst, wenn externe Umverteilung diskursiv mit der Erzeugung neuer Wasserressourcen, namentlich durch Entsalzung, verbunden wird (s.o.). 422
Interview 16 IL, Zeilen 478-505.
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In Bezug auf die Umverteilung der natürlichen Wasserressourcen findet sich ein prägnanter Widerspruch im israelischen Wasserdiskursstrang: Einerseits wird der grenzüberschreitende Charakter der Ressource betont und daraus eine Art „Kooperationszwang“ abgeleitet: „there will be NO alternative(1) we have to live together to eat together [laughs] to drink together and to help each other together“423 oder auch „regional cooperation(1) is not only(1) recommended usable(1) its mandatory(1) we sit on the same sources(1) now it depends on the political solution“.424 Andererseits gehört die Vorstellung einer Aufgabe von Teilen der israelischen Kontrolle in den Bereich des Unsagbaren bzw. in den Gegendiskurs. Externe Umverteilung wird diskursiv ausgeschlossen, indem sie als nicht umsetzbar oder nicht notwendig dargestellt wird, oder indem Kompensationen für Israel gefordert werden: „you can claim whatEver (1) values and water rights you want if the water are not there (1) you are left to be satisfied with rights“.425 Wie die gleichzeitig vehement eingeforderte regionale Kooperation aussehen soll, wenn die Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen fast vollständig in israelischer Hand bleibt, bleibt völlig offen. Auf der nationalen Ebene bekommt dieser Widerspruch noch einen zusätzlichen Aspekt: hier wird im Wasserdiskursstrang die Umverteilung aktiv eingefordert. Seine Teilnehmer bewegen sich damit selbst am äußeren Rand des israelischen politischen Hegemonialdiskurses. Ihre Forderung nach interner Umverteilung der israelischen Wasserressourcen wurde von den interviewten Personen zum Teil selbst als „revolutionär“ eingestuft. Das Konzept der Umverteilung wird also auf nationaler Ebene völlig anders bewertet als auf internationaler, was als Indiz für die Dominanz der konfliktiven Diskursstrukturen auf letzterer zu werten ist. Der erwähnte Widerspruch spiegelt sich auch in den beiden Themen (fragmentierte) Wasserrechte und Recht auf Wasser (humanitär). In Bezug auf Wasserrechte wird die Grenze der Sagbarkeit überschritten, sobald es um die Aufgabe israelischer Wasserrechte geht; sagbar ist dagegen, dass jeder Mensch, egal welcher Nationalität, ausreichend mit Wasser versorgt werden muss. Allerdings bleibt offen, woher diese Grundversorgung stammen soll. Im Übrigen wird für beide Themenfelder betont, dass Israel ohnehin immer bereitwillig mehr Wasser zur Verfügung gestellt habe, wenn die Palästinenser um eine Aufstockung gebeten hätten: „therere DEfinitely places that have been UNDER SErviced [or SURveyed] the beduins and the [incomp] (1) they are not not only with water(1) [incomp] everything(1) no infrastructure theyre not really recognised as owners of the lAnd there is 423
Interview 13 IL, Zeilen 451-454. Interview 16 IL, Zeilen 1042-1045. 425 Interview 16 IL, Zeilen 847-850. 424
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt no ROAD(1) there is no water there is not electrIcity there is no there is no there is NO [hm] and much less so(1) than for Any other citizen in the COUntry(1) and thAt is a GOvernment pOlicy(1) thEre there is a degree(1) high degree of [incomp](1) hahaving to do with the beduin populAtion (1) MUCH more so than the(1) palestInians(1) with the palestInians(1) whenever there was a shortage we were forthcoming(1) we gave more water we did the same with JOrdan(1) when ah(1) there was a shortage in JOrdan we were forthcoming even(1) in the 1980 before there was a peace agreement [hm] (1)”426
Interessanterweise zieht der Sprecher hier einen Vergleich zwischen der israelischen Minderheit der Beduinen und den Palästinensern, und zwar in einer Weise, die impliziert, dass die palästinensischen Forderungen nach besserer Wasserversorgung und Umverteilung ungerechtfertig und vielleicht sogar übermäßig seien. Hier verschränkt sich das Thema Wasserrechte/Recht auf Wasser mit dem Thema Sicht auf die Palästinenser, denn im israelischen Wasserdiskursstrang herrscht eine Wahrnehmung der Palästinenser als irrational, träumerisch und politisch unerfahren vor (s.u.). Auch das Thema internationales Recht in Bezug auf Wasser spiegelt die Grenzen des Sagbaren wider. Im israelischen Wasserdiskursstrang wird etwa der Johnston-Plan, in dem die Teilung der regionalen Wasserressourcen zwischen Israelis, Jordaniern und Palästinensern vorgesehen war, rundweg abgelehnt: „the(1) johnston agreement(1) has passed away(1) no one to(2) to ah(1) rely(1) to make it again ah(1) an agreement its not an agreement that are(1) [cough] good for this period(1) it was ah good ah(1) fifty years ago but today its not ah(2) the same situation changed ah(1) amount of water the population everything changed(1) and (1) if there will be an agreement its not-will not be ah(1) a kind of ah(1) johnston it will be(1) separated(1) agreement between(1) countries israel syria israel jordan israel palestinian ah not ah(1) a glObal ah(1) agreement (1)„427
Erneut wird der Zeitfaktor thematisiert, also die Veränderung innerhalb des Wasserdiskursstrangs seit der Gründung Israels; die Entwicklung kostengünstiger Entsalzungstechniken schwingt hier ebenfalls mit, denn diese Innovation trägt sehr zu der guten Verhandlungsposition Israels bei. Internationales Recht wird, wie bereits unter dem Punkt Gerechtigkeit erwähnt, mehrheitlich als Hindernis auf dem Weg zu einer Lösung des Wasserkonflikts präsentiert, etwa in der Darstellung der Diskussion rechtlicher Aspekte als gegensätzlich zu pragmatischen Lösungen: „at last we thought we are [laughs] okay (1) how much do you want
426 427
Interview 17 IL, Zeilen 226-245. Interview 11 IL, Zeilen 696-709.
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whEre do you want it whEn do you want it (1) OR (1) lets talk about legal issues (1)and we began discussing business”428. Im Themenfeld Kooperation trotz Konflikt wurde erneut eine gewisse Unrechtmäßigkeit der palästinensischen Forderungen impliziert und das israelische Entgegenkommen in Bezug auf die regionale Wasserverteilung betont. In fast allen israelischen Interviews wurde an dieser Stelle das israelischpalästinensische Joint Water Committee (JWC) erwähnt, und zwar in dezidiert positiver Weise. Nur in einem Fragment wurde die Funktionsweise und fähigkeit des JWC überhaupt in Frage gestellt, indem auf das Vetorecht Israels innerhalb dieses Gremiums sowie den asymmetrischen Konfliktcharakter hingewiesen wurde, so dass die Einschätzungen des JWC zwischen folgenden Standpunkten oszellierten: „you know that the water(1) issue(1) between the palestinian and ah(1) israeli(1) even(1) during the intifAda we had all the time meetings with them(1) this is a-was the ONLY(1) issue that(1) was active(1) during the intifada i am also a member of the(1) joint water committee ava(1) joint technical [?] (1) we had (1) every few months as according to(2) their request or our request we had a meetings(1) in ah neve ilAn near jerusalem this is the main place where we are meeting there in a hotel we have ah(1) we get a room(1) and there we see it and(1) dealing on all the Issues(1) the-that(1) their [brings?] or(1) we have a problem of water supply etc (1) and ah(1) most of the times weee(1) come to agreement(1) of cOUrse there are a lotthere there are(1) this issue of water is working prop(1) vEry good [hm]”429 „israel has the abilitiy to DICTATE(1) MORE of the terms(1) so(1) the joint water committee (1) ahm [incomp] established under the oslo(1) accords(1) basically gives israel veto power (1) because ahm(1) ah (1) the israelis have to agree to any new(1) palestinian infrastrucutre (2) in ah the westbank gaza (1) i think it really NEVER applied in gaza (1) it CERTAINLY applied in the westbank (1) yeah and of course PALESTINE doesnt have to (1) israel doesnt need to get palestines agreement when israel(1) does anything in israel(1) so(1) you know(1) its true that(1) in THEORY(1) israel ha needed to get ah (1) the approval of the pa for water infrastructure of the settlements (1) but by the time(1) of 93 94 (1) by the time of the oslo accords(1) all the settlements already had(1) sophisticated water infrastructure so this is not ahm(2) you know so(1) israel already had all the cards (1) ahm (2) [interruption] (2) so i-i think the joint water committee is a(1) pretty good reflection of the ah (1) you know of the(1) basic inequality that exists between ah(1) the parties (1) ahm (4) i dont think i have another great example for you (2)”430 428
Interview 16 IL, Zeilen 389ff. Hier bezieht sich der Sprecher zwar auf die israelisch-jordanischen Verhandlungen, diese Wahrnehmung von “legal issues” ist jedoch universell im israelischen Wasserdiskursstrang. 429 Interview 11 IL, Zeilen 526-545. 430 Interview 06 IL, Zeilen 511-538.
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Das erste Fragment repräsentiert dabei den Hegemonial-, das zweite den Gegendiskurs. Ein wichtiges Themenfeld, auch für den später folgenden Vergleich der beiden nationalen Wasserdiskursstränge, war die israelische Sicht auf die Palästinenser. Hier wurden folgende Unterthemen angesprochen: Wassermenge/qualität, Wassermanagement PAL, Gaza-Abzug, Wirtschaftskraft PAL, Bevölkerungswachstum, Existenzberechtigung PAL, Irrationalität PAL, Intifada und innerarabischer Konflikt. Die Irrationalität der Palästinenser und das als mangelhaft eingeschätzte palästinensische Wassermanagement wurden am häufigsten genannt. Bei den ersten beiden Unterthemen stach hervor, dass der Tenor des israelischen Wasserdiskursstrangs die für Palästinenser verfügbare Wassermenge als eigentlich ausreichend einschätzte und etwaige Probleme bei der Wasserversorgung auf das erwähnte mangelhafte Wassermanagement zurückführte. Hier war die Rede von „wrong practices“, einer Art „agrarischem Imperativ“ in der palästinensischen Gesellschaft und der Notwendigkeit auch für die Palästinenser, die verfügbare Wassermenge durch Entsalzung aufzustocken. „the IMPACT of that(1) of all that overpumping cause its all due to overpumping(1) of the(1) coastal aquifer (1) for the generations to come(1) you know gazans are drinking water(1) which is unfit for human consumption(1) its twenty times (1) more saline than wotham wo-world health organisation standards (1) ahm (1) and(1) that is LARGELY due to the wrong practice (1) i mean you know im not(1) clearly not BLAMING them (1) but [incomp] well what(1) alternatives did they HAVE but (1) this is part AGAIN of(1) the culture of (1) making the desert bloom which has been(1) BROADLY accepted(1) ahm (1) ah in the region (1) not just by israelis (2)”431 „i mean BOTh the agreements(1) with the jordanians(1) And with the palestinians there is a(1) CLAUSE that says(1) both parties recognise that the amount of natural water thats available(1) is NOT enough within today and DEFINITELY not tomorrow(1) thErefore they will be jointly looking(1) for additional sources of water (1) NO specification where (1)[hm] [incomp] ground water(1) bringing water from(1) x y z developing desalination(1) WHATEVEr it is(1) but both sides RECOGNISE that their water is limited and NOT Just dividing the cake (1) theyre expAnding it I: but the palestinians ahm(1) as far as i understand it they do not(1) accept that(1) possibility YET [which] desalination 17: they dont have to accept it YET(1) they have to accept it when the time comes but it should be there (1)”432
431 432
Interview 06 IL, Zeilen 431-446. Interview 17 IL, Zeilen 315-334.
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„palestinian society is [seufzt] is not yet at the level of the israeli society and agriculture is a very important ah product very important activity and(1)a they are doing a lot not enough but a lot to improve to improve water use(1)a waterwater efficiency use and so on on the other hand ah their industry is veryvery far from what should be and what should be in order to improve thethethethethe needs of the palestinian society”433 „Every palestinian that ive dealt with they are vEry good people professionals and what they didnt have they have now cause ev-a-all the experts are top graduates of the top universities of the world they know Everything the situation is not knowledge”434
Das erste Fragment deutet zwar die Rolle Israels für das mangelhafte Wassermanagement der Palästinenser an, stellt aber dennoch deutliche Defizite auf palästinensischer Seite fest. Indem der Sprecher sich der Strukturen des globalen Umweltdiskurses bedient, wird er vom „Anwalt“ der Palästinenser zum Ankläger der gesamten nahöstlichen Bevölkerung und dem von ihr gelebten Wachstumsparadigma (s. auch Feinanalyse). Im zweiten Fragment beruft sich der Sprecher auf das Oslo-Interim-Agreement, in dem alle Parteien sich zur Erschließung neuer, zusätzlicher Wasserressourcen verpflichtet haben. Diese Berufung auf rechtliche Texte ist formal absolut korrekt; es fällt allerdings auf, dass der eigentliche Konfliktpunkt, nämlich die Aufteilung der Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen, dabei nicht nur nicht thematisiert, sondern auch argumentativ als Widerspruch zur Erschließung neuer Ressourcen dargestellt wird. Wieder lautet der Tenor: Die natürlichen Wasserressourcen seien ohnehin zu knapp, so dass die Erschließung neuer Wasserressourcen der einzige Ausweg sei und eine Umverteilung der natürlichen Ressourcen zu nichts führe. Die Wichtigkeit der Herkunft des verwendeten Wassers für die Palästinenser wird dabei nicht anerkannt bzw. unterschlagen; Kontrolle aufzugeben ist weiterhin unsagbar. Im dritten Fragment wird der Zustand der palästinensischen Wirtschaft und des palästinensischen Wassersektors insgesamt als mangelhaft bewertet. Zwar werden die Bemühungen der Palästinenser, ihre Situation zu verbessern, registriert, doch erneut wird der Einfluss der israelischen Besatzung auf den Zustand der palästinensischen Ökonomie nicht thematisiert. Dies wird im letzten Fragment noch verstärkt, indem den Palästinensern implizit unterstellt wird, nicht genug zur Verbesserung des Wassermanagements und der Wasserversorgung zu tun, obwohl sie über das dazu notwendige Wissen verfügten. Hier zeigen sich extrem konfliktive Diskursstrukturen, die den Anderen dämonisieren und ihm vorsätzliche Unterlassung vorwerfen. Diese Wahrnehmung wird noch unterstri433 434
Interview 01 IL, Zeilen 313-321. Interview 16 IL, Zeilen 596-602.
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chen durch die Äußerungen im Themenfeld Gaza-Abzug, das bereits oben erwähnt wurde. Der Abzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 und die Entstehung zahlreicher neuer Brunnen nach dem Abzug wurde durchweg als negatives Beispiel und Begründung für die Unsagbarkeit von Kontrollabgabe verwendet; Wasser und die Kontrolle darüber wurde so immer wieder versicherheitlicht. Im Unterthema Wirtschaftskraft der palästinensischen Gesellschaft finden sich Fragmente, in denen die ökonomische Struktur der palästinensischen Gesellschaft und ihre Abhängigkeit von finanzieller Hilfe aus dem Ausland thematisiert wurde. Allerdings wurde dieses Themenfeld nur selten angesprochen, was einerseits der Fragestellung, andererseits aber der Tatsache geschuldet sein kann, dass die Anerkennung der schwachen palästinensischen Wirtschaftskraft andere Argumente, etwa die Wichtigkeit der (immer noch vergleichsweise teuren) Entsalzung, aushebeln könnte. Noch seltener wurden das hohe Bevölkerungswachstum und die Existenzberechtigung der Palästinenser thematisiert. Während das erste Thema potenziell die Verhandlungsposition Israels verschlechtern könnte, wenn es zu einer Philosophie einer „Pro-Kopf-Verteilung“ kommen sollte, und deshalb als Gefährdung der israelischen Sicherheit gewertet werden kann, spricht die seltene Erwähnung der Existenzberechtigung wohl für die mehrheitliche Verortung der Interviewpartner im linken politischen Spektrum Israels. In der israelischen Diskussion der palästinensischen Existenzberechtigung geht es um den Zeitpunkt der Entstehung eines palästinensischen Volkes und der Berufung auf Golda Meirs berühmten Ausspruch der Non-Existenz von Palästinensern vor 1967; im linken Spektrum wird die Existenzberechtigung der Palästinenser dagegen nicht (mehr) infrage gestellt. Im Unterthema Irrationalität der Palästinenser wurden die Palästinenser insgesamt als sensibel, irrational, träumerisch, naiv, unerfahren und unrealistisch dargestellt. Es fanden sich zudem Dämonisierungen und Unterstellungen wie diese: „the problem is that (1) part of the palestinians especially the fatah (1) especially the youngsters (1) ah somehow got the notion (1) that if they wont deal with waste water it will be a good (1) card against israel (1) so [oh okay] in qalqilia (1) so (1) we had a LOT of problems with a hebron (2) there are mOney there is plAnning exists everything is ready but (1) nothing is happening because (1) from their point of view if they agree(1) to do something (1) which will serve also some (1)israeli settlements (1) theyre are betraying the (1) faith and the ideology or whatever (1) and maybe (1) validating a clAIm i dont know (1) it can be overcome but they dont they dont want to do it (1) maybe afraid rightly or not (1) and second is simply (1) overflood (1) at least twice that i know (1) waste water installations (1) because it hurts our side (1) its totally (1) crazy (1)afterwards(1) them the arabs mayors [laughing] come to us (1) and say something help us to do something because it hurts Us (1) most of the of the sewage that ah (2) seeped through hebron in the south neer beersheva (1) trou-
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bled MOST (1) the beduin tribes there (1) because they are (1) On the wadi sitting there it really was (1) BUT (1) i dont know (1) so many pOlitics ideOlogies everything mixed together (1) that i cant give you a better answer (1) i can tell you that (1) it is (1) our (1) utmost Interest (1) to deal with every source of contamination (1) its a problem that we are facing with the palestinians trying to do with them something really (1) serious considering the (1) IllEgal drillings (1) there are a lot of illegal drilling especially in the north (1) north of the (1) shamron [?] the north of the westbank ah (1) jenin area (1) and to a certain degree in tulkarem (4) on the other side there is aaaah (1) cooperation (1) and good one (1) so i dont know what to tell you (1)”435 „the wall does not ah(1) ah(1) influence on the water (...) the ONLY problem is ah(1) if there is some problems to some(1) farmers to cross the border they have some(1) fields in the(1) western side of this ah(1) wall(1) bUt ah(1) i know(1) that there are(1) several gates(1) that they can ah(1) PASS(1) with a permIssion etc(1) its NOT ah(1) the best ah(1) li-life standard of course but ah(2) its not(1) this is a (1) real ah(1) lie(1) from the palestinians that said ah(1) influence of the groundwater(1) NO influence of course(1) IF YOU TAKE AH(1) WATER LEVEL MAPS(1) and put it(1) this area or take ah(1) data from boreholes (2) how come(1) sa(1) it does not enter to such ah(1) depth as you can(1) make a BARRIER or such ah(1) NOTHING [hm] (1) the wall ah(1) its a [incomp] from security point(1) thats all ah(1) we had a very(1) bAd years(1) with all the(1) this ah suicides etc (1) but from the hydrologyyy(1) point(1) does not [incomp] [hm] there was ah(1) [cough] i know that in there(1) in the internet they put(1) many(1) some several websites(1) the palestinians are talking about this wall and ah the influence(1) etc(1) [thats why im asking] (1) therefore(1) I KNOW ah(1) (...) there are several wells that are(1) on the western side of the wall(1) in the near ah(1) tulkarem qalqilya there are about ah(1) five or six boreholes that(1) ACTIVe boreholes that are onthe western side but(1) when I checked it at that time [cough] i KNOW that the palestinian had(2) a gate that(1) they could PASS and to operate this(1) their boreholes (1) [cough]”436 „you can (1) use all the demagogy that you want in your life and you they are using bEAUtiful demagogy in all kind of stories (1)”437 „they will tell you what they what they want but a politically but the truth is that since sixtyseven till two years ago there was a very strong ah conjunctional waway to working together between the palestinian teams and the israeli teams„438
Im ersten Fragment unterstellt der Sprecher den Palästinensern mangelndes Interesse an einer Konfliktlösung und darüber hinaus die böswillige Behinderung 435
Interview 16 IL, Zeilen 656-699. Interview 11 IL, Zeilen 556-605. 437 Interview 05 IL, Zeilen 1056ff. 438 Interview 01 IL, Zeilen 174-179. 436
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oder Verschlechterung der israelischen und palästinensischen (!) Wasserversorgung aus ideologischen Gründen. Damit wird die israelische Weigerung, die Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen abzugeben oder zu teilen, gleichzeitig begründet und ausgelassen: Einerseits ist es nicht vertretbar, einem so unzuverlässigen Partner Kontrolle abzutreten, andererseits bleibt hier ungesagt, dass Israel ebenfalls aus ideologischen Gründen nicht zu einer Veränderung des Status quo bereit ist. Erneut verschränken sich Wasser- und Sicherheitsdiskurs. Interessanterweise thematisiert der Sprecher hier selbst den Widerspruch zwischen einerseits irrational und feindlich handelnden Palästinensern und andererseits „guter“ Kooperation zwischen den Konfliktparteien. Das mangelnde Vertrauen zwischen den beiden Gruppen wird in der Formulierung „we are trying to do with them something really serious“ deutlich: Das Verb „try“ steht für einen absolut ungewissen Ausgang und impliziert eine gewisse Einseitigkeit der Aktion, während „something really serious“ impliziert, dass alle bisherigen Versuch nicht wirklich ernst gemeint bzw. ernst zu nehmen waren. Das zweite Fragment bezieht sich auf die Mauer, die Israel auf und bei der grünen Linie errichtet. Der Sprecher beschreibt die Mauer als aus Sicherheitsgründen erbaut, lässt aber die internationale Diskussion über die Rechtmäßigkeit des Baus und vor allem des Mauerverlaufs außen vor. Im Rest des Fragments relativiert der Sprecher die (hier nicht ausgesprochenen) Vorwürfe der Palästinenser, die Mauer schränke ihre Bewegungsfreiheit ein, senke ihre Lebensqualität und Israel verfolge mit ihr darüber hinaus auch hydrostrategische Gesichtspunkte. Der Sprecher beruft sich zur Untermauerung seiner Argumentation auf „richtiges Wissen“, auf Daten also, die seine Sichtweise beweisen sollen, und bezichtigt die Palästinenser der Lüge. Auch den nächsten beiden Fragmenten wird den Palästinensern Unehrlichkeit vorgeworfen: Durch Demagogie würden sie versuchen, die öffentliche Meinung für sich (und damit implizit gegen Israel) einzunehmen. All vier Fragmente offenbaren konfliktive Diskursstrukturen, die einer Lösung des Konfliktes im Wege stehen. Die Äußerungen im Unterthema Intifada unterstreichen mehrheitlich die Wahrnehmung der Palästinenser als irrational. Der palästinensische Aufstand wird als etwas wahrgenommen, was nicht nur Israel, sondern eben auch die palästinensische Gesellschaft in ihrer Entwicklung massiv behindert, gleichzeitig aber die Kooperation im Wassersektor nicht beeinflusst: „the intifada knocked down almost every effort (1) to continue (1) the buildup of the palestinian infrastructure in the water sector (1) we have an agreement signed agreement not to touch water ahah facilities (1) ah the water commissioner of israel have said to [name] used to be (1) ministry of defence consultant (1) and headed the israeli delegation to the peace talks with the palestinians as well (1) water issues (1) signed with the w-palestinian water commissioner (1) i dont know if you know
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about this agreement have you seen it (1) One page agreement (1) despite everything not to touch water installations (1) an-and we abide by it (2) ah (1) in two times i know that the israeli tanks (2) ah a the-not intentionally because the simply moved on a (1) on a pipe and (2) but beside that it was kept and the palestinians also (1) mistake or not mistake (1) ah (2) hurt some installa-what installa-but BASICALLY it was kept (1) its quite amazing (1)”439
Indem er nicht die Effekte der Intifada für die israelische, sondern für die palästinensische Gesellschaft thematisiert, stellt der Sprecher die Palästinenser hinter dem Aufstand als irrational, ideologisch verblendet und ihrer eigenen Gesellschaft schadend dar. Der zweite und längere Teil des Fragments verschränkt dieses Themenfeld mit dem Thema Kooperation trotz Konflikt. Im letzten Unterthema, innerarabischer Konflikt, wurde die Wahrnehmung der Palästinenser als irrational teilweise auf die übrigen arabischen Nachbarn Israels ausgeweitet. Hier existieren Überschneidungen zum Thema Jordanbeckenanrainer, in dem die stakeholder im Jordanbecken, also Jordanien und Syrien sowie teils der Libanon thematisiert wurden. In beiden Themenfeldern wurde das Scheitern der panarabischen bzw. panislamischen Idee im Kontext einer Reihe von „verpassten Chancen“ vom UN-Teilungsplan über den Johnston-Plan hin zu der bis heute vorherrschenden Uneinigkeit angesprochen. Der Tenor des israelischen Wasserdiskursstrangs war dabei, dass die Palästinenser über die Jahre zu einer Art „Stiefkind“ der übrigen arabischen Nationen geworden seien: „I: ahm (1) whats your opinion about role the other stakeholders in the jordan BASIN play with regard to the water issue between israel and palestine 16: (1) between israel and palestine they are not playing any role (1) they are to careful to play [hm] (2) the jordanians dont touch it (1) i dont know if you know but (1) have you ever seen the map of the agreement between us and jordan (1)as ah (1) noticed something strange there [well the palestinians are not ah] not palestinian (1) where the border goes [ah (1) i think when i remember correctly wasnt it the jordan river] [takes map out, shows it to me, blue line markiert grenze, zeigt „black hole”] as far as the jordanian-and they were very careful to put (1) to make it CLEAR that theres only the [incomp]for them they are not interEsted anything in the future is between israel and the palestinian (1) at the same time they claim they took all the (1)the part of the palestinians that was agreed upon johnstons time [hm, he laughs]”440
Im Kontext der Jordanbeckenanrainer wurde Jordanien am häufigsten erwähnt; die dortige Wasserknappheit wurde mehrfach als deutlich schlimmer als die palästinensische dargestellt – erneut impliziert dies eine gewisse Unrechtmäßig439 440
Interview 16 IL, Zeilen 633-655. Interview 16 IL, Zeilen 794-816.
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keit palästinensischer Forderungen nach mehr Wasser. Die Syrer wurden unisono als „crazy people of the middle east“441 beschrieben: Syrien stehle Wasser von den Jordaniern und sei absolut nicht vertrauenswürdig.442 Im letzten Themenfeld, in dem die Zukunftsvision der einzelnen Interviewpartner abgefragt wurde, wurden noch einmal die hegemonialen Strukturen des Wasserdiskursstrangs sowie Teile des Gegendiskurses deutlich. Alle Interviewpartner wünschten sich eine friedliche Lösung des Wasserverteilungs- und des übergreifenden politischen Konfliktes. Die konkrete Ausgestaltung der politischen Lösung jedoch wurde i.d.R. als absolut zweitrangig für die Wasserversorgung erachtet: Egal, wie und wo die Grenzen festgelegt würden, die Wasserversorgung müsse ohnehin für alle Bewohner der Region garantiert werden. Das dazu benötigte Wasser könne nur über unkonventionelle Wasserressourcen erzeugt werden. Insgesamt bildete sich bei der Analyse der israelischen Fragmente ein relativ homogener Hegemonialdiskurs „Wasser“ heraus, in dem Wasserknappheit und Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen massiv versicherheitlicht wurde. Die Bedeutung von Wasser als Sicherheitsfaktor wurde entweder auf seine natürliche Knappheit, auf die Konkurrenz mit nicht-israelischen Nutzern, manchmal (aber deutlich seltener) auch auf die Konkurrenz zwischen innerisraelischen Nutzergruppen zurückgeführt. Versicherheitlichungen bezogen sich im Hegemonialdiskurs ausschließlich auf die natürlichen Wasserressourcen; die Aufgabe der israelischen Kontrolle über diese Wasserressourcen, etwa zugunsten der Palästinenser, gehörte durchweg in die Sphäre des Unsagbaren. Ging es allerdings um unkonventionelle, also neu produzierte Wasservorkommen – vornehmlich wurde hier Entsalzung genannt – war der Diskursstrang von Entsicherheitlichungen geprägt. In diesem Kontext wurde Wasserknappheit als nonissue und der Wasserkonflikt deshalb als praktisch gelöst dargestellt. Insgesamt ist eine Themenhierarchie erkennbar, in der Themenfelder, die für Sicherheit und Wohlfahrt der israelischen Gesellschaft als zentral erachtet werden andere Themen dominieren und z.T. ganz unterdrücken. Dieser Hegemonialdiskurs, der für den (Wasser-) Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht zu unterschätzende Auswirkungen hat, wird in Argumentationstechniken, rhetorische Strategien und Auslassungen deutlich. Seine Konturen werden umso klarer, wo auch Grundzüge des Gegendiskurses erkennbar werden. Während der Hegemonialdiskurs aus Themen wie absolute Kontrolle, Verteilung/Prioritäten, Daten, Existenzkampf Israels, nationale Identität und Entsalzung besteht und sich kaum mit der Situation der Palästinenser befasst, füllt der Gegendiskurs diese Leerstellen mit Themen wie Umverteilung auf nati441 442
Interview 01 IL, Zeilen 499ff. z.B. Interview 11 IL, Zeilen 775ff, Interview 01 IL, Zeilen 499ff.
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onaler und internationaler Ebene, Gerechtigkeit, Vertrauensbildung und Kritik an der israelischen Siedlungspolitik. Der Gegendiskurs bezieht seine Argumente in großen Teilen aus dem internationalen Umwelt- und Klimadiskurs. Er bewegt sich auf einer Ebene, auf der nationale Interessen transzendiert werden, so dass hier die Wasserpraktiken der gesamten Region ohne Ansehen der Nationalität in die Kritik genommen werden. Hier wird die vorherrschende anthropozentrische Weltsicht sowohl der Israelis als auch der Palästinenser und Jordanier infrage gestellt und ein generelles Umdenken hin zu einer ökozentrischen Sichtweise gefordert. Entsprechend wird Wasserknappheit statt im nationalen im globalen oder mindestens regionalen Kontext versicherheitlicht; das Referenzobjekt ist die Natur. Im Gegendiskurs werden teils recht radikale Gegenentwürfe zur derzeitigen israelischen Gesellschaftsform entworfen, mit Forderungen, Landwirte aus den Städten in die Wüste zu schicken um diese zu begrünen, oder die allgemeine Lebensweise (und damit oftmals den Lebensstandard) so weit zu ändern, dass der durchschnittliche Wasserverbrauch fast halbiert würde. In diesem Gegendiskurs gehört auch die Re-Allokation der bislang unter israelischer Kontrolle stehenden Wasserressourcen nicht mehr in die Sphäre des Unsagbaren, denn aus seiner ökozentrischen Sicht sind nationale Grenzen für die Wasserverteilung absolut zweitrangig. So wird die Konkurrenz zwischen einzelnen Nutzern, ob national oder international, überwunden und es gilt nur noch das Gebot, jeder einzelnen Person eine ausreichende, aber nachhaltige Menge Wasser zur Verfügung zu stellen.443 5.2.2 Palästinensischer Diskurs Der palästinensische Diskursstrang besteht aus den gleichen 5 Oberthemen wie der israelische; die dazugehörigen 29 Themen und 17 Unterthemen unterscheiden sich in Teilen. Die häufigsten Nennungen fanden sich im Oberthema Wassermanagement (829), wobei der größte Teil (359) sich auf das Themenfeld Abhängigkeit von Israel bezog. Als im gesamten palästinensischen Diskursstrang mit Abstand am häufigsten genanntes gibt dieses Thema bereits einen Hinweis auf die hegemonialen Diskursstrukturen. Das Oberthema Wassermanagement befasst sich zwar auch mit den explizit abgefragten innerpalästinensischen Defiziten im Wassermanagement, zum allergrößten Teil jedoch mit dem (nicht abgefragten) Einfluss Israels, den einer der Sprecher wie folgt beschrieb: „the palestinians (1) they manage (2) the SUPPLY actually not 443 Die Trennung in Hegemonial- und Gegendiskurs dient in erster Linie analytischen Zwecken; in der Realität bauen sei aufeinander auf und speisen sich gegenseitig.
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the resources (2) since (1) 1967 till now water managed and controlled by military orders (1)”444. Der palästinensische Wasserdiskursstrang wird dominiert von der Wahrnehmung der israelischen Kontrolle über den Großteil der regional verfügbaren natürlichen Wasserressourcen als unrechtmäßig, ungerecht und durchweg negativ. Zwar finden sich auch Fragmente, in denen das genuin palästinensische Wassermanagement angesprochen und die palästinensischen water practices kritisiert wurden, doch der größte Teil der Äußerungen bezog sich auf die israelische Dominanz in Wasserverteilung, -nutzung und -management. Die Wahrnehmungen bewegten sich zwischen den folgenden Polen: „actually (1) our problem is that (1) we do not have(1) good water management (1) (...) we dont have(1) a clear vision for water strategy (1) and (...) this has a number of reasons (...) some of the reasons are(1) are related to palestinian (1) self (3) status and other outside status (1) for the palestinians (1) i believe that there isnt a good (1) management (1) there isnt (1) within the palestinian authority (1) the (1) administration there(1) i dont think its efficient i dont think (1) it is doing (1) a good job and so basically i think it is (1) this is part of our responsibility and (1) the people yani (1) a number of the (1) people in charge (1) are there for political reasons rather than technical reasons thats one problem(1) on the other side we have the problem with israelis which is [incomp] israeli occupation and israeli control(1) of water resources(1) so(1) (...) these are two areas(1) the third(1) is that (1) we dont have (1) good public awareness o on the signIficance of water(1) so we have a lot of(1) water wastage(1) and so (1) and the fourth(1) is that we do not have (2) good technical ex(1) pertise (1) how to collect water and how to (1) utilise water (1) (...) so basically(1) we LOSE(1) so much water because (1) of our lack of technical abilities (1) and technical knowhow (1) of how to use it (1) and then(1) lastly(1) we cannot recycle water (1) (...) to see how we can for instance (1) differentiate between drinking water and other water we can use(1) for other (2) purposes(1) and so basically (1) we cannot (3) we are not good keepers of water and good users of water (2)”445 „in MACRO level and micro level we have mismanagement„446 „this is all related to what israel can(1) give(1) up(1) from its(1) current control on the(1) on ALL the water resources(1)„447 „but because of this israeli control of these resources and the utilisation of israel both dIrectly and indirectly (1) aah (1) what i mean by that directly is the water utilised by the settlements in the westbank and they have their own wells (1) ah(1) for 444
Interview 05 PAL, Zeilen 41-45. Interview 08 PAL, Zeilen 38-78. 446 Interview 04 PAL, Zeilen 196f. 447 Interview 09 PAL, Zeilen 74-77. 445
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different purposes(1) and indirectly because the(1) aaah structural geology of the westbank allows the ground water(1) to move(1) out of the westbank and across the green line and inside israel(1) and the thats why israel does not allow the palestinians (1) to control these ressources so they can have (1) free(1) ah control(1) on these resources (2) but ah(1) as long as this conflict is not resolved i think(1) aah there is(1) a risk that these resources will not be sustainable and if that happens(1) really it will be a catastrophe for the(1) palestinians in the WESTbank(1) because(1) groundwater is the oldest source (1) and ah other options are not available for the westbank (1) even if some then the palestinians will depend on water from other countries (1) which will become very costly (1) and ah so thethe future is very dark (1) if the situation continues (1) and DEFINITELY yani and as a water ah(1) engineer and been involved in this sector(1) even having lots of discussion debates with israelis (1) i think the israelis over the years have overused ah(1) the water as a political tool (1) and (1) overexaggerated the issue for themselves (1) aaah the(1) israeli governments and the israeli media have (1)aah shown that ah(1) yani (1) to the israeli public(1) ah that IF the palestinians(1) control the water resources there wont be water for the israelis(1) and this is totally(1) ah not true”448
Auf der einen Seite steht offene Selbstkritik, die den palästinensischen Behörden schlechtes Wassermanagement und Visionslosigkeit vorwirft; dies ist interessant, weil hier Ansatzpunkte für eine Veränderung der Diskursstrukturen und damit des Konfliktes erkennbar werden. Der Sprecher im ersten Fragment bezieht sich fast ausschließlich auf das palästinensische Wassermanagement, was die verwendeten Personalpronomen („we“, „our“) illustrieren. Sie sind die Schlüsselworte in diesem Fragment, weil sie signalisieren, dass hier die Palästinenser in die Verantwortung genommen werden: „our responsibility“. Auf der anderen Seite steht die Betonung der israelischen Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen. In diesem Zusammenhang wird Israel als alleiniger Akteur dargestellt und so jegliche Verantwortung für alles, was im Wassersektor geschieht (auch im palästinensischen), an Israel abgegeben. Dies geht immer auch mit einer Versicherheitlichung der Ressource Wasser für das Referenzobjekt palästinensische Gesellschaft einher, was durch Formulierungen wie „it will be a catastrophe” und „thethe future is very dark” illustriert wird. Diese securitizing moves werden mithilfe ähnlicher Argumentationsstrategien wie schon in den israelischen Diskursfragmenten gerechtfertig; so bestärkt der Sprecher im letzten Beispiel etwa seine Urteilsfähigkeit durch die Betonung seiner Involviertheit in Gespräche mit Israelis. Ein wichtiger Punkt ist zudem der Zeitfaktor: Sei die Abhängigkeit von Israel (im Wasser- wie in allen anderen Sektoren) erst einmal beendet, würden Frieden, Stabilität und Kooperation wie selbstverständlich folgen, so der palästinensische Tenor. 448
Interview 14 PAL, Zeilen 213-253.
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Die in den securitizing moves konstruierte Kausalkette zwischen Abhängigkeit von Israel, fehlender Selbstverwaltung und daraus entstehender katastrophaler Wasserversorgung ist von konfliktiven Diskursstrukturen wie Dämonisierungen und Betonungen von Unterschieden zwischen in- und outgroup geprägt. Beschreibungen der Israelis als rücksichts- und skrupellos unterstreichen das Misstrauen zwischen den Konfliktparteien und verstärken die bestehenden Konfliktlinien: „the first(1) threat(1) is UNSERIOUS(1) peace process(1) especially from israeli side(1) the israelis theyre looking to the (1) palestine as market(1) and cheap labour(1) and (1) empty land (1) they dont consider there is anybodin-in (...) and the major (1) indicator for that is the wall (1) the wall is an indicator(1) showing the israelis they dont need peace„449 „the israelis you know oslo two recognIsed our water rights (1) that is on paper (1) but in practice you know they just (1) play their game (1) they dont give us our water rights back”450
Ähnlich wie im israelischen finden sich im palästinensischen Wasserdiskursstrang einerseits der ausgeprägte Wunsch nach Kooperation, nach Frieden und Stabilität, andererseits aber sehr konfliktive Strukturen, die diesen Wunsch konterkarieren. Sie kommen überall dort zutage, wo Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang überlappen, wo die Ressource Wasser also versicherheitlicht wird. Den Themenkomplex Abhängigkeit von Israel füllen drei Unterthemen: Israelische Kontrolle, Hydropolitik/Politisierung der Ressource und israelische Innenpolitik. Das Unterthema Kontrolle steht gewissermaßen spiegelbildlich zum Thema absolute Kontrolle im israelischen Diskursstrang. Schlagworte wie curfew, control, permit, limit, obstacles, deprive markieren den als extrem weitreichend und ausschließlich negativ wahrgenommenen Einfluss der israelischen Dominanz auf den palästinensischen Zugang zu Wasser. Die erwähnten Schlagworte beziehen sich gleichzeitig auch auf andere gesellschaftliche Felder, in denen die israelische Kontrolle als die palästinensische Gesellschaft in ihrer Entwicklung behindernd wahrgenommen wird. Hier wird deutlich, wie der Konfliktdiskurs alle gesellschaftlichen Felder durchdringt und die israelische Kontrolle der Wasserressourcen für die palästinensische Gesellschaft versicherheitlicht wird. Im Unterthema Hydropolitik/Politisierung der Ressource bewegen sich die Diskursfragmente zwischen der (dominanten) Betonung der Politisierung von Wasser durch Israel in Form von Schuldzuweisungen einerseits und der Kritik an 449 450
Interview 04 PAL, Zeilen 380-389. Interview 02 PAL, Zeilen 478-482.
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den eigenen Entscheidungsträgern (Gegendiskurs) andererseits. Die palästinensischen Diskursteilnehmer schätzten in diesem Unterthemenfeld in erster Linie israelische wirtschaftliche Interessen, Unilateralismus, Zionismus, israelische Siedlungspolitik, Mentalität, Kultur und die Ernsthaftigkeit Israels in Bezug auf Frieden ein, gaben also einen direkten Einblick in ihre Sicht der outgroup. Nur ein Bruchteil der untersuchten Fragmente beschäftigte sich mit der palästinensischen Seite des Konflikts. Dieses Themenfeld kann somit als das Pendant des Themas Sicht auf die Palästinenser im israelischen Diskursstrang verstanden werden. Israel wird durch Begriffe wie zionist people, agricultural lobby, political mentality, way of thinking, old hawks, collective punishment, excuses und blame charakterisiert. Die Frage der Sicherheit, so der Tenor, werde von Israel als Ausrede genutzt, um allerlei Sondermaßnahmen gegenüber den Palästinensern zu rechtfertigen. Letztlich wird also im palästinensischen Wasserdiskursstrang der Vorwurf formuliert, die israelische Regierung versicherheitliche alle Konfliktpunkte (Jerusalem, Siedlungen, Grenzziehung, Rückkehrrecht und Wasser), um Maßnahmen wie Sperrungen, checkpoints, militärische Aktionen und den Bau der Mauer zu rechtfertigen. Im Gegendiskurs wird dagegen genau dieser Vorwurf als unrechtmäßig und seinerseits als palästinensische Politisierung der Ressource Wasser, in jedem Fall aber als schädlich für den Friedensprozess interpretiert. „israelis try their (1) BEST always(1) to(1) EXCLUDE the palestinians from any plans (1)”451 „some of the old hawks (1) you know still believe of the zionist mentality land and water you know you (1) you know ah (1) the way you deal with palestinians (1) a good palestinian is a dead palestinian you know (1) a good arab is a dead arab (1) as long as we have people who think that way there is no peace on the horizon and also from OUR side (1) those at least ah now pretending a-a minority (1) who believe that you know its either us or them (1) no (1) ah this is not a world of exclusion (1) now its a world of integration the world that you know(1) theres enough (1) open space there is enough land there is enough water for the two (1) nations to live side by side (1) next to each other”452 „i think that (1) we NEEd to work on that [sustainable development, Anm. d. Verf.](1) and if we dont yani(1) we are blaming the israelis about (1) but rather i think that we are not (1) dOIng (1) enOugh on our own(1) but we have to see (1) what needs to be done(1)”453 451
Interview 12 PAL, Zeilen 517f. Interview 15 PAL, Zeilen 401-417. 453 Interview 08 PAL, Zeilen 147-152. 452
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
Diese Fragmente illustrieren die beschriebenen Pole im Themenfeld Hydropolitik und den Übergang zwischen ihnen. Während Israel im ersten Auszug dämonisiert wird, wird der negativen Charakterisierung der outgroup Israel im zweiten Fragment bereits ein gewisses Maß an Selbstkritik gegenübergestellt, wenn auch abgeschwächt durch die Darstellung der konfliktfördernden palästinensischen Gruppe („those (...) who believe (...) its either us or them“) als Minderheit. Insgesamt ist der Blick des Sprechers hier deutlich differenzierter, sowohl was die israelische als auch was die palästinensische Gesellschaft angeht: In beiden existieren sowohl solche Gruppen, die Wasserknappheit (oder alle Konfliktpunkte) versicherheitlichen, als auch solche, die Kooperation als notwendig ansehen. Während der Sprecher sich selbst zu letzterer zählt („theres enough“), kann er sich doch nicht vollständig aus dem Israel anklagenden Modus des Hegemonialdiskurses lösen. Im letzten Fragment wird dagegen im Sinne eines Gegendiskurses diese Art der Schuldzuweisung an Israel als Vermeidungstechnik und Ablenkung von eigenen Defiziten aufgedeckt. Insgesamt stehen sich die Wahrnehmung des Konflikts und seiner Asymmetrie als win-lose situation oder als lose-lose mit dem Potenzial zur win-win situation gegenüber. Die erste Variante fördert konfliktive Diskursstrukturen, da die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit – der eine gewinnt was der andere verliert – bestehende Konfliktlinien verschärft und die Entstehung neuer begünstigt. Im zweiten Fall wird die derzeitige Situation als Verlustgeschäft für alle Beteiligten verstanden: Durch den andauernden Konflikt schneiden sich beide Parteien letztlich ins eigene Fleisch. Dies gilt insbesondere bei der Frage der Wasserversorgung, denn die regionalen Wasservorräte seien ohnehin transnational und müssten allein deshalb kooperativ verwaltet werden. Obwohl lose-lose zunächst nicht positiv klingen mag, ist diese Wahrnehmung aus Sicht der Friedensforschung durchaus positiv zu bewerten, denn erstens wird eine lose-lose situation immerhin als gerecht oder fair wahrgenommen und zweitens besteht ein relativ großes Potenzial, sie durch Reframing in eine win-win situation umzuwandeln. Die Wasserfrage könnte dann in neuem Licht gesehen werden: Da der Schaden durch den Wasserverteilungskonflikt für beide Konfliktparteien langfristig unerträglich groß werde, könne es möglich werden, von althergebrachten Forderungen ohne Gesichtsverlust abzurücken und so zu einer allgemein als gerecht empfundenen Lösung zu gelangen. Das Thema Daten ist für den palästinensischen Diskursstrang ähnlich wichtig wie für den israelischen. Zwar wird aus verschiedenen Diskursfragmenten und der Diskursgenese klar, dass die Rolle der Datenhoheit für die Gestaltung des regionalen Wasserdiskurses im palästinenischen Diskursstrang erst später erkannt wurde als im israelischen, doch inzwischen versuchen beide Parteien gleichermaßen, durch eigene Erhebungen und Studien ihren jeweiligen Stand-
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punkt zu beweisen und damit die Diskurshoheit an sich zu ziehen. Die zahlreichen Referenzen auf je eigene Studien, Datenerhebungen und sonstige wissenschaftlich erbrachte Beweise illustrieren dies. Das Themenfeld nationaler Wassermanagementplan bezieht sich eigentlich ausschließlich auf die palästinensische Gesellschaft; trotzdem finden sich auch hier die bereits erwähnten, alle gesellschaftlichen Felder durchdringenden konfliktiven Diskursstrukturen. Erneut bewegen sich die Erklärungen für das Fehlen einer Vision für effektives palästinensisches Wassermanagements zwischen Anschuldigungen an Israel und Kritik an den eigenen Entscheidungsträgern. Das Thema politische, sozio-ökonomische und emotionale Bedeutung von Wasser besteht aus drei Unterthemen: historisch-politische Entwicklung des Wassersektors, nationale Identität und innenpolitische Konflikte. Im ersten Unterthemenfeld, gleichzeitig das am häufigsten genannte, geht es um die Entstehungsumstände des palästinensischen Wassersektors, die in der Diskursgenese bereits beschrieben wurden. Der Hegemonialdiskurs ist auch hier geprägt von der Versicherheitlichung von Wasserknappheit aufgrund israelischer Dominanz: Der größte Teil der Probleme im Wassersektor wird der israelischen Kontrolle zugeschrieben, etwa die Fragmentierung der palästinensischen Institutionen oder das Alter und der Zustand der Wasserinfrastruktur. Unterschiede finden sich vor allem in der Beantwortung der Frage, ob Israel in Bezug auf unterlassene Investitionen in den palästinensischen Wassersektor vorsätzlich gehandelt habe oder nicht. Nur sehr wenige Fragmente thematisieren inner-palästinensische Probleme wie Korruption und Nepotismus; diese Themen gehören weitgehend in die Sphäre des Unsagbaren. Wo sie dennoch erwähnt werden, ist das Thema historischpolitische Entwicklung mit dem Unterthema innenpolitische Konflikte verknotet. In diesem Themenfeld finden sich Fragmente, in denen die eigene ingroup kritisiert wurde, was sich in Äußerungen wie den folgenden niederschlug454: „thats what we need to do here(1) need to bring knowledge need to have people to think use their mind (1) so so that when someone like (2) sarin huseibi(1) is telling well (1) about refugees (1) that (2) look(1) israel will not allow 5 million refugees to live there (1) or look(1) we have made (1) in oslo we have agreed(1) recognised israel(1) as it is so we cannot(1) SHIP to them 5 million people(1) so that people will NOT say oh hes a traitor by saying that (1) you know because theyre not using (1) the LOGIC (1) theyre not(1) theyre using their EMOTIONS(1) rather than (1) their 454
An dieser Stelle ist erneut darauf hinzuweisen, dass eine Interpretation der Zahl der Nennungen vorsichtig zu handhaben ist. In der additiven Darstellung der Nennungen im Unterthema innenpolitische Konflikte wird deutlich, dass der größte Teil der 31 Nennungen, nämlich 18, aus einem einzigen Interview stammen. Diese Gewichtung gibt Hinweise auf die Diskursposition der einzelnen Sprecher, nicht aber auf die Gewichtung des Unterthemas im gesamten Diskursstrang.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt rationality(1) and so(1) this is where(1) part of also(1) dealing with the problem and resOLving (1) the palestinian probl (1) that we need(1) to have(1) palestinian(1) become MORE (1) RATIONAL(1) in the way they think(1) than EMOTional”455 „the huge (1) lack(1) is awareness among the decision makers (1) still our politicians our ministers(1) they DONT recognise water is a HIGH priority(1) problem(1) for for this is [incomp] they DELAY w(1) they dont DEAL with it(1) and delay of the solution is part of the problem”456
Der Unterpunkt nationale Identität hat bei weitem nicht solches Gewicht wie im israelischen Diskursstrang. Nur 18mal wurde die Wahrnehmung von Wasser als Geschenk Gottes, als Kulturerbe erwähnt. Allerdings überschneidet sich dieses Unterthema mit dem Thema Landwirtschaft, denn die Bewirtschaftung des Landes wurde wiederholt als „sozialer Kitt“ der palästinensischen Gesellschaft dargestellt (s.u.). Im Themenfeld Wassertarifsystem/Preise wiederholte sich das schon erwähnte Muster. Die Sprecher äußerten zwar Kritik am derzeitigen palästinensischen Tarifsystem; außer im Gegendiskurs wurde diese Kritik allerdings immer mit expliziten oder impliziten Schuldzuweisungen an Israel verbunden: „in a(1) simple word(1) we are (1) paying for(1) what we have (1) ah f-ah paying (1) the price(1) of what we OWN„457 „becAUSe of all the complications of(1) control and sovereignty(1) then the n-the utility aaah(1) basically dont recover(1) their costs(1) the service providers dOnt recover their costs basically because the law is not enforced yet(1) and because israel is STILL controlling the water ANd because the people(1) culture(1) and ah(1) perception(1) that water is a gift from god(1) that water should be given at a(1) free(1) free of charge(1) STILL did not change(1) now it is it is changing i dont say that we dont pay pr(1) we PAY for our i mean palestinians PAY for their water(1) but they dont pay the full cost of (1) provision of water(1) and also the(1) environmental value of water is not calculated within this price(1) each utility and each municipality has a different system of how they(1) calculate the price(1) so in the water authority(1) when i was working there we did aah(1) something called a unified tariff system (1) (...) the enforcement of such model(1) is not yet in place (1) also becauntil now(1) because the people feel WE dont get our vital human NEEDS (1) how wa-how do you want me to pay for a service that i dont get (1) so(1) we NEED a(1) parallel(1) policy(1) for a parallel [madscher?](1) measure [?] that make sure(1) that you(1) you get enough water(1) for your(1) human needs(1) for your economic development for your social development(1) then you ask the p-the person to pay the 455
Interview 08 PAL, Zeilen 580-598. Interview 04 PAL, Zeilen 173-180. 457 Interview 07 PAL, Zeilen 35ff. 456
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price(1) if he can afford of course because you have to(1) classify people according to their aah(1) wealth(1) according to their poverty aah (1) situation (1) so its all related”458 „we buy the water from israel we buy OUR water israel is selling us our own water (1) at i think something like 2(1)3 shekels in general (1) aah and the utilities departments like bethlehem like the joint water committee they are selling it for 4 shekels (1) aah (1) and now with the waste water the price will increase to become about five shekel because you have to add the (1) polluted pay principle [?] on it (2) aah there is NO difference in pricing between domestic and other uses ah in the ah westbank except for those who had historic water rights meaning people the farmers in the jericho (1) nablus qalqilya area these people have historic rights to their water (1) ah special allocation special licensing these people they dont you know they only pay for the ah permit and (1) for the cost of extracting this water”459
Während das erste Fragment den Einfluss Israels auf die Bepreisung des palästinensischen Wassers als absolut und statisch darstellt und so die Ressource Wasser für die palästinensische Gesellschaft versicherheitlicht, ist das zweite deutlich selbstkritischer, was Begriffe wie „should“, „enforcement“ und „people, culture and perception“ widerspiegeln. Zwar wird der Einfluss der israelischen Kontrolle immer noch als einschränkender Faktor wahrgenommen, doch nichtsdestoweniger wirkt die Darstellung weniger statisch, weil die palästinensischen Behörden als Akteure, nicht bloß als passive Empfänger verstanden werden. Im letzten Fragment werden die Abhängigkeit von Israel und die daraus resultierenden, fast untragbar hohen Wasserpreise erneut argumentativ genutzt, um Wasser zu versicherheitlichen. Interessant ist hier aber der letzte Abschnitt, in dem von historischen Wasserrechten palästinensischer Landwirte die Rede ist. Diese Art der Argumentation war bereits im israelischen Wasserdiskursstrang aufgetaucht und es ist eine für etwaige Verhandlungen möglicherweise wertvolle Randnotiz, dass historische Wasserrechte sowohl von israelischer als auch von palästinensischer Seite für die eigene ingroup durchaus anerkannt werden, auf internationaler Ebene dagegen (bisher) nicht. Das Thema Infrastruktur ist eng mit dem oben erwähnten Unterthema politisch-historische Entwicklung des palästinensischen Wassersektors verschränkt. Unter dem Stichwort „israelisches Erbe“ wird mehrheitlich die Meinung vertreten, Israel habe es in den 30 Jahren zwischen Beginn der Besatzung und Entstehung der palästinensischen Autonomiebehörde versäumt, in die Wasserinfrastruktur der palästinensischen Gebiete zu investieren; auch nach der Einrichtung der PA und der PWA blockiere Israel alle Versuche, die Situation zu verbessern. 458 459
Interview 09 PAL, Zeilen 97-140. Interview 15 PAL, Zeilen 81-101.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt „there are still villages without tap water(1) some of networks(1) were built ah(1) in the early fifties(1) and ah(1) thats why the losses in that(1) in these systems ah(1) like in(1) old part of hebron old part of nablus(1) the losses can(1) be up to 45 50 percent ah(1) within the network (1) ah(1) most of the(1) artesian wells(1) pumps(1) in the northern part of the westbank to [incomp] qalkilya(1) ah(1) were(1) installed in the(1) late fifties early sixties(1) and these are agAIn(1) ah(1) fewer consuming as w(1) as(1) a source of pollution and the quality and efficiency is going(1) down every year(1) so infrastructure in terms of private sector thats(1) bAd and needs to be(1) replaced in a way(1) (...) in terms of networks yes(1) there is at least 95 percent coverage(1) of ah(1) water connections within cities(1) in villages its still expanding ah(1)ah(1) lots of efforts its still needed ah(1) for whole areas ah(1) in terms of other ah(1) NEW installations and co-connections or expanding all the current networks(1) (...) i would blame the israelis for NOT (1) having proper networks ah for not having proper infrastructure while they were here for almo(1) more than 35 years (1) they have not done their job (1) and now the pa is supposed to FIX (1) ah the mistake of the israelis in terms of the limitations of water quantities(1) ah [incomp] and the qualities and the(1) [incomp] of the(1) the sewage system (1) so that all needs to be taken care of(1) IN ADDITION to the [incomp] new sources (3)”460 „water supply is restricted through(1) many measures (2) water restriction (1) through (1) restriction on(1) drilling of(1) ground water wells (1) water restriction through(1) prohibition of the installation of(1) domestic water networks (1) and(1) also restriction(1) by lack of investment during the DIRECT control of the palestinian territories(1) between 1967 and 1994 after oslo and the establishment of the (1) water authority(1) they did not invest any money(1) in the infrastructure(1) of water(1) so these are the main three(1) reasons for the restriction (1)”461
Wie schon im israelischen Diskursstrang werden hier die Personalpronomen „they“ und „their“ verwendet, um die Grenzen zwischen in- und outgroup zu unterstreichen; konfliktive Diskursstrukturen werden so perpetuiert. Zudem ist dieses Themenfeld (wie fast alle) eng verschränkt mit dem Thema Abhängigkeit von Israel, was Begriffe wie „restricted“ und „prohibition“ illustrieren. Die nächsten beiden Themenfelder hängen eng zusamme: palästinensische Wirtschaftskraft und externe Einflüsse. Verglichen mit der israelischen ist die palästinensische Wirtschaft sehr schwach. Wieder wird dies der israelischen Kontrolle über die palästinensischen Gebiete zugeschrieben. Überschneidungen gibt es zu den Themenfeldern Wasserpreise und Landwirtschaft, denn die mangelnde wirtschaftliche Entwicklung und das daraus resultierende geringe ProKopf-Einkommen machen die als ungerechtfertigt hoch wahrgenommenen Wasserpreise zu einer Bedrohung der Wasserversorgung. Da die palästinensische Landwirtschaft als der einzige Weg gesehen wird, um die wirtschaftliche Ent460 461
Interview 07 PAL, Zeilen 79-228. Interview 12 PAL, Zeilen 45-58.
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wicklung der palästinensischen Gebiete anzuschieben, wird auch in diesem Zusammenhang eine ausreichende Wasserversorgung versicherheitlicht: „unless there is(1) a real recognition (1) of the palestinian suffering(1) what means ah(1) a viable state(1) what are the palestinian needs how to support them (1) yeah(1) even having ISRAEL supporting(1) a strong palestinian state because (1) a state with a poor economy (1) will always ah(1) just(1) bring(1) more troubles and ah(1) instability to the region (1) it should be an israeli interest to have(1) a strong(1) palestinian economy and facilitate in this way (1) otherwise everybody will continue to suffer yani(1) youre talking (1) youre in the middle east and ahm (1) the culture is totally different and ah(1) the economy is connected(1) in many ways and ah(1) it think (1) it should be ah(1)ah(1) really recognized in the right way that (1) aah(1) the palestinians should enjoy similar rights to the israelis (1) aah (1) they are all human beings and they should in-aaah(1) enjoy (1) equal rights (1) israel should recognise the palestinian (1) water rights not only on papers but(1) in reality and help the palestinians really (1) ah(1) developing their state(1) in a good way (1) and (1) really lifting and(1) making(1) thee (1) palestinian life easier and easier(1) unfortunately [incomp] be controlling all the borders and(1) everything(1) within the westbank is(1) limited (1) or(1) is under the ministry (1) the mercy of the israeli control [hm] which can even sometimes vary from one soldier in [phone, incomp] to ano-another place so (1) the future is not yani (1) very bright [phone]”462
Als Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung, die wiederum als Bedingung für ein Ende des Konfliktes dargestellt wird, wird Wasserknappheit aufgrund israelischer Kontrolle hier erneut versicherheitlicht, indem sie als existenzielle Bedrohung dargestellt wird. Schlüsselworte sind „unless“, „real“, „always“, „more troubles“, „instability“, „suffer“, „in reality“, „limited“ und „mercy“. Ähnlich wie bereits im israelischen Diskurs wird das ethisch-moralische Argument des „they are all human beings“ verwendet, um die palästinensischen Forderungen und die Vorwürfe gegenüber Israel zu bestärken. Auch das Themenfeld Intifada, das unter dem Oberthema Gerechtigkeit (s.u.) eingeordnet wurde, spielt hier eine Rolle, und zwar sowohl im Hegemonial- als auch im Gegendiskurs, da der Aufstand (ein diskursives Ereignis) als Ursache für hohe Arbeitslosigkeit und strengere Auflagen für die Einreise nach Israel ausgemacht wird. Im Hegemonialdiskurs wird die Intifada dabei gerechtfertigt, während sie im Gegendiskurs als kontraproduktiv und als Störfaktor dargestellt wird. „unfortunately a (1) yani i think that(1) during the (1) intifada (1) yani a lot of the things that has been achieved befOre intifada (1) to have better control over water or better management of water or (1) to WORK on water (1) the intifada came and (1) 462
Interview 14 PAL, Zeilen 777-813.
206
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt actually (1) dealt a severe blow (1) to all the work that has been (1) done so far (1) the intifada has been a(1) negative aspect of the (1) palestinian (1) struggle (1) I feel (1) i dont think that it (1) benefited us (2) EVEN politically (1) i think it turned against us the public opinion and (1) particularly when (1) the violence escalates (1) also it (1) gave the israelis (1) excuse (1) not to deal yani with us so actually(1) it gave them the pretext (1) in order to annex more land in order to have(1) more control over water resources (1) [incomp] in order to(1) take over a lot of to expropriate lAnd (1) property and (1) cut off trees and (1) you know (1) allow the settlers to (1) actually (2) make life very difficult (1) also to (1) have all these restrictions in movement(1)”463 „well we have now these two intifadas the first intifada and the second intifada (1) and aah(1) because during this d (1) you know as aah(1) a [turor?](1) an israeli practice to punish all the palestinians theyve been restricting(1) aah(1) the movement of palestinians(1) aah(1) either to israel or within the westbank(1) and ah(1) also we had(1) MANY palestinians used to depend on the construction sector in israel so they were(1) working in israel but during the intifada(1) this became impossible for these palestinians (1) and ah(1) because of the HIGH (1) unemployment(1) so the palestinians (1) only found that(1) the easiest way is to go for AGRICULTURE (1) but for that yani you know(1) having MORE people work in agriculture when there are no mArkets (1) also thats not profitable(1) so that affects aah(1) the palestinians(1) and(1) you know (1) the israeli occupation been controlling the lives of the palestinans(1) yani since 67 (1) even until NOW yani yani (1) after the peace process even things became(1) MORE(1) COMplicated even MUCH WORSE (1) yani (1) the situation before(1) the whole peace process started was much easier(1) but now(1) the palestinian authority became also aah (1) aah(1) the main aah (1) aaaah (2) the main BODY to blame by ISRAEL [incomp](1) to say how to say yani (1) aah(1) its not(1) an independent authority(1) they cannot do MUCH(1) aaah(1) the israeli practices(1) all the time affects them (1) negatively(1) not enough support(1) sooo yani(1) on the GROUND(1) aaah(1) when it comes to economy and to many things(1) really(1) aaah(1) they have no power to decide(1) its the israelis who decide and ah(1) so the authority becomes like something SYMbolic yani (1) and aaah(1) we are still TOO far to have full control yani on our resources and on the land (1) and aah (1) just HAVING the israeli decIding(1) aaaah(1) on behalf of the palestInians(1) or to give the(1) permits the approval(1) toooo(1) dig a well here or there(1) are thing that limits aaaah(1) the palestinian ah(1) development(1) and affects their life(1) and WATER is life(1) when there is no water there is no life so (1) it(1) it REFLECTS the other side yani(1) of theeee (1) israeli politics what they are using the water for yani and ah(1) i think this is the worst thing is to use water as(1) a weapon against any other nation(1) and this is the situation here in the westbank [hm]”464
463 464
Interview 08 PAL, Zeilen 363-387. Interview 14 PAL, Zeilen 407-462.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
207
Im zweiten Fragment wird den palästinensischen Behörden erneut jegliche Handlungsfähigkeit abgesprochen und damit die Verantwortung für den Konfliktverlauf vollständig an Israel abgegeben. Der Zusammenhang zwischen palästinensischer Intifada und israelischen Restriktionen, etwa in Form von Einreisebeschränkungen, wird nicht weiter erklärt; die Folgen der Intifada für israelische Bürger werden ausgespart. Die israelische Besatzung wird als alleiniger Verursacher der palästinensischen Not ausgemacht und diese Feststellung erneut mit moralisch-ethischer Beurteilung verbunden: „it REFLECTS the other side (...) i think this is the worst thing is to use water as(1) a weapon against any other nation“. Statt also wie im Gegendiskurs Verantwortung für die Taten der eigenen Nation zu übernehmen, liegt der Fokus im Hegemonialdiskurs auf Israel als Hauptakteur im Konflikt und Verursacher desselben. Die aus der israelischen Dominanz entstehende palästinensische Wasserknappheit wird versicherheitlicht: „when there is no water there is no life“. Insbesondere seit Ausbruch der Intifada wird die palästinensische Wirtschaft als extrem abhängig von externer Finanzhilfe wahrgenommen. Auch auf politischer Ebene werden Einflussnahmen von Außen als eine wichtige Möglichkeit für die Palästinenser verstanden, ihre Verhandlungsposition gegenüber Israel zu verbessern. Erneut gehen die Einschätzungen auseinander: finanzielle Hilfe von donors wird entweder als unkoordiniert („there is no coordination(1) among this funding(1) which is creating(1) SCATTERED(1) infrastructure and(1) misplanning”465) und damit wenig hilfreich oder aber als durchweg positiv („never a negative external impact“466) beurteilt. Politische Einflussnahme durch die internationale Gemeinschaft wird im Hegemonialdiskurs offensiv eingefordert, ihre Tatenlosigkeit wird versicherheitlicht: „the israelis do not want anybody to interfere (2) and we have been ah ignored (1) you know you hardly now hear anything about whats happened (1) while the wall is going on (1) the wall of shame (2) is going on the expansion of settlements and the expropriation of land and water is still going on (1) the whole world is watching and not doing anything (1) so (1) if you tell me ah the external influence would be the moral conscious of europe (1) i would like that (1) but i know that you know this is not real politic (1) you know (1) if this is a HIGH intensity conflict people will interfere (1) i am afraid (1) we might reach a stage where there will be the point where people will realise that UNLESS action is taken (1) you know we are going to (1)ah come up (1) to be ah(1) in a situation where (1) irreversible damages willwill take place (1) in the whole relationship (1) where you know the spark might ignite you know ah worl-middle east wide conflict”467 465
Interview 04 PAL, Zeilen 321ff. Interview 07 PAL, Zeilen 281ff. 467 Interview 15 PAL, Zeilen 444-466. 466
208
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
Im Hegemonialdiskurs herrscht die Wahrnehmung vor, die palästinensische Sache werde weitgehend ignoriert, in jedem Fall aber nicht im gleichen Maße unterstützt wie israelische Anliegen. Erneut wird die Verantwortung für die Geschehnisse in Israel und Palästina an einen Akteur außerhalb der palästinensischen Gesellschaft abgegeben, in diesem Fall an die internationale Gemeinschaft. Zudem werden Überschneidungen mit den Themenfeldern Asymmetrie und Verhältnis zu den arabischen Nachbarn erkennbar. Im Oberthema Wassermenge finden sich zwei Themen und drei Unterthemen. Das Themenfeld Knappheit ist mit 187 Nennungen mit Abstand das größte. Bemerkenswert ist, dass Wasserknappheit hier anders als im israelischen Diskursstrang nur am Rande mit natürlichen Bedingungen, klimatischen Veränderungen und Faktoren wie Bevölkerungswachstum in Verbindung gebracht wird. Im Gegenteil nennen die Sprecher – die bereits erwähnten konfliktiven Strukturen des Hegemonialdiskurses wiederholend – die israelische Kontrolle über die regionalen Wasserressourcen als eigentlichen Grund für das palästinensische Wasserdefizit. Würde Israel endlich die Kontrolle über die Grundwasserressourcen der Westbank an die Palästinenser abtreten, so der Tenor, dann wäre die Wasserversorgung der palästinensischen Gesellschaft über Jahre hinweg gesichert. In der Regel bleibt dabei eine Antwort auf die Frage, aus welcher Quelle die so „enteigneten“ israelischen Nutzer dann ihr Wasser beziehen sollen, unsagbar; im Zweifel wird Entsalzung als Lösung für dieses Problem genannt. „the area has enough water(1) which can be enough(1) for(1) US for the israelis(1) and for all our guests and visitors(1) BUT(1) as long as distribution is not fair (1) there shall be ALways difficulties(1) (...) was never worried about quantity because there is enough (1) but it needs to be taken care of ah(1) in a PEACEful(1) ah logical fair way“468
Die Anerkennung des jeweils Anderen als menschlich und deshalb überlebenswürdig scheint im palästinensischen Hegemonialdiskurs nur solange sagbar, wie die als nationales Eigentum verstandenen natürlichen Wasserressourcen davon unangetastet bleiben. Die Argumentation, die sowohl von den israelischen Diskursteilnehmern als auch von palästinensischen Sprechern als Begründung für die Notwendigkeit ausreichender Wasserversorgung genannt wurde – „we are all human beings“ – verliert hier ihre Allgemeingültigkeit. Natürliche Wasserknappheit wird ähnlich wie im israelischen Diskursstrang entweder als absolut („the area is really (1) moving to a crisis level (...) the problem is going to be bigger and bigger as time goes by (1) and ah solutions have to be found“469) oder als relativ („theres enough (1) open space there is enough land 468 469
Interview 07 PAL, Zeilen 358-371. Interview 02 PAL, Zeilen 572-579.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
209
there is enough water for the two (1) nations to live side by side (1) next to each other“470) wahrgenommen. Letztlich spielt diese Unterscheidung im palästinensischen Diskursstrang aber keine so wichtige Rolle wie im israelischen, was sich in der Themenstruktur widerspiegelt. Stattdessen steht im palästinensischen Diskursstrang eine andere Ursache von Wasserknappheit, nämlich die israelische Dominanz, im Mittelpunkt; diese Ursache gibt die Lösung vor. Alternativ wäre es denkbar gewesen, auch im palästinensischen Diskurs die natürliche Knappheit der Ressource Wasser in der gesamten Region als gegeben zu akzeptieren und daraus den Schluss zu ziehen, dass zweitrangig ist, wer die Ressourcen kontrolliert, weil die Wassermenge ohnehin nicht ausreicht. Dieses alternative Sagbarkeitsfeld wird jedoch nicht anerkannt; der Hegemonialdiskurs bleibt der Einteilung in in- und outgroup verhaftet, die die Wahrnehmung der Wasserverteilung als Nullsummenspiel, als win-lose situation begünstigt. Das Unterthema Bildung/Forschung bildet Diskursstrukturen ab, die sich auf die ingroup beziehen. Auch hier werden wieder Hegemonial- und Gegendiskursstrukturen erkennbar: Während im Hegemonialdiskurs das Wissen der Palästinenser als ausreichend für die selbständige Verwaltung der natürlichen Wasserressourcen dargestellt werden muss („we are intelligent enough“471), um die Forderung nach einer Reallokation der Wasserrechte zugunsten der palästinensischen Gesellschaft zu legitimieren, bewegt sich der Gegendiskurs eher in Richtung einer deutlichen Kritik der palästinensischen Leistungsfähigkeit: „we do not have (2) good technical ex(1) pertise (1) how to collect water and how to (1) utilise water (1) (...) we LOSE(1) so much water because (1) of our lack of technical abilities (1) and technical knowhow”472
In dem Themenfeld, das für den israelischen Wasserdiskursstrang eine ganz zentrale Rolle spielt, nämlich unkonventionelle Wasserressourcen, wird der palästinensische Diskursstrang erneut von der weitgehenden Ablehnung jeglicher israelischer Einmischung in palästinensische Angelegenheiten dominiert. Dieser Punkt ist immanent wichtig für jeden Versuch, den Wasserverteilungskonflikt zu lösen. Im palästinensischen Hegemonialdiskursstrang wird Entsalzung weitestgehend abgelehnt: „the desalination ah(1) i feel that is imposed on us (1) ah(1) only in gaza (1) i dont mind if we go for that on the brackish water on the ah eastern aquifer(1) ah(1) but not(1) ah all the sea water as the gaz-in gaza(1) im still saying that(1) the(1) ground water(1) makes good quantities that we can use without even(1) having the need to 470
Interview 16 PAL, Zeilen 414-416. Interview 03 PAL, Zeile 124. 472 Interview 08 PAL, Zeilen 65-71. 471
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt go dos-desalination (1) if we ah(1) have our share in the ground water (1) and with some(1) treatment for the brackish water in the eastern aquifers(1) WITH the rain ah(1) water harvesting(1) and ah SOMe(1) waste water reuse(1) that can be (1) enOUgh”473 „the last time i checked the west bank had no mediterranean sea along its shores (1) right [laughter] so how can i do desalination and i cannot do desalination for the dead sea (2) so how can i get desalinated water to the west bank unless i get permission to build a desalination plant along the mediterranean (1) and with this we have political problem (1) ok whose gonna be owning that-ah plant whose gonna be building it and whos gonna (1) assure me guarantee me that if israel tomorrow does not wake up upset with palestinians they will not shut down the tap (1) so all of these things have to be taken into consideration before accepting to go for desalination (2) however in gaza we realized the ou(1)the solution out of the problem of gaza is to do desalination and we agreed to desalinated(1)desalination plant with usaid funding”474 „crazy (1) that is the worst idea i ever heard yani (1) the israelis are offering(1) to desalinate water and pump it to the palestinians(1) pump it like 1000 metres high(1) to the palestinians why (2) doesnt make sense yani aah (1) we discussed this yani i mean among ourselves and among ah(1) israeli colleagues (1) even the israeli colleagues (1) these are only ideas of ah(1) stupid politicians yani(1) they are(1) they are not really aah(1) living aaah (1) in reality (2) if the israelis want to help the palestinians (1) they should allow them to control their water resources in land in the westbank and utilised that ground water (2) and ah(1) that also(1) much cheaper (1) aah(1) also that will ah(1) further restrength [?] the peace relations between the palestinians and the israelis (1) aah(1) it will built a trust (1) it will reflect good will(1) from the israeli side(1) now desalinate water(1) pump it to the high land(1) why the palestinians also cannot afford to pay for the ah(1) the desalinated water (2) its much easier much cheaper to give that water to the israelis who are living along the coast [hm] so i-i dont think yani (1) any good (1) economist orrrrah (1) engineer (1) will accept this idea(1) aah (1)aaah (1) the l-the logic with this that(1) this desalinated water being given to the palestinian-to the israelis along the coast (1) and allow the palestinians in the westbank (1) to use the ground water that is(1) the only option”475
An dieser Stelle ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass der palästinensische Wasserdiskursstrang gewissermaßen regional zweigeteilt ist. Er bezieht sich einerseits auf die Wasserversorgung der Westbank, andererseits auf die des Gazastreifens. Das diskursive Ereignis des Gaza-Abzugs hat diesen Trend weiter verstärkt. In Bezug auf Entsalzung werden die Unterschiede zwischen diesen beiden „Unterdiskurssträngen“ offensichtlich. Für Gaza wird Entsalzung als 473
Interview 07 PAL, Zeilen 381-395. Interview 03 PAL, Zeilen 278-297. 475 Interview 14 PAL, Zeilen 817-851. 474
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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letzter Ausweg anerkannt, da die Wassersituation für katastrophal und die natürlichen Wasservorräte, die inzwischen unter alleiniger palästinensischer Kontrolle stehen, für vollständig genutzt gehalten werden. Für die Westbank gilt dagegen weiterhin: Erst muss die Kontrolle über die natürlichen Wasservorräte zugunsten der Palästinenser umverteilt werden. Nur wenn dann – in weit entfernter Zukunft – erneut Wasserknappheit drohen sollte, wäre Entsalzung sagbar. Dabei wird in Kauf genommen, ja sogar als gerecht empfunden, dass Israel durch solch eine Umverteilung große Teile seiner Wasserversorgung verlieren würde; die Konsequenzen der eigenen Forderungen für die andere Seite werden ausgeblendet. Wo die israelischen Bedürfnisse wahrgenommen werden, wird der eigene Anspruch auf Umverteilung keinesfalls aufgegeben, Entsalzung als kurzfristige Lösung aber durchaus anerkannt: „desalination ah you know people keep saying you know the next war will be over water i say there is no (1) need to fight over water (1) because you know if you can produce water through desalination (1) you have a sea next to you ah then thats no problem (2) and especially that the cost of desalination now its going down [hm] its now 60 70 cents ah cubic meter (1) so (1) israel has a shore (1) they can desalinate as much water(1) it will be (1) a very cheap price for peace (1) If they will give us our 400 or 500 million cubic meters of our water rights (3) its peanuts [hm] its less than the price of a couple of ah (1) f16s (1) its a very small price for peace”476
Hier wird Wasserknappheit für Israel entsicherheitlicht, die Versicherheitlichung von Wasserknappheit für das Referenzobjekt Palästina allerdings unterstrichen. Die palästinensische Forderung nach einer Umverteilung der natürlichen Wasserressourcen wird durch eine ethisch-moralische Komponente bekräftigt, die Israel implizit die Verantwortung für Krieg oder Frieden in der Wasserfrage gibt. Der Sprecher lässt zwar offen, was geschähe, wenn Israel den Palästinensern nicht mindestens Teile der natürlichen Grundwasserressourcen überließe, stellt aber Israel als allein verantwortlich dar. Implizit wirft der Sprecher Israel vor, Waffen und Krieg für wichtiger zu halten als Frieden und gerechte Wasserversorgung. Zum wiederholten Male werden palästinensische Institutionen und ihre Rolle im Konflikt hier ausgeblendet: Ihre Verantwortlichkeit gehört in den Bereich des Unsagbaren. Letztendlich wird Entsalzung für die Palästinenser also in Gaza nur unter Vorbehalt der Lösung verschiedener Managementprobleme und in der Westbank nur dann akzeptiert, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind: „i think is one of the solution but its premature to think about it (1) because mANY problems(1) one problem is(1) (...) the palestinians they cannot afford the price of 476
Interview 15 PAL, Zeilen 385-400.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt desalinated water(1) secondly(1) the environmental impact of desalination In(1) gaza shore(1) because (1) gaza they have only(1) the gazan people they have one hand(1) only twelve kilometre (1) they cant go far and(1) when you(1) desalinate water(1) all the WASTEs(1) will go back to the sea(1) and this is(1) will impact the fisheries there (1) WHO WHO is going to manage this(1) project (1) private sector government(1) i dont think they can(1) municipality they cannot collect the rubbish they have very bad management(1) system(1) private company meaning(1) PRICE(1) profit (1) for this reason there IS(1) a lot of problems should be solved(1) beFORE(1) entering(1) the desalination(1) plant project I: ahm(1) ive read about(1) plans(1) on the israeli side to(1) desalinate water and pump it to the west bank 04: still its cost(1) and nobody trust the israelis (1) to(1) to put their hands(1) in our taps(1) we can(1) depends on them(1) but but (1) without trust [hm] because it is daily life you cannot solve it with(1) drinking coca cola(1) for this reason you need TRUST(1) to(1) to buy water from israelis 24 hours(1) a day because(1) we have experience sometimes they(1) they(1) close water close electricity close roads everything and(1) even the last the last decision in(1) israeli army(1) to to have(1) wo roads for israelis and roads for palestinians INSIDE west bank(1) this is(1) apartheid system its (1) in my opinion this is(1) indicators of unseriousness of the peace process (1) and (1) during sharon time no no no progress (1)”477
Obwohl dieses Diskursfragment zu den moderateren Äußerungen gehört, schließt der Sprecher eine Abhängigkeit von Israel in jedweder Form aus. Die Frage des Vertrauens ist der Schlüsselfaktor: Nur wenn Israel sich als vertrauenswürdig herausstellte, wäre eine Zusammenarbeit in Form von gemeinsamen Entsalzungsanlagen überhaupt denkbar. Bis dahin gehört israelischpalästinensische Kooperation im Wassersektor in den Bereich des Unsagbaren. Lediglich im Gegendiskurs ist es möglich, die Lösung des Problems in der palästinensischen Gesellschaft und nicht in Israel zu suchen: „so thats why (1) i feel (1) we as palestinians have a long way to go (1) and we dont have to blame the israelis for it (1) we have to blame ourselves (1) and unless we (1) really take action(1) END corruption and to END(1) and to REALLY(1) think in terms of (1) putting the right man in the right place and (1) we will(1) remain where we are (1) in the trash of history (1) this is where (1) where we are now (1) and (1) we have been (1) like aba iban once said (1) the palestinians never lose and opportunity to LOSE an opportunity (1) and hes right (1) i think that so far (1) we have proved that hes right(1) we are losing opportunity (1) one opportunity after the other (1) and (1) unless we wake up and unless we really (1) look not for personal gain (1) but for (1) the welfare of the community as a whole (1) even if it is at our own personal expense (1) then we can (1) MAYBe achieve something (1) maybe (1) maybe we can get (1) DIG us(1) dig ourselves (1) out of this hole(1) we are in (1) but (1) it 477
Interview 04 PAL, Zeilen 427-469.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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will take (1) it will take some time (1) and (1) unfortunately (1) we have to REALISE (1) just to diagnose the disease (1) in order (1) to find the medicine(1) the right medicine for it (1)”478
Im Oberthema Wassernutzung setzt sich dieses Bild fort. Mit 243 Nennungen steht es an vierter Stelle in der Themengewichtung. Es setzt sich aus den Themen Landwirtschaft, Haushalte, Industrie, Tourismus, Nachhaltigkeit und öffentliche Wahrnehmung zusammen. Das meistgenannte Thema war Nachhaltigkeit, dicht gefolgt von Landwirtschaft. Diese beiden Themen hängen zudem eng zusammen, da sich die Frage der Nachhaltigkeit von Landwirtschaft in einer semiariden Region in beiden Gesellschaften gleichermaßen stellt. Alle Themen werden auch hier dominiert von den bereits beschriebenen Diskursstrukturen, die jeden Aspekt des palästinensischen Wassersektors als von israelischer Willkür abhängig darstellen und damit einerseits Wasserknappheit aufgrund von israelischer Kontrolle versicherheitlichen und andererseits die Verantwortung der palästinensischen Institutionen für die Defizite in der palästinensischen Wassernutzung größtenteils auslassen. Im Themenkomplex Landwirtschaft wurden die bereits erwähnten israelischen Restriktionen und ihr Einfluss auf palästinensische agrarische Aktivitäten erneut betont und, damit eng verbunden, die Frage der Wasserrechte aufgebracht. Territorial- und Wasserhoheit stellen im palästinensischen wie im israelischen Diskursstrang die unverzichtbaren Voraussetzungen für landwirtschaftliche Entwicklung dar; Modelle der gemeinsamen Nutzung oder eines Austauschs über Handel gehören wenn überhaupt nur stark relativiert in die Sphäre des Sagbaren. Weitere angesprochene Aspekte waren die sozioökonomische Bedeutung des Agrarsektors für die palästinensische Gesellschaft sowie die Reflektion von agrarischen Techniken und Nachhaltigkeit und die Rolle von Landwirtschaft für Kultur und nationale Identität. Die Sprecher waren sich (ähnlich wie ihre Kollegen im israelischen Diskurs) einig darüber, dass fehlendes demand management ein schleunigst zu behebendes Defizit des palästinensischen, eigentlich aber des nahöstlichen Wassersektors generell darstellt; hier finden sich Übereinstimmungen mit dem israelischen Diskursstrang. Die Nachhaltigkeit von landwirtschaftlicher Tätigkeit in der Region wurde grundsätzlich infrage gestellt, gleichzeitig aber die Verkleinerung des palästinensischen Agrarsektors nur unter der Bedingung der Umverteilung der Wasserrechte überhaupt als diskussionswürdig akzeptiert: „if we reach an equitable reasonable utilisation aah(1) status(1) like you-we we say(1) this is equitable for the pal-then(1) for the palestinians then theyre happy (1) 478
Interview 08 PAL, Zeilen 976-1003.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt and this is(1) equitable for the israelis and theyre also more happy then then (1) EVEr (1) whichwhich will never happen [laughs] maybe (2) in the near future (1) okay (1) but STILL (1) we(1) we would be faced with patterns of use(1) inside these(1) entities(1) IS IT the most efficient (1) IS IT the most aah(1) OPTIMAL ah(1) utilisation (1) thIs will be a question that will be raised to both(1) the palestinians and to the israelis and to all the region in the middle east (...) we can say now the status is(1) that palestinians use(1) lets say 75 percent of their waters for ah agriculture (...) they used to get (1) 24 percent in their gdp(1) now because of the(1) aah(1) restriction on the export ah(1) import you know aaah(1) by israel they(1) only 8 percent of aahm(1) of the gdp comes from agriculture so its(1) declining but STILL(1) we have to know(1) that it WAS 24 so(1) thethe decline is because of theeee(1) restrictions (1) in ISRAEL(1) they use 85 percent for(1) for (1) agriculture (1) AND(1) they get 2 percent for gdp (1) so (1) the states have to reconsider ah(1) their utilisations in agriculture (1) and the they have to take policy decisions you know(1) when-when you(1) when palestine would be declared officially as a state i dont know when(1) we have to decide are we going to be an industrial aah(1) country(1) ah going to industry heavy industries(1) or we will just remain(1) doing LIGHT industries in-and(1) focus on agriculture (1) because its too difficult to change(1) because this is our(1) traditions that etc etc (1) so its a policy decision(1) and then they have to(1) be very careful on how to reallocate between uses(1) how to use reuse water like treated water(1) for agriculture and ah(1) reallocate the fresh water for ah(1) drinking domestic purposes(1) and the same applies in in israel(1) so(1) this is(1) more or less a NATIONAL ah(1) policy issue(1) after and when we(1) decide what is equitable and reasonable(1) (...) at the end you have to say(1) together(1) what can we do(1) how we can bring more water to the region(1) after you you get all this understanding and the agreement(1) that this is equitable for you and this is for me but now(1) there isnt(1) more ah ah enough water stIll we need water (1) [hm] so then you start talking about(1) regional cooperation(1) desal-BIG desalination plants that(1) provides both(1) you know ah old ideas importing water from turkey i dont know wh-how feasible it is(1) but(1) but then you do it AFTER youre satisfied(1) as a state(1) that your rights have not been violated(1) that JUSTICE has been implemented (1) [hm] thats what makes them(1) DO something better and do cooperation together [hm] (2)”479
Die hier ausgeführte zeitliche Reihenfolge – erst Umverteilung der Wasserrechte, dann Kooperation und Erschließung neuer Ressourcen – gilt im palästinensischen Hegemonialdiskurs als Voraussetzung für jede weitere Überlegung zum Agrarsektor. Auf dieser Basis war dann Kritik an den bisherigen Praktiken möglich: „the MOST important things is to have NATIONAL system and to distribute water according the crops(1) the geographical area(1) the size of farming all these 479
Interview 09 PAL, Zeilen 421-503. Vgl. auch Interview 04 PAL, Zeilen 103ff.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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things(1) which is not exist (1) more than this one is (1) we dont have agricultural plan (1) which is (1) important to to (1) ESTIMATe (1) yearly consumption of water(1) cause if you have agricultural plan you know know the crops (1) the the amount of areas(1) planted w-w-for ah(1) to each crop(1) then you can plan how much water you can pump(1) to them or you can give it to them(1) thats not not exist”480 „so far it is ah(1) id say the main(1) economy pillar ah(1) in the westbank and gaza(1) and thats why ah(1) no one dares to say we should minimise the irrigation water qualityahquantity ah(1)„481
Wie im letzten Fragment expliziert, wird die ausreichende Versorgung des landwirtschaftlichen Sektors mit Wasser versicherheitlicht, indem der Agrarsektor als wichtigster Pfeiler der palästinensischen Wirtschaft, als sozialer Kitt, Auffangbecken für durch israelische Restriktionen arbeitslos gewordene Palästinenser sowie als Teil der palästinensischen nationalen Identität dargestellt wird. Wird im Umkehrschluss ein so wichtiger Teil der palästinensischen Gesellschaft durch Wassermangel bedroht, sind gleichzeitig Existenz, Selbstbestimmtheit und Werte eben dieser Gesellschaft in Gefahr. Zum Teil wird in diesem Zusammenhang und in Bezug auf die israelischen Siedlungen auch die Bedrohung des palästinensischen Territoriums postuliert. „well agriculture ah(1) yani is aah(1) a major sector (1) for the economy and for the labour force yani (1) it represents more than 25 to 30 percent of both (1) theeee(1) gross domestic product for the palestinians and for the labour force (1) and of course during the intifada (1) we have seen more people going back to work (1) in agriculture because going to their land (1) because they need ah(1) tooo(1) earn living and aaah(1) find sources aaah(1) to survive(1) aaah(1) and for a long time still the palestinian agriculture i see still will it play a major role (1) but aah(1) the question is it profitable or not profitable that is(1) another issue(1) but in terms of SOCIAL security i think its its been playing really a major role”482 „the palestinians are very good in agriculture they (1) have (1) a special (1) relationship between them and ah the lands they grow”483 „agriculture is ah(2) one of the main sector of the palestinian(1) economy (1) contribution of agriculture (1) to (1) gnp (1) is not(1) less than 8 percent in the WORST(1) season (1) and it MAY (1) rises up to 12 15 percent (2) in good season (1) but (1) this is (1) the (1) capitalised (1) income (1) thats the part that can be capitalised can 480
Interview 04 PAL, Zeilen 132-145. Interview 07 PAL, Zeilen 134-138. 482 Interview 14 PAL, Zeilen 353-369. 483 Interview 15 PAL, Zeilen 250-253. 481
216
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt be measured (1) what is VERY important(1) that (1) agriculture (1) is contributing(1) to the revenues(1) of AT LEAST (1) 50 to 60 percent of the population (1) in some way or another (2) AND (1) the production at household level is not always(1) considered(1) in the (1) domestic ah(1) general income”484 „ah the palestinian economy is still a agrarian economy (2) aah you lo-go to the different palestinian ah rural areas ah you find that the basic life depends on agriculture and as you know agriculture here in palestine is the same as in all over the world it uses more than 75 percent of fresh water okay now we are very careful first of all pwa the water authority here deals only potable water we have nothing to do with water for agriculture (1) but since we have aaah scarce resource and we realise that agriculture is taking more than 75 percent of fresh water we need to take this fresh water from agriculture and relocate it for domestic use (1) however and as i said because this is an agrarian-based economy we cannot touch agriculture i cant take fresh water from farmers unless i give them the alternative [hhm] and accordingly our strategy is to concentrate on treating waste water and used it for agriculture and replace fresh water that will be relocated for ah domestic”485 „if we give up agriculture(1) what is the alternative(1) israelis they can do it(1) because israel(1) NOWADAYS they have (1) more than agricultural export is hightech(1) softwares (1) microprocessor all these things (1) israelis they have alternatives to go to the virtual water(1) or to give up agriculture and to import(1) products from outside(1) but the palestinians(1) the whole social system will collapse(1) if we give up agriculture (1) if we are going to give up(1) its reallocation from po(1) for example to give up banana (1) to(1) but not to give up tomatoes and our(1) agriculture as i mentioned we dont have farmers(1) we have fAmily(1) based agriculture(1) and(1) woman(1) children(1) and (1) father(1) depends on agriculture for this is a when you(1) when you GIve up agriculture you collapse the whole social system which is (1) in my opinion the MAIN solidarity(1) iis the main reason to keep solidarity among palestinians that is(1) FAMily(1) based agriculture”486
Landwirtschaft wird hier zum Sicherheitsfaktor konstruiert. Sie bringt wirtschaftliche Sicherheit in schwierigen Zeiten und funktioniert identitätsstiftend. Mehrere Auslassungen sind auffällig: Im ersten Fragment erwähnt der Sprecher zwar die Intifada, thematisiert die konkreten Zusammenhänge zwischen palästinensischem Aufstand und wachsendem Agrarsektor aber nicht. Damit spart er sowohl israelische Restriktionen als auch Attentate militanter Palästinenser und die Frage ihrer Rechtmäßigkeit grundsätzlich aus. Interessant ist, dass der Sprecher als ersten Grund für die Rückkehr vieler Palästinenser in den Agrarsektor während der Intifada „because going to their land” anführt. Dies geht zusammen mit dem 484
Interview 12 PAL, Zeilen 188-203. Interview 03 PAL, Zeilen 165-187. 486 Interview 04 PAL, Zeilen 516-540. 485
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
217
zweiten Fragment, in dem den Palästinensern insgesamt ein besonderes Verhältnis zu ihrem Land zugesprochen wird – das Bild des fellah kommt in den Sinn, also des palästinensischen Bauern, der mit großer Beharrlichkeit allen Unwägbarkeiten zum Trotz sein Land bewirtschaftet (siehe Kapitel 5). Auch im dritten Fragment steht die sozioökonomische Bedeutung des landwirtschaftlichen Sektors im Vordergrund: Der Sprecher versucht hier durch konkrete Daten und Referenzbezüge die außerordentlich wichtige Rolle des Sektors für große Teile der palästinensischen Gesellschaft zu untermauern. Dies illustriert die Zentralität „richtigen“ Wissens auch im palästinensischen Diskurs. Im vierten Fragment wird die Problematik des hohen Wasserverbrauchs im palästinensischen Agrarsektor expliziert, gleichzeitig aber seine Verkleinerung unsagbar gemacht. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten einer Verkleinerung der palästinensischen Landwirtschaft werden als so hoch eingeschätzt, dass der Sektor insgesamt als „unberührbar“ eingestuft wird. Rationale hydrologische Überlegungen stehen hier in einem Spannungsverhältnis mit sozioökonomischen Strukturen und ideologisch-politischen Weltsichten. Im letzten Fragment betont der Sprecher erneut die Wichtigkeit des landwirtschaftlichen Sektors für die palästinensische Gesellschaftsstruktur und zieht gleichzeitig einen Vergleich mit Israel. Der heutige palästinensische Agrarsektor wird aus wirtschaftlichen, aber auch aus politischen Gründen als unverzichtbar verstanden; Israel dagegen wird das Recht auf vergleichbare politische Gründe unter Hinweis auf seine Wirtschaftskraft abgesprochen: Da Israel heutzutage wirtschaftlich sehr stark sei, könne es auf seine Landwirtschaft verzichten. Die Themen Haushalte, Industrie und Tourismus wurden so selten angesprochen, dass sie zu vernachlässigen sind; dies unterstreicht die Wichtigkeit des Agrarsektors für den Wasserdiskursstrang. Im Themenfeld Nachhaltigkeit bewegten sich die Diskursfragmente erneut zwischen Schuldzuweisungen an Israel „unless you control your sources you cant talk about sustainability(1) until now we are still dependent on what israel is giving ah(1) is fee-feeding into the system(1) ah and thats true for the westbank as well as gaza”487 „if we talk about conservation practices or(1) rationing there IS no such thing because people think that they get much less than they ah(1) than they ah(1) they NEED„488
487 488
Interview 07 PAL, Zeilen 164-169. Interview 09 PAL, Zeilen 46ff.
218
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
und harscher Kritik an den eigenen Praktiken („i think that we are not (1) dOIng (1) enOugh on our own”489). Die bereits beschriebenen Diskursstrukturen wiederholten sich. Im Feld öffentliche Wahrnehmung stand interessanterweise ähnlich wie im israelischen Diskursstrang die innergesellschaftliche Konfliktlinie zwischen rationalen Wasserexperten und ideologischen Politikern im Vordergrund. Diese Parallele zwischen dem palästinensischen und dem israelischen Diskurs ist aus friedenswissenschaftlicher Sicht bedeutsam, da sich hier trotz aller Unterschiede das Potenzial abzeichnet, Wasserexperten beider Seiten in einer Lobby für gerechtes regionales Wassermanagement zusammenzubringen. Zudem verfügen die Wasserexperten beider Seiten über einen Wissensvorsprung, der zukünftige Trends in den nationalen Politiken andeuten und beeinflussen kann. Wenn also die Spezialdiskurse auf beiden Seiten in erster Linie die Entideologisierung und Entsicherheitlichung der Ressource Wasser betreiben würden, hätte dies mittelfristig Auswirkungen auf politische Entscheidungen der beiden Regierungen. Doch dazu müssten sich beide Expertengruppen zunächst aus ihrer bisherigen Verstrickheit in den Versicherheitlichungsdiskurs lösen. Im Oberthema Wasserqualität wurde durch Israel verursachte Wasserknappheit erneut versicherheitlicht, indem Wasserverschmutzung durch Israel, fehlende Investitionen Israels in den palästinensischen Wassersektor nach 1967 sowie Einschränkungen durch den Mauerbau betont wurden. Kritik am palästinensischen Wassermanagement und der palästinensischen Gesellschaft als Verursacher von Verschmutzung oder Versalzung der natürlichen Wasserressourcen war erneut nur im Gegendiskurs sagbar (siehe Feinanalyse). Das letzte Oberthema, Gerechtigkeit, wurde nach Wassermanagement am häufigsten genannt (629 Nennungen). Der Tenor des palästinensischen Wasserdiskursstrangs blieb gleich: Wasser sei für die palästinensische Gesellschaft gefährlich knapp, da es von Israel kontrolliert und zugeteilt werde: „israel has a water shortage(1) and they trying to solve their problems from(1) palestinian pocket“490. Die palästinensische Gesellschaft sei durch diese israelische Kontrolle in ihrer Existenz, ihrer Selbstbestimmtheit, in geringerem Ausmaß auch in ihren Werten und ihrem Territorium bedroht. Insgesamt herrsche weder zwischen Israelis und Palästinensern, noch zwischen verschiedenen innergesellschaftlichen Nutzergruppen Gerechtigkeit.491 Schlüsselworte waren hier unter anderem fair, equal, equitable, mutual benefits und imposed.
489
Interview 08 PAL, Zeilen 150f. Interview 04 PAL, Zeilen 401-403. 491 Siehe etwa Interview 04 PAL, 218ff; Interview 12 PAL, 266ff. 490
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
219
Unter dem Themenstichwort Umverteilung wurde dabei natürliche Wasserknappheit erneut ent-, die aktuelle Wasserverteilung gleichzeitig aber versicherheitlicht: „we are limited to the source ah(1) and quantity which is ah(1) assigned by the israelis (1) so unless that conflict is SOLved (1) ah(1) there shall ALWAYS be(1) difficulties (...)the area has enough water(1)„492
Die Frage der Umverteilung wurde größtenteils auf Israel bezogen; interne Umverteilung, beispielsweise im Sinne einer Verkleinerung des Agrarsektors, gehört in die Sphäre des Unsagbaren. Externe Umverteilung überschnitt sich stark mit dem Thema Wasserrechte. Dieses Thema wurde am zweithäufigsten genannt. Schlüsselworte waren our, own, right und share und es fällt auf, dass im palästinensischen Diskursstrang kein Unterschied zwischen Wasserrechten und einem humanitären Recht auf Wasser gemacht wird, wie es im israelischen Diskursstrang der Fall war. Eine Umverteilung der Wasserressourcen bzw. -rechte wurde im Gegenteil mit dem Recht auf Wasser, das jedem Menschen zusteht, begründet. „we are human being homo sapiens sapiens and they are homo sapiens sapiens if they accept us at least (1) yes we are gentiles but we can still accept us as homo sapiens (1) so lets divide the water equally (2) take all the water resources (1) in (1) mandate palestine (1) and divide it on a per capita basis (1) so that you know (1) people feel equity not jews (1) consume 150 cubic meters while (1) arabs (1) 50 cubic meters a year (1) this is recipe for (1) upper tide [?] for injustice for discrimination”493
Die Reallokation der Wasserressourcen wurde außerdem zur Voraussetzung einer Verbesserung des Lebensstandards nicht nur für Palästina, sondern die gesamte Region konstruiert. Auf diese Weise wurde der implizite Vorwurf gegenüber Israel, diese Verbesserung zu verhindern, erweitert: „i believe that if we have the right people sitting in the-the political level (2) the right people in the sense that they have a vision of what needs to be done and if they have the right intentions like if i talk to you in good faith then i mean im talking to you in good faith [hhm] if all parties come together with one ultimate objective to improve the quality of life of-f human beings (1) not naming names not palestinians not israeli but human beings (1) then we are able to do something good for this region”494 492
Interview 07 PAL, Zeilen 206-359. Interview 15 PAL, Zeilen 206-218. 494 Interview 03 PAL, Zeilen 592-604. 493
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
Schlüsselfaktor war hier erneut die Frage des Vertrauens bzw. der Vertrauenswürdigkeit von Entscheidungsträgern („right people“, „right intentions“, „good faith“). Der Sprecher positioniert sich durch seine wertenden Äußerungen als Akteur mit einer gewissen Autorität und moralischen Überlegenheit gegenüber anderen (vor allem israelischen) Akteuren; er präsentiert seine Sichtweise dabei als „richtig“ und impliziert damit automatisch, dass andere, alternative Sichtweisen falsch seien. Der Gaza-Abzug wurde im palästinensischen Diskursstrang vor allem als geschickter Schachzug Israels dargestellt: „what does it mean(1) disengagement (1) yani(1) its just even(1) another way(1) to keep the occupation (1) aah (1) of the palestinian land and(1) at the same time giving the outside world that(1) the palestinians are independent and are free (1) and thats whats been happening really(1) since 1994 since oslo unfortunately and(1) i think ah(1) sit(1) the palestinian situation just(1) is getting worse and worse”495
Das Israel-Bild, das in diesem Fragment vermittelt wird, ist von Dämonisierung, Misstrauen und Hass geprägt; alternative, positive Interpretationen des israelischen Rückzugs aus Gaza waren unsagbar. Anders im Gegendiskurs, wo die Reflektion der israelischen Sichtweise möglich und sogar Gerechtigkeit für Israelis sagbar war: „negotiated coordinAted (1) unilateralism (1) would have been better (1) in order (2) for(1) for THEM(1) to get something out of it also yani because i said that (1) my view was (1) you give a cadeau yani (1) you give us yani(1) something(1) and you did NOT get anything in return(1) now (1) without (1) you are giving us without commitment(1) on OUr side (1) and this is YOU are losing (1) on that term(1) you are winning(1) by doing(1) unilateralism(1) because this is part of your policy (1) gaza is like a hot potatoe and you want to dump it (1) at the same time (1) you are losing because you are not getting anything in return(1) if you want to do it in the westbank (1) youyou cAN do it in the westbank (...) but i say you will be doing a big mistake because basically (2) you are not getting anything out of it(1) you you are(1) yani DOING unilateralism you are w-withdrawing(1) but you are not getting COMMITMENTS(1) as a result (1) or(1) you are giving something withing getting something in return and (1) you are giving EVEN if you are giving us 40 percent or 50 percent (1) we are getting it(1) and then we(1) will demand the other fourty or fifty percent so basically what did you GAIN(1) from that angle(1) or rather (1) if there would have im NOT (1) calling for negotiation as it was before yani with arafat”496
495 496
Interview 14 PAL, Zeilen 913-922. Interview 08 PAL, Zeilen 759-798.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
221
Das meistgenannte Thema im Oberthema Gerechtigkeit war die Wassernutzung durch Israel. Dies unterstreicht die bereits erwähnte Tendenz, Israel als allein verantwortlich für Geschichte, aktuelle Ausformung und zukünftige Entwicklung des israelisch-palästinensischen (Wasser-)Konfliktes darzustellen. In der Frage der israelischen Wassernutzung spielten die israelischen Siedlungen eine herausragende Rolle. „in the westbank(1) when you go to the(1) settlements(1) they have (1) gardens they have swimming pools in their houses the have (1) and (1) twentyfour hours is MUST (3) in the palestinian territories you dont find this AT ALL (2) in ramallah for example which is (1) almost considered the (1) capital of the palestinian territories (2) water supply (2) is not more than two to three times a WEEK (2) and at least(1) two days (1) in a week sometimes three days a week(1) theres no water in the network [even in winter] no(1) im speaking about summer(1) in winter (1) the supply is better”497 „the settlements they have their own ah(1) bypass roads(1) they confiscate(1) palestinian lands all the time ah(1) now the wall(1) going all and taking all the palestinian land the palestinian agriculture the palestinian water resources (1) just(1) under the cause of security (1) doubling the area for the settlement and really just (1)ah(1) cutting the westbank (1) to small islands here and there and affects(1) the whole life of the palestinians (...)the settlements because we have some agricultural settlements(1) and ahm(1) they get LOTS of subsidies from the israeli government(1) so(1) the endresult that the palestinian farmers cannot COMPETE(1) and cannot market their crops (1) so the palestinian market will be ah(1) flooded with israeli (1) crops(1) specially the ones ah(1) the SURPLUS [hm] quantities in israels they and in the westbank(1) because the westbank be-in becomes a dUMPING SITE(1) and its a market a BIG market for ISRAELI products(1) so that means(1) aah(1) the palestinian farmers(1) will lose their crops(1) and it is a desaster for the palestinian economy(1) and this is an in-ah(1) another INDIRECT way to support israeli economy(1) while in(1) in practice ISRAEL is a rich country(1) and ah(1) to be blamed for lots of the palestinian suffering(1) it SHOULD be helping the palestinians(1) not the settlements and agricultural settlements(1) against the palestinian products”498
Im ersten Fragment wird deutlich, wie der direkte Vergleich zwischen israelischem und palästinensischem Lebensstandard die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit und damit bestehende Konfliktlinien zwischen „dominantem Israel“ und „rechtlosem Palästina“ verstärkt. Gleichzeitig wird implizit das Beharren Israels auf der derzeitigen Verteilung der natürlichen Wasserressourcen als illegitim dargestellt. Der Sprecher lässt die Rolle der palästinensischen Wassermanage497 498
Interview 12 PAL, Zeilen 287-300. Interview 14 PAL, Zeilen 542-606.
222
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mentinstitutionen für die mangelhafte Versorgung weiter Teile der palästinensischen Siedlungsgebiete dabei vollkommen außen vor; Selbstkritik ist unsagbar. Im zweiten Fragment werden dem Vergleich des ersten Sprechers weitere hinzugefügt, angefangen bei Straßen für Siedler über Subventionierung der israelischen Landwirtschaft bis hin zu wirtschaftlichen Vorteilen der in israelischen Siedlungen erzeugten Produkte. Landkonfiszierungen durch Israel sowie der Bau der Mauer werden als Bedrohung des palästinensischen Lebens allgemein dargestellt und die israelische Landwirtschaft, symbolisiert durch die Siedlungen, als Gefahr für die palästinensische Wirtschaft identifiziert. Neben diesen securitizing moves ist interessant, dass der Sprecher ein bestimmtes Verhalten von Israel einfordert, alternative Verhaltensmöglichkeiten der palästinensischen Gesellschaft – etwa ein konsequentes Ende der Gewalt – aber nicht erwähnt. Auch das Themenfeld Internationales Recht wurde vor allem im Sinne einer Anklage gegen Israel verwendet, während die (Un-)Rechtmäßigkeit palästinensischer Aktionen ausgelassen wurde. Unter dem Stichwort Kooperation trotz Konflikt wurden Israels Bemühungen erneut als nicht ernsthaft und nicht vertrauenswürdig dargestellt. Zudem wurde der Vorwurf formuliert, Israel wolle den Konflikt eigentlich am Leben erhalten. „i tell you something according to (1) oslo agreement article 40 (1) palestinians(1) it was recommended or it was mentioned that palestinian in aah(1) that a in (1) URGENT NEED to drill wat- ah ground water wells to supply them with 28 point something (1) and the budget and the money (1) were available provided by the u s (1) but because the israeli (1) aaah (1) you know obstacles put by the israelis obstacles put by the israelis (1) what have been drilled (1) of (1) ground water is NOT supplying more than 50 percent of this (1) and this is since 96 (1) and now we are 2005 (1) 2006 about to reach 2006 (4) ja (1) you know (1) aah (1) between 1995 and 1998 there was (3) a program (3) which was funded by the usaid and done by (1) ah (1)what you call it (2) crs catholic(1) relief services (3) run by catholic relis ah relief services with a number of palestinian ngos it was integrated (1) rural development programme (3) and ah(1) THAT program (1) it was supposed(1) to(1) supply(1) eight villages with irrigation network (1) because of ISRAEL (1)aah(1) restrictions and rejection and (1) i(1) im not sure whether FOUR or FIVE out of this aid were supplied and the program finished and permits were not given (2) to install irrigation network for these villages (3) [so(1) it was basically] yeah POLITICAL it was POLITICAL OBSTACLES [and is it getting better now] no it is not [not improving] not improving at all (1) not improving at all (1) [but the joint (1) water committee has been meeting] it is ONE it is one of the VERY FEW committees that continued to meet (1) but (1) no serious- no serious decision is taken(1) always you know (1) postponing postponing(1) small things can be solved (3)”499 499
Vgl. Interview 12 PAL, 377-416.
5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt
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Nur im Gegendiskurs wird die Wahrnehmung israelischer Bemühungen für Kooperation und Verständigung überhaupt sagbar: „the israelis (1) are (1) actually (1) VERY good experts in water in particular and so basically(1) we have a lot to learn from them(1) at the same time(1) we need to cooperate with them with regard to (1) WORKING on water because yani(1) most (1) now(1) they have control over water and we NEED (1) actually to work with them positively to have (1) ACCESS to water (1) this is one thing (1) at the same time (1) we have (1) our fate is linked together [incomp] with regard to environment and water and so unLESS(1) we cooperate(1) on this issue yani then (1) basically we are (1) yani (1) we we are in trouble (1)and thats why i from that (1) pwa l-lack of cooperation or (1) trying to BOYCOTT israelis althOUgh (1) many of the israelis who are in the water section section (1) sector (1) like (1) for instance shuval (1) are actually very POSITIVE and they are pro palestinian and theyre (1) they dont actually they dont (1) bring in their political baggage(1) but they can bring in their (1) technical expertise(1) and i think thats(1) very important and (1) thats why(1) i feel that (1) it would have been very important (1) for palestinians (1) to try to (1) not to make politics (2) domain (1) dominate all their (1) VISION of cooperation (1) with regard to the water sector in particular [hm] and(1) it would have been much better (1) if this water sector(1) is left out of politics(1) or if its(1) taken out of politics (1) because then (1) the technical people could meet with israeli technical people and then(1) they could work something(1) and let the decision makers on the political level take decision LATER(1) but at least(1) they can exchange this(1) we can (1) xch (1) we can get knowhow from them (1) and exchange that (1) information(1) because ALso (1) israelis (1) have control over the data of (1) OUR data (1) and so basically (1) they know MORE about the palestinian water sector than(1) actually (1) than (1) our pwa (1) so (1) they have (1) they have much more data regarding the water then (1) our technical abilities (1) its (2) so thats o one of the reasons (1) i believe that (1) maybe cooperation on this level (1) is important”500
Die Äußerungen im Themenbereich Zukunft unterstreichen das allgemeine Bild: „hopefully(1) ultimately we will have (1) a shared control over the resources(1) and at least(1) sovereignty(1) within our territories(1)“501. Kooperation, Zusammenarbeit und nachhaltiges Management der regionalen Wasserressourcen waren nur denk- und sagbar auf der Basis einer Umverteilung der Wasserrechte zugunsten der Palästinenser. Es bildet sich ein relativ homogener palästinensischer Hegemonialdiskurs „Wasser“ heraus, dessen Konsens lautet: Die Palästinenser leiden vor allem aufgrund israelischer Restriktionen unter Wasserknappheit. Würden diese aufgehoben, wäre damit die derzeitige, politisch erzeugte Mangelsituation beendet und Gerechtigkeit erreicht; „echte“ und „ernstgemeinte“ Kooperation mit Israel wäre 500 501
Interview 08 PAL, Zeilen 210-260. Interview 09 PAL, Zeilen 82-86.
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dann (und nur dann) möglich. Natürliche Wasserknappheit aufgrund von klimatischen und hydrogeologischen Bedingungen sowie Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung in der gesamten Region wurde entsicherheitlicht, während umgekehrt Wasserknappheit aufgrund israelischer Kontrolle versicherheitlicht wurde, da durch sie Selbstbestimmtheit und Existenz der palästinensischen Gesellschaft bedroht seien. Es gehört im palästinensischen Hegemonialdiskurs in die Sphäre des Unsagbaren, dass eine Umverteilung der Wasserrechte erhebliche Kosten und Erfordernisse für den Aufbau einer komplett neuen palästinensischen Wasserversorgung mit sich brächte; von für die bisherigen israelischen Nutzer eventuell existenziell bedrohlichen Konsequenzen einmal ganz zu schweigen. Israel wird vorwiegend als abstrakte, homogene, gesichtslose Masse wahrgenommen, die nur aus Schikane, nicht aus realen Bedürfnissen heraus auf der Kontrolle der regionalen Wasserressourcen beharrt. Ängste, Sorgen und Befürchtungen der outgroup gehören ebenso in die Sphäre des Unsagbaren wie die Anerkennung israelischer Versuche, den Konflikt zu lösen und die palästinensische Not zu lindern. Kritik an der eigenen Gruppe ist im palästinensischen Hegemonialdiskurs ausschließlich auf der Basis dieses Konsenses möglich; bevor Israel nicht mindestens Teile seiner Kontrolle und Restriktionen aufgegeben hat, werden die palästinensischen Institutionen gar nicht als handlungsfähig wahrgenommen. Palästinensische Aktionen wie Selbstmordattentate oder ähnliches wurden praktisch nie thematisiert; wo Zerstörungen von Wasserinfrastruktur durch Palästinenser zugegeben wurde, war dies mit der präemptiven Zurückweisung von Vorwürfen, dies sei vorsätzlich geschehen, verbunden, während gleichzeitg jeder israelischen Aktion immer Vorsatz unterstellt wurde. Insgesamt ist der Hegemonialdiskurs also von einer Dämonisierung der outgroup und der Verherrlichung der ingroup geprägt. Der palästinensische Gegendiskurs dagegen lässt Verständnis und Vertrauen gegenüber der outgroup zu und enthält zum Teil drastische Kritik am Verhalten der ingroup. Beide Konfliktparteien werden als gleichberechtigt und „gleich menschlich“ wahrgenommen und Kooperation zwischen in- und outgroup wird als Voraussetzung für jede Konfliktlösung identifiziert. Kooperation ohne vorherige Umverteilung ist nur in diesem Gegendiskurs überhaupt sagbar. 5.3 Feinanalyse Die obigen Strukturanalysen des israelischen und des palästinensischen Wasserdiskurssstrangs haben deren aktuelle Ausgestaltung verdeutlicht und Konfliktlinien, Ver- und Entsicherheitlichungen sowie Sphären des Sagbaren und des
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Unsagbaren umrissen. Auf dieser Basis werden nun je zwei Interviews pro Diskursstrang einer Feinanalyse unterzogen, die exemplarisch für die diskursiven Pole in beiden Gesellschaften sind. Das heißt: Aus der Materialbasis werden pro Diskursstrang zwei Texte ausgewählt, die den jeweiligen Hegemonial- bzw. Gegendiskurs repräsentieren. Das Analysegerüst für die Feinanalyse bilden die folgenden Leitfragen502: 1.
2.
3.
Auf welche Weise wurden die relevanten Diskursstränge Wasser und Sicherheit angesprochen oder angespielt (durch Pronomina, Präpositionen, Kollektivsymbolik, Akteure, Präsuppositionen, Redewendungen, AktivPassiv-Konstruktionen, Interjektionen)? Existieren sprachliche Auffälligkeiten, Unsicherheit etc.? Was kann als Konsens, was muss als Dissens für den weiteren Interviewverlauf zwischen den Interviewpartnern festgehalten werden? Welche diskursiven Effekte werden dadurch erzielt (Ausgrenzung? Eingrenzung? Integration? Verstärkung? Milderung?)? Was wäre alternativ sagbar gewesen? Was wäre nicht sagbar gewesen, warum nicht?
Für die Analyse von Diskursstrangverschränkungen ist der Anspielungsaspekt von Sprache besonders wichtig, weil durch Anspielungen Verbindungen zu weiteren Diskurssträngen hergestellt werden können, die im Gespräch weitergeführt oder verworfen werden können. Zentrale Bedeutung kommt außerdem der Analyse von Kollektivsymbolik, Präsuppositionen, Pronominalstrukturen und Akteuren zu.503 Wie die Strukturanalyse gezeigt hat, sind die Themen absolute Kontrolle, politisch-sozioökonomisch-emotionale Bedeutung von Wasser, Knappheit und Gerechtigkeit für die Verschränkung zwischen Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang und die daraus folgende Versicherheitlichung von Wasser(knappheit) von besonderem Interesse; deshalb liegt der Fokus der Analyse auf solchen Textpassagen, in denen diese Themen angesprochen werden.
502 In Anlehnung an Margret Jäger, Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs. Analyse einer Diskursverschränkung. Wie abgedruckt in Jäger (2004), S. 370f. Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass auf eine tiefgehende sprachliche Analyse verzichtet wurde, weil die Interviews nicht in der jeweiligen Muttersprache geführt wurden. Für die Analyse von Diskursstrangverschränkungen sind diese aber ohnehin verzichtbar. 503 Vgl. dazu ebenfalls Jäger (2004), S. 370.
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5.3.1 Israelischer Hegemonialdiskurs Der Sprecher in Interview 16 IL arbeitet seit fast 30 Jahren im israelischen Wassersektor und seit etwa 15 als unabhängiger Berater der israelischen Regierung in Wasserfragen. Er war Oberstleutnant im israelischen Militärgeheimdienst und hat an drei israelisch-arabischen Kriegen aktiv teilgenommen; er hat die Anfänge des israelischen Staates ebenso miterlebt wie die multi- und bilateralen Friedensgespräche der 1990er Jahre, an denen er aktiv teilnahm. Heute ist er mit der Umsetzung des israelisch-jordanischen Friedensvertrags in Bezug auf Wasser betraut. Seine Diskursposition ist damit als Kooperation mit den arabischen Nachbarn favorisierend und moderat einzustufen. Von der Ausbildung her ist der Sprecher Historiker; er war zum Zeitpunkt des Interviews etwa Mitte 60 und gehört damit zur älteren Generation innerhalb der interviewten Personen. Er ist Teil der israelischen „Wasserexpertenelite“ und verfügt über nicht unerheblichen Einfluss auf die israelische Wasserpolitik. Interview 16 IL kann als Abbildung der Hegemonialstrukturen des israelischen Diskursstrangs gelesen werden. Das Interview fand im Büro des Sprechers in der water commission in Tel Aviv statt. Sehr häufig verwendet der Sprecher die Redewendung „i dont know” (22mal)504, oftmals in direkter Verbindung mit „but”. Auf diese Weise gleicht er immer wieder mit der Interviewerin ab, ob er „das Richtige” sagt („if it answers your question i dont know”, 200f); gleichzeitig nutzt er diese Formulierung als Ausweich- und Relativierungsmechanismus, wenn es um die Beantwortung heikler politischer Fragen geht. Überhaupt wird das Verb „know” vom Sprecher sehr häufig verwendet (45mal), was ein Hinweis darauf ist, wie zentral Diskurshoheit und „richtiges” Wissen im israelischen Hegemonialdiskurs sind. Dies ist im Übrigen ein weiteres Indiz für die Sicherheitsrelevanz der Ressource Wasser, denn erst dann, wenn Wasser bedrohlich knapp wird, erhält die genaue Bestimmung seiner Menge eine so ausgeprägte Relevanz wie hier. Der Sprecher verwendet das Verb „to know” für verschiedene Zwecke; etwa um einen Konsens über den Wissensstand von Sprecher und Interviewerin herzustellen: „as you know” (21), „i dont know if you know” (395, 548, 644, 801), aber auch, um das eigene, angeeignete Urteilsvermögen zu beweisen („i didnt know about water then”, 1156). Besonders relevant für die hier untersuchte Fragestellung sind Passagen, in denen das Verb oder sein Substantiv „knowledge” im Zusammenhang mit dem Konflikt genannt wird. Die Redewendung „i dont know if..., but...” wird etwa verwendet, um auf vorsätzliche Gewalt/Zerstörung durch Palästinenser anzuspielen, gleichzeitig aber keinen direkten Vorwurf auszusprechen: 504 Zeilen 31, 40, 201, 247, 337(2x), 339, 378, 395, 548, 580, 644, 670, 684, 698, 737, 801, 817, 869, 875, 988, 1113.
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Die Formulierung „i dont know if by purpose or by chance” (1113f) setzt als Präsupposition voraus, dass es den Palästinensern prinzipiell zuzutrauen wäre, Wasserinfrastruktur vorsätzlich zu zerstören. Noch deutlicher wird der Sprecher in der Formulierung „they know Everything the situation is not knowledge” (601f), in der er die Palästinenser einerseits positiv als gut ausgebildet und „wissend” beschreibt, diese Einschätzung aber verwendet, um den Vorwurf der vorsätzlichen Gewalt aus politischen Gründen zu verstärken und die palästinensische outgroup („they”) zu dämonisieren. Zum Erzählplan des Sprechers ist anzumerken, dass er vermutete Erwartungen der Interviewerin und seine Äußerungen mit Formulierungen wie „if you wish i can elaborate on any part of it” (201ff) abgleicht und häufig persönliche Erfahrungen oder Einschätzungen verwendet, um das Gesagte zu illustrieren: „just to illustrate situation” (187f), „just to give you the impact of it” (232f). Auf diese Weise kann er seine Diskurs- und Gesprächshoheit erneuern: Er gibt der Interviewerin die Chance, die Richtung des Interviews zu ändern; wenn sie dies aber nicht tut, stimmt sie dem Gesagten implizit zu. Persönliche Erfahrungen haben hier eine Beweisfunktion: „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen/gehört, also stimmt es”. Die Analyse richtet sich zunächst auf die Anfangspassage des Diskursfragments, also die Antwort des Sprechers auf die bewusst sehr offen gehaltene erste inhaltliche Aufforderung „could you please describe the water practices in israel as they currently are from your point of view”. Die Antwort des Sprechers lässt Rückschlüsse über seine zugrunde liegenden Orientierungsmuster und Sinnstrukturen zu. Die Anfangspassage fordert ihm eine komplexe Orientierungsleistung ab: Er muss zwischen zahlreichen sagbaren (und unsagbaren) Eröffnungen auswählen. Der Sprecher 16 IL antwortet auf diese erste Gesprächsaufforderung (Z. 4584) mit der Betonung der israelischen gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung der Ressource Wasser. Er stellt nicht die Knappheit der Ressource, Fragen des Managements oder der Wassernutzung in den Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie Wasser wahrgenommen wird – er setzt also voraus, dass individuelle Wahrnehmungen oder Wirklichkeitskonstruktionen auf den realen Umgang mit der Ressource Einfluss haben. Er betont den Zeitfaktor, also die prozessuale Veränderung der Wahrnehmung von Wasser von „romantisch” (46), „ideologisch” (47), „rechtlich” (70), „politisch” (70), „heilig” (77) und „gottgegeben” (77) hin zu „wirtschaftlich” (48; 57f; 76), indem er temporale Adverbialen wie „now” (66), „not yet” (62f), Adjektive wie „gradual” (51, 82), Substantive wie „change” (51, 82) und „process” (78, 81) sowie Verben wie „im assured” (80f), oft auch in der Verlaufsform („is becoming”, 47, 74) verwendet. Diese rhetorische Technik zieht sich durch das gesamte Diskursfragment und stärkt oder
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schwächt (de-)securitizing moves; in jedem Fall will der Sprecher so einen Konsens zwischen sich und der Interviewerin herstellen. In der Anfangspassage bezieht der Sprecher sich beurteilend auf die Ebene des Interdiskurses („the public”, 55). Von dieser Alltagsebene grenzt er sich und seine Kollegen – unter dem Stichwort „the professionals” (53) zusammengefasst – deutlich ab, denn diese seien sich schon immer (oder seit langem) des vorrangig wirtschaftlichen Wertes von Wasser bewusst („all the time at the same level”, 53f; „for a long time”, 74). Er konstruiert die israelische Gesellschaft also in Bezug auf Wasser als in mindestens zwei Akteursebenen geteilt: Experten und Öffentlichkeit. Gleichzeitig impliziert er einen Wissensvorsprung der einen über die andere Gruppe. Der Sprecher spielt mit dieser Einteilung auf das „richtige” Wissen der eigenen Gruppe in Bezug auf Wasser an und legitimiert so den Anspruch seiner Gruppe auf die Diskurshoheit. Indem er diesen Konsens herstellt, grenzt er die Gruppe der „Wissenden”, also derjenigen, die als vertrauenswürdige Gesprächspartner in Bezug auf Wasser in Israel gelten können, deutlich ein und grenzt implizit alle anderen Mitglieder der israelischen Gesellschaft als unwissend und nicht ernstzunehmen aus. Die Identifikation des Sprechers mit der Gruppe der Experten wird in der Pronominalstruktur sowie in den Aktiv-Passivkonstruktionen deutlich. Er verwendet das Personalpronomen „we” schon im ersten Satz als Bezeichnung für „seine” Gruppe, die Wasser als primär wirtschaftliches Gut ansehe; später expliziert er dies sogar: „we i mean the professionals” (143). Besonders deutlich wird die Abgrenzung dieser „professionals” von „the public” in der Gegenüberstellung von „the israelis” und „we” (65ff). Hier erzeugt der Sprecher durch seine Wortwahl die maximale Distanz zwischen seiner Gruppe und der israelischen (unwissenden) Masse, vermittelt durch die Verwendung der völlig unpersönlichen Nationalitätenbezeichnung in einer Weise, die impliziert, dass er und seine Gruppe selbst nicht in erster Linie Israelis seien. Die Passiv-Konstruktion „still water being thought of” (69) funktioniert ebenfalls als deutliche Abgrenzung von der als unwissend und langsam charakterisierten israelischen Öffentlichkeit, die durch die Verwendung des Passivs als amorphe Masse dargestellt wird. Gleichzeitig gesteht der Sprecher diesem Akteur durch die Wahl des Verbs „play” jedoch eine gewisse Gestaltungskraft zu, insbesondere in Kombination mit dem Begriff „hydropolitics” (72). Der weitere Problemaufriss des Sprechers umfasst die Bezeichnung von Wasser als nationaler Ressource, als wirtschaftlichem und knappem Gut. Die Wortwahl „national resource” (57) sowie die Formulierung „using it to the utmost” (62) spielen auf das Thema „Kontrolle” an und implizieren die Notwendigkeit israelischer Dominanz im Wassermanagement. Die Präsupposition der Formulierung „national resource” lautet, dass es auch nicht-israelische, private und/oder internationale Wasserressourcen gibt. Hier spielt der Sprecher einer-
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seits auf die Verstaatlichung der israelischen Wasserressourcen in den 1950er Jahren, andererseits auf die Konkurrenz mit anderen Wassernutzern in der Region an. Die Wortwahl „using it to the utmost” setzt sowohl die absolute Kontrolle der israelischen Wasserressourcen als auch ein anthropozentrisches Naturverständnis voraus, in dem Natur generell als Werkzeug der menschlichen Entwicklung angesehen wird. Erwähnenswert ist außerdem, dass der Sprecher das Stichwort Knappheit im Zusammenhang mit den Begriffen Abwasserwiederaufbereitung, bestmögliche Nutzung jeden Tropfens sowie Entsalzung nennt. Die Tatsache, dass er im Zusammenhang mit Knappheit nicht von Bedrohung oder unverändlichen natürlichen Bedingungen spricht, zeugt von einer Tendenz zur Entsicherheitlichung von Wasser, wie sie im weiteren Gesprächsverlauf noch deutlicher werden wird. Nach dieser Anfangspassage besteht folgender Konsens zwischen den Interviewpartnern: Als Teil der israelischen Expertengruppe in Bezug auf Wasser verfügt der Sprecher über „richtiges” Wissen und damit die Autorität, alle weiteren Fragen nicht nur zu beantworten, sondern alle Aspekte, die mit Wasser in Israel zu tun haben, auch korrekt zu bewerten. Dieser Konsens grenzt indirekt solche Ansichten in Bezug auf Wasser als falsch aus, die nicht von israelischen professionals stammen bzw. die inhaltlich von der Einschätzung des Sprechers abweichen. Dies ist bedeutsam für den späteren Vergleich zwischen israelischem und palästinensischem Diskursverlauf, denn es indiziert, wie eine Diskussion zwischen Israelis und Palästinensern, etwa im Rahmen von Friedensgesprächen, in Bezug auf Wasser ablaufen könnte. Zwei umfangreiche sowie mehrere kleine Sinnabschnitte beschäftigen sich im weiteren Verlauf des Textes mit der Rolle der israelischen Landwirtschaft für die israelische Wassernutzung und -management (Z.89-187; 209-327; 472-483; 488-515; 903-905; 941-945; 1035-1041). Der Sprecher schätzt die Bedeutung des israelischen Agrarsektors darin als kontinuierlich abnehmend ein. Erneut beschreibt er mithilfe von Tempus und temporalen Adverbialen eine zeitliche Entwicklung, die von der Versicherheitlichung von Wasser in den Gründerjahren Israels bis zur Entsicherheitlichung von Wasser in der heutigen Zeit reicht: „it was a major concern” (89f), „farming was an ideal of zionism at the beginning” (209f), „now its less and less” (93), „the number of farmers dropped down” (96), „compared to the fifties” (99), „also now were finishing it off” (254), „thats the trend thats the policy thats the implementation” (113f), „thats the logic behind it” (186f). In seinen Beschreibungen der früheren Rolle von Landwirtschaft stellt der Sprecher diskursive Verbindungen zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung (90), wirtschaftlicher Unabhängigkeit (91), Inbesitznahme von Land (91f, 239ff, 258), jüdischer Identität (211ff) und Überleben (251ff, 259, 269f) her. Diese Anspielungen weisen auf eine Verschränkung von Wasser- und Si-
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cherheitsdiskursstrang hin, die durch die erwähnte zeitliche Einordnung relativiert wird: ehemals hegemoniale Diskursstrukturen reichen gewissermaßen zwar noch in den aktuellen Diskurs hinein, verlieren aber langsam an Bedeutung. Die Analyse der Pronominalstruktur, Passiv-Aktiv-Konstruktionen und der genannten Akteure spiegelt die Distanz des Sprechers zu diesen schwächer werdenden Strukturen wider. Die passive Formulierung „it was a major concern” gleich im ersten Satz suggeriert z.B. größtmögliche Distanz durch das Fehlen des Subjekts und das Präteritum. Das inklusive Pronomen „we” verwendet der Sprecher erst, wenn es um die „technischen” Details der heutigen Wasserversorgung für den Agrarsektor geht, also die Themen, die sein Spezialgebiet darstellen und in denen keine Verschränkung zwischen Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang zu erwarten ist. In einer recht langen Episode zieht sich der Sprecher auf dieses Spezialwissen zurück (Z. 103-202) und führt nur auf Nachfrage die politischideologische Relevanz von Wasser und Landwirtschaft aus.505 An dieser Passage werden die in der Diskursgenese bereits aufgezeigten Veränderungen des israelischen Wasserdiskurses seit 1882 deutlich, die im aktuellen Diskursstrang Spannungen erzeugen und das gesamte Interview prägen: Spätestens seit der Entwicklung erschwinglicher Entsalzungstechnologien in den 1990er Jahren stehen zwei Interpretationen der Ressource Wasser im israelischen Diskurs nebeneinander. Auf der einen Seite steht die Wahrnehmung von Wasser als knapper, unersetzlicher, lebenswichtiger Ressource, die im Zweifel mit allen Mitteln vor den feindlichen arabischen Nachbarn geschützt werden muss. Diese Interpretation (und Versicherheitlichung) von Wasser als Nullsummenspiel ist im israelischen Diskurs immer noch weit verbreitet, gilt aber nur bezogen auf die natürlichen Wasservorräte. Auf der anderen Seite steht die Überzeugung, dass das heutige, hoch industrialisierte Israel spätestens seit der Möglichkeit, für relativ wenig Geld Wasser in großen Mengen zu entsalzen, keinen Grund mehr hat, sich mit seinen Nachbarn um Wasser zu streiten. Wasser ist in dieser Interpretation zum primär wirtschaftlichen Gut geworden, so dass Wasserverteilungskonflikte letztlich eine Frage des Geldes geworden sind – Wasser wird so allmählich entsicherheitlicht, allerdings ohne etwas an der Interpretation der natürlichen Wasservorräte als absolut knapp und den daraus folgenden Schutzmechanismen zu ändern. So stehen sich also zwei Wahrnehmungen von Wasserknappheit gegenüber, die sich auf natürlich vorhandenes und künstlich erzeugtes Wasser beziehen: Geht es um die natürlichen Ressourcen, wird Knappheit als absolut empfunden, geht es um künstliche Ressourcen, ist Knappheit relativ. Auf nationaler Ebene hat die als absolut und also sicherheitsrelevant empfundene Knappheit der natürlichen Wasservorräte zu einer allmählichen Um505 Allerdings nicht ohne vorher weitere Ausführungen angeboten zu haben: “if it answers your question i dont know but if you wish i can elaborate on any part of it”, Z. 200-202.
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strukturierung der israelischen Wirtschaft und des israelischen Wassermanagements weg vom Ideal der blühenden Wüste hin zur Verkleinerung und Effizienzsteigerung des israelischen Agrarsektors und zu demand management geführt. Diese Rationalisierung des Wassersektors steht allerdings mit der ideologischen Basis des israelischen Staates, nämlich dem Zionismus und seinen Idealen, im Widerspruch. Dies erzeugt eine kognitive Dissonanz, die ausgeglichen werden muss: Die Ideale des Zionismus, auf denen der Staat Israel aufgebaut wurde, müssen weiterbestehen, während gleichzeitig die rational notwendige Umstrukturierung der israelischen Gesellschaft vonstatten gehen muss. Ideologie und Realität müssen konsolidiert werden, um die israelische Identität zu schützen. Für den Diskursstrang „Wasser“ bedeutet das, dass die Position der Horizontalisten mit der der Vertikalisten in Einklang gebracht werden muss. Diese Integrationsleistung verlangt allen israelischen Diskursteilnehmern die Konstruktion komplexer Erklärungsmuster ab, die wenig Raum für die Berücksichtigung nicht-israelischer Bedürfnisse zulassen, wie sich im Folgenden noch zeigen wird. Hier zeigt sich jedenfalls, dass Diskurse in der Tat wie Flüsse behäbig durch die Zeit mäandern und dass Seitenarme zwar austrocknen oder sich mit dem Hauptstrom vereinigen können, dass dieser Prozess aber sehr langwierig ist. Zumal jeder Nebenfluss immer auch aus dem Hauptstrom gespeist wird. Das heißt: Eine Diskursstruktur, zumal eine hegemoniale, verschwindet nicht über Nacht, sondern verändert sich wenn überhaupt nur sehr allmählich in Reaktion auf neue Impulse und Erkenntnisse. Genau dieser Prozess ist im heutigen israelischen Diskursstrang „Wasser“ zu beobachten: Der Einfluss der ehemals hegemonialen, vom Zionismus geprägten Diskursstrukturen nimmt allmählich ab, während ein Nebenfluss (oder: Gegendiskurs), nämlich der der HighTechisierung und künstlichen Herstellung von Wasser, langsam aber sicher zum Hauptstrom anschwillt.506 Diese Entwicklung erzeugt Widersprüche, die im Diskurs erkennbar werden. So distanziert sich der Sprecher im hier untersuchten Interview einerseits vom Zionismus, seinem agrarischen Imperativ und der damit einhergehenden Versicherheitlichung von Wasser; andererseits stellt er die Berechtigung der ideologisch-politischen Bedeutung von Wasser aber nicht infrage: „it REALLY has very deep roots”, 245; „at the same time it is almost nothing and it is a lot because it its here in the back of the mind of everyone of my parents generation and everyone of MY generation”, 233ff; „there is a very strong ideological basis not add to it propaganda add to it other ideological issues (...) a lot of bullshit (...) but a lot of truth”, 280ff; „i cant diminish the influence and the importance of such notions on peoples mind”, 313; „im one of those who thinks that ideology 506 Im Interdiskurs scheint diese Entwicklung übrigens noch lange nicht so weit fortgeschritten wie im Spezialdiskurs.
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plays a very large role in political activity”, 315ff; „now it is still present in these very political minds because it has to do with land it has to do with return to normality less than before but still its ideology land water agriculture are issues that involve more than actual numbers”, 320ff. Auch kulturell-religiöse Traditionen, zahlreiche Erwähnungen von Wasser in der Thora, dem neuen Testament und dem Koran (289-298) werden in diesem Zusammenhang angesprochen; der Sprecher bezeichnet diesen kulturellen Stellenwert von Wasser als „quite natural” (297f). Zunächst distanziert sich der Sprecher in seiner Antwort also von der alten Ideologie, indem er die heutige Rolle der Ressource Wasser im landwirtschaftlichen Sektor und neue Ansätze in Wassermanagement und -nutzung betont. Von sich aus widmet er der Beschreibung der über Landwirtschaft vermittelten politisch-ideologischen Bedeutung der Ressource Wasser lediglich vier Zeilen (8992). In den restlichen 109 Zeilen des Fragments (93-202) beschäftigt er sich mit technischen Details der heutigen israelischen Umgangsweise mit Wasser und der aktuellen Ausformung des israelischen Agrarsektors. Dies spiegelt die im israelischen Spezialdiskurs inzwischen dominante rational-pragmatische Sicht auf Wasser wider. Erst auf Nachfrage beschäftigte der Sprecher sich noch einmal mit den für ihn überholten Diskursstrukturen: „i have a book here by a lady (2) aahm phd (2) one of those who (1) who recalls that water might be a cause of war etc (1) i dont like it (1) simply(1) false to my mind but (1) its important that people thInk so(1) wrIte so and influence (1) other people” (299ff). Während der Sprecher sich hier sehr deutlich von der Versicherheitlichung von Wasser distanziert, unterstreicht er doch gleichzeitig die gesellschaftliche Wirkung, die diese Art der Versicherheitlichung, so falsch sie auch sein mag, entfalten kann. Er kann sich nicht vollständig aus den früheren, konfliktiven Strukturen des Diskursstrangs lösen, sondern nimmt die Ziele des Zionismus, die die Voraussetzung für die Entstehung Israels waren („to make the jew from a merchant to a farmer”, 211f), trotz aller Kritik als gegeben hin, stimmt ihnen zu („ou couldn’t supply any kind of work for them [the immigrants, Anm. d. Verf.] BUT agriculture”, 251ff) und baut seine weitere Argumentation auf ihnen auf. Die durch Klima und Geologie bedingte natürliche Wasserknappheit wird so zu einem gewissermaßen primordialen Problem, zur strukturellen Ursache für die Verschränkung des Wasser- mit dem Sicherheitsdiskursstrang und die daraus entstehende Versicherheitlichung der ausreichenden Wasserversorgung Israels: „water is the basic element of it specially in the middle east” (241f), „if y-you had agriculture for various reasons you must wa-ah water because agricUlture in fact in israel in ALL the lands that were open for settlement (...) youyou cant base it on rainfed agriculture but rather on irrigated agriculture” (270).
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Der Konsens lautet also: Früher wurde Wasser in Israel zu Recht versicherheitlicht, sogar vollständig, denn die verschiedenen securitizing moves wurden von der israelischen Gesellschaft akzeptiert und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Ein Beispiel ist der Bau des National Water Carriers; der Sprecher expliziert dies sogar: „thats why we made the national water system” (277f). Es ist an dieser Stelle für ihn unsagbar, dass die Wasserknappheit, die er als „natürlich” darstellt, vor allem durch den immer weiter wachsenden Wasserbedarf und -verbrauch der Menschen gemacht wird und dass umgekehrt die menschliche Tätigkeit in der Region, etwa Landwirtschaft, so an die natürlichen Bedingungen in der Form hätte angepasst werden können, dass die natürlichen Wasservorräte ausgereicht hätten und nicht negativ beeinflusst worden wären bzw. würden, weil dies die ideologische Basis des Staates Israel, nämlich den Zionismus, diskreditieren würde. Es wäre an dieser Stelle ja durchaus denk-, wenn auch offenbar nicht sagbar gewesen, die Ideale des Zionismus – großangelegte, jüdische landwirtschaftliche Siedlungen etc. – grundsätzlich auf ihren Sinngehalt zu überprüfen, etwa in Form von Überlegungen wie „großangelegte Landwirtschaft in einer semi-ariden Region war von Anfang zum Scheitern verurteilt.” Die Auslassung solcher Überlegungen lässt jedoch die Vermutung zu, dass diese Art der Infragestellung der ideologischen Basis des israelischen Staates trotz aller zeitlichen und persönlichen Distanz in den Bereich des Unsagbaren gehört. Stattdessen müssen gleichzeitig die ehemals hegemonialen Diskursstrukturen gerechtfertigt und akzeptiert und die neuen Strukturen damit in Einklang gebracht werden – eine enorme Aufgabe, bei der zum Beispiel die Auswirkungen, den der israelische Wasserverbrauch auf die arabischen Nachbarstaaten hat, nicht berücksichtigt werden können und also unsagbar sind. Dieses Muster zieht sich durch das gesamte Interview: Rechtfertigung und Kritik werden in ein kompliziertes diskursives Geflecht verwoben, das zusammen eine Vorstellung der nationalen israelischen Identität und der Rolle der Ressource Wasser in ihr ergibt. So wird massive Kritik an der israelischen Wasserallokationspolitik in Bezug auf den Agrarsektor flankiert von der Legitimation eben dieses Sektors: „the economic value of it even went up” (101f), „the agricultural sector today uses about seven million cubic meter per year (...) all the additional amount for household consumption the growing of population the quality of life improvement etc etc came on account to the water allocation to agriculture” (161ff). Auch im weiteren Verlauf des Interviews zeigte sich immer wieder, dass das „Zuendedenken“ der neuen hegemonialen Diskursstrukturen, also letztlich der Verzicht auf den Agrarsektor, zum Zeitpunkt des Interviews unsagbar war: „if agriculture wont use those water nobody will be able to use it because we cAnt drink that” (481ff), „economy is not everything (2) peoples proud (1) pride (1) (...) keeping on the ground (1) not to bringing everybody to the big cities already overcrowded (...) thE economic value is not the only value
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they have (1) we have to jUdge it (1) also according to other standards values and ideologies (...) if you look upon it only through the economic (2) ahahah (1) spectrum (1) your view will be mislead to my opinion” (488ff). Insgesamt distanziert sich der Sprecher also zwar sprachlich von der ideologisch-politischen Bedeutung von Wasser, bewegt sich aber weiterhin in Diskursstrukturen, die eine fundamentale Infragestellung der zionistischen Ideologie nicht erlauben. Die Umstrukturierung des Agrarsektors durch Verkleinerung seines Wasserbudgets und vermehrte Zuteilung aufbereiteten Wassers ist bereits als „revolutionär” einzustufen: „as far as israel is concerned(1) the water sector is going (2)to undergo (1)a real rerevolution(1) conceptional and practical from the legal point of view the water law(1) is being under consideration (1) of (1) its it wa-it was signed in 59 (1) it was HIGHLY advanced for its time (1) even now its applicable (1) but we have to ahah (1) to change it(1) to improve it to modernise it (4) the economic side of water will be more and more prominent (2) more defined as every a-other aspect of life unfortunately [hm] the ideological (1) aspects and the (1) ideology ideology (1) and ah(1) practical aspects of the ideology will be less prominent (1) agriculture (1) will have less and less water as we call it natural potable water for its uses (1) and the ah end result is(1) the water sector in israel And in the area if i may say so (1) will have to depend more and more on additional(1) new water sources (1) period (1) simply because All the natural water resources in the area are already either tapped or going to be tapped to the last(1) and are already Overused”507
Der Sprecher spielt hier auf innenpolitische Konflikte bei der Umsetzung dieser „Revolution” an („its not so simple”, 175) und unterscheidet die innerisraelische Umstrukturierung und Wasserverteilung explizit von der Verteilung des Wassers zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn: „im not talking about what we transfer to the jordanians or with the palestinians which is totally different (1)ah addition” (165ff). Der Konsens zwischen Sprecher und Interviewerin nach diesem Sinnabschnitt ist damit folgender: Israel hat bereits viel getan, um den Wassersektor zu optimieren, was angesichts des ideologisch-politischen Ballasts und innenpolitischer Begehrlichkeiten bereits einer Art Revolution gleichkommt. Zudem ist die von Israel verfolgte Politik (Wiederaufbereitung, Entsalzung etc.) die einzig richtige und machbare: „reallocation of water is reallocation of(1) shortages(2) as simple as that (1) the only way is to ADD water” (1049ff). Der Fokus ist national; die Situation der Palästinenser oder Jordanier wird weitestgehend ausgespart.
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Zeilen 887-912.
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Die nächste Passage wird durch eine Frage der Interviewerin eingeleitet und befasst sich mit den Themen Nachhaltigkeit (332-335, 430-447) und gerechte Verteilung (225-420). Nachhaltigkeit versteht der Sprecher als Slogan der Umweltbewegung, der zwar inzwischen politische Macht entfaltet, aber für den Sicherheitsdiskurs keine weitere Bedeutung hat. Unter dem Stichwort gerechte Verteilung (equitability) dagegen macht der Sprecher ein interessantes Gegensatzpaar auf: (implizit: schlechte, hinderliche) rechtliche Regelungen werden (implizit: guten, weil greifbaren) konkreten Verhandlungsergebnissen gegenübergestellt. Zunächst signalisiert der Sprecher Unsicherheit bzw. Unwillen, sich festzulegen, indem er wiederholt betont, er wisse nicht, was equitability sei (335ff, 341, 345ff, 378f, 410). Diese Abwehrhaltung gegenüber dem Konzept der gerechten Verteilung von Wasser zieht sich durch die gesamte Passage. Auf die generelle Ablehnung folgt die Einschätzung, rechtliche Regelungen und Vertreter der Jurisdiktion erschwerten jeden Verhandlungsprozess (345-350), der Begriff sei außerdem überfrachtet und wenig hilfreich (351-371). Der Sprecher versucht dabei, mit der Interviewerin einen Konsens über die Unbrauchbarkeit des Konzepts herzustellen: „i can hardly translate it into hebrew by the way (1) i dont know how about german but ah (1) [its difficult] a bit difficult” (338ff). Die Anführung des Beispiels Öl („why oil is not equitable why saudi arabia shall have the right or iran or iraq to all the oil in the world while others none”, 342ff) wirkt wie eine Art Ablenkungsmanöver, weil der Inhalt von equitability gar nicht thematisiert wird: Das Konzept wird in seiner Gesamtheit abgelehnt, ohne die in ihm enthaltenen Regelungen zu reflektieren. Auch wird nicht thematisiert, dass Öl und Wasser in keiner Weise miteinander zu vergleichen sind. Die einzige Definition, die der Sprecher dem Konzept der equitability zugesteht, ist die, dass es ein rechtliches Konzept sei; dies allerdings sei eben eher hinderlich als förderlich, wenn es um konkrete Verhandlungen gehe. Interessant ist dabei die Formulierung: „whenever rights (1) legal meaning(1) and lawyers are involved in issues that we are dealing with (1) the result becoming is becoming more complicated” (347ff). Hier verwendet der Sprecher zum ersten Mal in dieser Passage das inklusive Personalpronomen „we” und gibt damit einen Hinweis darauf, dass er hier von persönlichen bzw. „nationalen” Erfahrungen spricht. Mit dem Personalpronomen bezeichnet er entweder die Israelis oder die israelischen Wasserexperten als Gruppe, in jedem Fall aber die israelische Seite in Verhandlungen mit anderen Gruppen. Der Sprecher spezifiziert hier nicht, was er mit „issues” meint; denkbar wären alle politischen Streitpunkte auf nationaler und internationaler Ebene. Zentral ist, dass der Sprecher jede Diskussion von Wasserrechten (sprich: Umverteilung) rigoros ablehnt und jeden Versuch in diese Richtung als unprofessionell, hinderlich und sogar lächerlich darstellt. Diese Ablehnung wird im weiteren Verlauf der Passage auch in der Pronominal-
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struktur deutlich: „sustainability i understand(1) equitability (1) were trying to unde YET to understand it (1) what are the criteria (...) now they are trying to put in also groundwater” (359-365). Das Konzept der Nachhaltigkeit ist offenbar so widerspruchsfrei, dass der Sprecher hier die erste Person Singular verwenden und allein stehen kann. In Bezug auf equitability dagegen verwendet er „we” und stärkt implizit seine Position, indem er sich als Vertreter einer Gruppe darstellt, die in ihrer Gesamtheit deutliche Zweifel am Sinngehalt des Konzeptes äußert. Wenn es dann um die Konkretisierung und Bearbeitung des Konzeptes geht, nimmt er dagegen rhetorisch Abstand, indem er die Akteure als „they”, als outgroup bezeichnet. Zur Illustration der Schwierigkeiten, die die Umsetzung von equitability in der Praxis bereitet, bringt der Sprecher seine persönlichen Erfahrungen im Verhandlungsprozess mit Jordanien im Vorfeld des Abkommens von 1994 ein. Dies hat zwei Effekte: Erstens steigert es die Autorität des Sprechers, dass er auf persönliche Erfahrungen in konkreten Friedensverhandlungen zurückgreifen kann. Zweitens funktioniert dieses Beispiel als Präzedenzfall für seine weitere Argumentation. Die Jordanier konnten nicht definieren, was Wasserrechte sind, bzw. keine Definition vorbringen, der er zugestimmt hätte („tell me what water rights is ill tell you if i agree they couldnt make it out”, 384f), also wird das auch kein anderer Verhandlungspartner können – erneut wird die ablehnende Argumentation des Sprechers gestärkt. Allerdings lässt er hier völlig unausgesprochen, dass ein solcher Vetomechanismus („ill tell you if i agree”) nur funktioniert, wenn eine gewisse Offenheit für die jeweils andere Position vorhanden ist. Er führt seine Argumentation später noch aus: „nobody can defIne (1) these water rights (1) unless (1) the other one defines it as well and they agree what they are [hm] and its easier to agree upon practical (1) numerical issues (1) or needs or resources or sources or whatever(1) than of the amount of rights that you have (1) the weight of the rights (1) i cant do it”508
Die Formulierung „nobody can defIne” zeugt erneut von der deutlichen Ablehnung des Konzepts der Wasserrechte generell und seiner Definition durch Personen oder Institutionen außerhalb der jeweils betroffenen Gruppe. Übersetzt und auf Israel bezogen bedeutet das: Wasserrechte kann Israel nur selbst definieren, niemand kann oder darf von außen entscheiden, wer Anrecht auf wieviel Wasser hat, auch nicht die Vereinten Nationen, die der Sprecher im Zusammenhang mit der „international water law” erwähnt (352ff). Die absolute Formulierung („nobody can ... unless”) weist auf eine wahrgenommene Bedrohlichkeit einer externen Definition von Wasserrechten hin: Hier wird die Selbstbestimmtheit der 508
Zeilen 419-426.
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israelischen Gesellschaft in Bezug auf Wasser versicherheitlicht. Im Gegensatz dazu wird die Klärung konkreter Bedürfnisse vom Sprecher positiv und als weniger bedrohlich dargestellt. Interessant ist außerdem die Metapher „the weight of the rights”, die den schweren, belastenden, bedrohlichen Charakter von Rechten noch einmal verbildlicht. Mit der nachfolgenden Feststellung „i cant do it” distanziert sich der Sprecher erneut von allen Versuchen, Wasserrechte zu definieren und gibt die Verantwortung für solche Versuche an andere, ungenannte Akteure ab. Er unterstreicht seine Ernsthaftigkeit und Überzeugung außerdem noch durch eine weitere Metapher: „so (2) taking into account (1) the possibilities there are. be the laughing stock of the century (1) and still (1) think what it think” (427ff). Der Sprecher nimmt in Kauf, sich durch seine Distanzierung von dem Konzept der Wasserrechte lächerlich zu machen, rückt von seiner Einschätzung aber trotzdem nicht ab. Die Präsupposition dieses Satzes ist, dass es andere Stimmen gibt, die den Sinn und Nutzen von equitability für unfragwürdig halten; von diesen Stimmen distanziert sich der Sprecher, und zwar unter allen Umständen, wie die Metapher illustriert. Der Schlüssel zur Ablehnung des Konzepts der Wasserrechte ist die Ebene, auf der sich die Diskussion bewegt: beziehen sich Wasserrechte auf einzelne Individuen, geht es also um persönliche Wasserrechte, dann ist der Sprecher mit dem Konzept einverstanden und es findet keine Versicherheitlichung statt: „everyone has a right to water” (404). Beziehen sich Wasserrechte allerdings auf abstrakte Entitäten, Staaten oder Nationen, dann wird das Konzept für die israelische Gesellschaft versicherheitlicht und darüber hinaus als in der praktischen Konfliktlösung unbrauchbar dargestellt (407-419). Diese Aufteilung in „Recht auf Wasser” und „Wasserrechte” ist charakteristisch für den gesamten israelischen Wasserdiskursstrang und extrem wichtig für die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Während das humanitäre Recht auf Wasser durchweg anerkannt wird „despite the fact that everybody will die if you wont have the seven a li-seven aaa(1) glasses of water a day(1) thAt we can manage(1)” (1060ff), werden bereits alle Ansätze zu einer Diskussion von Wasserrechten im Sinne von Verteilung und Kontrolle abgelehnt. Dabei gehört es in die Sphäre des Unsagbaren, wie die heutige Wasserverteilungssituation zustande gekommen ist und ob dabei von israelischer Seite gegen internationales Recht verstoßen wurde. Am Beispiel der israelisch-jordanischen Verhandlungen zeigt der Sprecher auf, wie sich die erwähnte Unterscheidung zwischen water rights and right to water in der Realität bemerkbar macht. Im israelisch-jordanischen Vertrag wurde die Formulierung „rightful allocations” gewählt, um dem Wunsch der Jordanier zu entsprechen, den Begriff „right” zu verwenden. Der Sprecher sagt: „rightful water rights allocation is easier position (1) because we could continue to speak about (1) rights and wrongs and water rights” (399ff). Interessant ist hier, das mit
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dem Pronomen „we” offenbar Israelis und Jordanier gemeint sind, was vermuten lässt, dass die Jordanier nach erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen nicht mehr als bedrohliche outgroup wahrgenommen werden und deshalb in die ingroup aufgenommen werden können. Die Formulierung „we could continue to speak about rights and wrongs” gibt Hinweise darauf, dass die israelische Ablehnung jeder Diskussion über Wasserrechte auch darin begründet sein könnte, dass die Anerkennung von equitability in einem offiziellen Dokument implizit die heutige Wasserverteilung, die als Sicherheitsfaktor verstanden wird, in Frage stellen würde. Eine Diskussion darüber, ob die Wasserverteilung in ihrer heutigen Form „right” oder „wrong” ist, ist nur inoffiziell möglich, nicht aber in toplevel Verhandlungen oder gar in Dokumenten, die als Präzedenzfall missverstanden werden könnten. Der nächste Sinnabschnitt (452-515) beschäftigt sich mit virtuellem Wasser. Erneut wurde er von einer Frage der Interviewerin eingeleitet. Dieses Thema überschneidet sich stark mit dem Thema Landwirtschaft, denn mit virtuellem Wasser ist das Wasser gemeint, das für die Herstellung von Produkten, etwa Bananen, in Israel benötigt wird, um dann aber in andere Staaten exportiert zu werden. In diesem Bedeutungsfeld thematisiert der Sprecher vor allem innerisraelische Konflikte zwischen Befürwortern und Gegnern von bestimmten landwirtschaftlichen Produktionsweisen und kommt zurück auf die „Revolution” in der Wahrnehmung von Wasser, die seine Gruppe der Wasserexperten angestoßen hätte (s.o.). Einleitend bezieht sich der Sprecher auf den „Erfinder” des Konzepts, Tony Allan, als höchste und damit unangreifbare Autorität in diesem Themenfeld. Allan habe ihm im persönlichen Gespräch immer wieder versichert, Israel sei der erste Staat im Nahen Osten gewesen, der das Prinzip des virtuellen Wassers umgesetzt hätte, indem es begonnen habe, Getreide aus den Vereinigten Staaten zu importieren, statt es selbst herzustellen. Sowohl die Bezugnahme auf die höchste Autorität im besprochenen Themenfeld als auch die Erwähnung persönlicher Erfahrung stellen das Gesagte als völlig unzweifelhaft, absolut glaubwürdig und unangreifbar dar. Auf diese Weise wirkt der Inhalt der Aussage („the first to begin with virtual water in this in this area were the israelis”, 457f) wie eine Art carte blanche, mindestens aber als Rechtfertigung für Israel, dem hier bescheinigt wird, bereits länger als alle anderen Konfliktparteien auf virtuelles Wasser gesetzt zu haben. Direkt im Anschluss geht der Sprecher zwar auf innerisraelische Konflikte in Bezug auf virtuelles Wasser ein, erneut angereichert mit persönlichen Erfahrungsberichten, und relativiert damit selbst die vorhergehende Einschätzung; er nimmt die gerade erzeugte Einschränkung des zuvor Gesagten allerdings gleich darauf wieder zurück. Zunächst verwendet er zur Beschreibung des innergesellschaftlichen Disputs die Metapher „great war” (468), was als Anhaltspunkt dafür
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dienen kann, für wie groß er die erwähnten „revolutionären Veränderungen” im Wassersektor tatsächlich hält, die bereits passierten oder in Zukunft vorgenommen werden sollen. Der Sprecher positioniert sich dabei erneut auf der Seite der Revolutionäre, der „professionals”, die immer wieder versuchen, die israelische Regierung von ihren (implizit: guten) Zielen zu überzeugen. In diesem Fall tut er dies mithilfe eines persönlichen Erfahrungsberichts über eine Episode, die er zeitlich nicht näher einordnet („i wrote once”, 469). Spannend ist hier, dass er zwar mit einer Art Überzeugungsrede gegen Exportlandwirtschaft beginnt („trying to convince the minister (...) that every (1) grapefruit that we (1) export (1) is worth hundred litres of water”, 470ff), sich dann aber selbst ins Wort fällt, die bereits geäußerte Kritik stark relativiert und stattdessen den Agrarsektor in seiner heutigen Form in Schutz nimmt: „bu-nOw its less because we are using water more-more efficiently and we are using water of lesser (1) lesser degrEE and if agriculture wont use those water nobody will be able to use it because we cant drink that” (478ff). Hier werden zwei Dinge deutlich: Erstens illustriert diese Passage die Veränderungen, die der Wasserdiskursstrang im Lauf der vergangenen Jahre und Jahrzehnte erfahren hat. Zweitens umreißt sie sehr deutlich die Sphären des (Un-)Sagbaren im heutigen israelischen Hegemonialdiskurs. Der oben beschriebene Konsens, dass Israel bereits (anders als die anderen Staaten der Region) revolutionäre Veränderungen im Wassersektor vorgenommen und den Wasserverbrauch des Agrarsektors deutlich reduziert habe, wird übernommen, während noch darüber hinausgehende Veränderungen oder etwa die Abhängigkeit der palästinensischen Wasserversorgung vom israelischen Wassermanagement unsagbar bleiben. Die verstärkte Wahrnehmung von Wasser als wirtschaftlichem Gut wird für wichtig, gleichzeitig aber für in ihrem jetzigen Ausmaß ausreichend gehalten: „it [the economic value of water, Anm. d. Verf.] should be kept in mind (...) NOt only according to economic definition(1) because econom-economy is not everything (2) peoples proud (1) pride” (485ff) „everyone should know water has economic value (1) thE economic value is not the only value they have (1) we have to jUdge it (1) also according to other standards values and ideologies” (499ff) „the f-kEY notion here (1) is seeing water not as natures (1) gIft and gods (1) ahahah givings ONLY (1) but also as a commodity that can be prodUced (...) when you look upon it from this point of view your view is more complete (1) but if you look upon it only through the economic (2) ahahah (1) spectrum (1) your view will be mislead to my opinion” (506ff)
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Hier werden weitergehende Veränderungen im Wassersektor, etwa die Abschaffung des Agrarsektors, als Bedrohung der eigenen Werte versicherheitlicht. Der Sprecher formuliert Handlungsempfehlungen („should”), die unpersönlich gehalten sind, sich also an die Allgemeinheit richten. Die Tatsache, dass er immer wieder neu ansetzt, um den gleichen Sachverhalt zu paraphrasieren zeigt zwei Dinge: Erstens scheint es dem Sprecher sehr wichtig zu sein, dass seine Sichtweise verstanden und im besten Falle übernommen wird. Dafür sprechen die erwähnten Empfehlungen ebenso wie Formulierungen wie „we have to”, „if you ... your view will be mislead”. Zweitens scheint es ihm schwer zu fallen, den Sachverhalt in Worte zu fassen, was sicher zum Teil der Tatsache geschuldet sein mag, dass er nicht in seiner Muttersprache kommuniziert. Doch sein wiederholtes Paraphrasieren ist auch ein Indiz dafür, dass dem Sprecher der potenzielle Widerspruch zwischen der Sichtweise auf Wasser als wirtschaftlichem Gut und der politisch-ideologisch-emotional-kulturellen Bedeutung der Ressource bewusst ist. Die beiden Sichtweisen schließen sich gegenseitig aus, wenn sie konsequent zuende gedacht werden, doch genau das kann der Sprecher nicht zulassen: es ist unsagbar. Das er dieses Problem durchaus wahrnimmt, bezeugen auch die widersprüchlichen Äußerungen „its a bit complicated” (498f) und „so (2) easy” (515). Die nächste Frage der Interviewerin richtete sich auf den Einfluss des israelisch-palästinensischen Konfliktes auf das israelische Wassermanagement. Trotz des suggestiven Charakters der Frage hält der Sprecher diesen Einfluss für „not (..) mAjor” (523). Allerdings zeigen die häufige Verwendung der Verlaufsform sowie die verwendeten Verben („becoming”, 523; „conducting”, 531; „accessing”, 544) und temporalen Adverbialen („more and more”, 524; „all the time”, 530f; „now” 543), dass der Sprecher diese Einschätzung für vorläufig hält: „not a mAjor one but it becoming to have an impact (1) it is more and more involved in our considerations (1) whatever the result will be (1) whatever one side will give or take we have an agreement” (523ff)
Die Pronominalstruktur der gesamten Passage (523-602) spiegelt die bestehenden Konfliktlinien wider: „we” und „our” stehen durchgängig für die ingroup des Sprechers, die Israelis, während „they”, „them” und „the palestinians” die outgroup bezeichnen. Interessant ist, dass auf diese erste Einschätzung zwar die Berufung auf bereits bestehende Abkommen („the agreement of september 95 (1) defines very clearly (1) amounts places (1) sources etc”, 528ff) folgt, im gesamten weiteren Verlauf des Segments aber betont wird, dass die endgültige Verteilung noch offen und die Rolle der Palästinenser für israelische Planungen in Bezug auf Wasser deshalb zentral sei: „whatever one side will give or take” (526f), „the
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amounts (1) the meaning the exact ah (1) venues (1) are open (1)” (560f), „we MUST take it into consideration” (555f), „we have no other choice” (564). Besonders bedeutsam ist diese letzte Einschätzung der Wichtigkeit des israelischpalästinensischen Konfliktes vor dem Hintergrund, dass der hier angespielte, für die israelischen Planungen offenbar nicht unwichtige Faktor in den vorangegangenen Ausführungen überhaupt nicht erwähnt wurde und also zwar sagbar ist, aber doch mindestens mit gewisser Vertraulichkeit behandelt wird. Der Konflikt mit den Palästinensern wird lieber nicht aktiv erwähnt, sondern tabuisiert und vermieden. Doch zunächst machen Formulierungen wie „we are all the time conducting with them negotiations because water is (1) (...) we cant avoid (1) dealing with the water issue (1) while taking into accou-account (1) several scenarii (1) concerning water (1) relating to the palestinians” (530-538) zwei Dinge deutlich: Einerseits betont der Sprecher die Kooperationsbereitschaft Israels und unterfüttert dies erneut mit persönlichen Erfahrungen, die den Wahrheitsgehalt des Gesagten unterstreichen (532ff). Andererseits implizieren seine weiteren Ausführungen, dass für den Sprecher in Bezug auf die Wasserverteilung die israelischen Interessen vorrangig sind und dass die erwähnten Szenarien vor allem dazu dienen, die Sicherheit der israelischen Wasserversorgung zu gewährleisten. Dies wird durch mehrere securitizing moves illustriert, die durch die Beschreibung der Vorkommnisse in Gaza nach dem Abzug der israelischen Siedler und Truppen eingeleitet werden. „we know what happens-happened and happens in gaza (1)after we (1)we left gaza and after the disengagement [hm] (1) i dont know if you know but (1) two weeks after we (1) signed agreement and (1) gaza was turned to the palestinians (1) about 2000 new wells were dug (1) its a horrible (1)catastrophic impact on the on the water situation there which was (2) nevermind (1) considerably (1) bAd before (1) so we take it into consideration (1)we MUST take it into consideration (1) Anybody (1)who-who regards the water sector in israel (1) planningwise (1) supplyingwise (1) ah whatever predictionwise (1) mUst take it into consideration [hm] (1) the amounts (1) the meaning the exact ah (1) venues (1) are open (1) well see what will come out of it but we are taking it all the time into consideration we have no other choice”509
Erneut verwendet der Sprecher das Verb „to know”, um Richtigkeit und Wahrheit der folgenden Ausführungen zu betonen („we know what happened”) und um einen Konsens mit der Inteviewerin herzustellen („i dont know if you know but”) bzw. die Vertraulichkeit des Themas zu unterstreichen. Pronominalstruktur („we” vs. „the palestinians”), Aktiv-Passiv-Konstruktionen („wells were dug”) 509
Zeilen 545-564.
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und Auswahl der Adjektive („horrible”, „catastrophic”, „bad”) erzeugen den Eindruck größtmöglicher Distanz sowie großer Bedrohung, die in diesem Fall eindeutig von den Palästinensern ausgeht und gegen die natürlichen Wasserressourcen gerichtet ist. Auf diese Bedrohung bezieht sich der Sprecher viermal mithilfe des Pronomens „it” und verbindet diese Bezüge wiederholt mit Imperativen, die durch stimmliche Akzentuierung noch hervorgehoben werden, sowie mit absoluten Formulierungen wie „Anybody mUst” und „we have no other choice”. Die Gefahr, die vom Verhalten der Palästinenser nach dem Ende israelischer Kontrolle in Gaza ausgeht, expliziert der Sprecher später noch einmal, wenn er sagt „believe me (2) we can destroy aquifers (1) like this [schnippt finger]” (575f) und „we could have finished like gaza almost” (589). Hier zeigt sich bereits in Ansätzen die Wahrnehmung der Palästinenser im israelischen Diskurs. Sie werden hier als amorphe Masse wahrgenommen, die durch ihr Verhalten zur Gefahr wird. In späteren Ausführungen wird dies noch deutlicher: „Every palestinian that ive dealt with they are vEry good people professionals and what they didnt have they have now cause ev-a-all the experts are top graduates of the top universities of the world they know Everything the situation is not knowledge” ( 596ff) „the problem is that (1) part of the palestinians especially the fatah (1) especially the youngsters (1) ah somehow got the notion (1) that if they wont deal with waste water it will be a good (1) card against israel (...) we had a LOT of problems with a hebron (2) there are mOney there is plAnning exists everything is ready but (1) nothing is happening because (1) from their point of view if they agree(1) to do something (1) which will serve also some (1)israeli settlements (1) theyre are betraying the (1) faith and the ideology or whatever (1) and maybe (1) validating a clAIm i dont know (1) it can be overcome but they dont they dont want to do it (1) maybe afraid rightly or not (1) (...) BUT (1) i dont know (1) so many pOlitics ideOlogies everything mixed together (1) that i cant give you a better answer (1) i can tell you that (1) it is (1) our (1) utmost Interest (1) to deal with every source of contamination (1) its a problem that we are facing with the palestinians trying to do with them something really (1) serious considering the (1) IllEgal drillings (...) (4) on the other side there is aaaah (1) cooperation (1) and good one (1) so i dont know what to tell you” (656-699)
Die Palästinenser werden hier dämonisiert als Personen, die zwar über das notwendige Wissen verfügen, um gutes Wassermanagement zu betreiben, davon aber keinen Gebrauch machen, um den Israelis zu schaden („the situation is not knowledge”, „they dont want to do it”). Dieser Vorwurf wird noch verstärkt durch die extrem positive Bewertung der Palästinenser mithilfe der Bezeichnung als „professionals”. Durch sie gesteht der Sprecher den palästinensischen Was-
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serexperten Gleichwertigkeit zu, er nimmt sie in seine engere ingroup auf, was als große Auszeichnung zu verstehen ist. Durch diese sehr positive Beurteilung wirkt der nachfolgende Vorwurf allerdings umso heftiger. Ungesagt (und unsagbar) bleibt, welche Rolle das israelische Wassermanangement für die palästinensische Wasserversorgung spielt; die Schuldzuweisungen richten sich ausschließlich gegen die Palästinenser. Ebenfalls wird nicht thematisiert, ob die palästinensische Wasserversorgung ausreichend ist. Diskursiver Effekt der Einschätzung, dass den Palästinensern nicht zu trauen sei, ist, dass jeder Kontrollverlust an die Palästinenser in Bezug auf Wasser als massive Bedrohung der israelischen Wasserversorgung dargestellt wird. Vage Formulierungen wie „several scenarii” spielen zudem auf die anderen offenen Konfliktpunkte an, die abhängig von ihrer jeweiligen Lösung ebenfalls Auswirkungen für die regionale Wasserversorgung haben können. Es macht etwa einen großen Unterschied für die benötigte Wassermenge, ob den Palästinensern ein Rückkehrrecht gewährt wird oder nicht. Hier zeigt sich also eine sehr deutliche Verschränkung zwischen Wasser- und Konfliktdiskurs. Die im gesamten Diskursfragment wiederholten Anspielungen auf die Unzuverlässigkeit bzw. die fehlende Ernsthaftigkeit der Palästinenser tragen diese gewissermaßen präventive Versicherheitlichung in den gesamten Diskursstrang und sind ein deutlicher Ballast für jeden zukünftigen Verhandlungsversuch. Der nächste Sinnabschnitt (603-631) beschäftigt sich mit den israelischen Siedlungen in der Westbank. Hier zieht sich der Sprecher zunächst in einer Passiv-Konstruktion hinter ein ungenanntes Subjekt zurück, das die Zukunft der Siedlungen zu entscheiden haben wird: „the future of the settlements will be settled ah in the negotiating (1) table” (607f). Damit vermeidet er eine Äußerung darüber, ob die Siedlungen legitim oder illegitim sind. Diese Frage wird auch im Folgenden nicht thematisiert; stattdessen konzentriert sich die Passage auf die Betonung des humanitären Aspekts der Wasserversorgung. Dies stimmt mit dem oben beschriebenen Konsensus überein, dass jeder Einzelne ein Recht auf Wasser habe. Allerdings verbindet der Sprecher diese humanitäre Aussage mit impliziten Vorwürfen: „despite all the rumours they are quite-quite human (1) especially the women and the kids (1) and despite all other rumours not everyone has ah a swimming pool at his home(1)” (612ff). Die Präsupposition, dass es Akteure im Wasserkonflikt gibt, die die israelischen Siedler entmenschlichen und verleumden und die in der Äußerung enthaltene Anspielung auf den palästinensischen Diskursstrang zeigen, dass der Sprecher sich der Kontroversalität der Siedlungen bewusst ist. Auch die palästinensischen Vorwürfe in diese Richtung klingen hier an („you can Argue that ah (1) the water resources are shared or owned it depends with whom you speak”, 623ff), doch eine ausführlichere Diskussion der Implikationen dieser Vorwürfe bleibt unsagbar und wird im Übrigen
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auch als unnötig dargestellt („as they receive most of their water frOm israel from wha-w-israel of the green LINe”, 626ff). Die obige Äußerung zum Thema Gerüchte enthält außerdem eine Dämonisierung derjenigen, die sie äußern. Da das Subjekt aber nicht genannt wird, bleibt auch unklar, gegen wen sich die Dämonisierung richtet; allein die Tatsache, dass der Sprecher jeden verurteilt, der die Siedlungen in solcher Weise angreift, lässt jedoch Schlüsse auf seine Diskursposition, seine Weltsicht zu. Zwar konstatiert er, dass die Siedler so oder so vollständig aus israelischen Wasservorräten versorgt werden müssten („the tOTal use of the (1)of the (2) will have to be supplied by the state by government of israel no doubt about it(1) if they are there or there”, 616ff), doch die Frage einer Umverteilung der heute israelisch kontrollierten Wasserressourcen zugunsten der Palästinenser oder gar eine Infragestellung der Rechtmäßigkeit des heutigen Status quo in Bezug auf Wasser gehören in den Bereich des Unsagbaren. Der folgende Sinnabschnitt beschäftigt sich mit dem palästinensischen Aufstand, der Intifada (633-699), und hängt mit dem Thema „Sicht auf die Palästinenser” zusammen. Bemerkenswert sind hier zwei Dinge: Erstens zeugt die Beschreibung der Intifada davon, dass die Palästinenser sich nach Meinung des Sprechers mit dem Aufstand in erster Linie aktiv selbst schaden: „the intifada knocked down almost every effort (1) to continue (1) the buildup of the palestinian infrastructure in the water sector (1)” (633ff). Die Satzstellung gesteht der Intifada als Subjekt Handlungsfähigkeit zu und das Verb bescheinigt ihr Zerstörungskraft. Der Begriff Intifada wird dabei als Metonymie für alle Personen verwendet, die mit ihr zu tun haben. Interessant ist, dass der Sprecher nicht in den Mittelpunkt stellt, welche Folgen die Intifada für seine eigene ingroup hat, die Israelis. Statt einer Viktimisierung der eigenen Gruppe stellt er heraus, wie schädlich der Aufstand für diejenigen ist, die ihn ausführen, mit dem diskursiven Effekt, die Verursacher der Intifada nicht nur aus der israelischen, sondern auch aus ihrer eigenen, der palästinensischen Gesellschaft auszugrenzen. Zweitens betont der Sprecher die Tatsache, dass Israelis und Palästinenser sich trotz der Intifada auf Kooperation im Wassersektor geeinigt und dies sogar schriftlich festgehalten hätten. Dem Aufstand wird auf diese Weise implizit Wirkungslosigkeit bescheinigt; seine Verursacher werden erneut diskreditiert. Die Art und Weise, wie der Sprecher das entsprechende Dokument („we have an agreement signed agreement not to touch water ahah facilities”, 636ff; „one page agreement (1) despite everything not to touch water installations”, 646ff) einführt: „i dont know if you know but this agreement have you seen it” (644f) zeugt wieder vom Bedürfnis des Sprechers, seinen eigenen Wissensstand mit dem der Interviewerin abzugleichen und gleichzeitig implizit auf die Besonderheit dieses Abkommens (und des Wissens darüber) hinzuweisen („its quite ama-
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zing (1) i must say”, 655). Dass Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern auch in Zeiten der Gewalt möglich ist, passt nicht so recht in die allgemeine (negative und misstrauische) Wahrnehmung der Palästinenser und wird deshalb gewissermaßen als „Wunder“ dargestellt. In den nächsten Sinnabschnitten (externe Einflüsse, 718-793; Jordanbeckenanrainer, 794-876) finden sich kaum Verschränkungen zwischen Wasserund Sicherheitsdiskursstrang. Der Fokus liegt hier auf einer Charakterisierung externer Akteure im Wasserverteilungskonflikt, von reichen, konservativen Juden im Ausland („if the right wing ah (1) jewish (3) rich person influential politically (1) like [name] is convInced that ah (1) giving water to the palestinians might be (1) dreadful for the future of this area and israel (2) he can pressure”, 724ff) über andere finanzielle Einflussnahmen bis hin zur Einschätzung jordanischer, syrischer und libanesischer Absichten in Bezug auf die regionalen Wasserressourcen. In einer langen Passage (734-793) geht der Sprecher auf seine persönlichen Erfahrungen mit Ideologien und ihrem Einfluss auf Menschen sowie die positive Wirkung der Medien auf ideologische Verblendung ein und vermittelt so erneut eine generelle Ablehnung gegenüber Ideologien, die potenziell die Realität verfälschen und Menschen manipulieren können. Diese Strukturen hatten sich bereits oben in den Äußerungen über die negative Rolle von Ideologie und Politik im Wassersektor abgezeichnet. Interessant ist, wie der Sprecher die Beziehung zwischen den Palästinensern und den übrigen arabischen Nationen in der Region in Bezug auf die Wasserverteilung und generell beurteilt: „they [the jordanians, Anm. d. Verf.] are not playing any role (1) they are to careful to play [hm] (2) the jordanians dont touch it (...) they were very careful to put (1) to make it CLEAR that (...) they are not intereEsted anything in the future is between israel and the palestinian (1) at the same time they claim they took all the (1) the part of the palestinians that was agreed upon johnstons time” (798-816)
Erneut gibt der Sprecher Einblick in seine Sicht der potenziell feindlichen outgroups, in diesem Fall der Jordanier, die er hier als – aus guten Gründen! („theyre im not ah (1) condemning anybody or blaming (1) they have their reasons (1) very good reasons”, 835ff) – sehr zurückhaltend in Bezug auf den Wasserkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern beschreibt. Allerdings klingt gleichzeitig eine Unterstellung an: Einerseits würden die Jordanier den Palästinensern zwar nicht helfen wollen, andererseits hätten sie sich aber den „Anteil” der Wasserressourcen gesichert, der im Johnston-Vertrag der 1950er Jahre den Palästinensern zugesprochen worden war. Hier klingt eine Art orientalistisches Bild an, nämlich das vom Araber, der von Emotionen getrieben ist, lediglich seinen eigenen Nutzen im Sinn hat und sogar der eigenen arabisch-islamischen
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„Familie” gegenüber Loyalität vermissen lässt. Zusammen mit den in der Strukturanalyse bereits beschriebenen Einschätzungen der Palästinenser („the situation is not knowledge”) und den unten ausgeführten Beschreibungen der Syrer und Libanesen entsteht der Eindruck, dass solche orientalistischen Bilder zur Dämonisierung der Konfliktgegner, der outgroup verwendet werden und den israelischen Diskursstrang insgesamt prägen. Im Übrigen werden diskursive Ereignisse wie der Sechstagekrieg, die die palästinensische und arabische Sichtweise beeinflusst haben, erneut nicht thematisiert. Gezeichnet wird ein Bild von untereinander zerstrittenen arabischen Völkern, die vor allem ihre eigenen Interessen im Blick haben. Hier schwingt die Anspielung auf das panarabische Vorhaben der 1950er und 1960er Jahre mit, das als gescheitert gelten muss: Nicht einmal ihre arabischen Nachbarn unterstützen die Palästinenser noch, was die Illegitimität und Hoffnungslosigkeit der palästinensischen Forderungen implizit noch betont. „i di-i didnt see anybody (1) [laughing] giving any sort to the palestinians water or water rights of water allocation or whatever (1) ah from the lebanese of the syrian part (1) let alone for the jordanian part so (1) frankly i dont know what to tell you” (869ff)
Um die Richtigkeit seiner Einschätzung zu „beweisen” und um zu verdeutlichen, was er meint, nahm der Sprecher im Folgenden mehrfach andere Medien als die Sprache zuhilfe. Eingeleitet wurde dies hier durch den erneuten Versuch des Wissensabgleichs mit der Interviewerin: „i dont know if you know but (1) have you ever seen the map of the agreement between us and jordan (1) as ah (1) notices something strange there” (801ff). In Situationen wie dieser erhielt der Alters- und Standesunterschied zwischen Interviewerin und Sprecher Eingang in das Gespräch, denn hier enstand eine Art „Lehrer-Schüler”-Situation. Der Sprecher nutzte eine Karte des Jordanbeckens mit entsprechenden Markierungen, selbst eine Manifestation der Verhandlungen zwischen Israelis und Jordaniern über die Wasserverteilung, um die Richtigkeit seiner Aussagen zu unterstreichen und seine Wissenshoheit zu festigen: „i dont know if it answers your question but ah just (1) to clarify what i mean” (817f). Das Verhältnis zwischen den Palästinensern und ihren arabischen Nachbarn wird in den folgenden Äußerungen weiter spezifiziert: „they [the jordanians, Anm. d. Verf.] even say we have (1) lets take the number of palestinans that [laughing] are in jordan (1) or fled to jordan from the westbank so it ah (2) im not talking (1) im not trying to rationalise it simply the fAct” (837ff)
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Hier spielt der Sprecher auf die anhaltende Diskussion an, ob der Anspruch der Palästinenser, ein eigenes Volk mit dem Recht auf einen eigenen Staat und Staatsterritorium zu sein, legitim oder illegitim sei. In dieser Diskussion wird immer wieder (s. Kapitel 5) die Frage aufgebracht, seit wann es „die Palästinenser” eigentlich gebe. Im israelischen gemäßigten Diskurs gilt i.d.R. der Sechstagekrieg als „Geburtsdatum” der Palästinenser als eigener Nation; immer wieder ist in Israel aber auch das Diktum zu hören, dass die Palästinenser doch bereits einen Staat hätten, nämlich in Jordanien. Direkt spricht der Sprecher dies hier nicht an, sicher auch, weil es von seiner Diskursposition aus unsagbar ist. Stattdessen zitiert er die Jordanier, was einerseits das erwähnte Bild der zerstrittenen arabischen Völker anklingen lässt, andererseits die Verantwortung von Israel ableitet. Die Formulierung „they even say” lässt erkennen, dass dem Sprecher die „Unmöglichkeit” des nun Folgenden bewusst ist; auch seine unzusammenhängende Sprechweise, sein Lachen – ein Zeichen von Unsicherheit – sowie die abschließende Rechtfertigung zeigen, dass er sich des Tabus bewusst ist, das er hier berührt. Für ihn gilt es als unsagbar, den Palästinensern ihr Recht auf einen eigenen Staat in den besetzten Gebieten offen abzusprechen; selbst die Argumentation anderer in diese Richtung, in diesem Fall der Jordanier, stört offenbar sein Selbstbild so massiv, dass er sich gezwungen fühlt, sich dafür zu rechtfertigen, das Thema überhaupt angesprochen zu haben. Verschränkungen zwischen israelischem Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang finden sich lediglich in den Beschreibungen der Syrer und der Libanesen, denn nur hier wird eine Gefahr für die israelische Wasserversorgung vermutet. Die generelle Charakterisierung der Syrer als nicht verlässlich („they are doing whatever they want”, 861f) und rücksichtslos („they didnt give a damn on (1) whatever”, 856f) zieht sich nicht nur durch dieses Fragment, sondern das gesamte israelische und teils auch das palästinensische Datenmaterial. Der Vorwurf gegenüber dem Libanon („theyre now Already now (1) putting more and more (1) effort in preventing water from coming or using more water there”, 865ff) zeugt von erneuter Dämonisierung und enthält Ansätze eines securitizing move. Die Passage bezieht sich auf die in der Diskursgenese beschriebenen, gewissermaßen historisch begründeten Vorwürfe Israels, der wasserreiche Libanon enthalte Israel Wasser vor, obwohl er dieses selbst gar nicht bräuchte. Auch hier klingen orientalistische Untertöne an, in denen „den Libanesen” unbegründete Böswilligkeit gegenüber Israel unterstellt wird. Der letzte, sehr lange Sinnabschnitt beschäftigt sich mit der Zukunftsvision des Sprechers (877-1103). Zunächst verwendet er ein hebräisches Sprichwort („since the destruction of the (1) holy sepulchre (1) prophecy was given only to fools (2) since the prophets ceased prophesing only fools prophet (2) i may be a fool but im not trying to be a prophet”, 881ff), um sich von jeder Einschätzung der politischen Zukunft der Region zu distanzieren. In Bezug auf Wasser stellt
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diese letzte Passage eine Rekapitulation des gesamten Gesprächs dar; alle Charakteristika werden noch einmal wiederholt. Die prominente Stellung der Vorhersage einer „Revolution” im israelischen Wassersektor spricht für die Wichtigkeit, die der Sprecher diesen einschneidenden Veränderungen zumisst (886ff). Als einzelne Faktoren nennt er die Überarbeitung des rechtlichen Rahmens der Wasserverteilung in Israel, die verstärkte Wahrnehmung der ökonomischen Seite von Wasser und, damit einhergehend, die Abnahme ideologischer Interpretationen, sowie die Reduzierung der Frischwasserzuteilungen an den Agrarsektor. Insbesondere die Reduzierung der Frischwasserzufuhr an den Agrarsektor scheint nach vermehrten Erklärungen zu verlangen; dafür spricht die ausholende „Beweisführung” des Sprechers, in der er unter Bezugnahme auf allerlei (nicht spezifizierte) Daten und Untersuchungen herleitet, dass die natürlichen Wasserressourcen nun einmal völlig aus- bzw. sogar schon übernutzt seien (909-980). Diese Ausführungen weitet er sogar auf Jordanien und Syrien aus, auch die Türkei, Irak, Libanon und Ägypten werden erwähnt, so dass der Eindruck verstärkt wird, dass die Produktion neuer Wasserressourcen durch Wiederaufbereitung und Entsalzung die einzig mögliche Lösung für die gesamte Region sei („the water sector in israel And in the area if i may say so (1) will have to depend more and more on additional (1) new water sources (1) period”, 905ff). Der Sprecher baut also einen in sich schlüssigen Rahmen für das israelische Wassermanagement, den er immer wieder reflektiert und rechtfertigt („it doesnt change anything of what i said”, 1029f): Die israelische Sicht auf Wasser muss sich ebenso wie der praktische Umgang mit der Ressource ändern, weil die natürlichen Wasserressourcen ausgenutzt und durch Verschmutzung und Übernutzung bedroht sind. Der Ausweg heißt Entsalzung. Eine Umverteilung der natürlichen Wasserressourcen ist unsinnig, weil diese Ressourcen ohnehin nicht ausreichen, um den regionalen Wasserbedarf zu decken. Die bereits beschriebenen Sphären des Sagbaren bleiben gewahrt: Eine Umverteilung der natürlichen Wasserressourcen, z.B. zugunsten der Palästinenser, ist unsagbar; dies wird durch die Knappheit der Ressource begründet. Der einzige (sagbare) Ausweg ist Entsalzung und entsprechende Umstrukturierungen in den nationalen Wirtschaftssektoren (nicht nur in Israel). Diesem Rahmen fügt der Sprecher noch eine weitere Facette hinzu: Kooperation sei notwendig, weil die natürlichen Wasserressourcen die politischen Grenzen überschreiten und Probleme wie Verschmutzung oder Versalzung alle Staaten der Region betreffen. „regional cooperation (1) is not only (1) recommended usable (1) its mandatory (1) we sit on the same sources(1) now it depends on the political solution(1) but nobody will be able to invent water where there are not(1) so IF all the water are used(1) re-
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allocation of water to MY mind (1) if you let me to be a bit (2) polEmic (1) reallocation of water is reallocation of(1) shortages(2) as simple as that (1) the only way is to ADD water(1) and to allocate what we have”510
Der Sprecher verwendet drei Adjektive/Partizipe, um regionale Kooperation zu charakterisieren; am stärksten ist das letzte, „mandatory”, da es einen Zwang konnotiert und durch die Satzkonstruktion „not only ...” noch verstärkt wird. Hier schwingt unterschwellig eine Frage mit, in der eine Verschränkung mit dem Sicherheitsdiskurs anklingt: Was würde passieren, wenn dem „Mandat” der Teilung nicht entsprochen würde? Im Pronomen „we” ist in diesem Fall die Gesamtheit der nahöstlichen Bevölkerung inbegriffen – zum ersten Mal im gesamten Diskursfragment – so dass die Verantwortung für die Erfüllung des „Mandats” zunächst auf alle Nationen der Region ausgeweitet wird. Hier zeigt sich, wie sich kooperative und konfliktive Diskursstrukturen voneinander unterscheiden: Während die einen unmittelbar inklusiv wirken, grenzen die anderen aus. Allerdings folgt auf die Feststellung des „Kooperationszwangs” sofort wieder die Relativierung: „now it depends on the political solution”. Diese Formulierung nimmt die anfangs hergestellte Teilung zwischen „professionals” und „politicians” wieder auf und gibt jede Verantwortung an diejenigen ab, die für die „political solution” verantwortlich sein werden, aber hier ungenannt bleiben. Das temporale Adverbial „now” zeigt an, dass von seiten der Wasserexperten alles Erdenkliche getan wurde, um den (implizit: richtigen) Weg für die Politik zu bahnen, nun der sprichwörtliche Stab allerdings übergeben wurde und die Entscheidung in anderen Händen liegt. Die im Anschluss noch einmal formulierte Einschätzung der absolut knappen natürlichen Ressourcen und der Entsalzung als einziger Option unterstreicht deren Zentralität für den israelischen Wasserdiskursstrang. Bemerkenswert ist der Widerspruch, der zwischen „nobody will be able to invent water where there are not” und „the only way is to add water” besteht. Der Sprecher bezieht die erste (versicherheitlichende) Formulierung auf die natürlichen Wasserressourcen, die zweite dagegen auf künstlich erzeugtes Wasser. Ver- und Entsicherheitlichung treffen hier aufeinander, ohne ineinander aufgelöst werden zu können. Es ist unsagbar, die Möglichkeit der künstlichen Wasserproduktion als entsicherheitlichenden Faktor auch in Bezug auf die Knappheit der natürlichen Wasserressourcen wirklich zuende zu denken, da seine gesamte Argumentation in Bezug auf die (existenziell bedrohliche) externe Umverteilung auf eben dieser Versicherheitlichung der natürlichen Wasserknappheit beruht. So kommt es, dass der Sprecher den israelisch-palästinensischen bzw. israelisch-arabischen Wasserkonflikt zwar bis zu einem gewissen Grad entsicherheit510
Zeilen 1042-1052.
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licht, sich von der Versicherheitlichung von Wasser jedoch nicht vollkommen lösen kann: „i dont see it as a major issue(1) major vis a vis life or death its MAjor for the people who deal with it (1) (...) the problem is more of concept ideology(1) pragmAtic (1) and economic development(1) and LESS about (1) how did you define it (1) the te-reasonable and equitable” (1057ff)
Insgesamt ist dem Sprecher sehr daran gelegen, sein Gegenüber von der Richtigkeit seiner Einschätzung zu überzeugen. Im Folgenden paraphrasiert er ein weiteres Mal den oben bereits geschilderten Zusammenhang: „look(1) just to make it short(1) [draws region, population numbers] all the water natural water resources here all the natural water resources are between 1 point 4 1 point 5 billion cm per year of reasonably potable water(1) thats THE renewable(1) source from water(1) in israel we already use(1) more than 106 cm per person per capita per year(1) it means that 11 people-11 million which will become within ten days(1) something like 18(1) with a 4 point 2 (1) growth of population with the-at least with the arabs(1) we have 2 point 3 (1) 18 will have(1) only for all this amount will not suffice(1) for household consumption(1) ADD jordan here(1) and were in a problem so what would you what would you like to divIde here(1) reallocate(1) its total bullshit (1) now nobody will go to war for it its between 100(1) 200 million(1) dollars per year (2) thats if we are being reasonable but its the most EASY(1) issue(1) to manipulate because water everybody understands(1) he has a tap or he hasnt got(1) he needs water he wants to wash he wants to(1) everybody understands its the EASIEST(1) ideologically speaking politically speaking its the EAsiest issue to manipulate thats it (1) BUT prActically speaking(1) it wont be a question within ten years (1) at-maybe it will bE but only because people will wAnt it to be (1) not because its-it merits (1) sorry ah(1) to disappoint you”511
Wie bereits am Anfang des Diskursfragments ist es hier absolut zentral für den Sprecher, die Diskurshoheit zu wahren, indem er sich auf Zahlen beruft und durch sie seine Aussage unangreifbar macht. Dies wird auch in der einleitenden Formulierung „just to make it short” deutlich: „etwas kurz machen“ bedeutet, als unnötig und überflüssig empfundene Diskussionen oder Zweifel zu unterbinden. Die abschließende Bemerkung „sorry to disappoint you” geht in eine ähnliche Richtung: Hier schwingt die Präsupposition mit, dass die Interviewerin andere Erwartungen an den Sprecher und seine Analyse des Wasserkonflikts gehabt und letztlich auf Aussagen wie „Wasser ist ein Kriegsgrund” o.ä. gewartet habe. Zunächst wird also durch „Faktenwissen” eine absolute Wahrheit erzeugt, die als Basis für die folgende Argumentation dient: Die natürlichen Wasserres511
Zeilen 1070-1102. “ten days” ist ein Versprecher, gemeint ist “ten years”.
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sourcen sind begrenzt und werden auf kurze bzw. mittlere Sicht nicht ausreichen. Diese Gleichung entsteht aus konkreten Zahlen über die verfügbaren natürlichen Wasserressourcen und Projektionen über das regionale Bevölkerungswachstum. Mit der Formulierung „in israel we already use(1) more than 106 cm per person per capita per year” bleibt ungesagt, wieviel die anderen Völker der Region verbrauchen; ebenso wird nicht thematisiert, welche anderen Ansprüche auf die von Israel verwendeten Ressourcen bestehen und ob die Verwendung dieser Wassermenge durch Israel rechtmäßig und sinnvoll ist. Die Bezeichnung „the arabs” erzeugt erneut das Bild einer diffusen, potenziell bedrohlichen Masse außerhalb der israelischen ingroup. Sie ist bemerkenswert, weil der Sprecher hier offenbar die Palästinenser meint (später expliziert er „add here jordan”). Das heißt, einerseits werden die Palästinenser bzw. ihr Bevölkerungswachstum in die Kalkulation des vorhandenen Wassers einbezogen, andererseits wird erneut auf die Diskussion über ihr Recht auf „Palästinensertum” angespielt, indem nicht ihre nationale Bezeichnung sondern das übergreifende Substantiv „arabs” gewählt wurde. Die Formulierungen „will not suffice” und „were in a problem” dienen erneut der Versicherheitlichung von natürlicher Wasserknappheit, in diesem Fall für die Bevölkerung der gesamten Region. Das anschließende „so what would you what would you like to divIde here(1) reallocate(1) its total bullshit” zeugt mit der Verwendung eines Kraftausdrucks und dem Sarkasmus im ersten Teil der Äußerung von einer gewissen Ungeduld und Ungehaltenheit schon ob der reinen Diskussion über Umverteilung – von der Umsetzung einmal ganz zu schweigen. Hier bleibt der versicherheitlichende Rahmen also erhalten. Zwar folgt erneut die Entsicherheitlichung („now nobody will go to war for it”), aber nicht ohne die Einschränkung „thats if were being reasonable”. Interessant ist hier die Verwendung des inklusiven Pronomens „we”, bei dem unklar bleibt, wen genau der Sprecher hier einschließt: die Interviewerin, die Israelis, oder gar die Bevölkerung der gesamten Region? Die anfängliche Versicherheitlichung wird daraufhin weitergeführt, indem die Manipulation von Wassermanagement im Sinne politisch-ideologischer Ziele als bedrohlich und unkontrollierbar dargestellt wird: „its the most EASY(1) issue(1) to manipulate”. Dies wird verstärkt durch die dreifache Wiederholung dieser Einschätzung und die Unterstreichung der Einfachheit und damit Wahrscheinlichkeit von Manipulation durch die Intonation des Wortes „easy” mit erhobener Stimme. Der Sprecher distanziert sich dabei von denjenigen, die eine solche Manipulation betreiben könnten: Die Akteure bleiben entweder unbenannt und diffus, oder es wird ein Sammelbegriff wie „people” verwendet. Insgesamt wird die Versicherheitlichung von Wasserknappheit zwar für überflüssig gehalten („prActically speaking(1) it wont be a question within ten years”), gleichzeitig aber der politische Nutzen einer Versicherheitlichung anerkannt („only because people will wAnt it to be”). Erneut distanziert
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sich der Sprecher von israelischen und anderen Akteuren, die Wasser zur Durchsetzung politisch-ideologischer Ziele instrumentalisieren. Die abschließenden Passagen über die Fragen des Westbank-Abzugs (11061125) und der Zwei-Staaten-Lösung (1128-1187) haben mit Wasser größtenteils nichts mehr zu tun und dienen lediglich der Bestimmung der Diskursposition des Sprechers. Er gibt hier noch einmal Einblick in seine Sicht auf die Palästinenser („if they shoot qassam (...) i dont know if by purpose or by chance”, 1113f; „it will have to be a solution (1) and not a makeshift ah terror activity (1) based upon ah warlords and ah fundamental fanatics”, 1129f; „it were before 67 before palestInians before Anything”, 1157f) und expliziert seinen persönlichen Werdegang („after 3 wars that i participated in myself”, 1140f; „i began studying in the university 63”, 1144f). Doch abschließend bringt der Sprecher das Gespräch noch auf die Oslo-Abkommen und postuliert: „i can tell you about water issues(1) israel fulfilled(1) the agreement(1) TO A LETTER(1) and more(1) we didnt get ANYTHING to a letter [hm] because the only thing that we could get back according to rabin was security (1) where is it (1) so NOW you can blame Everybody and Everything its all excuses(1) its useless its worthless(1) if people dont(1) dont feel that they gOt something for something(1) we wont give the vote to anybody(1) in the future(1) so thats the problem(1) and thats thats quite stupid because they could give us a year of peace and they could get everything and THEN begin whatever they want (1) they werent(1) they were [laughing] too eager.”512
Hier wird eine Verherrlichung der ingroup („israel fulfilled (1) the agreement(1) TO A LETTER”) und die gleichzeitige Dämonisierung der outgroup („we didnt get ANYTHING to a letter”) erkennbar; gleichzeitig distanziert sich der Sprecher durch die Verwendung des Pronomens „you” von direkten Schuldzuweisungen: „NOW you can blame Everybody and Everything its all excuses (1) its useless its worthless”. Die das Interview abschließende Bewertung der Palästinenser als dumm und zu gierig erweckt erneut die erwähnten orientalistischen Bilder vom emotional gesteuerten, irrationalen Araber zum Leben. 5.3.2 Israelischer Gegendiskurs Der Sprecher im Interview 06 IL ist Direktor einer der führenden Umwelt-NGOs im Nahen Osten. Seine Organisation agiert in der gesamten Region und unterhält Büros in Tel Aviv, Amman und Bethlehem. Er selbst verfügt über einen Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften und Jura sowie einen Master’s 512
Zeilen 1168-1183.
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degree in internationalem und Umweltrecht. Er gründete die Organisation, was zum Zeitpunkt des Gesprächs 11 Jahre her war. Ebenso lang war er im israelischen Wassersektor tätig. Der Sprecher war zum Zeitpunkt des Interviews etwa 40 Jahre alt und gehört damit zur jüngeren Generation der interviewten Personen. Die Organisation des Sprechers verfolgt das Ziel, nachhaltige Entwicklung in der Region zu fördern und betreibt Lobbyarbeit in diese Richtung. Als ihr Direktor kann der Sprecher als unabhängiger und durchaus einflussreicher Kritiker der israelischen Wasserpolitik gelten; allerdings wird seine Arbeit und ihre Reichweite wie in jeder anderen Nichtregierungsorganisation durch bestimmte strukturelle Faktoren (Abhängigkeit von externer Finanzierung und öffentlicher Unterstützung) beschränkt sein. Als Umweltaktivist in einer Gesellschaft, in der insbesondere die Ressource Wasser wie oben gezeigt wurde stark ideologisch gefärbt ist, und entsprechend der Ergebnisse der Strukturanalyse kann das Interview 06 IL als Teil des israelischen Gegendiskurses gelesen werden. Das Gespräch fand im Büro des Sprechers in Tel Aviv statt. Die Analyse des Interviews steht unter den gleichen Leitfragen wie oben; allerdings dient die Analyse des Gegendiskurses vorwiegend der Vervollständigung der bisherigen Ergebnisse. Deshalb beschränkt sich die Untersuchung auf die Passagen, in denen sich Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang überschneiden und/oder Sagbarkeitsfelder deutlich ausgeweitet oder eingegrenzt werden. Das obige Diagramm illustriert die genannten Themen und etwaige Häufungen und enthält erste Interpretationsansätze sowie wichtige Zitate. Insgesamt ist das Diskursfragment von zahlreichen passiven Satzkonstruktionen, einer unpersönlichen Sprechweise und Füllwörtern geprägt. So wurde etwa die Floskel „you know” 39mal verwendet, Einschübe wie „I think” oder „I mean” 52mal. Der Stil ist unpersönlich, der Sprecher bewegt sich überwiegend auf einer relativ abstrakten Ebene und benennt meist nur Vorgänge, Ereignisse und Handlungen, nicht aber (oder nur selten) die Akteure, die dahinter stehen. Satzkonstruktionen mit „there is/are/were/has been” kommen zum Beispiel 46mal vor. Wenn Akteure genannt werden, dann in aller Regel als Totum pro parte: Israel steht etwa als Sammelbegriff für diverse israelische Akteure und der Sprecher verwendet Verallgemeinerungen wie „the people” oder „the public” als Bezeichnung für die sehr heterogene israelische Gesellschaft. Alles in allem ergibt sich der Eindruck einer gewissen Abgehoben- und Losgelöstheit; selbst wenn persönliche Erfahrungen in das Gespräch eingebracht werden, verwendet der Sprecher meist das Pronomen „we”: „we ah(1) just received a copy of a letter from ariel sharon” (625f). Andererseits ist der gesamte Text von normativen Aussagen und Handlungsempfehlungen im Stile von „we/they should...” geprägt. Der Sprecher versteht sich hier selbst als Korrektiv für die Verfehlungen der israelischen bzw. der
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gesamten nahöstlichen Bevölkerung, hält aber auch diese Formulierungen sehr abstrakt. Diese Passagen lassen Rückschlüsse sowohl auf die Diskursposition des Sprechers als auch auf zugrundeliegende Diskursstrukturen, auf Felder des Sagbaren und Unsagbaren zu. Es wurde der gleiche Fragebogen wie in allen anderen Interviews verwendet. Der Sprecher wählte aus den vielen sagbaren Alternativen zur ersten Charakterisierung der israelischen Wasserpraktiken das Thema Nachhaltigkeit aus. Er beginnt mit einer pauschalen normativen Aussage über die fehlende Nachhaltigkeit in der israelischen Wassernutzung und begründet diese mit dem immer noch unvertretbar hohen Wasserverbrauch der israelischen Landwirtschaft bei gleichzeitig minimalem wirtschaftlichem Gewinn: „you have a declIning but still of SIGNIFICANT(1) proportion(1) of fresh water resources(1) ah(1) going to agriculture (1) ahm (1) irrigated agriculture(1) largely for export ahm (1) heavily subsidised (...) and i think there is the HEART of (1) unsustainable ahm(1) water policies” (36ff)
Die Formulierung „you have” in Kombination mit der Passivkonstruktion „going to” lässt offen, wer die Akteure hinter der kritisierten Zuteilungspolitik sind. Mit den Begriffen „SIGNIFICANT” (stimmlich hervorgehoben), „largely for export” und „heavily subsidised” spielt der Sprecher außerdem auf mehrere andere Themen des Wasserdiskursstrangs an, nämlich auf Landwirtschaft, insbesondere Agrarsubventionen, sowie unkonventionelle Wasserressourcen. Der Sprecher äußert deutliche Kritik an der israelischen Wasserzuteilungspolitik, nennt die konkreten Akteure aber nicht. Während im Hegemonialdiskurs jegliche Kritik am landwirtschaftlichen Sektor sogleich durch Hervorhebung der bereits durchgeführten Umstrukturierungen ergänzt und relativiert wurde, gilt der Agrarsektor hier als vollständig und zweifellos ineffizient, unnachhaltig und weitgehend überflüssig (Vgl. 46-94, 558-582 und 720-754). Eng verwoben mit der geäußerten Kritik am israelischen Agrarsektor ist das Thema Knappheit, und zwar insbesondere bezogen auf den Naturbegriff, der im Gegendiskurs völlig anders gefüllt wird als im Hegemonialdiskurs. Die Kritik am „agrarischen Imperativ” der frühen Zionisten, die im Hegemonialdiskurs zwar sagbar, aber klar begrenzt war, wird hier „entgrenzt”: „some of the he the HEArt of the problem(1) lies(1) in(1) ahm(1) some of the(1) you know(1) early development concepts of zionism (1) of (1) ahm(1) modernism (1) you know that ah(1) is related to(1) the ideas that MAN can conquer nature [hm] and ah thats ah(1) exemplified (1) in israel and in the middle east(1) in particular(1) through(1) the concept that ahm ah(1) making the desert bloom(1) that this is a good
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thing(1) ahm(1) that you know we can ahm(1) ah(2) imprOVe our nature(1) and turn desert areas into PRODUCTIVE (1) agriculturally prodUctive green areas [hm](1) and(1) that whole (1) CONCEPT has (1) ahm (1) its just across the board(1) accepted (1) by decision makers by the general public(1) the green area is seen (1) as a GOOD healthy area(1) even though we are in a semi arid part of the world(1) and in you know maybe(1) 60 percent of the country in a completely in a DESERT(1) part of the world [hm] (1) ah(1) and therefore that(1) that ah(1) gives a lot of ah(1) ah(1) PUBLIC SUPPORT (1) to the agricultural sector (...) the way that israelis in the(1) URBAN ah(1) sector see (1) succesful development where(1) the idea of a SUCCESS(1) for a family(1) is to live in a house and a garden(1) you know to have (1) green areas around them ahm(2) and ah(1) thats also NOT sustainable(1) in a semi arid(1) desert part of the world(1)”513
Hier wird die vollständige Ablehnung des dem Hegemonialdiskurs zugrundeliegenden, anthropozentrischen Weltbilds (hier unter dem Begriff „modernism” gefasst) und seine Ersetzung durch ein ökozentrisches deutlich. Die normativen Aussagen in der Passage illustrieren dies. Der Sprecher beschreibt mit Begriffen wie „good”, „conquer”, „imprOVe”, „PRODUCTIVE”, „healthy”, „SUCCESS”, wie das Prinzip des „die Wüste zum Blühen bringen” von Anhängern des anthropozentrischen Weltbilds interpretiert wird. Er distanziert sich dabei stark von diesem seiner Meinung nach falschen Weltbild, indem er sich mit distanzierten Formulierungen wie „in israel and the middle east”, „across the board”, „decision makers”, „general public” and „israelis” von diesen outgroups abgrenzt. Seine eigene Einschätzung wird dagegen in der doppelten Betonung der natürlichen klimatisch bedingten Wasserknappheit deutlich; Betonungen des semiariden Wüstenklimas der Region sind insgesamt achtmal im gesamten Text zu finden. Die Ablehnung des anthropozentrischen Weltbildes ist der größte Unterschied zwischen israelischem Hegemonial- und Gegendiskurs und gleichzeitg der Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Argumentation im letzteren. Das ist zentral für die vorliegende Studie, weil damit die erneute Versicherheitlichung der natürlichen Wasserknappheit verbunden ist. Im Gegendiskurs wird ausdrücklich die im Hegemonialdiskurs dominante Entsicherheitlichung von Wasser („we can produce as much water as we want it is a budgetary its economic issue”, Interview 05 IL, 288ff) als fehlgeleitet aufgedeckt: „the notion (1) the water commissioner has actually said this the notion that israel has as much water as there is(1) water in the mediterranean (1) is a fallacy(1) ahm(1) and its leading israel(1) down the WRONG track(1) ahm because it means(1) that there ISNT(1) the(1) necessary investments in water conservation (1) in proper pricing in aah(1) some sense of of(1) priorities between(1) the different sectors(1) ahm(1) supply side management means that you simply try to get everyone as much 513
Zeilen 52-93.
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt water as they possibly can (1) rather than having(1) a(1) policy (1) and infrastructure in place that would (1) ahm(1) deal with dEMAND side management” (135-150) „theres a TREMENDOUS(1) ah economic loss(1) to the country because(1) billions are being invested(1) ahm and i i think that theyre being wasted (1) but also in ah(1) changing the culture of water (1) because its just all keeping the MYTH(1) that there isnt scarcity here you know that we can always (1) ah we can ah(1) we can consume as much as we wAnt (1)ahm very much alive and well until very DRAMATICALLY that will collapse” (704-714)
Im ersten Fragment unterstützt der Sprecher seine normative Aussage, indem er sein eigenes Argument dem eigentlichen Gegner in den Mund legt: Wenn selbst der water commissioner dieser Meinung ist, muss die Aussage richtig sein. Im zweiten Fragment stellt er Verluste in dem Bereich heraus, der seiner Meinung nach an erster Stelle auf der anthropozentrisch ausgerichteten politischen Agenda steht: wirtschaftlicher Gewinn („i put business in a BIG capital b because this is what its all about”, 703f). Auf diese Weise macht er sich erneut die Argumentationsweise seiner Gegner zu eigen, denen er unterstellt, Wirtschaft zur ersten Priorität zu machen: Wenn Landwirtschaft keinen oder nur sehr geringen wirtschaftlichen Gewinn erzeugt, müsste die Politik eigentlich entsprechend ihrer Agenda reagieren und den Agrarsektor verkleinern. Das dies nicht geschieht ist im Übrigen ein Hinweis auf immer noch dominante, zionistisch geprägte Diskursstrukturen. Mit der Identifizierung der hegemonialen Aussage „Wasser ist nicht knapp” als Mythos lehnt der Sprecher alle Versuche der Entsicherheitlichung im Hegemonialdiskurs rigoros ab und betreibt stattdessen die Versicherheitlichung von Wasserknappheit. Dies äußert sich zum Beispiel in der Versicherheitlichung mangelnder Wasserqualität: „we have some sixteen mcm of raw sewage flowing above(1) the mountain aquifer over a year so its ONLY a matter of TIMe w already see(1) significant contamination” (318ff). Durch den Wegfall der im Hegemonialdiskurs entsicherheitlichend wirkenden unkonventionellen Wasserressourcen – allen voran Entsalzung, aber auch virtueller Wasserhandel und Wiederaufbereitung – bekommt die Versicherheitlichung der natürlichen bzw. durch Verschmutzung und Übernutzung hervorgerufenen Wasserknappheit wieder größeres Gewicht. Allerdings ist das Referenzobjekt hier nicht wie im israelischen Hegemonialdiskurs die israelische Gesellschaft, sondern die Natur bzw. die gesamte Bevölkerung im Nahen Osten. Dies ist das zweite prominente Chrakteristikum des Gegendiskurses: Er bezieht sich nicht allein auf die israelische Gesellschaft, sondern auf die gesamte Region, und zwar ebenso mit seiner Kritik wie mit seinen Handlungsempfehlungen:
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„between israel and PALESTINE that theres gonna be ah(1) what we call (1) more water justice rather than ah(1) equitable allocation (1) ahm (2) (...) wed say it is INTOLERABLE to have (1)ahm (1) ah (1) you know people (1) without sufficient water for domestic needs (1) while (1) ah(1) your neighbour(1) while y-you enjoy water (1) for (1) certainly other purposes (1) unfortunately(1) simpl-the situation is not so black and white though (1) because water is wasted something terrible in palestine as well [hm] you know the majority of the water resouces of gaza(1) wh-where its SO scarce(1) goes to agriculture (1) and most agriculture is there (1) exported either to israel or to europe you know (1) th there was an article in todays paper of (1) thousands of ah(1) tons of strawberries (1) that are waiting to get out of (1) gaza to be exported to europe (1) that amount of water(1) that was used to grow those strawberries in gaza (1) ahm (1) and the IMPACT of that(1) of all that overpumping cause its all due to overpumping(1) of the(1) coastal aquifer (1) for the generations to come(1) you know gazans are drinking water(1) which is unfit for human consumption(1) its twenty times (1) more saline than wotham wo-world health organisation standards (1) ahm (1) and(1) that is LARGELY due to the wrong practice (1) i mean you know im not(1) clearly not BLAMING them (1) but [incomp] well what(1) alternatives did they HAVE but (1) this is part AGAIN of(1) the culture of (1) making the desert bloom which has been(1) BROADLY accepted(1) ahm (1) ah in the region (1) not just by israelis (2)”514
Die Ansatzebene ist im Gegendiskurs also eine andere als im Hegemonialdiskurs; statt der israelischen Gesellschaft und ihrer Wasserversorgung wird ein globales Interesse in den Mittelpunkt gestellt. Die dominante ingroup des Sprechers ist in dieser Argumentation nicht die israelische Gesellschaft, sondern die globale Gemeinschaft der Umweltaktivisten; sie ist es, die hier mit dem Personalpronomen „we” gemeint ist. Durch diese Distanzierung wird es einfacher, die einzelnen nationalen Hegemonialdiskurse, insbesondere den eigenen, infrage zu stellen. Gleichzeitig richtet sich die Kritik wie schon erwähnt nicht allein auf die israelische Gesellschaft, sondern allgemeiner auf alle Bewohner der Region, so dass ihre Härte gegenüber der eigenen nationalen ingroup gemildert wird. Insgesamt wird zwar Israel als Urheber des erwähnten zionistischen Erfolgsmodells und damit als Hauptverursacher unnachhaltiger Wasserpraktiken identifiziert, gleichzeitig richten sich die Handlungsempfehlungen aber auch an Jordanier, Syrer, Libanesen und Palästinenser. Die im Hegemonialdiskurs geäußerte deutliche Kritik am palästinensischen Wassermanagement und -nutzung bleibt bestehen, wird allerdings relativiert durch die Anerkennung der politisch und wirtschaftlich begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Palästinenser sowie durch die gleichzeitig geäußerte Kritik an allen Wassernutzern in der Region.
514
Zeilen 401-445.
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Aus dem globaleren Ansatz ergibt sich zudem ein weiterer wichtiger Unterschied zum Hegemonialdiskurs: Die Forderung nach einer gerecht(er)en internationalen Verteilung (externe Umverteilung) der vorhandenen natürlichen Wasserressourcen ist nicht mehr unsagbar, weil nicht nationale, sondern regionale, z.T. humanitäre, vor allem aber ökologische Interessen im Mittelpunkt stehen. Es geht dem Sprecher ausdrücklich nicht darum, jedem Nutzer soviel Wasser wie irgend möglich zur Verfügung zu stellen, sondern darum, alle unnachhaltigen Wasserpraktiken in der gesamten Region zu beenden, die Kultur des Umgangs mit Wasser zu verändern und den Wasserverbrauch insgesamt an die natürlichen Bedingungen anzupassen: „israel is HIGHLY sophisticated from a (1) ahm (1) ah(1) from an EFFICIENCY perspective(1) israel is probably one of the most EFFICIENT (1) countries in the world (1) theres NOTHING to do with sufficiency(1) which is a completely different(1) concept(1) so ahm(1) as far as(1) ah(1) obtaining(1) ah(1) the highest(1) ah(1) value(1) out of each drop(1) of water israel does(1) veryvery very well(1) as far as(1) ah(1) organising a-a water economy (1) that is in the long term sustainable (1) i fear that israel is doing veryvery POORLY (1) ahm because(1) israels infrastructure(1) and water economy(1) is ALL(1) geared towards(1) ah(1) a supply management (1) its all about increasing water supply its all about the notion that we live in scarcity (1) and ah we can do something about it(1) by increasing water supply [hm](1) (...) supply side management means that you simply try to get everyone as much water as they possibly can (1) rather than having(1) a(1) policy (1) and infrastructure in place that would (1) ahm(1) deal with dEMAND side management (1) and ah ah(1) put in place an a(1) water conservation infrastructure” (102-151) „i think that ah(1) the general public (1) ah takes water in general(1) for granted (1) but it ah public knows that whenever you turn on the tap there will be water (1) ahm and therefore(1) doesnt(1) ah(1) take any great(1) measure(1) ahm (1) you know to conserve water(1) ah(1) and therefore(1) you know(1) you see ah(1) those that have(1) lawns you see people watering(1) there theres no TRADITION of significant(1) aah(1) water CUTS(1) even in drought years(1) to ah(1) to the residential sector(...)the water commissioner is NOT taking those steps theyve(1) taken(1) steps against agriculture reduce(1) the amount of water agriculture but NOT(1) to the con not to the domestic consumer (2) [hm] so ahm(1) i think(1) to a LARGE extent (1) aah(1) the water scarcity (1) ahm is taken or WATER ISSUES are taken for granted(1) by the public” (268-296) „i dont believe in the notion that our neighbours should enjoy (1) ahm 300 litres per person per day as israel does i think(1) we should be getting CLOSER to(1) the level that our neighbours(1) enjoy we all we all should (1) to be sustainable (1) i think we ALL should be(1) utilising(1) around 150 (1) ahm(1) it means doubling the palestinian intake cause its around 60 litres (1) ahm(1) increasing by a LITTLE bit the jordanian (1) and i think that is FAR more sustainable(1) for the region(1) rather than
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bringing everyone up to the israeli level i think we should actually go dOWN (1) israel should go down (1) ahm (1) and SHARE that water (1) by increasing(1) the water(1) available(1) to ah(1) the palestinian (1) PARTICULARLY the palestinian” (377-394)
Während es im Hegemonialdiskurs unsagbar war, bestehende Wasserrechte/nutzungen über die bereits umgesetzten Veränderungen hinaus auch nur infrage zu stellen, geschweige denn weiter zu verändern, ist der Gegendiskurs frei von nationalen Interessen und kann deshalb problemlos israelische Wasserpraktiken massiv kritisieren. Dabei distanziert sich der Sprecher z.B. durch das Totum pro parte „Israel“ in Kombination mit dem Personalpronomen „they“ von denjenigen Akteuren, die sich unnachhaltig verhalten. Das Personalpronomen „we“ verwendet der Sprecher nur dann, wenn es die Akteure hinter der verfehlten Wasserpolitik nicht offensichtlich mit einschließt („its all about the notion that we live in scarcity (1) and ah we can do something about it“), oder im Rahmen von Handlungsempfehlungen, die Nachhaltigkeit zum Ziel haben: „we should be getting CLOSER to(1) the level that our neighbours(1) enjoy we all we all should (1) to be sustainable (1) i think we ALL should be(1) utilising(1) around 150 (...) i think we should actually go dOWN“. Der Sprecher versteht sich erst dann als Teil einer israelischen ingroup, wenn die Allgemeinheit ihr Verhalten in seinem Sinne geändert oder entsprechende Absichten erklärt hat. Auch die Feststellung, dass die israelische Gesellschaft sich der Ungerechtigkeit der regionalen Wasserverteilung zu einem großen Teil gar nicht bewusst sei, erweitert die hegemonialen Grenzen des Sagbaren: „as a wHOLE ah(1) israel is very ignorant of(1) the(1) disparity that exists between(1) the amount of water that israelis enjoy(1) vis a vis(1) the palestinian and jordanian neighbours (1) ahm (1) the project that we lead called good water makes good neigbours (1) has ah(1) has one of its objectives to raise awareness on these issue (1) by working at the crossboarder(1) community level and(1) ahm(1) i can say to you firsthand that people are SHOCKED to hear that (1) ahm ah(1) that when you turn on the tap(1) in ah (1) in palestinian villages(1) today not so much in palestinian cities but in palestinian villages (1) but(1) also in jordanian cities including the capital amman(1) you cant be sure that theres gonna be water (1) flowing out of the tap (1) and that(1) theyre SHOCKING i mean(1) people (1) ahm are hearing that for the very first TIME in the programs that ahm(1) that we run(1) ahm(1) [incomp] every israeli knows that NO(1) not at all” (351-373)
Israel wird hier pauschal verurteilt („as a wHOLE”) und diese Kritik durch die Ergänzung „very” noch verstärkt. Gleichzeitig unterscheidet der Sprecher offenbar zwischen israelischen Bürgern, die durch ihre schockierte Reaktion auf die Nachricht, dass viele Palästinenser nicht über kontinuierlich fließendes Wasser
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verfügen, beweisen, dass sie das Wohlergehen ihrer Nachbarn für wichtig halten, und israelischen Politikern, die es versäumt haben, durch entsprechende Informationspolitik ihre Bürger über die bestehende Ungleichheit in der Wasserverteilung zu unterrichten, und dadurch – ob bewusst oder unbewusst bleibt offen – eine gewisse De-Informationspolitik betrieben haben. Dies unterstreicht die Hervorhebung, dass die Bürger zum ersten Mal („for the first TIME”) überhaupt von der Ungleichheit erfahren hätten. Diese Gegenüberstellung von israelischen Bürgern und israelischer Politik ist umso wirkungsvoller, als sie innerhalb der Erzählung einer eigenen Erfahrung („i can say to you firsthand”) geschieht. Auf der Basis dieser Ausweitungen der hegemonialen Sagbarkeitsfelder expliziert der Sprecher also konkrete Umverteilungsforderungen sowohl auf interner als auch auf externer Ebene. Intern soll insbesondere der israelische Agrarsektor auf lange Sicht kein frisches Wasser mehr erhalten (s.u.); extern sollen die Palästinenser deutlich mehr Wasser aus den heute israelisch genutzten natürlichen Wasserressourcen bekommen. Auch ihre Rechte auf Wasser aus dem Jordan werden nicht infrage gestellt: „they have no direct access(1) and the amount of aah(1) of water that they have (1) FROM the system is ah(1) is very small(1) compared to (1) ah what will be their ah ah(1) riparian right” (672ff). Interessanterweise wird Umverteilung dabei im Gegendiskurs nicht ver-, sondern mindestens implizit eher entsicherheitlicht. Die Abschaffung von Agrarsubventionen und Bewässerungslandwirtschaft mithilfe von Trinkwasser wirken für das Referenzobjekt Natur entsicherheitlichend. Außerdem wird eine konditionale Entsicherheitlichung von Wasserknappheit für die Palästinenser betrieben, da Nachhaltigkeit mit gerechter Verteilung engstens verzahnt wird: Unter der Voraussetzung, dass die Verwendung der regionalen Wasserressourcen unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit betrieben wird, so die Argumentation, würde die dringend notwendige Umverteilung (intern und extern) möglich und die palästinensische und jordanische Wasserknappheit endlich aufgehoben. Dies äußert sich auch darin, dass der Sprecher 06 den israelischpalästinensischen Konflikt für die palästinensische (!) Wasserversorgung versicherheitlicht: „LARGELY(1) quite oddly(1) surprisingly not to me but ah(1) i think to the general public (1) ah (1) on water infrastructure(1) there is largely cooperation(1) between israelis and palestinians [hm](1) because (1) at least on water supply (1) ahm (1) because its such a basic(1) aah(1) a basic resource a basic need (1) and(1) no one wants to see people(1) dying of thirst (1) ahm (1) now that that IS unacceptable(1) in even in the political(1) even in the midst of(1) political conflict and VIOLENt conflict here in the middle east (...) ahm so OVERWHELMINGLY(1) from a water supply perspective(1) there has been cooperation(1) the only agreement(1) that was signed by(1) israel and the palestinian authority (1) during the intifada was an agreement not to destroy water infrastructure (...) so(1) on the one hand on water
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supply i think ah (1) the conflict has not had (2) a ahm (3) ah (1) a tremendous impact (1) ahm (3) on ah on water supply(1) to the cities at least (1)to(1) [Palestinian, Anm. d. Verf.] villages that dont(1) have a water infrastructure(1) on a day to day level the conflict has been the conflict has(1) the impact of the conflict is horrific because if i dont have(1) a-a WELL or a local source of water and theres a closure(1) then theyre dependent on water tankers (1) and then the conflict (1) prevents them(1) if theres a closure(1) from getting water (1) so fo-for this specific village (1) that is a HORRIFIC ah(1) impact (1) ahm(1) ah (1) and(1) to SOME degree (1) i think ONE of the considerations(1) one of several(1) of where the settlements were built(1) on the(1) western side of the(1) mountain aquifer(1) TOOK into consideration (1) ah the(1) western basin of the mountain aquifer(1) thinking that okay THIS is the area(1) ah(1) where israel should not ah(1) you know (1) give land back(1) you know to maintain control (2) i mean i-i dont have an evidence for that but i think that that is one of (1) ah the reasons one (1) certainly not the only though” (450-504)
Zunächst übernimmt der Sprecher hier die Argumentation des Hegemonialdiskurses, was illustriert, dass Gegen- und Hegemonialdiskurs ineinander verschränkt sind und sich gegenseitig speisen. Er betont die vorherrschende Kooperation im Wassersektor trotz des Gewaltkonfliktes mit Begriffen wie „largely”, „oddly”, „surprisingly”, „even”, „overwhelmingly”, „only”. Mit der Formulierung „surprisingly not to me but...” unterscheidet er zwischen Wasserexperten und der unwissenden Allgemeinheit und übernimmt damit ebenfalls hegemoniale Diskursstrukturen. Doch während im Hegemonialdiskurs der Tenor lautete, dass die Palästinenser eigentlich über genügend Wasser verfügen, ist im Gegendiskurs die Anerkennung der unzureichenden Wasserversorgung der Palästinenser nicht nur sagbar, sondern auch bewertbar: Begriffe wie „horrific”, „prevents” und „closure” explizieren allesamt die negative Rolle Israels und konnotieren die Abhängigkeit der palästinensischen Gesellschaft von israelischer Wasserverteilungspolitik. Im letzten Abschnitt der Passage äußert der Sprecher darüber hinaus Vermutungen über die hydropolitischen Beweggründe des Siedlungsbaus in der Westbank und verlässt damit vollends das hegemoniale Sagbarkeitsfeld. Mit seiner Äußerung stellt er implizit die Legitimität der israelischen Siedlungen in Frage, was im Hegemonialdiskurs unsagbar wäre. Auf der Basis dieser Erweiterungen bzw Eingrenzungen der hegemonialen Sagbarkeitsfelder – Umverteilung wurde sagbar, supply management wurde versicherheitlicht – entwirft der Sprecher eine Zukunftsvision, die auf Nachhaltigkeit als erster Priorität beruht, und die Wasserknappheit bzw. unnachhaltige Wasserwirtschaft unter der Voraussetzung versicherheitlicht, dass keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden:
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Hier thematisiert der Sprecher erneut indirekt die innerisraelische Konfliktlinie zwischen Wasserexperten und von Ideologien geleiteten Politikern. Erneut steht das Totum pro parte „Israel“ für die deutlich distanzierte Haltung des Sprechers; auch die Passivkonstruktionen „is going to“ und „there will be“ unterstreichen dies. Einerseits erkennt der Sprecher die im Hegemonialdiskurs „revolutionär“ genannten Veränderungen im Wassersektor an, andererseits sind für ihn weitergehenden Maßnahmen nicht nur – anders als im Hegemonialdiskurs – sagbar, sondern darüber hinaus unabdingbare Voraussetzung für die Verhinderung einer hier diffus gehaltenen Bedrohung: „a terrible missed opportunity“. Fehlende Nachhaltigkeit wird hier versicherheitlicht, wobei das Referenzobjekt nur aus dem übrigen Diskursfragment zu erschließen ist – es handelt sich hier entweder um die Natur oder die gesamte nahöstliche Bevölkerung und ihre Wasserversorgung. Die Kritik richtet sich anders als im Hegemonialdiskurs vorwiegend gegen Israel. 5.3.3 Palästinensischer Hegemonialdiskurs Die entscheidenden Faktoren für die Auswahl der Diskursfragmente für die Feinanalyse waren Diskursposition, Einfluss und Erfahrung im palästinensischen Wassersektor, Alter und die Anzahl der Nennungen in den zentralen Themenfeldern „Abhängigkeit von Israel“, „politische/sozioökonomische/emotionale Bedeutung der Ressource“, „Knappheit“ sowie „Gerechtigkeit“. Ziel war es, innerhalb des Hegemonialdiskurses eine moderate Position zu finden, also nicht extreme Standpunkte zum Maßstab zu machen, gleichzeitig aber alle Aspekte des Hegemonialdiskurses abzubilden. Die Sprecherin 09 PAL ist promovierte Juristin im Bereich Wassergesetzgebung und -politik; darüber hinaus verfügt sie über einen B.A. in Ingenieurswesen. Zum Zeitpunkt des Interviews war sie seit 10 Jahren im palästinensischen Wassersektor tätig; zunächst als Mitarbeiterin der palästinensischen Regierung, seither als freie Beraterin. Ingesamt kann sie als gewichtige Akteurin im palästinensischen Wassersektor und als Vertreterin des
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palästinensischen Hegemonialdiskurses eingeordnet werden; dies spiegelt sich auch in der Themenstruktur und den Häufungen innerhalb des Interviews. Die Sprecherin war zum Zeitpunkt des Interviews etwa 36 Jahre alt und gehörte damit zur jüngeren Generation der interviewten Personen. Die Anfangsjahre Israels, den Sechstagekrieg und das Erstarken der palästinensischen Nationalbewegung in den sechziger und siebziger Jahren hat sie nicht bzw. höchstens als Kind miterlebt; die erste Intifada dagegen wird sie als junge Erwachsene bewusst wahrgenommen haben. Ihre Diskursposition ist als moderat einzuordnen: Sie wünscht sich Frieden mit Israel, ohne dabei palästinensische Interessen aus den Augen zu verlieren. Aufgrund ihres jungen Alters und der Tatsache, dass sie zu den wenigen arbeitstätigen Frauen in der palästinensischen Gesellschaft überhaupt und im palästinensischen Wassersektor im Speziellen gehört, vertritt die Sprecherin gleichzeitig andere Ansichten gegenüber Israel und in Bezug auf die Zukunft des palästinensischen Wassermanagements als so manch älterer Kollege, der aktiv gegen Israel gekämpft hat oder dessen Ausbildung deutlich länger zurückliegt. Sie steht in diesem Sinne für die Zukunft des palästinensischen Wassersektors, so dass Ansatzpunkte für einen Dialog mit Israel aus friedenswissenschaftlicher Sicht ein besonderes Gewicht erhalten. Das Interview wurde in einem Hotel in Ramallah durchgeführt. Das obige Diagramm gibt die Themenstruktur, Häufungen sowie wichtige Zitate und Auffälligkeiten des Interviews wider. Der Großteil des Diskursfragments ist von einer unpersönlichen Sprechhaltung geprägt. Das Personalpronomen „you“ im Sinne von „man“ dominierte die gesamte Kommunikation (55mal verwendet, Dopplungen nicht mitgezählt). Auf diese Weise nahm die Sprecherin eine distanzierte, vorwiegend analytische Haltung ein, die allerdings nachließ, wenn es um genuin politische Einschätzungen ging (z.B. multilaterale Verhandlungen, Westbank-Abzug, Zukunft der palästinensischen Gesellschaft). Der Wortschatz der Sprecherin war für eine NichtMuttersprachlerin recht divers, so dass sich in diesem Fall eine systematischere Analyse der Verben, Adjektive und Substantive anbot. Einerseits wurden Verben und Substantive, die die Abhängigkeit der Palästinenser von Israel, also die Asymmetrie des Konfliktes abbildeten, häufig verwendet: to control, control (14mal); to occupy, occupation (4mal); to allow (3mal); to give up (3mal); to harm, harm (3mal); to violate, violation (3mal); to limit, limit (3); to destroy, destruction (2mal); to apply (2mal); to close/shut (2mal); to confiscate (2mal); to liberate (1mal); to decline (1mal); to reject (1mal). Zu dieser Gruppe können auch einige Modalverben gezählt werden, die „die Einstellung des Sprechers zum durch den Infinitiv angegebenen Verbalvorgang zum Ausdruck“515 bringen 515 Theodor Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch. Heidelberg/Wiesbaden: Quelle & Meyer, 1994. Bd. 2, S. 716. Über Modalität schreibt Lewandowski: „Eine den Modus einschließende über-
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und hier einerseits Zwang (to have to, 19mal), andererseits implizit Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation (should, 19mal) vermitteln. Auf der anderen Seite wurden aber auch solche Verben und Substantive oft genutzt, die das Gemeinsame betonen und für Kooperation, Hoffnung, Fortschritt und Verständnis stehen: to share (19mal); to achieve/reach (10mal); to change (8mal); to hope, hopefully, hope (5mal); to negotiate, negotiation (5mal); to cooperate, cooperation (3mal); to compensate, compensation (3mal); to accept (2mal); to reconsider (2mal). Weitere Substantive, die Hinweise auf die Diskursposition der Sprecherin gaben, waren mentality/culture/perception/tradition (6mal); sovereignty (5mal); benefit (4mal); restriction (3mal); process (2mal) and justice (1mal). Einerseits vermittelte die Sprecherin eine gewisse Reflexion gegenüber der historischen Gewachsenheit der heutigen Situation und der damit verbundenen Hoffnung auf Veränderung, was sich in Begriffen wie Tradition, Kultur, Wahrnehmung, Mentalität und Prozess widerspiegelte. In diesem Kontext wurden auch Gewinn und Gerechtigkeit als Ziele formuliert. Gleichzeitig konnotieren Begriffe wie Souveränität und Restriktion die Abhängigkeit der Palästinenser von israelischer Kontrolle. Unterstützt wird dieses zweigeteilte Bild von Adjektiven wie genuine, good, mutual, innovative und gradually auf der einen sowie determined und limited auf der anderen Seite. Auf die jeweiligen Kontexte wird im Verlauf der Analyse noch näher eingegangen. Die Anfangspassage des Interviews wurde wie üblich mit einer sehr offenen Gesprächsaufforderung eingeleitet. Die erste Reaktion der Sprecherin „ooh (1) this is complicated because (1) practices(1) what does it mean“ (22f) ist bereits ein Hinweis auf die Wichtigkeit von „richtigem“ Wissen im palästinensischen Wasserdiskursstrang sowie auf dessen Komplexität. Abhängig davon, wie Wasserpraktiken definiert werden, bezieht sich das Gesagte auf die nationale oder internationale Ebene; entsprechend verändern sich auch die Sphären des Sagbaren. Dieses Problem wird im nächsten Satz deutlich: „but if you mean NATIONAL practices i could start with that but (1) not to forget that there are ahm(1) ah other factors influencing national practices (1) so ah (1) palestine i mean palestinian occupied territories ah(1) its still occupied so we as palestinians and as palestinian authority we dont have any control(1) over the water resources(1) ah we get ah(1) access ah through permission (1) from israel (1) aaah(1) so basically practice is (1) controlled“ (23-34)
greifendere morphosyntaktische und semantisch-pragmatische (kommunikative) Kategorie, die das Verhältnis des Sprechers zur Aussage und das der Aussage zur Realität bzw. zur Realisierung eines Gegebenene zum Ausdruck bringt und grammatisch und/oder lexikalisch, intonational, rhetorisch usw. realisiert werden kann“. S. 714.
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Die Satzkonstruktion „if you mean ... but“ setzt voraus, dass zwei Ebenen, nämlich die nationale und mindestens eine andere, im Diskursstrang vorhanden sind. Die extrem frühe Thematisierung der israelischen Kontrolle illustriert die Dominanz dieser konfliktiven Diskursstruktur im gesamten palästinensischen Diskursstrang. Außerdem demonstriert und verstärkt das Personalpronomen „we“ und seine Gegenüberstellung mit dem unpersönlichen, gesichtslosen Sammelbegriff „Israel“ die bestehenden Konfliktlinien zwischen der ingroup der Palästinenser und der outgroup der Israelis, während die Passiv-Konstruktionen „is still occupied“ und „is controlled“ eine zusätzliche Distanzierung vom hier ungenannten Akteur Israel vermitteln. Die Begriffe „occupied“, „control“, „access“ und „permission“ unterstreichen die wahrgenommene Abhängigkeit der Palästinenser von Israel, ihre frühe Nennung belegt ihre zentrale Position im gesamten Diskursstrang. Das Ausmaß der israelischen Kontrolle wird im Übrigen durch die Formulierung „dont have any control“ thematisiert; die israelische Kontrolle wird als absolut und uneingeschränkt dargestellt. Da die Interviewerin auch auf Rückfrage hin die palästinensischen Wasserpraktiken nicht weiter spezifizierte (35ff), war die Sprecherin erneut gezwungen, zu entscheiden, was der Begriff für sie bedeutet. Sie wählte den Begriff „utilisations“ (40)516. Erneut verwendete sie zur weiteren Spezifizierung das Verb „to control“ in Verbindung mit einer Passivkonstruktion: „this is all also controlled so what is aah(1) allowed to be used by the palestinians is what is allowed by isra-israel (..) you can say that the vital human needs are not met (1) through this utilisation“ (40ff). Auch das Verb „erlauben“ unterstreicht die Abhängigkeit der Palästinenser von israelischen Zuteilungen, während der letzte Teil der Aussage einen massiven Vorwurf gegenüber Israel erhebt. Er ist erneut im Passiv formuliert „are not met“, so dass auf den Akteur, der hinter der existenziell bedrohlichen Situation („vital human needs“) steht, nur angespielt wird. Die Bedrohung wird umso größer, als erneut das absolute Ausmaß der israelischen Kontrolle thematisiert wird: „this is all also controlled“. Auch wenn klar ist, dass der Vorwurf sich gegen Israel richtet, distanziert sich die Sprecherin sowohl durch die unpersönliche Formulierung „you can say“ als auch durch die erwähnte Passivkonstruktion davon, so dass der Vorwurf indirekt bleibt. Wichtig ist, dass sich Wasser- und Sicherheitsdiskursstrang schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt zum ersten Mal überschneiden, indem die israelische Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen als existenzielle Bedrohung der palästinensischen Gesellschaft dargestellt wird. Dies indiziert den Stel-
516 Später wird die Sprecherin zwischen „use“ als Bezeichnung für den Verbrauch einer bestimmten Wassermenge und „utilisation“ als Begriff für verschiedene Nutzungsweisen von Wasser unterscheiden (315ff).
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lenwert dieser Versicherheitlichung für den gesamten palästinensischen Wasserdiskursstrang. Diese Versicherheitlichung wird im Folgenden noch weitergeführt, wenn die Sprecherin eine Kausalkette zwischen der israelischen Kontrolle und der fehlenden Nachhaltigkeit im palästinensischen Wassermanagement konstruiert: „which means that if we talk about conservation practices or(1) rationing there IS no such thing because people think that they get much less than they ah(1) than they ah(1) they NEED“ (46ff). Erneut bleibt der Vorwurf indirekt, weil der Zusammenhang zwischen israelischer Kontrolle und nicht ausreichender Versorgung nur angedeutet wird. Interessant ist zudem, dass die Sprecherin die Wahrnehmung der palästinensischen Bevölkerung („people think that...“) in den Mittelpunkt stellt, statt eine faktische Aussage wie „the palestinians dont get enough water“ zu formulieren; erneut distanziert sich die Sprecherin hier von direkten Vorwürfen, stellt aber gleichzeitig den israelischen Einfluss auf die palästinensische Wasserversorgung indirekt als existenzielle Bedrohung dar. Im nächsten Abschnitt wechselt die Sprecherin dann auf die nationale Ebene. Sie thematisiert die rechtliche Verregelung im Wassersektor, palästinensische Wasserpolitik und Wassermanagement und charakterisiert all diese Aspekte als nicht voll ausgereift (50-68). Die Verwendung des inklusiven Personalpronomens „we“ unterstreicht die Konzentration auf die ingroup und die Identifizierung der Sprecherin mit der Gruppe der Palästinenser. Nur einmal verwendet die Sprecherin in dieser Passage das Personalpronomen „they“ für die Palästinenser, nämlich dann, wenn sie von den Anfängen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) spricht: „pa was established in 199(1) 3 and(1) they started having...“ (55f). Sie spricht hier über eine Zeit, in der sie selbst noch nicht Mitarbeiterin der PA war, wodurch sich die distanzierte Haltung erklären lässt. Die insgesamt gegenüber der palästinensischen Leistung anerkennende Haltung in dieser Passage: „we are a young(1) entity (...) you have a b and c areas where we have (1) different types of administration (...) we have the water law of ah (1) 2002 (...) and it took some years to to really (1) be adopted and ratified but we have(1) done that and that thats a good and (1) major achievement i think in the water sector“ (54-68)
wird kontrastiert erstens mit den erneuten Anspielungen auf die israelische Kontrolle („a b and c areas“, „young entity“) und zweitens mit der nachfolgenden Passage, in der die Sprecherin die absolute Kontrolle durch und Abhängigkeit von Israel noch einmal verdeutlicht: „this is why im reluctant toto answer the national practices in separation of other things(1) because this is all related to what israel can(1) give(1) up(1) from its(1)
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current control on the(1) on ALL the water resources(1) so were talking about a future that is not really (1) clear(1) and thus the practices and whatever aaaahm(1) lets say efforts are done now are not(1) ah(1) are not targeting a vision that is known(1) so were doing things hopefully (1) ultimately we will have(1) a shared control over the resources(1) and at least(1) sovereignty(1) within our territories(1) so(1) thats it in a nutshell” (72-86)
Die nationalen palästinensischen Wasserpraktiken werden hier diskursiv untrennbar mit der israelischen Kontrolle der regionalen natürlichen Wasserressourcen verbunden. Eine Diskussion der palästinensischen Seite ohne diese Verbindung ist unmöglich und unsagbar. Der aktuelle Status quo wird als Nullsummenspiel verstanden, impliziert durch das Verb „give up“; die Bedingung für jegliche, aufgrund der bedrohlichen aktuellen Situation dringend notwendige Verbesserung ist, dass Israel mindestens Teile seiner Kontrolle über die Wasserressourcen aufgibt. Erst wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist auch die existenzielle Bedrohung beendet – erneut verschränken sich Wasser- und Sicherheitsdiskurs. Die abschließende Formulierung „thats it in a nutshell“ besiegelt die Unangreifbarkeit der vorangegangenen Aussagen und die hier erkennbaren konfliktiven Diskursstrukturen. Die Zukunftsvision der Sprecherin enthält hier zwar Ansätze für kooperative Diskursstrukturen („hopefully (...) shared control“, 82ff), doch diese Anspielung auf die Möglichkeit kooperativen Managements wird nicht weiterverfolgt. So entsteht ein Widerspruch zwischen gemeinsamer Kontrolle, die kooperatives Management und Dialog voraussetzt, und Souveräntität, die Unabhängigkeit und völlige Losgelöstheit von anderen Anrainern verlangt. Auch in der nächsten Passage (90-144), in der es (auf Nachfrage) um die Bepreisung von Wasser in der palästinensischen Gesellschaft geht, wird die Verantwortung für die derzeitigen Zustände – die als schlecht und unzureichend charakterisiert werden („the utility aaah(1) basically dont recover(1) their costs“, 99ff; „they dont pay the full cost of (1) provision of water(1) and also the(1) environmental value of water is not calculated within this price“, 111ff) – erneut auf die israelische Dominanz zurückgeführt: „because israel is STILL controlling the water“ (103f). Innerpalästinensische Schwierigkeiten, nämlich die Wahrnehmung von Wasser als gottgegebene und deshalb zwangsläufig kostenlose Ressource (104ff) stehen indirekten Anspielungen auf die israelische Dominanz im Wassersektor und die palästinensische Abhängigkeit von israelischen Zuteilungen („the people feel WE dont get our vital human NEEDS (1) how wa-how do you want me to pay for a service that i dont get“, 127ff) gegenüber. Dieses Muster wiederholt sich im gesamten Interview bzw. Diskursstrang:
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Hier expliziert die Sprecherin im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung von Wasser in der palästinensischen Gesellschaft innergesellschaftliche Konfliktlinien zwischen Wasserexperten und der Allgemeinheit. Diese Form der Kritik an der eigenen ingroup ist also sagbar, zumal sie nicht nur einmal, sondern mehrfach geäußert wird. Die Sprecherin positioniert sich hier einerseits aufgrund ihres jungen Alters und andererseits aufgrund ihrer fachlichen Expertise als Reformerin und Normgeberin für „richtiges“ Wassermanagement und löst sich zumindest ein Stück weit von der ansonsten dominierenden Dämonisierung Israels, indem sie Missstände im palästinensischen Wassermanamgent hervorhebt. Zwar wiederholt sie auch hier die Unterversorgung der palästinensischen Bevölkerung aufgrund der israelischen Zuteilungspolitik und betreibt weiter deren Versicherheitlichung; gleichzeitig benennt sie aber Reformen in Bezug auf
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die palästinensische Gesellschaft, die sie als trotz der israelischen Kontrolle dringend notwendig charakterisiert („despite how much it is“). In beiden Passagen spielt die Sprecherin mithilfe der englischen Verlaufsform auf die Prozesshaftigkeit des regionalen Wassermanagements an („it is changing“, 109; „this water IS (...) finite (1) it will be aah(1) diminishing“, 247ff; „now were trying to introduce“, 287f, „this is what were trying to do“, 304f). Mithilfe des Modalverbs „should“ präzisiert sie zudem ihre Vorstellung von „richtigem“ Wassermanagement und unterstreicht ihre Autorität als Expertin in diesem Feld (121, 124, 246, 252, 280). Insgesamt bleibt bis hierher die Versicherheitlichung der israelischen Kontrolle für die palästinensische Wasserversorgung als dominantes Charakteristikum des palästinensischen Wasserdiskursstrangs erhalten; auf dieser Basis ist dann allerdings auch Kritik an genuin palästinensischen Praktiken möglich. Diese beruht auf den offenbar sowohl im israelischen als auch im palästinensischen Spezialdiskursstrang „Wasser“ dominanten Überzeugungen in Bezug auf „richtiges“, „gutes“ und „nachhaltiges“ Wassermanagement, die im Diskurs meist an der Verwendung des Modalverbs „should“ erkennbar sind. Entsprechend fordert die Sprecherin zwar einerseits eine Reform des palästinensischen Wassersektors, begründet deren fehlende Umsetzung (die zum Teil auch versicherheitlicht wird!) allerdings mit Gründen, die außerhalb der palästinensischen Verantwortung liegen. Die Sprecherin schließt die Passage mit einer Entschuldigung ab: „so its all related im sorry but(1) the(1) you will get a different maybe interview(1) for the palestinian(1) knOwing the holistic picture(1) because its ALL linked to each other(1)“ (139ff). Hier weist die Sprecherin implizit auf den Spezialcharakter ihres Wissens hin und positioniert sich damit als über „richtiges“, über Herrschaftswissen verfügend. Darüber hinaus könnte diese Passage auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb des palästinensischen Wasserdiskurses hinweisen, etwa auf eine bestimmte, als innovativ, holistisch und reformerisch charakterisierte Gruppe innerhalb der palästinensischen Wasserexperten, zu der die Sprecherin sich zählt. Der Konsens nach dieser Passage lautet jedenfalls, dass die israelische Kontrolle alle Aspekte des palästinensischen Wassermanagements beeinflusst und damit Israel die Verantwortung für Defizite und Fehler im palästinensischen Wassermanagements zu tragen habe, während davon abgesehen die Palästinenser verpflichtet sind, trotz der widrigen Umstände nachhaltiges Wassermanagement zu betreiben. Die nächste Passage dreht sich thematisch um Wasserqualität. Die Sprecherin hebt hier zunächst die regionale Teilung in Gaza und Westbank hervor, da die Wasserqualität in beiden Regionen extrem unterschiedlich ist. Ein Großteil der Wasserressourcen der Westbank gilt im gesamten Diskursstrang (auch im israelischen) als qualitativ hochwertig, namentlich das westliche und das nordöstliche
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Bergaquifer. Der östliche Grundwasserleiter dagegen leidet unter zunehmender Versalzung; im Spezialdiskurs Wasser, der ein bestimmtes Vorwissen voraussetzt, kann seine Erwähnung bereits als Anspielung auf die inhärente Ungerechtigkeit der regionalen Wasserverteilung gewertet werden, da den Palästinensern in den Oslo-Verhandlungen zusätzliches Wasser aus genau diesem Aquifer zugestanden wurde. Die Sprecherin versicherheitlicht vor allem die Übernutzung der qualitativ hochwertigen Wasserressourcen als existenzielle Bedrohung: „when you withdraw more than aaah(1) the safe yield then sta(1) you start to get the brackish water intruding into the aquifer(1) so(1) we know from analyses that the eastern aquifer has high (1) salinity aah(1) content ah(1) the western aquifer(1) IF continued to be over(1) you know(1) drafted then theee(1) overexploited like it is now(1) it will BE (1)aah(1) polluted aah(1) but(1) at th(1) the time being the quality IS good(1) north aah(1) dont nort(1) aah(1) north eastern aquifer is the sAme(1) but not toooo (1) forget that If you continue to(1) to overdraft then you will get the quality problem(1) so(1) we have to take it with care what i say that ah(1) the quality is good (1) but eastern aquifer is ALREADY (1)ah(1) has ah(1) bad quality(1) in terms of the salinity aah(1) content” (167-185)
Allerdings wir die Versicherheitlichung hier durch Tempus und if-thenKonstruktionen in die Zukunft versetzt und so relativiert. In jedem Fall schwingt hier ein Vorwurf gegenüber Israel mit, das den größten Teil des Grundwassers unterhalb der Westbank kontrolliert und deshalb auch mindestens für den Großteil der erwähnten Übernutzung verantwortlich zu machen sei. Direkt im Anschluss beschäftigt sich die Sprecherin mit dem Thema Infrastruktur und auch hier wird die dominante Diskursstruktur – Beschuldigungen gegenüber Israel, dem die gesamte Verantwortung für den Zustand des palästinensischen Wassermanagements gegeben wird – überdeutlich: „infrastructure(1) is something ah(1) else which is ah(1) ALSO linked(1) to how much palestine all the palestinian territories werewas allowed to develop during the fifffty years(1) of occupation(1) still not i mean(1) we are not liberated yet so you have to take this into consideration (1) we have aah (1) old infrastructure we have aaah ah (1) scattered(1) ahm(1) administration of the(1) infrastructure we dont have(1) centralised utilities that aaah (1) that take care of aah(1) certain governorates or aaah(1) districts and ah(1) have the infrastructure for thIs aah(1) lets say (1) IntegrAted system (1) we have fragmented systems for a village for a city for so its NOT a aah(1) lets say(1) a cohesive system(1) AND its old most of it(1) dates back to(1) fifty years ago or even more (1) and(1) it needs lots of rehabilitation and HUGE investments are needed” (186-206)
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Mit den Passivkonstruktionen „werewas allowed“ und „we are not liberated yet“ wird erstens auf die Abhängigkeit der palästinensischen Gesellschaft von israelischem Entgegenkommen sowie zweitens auf das langfristige Ziel der Befreiung von israelischer Dominanz und Besatzung angespielt. Das temporale Adverbial „yet“ impliziert dabei, dass die Sprecherin fest damit rechnet, dass diese Befreiung kommen wird; dies kann als Konsens für den weiteren Verlauf des Fragments gelten. Bemerkenswert ist in der oben zitierten Passage, dass die Sprecherin zwar sprachlich zunächst die Verbindung zwischen israelischer Besatzung und Infrastruktur herstellt („ALSO linked“), sich dann aber auf die vage Äußerung „you have to take this into consideration“ zurückzieht, um dann ohne weitere sprachliche Bezugnahme die Defizite der palästinensischen Wasserinfrastruktur aufzulisten. Offenbar lastet sie die Defizite der palästinensischen Wasserinfrastruktur vollständig Israel an, ohne zumindest eine gewisse palästinensische Veranwortung für den Zustand der Infrastruktur wahrzunehmen (oder wahrnehmen zu können). In Bezug auf den Zustand der palästinensischen Infrastruktur ist unsagbar, dass auch die palästinensische Gesellschaft selbst Verantwortung übernehmen muss. So hätte an dieser Stelle zum Beispiel Korruption und Vetternwirtschaft in der palästinensischen Selbstverwaltung, die insbesondere zum Zeitpunkt des Interviews, kurz vor den Wahlen 2006, prominente Themen in der nationalen und internationalen Presse gewesen waren, angesprochen werden können. Stattdessen weist die Sprecherin auf weitere Einflussnahme von außen hin, in diesem Fall finanzielle Unterstützung vor allem durch die Weltbank und USAID, die die Infrastruktur verbessern sollte: „of course(1) we have to mention that there are since oslo(1) accords were signed(1) we have lots of(1) infrastructure programs b(1) mAInly(1) through usaid (1) and the w-the world bank (1) but STILL(1) the effect of these(1) infrastructure or the(1) lets say the aaah(1) imprOvement of the(1) overall water supply is not aah(1) tangible is not seen (1) and also not to forget theeee (1) incursions and their effect on (1) thdemoliting or destructing (1)aaah (1) SOME of these infrastructures soo(1) you have people coming in(1) investing(1) then you have the israelis(1) destroying(1) and then the donors they say dont worry(1) we will(1) repair(1) we will have emergency programs (1) so its really (1) its like theeee (1) tom and jerry so you(1) you dont have ah ah(1) systematic ah(1) consistent approach that this is the aaah(1) master plan for for palestine water sector this is what we want to invest in theee (1) there is ADHOC projects and there is(1) just aaah (1) emergency(1) aaah (1) money is coming in to(1) to SAVE what has been(1) ah(1) lost through aaah (1) the israeliiii occupation [hm] so there is no VISION basically for(1) WHAT this infrastructure will be (1) WHO will take care of it and HOW it will be done (1) and who will fUND it [hm] of course” (206-236)
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Das Modalverb „to have to“ im ersten Satz impliziert eine übergeordnete Instanz, die darauf besteht, ein vollständiges und korrektes Bild der abgefragten Situation zu vermitteln. Diese undefinierte Instanz richtet sich offenbar an die Gesamtheit der Palästinenser („we“), nicht nur an die Sprecherin. Durch den Partikel „of course“ klingt in der Formulierung einerseits Zwang, andererseits Resignation und Passivität gegenüber der ungenannt bleibenden Autorität an. Die Versicherheitlichung der israelischen Kontrolle, in diesem Fall für die palästinensische Wasserinfrastruktur, wird allerdings trotz dieses „erzwungenen“ Hinweises auf internationale Finanzhilfen weitergeführt, indem auf die fehlende Wirkung der bisherigen Maßnahmen („is not tangible is not seen“) und auf die Zerstörung von Infrastruktur durch Israel hingewiesen wird. Insgesamt bleibt das Bild einer völlig passiven palästinensischen Gesellschaft, die nur als Arena für die Aktivitäten internationaler Akteure und Israels funktioniert („its like tom and jerry“) und in völliger Abhängigkeit dieser externen Akteuren verbleibt. Das spiegelt sich auch in den verwendeten Personalpronomen wider: Das unpersönliche „man“ in „you dont have systematic consistent approach“, das für die externen Akteure stehende „wir“ in „this is what we want to invest“ sowie die unpersönliche Formulierung „there is“, die zweimal verwendet wird, vermitteln, dass die Sprecherin und mit ihr ihre ingroup nicht den geringsten Einfluss auf das haben, was im palästinensischen Wassermanagement in der Vergangenheit passierte und in Zukunft geschehen wird. Die Sprecherin expliziert dies in den abschließenden Fragen; an dieser Stelle ist es bemerkenswert, dass die bereits mehrfach geäußerte Hoffnung oder Zielvorstellung, dass die Wasserressourcen der Westbank irgendwann einmal zumindest teilweise unter palästinensischer Kontrolle stehen werden, hier nicht wiederholt wird. Alternativ wäre sagbar gewesen, dass die palästinensische Autonomiebehörde mindestens das Management der Infrastruktur übernehmen sollte/könnte („WHO will take care of it“); stattdessen entwirft die Sprecherin erneut ein extrem passives und abhängiges Bild der palästinensischen Gesellschaft. Der nächste Abschnitt wurde bereits zusammen mit der Anfangspassage analysiert; ergänzend sei angemerkt, dass die Sprecherin ihre Position in der letzten Passage noch einmal durch direkte Rede verdeutlicht („so if you dont share the management but you want to share the problems with me(1) no i dont want i want to share ALL“, 301ff). Diese Stilform nutzt sie im Verlauf des Diskursfragments noch häufiger; sie dient der Illustration ihres Standpunktes. Des Weiteren ist auf die Formulierung „GOOD israelis(1) who belIEve that this is shared water“ (306ff) hinzuweisen, deren Präsupposition lautet, dass es auch schlechte Israelis gibt, die nicht an das Recht der Palästinenser auf Teile der natürlichen Wasserressourcen glauben. Hier wird die Dämonisierung der Israelis in den früheren Äußerungen und im gesamten Diskursstrang einerseits abgeschwächt, weil dem ansonsten gesichtslosen Israel immerhin die Differenzierung
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in zwei verschiedene Gruppen zugestanden wird. Andererseits werden diejenigen umso heftiger dämonisiert, die die Grenzen des Sagbaren im palästinensischen Diskursstrang nicht respektieren – eine Ablehnung der palästinensischen Wasserrechte ist dort unsagbar. Interessant ist dabei auch die Wahl des Verbs, „belIEve“, das zusätzlich stimmlich hervorgehoben wurde. Es konnotiert, dass die Wasserrechtsfrage eine Glaubenssache sei, und macht die palästinensischen Ansprüche angreifbar, weil der Bezug auf rechtliche Grundlagen fehlt. Gleichzeitig transportiert das Verb eine gewissermaßen religiöse Sicht auf die Frage der palästinensischen Wasserrechte, so als sei die palästinensische Sache eine, die alles Weltliche, auch Rechtsprechung, transzendiere. Auf diese Weise wird der Aspekt der palästinensischen Wasserrechte (und möglicherweise auch die palästinensische Sache an sich) hier völlig überhöht. Alternativ wäre etwa das Verb „to agree“ denkbar gewesen. Die Verwendung solch religiös konnotierten Vokabeln setzt sich in der folgenden Passage fort, in der es um das Konzept der gerechten Nutzung von Wasser in Palästina geht. „is there such a thing(1) there ISNT such a thing now [laughs] i mean(1) its(1) contrary to thee (1) spirit of ah(1) equitable and reasonable utilisation (...) so what we have now is(1) far from ah(1) what you can call equitable utilisation (1) in palestine of course(1) because if you(1) by all means (1) even if the fa-vital human needs are not met(1) than you that aah(1) equitable ah(1) utilisation(1) concern [?](1) is not met (1) because the first thing you call for in(1) applying this principle (1) is the aah (1) s-satisfying the vital human needs(1) so(1) if you compare aah(1) 35 litre per capita per day to 300(1) litre per capita per day (1) then you start with THIS aah(1) concrete finding(1) there IS NO equitable reasonable(1) utilisation” (309-337)
Der Begriff „spirit“ in Bezug auf das Ziel „equitable and reasonable utilisation“ erweckt ebenfalls den Eindruck, als ginge dieses Ziel über rein weltliche Belange hinaus. In jedem Fall unterscheidet sich der palästinensische Hegemonialdiskurs vom israelischen darin, dass hier die gerechte und vernünftige Nutzung von Wasser überhaupt als Ziel anerkannt wird. Die Nicht-Erreichung dieses Ziels wird zudem versicherheitlicht, da sie mit der Weiterführung der israelischen Dominanz gleichgesetzt wird. Das illustriert die Referenz auf konkrete Nutzungszahlen, die im gesamten palästinensischen Diskurs sowie im israelischen Gegendiskurs immer wieder verwendet werden, um die Ungerechtigkeit der regionalen Wasserverteilung durch „richtiges“ Wissen unangreifbar zu machen. Zwar werden auch im israelischen Hegemonialdiskurs immer wieder Referenzbezüge hergestellt, doch die Ungleichheit der Wasserverteilung wird dabei nicht thematisiert. Wenn im israelischen Hegemonialdiskurs überhaupt über die für die Palästinenser zugängliche Wassermenge gesprochen wird, liegt die Betonung auf dem Vergleich mit den noch stärker unter Wasserknappheit leidenden Jorda-
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niern, oder es werden natürliche Quellen genannt, durch deren Erschließung die Palästinenser mehr Wasser erhalten könnten. Alternativ werden die Defizite des palästinensischen Wassermanagements hervorgehoben.517 Umgekehrt ist es im palästinensischen Hegemonialdiskurs unsagbar, eben diese Defizite für die massive Unterversorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Wasser zumindest mitverantwortlich zu machen. Alleiniger Verantwortlicher ist und bleibt Israel. Die religiöse Note der gewählten Formulierungen wird im weiteren Verlauf der Passage durch Referenzen auf allgemein anerkannte ethische Richtlinien, in diesem Fall die Menschenrechte, ergänzt. Israel wird wiederholt indirekt dafür verantwortlich gemacht, dass den Palästinensern nicht genug Wasser zum Überleben zur Verfügung stehe („the vital human needs are not met“). Die Sprecherin spezifiziert dabei nicht näher, ob dieser Mangel für ganz Palästina oder nur für Teile der palästinensischen Bevölkerung gilt („in palestine“); diese Auslassung ist ein weiterer Hinweis auf die extrem israelkritischen, dämonisierenden Diskursstrukturen innerhalb des palästinensischen Diskursstrangs. Im weiteren Verlauf der Passage formuliert die Sprecherin das vordringliche Ziel, die Israelis vom Konzept der gerechten Nutzung zu überzeugen, was die absolute Verantwortlichkeit Israels und die völlige Abhängigkeit der Palästinenser erneut unterstreicht: „we have to to change the mentality of the israelis (...) that equitable reasonable to the palestinians means hArm(1) to the israelis (1) this doesnt have to be the(1) the case (1) you can achieve equitable reasonable utilisation TO the palestinians(1) with the same at the same(1) time(1) achieving equitable reasonable utilisation for the israelis but(1) we nEEd to understand what does it mean (1)[hm] it means more than use(1) it means more than(1) what i get(1) as a share from the aquifer(1) ah(1) in terms of quantities(1) it means benefits(1) it means mutual benefits that if(1) somebody gets the fresh water (1) like israel is(1) is doing now(1) and they say we can not give it UP for the palestinians(1) then we can say(1) MAYBE one of the options(1) is(1) kind of(1) compenSAtion(1) for what you have BEEN using(1) and what you will be using in the future (1) by giving us NOW(1) desalinated water okay(1) they they propose(1) we give you desalinated water but they want us to PAY [hm] why is that(1) since we are the harmed ones NOW(1) and we talk about EQUITY(1) then some(1) you know INNOVATIVE approaches have to be reached with(1) WITH israel(1) saying(1) you take the fresh water you want to give me desalinated water at a price(1) i will nOt(1) pAY you(1) i-you will have to subsidise this ah(1) this price(1) at LEAST subsidise it(1) so you cAn(1) compensate(1) for whatever you take thats one of the options(1) im not saying to give UP our(1) share(1) from the ah(1) but from the mountain aquifer(1) from the fresh water(1) but im saying if this will be(1) the final end that we will reach with israel(1) nooo(1) existing uses will be negotiable like they say now(1) okay(1) so whats the alternative 517
Z.B. Interview 11 IL, Zeilen 709ff.
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(1) how can you compensate(1) for(1) your(1) violation (1) of the ah(1) international law(1) and the violation of this(1) principle(1) which is a CUSTOMARY international(1) law principle(1) its not something that(1) you choose not to abide aah(1) by [hm](1) you have to its a CUSTOMARY principle (1) so (1) we say(1) lets see what other approaches desalination at subsidised price(1) all these regional projects that are proposed(1) WE should be full partners without(1) pay-paying any penny(1) we should be partners(1) because we we hAve to be there(1) AS(1) a partner and the ah(1) basin(1) as aah(1) sharing aaah(1) entity(1) and ALSO because you have been ah(1) exploiting OUR share(1) from the fresh resources (1) it has to be calculated and it can be done (1) its not an economic problem(1) its an ethical problem more than an economical problem” (349-411)
Vor dem Hintergrund, dass der israelische und der palästinensische Wasserdiskursstrang untrennbar miteinander verbunden sind, sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängen, überrascht es nicht, dass die Sprecherin hier den israelischen Hegemonialdiskurs reflektiert und auf dieser Basis Handlungsoptionen für Israelis und Palästinenser formuliert. Die Modalverben „have to“, „should“, „can“ und „need to“, die in diesem Abschnitt mehrfach verwendet werden, unterstreichen – zusätzlich stimmlich hervorgehoben – die Dringlichkeit und Notwendigkeit von deren Umsetzung: Würde Israel nicht vom Sinn des Konzepts gerechter Nutzung überzeugt, bliebe die Wasserversorgung der palästinensischen Bevölkerung bedroht. Die Umsetzung des Konzepts equitable and reasonable use wird hier also indirekt versicherheitlicht. Diese Passage gleicht vom Stil einer Überzeugungsrede, mit deren Hilfe die Sprecherin ihre Ausführungen als zwingende Notwendigkeit und einzigen Weg aus der Misere für alle Beteiligten darstellt. Die verwendeten Verben „change“, „achieve“, „understand“, „give up“, „subsidise“, „compensate“, „reach“ in Kombination mit den erwähnten Modalverben unterstreichen diesen Eindruck, da sie allesamt auf die Prozesshaftigkeit des regionalen Wassermanagements hinweisen und auf die Zukunft ausgerichtet sind. Doch obwohl die Wortwahl der Sprecherin in dieser Passage aus friedenswissenschaftlicher Sicht durchaus positiv ist, da sie für Hoffnung und Verhandlungsbereitschaft steht („mutual benefits“; „innovative approaches“ etc.), kann sie sich auch hier nicht aus der dominanten Diskursstruktur lösen, die Israel als Hauptakteur versteht. Entsprechend richten sich ihre Appelle mindestens indirekt, zum Teil jedoch auch direkt an Israel, wie etwa in der Passage, in der erneut die direkte Rede als Stilmittel verwendet wird: „compensation for what you have BEEN using(1) and what you will be using in the future (1) by giving us NOW“, „you take the fresh water you want to give me desalinated water“. Wo sie explizit die Palästinenser („we“) zum Handeln auffordert, sind diese Handlungen immer auf Israel gerichtet („we have to change the mentality of the israelis“).
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Der Konsens zwischen Sprecherin und Interviewerin nach dieser Passage lautet: Israel verhält sich völkerrechtswidrig und ist allein verantwortlich für die katastrophale Wassersituation der Palästinenser. Dafür muss es zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar aus ethischen Überlegungen heraus. Mithilfe von Referenzbezügen auf als maßgeblich verstandene Gesetzestexte definiert die Sprecherin die Bedingungen von Gerechtigkeit und fordert diese dann aktiv ein. Ihre Umsetzung („NOW“) konstruiert sie zur Grundlage aller weiteren Diskussionen. Bemerkenswert ist, dass das dem Hegemonialdiskurs zugrundeliegende Verständnis, dass die Palästinenser mindestens ein Recht auf Teile der regionalen Wasserressourcen haben und Israels Kontrolle über diese unrechtmäßig ist, zwar in seiner Essenz unangreifbar bleibt, die Sprecherin gleichzeitig aber Handlungsspielräume für zukünftige Verhandlungen mit Israel auch für den Fall formuliert, dass Israel von diesen unrechtmäßigen Ansprüchen nicht abrückt („if(1) somebody gets the fresh water (1) like israel is(1) doing now (1) and they say we can not give it UP for the palestinians (1) then we can say(1) MAYBE one of the options(1) is(1) kind of(1) compenSAtion“). Mit diesem Vorschlag akzeptiert die Sprecherin implizit – zumindest hypothetisch – den israelischen Standpunkt. Dies ist von großer Bedeutung für den weiteren Verlauf des israelischpalästinensischen Wasserverteilungskonfliktes, denn auf diese Weise könnten die zunächst unvereinbar erscheinenden Positionen einander angenähert werden. Statt zu diskutieren, ob die israelische oder die palästinensische Interpretation von Wasserrechten „richtig“ sei, könnte einen Schritt später angesetzt und konkrete Lösungen vorgeschlagen werden; hier überschneiden sich die beiden Hegemonialdiskurse.518 Im nächsten Abschnitt zieht sich die Sprecherin allerdings gleich wieder von dieser mäßigen Offenheit zurück, indem sie erneut die Erreichung von gerechter Nutzung (im Sinne einer Umverteilung der Wasserressourcen) als Voraussetzung für eine Einigung mit Israel formuliert und die Unwahrscheinlichkeit des Eintreffens derselben mit Sarkasmus unterstreicht: „i will want to give you a scenario which is VERY optimistic(1) which builds on my previous aaah(1) discussion (1) i say(1) if we reach an equitable reasonable utilisation aah(1) status(1) like you-we we say(1) this is equitable for the pal-then(1) for the palestinians then theyre happy (1) and this is(1) equitable for the israelis and theyre also more happy then then (1) EVEr (1) whichwhich will never happen [laughs] maybe (2) in the near future (1) okay (1) but STILL (1) we(1) we would be faced with patterns of use(1) inside these(1) entities(1) IS IT the most efficient (1) IS IT the most aah(1) OPTIMAL ah(1) utilisation (1) thIs will be a question that will be 518 In diesem Aspekt besteht allerdings nicht unbedingt Einigkeit im palästinensischen Hegemonialdiskurs. Siehe z.B. Interview 03 PAL, Zeilen 248-293.
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raised to both(1) the palestinians and to the israelis and to all the region in the middle east” (418-435)
Konsens ist hier weiterhin die folgende zeitliche Reihenfolge: Zuerst muss Israel vom Sinn des Konzepts von equitable and reasonable utilisation überzeugt werden. Erst, wenn das Konzept zur Zufriedenheit aller umgesetzt ist (und nur dann!), kann über alle weiteren Aspekte des regionalen Wassermanagements – Nachhaltigkeit, Sinn und Unsinn von Landwirtschaft etc. – überhaupt gesprochen werden. Erneut zieht sich die Sprecherin also auf den oben formulierten Tenor des palästinensischen Hegemonialdiskurses zurück: Erst Wasserrechte, dann Wassermanagement. Bemerkenswert ist allerdings der Satz „maybe (2) in the near future“, mit dem die Sprecherin selbst wie schon in der Passage oben die Endgültigkeit ihrer Einschätzung infrage stellt, indem sie sie zeitlich eingrenzt. Die absolute Aussage „which will never happen“, die ein Ende des Wasserverteilungskonfliktes unter den gegebenen Voraussetzungen und Sagbarkeitsfeldern unmöglich erscheinen lässt und damit die israelische Kontrolle für die palästinensische Wasserversorgung weiter versicherheitlicht, wird hier relativiert und auf die nahe Zukunft begrenzt. Die Präsupposition dieses Satzes lautet, dass die vorhergehende absolute Aussage erstens falsch sein könnte („maybe“) und dass zweitens Hoffnung auf eine Einigung in mittlerer oder langfristiger Zukunft besteht. Im Folgenden formuliert die Sprecherin dann allerdings die palästinensische Position für den Fall, dass die Voraussetzung der gerechten Wassernutzung erfüllt und ein palästinensischer Staat gebildet würde („if we reach an equitable reasonable utilisation (...) we would be faced with patterns of use(1) inside these(1) entities“, 421-430; „when palestine would be declared officially as a state i dont know when“, 456), und unterstreicht dabei wieder die bestehenden Konfliktlinien. „we can say now the status is(1) that palestinians use(1) lets say 75 percent of their waters for ah agriculture (...) they used to get (1) 24 percent in their gdp(1) now because of the(1) aah(1) restriction on the export ah(1) import you know aaah(1) by israel they(1) only 8 percent of aahm(1) of the gdp comes from agriculture so its(1) declining but STILL(1) we have to know(1) that it WAS 24 so(1) thethe decline is because of theeee(1) restrictions (1) in ISRAEL(1) they use 85 percent for(1) for (1) agriculture (1) AND(1) they get 2 percent for gdp (1) so (1) the states have to reconsider ah(1) their utilisations in agriculture (...) this is(1) more or less a NATIONAL ah(1) policy issue(1) after and when we(1) decide what is equitable and reasonable(1) maybe one of the decIsions or one of the things that HAS to change before reaching the equitable(1) and i think it will be(1) IS changing the patter(1) the patterns of use(1) because when you say(1) is this equitable is that equitable to use 85 percent on you agriculture while you get only two percent for gdp(1) so maybe israel
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt HAS to reconsider that its not equitable(1) for HER(1) and for(1) the palestinians so ah some of the water will be(1) reallocated [hm](1) so(1) its its a process how you(1) calculate this(1) and(1) at the end you have to say(1) together(1) what can we do(1) how we can bring more water to the region(1) after you you get all this understanding and the agreement(1) that this is equitable for you and this is for me but now(1) there isnt(1) more ah ah enough water stIll we need water (1) [hm] so then you start talking about(1) regional cooperation(1) desal-BIG desalination plants that(1) provides both(1) you know ah old ideas importing water from turkey i dont know wh-how feasible it is(1) but(1) but then you do it AFTER youre satisfied(1) as a state(1) that your rights have not been violated(1) that JUSTICE has been implemented (1) [hm] thats what makes them(1) DO something better and do cooperation together” (439-503)
Als Voraussetzung für jegliche Kooperation formuliert die Sprecherin hier erneut die Umsetzung des Konzepts „equitable and reasonable use“; die Fokussierung aller Vorwürfe und Handlungsempfehlungen auf Israel bleibt bestehen. Israel müsse, so die Sprecherin, seinen Agrarsektor reformieren; sie verwendet zur Illustration dieser Notwendigkeit allerdings Zahlen, die auch im palästinensischen Diskurs als übertrieben gelten519, und macht die Aussage damit erstens angreifbar und zweitens als Polemisierung kenntlich. Obwohl sie zunächst die Frage der Nachhaltigkeit von landwirtschaftlichen Aktivitäten in einer semiariden Region für alle Staaten aufgeworfen hatte („thIs will be a question that will be raised to both(1) the palestinians and the israelis and to all the region in the middle east“), konzentriert sie sich dann doch wieder allein auf Israel, ohne allerdings entsprechende Bemühungen auf israelischer Seite, etwa die laufende Reform des israelischen nationalen Wassermanagements, zu berücksichtigen. Sie gehören in den Bereich des Unsagbaren, da sie die Argumentation der Sprecherin gefährden könnten. Der Tenor des palästinensischen Hegemonialdiskurses bleibt somit erhalten: Nur wenn Israel sich verändert („israel HAS to“), kann Gerechtigkeit für alle Beteiligten (inkl. Israel!) erreicht werden. Die fehlende Veränderung Israels wird somit als Bedrohung für die Selbstbestimmtheit (Wasserrechte) und die eigenen Werte (Gerechtigkeit) der Palästinenser und implizit der gesamten Region versicherheitlicht. Interessant ist, dass der Begriff „JUSTICE“ zwar voraussetzt, dass eine Übereinkunft von mindestens zwei Parteien über ein bestimmtes Thema erreicht wird; die Allgemeingültigkeit von Gerechtigkeit spiegelt sich auch in der unpersönlichen „man“-Form, die die Sprecherin hier verwendet: „you do it AFTER youre satisfied(1) as a state(1) that your rights have not been violated(1) 519 Aus eigenen Studien zitierend gibt der Sprecher in Interview 02 PAL als israelischen Gesamtverbrauch 2074 Millionen Kubikmeter im Jahr an, von denen etwa 60% (1265 MKM) für den Agrarsektor verwendet werden. Vgl. Interview 02 PAL, Zeilen 144ff.
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that JUSTICE has been implemented“. Auch die Passivkonstruktionen tragen zum Eindruck der allgemein (also auch für Israel) gültigen Aussage bei. Trotzdem wird hier ausschließlich der palästinensische Standpunkt vertreten und reflektiert, ohne die israelischen Vorstellungen von Gerechtigkeit oder israelische Bemühungen, etwa im Agrarsektor, zu berücksichtigen. Auch die Notwendigkeit einer Reform im palästinensischen Wassersektor ist unsagbar: Die Nachhaltigkeit palästinensischer Landwirtschaft wird hier im Gegensatz zur israelischen nicht einmal thematisiert; stattdessen lautet die Präsupposition der Formulierung „we have to know(1) that is WAS 24 so(1) thethe decline is because of theee(1) restrictions (1) in ISRAEL“, dass die palästinensische Landwirtschaft wieder auf den Level vor Beginn der israelischen Restriktionen steigen sollte. Im weiteren Verlauf expliziert die Sprecherin zwar, dass sich auch die palästinensische Gesellschaft der Frage wird stellen müssen, ob Landwirtschaft für sie sinnvoll ist oder nicht („we will have to decide are we going to be an industrial aah(1) country“). Gleich darauf unterstreicht sie allerdings die damit verbundenen Schwierigkeiten: „or we will just remain(1) doing LIGHT industries in-and(1) focus on agriculture (1) because its too difficult to change(1) because this is our(1) traditions“, und versicherheitlicht so die Verkleinerung des palästinensischen Agrarsektors sowie die israelischen Restriktionen, die die palästinensische Landwirtschaft einschränken, als Bedrohung der palästinensischen Werte. In der palästinensischen Gesellschaft liegende Gründe für diese israelischen Restriktionen, etwa die Intifada oder palästinensische Selbstmordattentate, bleiben im Übrigen unerwähnt. Letztendlich gilt also weiterhin: Vor allem Israel muss sich ändern; die palästinensische Gesellschaft dagegen ist von der kritischen Überprüfung ihres Wassermanagements aufgrund der ihr von Israel zugefügten Ungerechtigkeiten befreit. Diesen Konsens unterstreicht die Sprecherin auch in der folgenden Passage, in der es um die Rolle des israelisch-palästinensischen Konfliktes für das palästinensische Wassermanagement geht. Erneut wird Israel als dominanter Akteur in seiner Gesamtheit als Bedrohung der Selbstbestimmtheit, der Werte, des Territoriums (indirekt) und letztlich der Existenz der palästinensischen Gesellschaft bzw. des gewünschten palästinensischen Staates versicherheitlicht: „the conflict(1) delays (1) the aah (1) the emerging of civilised states (1) delays the aah(1) the tangible result of what palestine should should be so(1) or WANTs to be or WANTS to do (1) so (1) lets say (1) lets take 1994 ah and(1) you know after oslo accords were(1) were signed and there(1) there was lots of hope(1) there was lots of aah(1) aah(1) LONGING for change and expectations (...) regarding water we KNEW that water was postponed to the final status agreement but STILL we had article 40(1) to work on(1) during the interim period (...) so we started working on that (...) then the interim and thee(1) final status negotiations did NOT start(1) and the hope started to decline (...) everyyyy(1) license that was applied was rejected(1)
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt every new project that was aah(1) proposed for the joint water committee was not accepted on the basis that(1) it will cause(1) harm(1) to the israelis (1) so (1) the HOPE of(1) aah(1) a gOOd(1) lets say(1) and good gOVERNANCE or gOOD management of ah(1) the water sector (...) started to(1) diminish(1) slowly in the eyes of the politicians before theee(1) technical people (...) ESPECIALLY when the intifada if you want to talk about(1) the political implications(1) when the intifada started(1) then(1) ah it-its became even worse because NO meetings with the aaah(1) joint water committee(1) lots of(1) illegal drillings and ah(1) lots of aah ah(1) closing of wells and shutting of wells and ah(1) confiscating of lands and the(1) aah(1) so(1) aah(1) it ALL built up into i-in MY view intooo(1) opposite to what we wewanted(1) so the good governance started to be VERY bad governance because(1) because there is no output to the people there is no more water to the people(1) and at the same time there is(1) more and more control and restrictions by israel(1) and more confiscation of(1) resources(1) now with the aah(1) starting of aah(1) construction of the wall(1) then it became even ah(1) MORE obvious that (1) there willthere IS no way out(1) that israel IS detriment-determined(1) to have ALL control(1) even to(1) strengthen its control over the resources(1) seeing how the wall ah(1) is aaah(1) MOVING(1) and you know the PLANS for its completion(1) then you see that it surrounds the area itit has(1) you know aah(1) took the lands(1) the fertile lands with(1) with the aah(1) RICH resources(1) and also took(1) many(1) ALREADY existing infrastructures like wells(1) like deep wells which were susupplying aahh(1) MILLIONS of palestinians of the aah(1) westbank(1) so not millions ah(1) to be accurate i mean thousands (1) so aah(1) i mean(1) i mean this evolution of(1) events(1) of COURSE it has BIG implication onon management what does it mean toto have water management(1) IF you dont have aah(1) water governance(1) if you dont(1) have(1) even LiMITED sovereignty over what you(1) are managing(1) you cant manage something for somebody else (1) you become like a c-client or like aaah(1) you know for the israelis(1) so what what did what did what did did did it ah(1) DIFFER(1) from the times of the civil administration [hm] we(1) its just(1) they(1) they pulled out and they ah(1) hired some(1) consultants for them (1) or some slaves(1) so aah(1) you cant talk about (1) GOOD water management good water practices NATIONAL management without solving the international ah(1) problem(1) i-its HAS TO BE (1) solved aah(1) a-as a prerequisite(1) for(1) good governance(1) i dont say(1) that we palestinians should sit and be corrupt and and do whatever we want NO we sh we could do(1) we should do whatever (1) the maximum we could do (1) but there are some external limitations(1) so thisits like a th-ah(1) an external threat„ (512-625)
Implizit wird sowohl das Scheitern des Friedensprozesses und die darauf folgende Resignation der palästinensischen Gesellschaft als auch die Schwierigkeiten des täglichen Lebens seit Beginn der Intifada auf Israel zurückgeführt. Etwa wird überhaupt nicht thematisiert, wer für die Intifada verantwortlich ist und ob der Aufstand rechtmäßig ist und legitime Mittel verwendet; stattdessen liegt die
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Betonung auf israelischen Aktivitäten, die als Ursache für alles palästinensische Leid und als Beweis für die Unzuverlässigkeit Israels herausgearbeitet werden. Zunächst fällt auf, dass nicht thematisiert wird, welche Rolle die Palästinenser in dem gewaltsamen Konflikt spielen; stattdessen wird der Konflikt selbst als Substantiv eingesetzt, ohne die verantwortlichen Akteure zu bennenen („the conflict delays“). In ihrer Beschreibung der euphorischen Stimmung in der palästinensischen Gesellschaft nach Abschluss der Oslo-Abkommen stellt die Sprecherin dann erstmals die Palästinenser als Akteure heraus, die alles getan hätten, um das Interim-Abkommen umzusetzen („so we started working on that“), dann aber hätten lernen müssen, dass ihr Vertrauen enttäuscht worden war. In der Formulierung „then the interim and thee(1) final status negotiations did NOT start“ bleibt der Akteur, der Verursacher dieser enttäuschenden Entwicklung zwar offen, doch in den folgenden Zeilen hebt die Sprecherin dann wieder israelische Versäumnisse während dieser Zeit hervor : „everyyyy(1) license that was applied was rejected(1) every new project that was ah(1) proposed for the joint water committee was not accepted on the basis that(1) it will cause(1) harm(1) to the israelis“. Es entsteht das Bild der gutmütigen, bemühten Palästinenser, die voller Hoffnung auf die Erfüllung des Oslo-Friedensvertrags hinarbeiteten, dann aber von den selbstgerechten, hinterhältigen und ungerechten Israelis enttäuscht wurden: Die outgroup wird dämonisiert, die ingroup idealisiert. Diese konfliktive Diskursstruktur zieht durch den gesamten Rest der Passage, interessanterweise auch dann, wenn es um den palästinensischen Aufstand, die Intifada, geht. Hier wäre es alternativ sagbar gewesen, die Intifada und die mit ihr verbundene Gewalt zu thematisieren, ja sogar, sie in Frage zu stellen, doch all das geschieht hier nicht. Die Sprecherin thematisiert nicht, wer den Aufstand begonnen hat und ob er gerechtfertigt ist („when the intifada started“), sondern konzentriert sich auf die Beschreibung der nachfolgenden Ereignisse, ohne die verursachenden Akteure beim Namen zu nennen; „its became even worse because NO meetings with the aaah(1) joint water committee(1) lots of (1) illegal drillings and ah(1) lots of aah ah(1) closing of wells and shutting of wells and ah(1) confiscating of lands“. Interessant sind hier zwei Dinge: Erstens konstatiert die Sprecherin hier, die Intifada habe alle Treffen zwischen Israelis und Palästinensern im JWC beendet, während alle anderen, auch palästinensischen Interviewpartner betonten, wie erstaunlich es sei, dass dieses Gremium trotz der Intifada Bestand habe. Dies ist erneut ein Fall von Übertreibung und Polemisierung, wie bereits bei der Einschätzung des Wasserverbrauchs im israelischen Agrarsektor oben. Die Sprecherin unterstreicht mit dieser Hyperbel den ihrer Meinung nach ingesamt katastrophalen Zustand der israelisch-palästinensischen Kooperation im Wassersektor. Zweitens bleiben die Akteure hinter den verschiedenen hier beschriebenen Entwicklungen offen. Illegale Bohrungen und die Schließung von Brunnen bzw. die
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Konfiszierung palästinensischen Territoriums stehen hier in einer Reihe, was verwirrend ist, da illegale Bohrungen meist den Palästinensern, Schließung von Brunnen und Landkonfiszierung jedoch den Israelis vorgeworfen werden. Ansatzweise kann dies als Kritik an der eigenen Gruppe gelesen werden, was durch die Formulierung „it ALL built up into i-in MY view intooo(1) opposite to what we we-wanted“ unterstrichen wird. Das Personalpronomen „we“ steht hier für die ingroup, die Palästinenser, so dass immerhin implizit vermittelt wird, dass die Verursacher der Intifada der eigenen Gruppe geschadet hätten. Eine grundsätzliche Infragestellung des palästinensischen Aufstands unterbleibt trotzdem; stattdessen konzentriert sich die Sprecherin weiterhin auf das Verhalten der Israelis. Insgesamt versicherheitlicht die Sprecherin die Folgen der Intifada als Bedrohung für das palästinensische Wassermanagement und damit letztlich als existenzielle Bedrohung der palästinensischen Gesellschaft, ohne allerdings die Urheber weiter zu spezifieren. Es lässt sich jedoch vermuten, dass die Sprecherin an dieser Stelle sowohl die Israelis als auch die Palästinenser, die die Intifada begonnen haben und illegal Brunnen anlegen als Bedrohung des palästinensischen Wassermanagements versteht. Das wäre das erste Mal, dass die Sprecherin Mitglieder ihrer ingroup zumindest zum Teil für Defizite im palästinensischen Wassermanagement verantwortlich macht; der Eindruck, dass sie dies tut, wird durch ihre späteren Ausführungen über die Aufgaben der Palästinenser im Wassermanagement gestärkt: „i dont say(1) that we palestinians should sit and be corrupt and and do whatever we want NO (...) we should do (...) the maximum we could do“. Die Präsupposition dieser Äußerung ist die, dass es Palästinenser gibt, die korrupt sind und nicht alles tun, um das palästinensische Wassermanagement zu verbessern; hier wird die Verherrlichung der eigenen Gruppe aufgebrochen und durch wenn auch indirekte Kritik relativiert. Nichtsdestoweniger bleibt es unsagbar, konkrete Versäumnisse von palästinensischer Seite zu benennen. Der generelle Fokus bleibt immer auf der Rolle Israels und der damit verbundenen Versicherheitlichung: „but there are some external limitations (1) so thisits like a the-ah(1) an external threat“. Entsprechend wird die Thematisierung palästinensischen Fehlverhaltens nicht lange aufrecht erhalten, sondern sogleich durch den Hinweis auf den (mit Wasser im Übrigen nur indirekt verbundenen) israelischen Mauerbau ersetzt. Die angedeutete Kritik an der eigenen ingroup mündet so in die erneute Betonung isralischer Kontrolle, palästinensischer Abhängigkeit und der Unabänderlichkeit der gesamten Situation („it became even ah(1) MORE obvious that (1) there will- there IS no way out“). Die Absolutheit dieser Aussage unterstreicht die vorangegangene Versicherheitlichung der israelischen Kontrolle über die regionalen Wasserressourcen als existenziell bedrohlich für die Palästinenser.
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Erneut liegt der Fokus ausschließlich auf Israel, das als unnachgiebig, gierig und hinterhältig dargestellt wird: „israel IS detriment-determined(1) to have ALL control(1) even to(1) strengthen its control over the resources“, „the wall (...) took the lands(1) the fertile lands with(...) RICH resources(...) ALREADY existing infrastructures like wells(1) deep wells“. Die folgende erneute Übertreibung „MILLIONS of palestinians of the aah(1) westbank(1) so not millions ah(1) to be accurate i mean thousands“ unterstreicht ein weiteres Mal, als wie groß die Sprecherin die Ungerechtigkeit der israelischen Aktionen wahrnimmt. Die folgende Passage beschäftigt sich dann erneut mit den konkreten Folgen des israelisch-palästinensischen Konflikts auf das palästinensische Wassermanagement, also mit der Kausalkette zwischen israelischer Kontrolle und Defiziten in besagtem Wassermanagement. Durch rethorische Fragen („what does it mean ... if“) unterstreicht die Sprecherin die offensichtliche Richtigkeit ihrer Aussagen, während sie sich durch die Verwendung des unpersönlichen Subjekts „you“ von ihren Ausführungen und den impliziten Vorwürfen gegenüber Israel distanziert. Beides zusammen erweckt den Eindruck der Allgemeingültigkeit, der nüchternanalytischen Sicht auf unangreifbare Tatsachen: Verfügt man nicht einmal über begrenzte Souveränität über die eigenen Wasserressourcen, wird man zum „Klienten“ (lat. der Hörige).520 Diese allgemeinen Aussagen werden dann auf den Fall Israel-Palästina bezogen. Erneut dient eine rethorische Frage dazu, auf die israelische Unernsthaftigkeit sowie die palästinensische Abhängigkeit anzuspielen: „what did it ah(1) DIFFER(1) from the times of the civil administration“. Hier klingt an, dass Israel trotz aller nach außen hin angeblich so erfolgreichen Friedensgespräche weiterhin seine absolut dominante Stellung aufrecht erhält und für die Palästinenser keine Verbesserung ihrer Situation erkennbar ist. Die Pronominalstruktur unterstreicht die anhaltende Dämonisierung der outgroup („they“) und Verherrlichung der ingroup („we“). Mit der Formulierung „they pulled out and they ah(1) hired some(1) consultants for them (1) or some slaves“ spielt die Sprecherin offenbar auf den Gaza-Abzug an, der nur wenige Wochen vor der Durchführung des Interviews stattgefunden hatte. Die Bezeichnung „slaves“ unterstreicht die bereits erwähnte Dämonisierung Israels und stellt den Israel-Abzug implizit als nicht ernstzunehmen und die israelische Kontrolle als keinesfalls beendet dar: Der Sklave ist ein Leibeigener, ein wirtschaftlich und rechtlich in völliger Abhängigkeit von einem anderen Menschen lebender Mensch, der in diesem Kontext also nur die Verlängerung des israelischen Arms darstellt. All diese Ausführungen stützen die das gesamte Fragment und den gesamten palästinensischen Hegemonialdiskstrang durchziehende Versicherheitlichung 520 Die Sprecherin spielt hier auf den politikwissenschaftlichen Begriff des Klientelismus an, und unterstreicht so die Asymetrie des israelisch-palästinensischen Konfliktes.
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der israelischen Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen als Bedrohung der palästinensischen Existenz, was die folgende Handlungsempfehlung „its HAS TO BE (1) solved (...) as a prerequisite(1) for(1) good governance“ unterstreicht. Dass die Sprecherin den Konflikt hier euphemistisch als „international problem“ bezeichnet illustriert ihre distanziert-analytische Haltung und den alles durchdringenden Charakter der konfliktiven Diskursstrukturen: Selbst solche Begriffe, die mit der gewaltvollen Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Parteien nicht zusammenhängen, werden in den Dienst des Konfliktes gestellt. Im drittletzten Abschnitt geht es thematisch um externe Einflüsse auf das palästinensische Wassermanagement, die über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinausgehen. Interessanterweise vertritt die Sprecherin hier die Ansicht, dass der Wasserverteilungskonflikt als genuin israelisch-palästinensisches Problem angesehen werden muss: „it HAS TO BE aah(1) seen as a palestinian israeli problem(...) it was inhonest all the time to think it is a regional problem“ (638ff). Darin unterscheidet sie sich sowohl von anderen, meist älteren palästinensischen Diskursteilnehmern als auch von der in der Sekundärliteratur zum nahöstlichen Wasserverteilungskonflikt geführten Diskussion, in der in aller Regel davon ausgegangen wird, dass das Wasserproblem ein regionales sei. Dies ist aus zwei Gründen wichtig: Erstens ist diese Betonung des bilateralen Charakters der Problematik eine Parallele zum israelischen Hegemonialdiskurs und damit ein Ansatzpunkt zum Dialog. Zweitens deutet diese Sichtweise auf eine Veränderung im palästinensischen Hegemonialdiskurs hin, die auf die laufende generationale Verschiebung, die sich in Alter und Position der Sprecherin manifestiert, zurückgeführt werden kann. Zudem lautet die Schlussfolgerung dieser Annahme, dass der multilaterale Ansatz Oslos von vornherein zum Scheitern verurteilt war und dass zukünftige Konfliktlösungsversuche sich auf die bilaterale Schiene konzentrieren müssen. Erneut finden sich hier Ansatzpunkte für neue Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern, die aus friedenswissenschaftlicher Sicht bedeutsam sein können. Die folgenden Ausführungen über die Gründe für den ursprünglich multilateralen Ansatz der Verhandlungen illustrieren diese Veränderungen: „if we talk about the ground water then(1) we(1) it HAS to be seen as an israeli palestinian aah(1) problem(1) but because it was always linked with the regional problem of the jordan river because the jordan river was the main(1) lets say aaah(1) the main focus of(1) studies research analysis negotiations etc (1) then the groundwater problem was de-rooted in this aah(1) in this problem(1) i i separated them in my research i said(1) tho-the(1) jordan river problem will NOT be solved will not be(1) eventually i mean ah(1) solved(1) maybe it will but not not aaah(1) in the in the(1) near future(1) [hm] so we leave it ah(1) aside because therere five (1) people parties
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to(1) agree(1) and i took theee(1) ground water component as ah(1) something we can solve together(1)” (648-666)
Die Sprecherin formuliert hier neue Voraussetzungen für israelischpalästinenische Gespräche, die sie mit Bezügen auf ihre eigenen wissenschaftlichen Forschungen legitimiert. Interessant ist dabei, dass die Wasserverteilung des Jordanbeckens als wenn überhaupt nur in ferner Zukunft für lösbar gehalten wird, während der Konflikt über die Grundwasserressourcen – die inzwischen zur wichtigsten Wasserressource aufgestiegen sind – als lösbar eingeschätzt wird. Dies steht im krassen Widerspruch zu der vorhergehenden Versicherheitlichung der aktuellen Wasserverteilung; an ihre Stelle tritt eine gewisse Entsicherheitlichung des Konfliktes zumindest in Bezug auf die Grundwasserressourcen, indem die Versicherheitlichung auf das Jordanbecken reduziert wird. Durch diese diskursive Trennung von Grund- und Oberflächenwasser bekommt der palästinensische Diskurs eine neue Richtung und es entstehen Spielräume für neue Ordnungsrahmen oder frames, durch die der Konflikt als weniger unlösbar und nicht mehr ausschließlich als Nullsummenspiel wahrgenommen werden kann. Die Versicherheitlichung der Situation im Jordanbecken wird allerdings einige Zeilen weiter umso deutlicher formuliert: „I: (1) and ah(1) just to(1) because you touched on it(1) the jordan river [yeah] they you dont seeee(1) any(1) ah positive 09: I dont see any positive no(1) i see aah(1) i see bilateral agreements(1) between states(1) like jordan israel [hm] around the aravaaaaa(1) valley [yeah] like ah(1) you know ah(1) whatever(1) maybe bilateral agreement(...) but as(1) as FULL ahm(1) participation(1) of ALL the parties(1) i dont see it in the near future(1) but bilaterally(1) and that thats dangerous because the basin should be seen as a whole unit(1) the basin is not(1) the jordan river the upper jordan the lower jordan the tiberia the(1) the dead sea as(1) some people try to to show it or to analyse it(1) its a unit its a h-whole hydrological unit that should be aaahm(1) all the utilisations and all the(1) problems all the(1) benefits should be shared by all the parties(1) so(1) this is how how i analyse it and i dont SEE something i mean johnston negotiations(1) whwhich were not adopted(1) were in 1954(...) NOW in ah(1) in 2005(1) and STILL were talking about the conflict so ahm(1) [hm] we maybe next 30 years we still talk about the conflict”(699-727)
Einerseits sieht die Sprecherin die Zukunft der politischen Verhandlungen über das Jordanbecken als höchstens auf bilateraler Ebene als erfolgversprechend an; gleichzeitig konstatiert sie, dass das Problem des Jordanbeckens nur dann ohne Gefahr für die Wasserressourcen gelöst werden kann, wenn das Becken als hydrologische Einheit betrachtet wird. Sie expliziert hier erstens die Verschränkung
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von Spezial- und politischem Diskurs in Bezug auf Wasser und verdeutlicht zweitens die Schwierigkeit, politische und hydrologische Interessen im bestehenden politischen Klima, das hier nur angedeutet wird, zu vereinbaren. Mit den Anspielungen auf den bilateralen israelisch-jordanischen Friedensvertrag sowie auf das Scheitern der Johnston-Verhandlungen der 1950er Jahre, in denen vergeblich versucht worden war, alle Anrainer an einen Tisch und zu einer vertraglichen Einigung zu bringen, illustriert die Sprecherin die Hoffnungslosigkeit aller Versuche, multilaterale Abkommen zu erreichen. Diese Hoffnungslosigkeit wird dann allerdings versicherheitlicht als Bedrohung der natürlichen Wasserressourcen, die nur dann nachhaltig bewirtschaftet werden könnten, wenn sie als Einheit betrachtet werden; andernfalls drohe ihnen die Zerstörung. Der restliche Teil der Passage über externe Einflüsse beschäftigt sich mit internationalen Akteuren, die den Wasserverteilungskonflikt zwischen Israelis und Palästinensern beeinflussen können. Die Sprecherin nennt „donors“ (668) und „international community“ (669), die im Rahmen von internationalen Interventionen als „third party“ (674f), „supranational institution“ (675f) oder als Vermittler in „conflict resolution“ und „negotiations“ (679) aktiv werden könnten. Sie erwähnt außerdem die Einrichtung regionaler Büros, die Initiierung eines Diskussionsprozesses wie zwischen Indien und Pakistan in den 1950er Jahren, sowie finanzielle Unterstützung (680ff). Diese Ausführungen sprechen für eine insgesamt positive Einschätzung der Rolle der internationalen Gemeinschaft als Akteur im israelisch-palästinensischen Konflikt; sie werden allerdings gleich darauf eingeschränkt durch Anspielungen auf unkoordinierte Hilfsprojekte, die keine übergeordnete Strategie oder Vision verfolgen und deshalb wirkungslos bleiben müssen: „projects programs that(1) that suppOrt REALLY(1) the vision (1) not only(1) projects that we see here and there and everywhere you know(1) people just want to do ah(1) cooperative projects with no outcome and no vision [hm] there should be a vision(1) a vision Is the equitable and reasonable utilisation the share(1) the sharing of the ah(1) waters(1) and then we can do a mechanism for the implementation through aah(1) the programs that are funded by the donor community(1) so(1) THREE(1) different types of interventions” (685-698)
Die Definition der Vision als die Umsetzung des Konzepts „equitable and reasonable utilisation“ führt zurück auf die vorangegangenen Ausführungen und die Versicherheitlichung der israelischen Kontrolle über den Großteil der regionalen Wasserressourcen. Zuende gedacht, fordert die Sprecherin hier von allen internationalen Akteuren, gegen die israelische Kontrolle zu arbeiten, denn nur durch sie sei die gemeinsame Verwaltung der Wasservorräte („sharing“) zu erreichen.
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Erneut bleiben Defizite im palästinensischen Wassermanagement sowie die israelischen Reformbemühungen im Wassersektor unsagbar. Die letzte Passage beschäftigt sich mit der Zukunftsvision der Sprecherin und ihrer Ansicht in Bezug auf einen möglichen Westbank-Abzug. Sie dient einerseits zur genaueren Bestimmung ihrer Diskursposition, funktioniert andererseits aber auch als abschließende Rekapitulation und Verfestigung der dominanten Diskursstrukturen: „my vision to my country(1) oh(1) i ah(1) i mean of course(1) an independent state(1) of course (1) so a two state solution im still with that(1) i ah(1) its not that in my view aah(1) im not with the binational state (1) aaah (1) a state that has(1) borders defined borders the 1996 pre 1967 borders so(1) with some aahm(1) more or less you know ahm(1) ah(1) what we call aah(1) replacement i dont know what ah what they call it in political terms but but ah(1) im not REALLY with ah(1) just(1) the SAME(1) because the political borders have changed (1) and (1) maybe for some reasons we need to exchange ya [incomp] exchange-sw-swop of land(1) so(1) im with that but not with a high percentage (1) to solve the problem(1) NOT to be very stubborn on positions that say(1) no i want THIS line not that line but we can do some swops that are realistic(1) and that can lead to define waters (1) of course(1) limited sovereignty(1) over the water resources(1) which is ah(1) called by international water law (1) and aah(1) the application of(1) equitable use and utilisation (1) ah in for my country in general i want(1) democracy(1) i want good governance(1) i want ah(1) liberal ah(1) women a voice for aah(1) the ahm(1) under the ahm the marginal groups (2) aaah(1) what do i want i want aah(2) yeah democracy ah(1) rule of law (1) no corruption(1) transparency(1) oh whatever you want(1) from the(1) NICE (1) democratic civilised states [hm] I: and do you think there will be a westbank disengagement 09: (2) aah [laughs] (1) is there a gaza one [laughs] [good question] (1) yeah (1) i dont i dont believe in the gaza disengagement i spoke about it very openly in the newspapers(1) i said(1) what type of aah(1) sovereignty will(1) we will have what aaah(1) what(1) no borders no control land air soild is all still aaah(1) controlled by israelis(1) even the ants and bees (1) so (1) what what disengagement so no(1) i dont think very soon(1) MAYBe from some(1) of the settlements this is what we hear (1) very(1) strongly (1) but now a withdrawal no”(737-785)
Die Aufzählung der gewünschten Staatsform etc. (738-743; 761-770) unter Verwendung der Formulierung „of course“ verdeutlicht das Selbstverständnis der Sprecherin und sagt darüber hinaus etwas über die von ihr akzeptierten Sagbarkeitsfelder aus. „Of course“ impliziert, dass das Gegenteil des Gesagten, etwa ein binationaler Staat, in den Bereich des Unsagbaren gehört. Bemerkenswert ist der Verhandlungsspielraum, der in Bezug auf den zukünftigen Grenzverlauf eines palästinensischen Staates entworfen wird und der darüber hinaus als Konsens innerhalb der ingroup („what we call“) dargestellt wird. Unter dem Begriff
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„replacement“ fasst die Sprecherin eine gewisse Entscheidungsfreiheit bei den Verhandlungen über das Territorium des palästinensischen Staates: Ein wichtiger Ansatzpunkt für Dialog. Auch die Begründungen für diesen Handlungsspielraum („the political borders have changed“, „maybe for some reasons we need to exchange“) spiegeln eine gewisse Offenheit für alternative Sichtweisen und Positionen wider, die darüber hinaus als positiv, nämlich nicht „stubborn“ dargestellt wird. Diese Offenheit wird im nächsten Schritt allerdings sogleich wieder eingeschränkt, indem implizit nur solche Tauschgeschäfte akzeptiert werden, die „realistic“ und „not with a high percentage“ sind. Nichtsdestoweniger ist diese Art von Verhandlungsspielraum erneut ein Zeichen für eine Veränderung im palästinensischen Hegemonialdiskurs, in dem lange Jahre ja nicht einmal das Existenzrecht Israels, geschweige denn seine Grenzen, als akzeptabel sagbar waren. Hier dagegen wird die Existenz Israels nicht einmal im Ansatz in Frage gestellt. Darüber hinaus implizieren die Ausführungen zum „land swop“, dass diese Art des Tauschgeschäfts auch für die eigene ingroup sinnvoll sein könnte: Das ehemalige Nullsummenspiel hat sich in eine win-win-Situation verwandelt. Auf der Basis der Bildung eines palästinensischen Staates erhofft sich die Sprecherin dann das, was sie während des gesamten Interviews immer wieder als übergeordnetes Ziel im Wasserverteilungskonflikt zwischen Israelis und Palästinensern formuliert hatte: Souveränität über Teile der natürlichen Wasserressourcen für die Palästinenser und gerechte Nutzung. Auch die abschließenden Ausführungen der Sprecherin über die (Un-) Wahrscheinlichkeit eines Westbank-Abzugs dient einerseits der Bestimmung ihrer Diskursposition; andererseits spielt sie auch hier wieder auf die fehlende Ernsthaftigkeit der Israelis in Bezug auf eine „echte“ Lösung des Konfliktes an, indem sie die absolute Abhängigkeit des Gazastreifens von israelischem Gutdünken auch nach dem Abzug aller Soldaten und Siedler herausstellt: „no borders no control land air soil (...) is all still (...) controlled by israelis(1) even the ants and bees(1) so (1) what what disengagement“. Der Sarkasmus des letzten Teils dieser Formulierung zusammen mit der rhetorischen Frage am Ende unterstreicht die nüchtern-distanzierte, aber doch extrem israel-kritische Haltung der Sprecherin, die das gesamte Diskursfragment durchzog. Abschließend kann man sagen, dass sich ein recht einheitliches Bild des palästinensischen Hegemonialdiskurses herausbildet. Die dominanteste Diskursstruktur ist die Konzentration auf Israel als für alle Mankos und Defizite in der palästinensischen Wasserversorgung und dem palästinensischem Wassermanagement allein verantwortlich. Daraus wird die Schlussfolgerung abgeleitet, dass die jetzt katastrophale und existenziell bedrohliche Wasserversorgungssituation der Palästinenser sich mit dem Tag grundsätzlich ändern würde, wenn Israel endlich seine Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen mindestens teilweise aufgäbe. Dabei sind drei Dinge bemerkenswert:
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lässt die Sprecherin die palästinensische Verantwortung sowohl für den israelisch-palästinensischen Konflikt als auch für die katastrophale palästinensische Wasserversorgung weitgehend unerwähnt. stellt sie trotzdem die Notwendigkeit von Verhandlungen und Einigung mit den Israelis wiederholt heraus und wird Wasserknappheit nur vermittelt über die israelische Kontrolle versicherheitlicht. Der Tenor lautet, dass die natürlichen Wasserressourcen für die Palästinenser nur knapp sind, weil Israel sie kontrolliert; eigentlich würden sie ausreichen. Die israelische Kontrolle wird als Bedrohung der Existenz, Selbstbestimmtheit, der eigenen Werte und des Territoriums des Referenzobjektes palästinensische Gesellschaft versicherheitlicht.
Das Bild der Sprecherin auf die Israelis ist geprägt von Dämonisierungen und Übertreibungen; nur selten gesteht sie der Gruppe der Israelis eine gewisse innere Differenz zu („good israelis“). Insgesamt besteht ihr Weltbild aus der Überhöhung der eigenen ingroup, der Betonung ihrer Übervorteilung durch Israel und der Überzeugung, dass die Abhängigkeit der Palästinenser von Israel die Wurzel allen Übels sei. 5.3.4 Palästinensischer Gegendiskurs Der Sprecher 08 PAL war von 1998 bis 2004 hochrangiger Mitarbeiter einer palästinensischen Entwicklungsorganisation. In dieser Funktion überwachte er z.B. die Umsetzung einer regional übergreifenden Strategie für den palästinensischen Wassersektor. Insgesamt charakterisierte er seine Arbeit und seine Interessen aber vor allem als bezogen auf den Sicherheitsaspekt von Wasser für die palästinensische Gesellschaft. Er verfügt über Universitätsabschlüsse in Kommunikationswissenschaft, Sozialwissenschaften und Englisch, sowie zwei PhDs in Politikwissenschaft und Regierungslehre. Er ist heute hochrangiger Mitarbeiter einer palästinensischen Universität. Der Sprecher 08 PAL unterhält gute Kontakte zu israelischen Universitäten und Nichtregierungsorganisationen und unternimmt regelmäßig Forschungs- und Vortragsreisen nach Israel sowie ins europäische und nordamerikanische Ausland. Er kann als angesehene Persönlichkeit innerhalb der palästinensischen Gesellschaft und als gewichtiger Kritiker seiner Regierung angesehen werden. Er selbst sieht sich dabei als Aktivist für Konfliktlösung und Frieden; in einer Gesellschaft, in der selbst die Teilnahme an auch von Israelis besuchten Konferenzen – von Gesprächen mit Israelis und der Anerkennung ihrer Rechte und Interessen einmal ganz zu schweigen – bereits als Kollaboration mit dem Feind verstanden werden kann, kann der Sprecher als Vertreter des palästinensischen
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Gegendiskurses angesehen werden. Das Gespräch wurde im Haus des Sprechers in Ost-Jerusalem geführt. Die Feinanalyse des Gegendiskurses dient vorwiegend der Vervollständigung des palästinensischen Wasserdiskursstrangs, so dass sie sich auf die Passagen konzentriert, in denen sich Wasser- und Sicherheitsdiskurs überschneiden oder in denen die hegemonialen (Un-)Sagbarkeitsfelder deutlich erweitert oder eingegrenzt werden. Der Fokus des Sprechers lag, anders als im Hegemonialsdiskurs, meistens auf der palästinensischen Gesellschaft als Akteur, was sich zum Beispiel in Formulierungen wie „we need to“ (9mal) und einer entsprechenden Pronominalstruktur widerspiegelt. Der Sprecher spielte mehrfach auf den israelischpalästinensischen Konflikt an, verfolgte diese Anspielungen aber nicht weiter und – ein weiterer wichtiger Unterschied – verband sie weder direkt noch indirekt mit Vorwürfen an und Wertungen über Israel. Die Anfangspassage illustriert diese Grundhaltung bereits: „actually (1) our problem is that (1) we do not have(1) good water management (1) and so(1) thats why (1) this is part of the problem(1) that we have we dont have(1) a clear vision for water strategy (1) and its has (1) a number this has a number of reasons why is it so (1) some of the reasons are(1) are related to palestinian (1) self (3) status and other outside status (1) for the palestinians (1) i believe that there isnt a good (1) management (1) there isnt (1) within the palestinian authority (1) the (1) administration there(1) i dont think its efficient i dont think (1) it is doing (1) a good job and so basically i think it is (1) this is part of our responsibility and (1) the people yani (1) a number of the (1) people in charge (1) are there for political reasons rather than technical reasons thats one problem(1) on the other side we have the problem with israelis which is [incomp] israeli occupation and israeli control(1) of water resources(1) so(1) than thats(1) these are two areas(1) the third(1) is that (1) we dont have (1) good public awareness o on the signIficance of water(1) so we have a lot of(1) water wastage(1) and so (1) and the fourth(1) is that we do not have (2) good technical ex(1) pertise (1) how to collect water and how to (1) utilise water (1) also (1) it comes from rain or if it comes (2) so basically(1) we LOSE(1) so much water because (1) of our lack of technical abilities (1) and technical knowhow (1) of how to use it (1) and then(1) lastly(1) we cannot recycle water (1) to be able yani to(1) to see how we can for instance (1) differentiate between drinking water and other water we can use(1) for other (2) purposes(1) and so basically (1) we cannot (3) we are not good keepers of water and good users of water” (38-78)
Die Personalpronomen „our“ und „we“ als Platzhalter für die palästinensische Gesellschaft dominieren diese Passage; sie werden nur vom Personalpronomen „I“ ergänzt, mit dessen Hilfe der Sprecher seinen eigenen Standpunkt verdeutlicht und seine kritische Bewertung des palästinensischen Wassermanagements bekräftigt. Der Fokus liegt damit auf den Palästinensern als verantwortlichen
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Akteuren im Wassermanagement: Eine deutliche Erweiterung der hegemonialen Sagbarkeitsfelder. Der Sprecher stellt keinen kausalen Zusammenhang zwischen defizitärem palästinensischen Wassermanagement und der israelischen Kontrolle her, sondern lokalisiert die Verantwortlichkeit eindeutig in der palästinensischen Gesellschaft. Zweimal erwähnt er den israelisch-palästinensischen Konflikt („outside status“, „the problem with (...) israeli occupation and israeli control(1) of water resources“), doch ohne jegliche Wertung der israelischen Kontrolle. Stattdessen verwendet er einen Euphemismus („the problem with the israelis“) und konzentriert sich weiterhin auf palästinensische Akteure, statt diesen Punkt weiterzuverfolgen. Im Hegemonialdiskurs war es anders herum. In dieser Anfangspassage formuliert der Sprecher fünf miteinander zusammenhängende, explizit an die Palästinenser gerichtete Kritikpunkte, die im Laufe des Fragments immer wieder auftauchen: 1. „we do not have good water management„“(39, 47f; 154f) 2. „we do not have a clear vision for water strategy“ (41f; 143ff) 3. „we dont have good public awareness“ (61f) 4. „we do not have good technical expertise“ (65f) 5. „we cannot (...) differentiate between drinking water and other water“ (72ff) Abschließend kommt der Sprecher zum grundsätzlichen Urteil „we are not good keepers/users of water“ (77f). Gemessen an der Wichtigkeit von Wasser für das tägliche Überleben und der allgemeinen Wasserverfügbarkeit für die palästinensische Bevölkerung sind dies schwerwiegende Vorwürfe, die in Richtung einer „internen“ Versicherheitlichung des palästinensischen Wassermanagements für die palästinensische Bevölkerung gehen. In jedem Fall ist es eine bemerkenswerte Erweiterung der hegemonialen Sagbarkeitsfelder, dass der Sprecher explizit die palästinensische Regierung, Elite und Bevölkerung für die insgesamt schlechte Wasserversorgung der Palästinenser verantwortlich macht („this is part of our responsibility“), während die israelische Kontrolle zunächst lediglich als Faktum und ohne jegliche Bewertung als ein Grund unter vielen erwähnt wird. Dies ist ein grundlegender Unterschied zwischen Hegemonial- und Gegendiskurs: Während ersterer die Palästinenser weitestgehend als passive, abhängige und weitgehend hilflose Zuschauer des regionalen Wassermanagements darstellte, erhalten sie hier – abgebildet in der Subjekt-Objekt-Konstruktion – Handlungsfähigkeit und -verpflichtung. Die ingroup wird nicht mehr verherrlicht und gleichzeitig geht die Dämonisierung der outgroup zurück, so dass konfliktive Diskursstrukturen durch kooperativere Varianten ersetzt werden. Die Liste der Vorwürfe gegenüber der palästinensischen Selbstverwaltung wird im zweiten Absatz gleich weitergeführt, wenn Begriffe wie „nepotism“ (93) und „corruption“ (94) mit der palästinensischen Wasserbehörde in Zusammenhang gebracht werden. Auch die PA, der Präsident und der Premierminister wer-
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den namentlich genannt und der Vernachlässigung des Wassersektors beschuldigt (101ff; „a VERY essential sector(1) within the palestinian sector is left on its own“, 107ff). Diese Art der direkten Vorwürfe waren im Hegemonialdiskurs vollständig für die israelische Seite des Konfliktes reserviert; sie finden sich in dieser Form, also an Palästina gerichtet, lediglich im israelischen Hegemonialdiskurs wieder. Diese Kritik und die damit einhergehende Ausweitung der Sagbarkeitsfelder setzen sich fort, wenn es um die Nachhaltigkeit palästinensischen Wassermanagements geht: „i have (1) a dim view(1) a grim drim view of (1) actually (1) our strategic vision of how to utilise water in order to(1) yani(1) only (1) in order to sustainable development in palestine(1) so basically(1) i think that (1) we NEEd to work on that(1) and if we dont yani(1) we are blaming the israelis about (1) but rather i think that we are not (1) dOIng (1) enOugh on our own(1) but we have to see (1) what needs to be done(1) and like i said (1) yani i think that (1) basically(1) what we need is(1) to have (1) professional (1) management within the palestinian (1) water (1) leadership so that (1) and (1) unfortunately also that (1) we have now (1) pressure on water ngos who have been doing a very good job(1) actually in this field (1) and so the (2) the p w a is trying to eliminate the competition and i think thats not (1) healthy(1) for (1) the palestinian for the palestinian sector as a whole (...) and this way yani for instance ngos(1) in water cannot get funding unless they have it through (1) the palestinian water authority(1) and i think that will (1) PARALYZE the (1) palestinian ngos and it will cripple their activities and it will cut down on their initiative and on what they are doing (1) and (1) it will be (1) a VERY sad day(1) when everything that will be done for civil society(1) when everything when this slow process and every funding will go to the pa or through the(1) in this case we have to talk about the water sector (1) through the pwa(1) yani EVEN training (1) then it will have to go through the pwa (1) yani it will be a mo-it will be (1) big brother watching you(1) and(1) not only watching you(1) contrOlling you (1) and this way (1) maybe most of the (1) ngo (1) ngos working in the water sector will be obliged to close down (1) and thats (1) actually (1) will (1) will be (1) very devastating (1) for activities within the w within the water sector” (143-192)
Formulierungen wie „we NEED to work on that“ (148) und „we are not (1) dOINg (1) enOUgh on our own“ (150f) unterstreichen erneut den Fokus auf Pflicht und Verantwortung der Palästinenser. Gleichzeitig kritisiert der Sprecher sowohl das Fehlen einer strategischen Vision für nachhaltiges Wassermanagement als auch das nicht vorhandene professionelle Management. Dieses Muster wiederholt sich im gesamten Fragment; der Sprecher unterfüttert diese Aussagen zudem mit konkreten Beispielen und persönlichen Erfahrungen bzw. Bewertungen, etwa seiner Einschätzung des Zusammenspiels von Wasserbehörde und NGOs obenSo verleiht er ihnen mehr Gewicht und eine größere Authentizität. Auch die
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Redewendungen „i think“ und „i believe“ werden sehr häufig (insgesamt 44mal) verwendet; der Sprecher macht sich hier einerseits unabhängig von Unterstützern, die seine Meinung vielleicht teilen und ihr damit mehr Gewicht verleihen könnten, andererseits öffnet er seine Aussagen für andersartige Interpretationen, indem er sie als seine individuellen Gedanken kennzeichnet. Bemerkenswert ist hier die Schuldzuweisung, die in der Formulierung „and if we dont yani(1) we are blaming the israelis about“ explizit wird: Hier wirft der Sprecher den Palästinensern vor, selbst verursachte Defizite den Israelis zuschreiben zu wollen – im palästinensischen Hegemonialdiskurs wäre diese Form der internen Kritik unsagbar. Auch die Beurteilung der geplanten Reform des Wassersektors zu Ungunsten der NGOs ist bemerkenswert, da hier das Wort „control“, dessen negative Konnotationen im gesamten übrigen Diskursstrang exklusiv für die Israelis reserviert sind, hier auf die Palästinenser angewandt wird: „it will be (1) big brother watching you(1) and(1) not only watching you(1) controlling you“. Die abschließende Beurteilung dieser Veränderungen im Wassersektor als „devastating“ kann zumindest indirekt als securitizing move gegenüber der palästinensischen Wasserbehörde gewertet werden. Die Formulierung einer Bedrohung des palästinensischen Wassersektors und damit der palästinensischen Wasserversorgung durch Palästinenser erweitert die hegemonialen Sagbarkeitsfelder ganz enorm; im Kontext des Gegendiskurses ist es allerdings nur folgerichtig, da hier die Palästinenser als Hauptakteure und Hauptverantwortliche im Wassersektor akzeptiert und in die Pflicht genommen werden. Als sei diese grundlegende Kritik am palästinensischen Wassermanagement, die auch vor einer Versicherheitlichung der eigenen Defizite nicht zurückschreckt, nicht genug, schreckt der Sprecher auch nicht vor dem Tabu zurück, die Israelis als würdige Kooperationspartner anzuerkennen: „the israelis (1) are (1) actually (1) VERY good experts in water in particular and so basically(1) we have a lot to learn from them(1) at the same time(1) we need to cooperate with them with regard to (1) WORKING on water because yani(1) most (1) now(1) they have control over water and we NEED (1) actually to work with them positively to have (1) ACCESS to water (1) this is one thing (1) at the same time (1) we have (1) our fate is linked together [incomp] with regard to environment and water and so unLESS(1) we cooperate(1) on this issue yani then (1) basically we are (1) yani (1) we we are in trouble (1)and thats why i from that (1) pwa l-lack of cooperation or (1) trying to BOYCOTT israelis althOUgh (1) many of the israelis who are in the water section section (1) sector (1) like (1) for instance [name] (1) are actually very POSITIVE and they are pro palestinian and theyre (1) they dont actually they dont (1) bring in their political baggage(1) but they can bring in their (1) technical expertise(1) and i think thats(1) very important and (1) thats why(1) i feel that (1) it would have been very important (1) for palestinians (1) to try to (1) not to
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5 Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs – ein synchroner Schnitt make politics (2) domain (1) dominate all their (1) VISION of cooperation (1) with regard to the water sector in particular” (210-240)
Hier versicherheitlicht der Sprecher die palästinensische Nicht-Kooperation mit den Israelis als existenzielle Bedrohung der palästinensischen Wasserversorgung („unless we cooperate“) und sprengt damit jedes hegemoniale Sagbarkeitsfeld. Gleichzeitig bewertet er die Kontrolle der Israelis über die Wasserressourcen nicht, sondern stellt sie nur fest, obwohl eine (negative) Bewertung absolut sagbar gewesen wäre. Das Resultat sind kooperative Diskursstrukturen, die sich in einer Betonung der Wichtigkeit von Kooperation und der Ablehnung von Boykottversuchen widerspiegeln. Der Sprecher bricht hier gleich mehrere Tabus: Nicht nur akzeptiert er das technische Können der Israelis, er plädiert auch dafür, mit den Israelis zusammenzuarbeiten (siehe auch 822f und 829ff). Nicht nur bewertet er die israelische Kontrolle nicht, er nimmt sie als gegeben an und verlangt trotzdem Kooperationsbereitschaft von den Palästinensern. Und nicht nur kritisiert er die Israelpolitik der palästinensischen Regierung, er stellt sie als schädlich für die palästinensische Gesellschaft, in diesem Fall ihre Wasserversorgung, dar (siehe auch 901ff, 962ff). Die konjunktivische Formulierung „it would have been very important“ impliziert zudem, dass der Schaden nicht mehr abzuwenden sei, und gibt der ohnehin massiven Kritik so noch mehr Gewicht. Die Politik des Boykotts gegenüber Israel kritisiert der Sprecher noch mehrfach im gesamten Diskursfragment, meistens bezogen auf Konferenzen, die sich mit dem regionalen Wassermanagement befassen: „what im referring to is conferences on water(1) that has been held (1) where palestinians do not(1) or the pwa do not go just because israelis are there“ (277ff). Zum Teil erweitert er diese Kritik, indem er sie als Bedrohung für die Zukunft der palästinensischen Gesellschaft, sogar der arabischen Demokratie generell darstellt: „there are voices that are calling for boycots(1) of israel (1) and boycot of universities and the UNFORTUNATE thing(1) is that is is the INTELLECTUALS(1) and academics at university(...) who are calling for boycot of israeli university so WHAT are these people teaching(1) to their childre-to their students(...)if we are teaching our children our students to(1) think in terms of boycots rather than dialogue(1) what is the future of democracy in the arab world“ (662-686)
Stellt man diese Aussage vor den Hintergrund der politikwissenschaftlichen Demokratieforschung, in der (stark vereinfacht) davon ausgegangen wird, dass Demokratien sich insgesamt friedlicher verhalten als andere Regime, dann könnte man auch hier einen, wenn auch indirekten, securitizing move lokalisieren. Die rhetorische Frage am Ende impliziert jedenfalls, dass die Zukunft der Demokratie in der arabischen Welt keinesfalls gesichert ist, und spielt sowohl auf den
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Demokratisierungsdiskurs als auch auf die zahllosen Probleme innerhalb der arabischen Welt und zwischen dieser und anderen Kulturen an. Die Verantwortlichkeit, und zwar auch für die arabische Welt außerhalb Palästinas, lokalisiert der Sprecher dabei erneut bei den Palästinensern, nicht den Israelis. Er führt aus: „if WE can(1) bridge this gap(1) in OUR mentality (1) that I can invite(1) an israeli (1) to a palestinian university(1) to come and (1) say his views(1) on this issue(1) and REFLECT israeli views (1) so that i will LEARN (1) WHAT is it that (1) THE OTHER is about (1) then actually this is where (1) this asymetry(1) will (1) be bridged“ (549-557)
Die Präsupposition dieser Aussage ist, dass „man mit Israelis reden kann“, das Verständnis möglich ist und dass es an den Palästinensern liegt, die Asymmetrie zwischen Israelis und Palästinensern zu überwinden (s.u.). Ein weiterer Aspekt der deutlichen Kritik des Sprechers an der ingroup ist seine Sicht auf den palästinensischen Aufstand, die Intifada. Er beschreibt sie und ihre Effekte wie folgt: „very negative“ (364), „severe blow to all work thats been done“ (371f), „negative aspect“ (373), „i dont think it benefited us“ (375), „it turned against us the public opinion“ (376), „gave israelis excuse“ (379), „gave them the pretext“ (380f), „we lost MUCH more than we have gained“ (398f), „human resources that we have lost“ (400f), „obstacle in ANY kind of future development for peace“ (408ff), „embITTEred BOTH sides“ (410) und „all this negative impact on us as palestinians“ (432f). Bemerkenswert ist dabei, dass er an keiner Stelle eine eventuelle Notwendigkeit des palästinensischen Widerstands gegen israelische Kontrolle thematisiert, geschweige denn anerkennt, sondern stattdessen die Intifada für israelische Landannexionen (381), die Ausweitung der israelischen Kontrolle über Wasser (382), Enteignungen (384), die israelische Siedlungspolitik (386f) und diverse Restriktionen, etwa Beschränkungen der Reisefreiheit, der wirtschaftlichen Entwicklung und anderer Aktivitäten (387ff), darstellt. Die Intifada wird hier als Subjekt verwendet, das handelt und mit diesem Handeln Konsequenzen hervorruft, die das palästinensische Territorium, die palästinensische Selbstbestimmtheit und die palästinensische Existenz bedrohen. Eine solche Versicherheitlichung der Intifada für die palästinensische Gesellschaft war im hegemonialen Diskurs unsagbar und als Tabubruch einzuschätzen. Der Sprecher unterstreicht seine Einschätzung erneut durch konjunktivische Satzkonstruktionen: „gOod people killed yani or assassinated or (1) who (1) would have been (1) a reservoir for building a palestinian state (1) ya and so (1) this way (1) they could have (1) ADDED(1) to the multi (1) political system that we could have had“ (401ff). Erneut ist der Schaden nicht mehr rückgängig zu machen, was die ohnehin deutliche Kritik noch unter-
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streicht. Eine ähnliche Funktion erfüllt die folgende Rückschau auf die Zeit vor Ausbruch der Intifada: „when before the intifada (1) there were a lot of problems but (1) the idea was not to solve the problems through (1) violence and the intifada but rather through (1) continued dialogue and negotiation(1) and so basically thats where (1) we lost it (1) at a point(1) and could not ENVIsion that (1) therearethereare there are alternative ways to violence (1)and we thought or(1) whoever(1) the leaders of the intifada thought (1) that by violEnce(1) they could (1) make their voices heard (1) unfortunately (1) it was not helping the (1) proper places so it(1) had all this negative Impact on us as palestinians” (419-433)
Mit der Redewendung „thats where we lost it“ beschreibt der Sprecher den Beginn der Intifada und der mit ihr verbundenen Gewalt als Verlust rationaler Urteilsfähigkeit: das informelle „to lose it“ bezeichnet den Verlust der Kontrolle über die eigenen Emotionen oder Launen521 und kann mit dem (ebenso informellen) Ausdruck „ausrasten“ übersetzt werden. Damit rückt er die Intifada in den Bereich eines irrationalen Gefühlsausbruchs, der weit von politisch wirkungsvoller Aktion entfernt ist und der vor allem dazu führte, dass Alternativen zur Gewalt nicht mehr gesehen wurden. Bemerkenswert ist die Paraphrasierung von „we thought“ hin zu „the leaders of the intifada thought“, die indiziert, dass der Sprecher sich selbst und seine ingroup von den Drahtziehern der Intifada distanziert. Stattdessen betont er abschließend den Schaden, den die Intifada, deren erklärtes Ziel es ist, die Situation der Palästinenser zu verbessern, der palästinensischen Bevölkerung zugefügt habe. Auch wenn es um die Asymmetrie des Konfliktes geht, erweitert der Sprecher die hegemonialen Sagbarkeitsfelder deutlich. Zur Erinnerung: Im Hegemonialdiskurs war das Thema Asymmetrie vor allem mit der militärischen und politischen Dominanz Israels und der daraus resultierenden schwachen und abhängigen Position der Palästinenser gefüllt worden. Im Gegendiskurs dagegen wird der Begriff ganz anders verstanden: „the asymmetry (...) is there (1) basically (1) not because (...) of the fact that israel is (1) this powerful (1) the asymmetry is there(1) because of the fact that we as palestinians(1) are unable to(1) develop our own strategy and our own self sufficiency and to USe(1) our friends and to use our(1) arab (1) heritage and arab (1) resources (1) yani we have ALIEnated the arab people we have alienated the arab governments we have alienated yani im not even TAlking about foreign (1) or international commitment im talking about (1) palestinian arab relations and so(...) this way (1) we have lost a strategic allY which is our(1) arab depths we can (1) and so basically(1) 521 „To lose control of one’s temper or emotions“. In: The New Oxford Dictionary of English. Oxford: Oxford University Press, 1998, S. 1092.
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this is how i see asymmetry because LOOk at israel yani(...) there are(1) jews in the diaspora and there are palestinians in the diaspora (1) so the asymmetry there(1) is that jews in the diaspora FULLy support israel financially and (1) politically (1) HERE we have(1) with the palestinians(1) we have people(1) support and just tAlk but nothing (1) yani nothing in their pocket and if theyre(1) if EAch of them will pay a dollar(1) yani a month or a year (1) i think we would have been very r-yani would have been very able to (1) BREAK this asymmetry(1) down [incomp] and so (1) yani look at (1) our health system (1) wE pay (1) mILLIOns of dollars to send (1) people outside (1) to have (1) healthcare (1) while actually these(1) millions of dollars (1) they would have been used (1) to build hospitals or to bring equipment or to pay(1) good salaries to doctors to attract them to come(...) the asymmetry with regard to the health(1) sector would have been diminished (1) yani and so (1) this is pArt of (1) what we need to do (1) in order to (1) BREAK this asymmetry(1) even(1) Even israel is powerful military (1)but (1) we (1) ara we have been UNABLE (1) to neutralise military power (...) because (1) if WE can get (1) israeli public support (1) for OUR cause (1) then(1) the military power there(1) will be(1) so much diminished as a power (...) if WE can(1) win public opinion (1) so israEli public opinion so that they do NOT feel (1) on thathat it is on the contrary that(1) ACtions or violence that the israEli army is committing (1) that thIs is negative (1) or that this is not what they want(...) so (1) unfortunately (1) when you look at (1) how things are (1) the israeli military has been able to SELL (1) the idea of the WALL (1) as if its a security fence (...) when its so actually(...) this MYTh(1) that they created(1) that the (2) suicide bombings are not happening because of the presence of the wall(1) is actually it is only in their MIND(1) but in REALITY(1) it is the PALESTINIAN public opinion who actually TURNED against suicide bombing(1) and so (1) and (1) pulled around from under the militants(1) such as hamas(1) and djihad islami and al aqsa brigades(1) NOT to do (1) such (1) operations and the (1) in the (1) green line (1) and so basically(1) and the israelis is missing all this (1) as much as the palestinians are missing (1) on the role and the and significance(1) of winning over the(1) israeli public opinion (1) so here we have (1) THIS is what i would say asymmetry asymmetry in understanding(1) NOt asymmetry in material things or military power (1) i think this is part of the (1) WHERE (1) we should bridge this gap (1) of gETTINg to understand(1) the israelis(1) and trying to get our message TO the israelis” (433-535)
In dieser Passage werden die hegemonialen Sagbarkeitsfelder erneut deutlich erweitert und konfliktive Diskursstrukturen durch kooperative ersetzt. Der wichtigste Unterschied zum Hegemonialdiskurs besteht darin, dass die Palästinenser hier als von sich aus zum Ausbruch aus ihrer Abhängigkeit von Israel fähig angesehen werden. Nicht Israel ist es, das aktiv werden muss (auch wenn das helfen würde, s.u.), sondern die Palästinenser selbst sind es, die die Chance dazu noch nicht ergriffen haben. Erneut sind die Palästinenser nicht wie im Hegemonialdiskurs passive Empfänger und Zuschauer des politischen Treibens um sie herum, sondern ihnen wird die Möglichkeit, damit aber auch die Pflicht zuer-
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kannt, sich selbst aus ihrer misslichen Situation zu befreien. Die im Hegemonialdiskurs als absolut wahrgenommene Abhängigkeit von Israel und der Einflussnahme internationaler Akteure wird ersetzt durch eine Art diskursivem empowerment der Palästinenser. Der Sprecher spielt auf die panarabische Idee der 50er und 60er Jahre an und impliziert, dass eine engere Kooperation mit den arabischen Nachbarstaaten den Palästinensern politisch und gesellschaftlich gut getan hätte. Doch erneut zeugen Subjekt-Objekt-Stellungen davon, dass es die Palästinenser selbst waren, die diese potenzielle Hilfe nicht genutzt, ja sogar vorsätzlich ausgeschlagen haben („corruption“). Die Formulierung „we have been UNABLE(1) to neutralise military power“ setzt voraus, dass das genannte Subjekt die Möglichkeit gehabt hätte, die erwähnte militärische Macht zu neutralisieren: Auch dies erweitert die hegemonialen Sagbarkeitsfelder ganz enorm. Mit den abschließenden Bemerkungen über die israelische öffentliche Meinung und die Notwendigkeit, die israelische Öffentlichkeit für die palästinensische Sache einzunehmen nähert sich der Sprecher dem Hegemonialdiskurs zwar wieder an: Auch dort wurde konstatiert, dass es notwendig sei, die israelische Bevölkerung von der bestehenden Ungerechtigkeit in Kenntnis zu setzen und sie so zu einer kritischen Masse für die israelische Politik zu machen. Allerdings erweitert der Sprecher diesen Wunsch um die Dimension des gegenseitigen Verständnisses: „this is part of the (1) WHERE (1) we should bridge this gap (1) of gETTINg to understand (1) the israelis(1) and trying to get our message TO the israelis“. Nicht nur die Israelis sollen die palästinensischen Ansprüche verstehen (und akzeptieren), sondern die Palästinenser müssen gleichzeitig auch die israelische Seite zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen. Dies ist aus friedenswissenschaftlicher Sicht ein extrem wichtiger Punkt, da hier von beiden Konfliktparteien gleichermaßen dialogisches und kooperatives Verhalten eingefordert wird. Auf dieser Basis könnte Gerechtigkeitsempfinden und letztlich Versöhnung entstehen. Auch im weiteren Verlauf betont der Sprecher immer wieder, dass zwar die Israelis ihr Verhalten den Palästinenser gegenüber verändern müssten (s.u.), dass gleichzeitig aber die Palästinenser ihre Verantwortung für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikt endlich wahrnehmen müssten. Dies äußert sich in Formulierungen wie „this gap(1) in OUR mentality“ (549f), „it is part of OUR problem(1) not THEIR problem“ (561f), „ITS NOT THEIR PROBLEM its OUR problem“ (568f), „thats what we need to do here“ (583), „theyre not using (1) the LOGIC (...) theyre using their EMOTIONS“ (595f) und „we need(1) to have(1) palestinian(1) become MORe (1) RATIONAL(1) in the way they think(1) than EMOTional“ (599ff). Die Konfliktlösung beginnt in der palästinensischen Gesellschaft und nicht, wie im Hegemonialdiskurs, in der israelischen Politik.
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Manche der hegemonialen Diskursstrukturen übernimmt der Sprecher jedoch, wie oben bereits erwähnt. So ist zwar nicht jede Erwähnung der Israelis mit einer Bewertung ihrer Politik gegenüber den Palästinensern verbunden, doch die grundsätzliche Überzeugung, dass die israelische Kontrolle über die Westbank und den Gazastreifen möglichst bald zu einem Ende kommen muss, weil sie negativen Einfluss z.B. auf die palästinensische Wasserversorgung hat, bleibt auch im Gegendiskurs bestehen(112-134 etc.). Auch hier markieren oft die Modalverben „have to“, „need to“ und „can“ in Verbindung mit dem Subjekt Israel die Schlüsseläußerungen: „the israelis have to realise(1) that even it is in [incomp] best interest (1) to try to reach a resolution to this conflict“ (617ff), „they cannot SUSTAIn (1) their control forever“ (621f). Insbesondere in Bezug auf die israelische Siedlungspolitik ist der Gegendiskurs praktisch identisch mit dem Hegemonialdiskurs: „they [the settlers, Anm. d. Verf.] (1) USe a lot fo (1) water (1) much more (1) five times more what palestinians use“ (329f), „[the settlements have a] plain negative role (1) in both and (1) the AMOUNT of water usage (1) the amount of water they are using (1) at the same time (1) dumping all the (1) water waste water on us“ (334ff). Darüber hinaus wird die Mauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten auf die Siedlungen zurückgeführt: „the presence of settlements on palestinian land and territories (1) and ALSO (1) actually (...) they encourage the (1) israeli government in order when (1) to build the wall (...) not Only (1) to safeguard the sEttlements itself (1) but Also to safeguard the water resOurces that the settlements(1) are (1) exploiting (1) taking advantage„ (343ff)
Die Siedlungen werden hier als (existenzielle) Bedrohung der palästinensischen Wasserversorgung sowie des palästinensischen Territoriums versicherheitlicht. Die hohe emotionale Aufgeladenheit der Diskussion um die Siedlungen spiegelt sich in der Verwendung von Kraftausdrücken wie „to dump“ (336, 340) wider, die aus dem sonstigen sprachlichen Register herausfallen. Auch die extrem negativ konnotierten Verben „to exploit“ und „to take advantage“ werden nur in diesem Zusammenhang verwendet. Der maßgebliche Unterschied zwischen Gegen- und Hegemonialdiskurs, nämlich dass nicht nur Israel, sondern auch die Palästinenser zur Veränderung ihrer selbst sowie zum Verständnis und zur Anerkennung des jeweils Anderen angehalten werden, bleibt jedoch auch hier bestehen: „they HAVE to share the land(1) they cannot just take it(1) like that(1) the land has to be shared and BOTH of them(1) has to understand that“ (644ff). Deutliche Unterschiede und Erweiterungen des Hegemonialdiskurses finden sich dann wieder, wenn es um das Thema Gaza-Abzug geht. Wo im Hegemoni-
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aldiskurs der Fokus auf der trotz Abzug anhaltenden israelischen Kontrolle lag, stellt der Gegendiskurs die Tatsache in den Vordergrund, dass der Abzug zwar gut für die Palästinenser, aber letztlich schlecht für Israel gewesen sei: „you give a cadeau yani (1) you give us yani(1) something(1) and you did NOT get anything in return(1) now (1) without (1) you are giving us without commitment(1) on OUr side (1) and this is YOU are losing (1) on that term(1) you are winning(1) by doing(1) unilateralism(1) because this is part of your policy (1) gaza is like a hot potatoe and you want to dump it (1) at the same time (1) you are losing because you are not getting anything in return(1) if you want to do it in the westbank (1) youyou cAN do it in the westbank (...) but i say you will be doing a big mistake because basically (2) you are not getting anything out of it(1) you you are(1) yani DOING unilateralism you are w-withdrawing(1) but you are not getting COMMITMENTS(1) as a result (1) or(1) you are giving something without getting something in return and (1) you are giving EVEN if you are giving us 40 percent or 50 percent (1) we are getting it(1) and then we(1) will demand the other fourty or fifty percent so basically what did you GAIN(1) from that angle” (763-795)
Erneut erweitert der Sprecher die hegemonialen Sagbarkeitsfelder um die israelische Perspektive und fügt dem Diskursstrang damit kooperative Diskursstrukturen hinzu. Die massive Kritik an der eigenen ingroup fasst der Sprecher am Ende des Diskursfragments noch einmal eindrucksvoll zusammen: „we as palestinians have a long way to go (1) and we dont have to blame the israelis for it (1) we have to blame ourselves (1) and unless we (1) really take action(1) END corruption and to END(1) and to REALLY(1) think in terms of (1) putting the right man in the right place and (1) we will(1) remain where we are (1) in the trash of history (1) this is where (1) where we are now (1) and (1) we have been (1) like aba iban once said (1) the palestinians never lose and opportunity to LOSE an opportunity (1) and hes right (1) i think that so far (1) we have proved that hes right(1) we are losing opportunity (1) one opportunity after the other (1) and (1) unless we wake up and unless we really (1) look not for personal gain (1) but for (1) the welfare of the community as a whole (1) even if it is at our own personal expense (1) then we can (1) MAYBe achieve something (1) maybe (1) maybe we can get (1) DIG us(1) dig ourselves (1) out of this hole(1) we are in (1) but (1) it will take (1) it will take some time (1) and (1) unfortunately (1) we have to REALISE (1) just to diagnose the disease (1) in order (1) to find the medicine(1) the right medicine for it” (9761003)
Wiederum liegt die vollständige Verantwortung für jegliche Verbesserung oder Verschlechterung der palästinensischen Lebenssituation in der Hand der Palästinenser, nicht der Israelis. Der Sprecher versicherheitlicht noch einmal mithilfe
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der Partikel „unless“ und „REALLY“ sowie der Verben „to lose“, „to blame“ und „to remain“ die bisherige, falsche Politik der palästinensischen Selbstverwaltung als Bedrohung für die Selbstbestimmtheit und die Werte der palästinensischen Gesellschaft, aber mindestens indirekt auch für ihre Existenz, indem er sie im „Abfallkorb der Geschichte“ verortet.
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Der israelisch-palästinensische Wasserdiskurs
Der Fokus dieser diskursanalytischen Arbeit lag auf den politischen, sozialen und symbolischen Vermittlungsprozessen, die dafür sorgen, dass Wasserknappheit in Israel und Palästina als konfliktiv wahrgenommen wird. Den theoretischen Zugang bildete einerseits ein diskursives, konstruktivistisches Konfliktverständnis, andererseits die securitization theory von Buzan et al. sowie diskurstheoretische Überlegungen. Ausgangspunkt der Analyse war die grundsätzliche Annahme, dass Konflikte immer diskursiv sind und aktiv konstruiert werden; Äußerungen wurden dabei als Manifestationen routinisierter Denkprozesse verstanden, die das individuelle Selbstbild ebenso beeinflussen wie die Vorstellung, die eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt von sich hat. Daraus folgt, dass die Bearbeitung von Konflikten die Aufdeckung, Analyse und Transformation vorhandener konfliktiver Diskursstrukturen, also verinnerlichter Denk- und Sprechmuster, erfordert. Zur Operationalisierung des theoretischen Rahmens diente die Kritische Diskursanalyse nach Jäger, mit deren Hilfe konfliktive und kooperative Diskursstrukturen wie Ver- und Entsicherheitlichungen sowie Inund Exklusionen aufgedeckt werden konnten. Diese Diskursstrukturen erzeugen Felder der Sag- und Unsagbarkeit und limitieren so Politikoptionen: Sie geben vor, welche politischen Entscheidungen umsetzbar sind und sind deshalb für Versuche der Konfliktlösung von zentraler Bedeutung. Ziel dieser Studie war es, das „diskursive Gewimmel“, das in beiden Gesellschaften in Bezug auf die Ressource Wasser herrscht, aufzudecken und strukturelle Ähnlichkeiten herauszuarbeiten. Auf dieser Basis, so die Überlegung, ließen sich einerseits vorsichtige Aussagen über Trends der zukünftigen Entwicklung des Konflikts treffen, und andererseits Ansatzpunkte für eine Konflikttransformation finden. Die Diskursgenese und die synchrone Diskursanalyse haben gezeigt, dass sich in Israel und der palästinensischen Gesellschaft zwei fundamental unterschiedliche Interpretationen von Wasser und Wasserknappheit gegenüber stehen. Diese sind aus der spezifischen Entwicklung und Struktur der jeweiligen nationalen Diskursstränge erklär- und nachvollziehbar. Beide Diskursstränge enthalten Elemente eines Hegemonial- und eines Gegendiskurses. Die Sagbarkeitsfelder in beiden Diskurssträngen hingen einerseits stark von der Ebene ab, auf die sich das Gesagte jeweils bezog, und andererseits von der Position des jeweiligen Sprechers im Diskurs. Daraus ergab sich eine Analysematrix mit den Eckpunk-
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ten nationale und internationale Ebene sowie Hegemonial- und Gegendiskurs. Ging es um die internationale Ebene, also um Fragen der Gerechtigkeit, des internationalen Rechts und der Verteilung der natürlichen Wasserressourcen unter allen Anrainern des Wassereinzugsgebiets, war Kritik am Wassermanagement der jeweiligen ingroup im Hegemonialdiskurs in aller Regel unsagbar. Hier überwogen konfliktive Diskursstrukturen, die die Unterscheidung zwischen inund outgroup und die Bedrohung, als die bestimmte outgroups wahrgenommen wurden, in den Mittelpunkt stellten. Wasser wurde auf dieser Ebene nach wie vor als Nullsummenspiel wahrgenommen: Die Aufgabe von Kontrolle über Wasser, insbesondere die natürlichen Ressourcen, bedeutete realen Wasserverlust, während gleichzeitig fehlende Kontrolle als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wurde. Kooperatives Wassermanagement wurde zwar in beiden Diskurssträngen als Wunschvorstellung formuliert, gehörte aber innerhalb der hegemonialen Diskursstrukturen nur dann in den Bereich des praktisch Möglichen, wenn politische Aspekte des Wassermanagements ausgespart wurden. Auf der nationalen Ebene gestalteten sich die Sagbarkeitsfelder im Hegemonialdiskurs großzügiger. Ohne die Bedrohung durch eine feindliche outgroup war es möglich, die Wassermanagementpraktiken der eigenen ingroup in die Kritik zu nehmen und zum Teil sogar massive Veränderungen zu fordern. An dieser Stelle zeigten sich innerhalb der beiden Hegemonialdiskurse erstmals Ansatzpunkte für einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern, denn über die groben Linien eines idealen regionalen Wassermanagements waren sich die Wasserexperten beider Seiten weitestgehend einig. Deutliche Veränderungen und Erweiterungen erfuhren die hegemonialen Sagbarkeitsfelder in den jeweiligen Gegendiskursen. Hier wurde sowohl die Wahrnehmung von Wasser als Nullsummenspiel als auch die Darstellung des jeweils anderen als bedrohlich und gefährlich aufgebrochen und durch kooperativere Diskursstrukturen ersetzt. Dazu diente auf der israelischen Seite die Transzendierung der bis dato primär nationalen Interessen auf die globale Ebene, auf der palästinensischen die Anerkennung der jeweiligen Eigenverantwortung in Bezug auf den herrschenden Status quo der Wasserverteilung. Wo im Hegemonialdiskurs der Fokus noch primär auf der Sicherheit der (nationalen) ingroup und dem Fehlverhalten der outgroup gelegen hatte, eröffneten sich in den Gegendiskursen neue Handlungsspielräume für Kritik am Verhalten der jeweiligen ingroup sowie eine gewisse Offenheit für die Sichtweise der anderen Seite. Im israelischen Hegemonialdiskurs, der wie der gesamte Spezialdiskurs „Wasser“ maßgeblich von Expertenmeinungen geprägt wird, galt die natürlich vorhandene Wassermenge im Jordanbecken als nicht ausreichend, um den derzeitigen Lebensstandard der gesamten regionalen Bevölkerung zu erhalten, geschweige denn zu verbessern. Dieses Wasser wurde im israelischen Hegemonialdiskurs als absolut knapp wahrgenommen; zusammen mit der historischen
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Verbindung zwischen Land, Wasser und dem Aufbau einer jüdischen Heimstatt, die aus der zionistischen Ideologie stammt, ergab dies die Wahrnehmung von natürlicher Wasserknappheit als existenzieller Bedrohung, was sich in zahlreichen Versicherheitlichungen widerspiegelte. Die Aufgabe von israelischer Kontrolle über natürliche Wasserressourcen war unsagbar: Die zahlreichen Versicherheitlichungen illustrierten, dass die hegemonialen Diskursstrukturen primär darauf abzielten, den Status quo der Wasserverteilung zu erhalten und zu sichern, Veränderungen in Bezug auf die Verteilung der natürlichen Wasserressourcen also zu verhindern. Der einzige Ausweg aus der als existenziell bedrohlich empfundenen Knappheitssituation bestand im israelischen Hegemonialdiskurs in der Erzeugung zusätzlichen Wassers per Entsalzung; eine fundamentale Veränderung der israelischen Wirtschaftsstruktur oder des allgemeinen Lebensstandards war ebenso unsagbar wie die Aufgabe auch nur eines Teils der israelischen Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen. Eine Transformation dieser Diskursstrukturen im Sinne einer Entsicherheitlichung der natürlichen Wasserknappheit erschien wenig wahrscheinlich. Im palästinensischen Hegemonialdiskurs dagegen galten dieselben natürlichen Wasserressourcen als mindestens für eine deutliche Verbesserung der palästinensischen Lebenssituation grundsätzlich ausreichend. In der palästinensischen Wahrnehmung wurde die erfahrene Wasserknappheit als ausschließlich politisch induziert wahrgenommen, was in den zahllosen Versicherheitlichungen der israelischen Kontrolle über die Wasserressourcen deutlich wurde. Wo im israelischen Diskursstrang „objektive“ Wasserknappheit im Mittelpunkt der Versicherheitlichungen stand, war es im palästinensischen Diskursstrang die Dominanz Israels, die zahlreiche securitizing moves hervorrief. Welcher dieser Standpunkte „wahr“ ist, war für diese Studie dabei nicht ausschlaggebend; es ging hier nicht darum, was objektiv „richtig“ oder „falsch“ ist, sondern darum, was in den beiden nationalen Diskursen als „richtig“ oder „falsch“ gilt und also sagbar oder unsagbar war. Auch so objektiv erscheinende Daten wie die verfügbare Wassermenge werden aktiv konstruiert und interpretiert; der Fokus lag deshalb auf der Aufdeckung von Diskursstrukturen, die diese aktive Konstruktion widerspiegeln. Wie wird die Ressource Wasser in Israel und den palästinensischen Gebieten wahrgenommen? Welche Parallelen, Ähnlichkeiten und Ansatzpunkte für Dialog existieren innerhalb der israelischen und palästinensischen Wasserdiskursstränge? Wie wird die Ressource Wasser in den beiden Gesellschaften politisch, strategisch und gesellschaftlich bewertet? Was bedeutet die Versicherheitlichung von Wasser für den anzunehmenden Konfliktverlauf? Wie wäre eine Entsicherheitlichung zu erreichen, oder existieren entsprechende Versuche bereits? Wurde Versicherheitlichung bereits institutionalisiert, und sind Kettenreaktionen von einem Sektor in den nächsten erkennbar?
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Im Folgenden werden die wesentlichen Merkmale und Veränderungen innerhalb der beiden untersuchten Diskursstränge seit dem 19. Jahrhundert bis heute rekapituliert und Parallelen, Ähnlichkeiten, Widersprüche und Differenzen aufgezeigt. Folgende Fragen stehen dabei im Zentrum des Interesses: Wie ist der untersuchte Diskurs(strang) entstanden? Welche Veränderungen hat er im Lauf der Zeit erfahren? Auf welche Themen und welches Publikum bezieht er sich? Welche impliziten und expliziten Inhalte transportiert er? Welche Mittel werden dazu eingesetzt? In welchem Verhältnis steht er zu anderen Diskurs(sträng)en? Welche Außenwirkung hat er? Für diese Arbeit in besonderem Maße zentral ist zudem die Frage: Wie verhält sich der Diskurs(strang) zum israelisch-palästinensischen Konflikt? 6.1 Wasser in Israel: Wahrnehmungen, Bewertungen, Trends Mit dem politischen Zionismus begann vermittelt über die Bedeutung der Landwirtschaft für die Besiedelung Palästinas die diskursive Konstruktion der Ressource Wasser als sicherheitsrelevant. Sie manifestiert sich in den verschiedenen wasserbezogenen Dokumenten der zionistischen Organisationen. Die Bedeutung der jüdischen Besiedelung Palästinas für das Ziel der Errichtung eines jüdischen Staates, die für einen neu gegründeten Staat mit hohem Bevölkerungswachstum fast zwangsläufige Abhängigkeit von landwirtschaftlicher Tätigkeit, Vermischungen von religiösem Gedankengut mit politischen Zielen, die hydrogeologischen und klimatischen Bedingungen sowie der historische Hintergrund des Holocaust und der jahrhundertelangen Judenverfolgung haben zu einer institutionalisierten Versicherheitlichung der Ressource Wasser geführt, deren Folgen bis heute spürbar sind. Der noch zu gründende jüdische Staat sah sich zwischen dem Beginn der systematischen jüdischen Einwanderung nach Palästina im Jahre 1882 und der Proklamation des Staates Israel 1948 massiven Widerständen sowohl seitens der arabischen Bevölkerung der Region als auch durch die westlichen Mandatsmächte, allen voran Großbritannien, gegenüber. In diesen frühen Jahren entstand durch diese konstante Bedrohung des Jishuv eine Art „Sicherheitsethos“ (oder Sicherheitsdiskurs), das bereits sehr früh die Sicherheit der jüdischen Gemeinde in Palästina in den Mittelpunkt aller politischen Bemühungen des Jishuv und seiner Organisationen stellte. Die Judenvernichtung im Dritten Reich und die wiederholten Drohungen der arabischen Nachbarstaaten, Israel „ins Meer zu treiben“, verstärkten dieses Ethos, so dass die diskursive Versicherheitlichung verschiedenster Bedrohungen zu einer der machtvollsten Diskursstrukturen im israelischen gesamtgesellschaftlichen Diskurs wurde. „Since Arab states attempted to destroy Israel, Israeli Jews believed, and many still do, that the secu-
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rity of Israel and its Jewish citizens is seriously under threat.“522 So ist Sicherheit zu einem kulturellen Mastersymbol im israelisch-jüdischen Ethos geworden. Sie wird routinemäßig verwendet, um menschliche und materielle Ressourcen zu mobilisieren, die in anders geprägten Gesellschaften vermutlich als zu groß oder zu reichlich angesehen würden. Als Manifestation dieser diskursiven Strukturen ist etwa die zentrale Rolle der Israel Defence Force (IDF) in der israelischen Gesellschaft zu werten. Kriege und Opfer werden in gesellschaftlichen Ritualen heroisiert; das gilt auch für historische Figuren wie etwa die Makkabäer, Massada oder die Widerständler des Warschauer Ghettos. Insgesamt hat sich über die Jahre eine Mentalität herausgebildet, die den andauernden Belagerungszustand kultiviert.523 Diese Überlegungen werden durch die Ergebnisse der oben durchgeführten Diskursgenese und -analyse bestätigt. Auch der Spezialdiskurs Wasser, der sich aufgrund des spezifischen Charakters der Ressource zunächst auf der Ebene der Wissenschaft bewegt und dessen primär naturwissenschaftliche Themen nicht von sich aus sicherheitsrelevant sind, erfuhr mit fortschreitender Einwanderung, sich entwickelnder Wasserknappheit, dem Mythos des chalutz und diskursiven Ereignissen wie dem britischen Weißbuch eine stetig wachsende Versicherheitlichung. Die zionistische Ideologie verwurzelte die Vorstellung der „Inbesitznahme“ von Land und der Verwandlung der Wüste in blühende Landschaften als zentrales Anliegen des jüdischen Staates im kollektiven Gedächtnis des Jishuv und Israels, so dass eine ausreichende Wasserversorgung zu einem Wert an sich, zu einer symbolischen Praxis und einer wichtigen Voraussetzung der jüdischisraelischen Identität wurde. Erst als absehbar war, dass die Wasserversorgung auf Basis der natürlichen Ressourcen auch nach dem Sechstagekrieg und dem damit verbundenen Zugewinn an natürlichen Wasserressourcen nicht ausreichen würde, konnten sich pragmatischere Stimmen zum israelischen Wassermanagement verstärkt Gehör verschaffen. Nach dem Junikrieg begann – zumindest bezogen auf die ingroup – eine gewisse Entideologisierung der Ressource Wasser, die durch technische Fortschritte, allen voran die Entwicklung erschwinglicher Wasserentsalzungstechnologien in den 1990er Jahren, verstärkt wurde und in Richtung einer Entsicherheitlichung weist. Seit den Friedensverträgen der 1990er Jahre gilt das Wasserproblem sogar vielerorts als gelöst: Die wasserrechtlichen Regelungen zwischen Israel und Jordanien524 sowie zwischen Israel und der palästinensischen Selbstverwaltung werden im israelischen Diskurs häufig als erfolgreiche Lösung 522
Daniel Bar-Tal (1998), S. 33. Siehe auch A. Arian: Security threatened. Cambridge: Cambridge University Press, 1995. 523 Bar-Tal (1998), S. 34. 524 Siehe dazu z.B. Melanie Carina Schmoll: Die Kooperation zwischen Israel und Jordanien. Ein Sicherheitsregime als Weg zur Lösung eines Sicherheitskonflikts? Münster / Berlin: Lit Verlag 2008.
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der Wasserproblematik dargestellt, im Laufe derer die Ressource Wasser einen Großteil ihrer emotionalen und ideologischen Aufladung verloren habe, letztlich also entsicherheitlicht worden sei. Doch die Diskursanalyse hat verdeutlicht, dass die „alten“ konfliktiven Diskursstrukturen auch im linken Meinungsspektrum keineswegs verschwunden sind, sondern ihre Wirkung nie verloren haben bzw. jederzeit wieder aktiviert werden können. Immer dann, wenn die politische Frage der Wasser(um) verteilung zur Sprache kam, gewann der „alte“ Sicherheitsdiskurs erneut an Gewicht – was nicht überrascht, da der Sicherheitsaspekt in Bezug auf alle anderen Streitpunkte des Konfliktes ohnehin nach wie vor dominant ist. Im Laufe des seit Jahrzehnten andauernden Nahostkonflikts haben sich konfliktive Diskursstrukturen herausgebildet, die bis heute weite Teile des israelischen gesamtgesellschaftlichen Diskurses prägen, aber insbesondere während der Mandatszeit sowie in den ersten Jahren nach der Staatsgründung jegliche politische Entscheidung massiv beeinflusst haben. Diese Diskursstrukturen sind als hegemonial einzuordnen; sie reichen in alle Felder des israelischen gesamtgesellschaftlichen Diskurses hinein. Für die Wahrnehmung der Ressource Wasser im israelischen Diskurs bedeutet das, dass die Umverteilung der natürlichen Ressourcen „bei Bedarf“ weiterhin als existenzielle Bedrohung des Staates Israel dargestellt wird bzw. werden kann und dass auf dieser Grundlage Notfallmaßnahmen inklusive Gewalt legitimierbar bleiben. Dieser Mechanismus ist seit 1882 bis heute immer wieder von unterschiedlichen versicherheitlichenden Akteuren des Jishuv und später Israels verwendet worden, wie die obigen Kapitel gezeigt haben. Auf der Ebene der internationalen Politik gilt Wasser in Israel weiterhin als strategische, existenzielle Ressource. Die Betonung der Kapazitäten von Wasserentsalzung und der Möglichkeit, durch sie den Wasserkonflikt beizulegen, kann nicht nachhaltig darüber hinwegtäuschen, dass sich an der dominanten Diskursstruktur in Bezug auf die Ressource Wasser als Attribut umkämpften Territoriums und Bestandteil der jüdisch-israelischen Identität nichts Maßgebliches geändert hat, da im gesamten Diskursstrang sehr deutlich zwischen natürlichen und künstlich erzeugten Wasserressourcen differenziert wird. Das Scheitern der Gespräche über die politische Dimension des regionalen Wassermanagements während des Friedensprozesses und ihre Vertagung auf die Endstatusverhandlungen können als Manifestation dieser Diskursstrukturen gedeutet werden. Die gemeinsamen, israelisch-palästinensischen Gremien beschäftigen sich ausschließlich mit rein technischen Aspekten wie der Instandsetzung von Brunnen u.ä. – dies ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Grund, warum sie überhaupt noch zusammentreten. Dass mit einer solchen „Technisierung“ von Umweltproblemen Konflikte nicht nachhaltig gelöst werden können, wurde oben ausgeführt; eine echte Entsicherheitlichung der Ressource Wasser ist
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auf diese Weise offenbar ebenfalls nicht zu erreichen. Auch langfristig kann nicht mit einer Transformation des Konfliktes durch technische Gespräche gerechnet werden, solange in Gremien wie dem israelisch-palästinensischen Joint Water Committee die beschriebenen konfliktiven Diskursstrukturen weiter vorherrschen, letztlich die Konfliktstrukturen also reproduziert werden. Auch die israelisch-palästinensische Diskussion über Wasserrechte, die unvermindert anhält, illustriert die praktisch unverminderte Dominanz dieser konfliktiven Struktur im israelischen Diskurs. Dabei lautet der israelische Standpunkt, dass zwar jeder Mensch ein Recht auf eine ausreichende Versorgung mit Wasser habe, dass Wasserrechte im Nahen Osten, d.h. eine Umverteilung der vorhandenen Ressourcen zugunsten anderer Anrainer jedoch nicht diskutabel seien. Der Weg zu einer echten Entsicherheitlichung der Ressource ist und bleibt weit, weil die Entsicherheitlichungsversuche auf der Basis von Entsalzung, wie sie im israelischen Diskurs betrieben werden, sich letztlich nicht aus den Strukturen des oben beschriebenen Sicherheitsethos lösen können: Diese hegemonialen Diskursstrukturen bestimmen die Sagbarkeitsfelder des israelischen Wasserdiskursstrangs und präjudizieren Politikoptionen. Im israelischen Gegendiskurs werden diese hegemonialen Sagbarkeitsfelder aufgebrochen. Dort geschieht, was im Hegemonialdiskurs unmöglich war: Zwar wird die grundsätzliche Bedeutung der Ressource Wasser für das Überleben Israels nicht in Frage gestellt, doch der Mythos der blühenden Wüste, auf dem die jüdisch-israelische Identität aufbaut, wird rundweg abgelehnt. Rein nationale Sicherheitsinteressen werden auf die gesamte Region ausgeweitet und die Wasserverteilung im Sinne internationaler Gerechtigkeit und der Diskussion um Wasser als Menschenrecht interpretiert. Ziel ist nicht der Erhalt des Status quo der Wasserverteilung für Israel, sondern eine Wasserverteilung und -nutzung, die sich von den Ideologisierungen und daraus folgenden Versicherheitlichungen der Vergangenheit löst und gewissermaßen unter völlig anderen Voraussetzungen neu beginnt. Die zentralen Werte und Ziele sind dabei Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Umweltschutz. Die Wasserverteilung soll laut dieser Argumentation unabhängig von der Nationalität der Nutzer erfolgen, während gleichzeitig über die Verwendung der begrenzten natürlichen Wasserressourcen unabhängig von nationalen politischen Interessen entschieden werden soll. Der ideologische Wert der israelischen Landwirtschaft würde demzufolge durch die pragmatische Berechnung ihres wirtschaftlichen Wertes abgelöst, was langfristig wohl auf ihre Abschaffung hinauslaufen würde. Dass eine solche rationale Verhältnisrechnung in Bezug auf Wasser bisher ausgeblieben ist, illustriert die Absolutheit des Sicherheitsarguments innerhalb des israelischen gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Innerhalb des Gegendiskurses werden die hegemonialen Sagbarkeitsfelder also massiv ausgeweitet und verändert. Eine echte Entsicherheitlichung von
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Wasserknappheit findet allerdings auch hier nicht statt, da sich der Fokus der Versicherheitlichung der natürlichen Wasserressourcen zwar verschiebt, die securitizing moves aber mit einem anderen Referenzobjekt praktisch unvermindert anhalten. Statt die natürliche Wasserknappheit als absolute Bedrohung der israelischen (und nahöstlichen) Bevölkerung darzustellen und daraus die unbedingte Notwendigkeit groß angelegter Entsalzungsanlagen zu schließen, werden im Gegendiskurs die bisherigen Nutzungsweisen der natürlichen Wasserressourcen durch die gesamte Bevölkerung der Region als bedrohlich für eben diese dargestellt. Eine Entsicherheitlichung wird nur konjunktivisch formuliert, wenn das Bild einer Gesellschaft gezeichnet wird, die vollkommen angepasst an die natürlichen klimatischen Bedingungen lebt. Man kann also sagen, dass selbst im israelischen Gegendiskurs die gesamtgesellschaftlichen Diskursstrukturen, welche die diversen Aspekte der Sicherheit der Bevölkerung und des Staatsgebildes in den Mittelpunkt stellen, erkennbar sind. Das Referenzobjekt der Versicherheitlichung ist hier zwar nicht mehr auf Israel allein beschränkt, und die Bedrohung ist eine andere, doch letztlich bleiben die eingeschriebenen, verinnerlichten diskursiven Routinen auch hier erkennbar. Sie zeugen von großem Misstrauen und sind eine Folge des seit Jahrzehnten andauernden, existenziell bedrohlichen und inzwischen unlösbar erscheinenden Konflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. 6.2 Wasser in Palästina: Wahrnehmungen, Bewertungen, Trends Während die Ressource Wasser im israelischen Diskurs von Anfang an als langfristig essenziell für die Sicherheit und das Überleben des Jishuv bzw. des Staates Israel definiert wurde, begann die analoge Entwicklung in der palästinensischen Gesellschaft erst deutlich später. Lange Zeit gab es keine einheitliche palästinensische Stimme, die die Vision eines spezifisch palästinensischen Gemeinwesens unabhängig von osmanischen und/oder panarabischen Stimmen formuliert hätte. Zudem entstand der palästinensische Diskurs in Reaktion auf und in Abhängigkeit vom israelischen Diskurs; beides spiegeln die hegemonialen Diskursstrukturen des palästinensischen Hegemonialdiskurses bis heute wider. Der palästinensische Spezialdiskursstrang „Wasser“ auf der Ebene der Wissenschaft hat sich also erst später herausgebildet als der israelische; bis heute ist die Ressource Wasser dort in erster Linie als Attribut des von Israel kontrollierten, aber als palästinensisch verstandenen Territoriums von Bedeutung. Es ist die israelische Kontrolle, die den palästinensischen Wasserdiskursstrang geformt hat, nicht die natürlichen Bedingungen oder andere natürliche Faktoren: Die Wasserknappheit, unter der das palästinensische Volk leidet, wird im Hegemonialdiskurs bis heute fast ausschließlich als Folge der israelischen Dominanz im
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Wassersektor und in der Region allgemein wahrgenommen. Es ist anzunehmen, dass dieses Diskursmuster den gesamtgesellschaftlichen Diskurs Palästinas spätestens seit der Proklamation des Staates Israel prägt und also kein exklusives Merkmal des Wasserdiskursstrangs ist. Demzufolge würde der palästinensische gesamtgesellschaftliche Diskurs (auch im hier berücksichtigten linken Meinungsspektrum) von dem Wunsch nach einem eigenen unabhängigen, souveränen Staatsterritorium und der Beendigung der israelischen Besatzung beherrscht. Die Ressource Wasser bzw. die Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen stellte gewissermaßen ein Anhängsel dieser Diskursstrukturen dar. De facto wurde die Forderung nach einer ausreichenden Wasserversorgung im palästinensischen Hegemonialdiskurs ausnahmslos mit der Ablehnung der israelischen Kontrolle über einen Großteil der natürlichen Wasserressourcen und der Forderung nach einer Umverteilung eben dieser Kontrolle verbunden; die Ressource Wasser funktionierte dabei als ein Medium von vielen, das für die Kommunikation der palästinensischen Ablehnung der israelischen Dominanz verwendet wurde. Diese hegemonialen Diskursstrukturen spiegeln die Dominanz einer Belagerungsmentalität wider, die analog zur israelischen besteht. Eine Vergegenständlichung dessen ist der Mythos des fellah, der seinen Boden auch unter größten Widrigkeiten bestellt und behauptet (und dazu Wasser benötigt). Der palästinensische Hegemonialdiskurs definiert sich also auch in Bezug auf Wasser in erster Linie über den Widerstand gegen Israel, und erst seit wenigen Jahren entwickeln sich spezifisch palästinensische Visionen des Wassermanagements, die über diesen Widerstand hinausgehen und die grundsätzliche Ablehnung Israels wenigstens ansatzweise transzendieren. Die erwähnten hegemonialen Diskursstrukturen führen dazu, dass die Ressource Wasser im palästinensischen Diskurs massiv versicherheitlicht wird, wenn auch aus anderen Gründen als im israelischen Diskurs. Aufgrund ihrer territorialen Konnotationen und der damit verbundenen Identitätsaspekte sowie angesichts der seit 1967 bestehenden, als absolut empfundenen Abhängigkeit von israelischen Zuteilungen wird die israelische Kontrolle über den Großteil der regionalen Wasserressourcen in der palästinensischen Gesellschaft als existenziell bedrohlich wahrgenommen. Der mangelhafte Zugang zu den natürlichen Wasserressourcen der Westbank und des Gazastreifens (vor 2005) stellt laut dieser Argumentation die Lebensfähigkeit eines palästinensischen Staates mindestens in Frage. Diese hegemoniale Diskursstruktur beeinflusst zudem praktisch alle anderen diskursiven Muster innerhalb des Diskursstrangs. Die im gesamten Hegemonialdiskurs kommunizierte Wahrnehmung, auf der grundsätzlichen Berücksichtigung der palästinensischen Ansprüche auf die Grundwasservorkommen unterhalb der Westbank sowie Teile des Jordanwassers bestehen zu müssen, um dem übergeordneten Ziel eines palästinensischen Staates überhaupt näher kommen zu
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können, illustriert dies. Die Reduzierung der Wasserfrage auf technische Aspekte wie von Israel praktiziert kommt dagegen der Aufgabe des zentralen nationalen Ziels gleich. Auch die Option der Wasserentsalzung wird aus diesem Grunde abgelehnt: Der Zugang zu Wasser dient im palästinensischen Hegemonialdiskurs als Vehikel für die Erreichung eines zusammenhängenden, lebensfähigen palästinensischen Staates. Zwar existieren auch in der palästinensischen Gesellschaft „Vertikalisten“, die innenpolitisch kritisch mit dem palästinensischen Wassermanagement ins Gericht gehen und damit die hegemonialen Sagbarkeitsfelder zumindest auf der nationalen Ebene erweitern, doch auf der internationalen Ebene überwiegt nach wie vor die Versicherheitlichung der israelischen Kontrolle über einen Großteil der Wasserressourcen durch die Darstellung der palästinensischen Kontrolle über eben jene Wasserressourcen als unverzichtbares Element eines souveränen Staates Palästina. Im Hegemonialdiskurs hat also bisher keine Entsicherheitlichung der Ressource stattgefunden, da die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten von Israel, aber auch von internationalen Geldgebern und arabischen Staaten weiter bestehen. Insgesamt liegt der Fokus des palästinensischen Hegemonialdiskurses damit auf Israel als Hauptakteur und allein Verantwortlichem für die Situation der Palästinenser. Das manifestiert sich in der Tatsache, dass Israel zum Dreh- und Angelpunkt aller palästinensischen Lösungsvorschläge wurde: Israels öffentliche Meinung muss sich ändern, Israel muss die Palästinenser kompensieren, usw. Gleichzeitig wurden bereits existierende Bemühungen von israelischer Seite, die Wassersituation für die Palästinenser zu entspannen, nicht wahr- oder zumindest nicht ernst genommen; sie waren unsagbar. Die Palästinenser selbst gelten im Hegemonialdiskurs also nicht als eigenständiger Akteur, sondern werden auch in dieser Hinsicht als abhängig und in gewisser Weise unmündig wahrgenommen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Interesse, dass gleichzeitig im israelischen Diskurs die Handlungsfähigkeit der Palästinenser keineswegs in Frage gestellt, sondern im Gegenteil aktiv eingefordert wurde. Selbst in Bezug auf den palästinensischen Aufstand, die Intifada, die doch als Beweis für die Handlungsfähigkeit der Palästinenser hätte gewertet werden können, überwog im Hegemo-nialdiskurs die Betonung der Rolle Israels für den Ausbruch des somit höchstens reaktiven Aufstands. Es war in diesem Sinne nur folgerichtig, dass weder der Zusammenhang zwischen der Intifada und Einreisebeschränkungen für die Palästinenser näher erklärt wurde, noch die Folgen des Aufstands für die Israelis Berücksichtigung fanden – beides war unsagbar. Der Hegemonialdiskurs stellte die Palästinenser also vor allem als passive, abhängige und weitgehend hilflose Zuschauer des regionalen Wassermanagements dar. Auf diese Weise wurden sie jeder Handlungsverpflichtung enthoben: Jedwede Verantwortung wurde der outgroup zugeschrieben. Dieses für Konfliktlösungsinitiativen zwangsläufig hinderliche Diskursmuster wurde nur im palästi-
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nensischen Gegendiskurs aufgebrochen. Dort erhielten die Palästinenser – zum Beispiel abgebildet in Subjekt-Objekt-Konstruktionen – Handlungsfähigkeit und -verpflichtung. Diese Art des diskursiven empowerment hat zwei Folgen: Erstens müssen sich die hegemonialen Diskursstrukturen an dieser massiven Kritik messen lassen. Der Gegendiskurs stellte mit dem dominanten sprachlichen Muster des Hegemonialdiskurses auch die zugrunde liegende bzw. daraus entstandene Selbstvorstellung der palästinensischen Gesellschaft als Opfer israelischer Übergriffe grundsätzlich in Frage. Würde der Gegendiskurs an Kraft und Macht gewinnen, müsste sich die palästinensische Gesellschaft langfristig dem Mythos des ungerecht behandelten, weitgehend friedfertigen und kooperationswilligen Palästinensers im Gegensatz zum unehrlichen, gierigen und kriegseifrigen Israeli stellen und ihn mit der Realität abgleichen. Sie müsste sich ihrer Verantwortung gegenüber der eigenen und der israelischen Bevölkerung stellen und Fehler zugeben. Auf dieser Basis wäre dann eine Entsicherheitlichung der Ressource Wasser möglich. Zweitens (und dementsprechend) führte die Betonung der Handlungsfähigkeit und -verpflichtung der palästinensischen Gesellschaft im Gegendiskurs dazu, dass die ingroup nicht länger verherrlicht, sondern zugleich angreif- und positiv veränderbar wurde. Gleichzeitig (und möglicherweise proportional dazu) ging die Dämonisierung der outgroup zurück, so dass die bis dato dominanten konfliktiven Diskursstrukturen durch kooperativere Varianten ersetzt werden konnten. So war es im Gegendiskurs möglich, die Kooperation mit Israel, die Anerkennung israelischer Bemühungen im Wassersektor sowie das israelische Wissen in Bezug auf Wasser als durchweg positiv und nützlich für die palästinensische Gesellschaft anzusehen. Besonders deutlich wurde die Wirkungsweise dieses diskursiven empowerments, als es um das Thema Asymmetrie ging. Im palästinensischen Hegemonialdiskurs (wie übrigens auch im israelischen Gegendiskurs) wurde die Asymmetrie zwischen Palästinensern und Israelis als absolut und gewissermaßen unveränderbar dargestellt. Im Gegendiskurs war es nicht nur sagbar, dass die Palästinenser bereits die Gelegenheit gehabt hätten, die Asymmetrie aufzubrechen, diese Gelegenheit aber nicht genutzt hätten, sondern darüber hinaus wurde impliziert, dass es immer noch möglich sei, die asymmetrische Situation zugunsten der Palästinenser zu verändern, wenn die internationale Gemeinschaft, die arabischen Nachbarn und nicht zuletzt Israel vom guten Willen und den Fähigkeiten der palästinensischen Gesellschaft überzeugt werden könnten. In Verbindung mit den entsprechenden, an die Gesamtheit der Palästinenser gerichteten Handlungsaufforderungen bzw. -verpflichtungen erweitert dies nicht nur die hegemonialen Sagbarkeitsfelder, sondern stellt auch einen möglichen Ansatzpunkt für Dialog und Kooperation zwischen den Konfliktparteien dar.
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6.3 Konflikttransformation durch Diskurstransformation? Zusammenfassend kann man sagen, dass die hegemonialen Strukturen sowohl des israelischen als auch des palästinensischen Wasserdiskursstrangs von machtvollen konfliktiven Mustern geprägt sind, die aus den jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Diskursen gewissermaßen in die Wasserdiskursstränge „hineinragen“ und als eine Art Frame für letztere dienen. Diese konfliktiven Diskursstrukturen, die Versicherheitlichungen und Exklusionen stehen der Lösung des israelisch-palästinensischen Wasserverteilungskonfliktes im Wege. Sehr deutlich wurden sie zum Beispiel in der Wahrnehmung der jeweiligen outgroup: Im israelischen Hegemonialdiskurs wurde die verfügbare Wassermenge der Palästinenser als eigentlich ausreichend und die palästinensischen Forderungen damit implizit als ungerechtfertigt dargestellt. Dies reproduziert ein orientalistisches Bild vom träumerischen, irrationalen und emotionalen Araber, der sich mit seinem fehlenden Pragmatismus ins eigene Fleisch schneide. Gleichzeitig stellte der palästinensische Hegemonialdiskurs die Israelis als gesichtslose, anonyme, feindliche Masse dar, die die Besatzung und den Konflikt mit den Palästinensern aus Habgier und Lust am Krieg aufrechterhalte, letztlich also gar keine Lösung des Konfliktes anstrebe. Ein Ende des Konflikts wurde im palästinensischen Diskursstrang an die Bedingung geknüpft, dass Israel in irgendeiner Form aus den Konfliktfeldern verschwinden müsse; während hier damit meist die Umverteilung der Kontrolle über die natürlichen Wasserressourcen gemeint war, führt die gleiche Diskursstruktur auf einer extremeren Diskursposition zu der Position, Israel müsse von der Landkarte verschwinden, wenn der Konflikt dauerhaft beendet werden solle. Nur in den jeweiligen Gegendiskursen war es möglich, die jeweils andere Seite mit ihren Bedürfnissen und Ängsten ernst- bzw. überhaupt wahrzunehmen; dies ist jedoch die Voraussetzung für Konflikttransformation. Hier (und nur hier) fanden sich Ansatzpunkte für eine kommunikative Annäherung beider Lager. Ganz grundsätzlich galt eine bewaffnete Auseinandersetzung um die Ressource Wasser im Sinne eines „Wasserkrieges“ in beiden Diskurssträngen zwar als unwahrscheinlich; dies bedeutet allerdings nicht, dass der Konflikt gelöst wäre, wie oben gezeigt wurde. In jedem Fall – das hat die Diskursanalyse gezeigt – macht die Mentalität des us versus them insbesondere in Bezug auf natürliche Ressourcen wie Wasser keinen Sinn, weil sie nationale Grenzen ignorieren und damit per definitionem kooperativ verwaltet werden müssten. Auch die Prinzipien der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes wurden von beiden Seiten anerkannt; letztlich wurde in beiden Diskursstränge kooperatives Wassermanagements als Zielvorstellung formuliert. Dies wurde jedoch in beiden Hegemonialdiskursen von den erwähnten konfliktiven Diskursstrukturen überlagert und verhindert. Würde die Macht dieser konfliktiven Diskursstrukturen geschwächt
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und durch kooperativere Varianten ersetzt, könnte der Weg zum kooperativen Wassermanagement verkürzt und auf spillover-Effekte dieser Vertrauensbildung in andere Bereiche des israelisch-palästinensischen Konfliktes gehofft werden. Es gilt also, neue Ansätze der „diskursiven Konfliktlösung“ zu entwickeln, neue Wege zu beschreiten, um mindestens in Bezug auf den Streitpunkt Wasser einer nachhaltigen Lösung näher zu kommen. Ob solche neuen Wege für die verbleibenden Streitpunkte in ähnlicher Weise begehbar wären, wäre dann in einem nächsten Schritt herauszufinden. Das Werk des israelischen Psychologen Daniel Bar-Tal525 kann als Ausgangspunkt für die Auslotung und Formulierung von Handlungsoptionen dienen. Bar-Tal nennt das, was in der vorliegenden Studie als Diskursstrukturen behandelt wurde, gesellschaftliche Glaubenssätze. Sie bilden die Basis für die psychologischen Bedingungen, die es erlauben, mit unlösbaren Konflikten umzugehen. Es sind Glaubenssätze über die Richtigkeit des eigenen Tuns, über Sicherheit, die fehlende Legitimation des Gegners, ein positives Selbstbild, Viktimisierung, Patriotismus, Einheit und Frieden. Diese Glaubenssätze (oder diskursiven Codes) helfen, die betroffene Gesellschaft in der konkreten Konfliktsituation zu informieren und zu motivieren. Sie sind das Produkt diskursiver Realitätskonstruktion und können als „Brillen“ verstanden werden, durch die Gesellschaftsmitglieder Situationen wahrnehmen und zu verstehen meinen. Diese Art der Diskursstrukturen bilden dann in einem zirkulären Prozess die Basis für Verhaltensweisen, die Überzeugungen, Heroismus, Durchhaltevermögen, Opfer und viele spezifische, mit Konflikten verbundene Faktoren reflektieren. Außerdem haben sie affektive Implikationen: Sie erzeugen starke Gefühle und sind deshalb relativ resistent gegenüber Änderungsversuchen. Diese Glaubenssätze werden durch die Sozialisation innerhalb kultureller, politischer und Bildungsinstitutionen langsam zu allgemein anerkannten Werten einer Gesellschaft, zu Ankern des sozialen Konsenses, und definieren so die Sphären des Sagbaren innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Auf ihnen konstruiert eine Gesellschaft ihre Sprache, ihre Mythen und ihr kollektives Gedächtnis. So wurde der Nahostkonflikt mit der Zeit zu einer Lebensform für Israelis und Araber. Es entwickelten sich machtvolle ideologische, wirtschaftliche und militärische Kräfte, die die endlose Weiterführung des Konfliktes verursachen. Die Frage ist nun, wie diese machtvollen Diskursstrukturen verändert werden könnten. Dies ist auf der Basis jeglicher wahrgenommener Veränderung in der Konfliktsituation möglich, und zwar nicht nur auf der regionalen, sondern auch der globalen Ebene. Auch Veränderungen der geopolitischen, militärischen
525
Daniel Bar-Tal (1998), S. 30-45.
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oder sogar wirtschaftlichen Bedingungen können sich positiv auf die hegemonialen Diskursstrukturen auswirken. Letztendlich gilt: „Any representation which blurs the inclusion/exclusion boundary breaks down certainties constructed in the name of war and forms a counter-discourse which deconstructs and delegitimates war and thereby fragments myths of unity, duty and conformity.“526
Eine Konflikttransformation könnte also erreicht werden, indem die antagonistischen Positionen im Wassersektor aufgeweicht und eine echte Entsicherheitlichung der Ressource Wasser, wie sie in den Gegendiskursen ansatzweise betrieben wurde, gefördert werden. Dazu könnten den entsprechenden Stimmen ein Forum gegeben werden, um durch den kontinuierlichen und konstanten Druck dieser Minderheitenmeinung kognitive Dissonanzen hervorzurufen, die die althergebrachte, diskursiv verfestigte Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Wasserverteilungskonflikts in Frage stellen und neu rahmen könnten. Auf diese Weise könnte langfristig die Wahrnehmung sowohl der jeweiligen outgroup als auch der ingroup verändert werden und Vertrauen in das Gegenüber entstehen. Gerade die Ressource Wasser birgt mit ihrer Eigenschaft als unersetzliches, lebenswichtiges Element das Potenzial, scheinbar unveränderbare Konfliktlinien zu durchbrechen bzw. zu transzendieren. Dazu ist es allerdings notwendig, die Menschlichkeit des jeweiligen Gegenübers wahrzunehmen und zu akzeptieren, ihm unabhängig von politischen Ideologien und Zielen eine ausreichende Wasserversorgung zuzugestehen, letztlich also die historisch gewachsenen konfliktiven Diskursstrukturen aufzubrechen. Eine wichtige Rolle auf dem Weg dorthin werden aller Voraussicht nach externe Akteure spielen, die als Mediatoren oder dritte Partei in den Konflikt eingreifen können. Ihre Beeinflussung durch die israelischen und palästinensischen Diskursstrukturen bzw. ihre Fähigkeit, sich aus eben diesen zu lösen, könnte dabei ein wichtiger Faktor sein, der über Vertrauenswürdigkeit, Akzeptanz und Wirkung als Vermittler entscheidet. Deshalb erscheint es vielversprechend, in weiterführenden friedenswissenschaftlichen Forschungen auf der Basis des hier vertretenen Ansatzes die Diskursstrukturen der internationalen Akteure im Nahostkonflikt und ihr Wechselspiel mit den lokalen Hegemonial- und Gegendiskursen zu untersuchen.
526
Jabri (1996), S. 7.
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