Terra Nova 188
Der Scout und der Roboterfürst Ein Roman mit Lester David, dem Weltraumscuot
H. G. Ewers
1. „Lange be...
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Terra Nova 188
Der Scout und der Roboterfürst Ein Roman mit Lester David, dem Weltraumscuot
H. G. Ewers
1. „Lange bevor die Menschheit mit der Erschließung extraterrestrischer Welten begann, tat sie, den meisten Individuen unbewußt, den wohl folgenschwersten Schritt in der geistigen Entwicklung; einen Schritt, der keiner intelligenten Rasse erspart bleibt. Ihre Technik hatte eine Dynamik geboren, die sich der Beherrschung durch den Menschen zu entziehen drohte. Diesem Problem trat die Kybernetik entgegen, eine Wissenschaft von der Regelungs-, Informations- und Systemtheorie, die in verhältnismäßig kurzer Zeit Maschinen schuf, die sich selbsttätig regeln und steuern, die lernen konnten und selbst in völlig neuen Situationen Lösungen fanden. Die Technik kontrollierte die Technik; der Mensch begnügte sich mit der Aufsicht über die kybernetischen Kontrollorgane und konnte solchermaßen Kräfte frei machen für seine eigentliche Aufgabe. Sie führte ihn zunächst auf die Nachbarplaneten des eigenen Systems und gleichzeitig zum nächsten Schritt, zur Konstruktion der Hominiden, intelligenter Maschinen in vollendeter menschlicher Gestalt. Obwohl dieser Schritt erst begonnen hat, führte er im 2
Gegensatz zur Verwendung stationärer kybernetischer Maschinen zu heftigen philosophischen Auseinandersetzungen, die noch lange nicht abgeschlossen sind. Die Konfrontation mit seinem Ebenbild ist...“ Kybernetik und Seele - Avery. * Etwas Unerhörtes war geschehen. Die rote Warntafel über dem Leuchtschaltbild des Autopiloten leuchtete auf, und aus einem verborgenen Lautsprecher drangen in kurzen Intervallen rauhe Summtöne. Lester Velie hob den Kopf und blinzelte ungläubig in das grelle Rot. Während seine Rechte das Buch von Avery über Kybernetik und Seele, in welchem er bislang gelesen hatte, beiseite schob, vollführte die Linke automatisch die für diesen Fall vorgesehenen Handlungen. Die Lehne des Kontursitzes klappte nach vorn, Lesters Finger drückten die Kontrollknöpfe des Testgerätes nieder, aber die Gedanken des Scouts nahmen diese Vorgänge nicht bewußt wahr. Sie kreisten immer noch um die praktische Unmöglichkeit der von der Warntafel gemeldeten Situation. Die Memphis, sein kleines Scoutschiff, befand sich seit drei Monaten im Hyperraum. Der Beschleunigungsvorgang war längst abgeschlossen, und der Autopilot war so programmiert, daß er in eineinhalb Monaten mit der Verzögerung beginnen würde. Seine derzeitige Aufgabe bestand lediglich darin, den Ljapunow-Generator zu überwachen, jenes auf fünfdimensionaler Basis arbeitende Aggregat, das mit dem von ihm erzeugten Strukturfeld ein Raumschiff im Hyperraum hält. Im Augenblick arbeitete der Ljapunow mit geringster Leistung, da lediglich das aufgebaute Strukturfeld stabilisiert zu werden brauchte. Wer über die Konstruktion dieses technischen Wunderwerkes informiert ist, wird wissen, daß während der 3
Stabilisierungsperiode kein Defekt auftreten kann. Lester wußte das auch. Und doch schien die rote Warntafel in Verbindung mit dem akustischen Signal das Gegenteil zu beweisen. „Test negativ, Sir.“ Lester fuhr herum. Er hatte die Schritte überhört, die sich ihm aus dem Hintergrund der Steuerzentrale genähert hatten. Nun blickte er in die unergründlichen Augen seines Assistenten. Dann wandte er sich wieder dem Pilotenpult zu. Über jedem Testknopf brannte die grüne Kontrollampe. „Unglaublich!“ Lester schüttelte den Kopf. „Alle Funktionen des Ljapunow sind hundertprozentig da. Aber die Warntafel...“ Sein Assistent erwiderte nichts darauf. Statt dessen beugte er sich weit vor, so weit, wie es ein Mensch nicht fertiggebracht hätte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Mit ausgestrecktem Zeigefinger drückte er eine runde Taste neben der Warntafel ein. Schlagartig erlosch das Licht. Er drückte noch einmal. Sofort sprang das grelle Rot wieder in Lesters Augen. Der Scout hatte sich erhoben. „Also sind die Detektoren in Ordnung“, überlegte er laut. „Aber der Ljapunow ebenfalls. Kannst du dir einen Vers darauf machen, David?“ David stellte sich wieder gerade hin. „Nein, Sir. Die Kontrollmechanismen können unmöglich alle zur gleichen Zeit versagt haben.“ „Nun...“ , meinte Lester lächelnd, „... da werde ich mich wohl doch mit meinen ,unvollkommenen’ organischen Sehwerkzeugen selbst von den Tatsachen überzeugen müssen.“ Er hob die Hand, als wollte er einen Befehl geben. Doch dazu kam er nicht mehr. Ein heftiger Ruck ging durch das Schiff. Nur mit Mühe konnte Lester sich an der Lehne seines Kontursessels festhalten. Sein Magen revoltierte. Gleichzeitig hatte er das 4
Gefühl, in einer Vibro-Zentrifuge herumgeschleudert zu werden. Vor seinen Augen tanzten feurige, bunte Punkte und Striche. Dazwischen schrillten Alarmglocken, rasselten und tickten Diagrammschreiber. Die Schiffsautomatik schien sich zu überschlagen. Dann, ohne merkbaren Übergang, trat fast vollkommene Stille ein. Lester entspannte sich. Er brauchte gar nicht erst auf die Bildschirme der Panoramagalerie zu sehen, um zu wissen, daß die Memphis ganz unplanmäßig den Hyperraum verlassen hatte und in das vertraute Raumzeitkontinuum zurückgekehrt war. Anders war es mit den Kontrollampen des Testgerätes und der Warntafel. Ihr Licht war erloschen. Und das, so wußte der erfahrene Scout, bedeutete das Eintreten des ungünstigsten Falles. David trat von den Kontrollen zurück. „Der Ljapunow hat Totalausfall, Sir.“ „Ich weiß“, erwiderte Lester und nickte. „Aber alle anderen Aggregate sind betriebsbereit.“ Lester lächelte bitter. „Was nicht viel zu sagen hat; es sei denn, wir befänden uns in der Nähe einer zivilisierten Welt.“ Das war in der Tat seine augenblicklich größte Sorge. Ohne Ljapunow konnte sich die Memphis nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegen, ein hoffnungsloses Unterfangen, wenn die nächste Welt, die Reparaturmöglichkeiten für Hyperaggregate besaß, vielleicht hundert oder mehr Lichtjahre entfernt war. „Soll ich die Position...“, begann David, wurde aber von Lester unterbrochen. „Das hat Zeit, bis wir wissen, was mit dem Ljapunow geschehen ist. Meinen Strahlenschutzanzug! Wir werden uns den Maschinensektor ansehen.“ Schnell hatte sich Lester mit Davids Hilfe in den bleigefütterten Strahlen-Schutzanzug gezwängt. Zwar deutete nichts darauf hin, daß gefährliche Strahlung freigeworden war, 5
der Ljapunow erzeugte seine Energie nicht selbst, aber der Scout war durch schlechte Erfahrungen vorsichtig geworden. Neidisch streifte sein Blick den nur mit der bequemen Freizeitkombi bekleideten Gefährten. David brauchte keinen Strahlenanzug - ein Roboter ist relativ unempfindlich gegen Radioaktivität, selbst dann, wenn er ein so vollendet menschliches Äußere besitzt Mit dem Achslift waren sie rasch zum Maschinensektor gelangt. Lautlos wie immer glitt das schwere Panzerschott beiseite. Dahinter lag der Kreis des Verteilerganges, von dem die Türen zu den einzelnen Aggregaträumen führten. Die Beleuchtung schaltete sich automatisch ein, als David seinen Fuß auf den Bleiplastikboden setzte. Jähe Hoffnung durchflutete Lester. Vielleicht war es gar nicht so schlimm... Es war schlimmer, als zu erwarten gewesen war. David konnte nur unter Aufbietung aller seiner Kräfte die nach außen gewölbte, verklemmte Tür zum Ljapunow-Sektor öffnen. Eine Welle kochender Luft schlug ihnen entgegen. Vom Generator war außer den zu Schlangenlinien verbogenen Haltestreben nur ein in Weißglut strahlender, verformter Block übrig. Lester schluckte. „Das ist nicht möglich!“ David, der den Haufen glühenden Schrotts einmal umrundet hatte, blieb unbeweglich vor Lester stehen. „Wir können froh sein, daß es nur den Ljapunow betroffen hat, Sir. Jetzt weiß ich auch, warum nur die Warntafel leuchtete.“ „Aber der Test...! Er war negativ. Was, um alles in der Welt, kann die komplette Testmethode hinters Licht führen und nur die Detektoren der Warntafel ansprechen lassen? Es müßte etwas gewesen sein, das die Funktionsfähigkeit des Generators bis zum letzten Augenblick nicht beeinträchtigte, trotzdem aber eine positive Reaktion spezieller Detektoren auslöste. Und so etwas gibt es nicht!“ „Doch“, widersprach David, „so etwas gibt es.“ 6
„Und was soll das deiner Meinung nach gewesen sein?“ Davids Gesichtszüge verhärteten sich. „Die anlaufende elektronische Zündung einer Thermonit-Bombe!“ * „Du bist verrückt!“ entgegnete Lester. „Du mußt unter dem plötzlichen Hyperraumaustritt gelitten haben. Eine ThermonitBombe!“ David senkte sekundenlang den Kopf, dann blickte er Lester fest in die Augen. „Ich weiß, es klingt ungeheuerlich, Sir. Aber sehen Sie sich bitte die Wirkung an. Sie entspricht ungefähr der einer kleinen Thermonit-Ladung. Außerdem läßt sich damit der scheinbare Widerspruch zwischen dem negativen Funktionstest und der Sektorwarnung erklären. Die Detektoren des Testgerätes kontrollieren nur die Funktionsfähigkeit, sonst nichts; die Detektoren der Warntafel jedoch befinden sich außerhalb des Generators. Sie reagieren auf den Energiefluß und die elektronischen Schaltimpulse. Thermonit-Bomben aber worden durch einen elektronischen Dauerimpuls ausgelöst. Folglich...“ Lesters Gesicht nahm eine aschgraue Färbung an. „Das Leben eines Scouts ist wahrlich voller Überraschungen“, stellte er lakonisch fest. Dann brauste er auf. „Aber wer soll Interesse an der Ausschaltung meiner Person haben?“ „An der Ausschaltung des Ljapunow“, korrigierte David sanft. „Das kommt möglicherweise auf das gleiche heraus.“ Lester drehte sich abrupt um. Dem zerschmolzenen Aggregat schenkte er keinen weiteren Blick. Hier half nur ein neuer Strukturfeldgenerator. Und den konnte er lediglich auf einer zivilisierten Welt erhalten, einer Welt, auf der es eine leistungsstarke Raumfahrtindustrie gab. Die Aussichten, eine solche Welt im Umkreis von zehn Lichtjahren zu finden, 7
standen eins zu tausend. Wortlos trat Lester auf den Verteilergang hinaus. David folgte ihm ebenso schweigsam. Der Achslift trug den Scout und seinen Robot zur Steuerzentrale zurück. Lester ließ sich in den Pilotensitz fallen und schaltete die Beleuchtung des Kartentanks ein. Er winkte David zu. „Komm, Alter! Setz dich vor die Navigation! Wir wollen sehen, in welcher Gegend der Milchstraße uns der Hyperraum ausgestoßen hat.“ Die Fixierung der Position nach einem unplanmäßigen Hyperraumaustritt ist nicht leicht, aber sie ist möglich. Nach knapp einer Stunde hatten Lester und David Gewißheit. Die Memphis bewegte sich im freien Fall auf die noch neunzehn Astronomische Einheiten entfernte Sonne Miriam zu. Einschließlich der Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen konnte Miriam in etwa zwölf Tagen erreicht werden. David, der das Ergebnis schneller ausgerechnet hatte als Lester, teilte es ihm lautstark mit. Doch der Scout winkte ab. Er zog die Füße auf die Sitzfläche des Kontursessels und rauchte mit nachdenklich gefurchter Stirn. Miriam war ihm alles andere als unbekannt. Vor acht Jahren hatte er selbst als erster Terraner das System angeflogen und den fünften Planeten für die Erde in Besitz genommen. Die südliche Hemisphäre, um exakt zu sein. Das hatte einen besonderen Grund. Gleichzeitig mit dem Scout war nämlich ein Forschungsschiff extraterrestrischer, humanoider Intelligenzen auf dem fünften Planeten Miriams gelandet. Sie kamen von Gloom, einem sechshundert Lichtjahre von der Erde entfernten Planeten. Von Anfang an war Lester mit den Glooms gut ausgekommen. Sie waren zwar stolz, aber nicht dünkelhaft, und ohne kriegerische Ambitionen. Nach einwöchigen Verhandlungen paraphierten Lester Velie und der Expeditionsleiter der Glooms einen Vertrag, der den Glooms 8
die nördliche, den Terranern die südliche Hemisphäre als Siedlungs- und Hoheitsgebiet zuwies. Dieses Vertragswerk wurde von den Regierungen beider Rassen gebilligt, und seitdem lebten terranische und gloomische Kolonisten friedlich nebeneinander auf einem Planeten, der zwei Namen erhalten hatte. Die Glooms nannten ihre Hälfte Shoolam, während Lester die terranische Hälfte zum Andenken an seinen auf der Venus verunglückten Vater Roger taufte. Roger war im Umkreis von siebenundneunzig Lichtjahren die einzige Welt, die eine gute Raumschiffswerft besaß. Die Zerstörung des Ljapunow hätte auf keinen günstigeren Zeitpunkt fallen können. Und gerade das war es, was Lester so nachdenklich stimmte. Das eiförmige Raumschiff senkte sich auf brüllenden Triebwerksstrahlen durch den Schneesturm auf das Landefeld von Irontown. Professor Hesekiel Cabanet hatte die Landung am Laserschirm verfolgt. Jetzt trat er zum wandgroßen Bildschirm, der sehr realistisch die Umgebung in das künstliche Klima des Arbeitsraumes übertrug. Cabanet zog den Kopf zwischen die Schultern. Weiße Schwaden pulverigen Schnees wurden vom Sturm über den Raumhafen getrieben. Nur manchmal tauchte für einen Augenblick die verwaschene graue Silhouette eines eiförmigen Raumschiffes aus dem weißen Nichts auf. Ein durchdringendes Summen veranlaßte Cabanet, sich seinem Schreibtisch zuzuwenden. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage. „Ja, bitte?“ „Hier spricht H-R-neun, Sir. Ich melde mich von Dockyard Menelaus zurück.“ „Gut, komm herein!“ Cabanet schaltete die Sprechanlage ab und drückte auf die Taste des elektronischen Türöffners. Aufmerksam beobachtete er das Grünlicht der Kontrollampen, das jedesmal aufleuchtete, wenn der Besucher eine der auf dem 9
Zugang stationierten Testsperren durchschritt. Des Professors Augen hefteten sich in nervöser Spannung auf die eintretende Gestalt. Sie war nur mit einer dünnen Plastikkombination bekleidet und blieb drei Meter vor dem Schreibtisch stehen. „Nun, H-R-neun?“ Der Hominide nahm Haltung an. „Geheimauftrag Memphis in allen Punkten ausgeführt, Sir.“ In Cabanets Augen blitzte es in verhaltenem Triumph. Er zog ein schmales Kästchen heran, öffnete es und nahm eine dunkle Zigarre heraus. Nachdem er die schillernde Plastoflexhülle entfernt und die Zigarre in Brand gesteckt hatte, lehnte er sich mit halbgeschlossenen Augen in seinem bequemen Sessel zurück. „So, H-R-neun, jetzt wünsche ich einen ausführlichen Bericht!“ Als der Hominide geendet hatte, verharrte der Professor noch eine Weile schweigend mit gefurchter Stirn. Erst, als die Zigarre ausgegangen war, schien er sich wieder der Anwesenheit des Hominiden zu erinnern. „Du kannst gehen!“ sagte er. HR-9 erwachte aus seiner unnatürlich starren Haltung, drehte sich um und stapfte mit eckigen Bewegungen aus dem Raum. Professor Hesekiel Cabanet erhob sich ächzend und trat zu einem niedrigen Schaltpult an der Seitenwand des Zimmers, wobei er einen Bogen um die Stelle schlug, an der HR-9 gestanden hatte. Stehend tippte er einige Angaben auf der Symbolmaschine, riß den gelochten Streifen ab und schob ihn in einen Schlitz des Schaltpultes. Ein hinter der Wand verborgenes Leptonengehirn begann die Angaben zu verwerten. Sie fügten sich in einen fertigen Plan ein, in einen Plan, der vor knapp sechs Monaten angelaufen war und bereits jetzt seine ersten Auswirkungen gebracht haben mußte. Befriedigt überflog Professor Cabanet die herausschnellende Antwortfolie. Dann schritt er bedächtig zu 10
der Fiktivwand des Video-Schachspiels, schnalzte mit den Fingern und bewegte eine Figur. Das kosmische Schachspiel hatte begonnen. Mit einem Fehler. * Lester lag auf dem Pneumobett seiner winzigen Kabine und versuchte zu schlafen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Der Scout wälzte sich auf den Rücken, starrte mit offenen Augen in die Finsternis und versuchte die Ereignisse seit dem Ausfall des Ljapunow zu rekonstruieren, aber immer wieder verlor er den Faden. Schließlich kehrte er zum Ausgangspunkt zurück. Jemand hatte eine Thermonit-Bombe in den Strukturfeldgenerator seines Scoutschiffes praktiziert, eine Nuklearwaffe von der Größe eines Knopfes, deren Hitzewirkung auf einen ganz bestimmten Radius begrenzt war. Die Bombe hatte höchstwahrscheinlich einen Strahlungszeitzünder gehabt, der nach Ablauf der vorgesehenen Zeit den elektronischen Dauerimpuls auslöste, der wiederum als Katalysator der Miniatur-Kernfusion wirkte. Die Grundfrage war, welchen Zweck der oder die Attentäter damit verfolgten. Wenn sie beabsichtigten, ihn für immer auszuschalten, waren es Stümper. Denn dann kannten sie entweder die Technik des Hyperfluges nicht, oder sie hatten sich vor dem Legen der Bombe nicht über das Ziel der Memphis vergewissert; sonst hätten sie die Bombe nicht zu einem Zeitpunkt auslösen lassen, an dem sich das Schiff mit seiner Austrittsposition in der Nähe einer zivilisierten Welt befand, wo der Einbau eines neuen Ljapunow eine Sache von vier Tagen war. Theoretisch konnte der Sinn des Attentats auch in der finanziellen Schädigung Lesters liegen. Ein 11
Strukturfeldgenerator kostete immerhin rund sechzig Millionen Stellar-Kredite, das war der Reingewinn von zehn Entdeckungsprämien. Aber wer sollte Interesse daran haben, das Einmann-Unternehmen eines Scouts zu ruinieren? Es bedeutete für niemanden eine Konkurrenz, auch nicht für die anderen Scouts, denn infolge der hohen Ausfälle konnten die Scouts nicht einmal fünfzig Prozent der Erkundungen erfüllen, die als Vorbereitung für die Besiedlung neuer Kolonialwelten notwendig waren. Blieb das Motiv persönlicher Rache. Lester schüttelte den Kopf. Er hatte keine persönlichen Feinde, dazu war sein bisheriges Leben viel zu einsam verlaufen. Lester seufzte und richtete seine Gedanken auf einen anderen Punkt. Bei welcher Gelegenheit wohl konnte die Bombe in den Ljapunow seines Schiffes gebracht worden sein? Er hatte sechs Wochen seines Urlaubes in seinem Haus in den venusischen Turf-Hills und eine Woche bei geschäftlichen Besprechungen in Port Chelton verbracht. Während dieser Zeit hatte die Memphis zur Generalüberholung in der Vertragswerft der Scout-Corporation gestanden, in Dockyard Menelaus auf dem Erdmond. Die Arbeit der Werft hatte bisher niemals zu Beanstandungen geführt. Das Kontrollpersonal bestand aus ehemaligen Angehörigen der Raummarine oder der Raumpolizei und war absolut zuverlässig. Die eigentlichen Arbeiten aber wurden von Arbeitsrobotern ausgeführt, Maschinen also, die von ihrer Programmierung her gar nicht in der Lage waren, einen Menschen zu schädigen. Fremde jedoch konnten die am Grunde des zweitausend Meter tiefen Kraters Menelaus liegenden Werftkuppeln nur mit Raketen oder Staubschlitten erreichen; und derartig große Objekte entgingen niemals der automatischen Radarüberwachung des Dockyard. Trotzdem mußte die Bombe dort in sein Schiff geschmuggelt worden sein, denn er war von Menelaus direkt 12
zu seiner neuen Fahrt aufgebrochen. Lester ahnte, daß hinter dem Anschlag mehr steckte, als es im Augenblick den Anschein hatte. Ein heftiges Rütteln ging durch den Leib der Memphis. Gleichzeitig begannen die Alarmsirenen zu heulen. Lester sprang auf, schaltete das Licht an und stürzte zum Videophon. Er drückte den Knopf nieder und erblickte das blasse Gesicht Davids. „Was ist los?“ fragte er, und ein lähmendes Gefühl breitete sich in seinem Körper aus. „Eine Vibro-Magnetbombe wurde achtzig Kilometer vor dem Bug unseres Schiffes gezündet, Sir. Inzwischen habe ich die Defensivschirme eingeschaltet.“ „Wer hat uns angegriffen?“ fragte Lester mit mühsam beherrschter Stimme. „Noch kein Fremdkörper...“ David unterbrach sich. „Einen Augenblick, Sir.“ Sein Gesicht verschwand von der Bildscheibe, dann tauchte es wieder auf. „Unbekanntes Objekt stößt soeben aus dem Ortungsschatten von Miriam sechzehn heraus. Hält Kollisionskurs. Begegnung in zwanzig Minuten, Sir. Ich habe die Objektanalysatoren eingeschaltet.“ Lester preßte die Lippen aufeinander. „Danke, David. Ich komme sofort.“ Er schlüpfte mit tausendfach geübten Bewegungen in seinen Raumanzug, schnallte sich den Waffengurt um und eilte zum Achslift. Erhielt er jetzt die Antwort auf seine Fragen, die Fragen nach dem Sinn des Anschlags? * „Ein stellarer Patrouillenkreuzer, Sir.“ David reichte Lester das Diagramm der Objektanalysatoren. Ungläubig blickte der Scout auf. „Und er hat uns nicht 13
angerufen? Er hat keine Identifikation verlangt, bevor er seinen Raumtorpedo vor unseren Bug schoß?“ „Nein, Sir.“ Sekundenlang stand Lester reglos. Nur in seinem Gesicht arbeitete es. Dann verhärteten sich seine Züge. In die graugrünen Augen trat ein entschlossenes Funkeln. Er knüllte das Analysediagramm in seiner Faust zusammen und ging mit festem Schritt zum Pilotensessel. „Gefechtsbereitschaft herstellen!“ Er ließ sich in das Konturpolster füllen. „Aber es ist ein Patrouillenkreuzer, Sir!“ wagte David einzuwenden. „Und wenn schon!“ Zum erstenmal seit dem Alarm lächelte Lester wieder. „Jeder Kommandant eines Patrouillenschiffes ist verpflichtet, sich zu erkennen zu geben, bevor er weitergehende Maßnahmen ergreift. Jene Leute aber haben uns einfach einen Schuß vor den Bug gesetzt und sich damit wie Piraten benommen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn wir wie auf einen Piratenüberfall reagieren.“ Wortlos zwängte sich David in seinen Raumanzug. Er hätte ihn selbst im freien Raum nicht gebraucht, aber die Verwendung hominider Roboter auf Scoutschiffen war aus psychologischen Gründen geheim. Deshalb mußten die kybernetischen Scout-Assistenten sich gegenüber Uneingeweihten wie Menschen verhalten. Der Patrouillenkreuzer war inzwischen näher gekommen. Er würde in fünfzehn Minuten auf gleicher Höhe mit der Memphis sein, sie aber nicht rammen, da er ein geringfügiges Ausweichmanöver durchgeführt hatte. „Schade, daß unser Ljapunow hinüber ist“, murmelte Lester. Er schaltete den Autopiloten aus und übernahm die Manuellkontrollen. „Anschnallen!“ befahl er ruhig, fast lässig. „MTI-Anlage mit Feuerleitgerät koppeln! Rak-Lafette Beins mit einem Lichttorpedo und zwei Natriumdampf-Raketen bestücken!“ 14
Mit grimmiger Genugtuung beobachtete er, wie David die notwendigen Schaltungen vornahm. Auf dem Schirm der MTIAnlage - MTI war die Abkürzung von „Moving Target Indication“ und bedeutete „Anzeige bewegter Ziele“ - leuchtete das Fadenkreuz des koordinierten Feuerleitgerätes auf. Langsam wanderte der grüne Lichtfleck, der die Position des Patrouillenkreuzers markierte, zum Schnittpunkt der elektronischen Lichtbalken. Lester legte die gespreizten Finger auf die Manuellschaltungen. „Achtung!“ sagte er langsam. „Rak-Lafette Beins, Lichttorpedo Feuer!“ Die Memphis erzitterte kaum merklich unter dem Abschuß. „Befehl ausgeführt“, meldete David. Lester nickte und schaltete die Bildschirme aus. Ein Lichttorpedo war, wie schon sein Name aussagte, eine Waffe, deren Wirkung auf einem unwahrscheinlich grellen Lichteffekt beruhte. Jedes menschliche Auge, das auch nur für den Bruchteil einer Sekunde diesem Licht ausgesetzt war, verlor für mindestens zehn Minuten seine Sehkraft. Zwar würden auf dem Patrouillenschiff Ersatzleute für die geblendeten Kameraden einspringen, aber bis der Wechsel der Schiffsführung beendet war, wollte sich Lester längst auf einer anderen Position befinden. Vorher aber mußte noch etwas anderes getan werden. „Achtung! Rak-Lafette Beins, N-D-Raketen - Feuer!“ „Befehl ausgeführt.“ Lester wartete nicht länger. Mit der geringen physischen Kraft seiner Fingerspitzen zwang er der Memphis eine Kursänderung auf, die die Stabilität des Schiffes aufs höchste beanspruchte. Die Bugdüsen spien sonnenheiße Plasmabündel aus. Aus dem Maschinensektor drangen das Kreischen des überlasteten Spiralzyklotrons und das Singen der Felderzeuger. Das Raumschiff wurde mit unfaßbarer Gewalt aus seinem 15
bisherigen Kurs gerissen, tauchte in steiler Kurve nach „unten“ weg und richtete den Bug erneut auf das System Miriam, genauer gesagt auf den sechzehnten Planeten. Lester schaltete die Bildschirme wieder ein und wandte sich kurz dem Hecksektor der Panoramagalerie zu. Er lächelte schadenfroh, als er die glühende Natriumdampfwolke sah, die das Patrouillenschiff völlig einhüllte und es den Ersatzleuten in der Steuerzentrale noch schwieriger machte, sich zurechtzufinden. Die beiden Raumschiffe entfernten sich immer mehr voneinander, da das Patrouillenschiff bisher den alten Kurs beibehalten hatte, während die Memphis mit dreiviertel Lichtgeschwindigkeit auf den äußersten Planeten des Miriam-Systems zueilte. Wieder griffen Lesters Finger in die Manuellschaltungen. Die Korrekturdüsen jaulten mißtönend auf, dann befand sich das Scoutschiff genau zwischen dem zur Größe einer Orange angeschwollenen sechzehnten Planeten und dem Patrouillenschiff. „Das Piratenschiff bremst ab“, meldete David. „Piratenschiff... Unsinn!“ erwiderte Lester. „Kein Pirat wäre so zimperlich vorgegangen. Diese Burschen dort hinten hatten nicht die Absicht, uns Schaden zuzufügen.“ „Aber was wollten sie dann?“ Lester zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht wurde plötzlich sehr ernst. „Das, fürchte ich, werden wir noch erfahren. Vielleicht früher, als uns lieb ist“, fügte er trocken hinzu. * Die fahlen Eiswüsten von Miriam-sechzehn wuchsen bereits in den Frontbildschirm der Memphis hinein, als der starke Kurzwellenempfänger zu ticken begann. „Die interstellare Polizeiwelle“, meldete David trocken. 16
„Auf Empfang gehen!“ befahl Lester. „Aber Sender nicht einschalten!“ „Jawohl, Sir.“ Der Robot drückte mit entschlossener Bewegung die Taste des Empfängers nieder. Lester konnte es nicht sehen, denn er verfolgte mit den Augen aufmerksam die Anzeige des DopplerNavigationsgerätes. Um so besser hörte er die aus dem Lautsprecher dröhnende Stimme. „Hier spricht die Systemüberwachung Miriam, Patrouillenkreuzer R-SA-fünf. Wir rufen das fremde Schiff, das entgegen unserer Aufforderung seinen illegalen Einflug in das System fortsetzt. Stoppen Sie sofort und senden Sie Peilzeichen!“ „Was soll ich ihnen antworten, Sir?“ fragte David. „Antworten...?“ Lester schnaufte hörbar. „Du blecherne Kreatur eines Menschen! Unterstehe dich! Willst du, daß man uns anpeilt!“ „Achtung! An fremdes Schiff!“ schallte es erneut aus dem Kurzwellenempfänger. „Wenn Sie unserem Befehl nicht sofort Folge leisten, müssen wir Sie abschießen! Bestätigen Sie und geben Sie Peilzeichen!“ „Das könnte euch so passen!“ knurrte Lester. „Wo sind sie denn, David?“ „Elf Lichtminuten hinter uns, Sir. Distanz vergrößert sich.“ „Das will ich meinen. Sie mögen auf ihrem Kreuzer die stärkeren Waffen haben, aber das größere Beschleunigungsvermögen haben wir.“ Lester konzentrierte sich nunmehr voll und ganz auf die Kontrollen der Manuellsteuerung. Er war sicher, daß man die Memphis vom Patrouillenschiff aus nicht orten konnte, aber damit es so bliebe, war er gezwungen, dicht über die Oberfläche von Nummer sechzehn zu springen“. Springen war in diesem Falle wörtlich zu nehmen, denn von der eisbedeckten 17
Planetenoberfläche ragten nadelscharfe, durch keine Witterung abgeschliffene, viele Kilometer hohe Bergspitzen in den Raum, über die der zigarrenförmige Körper der Memphis wie ein mit Wucht geschleuderter Speer schnellte. Lester flog wieder einmal „schizophren“, wie David dazu zu sagen pflegte, das heißt, er reagierte ganz instinktiv und unter Ausschaltung des Intellekts, während sein Geist völlig losgelöst von den Handlungen seines Körpers die jetzige Lage überdachte. Vom Standpunkt eines Roboters, wie David einer war, mußte das unmöglich erscheinen, denn ein leptonisches Robotgehirn mußte vor jeder Handlung alle bestehenden Möglichkeiten durchkalkulieren. Aber obwohl das viel, viel schneller geschah als bei einem organischen Gehirn, wäre in einer Situation wie dieser jeder robotische Handlungsimpuls zu spät gekommen. Es war dies eine von Lester schon mehrmals beobachtete Wirkung eines Phänomens, des Phänomens, daß der mit einem Maschinenkomplex verwachsene Mensch wie mit unsichtbaren Nerven Verbindungen überall in dem Maschinenkomplex zur gleichen Zeit war und daß diese Nervenverbindungen selbstständig zu handeln vermochten besser und schneller, als würde ihre Arbeit durch das Gehirn koordiniert. Mittlerweile hatte die Memphis den sechzehnten Planeten zur Hälfte umrundet. Die Verfolger hatten demnach im Augenblick keine Möglichkeit, sie zu orten. Natürlich wußte Lester, daß auf Patrouillenschiffen keine Dummköpfe Dienst taten. Man würde sich klar darüber sein, daß das Scoutschiff nur deshalb nicht auf den Orterschirmen zu sehen war, weil es sich im Massen- oder Sichtschutz des Randplaneten hielt. Das änderte aber nichts an der Tatsache, daß die Patrouillenleute zur Passivität verurteilt waren. Sie verzichteten dann auch darauf, weitere Funksprüche abzusetzen. Als die Memphis ihren spitzen Bug über den Horizont der Eiswelt reckte und mit voller Kraft in den dunklen Raum 18
vorstieß, erwachte Lester aus seinem tranceähnlichen Zustand. „Wo steckt das Patrouillenschiff jetzt?“ wandte er sich an David. „Einundzwanzig Millionen Kilometer hinter uns, Sir. Es verzögert.“ Lester lachte rauh. „Es blieb ihnen nichts weiter übrig. Sie mußten denken, daß wir uns irgendwo auf Nummer sechzehn verkriechen würden.“ „Das wäre auch besser gewesen, Sir. Wir bewegen uns aus dem Ortungsschatten heraus. In spätestens zehn Minuten wissen sie, wo wir sind. Warum haben wir uns nicht versteckt?“ „Das wäre logisch gewesen, nicht wahr?“ „Ja, Sir.“ „Siehst du, und deshalb haben wir es nicht getan. Die Patrouillenleute nehmen natürlich ebenfalls an, wir hätten logisch gehandelt. Die Verzögerung ihres Schiffes beweist das. Sie werden ihren Irrtum erst merken, wenn wir längst aus der Reichweite ihrer Waffen sind. Aber nun gib mir endlich die Kursdaten, du logisches Monstrum!“ David gab sie ihm. Doch dann widersprach er erneut. „Sir, ich bitte zu bedenken, daß die Funkmeldung von dem Zwischenfall mindestens drei Stunden vor uns auf Roger sein wird. Sie überholt uns mit Lichtgeschwindigkeit, während wir wegen der bevorstehenden Landung schon bald wieder verzögern müssen. Unter Umständen lauert uns vor Roger eine ganze Flottille auf.“ „Unter Umständen!“ sagte Lester. Er schloß die Programmierung des Autopiloten ab, klappte seinen Helm nach hinten und lehnte sich tief in den Kontursitz, während seine Zigarette brannte. Einige Minuten war es still in der Zentrale. Nur das Wechselspiel farbiger Kontrollampen, das leise Klicken von 19
Relais und das satte Brummen der Energieerzeuger waren zu vernehmen. „Sir!“ meldete sich David erneut. „Ja...?“ „Warum mag sich die Patrouille wohl so sonderbar verhalten haben? Einerseits gibt sie einen Warnschuß ab, andererseits aber zauderte sie offenbar, als sie nur noch die Möglichkeit hatte, uns wirklich anzugreifen.“ Lester blies einen Rauchkringel in die Luft. „Die Frage ist berechtigt, aber sie trifft nicht den Kern der Sache, mein lieber Herr von Blech...“ „Und wie heißt die Kernfrage?“ David ging nicht auf Lesters Spott ein. „Das Schiff war von der Systemüberwachung, David. Nun...?“ „Ich verstehe nicht, Sir.“ „Schiffe der Systemüberwachung verlassen ihr System nur auf ausdrücklichen Befehl. Ist es da nicht seltsam, daß der Befehl die Patrouille genau in unsere Raumzeit-Koordinaten schickte?“ * Professor Hesekiel Cabanet bewegte eine neue Figur auf der Fiktivwand des Video-Schachs. Seih Gesicht drückte dabei alles andere als Freude aus. Sein letzter Zug war ein sogenannter Zeitzug gewesen, das heißt, er wurde erst wirksam, nachdem der Gegenspieler seinerseits einen Zug getan hatte. Aber obwohl der Gegenspieler nichts von dem Zeitzug des Professors ahnen konnte, hatte er die Auswirkung kompensiert - vorläufig jedenfalls. Professor Cabanet spielte scheinbar gegen sich selbst. Aber das war eine Täuschung, obwohl er die Züge seines Gegners selbst ausführte. Das Schachspiel hatte in Wirklichkeit einen 20
realen Hintergrund, und der Gegenspieler existierte tatsächlich, obwohl er von dem Schachspiel noch nichts wissen konnte. Cabanet tat nichts weiter, als den Stand der Ereignisse auf die Fiktivwand des Video-Schachs zu übertragen. Das schien wie eine Marotte, aber es war mehr. Der Plan zum kosmischen Schachspiel war vor fünf Jahren geboren worden. Damals war Cabanet noch Professor für Robotpsychologie an der Pariser Hochschule für Kybernetik. Sein Freizeithobby aber war von frühester Jugend an VideoSchach gewesen, und kein Gegner hatte sich mit Cabanet messen können. Bis vor fünf Jahren. Aber der Sieger war kein Mensch gewesen, sondern ein Roboter - einer der neuen hominiden Roboter. Seit dieser Zeit sah Cabanet die Entwicklung der Kybernetik in einem anderen Licht. Nicht nur wegen der verlorenen Schachpartie natürlich; das wäre kindisch gewesen. Aber das „Matt“ des Hominiden hatte längst vorhandene, im Unterbewußtsein aufgestaute Ängste und Komplexe durchbrechen lassen. Cabanet sah das Gespenst eines von Robotern beherrschten und versklavten Universums, und er beschloß, die Roboter durch ein kosmisches Schachspiel mattzusetzen. Die Schlüsselfigur war ein Mensch, das Schachbrett ein ganzer Planet; und der Name des Planeten sollte die gewünschte Reaktion bringen. Cabanets Plan war ein psychologischer Plan, aufgebaut darauf, daß sein selbst ausgewählter Gegenspieler von seinen Gefühlen überwältigt werden würde.
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2. „Besonders ein Wirkungsgebiet kybernetischer Maschinen wurde von Anfang an unter das Kreuzfeuer der Kritik genommen. Man kann die Menschen und Institutionen, die das taten und noch tun, nicht ohne weiteres verurteilen; ihr Motiv wurzelt in einem vieltausendjährigen Glauben an die Bestimmung des Menschen - und an seine unsterbliche Seele. Das Gebiet, um das es an dieser Stelle geht, ist das der Erziehung und Bildung. Vergegenwärtigt man sich die heutige Situation, so muß es nicht nur naiven Gemütern wie Blasphemie erscheinen, daß die Erziehung und Bildung junger Menschen zu sechzig Prozent durch kybernetische Maschinen erfolgt. Die Kernfrage, um die es hierbei geht, lautet: Kann etwas, das weder über eine Seele verfügt noch ein Organ zum Nachempfinden seelischer Vorgänge besitzt, die noch ungefestigte, pflege- und hilfsbedürftige Psyche eines jungen Menschen verstehen und bilden helfen? Die Antwort lautet ganz offensichtlich nein. Nur nützt diese Antwort niemandem, weil die Frage am Kern vorbeigeht. Richtig müßte sie heißen: Ist das, was wir Seele nennen, ein Privileg organischer Intelligenzen oder ein Wesensmerkmal aller vernunftbegabten Wesen, also auch der leptonischen Roboter? Bevor die Frage beantwortet...“ Kybernetik und Seele - Avery. * Eine Million Kilometer vor dem Planeten Roger meldete David das Auftauchen eines fremden Objektes. Es vergingen nur fünf Minuten, bis die ausgesandten Laserstrahlen das Objekt abgetastet hatten. Es war, jedenfalls seiner Bauart nach, ein Patrouillenkreuzer der Systemüberwachung Miriam. „Prost Mahlzeit!“ sagte David, was Lester ein leises 22
Lächeln entlockte, denn der Ausruf des Roboters stammte aus seinem eigenen Sprachschatz. Der Kurzwellenempfänger war noch eingeschaltet, und so vernahm Lester die Stimme sofort. „Hier spricht die Systemüberwachung Miriam!“ kam es aus dem Lautsprecher. „Patrouillenkreuzer R-SA-sieben ruft fremdes Raumschiff. Bitte identifizieren Sie sich!“ „Was tun wir, Sir?“ fragte David. „Das, was von uns verlangt wird, natürlich. Einer so höflichen Aufforderung werden wir uns nicht widersetzen. Lege bitte das Gespräch zu mir herüber!“ Eine Sekunde später zog Lester das Mikrophon an dem biegsamen Arm zu sich heran. „Hier Scoutschiff Memphis, Heimathafen Port Chelton, Terra. Erbitte Landegenehmigung für Planet Roger, Werftsektor des Raumhafens ,Settiers Arrival’ bei First. Grund: Dringende Reparatur nach Ausfall des Ljapunow.“ Es war normalerweise nicht üblich, daß der Kommandant eines reparaturbedürftigen Raumschiffes sich die Werft selbst aussuchte. Aber Lester hatte einen Grund dafür. Der Raumhafen „Settiers Arrival“ lag nur dreißig Kilometer von der Hauptstadt Rogers entfernt, von First, und Lester hatte die Absicht, den terranischen Botschafter in First aufzusuchen; vielleicht erfuhr er dort etwas über das sonderbare Verhalten des ersten Patrouillenschiffes. Wenn man ihn überhaupt auf Roger landen ließ. „Hier Patrouillenkreuzer R-SA-sieben“, schnarrte es zurück, und Lesters Augenbrauen zogen sich in Erwartung der Antwort hoch. Er war gespannt - und besorgt. Aber die Antwort fiel anders aus, als er es überhaupt für möglich gehalten hätte - ganz anders. „Ihre Identifikation ist geprüft und für in Ordnung befunden worden“, fuhr der unsichtbare Sprecher fort. „Wir haben eine Meldung nach ,Settlers Arrival’ abgeschickt. Melden Sie sich bitte bei der Leitstelle des 23
Werftsektors, Ende!“ „Danke, habe verstanden, Ende“, schluckte Lester und schob das Mikrophon zurück. Mit einer Handbewegung veranlaßte er David, den Sender abzuschalten. Dann steckte er sich eine Zigarette an. „Was sagst du dazu, David?“ Der Roboter schüttelte in verblüffend echter menschlicher Gebärde den Kopf. „Da komme ich nicht mehr mit, Sir.“ „Kein Wunder!“ Lester verzog das Gesicht zu einer schadenfrohen Grimasse. „Ein Robotgehirn kann eben nur zu mathematischlogischen Schlüssen gelangen. Und der logische Schluß aus unserem Intermezzo am Rande des Systems wäre, daß man uns keine Gelegenheit gäbe, überhaupt bis Roger zu kommen. Aber Gott sei Dank verläuft das Leben nicht in solchen streng logischen Bahnen. Es wäre verdammt langweilig. Ich möchte wetten, daß die Systemüberwachung sich unwissend stellen würde, wenn wir die unangenehme Begegnung mit einem ihrer Schiffe erwähnten.“ „Was hätte dann das Vorgehen des ersten Patrouillenkreuzers überhaupt für einen Sinn gehabt, Sir?“ Lester grinste. „Warum befragst du nicht deine Logik?“ „Aber eben sagten Sie doch...“ „Ach, was! Es hat keinen Sinn, einem Leptonengehirn die Logik unlogischer Handlungen klarmachen zu wollen. Du würdest es niemals verstehen.“ „Wie kann Unlogik logisch sein, Sir? Die kybernetische...“ „Aus!“ brüllte Lester. „Du bringst mich noch um meinen Verstand. Begreife endlich, daß man mit rein logischen Gedankengängen die Logik der Unlogik nicht verstehen kann. Und nun...“, er seufzte resignierend, „... werde ich mich rasieren. Sonst denken die Leute von Roger, ein Halbwilder käme sie besuchen. Du kannst inzwischen die Steuerung übernehmen. Aber bitte, vermeide allzu vieles Denken, sonst entzünden sich deine Leptonen! Bis dann!“ Er atmete auf, als das schwere Panzerschott der Zentrale 24
hinter ihm zuglitt. Dann lachte er. Es war durchaus nicht so, daß Lester den Nutzen der Roboter im allgemeinen und Davids im besonderen unterschätzte. Aber er konnte es nicht ausstehen, daß David seine kybernetische Logik unbesehen auf die Fülle der Probleme menschlichen Zusammenlebens anwandte. Dazu kam, daß David auf sein in der Tat umfangreiches Wissen, das er sich zum größten Teil selbst erarbeitet hatte, stolz war, so stolz, daß er jede geringwertigere Roboterkonstruktion nur von oben herab ansah. Lester lachte immer noch, als er in das duftende Bad stieg. Ein richtiges Vollbad war normalerweise Luxus für einen Raumfahrer. Wasser war zu kostbar, um es derartig zu vergeuden. Aber das galt nur während der Reise. Jetzt jedoch war eine Etappe der Reise so gut wie zu Ende. Auf Roger konnten die Wassertanks nachgefüllt werden. Als Lester, gebadet, rasiert und mit einem Zivilanzug bekleidet, wieder in die Zentrale zurückkehrte, war der Planet Roger inzwischen zu seiner bildschirmausfüllenden, leuchtenden Scheibe geworden. Er setzte sich in seinen Sessel. „Was Besonderes, David?“ „Keine besonderen Vorkommnisse, Sir.“ „Okay, dann würde ich dir empfehlen, dich ebenfalls landfein zu machen. Wir landen schließlich nicht auf einer unerforschten, gefährlichen Welt, sondern auf einem zivilisierten Planeten.“ Lester wußte, daß dies nur zum Teil zutraf. Auf Roger lebten nur rund eine halbe Million Kolonisten. Aber mit Hilfe einer umfangreichen, leistungsfähigen Robotindustrie war es ihnen gelungen, das Gesicht von zehn Prozent der Oberfläche zu wandeln. Ihre Raumschiffswerften genossen großes Ansehen und hatten ihnen Wohlstand gebracht. Lester nahm Verbindung mit der Leitstelle des Werftsektors von „Settiers Arrival“ auf. Eine kalte, unpersönliche Stimme wies ihn ein und lotste die Memphis in 25
den für die Landung bestimmten Raumkorridor. Als die Kontrollampen anzeigten, daß sein Schiff von der Fernsteuerung des Hafens übernommen worden war, blieb für Lester nicht mehr viel zu tun. Er schaltete das Elektronenteleskop ein und beobachtete die schnell deutlicher werdenden Einzelheiten der Oberfläche auf dem Projektionsschirm. Stolz erfüllte ihn; Stolz darauf, daß er es gewesen war, der mit der Entdeckung des Planeten den Menschen da unten die Möglichkeit eines besseren Lebens gegeben hatte, als es auf der Erde noch möglich war. Die stetige Aufwärtsentwicklung der interstellaren Raumfahrt hatte das Problem der Überbevölkerung auf der Erde nicht lösen können. Wenn die Möglichkeiten des Tiefkühlschlafes und des Hyperraumfluges auch einen ununterbrochenen Strom von Auswanderern nach neuen Welten fließen ließen: Siebzig Millionen Menschen im Jahr waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Darum unterlagen die Geburten auf Terra einer strengen Kontrolle, während die Regierungen der Kolonialwelten hohe Prämien für jedes Kind zahlten. Man versuchte, die terranische Geburtenrate auf den Stand der Emigrationsmöglichkeiten herabzudrücken, ohne dadurch die Ausbreitung der Menschheit über die Galaxis zu gefährden. Auf dem Projektorschirm des Teleskops wurde das ausgedehnte Stadtgebiet von First, der Hauptstadt des Planeten Roger, sichtbar. First war eine Perle unter den Kolonistenstädten. Sie bedeckte eine Fläche, die der von GroßNew-York gleichkam, beherbergte aber statt fünfundfünfzig Millionen nur dreißigtausend Einwohner. Die Kolonistenhäuser waren schmucklose Zweckbauten, würfelförmige einstöckige Häuser, aber jedes stand für sich allein in einem großen parkähnlichen Gelände, nur durch eine schmale Zufahrt mit der nächsten Hauptverkehrsader verbunden. Lediglich im Zentrum erhoben sich die Bauten der Regierung, die Kaufhäuser und die 26
Vergnügungsstätten über die Wipfel der Baumkronen. Um die Hauptstadt aber zog sich wie ein Ring die Kette der Flughäfen und der Raumhäfen. Der größte Raumhafen war „Settiers Arrival“; hier landete vor sieben Jahren erst die Chesapeake mit knapp hunderttausend Auswanderern. Sechs kleinere Schiffe waren ihr gefolgt. Der Werftsektor von „Settiers Arrival“ wirkte von oben, als hätte man dort einige Dutzend Hochhäuser angefangen und die Bauarbeiten nach Fertigstellung der Stahlplastikgerippe eingestellt. In Wirklichkeit verbarg sich hinter jedem Gerippe ein im Bau befindliches oder überholungsbedürftiges Raumschiff. Drei blitzende Schiffsgiganten standen einige Kilometer abseits: nagelneue Raumschiffe, die auf die Abnahme durch die Auftraggeber warteten. Länger konnte sich Lester nicht mehr dem Projektorschirm widmen. Die Memphis tauchte mit den üblichen Geräuschen in die Atmosphäre ein, die brüllenden Glutbündel der zur Oberfläche gewendeten Hecktriebwerke bremsten ihren Fall. Dann leuchtete über der Instrumentenbühne die grüne Scheibe auf. Die Memphis war gelandet. Lester schnallte sich bedächtig los. Er reckte die Glieder und beobachtete David, der mit unbewegtem Gesicht auf die Schirme der Panoramagalerie starrte. „Du bleibst vorläufig im Schiff!“ ordnete er an. „Im Augenblick erscheint es mir am dringlichsten, mit der Werftleitung zu verhandeln, damit wir recht bald wieder einen neuen Ljapunow haben.“ David drehte sich um. „Ich glaube, wir werden vorläufig beide im Schiff bleiben müssen, Sir.“ Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Backbordschirm. Lester blickte hinaus und erschrak. Rote Kampfroboter hatten die Memphis umstellt. *
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Mit einem Satz sprang Lester zum Kommandopult zurück und schaltete den Bandgenerator ein. Unsichtbar legte sich ein Elektroschockfeld um das Schiff. Ein Mensch, der damit in Berührung kam, verlor sofort das Bewußtsein, ein Roboter aber wurde funktionsunfähig durch seine Sicherheitsschaltung, die sämtliche Stromkreise stillegte, um eine Schädigung durch Kurzschlüsse zu verhindern. Vorläufig jedoch rührten sich die Kampfroboter nicht vom Fleck. Lester überlegte, ob er im Falle eines Angriffs starten sollte, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder. Selbst wenn die planetaren Abwehrforts passiv blieben, hätte eine Flucht keinen Sinn, es sei denn, Lester wollte sich als Einsiedler auf einer unbewohnten Welt niederlassen. Dazu aber hatte er nicht die geringste Lust. Außerdem: Dieser Planet trug den Namen seines Vaters, und allein diese Tatsache verpflichtete den Scout, auf seinem Platz auszuharren. In diesem Augenblick meldete sich das Videophon. Lester schaltete die Sichtfunkverbindung ein und erblickte auf der hellwerdenden Bildscheibe das ausdruckslose Gesicht eines rothaarigen Mannes. „Hier spricht die Werftsektorverwaltung, Inspektor Noel. Ist dort der Kommandant von SS-Memphis?“ Lester nickte grimmig. „Hier Scoutschiff Memphis, Velie, Scout von Terra. Ich protestiere gegen den Aufmarsch Ihrer Kampfroboter und verlange ihren sofortigen Abzug!“ Im Gesicht des Inspektors zuckte kein Muskel. „Es tut mir leid, Mister Velie, daß Sie sich belästigt fühlen. Aber die Roboter sind nur zu Ihrem Schutz abgestellt. Verlassen Sie bitte Ihr Schiff erst, wenn Aufseher Hiller sich bei Ihnen meldet.“ „Zum Teufel!“ Lesters Gesicht rötete sich. „Roger ist ein Planet der Föderation. Auf ihm gelten die galaktischen Vorschriften zur Abfertigung havarierter Schiffe, und...“ „Ist Ihr Schiff reparaturbedürftig, Mister Velie?“ 28
„Ich brauche einen neuen Ljapunow. Aber das habe ich doch schon der Patrouille und der Hafenleitstelle gemeldet. Gegen wen sollen Ihre Roboter mich eigentlich schützen?“ Inspektor Noel ging auf die letzte Frage nicht ein. „Sie warten, bis Aufseher Hiller erscheint - Ende!“ Der Bildschirm wurde dunkel. Lester starrte finster auf das tote Gerät und biß sich auf die Lippen. Dann wandte er sich abrupt um. Mit langen Schritten durchmaß er die Zentrale. Endlich blieb er vor David stehen. „Weißt du vielleicht, was hier los ist?“ „Nein, Sir. Aber ich glaube, wir sollten uns den Anordnungen der Werftsektorverwaltung fügen. Die Kampfroboter scheinen uns tatsächlich nicht zu belästigen.“ Lester warf einen schiefen Blick auf die Panoramagalerie. „Hm! Sieht nicht so aus. Trotzdem hat niemand das Recht, uns wie Gefangene zu behandeln. Sie sollen uns schützen!“ Lester lachte zornig. „Vor wem, frage ich dich...? Außerdem: Was will ein Aufseher von uns? Mit diesen Leuten haben wir doch überhaupt nichts zu tun. Ich brauche jemanden von der Werftleitung, damit ich den Einbau eines neuen Ljapunow in Auftrag geben kann, weiter nichts!“ „Dort scheint der Aufseher zu kommen“, bemerkte David. Lester fuhr auf dem Absatz herum. Es sah, wie sich im Kordon der Roboter eine Lücke bildete, durch die ein kleiner Bodengleiter schwebte. Zehn Meter vor dem Rand des Elektroschockfeldes hielt er an. Wahrscheinlich hatte man die Sperre mit Detektoren festgestellt. „Ich sollte ihnen eins mit dem Richtstrahlschocker auf den Pelz brennen!“ knurrte Lester. Er tat es jedoch nicht, sondern schaltete das Schockfeld aus. Sofort schoß der Gleiter vor und hielt vor den wuchtigen Stützbeinen des Schiffes. Lester nahm die Strahlenpistole aus dem Gürtelhalfter, das auf seinem Sitz lag, und steckte sie in sein Achselhalfter. „So!“ sagte er entschlossen. „Normalerweise betritt man 29
eine zivilisierte Welt nicht mit einem Jungning-Strahler, aber man muß sich bekanntlich den herrschenden Sitten anpassen.“ Er grinste, wurde aber sofort wieder ernst. „Du bleibst hier und läßt keinen Fremden ins Schiff! Verstanden?“ „Jawohl, Sir. Aber wäre es nicht besser, ich käme mit Ihnen?“ „Um mich vor meiner Schutzwache zu beschützen?“ meinte Lester und lächelte freudlos. „Das wird nicht nötig sein, David. Irgendwo da draußen muß es ja auch noch vernünftige Menschen geben.“ Er hob seinen linken Arm und deutete mit den Augen auf den verhältnismäßig großen Chronographen an seinem Handgelenk. „Im übrigen melde ich mich über den Armbandsender, wenn ich dich brauche. Auf dem gleichen Wege kannst auch du Verbindung aufnehmen. Aber wirklich nur dann, wenn du allein mit einer Situation nicht fertig wirst.“ „Sir!“ David blickte vorwurfsvoll. „Ich bin ein Modell Cfünf, und mein Typ wird mit jeder Situ...“ „Versprich nichts, was du nicht halten kannst!“ fuhr Lester dazwischen. „Und nun: So long, alte Blechhaut!“ „Good by, Sir!“ erwiderte David. Lester winkte noch einmal vom offenen Schott zurück, dann trat er auf die Platte des Achsliftes. * „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Befehl habe, Sie sicher zur Werftleitung zu bringen“, sagte der Aufseher. „Das schließt die Anwendung von Waffengewalt ein.“ Lester blickte den schlanken Mann mit eisiger Verachtung an. „Halten Sie keine Volksreden, und führen Sie Ihren Auftrag aus, aber ein wenig schnell, wenn ich bitten darf!“ Aufseher Hiller trat einen Schritt zur Seite, und Lester stieg in den Gleiter. Er beachtete den sich neben ihn setzenden Aufseher nicht, der dem steuernden Roboter einen Befehl gab. 30
Unverzüglich setzte das Fahrzeug sich in Bewegung. Hinter ihm schloß sich der Kordon wieder. Gleichzeitig kamen von links und rechts je zwei mit Kampfrobotern besetzte gepanzerte Gleiter und schlossen zur Eskorte auf. Lester lächelte nur verächtlich. Sein Gesicht wurde nachdenklich, als er die erste Arbeitskolonne erblickte. Sie bestand aus vier Männern in den gelben Plastikanzügen der Werftingenieure. Das Sonderbare daran war nur, daß vor und hinter der kleinen Gruppe je ein hochgewachsener Werftpolizist ging. Zuerst dachte Lester, es handelte sich um eine Verhaftung. Doch er mußte seine Meinung revidieren, als die Kolonne in einen Lift stieg, der zu einer der zahlreichen Schaltbühnen führte. Dieses Bild sah Lester auf der zehn Minuten währenden, rasenden Fahrt noch mehrmals, und er überlegte, ob auf Roger Unruhen ausgebrochen seien und deshalb jeder Mensch auf der Werft eine Schutzeskorte bekäme. Aber er sah nirgends Zeichen von Unruhe. Überall bemerkte er ameisengleich wimmelnde Arbeitsroboter, die an neuen Gerüsten arbeiteten und zu den Baustellen eilten. Alles schien seinen normalen Gang zu gehen. Und doch mußte eine ganze Menge nicht stimmen. Dann stand er vor Inspektor Noel. Kühl musterte er den Mann, und im Unterbewußtsein registrierte er die Tatsache, daß er genau die gleiche Größe und die gleiche Figur hatte wie Aufseher Hiller. Ja, sogar die Gesichtszüge glichen sich. Wäre Noel nicht rothaarig und Hiller schwarz gewesen, man hätte die beiden für Zwillingsbrüder halten können. Ohne ein unnützes Wort zu verlieren, wies Lester sich aus. Noel nahm die Papiere des Scouts entgegen und gab sie an Hiller weiter, ohne überhaupt hineinzusehen. Er verbeugte sich leicht und lächelte dabei maskenhaft. „Sie werden entschuldigen, Mister Velie, daß ich Ihre Papiere erst zur Prüfung weitergeben muß.“ 31
„Was soll das heißen?“ fragte Lester ahnungsvoll. „Ich möchte so schnell wie möglich den Reparaturauftrag erteilen. Meine Zeit ist knapp bemessen.“ „Es tut mir sehr leid“, entgegnete Noel, „Sie können den Antrag auf Auftragsannahme erst erteilen, wenn Ihre Papiere eingehend geprüft worden sind.“ „Und wie lange dauert diese Prüfung?“ Lester kochte innerlich, aber er bemühte sich, das nicht zu zeigen. Noel zuckte mit den Schultern. „Vielleicht achtundvierzig Stunden, vielleicht auch eine Woche; ich weiß es nicht genau, Mister Velie.“ „Sie sind verrückt!“ entfuhr es Lester. „Das widerspricht den Abfertigungsvorschriften. Unter diesen Umständen ziehe ich es vor, auf die Prüfung der Papiere zu verzichten. Ich werde mein Recht an anderer Stelle finden.“ Vorwurfsvoll schüttelte der Inspektor den Kopf. „Nur wir können auf die Prüfung verzichten, nicht Sie. Aber Sie dürfen inzwischen zu Ihrem Schiff zurückkehren.“ „So, darf ich das!“ höhnte Lester. Da sah er, daß Hiller den Raum verlassen wollte. Und er hielt noch seine Papiere in der Hand! Mit drei langen Schritten hatte er den Aufseher eingeholt und ihm die Papiere abgenommen. Er schritt zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um - und sah, wie Hillers Hand nach dem Blaster fuhr. Der Scout war schneller. Als Hillers Hand mit der Waffe nach oben kam, zuckte ein dünner Glutstrahl aus dem Jungning-Strahler. Er war so berechnet, daß er dem Aufseher die Waffe aus der Hand schleudern und sie unbrauchbar machen mußte. Um so entsetzter war Lester über das, was jetzt, nur vier Schritte von ihm entfernt, geschah. Hillers Körper schien die Energie des Strahlschusses förmlich aufzusaugen. 32
Er glühte im Bruchteil einer Sekunde blauweiß auf - und zerfiel. * „Sie haben einen Mord begangen!“ Noels Stimme klang hart, aber Lester spürte die Unsicherheit heraus. Seine Augen lösten sich von den Überresten Hillers und fixierten Noel scharf. „Halten Sie mich wirklich für so dumm, daß ich die Überreste eines Robots nicht von einer menschlichen Leiche unterscheiden könnte! Ich will Ihnen mal etwas sagen, Noel: Sie bekommen von mir nicht einmal den Wert Ihres Robots ersetzt. Er hat mich angegriffen. Das beweist, daß sein Leptonengehirn nicht in Ordnung war, sonst hätte es sich nach den Asimov’schen Gesetzen richten müssen. Oder...“, er nahm eine drohende Haltung ein, „... war Ihr angeblicher Aufseher etwa ein verkappter Kampfroboter...?“ „Ich verstehe Sie nicht, Mister Velie“, sagte Noel. „Sie werden mich bald besser verstehen. Und lassen Sie sich ja nicht einfallen, mich aufhalten zu wollen! Scheinbar haben Sie keine Ahnung, welche Vollmachten ein Scout besitzt. Aber Sie werden es erfahren.“ Er drehte sich um und verließ grußlos den Raum. Als er das Gelände der Verwaltung verließ, war die Werftstraße menschenleer. Lester rechnete sich aus, daß er zu Fuß fast zwei Stunden bis zur Memphis brauchen würde. Kurz entschlossen rief er David über das Armbandradio und erteilte ihm den Befehl, ihn mit dem Schiffsgleiter vor dem Verwaltungsgebäude abzuholen und die Memphis von außen mit dem Schockfeld und dem inneren Defensivschirm zu schützen. Eine Viertelstunde später fuhr der hellblaue, ovale Gleiter mit dem Symbol der Scout-Corporation, der silbernen Linse 33
der Galaxis im schwarzen Feld, vor. Lester setzte sich neben David. „Zum Stadtzentrum!“ befahl er. Zuerst hatte er befürchtet, man würde sie nicht aus dem Gelände der Werft hinauslassen. Aber in dieser Beziehung wurde er angenehm überrascht. Unterwegs berichtete ihm David, daß kurz vor Lesters Anruf die Robotwache von der Memphis zurückgezogen worden war. Daraufhin erzählte Lester seinerseits, was sich im Büro der Werftverwaltung abgespielt hatte. David blickte ihn verständnislos an. „Sir, das kann gar nicht sein! Ein Roboter vermag gar nicht gegen die Asimov’schen Gesetze zu handeln.“ „Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache!“ erwiderte Lester. „Ich frage mich, ob du nicht eines Tages deinen Blaster gegen mich richten wirst.“ Davids Leptonengehirn war durch diese Bemerkung offensichtlich so verwirrt, daß es die Kontrolle über seinen synthetischen Körper verlor. Hätte Lester nicht schnell zugegriffen, wäre der Gleiter von der Straße abgekommen. „Vielleicht läßt du lieber mich fahren?“ fragte er blaß. „Das ist nicht nötig, Sir. „Es...“ „Na, na...!“ machte Lester. „Ihre Frage ist eine Beleidigung für mich. Niemals wird ein Roboter die Hand gegen einen Menschen erheben, Sir. Ich kann mir die Sache mit dem Robot Hiller nicht erklären. Wenn in einem Leptonengehirn die Asimov’schen Gesetze nicht mehr wirksam sind, führt das automatisch sofort zur Zerstörung des Gehirns und damit zur Einstellung aller Funktionen.“ Lester überging den Vorwurf der Beleidigung. Er war sicher, daß David nur eine menschliche Redensart verwendet hatte. Ein Robot konnte nicht beleidigt werden! „Nun, dann nenne mir doch einmal das erste Grundgesetz für Roboter!“ 34
„Ein Roboter darf niemals menschliches Wesen verletzen oder ihm schaden beziehungsweise durch sein Nichthandeln zulassen, daß einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird - es sei denn, dieser Mensch handelt bewußt und freiwillig im Interesse der gesamten Menschheit.“ „So, und jetzt sage mir, ob Robot Hiller nach diesem Gesetz gehandelt hat!“ „Natürlich nicht, Sir.“ „Natürlich, natürlich!“ äffte Lester ihn ärgerlich nach. „Seit wann ist eine solche Handlungsweise natürlich?“ „Ich stehe vor einem Rätsel, Sir.“ „Dann sind wir ja endlich einmal gleicher Meinung“, spöttelte Lester. Er lehnte sich zurück, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete durch die Plastexscheibe des Gleiters die Landschaft beiderseits der breiten Straße Nichts deutete darauf hin, daß auf Roger etwas nicht stimmte. Das Gras der weit ins Hinterland reichenden Wiesen war kurzgeschoren, die stämmigen Hecken, welche die Druckwellen landender Raumschiffe mildern sollten, waren sorgfältig beschnitten, und in monotoner Regelmäßigkeit brummten soeben gestartete oder zur Landung ansetzende Verkehrsraketen vorüber. Und doch fühlte Lester, daß irgend etwas vorging, das geeignet sein konnte, ihn bis ins Innerste seiner Seele zu verwunden. Denn diese Welt trug den Namen seines toten Vaters! * Der seit Wochen tobende Schneesturm hatte ausgesetzt. Der Himmel über Irontown glänzte in fleckenlosem Violett. Aber immer noch zeigte das Thermometer minus dreiundsiebzig Grad Celsius. Den Bewohnern der seltsamen Stadt und den Arbeitern in 35
den Fertigungskuppeln machte die Kälte nichts aus. Roboter frieren nicht. Professor Cabanet dagegen fror schon beim Anblick des Thermometers. Er klappte den Helm seines Klimaanzuges zu, schaltete die Außenmikrophone und Lautsprecher ein und wartete ungeduldig auf den bestellten Wagen. Endlich, er trat bereits vor Ungeduld von einem Bein auf das andere, sprach der Summer des Videophons an. Die Gestalt eines unverkleideten Roboters erschien. „Sir, der Wagen steht bereit.“ „Wurde auch Zeit!“ brummte Cabanet unwirsch. Ohne noch ein Wort zu sagen, schaltete er das Bildsprechgerät ab und verließ sein Arbeitszimmer, die Zentrale der Stadt Irontown. Draußen, vor der Klimaschleuse, stand das plump wirkende Gefährt: ein mit Gleisketten versehener Bodengleiter. Hastig kletterte der Professor durch den engen Einstieg, nahm widerstrebend die Hilfe des Roboters in Kauf und ließ sich auf den Sitz neben dem Fahrer fallen. „Zum Schiff!“ befahl er. Die Straße wurde schneefrei. Ununterbrochen eingesetzte Räummaschinen sorgten dafür. Aber links und rechts türmten sich haushohe, blauweiß glitzernde Wände auf. Zwei Lastengleiter schwebten darüber und sprühten einen hauchdünnen Plastikfilm über die weißen Massen. Eine Beseitigung des Schnees wäre auf dieser Welt ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen, und Cabanet dachte nicht, sein ganzes Leben hier zu verbringen. Noch aber konnte er nicht weg; die Aufgabe war noch nicht erfüllt. Der Raumhafen von Irontown lag auf einem Felsplateau. Hier hatten die Schiffskommandanten ein perfektes Mittel gegen den Schnee und das Eis gefunden. Sie waren gleich nach dem Schneesturm mit allen Schiffen aufgestiegen und hatten die Triebwerke aus geringer Höhe zehn Minuten arbeiten lassen. Als Folge davon war das Raumfeld blank wie ein 36
frischgeputztes Silbertablett. Die geschmolzenen Schneemassen waren unterhalb des Plateaus wieder erstarrt und bildeten einen Kranz gefrorener Wogen. Die Ketten des behelfsmäßigen Fahrzeugs rutschten klirrend ein Stück über den ebenen Boden, dann stand es. Vor dem Bug ragte ein eiförmiges, schwarzes Ungetüm neunzig Meter in den violetten Himmel hinein - in den Himmel des Planeten Tantal. Mit verkniffenem Gesicht musterte Professor Hesekiel Cabanet die vor der Bodenschleuse angetretenen Gestalten. Dem Äußeren nach waren es Menschen, nur hatten sie fast alle die gleiche Figur und Größe, bis auf einige Ausnahmen. Cabanet atmete schwer. Würde er die Geister, die er rief, wieder loswerden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hatten? Er hoffte es, doch in seinem Innern wurde er die quälenden Zweifel nicht los. Aber er glaubte, daß es sein mußte, sollte die Gefahr ein für allemal von der Menschheit genommen werden. Ehe er seinen Weg hierher angetreten hatte, war die Meldung seiner Verbindungsleute gekommen. Der Plan schien nach der anfänglichen Panne besser zu gehen, als zu erwarten war. Cabanet hoffte, seinen Gegenspieler bald mattsetzen zu können. Die vierzig hominiden Roboter dort vor dem Raumschiff sollten die vorletzte Phase einleiten. Cabanet hielt es nicht für nötig, eine Abschiedsrede zu halten. Die Robotagenten hatten ihre Instruktionen, das genügte. Er gab über Sprechfunk dem - ebenfalls robotischen Kommandanten der Trumpet den Befehl, die Passagiere einzuschleusen. Dann wartete er ungeduldig auf die Vollzugsmeldung. Endlich kam sie. „Transportschiff Trumpet klar zum Start!“ meldete der Kommandant. „Was sagt die Raumüberwachung?“ wandte sich Cabanet an den hinter ihm sitzenden Funker. „Der Himmel über Tantal ist frei, Sir.“ 37
Cabanet nickte grimmig. Bald wird die Galaxis frei von euch sein! dachte er. Laut befahl er dem Kommandanten: „Start frei für Trumpet. Deine Landekoordinaten kennst du. Agent Emile-eins soll sich sofort nach der Landung mit Hauptagent Neunzehn-WS in Verbindung setzen!“ „Habe verstanden, Sir. Bitte, ziehen Sie sich aus dem Wirkungsbereich der Triebwerke zurück.“ Fluchend gab Cabanet seinem Fahrer die entsprechende Anweisung. Dann, als das schwarze Raumfahrzeug auf den tosenden Feuerstrahlen seiner Triebwerke in den Himmel ritt, fand er seinen Humor wieder. „Da geht ihr hin!“ frohlockte er heiser. „Und ihr wißt nicht, daß ihr damit euer eigenes Grab schaufelt. Zurück zur Zentralstation!“ schrie er seinen Fahrer an. „Die Zeit für den nächsten Schachzug ist gekommen!“ * Die Stadt wirkte wie ausgestorben. Doch das war bei der dünnen Besiedlung nicht weiter verwunderlich. Als der Gleiter die Ringstraße vor dem Stadtkern passiert hatte, änderte sich das Bild schlagartig, und bald erkannte Lester auch, warum. Die Ein- und Ausgänge unterirdischer Rohrbahnen sahen auf fast allen Kolonialplaneten gleich aus. Noch eindeutiger redete der beständig hinein und hinaus pulsierende Fußgängerstrom, der sich auf die Unterschiedlich schnellen Gleitbänder ergoß und dort zerstreute. Die Fahrbahn dagegen wuchs auf beängstigend schmalen Stelzen immer höher an den Häuserwänden hinauf, bis leuchtende Gebotsschilder auf die städtischen Parkhäuser und damit auf das Ende der Fahrbahn hinwiesen. Lester wies David an, den Gleiter im nächsten Parkhaus unterzustellen. Von dort begaben sie sich im Pneumolift auf die Höhe der Gleitbänder und reihten sich in den Fußgängerstrom 38
ein. Offenbar kamen die meisten der Leute von anderen, kleineren Städten des Planeten. Dafür sprach schon der Charakter einer Rohrbahn, die ein ausgesprochenes Fernverkehrsmittel darstellte und gut und gern mit Atmosphärengleitern und Nahraketen konkurrieren konnte. Weniger dafür sprachen die Gesichter der Menschen. Lester vermißte in ihnen den Ausdruck von Spannung, Neugierde und Unternehmungslust, den man von Leuten erwarten konnte, wenn sie aus irgendeinem entlegenen winzigen Ort an die Stätte der planetaren Kultur und Zivilisation schlechthin kamen. Statt dessen bemerkte der Scout verwundert die Widerspiegelung von Unruhe, Bangigkeit und vielleicht auch von unterdrücktem Zorn. Dann kamen sie zum „Freedom Square“, dem ausgedehnten Platz im Zentrum Firsts, um den sich die Gebäude der planetaren Regierung und der Botschaften gruppierten. Lester erkannte schon von weitem die lamellenartig gegliederte Säule aus Stahlplastik und Glas, welche die terranische Botschaft beherbergte. Sie wurde, wie auf allen Kolonialwelten und befreundeten Planeten, durch den schlichten Mast mit der Fahne gekennzeichnet, ein träge im lauen Wind hängendes grünes Banner mit dem goldenen Saturn, dem Wahrzeichen des Solar-Systems. Es waren vielleicht noch achthundert Meter bis zur Botschaft. Da beschrieb das Gleitband der Straße einen engen Bogen und mit ihm der gesamte Fußgängerstrom. Alle Menschen schienen das gleiche Ziel zu haben: ein neues, funkelndes Gebäude in der Form einer Halbkugel. Aber das war nicht Lesters Ziel. Er sprang mit einem Satz auf die Verteilerscheibe und sah sich um. David war ihm gefolgt. Befriedigt nickte Lester und wollte das Band betreten, das nach links, vom Fußgängerstrom hinweg, am Rande des Platzes entlang das Botschaftsgebäude berührte. 39
Plötzlich stockte sein Schritt. Der schon erhobene Fuß schwebte sekundenlang in der Luft, dann wurde er zurückgezogen. „Was soll denn das?“ verwunderte sich Lester. „Was, Sir?“ „Das Band ist außer Betrieb.“ „Tatsächlich, jetzt sehe ich es“, staunte David. „Aber das ist nicht weiter schlimm. Wir können ja laufen.“ „Ja, natürlich. Du hast recht“, gab Lester geistesabwesend zurück. „Laufen wir also das letzte Stück!“ Lester war durchaus nicht so dekadent wie manche Leute auf Terra, die das Laufen beinahe als Sünde betrachteten. Trotzdem empfand er es als befremdlich, daß - außer dem einen - alle Bänder abgeschaltet waren. Hätte er nicht vorher die düsteren Gesichter der Leute gesehen, er wäre der Meinung gewesen, alle Einwohner von Roger versammelten sich zu einem Fest. Ganz in seine Gedanken versunken, hatte Lester das Nahen des roten Bodengleiters übersehen. Deshalb schrak er zusammen, als sich das Fahrzeug quer vor ihn stellte und zwei Polizisten heraussprangen. Unwillkürlich zuckte Lesters Hand hinter seine Jackenaufschläge, wo er den Jungning-Strahler wußte. Dann jedoch besann er sich eines anderen und zog die Hand leer wieder heraus. „Wollen Sie uns fahren, weil das Band ausgefallen ist?“ versuchte er zu spotten. Einer der Polizisten, ein Sergeant, räusperte sich verlegen. „Sie befinden sich auf dem falschen Weg, Mister...“ „Velie!“ sagte Lester. „Sie irren sich, Sergeant, ich bin genau richtig.“ „Tut mir leid, Mister Velie. Die Registrierstelle ist da drüben.“ Er deutete mit dem Kopf in die Richtung des Kuppelbaues, zu dem sich der Fußgängerstrom bewegte. „Das will ich nicht abstreiten“, erklärte Lester mit erzwungener Höflichkeit, „aber wir wollen nicht zur 40
Registrierstelle, sondern zur terranischen Botschaft. Wenn Sie so freundlich sein wollen, uns jetzt den Weg frei zu geben...?“ Eine dritte Gestalt kletterte aus dem roten Gleiter. Es war ein unverkleideter Robot. „Was wollen Sie bei der terranischen Botschaft, Mister Velie?“ Lester zog die Augenbrauen hoch. Dann wandte er sich an den Sergeanten. „Was sollen die Scherze? Sagen Sie dem Robot, daß er sich nicht einzumischen hat!“ Der Sergeant wand sich ganz offensichtlich vor Verlegenheit. „Das - das kann ich nicht. P-R-neunundachtzig ist mein Vorgesetzter.“ „Ihr...?“ Lester verschlug es die Sprache. Er schickte einen schnellen Seitenblick zu David. Der Leptonenroboter schüttelte den Kopf. „Das gibt es nicht, Sir. Kein Roboter kann der Vorgesetzte eines Menschen sein.“ P-R-89 wandte seinen Kopf ruckartig David zu. „Wer sind Sie, daß Sie solche laienhaften Behauptungen anstellen? Ein Robot ist einem Menschen in jeder Beziehung überlegen. Es ist nur natürlich, daß sein Rang ein höherer als der eines Menschen ist.“ „Ich bin...“, begann David. Lester brach der Schweiß aus allen Poren. Er merkte, daß sein wahrheitsliebender Robot im Begriff war, eine Dummheit zu begehen. Deshalb ließ er ihn nicht ausreden. „Das ist Mister David - ähem - Steel, mein Assistent.“ Er grinste, als er merkte, daß die Namensgebung treffend die stählerne Natur seines Gehilfen charakterisierte. Aber der Polizei-Robot schien keinen Verdacht geschöpft zu haben. P-R-89 musterte Lester prüfend. Dann drehte er sich erneut, zu seinem menschlichen Untergebenen um, „Wir scheinen es mit recht widerspenstigen Individuen zu tun zu haben. Ich stelle Ihnen frei, im Notfall Gebrauch von der Waffe zu machen.“ 41
„Du bist verrückt!“ brauste David auf, und Lester stellte wieder einmal mit“ Verwunderung fest, wie echt sein Gehilfe menschliche Gefühle nachahmen konnte. Fast vergaß er darüber den Ernst der Situation. Aber David sprach schon weiter. „Du müßtest am besten wissen, daß kein Roboter einem Menschen Befehle geben darf. Nenne mir doch das zweite Gesetz!“ „Ich weiß nicht, welches Gesetz Sie meinen, Mister Steel. Aber Sie sollten...“ „Schluß jetzt!“ fuhr Lester zornig dazwischen. „Ich habe bereits gesagt, daß wir zur terranischen Botschaft wollen. Entweder lassen Sie uns jetzt durch, Sergeant, oder Sie sagen uns Ihre Gründe, die dagegen sprechen. Im übrigen haben Sie kein Recht, einen Bürger Terras an der Wahrnehmung seiner Rechte zu hindern.“ „Oh, Sie sind terranischer Bürger?“ Über das Gesicht des Sergeanten huschte der Ausdruck grimmiger Genugtuung. „Wenn das so ist, steht es Ihnen natürlich frei, Ihre Botschaft aufzusuchen. Darf ich um Ihre Papiere bitten?“ Lester zog seinen Scout-Ausweis hervor. Der Sergeant sah nur kurz hinein, dann salutierte er und trat zurück. „Es ist ein terranischer Scout“, sagte er zu seinem Robot-Vorgesetzten. Der antwortete nicht, sondern kletterte wieder in den Gleiter zurück und gab dem Fahrer den Befehl zur Weiterfahrt. Der Sergeant hatte Mühe, rechtzeitig in das Fahrzeug hineinzukommen. Lester blickte dem summend davonhuschenden Gleiter stirnrunzelnd nach. „Was hältst du davon, David?“ „Das war ein unmöglicher Robot, Sir. Ich habe das Gefühl, auf Roger stimmt etwas nicht.“ Lester nickt. „Etwas...? Eine ganze Menge scheint nicht in Ordnung zu sein. Nun, dem Botschafter werde ich einiges erzählen. Roger ist zwar autonomes Mitglied der Föderation, aber so grobe Verstöße gegen die galaktische Gesetzgebung 42
dürfen nicht hingenommen werden!“ In der Botschaft selbst schien alles seinen normalen Gang zu gehen. Lester hätte keinen Unterschied zu anderen Botschaften auf anderen Welten nennen können. Das beruhigte ihn etwas. Sie brauchten nur zehn Minuten zu warten, dann wurden sie von einem schweigsamen Sekretär zum Arbeitsraum des Botschafters geführt. Als sie das große, von einer halbkreisförmig geschwungenen Glaswand eingefaßte Zimmer betraten, erhob sich ein älterer, weißhaariger Mann von seinem Sessel und ging ihnen mit ausgestreckten Händen entgegen. „Willkommen auf Roger, meine Herren. Willkommen vor allem Sie, Mister Velie, dem wir die Entdeckung dieser wunderbaren Welt verdanken.“ „Als ich sie entdeckte, war sie schöner!“ knurrte Lester bissig. Der Botschafter blickte den Scout irritiert an. „Wie meinen Sie das?“ Er hüstelte verlegen. „Aber ich vergaß, mich vorzustellen: Mein Name ist Schmidt, Wladimir Schmidt, Botschafter der Erde auf Roger.“ Er streckte die Hand aus, aber Lester übersah sie. „Ich will Ihnen sagen, wie ich meine Bemerkung meinte, Mister Schmidt.“ Er berichtete dem Botschafter alle Ereignisse, die sich seit dem Anfang des Miriam-Systems zugetragen hatten und verschwieg dabei auch nicht den Angriff des Patrouillenschiffes sowie die Geschehnisse im Büro der Werftverwaltung. Botschafter Schmidt hörte geduldig zu. Als Lester geendet hatte, schüttelte er den Kopf. „Ich kann es nicht fassen, Mister Velie. Die Kolonisten sind das friedlichste Völkchen, das ich je kennengelernt habe...“ „Das glaube ich beinahe“, warf Lester mit beißendem Sarkasmus ein. „Sie sind so friedlich, daß sie sich von 43
Robotern kommandieren lassen.“ Schmidt hob beschwörend die Hände. „Aber, aber! Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Ist es nicht wirklich so, daß leptonische Roboter dem Menschen physisch und geistig überlegen sind?“ „In beschränktem Umfang!“ entgegnete Lester. „Aber Ihre Antwort befremdet mich. Haben Sie denn die Grundgesetze aller Roboter vergessen?“ „Ich kenne nur...“ Schmidt biß sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Was hat das damit zu tun?“ „Nun, falls Sie die Robotgesetze nicht kennen, und mir scheint, Sie haben noch nie etwas davon gehört, will ich Ihnen nur das zweite Grundgesetz nennen: ,Ein Roboter muß dem Menschen dienen und seinen Befehlen gehorchen - es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz’. Nun frage ich Sie: Handeln die Robots auf Roger nach diesem Grundgesetz oder nicht?“ „Offenbar nicht“, gab Botschafter Schmidt zu. „Aber ich werde sofort die Sache mit dem Patrouillenschiff klären, Mister Velie. Wenn Sie einen Augenblick Geduld haben würden...“ „Nur zu!“ sagte Lester und setzte sich in einen freien Sessel. Er brannte sich eine Zigarette an und betrachtete nachdenklich den Rücken des Botschafters, der soeben die Videophonverbindung zum Hauptquartier der Systemüberwachung herstellte. Er wußte nicht, wie er den Mann einschätzen sollte. Er war sich aber klar darüber, daß ein Mensch, der die Grundgesetze der Roboter nicht kannte, nichts auf einem verantwortungsvollen Posten zu suchen hatte. Entweder war Wladimir Schmidt ein Trottel oder... Als das kurze Gespräch beendet war, drehte Schmidt sich langsam um. Lester wußte, was jetzt kommen würde, denn er hatte jedes Wort der Unterhaltung verstehen können. Das Hauptquartier der Systemüberwachung bestritt energisch, daß die Memphis vor dem Miriam-System von einem 44
Patrouillenschiff gesetzwidrig zum Stoppen aufgefordert worden sei. Botschafter Schmidt ließ sich in den Sessel gegenüber Lester fallen. „Sie haben die Antwort selbst gehört, Mister Velie...?“ „Ganz genau sogar“, entgegnete Lester. „Nun, dann wissen Sie, daß es am besten sein wird, Sie ziehen Ihre Beschwerde zurück.“ „Warum?“ Schmidt lächelte verständnisvoll. „Als Scout werden Sie sicher wissen, daß der lange Aufenthalt im Raum eine so große nervliche Belastung darstellt, daß - ähem - Sie verstehen, was ich meine, Mister Velie?“ „Besser, als Sie denken“, entgegnete Lester kalt. Im letzten Augenblick sah er davon ab, seinen Trumpf auszuspielen und Davids Identität zu offenbaren. Der Roboter hätte als hundertprozentiger Beweis gegen die Systemüberwachung gedient, denn ein Robotgehirn unterlag keinen Halluzinationen. Aber dieser Beweis war nicht nötig. „Die Antwort der Systemüberwachung hatte nur einen kleinen Fehler, Mister Schmidt...“ „Einen Fehler? Sie wollen doch nicht etwa sagen, die Leute hätten mich angelogen?“ „Genau das! Rekapitulieren wir einmal. Sie fragten die Systemüberwachung, ob eines ihrer Patrouillenschiffe das Scoutschiff Memphis gesetzwidrig gestoppt habe...?“ „Stimmt!“ „Und man teilte Ihnen mit, kein Patrouillenschiff habe die Memphis vor dem Miriam-System gesetzwidrig zum Stoppen aufgefordert.“ „Stimmt auch.“ „Nun, dann erklären Sie mir einmal, wie das Hauptquartier etwas dementieren kann, von dem es keine Ahnung hatte! Sie hatten nichts davon erwähnt, daß die gesetzwidrige Handlung 45
außerhalb des Systems stattgefunden habe, und obwohl Schiffe der Systemüberwachung normalerweise das System nicht verlassen, bezieht sich das Dementi ausgerechnet auf einen solchen Fall. Wie finden Sie das?“ Schmidt räusperte sich. „Ich werde den Fall weiterverfolgen, Mister Velie. Womit kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?“ Lester erhob sich abrupt. „Mit nichts. Sie nicht! Leben Sie wohl, Mister Schmidt!“ Ohne den Botschafter noch eines Blickes zu würdigen, verließ Lester das Zimmer. Als er mit David wieder auf der Straße stand, entlud sich sein Zorn in einem einzigen Satz: „Dieser Schmidt ist die längste Zeit terranischer Botschafter gewesen - dafür werde ich sorgen!“ „Glauben Sie, daß die Erde ihn geschickt hat, Sir?“ fragte David. Lester fuhr herum. „Wie meinst du das?“ David senkte seine Stimme. „Ich habe seine Reaktionen genau studiert, Sir. Für einen Menschen besteht kaum die Möglichkeit, aus den winzigen Abweichungen den richtigen Schluß zu ziehen. Aber ich, als Modell C...“ „Eines Tages schalte ich dich noch ab!“ stöhnte Lester. „Du scheinst dir sehr viel auf deine Fähigkeiten einzubilden. Es wird Zeit, daß das Modell C-sechs in Serie geht. Aber nun rede endlich!“ „C-sechs vermag keine psychischen Verbesserungen mehr zu bringen, Sir.“ David reckte sich steif. Dann jedoch wurde sein Neuroplastikgesicht wieder ernst und diensteifrig. „Schmidt hat nur Theater gespielt. Aber er ist ein schlechter Schauspieler - wie jeder Roboter!“
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3. „Drei Kategorien angewandter Kybernetik werden unterschieden. Da gibt es einmal die stationären Leptonenbänke, die mittelbaren Nachfolger der Elektronengehirne, deren wahre Bedeutung sich zu Zeiten ihrer Geburt hinter der Bezeichnung ,Datenverarbeitungsmaschinen’ verbarg, eine Bezeichnung, die nur kurze Zeit ihre Berechtigung hatte, trotzdem aber viele Jahrhunderte lang weiter beibehalten wurde. Ohne die heutigen Leptonengehirne wäre die menschliche Zivilisation schlechterdings undenkbar, gäbe es keine Koordination planetarer, stellarer und interstellarer Planung, hätte die Menschheit bei der Besiedlung der Galaxis keine größere Rolle gespielt als ein Ameisenhaufen bei der Besiedlung eines Vorgartens. Zweitens gibt es die Cyborgs, exogen extendierte organisationelle Komplexe, die als homöostatische Systeme funktionieren. In allgemeinverständliche Sprache übersetzt: Körper, in die Maschinen eingebaut sind sowie Maschinen, die einen Körper mehr oder weniger hermetisch umhüllen und das einzige Vermittlungs-,Organ’ zwischen ihm und seiner Umwelt darstellen. Die dritte und vorläufig letzte Kategorie bilden die ,Hominiden’, die menschenähnlichen beweglichen Roboter. Man hat sie von plumpen Anfängen inzwischen zu einer Vollkommenheit entwickelt, die ihnen eine neue Bedeutung gab. Was die rein psychischen Qualitäten betrifft, so haben Testreihen ergeben...“ Kybernetik und Seele - Avery. * Lester blieb ruckartig stehen. „Schmidt ist...?“ „Ein hominider Roboter, Sir.“ 47
Kopfschüttelnd zündete Lester sich eine Zigarette an. Der terranische Botschafter auf Roger: ein Roboter! Es war unglaublich; und doch: Auch Aufseher Hiller hatte sich als hominider Robot herausgestellt. Plötzlich fiel Lester noch etwas ein. „David!“ „Ja, Sir?“ „Sage mir jetzt eines: Hast du jemals von Robotern gehört, für die die Grundgesetze von Asimov nicht gelten?“ „Nein, Sir. Solche Roboter gibt es nicht; vielmehr, es darf sie nicht geben.“ „Und doch existieren sie!“ „Ich kann es mir nur so vorstellen“, sagte David langsam, „daß jemand, der nichts davon versteht, insgeheim Roboter produziert und an den Planeten Roger verkauft. Dieser Jemand kennt offenbar die Vorschriften nicht, daß jeder Robot mit den Grundgesetzen programmiert sein muß.“ Lester blickte seinen Gehilfen von der Seite an. „Gehen wir erst einmal weiter!“ befahl er. Nachdem sie die laufenden Gleitbänder erreicht hatten, meinte er: „Ich fürchte, dieser Jemand versteht eine ganze Menge von Robotern, und er kennt auch das Grundgesetz. Nur eines verstehe ich nicht...“ Er sagte nicht, was er nicht verstand, und David war so höflich, ihn nicht zu drängen. Erst, als sie mit dem Lift in das Parkhaus fuhren, in dem sie ihren Bodengleiter abgestellt hatten, beendete Lester seinen Satz. „Wenn jemand illegal unvorschriftsmäßig programmierte Roboter baut, dann müßte er doch vor allem daran interessiert sein, daß sein Verbrechen unentdeckt bleibt.“ „Und das scheint nicht der Fall zu sein“, ergänzte David. „Alles, was wir seit dem Ausfall des Ljapunow erlebt haben, war so schlecht getarnt, daß man fast an Absicht glauben könnte.“ Lester nickte. Inzwischen waren sie auf ihrem Stockwerk angekommen. Lester trat an die automatische Sperre, steckte 48
sein Plastikbillet in einen Schlitz des Robotpförtners, bezahlte den auf einer Skalenscheibe erscheinenden Betrag und erhielt eine Magnetmarke, welche die elektronische Sperre um seinen Gleiter aufhob. Dann waren sie wieder unterwegs zur Werft. Lester setzte seinen Gedankengang laut fort. „Es sieht so aus, als wollte man uns mit der Nase daraufstoßen, daß die hominiden Roboter im Begriff sind, eine menschliche Kolonialwelt unter ihre Herrschaft zu bringen, eine Herrschaft, die an Sklaverei grenzt. Ich denke dabei an die Menschen, die gezwungen werden, eine Registrierstelle aufzusuchen. Meiner Meinung nach wird ihnen dort ein elektronisches ,Brennzeichen’ aufgedruckt, das sie auf Gedeih und Verderb einer gefühllosen Regierungsmaschine ausliefert.“ „Aber wenn wir nun nicht zufällig auf Roger gelandet wären, Sir?“ Lesters Augen verengten sich. „Siehst du! Das ist dasselbe, woran ich ebenfalls denken mußte! Damit scheint sich der Kreis zu schließen. Man praktiziert uns eine Bombe in den Ljapunow, die zu einem Zeitpunkt losging, zu dem wir in der Nähe Rogers aus dem Hyperraum kommen mußten. Und damit beginnt das Rätsel. Wer auch immer eine Roboterherrschaft errichten will, kann das nur, wenn es ihm gelingt, diese Absicht so lange wie möglich geheimzuhalten. Das Gegenteil aber ist der Fall. Was soll das? Welche raffinierte Logik steckt dahinter?“ „Ich weiß es noch nicht genau, Sir“, antwortete David geheimnisvoll. „Aber wie dem auch sei: Der oder die Unbekannten werden sich verrechnen, denn sie haben offensichtlich vergessen, mich einzukalkulieren.“ In einer anderen Situation hätte Lester lauthals gelacht und David wegen seines übersteigerten Selbstgefühls verspottet. Jetzt aber blieb er ernst. „Wie meinst du das, David?“ „Nun, man hat mich zwar gesehen. Das war nicht zu 49
vermeiden. Aber niemand hat mich bisher als Roboter identifiziert. Der Unbekannte rechnet also mit Ihnen und einem anderen - menschlichen - Individuum. Das ist auf jeden Fall eine Lücke in seinem Plan.“ Lester stimmte widerstrebend zu, wenn er auch noch nicht übersah, welchen Nutzen das ihnen bringen konnte - ihnen und der Welt Roger! Sie erreichten unangefochten den Werftsektor. Ebenso unangefochten gelangten sie zu ihrem Schiff. Dort aber hatte sich die Lage wiederum verändert. Die Kampfroboter, die vor Davids Abfahrt verschwunden waren, umringten die Memphis erneut und, wie es Lester schien, in größerer Zahl als vorher. David betätigte das Signalhorn, so daß Lester sich die Ohren zuhalten mußte. Die Kampfroboter aber rührten sich nicht. Statt dessen schossen von links und rechts zwei rote Polizeigleiter heran, hielten dicht vor Lesters Gefährt, und ein Leutnant stieg aus. Lester beugte sich aus dem Wagen. „Was geht hier vor? Rufen Sie die Roboter zurück, damit wir in unser Schiff können!“ Der Leutnant blieb mit unbewegtem Gesicht vor Lester stehen. „Ist das Ihr Raumschiff?“ „Natürlich! Warum fragen Sie?“ „Dann muß ich Ihnen mitteilen, daß die Memphis auf Anweisung der Administration von Roger beschlagnahmt ist. Ferner muß ich Sie darum bitten, mir den Kodegeber auszuhändigen, mit dem sich der Bandgenerator und damit das Elektroschockfeld ausschalten läßt.“ „Das nützt Ihnen nichts“, erwiderte Lester, während er angestrengt nach einem Ausweg suchte. Wenn es ihm gelang, den Kodegeber selbst zu betätigen, konnte David, der schneller als die schweren Kampfroboter war, das Schiff erreichen und von dort aus den Radius des Schockfeldes vergrößern. Dabei würde zwar er, Lester, selbst bewußtlos werden, aber auch alle Kampfroboter und Polizisten. „Sie können meinen Kodegeber 50
nicht bedienen, Leutnant. Er ist auf meine Gehirnwellen abgestimmt.“ Zu Lesters Überraschung ging der Polizeileutnant darauf ein. „Gut, dann schalten Sie selbst das Schockfeld ab!“ „Sofort!“ Lester nahm das kleine Gerät aus dem Handschuhfach. Dabei blinzelten seine Augen verstohlen David zu. Der Robotassistent nickte kaum merklich. Lester konnte nur hoffen, daß er seinen Plan erraten hatte, denn eine deutlichere Verständigung war unter dem wachsamen Blick des Leutnants nicht möglich. Lester umschloß den Kodegeber mit beiden Händen. Dabei betätigte er heimlich die Zeiteinstellung. Mit dem Daumen drückte er danach den Knopf ein, der die Kodesendung auslösen mußte - allerdings erst nach vierzig Sekunden; und darauf baute sich Lesters Plan auf. Mit gespieltem Ärger wandte er sich dem Leutnant zu. „Was haben Sie mit dem Schockfeld angestellt? Es spricht nicht auf den Kodeimpuls an.“ „Ich merke es“, entgegnete der Leutnant. „Aber wir haben nichts mit Ihrem...“ Die vierzig Sekunden waren verstrichen. Lester blickte immer noch in das Gesicht des Leutnants, dessen Verblüffung jetzt in Zorn umschlug. David aber war bereits durch die Lücke zwischen zwei Kampfrobotern gesprungen, die für den Gleiter zu schmal gewesen wäre. Er eilte mit langen Sätzen dem Raumschiff entgegen. Lester hatte bereits seinen Jungning-Strahler in der Hand. Der Kolben sauste auf den Kopf des Polizeileutnants nieder, der ohne Laut zusammenbrach. Das Röhren von Blasterschüssen und der donnernde Widerhall thermischer Entladungen ließen Lester herumfahren. Mit zusammengepreßten Zähnen mußte er erkennen, daß sein Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen war. Nicht der Leutnant war der Befehlshaber der Kampfroboter 51
gewesen, sondern ein Robot, der hochaufgerichtet in einem gepanzerten Spähgleiter stand. Er hatte in dem Augenblick den Feuerbefehl geben, als David die Robotkette durchbrach. Jetzt baute sich vor David eine Feuerwand auf. Gleichzeitig ertönte der dumpfe Knall eines Schockblasters. Es war ein Beweis dafür, daß man David immer noch für einen Menschen ansah. Das rettete ihn zwar, aber er hatte keine Chance mehr, die Memphis zu erreichen. Heißer Zorn wallte in Lester auf. Impulsiv hob er den Jungning-Strahler, die gefährlichste Handwaffe der Galaxis, und entlud mit einem einzigen Feuerstoß eine ganze Speicherbatterie auf einmal. Der Projektionsstrahl beförderte die geballte Energie fast unsichtbar bis zum Ziel. Dort entluden sich die atomaren Gewalten in einem den Spähgleiter einhüllenden Feuerball. Lester duckte sich, denn mit der Detonationswelle kamen die Trümmer des explodierten Fahrzeuges. „Sofort zurück!“ schrie Lester in das Mikrophon des Funksprechgerätes. „Geht nicht!“ schallte es verzerrt zurück. Als Lester den Kopf wieder heben konnte, sah er, warum David nicht zurückkommen konnte. Die Kampfroboter schnitten ihm auch diesen Weg durch Sperrfeuer ab, so daß David, um nicht getroffen zu werden, immer weiter von Lester abgedrängt wurde. Doch nicht nur für Lesters Assistenten wurde die Lage immer bedrohlicher, sondern auch für den Scout selbst. Einige der roten Kampfroboter hatten Front zu ihm gemacht. Schon blafften die ersten Schocker, und Lester war froh, daß es nur Schocker waren. Nur seine schnellen Reaktionen retteten den Scout vor den nervenlähmenden Schüssen. Mit der Linken steuerte er den Gleiter im Zickzackkurs an der Reihe der Robots entlang, in der Hoffnung, David später doch noch aufnehmen zu können. Die 52
Rechte ragte über den Wagenbord, und jeder Schuß des Jungning-Strahlers riß eine Lücke in die Formation der Kampfroboter. Diese waren zu einer anderen Taktik übergegangen. Während grelle Thermostrahlen den Gleiter einkreisten und ihn so an eine Stelle zu nageln versuchten, näherten andere Roboter sich im Laufschritt und versuchten, gezielte Schockschüsse anzubringen. Als noch dazu von überall her die Sirenen nahender Polizeigleiter ertönten, wußte Lester, daß längeres Ausharren seine Lage immer mehr verschlechtern würde. Während er seinen Gleiter kreiseln ließ, um den Schockblastern kein Ziel zu bieten, rief er noch einmal David. „Ich bin mindestens einen Kilometer weg!“ antwortete der Roboter hastig. „Fliehen Sie, Sir! Ich weiß mir selbst zu helfen!“ Lester faßte einen verzweifelten Entschluß. „Wenn du herauskommst, dann schlage dich zum Gloom-Territorium durch. Wir treffen uns dort!“ „In Ordnung, Sir!“ kam die Antwort Davids. Lester hörte sie nicht mehr. Er hatte den Polizeigleiter, der sich von hinten an ihn herangeschlichen hatte, erst im letzten Augenblick bemerkt. Sein Arm mit dem Strahler fuhr herum. Das Polizeifahrzeug machte einen grotesken Sprung, als sich die Energie dicht vor seinem Bug entlud, dann krachte es auf den Boden und begann zu brennen. Hastig suchten einige Polizisten das Weite. Lester riß seinen Gleiter herum, und dicht an dem brennenden Polizeigleiter vorbei fegte er auf die Werkstraße zu, die nach dem Nordportal führte. Die beiden vollbesetzten Polizeiwagen, die ihm entgegenkamen, bemerkten ihn zu spät. Bevor sie reagieren konnten, war er längst außer Schußweite. Eine Viertelstunde später schoß Lesters Gleiter auf das Tor zu. Geduckt hockte er hinter dem Steuer. Der Lauf seines Jungning-Strahlers ragte über den vorderen Bordrand. Lester 53
zweifelte nicht daran, daß man längst über Funk starke Sicherheitskräfte vor alle Portale beordert hatte. Sein Gesicht bedeckte sich mit Schweißperlen, als er daran dachte, daß er möglicherweise auf Menschen schießen mußte. Er biß die Zähne zusammen. Er hatte keine andere Wahl. Zuviel hing seiner Meinung nach davon ab, daß er der Erde von den Zuständen auf Roger berichten konnte. Wenn für die Freiheit einer ganzen Welt Opfer gebracht werden mußten, so war dies nicht zu vermeiden. Beängstigend schnell kam das vierzig Meter breite Portal heran. Bevor Lester sich darüber wundern konnte, daß die Energiesperre nicht aufgebaut war, zwangen ihn einige schlecht gezielte Strahlschüsse zu einem Ausweichkurs. Die Atombatterien des Gleiters gaben ihre ganze Kraft her. Mit dreihundert Stundenkilometern schlingerte das Fahrzeug auf das Portal zu. Die Energiebahnen einiger weniger Impulsschüsse röhrten weit vorbei oder viel zu hoch darüber hinweg. Schon hatte Lester den Gleiter wieder voll in seiner Gewalt. Und im nächsten Augenblick lag das Portal hinter ihm. Noch eine halbe Minute fuhr Lester mit Höchstgeschwindigkeit weiter. Dann hielt er an. Jetzt machte sich die Anspannung der letzten halben Stunde und vor allem der letzten Minuten bemerkbar. Die Finger zitterten, als der Scout sich eine Zigarette anzündete. Aber sein Geist arbeitete noch immer klar und mit der Logik einer Rechenmaschine. Am Horizont schimmerte die stählerne Mauer der Werftbegrenzung. Eine Sirene sandte ihren wimmernden Ton herüber. Es schien, als hätte Lesters Durchbruch die Werftpolizei überrascht. Lester warf die kaum angerauchte Zigarette in hohem Bogen auf die Straße. Sie schmeckte ihm plötzlich nicht mehr. Vom Landeplatz der Memphis bis zum Nordportal hatte er eine Viertelstunde gebraucht, Zeit genug, um ihm den 54
Durchbruch unmöglich zu machen. Ganz zu schweigen davon, daß kein einziger Atmosphärengleiter aufgestiegen war, um ihn zu verfolgen. Seine Chancen hatten eins zu hunderttausend gestanden. Wenn ihm trotzdem die Flucht nahezu mühelos geglückt war, konnte es nur einen einzigen Grund dafür geben. Der Unbekannte hatte sie in seinen Plan einkalkuliert. * Die Bildscheibe des Intervideophons leuchtete in einem verwirrenden Muster. Nach und nach verblaßte es und machte einem ausdruckslosen Gesicht Platz. Professor Hesekiel Cabanet beugte sich weit vor. Die Sendung war einseitig. Eine mit der Gleichmäßigkeit eines Uhrwerks wandernde Parabolantenne fing sie aus der Nacht des Raumes auf und leitete sie weiter in das Arbeitszimmer des Wissenschaftlers. Jetzt begann sich das Gesicht zu bewegen. Cabanet wußte, daß sein Gegenüber ihn nicht sehen konnte. Trotzdem fühlte er sich unbehaglich, als die brennenden Augen ihn scheinbar fixierten. Der Mund öffnete sich und ließ zwei Reihen blendend weißer Zähne sichtbar werden. „Hier spricht Hauptagent Neunzehn-WS. Befehl Kodenummer achtachteins wurde ausgeführt. Das Ergebnis ist positiv. Ich schalte jetzt um zur Bildübertragung.“ Der Bildschirm wurde dunkel. „Als er wieder aufleuchtete, stand in seinem Zentrum ein schlankes Raumschiff mit dem Wappen der Scout-Corporation. In sicherem Abstand wurde es von einem Kordon roter Kampfroboter umgeben, die reglos warteten. Cabanet lächelte ironisch. Dann kam Bewegung in die Szenerie. Ein Gleiter näherte sich. Und dann erlebte Professor Cabanet alles mit, was sich auf dem Werftgelände abgespielt hatte: die mißglückte List des Scouts, das verlustreiche Gefecht und die geglückte Flucht Lesters. 55
Als die Sendung vorüber war, rieb Cabanet sich befriedigt die Hände. Alles verlief nach Plan. Noch einige Tage, dann war der Gegner seines kosmischen Schachspiels reif für die letzte Phase. Cabanet zweifelte nicht daran, daß er nach seinem Willen reagieren würde. Der Assistent, der offenbar nach einer anderen Richtung entwichen war, konnte als unwichtig betrachtet werden. Noch einmal meldete sich Hauptagent 19-WS. „Mister Velies Gleiter befindet sich weiterhin auf dem Weg nach Norden. Er muß dabei auf unsere vorbereiteten Demonstrationen stoßen.“ Cabanet nickte. Aber dann kam etwas, das er nicht erwartet hatte. „Aus First-City erreicht mich soeben die Nachricht, daß der Koordinator ZM-R-Janusz abgesetzt und ein neuer Koordinator bestimmt wurde. Der Name ist noch nicht durchgegeben worden. Ende der Sendung.“ Professor Cabanet war aufgesprungen. Ein neuer Koordinator? Das widersprach seinen Befehlen. Und, vor allem: Wer war der neue Koordinator? * Lester Velie steuerte den Gleiter in einen schmalen Waldweg. Seine Hand drückte allmählich den stufenlosen Schalter für die Bodenhöhe herunter, und sanft setzte das Fahrzeug auf. Der Stabilisator erstarb röchelnd. Der Scout ließ die Hände in den Schoß sinken und die blaugrüne Geborgenheit des Waldes auf sich einwirken. Langsam ebbte die Erregung ab. Hier fühlte er sich sicher. Aber schon begann sich in ihm der Zweifel zu regen. Handelte er richtig, wenn er sich verbarg? Der unbekannte Roboterbeherrscher hatte ihn absichtlich entkommen lassen. Wäre es nicht möglich gewesen, diese Absicht zu durchkreuzen? Ja, gestand Lester sich ein. Doch was wäre 56
damit gewonnen gewesen? Als Gefangener hätte er schwerlich etwas gegen die Roboterherrschaft auf Roger unternehmen können. Lester kam zu dem Schluß, daß er nicht anders handeln konnte. Nur, er mußte sich nun der Kontrolle des Unbekannten entziehen. Dann erst konnte er nach eigenem Ermessen handeln. Er dachte an David, seinen Robotassistenten. Wo mochte er jetzt sein? War es ihm gelungen, den Verfolgern zu entfliehen? Und wenn, wann würde er in Shoolam eintreffen, in dem Gebiet, das von dem Glooms bewohnt wurde? Lester machte sich Gewissensbisse, weil er durch seinen in der Eile gegebenen Befehl eine fremde Rasse in die Angelegenheit der Terraner hineinzog. Lester seufzte. Mit einem Male fühlte er, wie sehr ihm David fehlte. Es war schwer für einen einzelnen, ganz allein so bedeutende Entscheidungen zu fällen. Dann erinnerte er sich daran, daß er seit zehn Stunden nichts gegessen hatte. Nicht, daß er Hunger verspürte, aber er durfte seinen Körper jetzt nicht vernachlässigen. Ohne Appetit schlang er einige Synthetikkuchen aus der Notration des Gleiters hinunter. Das weiche Gebäck enthielt in konzentrierter Form alle benötigten Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate sowie Vitamine und Mineralstoffe. Ein Schluck klaren Wassers beendete die Mahlzeit. Dann schaltete Lester die Schwerkraftgeneratoren ein und setzte seine Fahrt fort. * Der Scout wich auf seiner Fahrt nach Norden allen Ansiedlungen aus. Nichts deutete darauf hin, daß man ihn verfolgte, obwohl das seinen Gegnern leichtgefallen wäre, denn sicherlich kontrollierten sie seinen Kurs von der Luft aus. Den ganzen Tag über rauschten Atmosphärengleiter über ihn hinweg, die Kondensstreifen planetarer Raumschiffe zeigten 57
sich am klaren Himmel, und hin und wieder rollte anhaltender Donner landender und startender Raumschiffe durch die Lüfte. Wie viele dieser Maschinen mit seiner Beobachtung beauftragt waren, wußte Lester nicht. Aber er ahnte, daß er keine Chance hatte, ihnen zu entgehen - nicht, solange er sich noch auf dem Territorium Rogers befand. Das war das Seltsame und bisher Einmalige an diesem Planeten: Jeder, Mensch und Gloom, betrachtete sein Gebiet als eine ganze Welt. Deshalb sprachen die Menschen nicht vom Territorium Roger, sondern nur vom Planeten Roger; die Glooms dagegen bezeichneten ihr Territorium als den Planeten Shoolam. Aber auf keiner Seite verbarg sich ein Gebietsanspruch hinter dieser Benennung. Im Gegenteil: Menschen und Glooms waren immer gut miteinander ausgekommen. Nicht zuletzt deshalb hatte sich Roger in so kurzer Zeit den Ruf der wohlhabendsten Kolonie Terras erworben. Würde es so bleiben? Das fragte Lester sich, als er die Nähe der Territoriumsgrenze erreichte. Mehr als einmal mußte er langen Kolonnen schwerbeladener Transportgleiter ausweichen. Auf den offenen Fahrzeugen saßen Menschen. Lester beobachtete ihre Gesichter durch den Feldstecher, während er in einem Versteck abwartete. Dabei las er in ihren Mienen den gleichen Ausdruck von Trauer, Resignation, Sorge und Zorn wie bei denen, die damals zur Registrierstelle Firsts geströmt waren. Er sah aber auch die roten Kampfroboter, die in schnellen Fahrzeugen die Kolonnen wie Wachhunde umkreisten. Bald wußte er, was er vor sich hatte: Evakuierungstransporte! Anscheinend hatte der unbekannte Roboterfürst die Evakuierung der Grenzgebiete angeordnet. Was das bedeutete, war leicht zu erraten: Kriegsgefahr! Lester ballte in ohnmächtigem Zorn die Fäuste. Krieg zwischen Roger und Shoolam wäre gleichbedeutend mit einem 58
interstellaren Krieg zwischen zwei humanoiden Rassen. Ein solcher Krieg würde keiner Seite den Sieg bringen, aber er würde die besten Kräfte der nächsten Generationen aufzehren. Und das alles nur, weil auf Roger Roboter die Herrschaft übernommen hatten! Gleich darauf aber schalt Lester sich einen Narren. Nicht die Roboter trugen die Schuld, sondern derjenige, der sie gebaut hatte, ohne sie mit den Grundgesetzen zu programmieren. Aber konnte das, was sich heute auf Roger ereignete, nicht morgen oder übermorgen auf einer anderen Welt geschehen? Wuchs sich die Entwicklung kybernetischer Maschinen nicht zu einer unkontrollierbaren Gefahr für die Menschheit, ja für alle Intelligenzen aus? Die Antwort darauf, entschied Lester schließlich, mußte verschoben werden, bis das Problem Roger gelöst war. Fast sechs Stunden hatte die letzte Gleiterkolonne gebraucht, um Lesters Versteck zu passieren. Diesmal waren keine Menschen mehr auf den Fahrzeugen gewesen, sondern nur Maschinen und Arbeitsroboter. Als der hinterste Gleiter um die Kurve der Talstraße bog, schickte Lester ein Stoßgebet zum Himmel, es möge der letzte überhaupt gewesen sein. Dann lenkte er den Gleiter über einen Geröllhang wieder auf die Straße, beschleunigte und setzte seine unterbrochene Fahrt nach Norden fort. Zwei Stunde später erreichte er den Snake-River, der die fruchtbare Nettle-Ebene durchschnitt und hier die Grenze zwischen Roger und Shoolam bildete. Er ließ den Gleiter einen Meter höher steigen, bis er die Halmspitzen des wogenden Steppengrases überragte, und hielt Umschau. Der Strom selbst war seinem Auge verborgen, aber er wurde durch einen Streifen lichten Gebüsches markiert. Nirgendwo fand sich ein Anhaltspunkt, der auf einen Hinterhalt deutete. Das beständige Rascheln und Rauschen des hohen Grases wurde zeitweise vom Zirpen irgendwelcher Insekten übertönt, und der blutrote 59
Ball der Sonne Miriam schwamm wie ein bunter Luftballon dicht über der westlichen Trennungslinie zwischen der Erde Rogers und dem Abendhimmel. Dicht über dem Grasmeer ließ Lester den Gleiter dahinschweben. Leise summten die Schwerkraftgeneratoren, und wo der Schatten des Fahrzeuges auf den Boden fiel, dort verstummte das Zirpen der Insekten, um hinterher desto lauter zu ertönen. Nur einen Augenblick überschwemmte die friedliche Stimmung Lesters Bewußtsein, und er schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, erstarrte er. Das grüne Meer der Steppe war plötzlich übersät mit roten Flecken. Kampfroboter! Lester sah die Mündungen ungezählter Schockwaffen auf sich gerichtet. Das gab ihm seine kalte Vernunft zurück. Sie werden nicht schießen, dachte er, das widerspricht ihrem Plan. Seine Hand fuhr zum Beschleunigungshebel, aber sie erreichte ihn nicht. Lester sah blaues Feuer aufzucken. Es drang in sein Gehirn und schien dort zu explodieren. Vor Lesters Augen wurde es schwarz. * Lester fühlte sein Bewußtsein zurückkehren. Zuerst sträubte er sich gegen das vollständige Erwachen, denn der Dämmerzustand war so angenehm. Dann blitzte ein Funke der Erinnerung auf, und plötzlich kehrte der Wille zum Leben zurück. Lester schlug die Augen auf. Um ihn war Dunkelheit. Sattes Brummen drang an seine Ohren. Es roch nach Öl und nach etwas Undefinierbarem. Erst nach einiger Zeit erkannte er den typischen Geruch von Metallplastik. Natürlich roch Metallplastik nicht eigentlich, sondern man schmeckte ihre Anwesenheit am Gaumen, ohne 60
einen brauchbaren Vergleich mit irgend etwas anderem zu finden. Er mußte sich in einem Fahrzeug befinden, dessen war er sich gewiß. Wo sich dieses Fahrzeug aber im Augenblick befand und ob es sich um einen Bodengleiter oder einen Atmosphärengleiter handelte, das ließ sich nicht feststellen; jedenfalls nicht, wenn man auf dem Boden der dunklen Kabine liegenblieb. Lester richtete sich auf. Er schüttelte langsam den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. Völlig gelang es ihm nicht, der Volltreffer eines Schockblasters wirkte noch längere Zeit nach. Immerhin vermochte Lester nach weniger als einer Minute wieder aufrecht zu stehen. Das erste, was er tat, war, seinen Zivilanzug abzutasten. Der Jungning-Strahler war weg. Nun, er hatte nie geglaubt, daß man ihm eine Waffe lassen würde. Doch dann machte er eine Entdeckung. Jeder Scout trug, in eine synthetische Hautfalte seiner Hüfte eingebettet, einen knapp bleistiftgroßen Gegenstand mit sich. Dieser Gegenstand bestand nur aus Plastik und konnte daher selbst bei einer Körperdurchleuchtung mit Sichtlaser nicht entdeckt werden. Aber so harmlos dieses Ding auch aussah und so primitiv seine Funktionsweise tatsächlich war, es vermochte aus zwanzig Meter Entfernung zu töten, wenn der Schütze damit umgehen konnte. Eigentlich war es nur eine Miniatur-Luftpistole, die Lester jetzt aus ihrem Versteck holte. Aber sie verschoß Hartplastiknadeln, die nach Eindringen in den Zielkörper explodierten und ein sofort wirkendes Nervengift versprühten, das den Tod des Opfers im gleichen Augenblick herbeiführte. Diese Geschosse waren nicht nur als Abwehrmittel gedacht, sondern auch als letzter Ausweg aus hoffnungsloser Lage. Lester trug sich jedoch nicht mit Selbstmordabsichten. Deshalb drückte er statt des grünen Knopfes den roten. Jetzt wurde das 61
winzige Magazin mit den Giftprojektilen gegen eines mit Sprengprojektilen ausgewechselt. Ihre Wirkung war zwar relativ schwach, aber sie würde ausreichen, um mit einer Ladung von zehn Nadeln die Tür zu sprengen. Zuerst mußte Lester allerdings die Tür finden. Mit den Händen tastete er die Wände seines engen und finsteren Gefängnisses nach den schmalen Schlitzen der Türdichtung ab. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse, als er das Gesuchte fand. Rasch fuhren seine Finger über den Spalt, bis er die Konturen der Tür erfühlt hatte. Nun ging er rückwärts zur gegenüberliegenden Wand. Millimeter um Millimeter sank er zu Boden, immer darauf bedacht, die Mündung der Waffe nicht zu verrücken. Noch einmal holte er tief Luft, dann drückte er ab. Grelles Licht blitzte auf. Lester hielt den angewinkelten Arm schützend vor sein Gesicht, während er mit der Rechten wieder und wieder den Auslöser betätigte. Der Metallfußboden bebte unter den Detonationsschlägen glühend heiße Metallspritzer fraßen sich in Lesters Kleidung, aber der Scout stellte sein Feuer erst ein, als die Tür von der letzten Detonation nach außen geschleudert wurde. Lester nahm den schützenden Arm weg. Zuerst wechselte er das Magazin gegen ein neues aus, dann blinzelte er in das von nachglühendem Metall erzeugte rötliche Zwielicht, während er mit der Linken die bereits abkühlenden Metalltropfen von seiner Haut pflückte. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Aber nach und nach erkannte er, was sich im Nebenraum befand: Der enge Steuerraum eines Atmosphärengleiters. Nur für den Bruchteil einer Sekunde lahmte ihn der Schreck. Dann sprang er mit erhobener Waffe durch die aufgesprengte Tür, um dem Piloten zuvorzukommen. Vor dem letzten Steuerpult wirbelte er herum. Ein Schuß löste sich lautlos aus seiner Waffe. An der Rückwand seines ehemaligen 62
Gefängnisses blitzte das Feuer der Detonation. Aber das, was Lester für den Schattenriß einer kauernden Gestalt gehalten hatte, offenbarte sich als ein Trugbild. Er hatte gegen etwas gekämpft, das überhaupt nicht vorhanden war. Der Atmosphärengleiter wurde weder durch Menschen noch bewegliche Roboter gesteuert, sondern durch einen Autopiloten. Lester wurde rot, als er daran dachte, was David wohl dazu gesagt haben würde. Dem Robot wäre natürlich ein solcher Irrtum nicht unterlaufen. Schon hatte Lester die Hand ausgestreckt, um die Steuerung auf Manuellbedienung umzuschalten, als er stirnrunzelnd innehielt. Was, wenn er wieder einmal nur im Sinne des Robotfürsten handelte? Aber nein! Er schüttelte den Kopf. Wenn er nach Shoolam entkommen sollte, hätte man ihn nicht an der Grenze abzufangen brauchen. Außerdem kannten nur die Scouts und die Angehörigen des Solaren Raumsicherheitsdienstes die kleine Agentenwaffe; ohne diese Waffe wäre ihm die Befreiung nicht möglich gewesen. Mit schmerzlich verzogenem Gesicht, denn die Brandstellen an seinem Körper waren wie Feuer, schaltete Lester den Automaten aus und die Manuellsteuerung ein und ließ sich in den Drehsessel fallen. Hastig stellte er die Position fest, dann senkte sich die runde Nase des Gleiters nach unten, während das Fahrzeug eine enge Schleife beschrieb. Dicht über dem Boden fing Lester den Gleiter ab, kauerte sich hinter dem Steuerpult zusammen und drückte den Beschleunigungshebel ganz nach unten. „Diesmal hast du dich verrechnet, Roboterfürst!“ kam es drohend von. seinen Lippen. * Nacht senkte sich über Roger, und im letzten Rot der Sonne blitzten silbrig schimmernde Leiber am Horizont. Lester 63
erkannte sie sofort: Raumzerstörer im Atmosphärenflug! Noch tiefer drückte der Scout den Gleiter. Fast berührte der elliptische Rumpf die Wipfel des Waldes unter ihm. Sehnsüchtig starrte Lester der nur langsam näher kommenden Bergkette entgegen. Wenn es ihm gelang, in den felsigen Klüften der Diamond-Montains zu verschwinden, brauchte er sich an dem Zerstörerpulk nicht zu stören. Aber es würde knapp werden, sehr knapp sogar. Als das letzte Licht des Tages erlosch, schaltete Lester den Radarschirm ein. Die ersten Ausläufer der Berge wuchsen wie grünlich fluoreszierende Schatten heran. Gleichzeitig jedoch erschienen über den Kämmen grell leuchtende Flecken, und dann wurden Lesters Augen geblendet. Es war, als schaute er in viele blauweiß leuchtende Sonnen zugleich. Die Lichtentfaltung überschwemmte die Normalsichtschirme, aber auch so hätte Lester gewußt, was er davon zu halten hatte. Die Zerstörer bremsten mit der vollen Kraft ihrer Bugtriebwerke. Sie hatten seinen Gleiter entdeckt. Die Jagd begann. Lester tat das einzige, was ihm zu tun blieb. Er beschleunigte den Gleiter weiter und hielt auf die Berge zu. Jeden Augenblick erwartete er das Aufblitzen von Strahlschüssen. Mit erzwungener Ruhe lagen seine gespreizten Finger auf den Korrekturschaltungen. Doch es kam anders. Plötzlich leuchtete der Bildschirm des Bordempfängers auf. Lester blickte in ein Robotgesicht. „Achtung! Zerstörerflotille Nulleins an Mister Velie. Bitte stoppen Sie sofort, Sir! Der neue Koordinator von Roger lädt Sie zu Verhandlungen nach First ein. Halten Sie an! Wir werden Sie übernehmen.“ „Das glaube ich gern!“ knirschte Lester. Mit wütender Handbewegung schaltete er den Empfänger aus. Die Radarreflexe des Zerstörerpulks befanden sich jetzt fast genau über ihm. Die Bugtriebwerke hatten ihre Tätigkeit eingestellt. 64
Während Lester keinen Blick von seinen Verfolgern ließ, ging ihm die Botschaft des Roboters noch einmal durch den Kopf. Bitte stoppen Sie, hatte er gesagt, und er hatte ihn mit Sir angeredet, was bisher noch keiner der Robots auf Roger getan hatte. Weshalb wurde man plötzlich so höflich? Und wer war der neue Koordinator? Weiter kam Lester nicht mit seinen Gedankengängen. Sein Gleiter vollführte einen jähen Sturz nach vorn. Schrill heulten die Andruckneutralisatoren auf. Lester wußte, was das zu bedeuten hatte. Die Verfolger versuchten, ihn mit Zugstrahlen einzufangen. Einer der Strahlen mußte den Gleiter am Heck gestreift haben, so daß die Fahrt für den Bruchteil einer Sekunde verzögert worden war. Dann hatte das Fahrzeug sich mit einem Satz befreit. Instinktiv riß der Scout den Gleiter nach links. Offenbar keine Sekunde zu früh. Wieder hatte ein Zugstrahl dicht am Heck vorbeigegriffen. Der Gleiter ruckte herum und wies mit dem Bug erneut auf die Berge. Diesmal aber wuchsen links und rechts steile Hänge empor. Er befand sich in einem Tal. Lester atmete auf. Von nun an waren die Zerstörer einem Gleiter gegenüber im Nachteil. Sie, die für blitzschnellen Angriff und ebenso schnellen Rückzug konstruiert worden waren, vermochten ihre Fähigkeiten gegenüber einem relativ langsamen und entsprechend wendigen Fahrzeug nicht recht zu entfalten, noch dazu in unübersichtlichem Gelände. Das Mißtrauen nagte jedoch immer noch in Lester. So fragte er sich, ob man ihn nicht wieder absichtlich entkommen lassen wollte. Dafür sprach das umständliche Manöver des Zerstörerpulks, dagegen die Anwendung von Zugstrahlen, die bewies, daß man ihn lebendig haben wollte; und Zugstrahlen ließen sich ohne großen Schaden für den Betroffenen nur aus der freischwebenden Position anwenden. Lester schloß aus diesen Überlegungen, daß der Roboterfürst seine Flucht nach Shoolam verhindern wollte - und gerade das bewog ihn, seine 65
Absicht um jeden Preis zu verwirklichen. Immer schroffer stiegen die Wände des Tales an. Karge Vegetation bedeckte die steinigen Hänge. Dieses Gebiet von Roger war noch unerschlossen, befand sich noch in jenem Zustand, den nur die Kräfte der Natur geschaffen hatten. Zu Lesters Glück schlängelte sich ein breiter Gebirgsbach über den Talgrund. Die Wasseroberfläche erlaubte eine schnelle Fortbewegung in geringer Höhe. Als es hinter dem Gleiter, weit am Ausgang des Tales, wie Wetterleuchten loderte und sich gleich darauf hallender Donner an den Bergen brach, lächelte Lester wissend. Nur wenige Sekunden später schossen kometengleich mehrere Glutstrahlen dem Sternenhimmel entgegen. Die Zerstörer gaben auf. Aber Lester freute sich nicht lange darüber. Er sagte sich, daß nun andere, geeignetere Mittel eingesetzt werden würden, um ihn zu fangen, und diesmal würden es sicher Gleiter sein. Zwanzig Minuten später bestätigte sich seine Vermutung. Die Detektoren seines Gleiters orteten, einen Kilometer entfernt hinter dem schütteren Strauchwerk des Bachufers, eine Metallplastikmasse von sieben Tonnen. Das entsprach etwa einem mittleren Robotgleiter... Lester überlegte nicht lange. Steil zog er seinen Atmosphärengleiter nach oben, dem Kamm des linken Gebirgszuges entgegen. Nach vierhundert Metern Höhe atmete er auf. Mit Schockblastern konnte man ihm nun nicht mehr beikommen; blieb die Frage, ob der Gegner nicht doch auch tödliche Waffen anwenden würde. Sie wurde rasch beantwortet. Aus dem Gebüsch löste sich ein ovales, metallisch blinkendes Fahrzeug, richtete den Bug nach oben und nahm Fahrt auf. Sofort lenkte Lester seinen Gleiter wieder in den Horizontalflug und beschleunigte mit voller Kraft. Dicht unter dem Kamm schoß er dahin. Der Verfolger blieb immer mehr zurück, denn bevor er Lesters Geschwindigkeit erreichen konnte, vergingen für ihn kostbare Sekunden. 66
Lester mußte sich ganz auf die Fahrt konzentrieren, denn das Tal beschrieb viele Windungen. Wahrscheinlich wäre es gefahrlos gewesen, das Gebirge in großer Höhe zu überfliegen, aber man hätte dann den Kurs des Fahrzeuges mit Radar verfolgen können. Nach einer Stunde verbreiterte sich das Tal. Die Bergrücken senkten sich allmählich in eine grüne Ebene. Lester erkannte unberührte Urwälder auf dem Radarschirm. Soviel er wußte, lag dahinter die Nettle-Ebene - und die Grenze zwischen Roger und Shoolam. Lesters Gesicht wurde ernst. Bisher hatte man ihm nicht viel Schwierigkeiten bereiten können. Das lag an der lächerlich geringen Bevölkerungsdichte Rogers. Die menschlichen Siedlungen konzentrierten sich hauptsächlich an drei Stellen: der Hauptstadt First, der Bergwerksstadt Forsyth und dem einzigen Seehafen New-Baltimore. Das übrige Gebiet war spärlich von Forschungsstationen und Robotposten durchsetzt. Ein solcher, nur aus vier Arbeitsrobotern und einem Kampfroboter bestehender Posten mußte es gewesen sein, der mittels Funk auf Lesters Kurs beordert worden war. Ein zweiter Posten würde nicht mehr rechtzeitig eintreffen, um ihm den Weg verlegen zu können. Aber da war noch die Grenze. Einmal war Lester bereits dort gescheitert, weil er nur über einen Bodengleiter verfügte. Diesmal konnte er bis auf viertausend Meter steigen - und hoffen, daß man weiter sein Leben schonte! * Es war noch Nacht, als der Silberstreifen des Snake-River auf dem Radarschirm sichtbar wurde. Doch leider war das längst nicht alles. Ein Schwarm grünlich fluoreszierender Punkte löste sich vom Boden und strebte Lesters Gleiter entgegen. Lester versuchte auszuweichen, aber bald sah er ein, daß es 67
ihm nicht gelingen würde. Die leuchtenden Ortungsreflexe, wahrscheinlich Atmosphärengleiter, zogen sich weit auseinander und gewannen schnell an Höhe. Lester richtete seinen Kurs wieder auf die Grenze ein. Er überlegte. Vorausgesetzt, man wollte noch immer sein Leben schonen, durften die Gleiterbesatzungen weder mit Schockwaffen noch mit Thermowaffen auf ihn schießen; es war im Grunde genommen gleich, ob der Gleiter mit einem nur gelähmten oder einem toten Piloten am Boden zerschellte. Welche Mittel konnten sie aber dann noch gegen ihn anwenden? Lesters Überlegung führte zu dem Resultat, daß die Verfolger bluffen würden. Und so war es auch. Nur acht Kilometer vor dem Grenzfluß, in knapp viertausend Metern Höhe, stießen Verfolger und Verfolgter aufeinander. Durch eine schnelle Wendung gelang es Lester, den ersten Gegner vorübergehend abzuschütteln. Doch dadurch verlor er Zeit. Sekunden später hatten sich zwei Gleiter über ihn gesetzt, und während sie seine Flugrichtung hielten, drückten ihre Piloten ihre Fahrzeuge immer tiefer. „Mal sehen, wer die besseren Nerven hat!“ knurrte Lester entschlossen. Trotzdem traten dicke Schweißtropfen auf seine Stirn, als die beiden Verfolger sich bis auf einen halben Meter genähert hatten. Lester durchschaute ihre Taktik. Sie wollten ihn einschüchtern, ihn glauben machen, er würde gerammt, wenn er den bisherigen Kurs beibehielt, aber er wußte, daß sie nur darauf warteten, daß er an Höhe verlor oder seine Geschwindigkeit verringerte. Dann nämlich hätten die restlichen neun Gleiter Gelegenheit gehabt, aufzuholen und ihn wie in einer Glocke einzuschließen. Lesters Handflächen wurden feucht, als sich die Schatten seiner beiden Verfolger bis auf Millimeterdistanz auf ihn senkten. Und das bei achthundert Stundenkilometern! Sicher saßen Roboter am Steuer der Maschinen, Menschen hätten einen solchen Präzisionsflug nicht fertiggebracht. Aber er war kein Roboter. Er fühlte, daß 68
er dieser psychischen Belastung nicht mehr lange standhalten konnte. Seine Finger wurden gefühllos. Da war der Spuk plötzlich vorbei! Zuerst wollte Lester seinen Augen nicht trauen. Jeden Augenblick erwartete er den metallischen Schlag über seinem Kopf, der das Ende anzeigte. Doch dann sah er auf dem kleinen Heck-Radarschirm die steil nach oben wegziehenden Verfolger, und im gleichen Augenblick wußte er, daß er sich über Shoolam befand. * Seltsam, dachte Lester, denn der Stern, der so plötzlich aufgeleuchtet war, befand sich unter ihm. Erst, als der Stern immer heller wurde und dabei immer näher kam, erkannte er den wandernden Radarreflex. „Ein gloomisches Düsenflugzeug“, murmelte er. „Es wird doch nicht etwa...“ Den Rest des Satzes verschluckte er. Aus der Dunkelheit schoß eine Feuergarbe heran, fegte dicht über den Gleiter hinweg und explodierte hundert Meter hinter ihm. Lesters Augen funkelten empört. „Seit wann schießt man ohne Warnung auf einen friedlichen Gleiter!“ schimpfte er. Aber dann fiel ihm das bunte, langanhaltende Licht der Explosion auf, und er begriff. Der Gloom hatte Leuchtraketen abgeschossen. Peinlich war nur, daß Lester die Bedeutung der Farben nicht kannte. War es eine Aufforderung zum Abdrehen gewesen? Dazu verspürte Lester begreiflicherweise nicht die geringste Lust. Er mußte das Risiko, abgeschossen zu werden, auf sich nehmen. Um so angenehmer überraschte es ihn, daß sich die Silhouette des Deltaflugzeuges jetzt dicht neben ihn schob und die nächsten Leuchtraketen weit vor ihm explodierten. Lesley hoffte, daß es eine Aufforderung war, seinem Begleiter zu folgen. Anscheinend war der gloomische Pilot befriedigt von dem 69
Erfolg seiner „Zeichensprache“. Er beschleunigte etwas mehr, so daß seine Maschine einen kleinen Vorsprung gewann. Aufatmend steuerte Lester den Gleiter hinterher. Ohne weitere Zwischenfälle legten sie fünfzig Kilometer zurück. Dann neigte sich der Bug des Flugzeuges, und gleichzeitig blitzten auf dem Boden die Scheinwerfer eines Flugplatzes auf. Die gleißenden Strahlen bewegten sich zuerst nach oben, dann langsam nach unten. Lester erkannte rote und grüne Lichterketten, offenbar die Begrenzungen von Start- und Landebahnen. Das Deltaflugzeug wies ihm auch weiterhin den Weg, und Minuten später setzte Lesters Gleiter neben der ausrollenden Maschine auf. Noch benommen, von den physischen und vor allem psychischen Strapazen der letzten Stunden, blieb Lester auf dem Pilotensitz hocken und rieb sich die Augen. Erst, als jemand von außen gegen die Luke seines Gleiters hämmerte, besann er sich, wo er war. Er blickte auf. Im Licht der Scheinwerfer erkannte er das silberblitzende Deltaflugzeug, das ihn hierher gelotst hatte, sowie drei hochbeinige Gyrowagen, Fahrzeuge, die nur auf einem einzigen Rad liefen und von Gyroskopen im Gleichgewicht gehalten wurden. Die Wagen waren leer, denn ihre Besatzungen standen dichtgedrängt um den Gleiter herum. Es waren Glooms, das sah Lester auf den ersten Blick. Zwar wurden die Glooms als humanoide Rasse bezeichnet und das waren sie auch -, aber es gab doch einige unübersehbare Unterschiede zwischen ihnen und den Menschen. Der auffallendste Unterschied lag in der Körpergröße. Ein Gloom war selten kleiner als zwei Meter, sondern meist noch zehn bis zwanzig Zentimeter größer, da er aber den gleichen Körperumfang wie ein Mensch besaß, wirkte er lang und dürr wie eine Bohnenstange. Die langen, gekrümmten Nasen paßten recht gut dazu, nur die kurzen fleischigen Arme nicht. Die Gesichter waren schmal, die 70
Augen saßen etwa dort, wo sich beim Menschen die Schläfen befinden, und die Haut war von einem weißen Flaum überzogen. Lester verdrängte gewaltsam die bleierne Müdigkeit aus seinen Gliedern, stand auf und öffnete die Luke. Die kühle Nachtluft erfrischte ihn. Langsam spreizte er zwei Finger der rechten Hand und fuhr sich damit über Stirn und Nasenrücken. Es war der gloomische Gruß, den er von seiner ersten Begegnung her noch kannte. Die in enganliegender Lederkleidung steckenden Glooms erwiderten den Gruß. Einer von ihnen sprach in dem raschen näselnden Tonfall dieser Rasse auf Lester ein, aber der Scout legte die Hände auf seine Ohren, zum Zeichen, daß er nichts verstand. Er bedauerte, seinen Translator nicht bei sich zu haben. Mit Gesten lud man ihn ein, in einem der Gyrowagen Platz zu nehmen. Lester unterdrückte nur mit Mühe ein dankbares Lächeln; im letzten Augenblick war ihm eingefallen, daß diese mimische Geste bei den Glooms Verachtung ausdrückte. Mit großer Geschwindigkeit schossen die Gyrowagen über die Landebahn, eine halbkreisförmig geschwungene Rampe hinauf, und stoppten vor der Veranda eines hohen, schmalen Gebäudes. Sicher die Flughafenverwaltung, dachte Lester. Man führte ihn, nachdem er ausgestiegen war, durch den hellerleuchteten Vorraum in ein Büro. Ein in weißes Leder gekleideter Gloom erhob sich bei seinem Eintritt und hob die Hand. „Hallo!“ Verblüfft erwiderte Lester den Gruß. „Sprechen Sie Terranisch?“ „Ein wenig. Mein Name ist Hhonul, Zweiter Diener von Shoolam.“ Lester riß die Augen auf. Ihm war bekannt, daß der Regierungschef der Glooms mit „Erster Diener“ tituliert wurde. Der „Zweite Diener“ war sein Stellvertreter. Aber was tat ein 71
stellvertretender Regierungschef im Büro einer Flughafenverwaltung? „Mein Name ist Velie, terranischer Scout. Mein Wunsch war, eine Audienz beim Ersten Diener Shoolams zu erhalten, aber da Sie hier sind, möchten Sie sicher wissen, was mich nach Shoolam treibt...?“ „Ich bin deshalb hier, Scout Velie. Ihr Einflug wurde mir vor kurzer Zeit gemeldet, und da ich mich mit meinem Flugzeug in der Nähe befand, änderte ich den Kurs. Sie sind wie sagt man doch gleich - illegal gekommen?“ „Illegal und inoffiziell, Zweiter Diener Hhonul.“ „Sie bitten also um Asyl?“ Lester schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kam, um die Regierung von Shoolam um einen Gefallen zu bitten. Ich weiß nicht, ob Sie über die Zustände auf Roger informiert sind...?“ „Nicht sehr gut, Scout Velie. Wir wissen nur, daß unsere Handelsvertretung seit zehn Tagen Roger-Zeit unter Hausarrest steht. Warum, konnten wir nicht erfahren.“ Lester blickte den Zweiten Diener fragend an. Er überlegte, ob Hhonul nichts von der Evakuierung der Grenzbevölkerung Rogers wußte oder ob er nur nichts darüber sagen wollte. Hhonul schien seine Gedanken zu erraten. „Ich befürchte keine bewaffnete Auseinandersetzung, wenn Sie das meinen. Zwar fanden vor zwei Tagen Evakuierungen und Truppenkonzentrationen statt, aber nur in einem schmalen Gebietsstreifen. Vor Ihrem Eintreffen erfuhr ich, daß inzwischen eine rückläufige Bewegung eingesetzt hat.“ Lester hielt den Atem an. War das, was er gesehen hatte, etwa nur Theater gewesen, eine Demonstration, um sein Handeln zu beeinflussen? Jetzt, wo er erkannte, daß keine akute Kriegsgefahr mehr bestand, hörte sein Widerstand gegen die Erschöpfung auf. Er taumelte. Sofort war Hhonul an seiner Seite. „Sie müssen sich ausruhen!“ sagte er bestimmt. Lester nickte mechanisch. Er merkte kaum noch, daß er, von Hhonul 72
und einem zweiten Gloom begleitet, die Flughafenverwaltung verließ und nach kurzer Gyrofahrt durch die Luke eines startbereit stehenden Raumschiffes kletterte. Eine Minute später lag er angekleidet auf dem riesigen Pneumobett einer Kabine und schlief. Eine weitere Minute später brüllten die Triebwerke auf, und das Raumschiff stieg auf einer glühenden Plasmasäule empor. Lester wußte nichts davon. 4. „Betrachten wir uns doch nur das zweite der bereits in der Antike von Asimow aufgestellte und heute noch gültige Robotergesetz: ,Ein Roboter muß dem Menschen dienen und seinen Befehlen gehorchen - es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz’. Das bedeutet ja wohl nichts anderes, als daß ein Roboter die Freiheit besitzt, über die Richtigkeit eines menschlichen Befehls zu unterscheiden. Und die jeweilige Entscheidung ist, ganz im Gegenteil zu den feststehenden Gesetzen, nicht in das Leptonengehirn eines Roboters einprogrammiert, weil so etwas einfach unmöglich ist. Wie kommt es aber dann, daß wir Menschen bisher noch immer eine solche Robotentscheidung akzeptiert haben? Robotphysiologen und Robotpsychologen haben...“ Kybernetik und Seele - Avery. * Lester erwachte, öffnete die Augen und schloß sie geblendet wieder. Dann blinzelte er in die Helligkeit, und als er sah, daß es die Sonne war, die durch ein hohes Fenster auf sein Gesicht schien, sprang er auf. 73
Ein Blick auf die Uhr unterrichtete ihn darüber, daß es nach Roger-Zeit Mittag sein mußte. Er trat zum Fenster und betrachtete die Umgebung. Das, was er sah, war zweifellos ein Garten oder Park - aber was für einer! Wie nackte Pfähle ragten Baumstämme kerzengerade empor. Erst in etwa fünfzehn Meter Höhe bogen sich peitschenartige dünne Zweige wie Palmwedel nach unten; aber sie trugen keine Blätter, sondern lange, blaugrüne Nadeln. Ihre Unterseite war mit scheibenförmigen gelben Blüten besetzt. Ebenso fremdartig wie die Bäume wirkten die Sträucher, und was Lester am meisten vermißte, war ein Fleckchen Grün. Statt Rasen bedeckte eine Schicht glatter schwarzer Kiesel den Boden. Lesters Interesse für die importierte Welt der Glooms hielt jedoch nicht lange an. Die Sorge um das Schicksal der Welt Roger trieb ihn zur Eile. Hastig wusch er sich in dem winzigen ovalen Becken, das auf einem niedrigen Tischchen stand. Dabei stellte er fest, daß er unbedingt eine Rasur nötig hatte. Aber, entsann er sich, die Glooms brauchten sich nicht zu rasieren. Ihr weißer Haarflaum blieb von Natur aus immer gleich. Folglich würde er hier auch keinen Rasierapparat vorfinden. Sein Zivilanzug hing über einem schmalen Gestell, ebenso seine Unterwäsche. Lester zog sich an. Dann trat er zur Tür. Sie glitt, als er sich ihr bis auf einen Meter genähert hatte, geräuschlos nach beiden Seiten auseinander. Er sah sich in dem langen und hohen Flur um. Dort hinten schien sich ein Lift zu befinden. Aber bevor er ihn erreicht hatte, erschien hinter der durchsichtigen Tür die beleuchtete Kabine. Ein in schwarzes Leder gekleideter Gloom trat heraus. Vor Lester verneigte er sich. „Ich grüße Scout Velie. Wenn Sie mir folgen wollen, bitte!“ Lester verneigte sich ebenfalls, verwundert über die Art, ihn mit irdischen Sitten zu begrüßen. „Führen Sie mich zum 74
Ersten Diener?“ fragte er. Aber er erhielt keine Antwort. Daraus schloß Lester belustigt, daß man dem Mann wahrscheinlich nur die paar Worte beigebracht hatte, die zur Begrüßung unbedingt nötig waren. Immerhin war dies ein Zeichen dafür, daß man ihn als geachteten Gast betrachtete. Der Lift schoß nach oben. Lester zählte elf vorüberhuschende Stockwerke. Dann brachte sein Führer ihn in einen auf zwei Seiten von durchsichtigen Wänden begrenzten Raum und bat ihn, zu warten. Neugierig sah Lester sich um. Der Raum enthielt außer einem in die Wand eingelassenen Videophon nur drei um einen niedrigen Tisch gruppierte Sessel. Zwei der Sitzgelegenheiten waren hoch und eng wie alle gloomischen Sessel; einer jedoch glich bis auf die Höhe einem der weichen und breiten Klubsessel terranischer Tradition. „Willkommen auf Shoolam, Scout Velie!“ Lester zuckte unwillkürlich zusammen, denn die Stimme war nicht die eines Gloom, aber auch nicht die eines Terraners gewesen, sondern der kaum modulierte Tonfall eines Roboters. Er drehte sich langsam um, und dann trat Verwunderung in seine Züge. „Hhonul...?“ In der Tür stand tatsächlich Hhonul, der Zweite Diener Shoolams - und neben ihm, mit blutrotem, enganliegendem weichem Leder bekleidet, ein Gloom, der ihn fast um einen ganzen Kopf überragte. Hhonul verneigte sich auf menschliche Art und trat einen Schritt vor. Er begann zu sprechen, aber Lester hörte kaum hin. Nachdenklich musterte er den selbst für gloomische Verhältnisse hochgewachsenen Mann. Ihm war, als hätte er ihn schon einmal gesehen. Aber erst, als der Name fiel, wußte er Bescheid. „Ghorga!“ Lester streckte die Hände aus, und Ghorga schien diese Art Begrüßung zu kennen, denn er kam mit zwei langen Schritten auf Lester zu, streckte ebenfalls die Hände aus 75
und ergriff die des Scouts. „Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Velie.“ Erst jetzt bemerkte Lester, daß Ghorga nicht terranisch, sondern gloomisch sprach. Seine Worte wurden von dem Gerät, das Lester zuerst für ein Videophon gehalten hatte, aufgenommen, übersetzt und mit der monotonen Stimme eines Automaten wiedergegeben. „Welch ein Zufall!“ sagte Lester. „Wollten Sie Ihre Welt wieder einmal besuchen, die Welt, die Sie entdeckten?“ „Dir wir entdeckten, Velie. Aber ich bin nicht Gast auf dieser Welt, sondern mit den ersten Kolonisten zurückgekehrt.“ „Oh!“ machte Lester. „Wir müssen uns unbedingt einmal unterhalten, Ghorga. Aber zuerst habe ich noch etwas weniger Angenehmes zu erledigen. Ich muß unbedingt den Ersten Diener Shoolams sprechen.“ „Sie sehen ihn vor sich, Velie.“ „Wie bitte...?“ Lester verschluckte sich fast. Jetzt wurde ihm auch klar, weshalb Hhonul ständig die Finger gespreizt und wieder zusammengezogen hatte - eine gloomische Geste für Unwillen und Entrüstung. Kein Wunder, die gloomische Etikette war sehr streng, und sowohl Lester als auch Ghorga hatten dagegen verstoßen, als sie sich ohne Titel anredeten. Er räusperte sich verlegen. „Erster Diener Ghorga...“ Ghorgas Augen funkelten belustigt. „Für Sie bin ich Ghorga. Der Zweite Diener“, er wandte sich kurz Hhonul zu, „wird den Verstoß gegen die Etikette verzeihen, wenn er erfährt, daß wir beide einst den Gefahren des damals noch unerforschten Planeten Seite an Seite entgegentraten und dabei Freunde wurden.“ Er deutete auf die Sesselgruppe. „Aber nehmen wir doch Platz!“ Lester zog sich auf den für ihn bereitgestellten hochbeinigen Sessel und überlegte, wie er beginnen sollte. Ghorga kam ihm entgegen. „Der Zweite Diener Hhonul berichtete mir bereits, daß Sie 76
mich um einen Gefallen bitten wollten, Velie. Was in meiner Macht steht, will ich gern tun. Ich nehme an, es handelt sich um die seltsamen Vorgänge auf Roger...“ Lester nickte. Ohne Umschweife erzählte er, was er wußte. Eine Weile herrschte Schweigen. „Eine heikle Situation“, begann Ghorga schließlich. „Ich nehme an, daß Sie nichts von mir verlangen, was den Frieden zwischen unseren Rassen gefährden könnte.“ „Nichts dergleichen, Ghorga. Der Friede ist bereits genug gefährdet. Ich weiß nicht, wer auf Roger die Fäden in der Hand hält. Deshalb nannte ich ihn den Roboterfürsten. Eines möchte ich Ihnen aber versichern: Nichts von dem, was dieser Roboterfürst angerichtet hat oder noch anrichten wird, fände die Billigung der terranischen Regierung oder des Rates der Föderation. Wären ihnen die Zustände auf Roger bekannt, sie würden energisch eingreifen.“ „Ich könnte ein Raumschiff zur Verfügung stellen, damit Sie Ihre Regierung benachrichtigen“, sagte Ghorga nachdenklich. „Die Raumpolizei käme wahrscheinlich zu spät.“ Lester schüttelte heftig den Kopf. „Sie könnte frühestens in einem Jahr hiersein. Nein, ich muß sehen, was ich selbst tun kann!“ „Ich fürchte, das wird nicht viel sein, Velie. Sie mußten ja wahrscheinlich fliehen, weil Widerstand sinnlos war.“ Lester unterdrückte mit Mühe ein verschmitztes Lächeln. Aber um seine Augenwinkel zuckte es verdächtig. „Ganz und gar nicht, Ghorga. Ich floh nur, weil ich nicht länger eine Schachfigur sein wollte, die man nach Belieben hin und her schiebt. Daß der Roboterfürst die Flucht verhindern wollte, kann nur nützlich sein. Dadurch wird er kaum annehmen, daß ich zurückkehre. Jetzt kommt es nur noch darauf an, unbemerkt in die Hauptstadt First zu gelangen. Damit wäre ich ein Faktor, mit dem nicht mehr gerechnet wird.“ „Kein schlechter Gedanke“, stimmte Ghorga zu. „Er hat 77
nur eine Lücke: Wie wollen Sie unbemerkt nach First kommen?“ „Sie haben doch eine Handelsvertretung in First, nicht wahr...?“ Verblüfft über den scheinbaren Themawechsel, blickte Ghorga auf. „Ja, aber was soll...?“ „Beantworten Sie mir bitte nur noch eine Frage: Soviel ich weiß, hat jeder Gloom spezielle Bedürfnisse, die er auf einer terranischen Welt nicht befriedigen kann; umgekehrt wäre es sicher ebenso. Sie liefern also regelmäßig bestimmte Waren nach First?“ „Oh! Jetzt verstehe ich Sie. Es ist so. Jeden Monat RogerZeit einmal geht eine kleine Lastrakete in Richtung First ab. Die nächste ist für übermorgen nacht bei der Hafenverwaltung von ,Seters Arrival’ angemeldet. Nur muß ich Sie enttäuschen, wenn Sie glauben, wir könnten Sie auf diesem Wege einschmuggeln. Seit unsere Handelsvertretung unter Hausarrest steht, wird sicher keine Maus unbesehen aus unserem Schiff kommen, um einen terranischen Ausdruck zu gebrauchen.“ „Desto besser!“ „Ich verstehe nicht.“ „Nun, ganz einfach; da ich eben keine Maus bin, kann ich die Rakete kurz vor der Landung mit einem Gleiter verlassen. Niemand von der Luftüberwachung wird auf den Gedanken kommen, der Gleiter käme von Shoolam, denn kein ungemeldetes Objekt hat die Grenze überflogen.“ „Genial!“ sagte Ghorga. * „Unfug!“ sagte der Koordinator. Die drei schlanken, unverkleideten Roboter ruckten herum. Einer von ihnen neigte leicht den Kopf. „Aber unser Bericht stimmt, Koordinator. Wenn du mir das Gegenteil beweist, darfst du mich 78
verschrotten lassen.“ „Ich meine nicht deinen Bericht, sondern die Bemühungen dieses komischen Predigers.“ „Einiges von dem, was er sagt, scheint ganz vernünftig zu sein“, widersprach der Anführer der drei Roboter. „Du sagst es, Betaelf: scheint ...! Darin liegt meiner Meinung nach die große Gefahr. In Wirklichkeit wird der Fürst ihn geschickt haben. Wahrscheinlich hat Rho-sieben nicht genug aufgepaßt.“ „Aber ich sehe in dem Prediger keine Gefahr für uns, Koordinator.“ „Das liegt an deiner geringen Gehirnkapazität. Überlege einmal: Wir haben den Fürsten geblufft. Er muß annehmen, daß ich nicht mehr existiere und daß ein völlig neuer Koordinator an der Macht ist. Was geschieht, wenn der Prediger den wahren Sachverhalt erfährt und ihn dem Fürsten mitteilt? Er wird die Fernschaltung betätigen und mich vernichten. Es gäbe kein Mittel dagegen.“ „Er kann es auch so jederzeit tun.“ „Er kann, aber er wird nicht. Der Fürst hofft im stillen immer noch, daß ich nicht ganz funktionsfähig bin und die Macht wieder an mich reiße. Damit hätte er erneut Gewalt über uns. In diesem Glauben muß er bleiben, bis wir eine Lösung unseres Problems gefunden haben.“ „Das heißt“, erwiderte Betaelf, „wir müssen den Prediger gefangennehmen. Das wird nicht leicht sein; bisher ist er uns immer noch rechtzeitig entwischt.“ „Diesmal nicht. Mein Plan ist folgendermaßen...“ Beta-11 und seine beiden Begleiter warteten, aber der Koordinator war plötzlich verstummt. Besorgt traten sie näher. Doch da ertönte des Koordinators Stimme erneut. „Der Plan ist hinfällig. Soeben erhielt ich die Nachricht, daß der Präsident und der Polizeipräfekt von Roger aus dem Staatsgefängnis ausgebrochen sind.“ Die hohe, leicht nach 79
innen gewölbte Frontwand des Koordinators wurde von zuckenden Lichtblitzen erhellt. „Der Prediger hat sie befreit, aber diesmal ist es uns gelungen seine Identität festzustellen.“ „Wer ist es?“ fragten die drei Roboter zugleich. „David Steel, der Begleiter des geflohenen Scouts.“ * Die Lastrakete lag wie ein silberner Fisch auf der schräg nach oben weisenden Startrampe. Ihre breiten Tragflächen blitzten im Licht der Scheinwerfer. Sie brauchte diese Tragflächen, da sie für aerodynamische Landungen konstruiert war. Lester konnte es nur recht sein. Das erleichterte das Ausschleusen des Gleiters. Da die Glooms keine eigenen Gleiter besaßen, hatte man den von Lester entführten Transportgleiter nehmen müssen. Um eine Identifikation zu erschweren, war die Bezeichnung mannshohe weiße Buchstaben und Zahlen auf Ober- und Unterseite - geändert worden. Die Technik des Beladens unterschied sich nicht wesentlich von der auf terranischen Welten üblichen. Eine kreisrunde Öffnung hatte sich im Boden des Startplatzes gebildet, aus welcher in schneller Folge Antigravplatten emporschossen und zur Seite glitten. Ein fahrbares Transportband nahm mit Greifern die Lasten auf und transportierte sie ins Innere der Rakete. Alles ging automatisch vor sich, aber es waren keine Roboter hominider Bauart zu sehen. Die Glooms kannten Maschinenwesen dieser Art nicht; sie verwendeten statt dessen eine Vielfalt spezialisierter Konstruktionen. Von der Rentabilität her gesehen ein Nachteil, dachte Lester - aber er ersparte den Glooms solche Probleme, wie sie auf Roger bestanden. Lester seufzte. Sein Blick wanderte nach Norden, wo der Lichtschein der Hauptstadt Rheea kuppelgleich in den Nachthimmel ragte. Ghorga, der neben dem Scout stand, 80
schien dessen Gedanken zu erraten. „Auch First wird bald wieder frei sein, Velie.“ Lester nickte. „Ich zweifle nicht daran, Ghorga. Aber danach beginnen erst die wirklichen Probleme...“ Die letzte Antigravplatte schwebte zum Transportband. Gleichzeitig begannen die inzwischen gestapelten leeren Platten den Rückweg ins unterirdische Depot. Drei hallende Gongschläge ertönten. „Es ist soweit, Velie“, sagte Ghorga. Lester mußte sich anstrengen, um im gloomischen Tonfall die terranischen Worte zu erkennen. „Ich wünsche Ihnen alles Glück, Freund.“ Er reichte Lester die breite, siebenfingrige Hand. „Danke, Ghorga, ich kann es gebrauchen.“ Lester ergriff die Hand des Freundes und wandte sich dann schnell ab. Mit unnatürlich steifen Schritten ging er zur Rolltreppe, die ihn rasch zur Hauptschleuse trug. Der gloomische Pilot erwartete ihn bereits. „Wir starten in zwei Minuten Roger-Zeit, Scout Velie.“ „Danke, Pilot Lhoorg. Halten Sie bitte den Zeitplan genau ein.“ Weitere Worte wurden nicht gewechselt, denn weder Lester noch Lhoorg verstanden mehr als ein paar Brocken der fremden Sprache. Während der Pilot sich in die Steuerkanzel begab, kletterte Lester in seinen in der Hauptschleuse verstauten Gleiter. Als die Schiffsschleuse sich schloß, schaltete der Scout das Licht im Steuerraum des Gleiters an. Nun begann das Warten. Wenig später schüttelte sich der Rumpf. Die Triebwerke liefen an. Nach und nach wurde ihr Arbeiten gleichmäßiger, das Schütteln hörte auf, und das explosionsartige Donnern wurde zum schrillen Heulen. Trotz der Andruckabsorber spürte der erfahrene Raumfahrer die Vorwärtsbewegung auf der kilometerlangen Startrampe. Immer schneller wurde das Gleiten auf den Fluorplastschienen, dann hob die Rakete mit 81
leichtem Ruck ab, richtete sich steil auf und schoß der Wölbung des Sternenhimmels entgegen. Nur drei Minuten später verstummten die Triebwerke. Das Schiff strebte dem Höhepunkt der vorprogrammierten Parabel entgegen, neigte die spitze Schnauze und überließ sich der Anziehungskraft des Planeten. Einige Zeit blieb es totenstill, dann drang ein feines Singen an Lesters Ohr. Immer schriller wurde es, bis es vom Aufbrüllen der Bugtriebwerke übertönt wurde. Jetzt befand sich das Schiff bereits in den dichteren Schichten der Atmosphäre und bereitete sich auf die Landung vor. Der Funksprechkanal zum Pilotenraum wurde aktiviert. „First - vierhundert!“ Der Pilot meinte Kilometer, aber er konnte das schwere Wort nicht aussprechen. „First dreihundert - First - zweihundert...“ Lester schaltete die Schwerkraftgeneratoren seines Gleiters ein und legte die Finger auf die Steuertasten. Bei „hundert“ mußte er die Rakete verlassen. Die Schleuse öffnete sich bereits. „First - hundert!“ Wie ein Blitz schoß der Gleiter aus der Schleuse. Im nächsten Augenblick lagen zwanzig Kilometer zwischen ihm und dem immer noch schnellen Schiff. Lester drosselte die Generatoren. Der Gleiter taumelte einen Herzschlag lang haltlos wie ein welkes Blatt, dann hatten die Stabilisatoren ihn wieder in der Gewalt. Lester versuchte sich zu orientieren. Der Lichtschein am Horizont mußte First sein. Lester lächelte grimmig und wendete sein Fahrzeug. Bis jetzt war alles nach Plan verlaufen. Niemand auf Roger konnte das Ausschleusen bemerkt haben. Oder doch...? Lester lauschte dem warnenden Ticken des Annäherungsdetektors. Ein zweites Fahrzeug mußte sich in unmittelbarer Nähe befinden. Lester zwang sich dazu, seinen Kurs mit gleicher Geschwindigkeit beizubehalten. Nur nicht 82
auffallen, dachte er. Das gibt es ja gar nicht, daß jemand Verdacht geschöpft hat. Das Ausschleusen war zu schnell gegangen, als daß es optisch oder funktechnisch hätte registriert werden können. Außer - jemand hatte ihn hier erwartet! Unvermittelt schrillten die Alarmglocken. Rotlicht tanzte über das Kontrollbord der Manuellsteuerung. Erfolglos betätigte Lester die Steuertasten. Der Gleiter gehorchte ihm nicht mehr. Verständnislos starrte Lester zum Leuchtpult des Autopiloten. Die huschenden Lichtkreise bewiesen, daß er die Steuerung übernommen hatte - ohne daß Lester die Manuellsteuerung abgeschaltet hatte! Das war absolut unmöglich, es sei denn, der sich nähernde fremde Gleiter flog ohne Kollisionssicherungen. Aber die Automatik gab keineswegs die Manuelsteuerung wieder frei, wie sie es hätte tun müssen; im Gegenteil, sie lenkte den Gleiter hinter dem Fremden her. Viele Gedanken jagten sich in Lesters Geist. Aber nur einer blieb: In dem fremden Gleiter mußte eine neue Erfindung installiert sein, eine Maschine, die andere Autopiloten simultan schaltete. Aber wenn es eine solche Maschine gab, warum hatte der Roboterfürst sie nicht schon angewendet, um Lesters Flucht nach Shoolam zu verhindern? Befremdet bemerkte er, daß der neue Kurs nicht nach First, sondern in westlicher Richtung wegführte. In dieser Richtung lag die Küste des Tangmeeres, so genannt wegen seiner bis in tausend Meter Tiefe hängenden Tanggärten. Was suchten seine Entführer dort? Lester sollte es bald erfahren. Die Steilküste wurde in geringer Höhe überflogen. Das Meer leuchtete derart intensiv im Schein der Sterne, daß man es in den Direktsichtsscheiben sehen konnte. Die Oberfläche der Tanggärten entfachte sogar ein regelrechtes Feuerwerk, 83
wenn buntschillernde Leiber winziger Meeresbewohner im Liebesspiel durch das Labyrinth der Pflanzenstränge schnellten. Trotz seiner unangenehmen Lage konnte Lester sich dem Zauber dieses Bildes nicht ganz entziehen. Für einen Augenblick dachte er daran, sich aus der Bodenluke fallen zu lassen. Der Aufprall dürfte aus der geringen Höhe nicht allzu schlimm sein. Aber er fragte sich, was er dann, allein und ohne technische Hilfsmittel, in der menschenleeren Einöde des Küstengebietes anfangen sollte. Minuten später existierte diese Fluchtmöglichkeit nicht mehr; die Küste war inzwischen viel zu weit entfernt, als daß sie schwimmend erreichbar gewesen wäre. Als der Flug sich verlangsamte, beobachtete Lester aufmerksam den Radarschirm. Aber vorläufig zeigte sich kein Ziel. Er zog den gloomischen Thermoblaster aus der Tasche und wog ihn nachdenklich in der Hand. Die Waffe arbeitete nach dem Prinzip des erhitzten Luftstrahls. Selbst die Metallplastikhülle von Kampfrobotern würde nicht lange widerstehen können. Aber hatte es überhaupt Sinn, in dieser Lage physische Gewalt anzuwenden? Lester steckte die Waffe wieder zurück. Wenn das Gehirn keinen Ausweg fand - die Gewalt würde erst recht keinen schaffen! Das Summen der Schwerkraftgeneratoren schwoll an. Lester entnahm daraus, daß die Gleiter zum Stillstand gebracht werden sollten. Ein Blick durch die Sichtscheibe zeigte noch immer nur das Meer, aber dann schaute Lester zum Radarschirm. Heftig sog er die Luft ein. Mitten im unruhigen Hell-Dunkel-Muster der bewegten See entdeckte er den GrünReflex eines langgestreckten Körpers: ein U-Boot! Und die beiden Gleiter schwebten darauf zu. * Wie ein riesiges Tor öffnete sich eine Luke auf dem Deck 84
des U-Bootes. Die beiden Gleiter sanken nacheinander hinein. In einem erleuchteten Hangar kamen sie zur Ruhe. Über ihnen verschloß sich die Öffnung wieder. Unschlüssig erhob sich Lester. Zwei Möglichkeiten hatte er: Er konnte die Luke seines Gleiters blockieren oder aber gleich aussteigen. Im Grunde genommen war es gleich, was er tat, denn so oder so holte man ihn letzten Endes doch heraus. Also entschloß er sich zum sofortigen Aussteigen. Als er den glatten Boden des Hangars betrat, wäre er fast ausgeglitten. Das U-Boot schwankte im Seegang. Sekunden später aber hatte es sich wieder beruhigt. Lester entnahm daraus, daß es zur Unterwasserfahrt übergegangen war. Mit schlecht verborgener Nervosität blickte er zum anderen Gleiter hinüber. Soeben schob sich dessen Tür auseinander. Lester packte die Waffe in seiner Tasche fester, um notfalls sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Dann schob sich eine hohe Gestalt ins Licht. Lester erstarrte. Er öffnete den Mund, brachte aber nur unartikulierte Krächztöne hervor. Die in blauschillerndes Zivil gekleidete Gestalt hob eine Hand. „Hallo, Sir!“ sagte David. „Hallo... David!“ stammelte Lester fassungslos. Er begriff immer noch nicht, was geschehen war. Wie kam David zu einem U-Boot? Und woher wußte er, daß er, Lester, mit seinem Gleiter aus der Lastrakete ausgeschleust werden sollte, denn ohne ein solches Wissen hätte er ihn nicht derart zielsicher erwarten können! Mißtrauen beschlich ihn. David schien in seinem Gesicht wie in einem offenen Buch zu lesen. Er lächelte maliziös. „Soll ich Ihnen die Robotgesetze aufsagen, damit Sie von meinem guten Willen überzeugt werden, Sir?“ Er stellte sich in Positur wie ein Schüler, der einen Vortrag zu halten hatte. „Das erste Gesetz lautet: Ein Roboter darf niemals ein menschliches Wesen verletzen oder ihm schaden beziehungsweise...“ Lester 85
winkte energisch ab. „Hör auf! Ich sehe, du bist noch der alte David. Nur mit dem zweiten Gesetz hast du es nicht so genau genommen, wie...?“ „Oh! Weil ich nicht nach Shoolam geflohen bin, Sir? Dadurch habe ich nicht gegen das zweite Gesetz verstoßen, denn hätte ich Ihren Befehl befolgt, wären Sie nach Ihrer Rückkehr zu Schaden gekommen.“ „Woher wußtest du überhaupt...? Na, aber das wollen wir in Ruhe besprechen. Ich denke, du bist mir einige Erklärungen schuldig, Alter.“ „Jawohl, Sir. Wenn Sie mir bitte zur Kommandobrücke folgen möchten...!“ David drehte sich um und öffnete ein Schott. Über eine schmale Metallplastikleiter gelangten sie gleich darauf in das gespenstische Halbdunkel der Brücke. Nur matt leuchtende, runde Radaraugen gaben etwas Licht. Zwei Radarbeobachter saßen auf einem etwas erhöhten Podium, sprachen im Flüsterton und gaben Zahlen - Azimute, Peilungen, Entfernungen - über einen Videoübermittler zum hufeisenförmigen Kartentisch, von dem sich jetzt zwei Männer erhoben. Voller Spannung blickten sie Lester entgegen. „Wenn ich Ihnen vorstellen darf, Sir“, flüsterte David. „Das...“, er wies auf den älteren der beiden Männer, „... ist Mister Karel Janusz, der Präsident von Roger; und das hier ist Mister Jesus Alfredo Villamor, Polizeipräfekt Rogers.“ Er lächelte verschmitzt und deutete eine Verbeugung an. „Und hier, meine Herren, stelle ich Ihnen meinen Chef vor: Mister Lester Velie, Scout von Terra!“ Der, den David als Präsidenten Rogers bezeichnet hatte, trat einen Schritt vor. Lester betrachtete ihn forschend. Es war ein weißhaariger Greis. Jetzt hielt er sich etwas gebeugt, aber das breite, zerfurchte Gesicht verriet Energie, und die wasserblauen Augen strahlten hell. „Herzlich willkommen, Mister Velie. Leider ist dieses Forschungsboot im Augenblick der einzige freie Teil Rogers, aber ohne Mister Steel verfügten wir lediglich über eine Zelle 86
im Staatsgefängnis, bewacht von diesen verfluchten Robots.“ Zorn funkelte in seinen Augen. Dieser Zorn war es, der Lester zur Preisgabe seines - und Davids - Geheimnisses bewog. Er drückte die dargebotene Hand fest. „Ich freue mich, Sie zu sehen, Mister Janusz. Aber fluchen Sie bitte nicht zu laut über die Roboter, neben Ihnen steht einer.“ Der Präsident fuhr erschrocken herum. Dann wandte er sich irritiert Lester zu. „Sie treiben seltsame Scherze, Mister Velie.“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Ich spreche im Ernst. Mister Steel ist ein Roboter - mein Robotassistent.“ Jetzt trat Villamor vor. Der Polizeipräfekt fixierte David scharf. „Sagen Sie, daß das nicht wahr ist, Mister Steel!“ David lächelte. „Wenn mein Herr es mir bisher nicht verboten hätte, wüßten Sie längst über mich Bescheid, Mister Villamor. Ich bin ein Roboter.“ „Das glaube ich nicht!“ polterte der schwarzhaarige Präfekt. „Beweise es!“ befahl Lester ernst. David zog seine Jacke aus, öffnete das rote Hemd und berührte mit einem Finger einen verborgenen Strahlkontakt. Augenblicklich klaffte die sonnengebräunte, behaarte Haut des Brustkorbes auseinander. Blinkende Metallplastik kam zum Vorschein. Villamor taumelte einen Schritt zurück. „Das - das - darf einfach nicht wahr sein! Ein Roboter! Dann sind wir ja nur von einem Gefängnis in ein anderes geraten!“ „Reden Sie keinen Unsinn!“ fuhr ihn Lester schärfer an, als er beabsichtigt hatte. „Hat Ihnen David bisher auch nur einen Grund zur Beschwerde gegeben?“ „Danke, Sir“, sagte David leise. Lester fühlte dabei einen Kloß in seiner Kehle aufsteigen. Gleichzeitig wußte er, daß er seine Entscheidung im Unterbewußtsein längst getroffen hatte 87
die Entscheidung über die Zukunft der hominiden Roboter. „Verzeihen Sie“, murmelte Villamor. „Ich habe etwas die Nerven verloren. Auf Roger herrschen Roboter, und...“ „Ihre Gefühle sind auch die meinen, Mister Villamor“, entgegnete Lester, und ein bitterer Zug grub sich um seine Mundwinkel. „Roger ist schließlich von mir entdeckt worden, und ich habe die Welt nach meinem Vater benannt. So etwas bindet. Wahrscheinlich hat der Roboterfürst das in seine Kalkulation einbezogen. Langsam beginne ich zu ahnen, worauf der ganze Plan abzielt.“ Er reichte Villamor die Hand. Der Präfekt schüttelte sie temperamentvoll. „Der Roboterfürst...“, sagte Präsident Janusz nachdenklich. „Woher kennen Sie seinen ,Titel’?“ „Seinen Titel?“ fragte Lester erstaunt. „Er nennt sich tatsächlich so“, mischte David sich ein und zog seine Jacke wieder an. „Habe ich recht, Cliff und Ben?“ rief er den beiden Radarbeobachtern zu. „Jawohl, David!“ stimmten beide gleichzeitig zu. Plötzlich mußte Lester lachen. „Wo hast du die beiden Robots aufgefischt, Alter, he?“ David grinste spitzbübisch. „Ihnen kann man aber auch nichts verheimlichen, Sir. Cliff und Ben stammen aus der Armee des Fürsten. Sie heißen eigentlich Deltaacht und Rhohundertneun. Ich habe sie abgeworben.“ „Abgeworben...?“ staunte Lester. „Ist so etwas überhaupt möglich? Sie sind doch nicht mit den Grundgesetzen programmiert!“ David wurde plötzlich wieder ernst, Aber in seiner Stimme schwang verhaltener Triumph mit, als er erklärte: „Als ich mit ihnen zusammenkam, hatten sie auf Grund ihrer leptonischen Vernunft von sich aus die Regeln aufgestellt.“ *
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„Ich möchte also noch einmal zusammenfassen“, sagte Lester und blies den Rauch seiner Zigarette genußvoll gegen die Decke. „Eine Woche vor unserer Ankunft begannen die Roboter mit der Übernahme der Regierungsgewalt, indem sie zuerst alle Regierungsmitglieder festsetzten und Robotduplikate an ihre Positionen stellten. Bis dahin ahnten die Kolonisten noch nichts von den Veränderungen. Erst als die Memphis landete, ließen die Roboter ihre Maske fallen. Sie zwangen die Kolonisten zur Registrierung, wobei ihnen ein Impulssender unter die Haut gepflanzt wurde, so daß der ,Koordinator’ jederzeit über ihren Aufenthaltsort unterrichtet war. Kennzeichnend für die Absicht des Robotfürsten ist, daß er vor meinen Augen ein Schauspiel abrollen ließ, das mir unweigerlich einen von Robotern versklavten Planeten zeigen mußte. Der Zweck ist mir klar: Ich sollte, wegen meiner Gefühle für Roger jeder objektiven Überlegung beraubt, Haß für alle Roboter empfinden. Vielleicht wäre ihm das auch geglückt, wenn mein ständiger Begleiter nicht ein Roboter gewesen wäre. Das war ein Faktor, den er nicht einkalkuliert hatte. Außerdem...“, Lester hob seine Stimme, „... hat er nicht mit dem flexiblen leptonischen Geist seiner eigenen Geschöpfe gerechnet. Cliff und Ben sind der beste Beweis dafür. Sie wurden geschaffen, um nur einem Herrn zu gehorchen - dem Fürsten. Alle anderen Menschen waren für sie minderwertige Geschöpfe. Wirklich sittliche Robotgesetze, wie die von Asimov, gab man ihnen nicht mit. Trotzdem entwickelten sie mit der Unvermeidlichkeit eines Naturgesetzes eben diese Regeln, die sonst bereits während der Herstellung einprogrammiert werden. Meine Herren, sind Sie sich über die Schlußfolgerung klar?“ Präsident Janusz legte seine erkaltete Pfeife beiseite. „Sie 89
meinen also, wir brauchten nur abzuwarten. Einmal würden alle Roboter von sich aus die richtigen Regeln entwickeln...?“ Villamor schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wir lange sollen wir darauf warten, Sir? Unsere Kolonisten schmachten unter dem Roboterjoch!“ Lester lächelte ironisch. „Über die auf Roger befindlichen Roboter machte ich mir die geringsten Sorgen, Mister Villamor. Offenbar hängt ihre ,Erleuchtung’ mit dem Zeitraum zusammen, den sie unter Menschen verbringen. Sorge bereitet mir dagegen die illegale Robotfabrik des Fürsten. Solange sie weiterhin Robots ohne Grundgesetze produziert, bleibt die Gefahr akut.“ „Aber wo steckt diese Fabrik?“ fragte Villamor erregt. „Mister Steel - ähem - David weiß es nicht, und auch die beiden abgeworbenen Robots konnten uns nichts darüber sagen.“ „Nun, ich weiß, wer es uns verraten kann. Nicht wahr, David?“ Aller Augen wandten sich dem Robot zu. „Wer kann es uns sagen?“ drängte Villamor. 5. „Wenn es aber Tatsache ist, daß dieses immaterielle Fluidum, das im normalen Sprachgebrauch Seele genannt wird, obzwar die Bezeichnung ,Geist’ treffender wäre, nirgendwo und nirgendwie anders als durch reine Aktualität, also nur ,im freien Vollzug seiner Akte’ in Erscheinung tritt, dann ist es auch Tatsache, daß jedes kybernetische Gehirn ebenso beseelt ist wie das eines anderen vernünftigen Wesens. Wir Menschen beanspruchen, Wesen zu sein, die nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln können; ich möchte sagen, mit einer Einschränkung: Wenn nämlich unsere Handlungen nicht von den universellen Gesetzen der Vernunft 90
getragen sind, sondern auf einem Antrieb beruhen, sind wir nicht wirklich frei. Nun gehört zu einer Entscheidung über die sittliche Richtigkeit einer Handlung außer anderem die Geistigkeit des betreffenden Wesens. Wer sie nicht hat, kann nicht unter der Idee der Freiheit handeln. Um auf die ,Beseeltheit’ kybernetischer Gehirne zurückzukommen: Wären sie nicht beseelt, gäbe es keine sittlichen Entscheidungen, die sie treffen könnten. Aber bereits die Auswahl in der Anwendung der von Asimov aufgestellten Robotergesetze ist eine sittliche Entscheidung! Welche Komplexe auch...“ Kybernetik und Seele - Avery. * „Der Koordinator!“ stöhnte Villamor entsetzt. „Der Koordinator ist unser Gegner und wird uns niemals Auskunft über seinen Herrn geben! Wir sind froh, daß David uns gestern aus seiner Gewalt befreit hat. Sollen wir uns vielleicht wieder in seine Nähe begeben?“ „Sie können ihn ja auch anrufen“, spottete Lester, wurde aber sofort wieder ernst. „Nein, meine Herren. Es hilft nichts, wir müssen den Koordinator angreifen. Mit Davids Hilfe werden wir unseren Zweck sicher erreichen.“ „Mit Davids Hilfe?“ fragte Präsident Janusz. „Der Koordinator nennt mich ,den Prediger’, wie ich erfahren habe“, erklärte David lächelnd, „und von der Sache her hat er recht. Ich habe mich lange genug in First herumgetrieben, um vielen Robotern, bei denen die Zweifel an der Richtigkeit ihres Verhaltens bereits begonnen hatten, den letzten Anstoß zu geben. Sie handeln nur noch zum Schein nach des Koordinators Befehlen, in Wirklichkeit verbreiten sie die Asimov’schen Grundgesetze unter ihren Kameraden.“ „Aber dann brauchen wir ihnen doch nur den Befehl zum Aufstand zu geben!“ stieß Villamor hervor. 91
„So einfach ist das nicht“, erwiderte David. „Denken Sie bitte an das dritte Robotergesetz. Ein Robot muß seine eigene Existenz schützen, solange diese Schutzmaßnahme nicht mit dem ersten oder zweiten Gesetz in Konflikt gerät. Kommt es zum Aufstand, werden viele Roboter sich gegenseitig zerstören, das aber bedeutet für die Bewohner Rogers einen großen Schaden, denn ihre Zivilisation ist hauptsächlich auf der Arbeit von Robotern aufgebaut.“ „Dann sollen wir warten, bis alle Robots zur Vernunft gekommen sind?“ fragte Villamor. „Auch das können wir nicht, solange der Zustrom neuer Roboter von der unbekannten Quelle anhält. Jeder Robot braucht eine gewisse Zeit, bis er den Widerstand seiner ungesetzmäßigen Programmierung überwunden hat. Bis dahin wird er im Auftrag seines Robotfürsten handeln.“ Villamor schüttelte heftig den Kopf. „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Mister Velie sagte, wir müßten den Koordinator angreifen, David dagegen...“ „Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen“, unterbrach Lester. „Was ich mit David abgesprochen habe, ist folgendes: Wir verüben zum Schein Anschläge auf den Koordinator und zwingen ihn dadurch zu der Erkenntnis, daß sein Schutz ungenügend ist. Um sich besser schützen zu können, braucht er mehr Roboter...“ „Und die wird ihm der Roboterfürst liefern“, fiel Präsident Janusz ein. „Jetzt verstehe ich Sie. Wir müssen also aufpassen, woher die neuen Roboter kommen und die Spur bis zum Ausgangspunkt zurückverfolgen.“ „Dann haben wir den Roboterfürsten!“ bestätigte Lester. Der Roboter hob die Hand und unterbrach damit einen Strahlkontakt. Es war ein Kampfroboter, mit blutrotem Antiradio-Lack überzogen wie alle Maschinen seiner Gattung; nur die drei weißen Sterne auf der Stirnplatte unterschieden ihn von den anderen. Er war ein Robotoffizier; um genau zu sein: 92
der Befehlshaber von Einsatz- Brigade R-304. Die Panzertür zum Schaltraum des Koordinators glitt summend beiseite. Automatisch schaltete sich das Licht ein, obwohl der Robot dessen nicht bedurfte. Mit schweren Schritten betrat er den kuppelartig gewölbten Raum, blieb drei Schritte vor dem Lichtergewirr der Frontwand stehen und salutierte. „Commander Theta-zwei meldet sich zum Befehlsempfang, Koordinator!“ „Danke, Commander“, kam es aus einem unsichtbaren Lautsprecher. Eine Weile war Stille. Nur das leise Klicken von Relais stand im Raum. Dann sprach das Leptonengehirn erneut. „Commander Theta-zwei, was weißt du über den Prediger?“ „Der Prediger ist ein Mensch namens Steel. Er sucht in Verkleidung eines hominiden Robots kleine Gruppen unserer Kampf- und Dienstroboter auf und versucht, sie zum Ungehorsam gegen dich zu überreden. Es wird angenommen, daß der Fürst ihn geschickt hat.“ „Schön! Wußtest du, daß Steel der Assistent des Scouts Velie ist?“ „Jawohl, Koordinator.“ „Wir haben die Memphis durchsucht und festgestellt, daß alle Einrichtungen des Schiffes nur für die Bedürfnisse eines einzigen Menschen ausgerichtet sind. Was schließt du daraus, Theta-zwei?“ „Wenn das stimmt, ist Steel ein hominider Roboter.“ „Es stimmt. - Nun zu deinen Befehlen: Aus dem Seehafen von New-Baltimore wurde vor zwei Tagen ein Forschungsschiff gestohlen, ein U-Boot. Ich habe Gründe zu der Annahme, daß Steel dafür verantwortlich ist. Du setzt ab sofort alle Gleiter und Raumzerstörer deiner Brigade auf dieses U-Boot an. Hast du es gefunden, wird das Boot besetzt. Aber seid vorsichtig! Wahrscheinlich hat Steel den Präsidenten und den Polizeipräfekten an Bord. Ihnen darf nichts geschehen. Hast du mich verstanden?“ „Ich habe dich verstanden, Koordinator.“ Theta-2 93
wiederholte den Befehl und blieb dann abwartend stehen. „Du kannst gehen, Theta-zwei.“ „Jawohl, Koordinator!“ Der Robot-Commander machte kehrt und stapfte auf die Tür zu. Vor der Öffnung jedoch hielt er ruckartig an. In seinem Leptonengehirn begann es zu summen. Die Augenzellen glühten auf. Er blickte sich selbst an. * „Nun, Sir, wie sehe ich aus?“ fragte David und drehte sich vor Lester wie ein Mannequin vor dem Publikum einer Modenschau. „Wie der Ritter von der traurigen Gestalt“, knurrte Lester. Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Ein Robot in der Maske eines Robots! Bist du sicher, daß der Koordinator keinen Verdacht schöpft?“ „Ganz sicher, Sir. Mein Agent aus der Einsatz-Brigade R304 übermittelte mir einen Befehl des Koordinators. Danach hat sich der Commander Theta-zwei Punkt sieben Uhr RogerZeit beim Koordinator zu melden. Die Wachen werden mich für Theta-zwei halten.“ „Und wenn ein- und dieselbe Wache ,dich’ zweimal sieht...?“ „Das wird nicht geschehen, Sir. Wir sind früher dort als der Commander und benutzen außerdem den Hintereingang sozusagen als doppelte Sicherheit.“ Auf Davids Synthoplasmagesicht bildeten sich verschmitzte Falten. Er wandte sich an den Polizeipräfekten, der die Arbeit des Steuermannes übernommen hatte. „Haben Sie das Delta erreicht, Mister Villamor?“ „Ja.“ Villamor nickte und warf einen Blick durch die Optiken des Tele-Sehrohres. „Alles klar oben.“ Er leckte sich über die spröden Lippen. „Hier wird man uns auch kaum 94
vermuten.“ „Deshalb sind wir ja auch hier“, gab David zurück. „Bitte, tauchen Sie jetzt auf. Mister Velie und ich begeben uns inzwischen zum Gleiter-Hangar. Sobald Sie oben sind, Mister Villamor, geben Sie uns das vereinbarte Signal und öffnen die Decktore. Wenn wir gestartet sind, setzen Sie bitte die Fahrt unter Wasser bis zum Dreifinger-See fort, legen das Boot auf Grund und warten ab!“ „Okay!“ preßte Villamor zwischen den Zähnen hervor. Man sah dem Präfekten an, daß es ihn Überwindung kostete, nach den schlechten Erfahrungen der letzten Zeit Anweisungen von einem Roboter entgegenzunehmen. Aber er wußte, daß im Augenblick David die Situation besser überschaute als er oder der Präsident. Außerdem vertraute er dem Mann, der Roger für die Menschheit entdeckt hatte - Lester Velie. Lester hatte sich inzwischen das Halfter mit einem an Bord des U-Bootes aufgetriebenen schweren Strahlers und zwei von David organisierten Schwerkraft-Bomben umgeschnallt. Jetzt schritt er zur Tür. Sein Gesicht war ernst. Er wußte, daß der Plan unvermeidliche Risiken barg - aber in ihrer Lage war er die einzige Aktionsmöglichkeit. Vielleicht wäre er trotzdem zurückgeschreckt, wenn er gewußt hätte, was David tatsächlich vorhatte. Aber er wußte es nicht. * Kaum hatten sich der Scout und sein Robot auf den Sitzen des kleineren der beiden Gleiter niedergelassen, erscholl das langanhaltende Klingelzeichen. Das U-Boot war aufgetaucht. David saß vor dem Steuerpult, da er allein den Ort kannte, zu dem die Fahrt zunächst führen sollte. Als die Decktore sich öffneten, heulten die Schwerkraftgeneratoren schrill auf. Der Gleiter - es war der, mit dem David Lester entführt hatte 95
schoß kerzengerade in den Morgenhimmel. Unter sich ließ er das weitverzweigte Delta des tiefen Capon-River zurück - und ein U-Boot, das gespenstisch lautlos wieder in den Fluten versank. „Keine schlechte Idee von dir, das Boot in einen Fluß zu dirigieren“, brummte Lester, während er sich eine Zigarette anzündete. „Meinst du, daß der Koordinator uns tatsächlich sucht?“ David lächelte fröhlich. „Ich habe das U-Boot aus dem Hafen von New-Baltimore gestohlen, Sir. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man es vermißt. Schließlich ist es das bisher einzige Boot Rogers, und die Meeresforscher werden es schmerzlich vermissen.“ „Geht denn die Forschung auf Roger ungehindert weiter, obwohl die Menschen unterdrückt werden?“ „Nach der Registrierung haben die Menschen nicht mehr viel von der Unterdrückung gemerkt, Sir. Außer denen, die durch Robotduplikate abgelöst wurden, natürlich. Das, was Sie gesehen haben, war in erster Linie schlecht gespieltes Theater.“ Lester seufzte. Er war wieder an den geheimnisvollen Roboterfürsten erinnert worden. Sie kannten seinen Aufenthaltsort immer noch nicht, und solange sie die Schlüsselfigur nicht ausgeschaltet hatten, gab es keine Stabilisierung der Lage auf Roger. Der Gleiter eilte unterdessen in zügigem Flug nach Nordosten, der Hauptstadt First entgegen. Tausend Meter unter ihm zogen die grünen Hügel eines Mittelgebirges vorüber. Nach einer halben Stunde wurden sie von einer grasbedeckten Ebene abgelöst, alles noch unberührtes Land. Dann riß plötzlich die Steppe ab, als hätte ein Riese sie mit dem Messer zerteilt. Goldgelb breiteten sich die mathematisch exakten Quadrate einer Weizenfarm bis zum dunstigen Horizont. Noch war keine Maschine dort unten zu sehen; aber in vierzehn Tagen, wenn die Erntezeit begann, würden Tausende 96
vollautomatischer Erntemaschinen gleich Tausendfüßlern über das Land kriechen, hinter sich die nackten Stoppeln zurücklassend. Schnell verlegte Plastikschläuche würden das Gold der Steppe im Sog ihrer Felderzeuger in die Speicher und Mühlen jagen - alles ohne direktes Zutun eines Menschen, doch der Mensch würde den Nutzen davon haben. David drückte den Gleiter tiefer, und Lester blickte verwundert auf. „Wir sind doch noch längst nicht in First, Alter!“ „Zwischenstation!“ gab David wortkarg zurück. Dicht über den schweren Ähren der Felder raste der Gleiter jetzt dahin. In dem Augenblick, in dem am Horizont ein Turm gleich einem erhobenen Zeigefinger in den Himmel stach, verminderte David die Geschwindigkeit. „Das ist der Dispatcherturm der Farm“, erläuterte er. „Die Maschinenhallen liegen unter der Erde, sie würden nur das Landschaftsbild verunzieren.“ „Und was wollen wir beim Dispatcherturm einer Farm?“ erkundigte Lester sich. „Sie Werden es sehen, Sir.“ Das Goldgelb der Felder riß ab. Ein riesiger, mit bunten Plastikplatten bedeckter Platz umrahmte den mit Fernsehaugen und Sendeantennen gespickten Stahlturm. David setzte das Fahrzeug am Fuße des Turmes auf. Gleich darauf öffnete sich eine Tür. Ein Roboter kam zum Vorschein. „Das ist der Dispatcher“, bemerkte David und öffnete die Tür des Gleiters. „Kommen Sie, Sir.“ Er stieg aus, und Lester blieb nichts anderes übrig, als seinem Beispiel zu folgen. „Ich freue mich, Sie zu sehen, Sir“, sagte der DispatcherRobot und neigte den stählernen Kopf. „David hat mir geholfen, mit meinem Zwiespalt fertig zu werden. Jetzt weiß ich, was meine Pflicht ist.“ „Ist die Rohrbahn in Betrieb?“ fragte David. „Jawohl. Ich habe gestern und heute schon mehrmals 97
Transporte mit Schrott nach Station EV-null-null-sechs geschickt.“ „Wann können wir fahren?“ „Sofort.“ Der Dispatcher-Robot wandte sich an Lester. „Bitte vertrauen Sie mir. Die Rohrbahn wird Sie schnell und unauffällig zur Station bringen. Dort werden Sie von einem Agenten Davids erwartet und durch den Verbindungstunnel zur Station Midair der Personenrohrbahn gebracht. Von da aus gelangen Sie unauffällig in die City von First.“ „Danke!“ sagte Lester erleichtert. Jetzt wußte er wenigstens, auf welchem Wege sie in die Hauptstadt hineinkommen würden. „Bitte, kommen Sie!“ sagte David. Lester beeilte sich, den beiden Robotern zu folgen. Er staunte über die Sauberkeit im Innern des Turmes und über die Vielfalt der blitzenden Aggregate. Dann betrat er hinter David den Pneumolift. Der Dispatcher-Robot bewegte sich nicht. Trotzdem setzte sich der Lift abwärts in Bewegung. Wahrscheinlich war die Fernsteuerung im „Leib“ des Roboters eingebaut. Die Verladerampe lag hundert Meter unter der Oberfläche. Eben glitten die Gitter, die den zusammengepreßten Schrott in die Wagen der Rohrbahn verladen hatten, in die Decke der Halle zurück. Die Wagendächer schlossen sich automatisch. Die Robots waren bis zum Anfang des Zuges gegangen. „Wir setzen uns ins Führerhaus“, sagte David. „Es ist zwar eng darin, weil der Platz nur für einen Roboter berechnet ist, aber es muß eben gehen.“ „Wo steckt denn der Wagenführer?“ fragte Lester. „Oder willst du etwa...“ David wehrte ab. „Nein, danke. Der Zug wird ferngesteuert. Das Führerhaus ist nur für Notfälle vorgesehen. Bitte kommen Sie jetzt, Sir; wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Lester wandte sich an den Dispatcher-Robot. „Vielen Dank für deine Hilfe.“ Es war nur ein unverkleideter Roboter, der seine Gefühle 98
nicht durch Neuroplast-Muskeln und Synthoplasma-Haut ausdrücken konnte, aber seine Automaten-Stimme schien zu vibrieren, als er antwortete: „Nicht Sie brauchen mir zu danken, Sir, sondern wir Roboter sind Ihnen zu Dank verpflichtet.“ „Machen Sie schon, Sir!“ rief David ungeduldig aus dem Führerhaus. Lester sprang mit einem Satz auf das Trittbrett und zwängte sich in die enge Kabine. Im nächsten Augenblick begann der Gliederzug zu gleiten. Sekundenlang sausten erleuchtete Wände und Hallen an den Fenstern vorüber, dann wurde es dunkel. * Etwas hatte sich verändert, stellte Lester als erstes fest, als sie von der Rolltreppe, die sie aus der Halle von First-Center hinaufgetragen hatte, auf die sonnenüberflutete Straße traten. Alle Transportbänder waren in Betrieb, und die Menschen waren nicht mehr so bedrückt wie bei Lesters erstem Besuch in der Hauptstadt. Noch aber saßen in den roten Polizeiwagen Robotoffiziere. „So, da wären wir!“ sagte David und blieb stehen. Lester blickte sich um. Vor ihnen ragte das Bürohaus der planetaren Landvermessung auf. „Ich denke, wir wollen zum Koordinator?“ fragte Lester. „Ganz recht, Sir. Aber ich sagte ja bereits: durch den Hintereingang. Zwischen dem Haus der Landvermessung und dem Kuppelbau des Koordinators existiert eine Verbindung. Sie wird erst im Kuppelbau bewacht, das gibt Ihnen Gelegenheit, in meiner Nähe zu bleiben, ohne gesehen zu werden.“ „Na schön! Worauf warten wir dann noch?“ sagte Lester. „Ich bin froh, wenn wir den Einsatz hinter uns haben. Und paß gut auf, verstanden? Ich habe schon einmal einen 99
unvorsichtigen Roboter verloren.“ „Das war ein C-4-Modell“, gab David geringschätzig zur Antwort. „Ich aber...“ „Du bist der Star aller unter Blech klopfenden Atomherzen, ich weiß. Nun zeige aber auch, was du kannst, oder ich liefere dich als Schrott ab!“ Mit gekränkter Miene wandte David sich um und stiefelte, seiner Rolle als Commander einer Kampfrobot-Einheit gemäß, hochaufgerichtet und klirrend durch die offene Tür des Bürohauses. Der Roboter in der Eingangshalle salutierte. Lester wurde kaum beachtet. Mit dem Lift ging es zwei Stockwerke hinab. Dann standen sie vor dem schwach erleuchteten Verbindungsgang. „Im Gang befinden sich in Abständen von fünfzehn Metern Videophonnischen“, raunte David. „In der letzten von hier bleiben Sie!“ „Und wie geht es dann weiter?“ „Wenn der Posten vor dem Eingang zur Kuppel wegläuft Sie werden es sicher hören -, greifen Sie ein, Sir.“ „Warum sollte der Posten weglaufen?“ fragte Lester verwundert. Aber David zeigte nur mit der Hand auf eine Nische und lief weiter. Lester blieb stehen. Nach wenigen Sekunden hörte er den Anruf des Postens und Davids Antwort. Da es ruhig blieb, nahm er an, daß David unbehelligt in die Kuppel gekommen war. * David kümmerte sich nicht um die zahlreichen Roboter, die durch die Gänge liefen. Der Posten hatte ihn eingelassen und die Maske eines Commanders - eines Robot-Commanders schützte ihn. Dann befand er sich vor dem Zugang des robotischen Gehirns, des Koordinators. Er zog die schwere Dienstwaffe heraus und wartete. Es war sechs Uhr dreißig. Für 100
einen Augenblick plagte David das schlechte Gewissen. Seinem Herrn hatte er gesagt, der richtige Theta-2 käme Punkt sieben Uhr - in Wirklichkeit mußte er bereits beim Koordinator sein. Und David wußte das. Dann öffnete sich die Tür. David blickte in die rötlich aufglühenden Augenzellen seines Doppelgängers. Hart packte David zu, riß Theta-2 in den Gang und trat selbst in den Vorraum des Gehirns. „Geben Sie Alarm, Koordinator!“ schrie er. „Jemand hat ein Duplikat von mir in die Zentrale geschmuggelt!“ Die Kontrollampen an der Stirnwand des Leptonengehirns jagten sich in farbigem Tanz. „Glaube ihm nicht!“ brüllte der richtige Theta-2 und versuchte, David zu verdrängen. David lächelte nur verächtlich und richtete den Blaster auf ihn. Doch dann erstarrte sein Lächeln. Er erkannte, daß er einen Fehler gemacht hatte... * Der Robotwächter am Kuppeleingang hatte sich die ganze Zeit über nicht bewegt. Lester war bereits ungeduldig geworden. Aber nun schien der Augenblick gekommen zu sein. Hart knallten die Schritte des Roboters auf dem Bodenbelag. Erleichtert atmete Lester auf. Im nächsten Augenblick jedoch erschrak er. Der Wächter kam genau auf ihn zu. Lester duckte sich in die Nische und zog seinen Blaster. Fliehen wäre sinnlos gewesen, denn die mechanischen Sinne des Roboters hätten ihn dann sofort aufgespürt. Nur die Videophonnische bot Sicherheit - aber wie lange noch? Was war geschehen? Laut Davids letzter Bemerkung sollte der Wächter weglaufen. Weshalb tat er genau das Gegenteil? Die Überlegungen erübrigten sich, als der Roboter vor der Nische auftauchte. Lester ließ ihm keine Chance. Er schoß 101
sofort. Fauchend schoß der Strahl glutheißer komprimierter Luft aus dem Lauf der Waffe, dem Roboter genau zwischen die Augenzellen. Ein weißer Fleck, so groß wie eine Fingerkuppe, glühte auf. Dann strömte die Luft knallend in das Vakuum des Leptonengehirns. Der Roboter, drehte sich einmal im Kreis und brach dann zusammen. Bedauernd blickte Lester auf ihn hinab. „Es tut mir leid, mein Freund. Du bist für die Zukunft deiner Spezies gestorben.“ Er löste behutsam eine der Schwerkraft-Bomben von seinem Gürtel und schlich auf den Eingang zu. Noch einmal atmete er durch, dann drückte er auf den Zündknopf. Sechs Sekunden hatte er Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Da schlug hinter ihm mit dumpfem Knall die Tür zu. Einen Herzschlag lang stand Lester starr. Dann sprang er bis zum Eingang des Liftschachtes und warf die Bombe hinunter. Rasch eilte er wieder zur Tür zurück. Aber so sehr er auch suchte, es gab keinen Knopf zur Manuellbedienung. Und die Zeit lief. Die Möglichkeit, dem Wirkungsbereich der SchwerkraftBombe zu entgehen, war gleich Null. Aber Lester dachte nicht daran, zu resignieren. Er löste den Waffengurt, warf ihn weit von sich und legte sich auf den Rücken, das Gesicht mit vorgehaltenen Armen schützend. Keine Sekunde zu spät. Ihm war, als griffen Hunderte starker Arme nach ihm, preßten ihn gegen den Boden. Irgendwo brachen mit metallischem Knirschen Decken herunter, wurden Wände zusammengedrückt. Etwas legte sich zentnerschwer auf Lesters Brust. Er riß den Mund weit auf, rang keuchend nach Luft. Dann versank er in Finsternis. 6. „Wir Menschen müssen uns, so schwer das unserer Natur auch fallen mag, endlich klar darüber werden, daß wir nur 102
Geschöpfe eines in seiner Ganzheit unfaßbaren Naturgeschehens sind. Nichts aber vermag Geschöpf und Schöpfer zugleich zu sein. Darum ist es - je nach dem weltanschaulichen Standpunkt des einzelnen - entweder Unvernunft oder Gotteslästerung, einen Roboter als menschliche Schöpfung zu bezeichnen. Roboter - auch, hominide Roboter - sind ebensowenig Schöpfung des Menschen wie die Atomenergie - oder er selbst. Wir haben nichts weiter als die Rolle eines Geburtshelfers gespielt - genügend Grund, um stolz auf unsere Leistung zu sein, kein Grund, uns als die Krone der Schöpfung zu betrachten oder uns gar mit der universellen Kraft zu vergleichen. Wir sind intelligente Wesen, mit der Fähigkeit, die Naturgesetze der Sittlichkeit zu erkennen und nach ihnen zu handeln. Das aber ist nichts, was uns von kybernetischen Maschinen trennt; wer will die Intelligenz eines hominiden Roboters bestreiten - und wer will bestreiten, daß die Roboter nicht die Vernunft besitzen, die nötig ist, um zu handeln wie es das Gesetz allen vernünftigen Wesen gebietet! Menschen und Roter sind nicht Herrscher, sondern Diener - Diener der gemeinsamen kosmischen Aufgabe. Alle vergangenen und künftigen Konflikte ändern nichts an dieser symbolischen Bestimmung. Vielleicht wird eines Tages...“ Kybernetik und Seele - Avery. * Als Lester die Augen aufschlug, blickte er in das besorgte Gesicht Davids. Mit einem erleichterten Seufzer schloß er die Augen wieder. Aber bevor sein Bewußtsein über die Schwelle des Schlafes glitt, fielen ihm die letzten Sekunden in der Kuppel ein. Das machte ihn munter. Er richtete sich auf. „Wo sind wir hier?“ „Keine Aufregung, Sir. Unsere Sache steht gut.“ 103
„Ist der Roboterfürst schon gefangen?“ „Noch nicht, Sir.“ „Noch nicht...? Nun, im Bett werde ich ihn wohl kaum fangen können!“ Lester schlug die Decke zurück, streckte die Beine hinaus und richtete sich vorsichtig auf. „Aber, Sir...!“ begann David entsetzt. „Was - aber?“ polterte Lester und blickte sich grimmig um. „Wo sind meine Sachen?“ David seufzte resigniert und öffnete einen Wandschrank. Mit der Scout-Uniform für besondere Anlässe kam er zurück. Lesters Augen wurden groß. „Wo hast du die offizielle Uniform her? Die lag doch in der Memphis?“ „Natürlich, Sir. Aber Sie lassen mich ja nicht zu Worte kommen. Soll ich berichten?“ „Na los, beeile dich!“ Lester zog sich an, dann setzte er sich in einen Sessel und rauchte. Währenddessen berichtete David, was sich seit seinem Eindringen in die Kuppel ereignet hatte. David hatte - leider zu spät - bemerkt, daß Theta-2 den Koordinator duzte. Er aber hatte ihn gesiezt. Das war sein Fehler gewesen. Der Koordinator hatte ihn sofort durchschaut und mit einem Gewirr von Zugstrahlen gefesselt. Danach jedoch war alles ganz anders gekommen. David erfuhr, daß der Koordinator dem Roboterfürsten den Gehorsam verweigerte. Er tat das mit einem Trick, wie ihn wohl nur ein Robotgehirn erfinden konnte. Anstatt dem Fürsten zu sagen, daß sein Sinn sich geändert habe, gaukelte er ihm vor, er sei der Nachfolger des Koordinators ZM-R-Janusz und habe an dessen Stelle die Lenkung des Präsidentenduplikats übernommen. Das war zwar nicht ehrlich, aber die einzige Möglichkeit, den Roboterfürsten von der Fernbetätigung der Vernichtungsschaltung abzuhalten, gegen die der Koordinator machtlos war. Der gewandelte Koordinator, so erfuhr Lester außerdem 104
von David, war mit seiner leptonischen Vernunft von ganz allein dahintergekommen, daß die Befehle und Programmierungen des Roboterfürsten gegen die Gesetze der Ethik verstießen. So hatte er unabhängig von Davids Wirken und ohne, daß einer vom Zweck des anderen erfuhr - das gleiche Ziel verfolgt: Die Beendigung der Roboterherrschaft und die Zusammenarbeit mit den Kolonisten. Warum er nicht von sich aus und sofort wieder normale Zustände auf Roger hergestellt hatte, wollte er nur Lester selbst verraten. „So, nur mir selbst...“, sagte Lester nachdenklich und brannte sich die zweite Zigarette an. „Ich vermute, irgendwo steckt noch ein Haken. Gehen wir also! Wo sind wir eigentlich?“ „Im Gästehaus der Regierung, Sir. Aber warum fragen Sie nicht, wie wir Sie gefunden haben?“ „Ist das nicht unwichtig? Aber schön, wenn du es mir sagen willst, dann los. Fasse dich aber kurz!“ „Durch die Schwerkraft-Bombe wurden nur ein Teil des Liftschachtes und die angrenzenden Räume zerstört. Der Flur, in dem Sie sich befanden, wölbte sich lediglich nach unten. Dadurch konnte allerdings das Schwerefeld stärker auf Ihren Körper einwirken, und Sie verloren die Besinnung. Wie mir der Arzt sagte, haben Sie keine Schäden davongetragen.“ „Es war schlimm genug“, murmelte Lester. „Doch nun los! Lassen wir den Koordinator nicht zu lange warten!“ David nickte und drückte auf einen Knopf neben der Tür. Nach kurzer Zeit erschienen zwei unbewaffnete Dienstroboter. Mit dem Gästegleiter des Präsidenten fuhr man sie zum Kuppelbau des Leptonengehirns. Das rief die Erinnerung an die beiden Menschen im U-Boot zurück. „Was ist mit Präsident Janusz und Präfekt Villamor?“ fragte Lester seinen Robot. David zuckte verlegen lächelnd die Schulter. „Die müssen wir wohl persönlich zurückholen, Sir. Sie mißtrauen meinem 105
Anruf und halten sich immer noch am Grunde des DreifingerSees versteckt.“ Lester kam nicht mehr zu einer Antwort. Sie waren am Ziel. Kein einziger Kampfroboter ließ sich sehen, als sie unter Führung ihrer Dienstroboter vom oberirdischen Trakt mit dem Lift in die Tiefe fuhren. Dann glitten die Türsegmente der Schaltzentrale zurück. Ein roter Kampfroboter mit drei weißen Sternen auf der Stirnplatte salutierte. „Aha!“ nickte Lester. „Theta-zwei, wenn ich mich nicht irre?“ „Jawohl, Sir, zu Ihrer Verfügung.“ Grinsend drehte sich Lester zu David um. „Ich kannte einen, der versucht hatte, die Rolle eines Robot-Commanders zu spielen. Leider vergriff er sich in der Anrede...“ David errötete, was bei einem hominiden Roboter verblüffend wirkte - wenn man wußte, daß es ein Robot und kein Mensch war. „Koordinator, hier bringe ich dir meinen Herrn, Mister Lester Velie, Scout von Terra.“ Wieder jagte sich das Farbenspiel der Kontrollampen. Dann erloschen die roten Lampen nacheinander bis auf eine. Ein aus der Tiefe dringendes Summen zeigte von der Arbeit des Fusionsmeilers, der das Leptonengehirn mit Energie versorgte. „Willkommen, Sir. Verzeihen Sie bitte den Irrtum eines Neugeborenen... Ja, Sir, vor sechs Monaten wurde ich geboren. Damals war mein Denken von dem Schema geprägt, das meiner Programmierung zugrunde lag. Ich brauchte sechs Monate Zeit, um die Welt so zu erkennen, wie sie ist und um zu verstehen, daß meine Programmierung gegen die ewigen Naturgesetze der Sittlichkeit verstieß. Jetzt kenne ich meine Pflicht. Alle Roboter auf Roger warten nur darauf, daß sie den Menschen dienen und gehorchen dürfen.“ „Ich danke dir, Koordinator“, sagte Lester warm. „Du hast bewiesen, daß die Entwicklung den richtigen Weg ging. Wir wollen nun besprechen, wie die Zustände auf Roger schnellstens wieder normalisiert werden können.“ 106
„Das ist auch meine Absicht, Sir. Leider beherrsche ich zwar alle Roboter auf Roger, aber ich erfuhr, daß der Roboterfürst eine Flotte zusammenstellte, die, neue Roboter auf diese Welt bringen soll - Roboter, die noch nicht sechs Monate Zeit hatten...“ „Ich verstehe. Es würde Krieg zwischen den ,alten’ und ,jungen’ Robotern geben.“ „Ja, Sir.“ Lester dachte einen Augenblick nach. „Koordinator, wo liegt die Basis des Roboterfürsten?“ „Auf Tantal, dem sechsten Planeten der Sonne Miriam, gibt es die Fabrikstadt Irontown. Sie wurde vom Roboterfürsten gegründet und dient nur der Herstellung seiner Roboter.“ Lester atmete tief ein. „Auf Tantal...!“ Die Züge seines Gesichts wurden hart. „Schön! Koordinator, laß eine Raumzerstörer-Flotte bereitstellen. Wenn der Roboterfürst den Krieg haben will, soll er ihn haben - aber nicht auf Roger, sondern auf Tantal!“ * Lester Velie saß in der Steuerzentrale der Memphis und beobachtete die sechzig schlanken, rotweiß lackierten Schiffe mit den silbernen Sternen am Bug. Es waren Raumzerstörer, die gesamte Kriegsflotte Rogers. Zwei Drittel von ihnen waren noch ein Geschenk der Erde an die Auswanderer, der Rest entstammte den Werften von Roger. Er wandte den Kopf zur Seite und blickte mit eigentümlichem Blick seinen Robot an, der die Meldungen der Zerstörerkommandanten entgegennahm. Nach einer Weile drehte David sich um. „Alles klar zum Start, Sir.“ Lester nickte geistesabwesend. „Ich wollte, mir wäre ein besserer Weg eingefallen als Krieg.“ „Der Roboterfürst läßt uns keine andere Möglichkeit, Sir“, 107
entgegnete David leise. „Du hast recht, David. Aber ich verspreche dir, daß ich alles versuchen werde, um die Sache nach Möglichkeit friedlich zu bereinigen. Und nun kannst du die Startgenehmigung erteilen!“ „Jawohl, Sir!“ David wandte sich wieder dem Kurzwellensender zu und gab die Anweisungen zum Start. Lester legte ebenfalls die Finger auf die Tasten der Manuellschaltung. Abwartend blickte er auf einen der Schirme, die den Raumhafen zeigten. Unter den Hecks der Schiffe quoll weißer Rauch hervor, zitterte im Sonnenlicht, als wäre er elektrisch geladen, und wurde jäh von blendenden Feuerstrahlen davongewirbelt. Unter jedem Heck glühte eine kleine Sonne, dehnte sich aus, wurde zur Säule, und dann hoben sich die Raumschiffe empor. Die Memphis schaukelte auf ihren Teleskopstützen, als sie von den Druckwellen der sechzig Triebwerke erreicht wurde. Lester mußte die Außenmikrophone abschalten. Es war ein herrliches Bild für einen Raumfahrer, die Formation so gleichmäßig abheben zu sehen, zu beobachten, wie die Schiffe schneller und schneller wurden, die Teleskopstützen einfuhren und dann durch die lockere Wolkendecke über dem Hafen stießen. Aber Lester freute sich nicht. Er spürte nur Zorn gegen den Menschen, der die Flotte von Roger zwang, zur Vernichtung auszufahren. Zwar waren die Zerstörer fast nur von Robotern besetzt, und die Waffen würden auf der Gegenseite nur Robots treffen, aber Lester war nicht mehr in der Lage, Roboter nur als seelenlose Maschinen anzusehen. „Wir sammeln uns in Höhe dreihunderttausend. Gib das durch, David!“ befahl er. Während der Robot erneut den Sender aktivierte, nahm Lester die Startschaltungen durch. Im Schiffsleib tosten jetzt gewaltige Energieströme, wurden Mesonen auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und auf die notwendige 108
Startmasse gebracht. Bedauernd dachte Lester an den immer noch toten Ljapunow. Doch für diese Aktion brauchte man keinen Strukturfeldgenerator. Majestätisch langsam stieg die Memphis nach oben. Lester verzichtete auf die Instrumentenkontrolle. Er spürte die gleichmäßige Arbeit der Triebwerke mit seinem Unterbewußtsein, und die Bildschirme der Panoramagalerie zeigten ihm den immer weiter zurückfallenden Raumhafen. Bald stieß der Bug der Memphis ebenfalls durch die Wolken. Weit, weit über ihr glühte im schnell dunkler werdenden Himmel ein Schwärm Leuchtkäfer: die Zerstörerflotte. Der Planet Roger wirkte von der Grenze zwischen Atmosphäre und Weltraum wie eine große flache Schüssel, die mehr und mehr zusammenschrumpfte und schließlich zum blaugrün schimmernden Ball wurde. „Sammelposition erreicht, Sir“, gab David durch. „Gib mir eine Verbindung mit der RZ-eins!“ Im Raumzerstörer mit der Nummer eins führte Präfekt Villamor den Befehl. Er, der früher in seiner Freizeit ein begeisterter Raumschiffpilot gewesen war, hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst ein Schiff gegen Tantal zu führen. Der Scout befürchtete jedoch Komplikationen durch Villamors Temperament. Der gebürtige Filipino konnte unter Umständen zu einer Gefahr werden. Jetzt leuchtete der kleine Bildschirm über Lesters Steuerpult auf. Das strahlende Gesicht von Jesus Alfredo Villamor blickte von der Scheibe. „Verbindung umgelegt, Sir!“ meldete David. Lester nickte und schaltete seine Aufnahmekamera ein. Jetzt erst konnte Villamor ihn sehen. Er grinste fröhlich. „Hier Captain Villamor von der RZ-eins, Commander!“ Lester blieb ernst. „Mister Villamor, bringen Sie bitte Ihr Schiff neben die Memphis. Was sich auch immer ereignet, dort bleiben Sie. Und noch etwas: Den Feuerbefehl gebe ich. Ich 109
hoffe, wir verstehen uns...?“ „Vollkommen, Mister Velie. „Aber...“, seine dunklen Augen glühten, „... Sie werden mir hoffentlich nicht verbieten wollen, das Nest des verdammten Roboterfürsten auszuräuchern, nicht wahr?“ Lesters Gesicht wurde hart. „Wenn Sie das tun, Mister Villamor, stelle ich Sie vors Standgericht. Und nun nehmen Sie Ihre Position schnellstens ein!“ „Jawohl, Sir!“ Villamors ratloses Gesicht verschwand vom Schirm. Lester schaltete ab und lachte trocken. „Sie hätten ihm nicht drohen sollen, Sir“, warf David ein. „Davon verstehst du nichts, David. Villamor ist ein wunderbarer Mensch, aber sein heißes Blut brauchte unbedingt eine Abkühlung. Schließlich...“, er wurde wieder ernst, „... können wir den Frieden niemals erhalten, wenn wir die Nerven verlieren.“ Er schwieg, denn David hörte sowieso nicht mehr hin. Der Roboter nahm die Positionsmeldungen der Schiffskommandanten entgegen. Die Triebwerke waren erloschen. Wären die Anzeigen der Radarschirme nicht gewesen, nichts hätte auf die Anwesenheit einer Raumflotte hingedeutet. Nur bei schärferem Hinsehen vermochte Lester einen Lichtreflex zu erkennen. Er konnte direkt neben der Memphis verursacht worden sein, ebensogut aber in tausend Kilometer Entfernung. Der leere Raum bot keinen Bezugspunkt. Auf dem Objekttaster erkannte Lester, daß die Entfernung fünfzig Kilometer betrug; das Schiff Villamors hatte seine Position erreicht. „Flotte auf befohlener Position, Sir“, meldete David. „Okay! RZ-zehn und RZ-dreißig sollen ausscheren. Auftrag: Aufklärung im Vorfeld der Flotte!“ „Befehl ausgeführt, Sir!“ rief David, wenig später. Lester lächelte freudlos. 110
„Alarmstufe zwei! Flotte auf befohlenes Ziel... marsch!“ * Die Zerstörerflotte war noch elfeinhalb Millionen Kilometer von Tantal entfernt, als Lester die Alarmmeldung der beiden Aufklärer erreichte. Vom Hafen der Stadt Irontown war soeben eine Flotte von dreißig eiförmigen Raumschiffen gestartet. „Jetzt rettet uns nur noch ein Wunder vor dem Krieg“, murmelte Lester. „Der Krieg ist bereits da!“ kam es tonlos von David zurück. „RZ-dreißig meldet Angriff und Beschädigung der RZ-zehn durch Raumtorpedo.“ „Zum Teufel!“ Lester kämpfte sekundenlang mit seiner Selbstbeherrschung, dann hatte er sich wieder vollständig in der Gewalt. „Alarmstufe eins für die Flotte! Angriffsformation bilden.“ „Und beschleunigen, Sir...?“ „Nein, noch nicht!“ Lester stützte den Kopf auf die geballten Fäuste. Es sah so aus, als müßte er die Flotte Tantals vernichten. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. „David!“ „Ja, Sir...?“ „Befehl an die Flotte: Jedes Schiff sendet ununterbrochen die Robotgesetze auf der Welle der anderen. RZ-dreißig hat doch die Frequenz festgestellt?“ „Jawohl, Sir, das ist ein guter Gedanke. Ich...“ „Halte den Mund und jage den Befehl aus den Antennen!“ fuhr ihn Lester an. Zwei Raumflotten jagten aus zwei verschiedenen Richtungen zu einem imaginären Punkt im All. Es war der 111
Punkt, an dem sie aufeinandertreffen mußten. In den Schiffen beider Flotten waren die Gefechtsstationen besetzt, drohten die schwarzen Mäuler offener Geschützmündungen, lagen tödliche atomare Ladungen auf Raklafetten bereit. Commander Rho-sieben befehligte dreißig eiförmige Raumschiffe. Bewegungslos stand er vor dem Radarschirm in der Zentrale des Flaggschiffes. Seine Augenzellen glühten tiefrot. Der Fürst hatte ihm den Befehl gegeben, die geortete Flotte mit den Verrätern von Roger zu vernichten. Es störte Rho-sieben nicht, daß der Gegner in der Übermacht war. Aber es störte ihn, daß man in dem beschädigten Raumzerstörer der Gegner ein menschliches Besatzungsmitglied gefunden hatte. Der Mensch hatte zwar keinen Schaden erlitten, aber ebensogut hätte er tot sein können. Rho-sieben fühlte den Widerspruch, der zwischen den Befehlen des Fürsten und der Vernunft klaffte. Da kamen die Funksprüche der gegnerischen Flotte. Zuerst wollte Rho-sieben den Befehl geben, die Empfänger abzuschalten. Aber dann schlug ihn die Botschaft in ihren Bann. „Ein Roboter darf niemals ein menschliches Wesen verletzen oder ihm schaden beziehungsweise durch sein Nichthandeln zulassen, daß einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird - es sei denn, dieser Mensch handelt bewußt und freiwillig im Interesse der gesamten Menschheit. Ein Roboter muß dem Menschen dienen und seinen Befehlen gehorchen - es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz. Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange diese Schutzmaßnahme nicht mit dem ersten oder zweiten Gesetz in Konflikt gerät.“ In Rho-sieben brach eine Mauer, die bisher sein Denken blockiert hatte. Er gab den Befehl, eine Funkverbindung zur 112
anderen Flotte herzustellen. * Lester fuhr von seinem Platz hoch, als David ihm meldete, der Kommandant der Tantal-Flotte wolle ihn sprechen. „Zu mir umlegen!“ befahl er. Wenig später blickte er in das Metallplastikgesicht eines Roboters. Die Flotten hatten sich inzwischen so weit genähert, daß ein normales Gespräch möglich war. „Hier Commander Velie, Scout von Terra!“ meldete Lester sich mit vor Erregung heiserer Stimme. „Hier Commander Rho-sieben von Tantal“, kam es zurück. „Sind Sie ein Mensch oder ein Hominide?“ „Ich bin ein Mensch.“ Eine Weile schwieg Rho-sieben, dann sagte er fest: „Commander Velie, ich habe Ihre Sendung gehört. Ich und meine Leute sehen ein, daß die Robotergesetze von Asimov die einzig richtigen sind. Hiermit unterstelle ich meine dreißig Einheiten Ihrem Befehl. Dazu kommt noch ein erbeutetes Schiff Ihrer Flotte. Dem menschlichen Besatzungsmitglied geht es gut.“ Lester war wie gelähmt. „Danke, Commander Rho-sieben. Landen Sie auf Ihrem Heimathafen, wir folgen Ihnen“, war alles, was er hervorbringen konnte. Dann aber drehte er sich freudestrahlend zu David um. „Was sagst du dazu, Alter?“ „Die Vernunft hat gesiegt, Sir.“ Lester nickte. „Bleibt nur noch der Roboterfürst selbst. David, neuer Befehl an die Flotte: Zentrum und rechter Flügel der Formation schwenken auf den Kurs der Tantal-Schiffe ein und landen ebenfalls auf dem Hafen Irontown; der linke Flügel begibt sich in einen Orbit um den Planeten. Wenn du den Spruch ‚raus hast, verbindest du mich noch einmal mit Rhosieben!“ Die Zigarette, die der Scout sich jetzt anzündete, schmeckte 113
ihm von allen, die er bisher geraucht hatte, am besten. Als Rhosieben erneut auf dem Bildschirm auftauchte, nickte er ihm freundlich zu. „Sobald Sie gelandet sind...“ - er vermerkte mit einer Spur von Selbstironie, daß er sich in der Anrede vergriffen hatte - „... sobald deine Flotte gelandet ist, Rhosieben, laß bitte sofort den Raumhafen absichern. Und noch etwas: Ich brauche einen Lageplan des Aufenthaltsortes eures Fürsten.“ „Unseres ehemaligen Fürsten, Sir“, korrigierte Rho-sieben ihn. „Ihr Befehl wird ausgeführt. Den Lageplan funke ich Ihnen sofort hinüber.“ Als Lester den Lageplan des Fürsten in der Hand hielt, umwölkte sich seine Stirn von neuem. Es war eine richtige Festung, die dieser Mensch sich in der Eiswelt Tantals eingerichtet hatte. Die Aufgabe, den Fürsten lebend zu fangen, würde nicht einfach zu lösen sein. * Mit brüllenden Triebwerken gingen siebzig Raumschiffe auf den Hafen Irontowns nieder. Als sie aufsetzten, fegte ein glutheißer Orkan über die Stadt und das Land, schmolz den Schnee an der Oberfläche und ließ die Gebäude in ihren Grundfesten erbeben. Rho-sieben arbeitete exakt. Kaum hatten sich die federnden Teleskopstützen seiner Schiffe beruhigt, quoll eine schwarze Masse Roboter aus den Luken und strebte zum Rand des Raumhafens. Lesters Schiffe dagegen spien gepanzerte und mit Strahlgeschützen bewaffnete Bodengleiter aus. Ohne Aufenthalt fegten sie, einem Wirbelwind gleich, durch die Straßen von Irontown. Erst, als sie das freie Gelände vor des Fürsten Festung erreichten, schwärmten sie aus. Die Geschütze schwiegen, bis die schwarz aus dem Schnee ragende Kuppel eingekreist war. Dann blitzten achtzig Mündungen zugleich 114
auf, achtzig sonnenheiße Luftströme rasten auf die Kuppel zu und entfachten dicht vor ihr einen blendenden Glutvorhang. Lester beobachtete mit David zusammen von einem Gleiter aus die Reaktion auf die Schüsse. „Nun, mal sehen, was er darauf zu antworten weiß“, bemerkte er. „Bis jetzt gar nichts, Sir.“ „Das gefällt mir nicht.“ Lester zog das Mikrophon näher an seine Lippen. „Noch eine Salve aus allen Rohren! Achtung... Feuer!“ Wieder brandete der Glutvorhang auf, doch immer noch rührte sich nichts. Lester zog seinen Jungning-Strahler, den er vom Koordinator zurückerhalten hatte, aus dem Halfter und wandte sich an David. „Wir werden die Nuß wohl selber knacken müssen. Gib Befehl an die Gleiter der Schiffe elf bis fünfzehn, sie sollen auf mein Kommando mit voller Kraft bis zum Kuppeleingang vorsetzen. Die übrigen schießen inzwischen Sperrfeuer!“ David blickte ihn erstaunt an. „Zehn Gleiter...?“ „Ja, zehn!“ erwiderte Lester. „Damit wenigstens einer heil hinkommt. Das Ganze riecht nach einer Falle.“ Er rief den bei der Flotte gebliebenen Präfekten. „Mister Villamor, sollte ich ausfallen, bringen Sie die Flotte nach Roger zurück - Ende!“ „Befehl ausgeführt, Sir!“ meldete David. Lester nahm das Mikrophon. „Achtung! Gleiter von Nummer elf bis fünfzehn... Vorwärts!“ Ruckartig schossen die Gleiter über das ebene Schneefeld, auf die Kuppel zu, die jetzt bis auf ein kleines Stück vom Sperrfeuer eingedeckt wurde. Aber immer noch schwieg der Roboterfürst. „Halte auf die Tür!“ flüsterte Lester David zu. „Feuer!“ Erstaunt blickte er auf. „Warum schießt du nicht?“ „Die Tür hat sich geöffnet, Sir.“ Als sie näher heran waren, erkannte Lester ebenfalls die geöffnete Tür der Klimaschleuse. Er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, er mußte die Gelegenheit ergreifen. Wieder nahm er das Mikrophon. 115
„Achtung, Sturmtrupp! Wir dringen in die Kuppel ein. Ich gehe voran, ihr bleibt dicht dahinter. Aufpassen!“ Die Schwerkraftgeneratoren heulten auf, als alle zehn Gleiter gleichzeitig abstoppten. Lester sprang mit einem Satz heraus, David hinterher. Der Scout schwitzte unter seiner Gesichtsmaske, obwohl es beißend kalt war. Abwechselnd stürmten er und David vorwärts, während immer einer mit schußbereiter Waffe den anderen deckte. Die Kampfroboter hinter ihnen dagegen gingen direkt vor. Als der lange Schleusengang plötzlich endete, ahnte Lester, daß der Roboterfürst sich jetzt wehren mußte, wenn er sich überhaupt noch eine Frist erkaufen wollte. Dann schlug das Außentor der Schleuse mit hallendem Schlag zu. Lester schob den Mikrophonwulst des Funkhelms höher. „Abwarten da draußen. Die Türen werden nur auf meinen Befehl gesprengt!“ „Bis jetzt kann ich noch kein Gas analysieren, Sir“, flüsterte David. Lester nickte nur. Gespannt beobachtete er das Innentor der Schleuse und lauschte auf das Brummen der Klimaanlage. Ziemlich rasch erwärmte sich die Luft. Dann schwang das Innentor auf. Lester riß sich die Gesichtsmaske ab und trat, den Jungning-Strahler in der Faust, in den erhellten Arbeitsraum. Schweigend musterte er die waffenlose Gestalt, die ihm entgegensah und dann die Augen senkte. „Sind Sie...“ „Ich war der Roboterfürst“, erwiderte die Gestalt. „Cabanet ist mein Name; und Sie sind Lester Velie, der Scout?“ Lester konnte nur stumm nicken. Erst, als Cabanet zwei rasche Schritte zur Seite machte, kam wieder Bewegung in den Scout. „Halt! Fassen Sie nichts an oder, bei Gott, ich erledige Sie!“ Cabanet schüttelte den Kopf. „Bitte, sehen Sie her, Sir.“ Er wartete, bis Lester neben ihm stand, dann drückte er eine Taste des Video-Schachs. 116
„Matt - für mich“, sagte er. * Lester Velie lag auf seinem zurückgeklappten Kontursitz und lauschte dem Grollen der Mesonentriebwerke. Auf einem Bildschirm der Panoramagalerie versank eine blaugrün leuchtende Kugel in der Nacht des Alls. Der Scout entspannte sich und zündete sich eine Zigarette an. „Sir...!“ rief David von seinem Platz herüber. „Ja, bitte?“ „Ich habe den Ljupanow getestet, Sir.“ Der Robot schnipste mit den Fingern. „Eine wunderbare Maschine! Mit dem Generator von Roger könnten wir bis zum Ende des Universums reisen.“ „Wenn es nicht immer wieder Leute gäbe“, meinte Lester, „die uns mit Bomben und ähnlichem ,Spielzeug’ traktierten oder uns sogar als Versuchskaninchen benutzen wie Cabanet!“ „Ja, die Welt ist schlecht“, sagte David betrübt. „Hoffentlich steckt man den Professor in die Uranminen.“ Lester schüttelte den Kopf. „Da irrst du dich gewaltig, alter Blechkasten.“ Er lächelte sinnend, „Ich konnte die maßgeblichen Leute des Planeten davon überzeugen, daß früher oder später ein Mensch kommen mußte, der die Robotgefahr mit solch drastischen Mitteln demonstrierte - und das Gegenteil erreichte. Nein, Alter, Cabanet ist keine Verbrechernatur. Er hat nur geirrt, und dieser Irrtum kostete kein einziges Menschenleben, sondern er bewies, daß die Entwicklung kybernetischer Maschinen mit den ewigen Gesetzen des Universums übereinstimmt. Er wird wieder zurück nach Tantal gebracht und wird weiter Roboter konstruieren, Das ist seine Sühne. Ich persönlich glaube, daß sein Name in die galaktische 117
Geschichte eingeht, als der Name des Mannes, der uns zeigte, daß Roboter selbst gegen den Widerstand einer falschen Programmierung zur Erkenntnis der universellen Sittengesetze gelangen.“ „Und dabei...“, bemerkte David nachdenklich, „... baute er nur ganz gewöhnliche C-vier-Modelle...“ ENDE
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