Der Scout von REX HAYES scanned by: Waldschrat
corrected by: Crazy2001
@ September 2003
Noll Parker gehörte zu den M...
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Der Scout von REX HAYES scanned by: Waldschrat
corrected by: Crazy2001
@ September 2003
Noll Parker gehörte zu den Männern, die das Leben im wilden Grenzland zu Stahl geschmiedet hatte. Er war schon durch zahllose Höllen gegangen, aber selbst ihn packte das Grauen, als er das Schlachtfeld am Little Big Horn vor sich liegen sah. Etwas Unvorstellbares war geschehen. Ein ganzes stolzes Kavallerie-Regiment war von Indianern niedergemetzelt worden. Mit unvorstellbarer Grausamkeit hatten sie gewütet und ihrem lange angestauten Haß freien Lauf gelassen. Der Scout Noll Parker wußte, daß auch ihn nur noch ein Wunder retten konnte ...
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Noll Parker zügelte seinen Schecken und hob sich in den Bügeln. Es war eine kalte Nacht – jene Nacht vom fünfundzwanzigsten auf den sechsundzwanzigsten Juni 1876. Der Mond streute bleiches, geisterhaftes Licht auf das rauhe Land. Irgendwo in der Ferne kläfften Coyoten. Ein Fluß rauschte. Das mußte der Little Bighorn sein. Und irgendwo in seiner Nähe gab es Güsters 7. Regiment, mit dem Parker Verbindung aufnehmen sollte. Den ganzen Tag war er südwärts geritten. Er hatte die zitternden Finger des Signalrauches am Himmel gesehen und das ferne wütende Knattern von Gewehren gehört. Jetzt war es dunkel, und das Schießen war schon lange verstummt. Was mochte geschehen sein? Irgendwo waren Weiße auf Indianer gestoßen. Weiße – das hieß Güster und seine Soldaten. Und Indianer bedeuteten in diesem Land Sioux, die nördlichen Cheyennes und Arapahoes. Sie alle hatten sich in diesem heißen Mittsommer verbündet, um die Langmesser-Pferdesoldaten des Großen Weißen Vaters für immer vom Angesicht der Prärie zu vertilgen. Parker fluchte still in sich hinein. Er hob die Zügel an und ritt weiter. Sein Pferd war müde, denn es hatte einen langen Tagesmarsch hinter sich. Parker stieg ab und führte es. In seinen weichen indianischen Mokassins bewegte er sich vollkommen lautlos. Das Geheul der Coyoten war verstummt. Ein kalter Wind hatte sich erhoben. Er trieb Rauchgeruch heran. Der Geruch von verbranntem Gras, verkohlter Wolle und glimmendem Leder. Der beißende Gestank des Pulverqualms haftete noch in den Büschen. Aber noch etwas anderes nahmen Parkers geschärfte Instinkte wahr. Er blieb stehen und hob schnuppernd die Nase in den Wind. Und dann wußte er, was es war. Jeder Soldat und Wildnisläufer, jeder Bergjäger und Trapper -2-
kannte ihn, den süßlich-faden Geruch des Todes. Den Dunst frisch vergossenen Blutes und verwesenden Fleisches. Parker blieb stehen. Ein kalter Schauer rieselte seinen Rücken hinab. Schräg zum Hang hinab führte er sein Pferd in ein schmales Tal. Dort kauerte er sich nieder und spähte scharf gegen den helleren Himmel aus. Das Gerüst eines zerstörten Tipis zeichnete sich vor dem Firmament ab. Parker erhob sich und schritt darauf zu. Sein Kopf stieß gegen etwas, das von einer Zeltstange herabbaumelte. Er brummte einen Fluch und hielt inne. Es sorgfältig mit den hohlen Händen abschirmend, riß er ein Zündholz an. Gleich darauf pulsierte der Schreck in langen heißen Wogen durch seinen Körper. Das Etwas waren drei Menschenköpfe. Die mit Draht zusammengebundenen Köpfe von drei Männern. Weißen Männern ... Parker kämpfte sein Entsetzen nieder. Seine Hand glitt zur Hüfte hinab und zog den schweren Peacemaker-Colt, Kaliber 45, die Standardwaffe der Armee, aus der Halfter. Sein Daumen hob den Hammer. Und so – den großen Revolver vor sich haltend – drang er in das Zelt. Es war ein Begräbnistipi. Drei Indianer lagen, in ihre besten Gewänder gehüllt, auf einem Lager aus Decken und Fellen. Sie mußten im Kampf gefallen sein, denn ihre im Tod erstarrten Gesichter trugen noch die Kriegsfarben. Parker nahm den Revolver in die linke Hand und zündete ein zweites Streichholz an. Auf dem Boden des Tipis lag eine blutbespritzte Unterhose. Er hob sie auf. Er hatte lange genug unter Soldaten gelebt, um zu wissen, wo sie ihre Namenszeichen in ihren Ausrüstungsstücken anbrachten. Gleich darauf hatte er das kleine Stoffschildchen schon gefunden. Seine Lippen wurden -3-
schmal, während er es las: »Sturgiss, Sgt, 7th Cavalry.« Das Streichholz brannte herab und versengte seine Fingerkuppen. Er ließ es fallen. Hier waren die ersten Zeichen von Güsters 7. Regiment, das er so lange gesucht hatte: die Köpfe von drei erschlagenen Soldaten und die zerfetzten, blutbesudelten Unterhosen von Sergeant Sturgiss. War es ein schlechtes Omen? Parker verließ das Zelt und trat zu seinem Pferd. Dem gewundenen Tal folgend, ritt er dem Fluß entgegen. Der Revolver blieb in seiner Hand. Etwas später bot sich ihm ein Bild des Grauens. Vor ihm lagen die nackten verstümmelten Körper toter Männer. Und es waren weiße Männer, keine roten. Er kämpfte sein Entsetzen nieder. Langsam ließ er sein geschecktes Pferd vorwärts gehen. Er hoffte, noch ein Zeichen von Leben auf diesem Berg des Todes zu finden – aber es war eine falsche Hoffnung. Es gab nur noch Tote hier, nichts als Tote. Parkers Mund wurde trocken, sein Herz hämmerte einen Trommelwirbel gegen seine Rippen. Er hob sich in den Bügeln und sah das blitzende Band des Little Bighorn im Mondlicht glitzern. Und er entdeckte auch die Überreste eines verlassenen Indianerdorfes am anderen Flußufer. Seine Hände, die Zügel und Revolver hielten, wurden naß vom kalten Schweiß. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um herauszufinden, wie sich alles abgespielt hatte. Güsters Scouts hatten dieses Dorf gemeldet, und der ehrgeizige General hatte sofort angegriffen. Er war mit seinem Regiment auf die Sioux gestoßen, als sie auf dem Höhepunkt ihrer Kraft standen. Sie hatten ihn kommen lassen, seine Truppe in dem unübersichtlichen Gelände aufgesplittert, eingekreist und schließlich jedes einzelne der verlorenen Häuflein niedergemetzelt – bis zum letzten Mann. Parker preßte die Absätze seiner weichen Mokassins gegen -4-
die Flanken seines Pferdes und trieb den schnaubenden und sich sträubenden Schecken weiter. Die Toten lagen dichter, je mehr er sich der Hügelkuppe näherte. Schritt um Schritt und stetig feuernd mußten sie sich zurückgezogen haben, bis ihre Munition zu Ende gewesen war. Parker konnte sich sehr deutlich den letzten Akt der Tragödie vorstellen: die verzweifelten Gesichter der Soldaten, als sie die letzten Patronen in die Kammern ihrer Gewehre schoben – den erbitterten Nahkampf, Mann gegen Mann, Kolben gegen Messer und Tomahawk ... Und endlich den schaurigen, tigerhaften Ansturm der durch dauernde Vertragsbrüche bis aufs äußerste gereizten Sioux. Und danach nichts mehr. Nur noch die Stille des Todes ... Lautlos reitend, den Colt in der Faust, verließ Noll Parker das Schlachtfeld. Obwohl sein erschöpftes Pferd taumelte, blieb er während des Restes der Nacht im Sattel. Und er atmete erst auf, als er wußte, daß sich mindestens ein Dutzend Meilen zwischen ihm und jenem entsetzlichen Ort am Ufer des Little Bighorn River befand. * Als Parker erwachte, war es hoher Tag. Sein Lager befand sich in einer kleinen Mulde, die zehn Fuß tiefer lag als das übrige Land. Katzenkrallenbusch und Wacholder bildeten einen dichten Ring, den niemand durchbrechen konnte, ohne gehört zu werden. Jetzt stand die Sonne bereits hoch und sandte ihre Strahlen in das verborgene Camp. Nach der Kälte der Nacht wirkte die Hitze erstickend. Parker sattelte und ritt an. Das rauhe Land lag tot und leer unter der gleißenden Sonne. Nichts bewegte sich außer dem Treiben der weißen Wolkenflocken am Horizont. Sein Blick glitt an der Flanke eines Kamms entlang bis zu einer schroff abfallenden, braun -5-
und gelb gestreiften Felswand. Ein Stein kollerte dort. Eine schattenhafte Bewegung zeichnete sich ab, doppelt auffällig in einem sonst reglosen Land. Parkers Augen wurden scharf. Seine Hand sank auf den Kolben der Spencer hinab und zog das Gewehr mit einer gleitenden Bewegung aus dem Scabbard. Sie waren da. Er hatte es die ganze Zeit über gewußt, daß sie kommen würden. Sie hatten ihre bessere Kenntnis des Geländes dazu benutzt, ihn zu überflügeln. Die Nähe der Gefahr machte Parker kalt. Seine Hand bediente den Ladebügel des Gewehrs. Das harte Klicken des Schlosses zerbrach die heiße Stille des Junitages. Klirrend glitt die erste von sieben Patronen in ihr Lager. Wieder kollerte ein Stein. Erst jetzt bemerkte Parker, daß ein scharfer Riß die Felswand kerbte. Schatten lagerten über diesem Spalt. Eine Bogensehne schwappte. Parker vernahm das Flüstern eines gefiederten Pfeiles, der drei Zoll von seinem Gesicht entfernt in den Wacholder fuhr. Die Spencer schwang fast automatisch an seine Schulter. Er jagte einen Schuß in die Schatten am Fuß der Felswand hinein. Wieder war dort eine Bewegung. Er repetierte wie der Blitz und feuerte zum zweitenmal. Er hörte, wie das schwere Weichbleigeschoß mit dumpfen Schlag gegen einen Felsen klatschte. Der laue Wind trieb die Schleier des Pulverrauchs auseinander. Dann ertönte ein schriller Schrei, der in ein hechelndes »Wa-ha-ha-ha!« überging. Die Konturen von drei Reitern lösten sich aus den Schatten und jagten heran. Parkers Herzschlag stockte für einen Augenblick und setzte dann hämmernd wieder ein. Über die Ohren seines Pferdes starrte er auf die heranrasenden Krieger. Ogallala-Sioux, er konnte es an den Kriegsfarben von ihren Gesichtern erkennen. Zwei von ihnen schwangen Gewehre; der dritte hielt einen gespannten Bogen an seiner Schulter, von -6-
dem ein weiterer Pfeil auf Parker zuflitzte. Ihre sehnigen halbnackten Körper schwangen im Takt des Galopps. Die zottigen Mustangs unter ihnen gingen in atemberaubender Pace. Parker beugte sich nach rechts aus dem Sattel und entging dadurch dem heranzischenden Pfeil. Er riß das Gewehr hoch und sah die Krieger vor sich auseinanderflattern. Ihr Wolfsschrei rollte gegen ihn heran und ließ das Blut in seinen Adern erstarren. Sie mußten gegen Güster gekämpft haben. Einer von ihnen trug einen schwarzen Kavalleriehut auf dem fettigen Haar, der zweite hatte seinem kleinen Mustang einen großen Armeesattel aufgelegt. Sie hatten Longhair und seine Reitersoldaten getötet und waren nun von ihrem Sieg berauscht. Sie sahen ein einzelnes Bleichgesicht vor sich und wollten seinen Skalp. Er spähte am Lauf der Spencer entlang, bis Kimme und Korn den Roten mit dem Kavalleriehut faßten. Donnernd brach der Schuß. Parker sah den Krieger im Sattel wanken und verschwendete keine zweite Kugel mehr an ihn. Blitzschnell fuhr seine Hand am Ladebügel des Gewehrs auf und nieder. Die beiden Sioux hatten ihren Kameraden fallen sehen – aber das hatte sie nicht aufzuhalten vermocht. Sie stürmten schreiend heran. Der mit dem Bogen dirigierte sein halbwildes Pony nur mit den Schenkeln. Er hielt drei Pfeile im Mund, einen auf der Sehne und weitere drei in der linken Hand, und ein ununterbrochener Strom von gefiederten Geschossen flitzte von ihm auf Noll Parker zu. Parker spürte ein Zupfen an seinem Kopf, und sein Hut saß plötzlich schief. Er wußte, daß er dem Tod noch nie so nahe gewesen war wie in dieser Sekunde. Pop, der gescheckte Wallach, sprang scheuend zur Seite, als ein Pfeil seine Schulter ritzte. Parker wankte ein wenig im Sattel, fand seinen Sitz wieder und riß die Spencer an die Wange. -7-
Feuer zuckte vor seinen Augen, ein harter Stoß schmetterte gegen seine Schulter. Plötzlich waren seine Hände leer. Er brauchte nur einen Sekundenbruchteil dazu, um zu erfassen, was geschehen war. Eine Kugel hatte den Lauf seines Gewehrs getroffen, ihm den Kolben gegen die Schulter geschlagen und ihm die Waffe aus den Händen gerissen. Einen entsetzlichen Augenblick hindurch rieselte der Schreck gleich eisigen Sturzbächen über seinen Rücken. Dann hatte er sich schon gefaßt. Seine Rechte stieß zum Revolverfutteral hinab und schwang mit dem schweren Colt wieder hoch. Die beiden brüllenden Krieger waren jetzt ganz nahe. Parker duckte sich und entging dadurch einem Kolbenhieb. Er stieß den Lauf seines Revolvers in ein grellbemaltes Gesicht und drückte ab. Das Donnern der Detonation vernahm er wie aus weiter Ferne. Er sah den Indianer zusammenbrechen und wußte, daß es wieder einer weniger war. Sich instinktiv duckend, warf er den Schecken mit einem harten Zügelruck herum ... und entging dadurch einem Pfeil, der nun, anstatt seine Brust zu treffen, mit einem häßlichen Reißen in seine Deckenrolle fetzte und dort zitternd steckenblieb. Pop stieg, kreiselte einmal um seine eigene Achse und kam mit den Vorderbeinen auf die Erde zurück. Durch die wirbelnden Schleier des Pulverrauchs spähte Parker auf den dritten Indianer. Der Krieger hatte sein Pferd herumgerissen, wendete jetzt und kam in einem großen Kreisbogen zurück. Er hing in der Fußschlaufe - auf jener Seite seines Mustangs, die Parker abgewendet war -, und unter dem Hals seines dahinrasenden Tieres hervor jagte er Pfeil auf Pfeil gegen den Scout. Parker rammte die Absätze seiner Mokassins in Pops Flanken, um ihn in Galopp zu setzen. Zu spät ...! Er vernahm ein Zischen und einen patschenden Schlag, und -8-
im gleichen Augenblick traf ihn ein harter Stoß am rechten Bein. An sich hinabblickend, gewahrte er den gefiederten Schaft, der zitternd aus seinem Oberschenkel ragte. Dicht über dem Knie war der Pfeil eingedrungen. Die rasiermesserscharfe Feuersteinspitze hatte das dicke Muskelfleisch glatt durchschlagen und sich tief in das Leder des Sattelblattes gebohrt. Wie aus weiter Ferne vernahm Noll Parker das Triumphgeschrei des Kriegers. Sein Rücken wurde kalt. Auf seinem Sattel festgenagelt, wurde er zu einer hilflosen Zielscheibe für den Strom von Pfeilen, der ihm nun entgegenzischte. Unwillkürlich versuchte er eine Bewegung, und augenblicklich fraß sich ein tobender Schmerz gleich einer rotglühenden Lohe von seinem getroffenen Bein bis an seine Hüfte hinauf. Parker senkte den Revolver, bis Kimme und Korn die Brust des heranrasenden Pferdes faßten. Sein Zielauge verengte sich, er wartete ab, bis es fast zu spät war. Dann erst drückte er ab. Der Colt ruckte in seiner Faust. Beide Augen geöffnet, beobachtete Parker, wie das kleine Indianerpferd zurückprallte, als ob es gegen ein unsichtbares Hindernis gerannt sei. Parker schrie und feuerte seinen Schecken an. Der Sioux rollte von seinem sterbenden Pferd fort, um aus dem Bereich der schlegelnden Hufe zu kommen. Er hatte den Bogen verloren. Aber als er jetzt auf die Füße sprang, richteten sich seine schwarzen Augen mit seinem glühenden Haß auf den weißen Scout. Seine Hand stieß zum Gürtel hinab und kam mit dem Tomahawk wieder hoch. Parker schoß und sah den Krieger fallen. Pop sprang über den Sioux hinweg. Parker zügelte ihn, schwang ihn auf den Hinterbeinen herum und kam zurück. Sein rechtes Bein war bis zur Hüfte hinab tot und taub. -9-
Der Sioux kniete auf der Erde. Er hielt die Hände gegen den Leib gepreßt. Die grauen Todesschatten breiteten sich auf seinem schrecklich bemalten Gesicht aus. Parker zügelte Pop. Er schaute auf den Sterbenden hinab. Die Blicke der beiden Männer – der des roten und der des weißen – kreuzten sich noch einmal. Parker erkannte den Tod in den Augen des Sioux – aber er las keine Furcht in ihnen. Nur Haß auf den Weißen, weil dieser noch lebte, während der rote Mann sich anschickte, den langen dunklen Pfad zu betreten. Parker selbst empfand keinen Haß. Er wußte sehr genau, wie oft die roten Stämme von Männern seiner eigenen Rasse betrogen und hintergangen worden waren. Er liebte die Indianer nicht, aber er war auch ehrlich genug, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn er ein Sioux gewesen wäre - er hätte nicht anders gehandelt als sie. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Einer von uns mußte dran glauben, das weißt du so gut wie ich. Dein Pech, daß ich diesmal ein wenig glücklicher war.« Er wäre gern abgestiegen, um es dem Krieger ein wenig leichter zu machen, aber es ging nicht. Noch immer war sein Bein am Sattel festgenagelt. So blieb er und wartete ab, bis es vorüber war. Und er wußte, daß er diesen letzten Augenblick des sterbenden Indianers nicht vergessen würde – bis ans Ende seiner Tage. Dann wendete er Pop und ritt dorthin zurück, wo das Gewehr im Gras lag. Er brauchte die Waffe, denn nur mit einem Colt wär er hier draußen jetzt schon so gut wie tot. Wie aber sollte er sie bekommen? Er schaute an sich hinab. Der rechte Beinling seiner elchledernen Hose war naß und steif vom Blut. Der Pfeil war durch den Oberschenkel gedrungen und eine Handbreit über der Kniekehle wieder ausgetreten. Dort hatte sich dann die - 10 -
Spitze tief in das Sattelleder gebohrt. Parker zog das Bowiemesser aus der Scheide und prüfte die Schärfe der Klinge mit dem Daumen. Dann bückte er sich und schnitt das Holz des Pfeilschaftes dicht hinter der Feuersteinspitze durch. Helle Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, als er sich wieder aufrichtete. Er steckte das Messer weg und brummte. Das Schwerste kam noch, und doch hatte er jetzt schon das Gefühl, als ob sein Körper aus einer einzigen lodernden Flamme brennenden Schmerzes bestünde. Der Schecke machte eine Bewegung, die neue Schmerzwogen durch das verletzte Bein trieb. Parker streckte die Hand aus und klopfte ihm den Hals. »Nur ruhig, Pop, mein Alter.« Eine bereits verharschte Schramme zog sich quer über die Schulter des Pferdes, wo es der Pfeil des Sioux getroffen hatte. Parker sah, wie Fliegen sich auf dem geronnenen Blut niederließen. Er mußte etwas tun, um die Wunde zu desinfizieren, denn wenn der Schecke lahm wurde, war er hier draußen verloren. Aber um etwas zu tun, mußte er erst einmal von seinem verdammten Sattel herunter. Er biß die Zähne zusammen, beugte sich nach unten und packte das gefiederte Ende des Pfeiles mit beiden Händen. Noch einmal pumpte er die Luft in seinen Brustkorb – dann riß er sich mit einem Ruck den blutigen Schaft aus dem Fleisch. Der Schmerz war so heftig, daß er ihm das Wasser in die Augen trieb. Aber Noll Parker war durch das Leben an der Grenze zu klirrendem Stahl geschmiedet worden. Er ließ sich vom Sattel gleiten, lehnte sich gegen Pops Leib und schlitzte das Hosenbein über dem Knie mit dem Messer auf. Einen Augenblick schielte er auf das wieder von neuem strömende Blut. Dann ließ er seinen Urin über die Wunde fließen – und über die Schmarre in Pops Schulter. Urin war das beste Desinfektionsmittel hier draußen. Das wußte jeder - 11 -
Soldat, Prärieläufer und Jäger. Es gab nichts Besseres. Es brannte wie die Hölle, aber das wollte nichts besagen. Er wartete ab, bis der Blutstrom ein wenig nachließ. Dann holte er aus seiner Satteltasche eines jener Verbandspäckchen, die zur Ausrüstung jedes Angehörigen der Armee gehörten, und legte eine straffe Kompresse auf die Wunde. Nach einer Weile hörte die Blutung auf. Es kostete ihn Mühe, wieder auf Pops Rücken zu kommen, aber endlich war es doch geschafft. Die Sonne war nach Westen gewandert und neigte sich den Graten ferner Gebirgsketten zu. Parker sagte sich, daß er verschwinden müsse, bevor weitere Sioux auftauchten, um nach ihren Gefährten Ausschau zu halten. Mit dem Zügeldruck richtete er die Nase des Schecken nach Süden und ritt an. * »Glenrock!« rief der Fahrer auf dem schwankenden Bock der staubbedeckten Postkutsche und stieg auf die Fußbremse. Die sechs Maultiermustangs stemmten sich gegen den Druck des Geschirrs, und ächzend kam der schwere Wagen zum Stehen. »Glenrock! Eine halbe Stunde Aufenthalt. Kommen Sie raus, Herrschaften, im Stage Depot steht schon das Essen für Sie bereit!« Cliff Adams öffnete den Schlag und half seiner jungen Frau beim Aussteigen. Dann sprang er selbst hinaus und schlug den Staub aus seinem Hut. Mit gefurchten Brauen schaute er das schmutziggraue Band der Straße entlang. »Sind wir bald da, Dad?« fragte eine Stimme aus dem Innern des Wagens. Cliff Adams lachte und streckte seine Hand aus. Er hob seinen fünfjährigen Sohn Christopher heraus und - 12 -
stellte ihn mit einem kräftigen Schwung neben Penelope, seiner jungen Frau, in den knöcheltiefen Staub. »Nun, Penny, wie gefällt es dir hier draußen?« Adams war ein kräftiger Mann von etwas über dreißig Jahren. Er hatte für die Eisenbahn gearbeitet und war dafür mit einer Landwiesen Schenkung belohnt worden! Ein Jahr hatte er darauf verwandt, seine Farm am Fuß des Cloud Peak einzurichten, dann hatte er Frau und Sohn aus dem fernen Illinois kommen lassen, um ihnen ihre neue Heimat zu zeigen. Und nun waren sie beide hier, vor einer Woche mit dem Zug in Medicine Bow angekommen. Drei Tage Warten auf die nächste Postkutsche nach Norden, dann drei weitere Tage Fahrt bis Glenrock. Bald würden sich die großen Räder wieder drehen und sie weiter nach Westen bringen, ihrem Ziel entgegen. Adams freute sich. Er legte zärtlich den Arm um die Schultern seiner Frau. »Es war mächtig hart hier draußen, aber nun ist es geschafft. Sag mir, daß es dir gefällt, Penny!« Penny Adams seufzte. Sie schaute auf die schmutzige Straße – die kleinen verwitterten Holzhäuser der einsamen Station. »Es sieht so fremd aus. Und so wild.« Adams lachte. »Aber es ist schön hier. Du solltest einmal sehen, wenn im Frühling die Berganemonen blühen und der Ginster an den Hängen gelb wird. Es wird dir schon gefallen.« Penny griff nach seinem Arm. Sie fürchtete sich ein wenig vor diesem fremden rauhen Land. Aber das brauchte Cliff nicht zu erfahren. »Es gefällt mir überall, wo du bist, Cliff«, murmelte sie. Adams schob seine große verarbeitete Hand unter ihren Ellbogen und führte sie über die Straße auf die offen stehende Tür des Stationsgebäudes zu. Der Saum von Pennys grauem Kleid streifte im Staub, und feine Schweißtröpfchen perlten auf ihrer Stirn. Sie war zu Tode erschöpft, aber sie ließ sich nichts - 13 -
anmerken. In dem großen kahlen Raum war schon ein Tisch gedeckt. Adams führte seine Frau zu einem Stuhl. Gierig griff sie nach einer Tasse mit kalter Buttermilch. Sie aß nur wenig, während ihr Mann kräftig zulangte. »Iß tüchtig, Penny«, sagte er aufmunternd. »Wir haben noch zwei Tagesfahrten bis Casper. Dort steht mein Wagen und wartet auf uns. Dann noch ein Tag nach Norden, und dann wirst du unser Haus sehen.« Sie lächelte ihm tapfer zu, aber ihre Gedanken eilten zurück in jenes Land, das sie verlassen hatte. Plötzlich wünschte sie sich, sie wäre nicht gegangen. Der fünfjährige Chris kam herein und kletterte auf einen Stuhl. »Dad, bekomme ich ein Gewehr?« fragte er eifrig. Adams nickte ernsthaft. »Natürlich bekommst du ein Gewehr. Jeder Mann hier draußen besitzt eines, und du bist doch schon ein richtiger Mann, nicht wahr?« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Frau und Sohn mit den stolzen Blicken eines Mannes, der sich endlich am Ziel seiner Wünsche weiß. Aber er erkannte auch die Erschöpfung und Niedergeschlagenheit seiner Frau. »Penny, du weißt, daß ich für das Stadtleben niemals getaugt habe«, murmelte er. »Deshalb bin ich nach dem Westen gegangen. Viele tun das. Hier ist neues Land Zukunftsland. Es wartet nur darauf, von uns erobert zu werden. In zehn Jahren werden sie die Eisenbahn bis zu uns herauf gebaut haben, und dann wird alles besser.« »In zehn Jahren!« – Penny Adams schaute in ihren Schoß. Sie sah diese zehn Jahre wie eine unendlich sich dehnende Strecke vor sich liegen, an deren Anfang sie stand – und deren Ende sie niemals erreichen würde. Sie war noch so jung. Eine junge Frau von - 14 -
sechsundzwanzig. Aber wenn diese zehn Jahre vorüber waren, würde sie alt und verbraucht sein. Wildnisjahre zählten doppelt. Jeder wußte das. Cliff Adams war mit dem Essen fertig und nickte ihr zu. »Komm, vertreten wir uns die Beine noch etwas.« Er führte sie hinaus und die Straße hinab. Neben einem verrotteten Schuppen war ein auf vier Pfählen ruhendes Wellblechdach errichtet worden. Eine Reihe gesattelter Pferde stand im Schatten dieses Daches angepflockt. Ein Kochfeuer sandte seinen Rauch zum Himmel. Die Männer, die sich darum scharten, trugen blaue Wollhemden, die schwarz und steif vom Schweiß geworden waren, hohe Stiefel und schwarze Hüte. »Soldaten aus Fort Laramie«, erklärte Adams seiner Frau. »Die Sioux sollen in diesem Sommer ein wenig unruhig sein, darum sind Kavalleriepatrouillen unterwegs. Als ich nach Medicine Bow hinunterfuhr, um dich abzuholen, hörte ich davon, daß die Generäle Terry, Gibbons und Güster zu einem Feldzug gegen die Sioux ausgerückt seien. Ich wette, sie räumen mit dem roten Spuk auf, bevor es richtig begonnen hat.« Der kleine Chris war neugierig vorausgelaufen und stand nun bei den großen Armeepferden. Ein rothaariger Soldat, der die Abzeichen eines Sergeants auf den Ärmeln seines blauen Wollhemdes trug, sprach mit einer tiefen und rauhen Stimme auf ihn ein. Der Fahrer der Postkutsche stand neben einem Offizier, dessen Uniform genauso verdreckt und verwittert aussah wie die seiner Männer. Die beiden sprachen heftig miteinander ein. Penny sah, wie das Gesicht des Fahrers sich rötete. Sie vernahm seine lauten Worte: »Verdammt will ich sein, Lieutenant, wenn ich mit Ihnen nach Fort Laramie zurückgehe!« Der Offizier zuckte die Achseln. »Dann werde ich Sie dazu zwingen müssen. Der Befehl des - 15 -
Oberkommandierenden der Westdivision lautet dahingehend, daß sich alle Weißen in diesem Gebiet sofort in den Schutz der Armee zu begeben haben.« Cliff Adams streifte den Arm seiner Frau ab und schritt auf die Gruppe zu. Seine Stirn war gefurcht. »Was habe ich da gehört? Wir sollen nach Fort Laramie gebracht werden?« Der Offizier drehte sich. Er erblickte Penny und zog den Hut. »Lady, Sir, gestatten Sie: Lieutenant Collins vom 3. Regiment der Unionskavallerie.« »Lassen Sie das Herumgetändel!« rief Adams scharf. »Was soll ich in Laramie? Ich will zu meiner Farm am Cloud Peak!« Der Lieutenant setzte den Hut wieder auf. Sein Blick glitt von Penny zu ihrem Mann. »Das wird nicht gehen.« Seine Stimme klang sehr kühl und sachlich. »Dieses Gebiet steht seit einigen Tagen unter Kriegsrecht. Die nördlichen Stämme sind unruhig. Truppen sind gegen sie in Marsch gesetzt worden, aber bisher fehlen alle Nachrichten. Tut mir leid, Sir, aber ich kann Sie auf keinen Fall weiter nach Norden reisen lassen.« Adams schlug mit der Faust durch die Luft. »Ich kann schon für mich selbst sorgen.« »Ja, natürlich, das können Sie. Aber haben Sie auch schon an Ihre Frau und Ihren Sohn gedacht? Der kleine Blondschopf dort drüben ist doch Ihr Sohn, nicht wahr?« Penny trat auf ihren Mann zu und legte die Hand auf seinen Arm. »Ich glaube, er hat recht, Cliff«, murmelte sie. Lieutenant Collins nickte ihr zu. »Danke, Madam.« »Und wann können wir auf unser Land zurück?« fragte Adams grimmig. Collins hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Es hängt davon ab, inwieweit General - 16 -
Terrys Feldzug von Erfolg gekrönt ist. Aber ich denke, in spätestens zwei Wochen ist alles vorbei.« »Zwei Wochen – und die Sommeraussaat steht vor der Tür!« rief Adams erbittert. »Tut mir leid.« Über seinen Kopf hinweg traf der Blick des Lieutenants Pennys Gesicht. »Besser die Aussaat beim Teufel anstatt den Skalp verloren. Oder?« Adams ließ die Schultern sinken. »Schon gut, Lieutenant, schon gut«, murmelte er. Penny zog ihren Mann zur Seite. Sie hörte, wie Collins zu dem Fahrer sprach: »Wir haben schon vier Wagen und nur auf euch gewartet. Je schneller wir das Fort erreichen, desto besser für uns alle. Wir brechen sofort auf. Sagen Sie Ihren Passagieren Bescheid.« »Hast du das gewußt?« fragte sie, während eine eisige Faust ihre Kehle zuzuschnüren begann. »Das mit den Indianern?« Cliff schüttelte den Kopf. »Nein, Liebes. Als ich vor zwei Wochen die Farm verließ, war noch alles in Ordnung. Allerdings munkelte man davon, daß es Schwierigkeiten mit den Sioux wegen der neuen Wegerechte geben könne.« »Und trotzdem hast du uns kommen lassen?« rief Penny verzweifelt. »Hast du denn niemals an Chris gedacht?« Eine Trompete schmetterte ein helles Signal. Sofort rissen die Soldaten das Kochfeuer auseinander und eilten zu ihren Pferden. Der rothaarige Sergeant rief Penny zu: »Kümmern Sie sich um Ihren Jungen, Madam!« Überall liefen Männer durcheinander. Die Kavallerieabteilung formierte sich neben der Straße und saß auf einen Befehl des Lieutenants auf. Vier Frachtwagen rollten hinter einem Haus hervor. Staub wallte dicht wie Nebeldunst empor. Vom Stage Depot her ertönte die Stimme des Fahrers: - 17 -
»Einsteigen, Herrschaften – einsteigen!« Penny griff nach der Hand ihres Jungen. Sie fühlte Cliffs Hand auf ihrer Schulter, während sie auf die Kutsche zuschritt. Ein dicker Mann, der wie der Vertreter einer Futtermittelfirma aussah, saß schon im Wagen. Auf seiner spiegelnden Glatze stand heller Schweiß. Lieutenant Collins kam im Sattel eines großen, eisengrauen Pferdes herangetrabt. Er beugte sich hinab und sprach ernst durch das Wagenfenster zu den Passagieren. »Befürchten Sie nichts. Bevor es dunkelt, werden wir in Douglas sein. Dort verbringen wir die Nacht. Morgen abend sind Sie schon sicher in Fort Laramie.« Er legte die Hand an die Krempe seines verstaubten Feldhutes und ritt weiter. Penny hörte, wie er mit lauter Stimme seine Befehle erteilte. »Jackson, reiten Sie mit zwei Mann voraus. – O’Toole, Ihre Gruppe bildet die Nachhut. Die Wagen anfahren! Abteilung vorwärts – hooo-ooo!« Die Zugtiere warfen sich ins Geschirr. Die Räder begannen sich zu drehen, und für eine Weile übertönten die Geräusche des Aufbruchs alle anderen Laute. * Sie hielten an einer kleinen Station mitten in der Wildnis an und tränkten die Pferde. Penny sah zwei Männer aus dem kleinen Blockhaus treten und ihr Gepäck auf das Wagendach schleudern. Gleich darauf bestiegen sie die Kutsche. Sie brummten einen Gruß, als sie die Frau erblickten, und setzten sich, wobei sie ihre Gewehre nicht aus den Händen ließen. Als die Kolonne sich wieder in Bewegung setzte, bemerkte Penny, daß die Tür des Hauses offen blieb. Sie konnte auf einen Herd schauen, in dem kein Feuer mehr brannte. Und sie erkannte jetzt, daß diese beiden - 18 -
Männer die Besatzung der Station gewesen waren, die nun aufgegeben wurde. Es schien also schlimm zu stehen. Ihr Herz klopfte wieder heftiger. Es gab geheime Strömungen - Anzeichen für Dinge, die nur von den Männern verstanden wurden und die man sorgfältig vor ihr verborgen hielt. Sie beobachtete, wie Cliff sich bückte und sein Gewehr unter dem Sitz hervorzog. Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Cliff!« flüsterte sie erstickt. Er streckte die Hand aus und tätschelte sanft ihre Knie. »Schon gut, Liebes. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.« Der dicke Futtermittelreisende zog ein rotes Taschentuch aus seinem Rock und fuhr sich damit über die spiegelnde Glatze. Die Luft war stickig und heiß. Staub wirbelte unablässig durch die geöffneten Fenster herein. »In diesem Sommer sind sie wirklich schlimm«, sagte einer der Männer mit einem erbitterten Klang in der Stimme. »Wenn ich daran denke, was sie auf Jim Dales Station gemacht haben ...« »Still, Charley!« rief der andere. Seine Augen glitten von Penny zu dem Sprecher und sandten ihm ein stummes Signal zu. »Dales Station?« brummte Cliff Adams. »Die sollte ich doch kennen. Ja, ich erinnere mich. Im vorigen Winter habe ich einmal bei ihm übernachtet.« »Jetzt werden Sie nicht mehr bei dem alten Jim übernachten können«, warf der andere ein. Mehr wurde nicht gesprochen. Aber um was es sich auch gehandelt hatte, ein düsteres Geheimnis mußte hinter diesen Worten verborgen liegen. Stunde um Stunde verstrich. Längst hatte die Sonne ihren höchsten Punkt überschritten und sank stetig nach Westen. Die Schatten wurden immer länger. - 19 -
Penny hörte einen der Männer sprechen: »Noch zwei Stunden bis Douglas, dann liegt das Schlimmste hinter uns. Morgen sind wir schon aus dem gefährlichsten Gebiet heraus.« Sie wandte sich an Cliff. »Es war also gefährlich?« Er nickte lachend. »Ja, für eine Weile sah es so aus. Aber nun ist es bald überstanden.« Sie atmete auf und fühlte, wie sich ihre verkrampften Muskeln entspannten. Die zitternde Anspannung ihrer Nerven ließ nach. Natürlich hatte sie gefühlt, daß es gefährlich gewesen war, obwohl alle diese Männer immer wieder versucht hatten, ihre Besorgnis sorgfältig vor ihr zu verbergen. Lächelnd lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück. Chris schlief, mit dem Kopf in ihren Schoß gekuschelt, und auch sie fühlte sich müde. Die Augen fielen ihr zu ... * Sie wußte nicht, wie lange sie in einem wirren, von wüsten Träumen gepeinigten Halbschlaf gelegen hatte. Aber sicher konnten erst wenige Minuten verstrichen sein. Es war ein hartes, wildes Schnauben, das sie aus der bleiernen Tiefe emporriß. Sie schlug die Augen auf. Dieses Schnauben – es war ihr so vertraut. Es kam von Cliff. Immer gab er es von sich, wenn ihn etwas aufs tiefste beunruhigte und erregte. Eben stieß er wieder die Luft laut und heftig durch die Nase. Penny richtete sich auf. Cliffs Augen waren mit einem starren, fast versteinert wirkenden Ausdruck auf das Fensterviereck zu ihrer Linken gerichtet. Sie wollte etwas sagen – eine Frage stellen -, aber es ging nicht. Eine riesige eiskalte Faust schnürte ihre Kehle zusammen. Ihr Blick folgte der Richtung, die Cliffs Augen ihr wiesen. Am Horizont gewahrte sie einen Bergkamm, den eine Laune der Natur wie ein großes V aufgespalten hatte. Und aus - 20 -
diesem Spalt quoll eine graugelbe Staubwolke hervor. Cliff, was ist? wollte sie rufen, aber kein Ton drang über ihre Lippen. Sie sah nur Cliffs Augen – diesen wilden, steinernen Blick -, und in einer einzigen Sekunde erfaßte sie die schreckliche Wahrheit. Indianer! Cliff hatte Indianer entdeckt. Penny fühlte, wie ihr Inneres kalt und tot wurde. Sie schlang die Arme um Chris und konnte doch keinen Blick von der Staubwolke lassen, die immer dichter, immer stärker aus dem Einschnitt zwischen den Bergen hervorquoll. Jetzt barst diese Wolke unter einem Stoß des trockenen Windes auseinander. Gestalten wurden sichtbar. Reiter. Sie fegten rasend schnell heran. Ihre kleinen struppigen Pferde schienen mit dem Bauch den Boden zu berühren, so streckten sie sich. Sehnige halbnackte Körper wippten. Mähnenumflattert. Adlerfedern nickten in schwarzen Haarschöpfen. Die Strahlen der tief im Westen stehenden Sonne zauberten matte Reflexe auf Gewehrläufe, Lanzenspitzen und geschwungene Tomahawks. Penny vernahm das Trommeln der Pferdehufe wie fernen grollenden Donner. Und dann erhob sich noch ein anderer Laut aus der Vielfalt von Geräuschen: ein schaurig gellendes »Wahaha-ha!«, das das Blut in den Adern erstarren ließ. Der Wolfsschrei der Sioux, der sich trillernd zum Himmel erhob. Penny sah, wie Cliff beide Füße gegen die Sitzbänke des schwankenden Wagens stemmte, um einen festen Stand zu bekommen. Sie sah, wie seine Augen sich verengten und seine Hand den Ladebügel des Gewehrs bediente. Sie nahm auch das Fluchen der beiden anderen Männer wahr – und sie erkannte die nackte Todesfurcht im Antlitz des dicken Futtermittelvertreters. Draußen ertönte ein schmetterndes Trompetensignal. Die Kavalleristen sammelten sich an der dem Gegner - 21 -
zugewendeten Seite der Kolonne. Die Flankenreiter jagten im rasenden Galopp von den Hügeln herab. Ein paar Schüsse knallten – dünn, fern und schwach. Aus der Kette der Indianer löste sich eine Wolke von Pfeilen, beschrieb eine blitzende Parabel am Himmel und knatterte auf das Wagendach. Cliffs Gewehr entlud sich mit einem donnerartigen Krachen, und augenblicklich füllte sich das Innere der dahintaumelnden Kutsche mit beißendem Pulverrauch. Fast gleichzeitig gingen die Gespannpferde aus dem bisher ruhigen Trott in einen schwerfälligen, stampfenden Galopp über. Die Kavalleristen an der Flanke der Kolonne begannen zuschießen. Das dröhnende Feuer ihrer großen Armeecolts rollte die Front hinauf und hinab. Jetzt eröffneten auch die beiden anderen Männer das Feuer. Die Abschüsse dröhnten laut wie Kanonendonner in dem geschlossenen Raum. Pennys Arme schlossen sich fester um ihren Sohn. Sie glaubte, ihre Trommelfelle müßten platzen. Ihre Magennerven rebellierten gegen den beißenden Gestank verbrannten Pulvers. Sie fühlte die Hand ihres Mannes auf ihrem Genick. »Hinlegen!«’ schrie Cliff und drückte sie tief auf das Sitzpolster hinab. Dann fiel sein Blick auf den dicken zitternden Mann, der halb betäubt in seiner Ecke lehnte. »Haben Sie keine Waffe?« brüllte er. »Doch. O doch!« Mit bebenden Fingern zerrte der Dicke einen kurzläufigen Revolver unter seinem Rock hervor. Seine Hand zitterte dabei so stark, daß der Lauf der Waffe kleine Kreise beschrieb. »Zur Hölle mit Ihnen! Warum wehren Sie sich nicht?« schrie Cliff Adams. In seinem vom Pulverrauch geschwärzten Antlitz glänzten die Zähne weiß. Er holte aus und schlug dem dicken Mann die flache Hand ins Gesicht. - 22 -
»Ans Fenster mit Ihnen! Kämpfen Sie! Zeigen Sie, daß Sie ein Mann und kein verdammter Waschlappen sind!« Vom Wagenbock her ertönte das Krachen eines großkalibrigen Gewehrs. Der Beifahrer! dachte Penny. Sie erinnerte sich an den großen, schweigsamen Mann, der während der ganzen Fahrt von Medicine Bow herauf mit seiner doppelläufigen Schrotflinte neben dem Fahrer gesessen hatte. Wieder brüllte draußen eine schmetternde Detonation. Etwas fraß sich mit häßlichem Knirschen in die hölzerne Wagenwand. Ein heiserer Schrei erschwoll. Dann flog ein dunkler Körper am offenen Fenster vorbei und schlug schwer in den aufgewühlten Staub – und Penny hatte in jener blitzartigen Sekunde des Vorbeistürmens die weit aufgerissenen Augen und das in einem wilden Entsetzen erstarrte Antlitz des bewaffneten Kuriers erkannt. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Sie wollte die Augen vor dem Schrecklichen, Unvermeidlichen schließen – und vermochte es doch nicht. Sie konnte keinen Blick von den kämpfenden Männern lassen. Ihre Ohren waren betäubt von den schmetternden Explosionen der Abschüsse. Sie sah jenen dicken Mann, den Cliff vor wenigen Augenblicken erst noch geohrfeigt hatte, mit einem röchelnden Seufzer vom Fenster zurücktaumeln. Er drehte sich etwas, und Penny sah den zitternden Pfeilschaft, der aus seiner Kehle ragte. Instinktiv zog sie den Kopf ihres Jungen in ihren Schoß. »Nicht hinsehen, Chris. Nicht hinsehen – bitte!« stammelte sie. Sie sah den dicken Mann in den Gang zwischen den Sitzbänken stürzen und sterben, und niemand außer ihr nahm Notiz davon. - 23 -
Einer der beiden Männer, die auf der einsamen Station zugestiegen waren, ließ plötzlich sein Gewehr fallen, als ob er sich die Finger an dem heißgeschossenen Lauf verbrannt hätte. Einen Lidschlag lang stand er noch so, wankend auf beiden Beinen, dann schleuderte ihn ein Stoß der dahinrasenden Kutsche in den Mittelgang. Er fiel über die Leiche des Dicken und starb. Draußen ging das Dröhnen der Schüsse in ein ununterbrochenes Knattern über. Weißgrauer Pulverrauch flockte die Reihe der Kolonne entlang. Ein Wagen scherte aus, als der Kutscher fiel. Er verschwand zwischen den Hügeln, und niemand konnte sich darum kümmern. Penny hörte, wie Cliff zu ihr zu sprechen begann: »Schieß, Mädel, schieß!« Sie beugte sich nieder und zerrte den schweren Revolver aus der Halfter des Mannes, der zuletzt gefallen war. Noch nie zuvor hatte sie eine solche Waffe in den Händen gehalten. Die Kälte des Metalls erschreckte sie. Dann aber dachte sie an Chris, ihren Sohn, und ihre Mutterinstinke erwachten. Sie schob sich neben Cliff ans Fenster und hielt den Lauf des Colts hinaus, den rauhen Kolben mit beiden Händen umklammernd. »Du mußt erst den Hahn spannen und dann abdrücken!« brüllte ihr Cliff zu, während er neue Patronen in das Magazin seines Henrygewehrs schob. Sie tat es und spürte das harte Rucken der Waffe in ihren Händen. Rote Phantome jagten brüllend und schießend am offenen Fenster vorbei. Penny versuchte zu zielen, aber es war unmöglich. Die Kutsche rumpelte und stieß über die Unebenheiten des Weges. Sie hörte, wie der Fahrer auf seine Gespanne einschrie. Wieder und wieder zuckte der Revolver in ihren Händen. Pulverrauch und Staub bildeten eine zähe Mauer, aus der fluchende Reiter auftauchten und wieder verschwanden. - 24 -
Einmal erschien Lieutenant Collins in Pennys Blickfeld. Er stieß seinen Säbel in die nackte Brust eines kreischenden Kriegers. Ewigkeiten vergingen, die in Wirklichkeit nur wenige Augenblicke wahren mochten. Als Penny wieder abdrückte, kamen weder ein Knall noch das bereits vertraute Stoßen des Rückschlages gegen ihre Handflächen. Entsetzt starrte sie auf die schwere Waffe hinab. »Nachladen!« brüllte Cliff ihr zu, während sein Oberkörper die schwankenden Bewegungen der Kutsche ausbalancierte. »Öffne die Trommel! Jetzt stoße die Hülsen heraus! Nimm die Patronen aus seinem Gurt und schiebe sie in die Kammern. Mach schnell!« Penny gehorchte. Ihre schlanken Finger arbeiteten in rasender Hast. Draußen war das Krachen der Schüsse in ein pausenloses, hämmerndes Stakkato übergegangen, dessen Echos mit bösartigem Grollen gegen die düsteren Hügel rollten. Penny sagte sich, daß dieses heftige Schießen doch irgendwo gehört werden mußte. Irgendwo. Von weißen Männern. Von Jägern oder Soldaten. Hilfe würde kommen. Mußte kommen. Denn das hier konnte doch nicht das Ende sein ... Die Kutsche tanzte auf dem rauhen Weg dahin wie ein Boot im Orkan. Penny kniete hinter dem Fenster und jagte Schuß auf Schuß in die heranwirbelnde Masse von stampfenden Pferdekörpern und kreischenden Kriegern. Sie vernahm einen Schrei vom Bock und sah einen Körper an sich vorbeistürzen – und sie wußte mit schlafwandlerischer Sicherheit, daß dies der Fahrer der Kutsche gewesen war. Jetzt – führerlos geworden – gingen die Gespannpferde durch. Rasend vom Pfeifen der Kugeln, dem Krachen der Schüsse und dem Wolfsgeheul der Sioux, brachen sie seitlich aus und stürmten vom Weg hinunter. Einen Lidschlag lang tanzte die schwere Concord-Kutsche auf zwei Rädern, fing sich - 25 -
aber noch einmal und kippte auf die anderen beiden zurück. Penny wurde gegen die hölzerne Wand geschleudert. Ihr Kopf prallte hart auf, und für einen Augenblick tanzten feurige Sterne vor ihren Augen. Sie hörte Cliff fluchen. Sie hörte, wie er schrie: »Aufgepaßt! Da – da ...!« Eine braune Felsmauer wuchs auf sie zu. Gleich darauf kam schon der Anprall. Eines der großen Vorderräder barst in tausend Stücke. Die Kutsche neigte sich seitwärts, wurde von den durchgehenden Gespannen noch ein Stück auf der Radnabe mitgerissen ... und kippte schließlich vollends um. Penny war zu Boden gestürzt. Mit einer Hand umklammerte sie die Sitzlehne, mit der anderen hielt sie den Kopf ihres Sohnes fest gegen ihre Brust gepreßt. So also sah das Ende aus. Das Ende aller Hoffnungen. Und dabei war sie noch so jung – hielt das Leben noch so vieles Schöne für sie und Chris in seinem Schoß verborgen. Der Revolver war ihr entfallen. Als sie nach ihm tastete, trafen ihre Finger das blutige Gesicht des toten Soldaten. Ihre Haare sträubten sich. Der Schlag, der sich jetzt über ihr befand, wurde aufgerissen. Cliff stand auf dem Wagenkasten und leerte sein Gewehr in die heranbrandende rote Flut. »Raus hier, Penny!« keuchte er. »Um Himmels willen, schnell!« Sie arbeitete sich nach oben, schob Chris hinaus, folgte. Gerade wurde der zweite Mann, der noch mit in der Kutsche gewesen war, von einer Woge brüllender Krieger weggeschwemmt. Sie vernahm den schluchzenden Schrei, mit dem er fiel. Cliff gab ihr einen Stoß und wies auf die rauhe Felsmauer. »Da hinüber! Los! Ich werde sie aufzuhalten versuchen ...« »Cliff!« schluchzte Penny. »O Cliff – nein!« Sein blutiges Gesicht verzerrte sich. »Denk an den Jungen! Lauf, Penny, lauf!« Sie konnte später niemals erklären, wie sie auf die Erde - 26 -
gekommen war. Sie stand plötzlich unten und spürte den zitternden Körper von Chris an ihrer Seite. Und dann lief sie los wie von Furien gehetzt. Das letzte, was sie hörte, war das peitschende Gewehrfeuer, mit dem Cliff ihre Flucht zu decken versuchte. * Fort Laramie lag am linken Ufer des North Platte, ein paar hundert Yards von dem ruhig dahinströmenden Wasser entfernt. Im Jahre 1849 errichtet, galt es für viele Jahrzehnte als eine der wichtigsten Befestigungen der Armee im fernen Westen. Major Johnson, der Kommandant des Forts, schaute sorgenvoll zum seidigblauen Himmel hinauf. Und er besaß auch allen Grund, sich zu sorgen. Keine Nachrichten von Terry, Güster und Gibbons, die gegen die Sioux ausgerückt waren. Dafür immer neue Gerüchte von Indianergräueln. Das Grenzland brodelte. Und Lieutenant Collins, der mit seiner Patrouille die Wagen von der PlatteStraße hatte hereinholen sollen, war auch schon seit zwei Tagen überfällig. Weder Collins noch einer seiner fünfzehn Reiter würde jemals wieder durch das große Balkentor des Forts traben und auf das Kommando »Abgesessen!« sattelmüde von seinem Pferd gleiten. Aber das wußte Major Johnson an diesem Morgen noch nicht. Und es sollte noch eine geraume Zeit verstreichen, ehe er es erfuhr. Der Major betrat die Schreibstube und nahm die Meldung seines First Sergeant entgegen. »Hines, schicken Sie Lieutenant Gray zu mir«, sagte er zu dem First Sergeant und betrat sein Zimmer. Eine Viertelstunde verstrich. Dann wurde an die Tür geklopft. Johnson rief: »Come in!« und lehnte sich in seinen - 27 -
Stuhl zurück. Lieutenant Gray betrat den Raum und salutierte steif. Er war ein schlanker Mann Ende Zwanzig, den die blaue Uniform vorzüglich kleidete. »Lieutenant Gray zu Ihren Befehlen, Sir!« »Stehen Sie bequem, Lieutenant«, sagte Johnson und erwiderte den Gruß. Gray lockerte seine Haltung und legte die Hände auf den Rücken. »Sie haben mich rufen lassen, Sir?« »Richtig!« Johnsons gebräunte Finger begannen einen Trommelwirbel auf die Tischplatte zu schlagen. »Lieutenant, ich möchte, daß Sie heute abend eine Patrouille von zehn Mann hinausführen, um Verbindung mit General Terry und Gibbins sowie Colonel Güster aufzunehmen, deren Abteilungen sich zu einer gemeinsamen Aktion gegen die Sioux am Rosebud vereinigen sollten. Haben Sie mich verstanden?« Gray nickte. »Jawohl, Sir.« »Gut. Das Hauptquartier in St. Paul ist daran interessiert zu erfahren, was sich dort im Norden abspielt. Die Nachrichten sind in letzter Zeit ausgeblieben. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Lieutenant, was das bedeuten kann, nicht wahr?« »Nein, Sir.« »Dann haben wir uns verstanden. Suchen Sie sich die zehn fähigsten Männer aus. Leider kann ich Ihnen keinen Scout mitgeben, denn unsere Kundschafter sind alle unterwegs. Nehmen Sie Sergeant Prewitt mit, er ist erfahren, kennt das Land und weiß mehr über die Sioux als die meisten von uns.« »Jawohl, Sir«, erwiderte Gray steif. Johnson erhob sich und trat zu der Wandkarte. Sein Finger tippte auf einen Punkt im Norden. »Hier, zwischen Yellowstone, Bighorn und Rosebud, dürften unsere Truppen jetzt stehen. Sie werden wie die Schemen reiten müssen, Lieutenant – wahrscheinlich mitten durch die Sioux hindurch. - 28 -
Vermeiden Sie jeden Zusammenstoß. Es ist nicht Ihre Aufgabe zu kämpfen, sondern Nachrichten einzubringen.« Gray fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ich habe verstanden, Sir.« Johnson kehrte an seinen Platz zurück. Er stütze beide Hände auf die braungebeizte Platte seines Schreibtisches. Sein scharfgeschnittenes Soldatengesicht sah plötzlich müde aus. »Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr Leute mitgeben kann, aber Lieutenant Collins ist auch noch nicht zurück. Sie verstehen, daß ich das Fort nicht zu sehr von Verteidigern entblößen darf. Schließlich wissen wir nicht, was aus Güster und Terry geworden ist. Die Sioux sind unberechenbar, und wir haben das Fort voll von weißen Flüchtlingen, die wir schützen müssen.« »Verstehe vollkommen, Sir.« »Well«’, der Major straffte sich. »Aufbruch um zehn, nach Eingang der Dunkelheit und vor Aufgang des Mondes. Ich möchte nicht, daß ihr Abrücken beobachtet wird.« Gray runzelte die Stirn. »Glauben Sie, daß die Späher der Sioux in der Nähe sein könnten?« fragte er. Johnson seufzte und trat ans Fenster. »Ich weiß es nicht.« Er drehte sich um und schaute dem jungen Offizier fest in die Augen. »Ich hoffe es nicht. Aber es wäre immerhin möglich.« Er nickte Gray zu. »Danke, Lieutenant, das wäre alles.« Gray salutierte und verließ die Kommandantur. In der Schreibstube sagte er zu First Sergeant Hines: »Joe, ich führe heute abend eine Patrouille zum Rosebud hinauf. Ich möchte, daß Sie mir die zehn besten Männer dazu einteilen, die das Fort aufbringen kann.« Hines nickte und schaute auf seine Hände. »Nach Güster Ausschau halten, wie? Ich wette, der verdammte Hitzkopf hat sich wieder einmal in die Tinte - 29 -
geritten.« »Joe, Sie vergessen, daß Sie von einem Colonel unserer Armee sprechen«, gab Gray grinsend zurück. Hines erwiderte das Lächeln. Er behandelte den jüngeren Offizier mit jener respektvollen Vertraulichkeit, die er dem Rang zollte, ohne unterwürfig zu sein. Mit fast dreißig Dienstjahren auf dem Rücken hatte er schon viele Lieutenants kommen und gehen sehen -und er hatte sie alle überlebt. Gray tat ihm leid. Seine Chancen, von diesem Auftrag lebend zurückzukehren, standen im günstigsten Fall fünfzig zu fünfzig. Und Gray wußte das auch. »Sie bekommen Sergeant Prewitt und die neun besten Männer, die ich auftreiben kann«, sagte Hines zu Gray und wandte sich wieder seinen Papieren zu. »Extrarationen für zwei Wochen, dazu sechzig Patronen für den Revolver und achtzig für den Karabiner. Die Leute sollen schlafen. Wir rücken bei Dunkelheit ab.« Hines nickte und ging hinaus. * In der kühl gewordenen Düsternis des Abends traten die Männer an und antworteten verdrossen auf den Namensaufruf. Sergeant Prewitt schritt die Front hinunter. Er kannte sie alle: Lansing, den Corporal, der darauf baute, noch in diesem Jahr den Sergeants-Winkel zu bekommen. Den Deutschen Petermann, den seine Kameraden immer »Pieterman« riefen und der so viele Geschichten aus dem Krieg der Germans gegen Frankreich erzählen konnte. Vassily mit den treuen Hundeaugen, der einmal ein russischer Bauer gewesen war. McGill aus Texas. Die beiden Iren O’Hara und O’Blaine. Vandenberg, den Mann aus dem Osten, der sich jeden Tag frisch rasierte und seine Socken häufig wechselte. Bellfoot, einen Farmersjungen aus Kansas, den Abenteuerlust in den - 30 -
Westen getrieben hatte. Und schließlich Nolan, den Trompeter mit dem Kindergesicht, der sein Instrument an einer gedehnten Schnur auf dem Rücken trug. Die Pferde standen reglos unter der Last der Sättel und Waffen und unter dem Gebirge ihrer Ausrüstung. Lieutenant Gray kam an Major Johnsons Seite über das Paradefeld. Prewitt bellte einen Befehl hinaus. Die Männer traten an die Köpfe ihrer Pferde, faßten die Zügel an und standen still. Prewitt ging auf den Lieutenant zu und meldete. Gray drehte sich zu Johnson um und legte die Hand an die Krempe seines Feldhutes. »Patrouille abmarschbereit, Sir.« Johnson erwiderte die Ehrenbezeigung. »Lassen Sie aufsitzen und abrücken, Mr. Gray«, sagte er mit seiner trockenen Befehlsgewohnten Stimme. Gray wandte sich dem rechten Flügel der Abteilung zu, wo Nolan, der Trompeter, sein Pferd hielt. Er schob sein Henrygewehr, das er anstelle des Dienstkarabiners benutzte, in den ledernen Schuh an der Sattelwiege. Dann schwang er sich in den Sattel. Gedämpft klang sein Befehl über die Männer hinweg: »Abteilung – aufgesessen!« Klirrend glitten die Soldaten in die kalten Sättel. Stahl schlug klingend gegen Stahl. Hufe stampften polternd den Boden. Ein Pferd prellte vor und wurde von seinem Reiter ins Glied zurückgerissen. Danach trat Ruhe ein. Lieutenant Gray reckte sich in den Bügeln. Johnson reichte ihm die Hand auf den Sattel. »Gott befohlen. Und finden Sie mir Güster.« »Danke, Sir.« Gray drehte sein Pferd. Er schaute die Reihe seiner Männer entlang; sein Arm hob sich. »Zu einem rechts brecht ab -marsch!« Die Patrouille brach vom rechten Flügel ab und setzte sich in Bewegung. Quer über das Paradefeld ritt sie auf das Tor zu. - 31 -
Gray grüßte den Posten, der vor ihm präsentierte. Dann führte er seine Abteilung aus dem Fort. * Die kleine Truppe zog über einen steilen, mit hochstämmigem Wald und dichtem Unterholz bestandenen Hang, als Prewitt, der hundert Yards vor ihnen einem alten Wildpfad folgte, die Hand in die Höhe warf. Sofort hielt die Abteilung schlagartig an. Jedes Geräusch verstummte. Prewitt hob sich in den Bügeln, beugte sich weit über das Sattelhorn und spähte tiefer den Hang hinab. Plötzlich warf er sein Pferd herum und jagte auf die Patrouille zu. Sein Gesicht sah ernst und grimmig aus. Er machte dem Lieutenant ein L Zeichen. »Rasch in Deckung!« Niemand stellte eine Frage. Sie wußten genau, daß es jetzt nicht an der Zeit war. Prewitt war der Erfahrenste von ihnen und tat nichts ohne Grund. Gray führte die Patrouille hang-aufwärts in einen dichten Buschgürtel. Prewitt kam als letzter an. Er sprang aus dem Sattel. »Runter von euren Gäulen! Und haltet ihnen die Nüstern zu!« »Tut, was der Sergeant sagt, Leute«, befahl Gray und legte seine Hand auf die Nüstern seines Pferdes. Eine Zeitspanne verstrich, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam - und die in Wirklichkeit doch nur wenige Augenblicke dauerte. Dann wurde gedämpfter Hufschlag auf dem weichen Boden hörbar. Mehrere Pferde näherten sich auf dem Wildpfad. Noch waren sie nicht zu sehen, die Bäume verbargen sie. Pferde – das bedeutete Indianer in diesem Land. Fest preßten sich die Handflächen der Reiter auf die Nüstern ihrer Tiere. - 32 -
Unter ihnen tauchten auf dem von vereinzelten Sonnenstrahlen überzitterten Pfad die Konturen von drei Pferden auf. Sie waren »Nase an Schwanz« gehalftert, und nur auf dem Rücken des ersten saß ein Mann. Corporal Lansings Finger hob sich und wies auf den Reiter. »Was, zur Hölle! Seht euch das an ...!« »Ruhe, Lansing!« zischte Gray. Eine Bewegung ging durch die Patrouille. Ein gepreßtes Atmen und ein gehauchtes Seufzen erklangen. Dann wurde es wieder still. Der einzelne Reiter war ein Indianer. Ein Sioux-Krieger, das verrieten die Farbstreifen in seinem Gesicht. Er saß auf einem mageren, rot und weiß gefleckten Mustang, der so wild aussah wie sein Herr. Aber die beiden Pferde, die er hinter sich herführte, waren keine struppigen Indianergäule, sondern hochbeinige Dunkelbraune. Güsters Regiment war zum großen Teil mit Dunkelbraunen beritten gewesen ... Der nackte muskulöse Oberkörper des Kriegers steckte in einem blauen Uniformrock, der über seiner breiten Brust offenstand. Es war der Rock eines Unionskavalleristen. An seinen Schultern glänzten die Rangabzeichen eines Captains. Ein Ärmel war zerfetzt, das blaue Tuch an der linken Brustseite schwarz und steif von eingetrocknetem Blut. Auf eine Distanz von nicht mehr als hundert Fuß ritt der Rote am Versteck der Patrouille vorbei. Die beiden Dunkelbraunen trugen den Armeebrand auf ihren Hinterbacken und waren mit Armeezeug gesattelt. Der rechte Bügel des einen Pferdes trug einen ledernen Lanzenschuh. Aus ihm ragte, mit einem Riemen an dem leeren Sattel festgeknotet, eine zehn Fuß lange Stahlrohrlanze, an deren oberem Ende eine weißrote Kompaniestandarte baumelte. Lieutenant Gray spürte, wie sein Mund trocken wurde. Mit der Zungenspitze fuhr er sich über die spröden Lippen. Seine - 33 -
Augen entzifferten die schwarz eingedruckte Inschrift auf dem fleckigen, von Kugeln und Pfeilen durchlöcherten Flaggentuch: »Squadron E, 7th Cavalry.« Dieser Krieger hatte gegen das 7. Regiment gekämpft. Gegen Güsters Regiment, das seit Tagen verschollen war. Und es mußte schlecht um dieses Regiment stehen. Es stand immer schlecht um eine Truppe, die eine Fahne einbüßte. Ein leises Geräusch ließ Gray auf seinen Hacken herumwirbeln. Er sah, wie Lansing den Lauf seines Spencerkarabiners durch die Zweige schob. »Ich leg’ das verdammte rote Schwein um!« knirschte der Corporal. »Lansing!« Grays Faust packte den Gewehrlauf und drückte ihn zur Seite. »Sind Sie verrückt geworden? Wollen Sie uns denn alle ans Messer liefern?« Lansing brummte und zog den Karabiner zurück. Gray beugte sich vor und schaute wieder zu dem reitenden Indianer hinab. Er flehte zum Himmel, daß der Mann keinen Verdacht schöpfen möge. Und schon sah es so aus, als ob sein Gebet erhört werden solle, als es geschah. Die beiden Militärpferde hinter dem Sioux drehten den Kopf und windeten den Hang hinauf. Sie nahmen den vertrauten Stallgeruch ihrer Artgenossen wahr. Sie sperrten sich plötzlich gegen den Zug des Lassos, mit dem sie am Schweif des Mustangs festgebunden waren, und stießen ein sehnsüchtiges Wiehern aus. »Verdammt!« Sergeant Prewitt schlug mit der Faust durch die Luft und blickte zu Gray hinüber. Er wartete auf einen Befehl, der nicht kam. Noch nicht. Der rote Krieger drehte sich im Sattel. Er schaute auf die beiden Pferde – und dann glitt sein schwarzer Blick schnell und scharf den Hang hinab, blieb an dem Buschgürtel haften, in dem sich die Patrouille verbarg. Er zögerte – und plötzlich kappte seine Hand das Seil, das ihn mit den anderen Pferden - 34 -
verband. »Er hat uns gesehen, Sir!« wisperte Prewitt. »Worauf warten Sie noch?« Der Sioux hob den Karabiner von seinen Schenkeln. Er schien unschlüssig zu sein. Dann flog die Waffe hoch, der Schuß krachte, die Kugel fegte durch das Gebüsch und ritzte den Hals von Vassilys Pferd. Das Tier bäumte sich und machte sich vom Griff seines Reiters frei. Es wieherte erschreckt und stampfte mit den Hufen den Boden. Augenblicklich schwang der Sioux seinen Mustang herum und warf sich mit einem gellenden Anfeuerungsschrei auf den Pferdehals. Er wußte nun, was er wissen wollte. Vom Fleck weg stürmte das gefleckte Pony den Wildpfad zurück. »Schießt ihn nieder!« brüllte Gray. Zwei, drei Karabiner krachten fast zur gleichen Zeit. Die Kugeln warfen die Erde hinter den Hufen des dahinrasenden Mustangs auf und rissen lange Fetzen aus der roten Rinde der Bergfichten. Prewitt war schon im Sattel und trieb sein Pferd ins Freie. Er feuerte, repetierte und feuerte noch einmal. Dann zügelte er sein Tier und kam zurück. »Zu spät, Sir. Ich würde sagen, er ist uns entkommen.« Gray wandte sich an Lansing. »Nehmen Sie Petermann und McGill, und bringen Sie die beiden Pferde ein. Vielleicht finden wir in ihren Satteltaschen etwas, was uns Aufschluß über Güster gibt.« Lansing salutierte und ritt davon. Prewitt sprach sehr deutlich seine Zweifel aus. »Die Standarte, Sir. Die Standarte der E-Schwadron. Eine Truppe, die ihre Standarte verliert, hat aufgehört zu existieren.« »Die E-Schwadron vielleicht, aber nicht das ganze Regiment«, gab Gray hart zurück. Lansing, Petermann und McGill waren verschwunden, talwärts dem Wildpfad und den beiden durchgegangenen - 35 -
Militärpferden folgend. Gray führte die Patrouille im Schritt hinter ihnen her. Er hörte, wie Vandenberg zu Bellfoot sagte: »Diese verfluchten Rothäute! Ich werde das Gefühl nicht los, daß sie uns schon im Nacken sitzen. Auf alle Fälle wissen sie jetzt über uns Bescheid. Was meinst du, Frank?« Gray verhielt sein Pferd, bis es mit dem von Vandenberg gleichauf war. »Still, Mann!« sagte er scharf. Vandenberg schaute ihm ruhig in die Augen. »Wir sind verloren, Lieutenant, ich weiß es. Von meiner Mutter habe ich das Zweite Gesicht geerbt. Ich kann es sehen, wenn der Tod umgeht. Blutgeruch liegt in der Luft.« Gray spürte, wie eine eisige Faust nach seinem Herzen krallte. »Halten Sie den Mund!« befahl er, und seine Stimme klang spröde. Vandenberg lächelte still vor sich hin. »Ich weiß, was ich weiß«, murmelte er. Prewitt, der den Pfad vorausgeritten war, zügelte sein Pferd. »Keine Spur von Lansing. So weit können die verwünschten Gäule nicht gelaufen sein.« Jeder der Reiter hielt den Karabiner bereits schußbereit auf dem Schenkel, ohne daß es eines Befehles bedurft hätte. In Einzelreihe ritten sie durch den Wald hinab. Schließlich wurden die Fichten licht. Eine kleine Wiese, eine blumige Prärie, bedeckte ein flaches Tal, das sich zu einem sanften kahlen Kamm erhob. Mann hinter Mann traten sie in das Tal hinaus – und dann sahen sie Lansing und die anderen. Sie lagen mitten im Grün des Grases. Sie lagen auf ihrem Gesicht: Lansing, Petermann und der Texaner McGill. - 36 -
Ihre Arme waren auseinandergebreitet, ihre Stiefelspitzen hatten sich in einem letzten Krampf in den weichen Boden gebohrt. Mit drei Kriegslanzen, die man durch ihre Schultern gestoßen hatte, waren sie an die Erde genagelt worden. Ihre Pferde und Waffen waren verschwunden. Kein Schuß war gefallen. Alles hatte sich vollkommen lautlos abgespielt. Sie mußten so schnell überrumpelt worden sein, daß keiner von ihnen mehr dazu gekommen war, einen Schrei auszustoßen – nach Hilfe zu rufen und seine Kameraden zu warnen. Gray starrte auf das rotgesprenkelte Gras. Drei Tote. Wo befanden sich ihre Mörder? Sie mußten ganz in der Nähe sein. Verborgen im Wald – oder hinter jenem Kamm. Er hörte Vandenberg flüstern: »Der Tod geht um. Ich kann ihn sehen.« Er hob die Hand und schlug Vandenberg ins Gesicht. Der Mann wankte im Sattel, aber er lächelte nur. »Damit können Sie auch nichts mehr ändern, Lieutenant.« Sergeant Prewitt begann plötzlich zu schreien: »Seht doch! Da -da!« Gray riß den Kopf herum. Jenseits des Tales – auf der Höhe des flachen Kamms – hielt eine Kette berittener Indianer. Eben war die Anhöhe noch leer gewesen. Jetzt starrte der hundertfache Tod von dort oben auf die verlorenen Männer hinab. Gray raffte all seinen Mut zusammen. »Zurück!« brüllte er. »In den Wald zurück! Unter dem Bäumen absitzen. Fertig machen zum Gefecht zu Fuß!« Der Wolfsschrei der Sioux brandete zum Himmel, als er sein Pferd herumwirbelte. Plötzlich waren auch unter den Bäumen Indianer. Schüsse knallten und rollten mit hohlen Echos durch das Tal. Und dann schlug das vernichtende Kreuzfeuer über der Patrouille zusammen. * - 37 -
Lieutenant Gray parierte sein taumelndes Pferd. In seinen Augen brannte salziger Schweiß, und Pulvergeruch haftete in seiner blauen Uniform. Er lebte noch, und das allein war schon mehr als ein Wunder. Die Ereignisse der letzten Stunden reihten sich wie die Glieder eines wüsten Traums aneinander. Noch immer waren seine Ohren taub vom Krachen der Schüsse und dem gellenden Geheul der Sioux. Blut sickerte aus einem Streifschuß über dem Ohr auf seine Wange und zeichnete eine dunkle Tropfenspur auf sein blaues Wollhemd. Über seine Schulter spähte er auf seine Fährte zurück. Kein Verfolger zeigte sich mehr. Sie hatten ihn entkommen lassen. Irgendetwas – und er würde in seinem ganzen Leben nicht herausfinden, was es gewesen sein mochte – hatte sie davon abgehalten, ihn weiterzuverfolgen. Er stemmte die Fäuste gegen das Sattelhorn. Dann dachte er an seine Männer, und ein heißes Brennen stieg in seine Augen hinauf. Eine stählerne Klammer legte sich um seine Brust, und die eisige Faust des Entsetzens schnürte seine Kehle zusammen. Nolan und Bellfoot waren schon bei der ersten Salve gefallen. Dann hatte es Vandenberg erwischt, den Mann, der behauptet hatte, das zweite Gesicht zu besitzen. Vassilys Pferd war getroffen gestürzt und hatte seinen Reiter unter sich begraben – und in Lieutenant Grays Ohren gellte immer noch Vassilys schauriger Todesschrei. O’Hara und O’Blaine waren irgendwo im Wald abgeschnitten worden. Das letzte, an das er sich sehr deutlich erinnern konnte, war Prewitts blasses, angespanntes Gesicht, als er einen Indianer niederschoß und im gleichen Augenblick ein zweiter Krieger seine Kriegslanze in den Rücken des Sergeants rammte. Dann war er nur noch geritten und geritten – und nun hielt er hier, auf einem zu Tode erschöpften Pferd, und schaute in - 38 -
ein kleines, verborgenes Felsental hinab. Er dachte an die Sioux, und sein Rücken wurde kalt. Es sah ihnen nicht ähnlich, ein einzelnes Bleichgesicht entwischen zu lassen. Wo waren sie? Welche Teufelei heckten sie jetzt aus? Sein Mund war ausgetrocknet von Staub und Pulverrauch. Die Zunge lag wie ein dicker, aufgequollener Klumpen zwischen seinen Zähnen. Er streckte die Hand aus und griff nach der Feldflasche, die an der Sattelwiege hing. Seine Augen entdeckten die beiden Löcher, die eine Kugel in das filzüberzogene Metall geschlagen hatte. Die Flasche war leer, das wenige Wasser dahin. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er in das kleine Tal hinab. Felsen und grünes Gras, frisches Laub an den Büschen. Vielleicht gab es eine Quelle dort unten. Er nahm die Zügel auf, und gehorsam setzte sich das große, eisengraue Pferd in Bewegung und kletterte über den steinigen Rand des Tales in den von wildem Lorbeer, Salbei und Hartlaubgewächsen zugewucherten Kessel hinab. Der Schatten unter den Bäumen wirkte kühl nach der barbarischen Hitze draußen. Die eisenbeschlagenen Hufe des Pferdes klapperten laut auf moos- und farnüberwachsenen Felsplatten. Gray stieg ab und führte es. Er bog um eine graugesprenkelte Klippe ... und prallte entsetzt zurück. Vor ihm stand ein magerer Schecke. Ein Pinto – und diese Art von Pferden wurde besonders gern von roten Kriegern geritten. Seine Hand stieß zum Revolverfutteral hinab und schwang mit der Waffe wieder empor. Er spannte den Hammer. Das Knacken des Metalls wirkte überlaut in der tiefen Stille dieses Ortes. Der Schecke drehte den Kopf, windete zu ihm herüber und stieß dann ein sehnsüchtiges Schnauben aus. Gray drehte sich vorsichtig um. Zu Füßen einer kahlen - 39 -
Felswand wucherte dichtes Buschwerk. Von dort erklang jetzt eine rauhe Stimme: »Stecken Sie Ihr Schießeisen weg, Lieutenant. Ich hab’ Sie schon eine ganze Weile im Visier.« Gray senkte den Colt. »Wer sind Sie?« fragte er. Ein trockenes Lachen ertönte. »Kommen Sie doch her. Sehen Sie selbst nach.« Gray schlang die Zügel seines Pferdes um einen Stein und schritt vorwärts. Er durchbrach den dünnen Buschgürtel. Und dann sah er den Reiter, der zu dem abgetriebenen Schecken gehörte. Es war ein hagerer Mann mit grauem Haar. Die abgewetzte Rehlederkleidung verriet den Scout und Prärieläufer. Er lehnte mit dem Rücken gegen eine Steinplatte, die Mündung seines Spencerkarabiners zielte auf Gray. Neben ihm sickerte Wasser aus einem Spalt in der Felswand. »Ein Offizier der Armee!« Die Stimme des Mannes in Rehleder klang so trocken wie sein Lachen. »Halbtot, auf einem halbtoten Pferd. Die Rothäute müssen Sie ganz schön herumgestoßen haben, mein Freund.« Gray nickte. Voller Gier starrte er auf das Wasser. »Lieutenant Gray vom 3. Regiment aus Fort Laramie, unterwegs mit einer Patrouille, um Verbindung mit Colonel Güster aufzunehmen ...« Er brach ab und ließ den Revolver fallen. Vorbei an dem Scout stürmte er auf die Quelle zu, warf sich auf die Knie und begann zu trinken. Wieder ertönte jenes trockene Lachen. »Langsam, Lieutenant, langsam! Es ist genug für uns alle da.« Gray wandte den Kopf. Seine Augen starrten den Mann in Rehleder an. »Sie haben ja keine Ahnung ... Sie können ja nicht wissen ...« Der Scout nickte flach. - 40 -
»O doch, Lieutenant, ich weiß sehr gut über Sie Bescheid. Ich sehe Blut und Pulverrauch in Ihrem Gesicht – und ich kann in Ihren Augen lesen. Sie haben Ihre Leute verloren, und jetzt fragen Sie sich, weshalb man Sie am Leben gelassen hat, nicht wahr? Für einen Offizier ist es immer eine schlimme Sache, den Tod seiner Soldaten zu verantworten.« »Woher wissen Sie so gut über die Armee Bescheid?« murmelte Gray. Der Scout grinste. »Zufällig arbeite ich auch für die Armee. Ich gehörte zu Generals Gibbons’ Kommando. Wie Sie war ich auf der Suche nach Güster. Und ich habe ihn gefunden. Sie nicht, Lieutenant.« »Und wo ist er jetzt?« »Tot! Und mit ihm wohl sein ganzes Regiment. Ich habe die Leichen selbst gesehen. Berge von Leichen ...« Gray schüttelte sich. Dann erwachte das Mißtrauen in ihm. Noch nie war es Indianern gelungen, ein ganzes Regiment Kavallerie zu schlagen. Sie waren einfach zu unbeständig im Kampf. »Wenn Sie zu General Gibbons gehören«, sagte er, »was tun Sie dann so tief im Süden? Soviel ich weiß, operiert Gibbons viel weiter nördlich. Sind Sie desertiert? Davongelaufen?« Der Scout grinste. Er bewegte sein rechtes Bein etwas. Er tat es schwerfällig und unbeholfen. Jetzt sah Gray den schmutzigen Verband am Oberschenkel, dicht über dem Knie. Er sah entzündetes Fleisch unter dem zerfetzten Beinling der ledernen Leggins. »Wurde ein wenig angekratzt - kurz nachdem ich Güster gefunden hatte«, erklärte der Scout. »Bekam einen Pfeilschuß durch das Bein. Hat sich entzündet. Konnte mich nur noch hier verkriechen und darauf hoffen, daß mich Weiße finden würden, bevor es die Roten taten.« Gray senkte den Kopf und schluckte. »Das wußte ich nicht. Tut mir leid.« - 41 -
»Schon gut. Bin mächtig froh, Lieutenant, daß Sie gekommen sind. Damit sind meine Chancen gestiegen ... und Ihre auch. Übrigens, ich heiße Parker, Noll Parker. Würden Sie so gut sein und meinen Pop absatteln? Liege seit vierundzwanzig Stunden hier rum, konnte dem armen Kerl noch nicht mal den Gurt aufmachen.« Parker fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Hatte Fieber und war verdammt schlapp. Dachte schon, ich würde in die ewigen Jagdgründe marschieren. Scheine aber noch mal davongekommen zu sein.« Gray ging hinaus, sattelte beide Pferde ab und schleppte Sättel und Getränke zum Fuß der Felswand. Er tränkte sein Pferd und band es mit der Halfterleine fest, damit es nicht abwandern konnte. Dann kehrte er zu Parker zurück. »Was jetzt?« Parker kräuselte die Stirn, in seinen grauen Augen erschien ein Ausdruck von grimmiger Amüsiertheit. »Zwei Weiße in einem Gebiet, in dem es von Siegesberauschten Roten wimmelt, was können die schon machen? Lieutenant, wir müssen uns nach Laramie durchschlagen – aber ich kann Ihnen nicht versprechen, ob wir es je erreichen werden.« Gray nickte. »Ich hatte den Auftrag, Güster zu suchen. Wenn Sie über ihn Bescheid wissen, dann ist meine Arbeit getan.« Parker sagte: »Ich habe seit zwei Tagen keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht. Wie sieht’s aus mit Ihren Vorräten?« Gray öffnete seine Satteltasche und zog Speck, Hartbrot und ein Beutelchen mit Kaffeebohnen hervor. »Das ist alles, was ich habe. Können wir ein Feuer riskieren?« »Sicher. Die Roten haben Sie laufenlassen – aus einem Grund, den nur sie kennen. Etwas muß sie aufgehalten haben. Wenn sie Sie umbringen wollten, hätten sie es schon längst getan. Kein weißer Mann kann ihnen davonreiten, wenn sie es - 42 -
nicht wollen.« Gray sammelte Reisig und entfachte ein Feuer. Er kochte Kaffee und beobachtete, wie Parker heißhungrig über das Essen herfiel. Er selbst brachte keinen Bissen hinunter. Immer wieder mußte er an seine Männer denken. Und immer wieder stellte er sich die gleiche Frage: Hatte er etwas falsch gemacht? Hätte er es verhindern können? Parker spülte den letzten Bissen Brot mit einem Schluck Kaffee hinunter und lehnte sich zurück. »Mein Tabak ist alle. Haben Sie eine Zigarette für mich?« Gray gab ihm eine von seinen Zigarren und löschte das Feuer. Dann ging er zur Quelle, tauchte sein gelbes Armeehalstuch in das klare Wasser und wusch sich Schweiß, Pulverschleim und getrocknetes Blut aus dem Gesicht. Als er sich umdrehte, sah er die grauen Augen des Scouts mit einem wachen Interesse auf sich gerichtet. »Hu, jetzt sehen Sie wieder wie ein Mensch aus«, brummte Parker. Gray kniete sich neben ihm nieder und deutete auf das verletzte Bein. »Lassen Sie mich Ihre Wunden sehen.« »Verstehen Sie denn etwas davon?« »Ein wenig. Habe vor einem Jahr einen Feldscherlehrgang mitgemacht.« »Aha. So etwas wie ein weißer Medizinmann also!« Parker grinste. »Okay, es kann nichts schaden, wenn Sie mal einen Blick darauf werfen.« Gray löste den schmutzigen Verband und furchte die Brauen. Der Ausschuß über der Kniekehle sah sauber aus, aber der Einschuß war entzündet. Wahrscheinlich hatte die Pfeilspitze Stofffasern mit in die Wunde gerissen. Das Fleisch darum hatte eine ungesunde bläuliche Färbung angenommen, der Schenkel war geschwollen. »Ein Wunder, daß Sie noch keine Blutvergiftung haben.« Er schaute Parker ernst an. »Aber es ist nicht mehr weit davon - 43 -
weg. Wir werden die Wunde ausbrennen müssen, um die Sepsis aufzuhalten.« Parker nickte gleichmütig. »Nur zu.« Gray sagte: »Es wird ziemlich schmerzen. Vielleicht streifen Indianer in der Nähe herum und hören es, wenn Sie schreien.« Parker warf ihm unter seinen buschigen Brauen hervor einen undeutbaren Blick zu. »Schreien? Warum sollte ich schreien, Lieutenant?« Gray starrte auf das rot entzündete Fleisch von Parkers Bein. »Dann wollen wir es rasch hinter uns bringen«, sagte er. Parker nickte. »In Ordnung. Fangen Sie ruhig an.« Gray nahm eine Revolverpatrone aus seiner Patronentasche, steckte sie mit dem Geschoß voran in die Mündung seines Colts und brach mit einem kräftigen Druck die Kugel aus der Hülse. Dann streute er das Schwarzpulver in einem kleinen Ring um die Wunde. »Beißen Sie die Zähne zusammen!« Er riß ein Streichholz an und beugte sich nieder. Es zischte, und weißer Qualm stieg auf. Es roch scharf nach verbranntem Pulver und versengtem Fleisch. Gray schaute auf Parkers Hand, mit der der Scout zum Mund griff und die Zigarre herausnahm, zitterte nicht. Aber Gray sah, daß er diese Zigarre glatt durchbissen hatte. Er nahm ein frisches Verbandspäckchen aus seiner Satteltasche und legte es stramm um die Wunde. »Wenn alles gutgeht, werden Sie morgen wieder den Sattel drücken können, Parker.« Der Scout zwinkerte mit den Augen. »Heiße Noll. Und Sie?« »Edwar’d.« »Well, Edward, bin mächtig froh, daß der Wind dich in mein Versteck geweht hat. Das kannst du mir glauben.« Gray winkte ab. »Schon gut, Noll, schon gut.« - 44 -
Er dachte an seine Männer. Für eine Weile hatte er sie vergessen gehabt, aber nun kehrte die Erinnerung zurück und setzte ihm zu. Sein Herz wurde schwer wie Blei. * Beim nächsten Morgen sah Parkers Bein besser aus. Gray machte sein Messer glühend und säuberte die Wundränder. Dann legte er eine neue feste Kompresse an. Parker erhob sich und versuchte ein paar Schritte, bei denen er sich auf sein Gewehr stützte. Er brummte zufrieden. »Damit werde ich bis Laramie reiten können.« »Well, worauf warten wir dann noch?« Er sattelte, während Parker ihre Spuren verwischte, so gut es ging. Dann stiegen sie auf und folgten dem Canyon südwärts. Sie blieben bis zum Einbruch der Dunkelheit im Sattel, verbrachten eine kalte Nacht ohne Feuer und waren bei Sonnenaufgang schon wieder unterwegs. Tag um Tag wurde ihre Marschleistung geringer. Die Pferde waren erschöpft, und Parkers Wunde wollte sich nicht schließen. Ihre Vorräte gingen rasch zur Neige. Sie sahen überall Wild in der Dämmerung aus den Wäldern treten, aber sie wagten nicht, es zu jagen, aus Furcht, ein Schuß könne sie verraten. Alle ihre Gedanken, ihre Empfindungen und Wünsche konzentrierten sich auf das eine Ziel - die alte PlatteStraße zu erreichen. Am vierten Tag nachdem sie Parkers Versteck verlassen hatte, zügelte der Scout hart seinen Schecken. Seine Hand hob sich und wies gen Himmel: »Schau da hin, Edward!« Gray hob den Kopf. Er sah eine schwarze Bussardwolke am Himmel kreisen. »Da muß etwas Totes liegen.« »Ja, sehr viel Totes«, bestätigte Parker grimmig. »Komm, laß uns nachschauen.« - 45 -
Gray zögerte. »Ist das nicht sehr gefährlich? Ich meine, Indianer könnten noch in der Nähe sein.« Parker schüttelte den Kopf. »Nein, sie sind schon lange fort. Und sie haben nur Totes hinter sich zurückgelassen. Die Bussarde beweisen es.« Jetzt übernahm er die Führung. Zielstrebig ritt er jenem fernen verhängnisvollen Punkt entgegen. Gray folgte ihm, das Henrygewehr in der rechten Hand. Vor ihnen wuchsen rauhe Klippen und von der Verwitterung zerfressene Felsmauern empor. Plötzlich zügelte Parker seinen Schecken hart. »Sieh dir das an, Kamerad!« Gray drängte seinen Eisengrauen an ihm vorbei. Er schaute auf die reglose Gestalt eines Mannes in rauher Farmerstracht hinab. Der Mann lag zwischen den Felsen, auf dem Bauch, und seine Hände hatten sich in den Boden gekrallt. Aus seinem Rücken ragte der Schaft eines gefiederten Pfeils. »Ogallala-Sioux«, stellte Parker mit einem Blick auf die Stabilisierungsfedern fest. »Ich kann’s an dieser Stricknadel da erkennen.« Er stieg aus dem Sattel und beugte sich über den bereits erstarrten Körper. »Muß schon eine Weile tot sein.« Er schaute die verwehte Fährte entlang, die die Stiefel des Mannes im Staub hinterlassen hatten. Das Land senkte sich dort zur Sohle eines Tales hinab. In weiter Ferne war ein dunkler Buschgürtel sichtbar. »Das muß der North Platte sein.« Parker runzelte die Stirn. »Und die Straße verläuft auch da unten. Die Roten haben wahrscheinlich einen Wagenzug geschnappt und ausgelöscht, und dieser arme Teufel ist ihnen entkommen und hat sich hier herauf geschleppt.« »Mit einem Pfeil im Rücken?« warf Parker ungläubig ein. Parker nickte. »Ja, mit einem Pfeil im Rücken. Todesangst und - 46 -
Verzweiflung vermögen viel. Ich habe Männer gesehen, denen eine Kugel das Herz durchbohrt hatte – und trotzdem standen sie noch auf ihren beiden Füßen und feuerten ihre Revolver leer.« Er durchsuchte die Taschen des Toten auf der Suche nach etwas, was vielleicht Aufschluß über ihn geben vermochte. Seine Finger fanden einen zerknitterten Briefumschlag und strichen ihn glatt. Die Adresse lautete: Mr. Cliff Adams, MuleDeer-Farm, via Glenrock Wyoming Territory. Sie war ohne Zweifel von einer Frauenhand geschrieben. »Ein Neusiedler«, stellte Parker fest und schob den Umschlag in sein Hemd. »Einer, der sich hier draußen ein neues Leben aufbauen wollte. Well, das ganze Grenzland ist voll von ihren Gräbern.« Parker humpelte zu seinem Schecken und zog sich schwerfällig in den Sattel. Noch einmal schaute er auf die stille Gestalt hinab. Die Sonne hatte ihr Zerstörungswerk noch nicht begonnen. Das hieß, daß dieser Mann noch nicht länger als einen Tag tot sein konnte. »Sehen wir nach, woher er gekommen ist.« Parker trieb seinen Schecken die verwehte Spur entlang. Gray folgte ihm dichtauf, den Karabiner schußbereit in den Händen. Durch Klippen und Felstrümmer ritten die beiden Männer abwärts. Ein dünner grauer Rauchfaden erhob sich hinter einer Felsnase. Um einen Knick reitend, zügelten die beiden Männer ihre Pferde. Der Rauch, den sie gesehen hatten, entströmte dem Wrack einer schweren Concord-Kutsche, die mit zerborstenen Rädern und kugelzerfressenen Planken zu Füßen einer Felswand lag. Der Rauch war kalt. Nur der Wind vermochte ihn noch aus dem Haufen schwarzer Asche und verkohlten Holzes emporzuwirbeln. Tote Pferde lagen am Straßenrand. - 47 -
Gray lenkte seinen Eisengrauen auf sie zu. Etwas zog ihn magisch an. Etwas Blaues, das in einer Geländefalte lag. Dann schaute er auf den blutigen Schädel eines skalpierten Soldaten hinab. Sein Magen zog sich zusammen. Das Gesicht war in der Qual des Todes verzerrt, und dennoch erkannte er es. Lieutenant Tom Collins vom 3. Regiment des Kavallerie würde nie wieder auf das Signal »Aufsitzen!« reagieren. Nie mehr in diesem Leben ... Er vernahm Parkers Zuruf wie aus weiter Ferne und wendete sein Pferd. Parker wies die Straße hinab. Andere Wagenwracks standen dort, ausgebrannt, zerstört und von Kugeln durchsiebt. Und überall lagen toten Männer. Tote weiße Männer. »Es muß gestern gegen Abend geschehen sein«, sagte Parker mit einer dumpfen, erloschenen Stimme. »Es sind Kameraden von mir«, murmelte Gray. »Soldaten aus Fort Laramie. Sie hatten den Auftrag, die Straße zu schützen – aber sie haben es nicht vermocht.« Parker hob sich in den Bügeln und spähte zum Ufer des North Platte hinüber, das sich in einer Entfernung von etwas zwei Meilen abzeichnete. In den Büschen dort konnten sich hundert Indianer verbergen, ohne daß man sie sah. »Besser, wir verschwinden von hier, Kamerad!« »Bleiben wir auf der Straße?« »Um den roten Teufeln in die Finger zu laufen?« Parker grinste trocken. »Darauf warten sie ja gerade. Ich wette, ihre Kundschafter sitzen überall auf diesen Höhen und lassen keine Bewegung aus den Augen. Sie kennen die Vorliebe der weißen Männer für einen gebahnten Weg.« »Dann können sie uns also auch gesehen haben?« »Vielleicht. Deshalb sage ich ja, wir verschwinden besser von hier.« Parker hatte bereits sein Pferd gewendet. Er trieb es wieder - 48 -
den grauen Klippen zu ... und hielt es plötzlich erneut an. Sein Blick richtete sich mit einem wachen Interesse auf einen Spalt in der Felswand, vor der die ausgebrannte Concord-Kutsche lag. »Was ist?« fragte Gray, den Karabiner hebend. Parker machte eine rasche Handbewegung und beugte sich lauschend im Sattel vor. »Still!« Seine Augen versuchten das Brombeerdickicht zu durchdringen, das den Riß in der Felsmauer ausfüllte. »Hörst du nichts?« fragte der Scout. Gray strengte sein Gehör an. Und dann vernahm er einen Laut, den er nie in dieser Wildnis zu vernehmen geglaubt hätte. »Klingt wie das Weinen eines Kindes, Noll.« »Es ist ein Kind«, gab Parker voller Überzeugung zurück. Er glitt vom Sattel und hinkte auf den Spalt zu. Gray war sofort neben ihm. »Vorsicht! Es könnte eine Teufelei der Roten sein!« »Eine Falle, eh?« Parker verzog seine Lippen zu einem dünnen Grinsen. »Nein! Wenn sie da wären, würden sie mit zwei Bleichgesichtern nicht eine solche Menge Theater machen.« Er bog die Brombeerranken auseinander und drang in den Spalt. Gray blieb etwas zurück. Dann hörte er Parker rufen: »Hierher, Edward – schnell!« Rasch folgte er ihm. Was er sah, ließ sein Herz schneller klopfen. »Heiliger Rauch! Eine Frau und ein kleiner Junge!« So war es. Auf dem weichen Flugsand, der die Sohle des Spaltes ausfüllte, lag eine junge, hübsche Frau in tiefer Bewußtlosigkeit. Ihr graues Reisekleid war beschmutzt. Die Fülle ihres Blondhaares umrahmte ein schmales Antlitz, dessen Lider geschlossen waren. Quer über ihre Stirn und ins Haar hinein verlief eine dicke, bläulich verfärbte Beule. Ein - 49 -
schwerer Gegenstand hatte sie am Kopf getroffen, wahrscheinlich die Keule eines Sioux-Kriegers. Aber sie ‘hatte dennoch Kraft genug besessen, sich an diesen versteckten Ort zu schleppen und dadurch dem Gemetzel zu entkommen. Neben ihr kauerte ein kleiner, vielleicht fünfjähriger Junge. Er besaß das gleiche blonde Haar und die kecke Stupsnase der bewußtlosen Frau. Sie mußte seine Mutter sein. Jetzt weinte er nicht mehr, aber die Tränen hatten tiefe Furchen in die Schmutzschicht auf seinem Gesicht gegraben. Mit weit offenen Augen, in denen die nackte Furcht flackerte, starrte er die beiden Männer an. Parker ließ sich auf das gesunde Knie nieder. Seine rauhe Hand tätschelte zärtlich den Kopf des Kindes. »Hallo, Kleiner! Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten, wir sind keine Indianer. Wir wollen euch helfen. Ist das deine Mutter?« Der Junge nickte. Sein Mund verzog sich, und neue Tränen stürzten aus seinen Augen. »Daddy! Wo ist mein Daddy?« Parker warf Gray einen hilflosen Blick zu und zuckte die Schultern. Draußen auf dem Weg gab es kein Leben mehr. Alle Männer waren erschlagen worden. Der Vater dieses Jungen auch – sicherlich. »Wir werden deinen Dad schon noch finden«, nurmelte er. Gray spähte vorsichtig durch das Brombeergebüsch nach draußen, wo ihre Pferde in der prallen Sonne standen. »Was jetzt, Noll?« fragte er. Parker hob die Schultern. »Wir nehmen sie mit, natürlich. Oder willst du eine weiße Frau und ihr Kind in der Wildnis sterben lassen?« Gray schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Aber ich denke daran, daß wir nur zwei Pferde besitzen. Es wird ein hartes Reiten werden. Und wenn wir auf die Sioux stoßen, gibt es für keinen von uns ein Entrinnen mehr.« - 50 -
»Darauf müssen wir es ankommen lassen«, erwiderte Parker rauh. »Bring mir die Feldflasche her!« Gray gehorchte. Parker befeuchtete einen Zipfel seines Halstuches mit Wasser und reinigte das Gesicht der Frau. Als er die Beule an ihrer Stirn berührte, stöhnte sie schmerzlich auf. Aber ihre Augen blieben geschlossen. Gray schaute Parkers Bemühungen eine Weile zu. Dann ging er zu seinem Pferd und nahm eine kleine, flache Blechflasche aus der Satteltasche. »Versuch das mal, Kamerad.« Parker zog mit den Zähnen den Korken aus der Flasche und schnupperte an der Öffnung. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Verdammt will ich sein, wenn das kein echter Bourbon ist! Warum, zum Teufel, hast du mir den bisher vorenthalten?« »Er ist nur für den schlimmsten Fall bestimmt«, gab Gray lächelnd zurück. Parker begann zu fluchen, aber um seine Augen bildeten sich die Fältchen eines grimmigen Humors. »Verdammt sei deine schwarze Seele, Edward! Und dabei habe ich dich immer für meinen Freund gehalten.« Er schob den freien Arm unter die Schultern der Frau und richtete ihren Oberkörper auf. Dann flößte er ihr etwas Whisky ein. Die Frau hustete, als der scharfe Alkohol ihre Kehle hinunterrann. Ihre Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug. Sie schluckte wieder, hustete noch einmal, und dann begannen ihre Lider, die gleich dunklen Halbmonden auf ihren blassen Wangen ruhten, zu beben. Gleich darauf schaute Lieutenant Edward Gray in das schönste dunkle Augenpaar, das er je gesehen hatte. Die Frau seufzte und schloß die Augen wieder. Parker warf seinem Gefährten einen grimmigen Blick zu. »Wir müssen weg von hier. Indianer kommen – ich fühle - 51 -
es.« Gray nickte, bückte sich und hob die Frau auf. Sie lag leicht wie eine Feder in seinen Armen, während er sie zu seinem Pferd trug. Hinter den Hügeln im Norden wirbelte eine Staubfahne empor. Er legte den leichten Körper über den Pferdehals und saß auf. Dabei hörte er, wie Parker mit dem Jungen sprach. »Wie heißt du denn, Sohn? Ah, Chris Adams. Feiner Name, das. Und deine Mutter heißt Penny? Mrs. Penny Adams. Well, Chris, mach jetzt die Augen zu und sieh lieber nicht hin. Wir bringen dich jetzt weg, du brauchst nichts mehr zu befürchten.« »Aber Daddy? Wo ist mein Daddy?« weinte das Kind. Parker sagte: »Wir werden ihn schon irgendwo finden, deinen Daddy.« Während er das sagte, dachte er an den Briefumschlag in seiner Tasche. »Mr. Cliff Adams, Mule-Deer-Farm, via Glenrock/Wyoming Territory« – so hatte die Anschrift gelautet. Parker wußte jetzt, wo sich der Vater dieses Jungen befand. Er lag weiter oben zwischen den Felsen, mit einem gefiederten Pfeil im Rücken. Nie mehr in seinem ganzen Leben würde der kleine Chris seinen Vater wiedersehen. * Es war eine Woche später um die Mittagsstunde, als Noll Parker sein Pferd zügelte. Mit scharfem Blick spähte er über das wilde Land. Eine Bergkuppe mit abgerundetem Kegelstumpf, dem erloschenen Krater eines Vulkans gleich, zeichnete sich vor dem Horizont ab und schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. »Ich erinnere mich an diesen Berg«, sagte er schließlich zu seinen Gefährten. »Vor ein paar Jahren habe ich mal - 52 -
zusammen mit einem Trapper hier gejagt. Old Jack Brady war sein Name. Wir lebten einen langen Winter hindurch gemeinsam in seiner Hütte. Sie muß hier irgendwo in der Nähe sein.« »Wenn die Sioux ihn nicht skalpiert und die Hütte niedergebrannt haben«, warf Gray ein. »Das glaube ich kaum«, erwiderte Parker. »Brady lebte schon seit dreißig Jahren hier draußen und hatte niemals Schwierigkeiten mit ihnen. Im Gegenteil, er besaß viele Freunde unter den nördlichen Stämmen, seitdem er eine Arapahoe geheiratet hatte. Aber sie starb schon lange vor meiner Zeit.« »Wenn wir diese Hütte fänden, wären wir ziemlich sicher, was?« murmelte Gray. Parker nickte. »Ja. Auf alle Fälle könnte Old Jack uns weiterhelfen.« Gray warf einen verstohlenen Blick auf die erschöpften Gesichter von Penny Adams und ihrem Sohn. Hilfe war das, was sie jetzt am nötigsten brauchten. Ein paar Tage Ruhe. Schlafen in der Geborgenheit fester Balkenwände. Mahlzeiten, die man auf einem richtigen Herd zubereiten konnte und nicht in aller Hast hinunterschlingen mußte. Ein paar Stunden der Entspannung, ohne ständig auf die gleitenden Schritte weicher Mokassinsohlen, das Krachen eines verborgenen Gewehrs oder das saugende Geräusch eines heranschwirrenden Pfeils zu lauschen. »Well, wir schauen uns nach deinem Freund um.« Parker führte sie stetig dem fernen Bergkegel entgegen. An seinem Fuß schwenkte er plötzlich beinahe rechtwinklig nach Osten ab. Kurze Zeit später stiegen sie in das gewundene Tal eines Flusses hinab und folgten ihm stromauf. Der Berg war jetzt zu ihrer Linken. Parker drehte sich im Sattel zu Gray um und nickte zufrieden. »Wir sind richtig. Bevor es Abend wird, stehen wir vor Old - 53 -
Jacks Hütte.« Parker führte mit der Zielstrebigkeit eines Mannes, der sich in vertrautem Gelände weiß. Das Tal wurde immer wilder, einsamer und großartiger, das Flußbett immer felsiger. Dann ritten sie um einen Knick und standen jäh vor einer mächtigen grauen Steinmauer, die das Tal in seiner vollen Breite sperrte. Die Bedeutung des donnernden Tosens, das sie schon eine ganze Weile vernommen hatten, wurde ihnen jetzt klar. Von der Höhe der Felswand kam der Fluß in einem mächtigen Fall herabgestürzt, die Luft mit weißem Wasserstaub füllend. Parker führte sie einen Hang hinauf bis auf den Grat und drehte sich um. Das Tal, durch das sie heraufgekommen waren, lag jetzt unter ihnen. Vor ihnen öffnete sich ein Pfad, der in ein Gehölz von Silberespen, Zedern und Fichtenschößlingen führte. Auf Parkers Zeichen fädelten sie sich hintereinander ein und folgten dem Pfad. Der kleine Wald war dünn und endete bald, aber der Pfad blieb. Er schlängelte sich in einen lieblichen, fast kreisrunden Talkessel hinab, durch den der Fluß still dahergeglitten kam, bevor er sich über den Rand der Felswand stürzte. Am oberen Ende des Kessels breitete eine mächtige Balsamfichte ihre riesigen Äste aus, und in ihrem Schatten duckte sich eine winzige Blockhütte mit vom Alter zerfressenen Bohlenwänden, einem moosüberwucherten Dach aus grauen Zedernschindeln und einer viereckigen Fensterluke neben der Eingangstür. Die aus Konservendosenblech gefertigte Esse ragte bleistiftdünn aus dem grauen Schindeldach, aber kein Rauch wirbelte aus ihr empor. Im Corral weidete ein Mustang. »Old Jack muß unterwegs sein, vielleicht braucht er frisches Fleisch«, meinte Parker. »Er wird nichts dagegen haben, wenn wir uns bei ihm einquartieren.« »Sicher nicht«, stimmte Gray zu, der die Gastfreundschaft - 54 -
der Westler kannte. Sie folgten dem Pfad bis vor das kleine Haus. »Tut mir leid, Leute, daß ich euch nichts Besseres anbieten kann«, sagte Parker. Gray grinste. Zum erstenmal seit Tagen fühlte er sich wohler. »Was willst du, Noll! Es ist ein Palast!« Er hob Penny vom Sattel. »Sieht tatsächlich so aus, als ob Jack zu einem längeren Jagdzug in die Berge gezogen wäre«, bemerkte Parker und runzelte die Stirn dabei. Er humpelte zur Tür, die aus dünnen Baumstämmen gefertigt war und in aus Tierhaut geschnittenen Angeln hing, und öffnete sie langsam. Alle seine Bewegungen drückten einen stummen Zweifel aus. Gray spähte über Parkers Schulter hinweg in das Innere. Sie besaß nur einen Raum und sah sauber aus. Das Feuer in dem aus Steinen und Lehm gemauerten Herd war kalt. Parker schloß die Tür hinter sich und rumorte eine Weile in der Hütte herum. Penny kauerte mit geschlossenen Augen da und hielt ihren Jungen im Arm, während Gray die Pferde absattelte und zum Trinken an den Fluß führte. Danach trieb er sie in den Corral. Noch während er arbeitete, hörte er Parker aus der Hütte treten. Zu Penny sagte Parker: »Kommen Sie rein und machen Sie es sich gemütlich.« Gray nahm seine Henry aus dem Scabbard und schnallte seine Deckenrolle von der Sattelwiege. Als er sich drehte, sah er Parker an der Fenz stehen. Das Gesicht des Scouts war düster. Sofort spürte Gray, wie sein Herz zu klopfen begann. »Was nicht in Ordnung, Noll?« Parker warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich dachte, Old Jack wäre auf die Jagd gegangen. Aber jetzt glaube ich nicht mehr daran«, brummte er. - 55 -
»Und warum nicht?« »Ich habe sein Gewehr gefunden. Es hängt an seinem alten Platz über dem Bett. Kannst du dir einen Bergjäger vorstellen, der sein Gewehr zurückläßt, wenn er auf die Jagd geht?« Gray schüttelte den Kopf. »Offen gestanden, nein. Aber bist du sicher, daß es sein Gewehr ist, Noll?« »Ganz sicher. Ich kenne das Schießeisen zu gut. Ein altes Hawkens-Präriegewehr, wie es von Jim Bridger und Kit Carson auf den Plains eingeführt worden ist. Ein Vorderlader – und es gibt nur noch wenige Männer hier draußen, die so eine alte Donnerbüchse benutzen.« »Vielleicht«, warf Gray ein, »hat sich dein Freund ein modernes Gewehr zugelegt.« Parker lachte trocken auf. Aber es war ein Lachen ohne einen Schimmer von Humor. »Da kennst du Old Jack aber schlecht! Ich hab’ ihn damals zu einer Sharps überreden wollen, die doch wahrhaftig für die Büffeljagd das beste Schießeisen ist. Er hat nur abgewinkt. Er sagte mir, er sei mit seiner alten Hawkens in den Westen gekommen, sie habe ihn nie im Stich gelassen, und mit ihr in der Hand wolle er in die ewigen Jagdgründe eingehen.« Er räusperte sich, schaute Gray nachdenklich an und fuhr schließlich fort: »Sieht aus, als ob er das auch getan hätte – aber ohne seine Knarre mitzunehmen.« »Du glaubst, er könne tot sein?« fragte Gray gepreßt. »Tot, sicherlich«, gab Parker dumpf zurück. »Und die Sioux haben das getan.« »Aber sagtest du nicht, er sei ihr Freund gewesen ?« »Es gibt Zeiten, da kann kein weißer Mann eines Indianers Freund sein«, erwiderte Parker. »Und kein Weißer vermag es, die Gedanken einer Rothaut zu ergründen. Wenn ihre Medizinmänner zum heiligen Krieg gegen die Bleichgesichter aufgerufen haben, machen sie auch vor ihren Freunden nicht halt.« - 56 -
»Noll, das sind nur Vermutungen«, sagte Gray. »Wenn sie ihn umgebracht hätten, dann hätten sie auch seine Hütte niedergebrannt und sein Gewehr mitgenommen. Sie sind immer scharf auf Feuerwaffen.« Parker zuckte die Schultern. Die Skepsis blieb in seinem Gesicht. »Du kennst sie nicht so gut wie ich«, murmelte er. »Sie berauben keinen Mann, den sie achten gelernt haben. Und sie verstümmeln ihn auch nicht. Geh jetzt ins Haus und laß dir nichts anmerken. Ich werde später nach Old Jack suchen. Der Junge soll Holz sammeln und die Frau einen Kaffee kochen. Wir müssen sie ablenken. Sie dürfen nichts davon ahnen, verstanden?« Gray nickte. »Schon gut, Noll.« Er nahm sein Gepäck und betrat die Hütte. Penny saß auf der Schlafkoje. Sie sah ihm ernst entgegen. »Sind wir hier sicher, Edward?« Er versuchte ihrem Blick auszuweichen. Es fiel ihm schwer zu lügen.« Aber es mußte sein. Er war barmherziger. »Ja, ich glaub’ schon.« Er schaute auf sie hinab. Die Qual des langen Reitens durch Hitze und Staub hatte ihre Schönheit nicht zu zerbrechen vermocht. Im Gegenteil, es schien fast so, als ob sie stärker und widerstandsfähiger geworden sei. »Penny, wie wäre es, wenn Sie uns jetzt einen anständigen Kaffee brauten?« murmelte er. »Auch eine warme Mahlzeit wäre nicht verkehrt. Chris, ich habe im Schuppen einen Stapel gehacktes Holz entdeckt. Würdest du einen Armvoll für uns holen?« Der Junge lief hinaus, und Penny kniete sich bereitwillig vor dem Herd nieder. Gray zog das Säckchen mit den Kaffeebohnen aus seinen Packtaschen und begann sie mit dem Revolverkolben zu zertrümmern. Er sah das schwere, - 57 -
altertümliche Hawkensgewehr über der Schlafpritsche hängen. Jenes Gewehr, das Parkers Mißtrauen erweckt hatte. Bald flackerte das Feuer, das Wasser kochte im Kessel, und der angenehme Geruch von heißem starkem Kaffee erfüllte den kleinen Raum. Parker kam herein. Er sagte: »Werde mich noch ein wenig draußen umsehen. Wir könnten frisches Fleisch gebrauchen.« Er schielte auf den Kaffeetopf und fuhr fort: »Laß mir auch noch etwas davon übrig.« Gleich darauf sah Gray ihn aus dem Tal reiten. Penny stellte den Kessel mit einem Schwung auf den Tisch, wobei sie den Saum ihres Kleides als Topflappen benutzte. Wieder traf ihr voller Blick den jungen Offizier. »Edward, was ist mit Parker los?« murmelte sie. »Er ist so – so seltsam, seitdem wir hier angekommen sind.« »Es ist nichts, Penny«, erwiderte Gray rauh und griff nach ihrer Hand. Sie ließ sie ihm. Ihre schlanken, zarten Finger, die doch so fest zuzupacken vermochten, lagen warm in den seinen. »Sind wir hier wirklich sicher?« fragte sie leise. »Was ist schon Sicherheit in diesem Lande?« gab er ausweichend zurück. »Wir müssen auf unseren guten Stern vertrauen.« Ihr Blick glitt forschend über sein Gesicht. »Was wollt ihr vor uns verbergen? Ich frage mich, was aus dem Mann geworden ist, dem diese Hütte einmal gehörte.« »Er wird in die Berge gezogen sein«, sagte Gray und merkte selbst, wie lahm seine Erklärung klang. »Parker ist der gleichen Meinung. Diese Männer hier draußen« die immer in der Einsamkeit leben, sind seltsame Käuze. Sie verschwinden manchmal und tauchen erst nach Monaten wieder auf.« Penny senkte den Kopf. Er hörte, wie sie leise sprach: »Vor einem Monat habe ich noch in Illinois gewohnt. Ich wußte nichts von diesem – diesem schrecklichen Land. Dann kam ich her, und alles brach - 58 -
über mich herein. Es sind erst Tage her, aber trotzdem kommt es mir schon wie ein ganzes langes Leben vor. Wie wird es enden, Edward?« Jetzt konnte Gray nicht mehr anders – er mußte seine Hand ausstrecken und über ihren blonden Scheitel streichen. Sie ließ es geschehen, und das machte ihn glücklich. Mit einem Anflug von Koketterie sagte sie plötzlich: »Mein Haar ist so schmutzig. Ich sollte es waschen.« So standen sie eine Weile still beisammen, bis Chris von draußen hereinkam und einen Armvoll Holz neben dem Herd zu Boden warf. Die Verzauberung zerbrach. Penny trat zu ihrem Sohn und legte den Arm mit einer zärtlichen Gebärde um seine Schultern. »Es ist genug Holz, Chris. Setz dich jetzt, du wirst Hunger haben.« Gray bekam seinen Anteil und ließ sich damit auf der Türschwelle nieder. Er wartete auf Parker. Der Gedanke, daß der Scout vielleicht niemals wiederkehren könnte – daß er den Sioux in die Hände gefallen und vielleicht jetzt schon tot sein könnte , ließ ihn schaudern. Ohne Parker und sein vielfältiges Wissen um dieses Land und das Leben in der rauhen Wildnis waren sie verloren. Kehrte er nicht zurück, war auch ihre letzte Chance, Fort Laramie jemals zu erreichen, endgültig vertan und dahin. Noch während er darüber grübelte, vernahm er Hufschlag von dem Pfad hinter der Hütte. Aufspringend sah er Parker vom Talrand herabreiten. Parkers Gesicht sah blaß aus. Tiefe Furchen hatten sich in seine Lederhaut gegraben. Gray folgte ihm zum Corral, wo Parker schwerfällig abstieg und den Sattel vom Rücken seines Schecken schwang. »Hast du Brady gefunden?« Unter der Krempe seines verbeulten Hutes schaute Parker zu ihm auf. »Ja, das habe ich.« - 59 -
Gray spürte, wie sich kalter Schweiß zwischen seinen Schulterblättern sammelte und seinen Rücken hinabströmte. »Tot, wie?« »Ganz recht. So tot, wie ein Mann nur sein kann. Und die Sioux haben es getan.« »Bist du sicher? Nach dem, was du gesagt hast, muß er schon sehr alt gewesen sein. Vielleicht ist er eines ganz natürlichen Todes gestorben.« »Eines natürlichen Todes?« Parker sprach voll bitterer Ironie. »Und dazu hat er sich selbst auf einen Ameisenhaufen gebunden, was?« Der Schreck stürzte eisig über Gray und ließ ihn frösteln. »Auf einen Ameisenhaufen gebunden?« stammelte er erstickt. »Ganz recht. Old Jack war keiner von der jammernden Sorte, aber er muß sich die Seele aus dem Leib gebrüllt haben, bevor er starb.« Gray schaute das Tal hinauf und hinab. Wieder meldete sich dieses furchtbare Gefühl, in einer Falle zu sitzen. »Hast du nicht gesagt, die Sioux wären seine Freunde gewesen?« »Das waren sie, und Jack muß das auch geglaubt haben. Sie kamen zu ihm, um ihre Pferde zu tränken, wie sie das früher schon immer bei ihm taten. Er hat ihnen vertraut, sonst wäre er ihnen nicht ohne Waffen entgegengetreten. Sie überwältigten ihn, schleppten ihn in den Wald und banden ihn quer über einen Ameisenhaufen. Dann ritten sie fort und überließen ihn seinem Schicksal. Sie töteten ihn nicht und gaben ihm damit noch den Hauch einer Chance, sich zu befreien. Aber es gelang ihm nicht.« Parker brach ab und starrte vor sich auf den Boden. »Was – was hast du mit ihm gemacht?« brach es aus Gray heraus. »Ich habe das, was von ihm übrig war, unter die Erde - 60 -
gebracht, so gut ich es vermochte«, antwortete Parker. Gray bohrte die Absätze in den weichen Boden. Die Falle! Er spürte förmlich, wie sie sich hinter ihnen schloß. »Noll, wir müssen von hier fort!« sagte er starr. Parker warf ihm einen undeutbaren Blick zu. »Fort? Jetzt, kurz vor Sonnenuntergang? Wenn sie da sind, wäre es genau das, worauf sie warten. Sie würden uns in der Dämmerung draußen erwischen und abschlachten. Die Dämmerung ist die Zeit, die sie lieben – zum Schleichen und Kämpfen.« Er griff nach seinem Karabiner und machte kehrt. »Komm jetzt. Ich habe Durst und bin hungrig. Wir werden abwechselnd wachen und uns morgen aus dem Staub machen.« Mit gesenkter Stimme fuhr er fort: »Und kein Wort von Brady zu ihr und dem Jungen, verstanden?« »Verstanden, Noll«, nickte Gray und folgte ihm dann in die Hütte. * Der neue Tag erhob sich mit rötlich-goldenem Glanz über den Hügeln im Osten. Lieutenant Gray gähnte und lehnte seinen Karabiner gegen die Hüttenwand. Er hatte die beiden letzten Stunden der Nacht als Wachtposten vor der Tür verbracht. Nun war der Morgen da. Die gefürchtete graue Stunde der Dämmerung war verstrichen, und keine Spur von einem Indianer hatte sich gezeigt. Seine Befürchtungen begannen einzuschlafen. Er betrat das Blockhaus. Penny und ihr Sohn schliefen auf der Pritsche. Jetzt, im Schlaf, hatten sich ihre Züge gelöst. Chris schlief wie ein junger Hund in den Arm seiner Mutter gekuschelt. Sein Mund stand ein wenig offen. Sein blonder Schopf war wirr, und als Gray jetzt auf ihn herniederschaute, fühlte der junge Offizier, wie das Gefühl zärtlicher Zuneigung - 61 -
zu diesem Kind in ihm wuchs und wuchs. In dieser frühen Morgenstunde faßte Lieutenant Gray seinen Entschluß. Wenn sie jemals lebend aus dieser Hölle herauskamen, dann würde er Penny fragen, ob sie ihn nach Ablauf des Trauerjahres heiraten wollte. Und wenn sie ja sagte, würde ihn ihre Entscheidung zum glücklichsten Mann unter der Sonne machen. Noll Parker lag zusammengerollt auf seinen Decken vor dem Herd. Als Gray sich drehte, sah er, daß Parker nicht mehr schlief. Die Augen des Scouts starrten ihm mit einem angespannten Interesse entgegen. Parker mußte ihn die ganze Zeit über beobachtet haben. Gray wurde rot, denn er fühlte sich durchschaut. »Bist du schon lange wach, Noll?« murmelte er. »Lange genug«, gab Parker mürrisch zurück, und es war Gray, als könne er auf dem Grunde von Parkers Augen den Hauch einer eifersüchtigen Feindschaft erkennen. Sie waren Freunde – aber sie liebten die gleiche Frau. Das allein war es, was sie trennte. Parker stand langsam auf, wobei er sein verletztes Bein sehr vorsichtig bewegte. »Alles ruhig gewesen?« »Sehr ruhig. Wann brechen wir auf?« »Nur nicht so hastig.« Parker fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn. »Werde erst noch ein wenig kundschaften, während ihr das Frühstück vorbereitet. Möchte ihnen nicht geradewegs in die Arme laufen.« »Du glaubst also, sie könnten noch hier sein?« fragte Gray. Parker schenkte ihm einen düsteren Blick, während er mit den gespreizten Fingern sein Haar glättete und den Hut aufsetzte. »Glauben heißt nicht wissen. Aber allein das Wissen entscheidet über Leben und Tod.« Er nahm seinen Spencerkarabiner an sich und hinkte hinaus. - 62 -
Gray weckte Penny und verließ dann die Hütte, um ihr Zeit zu geben, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen. Parker stand bei seinem Pferd und schwang ihm den Sattel auf den Rücken. Gray bemerkte, wie schwerfällig Parker sich bewegte. »Soll ich dir helfen, Noll?« Die Antwort kam rauh, fast feindlich. »Nein, schon gut. Ich komme schon allein zurecht.« Gray zuckte die Schultern. Er stieg zum Fluß hinunter, um sich zu waschen. Gedämpfter Hufschlag erklang, als Noll Parker das Tal verließ. Nach einer Weile trat Penny vor die Tür; sie hielt ihren Sohn an der einen Hand, in der anderen schwang sie ein Tuch. Die beiden kamen zum Fluß herab. »Würden Sie jetzt bitte einmal nicht her sehen, Edward?« sagte Penny zu Gray. Gray errötete. »Natürlich, Madam«, erwiderte er steif und kehrte in die Hütte zurück. Das Feuer brannte bereits im Herd, und der Kaffeekessel begann zu summen. Penny kam herein und schob Chris vor sich her. »Haben Sie einen Kamm für mich, Edward?« Gray faßte in seine Brusttasche und brachte ein Kammfragment zutage, das nur noch aus dem Rücken und einigen Zinken bestand. »Wenn Ihnen damit gedient sein wird, Madam ...?« Sie griff nach dem Kamm, und ihre Hände berührten sich. »Warum plötzlich so förmlich, Edward?« Ihr starker Blick ließ seine Brust eng werden. »So selten hat jemand Madam zu mir gesagt. Nennen Sie mich doch Penny. Ich erinnere mich, daß Sie es schon getan haben.« Gray starrte auf seine Stiefelspitzen hinab. Er schwitzte, obwohl der frühe Morgen noch kühl war. »Danke – Penny.« Sie lächelte ihm zu. »Wo ist denn Noll?« fragte sie freundlich. - 63 -
Augenblicklich sank Grays Hochstimmung um einige Grade. »Er ist zum Kundschaften fortgeritten«, gab er mürrisch zurück. »Er tut viel für uns«, murmelte sie, und wieder schenkte sie ihm jenen Blick, der sein Blut zum Kochen brachte. »Wirklich viel. Und dabei ist er selbst ein schwerkranker Mann.« Gray biß sich auf die Lippen. Das Gefühl einer brennenden Eifersucht brachte ihn beinahe um. »Was er tut, tut er schließlich nicht nur für uns, sondern auch für sich«, warf er sarkastisch ein. Ihre Augen blickten plötzlich kühl. »Seien Sie nicht ungerecht, Edward! Noll käme ohne uns viel besser zurecht – und das wissen Sie selbst sehr gut, nicht wahr?« Sie drehte sich brüsk um, setzte sich aufs Bett und winkte ihren Sohn heran. »Komm her, Chris, damit ich dir die Haare kämmen kann«, sagte sie, und Gray erschrak vor dem strengen Ton in ihrer Stimme. Später saßen sie zusammen an dem klobigen Tisch und frühstückten. Die Stimmung blieb frostig. Nach dem Essen verließ Gray unter dem Vorwand, nach den Pferden sehen zu müssen, die Hütte sofort. Penny räumte auf, reinigte das Geschirr und bereitete das Frühstück für Parker vor. Dann ging sie ebenfalls hinaus. Die Morgensonne stand schon hoch über den Talrändern und sandte ihre warmen Strahlen in den kleinen Kessel. Der Wasserspiegel des Flusses glitzerte wie flüssiges Silber. Penny schaute an sich herab. Sie sah ihr unpraktisches schmutziges Kleid mit dem teilweise herabgerissenen Saum, die leichten Schuhe, die sich so gar nicht für einen Marsch durch die Wildnis eigneten. Ein plötzlicher Einfall ließ sie wieder in die - 64 -
Hütte zurückkehren. Sie hatte bereits gestern unter dem rohgezimmerten Bettgestell eine große Kiste entdeckt. Vielleicht fand sich in ihr etwas, was sich besser zum Anziehen eignete. Der Jäger, dem diese Hütte gehörte, würde ihr es sicher nicht verübeln, wenn sie sich etwas von ihm auslieh. Sie bückte sich und zerrte die Kiste unter dem Bett hervor. Der Deckel war unverschlossen. Penny klappte ihn auf und besah sich den Inhalt. Er enthielt Wäsche und verschiedene Kleidungsstücke, wie sie ganz richtig vermutet hatte. Sie entschied sich für ein Paar feste Hosen aus blauem Köper, die ihr zwar zu lang waren, aber in der Weite paßten. Dazu ein grobgewirktes Männerhemd aus grauer Baumwolle und ein Paar indianische Mokassins, die bis unter das Knie reichten und dort geschnürt und umgeschlagen wurden. Alle diese Gegenstände breitete sie auf dem Bett aus. Dann warf sie noch einen raschen Blick durch die Tür. Edward Gray stand bei den Pferden, Chris spielte im Sand des Flußufers. Das Gewehr des Lieutenants lehnte draußen an der Hüttenwand. Penny schloß die Tür und streifte rasch ihre unpraktische Kleidung ab. Dann fuhr sie in das rauhe Hemd, dessen Stoff auf ihrer Haut kratzte, schlüpfte in die Hosen, die sie unten umschlagen mußte, und streifte die zu weiten, aber wunderbar weichen Mokassins über die Füße. Zuletzt sah sie sich nach einer Kopfbedeckung um. Sie fand aber keinen Hut, sondern nur eine Trappermütze aus Otternfell, von der der Schweif des Tieres noch herabbaumelte. Ihr blondes Haar hochbindend, setzte sie die Mütze auf. Als sie jetzt zur Tür ging, war ihr Schritt weicher, federnder geworden - geradeso, als ob sie mit den Kleidern der Zivilisation auch ihr altes Wesen abgelegt habe. Sie war eine Frau, mit der Eitel - einer solchen, und hätte sich gern einmal im Spiegel gesehen, Aber es gab keinen - 65 -
Spiegel an diesem einsamen Erdenfleck. Höchstens den Wasserspiegel draußen im Tal. Penny verließ die Hütte. Wieder fiel ihr Blick auf Grays Henrygewehr. Sie nahm es an sich und glitt geräuschlos in den weichen Mokassins der Stelle zu, wo der Lieutenant an der Fenz lehnte und auf den sacht vorbeirauschenden Fluß starrte. In einem Anflug von Humor hob sie das Gewehr und richtete es auf Grays Rücken. »Hände hoch!« Gray wirbelte auf seinem Absatz herum. Er sah sie an, ohne sie auf den ersten Blick zu erkennen, und sie bemerkte den Schreck in seinen Zügen. Sofort ließ sie die Waffe sinken. »Erkennen Sie mich denn nicht, Edward?« Gray entspannte sich, aber er war noch immer böse. Mit raschen Schritten kam er auf sie zu und riß ihr das Gewehr aus der Hand. »Man zielt niemals mit einer Feuerwaffe auf einen Menschen, wenn es nicht nötig ist!« Seine Stimme klang tief und ernst. »Auch im Spaß nicht. Haben Sie mich verstanden?« Sie senkte den Kopf. »Ja, Edward«, murmelte sie. Gray schaute auf sie hinab. Sie sah zum Anbeißen aus in der rauhen Männertracht. Er konnte ihr einfach nicht mehr böse sein. »Schon gut, vergessen wir es. Zum Teufel, Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt! Wer konnte auch voraussehen, daß Sie sich als Wildnisläufer herausstaffieren.« »Ich dachte mir«, stammelte sie, »daß es so besser ginge als mit meinem langen unpraktischen Kleid. Ich würde auch weniger auffallen. Glauben Sie, daß Mr. Brady mir böse ist, weil ich mir seine Sachen genommen habe?« Gray schüttelte den Kopf. »Old Jack? Nein, der ist Ihnen bestimmt nicht böse.« Er lehnte das Gewehr an einen Corralpfosten und faßte mit beiden Händen ihre Schultern. So drehte er sie einmal um sich - 66 -
selbst. »Steht Ihnen wirklich gut. Ich glaube, Sie könnten anziehen, was Sie wollten, und würden doch immer hübsch darin aussehen.« Seine Stimme klang heiser. Wenn Chris nicht in der Nähe gewesen wäre – dann hätte er sie in die Arme genommen und sie geküßt. So aber beherrschte er sich. Er folgte ihr zum Fluß, wo sie ihr Spiegelbild im Wasser abschätzend und kritisch betrachtete. »Das Hemd ist zu weit. Und diese Mokassins sind viel zu groß. Meine Füße sind in Wirklichkeit viel kleiner, Edward, ich ...« »Das habe ich schon längst festgestellt«, warf er lachend ein. »Nun, für hier draußen sind Sie schön genug. Eine wilde schöne Blume der Northern Plains.« Penny errötete. Selbstkritisch, wie sie war, wußte sie über sich selbst schon lange Bescheid. Dieser junge, gutaussehende Offizier mit den Manieren und der Sprache eines Gentleman gefiel ihr. Sie hatte Cliff geheiratet, als sie fast noch ein Kind gewesen war. Gleich nach der Hochzeit war er fortgezogen und hatte sie allein gelassen. Nur dann und wann war er einmal für kurze Zeit zu ihr zurückgekehrt, um von seinem unstillbaren Wandertrieb sofort wieder in die Ferne gelockt zu werden. Eigentlich hatte sie gar keine richtige Ehe mit ihm geführt. Nun war er tot - aber es war kaum anders, als es all die Jahre zuvor schon gewesen war. Er war wieder einmal fortgegangen. Eigentlich sollte sie Trauer um ihn empfinden, aber sie vermochte es nicht. In ihrer Erinnerung war er bereits zu einem Schatten geworden, der immer mehr verblaßte. Der Ruf von Chris durchschnitt ihre Gedankenkette: »Da kommt Mr. Parker!« Penny hob den Kopf. Sie sah den Scout über den Talrand reiten. »Ich werde mich um sein Frühstück kümmern, er muß - 67 -
halbtot vor Hunger sein«, sagte sie zu Gray und lief ins Haus. Parker kam den Hang herab und trieb seinen Schecken durch das seichte Wasser. Im Corral ließ er sich zu Boden gleiten. Sein Gesicht sah finster aus. »Nun, Noll?« wollte Gray wissen. Parker warf einen Blick auf Chris, der sich wieder seinem Spiel zugewandt hatte. Er senkte die Stimme. »Frische Fährten auf der Höhe. Sie sind in der Nähe. Wir verschwinden besser, bevor sie auf meine Spur stoßen.« Grays Mund straffte sich. Eben war das Leben noch heiter gewesen, jetzt meldete sich wieder die Nähe der tödlichen Gefahr. »Sag ihr, sie soll das Feuer im Herd löschen, der Rauch könnte uns verraten. Seht nach, ob Old Jack noch irgendwo ein paar Vorräte übriggelassen hat, wir könnten sie brauchen.« Gray nickte. »In Ordnung, Noll. In fünfzehn Minuten sind wir marschbereit.« Er wollte sich abwenden, als Parkers gedämpfter Zuruf ihn zurückhielt. »Warte noch, Edward!« »Ja?« Gray runzelte die Stirn. Parkers Blick glitt über seine Schulter zum jenseitigen Talrand hinauf. »Zu spät. Sie sind schon da. Ein ganzes Rudel. Auf dem Hang dahinten ...« Gray wollte herumfahren, aber Parkers Faust krallte sich in sein Hemd und hielt ihn fest. »Nicht umdrehen! Geh zur Hütte. Ganz langsam. Tu so, als ob du nichts von ihnen wüßtest.« Gray nickte. Sein Genick war kalt. Alle seine Muskeln spannten sich an in der Erwartung des Einschlags einer Kugel. Dumpf erinnerte er sich an ein altes Sprichwort der Indianer: Du wirst den Schuß nicht hören, der dir das Herz zerreißt. Seine Füße bewegten sich vollkommen mechanisch, - 68 -
machten ein – zwei Schritte auf die Hütte zu. Und in diesem Augenblick drang der helle Schrei des kleinen Chris an sein Ohr: »Indianer! Indianer ...!« Gray wirbelte herum. Einen Moment hatte er den Jungen völlig vergessen gehabt. Jetzt sah er Chris neben dem Corral stehen. Der Kleine starrte zum Hang hinauf. Er hielt das Henrygewehr, das Gray vorhin an einen Pfosten gelehnt hatte, in beiden Händen. Bevor es jemand verhindern konnte, ging dieses Gewehr krachend los. Der Rückstoß schleuderte das Kind zu Boden. Gray sprang zu ihm, aber Chris war jetzt von Furcht gepeitscht. Er duckte sich unter Grays Fäusten weg und lief in das Tal hinaus. »Verdammt!« schrie Parker, auf seinem Absatz herumschwingend. »Ins Haus! Schnell!« Gray lief hinter dem Jungen her. »Chris!« rief er. »Warte doch! Komm zu mir!« Sein Rufen ging in dem furchtbaren Geheul unter, das plötzlich über das Tal rollte. Eine Salve krachte. Die weißen Schleier des Pulverdampfes wehten durch die Büsche. Kugeln surrten und rissen lange Furchen in den weichen Boden. Gray hatte Chris erreicht. Er packte die Schultern des Jungen und zerrte ihn auf die Hütte zu. Chris war vollkommen kopflos vor panischer Furcht. Er strampelte und wehrte sich gegen den Griff. Gray schüttelte ihn. »Hör auf damit, zum Teufel!« Chris am Kragen mitzerrend, stürmte er der Hütte entgegen. Noll Parker kniete hinter der Tür und bediente seine Spencer, so schnell er es vermochte Er vernahm den entsetzten Schrei der Frau: »Chris, mein Junge! O du mein Himmel ...!« Parker ließ die leergeschossene Spencer fallen. Er hatte Grays Henry mit in die Hütte gebracht, und dieses moderne Gewehr besaß eine viel größere Feuerkraft. Ein Strom von Kugeln zischte aus dem Lauf und schlug eine Bresche in die - 69 -
rote Flut. Gray rannte im Zickzack, Chris’ unter den Arm gepreßt. Pfeile zischten an seinen Ohren vorbei, und Kugeln ließen die Erde hinter seinen Absätzen aufspritzen. Dicht vor sich sah er die wirbelnden Hufe eines sich bäumenden Mustangs, darüber ein scheußlich bemaltes Gesicht und einen Arm, der einen Tomahawk schwang. Sein Finger bediente den Züngel des schweren Armeerevolvers fast automatisch. Der Krieger stürzte mit einem Schrei und verschwand im stiebenden Staub. Dann sah Gray die Türöffnung dicht vor sich. Er gab dem Jungen einen Stoß in den Rücken. »Lauf zu, Chris!« Er selbst versuchte einen langen Sprung. Ein indianischer Schädelbrecher – ein in ein Stück Rehhaut genähter Stein – wirbelte durch die Luft heran und traf seinen Hinterkopf. Die Welt vor seinen weitgeöffneten Augen wurde plötzlich dunkel. Er taumelte und stürzte und vernahm Pennys erstickten Aufschrei wie aus weiter, weiter Ferne. Dann packten kräftige Fäuste seine Schultern und zerrten ihn über die Schwelle. Die Tür fiel hinter ihm zu, und das war die Sekunde, in der sein Bewußtsein völlig erlosch. Noll Parker stemmte sich keuchend gegen die Tür, die unter schweren Tomahawkhieben erzitterte. Er warf die Sperrbalken vor, stieß den Lauf seines Revolvers durch einen Spalt und leerte die Trommel in einer langen hämmernden Serie peitschender Schüsse. Draußen wieherte ein Pony schrill. Ein schwerer Fall ertönte. Danach stampften viele Hufe über den weichen Boden -und dann wurde es still. Parker drehte sich. Salziger Schweiß brannte in seinen Augen. Fürs erste waren die Sioux abgeschlagen. Ihr Überraschungsangriff war mißlungen, und sie hatten Krieger verloren. Aber sie würden wiederkommen. Sie würden erst aufgeben, wenn diese Hütte ein Haufen qualmender Asche war, das wußte Parker. - 70 -
Er starrte auf Penny hinab, die neben Gray am Boden kniete. Ihr Aufschrei, als der Offizier, von dem Schädelbrecher getroffen, niederstürzte, hatte ihm ihre wahren Gefühle deutlich verraten. Mit einem Ausdruck tiefer Bitterkeit schaute er auf ihr blondes Haar. Sie war nicht für ihn bestimmt. Sie hatte sich bereits für einen anderen entschieden. In diesen wenigen Minuten der Kampfpause sah Noll Parker sich so, wie er tatsächlich war: ein Mann ohne Hoffnungen, für den der beste Teil des Lebens bereits vorüber war. Die Fährte seiner Jahre kam aus dem Nichts, das hinter ihm lag, und verschwand vor ihm in dem ebenso nebelhaften Nichts der Zukunft. Er hatte sich nie viel aus Frauen gemacht. Und als dann die eine in sein Leben getreten war, die ihm etwas bedeutete, da hatte sich jener Mann vor ihn geschoben, der ihn als seinen Freund betrachtete: Edward Gray. Parkers Lippen spannten sich. Warum hatte ihn das Schicksal ausgerechnet mit Gray zusammenbringen müssen? Warum war er dazu ausersehen worden, dem Mann zu helfen, der jetzt drauf und dran war, ihm die Frau wegzunehmen, die als einzige noch in der Lage gewesen wäre, seinem Leben noch einen Sinn und Inhalt zu geben? Penny kniete am Boden und streichelte Grays Gesicht. Sie hob den Kopf und sah Parker untätig stehen. Beinahe böse fuhr sie auf ihn los: »So helfen Sie ihm doch!« Er lächelte müde auf sie hinab. »Es ist nicht schlimm. Waschen Sie sein Gesicht mit kaltem Wasser ab, und er wird bald wieder auf den Beinen sein.« Sie erhob sich ... und erkannte an dem Ausdruck in seinen Augen, daß sie ihn verletzt hatte. Ihre Hände strichen über den Ärmel seines Jagdhemdes. »Noll, was ist los mit Ihnen?« Wieder zeigte er ihr jenes müde, bittere Lächeln. »Was soll schon los sein? Ich bin ganz all right, machen Sie sich nur keine Sorgen. Kümmern Sie sich um Edward – aber - 71 -
gehen Sie sparsam mit dem Wasser um!« Er wandte sich der kleinen Fensterluke neben der Tür zu, fetzte mit seinem Messer ihre aus der Haut einer Tierblase gefertigte Bespannung heraus und spähte ins Freie. Die Sioux waren verschwunden, aber Staub schwebte durch die Büsche am Hang und verriet ihre Anwesenheit. Sie hatten sich zurückgezogen und beratschlagten jetzt. Wie alle Indianer liebten sie es nicht besonders, gegen feste Balkenwände und feuerspeiende Gewehre anzurennen. Er hörte, wie Gray sich auf dem Hüttenboden zu regen begann. Gleich darauf schob sich der Offizier neben ihn, eine Hand gegen den Hinterkopf gepreßt. Seine Augen schauten noch ein wenig glasig. »Noll, was ist passiert?« »Du bekamst ein Ding an den Kopf, aber der Hut hat das Schlimmste abgehalten. Allerdings wird dir der Schädel noch eine Weile brummen.« »Und wie er brummt!« seufzte Gray. An Parkers Schulter vorbei spähte er hinaus. »Wir haben sie abgeschlagen, was? Sie sind fort!« »Fort? Da irrst du dich aber sehr«, gab Parker spöttisch zurück. »Sie sitzen hinter den Büschen am Hang, und ich wette, daß sie uns keine Sekunde aus den Augen lassen. Sie brüten eine neue Teufelei aus, dessen bin ich ganz sicher. Vielleicht ziehen sie auch noch Verstärkung heran. Sie wollen unsere Skalpe. Und wie es jetzt aussieht, werden sie sie auch bekommen.« Gray blickte sich wild um. Das ist eine verdammte Falle, Noll! Vielleicht wäre es besser, einen Ausbruch zu versuchen.« »Wir müssen hier raus, damit hast du ganz recht, Edward. Aber wir müssen dazu die Nacht abwarten. Die Nacht ist unser Freund, denn kein Indianer kämpft gern in der Dunkelheit.« »Ja, ich habe schon davon gehört«, brummte Gray. »Sie - 72 -
fürchten sich vor bösen Geistern.« »Nicht nur das. Nach ihrem Glauben kann ein Krieger, der in der Finsternis fällt, den Weg in die ewigen Jagdgründe niemals finden. Und das ist das Schlimmste, was ihnen geschehen kann.« Gray griff nach seinem Henrygewehr und schob frische Patronen in das unter dem Lauf angebrachte Röhrenmagazin. »Okay, warten wir also ab. Bauen wir auf die Nacht.« * Als die Sonne verschwunden war und die Schatten der Abenddämmerung von den Höhen herab krochen, wurde Parker wachsam und unruhig. Aber diese Stunde ging vorüber, ohne daß etwas geschah. Dann senkte sich die Nacht auf das kleine Tal. Außer dem Rauschen des Wasserfalles in der Ferne erloschen alle Laute. In dieser Zeitspanne vor dem Aufgang des Mondes war es in der Hütte so dunkel wie auf dem Boden eines Tintenfasses. Alles lag griffbereit. Penny und ihr Junge kauerten auf dem Bett. Gray lehnte an der Wand und spähte durch das Fenster hinaus. »Nun, Noll?« Er vermochte seine Ungeduld nicht mehr zu zügeln. Parker hob die Hand. »Nur ruhig. Es ist dir doch klar, daß ihre Späher jetzt da draußen herumschleichen. Sie sind genauso schlau wie wir. Sie wissen ganz gut, daß wir hier herauskommen wollen.« Er stand auf und lehnte sein Gewehr an die Wand. Plötzlich bewegte er sich wieder geschmeidig, als ob alle Schmerzen in seinem Bein verflogen wären. »Ich gehe jetzt raus und schaue mich ein wenig um. Wenn ihr das Käuzchen schreien hört – erst zweimal, dann Pause, und dann noch zweimal -, dann kommt zum Corral.« Er schwieg - 73 -
eine Weile und fuhr schließlich mit grimmiger Stimme fort: »Kommt schnell - aber kommt ohne jedes Geräusch, verstanden?« »Noll«, sagte Gray, »du bist verwundet. Soll ich nicht lieber an deiner Stelle gehen?« Parker kicherte. Er rieb seine Handflächen aneinander. In der tiefen Stille wirkte dieses Geräusch wie das Rascheln von trockenem Papier. »Besser nicht, Edward. Im Schleichen bin ich dir über. Außerdem bist du auch ein wenig angekratzt. Denk an deinen Kopf.« Er deutete auf sein Gewehr. »Ich nehme nur Messer und Colt mit hinaus. Vergiß meine alte Knarre nicht, Edward.« Gray nickte. »In Ordnung, Noll.« In seiner Kehle saß ein Kloß. Parker glitt zu dem zweiten kleinen Fenster an der Rückseite der Hütte und schob sich hinaus. Gray vernahm noch das leise Aufklatschen von Parkers Mokassins auf dem weichen Boden – und dann nichts mehr. Jetzt wurde das Warten zur Qual. Gray starrte durch das Fenster in die Nacht. Hinter den Hügeln im Osten zeigte sich ein gelblicher Schimmer. Der Mond mußte bald aufgehen. Es wurde höchste Zeit, daß sie verschwanden. Was war mit Parker geschehen? Warum meldete er sich nicht? War er von den Sioux gefaßt und getötet worden? Die Nacht gab keine Antwort auf diese Fragen. Sie blieb stumm wie zuvor. Gray preßte die Stirn gegen das rauhe, nur mit der Axt geglättete Holz des Fensterrahmens. In seinen Ohren brauste das Blut. Kalter Schweiß rieselte seinen Rücken hinab. Und dann – endlich, als er schon nicht mehr zu hoffen gewagt hatte – kam der Käuzchenschrei: »Ku-uwwitt – - 74 -
kuuwwitt!« Und dann nach einer Pause noch zweimal: »Kuuuwwitt – kuuwwitt!« Das Zeichen! Gray entspannte sich. Er nahm die Henry unter den Arm und griff nach Parkers Spencer. »Kommen Sie, Penny!« flüsterte er. Er schob die Frau und den Jungen durch das rückwärtige Fenster hinaus und folgte so leise wie möglich. An die Wand des Blockhauses gepreßt, spähte er um die Ecke. Um ihn wisperte und raunte die Nacht. Er starrte dorthin, wo sich der Corral befinden mußte, aber seine Augen vermochten nicht die dichte Dunkelheit zu durchdringen. Penny war nahe hinter ihm. Ihre Hand schob sich in die seine. Ihre Stimme erreichte ihn wie ein Hauch: »Edward, Sie lassen mich doch nicht lebend in die Hände der Sioux fallen, nicht wahr?« Er erwiderte den Druck ihrer Hand, und damit war alles gesprochen. Dann glitt er vorwärts, bis er den Pfad unter seinen Stiefelsohlen spürte, der zum Fluß hinabführte. Gleich darauf sah er die dunklen runden Klumpen großer Körper reglos in der Nacht stehen. Das mußten die Pferde sein, die Noll an die Fenz gebunden hatte. Penny und Chris hinter sich herziehend, glitt er in den Corral. Das Gattertor stand bereits offen. Aus der Finsternis kam Parkers grollendes Wispern »Wo habt ihr so lange gesteckt – Höllenfeuer?« Gray hob Penny in den Sattel seines Eisengrauen, reichte ihr Chris zu, band die Zügel von der Fenz los und gab sie ihr in die Hand. Dann schwang er sich auf Bradys Mustang. Parker trieb seinen Pinto neben ihn und griff nach seiner Spencer. »Ich habe die Hufe mit den Fetzen einer alten Decke umwickelt. Wir reiten am Fluß hinab, durchqueren ihn vor dem Fall und folgen dann dem Pfad ins Tal. Los!« »Und die Sioux?« warf Gray ein. »Die sitzen drüben auf der anderen Seite.« - 75 -
Parker ritt am Fluß hinunter. Penny und Chris folgten ihm dichtauf. Gray machte den Schluß. Er schaute mehr nach rückwärts als nach vorn und hielt seinen Henrykarabiner schußbereit in der Faust. Vor ihm lenkte Parker sein Pferd ins Wasser. Die anderen folgten. Es patschte laut. Zu laut. Die Sioux mußten ja auf ‘ihren Ohren sitzen, wenn sie diese Geräusche nicht hörten. Gray hatte diesen Gedanken gerade zu Ende gebracht, als die Nacht unter einer Vielfalt von Lauten zerbrach. Schüsse knallten, die roten Explosionsflammen der Mündungsfeuer zuckten am Hang auf. Kugeln zwitscherten durch die Zweige und trafen auf Holz. Ein schauriger Wutschrei zitterte zum Himmel. Gray’ trieb seinen Mustang durch das aufspritzende Wasser. »Noll, reite mit den anderen los! Vorwärts, alter Bursche!« »Was hast du vor?« wollte Parker wissen. »Im Schleichen bist du mir vielleicht über«, gab Gray trocken zurück. »Aber im Schießen stelle ich auch meinen Mann. Ich werde ihnen das Nachkommen ein wenig versalzen.« »In Ordnung!« Parker sprach schnell und scharf: »Wir warten auf dich dort, wo der Fluß in die Hügel hinaustritt. Sieh zu, daß du uns bis zum Morgengrauen eingeholt hast.« Penny wollte etwas sagen, aber Gray fiel ihr rasch ins Wort. »Gehen Sie mit ihm! Sie dürfen jetzt nur an sich und an Ihren Jungen denken!« Parker trieb seinen Pinto bereits auf jenen Grat hinauf, über den der Fluß in das darunterliegende Tal stürzte. Gray holte aus und schlug mit dem Kolben seines Gewehrs auf die Kuppe von Pennys Pferd. Der Graue schnaubte und stürmte davon. Gray hielt sein stampfendes Pferd zurück, bis die anderen außer Sicht waren. Dann sprang er aus dem Sattel und schlug die Zügel um einen Ast. Mit dem Gewehr in der Hand schaute - 76 -
er sich nach einer günstigen Position um. Eben erhob sich der Mond über den Hügeln und streute sein milchweißes Licht in das Tal, in dem Old Jacks Hütte stand. Gray gewahrte Schatten auf der Talsohle, die sich schnell hin und her bewegten. Ein Lichtpunkt sprang auf, wurde rasend schnell größer und größer, und plötzlich schoß eine rote Feuergarbe prasselnd in den schwarzen Himmel hinauf. Die Sioux hatten das Blockhaus in Brand gesteckt. Und dann hörte Gray, wie sie kamen. Er spannte den Hahn der Henry und bettete den Lauf auf einen Steinblock. Gleich darauf konnte er sie auch sehen. Sie jagten am jenseitigen Ufer heran, und ihre in den Sätteln wippenden Körper hoben sich deutlich vor dem Flammenschein der brennenden Hütte ab. Gray lächelte grimmig. Er wartete ab, bis der erste Sioux seinen Mustang ins Wasser lenkte. Und dann erst – in diesem Augenblick, als sie sich auf dem Ufer zu einem dichten Rudel zusammendrängten – begann er zu feuern. Er sah Mustangs in das aufspritzende Wasser stürzen und Krieger schlaff wie Puppen zur Erde fallen. Er schoß mit der Zielstrebigkeit eines Mannes, der um sein Leben kämpft. Als das Magazin leer war, griff er zum Colt und feuerte weiter. Der Rest der Sioux flatterte vor dem Strom von heißem Blei auseinander, der ihnen so erbarmungslos entgegenschlug, und raste in die Deckung des Tales zurück. Lieutenant Gray lud seine Waffen mit den letzten Patronen, die ihm noch verblieben waren. Einen zweiten Ansturm würde er nicht mehr abschlagen können, das wußte er, aber die Sioux würden auch vor dem neuen Tag keinen mehr versuchen. Er band sein Pferd los, stieg in den Sattel und überquerte den Grat. Hinter ihm leuchtete der Himmel blutrot im Widerschein der Flammen, die aus Old Jack Bradys Blockhaus schlugen. * - 77 -
Noll Parker an der Spitze des kleinen Trupps hob den Arm und ließ ihn langsam zur Seite sinken. Seine Gefährten zügelten ihre Pferde. Es war am Abend des zweiten Tages nach ihrem Ausbruch aus Bradys Tal. Das Flammenfeuer des Sonnenuntergangs loderte über das weite Land. Lieutenant Gray trieb seinen Mustang an Parkers Seite. »Was gibt’s, Noll?« Parker wies auf eine Hügelkette im Südosten. »Schau da hinunter! Als ich damals mit Old Jack nach Laramie ritt, haben wir eine ähnliche Kette durchquert, ganz in der Nähe des Forts. Erkennst du sie nicht?« Gray reckte sich in den Bügeln und beschattete die Augen mit der Hand. Er spähte scharf, sein Gesicht spannte sich. »Du könntest recht haben, Noll. Es gibt eine Hügelreihe nördlich vom Fort, die dieser ähnlich ist. Allerdings habe ich sie noch nie von dieser Seite gesehen.« Plötzlich wurde er unruhig. »Wenn es stimmt, dann wären wir gerettet. Fort Laramie liegt nicht weiter als zwei Meilen hinter diesen Hügeln. Ein ausgeruhtes Pferd kann eine solche Strecke in einer Viertelstunde hinunterlaufen.« Parker schenkte ihm ein dürres Grinsen. »Wenn es stimmt, natürlich. Auf Wenn und Aber dürfen wir nicht bauen. Wir müssen uns überzeugen. Also kommt!« In der sacht einfallenden Dämmerung strebten sie den fernen flachen Anhöhen entgegen. Neue Hoffnungen beflügelten sie. Am Ende eines Rittes, der sie mitten durch die Hölle geführt hatte, sahen sie endlich die Rettung in greifbare Nähe gerückt. Es war schon dunkel, als sie merkten, wie sich der Boden unter ihnen hob. Die Pferde begannen zu klettern. Im Zickzack führte Parker sie immer weiter hinauf. Schließlich hielten sie auf einem Grat, über den ein kalter Wind fegte – eine kleine - 78 -
Gruppe erschöpfter Menschen auf todmüden Pferden. Aus der schwarzen Tiefe, die vor ihren Füßen lag, blinzelte eine Reihe von gelben Lichtern zu ihnen herauf. »Das Fort!« sagte Gray inbrünstig. »Noll, ich habe mich nicht getäuscht. Da unten liegt Fort Laramie.« Er wollte sein Pferd antreiben, aber Parker fiel ihm in die Zügel. »Halt an, du Narr! Oder willst du noch angesichts des Forts in den sicheren Tod reiten?« »Wie soll ich das verstehen, Noll?« murmelte Gray. Parker sprach eindringlich -und was er sagte, war nicht nur für den Offizier, sondern auch für Penny Adams und ihren Sohn bestimmt: »Die Sioux schwärmen durch das ganze Land. Ich wette, sie haben einen Ring von Spähern um das Fort gelegt, um sich über die Bewegungen der Weißaugen-Soldaten zu unterrichten. Das wäre ein gefundenes Fressen für sie, wenn wir ihnen jetzt noch in die Finger liefen.« Gray zuckte zusammen. Daran hatte er nicht gedacht. Seine Haare sträubten sich. Die Rettung schien so nahe – und war doch gleichzeitig noch so meilenweit von ihnen entfernt. Parker lenkte sein Pferd von dem Kamm herab in eine mit sperrigem Gebüsch bedeckte Mulde zwischen zwei Hügeln. »Bleibt hier und haltet die Ohren steif. Ich werde mich inzwischen ein wenig umsehen. Sind Rothäute da, dann werde ich versuchen, ins Fort zu kommen und Soldaten zu Hilfe zu holen. Wenn ihr bis Mitternacht nichts von mir gehört habt, dann müßt ihr euch selber helfen.« Gray widersprach heftig. »Nein, Noll! Du bist verletzt und suchst dir trotzdem immer die schwersten Aufgaben aus. Diesmal will ich auch etwas tun.« »Habe ich dir nicht schon einmal bewiesen, da ich dir im Schleichen über bin?« erwiderte Parker trocken. »Das mag sein«, gab Gray hitzig zurück. »Aber ich habe auch einiges in die Waagschale zu werfen. Ich kenne das - 79 -
Gelände um das Fort besser als du. Ich werde ...« »Du wirst uns noch die Rothäute auf den Hals locken, wenn du weiter so herumschreist«, sagte Parker. »Also, gut, ich will dir nicht im Weg stehen. Knobeln wir?« Gray nickte. »Einverstanden!« »Es ist zu dunkel, um eine Münze zu werfen«, fuhr Parker fort. »Mrs. Adams soll zwei Grashalme nehmen, einen kurzen und einen langen. Dann ziehen wir. Wer den kurzen erwischt, geht los. Alles klar?« »In Ordnung.« Gray wandte sich an die Frau. »Halten Sie Ihre Hände auf den Rücken, Penny. Sind Sie fertig?« »Well, Noll, ich werde dir den Vortritt überlassen.« Parker grinste. »Nach dir, mein Junge, nach dir.« Gray trat auf Penny zu. Ihre Augen versuchten ihm einen Wink zu geben, aber er achtete nicht darauf. Er faßte nach ihrer linken Hand, die sie auf dem Rücken gehalten hatte, und öffnete sie. Der Halm, den er bekam, fühlte sich sehr kurz an. »Dann bleibt nur noch das für mich«, sagte Parker und nahm den anderen Halm aus Pennys Hand. Es war der längere. »Nun hast du deinen Willen, Edward. Du kannst gehen.« Er drehte sich um und trat zu seinem Pferd. Für ihn war diese Sache abgetan. Aber nicht für Penny Adams. Noll Parker spürte plötzlich ihre Hand auf seinem Arm. Sich ihr zuwendend, erkannte er trotz der Dunkelheit die Qual in ihrem Gesicht. Ihre Augen waren mit einem flehenden Ausdruck auf ihn gerichtet. Ihr Mund zuckte. Obwohl kein Laut über ihre Lippen drang, erkannte Parker doch sehr genau, worum sie ihn so stumm und inbrünstig bat. »Also gut.« Er faßte nach ihren bebenden Schultern. Einen Augenblick hielt er sie so und spürte die Wärme ihres Körpers durch den rauhen Stoff des Hemdes. Dann ließ er die Hände sinken, und all seine Hoffnungen, die er noch immer genährt hatte, starben in dieser Minute. - 80 -
Gray war eben dabei, sein Sattelzeug zu untersuchen. Parker trat geräuschlos hinter ihn. »Edward, auf ein Wort!« Gray wandte den Kopf. »Ja?« Parker schaute auf Grays Kinn. »Es tut mir leid, aber es geht nicht anders«, brummte er. Seine Faust schoß vor und landete krachend an Grays Kinnspitze. Der Lieutenant wankte und fiel. Parker wandte sich an Penny, die in der Nähe stand und die Hand vor den Mund gepreßt hielt. »Jetzt haben Sie Ihren Willen. Halten Sie ihn still, wenn er zu sich kommt. Er soll nicht versuchen, mir zu folgen. Wartet bis Mitternacht, ehe ihr auf eigene Faust etwas unternehmt.« Dann trat er zu Chris. »Mein Junge, du wirst auf deine Mama achtgeben, nicht wahr ...?« Gray begann sich zu regen. Er stöhnte und rollte sich auf den Bauch. »Halten Sie ihn still, zur Hölle!« sagte Parker noch einmal. Dann schwang er sich in den Sattel und verschwand in der Nacht. Kaum war er fort, als Penny neben dem Lieutenant auf die Knie sank und ihre Arme um ihn schlang. Es war ihr gelungen. Sie hatte den Mann, den sie liebte, gerettet. Aber einen anderen vielleicht dafür in den Tod geschickt. * Noll Parker ritt langsam und leise den gelblich schimmernden Lichtern entgegen. In seiner Brust war eine große öde Leere. Er legte die Hand auf die Mähne des Schecken. »Pop, mein Alter, hast du bemerkt, wie sie um ihn gebettelt hat? Nun, vielleicht habe ich mir zuviel erhofft. Für einen Mann wie mich bleiben nur die Disteln am Wegesrand. Die Rosen sind für die anderen bestimmt.« - 81 -
Plötzlich zog er die Zügel straff. Um ihn wisperte die Nacht mit ihren vielfältigen verschwommenen Geräuschen. Der trockene Wind riß Staubfahnen von den Hügeln, die silbern im Mondlicht aufglänzten. Parkers geschärfte Instinkte meldeten ihm Gefahr. Er stieg ab und legte sich, Pop an den langen Zügeln haltend, auf den Bauch. Aus dieser Stellung warf er einen spähenden Blick in die Runde ... und entdeckte die Umrisse eines Mustangs, die sich deutlich vor dem helleren Nachthimmel abzeichneten. Ein Kundschafter der Sioux, ohne Zweifel, der vor den Hufen seines Ponys kauerte und auf die Lichter des einsamen Forts hinunterschaute. Es mußte noch ein junger, unerfahrener Krieger sein, sonst hätte er sein Pferd nicht ausgerechnet auf den Kamm eines Hügels postiert. Ein erfahrener Mann hätte es in die tiefen Schatten am Fuß der Anhöhe gestellt. Parker blieb still liegen und dachte nach. Die Sioux hatten eine Postenkette um das Fort gelegt, sicherlich. Es war ganz gleich, wo er den Durchbruch versuchte - hier oder anderswo -, immer würde er auf ihre Späher stoßen. Er schlang Pops Zügel um einen Stein und zog das Bowiemesser aus der Gürtelscheide. Es mit den Zähnen festhaltend, begann er, auf Ellbogen und Zehenspitzen geräuschlos durch das dürftige Gras hangaufwärts zu gleiten. Dann sah er den Krieger. Wie er gedacht hatte, saß der Mann vor seinem Mustang am Boden, in eine weite indianische Decke gehüllt, die die Kälte der Nacht und ihre Feuchtigkeit von ihm abhalten sollte. Mit dem Messer im Mund arbeitete sich Parker näher und näher heran. Er sah, wie der Mustang den Kopf drehte und zu winden begann. Diese Indianerklepper besaßen eine feine Witterung. Parker berechnete die Entfernung und wechselte das Messer vom Mund in die rechte Faust. Er betete um ein oder zwei Sekunden, die ihn nahe - 82 -
genug für einen schnellen Sprung heranbringen konnten. Aber das Schicksal meinte es nicht gnädig mit ihm in dieser Nacht. Der Mustang schnaubte plötzlich, scharf und warnend. Augenblicklich sprang der Krieger auf, die Decke glitt von seinen Schultern. Er beugte sich spähend vor, und das matte Mondlicht spiegelte sich auf dem stählernen Lauf seines Gewehres. Wieder stieß das kleine Pferd ein warnendes Schnarchen aus. Seine Ohren spielten, und seine Augen wiesen auf die Stelle, wo Parker verborgen im Gras lag. Der Indianer nahm den Schatten wahr, und wahrscheinlich mußte er ihn für einen anschleichenden Präriewolf halten. Sein Gewehr flog in die Höhe. Parker erkannte, daß er jetzt blitzschnell handeln mußte. Er sprang auf, schleuderte sich gegen die Beine des Kriegers und riß ihn Boden. Über ihm donnerte der Schuß los und weckte hallende Echos an den nachtschwarzen Hügeln. Jetzt war nichts mehr zu verbergen. Parker warf die Messerhand hoch und stieß zu. Der Körper des Kriegers bäumte sich auf und sank schlaff zurück. Sofort war Parker auf den Füßen und rannte den Hügel hinab, der Stelle zu, an der sein Schecke stand. Sein verwundetes Bein stieß gegen einen Stein, und er stöhnte auf, so grausam war der Schmerz, der siedend heiß bis in seine Hüften hinaufzuckte. Pop zerrte schon unruhig an den Zügeln. Er band ihn los und schwang sich in den Sattel. Mit den Hacken gegen die Flanken des gefleckten Pferdes trommelnd, jagte er den fernen Lichtern des Forts entgegen. Rings um ihn wurde die Nacht plötzlich lebendig. Kehlige Zurufe erschollen. Ein Schatten raste auf Parker zu – und fiel zurück, als er seinen Colt auf ihn abdrückte. Dann begannen von allen Hügeln her die Schüsse zu krachen. Die fahlroten Flammen der Mündungsfeuer zuckten durch die Dunkelheit, und die bleiernen Finger des Todes - 83 -
griffen aus den Gewehren der Sioux nach Noll Parker. Pop rannte wie ein Uhrwerk und trommelte die Meilen herunter. Schon wuchsen die Palisadenzäune und hölzerne Eckbastionen des Forts vor Parker empor. Er vernahm laute Befehle und den schmetternden Klang einer Trompete – und in dieser Sekunde zuckte Pop unter ihm zusammen. Parker schwang im Sattel herum. Eine Gruppe schwarzer Schemen jagte auf ihn zu – und stob auseinander, als er seinen Colt in einer rasenden Serie gegen sie leerte. Dann fegte er unter dem Palisadenwall dahin und suchte nach dem Tor. Pop taumelte, aber Noll riß ihn an den Zügeln wieder hoch. Aus der Dunkelheit züngelte eine drei Fuß lange Explosionsflamme auf ihn zu, und im gleichen Augenblick fuhr ein grellglühender Blitz durch seine Brust und spaltete seinen Körper in zwei Hälften. Parker sank auf den Hals seines Pferdes, aber seine Fäuste verkrampften sich in der Mähne, und so blieb er im Sattel. Soldaten mit Fackeln und Laternen rannten über ihm auf den Wehrgängen dahin. In seinem Mund war der metallischsüße, warme Geschmack von Blut; feurige Räder wirbelten vor seinen weitgeöffneten Augen. Wie aus weiter Ferne vernahm er den erschrockenen Ruf einer Stimme. »Allmächtiger, ein Weißer! Öffnet das Tor, Leute!« Pops Sprünge wurden kürzer und kürzer, aber obwohl schwer getroffen, blieb das treue Pferd auf seinen Beinen. Vor ihm öffnete sich eine Lücke in der Palisadenwand, aus der Soldaten in blauen Uniformen quollen, niederknieten und aus ihren Karabinern in die Nacht hinausfeuerten. Er raste an ihnen vorbei. Plötzlich brach Pop unter ihm zusammen. Er wurde abgeworfen und schlug schwer auf dem harten Boden auf. Noch einmal versuchte er sich aufzurichten, aber es ging nicht mehr. Zusammen mit seinem Blut strömte auch seine Lebenskraft in den Staub. Jemand hielt eine Laterne über ihn. Durch die blutigen - 84 -
Nebel, die vor seinen Augen zu wallen begannen, sah er einen Mann mit den Abzeichen eines Majors an den Schulterspangen, der sich über ihn beugte. »Lieutenant Gray – draußen in den Hügeln ... Eine Frau und ein Kind dabei. Helfen Sie ihm - schnell!« röchelte er. Er hörte, wie eine Stimme rief: »Lieutenant Chavis, nehmen Sie dreißig Mann und reiten Sie hinaus. Vorwärts!« Dann wurde er aufgehoben. Jemand sagte »Bringt ihn ins Lazarett. Er scheint vollkommen ausgeblutet zu sein.« Parker hob die Hand. »Mein Pferd!« keuchte er. »Pop - gebt ihm den Gnadenschuß!« Eine Trompete schmetterte, und dreißig Reiter führten ihre Pferde auf das Paradefeld. Parker wurde an ihnen vorbeigetragen. Er vernahm noch den berstenden Revolverschuß, mit dem ein Kavallerist den alten Pop von seinen Leiden erlöste – und dann nichts mehr. * Als er noch einmal erwachte, war der Tag da. Er lag in seinem Bett. Seine Brust und sein Rücken schmerzten, aber es war erträglich. Nur die Schleier vor seinen Augen wollten nicht weichen, und in seinen Gliedern lag eine wohltuende bleierne Müdigkeit. Eine Hand berührte die seine. Langsam drehte er den Kopf. Penny Adams kauerte neben seinem Bett, Edward Gray war an ihrer Seite. »Noll, alter Junge«, murmelte Gray erschüttert. »Warum, zum Teufel, hast du mich nicht gehen lassen?« Parker lächelte. Seine Augen suchten das Gesicht der Frau. »Da mußt du sie fragen, Edward, mein Freund.« Sie waren also gefunden und ins Fort gebracht worden. Es - 85 -
war nicht vergeblich gewesen. Der Todesritt nach Fort Laramie war zu Ende. »Hast du ... den Major ... über Güster informiert?« fragte er. Gray nickte. »Natürlich. Aber er wußte schon Bescheid. Güster ist zwei Tage nach dem Massaker von General Terrys Truppen gefunden worden.« Parker schloß die Augen. Es gab nichts mehr, über das es sich zu reden lohnte. Die Sioux hatten Güster vernichtet, und dafür würden sie von Terry vernichtet werden. Der alte Westen starb Tag zu Tag dahin. Bald würden große Städte dort entstehen, wo heute noch der Büffel weidete. Die Axt der Holzfäller würde in die noch unberührten Wälder einbrechen und das Wild vertreiben. Der Pflug des Farmers würde den Boden der Prärie zerreißen und das Gras vernichten. Sie würden mit großen Maschinen kommen und die Berge durchwühlen auf der Suche nach kostbaren Erzen. Hinter dem Horizont erhob sich ein neues Zeitalter und brachte eine Menschengeneration hervor, in der es für Männer seiner Art keinen Platz mehr gab. Nein, das Leben lohnte sich nicht mehr. Lieutenant Gray beobachtete, wie der Atem seines Freundes flacher und flacher wurde. Er schaute auf Dr. Thorne, den Arzt des Forts, der hinter Parkers Bett stand. Thorne schüttelte stumm den Kopf. Gray legte die Hand auf Pennys Schulter. So blieben sie, bis es zu Ende war. »Es war besser so für ihn«, sagte Thorne. »Können Sie sich vorstellen, was in einem oder zwei Jahrzehnten aus ihm geworden wäre? Ein alter, mürrischer Mann, der die Zeichen der neuen Zeit nicht verstanden und den Rest seines Lebens in Bitterkeit verbracht hätte.« Er zog die Decke über Parkers Gesicht. »Es war der einzige folgerichtige Abschluß seines Lebens. Ich glaube nicht, daß er sich einen anderen Tod gewünscht hätte.« »Er ist für seine Freunde gestorben«, erwiderte Gray und führte Penny hinaus. - 86 -
Ein strahlender Mittsommermorgen lag über dem Fort. Auf dem Paradefeld exerzierte eine Abteilung Kavallerie. Der Wasserwagen kam vom Fluß herauf und zog eine feuchte Tropfenspur hinter sich her. Gray führte Penny zu dem kleinen Quartier in der Unteroffiziersstraße, das ihr und Chris als Unterkunft zugewiesen worden war. Vor der Tür blieb er stehen und zog den Hut. Seine Augen forschten in ihrem Gesicht. »Penny, ich bin Soldat und möchte es bleiben. Mein Leben wird nicht sehr abwechslungsreich sein. Ich kann einer Frau, die ich einmal heirate, keine glanzvollen Feste, Abendparties, Theaterpremieren und kostbaren Kleider bieten. Wahrscheinlich wird sie sich den größten Teil ihres Daseins mit einem armseligen Quartier in einem gottverlassenen Grenzfort der Armee begnügen müssen. Sie wird Hitze, Staub, eisige Winter, Schlamm im Frühjahr und die alltäglichen Gefahren des Soldatenlebens kennen lernen. Sie wird ein unstetes Wanderleben führen und viele Wochen im Jahr von ihrem Mann getrennt sein. Trotzdem möchte ich Sie jetzt fragen, ob Sie nach Ablauf des Trauerjahres meine Frau werden wollen.« »Ich habe einen kleinen Sohn«, murmelte Penny. »Das Kind eines anderen Mannes. Stört Sie das nicht, Edward?« Gray lächelte. »Warum sollte mich Chris stören? Ich mag ihn, und ich glaube, er mag mich auch. Er ist ein feiner kleiner Kerl. Und er könnte von mir eine Menge Dinge lernen, die nur ein Mann einem Jungen beibringen kann.« Penny streckte die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen zärtlich seine Wange. Ihre Augen gaben Lieutenant Gray die Antwort, die er sich erhofft hatte. Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Über ihren blonden Scheitel hinweg schaute er zum Himmel hinauf. Wenn Noll jetzt da oben war und auf sie hinabblicken konnte, dann - 87 -
sollte er wissen, daß er sich nicht umsonst geopfert hatte.
ENDE
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