Seewölfe Taschenbuch 41
Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Preßgang in die Hände fiel und seine Laufbahn als Sch...
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Seewölfe Taschenbuch 41
Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Preßgang in die Hände fiel und seine Laufbahn als Schiffsjunge begann. Fred McMason
Die letzte Fahrt der „Scout“
24. Oktober 1633 im Jahre des Herrn. Niederschrift aus dem Tagebuch des Howard Bonty. Vierter Offizier an Bord des Forschungsschiffes „Scout“ unter dem Kommando Master Isaac Fleet. Über den Azoren braute sich etwas zusammen. Das war deutlich an der sich plötzlich verändernden Temperatur zu spüren. Es wurde merklich kühler, als sich im Nordosten die Wolken zusammenballten und böige Winde über die Insel Santa Maria pfiffen. Im Hafen von Vila do Porto begann sich das Wasser zu kräuseln, dann sprangen winzige Wellen an den Lavastrand, und die Schiffe begannen sich unruhig zu bewegen. Da lagen sie – unsere „Scout“ und die gute alte „King Charles“, mit der Master Flanagan ganz überraschend eingelaufen war und dann ein rundes Dutzend portugiesischer Schiffbrüchiger an Land gesetzt hatte. Es hätte alles so prächtig sein können, und es hätte auch ganz sicher eine Begrüßung mit anschließendem Saufgelage gegeben, aber wir waren Gefangene der Spanier, verrichteten Zwangsarbeit bis zum Umfallen und sollten später abgeurteilt, dann in die Silber- oder Kupferminen geschickt und noch später exekutiert werden. Seit die „King Charles“, aufgetaucht war, schöpften wir alle wieder Hoffnung, auch Master Fleet, der im Kerker saß und zu Dunkelhaft verurteilt worden war, denn die beiden Kapitäne kannten sich flüchtig. „Flanagan läßt uns auf dieser gottverdammten Insel nicht verkommen“, hatte er gestern noch voller Hoffnung gesagt. Der Wind briste auf und heulte durch den Hafen. Die Wellen sprangen höher auf den Strand, die Schiffe ächzten jetzt vernehmlich. Auch auf der „Santa Catalina“, der Galeone, auf der wir schufteten und die wir gerade zu Wasser gelassen hatten, heulte der Wind durch die Webeleinen, und das Schiff begann unmerklich zu zittern. Um mich her herrschte reges Gewimmel. Die Crew der „Scout“ klopfte, kratzte, hämmerte und sägte an dem Schiff herum, und auf den Decks standen die Spanier, arrogant und überheblich, bewaffnet mit Peitschen oder Stöcken, die sie unbarmherzig auf die Körper klatschen ließen, sobald einer von uns nur einmal kurz verschnaufte. Dennoch warfen mein Freund Jonny und ich immer wieder verstohlene Blicke zur „King Charles“ hinüber, auf der wir solange gefahren waren. Und ich dachte an Flanagan, Finch, Pickens, an Mister Bunk, ChinaHarry und all die anderen. Was würden sie unternehmen?
„Flanagan ist an Land“, raunte Jonny mir zu. „Er ist bei dem verdammten Alkalden, diesem großkotzigen ...“ „Paß auf!“ rief ich Jonny zu. Doch es war schon zu spät. Einer unserer Bewacher, ein dämonisch blickender Kerl mit pechschwarzem Knebelbart und eingefallenen Wangen, holte aus und zog Kleine Hölle mit einer vierschwänzigen Lederpeitsche eins über. „No tonterias, ingles!“ fauchte er wild. Nicht quatschen, Engländer! Jonny zuckte zusammen und fuhr blitzschnell herum. Sein Gesicht war vor Wut über den hinterhältig geführten Schlag so verzerrt, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Der Kerl mit dem Knebelbart ließ erschrocken die Peitsche fallen und sprang einen Schritt zurück. Kleine Hölle sah in diesem Moment aus wie der leibhaftige, jähzornige und bis zum Äußersten gereizte Satan. Er explodierte jäh und unglaublich wild, doch zum Glück war noch ein Rest Verstand in ihm, der ihm sein Leben erhielt, sonst hätten ihn die anderen Bewacher auf der Stelle erschlagen. Weiß vor Wut im Gesicht fuhr er den Spanier an: „Paß auf, daß ich dir nicht deinen eigenen dreckigen Knebelbart zu fressen gebe, du Schneckenfresser.“ Beide starrten sich an, Jonny wild vor Wut, der Spanier erschrocken und irritiert über diesen Wutausbruch. Er tat noch einen Schritt zurück, hob die Peitsche auf und drohte damit. Aber er schlug nicht zu, wie ich es erwartet hatte. Noch einmal drohte er mit der Peitsche, vier Schritt entfernt, dann lehnte er sich ans Schanzkleid und atmete tief ein und aus, als hätte er immer noch Angst vor Jonny. Den anderen war das nicht entgangen. Ihre Gesichter verschlossen sich, haßerfüllte Blicke trafen die grausamen spanischen Bewacher. „Das Blatt wird sich auch einmal wenden“, flüsterte der Decksmann Tom Jagger, dem der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. „Sind Sie sicher, Mister Bonty, daß der andere Master uns helfen wird?“ „Irgendetwas wird geschehen“, murmelte ich. Dann wandten wir uns wieder unserer dreckigen Arbeit zu. Die „Santa Catalina“ war zum größten Teil von dem Muschelbewuchs befreit worden. Wir hatten neue Planken eingezogen, Teile des laufenden und stehenden Gutes neu eingeschoren und waren immer noch dabei, der Galeone den letzten Schliff zu geben. In etwa zwei Tagen würde die Arbeit beendet sein. Dann ging es wieder in die Weinberge oder an das Ausbessern des Hafens. Und danach sollten wir in die Minen gebracht werden. Wo die lagen, wußten wir jedoch nicht. Ganz sicher nicht auf der Insel Santa Maria.
Der Wind frischte immer weiter auf. Böen orgelten über den Hafen hinweg und ließen alles erzittern. Melrose, Crocker und Slim Burnell, die in einem kleinen Boot außen am Rumpf des Schiffes arbeiteten, wurden von der Bö so heftig angeblasen, daß sie den Halt verloren und über die Duchten fielen. Das Boot knallte mit einem heftigen Stoß an die Bordwand. Die spanischen Bewacher brüllten Flüche hinunter und beschimpften die Männer, als wären die an den böigen Winden schuld. Unser dämonisch aussehender Knebelbart starrte aus zusammengekniffenen Augen in die Wolkenfront, die sich langsam heranschob. So hatten wir für Augenblicke Zeit, wieder verstohlene Blicke zur „King Charles“ hinüberzuwerfen, die ganz in der Nähe der „Scout“ lag. Ich hob unauffällig die Hand über den Kopf und winkte mit den Fingern, dabei tat ich so, als würde ich mich kratzen. Ich sah auf dem Achterdeck der „King Charles“ deutlich zwei Gestalten, die mir seit Ewigkeiten vertraut waren. Eine davon war Mister Jeremias Bunk, mein väterlicher Freund, dem ich viel zu verdanken hatte. Er hielt ein Spektiv ans Auge und blickte zu uns herüber. Durch die vergrößernde Optik mußte er jede Einzelheit erkennen können. Der andere Mann, ebenfalls mit einem Spektiv bewaffnet, war unverkennbar und unverwechselbar. Dort stand der Zweite Offizier, Mister Pickens. Den Bauch noch weiter vorgewölbt als sonst, lehnte er an der achteren Schmuckbalustrade und sah durch den Kieker. Seine linke Hand vollführte ein paar kurze undefinierbare Zeichen. „Wir werden beobachtet“, raunte ich Kleine Hölle zu. „Weiß ich“, raunte er leise, „Pickens und Bunk.“ „Pickens gibt unauffällig Zeichen.“ „Seh ich auch“, knurrte Jonny, der immer noch gereizt war, und auf dessen Kreuz sich vier dunkelrote Striemen abzeichneten. „Weißt du was er damit ausdrücken will?“ Jonny arbeitete weiter, blickte dabei aber angestrengt über das Schanzkleid und schüttelte den Kopf. Die Zeichen von Mister Pickens waren allerdings sehr rätselhaft, auch, als er das Spektiv absetzte und beide Hände zu Hilfe nahm. Ich wurde jedenfalls nicht schlau daraus. Er bewegte eine Hand in unsere Richtung, dann zeigte die andere auf uns und bewegte sich zur „King Charles“ hin. Es waren zwei fließende Bewegungen, die ich mir nicht erklären konnte. Was wollte er damit nur ausdrücken, Sir!
„Verdammt“, sagte Jonny gepreßt. „Was meint er nur?“ Nach einer Weile verschwand Pickens vom Achterdeck. Dort, wo die Häuser dicht an der Bucht standen, tauchte Master Flanagan auf, begleitet von dem Alkalden Lope Sasso. Noch ein weiterer Mann war dabei, in dem ich den Sohn des Hafenmeisters erkannte. Das war Gustavo, ein besonders übles und hinterhältiges Exemplar, ein mehr als unangenehmer und unsympathischer Kerl, der gern selbst die Gefangenen züchtigte. Was dort gesprochen wurde, wußte ich nicht. Flanagan sprach auf den Alkalden ein, doch dessen einzige Antwort bestand in einem immerwährenden ablehnenden Kopfschütteln. Die Stimmung war jedenfalls nicht gut, obwohl gerade Flanagan hier einen Pluspunkt haben mußte, denn immerhin hatte er die schiffbrüchigen Leute hierher gebracht und dabei einen Umweg in Kauf genommen, ganz zu schweigen von dem Risiko, Santa Maria anzulaufen. Wie es den Anschein hatte ging Flanagan dann verärgert zum Boot und ließ sich zur „King Charles“ pullen. Gustavo und der Alkalde begaben sich in eins der Häuser, in dem vermutlich auch Patricia Coleman gefangen gehalten wurde. Mehr tat sich vorerst nicht. Aber man beobachtete uns trotzdem die ganze Zeit heimlich von der „King Charles“. Eine brüllende Bö fauchte durch den Hafen. Vielleicht waren es immer noch Ausläufer des Sturmes, der vor drei, vier Tagen heftig getobt hatte und nun die Azoreninseln erreichte. Draußen auf See mußte es ganz besonders schlimm gewesen sein. Der brüllenden Bö folgte gleich darauf eine weitere, die sich fauchend durch den Hafen schob und alles erzittern ließ. Sie war so scharf und heftig, daß die schweren Galeonen leicht überkrängten. Hoch über uns knarrten Blöcke und Taljen. Selbst die Pardunen begannen wie Teufelsgeigen zu klingen. Aufgeregte kleine Wellen mit Schaumkronen rannten kreuz und quer durch den Hafen. Die Wellen am Strand zischten bedrohlich und griffen hart und fordernd nach dem Sand und den fast schwarzen Lavafelsen. Etwas später setzte dann fast waagerecht fallender Regen ein, der von See her heranpeitschte und beißend scharf in die Gesichter fuhr. Es wurde immer dunkler. Gegen Mittag war der Regen so dicht, daß man vorn Bug aus nicht mehr das Achterdeck sah. Die spanischen Bewacher verzogen sich nach unten ins Batteriedeck. Nur zwei Mann blieben oben in dem trommelnden Regen und dem orgelnden und heulenden Wind.
Wir durften nicht nach unten, wir schufteten weiter. Immer wieder klatschte eine Peitsche auf einen Rücken. Die Kerle schlugen jetzt noch härter zu, vielleicht aus Wut und Ärger darüber, daß sie nicht das schützende Unterdeck aufsuchen konnten. Der Hafen war voller Schaum. Die „King Charles“ und die „Scout“ waren graue, kaum sichtbare Schatten in einer merkwürdig und fremd anmutenden Welt, die aus brausenden Tönen bestand. Wir sahen kaum noch, was in unserer unmittelbaren Umgebung vorging. Ich hatte sogar Mühe, Jonny zu erkennen, wußte ihn jedoch in meiner unmittelbaren Nähe und sah undeutlich seinen grauen Schatten. Die „Santa Catalina“ benahm sich wie ein störrischer Gaul. Pausenlos wurde sie von Schlägen geschüttelt. Da war ein Trommeln und Heulen, ein Pfeifen und Orgeln, und da rauschte pausenlos Wasser, als lägen wir direkt unter einem brausenden Wasserfall. Das ging bis zum späten Nachmittag so. Wir waren klatschnaß und durchgefroren, hungrig und durstig. Doch wir kratzten weiter am Schiff herum, immer bedroht durch die Peitschen der spanischen Bewacher. Dann hörte endlich der peitschende Regen auf. Dunkle Wolken jagten in rasender Eile über den Himmel. Alles war grau in grau. Ein Bild der Trostlosigkeit und des Elends, wie ich es von den Azoren gar nicht gewöhnt war. Später gab es eine Suppe in hölzernen Kummen, die kalt war und talgig schmeckte. Jonny hob die Kumme hoch und wollte sie erbost über Bord kippen. „So ein. elender Saufraß“, schimpfte er, „das schmeckt ja noch widerlicher als das Zeug auf der ,Liberty`. Zum Kotzen ist das.“ „Iß sie trotzdem, Jonny“, sagte ich. „Wer weiß, wann wir wieder etwas kriegen. Wir müssen bei Kräften bleiben.“ „Ha-ha“, sagte er sauer. „Soll mich nicht wundern, wenn in dem Zeug Schnecken und Kastanien sind.“ Wir tranken das widerliche Zeug mit einem gewissen Ekel. Den Rest drückte uns der Hunger rein. Danach ging es wieder an die Arbeit. Jetzt war es schon fast dunkel, und nachdem nochmals ein kurzer heftiger Schauer niederging, wurden die ersten Lampen an Deck entzündet. Wir mußten also auch noch bei Dunkelheit weiter schuften. Als unser dämonischer Knebelbart durch einen anderen Kerl ersetzt wurde, der sich kaum um uns kümmerte, fiel mir auf, daß der Decksmann Tom Jagger verschwunden war. „Weißt du, wo Jagger geblieben ist?“ fragte ich.
Jonny war genauso erstaunt und sah sich suchend um. Jagger gehörte zu unserer Gruppe und arbeitete in unserer unmittelbaren Nähe. Aber wir hatten sein Verschwinden nicht bemerkt. Auch als wir uns suchend umsahen, entdeckten wir ihn nicht. Das ging ja fast nicht mit rechten Dingen zu. Ich entsann mich zwar, daß Jagger einmal in eins der Beiboote gestiegen war, die außen am Rumpf festgemacht waren, aber ich glaubte mich auch zu erinnern, daß er wieder an Deck gekommen war. Oder irrte ich mich? Jonny warf mir einen merkwürdigen Blick zu. „Sehr seltsam“, meinte er und hatte ganz schmale Augen. „Hat der Kerl sich irgendwo versteckt? Er muß in der Zeit verschwunden sein, als der Regen einsetzte und es fast dunkel war.“ Über Bord gefallen konnte er nicht sein, sonst hätte das irgendjemand ganz sicher bemerkt, oder Jagger hätte um Hilfe gerufen. Mir lief ein Frösteln über den Rücken, denn ich hatte nicht die geringste Erklärung für das mysteriöse Verschwinden des Decksmannes. Eben war er noch da, und von einer Minute zur anderen hatte er sich in Luft aufgelöst. Die Posten hatten das Verschwinden anscheinend nicht bemerkt, denn niemand reagierte oder leitete eine Suche ein. Wenn Jagger aber wirklich heimlich geflohen war, dann konnte das für uns schwerwiegende Konsequenzen haben und unser Los nur noch erschweren. Wir waren stark beunruhigt, konnten das aber keinem mitteilen, ohne unangenehm aufzufallen. Was, zum Teufel, hatte Jagger getan, oder was hatte er vor? Weder Jonny noch ich fanden darauf eine Antwort. Die Gesichter unserer schuftenden Leute, sie befanden sich fast alle an Bord der „Santa Catalina“, verschwammen im milchigen Schein der hin- und herschwingenden Lampen zu wesenlosen Schatten. Man konnte die einzelnen Männer nicht mehr voneinander unterscheiden. Jeder war ein anonymes Nichts, ein schweigsam arbeitender Niemand, eine graue unscheinbare Figur mit verwaschenen Konturen. Auch die Bewacher unterschieden sich nicht mehr. Diese Szene an Bord wirkte unwirklich und gespenstisch. Da bewegte sich eine graue Masse Menschen, die scheinbar sinnlos klopften, hämmerten und bohrten oder kratzten. Eine dieser grauen Gestalten näherte sich uns, verschwand wieder, näherte sich erneut und kratzte dann an den Planken herum. Das konnte nur Tom Jagger sein. Mir fiel ein Stein vorn Herzen, daß er
wieder da war. Vermutlich hatte er ein menschliches Bedürfnis verspürt und war nur deshalb kurz verschwunden. „He, Jagger! Wo waren Sie solange?“ fragte ich flüsternd. Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Ich sah nur seinen klatschnassen Rücken aus unmittelbarer Nähe, von dem das Wasser troff, und seine verdreckten Hände. Ich verstand ihn. Er war Müde, erschöpft und ausgelaugt und hatte wohl keine Lust zum Sprechen. Dann sagte er doch etwas, aber es war nicht seine Stimme. „Ich war unten“, flüsterte er. Als er sein Gesicht in den milchigen Schein der Lampe drehte, da traf mich doch fast der Schlag vor Verblüffung. Kleine Hölle stand auch da wie erstarrt, zu Stein geworden, unfähig, ein Wort hervorzubringen. Und weil er seiner Verblüffung keinen Ausdruck geben konnte, begann er erstickt zu husten. Das Gesicht, aus dem noch Wasser troff, war unverwechselbar. China-Harry von der „King Charles“ grinste uns an! Yes, Sir, es war China-Harry und kein Geist. * Mit dieser Ungeheuerlichkeit hatte keiner von uns gerechnet, weder Jonny noch ich. Und die anderen hatten vorerst nicht das geringste bemerkt. Was hier vorging, ohne unser Wissen natürlich, begriffen wir ebenfalls noch nicht. Hier zog jemand im Hintergrund die Fäden, der genau plante und taktierte, und dieser strategisch denkende Mann konnte nur Master Flanagan sein. Wir standen da und starrten uns an. Für uns war die Überraschung vollkommen, für China-Harry nicht, denn der war ja in den Plan eingeweiht worden. Am liebsten hätte ich ihn umarmt, ihm in die Rippen geknufft oder einen Freudentanz aufgeführt, denn jetzt kamen die Dinge langsam in Schwung, und es würde bald etwas geschehen. Wir mußten jedoch unendlich vorsichtig sein, damit die Dons nichts merkten. Vorsichtig hielten wir nach unserem neuen Bewacher Ausschau, aber weil es schon wieder zu regnen begann, hatte er sich davongeschlichen, um nicht naß zu werden, und kümmerte sich nicht um uns.
Wir knieten uns auf die Planken und kratzten mit scharfen Schabeisen dicht nebeneinander den Teer ab, den die Dons auf die Planken geschmiert hatten und der zäh auf dem Holz hing. Von weitem sah das so aus, als seien wir emsig bei der Arbeit, was ja auch der Fall war. Unsere Unterhaltung wurde nur im Flüsterton geführt. Und natürlich konnten wir unserer Freude auch nicht lange Ausdruck geben, dazu war die Zeit zu kostbar. Da wir noch Ketten trugen, verstanden die Wachtposten unsere gemurmelten Worte auch kaum, denn das Klirren übertönte jedes andere Geräusch. Dazu kam noch der jaulende Wind, der alles klingen und ächzen ließ. China-Harry berichtete sachlich, knapp und nüchtern, während er auf den Planken kniete und das Schabeisen darüber zog. Einmal sah der Profos Big Bäng mit großen erstaunten Augen zu uns herüber, aber Jonny legte unauffällig einen Finger an die Lippen. Der Profos verstand und nickte uns schnell zu. Ich glaube, er begriff die neue Situation ziemlich schnell. „Ich bin bei dem Dreckwetter von der Landseite gekommen“, flüsterte China-Harry. „Fiel gar nicht auf, daß ich mich an Bord schlich, es war auch zu dunkel. Dann enterte ein Mann von euch ab. Ich nahm ihn kurz zur Seite und sagte ihm, er solle zur ging' schwimmen, falls er schwimmen könne. Ich würde seinen Platz einnehmen, damit es nicht auffällt.“ „Das war Tom Jagger“, raunte ich. „Richtig, er sagte mir seinen Namen. Der ist vielleicht losgeflitzt! Der schwamm ab wie ein Delphin.“ Harrys Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Er freute sich diebisch, daß die Überraschung so komplett gelungen war. „Flanagan hat diesen Austausch veranlaßt“, erzählte er weiter. „Er führt Verhandlungen mit dem Alkalden, aber das ist ein sturer Hund, der denkt nicht daran, euch freizulassen.“ „Kann ich mir denken. Wir sollen abgeurteilt werden. Sag mal, Harry, konnte Jagger denn schwimmen? Er trug doch Ketten.“ „Das hat den nicht gejuckt. Außerdem sind eure Ketten ja nicht so schwer, sie behindern nur ein bißchen.“ Das war richtig, es war unangenehm, aber es ließ sich gerade noch ertragen. Ich wäre mit meinen Ketten auch geschwommen. „Weiter“, flüsterte Jonny gespannt. Aus dem Dunkel löste sich der Wärter und trat in den Schein der Lampe. Er hatte eine spitze lange Nase und musterte uns verkniffen.
Die Peitsche trug er unter dem Arm. Wir unterbrachen sofort das Gespräch und arbeiteten weiter. Als er sah, daß wir emsig kratzten, zog er sich wieder zurück. Wir drehten uns auffällig so, daß Harry ihm den Rücken zuwandte und ungehindert sprechen konnte, während wir zuhörten. Wenn der Kerl wiederkam, konnten wir China-Harry schnell ein Zeichen geben. So hatten wir unser Umfeld immer ganz gut im Blick. „Die Frau, die bei euch an Bord war, befindet sich im Haus des Alkalden. Dort soll sie auch bleiben. Ihr werdet vermutlich später nach Sao Miguel gebracht. Von dort geht es weiter nach Südamerika, wie ich hörte.“ „Silber- oder Kupferminen“, warf Jonny ein. „So ist es geplant. Wer krank wird oder nicht mehr schuften kann, der soll an den Galgen oder sonst wie exekutiert werden.“ „So ähnlich haben wir es auch gehört“, sagte ich. „Aber jetzt scheint ja wieder ein bißchen Hoffnung zu bestehen.“ „Ein bißchen?“ fragte Harry. „Flanagan läßt euch doch hier nicht verkommen, der doch nicht.“ „Hat Fleet auch gesagt“, murmelte ich. „Es wird bloß verdammt schwer werden.“ „Klar, aber Flanagan schafft auch das. Ihr könnt das ja unauffällig bei euren Leuten durchsickern lassen. Das hebt die Moral und gibt wieder neue Hoffnung.“ „Wie will er das anstellen?” raunte Jonny gespannt. „Er will noch einmal mit dem Alkalden wegen eurer Freilassung verhandeln, doch es hat wenig Aussicht auf Erfolg. Gehen die Verhandlungen in die Binsen, dann fliegt morgen im Laufe des Tages die kleine Schaluppe in die Luft, die im Hafen liegt. Das ist jener halbvergammelte Kahn, der am Strand vor der Festung liegt. Wir haben die Schaluppe bereits präpariert. Ihr müßt die ‚King' ab morgen ständig im Auge behalten. Sobald achtern die grüne Flagge der Company gesetzt wird, müßt ihr so schnell wie möglich über Bord springen oder die Galeone irgendwie verlassen. Die Dons werden nicht damit rechnen und für den Augenblick abgelenkt sein. Das ist der Auftakt zum großen Round up. Wir legen dann richtig los. Inzwischen werden auf der ,Scout` ein paar unserer Leute sein. Diese Galeone hier wird unter Feuer genommen, während gleichzeitig ein Landkommando den Dons einheizt. Wir befreien euren Master und die Frau. Aber es ist wichtig, daß alle eure Leute darüber informiert sind. Schafft ihr das?“
„Ja, das läßt sich machen. Wir brauchen nur dem Decksältesten und dem Profos etwas sagen, die sorgen dann schon für die Verbreitung, und wir werden auch weiter dafür sorgen.“ Ich fühlte mein Herz klopfen, nicht vor Angst, sondern vor Freude über die bevorstehende Befreiung. Natürlich mußten wir selbst einiges dazu tun, um die Dons zu überreden, und das mußte Uns trotz der Ketten gelingen, die wir trugen. Außerdem mußte ich noch heute nacht den Master davon unterrichten, sobald sich mir die Gelegenheit bot. Jonny grinste zufrieden vor sich hin. Er drehte sich um und hielt nach unserem Bewacher Ausschau, doch der Spanier war nur als unwirklicher Schatten zu sehen, der mit einem anderen Kerl zusammen stand. Beide unterhielten sich leise miteinander. Wir sprachen noch einmal alles durch, flüsternd, so leise, daß die Dons absolut nichts verstanden. Flanagan hatte schon fast alles in die Wege geleitet, er hatte sorgfältig überlegt und geplant, und ein Mann wie er verstand sich durchzusetzen. Er verfügte über große Erfahrung, die Vergangenheit hatte das oft genug bewiesen. Leider konnte China-Harry nicht mehr weiter berichten. Wir interessierten uns natürlich dafür, was auf der „King Charles“ alles passiert war. Doch unsere Bewacher trieben uns plötzlich zusammen, und wir mußten Aufstellung nehmen. Der Hafenkapitän Glauco Cordobes erschien in Begleitung des Alkalden Lope Sasso und seines verdammten Sohnes Gustavo. Beim Schein der Laternen überzeugten sie sich von dem Fortschritt der Arbeiten und hatten ständig etwas auszusetzen oder zu bemängeln. „Ab mit euch Bastarden!“ brüllte Gustavo. „Ihr freßt uns den letzten Proviant weg, aber geleistet habt ihr dafür nichts. Es wird Zeit, daß man euch an den Galgen hängt.“ Gustavos ständige Beleidigungen überhörten wir. Sie gingen uns nicht mehr unter die Haut, dazu war dieser Kläffer viel zu klein. Wir wußten, was wir an dem heutigen Tag geleistet hatten, und das war gewiß nicht wenig. Die „Santa Catalina“ war jetzt so gut wie fertig. China-Harry blieb neben uns, als wir über eine schmale Laufbrücke an Land gingen. Es fiel niemandem auf, daß sich ein anderer eingeschlichen hatte. Nur ein paar Leute von unserer Besatzung merkten es. Ihre Blicke verrieten jedoch nichts, höchstens leichtes Erstaunen, und jeder machte sich wohl seine eigenen Gedanken darüber.
Auf dem Weg zur Festung gelang es mir, mich mit dem Decksältesten Mat Robertson zu unterhalten. Jonny sprach leise mit dem Profos und etwas später noch mit Malaga-Jo. Von da an sprach sich das geplante und bevorstehende Ereignis in Windeseile herum. Die traurige Kolonne wurde zur Festung geprügelt und unterwegs immer wieder beschimpft und verhöhnt. Aber auch das ließ uns ziemlich kalt. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser menschenunwürdigen Gefangenschaft richtete uns auf. Während die anderen wieder die Stufen hinunter gingen, die zu dem muffigen und feuchten Kerker führten, erhielt ich wieder den Befehl, dem eingesperrten Master Fleet – genau wie am vorigen Abend – das karge Essen zu bringen. Die beiden Bewacher vom Vorabend brachten mich hinab und trieben mich zur Eile an. Viel war es nicht, was sie dem Master an Essen und Trinken zugestanden, lediglich ein Stück hartes Brot und eine Muck Wasser, mehr gab es nicht. Ich kroch in seine kleine und absolut finstere Kerkerzelle, die man wirklich nur kriechend erreichen konnte. Die Höhle war nicht viel größer als ein Fuchsbau. Gerade als ich drin war, trat einer der Soldaten mit dem Stiefel hinter mir die Tür zu, die mir' schmerzhaft ins Kreuz krachte. Die Hälfte des Wassers schwappte zu meinem Leidwesen über die Muck, und ich hörte die Kerle draußen laut lachen. Master Fleet sah ich nicht, aber ich spürte, daß er unmittelbar vor mir am Boden hockte. Seit gestern wußte er, daß die „King Charles“ hier eingelaufen war, ich hatte es ihm kurz und knapp berichtet. „Was Neues?“ hauchte er so leise, daß ich ihn kaum verstand. Ich hatte nicht viel Zeit und mußte mich knapp fassen. „Master Flanagan will uns morgen befreien, Sir“, sagte ich ebenso leise. „Vorher will er jedoch den Alkalden umstimmen. Er hat einen Mann aus seiner Crew bei uns eingeschleust, Sir, der uns die Einzelheiten berichtete.“ Ich bildete mir ein, ihn lächeln zu sehen. „So etwas Ähnliches habe ich fast erwartet“, raunte er. „Wie will er vorgehen?“ Ich konnte Master Fleet leider nicht mehr antworten, denn die kleine Tür zum Kerkerloch wurde aufgerissen. „Raus mit dir, du Bastard!“ brüllte einer der Soldaten auf spanisch. „Ab in deine Zelle. Hier wird nicht gequatscht.“
Ein harter Kolbenstoß in die Seite begleitete seine Verwünschungen. Der Hieb traf meine Rippen, in denen es bedenklich knackte, und er war äußerst schmerzhaft. Ich taumelte hoch und ging zu meiner Zelle zurück. Hoffentlich konnte ich es diesem Bastardo morgen schon heimzahlen, dachte ich, während hinter mir die Tür ins Schloß fiel und das Licht der Fackeln erlosch. Von da an hockten wir im Finstern, wie Ratten in einem Loch. Aber wir flüsterten dennoch weiter miteinander, und natürlich drehte sich alles um den bevorstehenden morgigen Tag, der uns allen endlich die erhoffte Freiheit geben sollte. Was zwischen Flanagan und dem Alkalden gesprochen wurde, erfuhr ich erst später, und zwar durch die Tagebuchaufzeichnungen von Mister Bunk, als ich wieder auf der „King Charles“ war. Dort übergab er mir später das in schwarzes Leder gebundene Buch, und zum ersten Mal las ich eine Aufzeichnung von ihm und wußte genau über die Ereignisse der letzten Reise Bescheid. * Niederschrift durch Jeremias Bunk. Gegeben am 8. Juli 1633 im Jahre des Herrn: Möge Gott uns eine gute Reise bescheren. Unsere Ladung besteht aus Elfenbein, Gewürzen, Teakholz, Silber und Tee, die wir im Auftrag der Company in Surat/Indien an Bord genommen haben. Unser Zielhafen ist London. Unsere Reise durch den Indischen Ozean verlief ruhig, zu ruhig fast, denn wir gerieten für fünf Tage in der Nähe der Amiranten in eine Kalme und mußten die „King Charles“ mit den Beibooten aus der Flaute in den Wind schleppen. Auf den Amiranten nahmen wir Trinkwasser an Bord und trafen dort auf die „Crown“, ebenfalls eine Galeone der Company, mit deren Besatzung wir Neuigkeiten aus der Heimat austauschten. Danach wurde die Reise fortgesetzt und das Kap der Guten Hoffnung gerundet. Ein handiger Wind trieb uns die afrikanische Westküste hoch, bis wir erneut den Äquator passierten. Dort hatten wir eine kurze, denkwürdige Begegnung. Es war leicht dunstig, und von der Küste her trieb leichter Nebel auf See, als aus den Schwaden plötzlich ein Schiff auftauchte. Es bemerkte uns gerade noch rechtzeitig und drehte ab. Ich starrte wie gebannt hinüber, denn für ein paar Augenblicke sah ich den Mann auf
dem Achterdeck in aller Deutlichkeit, und ich las auch den Namen am Heck des unheimlich wirkenden Schiffes. Es war die „Sea Cloud“, unter Master Habakuk Pratt, jener Sklavenfänger, der Howard Bonty, Daniel Hawkins und mich damals aus Seenot gerettet hat, als wir mit der „Black Devil“ Schiffbruch erlitten. Damit waren wir dem Teufel persönlich in die Hände gefallen. Schiff und Kapitän waren unverwechselbar, und ich glaube, auch Pratt hat mich erkannt, denn seine dunklen Augen blickten herüber als wollten sie mich durchbohren. Ein grausamer Zug erschien in seinem Gesicht, begleitet von einem dünnen bösen Lächeln. Ja, das war die „Sea Cloud“, die im Auftrag der „African Company of Merchant. Adventurers“ Sklaven in Afrika fing. Für einen winzigen Augenblick erkannte ich den Ersten Offizier Rodney und den Bootsmann Abott, dann senkte sich der Nebel über das Schiff, und es verschwand wie ein Geist auf nordwestlichem Kurs. Pratts Gestalt zerfloß im Dunst und wurde unsichtbar. Wir hörten nur noch das Ächzen in der Takelage, als hätten die Sklaven geseufzt. (Ich war mir nicht sicher, ob Pratt Sklaven an Bord hatte, die Begegnung erfolgte zu schnell.) Dann waren wir unvermittelt allein und segelten aus der dunstigen Zone weiter nach Norden. Die „Sea Cloud“, die direkt vor uns lief, war nicht mehr zu sehen. Der letzte Teil der Reise begann, doch jetzt wurden wir vom Pech verfolgt, und einige Männer behaupteten, an unserem Pech sei nur der unheimliche Sklavenfänger schuld, denn schon der bloße Anblick des Schiffes würde Unglück bringen. Ein paar Meilen südlich von Madeira frischte der Wind auf. Die See wurde erst kabbelig und begann dann lang zu rollen. Bald schon fluteten die ersten schweren Seen über das Deck, und die „King Charles“ legte sich hart auf die Backbordseite. Wir nahmen Segel weg und fuhren unter zwei Sturmsegeln weiter, doch bald mußten auch die Sturmsegel aufgepackt werden. Danach lenzten wir stundenlang vor Topp und Takel. Immer wieder überrollten schwere Brecher das Deck, die das Schiff tief unter Wasser drückten. Die See war weiß von Schaum, brüllte und tobte wie ein wildes Tier. Wir hatten selbst alle Mühe, uns über Wasser zu halten, und doch gab es in dieser Situation jemand, der schlimmer dran war als wir. Weit vor uns in der kochenden und schäumenden See trieb vage ein Schatten mit schwerer Schlagseite. Er hing so tief im Wasser, daß die Rahnocken durch die See schleiften. Die wildgehende See hatte das
Schiff, einen Spanier oder einen Portugiesen, teilweise entmastet und zertrümmert. Das Ruder war weggebrochen, der Bugspriet fehlte, es bot ein Bild des Jammers. „Die sinken gleich“, sagte Flanagan. „Und wir sind nicht einmal in der Lage, ihnen zu helfen. Es scheinen Portugiesen zu sein.“ Eine wilde, heulende und fauchende See überrannte uns und toste bis über das Achterdeck hoch. Als wir wieder sehen konnten, war der Portugiese ganz auf die Backbordseite gerollt, der letzte Mast war weggebrochen. Die Galeone drehte sich noch weiter, bis ihr schaumübertoster Kiel langsam zum Himmel zeigte. Trümmer und Spieren trieben in der See. Ein Boot war zerschlagen, an das andere klammerten sich Leute, die jeden Augenblick ertrinken würden. „Ich werde tun, was ich kann“, sagte ich zu Flanagan, der nur erschüttert nickte. Einer der Männer wurde von dem Boot weggerissen und verschwand in den tobenden Elementen für immer. Ein zweiter trieb so weit ab, daß wir ihn ebenfalls aus den Augen verloren. Es mußten schon mindestens ein Dutzend Leute umgekommen sein. Ich zählte noch etwa fünfzehn Männer, die teils am Boot hingen oder sich auf dem sinkenden Schiff festklammerten oder in der See trieben. Harry, McCoy und Pickens tasteten sich mit mir zusammen an den Strecktauen auf Deck. Immer wieder überschwemmten uns harte Brecher, rissen uns die Beine weg, warfen uns um. Indessen versuchte Mister Finn, der am Ruder stand, unser Schiff so beizudrehen, daß die Schiffbrüchigen in Lee auf uns zutrieben, wo das Meer wenigstens etwas ruhiger war. Unter Aufbietung unserer letzten Kräften warfen wir Tampen, Taue und Leinen weit in die See hinaus. Ein Boot konnten wir nicht abfieren, es wäre sofort an der Bordwand zerschellt. Von dem sinkenden Wrack klangen hallende Geräusche herüber, die noch das Donnern der See übertönten. Pfeifend drang die Luft aus dem Wrack, das noch tiefer absackte und unter einem Wellenberg verschwand. Dann gelang es einem der Männer eine Leine zu ergreifen und sich daran festzuklammern. Noch ein zweiter packte mit zu. Ihre Gesichter waren vor Angst entstellt. Als ein neuer Brecher langsam über die Speigatten abfloß, hievten Pickens und ich blitzschnell die beiden Schiffbrüchigen an Bord. Der Koch zerrte sie mit dem Feldscher ins Batteriedeck.
In der See spielten sich Tragödien ab, und wir konnten nichts weiter tun, als hilflos zuzusehen, wie noch ein weiterer Mann ertrank. Einem anderen gelang es nicht mehr, sich aus dem Sog des sinkenden Schiffes zu befreien. Zwei weitere wurden ins brodelnde Meer gespült, als das Wrack noch tiefer sank. Inzwischen hatten wir den dritten und vierten Mann aus dem Wasser gefischt, und beinahe wäre Harry dabei über Bord gegangen. Wir waren durch die immer wieder wild anrennenden Wogen ausgelaugt und erschöpft und hielten uns nur noch mühsam auf den Beinen. Schließlich griff der Master selbst noch mit zu. Im Wasser schrien und flehten die Leute um Hilfe, die schon zu weit abgetrieben waren. Wir taten, was wir konnten, warfen immer wieder Wurfleinen und Tampen nach den Männern. Bis zum späten Nachmittag hatten wir neun Gerettete an Bord, unter ihnen den Kapitän. Zwei weitere fischten wir abends aus der See. Und als wir schon gar nicht mehr daran glaubten, entdeckten wir noch einen, den wir ebenfalls retten und versorgen konnten. Damit waren es zwölf Mann. Der Sturm flaute etwas ab und versetzte uns weiter nach Nordwesten. Wir erfuhren jetzt auch, wen wir gerettet hatten. Es war ein portugiesischer Kapitän namens Manuel Herchez, und elf Männer seiner Besatzung, darunter der Zweite Offizier. Das Schiff, die „Alvarez“, war auf dem Weg zu den Azoren gewesen, schlug dann leck und sank schließlich in dem fürchterlichen Sturm, der auch bei uns einiges an Schäden hinterlassen hatte. Der Portugiese bat Flanagan äußerst höflich, er möge ihn und seine Männer doch nach der südöstlich gelegenen Azoren-Insel Santa Maria bringen, denn da uns der Sturm immer noch versetzte, wäre das ohnehin kein großer Umweg. Anfangs zögerte der Master, doch dann willigte er ein, obwohl auf Santa Maria auch die Spanier hausten. Ein paar Tage später – der Sturm hatte jetzt nachgelassen –liefen wir mit den Schiffbrüchigen den Hafen Vila do Porto auf Santa Maria an und gingen in der großen Bucht vor Anker. An jenem Tag schrieben wir den 23. Oktober 1633. Wir fierten zwei Boote ab, nahmen die schiffbrüchigen Portugiesen in die Boote und pullten zum Land. Unterdessen bedankte sich der portugiesische Kapitän immer wieder. Zwei Dinge fielen mir im Hafen, auf: Das eine war eine Viermastgaleone von recht flacher Form, auf die auch Flanagan und China-Harry immer wieder einen Blick warfen. Auch mir kam das Schiff
irgendwie bekannt vor. Des weiteren sah ich Gefangene an einer Pier arbeiten, Männer in Ketten, die von spanischen Aufsehern drangsaliert und gepeinigt wurden. Aber ich konnte mich nicht weiter um sie kümmern, denn ein paar spanische und portugiesische Offiziere traten uns gegenüber. Ferner gab es da noch einen Alkalden und einen anderen Kapitän, die uns ziemlich unfreundlich begrüßten und sich erkundigten, was wir hier wollten. Dies sei eine spanische Kolonie. „Das weiß ich“, sagte Flanagan kühl, wie es seiner Art entsprach. „Aber wir haben Schiffbrüchige, die hierher gebracht werden wollten. Diesen Wunsch habe ich ihnen erfüllt. Es sind Portugiesen.“ Der Alkalde blieb immer noch unfreundlich. Erst als die Geretteten beteuerten, wie ritterlich und großzügig wir sie behandelt hätten, wurden die Kerle etwas freundlicher. Flanagan warf immer noch verstohlene Blicke auf das Schiff, und ich konnte nicht anders, ich sah wieder zu den Gefangenen, genau wie China-Harry das auch ständig tat. Pickens wurde unruhig, starrte zu den Gefangenen und wollte dauernd etwas sagen. Doch Flanagan stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. Da schwieg Pickens, denn er hatte endlich begriffen. Ich selbst hatte die allergrößte Mühe, nicht zusammenzuzucken. Auch Harry hatte sich sehr gut in der Gewalt und ließ sich nichts anmerken. Bonty, dachte ich immer wieder. Howard Bonty, mein guter Junge, du bist es und kein anderer, der dort in Ketten schuftet. Aber wie kamst du hierher? Gleich darauf sah ich auch Kleine Hölle, der sich ebenfalls nichts anmerken ließ, obwohl er uns gleich erkannt hat. Er hatte die „King Charles“ schon beim Einlaufen identifiziert, genau wie Howard auch. Das war eine sehr unangenehme Lage für die Männer, und ich war neugierig darauf, den Grund zu erfahren, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie etwas verbrochen hatten. Vorerst aber mußten wir uns zusammennehmen, denn der Alkalde wollte Einzelheiten wissen und lud uns schließlich ein. Ein kleiner Spaziergang führte uns dicht an den Gefangenen vorbei, und ich konnte ihnen in die Augen sehen. Flanagan hatte uns schon vorher gewarnt, uns ja nichts anmerken zu lassen, und während er scheinbar durch die Gefangenen hindurchsah, marschierten wir weiter mit klopfendem Herzen und der bangen Frage, wie wir das Problem wohl lösen konnten.
Flanagan hatte später noch ein Gespräch mit dem Alkalden, bei dem er auch auf die Gefangenen anspielte und den Hintergrund erfuhr, die Sache mit dem Überfall auf den Portugiesen durch Master Fleet. Ein weiteres Gespräch, worin er Don Sasso bat, die Engländer freizulassen, stieß auf taube Ohren. Der Alkalde blieb stur, und versicherte, daß die Kerle alle in den Silberminen oder am Galgen enden würden. Er bot keine andere Alternative an. Später, wieder an Bord, erklärte Flanagan: „Master Fleet von der ‚Scout' ist zu Dunkelhaft verurteilt worden. Die anderen müssen arbeiten. Ein weiblicher Passagier von der ,Scout` wird beim Alkalden gefangen gehalten. Unseren früheren Besatzungsmitgliedern, Jonny und Bonty droht der Strick. Das werden wir aber nicht zulassen, außerdem kenne ich auch Master Fleet. Ich denke, wir werden den Hafen auf den Kopf stellen, damit wir die Männer herauspauken können, denn ohne sie verlassen wir Santa Maria nicht. Auf keinen Fall! Trotzdem werde ich morgen noch einmal den Alkalden aufsuchen und mit ihm reden. Geht das schief, dann habe ich folgenden Plan: China-Harry wird hinübergeschickt und gegen einen anderen Mann unauffällig ausgetauscht. Er wird den Männern mitteilen, was wir vorhaben, damit sie in jede Einzelheit eingeweiht sind.“ Er erläuterte seinen Plan in allen Einzelheiten und setzte hinzu, daß die Besatzung der „Scout“ auf der Galeone „Santa Catalina“ arbeiten würde. Dann folgten Sturm und Regen, und wir begannen unverzüglich mit unserem Unternehmen. Unter anderem wurde die halbverfallene Schaluppe im Hafen präpariert, ohne daß es den Dons auffiel. Ein paar Mann enterten unauffällig an Bord der dicht neben uns liegenden „Scout“ auf und versteckten sich heimlich an Bord. Auf der „Scout“ gab es nur ein paar spanische Wachen, und die merkten nicht das geringste. Sie waren völlig arglos. Am anderen Tag hatten wir eine weitere Unterredung mit dem Alkalden Don Sasso. Inzwischen befand sich China-Harry bereits bei den Gefangenen, und wir hatten einen Mann von der „Scout“ an Bord, der sich Tom Jagger nannte. Bei Sasso waren der Hafenkapitän Cordobus und sein Sohn Gustavo, ein tückisch blickender Mensch. Auch drei spanische Soldaten waren anwesend. Sasso blieb unfreundlich, als er uns sah, denn er kannte Flanagans Wunsch längst. Er bot uns auch keinen Platz an.
„Ich möchte noch einmal an Sie appellieren, Don Sasso, die englischen Gefangenen freizulassen, sozusagen als Gegenleistung für den Dienst, den wir den Portugiesen erwiesen haben. Der Kapitän Manuel Herchez spricht sich ebenfalls dafür aus und bittet ...“ „Sie brauchen gar nicht erst weiter zu reden“, unterbrach der Alkalde den Master grob. „Ich werde die Gefangenen nicht ausliefern, auf keinen Fall. Sie bleiben hier und werden hängen, nachdem sie kräftig gearbeitet haben.“ „Es sind Landsleute von mir“, sagte Flanagan ruhig. „Sie an meiner Stelle würden auch darum bitten, wenn es Spanier wären.“ „Landsleute“, wiederholte Sasso verächtlich. „Das ist nichts weiter als ein Haufen verdammter, dreckiger Piraten und Gauner, die ehrliche Handelsfahrer überfallen und ihnen Leute abpressen.“ Der Master blieb nach außen hin immer noch ruhig und gelassen. Er zeigte nicht oft Emotionen. „Der Kapitän der ,Scout` hat aufgrund einer Zwangslage drei portugiesische Seeleute gepreßt. Mehr ist nicht geschehen, und dabei kam auch niemand zu Schaden. Das ist kein Grund, eine ganze Mannschaft zum Tode zu verurteilen.“ „Wollen Sie mir vorschreiben, was ich zu tun habe, ingles?“ brüllte Don Sasso mit rotem Schädel. „Ich appelliere nur an Ihre Menschlichkeit, aber der Appell scheint vergebens zu sein, Spanier.“ „Verlassen Sie sofort Santa Maria“, brüllte Gustavo nun auch. „Sie haben hier nichts mehr verloren.“ „Ich lief die Insel an, um Schiffbrüchige hierher zu bringen. Das war ein reiner Akt der Menschlichkeit, mehr nicht.“ „Das war Ihre verdammte Pflicht“, schrie Don Sasso. „Und jetzt scheren Sie sich fort. Sie sorgen hier nur für Unruhe. Wenn Sie nicht in einer halben Stunde Segel gesetzt haben, dann ...“ „Dann?“ fragte der Master gelassen. „Dann lasse ich euch Gesindel ebenfalls in Ketten legen.“ Der Alkalde fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. „Ihr seid alle Verräter, Betrüger, Lumpen und Gauner. Verschwindet jetzt augenblicklich, oder ihr erleidet dasselbe Schicksal wie die anderen Schnapphähne. „Wählen Sie Ihre Worte sorgfältiger, Spanier“, sagte Flanagan mit kalt glitzernden Augen. „Ich lasse mich nicht von einem kleinen Kläffer beleidigen. Wir sind anständige Seeleute.“ Den Alkalden packte jetzt die blanke Wut. Er zeigte auf die drei spanischen Soldaten und rollte mit den Augen.
„Nehmt die beiden Kerle fest. Nehmt sie fest, und bringt sie sofort in den Kerker. Und dann holt ihr auch die anderen Halunken vom Schiff. Alle werden eingesperrt. Los, nehmt sie fest!“ Mit Flanagan war in solchen Sachen jedoch nicht gut Kirschen essen, und ich war auch keiner von der Sorte, die sich ohne weiteres Ketten anlegen und einsperren ließen. Dieser Alkalde war wahnsinnig. Als die Soldaten vorstürzten, um uns festzunehmen, erlebten sie ihre erste Überraschung. Flanagan schlug sofort und rücksichtslos hart zu. Dem Soldat riß es den Kopf zurück. Er knickte in den Knien ein und rutschte zusammenbrechend an die Wand. Dem zweiten schlug ich die Faust ans Kinn. Er stoppte jäh, blickte uns aus glasigen Augen an und kippte dann zur Seite. Es ging alles blitzschnell, und wir wehrten uns wie die Wölfe. Der dritte Spanier wurde von dem zur Seite kippenden Mann leicht gestreift. Flanagan ergriff die Gelegenheit und schlug gleich noch einmal zu. Der Soldat wurde von dem schmetternden Schlag zurückgeworfen und fiel über die beiden anderen. Im nächsten Augenblick schnappte ich mir den zeternden und strampelnden Alkalden, klemmte ihn mir unter den Arm, zog das Entermesser heraus und setzte es ihm an den Hals. Gerade noch rechtzeitig, denn so konnten wir uns den Hafenkapitän und den wilden Gustavo am besten vom Leib halten. Gustavo hatte gerade eine Pistole aus dem Hosenbund gerissen und wollte anlegen. Aber jetzt erstarrte er. „Gib sie her“, sagte Flanagan, „sonst stirbt der Alkalde.“ Der Master blieb immer noch ruhig und gelassen. Er schritt auf den zurückweichenden Gustavo zu und nahm ihm in aller Seelenruhe die Waffe aus der Hand. „Dort hinüber!“ befahl er, „da, wo die Soldaten liegen. Sie auch, Sasso. Ich werde keine Sekunde lang zögern, wenn Sie nicht augenblicklich parieren. Lassen Sie ihn los, Mister Bunk.“ Zwei der Soldaten erhoben sich stöhnend, doch als Flanagan die Pistole herumschwenkte, blieben sie gleich am Boden hocken. Ich ließ den zitternden Alkalden los, der jetzt fluchte und uns die Pest an den Hals wünschte. „Hier kommt ihr nicht weg”, schrie er, „die Soldaten werden euch alle erwischen. Ich werde euch hängen lassen, Lumpenpack.“
„Jetzt sind wir erst einmal am Drücker“, meinte der Master. „Und vorerst geben wir die Befehle. Sie haben hier eine Frau im Haus versteckt. Wo ist sie?“ Als der Alkalde zornerfüllt schwieg, gab Flanagan ihm eine kräftige Ohrfeige, die ihm fast den Kopf von den Schultern riß. Er sah wohl ein, daß mit uns absolut nicht zu spaßen war und bequemte sich endlich zu einer Antwort. „Im Keller. Aber das werden Sie bereuen, das ...“ „Holen Sie die Frau, Mister Bunk, aber nehmen Sie dem Kerl vorher den Schlüssel ab. Er trägt ihn sicher bei sich.“ Er trug ihn wirklich bei sich und wand sich wie eine Schlange, als ich ihm den Schlüssel abnahm. Dann ging ich durch das Haus in den Keller hinab zu einer schweren verschlossenen Tür. Als ich aufschloß, drängte sich die junge Frau ängstlich in eine Ecke, musterte mich aber trotzdem neugierig. „Keine Angst, Madam, ich will Sie nur befreien“, sagte ich. „Die näheren Umstände erfahren Sie später. .Jetzt ist dazu keine Zeit.“ Sie schluchzte erleichtert und ging mit nach oben, wo Flanagan ihr beruhigend zunickte und seinen Namen nannte. „So, Mister Bunk“, sagte er. „Jetzt werden wir auf dieser Insel ein wenig aufräumen. Mit diesen Kerlen fangen wir an. Ist der Keller ausbruchsicher?“ „Er hat eine sehr feste Bohlentür, Sir.“ „Dann sperren Sie die Kerle dort unten ein. Der Alkalde bleibt hier, den brauchen wir vorläufig noch als Geisel, und damit den Wachen auf der ‚Scout' nichts auffällt.“ Don Sasso wurde grün im Gesicht und begann zu kreischen. Flanagan gab ihm ungerührt die zweite Ohrfeige. Dann schwieg der Alkalde eingeschüchtert. „Sie werden Ärger kriegen“, sagte der Hafenmeister zu uns, als ich die fünf Kerle nach unten dirigierte. „Das ist keine leere Drohung. Ich an Ihrer Stelle würde ganz schnell verschwinden.“ „Überlassen Sie diese Sorgen mir, Senor. Ich bin sicher, daß ich damit fertig werde.“ Bald darauf waren auch die fünf Spanier im Keller verstaut. Ich schloß ab und legte den Schlüssel auf Sassos Schreibtisch. „Wir pullen jetzt an Bord zurück“, sagte Flanagan. „Die junge Frau wird bis zur Klärung der ganzen Angelegenheit mein Gast sein. Und Sie, Don Sasso, werden uns höflich grinsend begleiten, und uns hin und wieder fröhlich zunicken. Sollte das nicht der Fall sein, dann bedenken
Sie, daß eine Kugel aus dieser Pistole faustgroße Löcher reißt. Und bedenken Sie weiter, daß ich nicht zögern werde, abzudrücken. Sie sind vorläufig dann unser Gast, bis wir aufgeräumt haben.“ „Damit kommen Sie nicht durch“, zischte Sasso. „Ich werde Sie vom Gegenteil überzeugen, Spanier.“ Scheinbar in bester Eintracht kehrten wir zum Strand zurück, wo uns ein paar ältere Einwohner von Santa Maria neugierig begafften. Nach einem ermunternden Blick des Masters ließ der Alkalde sich zu einem generösen Lächeln herab, das allerdings mißglückte. Unterwegs zur „King Charles“ sahen auch die spanischen Wachen von der „Scout“ zu uns herüber und grüßten. „Schön freundlich bleiben, Spanier“, ermahnte Flanagan den Alkalden, „ich möchte ein fröhliches Gesicht sehen. Wenn Sie nicht freundlich grinsen, werden Sie bald sehr traurig aussehen.“ So kam es, daß Don Sasso verzerrt grinste, uns höflich zunickte und seine ganze schauspielerische Kunst aufbot, die der Master ihm abverlangte. Die Wachen merkten auch nichts, auch die Seesoldaten und anderen Uniformierten nicht. Es sah so aus, als würde der ehrenwerte Alkalde uns einen Besuch abstatten. Auch über die Frau im Boot, die sich Mrs. Coleman nannte, wunderte sich niemand, denn der Alkalde war ja dabei und hatte sie vermutlich freigelassen. Er kletterte schnaufend an Bord, wo ihn der Master noch einmal eindringlich verwarnte, keinen Unsinn anzustellen oder etwa um Hilfe zu brüllen. Das hätte seinen sofortigen Tod zur Folge. Don Sasso resignierte, er wußte keinen Ausweg mehr. Aber das hatte er sich schließlich selbst zuzuschreiben. Master Flanagan beleidigte man nicht ungestraft. Inzwischen trafen wir weitere Vorbereitungen und sahen durch das Spektiv, wie die „Scout“-Leute immer noch auf der „Santa Catalina“ schufteten und von ihren Bewachern geschlagen oder getreten wurden. Gegen Mittag setzten wir die grüne Flagge der Company. Das große round-up konnte beginnen. Ende der Niederschrift des Jeremias Bunk. * Die Luft war wie bei einem Gewitter. Eine ungeheure Spannung breitete sich unter den Männern aus. Jeder einzelne war eingeweiht, und jeder sah auch mit eigenen Augen, daß sich jetzt etwas tat.
Master Flanagan und Mister Bunk kehrten aus dem Haus des Alkalden zurück, und da trauten wir unseren eigenen Augen nicht mehr. Patricia Coleman erschien, neben ihr der Alkalde, und sie gingen zusammen zur Bucht hinunter, dicht gefolgt von Flanagan und Bunk. Aber seltsamerweise waren der Hafenmeister und sein großkotziger Sohn nicht mehr zu sehen. Das war reichlich merkwürdig. Hatte Flanagan es wirklich mit Worten geschafft, den Alkalden umzustimmen? „Die Soldaten sind auch verschwunden“, raunte Kleine Hölle mir zu. „Möchte wissen, was da passiert ist.“ China-Harry schob sich näher an uns heran. „Scheint so, als hätte er den Kerl als Geisel genommen“, sagte er im Flüsterton. Aber dieses Flüstern hatte unser Bewacher vernommen. Es war wieder der Kerl mit dem Dämonengesicht und dem pechschwarzen Knebelbart. Zweimal hintereinander schlug er auf China-Harry ein. Dann holte er noch einmal aus. Gleich darauf schrie er gequält auf und bückte sich, denn Kleine Hölle hatte ihm das Kalfateisen in die Kniekehle gestoßen, und dabei war er nicht gerade zimperlich vorgegangen. Der Knebelbart hüpfte schreiend auf einem Bein herum. Sein Gebrüll wiederum lockte zwei andere Kerle herbei, die ihre Musketen umdrehten und auf uns einschlagen wollten. Jonny ritt wieder einmal der Teufel. Er hockte auf den Planken und säbelte dem nächsten Kerl das Kalfateisen kräftig auf die Stiefelspitzen. Dann richtete er sich blitzschnell auf, um auch dem anderen Kerl noch eins zu verpassen. Doch von da an veränderte sich für uns die ganze Welt. Der Augenblick kam, dem wir geradezu entgegenfieberten. Im Hafen erfolgte ein Donnerschlag, dem sofort darauf ein zweiter Knall folgte. Ein greller Blitz zuckte hoch und hüllte die vergammelte Schaluppe in Rauch und Feuer. Gleichzeitig wälzte sich ein träger dunkler Rauchpilz in den Himmel. Unsere Bewacher hatten keine Augen mehr für uns, jedenfalls für den Moment nicht, denn die rätselhafte Explosion im Hafen fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit. Sogar der schreiende Knebelbart verstummte und ließ seine Peitsche sinken. Die Wachen brüllten jetzt aufgeregt durcheinander, stürzten ans Schanzkleid und rissen die Augen auf. Innerhalb kurzer Zeit weitete sich der Brand aus, und über die Bucht zog eine träge Wolke aus Rauch. Das Vorschiff der Schaluppe stand in hellen lodernden Flammen.
Unser aller Blicke waren auf die „King Charles“ gerichtet, die hinter dem Vorhang aus Rauch verborgen war wie auch die „Scout“, die wir aber deutlich sahen. Auf dem Achterdeck der „King Charles“ stieg der grüne Wimpel der Company am Flaggenstock hoch. Das war das verabredete Zeichen zur allgemeinen Wuhling, denn was nun begann, war fast unbeschreiblich. Es war, als würde die Welt in einem gewaltigen Donnerschlag aus Rauch und Feuer untergehen. Ich wollte gerade wie verabredet ins Wasser springen, überlegte es mir aber noch anders. Der Knebelbart stand gerade so schön da, daß ich einfach nicht widerstehen konnte. Mit einem Satz war ich heran, riß dem dämonischen Kerl die Peitsche aus der Hand und zog ihm kräftig eins über. Er sank brüllend auf die Planken und wand sich. „Über Bord!” schrie China-Harry laut. Ich sah unseren Ersten Offizier, Mister Johnson, springen. Er hielt die zusammengeketteten Hände vor das Gesicht und tauchte tief ins Wasser ein. China-Harry gab einem der Spanier einen gewaltigen Tritt, stieß ihn mit der Nase aufs Schanzkleid und sprang dann ebenfalls. Einer nach dem anderen folgte dem Aufruf und sprang. Sie sprangen alle so, daß sie nur wenige Yards zu schwimmen hatten und gleich wieder das Land erreichen konnten. Jonny rannte quer über Deck. Ein überraschter Spanier duckte sich angstvoll, als Kleine Hölle wie eine Kanonenkugel heranfegte, ihm den Kopf in den Magen stieß und ihn wie ein Stier auf die Hörner nahm. Eine gezielte Ordnung war in das Unternehmen nicht hineinzubringen. Wir konnten keine Einzelheiten besprechen, und doch wußte jeder, was er zu tun hatte. Wir mußten jetzt den Kampf gegen die spanischen Soldaten und Bewacher aufnehmen, und wir mußten auch so schnell wie möglich zur Festung, um Master Fleet zu befreien. Jonny ließ von dem zusammenbrechenden Spanier ab. Er drehte sich um, grinste hart und sprang ebenfalls ins Wasser. Fast gleichzeitig landeten wir im Bach dicht nebeneinander. Über mir schlug eine Woge zusammen, dann tauchte ich wieder auf und sah China-Harry, der mit hastigen Bewegungen an Land paddelte. „Beeilt euch!“ rief er, „gleich läßt Flanagan das Feuer eröffnen. Dann müssen eure Eierköpfe aber nicht mehr zu sehen sein.“ Harry schien das alles nicht viel auszumachen. Er war schon durch ebenso viele Höllen gegangen wie Jonny —und wie auch ich.
Noch während ich schwamm, sah ich aus den Augenwinkeln, daß auf der „King Charles“ und auf der „Scout“ wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig die Stückpforten hochflogen, und die drohenden Schlünde der Zwanzig- und Sechzehn-Pfänder hervorruckten. Dicht neben uns stieg eine kleine Fontäne im Wasser auf. Himmel, dachte ich im ersten Schreck, Flanagan wird doch jetzt nicht aufs Gratewohl losfeuern. Dann erkannte ich meinen Irrtum. Es war einer der Soldaten von der „Santa Catalina“, der mit seiner Muskete auf die Schwimmer im Wasser feuerte, aber beim ersten Schuß nicht getroffen hatte. Jetzt lud er wieder nach, und wenn wir nicht ganz schnell den hinteren Teil der Werft erreichten, dann erwischte er ganz sicher einen von uns. „Mann, die haben die ‚Scout' geentert, diese Satansbraten“, sagte Jonny keuchend, „das sind doch noch Kerle, was!“ „Klar“, sagte ich hastig, „aber quatsch jetzt nicht. Paß auf, von da oben beharkt uns einer mit einer Muskete.“ „Erst muß er mal nachladen“, erklärte Jonny. Kleine Hölle hatte in dieser Lage mal wieder das Gemüt eines Fleischerhundes. Mitunter war er so stoisch und kaltblütig, daß ich mich darüber ärgerte. Erst muß er mal nachladen. So ein Schwachsinn! Daß da noch andere mit Musketen waren, bedachte Jonny wohl gar nicht. China-Harry war schon an Land und k roch gerade über eine verschmierte Holzrampe, als ein Spanier auf ihn anlegte. Da war ich ebenfalls fast aus dem Wasser, griff nach einem faustgroßen Stein und schleuderte ihn mit beiden Händen. Die Ketten klirrten mir ins Gesicht, und ich traf auch nicht, aber der Spanier duckte sich und wurde abgelenkt, gerade soviel wie Harry brauchte, um wie ein Wilder auf ihn loszugehen. Er sprang den Spanier an, schlug ihm die Ketten um die Ohren und entriß ihm gleichzeitig die Muskete. Noch während der Spanier fiel, drehte Harry sich herum. Der Lauf der Muskete wies nach oben auf das Schiff, wo gerade der andere wieder feuern wollte. Beide Schüsse krachten fast gleichzeitig, Harrys Schuß einen halben Lidschlag früher. Von oben ertönte ein gellender Schrei. Der getroffene Wachsoldat ließ die Muskete fallen, die platschend im Wasser landete und griff sich an die Brust. Für einen kleinen Augenblick stand er so da, starrte uns aus großen Augen an und stieß dann einen weiteren Schrei aus. Danach kippte er über das Schanzkleid und versank im Wasser.
„Rüber, zur anderen Seite der Bucht“, rief China-Harry jetzt drängend. Sein Arm holte weit aus. Seine Ketten, die er nur provisorisch trug, sausten in weitem Bogen ins Wasser und versanken. Wir mußten jetzt wirklich so schnell wie möglich verschwinden. Denn nun hatten die Dons ihren ersten Schreck verdaut und rotteten sich zusammen, um uns aufzuhalten. Ich versuchte mich schnell zu orientieren. Im Hafen, an der Bucht und den umliegenden Häusern war der Teufel los. Aus der Festung strömten weitere Spanier. Es wurde immer wieder geschossen, und an vielen Stellen wölkte Rauch auf. Die Inselbewohner begannen damit, sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren. Überall wurden die leichten Fensterläden geschlossen. Unsere Leute kämpften mit dem Mut der Verzweifelten, und sie gaben sowenig Pardon wie die Spanier. Ich sah Slim Burnell, der einem der sadistischen Bewacher die Handketten um den Hals legte und ihn mit grimmigem Gesicht so lange anhob, bis der Don sich nicht mehr rührte. Erst dann ließ er los und rannte weiter. Doolittle wurde offenbar von einer Kugel getroffen. Er fiel hin, stand mühsam wieder auf, fiel nochmal hin und humpelte schließlich laut fluchend weiter. In dieses Chaos war einfach keine Ordnung zu bringen, denn alles geschah viel zu schnell. Auch unser Erster Offizier vermochte sich nicht durchzusetzen. Johnson versuchte es zwar, doch es war vergeblich. Immer wieder tauchten spanische Soldaten auf, die auf uns schossen oder uns abdrängten. Sie versuchten uns auf das Gelände hinter der Werft zu treiben. Dort gab es eine kleine Landzunge, und dahinter nur noch das Wasser. Wenn ihnen das gelang, dann war der Weg für uns zu Ende, und es gab kein Zurück mehr. Dort konnten sie uns in aller Ruhe wie die Hasen abknallen. Im Laufen packten wir alles, was auf dem Boden lag und sich als Waffe anbot. Ich schnappte mir einen Holzprügel, den ich wie eine Sense schwang. Harry hatte einem toten Spanier eine leergeschossene Muskete abgenommen, und Kleine Hölle schwang seine eisernen Handfesseln wie ein Berserker durch die Luft. Wir waren jetzt hinter den Schuppen und befanden uns etwa zwanzig Yard von der „Santa Catalina“ entfernt. Die meisten anderen rannten zur Landzunge hinaus, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sahen. Da krachte es, Blitze zuckten durch die Bucht, Qualm wölkte auf.
Dicht hinter mir war ein Tosen und Splittern zu hören. Trümmer flogen umher, eine ganze Wolke aus Holzsplittern regnete herab. Die „Santa Catalina“ krängte leicht über. Durch zwei Schuppen hindurch sah ich, wie sich rasch hintereinander auf der „Scout“ zwei Blitze lösten. Wie schnell aufblühende Feuerblumen sah es aus. Der gewaltige Knall kam sofort danach, und noch während ich dahinstarrte, spie die „King Charles“ ebenfalls aus mindestens fünf Rohren ihren gezielten Eisenhagel aus. Der Blitz der feurigen Blumen war noch nicht ganz erloschen, da flogen, wie durch Geisterhände bewegt, die Planken der SteuerbordBordwand von der „Santa Catalina“ auseinander. Ein Niedergang wirbelte durch die Luft. Rahen mit Segelfetzen daran lösten sich krachend und stürzten mit Donnergetöse auf das Deck. Die Kanoniere auf unseren beiden Schiffen konnten gar nicht daneben schießen. Das Ziel lag greifbar nahe vor ihnen, es konnte sich nicht bewegen. Es konnte nur zurückfeuern. Doch das hatte Flanagan längst selbst erkannt, und daher galten seine ersten Schüsse gleich den Stückpforten der Galeone und zerfetzten sie. Die dahinter stehenden Kanonen wurden mit ihren Lafetten ebenfalls zerstört und kippten um. Die Spanier, die sich noch an Bord befanden, schrien ihre Todesangst laut hinaus. Ein paar von ihnen sprangen über Bord, ob sie schwimmen konnten oder nicht, war ihnen egal. Sie wollten nur fort aus dieser losbrechenden Todeshölle. Wir duckten uns alle drei, denn ein Zwanzig-Pfünder von der „Scout“ durchschlug beide Bordwände der Galeone, donnerte holpernd über die Pier und krachte in die Wand eines Schuppens. Dort zerschlug die Eisenkugel anscheinend ein tragendes Element des Holzschuppens. Wir trauten unseren Augen kaum, als der Schuppen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. „Der hat aber Dampf drauf“, meinte Jonny anerkennend. Wir hasteten weiter, während hinter uns die „Santa Catalina“ in Klump und Fetzen geschossen wurde, und pausenlos Trümmer über die Pier regneten. Die Todesschreie getroffener Spanier drangen an unsere Ohren. Auf den Decks der Galeone mußte der Eisenhagel unvorstellbar schaurig gewütet haben. Wir hatten jetzt den letzten Schuppen erreicht und konzentrierten uns darauf, nach Backbord auszuweichen. Da sahen wir die spanischen Soldaten mit angeschlagenen Musketen hinter dem letzten Schuppen lauern.
Sie hatten ihre Waffen auf Gabelstützen gelegt und schossen gezielt auf die Männer, die weiter unten in der Bucht kämpften. Dort lagen auch zwei Boote, mit denen Flanagan von Land her angriff. Fünf Soldaten waren es, die da knieten. Zwei von ihnen feuerten gerade, während die drei anderen damit beschäftigt waren, ihre Musketen nachzuladen. Jonny riß mich hart am Arm zurück. Die Dons sahen uns noch nicht. Auch China-Harry blieb stocksteif stehen. „Laß sie erst laden“, flüsterte Kleine Hölle mit funkelnden Augen. „Sowie sie geladen haben, nichts wie drauf auf die Kerle. Dann haben wir gleich geladene Musketen.“ China-Harry grinste hart und nickte mir zu. Klar, die Idee war gut, sie kostete nur Beherrschung. Sie wandten uns die Rücken zu und stopften die Waffen. Dann wollten sie sie wieder auf die Gabelstützen legen. In diesem Augenblick drehte sich einer der Dons herum und sah uns. Er wurde leichenblaß, denn wir sahen wahrscheinlich wie die leibhaftigen Teufel aus. Verzweifelt versuchte er, die Muskete aus der Stütze zu reißen. Er rief den anderen auch noch etwas zu, das ich nicht verstand. „Drauf auf die Knebelbärte“, schrie Jonny wild. Das brauchte er nicht zweimal zu sagen. Ich war ohnehin wild entschlossen, mein Leben so teuer wie nur möglich zu verkaufen, und so sprang ich in wilden Sätzen los und schwang den Holzprügel. No, Sir, in dieser fatalen Lage konnte ich keine Rücksicht mehr nehmen. Die Spanier waren auch nicht gerade zuvorkommend und wollten gerade auf uns schießen. Mein spakenähnlicher Holzprügel fegte den Musketenmann mit einem Schlag bis an die Pier. Dem zweiten Don, der die unhandliche Muskete mit einer Pistole vertauschen wollte, schlug ich mit aller Kraft den Knüppel auf die Schulter. Er stieß einen wilden Schrei aus und konnte sich nicht mehr bewegen. Inzwischen waren natürlich Jonny und Harry ebenfalls heran, und die fackelten überhaupt nicht lange. Jonnys Ketten knallten einem Mann an den Schädel. Gleichzeitig holte er wild aus und gab dem anderen Mann einen Tritt in den Achtersteven. Der so getroffene Spanier fiel in seine eigene Gabelstütze und stieß sich den Schädel an seiner geladenen Muskete. Von dem fünften Don hörte ich nur ein Ächzen. Dann kippte er zur Seite, als Harrys Kolbenhieb ihn traf.
Vier der Musketen waren geladen. Ich packte die eine und feuerte auf einen weiteren Kerl, der von der verlängerten Pier aus auf Flanagans Männer schoß. Er brach stumm zusammen. Dann nahmen wir den Dons die Pistolen ab und steckten sie in unsere Gürtel. Die schweren Musketen schleppten wir noch ein Stück mit, bis wir wieder freies Schußfeld auf die Kerle hatten, die versteckt aus dem Hinterhalt feuerten. Ein berstender Knall ließ uns zusammenfahren. Weit hinter uns flog das Achterdeck der „Santa Catalina“ dröhnend in die Luft. Da hatten mindestens zwei Zwanzig-Pfünder nebeneinander eingeschlagen. Der Besan bog sich angeschossen nach vorn auf das Kuhldeck, knirschte dann entsetzlich und fiel zersplitternd um. Was er alles unter sich begrub, konnte ich nicht sehen, aber ich hörte es an lautem Schreien und Stöhnen, daß es einige weitere Soldaten erwischt hatte. In der Bucht war nun alles von Qualm verhüllt. Träger Rauch zog bis zum Strand hinein. Aus dem Rauch blitzte es immer und immer wieder auf, und nach jedem Aufblitzen und dem folgenden Getöse flog etwas in die Luft. Meist waren es Teile der „Santa Catalina“, die sich vor unseren Augen auflöste. Jonny spie auf den staubigen Boden. „Das ist vielleicht ein Scheiß“, sagte er, „da kratzt und schabt man an diesem lausigen Eimer herum, und dann fliegt alles in die Luft. Wir haben wieder mal umsonst geschuftet.“ „Sei froh drum“, meinte ich. „Besser jedenfalls, als jetzt immer noch auf dem lausigen Eimer schuften zu müssen.“ „Wir müssen jetzt versuchen, Ordnung in diese Wuhling zu bringen“, sagte Harry. „Wo ist denn euer Erster Offizier?“ Ich hatte ihn seit einer Weile nicht mehr gesehen. Aber er schien sich entweder weiter unten an der Bucht zu befinden, oder er war auf die Landzunge abgedrängt worden, in deren Nähe immer noch die Kugeln der beiden Galeonen einschlugen. „Vielleicht da drüben“, sagte ich, zur Landzunge deutend. „Da sind noch mehr von unseren Leuten. Am besten wäre es, wir schleichen jetzt wieder zurück und heizen den Dons noch mal kräftig ein.“ „Aber erst sollten wir unsere Vorräte an Pulver und Blei ergänzen“, schlug Jonny vor. „Hier liegen genügend tote Dons herum, denen wir das nur abzunehmen brauchen.“ Durch den Qualm, der sich jetzt bis zur See hin wälzte, konnten wir immer noch nicht erkennen, wer auf der Landzunge gegen wen
kämpfte. Mir schien es auch so, als sei dort eins der Boote gelandet. Entweder war es von der „Scout“ oder der „King Charles“. Die „Santa Catalina“ war jetzt ein erbärmlich rauchender, qualmender, brennender und stinkender Trümmerhaufen. Daß sie nie mehr in See gehen würde, stand absolut fest. Sie war zusammengeschossen und würde bald sinken. Außerdem breitete sich jetzt im Vorschiff ein Flackerbrand aus, der langsam um sich griff. Wir schlichen im Kugelhagel zurück und mußten uns mehrmals platt auf den Boden werfen, um nicht von den umherfliegenden Trümmern oder Splittern getroffen zu werden. Daß wir jetzt wieder zurück schlichen, mochte zwar nicht im Sinne Master Flanagans sein, doch wir mußten handeln, um unsere eigenen Kameraden zu retten, die den Rückzug zur Bucht vielleicht nicht geschafft hatten. Ganz sicher war ich mir aber meiner Sache nicht. Trotzdem wollten wir uns nicht vorwerfen lassen, etwas versäumt zu haben. Überall lagen Tote und Verwundete. Die meisten waren von umherfliegenden Trümmern getroffen worden. Etwas später fanden wir auch einen Mann von der „Scout“. Wir konnten ihm nur noch die Augen zudrücken. Eine Kugel aus einer Muskete hatte ihm ein faustgroßes Loch in die Brust gerissen. Den toten Dons nahmen wir Pulver, Bleikugeln und weitere Pistolen und zwei Tromblons ab. Dann trafen wir auf Melrose und Crocker. Melrose hatte ebenfalls eine Muskete in der Hand und belauerte die Schatten, die sich weit voraus im Dunst und Qualm befanden. „Porridge ist noch auf der Landzunge“, sagte er keuchend, „und Mat Robertson muß ebenfalls da vorn sein.“ „Und Spanier?“ „Sechs oder sieben vielleicht, ich weiß es nicht genau. Aber Porridge sieht doch nichts. Der kann doch einen Don nicht von einem von uns unterscheiden.“ Porridge war unser Koch, der auf drei Yard Entfernung schon Mühe hatte, die füllige Gestalt Master Fleets zu erkennen. Er würde für die Dons ein leichtes Opfer sein. Ich gab Crocker, der übrigens an Bord nicht sonderlich beliebt war, eine der geladenen Pistolen, eine Pulverflasche und eine Handvoll Bleikugeln, die er sich in die Taschen stopfte. Jetzt beeilten wir uns, weiter nach vorn zu gelangen, um nicht von einer eigenen Kugel getroffen zu werden. Immer noch schlug es in die Galeone ein. Ihre Leinen waren gebrochen, sie hatte Schlagseite und
trieb brennend von der Pier weg. Einer der Schuppen hatte ebenfalls Feuer gefangen, und der Rauch wurde noch dichter. Als vor uns zwei Gestalten auftauchten, feuerte Crocker sofort. Auf die kurze Distanz ließen sich die Dons gut erkennen, denn gerade die Soldaten trugen ihre verräterischen Kupferhelme. Den zweiten streckte Kleine Hölle nieder, gerade in dem Augenblick, als der Don seine Pistole abfeuern wollte. Mit gurgelnden Geräuschen drang immer mehr Wasser in die „Santa Catalina“, die sich noch mehr neigte. Sie hatte keinen einzigen Mast mehr. Durch ihre Bordwände konnte man mühelos hindurchblicken. Die Steuerbordseite war weit aufgerissen, und da sah es aus wie bei einem riesigen Gerippe. Dicht hinter der Werft stolperte Jonny fluchend über einen großen Amboß, der umgekippt dicht an der Holzwand lag. Nicht weit davon entfernt lagen weitere Gerätschaften und Werkzeuge. „Mann“, sagte Jonny, „Crocker und Melrose geben uns Deckung. Ich habe eine Idee.“ Er brachte einen riesigen Vorschlaghammer angeschleppt und reichte ihn China-Harry. „Los, Harry, klopf mal ein bißchen dagegen. Ohne die verdammten Ketten werde ich ein neuer Mensch. Aber Beeilung.“ Er kniete nieder, legte die gefesselten Hände auf den Amboß und zuckte nicht einmal zusammen, als Harry ausholte und es aus meiner Position so aussah, als würde er Kleine Hölle jetzt ungespitzt in die Erde rammen. Schon der erste gewaltige Schlag ließ die Kette in der Mitte auseinanderspringen. „Los, du jetzt, Bonty.“ Diesmal hieb Kleine Hölle zu. Eins der Kettenglieder flog mir fast ins Auge. Aber ich war frei und trug nur noch die eisernen Manschetten. Jedenfalls war das ein herrliches Gefühl, und ich konnte endlich die Hände wieder nach allen Seiten bewegen. Melrose und Crocker wurden ebenfalls von den Dingern befreit. An jedem Handgelenk baumelten jetzt nur noch ein paar Kettenglieder. Als wir uns weiter durch den Dunst bewegten, trafen wir auf zwei miteinander kämpfende Männer. Alle beide hatten keine Waffen. Der eine trug die spanischen Kürbishosen, aber keinen Helm mehr. Der andere war Porridge, der den spanischen Helm in der Hand hatte und damit nach seinem Gegner schlug. Immer wieder drang er auf den Spanier ein und hieb wahllos um sich. Porridge blutete aus einer
Stirnwunde. Der spanische Soldat hatte Schrammen im Gesicht. Weder er noch unser Koch bemerkten uns. Jonny war mit einem raschen Satz bei den beiden. Er packte den kreischenden Spanier an seiner Halskrause, dicht oberhalb des Brustpanzers und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. Der Don zappelte hilflos im eisenharten Griff von Jonny. Der hielt sich jetzt nicht mehr lange mit Fausthieben auf, packte den Don noch fester und rannte im Sturmschritt mit ihm zur Pier, während Porridge immer noch mit dem Kupferhelm nach einem unsichtbaren Gegner hieb. Der Spanier rannte, geschoben von Jonny, wie ein Irrer in Richtung Wasser. Dort ließ Jonny ihn los und versetzte ihm mit dem Stiefel einen gewaltigen Tritt in den Achtersteven. Der Don schrie gequält auf. Er wußte wohl kaum, wie ihm geschah, hob dann ab und flog in weitem Bogen aufklatschend in die Brühe aus Dreck und Trümmern. Sofort war Jonny wieder zurück. Es ging alles blitzschnell, und dann geschah etwas, was mich trotz der verflucht ernsten Situation doch zum Lachen reizte. Es wirkte auf irgendeine Art komisch. Porridge, der immer noch nicht durchblickte, und der nur hüpfende und tanzende Schatten sah, knallte Jonny den Kupferhelm an den Kopf, in der Annahme, der Don würde ihn wieder attackieren. Es dröhnte ziemlich laut, und Kleine Hölle verzog das Gesicht, daß man deutlich jede einzelne Falte sah. Dann entriß er Porridge mit einer wütenden Bewegung den Helm und warf ihn hinter dem Don her. „Bist du verrückt, du schielender Kombüsenhering“, fauchte er. „Ich bin doch kein Spanier, verdammt.“ „Aber eben war noch einer da“, stammelte Porridge verdattert. „Wo ist er denn, Mister Jonny, Verzeihung.“ „Ja, wo ist er denn?” höhnte Jonny. „Er ist fischen gegangen. Los, Mann, weiter jetzt, und hau nicht die eigenen Leute zusammen.“ Wir schleiften Porridge mit, der durch seine Kurzsichtigkeit nur zu bedauern war. Während die „Santa Catalina“ jetzt in den dreckigen Fluten versank, trafen wir nochmals auf zwei weitere Dons. Sie hatten ihre Musketen leergeschossen und drangen mit Degen auf uns ein. Melrose feuerte, Crocker sprang den zweiten an und wurde durch den niedersausenden Degen leicht am Arm verletzt. Jonny knallte dem Spanier schließlich die Muskete an den Schädel. Auch dieser Don streckte sich der Länge nach auf dem Boden aus. Etwas später, Flanagan hatte den Beschuß jetzt eingestellt, fanden wir den Decksältesten Mat Robertson. Sein Gesicht war blutverschmiert.
Ein Schlag mit einer Muskete hatte ihn getroffen. Er war zu Boden gegangen und liegengeblieben, und damit hatte er vermutlich sein Leben gerettet, weil die Dons ihn für tot hielten. Er kam ziemlich schnell wieder zu sich, und gemeinsam hasteten wir jetzt zurück, um Flanagans Landkommando und unsere kämpfenden Leute zu unterstützen. Die Spanier hatten bisher ziemlich hohe Verluste erlitten, aber auch auf unserer Seite gab es Tote und Verletzte. Auf dem Rückweg schlugen wir schnell noch die Ketten von Robertson und Porridge auf dem Amboß entzwei, damit die Leute wieder ihre Hände bewegen konnten. Dort wo wir die Pier ausgebessert hatten, rauchte und brannte es noch immer. In der Bucht blubberte es unaufhörlich. Die versunkene Galeone spie immer wieder Luftblasen nach oben. Weitere Trümmerteile schossen wie Korken aus dem Wasser. Auf der Landzunge gab es keine kämpfenden Spanier mehr. Dafür ging es am anderen Ende der Bucht immer noch lebhaft zu. Dort knatterten Musketenschüsse, und von der Festung, in der Master Fleet in Dunkelhaft saß, dröhnten in unregelmäßiger Folge die Abschüsse von kleineren Geschützen herüber. Wir schlugen uns weiter durch. Jetzt waren wir alle mit erbeuteten Musketen, Tromblons, Pistolen und Blankwaffen ausgerüstet. Wir wollten die Insel erobern, wir wollten unser Recht und vor allein unsere Freiheit, und darum würden wir jetzt noch einmal hart kämpfen müssen. * In der kleinen Festung hörten wir es einschlagen. Von der „Scout“ feuerten Flanagans Leute wieder mit Zwanzig-Pfündern, die auch in der Lage waren, die Festungsmauern zu knacken. Eines der Türmchen war glatt abgeschossen worden. Als wir uns noch weiter zum Hafen durchschlugen, trafen wir auf die ersten Leute von Flanagan. Aber zur Begrüßung blieb natürlich keine Zeit. Wir hatten uns immer noch gegen eine ganze Menge wütender Spanier zur Wehr zu setzen. Master Flanagan war selbst an Land und leitete den Angriff auf eine wilde Horde spanischer Soldaten. Ein großer Teil von ihnen war bereits entwaffnet. Andere hatten sich auf die kleine Festung zurückgezogen
und schossen von den Zinnen und durch Schießscharten auf unsere Leute. Ich sah, daß Mister Bunk mit vier Männern vorrückte, und die Soldaten in einem weiten Bogen umging, die sich in Richtung Festung verdrücken wollten. Wir rannten zu der Gruppe hin und schlugen uns gegenseitig kurz auf die Schultern. Mister Bunk nahm sich die Zeit, mir noch schnell die Hand zu drücken. Auch Jonny vergaß er nicht. „Bin heilfroh, daß ihr wieder da seid“, sagte er schlicht. „Und wir erst“, murmelte ich erfreut. Flanagan kam zu uns herüber und nickte uns schnell zu. „Zurück bis zur Bucht!“ befahl er knapp. „Das gilt für alle. Wir können die Festung nicht mit Musketen stürmen. Die Spanier sind im Vorteil. Wer von den ‚Scout'-Leuten weiß genau, wo Master Fleet sich befindet?“ „Ich weiß es, Sir“, sagte ich. Er sah mir in die Augen und lächelte. Immer noch lächelnd nickte er mir und Jonny zu. Ja, da war die altvertraute Gestalt wieder. Er hatte sich nicht verändert, auch Mister Bunk und die anderen nicht. Es war, als wäre die Zeit für eine Weile stehengeblieben. „Das ist ausgezeichnet, Mister Bonty. Zum Begrüßungsschluck bleibt leider keine Zeit, das holen wir nach. Jetzt werden wir versuchen, Ihren Master dort herauszuholen. Wo genau befindet er sich?“ Ich zeigte ihm mit der Hand die Stelle. Es war die rechte Seite der kleinen Festung. „Dort sind die Kerker“, sagte ich, „und da gibt es auch noch ein tiefes Verlies. Alle befinden sich ziemlich tief unter der Erde.“ „Senkrecht unter der beschädigten Zinne?“ vergewisserte er sich. „Ja, Sir, genau darunter.“ Flanagan sah sich nach unserem Ersten Offizier um. Die Männer kannten sich zwar nicht, aber sie wußten ihre Namen. Für Förmlichkeiten blieb auch diesmal keine Zeit, denn die Spanier schossen immer noch gezielt nach unseren Leuten, und sie waren hinter den Schießscharten und Zinnen nicht zu erwischen. „Ich schlage vor, Mister Johnson, Sie gehen mit einem Teil Ihrer Leute an Bord zurück. Ein paar Mann können Sie mir überstellen. Ich nehme an, Sie haben ausgezeichnete Kanoniere.“ Er lächelte fast ironisch. „Das heißt, ich weiß es, denn wer unter Master Fleet fährt, muß ein gut ausgebildeter Mann sein.“
„Ja, Sir, vielen Dank“, sagte unser Erster, der rangmäßig auch gleich den Zweiten Offizier verkörperte, der im Sargassomeer sein Leben verloren hatte. „Was haben Sie vor, Sir?“ Inzwischen hatten wir uns so weit zurückgezogen, daß uns die Musketenkugeln nicht mehr erreichen konnten. Aber von der Festung aus schossen sie auch noch mit den kleinen Kanonen, und die reichten leider recht weit. Dafür aber war die Durchschlagskraft der Vier- und Neun-Pfünder nicht sehr groß. Flanagan erläuterte hastig sein Vorgehen. „Wir richten die Geschütze aus und schießen den linken Teil der Festung von der Bucht aus zusammen. Dort ist die Festung auch am stärksten bestückt: Wenn Sie einmal das Ziel erfaßt haben, brauchen Sie nur noch nachzuladen. Ist die rechte Seite zerstört, dann greifen wir als Landkommando an und entern. Das erspart uns vor allem Verluste. Ich will nicht unnötig das Leben meiner Männer aufs Spiel setzen.“ „Sehr gut, Sir“, sagte Johnson. „Vielleicht könnten Sie diese beiden Männer solange mir überstellen“, sagte Flanagan und deutete auf Jonny und mich. „Selbstverständlich, Sir.“ „Lassen Sie an alle, die zum Landkommando gehören, Pistolen ausgeben, Mister Bunk“, sagte der Master. „Mit den Musketen behindern wir uns bei einem Sturmangriff nur. Sie sind zu unhandlich und im Nahkampf schlecht einzusetzen.“ Aus dem einen Boot verteilte Mister Bunk doppelläufige Pistolen, die alle schon geladen waren. Danach sprangen die Männer in die Boote und pullten zu den beiden Galeonen zurück. An Land blieben nur ein knappes Dutzend Leute zurück, unter anderem Jonny und ich, Mister Bunk, Kid Holloway, der Decksmann Blyss und unser Profos Big Bäng, dem es gelungen war, seine Handfesseln selbst zu zerschlagen. Kein Spanier ließ sich mehr am Hafen blicken. Sie alle hatten sich auf die Festung zurückgezogen und waren damit beschäftigt, die kleinen Kanonen zu laden. Hin und wieder schossen sie nach uns, aber die Kugeln blieben mindestens zwanzig Yards vor uns im Lavasand der Bucht stecken. Flanagan fand jetzt sogar Zeit, ein paar Worte an uns zu richten, denn bis die anderen Männer ihre Kanonen ausgerichtet und feuerbereit, hatten, verging mindestens eine Viertelstunde. Zur Zeit herrschte sozusagen Feuerpause. Danach aber würde es losgehen. „Ich kenne euren Master Fleet“, sagte Flanagan. „Er ist ein recht,
eigentümlicher Mann, nicht wahr? Wir sind uns vor langer Zeit einmal begegnet.“ „Er ist etwas ungewöhnlich, Sir“, sagte ich. Komisch, aber Flanagan grinste fast unmerklich, wenn die Rede auf Fleet kam, und auch Mister Bunk gab sich Mühe, ernst zu bleiben. „Er ist ein sehr guter Mann“, urteilte Flanagan, „nur seine militärische Auffassung deckt sich nicht mit der meinen. Habe ich recht, daß Sie als Vierter Offizier fahren, Mister Bonty, und Sie als Dritter, Mister Jonny?“ „Da haben Sie absolut recht, Sir“, sagte Jonny und griente nun ebenfalls. „Das stimmt, Sir“, gab ich zu. „Hmm. Militärische Ordnung an Bord?“ „Aye, aye, Sir.“ Jonny griente immer noch ganz unverschämt. „Hmm. Das dachte ich mir. Lassen wir das Thema. Die Boote sind da, es wird gleich losgehen.“ Jonny ließ das Thema aber nicht fallen. Bedachtsam sagte er: „Er hat Daniel Hawkins hängen lassen, Sir, wenn Sie sich an den Kerl noch erinnern.” „Ach! Er hat ihn tatsächlich gehängt?“ „An einem zehn Yards hohen Galgen auf der Insel Last Hope“, setzte Kleine Hölle hinzu. „Er hat ihn extra dafür bauen lassen.“ Flanagan kniff die Augen zusammen. Mister Bunk starrte uns an. Daniel Hawkins sollte schon einmal gehängt werden, damals auf der „King Charles“, aber er war entkommen, im letzten Augenblick, als er schon fast die Schlinge um den Hals hatte. „Donnerwetter“, sagte der Master. „Das müssen Sie mir gelegentlich mal näher schildern. Dieser Hawkins hat den Tod verdient, er war ein sehr übles Subjekt.“ „Er war eine Ratte“, sagte Mister Bunk trocken. Damit war das Thema dann vorerst erledigt, und wir blickten zur Festung hinüber. Die Dons ahnten wohl, was wir vorhatten. Sie rannten hin und her wie aufgescheuchte Hühner. Doch gleich darauf blitzte es hinter den Schießscharten auf. Rauch quoll aus den Öffnungen. Es rumpelte laut, als die Kanonen auf ihren La fetten zurückfuhren. Eine der Eisenkugeln galt uns. Als wir das Aufblitzen von der Seite her sahen, spritzten wir auch schon auseinander. Keinen Lidschlag zu früh, denn in den Sand knallte eine Kugel, und eine Fontäne aus feingemahlenem Lavasand stob dicht vor uns hoch. Wir konnten jetzt nur hoffen, daß unsere Geschütze die Dons so eindeckten, daß sie
kaum noch zum Feuern kamen. Weiter zurück konnten wir auch nicht mehr verholen, da war der Strand zu Ende. Die „Scout“ schickte jetzt ihren ersten eisernen Gruß zu der Festung hinüber. Aufblitzen, Qualm, wilder röhrender Donner, und dann ein Jaulen in der Luft. Auf der linken Seite schlug es oben in einen Turm ein. Die schwere Eisenkugel fuhr in das Mauerwerk und ließ es wanken. Steinsplitter spritzten nach allen Seiten. Die Dons warfen sich auf den Boden. Die rauchende Kugel prallte ab und kollerte einen terrassenförmig angelegten Hang hinunter. Der zweite Treffer riß ein klaffendes Loch in die Mauer neben dem Turm. Der dritte knallte genau in eins der Geschütze. Von oben kam ein vielstimmiger Schrei der Wut und Angst. Ich sah Spanier, die wie Puppen durcheinander fielen. Das Geschütz schien zu explodieren, denn ein greller Lichtblitz entstand an jener Stelle. Nach dem dritten Schuß feuerten auch die Sechzehn-Pfünder der „King Charles“ ihr Eisengewitter ab. Die ganze Insel Santa Maria erbebte, als die Kanonen im Salventakt schossen. Die Wirkung war verheerend. Hatten die ersten Treffer nicht viel ausgerichtet, so schlugen die nächsten dafür doppelt hart ein, und im Mauerwerk entstanden überall tiefe Breschen. Zwei Geschütze feuerten noch zurück, die anderen schwiegen. Sie waren ausgefallen und zerstört. Ein paar Minuten lang herrschte Schweigen auf den beiden Schiffen. Die Geschütze wurden nachgeladen. Zwei spanische Festungskanonen feuerten kurz hintereinander. In der Bucht stiegen rauschend zwei Fontänen auf. Kleine Hölle freute sich über die schönen Wasserspiele, hauptsächlich deshalb, weil sie unsere Schiffe nicht trafen. „Gleich gibt's eine Breitseite von beiden zusammen“, sagte er. „Ich glaube, das wird selbst den eisenharten Master erschüttern. Dem fällt doch gleich die Decke auf den Kopf. Jedenfalls wird er das annehmen.“ Für Fleet mußte es wahrhaftig kein Vergnügen sein, in der dunklen Zelle zu sitzen und die Einschläge zu zählen. Ich wäre ganz sicher nicht gern an seiner Stelle gewesen. Ihm blieb nur das hilflose Warten und die verdammte Untätigkeit. Flanagan pfiff laut durch die Zähne und zeigte auf die „King Charles“. Ich erkannte Finn und Pickens, die herüberspähten. Flanagan vollführte ein paar Handbewegungen, deren Bedeutung auch sogleich
verstanden wurde. Diese Breitseite, hieß das, dann wird gestürmt, was es bei den entnervten Spaniern noch zu stürmen gab. Von drüben kam das Verstandenzeichen, auch die Männer auf der „Scout“ hatten begriffen. „Sobald es eingeschlagen hat“, sagte Flanagan, „stürmen wir. Wir gehen jetzt schon vor, aber nicht so schnell, sonst werden wir von den Splittern getroffen.“ „Wir müssen dort drüben an der Terrasse hoch“, sagte Jonny. „Aber gerade von da aus haben die Dons freies Schußfeld auf uns.“ „Nach der Breitseite von beiden Schiffen wird es da oben ziemlich wüst aussehen“, meinte Flanagan. „Gehen wir jetzt.“ Vorsichtig bewegten wir uns weiter und behielten dabei immer die beiden Geschütze im Auge, die auf der Festung noch feuerbereit waren. Eine der Kanonen wurde herumgeschwenkt und richtete die Mündung auf unsere Gruppe. „Auseinanderliegen!“ rief Flanagan. Jeden Augenblick erwarteten wir das grelle Mündungsfeuer, doch die Dons zögerten einen Lidschlag zu lange, sonst hätte wohl alles ganz anders ausgehen können. Hinter uns schien die Insel einzustürzen, so hörte es sich jedenfalls an. Ein gewaltiger Donner brach los, es rumpelte und krachte wie bei einem schweren Erdbeben. Rauchende Eisenkugeln heulten durch die Luft. Mir dröhnten die Ohren, ich verstand kein gebrülltes Wort mehr. Ich folgte nur dem Beispiel der anderen, die ihre Pistolen aus dem Gürtel oder Bandelier rissen, und stürmte los, den schrägen Hang zur Terrasse hinauf. Da schlug es auch schon mit unglaublicher Wucht ein. Die Festung zitterte und bebte, der Berg wankte. Und dann flogen Mauersteine, Felsbrocken, Staub und Mörtel hoch. Das vordere Tor der Festung löste sich in einer explodierenden Wolke auf, die nach allen Seiten davonstob. Der linke Teil stürzte in sich zusammen. Die beiden Kanonen wirbelten hoch, als wären sie federleicht. Eine weitere Explosion erfolgte irgendwo weiter im Innern, die eine brüllende Feuersäule hochriß. Über den Terrassenhang rollten zerstörte Mauerplatten, die Spitze eines Türmchens und menschliche Leiber. Es war fast unwahrscheinlich, was diese Breitseite von zwei feuernden Schiffen angerichtet hatte. Die Festung war verwüstet, wie Flanagan es ganz richtig voraus gesagt hatte.
Wir brauchten gar nicht mehr den Weg durch das Tor nehmen, denn dieses Tor gab es nicht mehr. Wir rannten keuchend weiter, drangen durch die Broschen und mußten uns erst einmal zurechtfinden, so schlimm sah es aus. Alles hatte sich nach dieser Breitseite verändert. Im Innenhof des oberen Festungsabschlusses lagen zerfetzte Spanier. Uns bot sich ein Bild des Grauens. Sämtliche Kanonen waren umgekippt und zerstört, die Kanoniere tot, verstümmelt oder verwundet. Wer sich hinter den Mauern aufgehalten hatte, war von dem herabstürzenden Gestein erschlagen worden. Vom Innenhof war nicht mehr als ein Trümmerfeld geblieben. Wie viele Spanier den Tod gefunden hatten, ließ sich nicht einmal abschätzen, denn etliche waren noch unter Trümmern begraben. Staub wallte überall auf, und es roch nach verbranntem Schießpulver. Das alles war auf die Borniertheit eines Alkalden zurückzuführen, dachte ich schaudernd, eines lausigen überheblichen Kerls, der unbedingt ein paar Engländer hängen wollte. Jetzt hatte sich das Blatt gewendet, und auf sein blutiges Konto gingen ungezählte Menschenleben. „Da hinunter“, rief ich. Der ebenfalls zerschossene Eingang zu den Kerkern und Verliesen tat sich vor uns auf. „Vorsichtig!“ rief Flanagan, „einige haben sich sicher da unten versteckt. Laufen Sie nicht ins Feuer, Mister Bonty.“ Fackelschein war zu sehen, aber so spärlich, daß man sich gerade noch mühsam orientieren konnte. Die meisten Fackeln waren gelöscht, und irgendwo in der Dunkelheit lauerten rachsüchtige Spanier. Es war ein ekelhaftes Gefühl den Dons vielleicht in die Falle zu laufen und von ihren Kugeln aus der Dunkelheit getroffen zu werden. Mir kribbelte es im Magen, als wir um die steinernen Pfeiler herumgingen, wo sich die Gänge verzweigten. Flanagan blieb hinter einer großen Steinsäule stehen, zielte mit der Pistole auf die Fackel und drückte ab. Die Fackel flog aus der Halterung, rollte auf den Boden und erlosch. Übergangslos war es finster. Nur ganz weit hinten in den Kerkergängen war ein kaum sichtbarer Lichtschein zu bemerken. Die Fackel kullerte noch über den Boden, als schrecklich laute Schüsse in dem unterirdischen Gewölbe aufdröhnten. Das Echo verstärkte den Knall und warf ihn hin und her.
Wir hatten vorsorglich alle Deckung hinter den Säulen gesucht. Doch dann prallte eine Kugel von irgendeiner Wand ab, und ein Mann aus Flanagans Besatzung schrie gequält auf. Ein „Abratscher“, wie Jonny die Querschläger nannte, hatte ihn getroffen. Die plattgedrückte Bleikugel aus einer Muskete schrammte über der Brust und hinterließ eine tiefe blutende Wunde. Wir feuerten aufs Geratewohl in den finsteren Gang hinein, und hörten gleich darauf einen weiteren Schrei. „Ergebt euch!“ rief Flanagan auf Spanisch. „Ihr habt genug Verluste erlitten. Wir wollen nicht noch mehr von euch töten, aber wenn ihr euch nicht ergebt, zünden wir ein Faß Schießpulver in dem Gang.“ Es kam keine Antwort. „Wollt ihr alle wegen eurem sturen Alkalden sterben?“ schrie der Master in den Gang hinein. „Gebt den englischen Kapitän heraus, und ich verspreche euch, daß keinem etwas geschieht.“ Diesmal ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. Vielleicht waren die Dons einsichtig genug, ihr Leben nicht noch einmal wegen Don Lope Sasso aufs Spiel zu setzen. „Geben Sie Ihr Wort, ingles !“ schrie eine hysterische Stimme. „Ihr habt mein Wort.“ Zwei schattenhafte Gestalten traten weiter vorn in den Gang und hoben die Arme hoch über den Kopf. Gleich darauf kamen drei weitere und warfen ihre Pistolen auf den Boden. Fackeln wurden entzündet. Langsam wurde es milchig-hell in den Gängen. Zu unserer grenzenlosen Überraschung waren die Gänge plötzlich mit Spaniern angefüllt. Aus den Kerkerzellen und Arsenalen, wo sie sich versteckt hielten, kamen immer mehr heraus und nahmen an der Wand Aufstellung. Grob geschätzt, mochten es etwa dreißig Dons sein, die sich hier unten versteckt hielten. Ihr Widerstand war gebrochen, sie waren entnervt. Sie wollten nicht mehr kämpfen, denn sie wußten ohnehin nicht genau, weshalb sie überhaupt kämpften. Ein in staubige Uniform gekleideter Teniente kam mit erhobenen Armen näher und sah Flanagan an. „Was geschieht mit uns?“ fragte er knapp. „Sie haben Ihr Wort gegeben, ingles.“ „Ich halte es auch. Euch geschieht nichts. Ich lasse euch nur so lange in der Festung eingesperrt, bis wir Santa Maria verlassen haben. Für Verpflegung ist vorerst gesorgt, und die Leute werden euch nach unserer Abreise befreien.“
Er wandte sich an mich und Jonny. „Holen Sie Master Fleet“, sagte er, „Sie wissen ja, wo er ist.“ Jonny und ich rannten schon los, während Flanagan weiter mit dem Teniente verhandelte. Die Dons sagten zu allem ja und amen, sie waren über ihre hohen Verluste geschockt. Mit dem Kolben einer herumliegenden Muskete hieben wir die Bohlentür zu Master Fleets Verlies auseinander. Sie splitterte noch, als Fleet auch schon herauskroch. Er wirkte verdreckt, abgerissen und sehr erbost über die lange Dunkelhaft. Verständlicherweise fiel er uns auch nicht um den Hals. Aber er gönnte uns doch wenigstens einen freundlichen Blick. Dann reckte er erst einmal seine Glieder. „Alles in Ordnung, Sir“, meldete Jonny. „Die Festung ist eingenommen, die Dons überwältigt. Master Flanagan hat den Angriff geführt.“ „Ich sagte ja, daß er ein guter, tüchtiger und mutiger Mann ist“, meinte Fleet. Er stand in der Nähe einer Fackel und sah an sich herab. „Wenn Sie mich schon befreien“, sagte er grämlich, „dann hätten Sie mir auch eine neue Uniform mitbringen können. Was soll Master Flanagan von mir denken, wenn er mich in diesem Aufzug sieht! Ich habe nicht einmal einen Zylinder.“ „Ja, Sir, den Zylinder haben wir vergessen“, sagte Jonny heuchlerisch zerknirscht. „Das ist Bontys Schuld. Anstatt den Zylinder zu holen, hat er sich mit den Spaniern geprügelt. Soll ich ihm dafür ein Dutzend Hiebe überziehen lassen, Sir?“ Fleet starrte ihm lange in die Augen, die Lippen geschürzt, die Stirn in Falten gelegt. „Ihr Respekt ist vermutlich auf Santa Maria verloren gegangen, Mister Jonny. Ich weiß, daß Sie ein bissiger Mensch sind, aber das ist kein Grund, seinen Kapitän heuchlerisch zu verhöhnen. Und das können Sie ausgezeichnet, Sie Befreier.“ Ganz unerwartet und überraschend legte er uns beiden eine Hand auf die Schulter und schob uns vorwärts. „Hat es Verluste gegeben?“ fragte er dann besorgt, während sich der Druck seiner fleischigen Hände noch verstärkte. Es war eine Geste des Vertrauens, und in Wirklichkeit nahm er Jonny kein einziges Wort krumm. Es war eben Fleets Art, sich zu genieren, wenn er nicht in schickliches Tuch gekleidet war, und es war auch Jonnys Art, auf solche Fragen rotzige oder blöde Antworten zu geben. Deshalb verstanden wir uns im Grunde genommen doch alle drei ganz prächtig.
„Nicht viel, Sir“, sagte ich. „Vermutlich zwei oder drei Tote und etliche Verletzte.“ „Und wer hat von der ,Scout` aus gefeuert?“ wollte er wissen, während wir den Gang zurückgingen. Wir setzten ihn mit knappen Worten ins Bild und erzählten alles Nötige, damit er Bescheid wußte. „Aha“, sagte er nur. Dann streifte er mit den Händen den Staub von seiner Kleidung ab, aber da gab es nicht mehr viel zu säubern, denn die Kleidung hatte stark gelitten. Aufgrund der langen Dunkelhaft kniff er auch jedesmal die Augen zusammen, sobald wir uns einer Lichtquelle näherten. Flanagan hatte in der Zwischenzeit knapp und kurz gehandelt. Die Spanier hatte er vorübergehend einschließen lassen, ihnen aber gestattet, sich mit Proviant und Trinkwasser aus den Depots zu versorgen. Jetzt ließ sich auch der Teniente widerstandslos einsperren. Master Fleet und Master Flanagan begrüßten sich und gaben sich die Hand. Dabei sahen sie einander lange an. Diese beiden Männer waren zwei absolute Gegensätze wie Feuer und Wasser oder Himmel und Hölle. Yes, Sir, ich habe die beiden aus meiner Erinnerung oft genug beschrieben, und jetzt standen sie sich gegenüber. Was sie beide gemeinsam hatten, war ihre ausgezeichnete Seemannschaft, ihr Können, ihr Taktieren, ihre Strategie. Sie verstanden es hervorragend, dem Teufel ein Ohr abzusegeln, aber das war auch alles, was an ihnen identisch war. Sie redeten sich mit Mister Fleet und Mister Flanagan an, und ich spürte die Distanz zwischen den beiden deutlich. Da gab es eine kleine Kluft, die sie voreinander trennte, obwohl jeder auf den anderen sehr große Stücke hielt und ihm Respekt zollte. Dennoch schien der eine an dem anderen heimlich etwas auszusetzen zu haben, ohne dies deutlich werden zu lassen. Flanagan stieß sich an dem ganzen militärischen Reglement, das von Fleet gehätschelt und gepflegt wurde, und Fleet stieß sich an der Lässigkeit und dem nichtmilitärischen Reglement, das der Master insgeheim wohl als leichte Schlampigkeit empfinden mochte. Und es ärgerte ihn auch, daß er keine pieksaubere Uniform trug und keinen verdammten Zylinder. Das wurmte ihn richtig. „Ich danke Ihnen aufrichtig, Mister Flanagan“, sagte er. „Ich tat nur meine Pflicht, Mister Fleet. Sie an meiner Stelle hätten sicherlich genauso gehandelt.“
Noch tauschten diese beiden so gegensätzlichen Männer Freundlichkeiten und Höflichkeitsfloskeln aus, doch es sollte die Zeit kommen, wo sie sich ausgesuchte Freundlichkeiten an den Kopf warfen. Ich ahnte das schon im voraus, denn Kontroversen zwischen den beiden mußten sich einfach zwangsläufig ergeben, das blieb nicht aus. „Natürlich hätte ich das. Entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug, Mister Flanagan, meine Uniform ist verdreckt.“ Flanagan musterte ihn, als sähe er das erst jetzt. „Eine Uniform ist nur ein Stück Tuch, das man durch ein anderes Stück Tuch wieder ersetzen kann“, sagte Flanagan leichthin. Daraufhin sah Fleet so aus, als hätte er in eine faule Zitrone gebissen. Er selbst hatte über Uniformen wesentlich andere Ansichten als Master Flanagan. Wir setzten Fleet davon in Kenntnis, daß auch Mrs. Coleman befreit war und sich in Sicherheit an Bord der „King Charles“ befand. „Diesen unverschämten Alkalden habe ich ebenfalls auf mein Schiff gebracht“, erklärte Flanagan. „Sehr gut“, sagte Fleet zufrieden. „Ausgezeichnet. Was gedenken Sie mit ihm zu tun?“ „Ich werde ihn zwei Meilen von der Küste entfernt ins Wasser werfen“, sagte Flanagan ungerührt. „Dann kann er beim Zurückschwimmen darüber nachdenken, daß Ignoranz und Überheblichkeit recht üble Charaktereigenschaften sind.“ Während wir die Kerker verließen, erzählte Flanagan Master Fleet in kurzen Worten alles, was passiert war. Zwei Männer sollten später als Wachen aufziehen, damit die Gefangenen nicht ausbrachen, solange wir uns noch auf der Insel aufhielten. Von den Einwohnern ließ sich niemand blicken, als wir zur Bucht hinuntergingen, wo die Boote uns erwarteten. In der Bucht sah es aus, als wäre ein Hurrikan vorbeigerast. Überall trieben Trümmer herum. Die Festung bot auch von hier aus kein beschauliches Bild mehr. Gelinde gesagt, war sie nur noch ein etwas großer Trümmerhaufen. Weiter hinten entdeckten wir unbewaffnete Spanier, Leute, die Flanagan entwaffnet hatte, und die nun dabei waren, wenigstens die Verwundeten zu versorgen und die Toten wegzubringen. „Ich denke“, sagte Fleet, während wir hinüberpullten, „wir werden unverzüglich lossegeln. Ihr Ziel ist London, Mister Flanagan?“ „Ja, London. Ich schlage vor, wir setzen uns vorher noch zu einem kleinen Umtrunk zusammen, denn von den Spaniern haben wir nichts
mehr zu befürchten. Es wäre demnach besser, wir segelten erst morgen früh los. Sie sollten sich ein wenig ausruhen, und Sie werden Hunger und Durst haben. In der Zwischenzeit befreien wir die Leute von den Ketten. Wir könnten der Einfachheit halber beide Schiffe nebeneinander legen.“ „Einverstanden“, sagte Fleet. Er fuhr vorsichtig mit der Hand über seine Bartstoppeln und sah wieder an seiner Uniform hinunter. Der Zustand seiner Kleidung bereitete ihm wohl die größten Sorgen. Auch uns sah er nachdenklich an. Dieser Blick hieß also nichts anderes, als daß wir gefälligst auch unsere Uniformen zu wechseln hatten. Insgeheim schämte ich mich schon, vor der Crew der „King Charles“ in diesem Aufzug herumzulaufen. Und wenn ich Jonny so ansah, dann dachte er wohl genau dasselbe. * Zwei Stunden später lagen unsere Schiffe fest vertäut nebeneinander, und Patricia Coleman stieg zu uns über. Sie sah sehr hübsch aus und hatte sich schon auf der „King Charles” zurechtgemacht. Sie lächelte mir augenzwinkernd zu und verschwand in ihrer Kammer. Jonny stand neben mir an Deck, rausgeputzt, rasiert und frisch gewaschen. Unsere Armbänder waren wir längst los. „Sieh mich mal an“, sagte er, „ich steh doch da wie ein Arsch mit Ohren. Verdammt, dieser ganze Aufzug ist mir verflucht peinlich. Und du siehst genau so aus. Pickens grinst schon so komisch, und die anderen Kerle verbeißen sich nur mühsam das Lachen. Der Master hätte uns doch auch in Leinenzeug rumlaufen lassen können.“ Wir sahen uns beide genau an. Komisch, aber unterwegs war mir diese Uniform nie aufgefallen. Jetzt sah ich das in einem anderen Licht. Wir trugen beide dunkle Schuhe mit Schnallen, darüber weiße Strümpfe in einer enganliegenden hellen Hose. Dazu kam ein weißes Hemd, über das eine hellbraune Lederweste mit breitem Gürtel getragen wurde. Die Krönung war der marineblaue Uniformrock mit den goldenen Streifen und dem leicht hochgestellten Kragen. Zu allem Überfluß mußten wir auch noch unsere Degen mit herumschleppen, darauf hatte Fleet nachdrücklich bestanden. Ich räusperte mich unbehaglich, denn wir standen wirklich da wie zur Schau gestellt. Und von der „King“ glotzten sie uns natürlich mit
offenen Mündern an und wunderten sich wohl ein wenig über unseren Aufzug. Flanagan und Fleet waren noch unter Deck. Der Master legte letzten Schliff an seine Uniform, und was Flanagan tat, wußte ich nicht. Finn und Pickens verließen jetzt das Achterdeck und kamen auf die Kuhl, bis sie uns gegenüberstanden. Jetzt hatten wir endlich ein wenig Zeit zur Begrüßung und dem längst fälligen Gequatsche. An Deck waren nicht viele Leute. Die eine Crew war mit Aufklaren des Batteriedecks beschäftigt und die andere klarte ebenfalls unten auf. Aus der Vorpiek kam das wilde Fluchen des Alkalden, der fordernd gegen das Schott hämmerte. Niemand achtete darauf. Pickens und Finn reichten uns die Hand zu einem kräftigen Druck. Fatboy, wie Pickens immer genannt wurde, heimlich natürlich, obwohl er es wußte, gab sich jovial wie immer und quetschte uns die Hände. Von der Figur her ähnelte er ein wenig Master Fleet, doch die Charaktere waren mehr als gegensätzlich. „Endlich können wir uns mal wieder die Hand geben“, sagte er freudig. „Hat ja lange genug gedauert, bis wir uns wiedersahen. Wie geht's euch denn, Bonty und Jonny? Ihr seht total verändert aus.“ „Na, ganz gut, Sir“, sagte ich, „die Uniform verändert uns natürlich. Das sind Sie nicht gewöhnt.“ „Na ja, ich habe so einiges über die ,Scout` und euren Master vernommen“, meinte er grinsend, „da gibt es wohl sehr viel zu erzählen. Er ... er hat auch Hawkins hängen lassen, wie ich hörte.“ „Ja, das hat er, Sir.“ Jetzt mußten wir erzählen, denn Pickens war ein Mensch, der alles immer ganz genau wissen wollte. Mister Finn hörte ebenfalls sehr aufmerksam zu, nickte hin und wieder oder stellte eine Zwischenfrage, wenn ihm etwas nicht klar war. Mal erzählte Jonny, dann wieder ich. Am liebsten wäre ich umgestiegen und auf der „King“ geblieben, doch das war leider nicht möglich. Die „King“ war meine zweite Heimat, und sie war mir noch vertrauter als die „Scout“, auf der ich ja ziemlich lange gefahren war. Da war auch wieder dieser vertraute Geruch, der mich sofort an früher erinnerte. Ich kannte auf der „King” jede Planke, jedes Spant und jeden Balken. Mir wurde ein wenig wehmütig. Nachdem wir. von unseren Reisen und Erlebnissen erzählt hatten, fiel mir endlich ein, was ich Pickens schon die ganze Zeit über fragen wollte.
„Wo ist denn der kleine Hamdullah, Sir? Ich habe ihn noch gar nicht an Bord gesehen?“ Hamdullah war der Moses, ein kleines dunkelhäutiges Kerlchen, das wir auf einer Tonne treibend aus dem Arabischen Meer gefischt hatten. War dem Bengel womöglich etwas zugestoßen? „Er ist in London“, sagte Pickens, „er wird von der Company im kaufmännischen Bereich ausgebildet und soll perfekt Englisch lernen. Mister Blake von der Company hat sein Talent erkannt. Aber auf der nächsten Reise ist er wieder dabei. Er ist ziemlich groß geworden. Sie werden sich wundern, Bonty, wenn Sie ihn sehen.“ „Vielleicht können wir in London wieder auf die ‚King' umsteigen“, sagte Jonny voller Hoffnung. Pickens rieb sich die fleischigen Hände und nickte. „Der Master wird sich für euch einsetzen. Das wäre natürlich schön. Ich würde mich darüber freuen. Aber ich denke doch, daß das möglich ist. Auch ich werde mich für euch verwenden.“ „Auch ich werde das tun“, versprach Mister Finn. „Wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Ihr seid tüchtige Kerle geworden.“ Unsere Unterhaltung und der Austausch von Neuigkeiten hatte etwa eine halbe Stunde in Anspruch genommen. Da erschien Master Fleet. Zuerst dachte ich, der König von England habe sich an Bord eingefunden, so rausgeputzt war er. Ich sah, wie Pickens schluckte, wie Finns Mundwinkel zuckten und sie den Master anblickten. Unsere Uniformen waren nun wirklich sauber, aber Fleets Hosen und Strümpfe waren blütenweiß, so weiß wie frisch gefallener Schnee. Seine Schuhe glänzten, daß man sich darin spiegeln konnte, und sein Degengehänge blitzte, als sei es aus Gold. An der Uniform gab es nichts auszusetzen, sie war piekfein. Aber da war der verdammte Zylinder, der irgendwie nicht dazu paßte. Das Ding glänzte ebenfalls wie ein Stück poliertes Ofenrohr, und es saß kerzengerade auf Fleets Schädel. Es war ein nagelneuer Zylinder, den er erst aus der Verpackung geholt hatte und an dem es kein Stäubchen gab. Er trat zu uns und gab den beiden Offizieren die Hand zur Begrüßung. Dann sah er uns an, musterte unsere Uniformen, fand aber nichts auszusetzen. Lediglich bei Jonny zupfte er ein wenig an dem ausgestellten Kragen herum, wie ein Vater, der seinen Sprößling zur Kirche schickt.
Jonny kniff die Lippen zusammen, räusperte sich unangenehm berührt und kriegte ganz schmale Augen. Als er sich noch einmal räusperte, es klang schon wie eine Drohung, ließ der Master endlich von ihm ab. Was in Pickens und Finn in diesem Augenblick vorging, wußte ich nicht. Aber Fatboy hatte so merkwürdige Falten in den Augenwinkeln, und sein Kinn schwoll etwas an, als wollte er grinsen. Jonny war das alles verdammt peinlich, denn Finn drehte sich um, und ich war ganz sicher, daß er jetzt grinste. Zum Glück erschien Flanagan und lenkte uns ab. Er kam bis dicht ans Schanzkleid, lächelte uns zu und schrak deutlich zusammen, als er den rausgeputzten und aufgedonnerten Master Fleet sah. Ein paar Lidschläge lang saugte sich sein Blick an dem glänzenden Zylinder fest, dann hatte er den Schreck überwunden. „Darf ich Sie zu mir in den Salon bitten, meine Herren? Wir haben schließlich genügend Gründe für eine kleine Feier.“ Mister Johnson war ebenfalls an Deck erschienen und begrüßte die anderen Männer. Fleet nickte gnädig, musterte Johnsons Uniform und war zufrieden. Dann vergewisserte er sich, ob wir einen Ausguck im Mast hatten, der den größten Teil der Insel überblicken konnte. „Ich habe Mister Burnell als Ausguck eingeteilt“, sagte Jonny. „Ablösung alle zwei Stunden.“ „Wie sieht es bei der Mannschaft aus? Was ist mit den Verletzten?“ fragte der Master. „Der Feldscher der ‚King' kümmert sich um sie, Sir.“ „Das Schiff heißt ,King Charles', und nicht ging', Mister Jonny. Sie vergeben sich nichts, wenn Sie den Namen richtig aussprechen. Ich mag es nicht, wenn man ständig die Hälfte verschluckt.“ „Das sagen wir hier immer“, meinte Flanagan lächelnd, „das hat sich so eingebürgert.“ „Es ist aber nicht korrekt“, mäkelte Master Fleet. „Und auf Korrektheit lege ich nun einmal großen Wert.“ „Man sollte es nicht übertreiben“, sagte Pickens. „Schließlich sind wir hier nicht bei der Navy.“ Dieser Stil paßte Fleet nun gar nicht, und diesmal sah er so aus, als hätte er in die zweite faule Zitrone gebissen. Aber noch schwieg er. Da beide Schiffe Seite an Seite lagen, flankten Jonny und ich mit einem Satz hinüber., was Fleet mit einem ärgerlichen Blick quittierte. „Holen Sie mir einen Hocker, Mister Bonty!“ befahl er scharf.
„Einen Hocker, Sir?“ fragte ich verblüfft. Die anderen sahen sich erstaunt und verwundert an. „Ja, einen Hocker. Ich pflege nicht wie ein Pirat auf andere Schiffe zu springen, und Sie haben das gefälligst auch zu unterlassen. Wir wollen die ,King Charles' ja schließlich nicht entern. Dasselbe gilt auch für Sie, Mister Jonny.“ Wohl oder übel sprang ich wieder zurück und holte aus der Gästekammer einen Hocker, während Fleet wie ein Brett dastand. Was jetzt folgte, studierten die anderen mit einer gerade gehässigen Neugier, denn diese Prozedur war reichlich umständlich und reizte unwillkürlich zum Lachen. Jonny mußte auch wieder zurück an Bord. Ich stellte den Hocker vors Schanzkleid auf halbe Höhe. Master Fleet stieg auf den Hocker und von dort aus auf die beiden Handläufe. Dort blieb er stehen, und weil die anderen von der „King“ natürlich keinen Hocker hingestellt hatten, müßte das Ding erst nach drüben gereicht werden, damit Master Fleet wieder umständlich absteigen konnte. Oh, Lord, was mußten die Leute nur von uns denken. Aber jetzt mußten auch wir diesen Schwachsinn wiederholen, und der nächste war Jonny, der biestig auf den wieder zurückgereichten Hocker stieg, auf den Handläufen des Schanzkleides mit mürrischem Gesicht stehenblieb und darauf wartete, daß der Hocker drüben auf die Planken gestellt wurde. Auf dem Hocker stehend, fragte er scheinheilig: „Ist es gestattet, an Bord zu kommen, Sir?“ „Erlaubnis erteilt“, sagte Master Flanagan und schien sich köstlich zu amüsieren. Pickens konnte nicht mehr. Er hielt sich die Hand vor den Mund und prustete los. „Das scheint Sie wohl sehr zu amüsieren“, sagte Fleet gallig. „Allerdings, Sir“, gab Pickens lässig zu. „Es bereitet mir Spaß, das kann ich nicht leugnen.“ „Sie sollten Ihren Offizier mal dahingehend belehren, Mister Flanagan“, sagte Fleet steif, „daß er sich dann amüsiert, wenn es angebracht ist.“ „Vielleicht ist es hier angebracht“, sagte der ansonsten kühle und zurückhaltende Flanagan. Er sah mir zu, wie ich ebenfalls würdevoll und lächerlich zugleich über das Schanzkleid stieg. „Sie haben aus Jonny und Bonty ja zwei gut dressierte Affen gemacht, Mister Fleet. Die könnten in jedem Zirkus auftreten.“ „Dressierte Affen ist gut“, brüllte Pickens los und klopfte uns beiden lachend auf die Schultern. „Früher seid ihr einfach rübergesprungen. Heute braucht ihr dazu einen Hocker. Nicht zu fassen!“
Fleet lief bis unter die Haarwurzeln knallrot im Gesicht an. „Ich verbitte mir das“, rief er erbost. „Ich begreife nicht, wie man eine derartige vorschriftsmäßige Situation ins Lächerliche ziehen kann. Sollen mein Dritter und Vierter Offizier etwa wie die Hasen von einem Garten zum anderen hoppeln? Bei Ihnen scheint mir doch ein gewisser Schlendrian an Bord zu herrschen, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf.“ „Wir halten eine gewisse Lässigkeit für angebracht“, erklärte Flanagan, ohne im geringsten beleidigt zu sein. „Das erleichtert den Leuten das harte Bordleben ein wenig.“ Damit war Fleet nun aber gar nicht einverstanden. Er stand an Deck hob belehrend und verärgert den Zeigefinger hoch. „Das sollten Sie aber rasch ändern, Mister Flanagan. Auf meinem Schiff herrscht Ordnung und ...“ „Augenblicklich befinden wir uns an Bord meines Schiffes, Mister Fleet. Wir wollen auch nicht diskutieren, ob man von Bord zu springt, oder dazu einen Hocker benötigt. Ich hatte die Absicht, Sie zu einem Umtrunk einzuladen, um Ihre Befreiung zu feiern. Es war doch ein Glück, daß wir kamen, sonst säßen Sie immer noch in Dunkelhaft und bei halben Rationen. Und wer nicht satt zu essen kriegt, wird mürrisch und übelgelaunt, besonders wenn sich das lange hinzieht.“ Diesmal zuckte Fleet direkt zusammen, denn er nahm wohl an, daß Flanagan so ganz nebenbei auf seinen Geiz anspielte. Es mußte bei ihm bekannt sein, daß auf der „Scout“ nicht gerade der Völlerei und Prasserei gehuldigt wurde, und daß die Leute meist mit knurrendem Magen herumliefen. Jonny und ich amüsierten uns wie selten zuvor. Johnson stand verlegen herum, während Pickens und Finn ganz ungeniert grinsten. Gleichzeitig aber war Fleet auch etwas beschämt, doch er konnte nicht aus seiner Schablone heraus. Das Fleetsche Strickmuster war so eng, daß es hautnah am Körper anlag. Daher gingen ihm die Worte auch runter wie ranziges Öl. „Ich weiß, daß Sie uns aus einer mißlichen Lage befreit haben“, sagte er verstockt. „Und wenn unsere Ansichten über gewisse Vorschriften nicht übereinstimmen, so ist das kein Grund für eine sinnlose Diskussion. Ich danke Ihnen jedenfalls nochmals.“ „Keine Ursache“, meinte Flanagan. Dann gingen wir nach achtern zu Flanagans „Kammer“, die in Wirklichkeit auch ein Salon war.
Wir beiden „dressierten Affen“ folgten den anderen und zwinkerten uns immer wieder zu. „Hoffentlich saufen wir uns ordentlich den Kragen voll“, raunte Jonny mir zu. „Dann geraten sie sich bestimmt wieder in die Haare. Vielleicht fällt der Alte dann später vom Hocker“, meinte er hoffnungsvoll, „aber leider verträgt er verdammt viel.“ Fleet hatte uns murmeln hören, drehte sich um und warf uns einen galligen Blick zu, weil wir es wagten zu grinsen, wo es scheinbar nichts zu grinsen gab. Über die dressierten Affen kam er auch nicht hinweg. Ich sah, daß er an diesem Brocken immer noch kaute, und daß er sich über Pickens ärgerte, der sich so jovial und lässig gab, wie er in Wirklichkeit auch war. Aus dem kleinen Umtrunk wurde bald ein großer, und ich weiß nicht, welcher Geist Master Fleet in jener Nacht ritt. Vielleicht. war es der allgemeine Ärger, vielleicht auch .die Freude, daß wir die Insel Santa Maria fast allein hatten. Jedenfalls gaben sich alle sehr sorglos, und nach den ersten Gläsern Rum wurde die Stimmung gemütlich. Dann begann Master Fleet ziemlich handfest zu trinken und prostete den anderen zu. Johnson hielt sich zurück, denn einer der Offiziere mußte ja schließlich die Übersicht behalten. Auf der „King“ war es Mister Bunk, der das Deck beaufsichtigte. Und Mister Bunk war ein zuverlässiger Mann, der gleichzeitig auch über die „Scout“ wachte. Es wurde erzählt. und geplaudert, von vergangenen Reisen berichtet, und auch die Begegnung mit Master Pratt von der „Sea Cloud“ wurde noch einmal erwähnt. Flanagan und Fleet redeten sich nach einer Weile nur noch mit den Nachnamen an und verzichteten auf den „Mister“. Es gab Rum von der allerfeinsten Sorte, wie ihn auch Fleet immer an Bord hatte, und mit dem er ständig geizte. Es hätte alles prächtig verlaufen können, doch nach dem zehnten oder zwölften großen Glas Rum sah Fleet Jonny und mich an. „Für Sie wird es langsam Zeit, an Bord zu gehen“, sagte er. „Ich denke, Sie haben genug getrunken.“ ,Nun vergessen Sie doch mal Ihr verdammtes militärisches Reglement, Fleet“, sagte Flanagan. „Die beiden vertragen eine ganz erhebliche Menge, und ich bin froh, sie wiederzusehen. Sie sind ausgezeichnete Seeleute, und Bonty hat sehr viel und sehr schnell gelernt. Der weiß schon, wann er genug hat.“
„Außerdem ist es ja nur ein Hopser bis an Bord“, warf Pickens ein. „Meine Offiziere haben sich nicht zu betrinken“, sagte Fleet mit der altbekannten Starrköpfigkeit. „Ich verlange tadelloses ...“ „Wir sind doch unter uns, Fleet. Wir kennen uns immerhin schon ein paar Jahre. Sie haben wirklich dressierte Affen aus den beiden gemacht, die aufs Wort gehorchen müssen.“ „Haben sie bei Ihnen an Bord etwa nicht Gehorsam gelernt?“ fragte der Master verbiestert. „Selbstverständlich. Aber Sie tun ja gerade so, als müßten die beiden jetzt in den Käfig. Alle beide sind absolut nüchtern.“ Fleet trank mit wulstig vorgeschobenen Lippen den nächsten Rum und kippte ihn voller Zorn auf einmal hinunter. Als Pickens nachgoß, stürzte er auch das nächste Glas sofort hinunter. „Meine sogenannte Dressur hat immerhin bewirkt, daß die beiden diszipliniert und wohlüberlegt handeln. Daß sie sich unterordnen, gehorchen und immer tadellos gekleidet sind, habe ich ihnen auch beigebracht.“ „Wenn die beiden so perfekt sind“, sagte Flanagan hinterhältig, „dann besteht ja auch nicht die Gefahr, daß sie sich betrinken. Sie werden schon wissen, wann sie genug haben.“ Dieses Hin und Her ging Jonny und mir wie Balsam runter. Flanagan war nahe daran, Master Fleet in Widersprüche zu verwickeln und in Schwierigkeiten zu bringen. Fleet war es verdammt peinlich, daß wir das alles mit anhörten. Das untergrub seine eigene Autorität etwas. Wieder stürzte er den nächsten Rum hinunter und setzte das Glas hart auf den Tisch zurück. Als er aufblickte, glaubte ich zu bemerken, daß er einen ganz leichten Silberblick drauf hatte. Nach der Dunkelhaft im Kerker und dem wenigen Essen sprach er auf den harten Rum wesentlich schneller an als sonst. „Ich weiß nicht, was Sie von mir denken, Flanagan“, sagte er, „aber ich habe von der Seefahrt andere Vorstellungen als Sie.“ „Das weiß ich“, entgegnete Flanagan gelassen. „Sie segeln auch für sich selbst und nicht für die Company. Sie fahren auf eigenes Risiko, wenn auch im Auftrag des Königlichen Institutes. Ist das der Grund, weshalb Ihre Leute so .knapp mit dem Essen gehalten werden? Man sagt Ihnen nach, daß Ihr Geiz direkt sprichwörtlich ist. Aber wie gesagt, das habe ich auch nur gehört.“ „Glauben Sie etwa, daß ich meine Leute verhungern lasse?“ schrie Master Fleet empört. „Das ist eine üble Unterstellung und eine Unverschämtheit. Wenn der Proviant gekürzt wurde, dann hatte das
gute Gründe. Es galt herauszufinden, wo die Leistungsgrenze bei einer Mannschaft liegt, die mit halben Rationen auskommen muß. Und ich bin quer durch den Pazifik gesegelt, unter größten Entbehrungen. Ihre Crew wäre dabei auf halber Strecke zugrunde gegangen.“ Jetzt hatten sich die beiden Kapitäne aber am Wickel und wurden hitzköpfig. „Das dürfte wohl ein Irrtum Ihrerseits sein, Fleet. Meine Crew stand auch schon an der Grenze ihrer physischen Kraft, und wir haben uns noch aus jeder Situation herausgewunden.“ Jonny und ich waren nur noch Zuschauer und Zuhörer, und daher kippten wir still und heimlich grinsend einen Rum nach dem anderen weg, den Pickens uns immer wieder augenzwinkernd nachfüllte. Fleet vergaß uns ganz. Er vergaß auch Johnson, trank noch einen und noch einen und unterstellte Flanagan alles mögliche. Die beiden redeten sich immer mehr in Eifer. „Sie blasen sich zu doppelter Größe auf“, rief Fleet, „Sie können es sich leisten, großzügig zu sein, denn die Company liefert ja alles. Sie brauchen nur ins Volle zu greifen. Sie haben nicht den zehnten Teil meiner Sorgen. Ich muß für alles aus eigener Tasche aufkommen.“ „Dafür ist Ihr Profit erheblich größer als der unsere“, erwiderte Flanagan trocken. „Bei uns bringt es nur die Zeit. Wir müssen dem Teufel ein Ohr absegeln, um eine Zusatzprämie zu erhalten.“ Fleet räusperte sich überlegen und verzog die Lippen. „Sie sind auch nicht schneller als ich“, meinte er abfällig. „Was sagten Sie?“ „Ich sagte, daß Sie auch nicht schneller seien als ich. Wenn ich für die Company segeln würde, dann hätte ich mir mit Sicherheit meine Prämie geholt.“ „Wollen Sie damit sagen, daß Sie besser segeln, Fleet?“ „Ich zweifle nicht an Ihrem Können, Flanagan. Prost! Aber ich segele Ihnen jederzeit davon.“ Flanagan lehnte sich zurück und musterte Fleet aus engen Augen. Pickens beugte sich interessiert vor, und auch wir spitzten die Ohren. „Soso“, sagte er langsam, „Sie segeln mir jederzeit davon. Darauf würde ich es ankommen lassen.“ „Ich auch“, sagte Master Fleet grinsend. Jetzt war er leicht angetrunken, und auch Flanagan hatte einiges weg. Pickens Gesicht war leicht gerötet, während Johnson von einem zum andern sah und überhaupt nicht zu Wort kam. Auch Mister Finn sagte nichts.
So kam es zu der verhängnisvollen Wette, die uns allen noch sehr sauer aufstoßen sollte. Flanagan und Fleet hatte der Ehrgeiz gepackt. Einer wollte schneller und besser sein als der andere. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee, wie sie nur unter derartigen Umständen geboren werden konnte. „Wir werden ja sehen, wer eher in London ist“, begann Fleet zu reizen. „Ich halte jede Wette, daß ich eher da bin als Sie, wenn wir zur gleichen Zeit lossegeln.“ „Die Wette nehme ich an“, sagte Flanagan gelassen. „Ich setze sogar fünfzig englische Pfund in Silber.“ „Gehalten. Ich setze fünfzig Pfund dagegen.“ „Das Geld wird Ihnen leid tun“, sagte Flanagan. „Im Gegenteil, ich werde es mit Freuden einstreichen.“ Fleet lehnte sich siegessicher zurück und lächelte zum ersten Mal fröhlich. Offenbar war er sich seiner Sache ganz sicher. Die Wette wurde mit Handschlag besiegelt und von den anwesenden Offizieren beglaubigt. Jonny warf mir einen Blick zu und grinste diabolisch. Diese Wette war so ganz nach seinem Geschmack. Nach meinem zwar auch, aber ich dachte gleichzeitig auch daran, was alles auf uns zukommen würde. Wenn diese beiden Könner mit ihren Schiffen um die Wette segelten, dann würde an Bord der Teufel los sein. Da würde dauernd getrimmt, nachgebraßt und dichtgeholt werden, und Fleet würde die Männer pausenlos auf Trab bringen. Die redeten sich jetzt die Köpfe heiß und diskutierten immer lebhafter. Für uns wurde es Zeit zu gehen, und so erhoben wir uns und verabschiedeten uns von den Kapitänen und Offizieren. Fleet sah kaum hoch. Er war jetzt zu unserem Erstaunen ziemlich stark angeheitert. Pickens, der ebenfalls einen leichten Schlag hatte, begleitete uns noch bis ans Deck. „Das wird eine Höllenfahrt werden“, versicherte er. „Keiner von den beiden Mastern wird nachgeben. Und wir werden uns gegenseitig den Wind aus den Segeln nehmen. Wer wird wohl das Wettsegeln gewinnen?“ „Schwer zu sagen, Sir. Beide sind sehr gute Männer, und beide haben erfahrene Mannschaften an Bord. Ich bin selbst auf den Ausgang der Reise gespannt“, sagte ich. „Vorher werden sie sich noch tüchtig in die Haare geraten“, sagte Pickens. „Die Unterhaltung wird immer lauter. Ich wünsche euch
jedenfalls eine Gute Nacht, Männer. Der morgige Tag wird anstrengend werden, da ist es besser, man hat gut geschlafen.“ Pickens verschwand wieder nach unten. Von dort hörte man die Stimmen der beiden Kapitäne immer lauter. „Beide sind besoffen”, stellte Jonny grinsend fest. „Das habe ich auch noch nicht erlebt. Die reine Freude ist das.“ Wir jumpten über die Bordwand und ließen den dämlichen Hocker unbeachtet, auf dem Fleet bestanden hatte. Er stand immer noch dicht vor dem Schanzkleid. Später würde Fleet ihn ganz sicher brauchen, so wie er geladen hatte. Bei dem Gedanken mußte ich auch grinsen. Als wir an der Gästekammer von Patricia Coleman vorbeikamen, sahen wir, daß das Schott nur angelehnt war und in der Kammer noch Licht brannte. Das Schott öffnete sich ein wenig und Patricia erschien. Sie war lieblich anzuschauen. Sie hatte ihre langen Haare gebürstet, die ihr seidig schimmernd bis auf die Schultern fielen. Ihr Gesicht sah irgendwie hilflos aus, als sie uns anblickte. „Hoppla“, sagte Jonny heiser und musterte ungeniert ihre Brüste, die sich unter dem dünnen Nachthemd abzeichneten. „Da kann man ja nervöse Fingerchen kriegen.“ Sie lächelte verführerisch und hob wieder mit dieser hilflosen Geste die Schultern. „Ich kriege die Lampe nicht aus, Bonty“, sagte sie. „Können Sie mir nicht helfen? Der Docht läßt sich nicht zurückschrauben.“ „Einfach ausblasen“, sagte Jonny trocken, doch dann glitt ein Grinsen über sein Gesicht. „Ach so“, meinte er. „Na, ich geh schon mal in unsere Kammer. Seht nur zu, daß ihr die Lampe ausmacht, sonst sieht der Alte nachher das Licht und meckert wieder wegen des Öls herum.“ Er griente über beide Ohren und zog ab, während Patricia mich sanft am Arm zog. Ganz leise schloß sie das Schott. „Was ist denn mit der Lampe?“ fragte ich und hatte genauso eine heisere Stimme wie Jonny. „Ich kann nicht schlafen”, sagte sie leise. Dabei legte sie mir beide Hände auf die Schultern und näherte ihr Gesicht dem meinen. „Ich bin immer so verdammt allein, Bonty.“ „Wenn der Alte uns erwischt, kriegen wir eine Menge Ärger, Pat.“ „Hast du Angst vor ihm?“ „Nein, zum Teufel.“ „Ich auch nicht. Außerdem ist er nicht da.“
Na, ich weiß doch was ich einer Dame schuldig bin, die immer so verdammt allein ist und nicht schlafen kann. Mir war in diesem Augenblick alles egal. Ich fühlte nur, wie mir eine heiße Welle durch den Körper fuhr. Dann küßten wir uns wild und leidenschaftlich, und Pat klammerte sich an mich, als würde sie ertrinken. Anfangs war sie noch sanft wie eine Katze, dann wurde sie immer wilder, und wir sanken auf ihre Koje. Ihre flinken Finger öffneten meine Jacke, dann das Hemd. Ich legte den Degen ab und schob ihn mit dem Fuß unter die Koje. Sie war einfach himmlisch, diese Pat Coleman. Sie umschlang mich und ließ mich nicht mehr los, küßte mich immer wilder und heißer, biß mir in die Ohren und begann dann zu stöhnen. Nach einer Ewigkeit ließen wir voneinander ab, ermattet, erschöpft und keuchend. Das leidenschaftliche Spiel wiederholte sich noch einmal. Dann lag sie glücklich lächelnd da, küßte mich noch einmal und schlief ein. Ich raffte meine Klamotten zusammen, öffnete das Schott und schloß es hinter mir lautlos. Dann schlich ich durch den Gang zu unserer Kammer zurück. Jonny hatte die Lampe längst gelöscht. Als ich mich auf meine Koje legte, hörte ich, daß er noch wach war. „Mann”, sagte er. „Du bist vielleicht ein sündiger Mensch! Schämst du dich nicht, arme alleinstehende Frauen auszubeuten?“ „Nee“, sagte ich. „Was hättest du denn an meiner Stelle getan?“ „Na, ich hätte das total entrüstet von mir gewiesen. Schließlich bin ich ein Moralapostel.“ „Genauso siehst du auch aus“, sagte ich. „Man soll keine Gelegenheit auslassen“, dozierte Jonny. „Was man in der Jugend versäumt, kann man im Alter nicht mehr nachholen. Außerdem ist sie ein verteufelt hübsches Weibchen.“ „Sei mal still“, sagte ich leise, „ich glaube, der Alte kommt.“ Wir lagen ganz ruhig da und lauschten. Oben an Deck waren seltsame Geräusche zu hören. „Fleet ist stockbesoffen“, flüsterte Jonny. Gleich darauf ertönte ein Poltern an Deck. Dem Geräusch nach war es eine menschliche Gestalt, die der Länge nach hinfiel. Dann polterte es gleich noch einmal, und jetzt konnten wir die Geräusche einwandfrei identifizieren. Jonny wimmerte halberstickt vor Lachen, und auch ich konnte nicht anders und mußte lachen.
„Der Alte ist auf den Hocker geklettert“, raunte Kleine Hölle. „Er achtet auch in besoffenem Zustand auf das Reglement. Und jetzt ist er mitsamt dem Hocker auf die Planken geflogen.“ Ich hielt mir die Decke vor den Mund, um nicht laut loszubrüllen. Die Vorstellung, daß der Master besoffen von Bord zu Bord mit Hilfe eines Schemels oder Hockers kletterte, amüsierte mich unbändig. Dabei muß er wohl ausgerutscht sein, daher das Poltern. Eigentlich war das bei Fleet undenkbar, überlegte ich, aber die Ausnahme bestätigt nun einmal die Regel. Weshalb sollte sich der Master eigentlich nicht einmal den Kanal vollaufen lassen? Schließlich war er auch nur ein Mensch. Etwas später hörten wir ihn murmelnd und überall aneckend durch den Gang gehen. Am Schott unserer Kammer lehnte er sich kurz an, und wir hörten ihn schnaufen. „Diese aufgeblasene Blutwurst“, hörten wir ihn murmeln. „Mich einen geizigen Nußknacker zu nennen. Ich bin schon längst in London, da segelt dieser Kerl noch nicht einmal durch den Kanal. Hick!“ Ein Schott knallte dröhnend zu, ein weiteres polterndes Geräusch erklang. Dann herrschte Ruhe im Schiff. Jonny und ich wieherten halberstickt unter der Decke. Ich kriegte schon richtige Bauchschmerzen, und bekam kaum noch Luft. Master Fleets Vorstellung war einfach zu köstlich gewesen. „Mann, hat der Dampf drauf“, sagte Jonny wimmernd. „Hoffentlich hat ihn keiner gesehen.“ Er konnte nicht weitersprechen, ein neuer Lachanfall schüttelte ihn und ließ ihn vorübergehend verstummen. Die beiden Master schienen sich ja prächtige Nettigkeiten an die Köpfe geworfen zu haben. Aufgeblasene Blutwurst hatte Fleet Master Flanagan genannt, und der wiederum hatte ihn einen geizigen Nußknacker tituliert. Darüber konnte ich mich lange nicht beruhigen. Es dauerte noch eine ganze Weile, ehe wir endlich einschliefen. Bis dahin lästerten wir noch sehr ausgiebig über Master Fleet. * Ich erwachte schon sehr früh am nächsten Morgen, und da fiel mir siedendheiß ein, daß ich den verdammten Degen in Patricias Kammer vergessen hatte. Er lag immer noch unter der Koje. Nachher mußte ich ihn wieder in die Kleiderkammer bringen, und wenn Fleet merkte, daß der Degen fehlte, dann war der Teufel los.
In aller Eile zog ich mich an, schlich über den Gang und lauschte an Fleets Kammer auf Geräusche. Alles war jedoch still. Ich pirschte weiter durch den Gang, drückte das Schott von Pats Kammer auf und schob mich hinein. Patricia schlief noch. Ich tastete unter der Koje herum, fand den Degen, nahm ihn in die Hand und pirschte lautlos wieder hinaus. „Auf ein Wort, Mister Bonty“, sagte eine kalte Stimme hinter mir. Ich fuhr heftig zusammen, denn ich hatte Master Fleet nicht gesehen. Er hatte auf der anderen Seite des Schotts gestanden oder mußte gerade eben durch den Gang gekommen sein. Verdammt, weiter hatte mir nichts mehr gefehlt. Da stand ich nun, den Degen in der Hand, den Schädel rot angelaufen und den Blick auf Master Fleet gerichtet, der mich eisig musterte. Besoffen? No, Sir, der Mann war stocknüchtern. Nicht einmal ich hätte ihm jetzt noch unterstellt, daß er vor wenigen Stunden mitsamt dem Hocker auf die Planken gefallen war. Er war absolut nüchtern, kalt wie ein Fisch, und wieder ganz der alte Fleet. „Sir?“ fragte ich vorsichtig. „Gehen Sie voraus in meine Kammer, Mister Bonty.“ „Ja , Sir.“ Jetzt gab es das berüchtigte Donnerwetter. Hinter uns fiel das Schott zu. Fleet legte die Hände auf den Rücken und ging auf und ab. Dann blieb er dicht vor mir stehen und begann auf seinen nach außen gerichteten Füßen zu wippen. Sein Gesicht wirkte noch etwas voller als sonst, die Lippen waren wulstig und geschürzt. „Haben Sie mir vielleicht etwas zu sagen, Mister Bonty?“ „Ähm ... nein, Sir.“ „Das dachte ich mir“, sagte er eisig. „Ist es vielleicht möglich, daß Sie die Kleiderkammer mit der Gästekammer verwechselt haben?“ fragte er, auf den Degen deutend. „Nein, Sir“, murmelte ich verlegen, denn das konnte ich ja schlecht zugeben, ohne ausgelacht zu werden. „Nun, dann weiß ich wirklich nicht, was Sie in der Gästekammer wohl für seltsame Zweikämpfe ausgefochten haben. Ansonsten weiß ich Ihre Aktivitäten zu schätzen, nicht aber in diesem Fall. Ich verwarne Sie ausdrücklich, Mister Bonty, und werde diesen Vorfall auch ins Protokoll schreiben, jedenfalls, daß Sie sich ungebührlich benommen haben.“ Merkwürdig, aber während er mich eisig abkanzelte und verwarnte, dachte ich ständig an aufgeblasene Blutwürste und geizige Nußknacker. Es war idiotisch, aber ich konnte eine Weile lang nichts
anderes denken. Immer wieder fuhren diese Worte Karussell in meinem Schädel. „Meine Toleranz hat Grenzen“, hörte ich ihn wie aus weiter Ferne sagen, „und diese Toleranz haben Sie jetzt über Gebühr strapaziert. Wenn Sie bei mir als Decksoffizier fahren, dann beziehe ich diesen Ausdruck auf das Schiff, nicht aber auf unseren Gast. Sie sind hier nicht als Rammler gemustert. Haben Sie das verstanden, Mister Bonty?“ Aufgeblasene Blutwurst, geiziger Nußknacker. Es war zum Verzweifeln. „Aye, aye, Sir“, rief ich. „Ich bitte um Verzeihung, Sir. Aber es ist nichts weiter vorgefallen. Ich habe mich nur unterhalten.“ „Diese Art von Unterhaltung kenne ich bei Ihnen, gerade bei Ihnen, zur Genüge“, sagte er bissig und voller Sarkasmus. „Lügen Sie mich gefälligst nicht auch noch an! Bei einer Unterhaltung legt man nicht den Degen ab. Auf der ,King Charles' haben Sie das auch nicht getan. Damit Sie sich das künftig merken und Ihre Aktivitäten anderweitig einsetzen, werde ich Ihnen ein halbes Pfund von der Heuer abziehen lassen. Das Geld kommt in die Schiffskasse. Ich wünsche nachdrücklichst, daß Sie sich nicht noch einmal vergessen, sonst vergesse ich mich. Und nun verschwinden Sie aus meinen Augen, Sie kleines Ungeheuer. In Zukunft wünsche ich, daß Sie Ihre vermurkste Anschauung über Biologie im Hafen austoben und nicht auf meinem Schiff. Abtreten!“ „Aye, Sir“, sagte ich kleinlaut. „Wir segeln in einer Stunde“, brüllte er mir noch nach. Draußen traf ich Jonny, der mit angelegten Ohren am Schott stand und sich auf lautlose Weise krank lachte. Natürlich hatte er alles mitgekriegt, jedes Wort. „Na, du biologisches Ungeheuer“, sagte er keuchend. „Du bist vielleicht ein Held – vergißt den Degen und läßt dich auch noch erwischen! Du spinnst doch.“ „Ach, leck mich, Jonny.“ „Dann krieg ich Ärger mit dem Alten“, sagte er und brüllte fast vor Lachen. „Wo der dich doch dauernd erwischt.“ Ich mußte auch lachen, ganz gegen meinen Willen, denn Jonny war nun mal ein unmöglicher Kerl. In solchen Situationen lachte er gern sehr ausgiebig und verulkte mich auch dementsprechend gern.
„Jedenfalls war das für ein halbes Pfund ein verflucht teurer Spaß“, meinte er, „und ein zweites Mal läßt der Alte das nicht durchgehen. Hoffentlich knöpft er sich nicht auch noch die Coleman vor.“ „Hoffentlich nicht.“ Die Begrüßung von der „King Charles“ Crew war fällig, und dabei fiel mir etwas auf. Ich hatte den Ersten Offizier Ray Anderson immer noch nicht gesehen. Einmal hatte ich ihn unter Deck vermutet, aber selbst jetzt war er nirgends zu sehen. „Wo ist Mister Anderson eigentlich, Mister Bunk?“ fragte ich. „Gestern fiel mir das gar nicht auf, weil so viel Trubel herrschte. Aber er war ja auch bei dem Umtrunk nicht dabei.“ „Anderson steigt in London wieder zu“, sagte er, „er hatte sich bei einem Gefecht verletzt, so daß wir ihn im Hospital lassen mußten. Es war aber nichts, was zur Befürchtung Anlaß gibt.“ Daher also. Jetzt war mir auch das klar. „Das Wettsegeln hat sich bereits herumgesprochen“, sagte Mister Bunk. „Das wird ja eine tolle Fahrt werden. Jeder ist auf das Ergebnis sehr gespannt.“ Dann mußten wir unsere kurze Unterhaltung beenden, denn jetzt wurden auf beiden Schiffen die Decks aufgeklart, und wir mußten an die Arbeit. Von der „King“ legte ein Boot ab. Flanagan ließ die eingesperrten Spanier befreien und seine beiden Wachen abziehen. Die Dons gönnten uns keinen Blick. Sie unternahmen auch keinerlei feindselige Handlungen. Insgesamt hatte es auf unseren Seiten drei Tote gegeben, aber die Leichen waren in der Bucht auf den Grund gesunken und unauffindbar. Beide Master sprachen ein Gebet für die Toten. Um neun Uhr morgens hievten wir die Anker, und dann begann der denkwürdige und dramatische Teil der Reise nach England. Zu erwähnen bleibt nur noch, daß wir uns bei den Dons auch mit Wasser und Proviant versorgt hatten. * Es war merkwürdig, wie schnell sich die Wette herumgesprochen hatte. Und noch merkwürdiger war es, daß es auch selbst die faulsten Kerle hochriß, die richtig in Eifer gerieten, obwohl sie von dem Einsatz der Wette überhaupt nichts hatten. Falls Fleet das Wettsegeln gewann,
dann dachte er ganz sicher nicht daran, seine fünfzig Pfund in Silber unter der Mannschaft zu verteilen. Aber es war der Ehrgeiz, der alle gepackt hatte, und der sie so handeln ließ. Wir hatten Südwind, eine prächtige Brise, und wir würden auf Kurs Nordost segeln. Besser hätte das Wetter an jenem Tag gar nicht sein können. Als die Segel gesetzt wurden, ging es mit der Antreiberei auch schon gleich los. Balthasar Johnson ging das alles viel zu langsam. Auch er wollte der Flanagan-Crew beweisen, daß sie zu segeln verstanden. Diesmal gab er die Kommandos. Weil uns aber ebenfalls der Ehrgeiz gepackt hatte, griffen auch Jonny und ich mit zu, enterten in den Webeleinen auf und lösten Geitaue und Gordings. Schwer fielen die Segel herab und wurden schon vom Wind gebläht, noch ehe sie dichtgeholt wurden. Wir hatten nicht einmal richtig Zeit, zur „King“ hinüberzublicken. Nur aus den Augenwinkeln sah ich, daß sie dort genauso fieberhaft arbeiteten und ihre Segel etwas früher gesetzt hatten als wir. Aber wir hatten ja schließlich einen Mast mehr zu bedienen. Wir enterten blitzschnell ab und halfen mit, die Nagelbänke zu klarieren, die Brassen nachzufieren und Falle und Schoten dicht zu holen. Die „Scout“ setzte sich in Bewegung, blähte sich wie ein Gebirge aus lohfarbenen Wolken auf und begann das Wasser zu pflügen. „Setzt die Blinde!“ rief Johnson. Die Blinde wurde gesetzt. Wir rauschten aus der Bucht, verflucht und beschimpft von den zurückbleibenden Spaniern, die uns jetzt lauthals die Pest an den Hals wünschten. Wir rundeten die Südspitze der Bucht und nahmen Kurs auf das offene Meer, über das eine langgezogene Dünung rollte, überstrahlt von der Sonne, die sich in der Wasseroberfläche spiegelte. Jetzt, als wir auf Kurs Nordost gingen, wurde noch einmal nachgebraßt. Dann begann die Lady „Scout“ zu rennen, als hätte ihr jemand Feuer unter das Röckchen gelegt. Die „King“ war uns etwa eine Kabellänge voraus. Damit hatten wir auch gerechnet, und das hatte vorerst gar nichts zu bedeuten. Erst auf hoher See würde sich herausstellen, wer besser lief. Als die Küste leicht dunstig erschien, wir hatten jetzt etwa knapp zwei Meilen hinter uns, entstand an Deck der „King“ leichter Aufruhr.
„Ich glaube, mir fällt der Draht aus der Mütze“, sagte Jonny. „Jetzt feuern sie diesen lausigen Alkalden über Bord.“ Vom Achterdeck aus sahen wir, wie sie ihn nach oben brachten, und wir hörten auch deutlich sein Gezeter und Geschrei, das durch den Morgen zu uns herüber drang. Er sah jetzt die Bucht aus einer ganz anderen Perspektive, und dabei wurde ihm vermutlich himmelangst. Immerhin war er der Mann, der durch seine Starrköpfigkeit dieses blutige Gemetzel verursacht hatte. Da ging man nicht gerade zärtlich mit ihm um. Master Fleet blickte durch das Spektiv und nickte zufrieden. Irgendjemand von der „King“ würzte den Abgang des Alkalden noch mit zwei kräftigen Ohrfeigen. Dann packten sie ihn an den Beinen und Armen, schlenkerten ihn kräftig hin und her und warfen ihn in hohem Bogen ins Meer. Er zappelte und schrie, spuckte Wasser als er wieder auftauchte und begann dann so jämmerlich zu paddeln wie ein Hund. Mit Armen und Beinen knüppelte er sich durchs Wasser. Es dauerte auch nicht lange, ehe er bei uns auf der Backbordseite kreischend vorbeitrieb. Sein Gesicht war entsetzt, der Mund weit aufgerissen, die Züge total verzerrt und in seinen Augen stand die nackte Angst. Er blickte hilfeflehend direkt zu uns hoch. Master Fleet zog höflich seinen Zylinder und deutete eine höhnische Verbeugung an. „Hasta la vista, Don Lope Sasso“, rief er ins Meer. „Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“ „Tiburon“, schrie der Alkalde aus voller Lunge. „Richtig, hier gibts Haie“, rief Fleet ungerührt zurück. „Lassen Sie sie doch in Ketten legen.“ Der Alkalde geriet in unser Kielwasser und kriegte in der blasenwerfenden Schaumbahn sofort gewaltigen Auftrieb. Achteraus paddelte er weiter, kreischend und fluchend. Bis er die Bucht erreichte, würde er total erschöpft sein. „Ich bin der Meinung, daß das etwas zu hart war, Sir“, sagte der Erste Offizier Johnson. Fleet nahm sein nervtötendes Wippen wieder auf. Die Arme verschränkte er dabei hinter dem Rücken. „Ich freue mich, wenn es hier geteilte Meinungen gibt“, sagte er kühl. „Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, Mister Johnson. Wir wollen es deshalb so halten, daß ich eine Meinung habe und meine Offiziere und Mannschaften sie teilen.“
Johnson blickte den Master verblüfft an, der immer noch wippte und in die geblähten Segel sah, deren Masten wie riesige Wolkentürme in den Himmel ragten. „Ist noch etwas, Mister Johnson?“ fragte der Master. „Nein, Sir. Zu Ihrer absolut gerechten Auffassung habe ich nichts mehr hinzuzufügen.“ Wir verbissen uns nur mühsam das Lachen. Ich warf noch einen Blick achteraus, doch der Alkalde war nur noch ein winziger Punkt in der langgehenden Dünung, der immer wieder hinter den schaumlosen Wellen verschwand. Wir segelten hart auf Backbordbug mit Steuerbordhalsen. Die „Scout“ wurde vom Wind hart nach Backbord gedrückt. Auf dieser Leeseite liefen jetzt die Wellen fast auf gleicher Höhe mit dem Handlauf des Schanzkleides hoch, während der Rumpf der Steuerbordseite, also Luv, hoch aus dem Wasser ragte. Die „King“ segelte hart vor uns, aber aus der einen Kabellänge war jetzt nur noch eine halbe geworden. Wir segelten also langsam auf. Als Flanagan das sah, ging er noch etwas höher an den Wind. Fleet sah dem gelassen zu. Hinter seiner Stirn arbeitete es pausenlos. Er wollte Flanagan austricksen, das sah ich an seinen Augen, doch da mußte er sich schon etwas einfallen lassen, denn Flanagan war keiner von der Sorte, der sich so einfach aufs Kreuz legen ließ. Die „King“ segelte von uns aus gesehen auf Backbord. Ihre Segel waren gewaltig geblüht. Hinter sich her zog sie eine blasenwerfende Bahn aus grünlich-schaumigem Wasser. Vor sich her schob sie eine brodelnde weiße Bugwelle, die immer wieder aufgischtend das Vordeck überschwemmte. Alle Augenblicke kontrollierte Fleet die Segel, sah nach den Flögeln und deutete dann auf dieses oder jenes Segel. „Lassen Sie das Vorbramsegel noch dichter holen, Mister Jonny“, befahl er. „Achten Sie gefälligst selbst darauf. Wir können noch etwas härter segeln.“ Das Vorbramsegel wurde dichter geholt. Der Wind sang jetzt sein ewiges Lied, das grell klingend durch Stage, Wanten und Pardunen heulte, als spielte der Teufel auf seiner Geige. Die Bordarbeit wurde vorerst ausgesetzt. Fleet ließ die Männer ständig an den Nagelbänken in Bereitschaft stehen. Jonny und ich waren dazu abkommandiert, immer wieder die Segel nachzutrimmen, sobald die „Scout“ auch nur ganz geringfügig von ihrem Kurs abwich oder vom Wind leicht versetzt wurde.
Zwei Stunden später war Santa Maria aus unserem Blickfeld verschwunden. Nur ein winziger Dunststreifen war achteraus an der Kimm noch zu sehen. Unter vollem Preß jagten wir dahin. Ewiges Rollen, Verneigen vor der See, eintauchen, aufgischtendes Wasser, das zischend über die Decks spülte, so bewegten wir uns über das Meer. Eingehüllt in eine riesige lohfarbene Wolke über unseren Köpfen, in den Ohren das Brausen der See, das Heulen und Pfeifen des Windes. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit durchströmte mich. Ich fühlte mich bei diesem Anblick als der Herr aller Meere. Aber einen ebenso prächtigen Anblick bot auch die immer noch vor uns segelnde „King“. Der White Ensign knatterte im Mast, die grüne Wimpelflagge der Company wehte aus, und das alles wurde von himmelstürmenden biegsamen Masten gekrönt. Sie jagte durch ihr Element, sie bezwang es mit spielerischer Leichtigkeit, und wenn eine See gegen sie anrollte, dann zerschlug sie die zu einer Wolke aus Gischt und Schaum. Prachtvoll und aufregend war dieses Rennen über den Atlantischen Ozean anzusehen. Noch an diesem Tag unternahm der Master seine erste Attacke auf die „King“, seinen ersten „Angriff“. „Lassen Sie das Großmarssegel um zwei Drittel auftuchen, Mister Johnson“, befahl Fleet. Der Erste, dem der Koch Porridge gerade eine Muck Tee gebracht hatte, weil er Tee so leidenschaftlich gern trank, setzte die Muck ab und verschluckte sich fast. Seine Zähne bissen krachend auf das Stück Rohzucker, das er im Mund hatte. Dann wollte er protestieren, doch er entsann sich wohl an die geteilte Meinung, und daß hauptsächlich der Master sie hatte, und die anderen sie teilen mußten. Aber dieser Befehl wollte ihm einfach nicht in den Schädel. Uns natürlich auch nicht. Fleet mußte schon schwerwiegende Gründe haben. Schließlich hatte er wieder einmal stundenlang gegrübelt und nachgedacht. Und dabei kam auch immer etwas Vernünftiges heraus. Johnson gab den Befehl an uns weiter, und wir mußten ihn der Mannschaft verklickern. Die Kerle starrten uns an, als hätten wir den Verstand verloren. Als Fleets polternde Stimme dazwischenfuhr, schraken die Männer zusammen, denn sie klang sehr erbost. „Soll ich euch erst die Hammelbeine langziehen! Beeilt euch gefälligst und glotzt nicht wie die Mondkälber.“
Keiner murrte, sie waren nur erstaunt darüber, daß der Master offensichtlich eine Chance vertun wollte, denn mit dem gerefften Großmarssegel würden wir langsamer werden. Jonny grinste hart. Vielleicht durchschaute er das Manöver schon, er sagte jedoch nichts. Worte, wie Fleet sie eben gesagt hatte, waren nun für viele Tage lang durchaus normal. Ihn hatte der Ehrgeiz gepackt, als erster in London einzulaufen, und das ging in erster Linie zu Lasten der Mannschaft, die Tag und Nacht auf dem Sprung stehen mußte. In fieberhafter Eile, unter den strengen Augen des Masters, wurde das Großmarssegel zu zwei Dritteln gerefft. Ein Erfolg trat scheinbar nicht ein. Doch eine Stunde später staunten wir, denn der Master stand überlegen und wippend auf seinen großen Füßen an der Querbalustrade und schien mit sich zufrieden zu sein. Wir hatten tatsächlich aufgeholt! „Das kapieren Sie wieder mal nicht, was?“ fragte er ironisch und sprach mich damit an. „Sachen, die Sie noch nicht zu kapieren haben, die begreifen Sie erstaunlich schnell, das beweisen Sie immer wieder sehr gründlich. Weshalb holen wir denn auf, Mister Bonty?“ Ich hatte schon lange krampfhaft darüber nachgedacht und war auch zu einem Ergebnis gekommen. Ob es stimmte, wußte ich allerdings nicht, es war nur eine Vermutung. „Das Großmarssegel nimmt dem anderen Marssegel den Wind weg. Dadurch ist es nicht so bretthart wie die anderen. Jetzt kann der Wind ungehindert drücken. Er verteilt sich sozusagen besser, Sir.“ „Sozusagen, ja”, gab er widerwillig zu. „Das ist im Prinzip logisch. Ich habe auch lange darüber nachgedacht. Damit ist der Beweis dann auch erbracht. Die Windangriffsfläche vergrößert sich, so unsinnig sich das auch anhören mag.“ „Master Flanagan wird das gleiche tun, Sir“, vermutete ich. „Und damit haben wir den Vorteil wieder eingebüßt.“ „Wird er nicht“, beschied er mich knapp, „denn er fährt nur drei Masten und nicht vier.“ Nun, Flanagan tat es auch tatsächlich nicht. Vielleicht mochte er sich über Fleets Manöver wundern, vielleicht kannte er den Trick auch nicht. Jedenfalls holten wir noch weiter auf, und ich wußte auch, was der Master jetzt vorhatte. Er wollte die Luvposition erreichen und die „King“ so abdecken, daß er ihr den Südwind nahm. Ich war nur gespannt darauf, wie Flanagan wohl reagieren würde, denn der Trick mit der Luvposition war selbst
einem Moses geläufig. Man mußte sie aber erst haben! Denn der andere ließ sie sich nicht einfach wegnehmen. Flanagan roch dieses bevorstehende Manöver längst, blieb aber auch dann auf Kurs, als wir noch weiter aufholten. Da nahm Fleet selbst das Ruder in die Hände und schob den Rudergänger Gideon fast sanft zur Seite. Sekundenlang erschien ein hinterhältiges Lächeln auf Fleets Gesicht, dann blieb es wieder kühl. Er begann Ruder nach Backbord zu legen, direkt auf die „King“ zu, die immer noch stur Kurs hielt. Der Bugspriet schwang herum. Die „Scout“ krängte etwas mehr über, bis die Decks schräg standen. Johnson schluckte aufgeregt, denn was Fleet tat, hätte er selbst sich nicht getraut zu tun. Jetzt zielte der gewaltige Spriet mit der Blinden daran auf die „King“. Wenn er das Manöver beibehielt, würden die beiden Schiffe zusammendonnern. Es war eine eindeutige Drohgebärde, um Flanagan abzudrängen. Es kam jetzt darauf an, wer von beiden die besseren Nerven hatte, und wer sich einschüchtern ließ, denn Fleet würde ja nicht sein Schiff riskieren. Immer noch hielt er mit einer fast sadistischen Lust hart auf die „King“ zu, und ich fragte mich in dem Moment, ob bei ihm jetzt wohl die Lichter im Dachstübchen ausgingen. Auf der „King“ standen die Männer bereits am Schanzkleid und starrten besorgt herüber. Wir kamen uns immer näher. Fleet hielt das Ruder fest, als wollte er einen Stier bei den Hörnern packen. Da begann Flanagan überraschend hart anzuluven und in den Wind zu drehen. Die „aufgeblasene Blutwurst“ reagierte hart und kompromißlos. Der Bugspriet der „King“ wanderte jetzt schnell aus und zeigte auf uns. Wie ein riesiger Dorn rauschte er heran. Kleine Hölle begann unterdrückt zu stöhnen, als er das waghalsige Manöver beobachtete. Er schickte wieder seinen gottergebenen Blick zum Himmel, auf daß der Große Master seinen Daumen dazwischen halten möge. Ich sah Fleet gespannt an. Master God, Master Flatfood oder Master Diabolo schien in einer anderen Welt zu leben. Fast geduckt stand er am Ruder, und es sah so aus, als hegte er die selbstmörderische Absicht, sich mit Schiff und Mannschaft unter vollem Preß in die „King“ hineinzubohren. Beide Master benahmen sich wie sture Büffel, bis sogar die Mannschaften schon das Zittern kriegten.
Da entspannte sich Master Diabolos Gesicht endlich. Er legte Ruder und ging auf den anderen Kurs zurück. Sein Schiff wollte er denn doch nicht aufs Spiel setzen, das war ihm zu kostbar. „Ihr Blödmänner“, schrie von drüben eine Stimme, die zweifellos dem Decksmann Jo Blyss gehörte. „Wollen wir uns etwa gegenseitig versenken ? Ihr spinnt ja!“ „Scout“ und „King“ liefen voneinander weg, denn auch Flanagan, der bis zum letzten mitgereizt hatte, drehte jetzt schleunigst ab. Aber es war schon fast zu spät. „Fender ausbringen!“ schrie Flanagan, weil beide Schiffe sich jetzt mit den Breitseiten einander näherten. Gerade jetzt, wo sie voneinander abliefen, war die Gefahr sehr groß, denn beide Hecks schwenkten sehr schnell herum. An Deck rannten brüllende und fluchende Männer herum, die in aller Eile die Fender aus dickem Tauwerk ausbrachten. Drüben schrie Flanagan: „Klar bei Brassen. Achtung!“ Er wollte die Rahen hart anbrassen, damit sie sich nicht mit den unseren berührten, sonst wäre die gesamte Takelage zu Kleinholz geworden. Aber ein gütiger und einsichtiger Himmel bewahrte uns vor dem harten Zusammenprall. In unmittelbarer Nähe rauschten beide Schiffe unter vollen Segeln dahin. Auf der „King“ killte nur einmal ganz kurz das Vorbramsegel, als es von uns abgedeckt wurde. Dann gingen beide Schiffe rasch auseinander. Es war uns nicht gelungen, der „King“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie hatte sich zur Wehr gesetzt und ebenso hoch gereizt wie Master Fleet. Jetzt hatte jeder wieder Luv, und wir segelten in einem Abstand von einer guten Kabellänge Kurs Nordost. „Das war wohl nichts“, sagte Fleet. „Der schlaue Fuchs segelt jeden Schlag sofort mit. Und verdammt gute Nerven hat er auch. Na, mir wird schon noch etwas einfallen. Sie übernehmen wieder die Ruderwache, Mister Gideon. Kurs wie gehabt, Nordost.“ „Aye, aye, Sir. Nordost liegt an.“ „Gut so”, sagte der Master. „So halten.“ Das Wippen ging ihm wohl zu langsam, und so begann er grüblerisch auf dem Achterdeck hin und her zu wandern, die Hände mitunter auf den Rücken gelegt oder leicht in die Seiten gestemmt. Dabei warf er immer wieder Blicke zur „King“ hinüber, die ihren Vorsprung von einer halben Schiffslänge noch immer hielt.
Das hatte nun überhaupt nichts zu bedeuten. Wir konnten tagelang nebeneinander her segeln, ohne daß sich für den einen oder anderen ein Vorteil anbot. Ich war auch sicher, daß beide Master in dieser Nacht nicht viel Schlaf kriegten, denn sie überlegten ständig, wie sie ihr Schiff noch besser trimmen konnten. Am Abend dieses Tages verschwand Fleet überraschend in der Segellast und hielt sich dort eine ganze Weile lang auf. Danach ging er zum Fockmast und starrte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Was er jetzt wieder ausheckte, konnten wir nicht einmal ahnen. Aber er hatte „was auf der Pfanne“, wie Jonny sagte, und das sollten wir ein paar Tage später auch erfahren. Doch zunächst kam die Sache mit der unheimlichen Erscheinung dazwischen, und die regte uns mehr auf als alles andere. * In der nächsten Nacht wurden wir in Schrecken versetzt. Es war gerade zwei Uhr, und das Glasen verklang, als in der finsteren Nacht fern am Horizont ein Licht aufzuckte. Anfangs sah es so aus wie der in Büchern abgedruckte Stern von Bethlehem. Etwas später wurde alles viel unheimlicher. Ausnahmslos alle Männer befanden sich an Deck, aufgeschreckt von den Farben, die sich uns am Himmel und im Meer boten. Langsam wurde der Himmel heller. Im Zenit begann er in einem giftigen Grün zu leuchten, das nach unten in einem fahlen Schwefelgelb verschwamm. Unter dem Schwefelgelb wurde es orangefarben, und die Kimm wurde von roter brennender Glut bedeckt. Wasser und Himmel wurden eins und ließen sich nicht mehr unterscheiden. Das Meer färbte sich entsprechend dieser seltsamen Himmelserscheinung ebenso. Die auflaufenden Wellen schienen rot zu glühen. Ihre Kämme waren giftgrün, während weite Flächen der See dieses fahle Schwefelgelb annahmen. Die giftgrüne Färbung wanderte weiter und verteilte sich hoch über uns in einer riesigen Wolke. In die Farbtöne geriet auch Lila hinein, dann ein eigenartiges Dunkelblau mit gelben Flecken. Gleichzeitig ließ auch der Wind etwas nach. Auf der „Scout“ bekreuzigten sich Männer. Einige warfen sich auch auf die Planken und fingen an zu beten. Worte vom Menetekel wurden laut, vom Fingerzeig Gottes, der die Welt jetzt mit all ihren Sündern untergehen ließ.
Ich muß gestehen, daß ich Furcht empfand. Auch der abgebrühte Jonny sah ratlos aus und wußte nicht, wie er sich gegen dieses beängstigende unheimliche Farbenspiel zur Wehr setzen konnte. Master Fleets Lippen bebten deutlich, als es immer heller wurde, und die Farben immer ausgeprägter leuchteten und glühten. Er starrte nur in das unerklärliche Wunder und schwieg. Nicht weit von uns segelte die „King“. Sie sah furchtbar und unheimlich aus, wie Satans Totenkahn, der über die Meere pflügte mit einer Besatzung aus glühenden Gespenstern. Ihre Segel waren giftgrün, blutrot, orangefarben und schwefelgelb. Und die Gestalten, die man an Deck wie erstarrt stehen sah, schienen von innen her zu leuchten. Mittlerweile war es so hell geworden, daß man jede Einzelheit deutlich erkennen konnte. Die Farben verzerrten allerdings alles bis zur Unkenntlichkeit. Wenn ich Jonny ansah oder Fleet, oder Johnson, die still und stumm auf dem Achterdeck standen, dann hatten sie leichenfahle oder brennende Gesichter, je nachdem, wie der Widerschein dieses himmlischen Feuers sie traf. Unsere Segel bestanden aus einer Wolke leuchtenden Phosphors, während das Deck schwefelfarben aussah. „Was ist das, Sir?“ fragte ich. Mein Herz klopfte ganz oben in der Brust, dicht unter dem Hals, und ich hatte das Gefühl, als müßte ich jeden Augenblick ersticken. Zum ersten Mal hatte Fleet keine Erklärung dafür. „Ich weiß es nicht“, murmelte er und wandte mir ein fahles, unnatürlich wirkendes Gesicht mit verzerrten Zügen zu. „Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe das noch nie gesehen.“ „Es könnte ein weit entfernter Vulkanausbruch sein“, vermutete der Erste, dessen Gesicht in dem Leuchten so aussah, als wäre ihm das Fleisch von den Knochen gefallen. Aber es war kein Vulkanausbruch. Die Antwort auf dieses unheimliche Phänomen gab mir später Mister Pickens, der auf alle Fragen grundsätzlich eine Antwort hatte. Es handelte sich bei der Erscheinung um einen sogenannten Tauridenschwarm, winzige Meteoriten, die aus den Tiefen des Weltalls kamen und über den nördlichen Teil des Atlantiks jagten. Dadurch, daß sie vermutlich mit der Luft in Berührung kamen, erzeugten sie dieses unheimliche Licht. Pickens hatte einen derartigen Schwarm schon einmal vor etlichen Jahren gegen Ende September gesehen und dabei panikartige Furcht empfunden.
Daher waren die Leute auf der „King“ auch nicht so beunruhigt wie unsere, und wir erfuhren das, wie gesagt, erst ein paar Tage später von Pickens selbst. Bei uns aber blieben Furcht und Ungewißheit. Es war die ganz natürliche Urangst des Menschen, der etwas sah, was er sich beim besten Willen nicht erklären konnte. Aber damit war das keineswegs beendet, denn nachdem das Leuchten langsam immer fahler wurde, ließ der Wind weiter nach, und aus dem Wasser selbst stieg der Nebel und bildete lange Streifen. Dieser Nebel leuchtete und war von lilablauer Farbe, in der es hin und wieder gelblich schimmerte. Die nicht mehr so langanrollende Dünung dagegen hob und senkte sich gespenstisch und erinnerte mich an fahle Leichentücher, die sich bewegten, als würden die stummen Gestalten darunter heimlich zum Leben erwachen. Die „King“ segelte langsamer. Auch unsere Fahrt nahm merklich ab. Die Segel waren nur noch ganz leicht gebläht. Kurze Zeit später löste sich die „King“ in dem alles verschlingenden Nebel auf und zerfloß in den Konturen. Auch die Geräusche von knarrenden Blöcken und das Ächzen und Seufzen in der Takelage verklang unmerklich. „Nebel und Flaute haben uns gerade noch gefehlt“, schimpfte Johnson. „Flanagan kann unter diesen Umständen auch nicht segeln. Wir haben also die gleichen Chancen“, meinte Fleet. „Solange der schwache Wind anhält, können die Leute sich ausruhen und schlafen. Bei Tagesanbruch nehmen wir die ,Scout` in Schlepp mit allen Booten und pullen sie in eine windige Zone nach Norden.“ Schöne Aussichten waren das, dachte ich beklommen. Fleet hatte natürlich keine Zeit, genau wie Flanagan auch, der vermutlich dasselbe tun würde. Doch zu unserem Glück kam es nicht zu der Knochenschinderei, denn der Wind blies schwach weiter und trieb uns voran. Das Glühen und Glosen verschwand. Etwa zwei Stunden nach dem Beginn der Erscheinung war der Himmel wieder finster, und wir segelten durch dichte Bänke aus watteartigem, schwerem nassen Nebel, der die Decks von vorn bis achtern einhüllte. Irgendwo ganz dicht vor uns segelte die „King“. Master Fleet ließ alle Augenblicke laut und kräftig glasen. Der Nebel verschluckte die hellen Glockentöne jedoch sofort und ließ sie leise und dumpf klingen. Von der „King Charles“ kam jedoch keine Antwort. So sehr wir auch in den Nebel lauschten, es war nichts zu hören. Selbst der hoch im Ausguck stehende Doolittle vernahm nichts.
Das Glasen war eine reine Vorsichtsmaßnahme des Masters, damit wir im Nebel nicht kollidierten. Das war zwar unwahrscheinlich genug, doch Fleet war pingelig und dachte eben an alles. „Sehr merkwürdig“, sagte er in den Nebel lauschend, „daß Flanagan überhaupt nicht glasen läßt. Er wird doch nicht schon so weit voraus sein“, fügte er spöttisch hinzu. Ich wollte erst sagen, daß Flanagan unser Glasen vielleicht auch nicht hörte, weil der Nebel alles schluckte, ließ es dann aber, weil Fleet sonst annahm, ich wollte ihn belehren. Und wenn er so etwas annahm, dann konnte er sehr ungemütlich werden. Bei schwacher Dünung und lau wehendem Wind segelten wir weiter. Die Bugwelle war kaum noch auszumachen, auch das vertraute Gluckern an den Bordwänden war nicht mehr zu hören. Es wurde immer stiller um uns her, während der leichte Wind uns durch eine Masse trieb, in der man absolut nichts mehr sah. Stunde um Stunde verging bis zur Dämmerung. Erst da begannen die weißgrauen Schleier sich langsam aufzulösen. Gleichzeitig frischte auch der Wind wieder etwas auf, doch wir hatten uns zu früh gefreut, denn kurze Zeit danach war der Zustand wieder derselbe. Durch den Nebel konnten wir jetzt etwa eine knappe Meile blicken, so dünn war er geworden. Über der See tanzten nur noch lange wirbelnde Streifen. Natürlich hielten wir sofort nach der „King“ Ausschau, um zu sehen ob sie noch Vorsprung hielt. Die „King Charles“ war jedoch verschwunden. Weit und breit in dem gesamten Umkreis, den wir überblicken konnten, war sie nicht mehr zu sehen. Wie ein Geist war das Schiff verschwunden. Des Masters ratloses Gesicht drückte Überraschung aus. Er schüttelte den Kopf, ließ sich das Spektiv geben und suchte die See ab. Sehr nachdenklich ließ er das Spektiv sinken. „Fragen Sie den Ausguck, ob er etwas sieht“, sagte Fleet zu mir. Meine Frage wurde mit einem klaren Nein beantwortet, was den Master noch ratloser erscheinen ließ. Ich selbst hatte das komische Gefühl, als seien hier übersinnliche Kräfte am Werk gewesen. Denn auch als die Sicht besser wurde, der Nebel verschwand und eine schwach glimmende Sonne sich im Osten neugierig über die Kimm schob, blieb die „King“ verschwunden. „Das Schiff kann doch nicht untergegangen sein“, sagte Johnson fassungslos. „Das ist ja wie verhext. Sie kann auch in der Zeit niemals so weit vorausgesegelt sein.“
„So verhext sieht mir das gar nicht aus“, sagte Fleet. „Gehen Sie mal nach unten und holen Sie mir die Kladde mit dem dunkelgrünen Aufkleber, Mister Bonty. Sie liegt in der Kiste unter meiner Koje.“ Als ich mit der Kladde zurückkam, schlug er sie auf, lehnte sich an die Querbalustrade und begann darin zu lesen. Seine Lippen lasen mit, ohne daß er murmelte, sie bewegten sich ständig. „Eins hat dieser Flanagan mir voraus“, sagte er neidlos und nüchtern. „Er segelt diese Strecke sehr oft für die Company. Jetzt hat er mir klammheimlich in dem Nebel ein Schnippchen geschlagen.“ Seine Lippen verzogen sich, aber er lächelte nicht, er wirkte eher etwas grimmig, wobei er nachdenklich an seiner Unterlippe nagte. „Neuer Kurs Nord“, sagte er dann. „Nein“, verbesserte er sich sofort, „Kurs Nordnordost. Lassen Sie die Rahen durchbrassen, Schoten und Falle durchholen.“ Als das geschehen war, die Nagelbänke wieder klariert und der neue Kurs anlag, liefen wir fast platt vorm Laken mit achterlich schiebendem Wind. Wir segelten dem vierzigsten Breitengrad entgegen, fast genau nach Norden. Fleet nahm später das Besteck und begann zu rechnen. Danach erfolgte eine weitere unbedeutende Kurskorrektur. In seiner Kladde hatte er haargenau die Meeresströmungen, Versetzungen und die zu erwartenden Winde eingetragen, wie ich später las. Flanagan wäre ihm davongesegelt, wenn Fleet diese Eintragungen nicht gemacht hätte, denn er kannte die Wind- und Strömungsverhältnisse ganz genau, weil er die Route oft befuhr. Flanagan war also sozusagen ausgebüxt, wie der Master ganz richtig erkannte, und hatte sich in dem Nebel nach Norden verzupft, um dort auf die Zone der kräftig wehenden Windströmungen zu stoßen. Der Teufel mochte wissen, wie viel Vorsprung er dadurch herausgeholt hatte. Nichts kündete mehr von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Wir liefen jetzt prächtig vorm Wind, und alle Segel standen bretthart im Wind. Aber von der „King“ war immer noch nichts zu sehen, was den Master offensichtlich ärgerte. „Mister Bonty“, sagte er dann überraschend zu mir, „sagen Sie dem Koch, daß das Essen ab sofort reichlich und gut auszufallen hat. Er soll nur das beste vom Proviant verwenden. Nach dem Essen erhält jeder Mann eine Extraration Rum. Sorgen Sie dafür, daß alles reibungslos verläuft. Um zwei Uhr möchte ich den Zimmermann Cameron sprechen. Wer versteht übrigens noch etwas vom Segelnähen?“
„Der Profos, Sir, Mister Bäng.“ „Gut, den schicken Sie nach dem Essen auch zu mir.“ Damit verschwand Fleet ohne ein weiteres Wort vom Achterdeck und begab sich zum Großmast, den er gründlich inspizierte. Schließlich glaubten wir unseren Augen nicht zu trauen, denn Fleet stieg in den Webeleinen hoch bis auf die Fußpferde der Rahen und turnte darauf herum. Zeitweilig verschwand er in dem Berg aus Segeln. „Na, dann wollen wir mal“, sagte Jonny. „Da oben in luftiger Höhe wird jetzt ein ganz dicker Hund ausgebraten.“ „Was für ein Hund soll das denn sein?“ „Wenn ich das wüßte, Bonty! Aber der Alte hat etwas vor. Oder glaubst du, der läßt uns nur den besten Proviant und hinterher noch Rum ausgeben, nur um die Kerle bei Laune zu halten?“ „Das kann ich mir kaum vorstellen. Hast du eine Idee?“ „Bin ich Jesus?“ fragte er zurück. „Höchstens sein Gaul, und das war ein Esel“, sagte ich grinsend. „Du hast wohl schon lange nicht mehr dein eigenes Geschrei gehört, was! Im Ernst, Bonty, ich weiß nicht was er vorhat. Aber weshalb turnt er da oben rum? Was heckt er wieder aus?“ Alles Raten blieb vergeblich. Master God plante mal wieder etwas, und wir als seine Jünger begriffen das noch nicht. Wir unterrichteten Porridge, den Profos Big Bäng, wie wir ihn nannten, und schließlich den Zimmermann Cameron. Alle drei blickten sehr nachdenklich drein, als wir sie verließen, aber sie stellten keine Fragen. Wir hätten sie auch ohnehin nicht beantworten können. Nach dem Essen erschienen der Profos und der Schiffszimmermann pünktlich auf dem Achterdeck und meldeten sich bei Fleet. „Haben wir Ersatz für die Fockmars- und die Fockbramrah?“ fragte er knapp, „oder haben wir die schon verwendet?“ „Wir haben eine Marsrah und zwei Bramrahen, Sir, die wir notfalls unterschiedlich einsetzen können“, sagte der Zimmermann eifrig. „Das ist sehr gut, Mister Cameron. Sie werden jetzt eine der leichten Rahen in der Mitte durchsägen und sie zusätzlich wie eine ausladende Stenge an der Fockbramrah anschlagen. Die Rah dürfte das zusätzliche Gewicht spielend tragen. Die zusätzlichen Rahen müssen allerdings sehr gut befestigt werden. Das ist Punkt eins. Des weiteren werden Sie dafür sorgen, Mister Bang, daß zwei passende Segel zugeschnitten und geliekt werden. In der Segellast habe ich das passende Zeug dafür liegen sehen. Nehmen Sie sich an Leuten, wen Sie benötigen, und wenn Sie alle Mann einsetzen. Die beiden
zusätzlichen Segel takeln sie ordentlich und sauber und belegen Sie an der Nagelbank. Dann überprüfen Sie, inwieweit die Rah den Druck aushält.“ Der Profos schluckte. Auch der Schiffszimmermann schluckte deutlich sichtbar. Dann fragte Big Bäng vorsichtig: „Ich glaube, Sir, den zusätzlichen Druck wird die Rah nicht aushalten, sie wird zu stark belastet.“ „Haben Sie das schon einmal versucht, Mister Bang?“ „Nein, noch nie, Sir.“ „Dann sollten Sie sich auch nicht auf Ihren Glauben verlassen. Glauben ist etwas, das man nicht genau weiß. Glauben ist also nicht Wissen. Vor den Glauben sollte man immer die Praxis setzen, dann festigt sich der Glaube vielleicht, oder man glaubt nicht mehr. Und nun gehen Sie unverzüglich, schnell und fleißig an die Arbeit. Wenn die Stengen bis heute abend nicht stehen und die Segel nicht im Wind nach Freiheit schreien und bretthart im Wind stehen, dann holt Sie alle beide der Teufel. Das verspreche ich Ihnen. Und wenn Sie das geschafft haben und die ... äh Beisegel sich als gut erweisen, dann erhält jeder Mann zusätzlich fünf Shilling in Silber. Und nun entscheiden Sie sich für eine der beiden Möglichkeiten.“ Die beiden brüllten „Aye, aye, Sir, auf uns können Sie sich verlassen“, im Chor und verschwanden vom Achterdeck. „Sie dürfen sich jeder auch fünf Shilling verdienen“, sagte der Master zu uns, „auch wenn Sie Offiziere sind. Heute sehen wir einmal darüber hinweg. Ziehen Sie Ihr Leinenzeug an und spucken Sie kräftig in die Hände. Sie stehen ohnehin jetzt nur nutzlos auf dem Achterdeck herum.“ Yes, Sir, auch so war Master Fleet mitunter – ein Mann mit einer rätselhaften und unauslotbaren Seele. Wir stürzten uns mit einem wahren Feuereifer in die Arbeit, denn wir mußten die unsichtbar gewordene „King“ wieder einholen, oder wir hatten nichts mehr zu lachen. Aber diese Idee mit den Zusatz- oder Beisegeln, die war wirklich hervorragend. Während an Deck gesägt, gehämmert und Segel zugeschnitten wurden, änderten wir wieder leicht den Kurs in die alte Richtung zurück. Ich sah es daran, daß das Kielwasser eine leichte Kurve beschrieb. Ein paar Möwen, die aus dem Nichts auftauchten, begleiteten uns, und zwei ließen sich ganz oben auf den Masten nieder. Sie begleiteten uns übrigens noch tagelang.
Kurz bevor die Dämmerung einsetzte, waren wir fertig. Nicht nur mit der knochenbrechenden Arbeit, sondern auch körperlich. Die Zusatzrahen wurden bei vollem Preß angeschlagen, denn dem Master fiel es natürlich nicht ein, etwa ein Segel wegzunehmen, und so wurde das eine gefährliche und riskante Sache. Als die Segel kurz vor Anbruch der Dunkelheit ihre „Freiheit“ in den Wind schrien, richtete sich der leicht nach achtern geneigte Fockmast kerzengerade auf, und im Widerlager begann es zu knarzen und knarren. Der Mast neigte sich sogar ein wenig vor, was bewies, wie hart er beansprucht wurde. Wir liefen jetzt unwahrscheinlich schnell, aber auch mit der Gefahr, durch die zusätzliche Belastung die Rah oder gar den Mast zu riskieren. Sobald es oben in der Takelage zu ächzen und knarren begann, warfen wir besorgte Blicke nach oben und kontrollierten die Stengen, die hart an der Rah zerrten. Die Fockbrassen waren so straff, daß sie tief aufbrummten, sobald man sie nur berührte. Master Fleet stieg nach oben und besah sich sehr kritisch das Werk. Als er wieder an Deck kam, strahlte sein breitflächiges Gesicht, und er geizte nicht mit Anerkennung. „Sehr gut“, sagte er, „das hält ganz sicher. Es muß aber fortlaufend kontrolliert werden. Am besten, Sie übernehmen das, Mister Jonny, zusammen mit Mister Bang. Sie, Mister Bonty, lassen aus der Bordkasse für jeden Mann fünf Shilling ausgeben, gegen Quittung natürlich.“ Die Männer freuten sich wirklich und waren von Stolz erfüllt. Fleet folgte mir, als ich nach achtern ging. und sagte ganz beiläufig: „Ihre fünf Shilling werden natürlich gegen das halbe Pfund aufgerechnet, Mister Bonty, falls Sie sich an Ihre sogenannte Unterhaltung noch erinnern können.“ „Ja, Sir, ich erinnere mich noch sehr genau“, sagte ich, auch wenn er sich über die Antwort ärgerte. In dieser Nacht begann der Wind zu fauchen. Die Dünung begann hart zu rollen, und die „Scout“ nahm Wasser über, das sich zischend über die Decks ergoß. Normalerweise hätten wir bei dem Wind jetzt ein paar Segel gerefft, aber es kam keine derartige Anweisung vom Master. Auch Johnsons besorgte Blicke in die Segel vermochten Master Fleet nicht zum Reffen zu bewegen. „Wir segeln etwas zu hart“, sagte Johnson schließlich, der gewiß kein ängstlicher Mann war. „Hoffentlich bricht uns nicht die Rah weg.“
„Haben Mister Jonny oder der Profos etwas gemeldet?“ fragte Fleet. „Nein, nichts, Sir. Bisher jedenfalls noch nichts“, betonte er. „Dann ist es gut“, sagte Fleet in stoischer Ruhe. „Dann können Sie Ihre Meinung getrost behalten und brauchen Sie nicht zu teilen. Wir machen wirklich gute Fahrt.“ Wir lauschten diesem Knarren und Ächzen. Es hörte sich so an, als würden Männer mit Äxten am Fockmast schlagen. Immer wieder knackte es trocken. Es war ein Geräusch, das ein Baum verursachte, ganz kurz bevor er umstürzte. Die Blicke der Männer waren besorgt, schon weil der Wind immer heftiger blies und noch mehr Druck auf die beigesetzten Stengen ausübte. Die zusätzlichen Segel sahen aus wie mit einem riesigen Blasebalg aufgepumpt. „So segeln macht Spaß“, sagte Jonny, „das singt und heult zur gleichen Zeit, und der Wind prügelt uns nur so durch die See. Da wird Flanagan sich wohl auch etwas einfallen lassen müssen.“ „Noch sehen wir ihn nicht einmal.“ Eine Stunde später meldete der Ausguck ein Licht weit voraus in den Wellen, die immer wieder über die Galion brachen und die Decks überschwemmten. Wir knallten donnernd in die See, hoben uns wieder daraus und schüttelten die Unmengen Wasser ab. Mitunter hob uns eine Dünung so hoch, daß wir das Licht weit voraus und tief unter uns sahen. Kein Zweifel, vor uns segelte die „King“, und wir jagten ihr Yard um Yard ab. Wenn uns jetzt etwas um die Ohren flog, dann war das Rennen gelaufen. Fleet gönnte sich nicht einmal eine halbe Stunde Schlaf. Er stand auf dem Achterdeck und ließ sich vom Wind umheulen, wie einer, der dem Teufel trotzte. So stand er stundenlang da und starrte auf das Licht, dem wir uns ganz langsam näherten. „Es ist Flanagan“, sagte er mühsam beherrscht, um seinen vermeintlichen Triumph zu verbergen. „Aber ich schaffe ihn, da bin ich mir meiner Sache ganz sicher.“ Das Licht voraus tauchte immer wieder tief in die See. Manchmal verschwand es, wie vom Sturm ausgeblasen, dann tauchte der milchige Schein für Augenblicke wieder auf. Jonny und ich waren zwischendurch ein paar Stunden nach unten gegangen, um ein wenig Schlaf nachzuholen. Fleet schickte auch den Ersten für eine Weile in seine Kammer und übernahm das Ruder selbst.
Ihn beseelte nur noch der Gedanke, als erster in London einzulaufen. Bei Flanagan schien das nicht anders zu sein. Ich hätte darauf gewettet, daß auch er sich um diese Zeit an Deck befand. Das Licht blieb weiterhin vor uns. Die Distanz verringerte sich nur sehr knapp. Bis wir auf gleicher Höhe mit der „King“ waren, würde sicher noch der ganze nächste Tag draufgehen. Bei Tagesanbruch war der Atlantik grau und kühl, und die steife Brise entwickelte sich schon bald zu einem handfesten Sturm. In der Takelage ächzte und heulte es. Tausend kleine Teufel brüllten um die Wette und hohnlachten. Die „King“ war deutlich zu erkennen. Sie knüppelte mit Vollzeug durch Wellen, die immer höher wurden, die immer mehr aufschäumten und die uns immer härter überkrängen ließen. Der Rudergänger Gideon stand ratlos und besorgt auf dem Achterdeck und wußte nichts mit sich anzufangen. Er wollte Fleet ablösen, doch der Master nahm ihn gar nicht wahr. Er stand wie ein Besessener am Ruder, den Blick starr nach vorn gerichtet, alles um sich her vergessend. Zum Ängstigen sah er aus. Seine Uniform war tadellos in Ordnung, korrekt wie immer, doch etwas in seinem Blick erinnerte mich jetzt an einen Fanatiker, der nur noch auf ein bestimmtes Ziel fixiert war. Johnson war auch wieder an Deck erschienen, und etwas später kam auch Patricia an Deck. Der Wind erfaßte sofort ihre Haare und ließ sie wie eine Fahne flattern. Patricia sah sehr besorgt aus. Sie stand da, warf einen Blick zum Achterdeck und lächelte mir unmerklich zu. Fleet schien sie nicht zu sehen, er nahm auch uns nicht wahr. Er blickte nicht einmal auf den Kompaß. Und noch etwas registrierte ich ganz unbewußt. Ausnahmslos alle Männer standen an Deck. Ihre Blicke waren besorgt. Sie standen nur da und lauschten dem Höllenspektakel, das von den Segeln, Rahen, Blöcken und Tauen ausging. Die Brassen brummten tief, in den Pardunen war ein jammervolles Klagen zu hören, und die Masten bogen sich immer weiter durch. Sie waren so stark beansprucht wie noch nie. „Verdammt“, sagte Jonny, während eine schaumige Wolke aus Gischt vorn aufstiebte und das ganze Schiff donnernd überschwemmte, „das kann nicht gut gehen, das halten die Masten nicht aus.“ Diese Sorge teilte auch Johnson, und der ergriff schließlich die Initiative, als Fleet auf unseren Morgengruß nicht reagierte.
„Sir“, sagte er steif, „die ‚Scout' hält diese Belastung nicht mehr lange durch. Ich schlage vor, daß wir wenigstens zwei Segel wegnehmen, und auch die neuen Beisegel. Es ist verantwortungslos, Sir, wir riskieren zuviel. Die Männer haben schon die schlimmsten Befürchtungen.“ Für einen Lidschlag blickte der Master ihn an. Dann lachte er kurz und stoßartig auf. „Lassen Sie das meine Sorge sein. Die Segel stehen voll und bei, und wir laufen gute Fahrt. Und wer Angst hat, mit mir zu segeln, der soll das Beiboot nehmen und verschwinden.“ Diesmal ließ Johnson sich jedoch nicht abweisen. „Als Erster Offizier trage ich einen Teil der Verantwortung, Sir“, sagte er scharf. „Und ich lasse mich nicht mit ein paar Phrasen abfertigen. Wir haben zu starken Druck auf den Masten. Wollen Sie das Leben der Männer aufs Spiel setzen, Sir, nur aufgrund einer Wette? Das ist keine Rechtfertigung. Ich schlage Ihnen daher nochmals vor, wenigstens zwei Segel wegzunehmen.“ „Was Sie mir vorschlagen“, sagte Fleet fast tonlos, „das interessiert mich nicht, Mister Johnson. Ich bin der Kapitän, und an Bord dieses Schiffes gilt mein Gesetz und sonst nichts. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden und verschonen mich künftig mit Vorschlägen.“ Johnson wuchs nicht weiter über sich selbst hinaus. Schweigend wandte er sich ab und blickte erbittert aufs Meer hinaus. „Die Segel bleiben so stehen“, sagte Fleet mit Nachdruck. „Es werden keine weggenommen. Holen Sie die Schoten und Fallen der Beisegel dichter, und wenn das nicht langt, dann lassen Sie sich von Mrs. Coleman noch einen Unterrock geben, den setzen wir auch noch.“ „Mit dem Alten ist nicht zu reden“, sagte Kleine Hölle, „der will dem Teufel beide Ohren absegeln.“ Fallen und Schoten wurden kontrolliert. Der Wind heulte und brüllte jetzt, und die See lief donnernd und fauchend auf. Die Masten zitterten, die Rahen bebten, und die Segel standen so steif, daß der Sturm sie jeden Augenblick zerfetzen konnte. So segelten wir weiter und näherten uns immer mehr der „King Charles“, die ebenfalls noch unter vollem Preß, segelte. Ein riskanter Wahnsinn war das. *
Zwei Tage später hatten wir den von Fleet ersehnten Vorsprung, der nicht viel mehr als eine lächerliche Schiffslänge betrug. Nochmals einen Tag danach hielten wir den Vorsprung von einer knappen Kabellänge. Immer noch heulte und tobte der Sturm. Beide Schiffe jagten wie wilde Schwäne durch den Atlantik. Gebirge aus Masten, Segeln und singendem Tauwerk, die durch das Wasser tobten und mitunter fast in dem kochenden Meer verschwanden. Beide Masten gaben nicht nach, doch in der darauffolgenden Nacht geschah etwas, was Fleet fast um den Verstand brachte. Achtern kam der gewaltige Dom der „King“ langsam und unaufhaltsam näher. Himmelhoch ragende Türme mit riesigen Segelflächen schoben sich heran, als wollten sie uns untermangeln und überrennen. Das ging stundenlang so, bis die „King“ fast auf gleicher Höhe mit uns war. Ich glaubte nun, Flanagan würde ebenfalls eine Attacke segeln, um uns auszuluven, doch er dachte gar nicht daran. Er blieb immer dicht hinter uns und segelte weiter auf. In der Finsternis sah das gespenstisch aus, wenn der riesige Bugspriet tief in die See tauchte, das Schiff sich ächzend erhob und seine wilde Verfolgung fortsetzte. Es schüttelte die Wassermassen ab, schnaufte und prustete, ächzte und legte sich seufzend wieder in die See, um das Spiel zu wiederholen. Wir hörten Gebrüll und freudiges Geschrei durch die Nacht, sahen die Lampen an Deck und Männer, die sich an Mann- und Strecktauen festhielten und herüber brüllten. Kurz danach drehte die „King“ ganz leicht nach Steuerbord ab und verschwamm durch die immer wieder aufgischtende See vorübergehend aus unserem Blickfeld. Aber die Lampe war wieder zu sehen, und dieser Anblick brachte Fleets Nerven zum Vibrieren. „Wie ist das nur möglich?“ schrie er. „Wir sind zweifellos schneller, und trotzdem segeln sie uns davon. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Das ist ausgeschlossen.“ Wir hatten auch keine Erklärung, bis auf die, daß Flanagan vermutlich auch Beisegel gesetzt und uns diesen Trick abgeguckt hatte. Den wahren Grund erfuhren wir erst am anderen Tag, als der Master immer wieder durch das Spektiv blickte, und seine Hand wütend auf den Handlauf des Schanzkleides trommelte. Flanagan hatte zwei zusätzliche Segel gesetzt, Segel von einem solchen Zuschnitt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Wir starrten uns die Augen aus, als wir diese merkwürdigen Gebilde von der Seite sahen. Dort, wo die Stage vom Bugspriet zum Fockmast
liefen, befanden sich zwei dreieckig geschnittene Segel, die sich gewaltig blähten und die der „King“ mächtig Vortrieb brachten. Es waren riesige lange und spitze Dreiecke. Die Blinde war aufgetucht, doch jetzt waren sie gerade dabei, sie wieder zu setzen. Fleet starrte mit verkniffenen Lippen nach vorn. Er nahm das Spektiv kaum noch vom Auge und studierte jede Einzelheit dieser Neuerung. Erst wollte er das Ganze als verächtlich abtun, denn die merkwürdigen Lappen schienen seiner Meinung nach nichts zu bringen, und er vermutete noch einen ganz anderen Trick von Flanagan. Doch nach und nach wurde ihm klar, daß ausschließlich diese Dreieckssegel es waren, die der „King” mehr Fahrt verliehen. Allerdings ging das auch auf Kosten der Takelage und des Fockmastes, der sich beängstigend bog. „Ein derartiges Segel verunstaltet zwar das ganze Schiff“, sagte er zutiefst erbost über Flanagans Trick, „aber das ist jetzt egal. Hier geht es nicht um Schönheit, sondern um Schnelligkeit. Mister Bonty, sagen Sie dem Profos Bescheid, daß er ebenfalls ein derartiges Segel zuschneidet. Wir werden es zusätzlich am Fockmast fahren.“ „Sir“, rief der Erste zornig, „wollen Sie wirklich Ihr Schiff aufs Spiel setzen, ganz zu schweigen von dem Leben der Männer. Der Fockmast ist bereits jetzt überlastet, er verträgt keinen Fetzen Tuch mehr.“ „Er wird es vertragen“, knurrte Fleet gallig. „Sehen Sie sich die Konstruktion doch einmal an, und widersprechen Sie nicht ständig. Die Pardunen werden nachgespannt, noch bevor das Segel steht. Wir setzen nur eins und fahren die Blinde voll und bei. Wenn der Mast das mit nach gespannten Pardunen nicht trägt, dann taugt er nichts. Ich weiß, was ich verantworten kann. Zudem ist diese Konstruktion lächerlich einfach. Also, stehen Sie nicht herum, Mister Bonty. Purren Sie den Profos und den Zimmermann hoch, und geben Sie meine Anordnungen unverzüglich weiter. Mister Jonny wird mit Ihnen gehen.“ Da half kein Widerspruch. Nach Fleets Meinung vertrug die „Scout“ mindestens auch das, was die „King“ vertrug, ohne dabei zu berücksichtigen, daß wir bereits viel zu viel Zeug an den Rahen trugen. Als wir Fleets Anordnung unten im Batteriedeck dem Profos und dem Zimmermann verklarten, traf die beiden fast der Schlag. Sie sahen Jonny und mich an, als hätten wir den Verstand verloren. „Noch mehr Tuch?“ fragte Big Bäng erschrocken. „Ich bin, weiß Gott, kein ängstlicher Mann. Aber das wird nicht gut gehen.“ „Der Master besteht darauf, Mister Bang”, sagte Jonny. „Sie haben seine Anordnungen nicht zu diskutieren.“
„Verzeihen Sie, Sir. Wir gehen gleich an die Arbeit“ Cameron, der Schiffszimmermann, sah uns kopfschüttelnd an. „Diskutieren oder nicht“, sagte er ruhig. „Die Grenze der Belastbarkeit ist jedenfalls erreicht. Selbstverständlich führe ich das aus, aber ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, Sir.“ „Die überlassen Sie getrost dem Master“, sagte ich. Gleich darauf wurde nach Fleets Angaben ein langes dreieckiges Segel zugeschnitten und eingeliekt. Das geschah im Batteriedeck, und daran beteiligten sich fast alle Decksleute. Taue wurden angeschlagen und die Pardunen nachgespannt. Später wurde das zusammengerollte Segel vorsichtig angeschlagen, und am Abend, als wir weit voraus wieder die Hecklaterne sahen, da wurde es gesetzt. Es schlug und killte, es knatterte wie aus Musketenkugeln, bis es sich entfaltete und ausgetrimmt wurde, und es sah aus wie eine große Blase, mit der der Wind spielte. Der Fockmast protestierte trotz der nach gespannten Pardunen. Er bog sich noch weiter durch. Ich hatte das Gefühl, als wären wir kopflastig, denn die „Scout“ tauchte nur noch recht widerwillig aus der schäumenden See auf und erweckte den Eindruck, als wollte sie sich mit aller Gewalt in das Meer bohren, um auf dem Grund ihre Ruhe zu finden. Diesmal verging ein voller Tag, ehe wir mit der „King“ wieder auf gleicher Höhe waren und nebeneinander segelten. Master Fleet winkte Flanagan zu, hob die Arme und brüllte durch den Sturm hinüber: „Ich lasse Ihnen in London ein Fäßchen Rum auf die Pier stellen, Flanagan. Das wird Sie für die Verspätung entschädigen.“ Flanagan, der höchstens zwanzig Yards entfernt war, lächelte knapp. „Ich lasse zwei Fässer hinstellen, Fleet“, schrie er zurück, „denn Ihre Verspätung wird wesentlich größer sein. Ihr Fockmast macht das nämlich nicht lange mit.“ „Der verträgt noch mehr, das werde ich Ihnen beweisen.“ Etwa eine Stunde segelten wir noch dicht an dicht, dann schoben wir uns vorbei, und die „King“ blieb achteraus zurück. Diese Sturmfahrt war beängstigend, Sir, das kann ich nicht anders sagen, ohne lügen zu müssen. Wir standen fast nur noch im Wasser. Die Decks wurden immerzu überschwemmt, die Masten ächzten und stöhnten. Jeden Augenblick mußte ein Fall oder ein Schott brechen, oder eine der Brassen konnte brechen. Damit setzten wir alles aufs Spiel.
Trotzdem, es war ein prächtiger Anblick, wie die beiden Wolkentürme, denn anders kann man es kaum bezeichnen, durch die See donnerten, wie der Wind heulte und orgelte, wie die Wellen über die Decks donnerten und wie Rasmus immer wieder hart einstieg. Der Wind hatte um eine Kleinigkeit gedreht, er fiel jetzt backstag ein, und wir segelten fast raumschots, aber das machte alles nur noch schlimmer, denn dadurch wurde die Belastung sehr groß. Sehr viel machte das Dreieckssegel auch nicht aus, denn Flanagan blieb immer dicht hinter uns und versuchte uns abzudecken. Hin und wieder gelang ihm das auch. Wir merkten das an dem plötzlichen Vorschnellen und daran, daß der gewaltige Bugspriet sich unheimlich rasch näherte. Es sah aus als wollte er das ganze Achterkastell der „Scout“ aufreißen. Fleet schimpfte und fluchte, wenn Flanagan zu dicht aufsegelte. Jeder segelte mit Haken und Ösen und allen Tricks, die er kannte. Gingen wir leicht nach Steuerbord, folgte Flanagan uns, um uns den Wind zu nehmen. Dann deckte er uns für Augenblicke ab, die „Scout“ wurde langsamer und rannte dann wie angestochen weiter, wenn der Sturm wieder voll einfiel. Unversehens fauchte dann der Wind in die Segel und blies sie noch heftiger auf. Im Fockmast war jedesmal ein lautes Krachen zu hören. Wenn dieses entsetzliche Knacken und Krachen zu hören war, duckten sich die Männer am Fockmast angstvoll und sahen bestürzt nach oben. Doch Master Fleet ignorierte diese Blicke. Fast gleichmütig blickte er zu den prallen Segeln, nur noch von dem Gedanken beseelt, Master Flanagan davonzurennen. Nachts heulte, jaulte und tobte der Sturm, der uns mit höllischer Fahrt über den Atlantik blies. Die „Scout“ ächzte und krachte in allen Verbänden. Die See war voller Schaumkronen, die in weiten Flocken aufstiebten. Wie Schnee sah es aus. Und hinter uns segelte unbarmherzig ein Ungeheuer aus Masten, Rahen und Segeln, mit einem Bugspriet, der uns immer wieder bedrohte und wie zum Aufspießen ausgerannt war. So ging das noch zwei Tage weiter, und wir hatten mittlerweile eine beachtliche Strecke zurückgelegt, gnadenlos verfolgt von der „King“, die direkt hinter uns segelte, mal hautnah heran war und dann wieder etwas abfiel. Einmal war ich in Fleets Salon, um eine der zahlreichen Kladden an Deck zu bringen. Was ich dort durch die Bleiglasfenster sah, verschlug mir regelrecht den Atem, so beeindruckend war das Bild.
Es war Nacht. Zwischen den dahinjagenden Wolken tauchte immer wieder der Mond auf, der eine gespenstische Szene beschien. Die See ging hoch und war voller Gischt und Schaum. Das Achterkastell der „Scout“ hob und senkte sich in den Wogen, und ich stand da und blickte gebannt achteraus. Durch das Bleiglasfenster war ein wildes Ungeheuer zu erkennen, das schnaufend durch die See rannte wie ein zorniger schnaubender Drache, der sich auf uns stürzen wollte. Immer wieder zielte dieser gewaltige Bugspriet nach uns, schien sich in die Fenster zu bohren und alles aufzureißen. Aus dieser Distanz hatte ich den Bugspriet noch nie gesehen, und er kam mir viel gewaltiger, größer und drohender vor als ich ihn in Erinnerung hatte. Hob sich das Achterkastell, dann senkte sich der Bugspriet, und ich zuckte bei dem Anblick unwillkürlich zurück. Jeden Augenblick mußte das Ding mit gewaltigem Getöse hier einbrechen und alles kurz und klein schlagen. Ich hörte das Schott knarren, aber ich nahm an, daß ich es nur angelehnt hatte. Es war der Master, der überraschend eingetreten war, ein paar Schritte näher kam und sich neben mich stellte. Auch er blickte auf diesen schnaubenden Drachen, dem nur noch ein Maul fehlte, um Feuer zu speien. „Beeindruckend, nicht wahr?“ fragte er knapp. Und noch ehe ich antworten konnte, sagte er: „Das sehe ich nun Tag für Tag und Nacht für Nacht. Das ist wie ein Alptraum, der einen nicht schlafen läßt. Dieser Flanagan ist wahnsinnig, er segelt uns eines Tages noch über den Haufen. Aber gewettet ist gewettet. Ich würde an seiner Stelle nicht anders handeln.“ „Und wenn wir den Kurs ändern, Sir?“ fragte ich leise, immer noch kolossal beeindruckt von diesem Gebilde, das sich fast mit den Armen greifen ließ. Man brauchte nur das Fenster zu öffnen und die Hände auszustrecken. „Flanagan ist ein ausgezeichneter Seemann”, sagte Fleet, „wenn ich den Kurs ändere, dreht er sofort nach. Wenn er uns einmal nicht mehr abdecken kann oder der Wind überraschend dreht, dann sind wir ihn los, und das weiß er. Er ist wie ein Raubtier, das seine Beute nicht mehr aus den Klauen läßt. Aber irgendwann schaffen wir es, dann hängen wir ihn ab. Haben Sie die Kladde gefunden, Mister Bonty?“
„Ja, Sir, hier ist sie.“ Ich gab ihm die Kladde. Dann entzündete Fleet die Lampe, legte die Kladde auf den großen Tisch und studierte sie ausgiebig. Ich wußte nicht, was er in der Kladde suchte. Vermutlich wollte er sich an Meeresströmungen orientieren, um Flanagan loszuwerden. Vielleicht fand er wieder einen Dreh, um ihm eins auszuwischen. Fleet segelte zwar als erster, doch das nutzte ihm nichts, solange Flanagan ihm unmittelbar auf den Fersen blieb. Ich starrte immer noch durch die großen Fenster und zuckte zurück, als der Bugspriet sich drohend senkte und dann wieder aus der See buchstäblich emporschnellte. Mir war, als würde die „King“ einen gewaltigen Satz tun. Doch als der Bugspriet wieder aus der See auftauchte, fehlten doch noch ein paar Yards. Ein unheimliches Gefühl war das aber trotzdem. Ich hätte auch nicht in der Koje schlafen können, wie der Master es stundenweise tat. Diese wilde Bedrohung da ganz dicht hinter uns hätte mich einfach nicht einschlafen lassen. Fleet murmelte etwas und legte die Kladde zurück. Ein knappes Lächeln erschien in seinem Gesicht. „Morgen werden wir ihm davonsegeln“, sagte er. „Wir ändern den Kurs um einen vollen Strich nach Norden. Er wird uns nicht hinterher segeln, weil er nicht weiß, was ich vorhabe.“ Fleet ließ sich auch nicht weiter darüber aus, was er vorhatte. Aber mir wurde schon schlecht bei dem Gedanken, daß er vielleicht noch mehr Tuch setzen würde. Nach einer Ewigkeit brach dann endlich der andere Morgen an, jener Tag, der so verhängnisvoll enden sollte. * Gegen zehn Uhr vormittags hatte sich an der Situation immer noch nichts geändert. Nach wie vor segelte die „King“ beängstigend dicht achteraus, legte sich immer wieder über und erhob sich taumelnd und ächzend aus der wildbewegten See. Gideon hatte wieder bis zwölf Uhr mittags Ruderwache. Dann sollte Jonny ihn bis zwei Uhr ablösen, danach ich dann für weitere zwei Stunden das Ruder übernehmen. Mitunter übernahm Fleet auch selbst das Ruder, wenn es ihm gefiel. Um zehn Uhr sagte er laut und deutlich: „Alle Mann klar zum Nachbrassen. Mister Gideon, wir ändern den Kurs um einen Strich auf Nord!“
„Ein Strich Nord, Sir“, wiederholte der Rudergänger laut. Während die Männer bei Brassen, Fallen und Schoten standen, drehte Gideon das Ruder herum. Durch das Schiff lief ein Ächzen, es schüttelte sich in der harten See protestierend. Wir schwenkten gerade auf den neuen Kurs ein, als es plötzlich laut krachte. Es hörte sich so an, als hätte ein Riese mit der Axt auf die „Scout“ eingeschlagen. Gideon stand am Ruder, mit großen erstaunten Augen. Sein Mund war entsetzlich verzerrt. Hilflos drehte er am Ruder, das man jetzt mit einem Finger bewegen konnte, so leicht ging es. Master Fleet erkannte als erster, was da passiert war, noch ehe jemand reagieren konnte. Ich sah auch noch, wie er die Farbe wechselte. Dann drehte er sich um, legte die Hände vor den Mund und brüllte so laut nach achtern wie ich es noch nie von ihm gehört hatte. Seine Stimme übertönte mühelos das Heulen des Windes: „Ruderbruch! Achtung!“ Gleichzeitig mit seinen gebrüllten Worten, krängte die „Scout“ hart über, als der Wind sie jetzt packte, und sie steuerlos war. Auf der „King“ hatte man die Worte sogar gehört, was schon erstaunlich genug war, doch jede Reaktion kam zu spät. Ein Schiff unter vollem Preß ließ sich ohne die dazu erforderlichen Manöver nicht blitzschnell von einem Bug auf den anderen bringen. Ich sah nur noch erstarrte und fassungslose Gesichter, entsetzt aufgerissene Münder, deren Schrei in der Kehle stecken blieb. Die „King Charles“ versuchte in einem verzweifelten Manöver auszuweichen. An Deck rannten die Kerle wild durcheinander, gingen auf Stationen und versuchten alles nur erdenklich mögliche, um noch auszuweichen. Fleet sprang auch noch ans Ruder, doch es drehte leer. Vermutlich hatte der gewaltige Druck bei der Kursänderung uns das ganze Ruderblatt einfach weggerissen. Hilflos und wie gelähmt, ohne etwas tun zu können, sahen wir zu, was nun passierte. Mir kam das alles so vor, als würde die Zeit angehalten werden, als liefe alles unendlich langsam ab. Unser Heck hob sich in der wilden See hoch aus dem Wasser. Dann war der riesige Bugspriet zu sehen, dieser Dorn zum Aufspießen, der alles zerstörte und mit wilder Wucht auf uns zuraste. Darüber hing die Blinde, gewaltig aufgebläht.
Dann schoß der Riesendorn voller Kraft und Wucht nach oben und bohrte sich mit ohrenbetäubendem Krachen und Bersten in unser hoch aus dem Warmer ragendes Heck. Der Anprall war so gewaltig, dass die Masten sich neigten, die Rahen zu schwingen begannen und die „Scout“ sich schüttelte, als sei sie nur ein großes Riff geraten. Achtern zerplatzten Fensterscheiben, zersplitterten Planken, zerfetzte Holz mit entsetzlichem Kreischen. Der Dorn rannte weiter nach oben wie ein tödliches Messer. Die See hob ihn hoch, und er schlitzte das Achterkastell weiter auf. Vom Bugspriet der „King“ knickte die Blinde in sich zusammen, und während wir uns in der See drehten, erschütterte ein zweiter gewaltiger Schlag die „Scout“. Wir taumelten und verloren den Halt. Jonny landete auf den Decksplanken, Gideon wurde davongewirbelt und Master Fleet an die Querbalustrade geschleudert. Der zweite schmetternde Schlag erfolgte mit unglaublicher Wucht erneut tief unter dem Heck. Ich hörte, wie etwas kreischend barst, wie der Rest der Fensterscheiben des Salons zersplitterte, und wie es urplötzlich zu brodeln und zu zischen begann. Dieser zweite Schlag legte uns so hart auf die Seite, daß der überladene Fockmast der Belastung nicht mehr standhielt. Noch während wir uns hilfesuchend duckten, erklang von vorn Geschrei. Die Männer gerieten fast in Panik. „Der Fockmast!“ brüllte ich laut, um die anderen zu warnen, die sich vorn aufhielten. Sie hatten es zum Glück schon selbst gemerkt und rannten wie die aufgescheuchten Hasen nach achtern. Dann neigte sich der Mast zur Seite. Stengen und Pardunen brachen mit lautem Knall. Eine der Rahen schwang herum, die Segel killten wie wild, und der Mast zersplitterte, als er keinen Halt mehr hatte. Das alles geschah in Augenblicken. Die „Scout“ wurde zerhämmert, zerhackt und zerschlagen und trieb quer zur See. Das war auch der Augenblick, in dem die „King“, immer noch unter Vollzeug, jedoch ohne Blinde, an uns vorbeisegelte und uns fast noch einmal rammte. Flanagan konnte an der Situation absolut nichts ändern. Er mußte erst auftuchen und beidrehen. Das alles erforderte viel Zeit. Inzwischen war auch Pat Coleman schreiend an Deck erschienen und klammerte sich am Schanzkleid fest. Dann rannte sie in blinder Angst
zum achteren Niedergang, fiel auf dem geneigten Deck hin, sprang wieder auf die Beine und hielt sich an den Stufen fest. Fleet war aschgrau im Gesicht geworden. Er konnte einfach nicht fassen, was da passiert war. Er starrte mit großen leeren Augen auf sein Schiff und auf die vorbeisegelnde „King“, auf der jetzt alle Manöver begannen, die zum Auftuchen und Beidrehen notwendig waren. Damit war die Wettfahrt über den Atlantik beendet, dachte ich wie betäubt. Wir mußten sehr schwer havariert sein. Auf dem Achterdeck konnten wir jetzt überhaupt nichts mehr tun. Das Ruder schwang wild hin und her, und irgendwo strömte mit häßlichem Zischen Wasser ins Achterschiff. „Auftuchen!“ befahl der Master, „alles Zeug runter. Kommen Sie mit nach achtern.“ Johnson rannte in langen Sprüngen nach vorn und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. An Bord herrschte unvorstellbare Wuhling. Wir lagen ziemlich tief im Wasser. Der Fockmast war nach vorn gestürzt und hatte die Blinde zerschlagen. Ein Teil der Kombüse war eingedrückt. Rauch wölkte daraus auf. Porridge und noch ein Mann gossen wie die Wilden Wasser nach unten. Die „Scout“ kriegte noch mehr Schlagseite. Die Segel killten, ein paar wurden vom Sturm zerfetzt. Der zersplitterte Fockmast fiel aufgischtend in die See und verschwand. Eine neue Welle hob ihn hoch und schmetterte ihn gegen die Bordwand. Der Schlag klang hallend. Ich glaubte im ersten Moment, er hätte erneut die Bordwand zerschlagen. Um das Vordeck kümmerten sich Johnson und Jonny. Sie brachten die aufgeregten Männer mit ein paar beruhigenden Worten wieder zur Räson. Langsam klang die Panik ab. Nur Patricia hing immer noch schreiend am Niedergang und klammerte sich daran fest. Wir konnten uns um die schreiende und verängstigte Frau nicht weiter kümmern. Das Schiff ging erst einmal vor. Wir mußten es über Wasser halten, das war das Wichtigste. Als wir nach achtern gingen, blieb Master Fleet stehen, als habe ihn der Schlag getroffen. Überdeutlich war lautes Gurgeln und Rauschen zu hören. Es kam aus den Räumen unter der Kammer, und es schien sich bis zum mittleren Laderaum fortzusetzen. Wir rissen die Tür zum Salon auf. Das erste, was ich sah, war ein riesengroßes Loch, ein so gewaltiger Riß, daß man hindurchgehen konnte, ohne anzuecken. Dieser Riß begann oberhalb der großen Fenster und setzte sich weit nach unten fort.
Im Salon herrschte ein Durcheinander, als hätten hier die Vandalen gehaust. Da war nichts mehr heil geblieben. Die Bleiglasfenster lagen in tausend Scherben überall verstreut herum. Auf den kostbaren Teppichen stand Seewasser, das von unten nachdrückte. Der große Tisch war aus der Verankerung gerissen worden, und überall lagen größere und kleine Holzsplitter. Die „King Charles“ hatte uns so hart gerammt, daß ich für die „Scout“ keinen Pfifferling mehr gab. „Verdammte Scheiße“, brüllte Fleet, rannte mal hierhin, mal dorthin und blickte sich überall um. „Weiter nach unten“, schrie ei „Wir machen Wasser.“ In den Stauräumen unter dem Salon, der Gästekammer und den Offiziersräumen war das Chaos perfekt. Wasser, überall Wasser, wohin man sah. Es schäumte auf und brodelte wie eine unterseeische Quelle. Und es ließ sich nicht auf Anhieb feststellen, wo die „Scout“ überall beschädigt war und Lecks hatte. Jedenfalls war das Ausmaß der Katastrophe erschütternd. „Mein Gott“, sagte Fleet niedergeschlagen, „mein Gott. Das sieht ja schlimmer aus, als ich dachte. Los, Bonty, schicken Sie den Zimmermann nach achtern. Alle Pumpen hierher, und alle Mann zum Lenzen. Wir haben sonst keine Aussichten mehr, uns noch zu halten.“ Es wurde nur noch gerannt, gehastet und geeilt. Wir lagen jetzt noch mehr auf der Seite, und es war nicht einfach, über die schräggeneigten Decks zu laufen. Zudem stieg immer wieder brüllend die See ein. Segel flogen herum, eine Rah des Großmastes lag an Deck und rutschte langsam in die See. Die „Scout“ ähnelte einem Schiff, das von einer vollen Breitseite getroffen worden war. Wenn wenigstens dieser hohe Seegang nicht gewesen wäre. Der machte alles nur noch schlimmer und behinderte uns unglaublich bei den Arbeiten, die jetzt unverzüglich getan werden mußten. Die killenden Segel, so hatte Johnson angeordnet, wurden einfach zerschnitten und zerfetzt. Die Streifen flatterten pfeifend und wurden vom Wind davongetragen. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß die „King“ bis auf zwei Sturmsegel alles Tuch gerefft hatte, beidrehte und Anstalten traf, sich uns wieder zu nähern. Flanagan hielt sie so im Wind, daß sie sich ganz langsam auf uns zu bewegte. In dieser Situation verzichteten wir natürlich auf umständliche und lange Höflichkeitsfloskeln. Ich sah Cameron und ergriff seinen Arm.
„Pumpen nach achtern, Cameron”, rief ich, „und alle Mann, die entbehrlich sind, ebenfalls nach achtern. Wir müssen lenzen.“ „Ich bin sofort da“, rief er zurück und sauste auch schon los. Jonny zerhieb mit seinem Messer gerade ein Fall. Ein Segel löste sich mit einem ratschenden Geräusch, blähte sich wie eine riesige Schweinsblase auf und flog in die See. „Wie sieht es achtern aus?“ fragte er keuchend. „Alles voll Wasser. Die Stauräume sind fast voll. Du mußt mit nach achtern zum lenzen, Jonny.“ „Erst müssen die Segel runter. Wir können sie bei der Schlagseite nicht mehr auftuchen, das geht nicht. Aber das Schiff muß stabilisiert werden.“ Damit hatte er recht, und dafür sorgte auch Johnson, der die Männer immer wieder brüllend zur Eile antrieb. Wenn wir diese Schräglage noch lange beibehielten, dann schlug die See alles kurz und klein. Pat Coleman hatte ihre Angst überwunden. Sie schrie auch nicht mehr, sondern half kräftig mit. Sie ließ sich von Johnson wie ein Mann einsetzen, denn sie wußte selbst, daß alles an uns lag, um das Schiff über Wasser zu halten, und da wurde jede Hand gebraucht. Immer wieder ertönten schmetternde Schläge. Wellen brandeten über die Decks und rissen uns fast die Beine unter dem Körper weg. Ich rannte wieder nach achtern, wo Cameron, Doolittle, Sugarcane, Gideon, Burnell, Zander, Crocker und Melrose dabei waren, die Pumpen einzusetzen. Malaga Jo, McHenry, der Profos und Robertson arbeiteten wie die Besessenen. Jagger und Nat Holden sorgten dafür, daß auch die restlichen Segel über Stag gingen, um den gewaltigen Druck vom Schiff zu nehmen und die Schräglage auszugleichen. Ganz langsam begann die „Scout“ sich wieder aufzurichten. Dafür aber sank sie achtern merklich tiefer. Kurze Zeit darauf waren alle Pumpen einsatzbereit, und jetzt begann eine elende Schufterei. Cameron versuchte festzustellen, wo genau die Lecks waren, aus denen es wie gewaltige Fontänen sprudelte. Er zog das Hemd aus und sprang in das kalte Wasser des Stauraumes. Fleet stand daneben und wartete ungeduldig, bis er wieder auftauchte. Schon an seinem Gesicht erkannte ich, daß wir ausgesprochenes Pech hatten. „Läßt es sich abdichten, Cameron?“ fragte der Master. „Nein, Sir, es läßt sich nicht abdichten, es ist zu groß. Auch die Pumpen werden es nicht schaffen. Wir können nur das Schott zu den
Laderäumen verstärken, sonst brechen die Schotts, wenn der Wasserdruck zu groß wird.“ „Dann gehen Sie unverzüglich an die Arbeit.“ Master Fleet begann jetzt, um sein Schiff zu kämpfen, und ließ nichts unversucht, um es über Wasser zu halten. Wir lagen jetzt nur noch leicht nach Backbord geneigt, aber immer noch dwars zur anrollenden See. Und das Heck sackte ganz unmerklich ab und ging immer mehr auf Tiefe. Das ließ unsere Sorge immer größer werden, denn wenn das Wasser die zerschlagenen Fenster erreichte und sich von oben in den Salon ergoß, dann lief es auch in die anderen Kammern, und nichts mehr konnte das Ende der „Scout“ aufhalten. „Mein Gott“, sagte ich zu Jonny, „jetzt haben wir alles überstanden, und ausgerechnet durch einen so lächerlichen Rammstoß muß die ,Scout` absaufen. Ich kann das gar nicht glauben.“ „Es sieht aber so aus“, sagte er ernst. „Sich nur einmal über das Deck. Da ist alles verwüstet.“ Ich konnte den Anblick kaum noch ertragen. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich die „Scout“ in einen Trümmerhaufen verwandelt. Der Fockmast fehlte, an den Rahen hing kein Segel mehr. An Deck sah es aus wie nach einer wüsten Schlacht, und im Wasser trieben Trümmer, Segelfetzen und Tampen. Im Achterschiff wurde jetzt gepumpt, was das Zeug hielt. Jonny und ich lenzten ebenfalls aus voller Kraft, während Cameron den Laderaum öffnen ließ, um das achtere Schott zu verstärken. Dabei erlebten wir die zweite höllische Überraschung, die uns fast den Atem nahm. Auch im Laderaum befand sich ein Leck, unsichtbar tief unter uns sprudelte das Wasser und stand bereits handbreit auf den Planken des Laderaumes. „Da ist nichts mehr zu machen“, sagte der Zimmermann erschlagen, „das schaffen wir nicht mehr.“ „Solange wir noch Hände und unseren Verstand haben“, pfiff der Master ihn an, „geben wir auch nicht auf. Die Leute von der ,King Charles' werden bald hier sein und uns helfen. Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, um das Schiff über Wasser zu halten. Los, an die Arbeit, Cameron!“ Schweigend und verbissen wurde gepumpt, doch gegen das eindringende und nachströmende Wasser kamen die Pumpen nicht an. Wir waren nicht einmal in der Lage, die Hälfte dessen herauszulenzen, was immer wieder nachdrang. Und das große Leck ließ sich beim
besten Willen nicht abdichten. Einmal war der Sog des Wassers zu stark, und zum zweiten hätte man das Heck hoch aus der See heben müssen, was ebenfalls ausgeschlossen war. Fleets Gesicht wurde immer düsterer. Seine wulstigen Lippen zuckten, die fleischigen Hände bewegten sich unruhig. Besorgt sah er auf das, was jetzt noch die „Scout“ darstellte. Ich glaube, er wußte in diesem furchtbaren Augenblick genau, daß sein Schiff, an dem er mit Herz und Seele hing, nicht mehr zu retten war. Deshalb scheuchte er die Leute auch erbarmungslos an die Arbeit. Die „Scout“ ohne Master Fleet konnte ich mir eigentlich gar nicht vorstellen, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, oder wollte es mir nicht vorstellen, daß sie hier mitten im Atlantik sang- und klanglos einfach absoff. Zuviel Erinnerungen hingen an dem Schiff, zuviel hatten wir an Bord erlebt. Dann traf endlich Verstärkung ein. Die „King“ hatte das große Boot abgefiert und mit Männern besetzt. Auch Pumpen hatten sie dabei. Auf der Ducht saß Master Flanagan persönlich. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Er hatte die hoffnungslose Lage wahrscheinlich längst erkannt. * Es gab kein Wort des Vorwurfs, keine Anschuldigungen und kein Gebrüll. Fleet war erstaunlich ruhig und drückte Flanagan kurz und stumm die Hand. Sie hatten Mister Bunk, China-Harry, Jo Blyss, den Zimmermann Bob Costigan und noch sechs weitere Männer mitgebracht. Darunter gab es auch einige, die ich noch nicht kannte. „Wie sieht es aus?“ fragte Flanagan. „Äußerst schlecht. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch über Wasser halten kann. Ich befürchte jedoch, daß ich mein Schiff aufgeben muß.“ Auf einen Wink von Flanagan wurden die Pumpen ausgeladen und an Bord gebracht. Costigan und Mister Bunk verloren kein einziges Wort. Sie gingen sofort an die Arbeit. Aber auch mit den neuen Männern ließ sich das Schiff nicht halten. Costigan, der Mann mit den melancholischen, immer traurig wirkenden Zügen, sah sich ebenfalls die Lecks an, und kam zu dem gleichen Ergebnis wie Cameron, ob der Master das nun hören wollte oder nicht.
„Abdichten können wir nur beim Aufslippen, und das ist nicht möglich, Sir. Das eine Leck ist doppelt so groß wie ein Schott, und dann gibt es noch zwei weitere, die sich so schnell nicht finden lassen.“ Fleet ließ auch die vorderen Räume öffnen. Darin befanden sich noch die Schätze von der Insel der sieben Tabus und viele andere Kostbarkeiten, die einen schier unermeßlichen Wert darstellten. Da gab es Gold und Silber, Statuen, Säckchen mit Perlen und Schmuck, alles unbezahlbare Gegenstände, von denen der größte Teil dem Königlichen Institut für Geographische Meeresforschung überstellt werden sollte. Die „King“ lag beigedreht gegen den Wind. Auf dem Achterdeck waren Mister Finn und Mister Pickens zu erkennen, die immer wieder besorgt herüber sahen. Alle Mann arbeiteten jetzt ausschließlich an den Pumpen. Wir lenzten, bis wir kaum noch die Arme hochkriegten, während Costigan und Cameron verzweifelt versuchten, wenigstens eins der Lecks abzudichten. Mit Ersatzhölzern und einem mannshohen Schott wurde der letzte Versuch unternommen. Doch dann folgte die nächste böse Überraschung. Die „Scout“ war so voll Wasser gelaufen, daß selbst das verstärkte Schott dem Druck nicht mehr standhielt. Es platzte regelrecht auf, und ein riesiger Wasserschwall ergoß sich brausend in den anderen Raum. Damit zeichnete sich das Ende bereits deutlich ab. Die Pumpen wurden umgestellt, doch der Wasserspiegel sank nicht, er stieg sichtbar höher, und alle verzweifelten Anstrengungen fruchteten nichts, denn am Nachmittag platzte unter dem Kiel eine Planke mit lautem Knall. Von da an stieg das Wasser noch schneller an. Es war unmöglich, die Lecks abzudichten. Fleet stand selbst an den Pumpen. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er tat, was er konnte, aber er wollte wohl vor sich selbst nicht zugeben, daß sein Schiff verloren war. Dieser Gedanke ging ihm nicht in den Kopf. Zum Glück hatte wenigstens der Sturm ein wenig nachgelassen. Das Achterschiff sackte weiter weg, der Bug hob sich langsam immer höher aus der See. Fleet pumpte mit zusammengepreßten Lippen. Er gönnte sich keinen Augenblick Pause und drohte demjenigen mit Blicken, der es nur einmal wagte, die Arme sinken zu lassen.
„Es hat keinen Zweck mehr, Fleet“, sagte Flanagan heiser. „Wir können sie nicht mehr über Wasser halten. Sie sollten sich mit Ihrer Mannschaft darauf vorbereiten, auf die ,King Charles' überzusteigen.“ Fleet gab jedoch immer noch nicht auf. Mit kräftigen Armen pumpte er pausenlos weiter. Das Schiff war sein liebgewordenes Eigentum, es stellte einen großen Besitz dar, und er hatte jahrelang Cent auf Cent und Copper auf Copper gelegt, um es zu kaufen. Und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein? „Ich versuche es solange wie irgend möglich“, sagte er schnaufend. Am späten Abend lenzten wir immer noch. Todmüde und erschöpft kämpften wir einen verzweifelten und völlig aussichtslosen Kampf gegen das eindringende Seewasser. Der Atlantik wollte seine Beute haben und ließ sie nicht mehr aus seinen gierigen Krallen. Dagegen konnte Master Fleet tun, was er wollte. Die See war stärker und würde schließlich doch Sieger bleiben. In der Nacht, als das Heck noch tiefer abgesackt war, und wir bei Laternenschein weiterpumpten, wechselte Flanagan seine Leute aus und schickte andere herüber. Nur Mister Bunk ließ sich nicht austauschen. Er stand voll und bei, wie man so sagte. Diese Nacht verbrachten wir bei langrollender hoher Dünung völlig entkräftet auf einem Schiff, das sich nur noch ein paar Stunden halten würde, ehe es seine letzte große Reise antrat. Gegen Morgen, als es an der Kimm grau zu werden begann, ergoß sich Wasser zischend und brodelnd auch in den vorderen Laderaum, dessen Schott dem Druck nicht standhielt. Die „Scout“ lag jetzt so tief im Wasser, daß es keine Hoffnung mehr gab. Flanagan drängte ernsthaft auf Verlassen des Schiffes. Erst da gab Master Fleet schweren Herzens auf. Resigniert und müde stellte er das sinnlos gewordene Pumpen ein. „Fiert die Boote ab“, befahl er tonlos. „Bringt die Truhen von der Insel der sieben Tabus hinüber zu Master Flanagan. Die Schätze müssen unbedingt gerettet werden.“ Eine neuerliche Schinderei begann auf der langsam sinkenden „Scout“. In aller Eile wurden die Boote zu Wasser gebracht. Truhen aus den Laderäumen wurden hochgehievt und wieder abgefiert. Die „Scout“ ächzte leise in allen Verbänden. Überall begann es verräterisch und drohend zu knacken. Jetzt blieb auch kaum noch Zeit. Wir packten, unter Mithilfe von Flanagans Männern, unsere paar Habseligkeiten zusammen, luden die Schätze um und alles das, was
noch besonders wertvoll war, und pullten zwischen der beigedrehten „King“ pausenlos hin und her. Mir brach fast das Herz als ich einmal zurückblickte. Ohne Fockmast hing die „Scout“ tief im Wasser, den Bug hochgestellt, das Heck tief in die See gedrückt, pausenlos überrannt von Wellen, die gierig in jeden Raum flossen. Die Niedergänge zum Batteriedeck waren zwar alle verschalkt, doch im Batteriedeck selbst stand das Wasser schon sehr hoch. Es fand seinen Weg selbst durch die kleinste Ritze und sickerte an allen möglichen Stellen ins Schiff. „So trostlos hätte ich mir den Abgang von der ‚Scout' nicht vorgestellt“, sagte Jonny betrübt. „Verdammt, ich kann es immer noch nicht glauben, daß sie bald untergeht.“ „Vielleicht schon in einer halben Stunde“, meinte ich. „Viel länger wird sie sich nicht halten können.“ Aus den Räumen war nach und nach alles geborgen worden. Selbst Lebensmittel und sechs Wasserfässer wurden noch zur „King“ gepullt. Master Fleet stand an Deck und sah sich um. Sein Gesichtsausdruck war einfach undeutbar. Ich hatte ihn noch nie so blicken sehen. Abschiednehmend sah er sich um. Und dann gab er den wohl traurigsten Befehl seines Lebens. „Alle Mann von Bord!“ sagte er. Flanagans Männer hatten die sinkende „Scout“ bereits verlassen, und von uns gingen jetzt auch die restlichen Männer in die Boote und pullten zur „King“ hinüber. Jonny und ich standen auf dem Quarterdeck, wo Fleet einsam und düster blickend herumstand, als könnte er sich nicht entscheiden, das Schiff zu verlassen. „Mein Gott“, sagte er plötzlich, „das Wichtigste befindet sich noch in meinem Salon. Ohne das bin ich in England ein armer Mann.“ „Wir haben schon alles ausgeräumt, Sir“, sagte Jonny drängend, „sogar die Uniformen haben wir nicht vergessen.“ „Es ... es geht um Hagertys Testament“, sagte er, „das Testament meines alten Freundes, Sir Hagerty.“ „Sir, Sie können es nicht mehr holen“, schrie ich, „wir sinken bereits, es ist zu spät.“ Fleet hörte uns nicht. Wie ein Traumwandler ging er nach achtern. Man konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so tief war das Heck jetzt in der See versunken. Es war heller Wahnsinn, jetzt noch einmal den Salon aufzusuchen. Wer darin war, mußte unweigerlich mit dem Schiff untergehen und jämmerlich ertrinken.
„Jonny, Bonty, an Bord!“ rief Flanagan von drüben. „Merkt ihr denn nicht, daß ihr gleich absauft! Fleet, kehren Sie um!“ „Ich habe noch etwas vergessen“, rief Fleet über die Schulter zurück. „Master Fleet!“ schrie ich gellend und rannte zusammen mit Jonny hinter ihm her. „Es ist zu spät.“ Die „Scout“ ächzte in diesem Augenblick noch lauter. Das Knacken in ihrem Innern war unüberhörbar. Nein, dachte ich und wollte Fleet zurückreißen. Ich konnte es nicht zulassen, daß er mit dem Schiff unterging. Es war schon schlimm genug, daß die „Scout“ absoff. Der Master sollte nicht auch noch den Tod finden, das wollte ich nicht zulassen. Als ich seinen Arm ergriff, spürte ich seine übermenschliche Kraft, die mir fast die Knochen zerbrach. Er packte meine Hand und schob mich mit fürchterlicher Gewalt zur Seite. Dann verschwand er in dem achteren Gang, der zu seinem Salon führte. Der Salon stand bereits unter Wasser, und Wasser strömte pausenlos nach. Wir standen wie erstarrt und blickten ihm fassungslos nach. Er ging einfach in das zischende und brodelnde Wasser, und als es seine Hüften umspülte, tauchte er. „Der säuft ab wie eine Katze“, schrie Jonny und stürzte sich, ohne zu zögern, einfach hinterher. Auch ich stand unversehens im Wasser. Und da überfiel mich auch der Gedanke, daß wir das Testament noch retten konnten, in dem Fleets Freund, Sir Hagerty, ihm sein gesamtes Vermögen vermacht hatte. Wir alle kannten das Testament, Fleet hatte es uns damals am Rio de la Plata vorgelesen. Ich wußte auch, wo es sich befand. Es war in einer kleinen Holztruhe, verpackt in wasserdichtes Pergament, und so eingerollt, daß das Wasser ihm nicht schaden konnte. Ich sah nur noch riesige Blasen, spürte einen Sog und erkannte den Master, der im Wasser tauchte und die kleine Truhe schließlich auch fand, noch bevor Jonny oder ich sie erreichten. Fast zur gleichen Zeit tauchten wir auf, halberstickt und prustend. Fleet gab mir die kleine Truhe und schrie: „Verlaßt das Schiff, aber schnell.“ „Nicht ohne Sie, Sir“, brüllte Jonny. Fleet wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und war jetzt erstaunlich ruhig. „Das ist ein Befehl“, sagte er. „Ich komme sofort nach. Ich habe noch etwas vergessen.“
„Was denn, um Himmels willen, noch?“ schrie Jonny. „Verlassen Sie das Schiff!“ schrie Fleet, außer sich, und begann vor Zorn rot anzulaufen. Neben der „Scout“ lag das Boot von der „King“ mit Mister Bunk und China-Harry darin, die auf uns warteten, und die nur fassungslos den Kopf schüttelten, als Fleet noch einmal in dem eiskalten Wasser tauchte und im überfluteten Salon verschwand. „Was, zum Teufel, sucht er dehn noch?“ fragte Mister Bunk. Wir kletterten erschöpft in das Boot und sanken auf die Ducht. Harry nahm uns die Truhe mit dem Testament ab und hielt sie fest. „Ich weiß nicht, Jeremias“, sagte Jonny, „keine Ahnung, was er jetzt noch sucht.“ Ich wollte wieder hoch und noch einmal hinterher. Irgendwie wurde ich das Gefühl immer noch nicht los, daß der Master mit seinem Schiff untergehen wollte. Doch die Männer hielten mich zurück. „Du kannst ihm nicht helfen, Howard“, sagte Mister Bunk. „Du würdest den Versuch nicht überleben.“ Eine riesige Blase drang aus dem Achterkastell. Ein Krachen, als wenn ein großer Hammer auf Holz schlug, ertönte. Die „Scout“ sackte ziemlich rasch ab, auch das Vorschiff stand jetzt nicht mehr so steil aus dem Wasser. Ewigkeiten vergingen, während es doch nur kurze Augenblicke waren. „Da, er taucht wieder auf“, schrie Harry. „Das wird aber auch allerhöchste Zeit.“ Fleet erschien aus dem untergehenden Schiff. Er schnappte nach Luft und ruderte mit den Armen. Noch an Deck stand er knietief im Wasser. In seinen Händen hielt er ein Ding, das wie ein dünnes Ofenrohr aussah und an beiden Enden mit Wachs verschlossen war. Er stand noch da und schnaufte, da zogen ihn schon kräftige Fäuste ins Boot und drückten ihn auf die Ducht. „Schnell weg“, sagte Mister Bunk, „damit wir nicht in den Sog geraten. Das Schiff geht unter.“ Fleet stieß immer noch heftig die Luft aus und zog sie wieder gierig in seine Lungen. Sein Brustkasten hob und senkte sich wild. Aber die „Scout“ ging immer noch nicht unter. Die Sec überspülte das Achterdeck, doch immer wieder hob sich das Schiff und trotzte der anrollenden Dünung des Atlantik. „Was ist denn in der Rolle, Sir?“ fragte Jonny neugierig. „So wichtig kann das doch nicht sein, daß Sie Ihr Leben deswegen aufs Spiel setzen.“
„Es ist wichtig genug“, erwiderte Fleet bitter. „In der Rolle befindet sich der Versicherungsschein für die ,Scout`. Wenn ich den in England nicht vorweisen kann, erhalte ich keinen Cent für das verlorene Schiff.“ Himmel, dachte ich, Fleet ließ aber auch nichts aus. Er dachte wirklich an alles. Aber ich konnte ihn trotzdem verstehen. Da er von Natur aus geizig war, lag es auch nicht in seiner Art, etwas zu verschenken. Ohne das Testament und den Versicherungsschein wäre er wirklich ein armer Mann gewesen. Und die Absicht, ein bescheidenes Leben zu führen, hatte er ganz gewiß nicht. Wir legten an der rollenden und immer wieder leicht in die See tauchenden „King Charles“ an und stiegen über die ausgebrachte Jakobsleiter an Bord. Wir waren klatschnaß, verdreckt, erschöpft und ausgelaugt. Zudem froren wir jämmerlich. Die letzten zwanzig Stunden waren mehr als anstrengend gewesen. „Sie können die Gästekammer beziehen, Fleet“, sagte Flanagan. „Für die Frau habe ich ebenfalls noch einen freien Raum zur Verfügung. Ich begrüße Sie und Ihre Mannschaft bis nach England als meine Gäste.“ „Ich danke Ihnen“, sagte Fleet. „Sie sollten sich umziehen“, riet Flanagan, „in den nassen Sachen werden Sie sich erkälten.“ „Später“, wehrte Fleet ab. „Ich möchte solange an Deck bleiben, bis ... bis ...“ Er sprach nicht weiter, aber er wollte sagen, daß er solange an Deck bleiben wollte, bis die „Scout“ untergegangen war. Das konnte ihm auch niemand verdenken. „Wie Sie wünschen, Fleet.“ Wir lagen immer noch beigedreht, etwa achtzig Yards von der Stelle entfernt, an der der Viermaster seinen letzten aussichtslosen Kampf gegen den unbarmherzigen Atlantik führte. Wir hörten das Knacken, Prasseln und Krachen aus dem Schiffsrumpf und sahen zu, wie allerlei Gegenstände nach oben trieben und in der See schwammen. Eine Gräting flog nach oben, ein leeres Faß trieb auf, Segelfetzen und Leinen. Fleet stand mit steinerner Miene am Schanzkleid und blickte aus starren Augen auf die Stelle. Dann trieb die blaue Jacke einer Uniform auf, die aber gleich darauf wieder unterging. Und dann folgte etwas, das fast symbolisch für ein Begräbnis war.
Auf der See tanzte plötzlich ein dunkler Gegenstand. Es war einer von Fleets zahlreichen Zylindern, der jetzt einsam auf den Wellen dicht neben dem sinkenden Schiff trieb. Ellerton, einer der übelsten Kerle aus der alten Crew, lachte kurz und dreckig auf. Dann deutete er mit ausgestrecktem Finger auf den treibenden Zylinder. „Da schwimmt der alte Wichstopf von dem Kerl“, sagte er hämisch kichernd. Er deutete auch mit dem Daumen nachdrücklich auf Fleet und seine schwimmende Kopfbedeckung. Da rastete in Master Fleet etwas aus. Die anderen erstarrten, als er sich langsam umdrehte und Ellerton fixierte, der immer noch grinsend ins Wasser wies. Ich muß dazu sagen, daß Bruce Ellerton einer der stärksten Kerle an Bord der „King Charles“ war. Auch einer der übelsten, zu denen auch Lockjaw und Samuel Dodds gehörten. Auch Daniel Hawkins hatte früher zu der Clique gehört. Aber Ellerton war allein an Bord, die anderen waren nicht mehr da. Master God, immer noch tropfnaß in seiner Uniform, war mit zwei schnellen Sätzen bei Ellerton, dem das Grinsen jetzt augenblicklich verging, und der direkt erschreckt wirkte. Ich sah nur noch wie Master Fleet ausholte, und ich kannte auch zur Genüge seine gewaltigen Körperkräfte. Seine Faust schlug so blitzschnell zu, daß es für Bruce Ellerton kein Ausweichen mehr gab. Ich vernahm einen schmetternden Schlag, dann sank die Faust auch schon wieder zurück. Ellerton flog wie eine abgefeuerte Kanonenkugel davon. Der Schlag war so gewaltig, daß er auf die Planken stürzte, auf ihnen weiterrutschte und sich dabei einmal überschlug. Er flog bis ans gegenüberliegende Schanzkleid und blieb reglos liegen. Fleet gönnte ihm nur einen verächtlichen Blick, dann drehte er sich wieder um und blickte auf die „Scout“, von der nur noch drei Masten aus dem Wasser ragten und aus der es unaufhörlich blubberte. In diesen Augenblicken herrschte ein Schweigen an Bord, wie ich es noch nie auf der „King“ erlebt hatte. In Flanagans Gesicht machte sich ungläubiges Staunen breit. Pickens öffnete den Mund, und Mister Finn, der auf der „King“ als Erster Offizier fuhr, brachte vor Staunen keinen Ton hervor. Die anderen sahen Fleet an wie einen plötzlich erschienenen Geist. Ellerton lag immer noch bewußtlos auf den Planken, der Länge nach ausgestreckt, und rührte sich nicht mehr. Er, einer der stärksten Kerle
an Bord, lag da wie tot, hingestreckt von einem so gewaltigen Hieb, daß er auch einen Ochsen gefällt hätte. Offiziere prügeln sich nicht mit Mannschaften, war immer Fleets Devise gewesen. Diesmal hatte er sie nicht beachtet. Er hatte einfach einen Punkt erreicht, den er selbst nicht mehr kontrollieren konnte. „Bringt den Kerl nach unten“, sagte Finn und wies auf den immer noch reglosen Ellerton. Montesano und ein graubärtiger Mann, den ich ebenfalls noch nicht kannte, packten Ellerton wie ein Bündel Lumpen und schleppten ihn ins Batteriedeck. Ziemlich unsanft warfen sie ihn dort auf die Planken. Ich sah, daß scheue Blicke unseren Master trafen, daß Flanagan und Pickens sich verstohlen räusperten und wohl nicht wußten, wie sie sich dazu äußern sollten. Schließlich übergingen sie den Vorfall, als sei nichts gewesen. Alle aus unserer Crew und der größte Teil von Flanagans Leuten standen jetzt am Schanzkleid, als die „Scout“ endgültig unterging. Ihr Bug kriegte noch einmal Auftrieb, hob sich wie abschied nehmend ein Stück aus dem Wasser und sackte dann weg. Die Masten schienen immer kleiner zu werden, und schließlich tauchten sie in die See ein und verschwanden. Über der Untergangsstelle begannen wilde Wirbel zu kreisen, ein Trichter bildete sich im Meer, ein wirbelnder Tanz aus Luftblasen und Wasser, der immer größer wurde. Fleet beugte den Kopf. Es schien ihm das Herz zu zerreißen, und uns natürlich auch. Mir brannten die Augen, ich schluckte und warf Jonny einen Blick zu, der ebenfalls heftig schluckte. Gute alte „Scout“, dachte ich, du hast uns lange über die Meere getragen. Jetzt war das vorbei, es gab die „Scout“ nicht mehr, aber uns blieb der schwache Trost, daß wir wenigstens die in mühsamer Arbeit zusammengestellten Forschungsunterlagen und die Schätze von der Insel der sieben Tabus gerettet hatten. Und das Testament und der Versicherungsschein waren ebenfalls nicht verloren. Als die „Scout“ verschwunden war, drehte Master Fleet sich ganz langsam um. In seinen grauen Augen lag ein Schimmer, so als sei eben ein guter Freund von ihm gegangen. Und das war ja auch nun wirklich der Fall. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Kammer zeigen könnten, Flanagan“, sagte der Master. „Selbstverständlich stehe ich Ihnen mit meinen Männern bis nach England zur Verfügung. Sie können über jeden Mann nach eigenem Belieben verfügen.“
„Sie sind mein Gast, Fleet“, sagte Flanagan. „Ich zeige Ihnen die Kammer. Es tut mir leid um das Schiff. Niemand konnte das Unglück voraussehen.“ Fleet murmelte etwas, das ich nicht verstand. Er wollte wohl erst selbst mit sich ins reine kommen. Gebeugten Hauptes ging er davon. * Die Segel waren wieder gesetzt. Die „King“ ging auf den alten Kurs zurück, und Mister Bunk übernahm das Ruder. Den anderen wurden von McCoy, dem Profos mit dem schwarzen Vollbart, die Quartiere zugewiesen. Jonny und ich kriegten jeder eine Koje im Logis. Die anderen wurden im Batteriedeck untergebracht, erhielten Decken und konnten sich umziehen. Harry, Jonny und ich starrten uns an. „Verdammt, das ist euch ganz schön an die Nieren gegangen“, sagte China-Harry. „Aber das ist kein Wunder. Schließlich seid ihr verdammt lange auf dem Schiff gewesen. Aber die Sache mit Ellerton war doch ein starkes Stück. Euer Master hat ja einen Schlag drauf, daß man nur noch staunen kann.“ „Ja, das hat er“, sagte ich. Durch den schmalen Gang kam ein weiterer Mann. Auch den hatten wir noch nicht begrüßen können und ihn auf der Insel Santa Maria nur einmal flüchtig gesehen. Es war Pete Bird, an Bord allgemein wegen seiner unglaublichen Zähigkeit auch die Katze genannt. Erfreut schüttelte er uns die Hände. „Ihr seid wieder an Bord“, sagte er, „das freut mich ganz besonders, wenn auch die Umstände recht traurig sind. Wie geht das nun eigentlich weiter? Könnt ihr nicht bleiben?“ Wir hatten unsere nassen Klamotten gewechselt und mußten wieder die Uniform anziehen, weil Fleet es so wollte und wir auch weiterhin seinem Kommando unterstanden. „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „das muß in England von der Company oder von Master Fleet entschieden werden, denn wir haben noch einen Heuervertrag mit ihm.“ „Aber ihr habt kein Schiff mehr“, meinte die Katze. „Und wenn ihr kein Schiff habt, dann nutzt euch auch der Vertrag nichts.“ „Darüber denkt Master Fleet etwas anders“, sagte Jonny. „Da ist noch alles offen. Wie ich sehe, fahrt ihr immer noch unterbemannt.“
„Jetzt nicht mehr, jetzt haben wir mehr als genug Leute. Aber uns fehlen wirklich noch ein paar.“ Nun, das würde sich ja in London klären, dachte ich, aber bis dahin hatten wir noch genug Zeit. „Habt ihr mal wieder was von Zebulon Prescott gehört?“ fragte ich. „Kann ja sein, daß der Bibelmann wieder auf einem anderen Schiff der Company fährt?“ „Leider nein“, bedauerte Pete Bird. „Vermutlich ist er immer noch dort in dem Land über dem Atlantik bei den Pilgern. Ich habe ihn seither jedenfalls nicht mehr gesehen.“ Später gingen wir wieder an Deck und wurden von allen angestarrt, die immer wieder unsere Uniform musterten. Master Fleet ließ sich den ganzen Tag nicht blicken. Er aß und trank auch nichts, und erschien erst am nächsten Tag wieder an Deck. Flanagan lud uns ein, aufs Achterdeck zu kommen. Auch er musterte uns kopfschüttelnd. „Müßt ihr unbedingt diese Uniformen tragen?“ fragte er. „Ihr könnt doch Leinenzeug anziehen. Ich gebe euch aus der Kleiderkammer welches, wenn ihr nichts mehr habt.“ „Ich weiß nicht, wie Master Fleet darüber denkt“, wandte Kleine Hölle zweifelnd ein. „Nun ja, er hat recht eigenartige Ansichten darüber”, meinte Pickens, „aber er wird darüber wohl nicht erbost sein. Zieht euch also ruhig um, wir sind hier nicht bei der Navy.“ Uns war das nur recht, wenn wir nicht wie dressierte Affen herumlaufen mußten, und so tauschten wir die Uniformen gegen das Leinenzeug, doch wir hatten die Rechnung ohne Master Fleet gemacht. Am anderen Tag erschien er in vollem Wichs an Deck. Genau genommen war er jetzt bestenfalls Gast-Kapitän, doch als er uns erblickte, umwölkte sich seine Stirn, und er maß uns erstaunt von oben bis unten. „Was soll dieser Aufzug?“ herrschte er uns an. „Sie haben doch Ersatzuniformen mitgenommen, wenn ich mich recht entsinne.“ Pickens, der Fleet nur flüchtig kannte, mischte sich ein. „Ich habe ihnen geraten, die Uniform mit dem Leinenzeug zu vertauschen, Master Fleet“, sagte er. „Wir fahren ja keinen Dritten und Vierten Offizier, wie das bei Ihnen üblich war.“ „Üblich war?“ fragte Fleet. „Es ist immer noch üblich, Mister Pickens. Ich sehe keine Veranlassung, von meinen Kleidervorschriften auch nur im geringsten abzuweichen.“..
„Aber, Sir“, sagte Pickens, „Sie befinden sich in einer außergewöhnlichen Situation. Sie brauchen weder einen Dritten noch einen Vierten Offizier. Was wollen Sie auch damit? Wir haben Leute genug an Bord, da muß man es nicht so genau nehmen.“ Da war er bei Fleet aber an der richtigen Adresse. „Ich nehme es aber nun einmal genau, Mister Pickens“, sagte Fleet kühl. „Mister Jonny und Mister Bonty sind bei mir als Offiziere gemustert und haben sich nicht nur entsprechend zu verhalten, sondern auch so zu kleiden. Sie unterstehen bis nach England allein meinem Befehl, obwohl ich Sie Ihnen jederzeit zur Verfügung stelle, sobald das erforderlich wird. Ich dulde derartige Nachlässigkeiten nicht.“ Fleet sagte das anfangs kühl, dann in gereiztem Tonfall. Pickens starrte ihn verwundert an, schließlich hob er die Schultern und blickte hilfesuchend zu Flanagan. Master God stand wieder wie aus dem Ei gepellt auf dem Achterdeck und erregte Aufsehen mit seinem Zylinder und der piekfeinen Uniform, die er trug. In den Augen der Flanagan-Crew galt er als recht merkwürdiger und seltsamer Mann. „Das liegt bei Ihnen“, sagte Flanagan. „Ich habe auch nicht die Absicht darüber zu streiten, obwohl ich Ihre Anschauungen mitunter recht seltsam finde.“ „Darüber haben wir wohl zur Genüge diskutiert“, sagte Fleet. „Immerhin hat mich das mein Schiff gekostet.“ Flanagans Augen blickten kühl und überlegen. „Wenn ich mich recht erinnere“, sagte er etwas von oben herab, „dann schlugen Sie das Wettsegeln vor und setzten fünfzig Pfund. Sie verhöhnten mich unterwegs auch noch. Werfen Sie mir also bitte nicht vor, daß ich Schuld an dem Unglück habe.“ „Habe ich etwa schuld daran, daß mir das Ruder brach? Wenn Sie nicht so dicht aufgesegelt wären, hätte es niemals so weit kommen müssen, Flanagan.“ Jetzt gerieten sich die beiden wirklich und wahrhaftig in die Haare, dachte ich, doch es war der Erste Offizier, Mister Finn, der vermittelnd eingriff. „Meine Herren, ich bitte Sie! Sie schlugen ein Wettsegeln vor, und daraus resultierte leider ein Unglück. Es ist nicht mehr zu ändern, und der Verlust, der Master Fleet traf, war hart genug. Soll man jetzt im Nachhinein darüber streiten? Finden wir uns lieber mit den Tatsachen
ab und seien wir froh, daß der Untergang des Schiffes keine Menschenleben gefordert hat.“ Flanagan sah seinen Ersten an, dann streifte sein Blick Master Fleet, und schließlich nickte er widerwillig. „Es bringt nichts ein“, sagte er, „unsere Ansichten darüber sind zu unterschiedlich. Lassen wir das Thema fallen.“ „Trotzdem ziehen meine Offiziere ihre Uniformen wieder an“, beharrte der Master starrköpfig. „Ich möchte Sie also dringend ersuchen“, sagte er zu uns, „daß Sie sich augenblicklich umziehen.“ „Aye, aye, Sir“, sagten Jonny und ich. Dann wiederholten wir das ganze Theater und zogen wieder unsere Uniformen an. „Das ist vielleicht ein sturer Querkopf“, fluchte Jonny, „eigentlich hat er an Bord überhaupt nichts mehr zu melden, aber er ist so stur wie eh und je. Der wird sich nie ändern. Jetzt können wir wieder rausgeputzt wie die Affen an Deck rumlaufen. Pickens hatte schon ganz recht, als er das von den dressierten Affen bemerkte.“ „Sollen wir uns auflehnen, Jonny? Wir unterstehen seinem Befehl und damit basta. Der Teufel soll's holen.“ Etwas später erschienen wir wieder an Deck, so, wie Fleet es gewollt hatte. Jetzt war er zufrieden, als wir wie zwei Gockel herumstolzierten, heimlich belächelt von manchen, bemitleidet von anderen, denn zu sagen hatten wir ja doch nichts an Bord. Wir waren sozusagen zwei Gastoffiziere, mehr nicht. * Vier Tage später, wir näherten uns schon der spanischen Küste, in Richtung Golf von Biscaya, gab es einen Zwischenfall mit Bruce Ellerton, der unsere Lage genau kannte und der auch wußte, daß wir nichts zu melden hatten. Er war von Haß bis zum Bersten erfüllt, und was er Fleet selbst nicht zurückzahlen konnte, wollte er nun an uns auslassen. Sein Unterkiefer war schwarz und blau verfärbt, wo ihn Master Fleets Faust getroffen hatte, und er konnte immer noch nicht richtig essen und mußte alles sehr vorsichtig kauen. Wir gingen gerade durch das Batteriedeck, als er uns plötzlich über den Weg lief. Wahrscheinlich hatte er uns aufgelauert. „Seit ihr beiden Mistkerle wieder an Bord seid, geht auch schon der Ärger wieder los, ihr Stinktiere. Euren verdammten Master knöpfe ich
mir gelegentlich mal an Land vor, das könnt ihr ihm meinetwegen bestellen. Aber mit euch beiden habe ich noch eine Rechnung offen, und die wird heute bezahlt.“ „Du hast von mir schon zweimal was in die Schnauze gekriegt“, sagte Jonny warnend. „Und du kannst auch zum drittenmal was vor dein großes Maul haben, Ellerton. Wenn du willst, jetzt gleich und hier auf der Stelle. Du brauchst nur noch einmal groß rumzuschreien.“ „Ich glaube kaum, daß ihr euch prügeln dürft“, sagte Ellerton gehässig. „Das wird euer Master gar nicht gern sehen, ihr aufgeputzten Affen.“ Er drehte sich blitzschnell um und zeigte uns eine Pistole. Beide Hähne waren gespannt, die Mündung zielte abwechselnd mal auf Jonny, dann wieder auf mich. „Die ist geladen“, sagte er grinsend. „Du Miststück“, die Pistole schwenkte zu Jonny hin, „wirst mir die Sau wieder vom Rücken tätowieren, die du mir mal aufgestochen hast. Hier ist eine Nadel, und dahinten steht eine Schale mit Milchwasser oder Kreide, oder was das für'n Zeug ist. Du tunkst die Nadel in das Zeug und stichst einen Punkt nach dem anderen wieder aus, Kleine Hölle. Und wenn du das nicht tust, dann ist mir das scheißegal, wenn einer von euch über die Klinge springt.“ Er öffnete seine Jacke und ließ sie zur Seite gleiten. Dann deutete er auf die gewaltige Sau auf seinem Rücken, die für alle Zeiten unauslöschlich eintätowiert war. Ich wollte zuerst auf ihn los, um ihm die Waffe zu entreißen, doch Jonny zwinkerte mir unmerklich zu. „Mach keinen Scheiß“, sagte er zu meiner Verwunderung. „Das ist die verdammte Sau gar nicht wert. Reden wir nicht mehr darüber, oder glaubst du, deswegen riskiere ich unser Leben?“ Ellerton war verunsichert und blickte uns an. „Versucht keine Tricks“, warnte er. „Du, Bonty, stellst dich ganz dicht vor mich hin. Ich drück dir das Ding hier in die Seite, und Kleine Hölle fängt unverzüglich an.“ Noch einmal zwinkerte Jonny mir zu und gab sich scheinbar geschlagen. Das entsprach nun gar nicht seiner Art, doch vielleicht hatte er wirklich die Befürchtung, Ellerton würde Ernst machen. Er nahm sich die Nadel, tunkte sie in die Flüssigkeit, wischte sie aber vorher wieder blitzschnell ab und stach zu. Punkt um Punkt stach er die Nadel in Ellertons Kreuz. Während der ganzen Zeit hielt Ellerton mir die Pistole in die Seite. Seine Hand
zitterte dabei leicht, und ich hatte ständig das unangenehme Gefühl, die Pistole würde gleich losgehen. „Auf diesen Tag habe ich gewartet“, sagte Ellerton. „Lange habe ich darauf gewartet. Sam hat mir damals gesagt, daß das nur mit dieser Flüssigkeit wieder weggeht.“ „Halt dein Maul“, sagte Jonny grob, „sonst steche ich daneben. Du kriegst von mir sowieso etwas vor die Klüsen, wenn ich die Uniform nicht mehr trage.“ Ellerton lachte laut. „Seit ihr bei diesem Master fahrt, habt ihr wesentlich mehr Schiß als früher, was! Der hat euch so richtig versaut. Wie weit bist du jetzt mit dem Ding?“ „Das wird noch eine Weile dauern“, sagte Jonny. „Und du wirst auch verdammte Schmerzen danach haben. Aber das ist noch nicht vergessen, Ellerton, mein Wort darauf.“ Wieder zitterte die Hand mit der Pistole. Ich wartete sehnlichst darauf, daß jemand im Batteriedeck erscheinen möge, oder daß Jonny sich einen Trick einfallen ließ, aber es war wie verhext. Ausgerechnet jetzt kam niemand, obwohl es Männer genug an Bord gab. Jonny machte weiter, tunkte die Nadel ein, streifte das Zeug wieder ab, und zwischendurch fragte Ellerton immer wieder, wie weit er jetzt mit der verdammten Sau endlich sei. Einmal versuchte ich mich leicht zu drehen, um Ellerton das Ding aus den Fingern zu schlagen, doch er paßte höllisch auf und genoß seinen Triumph gründlich. „Du stichst zu hoch“, sagte Ellerton plötzlich. „Da oben ist doch gar nichts mehr.“ „Das kannst du Blödmann auch gerade sehen“, meinte Jonny gereizt. Es verging fast eine halbe Stunde, ehe Jonny seufzend die Nadel weglegte und tief die Luft ausstieß. Da blitzte es plötzlich dicht vor mir auf. Ich wartete auf den bestialisch lauten Knall und dachte schon, EIlerton hätte jetzt die Nerven verloren. Ich begriff im Augenblick einfach nicht, was passiert war. Ellerton schrie laut und gepeinigt auf. Aus seinem Handrücken lief Blut, und die geladene Pistole flog ihm in weitem Bogen aus der Hand. Einen Lidschlag später war die Katze da, Pete Bird. Er hatte hinter einem Geschütz hervor gesehen was hier unten los war und sein Entermesser mit verblüffender Zielsicherheit geworfen. Noch während Ellerton zur Seite sank, war die Katze schon über ihm. Pete nutzte den Moment geschickt aus und hieb Ellerton die Faust mit
aller Kraft auf jene Stelle, die auch Master Fleet sich schon einmal ausgesucht hatte. Als Ellerton noch einmal brüllend auf die Beine kam, landete die Katze den zweiten Schlag und holte ihn von den Beinen. Jonny nutzte die Gelegenheit gleich noch einmal und drosch Ellerton die Faust an den Schädel. Der Schlägertyp ging jetzt endgültig auf die Planken. „Ich habe euch eine ganze Weile lang beobachtet“, sagte Pete. „Mir kam das so komisch vor. Und dann habe ich mich herangeschlichen und das Messer geworfen. Hab doch prima getroffen, wie?“ Er sah uns grinsend an und blickte auf den zusammengekrümmt auf den Planken liegenden Ellerton. Ich nahm schnell die Pistole an mich und warf sie an der halboffenen Stückpforte vorbei ins Meer. „Das hast du wirklich“, sagte ich erleichtert, „und dafür sind wir dir auch verdammt dankbar, Katze. Aber laß das nur niemanden erfahren, wir behalten das für uns, sonst gibt es hier mächtigen Ärger an Bord.“ „Ich sage nichts“, versprach Pete Bird, „und der sagt garantiert auch nichts, sonst landet er doch noch mal an der Rah, der Halunke. Ich verstehe nur nicht, weshalb du gleich so bereitwillig warst, Jonny. Du hättest doch normalerweise einen Trick versucht, um diesen Mistkerl reinzulegen.“ Jonny grinste über beide Ohren. „Ich wollte ihm den Spaß nicht nehmen“, sagte er schnoddrig. „Dreh den Kerl doch mal um und sieh dir seinen Rücken an. Der ist glatt zum zweiten Mal darauf reingefallen.“ Als wir Ellerton auf den Bauch wälzten, sahen wir die roten blutigen Punkte, die die Nadel hinterlassen hatte. Pete Bird begann zu grinsen, dann lachte er laut, und auch ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Kleine Hölle hatte wieder einmal Maßarbeit geleistet. Ellertons riesige auftätowierte Sau hatte jetzt zwei gebogene Hörner und sah direkt lächerlich aus. „Die Sau bleibt“, sagte Jonny trocken, „aber die Hörner werden nach einer Weile leider verschwinden, weil ich keine Farbe hatte. Ellerton wird sich aber auch so darüber freuen. Stimmt's, du Halunke?“ Wir wuchteten ihn hoch. Er war immer noch benommen, hatte aber wohl mitgekriegt, was wir sprachen. „Du hast jetzt eine Sau mit Hörnern drauf“, sagte Jonny freundlich. „Ich hoffe, du weißt das zu schätzen. Ich kann dir nur raten, dein großes Maul über den Vorfall zu halten, denn wenn jemand erfährt, daß du uns
mit einer Pistole bedroht hast, dann ziehen sie dich hoch. Und nun verschwinde, du Mistkerl, oder du kriegst gleich noch einmal eine anständige Tracht Prügel.“ Ellertons haßvoller Blick traf uns der Reihe nach. Er griff nach seiner Jacke und hob sie auf. „Irgendwann sprechen wir uns noch“, sagte er, „irgendwann einmal, wenn die Zeit wieder reif ist. Und dann geht es euch so dreckig wie nie zuvor. Und dich stech' ich dann ab“, sagte er zu Pete Bird. Doch der lachte nur. „Dann sieh nur zu, daß du dein Messer schneller zur Hand hast als ich“, meinte er kalt, „sonst ist deine gehörnte Sau beim Teufel.“ Ellerton wollte gehen, doch Jonny griff blitzschnell nach seiner Schulter und riß ihn herum. „Nur noch einen Arschtritt, Mister Ellerton“, sagte er, „den hast du wirklich verdient. Und ich wette, daß du so schnell nie wieder zu der Ehre kommst, von einem Schnallenschuh getreten zu werden.“ Sein rechter Fuß zuckte hoch und traf Ellerton mit voller Wucht in das verlängerte Rückgrat. Der Tritt war so hart, daß Ellerton, ohnehin geschwächt, gleich wieder auf den Planken landete. Dann aber verschwand er wie angestochen aus dem Batteriedeck und raste nach oben. Wir lachten erst einmal ausgiebig. Dann wurde es Zeit, ebenfalls wieder nach oben zu gehen, denn von dem Zwischenfall hatte zum Glück niemand etwas bemerkt. Nur Fleets Augen zogen sich leicht zusammen, als er uns sah. „Was haben Sie denn so lange da unten getan?“ wollte er wissen. „Nachgesehen, ob alles in Ordnung ist, Sir“, sagte Jonny, ohne rot zu werden. „Schließlich wollten wir nicht untätig herumstehen. Wir wissen doch, was wir uns selber schuldig sind, Sir, und da haben wir die Kanonen einer gründlichen Inspektion unterzogen.“ „Dazu hätten Sie die Erlaubnis von Master Flanagan einholen müssen“, mäkelte Fleet. „Ich bitte mir aus, mich zuerst von solchen Dingen in Kenntnis zu setzen, verstanden!“ „Aye, aye, Sir“, sagten wir schuldbewußt. Mister Pickens schüttelte den Kopf. Ich sah ihn heimlich grinsen. Flanagan sagte gar nichts, er wunderte sich nur wieder einmal über unseren Master. Aber Mister Bunk hatte etwas gerochen, und als wir auf der Kuhl waren, fragte er uns, was es gegeben habe.
„Ellerton wurde frech“, sagte Jonny, „und da haben wir ihn eben ein bißchen vermöbelt.“ „Dem Kerl schadet eine Tracht Prügel nichts“, meinte Mister Bunk, „der müßte jeden Tag mindestens einmal durchgewalkt werden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Master ihn an Bord behält. Vermutlich wird er in London bleiben, und vermutlich kriegt ihr wieder eine Heuer auf diesem Schiff.“ „Das wäre mein größter Wunsch“, sagte ich. „Ich hätte auch keine Einwände“, meinte Jonny. „Natürlich gehört erst ein anständiges Besäufnis dazu, sozusagen als Einstand. Aber das können wir ja bei Cookie in London nachholen.“ „Einverstanden“, sagte Mister Bunk lachend. „Dort gibt es immer Neuigkeiten zu erfahren, und wir werden das gebührend feiern.“ Die Bordroutine ging weiter. Wir waren jetzt soviel Leute, daß die Arbeit leicht von der Hand ging. Nur Fleet und Pickens gerieten öfter mal aneinander, denn Master Fleet wirkte immer irgendwie belehrend, wenn er etwas sagte, und das paßte Pickens verständlicherweise nicht. Pickens hielt auch nicht so auf Distanz zur Mannschaft, wie Flanagan es immer tat, und das paßte wiederum Master God nicht. * Tage später gerieten wir in der Biscaya in die gefürchteten Novemberstürme. Die „King Charles“ ritt riesige Wellen ab und kämpfte sich durch die See, die sich hoch auftürmte. Auf Steuerbord war jetzt die spanische Küste zu sehen, die wir ganz dicht anliefen, um an ihr Schutz zu suchen. Rasmus stieg wieder ein. Die „King“ donnerte durch die See und krängte so hart über, daß die unteren Rahen bereits durch das Wasser schleiften. Wir mußten Segel aufpacken und länger als einen ganzen Tag vor Topp und Takel lenzen. Der Sturm blies auflandig, und wir hatten alle Mühe, um nicht auf Legerwall zu geraten und an die spanische Küste geworfen zu werden. In der finsteren Nacht Anfang November segelten wir uns frei und setzten die Reise nach England durch den Kanal fort. Aber das Wetter änderte sich kaum. Immer noch stürmte es, die See ging hoch, und im Channel blies es einmal wieder ein paar Meilen zurück.
„Das ist um diese Jahreszeit meist so“, sagte Fleet auf dem Achterdeck. „Ich bin kurz vor dem Ziel immer dicht unter Lands End vor Anker gegangen und habe gewartet, bis es wieder abflaut. Ich kann Ihnen das nur empfehlen, Flanagan.“ „Ich bin auch schon einmal durch den Kanal gesegelt“, sagte Master Flanagan trocken. „Aber trotzdem vielen Dank für den Rat, Fleet.“ Dann ging es schon wieder los, und als Pickens sich einmischte, geriet Master Fleet wieder so richtig in Braß. Aber das amüsierte uns nur noch. Dann sahen wir im dunstigen Grau die englische Küste, und damit war die Reise so gut wie geschafft. Vier Tage später segelten wir die Themse hoch und legten endlich nach langer Fahrt und vielen Zwischenfällen in London an, wo die Ladung gelöscht werden sollte, die Flanagan an Bord hatte. Der Himmel war grau und diesig. über London pfiff ein hartes Wetter hinweg, doch wir lagen gut vertäut im Hafen, und jetzt wurden erst einmal die erforderlichen Formalitäten erledigt. „Ich unterstelle Sie während meiner Abwesenheit dem Kommando von Master Flanagan“, sagte Fleet zu Johnson, Jonny und mir. „Ich werde mich zunächst beim Königlichen Institut melden und mich dann an die Kaufmannsversicherung wegen der ‚Scout' wenden. Außerdem habe ich die Erbschaftsansprüche zu sichern. Ich werde also vor drei oder vier Tagen nicht zurück sein. Ich erwarte von Ihnen Disziplin, vorbildliches Benehmen und tadellose Kleidung. Sie sind noch nicht aus meinem Vertrag entlassen. Direkt unterstehen Sie Mister Johnson, der mich in meiner Abwesenheit vertritt. Solange Sie an Bord sind, unterstehen Sie natürlich auch Master Flanagan. Ich werde dafür sorgen, daß die Ladung von der Insel der sieben Tabus abgeholt wird und alle Formalitäten erledigt werden. Auf Wiedersehen, bis in ein paar Tagen, meine Herren.“ Fleet verabschiedete sich von allen für die nächsten Tage, bedankte sich bei Flanagan, Finn und auch Pickens und verließ die „King Charles“ in aller Herrgottsfrühe. Mister Pickens sah ihm seufzend nach. „Ein schwieriger Mann“, sagte er kopfschüttelnd, „aber auch ein guter Mann. Trotzdem ist es ganz erholsam, wenn er mal ein paar Tage lang wegbleibt.“ Auch Flanagan blickte ihm eine Weile nach, bis seine gedrungene Gestalt mit dem watschelnden Entengang und den nach auswärts gerichteten großen Füßen aus unserem Gesichtsfeld verschwand.
Dann wandte er sich an unseren Ersten Offizier Johnson. „Ich würde Ihnen empfehlen, Mister Johnson, Ihren Leuten Landurlaub zu gewähren. Sie scheinen es nach all der Aufregung nötig zu haben. Aber das liegt in Ihrem Ermessen.“ „Gewährt, Sir, ich bin damit einverstanden. Master Fleet hätte vielleicht anders entschieden, aber er ist ja nicht da. Und wenn Sie Landgang haben“, sagte er zu uns, „dann brauchen Sie die Uniformen natürlich nicht zu tragen.“ Das wurde natürlich mit Hallo und freudigem Gebrüll begrüßt, und es dauerte auch nicht lange, da flitzten die ersten schon los, als würden sie weiß Gottwas alles versäumen. „Und wir gehen heute nachmittag zu Cookie und saufen uns den Kragen bis oben hin voll“, schlug Harry vor. „Wer von den anderen will, der kann ja mitkommen.“ „Das ist ein Wort“, sagte ich, „da bin ich dabei.“ „Klar, das laß ich mir doch nicht durch die Lappen gehen“, meinte Kleine Hölle und rieb sich in der Vorfreude schon die Hände. „Ich müßte noch nach Liverpool“, sagte ich unbehaglich. „Ich habe Miff Mole versprochen, seine Eltern zu benachrichtigen. Aber das ist eine verdammt weite Reise, und die kann ich ohne Fleets Genehmigung nicht unternehmen.“ „Dann mußt du eben warten, bis Fleet wieder zurück ist“, sagte Jonny. „Das dauert ja ein paar Tage.“ „Mir bleibt nichts anderes übrig.“ Schon gegen Mittag trieben Jonny, China-Harry und ich uns am Hafen herum, horchten andere Leute aus, ob sie etwas über Zebulon Prescott wußten, und erfuhren zu unserem Erstaunen von einem Schiff der Company, daß einer der Deckhands einen Mann gesehen habe, auf den die Beschreibung passen würde. „Weißt du, wo er steckt?“ fragte Jonny begierig. „Keine Ahnung“, sagte der Mann, „aber er trieb sich hier mal am Hafen rum. Ein Riese von Gestalt, grauhaarig mit über die Schultern fallendem Haar. Vielleicht ist er das.“ „Dann fragen wir jetzt bei Cookie nach“, sagte China-Harry entschlossen. „Der weiß es mit Sicherheit, denn bei Cookie war er mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit.“ „Was heißt hier nachfragen“, meinte Jonny, „wir gehen zu Cookie saufen, und was wir erfahren wollen, erfahren wir nebenbei.“ Doch der Zufall bescherte uns Zebulon Prescott auf eine Art und Weise, die wir nicht für möglich gehalten hätten.
Zebulon Prescott war schon auf dem Weg zum Hafen, doch er war aufgehalten worden durch einen Umstand, an dem ein Mann wie Zebulon einfach nicht vorbei konnte. Rechts von uns lag der Marktplatz, und als wir gerade nach links abbiegen wollten, vernahmen wir von dort Gebrüll und Geschrei. Jonny blieb stehen und blickte hinüber, aber ich wollte ihn weiterziehen, denn ich hatte es jetzt eilig, zu Cookie zu kommen, um die Neuigkeiten zu erfahren. „Wenigstens mal nachsehen“, sagte Jonny, „sieht so aus, als würden dort drüben die Fetzen fliegen. Und weil wir keine Uniform tragen, können wir ja mal nachsehen, was da los ist.“ Am Marktplatz flogen wirklich die Fetzen. Etliche Männer waren ineinander verkeilt und hieben wild um sich. Einer flog über die Gemüsetische und landete hart auf dem Pflaster. Ein zweiter flog gleich hinterher und zertrümmerte weitere Tische und Stände. Ein anderer lag wie hingemäht auf den Katzenköpfen. Dann traf uns fast der Schlag, als wir ihn sahen. Er hieb sich mit gewaltigen Fäusten und einer unwahrscheinlichen Kraft den Weg durch die prügelnden Männer frei, schüttelte einen wie eine lästige Fliege von sich ab und ging weiter. Zebulon Prescott! „Das gibt's nicht“, sagte Jonny erschüttert. „An solche Zufälle mag ich nicht glauben.“ „Er ist es, bei Gott“, sagte ich. Wir rannten mit einem so lauten Gebrüll auf ihn zu, daß die letzten Kerle verängstigt nach allen Seiten stoben. Zebulon Prescott blieb stehen wie vom Donner gerührt und hatte fast Tränen in den Augen, als er uns sah. Dann kriegten wir ein paar Püffe ab, die uns fast über das Pflaster schleuderten, und hörten eine brüllende Stimme wie die des Erzengels Michael. „Das ist Gottes Fügung“, schrie er und schlug uns immer wieder auf die Schultern, daß es nur so krachte. „Das war kein Zufall. Ich wußte, daß ihr die Themse hochsegelt, einer von Cookies Kerlen hat es mir schon vor einer Stunde gesagt. Mein Gott, wie ich mich freue. Bonty, Jonny, Harry. Das ist mein schönster Tag, auf den habe ich verdammt lange gewartet.“ Er drückte uns an seinen gewaltigen Brustkasten, so daß wir kaum zu Wort kamen.
Ich war so gerührt wie lange nicht mehr. Die Freude war so groß, daß ich lange Zeit kein Wort hervorbrachte. Ich starrte dieses Gebirge von einem Kerl nur immer fassungslos an. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, Mister Prescott. Auch ich habe auf diesen Tag lange gewartet.“ Noch einmal drückte er mich an seine gewaltige Brust. „Mit dem Mister Prescott ist es zu Ende“, sagte er, „ab heute bin ich für dich nur noch Zebulon, mein Junge.“ „Danke, Zebulon“, sagte ich gerührt. Er war wirklich einer der besten Kerle, die es auf der Welt gab. Für diesen Riesen und Mister Bunk hätte ich alles getan und geopfert. Er zog uns gleich weiter in Richtung Cookies Inn. „Nichts hat augenblicklich mehr Bedeutung, als daß wir uns wieder getroffen haben“, meinte er. „Es gibt ja soviel zu erzählen, aber dazu müssen wir uns Zeit nehmen.“ „Was ist denn gerade eben Passiert?“ fragte Jonny. Zebulon wischte das mit einer Handbewegung weg. „Ein paar Kerle haben mich aufgehalten“, sagte er. „Da waren wieder diese wandernden Händler, die Splitter vom Kreuz unseres Herrn verkaufen wollten. Ich bin ja auch einmal darauf reingefallen, aber ein zweites Mal soll das keinem passieren. Und als ich sie darauf ansprach wurden sie frech und wollten mich verprügeln. Daraus ist allerdings nichts geworden.“ „Ja, daraus wurde nichts”, sagte China-Harry grinsend. „Das haben wir ganz deutlich gesehen.“ Zebulon ging in unserer Mitte zielstrebig in Richtung Cookies Inn, das wir nach zehn Minuten erreichten. Alles war wieder so vertraut, und mir wurde vor Freude ganz schwindlig zumute, als wir vor der Tür standen. Zebulon riß sie auf, und wir waren noch nicht richtig drin, als Cookie auch schon einen gewaltigen Freudentanz aufzuführen begann. Er benahm sich wie damals, als ich das erste Mal bei ihm war. Und dann wurde nur noch geredet, und Cookie brachte Bierkrüge angeschleppt. Etwas später erschien auch seine Frau Jane mit dem Jungen. Das kleine Kerlchen hatte sich mächtig gemausert und war um einen ganzen Kopf größer geworden. Dann setzte sich Cookie zu uns, und wir mußten erst einmal erzählen. Dazwischen wurde getrunken, was das Zeug hielt. Etwas später öffnete sich die Tür. Mister Bunk erschien, und wieder gab es eine riesige Begrüßung, die kein Ende nehmen wollte.
„Seit fast zwei Stunden weiß ich schon, daß ihr unterwegs nach London seid“, erzählte Cookie. „Und als ich Zebulon das erzählte, fiel er fast vorn Schemel. Er war gerade zufällig hier, und dann ist er rausgerannt wie ein Wilder.“ Cookie lachte und hieb die Faust auf den Tisch. Der Bursche hatte sich nicht im geringsten verändert und sah haargenau noch so aus wie ich ihn damals das letzte Mal gesehen hatte. Jane nahm bei uns Platz und versprach uns ein kräftiges Essen, das sie gleich auftischen wollte. „Erzähl du doch mal, Zebulon, was alles passiert ist“, forderte ich meinen alten Freund auf, doch der winkte ab. „Erst seid ihr an der Reihe. Was ich erlebt habe, ist nicht so weltbewegend. Das hat Zeit bis später.” „Wir sind wieder mal mit dem Schiff abgesoffen“, berichtete Jonny. „Das wird kurz vor England schon fast zur Tradition. Erst war es die ,Liberty`, und jetzt war es die ‚Scout', die uns unter dem Achtersteven absoff. Aber erst trinken wir noch einen. Die Luft ist hier so verdammt trocken.“ „Mann“, sagte Cookie, „das gibt ja wieder mal ein riesiges Besäufnis, wenn ich das richtig sehe. Darauf habe ich ja schon eine Ewigkeit gewartet.“ „Wir auch“, sagte Harry. „Und Jonny und Bonty haben es ganz besonders nötig, die haben nämlich einen Master, der verdammt mit dem Rum und den Rationen knausert. Die haben einen Nachholbedarf für mehr als ein ganzes Jahr.“ „Für drei Jahre, Sir“, sagte Jonny, der schon wieder den zweiten Humpen reinkippte. „Wir haben übrigens unterwegs die ,Sea Cloud' getroffen“, warf Mister Bunk in die Unterhaltung ein. „Es war eine unheimliche Begegnung. Wenn man den Sklavenfänger sieht, dann vergißt man ihn nicht so schnell.“ Cookie, der ja als Koch lange auf der „Sea Cloud“ gefahren war, verschluckte sich fast an seinem Bier. „Um Gottes willen“, sagte er erschrocken. „Die werden doch nicht etwa wieder hier aufkreuzen.“ „Keine Ahnung“, sagte Mister Bunk. „Er lief auf nördlichem Kurs und hätte uns beinahe gerammt. Ich sah nur die Augen von Pratt. Er blickte uns an, als wollte er uns durchbohren. Das Schiff verschwand ganz in unserer Nähe wie ein Geist. Wir sahen es danach auch nicht mehr wieder.“
Cookie schluckte, trank dann einen und begann sich reichlich unbehaglich zu fühlen. Aber wir lenkten ihn rasch ab, denn Jonny begann damit zu erzählen, was alles passiert war, und das nahm natürlich eine ganze Weile in Anspruch. Dann stand Cookie auf und schloß die Kneipe ab. „Für heute brauchen wir keine Gäste mehr“, sagte er entschieden. „Wir sind selbst genug. Ich muß unbedingt erfahren, wie es dann weiterging.“ Das erfuhr er auch, genau wie die anderen. Yes, Sir, und ich schäme mich auch nicht zuzugeben, daß es eine mehr als höllische Sauferei wurde, die bis weit in den anderen Tag andauerte, denn es gab ja soviel zu erzählen. Wir alle waren froh, daß wir unsere Freunde wieder hatten, und darauf tranken wir einen und noch einen und animierten uns gegenseitig. Irgendwann wurde es dann hell, aber da verschwamm mir schon alles vor den Augen. Was uns die Zukunft bringen würde, das sollten wir erst in den nächsten Tagen erfahren. Augenblicklich machten wir uns darum keine großen Sorgen. ENDE