John Grey
Der Tod des Häuptlings Ronco Band Nr. 345/50
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1...
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John Grey
Der Tod des Häuptlings Ronco Band Nr. 345/50
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun gerät zwischen zwei Fronten, und damit beginnt das ihm vorgezeichnete Schicksal. Taglio – Der alte Häuptling sieht das Sterben seines Stammes und kann nichts mehr tun. Donald Vance – Soll im Auftrag der Regierung mit den Apachen verhandeln – und tut etwas ganz anderes. Lightman – Der Apache haßt die Weißen und meint, Kampf sei besser, als zu verhungern.
Der Tod des Häuptlings 7. Januar 1882 Ich reite dem Ende des Regenbogens entgegen. Wieder liegen harte Tage und Wochen hinter mir. Manchmal habe ich gedacht, daß ich den nächsten Tag nicht mehr erleben würde, und dann habe ich viel an meinen Sohn gedacht, an Jellico, und an Manuela, die Frau, die ich liebe. Ich habe beide lange nicht gesehen, aber es ist zumindest eine Beruhigung zu wissen, daß Jellico gut aufgehoben ist, falls mir etwas passieren sollte. Es war immer gut zu wissen, daß es einen Platz auf der Welt gibt, wo man hingehört. Daß es jemanden gibt, der auf einen wartet, für den es sich lohnt, sich in acht zu nehmen und zu überleben. Das gibt Sicherheit. Das hilft, wenn es einmal schwierig wird, wenn man sonst vielleicht glauben würde, daß es sich nicht mehr lohne zu kämpfen und alles vorbei sei. Eines Tages werde ich Jellico und Manuela das Zuhause geben, das sie verdient haben, von dem ich immer geträumt habe. Manchmal habe ich gedacht, daß ein Mann wie ich niemals Ruhe finden wird. Inzwischen glaube ich wieder daran. Vor gut fünfzehn Jahren bewegten mich andere Gedanken. Meine Zukunft war völlig unsicher. Ich hatte noch keine genauen Vorstellungen, von meinem Leben. Zwar hatte ich mir schon die Hörner abgestoßen, und an Kampf und Abenteuer lag mir weiß Gott nichts mehr, aber beides wurde mein Schicksal und ließ mich nicht los. Bis auf den heutigen Tag. Ich war mit großen Hoffnungen nach Fort Calhoun geritten, um Scout im Apachenland zu werden. Auch diese Illusionen hatten sich längst abgeschliffen, dazu hatte es nur weniger Wochen bedurft. Tatsächlich wurde ich mit meiner Arbeit immer unzufriedener, weil ich täglich sah, wie wenig ich tun konnte, um das Schicksal der Indianer zu mildern. Ich hatte auch gelernt, daß es sinnlos war, alles, was an Unrecht geschah, der Armee anzulasten. Colonel Lester in Fort Calhoun war im Grunde genauso machtlos wie ich. Auch er
kriegte seine Anweisungen, und die Entscheidungen wurden von Männern gefällt, die weit weg waren und gar nicht wußten, was sie anrichteten. Es war ihnen wohl auch egal. Noch immer bereiteten mir die Waffenhändler erhebliches Kopfzerbrechen, jene Waffenhändler die sowohl die freien Apachenstämme als auch die Reservationsapachen mit Gewehren und Munition versorgten und anscheinend auf einen Aufstand hinarbeiteten, der ihnen noch mehr Geld, den Apachen aber nur noch mehr Unheil bringen würde. Die letzten Wochen aber waren ruhig verlaufen, obwohl ich überzeugt war, daß sich unter der ruhigen Oberfläche etwas bewegte. Der Waffenhandel war noch im Gange, es wurde geschickter agiert. Ich hatte wenig Möglichkeiten, der Sache weiter nachzugehen, da Colonel Lester das alles offenbar zu gering einschätzte und mich in meiner Aktivität bremste. Es gab genug andere Aufgaben. Auch wenn ich den Schmuggel nicht aus den Augen verlor, konnte ich den wenigen Spuren, die es gab, nicht so nachgehen, wie ich es gern getan hätte. Seit dem Frühjahr 1866 wurde zudem von Seiten der Behörden in Washington eine härtere Gangart in der Indianerpolitik eingeschlagen. Ich begriff das alles nicht, ich konnte nur hilflos dabei zuschauen, wie den Indianern, die im Vertrauen auf die Verträge und das Wort des weißen Mannes Reservationen bezogen hatten, zunehmend und sogar ganz offen immer neues Unrecht zugefügt wurde. Ich merkte auch, daß der Besatzung in Fort Calhoun nicht wohl zumute war, und wußte, daß Colonel Lester nichts weniger wollte als einen Indianerkrieg. Ich fühlte mich hin und her gerissen: Die Jahre, die ich bei Apachen zugebracht hatte, hatten mich entscheidend geprägt. Ich fühlte und dachte oft wie ein Indianer. Andererseits wußte ich, daß Widerstand gegen den Betrug nur ein erneutes Stück Untergang bedeutete, weil der weiße Mann es sich leisten konnte, Verträge zu brechen, denn er war in jedem Fall stärker. Ich war jedoch sicher, daß auch ich es nicht ständig hingenommen hätte, betrogen zu werden, und konnte die beginnende Unruhe unter den Apachen gut verstehen. Aber ich war Scout, ich stand auf der anderen Seite, auch wenn ich die Aufgabe hatte,
manchmal zu vermitteln. Mich bewegten keine guten Gefühle, als ich an den Sommer 1866 dachte.
1. Erst sah ich nur die Augen des Kindes. Der ganze Kopf schien nur aus Augen zu bestehen. Sie waren riesengroß und sehr trübe. Das Kind schrie. Sein Gesicht war flach und eingefallen. Die Haut war welk und runzlig wie von einem alten Mann, der kleine Bauch war unnatürlich aufgebläht. An Beinen und Armen bildeten sich Geschwüre. Das Kind schrie, bis ihm die Luft ausging. Nach und nach wurde sein Weinen leiser. Schließlich erstarb es. Aber der Mund schloß sich nicht, leise pfeifend entwich ihm der Atem. Auch die Augen waren noch immer weit offen und sehr groß. Die Mutter wiegte das Kind in den Armen. Sie war hager, knochig, ausgezehrt. Das Haar hing ihr strähnig um den Kopf. Sie war eine Apachensquaw. Chihuahua. Sie hockte vor einer verwitterten Hütte im Staub und beachtete mich nicht. Sie hatte den Kopf tief gesenkt. Es sah fast so aus, als würde der Schädel von ihrem dürren Hals fallen, wenn sie ihn bewegte. Ich hörte, daß sie auf ihr Kind einredete. Leise, raunend, unaufhörlich. Aber ich verstand nicht, was sie sagte. Das Kind atmete schwach. Der eingefallene Brustkorb bewegte sich nur wenig. Ab und zu zitterten die bleichen Lippen oder zuckte ein Muskel an Armen und Beinen. Obwohl die Sonne hoch stand, fror ich. Ich wandte mich ab. Vor mir stand Taglio. Er war ein Häuptling, der Älteste in der Reservation, der Weiseste, der Besonnenste. Sein faltiges, dunkles Gesicht war wie Leder. In seinen Augen spiegelte sich Kummer. Er war einen Kopf kleiner als ich und von breiter Statur. Trotz seines Alters war seine Haltung noch sehnig und kraftvoll. »Drei Kinder sind in den letzten Tagen gestorben«, sagte er. Ich hörte seine kehlige Stimme und wünschte mir, das alles wäre nicht wahr, sondern nur ein böser Traum. Als er sich in Bewegung setzte und die löchrige Decke fester um seine Schultern zog, schritt ich neben ihm her durch das Dorf. Ich
schaute mich nicht weiter um. Überall war es das gleiche Bild: magere Krieger, Frauen und Kinder, vor allem magere Kinder. Der Hunger sprang einem in die Augen wie ein böses Gespenst. Früher hatte ich einige Hunde in den Dörfern der Reservation gesehen. Jetzt sah ich keinen mehr. Wahrscheinlich waren sie geschlachtet und gegessen worden. Aber das mußte schon lange her sein. Die Kinder spielten nicht. Sie hockten träge vor den Hütten. Die Squaws bewegten sich müde und schlapp, Krieger waren nur wenige zu sehen. »Seit über zwei Monden hat es kein Fleisch gegeben«, sagte Taglio. »Wir essen Wurzeln, Beeren und Kräuter, dazu Maisfladen. Aber jetzt haben wir kein Mehl mehr. Wir werden alle verhungern.« »Ihr habt Anspruch auf Lebensmittel«, sagte ich. Gleichzeitig wußte ich, wie lächerlich das war, was ich sagte. Vor fast einem Vierteljahr war der Indianeragent abberufen worden. Seitdem war die Reservationsagentur verwaist, das Lagerhaus war leer. »Ihr habt einen Vertrag mit der Regierung. Euch ist versprochen worden, Lebensmittel in die Reservationen zu liefern. Der Vertrag muß eingehalten werden.« »Es ist niemand da, der uns Fleisch und Mehl gibt«, sagte Taglio. »Der Vertrag sagt, daß der Vertreter des Großen Weißen Vaters in der Agentur uns alles geben soll, was wir brauchen. Aber es ist kein Vertreter mehr da. Und der Vertrag sagt auch, daß wir nicht dort auf die Jagd gehen dürfen, wo unser Gebiet aufhört. In unserem Land aber gibt es kein Wild mehr, und die Fische im Rio Doro sind selten geworden. Wir werden alle verhungern.« »Ihr hättet ins Fort reiten sollen«, sagte ich und wußte, daß das nichts geändert hätte. Colonel Lester war nicht befugt, Lebensmittel an Indianer zu verteilen. »Wir hätten die Regierung benachrichtigen können, daß bis jetzt keine Lebensmittellieferungen gekommen sind.« »Der Weiße Vater weiß, daß wir Hunger leiden«, sagte Taglio. »Er weiß, daß wir Lebensmittel nur erhalten, wenn sein Vertreter in der Agentur ist. Aber es ist keiner da.« Er hatte recht. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Ich fühlte mich schäbig und erbärmlich, obwohl ich mit all dem hier nichts zu
tun hatte. Ich war Angestellter der Armee, nicht der Indianeragentur. Mich gingen die Lebensmittellieferungen an die Apachen nichts an. Ich war nur hier, um nach Wochen wieder einmal meinen Freund Little Raven zu besuchen, einen jungen Krieger, mit dem ich manchmal auf die Jagd ging, obwohl es im Reservationsgebiet so gut wie kein Wild mehr gab. Ich hatte Little Raven noch nicht gesehen. Nur den Hunger hatte ich gesehen – und Taglio, der sich über meinen Besuch gefreut hatte, als ob sein eigener Sohn eingetroffen wäre. Und das, obwohl ich eine weiße Haut hatte, obwohl ich zum Fort gehörte und häufig Dinge tun mußte, die gegen die Apachen gerichtet waren und in den Augen vieler Indianer sicherlich auch ein Vertreter derjenigen war, die sie jetzt elend hungern ließen. Aber ich hatte mich immer um Ehrlichkeit bemüht. Taglio wußte das. »Das Wild ist knapp geworden in unserer Gegend«, sagte Taglio. »Auch außerhalb unseres Gebietes. Es gibt kaum noch Büffel, auch die Antilopen werden weniger. Aber wenn wir unser Gebiet verlassen, um auf die Jagd zu reiten, werden Soldaten geschickt, die uns bestrafen.« »Kein Mensch kann euch bestrafen, wenn ihr friedlich jagt, um eure Squaws und Kinder zu ernähren.« »Der weiße Mann kann seine Verträge brechen«, sagte Taglio. »Wir dürfen das nicht.« »Ich werde mit Colonel Lester reden«, sagte ich. »Wir bitten um nichts«, sagte Taglio. »Wir Krieger ertragen den Hunger. Aber unsere Frauen und Kinder sollen nicht verenden wie Vieh.« »Ihr braucht um nichts zu bitten«, sagte ich. »Ihr habt einen Anspruch.« Wir erreichten die Hütte von Taglio. Da sah ich die jungen Krieger. Es waren fast zwanzig. Sie standen neben der Hütte und blickten uns entgegen. Krieger in meinem Alter und darüber. Little Raven war dabei. Er blickte mich an wie einen Fremden. Unweit von ihm stand Lightman, einer der Wortführer der Gruppe, die schon lange gegen einen Verbleib des Stammes in der Reservation eintrat. Ich kannte ihn gut und mochte ihn nicht. Er war unbesonnen,
aufbrausend und unvernünftig. Er vergaß immer wieder, daß die Apachen ständig weniger, die Weißen aber immer mehr wurden, daß die Indianer ihre Rechte anders durchsetzen mußten. Er konnte mich auch nicht leiden. Aber das war nichts Besonderes. Lightman konnte niemanden leiden, der nicht seiner Meinung war, ob weiß oder rot. »Was will der Mann aus dem Fort?« fragte er. Seine Stimme klang dunkel und drohend. Er hatte die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt. Sein Gesicht war breitflächig und grobknochig. Er hatte kleine, eng beieinander liegende Augen und eine stumpfe, kurze Nase. Seine Arme waren nackt. Er trug über dem Oberkörper nur eine einfache Kalikoweste. »Wir wollen niemanden von den weißen Betrügern bei uns«, fuhr Lightman fort, ohne auf eine Antwort seiner ersten Frage zu warten. »Ich bin kein Betrüger«, erwiderte ich. »Lightman sollte sich das, was er sagt, gut überlegen und seine Zunge hüten.« »Er ist mein Gast«, sagte Taglio. »Taglio ist ein weiser Mann, aber er sucht sich schlechte Gäste«, erklärte Lightman. Ich blickte Little Raven an. Er schaute durch mich hindurch. Sein Gesicht glich einer Maske. »Er ist ein Mann der Armee«, sagte Lightman. »Er schnüffelt für die Langmesser herum, um zu sehen, ob wir uns an die Lügenpapiere halten, die die Weißen Verträge nennen. Aber warum halten sich die Blaujacken nicht an die Papiere?« »Die Armee hat den Vertrag nicht ausgehandelt«, sagte ich. »Die Agentur ist verantwortlich, wenn ihr keine Lebensmittel erhaltet. Wir haben davon nichts im Fort gewußt.« »Ihr findet immer neue Ausreden, um uns betrügen zu können«, sagte Lightman. »Ihr seid niemals schuld.« »Ihr habt Anspruch auf Lebensmittel, also müßt ihr sie kriegen«, sagte ich. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. »Ich werde im Fort berichten, wie es hier aussieht.« »Du magst berichten, was du willst«, fauchte Lightman. »Aber geh und schweig. Wir ertragen Beleidigungen, und wir ertragen den Hunger. Aber wir ertragen keine Lügen mehr.« »Ich bin kein Lügner. Ich warne dich.«
»Wenn du meinen Gast beleidigst, beleidigst du mich«, sagte Taglio scharf. »Er ist ein Wurm!« Lightman grinste höhnisch. Ich trat an Taglio vorbei und blieb zwei Schritte vor Lightman stehen. Er blickte mir aus haßerfüllten Augen ins Gesicht. »Ihr leidet Hunger«, sagte ich. »Aber das ist nicht meine Schuld und auch nicht die Schuld der Leute in Fort Calhoun. Du wirst mich nicht länger beleidigen.« »Noch ist das Land hier unser Land«, erwiderte Lightman. »Hier bestimmen wir, wer es betritt und wer nicht. Geh und sag deinen Häuptlingen, daß wir noch nicht verhungert sind. Aber laß dich hier nie wieder sehen.« Lightman spuckte unvermittelt vor mir aus. Das war zuviel. Ich holte unwillkürlich aus und schlug ihn mitten ins Gesicht. Die Hand war zur Faust geballt. Ich traf Lightman voll zwischen die Augen. Er taumelte, ging in die Knie und stürzte auf den Rücken. Die anderen Krieger wichen zurück. Sie blickten mich feindselig an. Taglio wollte etwas sagen. Er wirkte bestürzt und besorgt. Ich schaute ihm in die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Er schwieg. Ich blieb mit hängenden Fäusten breitbeinig vor Lightman stehen, der betäubt wieder aufstand und ein wenig schwankte. »Das wirst du bereuen«, stieß er abgehackt hervor. Ich antwortete nicht, sondern nahm die Fäuste hoch. Ich hatte begriffen, daß ich nicht ungeschoren die Reservation würde verlassen können. Aber ich würde mich wehren, und ich hoffte nur, daß sie mir eine Gelegenheit dazu lassen würden. Sie schienen das Feld Lightman überlassen zu wollen, und das war mir recht so. Wut stieg in mir auf. Die Frauen und Kinder in der Reservation hungerten, aber Lightman war nur voller Haß und dachte an nichts anderes als Rache. Während Säuglinge vor Hunger schrien, wollte er mit mir kämpfen. Tausend Dinge waren jetzt wichtiger als gerade das, aber Lightman war nicht aufzuhalten. * Er schleuderte eine Handvoll Sand nach mir. Ich hatte nicht gesehen,
wie er ihn aufgehoben hatte und wurde völlig überrascht. Ich drehte den Kopf halb zur Seite und konnte ein wenig ausweichen. Ein paar Sandkörner drangen in meine Augen. Für Sekundenbruchteile war ich blind. Ich senkte den Kopf und wich instinktiv zurück. Die scharfen Sandkörner in meinen Augen brannten. Ein heftiger Schlag traf mich gegen die Stirn und warf mich fast zu Boden. Mühsam konnte ich mich auf den Beinen halten. Wie aus großer Weite hörte ich die Stimme Taglios, aber ich verstand nicht, was er sagte. Ich wich noch immer zurück. Mein Blick war noch verschwommen. Aber ich sah Lightman schon wieder. Er lachte und folgte mir. Verzweifelt warf ich mich nach vorn und rammte meinen Schädel in seinen Leib. Lightman stöhnte und stürzte auf den Rücken. Ich fiel mit ihm und griff blindlings mit beiden Händen zu, um seinen Hals zu packen. Er riß beide Knie an den Leib und traf mich wuchtig in den Bauch. Ich dachte, mein Körper würde explodieren. Stöhnend krümmte ich mich zusammen und rollte von ihm weg, aber ich konnte wieder sehen. Unter Schmerzen richtete ich mich bis auf die Knie auf. Irgendwie zwang ich mich hoch. Ich wußte, daß Lightman mich totschlagen würde, wenn ich unten blieb, und niemand würde ihn daran hindern. Er war vor mir auf den Beinen, aber ich griff ihn wieder an und umklammerte seine Knie, brachte ihn zu Fall und hielt ihn fest, bis der Schmerz in meinem Körper abgeklungen war. Er wand sich wie ein aufs Trockene geworfener Fisch. Er versuchte, mir seine Fäuste an den Kopf zu hämmern, aber ich ließ nicht los, erst als ich mich besser fühlte, und dann sprang ich auf und ließ Lightman keine Chance, auf die Beine zu gelangen. Als er versuchte, hochzuspringen, versetzte ich ihm einen Fußtritt gegen die Brust. Er warf die Arme hoch und kippte auf den Rücken. Sein Gesicht war wut- und schmerzverzerrt. Er versuchte abermals, mir Sand ins Gesicht zu schleudern. Aber diesmal paßte ich auf und trat gegen seine rechte Hand. Er schrie auf und wollte mich anspringen. Ich wich ihm aus, und als er hochkam, schlug ich ihm beide Fäuste ins Gesicht. Lightman fiel um. Er wollte noch einmal aufstehen, sackte aber
wieder zurück und blieb liegen. Ich spürte jeden Knochen in meinem Körper, aber ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. Die jungen Krieger standen wie eine Mauer und blickten mich schweigend an. Taglio wirkte noch älter, als er war. »Ihr solltet eure Köpfe gebrauchen«, sagte ich. »Ihr solltet nicht auf das Geschwätz von Lightman hören. Davon kriegt ihr eure Frauen und Kinder nicht satt.« Ich wandte mich Taglio zu. »Versuch, sie im Zaum zu halten«, sagte ich. »Ich werde im Fort berichten, wie es bei euch aussieht. Solange solltet ihr euch noch gedulden.« Er drückte mir stumm die Hand. Ich wandte mich ab, ohne die jungen Krieger weiter zu beachten. Als ich mein Pferd erreichte, hörte ich vom anderen Ende des Dorfes das Schreien einer Frau. Sie schrie wie ein angeschossenes Tier. Ich zögerte und wartete, und dann sah ich sie heranlaufen. Sie bewegte sich schwankend, taumelnd. Es war die Frau, die mir Taglio vorhin gezeigt hatte. Sie hielt ihr Kind in den Armen und hatte es gegen die magere Brust gepreßt. Der rechte Arm des Babys baumelte schlaff herunter, der kleine Kopf mit den riesigen Augen hing zur Seite. Die Frau schrie und schrie und schüttelte immer wieder wie wahnsinnig den Kopf mit dem strähnigen Haar. Sie lief an Taglio und mir vorbei und auch an den jungen Kriegern. Sie lief bis zum Ende des Dorfes. Das Kind in ihren Armen war tot. Ich schwang mich in den Sattel und nickte Taglio schweigend zu. Er schien es nicht zu bemerken. Ich hatte es sehr eilig, fortzureiten. Hilflose Verzweiflung, Scham und Bitterkeit stiegen in mir auf. Ich hielt den Kopf tief gesenkt und wußte, daß ich das Bild des verhungerten Kindes und seiner Mutter nie vergessen würde. Als ich die letzten Hütten passierte, um in die Prärie hinauszureiten, hätte ich fast den Krieger übersehen, der unvermittelt neben dem alten Fahrweg auftauchte.
Es war Little Raven. Er spähte zur Dorfmitte hinüber. Ich zügelte mein Pferd. »Guten Tag, mein Freund«, sagte ich. Little Raven blickte mich durchdringend an. Er war kleiner als ich, stämmig und geschmeidig. Sein Gesicht war breit, die Nase energisch nach vorn gewölbt, das Haar schulterlang. »Ich weiß nicht, ob ein weißer Mann mein Freund sein kann«, sagte er. »Man sollte sich ehrlich Männer als Freunde wählen«, erwiderte ich, »ohne darauf zu achten, welche Farbe sie haben.« Er ging nicht darauf ein. »Ein paar Krieger haben die Reservation verlassen, um zu jagen.« »Warum sagst du mir das, wenn du mir doch nicht glaubst? Wohin sind sie geritten?« »Nach Norden. Wenn die Soldaten sie finden, werden sie bestraft.« »Ich werde sie suchen«, sagte ich, »und sie warnen, aber ich würde an ihrer Stelle auch auf die Jagd gehen.« Er blickte mich schweigend an, ich hob die Hand zum Gruß und ritt an ihm vorbei. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß er stehenblieb und mir nachschaute. Ich lenkte mein Pferd nach Norden und ließ das Apachendorf hinter mir.
2. Erst fand ich die Spur. Sie begann nördlich des Reservationsdorfes und war leicht zu verfolgen. Am späten Nachmittag passierte ich die Reservationsgrenze und folgte der Fährte immer noch. Dann nahm ich den Rauch wahr. Sehen konnte ich ihn nicht. Es war nur ein schwacher Geruch, der anderen sicher entgangen wäre. Aber ich hatte zulange in der Wildnis gelebt, meine Instinkte waren geschärft. Ich wußte, daß die Indianer in der Nähe waren. Sie hatten ein Feuer aus sehr trockenem Holz angezündet, das mit fast unsichtbarem Rauch abbrannte. Ich hatte zuvor entdeckt, daß sie Jagdglück gehabt hatten. Sie hatten einen Pronghornbock und einen Präriehasen geschossen.
Ich ritt dem Rauch nach. Inzwischen befand ich mich inmitten des Farmlandes am Rio Doro. Die Gegend war von Hügelbuckeln durchzogen, es gab dichte Buschinseln und Strauchgürtel. Weit und breit kein Haus, keine Felder. Das Land hier war noch nicht besiedelt, auch wenn es als Heimstättengebiet ausgewiesen war und damit von Indianern nicht betreten werden durfte. Apachen, die ohne Erlaubnis das Reservationsgebiet verließen, wurden von der Armee als Feinde behandelt. Das stand im Vertrag zwischen der Regierung und den Indianern. Ich hielt das für einen großen Unsinn, denn wenn Apachen es wagten, Weiße als Feinde zu behandeln, die widerrechtlich in ihre Reservation eindrangen, war der Teufel los. Zwar war es auch den weißen Siedlern untersagt, die Reservation zu betreten. In Wahrheit aber hielt sich kaum jemand daran. Ich ritt zwischen den Hügeln hindurch. Das Büffelgras wuchs hier steigbügelhoch und war von der Sonne bräunlich versengt. Hier und da blühte bunter Salbei. Der Himmel dehnte sich ohne Wolke. Ein leichter Wind von Westen umfächelte mich, ohne Kühlung zu bringen. Als ich eine Hügelkette passiert hatte, sah ich in knapp zweihundert Yards Entfernung vor mir aus einer langgestreckten Bodenfalte eine Armeepatrouille auftauchen. Unwillkürlich schlug mein Herz schneller. Ich trieb meinen Hengst zu rascherer Gangart an. Es waren zehn Reiter in blauen Uniformen unter Führung eines Sergeants. Ich war sicher, daß sie weder die Spur gesehen noch den Rauch wahrgenommen hatten. Aber sie ritten in Richtung der Stelle, wo ich die Apachen vermutete. Obwohl ich schnell ritt, verschwanden sie vor mir in einer Senke, ohne mich zu entdecken. Ich beugte mich weit im Sattel vor und hämmerte meinem Hengst die Absätze in die Weichen. Vor mir fiel ein Schuß. Ich sprengte auf die Senke zu, in der die Soldaten verschwunden waren, und zügelte den Hengst am oberen Rand. Als ich hinunter spähte, sah ich die Indianer. Sie hatten ihr Lager im Schatten hoher Weidenbüsche aufgeschlagen. Es waren fünf Krieger. Sie standen neben dem Feuer
und blickten auf die Soldaten, die in knapp vierzig Yards Abstand einen Halbkreis gebildet hatten und ihre Gewehre in den Fäusten hielten. Ich trieb meinen Hengst wieder an und ritt in die Senke hinunter. Ein paar Soldaten wandten die Köpfe, als sie den Hufschlag hörten. Ich sprengte auf sie zu und zügelte mein Pferd neben dem Sergeant. Er hieß Andrew Muller. Ich kannte ihn. Ein kleines Licht. Er wurde nur für undankbare Aufgaben eingesetzt, langweilige Patrouillen etwa, oder für die Ausbildung von Rekruten, die für alles zu dämlich waren. Er war gutmütig, aber pflichtbesessen, ein Mann, der allem Ärger aus dem Wege ging, sofern es sich vermeiden ließ, und der meistens der Meinung war, daß sich das am besten bewerkstelligen ließ, indem er sich buchstabengetreu an die Dienstordnung hielt. Als ich ihn ansah, bemerkte ich Schweißperlen auf seiner Stirn. In seinen Augen flackerte es nervös. Die Situation überforderte ihn. Ich schob meinen Hut weit in den Nacken zurück und stützte beide Fäuste auf das Sattelhorn. »Tag, Sergeant«, sagte ich. »Gut, daß Sie da sind«, erwiderte er. »Sie sprechen doch deren Sprache.« Er deutete zu den Apachen hinüber. »Es ist geschossen worden«, sagte ich. »Nur ein Warnschuß«, sagte er. Er wischte sich mit dem Handrücken der Rechten den Schweiß von der Stirn. Seine Bewegungen wirkten fahrig und hektisch. »Wir müssen die Burschen mitnehmen. Sie sind außerhalb ihrer Reservation.« »Glauben Sie, daß die freiwillig mitgehen?« Ich spähte zu den Kriegern hinüber. Sie hielten die Gewehre in den Händen, hatten sie aber gesenkt. »Glauben Sie nicht?« »Nein«, sagte ich. »Ich würde es an ihrer Stelle auch nicht tun. Sie waren auf der Jagd, weil sie Hunger haben. Ich bin sicher, daß Sie in die Reservation zurückreiten, und das ist immer noch besser, als wenn sie vor Hunger über ein paar Farmen herfallen und Leute
umbringen.« »Mag sein«, sagte Muller. Er blickte an mir vorbei. »Aber der Vertrag besagt, daß sie nicht aus der Reservation 'raus dürfen. Ich kann sie nicht laufenlassen, sonst kriege ich Ärger.« »Sie kriegen erheblich mehr Ärger, wenn Sie versuchen, die Krieger mitzunehmen«, erklärte ich. »Die kriegen Sie nicht lebend nach Fort Calhoun, und ein paar von Ihren Leuten gehen auch drauf. Lohnt sich dieser Aufwand wegen der fünf hungrigen Indianer, die niemandem etwas getan haben?« »Sie haben gegen ihren Vertrag verstoßen«, beharrte Muller. »Gegen den Vertrag verstößt die Agentur bereits seit Wochen«, sagte ich und wurde ungeduldig. »Im Vertrag steht auch, daß die Reservation Lebensmittel in ausreichendem Maße zu erhalten hat. Wären die Lieferungen da, hätten diese Krieger dort die Reservation nicht verlassen müssen, um sich auf andere Weise ein Stück Fleisch zu beschaffen. In der Reservation verhungern die Kinder, Sergeant. Das ist auch Vertragsbruch.« »Ich hab meine Vorschriften«, sagte Muller. »Dann halten Sie sich an Ihre gottverdammten Vorschriften«, sagte ich, »aber wundern Sie sich hinterher nicht, wenn Colonel Lester Sie degradiert.« »Degradieren, mich?« Muller blickte mich an wie ein gehetztes Wild. »Ich halte mich nur streng an meine Befehle.« »Ab und zu sollten Sie vorher nachdenken, Sergeant«, sagte ich. »Ich reite jetzt zu den Apachen. In der Zwischenzeit sollten sie sich überlegen, ob sich der Aufwand und das Risiko lohnen, wegen fünf verhungerter Indianer.« Ich wartete nicht auf eine Antwort, sondern ritt an Muller vorbei auf die Indianer zu. Dabei hielt ich meine Hände so, daß sie sehen konnten, daß ich keine Waffe darin trug. Sie standen abwartend neben dem kleinen Feuer, über dem sie ein Stück Fleisch gebraten hatten. Das Feuer brannte langsam nieder. Sie schauten mir entgegen. Ich hatte sie alle schon gesehen, auch wenn mir ihre Namen nicht geläufig waren. Einen hatte ich ab und zu zusammen mit Little Raven gesehen. Als ich mein Pferd zügelte, fiel mir sein Name ein. Er hieß Ta-pe.
»Ich bringe euch Grüße von Taglio«, sagte ich. Ich beugte mich im Sattel vor. »Ich grüße dich, Ta-pe. Little Raven hat mich geschickt. Er hat gesagt, ich soll eurer Spur folgen und aufpassen, daß ihr nicht in Schwierigkeiten geratet.« »Du bist der Scout der weißen Soldaten«, sagte Ta-pe. »Sie halten ihre Gewehre auf uns gerichtet. Aber wir waren nur auf der Jagd. Wenn du bei Taglio warst, weißt du warum.« »Ich weiß es«, sagte ich. »Aber die Soldaten haben ihre Befehle und denken an den Vertrag, gegen den ihr verstoßen habt.« »Hat der weiße Mann nicht schon hundertmal dagegen verstoßen?« Ich nickte und sagte: »Ich will nicht, daß euch etwas geschieht. Die Soldaten sind in der Überzahl. Wenn sie euch angreifen, werdet ihr alle sterben.« »Was sollen wir tun?« Ta-pe blickte mich mit einer Mischung aus Zorn und Hilflosigkeit an. »Unsere Frauen und Kinder verhungern.« »Nehmt das Fleisch und bringt es in die Reservation«, sagte ich. »Jetzt sofort. Haltet euch nicht auf. Ich werde den Soldaten sagen, daß sie euch in Ruhe lassen sollen.« »Wir haben zu wenig gejagt«, sagte Ta-pe. »Entweder ihr kehrt sofort um, oder die Soldaten greifen euch an«, sagte ich. »Redet mit Taglio. Er weiß besser als ihr, was zu tun ist.« Ta-pe überlegte. Dann sagte er: »Wir brauchen Fleisch, aber wir werden in die Reservation zurückgehen. Wenn wir kein Fleisch kriegen, werden wir aber nicht bleiben.« »Was ihr später tut, ist jetzt egal«, erwiderte ich. »Jetzt habt ihr keine Chance, deshalb tut, was ich euch sage.« Ta-pe nickte. Ich zog mein Pferd herum und ritt zu den Soldaten zurück. Sergeant Mullers Erregung war in der Zwischenzeit gewachsen. Als ich ihn ansah, hatte ich den Eindruck, er stünde kurz vor einem Nervenzusammenbruch. »Wir greifen jetzt an«, sagte er, ohne mich zu Wort kommen zu lassen. »Feuer frei«, sagte ich. »Dann werde ich in Fort Calhoun dem Colonel berichten, daß ich die Apachen dazu gebracht habe, sich friedlich in die Reservationen zurückzuziehen und Sie sie völlig
grundlos angegriffen haben. Vertrag hin, Vertrag her: Sie haben nicht das Recht, Apachen, die Sie nicht bedrohen und die auch sonst niemanden bedroht haben, einfach abzuschlachten.« »Dann werden Sie uns ins Fort begleiten.« Mullers Stimme zitterte, genau wie seine Hände, die sich immer fester um die Zügel seines Pferdes krampften. »Zu was? Um vom Fort aus wieder in die Reservation geschickt zu werden? Wollen Sie sich lächerlich machen, Sergeant?« »Diesen Ton verbitte ich mir«, sagte Muller. »Sie sind Zivilscout, ich habe das Kommando über die Patrouille, und es ist kein ranghöherer Offizier hier. Sie haben nicht das Recht, mir etwas vorzuschreiben.« »Ich versuche nur zu verhindern, daß Fehler begangen werden«, sagte ich. »Ich bin Scout, weil ich von Apachen mehr verstehe als Sie. Wenn Sie auf mich hören, ersparen Sie sich Ärger. Oder sind Sie scharf auf ein kleines Gemetzel, Sergeant? Möchten Sie einmal, in Ihrem Leben ein paar Indianer besiegen?« »Das ist eine Unverschämtheit!« Muller zitterte jetzt am ganzen Körper. »Ich werde mich über Sie beschweren.« »Tun Sie das.« Ich spähte zu den Apachen hinüber. Sie brachen ihr Lager ab, löschten das Feuer, packten die Jagdbeute ein und beluden ihre Ponys. Sie kümmerten sich nicht mehr um die Anwesenheit der Soldaten. »Beeilen Sie sich, Sergeant«, sagte ich. »Wenn Sie ein Schlachtfest anrichten wollen, müssen Sie jetzt angreifen, sonst sind die Apachen weg.« Muller blähte die Backen auf, daß ich dachte, sein Kopf würde gleich platzen. Ich fühlte mich ganz und gar nicht so sicher, wie ich tat. Muller war dafür bekannt, daß er hysterisch reagierte, wenn er nicht mehr weiter wußte. Auf dem Exerzierplatz führte er sich in solchen Fällen wie ein wildgewordener Stier auf und hetzte die Rekruten herum, bis sie wie tote Fliegen liegenblieben. Wenn er jetzt die Nerven verlor, war es um die fünf Indianer geschehen und wahrscheinlich auch um einige von Mullers Soldaten. Ich konnte nur darauf hoffen, daß Muller Angst vor Schwierigkeiten hatte. Unvermittelt warf Muller den Kopf herum und ließ die
eingesogene Luft wieder ab. Er war puterrot im Gesicht. »Kehrt marsch!« brüllte er. »Wir reiten zurück ins Fort.« Mir fiel ein Tonnengewicht vom Herzen. Nach außen blieb ich eiskalt und tat so, als hätte ich nichts anderes erwartet, als sei mir das alles im übrigen völlig egal. »Sie hätten den Kriegern bei der Jagd helfen sollen, Sergeant«, sagte ich. »Dann hätten Sie sich nicht nur den Hintern heißgeritten, sondern ein gutes Werk getan.« Muller würdigte mich keiner Antwort. Die Apachen saßen auf ihren Ponys und ritten hintereinander her nach Süden. Ich sah sie hinter einem Buschgürtel verschwinden und trieb erst jetzt mein Pferd wieder an. Sergeant Mullers Patrouille hatte sich ebenfalls formiert und ritt in Zweierreihen westwärts. Ich überholte sie und lüftete meinen Hut, als ich an Sergeant Muller vorbeiritt. »Wir sehen uns im Fort, Sergeant«, sagte ich. »Ich werde Colonel Lester berichten, wie besonnen Sie gehandelt haben.« Sergeant Muller saß zusammengesunken im Sattel und schnitt ein Gesicht, das völlige Ratlosigkeit widerspiegelte. Er schien nicht zu wissen, wie er auf meinen Zuruf reagieren sollte, also reagierte er überhaupt nicht. Ich gewann rasch einen größeren Vorsprung. Vor mir färbte sich der Himmel rötlich. Die Dämmerung sank aus der Wölbung des Himmels, die Schatten wurden länger. Die kleine Patrouille blieb immer weiter hinter mir zurück. Als ich mich nach einer Zeit umdrehte, konnte ich sie in der Weite des Landes nicht mehr sehen. Ich war allein.
3. Ich hörte das Klirren eines Gewehrschlosses. Die Dunkelheit hing wie eine Decke aus dichtem Filz über Fort Calhoun. »Nicht schießen!« rief ich. »Ich bin's!« »Ronco?« »Ja«, sagte ich. Ich hatte den Hengst vor dem Tor gezügelt und
versuchte, den Posten auf dem Wachturm zu entdecken. Es war zu dunkel. Ich gewahrte nur für einige Sekunden einen hellen Fleck, wahrscheinlich sein Gesicht. Wenig später knarrten die wuchtigen Riegel in den Halterungen. Die Torflügel schwangen langsam nach innen. Ich ritt durch das Tor. Hinter mir wurde es wieder geschlossen. Die Riegel rasteten in die massiv geschmiedeten Halterungen ein. Von der Seite trat ein Corporal an mich heran. »Sie werden erwartet«, sagte er. »Hab ich Besuch?« »Gewissermaßen. In der Kommandantur.« »Ich wollte eigentlich erst morgen zurück sein«, sagte ich. »Der Colonel hat offenbar heute mit Ihnen gerechnet. Die Gentlemen warten noch.« »Gentlemen?« »Aus Washington. Sie sind heute eingetroffen.« »Ich kenne niemanden in Washington«, sagte ich. Ich trieb den Hengst wieder an und ritt über den großen Exerzierplatz zu den Ställen hinüber. Ich war müde und hatte mir im Laufe der Jahre angewöhnt, nie etwas zu überstürzen. Wenn tatsächlich Leute aus Washington da waren und auf mich warteten, dann konnten sie auch ein paar Minuten länger warten. Mein Pferd ging vor. Ich zerbrach mir auch nicht den Kopf darüber, was mir bevorstand. Ich würde es früh genug erfahren. Mich belasteten noch immer die Bilder des Hungers und des Elends, die ich in der Reservation gesehen hatte. Mich belastete auch die Sturheit von Soldaten wie Sergeant Muller, die Befehlen und Anweisungen ohne zu denken nachgingen. Auf diese Weise wurde viel Unheil angerichtet. Auch wenn ich mich nach außen über diese Männer lustig machte, wußte ich doch, welche Gefahr sie darstellten. Während ich mein Pferd abrieb und die Raufe mit Heu und Hafer füllte, dachte ich an die jungen Apachen in der Reservation. Sie würden sich nicht lange zurückhalten lassen. Es mußte etwas geschehen. Sonst würde sie ausbrechen und sich holen, was ihnen verweigert wurde.
Ich dachte an die Waffenhändler, die längs der Grenze ihre dunklen Geschäfte trieben. Die Zeit arbeitete für sie. Auch jene Behörden, die vorgaben, mit den Indianern Frieden zu wollen und dann gegen ihre eigenen Verträge verstießen, arbeiteten ihnen in die Hände. Aber vielleicht steckten jene Männer, die den illegalen Indianerhandel aus dem Hintergrund beherrschten, auch hinter der Taktik der Behörden, die für mich von Monat zu Monat unverständlicher wurde. Möglich war alles. Ich hatte derartige Andeutungen häufiger zu hören gekriegt, seit ich zum erstenmal auf den organisierten Schmuggel an der Grenze gestoßen war. Ich war der einzige in Fort Calhoun, der langsam zu begreifen begann, welche Dimension dieses schmutzige Geschäft tatsächlich hatte und welchen Einfluß es auf die Entwicklung der nächsten Jahre entlang der Grenze nehmen konnte. Jicarilla teilte meine Ansichten, der zweite Scout in Fort Calhoun. Colonel Lester, sonst durchaus besonnen und zugänglich, unterschätzte die Gefahr. Genauso verhielten sich seine Offiziere und Unteroffiziere. Aber ich war seit einigen Wochen sicher, daß es zumindest einen Mann im Fort geben mußte, der es, gleich mir und Jicarilla, besser wußte, der mehr wußte als Jicarilla und ich zusammen. Seit der junge, aufständische Apachenhäuptling Snakeman mit Hilfe eines Schlüssels, der seitdem verschwunden war, aus dem Arrestgebäude des Forts hatte flüchten können, wußte ich, daß ein Verräter im Fort war. Das war auch schon alles. Niemand außer mir hatte sich über den verschwundenen Schlüssel nach der Flucht Snakemans den Kopf zerbrochen, auch nicht über die Tatsache, daß Snakeman einer jener Häuptlinge gewesen war, die Beziehungen zu den Waffenschmugglern gehabt hatten. Es war ein sehr unbehagliches Wissen, denn es bedeutete, daß man auf einem Pulverfaß saß, dessen Lunte schon brannte, man wußte nur nicht, wo die Lunte sich befand. Hätte ich damals schon gewußt, was ich heute weiß, es wäre uns allen in Fort Calhoun und vor allem mir selbst eine Menge erspart geblieben. Aber ich wußte nicht, was mir noch bevorstand. Heute bin
ich sicher, daß mir ohnehin niemand geglaubt hätte, selbst wenn ich vor den furchtbaren Ereignissen, die so vielen Menschen das Leben kosteten und mein ganzes Leben so radikal änderten, klüger gewesen wäre und die Möglichkeit gehabt hätte, die Informationen weiterzugeben, die ich nach jahrelangem Kampf bis heute zusammengetragen habe. Ich wäre auf taube Ohren gestoßen. Ich spürte schon damals instinktiv, daß es besser war, über den bloßen Verdacht, daß sich ein Verräter im Fort befand, nicht zu reden. Ich hatte keinen Beweis, und der Mann wäre in jedem Fall gewarnt worden. Schlecht war dabei nur, daß ich auch keine Ermittlungen anstellen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, so daß ich mit meinem Wissen gar nichts anfangen konnte. Ich verließ das Stallgebäude und bewegte mich langsam zur Kommandantur hinüber. Noch immer hing die Nacht tintenschwarz über dem Land. Kein Stern. Auch der Mond ließ sich nirgends blicken. Ein paar Laternen brannten. In der Kommandantur brannte Licht. Durch ein hellerleuchtetes Fenster sah ich eine Gestalt am Schreibtisch sitzen. Unwillkürlich grinste ich, als ich die Tür aufstieß und eintrat. Corporal Jones hob den Kopf. Ich sah ihn selten, aber jedesmal hatte ich den Eindruck, daß er sich bald wirklich in ein altes Huhn verwandeln würde. Ihm fehlten nur noch die Federn. »Haben Sie eigentlich immer mitten in der Nacht Dienst, Corporal?« fragte ich. Jones mocht mich nicht. Ich war sogar sicher, daß er mich haßte. Seine Augen glichen denen einer Schlange. »Sie haben sich wie immer sehr viel Zeit gelassen«, erwiderte er. »Ich kann gleich wieder gehen, Corporal«, sagte ich. »Wenn Sie einen Blick in Ihren eigenen Dienstplan werfen würden, könnten Sie leicht feststellen, daß ich noch gar nicht hier zu sein brauchte. Es ist reiner Zufall, daß ich vor Ihnen stehe. Sie sollten sich darüber freuen.« Jones' Gesicht wurde noch um eine Idee griesgrämiger. Statt einer Antwort deutete er nur auf die Tür zum Office von Colonel Lester. »Ich danke Ihnen, Corporal«, sagte ich höflich und warf Corporal Jones ein Lächeln zu, das Eisberge zum Schmelzen gebracht hätte.
Aber Corporal Jones senkte nur den Kopf und schnitt ein Gesicht, als ob er am liebsten fauchen und spucken würde. Er hatte sich gut in der Gewalt. Ich betrat Colonel Lesters Office, ohne anzuklopfen. Der Raum war von intensivem Kaffeeduft erfüllt und vom schweren Rauch teurer Zigarren. Fünf Männer verstummten, als ich die Tür hinter mir schloß. Da war zunächst Colonel Hampton Lester. Er saß hinter seinem Schreibtisch und wirkte müde. Unweit von ihm hatte sein Adjutant Platz genommen, Major William Fly, ein hagerer, großer, schneidiger Kavallerieoffizier mit markanten Zügen und stechendem Blick. Ich konnte ihn nicht leiden. Er war zu glatt, zu arrogant. Er war rechthaberisch und eingebildet. Für die Indianer hatte er nicht das geringste Verständnis. Für ihn waren sie Feinde, egal ob sie frei lebten und kämpften oder friedlich in der Reservation wohnten. Er redete nicht darüber, aber ich war sicher, daß er gern zu einem Ausrottungsfeldzug gegen die Apachen aufgebrochen wäre. Er hatte schon früher mehrfach versucht, Colonel Lester in dieser Richtung zu beeinflussen, er hatte versucht, auf ihn einzuwirken, wenigstens eine härtere Haltung gegenüber den Apachen einzunehmen. Sein Einfluß auf Lester war groß, aber bis jetzt hatte bei dem Colonel noch immer die Vernunft gesiegt. Ich wußte, daß Fly gegen mich intrigierte, aber bis jetzt hatte es keine Folgen gegeben. Colonel Lester war manchmal doch klüger als ich dachte, aber ich bereitete mich darauf vor, irgendwann mit Fly einen größeren Zusammenstoß zu erleben. Die drei anderen Männer kannte ich nicht. Sie trugen dunkle Gehröcke, weiße Hemden und seidene Krawatten. Drei steife Hüte hingen an dem Hutständer neben der Tür. Diese Männer blickten mir besonders interessiert entgegen. Zwei waren sehr dick, einer sehr hager. Er hatte ein knochiges Gesicht mit einem zerrupften Kinnbart. Er glich fast ein wenig dem toten Präsidenten Lincoln, den ich von Bildern kannte. Aber das lag nur am Bart. Lincoln sah nämlich auf seinen Bildern alles andere als wichtigtuerisch aus. Die drei Männer aber, die Dicken und der
Hagere, gaben sich äußerst überlegen. Sie schienen den Eindruck um sich verbreiten zu wollen, daß auf ihren Schultern das Schicksal der Welt ruhte. »Guten Abend, Sir«, sagte ich. Ich nickte in Richtung Colonel Lesters und nickte auch Major Fly zu. Notgedrungen. »Ich habe damit gerechnet, daß Sie heute noch zurückkehren würden«, sagte Colonel Lester, nachdem er meinen Gruß erwidert hatte. »Zufall, Sir.« »Nehmen Sie Platz, Ronco. Die drei Gentlemen sind aus Washington hergereist. Mister Swift, Mister Randolph und Mister Vance.« Swift und Randolph waren die Dicken. Vance war der hagere Mann mit dein Bart. Ich zog mir einen Stuhl heran und setzte mich, nachdem ich den Hut abgenommen und auf meine Knie gelegt hatte. »Ich brauche Sie den Gentlemen nicht weiter vorzustellen«, fuhr der Colonel fort. »Ich habe sie bereits über Ihre Rolle hier unterrichtet.« »Es freut uns, Sie kennenzulernen«, sagte Vance. Seine Stimme glich dem Rasseln einer Klapperschlange. Er hüstelte nach diesem Satz. Ich wußte noch nicht, daß das eine Eigenart von ihm war, die mir noch früh genug zum Hals heraushängen sollte. »Die Gentlemen sind vom Innenministerium«, sagte Colonel Lester. »Sie sind wegen der Reservation hier.« »Das wurde auch Zeit«, sagte ich. »Wie darf ich das verstehen?« fragte Vance. Er reckte seinen Kopf vor und hustete. Ich blickte ihn an. Er schien der Sprecher der drei zu sein. »Sie werden mir nicht erzählen wollen, daß Sie darüber nicht Bescheid wissen, daß die Reservation am Rio Doro seit Monaten ihre vertraglich zugesicherten Lebensmittel nicht erhalten hat«, sagte ich. »Oder daß Ihnen unbekannt ist, daß seit Wochen die Agentur unbesetzt ist.« »Das wissen wir«, sagte Vance und hustete. Jetzt begann ich dieses eigenartige Hüsteln erst bewußt zu registrieren. Es stieg dumpf blubbernd aus seiner schmalen Brust auf
und endete mit einem rachitischen Krächzen. »Was Sie aber wohl nicht wissen«, sagte ich, »ist die Tatsache, daß in den letzten Tagen einige Kinder in der Reservation verhungert sind, daß es täglich mehr werden können und bald auch die Erwachsenen am Hunger sterben werden. Die Schwachen zuerst, die Stärkeren später, aber so viele Starke gibt es nicht mehr.« »Höchst bedauerlich«, sagte Mister Swift. Er hatte ein Gesicht wie ein Schwein und wußte wahrscheinlich gar nicht, was das Wort Hunger bedeutete. »Warum wird nichts dagegen getan?« fragte Mister Randolph. Er war glattrasiert und glatzköpfig. Seine Haut glänzte wie eine Speckschwarte. »Warum tun Sie nichts dagegen?« fragte ich. »Warum schicken Sie keinen neuen Agenten, warum schicken Sie keine Lebensmittel? Warum schließen Sie mit den Apachen Verträge ab, die es ihnen verbieten, die Reservationen zu verlassen, um wenigstens auf die Jagd zu gehen? Warum brechen Sie ständig die Verträge, die Sie selbst abschließen und verlangen von den Apachen gleichzeitig, daß sie sich buchstabengetreu daran halten müßten?« »Ich dachte, Sie seien Angestellter der Armee.« Vance hustete. »Die Armee hat sich mit den Problemen herumzuschlagen, die dadurch entstehen, daß von Washington aus Verträge ausgehandelt und gebrochen werden, wie es gerade paßt.« »Ist das auch Ihre Ansicht, Colonel?« Vance blickte Lester unwillig an. Lester lehnte sich zurück. Er schien sich im Augenblick nicht sehr wohl zu fühlen. »Die Scouts sind Zivilangestellte«, mischte sich Major Fly ein. »Sie vertreten häufig andere Ansichten als die offiziellen Vertreter der Armee und Behörden. Vergessen Sie das nicht, Gentlemen. Vor allem sind für viele die komplizierten Zusammenhänge der Indianerpolitik nicht so leicht zu durchschauen.« »Wenn Sie meinen, daß ich zu dämlich bin, zu begreifen, warum man mit einem Stamm einen Vertrag abschließt, um ihn dann verhungern zu lassen, können Sie durchaus recht haben«, sagte ich. »Aber wenn Sie ganz allgemein glauben, ich sei schwer von Begriff, dann können Sie wohl gut auf mich verzichten. Mein Rat scheint
Ihnen wenig wert zu sein. Mein Schlaf ist mir wichtiger.« Ich erhob mich und setzte meinen Hut auf. »Bleiben Sie hier!« rief Colonel Lester. »Die Gentlemen aus Washington wissen bestimmt alles besser«, sagte ich. »Die sehen zwar nicht so aus, als ob sie jemals in ihrem Leben einen richtigen Indianer gesehen hätten, aber das ist ja nicht wichtig. Dafür verstehen sie bestimmt mehr von Papieren, Verträgen und Behördentricks. Sie können allein in die Reservation reiten und den Apachen ein paar Vorträge darüber halten. Man wird sie bestimmt nicht verstehen, aber die Hauptsache ist ja, daß sie selbst wissen, was sie wollen. Die Meinung der Indianer ist ja genausowenig maßgebend wie meine. Gute Nacht, Gentlemen.« Ich wandte mich zur Tür. »Nun hören Sie zu«, sagte Vance. »Wir legen großen Wert auf Ihre Meinung. Wir sind nur überrascht, daß Sie als Angestellter der Armee sich so regierungsfeindlich äußern und so wenig Respekt zeigen.« Er hustete, und dieses Husten fing an, mich zu irritieren. Ich drehte mich wieder um und blickte ihn an. »Ich bin als Angestellter der Armee nicht verpflichtet, bei allem was die Regierung mit den Indianern anstellt, Hurra zu schreien«, erklärte ich. »Es gibt auch keinen Grund dazu. Und warum sollte ich Respekt zeigen, wenn ich noch vor ein paar Stunden gesehen habe, wie ein Indianerkind verhungert ist? Respekt könnte ich vor den Apachen zeigen, die diesen Betrug und diese Behandlung ertragen, ohne loszugehen und allen Weißen den Hals umzudrehen.« »Sie haben wirklich keine sehr freundliche Meinung von uns«, sagte Swift. »Reiten Sie in die Reservation. Sehen Sie sich die Frauen und Kinder an, aber auch die Männer. Sie haben seit Monaten kein Fleisch mehr gekriegt, und jetzt haben sie auch kein Mehl mehr.« »Die Abziehung des Reservationsagenten und das momentane Stocken der Lebensmittellieferungen hat seine Gründe«, sagte Vance. Er hustete. »Zweifellos«, erwiderte ich. »Alles hat seine Gründe, und wenn es darum geht, Indianer zu bescheißen, sind sie offenbar besonders
zahlreich.« »Ich muß doch sehr bitten.« »Setzen Sie sich wieder«, sagte Colonel Lester. Major Fly hatte hochmütig die Augenbrauen hochgezogen. Es schien ihm sehr zu gefallen, daß ich mit den Beamten in Streit geraten war. Mir wurde klar, daß ich mich beherrschen mußte, so schwer es mir fiel. Ich mußte erst einmal wissen, was die drei Männer aus Washington wollten. Auch wenn ich wenig Hoffnung hatte, so war es immerhin möglich, daß sie meinen Argumenten zugänglich waren. Wenn ich mich frühzeitig mit ihnen anlegte, würden sie bestimmt nicht mehr auf mich hören. Dann war Major Fly am Zuge, und er würde mit seiner Haltung für ein scharfes, rücksichtsloses Vorgehen gegen die Stämme sicherlich bereitwillige Zuhörer finden. Ich setzte mich und nahm den Hut wieder ab. »Wir sind eine Verhandlungskommission«, sagte Vance hüstelnd. »Wir sollen uns mit den Häuptlingen der Reservation treffen, um mit ihnen wegen des nördlichen Weidegebiets des Indianerlandes zu verhandeln.« »Was gibt es da zu verhandeln?« Vance hüstelte diesmal, bevor er antwortete. »Die Reservation ist zu groß«, sagte er. »Das Weideland wird gebraucht.« »Die Reservation ist lächerlich klein«, antwortete ich. »Früher hatten die Apachen alles Land hier, und es gab für sie überhaupt keine Grenzen.« »Diese Zeiten sind vorbei. Damit wird jeder hier leben müssen«, erwiderte Randolph. Er blickte mich tadelnd an und schien noch mehr sagen zu wollen, schwieg aber. »Jedenfalls brauchen wir das Land«, fuhr Vance fort. »Die Regierung braucht es, weiße Siedler brauchen es. Die Apachen werden mit dem verbleibenden Gebiet auch noch auskommen.« »Stück für Stück wird ihnen alles weggenommen«, sagte ich. »Erst die Freiheit. Dafür wird ihnen Land geboten. Wenn sie das Land haben, wird ihnen stückweise auch das Land weggenommen. Sie haben recht, Mister Vance: Wenn die Regierung die Apachen noch ein paar Wochen lang weiter so hungern läßt wie jetzt,
brauchen sie wirklich nur noch eine kleinere Reservation. Dann ist der Stamm nämlich nur noch halb so groß.« »Sie sind ein Zyniker«, sagte Mister Swift. »Ich bin Realist, und ich kenne mich aus«, sagte ich. »Ich bin lange genug hier, ich weiß, wie so was läuft.« »Wir wissen, daß Sie eine Zeitlang selbst unter Apachen gelebt haben«, sagte Randolph. »Das erklärt natürlich Ihre starke gefühlsmäßige Bindung und Ihre Einstellung.« »Das ist viele Jahre her«, erwiderte ich. »Ich war auch als Armeescout der Nordarmee im Krieg gegen den Süden. Wo waren Sie während des Krieges, Sir?« Jetzt hüstelte auch Randolph, es hörte sich verlegen an. Er wurde rot, sagte aber kein Wort mehr. »Wir sollten uns nicht gegenseitig die Vergangenheit vorhalten«, schaltete sich Vance wieder ein. »Die Frage ist auch nicht, ob wir selbst der Ansicht sind, daß es richtig ist, das bewußte Stück Land von der Reservation abzuschneiden, oder ob es falsch ist. Wir sind Beamte der Regierung und haben einen Auftrag zu erfüllen. Wir handeln nicht in unserem eigenen Interesse. Uns persönlich ist das Stück Land völlig egal. Wir haben bestimmt nicht vor, uns darauf niederzulassen. Wir werden froh sein, wenn wir wieder in den Osten reisen können. Wir sind nur hier, um die Verhandlungen zu führen.« »Ich fange an zu verstehen«, sagte ich. »In Washington ist man sich im klaren darüber, daß die Indianer das Land nicht freiwillig hergeben wollen. Ich würde das auch nicht tun. Also hat man sich gesagt, daß es nützlich sei, die Apachen unter Druck zu setzen. Man sperrt die Lebensmittellieferungen. Man zieht den Reservationsagenten ab. Und dann wartet man. Der Hunger wird die Apachen schon weich klopfen, so denkt man. Habe ich recht?« Vance antwortete nicht. »Sie sind jetzt hier«, fuhr ich fort, »um zu verhandeln. Daß Ihre Partner kaum noch Kraft zum Verhandeln haben, übersehen Sie einfach. Sollten die Verhandlungen nicht nach Ihren Wünschen laufen, müssen die Apachen eben weiter hungern. So haben Sie sich das doch gedacht, oder? Erst wenn die Häuptlinge den Verzicht auf das Land unterschrieben haben, natürlich zu einem möglichst
niedrigen Preis, gibt es wieder was zu essen. Ist das Ihre Verhandlungstaktik?« Ich merkte, wie es in mir wieder zu brodeln begann. Ich zwang mich dazu, so ruhig wie möglich zu sprechen, obwohl ich mir im klaren darüber war, daß das, was ich sagte, nicht dazu angetan war, die drei Beamten für mich einzunehmen, es lag mir eben nicht, zu heucheln. »Ich glaube nicht, daß es Ihnen als Scout zusteht, derartig über solche Fragen zu urteilen«, sagte Major Fly. »Sie können vielleicht so denken, aber sonst sollten Sie sich nicht einmischen.« »Ich habe gar keine Möglichkeit, mich einzumischen«, sagte ich. »Ich denke aber nicht nur, was ich will, ich sage es auch. Wenn Ihnen das nicht gefällt, kann ich sofort meine Sachen packen und gehen. Armeescout zu sein ist nicht das Paradies auf Erden, und einen Job finde ich überall. Verhungern werde ich nicht. Denken Sie nur nicht, daß ich von Ihnen abhängig sei.« Ich wußte, wie weit ich gehen konnte. Ich wußte, daß sie mich brauchten. Es gab in dieser Gegend niemanden, der sich als Armeescout verpflichtet hätte, der das Land so gut kannte wie ich, der die Sprache der Apachen sprach und der ihre Sitten und Gebräuche kannte, und mit ihnen umgehen konnte. Jicarilla, der zweite Scout, zählte in diesem Moment nicht. Er trank immer mehr, fing an, unzuverlässig zu werden und wäre auch sonst nicht in der Lage gewesen, die anfallenden Aufgaben allein zu lösen. Zudem wurde er als Halbblut nicht gern gesehen, weder bei den Weißen noch bei den Apachen. Er hatte es schwerer als ich. Ich hatte einen guten Stand, und im übrigen stimmte es, was ich zum Schluß gesagt hatte: Ich war wirklich nicht abhängig von der Armee. Ich hatte keine Familie zu versorgen, ich brauchte auch sonst auf nichts Rücksicht zu nehmen. Ich war frei wie der Wind und konnte von einem Tag auf den anderen davonreiten. Geld bedeutete mir nichts. Ich brauchte nicht viel, um leben zu können. Immerhin hatte ich jahrelang gelernt, in der Wildnis zu überleben. Dazu benötigte man keinen Cent. Ich hatte, seit ich in Fort Calhoun war, gute Arbeit geleistet und brauchte mich daher nicht maßregeln zu lassen. Zumal ich kein
Soldat war. »Wir sind nicht hier, um mit Ihnen zu verhandeln, sondern mit den Apachen«, sagte Vance. Seine Miene wirkte eisern. »Sie tun so, als solle Ihnen persönlich etwas weggenommen werden. Dabei wollen wir nicht einmal den Apachen etwas wegnehmen. Wir werden dafür etwas bieten.« »Das sind keine Verhandlungen, das ist Erpressung«, sagte ich. »Diese Entscheidung überlassen Sie besser den Häuptlingen. Wir brauchen Sie als Dolmetscher und als Kenner der Apachen.« Bevor ich antworten konnte, sagte Colonel Lester: »Sie können natürlich ablehnen. Dann nehmen wir Jicarilla. Oder die Gentlemen reisen ab, ohne daß es Verhandlungen gibt. Dann wird das Land einfach genommen. Diese Möglichkeit ist aber sicher nicht in Ihrem Sinne und in meinem auch nicht. Das würde nämlich bedeuten, daß wir voraussichtlich mit einem Krieg rechnen müßten, und ich möchte keinen Krieg führen. Fort Calhoun ist nicht stark genug, und ich sehe nicht ein, warum ich das Leben meiner Soldaten opfern soll.« Ich hatte wirklich ablehnen wollen, weil ich keine Lust gehabt hatte, als Gehilfe bei dieser Erpressung mitzuwirken. Aber was Colonel Lester sagte, ließ mich zögern. Mir blieb im Grunde keine Wahl: Ich mußte als Vermittler zusagen. Ein Indianerkrieg war das letzte, was ich wollte. Dagegen waren Verhandlungen in jedem Fall besser, auch wenn sie auf eine Weise eingeleitet wurden, die mir den Magen umstülpte. »Sollten Sie zusagen«, erklärte Vance hüstelnd, »möchte ich Sie bitten, daß Sie uns über die Führer der Apachen in der Reservation unterrichten, über ihre Persönlichkeit und ihre Eigenarten, über ihre Einstellungen und ihr Temperament. Wir müssen natürlich wissen, welchen Einfluß sie noch haben, denn es ist für uns sinnlos, mit Männern zu verhandeln, die das Ergebnis danach nicht in ihrem Stamm durchsetzen können. Sie sollten dann in die Reservation reiten und mit diesen Häuptlingen reden. Wieviel Sie ihnen vorweg sagen, überlassen wir Ihnen. Aber Sie müssen unsere Einladung zu den Verhandlungen übermitteln und die Häuptlinge dazu bringen, uns im Fort aufzusuchen.« »Warum reiten Sie nicht in die Reservation?« fragte ich.
»Fürchten Sie sich vor der Wirklichkeit?« »Wir sind immerhin Vertreter der Regierung«, sagte Randolph. »Die Apachen müssen wissen, wer hier das Sagen hat.« »Das ist allerdings ein Argument«, sagte ich ironisch. »Wir können auch in die Reservation reiten«, sagte Vance. Ich blickte ihn überrascht an, auch Randolph und Swift schienen damit nicht gerechnet zu haben. »Alles, was den Verhandlungen dient, um sie schnell und erfolgreich abzuschließen, soll getan werden«, sagte Vance. »Wenn Sie der Ansicht sind, daß es gut für die Atmosphäre zwischen uns und den Häuptlingen sei, wenn wir sie in der Reservation aufsuchen, dann können wir das auch tun. Wir wollen uns ja von Ihnen beraten lassen.« »Gut«, sagte ich. »Wenn die Sache überhaupt sein muß, dann sollten wir kein langes Hin und Her veranstalten, sondern so rasch wie möglich in die Reservation reiten. Keine Vorankündigung. Das ist nicht nötig. Wichtig ist, daß die Verhandlungen schnell vonstatten gehen, damit die Apachen wieder Lebensmittel erhalten. Sonst werden die Schwachen verhungern. Die jungen Krieger aber, Gentlemen, werden bestimmt nicht darauf warten. Sie werden vorher die Waffen nehmen, die sie noch haben, die Reservation verlassen und sich den kriegerischen Gruppen jenseits der Grenze anschließen. Dann kann dieses Land etwas erleben. Wenn Sie das nicht wollen, werden wir uns beeilen müssen.« »Wir haben kein Interesse an einem Indianerkrieg«, sagte Vance. »Allerdings verlangen wir, daß die Apachen sich an die bestehenden Verträge halten.« Ich lächelte müde, ich hatte keine Lust, mich schon wieder zu streiten. »Sie machen es ihnen sehr schwer, sich an die Verträge zu halten«, sagte ich. Ich erzählte ganz bewußt nichts von dem Zwischenfall in der Prärie, von den Apachen, die die Reservation verlassen hatten, um zu jagen. »Wir sollten in den nächsten Tagen reiten, schon übermorgen. Aber wundern Sie sich nicht, wenn sie von Kriegern empfangen werden, die jeden Glauben verloren haben und Ihnen nicht gerade freundschaftlich verbunden sind. Die Apachen
sind in einer Stimmung, die gefährlich ist. Der ständige Hunger läßt sie wild werden. Während ihre Frauen und Kinder sterben, beginnen sie an Rache zu denken.« »Wir reiten so, wie Sie es für das Beste halten«, erwiderte Vance. »Gut«, sagte ich. »Dann sehen wir uns morgen. Vielleicht ist es doch gut, daß Sie hier sind. Ich bin sehr müde. Entschuldigen Sie mich jetzt!« Sie nickten alle, nur Major Fly nicht. Ich erhob mich und ging hinaus. Dabei polterte es, denn Corporal Jones wurde von der Tür am Kopf getroffen. Er hatte am Schlüsselloch gestanden. Ich schloß die Tür hinter mir und ging grinsend an ihm vorbei. Er rappelte sich gerade vom Boden auf. Der Stoß des Türblatts gegen seinen Schädel hatte ihn umgeworfen. »Suchen Sie was, Corporal? Passen Sie auf, der Boden ist schmutzig. Sie könnten festgetreten werden.« Ich verließ die Kommandantur und gähnte, während ich über den dunklen Exerzierplatz zu meinem Quartier hinüberging. Jetzt wußte ich, warum die Apachen hungern mußten, aber das ließ die Bilder in mir nicht erträglicher werden. Ich hatte einen Scheißjob. Ob ich wollte oder nicht, ich mußte mich immer wieder an Dingen beteiligen, die ich zutiefst verabscheute. Jetzt ging es wieder darum, den Apachen erneut ein Stück Land abzunehmen. Weigerte ich mich, an den Verhandlungen teilzunehmen, würde es zwangsläufig einen neuen Krieg geben. Beteiligte ich mich aber, war ich auf eine Weise mitschuldig an dem, was den Indianern angetan wurde, auch wenn der Frieden erhalten blieb. Ich hatte keine Alternative und begann mit dem Gedanken zu spielen, Fort Calhoun zu verlassen und meine Arbeit hier aufzugeben. Ich wollte ein reines Gewissen behalten und nicht in ein System der Lüge, des Betrugs und der Erpressung eingebunden werden. Es würde schwer für mich werden, mich zu lösen, aber ich fühlte, daß es sein mußte. Als ich mein Quartier erreichte, nahm ich schon durch das geöffnete Fenster einen intensiven Alkoholgeruch wahr. Unwillkürlich schüttelte ich mich. Jicarilla war da, und er mußte
gewaltig getrunken haben. Es wurde immer schlimmer mit ihm. Ich vermutete, daß er unter dem gegenwärtigen Zustand im Apachenland litt, daß seine Hilflosigkeit ihn plagte und die Tatsache, daß er als Halbblut außer mir keinen Freund hatte. Ich konnte ihn verstehen, auch wenn ich nie auf den Gedanken verfallen wäre, meinen Kummer in Whisky zu ersäufen. Er lag angezogen auf seiner Pritsche, als ich eintrat, und schnarchte laut. Er bemerkte mich nicht. Normalerweise hätte ich bei diesem Gestank und dem Schnarchen Jicarillas nicht schlafen können, aber ich war so müde, daß mir alles egal war. Ich wollte an nichts mehr denken. Dazu war morgen Zeit. Ich konnte in diesem Moment doch nichts ändern. Das Elend würde über Nacht nicht verschwinden und ausgeschlafen war in jedem Fall besser damit fertigzuwerden. Ich hörte das Stundensignal des Postens auf dem Turm, dann schlief ich ein.
4. Taglio stand vor seiner Hütte. Die Sonne brannte, obwohl es noch früh am Tag war. Trotzdem hatte er eine Decke um die Schultern geschlungen. Wer hungerte, fror leichter, trotz der Hitze. Taglio blickte über das Dorf. Er hatte nicht gewußt, daß man Hunger riechen konnte, obwohl er sehr alt war und in seinem Leben sehr viele Erfahrungen hatte sammeln müssen. Taglio konnte den Hunger riechen. Er hatte einen widerlichen, üblen, fauligen Geruch, der von den Kotgruben am Rande des Dorfes heranstrich und von den Hütten und Zelten ausging, in denen Menschen vor Hunger krank geworden waren. Taglio hörte kein Kinderlachen, er hörte nicht die Stimmen der Frauen. Er sah kaum eine Bewegung zwischen den Hütten und Zelten. Er fröstelte. Irgendwie hatte er sich an das nagende, verzehrende Gefühl in seinem Leib gewöhnt, an das Knurren und Rumoren in seinen Därmen. Er war ein alter Mann, der gelernt hatte, viel zu ertragen. Er wurde mit dem Hunger fertig.
Bei den Kindern war das anders. Sie starben einfach. Erst wurden sie müde und schliefen viel, dann wurden sie so träge, daß sie sich nicht einmal erhoben, um Wasser zu lassen. Irgendwann hörten sie auf, zu sprechen oder Laute von sich zu geben. Und dann waren sie auf einmal tot. Ihre Haut war voller Geschwüre, ihre Bäuche aufgebläht, als hätten sie zuviel gegessen. Dabei waren sie leer. Taglio verstand das alles nicht. Für ihn war ein gegebenes Wort heilig. Die weißen Männer, die vor Jahren mit ihm verhandelt hatten, hatten ihm versprochen, daß es seinem Stamm nie schlecht gehen werde und er es nie bereuen würde, in die Reservation, gegangen zu sein. Taglio hatte dafür versprochen, sich an die Bedingungen der weißen Männer zu halten. Er hielt sich noch immer daran, und es schmerzte ihn, daß seine jungen Krieger auf den Vertragsbruch des weißen Mannes ebenfalls mit Vertragsbruch antworten wollten. Er verstand sie, aber er wußte, daß es falsch war. Er spürte aber auch, daß sein Einfluß schwand. Je stärker der Hunger wurde, je schlimmer die Verhältnisse in der Reservation wurden, um so leiser wurde die Stimme der Besonnenheit. Es bedurfte der Erfahrung, die Taglio besaß, um besonnen zu bleiben. Aber diese Erfahrung hatten nur wenige. Taglio stand reglos. Er fühlte sich schwach und leicht, deprimiert und gleichmütig zugleich, schaute über sein Dorf, dachte an die großen Zeiten des Stammes, die lange zurücklagen, roch den Hunger und das Elend und sah die jungen Krieger unvermittelt auftauchen. Sie wurden von Lightman geführt, der noch die Zeichen des Kampfes mit dem Scout der Armee im Gesicht trug. Die jungen Krieger vereinigten sich, je mehr sie sich Taglio näherten, zu einem festen Block. Es waren über zwanzig. Unweit von Taglio blieben sie stehen. Die Haltung des alten Häuptlings straffte sich, obwohl selbst diese geringe Anstrengung ihm unermeßlich schwer erschien. »Wir wollen mit dir reden«, sagte Lightman. »Wir haben schon lange nicht mehr geredet. Der Stamm hat sich lange nicht beraten, wie es früher war. Also haben wir uns beraten.« Taglio schwieg. Er blickte Lightman starr in die Augen. Der Krieger senkte den Kopf ein wenig.
»Früher«, sagte Taglio nach einer Weile, »war es üblich, ältere Krieger und Häuptlinge mit mehr Respekt anzusprechen.« Lightman warf den Kopf in den Nacken. Ein trotziger Zug kerbte sich in sein Gesicht. »Früher waren die Apachen frei. Ein Krieger war ein Krieger. Früher war alles anders. Heute gibt es fast keine Krieger mehr, es gibt nur noch wenig freie Apachen. Wir sind gefangen in Reservationen und in den Bedingungen der Lügenpapiere, die die Weißen Verträge nennen, zu denen unsere Häuptlinge sich haben überreden lassen.« Taglio ließ durch nichts erkennen, ob er sich getroffen fühlte. »Wir wollen reden«, sagte er. »Wann und wo?« »Jetzt und hier«, erwiderte Lightman. »Es ist keine Zeit zu verlieren, unser Stamm stirbt.« »Gut«, sagte Taglio. »Reden wir jetzt. Ihr habt euch beraten?« »Wir haben beraten«, erklärte Lightman. »Einige von uns wollen die Reservation für immer verlassen. Das Land um uns gehört den Apachen, wohin wir auch blicken. Es war nicht recht, dieses Land den Weißen zu überlassen und dafür diesen kleinen Fetzen Erde einzutauschen, auf dem wir nun leben müssen. Einige wollten die weißen Farmer verjagen und sich von ihnen das holen, was die weißen Männer uns nicht geben.« »Wir sind in die Reservation gegangen, weil wir zu schwach waren, weiterzukämpfen, und ich nicht wollte, daß wir alle getötet werden«, sagte Taglio. »Wir hatten nur die Wahl zu sterben oder mit den weißen Männern zu verhandeln. Zu der Zeit seid ihr noch Kinder gewesen. Wenn ihr jetzt unser Gebiet verlaßt, werden die weißen Soldaten erscheinen und auch alle erschießen. Es wird Krieg geben, und die weißen Männer werden uns auch noch dieses Gebiet wegnehmen, weil sie sagen werden, daß wir den Vertrag gebrochen hätten. Dann werden auch die Squaws und die Kinder sterben, die Kranken und die Schwachen.« »Sie sterben sowieso«, erwiderte Lightman. »Sie verrecken vor Hunger, und auch wir werden schwächer. Wir wollen nicht warten, bis wir zu schwach sind, uns zu wehren.« »Die weißen Männer sind zahlreich wie die Ameisen«, sagte
Taglio. »Wenn wir gegen sie kämpfen, werden wir untergehen.« »Wir werden nicht gegen sie kämpfen, wenn sie uns nicht dazu zwingen«, sagte Lightman. »Wir werden keinen Krieg führen, aber wir werden auch nicht hierbleiben und warten, bis der letzte verhungert ist.« »Was werdet ihr dann tun?« »Wir werden auf die Jagd gehen«, sagte Lightman. »Wir werden nach Norden reiten, einige von uns auch nach Süden, dort werden wir jagen. Wir werden uns von den Hütten der Weißen fernhalten, wir werden ihr Vieh nicht anrühren und auch nicht ihre Vorratshäuser. Wir werden Frieden halten, aber wir werden jagen, um unseren Hunger und den Hunger der Squaws und der Kinder zu stillen.« »Der weiße Mann wird nicht danach fragen, ob ihr in Frieden jagt«, sagte Taglio. Er blickte Ta-pe an, der unweit von Lightman stand. »Du warst auf der Jagd, und Soldaten haben dich entdeckt. Wenn der weiße Scout euch nicht geholfen hätte, hätten sie dich und die anderen getötet.« »Das ist wahr«, erwiderte Ta-pe. »Aber ich habe keine Furcht, und der Hunger meiner Squaw und meiner Kinder ist stärker als das Papier des Weißen Mannes.« »Ich wollte die Weißen verjagen«, sagte Lightman heftig. »Ich wollte ihre Häuser verbrennen, ihre Felder, ihre Frauen und Kinder töten. Die anderen wollen den Frieden bewahren, aber wir alle wollen jagen. Das Land ist unser, egal was in den Papieren der Weißen steht, und das Wild darin ist auch unser. Wir holen uns, was wir brauchen und kehren dann zurück. So ist es beschlossen.« »Ich kann euch nicht halten«, sagte Taglio. »Ihr tut, was ihr tun wollt und müßt. Ich weiß, daß ihr nicht auf mich hört, Du hast recht, Lightman, die Zeiten haben sich sehr verändert. Aber wenn ihr geht, dann bewahrt den Frieden. Wenn ihr kämpft, gehen wir alle unter.« »Ich glaube, daß es besser ist, im Kampf zu sterben, als zu verhungern«, erklärte Lightman. »Aber wir haben beschlossen, nicht zu kämpfen. Wir werden uns daran halten.« Taglio schwieg. Lightman musterte ihn unsicher und wandte sich ab. Die anderen hatten die Köpfe gesenkt, als sie sich umdrehten und
zusammen mit Lightman davongingen. Taglio blickte ihnen nach. Er sah sie am Ende des Dorfes verschwinden. Wenig später hörte er Hufschlag. Taglio ließ sich vor seiner Hütte nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die rissige Holzwand. Er dachte an seine eigene Jugend, als er selbst auf die Jagd geritten war, als er auch gekämpft hatte. Nicht nur gegen Weiße. Als er sehr jung war, gab es nur wenig Weiße in dieser Gegend. Aber gegen die Kiowas, auch manchmal gegen Comanchen. Gegen die Weißen erst später. Aber die Weißen waren sehr schnell mehr geworden. Taglio dachte an jenen Tag, als er einmal in einer der Städte des weißen Mannes gewesen war. Danach war er ein anderer Mensch geworden. Er hatte die Weißen wie die Ameisen auf den Straßen wimmeln gesehen, und von diesem Moment an hatte er gewußt, daß die Apachen den großen Kampf nicht gewinnen konnten. Sie waren zu wenige. Taglio trauerte nicht mehr über die Entwicklung. Er hatte sein Leben gelebt. Er wollte nur, daß sein Stamm die Zeit überdauerte. Taglio fragte sich, was in den Köpfen von Menschen vorging, die andere Menschen so erbärmlich hungern ließen. Er hatte viele weiße Männer kennengelernt, aber er hatte nicht gelernt, ihre Denkweise zu verstehen. Taglio fand keine Antwort. Resignation erfüllte ihn.
5. »Es stinkt«, sagte Mister Graham Swift. Er hockte wie ein Kartoffelsack im Sattel, hatte sich zum Schutz gegen die stechende Sonne einen überdimensionalen Hut aufgestülpt und reckte angewidert seine Knorpelnase in den Wind, der uns von Osten entgegenstrich. »Stinken alle Indianer so?« fragte Mister Graham Swift. »Ich habe schon davon gehört, aber …« »Sie stinken nicht mehr als Sie«, sagte ich scharf. Ich wandte den Kopf. »Für die Nase eines Indianers haben wir auch nicht gerade eine angenehme Ausdünstung. Es ist immer eine Frage des Standpunktes, Mister Swift, und das, was Sie jetzt riechen, ist das
Ergebnis des Hungers. Es riecht nach Krankheit. Sie werden gleich sehen, warum. Vielleicht haben Sie in Washington mal ein paar Bilder von Indianern gesehen. Gleich werden Sie sehen, wie wirkliche Indianer sind, vor allem, wenn sie jahrelang in einer Reservation mit den Errungenschaften und den Versprechungen des weißen Mannes beglückt worden sind.« »Wir sind hier, um zu verhandeln und uns zu informieren«, sagte Donald Vance. Er ritt unweit von mir und stellte sich weniger ungeschickt an als Swift und Randolph. Er saß aufrecht im Sattel und hatte sich den Bewegungen seines Pferdes angepaßt. Ihm war anzumerken, daß er nicht zum erstenmal auf einem Pferderücken saß. »Wir werden gewiß auch die negativen Dinge, die uns auffallen, in Washington berichten.« »Es stinkt trotzdem«, sagte Swift. Er zog ein blütenweißes Taschentuch hervor, holte aus einer anderen Tasche ein kleines, dunkelgrünes Fläschchen und träufelte Parfüm in das Taschentuch, das er sich dann mit der linken Hand vor das Gesicht hielt. »Hätten Sie regelmäßig Lebensmittel geschickt, würde es nicht stinken«, sagte ich. »Aber Sie wollten ja unbedingt mit hungernden Indianern verhandeln.« Die Dächer schäbiger Hütten tauchten vor uns auf, eingebettet in verwachsene, dornige Buschgürtel. In der Nähe floß ein schmaler Bach vorbei. Er mündete zwei Meilen weiter in den Rio Doro. Am Rande des Dorfes tauchte eine Gestalt auf, eine Frau. Sie stand wie ein schwankender Kornhalm da und spähte uns entgegen. Dann verschwand sie. Ich ritt voraus, gleich nach mir folgte Vance, hinter ihm Randolph und Swift. Den Abschluß bildeten sechs Kavalleristen unter Corporal Wayne. Vance hatte auf militärischer Begleitung bestanden, obwohl ich ihm davon abgeraten hatte. Sonst konnte ich mich nicht beklagen: Vance hatte mir am gestrigen Tag, als ich über die Verhältnisse in der Reservation mit ihm und den beiden anderen gesprochen hatte, aufmerksam zugehört und war auf einige meiner Vorschläge eingegangen, während Swift und Randolph am liebsten die geballte Macht der Regierung und der Armee demonstriert und die Apachen zur Entgegennahme behördlicher Anweisungen ins Fort befohlen
hätten. Swift und Randolph hatten nichts gegen einen offenen Konflikt mit den Indianern. Es war ihnen egal, welche Folgen diese Haltung haben konnte. Sie wußten, daß sie diese Probleme nicht auszubaden hatten, denn sie würden schon bald wieder nach Washington zurückkehren. Was danach an der Grenze los war, kümmerte sie einen Dreck. Aus Vance wurde ich nicht schlau. Mal gab er sich mitfühlend und anständig, dann wieder stur, eisig und völlig unnahbar. Ich wußte nicht, woran ich mit ihm war. Instinktiv hatte ich das Gefühl, daß Vance gefährlicher war als Swift und Randolph. Während diese beiden ihre Einstellung nicht verhehlten, hatte sich in mir die Vermutung festgesetzt, daß Vance einen eigenen Kurs steuerte, seine eigentlichen Ziele geschickt verbarg, nach außen hin mal den harten, mal den zugänglichen Verhandler spielte und im Grunde mehr wußte und wollte als Swift und Randolph. Er hatte mich nach den Verhältnissen in der Reservation und den einzelnen einflußreichen Kriegern ausgefragt, bis ich mir ausgequetscht wie eine Zitrone erschienen war, aber ich war mir nicht sicher, daß er all diese Informationen tatsächlich für die bevorstehenden Verhandlungen benötigte. Wozu er sie sonst benutzen konnte, war mir allerdings auch schleierhaft. Manchmal dachte ich auch, daß ich in den letzten Wochen zu mißtrauisch geworden war, zu vorsichtig und zu skeptisch gegenüber allen Behörden und ihren Vertretern. Vielleicht sah ich Gespenster. Hinter jedem Baum sah ich schon einen Indianerhändler, einen Waffenschmuggler, einen korrupten Beamten, einen kriegslüsternen Offizier. Hinter jedem Regierungsvertreter, angefangen mit der Indianeragentur, vermutete ich einen Betrüger, der zu nichts anderem da war, als den Indianern das Fell über die Ohren zu ziehen. Zugegeben: Grundlos war mein Mißtrauen nicht. Ich hatte bislang wenig Ehrlichkeit bei jenen Leuten kennengelernt, die offiziell mit Indianern umzugehen hatten. Dafür hatte ich viel Sturheit, Dummheit und Selbstherrlichkeit gesehen. Ich war voll davon bis obenhin. Ich hatte verlernt, zu vertrauen, und ich war nahe daran, das Hoffen zu verlernen.
Mir wurde dies bewußt, als ich mit Vance, Randolph und Swift auf das Apachendorf zuritt, und die Erkenntnis erschreckte mich. Ich mußte aufhören mit dieser Arbeit, bevor ich völlig verzweifelte und verbittert wurde, bevor meine ungewollte Verstrickung in das Unrecht, das den Indianern geschah, so tief wurde, daß mein schlechtes Gewissen mich umbrachte. Ich war als Scout nur ein kleines Rädchen in einem mächtigen Apparat. Ich konnte nichts aufhalten, ich konnte niemandem helfen. Ich diente, ob ich wollte oder nicht, nur der weiteren Unterwerfung der Indianer. An den Verhandlungen jetzt wollte ich noch teilnehmen. Ich hatte es versprochen. Aber danach würde ich mich lösen müssen. Wir passierten die ersten Häuser. Ein paar Menschen tauchten vor uns auf. Männer und Frauen, auch ein paar Kinder. Sie blieben am Rand des Weges stehen, der zwischen den Hütten hindurchführte. Aus großen, hungrigen Augen schauten sie uns schweigend an. Ich wandte den Kopf und sah Randolph und Swift kurz an. Ich sah Schweiß auf ihren Gesichtern. Swift preßte sich sein Taschentuch noch fester vor das Gesicht, und Randolph war blaß geworden und blickte wie hypnotisiert auf die mageren, halbnackten Kinder, die Frauen und Männer in Lumpen. Die Soldaten fühlten sich sichtlich unwohl. Sie ritten mit gesenkten Köpfen hinter uns her. Vance blickte starr geradeaus. Sein hageres Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Ich hätte eine Menge dafür gegeben, wenn ich gewußt hätte, was hinter seiner Stirn vorging. Ich wandte meinen Blick wieder nach vorn und sah Taglio. Er war sehr schmal geworden, sehr hohlwangig, seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Aber seine Haltung war noch immer straff. Er hatte eine alte Decke um die Schultern geschlungen und schaute uns entgegen. Ich trieb meinen Hengst zu etwas rascherer Gangart an, um vor den anderen bei Taglio zu sein, gewann etwas Abstand und erreichte ihn. Ich sprang aus dem Sattel und streckte ihm die Hand hin. Taglio schaute mir in die Augen und ergriff meine Hand. »Ich grüße dich, mein Freund«, sagte er. »Mein Herz ist froh, dich nach so kurzer Zeit schon wiederzusehen. Du hast den Kriegern Taglios geholfen, als die Soldaten sie in den Jagdgründen fern von
der Reservation entdeckt hatten. Dafür fühle ich mich in deiner Schuld.« »Du schuldest mir nichts«, sagte ich. »Wir sind Freunde. Zwischen uns gibt es keine Schuld.« »Wer sind die Männer?« Taglio blickte an mir vorbei. Ich drehte mich um. Vance, Randolph und Swift erreichten uns. Die Soldaten hatten in einigem Abstand die Pferde gezügelt. Aus den Hütten ringsum tauchten weitere Frauen und Kinder auf, auch ein paar Krieger. Sehr wenige Krieger. Ich registrierte es nur am Rande, aber ich fühlte eine leichte Unruhe in mir, die langsam zunahm. »Das sind Vertreter des großen weißen Vaters«, sagte ich. »Sie sind aus Washington hergereist, um mit dir zu reden.« »Ich sehe keinen Wagen mit Lebensmitteln«, sagte Taglio. »Wenn die Männer Vertreter des weißen Vaters sind, kennen sie den Vertrag. Vom Reden werden wir nicht satt.« Aus seinen Zügen war alle Herzlichkeit gewichen. Sie waren starr und abweisend. »Ihr kriegt, was euch zusteht«, sagte Vance. »Aber vorher haben wir zu reden. Ich bringe euch die Grüße des weißen Vaters. Wir wollten unsere Ankunft vorher anmelden, aber wir dachten dann, daß es besser sei, so schnell wie möglich hierher zu reiten. Willst du die anderen Häuptlinge zusammenrufen lassen?« »Wenn ihr reden wollt, könnt ihr mit mir reden«, sagte Taglio. Er blickte Vance, Swift und Randolph mit unbewegtem Gesicht an. »Wenn ihr mit mir redet, ist es so, als wenn ihr mit allen sprechen würdet.« Vance blickte mich einen Moment hilflos an. Ich nickte Taglio zu, und er drehte sich um und ging in seine Hütte. Wir folgten ihm. Die Hütte bestand nur aus einem Raum. Sie war einfach eingerichtet. Der Boden bestand aus gestampften Lehm. Wir ließen uns auf Decken am Boden nieder. Taglios Squaw hantierte an der Feuerstelle. Sie blickte uns scheu entgegen, reichte Taglio eine Maiskolbenpfeife und verschwand dann schweigend aus der Hütte. Taglio sog an seiner Pfeife. Er musterte erst Vance, dann Swift,
dann Randolph und schließlich wieder Vance. Mich ließ er unbeachtet. Mich kannte er. Die anderen kannte er nicht. Obwohl sein Gesicht ausdruckslos blieb, konnte ich an seinen Augen erkennen, daß ihm das, was er sah, nicht sonderlich gefiel. »Hat euch der große weiße Vater geschickt, damit ihr nachseht, ob wir bereits verhungert sind?« fragte Taglio unvermittelt. »Das Wohlergehen seiner roten Kinder liegt dem weißen Vater sehr am Herzen«, sagte Vance. Er warf mir einen auffordernden Blick zu, aber ich dachte gar nicht daran, etwas zu sagen. Mir stand ohnehin die unangenehmste Aufgabe noch bevor. Ich würde Taglio über den Verhandlungsgegenstand aufklären müssen, so war es vereinbart. Ich fühlte mich nicht im geringsten verpflichtet, Vance die unangenehmen Fragen Taglios zu ersparen. »Dann seht euch bei uns um«, sagte Taglio. »Und berichtet dem weißen Vater, wie wohl es uns ergeht.« »Ihr dürft nicht ungeduldig sein«, sagte Vance. »Ihr seht nur euch und euren Stamm. Aber Indianer gibt es überall. Immer mehr von ihnen gehen in die Reservationen. Alle müssen versorgt werden. Es kann immer mal Fehler geben.« »Wann erhalten wir Fleisch und Mehl und alles, was uns versprochen worden ist?« fragte Taglio. »So schnell es geht«, erwiderte Vance. »Aber erst müssen wir reden.« Er blickte mich wieder an. Jetzt konnte ich nicht anders. Ich rutschte unruhig hin und her, beugte mich vor und räusperte mich. Taglio wandte mir sein Gesicht zu. Ich blickte ihn an, und am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen, hätte mein Pferd bestiegen und wäre weit fort geritten. Ich sagte: »Die drei Männer wollen wegen der Reservation mit dir reden.« Ich sprach jetzt im Dialekt der Chihuahuas, und nur Taglio verstand mich. »Der Stamm ist klein. Der weiße Vater in Washington meint, daß ihr mehr Land habt, als ihr braucht, zumal es ohnehin kein Wild mehr hier gäbe. Er will ein Stück von eurem Land kaufen, das ganze Gebiet nordöstlich der Halcon-Berge. Die drei Männer sind hier, um dir dafür etwas anzubieten. Sie wollten, daß ich sie hierher führe, weil wir uns kennen und weil es meine Aufgabe
als Scout ist. Sie wollten auch, daß ich dir das sage, weil ich eure Sprache spreche und dir besser sagen kann, um was es geht, als sie es könnten. Ich weiß nicht, ob sie es ehrlich meinen, ich kann dir auch keinen Rat geben, ich weiß nur, daß sie nicht für sich selbst handeln, sondern im Auftrag. Es sind keine Häuptlinge wie du. Du kannst von ihnen nichts erwarten, was ihnen nicht vorher als Auftrag gegeben worden ist. Du sollst wissen, daß ich unglücklich bin, dir das sagen zu müssen.« Taglio hatte mit unbewegter Miene zugehört. Er sog an seiner Maiskolbenpfeife. Der Rauch, der uns einhüllte, roch scharf und würzig, aber nicht unangenehm. »Du bist mein Freund«, sagte Taglio, nachdem er mich lange Zeit schweigend gemustert hatte. »Ich danke dir, daß du die Männer begleitet hast, um mir das alles zu berichten. Es ist besser, ein Freund sagt einem solche Dinge, als wenn es jemand tut, der einem nichts bedeutet.« Ich war erleichtert, fühlte mich aber nicht besser. »Was hat er gesagt?« fragte Donald Vance. »Sie können jetzt mit ihm reden«, erwiderte ich, ohne auf die Frage einzugehen. »Taglio weiß Bescheid.« Vance blickte Taglio unsicher an. Swift tupfte sich mit seinem parfümgetränkten Taschentuch das feiste Gesicht ab, und Carl Randolph schwitzte, ohne es selbst zu merken. Er hockte reglos da und starrte fasziniert auf einen bemalten Schild hinter Taglio an der Wand, der an den Rändern mit Skalpzöpfen verziert war. Er schien gar nicht gehört zu haben, was wir gesprochen hatten. »Mein Freund hat mir berichtet, daß ihr hier seid, um uns wieder ein Stück Land wegzunehmen«, sagte Taglio. Er sagte es ohne jede Schärfe, aber auch ohne jede Klage. »Der weiße Vater muß ein armer Mann sein, wenn er ausgerechnet ein Stück von unserem Land braucht.« »Es wäre müßig, zu erklären, warum wir gerade dieses Land wollen«, erwiderte Vance. »Wir brauchen es, und wir werden dafür bezahlen.« »Hattet ihr so viel Angst, mir das zu sagen, daß ihr Soldaten mitbringen mußtet?« Taglios Stimme klang spöttisch. Seine Pfeife
war ausgegangen. Er legte sie zur Seite. »Wir sind als Freunde hier«, sagte Vance. »Aber wir kennen das Land nicht. Die Wege sind gefährlich. Reden wir von dem Land. Ihr braucht es nicht. Es liegt brach. Es gibt kein Wild dort. Dein Stamm ist zu klein, um es zu besiedeln. Es umfaßt eine Größe, wie wir es nennen, von über fünftausend Acres. Für jedes Stück Land, das wir ein Acre nennen, zahlen wir deinem Stamm fünf Dollar.« Taglio schwieg. Er glich einer Statue. Ich holte tief Luft und schloß für einen Moment die Augen. Es kostete mich Überwindung, zu dem lächerlichen Angebot von Vance zu schweigen. »Ihr wollt mir Geld zahlen?« fragte Taglio. »Was ist Geld? Es ist nichts. Es erscheint und vergeht wie der Wind. Wenn ihr etwas braucht, dann macht ihr es euch. Aber könnt ihr auch Land machen?« Vance schnaufte. »Die Erde ist unsere Mutter«, sagte Taglio. »In ihr ruhen die Gebeine unserer Vorfahren. Man kann seine Mutter nicht verkaufen.« »Wir brauchen das Land«, erwiderte Vance. »Wenn du kein Geld willst, dann sag uns, was du willst.« »Ihr kommt zu uns und wollt unser Land. Ihr fragt nicht einmal, ob wir bereit sind, es herzugeben. Ihr fragt nur, was wir dafür haben wollen, so als ob wir nicht mehr zu bestimmen hätten, was mit unserem Land geschieht.« »Wir könnten das Land einfach nehmen«, erwiderte Vance. Seine Stimme klang kalt. »Aber wir wissen, daß deine jungen Krieger das nicht hinnehmen würden, und wir wollen wegen eines Stücks Land keinen Krieg. Wir wollen weiter in Frieden mit euch leben.« »Ich weiß, daß wir schwach sind«, sagte Taglio. Er blickte zu Boden. »Ihr könnt uns alle töten, aber es würde euch nicht leicht werden. Auch ich will Frieden, weil ich will, daß mein Stamm lebt. Ihr habt uns Stück für Stück von unserem Land genommen, und immer war es das schlechteste Gebiet, das am Ende für uns übrigblieb. Aber jedesmal habt ihr uns gesagt, es sei das letztemal, es sei der letzte Vertrag, und er werde gelten, solange Gras wächst und die Flüsse fließen. Jetzt seid ihr wieder hier und wollt wieder ein Stück Land. Was wird am Ende noch für uns übrigbleiben? Und
wenn nichts mehr übrigbleibt, was wird dann aus uns, die wir noch leben?« »Ich verstehe dich nicht«, sagte Vance. »Wir sind nicht hier, um euch zu vertreiben oder euch alles zu nehmen, was euch gehört. Es geht nur um ein Stück Land, das ihr nicht braucht. Ihr verliert im Grunde nichts, aber ihr empfangt eine ganze Menge. Fünfundzwanzigtausend Dollar bietet euch der weiße Vater, dafür könnt ihr euch neue Hütten bauen, Windmühlen anschaffen und das Land bewässern und bebauen. Ihr werdet dadurch von den Lieferungen der Agentur unabhängig. Ihr könnt auch eine Schule bauen.« »Wir verkaufen das Land nicht«, sagte Taglio. »Wenn wir es hergeben müssen, dann werden wir kein Geld dafür nehmen.« »Wir sind hier um zu verhandeln«, erklärte Vance. »Du brauchst nur zu sagen, was du willst.« »Erst Lebensmittel für meinen Stamm, damit der Hunger aufhört.« »Nein, erst verhandeln wir«, sagte Vance. »Die Lebensmittel werden geliefert, sobald wir mit den Verhandlungen fertig sind und zurück nach Washington reisen. Vorher können wir keine Nachricht an unsere Behörde weitergeben, daß die Lebensmittellieferungen abgeschickt werden.« »Ihr wollt gar nicht verhandeln«, erwiderte Taglio. »Was wollt ihr wirklich? Bevor wir unser Land verkaufen, werden wir verhungern.« »Du solltest dich mit den anderen Kriegern beraten«, sagte Vance. »Ich möchte auch mit ihnen reden. Vielleicht sind einige dabei, die anderer Meinung sind als du. Die Zeiten haben sich geändert, du bist ein alter Mann, die jüngeren Krieger denken vielleicht anders darüber.« »Ich habe nur wenige junge Krieger im Dorf gesehen«, sagte Swift unvermittelt. Er hielt sein Taschentuch noch immer in der Hand, hatte es aber nicht mehr vor dem Gesicht. »Das ist mir auch aufgefallen«, sagte Randolph. »Nur Squaws und ein paar Kinder, kaum junge Männer.« »Wo sind die jungen Männer, Taglio?« fragte Vance. Ich hatte auf einmal einen Verdacht und fröstelte. Ich blickte Taglio an, dessen Gesicht aber blieb ausdruckslos.
»Es ist nicht nötig, daß sie dabei sind«, sagte Taglio. »Ich spreche für den Stamm. Ich treffe die Entscheidung. Wenn ihr glaubt, mit den jungen Männern leichter verhandeln zu können, dann irrt ihr euch.« »Ich will trotzdem mit ihnen reden«, sagte Vance. »Ich will wissen, was sie für Vorstellungen haben, was der weiße Vater für das Land bezahlen soll.« »Laß die Krieger rufen«, sagte Graham Swift. Taglio schwieg. Er schaute ins Leere. Ich schloß für einen Moment die Augen und fühlte Übelkeit. Sie verging sofort wieder, und ich hörte die kehlige, dunkle, rauhe Stimme Taglios sagen: »Die Krieger sind nicht da. Sie sind weg.« »Sie sind weg?« Carl Randolph zupfte an seiner Schnürsenkelkrawatte. Ich glaubte, in den Augen von Graham Swift ein triumphierendes Aufblinken zu bemerken, aber ich war mir nicht sicher. Vance nagte an seiner Unterlippe und schien für einen Moment in Gedanken versunken zu sein. »Wo sind sie hin?« fragte Swift. »Hungrige Männer gehen auf die Jagd«, sagte Taglio. Er wirkte gleichmütig und ruhig, aber ich kannte ihn besser und wußte, daß er von großer, innerer Anspannung erfüllt war und es ihn Mühe kostete, so gelassen zu bleiben. Ich vermutete, daß es eine Auseinandersetzung im Dorf gegeben hatte, und Taglio war dagegen gewesen, daß die Krieger auf die Jagd gingen und die Reservation verließen. »Der Vertrag mit euch verbietet euch das Verlassen der Reservation«, sagte Vance. »Dieses Gebiet ist euch als unantastbar zur Verfügung gestellt worden, solange ihr euch an die Vertragsbedingungen haltet. Alle anderen Leistungen der Regierung sind davon abhängig, auch die Lebensmittellieferungen.« »Wir haben sehr lange nichts zu essen erhalten«, sagte Taglio. »Von Verträgen, die nicht eingehalten werden, werden unser Squaws und Kinder nicht satt.« »Das sind Redensarten, die wir auch von anderen Stämmen bis zum Erbrechen immer wieder hören«, sagte Randolph. Seine Stimme hob sich. »Tatsache ist, daß mit euch keine Verträge abzuschließen sind, weil ihr gar nicht wißt, was Verpflichtungen bedeuten.«
»Ich würde an Ihrer Stelle nicht so schreien«, sagte ich. Am liebsten hätte ich Randolph einen Tritt in seinen dicken Bauch versetzt. »Sie fordern den Vertragsbruch heraus. Sie haben den Vertrag zuerst gebrochen.« »Halten Sie sich da raus«, schnauzte Randolph. »Reden Sie so, mit wem Sie wollen«, sagte ich. »Aber nicht mit mir, sonst können Sie was erleben!« »Wollen Sie mir etwa drohen?« »Ja«, sagte ich. »Ich will Ihnen drohen!« Randolph schnappte nach Luft wie ein an Land geworfener Fisch. »Tatsache bleibt, daß deine Krieger kein Recht hatten, die Reservation zu verlassen«, schaltete Vance sich wieder ein. Er kümmerte sich nicht um Randolph oder mich. Er blickte Taglio mit unbewegtem Gesicht an. »Ihr hättet vorher zumindest um Erlaubnis fragen müssen.« »Wenn unsere Kinder verhungern, fragt der Tod auch nicht um Erlaubnis«, sagte Taglio. »Die Krieger sind auf der Jagd, sie werden in Frieden durch das Land ziehen und zurückkehren, wenn sie Beute gemacht haben. Sie werden sich von den Häusern der Weißen fernhalten.« »Das glaubt er doch selber nicht.« Swift zerknüllte sein Taschentuch und stopfte es in die Hosentasche. »Das ist ein Aufstand, eine Rebellion.« »Wünschen Sie sich das lieber nicht«, sagte ich. »Dann würden Sie nämlich nicht mehr lange hier sitzen, und die paar Soldaten draußen könnten Ihnen auch nicht helfen.« »Ihr habt euren Vertrag gebrochen«, erklärte Vance. Es klang endgültig und kalt. Aus seiner Stimme war nicht herauszuhören, ob er sich darüber freute oder es bedauerte. »Unter diesen Umständen ist es unmöglich, weiter zu verhandeln. Euer Anspruch auf Lebensmittellieferungen ist damit verfallen. Ihr erhaltet nichts mehr. Wir werden weiter verhandeln, wenn die Krieger wieder in der Reservation sind. Wenn dies der Fall ist, kannst du mit den anderen Führern des Stammes nach Fort Calhoun kommen. Wir erwarten dich dort.« Vance richtete sich auf. Auch Randolph und Swift erhoben sich.
»Ich werde die Krieger suchen«, sagte ich. Zusammen mit Taglio stand ich auf. »Das geht Sie gar nichts an. Sie werden uns ins Fort begleiten«, sagte Swift. »Sie haben mir keine Befehle zu erteilen, merken Sie sich das, Swift«, erwiderte ich. »Sie sollten in diesem Land sehr vorsichtig mit dem sein, was Sie sagen. Wenn Sie hier jemanden beleidigen, könnte er Rechenschaft von Ihnen fordern. Haben Sie eine Waffe, Swift?« Swift wurde bleich. Er warf einen Blick auf den Griff meines alten Navy Colts, der sich wie ein Geierschnabel aus der Halfter an meiner rechten Hüfte bog. »Mich hat er auch bedroht«, sagte Randolph zu Vance. »Ich werde mich in Fort Calhoun beschweren.« »Ich bin damit einverstanden, daß Sie die Krieger suchen, die die Reservation verlassen haben«, sagte Vance. Randolph und Swift starrten ihn entgeistert an. »Wir haben nicht ewig Zeit«, sagte Vance. »Ich habe keine Lust, länger als nötig in Fort Calhoun zu bleiben. Sobald die Krieger wieder in der Reservation sind, können die Verhandlungen weitergehen.« Er wandte sich wieder Taglio zu. »In drei Tagen will ich euch in Fort Calhoun sehen. Wenn ihr bis dahin nicht auftaucht, werden wir zurück nach Washington reisen und dem weißen Vater sagen, daß ihr keinen Frieden mehr wollt.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ die Hütte. Swift und Randolph folgten. Taglio stand starr wie eine Statue da. Ich sagte: »Ich werde die Krieger holen. Ist Lightman bei ihnen?« Taglio hörte mich nicht. Ich trat an ihn heran und legte ihm die Rechte auf die Schulter. Er wandte mir den Kopf zu. Seine Augen waren stumpf, der Mund bildete einen dünnen Strich, die Mundwinkel zeigten nach unten. Sein ledern wirkendes Gesicht glich einer Versteinerung. »Ich hole sie zurück«, sagte ich wieder. Er nickte und sagte kein Wort. Ich ging hinaus und fühlte mich sekundenlang fähig, Vance, Swift und Randolph über den Haufen zu
schießen. Aber dieses Gefühl ging schnell vorbei. Es hätte sich nichts geändert, alles wäre vielleicht nur noch schlimmer geworden. Draußen stach mir die Sonne ins Gesicht. Ich blinzelte geblendet, als ich zu meinem Pferd ging. Vance, Randolph und Swift saßen im Sattel. Sie blickten zu mir herüber. »Ihr Verhalten war unerhört!« rief Swift. »Sie haben sich in die Verhandlungen eingemischt. Dazu hatten sie kein Recht.« »Welche Verhandlungen?« fragte ich. Ich schwang mich in den Sattel. »Die Vertreter der Regierung sind wir«, sagte Vance. »Sie sind nur als Vermittler für uns da. Sie haben offen für die Apachen Partei bezogen und damit die Verhandlungen gestört. Das geht auf keinen Fall.« »Ich hatte nicht das Gefühl, einer Verhandlung beizuwohnen«, erwiderte ich. »Sie haben diktiert, Sie haben angeklagt, Sie haben gefordert. Die Position der Apachen hat Sie gar nicht interessiert.« »Das ist nicht Ihre Sache«, sagte Randolph. »Ich habe nur verhindert, daß Sie sich in weitere Beleidigungen versteigen konnten«, sagte ich, ohne Randolphs Einwurf zu beachten. »Sie sollten eins nicht vergessen, Gentlemen: Diese Apachen mögen krank und schwach sein, aber glauben Sie nur nicht, daß sie ihren Stolz völlig verloren haben. Treiben Sie es nicht zu einem Punkt, an dem selbst einem friedliebenden Mann wie Taglio alles egal ist. Niemand von Ihnen ist kugelfest, und die Farmer dieses Gebiets haben nicht das geringste Verständnis dafür, daß man vom sicheren Washington aus die Indianer hier zu einem Aufstand treibt.«. »Ich verhandle nicht zum erstenmal«, sagte Vance. »Ich weiß, wie ich mit Indianern umzugehen habe. Man muß ihnen verdeutlichen, daß sie nur noch geduldet sind und sich zu fügen haben. Ich habe nichts gegen Indianer, sie sollen kriegen, was sie brauchen. Aber sie müssen begreifen, daß ihnen das Land nicht mehr gehört und wir auf sie keine besonderen Rücksichten nehmen können.« »Mit dieser Einstellung werden Sie den Frieden bestimmt bewahren«, sagte ich sarkastisch. Ich zog mein Pferd herum und ritt nach Norden aus dem Dorf. Als ich mich nach einer Weile umdrehte,
sah ich Vance, Randolph und Swift zusammen mit den Soldaten westwärts reiten. Swift hielt sein Taschentuch wieder vor dem Gesicht. Ich dachte an Taglio, und mir stieg die Galle hoch, wenn ich daran dachte, wie er behandelt worden war. Aber ich konnte es nicht ändern. Ich konnte nur versuchen, das Schlimmste zu verhüten und die jungen Krieger zur Rückkehr zu bewegen. Sonst war der Vorwand für eine Strafaktion da. Ich war sicher, daß Colonel Lester das nicht wollte, und für Taglios Stamm wäre es der Untergang. Drei Tage, hatte Vance gesagt, dann reisten sie wieder nach Washington ab. Dann würden keine Lebensmittel in die Reservation geschickt werden, sondern Soldaten. Nur drei Tage! Ich ritt schneller, mir blieb wenig Zeit.
6. Wind von Osten. Dunkle Wolkenballungen trieben über den nächtlichen Himmel. Kein Stern. Der Mond lag hinter einer Schicht milchigen Rauches, seine Konturen waren verschwommen. Die Wolken trieben an ihm vorbei, verdeckten ihn manchmal teilweise, manchmal auch ganz. Schließlich verschwand er völlig hinter einer Wolkenwand. Die Reiter zügelten ihre Pferde auf dem Hügel über dem Tal. Sie trugen lange Staubmäntel, die sich ab und zu im Wind bauschten. Die Hüte hatten sie tief in die Stirn gezogen. Auf der Farm im Tal rührte sich nichts. Hinter den Fenstern blieb es dunkel. Es waren vier Gebäude aus Holz, gedeckt mit Schindeln. In der Mitte des Hofes stand ein Brunnen, seitlich der Hütten ein Korral. Der Wind nahm zu und nahm ab, mal schwoll er böenartig an, dann wieder fächelte er mild über die Prärie. Es roch nach Regen. Die Wolkenwand am Himmel verdichtete sich. Der Mond blieb verschwunden. Die Männer auf dem Hügel trieben ihre Pferde wieder an und ritten ins Tal hinunter. Die langen Schöße ihrer Staubmäntel
flatterten. Die Mäntel ließen die Reiter eigenartig figurlos erscheinen, unwirklich und gespenstisch. Sie saßen vorgebeugt im Sattel. Der Wind zerrte an ihnen. Es waren sechs Reiter. Sie stiegen am Rand des Farmhofes von den Pferden und ließen die Tiere stehen. Hintereinander gingen sie über den Hof. Sie hielten Gewehre in den Fäusten. Sie sprachen nicht, schienen alles genau geplant zu haben und wußten, was sie zu tun hatten. Einer ging zum Stall, zwei andere zu den beiden Scheunen. Drei Männer bewegten sich auf das Haupthaus zu. Die Scheibe zersprang klirrend. Das Geräusch klang überlaut durch das schlafende Haus. Die Männer griffen durch die zerschlagene Scheibe und öffneten die Verriegelung. Dann stiegen sie durch das Fenster ins Haus ein. Es ging alles sehr schnell. Auf dem Hof wurden gerade die Tiere aus dem Stall getrieben, als die drei Männer im Haus die Treppe zum Obergeschoß hinaufstiegen. Oberhalb der Treppe tauchte ein halbnackter Mann auf. Vierschrötig, ein kantiger Schädel, Schnauzbart. Sein Haar war zerwühlt. Er wirkte verschlafen. In den Händen hielt er eine altertümliche Schrotflinte. Einer der Eindringlinge schoß sofort. Der Aufprall der Kugel riß den Farmer herum und schleuderte ihn gegen die Wand des Ganges. Er sackte auf die rauhen Dielen und rührte sich nicht mehr. Die drei Fremden überwanden den Rest der Treppe und eilten den Gang entlang. Aus einer Kammer ertönte ein Schrei. Im Türrahmen erschien eine Frau in langem Nachthemd. Die Männer auf dem Gang schossen. Zwei- oder dreimal. Die Frau wurde zurückgestoßen. Während zwei der Männer weitergingen und sämtliche Türen auf dem oberen Gang aufrissen, blieb der dritte bei den Leichen des Farmers und seiner Frau stehen und skalpierte sie. Er zerrte sie danach zur Treppe und stieß sie hinunter. Kinderweinen war zu hören. Ein Schuß fiel. Ein kleines Mädchen lief mit einer Puppe im Arm barfuß den dunklen Gang hinunter.
Ihr Schreien gellte durch das Haus. Der Mann auf dem Gang wandte sich wortlos ab und ging die Treppe hinunter. Hinter sich hörte er das Weinen des Mädchens und die schweren Schritte eines seiner Kumpane. Er hörte ein dumpfes Geräusch, und das Weinen brach jäh ab. Der Mann hatte den Fuß der Treppe erreicht, wo die Leichen des Farmers und seiner Frau lagen. Er bückte sich und schleifte erst den Mann auf den Hof hinaus, dann kehrte er zurück und holte auch die Frau. Den Mann ließ er neben dem Haus liegen, die Frau schleppte er bis zum Brunnen. Die beiden anderen Männer verließen das Wohnhaus und brachten die Kinder. Aus den beiden Scheunen schlugen Flammen. Das Vieh aus dem Stall lief verstört über den Hof und auf die Weiden hinaus. Hühner gackerten aufgeregt, eine Kuh schrie angsterfüllt, als sie in die Nähe der brennenden Scheunen geriet. Auch aus dem Stall schlugen Flammen. »Wir müssen uns beeilen«, sagte einer der Männer. »Es sieht nach Regen aus. Das Feuer darf nicht zu früh gelöscht werden.« Er ging zu seinem Pferd, während seine Kumpane wieder das Wohnhaus betraten. Als er auf den Hof zurückkehrte, leerten die anderen im Haus die Petroleumlampen auf die Fußböden. Wenig später zuckten Flammen auf. Das Feuer fraß sich die Treppe hinauf, es fraß sich über die Fußböden zu den Wänden. Ein paar Fensterscheiben zerplatzten in der Hitze. Das Feuer entwickelte sich sehr schnell. Der Anführer der Männer hielt jetzt einen Bogen in der Rechten. Er legte Pfeile auf die Sehne und schoß sie auf das Haus ab. Dann warf er dicht vor der brennenden Haustür einen Schädelbrecher mit zerbrochenem Schaft in den Staub. Er langte in seine Tasche und warf neben der Leiche der Farmersfrau ein paar Stachelschweinborsten und zwei Glasperlen zu Boden. Die beiden Scheunen glichen inzwischen zwei überdimensionalen Fackeln. Die Feuersäulen fraßen riesige Löcher in die Dunkelheit. Auch im Wohnhaus hatten die Flammen das Dachgebälk erreicht. Das Feuer prasselte, knackte und knisterte. Die Rauchwolken wurden
immer dichter. Funken sprühten wie Myriaden von Glühwürmchen. Der Wind drückte den Rauch auf den Farmhof hinunter. Der Rauch hüllte auch die Männer ein, die neben dem Brunnen standen und ihre Gewehre nachluden. Sie feuerten Kugeln auf das brennende Wohnhaus und den Brunnen ab und schossen auch in die Erde. Als glühende Aschenteilchen über den Hof getrieben wurden, drehten die Männer sich um und gingen davon. Ihre Pferde am Rand des Farmhofes scheuten und wieherten unruhig. Die Männer schwangen sich in die Sättel. Ihre Staubmäntel klafften auf. Sie trugen Mokassins an den Füßen, wie man jetzt sehen konnte. Ihre Pferde waren unbeschlagen. Der scharfe Geruch von Brand und Tod wehte über die Ebene. Die Männer zogen ihre Pferde herum und ritten südwärts. Sie hatten auf der Farm keine Zeit verloren, und auch jetzt hielten sie sich nicht auf. Der Sturm und die Nacht hatten etwas Böses in sich: Der Sturm übertönte den Hufschlag der Pferde, und die Dunkelheit schützte und deckte die Mörder. Sie ritten über die Hügel. Für einige Sekunden wurde der Mond zu einem Teil wieder sichtbar. Der silbrige Lichtstrahl flutete über das Land, tauchte die Reiter in einen bleichen Schimmer und erlosch sofort wieder. Die Reiter tauchten in der Weite des Landes unter. Sie ritten auf die Grenze zu. Buschgürtel tauchten vor ihnen auf. Der Boden wurde härter und nahm keine Spuren mehr auf. Hinter ihnen stiegen die Feuersäulen zum Himmel. Sie loderten glutrot wie ein Fanal. Der stetig anschwellende Wind trug den Brandgeruch weithin mit sich. Als die Reiter auf einen alten Fahrweg zur Grenze einschwenkten, fielen die ersten Regentropfen. Sie fielen dick und kalt und schwer. In der Ferne rollte dumpf ein Donner. Minuten später prasselte der Regen fadendicht nieder. Der Donner wurde lauter und folgte in immer kürzeren Abständen. Blitze durchzuckten wie glühende Lichtfinger Regenschleier und Dunkelheit. Überall bildeten sich riesige Pfützen und tümpelartige Wasserlachen. Der ausgetrocknete Boden verwandelte sich in grundlosen Morast. Die Konturen der Reiter verschwammen. Sie glitten
schemengleich davon. Hinter ihnen loderten noch immer die Flammen der brennenden Farm. Aber das Feuer wurde beständig kleiner, der Regen stärker, das Gewitter heftiger. Blitz und Donner jagten sich in immer rascherer Folge. Gleißende Lichtreflexe fluteten durch den Regen und verliehen der Landschaft eine seltsame, bleiche Starre, eine unwirklich erscheinende Leblosigkeit, etwas Alptraumhaftes. Die sechs Mörder waren verschwunden, der Regen fiel, das Unwetter tobte, und es war so, als hätte es sie nie gegeben. * Ich war naß bis auf die Haut. Meine Kleidung klebte am Körper. Die Krempe meines Hutes hing traurig nach unten. Das Leder meines Sattels knarrte vor Nässe bei jeder Bewegung. Der Wind hatte gedreht. Er strich von Westen heran, war mild und warm und atmete Trockenheit. Er trieb die letzten Regenwolken davon. Der Himmel war noch von blaugrauer Blässe, aber hier und da hellte es bereits auf. Einzelne Sonnenstrahlen brachen durch. Ich fror. Ich nahm die Decke ab, die ich mir um die Schultern gelegt hatte. Sie hatte keinerlei Schutz geboten und war so naß wie ein durchgeweichter Scheuerlappen. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Als ich hatte rasten wollen, hatte das Unwetter angefangen. Unter einem Busch zusammengekauert, hatte ich den Regen über mich ergehen lassen. Gegen Morgen hatte sich das Gewitter ausgetobt, aber geregnet hatte es noch immer in Strömen. Ich war die Warterei satt gewesen und hatte trotzdem mein Pferd wieder bestiegen, um weiterzureiten. Jetzt fühlte ich mich zerschlagen und hundemüde und spürte jeden Knochen in meinem Körper. Was ich brauchte, war ein heißes Bad, zumindest aber einen heißen Kaffee, in dem der Löffel stand. Aber ich sah nirgends einen trockenen Fleck, wo ich hätte rasten und ein Feuer anfachen können. Vor mir tauchten einige Hügel auf. Ich lenkte mein Pferd darauf zu. Der graublaue Schleier über dem Himmel riß auf. Auf einmal war die Sonne da. Sie stand schon ziemlich hoch, es war spät am
Vormittag. Die Pfützen und Lachen begannen silbern zu funkeln, die Luft erwärmte sich rasch. Ich erreichte die Hügel und ritt darüber weg. Gleich darauf sah ich die Ruinen der kleinen Farm vor mir. Schwarzverkohlte Balken ragten in den Himmel. Vom Haupthaus standen noch zwei Wände. Alles andere war niedergebrannt. In einiger Entfernung sah ich Vieh auf den Weiden stehen, unweit vom Haus stand ein reiterloses Pferd mit hängenden Zügeln. Ich ritt schneller. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Bevor ich die Farm erreichte, zog ich meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard. Ich zügelte mein Pferd am Rande des Hofes und glitt aus dem Sattel. Erst blieb ich stehen und schaute mich um. Nichts regte sich zwischen den Trümmern. Ich setzte mich in Bewegung und schritt langsam über den Hof. Am Brunnen blieb ich stehen, denn hier lagen die Leichen einer Frau und von zwei Kindern. Dicht am Haus sah ich einen toten Mann liegen. Alle waren erschossen und skalpiert worden. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich dachte an Taglio und den hungernden Stamm, dachte an Vance, Swift und Randolph, und ich dachte an Lightman und die jungen Krieger. Alles wirbelte in diesem Moment in meinem Kopf durcheinander. Verzweiflung stieg in mir auf. War alles schon zu spät? War das geschehen, was Taglio und ich befürchtet hatten, und was den Bürokraten in Washington nur recht zu sein schien: Waren die Apachen unter Lightman wieder auf den Kriegspfad gegangen? Ein Gewehrhahn knackte. Das metallische Geräusch riß mich aus meiner Erstarrung. Ich warf den Kopf herum und riß mein Gewehr hoch. »Keine Bewegung!« Die Stimme klang rauh, sie zitterte ein wenig. Es war die Stimme eines Mannes. Sie klang unsicher, angespannt. Das Pferd, dachte ich. Zum Teufel, natürlich! Aber wo hatte er sich versteckt?
Ich sah ihn hinter dem fast völlig erhaltenen Kamin des Wohnhauses hervortreten. Er hielt eine großkalibrige Schrotflinte auf mich gerichtet. Ich taxierte ihn schnell und schätze ihn sofort ein: ein Farmer, mittelgroß, breitschultrig, ein knochiges, nicht unsympathisches Gesicht. In seinen Augen flackerte Nervosität, auch Angst. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, seinen Namen wußte ich nicht. Ich konnte nicht alle Leute kennen, die sich in den letzten Monaten im Rio-Doro-Gebiet niedergelassen hatten. »Tun Sie das Gewehr 'runter«, sagte ich, als er aus den Trümmern des Hauses hervorstolperte. »Es könnte losgehen.« Er stand jetzt keine fünf Schritte von mir entfernt und musterte mich eingehend. »Ich kenne dich«, sagte er nach einer Weile. »Natürlich«, sagte ich. »Mein Name ist Ronco. Ich bin Scout der Armee in Fort Calhoun.« Er ließ das Gewehr sinken. Seine Hände zitterten. Mit einer hilflosen Bewegung deutete er auf die Trümmer ringsum und auf die Toten. »Diese Schweine«, sagte er. Seine Augen glänzten plötzlich feucht. »Diese Teufel, diese dreckigen Hunde. Ausrotten sollte man sie alle. Ausrotten!« »Wen meinen Sie?« fragte ich. »Sie sind Scout, nicht wahr? Haben Sie keine Augen im Kopf?« »Die Apachen waren bis jetzt immer friedlich«, sagte ich. »Bis jetzt, ja, bis jetzt!« Er starrte mich anklagend an. »Bei diesen Wilden weiß man nie, was in ihren Köpfen vorgeht. Das sind Raubtiere, unberechenbar. Sehen Sie sich nur um!« »Ich sehe.« Ich verkniff mir jede weitere Antwort. Der Mann war nicht bei Sinnen und hätte gar nicht verstanden, was ich sagte, ich konnte ihn verstehen. Wenn ich nicht schon – so jung ich war – soviel Tod und Leid gesehen hätte, hätte ich vielleicht genauso reagiert wie er. Aber ich hatte niedergemetzelte Indianerdörfer genauso gesehen wie überfallene, niedergebrannte Farmen. Ich hatte Leichenberge auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges gesehen und im
Revolverduell getötete Männer. Der Tod war nichts Neues für mich. Er hatte seine Schrecken für mich längst verloren. Trotzdem konnte ich noch immer trauern, und darüber war ich froh, denn das bewies mir, daß ich trotz meiner bitteren Erfahrung noch weit davon entfernt war, abgestumpft zu sein. Ich bin es bis heute nicht. Der Tod eines Menschen läßt mich auch jetzt noch nicht kalt. Und das ist gut so. Ich ging an dem Farmer vorbei und bückte mich nach einem zerbrochenen Schädelbecher. Ein Stück daneben sah ich Glasperlen und Stachelschweinborsten und den vom Regen fast weggewaschenen Abdruck eines Mokassins. »Die Armee muß in die Reservation reiten und aufräumen«, hörte ich den Farmer hinter mir sagen. »Ich werde mich freiwillig zur Verfügung stellen und mitreiten. Die anderen Farmer sicher auch. Wir werden es auslöschen, dieses rote Gesindel, dieses Ungeziefer!« »Wann haben Sie den Überfall entdeckt?« fragte ich und zwang mich, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. Ich durfte mich nicht über den Farmer aufregen, das würde seinen Zorn nur verschlimmern. Ich sah im Geist bereits bewaffnete Farmer gegen die hungernden Frauen und Kinder von Taglios Stamm reiten. »Bevor das Unwetter anfing, haben wir das Feuer gesehen, meine Frau und ich«, erwiderte er. »Gegen Morgen bin ich losgeritten.« »Es waren keine Indianer«, sagte ich. Ich trat näher an die Ruine heran und betrachtete ein paar angesengte Pfeilschäfte, die aus den verkohlten Balken ragten. »Was sagen Sie?« »Es waren keine Indianer«, wiederholte ich. »Zumindest waren sie es nicht allein, wenn überhaupt Krieger dabei waren.« »Sind Sie verrückt?« Die Stimme des Farmers hob sich. »Wer soll so ein tierisches Gemetzel angerichtet haben? Grundlos! Und was ist das da?« Er deutete auf den Schädelbrecher. »Das ist ein Beweis dafür, daß es keine Indianer waren«, erwiderte ich. »Sie sind wahnsinnig!« schrie er. »Ich habe Augen im Kopf. Wer ist sonst zu so etwas fähig?«
»Jeder Mensch ist zu den schlimmsten Dingen fähig«, sagte ich. »Selbst wenn Sie aufgeregt sind, sollten Sie das wissen. Sie sind ja auch fähig, ein Indianerdorf auszulöschen.« »Das sind keine Menschen!« schrie der Farmer. »Meinen Sie?« Ich blickte ihn scharf an. »Dann hören Sie trotzdem zu: Die Apachen in der Reservation sind bettelarm. Sie haben kaum Waffen. Aber hier liegt ein Schädelbrecher herum, dessen Schlagteil völlig unbeschädigt ist. Der Schaft ist gebrochen, aber es ist keine Schwierigkeit, einen neuen Schaft anzufertigen. Kein Indianer würde eine solche Waffe einfach liegenlassen, schon gar nicht, wenn ihm sonst keine weiteren Waffen zur Verfügung stehen. Indianer haben eine Eigenart: Sie werfen nichts weg, was noch zu verwenden ist. Sie haben von Kindesbeinen an gelernt, sparsam mit dem umzugehen, was die Natur ihnen bietet. Außerdem ist hier niemand auf der Farm, der erschlagen worden wäre. Alle sind erschossen worden. Wozu ist dieser Schädelbrecher benutzt worden? Warum ist der Schaft gebrochen? Die Toten sehen nicht so aus, als ob sie sich vorher gewehrt hätten. Hier ist nicht gekämpft worden. Wozu also der Schädelbrecher? Und die Stachelschweinborsten? Es gibt seit Jahren in dieser Gegend keine Stachelschweine mehr. Ich kennen keinen Indianer in der Reservation, der noch Stachelschweinborsten zur Verzierung an seiner Kleidung hat. Glasperlen gibt es noch, aber das beweist gar nichts, die gibt es überall.« Der Farmer starrte mich schweigend an. Ich ließ den Schädelbrecher fallen und ging zu meinem Pferd. »Das sind Spitzfindigkeiten!« rief er hinter mir. »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich? Sie sind doch bei der Armee? Ich habe immer gesagt, daß die ganze Armee nichts taugt, 'rausgeschmissenes Geld! Wir brauchen gar keine Armee. Wir können uns selber schützen. Und wenn wir einmal aufräumen, dann ist wirklich Ruhe. Aber ihr im Fort mästet euch mit unseren Steuergeldern!« »Deswegen sind alle Soldaten so dick«, sagte ich. »Ich komme mir schon wie ein Mastschwein vor.« Mit meiner Beherrschung war es vorbei. »Sie fällen wohl immer Ihre Urteile so schnell, und vor den Tatsachen kneifen Sie die Augen zu.«
»Ich werde ins Fort reiten!« brüllte er. Er hob drohend die Faust. »Ich werde die anderen Farmer alarmieren. Wenn die Armee uns nicht schützt, werden wir alles in die eigene Hand nehmen. Angesichts der Toten nehmen Sie die Rothäute in Schutz, Sie sollten sich schämen!« Er spuckte aus. »Sie sollten sich schämen«, erwiderte ich. »Diese Farm ist nicht von Indianern überfallen worden. Ich werde die richtigen Mörder finden. Aber Sie sollten Vernunft annehmen, Mister.« Ich trieb meinen Hengst an und ritt an dem Farmer vorbei. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte, die Mörder zu finden, nachdem der Regen in der Nacht alle Spuren gründlich zerstört hatte. Aber ich war felsenfest davon überzeugt, daß es keine Indianer gewesen waren. Mit den ausgelegten Spuren konnte man unerfahrene Männer wie die Farmer des Umlands täuschen, aber nicht mich. Obwohl ich wußte, daß die Apachen unschuldig waren, war ich nicht beruhigt. Ich wußte, daß sie die Farm nicht überfallen hatten. Aber ich stand allein damit. Der Farmer hätte es wissen können, denn ich hatte es ihm erklärt. Aber er glaubte mir nicht, und er würde die Geschichte von dem Apachenüberfall weiterverbreiten, schneller als ich sie aufklären konnte. Mir blieb vielleicht nicht mehr genug Zeit, das Schlimmste zu verhüten. Wenn einige hysterische Farmer ihre Gewehre nahmen und in die Reservation ritten, wer konnte sie dann aufhalten? Solange Lightman und die jungen Krieger nicht in der Reservation waren, gab es keinen Schutz für die Apachen Taglios, der ihnen sonst vertraglich zugesichert war. Donald Vance aber hatte den Vertrag für nichtig erklärt, solange die jungen Krieger auf der Jagd waren. Kein Mensch würde die Farmer stoppen, wenn sie Taglios Stamm auslöschen wollten. Vielleicht würde sie auch niemand stoppen wollen. In Fort Calhoun würde man die Geschichte des Farmers auch glauben, und vor allem Vance, Randolph und Swift würden daran glauben. Alles paßte ja auch so verdammt gut zusammen. Ausgerechnet jetzt hatten die jungen Apachen die Reservation verlassen, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als eine Regierungsdelegation hier eingetroffen war. Ausgerechnet in diesen
Tagen wurde eine Farm überfallen und niedergebrannt, und für Unerfahrene deuteten alle Spuren auf Indianer hin. Das waren zu viele Zufälle für mich, die zu gut zusammenpaßten. Das sah nach einem Plan aus. Aber wie wurde er gesteuert, von wo aus wurden die Fäden gezogen? Was war das Endziel? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Es gab im Moment Wichtigeres, aber ich würde mir die Zeit dazu nehmen müssen, denn ich war nicht naiv genug, um das alles als bloßes Schicksal aufzufassen. Zuerst mußte es jetzt darum gehen, die Greuelgeschichte von dem Apachenüberfall aus der Welt zu schaffen, den Gerüchten vorzukommen und die jungen Krieger in die Reservation zurückzubringen, um den Konflikt zu entschärfen. Es ging um den Frieden in diesem Land, der zugunsten skrupelloser Geschäftemacher zerstört werden sollte, auf dem Rücken der Apachen und auch der Farmer, die zu dumm waren, zu begreifen, um was es eigentlich ging. Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate hätten mir damals schon zeigen müssen, daß ich als einzelner nicht imstande war, den Gang der Dinge aufzuhalten. Aber damals überblickte ich das alles noch nicht. Ich kannte ja die Hintergründe nicht und hatte keine Ahnung, was die heimlichen Herren der Grenze, die illegalen Indianerhändler und Waffenschmuggler, vorhatten, wie sie organisiert waren und mit welcher Macht sie operieren konnten. Ich sah nur die augenblicklichen Geschehnisse vor mir und die Chance, einzugreifen und Blutvergießen zu verhindern. Ich war dumm, aber ich konnte es nicht besser wissen. Niemand hätte es an meiner Stelle besser gewußt. Die Würfel waren längst gefallen.
7. Der Wind trug mir den Geruch der Pferde entgegen. Schon vorher hatte ich Rauch wahrgenommen. Wenig später sah ich das Lager der Apachen vor mir. Sie hatten ihr Lager in einer Biegung des Rio Doro aufgeschlagen. Ihre Pferde weideten abseits in einem Rope-Korral. Einige Krieger waren damit beschäftigt, Antilopen zu enthäuten, das Fleisch zu
zerlegen und in die blutigen Rohhäute zu verpacken. Andere schliefen in Decken eingerollt, wieder andere brieten Fleisch über einem Feuer. Ich beobachtete sie von einer Buschgruppe aus und zählte etwas mehr als ein Dutzend. Ich vermutete, daß weitere Krieger auf der Jagd waren. Als ich mein Pferd antrieb, den Buschgürtel umrundete und auf das Camp zuritt, sichtete mich ein Wachtposten und stieß einen Warnruf aus. Die Krieger ließen von ihrer Arbeit ab und schauten mir entgegen. Die Schlafenden erhoben sich. Einige griffen nach ihren Waffen. Ich sah ein paar Gewehre, meist aber Bogen und Pfeile. Wenige Yards vor den Kriegern hielt ich an und beugte mich im Sattel vor. Ich blickte in ihre abweisenden, starr wirkenden Gesichter. Little Raven war da. Er schaute mich an wie einen Fremden. Ich fragte mich, ob er sich noch erinnerte, daß er mich seinen Freund genannt hatte. Lightman schob sich von hinten heran. Sein Gesicht drückte nackte Feindschaft aus. »Guten Tag«, sagte ich. »Was willst du, weißer Mann?« fragte Lightman. »Eigentlich solltest du das nicht fragen«, erwiderte ich. »Ihr wißt, daß ihr kein Recht habt, hier zu sein. Aber deshalb bin ich euch nicht nachgeritten.« »Ihr habt auch kein Recht, uns hungern zu lassen«, erklärte Lightman heftig. »Ich lasse euch nicht hungern. Von mir aus könnt ihr hier jagen, solange wie ihr wollt. Aber es geht nicht um mich und meine Meinung. Ich bin hier, weil in Fort Calhoun Männer aus Washington eingetroffen sind, Vertreter des weißen Vaters, die mit euerem Stamm verhandeln wollen. Sie waren bei Taglio und haben herausgekriegt, daß ihr nicht in der Reservation seid. Sie haben Taglio bedroht. Wenn ihr nicht sofort umkehrt, werden Soldaten in die Reservation marschieren und euch alle vertreiben, eure Frauen und Kinder.«
»Wir lassen uns nicht länger bedrohen«, sagte Lightman. »Dann müßt ihr den Frieden opfern, und ihr opfert eure Squaws und auch die Kinder und die Schwachen. Von heute an in zwei Tagen erwarten die Männer des weißen Vaters Taglio und die anderen Führer in Fort Calhoun. Wenn ihr bis dahin nicht in der Reservation seid, gibt es keinen Vertrag mehr. Dann ist Krieg.« Lightman wollte etwas sagen. Er hatte die Hände geballt. Little Raven trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er schaute mich an. »Haben die weißen Männer dich geschickt oder die Soldaten?« »Nein«, sagte ich. »Niemand hat mich geschickt. Ich bin auf die Suche nach euch gegangen, weil ich euer Freund bin. Aber seit heute früh bin ich nicht mehr so sicher, ob das richtig ist.« »Ich lege keinen Wert auf deine Freundschaft«, erklärte Lightman. »Du legst offenbar auf alles Wert, was euch ins Unglück treibt«, erwiderte ich. »Zehn Meilen von hier ist eine Farm überfallen und niedergebrannt worden. Alle sind tot, der Farmer, seine Frau und seine Kinder.« »Wir haben niemanden überfallen«, sagte Little Raven. »Er ist ein Weißer«, sagte Lightman. »Er gehört zu den Langmessern in Fort Calhoun. Die Soldaten wollen gegen uns marschieren, und er sucht einen Grund, damit sie gegen uns kämpfen können.« »Jetzt reicht es mir. Noch ein Wort und ich schlage dich wieder zu Boden. Vielleicht werde ich dich diesmal töten.« »Du besiegst mich nicht noch einmal!« schrie Lightman. »Sei still«, sagte Little Raven. Auch die anderen Krieger blickten mich abwartend an. Die Feindseligkeit war aus ihren Mienen gewichen. »Was ist geschehen?« »Auf der Farm sind Indianerspuren.« »Wir haben gejagt«, sagte Little Raven. »Wir haben keinen weißen Mann gesehen, bevor du aufgetaucht bist. Wir haben Taglio versprochen, den Frieden zu bewahren, als wir die Reservation verlassen haben. Wir haben unser Versprechen gehalten. Wir haben Antilopen gejagt, Präriehühner und Hasen. Wir haben die Farmen der Weißen gemieden.«
»Gut.« Ich nickte. »Die Spuren auf der Farm sind nicht von euch. Sie sind wahrscheinlich von weißen Männern ausgelegt worden, um andere zu täuschen und den Zorn der Armee und der anderen Farmer auf euch zu lenken. Ich glaube euch, aber die Farmer werden euch nicht glauben. Ihr müßt sofort in die Reservation zurück, wenn ihr wollt, daß Frieden bleibt, wenn ihr das Leben eurer Frauen und Kinder nicht aufs Spiel setzen wollt.« »Wir werden nicht eher umkehren, bis wir genügend Fleisch geschossen haben, daß wir keinen Hunger mehr leiden müssen«, erklärte Lightman. »Dann werdet ihr das Fleisch nicht mehr brauchen«, antwortete ich. »Bis dahin wird Krieg sein.« »Wir wollen keinen Krieg«, sagte Little Raven. »Wir haben keine Farmen überfallen, wir wollen Frieden, aber wir wollen auch nicht hungern.« »Alles wird sich regeln, wenn ihr umkehrt.« Ich lächelte ihm zu. »Ich bin froh, daß ihr nichts mit dem Überfall zu tun habt. Aber ihr wißt, daß die weißen Farmer unvernünftig reagieren. Wenn ihr das gleiche tut, ist es vorbei mit dem Frieden.« »Immer sollen wir diejenigen sein, die nachgeben, die Vernunft üben«, fauchte Lightman. »Du bist genausowenig ein ehrlicher Mann wie die anderen Weißen.« Ich lehnte mich im Sattel zurück und ließ die Rechte auf den Revolvergriff fallen. Der schwere Navy Colt glitt aus der Halfter. Ich richtete die Mündung auf Lightman. »Ich schieße dich nieder, wenn du mich noch einmal beleidigst«, sagte ich scharf. »Ich habe euch noch nie belogen, solange ich in diesem Gebiet Scout bin. Ihr kennt mich alle. Wer mich einen Lügner nennen will, der sollte seine Waffe schon in der Hand halten, sonst werde ich ihn töten.« »Wir wissen, daß du nicht lügst.« Little Ravens Stimme klang ruhig. »Aber wir wissen nicht, ob wir den anderen Weißen trauen können. Vielleicht glauben sie uns weniger als du.« »Sie werden euch bestimmt nicht glauben, wenn ihr nicht in die Reservation zurückkehrt«, sagte ich. »Gehen könnt ihr dann immer noch. Aber wenn ihr jetzt nicht geht, überlaßt ihr eure Frauen und
Kinder und auch die Alten ihrem Schicksal. Wenn ihr umkehrt, seid ihr wenigstens da, um sie zu schützen oder mit ihnen zu fliehen, wenn es sein muß. Ich werde im Fort für euch sprechen. Im Fort glaubt man mir. Aber ihr müßt auch einen Schritt tun.« »Gut«, erwiderte Little Raven. »Dann kehren wir sofort um.« »In der Reservation werden wir alle getötet«, knurrte Lightman. »Glaubt ihm kein Wort.« »Wenn wir getötet werden«, sagte Little Raven, »dann werden wir mit unseren Squaws getötet und mit unseren Kindern. Wenn wir bleiben, werden sie allein getötet, und Manitou wird uns verfluchen, weil wir sie im Stich gelassen haben. Wir reiten zurück.« Die anderen nickten. Lightman stand allein. Er blickte mich haßerfüllt an. »Wehe dir«, sagte er, »wenn du uns belogen hast und wir in eine Falle gehen.« Ich antwortete nicht. Ich zog mein Pferd herum und trieb es an. Zu weiteren Diskussionen blieb keine Zeit. Ich mußte zurück ins Fort. Als ich über die Ebene sprengte, wandte ich einmal den Kopf und sah, daß die Krieger ihr Lager abbrachen und ihre Pferde beluden. Zwei oder drei standen noch am Rande des Camps und gestikulierten. Ich war sicher, daß Lightman noch immer Einwände vorbrachte und versuchte, die anderen zum Bleiben zu überreden. Aber sie hörten nicht auf ihn. Ich hoffte, nicht eines Tages den Vorwurf zu hören, daß ich die Krieger falsch beraten und Lightman recht gehabt hätte.
8. Das Tor von Fort Calhoun stand auf. Mehrere Wagen mit Lieferungen für die Handelsposten im Fort rollten hindurch. Ich sah mehr Soldaten als sonst auf den Palisaden patrouillieren. Staub bedeckte mich und mein Pferd. Vor einer Stunde war die Sonne aufgegangen. Ich hatte in der Nacht einige Stunden gerastet und fühlte mich besser, aber meine Vorräte waren verbraucht, mein Magen knurrte, und ich dachte an die Indianer in der Reservation. Als ich durch das Tor ritt, rief einer der Wachtposten: »Wie sieht's
draußen aus?« »Wie soll es aussehen?« rief ich zurück. »Schöner als hier. Keine Soldaten und keine Palisaden.« Er lachte und sagte: »Eine Farm ist abgebrannt. Sind die Indianer aus der Reservation ausgebrochen?« »Unsinn«, erwiderte ich. »Es ist immer das gleiche mit euch Blaubäuchen. Kaum seht ihr eine Rauchfahne, glaubt ihr, ihr müßtet auf den Kriegspfad gehen.« Ich ritt direkt zur Kommandantur, denn ich wollte keine Zeit verlieren. Die Frage des Postens hatte mir gezeigt, daß die Schauergeschichte von dem Überfall der Apachen bereits ins Fort gelangt war. Ich hatte es nicht anders erwartet. Ich ließ den Hengst stehen, nachdem ich abgestiegen war, und öffnete die Tür der Kommandantur. Statt des gewohnten dummen Gesichts von Corporal Jones hockte ein anderer Soldat hinter dem Schreibtisch. Er war in einige Papiere vertieft und hob den Kopf, als ich die Tür hinter mir schloß. »Ist Colonel Lester da?« fragte ich. »Er ist nicht allein, aber Sie können 'reingehen.« Ich ging am Schreibtisch des Soldaten vorbei, klopfte kurz und trat in Lesters Office, ohne auf Antwort zu warten. Der Colonel stand vor einer Landkarte seitlich von seinem Schreibtisch. Mit gewichtigen Mienen hockten Carl Randolph und Graham Swift vor ihm. Alle drei wandten den Kopf zur Tür, als ich eintrat. »Guten Morgen, Sir«, sagte ich. Randolph und Swift ignorierte ich. »Guten Morgen«, sagte der Colonel. Er runzelte die Stirn, und mir war klar, daß sich Swift und Randolph über mich beschwert hatten. Vance wahrscheinlich auch. Ich wunderte mich, daß er nicht da war. »Es ist gut, daß Sie gerade jetzt kommen«, erklärte der Colonel. »Wir können Sie brauchen.« »Mit Einschränkungen«, warf Swift ein. Ich ignorierte ihn noch immer. »Ich nehme an, es sind Gerüchte ins Fort gelangt«, sagte ich. »Gerüchte?« Der Colonel wandte sich von der Karte ab und ging
zu seinem Schreibtisch. Er wirkte müde und etwas lustlos. Colonel Lester war ein Mann, der sich nicht verstellen konnte. Seine Gemütsverfassungen waren ihm stets anzusehen, wenn man ihn etwas näher kannte und ihn einzuschätzen wußte. Ich hatte den Eindruck, daß er deprimiert war. »Es ist eine Farm niedergebrannt worden«, quakte Randolph. Er schaute mich dabei an, als hätte ich persönlich das Feuer gelegt. »Wollen Sie das als Gerücht bezeichnen? Vier Menschen sind ermordet worden. Bestialisch abgeschlachtet. Zwei Kinder, ein Mann und eine Frau.« »Das ist kein Gerücht.« Ich zog mir keinen Stuhl heran, sondern blieb stehen. »Und die jungen Apachenkrieger haben die Reservation verlassen«, ergänzte Swift, beinahe schon triumphierend. »Das werden Sie kaum bestreiten. Sie waren ja selbst dabei, als Taglio es uns gesagt hat.« »Und was schließen Sie daraus, Mister Swift?« fragte ich. »Darauf antworte ich Ihnen nicht«, sagte Swift. »Der Fall liegt wohl sonnenklar. Darüber muß nicht mehr diskutiert werden.« »Darüber, daß Sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, muß wirklich nicht mehr diskutiert werden, Mister Swift«, erklärte ich. »Das haben Sie gerade wieder bewiesen.« »Das ist eine Unverschämtheit!« fauchte Swift. »Colonel …« »Sir«, sagte ich, »Mister Swift versteht von Indianern soviel wie eine Kuh vom Sonntag. Ich glaube, daß es erlaubt ist, darauf hinzuweisen. Auch wenn Mister Swift ein Vertreter der Regierung ist, kann er nicht unwidersprochen Unsinn verbreiten.« »Ich möchte Sie bitten, sich Mister Swift gegenüber nicht so feindselig zu verhalten«, sagte Colonel Lester. »Daß Sie uns einiges voraus haben, weiß ich. Deshalb sind Sie als Scout in diesem Fort.« »In Ordnung, Sir. Dann wäre ich froh, wenn Mister Swift und Mister Randolph zuhören würden, was ich jetzt sage. Es ist schade, das Mister Vance nicht auch hier ist.« »Er ist ausgeritten, um sich das fragliche Stück Land anzusehen, um das es bei den Verhandlungen geht«, sagte Carl Randolph. »Wir hoffen nur, daß ihm nichts zugestoßen ist. Es war ungeheuer
leichtsinnig von ihm, gerade jetzt allein zu reiten.« »Die Gefahr, allein in der Wildnis herumzureiten, ist heute nicht größer als gestern«, sagte ich. »Der Überfall auf die Farm ist nicht von Apachen ausgeführt worden, sondern von Weißen. Es sind einige Apachenspuren gelegt worden, auf die jemand hereinfällt, der sich nicht auskennt. Jeder erfahrene Soldat, der sich im Indianerland auskennt, wäre imstande, die Fährten als Bluff zu entlarven.« »Was reden Sie da? Wer sollte eine Farm niederbrennen, unschuldige Menschen umbringen und dann Indianerspuren auslegen? Das ist doch kompletter Blödsinn. Wir wissen, daß Sie ein Indianerfreund sind. Aber so kriegen Sie die Tatsachen nicht weg«, sagte Swift. »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Sie vorsichtig mit dem sein sollen, was Sie sagen«, erwiderte ich scharf. »Mag sein, daß ich ein Indianerfreund bin, aber ich würde Mörder niemals in Schutz nehmen, egal welche Farbe sie haben. Und warum falsche Fährten ausgelegt werden, wollen Sie wissen, Mister Swift? Um die Farmer aufzuhetzen, um die Armee verrückt zu machen, um einen kleinen Krieg anzuzetteln. Fest steht, daß es keine Indianer waren, die die Farm zerstört haben. Aber alles war gut geplant. Gerade haben ein paar Krieger die Reservation verlassen, um zu jagen, schon wird eine Farm überfallen, und es werden Indianerspuren gelegt. Paßt das nicht auch gut in Ihr Konzept, Mister Swift?« »Ronco, ich bitte Sie!« Colonel Lesters Stimme klang hart. »Entschuldigen Sie, Sir. Aber ich habe nicht nur die Farm gesehen und die Toten dort, sondern ich bin auch in das Lager der jungen Krieger geritten. Sie haben gejagt, und sonst nichts. Sie hätten die Reservation nie verlassen, wenn die Regierung ihre Vertragsverpflichtungen eingehalten hätte, dann hätte es nämlich nie eine Hungersnot unter dem Stamm gegeben. Inzwischen sind die Krieger in die Reservation zurückgekehrt. Sie haben nichts mit dem Überfall zu tun. Dafür verbürge ich mich.« »Die Sache muß trotzdem untersucht werden«, erklärte Lester. »Die Farmer waren gestern abend hier im Fort. Sie wollten bewaffnet in die Reservation reiten. Ich habe sie zurückhalten können.« »Ich wollte die Angelegenheit untersuchen, Sir«, sagte ich. »Es
ging mir nur darum, die Tatsachen darzustellen, deshalb bin ich hergeritten. Ich werde gleich wieder aufbrechen. Aber ich möchte Sie an die Vorfälle in den letzten Monaten erinnern, als ständig versucht worden ist, von unbekannter Seite aus Unfrieden in das Grenzland zu tragen. Die Geschehnisse in den letzten Tagen sind nicht neu.« »Sie haben recht«, sagte Lester. Swift und Randolph schwiegen beleidigt. »Nehmen Sie Jicarilla mit. Es kann im Moment für uns keine andere Aufgabe geben. Wir müssen etwas tun, um die Farmer zu beruhigen. Sie wissen, daß ich genausowenig einen Indianerkrieg will wie Sie. Und wenn der Überfall auf die Farm so gewesen sein sollte, wie Sie es schildern, müssen wir es beweisen. Irgendeiner muß die Zeche zahlen. Wenn wir die Schuldigen nicht finden, werden die Krieger Taglios zur Verantwortung gezogen, ob sie schuldig sind oder unschuldig.« »Ich weiß, Sir«, sagte ich. »Einer ist immer der Sündenbock. Das ist die Gerechtigkeit.« Lester antwortete nicht. Er war Offizier und hatte seine Befehle, seine private Meinung interessierte niemanden. »Sie können weiter verhandeln«, sagte ich zu Swift und Randolph. »Die Bedingungen von Mister Vance sind erfüllt. Die jungen Krieger sind wieder in der Reservation.« »Ob wir nach den letzten Vorfällen überhaupt noch verhandeln, bestimmen wir selbst«, schnappte Randolph. »Auch wenn Sie uns noch so lange Vorträge halten: Der Überfall auf die Farm trägt die Handschrift von Indianern. Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, müssen wir davon ausgehen, daß die Apachen ihre friedliebende Maske abgelegt haben. Das Verlassen der Reservation durch die Krieger Taglios war bereits ein Indiz dafür. Ein eindeutiger Vertragsbruch. Wir werden darüber entscheiden, wenn Mister Vance zurück ist.« »Ich breche auf«, sagte ich zu Colonel Lester. Ich mußte aus der Kommandantur 'raus, sonst würde ich die Beherrschung verlieren, da war ich ganz sicher. Ich hätte Randolph packen und erwürgen können. »Viel Erfolg«, sagte Lester. Sein Gesicht drückte tiefe Besorgnis aus. »Sie haben nicht viel Zeit.«
Ich nickte und ging hinaus. Als ich im Sonnenlicht am Rande des Exerzierplatzes stand, schloß ich für einen Moment die Augen und zwang mich, ruhig durchzuatmen. Aber die ungeheure Anspannung, die mich erfüllte, ließ nicht nach. Ich verspürte in mir Lust, irgend etwas zu zerschlagen und hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Langsam ging ich zu meinem Quartier hinüber. Als ich die Tür aufstieß, hockte Jicarilla auf seiner Lagerstatt und stierte mich an. Er hatte wieder in die Flasche geschaut, aber er war noch nicht völlig betrunken. Wahrscheinlich hatte er eine Flasche Brandy im Bauch, seine Vormittagsration. Ich war froh, das war genau die richtige Dosis für ihn, um sich im Sattel halten zu können. »Na«, sagte er mit schwerer Stimme, »lange nicht gesehen.« »Ich seh dich öfter, als du denkst«, antwortete ich. »Aber meistens bist du voll wie ein Faß, oder du schläfst gerade einen Rausch aus. Setz deine Mokassins in Bewegung, du mußt dir dein Geld verdienen.« »Was gibt's?« Jicarilla griff nach einer weiteren Flasche. Er hatte seinen Brandy fein säuberlich aufgereiht neben seinem Bett stehen. Ich bückte mich, riß ihm die Flasche aus der Hand und warf sie durch das offene Fenster. Jicarilla starrte mich mit offenem Mund an. »Keinen Schluck mehr«, sagte ich. »Genug geredet. Ich erklär dir alles unterwegs.« »Die Flasche kostet einen Dollar«, sagte Jicarilla. »Wenn du jetzt nicht aufstehst, kostet es dich das Leben«, erwiderte ich. Ich öffnete die Tür weit. Jicarilla erhob sich. Sein Oberkörper war nackt. Er streifte sich eine Uniformjacke über, während er mir folgte. Sie hatte blinkende Knöpfe und ein paar Ärmelstreifen und gehörte zu der kompletten Uniform eines Indianerscouts, die sich durchaus mit der Uniform eines Generals messen konnte. Jicarilla besaß so eine Uniform, aber ich hatte ihn noch nie darin gesehen. »Wir brauchen Proviant«, sagte ich. »Wir reiten zur Grenze und müssen einen Krieg verhindern. Wenn wir nicht herausfinden, wer in der vorletzten Nacht die Farm zerstört und die Familie ermordet hat, wird die Armee auf die Reservation losgelassen.« »Ach so«, sagte Jicarilla. »Also nichts Besonderes …«
Ich blickte ihn an und grinste. Meine innere Anspannung ließ etwas nach. Ich kannte Jicarilla gut genug. Wenn er so redete, war er einsatzfähig und hatte verstanden, um was es ging. Ich wußte, daß ich mich auf ihn verlassen konnte, und das war verdammt wichtig.
9. Donald Vance wartete. Es war heiß. Er hatte sich hinter einigen Yuccasträuchern niedergelassen, aber die boten nur wenig Schatten. Donald Vance schwitzte. Ab und zu trank er aus seiner Feldflasche. Aber er rührte sich nicht vom Fleck. Er schaute zum Fluß hinunter. Der Rio Grande befand sich in gut zweihundert Yards Entfernung von ihm, aber er konnte ihn gut sehen, denn das Land war flach wie ein Teller und fast unbewachsen. Der Fluß war gewaltig, er schien Vance fast wie ein von Horizont zu Horizont sich streckender, länglicher See. Vance schätzte, daß er weit mehr als hundert Yards breit war. Das Land um ihn her war ohne Bewegung und ohne Leben. Vance saß seit über einer Stunde in seinem Versteck und schaute zum Fluß. Ab und zu blickte er zum Stand der Sonne, und dann überprüfte er die Zeit mit seiner goldenen Taschenuhr, um ganz sicher zu gehen. Vance war im Gegensatz zu Randolph und Swift schon oft im Westen gewesen. Am Rio Grande hatte er sich zuletzt vor über fünf Jahren aufgehalten, vor dem Bürgerkrieg. Er fand, daß sich in der Zwischenzeit so gut wie nichts verändert hatte. Es hatte ihm keine Schwierigkeiten bereitet, den Rio Grande und hier den richtigen Platz zu finden, und er war rechtzeitig eingetroffen. Das hatte ihm die meisten Sorgen bereitet, denn immerhin lag der Zeitpunkt der Verabredung eine Weile zurück. Er war noch in Washington gewesen, als er die Vereinbarung getroffen hatte, und er hatte bis zum heutigen Tag befürchtet, daß zeitliche Verschiebungen auftraten und er nicht vereinbarungsgemäß hier sein konnte. Aber es hatte alles geklappt. Donald Vance bemerkte eine Bewegung in der Ferne, jenseits des Flusses. Er sah eine dünne Staubwolke, die sich immer deutlicher in
der flimmernden Hitze herausbildete. Sie näherten sich. Vance wußte, daß es soweit war. Das Warten war vorbei. Vance nahm abermals einen Schluck aus seiner Feldflasche und zog sich den Hut tiefer in die Stirn. Er richtete sich auf und klopfte sich den Staub aus der Kleidung. Die Jacke hatte er ausgezogen, um zu verhindern, daß sich Schweißflecke im Stoff bildeten. Das Hemd hatte er bereits durchgeschwitzt. Vance blieb neben seinem Pferd stehen und ließ die Staubwolke nicht mehr aus den Augen. Swift und Randolph wußten nichts von seinem Treffen, sie wußten nichts von seinen Kontakten, die er neben seinen Amtspflichten unterhielt. Er hatte im Fort hinterlassen, daß er in dem Streifen Land, den die Regierung zur Besiedelung aus der Reservation ausklammern wollte, eine Ortsbesichtigung vornähme. Vance war ein überaus korrekter Beamter, aber er war der Ansicht, daß er ein viel zu geringes Gehalt bezog und fand es nur recht und billig, daß ein Mann von seinen Fähigkeiten – wie er meinte – sich zusätzliche Einkünfte beschaffen müsse, die ihm einen angemessenen Lebensstil garantierten. Außerdem war Vance der Ansicht, daß der Besiedelung des Landes etwas nachgeholfen werden müsse. Sie ging zu langsam voran. Eine Folge viel zu langatmiger Indianerpolitik, wie Vance meinte. Er verstand durchaus, daß die Regierung nicht noch offener gegen die Rechte der Indianer vorgehen konnte. Es gab in den Oststaaten immerhin eine religiöse Opposition gegen die Maßnahmen bezüglich der Indianer. Offiziell vertrat Vance daher eine flexible Linie, die aus einer Mischung aus Drohungen und Einschüchterungen und freundlicher, wohlwollender Verhandlungsbereitschaft und Verständnis bestand. Inoffiziell aber hielt er es für seine Pflicht, jene zu unterstützen, denen an Konflikten im Indianerland gelegen war. Konflikte führten zur schnellen, radikalen Verdrängung der Stämme und zur Unterwerfung. Das Land wurde frei, weiße Siedler konnten nachstoßen, der Regierung war gedient. Den Leuten, die die Konflikte schürten natürlich auch. Und auch Vance war damit gedient. Alle konnten zufrieden sein. Vance verspürte nicht die geringsten Gewissensbisse. Aus der Staubwolke jenseits des Flusses schälten sich die
Konturen mehrerer Reiter. Sie lenkten ihre Tiere jetzt in eine Furt des Rio Grande und trieben sie auf das amerikanische Ufer zu. Donald Vance wußte, daß die Reiter zu ihm wollten. Er zweifelte keine Sekunde daran. Als sie den Fluß verließen, trat er hinter den Sträuchern hervor und blieb so stehen, daß sie ihn sehen mußten. Sie ritten auf ihn zu. Ihre langen Staubmäntel standen offen und flatterten wie die Schwingen großer Vögel im Reitwind. Unweit von Vance zügelten sie ihre Pferde, dann glitten sie aus den Sätteln und traten auf ihn zu. »Ich habe lange gewartet«, sagte Vance. »Dann waren Sie früh dran«, erwiderte einer der Reiter, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit wulstartigem Schnauzbart. »Der Überfall auf die Farm erfolgte zum richtigen Zeitpunkt«, sagte Vance. »Er hat unter den weißen Farmern für große Unruhe gesorgt. Im Moment darf nichts Ähnliches geschehen, damit niemand Verdacht schöpft. Der junge Scout aus Fort Calhoun hat dafür gesorgt, daß die Rothäute sofort in die Reservation zurückkehren.« »Der Bursche bereitet uns seit einigen Monaten Kopfzerbrechen«, erwiderte der Mann mit dem Schnauzbart. »Er hat uns immer wieder die Tour vermasselt, einige Male unsere Geschäfte zerschlagen, Leute von uns erwischt und getötet und bis jetzt verhindert, daß wir am Rio Doro ein Bein an den Boden kriegten.« »Der Junge ist gefährlich«, sagte Vance. »Ich weiß es, ich habe ihn kennengelernt. Er ist erfahren, weiß eine ganze Menge und ist nicht so leicht an der Nase herumzuführen. Um ihn müssen wir uns später kümmern. Wichtig ist, daß wir jetzt durchhalten. Es ist Unruhe geschaffen worden, und es darf jetzt keinen Stillstand geben. Ich habe von Washington aus alles vorbereitet, um an diesem Teil der Grenze einen Konflikt zu schüren. Wenn das jetzt schiefgeht, dauert es Wochen, wenn nicht Monate, bis sich wieder eine Gelegenheit bietet. Ich habe ohne Wissen des Kommissars für indianischen Angelegenheiten die Lebensmittellieferungen an die Reservation stoppen und die Verkleinerung der Reservation vor die zuständigen Kongreßausschüsse bringen und durchsetzen können. Alles Dinge,
die die Apachen zu Gegenreaktionen herausfordern. Ich werde die Verhandlungen so führen, daß die Rothäute sich provoziert fühlen müssen. Gleichzeitig muß unter den Farmern eine feindselige Stimmung geschaffen werden. Aber im Moment ist noch zu wenig passiert. Dieser Taglio ist zu friedlich. Er läßt sich nicht herausfordern, er fällt nicht aus der Rolle, und er hat den Stamm fester im Griff, als ich dachte. Sein Einfluß ist groß, auch wenn die jungen Krieger in gereizter Stimmung sind. Wir müssen etwas tun, um es unter den Apachen zu einem Knall kommen zu lassen. Sie müssen einen Verzweiflungsschritt tun, der uns in die Lage versetzt, offiziell von der Seite der Regierung gegen sie vorzugehen. Die Situation am Rio Doro muß hochgeschaukelt werden, bis es keinen Ausweg mehr gibt, weder für die Armee noch für die Apachen. Der Kommandant von Fort Calhoun will einem Krieg aus dem Wege gehen, aber ihm darf keine Wahl bleiben. Ziel muß sein, Taglios Stamm zu zerschlagen und die Reservation am Rio Doro von der Landkarte zu fegen.« Vance verschränkte die Arme vor der Brust. Er fuhr fort: »Ich habe bis jetzt äußerst vorsichtig taktiert. Ich habe mir aus Washington die beiden dämlichsten Mitarbeiter meiner Behörde mitgebracht, die sich auch schon wie Büffel aufgeführt haben. Aber ich kann nicht mehr tun, als die Indianer immer weiter hinzuhalten, bis sie die Nerven verlieren. Es ist ein wahres Wundes, daß das noch nicht geschehen ist. Es sieht schauderhaft in der Reservation aus.« »Mister Vance, wir sind darüber informiert worden, daß Sie sich sehr um unsere Organisation bemühen und uns erheblich unterstützen«, sagte der Mann mit dem Schnauzbart. »Wir wissen, daß Sie zu unseren engsten Mitarbeitern gehören. Wir wollen die Indianer weghaben und wir wollen daran verdienen. Wir haben die strikte Order, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Solange Sie sich in Fort Calhoun aufhalten, sind Ihre Anweisungen für uns maßgebend. Sie entscheiden, welche Schritte wir weiter unternehmen. Wir richten uns nach Ihnen.« Vance lächelte geschmeichelt. »Wir dürfen nicht auffallen«, sagte er, »und müssen so handeln, daß es aussieht, als seien es die Farmer, die gegen die Apachen vorgehen, und als seien es die Apachen, die
über die Farmer herfallen. Ich will Ihnen nicht in die Einzelheiten hineinreden. Sie kennen sich hier besser aus als ich und können im konkreten Fall besser entscheiden, wie weit Sie zu gehen haben. Ich bin aber überzeugt, nachdem jetzt die Farmer aufgescheucht worden sind, daß es nötig ist, einen Schlag gegen die Apachen zu führen, um sie herauszufordern. Ein Schlag gegen Taglio wäre gut. Er hält den Stamm zusammen, er stützt auch die Moral in der Reservation und hält die jungen Krieger zurück. Ohne ihn hätte es längst einen Aufstand gegeben, und wir wären am Ziel. Der Einfluß Roncos ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Er ist im Fort anerkannt. Colonel Lester vertraut ihm, auch die Apachen vertrauen ihm. Er hat ein großes Maul und sagt, was er denkt. Wenn uns einer noch einen Strich durch die Rechnung machen kann, dann er. Wir dürfen uns deshalb nicht mehr zuviel Zeit lassen, damit er keine Gelegenheit hat, etwas aufzuspüren. Das Beste wird sein, wenn wir auch gegen ihn etwas unternehmen. Aber erst, wenn der Aufstand losgebrochen ist. Ich werde beizeiten nach Washington zurückreisen, um mit den Ereignissen hier nicht in Zusammenhang gebracht zu werden. Vorher spreche ich mit unserem Verbindungsmann in Fort Calhoun, damit etwas unternommen wird, um diesen Ronco kaltzustellen.« »Wir werden uns zunächst an die Rothäute halten«, sagte der Mann mit dem Schnauzbart. »Sie werden zufrieden sein, Mister Vance. Es wird so aussehen, als hätten die Farmer des Rio-DoroGebiets einen Schlag gegen die Apachen geführt. Gleichzeitig werden wir versuchen, Kontakt mit den jüngeren Kriegern zu erhalten und ihnen Gewehre anzubieten. Es ist alles vorbereitet.« »Gut«, sagte Vance. »Dann geht alles seinen Gang. Wir werden uns nicht mehr sehen, aber ich verlasse mich auf Sie. Bis jetzt hat alles geklappt.« »Es wird auch weiter alles klappen.« Der Mann mit dem Schnauzbart drückte die rechte Hand von Vance. Vance drehte sich um, nachdem er den Begleitern des anderen zugenickt hatte, und ging zu seinem Pferd. Er stieg in den Sattel und streifte sich sein Jackett über. Die anderen Männer hielten sich ebenfalls nicht auf. Sie ritten zum Fluß zurück. Sie schauten nicht zurück, genausowenig wie Vance. Vance spürte ein erregendes,
prickelndes Gefühl in sich. Er sah das Land vor sich und dachte, daß er die Macht hatte, es zu verändern. Wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, dauerte es nicht mehr lange, und alles würde hier anders sein. Es würde hier keine Apachenreservation mehr existieren, dafür aber mehr Platz für weiße Farmer geben und damit viele Probleme weniger. Und Vance wußte, daß er danach auf seinem Bankkonto einige tausend Dollar mehr haben würde, und auch dieser Gedanke gefiel ihm außerordentlich. * »Er ist vor uns«, sagte ich. Ich beugte mich im Sattel vor und zeigte durch die Dämmerung nach Nordwesten. »Ich hab den Rauch schon gerochen«, sagte Jicarilla. »Wir kriegen ihn.« »Du schlägst einen Bogen«, sagte ich. »Ich warte hier und gehe dann auf ihn los. Wenn er versucht, abzuhauen, packst du ihn von der anderen Seite.« Jicarilla nickte. Er zog sein Pferd herum und ritt davon. Im hohen Gras verursachten wir kaum ein Geräusch. Der Boden dämpfte den Huftritt unserer Pferde. Ich sah Jicarilla verschwinden und blickte nach vorn in die von Bodenfalten zerfurchte und mit zahlreichen Strauchinseln bewachsene Ebene. Wir waren noch einmal auf der niedergebrannten Farm gewesen, aber da hatten die Spuren nichts Neues ergeben. Der Regen hatte ganze Arbeit geleistet. Nur soviel war sicher: Ich war noch immer überzeugt, daß es keine Indianer gewesen waren, die das Blutbad angerichtet hatten. Jicarilla teilte meine Meinung. Es war Zufall gewesen, daß wir an der Grenze auf relativ frische Fährten von Reitern gestoßen waren. Mehrere Männer hatte sich in der Nähe des Rio Grande getroffen. Einer war zurück nach Norden geritten, die anderen hatten die Grenze wieder überquert. Der einzelnen Spur waren wir gefolgt. Wir hatten keine Ahnung, was daraus werden würde und ob die Fährten überhaupt in einem Bezug zu den Vorfällen am Rio Doro standen. Aber diese Spuren
waren besser als gar nichts. Ich trieb mein Pferd an, denn ich war sicher, daß sich Jicarilla inzwischen auf der anderen Seite des Camps jenes Mannes befand, dessen Spur wir gefolgt waren. Die Dämmerung hatte sich verdichtet, die langen Abendschatten waren verschwommen und wurden eins mit der Dunkelheit. Im Westen versank die Sonne wie ein glühendes Feuerrad. Nachdem ich eine Strecke geritten war, zügelte ich mein Pferd, glitt aus dem Sattel und ging zu Fuß weiter. Das Pferd führte ich hinter mir her. Meine Aufmerksamkeit wuchs mit jedem Schritt, ich registrierte jedes Rascheln im Gras, jedes Knacken im Gesträuch, jeden Windhauch. Im Laufen lockerte ich den Navy Colt in meiner Halter. Schließlich ließ ich auch mein Pferd stehen und ging allein weiter. Geduckt bewegte ich mich voran. Der Geruch des Feuers wurde intensiver. Ich sah zwischen einigen Sträuchern kleine Flammen glühen. Darüber ein Dreibein mit einem Wasserkessel, wie er bei der Armee verwendet wurde. Ein Mann saß am Feuer und wandte mir den Rücken zu. Sein Pferd stand abseits. Ich trat mit einigen schnellen Schritten durch das Gebüsch hindurch und blieb drei Yards entfernt vom Feuer stehen. Der Mann wandte den Kopf und erstarrte. Seine Augen weiteten sich. Auch ich schnappte nach Luft, faßte mich aber schnell wieder. »Hallo, Mister Vance«, sagte ich. Meine Stimme klang rauh. »Ein schöner Abend, nicht wahr?« Er antwortete nicht, sondern blickte mich nur an, und ich sah, wie er sich bemühte, seine Fassung zu bewahren. »Sie kochen Kaffee, Mister Vance?« Ich trat zwei Schritte auf ihn zu. »Wir würden gern etwas mit Ihnen trinken, wenn Sie genug davon haben.« »Wir?« Das war das erste Wort, das er sprach. »Jicarilla ist bei mir«, sagte ich. »Colonel Lester hielt es für nötig, daß wir zu zweit reiten. Es geht um den Überfall auf die Farm, Mister Vance. Die Sache muß schleunigst aufgeklärt werden, bevor ein Unglück geschieht. Es gibt schon zu viele falsche
Verdächtigungen und Gerüchte, und wir wollen doch alle nicht, daß es zu einem Aufstand kommt.« »Aufklärung?« Vance hockte noch immer starr am Feuer. »Ach ja«, sagte ich, »das können Sie ja nicht wissen. Sie waren ja nicht im Fort. Der Überfall ist nicht von Indianern verübt worden, sondern von Weißen. Es sind falsche Spuren ausgelegt worden.« »Falsche Spuren?« Vance schien sich langsam wieder zu fangen und seine Überraschung zu überwinden. »Wer sollte so etwas tun?« »Das fragen wir uns auch. Es gibt viel Schlechtigkeit auf der Welt.« Ich hob meine Stimme und rief, ohne Vance aus den Augen zu lassen: »Jicarilla, du alte Schnapsdrossel, komm 'raus, es gibt Kaffee!« Vance stocherte mit einem Ast im Feuer herum. Ich sah, daß seine Hände zitterten. »Wir haben eine interessante Spur gefunden, Mister Vance«, sagte ich. Ich näherte mich dem Feuer noch mehr, blieb aber stehen. Aus dem Dickicht von der anderen Seite tauchte Jicarilla auf. Ich sah aus den Augenwinkeln, daß er nicht weniger als ich überrascht war, Vance hier zu sehen. »Da haben sich ein paar Männer an der Grenze getroffen, die offenbar einiges zu verbergen hatten«, fuhr ich fort. »So?« Ich sah ein nervöses Flackern in den Augen von Vance, sonst blieb sein Gesicht ausdruckslos. Er hatte sich wieder gut in der Gewalt. »Wir sind der Spur gefolgt, die vom Rio Grande wegführte«, sagte ich. »Der Kaffee riecht gut, Mister Vance.« Jicarilla stand jetzt an der anderen Seite des Feuers. Vance füllte einen Blechbecher und reichte ihn mir. Seine Hand zitterte dabei so stark, daß Kaffee über den Rand schwappte. Ich tat so, als bemerkte ich es nicht. »Danke, Mister Vance«, sagte ich. Vance füllte auch Jicarilla einen Becher. Er selbst hatte keinen mehr, er schien auch gar keinen Wert darauf zu legen, von seinem Kaffee zu trinken. »Es war Ihre Spur, Mister Vance«, sagte ich, blies den Dampf vom Rand des Bechers und trank vorsichtig einen Schluck. »Der Kaffee ist wirklich gut.«
»Meine Spur?« echote Vance. »Wir werden darüber reden«, sagte ich. »Aber eigentlich gibt es nicht viel zu reden. Interessant ist nur, was sie dazu sagen, vor allem, was sie Colonel Lester erzählen werden.« »Sie sind verrückt«, sagte Vance. Ich blickte ihn kalt an und trank. Ich sagte: »Sie kochen einen guten Kaffee, Mister Vance.« »Was wollen Sie mit Ihren Andeutungen sagen?« fragte er. Seine Stimme klang fester, seine Hände zitterten nicht mehr. Vance hatte seinen Schock überwunden. Mir war klar, daß er sich wehren würde, Immerhin war er ein hoher Regierungsbeamter und ich nur ein kleiner Armeescout. »Reden wir nicht unnütz herum«, erklärte ich. »Packen Sie aus, Vance. Das ist Ihre einzige Chance.« Er lächelte. Es gelang ihm sogar ziemlich gut. »Sie sind wirklich verrückt.« »Mit wem haben Sie sich getroffen?« fragte ich. »Mit niemandem«, erwiderte er. »Ich kenne hier keinen Menschen. Ich bin unterwegs, um das umstrittene Gelände zu besichtigen.« »Das liegt in der entgegengesetzten Richtung.« Ich grinste höhnisch. »Wenn es nicht zu dunkel wäre, könnten Sie von hier aus die Halcon-Berge sehen. Sie sind ein verdammter Lügner, Vance, und noch dazu ein sehr schlechter. Ihre Spur ist eine sehr gerade Linie vom Rio Grande bis hierher. Die Männer, mit denen Sie sich getroffen haben, sind zur anderen Seite des Rio zurückgeritten. Wir waren erst nicht sicher, ob die Spuren etwas zu bedeuten haben. Aber wenn ein Mann wie Sie sich mit Männern an der Grenze trifft, die von drüben kommen und es eilig haben, dorthin zurückzukehren, dann steckt etwas dahinter. Wir wissen beide, was dahintersteckt, Vance.« »Was Sie wissen, weiß ich nicht«, sagte Vance. »Ich weiß gar nichts. Reden Sie mich gefälligst mit ›Mister‹ Vance an!« »Im Gefängnis wird man nicht so höflich mit Ihnen umgehen, Vance«, sagte ich. »Komisch, manchmal habe ich gedacht, Sie meinten es ehrlich. Daß Sie kein Indianerfreund sind, war mir gleich
klar, aber ich hatte manchmal das Gefühl, daß Sie fair verhandeln wollen und nur deshalb so mit den Apachen umgehen, weil Sie Ihre Anordnungen aus Washington haben. Ich habe gedacht, Swift und Randolph seien Schweine. Aber das größte Schwein sind Sie.« »Ich warne Sie«, sagte Vance. »Hören Sie auf, mich zu beleidigen. Lassen Sie mich zurück nach Fort Calhoun reiten.« »Mit Vergnügen«, sagte ich. »Wir werden Sie begleiten und sind gespannt, wie Sie dort Ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Ich muß Sie beglückwünschen, Vance: Der Überfall auf die Farm gerade zu dem Zeitpunkt, als ein paar Hitzköpfe unter den Apachen die Reservation verlassen hatten, war ein Meisterstück. Oder war es Zufall? Auf jeden Fall hätten die falschen Spuren nicht so schlecht sein dürfen. Was haben Sie weiter mit Ihren Kumpanen vereinbart? Weitere Überfälle mit falschen Spuren? Solange, bis die Armee gezwungen ist, gegen die Indianer zu marschieren? Bis die Farmer nach einer Strafexpedition schreien? Oder solange, bis die Indianer von selbst reagieren, weil sie es satt haben, wie der letzte Dreck behandelt zu werden? Wie sieht es aus, Vance, und wieviel hat man Ihnen dafür bezahlt?« »Ich will sofort nach Fort Calhoun«, sagte er. »Sie Mistkerl«, sagte ich. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie dort landen, wo Sie hingehören. Es wird keinen Krieg am Rio Doro geben, die Apachen werden nicht abgeschlachtet werden. Sie haben Pech gehabt, Vance.« Ich schaute Jicarilla an und sagte: »Hol sein Gewehr vom Sattel und paß auf ihn auf.« Ich war eiskalt. Endlich stand ein Mann vor mir, der nicht nur ein kleiner Handlanger der Waffenhändler an der Grenze war, sondern der eine wichtige Rolle spielte. Einer jener Leute, die in einer hohen Regierungsposition saßen und ihre Stellungen ausnutzten, die Schmuggler zu unterstützen. Ich war mir durchaus im klaren darüber, daß Vance nicht ohne weiteres reden würde. Schweigen würde sich für ihn auszahlen, die Leute, mit denen er zusammenarbeitete, würden es sich etwas kosten lassen. Sie würden vielleicht versuchen, ihn 'rauszuholen. Es würde noch ein hartes Stück Arbeit werden, aus Vance etwas
herauszukriegen. Aber ich war sicher, daß ich damit, daß ich ihn gestellt hatte, einen möglichen Krieg im Rio-Doro-Tal verhindert hatte. Ich war ja so naiv, ich überschaute wirklich nicht das ganze Maß der Macht und des Einflusses des illegalen Indianerhandels. Jicarilla holte Vances Gewehr. Er durchsuchte gleich die Satteltaschen, fand aber nichts von Bedeutung. Ich trank meinen Kaffeebecher leer und warf ihn neben dem Feuer zu Boden. Langsam richtete sich Vance aus der Hocke auf. »Das werden Sie noch bereuen«, sagte er. »Ich glaube nicht«, erwiderte ich. »Ich glaube, daß ich mich für den Rest meines Lebens darüber freuen werde.« Vance wandte sich halb ab. Im flackernden Feuerschein wirkte sein Gesicht seltsam bleich, und ich sah plötzlich in seiner Rechten etwas blinken. Er hielt eine vierläufige Sharps-Derringer in der Faust und zielt auf mich. Ich federte zur Seite weg und stürzte hart zu Boden. Gleichzeitig fiel ein Schuß. Ich spürte den Luftzug des Geschosses und zerrte, während ich mich über den Boden wälzte, meinen Revolver aus der Halfter. Als ich die schwere Waffe hochschwang, sah ich Vance leicht geduckt am Feuer stehen. Bevor er ein zweitesmal schießen konnte, krachte es seitlich von ihm. »Nicht!« schrie ich. Jicarilla hielt das Gewehr von Vance im Hüftanschlag. Die Mündungsflamme, die aus dem Lauf stach, war grell und lang. Vance wurde vom Aufprall des Projektils einmal um seine Achse gewirbelt und stürzte aufs Gesicht. Ich sprang auf die Beine und hastete zu ihm. Als ich mich über ihn beugte, sah ich bereits, daß er tot war. Die Kugel war von der linken Seite her ins Herz eingedrungen. »Idiot!« schrie ich. »Wir hätten ihn als Zeugen gebraucht.« Jicarilla sagte kein Wort. Er ließ das Gewehr von Vance sinken. Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich ab, während ich den Revolver in die Halfter zurückstieß.
Jicarilla hatte mir das Leben gerettet, und ob Vance wirklich als Zeuge etwas getaugt hätte, hatte selbst ich Minuten vorher noch bezweifelt. Es war nicht zu ändern. Ein lebendiger Vance wäre mir lieber gewesen. »Reiten wir«, sagte ich ruhiger. »Wohin?« »Nach Fort Calhoun«, sagte ich. »Swift und Randolph können ihn mit nach Washington nehmen. Ich bin gespannt, ob die Apachen jetzt endlich ihre Lebensmittel kriegen.« Ich drehte mich um und ging in die Dunkelheit, um mein Pferd zu holen. Jicarilla zertrat das Campfeuer. Als ich mein Pferd erreichte fiel mir auf, daß sich kein Lufthauch mehr rührte. Es war drückend schwül.
10. Taglio war lange nicht mehr eine so weite Strecke geritten. Er hatte die Reservation seit Jahren nicht mehr verlassen, und es war sehr lange her, daß er in Fort Calhoun gewesen war. Taglio fühlte sich erschöpft und müde, und er spürte, daß er alt war. Als er durch das offene Tor von Fort Calhoun ritt, straffte sich seine Haltung unwillkürlich. Er wollte den weißen Soldaten kein Bild der Schwäche zeigen. Taglio hatte sein bestes Kalikohemd angezogen und hochschäftige Mokassins, die er vor vielen Jahren zum letztenmal getragen hatte. Sie waren mit Perlen verziert und mit Skalphaaren. Um die Stirn hatte er sich einen breiten, dunkelroten Schal geschlungen. Der Hunger hatte ihn gezeichnet. Sein Gesicht war schmal, und die Kleidung hing in Falten um seinen alten Körper. Kurz hinter dem Tor hielt ein Sergeant ihn an. Er blieb seitlich von Taglios Pony stehen und sagte: »Wohin willst du?« »Zu eurem Häuptling«, sagte Taglio. »Und zu den Männern, die der weiße Vater geschickt hat.« Der Sergeant blickte skeptisch zu dem alten Indianer hoch. Dann drehte er sich um und sagte: »Reite mir nach.«
Er ging mit großen Schritten über den Exerzierplatz. Taglio trieb sein Pferd an und folgte. Er beachtete die Blicke nicht, die sich auf ihn richteten. Er saß stolz im Sattel. Sein Gesicht, von den Erfahrungen seines langen Lebens gezeichnet, war voller Würde. Der Sergeant blieb vor der Kommandantur stehen. Er bedeutete Taglio, abzusteigen. Taglio glitt aus dem Sattel. In einiger Entfernung liefen junge Rekruten zusammen und auch die Zivilisten, die sich im Fort befanden, und blickten herüber. Der Sergeant betrat die Kommandantur. Es dauerte einige Minuten, dann erschien er wieder, und hinter ihm trat Colonel Hampton Lester in die Tür. »Ich bin Taglio«, sagte der alte Apache. »Bist du der Häuptling der Soldaten hier?« »Ja«, sagte Lester. »Tritt ein.« Er gab die Tür frei. Taglio ging an ihm vorbei in die Kommandantur. Der Colonel gab dem Sergeant eine Anweisung, und der hastete davon. Lester ging mit dem Häuptling in sein Office. Er umrundete seinen Schreibtisch und setzte sich. »Nimm dir einen Stuhl«, sagte er. Er betrachtete den Häuptling aufmerksam. Er hatte ihn noch nie gesehen und die Reservation noch nie besucht, seit er Kommandant von Fort Calhoun war. Je länger er Taglio anschaute, um so mehr begriff er, daß das ein Fehler war. »Taglio kann stehen«, sagte der Häuptling. »Ich bin hier, weil ich will, daß Frieden bleibt.« »Das ist auch mein Wunsch«, sagte Lester. »Ich will nicht, daß meine jungen Soldaten sterben, und ich denke, daß du auch nicht willst, daß deine jungen Krieger sterben. Auch wenn es Streit gibt, muß nicht gleich gekämpft werden.« Es klopfte. Die Tür ging auf. Graham Swift und Carl Randolph traten ein. Sie blieben an der Tür stehen, als sie Taglio sahen. »Sie kennen Taglio«, sagte Lester. »Ja«, sagte Swift. Er tastete mit der Linken nach seiner Brusttasche und zupfte sein parfümgetränktes Taschentuch heraus. »Ihr habt mir gesagt, daß ich nach Fort Calhoun reiten soll, wenn
meine jungen Krieger zurückgekehrt sind«, sagte Taglio. Er sprach gemessen und ruhig. »Sie sind zurückgekehrt Sie waren auf der Jagd, damit unsere Squaws und Kinder nicht länger hungern müssen. Ich bin hier.« »Ja, du bist da«, sagte Randolph. »Es ist erstaunlich, daß du dich noch hierher getraut hast.« Er hackte die Daumen hinter seine Jackettaufschläge und wälzte seinen fetten Bauch auf Taglio zu. Er betrachtete ihn arrogant von oben bis unten. »Auf der Jagd waren deine Krieger? Menschenjagd, wie?« »Ich weiß, daß die Hütten eines weißen Farmers verbrannt worden sind«, sagte Taglio. »Ich weiß, daß Menschen getötet wurden. Meine Krieger waren es nicht.« »Wer dann?« Swift fuchtelte herrisch mit der Rechten in der Luft herum. »Hier gibt es wohl niemanden, der so etwas tun würde, außer euch.« »Sir, bedenken Sie bitte, was mein Scout gesagt hat«, warf Colonel Lester ein. »Colonel, die Verhandlungen mit den Apachen obliegen uns«, sagte Swift. Er plusterte sich noch mehr auf und sah aus, als würde er gleich platzen. »Wir sind Vertreter der Regierung. Bitte mischen Sie sich nicht in unsere Kompetenzen.« Lester lief rot an und sagte kein Wort mehr. Er lehnte sich zurück und blickte angestrengt aus dem Fenster. Seine Schläfenadern traten an der Stirn hervor, er ballte die Hände um die Seitenlehnen seines Stuhls. »Wir wollen den Frieden«, sagte Taglio und blickte Swift fest an. Swift wich dem Blick des Häuptlings aus und wippte auf den Absätzen. »Wahrscheinlich bist du hier, um weiter zu verhandeln, wie?« Randolph schob sich neben Swift. »Das hättet ihr euch früher überlegen sollen, bevor du deine jungen Krieger losgeschickt hast, um weiße Farmen zu plündern.« »Der weiße Mann hat keine Ohren, um zu hören«, sagte Taglio. »Wir haben den Frieden nicht gebrochen. Wir wollen weiter verhandeln, und wir wollen Brot und Fleisch, damit wir nicht verhungern. Wir wollen nichts anderes als den Frieden, und wir haben immer Geduld gezeigt.«
»Unverschämt werden auch noch?« Randolph brüllt los wie ein Irrsinniger. Er stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was glaubt ihr, wer ihr seid? Verträge brechen, friedliche Leute erschlagen und auch noch Ansprüche stellen und uns beleidigen! Das werden wir euch austreiben.« »Der weiße Mann muß nicht so schreien«, sagte Taglio ruhig. »Ich bin ein alter Mann, aber ich höre noch gut.« »Unerhört, wie dieser rote Hund sich aufspielt«, sagte Swift. Taglio blickte Swift an. Swift wich einen Schritt zurück. »Er bedroht mich! Haben Sie diesen Blick gesehen, Mister Randolph? Colonel, holen Sie Soldaten!« Colonel Lester rührte sich nicht. »Du wirst in die Reservation zurückreiten«, sagte Randolph. »Du kannst froh sein, daß wir dich nicht sofort einsperren lassen. Damit, daß du hierher geritten bist, hast du auch gegen den Vertrag verstoßen, den du durftest die Reservation nicht verlassen.« »Die weißen Männer haben mir gesagt, ich solle hierher reiten«, sagte Taglio. »Sonst wäre ich nicht hier.« »Dann hau wieder ab!« schrie Randolph ihn an. »Geh dorthin, wo du hingehörst. Wenn wir der Meinung sind, daß es noch einen Sinn hat, mit euch zu reden, werden wir euch benachrichtigen! Und jetzt verschwinde!« Taglio gab keine Antwort. Er blickte Swift an, er blickte Randolph an, und er blickte auch Colonel Lester an. Lester schien hinter seinem Schreibtisch geschrumpft zu sein. Taglio wandte sich wortlos um und ging hinaus, noch immer hochaufgerichtet und würdevoll. Er schaute nicht rechts und nicht links, als er die Kommandantur verließ. Noch immer standen Soldaten und Zivilisten da und starrten herüber. Taglio bestieg sein Pferd und lenkte es zum Tor. Er verstand die weißen Männer nicht mehr. Sie hatten ihn beleidigt und beschimpft. Für die Wahrheit hatten sie sich nicht interessiert. Taglio war tief gekränkt und verwirrt. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte, und er fragte sich, wie er seine jungen Krieger jetzt noch zurückhalten sollte, wenn er ihnen sagte, wie man in Fort Calhoun mit ihm geredet hatte. Er wußte nicht, was er verschuldet hatte, und
als er aus dem Fort ritt, hatte er das Gefühl, wie ein geprügelter Hund davongejagt zu werden. * Der Wind war sengend und trocken wie aus einem Ofenloch. Die glühende Sonne hatte die letzten Spuren des großen Regens beseitigt und alle Feuchtigkeit aus dem Boden gesaugt. Unter den Hufen von Taglios Pony wehten bei jeder Bewegung kleine Staubpolster auf, die sich fast bis in Steigbügelhöhe hoben. Der Mann in dem flachen Arroyo beobachtete den alten Häuptling. Er lag am Boden und hielt ein Sharps-Gewehr in den Fäusten. Er war groß und breitschultrig und hatte einen wulstig wirkenden Schnauzbart über der Oberlippe. Auf seiner Stirn perlte Schweiß. Er beobachtete den Häuptling schon eine ganze Weile. Jetzt zog er geräuschlos den Hammer der Sharps zurück und überprüfte den Sitz des Zündhütchens. Der alte Häuptling näherte sich beständig. Er würde in nur wenigen Yards Entfernung an dem Arroyo vorbeireiten. Der Mann war sich seiner Sache sicher. Taglio wußte von nichts. Er achtete nicht auf seine Umgebung. Er saß müde und leicht nach vorn gesunken im Sattel. Tiefe Resigantion hatte ihn erfaßt. Er fühlte sich verbraucht und am Ende, er fühlte sich schwach und machtlos, das Unglück, das er auf den Stamm zueilen sah, aufzuhalten. Er besaß als einziger die Erfahrung dazu, aber ihm fehlte die Kraft. Die jungen Krieger würden weitere Demütigungen nicht hinnehmen. Sie hatten sich ihm nur widerwillig gefügt. Jetzt würden sie darauf pochen, daß sie recht behalten hatten. Was sollte er ihnen antworten? Er hatte nichts mehr entgegenzusetzen. Seine Argumente waren verbraucht. Die weißen Männer hatte sie ihm aus der Hand geschlagen. Sie wollten den letzten Rest Stolz des Stammes in den Schmutz treten. Taglio wußte, daß er selbst, wenn er jünger wäre, dazu nicht mehr schweigen würde. Aber welche Chance hatte der Stamm, wenn er geschlossen die Reservation verließ und sich neue Jagdgründe suchte? Überall waren weiße Farmer, und jenseits des großen Flusses waren die Mexikaner.
Das Leben außerhalb der Reservation bedeutete täglichen Kampf, und das bedeutete, nach den Erfahrungen Taglios, den Untergang. Taglio war nie feige gewesen, er hatte sich immer bemüht, klug und vernünftig zu denken und zu handeln. Jetzt konnte er nicht mehr. Taglio dachte an die glücklichen Tage seiner Jugend, als das Land noch frei gewesen war und es keine Weißen gegeben hatte. Verzweiflung erfüllte ihn, wenn er an die hungernden Kinder dachte. Die Kinder waren für Taglio immer die Verkörperung der Zukunft des Stammes gewesen, und so weit er zurückdenken konnte, war es immer so gewesen. Schon sein Vater hatte so gedacht und auch sein Großvater. Aber was sollte werden, wenn die Zukunft des Volkes verhungerte? Taglio sah keine Zukunft mehr. Er hob den Kopf und blickte über das endlos weite, hitzedurchglühte Land, über das ein schwacher Windhauch trieb, der die Spitzen des hohen Grases in wellenartigen Bewegungen schwingen ließ. Taglio sah den glutsprühenden Horizont und hörte kaum den dumpfen Knall des Schusses. Ein harter Schlag traf seine Brust. Taglio schwankte und hatte auf einmal keine Kraft mehr, die Bewegungen seines Körpers zu kontrollieren. Eine heiße Woge flutete aus unergründlicher Tiefe in ihm hoch. Taglio senkte den Kopf. Er sah aus einer klaffenden Wunde in seiner Brust Blut. Das Blut sickerte in sein Kalikohemd. Und Taglio sah in nur zehn Schritten Entfernung den Mörder. Er lag am Rand eines Arroyos und blickte zu den Häuptling hoch. Aus der Mündung seines Sharps-Gewehrs kräuselte sich noch grau der Pulverdampf. Um Taglio drehte sich alles. Sein Denken und Fühlen war ausgelöscht. Seine Augen standen noch offen, aber alles was er sah, wirbelte an ihm vorbei. Es zählte nicht mehr. Taglio spürte nicht, wie er aus dem Sattel stürzte und im Gras liegenblieb. Schmerzen spürte er nicht. Nur, daß sein Herz langsamer und schwächer wurde, daß die Wärme aus seinem Körper floh, daß er matt und matter wurde und den Wunsch hatte, zu schlafen. »Es ist so kalt«, murmelte er. Seine Lippen bewegten sich kaum
dabei. Er starrte in die Sonne. Der Himmel stand in Flammen. Schwarze Aschepunkte tanzten einen wilden Reigen. Die Sonne sank immer tiefer, immer schneller. Sie sank direkt auf Taglio nieder und deckte ihn zu. Aber ihm wurde nicht wärmer, und er wunderte sich, daß er so sehr fror, obwohl doch die Sonne so nahe war …
11. Eine Stunde nach Mittag. Die Zeit der Siesta war noch nicht ganz vorbei. Jicarilla und ich ritten die staubige Overlandstraße auf Fort Calhoun zu. Ich führte am langen Zügel das Pferd von Vance mit. Vance lag quer über dem Sattel. Ich hatte eine Decke über den Leichnam geworfen, so daß nur seine herabhängenden Arme und Beine zu sehen waren. Das Tor stand weit offen, wie üblich. Fort Calhoun war keine Festung, sondern in stärkerem Maße ein Handelsplatz für die Siedler des Landes, solange es keine Stadt in der Nähe gab. Der Posten am Tor schlief im Stehen. Sein langläufiges Springfieldgewehr lehnte an der Palisade, genau wie er selbst. Der Kopf war ihm fast bis auf die Brust gesackt. Erst als wir ihn fast erreicht hatten, schreckte er hoch. Wir ritten an ihm vorbei, ohne anzuhalten. »He, wen bringt ihr da?« rief er. »Schon wieder ein Überfall?« »Sonnenstich«, sagte ich. Wir ritten über den Exerzierplatz auf die Kommandantur zu. Hier stand ein junger Trooper Posten. Er schlief nicht. »Holen Sie den Colonel raus«, sagte ich. Ich rutschte müde aus dem Sattel. Ich hatte das Gefühl, mich bald in Staub zu verwandeln. Rasiert hatte ich mich seit einer Woche nicht mehr. »Der Colonel schläft«, sagte der Trooper. »Holen Sie ihn, oder muß ich ihn selbst holen?« Ich tat drohend einen Schritt auf den Soldaten zu. »Und danach holen Sie Mister Swift und Mister Randolph. Wahrscheinlich schlafen die beiden auch, aber es würde mir ein Vergnügen sein, ihre fetten Ärsche aus dem Bett zu schmeißen.«
»Sofort.« Der Trooper musterte mich unsicher, warf einen Blick auf Jicarilla und den Toten, der noch immer unter der Decke verborgen war, drehte sich um und verschwand in der Kommandantur. Er erschien wenig später wieder und lief über den Exerzierplatz. Kurz darauf tauchte Colonel Lester auf. Er wirkte etwas verschlafen und trug die zerknitterte Uniformbluse eines Troopers mit den Achselstreifen des Colonels. »Guten Tag, Sir«, sagte ich. Jacarilla sagte nichts. »Es tut mir leid, daß wir Sie gestört haben.« »Das ist in Ordnung. Der Posten hätte gleich zu mir kommen müssen. Ich hatte angeordnet, daß man mich sofort benachrichtigt, wenn Sie zurückkehren.« Lester blickte auf den Toten. »Haben Sie etwas herausgefunden?« »Jawohl, Sir«, erwiderte ich. »Die Farm wurde von Weißen überfallen, die offenbar an einem kleinen Krieg interessiert sind und mit Gewalt einen Konflikt zwischen der Armee und den Farmern einerseits und der Reservation andererseits schaffen wollen. Alles ist von langer Hand vorbereitet worden. Ich bedauere es sehr, Sir, daß ich keine Gelegenheit hatte, in den letzten Monaten intensiver dem illegalen Waffenhandel an der Grenze nachzugehen.« »Sie glauben, daß es Zusammenhänge gibt.« »Es gibt gar keinen Zweifel, Sir.« Ich sah aus den Augenwinkeln Swift und Randolph auftauchen. »Seien Sie vorsichtig«, sagte Lester unvermittelt zu mir. »Taglio war hier. Die beiden haben sich aufgespielt wie der Präsident persönlich. Sie haben den Alten schwer beleidigt. Ich habe nichts dagegen unternehmen können. Die Zivilbehörden bestimmen die Indianerpolitik.« Lester verstummte. Swift und Randolph waren heran. »Mußte man uns jetzt stören?« fragte Swift. »Man mußte«, sagte ich und nickte Jicarilla zu. Er zog die Decke weg, und ich griff in den Schopf von Vance und hob seinen Kopf, damit jeder sehen konnte, wer der Tote war. Swift schluckte, Randolph lief grün an und würgte. Colonel Lester atmete schwer und legte die Hände auf dem Rücken zusammen.
»Wer hat das getan?« fragte Swift. Seine Stimme klang gepreßt. »Haben die Rothäute ihn erwischt?« »Das waren wir«, sagte ich. »Sie?« »Als Mister Vance sich seiner Festnahme widersetzte und versucht hat, damit auf mich zu schießen.« Ich zog den Sharps-Derringer aus der Tasche und warf ihn zu Boden. »Es blieb uns nichts anderes übrig. Mister Vance ist eine Agent der Waffenschmuggler gewesen,« »Mister Vance …« »Mich würde interessieren, wieviel Sie davon gewußt haben, Gentlemen?« sagte ich. »Haben Sie den Verstand verloren?« schrie Randolph. Dann wandte er sich ab. Der Anblick des toten Mister Vance überstieg offenbar seine Kräfte. »Das ist eine schwere Beschuldigung«, sagte Colonel Lester. »Sie ist bewiesen«, erwiderte ich. »Angeblich wollte Mister Vance ins Gebiet der Halcon-Berge reiten. Er ist aber zur Grenze geritten. Dort hat er sich mit mehreren Männern getroffen, die aus Mexiko gekommen sind und nach dem Treffen die Grenze wieder überquert haben.« »Das glaube ich nicht!« rief Swift. »Wir wissen ja, wie Sie mit den Rothäuten paktieren. Sie haben den armen Mister Vance umgebracht.« »Mit wem hat er sich an der Grenze getroffen?« fragte ich. »Warum hat er über das Ziel seines Ritts gelogen? Übrigens muß er sich bemerkenswert gut ausgekannt haben. Der Treffpunkt ist bestimmt nicht zufällig gewählt worden, sondern war in der Nähe einer wenig benutzten Furt des Rio Grande.« »Alles erfunden!« schrie Swift. »Das ist ein Komplott.« »Gentlemen!« Die Stimme Colonel Lester klang schneidend. »Wenn Sie wert darauf legen, kann ich persönlich eine Patrouille anführen, die die Spuren untersucht. Die Fährte meiner beiden Scouts muß sich zurückverfolgen lassen.« »Wir führen Sie gern dorthin, wo Mister Vance sich mit seinen Kumpanen getroffen hat«, sagte ich, »und auch dorthin, wo wir ihn entdeckt und erschossen haben. Alles liegt auf einer Linie.«
»Ich bin bereit, die Angaben meiner Scouts zu überprüfen«, sagte Lester. »Aber ich bin überzeugt, daß sie mir wahrheitsgemäß berichten. Sie stehen hiermit unter Arrest, bis ich Order aus Washington habe, wie mit Ihnen zu verfahren ist.« »Was wollen Sie tun?« krähte Randolph hysterisch. Er starrte noch immer in eine andere Richtung, um die Leiche nicht sehen zu müssen. »Sind hier denn alle verrückt geworden?« keuchte Swift. »Wir sind Regierungsbeamte. Wir unterliegen keinem Militärrecht.« »Der Kommandant dieses Forts bin ich«, sagte Lester. »Sie haben sich meinen Anordnungen, die die Sicherheit des Forts betreffen, zu unterwerfen. Mister Vance ist verbrecherischen Handlungen überführt worden. Sie gehören zu seiner Begleitung. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit Sie über die Aktivität von Mister Vance unterrichtet waren. Wenn ich keine vorbeugenden Maßnahmen ergreifen würde, müßten meine Vorgesetzten mich von meinem Posten als Kommandant ablösen. Ich werde die Sachverhalte nach Washington telegraphieren und Sie dann unterrichten. Solange bleiben Sie unter Gewahrsam. Ich erspare Ihnen eine Arrestzelle. Ich werde Sie durch einen Posten in ihre Quartiere bringen und dort bewachen lassen.« »Das ist unerhört!« brüllte Swift. »Das wird Sie Ihre Stellung kosten. Mister Vance ist ein unbescholtener, ehrenwerter Beamter. Wir sind seit Jahren seine Mitarbeiter. Wie können Sie es wagen, aufgrund haltloser Beschuldigungen solche Maßnahmen zu ergreifen?« Er starrte mich haßerfüllt an. Sein feistes Gesicht wurde zur Fratze. »Das haben Sie sich fein ausgedacht, Sie verdammter Mörder! Aber so werden Sie Ihren roten Kumpanen nicht helfen, so nicht!« Ich antwortete nicht. Lester gab einem der Torposten ein Zeichen. Sofort eilten zwei Trooper herbei. »Die beiden Gentlemen werden in ihre Quartiere gebracht und dort eingeschlossen«, sagte Lester. »Es ist ihnen untersagt, miteinander zu sprechen oder mit anderen Personen im Fort Verbindung aufzunehmen. Postenwechsel alle zwei Stunden. Der Befehl gilt, bis ich ihn widerrufe, und zwar nur ich persönlich. Kein
anderer Offizier kann die Anordnung aufheben. Verstanden?« »Verstanden, Sir!« Die Soldaten salutierten und schlugen die Hacken zusammen. »Das werden Sie bereuen!« sagte Randolph. »Das ist ja eine feine Bande hier. Der Fortkommandant und die Scouts machen gemeinsame Sache mit den Apachen.« »Noch ein Wort, Mister Randolph, und Sie werden eine Arrestzelle mit Strohsack und Wasser und Brot erhalten«, sagte Lester. »Es wird genügend Zeugen geben, die bestätigen, daß ich Sie überaus korrekt behandle. Ich wäre zu ganz anderen Maßnahmen berechtigt, aber ich werde den weiteren Verlauf der Dinge Washington überlassen. Das ist mehr als Sie verlangen können.« Er nickte den beiden Soldaten zu. »Wegtreten!« Die Trooper richteten ihre Gewehre auf Swift und Randolph, die sich mit kreidebleichen Gesichtern in Bewegung setzten. Lester wartete, bis sie außer Hörweite waren. Dann schaute er erst Jicarilla und dann mich ernst an und sagte »Ich hoffe, daß Ihre Geschichte keinen schwachen Punkt hat, sonst sind wir alle dran.« »Der einzige schwache Punkt, Sir, ist der Tod von Vance«, sagte ich. »Ich hätte ihn lieber lebend hergebracht. Er hätte zwar nicht geredet, aber vielleicht hätte man ihn doch weichgekriegt. Aber er hat auf mich geschossen. Warum hätte er auf mich schießen sollen, wenn er ein reines Gewissen hatte? Die Kugel in seiner Brust stammt aus seinem eigenen Gewehr.« »Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte Lester. »Vielleicht können wir jetzt noch das Schlimmste verhindern und die aufgebrachten Farmer beruhigen.« Er schaute Jicarilla an. »Bringen Sie den Toten weg. Er soll an einem kühlen Ort aufbewahrt und eingesargt werden.« Jicarilla nahm das Pferd von Vance am Zügel und führte es davon. Lester schaute ihm nach. Für einen Moment stand er in Gedanken versunken da. Ich wartete, denn ich hatte das Gefühl, daß er mit mir noch nicht fertig war. »Swift und Randolph haben Taglio wie ein Stück Dreck behandelt«, sagte Lester. »Ich darf mich nicht in die Verwaltung der Reservation einmischen, aber unter Berücksichtigung der Umstände
kann ich auch nicht tatenlos dabei zusehen, daß es womöglich einen Krieg gibt. Sind Sie müde, Ronco?« »Ja, Sir«, sagte ich. »Sehr müde.« »Ich möchte trotzdem, daß Sie in die Reservation reiten.« »Wenn es sein muß, Sir.« »Ich möchte, daß Sie die Apachen beruhigen. Ich werde das auf meine Kappe nehmen: Sagen Sie Taglio, daß ich drei Wagen voll mit Lebensmitteln aus den Vorräten von Fort Calhoun in die Reservation schicke. Ich glaube nicht, daß mir jemand daraus einen Vorwurf machen kann, nach dem, was geschehen ist.« Ich hob den Kopf und konnte plötzlich wieder grinsen. »Danke, Sir«, sagte ich. »Ich bin überhaupt nicht müde. Ich reite sofort.« »Gut«, sagte Lester und lächelte. Ich schwang mich in den Sattel und ritt zum Tor. Mein Herz schlug schnell. Wenn etwas Rettung versprach, dann war es diese Anordnung Lesters. Ich hatte das Gefühl, daß sich die Mühe und die Aufregung doch gelohnt hatten. * Ich erreichte die Reservation, als die Sonne unterging. Der Wind sang leise über die Ebene und zwischen den alten Hütten der Apachen. Er sang ein Totenlied. Ein Totenlied für Taglio. Ich führte sein Pferd am Zügel mit, und Taglio lag über dem Rücken des Ponys. Der tote Taglio. Ich sah die jungen Krieger, die Squaws und die Kinder vor den Hütten kauern und stehen. Sie schienen auf Taglios Rückkehr gewartet zu haben. Jetzt brachte ich ihn. Als ich die erste Hütte passierte, stieß eine Squaw einen lauten Schrei aus, der sich wie ein Echo fortplanzte. Die Klagerufe schwollen zu einem immer stärkeren Chor an, je weiter ich den Reitweg zwischen den Hütten hinunterritt. Vor Taglios Hütte hielt ich an. Hier stand seine Squaw. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und warf sich zu Boden. Ihr Klagegeheul gellte in meinen Ohren. Sie
preßte ihr Gesicht auf den Boden und schmierte sich Staub auf die Wangen und in die Haare. Ich ließ die Zügel von Taglios Pferd los. Ein paar Krieger tauchten vor mir auf. Lightman war dabei, auch Ta-pe und Little Raven. »Du bringst Taglio«, sagte Little Raven. »Ich habe ihn gefunden«, sagte ich. »Auf halbem Weg zwischen dem Fort und der Reservation. Jemand hat ihn ermordet.« »Jemand?« fragte Lightman. »Weiße Männer haben ihn ermordet.« »Wahrscheinlich«, sagte ich düster. »Er ist lebend von hier fortgeritten, um in Fort Calhoun zu sagen, daß die Apachen auch weiter Frieden wollen, und er kehrt tot zurück«, sagte Lightman. »Das ist der Frieden des weißen Mannes.« »Taglio wollte den Frieden«, erwiderte ich. »Colonel Lester will ihn auch. Ich war auf dem Weg zu euch, um euch zu informieren, daß ihr Lebensmittel erhaltet. Colonel Lester hat es angeordnet. Und dann fand ich Taglio.« »Wir wollen keine Lebensmittel mehr«, sagte Lightman. »Wir verhungern lieber, als daß wir uns von den Mördern Taglios füttern lassen.« »Niemand in Fort Calhoun hat etwas mit dem Mord zu tun«, sagte ich. »Es hatte auch Niemand von uns etwas mit dem Überfall auf die Farm zu tun«, sagte Little Raven. »Trotzdem wollte man uns dafür bestrafen.« »Ihr solltet nicht gleiches mit gleichem vergelten.« »Wir haben auf dich gehört und sind umgekehrt«, sagte Little Raven. »Wir wollten zeigen, daß es uns ernst ist mit dem Frieden. Wir haben geduldig den Hunger ertragen, und Taglio ist zum Fort geritten. Aber was hat es genutzt? Er ist tot.« »Ich habe …« »Geh!« sagte Lightman. »Nimm dein Pferd herum und reite, sonst werden wir dich töten.« »Hört zu, ich …« »Schweig!« sagte Little Raven, der mein Freund gewesen war. Seine Stimme hob sich. Ich sah die Verzweiflung in seinen Zügen.
»Kein Wort mehr. Keine weiteren Lügen über der Leiche von Taglio. Kehr um und reite, so schnell du kannst. Wir wollen dich nie wieder sehen!« Ich blickte ihn an und begriff, daß es sinnlos war, auf die Beleidigung zu reagieren. Sie hatten nicht Unrecht. Vielleicht hätte ich genauso gedacht wie sie. Ich zog mein Pferd herum und trieb es an. Das laute Geschrei der Squaws schien noch anzuschwellen. Keiner beachtete mich mehr, als ich aus dem Dorf ritt. Alles strömte bei der Hütte Taglios zusammen. Das Klagegeschrei der Squaws wurde für mich zum Spießrutenlaufen, bis ich das Dorf verlassen hatte. Es bereitete mir körperlich Schmerzen. Nichts war mehr in mir, was an Hoffnung dagewesen war. Nichts mehr von dem Triumph, den ich empfunden hatte, als ich Vance erwischt hatte. Ich hatte mit allen gerechnet, aber nicht mit der Ermordung Taglios, dieses alten Häuptlings. Vance war tot, aber seine Kumpane lebten noch und hatten vollstreckt, was Vance ausgekocht hatte. Was zählte jetzt noch, was Colonel Lester gesagt hatte? Nichts mehr. Den Hunger hatten die Apachen erduldet, die Demütigungen hatten sie hingenommen, aber der Tod Taglios überstieg alles andere. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt, ich fühlte mich winzig klein und lächerlich schwach. Ich hatte mir eingebildet, mich gegen eine Entwicklung stemmen zu können, die offenbar unvermeidlich war. Ich fragte mich, ob es noch ein Zurück gab und was geschehen mußte, um den Frieden am Rio Doro zu bewahren. Ich fragte mich sehr vieles in diesen Stunden, als ich zurückritt. Aber ich fand keine Antwort. Es wurde Nacht und die Dunkelheit umfing mich, und in diesen Stunden verlor ich den Glauben an den neuen Morgen. Ich hatte das Gefühl, in eine endlose Nacht zu reiten, und noch ahnte ich nicht, daß es für mich ganz persönlich genauso kommen würde. Ich ritt auf einen Abgrund zu …
ENDE
Vorschau Stets hatte der Ranger mit offenem Visier gekämpft – auch als er selbst noch ein Geächteter gewesen war. Aber jetzt heiligte der Zweck die Mittel, denn es galt, Siringo, den Ranger-Kameraden, aus dem mexikanischen Zuchthaus zu befreien. Die Idee zu der Maskerade hatte der Gouverneur gehabt – offiziell konnte er Ronco nicht helfen, aber er hatte ihm gewisse Türen öffnen können. Und darum reiste Ronco in der Verkleidung eines mexikanischen Stutzers, die Haare schwarz gefärbt, nach Pitiquito, wo Siringo im Zuchthaus saß. Nur die Augen hatte Ronco nicht färben können – und an diesen eisblauen Augen erkannte ihn ein Caporal der Rurales … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 346 dieser großen deutschen Western-Serie:
Die Maske des Rangers