Frank Moorfield
Die Bucht
der Schwarzen Raben
Island, Ende April 1598. Hoch oben in dem von Birken, Vogelbeerbäume...
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Frank Moorfield
Die Bucht
der Schwarzen Raben
Island, Ende April 1598. Hoch oben in dem von Birken, Vogelbeerbäumen und Weiden bewachsenen Hang ließ Bjarni, der alte Knecht der Gunnarssons, das schwere Reisigbündel von der Schulter gleiten. „Die Raben!" entfuhr es ihm. „Bei Thor und Odin - die Schwarzen Raben kommen!'' Voller Entsetzen starrte er in die kleine Bucht hinunter, in der eine zweimastige Schaluppe vor Anker ging. Obwohl der Tag sonnig war, jagten ihm eiskalte Schauer über den Rücken. Das Gehöft der Gun narssons war in höchster Gefahr - er mußte seinen Herrn warnen, und zwar so schnell wie möglich . . .
Die Hauptpersonen des Romans: Leifur Gunnarsson - er bewirtschaftet einen großen Hof an der isländischen Südküste, bis eines Tages die „Schwarzen Raben" dort auftauchen. Egill - der fanatische Anhänger des altnordischen Gottes Odin und beutehungri ger Anführer der „Schwarzen Raben" kennt keine Gnade. Jerry Pinewood - dem Mann aus Grimsby bringen die Schätze, die er sucht und findet, kein Glück. Thorfin Njal - die Sehnsucht nach dem sagenhaften Thule treibt den Wikinger wieder einmal zum Isa-Fjord an Islands Nordwestküste. Philip Hasard Killigrew - mit seinen Arwenacks fischt er einen Schiffbrüchigen aus der See, was zu einer Kette unerwarteter Ereignisse führt.
1. Die milde Witterung hatte die Be wohner des einsam gelegenen Hofes ins Freie gelockt. Die Sonne ließ die Farben der bizarren Felsenland schaft aufleuchten, und die klare Luft schien die schneebedeckten Berggipfel der Insel in greifbare Nähe zu rücken. Leifur Gunnarsson und die ande ren Männer seiner Sippe hatten heute schon früh die Boote an Land gezo gen und den Fang in großen Weiden körben zum Hof geschleppt. Es war ein recht ergiebiger Tag gewesen. Man würde einen Großteil der Dorsche, Schellfische, Rotbarsche und Seelachse durch Trocknen und Räuchern haltbar machen. Während man mit den Vorbereitun gen dazu begann, nutzten einige jün gere Männer das trockene Wetter für längst überfällige Reparaturen an den mit Erde, Gras und Steinen be deckten Hausdächern. Auf dem Hof hatten die Frauen ein offenes Feuer entfacht. Dem riesigen, gußeisernen Kessel, der darüber bau melte, und den Spießen, die von den Mägden geduldig gedreht wurden,
entströmte der Duft von gebratenem Fisch und Seehundfleisch. Die Stimmung war gut auf dem Hof der Gunnarssons - wie immer, wenn es einen guten Fang gegeben hatte. Zudem hatte Leifur Gunnarsson ver sprochen, nach dem Mahl einige Fla schen „brennivin", jenes isländischen Schnapses, zu öffnen, der seines „Heizvermögens" wegen nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen besonders beliebt war. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Die hohe, keifende Stimme des al ten Bjarni ließ die Gunnarssons auf horchen. Der grauhaarige Alte lief den holprigen Pfad hinunter, der von den mannshohen, die Hänge überwu chernden Buschwäldern zum Gehöft führte. „Die Raben, die Raben!" schrie er mit sich überschlagender Stimme und deutete heftig gestikulierend in die Richtung, in der die kleine Bucht lag. Leifur Gunnarsson, ein hochge wachsener, kräftiger Mann mit dich tem, blondem Bart, setzte einen Wei denkorb ab und blickte dem keu
5 chend herantorkelnden Knecht ver wundert entgegen. „Was ist los, Bjarni?" fragte er. „Seit wann hast du Angst vor Ra ben?" Der Alte schüttelte den Kopf. „Es sind keine Vögel", japste er. „Es sind die ,Schwarzen Raben' Odins. Sie sind mit einem Zweima ster in die kleine Bucht eingelaufen. Ich habe sie deutlich erkannt, Herr. Ihre roten Umhänge waren nicht zu übersehen. Es ist eine schlimme, mordlüsterne Bande. Ich habe schon damals auf dem Hof der Halgrims ei nen ihrer Überfälle miterlebt. Sie rauben, morden und plündern ohne Erbarmen..." Das angstvolle Flackern in Bjarnis Augen und seine zitternden Hände überzeugten Leifur Gunnarsson da von, daß die Warnung ernst genom men werden mußte. Er hatte zwar schon einmal von jenen Schnapphäh nen gehört, die weit entfernt, an der Ostküste, ihr Unwesen treiben soll ten, doch hatte er die Geschichte für eine jener Legenden gehalten, die man sich an langen Winterabenden am wärmenden Feuer erzählte. Hier im Süden waren diese merk würdigen Burschen jedenfalls noch nicht in Erscheinung getreten. Soll ten sie ihre Streifzüge tatsächlich bis hierher ausgedehnt haben? Gunnars son spürte ein Unbehagen in sich auf steigen und entschloß sich zur Vor sicht. Die Bucht, von der Bjarni gespro chen hatte, lag nicht weit vom Hof entfernt. Man durfte deshalb keine Zeit verlieren. „Nehmt eure Waffen, Männer!" brüllte er über den Hof. „Wenn
Bjarni sich nicht getäuscht hat, müs sen wir mit einem Überfall rechnen." Die Sippe der Gunnarssons geriet augenblicklich in Bewegung. Wäh rend die Männer die Arbeit unterbra chen, um ihre Waffen aus den Häu sern zu holen, eilten die Frauen er schreckt mit den Kindern davon, um sich in der zerklüfteten Felsenland schaft zu verstecken. „Wie viele dieser Halunken hast du gesehen, Bjarni?" fragte Gunnarsson. Er schnallte einen Gürtel um, an dem ein Schwert baumelte, dann griff er nach einer Muskete, um sie zu laden. Bjarni wischte sich mit dem Hand rücken den Schweiß von der Stirn. „Ich hatte keine Gelegenheit, sie zu zählen, Herr. Die Schaluppe warf ge rade den Anker, als ich sie entdeckte. Es waren jedoch viele Männer an Bord. Ich habe mich gleich auf den Weg begeben..." „Schon gut, Bjarni", unterbrach ihn Leifur Gunnarsson. „Du hast richtig gehandelt. Sollten diese Hei den tatsächlich die Hände nach unse rem Hof ausstrecken, werden wir ih nen im Namen Jesu Christi Einhalt gebieten." Für den bärtigen Gunnarsson ge hörten die alten Götter der Vorfahren längst der Vergangenheit an. Er war - wie die meisten Isländer - im Chri stenglauben erzogen worden und blickte den Dingen, die da kommen sollten, furchtlos entgegen. Und die Dinge kamen - schneller als Leifur Gunnarsson erwartet hatte. Er, seine jüngeren Brüder, die erwachsenen Söhne und die vier Knechte, die es außer dem alten Bjarni noch auf dem Hof gab, schaff ten es nicht mehr, die Vorräte und die wertvollsten Teile ihrer Habe oder so
6 gar die Tiere, die sich teils in den Stal lungen und teils auf der Weide befan den, in Sicherheit zu bringen. Kaum hatten sie die notwendigsten Waffen zusammengetragen und die Musketen und Pistolen aufgeladen, tauchten auch schon die ersten Ge stalten aus westlicher Richtung zwi schen den mächtigen Steinblöcken auf. „In Deckung - sie kommen!" brüllte Gunnarsson, riß seine Mus kete an sich und lief auf die wuchti gen Holzbauten der Stallungen zu. Die „Schwarzen Raben" quittierten das mit höhnischem Gelächter. Sie waren es offenkundig gewohnt, daß ihr Auftauchen für die nötige Aufre gung sorgte. Und in der Tat - diesen wilden Haufen schien die Hölle aus gespuckt zu haben. Die wüsten, bärtigen Gesellen, die haßerfüllt und voller Habgier den christlichen Isländern den Kampf an gesagt hatten, nannten sich in Anleh nung an die legendären, gefiederten Begleiter ihres Gottes Odin „Schwarze Raben" und boten überall, wo sie auftauchten, einen furchterre genden Anblick. Dafür sorgten allein schon die halb langen, leuchtendroten Umhänge, die sie über der üblichen Kleidung tru gen. Auf den Rückseiten der Gewän der waren auf Veranlassung ihres Anführers, der Egill genannt wurde, riesige schwarze Raben eingestickt worden. Egill hatte es vor Jahren verstan den, die wilde Horde von entlaufenen Sträflingen, die sich ständig auf der Flucht vor den Häschern des däni schen Königs befunden hatte, fest in den Griff zu kriegen.
Egills bärtiges Gesicht drückte Spott und Verachtung aus. „Verkriecht euch nur in eure Rat tenlöcher!" dröhnte seine tiefe Stimme über den Hof der Gunnars sons. „Gleich werden euch die Raben fressen!" Unmittelbar darauf zerrissen die ersten Musketenschüsse die Stille der nordischen Landschaft. Die bis an die Zähne bewaffneten „Schwarzen Raben" nutzten die Dek kung des Gesteins, um die Schußwaf fen sofort nachzuladen. Die Schwer ter, Speere, Messer und Äxte, die sie mit sich schleppten, waren für die ei gentliche Offensive bestimmt. Einige Hofbewohner erwiderten das Feuer. Noch boten ihnen die Ge bäude ausreichenden Schutz. Die Ku geln ihrer Musketen prallten jedoch wirkungslos gegen die Felsen und sirrten dann als Querschläger durch die Gegend. „Hört sofort auf zu schießen!" be fahl Gunnarsson. „Wir brauchen die Schußwaffen, wenn die Kerle versu chen, den Hof zu stürmen. Solange sie sich in der Deckung der Felsen auf halten, ist es schade um jede Kugel." Das leuchtete den Männern ein. Diejenigen, die ihre Musketen bereits abgefeuert hatten, begannen sie ei ligst nachzuladen. Aus den Reihen der „Schwarzen Raben" dröhnte abermals ein nerven aufreibendes Gelächter herüber. Of fenbar gehörte es zur Einschüchte rungstaktik dieser Bande. „Was ist los?" ließ sich die tiefe Stimme ihres Anführers vernehmen. „Ist euch das Blei ausgegangen, oder habt ihr schon die Hosen voll?" „Du kannst ja mal rüberkommen und nachsehen!" brüllte Leifur Gun
7 narsson zurück. Zu seinen Leuten wurde wie von einer unsichtbaren sagte er: „Laßt euch nicht provozie Faust geschüttelt. Während ein qual ren. Wir schießen erst, wenn sie die volles Stöhnen über seine Lippen Deckung verlassen." drang, brach er zusammen. Den aus Die Gunnarssons hielten sich daran der Holzwand gerissenen Pfeil, des - auch als die Schnapphähne eine sen Spitze immer noch brannte, hielt weitere Salve abfeuerten, und die Ku er in der rechten Hand. Gisi war tot. geln in die Holzwände der Gebäude Leifur Gunnarsson biß in ohnmäch schlugen. tiger Wut die Zähne zusammen. Zum Für kurze Zeit blieb nun alles still. erstenmal wurde ihm bewußt, daß es „Weiß der Teufel, was die Kerle sehr schwer werden würde, den Über jetzt aushecken", bemerkte einer der fall dieser Mordbuben abzuwehren. Söhne Gunnarssons. „Man müßte Zugleich aber bestärkte ihn gerade eine Kanone haben, damit könnte dieser Vorfall in seinem Entschluß, man das Gesindel aus den Felsen den Hof und seine Bewohner bis zum schießen." letzten Blutstropfen zu verteidigen. „Wir haben aber keine", sagte Gun Ähnlich dachten auch die übrigen narsson. „Außerdem werden sie uns Gunnarssons. Lediglich die Knechte bestimmt nicht lange über ihre weite zuckten nervös zusammen, als die be ren Pläne im unklaren lassen." reits bekannte Baßstimme abermals Kaum hatte der Hofbesitzer diese zu ihnen herüberdröhnte. Worte ausgesprochen, zischten zwei „Da steckt noch ein zweiter Pfeil in Brandpfeile in sanftem Bogen über der Wand!" brüllte Egill. „Will den die Hoffläche und bohrten sich mit ei niemand herausziehen?" nem dumpfen Geräusch in das Holz Gunnarsson wurde bleich vor Wut. eines Schuppens. „Schert euch zum Teufel, ihr Ba „Oh, verdammt, das hat uns gerade starde!" noch gefehlt!" stieß Gisi, einer der Mit höhnischem Lachen verdeut Brüder Gunnarssons hervor. „Wir lichten die „Schwarzen Raben" den müssen die Pfeile aus der Wand rei Hofbewohnern, daß sie solche Auf ßen, sonst haben wir im Handumdre forderungen nicht im geringsten be hen den schlimmsten Brand." Er eindruckten. lehnte seine Muskete gegen die Rück Einer der Söhne Gunnarssons deu seite des Gebäudes, das ihnen als Dek tete stumm zum Schuppen hinüber. kung diente, und lugte vorsichtig um Unter dem Rand des Daches züngel die Ecke. ten Flammen hervor. Beißender „Laß das", herrschte ihn Leifur Qualm hob sich in einer grauen Gunnarsson an, „es ist zu gefähr Wolke in den Himmel. Doch den Män lich!" nern waren die Hände gebunden. Aber der etwas hitzköpfige Gisi Zum gegenwärtigen Zeitpunkt war stürmte bereits zu dem nahegelege es unmöglich, etwas gegen den begin nen Schuppen hinüber und griff blitz nenden Brand zu unternehmen, das schnell nach einem der Pfeilschäfte. hatte das sinnlose Sterben Gisis nur In diesem Moment blitzte es in den allzu deutlich gezeigt. Es blieb ihnen Felsen zweimal auf. Gisis Körper nichts anderes übrig, als das im
8 Schuppen gelagerte Holz, die Fischer netze, Karren und Werkzeuge abzu schreiben. Während die Gunnarssons mit schußbereiten Musketen und Pisto len auf den offenen Angriff der Odin anbeter warteten, breitete sich das Feuer rasch aus. Schon in erstaunlich kurzer Zeit stand der gesamte Schup pen in hellen Flammen. Die sich be treten anblickenden Männer verspür ten die sengende Hitze am eigenen Leib. „Wir müssen endlich etwas unter nehmen", sagte einer der Gunnars sonbrüder. „Wenn es den Burschen einfällt, schießen sie den ganzen Hof in Brand." „Das glaube ich nicht", erwiderte Leifur. „Bei diesen Heiden handelt es sich um Schnapphähne, die Beute schlagen wollen. Wenn der Hof je doch abbrennt, gibt es für sie nichts mehr zu holen." Damit sollte er sich nicht getäuscht haben, denn während er noch redete, setzte der Sturm der „Schwarzen Ra ben" auf seinen Hof ein. Urplötzlich, wohl mit einer gewis sen Ablenkung durch das brennende Gebäude rechnend, brach die wilde Schar aus ihrer Deckung hervor. Die leuchtendroten Umhänge verliehen den Angreifern ein beinahe ge spenstisches Aussehen. „Musketen und Pistolen ab feuern!" brüllte Leifur Gunnarsson. Gleich darauf krachte ein gutes Dut zend Schüsse hinter den Gebäuden hervor. Aber die Gunnarssons zählten nicht gerade zu den besten und geüb testen Schützen. Nur zwei der Angrei fer brachen von Musketenkugeln ge troffen zusammen. Da zum Nachla
den der Schußwaffen keine Zeit blieb, war damit ein mörderischer Kampf Mann gegen Mann nicht mehr zu umgehen. Im Handumdrehen war auf dem Platz vor den Häusern der Teufel los. Das blanke Metall von Schwertern, Äxten, Speeren und Messern blitzte im hellen Licht der Mittagssonne. Während sich die Gunnarssons ent schlossen zur Wehr setzten, nutzte der wüste Haufen Egills seine Über macht erbarmungslos aus. Außer dem klirrenden Geräusch der aufeinanderprallenden Waffen überlagerten laute Flüche und an feuerndes Gebrüll die sonst so friedli che Landschaft. Gnadenlose Axt kämpfe lagen in ständigem Wechsel mit heftigen Schwertduellen und Messerattacken. Mit zusammengepreßten Lippen sah Leifur Gunnarsson, wie einer sei ner Brüder und zwei Knechte von Speeren getroffen zusammenbra chen. Niemand hatte Zeit, sich um sie zu kümmern. Er selber warf sich Egill, dem verkommen aussehenden Anführer der „Schwarzen Raben", mit dem Schwert entgegen. „Stirb, du gottloser Halunke!" brüllte er, aber Egill wich seinem wuchtig geführten Schwerthieb ge schickt aus. Gunnarsson wirbelte flink herum und drang erneut mit kraftvollen Hie ben auf den Oberschnapphahn ein. Dieser wehrte die heftigen Ausfälle zunächst erfolgreich ab, geriet aber bald durch die wilde Entschlossen heit Gunnarssons in ziemliche Be drängnis. Dennoch kehrte das spöt tische und hinterhältige Grinsen bald wieder in sein Gesicht zurück - dann
9 nämlich, als ihm einer seiner Kerle zu Ställen getrieben, um damit ihre Frischfleischvorräte zu ergänzen. Hilfe eilte. Für Gunnarsson nicht sichtbar, nä Nachdem die „Schwarzen Raben" herte sich ihm ein hochaufgeschosse schließlich mit mehreren Trans ner, hagerer Bursche von hinten und portmärschen ihre Beute zu der klei hob die Faust mit dem Messer. Gun nen Bucht gebracht hatten, in der ihr narsson nahm ihn aus den Augenwin Schiff vor Anker lag, erinnerten nur keln heraus als Schatten wahr und noch schwelende Trümmerhaufen an versuchte noch, sich mit einem den Gunnarssonhof. Sprung zur Seite aus der direkten Der einzige männliche Hofbewoh Gefahrenlinie zu bringen, aber zu ner, der den Überfall ungeschadet spät. Die Klinge des Messers fuhr mit ei überstanden hatte, war der alte nem brennenden Schmerz irgendwo Knecht Bjarni. Zu schwach für einen zwischen seine Schulterblätter. Er harten Kampf, hatte er sich zu dessen spürte noch, wie sich seine Hand Beginn im Gestein hinter dem Hof kraftlos vom Griff des Schwertes lö versteckt. ste, dann glaubte er in ein endlos tie Während die gnadenlosen Verbre fes und dunkles Loch zu stürzen. cher zum Plündern in die Gebäude Der Kampf um den Gunnarssonhof eingedrungen waren, hatte er es ge ging unerbittlich weiter. Die Chancen wagt, seinen schwerverletzten und für seine Verteidiger wurden von Mi besinnungslosen Herrn, den er zu nute zu Minute aussichtsloser. Je nächst für tot gehalten hatte, mit letz mehr die kleine Schar zusam ter Kraftanstrengung in sein Ver menschmolz, desto verzweifelter steck zu schleifen. Dort hatte er so fort damit begonnen, die blutende wurde ihre Lage. Wunde Gunnarssons mit dessen Schon eine Stunde später standen Hemd notdürftig zu verbinden. alle Gebäude des Hofes, einschließ Jetzt aber, da von Egill und seinen lich der Stallungen und Vorrats schuppen, in Flammen. Die Plünde Teufeln nichts mehr zu sehen war, rungsaktion der „Schwarzen Raben" rechnete er damit, daß auch die war bereits abgeschlossen. Alles, was Frauen und Kinder bald aus ihren Egill und seinen Kerlen brauchbar er Verstecken zurückkehren würden. schienen war, hatten sie auf dem Vielleicht würde es mit ihrer Hilfe ge Platz vor den Häusern zusammenge lingen, den immer noch bewußtlosen Gunnarsson am Leben zu erhalten. tragen. Darunter waren die Waffen der To Über alles, was über dieses Ziel hin ten, die Vorräte an gepökeltem und ausging, wagte der grauhaarige luftgetrocknetem Fleisch, die geräu Bjarni noch nicht nachzudenken. Den cherten Fische und natürlich auch die Hof gab es nicht mehr, und so lag es zahlreichen Branntweinflaschen. Die wieder einmal in der Hand Thors, Schafe, Ziegen und Schweine hatten Odins oder auch des Christengottes, die Schnapphähne, noch bevor sie wie die Zukunft der wenigen Überle den Hof in Brand steckten, aus den benden aussehen würde.
10 2. Unheil lag in der Luft. Der handige Nordostwind entwickelte bösartige Schärfe. Dunkle Wolken schoben sich drohend wie ein apokalyptisches Rei terheer über die Kimm. Ein seltsames Vibrieren lag über der fast schwarzen Wasserfläche des Nordmeeres. Philip Hasard Killigrew, der See wolf, beobachtete die langen weißen Schaumstreifen und zog die Brauen zusammen. „Nach gutem Frühlingswetter sieht das nicht gerade aus", sagte er. Der Wind zerwühlte sein schwarzes Haar und zerrte zunehmend an den Latei nersegeln der dreimastigen Sche becke. „Dabei ist heute Sonntag", sagte Old Donegal Daniel O'Flynn beinahe vorwurfsvoll. „In London lustwan deln die Jungfrauen am Ufer der Themse und pflücken im strahlenden Sonnenschein kleine Sträußchen Ver gißmeinnicht." Der Seewolf lächelte. „Vielleicht kannst du bald den isländischen Jungfrauen beim Pflücken von Eis blumen helfen. Die nordischen Mai den sollen nicht weniger hübsch sein als die englischen." Dem Profos Edwin Carberry ent lockte diese Bemerkung Hasards ein glucksendes Lachen. „Meinst du wirklich, Sir, daß unser guter alter Donegal eine Jungfrau von einer Windsbraut unterscheiden kann?" Bevor der Seewolf etwas darauf er widern konnte, verzog Old Donegal das von Wind und Wetter gezeichnete Gesicht zu einem harten Grinsen. „Immerhin", erklärte er, „habe ich auch meine hübsche Mary von den
Windsbräuten unterscheiden können, nicht wahr?" Er spielte damit auf seine späte Heirat mit Missis Mary Snugglemouse an. „Außerdem habe ich es wohl auch verstanden, auf die richtige Art und Weise mit diesem herzigen Weib - äh - umzugehen, wie das mein kleiner Edwin Shane be weist. Du aber, mein lieber Ed, kannst nicht mal einen weiblichen Hering von einer Klapperschlange unterscheiden, geschweige denn, eine holde Jungfrau von des Teufels Groß mutter." „Jetzt hat er dir's aber gegeben, Ed", sagte Hasard lachend. „Genau genommen kann man ihm schlecht was entgegenhalten - zumindest, was den kleinsten und jüngsten O'Flynn betrifft." Edwin Carberry winkte ab. „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn", verkündete er. „Außer dem - vielleicht war's auch gerade ein Sonntag. Einigen seiner Ge schöpfe soll der Großlord da oben im Himmel an diesem Tag ja besonders gnädig gesonnen sein . . . " Der Seewolf unterbrach die Diskus sion, indem er den Blick erneut zur Kimm richtete. „Dann wollen wir mal hoffen, daß wir auch ein bißchen von der Sonn tagslaune des Großlords profitieren", sagte er. „Brauchen könnten. wir's. Da braut sich nämlich was zusam men." In der Tat - die Wolkenbänke, die sich heranschoben, wurden immer dichter und dunkler. Da die Seewölfe nicht zum ersten Mal das Nordmeer befuhren, konnten sie sich lebhaft vorstellen, was sich da auf sie zu schob. Vom norwegischen Bergen kom
11 mend, lagen sie Island an - das „Land ständen, sondern auch mit den Tieren aus Feuer und Eis". Viele nannten die an Bord. Insel so, weil auf ihr Gletscher und Was die Wolfshündin Plymmie und Vulkane einen ständigen Kampf um den Schimpansen Arwenack betraf, die Vorherrschaft führten. gestaltete sich das ziemlich pro Die Seewölfe waren nicht allein auf blemlos. diesem Törn. In ihrem Kielwasser, et Sir John, der karmesinrote Aracan liche Kabellängen hinter der Sche gapapagei, dachte jedoch nicht dar becke, folgte der Schwarze Segler des an, sich einsperren zu lassen und wi Wikingers, der den poetischen Na dersetzte sich sämtlichen Versuchen men „Eiliger Drache über den Was der Söhne des Seewolfs, ihn unter sern" trug. Deck zu bringen, indem er stets mit Man hatte Thorfin Njal und seine kräftigen Flügelschlägen den Stand Mannen samt der mandeläugigen Eu ort wechselte. Auch die verführe rasierin Siri-Tong endlich getroffen. rischsten Leckerbissen lockten ihn Der Wikinger hatte in Bergen eine nicht. Ladung Eisenerz bestellt, die er in die „Fallen Anker, ihr lausigen Seegur Karibik zu bringen gedachte. ken!" rief er aufgebracht und verlieh Vor ihrer Übernahme wollte er je seinen Worten durch imposantes Flü doch unbedingt einen Abstecher nach gelschlagen entsprechenden Nach Island unternehmen, um auf dem im druck. Isafjord gelegenen Thorgeyrhof, der „Ich hab's", verkündete Philip ju Heimat seiner Frau Gotlinde, nach nior schließlich. „Wir holen seine Ba dem Rechten zu sehen. Er hatte die dewanne. Und wenn er drinsitzt, wer Arwenacks gebeten, ihn auf dieser fen wir ein Stück Segeltuch darüber." Fahrt zu begleiten, zumal auch sie Wenig später tauchte er mit einem eine besonders enge Beziehung zu flachen Holzbottich auf, in den sein den Bewohnern des einsam gelege Bruder Hasard eine Pütz Wasser nen Hofes hatten. schüttete, die er eilig an Bord gehievt Daß die Fahrt, wie Carberry das hatte. ausdrückte, „ein bißchen stürmisch" „Na, komm schon, Sir Jöhnchen!" werden würde, bereitete den Arwe rief Philip und platschte mit den Hän nacks nur wenig Kopfzerbrechen. den im flachen Wasser. Schließlich hatten sie schon so man Für gewöhnlich konnte der Vogel chen schweren Sturm abgewettert, dem nicht widerstehen. Diesmal aber seit sie die Weltmeere befuhren. äugte er mißtrauisch zu seinem Bade Auch in der jetzigen Situation be zuber und ließ sich dann nach kur durfte es nur weniger Kommandos zem Flug auf einer Taurolle nieder. des Seewolfs. Jeder an Bord wußte, „Scheißfraß heute, Kutscher!" Er wo sein Platz war, und was er zu tun schickte dieser Feststellung einen hatte. lauten Pfiff hinterher, unternahm je So wurde zunächst einmal alles, doch keinerlei Anstalten, der hinter was nicht fest mit dem Schiff verbun hältigen Einladung der Zwillinge den war, unter Deck geschafft. Das Folge zu leisten. geschah nicht nur mit toten Gegen Ferris Tucker, der rothaarige
12 Schiffszimmermann, lachte pru stend. „So schlau wie ihr ist der Bursche schon lange", sagte er. „Da könnt ihr bis zum Jüngsten Tag warten, bis er euch auf den Leim geht." Das sahen die beiden Junioren schließlich auch ein. „Der Profos muß her", entschied Hasard junior. „Wenn's einer schafft, dann er." Als Edwin Carberry nahte, trip pelte Sir John erwartungsvoll auf der Taurolle hin und her und plärrte in ständigem Wechsel: „Hopp-hopp, hepp-hepp...!" „Willst du wohl deinen frechen Schnabel halten, du kariertes Step penhuhn?" röhrte der Profos. „Wenn das Wetter losbricht, bläst dich der Wind glatt nach Südamerika zu rück." „Dummbart!" lautete der Kom mentar des Papageis, dennoch schien ihn die Stimme seines Herrn und Lehrmeisters ungemein zu beruhi gen, denn er blieb endlich sitzen und brabbelte noch irgend etwas Unver ständliches in seine aufgeplusterten Halsfedern. Der Profos näherte sich ihm mit langsamen Schritten und ging schließlich vor ihm in die Hocke. „Es gibt nur drei Möglichkeiten, mein kleiner Liebling", verkündete er Sir John. „Entweder hüpfst du in deine Badewanne, oder du läßt dich so von mir unter Deck bringen. Wenn nicht, sorge ich dafür, daß dich der Kutscher in der Pfanne brät. Hast du das kapiert?" Sir John hielt den Kopf schief und beäugte den wuchtigen Mann mit dem gewaltigen Rammkinn. Dann ge schah wieder einmal das, was den Ar
wenacks stets ein ungläubiges Stau nen abrang. Der Vogel flatterte auf Carberrys Schulter und ließ sich wie ein verliebter Gockel an seinem Ohrläppchen knabbernd - unter Deck bringen. „Man muß nur vernünftig mit dem Burschen reden", sagte Carberry sachlich, bevor er mit Sir John in der Luke verschwand. „So ein Piepvogel ist schließlich auch nur ein Mensch." Die Arbeit an Bord ging ohne Un terbrechung weiter. Der Seewolf ließ als nächstes Manntaue spannen, die längs des Decks verliefen und den Männern bei Sturm zum Festhalten dienten. Danach wurden die Luken verschalkt. Hasard setzte das Spektiv ans Auge und blickte in nordwestliche Rich tung. „Da müßten bald einige der nördli chen Shetlandinseln auftauchen", sagte er zu Ben Brighton, seinem Stellvertreter. „Dort gibt es genug Buchten, in denen wir Schutz vor dem Sturm finden können." „Bei dem, was sich da zusam menbraut, sollte man sich diese Gele genheit nicht entgehen lassen", meinte Ben. „Auch Thorfin wird si cherlich nichts gegen die kurze Unter brechung des Törns einzuwenden ha ben." Er wandte sich um und sah nach dem Schiff des Wikingers, das achteraus folgte. Der mächtige Viermaster, bei dem es sich um eine Kombination von Ga leone und Dschunke handelte, wirkte in der düsteren Atmosphäre des auf kommenden Unwetters mit seinem schwarzen Rumpf und den schwar zen Segeln wie ein finsteres Unge heuer. Wie deutlich zu erkennen war,
13 hatte Thorfin bereits Marssegel, Großsegel und Blinde wegnehmen lassen, um den Schwierigkeiten, die ein plötzliches Umspringen des Win des mit sich bringen konnte, zu entge hen. Im Gegensatz zur Schebecke der Arwenacks waren Fockmast, Groß mast und Hauptmast des Seglers rah getakelt. Lediglich der Besan führte ein Lateinersegel. Auch der Seewolf hatte bereits die Fläche der Segel um einiges verrin gern lassen, zumal das gespenstische Orgeln und Pfeifen des Windes stän dig zunahm. Es wurde immer schwie riger für die Crew, das Schiff auf Kurs zu halten. Pete Ballie, der stämmige Ruder gänger, mußte zu diesem Zweck an der Pinne eine ganze Menge an Mus kelkraft investieren. Auch einige weitere Blicke durch den Kieker brachten noch keine neuen Erkenntnisse. „Noch nichts von den Shetlandin seln zu sehen", sagte Hasard. „Aller dings wird die Sicht auch immer schlechter." In der Tat nahm das anfängliche dunstige Grau immer mehr an Schwärze zu. Das Toben der Ele mente verstärkte sich. Die heranrol lenden Wellen entlockten der Sche becke ein fast rhythmisches Ächzen und Stöhnen, das zeitweilig vom Knarren der Rahruten übertönt wurde. Endlich drang die Stimme Dan O'Flynns, der nach wie vor über das schärfste Sehvermögen an Bord ver fügte und deshalb zum Ausguck auf geentert war, durch das Getöse. „Deck! Insel Steuerbord voraus!" lautete seine Meldung. Die übrigen Männer der Crew sa
hen zwar noch nichts, aber sie wuß ten sehr wohl, daß sie sich auf den Adlerblick Dan O'Flynns verlassen konnten. Dem Seewolf wurde die Ankündi gung der Shetlandinseln kurz darauf durch die Optik des Spektivs bestä tigt. „Also doch", sagte er zufrieden. Bald darauf gab er den Befehl, nach Backbord abzufallen. Das Gewirr von rund hundert Inseln und Insel chen schien ihm in bezug auf den scharfen Nordostwind am meisten Si cherheit zu versprechen. Immerhin würden die Landmassen als natürli cher Schutzwall dienen. Für die Arwenacks gab es weiter hin alle Hände voll zu tun. Der Wind wurde immer böiger und tückischer, die dunklen, fast schwarzen Was sermassen brodelten und schäumten. Überkommende Seen klatschten auf das Deck und liefen gleich darauf gurgelnd und rauschend durch die Speigatten ab. Die kurze Fahrt zu den schützenden Inseln entwickelte sich mehr und mehr zu einem höllischen Unternehmen. Als sich Edwin Carberry zum Vor schiff durchschlug, entdeckte er den Alten mit dem Holzbein in der Nähe des Fockmastes. Die Fäuste um ein Tau geklammert, starrte er für kurze Zeit prüfend in die tiefhängenden Wolken. „Wenn du hinter die Kimm sehen willst, Donegal", brüllte der Profos mit Donnerstimme, „mußt du erst mal den schwarzen Vorhang wegzie hen!" „Wenn du mir die Leiter hältst, kann ich es ja mal versuchen", brüllte Old O'Flynn zurück und setzte seinen Weg nach achtern fort.
14 Carberry moserte lauthals auf dem nen" oder - sofern er schlecht gelaunt Vorschiff herum, wünschte den böi war - sogar eine „Rotznase". Insge gen Nordostwind zum Teufel und for heim aber wünschte sich der Alte, derte die Windsbräute auf, „endlich daß sein jüngster Sprößling aus der mal die drallen Hinterteile zuzuknei Ehe mit Mary Snugglemouse einmal fen", alldieweil es hier schon zugig ge so werden würde wie Dan. nug sei. Dans scharfer Blick, durch das Die Arwenacks konnten trotz des Spektiv verstärkt, war auch diesmal schweren Wetters ein Grinsen nicht nicht erfolglos. unterdrücken. Solange ihr Profos „Deck!" brüllte er. „Große Bucht fluchte, und Old Donegals geistige zwei Strich nach Backbord." Verbindung zu den Hinterkämmer „Verstanden!" rief Hasard zurück. chen der Kimm nicht gestört wurde, war an Bord noch alles in Ordnung, „Enter sofort wieder ab!" Dann gab er die Meldung an Pete darüber waren sie sich im klaren. Eine der zahlreichen Shetlandin Ballie weiter, der einen ständigen seln wuchs bald wie eine schwarze Zweikampf mit der Pinne ausfocht, und veranlaßte danach die nötigen Mauer am Horizont hoch. „Wir haben es geschafft, Sir!" rief Segelmanöver. Bald darauf lief die Schebecke mit Dan O'Flynn, der gleich, nachdem er die Inseln Steuerbord voraus gemel halbem Wind in die Bucht ein, und det hatte, vom Ausguck abgeentert „Eiliger Drache über den Wassern" folgte ihrem Beispiel. war. Jeder wußte, daß es während eines Die Höllenfahrt war zu Ende, vor Sturmes dort oben nicht nur äußerst erst wenigstens, denn sie hatten im ungemütlich, sondern ebenso gefähr Hinblick auf ihr Ziel, die nordische lich war. Dennoch drang Dan darauf, Insel Island, nicht einmal die halbe abermals hinaufzuklettern, weil ein Strecke hinter sich gebracht. Um den entsprechender Ausblick das Auffin nächsten Tag bereiteten sich der See den einer geeigneten Bucht wesent wolf und seine Mannen noch keine lich beschleunigen würde. Sorgen. Nachdem er sich ein Spektiv in den Die Bucht blieb von den Auswir Gürtel geschoben hatte, enterte er kungen des heftigen Sturmes weitge flink nach oben. Daß der scharfe hend verschont, dafür sorgten hohe Wind ihn regelrecht durchpeitschte Felswände und steile, grasbewach und wie wild an seinen blonden Haa sene Hänge, die sie zum Land hin ab ren zerrte, war für ihn kein Hinde grenzten. Für beide Schiffe fand sich rungsgrund. ein günstiger Ankerplatz. „Ja, ja, klettern kann er, der Die Männer waren durchnäßt und Kleine", sagte Old Donegal mit einem hungrig, dennoch waren sie froh dar gewissen Vaterstolz. „Da könnte es über, diesen Unterschlupf gefunden selbst unser Bordaffe mit dem Neid zu haben, zumal niemand mit Gewiß zu tun kriegen." Obwohl Dan längst heit sagen konnte, wie lange das Un ein gestandenes Mannsbild war, wetter dauern würde. Es konnte sich nannte er ihn immer noch „den Klei durchaus von einer Stunde zur ande
15 ren legen, sich aber auch über Tage hinweg austoben. Während sich das Bordleben wie der normalisierte, wurden der Kut scher und Mac Pellew zwangsläufig zu den Hauptpersonen. Dafür sorgte allein schon das allgemeine Magen knurren. Was die Doppelfunktion der beiden Männer als Köche und Feld schere betraf, erfreuten sich ihre Kombüsenkünste verständlicher weise der größeren Beliebtheit. Da es empfindlich kalt war, griff der Kutscher wieder einmal auf die kostbaren Teevorräte zurück, die man während der letzten China-Fahrt eingekauft hatte. Eine Muck mit diesem dampfenden Getränk, vermischt mit einem kräfti gen Schuß Rum, das brachte, wie der Profos immer wieder beteuerte, den „inneren Ofen" in Schwung. Natür lich maß er dem Rumanteil wesent lich mehr Wirksamkeit zu, als der „chinesischen Kräuterbrühe". Als der Profos die Muck absetzte, verzog er das zernarbte Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen. Seine Augen waren auf Old O'Flynn gerich tet. „Die wenigen Bewohner dieser In seln leben von der Schafzucht. Jetzt kannst du endlich mal in Ruhe Schäf chen zählen, Donegal. Du brauchst dabei nicht mal nach oben zu blik ken." Der Alte ließ sich jedoch nicht so leicht auf den Arm nehmen. „Da du das größte bist, mein lieber Ed, kann ich ja gleich bei dir anfan gen." Er nahm einen kräftigen Schluck aus der dampfenden Muck. „Schmeckt immer wieder gut, das Zeug", fügte er zum Kutscher ge wandt hinzu.
Die übrigen Männer nickten zu stimmend. „Kaum zu glauben, daß das Gesöff größtenteils aus Wasser besteht", meinte Ferris Tucker. „Doch da ihr gerade von Schafen und Schäfchen sprecht - wo es diese gibt, sind auch Lämmer nicht weit. Das erinnert mich verdammt angenehm an Cyrus Huntlys Kneipe in London. Zarter Lammbraten mit viel Knoblauch das war wirklich Magenwonne." Die Mannen nickten andächtig, die Blicke einiger wirkten beinahe träu merisch. Nur der Profos mußte das kleine „Traumschiffchen" wieder ein mal auf einen anderen Kurs bringen. „Der geschniegelte Schafskopf war auch nicht zu verachten", tönte er, „mit dem man so herrlich die Kneipe aufwischen konnte. O ja, so richtig zum Aufbrassen war das." Sie alle erinnerten sich sehr wohl noch an den Grafen von Essex, dem sie für sein intrigantes Verhalten ei nen ordentlichen Denkzettel verpaßt hatten. Der Kutscher setzte den Gesprä chen die Krone auf. „Lammfleisch ist noch im Vorrats raum", sagte er, „und was den Knob lauch betrifft - der würde noch für eine ganze Flotte ausreichen." „Für eine Flotte von Stinkern", murmelte der Profos. „Aber nichts für ungut, Kutscher. Wenn du uns zum Backen und Banken ein solches Mahl auf die Back bringst, kannst du sicher sein, daß man dir so manche Sünde aus der Vergangenheit aus christlicher Barmherzigkeit verzei hen wird." „Von was für Sünden redest du da?" ereiferte sich der blonde, hagere Kutscher.
16 Der Profos schob mit mildem Grin sen das mächtige Rammkinn vor. „Reden wir nicht mehr darüber, mein Bruder im Herrn", entgegnete er gesalbt. „Sie sind vergessen und ver geben, selbst wenn sie so weiß waren wie Purpur und so rot wie - wie . . . " „Jetzt mußt du nur noch ,Schnee' sagen, du Hirsch", unterbrach ihn der Kutscher. „Dabei lautet der fromme Spruch genau umgekehrt." Unter dem allgemeinen Gelächter verholte der Koch zur Kombüse, während sich der Profos verlegen das stoppelbär tige Kinn rieb. 3. Auch auf dem Schwarzen Segler war die Stimmung gut. Alle Segel wa ren geborgen, der mächtige Vierma ster schwoite an der Ankertrosse. Wie die Arwenacks, so fühlten sich auch der Wikinger und seine Mannen in dieser Bucht geborgen wie in Abra hams Schoß. Das Heulen und Pfeifen des Windes klang hier nicht so laut und durch dringend wie draußen auf offener See. Die düstere Atmosphäre, die sich mit dem Schwarz des Himmels ver band, wurde hier weniger bedrohlich empfunden als mitten im Tosen der Elemente. „Wirklich ein feines Stürmchen", sagte der meist nicht sehr gesprächige Boston-Mann. Der große, goldene Ring, den er im linken Ohr trug, bau melte hin und her, als er mit dem Kopf eine Geste in Richtung der offe nen See vollführte. Thorfin Njal, den Wikinger, schien das Wetter jedoch nicht sonderlich zu beeindrucken.
„Pah", sagte er nur, „da haben wir wahrhaftig schon Handfesteres er lebt. Das hier - das waren bestenfalls ein paar kleine Blähungen, die die Götter nicht mehr zurückhalten konn ten - Fürzchen gewissermaßen." „Fürzchen, jawohl", sagte der Stör, einer seiner vier engsten Kampfge fährten, der die nervtötende Ange wohnheit hatte, stets Wörter oder ganze Satzteile wie ein Echo zu wie derholen. Stör nannten sie den Mann wegen seines schmalen, langgezogenen Ge sichtes. Sein merkwürdiges Aussehen und die etwas schrullige Verhaltens weise konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er ein ebenso unerschrockener Kämpfer war wie die drei anderen Nordmänner, die zur „Leibgarde" des Wikingers zählten der freundliche Olig, der ausgegli chene Eike und der etwas zum Jäh zorn neigende Arne. Die imposanteste Gestalt an Bord war jedoch ohne Zweifel der wildbär tige und stets in seine heißgeliebten Felle gekleidete Wikinger. Er war nicht nur ein Berg aus Muskeln, son dern hatte auch den nötigen Grips un ter seinem unentbehrlichem Helm. Mit seinem „Messerchen" - dem rie sigen Schwert an der linken Hüfte und der dröhnenden Stimme, die zu weilen fast die Planken erzittern ließ, erinnerte er lebhaft an den nordi schen Donnergott. Doch zum gegenwärtigen Zeit punkt war Thorfin Njal ausgespro chen friedlich gestimmt. Er stapfte wie ein riesiger Bär ans Schanzkleid und musterte prüfend die dichten Wolkenbänke. „Spätestens morgen ist der ganze Spuk vorbei", erklärte er. „Wir wer
17 den unseren Törn nicht lange unter brechen müssen." Ein bißchen Unge duld in seiner Stimme war nicht zu überhören. Seine Mannen wußten, daß es ihn mit Macht nach Island zog, wo er einst jenes sagenhafte „Thule" im malerisch gelegenen Isa-Fjord gefun den zu haben glaubte. Dann waren da noch die Seewölfe, die zuweilen von ihrer Schebecke herüberwinkten. Thorfin Njal freute sich darauf, eini ge Tage mit ihnen auf dem ThorgeyrHof verbringen zu können. Auch die buntgemischte Crew des Schwarzen Seglers, in der so ziemlich alle Erdteile vertreten waren, hatte nichts gegen ein bißchen Abwechs lung einzuwenden. Zunächst aber hatte der Bordalltag sie wieder. Die meisten Männer hiel ten sich auf der Kuhl auf, weil Coo kie, der etwas schmierig wirkende Koch, zum Backen und Banken geru fen hatte. Da der dickliche Kerl, der Rod Ben net hieß und gern mit seinen küm merlichen Kochkünsten prahlte, et was Besonderes angekündigt hatte, waren viele - wenn auch skeptische Blicke auf ihn gerichtet. „Na, was hätten wir denn da?" ließ sich Barry Winston, ein glatzköpfiger Kerl, dem das linke Ohr fehlte, mit spöttischer Stimme vernehmen. „Hoffentlich hast du nicht gerade die dürrsten Kakerlaken ausgesucht, Cookie. Ich möchte nämlich gern mal ein paar Fettaugen auf meiner Suppe sehen." Er fügte seinen Worten ein meckerndes Lachen hinzu. Der schmuddelige Cookie ließ sich davon nicht beeindrucken. „An einer Kakerlake in der Suppe", so verkündete er grinsend, „ist noch
niemand gestorben - außer der Ka kerlake." „Wie heißt denn die Pampe, mit der du uns heute erschrecken willst?" wollte Mike Kaibuk wissen. „Nennen wir diese herrlich duf tende Gemüsebrühe mit erlesener Fleischeinlage doch einfach ,Suppe nach Art des Schiffes', erwiderte Coo kie. Dann nahm er stolz die Deckel der riesigen Töpfe ab, griff zur Schöpfkelle und begann die bereitge haltenen Kummen der Männer zu fül len. Als Beilage gab es frisches Brot in Form von runden Fladen. „Wenn's grün wäre, könnte man es von Kuhfladen nicht unterscheiden", sagte der Kreole Juan. „Doch dem Duft nach scheint man es sogar essen| zu können." Der große, vierschrötige Mann schob einen Bissen in den Mund. Doch seine Kaubewegungen wurden zunehmend langsamer. Dabei verzog er das Gesicht, als habe er plötzlich Zahnschmerzen. „Pfui Teufel", fluchte er mit vollem Mund, „da ist ja nicht ein einziges Körnchen Salz drin. Das Zeug ist völ lig fad und geschmacklos. He, du lau sige Kombüsenwanze", fügte er, zu Cookie gewandt, hinzu. „Seit wann läßt du das Salz weg? Brot ohne Salz ist wie eine Katze ohne Schwanz." Den Koch rührte das nicht sonder lich. Er strich sich die spärlichen Haare glatt, die er wegen des Windes immer mit Öl festklebte. „Reg dich nicht auf", erwiderte er. „Man kann auch mal was vergessen. Außerdem kriegt man von Salz nur die Wassersucht - und es macht scharf..." Er grinste anzüglich, wäh rend er weiterhin Kelle um Kelle sei
18 ner völlig zerkochten Gemüsesuppe aus einem gußeisernen Topf schöpfte. „Was soll das heißen?" fragte der Kreole wütend. Cookie schüttelte den Kopf. „Bist du immer so schwer von Begriff, he? Ich sagte: ,Salz macht scharf.' Aber was nutzt uns die ganze Schärfe, wenn es nur eine einzige und zudem noch unnahbare Lady an Bord gibt?" Da der Koch seinen Witz für beson ders gelungen hielt, brach er in krei schendes Gelächter aus, in das nur wenige zögernd einfielen. Die mei sten aber verzogen das Gesicht nur zu einem stillen Grinsen, denn sie wuß ten, daß der Kreole Siri-Tong blind lings ergeben war, weil er sie heim lich verehrte. Außerdem war der kreolische Bootsmann einer der ersten, wenn es darum ging, Prügel auszuteilen. An diesen Sachverhalt sollte Coo kie mit Nachdruck erinnert werden. Juan sprang wie von einer Tarantel gestochen von der Taurolle hoch, die ihm als Sitzgelegenheit gedient hatte, und erreichte Cookie mit zwei langen Sätzen. Dort packte er sich einen Sta pel der hochaufgetürmten, salzlosen Fladenbrote und wuchtete ihn in den riesigen Suppentopf. Die pampige grüne Brühe spritzte nach allen Seiten, und Cookie sah im Handumdrehen aus, als sei er mit dem Gesicht in einen Kuhfladen ge fallen. Aber damit war der Wutausbruch des Kreolen noch nicht zu Ende. Der Koch schaffte es gerade noch, einen schrillen Entsetzensschrei auszusto ßen, dann fegte ihn Juans Faust über die halbe Kuhl. Der Kreole schickte sich bereits an,
dem von Cookie gesegelten Kurs zu folgen, um ihn für den nächsten Fausthieb wieder auf die Beine zu stellen, da wurde sein Eifer urplötz lich gestoppt, und zwar von einer hel len und klaren weiblichen Stimme. „Hör auf, Juan!" befahl Siri-Tong. „Habt ihr Kerle nichts anderes zu tun, als euch zu prügeln?" Keiner hatte das plötzliche Auftau chen der schlanken Eurasierin mit den dunklen, mandelförmigen Augen bemerkt. Wie aus den Planken ge wachsen, war sie einfach da - eigent lich unübersehbar mit ihren weißlei nenen Schifferhosen und der roten Bluse, die ihr den Beinamen ,Rote Korsarin' eingebracht hatte. Während der noch leicht benom mene Koch es vorzog, vorerst wie tot liegenzubleiben, um einer weiteren Abreibung aus dem Weg zu gehen, rieb sich der Kreole verlegen die Fäu ste. „Es - es mußte sein, Madam", sagte er. „Und warum, wenn man fragen darf?" „Man - man darf fragen", stotterte Juan. „Sehr gnädig", sagte Siri-Tong. „Ich bin zwar nicht im Wiederho lungsverein, aber bitte. Warum also mußte es sein?" Juan zeigte auf die ausgestreckte Gestalt Cookies und konnte nicht ver hindern, daß er immer verlegener wurde. Plötzlich wußte er nicht ein mal mehr, was er mit seinen riesigen Pranken anfangen sollte - was sonst selten bei ihm passierte. „Dieser Mistkerl, Madam, hat ge wagt - äh - er hat gewagt..." Juan unterbrach seine spärlichen Ausfüh rungen, vollführte eine wegwerfende
19 Geste und fügte lapidar hinzu: „Er hat das Brot ohne Salz gebacken." „Das ist natürlich ungeheuerlich", entgegnete die Rote Korsarin und hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Klar, Madam", pflichtete ihr Juan eiligst bei. „Man kann das Zeug ja so nicht essen. Keinen Bissen kriegt man runter, so fad schmeckt es." „Na, schön", sagte Siri-Tong. „Wie es aussieht, wird er beim nächsten Brotbacken das Salz bestimmt nicht vergessen oder sogar - um sicherzu gehen - die doppelte Menge reintun." Jetzt lachten die Kerle brüllend, und als Siri-Tong ihren Weg fort setzte, folgte ihr so manch be wundernder Blick. O ja, als Miteigen tümerin des Schwarzen Seglers hatte sie es bisher immer geschafft, die Burschen an der Kandare zu halten, zumal sie es glänzend verstand, ir gendwelche Probleme buchstäblich mit eigener Faust zu regeln. Kaum war die Frau aus der unmit telbaren Gefahrenzone verschwun den, stieß der Kreole einen gefährlich klingenden Knurrlaut aus. Der noch auf den Planken liegende und völlig mit Gemüseresten beklek kerte Cookie nahm das zum Anlaß, rasch noch etwas an Abstand zu ge winnen. Er sprang blitzschnell auf die Beine und flitzte über die Kuhl in Richtung Achterdeck. Sein Pech dabei war, daß er den Kurs des Wikingers kreuzte, und be vor er sich versah, setzte ihm dieser mit altbewährtem Schwung einen Fuß ins „Heck", der seinen Törn nach achtern wesentlich beschleunigte. „Die Suppe hat nämlich auch nichts getaugt!" rief Thorfin. „Der reinste grüne Matsch war das. Man sollte dich beim nächsten Mal selber mit in
den Topf stecken, dann würden zu mindest die Fettaugen nicht fehlen!" Der Stör hatte größte Mühe, diesen umfangreichen Gedankengang bruchstückhaft zu wiederholen. So war es denn kein Wunder, daß ein „fetter Topf", „grüne Augen" und „die reinste Suppe" dabei herauska men. Der Bordalltag hatte also auch die Crew des Schwarzen Seglers wieder eingeholt. Es gab ja auch nicht viel zu tun in dieser windgeschützten Bucht, wenn das Unwetter, das über dem Nordmeer tobte, unvermindert an hielt.
Noch die ganze folgende Nacht hin durch war das Heulen und Pfeifen des Windes zu hören, das zeitweise an das Jammern und Klagen verdamm ter Seelen erinnerte. Erst zwei Stun den nach Tagesanbruch flaute der Sturm so plötzlich ab, als hätte ihm jemand Einhalt geboten. Die dunklen Wolken vermischten sich mehr und mehr mit dem Tages licht und begannen sich schließlich ganz aufzulösen. Je klarer der Him mel wurde, desto besser wurde auch die Sicht. Die hügelige und teils felsige Küste der Insel bot jetzt einen viel freundli cheren Anblick, als dies noch gestern der Fall gewesen war. Der Wind hatte viel an Kraft verloren, die Elemente beruhigten sich. Lediglich die starke Dünung erinnerte noch an die entfes selten Naturgewalten. Für die Besatzungen der beiden Schiffe gab es keinen Grund mehr, noch länger in der Bucht zu verwei len. Nachdem sich der Seewolf mit
20 dem Wikinger verständigt hatte, gin gen sie ankerauf. Bald lagen die beiden ungleichen Segler wieder auf ihrem alten Kurs. Der Wind schien sich jetzt zwar aus zuruhen, aber da er raumschots ein fiel, liefen sie trotzdem gute Fahrt. Jetzt, am hellen Tag, gab es auch wieder eine ganze Menge Arbeit an Bord der Schebecke. „Zum Glück gibt es dank der ruhi gen Bucht keine nennenswerten Sturmschäden", sagte der rothaarige Ferris Tucker zu Paddy Rogers, der ihm gelegentlich als Gehilfe zur Hand ging. In seiner Eigenschaft als Zimmer mann fühlte sich Ferris für alles zu ständig, was aus Holz war - und das war immerhin eine ganze Menge auf einem hölzernen Schiff. Die beiden Männer waren schon fast am Ende ihres Kontrollganges angelangt. Nichts hatten sie verges sen - keinen Mast, keine Luke, ja, nicht einmal die Planken. Der bullige Paddy, der im Denken nicht der Schnellste war, rieb sich zu frieden die Hände. Arbeit stand zwar genug bevor, aber immerhin hatte der Sturm keine Masten geknickt oder Rahruten zerfetzt. Das wieder um ersparte ihnen eine Menge Kno chenarbeit. „Alles nur Kleinkram", meinte Paddy. „Bis wir in den Isafjord ein laufen, wird das alles vergessen sein. Jedenfalls haben wir dann genug Zeit, uns mit dem guten isländischen Branntwein aufzuwärmen." „Kannst du auch mal an etwa ande res denken als an irgendein Gesöff, he?" fragte Ferris. „Klar doch", erwiderte Paddy. „Un ser Kapitän wies ja extra darauf hin,
daß es dort auch hübsche Ladys in rauhen Mengen gäbe." Paddys Ge sicht, in dessen Mitte eine prächtige Knollennase prangte, war die Vor freude bereits anzusehen. „Nur mal langsam, du lüsterner Elch", tadelte Ferris. „Er hat lediglich zum Ausdruck gebracht, daß die nor dischen Jungfrauen nicht weniger hübsch seien als die englischen. Von ,rauhen Mengen' war jedoch keine Rede..." „Macht fast gar nichts", unterbrach ihn Paddy. „Eine reicht ja auch." Ferris schüttelte das kantige Haupt mit den dichten roten Haaren. „Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß auch nur eine einzige hübsche Islän derin schmachtend an der Pier war tet, bis ausgerechnet du von Bord gehst? Selbst wenn das der Fall wäre, würde die Ärmste bei deinem Anblick vor Entsetzen die Flucht ergreifen." „Oh, sag das nicht", ereiferte sich Paddy. „Ich weiß schon, wie man mit Ladys umgeht. Schließlich habe ich ausgezeichnete Formen . . . " „Umgangsformen meinst du wohl", berichtigte ihn Ferris. Paddy nickte eifrig. „Genau die habe ich gemeint..." „Und genau die möchte ich einmal erleben", unterbrach ihn der Zimmer mann abermals. „Da brauche ich mir nur vorzustellen, wie du mit einer Lady spazierengehst. Bei jedem ein zelnen Schritt, den sie tut, würdest du ihr mindestens zweimal auf die Füße latschen. Und würde sie aus Versehen eine Treppe hinunterfallen, würdest du sie bestenfalls noch fragen, was sie denn da unten zu suchen habe." „Unsinn", sagte Paddy energisch. „In so einem Fall warte ich höflich, bis sie wieder heraufkommt."
21 Das Lachen Ferris Tuckers dröhnte den Schiffe die Shetlandinseln weit über das Deck, während sich Paddy hinter sich gelassen. Das Wetter hatte überlegte, was denn daran schon wie sich im Laufe des Tages prächtig er der falsch gewesen sein könnte. holt, zeitweise brach sogar die Sonne Al Conroy drehte sich verwundert durch und belegte die Wasserfläche um. „Unser Schiffszimmermann mit einem silbrigen Schimmer. scheint wieder einmal bester Laune Edwin Carberry, als Profos für zu sein." Zucht und Ordnung zuständig, lugte „Die kriegt man - ob man will oder von Zeit zu Zeit nach oben, als wolle nicht", japste Ferris und klopfte dem er prüfen, ob Batuti nicht im Aus verdatterten Paddy anerkennend auf guck eingeschlafen war. Doch der war hellwach, auch wenn in dieser die Schulter. Al fuhr grinsend mit seiner Arbeit Gegend bislang kein fremdes Schiff fort. Als Stückmeister überprüfte er, gesichtet worden war. Dafür ent wie nach jedem Sturm, den Zustand deckte er bald etwas völlig anderes. der Geschütze. Davon gab es immer „Deck!" rief er plötzlich. „Steuer hin mehr als ein Dutzend an Bord des bord voraus treibt etwas! Könnte ein Dreimasters: je sechs Culverinen an Boot sein!" Backbord und Steuerbord, außerdem „Ein Boot?" wiederholte der Pro noch je zwei Drehbassen vorn und fos. „Hier zottelt doch wohl niemand achtern. Und wenn es Ärger gab, ver mit einem Boot herum, was, wie?" stand Al es meisterhaft, damit umzu Als Batuti für kurze Zeit schwieg gehen. und eifrig durch das Spektiv blickte, Aber auch für die anderen Männer wurde der Profos ungeduldig. gab es genug zu tun. Hasard und „Was ist los, Mister?" rief er nach Philip, die Zwillingssöhne des See oben. „Ist es nun ein Boot oder wolfs, halfen an den Brassen und nicht?" Schoten, Batuti, der schwarze Mann „Geduld ist eine edle Tugend!" rief aus Gambia, befand sich im Ausguck, Batuti ungerührt zurück. „Leider bin und Bill half dem alten Will Thorne ich mir noch nicht völlig sicher. Es in der Segellast. Die Kombüse war ge könnte sich auch um irgendwelches genwärtig nur mit Mac Pellew be Treibgut handeln." setzt, weil der Kutscher dem graubär „Das ist nach einem Sturm nichts tigen Big Old Shane einen Holzsplit Außergewöhnliches", bemerkte Ha ter aus der linken Hand entfernte. sard. „Nicht immer findet sich gerade Der Seewolf und Ben Brighton wa eine schützende Bucht." ren achtern in eine Seekarte vertieft. Kurz darauf schien sich Batuti je Old O'Flynn schaute ihnen dabei zu doch sicher zu sein. und sparte nicht mit allerlei passen „Es ist doch ein Boot", meldete er, den und unpassenden Bemerkungen. „aber nur eine winzige Nußschale. Und immer wenn es eine Denkpause Sie treibt genau auf uns zu. Wenn ich gab, beugte er sich zu Plymmie hin mich nicht täusche, liegt sogar je unter und kraulte ihr das wolfsgraue mand drin." Fell. „Ein Schiffbrüchiger also", mur Bis zum Nachmittag hatten die bei melte Old Donegal. „Dann hat das
22 Wetter wohl doch für Kleinholz ge sorgt." Wenig später war jeder Zweifel ausgeräumt. Es lag tatsächlich eine menschliche Gestalt der Länge nach über dem Duchten. Von Riemen war nichts zu sehen, das Boot schaukelte in der Dünung. Ob die regungslose Gestalt, die inzwischen als Mann identifizert werden konnte, noch lebte, war nicht zu erkennen. Da man davon ausgehen mußte, daß sich der Mann von einem im Sturm sinkenden Schiff an Bord der Nußschale gerettet hatte, war es im merhin möglich, daß er schon seit ge stern durchnäßt und unterkühlt im Nordmeer trieb. Ein Überleben würde deshalb fast an ein Wunder grenzen - genauso wie die Tatsache, daß das Boot nicht längst vollgeschla gen oder gekentert war. „Beiboot aussetzen!" befahl der Seewolf. „Wir werden uns den Mann näher ansehen." Die Segel wurden aufgegeit, die Schebecke verlor sofort an Fahrt. Rasch wurde ein Boot ausgeschwenkt und abgefiert, bis der Kiel ins Wasser tauchte. „Was das wohl für ein Landsmann ist?" murmelte Old Donegal. „Bestimmt ist es kein Nordmann, der mal eben auf diesem Nachttopf rüber nach Bergen wollte, um sich nach den Eisenerzpreisen zu erkundi gen", erwiderte der Profos. „Aber er wird es uns bestimmt erzählen wenn er noch kann." Gleich darauf enterte der Profos zusammen mit vier weiteren Män nern in das Boot ab und ließ es auf die treibende Nußschale zupullen. Als sie das winzige Gefährt erreicht hatten, setzte Jack Finnegan über,
um die Leine wahrzunehmen und zu belegen. Sobald das geschehen war, küm merte er sich um die regungslose Ge stalt. Der Mann war von gedrunge ner, mittelgroßer Statur, sein Haar war schwarz, ebenso der verwilderte Bart. Die Kleidung war durchnäßt und ließ von ihrer Art her auf einen einfachen Decksmann schließen. Jack hob den Kopf des Mannes et was an. Die Augenlider bewegten sich, aus dem Mund drang ein schwa ches Stöhnen, dem einige kurze, un verständliche Laute folgten. „Er lebt!" rief Jack zu seinen Ka meraden hinüber. „Außerdem ist er nicht mal bewußtlos, sondern scheint nur völlig entkräftet zu sein." Nachdem auch noch Nils Larsen auf die Nußschale übergestiegen war, hoben die beiden Männer den Schiff brüchigen vorsichtig an, drehten ihn um und legten ihn quer zwischen zwei Duchten. „Ein bißchen mußt du noch durch halten, Kumpel", sagte Jack Finne gan zu dem Fremden. „Wir bringen dich an Bord unseres Schiffes, dort wird sich unser Feldscher um dich kümmern." So geschah es auch. Die Nußschale wurde in Schlepp genommen und der total Erschöpfte mit vereinten Kräf ten an Bord gehievt. Dort brachte man ihn zunächst einmal ins Logis und zog ihm die nassen Kleider aus. Nachdem der Kutscher den ausge kühlten Körper kräftig mit einer durchblutungsfördernden und wär mespendenden Mischung aus Kräu tern und Alkohol eingerieben hatte, legte man dem Schiffbrüchigen trok kene Kleider an und packte ihn in eine warme Decke.
23 Das blakende Licht der Tranlam pen, das den unter Deck liegenden Raum notdürftig erhellte, ließ die Konturen des blassen, von einem un gepflegten Bart umwucherten Ge sichtes deutlich hervortreten. Nach Schätzung der Arwenacks mochte der Mann zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt sein. „Der Bursche hat eine gute Konsti tution", sagte der Kutscher. „Er wird bald wieder in Ordnung sein." Seine Bemühungen als Feldscher blieben nicht ohne Wirkung. Das Flackern der Augen hatte aufgehört, aus seinem Mund drang nur noch sel ten ein leises Stöhnen. Sein Blick blieb jetzt auf dem Kutscher haften, die aufgesprungenen Lippen beweg ten sich. „Wer - wer - seid ihr?" stammelte er schließlich mit schwacher Stimme. Zur Überraschung der Mannen sprach er englisch. „Das erklären wir dir später, mein Freund", erwiderte der Kutscher. „Erst mußt du ein bißchen zu Kräften kommen. Wie wär's mit einem heißen Tee und Rum? So ein durchgefrore ner Körper will nicht nur von außen, sondern auch von innen behandelt werden." Er griff nach der dampfen den Muck, die auf dem Tablett stand, das Mac Pellew hereingebracht hatte, und setzte sie dem Fremden an die Lippen. Der Mann trank mit kleinen Schlucken und ließ den Kopf erst zu rücksinken, als die Muck geleert war. „Danke", murmelte er leise. „Tut g u t . . . " Danach schloß er die Augen, und tiefe Atemzüge verrieten, daß er eingeschlafen war. Der Profos grinste. „So möchte ich auch mal verwöhnt werden, Sir",
sagte er zu dem hereinkommenden Seewolf. „Aber unsereinem flößt nie mand diesen köstlichen Trunk ein, und den Kopf hat mir auch noch kei ner gehalten." „Bis jetzt hast du es ganz gut aus eigener Kraft geschafft, dir eine Muck nach der anderen hinter die Binde zu kippen", entgegnete Hasard sarkastisch, „und es hieße Wasser ins Meer schütten, wenn man dir das Zeug auch noch einflößen würde." Carberry schluckte. Seine Bemer kung hatte sich als „Schuß in den Ofen" erwiesen, aber so etwas konnte ihn nicht erschüttern. Er überging die Retourkutsche des Seewolfs, indem er geschickt vom Thema ablenkte. „Außerdem", fuhr er schnuppernd fort, „riecht es hier wie in einem orientalischen Freudenhaus. Da wird's einem ganz schummerig im Kopf." Diesmal widersprach ihm niemand, zumal tatsächlich der Geruch von Kräutern und Alkohol, vermischt mit dem durchdringenden Aroma, das der Rum verströmte, den Raum über lagerte. „Wie geht es ihm?" fragte der See wolf, während er den Fremden mu sterte. „Er wird sich rasch erholen", erwi derte der Kutscher. „Zum Glück hat er keine Verletzungen. Er ist lediglich unterkühlt und völlig erschöpft." Der Seewolf nickte. „Vielleicht soll ten wir ihn zunächst einmal ausschla fen lassen, danach kann er uns immer noch erzählen, was geschehen ist." Der Kutscher pflichtete ihm bei. „Schlaf ist die beste Medizin. Danach werden wir ihn mit einer kräftigen Fleischbrühe aus der Koje holen." „So was!" entfuhr es Old Donegal.
24 „Hoffentlich pennt der Bursche nicht zu lange, sonst erfahren wir nie, wer er ist und was passiert ist." 4. Die zweimastige Schaluppe segelte dicht unter der Küste auf Nordost kurs. Die Sicht war klar, in weiter Ferne waren sogar die Konturen der hochaufragenden Berggipfel zu se hen. Eine Schar Möwen kreiste mit lautem Geschrei über den Masttop pen. Doch die Männer auf der Scha luppe interessierten sich zum gegen wärtigen Zeitpunkt nicht für die na hegelegene Küste. Ihre Augen waren vielmehr erwartungsvoll auf die of fene See gerichtet. Genaugenommen, auf die Steuerbord voraus heranse gelnde kleine Karavelle. Egill, der Anführer der „Schwarzen Raben", starrte schon seit einiger Zeit durch das Spektiv. „Wirklich ein hübsches, kleines Schiffchen", sagte er. Gestur, ein hagerer Mann mit dün nem Kinnbart, nickte grinsend. „So was Handliches kann man immer ge brauchen. Ob das Fischer sind?" „Quatsch!" entgegnete der bärtige Egill. „Welcher Fischer auf dieser verdammten Insel kann sich schon so ein Schiffchen leisten, he? Wenn du mich fragst, ist das ein Handelsfah rer, ein dänischer womöglich." Egill schien recht zu behalten, denn schon bald war deutlich die dänische Flagge zu erkennen. Gestur schnippte genießerisch mit den Fingern. „Wenn das nicht ein ech ter Leckerbissen ist! Da ist vielleicht mehr zu holen, als der ganze ver
dammte Hof der Gunnarssons herge geben hat." „Da kannst du durchaus recht ha ben", bestätigte Egill. „Einen Kauf fahrer auszunehmen, gehört immer zu den lohnendsten Geschäften. Au ßerdem geschieht es äußerst selten, daß man in dieser Gegend einem sol chen Schiff begegnet." „Das ist alles richtig", sagte Gestur. „Nur einen Haken hat die Sache. Wo her wollen wir zum Beispiel wissen, ob die Burschen ihre Warenladung noch an Bord haben? Vielleicht ha ben sie schon alles verkauft, und wir finden nur noch leere Laderäume vor." Egill lachte dröhnend. „Du bist ein Ochse, Gestur! Bei einem Kauffahrer ist es unerheblich, ob er die Ware ver kauft hat oder nicht. Hat er sie ver kauft - na schön, dann wird er eine Menge Geld an Bord haben. Hat er sie noch nicht verkauft, dann sind die Laderäume eben noch voll. Wir aber machen in jedem Fall unser Geschäft. Die Frage ist nur: Geld oder Ware? Wir haben für beides Verwendung. Oder etwa nicht?" Der hagere Kerl nickte eilig. „Na türlich, Egill, genauso ist es. Wir soll ten unbedingt zuschlagen. Wenn wir uns als friedfertige isländische Fi scher ausgeben, wird es vielleicht gar nicht so schwierig sein, an die Kara velle heranzukommen. Und mit ein paar dickhäutigen Pfeffersäcken werden wir noch allemal fertig." In diesem Punkt herrschte sofor tige Übereinstimmung unter dem wü sten Haufen der Anbeter Odins. Das fanatische Funkeln in den Augen ih res Anführers verwandelte sich rasch in jenen tückischen Blick, der nichts als rein irdische Gier nach Beute wi
25 derspiegelte. Genau diese Gier war es, die die verwilderten Burschen im mer wieder in gnadenlose Teufel ver wandelte. Der dänische König hatte eine statt liche Belohnung auf die Köpfe der entlaufenen Sträflinge ausgesetzt, aber bisher war es seinen Häschern nicht gelungen, ihren Schlupfwinkel aufzuspüren. Die Inselbewohner lie ßen sich erst gar nicht auf das gefähr liche Unterfangen ein, nach der üblen Bande zu suchen. So hatte Egill bei seinen Beutezü gen nach wie vor wenig Widerstand zu erwarten, und das kostete er weid lich aus. Hinzu kam, daß er als glü hender Verfechter der alten nordi schen Religion alle haßte, die den Göttern der Väter abgeschworen und den Christenglauben angenommen hatten. Als Anbeter Odins, des Kriegsgot tes, nahm er das Recht für sich in An spruch, allen sogenannten „Abtrünni gen" jederzeit ohne jeglichen Skrupel zu begegnen. Den wilden Haufen seiner Kompli cen hatte Egill fest im Griff. Keiner der wüsten Burschen wagte es, sich ihm auch nur im geringsten zu wider setzen. Kein Wunder also, daß diese Schnapphähne zum Schrecken der is ländischen Küstenbewohner gewor den waren. „Es wird Zeit, daß wir uns auf das Tänzchen einstellen", sagte Egill zu Gestur, seinem treuesten Anhänger. „Vor allem müssen wir die roten Um hänge verschwinden lassen, damit die Dänen nicht argwöhnisch werden. Außerdem sollen alle Männer, die nicht unbedingt an den Brassen und Schoten gebraucht werden, unter Deck verschwinden und die Waffen
bereithalten. Wir werden in der Tat als harmlose Fischer auftreten." Die Verwandlung der Piratenscha luppe in ein Fischerboot verlief rasch und ohne Schwierigkeiten, Als wenig später zu erkennen war, daß am Schanzkleid der kleinen Ka ravelle Männer standen, die ihre Spektive auf die Schaluppe gerichtet hatten, begannen die „Schwarzen Ra ben" auf das Kommando Egills hin freundlich zu winken. Gleichzeitig fiel die Schaluppe hart nach Steuer bord ab und hielt auf das Handels schiff zu. „Die Geldsäcke scheinen im Gegen satz zu uns Kanonen zu haben", sagte Gestur mit bedenklicher Miene. In der Tat waren an der Steuer bordseite der Karavelle zwei Stück pforten zu erkennen, die allerdings geschlossen waren. Egill winkte ab. „Es handelt sich be stenfalls um kleinkalibrige Zier stücke, mit denen man ein bißchen Eindruck schinden will. Wahrschein lich können die Kerle nicht einmal richtig damit umgehen. Da sie die Stückpforten bis jetzt nicht geöffnet haben, können wir davon ausgehen, daß sie uns tatsächlich als einfache Fischer betrachten." Wieder ließ Egill freundlich zur Ka ravelle hinüberwinken und anschlie ßend seine Absicht signalisieren, daß man Kontakt aufzunehmen wünsche. Und siehe da - die Dänen winkten nicht nur zurück, sondern verlang samten die Fahrt, indem sie einen Großteil der Segel wegnahmen. „Also doch Kaufleute", sagte Ge stur mit einer gewissen Befriedigung. „Die Krämerseelen können nicht wi derstehen, wenn sie ein Geschäft wit tern."
26 Egill ließ die Schaluppe dicht auf segeln und die Segel aufgeien, als sie sich fast auf gleicher Höhe mit der Karavelle befand. Sofort legte er die Hände um den Mund und preite die Dänen an. „Mein Name ist Jochumsson!" rief er mit lauter Stimme. „Ich bin der Kapitän dieser Schaluppe. Wir sind Fischer und entbieten dem König und seinen Untertanen einen christlichen Gruß." Das erhoffte Echo blieb nicht aus. Der beleibte und vornehm gekleidete Mann, der achtern am Schanzkleid stand, legte die Hände ebenfalls trich terförmig um den Mund. „Wir erwidern euren Gruß!" tönte es zurück. Die Stimme des Mannes klang hoch und durchdringend. „Wir sind Kaufleute und bieten auf den Höfen und in den Küstenorten der In sel unsere Ware feil." „Das haben wir vermutet, als wir die Flagge des dänischen Königs er kannten!" rief Egill mit ausgesuchter Höflichkeit zurück. „Da nur selten Kaufleute unsere winzige Ansiedlung aufsuchen, möchten wir uns die Gele genheit zum Einkauf nicht entgehen lassen. Darf man fragen, welcher Art Ihre Waren sind, Kapitän?" „Wir haben eine große Auswahl an Waren des täglichen Bedarfs. Über die Preise lassen wir mit uns reden." „Das klingt sehr gut, Kapitän", fuhr Egill fort, ohne den Anschein von Eile zu erwecken. „Wir haben vor allem großen Bedarf an Stoffen, Hausrat und Werkzeugen. Und wir können bezahlen, denn unser Fisch fang war in den letzten Monaten sehr gewinnbringend." Das hörte der dicke Kaufmann gern. Warum auch sollte er sich eine
solche Gelegenheit entgehen lassen? Schließlich traf man in den isländi schen Küstengewässern selten genug auf ein fremdes Schiff, und sei es nur eine Fischerschaluppe. „Sie sind herzlich willkommen an Bord meines Schiffes!" rief er. „Die Auswahl, die ich Ihnen bieten kann, wird Sie überraschen!" Egill gab sich sehr zufrieden. „Dür fen mich zwei oder drei meiner Män ner an Bord begleiten, Kapitän?" Der geschäftstüchtige Däne rea gierte so, wie Egill im stillen erhofft hatte. „Warum solche Umstände, Kapitän Jochumsson?" erwiderte er. „Scheren Sie doch einfach längsseits. Das er leichtert Ihnen und Ihren Leuten den Einkauf und vor allem auch den Wa rentransport." Das ließen sich die „Schwarzen Ra ben" nicht zweimal sagen. Während die dänische Karavelle geduldig war tete, ließ Egill die Segel setzen, eine Wende fahren und bald darauf ging die Schaluppe an der Steuerbordseite der kleinen Karavelle längsseits. Die Taue, die man hinüberwarf, wurden sofort wahrgenommen und belegt. Wie Egill längst festgestellt hatte, befand sich nur eine relativ kleine Crew an Bord des Schiffes. Der dicke Kaufmann war zur Kuhl abgeentert, um seine Kundschaft mit zahlreichen Höflichkeitsfloskeln an Bord zu be grüßen. Das war der folgenschwerste Feh ler, den der Däne je in seinem Leben begangen hatte. Auf der zweimastigen Schaluppe der angeblichen isländischen Fischer wurde es urplötzlich lebendig. Wäh rend der bärtige Kapitän einen un verständlichen Befehl brüllte und auf
27 die Karavelle überenterte, flogen die Luken auf, und eine stattliche Schar wild aussehender Männer, die ganz und gar nicht wie Fischer aussahen, quoll daraus hervor. Die Kerle waren bis an die Zähne bewaffnet. Bevor der dänische Kauf mann begriff, was geschah, folgten sie ihrem Anführer flink wie Raub katzen an Bord des Handelsschiffes. Dem dicken Kapitän der Karavelle stand die Überraschung und das Ent setzen ins Gesicht geschrieben. „Zu den Waffen - das ist ein Über fall!" kreischte er mit seiner hohen Stimme. Gleichzeitig wich er ein Stück zu rück und zerrte verzweifelt an einer reichverzierten Steinschloßpistole, die in seinem mit wertvollem Be schlag versehenen Ledergürtel steckte. „Laß das Ding ruhig stecken, Dik ker!" herrschte ihn Egill mit kalter Stimme an und wuchtete dem völlig verblüfften Mann erbarmungslos die Faust in die Magengrube. Der Dicke stieß pfeifend die Luft aus und sank wie ein vom Blitz gefäll ter Baum auf die Planken. Jetzt erst zog Egill sein Messer und stürzte sich in das eben einsetzende Kampfgetümmel. Bei den wenigen Männern, die zur Besatzung der Ka ravelle gehörten, handelte es sich um einfache Decksleute, die in ihrer Arg losigkeit nicht einmal mehr die Zeit gefunden hatten, irgendwelche Schußwaffen herbeizuholen. Die mei sten waren auf ihre Messer oder gar nur auf ihre Fäuste angewiesen. Eini ge schafften es noch, sich einen höl zernen Belegnagel zu greifen. Der Kampf war kurz, hart und er barmungslos. Die Crew des Kauffah
rers hatte keine Chance. Die „Schwarzen Raben" nutzten ihre zah lenmäßige Überlegenheit aus und wüteten wie eine Schar tollwütiger Wölfe. Als der Kapitän der Karavelle das Bewußtsein wiedererlangte, stemmte er sich ächzend von den Planken hoch und tastete, während er auf noch kraftlosen Beinen hin und her schwankte, abermals nach der Pi stole. Er kam auch diesmal nicht dazu, die Waffe aus dem Gürtel zu ziehen. Einer von Egills Komplicen war schneller. Er spannte den Hahn sei ner Steinschloßpistole, riß die Waffe hoch - und zog durch. Das kleine Flämmchen, das aus dem Lauf zün gelte, war das letzte, was der Kauf mann in seinem Leben wahrnahm. Als sein schwerer Körper auf die Decksplanken prallte, war er bereits tot. Wenig später war der Enterkampf zu Ende. Unter den „Schwarzen Ra ben" hatten einige Männer leichte Verletzungen davongetragen, den noch hatte Egill nicht einen einzigen Mann verloren. Die Crew der Kara velle jedoch gab es nicht mehr. Die kleine Schar teilte das Schicksal ih res Kapitäns. Egill grinste zufrieden. Für ihn war dieser Überfall nur ein erfolgreicher Raid unter vielen. Seiner Meinung nach hatte sich die Sache sogar ge lohnt. Von dem Geld des Kaufmanns ab gesehen, waren die Laderäume der Karavelle noch gut bestückt, die Beute konnte sich sehen lassen. Au ßerdem brauchte man das Zeug nicht einmal auf die Schaluppe umzuladen, weil die kleine Karavelle von einer
28 kleinen Gruppe seiner Leute über nommen wurde. „Odin war wieder einmal auf unse rer Seite", sagte Egill zu dem hageren Gestur, als die beiden kleinen Segler auf Nordostkurs gingen. 5. Die Geduld der Arwenacks wurde auf eine harte Probe gestellt, denn der Schiffbrüchige, der vom Kutscher hervorragend verarztet worden war, schlief wie ein Murmeltier. Und das seit genau dreizehn Stunden. Ein neuer Tag war heraufgezogen, graue Dunstschwaden hingen noch über der kabbeligen Wasserfläche des Nordmeeres. Die Seewölfe waren mit dem morgendlichen Backen und Banken beschäftigt. Mit sichtlichem Appetit fegten sie die Schüsseln mit den deftigen Speckpfannkuchen leer und tranken dazu heiße Fleischbrühe. Lediglich Old Donegal schien sich heute nicht so recht auf das Früh stück konzentrieren zu können. Er stelzte mit seiner Beinprothese unru hig auf den Planken hin und her. Sein von Wind und Wetter zerfurchtes Ge sicht spiegelte Nachdenklichkeit und Unmut wider. „Was ist los mit dir, Donegal?" fragte schließlich Big Old Shane, der ehemalige, Schmied der Feste Arwe nack. „Du erinnerst mich heute an eine Henne, die ein Ei legen möchte, aber nicht das passende Nest dazu fin det." Edwin Carberry verschluckte sich fast an der Fleischbrühe. „Dieses Kuckucksei möchte ich mal sehen! Außerdem ist mir noch kein Huhn mit Holzbein begegnet."
„Du kennst Hühner ja nur im ge rupften Zustand", sagte Old Donegal giftig. „Selbst dann könntest du sie nicht von Nilkrokodilen unterschei den." „Irrtum", sagte Carberry grinsend. „Krokodile haben buntere Federn und können lauter gackern." Old Donegal erwiderte nichts dar auf. Er schien zu dieser frühen Mor genstunde absolut nicht zum Herum flachsen aufgelegt zu sein. Er stoppte vielmehr seine Schritte, wandte den anderen den Rücken zu und sandte ei nen stummen Blick in Richtung Kimm, obwohl diese wegen der Dunstschwaden noch gar nicht zu se hen war. Erst einige Augenblicke später wandte er sich wieder den anderen zu. „Wie lange will der Bursche noch schlafen?" fragte er unvermittelt. „Einmal rund um die Uhr genügt selbst einer Mutter im Wochenbett." Big Old Shane schüttelte das grau haarige Haupt. „Das ist es also", sagte er augen zwinkernd. „Du wirst wieder einmal von der Neugierde geplagt und möch test endlich wissen, welche Ereignisse uns den müden Gast Beschert haben." Old Donegal hatte plötzlich einen wilden Blick drauf. „Neugierde ist mir völlig fremd, das müßten selbst eure ausgetrockneten Gehirne langsam begreifen", sagte er gallig. Doch da ihm das niemand so recht glauben wollte, fügte er noch hinzu: „Sagen wir lieber, der Mann ist mir nicht ganz geheuer. Er ist nicht der erste Schiffbrüchige, den wir an Bord genommen haben. Aber Glück hat uns das nur selten gebracht. Ärger hingegen eine ganze Menge." „Jetzt hör aber auf, Donegal", er
29 klärte Will Thorne, der alte Segelma Ein bißchen mußten sich die Arwe cher. „Du hast wohl wieder einmal zu nacks schon noch gedulden, und Old weit hinter die Kimm gesehen. Hät Donegal war deutlich anzumerken, ten wir den Burschen etwa an Bord daß er am liebsten zum Logis mar seiner Nußschale lassen sollen?" schiert wäre, um die Sache etwas zu „Natürlich nicht, du alter Fetzen beschleunigen. Da er jedoch jede Art flicker", erwiderte Old Donegal er von Neugierde entrüstet zurückge bost. „Ich bin doch kein Unmensch, wiesen hatte, blieb ihm nichts ande oder? Daß wir dem Kerl geholfen ha res übrig, als sich zu beherrschen ben, war eine Selbstverständlichkeit was ihm wiederum so manches ver für uns. Aber das hat nichts mit - äh stohlene Grinsen einbrachte. - mit gewissen Befürchtungen zu tun. Die Morgenmahlzeit war längst be Erfahrungen sollten schließlich dazu endet, und Mac Pellew hatte schon führen, daß man vorsichtig wird. Das alle leeren Schüsseln und Töpfe zur hat mir meine Großmutter schon bei Kombüse zurückgebracht, da tauchte gebracht, als mir ein Schluck Milch plötzlich der Kutscher auf. Der noch lieber war als eine Muck Rum." Schiffbrüchige mit dem verwilder Old O'Flynn versuchte, den Rest ten, schwarzen Bart folgte ihm auf der Crew vorsichtig und mit aller Be dem Fuß nach achtern. redsamkeit darauf hinzuweisen, daß „Unser Freund möchte den Kapi ihm einer seiner berühmten Blicke tän sprechen", sagte der Kutscher zu hinter die Kimm wieder einmal eine Hasard. „Er ist zwar noch ein bißchen düstere Vorahnung beschert hätte. schwach auf den Beinen, aber sonst Der Seewolf beendete nach kurzer hat er sich ganz gut erholt." Zeit die Debatte. Der Mann nickte verlegen. „Sie „Was die Zukunft bringt, weiß nie sind der Kapitän?" vergewisserte er mand", sagte er. „Da wir in der Ge sich. genwart leben, müssen wir uns eben Hasard bejahte. auch den Dingen stellen, die sie an „Dann möchte ich Ihnen meinen uns heranträgt. Wir können uns un Dank abstatten. Sie haben mir ohne möglich von Stimmungen leiten las Zweifel das Leben gerettet." sen, wenn es darum geht, einem in Hasard winkte ab. „Das war eine Not geratenen Menschen zu helfen. Selbstverständlichkeit - ganz abgese Und Hilfe kann nicht von der Frage hen, daß das nicht allein mein Ver abhängig sein, ob sie uns Dankbar dienst ist. Einige meiner Männer sind keit oder Ärger einbringt. Der Mann rausgepullt und haben Sie an Bord war in Not, wir haben ihm geholfen geholt. Es freut mich, daß Sie wieder und wollen zunächst einmal hoffen, auf dem Damm sind." daß wir uns damit keinen Ärger ein „Ja, es geht mir ausgezeichnet", er gehandelt haben. Der Kutscher ist be widerte der Fremde, „und ich habe reits vor einer Weile mit einer Muck auch schon eine Idee, wie ich mich bei Fleischbrühe und einigen Speck Ihnen und Ihrer Crew bedanken pfannkuchen zum Logis gegangen. kann." Wer weiß - vielleicht hat unser unbe Der Seewolf lächelte. „Dank ist uns kannter Gast schon ausgeschlafen." nicht so wichtig. Aber wir hätten
30 nichts dagegen, wenn Sie uns Ihren Namen verraten würden. Außerdem interessiert uns natürlich, wie Sie in die mißliche Lage geraten sind, die Sie beinahe das Leben gekostet hätte." „Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Entschuldigen Sie, Sir. Mein Name ist Jerry Pinewood. Ich stamme aus Grimsby, einem kleinen Ort an der englischen Ostküste, und fahre seit etlichen Jahren zur See." Der Schiffbrüchige schien eine ma gische Anziehungskraft auszuüben, denn im Handumdrehen waren er und Hasard von einem Großteil der Crew umringt. Natürlich war Old Do negal der erste, der am „Schauplatz" eintraf. Keine Macht der Welt, nicht einmal eine Schar barbusig hinter der Kimm hervorlugender und ihm ver führerisch zuwinkender Windsbräute hätten ihn jetzt zurückhalten können. „Schön, Mister Pinewood", erwi derte der Seewolf. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Die Mann schaft dieses Schiffes setzt sich zu ei nem großen Teil aus Landsleuten zu sammen, wie Sie bald feststellen wer den. Wir sind unterwegs nach Island und haben den Sturm - im Gegensatz zu Ihnen - gut abwettern können, weil wir eine geschützte Bucht gefun den haben." Jerry Pinewood, der jetzt wieder seine eigene, längst getrocknete Klei dung trug, sah sich etwas betreten im Kreis der Arwenacks um. Zu Hasard gewandt, fuhr er fort: „Nun ja, Sir, ich - äh - mit unserem Schiff haben wir natürlich weniger Glück gehabt, das werden Sie sich schon gedacht haben. Wir wollten ebenfalls nach Island und sind auf offener See von dem Sturm überrascht worden..."
„Was ist mit dem Schiff gesche hen?" unterbrach ihn Hasard. „Wa ren Sie der einzige, der sich retten konnte?" Pinewood senkte den Kopf. „Ich fürchte ja, Sir." Nach einem Moment des Schweigens blickte er wieder auf. „Es war furchtbar, Sir. Die ,Mary of Grimsby' ist gekentert und gesunken. Wir haben zu dritt versucht, das kleine Beiboot schwimmend zu errei chen, aber nur mir ist es schließlich noch mit letzter Kraft gelungen. Von da an fehlt mir jeder Zeitbegriff. Ich kann nicht einmal sagen, wie viele Stunden ich völlig erschöpft im Boot zugebracht habe." Hasard nickte. „Darf man fragen, was die ,Mary of Grimsby' für ein Schiff war?" „Natürlich, Sir. Es war eine kleine, leider schon etwas altersschwache Karacke, der Kapitän hieß John McTraven. Vielleicht haben wir der alten ,Mary' mit der Fahrt durch das Nordmeer doch etwas zuviel zugemu tet." „Was war das für eine Fahrt?" fragte Hasard. „War die ,Mary of Grimsby' ein Handelsschiff?" Diese Frage des Seewolfs schien Jerry Pinewood etwas ungelegen zu sein. Nachdem er einen Blick auf die Männer geworfen hatte, die das Ge spräch mit offensichtlichem Interesse verfolgten, zuckte er verlegen mit den Schultern. „Das - das ist eine Frage, Sir, die ich Ihnen gern unter vier Augen beant worten würde", sagte er. Der Seewolf lächelte. „Nun, Mister Pinewood, wenn die ,Mary of Grimsby' nicht gerade in einer gehei men, von der Königin angeordneten Mission unterwegs war, können Sie
31 ohne weiteres in Gegenwart meiner Männer darüber reden. Dieses Schiff hier gehört uns gemeinsam, und wir haben keine Geheimnisse voreinan der." Pinewood sah Hasard verblüfft an. „Aber Sie - Sie sind doch der Kapi tän, Sir, und damit obliegt Ihnen die alleinige Entscheidungsbefugnis." Hasard lächelte wieder. „Natürlich gesteht mir die Crew eine gewisse Entscheidungsbefugnis zu, weil das viele Dinge vereinfacht. Aber wo im mer es möglich ist, entscheiden wir gemeinsam - ganz einfach durch Ab stimmung." „Hm", murmelte Pinewood und konnte seine Verwunderung kaum verbergen. „Das erleichtert es mir nicht gerade, Ihre Frage nach dem Zweck der Islandreise zu beantwor ten. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber die Angelegenheit ist auch nach dem Untergang der ,Mary of Grimsby' für mich von besonderer Bedeutung." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Der Seewolf verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie können völlig offen mit uns re den Mister Pinewood. Was ich weiß, dürfen auch meine Männer wissen. In unserer Mannschaft herrscht gegen seitiges Vertrauen. Aber tun Sie mir einen Gefallen: Betrachten Sie meine Frage nicht als Teil eines Verhörs. Sie können sich an Bord unseres Schiffes als freier Mann fühlen und brauchen meine Frage selbstverständlich nicht zu beantworten, wenn Sie das nicht wünschen. Niemand wird Sie zu et was drängen." Der tiefe Seufzer, den Old Donegal in diesem Augenblick ausstieß, zwang den meisten Arwenacks ein
Grinsen ins Gesicht. Edwin Carberry jedoch konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. „Unser Kapitän hat völlig recht, Mister", sagte er. „Bei uns wird nicht gedrängelt. Schließlich sind wir ja nicht neugierig wie die Waschweiber. Jawohl - nicht ein bißchen sind wir neugierig." Dabei veranschaulichte er mit Daumen und Zeigefinger die Winzigkeit des Bißchens. Old Donegal konnte nur mühsam ein qualvolles Stöhnen zurückhalten. Am liebsten hätte er sein Holzbein abgeschnallt und dem Profos an den kantigen Schädel geworfen. Er setzte sich jedoch rasch wieder über diese Anwandlung hinweg, kriegte sogar einen scheinheiligen Blick zustande und sagte: „Was ist denn das - Neu gierde, he? Ist das etwas zu essen?" Dem sich seit Sekunden anbah nenden Gelächter stand jetzt nichts mehr im Wege. Nur Jerry Pinewood lachte nicht mit. Er schien wegen der Frage des Seewolfs noch mit sich zu ringen. Doch dann sagte er schließlich: „Nun gut, ich werde mich den Gepflogen heiten an Bord Ihres Schiffes selbst verständlich anpassen. Außerdem bin ich Ihnen ja noch einiges schul dig, wenn ich bedenke, daß ich ohne Ihre Hilfe nicht hier stehen würde. Vielleicht ist das, was ich zu sagen habe, sogar eine Möglichkeit, meinen Dank an alle abzustatten." „Welch schwülstige Rede", flü sterte Big Old Shane dem neben ihm stehenden Ferris Tucker zu. „Man meint fast, der Bursche hätte einige Säcke voll Gold zu verteilen." Doch wenige Atemzüge später regi strierte der frühere Schmied von Ar wenack Castle mit Verblüffung die
32 Geschichte, mit der der Mann aus Grimsby herausrückte. „Nun, Sir", fuhr Jerry Pinewood fort, „ich beginne am besten ganz von vorn. Genauer gesagt in Grimsby. Ich war für einige Wochen zu Hause und hatte noch nicht die rechte Lust, wie der auf einem Schiff anzuheuern. Die Tage aber vertrieb ich mir zum Teil in der Kneipe des alten McKayne bei Dünnbier und Brandy. McKayne war irgendwann in Grimsby gestrandet, und niemand wußte so recht, woher er stammte. Es hieß, er sei Schotte und früher zur See gefahren. Nun, Sir, mir war das eigentlich auch völ lig gleichgültig, und ich zerbrach mir darüber wirklich nicht den Kopf. Doch eines Tages - ich war spät in der Nacht noch der einzige Gast im Schankraum - setzte sich der alte McKayne zu mir und fragte mich, ob ich als junger Mann nichts Besseres zu tun wüßte, als in der Kneipe her umzuhocken. Er, zum Beispiel, hätte einen lohnenden Auftrag für mich..." „Aha!" entfuhr es Old Donegal. „Jetzt kommt's." Jerry Pinewood lächelte flüchtig und nickte. „Ja - jetzt kommt die eigentliche Geschichte. „Im Verlauf des Ge sprächs vertraute mir McKayne näm lich an, daß er vor Jahren auf einem Schiff gefahren sei, das nicht nur dem Abschluß ehrlicher Geschäfte gedient habe. Mit anderen Worten es war ein Piratenschiff gewesen. Die Beute aber sei an verschiedenen Or ten versteckt worden. Eins dieser Verstecke sei ihm, McKayne, be kannt. Er sei selbst dabeigewesen, als man drei Kisten mit Goldmünzen in einer Höhle an der Südostküste Is
lands versteckt habe. Kurz darauf sei das Schiff in der Karibik beim Kampf gegen eine spanische Galeone gesunken, und er habe das Unglück als einziger - wenn auch schwer ver wundet — überlebt." Hasard hatte noch immer die Arme vor der Brust verschränkt. „Bis jetzt kann man diesem Bericht einen logischen Zusammenhang nicht absprechen", sagte er. „Den Rest kann man sich fast schon den ken. Aber führen Sie Ihren Bericht ruhig zu Ende. Mister Pinewood." Der Mann aus Grimsby räusperte sich. „Da gibt es nicht mehr viel zu be richten, Sir. McKayne genas von sei nen Verletzungen, aber eine starke körperliche Beeinträchtigung blieb zurück. Er fuhr nicht mehr zur See, und das Schicksal verschlug ihn nach Grimsby. Da er nicht mehr der Jüng ste war und ihm einige weitere Gebre chen zusetzten, suchte er jemanden, der die drei Kisten bergen und ihm eine davon abtreten würde. Nun, Sir, ich fand dieses Angebot nicht unfair, obwohl ich zunächst sehr an seiner Geschichte zweifelte. Als er aber ei nen entsprechenden Lageplan vor zeigte, sah ich keinen Grund mehr, dem Mann nicht zu glauben. Ich wurde mit ihm einig, und wir begos sen die Sache natürlich mit einigen Brandys. Bereits einige Tage danach stieß ich auf John McTraven und seine altehrwürdige ,Mary of Grimsby'. Er war nicht abgeneigt, nach Island zu segeln, und wir einig ten uns schließlich folgendermaßen: Eine Kiste für den alten McKayne, eine für McTraven und seine wenigen Mannen und eine für mich. Doch das Schicksal wollte es anders, denn we
Wir sind nicht fehlerlos! Das brachte uns ein Brief wieder einmal zu Bewußtsein, den uns ein englischer Leser schrieb: R M , straße ,2282 List auf Sylt: Sehr geehrte Seewölfe-Redaktion! Ich muß mich als erstes entschuldigen für mei ne Rechtschreibung, aber als Engländer fällt es mir schwer, alles richtig zu schreiben. Als erstes möchte ich sagen, daß ich sehr zufrieden mit der Seewölfe-Romanreihe bin, aber ich habe trotzdem verschiedene Gründe zum Meckern. 1. Plymouth ist eine Stadt in der Grafschaft Devonshire (Devon) und nicht, wie wieder holt geschrieben, in der Grafschaft Corn wall. 2. In der englischen Sprache wird Höhe und Tiefe nicht in Yards gemessen, son dern in Fuß (feet), also bitte in Zukunft in Metern angeben. 3. In der englischen Sprache gibt es keinen Unterschied zwischen „du" und „Sie", also ist es Quatsch, zu schreiben, daß der See wolf jemandem das „du" angeboten hat. 4. In einem füheren Heft (es spielt im Jahre 1592) brachte der Kutscher den Namen William Shakespeare ins Gespräch. Er wurde daraufhin gefragt, wer dieser Sha kespeare sei, und seine Antwort lautete, daß Shakespeare viele Schauspiele und Poesie geschrieben habe. Dies konnte der Kutscher aber nicht wissen, weil das erste Schauspiel von S. in London 1592 uraufge führt wurde. Die „Isabella VIII." war aber zu dieser Zeit schon 3-4 Jahre unterwegs, also konnte der Kutscher davon nichts wissen. Genug der Meckerei. In einem Forum fragte ein Leser nach Tex ten für Shanties usw., und Sie konnten ihm nicht helfen - aber ich. Wenn der Leser noch Interesse hat, kann er vier LP's oder MC's mit Shanties und Seemannsliedern, gesungen von dem weltweit bekannten Seemannschor der M. V. S. List bei H,
C S .Postfach , 2282 List auf Sylt, bestellen. Das muß alles sein für heute (es hat lange genug gedauert, bis ich mich durchgerun gen habe, zu schreiben). Mit herzlichen Grüßen und einem dreifachen Arwenack R M Herzlichen Dank „for your letter, dear Mi ster M !" Laut einer politischen Pflau me soll unser verehrter Bundeskanzler Kohl dem Präsidenten der USA, Mister Ronald Reagan, erklärt haben: „Du kannst ruhig Helmut und ,you' zu mir sagen!" Das genau ist das Kreuz mit unserem „du" und „Sie" - und natürlich ist es Unsinn, wenn Hasard irgendeinem Menschen das „du" anbietet, nur schreiben wir die SEEWÖL FE eben in der deutschen Sprache, und es wäre für deutsche Leser reichlich komisch, wenn wir auf das distanzierte „Sie" ver zichten würden. Natürlich kann das zu ei nem „Eiertanz" werden, und dann passiert so ein Bock wie das Du-Anbieten Hasards. Richtig, Plymouth liegt nicht in der Graf schaft Cornwall, auch das ist sowohl dem A u t o r als auch d e m redigierenden Davis J. Harbord durch die Maschen geschlüpft. Was die Maßangabe „Fuß" betrifft, haben Sie („you") recht, aber das wissen auch die Autoren, die übrigens ganz richtig die Was sertiefen mit „Faden" angeben - oder die . Größe Hasards mit mehr als „sechs Fuß". Auch in diesem Fall kann es natürlich sein, daß mal ein Bock geschossen und überse hen wurde. Was Shakespeare betrifft, zitie ren wir aus dem Werk von Louis B. Wright „Shakespeare und seine Zeit": . . . daß sich Shakespeare „von Stratford (dort wurde S. 1564 geboren) bis 1592 sowohl als Dramati ker wie als Schauspieler gut eingführt ha ben muß". Das heißt also, daß der Kut scher wohl drei oder vier Jahre vorher doch schon etwas über den berühmten Mann gewußt haben kann. Alles klar? Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
Auf den beiden vorigen Seiten stellen wir unseren Lesern eine
Schonerbark, auch Barkentine genannt, vor. Schonerbarken
waren dreimastige Segelschiffe mit vollgetakeltem Fockmast,
während am Großmast und Besanmast Gaffelsegel (Schratsegel)
gefahren wurden. Zwischen Vormast und Großmast setzte man
ferner die sogenannten Stagsegel. Schonerbarken oder Barkenti nen wurden in der Frachtfahrt eingesetzt, sogar auch noch in den
ersten Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende.
Die Nummern bedeuten:
1 Außenklüver, 2 Klüver, 3 Vor-Stengestagsegel, 4 Fock, 5 Unter
marssegel, 6 Obermarssegel, 7 Bramsegel, 8 Royalsegel, 9 Groß-
Stagsegel, 10 Mittel-Stagsegel (Flieger), 11 Groß-Stengestagsegel,
12 Groß-Bramstagsegel, 13 Großsegel, 14 Groß-Gaffeltoppsegel,
15 Besan, 16 Besan-Gaffeltoppsegel, 17 Großmast, 18 Großstenge,
19 Groß-Bramstenge, 20 Besanmast, 21 Besanstenge, 22 Fockrah,
23 Untermarsrah, 24 Obermarsrah, 25 Bramrah, 26 Royalrah, 27
Großbaum, 28 Großgaffel, 29 Besanbaum, 30 Besangaffel, 31
Außen-Klüververstampfstag, 32 Klüverstampfstag, 33 Stampf stock-Achterholer und 34 Wasserstag.
37 nige Tage, bevor wir den Anker lich und anschließend ausgiebig am Hin teten, fand man den alten McKayne terkopf kratzte, als könne das den Ge tot in seinem Bett. Er war am Schlag dankenfluß beschleunigen, starrte fluß gestorben. Da er keine Angehöri der andere mit einer tiefen Falte auf gen hatte, sorgten McTraven und ich der Stirn über die Wasserfläche. für sein Begräbnis und beschlossen, Carberry rang sich schließlich zu an dem gemeinsamen Plan festzuhal einer Frage durch: „Wie groß sollen ten. Der Inhalt der drei Kisten sollte die Kisten denn sein?" nun einfach in zwei Teile geteilt wer Jerry Pinewood zuckte mit den den. Das war alles. Den Rest der Ge Schultern. „McKayne sprach von gro schichte kennen Sie ja bereits." ßen Kisten. Manchmal sprach er auch Der Seewolf zeigte ein nachdenkli von Truhen." „Hm", äußerte der Profos, „da ches Gesicht. „Und jetzt hat sich durch den Ver müßte ja einiges an Goldmünzen hin lust der ,Mary of Grimsby' Ihr Plan einpassen." zunächst einmal völlig zerschlagen, Old Donegal aber schien irgendwo nicht wahr?" in der Ferne den Fingerzeig eines Pinewood zuckte hilflos mit den Wassermannes wahrgenommen zu haben und wiegte mit skeptischem Schultern. „Nun ja, Sir, ich . . . " „Ich weiß", unterbrach ihn Hasard, Blick den Kopf hin und her. „Sie haben uns die Geschichte er „Ich weiß nicht recht", sagte er. zählt, weil Sie im stillen hoffen, daß „Wir haben zwar schon manchen wir jetzt die Funktion der ,Mary of Schatz geborgen, aber ohne Stunk ist Grimsby' übernehmen." das nie abgegangen. Wenn wir ein „So ist es", bestätigte Pinewood. paar schöne Tage im Isafjord erleben „Ich - ich dachte, da Sie ohnehin wollen, sollten wir besser die Finger nach Island segeln, ließe sich das eine von dem ganzen Klunkerkram lassen mit dem anderen verbinden. Für und Mister Pinewood irgendwo auf mich wäre das, nach allem, was bis Island an Land setzen, damit er die her passiert ist, eine Fügung des Möglichkeit hat, sich anderweitig um Schicksals, und ich wäre gern bereit, die Bergung des Schatzes zu bemü Ihnen und Ihrer Mannschaft zwei hen - sofern es diesen überhaupt Drittel des Schatzes zu überlassen. Es gibt." würde mich freuen, wenn ich mich Von einigen Männern erntete Old damit ein bißchen für Ihre Hilfe er O'Flynn Zustimmung, dennoch wa kenntlich zeigen könnte." ren die Meinungen nach wie vor ge Unter den Arwenacks setzte augen teilt. blicklich Gemurmel ein. Einige schie „Ihre Schilderung hörte sich ganz nen an der Geschichte des Schiffbrü überzeugend an, Mister Pinewood", chigen zu zweifeln, andere meinten, sagte der Seewolf. „Nur haben Sie zwei Kisten Goldmünzen könne man selber die Kisten natürlich noch nicht ja im „Vorbeisegeln" mitnehmen. gesehen. Das heißt, Sie vertrauen auf Edwin Carberry und Old O'Flynn das, was Ihnen McKayne vor seinem aber sagten noch gar nichts. Während Tod mitgeteilt hat." sich der eine die Bartstoppeln rieb „Das stimmt, Sir", entgegnete Pine
38 wood. „Aber warum hätte mich der alte Mann belügen sollen? Meiner Meinung nach war er völlig glaub würdig. Das fand auch Mister McTra ven, der Kapitän der ,Mary of Grimsby', sonst hätte er sich wohl niemals auf das Unternehmen einge lassen." Dem konnte auch Hasard schlecht etwas entgegenhalten - vorausge setzt, die ganze Geschichte, die Pine wood erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Andererseits gab es auch keinen Grund für den Mann aus Grimsby, ihnen eine Lügengeschichte aufzutischen - ganz davon abgese hen, daß Pinewood einen zuverlässi gen und glaubwürdigen Eindruck er weckte. „Sie erwähnten einen Lageplan", sagte der Seewolf. „Ich nehme an, daß er zusammen mit der ,Mary of Grimsby' im Nordmeer versunken ist." Jerry Pinewood schüttelte den Kopf. „Keineswegs, Sir, ich habe ihn bei mir." Er fingerte an einem kleinen Ledertäschchen herum, das an der In nenseite seines Gürtels befestigt war und zog dann einen mehrfach zusam mengefalteten Bogen hervor. „Die Skizze war zwar durchnäßt", fügte er hinzu, „aber das hat ihr nicht sonderlich geschadet." Er entfaltete den Bogen und reichte ihn dem See wolf. Die Debatten der Arwenacks ver stummten, als sich Hasard den Plan mit zusammengekniffenen Augen an sah. „Dieser Skizze nach müßten die Höhlen in der Tat bei Höfn an der Südostküste zu finden sein", sagte er nach kurzer Zeit. „Zwischen schma len Landzungen gibt es eine Einfahrt
in eine ziemlich große Bucht. Von dort aus sind die Höhlen zu erreichen. Die Örtlichkeiten dürften mit unse ren Seekarten durchaus übereinstim men." Die Arwenacks horchten auf. „Sollten wir uns deiner Meinung nach darauf einlassen, Sir?" fragte Nils Larsen, der blonde Däne. Hasard faltete den Plan zusammen und lächelte. „Bis jetzt haben wir keine Veran lassung, Mister Pinewood nicht zu glauben", sagte er. „Da wir ohnehin Island ansteuern, dürfte weder ein vorhersehbares Risiko noch ein be sonders großer Zeitverlust mit der Angelegenheit verbunden sein. Der Umweg ließe sich meiner Meinung nach verkraften. Nur würde ich dann vorschlagen, die Münzen, die es dort geben soll, nicht wie von Mister Pine wood freundlicherweise angeboten, zu zwei Dritteln zu übernehmen, son dern nur zur Hälfte - so wie er das ursprünglich mit dem Kapitän der ,Mary of Grimsby' vereinbart hatte. Allerdings sollten wir noch durch eine Abstimmung darüber befinden, ob wir uns überhaupt auf das Unter nehmen einlassen wollen oder nicht." Die Abstimmung war rasch vollzo gen. Alle Arwenacks waren für den Umweg, den der Abstecher an die Südostküste mit sich bringen würde. Sogar Old Donegal hatte die Hand ge hoben — wenn auch nur zögernd und mit unschlüssigem Gesicht. „Wie Sie sehen, kann Ihrer Bitte entsprochen werden, Mister Pine wood", sagte Hasard. „Wir werden le diglich noch den Kapitän unseres Be gleitschiffes davon in Kenntnis set zen müssen, damit er weiß, daß wir
39 etwas später als er am vereinbarten Ziel eintreffen." Jerry Pinewood zeigte sich hocher freut über den Ausgang der Verhand lungen und nahm erst jetzt zur Kenntnis, daß in einiger Entfernung ein fremdes Schiff dem Kielwasser der Schebecke folgte. „Was ist das für ein Schiff?" fragte er. „Das sind gute Freunde, die das selbe Ziel haben wie wir", sagte Ha sard. „Sie haben Bekannte und Ver wandte, die auf Island leben." Pinewood gab sich damit zufrieden. Zum einen hatten ihm diese Männer das Leben gerettet, und zum anderen bestand für ihn jetzt wieder die Aus sicht, die drei Kisten doch noch ber gen zu können. Die Arwenacks gingen wieder auf Stationen. Pinewood begleitete den Kutscher zur Kombüse, um zur weite ren Kräftigung noch eine Muck Fleischbrühe in Empfang zu nehmen. „Ich will mich keineswegs bei euch durchfuttern und auf die faule Haut legen", sagte er auf dem Weg dorthin. „Da ich harte Arbeit gewohnt bin, packe ich gern mit an." „Kein Problem", erwiderte der Kutscher. „Sie können mir fürs erste ein wenig in der Kombüse zur Hand gehen, wenn Sie sich kräftig genug dazu fühlen." „In Ordnung. Aber lassen wir ruhig den Mister weg. Ich bin ein einfacher Decksmann und kein feiner Schnösel. Im übrigen heiße ich Jerry." Kurze Zeit später, als Jerry Pine wood dem Kutscher und Mac Pellew beim Fleischschneiden und Gemüse putzen half, fragte er plötzlich: „Wie heißt noch mal euer Kapitän? Killi grew?"
„Ganz richtig, Meister", erwiderte Mac mit griesgrämigem Gesicht. Pinewood legte die Stirn in Falten. „Diesen Namen habe ich schon ge hört. Heißt nicht auch der legendäre Seewolf so, der im Auftrag der Köni gin den Spaniern so mächtig ein heizt?" Mac nickte mit todernstem Gesicht. „Kann sein, daß der auch so heißt." Pinewood winkte ab. „Lassen wir das. Was sollte der Seewolf schon im Nordmeer. Hier gibt's ja keine Dons!" „Eben", meinte Mac und holte eine riesige Zwiebel aus dem irdenen Be hälter. 6. Von gleichmäßigen Riemenschlä gen vorangetrieben, bahnte sich das winzige Boot einen Weg durch die Dünung. Die Sicht war gut, denn der Himmel war seit Stunden blau und wolkenlos. Die Frühjahrssonne überschüttete die Wasserfläche mit gleißendem Licht. Das zum Teil hochaufragende vulkanische Gestein der kleinen Ei lande, die zur Gruppe der sogenann ten Westmännerinseln gehörten und der isländischen Südküste vorgela gert waren, konnte an der südlichen Kimm deutlich wahrgenommen wer den. Dem alten Bjarni stand trotz der frischen Brise der Schweiß auf der Stirn, als er zusammen mit Loki, der Frau Leifur Gunnarssons, das kleine Fischernetz an Bord hievte. Freya und Hildrun, zwei weitere Frauen vom ehemaligen Hof der Gunnars sons, bedienten die Riemen. Die anderen waren auf dem Trüm
40 mergrundstück zurückgeblieben und kümmerten sich um die Kinder und den immer noch stark geschwächten Hofherrn. Irgendwann, sobald Leifur Gunnarsson wieder auf den Beinen war, wollte man die Gegend, die alle Überlebenden des Überfalls nur noch an Tod und Verderben erinnerte, ver lassen und nach Nordwesten ziehen, wo Lokis Familie einen großen Hof besaß. Vorerst aber hatte der treue Knecht Bjarni aus den Holzresten des Wohn hauses und der Stallungen einige Not unterkünfte errichtet, denn die Nächte waren noch kalt und windig auf Island. Im Netz zappelten Dorsche und ei nige Heilbutte. Der Fang war spär lich, aber er würde ausreichen, um die beiden Männer sowie die Frauen und Kinder an diesem Tag zu ernähren. „Die anderen werden schon auf uns warten. Wir sollten jetzt umkehren, Bjarni", sagte Loki. Sie war eine schlanke, hochgewachsene Frau, de ren langes, blondes Haar zu einem Zopf geflochten war. Der grauhaarige Alte nickte zustim mend. „Die Kinder haben bestimmt schon Hunger. Wenigstens hat sich unsere Arbeit einigermaßen ge lohnt." Freya und Hildrun schwiegen. Frü her hatten die Frauen vom Gunnarsson-Hof oft bei der Arbeit gesungen seit jenem verhängnisvollen Tag aber waren sie schweigsam geworden. Noch war die Erinnerung an den gnadenlosen Überfall der „Schwar zen Raben" zu frisch, und jene Stunde, in der sie mit der Hilfe Bjar nis ihre Männer und Söhne begraben mußten, stand noch zu deutlich vor ihren Augen.
Jetzt griffen auch Loki und Bjarni zu den Riemen, um das Boot zu wen den. Da war plötzlich die helle Stimme Hildruns zu hören. „Ein Schiff!" rief sie und zeigte mit ausgestrecktem Arm nach Osten. Die Blicke der anderen wanderten sofort in die angezeigte Richtung. In der Tat schob sich dort ein riesiger Segler hinter der Kimm hervor. Bjarni wischte sich über die Augen, als könne er dadurch besser sehen. Doch er war alt, und sein Sehvermö gen hatte bereits viel von seiner frü heren Schärfe verloren. „Ist es ein großes Schiff?" wollte er wissen. Loki nickte. „Nach allem, was man bis jetzt sehen kann, ist es ein großer Rahsegler. Wenn ich mich nicht irre, ist das Schiff völlig schwarz." „Es ist tatsächlich schwarz", bestä tigte die etwas kleine, rundliche Freya. „Merkwürdig, selbst die Segel sind es." Ihre Stimme klang etwas ängstlich. Der alte Bjarni horchte auf. „Wie? Das Schiff ist schwarz? Und die Segel auch?" Er zog den Riemen an Bord, erhob sich und überdachte die Augen mit den Händen. Dennoch dauerte es eine Weile, bis er selber Einzelheiten erkennen konnte. „Bei Thor und Odin!" entfuhr es ihm dann. „Das ist der Schwarze Seg ler!" „Aber Bjarni", sagte Loki mit lei sem Tadel. „Du sollst nicht immer die alten heidnischen Götter anrufen!" Der Knecht überging den Einwand. „Aber schau doch, Herrin. Das ist der Schwarze Segler!" Seine Stimme klang plötzlich freudig erregt. „O ja, er ist es", fügte er noch hinzu. „Wir
41 müssen uns sofort bemerkbar ma chen. Das Schiff müßte bei seinem jetzigen Kurs in einer Entfernung von ein oder zwei Kabellängen hier vorbeisegeln..." „Ich weiß nicht, was du damit sa gen willst, Bjarni", unterbrach ihn Loki verwundert. „Kennst du denn dieses Schiff?" „Aber natürlich, Herrin", verkün dete Bjarni. „Das ist das merkwür dige schwarze Drachenschiff Thorfin Njals. Ich habe ihn vor einigen Jah ren kennengelernt, als ich noch auf dem Hof der Halgrims war. Die Hal grims waren mit den Thorgeyrs be freundet, die weit oben im Isafjord le ben. Thorfin Njal wiederum hat eine Frau vom Thorgeyr-Hof geheiratet. Wir müssen zusehen, daß sie uns be merken, Herrin. Wenn uns Thorfin Njal entdeckt, nimmt er uns be stimmt nach Olafsvik mit." Die Frauen atmeten erleichtert auf. Wenigstens schien von diesem düster aussehenden Schiff keine Gefahr aus zugehen. Schließlich ließen sie sich sogar von Bjarni dazu überreden, ihre dunklen Umhänge als Signalfah nen zu benutzen. Der Knecht selber befestigte sein abgetragenes Lederwams an einem Riemen, wandte sich dem dicht unter der Küste heransegelnden Vierma ster zu und schwenkte das Kleidungs stück hoch über dem ergrauten Kopf.
Seit Steuerbord voraus die bizar ren Felsmassive der isländischen Kü ste aufgetaucht waren, hatte sich die Laune des Wikingers beträchtlich ge hoben. „Eiliger Drache über den Wassern"
segelte auf ausdrücklichen Wunsch Thorfin Njals dicht unter der Küste nach Nordwesten. Er selber thronte wie ein nordischer Gott auf seinem heißgeliebten „Sesselchen" und ge noß den überwältigenden Anblick der an Steuerbord vorbeiziehenden Berglandschaft. Ja, das war es - sein „Thule", das Land der Ahnen, die Heimat der brül lenden Stürme, des Schnees und des ewigen Eises! Bei seinem „Sesselchen" handelte es sich um einen riesigen Stuhl aus schwarzem Holz, der fest in den Plan ken des Achterdecks verankert war und von dem aus man das ganze Schiff gut überblicken konnte. In den Augen des Wikingers lag ein seltsamer Glanz, das bärtige Gesicht wirkte verträumt, und von Zeit zu Zeit umspielte ein Lächeln seine Lip pen. Jeder an Bord gönnte ihm den Genuß, den der Anblick des Nordlan des wohl mit sich brachte, und nie mand wäre das Risiko eingegangen, ihn ausgerechnet jetzt mit irgendwel chen Nichtigkeiten zu stören. Lediglich der Stör glaubte, eine wichtige Meldung nicht länger zu rückhalten zu können. „Kapitän", sagte er, „unsere Tran vorräte gehen zur Neige. Zumindest behauptet das Muddy. Für den Fall, daß wir vielleicht - äh - an einer Han delsstation vorbeisegeln..." Der Wikinger wandte das behelmte Haupt von „Thule" ab und tauschte den Anblick der märchenhaften Landschaft gegen das langgezogene Gesicht des Störs ein. „Was sagst du da, du krummbei nige Filzlaus?" polterte er mit Don nerstimme. „Der - der Tran wird langsam
42 alle", stotterte der Stör und hielt wohlweislich einen gebührenden Ab stand zum „Sesselchen". Thorfin schnaubte wie ein Walroß. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!" brüllte er. „Kaum hat man sich dem Anblick dieses Landes hingege ben und hört schon fast die Stimmen der Götter von den Bergwipfeln her überdröhnen, da tauchst du Ziegen bock auf, um mir was von stinken dem Tran zu erzählen. Da soll sich Muddy gefälligst rechtzeitig um das Zeug kümmern. Wenn du mich damit noch ein einziges Mal nervst, tauche ich dich in das Tranfaß und zünde dich als Fackel an!" „Bergwipfel dröhnen - stinkender Muddy - Fackel im Tranfaß", wieder holte der Stör eifrig und brachte da bei die Reihenfolge etwas durchein ander. Da er den in Riemensandalen stek kenden Füßen des Wikingers ebenso wenig traute wie dessen mächtigen Fäusten, rückte er vorsichtshalber noch ein wenig vom „Sesselchen" ab, bevor er einen neuen Vorstoß wagte. „Wenn - wenn aber der Tran alle ist, d a n n . . . " „Dann wird es eben zappenduster, du eisverkrusteter Polaraffe!" unter brach ihn Thorfin Njal. „Zappenduster - Eiskruste - Polar affe", tönte es aus dem Mund des hän deringenden Störs. „Und das alles nur wegen des verdammten Trans. Soll sich doch von mir aus der verlot terte Muddy mit einer Kerze in der Hand auf das Achterdeck stellen und einen Leuchter spielen, wenn das Faß leer ist!" Die immer hitziger werdende Tran debatte wurde von einem Ruf aus dem Ausguck beendet.
„Boot Steuerbord voraus dicht un ter der Küste!" lautete die Meldung des dunkelhäutigen Hilo. „Was kümmert uns ein Fischer boot, du Räucherhering?" rief Thor fin zurück. „Demnächst meldest du noch jede Möwe, die dir was aufs Haupt fallen läßt." Der von der Insel Tobago stam mende Hilo ließ sich jedoch nicht so einfach abschmettern. „Ob es ein Fischerboot ist, weiß ich nicht!" rief er mit lauter Stimme. „Wenn ich recht sehe, sind vier Män ner an Bord und winken wie verrückt mit irgendwelchen Tüchern." Der Wikinger konnte das jetzt schon selber von seinem „Sessel chen" aus erkennen. Dennoch setzte er das Wortgefecht mit Hilo fort. „Die freuen sich wohl, endlich mal ein richtiges Schiff zu sehen!" „So sieht das aber nicht aus", ent gegnete Hilo. „Mir scheint eher, daß sie unbedingt auf sich aufmerksam machen wollen... Oh, verdammt, da sind ja Frauen dabei!" Das wiederum war dem Wikinger neu, weil er das von seinem „Sessel chen" aus nicht unterscheiden konnte. Er erhob sich, um nach dem Spektiv zu greifen, das ihm Eike reichte. „Hilo hat recht", sagte in diesem Augenblick eine Frauenstimme. Sie gehörte zu Siri-Tong, die lächelnd hinter seinem thronartigen Stuhl auf getaucht war. „Vielleicht sind die Leute in Not und brauchen Hilfe. Wie sie sich gebärden, sieht das nicht nach einem freundlichen Winken aus." „Na ja", brummte Thorfin. „Weiber halten zu Weibern, das ist der Lauf der Welt. Was schlägst du vor?"
43 „Fahrt wegnehmen und die Leute einfach fragen, was sie wollen", erwi derte die Eurasierin knapp. Jetzt ginste der Wikinger. „Da hast du recht. Daß einem die Weiber aber auch immer sagen müssen, wie es am einfachsten geht. Und ich Ochse wollte schon die Stückpforten öffnen lassen." Er lachte dröhnend. Gleich darauf ließ er die Segel ins Gei hän gen und die Fahrt stoppen. Als die Bootsinsassen, die sich end gültig als drei Frauen und ein Mann entpuppten, das sahen, hörten sie auf zu winken, griffen nach den Riemen und pullten auf den Schwarzen Seg ler zu. Sobald das Boot auf Rufweite her an war, richtete sich der einzige Mann an Bord auf. „Ich bin Bjarni, Knecht auf dem Gunnarsson-Hof!" rief er mit hoher Greisenstimme. „Ich kenne den Kapi tän dieses Schiffes - er heißt Thorfin Njal. Darf ich an Bord kommen?" „Erlaubnis erteilt!" brüllte Thorfin verwundert zurück und ließ sofort eine Jakobsleiter ausbringen. „Merk würdig", fügte er leiser hinzu. „Da se gelt man wieder einmal nach Island, und schon trifft man auf Bekannte." „Hihi!" kicherte der Stör. „Womög lich steigt noch eines der Weiber an Bord und behauptet, sie sei deine Tochter." Wenig später betrat der alte Bjarni die Kuhl des Schwarzen Seglers und wandte sich zielstrebig an den Wikin ger. „Du wirst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, Kapitän", sagte er. „Es ist schon Jahre her, seit du einmal Gast bei den Halgrims warst. Ich war damals Knecht auf diesem Hof."
„Bei den Halgrims?" entfuhr es Thorfin. „Das ist aber ein ziemliches Stück von hier entfernt." „So ist es", fuhr der alte Mann fort. „Inzwischen bin ich zum Hof der Gunnarssons gekommen, der dort drüben - ein Stück landeinwärts lag." Er deutete zur nahen Küste hin über. Thorfin konnte sich noch an den Besuch bei den Halgrims erinnern, und nach kurzem Nachdenken kehrte auch Bjarni „unter seinen Helm" zu rück. „Du warst der Knecht, der die Mucks ständig mit Branntwein auf füllte", sagte Thorfin. „Stimmt's?" „Das stimmt, Kapitän. Ich freue mich, daß du dich noch an mich erin nerst. Heute war ich mit den drei Frauen hier draußen, um zu fischen. Wir wollten schon zurückpullen, da sahen wir dieses Schiff an der Kimm auftauchen. Ich habe es - Thor sei ge dankt - wiedererkannt." „Hm", meinte der Wikinger. „Seit wann fischen hier denn die Weiber?" „Das möchte ich dir gern erzählen, Kapitän, denn damit hängt auch der Grund für mein Kommen zusam men." Bjarni Berichtete in allen Einzelhei ten von dem Überfall der „Schwarzen Raben" auf den Hof der Gunnarssons und von den Schwierigkeiten, die sich jetzt für die Überlebenden daraus er geben hatten. „Außer den Frauen und Kindern, die sich in den Bergen versteckt hat ten, überlebten nur Leifur Gunnars son und ich", sagte Bjarni. „Aber mein Herr ist noch nicht wieder bei Kräften. Wir können unmöglich zu Land die Reise nach Olafsvik antre ten, und das einzige Boot, das uns ver
44 blieb, ist viel zu klein für alle. Ich habe deshalb beschlossen, dich um Hilfe zu bitten, Kapitän." „Das war ein guter Entschluß, Bjarni", sagte der Wikinger. „Für uns ist es kein Problem, euch bis nach Olafsvik mitzunehmen. Wir brau chen dazu nicht einmal unseren Kurs zu ändern." Die Hilfsaktion war auch für SiriTong eine Selbstverständlichkeit. Es wurde sofort Anker geworfen, und sie fierten Boote ab. Jetzt gab es alle Hände voll zu tun für die Mannen. Dennoch dauerte die ganze Aktion nicht länger als einen halben Tag. Die Frauen und Kinder wurden an Bord gebracht, ebenso der verletzte Leifur Gunnarsson. Viel Habe, die es wert war, mitge nommen zu werden, gab es nicht mehr auf dem Trümmerfeld des ehe maligen Hofes, wenn man von den wenigen Milchziegen absah, die den Gunnarssons verblieben waren. „Wir werden zunächst bei der Fa milie meiner Frau unterkommen", sagte Leifur Gunnarsson zu Thorfin Njal und Siri-Tong. „Sobald ich wie der richtig auf den Beinen bin, wer den wir neu anfangen." Die dringlichsten Probleme der Gunnarssons waren gelöst, als der Schwarze Segler wieder Fahrt auf nahm und auf Nordwestkurs ging. 7. Ben Brighton blinzelte in das helle Sonnenlicht. „Dem Wetter nach könnte man fast meinen, in der Kari bik zu sein." Der Seewolf rollte die Karte zusam
men und warf ebenfalls einen Blick in den strahlend blauen Himmel. „Nur die Wärme zieht nicht ganz mit", meinte er. „Außerdem vermisse ich das üppige Grün. Wie ein Para dies sieht die öde Felslandschaft da vorn jedenfalls nicht aus." In der Tat erinnerten die kühle Luft und der zeitweise recht scharfe Wind nachhaltig daran, daß sie weit von den warmen Gefilden der Karibik entfernt waren. Der Bug der Schebecke pflügte in zügiger Fahrt das kabbelige Wasser. Je näher die wuchtigen Felsmassive der Südostküste heranrückten, desto erwartungsvoller wurden die Blicke der Männer an Bord. Das Aufspüren eines Schatzes das war so richtig was nach dem Ge schmack der Arwenacks. Kein Wun der, daß die Stimmung an Bord her vorragend war und sich auch auf die Tiere übertrug, die fest zur Besat zung gehörten. Sir John, der Aracanga-Papagei, ge noß die Sonne sichtlich und gab sich in den letzten Stunden ziemlich red selig. Zudem glaubte er wohl, dem Profos beim Fluchen wieder einmal kräftig Schützenhilfe leisten zu müs sen, damit niemand auf die Idee ver fiel, die Hände in den Schoß zu legen. „Nicht so müde!" krächzte er in der Tonlage Carberrys. „An die Brassen, ihr Transusen! Hurtig, hurtig!" Wäh rend er einige Male hin und her flat terte, ließ er noch einige ausgewählte englische und spanische Flüche vom Stapel, und niemand mußte sich den Kopf darüber zerbrechen, wer hier der Lehrmeister gewesen war. Der Schimpanse Arwenack bekräf tigte die Befehle des Vogels mit ei nem lauten Keckem, und Plymmie,
46 die Wolfshündin, quittierte das plötz liche Gekicher, das Sir John an stimmte, mit einem leisen Knurren. „Willst du wohl das Lästermaul halten, du Sumpfeule?" nörgelte Mac Pellew, der gerade an Lee eine Pütz voll Küchenabfälle über Bord gab. Die Antwort des Vogels blieb nicht aus. „Luv an, du Essiggurke!" krächzte er und schlug mit den Flü geln. Von jetzt an aber wandte er seine Aufmerksamkeit den Möwen zu, die mit lautem Geschrei über die Abfälle herfielen. Daß sich die weißen Vögel irgendwo an Bord niederließen, dul dete Sir John auf keinen Fall, notfalls verteidigte er sein Revier mit wuchti gen Schnabelhieben. Philip Hasard Killigrew gab Pete Ballie, der beim letzten Glasen wie der seinen Platz am Ruder eingenom men hatte, letzte Anweisungen und wandte sich Jerry Pinewood zu. „Wir liegen auf dem richtigen Kurs", sagte er. „Die schmale Ein fahrt der Bucht ist bereits mit blo ßem Auge zu erkennen." „Also stimmt die Skizze mit Ihren Seekarten überein", sagte der Mann aus Grimsby erfreut. „Ich bin fest da von überzeugt, Sir, daß wir die Ki sten finden." Hasard lächelte. „Mitunter ist es ganz nützlich, ein Optimist zu sein. Lassen wir uns also überraschen, Mi ster Pinewood." „Ich - äh - ich habe da noch eine Frage, Sir", rückte Pinewood heraus. „Verschlucken Sie sich nur nicht daran", erwiderte Hasard trocken. Pinewood grinste verlegen. „Die Frage ist nämlich die, Sir, wie ich mit meinen eineinhalb Kisten Goldmün zen nach England gelangen soll."
„Darüber habe ich allerdings auch schon nachgedacht", sagte Hasard. „Sie können sich wohl schlecht damit in Ihr winziges Boot setzen und in die Heimat pullen, zumal Sie unterwegs für all das viele Geld nicht einmal et was Eßbares kaufen könnten. Ich dachte mir deshalb, daß Sie wohl nichts dagegen haben werden, an Bord unseres Schiffes zu bleiben, bis wir wieder nach England zurückse geln." „Wirklich, Sir?" Jerry Pinewood strahlte. „In der Regel meine ich auch, was ich sage", bestätigte Hasard. „Oh, vielen Dank, Sir. Meine Schuld Ihnen gegenüber wird immer größer. Ich habe noch selten einen Kapitän irgendeines Handelsschiffes erlebt, der so großzügig i s t . . . " „Wer spricht denn von einem Han delsschiff?" unterbrach ihn Hasard. „Wir haben nichts zu verkaufen, mein Freund." „Wie - was dann?" Pinewood geriet ins Stottern. „Ich sagte doch schon, daß wir Freunde und Bekannte auf Island be suchen wollen", fuhr Hasard fort. „Im übrigen sind wir meist im Auf trag Ihrer Majestät, der Königin, un terwegs." Pinewoods Kinnlade klappte nach unten. „Im Auftrag der Königin?" wieder holte er und schluckte. „Wie - wie war doch gleich Ihr Name, Sir?" „Philip Hasard Killigrew." „O Gott!" stöhnte Pinewood. „Also doch. Sie - Sie sind der Seewolf. Daß ich Dorftrottel aber auch nicht früher draufgekommen bin!" „Was würde das an der Situation ändern?" fragte Hasard. „Wir haben
47 eine faire Absprache miteinander ge troffen, und an die werden sich beide Seiten halten, sofern wir tatsächlich die Kisten finden." „Aber - aber natürlich, Sir, so meinte ich das auch gar nicht", stam melte Pinewood. „Ich bin nur etwas überrascht, ausgerechnet von Ihnen und Ihren Männern aus Seenot geret tet worden zu sein. Im übrigen fühle ich mich - bei all dem Guten, was ich über Sie gehört habe - nirgends si cherer als an Bord Ihres Schiffes. O Lord, wenn ich das dereinst in Grimsby erzähle, glaubt mir niemand auch nur ein einziges Wort!" „Das allerdings ist Ihr Problem", entgegnete Hasard lachend. Danach wandte er sich zusammen mit dem immer noch ziemlich verdat terten Pinewood der imposanten Ein fahrt der Bucht zu, die wie ein riesi ges Tor zwischen den hohen Felswän den klaffte. Die Schebecke glitt elegant durch dieses Tor, und ihre Besatzung fand sich plötzlich in einer großen Bucht wieder, die auf der entgegengesetzten Seite von den Felsmassiven der ei gentlichen Küste begrenzt wurde. Die Segel erschlafften, und die Fahrt verlangsamte sich, weil es in diesem riesigen Kessel ziemlich windstill war. Das helle Sonnenlicht überflutete die Bucht, und ließ das Grau sowie das helle und dunkle Braun des jahrtausendealten Ge steins spielerisch aufleuchten. „Bei diesem Wetter sieht selbst die tristeste Einöde noch wie ein ver träumtes Kleinod aus", bemerkte Ben Brighton. „Im übrigen ist diese Bucht der beste Schlupfwinkel, den man bei einem Sturm überhaupt fin den kann."
Old O'Flynn, der auf dem Achter deck erschienen war, nickte mit nach denklichem Gesicht. „Selbst das Jüngste Gericht könnte man hier überleben." „Na, na, Donegal", meinte der See wolf, „bis dahin wird es ja wohl noch seine Zeit dauern." „Sag das nicht, Sir", fuhr der Alte unbeirrt fort. „Niemand weiß, wann und wie der Großlord seinen Zorn über die Erde ausschütten wird. Er hat seine Beobachter überall - viel leicht sogar hier." Die Arwenacks grinsten - wie im mer, wenn Old O'Flynn einen Blick hinter die Kimm warf. Diesmal aber ahnte niemand von ihnen auch nur im entferntesten, daß sie längst beob achtet wurden, wenn auch nicht ge rade von den Helfern des „Groß lords". Dafür aber von zwei merk würdig aussehenden Nordmännern, die hoch oben im Gestein des mächti gen Felsentores hockten. Die beiden Männer waren mit Mus keten bewaffnet und trugen leuch tendrote Umhänge, auf deren Rük kenpartien das Bildnis eines schwar zen Raben zu sehen war.
Die Schebecke fand bald einen An kerplatz in der Nähe eines mit Geröll übersäten Hanges. „Das ist genau die Stelle, die der Plan für einen Landgang vorsieht", sagte Hasard überrascht. „Viel mehr Möglichkeiten sind auf Anhieb auch gar nicht zu erkennen", sagte Ben Brighton, „obwohl sich das Labyrinth durchaus noch weit land einwärts fortsetzen kann. Doch dazu
48 müßte man die ganze Bucht absu chen." Jerry Pinewood war reichlich krib belig geworden. „Wozu aber, Mister Brighton?" fragte er mit besorgter Stimme. „Es genügt ja, wenn wir die im Plan ver merkte Stelle gefunden haben. Sie entspricht auch der Beschreibung Mi ster McKaynes." Ben nickte mit einem breiten Lä cheln. „Da haben Sie auch wieder recht, Mister. Es ist ja zu verstehen, daß Sie so schnell wie möglich die Ki sten finden möchten." Der Seewolf ließ ein Boot abfieren und mit sechs gutbewaffneten Crew mitgliedern bemannen. Dazu gehör ten Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Dan O'Flynn, Stenmark und Paddy Rogers. Hinzu kam noch Jerry Pinewood, und Hasard selber über nahm das Kommando. Die Verant wortung für das Schiff würde wäh rend seiner Abwesenheit Ben Brigh ton übernehmen. „Sollen wir nicht noch ein zweites Boot für die Goldkisten mitnehmen, Sir?" fragte Edwin Carberry grin send. „Nur für den Fall, daß die Din ger zu groß für unseren Nachttopf sind." „Notfalls können wir ja mehrmals fahren", meinte Hasard sarkastisch. „Ich wüßte nicht, was ich lieber täte, Sir", sagte der Profos, und Jerry Pinewood nickte eifrig dazu. Danach stieß Carberry das Boot von der Bordwand ab, und die Ruder gasten legten sich auf sein Geheiß mächtig in die Riemen. So erreichte der kleine Trupp problemlos das Ufer, wo man das Boot auf das Geröll zog. Der Seewolf warf zusammen mit
Pinewood einen weiteren Blick auf den Plan. „Der Fußweg ist eingezeichnet", sagte er. „Nur läßt sich schwer ab schätzen, wieviel Zeit er in Anspruch nehmen wird. Der Zeichnung nach dürfte es sich jedoch um einen ziem lich ausgedehnten Spaziergang han deln." Davon jedoch ließen sich die Arwe nacks nicht abschrecken, der immer nervöser werdende Mann aus Grimsby schon gar nicht. Mit zielstre bigen Schritten stiegen sie den steilen Hang hoch. Das Gewicht der Waffen und anderen Utensilien erwies sich zumindest zu Beginn des Marsches noch nicht als beschwerlich. Schließlich bedurfte man einiger Dinge, wenn man einen Schatz heben wollte. Die Arwenacks führten des halb Taue, Grabwerkzeuge und Tran lampen mit. Die Kisten waren in ei ner Höhle unter Geröll vergraben, das hatte der alte McKayne Pine wood gegenüber versichert. Außer dem sollte es in der Höhle ziemlich dunkel sein. Eine entsprechende Vor sorge war deshalb nötig. Als die Männer den Hang hinter sich gebracht hatten, winkten sie den Kameraden auf der Schebecke noch einmal zu. Danach setzten sie ihren Weg fort, der hoch über der Bucht mitten in die öde Felslandschaft führte. Ein Stück vom Rand der großen Bucht entfernt wurde das Bild etwas freundlicher. Das erste Grün ver mischte sich mit den tristen Farben des nackten Gesteins. Neben ver schiedenen Gräsern fanden sich Sil berwurz, Thymian, Hornkraut und dichte Bestände von Habichtskraut. Noch ein Stück weiter entfernt gesell
49 Die Mannen unterdrückten ein La ten sich Schnee-Enzian und verein chen und sahen sich lediglich grin zelte Birken hinzu. Dem Profos wurde es offenkundig send an. zu ruhig in der Landschaft. Nach einem Fußmarsch von einer „Hast du dir schon überlegt, was du guten Viertelstunde vernahmen die mit all den Goldmünzen anfangen Männer plötzlich ein schwaches Pfei willst?" fragte er Jerry Pinewood, als fen. Der Seewolf hob die Hand und er auf gleicher Höhe mit ihm war. stoppte den kleinen Trupp. Der schüttelte den Kopf. „Darüber Doch jetzt herrschte wieder die ge habe ich mir noch nicht den Kopf zer wohnte Stille. Lediglich die Laute der brochen. Aber es wird mir schon et Vögel drangen vereinzelt an ihre Oh was einfallen. Hauptsache, wir finden ren. das Zeug erst mal. Grimsby ist zwar „Vielleicht war das eine Schlange", nicht groß, aber es hat auch seine meinte der etwas denkfaule Paddy Reize. Demzufolge könnte es durch Rogers. „Hier zwischen den vielen aus sein, daß ich gar nicht mehr zur Felsen muß es davon wimmeln." See fahre, sondern vielleicht einen Ferris Tucker tippte sich mit dem Krämerladen eröffne. Oder ich über Zeigefinger an die rechte Schläfe. nehme die Kneipe des alten Mc- „Schlangen pfeifen doch nicht, Kayne. Das wäre auch nicht schlecht. Paddy. Die zischen höchstens." Ein bißchen Arbeit muß der Mensch Der Seewolf schüttelte den Kopf. ja haben, auch wenn er es gar nicht „Bevor ihr eine größere Debatte be nötig hätte." ginnt, solltet ihr euch vor Augen füh „Sehr vernünftig", lobte der Pro ren, daß es auf Island überhaupt fos, „auch das ist ein Weg. Sicherlich keine Schlangen gibt", erklärte er. verfällst du auch noch auf die Idee, „Auf dieser Insel leben weder Amphi die Schönste im Städtchen zu freien bien noch Ameisen." und mit einer ganzen Reihe von hüb Paddy klappte die Kinnlade nach schen kleinen Windelpisserchen zu unten. beglücken. Ein reicher Mann muß „So was", stieß er hervor. „Da kann schließlich für Erben sorgen, nicht man sich ja tatsächlich ins Gras set wahr?" zen, ohne daß einen die kleinen Krab Pinewood grinste. „Das ist eine beldinger in den Achtersteven zwik gute Idee. Vielen Dank, daß du mich ken. Außerdem . . . " darauf gebracht hast." Paddy wurde von einem weiteren „Gern geschehen", antwortete der Pfeifton unterbrochen. Diesmal war Profos mit erhobener Nase. „Unser der langgezogene Ton lauter und ging eins hat schließlich seine Lebenser bald in eine monotone, fast klagende fahrung." Melodie über. „Und wie sieht's mit deinen Erben „Ich werd' nicht mehr", entfuhr es aus, Mister Carberry?" dem Profos. „Das ist eine Flöte." Der Profos schluckte. „Die - ä h „Und wo man Flöte spielt, da sind um die werde ich mich später küm auch Menschen", fügte der Seewolf mern. In meinem Alter hat man dazu hinzu. ja noch Zeit." Die Richtung, aus der sie die Töne
50 hörten, war leicht festzustellen. Die Arwenacks verließen jetzt vorsichtig und ohne unnötige Geräusche zu ver ursachen den im Plan eingezeichne ten Weg und hielten sich nach rechts. Dort stoppten sie abrupt ihre Schritte, und zwar direkt an der Oberkante einer langgezogenen Fels wand, die schroff und steil in eine kleine, versteckte Bucht abfiel, deren Existenz vom Ankerplatz der Sche becke aus nicht erkennbar gewesen war. Doch nicht das war es, was die Män ner augenblicklich verstummen ließ, sondern das merkwürdige, ja gera dezu unheimliche Schauspiel, das sich tief unten, am Rand der Bucht, ihren Augen darbot. An der Uferböschung war eine Gruppe von seltsamen Gestalten zu sehen, die offensichtlich rote, über wurfartige Umhänge trugen. Sie erin nerten an das Aussehen der Nord männer auf dem Schwarzen Segler, wenn man von ihren außergewöhnli chen Kleidungsstücken absah. Unter den klagenden Tönen einer Flöte schoben die Männer ein schmales, schwarzes Boot ins Wasser, auf dem unverkennbar eine leblose Gestalt aufgebahrt war. „Das ist ein Totenschiff", sagte der Seewolf mit leiser Stimme. „Man hat den leblosen Körper auf einen im Boot aufgeschichteten Scheiterhau fen gelegt und seine Waffen, Werk zeuge sowie einige Eß- und Trinkge fäße mit an Bord gegeben. Sie sollen den Toten auf seiner Reise in die Un terwelt begleiten." Die Bestätigung seiner Worte er folgte augenblicklich. Eine bärtige Gestalt, die eine bren nende Fackel in der Hand hielt, nä
herte sich dem Ufer und watete einige Schritte ins Wasser, um das Bestat tungsfeuer zu entzünden. Während die Flammen in Sekundenschnelle hoch aufloderten, stieß man das Boot noch ein Stück in die Bucht hinaus. Der gespenstische Anblick ließ die Arwenacks für einige Augenblicke ihr eigentliches Vorhaben vergessen, bis die Stimme Hasards sie in die Wirklichkeit zurückholte. „Viele Isländer hängen noch immer dem uralten nordischen Götterglau ben an", sagte er, „obwohl die Chri stianisierung der Insel schon vor etli chen Jahrhunderten begonnen hat. Das läßt erkennen, daß eine solche Entwicklung sehr viel Zeit braucht, vor allem, wenn die alten Wurzeln recht tief sitzen. Das beste Beispiel dafür haben wir ja in Thorfin." „Richtig", meinte Ferris, „der Bursche scheint mir auch noch an Thor und Odin zu hängen, warum soll es da bei den Isländern anders sein!" „Nun, wie dem auch sei", fuhr Ha sard fort, „es scheint trotz der Un wirtlichkeit dieser Küstenregion ir gendwo da unten eine menschliche Ansiedlung zu geben. Da wir die Ge sinnung dieser Leute nicht kennen, ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir so unauffällig wie möglich unsere Arbeit hinter uns bringen und dann wieder verschwinden. Es ist nie gut, gerade eine Schatzsuche an die große Glocke zu hängen." Das leuchtete den Männern ein. Gleichzeitig waren sie sich darüber im klaren, daß sie von jetzt an auf der Hut sein mußten, als sie ihren Weg fortsetzten.
51 »Halldor hat seine letzte Reise an getreten", verkündete der bärtige Egill mit lauter Stimme. „Er wird von jetzt an dem Roß Sleipnir in den Kampf folgen, und Hugin und Munin, die Raben Odins, werden ihn auf ih ren mächtigen Schwingen von Sieg zu Sieg tragen." Die Bestattungszeremonie war da mit beendet. Das Totenboot trieb brennend im Wasser der versteckten Bucht, die zu einem unübersichtli chen Labyrinth gehörte. Halldor, der stumme Passagier, war nicht etwa im Kampf gefallen, sondern in Anschluß an ein wüstes Saufgelage in den Klip pen zu Tode gestürzt. Ein ausgiebiges Mahl, verbunden mit einem noch ausgiebigeren Um trunk, gehörte natürlich zu einer Be stattungsfeier. Deshalb wandten sich Egill und seine Kumpane jetzt den am Ufer entfachten Lagerfeuern zu. Doch da tauchte an der Einfahrt zum Schlupfwinkel der „Schwarzen Raben" plötzlich ein Boot auf, das in respektvollem Abstand an dem To tenboot vorbeigepullt wurde und Kurs auf die Lagerstelle nahm. Die beiden Rudergasten hatten es offenbar eilig. Sobald der geröllhal tige Sand unter dem Kiel knirschte, sprangen sie ins niedrige Wasser und eilten auf Egill zu. Einer von ihnen war der hagere Gestur. „Ein Schiff ist in die große Bucht eingelaufen", meldete er mit fliegen dem Atem. „Es ist in der Nähe der Ge röllhänge vor Anker gegangen." Egill horchte auf und stellte den mit Branntwein gefüllten irdenen Be cher auf einen flachen Stein, der als Tisch diente. „Was ist das für ein Schiff?" fragte er schroff. „Seit wir uns hier nieder
gelassen haben, hat sich noch nie ein Schiff in dieser Bucht blicken lassen. Sind das etwa Schergen des däni schen Königs?" Gestur zuckte hilflos mit den Schul tern. „Es ist ein sehr fremdartig ausse hender Dreimaster mit Lateinerse geln. Eine Flagge haben wir nicht ge sehen. Daß es sich um Dänen handelt, wäre immerhin möglich, aber wir konnten keine Soldaten entdecken." Der zweite Kerl nickte bestätigend. „Es scheint eher, daß die Fremden hier etwas suchen", fügte er dem Be richt Gesturs hinzu. „Sie haben jeden falls sofort ein Boot mit sechs Mann zu den Geröllhängen geschickt. Die Kerle sind dort an Land gegangen und oben auf dem Plateau landein wärts marschiert. Dabei hatte ich den Eindruck, daß sie ein bestimmtes Ziel ansteuern. Zwei unserer Leute sind ihnen unbemerkt gefolgt." „Gut so", sagte Egill und legte nach denklich die Stirn in Falten. „Von da oben aus gelangt man zu den Höhlen. Etwas anderes gibt es weit und breit nicht. Was aber suchen die Fremden dort?" „Vielleicht einen Schatz, von des sen Existenz wir nichts wissen", be merkte Gestur. „Hm", meinte Egill. „So abwegig hört sich das gar nicht an. Es ist im merhin möglich, daß diese Gegend schon früher anderen Leuten als Un terschlupf gedient hat. Wie dem auch sei, wir müssen die Fremden weiter beobachten. Sollten sie tatsächlich ei nen Schatz bergen, dann werden wir uns höflich dafür bei ihnen bedan ken." Der Anführer der „Schwarzen Ra ben" lachte spöttisch. Dann erhob er
52 sich von dem Steinbrocken, der ihm als Sitzplatz gedient hatte. „Hört zu", fuhr er fort. „Wir bilden jetzt zwei Gruppen. Die kleinere folgt Gestur hinauf zu den Höhlen, die grö ßere bringt unter meiner Leitung die Schiffe auf Vordermann. Sobald Ge stur die Burschen, die hier herum schnüffeln, geschnappt hat, holen wir uns das Schiff. Die Fremden dürfen auf keinen Fall jemals wieder die Bucht verlassen. Wir müssen verhin dern, daß wir hier noch öfter Besuch erhalten." Das war ein Wort. Die wilde, krie gerische Schar stand voll hinter ih rem Anführer. Mit entschlossenen Gesichtern und haßerfüllten Augen griffen die „Schwarzen Raben" zu ih ren Waffen. 8. Oben auf den Felsenplateaus wurde der Weg immer beschwerli cher für den kleinen Trupp der See wölfe. Die mit verschiedenen Kräu tern und niedrigem Strauchwerk be wachsenen Flächen wurden immer spärlicher und wichen schließlich ganz dem Geröll. Hinzu kam, daß der Weg kräftig anstieg. Nicht selten ge rieten die Geröllmassen in Bewegung und ließen die Männer ins Rutschen geraten. Edwin Carberry schüttelte verwun dert den Kopf. „Ich muß schon sagen", knurrte er, „daß sich die Schnapphähne das Ver steckspiel nicht gerade erleichtert ha ben. So langsam fühlt man sich näm lich wie ein frommer Pilgersmann, der nicht nur sein Ziel erreichen, son dern dabei auch noch Buße tun will."
„Ein bißchen Buße kann dir nicht schaden", meinte Ferris Tucker grin send. „Und der Schweiß eines from men Wanderers ist dem Herrn wohl gefällig." „Mir aber um so weniger", entgeg nete der Profos. „Außerdem war das Bußetun mit unserem Freund Pine wood in keiner Weise abgesprochen, abgesehen davon, daß unsereiner so was gar nicht nötig hat, wenn man sich eh schon Tag für Tag in christli cher Geduld damit abmüht, Sittlich keit, Tugendhaftigkeit und Frömmig keit auf einem Schiff voller triefäugi ger Seegurken und quergeriggter Af fenärsche aufrechtzuerhalten." Die Mannen grinsten sich eins, und Dan O'Flynn sagte: „Wir werden's noch erleben, wie unser allseits ver ehrter Mister Carberry in ein Kloster eintritt, um sich für den Rest seines Lebens frommen Übungen hinzuge ben. Wir schauen dann ab und zu mal vorbei, damit uns Pater Edwin seg nend die Hände aufs Haupt legt." Carberry warf Dan einen schrägen Blick zu. „Du würdest mir gerade recht sein, Mister O'Flynn. Dein Haupt würdest du mir auf jeden Fall umsonst hinhalten, weil ich dir mei nen Segen mit spitzen Stiefeln ins Heck setzen würde." Als der Seewolf wieder einmal die Karte aufrollen wollte, um den einge schlagenen Kurs zu überprüfen, mel dete sich der in den letzten Minuten recht schweigsame Jerry Pinewood zu Wort. „Weit kann es nicht mehr sein", er klärte er. „Wie mir der alte McKayne sagte, muß diesen ansteigenden Ge röllfeldern ein weiteres Plateau fol gen, an dessen Ende sich die Höhlen befinden."
54 Der Mann aus Grimsby sollte recht behalten. Kaum hatten die Seewölfe die ge röllübersäten Hänge hinter sich ge bracht, lag das erwähnte Plateau vor ihnen. Am hinteren Teil wurde es von massiven Felswänden begrenzt. Dort mußte die Schatzhöhle zu finden sein. Bis jetzt hatten sich die Lageskiz zen, die Pinewood dem Seewolf über geben hatte, genauso als richtig er wiesen wie die mündlichen Beschrei bungen des früheren Schnapphahns McKayne. Die Männer zweifelten längst nicht mehr am Vorhandensein der drei Kisten. Der Weg wurde zügig fortgesetzt. Die unmittelbare Nähe des Ziels schien die Schritte der Mannen zu beflügeln. „Es wird sicher Zeit, daß all die hübschen Golddublönchen mal wie der sortiert und aufpoliert werden", sagte der Profos, und Paddy Rogers rieb die Knollennase immer häufiger, je näher sie den Felswänden gelang ten. Schließlich stoppte der kleine Trupp vor vier fast nebeneinander liegenden, haushohen Felsbrocken, die der eigentlichen Wand vorgela gert waren. „Hinter dem zweiten Brocken von rechts muß der Höhleneingang lie gen", sagte Jerry Pinewood mit an dächtigem Gesicht. Er kannte die An gaben auf der Skizze längst auswen dig. Er behielt wiederum recht. Nach wenigen Schritten standen die Arwenacks vor dem etwa zehn Fuß hohen und fünf Yards breiten Eingang, der einen dunklen, gähnen den Schlund freilegte. Unmittelbar
daneben befand sich ein steinerner Klotz, hinter dem sich eine abgrund tiefe Felsspalte auftat. Carberry zitierte den biblischen Schöpfungsbericht: „Und der Herr sprach: Es werde Licht!" Gleich dar auf begann er eifrig mit Flint und Feuerstein zu hantieren, während Ferris schon die Tranlampe aus ei nem kleinen Segeltuchsack holte. Auch Hasard verlor keine Zeit. „Batuti, Sten und Paddy - ihr be zieht am besten hier vor dem Eingang Stellung", sagte er. „Es ist zwar nicht zu erwarten, daß sich jemand für uns interessiert, aber Vorsicht ist die Mutter der Weisheit. In der Deckung der Felsbrocken läßt sich das Plateau gut überblicken." Als die Tranlampe schließlich brannte, drangen die Mannen in die Höhle ein. Das flackernde Licht reichte für eine notdürftige Beleuch tung aus und warf gespenstische Schatten auf die schroffen Wände. „Geröll, Geröll, soweit das Auge reicht", sagte Dan. Dennoch war die Höhle recht geräu mig, die Männer gelangten gut voran. Nach etwa zwanzig Schritten be gannen die im Plan vermerkten Ab zweigungen. Sie waren enger und niedriger als der Hauptgang. Auch die Luft wurde jetzt schlechter. Es roch nach Moder und Fäulnis, zuwei len auch nach Feuchtigkeit. „Die zweite Abzweigung links muß es sein", sagte Jerry Pinewood, und seine Stimme klang dumpf in dem bi zarren Gewölbe. Hasard ging voran und hob die Lampe. Plötzlich verhielt er seine Schritte. „Hier ist die zweite Abzweigung
55 links", sagte er und leuchtete, so gut es ging, hinein. Die Mannen drängten sich hinter ihm, um ebenfalls einen Blick hinein werfen zu können, aber sie sahen nichts außer einem hohen Geröllberg. „Genau, wie der alte McKayne ge sagt hat", entfuhr es Pinewood. Der Mann war aufgeregt, seine Hände zit terten, und sein Atem hatte sich be schleunigt. „Na, dann wollen wir mal", meinte Hasard. Pinewood und Dan packten die Schaufeln und begannen zu graben. Das war ausgesprochen leichte Ar beit, weil statt fester Erde nur die Ge röllhalde abzutragen war. Alle schwiegen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Und sie kamen. Zunächst war es nur ein Stück Holz, das sichtbar wurde, dann aber wurde eine große, massive Kiste dar aus, die an den Ecken und Kanten mit Eisen beschlagen war. An den Schmalseiten befanden sich eiserne Griffe, der Deckel war lediglich mit einem rostigen Riegel verschlossen. „Dafür müßte der Großlord jetzt dem alten McKayne einen großen Humpen vom besten Rum spendie ren", sagte der Profos. Jerry Pinewood hingegen betastete die Kiste mit zittrigen Händen. Doch es gab keinen Zweifel, sie war wirk lich vorhanden, man war keinem Trugbild zum Opfer gefallen, und das Licht der Tranlampe war hell genug, um sie deutlich zu beleuchten. Mc Kayne, der gute alte McKayne, hatte nicht gelogen, der Schatz war da. Pinewood versuchte, den rostigen Riegel zurückzuschieben, aber er saß zu fest. Da holte er mit der scharfen
Kante des Grabwerkzeugs aus und wuchtete sie gegen den Griff des Rie gels. Wieder und wieder. Endlich gab er nach und wich mit einem häßli chen Knirschen zurück. Was die Mannen nun sahen, war zwar das, was sie erwartet hatten, aber die Berge von funkelnden und glitzernden Goldmünzen verschlugen ihnen doch für einen Augenblick die Sprache. Der Mann aus Grimsby stieß einen keuchenden Laut aus, ließ die Schau fel fallen und griff mit beiden Hän den hinein in die randvolle Kiste. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtrop fen, seine Augen hafteten wie hypno tisiert an den Münzen. Die Stimme des Seewolfs riß ihn aus seinem Rausch. „Nun denn, Mister Pinewood, an diesen Anblick werden Sie sich bald gewöhnt haben. Ich schlage vor, daß wir diese Kiste schon mal nach drau ßen bringen, damit hier genug Platz zum Weitergraben bleibt. Zwei Ki sten fehlen ja schließlich noch." „Da bringt das Maulwurfspielen ja richtig Spaß", sagte Carberry und packte zusammen mit Ferris kräftig zu, um die Kiste hinauszuschleppen. „Paßt nur auf, daß euch nicht die Klüsen aus dem Kopf fallen", sagte er draußen zu Stenmark, Batuti und Paddy, die den Fund gebührend be staunten. Die Kiste wurde auf dem Felsbrocken neben dem Eingang ab gestellt, weil er eine ziemlich glatte Oberfläche hatte. Als der Profos und Ferris zum Fundort zurückkehrten, war bereits die zweite Kiste freigeschaufelt. Die dritte ließ auch nicht mehr lange auf sich warten. „Wir sollten gleich weitergraben",
56 meinte Dan. „Vielleicht gesellen sich noch eine vierte und fünfte hinzu." Die Männer lachten. Aber das La chen verging ihnen in den nächsten Sekunden. Von draußen drang plötzlich Lärm in die Höhle. Wenn auch nur ge dämpft, aber doch deutlich vernehm bar. „Verdammt, was ist da los?" ent fuhr es dem Seewolf, und schon eilte er, so schnell es ging, dem Höhlenein gang entgegen. Carberry, Dan und Ferris folgten sofort. Nur Jerry Pinewood konnte sich nicht von den beiden Kisten los reißen, die einen geradezu hypnoti schen Bann auf ihn ausübten. Außer dem würden die Kisten, falls es Ärger gab, in der Höhle am besten aufgeho ben sein. Und es gab in der Tat Ärger. Ganz gewaltigen sogar. Als die Männer den Höhleneingang erreichten, war er bereits in vollem Gange. Batuti, Paddy und Stenmark, die draußen hinter den Felsen in Dek kung gegangen waren, rissen gerade die Musketen hoch und feuerten. Die Schüsse rollten wie Donner über das Plateau. Doch nur eine der illustren Gestal ten, die mit lautem Gebrüll und we henden roten Umhängen auf die Höhle zustürmten, warf die Arme hoch und stürzte auf das Geröll. Die Kerle hatten sich über das ganze Pla teau verteilt und liefen im Zickzack, so daß gezielte Schüsse kaum mög lich waren. Nach einer raschen Schät zung Hasards handelte es sich um ein rundes Dutzend Nordmänner. „Pistolen abfeuern!" rief Hasard, seine Hand fuhr zum Gürtel. Er war sich darüber im klaren, daß die
Schußwaffen kaum noch als solche einsetzbar waren, wenn die wilde Horde, die größtenteils mit Äxten, Schwertern und Speeren bewaffnet war, den Höhleneingang erst einmal erreicht hatte. Gleich darauf krachten die Steinschloßpistolen. Wieder ging nur einer der Angreifer zu Boden. Die üb rigen Kugeln wühlten nur das Geröll auf oder sirrten als Querschläger durch die felsige Landschaft. Zeit zum Nachladen der Schußwaf fen gab es nicht. Den Arwenacks blieb nichts weiter übrig, als die De gen, Messer und Cutlasse zu ziehen und sich den Nordmännern entgegen zuwerfen. „Tod den fremden Hunden!" brüllte ein hochaufgeschossener, ha gerer Mann, der offenbar der Anfüh rer der wüsten Horde war. „Odins Ra ben werden euch zerreißen!" Im Handumdrehen entbrannte vor dem Höhleneingang ein harter Kampf - ein Kampf auf Leben und Tod. Waffen klirrten, hölzerne Schäfte brachen und splitterten, und das Geröll knirschte unter den Füßen der Kämpfenden. Der Seewolf war dem Speerwurf des hageren Anführers geschickt aus gewichen und dem Kerl dann mit dem Degen entgegengetreten. „So schnell entflieht man Gestur nicht!" stieß der Mann mit haßvoll zusammengekniffenen Augen hervor und zog eine Axt aus dem mit Waffen bespickten breiten Gürtel. „Wer redet denn von Ausreißen?" rief Hasard zurück. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß man vor einem Kerl wie dir davonlaufen muß." Gestur hob die Axt, und zunächst hatte es den Anschein, als wolle er
57 sich damit auf seinen Gegner stürzen. Doch dann begriff er wohl, daß dieser den Degen auf ihn gerichtet hatte, in den er damit geradewegs hineinlau fen würde. Er entschloß sich daher, die Axt als Wurfwaffe zu benutzen. Der Seewolf hatte diesen Entschluß rechtzeitig registriert und unterlief blitzschnell das heranwirbelnde Wurfgeschoß. Noch bevor der Hagere einen Cutlass ziehen konnte, um da mit einen weiteren Angriff zu starten, setzte der Degen des Seewolfs diesem Vorhaben ein Ende. Ferris Tucker, dessen rotes Haar in der Sonne wie Kupfer schimmerte, hatte eine Muskete am Schaft ge packt und wehrte damit eine heimtük kische Messerattacke ab. Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, ließ seinen gefürchteten Morgenstern kreisen. Stenmark, Dan und Paddy kämpften mit den Degen, und Edwin Carberry wuchtete gerade einem der Nordmänner einen mächti gen Steinbrocken gegen die Brust, be vor dieser mit seinem uralten Kurzschwert zustoßen konnte. „Von einem Rübenschwein wie dir lasse ich mich noch lange nicht mit der Schwertspitze kitzeln", schnaubte er. Sekunden später verpaßte er einem verlottert aussehenden Burschen ei nen derartigen Tritt in den Hintern, daß dieser unaufhaltsam in das Mes ser eines seiner Kumpane flog. Jetzt erst zog der Profos seinen Degen und wandte sich dem nächsten Angreifer zu. Der Kampf war bald zu Ende - der heimtückische Überfall der „Schwar zen Raben" war anders verlaufen, als diese erwartet hatten. Die Arwenacks waren teils unverletzt und teils mit
kleineren Blessuren davongekom men, die der Kutscher oder MacPellew rasch wieder in Ordnung brin gen würde. „Es gibt schon merkwürdige Zeit genossen", sagte der Seewolf mit ei nem Blick auf die roten Umhänge der Schnapphähne, auf deren Rückseiten schwarze Raben mit ausgebreiteten Schwingen eingestickt waren. „Wo ist denn unser Mister Pinewbod abge blieben?" Die Männer sahen sich suchend um, aber der Mann aus Grimsby war nir gends zu sehen. Ferris lachte schließlich. „Wahr scheinlich ist er in der Höhle geblie ben, weil er sich nicht von seinem Schatz trennen konnte." Mit Ausnahme der Wachtposten gingen die Mannen in die Höhle zu rück. Das fahle Licht der Tranlampe, die immer noch bei den geborgenen Schatzkisten brannte, zeigte ihnen den Weg. „Jerry, wo bist du?" rief Dan. Aber es gab keine Antwort. Wenig später stoppten die Männer abrupt ihre Schritte. Ihren Augen bot sich ein erschreckendes Bild. Unmit telbar vor ihnen lag einer der Nord männer. Er war tot. Einige Schritte von ihm entfernt lag der Mann aus Grimsby, sein Körper war seitlich über eine der Schatzkisten gebeugt. In seiner rechten Hand hielt er noch die Steinschloßpistole - und aus sei ner Brust ragte der Schaft eines Mes sers. „Armer Kerl", sagte der Profos mit leiser Stimme. „Der Schnapphahn muß sich während des Kampfgetüm mels in die Höhle geschlichen haben, nachdem er draußen am Eingang die Kiste gesehen hat. Während er sein
58 Messer nach Pinewood warf, hat die ser die Pistole abgefeuert." Eine andere Erklärung fanden die Arwenacks nicht. Sie bedauerten den Tod Jerry Pinewoods ganz besonders - gerade jetzt, da er sein Ziel nach vielen Schwierigkeiten und Gefahren erreicht hatte. „Wir können den Lauf der Dinge nicht ändern", sagte Hasard schließ lich. „Am besten, wir begraben ihn hier in der Höhle, an deren Existenz er fest geglaubt hatte." Die Männer nickten zustimmend. Nachdem sie dem Mann aus Grimsby den letzten Dienst erwiesen hatten, brachten sie die beiden Kisten hinaus und stellten sie neben die erste. Die Mannen waren sich darüber im klaren, daß ihnen der Rückmarsch zur großen Bucht durch den Trans port der drei Schatzkisten einiges an Kraft abverlangen würde. Hinzu kam, daß sie jederzeit damit rechnen mußten, Ziel eines weiteren Überfalls zu werden. Dennoch brachen sie so fort auf, fest entschlossen, die Gold münzen, die Jerry Pinewood kein Glück beschert hatten, an Bord ihres Schiffes zu bringen.
9. Die Sonne neigte sich langsam der westlichen Kimm zu, das Blau des Himmels spiegelte sich im klaren Wasser der Bucht. Die Schebecke der Seewölfe schwoite an der Anker trosse, nichts deutete auf irgend welche Schwierigkeiten hin. Die Augen Ben Brightons und der übrigen Männer tasteten immer wie der das Ufer ab - besonders jene
Stelle, an der ihre Kameraden an Land gegangen waren. „Sie müßten längst zurücksein", murmelte Old Donegal, der mit fin sterer Miene am Backbordschanz kleid stand. Zuvor war er - von düste ren Ahnungen getrieben - ruhelos auf und ab gewandert. „Vielleicht hat sich der Lageplan als Trugschluß erwiesen", meinte er, „oder er war zu ungenau, und unsere Leute vertun jetzt nur ihre Zeit mit unnützem Suchen." Old O'Flynn fand noch tausend an dere Gründe dafür, daß Hasard noch nicht mit seinem kleinen Trupp zu rückgekehrt war. „Jetzt reiß dich mal zusammen, Do negal", sagte Ben Brighton, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte. „Was soll in dieser gottverlas senen Gegend schon passieren? Hier gibt's doch weit und breit keine Men schenseele." Big Old Shane pflichtete ihm bei. „Hasard weiß schon, was er tut", sagte er. „Entweder unsere Leute fin den den Schatz, oder sie finden ihn nicht. Wenn nicht, dann haben sie eben Pech gehabt - vor allem unser Mister Pinewood." Wenn Ben und Shane jedoch ge glaubt hatten, den Alten damit be sänftigt zu haben, war das ein Trugschluß. Old Donegal wurde zuse hends nervöser und - da nichts ge schah - auch grantiger. Noch eine halbe Stunde mußten die Arwenacks seine Laune ertragen, dann verän derte sich die Situation schlagartig. In der Ferne war plötzlich das dumpfe Grollen von Schüssen zu hö ren, leise zwar, aber immerhin deut lich wahrnehmbar. Nach wenigen Au genblicken wiederholten sich die Ge
59 rausche, von dann an war es wieder so still wie zuvor. Old Donegals Blick wurde wild. „Was habe ich euch gesagt? Irgend et was stimmt da nicht. Selbst mein Holzbein hat es gemerkt und schon gekribbelt. Nur euch Kohlköpfen fehlt jedes - äh - geistige Wahrneh mungsvermögen!" „Nun bleib aber auf den Planken, Donegal", sagte Big Old Shane. „Wir haben die Schüsse ebensowenig ver schlafen wie du. Wenn du sie im Gei ste wahrgenommen hast - bitte. Bei uns lief das auf ganz herkömmliche Art - mittels der Ohren." „Shane hat recht", mischte sich Ben ein. „Außerdem sollten wir jetzt un sere Zeit für etwas anderes nutzen, als für sinnlose Debatten. Die Schuß geräusche lassen in der Tat darauf schließen, daß wir wohl doch nicht die einzigen Menschen in dieser Fel senlandschaft sind. Um Überraschun gen irgendwelcher Art vorzubeugen, schlage ich vor, daß wir das Schiff ge fechtsklar machen. Sollte sich das als überflüssig erweisen, kann es uns nur recht sein." Im Handumdrehen gerieten die Männer in Bewegung. Weitere Be fehle waren nicht notwendig, jeder wußte, was zu tun war. In kürzester Zeit wurden unter der Aufsicht Al Conroys die Stückpfor ten geöffnet und die insgesamt zwölf Culverinen ausgerannt. Mac Pellew und der Kutscher brachten aus der Kombüse die kleinen gußeisernen Becken mit glühenden Holzkohlen und verteilten sie auf die Geschütze. So waren die Mannen in der Lage, das Zündkraut jederzeit in Brand zu setzen. Philip und Hasard, die Zwillinge,
streuten Sand auf den Planken aus, um den Füßen der Männer im Falle eines Kampfes besseren Halt zu ge ben. Daneben wurden Musketen und eine Anzahl Tromblons an Deck ge bracht, die wegen ihrer trichterförmi gen Läufe eine verheerende Streuwir kung hatten. Nachdem die Gefechtsvorbereitun gen abgeschlossen waren, gingen die Männer auf Stationen - wenn zu nächst auch überflüssigerweise. In der Bucht herrschte wieder die ge wohnte Stille, weitere Schußge räusche waren nicht mehr zu hören. Auch sonst geschah nichts, was auf Gefahr hindeutete. Die Geduld der Arwenacks wurde weiterhin auf die Probe gestellt. Die Zeit verrann, die Sonne sank tiefer, und über den Masttoppen der Sche becke kreisten hungrige Möwen. Philip junior war schließlich der erste, der oben an dem geröllübersä ten Hang, zu dessen Füßen das Boot des Landtrupps lag, eine Bewegung wahrnahm. „Ich glaube, es tut sich was!" rief er und deutete hinüber zum Ufer. Er hatte sich nicht geirrt. Zunächst tauchte der Seewolf aus dem Schat ten des Gesteins hervor, dann folgten die anderen - immer zwei Männer ne beneinander, weil sie in ihrer Mitte eine Art Truhe schleppten. Und sie hatten es offensichtlich eilig. „Bei allen Wassermännern und Meerjungfrauen!" rief Old Donegal erfreut. „Sie haben die Kisten wirk lich gefunden! Habe ich nicht gleich gesagt, daß sie nicht ohne das Zeug zurückkehren werden?" Ben Brighton atmete tief durch. „Ich hätte nicht wenig Lust, mein lieber Donegal", sagte er, „dir mit der
60 Bestätigung von Zeugen aufzuzählen, ter einer Felswand hervor. Sie ver deckte - wie die Arwenacks jetzt be was du alles gesagt h a s t . . . " „Das ist wirklich nicht nötig", un griffen - die Einfahrt zu einer weite terbrach ihn der Alte ohne jeden ren Bucht. Hasard vermutete hinter Skrupel. „Ich hab's auch so noch im ihr allerdings ein ganzes Labyrinth von kleinen Buchten. Kopf." Bei den Schiffen handelte es sich „Wo ist Jerry Pinewood?" fragte Al Conroy. „Er ist nicht bei unserem um eine zweimastige Schaluppe und eine kleine Karavelle, an deren Trupp." eine geöffnete Niemand wußte eine Antwort dar Steuerbordseite Stückpforte zu erkennen war. auf. Bemannt waren die Segler mit Ker Der Seewolf winkte zur Schebecke hinüber, die Mannen winkten zurück. len, die die gleichen roten Umhänge Dennoch konnten sie sich des Ein mit dem Raben-Emblem trugen wie drucks nicht erwehren, daß die Ka jene mordlüsternen Burschen, von meraden es verdammt eilig hatten, denen die Arwenacks vor der Höhle überfallen worden waren. wieder an Bord zu gelangen. Wie deutlich zu erkennen war, be Sie schoben das Boot ins Wasser, luden die Schatzkisten ein und nah mühten sich die Kerle, so rasch wie men selber auf den Duchten Platz. möglich auf Parallelkurs zueinander Mit kräftigen Riemenschlägen pull zu gehen und in ihrer Mitte einen grö ßeren Abstand zu halten. ten sie auf die Schebecke zu. „Die wollen uns in die Zange neh Natürlich hatten sie längst regi striert, daß sich der Segler im Zu men und dann entern", sagte der See stand der Gefechtsbereitschaft be wolf trocken. „Diese Suppe werden wir ihnen jedoch versalzen." fand. Inzwischen war tatsächlich erkenn Nachdem sich Hasard und seine Be gleiter samt Schatzkisten an Bord be bar, daß die merkwürdig anmutende fanden, wurde das Boot wieder auf ge Horde mangels ausreichender Ge schütze auf den Enterkampf setzte. hievt. „Wir haben Schüsse gehört", be Die Arwenacks waren längst dabei, richtete Ben Brighton dem Seewolf, den Anker zu hieven und die Segel zu „deshalb haben wir entsprechend setzen. Wie sie mit zufriedenem Grin vorgesorgt. Wo ist der Mann aus sen feststellten, konnten sie aufgrund Grimsby?" der günstigeren Windverhältnisse die „Er ist tot", erwiderte Hasard mit Luvposition nutzen. Die wendige erstem Gesicht, dann schilderte er in Schebecke nahm rasch Fahrt auf. kurzen Worten, was sich innerhalb „Wir werden genau zwischen die und außerhalb der Schatzhöhle zuge beiden Kähne stoßen", sagte Hasard, tragen hatte. „und zwar so schnell, daß ihnen keine Er hatte seinen Bericht noch nicht Zeit mehr verbleibt, die Zange zu beendet, als sich das friedliche Bild schließen." der Bucht jäh wandelte. Edwin Carberry rieb sich unterneh Wie hingezaubert, schoben sich an mungslustig die Pranken. „Wenn wir ihrem anderen Ende zwei Segler hin die Affenärsche von Bord pusten,
61 können sie beim Davonfliegen ihre roten Mäntelchen als Segel benut zen." Er hatte wie Old Donegal eine der beiden Heckdrehbassen übernom men. Juan de Alcazar und Piet Straa ten waren bereit, die schwenkbaren Geschütze auf dem Vorschiff zu be dienen. Die Schebecke glitt durch das ru hige Wasser der Bucht, daß den bärti gen Kerlen die Augen übergingen. Ein großer, breitschultriger Mann, der auf dem Achterdeck der Kara velle stand - es handelte sich offen bar um den Oberschnapphahn -, brüllte pausenlos Befehle, die immer wieder von wilden Flüchen begleitet wurden. Er fuchtelte dabei mit einem riesi gen Schwert herum und sparte auch nicht mit Fußtritten, um seine Kerle zu größerer Eile anzufeuern. Er hatte wohl die Absicht der Seewölfe er kannt und wollte deren Strategie um jeden Preis verhindern. Aber das schaffte der bärtige Egill nicht. Seine Beuteschiffchen waren nicht schnell genug. Die Schebecke stieß wie ein an griffslustiger Schwan zwischen die beiden Segler. Während auf deren Decks Musketenfeuer einsetzte, hob Hasard die Hand und donnerte: „Bei de Seiten - Feuer frei!" Die glühenden Kohlestücke setzten das Zündkraut der schweren Culveri nen in Brand, das Feuer fraß sich blitzschnell durch die Zündkanäle, und dann brach in der einsamen Bucht urplötzlich die Hölle los. An Backbord und Steuerbord der Schebecke leckten grelle Feuerzun gen aus den Mündungen, ein inferna lisches Brüllen und Fauchen erfüllte
die Luft und ließ das Schiff bis in die letzten Verbände erzittern. Schwar zer Pulverdampf wölkte auf und ver breitete einen beißenden Geruch. Die Schaluppe wie auch die kleine Karavelle wurden nahezu gleichzei tig wie von unsichtbaren Fäusten durchgeschüttelt. Ein ohrenbetäu bendes Krachen, Bersten und Split tern folgte dem Kanonendonner und ließ einen Trümmerregen über der gesamten Umgebung niedergehen. Auch die Arwenacks mußten die Köpfe einziehen, um nicht unverse hens von einem Stück Holz erwischt zu werden. Nachdem die Culverinen auf ihren Holzlafetten zurückgerollt und von den Brooktauen aufgefangen worden waren, konnte man deutlich die riesi gen schwarzen Löcher erkennen, die in den Bordwänden der Schiffe des Gegners klafften, und zwar fast alle unterhalb der Wasserlinie. Dafür hat ten Al Conroy und die Mannen an den Geschützen gesorgt. Noch während unter den wenigen Kerlen, die das Inferno überstanden hatten, völlige Wuhling herrschte, be gannen die Drehbassen der Arwe nacks zu wummern. Die Schebecke war jetzt zwischen den beiden Wracks hindurchgeschlüpft, noch nahe genug, damit die Brand- und Pulverpfeile Batutis und Big Old Shanes ihre Ziele fanden. Wenig später standen die Segel bei der Schiffe in hellen hochauflodern den Flammen. Die „Schwarzen Raben", hatten aus Beutegründen ein Entern der Sche becke geplant. Doch sie waren vom schnellen Abwehrschlag der See wölfe dermaßen überrascht worden, daß sie noch nicht einmal eine ihrer
62 beiden winzigen Kanönchen hatten abfeuern können. Und jetzt hatten sie dazu keine Gelegenheit mehr. Die Wracks krängten bereits stark über und würden innerhalb kürzester Zeit im Wasser der großen Bucht versin ken. Die Arwenacks sahen noch, wie der Anführer der Bande versuchte, an den Resten des Schanzkleides vom Achterdeck der Karavelle zur Kuhl hinunterzuhangeln. Es gelang ihm nicht mehr. Er wurde unter brennend niederstürzenden Rahruten und Se geln begraben. Die Seewölfe hatten zwar geplant, den Schnapphähnen nach einer Wende einen weiteren Denkzettel zu verpassen, aber das erwies sich als überflüssig. Sowohl die Schaluppe als auch die Karavelle versanken in den Fluten, noch bevor die Arwe nacks ihr Wendemanöver ausführ ten. „Schade, daß der Mann aus Grimsby in dieser Einöde zurückblei ben muß", sagte Carberry kurze Zeit später mit ernstem Gesicht. „Ich hätte ihm seine Goldklunkerchen wirklich gegönnt." Er sprach damit das aus, was alle Arwenacks empfanden, als die Sche becke durch die torähnliche Einfahrt der Bucht glitt und die offene See er reichte.
Auch diesmal waren die Seewölfe von der wilden Schönheit des Isa fjords überwältigt, der tief in die Nordwesthalbinsel Westfjorde hin einragte - gesäumt von hohen, schnee- und eisbedeckten Bergen. „Irgendwie kann ich ein bißchen
verstehen, daß Thorfin in dieser Landschaft jenes sagenumwobene Thule gesucht hat", sinnierte Old O'Flynn. „Wenn man nicht aufpaßt, kann man sich in diese Gegend ver knallen." „Wenn es nur um die Gegend geht, hat keiner was dagegen", meinte der Profos. „Wie du jedoch weißt, hat es in diesem lieblichen Fjord schon mehrmals ,geknallt', aber von ganz anderer Art. Eins dieser Knallergeb nisse sitzt als sehnsüchtig schmach tendes Eheweib unseres lieben Freun des Thorfin Njal in der Karibik und zerbricht sich den hübschen rotblon den Kopf darüber, wie sie dem Herrn Gemahl bei seiner Rückkehr das Le ben versüßen könnte." Old Donegal grinste. „Ich bin ge spannt, wann es endlich mal bei dir knallt, Ed." Der Profos tat, als habe er diese Äu ßerung des alten Haudegens über hört. Schließlich waren diese Fjord gewässer nicht ganz ungefährlich, und da mußte man schon ein wenig auf Unterwasserklippen und Verwir belungen achten, die von den zuflie ßenden Gebirgsbächen erzeugt wur den. Die Fahrt verlief dennoch ohne Schwierigkeiten, und endlich erreich ten die Seewölfe die an der südlichen Flanke des Isafjords abzweigenden kleineren Fjorde, zu der auch der Skutulsfjord gehörte. In diesem lag von der Einfahrt her gesehen an Steuerbord auf einem Hügel der Hof der Thorgeyrs. Natürlich gab es einen gewaltigen Begrüßungsaufmarsch am Ufer, als die Schebecke der Arwenacks in der Nähe des Schwarzen Seglers vor An ker ging. Nahezu alle liefen sie dort
63 zusammen: Thorfin Njal und seine Mannen, Siri-Tong und die Bewohner des Hofes - alle überragt von der rie sigen Gestalt Ase Thorgeyrs, des Bru ders von Gotlinde. „Hallo, Ed, altes Rübenschwein!" brüllte Thorfin mit Donnerstimme. „Verschluck dich nicht an deinem eigenen Gebrüll, du Polarschrat!" rief Edwin Carberry nicht weniger liebevoll zurück. Diesmal achtete kaum jemand auf den Stör, der mit seinen Wiederho lungen kaum nachkam: „Rüben schwein - Gebrüll — Polarschrat..." Die nächsten Tage gestalteten sich zwangsläufig zu regelrechten Festta gen. Soviel Leben auf einmal hatten die Hofbewohner schon lange nicht mehr gesehen. Da auf dem Hof alles
in Ordnung war, hatten die Thor geyrs Grund genug, guter Dinge zu sein und sich über den seltenen Be such zu freuen. Doch der Tag, an dem sich zumin dest die Wege der beiden Schiffe vor erst wieder trennen sollten, rückte unausweichlich heran. Während die Seewölfe noch einmal zurück nach London wollten, beschloß der Wikin ger, noch ein paar Tage auf dem Hof zu bleiben. Danach stand die Rück fahrt nach Bergen bevor, wo er die bestellte Ladung Eisenerz an Bord nehmen wollte, um sie in die Karibik zu bringen. Dort war auch das näch ste Zusammentreffen mit den Arwe nacks geplant. Da ein Abschied natürlich ange messen gefeiert werden mußte, dauerte das seine Zeit. Als die Arwe
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nacks schließlich zu ihren Booten marschierten, um zur Schebecke überzusetzen, hatte manch einer von ihnen einen wehmütigen Blick drauf. „Ich weiß nicht, Sir", sagte Carberry und plierte zu den schroffen Steilwänden hoch, „irgendwie habe
ich das Gefühl, daß die Dinger ein bißchen schwanken. Könnte das an einem Erdbeben liegen?" „Kann sein", erwiderte Hasard. „Der isländische Branntwein soll, wie man hört, schon so manches schwere Beben verursacht haben..."
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 619
Die Verlorenen der Felsinseln
von Sean Beaufort Blacky und Bill waren an einem Manntau gesichert, als sie versuchten, die wild schlagende Fockschot wieder durchzusetzen. Aber irgend etwas brach oder löste sich bei dieser Sicherung, und die nächste Bewegung der Schebecke im Sturm schleudert die beiden Männer in das Segel. Die nasse, harte Wand aus Leinen prellte sie wieder zurück. Sie flogen über das Schanzkleid und gingen schreiend mit der nächsten Welle über Bord. Sie schlugen in das kochende und brodelnde Wasser. Unsichtbar rauschte die Schebecke an ihnen vorei, weiter in die Nacht, die von Sturm umtost war. Die Männer wurden wild umhergeworfen, untergetaucht und wieder an die Oberfläche gerissen. Sie brüllten und fluchten. Aber niemand hörte sie. Hatten die beiden Rudergänger achtern nicht gesehen, daß vorn beim Fockmast zwei Arwenacks abgekantet waren? Blacky und Bill hatten keine Gelegenheit, lange darüber nachzudenken - jetzt ging es ums Überleben . . .
ex libris KAPTAIN STELZBEIN