Österreich € 3,40 · Schweiz CHF 5,80 · Belgien € 3,70 · Niederlande € 3,70 · Luxemburg € 3,70 · Frankreich € 4,20 · Italien € 4,20 · Portugal (Cont) € 4,20 · Spanien € 4,20 Kanaren € 4,40 · Griechenland € 4,80 · Finnland € 5,30 · Dänemark DKK 33 · Norwegen NOK 48 · Japan JPY 1550 (exclusive tax) · Slowenien € 4,20 · Ungarn HUF 1300
Nr. 13/10 29. März 2010 € 3,20
Wer will überhaupt Schwarz-Grün? Exklusive FOCUS -Untersuchung
Die Herz-Diät Richtige Ernährung
verhindert Herzinfarkt, Rheuma, Diabetes und Demenz
4 190931 403202
13
Die Kunst, Funktion in Faszination zu verwandeln. Der neue Audi A8. Die Kunst, voraus zu sein. Die dynamischen, präzisen Linien des neuen Audi A8 prägen auch sein Inneres: Ein Ambiente, das unser Streben nach absoluter Hochwertigkeit wie nie zuvor zum Ausdruck bringt. Feinstes Leder, Aluminium und edle Hölzer bilden dabei den Rahmen für innovative Technik: Mit dem neuen MMI® touch kann der Fahrer auf Wunsch intuitiv über ein Touchpad wesentliche Funktionen des neuen Audi A8 steuern – ein Meilenstein in der Bedienbarkeit einer Limousine. Wir nennen das: Die Kunst, voraus zu sein. Kraftstoffverbrauch in l/100 km: innerorts 10,2–13,3; außerorts 6,1–7,2; komb. 7,6–9,5; CO2-Emission in g/km: komb. 199–219
INHALT
52
Nr. 13 / 29. März 2010
18
Brandneuer Urmensch Der Paläoanthropologe Svante Pääbo hat 40 000 Jahre alte Gene entschlüsselt
Hinter den Kulissen
Union und Grüne (hier Kanzlerin Merkel und Fraktionschefin Künast) sondieren ihre Gemeinsamkeiten
82
36
Ex-König Kohl
Hans-Dietrich Genscher erinnert sich zum 80. Geburtstag des Einheitskanzlers an die Zusammenarbeit mit ihm: „Man wird den Mann rühmen“
In schwerem Wetter Was das angebliche Vergewaltigungsopfer über TV-Meteorologe Kachelmann aussagte
Wer will überhaupt Schwarz-Grün?
T I T EL 62 Die Herz-Diät
Exklusive FOCUS-Untersuchung
ä
Mediziner erforschen, wie Herzerkrankungen, Diabetes und Rheuma mit der Ernährung zusammenhängen
Die Herz-Diät
74 Risiko-Studie
Richtige Ernährung
verhindert Herzinfarkt, Rheuma, Diabetes und Demenz
62
Forscher Heiner Boeing weiß, welche Nahrungsbestandteile besonders gefährlich sind
76 Mittelmeer-Rezepte Warum die Griechen früher die gesündesten Europäer waren und was wir von der traditionellen mediterranen Küche lernen können
Essen fürs Herz Ernährungsmediziner haben herausgefunden, dass viele Krankheiten auf Entzündungsprozessen beruhen. Der FOCUS-Report zeigt, was prophylaktisch hilft
Die ers näch st c de heint e Au n3 s . A scho gabe pri n a l. m von F Sa ms OCU tag S 4 ,
DEU TSC HLA ND 18 Gewagtes Manöver
ä
Laut Umfragen wäre Schwarz-Grün in NRW möglich. Beide Parteien riskieren dabei viel
24 Bundesweites Signal? Der Europaabgeordnete Werner Schulz plädiert für schwarz-grüne Koalition
27 Moderner Staat Sachsens Ministerpräsident: mehr Leistungsträger aus Wirtschaft in öffentlichen Dienst!
28 Die strenge Frau Merkel Mit der Griechenland-Entscheidung meldet sich die Kanzlerin als Kämpferin zurück ä
32 Wenn die Sonne lacht Was die Erfolge der Solarlobby den Stromverbraucher kosten
34 230 Millionen retour Schweizer Bank muss SED-Vermögen an die Bundesregierung zahlen
36 Racheopfer oder Gewalttäter? Die Vorwürfe gegen Jörg Kachelmann sind schlimmer als bislang bekannt
40 Ausgebremst Hochqualifizierte ohne Job fühlen sich von der Arbeitsagentur im Stich gelassen
42 Verseuchtes Medikament Wie ein Virus in einen weltweit verwendeten Baby-Impfstoff gelangen konnte
46 Kein Bock auf Unterricht Mit drastischen Maßnahmen wollen Politiker Schulschwänzer zum Lernen zwingen
48 Profile Schlagloch-Verkäufer in Thüringen / Mittelalterliches Stadtsiegel entdeckt
FOR SC HU NG & TECHNIK 52 Urmensch-Entdecker Max-Planck-Forscher Svante Pääbo erzählt, wie er den Cousin des Neandertalers fand
Titelthemen sind mit rotem Pfeil gekennzeichnet F OCUS 13/2010
Titel: Illustration: Björn Maier/F OCUS -Magazin
Nr. 13/10 29. März 2010 € 3,20
100 124 Urbane Gipfel
möglich
Das große Zittern
Die Outdoor-Branche umwirbt wagemutige Städter (wie hier in Wien)
Aus Angst zeigen sich Tausende Deutsche, die in der Schweiz Steuern hinterzogen haben, selbst an
90 Islam-Kritikerin
„Die Moscheevereine befördern Parallelgesellschaften!“, wettert Necla Kelek im Interview
56 Gute Frage Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz weiß, wie viele Menschen auf der Erde Platz haben
58 Erdbebenwarnung In Japan basiert das Frühwarnsystem auf einem Supercomputer und vernetzten Handys
Inhalt: Fotos: G. Hohenberg/F OCUS -Magazin, M. Urban, R. Wittek/APN, dpa, Helmut Newton/Sygma; Illustration: J. War felmann/ F OCUS -Magazin
58 Technik-News Deutsches Kraftwerksschiff für den Irak / Solarstrom in Europa / Neues WePad aus Berlin
59 Perspektiven Erstarkte Sonnen-Aktivität gemessen / Mais mit Betacarotin entdeckt
M E D IZ IN 78 Dosiert Empfehlenswerte Anti-Allergie-Therapien / Irreführende Medizinstudien / Die Wahrheit über SchönheitsoperationenG E
R E P O R TAG E 82 „Ihm wurde nichts geschenkt“ Exklusiv: Hans-Dietrich Genscher gratuliert Helmut Kohl zum 80. Geburtstag – und beschreibt, worum er ihn beneidet
KU LT U R 90 Islam-Wächter am Pranger Die Soziologin Necla Kelek nimmt sich in ihrem neuen Buch die reaktionären Imame vor F OCUS 13/2010
Flexibel und günstig
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94 Literazzia Ein kleines Nasebluten für den Kritiker
95 Kalifornischer Stadtneurotiker In „Greenberg“ offenbart Komiker Ben Stiller eine neue Seite – im Geist Woody Allens
*Effektiver Jahreszins ab 10.000 EUR bei 12 Monaten Laufzeit, bonitätsabhängig.
95 Trailer Die Filmstarts dieser Woche
96 Bürde des Ortes Das NS-Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ eröffnet im Mai in Berlin
97 Galerie Einsame Männer auf Manhattans Dächern / Hollywoods hohe Verluste im Irakkriegs-Kino / Aktuelle Premieren und Ausstellungen
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100 Chic für urbane Abenteurer Wie die Freiluft-Branche eine neue Zielgruppe entdeckt
104 Produkte im Test Vom Schlafsack bis zum Erste-Hilfe-Set
108 Hoch, weit, steinig Warum Bergwanderer auf extremen Trails die Herausforderung suchen ** 9 Cent/Minute aus dem dt. Festnetz; Mobilfunktarif max. 42 Cent/Minute.
150
INHALT
(Vize-)Meistermacher? Jupp Heynckes verrät, wie die Krankheit ihn veränderte und woran es bei der Nationalmannschaft hapert
128 138 Swatch-Boss Hayek empfiehlt für ruhigen Schlaf: „Steuern bezahlen“ – und verdammt das Börsen-Casino
Dreck, Kälte, Schlamm
110 Dem Tod etwas näher Bestseller-Autorin Charlotte Janson stieg zur Probe in einen Sarg
112 Harald Schmidt Industrie in Not
114 Boulevard Vom Abzieher zum Anzieher / Das Sexleben der anderen / Subkultur
AU T O 116 Ford, elektrisch Ford-Chef Bernhard Mattes über gescheiterte und neue Elektro-Projekte und das Jahr nach der Abwrackprämie
118 Spaß-Peugeot
W I R TS CHA FT 124 Steuer-Drama Deutschland und die Schweiz planen einen Großangriff auf Steuersünder Swatch-Group-Chef Nick Hayek über gierige Spekulanten und feindliche Übernahmen
132 Geldmarkt Pfandbriefe / Infrastruktur Indien / Kunst-Tipp
134 Untreue-Affäre
146 Lehren aus Argentinien Den Staatsbankrott, der jetzt Griechenland droht, durchlebten die Südamerikaner vor knapp zehn Jahren
148 Globus Kostümverleih bei der Moskauer Polizei / Facebook-Kampagne gegen Barack Obama / Ausziehverbot im Land der heißen Quellen
S P OR T 150 Fußball-Bundesliga Leverkusen-Trainer Heynckes über den fehlenden Reiz der Nationalelf und seine Zukunft
Der Klüngel der Sal.-Oppenheim-Banker
136 Marktplatz
Wechsel im ZDF-Fernsehrat / Der neue Intendant des Bayerischen Rundfunks
Obamas demokratische Unterstützer im Kongress erhalten Morddrohungen
US-Anwälte verklagen Autokonzern Toyota
M E D IE N
122 Media-Box
144 Gefährliche Gesundheitsreform
130 Milliarden-Risiko
135 Renten-Klau
Der ARD-Film „Bis nichts mehr bleibt“ prangert die fragwürdigen Methoden der Scientology-Kirche an
Sie mag Regen, schenkt Männern Blumen und lässt lieber ihren Gatten kochen: Moderatorin Susanne Kronzucker im FOCUS-Fragebogen
128 Uhren-König
Mit dem neuen Coupé RCZ versucht der französische Hersteller den Spagat zwischen Sportlichkeit und Alltagstauglichkeit
120 Sekten-Thriller
6
Die Frau zum Sonntag
Auf der „Höhe 431“ nahe Kundus fragen sich Bundeswehrsoldaten, warum die Regierung sie eigentlich dorthin geschickt hat
Mitarbeiter prozessieren gegen die Bayerische Landesbank Daimlers Bedenken beim Renault-Deal / Forschungsausgaben steigen in der Krise / Millionenprämie für gescheiterten SAP-Chef
A US LA ND 138 Schlammschlacht Für deutsche Soldaten in Afghanistan ist der Außenposten „Höhe 431“ ein Albtraum
152 Finale Paralympics-Star Bentele / Kritik an Ullrich-Prozess
RUBRI K E N 8 11 13 44
Foto der Woche Tagebuch Focussiert Brennpunkt: Zölibat 50 Leserbriefe 51 Leserdebatte
80 81 154 156 158
Impressum Fax-Abruf Menschen Bestseller Fragebogen: Susanne Kronzucker F OCUS 13/2010
Fotos: P. Covino, C. Pueschner, D. Röseler/alle F OCUS -Magazin, Thomas & Thomas
Schweizer Zeitweiser
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F OT O D E R WOC H E
Nur wenige Schritte in Freiheit Foto: Uli Deck/dpa
Es ist ein kurzer, aber großer Auftritt. Nach seinem Haftprüfungstermin verlässt der Moderator Jörg Kachelmann vergangenen Mittwoch das Amtsgericht Mannheim durch den Hinterausgang. Die etwa fünf Meter, die er in Begleitung von Anwalt und Polizisten entlang der Hauswand geht, nutzt der Medienexperte, um den wartenden Journalisten und Fotografen einen Satz zuzurufen: „Ich bin unschuldig!“
8
Der 51-jährige Meteorologe wird beschuldigt, seine langjährige Freundin nach einem Streit vergewaltigt zu haben. Sein Verteidiger Reinhard Georg Birkenstock hat gerade den Haftprüfungstermin gekippt, Kachelmann wurde stundenlang vernommen. Als der TV-Mann – in Lederjacke und Jeans – zum Gefängniswagen schreitet, weiß er, es geht zurück in U-Haft. Dennoch – der Profi lächelt in die Kameras.
F OCUS 13/2010
9
TAGEBUCH CHEFREDAKTEUR HELMUT MARKWORT
Merkel hält, was Kohl versprach Freitag Angela Merkel muss sich nicht ärgern, wenn ausländische Medien sie als „Madame Non“ verspotten. Sie hat gute Gründe, die Kritik in ein Kompliment umzudeuten. Vor Monaten sah sie sich noch allein mit ihrer Haltung gegenüber Griechenland. Gestern Abend in Brüssel hat sie sich durchgesetzt. Seit acht Wochen hatte sie mit den Partnern in den europäischen Hauptstädten telefoniert, war auch hingefahren und hatte mit Geduld und Trotz die anderen Regierungschefs von ihrer Haltung überzeugt oder mit ihrer Hartnäckigkeit nachteiligere Lösungen blockiert. Wer ihre Meinung nicht teilte, wusste doch, dass das Problem ohne das mächtige Deutschland nicht zu lösen war. Gestern fiel in Brüssel die letzte Entscheidung. Von 15.15 Uhr an sprach Angela Merkel im Ratsgebäude „Justus Lipsius“ mit dem französischen Präsidenten Sarkozy. Sie hatte ihn in den Räumen der französischen Delegation aufgesucht und ihn dafür gewonnen, die Stabilität des Euro höher einzuschätzen als eine schnelle, aber fragwürdige Hilfe für Griechenland. Später durfte Ratspräsident Van Rompuy dazu, schließlich noch EZB-Präsident Trichet und zum Schluss der griechische Regierungschef Papandreou. Assistierende Diplomaten berichten, dass die Kanzlerin bei allen Strapazen fast Vergnügen dabei empfindet, zwischen den männlichen Amtskollegen zu vermitteln, mit den einzelnen Interessen zu jonglieren und schließlich Sarkozy noch fühlen zu lassen, er sei der Vater der richtigen Idee gewesen. Obwohl der Franzose den Plan vorträgt, ist doch längst aus den Zirkeln durchgesickert, dass es Merkels Werk war. Wenn europäische Sozialdemokraten jetzt kritisieren, die deutsche Kanzlerin habe „ihre Innenpolitik zur europäischen Politik gemacht“, ist das nicht einmal
falsch. Angela Merkel kannte die Stimmung unter den Deutschen, die mit ihren Steuergeldern nicht schon wieder als Zahlmeister herhalten wollten, und sie kennt die Haltung des Verfassungsgerichts. Kurz nach der Verabschiedung des Vertrags von Lissabon wäre schon wieder an den deutschen Rechten im europäischen Verbund gerüttelt worden. Vor allem aber ist es wesentliche deutsche Innenpolitik, die Versprechen einzuhalten, die Helmut Kohl und Theo Waigel als Väter des Euro dem deutschen Volk in ihrer Zeit gegeben haben. Das deutsche Volk habe die D-Mark nicht für eine Weichwährung aufgegeben, hatte Merkel im Bundestag gesagt. Ob nun in Portugal oder in Spanien das nächste Problem Griechenland heranwächst, die Euro-Länder aus dem „Club Med“ wissen nach der wegweisenden Entscheidung von gestern, wie gewaltig
Täglich neue Hintergründe zu den Fakten der Woche.
Programmatische Doppelspitze in Brüssel: Sarkozy (Frankreich), Merkel (Deutschland)
sie sich selber anstrengen müssen, bevor ihnen andere helfen. Auch auf einen Europäischen Währungsfonds sollte kein Land spekulieren. Bis der – beim üblichen Einigungszwang über Regeln und Einzahlungen – gegründet ist und funktioniert, kann der erste Staat pleite sein. Eher sollte man in der Währungsunion festlegen, wie die Gemeinschaft mit Mitgliedern umgehen darf, die durch Misswirtschaft die Stabilität des Euro und der Partnerländer gefährden. Neues Lesen. Wei Weiter denken.
F OCUS 13/2010
www.sport1.de
Wie schätzen Sie Ihre wirtschaftliche Lage in diesem Jahr ein?
Optimismus in der Krise Von 4000 Befragten antworteten:*
DNA-Panne hilft Serientäter
Orte der Sexualdelikte 25 km
Steyl (Venlo) NIEDERLANDE
Krefeld Dsseldorf Nordrhein-Westfalen
75,9%
Kln Aachen
gut/sehr gut
Herve
24,1%
Bonn
Eupen
DEUTSCHLAND
Der Serienvergewaltiger Jörg Peter P., der knapp 100 Sexualverbrechen begangen haben soll, hätte viel früher gestoppt werden können. Dank einer Kölner Amtsrichterin, die 2007 den Wunsch der Staatsanwaltschaft auf Abgabe einer DNA-Probe abblockte, konnte der Schlosser weitere Taten verüben. Der Mann soll sich in den vergangenen 19 Jahren in Deutschland, Belgien und den Niederlanden mit einer Mitleidsmasche in Häuser eingeschlichen und dort Frauen sexuell belästigt oder vergewaltigt haben. Im Juli 2006 war P. bei einem Überfall auf eine Kölnerin aufgefallen. Der Täter kassierte
eine Anklage wegen Nötigung. Da er im Verhör seine geplante Sex-Attacke einge-
Waimes BELGIEN
schlecht/sehr schlecht
Rheinland-Pfalz
Von den Ostdeutschen empfinden 29 % ihre Finanzlage als schlecht, im Westen sind es 23 %. Noch im Juli 2009 waren sie deutlich pessimistischer: Fast 45 % der Menschen im Osten und 32 % im Westen beurteilten ihre Situation damals als schlecht.
*repräsentative Umfrage des ADAC im Reisemonitor 2010
LUXEMBURG
Trier
Luxemburg Saarland
Tatorte Knapp 100 Mal schlug der Serienvergewaltiger im Länderdreieck zu
Saarbrcken
FRANKREICH
Foto: LKA NRW
Rüttgers „Gentlemen-Agreement“ Mit Signalen für eine arbeitnehmerfreundliche Politik will Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in die Schlussphase des Landtagswahlkampfs gehen. Um aber in den Wochen vor dem 9. Mai überraschende Gegenschläge aus den eigenen Reihen zu vermeiden, hat sich der CDU-Politiker frühzeitig der Unterstützung des Wirtschaftsflügels seiner Partei versichert. Von ihm würden „keine Querschüsse“ kommen, habe Josef Schlarmann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT), dem Ministerpräsidenten zugesagt, berichtet ein Insider. Das Bild von einem Schulterschluss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern solle nicht in Frage gestellt werden. „Es gibt zwischen Herrn Rüttgers und mir ein Gentlemenack Agreement“, bestätigt auch Schlarmann selbst. F OCUS 13/2010
Fahndung Mit diesem Phantombild suchte die Polizei den Täter. Gleich zweimal berichtete „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ über den Fall
räumt hatte, beantragte der Staatsanwalt eine Speichel- und Blutprobe. Begründung: „Der Angeschuldigte hat angegeben, sein Sexualverhalten nicht ausreichend kontrollieren zu können.“ Zudem werde in Belgien wegen zweier ähnlicher Fälle gegen P. ermittelt. Hätte das Gericht dem Antrag stattgegeben, wäre der Familienvater durch einen Abgleich mit der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamts (BKA) enttarnt worden. Spätestens seit 2001 führte das BKA-Register DNA-Spuren von seinen Tatorten. P. hatte Glück. Im Prozess am 12. Juni 2007 lehnte die Richterin das DNA-Ersuchen ab. Der Angeklagte kam mit 1500 Euro Geldbuße davon und schlug erneut zu. In Belgien und Deutschland soll er bis Februar 2010 mindestens fünf Frauen vergewaltigt haben, ehe der Tipp eines belgischen Ermittlers nun zu seiner Verhaftung führte. Sein Verteidiger Thomas Ohm will sich erst nach Aktenxl einsicht äußern. 13
Nächtliche Randale In Hamburg, wie hier im Schanzenviertel, und in Berlin liefert sich die militante linke Szene immer brutalere Auseinandersetzungen mit der Polizei
KONJUNKTUR
Good News ı Die deutschen Firmen schätzen
ihre Geschäftslage im März deutlich besser ein als bisher, stellt das Ifo-Institut in seinem Geschäftsklimaindex fest. Die Unternehmen beurteilen ihre Situation so gut wie seit November 2008 nicht mehr. Ihre Erwartungen sind sogar so optimistisch wie zuletzt Mitte 2007. ı Die internationale Wirtschafts-
organisation OECD geht davon aus, dass Deutschland stärker aus der Krise kommen kann, als es hineingegangen ist. Das Land müsse ein geringeres Defizit als andere Staaten bewältigen und leide auch nicht unter den Folgen einer Immobilienblase.
Bad News ı Die Reallöhne von Arbeitneh-
mern mit Vollzeit-Jobs sind 2009 um 0,4 Prozent gesunken. Die Bruttomonatsverdienste blieben konstant, sodass sie die Inflation von 0,4 Prozent nicht ausgleichen konnten. Arbeitnehmer verdienten im Durchschnitt 41 468 Euro brutto im Jahr.
Aktionsplan gegen gewaltbereite Linke Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird künftig eine zentrale Rolle beim Kampf gegen linksradikale Gewalttäter übernehmen. Das geht aus einem vertraulichen Konzept hervor, das Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Anfang März unterzeichnet hat. Die führenden Akteure der militanten Szene sollen demnach zentral vom BfV
erfasst und beobachtet werden. Das für linke Gewalttaten zuständige Personal in der BfV-Abteilung II wird verdoppelt. Das ebenfalls an dem Konzept beteiligte Bundeskriminalamt will eine Bund-LänderArbeitsgruppe einrichten. Hintergrund ist der rasante Anstieg linker Gewalttaten um 53,4 Prozent auf 1822 Fälle im vergud gangenen Jahr.
Privatkassen: Die Ausgaben steigen Die privaten Krankenversicherungen haben im Schnitt zwischen 1998 und 2008 jedes Jahr rund vier Prozent mehr für jede versicherte Person ausgegeben. Die
ambulanten Leistungen seien in diesem Zeitraum jährlich um „ca. 4,0 Prozent“, die Ausgaben für stationäre Behandlung um „ca. 4,5 Prozent“ gestiegen, teilt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion mit. Wie stark sich diese Entwicklung auf die Beiträge ausgewirkt hat, konnte das Ministerium the allerdings nicht mitteilen. Diese hänge von der Ausgestaltung der Tarife ab.
Koalition bremst bei Steuererleichterungen
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Die schwarz-gelbe Koalition hat einige konkrete Steuerpläne auf Eis gelegt. Betroffen sind vor allem die steuerliche Förderung von Forschung in Unternehmen sowie Erleichterungen bei der Besteuerung privat genutzter Dienstwagen. Nach FOCUS-Informationen haben sich die führenden Finanzpolitiker von CDU/ CSU und FDP vergangenen Donnerstag in einer Spitzenrunde bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darauf geeinigt, über die Pläne erst im Zuge der Steuerreform zu beraten.
intern bereits darauf hingewiesen, dass die Spielräume nach 2011 noch geringer werden. Im kommenden Jahr müsse die Koalition wegen der Schuldenbremse ein Haushaltsloch von zehn Milliarden Euro schließen, was schon schwer genug sei. 2012 müssten bereits 20 Milliarden, 2013 sogar 30 Milliarden Euro gespart werden. the „Endlich ein paar klare Worte des Bundespräsidenten“
14
F OCUS 13/2010
Foto: AP
Karikatur: Klaus Stuttmann /22.3.2010
Eine größere Entlastung wird unterdessen immer unwahrscheinlicher. Schäuble hat
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Hybridtechnologie von Honda, das IMA-Antriebssystem, verbindet Effizienz, Gewissen und Fahrspaß. Das ist Zukunft zu einem Preis, den sich jeder leisten kann. Mit dem Honda Insight und dem Civic Hybrid stehen Ihnen zwei Modelle zur Verfügung, die beweisen, wie viel Spaß Vernunft machen kann. Und in naher Zukunft werden wir die Palette noch um weitere Fahrzeuge erweitern. Alle Informationen unter: www.honda-cleanmove.de
Honda CR-Z: Verbrauch in l/100 km: 6,1 innerorts; 4,4 außerorts; 5,0 kombiniert; CO2-Emission: 117 g/km. Honda Insight: Verbrauch in l/100 km: 4,6 innerorts; 4,2 außerorts; 4,4 kombiniert; CO2-Emission: 101 g/km. Honda Civic Hybrid: Verbrauch in l/100 km: 5,2 innerorts; 4,3 außerorts; 4,6 kombiniert; CO2-Emission: 109 g/km.
TENDENZ-O-METER
Frühjahrsmüdigkeit Spüren Sie auch die fehlende Stunde Schlaf? Die Zeitumstellung lässt manchen träge in den Lenz starten, und auch noch nicht alle unsere Player sind hellwach.
⯴ Angela Merkel Fährt harten Kurs in der EU für harten Euro. T-O-M schlägt vor: Angie heißt in Zukunft nicht mehr „Mutti“, sondern „Maggie“!
⯶
Guido Westerwelle Außenminister wird Schirmherr der Gay Games. Hätte er das nicht Wowereit überlassen können?
⯸ Recep Tayyip Erdogan Türkischer Ministerpräsident fordert türkische Gymnasien in Deutschland. T-O-M staunt: Türkisch können die Türken schon, Deutsch braucht’s für die Integration!
Risiko Rasen Bayern-Star Franck Ribéry durchpflügt den Ruhrpott-Acker auf Schalke
Der Regen soll’s richten! Das Spielfeld auf Schalke wird vor der Liga-Begegnung gegen Bayern München nicht ausgetauscht. Obwohl Bundestrainer Joachim Löw und die Deutsche Fußball Liga (DFL) nach dem Pokalspiel FC Schalke 04 gegen Bayern vom vergangenen Mittwoch den Wettbewerb gefährdet sehen, soll allein der Regen den holprigen Rasen verschönern. Der „bayerischen Hetze“ will sich der S04 jedenfalls nicht beugen. Eine strenge DFL-Richtlinie zum Thema Rasen gibt es nicht. Allerdings könnte der Schieds-
richter einen Tag beziehungsweise zwei Stunden vor dem Anpfiff die Begegnung abblasen, wenn „den Spielern wegen Nachlässigkeit Gefahr droht“. „Der Schiedsrichter muss sehr vorsichtig vorgehen“, meint der oberste Schiedsrich-
ter des DFB, Volker Roth. „Im Zweifelsfall darf das Spiel aber nicht stattfinden.“ Vielleicht ist eine solche Entscheidung aber auch zu groß für eine einzelne Person, wenn Begegnungen wie etwa das Pokalspiel live übertragen werden und eine Menge Geld mitspielt. awo
⯸ Andrea Nahles SPD-Generalsekretärin arbeitete mit Sprachtrainerin, um öffentlich besser anzukommen. Ob’s hilft? Das Problem reicht tiefer als die Stimme.
Kommunen wollen sich selbst kümmern
Immer mehr Gemeinden wollen ihre Langzeitarbeitslosen in eigener Regie betreuen. Nach dem Kompromiss über die Jobcenter-Reform sollen 41 zusätzliche Kommunen die Möglichkeit erhalten, unabhängiger von der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu agieren.
Amerell verlangt Geld Ex-Schiedsrichterfunktionär Manfred Amerell, 63, fordert von Referee Michael Kempter, 27, nach FOCUS-Informationen bald mehrere zehntausend Euro Schadensersatz. Kempter hatte behauptet, Amerell habe seine Macht ausgenutzt, um sexuelle Gefälligkeiten von ihm einzufordern. Amerell wirft Kempter Rufschädigung vor fl und wird eine Zivilklage einreichen. 16
Völlig zerstritten Manfred Amerell (r.) klagt bald gegen Michael Kempter (l.)
Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Jörg Rohde (FDP), sieht in seinem Bundesland Bedarf für mindestens fünf zusätzliche sogenannte Optionskommunen. Auch Hamburg hat bereits sein grundsätzliches Interesse an der Option angemeldet. In Hessen wird mit zwei bis drei zusätzlichen Bewerbern gerechnet. Und in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg gibt es ebenfalls schon Nachfragen. Noch ist aber nicht festgelegt, welche Länder wie viele neue Optionskommunen erhalten. mo F OCUS 13/2010
Fotos: dpa, ddp, Getty Images
Allein in Baden-Württemberg haben schon 24 Landkreise ihre Bereitschaft erklärt. Der
87:;DI?; :E9>C7B?C BKNKI$
Glückwunsch im Netz Die CDU würdigt ihren langjährigen Vorsitzenden Helmut Kohl mit einer Internet-Seite. Zum 80. Geburtstag des Altkanzlers am 3. April geht der Glückwunsch online. Kanzlerin Angela Merkel wird eine Videobotschaft senden. Ein Film zeigt historische Stationen. Und alle, die dem kranken Staatsmann gratulieren wollen, können das tun auf www.cdu.de unter dem Button „80 Jahre Helmut Kohl“. Trotz des Drängens vieler CDU-Mitglieder
hat sich das Thema Ehrenvorsitz für Kohl erledigt – auf seinen eigenen Wunsch hin. Vertraute des Altkanzlers bestätigen: „Er selbst will den Ehrenvorsitz nicht zurück.“ Es wächst der Druck auf die Regierung, den Kanzler der Einheit mit einer Sonderbriefmarke zu ehren. Neben der Jungen und der Senioren Union dringen auch die Landesverbände NordrheinWestfalen und SachsenAnhalt darauf (s. auch Seite 82). ack/elf Jubilar Kohl Die Kanzlerin gratuliert auch persönlich
„Besser ausgeprägt“
Der Deutsche Olympische Sportbund und der Verband Deutscher Sportjournalisten haben FOCUS-Redakteur Christian Witt für eine „hervorragende berufliche Leistung“ ausgezeichnet. Die Story „Mit Zuckerbrot und Pfeife“ über eine 21-jährige türkischstämmige Schiedsrichterin, die in Berlins höchster Herren-Fußball-Liga Spiele leitet, wurde prämiert mit Platz zwei des DOSB-Preises zum Jahr der Frau im Sport 2009. Sportsmann FOCUS-Redakteur Christian Witt, 51
O C E A N
I N D I E N
Hessens LKA-Präsidentin wünscht sich mehr Frauen auf Chefsesseln
Ganz oben Sabine Thurau, 54, ist die erste Frau auf dem Chefposten eines Landeskriminalamts
Sie sind die erste Frau an der Spitze eines Landeskriminalamts. Unterscheidet sich Ihr Führungsstil von dem der Männer?
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Sicher. Denn es gibt grundsätzlich geschlechterspezifische Unterschiede. Frauen entwickeln zum Beispiel ein besonderes Einfühlungsvermögen in ihrem Beruf. Was können Sie sonst noch besser?
Frauen achten extrem auf das Zeitmanagement. Ihre Organisationsfähigkeit ist einfach besser ausgeprägt als bei Männern. Ausnahmen bestätigen die Regel. Sie wünschen sich folglich mehr Frauen in leitenden Stellungen bei der Polizei?
AUSGEZEICHNET
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Natürlich. Der Polizei hat es gutgetan, dass immer mehr Frauen in Führungspositionen gelangen. Aber wir haben immer noch zu wenig leitende Beamtinnen, was daran liegt, dass der uniformierte Polizeidienst weibliches Personal erst in den 80er-Jahren eingestellt hat. Frauen müssen erst noch in die Positionen des höheren Dienstes hineinwachsen. Wichtig ist für mich aber das Leistungsprinzip. Leistungsstarke Frauen gehören ebenso auf Spitzenpositionen wie leistungsstarke Männer. Sie führen jetzt mehr als 780 LKA-Mitarbeiter. Macht Sie die neue Aufgabe nervös?
Nein. Ich war vier Jahre lang Vizepräsidentin des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, der wichtigsten Dienststelle in Hessen, und vom Personal her viermal so stark besetzt. Daher gehe ich mit einem sicheren Gefühl nach Wieshrn baden.
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DE U T S C H LA ND
Ein riskantes Farbenspiel C
hrista Goetsch ließ keinen Mitarbeiter aus. Sogar in der Poststelle schüttelte die grüne Politikerin verblüfften Angestellten die Hände, als sie am 7. Mai 2008 ihr neues Amt als Zweite Bürgermeisterin und Bildungssenatorin im Hamburger Rathaus antrat. Plötzlich waren Schwarze und Grüne Freunde – die erbitterten politischen Gegner von einst. Politiker und Referenten schwärmten nur noch vom „freundlichen Umgangston“ und der „vertrauensvollen Atmosphäre“. Deutschlands erste schwarz-grüne Koalition gab sich begeistert: Seht her, wir können miteinander! Das Hamburger Modell nach Idee und Entwurf des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) beflügelte vornehmlich jüngere Strategen der Union, die auf Modernität und Großstadtmilieus schwören. Nur die Anhänger von CDU/CSU fremdeln: In einer FOCUS-Umfrage (s. Grafiken ab S. 20) attestieren 59 Prozent der Befragten diesem Bündnis mehr Trennendes. Für die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel zählt jedoch die Mengenlehre der Macht: Wo immer es gelingt, Grüne an die Seite der CDU zu ziehen, schafft der Hauptgegner SPD keine
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linke rot-rot-grüne Mehrheit mehr. Wenn dabei selbst die FDP im bürgerlichen Boot bleibt, umso besser. Beim Saarland-Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) funktioniert das Jamaika-Dreiecksverhältnis seit November 2009. An Elbe und Saar wollte die Merkel-Partei Akrobatik mit grünem Spielbein vorführen – ohne Risiko fürs gelbe Standbein der Macht in Berlin. Aber jetzt in Nordrhein-Westfalen geht es nicht um Premierenzauber. Es wird dramatisch. Bei der Landtagswahl am 9. Mai droht die CDU/ FDP-Koalition von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu kippen. Der schwarze Landesvater „möchte nicht mit den Grünen koalieren“, führt offiziell einen Lagerwahlkampf pro FDP, contra Rot-Rot – allerdings ohne ein klares Nein zu Grün. Um in Düsseldorf Regierungschef zu bleiben, muss Rüttgers sich nun womöglich doch mit ihnen einlassen. Was dann? Dann verändert die Schlüsselwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland wieder einmal die ganze Republik. 1995 kam Rot-Grün an die Macht im Land, drei Jahre später im Bund. 2005 verlor Rot-Grün die Landtagswahl und noch im selben Jahr
die Bundestagswahl. 2010 stehen Erfolg und Ansehen von Merkels schwarz-gelber Bundesregierung auf dem Spiel. Muss Rüttgers den Partner wechseln, kommt die Berliner Koalition der Kanzlerin überhaupt nicht mehr in Schwung. Dann belastet das christlich-liberale Bündnis die quälende Frage: Wird Schwarz-Grün bald ein Modell für ganz Deutschland? Die CDU zwischen Rhein und Weser schwächelt in den Umfragen bei 38, die FDP bei acht Prozentpunkten. Die elfprozentigen Grünen scheinen unwiderstehlich, erst recht, weil die 32-Prozent-SPD zu einer großen Koalition genauso wenig Lust verspürt wie die CDU. Am Ende lieber Schwarz-Grün, gestehen Rüttgers-Vertraute: „Eine große Koalition würde das Land nicht weiterbringen, und in den Ministerien würden die alten roten Netzwerke wieder aufleben. Dann wäre die CDU fünf Jahre später weg vom Fenster.“ Es gibt dafür auch Gründe: Laut FOCUS-Umfrage meinen 60 Prozent der NRW-Wähler, die Union sollte mit den Grünen regieren, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht. Wenn Rüttgers jetzt die Grünen braucht, hat Merkel keine relativ bequeme Mehrheit schwarz-gelb regierter Länder F OCUS 13/2010
Foto: M. Urban; Illustration: F OCUS -Magazin
In Nordrhein-Westfalen kämpft die Regierung für Schwarz-Gelb, aber in Umfragen stehen die Signale auf Schwarz-Grün. Doch ein Bündnis mit den Grünen wird die Berliner Koalition und die CDU belasten
64 %
der Deutschen befürworten eine schwarz-grüne Koalition im Bund – angenommen, Schwarz-Gelb hätte keine Regierungsmehrheit Quelle: Emnid
Es liegt was in der Luft Über eine Koalition aus Angela Merkels Union und Renate Künasts Grünen spricht in Berlin noch niemand offen. Darüber nachgedacht wird umso mehr
DE U T S C H LA ND
im Bundesrat mehr. Unberechenbare Bündnisse in der Länderkammer können wichtige Vorhaben der Bundesregierung – Steuersenkungen, Gesundheitsprämie, längere Laufzeiten für Kernkraftwerke – kurz und klein verhandeln. Die Koalition in Berlin dürfte gerade so weiterstolpern wie in ihren ersten fünf Monaten. Wenn die Grünen Rüttgers retten, frisst das Misstrauen in Merkels christliberalen Reihen sich fest. Schon jetzt, wenn die Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen sich treffen, beäugt FDP-Vertreter Jörg van Essen mit Argwohn allerlei Freundlichkeiten zwischen den Kollegen von Union und Grünen. Noch finden manche Schwarze das drollig. Noch verliert van Essens Parteichef Guido Westerwelle öffentlich kaum ein Wort über die Linksdrift der CDU. Noch möchte der Vizekanzler der Aussage der Kanzlerin vertrauen, „die Diskussion über Schwarz-Grün“ sei „unsinnig“ – wohlgemerkt: nur die Diskussion. Aber blind sind sie nicht im liberalen Führungszirkel: „Es gibt eindeutig das Ziel, die Union zu verschieben.“ In Nordrhein-Westfalens Wahlcasino ist vieles möglich. Erstmals haben die Wähler jetzt auch dort zwei Stimmen, die erste für den Wahlkreiskandidaten der bevorzugten Partei, meist CDU oder SPD. So könnten SPD-Getreue damit, je nach Traumkoalition, die Grünen oder die Linkspartei beglücken – Unionsanhänger entsprechend die FDP oder gar die Grünen. Die CDU im Westen reißt es hin und her. „Schwarz-Grün ist für mich eine grau-
Ungewisses Ziel Im bevölkerungsreichsten Bundesland bilden CDU und Grüne bereits 25 Koalitionen. Was in den Kommunen klappt, liegt für viele auf Landesebene noch zu weit auseinander
Wandel durch Annäherung NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) zeigt sich kontaktfreudig. Beim Bier plaudert er mit der grünen Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann – zur Klimaverbesserung
Wer will überhaupt Schwarz-Grün?
Dunkelgrüne Mehrheit Welche Partei würden Sie wählen, wenn am Sonntag Landtagswahlen in NRW wären? in Prozent CDU
38
SPD
32
Grne
11
FDP Linke Sonstige
7 4
Mit den Grünen käme die NRW-CDU auf 49, mit der FDP nur auf 46 Prozent
20
Quelle: tns Emnid
8
Sechs Wochen vor der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen fragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid die Bundesbürger nach ihrer Einstellung zu einer Koalition aus Union und Grünen – auf Landesebene, aber auch im Hinblick auf den Bund. Viele Wähler würden es wagen.
Denkbar, wenn Schwarz-Gelb es Angenommen, Union und FDP haben keine Regierungsmehrheit – sollten CDU/CSU und Grüne gesamt
NRW
JA NEIN
64 31
JA NEIN
60 37
Warum nicht? In Zeiten, in denen schwarzkriseln, kann sich eine deutliche Mehrheit und Grünen vorstellen – erstaunlicherweise F OCUS 13/2010
Karikatur: K. Stuttmann Foto: Sondermann/nr wbild.de
same Vorstellung – fast schon Fegefeuer“, seufzt der burschikose Düsseldorfer Arbeitsminister Karl-Josef Laumann. „Ich bin CDU-Vorsitzender im Bezirk Münsterland. Hier denken die Menschen so.“ Wie aber sieht dann die Hölle aus? „Die Hölle – das ist Opposition“, lacht Laumann und zuckt zusammen. Im Nu wird ihm klar: Wenn es mit dem schwarz-gelben Paradies nichts wird, wenn ewig oppositionelle Verdammnis droht, könnte seine Partei sich doch fürs Fegefeuer entscheiden. „Schwarz-Grün liegt in der Luft“, berichtet Politikwissenschaftler Hubert Kleinert, einst ein grüner Ur-Realo an der Seite Joschka Fischers, aus dem bürgerlichen Gegenwartsmilieu. „Öko-Themen sind in der gesellschaftlichen Mitte zu Hause.“ In edelsanierten Berliner, Kölner, Hamburger und Stuttgarter Wohngebieten gehört das grüne Gewissen zum Wohlstandsund Wohlfühl-Chic. Wer teure Bioprodukte kauft, kann sich auch einen teuren Sozialstaat leisten. Nordrhein-Westfalen betrachtet Kleinert als längst bestelltes Experimentierfeld: „Es gibt nirgendwo so viele schwarz-grüne Bündnisse in der Kommunalpolitik wie dort.“ Tatsächlich haben sich in Städten und Gemeinden des größten Bundeslands bislang 25 Ökochrist-Allianzen formiert, teils sogar einschließlich Liberalen und Freien Wählern. Allerdings dominiert weiterhin Rot-Grün mit 33 Rathaus-Koalitionen. Doch im Machtkalkül der Lokalfürsten zählt das konservativ-alternative Modell längst als feste Größe. Gleich drei CDULandesminister standen dafür in ihren
nicht schafft
Grnen- JA Anhnger NEIN
Altmaier aus dem Saarland, Familienministerin Kristina Schröder aus Hessen und Julia Klöckner, die designierte Spitzenkandidatin für Rheinland-Pfalz. Als wohlwollender Pate grüßt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Vor der NRW-Wahl gilt jedoch bei grünen wie schwarzen Spitzen das Motto: „Immer an Schwarz-Grün denken, aber nicht viel darüber reden“. Trotz aller Dementis am Rednerpult drängen die Grünen mit aller Macht zurück in die Regierungsverantwortung – auch mit der CDU: Winfried Kretschmann, grüner Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, unterstützt den Kurs aus dem Südwesten: „Schwarz-Grün ist möglich, auch in Nordrhein-Westfalen, wenn es für die Koalition mit der SPD nicht reicht. Wir sollten da ganz unverkrampft herangehen.“ Denn: „Schlechter als bei Rot-Grün unter dem früheren SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement kann es nicht laufen.“ Andere wie die frühere NRWAgrarministerin Bärbel Höhn bieten sogar einen gewagten Koalitionsspagat von CDU bis hin zur Linkspartei an: „Wir wollen Rot-Grün, schließen Rot-Grün-Rot und Schwarz-Grün nicht aus.“ Begonnen hatte der schwarz-grüne Wandel durch Annäherung Mitte der 90er-Jahre beim Bonner Mode-Italiener „Sassella“. „Pizza-Connection“ nannte sich eine weitgehend ideologiefreie Speisegemeinschaft von schwarzen und grünen Nachwuchsabgeordneten. Die Abteilung „Jugend forscht“ einte der Spott – mal über den traurigen Zustand der SPD-Opposition, mal über den bröckelnden Denkmalkanzler
Skeptische Grüne, optimistische Schwarze
dann eine Koalition bilden? in Prozent CDU/ JA CSUAnhnger NEIN
Kreisverbänden Pate: Armin Laschet (Familie und Integration), Lutz Lienenkämper (Bauen und Verkehr) sowie Ex-Europaminister, jetzt CDU-Generalsekretär, Andreas Krautscheid. Da mag Rüttgers abschwören, so viel er will. An der kommunalen Basis, wo es eigentlich nur um Straßen, Schulen und Wohngebiete geht, ist der Weg zu Höherem gebahnt. Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp, Chef eines schwarz-grünen Rathauses, gilt als typischer Vertreter einer jungen, pragmatischen CDU-Generation, die ideologische Vorbehalte in den Hintergrund schiebt. Anfangs hätten sie schwere Bedenken gehabt, erinnert sich Philipps Stellvertreterin Hilde Scheidt von den Grünen. „Die Alternative wäre eine große Koalition gewesen, aber uns war die grüne Handschrift in der Stadt wichtig.“ Zum Beispiel längeres „gemeinsames Lernen“ statt frühzeitiger Leistungsauslese in der Schule. Mit Blick auf die Landtagswahl plädiert Philipp vorrangig für SchwarzGelb. „Kommt es aber nicht dazu, dann muss man die Realitäten erkennen und auch Schwarz-Grün in Betracht ziehen.“ Was von Beust in Hamburg, Müller im Saarland, Krautscheid und Laschet am Rhein erproben und anbahnen, reizt auch die jüngeren CDU-Aufsteiger auf dem Berliner Parkett. Ganz theoretisch und futuristisch, versteht sich. Zu diesem Kreis in Merkels Öko-Camp gehören: das rheinische Trio Hermann Gröhe (CDU-Generalsekretär), Ronald Pofalla (Kanzleramtsminister), Norbert Röttgen (Umweltminister und schwarzer ModellÖko), Parlamentsgeschäftsführer Peter
76 20 73 26
Glauben Sie, dass CDU/CSU und Grüne gut (sehr gut, gut und eher gut) zusammenarbeiten würden? in Prozent politische Ebene BUND BUND 39 50 CDU/ gesamt LAND 46 CSU- LAND Anhnger KOMMUNEN KOMMUNEN 50 BUND
NRW LAND KOMMUNEN
gelbe Bündnisse in Berlin wie in den Ländern der Bürger Koalitionen aus CDU/CSU eher im Bund als in NRW
39 44 47
GrnenAnhnger
BUND LAND KOMMUNEN
64 67
41 47 59
Optimistischer als die Grünen sehen Unionsanhänger eine Koalition. Bundesweit trauen die Deutschen diesem Duo das Regieren eher auf kommunaler Ebene zu
Quelle: tns Emnid, 23./24. März 2010, 1006 Befragte
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DE U T S C H LA ND
„Massiv enttäuscht“ von Schwarz-Grün in Hamburg ist Rechtsanwalt Carsten Bittner. Er trat nach 28 Jahren aus der CDU aus
„Von Schwarz-Grün halte ich überhaupt nichts. Wie das zusammenkommen soll, sehe ich nicht.“ Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag
Schwarz-Grün verbindet weniger als Schwarz-Gelb Gibt es inhaltlich zwischen CDU/CSU und Grünen mehr Trennendes oder mehr Gemeinsames? in Prozent CDU/ TRENNENDES 59 CSU33 Anhnger GEMEINSAMES GrnenAnhnger gesamt
81 15 65 23
Wo die Wähler die Kompetenzen bei
Gibt es inhaltlich zwischen CDU/CSU und FDP mehr Trennendes oder mehr Gemeinsames? in Prozent CDU/ TRENNENDES 45 CSU46 Anhnger GEMEINSAMES 57 FDPAnhnger 43 gesamt
54 34
Grüne Wähler verknüpfen zu 81 Prozent Trennendes mit der CDU. Unionswähler hingegen verbinden immerhin noch zu 59 Prozent Trennendes mit den Grünen
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im Versuchslabor Hamburg. Nicht etwa weil das persönliche Klima zwischen Erstem Bürgermeister von Beust und den grünen Senatsmitgliedern getrübt wäre. Sondern weil bürgerlich-konservative CDU-Stammwähler gegen die von den Grünen durchgepaukte Schulreform mit sechs Pflichtjahren Grundschule auf die Barrikaden gehen. In der Hansestadt ist die Euphorie des Aufbruchs verflogen, die schwarz-grüne Stimmung auch. Die Grünen fahren derzeit mit 16 Prozentpunkten ihre besten Umfragewerte seit der Bürgerschaftswahl 2008 ein, die Union dagegen sackte von 42,6 Prozent Wähleranteil auf nur noch 31 Prozent Zustimmung ab. Während die Anhänger der grünen Schulsenatorin Goetsch
Foto: J. Modrow/F OCUS -Magazin
Helmut Kohl. Vor allem der junge Eckart von Klaeden, mittlerweile CDU-Staatsminister im Kanzleramt, erheiterte die Tafelrunde mit seinen Kohl-Parodien. Doch die grünen Mitesser von einst sind den damals „jungen Wilden“ von der Union abhandengekommen. Ausgelöst durch den Linksschwenk der Grünen nach dem Verlust der Regierungsmacht in Berlin 2005, haben sich wirtschaftsliberale Ökos seit Langem verabschiedet. PizzaOrganisator Matthias Berninger mutierte vom Verbraucherschutz-Staatssekretär zum Spitzenmanager des US-Süßwarenkonzerns Mars. Die frühere Parteichefin Gunda Röstel managt als Geschäftsführerin die Stadtentwässerung Dresden. ExUmweltstaatssekretärin Margareta Wolf entschloss sich 2008 sogar zum Parteiaustritt, heute arbeitet sie als Unternehmensberaterin für Energiekonzerne. Wirtschaftsliberale bei den Grünen? „Ich sehe nicht, dass es sie noch gibt“, resümiert Wolf. Sie seien bei den nach links gerückten Ökos nicht mehr gefragt. „Die Grünen haben sich wieder auf die eigenen Wurzeln zurückgezogen, ihre Öffnung zur Mitte bleibt stecken“, konstatiert Wolf. Früher hätten die Grünen auch unpopuläre Projekte wie die Rentenreform vertreten. „Jetzt bieten sie wieder soziale Wünsch-dir-wasKataloge an, obwohl sie auch Sparkommissare sein wollen – das passt doch nicht zusammen.“ Für die Union könnte dieser Wandel zum bösen Erwachen führen. Rüttgers’ Zögern erklärt sich daher nicht bloß aus schlauer Rücksicht auf den realen Düsseldorfer und Berliner Koalitionspartner FDP. Wenig beachtet, brodelt es seit Wochen
Welches politische Bündnis ist Ihrer Ansicht nach besser . . . den Wirtschaftsstandort Deutschland zu modernisieren CDU/CSU 51 und FDP Bund CDU/CSU 32 und Grne CDU und FDP NRW CDU und Grne
53 31
Mehr als die Hälfte vertraut bei der Wirtschaftskompetenz klar einer schwarz-gelben Koalition F OCUS 13/2010
die Grundschulreform feiern, dominiert im noblen Blankenese, im wohlhabenden Eppendorf und in Winterhude die Furcht um die Qualität der Bildung und die Existenz traditionsreicher Gymnasien. Mit mehr als 180 000 Unterschriften hat die Bürgerinitiative „Wir wollen lernen“ für den Sommer einen Volksentscheid durchgesetzt. Von Beusts Versuch, einen Kompromiss mit den Reformgegnern auszuhandeln, scheiterte. Nun drohen der CDU eine schwere Niederlage und dem Regierungschef ein gewaltiger Imageschaden. Der Frust an der schwarzen Basis breitet sich aus. Der 45-jährige Rechtsanwalt Carsten Bittner ist „nach 28 Jahren aus der CDU ausgetreten, weil ich diese Schulreform nicht mittragen kann“. Von Schwarz-Grün sei er „massiv enttäuscht“, auch wegen des „unseriösen Umgangs mit Steuergeld“ in der Pleite-Affäre um die HSH Nordbank. Drei Milliarden Euro mussten Hamburg und Schleswig-Holstein in die Bank pumpen, um sie vor dem Kollaps zu retten. Hamburgs Schulden übersteigen jetzt 25 Milliarden Euro. Im März trat Finanzsenator und CDU-Landeschef Michael Freytag zurück. Auch in Saarbrücken hat die Union die Schulpolitik als Prämie an die Grünen abgetreten. Wenn das so weitergeht, muss Steuerfrau Angela Merkel mit Meuterern rechnen. Ermutigt vom Hamburger Widerstand, beginnen sogar brave CDUKultusminister aus anderen Ländern zu murren: Die Schule in der Hand der Grünen bedeute „Abfall vom Leistungsprinzip“, die Union nehme „Abschied vom geistigen Tafelsilber“.
Die Runderneuerung der CDU in den Großstädten, wie Ronald Pofalla sie in Gang setzte, läuft nicht rund. „In einer Zeit, da viele Mitglieder und Anhänger der CDU den Verlust des Konservativen als Aufgabe eines Markenkerns ihrer Partei kritisieren, wird ein Bündnis mit den Grünen den Streit innerhalb der Union weiter anheizen“, warnt Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden. Was gewinnt die Union, wenn sie ihre Stammkundschaft abstößt? Die PofallaStrategie zielt auf schwarz-grüne Familienzusammenführung wohlhabendkonservativer Bürgereltern mit ihren akademisch gebildeten Öko-Ausreißern. Doch so grün sich die CDU oder ihre Kanzlerin anstreichen mögen – kreuzen Wähler nicht lieber gleich das Original an? Bei der Stimmenjagd in besseren Vierteln der Universitäts- und Dienstleistungsstädte sind die Grünen den Schwarzen dicht auf den Fersen (s. Grafik Seite 26). Renate Künast, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, demnächst wohl Spitzenkandidatin für den Job des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, stellt klar: „Es ist nicht mein Ziel, dass die CDU grün wird. Die wahren Grünen sind wir.“ Nur zu hohen Preisen würden sie sich an Rüttgers in Düsseldorf verkaufen. „Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, ist SchwarzGrün eine mögliche Zweitoption“, räumt Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann ein. Aber „damit sie überhaupt greift, muss sich die CDU in zentralen Fragen – etwa der Bildungs- und Energiepolitik – deutlich auf uns zu bewegen.“ Siehe Ham-
burg, siehe Frankfurt – wo Schwarz-Grün im Stadtparlament vorm Scheitern steht. Die Ökos wollen auf schwarzer Erde selbst wachsen. Politikwissenschaftler Gerd Langguth analysiert: „Die Grünen, die mit der SPD derzeit keine Machtperspektive sehen, haben ihren SchreckgespenstCharakter verloren. Gerade in Großstädten dringen sie stark in die bürgerlichen Milieus ein.“ Schwarz-Grün in Hamburg beweise: „Das Risiko ist für die Union größer als für die Grünen.“ Schon allein die schwarz-grüne Spekulation sei ein gefährliches Abenteuer, rügt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses: „Sie verwirrt unsere Anhänger und macht die Grünen für Bürgerliche immer noch attraktiver.“ Bei Merkel steht Bosbach in Ungnade, weil er sich konservative Widerworte nicht verbieten lässt. „Wenn es schon in Hamburg Probleme gibt: Keiner konnte mir bisher überzeugend erklären, wie das erst in einem Industrieland mit 18 Millionen Menschen laufen soll.“ Wer an Schwarz-Grün glaube, unterstelle, dass sich die Grünen fundamental ändern würden bei Schlüsselthemen wie Bildung, Zuwanderung, innere Sicherheit oder Energie. „Wie das zusammenkommen soll, sehe ich nicht.“ Bosbachs Konsequenz: „Von Schwarz-Grün halte ich überhaupt nichts.“ Die meisten in der CDU sehen’s ■ wie er – vorerst jedenfalls. MARGARETE VAN ACKEREN / HUBERT GUDE / MICHAEL JACH / HARTMUT KISTENFEGER / OLAF OPITZ / AXEL SPILCKER / SANDRA ZISTL / NIK AFANASJEW
Wirtschaft, Energie, Bildung und Soziales sehen geeignet, um . . .
Angaben in Prozent . . . die richtige Energiepolitik zu betreiben
CDU/CSU und FDP Bund CDU/CSU und Grne CDU und FDP NRW CDU und Grne
29 56 31 54
In der Energiepolitik geben die Befragten einer schwarz-grünen Koalition einen deutlichen Vorsprung
. . . für gute Bildung zu sorgen CDU/CSU 42 und FDP Bund CDU/CSU 42 und Grne CDU und FDP NRW CDU und Grne
. . . den Sozialstaat zu sichern CDU/CSU 39 und FDP Bund CDU/CSU 42 und Grne 48
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Deutliche Abweichung beim Kernthema Bildung: Die NRWler sind skeptisch gegenüber Schwarz-Grün
CDU und FDP NRW CDU und Grne
40 40
Das Rennen in der Sozialpolitik macht bei den Befragten nur ganz knapp Schwarz-Grün
Quelle: tns Emnid, 23./24. März 2010, 1006 Befragte
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DE U T S C H LA ND
Mehr Grün durch Schwarz Für den Bürgerrechtler und heutigen Europaabgeordneten Werner Schulz wäre diese Koalition in Nordrhein-Westfalen ein bundesweites Signal
Wegweiser ❙
Der Berliner Bürgerrechtler gründete in der DDR das Neue Forum mit. Er saß von 1990 bis 2005 im Bundestag.
❙
Seit Juli 2009 gehört der Grüne dem EU-Parlament an.
as vor Jahren noch als Gespensterdebatte oder „Schwatz-Grün“ abgetan wurde, ist mittlerweile vielerorts Realität. Union und Bündnisgrüne passen zusammen. Alte Berührungsängste schwinden. Es gibt einen Wandel durch Annäherung, einen Lernprozess, der weniger programm- als vielmehr problemund personenbezogen verlaufen ist. Beide Parteien haben gelernt, mit den Unterschieden produktiv umzugehen und sich als Ergänzung füreinander zu verstehen. Ein Hinweis darauf, dass die politische Erneuerung Deutschlands von unten aus den Kommunen kommt, wo Politik konkret und überschaubar und ideologische Trennkost schwer verdaulich ist. Den Durchbruch brachte die Kommunalwahl 1994 in NRW. Die Fusion mit Bündnis 90 hatte ein wertorientiertes und dennoch frisches, pragmatisches und auf Konsens ausgerichtetes Denken in der grünen Partei beflügelt. Der Name Bündnis sollte Programm sein und die Bereitschaft für Reform- und Sachbündnisse signalisieren. Diese Auflockerung gab auch neuen Allianzen auf kommunaler Ebene Auftrieb. In vielen Städten und Gemeinden, darunter in der Großstadt Mülheim, taten sich Union und Bündnisgrüne zusammen, um den Rathausbeton der SPD zu sprengen. Inzwischen sind in diesem Bundesland 25 solcher Vertragsgemeinschaften gewachsen. Auf dieser Basis gibt es zahlreiche Bürger- und Oberbürgermeister. Krönung des Jahres 1994 war die Wahl von Antje Vollmer zur Bundestagsvizepräsidentin mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion. Damals habe ich als Parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnisgrünen Jürgen Rüttgers als entgegenkommenden und zuverlässigen Verhandlungspartner erlebt. Eine Qualität, die im Rückblick auf die Erfahrungen mit Rot-Grün, insbesondere mit Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, oft ausblieb. Für den Abbau der Kultur- und Milieuschranken steht die legendäre „Pizza-Connection“. Ein zwangloser Meinungs-
Im grünen Bereich Schulz arbeitet in seinem Haus in der Uckermark F OCUS 13/2010
Foto: J. Neumann/Visum
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„CDU und FDP passen nicht mehr zusammen “ Werner Schulz
Grüne dicht dran In diesen Wahlkreisen beträgt der Abstand zwischen CDU und Grünen weniger als zehn Prozent* in Prozent Kiel
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Hamburg-Mitte
16,9
Berlin-Pankow
17,2 19,8
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Kopie oder Original? In den bürgerlichen Milieus der Großstädte haben die Grünen die Union vielerorts schon fast eingeholt. Vom ökologischen Modernisierungsschub kann die CDU in direkter Konkurrenz kaum profitieren
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Quelle: Bundeswahleiter
Freiburg
austausch junger Abgeordneter, der im italienischen Weinkeller begann und Folgen zeigt. Heute ist der Jahrgang 1965, Cem Özdemir und Norbert Röttgen, in Führungspositionen, hat ein Generationswechsel stattgefunden, sind die „grünen Jungs“ von damals heute die Stützen von Angela Merkel. So wie Rot-Grün in vertrauter Bonner Runde entstand, lassen sich auch hier Parallelen erkennen. Deutliche Impulse kommen von den Wählern, denn in Berlin hat sich die bürgerliche Wunschkoalition als ärgerliche Dauerkollision erwiesen. In Umfragen sprach sich eine Mehrheit der Befragten eher für eine schwarz-grüne Koalition aus. Ausschlaggebend war die große Übereinstimmung der Wertvorstellungen. An erster Stelle die Bewahrung der Schöpfung. Trotz verbaler Abgrenzung teilen Grüne und Konservative ein ähnliches Politikmodell: die dezentrale solidarische Gemeinschaft, die sich ebenso im alternativen Milieu wiederfindet wie in der katholischen Soziallehre. CDU und FDP passen nicht mehr zusammen. Der reibungslose Anschluss an erfolgreiche Tage hat sich als Trugschluss erwiesen. Kein Wunder, dass sich da Unmut in der Union regt und eine bessere Option in Erwägung gezogen wird. Darum hat der Bundesumweltminister schon mal einen Versuchsballon in Richtung Bündnisgrüne losgelassen. An einem vernünftigen Atomausstieg wird demnach eine solche Koalition nicht scheitern. Bezeichnenderweise kam diese Äußerung vor der NRW-Landtagswahl, die von jeher als Stimmungsbarometer oder kleine Bundestagswahl gilt. Die letzte hat Gerhard Schröder 2005 zur Flucht aus der Verantwortung von Hartz IV und in den Machtbereich von „GASPUTIN“ getrieben. Davon hat sich die SPD noch nicht erholt. Für Rot-Grün ist sie momentan zu schwach. Auch wenn dies die inhaltliche Präferenz der Bündnisgrünen ist. Die rot-rote Einbeziehung der Reste der 4. Internationale und der Wagenknechte eines kommunistischen Vehikels wäre allerdings abenteuerlich und verantwortungslos. Hier steuert die SPD mit Kraft in die vertrackte Ypsilanti-Falle, weil sie es nicht aufgibt, die Bremslichter und den linken Blinker gleichzeitig aufleuchten zu lassen. Ein Glaubwürdigkeitsproblem, das schwerer wiegt als die „Rent a Rüttgers“Affäre. Der offenbar in seinem Nachahmungsdrang in die Fußstapfen von Lan-
desvater Rau geraten ist, welcher früher seine „Ausflüge“ von der WestLB befördern ließ. Es ist höchste Zeit für eine neue Regel, bei der Parteien die Spenden von Firmen, Verbänden, Gewerkschaften oder sonstigen Organisationen verwehrt bleiben. Denn nur der wahlberechtigte Bürger kann sich für eine Partei entscheiden und sie nach Möglichkeit und Begrenzung der Steuerabschreibung unterstützen. Das könnte eine schwarz-grüne Bundesratsinitiative sein und uns sparsame sowie bessere Wahlkämpfe bescheren. Die Bündnisgrünen wollen, dass die nächsten fünf Jahre keine weiteren verlorenen Jahre für NRW werden. Darum ist keine vernünftige Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Soweit die Wählerinnen und Wähler das ermöglichen, wird es auch eine unvoreingenommene Sondierung von Schwarz-Grün geben. Aus meiner Sicht eine aussichtsreiche Chance, die widersprüchlichen Bedürfnisse der Bevölkerung von Bewahren und Erneuern in Einklang zu bringen. Die positiven Erfahrungen in Hamburg, aber auch die Verhandlungsergebnisse im Saarland zeigen, dass mit den Konservativen viel Grün machbar ist. Es wäre ein großer Gewinn, wenn der Vorlauf zu einem grünen Neuen Gesellschaftsvertrag in NRW beginnt. Ein Bündnis der Grünen mit der Union hätte Auswirkung auf die gesamte Republik: wenn es beim Atomausstieg bleibt, der Umstieg auf erneuerbare Energien forciert wird, Leitungsnetze ausgebaut werden, ökologische Innovationen gegen den Klimawandel Raum greifen und gleichzeitig die Wirtschaft auf einen grünen Zweig bringen. Die Zukunft an Rhein und Ruhr liegt nicht mehr in der Förderung von Kohle, sondern von Kultur und Bildung. Das verlangt auch Schulen, die mehr Gestaltungsfreiheit erhalten und individuelles und längeres gemeinsames Lernen ermöglichen. Unsinnige Vorhaben der Bundesregierung, wie die Kopfpauschale oder Steuererleichterungen auf Kosten der Kommunen und künftiger Generationen, könnten durch Schwarz-Grün gestoppt werden. Noch immer gibt es Stimmen, die meinen, dass Union und Grüne sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten. Doch sie übersehen eines: Wenn das zusammenkommt, entsteht Dampf. Eine ökologische ■ Antriebskraft, auch für Berlin. F OCUS 13/2010
„Schnelle Karriere möglich“ Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) will den öffentlichen Dienst radikal umkrempeln. Vorbild: die freie Wirtschaft Herr Tillich, im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt aus. Für die neuen Länder, auch für Sachsen, bedeutet das: Sie müssen mit rund 26 Prozent weniger Geld in der Staatskasse auskommen. Wie wollen Sie derart dramatisch sparen?
Wir werden in den nächsten Jahren weniger Geld zur Verfügung haben. Vor dieser Tatsache dürfen wir die Augen nicht verschließen. Ab 2020 wollen wir in Sachsen auf eigenen Beinen stehen, ohne auf eine ostspezifische Sonderförderung angewiesen zu sein. Wir haben schon in der Vergangenheit deutlich weniger Schulden gemacht als andere. Ich lege aber großen Wert auf die Feststellung, dass es noch kein Sparen ist, wenn wir weniger Geld ausgeben. Sparen heißt: vom Erwirtschafteten etwas zurücklegen. Was wir tun, ist Folgendes: Wir passen die Ausgaben den Einnahmen an. Dazu gehört offenbar auch, den öffentlichen Dienst in Ihrem Land nicht nur zu schrumpfen, sondern auch umzukrempeln. Planen Sie den Abschied vom klassischen Beamtenstaat?
Wir nehmen mit unserer schwarz-gelben Koalition eine umfassende Staatsmodernisierung in Angriff. Dazu gehört auch die Neuordnung des Beamtenrechts. Das bisherige Beamtenrecht ist starr und unzeitgemäß. Es gibt allein 70 verschiedene Laufbahnen . . .
Foto: action press
. . . und es gilt bisher: einmal öffentlicher Dienst, immer öffentlicher Dienst.
Wir wollen das und vieles andere in den nächsten eineinhalb Jahren ändern. Dazu gehört es, die Durchlässigkeit zur freien Wirtschaft zu verbessern, in manchen Bereichen sogar erst herzustellen. Künftig sollen Beamte ihre Anwartschaften auf Altersversorgung mitnehmen können, wenn sie in ein Unternehmen wechseln. Das ist bisher nicht möglich. Umgekehrt wollen wir denen, die in den öffentlichen Dienst kommen, für die Altersversorgung nicht nur die Zeiten an der Hochschule, sondern auch in einem Unternehmen anerkennen. Damit wird F OCUS 13/2010
der öffentliche Dienst für Quereinsteiger attraktiver. Warum soll eigentlich ein habilitierter Wissenschaftler nicht, statt Professor an der Uni zu werden, eine Abteilung eines Ministeriums leiten können? Das bedeutet aber auch: Sie riskieren, dass Ihnen die besten Leute in die freie Wirtschaft davonlaufen.
Das ist Wettbewerb. Es ist doch nicht verkehrt, wenn jemand nach einer Zeit im öffentlichen Dienst in die Wirtschaft geht und umgekehrt. Beide Seiten zu kennen, das wird sich nicht nur für die Beteiligten als Gewinn erweisen, sondern für die Volkswirtschaft insgesamt. Der öffentliche Dienst soll vor allem auch für Bewerber anziehender werden, die schnell Karriere machen wollen. Leitende Beamte sollen beispielsweise Budgetverantwortung bekommen, so wie es in gut geführten Unternehmen längst üblich ist. Sie könnten dann auch über leistungsgerechte Bezahlung in ihrem Verantwortungsbereich entscheiden. Das hieße also: Junge, fleißige Beamte könnten in Sachsen schneller aufsteigen als anderswo. Andererseits könnte niemand mehr eine automatische Beförderung nach Zahl der Dienstjahre erwarten?
Genau das ist gemeint. Automatismen dieser Art soll es künftig nicht mehr geben. Versuchen Sie mit Ihrer Reform auch, tüchtige Beamte aus anderen Bundesländern nach Sachsen zu locken?
Unser Arbeitsmarkt erstreckt sich nicht nur auf Deutschland, sondern auf Europa. Gute Arbeitskräfte sind generell knapp. Wir im Freistaat Sachsen scheuen den Wettbewerb jedenfalls nicht. Und die gut organisierte Beamtenschaft wird es sich gefallen lassen, wenn Sie derart an den Grundfesten rütteln?
Es gibt viele Beamte, die das gegenwärtige Korsett zu enger Vorschriften ■ sprengen möchten.
Sachsens Regent Seit 2008 ist der frühere Finanzminister Tillich Ministerpräsident
Langer Aufstieg Stanislaw Tillich, 50 ❙
Seine Karriere in der DDR begann im Rat des Kreises Kamenz. Dort wurde der Sorbe noch im Mai 1989 stellvertretender Vorsitzender. Später bekannte er, seine Zeit als Funktionär und Blockpartei-Mitglied sei „kein Ruhmesblatt“.
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Ins sächsische Kabinett holte ihn Kurt Biedenkopf 1999. Tillich wurde Staatskanzleichef, Umwelt- und Finanzminister. 2008 stieg er in die Spitzenämter des Ministerpräsidenten und CDU-Landeschefs auf.
INTERVIEW: ALEXANDER WENDT
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Wenn die Kanzlerin die Krallen zeigt – Vorsicht! Die Zeit der müden Moderationen ist vorbei. Angela Merkel wagt sich daheim und in Europa mit forschen Ansagen nach vorn. Nach langer Durststrecke verbucht sie wieder Erfolge. Frühe Festlegungen erhöhen jedoch zugleich ihr Risiko
12 Mrd. Euro Kredit könnte Griechenland vom Internationalen Währungsfonds bekommen. Im echten Notfall aber braucht das Land mehr
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Worten, FDP-Chef Guido Westerwelle grenzte sich mit der Forderung nach einer geistig-politischen Wende ab, die CSU nahm Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) unter Dauerfeuer, zur Steuerreform tobte ohnehin ständig Streit. Und eine führende Hand der Kanzlerin war bei alledem nicht zu erkennen. Ergebnis: neuer Tiefststand in der Popularität von Schwarz-Gelb. „Die Wörter Steuerreform und Kopfpauschale will ich die nächsten Monate nicht mehr hören“, herrschte Merkel Mitte des Monats in kleinem Kreis die Unionsleute an. Da begriffen die Letzten, dass sie von dezenter Führung auf harte Hand umgeschaltet hat. Binnen wenigen Tagen einigten sich die Koalitionäre auf Grundzüge einer Bankenabgabe, sie begruben den Streit um die runden F OCUS 13/2010
Foto: AFP
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üsschen rechts, Küsschen links. „Äänndschela“ hier, „Ooohndschela“ da. Sie lässt sich drücken, umschwärmen und sagt, wo’s langgeht. Mehr als vier Jahre war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die ungekrönte Gipfel-Königin in Europa. Italiens regierungsamtlicher Obercharmeur Silvio Berlusconi lässt für sie schon mal Spaghetti in den italienischen und Blumen in den deutschen Nationalfarben dekorieren. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy lädt sie in seine Privatwohnung im Elysée-Palast. Der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende steht ohnehin im Ruf, nur zu tun, was sie will. Angela für alle, Angela überall. Auf internationalem Parkett ist sie der Liebreiz in Person, eine Frau, die viele verehren. Daheim gibt sie die matte Moderatorin, deren Hauptregierungskunst in kalkuliertem Abwarten besteht. So ist sie nun mal – oder doch nicht? In den letzten Märztagen 2010 lernen viele ihrer Landsleute und auch die übrigen Europäer Merkel neu kennen. Die einen werden von ungeahnter Entscheidungsfreude, die anderen von ihrer gänzlich uncharmanten Seite überrascht: Sie blicken auf eine Frau mit beinharter Ansage. Die Zeit der politischen Sitzblockade ist vorbei – die Kanzlerin fährt die Krallen aus. Daheim und unterwegs. Sie hat gewartet, bis es kaum noch anders ging. „Ich glaube, das, was oft gerade bei mir als Moderieren bezeichnet wird, alles andere ist als Moderieren. Es ist ein sehr zielorientiertes Arbeiten, um zum Schluss etwas zu erreichen“, hat Angela Merkel Anfang des Jahres über sich selbst gesagt. Diese Sätze schienen zuletzt beim Blick aufs Berliner Treiben als fast schon sarkastische Eigenbeschreibung: Die Koalitionspartner formulierten ihre Abneigung in kernigen
Im Mittelpunkt
Tische gegen Kindesmissbrauch. Und selbst das Problem Jobcenter, das zu aggressiven Wortwechseln im CDU-Präsidium geführt hatte, wurde zügig gelöst. Dass Fraktionschef Volker Kauder dabei eine Niederlage einstecken musste, war quasi ein Nebenschaden. So wird die ZeitlupenKanzlerin plötzlich, wenige Wochen vor der Schlüsselwahl in Nordrhein-Westfalen (9. Mai), zur Hochgeschwindigkeits-Politikerin. Eine Ahnung vom neuen Rhythmus bekamen auch die Delegierten Anfang voriger Woche beim kleinen CDU-Parteitag. Da übernimmt die Chefin in bestem Hausmeisterinnen-Gestus kurzerhand die Regie. Die Delegierten sitzen gemütlich im Hotel „Berlin, Berlin“ beisammen und plaudern, da ertönt eine resolute Stimme aus dem Mikro: „Es wäre gut, wenn jetzt jeder seinen F OCUS 13/2010
Platz einnimmt, damit wir sehen, ob alle da sind.“ So klingt eine Lehrerin, die ihren Schülern im nächsten Satz die Anweisung gibt: „Und jeder guckt, ob sein Platznachbar da ist.“ Binnen drei Stunden hat die CDU ihren Parteitag hinter sich gebracht. Die Frau ist in Eile, sie hat Wichtigeres zu tun. „Europa retten“, wie eine Vertraute anmerkt. Reine Ironie ist das nicht. Doch auch in der EU hat ihr Image gelitten. „Frau Europa“ titelte das Magazin „Time“ noch im Januar und rief die Deutsche zur Managerin des Kontinents aus. Aber der Stern sank im Riesentempo. „Waiting for Merkel“, meldete das Magazin „Newsweek“ vor wenigen Wochen auf dem Cover seiner Europa-Ausgabe. Es zeigt die CDU-Politikerin mit halb verschränkten Fingern: Politik der ruhigen Hand – das war schon zu
Angela Merkel hatte mit ihrer harten Haltung zunächst fast alle EU-Spitzenpolitiker gegen sich – und setzt sich dennoch durch. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (links, mit dem slowenischen Kollegen Borut Pahor) schlug sich spät auf ihre Seite
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Zeiten ihres SPD-Vorgängers Gerhard Schröder eine Qualität mit Verfallsdatum. Im Heft selbst wird die Deutsche als „Slow-Motion-Merkel“, als Zeitlupen-Kanzlerin, geächtet. Heldin a. D. Merkel reagierte – und wie. Während sich ihre Kollegen in Europa mit Forderungen nach schnellen Hilfen für das daniederliegende Griechenland überboten, blieb sie eisern beim Nein. Tagelang sah es übel aus für die Deutsche. Die Kanzlerin stand völlig isoliert da mit ihrer Forderung, für Griechenland keinesfalls voreilig die Schatullen zu öffnen. Schnelle Geldhilfen mit europäischen Bordmitteln lehnte sie stur ab. Sie beharrte darauf, dass dies schon wegen der Rechtslage nur als „Ultima Ratio“, als letzte Möglichkeit, in Frage komme. Und dann sollte zunächst der Internationale Währungsfonds (IWF) einspringen, bevor die einzelnen Länder dem EU-Partner helfen. Die rigorosen Ansagen erinnern viele an den legendären Auftritt der britischen Premierministerin Maggie Thatcher, die 1984 beim EU-Gipfel mit ihrer Tasche auf das Rednerpult schlug und rief: „I want my money back!“ (Ich will mein Geld zurück). Maggie Merkel? Die Kanzlerin hasst diesen Vergleich – und keineswegs nur, weil sie statt des altjüngferlichen Thatcher-Modells eine edle Damen-Aktentasche besitzt. Mit der Europa-Gegnerin verglichen zu werden, findet die Kanzlerin „einfach daneben“. „Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft“, dozierte sie am Donnerstag voriger Woche im Bundestag. „Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Euro-Zone keinen Schaden nimmt.“ Ein freundlicher Gruß von Berlin nach Brüssel. Dass ihre europäischen Kollegen, mit denen sie so oft gelacht und gut zusammengearbeitet hatte, nun gegen sie stänkerten, setzte Merkel zu. „Es gibt keine Stabilität ohne Solidarität“, schimpfte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn rügte, das größte Land der EU dürfe seine Innenpolitik nicht zur europäischen Politik machen. Die Isolierte blieb hart, suchte Verbündete. Spiel, Satz und Sieg – anders lässt sich der Auftritt Merkels in Brüssel am vergangenen Donnerstag kaum beschreiben. Die Bundeskanzlerin geht einmal mehr als Gewinnerin vom europäischen Verhandlungsplatz. Und man sieht ihr die Freude an. Am Rande des Treffens lobt sie schmunzelnd die Bemühungen des Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. Der Belgier hatte sich ihr als Vermittler für die Verhandlungen mit Sarkozy angedient. Doch sie braucht keine Hilfe, um den agilen Franzosen auf ihre Linie zu bringen. Sie überzeugte ihn schon vor dem eigentlichen Gipfeltreffen. Am Ende entschieden die Europäer 30
so, wie Merkel es wünschte. Die nächste Station ist in Sicht: Die Kanzlerin pocht auf Änderungen der europäischen Verträge und schärfere Sanktionen, wenn ein Land dauerhaft gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstößt. „Niemand kann im Moment so machtvoll agieren wie die deutsche Bundeskanzlerin“, mault ein Diplomat aus einem kleineren Mitgliedsstaat. Alle wissen, ohne Deutschland ist das Problem mit Griechenland nicht zu beheben. Und Berlin wählte mit der Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) den innenpolitisch sicheren Weg – gegen den ursprünglichen Wunsch von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), gegen den Willen Barrosos, der eigenen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank (EZB). Auch die jetzt gefundene Lösung wird im Fall der Fälle die deutschen Steuerzahler nicht verschonen (siehe Kasten). Die Hartleibigkeit der Kanzlerin erklärt man auf dem Parkett in Brüssel vor allem mit Kalkül: „Der Wahlkampf in Deutschland spielt bei der aktuellen Entscheidung eine zentrale Rolle“, heißt es aus dem Umfeld von Luxemburgs Premier und Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker. Ein deutscher EU-Beamter hingegen vermutet: „Sie hatte keine Lust, jetzt eine Entscheidung zu treffen, die danach in Karlsruhe scheitert.“ Merkels Leute ärgern sich über Deutungen, die das Verhalten rein taktisch sehen. Schließlich seien die Sorgen um die Zukunft der Euro-Zone mehr als berechtigt gewesen. Acht Wochen lang habe die Kanzlerin unzählige Male mit Bankern, Kollegen und Wissenschaftlern gesprochen. Auch zwischen Kanzlerin und Minister Schäuble war der Weg zum Brüsseler Durchbruch nicht glatt. Der Streit um seinen Vorschlag eines eigenen Europäischen Währungsfonds (EWF) hatte zu Reibereien geführt. Seine Idee nährte das Missverständnis, sie sei womöglich als Rezept gegen das Griechenland-Debakel gedacht. Das störte die Kanzlerin. „Emotional ist das Verhältnis zwischen Merkel und Schäuble auf niedrigem Level“, erzählt jemand, der beide gut kennt. „Aber sie arbeiten sehr professionell und wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind.“ Zum Beispiel beim heikelsten Problem der Berliner Regierungstruppe: dem Dauerstreit um eine (un-)mögliche Steuerreform. Ob Merkels Schwung mehr ist als ein vorübergehendes Phänomen? Sollte die Kanzlerin weiter aufs forsche Führen setzen, dann erhöht das ihr Risiko. Beim Thema Bankenabgabe etwa: Eigentlich wollten die Finanzexperten noch bis Mitte Mai über die schwierigen Details beraten. Die Kanzlerin hat nun aber eine frühere Einigung erzwungen. Schon in dieser Woche entscheidet das Kabinett über Eckpunkte. Sollte man sich in Details verheddern, erschiene
Kühler Denker Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat den wichtigsten Posten in Merkels Kabinett. In Zeiten knapper Kassen wird er sich in den nächsten Monaten nicht sonderlich beliebt machen
der Coup plötzlich als übereiltes Wahlkampfmanöver – und die Blamage wäre doppelt groß. Ein möglicher Fallstrick: Die Kreditinstitute können die geplante Bankenabgabe von der Steuer absetzen. Das bringt den öffentlichen Etats insgesamt etwa 300 Millionen Euro jährlichen Steuerausfall, während die Bankenabgabe allein in einen Rücklagenfonds des Bundes fließen soll. Ärger mit den Ländern ist also programmiert. Da könnten sich bei manchem Ministerpräsidenten, der zuletzt über mangelnde Führungsstärke Merkels geschimpft hatte, völlig ungewohnte Gedanken einstellen: Die sanfte Moderatorin war uns vielleicht doch lieber. ■ MARGARETE VAN ACKEREN /
Soll man Krisenländer aus der Euro-Zone ausschließen können? In unserem neuen Meinungsforum debattieren unsere Leser das Thema der Woche. Beiträge können Sie unter www.focus.de/magazin/debatte einstellen, an
[email protected] mailen, an 0 89/92 50-26 20 faxen oder per Post schicken: FOCUS Magazin, Leserdebatte, Arabellastraße 23, 81925 München. Die besten Texte, die Sie unter Ihrem echten Namen einschicken, drucken wir nächste Woche leicht gekürzt auf der neuen Leserdebatten-Seite ab.
STEFAN BORST / FRANK THEWES
Stürzt Griechenland, zahlt Deutschland Bei einer drohenden Pleite der Hellenen kann der Internationale Währungsfonds nur begrenzt helfen.
Sparen – nein danke! Die griechische Bevölkerung wehrt sich lautstark gegen das radikale Sparprogramm von Ministerpräsident Giorgos Papandreou
F OCUS 13/2010
as die 16 Euro-Staaten vergangene Woche als Rettungsschirm für die Finanzmalaise in Griechenland propagierten, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Mogelpackung. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) will der Euro-Club im Notfall Griechenland zu Hilfe eilen. Doch wie die Gemeinschaftsrettung im Detail ablaufen soll, darüber schweigen die Beteiligten – aus gutem Grund. Wer die Regeln des IWF prüft, erkennt schnell, dass der Fonds für die Griechen nur ein Notnagel und keine Lösung sein kann. Das System des IWF sieht keine unbegrenzte Hilfe vor. Länder erhalten nur ein Vielfaches ihrer geleisteten Quote als Kredit. Im Fall von Griechenland beträgt diese etwa 900 Millionen Euro. Das Zehn- bis Zwölffache könnte Athen nach Schätzungen des Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel als Kredit erhalten. Zwölf Milliarden Euro also, die der Fonds dann in mindestens zwei Tranchen im Abstand von je sechs Monaten auszahlt. Mehr als sechs Milliarden Euro wären kurzfristig vom IWF nicht zu bekommen. Die Griechen brauchen aber in den nächsten Monaten schon 20 Milliarden Euro, um ihre Schulden zu bedienen, bis Ende 2010 sogar mehr als das Doppelte. Der IWF kann hierfür nur zu einem Bruchteil aufkommen. Es gehört zudem zur Praxis des mächtigen Fonds, Finanzhilfen in der Region des betroffe-
nen Staates mitfinanzieren zu lassen. Nachdem das Nachbarland Türkei als Geldgeber für Griechenland ausfällt, bleibt hierfür nur die Euro-Zone. Ökonomisch starke Länder wie Deutschland oder Frankreich müssten also entweder selbst Kredite bewilligen oder dies indirekt über ein Verleihen der eigenen IWF-Quoten an Griechenland tun. Verschleierungstaktik. Diese zweite Variante hätte gewisse Vorteile. Über sie ließe sich tarnen, dass am Ende doch günstiges Geld von den EuroStaaten an Griechenland fließt. Der IWF erhebt für seine Kredite nur 1,5 Prozent Zinsen. Das sind fünf Prozentpunkte weniger, als die Hellenen auf dem freien Markt aufbringen müssen. Der Zinsunterschied wäre eine Art Subventionsspritze, die Geberländer dem kränkelnden Nachbarn verabreichen können – als Symptombehandlung. Letztlich müssen Brüssel und Berlin langfristig sicherstellen, dass Athen sich an die Reformversprechen hält und massiv Defizit und Schulden abbaut. Es wäre dem deutschen Steuerzahler kaum zu erklären, warum seine hart erarbeiteten Euros zur Rettung einer Nation eingesetzt werden, deren eigene Postbank Millionen verdient hat, indem sie mit Spekulationspapieren auf den ■ Staatsbankrott ihres Heimatlands wettete.
Fotos: dpa, action press
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STEFAN BORST
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Sonnige Zeiten für Solaranbieter 5950
Die Zahl der Solaranlagen in Deutschland ist mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz sprunghaft gewachsen. Die Förderung des Solarstroms kostet den Verbraucher Milliarden und verschafft der Solarindustrie glänzende Renditen
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Installierte Solaranlagen in Deutschland Leistung in Megawatt
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Party im Sonnensystem Vor der Wahl wollte Schwarz-Gelb die Überförderung der Photovoltaik schnell stoppen. Jetzt soll die Solarindustrie weiterkassieren können. Wie das?
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as Berliner E-Werk liefert keinen Strom mehr. Es ist ein zur Party-Location umgebautes Umspannwerk, eine Stromkathedrale in Backstein, gebaut um die Jahrhundertwende, als der Strom ausschließlich aus Kohle stammte. Dort feierte am vergangenen Donnerstag die Grünen-Fraktion zehn Jahre Erneuerbares-Energien-Gesetz (EEG) und sich selbst als Urheber. Die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin, er war damals Umweltminister, freuen sich und grüßen stolz auf der Dachterrasse. Rund 16 Prozent der Stromerzeugung stammen aus erneuerbaren Energien, sechs Prozent davon aus Sonne. Jährlich werden mehr Solarmodule installiert (s. o.). Eine „Erfolgsgeschichte“, jubeln die Grünen.
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Doch vom Preis des Erfolgs spricht auf der Party keiner. Der Solarboom kostet die Verbraucher ein Vermögen. Allein die 2009 neu in Betrieb genommenen Solaranlagen schlagen beim Stromkunden mit zehn Milliarden Euro zu Buche, verteilt auf 20 Jahre. Branchenrechnungen prognostizieren für kommendes Jahr Strompreiserhöhungen von bis zu zehn Prozent allein durch den Solarboom. Die Grünen haben doppelt Grund zu feiern. Denn wenige Stunden zuvor passierte ein Gesetzentwurf zu den künftigen Photovoltaik-Fördersätzen den Bundestag. Darüber müssen zwar noch die Ausschüsse beraten. Schon jetzt ist klar: Die Solarlobby hat auch Schwarz-Gelb auf ihrer Seite. Am grundsätzlichen Förderprinzip will die Re-
gierungskoalition nicht rütteln: Wer eine Solaranlage betreibt und den Strom ins Netz einspeist, bekommt eine auf 20 Jahre garantierte Vergütung, zurzeit rund 40 Cent je Kilowattstunde, ungefähr achtmal so viel wie der Börsenpreis für Strom. Die Preisgarantie gibt der Staat, bezahlt aber wird vom Verbraucher. Die überhöhte Förderung schnell zu kürzen war Ziel der schwarz-gelben Politiker – vor der Bundestagswahl. Die CDU forderte „mindestens 30 Prozent“ Abschlag. Die FDP, die zu Oppositionszeiten das EEG sogar abschaffen wollte, war da ganz beim Koalitionspartner. Und die CSU hatte noch im Januar gewettert, die Photovoltaik verschlinge „übermäßig viel“ der gesamten Förderung der erneuerbaren Energien. F OCUS 13/2010
Quelle: Photon
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Doch die Solarparty kann unter SchwarzGelb weitergehen. Noch bevor die Kürzung der Solarförderung Gesetz wird, kann sich die Lobby auch auf Freunde und Förderer in den Reihen von Union und FDP verlassen. Der federführende Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) gibt sich zwar verbraucherfreundlich: „Je erfolgreicher Photovoltaik ist, desto mehr ist es geboten, die Vergütung abzusenken.“ Doch sein Vorschlag bleibt sachte. Um elf bis 16 Prozent sollen die Sätze sinken, nur noch halb so viel wie geplant. Zudem ist ein Schlupfloch vorgesehen: Wer seinen eigenen Solarstrom selbst nutzt, wird von der Kürzung größtenteils verschont. „Ein Mitmachangebot an die Bürger“, nennt das der Umweltminister. Die Folgen reichen weit: Rund 80 Prozent aller Solaranlagen sind auf Dächern – also potenziell zum Eigenverbrauch – gebaut. Zudem soll die Ausnahmeregel für Anlagen bis zu 800 Kilowatt Leistung gelten.
Ausfälle an Stromsteuer belaufen sich bis 2029 auf bis zu neun Millionen Euro jährlich, insgesamt auf über 170 Millionen. Die Gesamtkosten der Photovoltaik-Förderung beziffert das Ministerium mit 67,5 Milliarden Euro bis 2030, ohne Kürzungen mit 105 Milliarden Euro. Experten rechnen anders: Von Entlastung für die Verbraucher könne bei den Plänen keine Rede sein. „Einen Kosten-Tsunami“ erwartet Manuel Frondel, Umweltexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, der „auch durch die gekürzte Einspeisevergütung nicht substanziell verringert“ werde. Selbst in der Solarszene stößt so viel Geldsegen auf Kritik. „Einen klaren Lobbyerfolg der Solarindustrie“ nennt das die Chefredakteurin des Photovoltaik-Magazins „Photon“, Anne Kreutzmann. „Die Eigenverbrauchsklausel hebelt die öffentlichkeitswirksam präsentierte Kostensenkung wieder aus.“
Fotos: Joker, dpa
Sachte, sachte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will die Solarförderung nur mäßig kürzen, Politikern der Koalitionsparteien geht das schon zu weit
Zum Vergleich: Eine durchschnittliche Anlage hat eine Leistung von fünf Kilowatt, selbst ein Fußballstadion kommt gerade mal auf rund 230 Kilowatt. Mitmachangebot an die Bürger? Eher an Supermarktbetreiber und Hotels. Diese könnten mit großen Anlagen zum Beispiel ihre Kühlhäuser und -systeme unterhalten und durch ihre Nachfrage einen Innovationsschub anstoßen. Was schön modern klingt, stufte selbst die Arbeitsgruppe Wirtschaft der UnionsBundestagsfraktion als „neues, unkalkulierbares Kostenrisiko für den Verbraucher“ ein. Was die Regelung den Stromkunden kosten wird, gibt das Umweltministerium nicht an. Was es den Finanzminister kostet, hat das Ministerium berechnet: Die F OCUS 13/2010
Auch Verbraucherschützer sind alarmiert. Gerd Billen, Vorsitzender des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, fordert in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel: „Die Belastungen für die Verbraucher müssen begrenzt werden.“ Ein 4-Personen-Haushalt werde bereits heute mit 100 Euro pro Jahr über die Umlage für erneuerbare Energien belastet. Nächstes Jahr könnten es wegen der vielen zusätzlichen Anlagen 160 Euro sein. Die Solarlobby, sagt ein Koalitionsabgeordneter, arbeite „inzwischen intensiv auf allen Ebenen“ von Regierung und Bundestag. Tatsächlich sind deren Verbände und Firmen so professionell geworden wie die der alten Energie-Industrie. Sie spenden nicht mehr nur an die Grünen, sondern
quer durch die Parteienlandschaft. Da finanziert das Unternehmen Solarworld den Wahlkampf des SPD-Energieexperten Ulrich Kelber. Ebenso organisiert die gleiche Firma Spendensammel-Partys mit Guido Westerwelle für die FDP. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gehört inzwischen zu den mächtigsten Solarlobbyisten. Sein Land verdient prächtig an der Sonne. In Bayern stehen 40 Prozent der Photovoltaik-Anlagen. Als die Pläne des Umweltministers Anfang März im Bundeskabinett und in den Regierungsfraktionen endlich abgestimmt waren, legte sich der CSU-Chef quer: „Für Bayern als Solarland Nummer eins“ hätten die Pläne der Bundesregierung „nicht hinnehmbare Konsequenzen“. Derart stark dürfe nicht gekürzt werden. Zudem verlangte er – entgegen früheren Vereinbarungen –, Anlagen auf Äckern weiter zu fördern. Ob Zufall oder nicht: Seehofer hat sich nicht nur für kleine Bauern ins Zeug gelegt, sondern auch für die Fürstenfamilie Thurn und Taxis, die auf 190 Hektar Feldern in Niederbayern Solarmodule installieren möchte. Bis zu 18 Millionen Euro jährlich soll der Sonnenpark abwerfen. Dumm, dass im vorliegenden Konzept Anlagen auf Feldern nicht mehr gefördert werden sollen. Bayern kriegt Unterstützung: Vergangenen Freitag lehnte eine Mehrheit der Länder im Bundesrat die Kürzungspläne als zu stark ab. Was die einen hoffen lässt, lässt die anderen fürchten. „Kein Thema ist in den vergangenen Monaten derart emotional diskutiert worden“, sagt CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Unionsfraktionschef Volker Kauder ist die Debatten offenbar leid. Eine drohende neuerliche Diskussion in der Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag bremste er aus. Mit dem Nein des Bundesrats dürfte jedoch klar sein, dass das Feilschen um Cent und Flächen noch nicht aufhören wird. Die Sonnenlobby trommelt deshalb weiter: Während der Bundesverband Solarwirtschaft die Pläne als „irreparablen Schaden für Deutschlands Solarwirtschaft“ beklagt, rühmt der gleiche Verband im „Bauernblatt“ die Gesetzespläne: „Die Bedingungen für den wirtschaftlichen Betrieb einer Solarstromanlage werden in jedem Fall weiter sehr interessant bleiben.“ Es bestehe „Potenzial, die Vorjahresrendite sogar noch zu übertreffen“. ■ A. BEUTLER / K. VAN RANDENBORGH
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Danke für 230 Millionen Euro! D
ie fünf neuen Bundesländer dürfen sich über eine späte Erbschaft der untergegangenen DDR freuen: Über 20 Jahre nach dem Kollaps des HoneckerStaates könnten aus dem Vermögen der einstigen Staatspartei SED demnächst 230 Millionen Euro dorthin fließen. Am vergangenen Donnerstag verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich die Bank Unicredit zur Zahlung von 128 Millionen Euro an die Bundesrepublik, plus fünf Prozent Zinsen über 16 Jahre, macht etwa 230 Millionen. Das Geld muss laut Einigungsvertrag den ehemaligen DDRLändern überwiesen werden. Damit ist der langwierigste und wahrscheinlich letzte große Rechtsstreit um verschwundene Gelder der SED in zweiter Instanz zu Gunsten der Bundesrepublik ausgegangen. Als über Ostberlin noch rote Fahnen wehten, führte kein Weg an der Außenhandelsfirma Novum vorbei, um deren Vermögen es in dem Prozess ging. Sie gehörte zu jenen „Vertreterfirmen“, an die sich Konzerne und Geschäftsleute aus dem Westen wenden mussten, um mit DDRKombinaten ins Geschäft zu kommen. Die abgegriffenen Zwangsprovisionen flossen in den maroden Staatshaushalt oder in die Kassen der SED. Chefin der Novum war die Wiener Geschäftsfrau Rudolfine Steindling, die neben dem schmucken Titel Kommerzialrätin ob ihrer exzellenten Ost-Verbindungen den Spitznamen „rote Fini“ trug. Wenn renommierte Westkonzerne wie etwa VoestAlpine, Ciba-Geigy, Brown Boveri oder Bosch Geschäfte mit der DDR machten, hielt die „rote Fini“ die Hand auf. Doch für wen? Wer stand hinter der Novum? Die Unabhängige Kommission Parteivermögen (UKPV) kam zu dem Schluss, die Novum habe zur Zentrag, einer Art Holding der SED-Parteifirmen, gehört. Frau Kommerzialrätin dagegen, die seit 1985 als Novum-Alleingesellschafterin eingetragen war, behauptete bis zuletzt, sie habe die Firma treuhänderisch für die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) gehalten – womit die paar Genossen die-
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Transferierte Millionen Rudolfine Steindling, ehemals Chefin der Ostberliner Außenhandelsfirma Novum
Die „rote Fini“ verschob als Treuhänderin
128 Mio. Euro in D-Mark und Schweizer Franken
ses marginalen Politzirkels umgerechnet zu den reichsten Parteimitgliedern der Welt gehört hätten. 1991 und 1992 transferierte Steindling die Novum-Millionen von der Österreichischen Länderbank (später Bank Austria) auf etliche neu gegründete Konten bei deren Tochterbank in Zürich – aufgestückelt in insgesamt 51 Tranchen – und in veränderten Teilbeträgen wieder zurück nach Wien, wo sie sie anonym anlegte. Es war die Causa Steindling, die den damaligen Kanzler Helmut Kohl so erzürnte, dass er bei der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) den Arbeitskreis Koordinierte Ermittlungen einrichten ließ, eine Sondertruppe zum Aufspüren verschwundener DDR-Gelder. Im September 2003 bestätigte das Oberverwaltungsgericht Berlin die Rechtsauffassung der BvS, wonach die Novum und ihr Vermögen SED-Eigentum gewesen seien. Schon 1994 hatte die Bundesrepublik in Zürich die Bank Austria verklagt und den ersten Prozess vor dem Bezirksgericht 2008 verloren. Jetzt korrigierten die Richter den Urteilsspruch: Die Bank Unicredit als neue Eigentümerin der Bank Austria muss die Ost-Millionen an Deutschland überweisen, nebst Zinsen. Die AustriaBanker hatten, so die Richter, ihre gesetzliche Sorgfaltspflicht verletzt. Sie hätten wissen müssen, dass über die Gelder nur mit Einwilligung der Treuhandanstalt verfügt werden durfte. Zudem hätten sie wegen der Umstände der trickreichen Transfers Verdacht schöpfen müssen und die Gelder nicht Steindling überlassen dürfen. Daher sprachen die Richter der Bundesrepublik einen Erfüllungsanspruch auf Rückzahlung der Millionen zu. Wird das Urteil rechtskräftig, muss die Bank das Geld aus eigener Kasse zahlen. Die „rote Fini“ hat ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile nach Israel verlegt und betätigt sich dort als großzügige Mäzenin. Die von ihr seinerzeit verschobenen 128 Millionen Euro sind bis heute spurlos ■ verschwunden. THOMAS SCHEUER
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Foto: dpa
Ein Züricher Gericht verurteilte die Bank Unicredit dazu, ein vor 20 Jahren verschwundenes SED-Vermögen an Deutschland auszuzahlen
www.volkswagen.de
Jurymitglied Tomaž Porekar, Gründer des ersten slowenischen Motorsportmagazins, hat über ɚ500 Autos getestet. Welches ist sein Auto des Jahres?
Der Polo. Car of the Year 20ɚ0. Tomaž Porekars Urteil: „Zusätzlich hat Volkswagen für den Polo den Großteil der Technologien seiner teureren Modelle bereitgestellt.“ Der Polo beweist, dass auch große Innovationen nur 3,97 m Platz brauchen. Vom 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe DSG über die umfangreichen, serienmäßigen Fahrsicherheitssysteme bis hin zu modernsten TSI-Motoren lässt der Polo die Konkurrenz nicht nur in Sachen Technik hinter sich. Wann fahren Sie das Auto des Jahres mal Probe? Jetzt anmelden unter der kostenpflichtigen Rufnummer 01802 – 99 55 11 (0,06 €/Anruf aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 €/Anruf aus den Mobilfunknetzen).
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Eine verhängnisvolle Affäre Die Frau, die behauptet, Jörg Kachelmann habe sie vergewaltigt, gab gegenüber den Ermittlern auch zu Protokoll, er habe sie mit einem Messer bedroht und verletzt
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Foto: Roland Wittek/APN
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Merkwürdiger Auftritt Am vergangenen Mittwoch verließ der Häftling Jörg Kachelmann nach dem Verhör das Amtsgericht Mannheim. Er beteuerte lächelnd seine Unschuld, verabschiedete sich von seinem Anwalt (rechts) und verschwand in einem Gefangenentransporter
n dem grandios kalten Gangsterfilm „Vier im roten Kreis“ von Jean-Pierre Melville spricht der Polizeipräsident, ein verschrobener und gefährlicher Mann, die eine Wahrheit aus, die seither in der Welt ist – und die bislang nicht ernstlich in Zweifel gezogen wurde. Alle Menschen seien Verbrecher, sagt er und stopft sich in seinem dunklen Büro eine Pfeife. „Sie kommen unschuldig auf die Welt – aber sie bleiben es nicht.“ Vergangenen Mittwoch lief vor einer Hintertür des Amtsgerichts Mannheim eine Szene ab, die auch in einen Gangsterfilm passen könnte. Die Requisiten und Statisten stimmten jedenfalls: die düstere Sandsteinmauer, der grüne Gefangenentransporter, der ernst dreinblickende Anwalt, die betont gelangweilten Justizbeamten, die drängende Reporterschar – und der Verhaftete, der die wenigen Sekunden in der Öffentlichkeit nutzt, um nach dem Zuruf einer Journalistin eine – seine – Wahrheit zu verbreiten: „Ich bin unschuldig.“ Ein Detail aber stimmte nicht – und jeder mittelmäßige Drehbuchschreiber hätte den Fehler sofort bemerkt. Nein, dass sich Jörg Kachelmann rasiert hatte, ging in Ordnung. Auch sein lockerer Schritt, das Hochziehen der Schultern und das breite Grinsen wirkten nicht unglaubwürdig. In einer solchen Ausnahmesituation müssen nicht alle Bewegungen Ruhe und Kontrolle ausstrahlen. Der kleine Fehler lag in dem Dialog zwischen der Journalistin und dem Verdächtigten. Sie wollte gar nicht wissen, ob er tatsächlich Anfang Februar eine Frau vergewaltigt habe. Die Reporterin fragte: „Wie geht es Ihnen, Herr Kachelmann?“ Die Worte, die aus jedem Film rausgeflogen wären, beschreiben exakt die Verwirrung, die der wahre Kriminalfall Kachelmann ausgelöst hat. Der fröhliche Schweizer, der mit seinem angenehm unaufgeräumten Gesicht vor der „Tagesschau“ von Regen, Wind und Sonnenschein plauderte – der Mann, dem Millionen Menschen vertrauten, steht nun im Verdacht, ein verabscheuungswürdiges Verbrechen begangen zu haben. Wie geht es Ihnen, Herr Kachelmann? Und, wer sind Sie wirklich? Der Mensch Kachelmann war bis vergangene Woche vollkommen verborgen. Die öffentliche Person hatte ihr privates Wesen stets versteckt. Selbst enge
Freunde des TV-Stars (oder solche, die sich dafür hielten) wussten nichts von einer etwaigen Ehefrau oder Freundin. Seine extreme Verschwiegenheit mag das gute Recht des Prominenten gewesen sein, sie könnte in seinem Privatleben zur Katastrophe geführt haben. Dies zumindest legen die Aussagen jener Frau nahe, die behauptet, sie sei sein Opfer. Die 37-jährige Sabine W. (Name geändert), die in Schwetzingen im Dachgeschoss eines Reihenhauses wohnt, muss bis vor wenigen Wochen geglaubt haben, sie sei die eigentliche, die wahre Gefährtin Kachelmanns.
Sie sagt, er habe sie vergewaltigt und mit einem Messer bedroht Dann aber entdeckte sie im Briefkasten zwei benutzte Flugtickets, ausgestellt auf den Mann, den sie liebte – und auf eine andere Frau. In ihrer Wohnung, so gab sie später den Ermittlungsbeamten zu Protokoll, habe sie ihren Freund zur Rede gestellt. Ein Streit sei ausgebrochen. Immer wieder habe sie ihn nach der anderen Frau gefragt. Schließlich habe Kachelmann eingestanden, er habe wegen seiner verschiedenen Beziehungsgeschichten bereits psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Der Zwist sei eskaliert. Plötzlich sei Kachelmann ausgerastet und habe in der Küche zu einem Messer gegriffen. Er habe sie mit der Waffe bedroht und ins Schlafzimmer gezerrt. Kachelmann, so lassen sich auch die durch die Rechtsmedizin in Heidelberg festgestellten Blutergüsse an den Innenseiten ihrer Oberschenkel deuten, habe ihr die Beine auseinandergepresst und die Frau schließlich mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt. Während der Tat, so sagte Sabine W. aus, habe er ihr das Messer an die Kehle gehalten und sie dabei verletzt. Schnittverletzungen am Hals des Opfers seien, so die Ermittlungsbehörden, durch die Rechtsmediziner ebenfalls dokumentiert worden. Nach der Vergewaltigung habe Kachelmann sie ein weiteres Mal bedroht und sie gewarnt, keine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Dann habe er die Wohnung verlassen. Die Nacht über blieb Sabine W. allein in ihrer Wohnung zurück. Am nächsten Morgen, so gab sie an, sei sie die wenigen Meter zum Haus ihrer Eltern gegangen 37
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Sind ihre Aussagen glaubwürdig? Sind die Spuren wirklich eindeutig? Keinerlei Zweifel an den Aussagen von Sabine W. lässt selbstverständlich deren Rechtsanwalt Thomas Franz gelten. Der 44-Jährige, stellvertretender Landesvorsitzender der Opferhilfe Weißer Ring in Baden-Württemberg, sagt, er kenne Hunderte Fälle von Vergewaltigungen und sexueller Demütigung. Etliche Opfer habe er selbst vor Gericht vertreten und erlebt, wie Frauen weinend, zitternd und mit stockender Stimme das Erlebte noch einmal schildern mussten. Er kenne auch die Einlassungen der Täter, die Verletzungen des Opfers dadurch erklärten, dass die Geschlechtspartnerin eben kein Typ für sanften Sex gewesen sei, sondern die härtere Gangart bevorzuge. Im Fall Kachelmann legt sich Franz fest: „Ich glaube der Aussage meiner Mandan38
Voll im Sturm Kachelmann, wie er sich am liebsten präsentierte – als Wetterprophet, der auch im Gegenwind fröhlich und sympathisch bleibt
tin, dass er sie vergewaltigt hat.“ Auch seien die objektiven Spuren eindeutig. Sind sie das wirklich? Auch wenn die Fahnder nach wie vor von einem „dringenden Tatverdacht“ ausgehen, so gilt auch für Kachelmann die Unschuldsvermutung. Die Tatsache, dass er in Haft sitzt, beweist nichts. Der Schweizer hat schlicht keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Deshalb geht die Justiz von Fluchtgefahr aus. Es gibt kein Geständnis und kein Urteil. Es könnte sich alles so abgespielt haben, wie die Frau es behauptet. Es könnte auch genau so gewesen sein, wie er berichtet. Kachelmann könnte unschuldig sein – und er wäre wohl dennoch schon jetzt ein Mann, der dazu verurteilt ist, in sein altes Leben niemals zurückkehren zu können. Es war das Leben eines stets sympathischen, ehrgeizigen Einzelgängers. Und es war das Leben eines Erfolgreichen. 1990 hatte Kachelmann die Firma Meteomedia gegründet, die sich inzwischen selbst „eine der führenden Wetterdienstleister in Europa“ nennt. Über 100 Mitarbeiter arbeiten in Niederlassungen in Deutschland, der Schweiz, den USA und in Kanada. Seit Jahren macht Meteomedia mit der ARD glänzende Geschäfte. Allein diesem Senderverbund verdankt Kachelmann seinen Erfolg. Täglich präsentie-
ren er oder seine Mitarbeiter Claudia Kleinert und Sven Plöger kurz vor 20 Uhr „Das Wetter im Ersten“, später treten sie nach den „Tagesthemen“ auf. Der Vertrag, abgeschlossen zwischen der WDRTochter WDR-Mediagroup und Kachelmanns Firma Meteomedia, läuft bis Ende 2011. Ein zweiter Kontrakt für das ARD„Morgenmagazin“ gilt bis Ende 2010. Über die Vertragskonditionen gibt der WDR keine Auskunft. Womöglich noch lukrativer dürften die zahlreichen Zulieferungen für einzelne Programme der ARD-Rundfunkanstalten sein: So geht Meteomedia allein im dritten Fernsehprogramm des Mitteldeutschen Rundfunks fünfmal pro Tag mit Hochs und Tiefs auf Sendung, dazu kommen tägliche TV-Beiträge für den Norddeutschen, Westdeutschen und Südwestrundfunk und den Rundfunk BerlinBrandenburg. Wetter-Nachrichten aus der Meteomedia-Maschinerie strahlen zudem allein vier WDR-Hörfunkwellen aus; auch der NDR, Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk zahlen. Tageszeitungs-Redaktionen beliefert die Firma ebenfalls fleißig: Auftragnehmer sind laut Meteomedia-Homepage Blätter wie „Bild“ und „Financial Times Deutschland“, aber auch die Deutsche Presse-Agentur. Selbst das „Liechtensteiner Vaterland“ ist Kunde. Gute Geschäfte macht Meteomedia zudem mit GroßkunF OCUS 13/2010
Foto: S. Pick/Roba Press
und habe ihnen von der Vergewaltigung erzählt. Erst habe sie gezögert, dann aber gemeinsam mit ihren Eltern entschieden, Anzeige zu erstatten. Die Frau ging zur Polizei, beantwortete die Fragen der Ermittler, ließ sich von Gerichtsmedizinern untersuchen. Sollte Kachelmann den angeblichen Geschlechtsverkehr mit Waffengewalt erzwungen haben, würde dies das drohende Strafmaß deutlich erhöhen – auf mindestens fünf Jahre Haft. Dass die Justiz zu arbeiten begann, dass er selbst einer schweren Straftat verdächtigt wurde – davon bekam Kachelmann wohl nichts mit. Am Tag nach der angeblichen Gewalttat reiste er nämlich mit einer ARD-Delegation vom Flughafen Frankfurt aus zu den Olympischen Winterspielen nach Vancouver. Normalerweise meldete er sich immer per E-Mail oder telefonisch bei Sabine W., wenn er im Ausland unterwegs war. Seit jenem Tag aber soll Kachelmann die Frau nie wieder kontaktiert haben. Er selbst bestreitet die Tat. Grundsätzlich und in allen Punkten. Während des dreistündigen Verhörs am vergangenen Mittwoch sprach Kachelmann nach FOCUS-Informationen von falschen Beschuldigungen. Die furchtbaren Vorwürfe gegen ihn seien allesamt erfunden. Die Frau habe sich an ihm rächen wollen. Sie habe auf diese Art eine Beziehung retten wollen, die so gar nicht existiert habe.
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In der „Tagesschau“ blieb das Thema Kachelmann tabu Die Nähe zu den freischaffenden Wetterkundigen bringt die ARD jetzt in eine blöde Lage: Wie soll der Sender mit dem Fall Kachelmann umgehen? Die „Tagesschau“ jedenfalls berichtet bislang dazu nichts. Das sei eben nicht ihr Thema, befand „ARD-Aktuell“-Chefredaktuer Kai Gniffke. Etliche seiner Redakteure sehen das anders. Nach FOCUS-Informationen sollen sie gegen das Schweigegebot protestiert haben. Vergeblich. In Deutschlands wichtigster Nachrichtensendung blieb die Sache tabu. Auch Kachelmann selbst will, zumindest in der Öffentlichkeit, keine „weiteren Erklärungen zur Sache“ abgeben. Das ist sein Recht – und kein zusätzliches Verdachtsmoment. So wie es auch sein Recht ist, eine Haftprüfung noch nicht zu beantragen. Wenn ein so schwerer Verdacht an einem hänge, so erklärt sein Anwalt Reinhard Birkenstock, werde man eben schnell verhaftet. Die „Enthaftung“ dauere in der Regel länger. Tatsächlich vollzog sich die Festnahme Kachelmanns am vorvergangenen Samstag auf dem Frankfurter Flughafen ziemlich schnell. Der TV-Mann, von einem Flug aus Kanada kommend, wurde im Terminal von einer jungen Frau erwartet. Die beiden begrüßten sich herzlich und wirkten vollkommen unbekümmert. Erst jetzt näherten sich die Polizeibeamten und präsentierten dem offenbar Verblüfften den Haftbefehl. Kachelmann ließ sich abführen – zurück blieb die Frau mit dem Gepäck ihres prominenten Bekannten. Der zeigte sich im Übrigen in einem wichtigen Punkt wenig kooperativ. In der Untersuchungshaft verweigerte Kachelmann die Abgabe einer DNA-Probe. Erst ein richterlicher Beschluss zwang ihn dazu. ■
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Die ignorierten Leistungsträger Mit hochqualifizierten Arbeitslosen sind die Vermittler der Arbeitsagenturen bei Weitem überfordert. Bei Misserfolg droht den Job suchenden Führungskräften Hartz IV
Energisch Petra Sommer, 51
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Flexibel Die Koblenzerin lebt seit 1977 in München. Sie ist Marketingreferentin und Dolmetscherin.
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Hochqualifiziert Sie war Leiterin Unternehmenskommunikation in einer weltbekannten Unternehmensberatung. Seit Juli 2009 arbeitslos.
ütend ist sie. Zornig auf die Politiker, die Arbeitslose als faule Kerle abstempeln, die nichts leisten wollen und nur den Sozialstaat schröpfen. Petra Sommer hat im Juli vergangenen Jahres ihre Stelle verloren. Die 51-Jährige gehört zu den hochqualifizierten Angestellten, die viele Jahre Höchstbeiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt haben. In dem Moment, in dem sie Hilfe gut gebrauchen könnten, kommt von den Mitarbeitern der Arbeitsagenturen kaum Unterstützung. Im Gegenteil: Mancher Ex-Chef fühlt sich sogar ausgebremst. Wie Petra Sommer geht es vielen. In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise hat es Akademiker überdurchschnittlich hart getroffen. Während die Arbeitslosigkeit 2009 im Schnitt um 5,6 Prozent gestiegen ist, nahm die Zahl der Jobsuchenden unter ihnen um 6,1 Prozent zu. Im Februar suchten fast 179 000 eine Stelle. Längst nicht nur die Berufsanfänger stoßen auf Schwierigkeiten. Gerade die Erfahrenen zwischen 45 und 55 mit hohen Gehältern haben es schwer, wieder eine angemessene Beschäftigung zu finden. In einigen Monaten könnte sich auch Petra Sommer bei den Hartz-IV-Empfängern einreihen – nach mehr als zwei Jahrzehnten anspruchsvollen Arbeitslebens mit einem Jahresgehalt von 50 000 bis 80 000 Euro. Neben ihrem Beruf studierte die Marketingspezialistin Betriebswirtschaft. Zuletzt leitete sie die interne Kommunikation einer renommierten internationalen Unternehmensberatung und Personalvermittlung. Sie spricht drei Fremdsprachen, ist gut vernetzt und kennt deswegen viele, die seit der Finanzkrise ihr Schicksal teilen. Das hat sie in einem Brief auch den FDPVorsitzenden Guido Westerwelle wissen lassen: „Uns allen droht in den nächsten Monaten Hartz IV. Können Sie wirklich mit ruhigem Gewissen sagen, dass wir zu den von Ihnen klischeehaft angeführten ‚typischen arbeitsunwilligen HartzIV-Empfängern‘ gehören?“ Die Kündigung trifft diese Menschen mitten ins Herz. Vorher schufteten sie in verantwortlicher Position manchmal 50 bis 60 Stunden die Woche. Dann: einfach auf null gestellt. Für Sommer begann mit der Arbeitslosmeldung ein Albtraum: „Man fühlt sich sofort entmündigt.“ Die Karrierefrau nimmt die Sachen gern selbst in die Hand. Das aber ist im Apparat der Arbeitsagentur nicht immer vorgesehen. Eigeninitiative trifft schnell auf Vorbehalte. Als auch nach mehr als 120 Bewerbungen keine Aussicht auf Anstellung bestand, wollte sich Sommer zum Business-Coach weiterbilden. Die 5000 Euro für die Schulung hätte sie selbst bezahlt. Doch die Arbeitsagentur blockte: „Da sagte mir der Vermittler, ich stünde dann nicht mehr für die Arbeitsvermittlung zur Verfügung.“ F OCUS 13/2010
Fotos: W. Heider-Sawall /F OCUS -Magazin
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Hoffnung Online Klaus Josberger, 51
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verbucht werden. „Abgesehen von dem Unseriösen, hätte ich da höchstens 25 000 Euro Jahreseinkommen erwarten können.“ Vermittlungsfehler sind keine Einzelfälle: Ein weiterer arbeitsloser Leitender aus der Kommunikationsbranche sollte als Projektleiter eine Ingenieurstelle übernehmen. Die Bewerbung musste scheitern. Solche Mängel räumt die Bundesagentur für Arbeit auch ein. Die Weiterbildung der rund 800 Berater für akademische Berufe habe man vernachlässigt, gesteht die Sprecherin der Behörde, Ilona Mirtschin. „Jetzt kümmern wir uns wieder darum.“ Vor allem werde das Fachwissen über die Berufsbilder mit Hochschulabschluss gestärkt.
In Würzburg geboren, in Hamburg zum Mediengestalter ausgebildet. Mehr als fünf Jahre war er Leiter Druckabwicklung.
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Zukunft Josberger sieht Chancen im Online-Marketing.
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arbeitslose Akademiker
2008
2009
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Quelle: BA
Februar 2010
in Deutschland
Jahresdurchschnitt
Einen anderen Weg würde der Geschäftsführer des Verbands Führungskräfte Chemie vorziehen. Wie in der Krankenversicherung sollte ab einer gewissen Einkommenshöhe die Möglichkeit bestehen, sich für eine private Arbeitslosenversicherung zu entscheiden, fordert Stefan Ladeburg. „Dann könnten gerade die Führungskräfte leichter auf private Vermittler zurückgreifen. Die haben Verbindungen in die Führungsebenen von Unternehmen und kennen die Bedürfnisse der Manager.“ In der Regel könnten Private in drei bis sieben Monaten einen neuen Job vermitteln. „Es dürfte auch sehr lange dauern, bis solche Strukturen bei den Arbeitsagenturen aufgebaut werden können“, schätzt der Berliner Rechtsanwalt. Das Beste für einen arbeitslosen leitenden Angestellten sei, glaubt Ladeburg, wenn der Vermittler der Arbeitsagentur ihn auffordere: „Suchen Sie selbst nach einer neuen Stelle. Sie bekommen von uns das Arbeitslosengeld.“ In vielen Arbeitsagenturen scheint das schon Realität zu sein. ■
Jahresdurchschnitt
Sie nimmt das persönlich: „Ich habe doch schon reichlich bewiesen, dass ich mich auch während einer Weiterbildung bewerben kann.“ Das enge Korsett des Arbeitsmarktgesetzes macht auch Klaus Josberger zu schaffen. Ironisch beschreibt er das Labyrinth und die Umständlichkeit in den Agenturen: Bis heute habe er nicht in Erfahrung bringen können, unter welchem Buchstaben seine Akte geführt werde, ob unter J wie Josberger oder M wie Medien. Mehr als fünf Jahre leitete der alleinstehende Mediengestalter in einem kleinen Unternehmen die Druckabwicklung. Zwar sei er bei der Arbeitsagentur gut aufgenommen worden, habe auch Adressen mit offenen Stellen bekommen. Doch zu Vorstellungsgesprächen habe dies nie geführt. „Die Arbeitsagenturen verstehen sich mehr als Aktenverwahranstalt.“ Josberger setzt auf Selbstständigkeit im Online-Marketing. Dafür organisierte er eine Weiterbildung: „Zunächst hat die Agentur abwehrend reagiert. Erst als ich ihnen einen konkreten Kurs nannte, hat es geklappt.“ „Das System der Arbeitsvermittlung verhindert Beweglichkeit“, das ist auch die Erfahrung einer hochdotierten Vertriebsleiterin im internationalen Modegeschäft. Vor wenigen Monaten wurde ihr gekündigt. Sie hatte ein Jahreseinkommen von 160 000 Euro plus Dienstwagen. Ihr Beruf fordert höchste Flexibilität. Deshalb lebte die 51-Jährige auch schon in allen Teilen der Republik. Sie will anonym bleiben, weil sie sonst um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt fürchtet. Die verwirrenden Verhältnisse in der Arbeitsverwaltung ließen die elegante Frau staunen. Überrascht musste sie feststellen, dass die Arbeitsagentur ihr einen Job bei einem Unternehmen andiente, „das nach einem Schneeballsystem arbeitet“, wie sie erfuhr. Das ist ein Geschäftsmodell, bei dem immer neue Teilnehmer geworben werden müssen, deren Einzahlungen dann als Gewinne
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Deutlicher Anstieg Die Finanzkrise raubt Akademikern zunehmend die Jobs. Junge finden keine Stelle, die Erfahrenen verlieren ihre
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Belastete Affenzellen
Zum Schlucken Obwohl oft empfohlen, steht die Rotavirus-Impfung nicht im Impfkalender
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as Virus, das in Millionen Impfstoffdosen für sechs bis 24 Wochen alte Säuglinge steckt, heißt PCV-1. Es gilt als apathogen, nach Stand des Wissens macht es also weder Mensch noch Tier krank. Bei PCV-2, dem nahen Verwandten, wäre das nicht so sicher. Dieses Porzine Circovirus (PCV) verursacht eine mitunter tödliche Ferkelseuche. Unmittelbar besteht keine Gefahr. Doch die Perspektive, die die jüngste Panne im globalen Pharmabetrieb aufzeigt, ist irritierend. Der Fall stellt die Sicherheit von Biopharmazeutika in Frage. Sie werden meist unter Zuhilfenahme tierischer Zellen hergestellt. Der Hannoveraner Pharmakologe Dirk Stichtenoth weiß: „Grundsätzlich birgt jedes biologisch hergestellte Arzneimittel das Risiko einer Kontamination.“
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Passiert ist das Missgeschick dem Pharmariesen GlaxoSmithKline (GSK), Hersteller des deutschen Schweinegrippeimpfstoffs. Sein Produkt Rotarix, einer von zwei Impfstoffen gegen Durchfall auslösende Rotaviren, enthält PCV-1. Die Schweineviren („porzin“) gerieten nicht nur in eine Charge. Offenbar rutschten sie bereits in die Ur-Produktion mit Zellen der Affenart Grüne Meerkatze, sodass wahrscheinlich alle 68 Millionen Dosen, die in über 100 Ländern seit der Erstzulassung Mitte 2004 geimpft wurden, verunreinigt waren. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat die amerikanischen Ärzte aufgefordert, Rotarix vorerst nicht weiterzuverwenden. Das europäische Gegenstück, die in London beheimatete EMA, und das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut im
südhessischen Langen verweisen auf die offensichtliche Harmlosigkeit des Virus und warten die laufenden Erhebungen ab. „Unsere Leute stehen in ständigem Kontakt mit den Zulassungsbehörden“, beteuert Anke Helten, Sprecherin der GSK-Niederlassung in München. Die Entdeckung geschah zufällig. Eine Wissenschaftlergruppe probierte eine neue Analysemethode aus und stieß dabei auf PCV-1 im Baby-Impfstoff. Die Forscher benachrichtigten den Hersteller, der die Information pflichtgemäß an die Behörden weitergab. Die „biologische“ Produktionsweise findet nicht nur bei Vakzinen statt. Seit drei Jahrzehnten beruht eine wachsende Zahl von Arzneien, darunter Hormonmittel, Krebs- und Blutpräparate sowie die besonders moderne Klasse der monoklonalen Antikörper (erkennbar am Namensbestandteil „-mab“), auf Zellkulturen. Von den jeweils zwei bis drei Dutzend neu zugelassenen Wirkstoffen fielen zuletzt zwischen einem (2008) und 14 (2001) in die Kategorie der Biopharmazeutika, zeigen Daten des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. Spezialisierte Labors nehmen den Herstellern die Aufgabe ab, ihre Entwicklungen auf allerlei Erreger zu testen sowie diverse Virus-Inaktivierungsverfahren anzuwenden. Die entsprechende Vorschrift aber, eine Richtlinie nach der sogenannten guten Herstellungspraxis, erfasse längst nicht alle möglichen Mikroorganismen, berichten Branchenkenner. „Schließlich findet man nur, wonach man sucht“, ergänzt der Marburger Virologe Stephan Becker. Und Sicherheit sei nun mal ein Kostenfaktor, räumt der Verfahrenstechniker eines deutschen Impfstoffherstellers ein. Bei manchem Schritt zur Virus-„Abreicherung“ gingen fünf bis zehn Prozent des Produkts verloren – und parallel dazu der entsprechende Wert in Euro. ■ KURT-MARTIN MAYER
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Ein Baby-Impfstoff ist weltweit mit einem – zum Glück harmlosen – Virus kontaminiert. Der Fall beleuchtet eine neue Arznei-Herstellungsmethode
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Zölibat Keine Ehe, kein Sex. Der Streit um das Keuschheitsgebot für Priester ist neu entbrannt
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eigen Priester zur Perversion, weil die katholische Kirche sie zur Enthaltsamkeit verpflichtet? In der aktuellen Diskussion um sexuellen Missbrauch von Kindern geriet der Zölibat in die Kritik. Über Sinn und Unsinn des Lust-Tabus wird seit Jahrhunderten trefflich gestritten. Befürworter wie Gegner berufen sich dabei auf die Bibel – allerdings auf unterschiedliche Textstellen. Während die einen argumentieren, der Zölibat sei schuld am Priestermangel, kontern die anderen, auch in der evangelischen Kirche fehle der Nachwuchs. Das Grundproblem sei ein Gläubigenmangel. In einem sind sich alle Beteiligten einig: Der Lustverzicht stellt für alle 400 000 Priester weltweit eine Herausforderung dar. Durchschnittlich zehn Männer Gottes jährlich werden in Deutschland laisiert – also ihres Amtes enthoben –, weil sie der Verlockung des Fleisches nicht wider■ stehen konnten.
Jedes Jahr empfangen
9000 Priester die Weihe, davon knapp
100 in Deutschland
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Moment der Entscheidung Als Zeichen seiner völligen Hingabe an Gott hat sich ein
Das Sex-Verbot für Priester gilt seit 900 Jahren ❙
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Kirchengesetz Der Apostel Paulus gilt als Wegbereiter des Zölibats. Er riet Priestern zur Ehelosigkeit. Papst Benedikt VIII. erließ 1022 zusammen mit Kaiser Heinrich II. auf der Synode von Pavia ein Heiratsverbot für Geistliche. Beim Zweiten Laterankonzil 1139 wurde die Verpflichtung zum Zölibat schließlich Kirchengesetz.
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Pfründe sichern Als Argumente für den Zölibat nannten die Verfechter der Ehelosigkeit vornehmlich Reinheit und gänzliche Aufopferung für die Kirche. Ein ebenso wichtiger Grund war, die von Priestern verwalteten kirchlichen Pfründe zu sichern. Vormals fiel nach deren Tod das Erbe an die Kinder – und die Geistlichkeit ging leer aus.
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Kein göttliches Dogma Der Codex Iuris Canonici, das kirchliche Recht, schreibt im Canon 277 den Zölibat vor. Er ist aber kein Gebot Jesu Christi. Zudem versprechen Priesterkandidaten totalen Gehorsam.
Der keusche Apostel Paulus predigte, die Frau störe beim Dienst am Herrn
Und immer lockt das Weib ❙
Selbst Päpste brachen den Zölibat Keusch zu leben fiel seit jeher vielen Glaubensmännern schwer. Selbst Kirchenoberhäupter hielten sich Konkubinen. Acht Päpste zeugten vor oder während ihres Pontifikats Kinder. Im Zuge der Reformationsbewegung wandten sich Priester öffentlich gegen den Zölibat.
Der abtrünnige Priester Martin Luther heiratete 1525 die frühere Nonne Katharina von Bora ❙
Heimliche Gotteskinder Auch heute verstoßen Geistliche gegen das Kirchengebot. So legte der Bischof von Basel, Hansjörg Vogel, 1995 sein Amt nieder, als herauskam, dass er Vater werden würde. Schätzungen zufolge leben in Deutschland 3000 bis 5000 Priesterkinder. Initiativen wie die „Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen“ sowie die „Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen“ kämpfen für das Eherecht von Priestern.
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Legale Priesterehen Die Katholiken beschäftigen sogar verheiratete Priester. 300 protestantische Konvertiten weltweit empfingen die Weihe und leben weiterhin mit ihren Ehefrauen – eine Ausnahmegenehmigung, die nur der Papst erteilen kann.
Weihekandidat während der Großen Litanei im Petersdom auf dem Boden ausgestreckt
Fotos: action press, Inter foto, SZ Photo
Das Lust-Tabu soll bleiben – aber es bröckelt
82 % der Deutschen zeigen nach einer FOCUS-Umfrage kein Verständnis für das Eheverbot für Priester F OCUS 13/2010
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Dauerdiskussion Immer wieder fordern Bischöfe die Abschaffung des Zölibats – jüngst der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Norbert Brunner. Dass es dazu in absehbarer Zeit kommt, scheint nahezu ausgeschlossen.
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Globales Gesetz Die Forderung nach dem Ende der Ehelosigkeit wird meist von
Europäern formuliert. Allein 50 Prozent der Gläubigen leben jedoch im konservativen Lateinamerika. Nach Kirchenrecht könnte der Zölibat nicht regional, sondern nur weltweit abgeschafft werden. Theoretisch hat der Papst die Entscheidungsbefugnis. Realistischer wäre, dass er eine Bischofssynode oder ein Konzil für einen solchen Schritt einberuft.
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Bischöfe bleiben keusch Vatikan-Kenner gehen davon aus, dass Papst Benedikt in Zukunft vermehrt einen Dispens gewähren, also Ausnahmen zulassen wird. Langfristig wird sich die katholische Kirche in der Frage wohl den Ostkirchen annähern. Dort ist die Priesterehe zugelassen. Wer allerdings Bischof werden möchte, muss keusch leben. 45
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Bildung auf die harte Tour Bußgelder, Polizeieinsätze, Kürzung von Hartz IV: wie Politiker versuchen, das Problem der notorischen Schulschwänzer in den Griff zu bekommen
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chmähungen erträgt der Bildungsstadtrat von Berlin-Neukölln geradezu stoisch – er ist sie seit seinem Amtsantritt vor nunmehr zwei Jahrzehnten gewöhnt. So lange plagt sich Wolfgang Schimmang (SPD) mit dem Thema Schulschwänzen herum. Weil er dabei neben Hilfe auf Druck setzt, nennen ihn Zeitungen schon mal „Bluthund“. Der Mann mit dem kahlen Schädel und den stahlblauen Augen nimmt es gelassen: „Ich bin den Kindern verpflichtet und nicht dem Zeitgeist!“ Der Bildungssachwalter der bekanntesten deutschen Sozialproblemzone kann den Statistiken, die sich auf seinem Tisch stapeln, kaum Gutes abgewinnen. Immerhin: Im Vergleich zum Vorjahr sank 2009 die „Fehlquote unentschuldigt“ an Neuköllner Schulen auf 2,04 Prozent. Im Klartext: Etwa 600 der insgesamt 30 000 Schüler bleiben dem Unterricht regelmäßig und hartnäckig fern. Einige Hardcore-Blaumacher bringen es locker auf 50 Fehltage im Jahr. Um die Zukunft der Lernverweigerer, fast durchweg Migrantenkinder, ist es laut Schimmang übel bestellt. Wenn sie Glück haben, kommen sie in den Genuss von Hartz IV. Wenn nicht, landen sie im Gefängnis. „90 Prozent der verurteilten Verbrecher haben keinen Schulabschluss“, warnt der studierte Pädagoge. Tatsächlich stammen viele der hauptstädtischen Intensivtäter aus Neukölln, darunter auch einer der gerade geschnappten Pokerräuber. Schulschwänzen sei für ihn „der Anfang vom Ausstieg aus der Gemeinschaft“, doziert Schimmang. Trotz solcher Befunde schaut die Politik, bislang zumindest, weitgehend tatenlos zu. „Dringend müssten Bundesgesetze geändert werden, um Druck auf die Eltern ausüben zu können“, fordert Schimmangs Chef, Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Er verlangt Sanktionen, um den Schulbesuch der Kinder erzwingen zu können – Motto: „Kommt das Kind nicht zur Schule, kommt das Kindergeld nicht auf das Konto“.
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Unterstützung erhält Sozialdemokrat Buschkowsky jetzt ausgerechnet vom politischen Gegner. In der Bundestagsfraktion der CDU/CSU formiert sich gerade eine Arbeitsgruppe Integration, die eine solche Gesetzesänderung anstrebt. Die Neuköllner Abgeordnete Stefanie Vogelsang fand heraus, dass die von Buschkowsky geforderte Kürzung des Kindergelds nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist – wohl aber reduzierte
Hartz-Regelsätze. Die Ex-Sozialstadträtin des Problembezirks glaubt, dass „bei der Verletzung von Fürsorgepflichten die konsequente Kürzung von Geldleistungen Erfolg hätte“. Im Zuge einer HartzIV-Reform strebt sie bei Missachtung der Schulpflicht eine Kürzung des Regelsatzes um bis zu 30 Prozent an. Vorschläge dieser Art befeuern eine hitzige Diskussion, die unlängst sogar im Bundestag ausgetragen wurde. In der Ge-
So geht’s auch: Polizeibeamte greifen 1952 in Berlin streunende Schüler auf und eskortieren sie F OCUS 13/2010
„Von den Familien verlange ich Liebe, Zuwendung und klare Ansagen an ihre Kinder. Leider fehlt das immer öfter“
im Streifenwagen zum Unterricht F OCUS 13/2010
neraldebatte zum Haushalt echauffierte sich CDU-Fraktionschef Volker Kauder über das Berliner Phänomen. Er attackierte den rot-roten Senat, der es zulasse, „dass Hunderte von Kindern nicht in die Schule gehen“. Kauder hatte sich im Wahlkreis seiner Parteifreundin Vogelsang über die Misere informiert. Die Unlust am Wissenserwerb beschränkt sich nicht auf die Hauptstadt. Viele Kommunen beklagen ähnliche Zustände – und wissen sich kaum zu helfen. Nürnberg setzt auf Härte: Die Polizei gabelt Schwänzer an einschlägigen Treffpunkten auf und geleitet sie zum Unterricht. Ein motivierendes Prämiensystem wird gerade in Frankreich getestet: Klassen, in denen kein Schüler schwänzt, erhalten Gratis-Tickets für Fußballspiele. Vor einer Verharmlosung des Problems können Experten nur warnen. Sie schätzen, dass bundesweit 100 000 bis 200 000 Jugendliche den Unterricht regelmäßig sausenlassen. Von den 80 000, die die Schule jedes Jahr ohne Abschluss verlassen, hängen viele lieber mit Kumpels ab, statt zu lernen. Weil Eltern dies oft durch falsche Entschuldigungen legalisieren, äußert Lehrerverbandschef Josef Kraus Sympathie für Buschkowskys Forderungen: „Der Mann hat absolut Recht.“ Die Praktiker an der Bildungsfront erhoffen sich von den Hardlinern in der Politik dringend Hilfe. Zum Beispiel Astrid-Sabine Busse, die seit 18 Jahren die Neuköllner Grundschule an der Köllnischen Heide leitet. Vier Fünftel ihrer Schüler stammen aus Einwandererfamilien. „Der Wille zur Integration lässt nach“, beobachtet die resolute Pädagogin. „Die Kinder kommen gern in die Schule, aber viele Eltern sind desinteressiert“, klagt sie. Durch den laxen Umgang mit der Schulpflicht verwehrten Eltern ihren Kindern oft einen ordentlichen Schulstart: Jedes Jahr fehlen bei der Einschulungsfeier etliche Kinder. Sie erscheinen dann einige Tage später – die Hochzeit eines Onkels in der Türkei etwa war wichtiger.
Für die ganz schweren Fälle hat die Rektorin einen Ordner angelegt. Darin liegen auch zwei Anzeigen gegen die Eltern eines türkischstämmigen Mädchens aus der benachbarten High-Deck-Sozialsiedlung. Die Zehnjährige fehlt seit mehreren Wochen. Berliner Schulleiter beklagen, dass sogenannte Ali-Ärzte für derlei Fälle Blanko-Atteste ausstellen, ohne die Patienten je gesehen zu haben. Mit „konsequentem Vorgehen“ will Michael Markovicz, Vizedirektor der KurtLöwenstein-Hauptschule in Nord-Neukölln, die Lage in den Griff bekommen. Fehlt ein Schüler unentschuldigt, ruft er zu Hause an. Dann schreibt er Schulversäumnisanzeigen, informiert Schulaufsicht, Jugendamt und Familiengericht. Markovicz wurmt es, dass so mancher Schüler ihm als Grund „keinen Bock“ nennt. Diese Haltung führt der Pädagoge auf den schlechten sozialen Status der Familien zurück: Fast alle 270 LöwensteinSchüler leben von staatlicher Wohlfahrt. So trostlos die Lage in Neukölln erscheinen mag, Bildungsstadtrat Schimmang gibt die Hoffnung nicht auf – und erkennt in der Statistik doch etwas Positives. In der aktuellen Fehlzeitenübersicht des Senats belegt Neukölln Platz zwei – hinter dem Bezirk Mitte. Den 64-Jährigen ärgert, dass „der Schwänzer-Ruf nur uns anhaftet“. Vielleicht läge es daran, „weil wir am meisten tun und darüber reden“. 200 Bußgeldbescheide an Schulschwänzer-Eltern verschickt sein Amt jedes Jahr. Die graue Eminenz hinter Buschkowsky hat eigens zwei Sachbearbeiter für diese aufwendige Arbeit abgestellt. Wenn gar nichts mehr geht, muss die Staatsmacht eingreifen: 30-mal im Jahr holen Polizisten Schwänzer morgens aus der Wohnung und schleppen sie zum Unterricht. Bildungsstadtrat Schimmang befürwortet diese umstrittene Form der Fürsorge: „Neben liebevoller Zuwendung bedarf es strenger Intervention.“ ■ ULRIKE PLEWNIA
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Fotos: M. Priske/F OCUS -Magazin, ullstein bild
Wolfgang Schimmang, Stadtrat für Bildung in Berlin-Neukölln
SPRÜCHE
PROFILE
„Liebe Delegierte – soweit noch anwesend, . . .“
Schlaglochfrei im Mai Bürgermeister Schmidt-Rose verkauft Schlaglöcher im Internet
ANGELA MERKEL Bundeskanzlerin, beim kleinen Parteitag der CDU, als zahlreiche Delegierte schon gegangen waren
„Ich pflege durch die Vordertür rein- und rauszugehen. Ich nutze eher selten die Hintertür.“ STEFAN MAPPUS Baden-Württembergs Ministerpräsident, CDU, auf die Frage, ob sich Union und FDP bei der geplanten Steuerreform ein Hintertürchen offen gelassen hätten
Über die Idee des thüringischen Dorfes Niederzimmern, Schlaglöcher im Internet zu verkaufen, lachen viele weltweit – und noch mehr machen eifrig mit. „Aus Russland, England, der Schweiz und Griechenland haben wir Geld bekommen. Selbst aus China liegt eine Anfrage vor“, sagt CDU-Bürgermeister Christoph SchmidtRose, 60. „Bald sind wir schlaglochfrei.“ Etwa 200 Straßensanierer haben jeweils 50 Euro für die skurrile Aktion „Teer muss
her“ überwiesen: Wer zahlt, wird mit einem Spruch seiner Wahl auf einer Plakette im Teer verewigt. Etwa 10 000 Euro hat Schmidt-Rose bereits in der Dorfkasse. Ende April will die 1000-Seelen-Gemeinde zwischen Erfurt und Weimar eine Schlaglochparty mit allen Spendern feiern. Damit sich die vielen Plaketten nicht lösen und Autos beschädigen, soll ein Schlagloch ausgegossen und mit allen Plaketten mb an den Straßenrand gestellt werden.
Ein Meisterstück aus dem Mittelalter
Kleines Meisterwerk Nur 75 Millimeter beträgt der Durchmesser des Prenzlauer Siegels (1250)
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Für Antiquitätensammler ist es ein begehrtes Objekt, für Historiker eine spektakuläre Entdeckung: Das Siegel der Stadt Prenzlau zeigt auf einem Messingstück Stadttor, Wiekhaus, Kirche sowie einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Um das Bild steht in Latein geschrieben: SIGILLVM: BVRGENSIVM: DE: PRINZLAW. „Dies ist ein Meisterstück mittelalterlicher Goldschmiedekunst und eines der ältesten Siegel, das wir kennen“,
schwärmt Werner Heegewaldt vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv, der die Echtheit überprüfte. Seine Untersuchungen bestätigen, die Stadtherren benutzten das Typar ab 1250, um Urkunden zu beglaubigen. Das verschollen geglaubte Zeugnis hatte der Zinnowitzer Kunsthändler Andreas Albrecht in einem norddeutschen Adelshaushalt entdeckt. Prenzlau würde den Schatz gern kaufen – jedoch fehlt das Geld. ks
THILO SARRAZIN Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, SPD, zur finanziellen Situation Griechenlands
„Heute kann ich mit meiner Erfahrung den Banken oft mehr erzählen als die mir.“ HEINER KAMPS Bäcker und Unternehmer
„Nur Berlin ist ein Sonderfall. Hier ist es angenehm unordentlich, es gibt keine blank geleckten Gehwege oder beschnittene Vorgärten.“ JÖRG BÖHNER Verhaltensbiologe an der FU Berlin, zu Gründen, warum sich der Spatz in Berlin besonders wohl fühlt
„Wenn im Gesicht nichts gebrochen ist und kein Gehirn durcheinandergekommen ist, kann man spielen.“ LOUIS VAN GAAL Bayern-Trainer, zur Einsatzfähigkeit von Abwehrspieler Daniel van Buyten
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„Dann muss Griechenland eben das tun, was jeder Schuldner tut – es meldet Insolvenz an.“
Richard J. Vogel CEO, TUI Cruises
TUI Cruises denkt wie wir: Erfolg braucht Kommunikation. Die Kommunikation in Ihrem Business ist unser Business. www.vodafone.de/business
LESERBRIEFE Nr. 12/10 22. März 2010 € 3,20
Neid-Opfer
Die verlogene Debatte um die Export-Macht Deutschland
Realitätsbezug verloren. Wie soll eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern, die auf ihren Pkw angewiesen ist, über die Runden kommen? Friedrich Weckerle, 73734 Esslingen
„Das Volk erwartet tatkräftiges Regieren. Daran gemessen waren die ersten Monate enttäuschend“
Köhler rechnet ab
Der Bundespräsident im FOCUS-Interview
Die Kleinen hängt man . . . (12/10) Kapitulation vor Geheimcode
Dr. Johannes Gröner, 53111 Bonn
Bundespräsident Köhler hat uns passend zum Osterfest ein dickes Ei ins Nest gelegt. Köhler plädiert für höhere Benzinpreise, obwohl die Steuern daran bereits 70 Prozent ausmachen. Eine schallende Ohrfeige für Pendler und Geringverdiener, für die das Auto so zum absoluten Luxusgut wird. Roland Klose, 57392 Bad Fredeburg
Köhler fordert eine steuerliche Förderung für Forschung, Mehrausgaben für Bildung und Entlastung der Mittelschicht. Bitte verraten Sie uns, Herr Bundespräsident, wo denn das Geld herkommen soll? Alfred Alisat, 56412 Niedererbach
Die Crux der schwarz-gelben Koalition liegt nicht darin, dass sie zu zerstritten auftritt, sondern bei ihren großen Reformen den zweiten vor dem ersten Schritt tut. Denn kaum jemand hätte etwas gegen Steuersenkungen, wenn der Staat sie damit finanziert, dass er zuvor Ausgaben bei sich selbst kürzt.
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Warum eigentlich stellen Sie den Islam immer negativ dar? Aus dem Alten Testament könnte ich aus heutiger Sicht auch viel Negatives zu Themen wie Krieg und Töten zitieren.
Interessante Einblicke (12/10) Überflieger im Trudeln
Endlich hat es ein Nachrichtenmagazin geschafft, in einem Artikel über Minister zu Guttenberg nicht nur die allgegenwärtige Dauerdebatte der „Kundus-Affäre“ zu schildern, sondern auch andere interessante Einblicke in das Verteidigungsressort und den Berliner Politikalltag zu liefern! Cornelius Witt, 79365 Rheinhausen
Kirche wälzt die Schuld ab Eine Art Gesundheitsprämie
(12/10) Interview Robert Zollitsch
Die Kirche wird um einen Schnitt in den eigenen Reihen früher oder später nicht herumkommen. Die Institution ist es wert, dass sie die Kurve kriegt. Alfred Gleim, 58454 Witten
Zur Kinderschänderei und der bischöflichen Duldung von Tätern im Priesteramt sagen nun Papst und Bischöfe: passiert doch überall in der Gesellschaft. Ulrich Motte, 80805 München
(12/10) Die Rückkehr der Kostenkiller
Wem ist bewusst, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei Monatseinkommen von 3750 Euro und mehr (sog. Beitragsbemessungsgrenze) eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie fordert? Diese Prämie trägt mit 262,50 Euro der Arbeitgeber, mit 296,25 Euro der Arbeitnehmer. Was läge also für die Gegner der Gesundheitsprämie näher, als die Bemessungsgrenze abzuschaffen? Johannes Schneider, 22589 Hamburg
Bei den meisten Antworten hatte ich den Eindruck, dass der Bischof die Schuld von der Kirche abwälzt und den Opfern eine Mitschuld geben will. Das alles ist verlogen. Horst Großewiese, 42275 Wuppertal
Emotional berührt (12/10) Spiel des Lebens
Als ein Mensch, der die Kunst liebt, möchte ich dem Autor Tim Pröse ein
Auf Kosten des Steuerzahlers (12/10) Fußballtickets mit Namen und Foto
Rasmus Ph. Helt, 20535 Hamburg
Köhler hat mit seiner Kritik an der schwarz-gelben Regierungskoalition ja Recht, aber mit seinen Gedanken über höhere Benzinpreise liegt er daneben. Wie andere Politiker hat er meines Erachtens jeglichen
(12/10) Koran-Kenner Hartmut Bobzin
Özer Öztürk, 70437 Stuttgart
Nach einer Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung könnte Klaus Zumwinkel bei einer weiteren Verurteilung im Telekom-Daten-Skandal vor Ablauf der Bewährungsfrist eine Gefängnisstrafe drohen, die er tatsächlich absitzen müsste. Sollte sich das Verfahren lange genug hinziehen, würde sich das alte Sprichwort trotz Rechtsstaat wieder einmal bewahrheiten: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen!
Wo soll das Geld herkommen? (12/10) Titelgeschichte
Islam negativ dargestellt
Fan-Frust Die Polizei hält randalierende Hertha-BSC-Anhänger in Schach
Es zeugt schon von Arroganz, wenn ein Fußballboss zum Ausdruck bringt, dass nicht 99 Prozent der Zuschauer für einige Gewalttäter zur Kasse gebeten werden könnten! Aber den restlichen Steuerzahlern ist es zuzumuten, den Polizeieinsatz Woche für Woche zu bezahlen, oder wie verstehe ich das? Jörg Barthel, 16761 Hennigsdorf F OCUS 13/2010
Die Leserdebatte von FOCUS und FOCUS Online
Liebe Leserin, lieber Leser, schreiben Sie Ihre Meinung zu den Themen in diesem Heft – bitte unbedingt mit Angabe Ihrer Adresse und Telefonnummer:
„Kontrollinstanz mit Vetorecht“ Nach Horst Köhlers deutlichen Worten debattieren FOCUS-Leser, ob der Bundespräsident mehr Macht erhalten soll
Redaktion FOCUS, Arabellastraße 23, 81925 München oder Leserbrief-Fax: 0 89/92 50-31 96 oder E-Mail:
[email protected]. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
großes Lob für seine Schreibkunst aussprechen. Ich war emotional berührt, als ich die Geschichte über Amira El Sayed las. Daraus könnte man ein Theaterstück machen.
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Klare Meinung ohne Rücksicht Nein. Als relativ machtloser Präsident kann er seine Meinung klar und deutlich äußern, Frank Wieber, Fulda ohne Rücksicht zu nehmen.
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Vorbild Frankreich Unser System mit dem Bundespräsidenten ist überholt, genauso wie die Könige bzw. Königinnen in Spanien, Belgien, Schweden, Großbritannien usw. Frankreich macht es besser – ein regierender Staatspräsident und darunter Wilhelm Schlüter, Olfen der Ministerpräsident.
Volker Geiß, 66629 Freisen
Bildungsansatz missbraucht (12/10) „Beute eines Psychopathen"
Der Schaden ist irreparabel, weil der Bildungsansatz missbraucht wurde und Kinder nicht selbstständig, sondern willig gemacht wurden. Kein pädagogischer Eros und Pathos, sondern Missbrauch, Übergriffe, pädophile Delikte und Päderastie. Der Pädagoge muss aus der Verantwortung gegenüber den ihm anvertrauten Schülern handeln und Distanz zur Körperlichkeit einhalten.
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Dr. Felix-Rüdiger Giebler, 25840 Friedrichstadt
Pflichten für alle Anwälte
Er soll Themen setzen Ein vom Volk gewählter Bundespräsident sollte durchaus Themen vorgeben dürfen und ein erweitertes Vetorecht besitzen. Auch als Kontrollinstanz für die anderen Volksvertreter könnte ich mir ihn/sie gut vorstellen Angelika Griesmeier, Nürnberg Zu viel Macht schadet Selbst ein direkt gewählter Präsident sollte nicht mehr Kompetenzen bekommen. Ein einzelner Mensch mit so viel Macht ist nicht gut, wie die Geschichte zeigt. Wolfgang Langmacher, Rostock
Staatsoberhaupt Bundespräsident Horst Köhler zeigte die Defizite der schwarzgelben Regierung auf
Die Leserdebatte in Print und Internet. Ihre Meinung zählt. Thema in dieser Woche: „Soll man Krisenländer aus der Euro-Zone ausschließen können?“ Beiträge stellen Sie unter www.focus.de/magazin/ debatte auf unsere Website. Sie können an
[email protected] mailen oder einsenden. Fax: 0 89/92 50-26 20. Smartphone-Benutzer bringt die App „Kooaba“ zur Online-Debatte.
(11/10) Die Herren der Welt ❙
Gleichgültig, wo der Anwalt arbeitet, hat er die Gesetze zu beachten. Das Berufs- und Strafrecht sagt: Ein Verstoß gegen die anwaltliche Verschwiegenheit ist verboten. Die Großkanzleien hausieren stattdessen mit Mandantennamen. Jeder Anwalt muss Beratungs- und Prozesskostenhilfemandate übernehmen. Die Großkanzleien weisen solche Anfragen strikt ab. Uwe Martens, 60322 Frankfurt am Main Rechtsanwalt FOCUS (USPS NO. 009-593) is published weekly. The subscription price for the USA is $ 260 per annum. K.O.P.: German Language Publications, Inc., 153 South Dean Street, Englewood NJ 07631. Periodicals postage is paid at Englewood NJ 07631, and at ad-ditional mailing offices. Postmaster: send address changes to: FOCUS, German Language Publications, Inc., 153 South Dean Street, Englewood NJ 07631 F OCUS 13/2010
Gefahr für die Demokratie Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik zeigen, dass ein mächtiger Präsident das demokratische System aushebeln kann. Felix Unger, Berlin
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Nicht vom Volk legitimiert Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt. Er wird politisch motiviert ausgesucht. Deshalb darf er nicht mehr Macht haben.
Die interessantesten Kommentare drucken wir im nächsten Heft ab. Bedingung: Sie schicken Ihre Texte unter Ihrem echten Namen (kein Pseudonym). Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Walter Lehmann, Kassel ❙
Selbst verschuldetes Schweigen Er hätte mehr Macht – er nutzt sie nicht. Monatelang ist Köhler auf Tauchstation. Es wäre in seiner Macht gestanden, zu diesem Chaos in der „Nichtregierung" Stellung zu nehmen. Keiner hat Erich Wagner, Freigericht es ihm verboten.
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Homo sapiens Der moderne Mensch stammt aus Afrika. Wahrscheinlich traf er in der Steinzeit auch auf andere Menschenarten, den Neandertaler und den Unbekannten aus Sibirien
Neandertaler Er gilt als nächster Verwandter des Homo sapiens und ist vor etwa 25 000 Jahren ausgestorben. Sein Erbgut wurde bereits sequenziert
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or 40 000 Jahren war die Erde dichter besiedelt als gedacht. Offenbar lebten zu jener Zeit in Eurasien nicht nur der moderne Mensch und sein Vetter, der Neandertaler, sondern noch eine dritte, bislang unbekannte Art der Gattung Homo. Entdeckt wurde sie nun von einer Arbeitsgruppe um den Paläogenetiker Svante Pääbo vom Leipziger Max-PlanckInstitut für evolutionäre Anthropologie. Die Forscher identifizierten die neue Menschenform erstmals nicht anhand der äußeren Merkmale versteinerter Knochen, sondern durch die Analyse der Erbsubstanz DNA. Diese gewannen Pääbo und seine Kollegen aus einem Fingerknochen, der aus der Denisova-Höhle im sibirischen Altaigebirge stammt. Allerdings ist der Neuzugang in der Menschenfamilie eher ein Vetter zweiten Grades. Denn sein Erbgut unterscheidet sich von dem des modernen Menschen
X-Woman Der neu entdeckte Urmensch aus der sibirischen DenisovaHöhle gehört möglicherweise einer eigenen Art an, die heute ausgestorben ist
an 400 Positionen, während es beim Neandertaler 200 veränderte Stellen sind. Letzterer steht uns somit näher. Der Sensationsfund zwingt die Paläoanthropologen, die Geschichte der Menschheit und ihrer Wanderungsbewegungen über die Kontinente neu zu fassen. Offenbar ist unser Stammbaum komplexer als bislang bekannt. So hatten Homo sapiens, der Neandertaler und der „Denisova-Mensch“ laut Pääbo einen gemeinsamen Vorfahren. Er lebte vor rund einer Million Jahren, dann spalteten sich die Abstammungslinien auf. Eine davon verzweigte sich vor 466 000 Jahren erneut, aus ihr gingen der Neandertaler und der moderne Mensch hervor. Im Interview schildert Pääbo die wissenschaftliche Detektivarbeit, die zur Entdeckung der neuen Art führte, und deren Bedeutung für unser Verständnis der Menschheitsgeschichte. ode
„Ein schöner Schock“ Meister alter Gene Svante Pääbo, 54 ❙
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Der Mediziner und Biologe ist Direktor am Leipziger Max-PlanckInstitut für evolutionäre Anthropologie. Die Evolution des Menschen erforscht der Sohn eines schwedischen Nobelpreisträgers, indem er menschliches Erbgut mit dem von Urmenschen und Affen vergleicht.
Sie haben vergangene Woche in der Fachzeitschrift „Nature“ einen neuen Urmenschen vorgestellt, einen Cousin des Neandertalers. Was ist das Besondere an dem inzwischen weltberühmten Unbekannten aus Sibirien?
Das Spannendste ist, dass es überhaupt noch einen weiteren Urmenschen gab, der sehr wahrscheinlich in einigen Gegenden Europas und Asiens zeitgleich mit dem Neandertaler und dem modernen Menschen gelebt hat. Wir glauben, dass er vor einer Million Jahren Afrika verlassen hat. Diese Auswanderungswelle war bisher nicht
bekannt und hat uns alle überrascht. Möglicherweise gab es noch viel mehr Menschenformen, und der Exodus aus Afrika erfolgte in mehreren Schüben oder kontinuierlich. Ich glaube, unsere Evolution verlief viel komplizierter, als wir bisher denken. Die drei Arten sind sich also möglicherweise begegnet oder haben sogar sexuelle Kontakte gepflegt?
Möglich wäre dies. Wir finden in der Region des Fundorts in Südsibirien sowohl fossile Reste des Neandertalers als auch des modernen Menschen. 53
Fotos: M. Leis, M. Ley/beide F OCUS -Magazin, dpa; Composing: F OCUS -Magazin
Der Paläoanthropologe Svante Pääbo erzählt, wie er mit Genen aus einem fossilen Fingerknöchelchen einen neuen Urmenschen entdeckt hat
F ORSC H U N G & T E C H N I K FORSC
Die strittige Frage, ob sie sich miteinander vermischt haben und so zu unserer heutigen genetischen Vielfalt beigetragen haben, werden wir erst durch weitere molekulare Verwandtschaftsanalysen klären können.
Von Afrika nach Südsibirien Der Fundort des Urmenschen liegt im nördlichen Altaigebirge am 51. Breitengrad. Im Winter sinkt die Temperatur dort auf minus 40 Grad.
Wie heißt der Neue nun genau?
Im Labor sprechen wir immer von XWoman, ein Spitzname. Eine wissenschaftliche Bezeichnung existiert noch nicht. Erst wenn sich unsere Ergebnisse durch weitere Genanalysen bestätigt haben, werden wir eine neue Menschenart mit lateinischem Namen definieren. In wenigen Monaten sind wir so weit. Handelt es sich denn um die Knochen einer Frau?
Nicht ganz Zufall. In der Denisova-Höhle im Altaigebirge im südlichen Sibirien wurden Knochenfragmente kistenweise gesammelt. Unser Fund entstammt einer Erdschicht, die etwa 30 000 bis 48 000 Jahre alt ist. Dort lagerten noch einige menschliche Zähne, aber vor allem viele Knochenreste von Tieren. Mit den Methoden, die wir bei dem NeandertalerProjekt entwickelt haben, können wir relativ schnell auf genetischer Ebene 54
Denisova-Höhle
Nowokusnesk Abakan Bijsk Gorno-Altaisk Ob
Semipalatinsk
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RUSSLAND
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Sie gelten als Begründer des neuen Wissenschaftszweigs der Paläogenetik. Seit Jahren fischen Sie erfolgreich Erbmaterial aus uralten menschlichen Überresten. Im Jahr 1984 klonierten Sie erstmals das Erbgut aus einer Mumie. 1997 überraschten Sie Molekularbiologen weltweit mit DNA-Schnipseln des Neandertalers. Nun zaubern Sie aus Ihren Sequenzierrobotern einen neuen Urmenschen hervor. Ein Zufallsfund?
Barnaul
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Uns ist es zum ersten Mal gelungen, mit Hilfe der Gensequenzierung einen neuen Vorfahren zu entdecken. Paläoanthropologen bewerten Fossilien der Urmenschen bisher vor allem auf Grund morphologischer Unterschiede. Genaue Abstammungsanalysen sind allerdings sehr schwierig, vor allem bei kleinen Fundstücken. Die molekulare Evolutionsforschung wird die Paläontologie künftig verändern und ein viel genaueres Bild unserer Vergangenheit liefern.
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Beginnt mit Ihrem Fund nun eine neue Ära der Evolutionsforschung?
Krasnojarsk
Kemerowo bir birs Nowosibirsk No
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Das wissen wir eigentlich noch nicht. Wir wollten dem Fund aber eine feminine Note geben, weil wir zuerst das Mitochondriengenom der Zellen untersucht haben. Es wird nur von mütterlicher Seite vererbt.
Tomsk
KASACHSTAN CHINA
IR
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MONGOLEI 200 km
Blick in die Urzeit
unterscheiden, ob es sich um ein interessantes Stück handelt oder nur um einen Tierknochen. Unser Mitarbeiter Johannes Krause analysierte fast 200 Knochenfragmente auf DNA-Spuren. Eines Tages, als ich in Amerika war, rief er mich an und sagte: „Setz dich, Svante, ich habe ein neues Wesen gefunden, das anders ist als alles, was wir bisher gesehen haben.“ Ein schöner Schock. Wie viele Knochen gibt es denn von der neuen Kreatur?
Nur das äußerste Glied des kleinen Fingers. Wahrscheinlich stammt dieser sogar von einem Kind, weil er so winzig ist. Von dem Stückchen haben wir 30 Milligramm pulverisiert und daraus die DNA der Mitochondrien gewonnen. Unter welchen Voraussetzungen kann sich das Erbgut 40 000 Jahre lang halten?
Je kälter das Klima der Fundstelle, desto besser. Ein basisches oder neutrales Milieu des Gesteins ist auch von Vorteil. Beides war in der Kalksteinhöhle gegeben. Ihr Mitarbeiter Johannes Krause hat als Erstes das Erbgut der Mitochondrien aus dem
Eine vergleichbare Aussicht ins Tal des Altaigebirges dürfte vor rund 40 000 Jahren auch der Urmensch genossen haben. Rechts neben der Straße befinden sich die Hütten des Ausgrabungscamps. Oberhalb davon liegt die DenisovaHöhle, eine der am besten erforschten Fundstätten Asiens
„Wir haben die Hoffnung, dass wir noch häufiger solche aufregenden Funde machen werden“ Svante Pääbo Paläogenetiker am MPI Leipzig
Jahrmillionen vor heute
?
Homo sapiens (heutiger Mensch) Neandertaler (ausgestorben vor 25000 Jahren) 0,5
Denisova-Mensch (ausgestorben)
Homo heidelbergensis
1,0
Neuer Menschenzweig Homo erectus ❙
Homo antecessor
2,0
Homo ergaster
Australopithecinen
Im vereinfachten Stammbaum zeichnen Forscher den DenisovaMenschen als neuen Ast ein. Sie verglichen dessen Mitochondrien-DNA mit 54 heute lebenden Menschen und sechs Neandertaler-Genomen.
❙
Die Erbgutanalysen ergaben, dass ihr letzter gemeinsamer Vorfahre vor einer Million Jahren lebte.
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Der Neandertaler ist nur halb so weit vom heutigen Menschen entfernt.
Quelle: Nature
Knochenzellen untersucht. Warum ausgerechnet die DNA aus diesen Zellorganellen?
In einem Mitochondrium finden sich Hunderte von Kopien der DNA, in einer Zelle nur zwei. Die Chance, mitochondriales Erbgut aus einem fossilen Knochen zu isolieren, ist daher viel größer. Die Kunst besteht auch darin, inmitten zahlreicher Verunreinigungen durch Bakterien und Pilze die richtige DNA herauszufischen. Werden Sie uns jetzt häufiger ausgestorbene Verwandte aus der Steinzeit vorstellen?
Foto: J. Krause
Nein, so viele neue Urmenschen kann es nicht geben. Aber der menschliche Stammbaum wird sich wahrscheinlich durch die molekularen Untersuchungsmethoden weiter verzweigen. Haben Sie auch das Erbgut von anderen Vorfahren untersucht, zum Beispiel vom kleinen Hobbit, dem Homo floresiensis, der 2003 in Indonesien gefunden wurde, oder dem Homo heidelbergensis?
Wir haben eine ganze Reihe an Fossilien ausprobiert, aber bei diesen beiden und bei vielen anderen hat es bisher nicht geklappt. Erfolgreich waren wir beim F OCUS 13/2010
Neandertaler, bei einigen Fossilien von modernen Menschen und nun bei dem Menschen aus der Denisova-Höhle. Das kleine Mitochondriengenom von der Mutter sagt wenig über das ganze Individuum aus. Könnte X-Woman auch ein Neandertaleroder ein Hobbit-Mischling sein?
Ja, das wäre theoretisch möglich. Dann würde aber zumindest ihre Ururgroßmutter einer ungewöhnlichen neuen Art entstammen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass X-Woman ein neues Wesen ist. Völlige Gewissheit bringt uns erst die Analyse des Erbguts aus dem Zellkern. Die ist viel schwieriger, birgt aber die interessanteren Informationen. Wir sind gerade dabei, sie zu sequenzieren. Die Sequenz der Kern-DNA eines Neandertalers haben wir schon fertig und gerade zur Veröffentlichung eingereicht. Haben Sie das ganze Genom des Neandertalers sequenziert?
Nein. Wir haben Bruchstücke angeschaut und dann zusammengebastelt. Das ergab dann ungefähr 60 Prozent des gesamten Genoms.
Was können wir aus dem Erbgut der ersten Menschen lernen – etwa welche Krankheiten sie hatten?
Krankheiten eher nicht. Aber wir suchen nach Genen, die sich im Laufe der Evolution besonders verändert haben. Uns interessiert, bis zu welchem Grad die Urmenschen mit den modernen verwandt sind. Und vor allem, wie sich der Mensch an bestimmte Lebensbedingungen angepasst hat. Zum Beispiel hat sich die Einführung des Ackerbaus im Erbgut ausgewirkt, etwa auf Gene, die bei der Ernährung und Verdauung eine Rolle spielen. Wie muss man sich das alltägliche Leben damals in der sibirischen Denisova-Höhle vorstellen?
Da wir bisher nur einen Knochen vom kleinen Finger kennen, haben wir zu wenige Anhaltspunkte für ein genaues Bild über die Kultur dieser Menschen. Überraschend war jedoch, dass man in der gleichen Schicht mit dem Fundstück auch Körperschmuck und komplexe Steinwerkzeuge gefunden hat. Das würde man eher beim modernen Menschen erwarten. Das Klima war sehr wahrscheinlich auch vor 40 000 Jahren dort im Winter sehr kalt, sodass die Menschen dicke Kleidung tragen mussten. Welche Art von Schmuck könnte X-Woman getragen haben?
Man hat einen Armreif aus poliertem Stein gefunden. Aber ob er wirklich X-Woman gehörte, ist nicht geklärt. Nur der Homo sapiens hat bis in die heutige Zeit überlebt. Was glauben Sie, warum sind der Neandertaler und der sibirische Denisova-Mensch ausgestorben?
Das wissen wir nicht. Ob unsere Art die beiden anderen ausgelöscht hat oder veränderte Lebensbedingungen ihren Untergang verursacht haben, wird man wahrscheinlich nie erfahren. Befürchten Sie nicht, dass Ihre nüchternen molekularen Daten das Mysterium um die Einzigartigkeit des Menschen und seiner Entstehung zerstören?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind einfach daran interessiert zu erforschen, woher diese Individuen kamen, die zum Beispiel in dieser Höhle im heutigen Sibirien gelebt haben. Es wird immer genug Mysterien und neue Fragen um die ■ Entstehung des Menschen geben. INTERVIEW: CLAUDIA GOTTSCHLING
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GUTE FRAGE
Der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk wollte in der vergangenen Woche wissen, wie viele Menschen auf den Planeten passen. Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz gibt ihm eine ziemlich deutliche Antwort
Welt-Versteher Der Chemiker und Molekularbiologe Reiner Klingholz arbeitete lange als Wissenschaftsjournalist. 2003 übernahm er die Leitung des renommierten Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, das weltweite demografische Veränderungen erforscht
D
iese Frage treibt die Menschen nicht erst um, seitdem sie stundenlang auf der Suche nach einem Parkplatz durch die Innenstadt kurven. Johann Peter Süßmilch, ein preußischer Geistlicher, der als einer der ersten Bevölkerungsforscher gilt, hat schon im Jahr 1741 berechnet, dass die Erde maximal sieben Milliarden Seelen fasse. Süßmilchs Zeitgenossen erklärten den Pastor für verrückt. Damals lebten gerade mal 700 Millionen Menschen. Das Zehnfache hielten seine Theologenkollegen schon deshalb für abwegig, weil es der Erde an Materie für die leibliche Auferstehung so vieler Menschen fehle. Wie viele Menschen auf unserem Planeten leben können, hängt nicht nur von der Menge der natürlichen Ressourcen ab, sondern auch davon, wie clever sie sich beim Nutzen dieser Ressourcen anstellen. Als Jäger und Sammler hätten keine 100 Millionen überleben können, weil es nicht genug zum Jagen und Sammeln gibt. Aber mit jedem Sprung zu einer ertragreicheren Versorgung ließen sich, grob gesagt, zehnmal mehr Menschen durchbringen. So war es mit der
Erfindung von Ackerbau und Viehzucht wie auch mit der Revolution, die der Einsatz von künstlichem Stickstoffdünger und Pestiziden brachte. Alle sieben Milliarden Menschen könnten satt werden, wenn sie sich vegetarisch ernährten, aber nur drei, wenn sie schmausen wie die Menschen in den reichen Nationen. Die Obergrenze für die Produktion von Nahrung wird durch die begrenzte Fähigkeit der Pflanzen, mit Hilfe des Sonnenlichts Kohlenhydrate zu produzieren, definiert. Könnten wir die gesamte nachwachsende Biomasse der Erde aufessen, würde eine Billion Menschen satt. Allerdings müssten wir uns dazu sämtliche Nahrungskonkurrenten vom Leib halten und uns die Fähigkeit aneignen, die Zellulose aus Holz, Gras und Blättern zu verdauen. Zudem wäre nicht mehr genug Platz für all die Pflanzen, denn die globale Landmasse wäre so dicht besiedelt wie heute Hongkong. Gemessen daran, wie viel Kohlendioxid die Atmosphäre schadlos aufnehmen kann, dürften wir maximal 2,5 Milliarden sein. Diese Zahl entspricht in etwa der Wunschvorstellung von Demografen, die sich mit Langfristszenarien beschäftigen. Nach jahrhundertelangem Wachstum sagen sie von der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts an ein Schrumpfen voraus. Bei zwei bis drei Milliarden Erdenbürgern, älter und weiser als heute, friedlicher und grüner, ließe sich ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Restnatur erreichen – leider erst in etwa 200 Jahren. ■
Foto: M. Priske/F OCUS -Magazin
Sind wir zu viele für die Erde?
Eine Frage, die mich bewegt:
Wo landen die E-Mails, die nicht ankommen? Diese Frage beantwortet in der kommenden Woche August-Wilhelm Scheer, Präsident des IT-Verbands Bitkom 56
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pirelli.de
'(5&,1785$723:85'(,0$'$&6200(55(,)(17(67$86*(=(,&+1(7 • Sehr ausgewogener Sommerreifen • Gute Leistung auf nasser und trockener Fahrbahn • Verringert den Kraftstoffverbrauch • Geringste Geräuschentwicklung im Test
F O R SC H U N G & T E C H N I K
Fünf Sekunden So viel Zeit bleibt, wenn Japans ausgefeiltes Frühwarnsystem Alarmsignale an Handys sendet – dann bebt die Erde . . .
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ünf Sekunden sind nicht viel Zeit. Aber Zeit genug, um unter Tischen oder Türrahmen Schutz zu suchen. Seit 2007 hat Japan als erstes Land der Welt ein flächendeckendes Erdbebenwarnsystem. Hirohito Naito, Erdbebenexperte beim staatlichen Wetteramt, ist stolz auf die Erfolge: Bei einem Beben der Stärke 6,5 kam in der Präfektur Shizuoka im vorigen Jahr nur ein Mensch ums Leben. Beim jüngsten Beben in diesem Monat konnte das Wetteramt die am stärksten betroffenen Gebiete fünf Sekunden vor der Erschütterung warnen. Todesopfer gab es nicht. Der Supercomputer des Tokioter Wetteramts schickt bei Gefahr automatisch eine
Sägen für den Ernstfall High-Tech-Warnsysteme und regelmäßige Schulungen sollen Katastrophen im bebengeplagten Japan beherrschbar machen: Helfer bei einer Rettungsübung in Kawasaki
Meldung unter anderem an Rundfunksender und Mobilfunkanbieter. Die geben die Warnung sofort an ihre Kunden weiter. Das System macht sich die Tatsache zu Nutze, dass Erdbeben aus zwei Wellen bestehen: Die P-Wellen gehen wenige Sekunden vor den zerstörerischen S-Wellen ab und sind für den Menschen kaum spürbar. „Wir arbeiten daran, das Zeitfenster zwischen den P- und S-Wellen möglichst ohne Verzögerungen zu nutzen“, sagt Naito. Für die Zukunft setzt das Wetteramt vor allem auf den Ausbau des Seismometer-Netzwerks, um möglichst nah an allen potenziellen Epizentren zu sein. Je näher ein Seismometer am Epizentrum
Power statt Frachtkisten
» Frei Haus: Ein mit deutschen Motoren ausgestattetes Kraftwerksschiff ist in Richtung Irak aufgebrochen, um den Hafen Umm Kasr mit Strom zu versorgen. Auf dem umgebauten Stückgutfrachter wurden von MAN gelieferte Dual-Fuel-Antriebe samt elektromechanischer Ausstattung installiert. Im Gegensatz zu stationären Anlagen ist der schwimmende Energielieferant www.mandieselturbo.com schnell und flexibel einsetzbar. güs]
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ist, desto schneller empfängt er die Wellen, und desto mehr Zeit haben die Bürger nach der Warnung. Da sich die Beben meist tief im Inneren der Erde ereignen, sollen künftig auch Seismometer in mehreren Kilometer Tiefe angebracht werden. In kleinerem Umfang verwenden auch Taiwan und Mexiko diese Technik. Mehr als 100 000-mal pro Jahr bebt in Japan die Erde. Bis zu 1500 Erschütterungen sind für die Menschen spürbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass die 12-Millionen-Metropole Tokio in den nächsten 30 Jahren von einem Erdbeben mit einer Stärke von mindestens 7 auf der Richterskala heimgesucht wird, liegt nach Ansicht der Mehrheit der Erdbebenforscher
Solarstrom: Europa führt
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Gigawatt Strom wurden 2009 von den photovoltaischen Anlagen weltweit produziert. Das entspricht etwa der 4,5-fachen Bruttoleistung des Kernkraftwerks Krümmel. Europa hat daran einen Anteil von 74 Prozent. Hier stehen, vor allem auf Grund solarfreundlicher Gesetzgebung, Deutschland, mm] Italien und Tschechien an der Spitze.
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Erdbebenwarnung direkt aus der Erde
Vom Epizentrum . . . Ein Netzwerk aus rund 1000 Seismometern erfasst die P-Wellen und liefert die Daten quasi in Echtzeit an das Wetteramt
Weiterleitung an das Wetteramt
S-Wellen: das eigentliche Beben P-Wellen: fr Menschen kaum sprbar, wenige Sekunden vor den S-Wellen
bei gut 70 Prozent. Vorsichtige Schätzungen rechnen mit 850 000 zerstörten Gebäuden und 12 000 Toten. Vor 15 Jahren hatte das schlimmste Beben der Nachkriegszeit die Großstadt Kobe erschüttert. 6000 Menschen kamen ums Leben, die meisten wurden verschüttet oder von herabfallenden Dingen erschlagen. „Das Kobe-Beben war ein Wendepunkt“, glaubt Erdbebenwarner Naito. Kurz nach der Katastrophe seien das Seismometer-Netz ausgebaut worden und die Forschung an dem Frühwarnsystem einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Gleichzeitig seien Techniken entwickelt worden, mit denen Shinkansen-Superschnellzüge bei Erd-
PERSPEKTIVEN
Weiterleitung der Erdbebenwarnung an alle registrierten Handys in der betroffenen Region
Die Sonne wird lebendig In der vorletzten Woche erhob sich eine mächtige Protuberanz über der Sonne. Der Bogen aus glühenden Gasmassen, in den die Erde 20-mal hineingepasst hätte, blieb mehrere Tage lang erhalten. Das Foto unten gelang dem Amateurastronomen Alan Friedman aus Buffalo (US-Staat New York). Auf ihm ist auch ein neuer Sonnenfleck zu sehen. Beide Phänomene zeigen, dass die Aktivität unseres Tagesgestirns wieder kräftig ansteigt. Offenbar ist das ausgedehnte Aktivitätsminimum, das vom Frühjahr 2007 bis Ende 2009 anhielt, endgültig überwunden. Eine neuerliche „Kleine Eiszeit“, vor der Forscher gewarnt hatten (FOCUS 2/2010), ist damit wohl ode nicht mehr zu erwarten.
Seismometer (Messpunkte)
. . . aufs Handy Computerprogramme berechnen anhand dieser Daten Epizentrum und voraussichtliche Stärke des Bebens. Bei allen Beben, die Menschenleben in Gefahr bringen könnten, wird automatisch eine Warnmeldung herausgegeben.
beben automatisch gestoppt werden können. Und die IT-Revolution habe es möglich gemacht, innerhalb von Sekunden nach den ersten P-Wellen eine ziemlich exakte und örtlich begrenzte Warnung zu senden. „Area Mail“ heißt das mobile Broadcasting-System, mit dem Japans größter Mobilfunkanbieter NTT Docomo die Warnung samt einem lauten Alarmgeräusch automatisch auf alle registrierten Docomo-Handys in der betroffenen Region bringt – schneller als per SMS. Dann allerdings müssen die Betroffenen reagieren. Sie haben fünf Sekunden. ■
Aktivitätszeichen Sonnenoberfläche mit Protuberanz und Fleck
SUSANNE STEFFEN
Vitamin-Mais entdeckt
» Mehr Technik, weniger Geld: Die Berliner Software-Firma Neofonie hat überraschend ein Tablet vorgestellt, das in Sachen Ausstattung Apples heiß erwartetes iPad übertrifft. Auf 11,6 Zoll Diagonale sollen digitale Magazine und Web-Seiten noch bequemer lesbar sein. Auch USB-Schnittstellen und ein Speicherkartensteckplatz fehlen dem WePad nicht (anders als dem iPad). Neofonie will das Gerät nicht nur an Endkunden verkaufen, sondern auch Verlage ansprechen, die ihre Inhalte damit besonders einfach vermarkten können. Am Montag nach Ostern will der Hersteller weitere Details bekannt geben – darunter den Preis, der je nach Ausstattung unter dem des Konkurrenten liegen soll. mm] wepad.mobi
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Fotos: AP, MAN Diesel, Alan Friedman/www.aver tedimagination.com
Vom Ich zum Wir: iPad-Konkurrent „WePad“ aus Berlin
Pro Jahr erblinden weltweit 500 000 Kinder, in deren Nahrung Betacarotin fehlt. So enthält Mais, der in vielen Ländern als Grundnahrungsmittel dient, nicht genügend Betacarotin. Der Stoff wird vom Körper zu Vitamin A umgesetzt. Jetzt entdeckten US-Biologen eine Maisvariante, die durch eine natürliche Genveränderung 18-mal mehr Betacarotin enthält als normaler Mais. Daraus wollen sie neue Sorten züchten, die mehr von dem Provitamin enthalten und so in Entwicklungsländern die Gesundheit der Menschen nachhaltig verbessern könnte. mm
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Anhaltender Alarm Entzündungen verursachen viele chronische Krankheiten. Die richtige Ernährung schützt. ❙
Das Immunsystem setzt gegen Viren, Bakterien und Parasiten Waffen ein, die zu Entzündungsreaktionen führen. Normalerweise zieht sich diese Verteidgung so schnell wie möglich wieder zurück.
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Fehler im Lebensstil, wie ungesundes und zu viel Essen, Mangel an Bewegung und Dauerstress, stören diesen Prozess. Der Blutdruck steigt, Zucker- und Fettwerte entgleisen. Das Immunsystem schlägt auf lange Sicht Alarm. Zahlreiche Organe nehmen Schaden.
Bauchspeicheldrüse Diabetes ist eine Stoffwechselstörung, bei der Leber-, Fett- und Muskelzellen die Fähigkeit verlieren, Zucker aufzunehmen. Langfristig gehen auch bestimmte Zellen in der Bauchspeicheldrüse zu Grunde – Insulin produzierende Beta-Zellen. Der Grund ist womöglich eine Entzündung, wie Forscher von der Universität Bremen feststellten. Sie wiesen bei Diabetikern eine Entzündungssubstanz namens CXCL10 nach. Der nächste Schritt wäre, einen Schutzstoff vor CXCL10 zu entwickeln.
Knie Einer von 100 Deutschen leidet an Arthritis. Dazu kommen die Opfer anderer Rheumaformen. Eine zentrale Rolle im Entzündungsgeschehen spielt die ausschließlich in tierischen Lebensmitteln enthaltene Substanz Arachidonsäure. In vegetarischer Nahrung kommt sie kaum vor. Außerdem wirken pflanzliche Öle mit viel Omega-3Fettsäuren – Leinöl, Rapsöl, Walnussöl – dem Entzündungsgeschehen entgegen. Auch fetter Fisch wie Matjes hilft. 62
BACCHUS Die Grafik-Vorlage zeigt den römischen Gott des Weins. In der Mythologie ist Bacchus auch für die Vegetation zuständig. Die in Florenz stehende Statue schuf Michelangelo 1497.
Gehir n
Her z Die Todesursache Nummer eins in den industrialisierten Ländern, die koronaren Herzkrankheiten, stehen in Zusammenhang mit entzündlichen Prozessen. Deren Ausmaß lässt sich offenbar am Wert des C-reaktiven Proteins (CRP) ablesen. Bluthochdruck schädigt die Gefäße und verhindert, dass Immunzellen die Läsionen beheben. Es bildet sich ein dauerhafter Entzündungsherd, der wiederum Ablagerungen begünstigt. Lösen sich diese und verstopfen ein Blutgefäß, kommt es zum Infarkt.
Dar m Die Häufigkeit chronisch entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nimmt in Deutschland deutlich zu. Dabei geht wahrscheinlich das harmonische Miteinander zwischen Darmbakterien und Immunsystem verloren. Immunzellen schalten sich fehlerhaft an und ab, Entzündungen sind die Folge. Umstritten ist, ob es Kranken hilft, wenn sie dagegen die viel beworbenen probiotischen Milchprodukte verzehren. F OCUS 13/2010
Feuer im
Körper Herzinfarkt, aber auch Diabetes, Rheuma und Krebs hängen enger mit Entzündungen zusammen als bislang gedacht. Fehlernährung ist eine Ursache, gesunde Kost hilft
andy George ist eine dynamische Frau mit charismatischer Ausstrahlung. Die Krankenschwester aus St. Augustine, Florida, wirkt jünger als ihre 36 Jahre, wenn sie über ihre wunderbare Verwandlung im Verlauf des vergangenen Jahres erzählt. Sie hält ein „Davor“-Foto hoch. „Ich kann es kaum glauben, dass ich das war“, sagt sie nachdenklich. Die abgebildete Frau hat starkes Übergewicht, schaut lustlos in die Kamera. Damals brachte George 20 Kilo mehr auf die Waage als heute. Schlimmer noch, sie hatte hohen Blutdruck, schlechte Blutzucker- und Blutfettwerte und reichlich Fettpolster am Bauch, Vorboten chronischer Krankheiten wie Diabetes und Herzinfarkt. „Mein Arzt warnte mich, dass mein Körper für mein Alter viel zu alt sei. Ich bekam Angst, dass ich für meine beiden Kinder nicht da sein würde“, erinnert sie sich. Hilfe kam in Form einer Ernährungsstudie an der Universität Florida in Jacksonville. Der Arzt Mark McIntosh suchte Versuchsteilnehmer,
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Fotos: AKG, Zephyr/SPL/Ag. Focus (2), Stephan Elleringmann/laif, CNRI/SPL/Ag. Focus, A1PIX
Die Gehirne von Alzheimerkranken sind entzündet. In ihnen finden sich Plaques, Ablagerungen, die aus dem Protein Beta-Amyloid bestehen. Bislang galten sie als eine Ursache des Dahindämmerns. Wissenschaftler der Harvard Medical School in den USA kamen nun aber zu der Erkenntnis, dass die Ablagerungen Folge eines Entzündungsprozesses sind – und vielleicht Abwehrfunktion haben. Jetzt überlegen die Forscher, ob es klug ist, wie bisher Medikamente gegen Beta-Amyloid zu entwickeln, oder ob andere Angriffspunkte besser wären.
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Sandy George aus Florida zeigt ein Vorher-Foto: Die 36-Jährige nahm an einer Studie teil und stellte ihre Ernährung auf leichte Mittelmeerkost um. Innerhalb von nur zwölf Wochen hatten sich die Blutwerte deutlich verbessert – nach einem Jahr kann George auf ihre Figur stolz sein
Die Medizin entdeckt Entzündungen als wichtige Zwischenstation vielerlei Übels
Brave Früchtchen Heidelbeeren zählen zu den empfohlenen Ernährungsbestandteilen der antientzündlichen Diät. Wie viele andere Obstund Gemüsesorten enthalten sie potente Pflanzenstoffe (in diesem Fall sogenannte Flavonoide), die das Immunsystem offenbar günstig beeinflussen
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Besonders erfreut ist McIntosh über die Verbesserung jener Marker im Blut der Versuchsteilnehmer, die auf Entzündungen im Körper hinweisen, Zeichen eines Immunsystems im Dauereinsatz. Denn zunehmend erhärtet sich eine Theorie, nach der eine Vielzahl moderner Zivilisationskrankheiten auf chronische Entzündungen zurückgeht. „Die Beweise verdichten sich mehr und mehr, dass Entzündungsreaktionen bei Diabetes, Herzund Kreislaufleiden, Darmerkrankungen, manchen Formen von Demenz und sogar bei Krebs eine Rolle spielen“, erläutert McIntosh. Auch andere Mediziner bezeichnen das überaktive Immunsystem als „stillen Killer“ der industrialisierten Welt. Das gemeinsame Krankheitsprinzip könnte erklären, warum viele unserer heute häufigen Leiden miteinander in Verbindung stehen; warum Diabetiker vermehrt an Arthrosen leiden, Rheumatiker ein erhöhtes Herzinfarktrisiko haben und bei Personen mit Parodontitis die Arteriosklerosegefahr steigt. Im Grunde ist der Entzündungsvorgang Teil eines überlebenswichtigen Verteidigungsmechanismus, der den Körper vor Viren, Bakterien und Parasiten schützt. Solche Krankheitserreger bekämpft unser Immunsystem mit mehreren Waffen. In einem komplexen Abwehrprozess fallen unterschiedliche Immunzellen, darunter Makrophagen und Lymphozyten, über den Eindringling her. Botenstoffe, die Zytokine und Chemokine, steuern sie an den Entzündungsherd. Ist der Feind ausradiert, werden die Truppen ebenso rasch wieder abgezogen. Die Entzündungsreaktion klingt ab.
„Es ist extrem wichtig, dass dieser potenziell gefährliche Prozess normalerweise inaktiviert ist und nach einem Einsatz schnell wieder abgeschaltet wird“, erklärt Thomas McDade von der Northwestern University in Evanston/Illinois. Doch dies scheint bei Menschen in den modernen Industrieländern oft nicht der Fall zu sein. Messungen sogenannter Entzündungsbiomarker wie dem C-reaktiven Protein (CRP) machen dies nur zu deutlich. Bei Menschen, die in traditionellen Dörfern auf den Philippinen leben, dies ergab eine Studie McDades, ist der CRP-Spiegel nur ein Viertel so hoch wie bei Amerikanern oder Europäern. Was ist es am westlichen Lebensstil, das den fein ausgewogenen Entzündungsmechanismus aus dem Gleichgewicht bringt? Mittlerweile sind sich die Ärzte sicher, dass fehlende körperliche Bewegung und unsere ungesunde Ernährung maßgeblich zu dieser Epidemie beitragen. „Wir wissen, dass eine Ernährungsweise mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, Transfetten und einfachen Zuckern chronische Entzündungsreaktionen fördert“, erläutert McIntosh. Entzündungsmindernd wirken dagegen die in einer klassischen mediterranen Diät reichlich vertretenen Inhaltsstoffe: Ballaststoffe und Antioxidantien in Obst und Gemüse sowie gesunde Fette in Fisch, Nüssen und Olivenöl. Zahlreiche epidemiologische Studien belegen, dass Personen bei dieser Diät deutlich weniger Entzündungsmarker im Blut haben und seltener an den typischen modernen Leiden erkranken. Wie unmittelbar sich die Ernährung auf unseren Körper auswirkt, konnte der Kardiologe Stephen Nicholls nachweisen. Der Forscher von der Cleveland Clinic ließ seine Versuchsteilnehmer im Abstand von einem Monat zwei Testmahlzeiten essen. Beide bestanden aus einem Stück Karottentorte und einem Milchshake. Einmal wurden Kuchen und Shake mit Kokosöl hergestellt, das zweite Mal mit Distelöl. Ersteres enthält ungesunde, gesättigte Fettsäuren, das zweite ist reich an gesunden, mehrfach ungesättigten Fetten. Sechs Stunden nach Genuss der Kokosölmahlzeit waren die Entzündungswerte in den Gefäßen und im Blut der Probanden deutlich erhöht. Nach der Distelölmahlzeit sanken diese Werte sogar unter die Zahlen, die vor Beginn des Verzehrs gemessen worden waren. „Eigentlich haben diese Ergebnisse uns Fachleute nicht überrascht“, sagt Nicholls. Die Ärzte wüssten mittlerweile, dass es nur einer ungesunden Mahlzeit bedarf, um eine biochemische Lawine von entzündlichen Reaktionen im Körper loszutreten, die die verschiedensten Gewebearten überrollt. Allerdings kommt ein gesunder Mensch mit gelegentlichen Sünden bei der 65
Fotos: Rick Dole/Getty Images/F OCUS -Magazin, Getty Images
Neues Leben
die bereit waren, ihre Ernährung komplett auf eine Mittelmeerdiät umzustellen. George machte mit und änderte mit intensiver Hilfe der Ernährungsforscher ihren Speiseplan. Anstatt Eier mit Speck beginnt sie heute den Tag mit Müsli und Obst. Den Hamburger mit Fritten zum Lunch ersetzt sie durch Salat und Fisch, zum Abendessen gibt es bei ihr zu Hause jetzt öfter Linsensuppe und seltener Pizza. Alle zwei Wochen wurden George und die anderen Probanden während der zwölfwöchigen Studie auf Herz und Nieren untersucht. „Die Ergebnisse überraschten selbst uns“, sagt McIntosh. „Rascher, als wir vermuteten, verbesserten sich Blutdruck, Zucker- und Blutfettwerte. Bei vielen Probanden schwanden Schlafstörungen sowie chronische Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen.“ Nebenbei purzelten die Pfunde. Vor chronischen Krankheiten braucht sich George vorerst nicht mehr zu fürchten.
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Müsli siegt, Cornflakes abgeschlagen: Als Teil ihres kulinarischen Umerziehungsprogramms füllten die Studienleiter in Florida den Ballaststoffgehalt verschiedener Lebensmittel in Versuchsröhrchen. Einige Ballaststoffe werden erst im Dickdarm zerlegt, andere binden Gifte und stimulieren wertvolle Hormone
Burger dabei Ganz so streng ist die Mittelmeerdiät nun auch wieder nicht: Forschungsleiter Mark McIntosh von der University of Florida hält als eines von den Beispielen für gesunde Ernährung ein, wenn auch vergleichsweise dünn gefülltes, BurgerSandwich in die Kamera
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zündungsreaktion, besonders in den Muskeln. Der CRP-Spiegel steigt, das Zytokin Interleukin-6 wird vermehrt freigesetzt. Langfristig jedoch senken Fitness und Bewegung die Marker für chronische Entzündungen. In einer großen Studie mit gesunden Probanden im mittleren Alter konnten Forscher den direkten Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Entzündungsbiomarkern belegen. Bei Sportmuffeln lagen die Werte deutlich höher als bei Personen, die regelmäßiger Sport trieben. Weitgehend geschützt waren Versuchsteilnehmer, die häufig trainierten und rundum fit waren. „Je öfter man aktiv ist, desto positiver wirkt sich dies auf die Blutgefäße aus“, sagt Daniel König, Sportmediziner an der Universität Freiburg. Wichtig scheint dabei nicht die Intensität der Aktivität zu sein – auch regelmäßiges Yoga hat einen Effekt. Frauen, die häufig Yoga praktizieren, haben, so eine im Januar veröffentlichte Studie, deutlich niedrigere Interleukin-6-Werte im Blut.
Als Anti-Krebs-Therapie schickt ein Forscher Patienten über die Alpen Königs Fachkollege Freerk Baumann von der Deutschen Sporthochschule in Köln versucht, diese Erkenntnisse in die Behandlungspraxis zu übertragen. Im Rahmen von Studien ließ Baumann brustkrebskranke Frauen und Männer, die an Prostatakrebs leiden, wochenlange Wanderungen über die Alpen und auf einem der Jakobswege unternehmen. Zwar stiegen die Entzündungswerte als Akutreaktion an, Wochen danach aber lagen sie in einem besseren Bereich. Ernst Rex, 63, Rentner aus Bayreuth und einer der Versuchsteilnehmer, ist überzeugt, dass regelmäßiger Sport die Behandlung seines Prostatatumors unterstützt und die Wirkung der Medikamente verstärkt. „Seit 14 Jahren lebe ich mit der Diagnose“, sinniert der ambitionierte Freizeitläufer (täglich bis zu zehn Kilometer). „Man darf sich eben nicht aufgeben.“ „Die körperliche Aktivität stärkt die Fähigkeit von Körperzellen, schädigende Einflüsse – sogenannten oxidativen Stress – abzuwehren“, fasst Baumann sein Forschungsergebnis zusammen. Tempo und Ausmaß des Prozesses sind individuell verschieden, aber bei den meisten scheint sich der Krankheitsverlauf wenigstens zu verlangsamen. König ergänzt, der präventive Effekt von Bewegung erstrecke sich darüber hinaus auf Magen- und Darmtumoren. Ähnliche Strategien wirken sich auch heilsam auf Erkrankungen aus, denen ganz offensichtlich Entzündungsvorgänge zu Grunde liegen. Dazu zählen nachgewiesenermaßen rheumatische Arthritis, Psoriasis und Gicht. 67
Fotos: Rick Dole/Getty Images/F OCUS -Magazin
Bekömmliches Maß
Ernährung gut zurecht. Problematisch wird es, wenn ungesunde Mahlzeiten zum Normalfall werden und wir unseren Körper kontinuierlich mit entzündungsfördernden Speisen bombardieren. Doch die Studie in Florida zeigt, dass der menschliche Organismus selbst dann positiv auf eine Ernährungsumstellung anspricht, wenn das Krankheitsrisiko bereits stark erhöht ist. „Unser Körper reagiert auf gesundes Essen wie auf eine gute Medizin“, betont Studienleiter McIntosh. Sandy Georges Erfolgsgeschichte ist nur eines von vielen Beispielen, 50 Personen nahmen an der Studie an der Universität Florida teil. Alle hatten zu Beginn ähnliche Risikofaktoren für chronische Erkrankungen wie George. Bei Teilnehmern, die ihre Ernährung erfolgreich umstellten, verbesserten sich nicht nur die Biomarker im Blut. „Auch mit meinem körperlichen und seelischen Befinden ging es zunehmend bergauf“, berichtet George. Kraft und Energie habe sie verspürt wie seit ihrer Schulzeit nicht mehr, als sie in Gymnastikwettbewerben glänzte. Ihr Denken sei klarer, ihre Reaktionsgeschwindigkeit schneller geworden. Die positiven Erfahrungen gewährleisteten, dass die Probanden nicht absprangen. Denn der Verzicht auf die schnellen Hamburger, Fritten und Pizzen ist keineswegs einfach. Das Einkaufen und Kochen muss neu gelernt werden. Jedes Essen im Restaurant gerät zur Versuchung. „Wir machen von vornherein klar, dass die Ernährungsumstellung zu einem gewissen Grad Veränderungen im Lebensstil erfordert“, erklärt McIntosh. Der engagierte Arzt kommt auf ungewöhnlichem Weg zu seiner Rolle als Ernährungsberater. Er ist hauptsächlich in der Notaufnahme der Universitätsklinik im Einsatz. Die Patienten, die er dort täglich behandelt, gaben ihm zu denken: „70 bis 80 Prozent landen wegen Fehlern im Lebensstil bei mir in der Notfallklinik“. Das habe er ändern wollen. Die Umstellung auf eine gesunde Ernährung lohnt sich in jedem Lebensalter. Auch Personen, die bereits an Diabetes erkrankt sind oder einen Infarkt erlitten haben, können mit einer mediterranen Diät ihre Risikofaktoren senken. Am empfehlenswertesten freilich wäre, sich bereits als Fötus gesund zu ernähren. Studien an Schwangeren und Kleinkindern belegen, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft und Stillzeit ausreichend Obst und Gemüse essen und gelegentlich Fisch zu sich nehmen, seltener an entzündlichen Krankheiten wie Heuschnupfen, Asthma und Neurodermitis erkranken. Günstig auf den Entzündungsstatus wirkt sich auch körperliche Aktivität aus. Kurzfristig reagiert der Körper auf Sport mit einer akuten Ent-
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Rheumaexperten raten ihren Patienten bereits länger zu einer Ernährungstherapie. „Besonders die gezielte Wahl der Fette kann den Verlauf einer rheumatischen Arthritis positiv beeinflussen“, weiß Olaf Adam von der Ludwig-MaximiliansUniversität in München. Wenige tierische Produkte sollen nach Empfehlung des Fachmanns auf den Tisch, denn Fleisch, Wurst, Butter und Eier enthalten hohe Mengen entzündungsfördernder Omega-6-Fette. Entzündungshemmende Omega-3-Fette stecken dagegen in Fisch, Nüssen und wertvollen pflanzlichen Ölen. Die Ernährungsumstellung erfordert Disziplin und Geduld. Adams Patienten berichten, dass sie nach einem halben Jahr eine deutliche Besserung feststellten. Die Schmerzen hätten nachgelassen, die Beweglichkeit habe sich gebessert. Oft kommen die Patienten mit weniger Schmerzmitteln aus; manche können ganz auf die Pillen, die oft erhebliche Nebenwirkungen haben, verzichten. Das neue Wissen über chronische Entzündungsvorgänge hat das Verständnis von Herz- und Kreislaufkrankheiten geradezu revolutioniert. „Es gibt mittlerweile Hunderte von Studien, die auf einen direkten Zusammenhang von erhöhten Entzündungswerten und einem erhöhten Risiko für Gefäßerkrankungen und Herzinfarkt deuten“, erklärt der Kardiologe Christopher Cannon von der Harvard-Universität. Bei allen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Leiden, darunter Diabetes, Bluthochdruck und Arteriosklerose, spielten Entzündungsfaktoren mit, so der Autor eines populären Ratgebers über entzündungshemmende Ernährungsweise. Jede der Schadstellen in den Gefäßen, die typischerweise bei Bluthochdruck entstehen, zieht ein Heer von Immunzellen an. Ihre Aufgabe, die Läsion zu reparieren, können sie bei unverändert hohem Blutdruck jedoch nicht erfüllen. Es bildet sich ein dauerhafter Entzündungsherd.
Fotos: David Klammer/laif, action press
Entzündungsreaktionen weisen den Weg von der Gefäßablagerung zum Infarkt Entzündungsreaktionen erklären auch, warum Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Herz-KreislaufKrankheiten haben. Bestimmte Eiweiße, die wie Gift auf die Gefäßwände wirken, werden von Zuckerkranken in größeren Mengen produziert. „In jedem Stadium einer koronaren Erkrankung spielen entzündliche Prozesse mit“, betont der Herzspezialist Stephen Nicholls. Die gleichen Mechanismen, die über Jahre die „Plaque“ genannten Ablagerungen an den Gefäßwänden fördern, können später die Katastrophe auslösen. Langsam, aber sicher korrodieren die Immunzellen und ihre Botenstoffe die Verbindung zwischen Plaque und Gefäßwand. Wenn sich ein Teil 68
der Ablagerungen löst und in den Blutkreislauf gelangt, besteht höchste Gefahr: Blockiert der Pfropfen die Blutzufuhr zum Herzen, kommt es zum Infarkt. Gefäßerkrankungen beeinträchtigen nicht nur das Herz, sondern auch das Gehirn. „Was gut fürs Herz ist, ist gut fürs Gehirn“, betont Cannon. Eine entzündungshemmende, mediterrane Diät scheint auch unser Denkorgan vor Krankheiten und Alterserscheinungen zu schützen. In einer im Februar veröffentlichten Studie mit 700 Teilnehmern wiesen Neurologen der Universität Columbia in New York nach, dass Personen, die sich mediterran ernährten, vor Mini-Schlaganfällen geschützt sind. Die Kleinstinfarkte im Gehirn werden normalerweise nicht sofort wahrgenommen. Häufen sie sich jedoch über längere Zeit, können sie die Denk- und Gedächtnisleistung einschränken und manche Formen von Demenz begünstigen. Auch die Bildung der gefürchteten Plaques im Gehirn, das wichtigste Symptom für Alzheimer, ist nach neuesten Erkenntnissen das Produkt einer aus dem Ruder gelaufenen Immunabwehr. Mittlerweile haben die Mediziner auch jene Mechanismen aufgeklärt, die das Aufkommen von Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall und manchen Formen von Demenz bei Menschen mit Übergewicht erhöhen. Verantwortlich sind in erster Linie Entzündungsprozesse. „Fettpolster am Bauch sind Gift für den Körper“, erklärt Eric Ravussin von der Louisiana State University in Baton Rouge. Vor Fett strotzende Fettzellen sterben kontinuierlich ab, weil sie nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden können. Auf die verendenden Zellen reagiert der Körper wie auf einen fremden Erreger mit massiven Immun- und Entzündungsantworten. Ein Ring von Makrophagen, deutlich sichtbar im Mikroskop, legt sich um jede Fettzelle. In einer Aufsehen erregenden, Ende Februar veröffentlichten Studie zeigten Endokrinologen des Albert Einstein College of Medicine in New York, dass die Entzündungsherde im Fettpolster besonders intensiv auf fette Mahlzeiten reagieren. Dabei gelangt ein ganzes Heer von gefährlichen Stoffen, die Diabetes und Herzleiden begünstigen, in den Blutkreislauf. Die Folge sind ein dauerhaft aktiviertes Immunsystem und chronische Entzündungsvorgänge, die den ganzen Körper erfassen. „Fett ist ein Entzündungsherd per se“, sagt der Internist Eugen Faist von der Münchner Universitätsklinik. Dass Übergewicht, ungesunde Ernährung und fehlende körperliche Aktivität zur heutigen Entzündungsepidemie beitragen, gilt mittlerweile als unumstritten. Der Anthropologe Thomas McDade meint, auf eine weitere Er-
Auf gutem Weg Der Kölner Sportmediziner Freerk Baumann animierte krebskranke Versuchspersonen zu mehrwöchigen Wanderungen. Bei einem Teil seiner Probanden maß Baumann anschließend eine verbesserte Immunabwehr, die möglicherweise den Kampf gegen die Krankheit unterstützt
Gesundes Date Die Schauspieler Hugh Grant und Rachel Weisz sitzen in dem Kinofilm „About a Boy“ (2002) an einem Restauranttisch voller Früchte. Den Pflanzenstoff Resveratrol, der in Trauben enthalten ist, könnten die beiden aber auch alkoholfrei zu sich nehmen
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Fettarm im Labor US-Forscher Eric Ravussin präsentiert ein gesundes Mittagessen. Bauchfett, warnt Ravussin, setze Entzündungsstoffe frei
Bunt und knackig gegen süß und triefend Glaubt man US-amerikanischen Ratgebern, hat jedes Lebensmittel seinen spezifischen „Entzündungsfaktor“. Es genügt aber, bestimmte Grundregeln zu kennen.
e n t z ü ndungshe mmend Da capo: Brokkoli Der Fixstarter aller EssEmpfehlungen enthält ebenso wie Blumen- und Rosenkohl viel gesundes Sulphoraphan
Obst ohne Bananen Die Devise bei der Auswahl von Obst lautet: je farbiger, desto gesünder. Nur Bananen haben wenig antientzündliche Wirkung
Nüsse aller Art Kürzlich bewiesen Forscher der Yale-Universität, dass täglich eine Portion Walnüsse Diabetiker vor Entzündungsschäden in den Gefäßen schützt 70
e ntz ündungsf örde rnd Fett zum Frühstück Transfette stecken in vielen kommerziellen Backwaren. Wer sie häufig isst, verdreifacht sein Risiko für Herzerkrankungen (Harvard)
Fett zu Mittag Fleisch und Würste sind erlaubt in der antientzündlichen Ernährung – nur sollte man auf den Fettgehalt achten; bei Geflügel Haut abziehen!
Zuckerschuss ins Blut Vorsicht bei Limonaden: Stark gesüßte Getränke wirken sich negativ auf Blutzuckerspiegel und Entzündungsstatus aus
klärung gestoßen zu sein. Er und seine Mitarbeiter werteten Unterlagen aus, die den Gesundheitszustand von mehr als 1500 philippinischen Kindern in den ersten zwei Lebensjahren dokumentieren. Die Hygienebedingungen, unter denen die Kinder aufwuchsen, entsprachen nicht den westlichen Standards. Als die Probanden 20 Jahre alt waren, maß McDades Team die Konzentrationen des Entzündungsmarkers CRP in ihrem Blut. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Dezember im Wissenschaftsjournal „Proceedings of the Royal Society B“. „Wir fanden einen auffallenden Zusammenhang zwischen der Zahl der Infektionskrankheiten, die die Kinder in den ersten beiden Lebensjahren durchgemacht hatten, und dem CRP-Spiegel“, berichtet McDade. Jede Durchfallepisode, ein längerer Aufenthalt unter einem Dach mit Nutztieren und die Geburt während der staubigen Trockenzeit verringerten das Risiko für einen erhöhten CRP-Wert später im Leben. Schützen Infektionskrankheiten in den ersten Jahren vor Überreaktionen der Immunabwehr später im Leben? Der Zusammenhang ist bereits für Allergien wie Asthma, Heuschnupfen und Ekzeme belegt. Diese Leiden treten fast nur in den Industrieländern auf. Nach der sogenannten Hygiene-Hypothese sind westliche Hygienestandards dafür verantwortlich. Sind Kinder weniger Krankheitserregern ausgesetzt, richtet sich das Immunsystem später gegen Pollen, Hausstaubmilben und andere Umweltallergene, die der Körper normalerweise ignoriert. Für diese Annahme spricht, dass Nachwuchs, der auf dem Bauernhof groß wird, nur selten an Allergien leidet.
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Fotos: Chris Graythen/Getty Images/F OCUS -Magazin, StockFood (6)
Ein gut trainiertes Immunsystem hält die Entzündungskaskade in Schach „Ich bin überzeugt, dass wir mit der HygieneTheorie auch andere Epidemien unserer westlichen Industriegesellschaften erklären können“, betont McDade. Danach beginnt unsere Anfälligkeit für chronische Entzündungsprozesse bereits im frühesten Kindesalter. Das Immunsystem kommt – wie das Gehirn – unreif zur Welt. Es ist auf Stimulation durch die Umwelt angewiesen. Wiederholte Infektionen mit Bakterien, Viren und Parasiten sind erforderlich, um die biochemischen Kaskaden von pro- und anti-entzündlichen Abläufen gegeneinander auszubalancieren. Bleibt dieses Training im frühen Leben aus, gerät der Entzündungsprozess im erwachsenen Alter außer Kontrolle. Um seine Theorie zu prüfen, will McDade seine Probanden auf den Philippinen weiter beobachten. Viele der jungen Menschen leben inzwischen unter westlichen Hygienebedingungen und F OCUS 13/2010
FAKTEN MACHEN GELD.
ernähren sich ungesund auf typisch westliche Weise. Möglicherweise sind sie wegen ihres gut trainierten Immunsystems dennoch vor modernen Zivilisationskrankheiten geschützt. Auf fertige Rezepte darf freilich niemand hoffen, der sich gesundessen und -trainieren will. Feine Unterschiede offenbaren fast alle Studien, die die Ebene des Theoretischen verlassen. So untersuchten Ernährungswissenschaftler der Universität Jena 15 Tomatensorten auf deren Gehalte der Vitamine C und E sowie von Carotinoiden, besonders potenten und in ihrer Mehrzahl gesunden Pflanzenstoffen. Ergebnis: Die Konzentration der Stoffe unterschied sich von Sorte zu Sorte teilweise um das Zehnfache. Eine US-amerikanische Studie kam zu dem Ergebnis, dass mit steigenden Vitamin-D-Werten im Blut das Risiko einer Herzerkrankung sinkt. Untersuchungsleiter Brent Muhlestein, Kardiologe am Intermountain Medical Center Heart Institute in Murray/Utah, empfiehlt zwar einen Bluttest zur Bestimmung der Vitamin-D-Werte und, wenn diese tief seien, „Nahrungsergänzungsmittel oder
Essen mit Spaßfaktor Nahrung bekommt man nicht nur in Imbissketten: Ein Junge sucht einen Himbeerstrauch nach den schönsten Früchten ab. Auch kindlicher Appetit lässt sich auf gesunde Art stillen
vermehrten Aufenthalt in der Sonne“. Wo die Grenze liegt und wann der Vorteil des Sonnens in erhöhte Hautkrebsgefahr umschlägt, weiß Muhlestein allerdings noch nicht genau zu sagen. Das wollen Forschergruppen ändern, die versuchen, die Stoffwechselvorgänge im Menschen zu entschlüsseln. Mit enormem Aufwand stellen sie in Blut, Urin und Speichel von Probanden fest, wie der jeweilige Organismus Zucker verarbeitet, unter welchen Bedingungen die Cholesterinwerte steigen, wie sich die Harnstoffwerte verändern. In Deutschland treibt unter anderem Hannelore Daniel, Ernährungswissenschaftlerin an der Technischen Universität München, diese Fachrichtung, „Metabolomics“, voran. Sie ließ in ihrem Labor 15 junge, im Körperbau sehr ähnliche Männer vier Tage lang ein streng normiertes Fasten-, Bewegungs- und Essprogramm absolvieren und analysierte in 56 Blut- und 25 Urinproben pro Person den jeweiligen Stoffwechsel. Die Unterschiede fielen deutlich aus, deutlicher, als die große Ähnlichkeit der Probanden erwarten ließ. Und so glaubt Daniel, Ernährungsempfehlungen müssten eigentlich „mindestens so unterschiedlich sein wie die Kleidergröße“. Eines Tages, so das Fernziel der Metabolomics-Forschung, könne der Mensch computergestützt erfahren, welche Prozesse einzelne Speisen und Getränke in seinem Körper auslösen. Jeder werde über ein individuelles „metabolisches Profil“ verfügen und sich danach ernähren, hofft Daniel. Einen konkreten Beitrag versuchte kürzlich die niederländische Fachkollegin Gertruud Bakker zu leisten. Sie kombinierte die Vitamine C und E, den Trauben-Bestandteil Resveratrol, Extrakte von grünem Tee und von Tomaten sowie Omega3-Fettsäuren zu einem neuen, zaubertrankähnlichen Nahrungsergänzungsmittel. 36 übergewichtige Männer erhielten das Präparat, berichtete Bakkers Wissenschaftlergruppe vor Tagen im „American Journal of Clinical Nutrition“. Die Niederländer erhoben 120 Eiweißwerte und 274 Stoffwechselprodukte im Blut jedes ihrer Probanden – und fanden, wie sie schreiben, lediglich „subtile Änderungen“. Unverändert blieb das C-reaktive Protein, der wahrscheinliche Herzinfarktbote. Bis zur Entwicklung einer antientzündlichen Superpille scheint die Wissenschaft noch einen weiten Weg vor sich zu haben. Wer nicht so lange warten will, hat die Wahl, die entsprechenden Wirkstoffe – und noch viel mehr – in Mittelmeerzubereitung zu sich zu nehmen. Es soll schon weniger Genuss versprechende Empfehlungen für die Vorbeugung gegen Zivilisationskrankheiten gegeben haben. ■ SILVIA SANIDES
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Foto: AFP
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Ess-Statistiker Heiner Boeing, 56 ❙
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Der Professor leitet die Abteilung Epidemiologie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung bei Potsdam. Mit 520 000 Teilnehmern in zehn Ländern überprüft die EPIC-Studie („European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“) bislang ungesicherte Annahmen zu Krebs und Ernährung. Boeing verantwortet einen Großteil der Erhebung in Deutschland.
zündungen zu finden. Aber das ist schwierig. Auch ein bakterieller Erreger wie der Magenkrebs-Keim Helicobacter pylori kann ein eigenständiger Auslöser derartiger Prozesse sein. Umgekehrt – was ist gesichert?
Die Studienlage gibt starke Hinweise darauf, dass die Ernährung mit dem Entzündungsparameter C-reaktives Protein assoziiert ist. Man hat herausgefunden, dass viel an Kohlenhydraten, die schnell ins Blut gehen, namentlich Limonaden und Toastbrote, dessen Spiegel anhebt. Übergewichtige haben meist erhöhte Werte, und zwar auf einem Niveau, das mit steigenden Raten von Herzinfarkt, Diabetes und Krebs einhergeht. Die richtige Ernährung korrigiert das?
Das ist die Frage, die es jetzt zu klären gilt. Wie steht es mit dem, was Mittelmeerdiät genannt wird?
Sie senkt, wie sich etwa an Griechenland feststellen lässt, die Wahrscheinlichkeit, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Welche sind die entscheidenden Bestandteile?
Mittelmeerdiät zeichnet sich durch viel Obst und Gemüse, eher pflanzliche als tierische Fette, nicht so viele Milchprodukte und, bei den Griechen wesentlich, weniger Fleisch aus. Welche Rolle kommt Fisch zu?
Vergleicht man hinsichtlich des Darmkrebsrisikos die Verzehrmengen von „rotem“ Fleisch, also Rind, Schaf und Schwein, mit jenen hellen Geflügelfleischs und jenen von Fisch, schneiden die Fischesser am besten ab, gefolgt von den Geflügelfreunden.
Forscher Heiner Boeing warnt vor „schnellen“ Kohlenhydraten. Seine Megastudie zeigt auch: Gefährlicher als das Gewicht ist der Bauch
Sie sind einer der Regionalleiter von Europas größter Studie über Zusammenhänge zwischen Krebs und Ernährung. Welcher ist der deutlichste Befund, der sich bislang ergeben hat?
Eine wichtige Komponente ist Vollkorngetreide. Wer dieses dem weiterverarbeiteten Getreide vorzieht, verringert sein Risiko, an Diabetes, Dickdarm- oder Magenkrebs zu erkranken. Warum ist das so?
Beim Verzehr eines Vollkornbrötchens zum Beispiel wird Glukose langsamer freigesetzt als bei Weißbrot. Der hohe Ballaststoffanteil hilft, den Stuhlgang in günstiger Weise zu regulieren. Spielen entzündliche Prozesse eine Rolle?
Ja, zumindest bei der Entstehung von Diabetes. Wir bemühen uns, in unserer Studie, bei der wir in Deutschland die Essgewohnheiten von 53 000 Menschen erfassen, Zusammenhänge mit Ent74
Sie unterfüttert die Zweifel. Wir fanden heraus, dass der Bauchumfang bei Normalgewichtigen eher Vorhersagen zulässt als bei Übergewichtigen. Wer also nach Kilos unauffällig ist, aber einen deutlichen Bauch vor sich herträgt, ist möglicherweise gefährdeter als einer, der mehr wiegt, aber im Ganzen stämmiger ist. Die herrschende Lehre empfiehlt Frauen höchstens 88 Zentimeter Bauchumfang, Männern 102 Zentimeter. Stimmen Sie zu?
Nein, das ist in jedem Fall zu viel. Eine allgemeine Grenze kann es nicht geben, sie hängt zu sehr von der individuellen Größe ab. Eine Studie dieses Ausmaßes hat sicherlich auch Annahmen widerlegt . . .
Unseren Ergebnissen zufolge gibt es keinen Zusammenhang zwischen Fettkonsum und dem Brustkrebsrisiko. ■ INTERVIEW: KURT-MARTIN MAYER
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Foto: Werner Schüring/F OCUS -Magazin
,,Wichtig ist Vollkornkost“
Es besteht Verunsicherung, wann der Mensch zu dick ist. Der zuletzt gern als Maß genommene Körper-Masse-Index scheint zu willkürlich zu sein. Hilft Ihre Studie weiter?
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T I TEL
Italien Viele Pastagerichte und Pizzakreationen sind zu kalorienreich und nährstoffarm. Wenn der Koch den Gemüseanteil erhöht – extra Paprika, Zwiebeln und Kirschtomaten auf die Pizza legt –, macht schon eine halbe Portion satt, und der Hefefladen wird zur Vitaminbombe.
Spanien Die iberische Küche bietet viele Gerichte, die dem Ideal mediterraner Gesundheitskost nahe kommen: ❙
Gazpacho Andaluz, eine
kühle leckere Gemüsesuppe auf Tomatenbasis, ❙
❙
die spanische Tortilla, ein Omelett, das mit Kartoffeln, Mais, Bohnen, Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch gefüllt wird, die Paella als Reispfanne mit Huhn, Meeresfrüchten, Erbsen und Bohnen.
Frankreich Gegen eine Bouillabaisse ist auch aus medizinischer Sicht nichts einzuwenden: Meeresfrüchte wirken protektiv. Auch das Ratatouille ist ein herrlicher Gemüseeintopf. Andere französische Köstlichkeiten (Gratins, Crêpes) sind dagegen zu fett oder zu süß.
FRANKREICH
ITALIEN KROATIEN
Korsika
SPANIEN Sardinien
Balearen
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Sizilien
T E L
Mediterrane Mast Mediziner propagieren die Mittelmeer-Diät – doch viele aktuelle Speisen aus dem Süden sind kaum als Gesundheitskost zu bezeichnen
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er in seiner Lieblingstrattoria Spaghetti, Pizza oder beim Griechen frittierte Calamari bestellt, könnte meinen, er genieße reinste Gesundheitsrezepturen. Schließlich propagieren Ernährungsmediziner seit über 50 Jahren den Segen der mediterranen Ernährung. Damals entdeckte der amerikanische Forscher Ancel Keys, dass die Bewohner Kretas viel seltener an Krebs und Herzkrankheiten starben als
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Menschen in allen anderen Regionen Europas. Weitere Studien belegten die gesundheitsfördernde Wirkung der oft als Kreta- oder Mittelmeer-Diät bezeichneten Ernährung. Diese bestand früher aus einfachen, gemüsereichen Gerichten, Obst, Meeresfrüchten, einem Gläschen Wein und wenig rotem Fleisch. Typisch für die klassische Kreta-Küche war der intensive Einsatz von Olivenöl – bis zu
30 Liter im Jahr verbraucht der Durchschnittskreter auch heute noch pro Jahr. „Die derzeit gängigen Speisekarten italienischer, spanischer, griechischer oder nordafrikanischer Restaurants haben jedoch mit der mediterranen Gesundheitskost nicht mehr viel gemein“, meint Ulrich Keil, Epidemiologe von der Universität Münster und Kenner der Mittelmeerküche. Die beliebtesten Gerichte sind ausgesprochene Dickmacher,
eher mediterrane Mast als Diät: • Salami-Pizza besteht vorwiegend aus einfachen Kohlenhydraten im Teig und dem Käse-Wurst-Belag. • Spaghetti Bolognese sind oft kalorienreich, vor allem wenn viel fettes Hackfleisch und wenig Tomaten für die Sauce verwendet werden. • Pommes frites, Lammkoteletts oder frittierte Tintenfische sind fetttriefende Kalorienbomben. F OCUS 12/2010
Die meisten Touristen und Gäste kroatischer Lokale kennen nur die Mix-GrillSchnellküche. Cevapcici & Co. bestehen aus viel Fleisch, Fett und Kohlenhydraten, enthalten aber wenig Pflanzliches. Restaurants entdecken allmählich die gesunde Meeresküche mit Fisch, frischem Gemüse und Salatbeilagen.
Türkei Die traditionelle türkische Küche hat den ganzen östlichen Mittelmeerraum und Asien befruchtet. Lahmacun heißt eine Hefeteigtasche mit würziger Hackfleisch- und Gemüsefüllung. Döner Kebab ist nur bedingt zum Abspecken oder als Herz-Diät geeignet. Vor allem die honigtriefenden Nachspeisen, in fettem Blätterteig verpackt, sind reinste süße Sünden.
Zypern TÜRKEI GRIECHENLAND ZYPERN Kreta
R M
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LIBANON
SYRIEN
Eine der beliebtesten Speisen der Mittelmeerinsel ist Halloumi, ein Käse, der zum Frühstück, zum Mittagessen und abends in verschiedensten Kreationen gereicht wird – am liebsten mit hausgemachten Pommes! Halloumi-Rezepte passen also nicht immer in ein Diät-Kochbuch.
E ISRAEL
Griechenland Die Wiege der Mittelmeer-Diät, aber wenig Gesundes in den Tavernen: gefüllte Weinblätter oder originäres Olivenöl. Auch Moussaka oder Stifado lassen sich kalorienarm zubereiten.
Israel, Libanon, Syrien Die kalorienreichen Fast-FoodSpezialitäten im Nahen Osten sind Humus und Falafel. Bohnen, Kichererbsen und andere Gemüse verwendet auch die jüdische Küche gern. Gefilte Fisch gibt’s nur an Sabbat und an Feiertagen.
Die ehemaligen Vorbildesser aus der Mittelmeerregion kochen heute zu fett, zu süß und zu salzig. Die Folge: Nach aktuellen Erhebungen sind die Kinder in Italien, Malta, Spanien, Griechenland, Zypern und Kroatien statistisch die dicksten in Europa. Steigender Fast-Food-Verzehr, die zu hohe Kaloriendichte der Schnellküche und üppiger Limo-Konsum sind verantwortlich für das grassierende Übergewicht in Südeuropa. Wann kommt eine Renaissance der ursprünglichen Küche mit mehr Gemüse und Obst? Haben Sie schon einmal Spaghetti mit Radicchio ausprobiert, Pizza mit vegetarischem Belag oder Meeresfrüchte vom Grill und dazu einen Fenchel-Orangen-Salat? Ein Anschlag auf die Gesundheit sind auch die beliebtesten Nachspeisen aus dem Süden: Crème Caramel, Tiramisu oder eine türkische Helva-Schokomousse-Torte sind nicht geeignet, um in eine Diätfibel aufgenommen zu werden. Bei den Desserts gibt es leichte Alternativen: Ein MacedoniaObstsalat, ein griechischer Beerenjoghurt oder ein Zitronensorbet sind vitaminreiche Leckereien. Außerdem könne man die Südspeisen auch mit deutschen Kraut- und Hülsenfrüchte-Gerichten, Kartoffeln, Vollkornprodukten und heimischem Obst ergänzen, empfiehlt Epidemiologie-Professor Keil: „Wer auf einen deutschen Wochenmarkt geht, findet alle frischen Nahrungsmittel für einen sehr gesunden Essensplan.“ Dass die europäische Gemüseküche Zivilisationskrankheiten vorbeugt, hat US-Forscher Ancel Keys am eigenen Leib erfahren: Er starb 2004 im Alter von 100 Jahren. ■ MARTIN KUNZ
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Fotos: StockFood
Kroatien
DOSIERT
Die Wahrheit über
Birkenpollen im Anflug Torsten Zuberbier, Leiter des Allergie-Zentrums der Charité Berlin, rät zur Gegenwehr
„Allergiker könnten beschwerdefrei leben!“ Medikamente seien besser als ihr Ruf, betont der Allergologe Torsten Zuberbier Biologen erwarten nach dem langen Winter einen besonders heftigen Pollenflug. Können Sie neue Therapien in Aussicht stellen?
Brandneues gibt es nicht. Aber wir Ärzte wären froh, wenn Patienten die modernen Möglichkeiten ausschöpfen würden. Dann könnte jeder Allergiker die Pollensaison beschwerdefrei überstehen. Stattdessen sind viele stolz, wenn sie mir in der Ambulanz erzählen, dass sie mit wenig Medikamenten auskommen. Sinnvoll wäre aber eine regelmäßige Einnahme. Eine Studie zeigt, dass nur jeder zehnte Asthmatiker seine Präparate richtig nimmt. Ist die Furcht vor Nebenwirkungen berechtigt?
Die neuen Antihistaminika machen nicht mehr müde. Allerdings sind sie teils rezeptpflichtig. Manche Patienten müssen ein bisschen austesten, welches Präparat am besten für sie passt. Je nach Schwere des Heuschnupfens kombiniert man die Tabletten mit Cortison-Nasenspray.
Cortison klingt nach chemischer Keule, oder?
Moderne Cortisonsprays werden sofort abgebaut und sind nicht im Blut nachweisbar. Allergiker übersehen gern, dass ihr Immunsystem auch Chemikalien freisetzt. Es reagiert auf Pollen wie bei einem Infekt und schwächt. Kinder büßen während einer Allergie 30 Prozent ihrer schulischen Leistungsfähigkeit ein. Eine gute Option ist die Immuntherapie. Gräser-Allergiker könnten jetzt noch damit anfangen. Gibt es Naturheilverfahren, deren Wirkung gegen Heuschnupfen wissenschaftlich belegt ist?
Akupunktur kann die Symptome während der Pollensaison lindern. Das haben neue Studien gezeigt. Sie hilft ebenso gut wie Antihistaminika, ist aber aufwendiger und teurer. Homöopathie und Bioresonanz wirken dagegen nicht. Das einfachste Mittel ist eine Nasenspülung mit Kochsalzlösung morgens und abends. Sie schwemmt die die Pollen von den Schleimhäuten. cgo
Früher Jubel verfälscht Ergebnisse
Amerika wrackt ab: Seitdem die Immobilienblase geplatzt ist, bröckelt die Fassade, und das nicht nur an den Häusern. Um 17 Prozent, meldete kürzlich die American Society for Aesthetic Plastic Surgery (ASAPS), ist die Zahl der Schönheitsoperationen vergangenes Jahr gesunken. Teure Renovierungsarbeiten wie Liftings gibt die Haushaltskasse nicht mehr her. Luxuriöse Anbauten wie größere Brüste werden gestrichen, Lippen praktisch nicht mehr aufgepolstert. Der Ausdruck „sich etwas vom Mund absparen“ gewinnt eine ganz neue Bedeutung. Bescheiden hofft die ASAPS zwar: „Wenn sich die Rezession abschwächt, wird die Nachfrage wahrscheinlich wieder steigen.“ Aber hey, warum so verzagt? Wir reden schließlich von Amerika, dem Land der Optimisten. Deuten wir den Niedergang einfach mal als Chance: Das Land findet zu sich selbst. Entblößt steht es da, so ganz ohne Silikon, und schaut zu, wie die Wahrheit Gestalt annimmt. Die US-Schönheitsexpertin Wendy Lewis sagt: „Die Patienten entscheiden sich für günstigere, weniger drastische OPs.“ Oder anders ausgedrückt: Sinkt der Dow Jones, hängt rot die Brust.
Forscher brechen klinische Studien oft frühzeitig ab, wenn die Wirksamkeit der Therapie eindeutig erwiesen scheint. Das aber kann zu einer Fehleinschätzung des tatsächlichen Nutzens führen, ergab eine Untersuchung in der aktuellen Ausgabe des „Journal of the American Medical Association“ (JAMA). Die Wissenschaftler um Victor Montori entdeckten, dass vorzeitig eingestellte Studien, vor allem kleinere mit wenigen hundert Probanden, Behandlungserfolge häufig übertrieben. Ein Abbruch schade letztlich dem Patienten, der dann eine Therapie auf Basis irreführender Inmai formationen über die Wirksamkeit erhalte. 78
F OCUS 13/2010
Fotos: Silz/Charité Universitätsmedizin Berlin, vario imges; Illustration: D. Matzenbacher /F OCUS -Magazin
»SchönheitsOPs«
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Titel: Eva Dahme; Björn Maier, Karin von Zakarias Info-Grafik: Christoph Sieverding, Arno Langnickel (stellv.); Olaf Berger, Andreas Fischer, Ulrich Gerbert, Stefan Hartmann Composing: Werner Nienstedt Dokumentation/Schlussredaktion: Dr. Martin Seidl, Petra Kerkermeier; Pamela Cregeen, Wolfgang Donauer, Astrid Diening, Gisela Haberer-Faye, Gottfried Hahn, Bernd Hempeler, Michael Jupe, Andrea Kaufmann, Catherine Velte, Angelika Loos, Christina Madl, Gerd Marte, Joachim J. Petersen, Marion Riecke, Reinhard Ruschmann, Dorothea Rutenfranz, Heike Spruth, Susanne Ullrich, Nina Winkler-de Lates, Maria Zieglmaier (Kooperation mit dem Recherchedienst der FAZ) Information Services: Heinrich Göderz Herstellung/Produktion (Tel.: 0 89/92 50-29 66, Fax: -25 37): Sonja Wiggermann; Ernst Frost, Helmut Janisch, Peter Kiac˘ek, Christoph von Schiber, Michael Kalogeropoulos-Wimmer Redaktionstechnik (Tel.: 0 89/92 50-26 66, Fax: 91 87 28): Ingo Bettendorf, Peter Gaberle, Bernd Jebing, Kai Knippenberg, Ulf Rönnau, Alexander von Widekind
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FAX-THEMA DER WOCHE Jucken, kitzeln, niesen Wenn an Augen und Nase Erkältungssymptome auftreten, kann in diesen Tagen immer auch ein Heuschnupfen dahinterstecken. Wie Sie selbst Linderung herbeiführen und was der Arzt für Sie tun kann (4 Seiten)
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Ein Mann wie ein Baum
Foto: Helmut Newton/Sygma
Starfotograf Helmut Newton porträtierte Helmut Kohl 1990 vor einer deutschen Eiche
„Ihm wurde nichts geschenkt“ Helmut Kohl wird am Ostersamstag 80 Jahre alt. Exklusiv in FOCUS gratuliert ihm Hans-Dietrich Genscher. Er war sein wichtigster Mitstreiter beim Ringen um die deutsche Einheit. Hier beschreibt er, worum er Kohl beneidete. Und warum mancher Rivale an ihm scheiterte
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Verschonte Jugend
Den Staat im Kopf
Als Sechsjähriger auf dem Schulweg in Ludwigshafen. Als Erwachsener erinnert er sich oft an die „Gnade der späten Geburt“ – er wird nicht in die Wehrmacht eingezogen. Sein älterer Bruder fällt im Krieg
Kohl studiert in Heidelberg Geschichte, Rechts- und Staatswissenschaften. Er promoviert, wird Direktionsassistent bei einer Eisengießerei, dann Referent beim Verband der Chemischen Industrie in Ludwigshafen
Verwurzelt in der Pfalz Hohenzollernstraße 89 in Ludwigshafen, sein Elternhaus. Kohl winkt seiner Mutter Cäcilie zu. Heimatliebe und Erdverwachsenheit werden sein Markenzeichen bleiben. Er gewinnt das Vertrauen von Staatsmännern wie Gorbatschow oder Clinton auch, indem er sie ausgiebig und aufrichtig interessiert nach ihrer Herkunft befragt
Mit den Söhnen Peter und Walter sowie Frau Hannelore im Urlaub am Wolfgangsee. Drei Jahrzehnte lang mietet er ein Haus in St. Gilgen für je vier Wochen. Morgens holt er Brötchen beim Bäcker, nachmittags unterhält er sich mit dem Bürgermeister des Ortes über Dorfpolitik, lässt sich badend oder Hirsche fütternd fotografieren. Heimelig muss es sein
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Fotos: J.H. Darchinger, Richard Schulze-Vorberg, dpa (2), action press
Bad ohne Menge
König von Deutschland Im dänischen Legoland marschiert der schwarze Riese (1,93 Meter groß) durch die Miniatur-Bundesrepublik. Die echten Marktplätze erobert er mit festem Ritual. Eine Kapelle spielt „Ein Jäger aus Kurpfalz“, Stößt er irgendwo auf Touristengruppen, fragt er: „Wo kommt ihr denn her?“, „Seid ihr mit dem Bus da?“
Der Bürgerliche Als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident in seinem Bungalow im Jahr 1974. Nelken in der Vase, ein Trockengesteck und der Kopf einer Raubkatze auf der Kommode. Solche Figuren stellt er später auch in sein Kanzlerbüro
Wo liegt eigentlich Oggersheim? „H. Kohl“ steht auf dem Briefkasten. „Der Mann aus Oggersheim“ war ein Kampfbegriff. Von Kohl-Gegnern als Inbegriff für deutsche Provinz benutzt. Mit Erfolg. Bis heute weiß kaum jemand, dass Oggersheim ein Stadtteil von Ludwigshafen ist
Das Vorbild 1967 als pfälzischer CDULandesvorsitzender an Adenauers 91. Geburtstag. Der „Alte“ war 14 Jahre lang Kanzler, Kohl sogar 16. Er sieht den ersten Kanzler als sein Idol, will ihm nacheifern
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Der Kronprinz hofft Seit der Spendenaffäre hat Wolfgang Schäuble sein Verhältnis zu Kohl für „beendet“ erklärt. Bis heute ist ihm nicht nach Versöhnung. Und doch sagte er vor Kurzem: „Ich wünsche, dass er in seinem Lebensalter seinen Frieden bewahrt. Ich hoffe, er hat ihn längst gefunden.“
Nur Wald-Weggefährten „Wer unter mir Kanzler ist, ist mir egal“, sagte Strauß über Kohl. „Ich war ein Weichei für ihn“, sagte Kohl nach Strauß’ Tod. Ihre legendären Waldspaziergänge sollten die Dauerfehde der Rivalen regelmäßig beruhigen. Hier rasten die beiden HosenträgerTräger gerade in der Erzherzog-Johann-Klause in Österreich. Nach solchen Treffen beschworen beide ihre „Männerfreundschaft“. Bis zum nächsten Konflikt
Wenn Kinder erwachsen werden Er nannte sie „mein Mädchen“. Der Übervater holte Angela Merkel in sein Kabinett als Frauenministerin. Ganz verwinden kann der einstige Ehrenvorsitzende der CDU bis heute nicht, dass sich Merkel nach der Spendenaffäre von ihm lossagte
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Mit Strickjacke und Strippenzieher In Kaukasus besiegeln Kohl, Genscher und Gorbatschow im Juli 1990 die deutsche Einheit. Hans „Johnny“ Klein (4. v. l.), Theo Waigel (6. v. l.) und Eduard Schewardnadse (4. v. r.) sind dabei. Die wuchtigen Baumstamm-Möbel sind heute im Bonner Haus der Geschichte ausgestellt
Abteilung Attacke Mai 1991, Halle: Von Eiern an Kopf und Körper getroffen, schiebt Kohl seine Personenschützer beiseite und läuft wutschnaubend auf den Angreifer zu, will ihn packen: „Da ich nicht die Absicht habe, wenn mich jemand bewirft, davonzulaufen, bin ich eben auf die zu“, sagt er später
Sein Triumphzug Hunderttausende Menschen strömen im März 1990 zur Wahlkampfkundgebung auf den Leipziger Karl-Marx-Platz, wie er damals noch hieß. „Das Ziel, die Einheit Deutschlands zu vollenden, ist nun zum Greifen nahe”, sagt Kohl kurz vor der letzten Volkskammerwahl
Fotos: ullstein bild, J.H. Darchinger, dpa (4)
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enn Helmut Kohl am Ostersamstag das 80. Lebensjahr vollendet, dann werden viele Menschen mit ihren Gedanken, mit Respekt und mit Dankbarkeit bei ihm sein. Für uns, seine Freunde, gilt das in besonderer Weise und in besonderer Verbundenheit. Im In- und Ausland wird man den Mann rühmen, der sich um Deutschland, um Europa und um den Frieden so verdient gemacht hat. Auch seine Gegner werden ihm den Respekt nicht versagen. Auch sie werden anerkennen, dass es eine außergewöhnliche Lebensleistung zu würdigen gilt. Geschenkt wurde dem Mann aus der Pfalz nichts. Sein Leben war harte Arbeit. Es verlangte feste Überzeugungen, Überzeugungskraft und einen langen Atem. Es bedeutete Kampf, und es bedeutete auch Erfolg. Aber es war auch ein Leben mit Enttäuschungen, Rückschlägen und mit Schicksalsschlägen. Geprägt hat ihn sicher seine landsmannschaftliche Herkunft. So kam es zu der richtigen Einschätzung der Bedeutung der deutsch-französischen Aussöhnung. Helmut Kohl ist in dem e i n e n Deutschland aufgewachsen. Dass wir in einem Land leben, war für unsere Generation selbstverständlich. Die deutsche Teilung war für uns etwas Unnatürliches, etwas, was wir nicht hinnehmen wollten. Zu den häufigsten Fehleinschätzungen gehörte es, Helmut Kohl zu unterschätzen. Seinem kämpferischen und machtbewussten Charakter entspricht es, dass mancher, der es dennoch tat, dafür einen hohen Preis zu zahlen hatte. Selbst ernannte Eliten sprachen mit scheinelitärer Arroganz naserümpfend über den Provinzler, der sich von Mainz aufgemacht hatte, um Bonn zu erobern. Mir hat es stets imponiert, wie er sich mit seiner 87
Insignien der Macht Vorn rechts die Pfeifenauswahl, im Regal Skulpturen und eine Mineraliensammlung, auf dem Schreibtisch lauter Münzen als Briefbeschwerer. Hinter dem Lampenschirm das Aquarium mit den Skalar-Fischen. Kohl hat es dem Bundesgrenzschutzbeamten überlassen, der es immer gereinigt hatte
Gebeugter Gang Neben der Ruhestätte seiner Eltern liegt auch jene von Hannelore Kohl. Als sie 2001 den Freitod wählt, markiert ihr Grab zunächst ein Holzkreuz. Sie hinterlässt ihrem Mann einen Abschiedsbrief, in dem steht: „Ich liebe Dich und bewundere Deine Kraft. Möge sie Dir erhalten bleiben. Du hast noch viel zu tun“
Der Chefpilot
Glücksmoment In der Nacht zum 3. Oktober 1990, dem ersten Tag der Deutschen Einheit, steht das Ehepaar Kohl vor dem Reichstag. Ihr Mann diktierte Hannelore Kohl ein Jahr zuvor den 10-PunktePlan für die Einheit. Sie tippte ihn auf einer Reiseschreibmaschine
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Fan und Frau Schon als Mädchen schwärmt Maike Kohl-Richter für den Kanzler, hier bei einer der vielen Preisverleihungen für Helmut Kohl. Sie heiratet ihn 2008 in der Kapelle einer Heidelberger Klinik. Dort wird er behandelt, weil er daheim schwer gestürzt war
Fotos: Helmut R. Schulze, Arne Weychardt, CMK, J.H. Darchinger, dpa, imago
Mächtige Pose: unterwegs in der Regierungsmaschine mit seiner damaligen Büroleiterin Juliane Weber
Heimat identifizierte. Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß oft auch nicht, wohin er will. Er wusste es. Das konnte einen sogar mit der Pflichtmahlzeit „Saumagen“ versöhnen. Freimütig muss ich bekennen, ich habe ihn, den Pfälzer, beneidet, dass er aus seiner Heimat heraus Politik für das ganze Deutschland machen konnte. Für mich war das nur indirekt möglich. Die deutsche Teilung ließ es nicht anders zu. So wurde die deutsche Frage für mich zu d e r Frage überhaupt. Doch hier waren wir uns ganz einig. Der Pfälzer und der Hallenser. Wer selbst seine Heimat liebt, versteht den anderen, der es genauso hält. Auch das hat uns verbunden. Das hat ein besonderes Gefühl der Dankbarkeit vermittelt an jenem Februartag 1990, an dem Gorbatschow in Moskau zum ersten Mal ja sagte zur deutschen Einheit, wenn auch noch nicht zu den Umständen, wie es geschehen sollte. Der Händedruck in der Pressekonferenz in Moskau unter dem Tisch vermittelt, was wir damals empfanden. Das verbindet, und das bleibt.
aber Sorgen um den Ausgleich mit dem Osten machten. Hatten nicht CDU/CSU die Ostverträge erbittert bekämpft, hatten sie nicht die Teilnahme Deutschlands am KSZE-Prozess – der den Weg zur deutschen Einheit öffnete – zu verhindern gesucht? Es gehört zu den großen Leistungen Helmut Kohls, dass er CDU und CSU nicht nur auf den Weg der Vertragstreue verpflichtete, sondern auch auf den Weg der aktiven Vertragsausfüllung. Es waren drei große Ziele, denen sich Helmut Kohl außenpolitisch verpflichtet fühlte. Die Einheit Deutschlands und damit untrennbar verbunden die Einheit Europas und die feste Partnerschaft mit den USA. Dass 20 Jahre deutsche Einheit und die Vollendung des 80. Lebensjahrs von Helmut Kohl in eins fallen, hat mehr als symbolische Bedeutung. Für mich ist es Anlass zu großer Befriedigung, dass ich mit ihm, nachdem wir die Koalition 1982 begründeten, gemeinsam den Weg ins geeinte Land und in das größere, das freiheitliche Europa beschreiten konnte. Dass es zwischen uns in der gemeinsamen Regierungsiejenigen, die Helmut zeit auch MeinungsverschiedenKohl unterschätzten, hatheiten gegeben hat – wer wollte ten sich nur ein höchst das bestreiten. Wie aber kann es oberflächliches Bild von ihm veranders sein, wenn sich zwei eischafft. Sie hatten weder sein genständige und selbstbewusste Machtbewusstsein auf dem Weg Menschen begegnen. Doch zwian die Spitze in Rheinland-Pfalz schen uns waren stets stärker die als Fraktionsvorsitzender, als Langemeinsamen Grundüberzeugundesvorsitzender und als Ministergen und das Bewusstsein gemeinpräsident verstanden, noch hatten samer Verantwortung. Der Weg sie erkannt, dass da ein Junger zur deutschen Einheit und die kam, der seine Partei aufmischte, entschlossene Stärkung der euroder die betuliche CDU in eine mopäischen Einigung waren keine derne Volkspartei umwandelte. einfachen Vorhaben. Da war kein Ein Politiker, der eigenständige Platz für Auseinandersetzunund meist auch eigenwillige Pergen, die über die Diskussion des sönlichkeiten zu gewinnen verWeges zum gemeinsamen Ziel mochte und damit der CDU neue hinausgingen. Der Einheits-Architekt gratuliert Impulse gab. Das gilt auch für den Heute gilt es, Helmut Kohl zu Bundesvorsitzenden der CDU. Ohne seine diplomatische Kunst und seinen Einsatz hätte würdigen. Für mich gehört er zu Sein Machtbewusstsein hat sich es kein geeintes Deutschland gegeben. Hans-Dietrich den großen und den verdienstauch später bewährt in der AusGenscher handelte mit Bündnispartnern und einstigen vollsten Deutschen nach dem Feinden die Bedingungen für die Wiedervereinigung aus. Zweiten Weltkrieg. Wer die Enteinandersetzung mit Franz Josef „Für uns beide war die Teilung etwas Unnatürliches, etwas, wicklung unseres Landes seit Strauß. was wir nicht hinnehmen wollten“, schreibt der 83-Jährige 1945 betrachtet, wird feststellen, Das alles muss man bedenken, es war stets ein steiler, ein steininun in FOCUS zum 80. Geburtstag Helmut Kohls wenn man verstehen will, wie es ger und ein mühevoller Weg. Das ihm gelang, 16 Jahre lang Bundeskanzler zu sein. Die FDP hatte wird so bleiben. Vor allem wird 1982 mit ihrer mutigen Entscheidung aus außen-, sicherheitsbleiben, was Richard von Weizsäcker treffend feststellte: „Uns und aus finanzpolitischen Gründen mitten in der LegislaturDeutschen hat unsre Geschichte nie allein gehört.“ So wird es periode Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. Diese Entauch in Zukunft bleiben. Das macht unsere Verantwortung in scheidung wurde fünf Monate später vom Wähler eindrucksvoll und für Europa aus. Eine neue Weltordnung, die überall in der bestätigt. Der Nato-Doppelbeschluss war es, den wir LiberaWelt als gerecht empfunden werden kann, wird es nur dann len gemeinsam mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt für geben, wenn weltweit dieselbe Kultur des Zusammenlebens notwendig hielten, den die SPD aber nicht mehr mittragen entsteht, die nach einer wechselvollen Geschichte in Europa wollte. Mit der Bildung der neuen Regierung aus CDU/CSU und nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht werden konnte. Daran FDP wurde der sicherheitspolitische Kurs der Bundesrepublik werden alle gemessen werden, die jetzt und in Zukunft VerDeutschland bestätigt. antwortung tragen. Helmut Kohl gehört zu denen, die dafür Aber was wird aus der Ostpolitik? Das war damals die bange Maßstäbe gesetzt haben. Dafür gebührt ihm unser aller Dank. ■ Frage für viele, die zwar den Regierungswechsel wollten, sich Herzlichen Glückwunsch, Helmut Kohl!
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„Allah stelle ich nicht in Frage“ Die streitlustige Islamkritikerin Necla Kelek über die reaktionären Wächter ihrer Religion, die sie sich in ihrem neuen Buch „Himmelsreise“ vorknöpft
Necla Kelek,
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Gastarbeiterkind 1967 nach Deutschland gekommen, Studium der Soziologie, 2001 Promotion.
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Bestsellerautorin Ihr erstes Buch „Die fremde Braut“ verkaufte sich mehr als 260 000-mal.
Waren Sie schon einmal in Mekka, Frau Kelek?
Nein, sich als Frau oder Wissenschaftlerin dort einfach mal umzuschauen, das geht leider nicht. Mekka ist eine heilige Stadt, man braucht ein Visum. In Deutschland organisieren die Islamverbände die Wallfahrt. Das ist ein Riesengeschäft mit den Gläubigen und hat für mich nichts mit Spiritualität zu tun.
Foto: G. Hohenberg/F OCUS -Magazin
Was für ein Verhältnis haben Sie persönlich zu dieser Religion, mit der Sie so hart ins Gericht gehen?
Ich bin eine Muslimin, aber ich befolge keine Rituale, außer dass ich während des Fastenmonats Ramadan auf Feste gehe. Selbst faste ich aber nicht. Mit 14 Jahren habe ich es ein einziges Mal versucht. Doch damals stach mich eine Biene, und ich bekam eine riesige Schwellung – das nahm ich als Zeichen Allahs, es besser nicht zu wiederholen. In manchen Momenten bete ich auch, zum Beispiel als mein geliebter Onkel starb. Wie religiös sind Sie denn erzogen worden?
Die Tortur einer Koranschule ist mir erspart geblieben. Ich hatte zum Glück säkulare Eltern, die vor der doktrinären islamischen Lebensweise auf dem Land nach Istanbul geflüchtet waren. Meine Mutter sagte immer, Allah ist das ganze Himmelszelt, er beschützt dich und gibt dir Halt. Ich stelle Allah auch nicht in Frage, für mich ist Religion die Suche nach dem Sinn des Lebens – da gibt es keine fertigen Wahrheiten.
Nach Ihren Büchern über die importierten Bräute und die unfreien Söhne nehmen Sie in Ihrem neuen Buch „Himmelsreise“ jetzt die „Wächter des Islam“ ins Visier. Warum stellen Sie diese derart an den Pranger?
Weil der Islam nicht in der Freiheit ankommen will. Diese Religion befördert und legitimiert nach wie vor alte Traditionen, anstatt sie zu beseitigen. Die Islamwächter – und dazu zähle ich die Funktionäre, Imame und Patriarchen – kontrollieren die Einhaltung der oft archaischen Gebote und Gesetze. Ich bin für mein Buch diesen Menschen gefolgt, die den Islam vermitteln und die Deutungshoheit für sich beanspruchen. Dabei habe ich festgestellt, dass der organisierte Islam konservativ bis reaktionär ist. Und diese Verbände bestimmen das Bild des Islam, obwohl sie nur eine Minderheit vertreten. Ich habe mich auch mit der Denkweise der sogenannten Reformer wie Fethullah Gülen und Tariq Ramadan auseinandergesetzt, musste aber feststellen, dass sie zwar Handys und das Internet lieben, sich gedanklich aber noch im Mittelalter befinden. Muslime werfen Ihnen vor, Sie lasten archaische Traditionen zu Unrecht dem Islam an. Ist denn der Islam für Zwangsehen und Ehrenmorde verantwortlich?
Im Koran und den Überlieferungen findet man Stammesbräuche und Sitten, die es schon vor dem Islam gab. Der
West-Ost-Diwan Necla Kelek lebt in BerlinLichtenberg in einer früheren Mädchenschule
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Koran hatte sie übernommen, weil es damals darum ging, möglichst viele Stämme für die neue Lehre zu gewinnen. Viele der Suren aus Medina sind politische Statements für die damalige Zeit. Heute sind sie hinderlich und gehören abgeschafft. Wenn mir vorgehalten wird, Zwangsverheiratung habe nichts mit dem Islam zu tun, frage ich zurück: Warum aber findet sie noch heute vor allem in islamischen Ländern statt? Dem Islam fehlt einfach die Aufklärung und die Achtung vor den Frauen. Auch in Deutschland kenne ich keinen Imam, der seine Gemeinde aufgefordert hätte: Geht doch nicht zu der Hochzeit mit der minderjährigen Importbraut. Es wird immer wieder so getan, als habe der Glaube des Islam nichts mit der Kultur und Politik zu tun, die in seinem Namen geschieht. Welche Rolle könnte der Koran noch in einem aufgeklärten Islam spielen?
RICHTIG EINGETEILT KÖNNTE SO EIN GLÜCKSTAG AUSSEHEN.
Der Koran muss nicht mehr als Gesetzesbuch angesehen werden, sondern als ein historisches Dokument. Wir haben inzwischen Parlamente, Gesetze und Gerichte, da brauchen wir die Scharia nicht mehr. Der Koran ist einfach ein literarischer, teils spiritueller Text, in dem wir auch sanfte und schöne Verse finden. Wie sähe ein moderner Islam nach Ihrer Fasson aus?
Ein Islam, der aufhört, die Apartheid von Männern und Frauen zu praktizieren. Er sollte den Menschen helfen, mit dem modernen Leben und der Freiheit umzugehen. Auch muss er der Vergeltung abschwören und darf Menschen anderen Glaubens nicht diskriminieren. Sie sprechen von Islamdiktaturen – gibt es eine solche auch in Deutschland?
Nein, aber ich bin mir sicher, dass die Moscheevereine in Deutschland mit ihren fast 2000 hauptamtlichen, meist schlecht ausgebildeten Vorbetern die Entwicklung von Parallelgesellschaften befördert haben. Die rückwärtsgewandten Imame haben einen destruktiven Einfluss auf die Einwanderer. Gerade habe ich wieder von einer Freitagspredigt erfahren, in der der Imam verkündet hat, dass Frauen nicht außerhalb der Familien arbeiten dürfen. So werden sie mit Hilfe der Hodschas wieder im Besitz der Männer gehalten. Die Hodschas verhindern also regelrecht die Integration?
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as Geheimnis des Niederegger Marzipans geben
wir in unserem Familienunternehmen seit 1806 von Generation zu Generation weiter. Mandeln höchster Qualität werden in unserem Hause veredelt und nach handwerklicher Tradition in Röstkesseln über offener Flamme zubereitet. Marzipan aus Liebe. Seit 1806.
Ja, ich habe diesen Eindruck. Die Imame sind meist ganz einfache Menschen mit einer schlichten Ausbildung. Mit acht Jahren fangen sie an, den Koran auswendig zu lernen, mit 13 können sie schon Vorbeter sein. Die meisten sind keine Gelehrten und auch keine Theologen, vor allem wissen sie nichts von der deutschen Gesellschaft. Müssen sich Muslime durch Ihre harsche Kritik nicht diffamiert fühlen?
Das glaube ich nicht. Säkulare Muslime, die sich dem Volksislam entzogen haben, können sich gar nicht beleidigt fühlen. Sie nehmen die Vorbeter und Verbände ohnehin nicht ernst. Die anderen wiederum stehen zu dem traditionellen Islam und lehnen mich als Ungläubige ab. Blockiert der Islam den Aufstieg durch Bildung?
Der Islam hat bisher keine Menschen gefördert, die fragen und zweifeln. Aber wer in unserer Gesellschaft nicht neugierig ist, hat einen schweren Stand. Die Traditionalisten glauben, ihrer Bildungspflicht Genüge getan zu haF OCUS 13/2010
EIN FÜRSTLICHER OSTERBRAUCH.
„Ich kenne keinen Imam in Deutschland, der seine Gemeinde auffordert: Geht nicht zu der Hochzeit mit der minderjährigen Importbraut“ Necla Kelek
ben, wenn sie ihre Kinder in die Koranschule schicken. Die anderen wenden sich ab, verlassen diese Stadtteile und orientieren sich an anderen Werten. Denn immer mehr wollen in dieser Gesellschaft ankommen und ergreifen die Chance, die sie bekommen. Wenn heute noch Migranten in diesem Land nicht lesen und schreiben können, ist ganz sicher nicht Deutschland schuld daran. Wer ist dann schuld?
Dass sich Migranten von überkommenen Traditionen lösen, verhindern die reaktionären Imame und Moscheevereine. Sie verheiraten ihre Söhne und Töchter weiterhin mit ungebildeten jungen Frauen und Männern aus der alten Heimat, weil sie sich von ihnen Gehorsamkeit erhoffen. Für die Bräute ist es oft die einzige Möglichkeit, der Armut zu entfliehen. Aber sie kommen meist vom Regen in die Traufe, wenn man sie hier in den Familien einsperrt. Zum Glück gibt es jetzt Sprach- und Integrationskurse und ein Mindestalter von 18 Jahren für den Familienzuzug. Nach Einführung des Testes „300 Worte Deutsch“ ist ja auch die Zahl der türkischen Importbräute drastisch gesunken. Sie bezeichnen den Dialog der deutschen Islamkonferenz als „erfolgreich gescheitert“. Was raten Sie dem Bundesinnenminister?
Es ist richtig, dass Herr de Maizière sich nicht mit Vertretern des Islamrats an einen Tisch setzt, der auch die Organisation Milli Görüs vertritt. Gegen diesen Verband ermittelt die Staatsanwaltschaft ja wegen erheblicher Strafsachen, über deren Ausmaß vornehm geschwiegen wird. Aber auch die Geschäfte, Aktivitäten und Abhängigkeiten der anderen Vereine sind völlig undurchsichtig. Für mich bleibt die Ditib der einzige Ansprechpartner, auf den ich setzen würde. Der Religionsverband Ditib wird doch aber komplett von Ankara gesteuert . . .
Ja, ihre 800 Hodschas sind Staatsdiener der Türkei. Der deutsche Ableger muss sich von Ankara lösen und seine Imame hier ausbilden, um für die deutschen Muslime sprechen zu können. Die Bundesregierung sollte die Ditib besser finanzieren, damit sie von der Türkei unabhängig wird. In Ihrem Buch deuten Sie an, dass der Verband Milli Görüs Parteien, vor allem die CDU, quasi zu unterwandern versucht. Ist das nur eine Vermutung?
Es gibt eine Reihe von Indizien und Aussagen von führenden Islamfunktionären, die zum Marsch durch die Parteien ■ auffordern. INTERVIEW: GUDRUN MEYER / ULRIKE PLEWNIA
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Literazzia
Ein kleines Nasebluten für den Kritiker Laurence Sterne
Martin Walser
Jan Faktor
Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick
Leben und Schreiben
Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen HodensackBimbams von Prag
Dieses federleicht geschriebene Buch, erstmals im Februar 1768 erschienen, gab einer ganzen Epoche den Namen: das Zeitalter der Empfindsamkeit. Doch das waren nicht etwa Jahre keuscher Blicke, verstohlener Zärtlichkeiten und heimlicher Billette. Wer diesen Roman, der jetzt zum ersten Mal von Michael Walter ganz auf das sternianische Original zurückgeführt ist, in die Hand nimmt, wird von der ersten bis zur letzten Seite Zeuge einer erotisch-sexuell aufgeladenen Tour durch Frankreich und Italien. Statt von den Sehenswürdigkeiten zu berichten oder von Begegnungen mit berühmten Franzosen und Italienern, entwirft Yorick alias Sterne in wenigen Sätzen Charaktere und pikante Szenerien. Mit sichtbarem Vergnügen, aber unschuldigem Augenaufschlag kostet der Reisende alle schlüpfrigen Gedanken und verführerischen Situationen aus – in feinen Anspielungen und Doppeldeutigkeiten. Mit scheinheiliger Ironie betont er ständig die Reinheit seiner Gedanken und schiebt moralische Unanständigkeit dem Leser in die Schuhe. Sternes geistvoll witziger Humor und seine erotische Offenheit haben viele Nachahmer gefunden, rs er blieb jedoch unerreicht.
Das Jüngste Gerücht
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Rowohlt Verlag, 591 Seiten, 24,95 Euro
Kiepenheuer & Witsch, 639 Seiten, 24,95 Euro
Kann Pubertät langweilig sein? „Ich war darauf trainiert, meine Linsen sofort scharf zu stellen, wenn in mein Sichtfeld etwas Frauenähnliches geraten sollte.“ Georg wächst in Prag in einem Haushalt voller Frauen auf, alle mehr oder weniger weitläufig verwandt. Der Vater ist beim Geheimdienst, die Mutter arbeitet mit führenden Intellektuellen an einer liberalen Zeitschrift. Es ist die bleierne Zeit vor dem Prager Frühling; dem kurzen Tauwetter folgten 20 Jahre, in denen die Intelligenz des Landes praktisch lahmgelegt wurde. Georg entdeckt die sexuelle Schamlosigkeit – und parallel dazu das Destruktive von Dreck als Abwehrzauber gegen die realsozialistischen Zumutungen. Faktor verkauft seine Geschichte als Roman, der Stoff und die Themenkreise sind aber weitestgehend autobiografisch. Er ist 1951 in Prag geboren, allerdings seit 1978 nach Ostberlin verheiratet, wo er sich bis 1989 ausschließlich in der alternativen Kulturszene tummelte und literarische Experimente pflegte. Ihm ist ein deftiger Entwicklungsroman gelungen, oft schalkhaft und mit groteskem Humor, dann wieder surreal und von verblüffender Obszönität. Sehr lesenswert. rs
Fräulein Hegemann war zum Tee bei Maxim Biller eingeladen. Voller Neugier musterte sie das Bücherregal. „Da brauchen Sie gar nicht so genau hinzusehen“, warnte Biller. „Das habe ich schon alles selbst abgeschrieben“ René Faber F OCUS 13/2010
Illustration: KAFI/F OCUS -Magazin
Galiani Verlag, 359 Seiten, 24,95 Euro
Das größte anzunehmende Unheil für einen Schriftsteller: ein Totalverriss. Martin Walser geschah dies am 27. März 1976, was zum bleibenden Zerwürfnis mit dem Starkritiker Marcel Reich-Ranicki führte. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte der über dessen gerade erschienenen Roman „Jenseits der Liebe“ geätzt: „Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen.“ Und fährt dann fort: „In dieser Asche gibt es keinen Funken mehr . . . Hier sucht man vergeblich nach einer Oase und findet überall nur Sand und Müll . . .“ Von Offenen Briefen an die Redaktionen konnte Verleger Siegfried Unseld seinen Autor zwar abbringen. Aber Rachefantasien züngelten in Walser: „Eine Ohrfeige, die ihn schon eine Zeit lang schmerzen würde, vielleicht auch ein kleines Nasebluten.“ In den jetzt vorliegenden Tagebüchern Walsers von 1974 bis 1978 kann man nachlesen, dass Wut und Rachsucht sich überraschend schnell abkühlten, obwohl in Folge dieses Verrisses die Zahl der negativen Kritiken wuchs. Eine bemerkenswerte Gelassenheit angesichts der Gehässigkeiten des Literaturbetriebs. 2002 schreibt Walser dann den skandalisierenden Roman „Tod eines Kritikers“. rs
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Eine zauberhafte Nanny GB 2010, REGIE: Susanna White DARSTELLER: Emma Thompson u. a.
Im zweiten Abenteuer bändigt das magische Kindermädchen die wilden Kinder einer jungen Mutter, deren Mann an der Zweiten-Weltkriegs-Front kämpft.
Lourdes
Der Engelsstadt-Neurotiker In dem Indie-Dramolett „Greenberg“ offenbart Comedy-Star Ben Stiller eine völlig neue Seite von sich – ganz im Geist Woody Allens
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omisch sind an Ben Stiller, wie oft bei Komikern, nur seine Rollen. Wann immer man ihn zum Interview trifft, erweist sich das Energiebündel, das vor Kameras vor keinem noch so absurd-abstrusen Scherz zurückschreckt, als stilles, introvertiertes und wenig lustiges Wesen. Ob das nun die wirkliche Natur des Stars von Comedy-Hits wie „Tropic Thunder“, „Nachts im Museum“ oder „Meine Braut, ihr Vater und ich“ ist, bleibt dahingestellt. In „Greenberg“ jedenfalls, einem kleinen sympathischen Independent-Film von Noah Baumbach („Der Tintenfisch und der Wal“), zeigt sich der andere Stiller nun auf der Leinwand: „Du bist so still“, sagt die Freundin seiner Bekanntschaft in einer Bar zu ihm. Verlierer in der Stadt der Sieger. „Greenberg“ ist eine klassische Loser-Story, ein entspanntes Dramolett über eigenartige Durchschnittstypen, die Schwierigkeiten haben, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Da ist der Titelheld Greenberg (Stiller), den es nach einem Aufenthalt in einer New Yorker psychiatrischen Klinik nach Los Angeles verschlägt, wo er auf das Familiendomizil seines verreisten Bruders aufpassen soll. Ein kleiner verdruckster Menschenfeind, der Beschwerdebriefe an Gott und die Welt schreibt, Pop-Schlager aus den 70ern hört („Man
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muss hinter den Kitsch schauen“) und bewusst versucht, „nichts zu tun“. Als überzeugter Anti-Autofahrer ist er in der zersiedelten Stadtwüste zudem zum Außenseiter prädestiniert. Das Haus des Bruders, inklusive zurückgebliebenem Schäferhund Mahler, wird allerdings auch von Florence (Greta Gerwig) gehütet, dem Mädchen für alles der Familie. Eine junge Frau, offenherzig und hübsch, aber ohne große Ambition oder Karriereplan, die sich gern in den Dienst anderer stellt. Und so kommen sich die beiden, Florence und Greenberg, wohl oder übel etwas näher. Wie und vor allem auch wie nicht, das ist mit einer wunderbar entrückten Melancholie und charmanten Lakonie erzählt, obwohl die Dialoge durchaus auch an egomanische Ergüsse Woody Allens erinnern. Als dessen kalifornischer Erbe entpuppt sich Greenberg nämlich letztlich, als Engelsstadt-Neurotiker im milden Licht zerstobener Träume. „Verletzte Menschen verletzen Menschen“, referiert Florence einmal ihre noch junge Lebenserfahrung. Spätestens als Greenberg dann diesen Satz als Weisheit für sich selbst reklamiert, weiß man, dass die Liebe der ■ beiden eine Chance haben müsste.
ÖSTERR. 2009, REGIE: Jessica Hausner DARSTELLER: Sylvie Testud u. a.
Weniger aus Überzeugung als aus Sehnsucht nach Abwechslung nimmt eine an Multipler Sklerose leidende, junge Frau an einer Wallfahrt teil, auf der sie den durchorganisierten und kommerzialisierten Betrieb des Pilgerorts mit amüsierter Nüchternheit verfolgt.
Der Kautions-Cop USA 2010, REGIE: Andy Tennant DARSTELLER: Jennifer Aniston u. a.
Sex-Clinch Gerard Butler und Jennifer Aniston lieben und schlagen sich
Die vergnügliche Aufgabe, die eigene Ex gegen Kopfgeld vor Gericht zu zerren, erweist sich in dieser ActionKomödie als unerwartet tückisch.
Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest USA 2009, REGIE: Antoine Fuqua DARSTELLER: Richard Gere, Ethan Hawke
Bei einer groß angelegten Razzia kreuzen sich auf schicksalhafte Weise die Wege eines kurz vor der Pension stehenden Streifenpolizisten, eines Undercover-Cops und eines Drogenfahnders. Ein authentisch harter Thriller über Korruption und Gewalt im Polizeialltag.
HARALD PAULI
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Fotos: Tobis Film, Sony Pictures
Selbstsuche per pedes Im hypermotorisierten Los Angeles macht sich Greenberg (Stiller) auf den Weg zu sich selbst
Im zweiten Anlauf Das neue Geschichtsmuseum über die NS-Verbrechen wird gerade eingerichtet – Reste der Berliner Mauer begrenzen das Areal auf der Nordseite
Die Bürde des Ortes Eine unendliche Geschichte: Das NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin wird doch eröffnet
D
ie Adresse war berüchtigt: Berlin, Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8. In der einstigen Kunstgewerbeschule begann die Gestapo im Mai 1933, ihre Terrorzentrale aufzubauen, in der sie bis 1945 fast 15 000 Nazi-Gegner verhören und foltern ließ. In die Nachbarbauten quartierte Heinrich Himmler die SS und das Reichssicherheitshauptamt ein – am Rande des Regierungsviertels etablierte Hitlers Oberscherge so einen separaten Überwachungs- und Verfolgungsapparat.
Zufriedener Direktor Der Rabbiner Andreas Nachama, 58, leitet die Stiftung Topographie des Terrors – im neuen Ausstellungssaal wird künftig die Dokumentation „Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt“ gezeigt
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Das historisch belastete Gelände geriet in der Nachkriegszeit in Vergessenheit, die Gebäude waren abgetragen. Erst in den 80er-Jahren kämpften Bürgerinitiativen für eine Gedenkstätte, die an dieser Stelle an die NS-Verbrechen erinnern sollte. Eine beinahe unendliche Geschichte nahm ihren Lauf, die nun am 6. Mai mit der Einweihung des neuen Dokumentationszentrums Topographie des Terrors durch den Bundespräsidenten doch noch ihr Ende findet.
„Wir sind kein deutsches HolocaustMuseum“, betont Direktor Andreas Nachama, „in unserem Zentrum geht es primär um die Täter, die von hier aus den Mord an den europäischen Juden und auch den Terror gegen die Gegner des Regimes koordiniert haben.“ Den minimalistisch anmutenden Neubau lobt er in höchsten Tönen – das hat allerdings seine Vorgeschichte. Bereits 1995 hatte Berlin mit dem Bau einer architektonisch spektakuläreren Dokumentationsstätte begonnen, doch die hochfliegenden Pläne des Schweizer Baukünstlers Peter Zumthor bekam die Bauverwaltung weder finanziell noch bautechnisch in den Griff. Das Land stoppte das Projekt – 15 Millionen Euro waren in den Sand gesetzt. Nach dem kostspieligen Debakel durfte das jetzt in Bundesregie geplante Gebäude nicht mehr als rund 22 Millionen Euro kosten. Doch Nachama gefällt der flache quadratische Entwurf der Architektin Ursula Wilms ohnehin besser, weil er „das umliegende Gelände, unser eigentliches Exponat, zum Sprechen bringt“. So gewährt der hinter einem grauen Lamellenkleid verborgene Pavillon von allen Räumen Ausblicke auf den „Lernort in der Stadtlandschaft“. Auf dem Areal können die Besucher künftig an 15 Stationen Informationen über die Schaltzentralen des Nazi-Terrors abrufen. Belanglose Spuren wie Kellerfußböden sind wieder zugeschüttet. „Wir sind hier nicht in Pompeji“, kommentiert Nachama. Im Innern wird eine große Dauerausstellung präsentiert, auch Berichte von Zeitzeugen sind zu hören. Das großzügige Auditorium und Seminarräume lassen ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm erwarten. „Wir wollen aber keine Lernmaschine werden“, betont Nachama und verweist auf kontemplative Plätze wie den Innenhof samt Wasserbecken. Etwa 500 000 Besucher hat die provisorische Ausstellung im Freien pro Jahr bisher angezogen. „Im Gegensatz zur Gedenkstätte Sachsenhausen, wo überwiegend Gruppen geführt werden, kommen sie zu uns aus eigener Motivation“, stellt Nachama fest. Ab 14 Jahren lautet die Altersempfehlung des Rabbiners, doch „Erziehung nach Auschwitz kann und sollte zu Hause auch schon früher beginnen“. ■ GUDRUN MEYER
F OCUS 13/2010
Fotos: J.-P. Boening/Ag. Zenit/F OCUS -Magazin, Stiftung Topographie des Terrors/Damaros
K U LT UR
PREMIEREN
GALERIE
Salzburger Preziosen Mit Eintrittskarten bis zu 1476 Euro für das aus Oper und drei Konzerten bestehende Abo gehören die Salzburger Osterfestspiele zu den weltweit teuersten Festivals. Doch die Karajan-Stadt lockt auch nach dem ImageSchaden durch die Finanzaffäre mit bezahlbaren Leckerbissen. In der Reihe „Kontrapunkte“ kosten die Karten für die drei Konzerte „Haydn und …“ im Mozarteum am 31.3., 1.4. und 4.4. jeweils nur 20 Euro.
Nackter Kitzel Kurz bevor der Bildhauer Antony Gormley vergangene Woche sein Kunstprojekt „Event Horizon“ in New York startete, war die Polizei von Manhattan bereits alarmiert. Nein, es sind keine Selbstmörder, die auf den Hochhäusern rund um den Madison Square Park stehen, ließen die Beamten besorgte Bürger wissen. Auf die Entfernung betrachtet, wirken die 27 nackten Männerskulpturen von Gormley wie echte Kerle – kurz vor dem Absprung. Unten am Boden hat sich der Brite in vier weiteren Figuren selbst verewigt. Gormleys privat finanziertes Projekt ist noch bis cöp 15.8. zu sehen.
Wilder Wagner Nach der Premiere vom 28.3. ist die „Parsifal“Version des katalanischen Enfant terrible Calixto Bieito noch viermal im April in Stuttgarts experimentierfreudiger Oper zu sehen. Manfred Honeck dirigiert.
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Lebensmüde? Bungee-Springer? Antony Gormleys Skulpturen in Manhattan wirken lebensecht
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0,46
Sein Nachbau der ersten modernen Einbauküche von 1926 auf der Biennale von Venedig 2009 erzürnte viele Kritiker. Dabei setzt der Brite Liam Gillick in seiner Kunst gekonnt auf Design (Foto). Die Bundeskunsthalle Bonn zeigt ab 1.4. mehr von ihm.
Männer, die auf Ziegen starren
2009
60 4
25
2,4
Tödliches Kommando – The Hurt Locker
2009
27
15
1,8
Der Mann, der niemals lebte
2008
116
70
1,7
Operation: Kingdom
2007
87
70
1,2
0,8 30 97 108
5 23 72 75
0,2
Three Kings
2007 2007 2005 1999
Mut zur Wahrheit
1996
101
46
2,2
Jarhead
1,3 1,3 1,4
1 ı in Mio. US-Dollar; 2 ı Produktionskosten ohne Marketing, in Mio. US-$; 3 ı Etwa die Hälfte der Umsätze geht an die Kinos, erst ein Erfolgsfaktor ab 2,0 kann einen Film profitabel machen; 4 ı derzeit noch im Kino
Kunstvolle Effekte Quellen: boxoffice mojo, imdb
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Der eine fackelt die Küche ab, der andere bringt eine Kiste zum Sprechen: Wie zwölf Künstler multimediale Effekte nutzen, zeigt die Kunsthalle Wilhelmshaven bis 30.5. in der Schau Augentäuschung.
Fotos: AP, Liam Gillick, dpa
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2010
Im Tal von Elah
F OCUS 13/2010
Cooles Design
4
Green Zone
Redacted
Film-Opfer Trotz Oscars floppte „The Hurt Locker“
Jahr
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Film
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Hollywood ist wirklich tapfer. In mehr als 20 Filmen hat sich die Traumfabrik in den letzten 15 Jahren mit den Kriegen und Krisen im Nahen Osten auseinandergesetzt. Aber selbst die sechs Oscars für „The Hurt Locker“ oder das „Bourne“-Erfolgsteam Matt Damon/Paul Greengrass bei „Green Zone“ konnten das Geschäft nicht profitabel mahap chen. Fast alle Filme floppten böse.
3
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Hollywoods hohe Verluste im Irakkriegs-Kino
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A NZEIGE
DAS MAGAZIN FÜR ENGAGIERTE ELTERN Nr. 2 April/Mai 2010
NE W S
6
LERNEN
Sexueller Missbrauch in Internaten, weiter Proteste gegen das G8, Elternwahlrecht beim Übertritt
T IT ELT HEM A ä 10 Diagnose ADHS: Was Betroffenen,
38–47
Eltern und Mitschülern wirklich hilft – und wie neue Unterrichtsmethoden Lernerfolge erlauben
Ohrwürmer wie von Pink komponieren Zehn Seiten Lerntipps und Spielideen, mit denen Sie Ihr Kind im Schulalltag unterstützen können. Dazu: spannende Aufgaben, die es allein lösen kann
S CHULE
20
Privatinitiativen: Engagierte Bürger, die in Schulen Erstaunliches bewegen
24
Erste Hilfe: Zwölfjährige üben Herz-Lungen-Wiederbelebung
ä 26 Ärger mit Schulbüchern: Die Inhalte sind oft mangelhaft, aber niemand fragt die Zielgruppe
ä 30 Schulrecht: Wie weit dürfen Lehrer gehen?
32
Unterrichtsexperiment: Segelschiff statt Klassenzimmer
36
Gewinnspiel: Einladung zum Amazonas im Legoland
LERNEN ä 38 Richtig recherchieren: Fahrplan für eine perfekte Vorbereitung
20
Mit Pastelltönen den Aufstieg schaffen Eine Künstlerin bringt Schülern das Malern und Gestalten bei – und verbessert nebenbei deren Chancen auf einen Ausbildungsplatz
41
Englisch: Unregelmäßige Verben spielerisch üben
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Musik: Harmonielehre – das Geheimnis hinter den Pop-Songs
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Mathematik: Rechnen mit Platzhaltern
MEDIEN ä 48 Nachhilfe online: Der Lehrer kommt per Mausklick
52 Sehnsucht nach Kermit Für Eltern, die dem Nachwuchs gern zeigen, was sie selbst als Kinder liebten: Immer mehr alte Sendungen sind auf DVD erhältlich
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Fotos: M. Ley, T. Wegner, F. Schinski (alle), Schule im Ehrlich/Speyer, getty images
Titel: mauritius images
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TV-Nostalgie: Die besten Kindersendungen von einst auf DVD
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Neuheiten vom Medienmarkt: Bücher für Fußballfans; Religion verstehen; Schüler testen Schulbücher; Ratgeber für Eltern
PER SPEK TI V EN
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Poesiealben: Von Omas Lyriksammlung zum Sticker-Heft
Die Titelthemen sindFrot gekennzeichnet. OCUSS CHULE 03 / 2 0 0 8
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FA MIL IE
66
Familienautos: Van, Kombi oder Transporter – was passt zu wem?
ä 72 Berufsberatung: Besuch bei einem professionellen Coach
75
Ernährung: Hilfe, mein Kind ist Vegetarier!
76
Energie sparen: Tipps zur umweltgerechten Haussanierung
Jet>zt a>m Kio‚k!
W I S SEN ä 80 Pornos im Internet: Wie gefährdet sind unsere Kinder?
84
Schnupfen oder Allergie: Woran man den Unterschied erkennt
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Stammzellenspende: Reportage über einen Einsatz fürs Leben
BILDUNG ä 92 Motivation durch Tanz: Interview w mit Choreograf Royston Maldoom oom
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Ganztagsschulen: Was wir von n nen den Niederlanden lernen können
ä 100 Begabte: Für wen es sich lohnt, nt, eine Klasse zu überspringen
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Schicksal: Wiedersehen nach h 65 Jahren dank FOCUS-SCHULE ULE
104
Fakten: Das Bundesministerium rium für Bildung und Forschung
ä 106 Privatschulen: Eine Mutterr ahren über absurde Ausleseverfahren
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Wir über uns: Forum für Nachwuchsjournalisten
FREIZEIT
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Wandern: Wenn Vater und nd Sohn Zeit füreinander haben
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Selbstverteidigung fürs s Kind? Zwei Mütter, zwei Meinungen nungen
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Gärtnern: Fünf Ideen für drinnen und draußen
REIFEPRÜF UNG
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Annette Humpe: Die Sängerin und Produzentin über er strenge ädchen Eltern und wilde Mädchen
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Editorial Leserbriefe/Impressum essum Vorschau
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MODE R N E S LE B E N
OUTDOOR-SPEZIAL
Wer in ist, muss draußen sein Der klassische Outdoor-Markt bringt der Branche nur noch bescheidenes Wachstum. Verstärkt setzen die Ausrüster deshalb auf eine neue, lukrative Zielgruppe: sport- und naturbegeisterte Großstädter, die das kalkulierbare Abenteuer suchen
Die Felswände der Großstadt Mit Urban Climbing (hier in Wien) wirbt
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in beiges Leinentuch, kaum einen halben Quadratmeter groß, vier helle Holzleisten, zwei dunkelbraune, schmale Lederriemen. Dazu zwölf Nieten, die dem archaischen Konstrukt Halt geben. Auch nach mehr als einem halben Jahrhundert hält es noch. Die Fertigung des ersten Wanderrucksacks, der keinen Namen und keine Artikelnummer trägt, kostete umgerechnet keine zehn Euro. Heute ist die Idee viel Geld wert, ist Grundlage für den weltweiten Erfolg des Outdoor-Giganten Fjällräven. Die Nachfahren des „Erfinders“ Åke Nordin setzen mittlerweile Millionen um – nicht nur mehr mit Rucksäcken. Fjällräven verkauft Jacken, Schlafsäcke, Zelte, Geschirr – und wenn es sein muss auch Hosenträger mit dem Firmenlogo: dem Polarfuchs. Kein Tal, kein Berg ist mehr sicher vor der Schweden-Marke. Der Aktienkurs der Fenix-Gruppe legte an der Stockholmer Börse seit 2002 um 400 Prozent zu. Und ein Ende des Aufstiegs
100
ist nicht in Sicht. Während etliche Bereiche der Sportartikelbranche darben, hat die Outdoor-Industrie Mühe, genügend Nachschub in die Regale zu bringen. 2008 legte der Umsatz um 14 Prozent zu, ebenso 2009 – und diese Saison dürfte das nächste Jahr mit steigenden Verkaufszahlen sein.
Abschied von durchfrorenen Nächten und nassen Socken In den 70er- und 80er-Jahre suchten fast ausnahmslos Trekker, Rucksack-Wanderer, Camper und Zelter den Weg in die Natur. Zumeist Freaks, die neben ihrer Passion eines gemeinsam hatten: Sie alle waren frustriert von durchfrorenen Nächten in windschiefen Zelten auf klammem Untergrund und genervt von durchnässten Klamotten, die erst nach Tagen trockneten. F OCUS 13/2010
„Der Trend ist klar: Die Flucht der Städter hin zum Naturerlebnis. Die Sehnsucht nach Outdoor-Erlebnissen im städtischen Alltag ist groß“ Matthias Horx, Trendforscher
die Kultmarke Mammut um die abenteuerlich orientierte Kundschaft. Bergidylle allein genügt längst nicht mehr
Kaum etwas erinnert heute noch an diese Pionierzeit. Hemden etwa im Holzfällerkaro oder Bundeswehr-Parka – hierzulande lange das verbreitetste Synonym fürs Überleben bei Wind und Wetter – finden sich nur noch als Ladenhüter. Getragen werden mittlerweile Multifunktionsjacken mit dreilagigen, wasserdampfdurchlässigen Laminaten, nicht selten in der Raumfahrttechnologie erprobt. Und sein Haupt bettet der Wanderer heute in einem Schlafsack, der zwar nur 350 Gramm wiegt, aber besser wärmt als so manche Alpenvereinshütte. Der Einzug der Technologie in das Geschäft mit der Wildnis hat die einst beschauliche „Ausrüster“-Szene in eine veritable Industrie verwandelt, in der es kaum mehr um Romantik, sondern um Rendite geht. Immer neue Kollektionen und Innovationen brauchen eine immer größere Käuferklientel – mit den Abenteuer-Freaks von einst hätten sich kaum Profite erzielen F OCUS 13/2010
lassen. Neue, gut situierte Kunden sucht die expandierende Branche – und sie ist fündig geworden: in den Großstädten, wo das In-der-Natur-Sein als angesagteste Freizeitbeschäftigung Anfang des neuen Jahrtausends gilt. Einen „modernen urbanen Eskapismus“ macht Matthias Horx in seinem „Trendreport 2010“ aus. Der Zukunftsforscher sieht eine zunehmende „Flucht der Städter hin zum Naturerlebnis. Die Sehnsucht nach Outdoor-Erlebnissen im städtischen Alltag ist groß.“ Und könne so groß werden, dass der „klassische Outdoor-Kunde“ künftig nur noch „eine Randerscheinung darstellt“. Den Produzenten wäre es Recht. „Der Wunsch hin zur Natur ist allgegenwärtig und findet Ausdruck durch das Tragen von Outdoor-Bekleidung in der City“, so German Käsmeier, Produktmanager bei Schöffel, „das Phänomen ist viel mehr Lebenseinstellung denn Hobby!“ 101
MODE R N E S LE B E N
Die perfekte Abenteuerwelt für den Großstädter Das Globetrotter-Kaufhaus in Köln – mit Kajak-Testbecken (Mitte) und Kältekammer
Hunderte Sport Utility Vehicles (SUV), die mühelos die sibirische Taiga durchqueren könnten, sieht man heute von der Düsseldorfer „Kö“ bis zur Münchner Leopoldstraße, die Beifahrerin blättert in der neuen „Landlust“. Die Nachfrage nach Geschichten wie „GartenGlück“ oder „Die Zwerge unter den Hühnern“ ließ die Auflage des Blattes auf 650 000 Exemplare klettern, worüber man in angesehenen Verlagen neidvoll staunt. Unter dem Druck veränderter Lebensideale wandeln sich ganze Stadtgebiete in urbane Freizeitparks. In München buhlen bereits vier Kletterhallen um längst nicht mehr nur junge Seilschaften. Vor dem 30 Meter hohen „Heavens Gate“, einer mit Schwierigkeiten gespickten „Felswand“, an die die Natur kaum heranreicht, bilden sich zur abendlichen RushHour Warteschlangen. Längst nicht mehr nur eine Randgruppe bilden die Anhänger des Parkour, bei denen sich die sogenannten Traceure auf direktem Wege ihren Weg über jegliche Art von Hindernissen wie Mauern, Garagen und Hausdächer bahnen müssen. Mitte März feierte der erste deutsche Kinofilm zum Thema Premiere. Zum Finale seiner Serie „Red Bull Crashed Ice“, einer Art Abfahrtsrennen mit mehreren Teilnehmern in einem 565 Meter langen und bis zu 40 Grad steilen Kunsteiskanal mit Sprüngen, lockte der österreichische Getränkekonzern 120 000 Fans in die Altstadt des kanadischen Quebec. Und vorbei sind die Zeiten, in denen allein Marathonläufer über asphaltierte Straßen nach persönlichen Bestzeiten hechelten. Bei den ersten „Trailrun Worldmasters“ lautet das Motto zwar „Die Natur wird zur Laufstrecke“, doch nach 60 Kilometern mit mehr als 1200 Höhenmetern ragte hinter dem Zieleinlauf nicht eine imposante Bergkulisse hervor, sondern ein stillgelegter Hochofen. Austragungsort war Dortmund. 102
„Immer mehr Menschen sind bereit, ihre persönliche Komfortzone zu verlassen und Geist, Körper und Seele über das gewohnte Maß hinaus zu fordern“, registriert Charly Siegl, der mit „faszinatour“ seit 25 Jahren erfolgreich Rafting und Canyoning in den Alpen veranstaltet, nun aber mit einem stadtnahen Abenteuerkonzept für Furore sorgt: Klettergärten als leicht zugängliche Freizeitparks primär in der Nähe von Ballungszentren mit flexiblen Öffnungszeiten und günstigen Eintrittspreisen. „Wir haben bereits 120 solche Anlagen gebaut, vor allem in den letzten drei Jahren. Allein rund um Paris gibt es acht solche Parks“, so der 51-Jährige, der die Nachfrage auf eine einfache Formel zurückführt: „convenient nature“, das bequeme Naturerlebnis.
Die Hersteller von Dauenjacken, Schlafsäcken und Zelten erobern noble Innenstadt-Areale Doch egal, ob der Abenteuer sich durch skandinavische Fjordlandschaften und afrikanische Wüsten quält oder nur den Großstadtdschungel von Frankfurt oder Hamburg anvisiert: Die sportaktive Klientel sucht nach den passenden Statussymbolen für ihre Leidenschaft – und findet sie vorrangig bei Firmen wie Arcteryx, Klättermusen, Norrøna oder Mammut, weil sie ihren Ursprung im aktiven Outdoor-Alltag haben und nicht auf den Reißbrettern von Produktmanagern und der Marketing-Strategien entstanden sind. Folglich gelingt es etablierten Konzernen wie Adidas oder Puma nur mit Mühe, Anteile am lukrativen Markt zu gewinnen. Zu lange haben die Global Player den Trend unterschätzt. Obwohl Adidas nun mit den Bergsteiger-Brüdern Thomas und Alexander Huber („Huberbuam“) als Werbe-Ikonen zum Anschluss kämpft, fehlt der Strategie eine wichtige Voraussetzung – Glaubwürdigkeit. F OCUS 13/2010
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Auf dem Sprung Parkour – eine Art Schnitzeljagd der Moderne
Stattdessen holen die neuen Marktführer zum „Gegenschlag“ aus und drängen in noble Großstadtadressen. In München rettet der Ausrüster Globetrotter den Rieger-Block, einst eine mondäne Pelz-Adresse, vor dem Abriss. Im März 2011 wollen die Hamburger, in knapp 30 Jahren zu Europas größtem Ausrüster aufgestiegen, auf 8000 Quadratmetern einen Geschäftskomplex inklusive Kältekammer, Kletterwand und Kajak-Testbassin eröffnen. Jack Wolfskin will in Paris und London Flagship-Stores eröffnen. „Wir suchen große Flächen in absoluter Top-Lage“, heißt es aus der Firmenzentrale. Allein 2009 wurden 38 Franchise-Shops unter dem Logo der Wolfstatze eingeweiht. Selbst in China gibt es 73 Läden. Dabei gilt die 1981 gegründete Firma als eines der größten Phänomene im Markt: Kein kanadischer Holzfäller, kein amerikanischer Ranger half dem Giganten mit dem perfekten Image von Natur und Freiheit auf die Beine. Auf dem US-Markt ist Jack Wolfskin weitgehend unbekannt – schließlich handelt es sich um ein rein deutsches Unternehmen. Dem Freiheit-und-Abenteuer-Image tat die eher triste Heimat im Frankfurter Vorort Nied allerdings keinen Abbruch: In fünf Jahren hat die Firma ihren Umsatz auf 251 Millionen Euro fast verdreifacht. „Das Potenzial für Jack Wolfskin ist enorm“, schwärmt Geschäftsführer Manfred Hell. Nur als das hessische Unternehmen im Oktober 2009 gegen einige Hobbynäherinnen, die ein Tatzenmotiv verwendeten, juristisch vorging, trübte sich die Euphorie merklich ein. Erst ein Rückzieher von Chef Hell brachte die dringend notwendige Entspannung. Es drohte ein massiver Imageschaden – und der kann im hart umkämpften Outdoor-Markt derzeit Millionen kosten. ■
Allein in Europa setzt der Outdoor-Handel jährlich rund
6 Mrd. Euro um Quelle: European Outdoor Group
PETER HINZE
F OCUS 13/2010
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Bloß schnell raus hier FOCUS hat Experten gefragt, mit welchen Outdoor-Produkten es sich am trendigsten, unkompliziertesten, aber auch am sichersten in die Natur aufbrechen lässt
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F OCUS 13/2010
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Europaweg und Balfrin-Höhenweg Hannigalp 2122 m
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BalfrinHöhenweg Europaweg Europahtte 2220 m
Balfrin 3796 m Dom 4545 m
SCHWEIZ
Saas-Fee 1803 m
Wallis
Zermatt
1608 m Matterhorn 4478 m
Sunnegga 2288 m
Oberrothorn 3414 m 5 km Fluhalp 2626 m
ITALIEN
Hohe Schule des Bergwanderns Verschnaufpause auf dem Balfrin-Höhenweg, im Hintergrund der Viertausender Weissmies. Kombiniert mit dem Europaweg, dauert die Tour von Saas-Fee bis Zermatt drei Tage
Diese kleine Dosis Gefahr Wo sich Wanderer schon fast wie Bergsteiger fühlen dürfen: Eine der anspruchsvollsten Mehrtagestouren der Alpen schont weder den Körper noch die Nerven
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F OCUS 13/2010
Foto: F. Gerber t/F OCUS -Magazin
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umms, tock, rumms – schon wieder poltert ein Felsblock, groß wie ein Schrank, die Geröllrinne hinab. Aus ein paar hundert Meter Entfernung, von der Europahütte aus, ein unterhaltsames Schauspiel. Das Problem: Morgen früh müssen wir genau da durch! Die Querung der Steinschlagrinne namens Grabengufer stellte bislang die kniffligste Mutprobe dar, die Wanderer auf dem Europaweg absolvieren mussten. Bis Anfang Juli 2010 soll aber eine 230 Meter lange Hängebrücke gebaut sein, die den Gefahrenbereich überspannt – so versicherte man jedenfalls im Tourismusbüro Grächen auf FOCUS-Anfrage. Anscheinend haben die in den letzten Jahren höheren Temperaturen den früher gefrorenen Untergrund destabilisiert. Und da der Wandertourismus für die Gemeinden des Oberwallis eine wichtige Sache ist, lassen sie sich dessen Förderung schon mal was kosten. Ohnehin sind sowohl der Europaweg als auch sein älterer Bruder, der Balfrin-Höhenweg, Maßnahmen zur Unterstützung des sommerlichen Fremdenverkehrs – in diesem von den berühmten Wintersportorten Zermatt und Saas-Fee dominierten Gebiet. Schon in den 1950er-Jahren hat man den Balfrin-Höhenweg in die Steilhänge über dem Saastal gefurcht, Mitte der 1990er folgte der Europaweg über dem Mattertal. Im Unterschied zu vielen anderen alpinen Wanderwegen handelt es sich größtenteils nicht um alte Hirten- oder Jägersteige, sondern um Neubauten, für die so manches Stänglein Dynamit zur Detonation gebracht wurde. Böse Zungen sagen ja, Wandern sei der Sport der Unsportlichen. Betrachtet man die Leute, die im Flach- oder Hügelland unterwegs sind, ist das nicht ganz von der Hand zu weisen. Und selbst in den Alpen gibt es viele Bergschuhträger, die mit der Seilbahn aufwärts fahren und dann, nach Besuch des Gipfelrestaurants, talwärts stolpern.
Ambitionierte Bergwanderer suchen jedoch echte Herausforderungen. Für sie gehören der Balfrin- und der Europaweg zu den Top-Zielen; Letzterer wird immer wieder als „anspruchsvollster Höhenweg Europas“ tituliert. Beide Pfade lassen sich zu einer dreitägigen Tour kombinieren. Manche deutschen Trekking-Anbieter haben sie im Programm*, allerdings nur kombiniert mit weiteren Tagen in der Gegend. In jedem Fall sollte man absolut schwindelfrei und trittsicher sein. Kondition für tägliche Auf- und Abstiege von über 1000 Höhenmetern und für Etappen bis zu acht Stunden reine Gehzeit ist gefragt. Ein Restrisiko bleibt: Auf manchen Passagen (nicht nur am Grabengufer) herrscht Steinschlaggefahr. Über jeweils viele Stunden gibt es keine Einkehrmöglichkeiten, keine Unterstände bei Schlechtwetter und auch keine Notabstiege. Wahrscheinlich ist es gerade diese kleine Dosis Gefahr, die den Hochgebirgstrekker reizt und durch die er sich fast wie ein richtiger Bergsteiger fühlt. Lohn der Angst sind wilde, einsame Höhen, Begegnungen mit Gemsen und Steinböcken – und Blicke auf die imposante Bergwelt. Klare Sicht vorausgesetzt, zeigt sich die große Mehrzahl der Schweizer Viertausender. Los geht’s in Saas-Fee. Der Balfrin-Höhenweg, benannt nach einem Gipfel, der ihn überragt, führt nach einem kräftigen Anstieg auf und ab durch den Steilabfall des Mischabel-Massivs zum Saastal. Nach sechs bis sieben Stunden erreicht man die Hannigalp, den nördlichsten Punkt der Route, von wo aus man mit einer Kabinenbahn nach Grächen hinabfahren kann (Puristen gehen zu Fuß).
QUALITÄT KOMmFfortO.deRT
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Balanceakte über Felsblöcke – und am folgenden Tag der Blick auf den berühmtesten Berg der Alpen Am nächsten Morgen Aufbruch zur ersten Etappe des Europawegs: Zunächst ein schweißtreibender Aufstieg, dann kommen gleich die schwierigsten Kilometer. Wir durchqueren Steinwüsten, in denen man von Block zu Block oder zwischen solchen balancieren muss. Konzentration ist nötig, die scharfkantigen Blöcke können blutige Schrammen ritzen. Nach einer Übernachtung im Massenlager der 1999 erbauten Europahütte (nur 42 reguläre Plätze, vorher reservieren) gerät auf der zweiten Etappe plötzlich ein markanter Berg ins Blickfeld. Auch wenn man es schon vorher einmal mit eigenen Augen gesehen hat: Das Matterhorn macht immer noch staunen; von hier aus zeigt es seine Idealansicht. Am Nachmittag erreichen wir die Alp Sunnegga, von dort kann man nach Zermatt absteigen – oder mit einer Tunnelbahn hinunterfahren. Empfehlenswert ist es aber, stattdessen bis zum Berghotel „Fluhalp“ aufzusteigen, einem charmanten alten Holzbau, dort zu nächtigen und einen vierten Tag anzuhängen. Noch einmal zwei Stunden sind es dann am nächsten Morgen hinauf aufs Oberrothorn – das ist mit seinen 3414 Metern zwar über 1000 Meter niedriger als die höchsten Spitzen des Monte-Rosa-Massivs im Süden. Aber ohne Klettern oder Gletscherpassagen gelangt man eigenen Fußes fast nirgendwo in den Alpen höher hinauf. Das Oberrothorn ist sozusagen das Matterhorn der Wanderer – und ■ deshalb auch sinnträchtiger Höhepunkt der Supertour.
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Klappe zu, endlich Ruh Das Jenseits verwehrt Lebenden den Zutritt. BestsellerAutorin Charlotte Janson* wollte eine Ahnung bekommen, wie es sich anfühlt, tot zu sein. Sie stieg in einen Sarg
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Frau – nach dem Dresscode gefragt und ein Auge zu oder auch beide. Das köndie Sterbehemdenkollektion inspiziert. Da nen die gut, das machen die jeden Tag – führt ja kein Weg dran vorbei. Wer im Kino Augen zudrücken. „Fluch der Karibik“ gesehen hat, kann Man kann sich nur wundern, was in sich ein ungefähres Bild davon machen, die Särge geschmissen wird: Kuscheltiere aus Polyester, Skatspiele, Weinflaschen, wie die Fummel aussehen: So ähnlich wie das Hemd von Johnny Depp, aber länZigaretten, Golfschläger, CDs, Bücher, ger, denn Sterbehemden Das Totenhemd ist quasi unsere Letztausstattung, gehen bis zu den Füßen. Leider sind sie immer das Gegenteil vom Strampelanzug weiß – nicht meine Farbe, schon gar nicht, wenn ich mal tot bin. Stersogar Würste. Was Letztere angeht, könnte behemd ist übrigens der falsche Ausdruck, man sagen: Ist doch wurscht, die sind zukorrekt ist Totenhemd. Man zieht es nicht mindest biologisch abbaubar. Genau das zum Sterben an, sondern kriegt es angezowage ich zu bezweifeln. Heutzutage weiß gen, wenn man gestorben ist. Das Totendoch keine Sau mehr, woraus die Wurst ist, hemd ist quasi unsere Letztausstattung, schlimmstenfalls nicht mal der Metzger. das Gegenteil vom Strampelanzug. VielWurst würde ich nicht als Grabbeigabe leicht ist es aber auch eine Art Übergangswollen. Ich glaube, im Ernstfall würde ich garnitur. So wurde in meiner Kindheit die mir meinen Schutzstein aus Lapislazuli sowie eine Engel- und eine Buddhafigur Unterwäsche genannt, die man zwischen in den Sarg legen lassen. Damit wäre ich einer kalten und einer warmen Jahreszeit dann hoffentlich auf der sicheren Seite. trug, also im Frühjahr und im Herbst. Das Auf der Seite liege ich nicht, sondern Totenhemd als Übergangsgarnitur – nicht ganz klassisch auf dem Rücken, als ich zwischen zwei Jahreszeiten, sondern zwischen zwei Leben? Schön den Bestatter bitte, den Deckel auf den wär’s. Doch als ich eins Sarg zu legen. „Könnt ich nicht“, sagt Man muss im Sarg nicht auf dem Rücken liegen, anprobiere, stelle ich er. „Mir wird ja in der Röhre schon kotzerfahre ich, auch Seitenlage ist möglich fest, dass es hinten offen elend.“ Ich versichere ihm, dass ich maslager. Ein solches muss man sich vorstellen senhaft Röhrenerfahrung habe, nicht ist; zudem ist es viel zu groß. Ich sehe aus wie eine Kreuzung aus Schreinerei und wie ein Gespenst. So was zieh ich nicht an, klaustrophobisch veranlagt bin und gaEinrichtungscenter mit dem Unterschied, nicht mal über meine Leiche. Dann doch rantiert nicht in Ohnmacht falle. Und sage, dass er den Deckel ruhig mal ein dass sich das Sortiment auf ein einziges lieber eine Jogginghose. Möbelstück beschränkt – auf den Sarg, auf Weilchen drauflassen soll. Bevor die Aber aus 100 Prozent Baumwolle. Was den Verkaufsschlager. im Sarg liegt, darf nicht umweltschädKlappe fällt, mache ich mit der Digicam Man muss im Sarg nicht auf dem lich sein, Kunststoffe und Synthetics sind noch schnell ein Foto von mir. Rücken liegen, erfahre ich, auch Seitenverboten. Das gilt nicht nur für Kleidung, Und dann wird der Sarg geschlossen. lage ist möglich. Das beruhigt mich, sondern auch für eventuelle GrabbeigaIch liege in der Finsternis. Kein Vergleich weil ich in Rückenlage nicht einschlafen zum Magnetresonanztomografen, nicht ben. Auf den letzten Drücker werden wir kann. Ebenfalls beruhigend finde ich, so hart, nicht so kalt, nicht so laut. Särge also alle Müslis, Grüne, Ökos – egal, was dass man sich in normalen Klamotten in wir vorher gewählt haben; eine echte sind schalldicht. In den Dingern ist es tatMehrheit, wenn auch eine stumme, denn sächlich totenstill. Ruhe, endlich Ruhe. den Sarg legen (lassen) kann, sogar im Schlafanzug oder in der Jogginghose. unsere Stimme zählt nicht mehr. Viele Ich stelle fest, dass ich automatisch die Selbstverständlich habe ich – typisch Bestatter drücken aber diesbezüglich ■ Hände gefaltet habe . . . *Charlotte Janson, „Letzte Reise und zurück“, Heyne Verlag
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F OCUS 13/2010
Illustration: Björn Maier/F OCUS -Magazin
as soll ich sagen? Man liegt bequem. In so manchem Hotelbett hab ich schon schlechter gelegen. Die Matratze ist okay, nicht zu hart und nicht zu weich. Die Situation ist nicht so unangenehm, wie ich befürchtet habe. Pulsfrequenz normal, keine Panikattacke, kein Schweißausbruch. Draußen tobt das Leben, hier drin scheint die Zeit stillzustehen. Hier drin im Sarg. Seit ich während einer Erkrankung eine Nahtoderfahrung hatte und in der Folge aus sehr persönlichen Gründen meine eigene Todesanzeige aufgab, erforsche ich den Tod. Ich besuche die Todeszonen der Gesellschaft. Beobachte, höre zu, probiere aus. Probe liegen im Sarg ist einer der Punkte, die auf meiner To-do-Liste stehen. In der Regel verfügt ein Bestattungsunternehmen über einen Raum, in dem mit den Hinterbliebenen die Beerdigung geplant wird, mit einer Tissue-Schachtel auf dem Tisch und einer Auswahl von Schmuckurnen in Reichweite. Dann gibt es noch ein Büro und oft auch ein Sarg-
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KOLUMNE
Hier schreibt Harald Schmidt
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„Gerade junge Menschen mit ihrem hormonell bedingten lockeren Lebenswandel arbeiten natürlich lieber als Friseur oder Kellner“
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ie deutsche Industrie beschäftigt inzwischen weniger als fünf Millionen Menschen. Diese schockierende Nachricht erreicht uns jetzt als Pressemitteilung Nr. 100 des Statistischen Bundesamts. Schuld daran können nur die Talkshows sein, in denen ständig die Dienstleistungsgesellschaft verherrlicht wird. Gerade junge Menschen mit ihrem hormonell bedingten lockeren Lebenswandel arbeiten natürlich lieber als Friseur oder Kellner. Wozu an ölverschmierten Maschinen in zugigen Hallen stehen, wenn man nach dem Aufstuhlen noch locker im Kollegenkreis einen Absacker nehmen kann? Montags frei, statt sich fürs Montagsauto anpfeifen zu lassen – diese Vorstellung macht unsere Autoindustrie chancenlos gegen die Welt des Friseursalons mit ihrer hippen Mischung aus Apps und Latte. Dazu kommt noch der Neid des Auslands auf unseren Platz eins in der Kategorie Exportweltmeister mit Menschenrechten. Von welchen privaten Problemen (schlimme Gerüchte!) will Frankreichs Präsident Sarkozy ablenken, indem er plötzlich eine Kohlendioxidsteuer erfindet? Das richtet sich doch gegen deutsche Luxuslimousinen, mit denen sich vor allem ausländische Prominenz gerne durch Paris kutschieren lässt. Natürlich sendet auch unsere Regierung die falschen Signale. Banker zum Beispiel sind heute das, was früher mal Kröten für die Grünen waren: Rettung, wohin man schaut. Da versemmelt man
doch schnell mal ein paar Milliarden, wenn hinterher der Staat eingreift. Im Baugewerbe dagegen kann man sich nicht mal die kleinste Ungenauigkeit erlauben. Kaum stürzt irgendwo die U-Bahn ein, wird gleich der Chef gefeuert. Klar, dass junge Menschen sich da eher in der Londoner City sehen. Zumal das Image des Investmentbankers deutlich cooler ist als das eines Maschinenbauingenieurs. Hier Models, Drinks und breite Hosenträger – dort Sicherheitsschuhe, Arbeitshelm und noch die gleiche Frau wie auf der Abi-Fahrt. Gibt es also gar nichts Positives? Doch! Der traditionell prickelnde Bereich der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln meldete eine Steigerung von 1,7 Prozent! Das klingt nach Nachhaltigkeit. Wer futtert wie ein Arbeiter in der Schwerindustrie, muss ja nicht gleich als solcher arbeiten. Fertigpizza für Frauchen und dreimal täglich Nassfutter für die Katze – hier isst zusammen, was zusammengehört. Bedenkt man weiterhin den demografischen Faktor unter Berücksichtigung der Tierliebe, so eröffnet sich hier eine gigantische neue Perspektive: Der Fachingenieur für Seniorenzubehör. In unseren Heimen ist die 3,5-Liter-Windel schon jetzt ein Renner, da sollte der selbstreinigende Vierbeiner in naher Zukunft machbar sein. Biologisch, genetisch und ethisch. In der Zeit, die beim Gassigehen gespart wird, können die rüstigen Rentner dann der integrationswilligen Migrationselite beim Ingenieurstudium helfen. Deutschland, Land der Ideen!
F OCUS 13/2010
Composing: F OCUS -Magazin
Industrie in Not
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BOULEVARD ARD D Mode mit Message: Sinan Tosun, der hier das Gang-Zeichen formt, erklärt Jugendlichen aus Problemvierteln: „Sprechen ist die beste Waffe“
Drüber und drunter geht’s bei deutscher Unterwäsche
Vom Abzieher zum Anzieher Stoff für Sozialarbeiterträume liefert die Vita von Sinan Tosun, 38. Ende der 80er-Jahre gründete der Kreuzberger mit seinem Bruder die berüchtigte Berliner Jugend-Gang „36 Boys“. Anders als viele einstige Gang-Boys haben sich Sinan Tosun und sein Bruder Muci gegen eine Kriminellenkarriere entschieden und stattdessen das erfolgreiche Streetwear-Label 36 Boys aufgebaut. „Heute gehen wir an Schulen und warnen die Kids vor Drogen und Gewalt“, erklärt Tosun. Ideen und Tipps bekommt die Modefirma jetzt von der renommierten Modeschule Esmod. Die Kollektionspremiere richtet ein prominentes Ex-„36 Boys“-Mitglied ehw aus: Sterne-Koch Tim Raue vom „Adlon“-Restaurant.
Das Sexleben der anderen Zu viel Klatsch ist ungesund. Die immer ausführlichere Berichterstattung über den Partnerzwist Prominenter erschüttert manche bisher stabile Ehe. Der britische Therapeut und Paarberater Andrew Marshall beklagt zunehmende Verunsicherung unter den Ratsuchenden in seiner Sprechstunde. Da werden Gattinnen vorstellig, die nach 20 Ehejahren Wind von vereinzelten Seitensprüngen bekommen und ihrem Mann gleich eine ausgewachsene Sexsucht wie bei Tiger Woods attestieren. Argwohn und Eifersucht, genährt von Boulevardmeldungen über heimliche Star-Affären, 114
lassen brave Eheleute zu Spitzeln werden. Immer häufiger, berichtet der seit 25 Jahren praktizierende Marshall, durchforsten Partner gegenseitig ihre SMS und E-Mails. Mit unnötigen Folgen für die Beziehung. Denn viele der vermeintlich kompromittierenden Botschaften sind zwar missverständlich, aber harmlos. sfg
Schrecklicher Verdacht: Ist mein Mann ein zweiter Tiger Woods?
Über deutsche Statur und Unterwäschegeschmack gibt eine EbayAuswertung von mehr als einer Million Verkaufsdaten des vergangenen Jahres Auskunft. Danach bestellen Berlinerinnen und Hamburgerinnen beim Online-Marktplatz überdurchschnittlich oft kleine BH-Größen, im Saarland hingegen wird üppigere Oberweite verpackt. Die Bayern mögen nicht nur Laptop und Lederhose, sondern auch Strings und Tangas. Und die keineswegs in Weiß-Blau, sondern in Silber und Gold. sfg
F OCUS 13/2010
Fotos: B. Pritzkuleit, Ebay, AP
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Geboren in Wolfsburg als Sohn eines VW-Managers, hielt Diplom-Ökonom Mattes der Branche die Treue – und stieg bei BMW ein.
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Nach Köln wechselte er 1999. Heute ist der 53-Jährige Chef der FordWerke und Vizepräsident der Ford Motor Company.
Verkabelt Bernhard Mattes an einem elektrisch betriebenen Ford Transit des Kölner Großversuchs colognE-mobil
„Die kaufen dieses Jahr“ Ford-Deutschland Chef Bernhard Mattes über Kundenmotive nach der Abwrackprämie – und warum das Unternehmen nach dem Scheitern seiner E-Mobile schon wieder neue baut
Es war wohl einfach zu früh – die Zeit war noch nicht reif für Elektromobile. Woran lag’s konkret?
Der Think war ein kleiner Zweisitzer für den Stadtverkehr mit relativ eingeschränktem Alltagsnutzen, zumindest für Familien. Außerdem war die Reichweite eher beschränkt. Jetzt versuchen Sie – und Ihre Wettbewerber – es erneut mit Elektromobilen. Mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand?
Die Zeiten haben sich deutlich geändert. Den Menschen wird angesichts steigender Benzinpreise klar, dass Erdöl endlich ist, und das Umweltbewusstsein ist heute stärker ausgeprägt. Außerdem haben Praxisnutzen und Reichweite ja deutlich zugelegt. Der 116
Ford Focus mit Elektroantrieb ist ein vollwertiger Viersitzer. Macht es denn Sinn, einen E-Motor in ein bestehendes, für Verbrennungsmotoren ausgelegtes Auto zu stecken?
Die meisten Kunden sind nicht bereit, Abstriche in Sachen Komfort und Nutzwert zu machen. Sie akzeptieren nur ein vollwertiges Auto. Und nur dann erreichen Sie als Hersteller irgendwann die Stückzahlen, die Sie brauchen, um die Preise in bezahlbare Regionen zu drücken. Ein eigenes Elektrofahrzeugmodell wäre darüber hinaus noch teurer. Wie teuer wird der Elektro-Focus?
Das können wir jetzt noch nicht konkret sagen. Derzeit kostet allein die Batterie etwa 7000 bis 15 000 Euro. Damit wäre die Elektroversion etwa doppelt so teuer wie das Basismodell mit Benzinmotor. Die Batterien müssen deutlich preisgünstiger werden. Vorerst ist klar,
dass Elektrofahrzeuge zunächst keine Massennachfrage auslösen werden. Hoffen Sie auf Subventionen?
In anderen Ländern gibt es die ja. Warum also nicht in Deutschland? Vielleicht, weil Strom – verglichen mit Benzin – ja schon steuerlich weniger belastet ist . . .
Aber man kann es ja honorieren, dass die Fahrer von Elektromobilen besonders viel für die Umwelt tun. Tun sie das? Die erneuerbaren Energien lassen auf sich warten; E-Mobile fahren hauptsächlich mit Kohle- und Atomkraft. Ein Elektrofahrzeug kann durchaus mehr CO2 verursachen als ein effizienter Diesel . . .
In manchen Regionen – abhängig vom Energiemix – ja. Grundsätzlich gehen wir aber schon davon aus, dass der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich steigen wird. Wie hoch wird denn die Reichweite Ihres Focus mit Elektroantrieb?
Gut 160 Kilometer . . . F OCUS 13/2010
Foto: D. Röseler/F OCUS -Magazin
Ford war einer der Pioniere bei Elektromobilen – Ende der 90er-Jahre besaß der Konzern als erster Hersteller ein eigenes Werk für Modelle mit E-Motor. Kaufen mochte den Think allerdings kaum jemand . . .
Schillernde Farbenpracht ... ... ist selten. Helfen Sie dem Eisvogel, werden Sie FlussPate!
. . . im Idealfall!
Es reicht für die meisten Mobilitätsbedürfnisse. Ihre Wettbewerber setzen auf sogenannte Range Extender – kleine Benzinmotoren, die bei Bedarf die Batterie laden. Warum verzichten Sie darauf?
Infos unter: www.NABU.de/Paten und NABU Paten, Charitéstr. 3, 10117 Berlin
Unser Range Extender könnte die Brennstoffzelle werden! Die Erzeugung von Strom mit Wasserstoff und Sauerstoff in der bordeigenen Brennstoffzelle ist aus unserer Sicht die zukunftsträchtigste – weil umweltfreundlichste – Lösung, die wir anbieten könnten. Verunsichert die gegenwärtige Situation die Autokäufer? Laut Umfragen stellt mancher den geplanten Autokauf zurück, weil er viel zu früh mit marktfähigen Elektroautos rechnet.
So einen Effekt spüren wir derzeit nicht. Aber wir haben ja auch eine klare Ansage, mit der Interessenten planen können: 2012 kommt unser Focus mit Elektroantrieb, andere Modelle werden folgen. Hinzu kommt unser attraktives aktuelles, sehr verbrauchsarmes Produktangebot. Und das aktuelle Geschäft? Spüren Sie einen Einbruch nach der Sonderkonjunktur dank Umweltprämie?
Ja, es ist ein Rückgang festzustellen. Aber wir sind dennoch für das Gesamtjahr optimistisch, denn wir haben eine attraktive, junge Modellpalette. Einige Kunden haben im vergangenen Jahr einen Autokauf aus wirtschaftlichen Gründen zurückgestellt – die kaufen möglicherweise nun in diesem Jahr. Einer Ihrer Hauptkonkurrenten ist Fiat. Ausgerechnet mit ihm teilen Sie die Kleinwagen-Plattform: Der Fiat 500 ist mit seiner Retromasche sehr erfolgreich, während der Ford Ka eher unauffällig bleibt.
Der Ford Ka verkauft sich ausgezeichnet. Wir setzen übrigens nicht nur beim Ka sehr erfolgreich auf Wunschausstattungen, mit denen die Kunden ihr Auto nach ihrem persönlichen Geschmack individualisieren können. Das wird bei Kleinwagen künftig ein ganz wichtiges Thema.
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Und die offensichtlich erfolgreiche Retromasche? Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem neuen Capri?
Die Frage ist nicht neu. Aber derzeit ist ein neuer Ford Capri definitiv kein ■ Thema! INTERVIEW: MARCUS EFLER
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Bitte lächeln! Der RCZ zeigt eine freundliche Frontpartie
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etwas träger Diesel, schlechte Übersicht nach hinten
*Gesamtzyklus 156 PS Otto/Diesel
Spoiler paradox Bitte schön sportlich – aber vorsichtig: Der Peugeot RCZ soll schnell sein, ohne beim Nachbarn anzuecken
B
oris Reinmöller ist ein Glückspilz. Viele Autodesigner müssen damit leben, dass ihre schicken Studien auf Standardformen zurechtgestutzt werden. Reinmöllers RCZ aber schafft es fast ohne Änderungen vom Reißbrett zum PeugeotHändler. „Nur das mit dem Auspuff habe ich nicht verstanden“, wundert er sich. Die trapezförmigen zentralen Endrohre der Studie wurden durch einen normalen Doppelauspuff an der linken Seite ersetzt. Hinzugekommen ist dafür der Heckspoiler, der per Knopfdruck oder automatisch ausfährt. Damit kann Reinmöller gut leben: „So wird das Heck quasi animiert.“ Der Spoiler dient eher der Show, schließlich dürfte der 200 PS starke Fronttriebler RCZ – dessen technische Basis der VWGolf-Gegner Peugeot 308 liefert – kaum mangels Anpressdruck aus der Kurve fliegen. „Die meisten Fahrer werden seine zweite Stufe nie sehen“, sagt Marketingdirektor Thomas Schalberger. Sie fährt bei 155 km/h aus, und fast alle Länder haben Limits von maximal 130 km/h. Mit diesem Paradoxon ist auch die Rolle des RCZ umrissen: Er soll eine Art sozialverträglicher Sportwagen sein. Nicht zu schnell, mit 321 Liter Kofferraum alltagstauglich – und vor allem nicht zu aggres-
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siv. Das freundliche Löwengesicht bildet im Rückspiegel keine Drohkulisse. So ist der optionale Dieselmotor nur konsequent. Mit dem blutleer klingenden Aggregat kommt allerdings wenig Fahrspaß auf. Als ernst zu nehmender Sportwagen entpuppt sich die 4,30-Meter-Flunder erst mit dem 200 PS starken Turbobenziner und dem straffer abgestimmten Fahrwerk. Ab 1700 Touren liegen 255 Newtonmeter Drehmoment an, mit kurzzeitiger Ladedruckerhöhung („Overboost“) sogar 275 Newtonmeter. Man sollte die Drehzahl nicht zu weit fallen lassen, und
Sportmotiv Das Interieur bietet den FrontInsassen relativ viel Platz. Das leicht auf sportiv getrimmte Cockpit entstammt dem 308
mit ein bisschen Spaß am Gasgeben jagt der 1,3 Tonnen wiegende RCZ leichtfüßig um die Kurven. Die Traktion ist ausgezeichnet, der gut ausbalancierte Wagen schiebt in schnellen Kurven nicht über die Vorderräder. Das Geräusch des Vierzylinders tunen die Ingenieure mit einem Trick: Eine vibrierende Membran im Einlasstrakt verstärkt den Sound im Cockpit. Die gefühlte Beschleunigung ist kräftig, auf dem Papier muss sich der Franzose aber der deutschen Konkurrenz geschlagen geben: 7,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h – das können Audi TT oder VW Scirocco mit ihren Turbobenzinern leicht toppen. Mehr als 200 PS soll es im RCZ nicht geben. Ein Allradantrieb kommt eventuell in Verbindung mit einem Diesel-ElektroHybrid. Und auch wenn Boris Reinmöller aus dem Coupé bestimmt einen hübschen Roadster zaubern würde, heißt es dazu „non“ bei Peugeot – man wolle dem eigenen Cabrio 308 CC keine Konkurrenz machen. Hier könnten die Franzosen von den Deutschen lernen: Bei Audi leben der TT Roadster und das A3 Cabriolet auch ■ friedlich nebeneinander. SEBASTIAN VIEHMANN
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ind Sie auch gegen Drogen?“ Der junge Mann mit der blauen Wollmütze lächelt freundlich und streckt den Passanten in der Münchner Innenstadt einen Flyer entgegen. „Sag Ja zum Leben“ steht darauf, und darunter prangt die eindringliche Warnung: „Unkenntnis kann tödlich sein. Informieren Sie sich!“ Auf dem Tisch in seinem Rücken stapeln sich Info-Broschüren über Kokain, Cannabis, Ecstasy und Heroin. Andere Bücher verkünden den „Weg zum Glücklichsein“. Nur auf die Verfasser der bunten Publikationen findet sich kein Hinweis. Der „Verein für Drogenprävention“, der an diesem Samstagnachmittag für sich wirbt, ist ein Ableger des umstrittenen Psychokults Scientology (SO). Die Aktion in der bayerischen Landeshauptstadt gehört zu einer Taktik, die Sektenexperten seit geraumer Zeit registrieren. Immer seltener wagt sich Scientology unter eigenem Namen in die Öffentlichkeit. Stattdessen tritt die Organisation im Gewand von scheinbar unverdächti-
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gen Vereinen auf, die sich für Menschenrechte oder gegen Drogen engagieren. Die Tarnung könnte ab dieser Woche nötiger denn je werden. Zur besten Sendezeit am Mittwochabend zeigt die ARD den Spielfilm „Bis nichts mehr bleibt“ – ein spannendes Psychodrama um einen jungen Hamburger Architekturstudenten, der Mitglied bei Scientology wird und dadurch letztendlich sein Leben und seine Familie zerstört.
Das Filmteam arbeitete unter höchster Geheimhaltung Neben dem Blick auf das persönliche Schicksal gewährt der Film auch Einsichten in die Methoden der Sekte, die seit 1997 bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Von Werten wie Menschlichkeit ist hier nicht die Rede. Stattdessen zeigt das Werk von Regisseur Niki Stein, wie Scientology von Anfang an darauf abzielt, potenziellen Kunden diverse Schwächen und Probleme einzu-
reden, die dann mit Hilfe der SO-Lehren behoben werden sollen. Aus Angst, die Sekte könnte versuchen, die für sie wenig vorteilhafte Produktion zu verhindern, hielt der verantwortliche Südwestrundfunk die Filmarbeiten geheim. Unter dem Decknamen „Der Tote im Sund“ wurde unter anderem an Originalschauplätzen wie der europäischen SO-Zentrale in Kopenhagen gedreht. Dennoch, so heißt es aus dem Umfeld des Produktionsteams, habe es anonyme Anrufe und E-Mails gegeben. Sogar von einem aufgebrochenen Kofferraum während des Drehs war die Rede. Nichts davon stimme, dementiert Jürg Stettler, Sprecher von Scientology. Vielmehr habe er, nachdem er von den Filmarbeiten erfahren habe, ganz offiziell versucht, nähere Einzelheiten beim Sender zu erfragen. „Aber ich wurde von Pontius zu Pilatus geschickt.“ Diese Anrufe werfe man ihm jetzt als Telefonterror vor. Tatsächlich würde ein massives Vorgehen gegen die Filmmacher wohl eher der F OCUS 13/2010
Fotos: C. Schroeder/SWR, action press
Ein ARD-Film thematisiert die fragwürdigen Methoden von Scientology. Der Psychokult geht derweil mit scheinbar harmlosen Vereinen auf Mitgliederfang
Gefährliche Psychospiele In Frage-und-Antwort-Ritualen sollen Scientologen (hier eine Szene aus dem Fernsehfilm „Bis nichts mehr bleibt“, Das Erste, 31.3., 20.15 Uhr) Schwächen offenlegen
demnach bundesweit. Bislang waren die Geheimdienste von maximal 6000 SOAnhängern ausgegangen. In Bayern, dem Land mit den meisten Scientologen, sank die Zahl von 2500 auf 1700.
Für ihre Kurse verlangt die Sekte Tausende von Euros
Vorzeige-Scientologen Die US-Schauspieler Tom Cruise und Katie Holmes sind populäre Aushängeschilder der Sekte. Cruise tritt regelmäßig als Verteidiger der kruden Lehren auf
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Einschaltquote der ARD als den Scientologen nutzen. Und so ganz wird man den Verdacht nicht los, die Geheimniskrämerei der Fernsehverantwortlichen soll auch ein Thema aufwerten, das in den vergangenen Jahren deutlich an Brisanz verloren hat. Scientology, so eine aktuelle Einschätzung des bayerischen Verfassungsschutzes, habe „an Schlagkraft eingebüßt“. Keines der erklärten Ziele sei erreicht worden. Weder auf die Politik noch auf die Wirtschaft hätte die Vereinigung nennenswerten Einfluss gewinnen können. „Wir haben sie im Griff“, konstatiert Ursula Caberta, die Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in Hamburg, die das TV-Team beraten hat. Auch bei der Rekrutierung neuer Anhänger komme SO nicht voran. Der Begriff sei dank der Aufklärung der vergangenen Jahre „eindeutig negativ besetzt“. Entsprechend korrigieren die Verfassungsschutzbehörden die Mitgliederzahlen nach unten. 5000 Scientologen gibt es
In ihrer Not macht sich die Organisation inzwischen an Bevölkerungsgruppen heran, die bislang nicht zu ihrer Klientel gehörten. Neben Jugendlichen würden zunehmend Menschen mit Migrationshintergrund wie etwa Türkischstämmige oder Russlanddeutsche angesprochen, weiß Helga Lerchenmüller von der Stuttgarter Beratungsstelle Abi. Stefan Barthel von der Leitstelle für Sektenfragen des Berliner Senats berichtet, dass die Scientologen in Problemvierteln auf Akquise gingen. „Wer das Geld für die Kurse nicht aufbringen kann, muss dafür arbeiten.“ Die „Brücke zur völligen Freiheit“, wie Scientology seine Heilslehre nennt, kann nur beschreiten, wer eine Menge äußerst kostspieliger Kurse belegt. Eine aktuelle Preisliste, die FOCUS vorliegt, verdeutlicht, um welche Summen es sich dabei handelt: So schlägt ein Paket, mit dem man den Status „Clear“, eine scientologische Erkenntnisstufe, erreichen kann, mit mehr als 14 000 Euro zu Buche. Es geht aber noch teurer: Das Angebot „Solo 1 bis OT V“, das einen der höchsten Grade zum Ziel hat, steht mit knapp 57 000 Euro in der Liste. Auch der Architekturstudent im Film investiert viel Geld in seine ScientologyKarriere, bis er, aufgeschreckt von den teilweise rabiaten Methoden der Sekte, den Absprung wagt. Schwerer als der finanzielle Schaden wiegt am Ende ein anderer Verlust. Seine Frau und seine Tochter, das realisiert er erst jetzt, sind längst ■ überzeugte Scientologen geworden. THOMAS RÖLL
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MEDIA-BOX X Rotation im ZDF-Fernsehrat Das wichtigste Aufsichtsgremium des ZDF wird mit neuen politischen Vertretern besetzt: Für die CDU ziehen erstmals Wolfgang Bosbach, 57, Vizechef der Bundestagsfraktion, und Generalsekretär Hermann Gröhe, 49, in den Fernsehrat des Senders ein. Sie nehmen die Plätze von Ronald Pofalla, 50, inzwischen Chef des Bundeskanzleramts, und Maria Böhmer, 59, ein. Böhmer, enge Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel, bleibt jedoch Mitglied des Fernsehrats: Sie vertritt künftig als Staatsministerin für Integration die Bundesregierung. Als deren Repräsentant kehrt auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, 64 (FDP), in das Gremium zurück, dem er vorher schon für das Land Rheinland-Pfalz angehörte. Das Saarland schickt mit Oliver Passek, 39, Referent beim Medienboard BerlinBrandenburg, erstmals einen Grünen-Politiker. Der 77-köpfige Fernsehrat wählt den ZDF-Intendanten und genehmigt den Haushalt des Senders. gb
SPRUCH DER WOCHE
„In Modezeitschriften sehen die jungen Models oft aus, als hätte man sie mit totem Fisch verhauen“ Elliott Erwitt, 81, renommierter Porträt- und Werbefotograf, in der „Welt am Sonntag“
Am Kabinettstisch in Berlin: Bald wird Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wohl BRIntendant in München
Der jüngste aller ARD-Intendanten dürfte bald beim Bayerischen Rundfunk (BR) amtieren: Senderintern gilt der jetzige Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, 48, als wahrscheinlicher Nachfolger von Thomas Gruber, 67. Der BR-Chef hatte vergangenen Donnerstag angekündigt, sein Amt elf Monate früher als geplant schon am 31. Januar 2011 abzugeben. Bis zum 15. April kann jedes der 47 Mitglieder des Rundfunkrats schriftlich einen Kandidaten für die Wahl des neuen BR-Intendanten vorschlagen. Beobachter glauben, dass dabei neben Wilhelm wohl kein weiterer Name genannt wird. Der zwischenzeitlich ebenfalls als aussichtsreicher Anwärter
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Fotos: dpa, imago
Von der Kanzlerin zum Rundfunk
auf den Posten gehandelte 3sat- und Arte-Chef Gottfried Langenstein, 56, gilt im Rundfunkrat als chancenlos. Wilhelm ist dagegen für viele Verantwortliche beim Bayerischen Rundfunk die Wunschbesetzung. Der CSU-Politiker
und gelernte Journalist genießt auch beim politischen Gegner große Sympathien und hat einen Ruf als genialer Netzwerker. Schon bei der kommenden Sitzung des Rundfunkrats am 6. Mai könnte Wilhelm zum
Intendanten gewählt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird wohl einen ihrer wichtigsten Vertrauten verlieren, der das öffentliche Bild der Bundesregierung seit Herbst 2005 maßgeblich mitff/um geprägt hat.
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Rette sich, wer kann Während Tausende Steuersünder sich wegen der Bankkunden-CDs selbst anzeigen, bereiten Deutschland und die Schweiz einen Rundumschlag vor
Angst vor Entdeckung Steuersünder fürchten, dass der Fiskus sie auf Bank-CDs findet
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Illustration: J. War felmann/F OCUS -Magazin
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s ist kein Platz mehr frei im Wartezimmer der Kölner Anwaltskanzlei Streck Mack Schwedhelm. Auf den meisten Designerstühlen sitzen Senioren. Sie sehen ein wenig verloren aus in der kühlen Moderne weißer Wände, edlen Parketts und einer Stahlskulptur. Sie wirken wie die freundlichen Nachbarn von nebenan. Leute, die sich an Regeln halten. Sie teilen aber ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das nach deutschem Recht eine Straftat ist: Sie haben Geld auf Konten in der Schweiz versteckt und dem Staat Steuern vorenthalten. Das ist keine Lappalie, das Gesetz droht immerhin mit bis zu zehn Jahren Haft. Nun wollen sie sich beim Finanzamt selbst anzeigen und ihre Steuern für die vergangenen zehn Jahre nachzahlen plus sechs Prozent Zinsen p. a. Dann sind sie wieder brave Bürger, so bestimmt es das Gesetz. Die Anwälte sollen ihnen dabei helfen. Rolf Schwedhelm, der schon Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel vertrat, beobachtet: „Die Anzahl der Selbstanzeigen ist sprunghaft angestiegen.“ Wie groß die Furcht ist, offenbart eine FOCUS-Umfrage bei den Finanzministerien der Bundesländer: Während sich in den Vorjahren 300 bis 500 Steuersünder
selbst anzeigten, waren es allein in den vergangenen sieben Wochen unglaubliche 12 000 Hinterzieher. Baden-Württemberg zählt 2966 Fälle – vor zehn Tagen waren es noch 550 weniger. Täglich kommen neue Selbstanzeigen. Manch ein Anwalt spricht lieber von „Nacherklärungen“, das hört sich weniger anstößig an. Schätzungsweise wurden bereits mehr als zwei Milliarden Euro „nacherklärt“. Den Drang zur Steuerehrlichkeit haben CDs und USB-Sticks ausgelöst, auf denen die Namen von Kunden Schweizer Banken stehen. Seit Ende Januar sind diese Daten im Umlauf. Das Land Nordrhein-Westfalen hat einige gekauft, Rheinland-Pfalz möchte weitere erwerben, Baden-Württemberg zögert noch. Die Nervosität unter Steuersündern wird ein neues deutsch-schweizerisches Abkommen zusätzlich steigern. Die Schweizer Regierung hat am Freitag quasi ihr Allerheiligstes zur Disposition gestellt: einen Teil des Bankgeheimnisses. Laut Abkommen sollen die Schweizer Behörden künftig Konto- und Depotunterlagen von Anlegern herausgeben, wenn der deutsche Fiskus Anhaltspunkte hat, dass ihm Informationen zur vollständigen „Steuerveranlagung“ fehlen. Schon Kontoauszüge, die Zollbeamte an Gren-
zen aufspüren, oder eine Anzeige der rachsüchtigen Ehefrau würden reichen, und die Schweizer helfen. Das hatten die Eidgenossen bisher strikt abgelehnt. Sie lieferten in der Vergangenheit nur Unterlagen, wenn die deutschen Beamten neben hinterzogenen Steuern auch handfesten Betrug nachwiesen – etwa durch gefälschte Geschäftsunterlagen. Das gelang so gut wie nie. Bedeutet der Doppelschlag – die Flut an Selbstanzeigen sowie das neue Steuerabkommen – nun das Ende der heimlichen Konten in der Schweiz? Experten sind sich einig, dass immer noch enorme Summen in dem Alpenland lagern – und nur ein kleiner Teil davon ist beim deutschen Fiskus deklariert. Anwalt Schwedhelm: „Es gibt immer noch Leute, die pokern.“ Eine Studie des Schweizer Brokerhauses Helvea untermauert diesen Eindruck. 135 Milliarden Euro Schwarzgeld sind in Zürich, Basel oder Genf gebunkert. Die jetzt nachgemeldeten Summen liegen weit darunter. Dieter Ondracek, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft und damit Sprecher der Steuerbeamten, geht sogar davon aus, dass der größte Brocken weiterhin in der Schweiz liegt: „Was jetzt offenbart wurde, sind doch
Baden-Wrttemberg
2966
Nordrhein-Westfalen
2334
Bayern
2087
Hessen
1545
Rheinland-Pfalz
872
Niedersachsen Berlin
Quelle: Finanzministerien/eigene Recherche
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428
Schleswig-Holstein
308
Hamburg
304
Saarland
106
Bremen
Die große Beicht-Saison
70
Sachsen
50
Brandenburg
34
Thringen
29
Sachsen-Anhalt
12
Mecklenburg-Vorp.
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Fast 12 000 Deutsche haben sich nach FOCUS-Recherchen seit Auftauchen der Schweizer Banken-CDs Ende Januar selbst angezeigt. Zuvor waren es pro Jahr nur 300 bis 500
maximal zehn Prozent des versteckten Vermögens.“ Deutsche Staatsanwaltschaften und Finanzbeamte versuchen nach Kräften, weitere Steuersünder aufzuschrecken. Geschickt schüren die sonst eher verschwiegenen deutschen Staatsdiener ihre Furcht: Sie drohen offen mit Durchsuchungen bei Anlegern, deren Namen auf CDs oder USB-Sticks auftauchen. Am besten jeden Tag sollen die noch zaudernden Steuersünder in den Zeitungen lesen, dass der Staat nicht spaßt. Jede Meldung erhöht die Neigung der Deutschen mit Schweizer Geheimnis, sich selbst anzuzeigen. „Viele Bankkunden“, sagt der Züricher Steuerspezialist Mar-
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Selbstanzeigen seit Februar 2010 (bis 23. Mrz)
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Deutsches Geld auf Schweizer Konten Nicht nur Heimlichtuer Viele Deutsche haben Geld in der Schweiz. 61 Milliarden Euro sind dem Fiskus bekannt – so eine Studie. Der Großteil der
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unversteuert (Schwarzgeld)
135 Milliarden Euro
versteuert (Wei§geld)
61 Milliarden Euro
„Das Ganze schnell hinter sich bringen“
Milliarden Euro aus Deutschland ist aber Schwarzgeld.
Der Züricher Steuerberater Markus Baumgartner über Selbstanzeigen, verschwiegene Millionen und überlastete Banker
Quelle: Helvea, Stand 2009
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Zahl steigern: „Jeder soll wissen, dass es auch ihn treffen kann.“ Das wird den deutschen Finanzminister wenig interessieren. Wolfgang Schäuble hat einen anderen Plan: Zusammen mit seinem Schweizer Amtskollegen Hans-Rudolf Merz will er eine große Lösung. Eine schweizerisch-deutsche Arbeitsgruppe soll bis September einen Rundumschlag vorbereiten, der alle versteckten deutschen Gelder in der Schweiz erfassen soll. Zwei Schritte sind dafür im Gespräch. Zuerst könnte von jedem Vermögen in der Schweiz ein festgeschriebener Prozentsatz abgezogen werden. Quasi als Ausgleich für die unterschlagenen Steuern aus den Vorjahren. Die Höhe ist noch offen, aber geplant ist, dass die Schweizer Banken das Geld einziehen. Überlegt wird, dass Bankkunden, die freiwillig mitmachen, einen niedrigeren Satz zahlen müssen als Verweigerer. Nach diesem Einmalabzug würde die Schweiz jährlich eine Abgeltungsteuer auf die dann erzielten Dividenden und Spekulationsgewinne erheben – und nicht wie heute nur auf Zinsen. Außerdem sollen die Eidgenossen Erbschaft- und Schenkungsteuern eintreiben. Ob das gewagte politische Projekt jemals startet, ist nicht garantiert. Steuersünder müssen bis dahin jedenfalls weiter zittern: Wen die Steuerfahndung noch vor der großen Lösung aufgreift, der landet vor dem Strafrichter. ■ ALEXANDRA KUSITZKY / FRANK THEWES
Der Insider Markus Baumgartner arbeitete früher als Steuerfahnder, heute berät er Deutsche mit Steuerproblemen
Foto: M. Cindric/F OCUS -Magazin
kus Baumgartner, „sind noch in der Entscheidungsphase.“ (s. Interview S. 126) Hinter der doppelten Drohkulisse steckt tatsächlich weniger, als es scheint. Steuerexperten sind sich einig: Zumindest das neue Steuerabkommen mit der Schweiz ist weit weniger schlagkräftig, als es klingt. Tritt es wie verabredet in Kraft, können die deutschen Beamten zwar bei Hinweisen auf eine Steuerhinterziehung losschlagen. Aber diese Hinweise müssen sie erst einmal finden. Auch künftig werden die Schweizer nicht jeden Steuertouristen automatisch melden. „Die deutschen Steuerbehörden werden keine Amtshilfegesuche in großer Zahl gegen Bankkunden stellen“, prognostiziert der Berner Steueranwalt Andreas Kolb. Hinzu kommt: Das Abkommen ist niedergeschrieben, aber noch nicht wirksam. Es fehlt ein entscheidender Faktor: Höchstwahrscheinlich wird es in der Schweiz einen Volksentscheid geben. „Bei der aufgeheizten Stimmung gegen politische Entscheidungsträger in Deutschland“, sagt Kolb, „kann es gut sein, dass das Volk das Abkommen ablehnt.“ Damit wäre es gescheitert. Für die Steuerfahnder und ihren Sprecher Dieter Ondracek gibt es da nur ein Mittel: „Wir müssen den Ermittlungsdruck weiter erhöhen.“ Im vergangenen Jahr rückten Steuerfahnder 2400-mal im Jahr aus, um die Privathäuser Verdächtiger zu durchsuchen. Das sind 500 Razzien mehr als noch vor fünf Jahren. Aber Ondracek will diese
Herr Baumgartner, Sie beraten Deutsche, die sich wegen Steuerhinterziehung selbst anzeigen wollen. Wie laufen die Geschäfte?
Seit Ende Januar bekannt wurde, dass CDs mit vertraulichen Bankkundendaten im Umlauf sind, hat unsere Kanzlei so viel zu tun wie nie zuvor. Allein im Februar hatten wir mehr Mandanten als im gesamten Jahr 2009. Wie viele betreuen Sie pro Tag?
Zurzeit im Schnitt etwa acht. Zum Teil buchen uns Banken gleich tageweise für ihre Kunden. Das gab es noch nie. Trauen sich die Betroffenen in Ihre Kanzlei? Sie könnten dort ja gesehen werden.
Vielen ist das mittlerweile egal. Sie wollen das Ganze schnell hinter sich bringen und ihre Selbstanzeige auf dem Weg wissen. Die Furcht ist enorm, auf einer der CDs gespeichert zu sein. Der Gedanke, dass die Steuerfahndung vorfährt, das Haus durchsucht und die Nachbarn alles mitbekommen, schreckt viele. Teilweise besuchen wir Mandanten zu Hause. Wer sitzt denn bei Ihnen im Wartezimmer?
Keine bestimmte Berufsgruppe. Von der Lehrerin, die verheimlichtes Vermögen geerbt hat, bis zum Unternehmer ist alles vertreten. Sind auch Amtsträger dabei?
Beamte waren auch schon da, ja. Aktive Politiker nicht. Und ehemalige Politiker?
Das kommentiere ich nicht. Wie hoch sind die Steuern, die ihre Mandanten nachzahlen müssen?
Der niedrigste Betrag war 10 000 Euro, der höchste gut zehn Millionen Euro. Wie alt sind ihre Mandanten?
Das Gros ist über 60 Jahre alt. Nur die wenigsten haben in den vergangenen Jahren Geld in die Schweiz gebracht. Oft liegt es dort schon viele Jahrzehnte. Und so unglaubwürdig das jetzt vielleicht klingen mag: Steuern zu sparen war meist nicht der Antrieb, um Vermögen in der Schweiz zu deponieren. Die Mehrheit wollte ihr Geld – das bis dahin übrigens in der Regel versteuert war – in Sicherheit bringen, falls in Deutschland etwas passiert. In den 70er-
der versteuertes Geld in die Schweiz gebracht und dann nur die Zinsen schwarz kassiert, oder sie haben das Geld geerbt. Neuerdings beobachte ich, dass oft Jüngere kein Schwarzgeld mehr haben wollen. Sie drängen ihre Eltern dazu, sich selbst anzuzeigen, damit sie im Erbfall nicht auch zu Steuerhinterziehern werden. Wie läuft eine Selbstanzeige ab?
Zuerst muss man erfassen, welche Beträge verschwiegen wurden und welche Steuer nachzuzahlen ist. Die Schweizer Banken sind aber überlastet und können kurzfristig nicht die notwendigen Unterlagen liefern. Das kann nun mehrere Monate dauern. So lange wollen unsere Mandanten aber nicht warten. Denn wenn die Steuerfahndung sie zuvor erwischt, erlischt die Möglichkeit der straffreien Selbstanzeige. Sie würden ein ganz normales Strafverfahren bekommen. Wir müssen also großzügig schätzen und später die tatsächlichen Zahlen nachreichen. Es ist dabei sogar wichtig, zu hoch zu schätzen. Denn liegen wir unter der tatsächlich zu
„Zum Teil buchen uns Banken tageweise für ihre Kunden. Das gab es noch nie“ Markus Baumgartner, Steuerberater
Jahren fürchteten sich viele beispielsweise vor den Russen und der Ölkrise. Die Steuerersparnis haben diese Sicherheitsbedürftigen aber gern mitgenommen. Sie hätten doch jederzeit ihr Geld in die Schweiz schaffen, die Zinsen aber in Deutschland versteuern können.
Ja, natürlich. Das möchte ich nicht beschönigen. Aber ich möchte verdeutlichen, dass mir keine Kriminellen gegenübersitzen, sondern an sich rechtschaffene Leute. Die meisten haben kein feudales Leben im Ausland geführt. Das Geld auf dem Schweizer Konto war ihre Reserve. Es fällt schwer zu glauben, dass das Steuersparen nur Nebensache war. Wie viele Anleger haben ihr Schwarzgeld bewusst in die Schweiz gebracht und die Zinsen zusätzlich verschwiegen?
Sie sind bei uns zurzeit in der Minderheit. 99 Prozent der Mandanten haben entweF OCUS 13/2010
zahlenden Steuer, ist die Selbstanzeige unwirksam. Wie hoch schätzen Sie normalerweise?
Wir nehmen 20 Prozent des Vermögens als Ertrag an. Überweisen Ihre Mandanten nach der Selbstanzeige ihr Geld nach Deutschland?
Von einem Teil wird die Steuer bezahlt. Den Rest holen manche nach Hause, 90 Prozent lassen es aber in der Schweiz. Was meinen Sie: Ist die Zeit des Schwarzgelds endgültig vorbei – haben die meisten Anleger jetzt ihr Vermögen offenbart?
Ich gehe davon aus, dass sich der Großteil der Anleger mit einem Konto in der Schweiz noch nicht gemeldet hat. Viele sind wohl noch in der Entscheidungsphase. Es lassen aber auch sicher viele ihr Vermögen ■ heimlich im Ausland. INTERVIEW: ALEXANDRA KUSITZKY
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„Das ist manipulatives Zocken“ Der Chef der Swatch Group, Nick Hayek, rechnet mit Bankern ab, plädiert für Steuer-Ehrlichkeit, würde nie einen Konkurrenten feindlich übernehmen – und erinnert sich an seine goldene Rolex aus Jugendtagen
enn Nick Hayek die weltgrößte Schmuckmesse in Basel besucht, inspiziert er nicht nur pingelig die Ausstellungsstände seiner Marken, er wirbelt auch für sein neuestes Projekt: das „Swatch Art Peace Hotel“ in Shanghai, in dem er Künstler aus aller Welt gratis beherbergen will. Die auf CD gebrannten Informationen über das Mäzenatenprojekt überreicht er augenzwinkernd: Man könne ja nie wissen, ob man derzeit einem Deutschen eine CD geben dürfe . . .
Aber Herr Hayek, FOCUS arbeitet doch nicht für die Steuerfahndung!
In dem Zusammenhang kann ich nur empfehlen: Wer in Ruhe schlafen möchte, soll einfach seine Steuern bezahlen, wie wir das alle gelernt haben. Dabei halte ich auch die Schweizer Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug für überholt. Ziemlich überholt scheint auch der Auftritt vieler Uhrenhersteller. Was macht die Swatch Group anders als die Konkurrenz?
Wir haben eine weltweite Distributionspolitik, die ziemlich einmalig ist. Nehmen wir als Beispiel die Swatch Group Deutschland: Jede unserer Marken verfügt über einen eigenen Brand-Manager mit der dazugehörigen Marketingund Sales-Organisation. So garantieren wir, dass jede Marke optimal im Markt vertreten ist. Dazu kommen weltweit noch über 700 eigene Ladengeschäfte vor allem für Swatch, Omega, Breguet und Blancpain und Beteiligungen am größten Uhrenhändler in China und im Mittleren Osten. Nicht zu vergessen unsere Geschäfte an den Flughäfen. Wir sind in Düsseldorf, Genf, Paris, Nizza . . . Dort haben wir auch Konkurrenzmarken im Sortiment. Das gibt uns wichtige Informationen über die ganze Wertschöpfungskette . . . . . . die andere nicht haben? Nein, sicherlich nicht in der gleichen Tiefe. Was die Produktion von Kompo128
nenten und Uhrwerken angeht, sind wir einmalig. Alle großen Gruppen oder wichtigen Marken kaufen bei uns ein. Dies gibt uns natürlich auch zusätzliche Informationen zu der Marktsituation. Dazu kommt, dass wir die einzigen sind, die in allen Segmenten vertreten sind – von Swatch bis Breguet. Wie ist das Verhältnis zu Ihrem mächtigsten Wettbewerber Rolex?
Mit Rolex ist die Zusammenarbeit sehr gut. Sie beziehen auch Teile und Werke von uns. Trotzdem sind wir natürlich große Konkurrenten mit Omega. Hätten Sie nicht auch gern einen Schmuckriesen im Sortiment?
Ich verheimliche nicht, es gibt große Marken, die interessant sind. Nicht im Bereich Uhren, aber im Bereich Schmuck. Die Frage ist für uns: Wollen wir in diesem Bereich so stark sein? Und? Wollen Sie?
Das Markenzeichen Swiss Made hat im Schmuck nicht die gleiche Bedeutung wie bei den Uhren. Und in puncto Identität ist Schmuck auch schwierig. Soll ich mal erraten, woher Ihr Ring kommt? Ich habe keine Ahnung. Ich auch nicht.
(Hayek lacht) Sehen Sie! Und dann die Lagerhaltung. Wenn Sie Ringe im Laden haben, müssen Sie zehn verschiedene Größen für jedes Modell auf Lager haben. Ich verhehle allerdings nicht, dass es interessante große Marken gibt, die Entwicklungspotenzial haben. Wer denn? Etwa die Nobelmarke Bulgari?
Zum Beispiel. Wir sind aber keine Firma, die Übernahmeschlachten betreibt. Das bindet nur das Management. Ich bin kein Hai. Das ist nicht unsere Kultur. Wir wollen Firmen aufbauen und nicht aufkaufen. Sie mögen Spekulanten also nicht?
Ja. Ganz früher war die Börse ein Ort, um Kapital zu bekommen. Und das war gut so. Früher war die Börse zwar auch
Casino, aber nicht so wie heute. Früher sind die Analysten auch nicht in jeder „Tagesschau“ aufgetreten so wie der Mann vom Wetterbericht. Früher waren die Analysten höchstens im Wirtschaftsteil vertreten und dort eher ghettoartig. Leider sehe ich im Moment nicht, weder in den USA, in Europa noch sonst wo, dass man jetzt die Chance nutzt, um die Börsen wieder weg von der Spekulation und Manipulation zu bringen. Zum Beispiel, indem man Leerverkäufe auf Aktien verbietet. Auch bei den Derivaten sollte man einschreiten. Vieles, was an Derivaten da ist, ist manipulatives Zocken und sonst gar nix! Viele Experten sehen das Hauptproblem in Boni, die ohne echte Gegenleistung fließen.
Die sind nicht das Hauptproblem. Die Boni sind nur eine Konsequenz, weil es zum Beispiel solche Derivate gibt. Darauf können sie nämlich Boni bezahlen. Das muss aufhören. Es gibt genügend Kreativität für die Banken, um Geld zu verdienen. Nämlich Serviceleistungen für ihre Kunden. Auch die Geschichte, dass das Eigenkapital möglichst gering sein muss, damit die Rentabilität auf das Kapital größer wird. Das ist eine stupide, vor allem unter Analysten beliebte Meinung. Was würden Sie reformieren – wissen Sie’s?
Ja! Die Börsen gehören in den meisten Ländern Banken oder noch schlimmer, Fonds. Die Plattform zum Handel gehört denen, die am meisten Interesse daran haben, dass manipuliert und gespielt wird. Mein Vater hat in der Schweiz eine Initiative gestartet, dass die großen, guten Industrieunternehmen, wie etwa Nestlé, ABB, Lindt&Sprüngli und die Swatch Group, in Zukunft 51 Prozent der Börse in Zürich übernehmen. Industriefirmen haben kein Interesse an spekulativem Handeln. Denn eine Volkswirtschaft lebt von ihrer Industrie und nicht nur von der Finanzbranche. F OCUS 13/2010
Foto: Pino Covino/F OCUS -Magazin
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Durchblicker Nick Hayek mit Uhrmacherlupe vor einem Plakat seines Omega-Werbeträgers George Clooney
Herr der Zeiten ❙
Nick Hayek, Sohn des Swatch-Gründers Nicolas Hayek, leitet seit 2003 den Schweizer Uhren- und Technologiekonzern.
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Der 56-jährige Eidgenosse ist ein entfernter Cousin der Schauspielerin Salma Hayek und lebt im steuergünstigen Kanton Zug.
Sie sind aber wenig begeistert, Ihre Anleger alle drei Monate zu unterrichten?
Wofür sind 3-Monats-Berichte? Sicher nicht für mehr Transparenz, aber sie erlauben, kurzfristig zu spekulieren. Alle sechs Monate zu reportieren reicht vollkommen. All diese Firmen wie Lehman Brothers haben alle drei Monate reportiert, und nichts ist dabei rausgekommen. Auch ein deutscher Firmenchef war dieser Meinung: Ex-Porsche-Boss Wiedeking.
Ja, und Wiedeking hat uns gefallen, weil er langfristig und unabhängig gedacht und gehandelt hat. Leider hat er das nicht durchgehalten. Die Versuchung, mit Hilfe der Börse Volkswagen zu übernehmen, war anscheinend zu groß. Hand aufs Herz, Herr Hayek: Haben Sie schon mal eine Uhr des Erzrivalen Rolex getragen?
Habe ich tatsächlich. Die Uhr, die eher älteren Semestern gut steht, habe ich als Jugendlicher von einem Scheich geschenkt bekommen, den mein Vater beziehungsweise die Hayek-Engineering in einem Tourismusprojekt beraten hatte. Ich habe diesem Mann meine ehrliche Meinung gesagt. Er war nämlich ganz stolz, dass sein Sohn auf die US-Militärakademie von West Point geht, um dort zu lernen, was Disziplin ist. Noch heute hängt am Fenster meines Büros eine Piratenflagge. Sie können sich vorstellen, dass ich von West Point nichts halte, und dies hat er nicht gerne gehört. Aber er honorierte den Mut, dass ich ehrlich war, und schenkte mir eine goldene Rolex. Ich wollte dieses Geschenk auf keinen Fall annehmen, aber das wäre eine persönliche Beleidigung gewesen. Doch ich habe sie kaum getragen. Mir hat damals schon die Moonwatch von Omega besser gefallen. ■ INTERVIEW: FRITZ SCHWAB
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Millionen holen bei Toyota Die Pannenserie bringt Toyota jetzt auch rechtlichen Ärger: US-Juristen wollen den japanischen Automobilkonzern verklagen
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Nach dem Crash Mitarbeiter von Toyota und der Nationalen Autobahnbehörde untersuchen in New York einen Prius. Er war aus unklaren Gründen verunglückt
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er Boss trug Grau. In der Einheitsjacke der Toyota-Belegschaft trat Konzernchef Akio Toyoda vergangene Woche in Brüssel vor die Mitarbeiter seiner Europa-Zentrale. Die Botschaft: Wir müssen jetzt alle ganz fest zusammenhalten. Zuspruch und Solidarität haben die weltweit 321 000 Toyota-Beschäftigten bitter nötig. Der japanische Autohersteller erlebt seit Monaten einen dramatischen Ansehensverlust. „Wir sind zu schnell gewachsen“, lautete in Brüssel die bittere Erkenntnis von Gründer-Enkel Toyoda. Erinnert sei auch an die rigorosen Sparprogramme. So hatte der damalige Präsident Katsuaki Watanabe stolz berichtet, dass er seit dem Beginn des vergangenen Jahrzehnts weltweit mehr als zehn Milliarden Dollar Kosten aus dem System gequetscht habe. Jim Press, bis 2007 ranghöchster Amerikaner im Toyota-Management, kritisiert den damaligen Kostendruck: „Toyota wurde schon vor einiger Zeit von Piraten gekapert. Denen ging es ausschließlich um die Rendite. Diese Manager haben die Orientierung am Kunden aufgegeben.“ Nun bekommt der Konzern offenbar die Quittung für diese Fehlentwicklungen. In den USA behaupten zahlreiche Autobesitzer, ihre Toyotaund Lexus-Modelle hätten unkontrolliert beschleunigt und sich nicht mehr bremsen lassen. Toyota musste tatsächlich massive Probleme mit den Pedalen einräumen. In einer der größten Rückrufaktionen der Geschichte holt der Konzern weltweit 8,5 Millionen Fahrzeuge zur Nachbesserung in die Werkstätten – allein in Deutschland 216 000 Autos. Dabei galt das Unternehmen noch bis vor Kurzem als vorbildlich. Manager wie
Anheuern auf Erfolgsbasis Wie Rechtsanwalt Robert Nelson aus San Francisco Schadensersatz gegen den Konzern durchsetzen will Wie kommt es, dass ausschließlich amerikanische Autofahrer wegen des Problems plötzlicher Beschleunigung gegen Toyota vor Gericht ziehen wollen? Hat das Ihrer Ansicht nach eher technische oder eher juristische Gründe?
Das beschränkt sich keineswegs auf die USA. Ich wurde auch von Europäern kontaktiert, die wegen plötzlicher Beschleunigungsprobleme einen Rechtsbeistand suchen. Ich denke, entscheidend für Klagen ist, welche Rechtsmittel den Verbrauchern außerhalb der USA zur Verfügung stehen. Sie meinen, dass man von den außeramerikanischen Fällen nur deswegen nichts erfährt, weil es sich für die Betroffenen nicht lohnt, sie zu melden und juristisch zu verfolgen?
Ja. Sonst würden die Leute aus Europa ja nicht bei mir anfragen, ob sie für Unfälle, die nicht in den USA passiert sind, bei uns klagen können. Das käme dann wohl auf
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Schadens-Spezialist Robert Nelson vertritt als Mitglied einer großen US-Kanzlei vor allem Privatkläger gegen Firmen und Institutionen
sich ein jahrelanges Verfahren überhaupt leisten können. Außerdem entscheiden in den USA Schwurgerichte über Zivilklagen. Dort sitzen dann Laienrichter, die oft zu Gunsten der Normalbürger entscheiden. In den USA ist es zudem üblich, gleichgeartete Einzelfälle zu einer Sammelklage zu bündeln („class action“). So bekommen auch kleinere Forderungen – wie etwa der Ausgleich der Wertminderung eines Autos – große Durchschlagskraft. Brian Smith, Anwalt aus West Palm Beach, schätzt das Volumen seiner 14 Einzel- und Sammelklagen auf „viele Millionen, wahrscheinlich sogar Milliarden von Dollar“. Als einen ihrer Trümpfe sehen die Juristen, dass Toyota womöglich schon 2002 von Fällen plötzlicher Beschleunigung wusste – so zumindest das Ergebnis einer Anhörung vor dem US-Senat. ■
1,8 Millionen Autos verkaufte Toyota 2009 in den USA. Das waren 20 Prozent weniger als im Jahr zuvor
SUSANNE FRANK / JÜRGEN SCHÖNSTEIN
den Einzelfall an. Einer der großen Vorteile in den USA ist außerdem, dass man einen Anwalt auf Erfolgsbasis anheuern kann – das erlaubt es Leuten zu klagen, die sich sonst keinen Anwalt leisten könnten. Sie gehen aber davon aus, dass es sich hier wie außerhalb der USA um das gleiche technische Problem handelt?
Toyota wird vermutlich versuchen, die Schuld auf die Fahrer zu schieben, die versehentlich aufs Gas statt auf die Bremse getreten seien. Wir denken aber vielmehr, dass es sich um einen Defekt in der elektronischen Regelung der Drosselklappe handelt. Und der führte zu diesen plötzlichen Beschleunigungen. Kann allein Toyotas gigantische Rückrufaktion bereits als Eingeständnis eines technischen Defekts gewertet werden?
Zumindest belegt sie, dass Toyota sich eines Problems bewusst war. Wir wollen sogar beweisen, dass das Unternehmen schon mindestens seit 2002 von Problemen mit plötzlicher Beschleunigung gewusst hat. Wie viel Geld steht denn in dieser Angelegenheit für Toyota auf dem Spiel?
Jeder einzelne Fall ist unterschiedlich, je nach Ausmaß der Verletzungen eines Opfers und dessen Verdienstausfall. Das alles muss man erst einmal zusammenrechnen, um Schadens-
ersatzforderungen stellen zu können. Wir werden aber zu beweisen versuchen, dass Toyota schon früh die Probleme kannte. Statt diese technische Panne aber rechtzeitig zu beheben, stritt die Firma lieber viele Jahre lang mit der Nationalen Straßenverkehrssicherheitsbehörde. Und vernachlässigte es, die Kunden ordentlich zu informieren. In vielen Sammelklagen geht es nicht nur um Personen- oder Sachschäden, sondern um den Wertverlust, den die Marke Toyota als Folge des Skandals erlitten hat. Dadurch sinkt der Wiederverkaufswert eines Toyota oder Lexus. Die Kläger fordern also einen finanziellen Ausgleich für den Imageschaden – und zudem die Behebung des materiellen Schadens?
Das trifft zu. Tatsächlich zielen manche dieser Sammelklagen darauf ab, dass Toyota das Problem auch technisch beheben wird. Zum Beispiel durch den Einbau eines Sicherheitsschalters. Der würde automatisch den Motor abstellen, wenn der Fahrer gleichzeitig Gas und Bremse betätigt. Wie hoch schätzen sie den gesamten Streitwert – ein Kollege von ihnen sprach von „Millionen“, wenn nicht sogar „Milliarden von Dollar“?
Jede Klage ist anders. Daher ist es auch bisher unmöglich zu sagen, wie hoch die gesamten Schadensersatzforderungen sein werden. Und wir wissen schon gar nicht, wie all diese ■ Sammelklagen einmal ausgehen werden.
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Foto: AP
VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch rühmten die Marke immer wieder als leuchtendes Beispiel dafür, Millionen von Fahrzeugen in gleichbleibend guter Qualität zu produzieren. Nach dem beispiellosen Image-Debakel stürzen sich nun die berühmt-berüchtigten USProzessanwälte auf Toyota. Sie argumentieren, dass der Konzern für Unfälle mit 52 Toten verantwortlich sei, und wittern die Chance, gigantische Schadensersatzansprüche durchzusetzen – auch zu ihrem eigenen Nutzen. Schon jetzt sind 140 Klagen in Vorbereitung. Der Streitwert könnte in die Milliarden gehen. Das liegt vor allem am US-Rechtssystem. Die Chancen der Opfer sind in Schadensersatzprozessen deutlich größer als in Europa. In den USA werden die Anwälte auf Erfolgsbasis bezahlt – je mehr Entschädigung sie herausschlagen, desto mehr verdienen sie. Damit entfällt eine große Hürde für mögliche Prozesse: die Sorge der Kläger, ob sie
GELDMARKT NOTIZEN AUS DER WIRTSCHAFT Die Pleitewelle . . . bei deutschen Unternehmen dürfte im Winter 2010/2011 ihren Höhepunkt erreichen – so die DZ Bank in einer aktuellen Studie. Ein wichtiger Grund sei, dass zahlreiche Gesellschaften im zurückliegenden Aufschwung keine oder nur unzureichende Reserven bilden konnten. Der Hedge-Fonds . . . Ebullio Capital verlor im Februar 86 Prozent seines Werts. Der Finanzpool soll Börsengerüchten zufolge 90 Prozent aller Zinn-Kaufkontrakte an der London Metal Exchange gehalten haben. Andere Fonds bekamen davon Wind und spekulierten massiv dagegen.
Pfandbrief – jetzt wollen ihn auch die USA Lange galt der Pfandbrief bei US-Investmentbankern als langweilig und angestaubt. Nach der Milliardenpleite mit eigenen Immobilienkrediten starten die USA nun ein Gesetz, das auch dort solche Papiere nach deutschem Muster zulassen soll. Dies sei ein „neuer, innovativer Weg“, Vertrauen an den Kreditmärkten aufzubauen, heißt es. Tatsächlich überstanden in Deutschland Pfandbriefinhaber die Finanzkrise bestens. Ausfälle gab es nicht: Die Papiere sind mit Hypothekenoder Staatskrediten unterlegt,
Feste Schutzburg Pfandbriefe stehen in der Bonität Staatsanleihen kaum nach
SICHERHEIT ZUERST Emittent
Laufzeit
ISIN
Rendite in Prozent
LBBW Eurohypo Corealcredit Bank Berlin-Hannoversche
DE000LBW9JG5 DE000EH0EB88 DE000A0BVAK1 DE000A0NKTQ6
4.8.2011 18.1.2012 4.2.2013 28.3.2017
1,20 1,44 2,24 2,80
Quelle: Deutsche Börse
Megatrend Infrastruktur birgt Renditechancen
Aufbruch Indien will seine maroden Straßen schnell ausbauen
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weit Chancen. Denn alle Schwellenländer, so die Weltbank, werden sogar mehr als zwei Billionen Dollar in Straßen und Strom investieren. NEUER SCHUB Indexpunkte
BSE-100-Index
11000 9000 7000 5000 2007
2008
2009
3000 3/10
Quelle: Bloomberg
Eine Billion Dollar will Indien bis 2017 in den Ausbau seiner Infrastruktur stecken. Das bedeutet einen Auftragssegen und gute Verdienstmöglichkeiten für heimische Firmen, aber auch für weltweit aktive Konzerne. Das Programm dürfte den indischen Aktienindex stimulieren. Profitieren sollten auch Fonds, die in Infrastrukturunternehmen investieren. Der Invesco Asia Infrastructure (ISIN LU0243956009) zielt speziell auf Asien. Der DWS Invest Global Infrastructure (LU0329760770) sucht welt-
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die vorrangig der Absicherung der Pfandbriefgläubiger dienen. Die Sicherheit der Grund-und-Boden-Papiere ist mit Staatsanleihen vergleichbar. Dennoch bringen sie etwas höhere Renditen – bei drei Jahren Laufzeit bis zu 0,8 Prozentpunkte.
Die Direktbank Cortal Consors (BNP-Paribas-Gruppe) akzeptiert Aktien diverser Unternehmen nicht mehr als Kreditsicherheit. Das bedeutet: Cortal-Kunden, die einen Wertpapierkredit mit diesen Papieren abgedeckt haben, müssen entweder das Geld sofort zurückzahlen oder andere Aktien oder Anleihen als Sicherheit bereitstellen. Zu den Firmen, deren Anteile die Direktbank nicht mehr beleiht, gehören die Fonds-Anbieter Lloyd, HCI Capital oder MPC. Sie werden wegen „des Geschäftsverlaufs sowie des Geschäftsmodells im Allgemeinen“ nicht mehr als Pfand zugelassen. Insgesamt mustert Cortal Consors momentan auf Grund des nach wie vor hohen Risikos von Firmenpleiten etwa zehn Titel pro Woche aus – deutlich mehr als gewöhnlich.
KUNST-TIPP
Ein Daumenkino hat der Künstler Luca Buvoli anlässlich der Ausstellung „Utopia Matters“ in der Deutschen Guggenheim Berlin entworfen. Der in New York lebende Italiener beschäftigt sich seit Jahren in seinen Bildern und Installationen mit dem Traum vom Fliegen. Inzwischen ist das Werk des 46-Jährigen international gefragt. Buvolis „Flipbook 2“ kostet unsigniert (Auflage: 1000) 12,50 Euro; davon sind 20 Stück signiert für je 1800 Euro erhältlich (Tel. 0 30/20 20 93 15).
Traum vom Fliegen In Luca Buvolis „Flipbook 2 (from Flying – Practical Training for Beginners)“, 1999– 2010, tanzt ein Comic-Superheld. 9,5 mal 13 cm, signierte Auflage: 20 Stück
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KÖRNER KALKULIERT FOCUS-Finanzredakteur und ExWertpapierhändler Andreas Körner zu Geld- und Börsen-Themen
Bankenabgabe dringend überarbeiten! In dieser Woche will die Bundesregierung die Eckpunkte einer Bankenabgabe beschließen. Die Mitschuldigen der Finanzkrise sollen Geld in einen Fonds einzahlen. Damit müssen sie sich bei zukünftigen Turbulenzen selbst helfen, statt wieder den Steuerzahler zu belasten. So weit die Theorie, die sich auch bei den Wählern gut verkaufen lässt. In der Praxis dür fte die Abgabe in der geplanten Form das Ziel der effektiven Selbsthilfe meilenweit ver fehlen: • Pro Jahr soll etwa eine Milliarde Euro in den Topf fließen. In der aktuellen Krise hat allein die Commerzbank 18 Milliarden erhalten, die Hypo Real Estate (inkl. Garantien) mehr als 100 Milliarden. Wie lange würde es da wohl dauern, genügend Geld anzusammeln, um die deutsche Geldbranche tatsächlich abzusichern? • Die Höhe der Zahlungen soll sich nach dem Risiko der einzelnen Banken richten. Branchenkenner wissen, dass es eine der schwierigsten Aufgaben jedes Bankers ist, die Risiken korrekt zu messen. Zudem gehen die Kreditinstitute dabei unterschiedlich vor. Wie soll der Staat so an verlässliche Zahlen kommen? • Viele Banken, die den neuen Fonds speisen sollen, wollen dann nicht mehr in den Einlagensicherungsfonds der privaten Banken einzahlen – dabei könnte auch der eine Finanzspritze gut vertragen. Schon beim Großschaden Lehman Brothers musste der Staat einspringen. Wie sollen die Kunden wieder Vertrauen fassen? • Banken mit hohen Einlagen sollen weniger in den Fonds einzahlen. Das hilft besonders den Sparkassen – der größten Bankengruppe Deutschlands. Ein Argument für deren Schonung: Sie haben sich beim jüngsten Finanzbeben besser geschlagen als die Privaten. Doch wird das in der nächsten Krise wieder so sein? Selbst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein klarer Befürworter der Abgabe, warnt vor hohen Erwartungen – Recht hat er.
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Fotos: Mauritius, AP; Illustration: Jan Rieckhof f
Cortal Consors wird vorsichtiger
W I R T S C HAF T
Die Klüngler vom Rhein Bestechung, Untreue, dubiose Beraterverträge für Politiker, der Ermittlungskomplex im Fall des Bankhauses Sal. Oppenheim ist viel größer als bisher angenommen
500 Millionen Euro verlor die Stadtsparkasse Köln/Bonn womöglich bei Immobiliengeschäften mit Oppenheim-Esch-Fonds
K
aum hatte die Deutsche Bank vergangene Woche das einst renommierte private Geldhaus Sal. Oppenheim geschluckt, da trug die Kölner Staatsanwaltschaft neue Aktenzeichen ein: Sechs Oppenheim-Bankiers, darunter Christopher Freiherr von Oppenheim und Matthias Graf von Krockow, erhielten den Beschuldigtenstatus – gegen sie wird jetzt offiziell ermittelt. Verdacht der Untreue, lautet der Vorwurf. Damit geht die Ära einer über 200 Jahre alten rheinischen Finanzdynastie zu Ende. Zugleich aber beginnt an diesem Punkt einer der größten Wirtschaftskrimis – ein Milliarden-Monopoly um Bestechung und Megaverluste bei der Stadtsparkasse Köln/ Bonn. Die Sonderkommission der Staatsanwaltschaft führt nach FOCUS-Informationen 15 bis 20 Personen auf ihrer Verdächtigenliste – neben den Bankern den ImmobilienMogul Josef Esch, Sparkassen-Vorstände und den Ex-Bundestagsabgeordneten Rolf Bietmann (CDU). Die Nachforschungen betreffen drei Komplexe: seltsam günstige Darlehen an die Bankiers, verlustreiche Immobilienfonds sowie dubiose Beraterverträge. Die Ermittler interessieren sich für Kredite über 680 Millionen Euro, die der Sal.-
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Oppenheim-Führung aus dem eigenen Haus gewährt wurden – rund 300 Millionen sollen ohne jegliche Sicherheit geflossen sein. Mit einem Teil des Geldes stützten die Banker die ehemalige Milliardärin Madeleine Schickedanz und ihren inzwischen insolventen Handelskonzern Arcandor (KarstadtQuelle). Durch das riskante Engagement geriet die Privatbank ins Schlingern und ging für nur eine Milliarde Euro an die Deutsche Bank. Eine entscheidende Rolle schreibt die Staatsanwaltschaft dem einflussreichen Unternehmer Esch zu. Der SchickedanzVermögensverwalter gilt als Schlüsselfigur des Desasters. Seine Spezialität: Geschlossene Immobilienfonds, in denen Superreiche gegen entsprechende Renditen den Bau von Großprojekten finanzieren. Mit Hilfe der Kölner Privatbankiers hat Esch etwa 60 Großimmobilien im Wert von fünf Milliarden Euro aufgelegt – etliche dieser Projekte gelten inzwischen als notleidend. Die Staatsanwälte untersuchen insbesondere die Immobiliengeschäfte, in die der Ex-Chef der Stadtsparkasse Köln/ Bonn, Gustav Adolf Schröder, verstrickt war. Im Zusammenspiel mit Esch und Sal. Oppenheim schob Schröder gigan-
tische Immobilienprojekte an. Objekte wie das Kölner Medien-Zentrum Coloneum sicherte der damalige SparkassenBoss mit üppigen Mietgarantien zu Gunsten der Oppenheim-Esch-Fonds ab. Beim Neubau der Kölner Messe- und Rheinhallen soll sogar Bestechung im Spiel gewesen sein, was die Beschuldigten zurückweisen. Unbestritten ist jedoch, dass die Bauvorhaben finanziell floppten. Nach FOCUS-Information aus Sparkassen-Kreisen rechnen Wirtschaftsprüfer das Minus auf eine halbe Milliarde Euro hoch. In diesem Kontext prüfen die Korruptionsfahnder auch Beraterverträge des Ex-Parlamentariers Bietmann. Der Unionspolitiker soll laut einem Prüfbericht 900 000 Euro für Beraterdienste erhalten haben. Wirtschaftsprüfer des Unternehmens PricewaterhouseCoopers fanden jedoch „keine Belege für Beratungsleistungen“. Bietmann bestreitet die Vorwürfe. Auf die Kölner Oppenheim-Soko kommt viel Arbeit zu. „Rechtlich ist es schwieriges Fahrwasser“, doziert ein Ermittler. „Aber das ist wie mit der ,Titanic‘, entweder untergehen oder das blaue Band als schnellstes Schiff erringen.“ ■ AXEL SPILCKER
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Foto: WDR
Unter Verdacht Immobilien-Mogul Esch (l.), Kölns Ex-Oberbürgermeister Schramma und Chefbanker von Krockow
Brüllender Protest Zahlreiche Mitarbeiter der Bayerischen Landesbank klagen gegen massive Einschnitte bei ihrer Altersvorsorge. Das birgt neue finanzielle Risiken für das marode Institut
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enn der neue Vorstandschef Gerd Häusler am 15. April bei der Bayerischen Landesbank antritt, kann er seine Erfahrung als Krisenmanager gut gebrauchen – er war immerhin Direktor bei der Finanzfeuerwehr Internationaler Währungsfonds (IWF). Bei der angeschlagenen Staatsbank (Verlust 2009: voraussichtlich drei Milliarden Euro) eskaliert gerade ein Konflikt zwischen Hunderten Mitarbeitern und ihrem Management. Es geht um deren Ansprüche bei Pensionierung, Kündigung oder Krankheit. Luxusversorgung. Sogenannte „Versorgungsverträge“ gewähren den Landesbank-Mitarbeitern die gleiche Absicherung wie Beamten. So bekommen sie
beispielsweise bis zu 75 Prozent des letzten Gehalts als Rente – in der freien Wirtschaft sind es im Schnitt nur 61 Prozent. Und wer entlassen wird, erhält sofort Pensionszahlungen. Diese Top-Versorgung gilt für jeden, der insgesamt 20 Jahre bei Banken gearbeitet hat, zehn davon bei der Landesbank. „Im Gegenzug für diese höhere Sicherheit haben wir jahrelang niedrigere Gehälter als bei anderen Banken akzeptiert“, klagt ein Angestellter. Die Beschäftigten ärgern sich, dass Häuslers Vorgänger, Michael Kemmer, die lukrativen Verträge einseitig gekündigt hat. Der Ex-Chef der Bayernbank wollte die Kosten für die umfangreichen Zusagen von zwei Milliarden auf 300 Millionen
Fotos: W. Heider-Sawall/F OCUS -Magazin, dpa
Hohe Erblast Gerd Häusler, 58, führt ab Mitte April die BayernLB – ein Haus in Aufruhr
Angeschlagener Löwe Bei der Bank – hier Zentrale in München – fielen 2008 und 2009 Milliardenverluste an. Auch Pensionszusagen belasten F OCUS 13/2010
Euro senken. Etwa 2300 Angestellte, die 2009 oder in den Jahren danach die Ansprüche erworben hätten, sollten daher einer neuen, abgespeckten Vereinbarung zustimmen. Bei dieser zahlt die Bank für ihre Mitarbeiter Beiträge in private Versicherungsverträge. Der Haken: Der Wert der gesamten Altersvorsorge sank – in einigen Fällen um mehr als 100 000 Euro. Nach FOCUS-Informationen haben deshalb etwa 700 Landesbanker ihre Unterschrift verweigert. Sie hängen nun in der Luft: Die Bank hat die alte, günstige Regelung ausgesetzt, die neue Vereinbarung gilt für sie aber mangels ihrer Zustimmung ebenfalls nicht. Viele der Staatsbanker, die sogar schon einmal für den Verbleib ihres Vorstands demonstriert hatten, wollen nicht klein beigeben. Sie verklagen scharenweise ihren Arbeitgeber. So liegen beim Arbeitsgericht München derzeit etwa 120 Verfahren gegen die Bayerische Landesbank – der bei Weitem überwiegende Teil wegen der gekappten Versorgung. Die Landesbank hingegen „ist der Auffassung, dass das vorliegende Angebot zur Umstellung im Rahmen des wirtschaftlich Leistbaren fair ist“. Bereits in zwei Fällen untersagten die Richter jedoch die einseitigen Einschnitte. Bestätigt die Berufungsinstanz die Urteile und kommen weitere Entscheide zu Gunsten der Kläger hinzu, drohen der Bank Millionenbelastungen. Die verärgerten Mitarbeiter hoffen nun, dass die Bank einlenkt und ihnen ein verbessertes Angebot vorlegt. Ihr Kalkül: Die Landesbank hat in der Finanzkrise neben viel Geld auch ihr wichtigstes Geschäftsfeld verloren – sie kann und darf nicht mehr allzu risikoreich am Kapitalmarkt agieren. Die Bayerische Landesbank muss daher dringend Partner für eine Fusion oder Übernahme finden – und sich möglichst attraktiv darstellen. Da passen finanzielle Risiken und wüten■ de Mitarbeiter nicht gut ins Bild. ANDREAS KÖRNER
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MARKTPLATZ Flirt mit Folgen Renault und Smart sollen bald miteinander gehen
Deutsch-französische Automobil-Allianz auf der Ziellinie
Nach Erfolgsprämie gescheitert Die Welt der Wirtschaft, sie ist kompliziert. Gerade die Qualität eines Managers lässt sich oft erst spät beurteilen – wie SAP feststellen muss. Der Software-Konzern mit Sitz im badischen Walldorf legte jetzt offen, wie viel der Mann verdiente, der 2009 an der Spitze stand. Der hieß Léo Apotheker und ließ sich seine Dienste mit 6,7 Millionen Euro entgelten. Das ist im Vergleich zu anderen großen deutschen Aktiengesellschaften recht üppig. Und es ist pikant, denn ein Großteil der Summe (4,9 Millionen) floss als „erfolgsbezogene Vergütung“. Die Managementleistung des 56-Jährigen war indes alles andere als durchschlagend. Am 7. Februar dieses Jahres teilte SAP mit, dass Apotheker sein Vorstandsmandat „mit sofortiger Wirkung“ niedergelegt habe. Zuvor hatte der Aufsichtsrat signalisiert, dass man den 2010 auslaufenden Vertrag nicht verlängern wolle. Zur Begründung hieß es, Mitarbeiter und Kunden hätten das Vertrauen in den Chef verloren. Auch Mitgründer und Großaktionär Dietmar Hopp irritierte wohl, so erfuhr FOCUS, dass Apotheker durch einen geplanten kräftigen Aufschlag bei Wartungsgebühren die SAP-Stammkunden joh verärgerte, statt neue zu gewinnen. Kurzzeit-Boss Léo Apotheker führte den DaxKonzern SAP erst von Juni 2009 an allein
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Liquiditätsgründen“ aus. „Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir die kulturellen Hürden zwischen uns nicht unterschätzen“, warnt ein Mercedes-TopManager. Als „mahnendes Beispiel“ sieht man in Stuttgart die gescheiterte Ehe mit dem amerikanischen Autobauer Chrysler. fs
FORSCHUNG
Krisen-Vorsorge Trotz Wirtschaftsflaute sparten die größten Industriekonzerne 2009 kaum an der Entwicklung neuer Produkte. Die Auswertung der Geschäftsberichte zeigt, dass Infineon mit 15,5 Prozent des Umsatzes am meisten für Forschung und Entwicklung ausgab. Am niedrigsten lag der Wert mit 0,4 Prozent beim Energieriesen RWE. Im Schnitt investierten die Firmen gemessen am Umsatz
5,1 % 0,3 – ein Plus von
Prozentpunkten F OCUS 13/2010
Composing : F OCUS -Magazin
Daimler erhofft insbesondere für die derzeit schwächelnde Marke Smart starke Innovationsimpulse. Im Gespräch ist ein Smart-Viersitzer, der gemeinsam mit Renault entwickelt werden soll. Eine nennenswerte wechselseitige Kapitalbeteiligung der beiden Hersteller scheidet Daimler-Kreisen zufolge „bereits aus
Foto: G. Gerster/laif;
Der Kooperationsfahrplan von Daimler und Renault steht. Noch vor den Hauptversammlungen der beiden Autobauer im April wollen die Vorstände ihren Aufsichtsräten das gemeinsame Kleinfahrzeug-Konzept präsentieren. Nur noch „Sabotage“ könne die Allianz verhindern, heißt es in Stuttgart.
KAI WIESINGER
FABIAN BUSCH
BETTINA ZIMMERMANN
OSTERN WIRD EIN ABENTEUER! 01.04. | DO | 20:15 DAS EVENT- MOVIE
RTL.de
AU SLA ND
Warten auf den Feind Hinter Sandsäcken und in schlammigen Gräben harren die deutschen Soldaten auf der Höhe 431 aus
Irgendwo in Afghanistan Kundus Hhe 431 KABUL
200 km
Außenposten im Norden von Afghanistan, zwölf Kilometer westlich des Feldlagers von Kundus, liegt der strategisch wichtige Hügel namens „431“
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Foto: Christoph Pueschner/F OCUS -Magazin
A F G H A N I S T A N
Aus Kundus
nichts Neues Dreck, Kälte und Langeweile erwarten die deutschen Soldaten am Hindukusch. Für Heldentum bleibt auf dem Außenposten „Höhe 431“ wenig Raum
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AU SLA ND
S
o hat Oberfeldwebel Ludwig sich den Krieg nicht vorgestellt. So kalt und dunkel. So feucht und muffig. Er schnüffelt an seinem Schlafsack. Seit Tagen hat er ihn nicht mehr richtig trocken bekommen. Die Fleecejacke, die ihm als Kopfkissen dient, ist ebenfalls klamm. Kein Wunder bei dem Wetter. Der Regen trommelt auf die Sandsäcke über dem Bretterdach der Stellung. Zusammen mit dem getauten Schnee hat er das gesamte Areal in einen Morast verwandelt. Ludwigs schmales Feldbett steht knöcheltief im Schlamm. In der Dunkelheit der Nacht fummelt der Soldat seine Taschenlampe aus dem Feldgepäck und schaut auf die Armbanduhr. Teufel, noch zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang. Viel zu früh, um aufzustehen. Und zu ungemütlich, um wieder zu schlafen. Seine Zehen fühlen sich an wie Eiszapfen. Ludwig zieht seine lange Unterhose aus und wickelt sie sich um die Füße: ein alter Soldatentrick gegen die Kälte. Alle, die hier oben ausharren, haben solche Strategien gegen die extremen Witterungsbedingungen entwickelt. Hier, nahe Kundus, auf einem Hügel namens „431“, wo die deutschen Infanteristen im Namen der Bundesregierung die Stellung halten. Seit Monaten schon. Bei Tag und bei Nacht. Die eroberten Gebiete zu „halten“, lautet die neue Strategie von Afghanistan-General McChrystal. Für die 36 Mann des CZugs der Schnellen Eingreiftruppe (QRF) heißt das: ständig präsent sein. Deshalb haben sich die Soldaten auf und um den schlammigen Hügel herum „eingerichtet“. Eigentlich sollte diese Aufgabe schon im Dezember die afghanische Nationalarmee übernehmen. Aber irgendetwas lief schief; die Ablösung kam nicht. Nun warten die Deutschen darauf, dass die afghanische Polizei anrückt. Aber auch dort fehlt das Personal. Also müssen sie selbst ausharren. Alle vier bis fünf Tage wechseln sie sich mit ihren Kollegen ab. Als es endlich hell wird, streift Ludwig die Plastikplane beiseite: Pfützen und Schlamm, so weit er schauen kann. Die Gräben, die er gestern zusammen mit den anderen Männern ausgehoben hat, haben sich über Nacht in Tümpel verwandelt. Den umliegenden Feldern hat der Regen einen braunen Einheitston verpasst. Der 29-jährige Oberfeldwebel zieht seine lange Unterhose wieder an, dann
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die Fleecejacke, darüber die Uniform, die er während der Nacht im Schlafsack aufgewärmt hat. „So bekommt man sie halbwegs trocken.“ Drei Tage lang hat er sich nicht waschen können. Und auch heute müssen ein paar Spritzer aus der Mineralwasserflasche genügen. Er fasst prüfend an seine Bartstoppeln. Aber ans Rasieren denkt er gar nicht mehr – „das gewöhnt man sich als Erstes ab“. Keine Lust mehr Oberfeldwebel Ludwig, 29, hat nach über vier Monaten den Einsatz satt. Er glaubt nicht, dass die Deutschen in Afghanistan etwas bewegen können
Zum Frühstück gibt es trockene Kekse und einen Getränkemix Neun Uhr morgens, Lagebesprechung. Ludwig hat inzwischen zwei Scheiben Vollkornbrot und ein paar Kekse direkt aus dem Pappkarton mit der Tagesration gefrühstückt. Dazu gab es mit Grapefruit-Pulver angerührtes Wasser. „Die gute Nachricht zuerst: Wir bleiben noch zwei Tage länger hier“, verkündet sein Chef, Hauptfeldwebel Bernd, ein 34-jähriger Hüne. Der Zugführer mit seinem F OCUS 13/2010
Sack auf Sack Die Soldaten bessern Befestigungsanlagen auf der Höhe 431 aus, die der ständige Regen in Mitleidenschaft gezogen hat
Fotos: C. Pueschner/F OCUS -Magazin
Auf dem Späherposten Scharfschütze Marco schaut durch seinen Feldstecher. Er soll seine Kameraden auf Patrouille schützen
schwarzen Vollbart und den buschigen Brauen sieht so aus, als sei er gerade einer afghanischen Dorfversammlung entsprungen; er ignoriert die langen Gesichter und zwinkert den Kameraden aufmunternd zu. „Wir werden heute die Stellungen noch einmal mit Paletten verstärken, damit wir bis zur Ablöse am Montag nicht völlig absaufen“, sagt er und grinst: „Kopf hoch, Leute! Wir haben doch schon Schlimmeres als ein bisschen Regen überlebt!“ Das haben sie in der Tat. Seit die Soldaten die Höhe 431 vor vier Monaten eingenommen haben, gab es etliche Rückeroberungsversuche, nächtliche Mörserangriffe und Schießereien. Ludwig weiß, dass die Aufständischen auch jetzt ganz in der Nähe sind. Zusammen mit seinem Kameraden Marco, einem 28-jährigen Stabsunteroffizier und Scharfschützen, bezieht er Stellung in dem Wachposten, von dem aus sie die umliegenden Felder und Gehöfte im Blick haben. „Es F OCUS 13/2010
ist eine Pattsituation. Wir sind hier, und sie sind ebenfalls hier“, beschreibt der Waffenspezialist die Lage. Weder Marco noch Ludwig geben sich Illusionen hin: „Würden wir die Stellung auf dem Hügel aufgeben, nähmen die Taliban ihn morgen sofort wieder in Beschlag.“ Wenn die eine Seite der anderen zu nahe kommt, gibt es regelmäßig Zoff. Etwa wenn die Männer auf Patrouille gehen, wie es Bernd für heute wieder angeordnet hat. Während seine Kameraden die einen Kilometer entfernt liegende Straße nach frischen Fußtritten und Minen absuchen, hat Marco die Aufgabe, sie mit seinem Feldstecher vom Hügel aus zu beobachten, um ihnen im Notfall Rückendeckung zu geben. Doch der blasse junge Mann mit den strahlend grünen Augen wirkt nachdenklich auf seinem Posten. Natürlich hat er das Schießen zu Hause oft trainiert. „Aber unter Realbedingungen ist es doch etwas ganz anderes. Dass es so schwerfällt, hätte ich nicht gedacht.“
Was darf man – und was darf man nicht? Seit der von Oberst Georg Klein angeordneten Bombardierung der Tanklastzüge, bei der in Kundus im September bis zu 142 Menschen ums Leben kamen, ist die Unsicherheit geblieben. Auch Marco musste eine Entscheidung über Leben und Tod fällen. Da saß er wie heute auf dem Späherposten: Der Soldat sieht, wie Teile der Patrouille draußen beschossen werden. Er sieht, woher die Schüsse kommen. Von einem Gehöft aus feuert ein Aufständischer auf seine Kameraden. „Objekt erfasst“, meldet sein Kollege am Scharfschützengewehr G22. Und Marco antwortet: „Feuer frei!“ – wie er es zu Hause gelernt hat. Als Truppführer ist er derjenige, der diese Entscheidung fällen muss. Sein Wort gilt; doch der Scharfschütze zögert. „Bist du ganz sicher?“, fragt er seinen Vorgesetzten. „Ja, natürlich“, antwortet Marco. „Wir sollten keinen Fehler machen“, wendet sein Schütze erneut ein – und Marco denkt noch 141
Ständig auf der Höhe 40 Meter hoch, 70 Meter breit und rund um die Uhr bewacht ist die Höhe 431. Am Fuß des Hügels steht eine Dixi-Toilette
Gut geschlafen?! Mitten im Schlamm stehen die Feldbetten der Soldaten. Nachts trocknen sie ihre Kleider in den Schlafsäcken
einmal nach. „Aber der schießt doch auf uns!“, sagt er dann ungehalten, „willst du vielleicht das Leben unserer Leute aufs Spiel setzen? Feuer frei, verdammt noch mal. Mach jetzt!“ Nachdem der Schuss gelöst ist, blickt Marco erneut in sein Fernglas – und ist entsetzt: Der Mann, auf den sie gezielt haben, ist nicht mehr zu sehen; stattdessen stehen jetzt Kinder im Hofeingang. Weder Marco noch sein Schütze können sich einen Reim auf die Geschehnisse machen. Haben sie den Angreifer erwischt? Oder versehentlich gar ein Kind getötet? Eine Horrorvorstellung! „Da haben die Synapsen schon schwer gezuckt“, erinnert sich Marco auf seinem Beobachterposten. Jedes Mal wenn er hier sitzt, denkt er wieder an den Vorfall. „Selbst wenn wir kein Kind auf dem Gewissen haben sollten, ist es nicht ohne, einen Menschen getötet zu haben.“ Was ihn und die anderen Soldaten aber besonders beunruhigt: dass es 142
auch in Zukunft keine klare Entscheidungsrichtlinie für sie geben wird. „Die Aufständischen kennen natürlich unsere Regeln, und sie verhalten sich dementsprechend. Oft werden afghanische Kinder als Schutzschilder eingesetzt, um uns vom Schießen abzuhalten. Am Ende kann das nur jeder mit seinem eigenen Gewissen klarmachen.“ Soldat Ludwig nickt zu diesen Worten. „Die Politiker sollten sich wirklich mal Gedanken darüber machen, was sie hier eigentlich von uns wollen. Mit diesen Fesseln, die sie uns anlegen, ist die Aufgabe jedenfalls nicht zu erfüllen. Die ganzen Abwägungen, die man durchführen soll, bevor man schießt, sind in einer Gefechtssituation doch total realitätsfern!“ Die Debatte um die Bombardierung der Lastwagen findet er daher zwar „ungerecht“ gegenüber dem befehlenden Oberst Klein, aber auch „hilfreich“. Denn vielleicht bewege sich dadurch ja etwas in den Köpfen daheim. „Was die Frau Merkel oder der
Herr Guttenberg zu diesen Dingen meinen, interessiert uns hier draußen eigentlich gar nicht. Die haben doch sowieso keine Ahnung. Als Chef akzeptieren wir nur denjenigen, der mit uns im Dreck steht und kämpft.“ Einen wie Bernd, den Zugführer, der selbst Hand anlegt, wenn die Soldaten mit dem Seilzug die Holzpaletten den Berg hochhieven – und sie anfeuert: „Los, Männer, wir müssen mit der Befestigung fertig werden, bis der nächste Regenguss kommt.“
Soldat Ludwig erkennt keinen Sinn mehr in seinem Einsatz Aber im Gegensatz zu seinem Chef hat Ludwig keinen „Spaß“ an den Strapazen. Er erkennt keinen Sinn mehr in dem, was er hier tut. Die Hoffnung, in Afghanistan etwas zu bewegen, ist ihm im Laufe der vergangenen Monate abhandengekommen. Zu desolat sei die Lage. „Das F OCUS 13/2010
Fotos: C. Pueschner/F OCUS -Magazin
Gesamtbild rechtfertigt diese Annahme nicht.“ Und warum ist er dann hier? „Na ja, irgendwann hat man halt mal unterschrieben. Das gehört eben dazu“, antwortet der Zeitsoldat lakonisch. Und außerdem seien da ja noch die afghanischen Kinder – „vielleicht können wir bei denen ja etwas bewegen“. Dass die internationalen Truppen den Bürgerkrieg am Hindukusch gewinnen könnten, glaubt der Oberfeldwebel nicht mehr. Als die Arbeiten abgeschlossen sind, hat Bernd noch eine Überraschung für seine Männer: „Es gibt Post!“ Die Mienen hellen sich auf. Während der Hauptfeldwebel in den Laderaum des Fuchs-Panzers hinter sich greift, halten alle den Atem an. Bernd zieht eine Hand voll Briefe hervor, schnüffelt an einem Umschlag. „Hm, Rose!“, verrät er, „für wen kann denn der sein?!“ Das Objekt der Begierde geht an einen Kameraden von Ludwig, dem wie auf Knopfdruck die Schamesröte ins Gesicht schießt. Die anderen kommentieren F OCUS 13/2010
Schweres Geschütz Hauptgefreiter Wladimir, 20, an seiner Waffe, einem Granatwerfer. Er gehört zum Arsenal seines Zuges
das mit vieltönigen Pfiffen. „Parfümierte Briefe sind bei uns der Renner; die stehen ganz hoch im Kurs“, gibt Ludwig eifersüchtig zu. Auch auf ihn wartet zu Hause in Schweinfurt eine Freundin. Er will nicht pathetisch klingen, betont er, und holt tief Luft, um dann trotzdem zu sagen: „Die Unterstützung von den Frauen daheim ist so unglaublich wichtig für uns, dass man es sich kaum vorstellen kann.“ Was allerdings nicht bedeutet, dass Ludwig seiner Freundin Monika alles erzählen würde, was er hier draußen, auf der Höhe 431, erlebt. Am Telefon bekommt sie meist eine zensierte Version der Ereignisse zu hören: „Wenn sie irgendetwas in den Nachrichten hört, wie zum Beispiel von der Schießerei, in die wir vor ein paar Tagen gerieten, dann behaupte ich lieber, das sei ganz weit von uns weg gewesen.“ Was eine Lüge ist. „Oder sie fragt mich: ‚Wie war dein Tag?‘ Und ich sage: ‚Langweilig‘ – aber bestimmt nicht: ‚Gefährlich.‘“ Obwohl es so ist. Nach Anbruch der Dunkelheit wird es schnell still im Lager. Und mit der Stille kriecht auch wieder die Kälte in die Glieder der Soldaten. Wer nicht gerade zum Wachdienst eingeteilt ist, hat jetzt nichts mehr zu tun. Einige hören Musik auf ihrem iPod; andere wärmen sich noch das Fertiggericht aus der Lebensmittelbox auf: Ravioli mit Cevapcici und indische Reispfanne stehen zur Auswahl. Beides können sie nicht mehr sehen. Aber schließlich haben sie Hunger. Auch Ludwig bleibt am Ende seines 124. Tages im Afghanistan-Einsatz nichts, außer sich wieder in seinen Schlafsack zu rollen. Denn da ist es am wärmsten. Er denkt an seine Freundin daheim. Wenn er zurück nach Deutschland kommt, will er Monika heiraten. Das hat er hier, in Afghanistan, beschlossen. „Wenn man die Leute sieht, die so wenig haben – und trotzdem Familien gründen und ihre Kinder irgendwie durchbringen, dann fragt man sich, warum wir uns in Deutschland eigentlich um alles so viel Sorgen machen.“ Afghanistan, sagt er, habe seine Prioritäten im Leben verschoben: „Eine Familie ist doch eigentlich das Wichtigste. Und in Deutschland können wir sie so einfach haben. Warum also sollte ich da■ mit noch länger warten?“ ANDREA CLAUDIA HOFFMANN (TEXT)/ CHRISTOPH PÜSCHNER (FOTOS)
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Wer soll das bezahlen? Nach Obamas Sieg befürchten die Republikaner durch die Gesundheitsreform eine Kostenexplosion für die Bundesstaaten. 14 von ihnen ziehen vor Gericht
utch Otter nimmt es gern mit den Mächtigen in Washington auf. Gleich nach seinem Amtsantritt vor drei Jahren machte sich der Gouverneur von Idaho für den Abschuss mehrerer hundert Wölfe stark, die das US-Innenministerium dort ausgesetzt und unter Artenschutz gestellt hatte. Als das Energieministerium in seinem Staat eine Giftmülldeponie einrichten wollte, weil es genug Platz dafür gebe, zog der 67-jährige Republikaner vor Gericht: „Wenn die einen nutzlosen Ort für ihren Abfall suchen“, so sein Vorschlag, „dann sollten sie ihn im Kapitol ablagern.“ Jetzt hat Otter erneut Klage gegen die Regierung eingereicht: diesmal wegen der Gesundheitsreform, die der Kongress nach langem Kampf vorige Woche verabschiedete. Kaum hatte Präsident Barack Obama das Gesetz, das 32 Millionen bisher nicht versicherten Amerikanern eine erschwingliche Krankenversicherung garantieren soll, unterschrieben, da feuerte der Populist aus dem Wilden Westen bereits scharf: „Es verletzt nicht nur die Rechte der Staaten, sondern auch die Freiheiten jedes Bürgers. Wir betrachten es als unsere Pflicht, dagegen vorzugehen.“ Mit dieser Kampfansage steht Otter längst nicht mehr allein. Inzwischen sind ihm 13 weitere Bundesstaaten gefolgt und haben Verfassungsklage gegen das Gesundheitsgesetz erhoben. Im Wesentlichen geht es dabei um harte Dollars. Die Staaten befürchten, dass ihnen Obamas Mammutprojekt bald zusätzliche Kosten aufbürdet: „Es zwingt uns, das Unmögliche zu vollbringen“, orakelt etwa Floridas Justizminister Bill McCollum, der zu den Klägern gehört: „Und das, ohne uns irgendwelche Ressourcen oder Geldmittel dafür zur Verfügung zu stellen.“ Wer soll das bezahlen? Diese Frage stellen sich viele in den USA. „Es geht ein Traum in Erfüllung“, meinte Obama bei der Unterzeichnung im Weißen Haus. Doch dieser hat seinen Preis: 938 Milliarden Dollar soll die Gesundheitsreform laut Prognose des parteiunabhängigen Haushaltsbüros im Kongress in den nächsten zehn Jahren kosten. Wird sie Amerika in den finanziellen Ruin stürzen? Oder könnte sie im Gegenteil beim Abbau der staatlichen Rekordverschuldung helfen? Die Einschätzungen klaffen weit auseinander.
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Fotos: dpa
B
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Unterstützen Sie die Gesundheitsreform?
Parteienstreit
Die Gesundheitsreform schadet der Wirtschaft Republikaner
ja
40 %
49 % 11 %
wei§ nicht, keine Angaben
20 Füllfederhalter benutzte Barack Obama bei der Unterzeichnung der Gesundheitsreform. Später verschenkte er die Schreibgeräte an Mitstreiter, die großen Anteil am Zustandekommen des Gesetzes hatten, darunter Nancy Pelosi (3. v. r.), Chefin des Repräsentantenhauses
Eine schmerzhafte Operation bei der Neuregelung der Krankenversicherung in den USA sagte der „Economist“ bereits im vergangenen Jahr voraus. Um dies zu verhindern, haben 14 republikanisch geführte Staaten Verfassungsklage gegen die Reform von Obama eingereicht
nein
Demokraten
89 % 24 %
Die Gesundheitsreform wird das Staatsdefizit steigern Republikaner Demokraten
93 % 37 %
Quelle: Quinnipiac-Universität/ Rasmussen Repor ts
Glaubt man den Gutachtern im US-Kapitol, dann liegt die Supermacht auf Kurs, dann sind schwarze Zahlen wieder zu erreichen. Die Reform werde das Staatsdefizit bis 2020 um 138 Milliarden Dollar senken, heißt es in ihrem Bericht. Bis 2029 soll es sogar eine Billion Dollar sein. Dagegen beschwört der republikanische Oppositionschef im Repräsentantenhaus, John Boehner, den Untergang Amerikas: „Dieses Gesetz besiegelt unseren Bankrott!“ Die Wahrheit liegt wie so oft wohl irgendwo zwischen den Extremen. Aber wo genau? Selbst Experten wie William Gale von der Washingtoner Brookings Institution wissen keine Antwort: „Unser Gesundheitssystem ist ungeheuer kompliziert. Das macht es sehr schwer, die Auswirkungen einer Reform vorherzusagen.“ Obama, der noch damit beschäftigt ist, das Gesetz seinem skeptischen Volk schmackhaft zu machen, gibt sich da weitaus zuversichtlicher: „Die Reform bezahlt sich von selbst“, betont er bei Redenauftritten. Das stimmt jedoch nicht ganz. Ohne Steuererhöhungen wird es auch der Präsident nicht schaffen. Dazu will er in erster Linie die Reichen rupfen. Wer über 200 000 Dollar im Jahr verdient (250 000 Dollar für Familien), muss 0,9 Prozent mehr Steuern zahlen. Außerdem sollen seine Zins- und Kapitalerträge mit 3,8 Prozent besteuert werden. Zwar ist der Anteil der Großverdiener in den USA mit 2,4 Prozent relativ gering, sie schultern aber rund die Hälfte des Einkommensteueraufkommens. Die Erhöhung soll erst 2013 in Kraft treten, ein Termin, der wohl politisch gewählt wurde: 2012 steht Obama zur Wiederwahl an. Zusätzliche Einkünfte verspricht sich der Präsident von einer 40-Prozent-Steuer auf Luxusversicherungen, der sogenannten Cadillac-Steuer, die für 2018 geplant ist. Daneben will er Staatszuschüsse an Krankenhäuser und -versicherungen im Rahmen der Altersbeihilfe Medicare kürzen, die Versicherungs- und Pharmaindustrie sowie die Hersteller medizinischer Geräte stärker zur Kasse bitten und eine Sondersteuer für die Betreiber von Bräunungsstudios einführen. Wird Obamas Rechnung aufgehen? Einige Republikaner bezichtigen den Präsidenten der Schönfärberei: „Seine Buchführung würde selbst (dem
Mit dem Schlimmsten rechnen vor allem die Anhänger der Republikaner. Aber auch insgesamt gibt es keine Mehrheit für Obamas Gesundheitsreform
zu 150 Jahren Haft verurteilten Anlagebetrüger) Bernie Madoff die Schamesröte ins Gesicht treiben“, meint der Abgeordnete Jeb Hensarling. Auch neutral betrachtet hat Obamas Kalkulation einen großen Haken: Sie geht davon aus, dass sich an den beschlossenen Steuererhöhungen und Einsparungen nichts mehr ändern wird. Das aber ist reine Spekulation. Bereits im November wird ein neuer Kongress gewählt, und dieser kann die Reform jederzeit reformieren, indem er etwa die Steuererhöhungen wieder streicht. Damit wären alle Prognosen auf den Kopf gestellt. Das wissen auch Butch Otter und seine 13 Gouverneurskollegen. Ihre Klage richtet sich vor allem gegen eine Bestimmung im Reformgesetz, wonach jeder Amerikaner ab 2014 versichert sein muss. Verweigerer sollen dann eine Strafe von bis zu 2,5 Prozent ihres Einkommens zahlen. Aber kann ein Staat seine Bürger so einfach dazu verpflichten, eine Krankenversicherung abzuschließen? Noch dazu eine private? Gesetzliche Kassen gibt es in den USA nicht: „Das ist völlig verfassungswidrig“, wettert Mitkläger McCollum: „Die Regierung knöpft den Leuten Geld dafür ab, weil sie am Leben sind.“ Die Reform funktioniere dann, wenn jeder mitmache, kontert das Weiße Haus. Außerdem würde der Staat ja all jenen unter die Arme greifen, für die eine Versicherung zu teuer sei. Genau das macht die Gouverneure nervös: Denn sollte der Regierung das Geld ausgehen, so ihr Argument, müssten sie wohl als Hilfsinstanz einspringen. Auf Demokratenseite gibt man der Klage kaum Chancen: „Pures Polittheater“, meint Dan Gelber, Senator im Parlament von Florida. Und was halten die Betroffenen von der Reform? Die Öffentlichkeit ist gespalten. 40 Prozent sind laut einer Umfrage der Quinnipiac-Universität dafür, 49 Prozent dagegen. Vor allem unter den Gegnern eskaliert die Wut: Zehn Demokratenpolitiker, die für das Gesetz stimmten, haben bereits Morddrohungen erhalten, darunter Bart Stupak aus Michigan. Vorige Woche bekam er ein Fax mit einem Galgen und eine Nachricht auf seinen Anrufbeantworter: „Du bist tot. Wir ■ wissen, wo du wohnst. Wir kriegen dich!“ PETER GRUBER
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AU SLA ND
Über Nacht
pleite: Argentinien Was passiert, wenn ein Land untergeht? Und wie geht es weiter? Den Staatsbankrott, der jetzt Griechenland droht, haben die Südamerikaner vor neun Jahren durchlebt
D
er Rollladen der Drogerie ratterte runter, die Tür wurde von innen verriegelt, und Mariela Pastorini wusste, zwei Taschen bestellter Ware in den Händen, dass ihre kleine Firma, ihre Familie, ihr Land jetzt vor jenem Abgrund standen, auf den sie seit Jahren zusteuerten. Auf dem Heimweg sah sie Menschen durch Buenos Aires rennen, sah Plünderer, Polizisten auf Pferden. Vier Tage später war Weihnachten. Und Argentinien war pleite. Ein Staat wurde insolvent wie eine Firma, der kein Gläubiger mehr Geld leihen will. Es war der bislang größte Bankrott eines souveränen Staates, Anleihen im Wert von über 100 Milliarden Dollar wurden nicht mehr bedient. Ende 2001 wurde das Land zum Laboratorium des internationalen Finanzsystems. Und es wurde zum Symbol für das Scheitern des Versuches, eine chaotische Wirtschaft mit einer harten Währung zu domestizieren, den auch Griechen, Spanier und Italiener wagten – mit den heute zu Tage tretenden Folgen. Silberland war
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abgebrannt. Aber für die 40 Millionen Argentinier musste das Leben irgendwie weitergehen, es war schließlich Weihnachten.
Leben aus dem Sparstrumpf: Die Banken zahlen kein Geld mehr aus Mariela Pastorini erlebte diese Festtage wie die meisten ihrer Landsleute: hinter verriegelten Türen. Vor den Supermärkten standen Männer mit Holzprügeln, um Diebe abzuhalten. Die Einkäufe zahlte sie mit dem Notgroschen, den sie unter der Matratze gebunkert hatte. Ihr Geschäft stand still: Sie näht Kosmetikbeutel, glänzende Accessoires, für die gepflegte Dame. In den frühen 90ern hatten Kosmetikkonzerne schon mal 5000 solcher Necessaires geordert. Doch als das Land Mitte 1998 in die Rezession abglitt, als die gelähmte Industrie Millionen Menschen entließ und Argentiniens „Länderrisiko“ an den internationalen Kreditmärkten täglich Aufmacherthema
in den Zeitungen war, da schafften die gepflegten Damen und die großen Konzerne ihre Dollars außer Landes. Mariela Pastorini musste ihre Näherinnen entlassen. Das Geschäft lief schlecht und schlechter. Und irgendwann donnerte der Rollladen vor ihr herunter. Zu lange hatten sich die Regierung und der Internationale Währungsfonds (IWF) an die 1991 eingeführte feste Bindung des Peso an den Dollar geklammert. Die bremste zunächst die Inflation – und dann die ganze Industrie. Heimische Hersteller konnten mit billigeren Importprodukten nicht konkurrieren, der Export wurde zu teuer. Der Dollar war für Argentinien viel zu stark – wie der Euro für Griechenland, Spanien und Italien. Anstatt rechtzeitig abzuwerten, machte Argentinien immer mehr Schulden im Ausland. Mitte November 2001 verweigerte der IWF weitere Kredite, darauf räumten viele Sparer ihre Konten leer. Allein am 30. November 2001 flossen 1,5 Milliarden Dollar aus Argentiniens Finanzsystem ab. F OCUS 13/2010
Kampf ums Überleben Seit Monaten sind sie ohne Geld – und deshalb fordern Tausende Staatsangestellte die Auszahlung ihrer Gehälter. Die Regierung schickt Polizei mit Tränengas. Hier Straßenproteste in der Stadt Jujuy, April 2002
ohne Einkommen bekamen monatlich 30 bis 70 Dollar Nothilfe. Auch dieses Geld floss vollständig in den Konsum. „So haben wir den Kahn aus eigener Kraft wieder flottgemacht“, erklärt der damals verantwortliche Finanzminister Roberto Lavagna. Um elf Prozent schrumpfte Argentiniens Wirtschaft 2002, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebte unterhalb der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit lag bei 24 Prozent, die Inflation bei 40. Hart, aber es hätte noch viel härter kommen können.
Foto: AP
Die Stunde null: Ein Land lernt improvisieren
Am 1. Dezember sperrte die Regierung die Privatkonten. Maximal 250 Dollar pro Woche durften die Kontoinhaber abheben. An Weihnachten erklärte sich das Land außer Stande, seine Schulden zu bedienen. Bis zum 1. Januar 2002 hatte das Land fünf Präsidenten. Als sich Eduardo Duhalde schließlich die blau-weiß-blaue Amtsschärpe überstreifen ließ, übernahm er einen Staat in Auflösung. Auf den Straßen demonstrierten Arme und Arbeitslose, Aktionäre und Anleger. „Ihr sollt alle abhauen!“, schrie es Politikern und Funktionären entgegen. Monatelang blieben die Konten gesperrt. In langen Schlangen standen die Menschen vor den Wechselstuben, um jeden verdienten Peso in Dollar zu tauschen, denn allen war klar, dass Duhaldes erste Abwertung um 30 Prozent nicht reichen würde. Zu Jahresende hatte der nunmehr frei floatende Peso drei Viertel seines Wertes verloren. Weil durch die Bankensperre nicht genügend Geld im Umlauf war, druckten die F OCUS 13/2010
57 % der Argentinier lebten zeitweise unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit lag bei 24 %
Provinzen Schuldscheine. Mariela Pastorini sagt: „Wenn ich solche ,Patacones‘ akzeptieren musste, gab ich sie schnell wieder aus.“ Weil alle das so handhabten, kurbelte das Geld, das keines war, den Konsum an. Und damit die inländische Industrie, denn Importe waren durch das Währungschaos über Nacht auf Monate lahmgelegt worden. Nach und nach erlaubte Duhaldes Regierung Zahlungen mit Kreditkarten und Schecks. Viele wohlhabende Argentinier holten ihre Auslands-Dollars flugs zurück, denn so billig waren Immobilien seit Jahrzehnten nicht. Die Regierung schob von unten an: 2,4 Millionen Haushalte
Ein Erntejahr später kam endlich der Aufschwung, der kommen musste. Denn der achtgrößte Flächenstaat der Erde verfügt – anders als die heutigen Sorgenländer in Südeuropa – über mächtige natürliche Reserven. Von Weiden und Äckern, die 300 Millionen Menschen ernähren können, strömten dank des abgewerteten Peso wieder Weizen und Rindfleisch in alle Welt. Das brachte harte Dollars zurück in die Pampa. Der Staat verdiente mit Ausfuhrzöllen. Zwischen 2003 und 2007 wuchs Argentinien jährlich um acht bis neun Prozent, bis schließlich die Weltfinanzkrise auch die Ufer des Rio de la Plata erreichte. Derzeit versucht die Regierung, sich auch mit den privaten Gläubigern zu einigen, die sich 2005 nicht mit 25 Prozent ihrer ursprünglichen Einlagen abspeisen ließen. Die Anleger wollen ihre vollen Einsätze samt Zinsen zurück, die Rede ist von 30 Milliarden Dollar. Präsidentin Cristina Kirchner braucht eine zügige Einigung, um an neue Kredite zu kommen. Die Schulden drücken das Land weiter, aber mit neuer Insolvenz rechnet jetzt niemand mehr. Es gibt also ein Leben nach der Pleite, auch für Mariela Pastorini. Inzwischen ist sie es, die den Rollladen öffnet und schließt. Sie verkauft ihre Accessoires in einem kleinen Laden im In-Viertel Palermo. Viele Kundinnen kommen aus dem Ausland, denn Buenos Aires gilt als chic und ist immer noch recht günstig. Mariela Pastorini sagt: „Allein auf Argentinien möchte ich mich nicht mehr ■ verlassen müssen.“ ANDREAS FINK
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GLOBUS Zu kalt im Norden? Tanz und Textilschwund: in Island ab Juli verboten
„Barry“ zurück in die Schule Barack Obamas indonesische Fangemeinde hält Maß. Vier Kinderjahre verbrachte der US-Präsident in Jakarta. Darauf sind die Insulaner stolz, doch nicht so stolz, dass sie ein Denkmal im Stadtpark akzeptiert hätten. Das zeigte den Zehnjährigen, den sie damals „Barry“ nannten, in staatsmännischer Pose mit Schmetterling. Was Obama für Indonesien denn geleistet habe, ätzte eine Facebook-Initiative und sammelte 55 000 Unterschriften. „Barry“ musste umziehen. Jetzt steht er im Hof seiner alten Grundschule. ed
Kind-Charisma Ob Obama so aussah? Der junge Sportsmann lebte von 1967 bis 1971 in Jakarta
Strip-Verbot in Reykjavik: alle Parteien einig In Island steht Nackttanz ab 1. Juli unter Strafe. Stripteasebars müssen sich ein anderes Geschäftsfeld suchen oder dichtmachen. Ein entsprechendes Gesetz wurde jetzt ohne Gegenstimmen vom Parlament verabschiedet. „Mit nackten Mitarbeitern darf kein Geld gemacht werden, so etwas ist erniedrigend“, erklärt die liberale Oppositionspolitikerin Siv Fridleifsdottir das Verbot. Das war ursprünglich ein Anliegen der an der Regierung beteiligten Linksgrünen gewesen. Die Hauptstadt Reykjavik mit ihren 120 000 Einwohnern hatte in den vergangenen Jahren einen regelrechten Stripbar-Boom erlebt. In Island ist Prostitution legal, nicht jedoch der Kauf von sexuellen Dienstleistungen. Freier können somit grundsätzlich vercb klagt werden.
Kostümverleih Noch herrschen eisige Temperaturen in Russland. Die Polizei soll trotzdem keine Mäntel mehr „vermieten“
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Kreativ hat ein russischer Polizeioffizier sein schmales Salär aufgebessert: Der stellvertretende Kommandeur einer Einheit im Großraum Moskau „vermietete“ die Uniformen seiner Männer und verdiente sich rund 15 000 Euro dazu. Unter anderem waren 250 Polizeijacken und -wollhosen im Umlauf, dazu die passenden Chromlederstiefel. Diesen Dreierpack gab es für umgerechnet 60 Euro. Ob die „Mieter“ die soliden Uniformen nur als winterharte Kleidung verwendeten oder sich damit selbst als Polizisten ausgaben, wollte ein Sprecher nicht aufklären. Dem Offizier droht br jetzt eine Haftstrafe
F OCUS 13/2010
Fotos: Mauritius, Ed Wray/laif, ITAR-TASS
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„Don Jupp“ – Leverkusens Siegertyp ❙
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Erdverbunden als Spieler Geboren in Mönchengladbach, spielte er 13 Jahre für Borussia. Er wurde viermal Deutscher Meister, einmal Europa- und Weltmeister. Sein Zuhause: ein zur Finca umgebautes Haus am Niederrhein.
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Erkundungsfreudig als Coach Als Trainer war Heynckes vor Leverkusen in Gladbach, Frankfurt, München, Teneriffa, Bilbao, Lissabon, Madrid, Schalke. Größter Erfolg: Gewinn der Champions League mit Real Madrid 1998.
F OCUS 13/2010
„Da kommt richtig was nach“ Bayer-Trainer Jupp Heynckes, 64, hat nach schwerer Krankheit einen anderen Blick aufs Leben. Er erklärt den fehlenden Reiz der Nationalelf und wie er dem nachlässigen Kroos Beine machte Ich nehme mal an, Sie meiden zurzeit den Blick aufs Handy-Display?
Warum sollte ich? Es soll in München jemanden geben, der Konkurrenten neuerdings gern mit Textbotschaften einschüchtert, die seine Tochter verfasst. Uli Hoeneß heißt der Mann.
Ach, mein Freund Uli hat eben ein Spiel von uns gesehen und war beeindruckt. Das war ein Flachs zwischen ihm und mir und kam nur einmal vor. Man kann doch stolz sein, eine SMS vom Präsidenten des FC Bayern zu bekommen. In den vergangenen Wochen konnte er auf den Familien-Tippdienst eher verzichten. Bayer schwächelte öfter. Spielt den Leverkusenern die Psyche wieder einen Streich?
Schauen Sie, Sie sind doch ein intelligenter Journalist von einem anspruchsvollen Magazin. Da müssen Sie doch in Rechnung stellen, dass die jetzige Mannschaft mit den früheren Teams nichts zu tun hat. Die meisten Spieler waren nicht hier, ich auch nicht. Wenn wir Zweiter, Dritter oder auch Vierter werden, ist das ein Riesenerfolg für die Mannschaft. Dieses ganze Gerede, dieses Bayer-Klischee ist oberflächlich. Es stimmt ja auch nicht: Bayer hat 2002 den besten Fußball in Deutschland gespielt. Das war Weltklasse-Fußball.
Fotos: D. Röseler/F OCUS -Magazin, action press
Reden wir von der aktuellen Saison. Warum büßt die stabile Abwehr der Vorrunde in der Rückrunde öfter mal die Orientierung ein?
Das haben wir angesprochen. Da wurden individuelle Fehler gemacht. Aber wir haben eben eine junge Mannschaft mit vielen Spielern in ihren ersten Bundesligajahren. Und dafür machen sie ihre Sache ausgesprochen gut. Wenn ich die Weltmeister von 1974 als junge Spieler mit der heutigen jungen Generation vergleiche, sind ein Toni Kroos oder ein Stefan Reinartz viel weiter. Die Trainer-Jugendwelle scheint erst mal verebbt. Bei den Spitzenteams geben Louis van Gaal, Felix Magath und Sie den Ton an. Was ist mit den juvenilen, verkopften Laptop-Coachs, von denen kürzlich noch alle sprachen? F OCUS 13/2010
Entscheidend ist doch, welche Konzepte ein Trainer hat, ob er analytisch denkt und Details sieht, die andere nicht sehen. Das hat mit Erfahrung und Kompetenz zu tun. Beides haben wir. Sie wirkten schon in München mit sich im Reinen. Was ist mit dem früher oft überehrgeizig erscheinenden Heynckes passiert?
Ich sehe Dinge einfach nicht mehr so eng. Man muss versuchen zu entschleunigen, um in der Gruppe für die Spieler eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich wohlfühlen. Das habe ich gelernt. Das Wort Entschleunigung dürfte für Sie eine ganz persönliche Bedeutung gewonnen haben. Sie waren vor zwei Jahren sehr krank.
Ich sehe den Sport, das Leben, die Gesellschaft, die Freunde seither mit anderen Augen. Sie genießen auf dem Platz mehr als früher?
Da bin ich genauso engagiert wie immer. Als Trainer und Perfektionist kann man einfach nicht genießen. Aber als junger Trainer wollte ich alles erzwingen. Das versuche ich nicht mehr. Und Sie gönnen sich mehr Auszeiten?
Ja. Ich bin dann mit meinem Schäferhund Cando unterwegs, obwohl er der Einzige ist, der nicht macht, was ich will (lacht). Oder ich sitze zu Hause mit meiner Frau vorm Kamin, vor uns ein Rioja. Es läuft schöne Musik von Bruce Springsteen, Phil Collins oder Sammy Davis Jr. im Hintergrund, und wir erzählen oder lesen. Sie haben in München mit einfachen Rezepten einen kriselnden Großclub noch in die Champions League geführt. Lukas Podolski zum Beispiel stärkten Sie die Brust mit der Aussage: Du spielst die nächsten Spiele und schießt die Freistöße . . .
Das klingt doch alles nur so einfach. Ich habe ihm auch gesagt, was er besser machen, dass er sich mehr bewegen muss. Da steckt unheimlich viel Detailarbeit drin. Die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz und die Kommunikation – das liebe ich. Junge Spieler müssen in erster Linie mental stabil werden.
Ballmagnet Den von Bayern an Bayer ausgeliehenen Toni Kroos formte Heynckes vom schüchternen Jungspieler zum Regisseur
Wen haben Sie in Leverkusen in die richtige Spur gebracht?
Toni Kroos. Er kam als Riesentalent zu uns, war aber sehr introvertiert und erfüllte im Training seine Pflicht, mehr nicht. Wenn ich nach oben will, muss ich viel mehr tun. In einem längeren Gespräch habe ich ihm das so mitgeteilt. Jetzt dirigiert er das Bayer-Spiel.
Er hat sich geöffnet, auf und neben dem Platz, er ist ein anderer Toni. Er hat an Form, Fitness und Selbstvertrauen gewonnen und wird als Klassespieler zu Bayern zurückkehren – wann auch immer. Das Talent, Möglichkeiten eines Spielers zu erkennen, muss ein Trainer haben. Ich muss sie herauskitzeln, manchmal auch durch Provokationen. Die Tagesarbeit würde als Nationaltrainer fehlen. Wird es den Bundes-Jupp nie geben?
Ich habe mich als Clubtrainer immer wohler gefühlt. Die Nationalmannschaft hat mich nie so gereizt. Ob der Baustellen von Jogi Löw vor der WM vermutlich eine kluge Entscheidung.
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FINALE Bentele siegt weiter Ich sehe nicht mehrere Baustellen. Ich sehe nur eine, aber die könnte das Unternehmen in der Tat erschweren: die ungeklärte Vertragssituation von Jogi Löw und Manager Oliver Bierhoff. Dass vor einer WM die Mannschaft in den einzelnen Strukturen noch nicht klar konzipiert ist, hat es immer gegeben. Deutschland wird ein gutes Turnier spielen?
Ich denke schon, ja. Manche haben den Eindruck, dass BayerSpieler es schwerer haben, ins Trikot mit dem Adler schlüpfen zu dürfen.
Sehe ich nicht so. Kein Trainer ignoriert Spieler, die sich aufdrängen. Stefan Kießling drängt sich seit zwei Spielzeiten mit vielen Toren auf. Warum spielt Lukas Podolski, der in der Liga kaum trifft?
Oliver Kahn und Jens Lehmann ja auch schon eine andere, unglückliche Situation. Dass zwei junge Torhüter auch mal einen Fehler machen wie René in den vergangenen Wochen oder Neuer in Hamburg, ist doch kein Problem. Kahn, Maier und all die anderen deutschen Größen haben auch Böcke gebaut. Es ist aber außergewöhnlich, dass im Vorfeld eines großen Turniers zwei Mittzwanziger um die Position im Tor konkurrieren.
Stimmt, meines Wissens gab es nur 1962 bei der WM in Chile den Fall, dass von Bundestrainer Sepp Herberger mit Wolfgang Fahrian ein junger Keeper dem erfahrenen Hans Tilkowski vorgezogen wurde. Aber Adler und Neuer sind ja auch außergewöhnlich gute Jungs.
Die blinde Langläuferin Verena Bentele, 28, jüngst fünffache Goldmedaillengewinnerin bei den Paralympics, plant die Fortsetzung ihrer Karriere, wenn sie einen neuen Begleitläufer und gute Bedingungen fürs Training findet. Zunächst aber will sie ihr Literaturstudium in München beenden und als Personaltrainerin arbeiten. Zwei Dinge haben sie nach ihrer Rückkehr aus Vancouver besonders gefreut: „Der Empfang in meiner Heimatstadt Tettnang am Bodensee und ein Brief von Magdalena Neuner.“ fl
Schutz für Ullrich? „In fünf Jahren sitze ich nicht mehr auf der Trainerbank. Jupp Heynckes Das will ich meiner Frau nicht antun“
Vor Jahren hieß eine oft geäußerte Kritik: Bundesligaspieler dürften zu schnell in der Nationalauswahl ran. Wie ist es heute?
Wir haben früher viel länger auf unsere Berufung warten müssen. Ich erinnere mich daran, wie ich mit Berti Vogts im Auto saß – wir sind damals immer mit unseren Wagen zu den Heimspielen unserer Mönchengladbacher gefahren. Ich hatte gerade einen Auftritt in der Nationalelf hinter mir, und Berti fragte, ob er das auch mal schaffen könne. „Na klar“, habe ich gesagt, „nur Geduld.“ Ob René Adler die richtige Nummer eins ist, brauche ich Sie vermutlich nicht zu fragen.
Wir haben mehrere gute Torleute, da schließe ich den Frank Rost ausdrücklich mit ein, trotz seines Alters. Adler, Manuel Neuer, Tim Wiese sind jedoch für die WM die Richtigen. Dass Jogi Löw sich frühzeitig auf René festgelegt hat, finde ich gut. Nun weiß jeder, woran er ist. Da hatten wir vor der WM 2006 mit 152
Sie trainierten vor vielen Jahren in Spanien und Portugal, als hierzulande die große Diskussion über mangelhafte Nachwuchsarbeit hochkochte. Sind die Deutschen nun fußballerisch auf Augenhöhe mit den Besten?
Es sind unglaublich viele gute Jungs da, wenn ich nur an Mats Hummels in Dortmund, Benedikt Höwedes in Schalke, Holger Badstuber in München oder Stefan Reinartz bei uns denke. Da kommt richtig was nach. Der Fußball in Deutschland ist eindeutig besser geworden. Und die Top-Clubs sind seriös geführt. Vergleichen Sie das mal mit England oder Spanien! Der FC Valencia etwa hat unvorstellbare 500 Millionen Euro Schulden. Ihre Gattin wollte nicht, dass Sie nach zweijähriger Auszeit mit fast 65 Jahren in München wieder ins Geschäft einsteigen, oder?
Mit München war sie einverstanden, weil sie die Stadt liebt, genau wie ich. Wir haben dort fast vier Jahre lang sehr gern gelebt, als ich Bayern das erste Mal trainierte. Vor Leverkusen hat sie in der Tat gefragt: Muss das sein? Aber ich bin ja von ihr nicht ganz so weit weg.
Alles sauber? Jan Ullrich sieht Gerichtsverhandlungen gelassen
Jetzt können Sie beruhigend tätig werden. Werden Sie in fünf Jahren noch auf einer Trainerbank sitzen?
Das schließe ich hier und jetzt aus. Das ■ will ich meiner Frau nicht antun.
Foto: dpa
Lukas hat eine riesige Länderspielquote, ähnlich wie Miroslav Klose. Bisher hat der Bundestrainer bei großen Turnieren die beiden immer wieder in die Form bekommen, die sie schon mal hatten. Aber klar ist auch: Stefan Kießling wäre bei mir für den Kader gesetzt. Selbst wenn er nicht von Anfang an spielt: Stefan ist ein Teamplayer, sehr diszipliniert, immer motiviert. Und er freut sich mit den anderen.
Verschleppen deutsche Richter Prozesse, die mit dem mutmaßlichen Doper Jan Ullrich zu tun haben? Michael Lehner, Anwalt des Heidelberger Molekularbiologen und Dopingbekämpfers Werner Franke, wettert gegen die Hamburger Justiz. „Ich wundere mich schon sehr, wie der zuständige Landgerichtsrichter mit dem Prozess Franke gegen Ullrich umgeht“, sagt Lehner. Seit 2006 läuft ein Verfahren, weil Franke dem Ex-Radstar vorgeworfen hatte, mindestens 35 000 Euro an den Dopingarzt Eufemiano Fuentes gezahlt zu haben. Das BKA geht gar von 80 000 Euro aus. Ullrich hat mit einer Klage auf Unterlassung gegen Franke in zwei Instanzen gewonnen. Die Hauptverhandlung lässt seit fl Monaten auf sich warten.
INTERVIEW: FRANK LEHMKUHL
F OCUS 13/2010
MITHERZROMANZE.
OSTERMONTAG
05. APR 20:15
DIE FREE-TV-PREMIERE MIT TIL SCHWEIGER UND NORA TSCHIRNER.
MENSCHEN
Ohne Zweifel für den Mann Unter Kameraden
„Wer mit meiner Arbeit nicht zufrieden ist, soll es offen sagen“, meint Ernst-Reinhard Beck, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Hintergrund sind Lästereien in der eigenen Fraktion, der CDU-Obmann im Kundus-Untersuchungsausschuss verteidige CSUStar Karl-Theodor zu Guttenberg nur halbherzig, weil er mit dem vom Verteidigungsminister geschassten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan eng verbandelt sei. Beck ist mit Schneiderhan „kameradschaftlich verbunden“ und beschäftigt dessen Neffen als Mitarbeiter in seinem Abgeordnetenbüro. Die Vorwürfe nennt der CDU-MdB „kompletten Unfug“. Der junge Schneiderhan leiste hervorragende Arbeit und sei im Übrigen schon deutlich vor der Kundus-Affäre eingestellt worden. Der Verteidigungsminister wisse über das Beschäftigungsverhältnis Bescheid, erklärt Beck. Und habe damit kein Problem. kvr
Das mannigfaltige Glück des Eremiten
Der ungarische Rechenmeister Paul Erdös (der bei seinen Freunden lebte, einen Koffer besaß und unendlich viel Kaffee trank; 1913–1996) berichtete, Gott besitze das Buch der perfekten mathematischen Beweise. Er gebe es nie aus der Hand, öffne es aber hin und wieder. Jene, die hineinsähen, spürten das vollkommene Glück. Zu den Glücklichen gehört Grigorij Perelman. Der Russe, 43, lieferte den Beweis für die 154
Als im vergangenen September der überraschende Anruf aus einem Schweizer Gefängnis kam, fühlte sich Emmanuelle Seigner „wie Alice im Wunderland, die ganz langsam in das tiefe Loch fällt“. Ihr Ehemann Roman Polanski war da gerade festgesetzt worden – wegen des Vergewaltigungsvorwurfs aus dem Jahr 1977. In einem sehr offenen Gespräch mit der „Sunday Times“ beschreibt die Schauspielerin die dramatische Zeit nach der Festnahme – wie sie die Kinder vor den Paparazzi schützte, die Familie psychologisch coachen und sich in ihrer Verbundenheit zu Polanski nie beirren ließ. Sie brauchte weder eine Entschuldigung noch eine Erklärung über die Vergangenheit: „Er ist ein zutiefst ehrlicher Mensch. Und ich bin die knb Person, die das am besten beurteilen kann.“
„Ich kenne den Mann. Und ich weiß, er ist unfähig, jemanden zu verletzen“ Emmanuelle Seigner über ihren Mann Roman Polanski
Poincaré-Vermutung (genau, die Sache mit der dreidimensionalen Mannigfaltigkeit und der homöomorphen Fundamentalgruppe). Dafür hätte er die höchste mathematische Auszeichnung, die Fields-Medaille, bekommen. Er lehnte ab. Eine Million Dollar Preisgeld sollte er bekommen. Njet. Perelman will nicht. Er lebt zurückgezogen bei St. Petersburg. Keine Sorge: Es geht ihm gut. Er durfte in das Buch ma sehen. F OCUS 13/2010
Mr. Siemens im Fußball-Fieber Tore von Spaniens Spitzenclub FC Barcelona, der in der Champions League diese Woche auf Arsenal London trifft, werden auch im Münchner Süden bejubelt. Dort wohnt im Stadtteil Solln SiemensChef Peter Löscher, 52. Dessen Frau Marta ist Katalanin und Tochter eines früheren BarçaPräsidenten. Die ganze Familie Löscher ist Club-Mitglied, die drei Kinder seit Geburt. Bei Länderspielen drückt Löscher, gebürtiger Österreicher, trotzdem der deutschen Elf die Daumen – was familienintern heikel werden könnte, sollte es bei der WM im Sommer gegen Spanien gehen . . . joh
Warhol – ganz groß Fast 2,75 Meter im Quadrat misst das Meisterwerk des amerikanischen Künstlers
Andy Warhols Superhirn Mit wirr abstehenden Haaren und einem eindringlichen Blick starrt Andy Warhol von der Leinwand. Sein lila-schwarzes Selbstporträt malte der amerikanische Künstler 1986, kurz vor seinem Tod im Februar 1987. Das monumentale Bild – eines von zwei Werken aus Warhols letzter Serie, die sich in Privatbesitz befinden – gilt als Kostbarkeit auf dem Kunstmarkt. Nun wird der Kopf mit der wilden Perücke versteigert. Das Auktionshaus Sotheby’s bietet das Selbstporträt der Pop-Art-Ikone am 12. Mai in New York an – zum stolzen Schätzpreis ks von zehn bis 15 Millionen Dollar.
Fotos: dpa, InterTopics, API, Andy Warhol, F.M. Rober ts/Sipa Press, M. Darchinger, AFP
Nina und der liebe Gott
Immer noch im Dienst Den Sozialdemokraten Klaus Brandner, 61, plagt wohl der Trennungsschmerz. Im November 2007 stieg der nordrheinwestfälische Bundestagsabgeordnete zum Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesarbeitsministers auf. Seit Herbst 2009 regiert die SPD bekanntlich nicht mehr. Im InternetVerzeichnis des Bundestags firmiert der Herr mit dem fröhlichen Lachen jedoch weiter als Parlamentarischer Staatssekretär. Ein a. D. (außer Dienst) ziert seinen Titel nicht. oo F OCUS 13/2010
Sex, LSD and Punk – Nina Hagen, 55, hat vieles ausprobiert in ihrem Leben. Und natürlich diverse Götter angebetet. Jetzt soll es nur noch einer sein: der christliche. Im vergangenen Jahr ließ sie sich von dem evangelisch-reformierten Pastor Karl ter Horst, 60, taufen. „Ich musste sie nicht bekehren“, erzählt er heute. „Ich war nur ihr religiöser Verstärker.“ Denn an den Herrgott glaubt die schrille Rockröhre schon lange, schreibt sie in ihrer eben erschienenen Autobiografie „Bekenntnisse“ (Pattloch Verlag); nur ganz „treu“ war sie nicht immer: Von atheistischen Eltern in der DDR erzogen, war sie früh von der Kirche ums Eck fasziniert. Dann kam ihr der Hinduismus in die Quere. In einem indischen Ashram machte sie sogar „dämonische Erfahrungen“. mb 155
BESTSELLER KINO-HITLISTE
BESTSELLER – LITERATUR
*Besucher: Zahlen vom vergangenen StartDonnerstag/**unter 2000 Besucher
*(Rang Vorwoche/Anzahl der Wochen)
Odyssee in China Die Flucht vor den japanischen Invasoren führt in ferne Regionen
Helena Bonham-Carter, Anne Hathaway. Besucher*: 20 720/Gesamt: 1 924 258
⯡ NEU
Drachenzähmen leicht gemacht
Überlebens-Epos Eine Art exotische Erziehungsgeschichte ist „Die Kinder der Seidenstraße“ des aufrechten Action-Veteranen Roger Spottiswoode. Basierend auf einer wahren Geschichte, verfolgt er das Leben eines britischen Reporters, der 1937 Augenzeuge des Nanking-Massakers wird und nur knapp der Exekution durch die Japaner entgeht. Danach kümmert er sich um die Kinder eines Waisenhauses und ermöglicht deren Flucht und Überleben. Ein so spannendes wie rührendes Epos zwischen Ethos und Kampf, Liebe und Engagement, Sentiment und Tod mit Stars wie Jonathan Rhys Meyers, Chow Yun-Fat, Radha Mitchell und Michelle Yeoh (Koch Media).
Bullock, Tim McGraw, Lily Collins. B./G.: 15 081
Me ⯣ Remember Regie: Allen Coulter, mit Robert Pattinson,
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Emilie de Ravin, Pierce Brosnan. B./G.: 11 732
Green Zone (2)
2. W. Regie: Paul Greengrass, mit Matt Damon, Greg Kinnear. B.: 7236/G.: 150 624
Shutter Island (3)
5. W. Regie: Martin Scorsese, mit Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Emily Mortimer, Ben Kingsley. B.: 6549/G.: 1 153 637
From Paris with Love Regie: Pierre Morel, mit John Travolta, Jonathan Rhys Meyers, Amber Rose Revah. B./G.: 5603
Zahnfee auf Bewährung (4)
2. W. Regie: Michael Lembeck, mit Dwayne Johnson, Julie Andrews, Alex Ferris. B.: 5401/G.: 172 470
Männer, die auf Ziegen starren (6) 4. W.
Teufelskicker (7)
3. W. Regie: Granz Henman, mit Diana Amft, Kaan Aydogdu. B.: 3939/G.: 255 929 15. W.
Regie: James Cameron, mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver. B.: 3521/G.: 10 366 430
⯫ ⯬ NEU
Unsere Ozeane (10)
5. W. Regie: Jacques Perrin/Jacques Cluzaud. B.: 3297/G.: 405 394
Precious – Das Leben ist kostbar Regie: Lee Daniels, mit Gabourey Sidibe, Paula Patton, Lenny Kravitz. B./G.: 3172
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Die Friseuse (11)
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Die 4. Revolution – (9) Energy Autonomy
6. W. Regie: Doris Dörrie, mit Gabriela Maria Schmeide. B.: 2117/G.: 336 845 2. W.
Regie: Carl Fechner. B.: **/G.: 18 320
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Feriensommer
Regie: Grant Heslov, mit George Clooney, Ewan McGregor, Jeff Bridges, Kevin Spacey. B.: 4827/G.: 481 397
Avatar – Aufbruch nach Pandora (5)
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(2/2)
Eben ist der „Roman unserer Kindheit“ von Georg Klein mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt worden. Der in Friesland lebende Autor erzählt von (s)einer Kindheit in einem süddeutschen Provinznest Anfang der 60er-Jahre. Der Sommer am Rande der Stadt in einer Siedlung von Neubaublöcken scheint ewig zu sein. Doch die Idylle der Kinder wird aufgestört von mysteriösen Geschehnissen. Da gibt es die Nähe einer amerikanischen Kaserne, einen Mann ohne Gesicht sowie einen tauben Vogelzüchter, der die Ermordung eines der Kinder voraussagt. Ein magischer Sommer.
„Roman unserer Kindheit“ von Georg Klein ist bei Rowohlt erschienen, 448 Seiten, 22,95 Euro
Kinney: Gregs Tagebuch 4. Ich war’s nicht! Baumhaus, 12,99 Euro
Der Koch ⯢ Suter: Diogenes, 21,90 Euro
(3/9)
Das Gold der Maori ⯣ Lark: Lübbe, 14,99 Euro
(6/3)
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(7/2)
Safier: Plötzlich Shakespeare Kindler, 17,95 Euro
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Rose: Todesspiele
(4/2)
Knaur, 14,95 Euro
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Adler-Olsen: Erbarmen
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McFadyen: Ausgelöscht
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Gavalda: Ein geschenkter Tag
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Noël: Evermore – Der blaue Mond (5/3)
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Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht
(8/25)
dtv, 14,90 Euro
(9/3)
Lübbe, 19,99 Euro (10/7)
Hanser, 12,90 Euro Page & Turner, 17,95 Euro (11/57)
Carlsen, 24,90 Euro
BUCH-TIPP
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NEU
(1/5) *
DVD-TIPP
Regie: Dean Deblois, Chris Sanders. B./G.: 16 749
Side – Die Große Chance ⯢ Blind Regie: John Lee Hancock, mit Sandra
NEU
Hummeldumm ⯠ Jaud: Scherz, 13,95
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Franz: Eisige Nähe
⯬
Cast: House of Night – Betrogen
NEU
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(12/5)
Knaur, 16,95 Euro Fischer, 16,95 Euro
Kinney: Gregs Tagebuch. Von Idioten umzingelt!
(–/28)
Baumhaus, 12,90 Euro
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Young: Die Hütte
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Nesbø: Leopard
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Raven: Das Blut des Dämons
NEU
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(16/40)
Allegria, 16,90 Euro (17/8)
Ullstein, 21,95 Euro Ueberreuter, 14,95 Euro
Hegemann: Axolotl Roadkill
(19/9)
Ullstein, 14,95 Euro
⯲
Cast: House of Night – Gezeichnet
(15/12)
Fischer, 16,95 Euro
⯳
Roth: Die Demütigung
(13/3)
Hanser, 15,90 Euro
F OCUS 13/2010
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im Wunderland (1) 4. W. ⯠ Alice Regie: Tim Burton, mit Johnny Depp,
40 bis 20 mm
FOCUS macht Schule 2010: Holen Sie sich die Fakten in die Schule.
Pferderücken und Frauenhaar Das Album „Women + Country“ von Jakob Dylan erscheint am 4. April
BESTSELLER – RATGEBER *(Letztplatzierung)
Meine Küche der Gewürze (2)* ⯠ Schuhbeck: Zabert Sandmann, 24,80 Euro
⯡
Käßmann: In der Mitte des Lebens
(1)
CD-TIPP
(7)
Ein toller Sohn!
Das Neue Berlin, 19,95 Euro
⯣ Fröhlich: Und ewig grüßt das Moppel-Ich
(17)
Lange schwebte der übermenschliche Schatten seines legendären Vaters über ihm. Doch jetzt könnte Jakob Dylan endlich den eigenen Raum davon leer gefegt haben: Der 40-Jährige legt Solo-Album 2 vor, es heißt schön vieldeutig „Women + Country“ und ist ein Folk-Fest. Der junge Dylan bündelt die Strahlkraft alter Meister und möglicher Lehrherren zu einem ganz eigenen Leuchtfeuer. Man hört wohl Reminiszenzen an Bob höchstpersönlich, an Tom Waits, an Bruce Springsteen und auch Leonard Cohen. Aber der Mann mit der hinreißenden Stimme schafft es (unter der Regie des Western-Produzenten T-Bone Burnett), flammende Country-Schleicher, die man so noch nicht gehört hat, in den Äther zu senden.
Krüger, 14,95 Euro
Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi: Schlank im Schlaf für Berufstätige
(4)
Gräfe und Unzer, 14,90 Euro
⯥
Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi/ Gillessen: Schlank im Schlaf
(5)
Gräfe und Unzer, 19,90 Euro
⯦
Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi/Heßmann: (3) Schlank im Schlaf. Das Kochbuch Gräfe und Unzer, 14,90 Euro
⯧ NE U
⯨ NE U
Wer mit Lust lernt, lernt am meisten.
Herder, 16,95 Euro
Vancouver 2010. ⯢ Oertel/Otto: Das Olympiabuch
⯤
Machen Sie mit beim aktuellsten Medienprojekt Deutschlands.
Michaelsen: Flüsterkind Schwarzkopf & Schwarzkopf, 9,90 Euro
Winterhoff/Thielen: Persönlichkeiten statt Tyrannen
Jeden Mittwoch neues FOCUS Unterrichtsmaterial zum Download für Sie.
Güterlsloher Verlagshaus, 17,95 Euro
Vier Wochen 1 Klassensatz FOCUS gratis, aktuell und direkt in die Schule.
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Poletto: Polettos Kochschule
⯪
Sport-Informations-Dienst: Vancouver – Olympische Winterspiele 2010
SINGLE-CHARTS
Copress Sport, 19,90 Euro
*(Rang Vorwoche/Anzahl der Wochen)
Oetker: Landfrauen backen von A–Z (10)
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Griesheim: Einfach gut angezogen
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Juul: Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht
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(–)
Droemer, 19,95 Euro
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Byrne: The Secret – Das Geheimnis
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Lafer: Meine Kochschule
(12)
(9)
Goldmann, 16,95 Euro
(8)
Bassermann, 14,95 Euro
Kinslow: Quantenheilung erleben
(13)
VAK, 12,95 Euro
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Lafer: Der große Lafer
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Pape/Quadbeck: Die Hormonformel (15)
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Reichelt/Sommer: Die magische 11 der Homöopathie
(6)
Gräfe und Unzer, 39,90 Euro Gräfe und Unzer, 19,99 Euro
Gräfe und Unzer, 12,90 Euro
Wichtige Kompetenzen für Schüler in den Bereichen Medien und Gesellschaft.
NEU
Kösel, 16,95 Euro
⯰
Lena Meyer-Landrut: Satellite ⯠ Universal
Oetker, 9,95 Euro
(11)
Stromae: Alors On Danse
(1/7)*
Universal
Meyer-Landrut: Bee ⯢ Lena Universal
NEU
Meyer-Landrut: Love Me ⯣ Lena Universal
NEU
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Unheilig: Geboren um zu leben
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Kesha: Tik Tok
⯦
Cheryl Cole: Fight For This Love
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IYAZ: Replay
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Rihanna: Rude Boy
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Jennifer Braun: I Care For You
NEU
(3/7)
Universal
(2/10)
Sony
(5/3)
Universal
(7/4)
Warner Universal Universal
(4/2)
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⯫
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NE U
(14)
Zabert Sandmann, 19,95 Euro
Mehr als 20.000 Schüler und Lehrer haben sich 2009 erfolgreich beteiligt.
Gleich kostenfrei anmelden unter:
www.focus.de/medien Für Fragen und weitere Infos: fms20105promedia-germany.de In Zusammenarbeit mit:
Medienpädagogische Schulung & Beratung
inspiriert von Marcel Proust, Georg Hensel, Sigmund Freud, Max Frisch
FRAGEBOGEN
Schenken Sie uns eine Lebensweisheit . . . Wenn du was willst, besonders von einem Mann, lass ihn nicht raten: Sag es! Sonst kannst du lange warten und womöglich das Falsche bekommen. Für welchen Maler würden Sie viel Geld ausgeben? Für den einen oder anderen Expressionisten. Wo hätten Sie gern Ihren Zweitwohnsitz? In der Alhambra. Heutzutage, nicht in der Zeit, als es dort noch einen Harem gab. Was können Sie besonders gut kochen? Ich? Mein Mann kann besonders gut kochen. Heute Abend freue ich mich auf Jakobsmuscheln an Sellerie-Mus mit Vanillesalz. Wenn nicht wieder was dazwischenkommt, dann koche doch ich, und es gibt Spaghetti Aioli.
Moderatorin, Journalistin ı Die 45-jährige Tochter des Journalisten Dieter Kronzucker wurde in Köln geboren und wuchs in Caracas, Hamburg und Washington auf. ı Nach dem Studium in den USA arbeitete sie bei mehreren Fernsehsendern. Sie vertrat Nachrichtenmoderator Peter Kloeppel bei „RTL aktuell“ und moderierte von 2004 an das „RTL Nachtjournal“. Anfang 2008 wechselte sie zum ZDF.
Was gefällt Ihnen an sich besonders? Dass ich bisweilen recht ungefällig sein kann. Welches politische Projekt würden Sie beschleunigt wissen wollen? Bessere Bildungschancen – Kinder sind systemrelevant. Frauenquote – ein hoher weiblicher Anteil im Top-Management erhöht die Rendite (McKinsey-Studie).
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Was treibt Sie an? Wagemut. Wenn ich das Ufer auch nur erahne, springe ich. Auch ins kalte Wasser. Wem würden Sie mit welcher Begründung einen Orden verleihen? Lieber verschenke ich, als zu verleihen, gern Blumen und gern auch an Männer. Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz? Einen Mann, zwei Kinder und meinen Job gut unter einen Hut zu bekommen. Als Kind wollten Sie sein wie . . .? Dean Martin. Ich fand ihn cool. So lässig wie er konnte keiner singen.
Mit wem würden Sie gern einen Monat lang tauschen? Mit einem großen Friedensstifter. Hier können Sie drei Bücher loben . . . „Das Bildnis des Dorian Gray“ (Oscar Wilde) – erst lesen, dann ins Kino. „Hundert Jahre Einsamkeit“ (Márquez) – eines meiner Lieblinge. „Der kleine Prinz“ (Saint-Exupéry) für die Handtasche. Wo bleiben Sie beim Zappen hängen? Ich gucke eher gezielt fern: Informationssendungen, politisches Kabarett wie „Neues aus der Anstalt“. Wo zappen Sie immer weg? Waschmittelwerbung. Ihre Lieblingsschauspielerin? Tilda Swinton. Ihr Lieblingsschauspieler? Willem Dafoe, August Diehl.
Was ist für Sie eine Versuchung? Erdnussbutter.
Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte? Eleonore von Aquitanien – mutig, freiheitsliebend, kunstsinnig. Königin zweier Länder, Mutter zweier Könige, sie zog ins Heilige Land und gegen ihre Ehemänner in den Krieg, überlebte fast alle ihre zehn Kinder, darunter Richard Löwenherz.
Was war Ihr schönster Lustkauf? . . . jedenfalls nicht Schuhe.
Was sagt man Ihnen nach? Ich bekäme alles, was ich will.
Welches Lied singen Sie gern? „Summertime“ von George Gershwin.
Was mögen Sie an sich gar nicht? Dass ich nicht alles kriege, was ich will.
Wie können Sie am besten entspannen? Wenn ich es regnen höre. Das ist wie 1000 Herzen, die klopfen.
F OCUS 13/2010
Foto: Thomas & Thomas
SUSANNE KRONZUCKER
Sonntags auf dem Schirm Susanne Kronzucker moderiert das Magazin „ML Mona Lisa“ im ZDF
Was wäre Ihre Henkersmahlzeit? Mit Rücksicht auf die Menschen, für die sich diese Frage auch heute noch stellt, passe ich.
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