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Seewölfe 194 1
Fred McMason 1.
Der Weg über die Insel wurde zu einer langweiligen Exkursion, denn es gab so gut wie keine Abwechslung. An der Landschaft änderte sich jedenfalls nichts, sie blieb wie sie war: eisig, unfreundlich, abweisend und trübe. Dazu paßten der verhangene Himmel, der Nebel und das eintönig graue Meer. Alles in allem war es eine Landschaft, die keinerlei Reize bot und wo sie nicht einmal beerdigt sein wollten, wie die Seewölfe versicherten. Dafür gab es Überraschungen, Rätsel und Geheimnisse, die sie noch nicht entschlüsselt hatten. Bevor Hasard, der Profos und die anderen Männer nach links ins Innere der Insel abbogen, um sich zuorientieren, entdeckte Matt Davies weiter vorn am Strand eine längliche schwarzbraune Masse. „Was kann das denn sein?“ fragte er. Der Anblick, der hinter ihnen lag, steckte ihnen immer noch in den Knochen. Das waren die Gerippe gewesen, die um eine längst erloschene Feuerstelle im Halbkreis gehockt oder gelehnt hatten und denen das Fleisch schon teilweise von den Knochen gefallen war. Matt Davies, der grauhaarige Mann mit der Hakenprothese, wollte darauf zueilen, doch Dan O'Flynn winkte ab. „Das läuft dir nicht davon“, sagte er, „denn das ist ganz gewöhnlicher Seetang, nichts anderes.“ „Na, denn“, sagte Matt, aber man sah ihm an, daß er dennoch neugierig darauf war, auch wenn es sich nur um Seetang handelte. Er ging darauf zu, und die anderen folgten ihm fast widerwillig, wie es schien, denn was gab es schon an einem Haufen Seetang groß zu sehen? Das Zeug lag da wie Neptuns Bart, eine dicke, kompakte Rolle, aus der es nach Krebsen, Muscheln und kleinem Seegewürm stank. Davies schob sie mit dem Fuß auseinander, stieß das Zeug fort und rollte es hin und her.
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In dem Seetang befand sich etwas, und das war ziemlich hart, wie ein Stein etwa. Er beugte sich nieder und nahm seine Hakenprothese zu Hilfe, denn jetzt war seine Neugier geweckt. Als er wieder aufstand, hielt er ein mehr als faustgroßes, ovales Gebilde von dunkelbrauner Farbe in der Hand. Er starrte es an, als zweifele er an seinem Verstand. Auch der Seewolf schüttelte erst den Kopf, nahm das Ding in die Hand und reichte es weiter, nachdem er es geschüttelt hatte. Jeder der Seewölfe kannte das Ding, unzählige Male war es durch ihre Hände gegangen, sehr oft hatten sie sich an der kühlen Milch gelabt oder das Fleisch der Frucht gegessen. „Eine Kokosnuß“, sagte Ed Carberry andächtig. „Eine Kokosnuß in dieser eisigen Landschaft! Das ist ein Ding!“ Ja, das war ein Ding! Das stand deutlich in ihren Gesichtern zu lesen. Carberry sah verblüfft in die Runde. Hasard stieß den Profos mit dem Ellenbogen leicht an. „Erwarte bitte nicht, daß in der Nähe Palmen stehen, Ed“, sagte er trocken, worauf die anderen in Gelächter ausbrachen. „Das habe ich auch nicht erwartet“, brummte Ed, „obwohl ein Sprichwort sagt, daß der Apfel nicht weit vorn Gaul fällt.“ „Der Gaul dieses Apfels ist jedenfalls sehr weit weg“, sagte Dan grinsend. Hasard nahm die Kokosnuß wieder von Ferris Tucker entgegen, zog sein Entermesser aus dem Gürtel, legte die Nuß auf einen Stein und schlug sie oben auf. Milchiger Saft rann an der Seite herab, ein Zeichen, daß die Kokosnuß noch nicht sehr alt sein konnte, denn sonst wäre die Milch längst verdickt oder gegoren. Diese am Strand gefundene Kokosnuß sagte ihnen noch mehr als die Toten an der Feuerstelle oder der eiserstarrte Mann im Boot, den sie gerade begraben hatten. Hasard reichte sie an Bill weiter. „Trink sie aus, Junge“, sagte er. Bill wollte teilen, doch die anderen wehrten lachend ab.
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„Glaubst du Stint vielleicht, so eine Nuß reicht für eine ganze Mannschaft, was, wie? Putz das Ding endlich weg!“ „Und heb die Schale für Arwenack auf, damit er was zum Werfen hat“, sagte Dan noch. Hasard ließ sich auf einem der zahlreichen Steine nieder und blickte über das bleigraue Wasser. „Diese Kokosnuß stammt aus der Südsee“, sagte er, „von irgendeiner der zahlreichen Inseln. Das beweist zweierlei: Der Frische nach ist die Nuß höchstens drei Monate alt, wenn ich richtig schätze, älter ganz bestimmt nicht. Und ein Schiff hat sie an Bord gehabt, das ganz sicher nicht den gleichen Weg gesegelt ist wie wir. Folglich haben wir die Passage in den Pazifik gefunden. Es gibt sie also, daran kann gar kein Zweifel mehr herrschen. Es beweist aber auch noch etwas anderes: Hier ist ganz in der Nähe ein Schiff untergegangen, und das kann nicht sehr lange her sein. Ich nehme daher an, daß der Mann im Boot von diesem untergegangenen Schiff stammt.“ Diese Überlegung gab ihnen erst einmal eine Weile zu denken. Aber es klang einleuchtend, was der Seewolf da sagte. Ja, wenn es sich so verhielt, dann hatten sie die Passage ebenfalls gefunden. Dann hatte sich der weite Weg doch noch gelohnt. Aber da war noch etwas, und Ferris Tucker kleidete es in Worte. „Wie erklärst du dir das mit den anderen Toten, Sir, die um das erloschene Feuer herumsitzen? Das paßt immer noch nicht zusammen.“ „In unser Schema passen sie jedenfalls nicht“, antwortete Hasard, „und ich vermute, daß sie mit dem untergegangenen Schiff überhaupt nichts zu tun haben. Es müssen Leute von einem anderen Schiff sein, das hier vor sehr langer Zeit strandete.“ „Hier stranden aber ziemlich viel Schiffe“, sagte Ed. „Dabei haben wir bisher kaum eins getroffen.“ „Ich habe keine andere Erklärung, Ed. Ich nehme es nur an, dann paßt es nämlich besser zusammen. Wir befinden uns hier
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aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen einer Inselkette, doch das werden wir später genau feststellen. Ich glaube, daß noch ein paar Leute von diesem gesunkenen Schiff überlebt haben. Deshalb werden wir die Inseln absuchen, um den armen Teufeln zu helfen.“ Darin stimmten dem Seewolf alle zu. Jeder versuchte sich in die Lage der anderen zu versetzen, und das fiel gar nicht schwer. Wer hier strandete, der konnte nicht lange überleben, denn die Einöde bot nichts oder jedenfalls kaum etwas, um lange zu überleben. Daher änderte Hasard auch seinen ursprünglichen Plan, weiter ins Landesinnere vorzudringen. Dort gab es sicher nicht viel zu sehen, aber der kalte Strand hatte einiges aufzuweisen. Hier war Treibgut angespült worden, und daraus ließen sich Rückschlüsse ziehen. „Gehen wir noch etwa eine Meile weiter“, sagte der Seewolf. „Bis zu der Krümmung dort vorn, dann haben wir die ,Isabella` immer noch im Blickfeld.“ Die „Isabella“, über die jetzt Ben Brighton das Kommando hatte, war gefechtsbereit wie immer, wenn sie fremdes Land oder offenbar unbewohnte Inseln anliefen. Diese Vorsorge des Seewolfs hatte sich immer bestens bewährt, und so manche unangenehme Überraschung war ihnen dadurch erspart geblieben. Auf dem ranken Rahsegler war man jedenfalls wachsam und bereit, falls irgendetwas passieren sollte. Sie gingen weiter, und etwas später stand ihnen bereits eine neue Überraschung bevor. Ein Fäßchen wurde entdeckt, das an den Strand gespült worden war. Es lag auf dem Trockenen zwischen den Steinen. Das war es aber nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, denn um das Fäßchen herum bewegte sich etwas, duckte sich zwischen die Steine und verharrte reglos. „Ratten“, sagte Bill. „Mann, das sind Ratten!“ Er hob einen Stein und wollte ihn nach den beiden Ratten schleudern, aber Hasard hielt seine Hand fest.
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„Laß sie“, sagte er, „die Ratten können hier nichts ausrichten, sie werden sich auch kaum vermehren, denn was sollen sie hier schon fressen?“ „Aber wie gelangen Ratten auf die Insel, Sir?“ wollte der Moses wissen. „Die sind auch von dem Schiff, du weißt ja, daß die Biester in den extremsten Situationen überleben. Irgendwie haben sie sich an Land gerettet, auf einer Planke oder auf dem Fäßchen selbst.“ Die beiden Nager verzogen sich noch weiter, als die Männer die Stelle erreicht hatten. Eine der Ratten lief zwischen die großen Steine, die andere huschte den Strand entlang, blieb aber nach ein paar Yards sitzen und äugte frech herüber. Hasard deutete auf das Faß. Es zeigte starke Bißspuren, und eine der Dauben war bereits bis zur Hälfte durchgenagt. In den Mägen der Ratten mußte der Hunger wühlen, denn sie hatten versucht, an den Inhalt des Fasses zu gelangen, und das hätten sie innerhalb kürzester Zeit auch geschafft. Sie fraßen alles, was sie kriegten, sogar Holz, und verstanden es ausgezeichnet, sich an die jeweilige Umwelt anzupassen. Sie hatten keine Schwierigkeiten wie ein Mensch etwa. Während Hasard das Faß hielt, schob Carberry die Klinge seines Entermessers zwischen die oberen Dauben. Mit einem kurzen Ruck hebelte er eine kleine Daube heraus. Der Duft, der dem Faß entströmte, nahm ihnen fast den Atem. Ein lieblicher Wohlgeruch drang in ihre Nasen, ein Geruch, den sie nicht kannten. „Irgendein Gewürz“, sagte Ferris Tucker und rieb seine Nase. „Das wird der Kutscher bestimmt verwenden können. Himmel, riecht das köstlich. Das Zeug hätten die Ratten bestimmt nicht gefressen.“ „Da bin ich mir nicht so sicher“, sagte Hasard. „Die fressen auch Gewürze, wenn sie nichts anderes haben.“ Der Inhalt bestand aus braunen, knospenartigen Dingern, länglichen Blüten ähnlich, die man getrocknet hatte. Aber
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keiner der Seewölfe hatte dieses Gewürz jemals gesehen. Nachdem jeder daran geschnuppert hatte und in Begeisterungsrufe über den herrlichen Duft ausbrach, verschloß Ferris Tucker das kleine Faß wieder, indem er die Daube einsetzte und festklopfte. Dann klemmte er es sich unter den Arm. „Auf den Gewürzinseln wächst ähnliches Zeug“, erklärte der Seewolf. „Ich bin sicher, daß auch dieses Fäßchen von dem untergegangenen Schiff stammt und nicht von einem anderen, denn der Inhalt ist knochentrocken und nicht beschädigt. Das beweist uns immer wieder, daß das Unglück noch nicht lange her sein kann.“ Die eine Ratte wich vor ihnen zurück, als sie weitergingen, die andere hatte sich zwischen den Steinen im groben Sand bereits einen Gang gewühlt und war verschwunden. Der weitere Weg brachte keine Überraschungen mehr. Es wurde nichts mehr gefunden. Ab und zu bewegten sie sich am Wasser durch dichte Nebelschwaden. Mitunter war der Nebel so dick, daß einer den anderen nicht sah. Bis sie die Krümmung erreichten, verging eine halbe Stunde. Immer noch hatten sie außer den beiden Ratten kein einziges Tier gesichtet. Nicht eine Möwe ließ sich blicken, und nur einmal sahen sie einen Fisch aus dem Wasser springen. An der Krümmung blieben sie stehen. Der Strand lief hinter dem Bogen endlos lange weiter, und er sah genauso trostlos aus wie dieses Stück, das sie hinter sich gebracht hatten. Ob dies eine weitere Bucht war, oder ob es weiter hinten noch eine schmale Durchfahrt gab, war von hier aus nicht zu erkennen. Felsen nahmen ihnen die Sicht, die sich mitunter weit ins Meer schoben. Darin, daß sie noch nie eine einsamere und trostlosere Insel gesehen hatten, waren sich alle einig. Der Seewolf ging nicht denselben Weg zurück. Sie wählten einen Umweg über eine kurze Strecke ins Inselinnere, und von hier ab wurde der Weg beschwerlicher.
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Es gab keinen Pfad, nur immer wieder Steine, manche von Eis dick überzogen, andere wie glatt geschmirgelt. Der Berg, der weit vor ihnen aufragte, lag immer noch in dichtem Nebel. „Hier muß es doch auch mal einen Tag geben; an dem die Sonne nur ein klein wenig scheint“, schimpfte Carberry. „Vielleicht einen im Jahr“, erwiderte Ferris Tucker, „aber den haben wir nicht erwischt. Nein, hier möchte ich wirklich nicht begraben sein“, setzte er kopfschüttelnd hinzu. Die „Isabella“ hatten sie immer noch im Blickfeld, sobald die Felsen niedriger waren oder von größeren Steinfeldern unterbrochen wurden. An Bord war alles ruhig, und nur Dan konnte mit seinen scharfen Augen sehen, wenn sich jemand auf dem Deck bewegte. Er sah die hochgezogenen Stückpforten und wußte, daß sich die „Isabella“ schlagartig in eine schwimmende Festung verwandeln konnte, aber wer sollte sie hier schon angreifen? In einem großen Bogen kehrten sie wieder zurück. Die Feuerstelle mit den Toten hatten sie diesmal umgangen, denn der Anblick erinnerte nur an Tod, Nebel, Einsamkeit und Trostlosigkeit. Schließlich standen sie an dem Beiboot. Der Seewolf zuckte mit den Schultern. „Wo und unter welchen Umständen das Schiff untergegangen ist, wissen wir immer noch nicht. Also werden wir uns die andere Richtung vornehmen, diesmal mit dem Boot. Es muß hier irgendwo Klippen geben, auf die das Schiff aufgelaufen ist. Segeln wir also in die andere Richtung.“ „Wir werden es schon finden“, sagte Dan zuversichtlich. Als er ins Boot steigen wollte, erklang von der „Isabella“ her ein scharfer, durchdringender Pfiff. Steif wie Marionetten verharrten sie und blickten hinüber. Ben Brighton stand auf dem Achterkastell und winkte. Dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: „Dort vorn qualmt etwas! Sieht nach Rauchzeichen aus!“
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Aus ihrer Position konnten sie es nicht sehen, aber Ben hatte von der „Isabella“ einen besseren Ausblick. „Zurück an Bord!“ befahl Hasard. „Hoffentlich hat Ben sich nicht durch. den Nebel täuschen lassen“, sagte Dan. „Der sieht in der Ferne mitunter tatsächlich wie Rauch oder Qualm aus. Da kann man sich leicht irren.“ Als sie über die Jakobsleiter aufenterten, ließ Hasard sich das Spektiv geben, während die anderen ihren Kameraden zeigten, was sie am Strand gefunden hatten. Hasard blickte in die von Ben angegebene Richtung. Im Spektiv sah er Berge, darunter einen von ganz beachtlicher Höhe, aber dessen Gipfel trug noch immer das dichte Nebelkleid, so daß sich keine Einzelheiten erkennen ließen. Auch Dan O'Flynn trat hinzu und blickte in die Richtung. „Das ist Nebel, Ben“, sagte er. „Das ist kein Nebel“, verteidigte Ben Brighton seinen Standpunkt. „Jetzt ist es nicht mehr so deutlich zu sehen, aber vorhin stieg eine etwas dunklere Rauchwolke in den Himmel. Sieh mal etwas weiter nach links, dort brodelt es immer noch, aber die Abstände werden jetzt viel kürzer.“ „Das könnte Rauch sein“, sagte Hasard nach einer Weile und setzte den Kieker ab. Um den Berg herum quirlte und brodelte es. Nebel stieg in langen Fahnen hoch, bildete dort eine Wolke, die wieder nach allen Richtungen auseinander trieb und sich verflüchtigte, während weiterer Nebel vom Boden nachstieg und das Schauspiel wiederholte. „Vorhin war es viel dunkler, und Nebel hat diese Farbe nicht“, sagte Ben. „Glaube mir, ich habe mich nicht geirrt. Ich weiß, von was ich spreche.“ „Ja, das stimmt“, sagte Dan. „Wenn man genau hinsieht, erkennt man noch die etwas dunklere Schicht über der Nebelwolke. Ben hat sich nicht geirrt.“ Hasard überlegte, daß sich wohl kein Schiffbrüchiger bis oben in die Berge begeben würde, denn da wehte der Wind
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noch kälter, da war es viel eisiger als hier zwischen den Steinen am Strand oder den Felsen etwas weiter im Landesinnern. Andererseits, wenn jemand die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, dann erklomm er wohl doch den höchsten Punkt, denn von da oben waren Feuer oder Rauchzeichen doch wesentlich weiter zu sehen. „Wie hoch schätzt du den Berg, Ben?“ fragte Hasard. „Gut zweitausend Yards, soweit man bis zum Gipfel sieht“, erwiderte Ben. „Das scheint ebenfalls ein erloschener Vulkanberg zu sein wie der andere, den wir vorhin schon sahen.“ „Gut, wir segeln hin und sehen nach. Gefechtsbereitschaft bleibt bestehen. Hoch mit dem Anker! Das Boot ziehen wir hinter uns her.“ Das Vorhaben, die Insel auf der anderen Seite zu erkunden, wurde damit aufgegeben. Außer angelandetem Treibholz würde sich da ohnehin kaum etwas finden. Die Entfernung mochte etwa fünf Meilen betragen. mehr waren es ganz sicher nicht. Der Profos ließ den Anker hieven und scheuchte die anderen Männer an Falle, Brassen und Schoten. Dann segelte die „Isabella“ weiter, jener Stelle entgegen, von der die geheimnisvollen Rauchzeichen stammten. 2. Jede Nacht waren die Nordmänner erschienen, um die kleine Gruppe um Visser und Vermeulen auszulöschen. Zum größten Teil war ihnen das auch gelungen, aber bei den Nordmännern hatte es bereits sieben Tote gegeben. Die Holländer hatten sich wie rasende Teufel zur Wehr gesetzt. Das Boot hatten sie nicht mehr, damit waren wahrscheinlich de Jong und te Poel verschwunden, wie sie vermuteten. Also konnten sie die Insel auch nicht verlassen. Am vorletzten Tag waren sie nur noch zu dritt gewesen. Vermeulen, Visser und der
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schwerverletzte Breukel. Die anderen waren tot, erschlagen oder erstochen. In dieser Nacht starb ihnen auch Breukel unter den Händen. Sie konnten ihm nicht mehr helfen, sie konnten nicht einmal seine Schmerzen lindern. Sie hatten nichts mehr, außer dem bißchen Zeug, das sie auf dem Leib trugen, ein paar nasse Decken und etwas Proviant. Trinkwasser spendete ihnen der Himmel, wenn es schneite oder regnete. Außerdem konnte man das Eis von den Steinen und Felsen brechen und vorsichtig lutschen. Das hatten sie längst herausgefunden. Nun hockten sie in der primitiven Hütte, die sie aus zusammengetragenen Steinen erbaut hatten, und starrten mit ausdruckslosen Gesichtern auf ihren toten Kameraden. Vermeulen hob kleine Steine vom Boden auf, warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf. Das tat er seit mehr als einer Stunde. Ab und zu blickte er nach oben, wo das zerfetzte Segelleinen, das ihnen als Dach diente, im Wind flatterte. „Wir können hier nicht länger bleiben, Cap“, sagte Visser. „Die Kerle tauchen heute nacht bestimmt wieder auf, und dann erwischen sie auch uns. Es ist ein Wunder, daß wir überhaupt noch leben. Die Kälte, die Nässe, wir müßten längst tot sein.“ „Ja“, murmelte der Kapitän. “Wir müßten nach menschlichem Ermessen längst tot sein, erfroren nämlich oder eingegangen an einer Lungenentzündung, aber wir sind es nicht. Wenn uns das Land nicht holt, dann holen uns diese hinterhältigen Teufel. Wie aber willst du von hier weg? Schwimmen?” fragte der Cap höhnisch. „Wir waren noch nicht auf der anderen Seite, Cap. Je weiter der Weg für diese Kerle ist, desto eher werden sie es aufgeben. Ich habe keine Lust, mich einfach abschlachten zu lassen.“ „Warum trachten sie uns überhaupt nach dem Leben?“ fragte Vermeulen. „Sie haben doch nichts davon und wissen ganz genau, daß wir früher oder später von allein krepieren.“ „Vielleicht belastet es ihr Gewissen, wenn wir noch leben.“
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„Gewissen? Die haben doch kein Gewissen, diese Schlächter.“ Vermeulen erhob sich aus seiner kauernden Stellung und stand auf. Er reckte seine übermüdeten, halberfrorenen und mitunter gefühllos gewordenen Glieder. Wenn diese entsetzliche Kälte nur nicht wäre, dachte er. Alles andere ließ sich ja noch ertragen, aber die Kälte würde sie bald schaffen, noch schneller als der Hunger. Er trat hinaus und blickte zu der Nachbarinsel hinüber, wo die Nordmänner hausten. Aber dort war niemand zu sehen, die Kerle hockten in ihren Höhlen, fraßen ihren Proviant auf und wärmten sich. Ihre Toten lagen immer noch herum, niemand hatte sie mitgenommen, als der zweite oder dritte Angriff erfolgt war. Visser war seinem Gefährten gefolgt. Er hatte sich eine Decke um den Körper gewickelt und eine andere über den Kopf gehängt. Die beiden Männer sahen wie Gespenster aus. Meist redeten sie vorn Essen oder von einem warmen Plätzchen, wo man sich ausziehen und trocknen konnte. Aber alle diese Gespräche führten zu nichts, sie waren bloßes Wunschdenken. Heute nacht, dachte er, gleich bei Anbruch der Dunkelheit, da würden diese lausigen, hohlwangigen Kerle wieder lautlos erscheinen, um sie auch noch umzubringen. Nein, sie konnten wegen der Kälte ohnehin kaum schlafen, und doch waren sie übermüdet und kaputt. Die Nordmänner würden diesmal. leichtes Spiel mit ihnen haben. Sie mußten hier weg, ans andere Ende der Insel, wo sie noch nicht gewesen waren. „Wenn wir uns im Schutz der Hütte davonschleichen“, sagte der Cap, „dann sehen sie es nicht. Brechen wir gleich auf. Die restlichen Decken wickeln wir uns um den Körper. Das bißchen Zeug, was wir noch haben, das tragen wir leicht.“ Visser nickte. „Und Breukel?“ fragte er, auf die Hütte deutend, in der der Tote lag. „Er ist tot. Wir lassen ihn da liegen. Verdammt, ich habe nicht mehr die Kraft,
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noch ein Grab zu schaufeln. Die Hütte wird sein Grab sein, ich kann nichts weiter für ihn tun.“ Sie waren abgestumpft und zum Teil auch gleichgültig geworden. Es hatte Tage gegeben, da waren sie auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt und sprachen von Selbstmord. Aber dann, als einer nach dem anderen starb, reichte der Proviant etwas länger, und immer wieder hatten sie es hinausgeschoben, gezögert und gewartet, weil ein kleiner Funke Hoffnung sie aufrechterhielt. Ihr Entschluß war jetzt gefaßt. Den Nordmännern wollten sie nichts überlassen, kein Stückchen Holz, keinen Fetzen Tuch, und so nahmen sie auch die zerrissene Plane vor dem Eingang und die andere mit, die die Hütte oben abdeckte. Etwas später zogen sie los, zwei Elendsgestalten, die sich nur mühsam und schwerfällig fortbewegten und gebeugt dahinschlichen, als hätten sie längst den Tod in den Knochen. Sie nahmen die Richtung, die sie schon einmal gegangen waren. Nur gab es noch ein kleines Stück, das sie nicht erkundet hatten. Immer wieder drehten sie sich und blickten zu den Höhlen der Nordmänner. Alles blieb unheimlich still, keiner der Kerle steckte auch nur seinen Schädel ins Freie. Sie erreichten die Felsengruppe und blieben stehen. Eiskalter Wind blies ihnen in die Gesichter. Sie zogen die klammen Decken fester um ihre Körper. Visser setzte das kleine Bündel Holz, das sie noch hatten, auf den Boden und zog ein gequältes Gesicht. Dann stieg er vorsichtig in die Felsgruppe auf, um einen Blick zur anderen Seite zu werfen. Als er etwa zwanzig Yards geschafft hatte, mußte er die Augen zusammenkneifen, denn der scharfe Wind brachte winzige Eiskristalle mit sich, die sein Gesicht taub werden ließen und ihm schmerzhaft in die Haut schnitten. Er sah sich um, lange und bedächtig. Von hier aus dehnte sich ein schmaler Küstenstreifen in endlose Länge. Wie ein
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riesiger Zapfen sah die Insel aus, und ganz hinten, wo Nebel und Land verschmolzen, erkannte er eine schmale Furt wie eine Sandbank, die diese Insel mit einem großen Felsenmeer verband. Dahinter erhob sich vage ein riesiger, nebelverhangener Berg. Das Gebiet war zerklüftet, und Visser hatte den Eindruck, als gäbe es dort natürlich gewachsene Höhlen in den Felsen. Wenn sie da hinüberwollten, würden sie bei Ebbe nicht einmal nasse Füße kriegen, dachte er erleichtert. Er stieg wieder nach unten und erzählte Vermeulen, was er entdeckt hatte. Der Cap grinste plötzlich. „Da sind wir in Sicherheit“, sagte er. „Dann ist die Insel also durch eine Sandbank mit einer anderen verbunden. Ist sie sehr groß?“ „Läßt sich schwer abschätzen, Cap. Aber ich glaube schon. Wenn du den Hals reckst, siehst du den Berg. Er sieht aus wie ein Götterthron. Da gibt es Spalten und Verstecke.“ „Nur werden sie uns nicht mehr viel nützen“, sagte Vermeulen niedergeschlagen. „Warum nicht?“ „Weil wir nicht mehr viel zu fressen haben. Darum! Und das bißchen Holz — na ja, wir gehen erst einmal weiter.“ Zwischen den Felsen, wo der Wind sich fing und nicht mehr so scharf blies, ruhten sie noch einmal aus, um Kräfte für den verhältnismäßig weiten Weg zu sammeln. Unter normalen Umständen wäre das für sie ein Spaziergang gewesen, aber seit langem schon herrschten keine normalen Verhältnisse mehr. Jede Meile, die sie hinter sich brachten, bedeutete Qual und Erschöpfung und kostete Kraftreserven, die sie nicht mehr hatten. Der Berg wuchs vor ihnen in die Höhe und wurde immer größer. Kein Zweifel, daß dieser Berg vor Jahrtausenden mal ein feuerspeiender Vulkan gewesen war. Seine Form ließ es erkennen, und der schneebedeckte Kraterrand verkündete es weithin.
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„Wenn wir dort hinaufsteigen“, sagte der Cap, „dann haben wir einen Überblick über die ganzen Inseln oder über den größten Teil des Landstrichs. Außerdem sind wir da oben unangreifbar. Jedem, der sich uns nähert, können wir , tonnenweise Steine auf den Kopf werfen.“ „Bloß wird es da verteufelt kalt sein, Cap!“ „Vielleicht finden wir eine kleine Höhle, die wir mit den Decken auskleiden können. So was wie ein Schlupfloch.“ „Hoffen wir es.“ „Dort vorn können wir hinüber“, sagte Vermeulen. Vor ihnen dehnte sich nun die fast trockene Sandbank. Alle beide erkannten, daß es da Wasserlöcher gab wie in der Heimat auf dem Watt. Die Sandbank war steinig, der Untergrund sehr fest. Die Steine drückten sich nicht in den Sand ein. Ein schmales Rinnsal floß dicht vor ihnen träge dahin und sammelte sich in einem größeren Wasserloch. Es war nicht tiefer als ein Yard. Vermeulen wollte gerade daran vorbeigehen, als er eine schnelle Bewegung sah. Er blieb stehen und blickte auf den steinigen Grund hinunter. „Sieh dir das an!“ schrie er verzückt und begann sich auf die Schenkel zu schlagen. „Sieh dir das an!“ wiederholte er. Visser trat hinzu, und über sein Fuchsgesicht glitt ebenfalls ein Grinsen, als er den silbrigen Schatten sah. „Ein Fisch“, sagte, er andächtig. „Ein richtiger, gottverdammter Fisch. Ich habe schon ewig keinen mehr gesehen.“ „Und gegessen erst recht nicht“, sagte Vermeulen. „Den Freund, den holen wir da raus, und wenn ich das ganze Wasserloch leersaufen muß. Aber den kriegen wir. Wie nur?“ fragte er gleich darauf. Große Lust, in das eisige Wasser zu steigen, hatte keiner von beiden. Die eiskalte Brühe ließ die Knochen absterben, und die Klamotten trockneten nie mehr so richtig. Mit den Händen reichten sie auch nicht auf den Grund, da fehlte ein kleines Stück. Aber diesen Fisch mußten sie haben, und wenn sie ihn auf der Stelle roh aßen, denn
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jetzt begannen ihre Mägen ernsthaft zu rebellieren. Dieses Hungergefühl hatte wahrscheinlich der Fisch ausgelöst. Er wog ganz sicher drei Pfund, wenn nicht noch etwas mehr. Jetzt verharrte er am Grund und rührte sich nicht. „Wir fangen ihn mit der Plane, die wird gerade über das Loch von zwei Seiten reichen“, sagte Vermeulen. In die ausgefranste Plane stieß er mit dem Messer noch ein paar kleine Löcher hinein, dann hielt er sie fest, Visser nahm das andere Ende und ging um das Wasserloch herum. Die Plane beschwerten sie mit ein paar kleinen Steinen, damit sie besser auf den Grund sank. Als sie den Grund erreichte, stob der Fisch davon, flitzte von einer Wand zur anderen, stieg höher, ging wieder auf Tiefe und narrte sie lange Zeit. Einmal stand er über der Plane, aber als sie die ruckartig anhoben, flitzte er dicht unter der Wasseroberfläche wieder auf den Grund. Vermeulen begann laut zu fluchen. Weder er noch Visser merkten, daß sie bereits bis an die Knöchel im Wasser standen. Diesmal spürten sie die Kälte vor lauter Jagdeifer nicht. „Wenn er wieder über der Plane steht“, sagte Vermeulen grimmig, „dann gebe ich dir ein Zeichen mit den Augen, und wir ziehen die Plane mit einem Ruck stramm. Mit aller' Kraft.“ Vorsichtig jonglierten sie den Leinenfetzen so, daß der Fisch darüberschwamm. Dann traten sie einen Schritt zurück und sahen, daß ihre Beute genau auf der Plane schwebte und langsam höher stieg, um der Berührung auszuweichen. Vermeulen gab Visser das Zeichen, und beide Männer zogen mit einem gewaltigen Ruck die Plane stramm. Der Fisch sauste aus dem Wasser, sprang in die Höhe und landete hinter Vermeulen im Sand. Dort blieb er liegen, zappelte und versuchte, sich zum Wasser zu schlängeln: Vermeulen stürzte sich in wilder Gier darauf, packte ihn und schlug ihm den Messergriff an den Kopf. „Wir haben ihn!“ brüllte er laut.
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Visser wollte gerade in das Freudengeschrei mit einstimmen, als er sah, daß die Sandbank längst keine Sandbank mehr war, sondern Wasser sie von allen Seiten bedeckte. „Schnell, Cap!“ rief er angstvoll. „Los, zur anderen Seite 'rüber, das können wir gerade noch schaffen.“ Vermeulen fluchte, wickelte den Fisch in die Decke und zerrte die Plane zu einem Strick zusammen. Jetzt, nachdem sie den Fisch hatten, spürten sie auch wieder die eisige Kälte, und sie begannen zu rennen, so schnell oder so langsam, wie ihre Kondition das zuließ. Das Wasser stieg nur sehr langsam, aber es war auch noch ein ganzes Stück, das sie vor sich hatten. Dabei saß ihnen die Angst im Nacken, die andere Seite nicht mehr rechtzeitig zu erreichen. Als sie es schließlich doch geschafft hatten, stand ihnen das eiskalte Wasser schon fast bis zu den Knien. Beide zogen ihre Stiefel aus, rieben sich die erstarrten Knochen mit der Decke trocken und zogen die Sachen wieder an, nachdem sie die Hosenbeine ausgewrungen hatten. Kalt und eklig fühlten sich die Hosen an, und wieder schnatterten beide Männer vor Kälte. „Verdammt“, sagte Visser, „den Fisch haben wir, aber jetzt ist das Holz wieder naß geworden. Bis das trocknet, sind wir längst vergammelt.“ „Wir werden es schon schaffen. Da geht es in die Berge“, sagte der Cap. „Sieht wie ein Weg aus. Hoffentlich hausen da nicht auch noch ein paar Burschen.“ „Glaube ich nicht, das ist für die Kerle zu umständlich.“ Ein Geröllpfad führte in Windungen zwischen Flügeln, Felsen und großen Steinen auf den Berg. Das alles wurde immer kompakter und schmolz zusammen, bis sie ein Plateau erreichten, über das kalt und scharf der Wind hinwegfegte. Der erloschene Vulkan ragte vor ihnen in seiner ganzen Größe auf, oben in dichte weiße Schleier gehüllt, die ihn umtanzten
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und umwoben wie ein dichter Ring aus wirbelnder Watte. Nebelfetzen hüllten sie ein, der Wind vertrieb sie wieder, und neue entstanden wie hingezaubert aus dem Nichts. Ab und zu verschnauften sie, lehnten sich an die kalten eisbedeckten Felsen und ruhten aus. Ihre Lungen keuchten, ihre Herzen klopften wie rasend, und in den Seiten begann es zu stechen. Yard um Yard rangen sie dem Vulkan ab. Je höher sie emporstiegen, umso besser wurde die Aussicht. Schon bald sahen sie das Land tief unter sich liegen und erreichten jene Stelle, in der sie die Höhlen vermuteten. „Da ist eine“, sagte Visser und deutete keuchend nach oben, wo sich ein klaffender Spalt im Berg abzeichnete. Vermeulen kletterte weiter. Jetzt, da sie wieder eine Gruppe von Felsen erreichten, fühlte er sich etwas wohler, denn der Wind biß nicht mehr so schneidend scharf nach ihnen. Er verfing sich in den Felsen und heulte laut. In ihrem Bemühen, die schützende Höhle zu erreichen, verausgabten sie ihre letzten Kräfte. Als sie dann durch den Eingang krochen, blieben sie erschöpft liegen und mußten ihre klopfenden Herzen beruhigen. Aber diese Höhle erwies sich als äußerst unwirtlich. Sie war zu groß und zu riesig in ihren Ausmaßen, von der hohen Decke troff pausenlos Wasser herunter, das sich auf dem Boden in kleinen Pfützen sammelte. „Nur einen kleinen Unterschlupf, verdammt noch mal“, sagte Visser, „mehr wollen wir ja gar nicht. Nur ein trockenes Plätzchen.“ „Ja, wir werden immer bescheidener“, sagte der Cap ironisch und lachte ärgerlich auf, als ihm Wassertropfen ins Genick fielen. Nachdem sie sich einigermaßen ausgeruht hatten, ging es weiter den Berg hinauf. Der Nebel schlug sich an den Felsen nieder, die dem Wind zugewandte Seite gefror von dem Wasser und war glatt. Die
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andere Seite war feucht und verströmte Kälte. An der Höhle, in der sie sich dann schließlich einrichteten, wären sie fast vorbeigegangen, so versteckt war sie zwischen den Felsen. Der Eingang war so schmal, daß man ihn übersah. Visser ging hinein und fand sich in einer kleinen Grotte wieder, die einigermaßen trocken war. Sie war nicht länger als vier Yards und knapp drei Yards breit. Die Höhe war so, daß sie beide gerade noch aufrecht darin stehen konnten. „Na, da haben wir ja das, was wir suchten“, sagte Vermeulen. „Hier sind wir sicher, und wir können alles überblicken.“ Ja, das konnten sie. Sie hatten einen Blick, der weit über das Meer hinausging, und von hier sahen sie auch die Felsensiedlung der Nordmänner, die sich tief unter ihnen befand. Wenn es den Kerlen jetzt einfiel, sie zu überfallen, dann würden sie ihr blaues Wunder erleben. Aber sie wußten nicht, daß sie sich ausgerechnet den Berg als Zuflucht erkoren hatten, und würden auch nicht auf die Idee verfallen, sie hier oben zu suchen. Vermeulen warf die Steine hinaus, die den Boden bedeckten, schichtete das bißchen Holz auf die Decke und legte den Fisch daneben, den sie jetzt beide hungrig anstarrten. Sie warfen sich einen Blick zu und grinsten. Ihre Bärte waren zottig und wild, und jeder fand den anderen zum Fürchten. „Wir kriegen kein Feuer in Gang“, sagte Vermeulen, „das Holz ist noch zu naß. Fressen wir den Kameraden, wie er ist.“ Visser versuchte es trotzdem. Er hatte noch eine Handvoll dürres Zeug, das von dem kleinen Busch stammte, aber auch das war nicht mehr ganz trocken, und die paar Funken die übersprangen, waren nicht in der Lage, das Kraut zu entzünden. Dabei stellten sie sich vor, wie der Fisch gebacken schmecken würde, und das Wasser lief ihnen im Mund zusammen. „Was soll's“, sagte der Cap und schnitt den Fisch der Länge nach auf. „Besser einen rohen als gar keinen Fisch.“
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In seinem ganzen Leben hätte er nie geglaubt, einmal ein Stück Fisch roh herunterschlingen zu können, aber jetzt ging es. Gierig fielen beide über ihre Beute her, bis nur noch die Gräten übrig waren. Ihre Position war jetzt so gut wie unangreifbar. Sie verteilten die Decken auf dem Boden und zerrten die nasse Plane vor den schmalen Spalt, die sie mit einem Stein beschwerten. Hier war von dem eisigen Wind nichts zu spüren. Bevor Vermeulen noch richtig auf dem Boden lag, war er schon eingeschlafen. Visser hielt sich auch nur noch ein paar Augenblicke, dann übermannte ihn der Schlaf. Diesmal schliefen sie lange, tief und traumlos. 3. Vermeulen erwachte und stieß Visser an. Mit einem Satz war der hoch und blickte den Cap an. „Was ist?“ „Die Nordmänner“, sagte er, „sie statten unserer alten Hütte gerade einen Besuch ab. Mindestens zwanzig Kerle sind es.“ Visser wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Er fühlte sich noch müde und zerschlagen, aber angesichts dieser unerfreulichen Nachricht war er sofort hellwach. Beide Männer spähten hinunter. Die Nordmänner — Vermeulen hatte sie genau in dem Moment gesehen, als er erwachte — erschienen diesmal 'mit sechs Booten und legten an einer anderen Stelle an. „Jetzt wären wir geliefert gewesen“, murmelte Visser. „Du sagst es. Diesmal haben sie sogar Musketen mitgebracht, diese Halunken, um uns den Garaus zu bereiten.“ „Stell dir vor, wir hätten jetzt in der Hütte geschlafen.“ Bei dem Gedanken wurde ihnen übel, und sie beglückwünschten sich zu ihrem schnellen Aufbruch.
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Die Nordmänner gingen an Land, winzige Gestalten aus dieser Höhe, die sich, auf dem Bauch robbend, an die Steinhütte anschlichen. Anscheinend bemerkten sie nicht, daß die Plane am Eingang und auch die andere oben auf dem Dach fehlten. Alle Einzelheiten ihres Überfalls waren deutlich und klar zu erkennen. Sie waren mit Schiffshauern bewaffnet, zwei hatten Musketen dabei, einer trug eine Pistole, und einer hatte einen Degen, Beutestücke von ihrem eigenen Schiff, der „Godewind“. Die ersten hatten die Hütte fast erreicht und warteten jetzt nur noch, bis der Kreis sich schloß. Visser schluckte hart. Er sah Vermeulen an, und der Cap gab den Blick grimmig zurück. Ja, jetzt wäre es aus gewesen mit ihnen, dachten sie beide. Dann ertönte ein Geschrei, die liegenden Gestalten erhoben sich und sprangen zur Hütte. Ein Schuß fiel, aber der Nebel verschluckte den Knall und ließ ihn nur ganz schwach durch. Wieder blitzte es auf, und im Nu waren die Nordmänner in der Hütte. Erst jetzt begann der Cap zu grinsen, als er sich die enttäuschten Gesichter der Nordmänner vorstellte. Es dauerte auch nur ganz kurze Zeit, als sie wieder die Steinhütte verließen und sich ratlos umsahen. Sie steckten die Köpfe zusammen und palaverten. Einer zeigte in die Runde, ein anderer nickte dazu, und ein dritter ging nochmals in die Hütte. „Da habt ihr Pech gehabt, ihr Drecksäcke“, sagte Vermeulen leise. „Ob sie uns hier oben sehen können, Cap?“ „Bestimmt nicht. Wir blicken ja selbst nur durch einen kleinen Spalt. Nein, die sehen uns nicht. Und wenn sie uns hier oben vermuten, dann sollen sie nur aufkreuzen. Wir werden es ihnen schon besorgen. Aber ich glaube nicht, daß sie auf den Berg gehen.“ Gespannt beobachteten sie weiter, was geschah. Sie waren sich auch darüber im
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klaren, daß die Nordmänner jede Ecke dieser Inselgruppe genau kannten, daß sie wußten, wo die kleinen Höhlen lagen, aber daß sie wahrscheinlich die Mühe scheuten, hier hinaufzuklettern. Wenn, dann würden sie höchstens nachts erscheinen, wenn man sie nicht sah und sich auch nicht verteidigen konnte. Aber selbst diese Möglichkeit hielt Visser für so gut wie ausgeschlossen. Ziemlich ratlos stand die Gruppe herum und debattierte. Vermeulen hätte zu gern erfahren, was sie besprachen. „Sie ziehen wieder ab, oder?“ fragte Visser besorgt. „Sieht so aus.“ Die Nordmänner kletterten in ihre merkwürdigen Fellboote, aber sie kehrten nicht zurück zu ihrer Insel, sondern wählten einen anderen Weg, der sie an der Steinhütte vorbeiführte. „Was soll das denn nun wieder?“ „Vielleicht besuchen sie uns von der anderen Seite. Los, sobald sie aus unserem Blickfeld geraten, holen wir uns Steine. Wir haben hier eine günstige Lage.“ Visser zögerte und sah Vermeulen unbehaglich an. „Was ist, wenn sie von der anderen Seite den Berg erklimmen, Cap? Dann haben wir sie genau im Nakken.“ Vermeulen durchfuhr es siedend-heiß. „Das — das glaube ich nicht“, sagte er. „Es kann aber passieren!“ Ja, das mußte er zugeben. Dann saßen sie natürlich in der Falle, und die Nordmänner konnten die Steine auf sie herabprasseln lassen. Nicht lange, und die Boote waren aus ihrem Blickfeld verschwunden. Man sah sie jetzt nur, wenn man aus der Höhle trat und zwischen den anderen Felsen hindurchblickte. „Wir gehen höher hinauf“, sagte Vermeulen. „Aber wir lassen alles hier. Mal sehen, wie der Berg von der anderen Seite aussieht. Selbst wenn wir unsere Position verraten, werden wir die Kerle mit einem Steinhagel empfangen, an den sie noch lange denken. Los, verlieren wir keine Zeit!“
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Die Angst und die Ungewißheit über das Vorhaben der Nordmänner trieben sie wieder in die Kälte und den Nebel. Mühsam erklommen sie den hohen Berg, wobei sie ihn gleichzeitig zu der einen Seite halb umrundeten. Schon nach kurzer Zeit sahen sie die Boote wieder. Sie hatten tatsächlich vor, sie von der anderen Seite zu überfallen. Tief unter ihnen befand sich ein kleiner buchtartiger Einschnitt. Der Berg war hier glatt und steil, und ein ungeübter Kletterer hätte eine Menge Schwierigkeiten gehabt. Die Boote fuhren in die Bucht hinein. „Die wissen tatsächlich, wo wir sind“, sagte Vermeulen entsetzt, als der erste in Felle gekleidete Kerl aus seinem Kajak stieg und sich anschickte, die Felsen zu erklimmen. Vermeulen sah sich nach Felsbrocken um. Es gab genügend — kleine, große und mittlere. Man brauchte sie nur anzustoßen, dann begannen sie zu rollen. „Den hier“, sagte er und deutete auf einen Brocken, den er allein nicht bewegen konnte. „Wenn der rollt, knallt er genau in die kleine Bucht zwischen die Felsen.“ „Ja, das wird sie verdammt überraschen“, sagte Visser grimmig. Sie wuchteten den großen Klotz herum, bis er auf einer glatten Fläche lag. Dann gaben sie ihm einen kräftigen Stoß. Der Felsbrocken begann zu rollen, anfangs schwerfällig, aber dann kriegte er Fahrt drauf, hüpfte, kullerte und sprang. Immer wilder und höher wurden seine Sprünge, bis er sich löste und frei in der Luft schwebte. Dann fiel er senkrecht nach unten in die Tiefe, ohne die anderen Felsen noch einmal zu berühren. Sie hielten sich an spitzen, glatten Felsen fest und verfolgten den Flug des schweren Brockens neugierig mit den Augen. Wie eine riesige Kanonenkugel donnerte er in die Bucht. Die Nordmänner hatten den Brocken bemerkt, der da niedersauste und gegen den kein Kraut mehr gewachsen war. Wie irrsinnig bewegten sie ihre Paddel. Der Kerl, der schon den unteren Felsen
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erklommen hatte, drückte sich platt in die Wand. Dann schlug der Brocken unter Donnergetöse ins Wasser. Schaum und Gischt wirbelten hoch, und im Wasser entstand deutlich sichtbar, ein riesiges Loch, über dem die Wellen zusammenschlugen. Eine Wassersäule strebte zum Himmel, die ihre nassen Arme nach allen Seiten schleuderte. Die Kajaks schwankten, eins kenterte, die andern pullten davon, als säße ihnen der Teufel im Nacken. „Los, gleich den nächsten!“ schrie Vermeulen. Zwei weitere Brocken gingen“ auf die Reise. Einer prallte auf die Felsen, zerschlug eine Steinspitze, und ein ganzer Trümmerregen bewegte sich nach unten. Der zweite Brocken landete dicht vor einem Boot und ließ es ebenfalls kentern. Von unten drangen Schreie herauf. Jetzt waren die beiden Holländer nicht mehr zu halten. Sie bombardierten ihre Todfeinde mit allem, was sie in die Finger kriegten. Steine polterten herab, rissen andere mit sich, bis die Masse immer größer wurde. Tief unter ihnen brach das Chaos aus. „Jetzt zahlen wir zurück!“ schrie Visser und warf wie ein Besessener weitere Steine nach unten. Der Nordmann, der die Wand erklommen hatte, löste sich wie ein fauler Apfel von einem Ast, warf die Arme in die Luft und fiel in das eisige Wasser. Er ging sofort unter. Steine und kleine Brocken folgten ihm nach. Vermeulen setzte noch ein besonders prächtiges Exemplar in Bewegung. Er wandte alle Kräfte auf, bis der Brocken endlich rollte. Mit verheerender Wucht schlug er unten ein. Er traf eins der Boote, das auf der Stelle ausgelöscht wurde. Nicht einmal ein kleines Trümmerstück war anschließend mehr zu sehen, als die Wellen ringförmig nach allen Seiten davonliefen. Die beiden Männer schrien und brüllten ihre Wut hinaus, und sie bewarfen die
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Nordmänner auch dann noch mit Steinen, als die längst in panischer Flucht davonpaddelten. Wieder hatten sie drei Mann verloren, zwei Boote waren verschwunden, eins schwer beschädigt. Aus sicherer Entfernung krachten zwei Musketenschüsse. Vermeulen stand zwischen den Felsen und lachte laut. „Da könnt ihr so lange ballern, wie ihr wollt, ihr Säcke!“ schrie er. „Hier trefft ihr uns nicht.“ Die Musketenkugel erreichte auch nicht ihr Ziel. Man hörte sie nicht einmal pfeifen. „Mann, haben wir uns prächtig gehalten“, sagte Visser, als die Nordmänner zu ihren Höhlen zurückpaddelten. „Wir paar Mann haben schon fast ein Dutzend von den Kerlen erwischt. Und dabei sind die alle bewaffnet. Wenn das so weitergeht, sind wir bald die Herren dieser Inseln und holen uns alles zurück, was sie uns geklaut haben.“ „Das wird wohl kaum klappen, denn immerhin sind es noch schätzungsweise knapp dreißig Leute. Und die werden nicht mehr so dumm sein und sich blutige Nasen holen.“ „Klar, sie hungern uns aus, ich weiß!“ Visser hockte sich auf den Boden. Für eine Weile waren die grimmige Kälte und der beißende Wind vergessen, aber schon bald durchfuhr er sie wieder höchst unangenehm. „Gehen wir zurück! Ich bin am Ende wie ein altes Schiff.“ Noch einmal ruhten sie sich aus, aber sie konnten nicht schlafen. Die Aufregung der letzten Stunde zerrte an ihren strapazierten Nerven. Als sie später wieder hinausblickten, lag alles friedlich da. Keiner der Nordmänner war mehr zu sehen, sie hatten sich wieder in ihre Höhlen verkrochen. Vermeulen wollte gerade wieder in die Höhle zurückkehren, als er wie angewurzelt stehen blieb. Sein Körper wurde stocksteif, alle seine Glieder verkrampften sich. „Was ist los?“ fragte Visser beunruhigt.
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Er erhielt keine Antwort. Der Cap stand da, als wäre er zur Salzsäule erstarrt. „Was ist denn?“ fragte Visser ungeduldig. „Sind die Kerle etwa schon wieder ...“ Sein Blick folgte dem Vermeulens, und dann erging es ihm ähnlich wie dem Cap. Auch er verkrampfte sich, wobei sich nur seine Lippen zitternd bewegten. „Mein Gott, das ist doch nicht möglich“, sagte er mit heiserer, krächzender Stimme. „Ein Schiff“, sagte Vermeulen tonlos. „Bei Gott, das ist ein Schiff, wenn mich meine Augen nicht täuschen.“ Seine Stimme zitterte, er konnte kaum sprechen. Mit brennenden Augen starrte er zu jener nebligen Stelle auf dem Wasser, wo eben noch ganz deutlich ein Schiff zu erkennen gewesen war. Aber jetzt hatte der verdammte Nebel den schlanken Dreimaster schon wieder verschluckt. „Sag, daß es wahr ist!“ schrie Vermeulen Visser an. „Ich habe nicht geträumt! Das war doch ein Schiff, verdammt noch mal!“ „Ja, eine Galeone“, hauchte Visser erschüttert. „Ein Spanier vielleicht, wie es den Anschein hatte. Er tauchte direkt aus dem Nebel auf und fuhr wieder in ihn hinein.“ Rein zufällig hatten sie das fremde Schiff entdeckt, denn es bewegte sich auf der entgegengesetzten Seite der Insel auf die Bucht zu, jener Stelle entgegen, wo immer noch dichte Nebelschwaden lagen. Mit brennenden Augen starrten sie in den Nebel, aber die Galeone tauchte nicht wieder auf, es war wie eine Halluzination gewesen. Nach einer Weile schüttelte Vermeulen den Kopf. „Vielleicht haben wir uns das nur eingebildet“, sagte er mit müder Stimme. „Das soll es ja geben. Das, was man sich sehnlichst wünscht, er- scheint einem dann wie ein Spuk.“ Visser blieb jedoch fest. „Nein, das war ein Schiff“, sagte er. „Wir können uns nicht beide getäuscht haben, das gibt es nicht. Wie hat es denn ausgesehen?“ „Rank, drei Masten, etliche Kanonen. Die Masten schienen mir länger als normal zu
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sein. Bis auf ein Segel waren alle aufgegeit.“ „Genau das habe ich auch gesehen, also gibt es keinen Zweifel“, sagte Visser. „Es steckt noch in dem Nebel drin. Aber vielleicht läuft es die Insel gar nicht an, sondern segelt nur daran vorbei. Panik wollte sie wie eine Woge überfluten. Dieses fremde Schiff war für sie die Rettung, egal, ob es ein Spanier, ein Engländer oder ein Franzose war. Selbst das übelste Piratenschiff war ihnen willkommen, dem wildesten Freibeuter würden sie die Hände küssen“ wenn er sie nur mitnahm und fort trug von diesen verdammten Inseln. „Los, Feuer entzünden“, sagte Vermeulen. „Wir müssen alles anstecken, was wir haben, und wenn wir die Decken verbrennen. Sie müssen uns sehen, sie müssen!“ Die letzten Worte schrie er, so hatte ihn die Aufregung gepackt. Sie versuchten vor dem Eingang ein Feuer zu entzünden, doch der Wind war zu stark und blies zu heftig. Daher verlegten sie es auf die andere Seite zwischen kleine Felsen. Den aufsteigenden Rauch würden die Männer auf dem Schiff ganz sicher sehen. Wenn nur dieser verdammte Nebel nicht wäre, dachte Vermeulen immer wieder. Einerseits entzog er ihren Blicken das Schiff, und andererseits würden sich die Rauchschwaden damit vermischen, und dann sahen sie es auf dem Schiff vielleicht nicht. Es dauerte Ewigkeiten, bis das Feuer brannte. Beide spänten von den feuchten Holzstücken immer wieder Splitter ab, sengten die Decken an, damit sie schneller trockneten und legten vorsichtig größere Stücke nach. Für einen kurzen Augenblick sahen sie das Schiff dann wieder. Diesmal war auch das letzte Segel aufgegeit, und es schien zu ankern. Von den Nordmännern konnte es nicht gesehen werden, denn der Berg entzog es ihren Blicken.
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Sie sahen es nur sekundenlang, dann verschwand zuerst der Rumpf im Nebel, nur die Masten waren noch etwas länger sichtbar. Gleich darauf verschwanden auch sie wieder. „Wenn es ankert“, sagte Visser, „dann dauert es auch eine Weile, bis es wieder weitersegelt. Sollen wir es riskieren und einfach hinunterlaufen?“ Vermeulen riet davon ab. „Bis wir die Stelle erreichen, wird es dunkel“, sagte er. „Sie sind zu weit entfernt. Wir sollten lieber das Feuer schüren, bis wir helle Glut haben. Dann verbrennen wir die nassen Decken. Das gibt ordentlichen Qualm. Wenn es Piraten sind, werden sie bestimmt nachsehen.“ „Das sind keine Piraten, Cap. Was sollen die auch hier?“ „Vielleicht haben sie sich verirrt wie wir, oder sie haben hier eine geheime Stelle, wo sie ihre Beute verstecken. Die Inseln bieten sich dafür an. Hier kommt kein Mensch hin.“ „Glaube ich trotzdem nicht. Kein vernünftiger Mensch segelt so hoch in den Norden, nur um Beute zu verstecken.“ „Was wissen wir schon, was die vorhaben.“ Die Decke wurde zerrissen und das erste Stück davon ins Feuer geworfen. Eine dunkle Qualmwolke strebte zum Himmel. Sie war fast pechschwarz, aber sie vermischte sich mit dem weißen Nebel und wurde schnell heller.' „Verdammt!“ fluchte Visser. „Das sehen die bestimmt nicht. Und nachher haben wir kein Holz mehr.“ Vermeulen riß Stück um Stück ab, warf es ins Feuer und freute sich, sobald es zu qualmen begann. Aber die feuchten Lappen drohten die Glut zu ersticken. Wieder drang eine dunkle Wolke nach oben. Als sie in ihrer Verzweiflung fast am Ende waren, hatte der liebe Gott ein Einsehen, wie Visser sagte. Der Nebel am Strand verzog sich langsam, trieb über die rauhe See und von dort aus weiter in einem weiten Bogen um die Insel. Er legte sich wie ein dichter Schleier
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um die große Landzunge und wanderte von dort weiter auf die Insel der Nordmänner zu. Dann sahen sie das Schiff zum dritten Male. Visser merkte nicht, daß er halb über dem Feuer stand und die Hitze ihm die Hosen versengte. Er empfand es als angenehm. Länger als eine Stunde brannte ihr Feuer jetzt schon, und das Holz ging endgültig zur Neige. Das letzte, was sie noch hatten, warfen sie hinein und legten eine Decke darüber.. Noch einmal quoll schwarzer Rauch nach oben. Als wäre das endgültig ein Signal gewesen, kam Leben in das fremde Schiff. Die beiden Holländer fielen sich stumm in die Arme. Vermeulen sah Tränen in Vissers Augen, und er fühlte seinen struppigen Bart an seinem Gesicht kratzen. „Mein Gott, Arie“, sagte er erschüttert, „sie haben uns gesehen. Ich glaube, sie halten auf den Berg zu.“ „Ja“, antwortete der Cap, und seine Stimme klang wie das Krächzen eines alten Raben. „Vielleicht hat unsere Not jetzt ein Ende.“ Aus brennenden Augen verfolgten sie jede Bewegung. Dabei freuten sie sich wie kleine Kinder, denn daß man sie bemerkt hatte, bezweifelten sie nicht mehr. „Und wenn es der übelste Kapitän ist, der je die Meere befuhr“, sagte Visser, „und wenn die Mannschaft ein einziger Sauhaufen ist, Piratengesindel, Gelichter, Schnapphähne und Gauner, es ist das schönste Schiff, das ich je gesehen habe. Und ich werde ihnen allen um den Hals fallen, wenn sie uns mitnehmen.“ Sie sahen, wie die Segel gesetzt wurden und die Galeone ein Beiboot in Schlepp nahm. Wie ein Spielzeug sah sie aus dieser Höhe aus, klein und zerbrechlich, aber sie nahm Fahrt auf und steuerte in einem großen Bogen den Berg an. „Wir werfen alles auf das Feuer, was wir noch haben“, sagte Visser. „Nicht, daß sie uns doch noch davonsegeln.“ „Wenn es ein Irrtum von uns war, war es jedenfalls ein absolut tödlicher Irrtum“,
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meinte der Cap. „Dann haben wir nichts mehr und können uns aufhängen.“ „Selbst dazu reicht es dann nicht mehr“, sagte Visser. „Aber mir ist jetzt alles egal. Steigen wir ab, Cap, und gehen wir ihnen entgegen. Wahrscheinlich laufen sie die flache Stelle in der Bucht an.“ Ihrer bescheidenen Unterkunft gönnten sie keinen einzigen Blick mehr. Dafür sahen sie sich immer wieder nach dem Rahsegler um, der die Bucht ansteuerte und noch so weit entfernt war, daß es sich vielleicht doch noch um einen Irrtum handeln konnte. Immer wieder blieben sie keuchend stehen und verfolgten den Kurs der Galeone. Wenn der sich einmal leicht änderte, begannen sie unruhig und nervös zu werden. Sie hasteten, sie rannten und stolperten über Steine. Mehr als einmal fiel einer von ihnen der Länge nach zu Boden. Aber was zählten jetzt noch ein paar Schrammen oder Blessuren! Sehr langsam näherte sich das Schiff dem Felsenberg, aber es blieb auf dem Kurs und änderte ihn nicht mehr. Vermeulen und Visser rannten dennoch um ihr Leben, damit man sie am Strand auch rechtzeitig sah. 4. Für den Seewolf bestand kein Zweifel, daß sich jemand in den Bergen bemerkbar machte, denn noch einmal, grau und dunkel, quoll eine Rauchwolke zur Spitze hin. Sie vermischte sich mit dem Nebel und nahm die gleiche Farbe an. Danach hörte das Qualmen auf. Mit dem Spektiv suchte er die Felsen ab, aber es war unmöglich, dort etwas zu erkennen. Man sah auch nicht genau, woher die Rauchzeichen stammten, denn der Berg war wild zerklüftet. An einigen Stellen standen mannshohe Felsnadeln dicht nebeneinander, da gab es Grotten oder Höhlen, Risse und Spalten, die den Berg durchzogen.
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Hasard dachte an das, was sie hier auf den Inseln schon als Treibgrat gefunden hatten, und dann an die Überlebenden der Katastrophe. Diese bedauernswerten Burschen hatten bestimmt nicht mehr viel zu beißen, und sie mußten durch tausend Höllen gegangen sein, um hier nur ein paar Tage zu überleben. Der Nebel hatte sich jetzt verzogen, er war weiter gewandert und kroch über andere Stellen, die er mit milchiger Brühe überzog. Nicht mehr lange, und die Dunkelheit würde hereinbrechen. „Dort vorn können wir ankern, Sir“, sagte der Profos und unterbrach damit seine Gedanken. „Bloß wie wir in die Felsen klettern wollen, das weiß ich noch nicht. Die sind tückischer und glatter als die Felsen auf der Schlangen-Insel.“ „Die Leute, die die Rauchzeichen gaben, haben uns gesehen“, stellte Hasard fest. „Also werden sie auch einen Weg finden, um mit uns in Verbindung zu treten. Die werden sich schneller abseilen, als du auch nur ahnst, Ed. Ich wette, daß wir die Bucht noch nicht ganz erreicht haben, dann sind sie schon da.“ „Und wenn sie verletzt in den Bergen liegen?“ „Dann sehen wir eben nach. Wenn sie hinaufgeklettert sind, dann schaffen wir das dreimal.“ „Aye, Sir. Ankern wir jetzt da vorn?“ „Ja, aber Vorsicht! Du weißt, was ich meine.“ Das wußte der Profos mit Sicherheit. Die Erfahrung hatte ihn große Vorsicht gelehrt. So war es auch hier, obwohl der Anschein gegen einen Überfall oder eine Falle sprach. Die Manöver von vorhin wiederholten sich, die Segel wurden aufgegeit, der Anker rauschte aus. Die „Isabella“ schwoite noch leicht, als sich Hasards Annahme auch schon bestätigte und Carberry sich verblüfft das Kinn kratzte. Zwischen den zerklüfteten Felsen tauchten zwei Männer auf, die laut brüllten und so
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schnell über die Steine rannten, als wären alle Hunde der Hölle hinter ihnen her. Dann standen sie am felsigen, steinübersäten Strand und führten einen Tanz auf wie zwei Irre, die einen Anfall hatten. „Die sind total übergeschnappt“, sagte Dan und blickte auf die Männer, die merkwürdig genug aussahen, wie sie da Freudentänze aufführten und sich wie toll gebärdeten. Zwei Gesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen und struppigen Bärten waren zu erkennen. Die beiden Kerle waren in zerfetzte Decken gehüllt, unter denen grobe Leinenhosen hervorsahen. Ihre Stiefel hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Es waren bloß noch zerfetzte Dinger, die sie trugen. So wie sie sich benahmen, hatte es den Anschein, als würden sie jeden Augenblick mit einem Schrei ins Wasser stürzen und zur „Isabella“ hinüberschwimmen. Hasard betrachtete sie, hörte ihr Gebrüll und Freudengeschrei und vernahm, daß es Holländer waren. „Bring sie an Bord, Ed“, sagte er zum Profos. Carberry schwang sich schon über das Schanzkleid auf die Jakobsleiter und stieg in das Boot. Währenddessen suchte Ben Brighton die Felsen mit dem Spektiv ab, ob sich jemand versteckt hatte, aber er sah nichts. Carberry pullte gleich darauf los, bis das Boot knirschend auf den steinigen Strand lief. Er hatte die Riemen noch nicht richtig aus der Hand gelegt, als die beiden struppigen Männer mit einem Satz ins Boot sprangen und ihn umarmten. Carberry wußte nicht, wie ihm geschah, als die beiden heulenden, verdreckten und ausgezehrten Gestalten ihn fast erdrückten. Er hörte holländische Worte, aber er verstand nur ein paar davon. „He, ihr lausigen Rübenschweine!“ rief er. „Bin ich vielleicht eure Amme, was, wie? Oder haltet ihr mich für eine nordische Wanderhure, daß ihr mich abküßt?“
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„Engländer!“ schrie der eine. „Ihr seid Engländer!“ brüllte er auf englisch weiter. „Euch hat der liebe Gott geschickt!“ „Davon weiß ich nichts“, sagte Ed trocken, um die Rührung zu verbergen, denn so wie die beiden sich benahmen, hatte er es noch nie erlebt. Die heulten sich bei ihm aus und scherten sich nicht im geringsten darum, daß ihnen dicke Tränen in die Bärte kullerten. „Nun mal langsam“, sagte er rauh. „Ich nehme euch jetzt mit an Bord, und dann werden wir weitersehen. Ihr seid wohl schon halb verhungert, was?“ „Fast ganz“, sagte der eine. Dann ließen sie sich endlich auf der Ducht nieder und starrten die Galeone an wie ein Wunder. Am Schanzkleid der Kuhl hatte inzwischen der Kutscher Stellung bezogen. Neben ihm stand Siri-Tong, die Rote Korsarin. Der Kutscher rieb sich die Hände. „Die werde ich aufpäppeln, die Burschen, wenn es ehrliche Seeleute sind“, sagte er. „Die werden sich fühlen, als seien sie mitten in einem Weihnachtsfest gelandet. Herrje, die sehen aber aus! Hoffentlich haben sie keine Läuse mitgebracht.“ „Die. werden sich in dieser Kälte wohl kaum halten, Kutscher“, sagte Siri-Tong. Sie verschwand in der Kombüse, um alles herzurichten. Das Boot näherte sich. Die Seewölfe blickten auf die beiden verwahrlosten Männer. Ja, sie hatten ehrliche Gesichter, und sie waren verdammt arme Teufel, bedauernswerte Kerle, die ihr Schiff verloren hatten. Aber sie hatten trotz allem eine erstaunliche Kondition, denn sie enterten wie die Affen auf, als der Seewolf ihnen ein Zeichen gab. Gleich darauf standen sie an Deck. Der eine ließ sich auf die Knie fallen und küßte die Planken. „Euch muß es ja sehr dreckig ergangen sein“, sagte Hasard. „Ja, Sir, sehr, sehr dreckig“, sagte der eine. „Mein Name ist Arie Vermeulen, ehemaliger Kapitän der Galeone
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,Godewind`. Das hier ist mein Steuermann Visser.“ „Philip Hasard Killigrew“, stellte der Seewolf sich vor, worauf die beiden sich tief verneigten. Sie sahen sich schnell um und hatten das Gefühl, als wären sie mitten im Paradies gelandet. Es kam ihnen immer noch wie ein Traum vor, aus dem sie bald erwachen würden. „Sie sind der Kapitän?“ fragte Vermeulen und musterte den großen schwarzhaarigen Mann, der sie lächelnd anblickte. „Ja, das bin ich.“ „Wir haben Ihnen eine lange Geschichte zu erzählen, Sir“, sagte Vermeulen. „Es gibt hier ...“ „Später“, wehrte der Seewolf ab. „Ihr seid so erschöpft, daß ihr gleich umfallt. Euch hat nur noch der Gedanke an Rettung auf den Beinen gehalten. Das, was ihr mir zu sagen habt, könnt ihr später vorbringen. Wichtig ist vor allem, daß ihr aus euren Klamotten steigt, euch säubert und etwas zwischen die Zähne kriegt. Alles andere zählt vorerst nicht. So, der Kutscher wird euch übernehmen, alles andere hat Zeit.“ „Der Kutscher?“ fragte Vermeulen verblüfft. „Er nennt sich nur der Kutscher, seinen Namen weiß keiner. Er ist der Koch und Feldscher an Bord unserer ,Isabella`.“ Eine weitere Verblüffung stand den beiden bevor, als sie die Rote Korsarin erblickten. Sie brachten kein Wort hervor, sie sahen die schlanke junge Frau mit den langen schwarzen Haaren, den mandelförmigen Augen und dem Pfirsichhautgesicht stumm an. Alles hatten sie erwartet, aber das nicht. Eine Frau an Bord eines englischen Schiffes, und was für eine! Und sauber war es hier, die Männer der Besatzung waren ordentlich gekleidet, der Kapitän ein gutgekleideter Gentleman und das Schiff in einem einwandfreien sauberen Zustand. Aber die Gesichter dieser Männer waren kühn und verwegen, und Vermeulen wurde den Verdacht nicht los, daß sie vielleicht doch Piraten oder Freibeuter waren, aber
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dagegen sprach wieder die Ordnung an Bord dieses Schiffes. Er wurde daraus nicht schlau, und er fand es merkwürdig, daß sie hier gleich so freundlich aufgenommen wurden, obwohl sie wie Strandräuber aussahen. Dieses Schiff war ihnen allen beiden ein Rätsel, und die Besatzung war es auch. Aber vorerst waren sie gerettet, und nur das zählte. Der Kutscher brachte sie in einen Raum, in dem ein Ofen stand, ein gewaltiges Monstrum, das angenehme Wärme nach allen Seiten ausspie wie ein Drache. Es war ein großer Aufenthaltsraum, so groß, wie sie auf einem Schiff noch keinen gesehen hatten. In. den Wänden waren Kojen eingelassen, eine lange Back und Bänke waren im Boden verankert. Die beiden Holländer sahen sich um und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zwei Männer erschienen, einer rothaarig und ungewöhnlich breit von Statur, der andere ebenfalls groß und blond. Sie brachten zwei Pützen mit dampfendem Wasser und stellten sie ab. „So“, sagte der Mann, den sie Kutscher nannten, „jetzt könnt ihr euch wärmen, dann heiß waschen und neue Klamotten anziehen. Danach gibt es was zu essen, und dann werde ich euch eure verlausten Bärte stutzen, damit ihr wieder wie Menschen ausseht.“ „Ich weiß nicht, wie wir euch das jemals danken sollen“, sagte Vermeulen mit erstickter Stimme. „Ich habe immer noch das Gefühl, als würde ich gleich aufwachen, und alles war nur ein Traum.“ „Was ihr hier seht, ist alles echt. Hier träumt man nicht“, sagte der Kutscher. Vermeulen griff gerührt nach seiner Hand, und Visser wollte den verdutzten Kutscher umarmen. „Hört auf damit. Ihr seid in Sicherheit, weshalb wollt ihr euch dann dauernd bedanken?“ „Das ist ganz natürlich“, sagte Vermeulen. „Der Selbsterhaltungstrieb kennt keinen Stolz. Wir haben uns vorgenommen, die Decksplanken zu küssen, wenn wir gerettet werden.“
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Der Kutscher lauschte den Worten nach. Dann nickte er. „Ein schöner Satz“, sagte er, „der könnte direkt von Sir Freemont stammen.“ Er erklärte die Sache mit Sir Freemont jedoch nicht weiter, sondern warf den Männern neue Klamotten zu. Sie wuschen sich mit heißem Wasser, das erste Mal seit einer Ewigkeit. und zogen sich dann um. Anschließend wechselten sie ihre Wäsche, und der Kutscher stutzte ihnen die Bärte. Dann gab es etwas zu essen und dazu heißen Rum, den der Kutscher mit Kandiszucker anreicherte. „Ich fühle mich wie neugeboren“, sagte Vermeulen dankbar. „Aber jetzt, da wir uns gestärkt haben und halbwegs wieder normale Menschen sind, möchten wir gern den Kapitän sprechen, wenn es geht.“ „Eure Geschichte könnt ihr später noch erzählen, wir haben Zeit“, sagte der Kutscher. „Wir bleiben noch eine Weile in dieser Bucht liegen, bevor wir weitersegeln.“ „Es ist aber wichtig.“ „Was für euch wichtig ist, weiß ich selbst. Da drüben sind Kojen, in die werdet ihr euch jetzt hineinlegen. In zwei Stunden wecke ich euch, dann könnt ihr eure Geschichte erzählen, wie ihr euer Schiff verloren habt und was ...“ „Eine der Inseln ist bewohnt“, sagte Vermeulen hastig. „Das ist das Wichtigste, wichtiger als unser Schlaf. Hier hausen Nordmänner, die unser Schiff vom Anker getrennt haben, so daß wir auf die Klippen aufgelaufen sind. Das müßt ihr wissen, damit euch nicht das Gleiche widerfährt.“ Der Kutscher schluckte, dann wurde er zusehends blaß. „Nordmänner?“ fragte er entgeistert. „Da muß ich den Kapitän rufen, sofort.“ Er raste los und verschwand. „Ich bin überhaupt nicht mehr müde“, sagte Visser. „Ich bin nur noch dankbar und wunschlos glücklich.“ „Mir geht es genauso, Visser. Diese Leute sind Prachtburschen. Glaubst du, sie werden uns mitnehmen?“
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„Ich weiß nicht. Nach allem, was ich gesehen habe, lassen sie uns bestimmt nicht allein auf den Inseln zurück. Sie wissen, welches Schicksal uns hier droht. Ich werde den Kapitän später fragen.“ Der schwarzhaarige, blauäugige Mann erschien gleich darauf in der Messe. In seiner Begleitung waren noch ein paar andere. Der Mann, der sie an Bord gerudert hatte, dann der rothaarige Riese, der Kutscher und drei andere Männer. Das Gesicht des Seewolfs war ernst, als er die Holländer ansah. Er nahm Platz und forderte auch die anderen auf, sich zu setzen. Dann sah er Vermeulen hart in die Augen. „Stimmt es, was der Kutscher mir berichtet hat?“ fragte er. „Ja, Sir. es stimmt. Ich hoffe, wir können mit der Warnung einen Teil des Dankes abstatten, den wir Ihnen schuldig sind.“ „Sie sind mir keinen Dank schuldig. Was ich tat, war völlig selbstverständlich, darüber gibt es bei mir an Bord keine Diskussion. Wenn ein anderer nicht so gehandelt hätte, dann ist das seine Ansicht und nicht meine. Ich handele jedenfalls so. Mein Schiff ist übrigens gefechtsbereit, Sie können unbesorgt sein.“ „Ja, wir haben Ihre Umsicht bemerkt, Sir“, sagte Visser. „Wenn Sie nicht zu müde sind, erzählen Sie“, forderte Hasard den Kapitän der „Godewind“ auf. „Wir waren auf den Gewürzinseln, Sir“, begann der Holländer, „und befanden uns auf dem Rückweg. Wir hörten, daß es eine Verbindung weiter nördlich geben sollte, die uns einen riesigen Umweg ersparen würde. Wir beschlossen, sie zu suchen, aber plötzlicher Sturm zog uns einen dicken Strich durch die Rechnung.“ „Sie kamen aus der Südsee?“ fragte Hasard. „Richtig, Sir. Von einer Inselgruppe, auf der wir Gewürze fanden, die wir nicht einmal kannten.“ Er sah, daß über die Gesichter der Männer ein Grinsen lief, und er konnte es sich in diesem Augenblick nicht erklären. Nahmen
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sie etwa an, er würde ihnen etwas vorflunkern? Ihr Grinsen wurde noch breiter, und jetzt lächelte auch der schwarzhaarige Kapitän. „Mein Wort darauf, Sir“, sagte Vermeulen. „Ich habe nicht den geringsten Grund, Sie anzulügen. Visser wird Ihnen alles Wort für Wort bestätigen.“ Der Kapitän schlug einem breitschultrigen dunkelblonden Mann neben sich auf die Schulter. „Na, was habe ich gesagt?“ fragte er. Dann wandte er sich, immer noch lächelnd, an Vermeulen. „Ich bezweifle es nicht“, sagte er ruhig. „Aber Sie haben uns damit einen großen Gefallen erwiesen. Wenn Sie aus der Südsee heraufgesegelt sind, dann führt dieser Seeweg an den Inseln vorbei wieder in den Pazifischen Ozean.“ „So ist es, Sir“, sagte Vermeulen, einigermaßen verdutzt. „Wußten Sie das nicht, Sir?“ „Wir ahnten es, das heißt, ich nahm es stark an. Aber jetzt haben wir die endgültige Gewißheit. Ich muß dazu erklären, daß wir von Grönland kommen und die Nordwest-Passage entdeckten. Aber erzählen Sie bitte weiter.“ Vermeulen hätte sich nach dieser Passage gar zu gern erkundigt, aber das hatte noch Zeit und war im Augenblick nicht so wichtig. „Ein Sturm, der länger als zwei Wochen dauerte, trieb uns immer weiter vom Kurs ab. Wir hatten den Besan verloren, ein paar Rahen und waren kaum noch seetüchtig. Dann fanden wir drei Inseln und liefen die mittlere an.“ „Und die war bewohnt?“ Vermeulen nickte. Sein Gesicht verzog sich ärgerlich. „Ja, nur merkten wir das zu spät. In der Nacht brach der Sturm erneut los, und wir brachten zwei Anker aus, damit wir nicht auf die Klippen liefen. Später gab es einen Ruck, als sei etwas gegen die Bordwand geknallt, und dann waren die Anker weg. Der Heckanker hielt uns auch nicht, und selbst als wir eine Kanone über Bord warfen und mit einem Tau verbanden, riß
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es uns die Poller aus dem Deck. Dann liefen wir in die Klippen und saßen fest. Bis dahin hatten wir bereits einige Männer verloren.“ Der Seewolf nickte und sah die Männer ernst an. Dann schob er dem Kapitän das Glas zu und nickte in Vissers Richtung. „Es gelang uns gerade noch, das Beiboot in Lee abzufieren. Ich weiß heute nicht mehr, wie wir durch die Brandung gelangten und Land erreichten. Die ,Godewind' war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Wrack, wir hatten die Nacht auf ihr nicht mehr überstanden. In finsterster Nacht erreichten wir das Land mit unserem Boot. Wir waren nur noch eine Handvoll Männer. Am Morgen war der Jungmann ebenfalls tot. Dann erlebten wir die Überraschung, die uns ganz gehörig in die Knochen fuhr. Wir wollten die Reste unseres Wracks holen, doch das wurde bereits von einer Horde Fremder geplündert: Nordmänner nannten wir sie. Sie sind Bewohner einer Insel. Sie nahmen unser Wrack bis auf den letzten Nagel auseinander. Als wir den Kerlen zu nahe kamen, griffen sie uns sofort an, beschossen uns mit unseren eigenen Waffen und kämpften mit unseren Entermessern. Sie wollten das Holz; die Lebensmittel, unsere Vorräte und Werkzeuge. Des-. halb sind wir sicher, daß sie uns in jener Nacht vom Anker geschnitten haben, damit wir in die Klippen trieben.“ Visser nickte bestätigend. Wenn ihn die Erinnerung daran überfiel, begannen seine Augen zornig zu blitzen. „Sie brauchten alles“, sagte Vermeulen erbittert. „Wir selbst hatten nichts weiter als unser nacktes Leben und das Boot. Damit konnten wir uns nicht lange halten, es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der letzte von uns zugrunde gehen würde. Aber diese Kerle kannten kein Erbarmen. Als wir uns eine armselige Hütte aus Steinen bauten, überfielen sie uns in der nächsten Nacht, um uns zu töten.“ Carberrys Gesicht verfinsterte sich immer mehr. Dann schlug er zornig mit der Faust auf die Back.
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„Diese Halunken!“ schimpfte er. „Wehrlose Schiffbrüchige überfallen und ihnen alles klauen. Und dann wollen sie noch morden. Man sollte ihnen die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen ziehen.“ Vermeulen sah den narbigen Profos erschreckt an, aber der Seewolf winkte lächelnd ab. „Das ist unser Profos“, sagte er, „und seine Flüche dürfen Sie nicht so wörtlich nehmen. Aber es ist wirklich eine Schande, Hilflose, die ihr Schiff verloren haben, auch noch zu überfallen. Wir werden uns diese Kerle einmal ansehen. Aber erzählen Sie weiter!“ „Wir versuchten natürlich, sie auch anzugreifen, aber wir hatten keine Chance, Sir. Wir holten uns blutige Köpfe und verloren noch ein paar Männer. Die Kerle ließen von unserem Wrack nichts übrig, sie schleppten alles in ihre Wohnhöhlen. Aber sie erschienen jede Nacht auf unserer Insel. Wir hungerten und froren erbärmlich und fanden etwas Treibgut, das die See angeschwemmt hatte. Dann verschwanden zwei unserer Männer und mit ihnen das Boot. Bis heute wissen wir nicht genau, wie das vor sich ging. Entweder haben die Nordmänner sie geschnappt, oder sie sind mit dem Boot hinausgefahren und abgetrieben. Wir sahen sie nie wieder.“ „Zwei Männer, sagten Sie?“ „Ja, de Jong und te Poel hießen sie.“ Die Geschichte paßt lückenlos zusammen, dachte Hasard. Jetzt fand ein Steinchen zu dem anderen. „Wir haben das Boot gefunden, Kapitän“, sagte er schwer. „Aber es war nur ein Mann im Boot, und der saß erfroren auf der Ducht und hatte noch im Tod die Hände um die Riemen gekrallt. Aus diesem Grund liefen wir die Inseln an, weil wir mit Schiffbrüchigen rechneten. Wir haben den Mann am Strand begraben, das Boot befindet sich ebenfalls noch dort.“ Hasard beschrieb den Mann, bis Vermeulen traurig nickte. „Ja, das kann nur te Poel gewesen sein“, sagte er leise. „Mein Gott, ich möchte
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wissen, was die beiden bewog, das Boot zu nehmen. Ich verstehe das nicht.“ „Den Grund werden wir auch nie erfahren, aber alles andere paßt zusammen. Wie ging es dann weiter?“ Vermeulen hatte Tränen in den Augen, wenn er an die Kameraden dachte, die sie verloren hatten. Aber er sprach weiter. „Alles geschah innerhalb weniger Tage, Sir. Als nur noch Visser und ich übrig waren, beschlossen wir, die Insel zu verlassen und zu diesem Berg zu gehen, um eine Höhle zu finden. Wir rechneten damit, daß uns die Nordmänner dann in Ruhe ließen. Aber wir hatten uns getäuscht. Vor ein paar Stunden erschienen sie, um uns auch noch umzubringen. Wir warfen ihnen Steine und Felsen auf die Boote, und erst da verschwanden sie.“ „Einen Moment“, unterbrach Hasard die Erzählung. „Als wir Land anliefen, fanden wir noch ein paar Tote zwischen den Felsen, die um ein erloschenes Feuer saßen. Es waren vier Männer, aber sie waren teilweise schon skelettiert.“ Vermeulen schüttelte verwundert den Kopf. „Nein, die haben wir nicht gesehen, aus unserer Mannschaft waren sie mit Sicherheit nicht. Wir haben bis auf den Mann, der letzte Nacht starb, alle begraben oder mit Steinen bedeckt. Das müssen andere Männer eines anderen Schiffes gewesen sein, Sir.“ „Das dachte ich mir. Also ist hier vor längerer Zeit ebenfalls ein Schiff gestrandet oder in die Falle gelockt worden.“ „So wird es sein. Und die Nordmänner haben es ausgeplündert wie die ,Godewind' und die Männer dann sich selbst überlassen. Sie hätten unser Wrack nie gefunden, Sir, denn das gibt es schon seit einigen Tagen nicht mehr.“ Hasard wunderte sich trotzdem über die relativ gute Verfassung der beiden Männer. Manch anderer hätte hier keine zwei Tage überlebt. „Wir sahen die ,Isabella' dann für einen kurzen Augenblick von den Felsen aus“, berichtete Vermeulen weiter, „entzündeten
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das letzte Holz, das wir noch hatten, und warfen unsere feuchten Decken darauf. Wenn Sie das Rauchzeichen nicht entdeckt hätten, Sir, dann wären wir spätestens übermorgen tot gewesen. Das ist unsere ganze Geschichte, und sie ist wahr, Sir.“ „Ich glaube sie. Hatten Sie Kokosnüsse an Bord?“ „Ja, eine ganze Menge. Jetzt werden die Nordmänner sich an ihnen laben, wenn sie wissen, was das ist.“ „Wir fanden eine am Strand, auch ein paar Trümmer sowie ein Fäßchen voller Gewürze. Das muß von Ihrem Schiff stammen.“ „In den Fässern waren Gewürznelken, Ingwer, Pfeffer und Zimt. Ich bin auf eigene Rechnung gesegelt, Sir. Mein Vater hinterließ mir etwas Geld, einiges hatte ich selbst gespart, und so kaufte ich die ,Godewind'. Ich rüstete sie aus und heuerte eine Mannschaft an. Es wäre ein gutes Geschäft geworden, aber das ist jetzt vorbei.“ Hasard nickte. Er konnte dem Mann nachfühlen, wie ihm zumute war. Er hatte geschuftet, gespart und zusammengekratzt, ein halbes Leben lang, und die Krönung seines Lebens, eine gute Heimreise und einen stattlichen Gewinn, konnte er abschreiben. Den hatten die Nordmänner. Der Seewolf wollte keine weiteren Fragen mehr stellen, erst sollten die beiden Männer sich ausschlafen, dann würde man weitersehen. „Ruhen Sie sich jetzt aus“, sagte er. „Wir werden diese Nacht in der Bucht bleiben und erst morgen früh weitersegeln. Dann holen wir das Boot, wenn Sie wollen:' „Und dann?“ fragte Vermeulen in banger Erwartung. „Dann nehmen wir Sie mit, wenn Sie wollen. Wir segeln in die Südsee, eine andere Strecke kann ich Ihnen leider nicht anbieten, und wenn Sie mögen, können Sie sich an Bord betätigen.“ Vermeulen und Visser standen gleichzeitig auf und streckten dem Seewolf die Hand entgegen. „Vielen Dank, Sir“, sagten sie beide wie aus einem Mund. Und Vermeulen drückte
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die Rechte des Seewolfs kräftig. „Wir werden Ihnen das nie vergessen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich jemals in der Lage bin, meinen Dank abzustatten.“ „Oh, das haben Sie bereits getan“, sagte Hasard. „Inwiefern, Sir?“ „Nun, Sie haben mir den Weg in die Südsee gezeigt, ich weiß jetzt, daß wir in den Pazifischen Ozean segeln. Und das Leben haben Sie mir damit auch gerettet.“ Die beiden Holländer sahen sich an und verstanden kein Wort. „Den Kurs durch die Inseln hätten Sie in jedem Fall gefunden, Sir, Sie sind ja schon auf halbem Weg. Deshalb habe ich Ihnen doch nicht das Leben gerettet.“ „Doch“, sagte Hasard lächelnd. „Wäre dies nicht der Pazifische Ozean gewesen, hätte ich mich an der Rah hängen lassen müssen. So will es der Brauch auf diesem Schiff.“ Die beiden sahen ihn entsetzt an. Noch kannten sie die Seewölfe nicht, und so nahmen sie alles für bare Münze. Den feinen Unterschied würden sie erst später kennenlernen. Dann waren Vermeulen und Visser allein und legten sich in die Kojen. Sie waren müde zum Umfallen. Bevor Visser einschlief, sagte er noch zu seinem Cap: „Ein eigenartiges Schiff und Männer, aus denen ich nicht recht schlau werde. Es sind jedoch prächtige Kerle. Aber wenn das Kauffahrer sind, dann fresse ich einen Besen.“ „Ja, die kann ich auch nicht einordnen. Ich glaube nur, wenn es mal hart auf hart geht, dann hauen die ganz schön zu.“ Visser wollte noch etwas sagen, doch das Wort erstarb ihm auf den Lippen. Die Strapazen forderten ihren Tribut, und sofort schlief er ein. 5. „Arme Teufel“, sagte Ben Brighton mitfühlend, als sie wieder an Deck standen und ihnen der eisige Wind um die Ohren pfiff. Er blickte zu dem vor Jahrtausenden schon erloschenen Vulkankegel hoch und stellte sich vor, wie man dort wohl ohne
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Holz und Proviant überleben sollte. Dazu noch gejagt von den Kerlen, denen sie den Namen Nordmänner gegeben hatten. Nein, die Geschichte stimmt von vorn bis achtern, überlegte er. Da war nichts erfunden worden. Was hätten die beiden auch hier in der Einsamkeit tun sollen? Zum Spaß waren sie ganz sicher nicht hergesegelt. „Diese Nordmänner“, sagte Hasard, „können eigentlich nur Eskimos oder eine den Inuit verwandte Rasse sein. Die haben sich hier häuslich niedergelassen und plündern alles, was ihnen in die Quere segelt. Viel wird das aber nicht sein, denn wann verirrt sich schon mal ein Schiff in diese Richtung?“ „Immerhin waren es jetzt schon drei, die hier oben gelandet sind, und das in kurzer Zeit“, sagte Brighton. „Ja, da hast du allerdings recht, Ben. Die ,Godewind` der Holländer, die ,Isabella` und schließlich noch ein unbekanntes Schiff, von dem wir nur die erfrorenen Männer fanden.“ Hasard blickte über die See, die sich weiter draußen auftürmte und wilde Brecher zum Strand schickte. Hier, vor den Felsen, lagen sie einigermaßen geschützt. Aber der Wind pfiff immer noch eiskalt, und dem Seewolf erschien es, als sei er noch heftiger geworden, seit sie die Messe verlassen hatten. „Es brist stärker auf, wolltest du sagen, nicht wahr? Die Wellen draußen sind größer geworden“, sagte Ben. „Ich werde einen zweiten Anker setzen lassen, damit es uns nicht so ergeht wie den Holländern, die auf die Klippen liefen. Klippen haben wir hier ja wenigstens nicht.“ „Ja, bringt den zweiten Buganker aus. Es genügt, wenn der Wind uns gegen die Felsen drückt. Die sind genauso gefährlich wie Klippen.“ „Sollen wir den Platz wechseln?“ „Nein, wir bleiben hier, diese Nacht noch. Bei Tagesanbruch segeln wir weiter.“ Der Seewolf, der .nur ganz selten eine Kopfbedeckung trug, strich sich die schwarzen Haare aus der Stirn.
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„Was überlegst du?“ fragte Ben. Hasard blickte wieder in die Felsen. „Ich überlege gerade, ob man von da oben ein paar Felsen hinunterrollen kann und ob die uns dann treffen.“ „Nein“, sagte Ben entschieden. „Bis hierher kann kein Stein oder Felsenstück fallen, selbst Wenn es mit härtester Wucht ein paarmal aufschlägt. Wenn die Kerle hier wirklich antanzen sollten, dann werden sie uns auf die hinterhältige Art ebenfalls die Ankertrossen kappen.“ „Das wird ihnen nicht gelingen. Wir lassen vier Wachen gehen, und überall werden Lampen entzündet. Sobald ihr auch nur von einem dieser Nordmänner die Nase seht, kriegt er eins draufgebrannt.“ Ben nickte und winkte den Profos herbei, der am Schanzkleid lehnte, ihnen seinen mächtigen Rücken zeigte und auf die Felsen starrte. „Ed, wir setzen den zweiten Buganker, falls der Wind stärker wird. Und das Beiboot nehmen wir wieder an Bord.“ „Aye, aye“, sagte der Profos und stieß sich vom Schanzkleid ab. Und da er ein Mann der Tat war, brüllte er auch gleich seine Befehle in voller Lautstärke über Deck. „Bringt den zweiten Buganker aus, ihr verlausten Kanalratten!“ rief er, „aber nicht erst morgen, das muß hopp-hopp gehen, der könnte schon längst auf dem Grund liegen und sich ausruhen. Batuti und Luke: Ihr laßt vorn slippen und holt später wieder durch, wenn der Anker sitzt. Habt ihr das alle kapiert, ihr eingemachten Seegurken!“ „Irgendwie werden wir das schon schaffen!“ schrie Luke Morgan zurück. „Wir haben noch nie einen Anker ausgebracht, aber wir kriegen das hin, verlaß dich ganz auf uns!“ Dem Profos schwoll die Zornesader, aber dann winkte er ab. Was soll es, dachte er, sein Gebrüll fiel bei diesen Kerlen auf keinen fruchtbaren Boden mehr und forderte Widerspruch heraus, denn die Burschen kannten jeden Handgriff, und Ankermanöver hatten sie schon in der Wiege mit links gelernt.
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Der Decksälteste Smoky überprüfte die Trosse, nachdem sie durchgeholt worden war. Dann wurde das Beiboot an Bord geholt und vertäut. Der Profos ließ Lampen entzünden und sie an strategisch wichtigen Punkten aufhängen. Falls die Nordmänner sie überhaupt gesehen hatten und es heute nacht versuchen würden, dann hatten sie es sehr schwer, in die Nähe des Schiffes zu gelangen. Ungesehen war das jedenfalls so gut wie ausgeschlossen. Dann brach die Nacht herein. Der Kutscher erschien auf dem Achterdeck und meldete, daß die beiden Holländer immer noch schliefen. „Dann laß sie schlafen, Kutscher“, sagte der Seewolf. „Ich bin froh, daß wir diesen Männern helfen konnten. Laß sie schlafen, bis sie von allein aufwachen, sie müssen todmüde sein.“ „Ich wollte sie nur zum Essen wecken, Sir.“ „Die wachen schon auf, wenn sie Hunger kriegen.“ In der Messe wurde das Abendessen aufgetragen, zu dem auch die Zwillinge erschienen, Hasard und Philip. Sie hauten kräftiger rein als .die Männer. Der alte O'Flynn, der ihnen beim Essen zusah, wunderte sich, daß sie in den letzten Tagen nichts mehr ausgeheckt hatten, keine Streiche, keine Lausbubereien. Das ist vermutlich nur die Ruhe vor dem Sturm, dachte er. Wenn die Kerlchen so ruhig und gesittet waren, stand meist etwas bevor. Als das Abendessen vorbei war, wurden die Wachen eingeteilt. Stenmark, Pete Ballie, Jeff Bowie und Gary Andrews gingen die erste Wache. Der Profos schärfte ihnen noch einmal ein, auf alles zu achten, was auch nur anders als sonst war, obwohl er selbst nicht glaubte, daß die Kerle heute nacht erschienen. Er glaubte nicht einmal, daß sie die „Isabella“ überhaupt gesehen hatten. In der ersten Wache ereignete sich nichts. Der Wind hatte lediglich noch stärker aufgebrist, und die „Isabella“ bewegte sich ächzend und stöhnend von einer Seite auf die andere.
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Kurz vor Mitternacht wurden die vier Seewölfe von Dan, Ferris Tucker, Edwin Carberry und dem alten O'Flynn abgelöst. Der Profos schlug dem Alten auf die Schulter und grinste. „Na“, sagte er entsagungsvoll, „dann kriegen wir heute nacht ja wieder mal zu hören, wie das damals auf der ,Empress of Sea` war, oder wie der alte Kasten hieß.“ Dieses „oder wie der alte Kasten hieß“, reizte den Alten jedesmal bis zur Weißglut. „Verdammt!“ schrie er. „Ich habe das schon tausendmal gesagt. Der Kahn hieß wirklich so. Laß gefälligst deine lausigen Bemerkungen über eins der schönsten Schiffe, die es je auf der Welt gab. Der hieß ,Empress of Sea` und nicht anders. Ich habe noch das Stück vom Kielschwein, wo der Name eingebrannt ist.“ „Ist ja gut, Donegal“, beruhigte Ferris Tucker den aufgebrachten O'Flynn, dem die Zornesröte ins Gesicht gestiegen war. „Ed hat es nicht so gemeint. Wenn Ed abfällig von der ,Empress of Sea` spricht, oder wie der alte Kasten hieß, dann ...“ „Fängst du rothaariger Riesenaffe jetzt auch noch an, mich zu verarschen?“ brüllte O'Flynn. Drohend trat er einen Schritt auf den verblüfften Schiffszimmermann zu, dem erst jetzt aufging, daß er ja genau das gleiche gesagt hatte wie der Profos. Die Männer brachen in schallendes Gelächter aus, nur Dan verhielt sich ruhig, als er einen giftigen Blick seines Vaters auffing. Der Alte geriet jetzt völlig in Brass, wenn auch nur noch eine Bemerkung fallen würde, und das wollte Dan gern vermeiden. Sein Vater hing nun mal in Gedanken an dem alten Eimer und konnte es nicht lassen, ihn bei jeder Gelegenheit auf das Wärmste zu empfehlen und anzupreisen. Aber genauso schnell, wie O'Flynn sich aufregte, klang seine Erregung meist auch wieder ab, und sein Ton wurde versöhnlicher. „Haltet lieber nach den Nordmännern Ausschau“, sagte er grollend, „oder nach dem Troll, der sich nachts in diesen Breiten herumtreibt. Das ist ein ganz übler Geselle, kann ich euch sagen.“
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„Hast du ihn denn schon mal gesehen, Dad?“ erkundigte sich Dan vorsichtig. „Selbstverständlich“, sagte der Alte im Brustton der Überzeugung. „Diesen zotteligen Kobold aus den alten Sagen gibt es wirklich. Fast jeder Seemann, der die Nordmeere befuhr, hat ihn schon gesehen. Er stellt allerlei Unfug an und spielt den Leuten einen Schabernack nach dem anderen. Sonst aber ist er ein harm-loser Geselle, er bedroht niemanden ernstlich.“ „Dann können wir ja beruhigt sein“, sagte der Profos erleichtert. „Und wenn er wirklich erscheint, kannst du ja mal mit ihm reden, damit er uns in Ruhe läßt. Schließlich kennt ihr euch ja.“ O'Flynn starrte dem Profos in das narbige Gesicht. Aber da es dunkel war und nur schwacher Lichterglanz auf Eds Gesicht fiel, sah der Alte nicht das heimliche Grinsen. Daher wußte er nicht so genau, wie das nun wieder gemeint war. Er räusperte sich nachdrücklich, warf Ed noch einen scharfen Blick zu und nahm seine Wanderung wieder auf. Sein Blick galt hauptsächlich den Ankertrossen und der direkten Umgebung des Schiffes. Ein schwacher Silberglanz lag auf dem Wasser. O'Flynns Blicken würde kein Boot entgehen, das sich heimlich anschlich, um die Trossen zu kappen. Kurz vor Mitternacht zuckte er jedoch zusammen, als sein suchender Blick auf den Berg fiel, der in seiner gewaltigen Höhe nicht weit entfernt vor ihnen aufragte. Ein winziger Feuerschein zuckte dort auf, ein kleines Flackern nur, das gleich wieder erlosch. „Hast du das gesehen, Ferris?“ fragte der Alte leise. „Wie das Flämmchen eines Totenlichts hat das eben ausgesehen.“ „Wo?“ fragte Ferris Tucker; „Da oben im Berg, auf halber Höhe etwa.“ „Laß mich bloß mit deinen Totenlichtern in Ruhe“, brummte der Schiffszimmermann. O'Flynn humpelte erbost davon, nach achtern zu seinem Sohn.
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„Dan hat es bestimmt gesehen“, sagte er. Aber Dan hatte es nicht gesehen, und der Alte war enttäuscht, als sein Sohn verneinte. „Du hast doch sonst immer so gute Augen“, sagte er mißmutig. „Und das hast du nicht gesehen?“ „Nein, Dad.“ „Ihr pennt wohl alle im Stehen“, sagte O'Flynn. „Haltet gefälligst die Klüsen offen, dann werdet ihr es schon bemerken.“ Gerade als er sich umdrehen wollte, griff Dan nach seinem Arm. „Du hattest recht, Dad, tatsächlich. Da flackert ein Licht.“ Eine winzige Flamme zuckte über den Felsen, aber auch sie erlosch gleich wieder. Dafür flackerte ein neues Licht sekundenlang an einer weiter entfernten Stelle auf. Gleich darauf waren es vier, fünf zuckende Flämmchen, die geisterhaft umherirrten, als umschwebten sie den Felsen. „Was kann das sein?“ fragte der Profos unbehaglich. Was ihn irritierte, war der Umstand, daß die kleinen Flammen immer wieder an ganz unerwarteter Stelle aufzuckten, erloschen, wieder neu entstanden und eine unruhige Wanderung begannen. „Paßt gut auf“, sagte Dan. „Ich wecke den Seewolf.“ Schon nach kurzer Zeit kehrte er mit Hasard zurück. Der Seewolf sah sich das merkwürdige Phänomen lange an, blickte auf die zuckenden Irrlichter und dachte an die Nordmänner, denn nächtliche Geister, die den erloschenen Vulkan umtanzten und dabei wie Lichter strahlten, schied er ganz nüchtern aus. Das war Quatsch. „Die Kerle wollen uns ablenken“, sagte er. „Gebt auf die Ankertrossen acht, wir haben auflandigen Wind.“ „Du meinst, das sind die Nordmänner?“ fragte O'Flynn. „Wer denn sonst? Sie haben den Berg von der anderen Seite her erklommen und hecken irgendeine Teufelei aus. Weckt die anderen, aber leise. Die Nordmänner sollen nicht merken, daß wir ihr Vorhaben durchschaut haben.“
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Einer nach dem anderen erschien an Deck wie ein Schatten. Niemand sprach ein Wort, aber jeder stand auf seinem Posten und war bereit, den Kerlen einen heißen Empfang zu bereiten, sobald sie aufkreuzten. Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, brauchte die Culverinen gar nicht erst überprüfen, sie waren geladen und feuerbereit, wie Hasard das schon am Vortag angeordnet hatte. Immer mehr Lichter tanzten jetzt um den Berg. Einige befanden sich in großer Höhe, ein paar auf halber Höhe, und immer wanderten sie und wechselten den Standort. Durch das Spektiv war nichts zu erkennen, so sehr Hasard sich auch abmühte, hinter den Lichtern- eine Gestalt zu erkennen. Sie verschmolzen mit dem Hintergrund und waren nicht zu entdecken. Siri-Tong war ebenfalls an Deck Und stand neben dem Seewolf. Sie drückte Hasard einen länglichen Gegenstand in die Hand. „Chinesisches Gewitter“, sagte sie. „Es erhellt den ganzen Berg, knallt und pfeift, und die Kerle werden vor Schreck wie reife Äpfel aus den Felsen fallen.“ „Eine gute Idee“, sagte Hasard und rief leise nach Ferris Tucker. „Hol das Abschußgestell, Ferris“, sagte er. „Und halte ungefähr in die Mitte des Berges.“ Die Brandsätze, die sie noch aus dem Reich des Großen Chan dabei hatten, waren in ihrer Feuerkraft verheerend. Es gab verschiedene Sorten davon mit blumenreichen Bezeichnungen, aber noch keine hatte ihre Wirkung auf Fremde verfehlt. Einige verströmten gleißendes Licht, andere rotes, grünes und blaues, und wieder andere brannten und waren nicht mehr zu löschen, bis sie von selbst abgebrannt waren. Daneben gab es noch die Brandsätze von harmloser Natur, die nur grelles Licht verströmten, die heulten und pfiffen und unter bestialischer Rauchentwicklung detonierten. Tucker holte das bronzene Abschußgestell und hatte auch schon eine glimmende Lunte in der Hand.
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Da geschah etwas anderes. Carberry und Smoky bemerkten fast gleichzeitig einen Schatten auf dem Wasser, der wild auf und ab schwang. Ein Kajakfahrer näherte sich von der Seeseite her der „Isabella“. Das Kajak tanzte wie ein Korken auf den Wellen und drohte jeden Augenblick umzukippen. Der Kerl, der es paddelte, mußte entweder ein Verrückter oder ein Selbstmörder sein. „Nimm den Haken, Smoky“, sagte Ed. „Hau ihn in das Boot rein, ich werde mir den Kerl schnappen.“ Carberry griff nach einer Leine und legte eine Schlinge hinein. Dann duckte er sich, lief auf das Galionsdeck und wartete auf Smoky, der den langen Haken bereithielt. Eine Welle schwemmte den Nordmann hart heran. Deutlich sahen sie, daß er ein Messer zwischen den Zähnen hielt, seinen klatschnassen Oberkörper aufrichtete und nach der einen Ankertrosse greifen wollte. Da hieb Smoky zu, blitzschnell. Der Eisenhaken verfing sich in dem Boot, durchbohrte es und hielt es fest. Der Inuit war verblüfft, griff aber geistesgegenwärtig nach dem Haken und wollte ihn herausziehen. Allerdings hatte er nicht mit dem Profos gerechnet. Der grinste vor Freude über sein ganzes narbiges Gesicht. Er warf die Schlinge, die dem Nordmann über den Kopf fiel, holte sie kurz durch und zog. Und wenn Carberry einmal zog, dann rissen selbst die Planken aus dem Rumpf. Diesmal zog er voller Wut, und die verdoppelte seine Bärenkräfte noch einmal. Der Nordmann, der fest im Boot hockte, wurde in die Höhe gezogen, als hinge er an einer Winde. Der Strick um seinen Oberkörper zog sich immer enger zu, und sie hörten, wie der Nordmann quiekte. „Wie ein krankes Schweinchen“, sagte Ed und zog noch mehr. Er zog den Kerl aus dem Wasser, zog das Boot mit hoch und holte es Hand über Hand und ziemlich schnell auf das Galionsdeck. Smoky ließ den Haken fahren, griff ebenfalls mit zu, und so trugen sie das
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Boot mit dem immer noch quiekenden Nordmann im Schnellschritt auf das Vorderdeck. Die anderen Seewölfe blieben auf ihrem Posten, sie ließen sich nicht ablenken, denn sie wußten, daß das, was der Profos einmal in den Pranken hielt, nicht mehr aus eigener Kraft entkam. Nur der Seewolf blickte hinüber. Durch das Getrappel waren die beiden Holländer erwacht und ebenfalls an Deck erschienen. Als sie den Kajakfahrer an Deck hocken sahen, brachten sie vor lauter Verblüffung keinen Ton hervor. Und dann sahen sie dem Profos zu, der den Nordmann wie eine reife Pflaume aus dem Boot pflückte, ihn buchstäblich auswrang, den Strick von ihm löste und sich den Burschen vorknöpfte. Der Spruch von dem Affenarsch fiel ihnen ein, und damit war sicherlich kein Scherz gemeint. Der Nordmann hatte aufgehört zu quieken. Von seinen Fellkleidern troff das Wasser aufs Deck, und er versuchte, sich den riesigen Profos mit beiden Händen vom Leib zu halten. „So, du trübes Nordlicht“, hörten sie den Profos fluchen. „Du willst uns hier das Deck versauen, was, wie? Dich kriegt der Kutscher als Scheuerlappen, wenn ich dich ausgewrungen habe.“ Eine Hand, so groß wie eine Bratpfanne, pfiff durch die Luft und landete im Genick des Nordmannes. Der Inuit sprang aus dem Stand, aber nicht freiwillig, und segelte schreiend auf die Kuhl hinunter. Carberry klopfte ihn durch, von vorn bis hinten, von oben bis unten. Dann schlug er ihm sein Kajak um die Ohren, bis nur noch ein paar Lederfetzen übrig waren. Längst hatte der Nordmann sein Schreien eingestellt und lag reglos auf der Kuhlgräting, als aus dem Berg Lichter heranflogen. In einem Halbkreis segelten sie durch die Luft, doch der Wind trieb sie wieder gegen die Felsen zurück. Manche der Lichter flackerten hell auf, an anderen Stellen blitzte es, als würde Schießpulver entzündet.
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„Feuer“, sagte Hasard. „Und gebt mir auf die Ankertrossen acht. Vielleicht sind noch mehr Kerle unterwegs.“ Der Brandsatz zischte los, einen hellen Feuerschweif nach sich ziehend. Sein Licht wurde immer greller, und dicht vor dem Berg platzte er in einem grellweißen Feuerregen auseinander. Es pfiff und heulte, es jaulte und krachte, als die Feuerperlen nach allen Seiten davonrasten. „Das mittlere Rohr Feuer!“ rief Hasard. Durch die Nacht zuckte eine lange Flammenlanze, blutigrot, dann gelblichleuchtend, und ein Siebzehnpfünder ging mit lautem Gebrüll und Donner auf die Reise. Im hellen Licht des abbrennenden Brandsatzes von der Sorte „Chinesisches Gewitter“ sahen die Seewölfe in Felle gehüllte Gestalten zwischen den Felsen kauern. Jede Einzelheit wurde sichtbar, schärfer und klarer als bei Tage trat sie hervor. Die verängstigten Nordmänner duckten sich, schrien vor Angst und rannten in kopfloser Panik davon. Siri-Tong behielt recht. Einige fielen wie faule Äpfel die Felsen hinunter, zwei Mann klatschten ins Meer, andere rannten in ihrer Angst blindlings gegen die Felsen, und der Rest von ihnen war auf einmal verschwunden. Nur ihr Geschrei war noch zu hören und das dumpfe Poltern von Gestein, das der Siebzehn-Pfünder aus der Culverine losgerissen hatte, jetzt lawinenartig niederdonnerte und ins Meer klatschte. Vermeulen und Visser rissen die Arme hoch und brüllten ihre Begeisterung hinaus. „Verdammt, seid ihr schnell und wachsam“, sagte Vermeulen. „Das hat uns bisher immer am Leben erhalten“, versicherte der Profos freundlich. „Natürlich war auch viel Glück dabei, aber das muß der Mensch ja haben.“ Sie umstanden den Aleut oder Inuit, es ließ sich nicht genau feststellen, welchem Stamm der Nordmann angehörte.
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Er kam wieder zu sich und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber die Aussichten waren mehr als spärlich. Hasard riß den Mann hoch und fragte ihn mit ein paar Brocken von der Sprache, die er noch behalten hatte. Aber der Kerl gab keine Antwort, oder er verstand die paar Worte nicht, die der Seewolf an ihn richtete. Aus tückischen, geschwollenen Augen blickte er sich um, starrte die Seewölfe an und musterte das Schiff. „Das gefällt dir wohl, du kaputter Wikinger“, sagte der Profos. „Das Schiffchen läßt sich bestens zu Brennholz verarbeiten, weißt du! Was tun wir mit ihm, Sir?“ wandte er' sich an Hasard. Im schwachen Schein der flackernden Lampen wirkte das Gesicht des Seewolfs hart und kühl. „Eigentlich wollte ich den Kerl über Bord werfen lassen“, sagte er, „aber das wird ihm keine Lehre sein. Dem tut das kalte Wasser nicht viel. Hätte er es geschafft, die Ankertrosse zu kappen, wären wir in die Felsen gedonnert, und unser Schicksal wäre höchst ungewiß gewesen. Es wäre uns ergangen wie der ,Godewind`. Ich werde morgen darüber entscheiden, aber ungestraft nehmen wir diesen hinterhältigen Angriff nicht hin. Bringt den Kerl in die Vorpiek, aber kettet ihn an.“ „Klar“, sagte Ed, „so hungrig, wie der aussieht, kriegt er es fertig und frißt noch das Schiff auf.“ Als Batuti in seinem Blickfeld auftauchte, wich der Aleut laut aufschreiend vor dem schwarzen Mann mit den wildrollenden Augen zurück. „Du nix bereuen, Kaltarsch?“ fragte der Gambia-Neger drohend. Carberry packte den Kerl am Genick und schob ihn wie eine Puppe vor sich her. „Dich nehmen wir mit in die Südsee”, sagte er, „da kannst du auftauen, und dann kriegen dich die Haie.“ Der Nordmann stieß ein paar kehlige Laute aus, und wieder traf ihn Carberrys drohender Blick.
Die Insel der sieben Augen
„Wenn du mich beleidigen willst, erlebst du die Hölle“, versprach er rauh. „Und jetzt ab mit dir!“ In der Vorpiek wurde der Nordmann angekettet. Noch einmal versuchte er, sich zu wehren, aber gegen Carberrys Kräfte kam er nicht an. Der drückte ihn einfach auf die Gräting und kettete ihn an. Dann schob er den schweren Riegel vor und ging wieder an Deck. Die Feuer um den Berg herum waren erloschen, außer dem Heulen des Sturms gab es kaum noch andere Geräusche. In dieser Nacht ereignete sich auch nichts mehr. Die Nordmänner hatten ihre Lektion gelernt und würden sie auch so schnell nicht vergessen. 6. Am nächsten Morgen holte Carberry nach dem Essen den Nordmann aus der Vorpiek und baute ihn auf der Kuhl auf. Der Kerl zitterte, aber nicht vor Kälte, die hatte ihn anscheinend gar nicht berührt, aber er wußte nicht, was ihm bevorstand. Hasard blieb vor ihm stehen und sah ihn an. Dann richtete er noch einmal das Wort an ihn. Der Nordmann starrte die Männer weiterhin tückisch an, eine Antwort gab er jedoch nicht. Wenn sie ihn so ansahen, dann packte sie der Zorn, denn ihnen wäre das gleiche Schicksal sicher gewesen wie den Holländern. Die Nordmänner auf dieser Insel waren erbarmungslose Strandräuber, Piraten und Schlagetots, und am liebsten hätten sie den Kerl halbtot geschlagen. „Bei uns wurde schon lange kein Mann mehr ausgepeitscht“, sagte der Seewolf. „Aber dieser Kerl hier wird stellvertretend für die anderen Strandräuber zehn Hiebe mit der Neunschwänzigen in Empfang nehmen.“ „Ein anderer Kapitän hätte ihn an die Rah gehängt, Sir“, sagte der Hitzkopf Luke Morgan. „Möglich, aber ich bin kein anderer Kapitän. Die zehn Hiebe werden ihn nicht umbringen, aber er wird es ganz sicher den
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anderen erzählen, und vielleicht merken sie dann, daß nicht immer alles so glimpflich für sie abgeht. Zehn Hiebe, Profos, das Urteil wird sofort vollstreckt. Danach gehen wir ankerauf, laufen die Insel an und holen das Boot, das wir an Bord nehmen. Dort laden wir auch diesen Kerl ab, die anderen werden sich schon um ihn kümmern.“ „Aye, aye, Sir!“ rief der Profos und ließ sich die Neunschwänzige bringen. So kühn der Nordmann auch an die „Isabella“ herangesegelt war und nicht Tod und Teufel gescheut hatte, aber beim Anblick der Neunschwänzigen begann er in den höchsten Tönen zu kreischen. „Ein Feigling ist er auch noch“, sagte Matt Davies. „Immer wenn es diesen Lausekerlen selbst an den Kragen geht, haben sie die Hosen voll!“ Der Profos ließ sich durch das Geschrei nicht beirren. Er blieb kühl und gelassen. „Soll ich ihm die Kleidung ausziehen?“ fragte er den Seewolf. „Nein“, entschied Hasard nach kurzem Zögern. Dazu mußten sie das dünne fellartige Obergewand zerreißen, und das war nicht nötig. Der Kerl würde die Hiebe auch so nicht vergessen. „Walte deines Amtes, Profos!“ Carberry holte aus. Er schlug nicht besonders kräftig und ließ sich von keinen Emotionen leiten, sondern betrachtete den Akt der Bestrafung nur als ausführendes Organ. Nach dem zehnten Hieb legte er die Peitsche weg und band den Nordmann los. Der hatte aufgehört zu schreien, aber er war nicht ohnmächtig. Er riß nur stumm den Mund auf und blieb gekrümmt stehen. Aber der Haß war aus seinen Augen verschwunden, und sobald jemand in seine Nähe trat, duckte er sich, als erwarte er weitere Schläge. Sie ließen ihn auf der Kuhl stehen, hievten die Anker heraus und setzten Segel. Langsam segelte die „Isabella“ hinaus, bis sie den schlimmsten Teil der Brandung hinter sich hatte. Dann ließ Hasard die Insel ansteuern, auf der sie den eiserstarrten Mann begraben hatten.
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Vermeulen und Visser, die sich prächtig erholt hatten und sich ausgesprochen wohlfühlten, hatte der Seewolf zu sich aufs Achterkastell gebeten. Dort standen sie nun und suchten die Gegend nach dem Boot ab. „Dort vorn war es“, sagte Hasard. „Dort haben wir ihn begraben, und da fanden wir auch die Toten, die um die Feuerstelle saßen. Aber über dem Strand liegt schon wieder Nebel, ich kann das Boot noch nicht sehen.“ Er warf einen Blick auf die Kuhl. Der Nordmann stand immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Gräting und reckte und wand sich. Niemand schenkte ihm weiter Beachtung, er war ein Fremdkörper auf diesem Schiff und gehörte nicht hierher. Sie waren froh, wenn sie ihn bald wieder loswurden. Noch weit vom Strand entfernt ließ der Seewolf die Segel wegnehmen. Die „Isabella“ begann auf den Wogen ohne Fahrt zu dümpeln. Erneut wurde das Boot zu Wasser gelassen. „Ah mit dem Kerl!“ befahl Hasard. „Bringt ihn an Land und stellt ihn da als Denkmal auf. Die, anderen werden ihn bald holen.“ „Dürfen wir mitfahren, Sir?“ fragte Vermeulen. „Wir bringen das Boot dann mit, wenn wir es gefunden haben.“ Hasard erlaubte es. Auf der Kuhl brachte Carberry den Nordmann inzwischen auf Trab. Er deutete auf das Boot und streckte die Hand aus. „Hinein mit dir, du lausige Bilgenratte“, sagte er. Der Nordmann duckte sich, aber er blieb stehen, wo er war. Carberry stemmte die Arme in die Seiten, und diese aggressive Körperhaltung schien dem Nordmann doch einiges zu sagen. Als der Profos dann auch noch seine Stimme leicht anhob, war es mit der Beherrschung des Strandräubers vorbei. „Hoffentlich bist du verlaustes Rübenschwein bald im Boot!“ schrie Ed so laut, daß sich die Masten bogen. Der Nordmann flitzte los - vor Carberry hatte er einen geradezu beängstigenden
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Respekt - und knallte mit dem Schädel an das Schanzkleid, als er vor lauter Eifer ausrutschte. „So ein Tempo lobe ich mir“, sagte Ed, packte den Kerl und hievte ihn mit einem Ruck auf die Jakobsleiter. Noch einmal brauchte er dann nicht auf das Boot zu deuten, der Nordmann sauste wie vom Affen gebissen hinunter und verkroch sich angstvoll unter der hinteren Ducht. Carberry lachte laut. Das schien den Kerl noch mehr zu verängstigen, denn jetzt lugte nur noch sein Hintern unter der Ducht hervor, so sehr verkroch er sich. Vermeulen und Visser folgten dem Profos. „Jetzt hat dieser Kerl vor Angst fast die Hosen voll“, sagte Vermeulen. „Aber vor ein paar Tagen, als sie in der Überzahl waren, da haben sie es uns gezeigt.“ „Das haben wir ihm zurückgezahlt“, sagte Ed. „Hoffentlich erzählt er es seinen verlausten Kameraden, damit die wissen, was ihnen blüht, wenn sie noch einmal unseren Kurs kreuzen.“ Sie ergriffen die Riemen und pullten dem Strand entgegen, der immer noch unter einer leichten Dunstglocke lag, die nicht weichen wollte. . Der Nordmann blieb die ganze Zeit im Boot unter der Ducht hocken. Als eine Brandungswelle das Boot hob und nach vorn schleuderte, schluckte er eine ganze Menge Wasser und gab ein ersticktes Winseln von sich. Als das Boot auf den Strand lief, ließ der Profos die beiden Holländer aussteigen. Dann brüllte er den Nordmann an. Aber der steckte immer noch unter der Ducht und rührte sich nicht. Carberry griff zu. Er packte den Kerl am Hosenboden, zog ihn hervor, stellte ihn auf die Beine und gab ihm einen Tritt in den Achtersteven. Mit einem lauten Schrei rannte der Nordmann davon. Er rannte nicht, er raste, als wären alle Teufel der Hölle hinter ihm her. Nach ein paar Minuten hatte er die Krümmung am Strand erreicht und war ihren Blicken entschwunden. „Anscheinend habe ich etwas zu zart zugeschlagen“, sagte Ed nachdenklich.
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Sie suchten den Strand ab, aber von dem Boot fand sich keine Spur. „Hier hat es gelegen“, sagte Ed, „das weiß ich ganz genau. Dort vorn beginnt die Steingruppe, und dahinter sitzen die Toten.“ Er zeigte etwas höher den Strand hinauf, wo sich ein Kreuz aus Schiffsplanken befand. „Dort liegt euer Kamerad, Jungens. Da haben wir ihn begraben.“ Vermeulen und Visser blieben eine Weile reglos vor dem kleinen, steinhart gefrorenen Hügel stehen. Als sie sich schließlich abwandten, schimmerten ihre Augen feucht.. „Das ist alles, was von einem Schiff und seiner Besatzung geblieben ist“, sagte Vermeulen schluckend. „Zwei Überlebende, ein paar einsame Gräber irgendwo im Norden. Weiter nichts!“ Er lachte bitter auf, und der Profos konnte ihm nachfühlen, wie ihm jetzt zumute war. Noch einmal suchten sie den ganzen Strand ab, aber von dem Boot war nichts zu sehen. „Das haben die Kerle wahrscheinlich längst geholt“, sagte Ed. „Oder sie haben es zu Feuerholz verarbeitet. Es hat keinen Zweck, daß wir noch länger suchen, wir werden es doch nicht finden.“ Sie kehrten an Bord zurück und segelten weiter. Als sie an den Höhlen vorbeifuhren, wo die Nordmänner hausten, erlebten sie noch einmal eine Überraschung. Mehr als zwanzig Männer stürmten aus den Höhlen, als sie die „Isabella“ in Küstennähe vorbeisegeln sahen, und rannten, wie von Furien gehetzt, ins Landesinnere. „Wir haben ihnen anscheinend doch etwas Respekt beigebracht“, sagte der Seewolf. Vermeulen zeigte ihm die nächstgelegene Durchfahrt zwischen den Inselketten, und von da an lief der Rahsegler wieder auf Südkurs. Der Weg in den Pazifischen Ozean lag vor ihnen. *
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Schon nach einer Woche war es spürbar wärmer geworden, und der von Ferris Tucker konstruierte Ofen brauchte nicht mehr mit den Blubberstücken beheizt werden. Am vierzehnten Tag ihrer Reise trugen die Seewölfe auch ihre Pelzkleidung nicht mehr. Sie war überflüssig geworden. Nur nachts war es noch ein wenig kühl, aber auch das legte sich in den nächsten Tagen, und bald segelte die „Isabella“ unter einem strahlend blauen Himmel, von dem wieder die lang entbehrte Sonne schien. Daß die Lebensmittel langsam immer knapper wurden, erwähnte niemand, sie alle wußten es, und es wurde Zeit, daß sie bald wieder Land anliefen, um die Vorräte zu ergänzen. Aber vorerst war kein Land in Sicht, und der Seewolf wußte noch immer nicht mit Sicherheit, wo sie auf Land treffen würden und wie dieses Land dann hieß. Drei Wochen vergingen. Visser und Vermeulen hatten sich dem Profos willig unterstellt und packten geschickt überall mit an, wo sie gebraucht wurden. Sie hatten sich hervorragend in das Bordleben der „Isabella“ eingewöhnt und erwiesen sich als vorzügliche Seeleute. Am zweiundzwanzigsten Reisetag wurde endlich Land gesichtet. Bill, der im Großmars hockte, brüllte so laut, daß die Männer an Deck zusammenzuckten. „Land! Land zwei Strich Backbord! Land und Rauch!“ In die Seewölfe kam Bewegung. Im Nu hingen alle in den Wanten und starrten sich die Augen aus. Wochenlang hatten sie nichts als Wasser und Himmel gesehen, und jetzt wurde die Eintönigkeit unterbrochen. Sie sehnten sich nach Land, nach einer der südlichen Inseln, nach frischen Früchten, Palmen, Strand und Frauen. Als das Land jetzt unendlich langsam an der Kimm heranwuchs, waren das Eismeer und die damit verbundenen Strapazen vergessen.
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Es war nur ein schmaler Strich am Horizont, und über diesem Strich hing deutlich sichtbar eine Rauchfahne, die zum Himmel strebte. „Das scheint eine Vulkaninsel zu sein“, sagte Hasard. „Ich möchte brennend gern wissen, wie dieses Land heißt.“ Nicht im Traum dachte der Seewolf daran, daß er schon einmal auf einer dieser Inseln gewesen war. Dazu war das Bild, das sie von der Erde hatten, noch nicht groß und ausführlich genug. Vor ihnen lag Hawaii, aber das ahnte niemand, und auch die Holländer wußten nicht, welches Land sie jetzt ansegelten. In die Freude über das eben entdeckte Land mischte sich allerdings auch ein kleiner Wermutstropfen. Der Wind, der schon seit einem Tag nur noch ganz schwach geweht hatte, schlief langsam ein. Der Kutscher sah es ebenfalls mit besorgten Blicken und schaute auf den Profos, der die Arme in die Seiten gestemmt hatte und nach den Flögeln lugte, die traurig herabhingen. Ab und zu wurden sie aufgeplustert, und dann fuhr ein leichter Windstoß in die Segel und blähte sie ein wenig, aber es reichte kaum noch, um dieses Land oder diese Insel anzulaufen. „Keine Sorge“, sagte Ed, als er das besorgte Gesicht des Kutschers sah. „Wir schaffen es schon noch bis zu diesem Landstrich, und wenn wir die ,Isabella` hinpullen.“ „Meinst du wirklich?“ „Ganz sicher. Dann kannst du Nüsse und Früchte einsacken, soviel du willst.“ „Das ist wie die Ruhe vor dem Sturm“; sagte der Kutscher, „als würde jeden Augenblick ein Unwetter losbrechen.“ Irgendwie hatte Carberry dieses Gefühl auch, aber es war so unbestimmt und vage, und der blaue Himmel ließ keinen Zweifel daran, daß es auch weiterhin schön bleiben würde. Gedankenverloren ging er nach achtern, und als er das Quarterdeck erreichte, vernahm er ein dumpfes, weit entferntes Grollen.
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Er stieg die Stufen des Niedergangs hoch, stellte sich an die Balustrade und sah sich um. Weit und breit gab es nichts zu sehen als das blaue, jetzt fast bewegungslose Meer, den ebenso azurblauen Himmel und voraus den schmalen Küstenstrich, über dem eine Wolke aus Rauch stand. Er sah den Seewolf an, der ebenso aufmerksam den Blick in die Runde gehen ließ. Jeder hatte das ferne Grollen vernommen, denn überall an Deck standen sie wie erstarrt da und lauschten. „Was mag das nur sein?“ fragte Ed den Seewolf. „Auf dem Land gibt es einen Vulkan, und der steht vermutlich kurz vor einem Ausbruch, denke ich.” „Dann ist es wohl besser, daß der Wind eingeschlafen ist“, sagte der Profos. „Wenn so ein Feuerteufel bläst, ist es in der Nähe immer sehr ungemütlich.“ „Allerdings“, gab Hasard zu. „Doch mitunter rumpeln die Vulkane nur, ohne in Tätigkeit zu treten.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als eine Erschütterung, diesmal viel deutlicher spürbar, durch die See lief. Auf der teilweise glatten Oberfläche des Wasser zeichneten sich krause Stellen ab, als würde Wind darüber hinwegwehen. Carberry fror plötzlich. Er spürte, wie ihm eine Gänsehaut über die Arme bis ins Genick lief. Ein kleiner Windstoß blähte die Segel, eine leichte Bö fiel ein. Pete Ballie drehte das Schiff in die richtige Position, aber kaum nahm die „Isabella“ etwas Fahrt auf, da fielen die Segel auch 'schon wieder schlaff zusammen. Der kleine Bart, den der Rahsegler vor sich herschob, verschwand. Es war nur ein kurzer Ruck voraus wie ein Schwan, der plötzlich losschwamm und dann stoppte. „Mist verdammter“, sagte Ed laut und deutlich. „Ich rieche etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.“ Wieder suchte er den blauen Himmel ab, aber es gab nirgendwo auch nur eine kleine Wolke zu sehen. Es war, als hielten alle Elemente vorübergehend den Atem an, um
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Kraft zu sammeln für den ganz großen, überraschenden Schlag. Das dumpfe Grollen und Rumpeln wiederholte sich in immer kürzeren Abständen. Mal schien es tief unten vom Meeresgrund zu stammen mal tönte es aus östlicher Richtung. Es hielt jeweils ein paar Sekunden an, dann herrschte Stille. Die meisten Seewölfe standen am Schanzkleid und blickten ins Wasser, als könnten sie dort etwas sehen. Oder sie schauten zum fernen Land hinüber und wünschten sich, sie wären schon dort. Der Profos wandte sich wieder an Hasard. „Sollen wir das Beiboot zu Wasser lassen und pullen?“ fragte er. „Die Kerle haben ohnehin nichts zu tun, und ein bißchen Bewegung kann ihnen nicht schaden. Wir könnten die ,Isabella' mühelos bis in Landnähe schleppen.“ „Warum so eilig, Ed?“ „Ich weiß nicht, Sir, es ist merkwürdig, ich kann es nicht ausdrücken, aber es liegt was in der Luft, und mein Gefühl sagt mir, daß wir dort an Land besser aufgehoben sind.“ „Wer weiß, es kann auch umgekehrt sein. Nein, wir schleppen noch nicht, wir warten noch ab.“ „Aye, aye, Sir.“ Hasard sah dem Profos lächelnd nach. Ed war sauer, das merkte er ganz-deutlich. Dem Profos behagte es nicht, hier tatenlos herumzustehen, während vor ihnen Land lag. Daher stapfte er ziemlich mißgelaunt über die Kuhl. Der Seewolf drehte sich um und blickte nach Steuerbord ins Wasser, als sich dort ganz überraschend ein kleiner Wirbel bildete. Das Meer sackte an einer Stelle buchstäblich ein, der Wirbel wurde größer und begann zu rotieren. „Seht mal dort hinüber!“ rief Hasard. Im selben Augenblick erfolgte ein hartes Rollen. Es kam diesmal einwandfrei vom Meeresgrund, und nun begann sich das Wasser überall zu kräuseln. Der nächste Windstoß fegte heran, und jetzt wußte jeder der Männer, daß etwas bevorstand.
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Die „Isabella“ schüttelte sich einmal wie ein störrischer Esel, nahm Fahrt auf und glitt über das Wasser. „Abfallen, Pete!“ rief Hasard. „Weg von der Stelle.“ Noch immer rotierte es an jener Stelle im Meer. Wie durch einen unsichtbaren Trichter wurde Wasser in die Tiefe gezogen. Es saugte und schmatzte laut, und neben dem quirlenden Trichter spritzte Wasser in die Höhe, blubbernd und blasenwerfend schoß es nach oben und gischte mit hundert kleinen Armen wie eine Fontäne. „Ein Seebeben“, murmelte Pete Ballie entsetzt. Am liebsten hätte er der „Isabella“ einen Tritt verpaßt, damit sie schneller lief, denn was ein Seebeben bedeutete, das wußte jeder von ihnen. Mehr als einmal hatten sie es erlebt, und es war allen noch in unangenehmer Erinnerung. Aber sie segelten jetzt von jener Stelle weg mit direktem Kurs auf das Land. Es war eine Insel, das war jetzt deutlich zu erkennen. Die quirlige und blasenwerfende Stelle im Meer hatte sich wieder beruhigt, aber an ihrer Stelle entstand jetzt eine schwankende, gläserne Wand, die sich aus dem Meer stülpte, schwerfällig in Bewegung setzte und dann losrollte. Wie durch Zauberei war die Welle entstanden. Ihre Länge betrug höchstens achtzig Yards, ihre Höhe etwa zwei Yards, und es war ein beklemmender Anblick, wie sie sich aus dem fast glatten Wasser erhob und einer Walze gleich in südwestlicher Richtung lief. Hasard hatte das bange Gefühl, daß sie sich auf ihrem Weg durch das Meer immer weiter vergrößerte und als Riesenwelle weiterlief, die alles zermalmte, was ihr in den Weg geriet, aber zu seinem Erstaunen verlief sie sich, wurde kleiner und kleiner und überschlug sich drei, vier Kabellängen von der „Isabella“ entfernt, wobei sie schäumend in sich zusammenbrach. Nur ihre Ausläufer wanderten weiter, kleine, stoßartige Wellen, die „ keine Kraft mehr hatten und sich nach einer Weile
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ebenfalls totliefen, als sich ihre Kraft erschöpfte. „Das ging noch einmal gut“, sagte Ben Brighton zu Shane. „Das war nur ein winziger Erdstoß, und wir sind noch einmal mit einem blauen Auge entwischt. Ich dachte schon, das wächst sich zu einem gewaltigen Seebeben aus.“ „Daran dachte ich auch“, sagte Shane erleichtert. Der Wind blies sie weiter auf die Insel zu, aber er blieb unberechenbar und launisch. Mal schlief er ein, dann wieder wehte er aus dem Nichts und blies kräftig, bis er schließlich nur noch ganz lau über das Wasser strich. Die meisten standen jetzt auf dem Vordeck und sahen dem Land entgegen. Ja, das war die Insel, von der sie lange Zeit nur geträumt hatten. Eine Perle, ein kostbares Juwel ragte aus dem Meer, und der Anblick wurde durch den rauchenden Vulkan keineswegs getrübt. Er qualmte friedlich vor sich hin, gleichmäßig seinen Rauch ausstoßend, und als sie sich noch weiter näherten, entdeckten sie hinter dem ersten Vulkan einen zweiten, aus dem sich fast hellgrauer Rauch in den blauen Himmel kräuselte. Gary Andrews schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel. „Mann, wie lange habe ich darauf gewartet!“ schrie er übermütig. „Ein herrlicher Sand mit Palmen und grünen Büschen. Und da vorn stehen Hütten. Männer, da liegen sogar Schiffe in der Bucht!“ Nur langsam näherten sie sich einer lang gezogenen Bucht mit schneeweißem Strand, der von schlanken Palmen umsäumt war. Zwei Galeonen lagen ganz am Ende der Bucht. Es ließ sich noch nicht erkennen, welcher Nationalität sie waren, aber bei der einen tippte der Schiffszimmermann auf einen Spanier. Der erste Augenschein täuschte jedoch. Die Insel schien keineswegs so friedlich zu sein, wie es aussah, denn in der weiten Bucht und dem dahinter liegenden Strand herrschten Unruhe, Eile und Hast.
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Spürbare Unrast lag über der Bucht, und als sie sich noch weiter näherten, sahen sie, wie Eingeborene aufgeregt durcheinander hasteten, kleine Schiffe beluden und bepackten und im Begriff waren, ihre Hütten zu verlassen. Hasard blickte durch das Spektiv zu den Galeonen hinüber und fragte sich, ob sie vielleicht der Grund für den Aufbruch waren und die Eingeborenen bedrohten. Aber es traf nicht zu. Zu seinem Erstaunen war die eine Galeone verlassen, jedenfalls zeigte sich kein Mensch an Deck. Auf der anderen dagegen wimmelte es von Leuten. Auslegerboote fuhren sie immer wieder an. Irgendetwas wurde eingeladen, dann kehrten die Boote wieder zum Strand zurück, und andere erschienen. „Was, zum Teufel, mag da bloß los sein?“ fragte Dan. „Die benehmen sich ja, als ginge gleich die Welt unter.“ „Das werden wir gleich feststellen, sobald wir ankern. Vielleicht hängt es mit dem Seebeben zusammen, und die Leute sind in Panik geraten.“ Niemand fuhr ihnen entgegen, als sie in zwei Kabellängen Abstand vom Strand vor Anker gingen. Die Segel waren aufgegeit, und die „Isabella“ zerrte noch an ihrer Ankertrosse, als Hasard auch schon das Beiboot abfieren ließ. Er wollte so schnell wie möglich an Land, um zu erfahren, was dieser hastige Aufbruch zu bedeuten habe. Vermeulen und Visser erschienen. „Bitte, Sir“, sagte der holländische Kapitän. „Nehmen Sie uns mit an Land und setzen Sie uns dort ab. Wir sind Ihnen lange genug zur Last gefallen und möchten Ihre Großzügigkeit nicht weiter ausnutzen.“ „Was wollen Sie auf der Insel?“ fragte Hasard verblüfft. „Hierbleiben, Sir. Wir haben kein Schiff mehr, aber wir fühlen uns in diesen Breiten wohl. Und wir werden auch wieder etwas auftreiben oder irgendwo anheuern. Wie es aussieht, laufen viele Schiffe diese Insel an.“ „Haben Sie sich das gut überlegt?“ „Es ist unser fester Entschluß, Sir.“
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„Sie gehen einem ungewissen Schicksal entgegen. Ich will Sie nicht überreden, es ist Ihre Entscheidung, und Sie müssen wissen, was Sie tun.“ „Ich weiß es, Sir. Wir werden hier neu anfangen, und ich bin sicher, daß wir bei den Eingeborenen willkommen sind. Es gibt viele Weiße auf den Inseln.“ Hasard respektierte den Entschluß, obwohl er Bedenken hatte. Aber was Vermeulen sagte, stimmte in gewisser Weise. Viele Europäer blieben in der Südsee hängen, und die meisten von ihnen kamen ganz gut zurecht. Schließlich nickte er zustimmend. „In Ordnung, ich nehme Sie mit.“ Vermeulen und Visser dankten, dann gingen sie zu jedem einzelnen der Crew, um sich zu verabschieden. Sie hatten sich so gut eingelebt, daß es den Seewölfen fast schwer fiel, sie ziehen zu lassen, denn die beiden Holländer waren ehrliche und verläßliche Leute. Das kleine Beiboot legte ab. Es war mit Hasard, Dan, dem Profos und den beiden Holländern besetzt, die ein letztes Mal zu den Riemen griffen, bevor sie sich endgültig trennten. Etwas später lief das leichte Boot knirschend auf den feinen Sand. Die Holländer verabschiedeten sich noch einmal und bedankten sich. Hasard gab Vermeulen einen kleinen Lederbeutel, und er mußte alle Überredungskunst aufbringen, damit Vermeulen ihn auch nahm. „Das ist für den Start“, sagte der Seewolf. „Damit der Anfang etwas leichter fällt.“ Etwas später waren die beiden verschwunden. Sie gingen in jene Richtung, wo die Galeonen ankerten. Hasard, Carberry und der junge O'Flynn standen am Strand und sahen sich erstaunt um. Die Hütten, die nahe dem Meer auf einer großen, palmenumsäumten Lichtung standen, Waren leer und verlassen. Einige der braunhäutigen Eingeborenen wanderten in die Berge, jener Stelle entgegen, wo die Krater rauchten und qualmten. Dort schlängelte sich ein
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ausgetretener Pfad durch die Berge und Hügel, und auf diesem Pfad bewegten sich pausenlos Menschen — Männer, Frauen und Kinder. Ratlos standen die drei Männer da und sahen dem eiligen Wanderzug zu. Hasard blickte auf den rauchenden Vulkan, aber der benahm sich ganz friedlich, und nur ab und zu war einweit entferntes Grollen im Boden zu hören. „Wir pullen zu den Galeonen hin“, entschied er. „Ich muß wissen, was hier vorgeht. Wenn hier wirklich eine Gefahr droht, und so sieht es aus, dann können wir vielleicht helfen.“ Es wunderte sie ohnehin, daß sich niemand um sie kümmerte. Das war mehr als ungewöhnlich, aber in diesem allgemeinen Durcheinander verständlich. Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Gerade als sie ins Boot klettern wollten, hielt ein Boot auf sie zu, das sich von der einen Galeone gelöst hatte und nun in einem weiten Bogen auf sie zulief. Vier Männer ruderten es, ein anderer saß auf der Ducht und blickte ihnen entgegen. „Moment“, sagte Dan, „die wollen doch zu uns. Sieht aus, als wären das Dons.“ Carberry blickte ihnen finster entgegen und stemmte, wie immer, wenn ihn etwas aufregte, die Hände in die Hüften. „Na, die sollen nur mal antanzen“, brummte er, „die werden den Tag ihrer Geburt verfluchen.“ „Die Männer sind nicht bewaffnet“, sagte Hasard, „und sie sind auch nicht auf Streit aus.“ „Wenn es wirklich Dons sind“, fragte Dan, „geben wir uns dann als Engländer oder Spanier aus?“ „Als Engländer“, sagte Hasard. Das Boot glitt rasch näher, dann folgte ein kurzes Kommando, und die Riemen wurden eingezogen. Knirschend lief es auf den Sand. Hasard, Dan und der Profos wußten nach dem kurzen Zuruf, daß sie Spanier vor sich hatten. Aber sie trugen keine Uniformen und waren demnach auch keine Seesoldaten.
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Der Mann, der auf der Ducht saß, sprang in den Sand. „Buenos dias“, sagte er höflich und sah Hasard an. „Tiene Usted ...“ „Wir sind Engländer“, sagte Hasard auf Spanisch und lächelte dabei. Der Mann trat einen Schritt zurück und wurde merklich blaß. Dann starrte er den Profos und Dan an und ging noch einen Schritt zurück. Auch die anderen, die noch im Boot waren, wechselten die Farbe. „Keine Sorge“, sagte der Seewolf. „Unser Schiff sieht zwar einer spanischen Galeone ähnlich, aber wir sind keine Spanier. Sie brauchen keine Angst zu haben.“ Es dauerte eine Weile, bis der hochgewachsene, glattrasierte Mann das verdaut hatte. Aber dann hatte er sich gefangen und trat näher heran. „Wir wollen keine Feindschaft“, sagte er zu Hasards Verblüffung und streckte ihm die Hand hin. „Mein Name ist Alfredo Jerez, ich bin der Kapitän der ,Aguila`.“ „Philip Hasard Killigrew“, sagte der Seewolf. „Kapitän der ,Isabella VIII.`, die Sie für einen Landsmann hielten.“ „Sie sprechen Spanisch wie ein Spanier, Senor.“ Hasard nickte. Ja, das ließ sich nicht abstreiten, er sprach einwandfreies Spanisch. „Wären Sie bereit zu helfen, Senor?“ fragte der Spanier. „Im Namen der Menschlichkeit.“ Diesen Brocken mußte der Seewolf erst einmal verdauen. Jerez sprach „im Namen der Menschlichkeit“ und bat um Hilfe. Er kannte die Dons ganz anders, wenn sie plündernd und brandschatzend über die Inseln herfielen, sie ausbeuteten und die Eingeborenen erschlugen, wenn sie ihre Beute dann nach Spanien brachten, um noch mehr und noch größere Schiffe zu bauen, deren Besatzungen in der Neuen Welt wie die Teufel hausten. Er nickte, immer noch verblüfft. „Sie sind Handelsfahrer?“ fragte er. „Oder haben Sie Soldaten an Bord?“ „Nein, wir treiben Handel zwischen den Inseln, auf eigene Rechnung und schon seit einigen Jahren. Aber hier bahnt sich ein
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Unglück an, und da verlangt es unser Anstand, daß wir helfen.“ Hasard warf einen schnellen Blick auf den Profos und Dan. Auch sie kauten an diesem Brocken noch herum, ganz besonders der Profos, der den Mund geöffnet hatte und zum ersten Male sprachlos war. Diese humane Anwandlung konnte er sich bei einem Don beim besten Willen nicht erklären. Hasard merkte, daß er hier einen grundanständigen und entschlossenen Burschen vor sich hatte, dem es wirklich darum ging, zu helfen, wo er konnte. Nun, dachte er, es gibt auch Ausnahmen. Nicht jeder Don war ein übler Geselle. Man konnte sie nicht alle über einen Kamm scheren, das hatten einige Vorfälle immer wieder bewiesen. „Was geht hier vor?“ fragte Hasard. „Wir bemerkten den allgemeinen Aufbruch schon von See aus, hatten aber keine Erklärung dafür, außer der einen, daß hier vermutlich bald ein Vulkan ausbricht.“ Jerez' ernstblickende Augen ruhten auf dem Seewolf, der ihn um eine Kopfeslänge überragte. „Man nennt diese Insel hier die Insel der sieben Augen, wahrscheinlich aus dem Grund, weil sie sieben Vulkane aufweist. Es kann sich aber auch um die Anzahl der Inselgruppe handeln, so genau habe ich das nie erfahren. Sie kennen diese Inseln?“ Hasard verneinte. Er erklärte Jerez in knappen Worten, woher sie kamen, daß sie seit mehr als drei Wochen auf See waren und jetzt das erste Mal Land anliefen. Der Spanier war beeindruckt. „Diese Inselgruppe wurde im Jahre fünfzehnhundertsiebenundzwanzig von meinem Landsmann de Saavedra entdeckt, achtundzwanzig Jahre später noch einmal von Gaetano. Die Eingeborenen nannten sie Hawaii, und diese Insel der sieben Augen heißt Niihau. Das ist ...“ Diesmal war die Verblüffung auf Seiten der Seewölfe. Diese überraschende Eröffnung haute fast den Seewolf um. Schlagartig wußte er jetzt, wo sie sich befanden, denn diese Inselgruppe hatten sie vor Jahren schon einmal angelaufen,
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aber es war wohl ein Unterschied, ob man die untere Insel von Südamerika aus ansegelte oder ob man von oben aus dem Eismeer auf. die nördliche traf. Jedenfalls war Hasard dem Spanier für diese Eröffnung mehr als dankbar, und er sagte ihm das auch ganz ehrlich. Jerez erklärte ganz offen, was er von dem Seewolf erwartete. „Wir sind dabei, die Eingeborenen in Sicherheit zu bringen, und zwar zur Südseite der Insel.“ „Ein Vulkanausbruch steht bevor, vermute ich. Wir haben es schon auf See gespürt.“ Jerez schüttelte den Kopf. „Das ist nur teilweise richtig, Senor Killigrew. Die Eingeborenen haben ein besonderes Gespür für Katastrophen. Sie leben damit. Der Stammeshäuptling und der Medizinmann erwarten eine Tsunami, und die dürfte sich verheerender auswirken als ein Vulkanausbruch.“ „Ein Seebeben also“, sagte Hasard. „Genauer gesagt eine Riesenwelle, die durch ein Seebeben hervorgerufen wird. Ob es stimmt, daß eine Tsunami aus dem Meer steigt, weiß ich nicht. Aber ich habe den Häuptling noch nie ängstlicher und besorgter gesehen. Es hat vor zwölf Jahren schon einmal eine Riesenwelle gegeben, und jetzt scheint sich das zu wiederholen. Ich glaube den Insulanern, die jetzt Angst haben, daß die Tsunami wieder viele Opfer kostet. Deshalb rennen sie in die Berge, um die Flutwelle abzuwarten. Aber sie sind auf der Südseite sicherer.“ „Selbstverständlich helfen wir den Insulanern“, versprach der Seewolf spontan. „Es ist ein Risiko dabei, Senor“, warnte der Spanier. „Niemand weiß, wann sich diese fürchterliche Flutwelle erheben wird. Es kann in einer Stunde passieren, es kann aber auch noch ein oder zwei Tage dauern. Ich warne Sie deshalb, weil Sie dabei Ihr Leben verlieren könnten, von dem Schiff ganz zu schweigen. Eine solche Flutwelle kann kein Schiff überstehen. Wie ich von dem Häuptling erfuhr, erreicht sie Höhen bis zu mehr als hundertzwanzig Fuß.“ Hasard blickte sich auf dem friedlichen Strand um und malte sich in Gedanken aus,
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wie es hier aussehen würde, wenn sich die angekündigte Katastrophe austobte. Nichts würde stehen bleiben, nicht einmal die Palmen. Die Welle würde alles hinwegfegen, was ihr im Weg stand. „Wir haben schon oft unser Leben riskiert, Senor Jerez“, sagte er. „Sie tun es ebenfalls. Wem gehört die andere Galeone?“ „Sie ist nicht mehr zu verwenden. Sie sitzt auf einer Korallenbank und ist von vorn bis achtern aufgeschlitzt. Sie sieht nur so aus, als würde sie noch schwimmen.“ „Gut, dann sollten wir keine Zeit verlieren. Wie organisieren wir die Rettung?“ „Die Hilfesuchenden sind schon da. Sie haben nicht genügend Boote, weil etliche schon unterwegs sind. Dort draußen warten sie.“ Als Hasard sich umdrehte, sah er die Auslegerboote, die in der Nähe der „Isabella“ im Wasser lagen. Sie hielten respektvollen Abstand zu der Galeone und warteten demütig. „Dann fangen wir sofort an“, sagte er entschlossen. „Vorwärts, wir pullen an Bord zurück!“ 7. Das Boot mit den Spaniern folgte ihnen. Jerez fuhr mitten in eine Gruppe Auslegerboote hinein, ließ dann stoppen und sprach mit den Eingeborenen in ihrer eigenen Sprache, die er ziemlich flüssig beherrschte. „Die Leute bedanken sich für Ihre Hilfe!“ schrie er dem Seewolf zu. „Verweigern Sie nicht die Geschenke, sie haben sogar die Palmen geplündert, weil ohnehin alles verderben würde. „In Ordnung!“ rief Hasard zurück. „Ich nehme so viele Insulaner an Bord, wie wir Platz haben.“ Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, wie die Leute, die in die Felsen gezogen waren, unschlüssig verharrten und nur sehr zögernd wieder zurückkehrten. Hasard, Dan und der Profos enterten auf, gefolgt von einem Pulk Boote, die auf die „Isabella“ zustießen.
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„Anker auf!“ sagte der Profos. „Und dann hoch mit den Segeln. Noch haben wir eine laue Brise. Hopp, hopp, also!“ An Bord wußte keiner so richtig, was denn jetzt los war. Die Seewölfe blickten verwirrt auf die vielen Eingeborenen, die ihr Schiff belagerten und jetzt näher heranruderten. Hasard erklärte schnell und knapp, was vorgefallen war. „Fragen könnt ihr später stellen“, sagte er. „Jetzt nehmen wir erst die Insulaner an Bord und bringen sie zur Südseite.“ Er beugte sich über das Schanzkleid und winkte. Er verstand kein Wort ihrer Sprache, aber sie verstanden seine einladende Handbewegung und legten mit ihren Booten am Rumpf der „Isabella“ an. Luke Morgan blieb mißtrauisch, als er die ersten halbnackten Gestalten an der Jakobsleiter sah. „Wenn das eine Falle ist“, sagte er, „dann sind wir geliefert. Die können doch über uns herfallen und uns abmurksen wie alte Hühner. Und wir kämen nicht einmal zur Gegenwehr.“ „Das wäre wohl reichlich viel Aufwand, um ein Schiff zu überfallen“, sagte Hasard, der die Worte gehört' hatte. „Nein, Luke, gesundes Mißtrauen ist gut, aber hier ist es fehl am Platz. Man spürt direkt die Unruhe dieser Menschen, die ums nackte überleben kämpfen. Geh jetzt ans Ankerspill!“ „Aye, aye, Sir.“ Die ersten Insulaner kletterten geschmeidig an Bord. Den Seewölfen lief das Wasser im Mund zusammen, aber das bezog sich weniger auf die Körbe mit Früchten, die die Eingeborenen ihnen überreichten, das lag vielmehr an den barbusigen Mädchen in ihren kurzen Grasröcken, die sich ungeniert umsahen. Der Moses Bill stand da mit einem knallroten Schädel. Stenmark fielen fast die Augen aus dem Kopf. Und Pete Ballie wußte nicht, wo er seine großen Hände lassen sollte. Immer wieder wischte er sie vor Verlegenheit an der Hose ab. Die Insulaner senkten jedesmal den Kopf und überreichten flache Körbe voller
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Ananas und anderen Früchten. Dann erst gingen sie vorsichtig zur anderen Seite hinüber. „Eigentlich gehen sie ein Risiko ein“, sagte Ben Brighton. „Der Weg übers Land wäre doch einfacher und nicht so gefährlich. Wenn sie hier an Bord sind, kann die angebliche Riesenwelle sie doch noch schneller erreichen, und dann gibt es keinen Schutz.“ „Das Land ist flach“, erwiderte Hasard, „bis auf die Vulkanberge. Und vor den rauchenden Kratern werden sie ebenfalls Angst haben und sich nicht so dicht heranwagen.“ Immer noch kletterten dankbare Insulaner an Bord. Bald waren es vierzig, fünfzig, und noch mehr, die sich auf den Decks der „Isabella“ drängten. Im Schlepp von anderen kehrten die Auslegerboote wieder zum Strand zurück. Es gab auch ein paar Unbelehrbare, wie der Seewolf feststellte, Insulaner, die sich weigerten, die Nordseite zu verlassen, oder nicht an das prophezeite Unglück glaubten. Bei ihnen half alles Zureden nicht. Sie entfernten sich ein Stück von ihren Hütten, kehrten aber jedesmal nach einigen Schritten wieder hartnäckig zurück und waren durch nichts zum Fortgehen zu bewegen. Am Ankerspill standen zwei Seewölfe, der Rest bestand aus Eingeborenen, denen es anscheinend Vergnügen bereitete, um das Spill zu laufen. Die Männer halfen auch mit, die Segel zu setzen, während die jungen Frauen und Mädchen ungeniert mit den Seewölfen schäkerten und ihnen heiße Blicke zuwarfen. Hasard sah, daß der spanische Kapitän ebenfalls lossegelte. Auf seinem Schiff, der „Aguila“, hingen die Insulaner wie Trauben in den Wanten. Ab und zu war ein leises Grollen zu hören, und die Insulaner rückten ängstlich zusammen. Noch etwas fand der Seewolf merkwürdig: Sobald das Grollen erfolgte, das sich wie ein leichtes Zittern durch den Schiffsrumpf fortpflanzte, schlief der Wind
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vorübergehend ein wie eine Flamme, die ausgeblasen wurde. Erst danach erhob er sich und wehte schwach weiter. „Übrigens“, sagte Hasard beiläufig zu Ben Brighton, der die Schar der Eingeborenen musterte, „wir befinden uns auf der nördlichsten Insel einer Kette.“ „Eine Inselkette“, überlegte Brighton. „Ich finde mich immer noch nicht richtig zurecht. Dadurch, daß wir von Norden in den Ozean gesegelt sind, hat sich meine ganze Orientierung verwirrt. Ich weiß nur eins mit Sicherheit, daß wir in dieser Ecke noch niemals waren.“ Sie wurden unterbrochen, denn eine barbusige Inselschönheit stand plötzlich auf dem Achterkastell vor den beiden Männern. In ihren schlanken Händen hielt sie einen flachen Bastkorb und bot den Männern saftige gelbe Früchte an, denen ein lieblicher Geruch entströmte. Hasard räusperte sich. Brighton starrte auf die prallen Brüste und schluckte hart. Er wußte nicht, wo er zuerst hingreifen sollte, entschied sich dann aber zwangsläufig doch für die Ananas, damit die Borddisziplin nicht litt. „Aloha“, sagte die Schöne mit kokettem Augenaufschlag. „Hallo“, murmelte Ben Brighton verwirrt, der das Wort in den falschen Hals gekriegt hatte. Als sie mit einem Lächeln wieder zurückging, warf Hasard einen hinterhältigen Blick auf seinen Bootsmann. Er grinste, und Ben wußte nicht, was der Anlaß war. Er hielt die Ananas in seinen Händen und drückte sie, bis der klebrige Saft über seine Finger lief. „Du bist mächtig aufgeregt, mein Lieber“, sagte er. „Übrigens wollte ich dir noch sagen, daß wir uns auf Hawaii befinden, genauer auf Niihau, der Insel der sieben Augen.“ Ben biß gerade in die süße Frucht hinein. Dann verschluckte er einen Brocken und erstickte fast daran. Erst als Hasard ihm nachdrücklich auf das Kreuz klopfte, fing er sich wieder.
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„Auf Hawaii?“ fragte er fassungslos. „Das kann doch gar nicht möglich sein, ich hatte eine ganz andere Vorstellung.“ „Das wird die anderen auch mächtig überraschen. Mir ging es nicht anders, ich fiel bald aus den Stiefeln.“ „Sir“, meldete sich Pete Ballie. „Die Galeone ändert den Kurs auf Südost.“ „Im Kielwasser bleiben, Pete. Wir segeln hinterher bis zur anderen Seite der Insel.“ „Aye. Sir, auf Kurs Südost.“ An Bord begann ein Geschnatter und Gelächter, wie sie es auf der „Isabella“ schon lange nicht mehr gehört hatten. Die Insulaner, anfangs noch bedrückt, hatten ihre natürliche Fröhlichkeit wieder gefunden und schnatterten jetzt in ihrer singenden Sprache auf die Seewölfe ein, die kein Wort verstanden. Nur sobald das unheimliche Grollen erklang, brach das fröhliche Geschnatter schlagartig ab. Dann blickten die Hawaianer auf das Meer, und ihre Augen verdunkelten sich angstvoll. Auch Hasard blickte sich immer wieder um, in Erwartung einer plötzlich heranrasenden Flutwelle, die sich wie ein Berg aus dem Meer erheben und alles niederwalzen würde. Doch das Meer blieb ruhig, es wurde nur von winzigen Wellen leicht bewegt. Danach setzte das Geschnatter sofort wieder ein. Sam Roscill war von einer Güte und Liebenswürdigkeit besessen, die den Profos fast zu Tränen rührte. Er stand vor einer Inselschönen und starrte so unentwegt auf ihre Brüste, bis er zu schielen anfing. Dann erbot er sich großzügig, dem Mädchen das Logis und ganz besonders die eingebauten Kojen darin zu zeigen. Er redete mit Händen und Füßen, und die Schönheit mit den langen schwarzen Haaren, in denen über dem Ohr eine leuchtende Hibiskusblüte steckte, war auch nicht abgeneigt. Aber das ging dem Profos dann doch zu weit. Gut, er hatte Verständnis dafür, daß die Kerle jede Gelegenheit beim Schopf packten, und er selbst war ja auch nicht abgeneigt, ganz im Gegenteil sogar, aber
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das war einfach ein Ding der Unmöglichkeit, und daher schritt er ein, als er sah, daß Roscill sich schon verstohlen davonschleichen wollte und ein lüsternes Grinsen auf seinem Gesicht lag. „Mein lieber Sam“, sagte er wohlwollend und dennoch tückisch, weil die Kleine ihn ohnehin nicht verstand. „Wenn du dich jetzt mit ihr davonschleichst, dann wird dein Beispiel den anderen ein ganz besonders heißer Ansporn sein, und sie alle werden verschwinden, und aus der „Isabella“ wird dann ein segelnder Puff. Bleibe schön an Deck, sonst schlage ich dir die Zähne so tief in den Rachen, daß sie am Achtersteven wieder rausgucken. Hast du das verstanden, du Hurenbock, oder muß ich dir erst eine Lektion beibringen?“ Er klopfte Sam freundlich auf die Schulter und sah, wie dessen Gesicht immer länger wurde. „Sag der Kleinen, du hättest Wanzen in deiner Koje entdeckt oder Kakerlaken, aber benimm dich anständig. Aloha“, sagte er, immer noch freundlich grinsend, worauf die Schwarzhaarige ebenfalls „aloha“ girrte und dem Profos nachsah, diesem Klotz von einem Kerl, der so breit war wie zwei Insulaner zusammen. Unter der Crew sprach es sich rasch herum, daß in diesem Garten keine reifen Äpfel gepflückt werden durften, nicht hier und unter diesen Bedingungen. Später, da konnten sie an Land tun und lassen, was sie wollten, aber jetzt war das ausgeschlossen. Unter innerlichem Protest sahen das auch alle ein, obwohl es ihnen verdammt leid tat, aber die Disziplin siegte schließlich, und so begnügte sich Sam Roscill damit, dem Mädchen wie ein verliebter Kater aus der Hand die Früchte zu fressen, die sie ihm ständig hinhielt. Bald war er mit Ananas bis obenhin voll gestopft, und er schwor sich, vorerst keine mehr anzurühren. Der typische Inselcharakter veränderte sich kaum, als die „Isabella“ die Spitze der Bucht rundete. Der Strand war weiß und breit und von hohen, schlanken Palmen gesäumt.
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Von hier aus sah man den Vulkan deutlicher, und dem Seewolf schien es, als wäre der Rauch, der aus dem Krater drang, dichter und dunkler geworden. Die Rauchsäule strebte in den wolkenlosen Himmel, und erst in großer Höhe breitete sie sich pilzartig aus. Die Insulaner hatten das längst bemerkt und blickten in die Richtung des rauchenden Berges. Sie wurden merklich stiller. „Der andere fängt auch an, stärker zu qualmen“, sagte Dan. „Anfangs war es nur eine dünne, graue Fahne, die er ausblies, aber jetzt hat sie an Stärke zugenommen, und die Farbe ist auch dunkler geworden. Hoffentlich fängt der Topf nicht an zu kochen.“ „Die Vulkane stehen alle miteinander in Verbindung“, sagte Hasard. „Wenn du noch weiter nach hinten blickst, kannst du ebenfalls dunklen Rauch erkennen. Fängt der eine an zu qualmen, dann raucht der andere auch, weil sie dicht zusammenstehen. Unter der See wird es ebenfalls einige geben, das haben wir vorhin ja gemerkt.“ „Und die Insulaner glauben, der unterseeische wird ausbrechen?“ „So sagte es der Spanier, der es vom Inselhäuptling hatte.“ „Ich glaube eher, daß es umgekehrt sein wird.“ Dan wollte noch etwas hinzufügen, doch ein erneutes Grollen verschloß seine Lippen. Diesmal war es stärker und hielt länger an. Tief in der See rumpelte und rumorte es beängstigend. Es hörte einmal kurz auf, begann aber sofort wieder, noch lauter und nachhaltiger als eben. Ein banges Gefühl saß ihnen allen im Nacken, denn wenn sich jetzt die Tsunami erhob, gab es keine Rettung. In Gedanken sah Hasard das Bild vor sich, wie der Jonas damals auf einer Tsunami davongeritten war wie der leibhaftige Teufel. Und dieser Riesenwelle waren sie damals nur mit knapper Not und Mühe entkommen. Hasard mußte sich wohl oder übel darauf verlassen, daß die Flutwelle aus Norden heranraste, obwohl er der Ansicht war, daß
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sie auf der entgegengesetzten Seite genauso in Erscheinung treten konnte. Aber er verließ sich auf den Instinkt der Insulaner, die in solchen Dingen Erfahrung und besonderes Gespür hatten. Unter dem Rumpf des Schiffes begann es immer stärker zu rumpeln und zu rumoren. Die Erschütterung übertrug sich auf jede einzelne Planke und ließ sie vibrieren. Aus den eben noch so ausgelassenen Insulanern wurde eine stille und bedrückte Schar. Sie drängten sich enger zusammen, und sie sprachen kaum noch ein Wort. Wo mochten die beiden Holländer jetzt sein, überlegte Hasard. Sicher hatten sie schon bereut, das Schiff verlassen zu haben. Vermutlich hatten sie sich den anderen angeschlossen, die den Weg quer durch die Insel nahmen. Am Strand tauchten die ersten Felsen auf. Fast übergangslos erschienen sie, anfangs flach und gestreckt, dann langsam immer höher ansteigend. Nach einer weiteren Stunde hatten sie die Insel zu einem großen Teil gerundet. Hier rauchte ein mächtiger Vulkankegel träge vor sich hin, und die Felsen waren hoch. Wenn die Tsunami heranrollte, dann konnte sie hier nicht mehr viel ausrichten, vorausgesetzt, sie kam wirklich aus nördlicher Richtung. Ihre Kraft mußte sich an den Felsen brechen, mußte schon im Inselinnern abschwächen und sich schließlich hier langsam verlieren. Mittlerweile war die „Isabella“ der spanischen Galeone fast aufgesegelt. Hasard erkannte Jerez auf dem schräggeneigten Achterkastell, der ihm durch Handzeichen. zu verstehen gab, die nächste, von hohen Felsen geschützte Bucht anzulaufen. Hasard hob die rechte Hand zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Eine weit ins Meer ragende Barriere aus hohen Felsen kündigte die Bucht an. „Hoffentlich sind wir da sicher“, sagte Ferris Tucker zu Hasard. „Das Ding wird mit mächtiger Kraft vorbeilaufen und alles zertrümmern, was es erwischt.“
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„Vorerst können wir nicht weiter, aber diese Bucht scheint wirklich geschützter zu sein als der übrige Teil der Insel. Hier wächst nicht viel, deshalb bevorzugen die Insulaner natürlich die Nordseite, wo sie bequemer leben.“ Einige Palmen säumten den weißen Strand aber auch hier, und als die „Isabella“ die Felsen passierte, lag eine tief eingeschnittene Bucht vor ihnen, ein natürlicher Hafen, der von der anderen Seite ebenfalls durch Felsen abgeschlossen war. Am Strand, hingeduckt zwischen einer Palmengruppe, standen vier große Hütten, vor denen Kinder spielten. Hinter den Hütten gab es dichtes Buschwerk, etwas weiter rechts führte ein breiter Pfad weiter ins Landesinnere. „Diesen Weg werden die anderen genommen haben“, sagte Hasard. „Also werden sie auch bald auftauchen.“ In der Mitte der Bucht ließ der Profos die Segel wegnehmen, und als die „Isabella“ sich weiter auf den Strand zuschob, klatschte der Anker ins Wasser. Jerez ankerte mit seiner Galeone keine zweihundert Yards entfernt von den Seewölfen. „Die haben es aber eilig“, sagte Ben verwundert, als sich die Insulaner sofort übers Schanzkleid schwangen. Viele warteten gar nicht erst ab, bis das nachgeschleppte Beiboot auf der Seite lag. So wie sie waren, sprangen sie einfach über Bord, drehten sich im Wasser auf den Rücken und winkten den Seewölfen zu. „Manuia oe!“ ertönte es aus vielen Kehlen dankbar. Und immer wieder: „Manuia oe!“ „Das kann nur vielen Dank oder Auf wiedersehen oder etwas Ähnliches heißen“, vermutete der Seewolf. Er ließ auch das große Boot noch abfieren, denn mehr als dreißig Insulaner befanden sich noch an Bord. Sie verhielten sich ruhig und warteten ab, bis sie an die Reihe kamen. Die anderen schwammen inzwischen dem nahen Strand entgegen. Die Seewölfe wurden von der allgemeinen Unrast, dem unauffälligen Drängen und der offensichtlichen Nervosität der
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Insulaner angesteckt. Sie luden die Männer; Frauen und Kinder in das Boot und brachten sie an den Strand. Dann kehrten sie zurück, um auch die anderen noch zu holen. Sobald sie am Strand waren, liefen ein paar auf die Hütten zu, die anderen begannen augenblicklich den Pfad zu erklimmen, der quer durch die Felsen führte. „Die laufen doch nicht etwa wieder zurück?“ fragte Ben entsetzt. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, ich glaube viel eher, daß sie die höchsten Punkte der Insel erklimmen, um die Tsunami abzuwarten oder sie zu beobachten.“ „Dann steht uns doch noch einiges bevor.“ „Das fürchte ich leider auch.“ Die Insulaner bedankten sich wieder und wieder und schrien die Worte noch in den Booten, die allen in den Ohren klangen und sich wie das Miauen von Katzen anhörten. Dann war die letzte Gruppe an Land, und auch sie rannte sofort in die Berge. Hasard vermutete, daß das makabere Schauspiel jetzt nicht mehr lange auf sich warten lasse würde. Er sah zu dem Spanier hinüber. Ohne Haß lagen sie nebeneinander, und jeder hatte geholfen, so gut er konnte. Die Spanier störten sich nicht daran, daß sie neben Engländern lagen, und die Seewölfe akzeptierten die Dons genauso, denn sie benahmen sich wirklich sehr hilfreich und hatten auch nichts Übles im Sinn. Jedenfalls war es angenehm, auch mal auf solche Leute zu treffen. „Überprüft noch einmal die Ankertrosse“, sagte Hasard. „Fiert genügend nach, ich halte es für das Vernünftigste, wenn wir die ,Isabella` verlassen, bis alles vorüber ist. Der Spanier läßt seine Leute ebenfalls an Land bringen. Ich selbst, Ben und Shane werden an Bord bleiben.“ „Wir bleiben auch, Sir!“ schrie Smoky. „Du hast gehört, was ich gesagt habe. Wir können nichts tun, wenn die Welle uns erreicht, aber auch gar nichts. Die Felsen wird sie jedenfalls nicht überspülen, das steht fest.“
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Sie wußten, daß es keine Widerrede gab, sonst würde der Seewolf wie der Teufel zwischen sie fahren, und so nickte der Decksälteste dann auch gleich. Siri-Tong erschien mit den Zwillingen an Deck. Hasard und Philip grinsten sich eins. „Das wird fein mit der Welle“, sagte Hasard junior begeistert, der sich darunter nicht viel vorstellen konnte. Er hielt es mehr oder weniger für eine etwas riskante Abwechslung, und erst als der alte O'Flynn den beiden erklärte, um was es ging, wurden sie doch merklich kleinlauter und stiller. Der Profos nahm auch den Schimpansen mit, der sich seit einigen Tagen wieder an Deck tummelte, seit es wärmer geworden war. Nur der Papagei, Sir John, der karmesinrote Aracanga, blieb auf der Rah hocken und war durch nichts zu bewegen, seinen luftigen Platz zu verlassen. Was sollte ihm auch schon groß passieren? Er konnte fliegen und hatte damit einen unschätzbaren Vorteil. „Na, dann nicht, du elender Dreckspatz“, brummte Carberry. Das Boot legte ab. Es kehrte nach einer Weile zurück, um auch die anderen noch zu holen. An Bord befanden sich jetzt nur noch drei Mann: Philip Hasard Killigrew, Ben Brighton und Big Old Shane. 8. Sie waren erst ganz kurze Zeit an Land, als die Tsunami sich ankündigte. Carberry scheuchte die Seewölfe in die Felsen und fluchte laut. „Zum Teufel! Die anderen müssen doch nicht unbedingt auf dem Schiff bleiben, wenn wir es schon verlassen müssen. Ich sehe das ja auch ein, aber was nutzt ihnen das denn? Dieser spanische Kapitän ist auch an Bord geblieben.“ Aus dem lauen Lüftchen wurde unvermittelt ein scharfer Wind, der brüllend durch die Felsen fuhr. Jetzt verstand Carberry auch, warum die Insulaner nicht direkt durch die Insel zu
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den Felsen gelaufen waren. Der Weg dorthin war mühsam und beschwerlich, überall gab es scharfe Grate aus Vulkangestein, das noch von einem Ausbruch herrührte und die bizarrsten Formen geschaffen hatte. Außerdem konnte die Riesenwoge dort mühelos hindurchwaschen. Deshalb hatten sie sich so an die Galeonen geklammert. Der plötzliche Wind warf sie fast um, als sie den Pfad entlanggingen, aber in der Bucht unter ihnen blieb alles ruhig. Der Windstoß pfiff darüber hinweg. Es orgelte dumpf, dazu kam das Grollen, das jetzt tief aus der Erde drang und die Felsen erschütterte. Ab und zu konnten sie einen Blick auf die Nordseite der Insel werfen, wenn die Felsen es zuließen und die Sicht nicht versperrten. Wie Spielzeuge sahen die Hütten aus, und wie ein Spielzeug wirkte auch die gestrandete Galeone, die auf dem Riff saß. Carberry sah überall die Insulaner, die angstvoll weiter oben in den Felsen hockten und auf das Unheil warteten, das jeden Augenblick losbrechen mußte. Er erreichte einen höheren Punkt und sah sich um. Niihau lag tief unter ihm, und es krampfte ihm das Herz zusammen, als er winzige Punkte am Nordstrand der Insel erkannte. Insulaner rannten durcheinander und nahmen den Weg in die Felsen. Dann ertönte ein gellender Schrei, der Wind flaute ab, das Rumpeln hörte auf, und Totenstille herrschte ganz plötzlich. Sie hielt nur kurze Zeit an, dann wurde ein leises Brausen hörbar, das vom Meer kam. Es verwandelte sich in ein Brüllen und Klingeln, und dann richtete es den Seewölfen die Haare auf vor Entsetzen. Die angekündigte Tsunami erhob sich aus dem Meer. Trotz der Wärme rann es ihnen eiskalt über die Leiber. „Gott steh uns bei!“ murmelte Smoky, und der alte O'Flynn verbarg das Gesicht in den Händen.
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Weit draußen, mehr als sechs Meilen vor der Nordküste, entstand wie hingezaubert eine blauschwarze Walze im Wasser, als hätte sie zu dem übrigen Meer keinen Bezug, als würde ein gigantischer Wal auftauchen. Die Walze schien bewegungslos im Wasser zu stehen, doch dabei wurde sie immer höher, immer größer, immer gewaltiger. Am Strand entstand zur selben Zeit ein Sog. Das Wasser zog sich zurück, rollte noch einmal vor, als hätte es die gestrandete Galeone vergessen und nahm sie mit hinaus. Je weiter sich das Meer zurückzog, desto höher wurde der dunkle, glasig scheinende Berg im Wasser, und um so lauter begann er wie ein Urtier zu brüllen und zu fauchen. „Stellt euch vor, das wäre unser Schiff“, flüsterte Matt Davies mit zuckenden Lippen. „Mein Gott, lauft doch schneller, lauft!“ schrie er den winzigen Punkten am Strand zu, die sich wie Ameisen bewegten. Als die Tsunami zu rollen begann, hatte sie eine geschätzte Höhe von mehr als vierzig Yards, und sie wuchs immer noch, wurde länger, breiter und höher. Das Geschrei der in den Felsen hockenden Insulaner übertönte noch das dumpfe Getöse und Fauchen, mit dem sich die Flutwelle jetzt dem Land näherte. Carberry fand keinen Vergleich. Die Tsunami war einmalig, es konnte nichts Größeres und nichts Schlimmeres geben, und sie hatte die Kraft, ganze Inseln zu zerschmettern. Arwenack kreischte, trampelte wie ein Verrückter auf der Stelle und hielt sich die Pfoten vor die Ohren. Sein Gesicht war gräßlich verzogen, sein Gebiß hilflos gebleckt. Das Fauchen, Kreischen, Brüllen und Heulen, das der Riesenwelle vorausging, zerrte an den Nerven. Dazu kam ein grelles Pfeifen, das die Ohren peinigte. Aber das alles waren nur Töne, Geräusche, eine Begleitkulisse, die dem Chaos vorausgingen. Die Blicke der Seewölfe suchten die gestrandete Galeone, die sich den Rumpf an den Korallen aufgerissen hatte.
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Sie soff nicht ab, sie hatte sich leicht auf die Seite geneigt und trieb ganz ruhig in der See, seit der gewaltige Sog nachgelassen hatte. Langsam trieb sie der Tsunami entgegen, deren monströser Kamm sich jetzt in Schaum verwandelte, der sich besitz ergreifend nach dem Land ausstreckte, um es zu verschlingen. Sie rollte schneller und schneller. „Die Leute schaffen es nicht mehr!“ rief O'Flynn entsetzt. „Sie erreichen nicht einmal mehr die Hügel. Die Welle ist viel zu schnell. Mein Gott, mein Gott“, murmelte er. Immer noch rasten die Punkte weiter. Einige hasteten in ihrer Panik immer am Strand entlang, die etwas Vernünftigeren rannten weiter in die Felsen und Hügel, obwohl sie dort auch nicht mehr die geringste Chance hatten, der Welle zu entwischen. Brüllend und schnaubend bewegten sich Millionen Tonnen Wasser hochaufgerichtet durch das Meer. Kein Schiff hätte der Tsunami davonsegeln können, kein Mensch konnte ihr davonlaufen. Ihre Geschwindigkeit wuchs mit jeder Sekunde, eine höllische Gewalt schob sie vorwärts. Jetzt befand sie sich höchstens noch eine Meile vom Strand der Nordseite entfernt, dann nur noch eine halbe Meile. Und dann wälzte sich das tobende Ungeheuer kreischend der Galeone entgegen. Das schwere Schiff tanzte in dem unheimlichen Wirbel in himmelhohe Fernen. Spielerisch wurde es emporgehoben, herumgeschleudert und ritt unter dem stark gekrümmten Kamm eine Weile mit rasender Geschwindigkeit mit. Wieder stellte sich jeder vor, daß es ihr Schiff war, das von der Welle überrascht wurde. Dabei wurde sogar dem eisenharten Profos übel. Wie durch ein Wunder schob die Tsunami die Galeone immer noch weiter vor sich her, dann brach ein schäumender Wirbel die Welle an einer Stelle auseinander, und die Galeone kletterte noch höher hinauf.
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Das war der Augenblick, in dem die mörderische Walze den Strand erreichte und darüber hinwegbrauste. Die Geräusche wurden noch lauter, das unheimliche Getöse nahm zu, Höllenmusik erklang, als würde die Welt untergehen. Ein Donnerschlag ließ die Insel erbeben und erschütterte sie bis in den Grund. Der Strand verwandelte sich in eine Hölle aus Sand, kochendem Wasser und umgeknickten Palmen, die die Tsunami wie kleine Hölzer spielerisch knickte und in den Himmel schleuderte. Die Hütten der Eingeborenen explodierten unter der Wucht, als wären sie bis ans Dach mit Pulver gefüllt, und verschwanden in dem Wirbel. Nur die Galeone hatte ihren Höllenritt noch nicht beendet. Sie wurde hin und her geschleudert, wie ein Kreisel gedreht, stand mal kerzengerade in der Luft und reckte die Masten dann wieder nach unten, als das Wasser sie umdrehte. Die Seewölfe beteten immer noch für die laufenden Menschen, die jetzt die Hügel erreichten und sich in banger Erwartung dahinter duckten. Ein paar rannten weiter, der Selbsterhaltungstrieb und die Panik trieben sie pfeilschnell weiter in die Berge. Der Strand war jetzt nicht mehr zu sehen, er bestand nur noch aus einem kochenden Wirbel, in den aus großer Höhe riesige Korallenberge geschleudert wurden. Dann brach die Tsunami mit infernalischem Kreischen das erste Mai in sich zusammen, und wieder ließ ein harter Schlag die Insel erbeben und zittern. Die Punkte verschwanden einer nach dem anderen. Das Inferno löschte sie brüllend und fauchend aus und schleuderte sie nach allen Seiten oder begrub sie unter sich, erschlug sie, zerquetschte sie hinter den Hügeln, die sich ebenfalls explosionsartig auflösten und wie faule Äpfel nach allen Seiten davonflogen. Aber damit war die Kraft der Riesenwelle immer noch nicht gebrochen. Sie tobte sich weiter aus, wälzte sich vehement zwischen die Felsen und zertrümmerte mit unvorstellbarer Wucht das Vulkangestein.
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Dann raste die Galeone wie ein Schiff der Hölle daher. Ein zorniger Arm aus gischtendem Wasser schleuderte sie hoch in den Himmel und warf sie zwischen die Felsen, wo sie mit einem berstenden Knall aufschlug. Noch keiner hatte so etwas gesehen, und vor Angst und Entsetzen brachten sie keinen Ton hervor. Das Schiff zerplatzte. Holzteile flogen nach allen Seiten davon, wurden von der See mitgerissen und schäumten brodelnd durch die Felsen, durch die sich die Tsunami jetzt ihren Weg suchte. „Die erwischt uns auch noch!“ schrie Blacky entsetzt. „Nein, die kriegt uns nicht“, sagte Ferris Tucker. „Ihre Kraft ist schon gebrochen, sie wird die hohen Vulkane nicht mehr erreichen, da bin ich ganz sicher.“ Auf den ersten Blick sah es jedoch nicht danach aus, denn noch immer wälzten sich die gläsernen Fluten wütend und drängend durch die Hügel, schäumten und gurgelten und rissen das Tuffgestein ab. Das Schreien der Insulaner war verklungen. Mit teilnahmslosen Blicken hockten und kauerten sie apathisch zwischen den Felsen und sahen dem nach, was die Tsunami übrig gelassen hatte, nämlich gar nichts. Das Ungeheuer aber rannte weiter, heulend und brüllend, und nur ganz langsam nahm seine gewaltige Kraft ab. Carberry drehte sich schwerfällig um und blickte zur anderen Seite hinunter, wo die „Isabella“ und die spanische Galeone in der felsigen Bucht lagen. „Seht unsere Schiffe“, sagte er und wies hinunter. „Es scheint tatsächlich nicht viel zu passieren.“ Er mußte schreien, um verstanden zu werden, denn das Brausen übertönte seine Worte noch immer. Beide lagen noch ruhig in der Bucht, aber das Wasser begann unruhig zu werden. Es quoll auf, von unten her stiegen blasenartige Blubber nach oben, und nach einer Weile begann die „Isabella“ leicht zu krängen. Anschließend schien eine Riesenfaust sie aus der Tiefe zu packen und kräftig zu
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schütteln. Sie zerrte an ihrer Ankertrosse, krängte stärker, bis ihre Masten zu schwingen begannen, dann lag sie wieder relativ ruhig im Wasser. Der Spanier vollführte alle Bewegungen getreulich mit, dann lag auch er wieder still, und die Männer in den Felsen atmeten erleichtert auf. Doch sie hatten sich zu früh gefreut, noch war das heulende und kreischende Inferno nicht vorüber. Die Nordseite der Insel war zerstört und verwüstet. Es gab keinen Strand mehr, die Hütten waren verschwunden, und selbst von den hohen schlanken Palmen existierten nicht einmal mehr die Stümpfe. Die Tsunami hatte alles unbarmherzig ausgerottet, vertilgt und mit sich gerissen, und jetzt lief sie an der anderen Seite der Insel vorbei, immer noch mit beängstigender Geschwindigkeit, aber nicht mehr so hoch und breit wie vorher. Ein Rest umtoste den kleineren Vulkankegel, sprang gierig an ihm hoch und überfloß ihn. Wasser ergoß sich zischend und brodelnd in den kleinen Krater, dessen Rauchfahne erstickte. Das dauerte nur ein paar Minuten, dann spie der Schlund das eingedrungene Wasser wie ein Höllengeist wieder aus und vermischte es mit Rauch, Dreck, Schlamm und Staub. Der Vulkan hustete wie ein kranker Riese, dann zerbarst der obere Kraterrand unter lautem Dröhnen und wurde von der See verschlungen. Ein letzter Ascheregen stieg fauchend zum Himmel, dann qualmte er mit dünner Fahne weiter. Vor den hohen Felsen hatte die Tsunami ihre Kraft eingebüßt und kapituliert. Sie reckte ihre Millionen Wasserarme nach allen Seiten, um ein letztes Mal zuzugreifen, aber sie schaffte es nicht. Tief unter ihnen prallten die letzten Ausläufer gegen die Felsen. Gestein wurde losgerissen und donnerte hinab, und noch einmal geriet der ganze Berg ins Wanken. Der Rest der Welle bewegte sich jetzt an der anderen Inselseite weiter, und eine hohe, aber kurze Welle, einer dunklen Rolle gleich, raste an der Bucht vorbei.
Die Insel der sieben Augen
Erst jetzt wurden die Ausläufer des wasserreichen Monstrums noch einmal in der Bucht spürbar. Carberry kletterte, so schnell er konnte, die Felsen hinunter, gefolgt von den anderen. Sie wußten, daß sie in keinem Fall helfen konnten, falls etwas geschah, aber sie konnten einfach nicht tatenlos herumstehen und zusehen, wie ihr Schiff vielleicht doch noch in Trümmer ging. Siri-Tong wollte ihnen folgen, doch der Profos schüttelte den Kopf. „Sie bleiben da oben, Madam!“ rief er. „Das befehle ich Ihnen, und wenn der Teufel mich persönlich holt. Sie bleiben mit den Kindern so lange da, bis wir Sie holen.“ Das Gesicht der Roten Korsarin war bleich, sie starrte Carberry an, aber in dieser Situation wagte selbst sie keinen Widerspruch. Ohne etwas zu entgegnen, blieb sie stehen und sah hinunter. Hasard und Philip, die Zwillinge, sahen kalkweiß aus. In ihrer Angst hatte jeder eine Hand der Roten Korsarin ergriffen und sich daran festgeklammert. Neben ihnen hockte Arwenack, der Schimpanse, der sich mit beiden Händen immer wieder über den Schädel strich und Laute ausstieß, wie sie sie bei ihm noch nie gehört hatten. Carberry hatte noch keine fünfzig Yards zurückgelegt, als es an der Felsbarriere entsetzlich laut knirschte. Wie angewurzelt blieb er stehen und starrte fassungslos hinunter. Ein Teil der Felswand löste sich in seine Bestandteile auf, flog auseinander und stürzte in die Bucht. Ein Teil der Wasserwand brach schwallartig herein und verursachte eine harte Erschütterung. Eine Welle begann durch die Bucht zu laufen. Sie erreichte zuerst das auf dem Strand liegende Beiboot, hob es auf und schleuderte es spielerisch bis zwischen die Hütten. Dort blieb es kieloben liegen. Dann war die „Isabella“ an der Reihe. Übergangslos erhob sie sich aus dem ruhigen Wasser mit einem wilden Ruck, schüttelte sich und wurde von der
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Ankertrosse wieder zurückgerissen. Danach krängte sie hart nach Steuerbord, so hart, daß die Seewölfe instinktiv einen Schrei ausstießen. Aber sie war ein gutes, stabiles Schiff, und sie richtete sich auch schwankend wieder auf, nachdem sie diesen harten Treffer verdaut hatte. Der „Aguila“ erging es ähnlich. Nur erlitt sie das Mißgeschick, ihren Anker zu verlieren, denn die Trosse barst mit einem grellen Singen auseinander. Die Wasserwalze legte sie auf die Seite, daß es aussah, als würde sie sich nie mehr aufrichten, doch auch sie schaffte es und begann wild zu schlingern. Dann drehte sie sich um ihre Achse und trieb dem Strand entgegen, wo sie sanft aufsetzte und sich erneut leicht auf die Seite legte. Ein paar harte Grundseen erschütterten beide Schiffe noch einmal. Der Spanier schob sich noch ein Stück höher auf den Sand, und die „Isabella“ vollführte ein wildes Tänzchen, ehe sie wieder zur Ruhe gelangte. Dann war es vorbei. Die Tsunami hatte sich ausgetobt, aber ihre Ausläufer rannten weiter durch den Pazifischen Ozean in Richtung Süden. Die Seewölfe und auch die Spanier halfen, wo sie konnten. Aber es gab nicht viel zu helfen, die Welle hatte nichts stehen lassen, und nur die Südseite hatte das Inferno überstanden. Hasard ließ nach den beiden Holländern suchen, doch sie waren nirgends zu finden. Vielleicht hatten sie sich irgendwo in den Felsen versteckt oder eine Höhle gefunden. Vielleicht aber hatte sie auch die Tsunami verschlungen, was wahrscheinlicher war. Er sah sie jedenfalls nicht mehr wieder. Die Eingeborenen hatten ihren Schreck überwunden, und sie gingen daran, neue Hütten auf der anderen Seite zu errichten, einfache Hütten aus Palmenblättern und den Holzresten, die noch überall auf der Insel herumlagen. Jetzt, da alles vorüber war, nahmen sie es mit der Gelassenheit und dem Gleichmut von Kindern.
Die Insel der sieben Augen
Auf der „Isabella“ wurde das Beiboot an Bord geholt. Es war leicht beschädigt, aber Ferris Tucker konnte das nur ein müdes Lächeln abringen. „So glimpflich sind wir noch nie davongekommen“, sagte er. „Wenn ich diese Walze vor mir sehe, dann wird mir heute noch schlecht. Wir haben nichts abgekriegt, aber es hat viele Tote auf der Insel gegeben, und diese armen Leute, die sich vor der Welle nicht mehr in Sicherheit bringen konnten, tun mir aufrichtig leid. Sie müssen unbeschreibliche Ängste ausgestanden haben.“ „Ja, Angst haben wir auch ausgestanden, mehr als mir lieb war“, sagte der Profos. „Aber es ist vorbei, und es wird sich hoffentlich nicht mehr so schnell wiederholen. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie diese Leute das so präzise voraussagen konnten. Das ist mir zu hoch.“ Am späten Nachmittag halfen sie den Spaniern, ihren Anker aufzuhieven, der tief zwischen den Korallen steckte. Anschließend segelten Hasard und der Profos zur Nordseite, um sich die Schäden aus nächster Nähe anzusehen. Was sie fanden, war die Hölle. An einigen Stellen war der Strand einige Yards tief ausgehöhlt und mit abgerissenen Korallen bedeckt, die die Tsunami aus dem Meer geschleudert hatte. Hoch oben in den Felsen hingen zwei Auslegerboote, unbeschädigt, wie es schien, und die Trümmer der Galeone waren meilenweit über die Insel verstreut. Der Himmel war tiefblau, vom Meer her wehte eine warme Brise. Das ganze Unglück war wie ein Alptraum, der die Insel heimgesucht hatte. „Auf den Nachbarinseln dürfte es ebenfalls einige Verwüstungen gegeben haben, wenn auch nicht so schlimme“, sagte Hasard. „Die Tsunami ist weitergelaufen, und wir wissen aus Erfahrung, daß sie nur sehr langsam zur Ruhe gelangt. Erinnere dich nur an Cuba damals.“ Carberry nickte. Cuba stand ihm auch noch deutlich in Erinnerung, und auch er sah im Geiste den Jonas wieder vor sich, den die Riesenwelle geschluckt hatte, der
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hohnlachend auf ihr mitgeritten war und von dem sie auch nie wieder etwas gehört hatten. Die Ausläufer der damaligen Riesenwelle hatten sich auch noch verheerend auf die Küsten ausgewirkt. Sie gingen noch ein Stück an dem vormals weißen Strand entlang, aber er sah aus wie ein von Dreck und Schlamm überflutetes, trostloses Ufer. Tote Fische lagen herum, aus dem Sand ragte die Schwanzflosse eines größeren Haifisches, den die Welle mit großer Gewalt dort, Kopf voran, hineingerammt hatte und der im Sand erstickt war. Daneben fanden sich abgetrennte Arme von Tintenfischen. Von den Palmen war nichts mehr zu sehen, auch das Dickicht hinter dem Strand war verschwunden. Es war mehr als ein
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trostloser Anblick, und der Seewolf wandte sich schaudernd ab. Sie segelten zur „Isabella“ zurück und kümmerten sich um die Eingeborenen, die ihre Hütten wieder aufbauten. Sie lachten und palaverten schon wieder und begannen damit, sich häuslich einzurichten. Einen Tag lang blieben sie noch auf der Insel, die den größten Teil ihrer einstigen Schönheit eingebüßt hatte. Aber die Natur half sich selbst, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Spuren der Zerstörung getilgt waren. Die Eingeborenen halfen kräftig mit. Am nächsten Tag segelte die „Isabella“ weiter, während der Spanier noch in der Bucht blieb. Sie hielt Kurs Süden, vielleicht wurde ihre Hilfe noch auf einer der anderen Inseln benötigt.
ENDE